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MILTON
UND SEINE ZEIT.
ZWEITER THEIL.
1649—1674.
MILTON
UND SEINE ZEIT.
Von
ALFRED STERN,
Professor dei- Geschichte an der Universität Bern.
ZWEITER THEIL.
1649—1674.
Drittes Buch. Unter der Republik und dem Protektorat.
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LEIPZIG.
VERLAG VON DUXCKER & HÜÄIBLOT.
1879.
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MILTON
UND SEINE ZEIT.
Von
ALFRED STERN.
Drittes Buch.
Unter der Republik und dem Protektorat.
1649-1660.
Mit einem Portrait des ziveiundsechzigjälirigen llilton.
LEIPZIG.
VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT.
1879.
Das Recht der Uebersetzung wie alle anderen Rechte vorbehalten von der
Verlagsbuchhandlung.
D r i 1 1 e s B u c li.
Unter der Republik und dem Protektorat 1649 — 1660.
Inhalts - Yerzeicliniss.
Erstes Kapitel.
Eintritt in den Staatsdienst S. 3 — 49.
Gründung der Republik 4. Der Staatsrath 5. Die Eoyalisten 6. Lil-
burne und die Levellers 7 — 9. Irland 8. Cromwell in Irland 11. Schott-
land 12. Cromwell in Schottland 13. Schlacht bei Dunbar 14. Schlacht
bei Worcester 15. Die Republik und das Ausland 16. Prinz Rupert
und Blake 17, 18. Navigationsakte. Krieg mit den Niederlanden 19.
Das Sekretariat für die ..fremden Sprachen" 20. Georg Rudolf Weck-
herlin. Anstellung Milton's 21. Henry Vane 22, 23. Verhältnis zu
den Mitgliedern des Staatsraths 24. Sonett auf Vane 2.5. Frost,
Thurloe, Fleming, Haak, Sterry, T. Goodwin, Owen, Peters, Caryl, Young,
Durie, Hartlib 25 — 28. Milton's Gesehäftskreis. Lateinische Depeschen
28, 29. Uebersetzungen u. a. m. 30. Untersuchung von Papieren und
Druckschriften. Pressverhältnisse 31. Marchmont Needham 31, 32.
Milton und der Mercurius politicus 33. Der Rakow'sche Katechismus
33. 34. Milton's „Bemerkungen" zum Frieden vonKilkenny
34 — 37. Eixd)v ßaadiXT] 38, 3^. Milton's „Bilderstürme r" 39— 44.
Charakteristik des Königs 40. Kritik des Königthums 41, 42. Konsti-
tutionelle Theorie 42, 43. Omnipotenz des Parlaments 44. Die Frage
nach der Aechtheit des Eixwv ßaaiXixi] 45, 4G. Gleichzeitige Urtheile
47 — -19.
Zweites Kapitel.
Der Kampf mit Salmasius S. 50 — 78.
Salmasius 50, 51. Seine „Defensio regia" 52 — 56. Milton mit der Er-
widerung beauftragt 57. Seine „erste Vertheidigung des eng-
VI Inhalts - Verzeichniss.
lischen Volkes" 58 — 78. Form, Persönliche Anzüglichkeiten 59.
Polemik gegen philologische Pedanterie 60. Rücksicht auf Presbyterianer
nnd Niederländer 61. Der Gegensatz der Principien 62. Menschlicher
Ursprung der einzelnen Staatsverfassungen 63. Befürwortung der Re-
publik 64. Idee der Volkssouveränetät. Der Volksbegriff 65. Hervor-
hebung des dritten Standes 66. Quellen der Milton'schen Theorie. Schrif-
ten der Jesuiten 6S, 69. Hotman , Languet, liuchanan 69, TU. Volks-
souveränetät und Independentismus 71 — 74. Milton und Hobbes 74 — 76.
Schlussbetrachtung 77, 78.
Drittes Kapitel.
Folgen des Kampfes mit Salmasius S. 79 — 117.
Gegenschriften gegen Milton's Vertheidigung des englischen Volkes. „Pro
Rege et Populo Anglicauo Apologia" SO. „Joannis Philippi Responsio"
81. „Carolas I. . . a Securi et Calamo >Hltonii Vindicatus". Gegen-
schriften von Ziegler, Kieffer, Güntzer 82. Urtheile über Salmasius und
Milton. Christine von Schweden und ihr Hof S3. Verhältnis des Sal-
masius zu Vossius und Heinsius 84, 85. Nachrichten über Milton durch
F. Jnnius etc. 86. Christine und Whitelocke. Salmasius' Tod 87. Seine
nachgelassene Schrift gegen Milton 88. A. Pauw, Leonard' Philaras 89.
Milton's Briefwechsel mit Philaras 9ü. Milton's Erblindung 91 — 93. Ein-
wirkung der Erblindung auf seine amtliche Stellung 94. Die Schrift:
„Regii sanguinis clamor'' 95. Peter du Moulin der Verfasser 96. Alexan-
der Morus von Milton für den Verfasser gehalten 97- Milton's „zweite
Vertheidigung des englischen Volkes" 98 — 106. Der Buch-
händler Vlac 99, lOo. Angriffe gegen Morus 101, gegen Salmasius und
Vlac 102. Miltons Selbstportrait 103. Charakteristik der politischen
Grössen England's 104. Behauptung des früheren Standpunktes 105, 106.
Vlac's Sachdruck nebst Morus' „Fides publica" 107 — 110. Milton's Selbst-
vertheidigung 111 — 114. Schwächen und Stärken Milton's 115 — 117
Viertes Kapitel.
Milton und Cromwell S. 118 — 180.
Oliver Cromwell 118—120. Milton's Sonett auf Cromwell 121. Kir-
chenpolitische Angelegenheiten 122 — 124. Auswärtige Politik 125. Miss-
bräuche der Verwaltung 126. Reformbill 127. Rumpparlament und Heer
12^ — 130. Zersprengung des Rumpparlaments 131. Auflösung des re-
publikanischen Staatsraths 132. Das kleine Parlament 133. Hoffnungen
„der Heiligen" 134. Wahl eines neuen Staatsraths 135. Gesetze über
Schuldhaft, Civilehe u. a. m. 136. Debatten über Zehnten, Patronate,
Kanzleihof 137. Stellung Cromwell's 138, 139. Resignation des kleinen
Parlaments 140. Die Protektoratsverfassung 141, 142. Installation Crom-
well's als Protektor 143. Befestigung der neuen Regierung, Verordnun-
Inhalts - Verzeichniss. VII
gen, Union mit Schottland 144. Friede mit den Niederlanden, Verträge
mit Schweden und Norwegen 145, 146. — Milton im Dienste des Pro-
tektorats 147, 14S. Seine Beurtheilnng Crom well' s. Mahnun-
gen an den Prote ktor. 149 — 152. — Cromwell's innere Politik 153.
Parlament von 1 654 154 — 156. Komplotte, Overton, Royalisten 156. Ein-
führung der Generalmajore 157, 158. Gefangennahme H. Vane's 159.
Parlament von 1656 ff. 160. Abschaffung der Generalmajore 161. Ver-
handlung über Erneuerung der Königswürde 162, Die neue Protektorats-
verfassung 163. Wiederherstellung eines Hauses der Lords. Autlösimg
des Parlaments 164. Die Frage der Unterrichtsreform 165. Das kirchen-
politische Kompromiss 166. Die Toleranz und ihre Grenzen 167. Ge-
gensatz^ Cromwell's und Milton's 168, 169. Auswärtige Politik 17(». Ihr
protestantischer Charakter. Verhältnis zu den reformirten Kantonen
. der Schweiz 171. Verfolgung der Waldenser 172, 173. Eindruck in
England 173. Milton's Sonett und Depeschen 174, 175. Krieg
mit Spanien 176. Allianz Cromwell's und Mazarin's. Eroberung Dün-
kirchens 177. Nordische Politik. Milton's Depeschen 179, 180.
Fünftes Kapitel.
Familie und Freunde S. 181 — 201.
Geburt eines Sohnes (John). Streitigkeiten mit Mrs. Powell 182. Geburt
einer Tochter (Deborah). Tod von Milton's Frau und Sohn. Ueber-
setzung der acht ersten Psalmen 18:{. Fremde Besuche bei Milton
Christoph Arnold. Peter von Heimbach 184. Briefwechsel mit Peter
von Heimbach, Henri de Brass, LeovouAitzema 185. Roger
Williams in England. Sein -Verkehr mit Milton 186. Sonette an (^y-
riack Skinner und Lawrence 187. Milton's Neffen 188. Andrew
Marvell 188 — 190. Samuel Hartlib und seine Bestrebungen 191 — 194.
Beziehungen zu Lady Rauelagh, Richard Jones, Heinrich Oldenburg 194,
195. Briefwechsel mit ß. Jones, H. Oldenburg, E. Bigot,
J, Labadie, A. Sandelands 196. Verheiratung mit Katharine Wood-
cock. Tod Katharine's und ihrer Tochter. Milton's Sonett auf die
Verstorbene 197. Veröffentlichung von Walter Raleigh's Traktat „über
die Regierungskunst" 198. — Die politischen Varhältnisse. Schwierige
Stellung des Protektorats 199. Tod Oliver Cromwell's 200.
Sechstes Kapitel.
In den letzten Zeiten der Republik . . . , S. 202 — 251,
Protektorat Richard Cromwell's. Zusammentritt des Parlaments 203. Ab-
schaffung des Protektorats 204. Wiederherstellung des langen Parlaments
205. Milton's Schrift ,,über das Verhältnis des Staates zu
den kirchlichen Angelegenheiten" 206 — 211. Praktischer Zweck
207. Gegen den Autoritätsglauben 208. Bibel und Interpretation 209.
Vlil Inhalts- Verzeichniss.
Mangel eines legislatorischen Programmes 210. Gegen Duldung des ka-
tholischen Kultus 211. Brief John Wall's an Milton 212. Milton's
Schrift „Betrachtungen über die geeignetsten Mittel, um
Miethlinge aus der Kirche zu entfernen'" 212 — 221. Gegen
staatliche Prüfung und Besoldung 214. Bekämpfung der Zehnten 215.
Befürwortung einer Säkularisation zu Gunsten der Volksbildung 216. Bür-
gerlicher Charakter von Ehe und Begräbnis 217. Auffassimg des geist-
lichen Standes 21S. Polemik gegen die Schul theologie 219. Einwirkung
der Quäker 220. Einwirkung von Roger Williams 221. — Konflikt
zwischen Heer und Parlament 222. Besiegung des George Booth. Zer-
sprengung des Parlaments durch Lambert 223. Milton's Brief ,,über
die Wirren des Gemeinwesens" 224. Günstige Aussichten für
die Restauration 225. Monk und Lambert 226. Rückkehr des Rump-
parlanients 227. Monk in England 22S. Monk und die City. Rück-
kehr des langen Parlaments 230. Milton's Schrift „der sichere
und leichte Weg zur Begründung eines freien Gemein-
wesens" 232 — 241 . Vorzug der Republik vor der Monarchie 232. Appell
an Gefühl und Berechnung 233 — 235. Vorschläge zu Gunsten der Er-
haltung der Republik 236. Der , .grosse Rath" der Nation 237. Gegen
allgemeines Wahlrecht 238. Für ständige Dauer des „grossen Rathes"
239. Idee einer neuen Decentralisation 24ü, 241. Milton's Brief
an Monk 242. Harrington und die Rota 243. Das fingirte ,,Urtheil
der Rota'' über Milton's Schrift 244 — 246. Die ,,Vertheidigung der Würde
des Königthums" von G. S. gegen Milton 247. — Die Wahlen. Das
Konventionsparlament 248. Deklaration von Breda. Predigt M. Grif-
fith's „Die Furcht Gottes und des Königs" 249. Milton's ,, Anmer-
kungen" zu Griffith's Predigt 250. R. l'Estange's Gegenschrift
„Keine blinden Führer" 250.
Anmerkungen und AnhSng-e S. 252 — 303.
Anmerkungen.
Anhang I.
Ueber eine bisher unbekannt grebliebene Kor-
respondenz Milton's S. 287 — 297.
Anhang IL
Aktenstücke betreffend Alexander Morus . . S. 297—308.
Drittes Buch.
Unter der Republik und dem Protektorat.
1649-1660.
Stern, Milton u. s. Z. II. 3.
Erstes Kapitel.
- Eintritt in den Staatsdienst.
„i)as Recht, seine Regierung zu ändern, liegt nach
Gottes Yerwilligung beim Volke." Mit diesem unerbittlichen
Satze hatte Milton den letzten Akt jener Revolution in Schutz
genommen, deren erste Anfänge schon Gegenstand seiner
Bewunderung gewesen waren. In der That, es war die Idee
der Souveränetät des Volkes, die als treibende Kraft hinter
den äusseren Ereignissen stand, und welcher König und
Königthum zum Opfer fielen, Sie war nicht auf dem Boden
der altparlamentarischen Opposition erw^achsen. Sie war gross
geworden im Lager des independentischen Heeres. Nur durch
dessen gewaltthätigeS Einschreiten war der Widerstand der
Parlamentsmehrheit gebrochen, war das Verhängnis des Königs
herbeigeführt worden. Der klaffende Widerspruch zwischen
Lehre und Wirklichkeit blieb bestehen, dass das Volk, dessen
Souveränetät man proklamirte, durch die drohende Masse der
Soldaten und durch ein paar dutzend zurückgebliebene Mit-
glieder eines verstümmelten Unterhauses dargestellt wurde.
Aber dem Zeitgenossen, der mit dem ganzen Feuer seines
Naturells Partei ergriffen hatte, kam dieser Widerspruch
nicht sofort zum Bewusstsein. Die nächsten Folgen der Hin-
richtung Karl's I. erschienen ihm um nichts weniger gerecht-
fertigt, weil die Nation sie aus den Händen der kleinen An-
zahl von ^lachthabern entgegennehmen musste.
Die Abschaffung des Hauses der Lords durch Votum
der Gemeinen vom 6. Februar 1649 war das Vorspiel zur
4 Gründung der Republik.
förmlichen Verwerfung der monarchischen Staatsform den Tag
darauf. Das „Amt des Königs als unnöthig, lästig und gefähr-
lich für die Freiheit, die Sicherheit und das Wohl des Volkes"
wurde für aufgehoben erklärt. Die Ausrufung eines Königs ohne
Zustimmung des Parlaments galt als Hochverrath. Mit den
königlichen Abzeichen und Bildern verschwand der königliche
Name aus den Formeln des Rechts, die ihn bis dahin an
ihrer Spitze getragen hatten. Die königlichen Güter und
Schlösser wurden als Eigenthum der Nation betrachtet, die
herrliche Sammlung von Kunstwerken, die Karl I. angelegt
hatte, zerstreute sich in alle Welt. England war zur Repu-
blik geworden, ohne dass die grosse Mehrheit seiner Bevöl-
kerung aufgehört hätte monarchisch gesinnt zu sein, unter
dem unwiderstehlichen Druck der independentischen Krieger
und Staatsmänner, denen die überaus schwierige Aufgabe zu-
fiel, das neue Gemeinwesen zu organisiren und aus den rings-
um sich aufthürmenden Gefahren zu erretten. Das eine wie
das andere gelang mit einer Schnelligkeit und Sicherheit,
welche die zahlreichen Gegner der Republik nicht erwartet
hatten, aber freilich auch mit einer Anspannung der Kräfte und
einer Anwendung von Strenge, welche der so genannten
republikanischen Herrschaft wenig Freunde erwerben konnten.
Dem Namen nach lag die höchste Regierungsgewalt bei jener
zusammengeschrumpften Körperschaft, die der Spott ihrer
Feinde als Runi^Darlament kennzeichnete. Allein es war
klar, dass die laufenden Geschäfte durch eine Versammlung
dieses Charakters nicht besorgt werden konnten. In einer
Zeit, in welcher die ganze alte Maschinerie der Staatsver-
waltung zertrümmert und durch die gefürchteten „Committees"
von Anhängern der Revolution ersetzt worden war, entschloss
man sich dazu, auch die Summe der Exekutive einem höch-
sten Committee anzuvertrauen, das auf je ein Jahr durch das
Parlament gewählt wurde. Es war der „Staatsrath". Seine
Befugnisse waren freilich gegenüber denen seines Auftrag-
gebers keineswegs genau abgegrenzt, aber da seine einund-
vierzig Mitglieder grossen Theils immer auch Mitglieder des
Rumpparlaments waren, so hatten die häufigen Verweisungen
Der Staatsrath. 5
auf paiiamentarische Entscheidung kaum eine ernstliche Be-
deutung. In Wahrheit ruhten die Zügel der Gewalt anfangs
so gut wie ganz in den Händen der Männer, die sich bald
mehr bald weniger zahlreich zu den Sitzungen des Staatsraths
versammelten. Sie verfügten über die Land- und Seemacht
des Reiches. Sie hatten die diplomatischen Beziehungen zum
Ausland zu unterhalten. Ihrer Sorge war die Bekämpfung
monarchischer Ansprüche, die Unterwerfung widerstrebender
Reichstheile, die Erhaltung der Ruhe, der Schutz des Handels
und der Kolonien anvertraut. Neben einem nicht scharf be-
stimmten Kredit war ihnen die diskretionäre Gewalt ertheilt,
zur Sicherung des gefährdeten Gemeinwesens von einem
Zeugniszwang Gebrauch zu machen oder in anderen Fällen
die Festnahme Widerspänstiger zu verfügen.
Man hat nicht Unrecht gehabt zu sagen, dass diese Ver-
bindung von Machtvollkommenheiten verschiedenster Art kaum
jemals durch die Fülle königlicher Gewalt erreicht worden
sei. Auch lehren die Protokolle des Staatsrathes , die man in
unseren Tagen zu veröffentlichen begonnen hat, dass die
neue Regierung von ihren Befugnissen einen sehr ausgiebigen
Gebrauch machte. Harmlose Vergnügungen der Bevölkerung
in Stadt und Land wurden gestört, weil sie den Anlass zu
staatsgefahrlichen Verbindungen oder zu offenem Aufruhr zu
geben drohten. Schriftsteller und Buchhändler hatten selten
schlimmere Tage gesehn, als diejenigen, in denen einige
Schwärmer nach dem „ersten Jahre der Freiheit Englands"
zu rechnen pflegten. Willkürliche Verhaftungen erinnerten
nur allzu lebhaft an die düstersten Zeiten des Königthums.
Eine scharfe Beaufsichtigung der Post mahnte zur Vorsicht
beim brieflichen Gedankenaustausch. Allein wenn die urkund-
lichen Zeugnisse jener Epoche keinen Zweifel daran auf-
kommen lassen , wie schwer die Herrschaft der neuen Staats-
lenker auf dem Lande lastete, so stellen sie auch das Be-
denkliche, ja beinahe Verzweifelte ihrer anfänglichen Aufgabe
in's hellste Licht. Es bedurfte einer Arbeitskraft, einer Un-
erschrockenheit und eines sittlichen Ernstes, wie sie nicht
leicht vereinigt gefunden werden, um das schwankende Fahr-
Q Der Staatsrat^. — Die Eoyalisten.
zeug, das seine Flagge gewechselt hatte, durch Stürme und
Klippen hindurchzuführen. Die kühnen Männer, von denen
manche die einfachsten Handgriffe ihres Werkes noch zu
lernen hatten, konnten stolz darauf sein, dass das Ergebnis
ihres rastlosen Schaffens die sorgsam studirten Künste geschulter
Praktiker mitunter beschämte. Sie wussten das Talent, wo
es sich fand , in ihren Dienst zu nehmen und an seinen rich-
tigen Platz zu stellen. Sie Hessen persönliche Rücksichten
der Sache, der sie dienten, nicht vorgehen. Ein einheitlicher,
grossartiger Zug geht durch ihre Geschäftsleitung. Ihr Erfolg
war die Bändigung der widerstrebenden Kräfte im Inneren
und die Erhöhung der englischen Macht gegenüber dem Ausland.
Zuerst galt es den Kampf mit jenen bedrohlichen inlän-
dischen Elementen aufzunehmen. Es konnte kein Zweifel
darüber sein, dass die Hinrichtung des Königs, die Ab-
schaffung der Monarchie von der Masse der Nation nicht ge-
billigt wurde. In diesem Punkte waren die Anhänger der
bischöflichen Kirche und die Anhänger des Presbyterialsystems
vollkommen einig. Es gab keine Grafschaft, in welcher der
Royahsmus nicht zahlreiche begeisterte Anhänger gehabt hätte,
die den Sohn Karl's I. als den rechtmässigen Erben des
Thrones seiner Väter betrachteten. Im Westen und im Nor-
den des Landes waren die royalistischen Sympathieen so stark,
dass es häufig unmöglich wurde , die Büssungsgelder der
..Delinquenten'" einzutreiben. An verschiedenen Stellen wag-
ten die Anhänger des Königthnms sich mit den Waffen in
der Hand zu erheben. Die republikanischen Machthaber
verstanden sich zu ausserordentlichen Gegenmassregeln. Noch
befanden sich einige der vornehmsten Anhänger des Königs,
die im zweiten Bürgerkriege für ihn aufgetreten waren, in
ihrer Hand. Ein neues Ausnahmegericht wurde eingesetzt,
um ihnen den Process zu machen, und an dem Herzog von
Hamilton, dem Grafen von Holland, Lord Capel wurde der
Spruch, der sie zum Tode verdammte, ohne Gnade vollzogen.
Im Lande selbst blieb kein Mittel unversucht, nicht nur um
dem Ausbruch von Empörungen vorzubeugen, sondern auch
um der freien Meinungsäusserung, sei es der Presse oder
Die Eoyalisten. — Lilbume und die Levellers. 7
der Kanzel, entgegenzutreten, bis die Auflage eines allge-
meinen Treueides als sicherster Prüfstein verlässlicher Ge-
sinnung erachtet wurde. Die stärkste Gefahr lag darin, dass
der Widerstand der Royalisten an einer Opposition von ganz
anderer Seite her Rückhalt finden konnte. Die grosse politische
Veränderung, in der Form wie siejzu Tage getreten war,
beruhte auf einem Verständnis zwischen den independen-
tischen Ueberbleibseln des langen Parlaments und den weniger
radikalen Officieren des Heeres. Sie hatten das Princip der
Volkssouyeränetät für ihr Verfahren aufgerufen, aber sie
hatten nicht gewagt, von diesem Princip eine folgerichtige
Anwendung zu machen. Wäre dies geschehn, so hätte das
verstümmelte Parlament, das ein Hohn auf den Begriff einer
Volksvertretung war, sofort sich selbst das Todesurtheil
sprechen müssen. Eben darum, weil es vor diesem Sprung
in's Ungewisse zurückbebte, war ihm ein denkwürdiges Akten-
stück wenig genehm gewesen, das ihm Namens des Ober-
befehlshabers und des Officierrathes der Armee an dem Tage,
da der König zum ersten Male vor seinen Richtern stand,
feierlich überreicht worden war. Wahrscheinlich von Ireton
verfasst, nahm dies Aktenstück die Ideen der „grossen
Remonstranz des Heeres" wieder auf. Es forderte den baldigen
Schluss der tagenden Versammlung und enthielt nichts mehr
und nichts weniger als die Grundzüge einer Reformbill, in
der die weite Ausdehnung des Wahlrechts und eine neue Ver-
theilung der Wahlbezirke zuerst in die Augen springen musste(i).
Die Spitzen der bewaffneten Macht mochten sich vorläufig
dabei beruhigen, dass jene Vorschläge bei Seite gelegt wurden.
In der Masse des Heeres konnte die Erinnerung an die Ziele,
denen man in so viel Kämpfen und Entbehrungen zugestrebt
hatte, nicht so rasch verblassen. In diesen Kreisen, eben
denen, aus welchen einst die Agitatoren hervorgegangen
waren, wollte man einen Neubau des ganzen Gemeinwesens
von unten herauf, eine radikale Umgestaltung eben so wohl
der bürgerlichen wie der kirchlichen Zustände auf Grund der
leidenschaftlich ergriffenen Ideen von einer glücklicheren Zu-
kunft. Die baldige Einführung einer auf breitester Basis
g Lilburne und die Levellers.
ruhenden, rasch wechselnden Volksvertretung war die notli-
wendige Voraussetzung aller weiteren Neuerungen. Unter
diesen fand die Verbesserung des Rechtsverfahrens, der Weg-
fall der Schuldhaft, die Beschränkung der Todesstrafe eben-
sowohl eine Stelle wie die Aufhebung der Zehnten, die freie
Wahl der Pfarrer und ihr Unterhalt durch die Gemeinden,
die Unabhängigkeit der politischen Rechte, soweit nicht die
Katholiken in Betracht kamen, vom religiösen Bekenntnis.
Wer sich diesen Forderungen widersetzte, wurde als Ver-
räther an der Sache der Freiheit gebrandmarkt. Die Parla-
mentsmitglieder, die sich an ihre Sitze anklammerten, galten
als Männer ohne Ehre, denen ihre Stellung nur zur Aus-
beutung ihres Privatvortheils diene. Die Mitglieder des
Staatsrathes wurden als Tyrannen betrachtet, deren Joch
nicht weniger hart sei, als das der königlichen Absolutie.
Auch dies Mal kamen dieselben Gründe wie früher dazu, die
Unzufriedenheit des gemeinen Soldaten zu steigern und ihn
den Verfechtern jenes radikalen Programms in die Arme zu
treiben. Er hatte rückständigen Sold zu fordern, er hielt
den Dienst in Irland, zu dem er ausgeloost werden sollte, für
ein Mittel, sich seiner auf bequeme Art zu entledigen. In
dem einstigen Lieutenant -Colonel John Lilburne erhielt die
widersetzliehe Masse des Heeres ihr sichtbares Haupt. Es
war derselbe Lilburne, der als ein unermüdlicher Mann der
Opposition längst bekannt war, mit allen Talenten eines
Demagogen ausgerüstet, im höchsten Grade populär schon
seit den Tagen, da er unter der Gewaltherrschaft des Königs
ein schwer zu vergessendes Martyrium auf sich genommen
hatte. Flugschriften, wie ,,England's neue Ketten", deren
zweiter Theil im März 1649 erschien, gaben den Gesinnungen
Lilburne's und seiner Anhänger einen unverhohlenen Aus-
druck. Der Staatsrath liess ihn nebst dreien seiner Partei-
gänger in Haft nehmen. Allein damit war die Aufregung
nicht beschwichtigt. Dringliche Petitionen forderten ihre Frei-
lassung. Aus dem Kerker heraus verbreiteten sie ihr Reform-
programm, das ein ausserordentliches Aufsehn erregte (^).
Und währenddess hatte die Meuterei in den Regimentern,
Lilburne und die Levellers, 9'
zum Trotz der energischen Massregeln des Oberfeldlierrn^
immer weitere Foilschritte gemacht. Von stürmischen Ver-
sammlungen und Petitionen kam es zu offener Rebellion. In
London weigerte sich ein Trupp , nach Irland zu gehn. In
Oxfordshire, Gloucestershire , Salisbury verliessen Hunderte
ihre Fahnen, um den Aufrührern zu folgen. Weitergehende
Tendenzen machten sich bei den Männern bemerklich, die in
Surrey brachliegendes Gemeindeland zu beackern anfiengen,
indem sie es für den gemeinen Nutzen reklamirten, und ihr
Verfahre^ mit Berufung auf das altsächsische Recht und den
ursprünglichen Willen Gottes zu rechtfertigen suchten. Grund-
verschieden, wie diese Bestrebungen einer socialen Umwälzung
von denen Lilburne's und seiner Genossen auch waren, ge-
wöhnte man sich doch alsbald daran, beide unter einem
Xamen zusammenzufassen. Als Levellers, als Gleichmacher,
wurden diese wie jene bezeichnet und angegriffen. Ward
die levellistische Bewegung im eigentlichen Sinn mit leichter
Mühe unterdrückt, so kam es mit den meuterischen Truppen
hie und da zu förmlichen Kämpfen. Es bedurfte der ganzen
Kraft und Geschicklichkeit von Fairfax und Cromwell, um
eine grössere Ausdehnung des Aufruhrs zu verhindern, die
Rebellion rasch zu ersticken und die erschütterte Disciplin
wieder herzustellen. Einige der Rädelsführer büssten mit
dem Tode. Noch sass Lilburne gefangen und man wagte
nicht, ihm den Process zu machen. Als man sich entschloss
ihn gegen Bürgschaft zu entlassen, glaubte man durch ein
neues überaus scharfes Hochverrathsgesetz gegen seine Angriffe
geschützt zu sein. Allein die Rolle des unversöhnlichen Pam-
phletisten war noch nicht ausgespielt und er bereitete in der
Folge der Regierung ebensoviele Verlegenheiten, wie sich
selbst vorübergehende Triumphe.
Erst hienaeh , als das Dasein der neuen Regierung gegen
ihre gefährlichsten Feinde von rechts und von links einiger-
massen sicher gestellt war, konnte sich die Aufmerksamkeit
in erster Linie jenem Theile des Reiches zuwenden, der seit
Jahren von den wildesten Kämpfen nationaler und religiöser
Gegensätze zerrissen, sich ganz und gar von der Gesammt-
10 Irland.
masse ablösen zu wollen schien. In der That konnte Irland,
vom Standpunkt der englischen Gewalthaber aus betrachtet,
fast für einen verlorenen Posten gelten. Der Graf von Or-
mond, welcher lange Zeit mit soviel Ausdauer das angli-
kanische und königliche Interesse zugleich verfochten hatte,
war freilich einige Jahre vorher zu dem Entschluss gedrängt
worden, die Hauptstadt des Landes lieber den parlamentari-
schen Truppen als der Heeresmacht des Nuntius auszuliefern
und sich selbst von einem Kriegsschauplatz zu entfernen, auf
dem er keine Stelle mehr fand. Allein im Herbste des Jahres
1648 war er mit neuen Vollmachten des Königs zurück-
gekehrt. Er kam zu spät, um von Irland aus der pres-
byterianischen Erhebung gegen den Independentismus die
Hand zu reichen, aber eben recht, um den klerikalen Fana-
tikern die Zügel zu entwinden und durch eine Aussöhnung
von Katholiken und Protestanten eine starke Macht zu Gunsten
des Royalismus zu bilden. Der Ausgang des zweiten Bürger-
krieges, der Process und die Hinrichtung Karl's I. durch-
kreuzten freilich alle Pläne, die man von dieser Seite für seine
Rettung gefasst hatte. Aber immerhin wurde durch Ormond's
Bemühungen zu Kilkenny ein Friedensvertrag mit den Katho-
liken zu Stande gebracht, nach dessen Abschluss alle roya-
listischen Elemente der Insel, einerlei von welchem Bekennt-
nis, sich unter seinem Banner zu schaaren drohten. Wenig
später wurde Karl IL von Ormond als König proklamirt.
Auch ergieng an Michael Jones, den republikanischen Gou-
verneur von Dublin, die Aufforderung, sich Ormond's Autorität
zu unterwerfen, „um unter Führung Karl's IL der protestan-
tischen Religion ihre Reinheit, dem Parlament seine Unab-
hängigkeit, guten Gesetzen ihre Kraft und den Mitbürgern
ihre gerechten Freiheiten wiederzugeben" , ein Ansinnen,
welches Jones freilich mit Entschiedenheit zurückwies. In-
dessen wurde es immer dringlicher, mit Entschiedenheit auf
der grünen Insel einzuschreiten. Bereits hatte Ormond den
Prätendenten eingeladen, sich persönlich an die Spitze seiner
dortigen Getreuen zu stellen, die Häuptlinge der celtisch-
katholischen Masse schlössen sich ihm grössten Theils an, die
Cromwell in Irland, H
schottischen Ansiedler machten gemeinsame Sache mit ihm,
bald waren die Mauern der Hauptstadt fast der einzige Zu-
fluchtsort der republikanischen Truppen.
Die Männer, welche in England zur Herrschaft berufen
worden waren, schwankten nicht lange, wem sie die Leitung
des irischen Feldzuges anvertrauen sollten. Niemand schien
einer solchen Aufgabe gleich gewachsen zu sein wie Cromwell,
und er übernahm das lastende Amt, durch das ihm die
höchste militärische und bürgerliche Gewalt anvertraut wurde,
unter dej- Voraussetzung, dass man mit den Mitteln an Geld
und Menschen nicht sparen werde. Die grossartigsten An-
strengungen wurden gemacht, um seinen Wünschen zu ent-
sprechen. Nachdem alle Vorbereitungen mit musterhafter
Genauigkeit getroffen waren, verliess er London am 10. Juli
1649 mit ungewöhnlichem Pompe und landete einige Wochen
später an der irischen Küste. Und nun erfolgte Schlag auf
Schlag in jenem erbarmungslosen Kriege, der als der erste
vollgemessene Racheakt des Puritanismus und des Sachsen-
thums nach der Rebellion des Jahres 1641 gelten konnte.
Das Gemetzel von Drogheda und Wexford hat sich mit blutigen
Zügen in die Jahrbücher der Geschichte eingeschrieben, und
selbst an den Buchten von Galway und Clewe, die sein Fuss
nie betreten hat, dient CromwelFs Name noch heute als
Schreckmittel für den celtischen Schreihals. Entstellt durch
Ausbrüche fanatischer Grausamkeit, wie seine Siege waren,
sollten sie doch nicht dem Zwecke dienen, einen ganzen
Volksstamm der Vernichtung zu weihen, sondern vielmehr
seine wilden Triebe zu bändigen und seine Widerstandskraft
auf lange hinaus zu brechen. — Als Cromwell im Frühjahr 1650
die Stätte seiner jüngsten Thaten verliess, war der Krieg
zwar noch nicht beendigt, aber sein Nachfolger Treten konnte
die begonnene Arbeit mit Erfolg fortsetzen, bis ihn ein früher
Tod von einer glänzenden Laufbahn abrief. Nachdem Tausende
der eingeborenen Bevölkerung durch das Schwert zu Grunde
gegangen, in die Sklaverei verkauft oder als brauchbare
Kriegsleute von den katholischen Mächten in Sold genommen
worden waren, begann in Irland jenes Werk der Konfiskation
12 Schottland.
von Grund und Boden zu Gunsten der Sieger, das freilich
zu einer wohlthätigen Anpflanzung weiter Landstrecken führte,
aber den Hass der Verjagten und Geknechteten verewigen musste.
Cromwell hatte Irland eben zu rechter Zeit verlassen,
um an einer anderen Stelle das bedrohte Gemeinwesen zu
schützen und sich neue Lorbeeren zu pflücken. Seit den.
entscheidenden Siegen des Independentismus war das Band,
w^elches einst das englische und schottische Volk zum ge-
meinsamen Kampf geeinigt hatte, zerrissen. Der zweite
Bürgerkrieg war allerdings gegen den Willen der strengen
Covenanters von Schottland aus unterstützt worden, aber die
Hinrichtung des Königs verletzte einen Argyle nicht weniger
tief wie einen Ormond. Aus politischen und religiösen Grün-
den fühlte sich der schottische Presbyterianismus von den
independentischen Usurpatoren getrennt. Auch jenseits des
Tweed war Karl IL als rechtmässiger König ausgerufen und
eingeladen worden, sich an die Spitze seiner Getreuen zu
stellen. Indessen war ihm die Beihilfe der herrschenden
Partei nur unter der Bedingung zugesichert, dass er die
Rechte des schottischen Parlaments und der schottischen
Kirche anerkenne, und dass er das presbyterianische System
für alle drei Reiche genehmige. Er zögerte noch durch eine
so weitgehende Nachgiebigkeit sich selbst zu erniedrigen und
zahlreiche Freunde, Katholiken wie Episkopalisten, der pres-
byterianischen Unduldsamkeit aufzuopfern, als der feurigste
seiner Anhänger sich vermass, mit einer angeworbenen Schaar
von Bewaftheten in Schottland zu erscheineii, um die Häupter
der dortigen Regierung zu stürzen und seinen Fürsten unab-
hängig von ihren Forderungen zu machen. Es war der Mar-
quis von Montrose, dessen wechselnde Siege und Niederlagen
noch in aller Gedächtnis lebten. Montrose hoffte die glänzende
Rolle, die er einst gespielt hatte, wieder aufnehmen zu können,
aber sehr bald nach seiner Landung an den heimatlichen
Gestaden, im Frühjahr 1650, wurde seine kleine Schaar zer-
sprengt und er selbst gefangen. Argyle und seine Genossen
kannten gegenüber dem alten Feinde keine Gnade. Bis zum
letzten Augenblick ungebrochen, litt er in Edinburg einen
Cromwell iu Schottland. 13
schmachvollen Tod. — Das Unternehmen Montrose's war ge-
scheitert, von Irland war nichts mehr zu hoffen, Karl II.
gewann es daher über sich, die angebotene Hand der Cove-
nanters anzunehmen. Seine Demüthigung erschien nunmehr
noch grösser, als sie vor dem traurigen Ende seines getreuesten
Dieners hätte sein können. Im Sommer des Jahres 1650 langte
er in Schottland an, beschwor Liga und Covenant und ver-
stand sich dazu, die Maske eines überzeugten Presbyterianers
anzulegen, ja sogar das Andenken seines Vaters durch eine
ihm vorgeschriebene Erklärung zu beschimpfen. Die kriege-
rischen Rüstungen wurden mit Eifer aufgenommen. Niemand
konnte zweifelhaft darüber sein, dass sie auf eine Bekämpfung
der independentischen Republik, auf ihre Ersetzung durch
ein presbyterianisches Königthum abzielten.
In England war man entschlossen, dem Angriff der Schotten
zuvorzukommen. Es wurde beabsichtigt, Faiifax die Leitung
des Unternehmens zu übertragen und ihm Cromwell an zwei-
ter Stelle beizugeben. Fairfax war indessen auf keine Weise
zu bewegen, sich zu diesem Zweck gebrauchen zu lassen. Er
räumte seinen Platz dem alten Kriegskameraden, dessen Ruhm
den seinigen längst überstrahlte. Cromwell wurde zum Be-
fehlshaber aller Truppen- in England ernannt und setzte sich
an der Spitze von 15,000 Mann nach Norden in Bewegung.
Der Vormarsch gegen Edinburg fand keine Schwierigkeiten,
aber die geschickten Bewegungen des feindlichen Anführers,
David Leslie, und die Nothwendigkeit, auf Zufuhr bedacht zu
sein, zwangen Cromwell, an die Küste nach Dunbar zurück-
zuweichen. Hierhin zogen die Schotten ihm nach und be-
setzten die umliegenden Anhöhen. Schon drohte die Lage
des schwächeren, durch Kränkelten decimirten englischen
Heeres höchst bedenklich zu werden, als Leslie, zum Theil
auf den Antrieb der siegesgewissen, fanatischen Geistlichen
in seinem Lager, die gewohnte Vorsicht aufgab und sich zum
Angriff in der Ebene anschickte. Mit Freuden bemerkte
Cromwell diese Bewegung und traf seine Bestimmungen für
den folgenden Tag. Es war der 3. September 1650, dessen
aufgehende Sonne das schottische Heer überrascht und nach
J4 Schlacht bei Dunbar.
kurzer Gegenwehr zersprengt sah. An dreitausend blieben
auf dem Platze, gegen zehntausend wurden gefangen, das'
ganze Lager fiel in die Hände der Sieger. In diesen war der
kriegerisch - religiöse Enthusiasmus zu voller Stärke erwacht.
Ihr Führer stimmte während der Verfolgung den hundertund-
siebenten Psalm an. „Es ist die That des Herrn," schrieb
er an den Sprecher des Parlaments, „er hat England und
seinem Volke eine sichtbare Gnade erwiesen."
Die Folge des Sieges war die Unterwerfung eines grossen
Theiles von Schottland. Aber während des Winters rüsteten
sich die Schotten zur energischen Fortsetzung des Krieges,
indem sie sich dazu verstanden, dem jungen König einen
grösseren Einfluss einzuräumen als bisher. Während ein Theil
der Geistlichkeit in seinem Dasein den Grund des schweren
Missgeschicks fand, suchten die leitenden Parteihäupter durch
Aufnahme solcher Royalisten, die vordem als staatsgefährlich
gegolten hatten, ihre Streitkraft zu stärken. Die feierliche
Krönung Karl's H. erhob ihn auch äusserlich aus seiner ge-
drückten Lage. Er sah sich an der Spitze eines Heeres, in
dem viele der getreuen Kavaliere standen. In England waren*
die heimlichen Emissäre des Royalismus geschäftiger als je.
Der kühne Plan tauchte auf, ohne w^ eitere Rücksicht auf
Cromwell's drohende Stellung zu nehmen, die englische Grenze
zu überschreiten und in Eilmärschen den Weg nach Süden
einzuschlagen. Im Sommer 1651 kam der Gedanke, der be-
sonders den Wünschen des jungen Königs entsprach, zur Aus-
führung. Ungehindert von Cromwell drang Karl IL von Carlisle
aus in England vor. Er durchzog die nordwestlichen Grafschaften,
ohne grosse Hindernisse zu finden, aber freilich auch ohne die
erhoffte Begeisterung unter der Bevölkerung hervorzurufen. Die
Energie, welche die republikanischen Machthaber gegenüber
den Empörungsversuchen der Royalisten gezeigt hatten, war
genügend gewesen, um diese einzuschüchtern. So verhasst
die Herrscher des Tages auch sein mochten , das englische
Volk wollte sich nicht durch fremde Waffen einen Fürsten
aufzwingen lassen, der für den Presbyterianismus zu kämpfen
gelobt hatte. Wo die Ruhe ernstlich gestört wurde, genügten
Schlacht bei Worcester. 1 5
die verfügbaren Truppen und die Grafschaftsmilizen unter
vertrauenswürdiger Führung sie wiederherzustellen. Aber es
rief doch eine gewaltige Aufregung in London hervor, als
man hörte, dass der Prätendent immer weiter vorrücke, dass
er in Worcester am Severnfluss erschienen sei, von wo ein
glücklicher Verstoss in südöstlicher Richtung ihn vor die
Thore der Hauptstadt führen konnte. Da galt es, alle Kräfte
anzuspannen. Nach allen Seiten hin ti'ugen von Whitehall
aus Kuriere die Befehle des Staatsraths, und bei einem Ver-
gleich dfti" eigenen Rüstungen mit dem abgematteten Heer
des Stuart'schen Prinzen durfte man mit grösserer Ruhe auf
* die Augenblicke der ersten Bestürzung zurückblicken. Schon
katte auch Cromwell seine ^fassregeln mit gutem Erfolg ge-
troffen. Während die Generale Lambert und Han-ison dera
schottischen Heer auf den Fersen gefolgt waren, hatte er
selbst einen wohlüberlegten Flankenmarsch über York, Not-
tingham, Coventry angetreten. Auf dem ganzen Wege flössen
ihm grosse Verstärkungen zu. Sobald er von der Stellung"
des Feindes in Worcester Kunde hatte, schwenkte er mit seiner
überlegenen Streitmacht nach Westen ab, verband sich mit
den dortigen Truppen der Republik und schloss die Schotten
von beiden Seiten des Severn her ein. Am 3. September,
dem Jahrestag von Dunbar, erfolgte der Angriff, dessen ver-
nichtende Wirkung im voraus so gut wie entschieden war.
So tapfere Gegenwehr die schottischen Soldaten auch leisteten,
so sehr ihr fürstlicher Anführer selbst sich aussetzte, vor der
Uebermacht und der Wucht des feindlichen Ansturmes mussten
sie zurückweichen. In den Strassen von Worcester setzte der er-
bitterte Kampf sich fort, zuletzt artete er in eine regellose Flucht
der Schotten aus, bei der jeder auf seine eigene Sicherheit be-
dacht war. Der eine Tag hatte der ganzen gewagten Expe-
dition ein Ende gesetzt. Haufenweise wurden die Flüchtigen
aufgefangen. Der junge König entkam nach abenteuerlich-
romantischen L-rfahrten auf's Festland. In Schottland voll-
endete der Lieutenant -General George Monk das Werk der
Eroberung. Ein fester Platz nach dem anderen fiel in seine
Gewalt. Auf den Orknev- und Shetland-Inseln flatterte das Ban-
16 Die Republik und das Ausland.
iier der Republik. Aber ein höherer staatsmännischer Gedanke
beseelte ihre Führer. Die Idee einer Union der beiden Reiche
in Form einer gemeinsamen parlamentarischen Vertretung
brach sich Bahn. Eine Kommission, in der Henry Yane eine
der ersten Stellen einnahm, verhandelte seit dem Anfang des
Jahres 1(352 über diese Frage in Schottland selbst, und dem
Parlament in Westminster schien der Augenblick günstig ge-
wählt zu sein, um eine Bill in Angriff zu nehmen, nach welcher
Schottland und England ein einziges republikanisches Gemein-
wesen bilden sollten. —
Die neue Regierungsgewalt hatte sich organisirt, sie hatte,
die feindlichen Regungen im Lande unterdrückt, aus zwei ge-
fährlichen Kriegen war sie triumphirend hervorgegangen. Sie
zwang auch den Mächten Europa's wenn nicht Theilnahme an
ihrem Gedeihen, so doch Achtung vor ihrer Stärke ab. Un-
mittelbar nach der Hinrichtung Karl's I. und nach der Ab-
schaffung des Königthums waren die independentischen Usur-
patoren von den Staatsgewalten des Festlandes mit Gefühlen
betrachtet worden , in denen sich Abscheu und Misstrauen
mit einander mischten. Auch setzte sich der Eindiiick des
erschütternden Ereignisses in die Tiefe fort, und in protestan-
tischen Ländern sorgte namentlich die Geistlichkeit dafür,
dem Volke die englischen Vorgänge in den schwärzesten
Farben zu malen. Die „Königsmörder" begegneten nirgends
Sympathieen. Die Agenten KarFs H. sahen sich fast überall
zuvorkommend aufgenommen. Er selbst hatte im Haag, am
Hofe seines Schwagers, des Statthalters Wilhelm's H. von
Uranien, ein Asyl gefunden, in dem sich ein Haufe thatlustiger
und fanatischer Kavaliere um ihn sammelte. Eben liier kam
es zu einem ersten tragischen Ereignis, das zu einer diplo-
matischen Verwicklung zu führen drohte. Isaac Dorislaus,
ein Holländer von Geburt, aber seit langer Zeit in England
ansässig , wurde vom Parlament als ausserordentlicher " Ge-
sandter neben dem Residenten Walter Strickland nach dem
Haag geschickt. Seine Persönlichkeit war den Kavalieren
um so mehr verhasst, da er im Prozess des Königs als einer
der Ankläger aufgetreten war. Seine Ankunft war kaum
Prinz Ruijert und Blake. 17
bekannt geworden, als einige Maskirte in den Gasthof ein-
drangen, wo er eben beim Mahle sass, über ihn herfielen und
ihn auf barbarische Weise ermordeten (Mai 1649). Es waren
allem Anschein nach Schotten, aus der Umgebung Montrose's.
Das Verbrechen rief keine geringe Aufregung in England
hervor. Der Staatsrath beantragte sofort, für die Familie
des Ermordeten zu sorgen und die Leiche in der Abtei von
Westminster beisetzen zu lassen. Verhandlungen erfolgten,
die über die Schuldlosigkeit der holländischen Behörden keinen
Zweifel ürbrig Hessen, aber die That selbst wurde nicht ge-
sühnt, und die Mörder bheben unbelästigt. Noch war kein
Jahr vergangen als Anton Asham, republikanischer Agent am
Hofe von Madrid, in dieser Stadt mit seinem Dolmetscher
ebenfalls der Wuth royalistischer Sendlinge zum Opfer fiel
(Juni 1650). Die Mörder flüchteten in eine Kirche. Ver-
geblich forderte die englische Regierung ihre Bestrafung, nur
einer, ein Protestant, wurde dem weltlichen Gericht aus-
geliefert und gehangen. Darauf hin hielt sich auch Karl Vane,
den die Republik nach Portugal gesandt hatte, daselbst nicht
mehr für sicher. Schon früher waren, in gleicher "Weise gegen
Frankreich gerichtet, Beschwerden über die Störung des eng-
lischen Handels, die Wegnahme englischer Schifte laut geworden.
Aber ein anderer Grund hatte der Republik noch entschiedener die
Pflicht auferlegt, ihre Ehre gegenüber dem Ausland zu wahren.
Prinz Rupert von der Pfalz, der während des Bürger-
krieges mit einer so rücksichtslosen Tapferkeit für seinen
königlichen Oheim gefochten hatte, führte seit geraumer Zeit
mit nicht geringerer Kühnheit auf einem anderen Gebiete den
Kampf gegen die republikanischen Machthaber fort. Ein Theil
der englischen Flotte war während des zweiten Bürgerkrieges
von der Sache des Parlaments abgefallen. Was von diesen
Schift"en nicht unter dessen Botmässigkeit zurückgebracht wor-
den war, bildete den Kern eines Geschwaders, mit welchem
der wilde Prinz die Meere unsicher machte. Er gefiel sich
in der Rolle eines Korsaren und bezahlte seine Matrosen mit
der Ladung gekaperter Kauffahrer, sie mochten angehören,
welcher Nation sie wollten. Aber seine wichtigste Aufgabe
Stern, Milton u. s. Z. II. 3. 2
28 Prinz Rupert vmcl Blake.
sah er darin, den englischen Handelsschiffen aufzulauern, die
Verbindung Englands und Irlands zu erschweren und dem neuen
Gemeinwesen auf jede mögliche ^Yeise Abbruch zu thun. Hie-
gegen musste nothwendig etwas geschehen. Es war das unver-
gängliche Verdienst Henry Vane's durch seine hervorragende
Theilnahme an den Arbeiten des Committee der Marine für die
Herstellung einer starken Flotte zu sorgen. Seinen rastlosen
Bemühungen, seinem Talent, Mittel und Menschen auszuwählen
und richtig zu verwenden, hatte man es vorzüglich zu danken,
wenn England sich in diesen Jahren zu einer kriegerischen
Seemacht ersten Ranges erhob und seit langer Zeit wieder
fähig wurde, in die grosse europäische Politik einzugreifen.
Auch war bereits der Mann gefunden, dessen Hand das ge-
waltige "Werkzeug nationaler Grösse mit Meisterschaft zu
führen verstand und der sich in diesem Amt mit unsterb-
lichem Ruhm bedeckte. Es war Robert Blake, ein Mann
von jener einfachen, heroischen Hoheit, die darauf verzichten
kann, dur-ch den Schein zu blenden und die sich durch keinen
Schein blenden lässt, Republikaner und Puritaner von Ueber-
zeugimg, durch seine Vertheidigung von Taunton schon all-
gemein bekannt, und fähig, aus einem der tapfersten Land-
soldaten noch als Fünfzigjähriger einer der ersten Seehelden
seines Vaterlandes zu werden (M- Er vertrieb den Prinzen
Rupert zunächst von der irischen Küste, blokirte ihn alsdann
im Tajo, wandte sich gegen die portugiesischen Handelsschiffe,
um die Preisgebung der beschützten Freibeuter zu erzwingen,
folgte ihnen an die Küsten Spaniens und Frankreichs und
übte auch gegen diese Staaten sehr fühlbare Repressalien.
Nachdem es ihm gelungen war, den grössten Theil der Kavalier-
flotte zu vernichten, kehrte er in die heimischen Gewässer
zurück und zerstörte die gefährlichen Raubnester, die sich
unter royalistischer Flagge zwischen den Klippen der Scilly-
Inseln und auf den Felsen von Jei-sey und Guernsey gebildet
hatten. Dem englischen Handel war seine Sicherheit zurück-
gegeben. Der englische Name wurde gefürchtet, wo er vorher
nur gehasst worden war. Im Verein mit den Siegen Crom-
weirs trugen die Thaten Blake's nicht wenig dazu bei, die
Navigationsakte, Krieg mit den Niederlanden. 19
Republik aus ihrer politischen Isolirang zu befreien. Ein
regelmässiger oder ausserordentlicher diplomatischer Verkehr
mit den Grossmächten Europa's und einer Reihe kleinerer
Gemeinwesen, auch ohne jedesmalige förmliche Anerkennung,
leitete sich ein. Schon sah sich der emporstrebende Freistaat
von Spanien und Frankreich, den beiden rivalisirenden Ge-
walten des Erdtheils, gleichzeitig umworben.
Es gab indessen eine Macht, deren Beziehungen zu England
in dem Grade gespannt w urden, dass ein feindlicher Zusammen-
stoss nicht mehr vermieden werden konnte: die vereinigten
Niederlande. Der Tod des Prinzen von Oranien schien aller-
dings einem freundschaftlichen Verständnis beider Republiken
gute Aussichten zu eröffnen. Die Partei des Statthalters,
welche die Stuarts begünstigt hatte, verlor an Einfiuss. Die
Provinz Holland, deren Kaufleute und Patricier immer für
Frieden mit England gewesen waren, erhielt das Uebergewicht.
Es gab eine Zeit, in der man sich schmeichelte, nicht nur
eine Allianz, sondern eine Art von Union der beiden reformirten
Freistaaten zu "Wege bringen zu können. Aber die Verhand-
lungen einer englischen Gesandtschaft mit den Generalstaaten
erwiesen das Phantastische eines solchen Gedankens. Der natür-
liche Gegensatz zweier Mächte, die auf so verschiedenen Grund-
lagen ruhten und mitNothwendigkeit Nebenbuhler werden muss-
ten, trat unverkennbar hervor. Beleidigungen der Gesandten
durch Anhänger der oranischen und stuartischen Partei verbitter-
ten die Stimmung noch m.ehr. Die Verhandlungen wurden
abgebrochen, und England's Antwort auf die kühle Aufnahme
seiner Vorschläge war der Erlass der Navigationsakte (Okt.
1651). Diese Akte gab lediglich englischen Schiffen das Recht
der Waareneinfuhr aus anderen Welttheilen und gewährte
fremden Kauffahreni nur in dem Falle Eiulass, wenn ihre
Fracht auf die Erzeugnisse ihres eigenen Landes beschränkt
blieb. Es war ein brutaler Schlag gegen die Niederlande
welche der Beherrschung des Zwischenhandels ihre grösste
Blüthe verdankten. Streitfragen anderer Art, wie über den
Flaggengruss , das üurchsuchungsrecht und die Fischerei,
trugen dazu bei, die Gemüther auf beiden Seiten zu erhitzen.
2*
20 Das Sekretariat für „die fremden Sprachen."
Wohl erschien Ende 1651 eine niederländische Gesandtschaft,
mit Jakob Cats, gewesenem Rathspensionilr von Holland an
ihrer Spitze, um die unterbrochenen Yeihandlungen wieder-
aufzunehmen. Aber schon hatten die Feindseligkeiten be-
gonnen. Im Mai des Jahres 1652 kam es in der Nähe von
Dover zu einem ersten Seegefecht zwischen den Admirälen
Blake und van Tromp. j\Ian glaubte den Zusammenstoss
noch einem Missverständnis zuschreiben zu können. . Ein
neuer Gesandter wurde im Juni vom Haag mit Entschuldigungen
nach London geschickt: Adrian Pauw, Rathspensionär von
Holland, der nicht zum ersten Mal den englischen Boden be-
trat (^). Aber die Leiter der englischen Regierung waren
entschlossen keinen Schritt breit zurückzuweichen. Im Ver-
trauen auf die Mittel, die ihnen zu Gebote standen, stürzten
sie sich in einen Krieg mit der grössten Seemacht der Zeit,
welcher die ganze reformirte Welt mit Sorgen erfüllte. Auf
allen ]\Ieeren lauerten die englischen und niederländischen
Schiffe einander auf, der Kanal ertönte von der Kanonade
der gewaltigen Seeschlachten, und führten sie auch zu keiner
endgiltigen Entscheidung, so trat doch beim Fortgang des
Krieges die Ueberlegenheit der jungen englischen Marine
immer deutlicher zu Tage.
Mit diesem grossartigen Gewebe der allgemeinen Ge-
schichte verschlingt sich in den Jahren, welche unmittelbar
auf die Gründung der Republik folgen, der Faden von Milton's
Leben (-). Wenn man den Worten seines Neifen Glauben
schenkt, so war es ein bewusstes Widerstreben gegen „den
schmeichlerischen, kriechenden Jargon des süsshchen Franzö-
sisch", was den Staatsrath dazu bewog, für den Briefwechsel
mit den auswärtigen ]\Llchten die lateinische Sprache zu
adoptiren. Es schien zwar anfangs mit der Anknüpfung eines
solchen Briefwechsels noch gute Wege zu haben. Indess
■wurde am 13. März 1649 doch eine Kommission niedergesetzt,
um die Beziehungen zum Ausland zu prüfen und Vorschläge
über die Erneuerung alter Verbindungen zu machen. Damit
drängte sich nothwendig der Gedanke auf. einen Sekretär für
Weckherlin. — Anstellung Milton's. — H. Vane. 21
die auswärtige Korrespondenz anzustellen. Man bedurfte also
einer Persönlichkeit, welche die lateinische Sprache vollständig
beherrschte, wenn man den Posten würdig ausfüllen wollte.
Immerhin war es unerlässlich, dass diesem Beamten auch die
wichtigsten modernen Idiome wenigstens verständlich seien,
wie er denn den ofticiellen Titel „eines Sekretärs für die
fremden Sprachen" führte. Einen ähnlichen Posten hatte
unter Karl I. ein Deutscher bekleidet, Georg Ptudolf Weck-
herlin, Dichter wie sein grosser Nachfolger, wenn er sich auch
mit einem bescheideneren Lorbeer begnügen muss. In jungen
Jahren nach England gelangt, hatte der gelehrte Schwabe
sich eine gründliche Kenntnis der englischen Sprache zu eigen
gemacht, bis die Vermählung der Prinzessin Elisabeth mit
dem Kurfürsten von der Pfalz ihn wieder nach Deutschland
führte. Auf heimatlichem Boden kam sein poetisches Talent
zu vollerer Entfaltung, freilich oft genug nur im Dienste fürst-
licher Gönner, dem Volksmässigen durch Nachahmung aus-
ländischer Formen entfremdet. Vermuthlich bald nach der
Schlacht am weissen Berge nach England zurückgekehrt,
hatte der gewandte Deutsche in der Kanzlei für die Korre-
spondenz mit dem Ausland Verwendung gefunden und gleich-
zeitig die Helden der protestantischen Sache in steifen, bom-
bastischen Versen gepriesen. Während des Bürgerkrieges stand
er auf Seite des Parlaments. Von der Zeit an, da das Committee
der beiden Königreiche begründet war, erscheint er als Unter-
sekretär für die „auswärtigen Angelegenheiten" und diese Stelle
hatte er noch in den letzten Zeiten des Königthums inne(').
Es bleibt unklar, warum Weckherlin beim Beginn der Republik
sein Amt nicht fortführte. Genug dass es erledigt wurde, und
dass sich die Aufmerksamkeit der Machthaber auf Milton, als
geeigneten Kandidaten zur Ersetzung Weckherlin's, hinwandte.
Schon am 13. März 1649 wurde dasselbe Committee,
welches über die auswärtigen Verhältnisse des Staates be-
richten sollte, damit beauftragt Milton den erledigten
Posten anzubieten. Von allen Mitgliedern des Staatsraths
war ihm vielleicht nur der eine Henry Vane persönlich
bekannt. Man erinnert sich jener Lady Margarethe Ley, die
22 H. Vaue.
der Dichter durch ein Sonett geehrt hat. In ihrem Hause
konnte er am ehesten die Bekanntschaft Henry Vane's ge-
macht hahen, da dieser für die Familie Ley kein Fremder
war(^). Auch gab es unter den damaligen hervorragenden
Politikern kaum einen, dem sich ]\Iilton gleich geistesverwandt
fühlen konnte wie Yane. Noch nicht vierzig Jahre alt, hatte
er während der Revolution bereits in den wichtigsten An-
gelegenheiten eine hoch bedeutende Rolle gespielt und ein
seltenes praktisches Geschick gezeigt. Allein niemals hatte
er über dem ermüdenden Getriebe der täglichen Geschäfte
die hohen Ziele aus dem Auge verloren, denen er die grosse
Bewegung anzunähern hoffte. Er war Idealist wie Milton,
gleich diesem von dem Glauben erfüllt, dass ein glücklicheres
Zeitalter für sein Volk anbrechen werde. Er war Doktrinär
wie Milton, gleich diesem durch die Begeisterung für das als
wahr Erkannte über die Hindernisse des . wirklichen Lebens
mitunter getäuscht. Betrat der Dichter Milton mit einem
grossen Theil seiner Werke das politische Gebiet, so gab der
schwärmerische Grundton in mündlichen und schriftlichen
Aeusserungen des Politikers Henry Vane von einer beinahe
dichterischen Phantasie Kunde. Vor allem waren es die
Fragen über die Grenzen der Gebiete von Kirche und Staat,
in deren Beuitheilung beide Männer sich begegneten. Dem
gemeinsamen Stamm des Independentismus erwuchsen in ihnen
zwei seiner edelsten Blüthen. An den letzten erschütternden
Ereignissen hatte Vane allerdings keinen Antheil genommen.
Er hatte die gewaltsame Verstümmelung des Parlaments
missbilligt und sich auf das Land zurückgezogen. Der Process
des Königs hatte sich ohne sein Zuthun abgespielt. In den
Staatsrath gewählt, war er erst nach einiger Zeit dazu be-
wogen worden seinen Sitz einzunehmen, aber wie andere Mit-
glieder hatte auch er sich geweigert einen Eid in derjenigen
Form zu leisten, welche einer nachträglichen Billigung des
Geschehenen gleichgekommen wäre. ]\ran mag immerhin an-
nehmen, dass Vane es war, der den Dichter in seiner be-
scheidenen Wohnung aufsuchte, um ihm den Antrag des Staats-
raths zu übermitteln. Die Aufforderung kam ihm, wie er
H. Vane. 23
selbst andeutet, überraschend, aber er war schnell entschlossen
ihr zu folgen (^). Schon am 15. März empfieng er seine Be-
stallung und die Zusicherung eines Gehaltes entsprechend der
Summe, die Weckherlin empfangen hatte, nach einer späteren
Quittung zu schliessen etwa 290 ^£. Es dauerte geraume
Zeit, bis ihm auch eine Amtswohnung zugewiesen wurde.
Koch behalf sich der Staatsrath selbst mit Derby-House, dem
Sitze des ehemaligen „Commitee der beiden Königreiche". Erst
Ende Mai siedelte er nach Whitehall über, das nur allmäh-
lich untl, nicht ohne Widerstreben von seinen bisherigen In-
sassen, meistens militärischen Eindringlingen, geräumt wurde.
Milton hatte ein nahgelegenes Haus in Charing-Cross bezogen (-).
Erst am 19. November wurde verfügt in Whitehall für ihn
eine Wohnung in Stand zu setzen. Der republikanische Schrift-
steller bezog im Königsschloss Quartier. Wenig später wurden
ihm einige „Tapeten" aus dem Hausrat des hingerichteten
Monarchen zu eigenem Gebrauch überliefert.
Sehr lange hat indess INIilton's Aufenthalt in dem Palaste
nicht gedauert. Obwohl es für unerlässlich erklärt wurde,
dass er „in der Nähe des Staatsraths wohne" , nahm das
„parlamentarische Committee für Whitehall" keine Rücksicht
darauf. Schon am 10. April 1651 war es nöthig, dass der
Staatsrath sich für sein Bleiben verwendete. Ein kurzer Auf-
schub wurde erreicht, aber einige Wochen später ergieng „der
positive Befehl zu seiner schleunigen Entfernung". Yermuth-
lieh wurde es als ein Missbrauch betrachtet, dass ihm eine
Vergünstigung gewährt war, auf die auch andere Beamte
hätten Anspruch machen können. Eine Kommission, in der
sich kein Geringerer als der Generallieutenant Fleetwood be-
fand, empfieng den Auftrag namens des Staatsraths zu prote-
stiren (11. Juni). Aber auch dieser Protest blieb auf die
Dauer unwirksam. Wenigstens finden wir den Dichter seit
dem Ende 1651 „in einem hübschen Gartenhause in Petty-
Erance, Westminster," installirt, in dem er acht Jahre lang,
„bis wenige Wochen vor der Restauration Karls II." gelebt
hat. Das Haus war neben dem des Lord Scudamore gelegen,
dessen Name ihm die Erinnerung an alte Zeiten erwecken
24 H. Vane. — Verliältnis z. d. Mitgliedern des Staatsraths.
musste, (s. o. I. 264), mit der Aussicht auf den Park von
St. James, dem Sitze des Staatsraths immerhin nahe genug,
um es ihm möglich zu machen, sich in kurzer Zeit dorthin
zu begeben (*). Nach der jedesmaligen Neuwahl des Staats-
raths und seines Protokollführers durch das Parlament, hatte
auch jene Behörde das ihr zugehörige Beamtenpersonal aufs
neue zu bestätigen. Viermal, für die Jahre 1650 — 53 wurde
]\Iilton sein Posten und sein Gehalt wieder zugesichert, da
man allen Grund hatte mit seinen Diensten zufrieden zu sein.
Jedes Mal wurde ohne Zweifel der vorgeschriebene Eid der
„Geheimhaltung und Treue'" auch von ihm wiederholt. So
sah er sich denn für Jahre aus der Stille und Unabhängigkeit
seines Gelehrtenlebens herausgerissen und als dienendes Glied
in die grosse Yerwaltungsmaschine eingefügt, die mit ebenso
erstaunlicher Sicherheit wie mit unnachsichtiger Gewalt im
^Mittelpunkte des neuen Gemeinwesens arbeitete.
In keiner Epoche seines Lebens wurde er mit so vielen
ausgezeichneten und merkwürdigen Persönlichkeiten in die
nächste Berührung gebracht wie in dieser. Die Mitglieder
des Staatsrathes nahmen unter diesen selbstverständlich die
erste Stelle ein , und da ein Theil dieser Behörde bei ihrer
jedesmaligen Erneuerung in den Jahren 1651 — 53 auszuscheiden
verpflichtet wurde, so hatte er beständig Gelegenheit den
Kreis anziehender Bekanntschaften zu erweitern. Sein Amt
nöthigte ihn zwar nicht dazu, den Sitzungen des Staatsrathes
regelmässig beizuwohnen. Aber es war doch nichts natür-
licher, als dass er durch seine Geschäfte, sei es um Aufträge
in Empfang zu nehmen oder um sich solcher zu entledigen,
mit einzelnen Mitgliedern oder mit gewissen Kommissionen
der regierenden Körperschaft häufig zusammengefühlt wurde.
Die berühmten Soldaten, die grossen Rechtsgelehrten, die
vorurtheilsfreien Männer von Adel und die muthigen Bürger^
die sich zu ein- und demselben schwierigen Werke mit-
einander verbunden sahen, müssen ihm im Laufe der Jahre
oft genug in der Vorhalle, in den Gemächern, in den Gärten
oder in der Kapelle von Whitehall begegnet sein. Es waren
Namen darunter, wie die von Fairfax und Ludlow, von Fleet-
«
Sonett auf Vane, — Frost. 25
w'ood und Märten, von Whitelocke und St. Jolin, von Philip
und Algernon Sydney, von Arthur Haselrig und Isaac Penning-
ton, welche jeder Engländer kannte und mit lautem Lobe
oder mit heimlichen Verwünschungen aussprach. Cromwell
verweilte allerdings, von der kurzen Pause zwischen dem
irischen und dem schottischen Feldzug abgesehn, seit dem
Sommer 1649, durch wichtigere Geschäfte in Anspruch ge-
nommen, fern von London und kehrte erst im Herbst 1651
dauernd zurück. Mit Henry Vane dagegen wird Milton schon
früh in nahem persönlichen Verhältnis gestanden haben. Im
Sommer 1652 hat er ihm ein Sonett gewidmet, das seiner
Verehrung für den republikanischen Staatsmann entsprungen
ist und die Verdienste desselben in wenigen treffenden Worten
hervorhebt. Er wird mit einem der grossen Senatoren Rom's
verglichen. Den Frieden weiss er eben so wohl zu befestigen,
wie er sich darauf versteht „die beiden Hauptnerven des
Krieges, Eisen und Gold, in Bewegung zu setzen". Was aber
dem Gefeierten den höchsten Ruhm in Milton's Augen zu
verleihen scheint: „Er hat wie wenige gelernt, der bürger-
lichen und geistlichen Gewalt ihre Grenzen zu ziehn". . .
Auf deine starke Hand ist Religion
Gestützt und nennt dich ihren ersten Sohn (^).
Nicht minder hat man gute Gründe anzunehmen, dass
Bradshaw, derselbe, welcher dem Process des Königs präsidirt
hatte, dem Dichter genau bekannt wurde. Seine anerkannte
Rechtlichkeit und Tüchtigkeit hatten ihm das allgemeine Ver-
trauen erworben. Er war drei Jahre lang Vorsitzender des Staats-
rathes, und auch nachdem man das Präsidium jeden Monat
wechseln Hess, wurde ihm diese Würde noch mehrfach übertragen.
Indessen es waren nicht allein die Mitglieder des Staats-
rathes, mit deren Wegen sich die Wege Milton's fast täglich zu
kreuzen hatten. Das ganze Personal von Unterbeamten, über
das die Centralbehörde gebot, Männer, von denen einige eine
Zeit lang mit ihm unter einem Dach wohnten , musste ihm
vertraut werden. Da war Gualter Frost, der sehr in An-
spruch genommene „Sekretär des Staatsrathes" , dessen Ge-
schaftskreis über den des blossen Protokollführers oft genug
hinausgieng. Ihm zur Seite stand um sein gleich-
26 Thurloe. Fleming. Haak.
namiger Sohn. Der Nachfolger des Vaters wurde nach dessen
Tode (April 1652) jener John Thurloe, den Gewandtheit und
Arbeitskraft später dem Protektor unentbehrlich machten. Da
war ferner der erfahrene „Ceremonienmeister" Oliver Fleming,
dem es oblag den officiellen Verkehr mit den fremden Ge-
sandten zu erhalten, sie feierlich zu empfangen, zur Audienz
zu geleiten und über Bewahrung des angenommenen Cere-
moniell's zu wachen, (i) Auf Fleming's Rath sah sich Milton
mehrfach angewiesen. Sein Amt brachte es mit sich, dass
er nicht selten mit den fremden Gesandten mündlich oder
schriftlich zu verkehren hatte, und das Tagebuch eines dieser
Gesandten , des Oldenburgers Hermann Mylius bringt uns zu
lebendiger Anschauung, wie dieser Verkehr sich mitunter ge-
staltete (s. Anhang I). Der deutsche Dichter Weckherlin, dessen
Posten ?iIilton eingenommen hatte, wurde später gleichfalls
wieder augestellt, und zwar als sein Gehilfe, so dass er zu
ihm in das engste Verhältnis treten musste. Er war nicht
der einzige Deutsche, den der Staatsrath der Republik in
seinen Diensten verwandte. Seit langen Jahren lebte in Eng-
land ein Pf älzer, Theodor Haak, der durch seine Studien auf %
den dortigen wie auf fremden Universitäten gebildet und durch
regen Eifer für gemeinnützige und wissenschaftliche Be-
strebungen ausgezeichnet, ähnlich wie Samuel Hartlib mit
vielen bedeutenden Männern in Verbindung stand. Hartlib
selbst, der Mathematiker John Pell, Weckherlin gehörten zu
seinen Freunden. Den Comenius hatte er bei dessen Er-
scheinen in London zuvorkommend aufgenommen. Er soll in
den vierziger Jahren den ersten Anstoss zu jenen Gelehrten-
zusammenkünften gegeben haben, aus denen später die „Royal
Society" erwuchs. Auch als theologischer Schriftsteller machte-
er sich bekannt. Die Vermuthung, dass er Milton nicht fremd
geblieben ist, wird durch die Thatsache bestärkt, dass er die
Hälfte des verlorenen Paradieses in's Deutsche übersetzt hat.
Aus seinen Sympathieen für die Sache des Parlaments hatte
er nie ein Hehl gemacht. Während des dreissigjährigen
Krieges war er es gewesen, der von England aus Geld-
sendungen an die Protestanten Deutschlands vermittelt hatte.
Steny. Goodwin. Owen, Peters. Caiyl. — Young. Durie. Hartlib. 27
Seine Verbinclungen mit dem Ausland müssen indess noch
anderen Zwecken gedient haben. Ohne Zweifel war er wie
Hartlib und Durie auf eine internationale „Korrespondenz"
der Reformirten bedacht(^). So ist es zu erklären, dass er am
16. Juli 1649 der Berücksichtigung des Committee von Gold-
smith Hall empfohlen wurde, und' dass der Staatsrat!! am
17. Aug. 1650 ihm „wegen seiner vielen guten Dienste in der
Führung einer überseeischen Korrespondenz und um die Fort-
setzung derselben zu ermöglichen" 50 '£. auszahlen Hess.
Allein der .welterfahrene und sprachkundige Pfälzer leistete
der neuen Regierung noch auf andere Weise seine Dienste.
Man findet, dass ein und dasselbe Aktenstück, eine Deklaration
des Parlamentes zur Rechtfertigung des ]\farsches gegen Schott-
land, von Milton in's Lateinische, von Haak in's Holländische
übersetzt werden sollte (-).
Unter dem ständigen Beamtenpersonal des Staatsrathes
waren ferner die Geistlichen nicht zu übersehn. Die täglichen
Sitzungen sollten mit feierlichem Gebet beginnen, und in der
Kapelle wurde ein regelmässiger Gottesdienst eingerichtet
Peter Sterry, Thomas Goodwin, John Owen, Hugh Peters er-
scheinen nebeneinander oder nacheinander mit diesem Ge-
schäft betraut, lauter ^länner, die in der Geschichte der eng-
lischen Revolution oder der englischen Theologie eine Rolle
gespielt haben. Eine Zeitlang fand auch jener Joseph Caryl
Verwendung, derselbe, den Milton einst in seiner vierten
Schrift über die Ehescheidung so unsanft angefasst hatte.
Waren ihm die meisten dieser Persönlichkeiten bis dahin
nur dem Namen nach bekannt gewesen, so wusste er sich mit
einigen alten Freunden nicht zwar im täglichen Geschäfts-
verkehr, aber doch im Dienst für dieselbe Behörde verbunden.
Patrick Young blieb vorläufig Hüter der schwer gefährdeten
Bibliothek von St. James, bis ihn John Durie in seinem Amte
ablöste. Dieser , von Hartlib gegen ausgestreute Verdäch-
tigungen in Schutz genommen, hoffte von dem Umschwung
der Dinge in England nicht wenig für seine Unionsbestrebungen.
Aber gleichzeitig wandte auch er sich der Frage einer Reform
des Erziehungswesens zu. Seine Vorschläge über eine Neu-
28 Milton's Geschäftskreis. — Lateiniselie Depeschen.
Ordnung des Jugendunterrichts wie der Universitäten gemahnen
eben so wohl an die Ideen des Comenius wie an diejenigen
Milton's. Dass er mit dem letzten oft aufs merkwürdigste
übereinstimmt, wird um so erklärlicher, wenn man bedenkt,
dass Hartlib das beste Bindeglied zwischen beiden Männern
bilden konnte (^). Samuel Hartlib selbst wurde in derselben
Weise und aus gleichen Gründen wie Theodor Haak vom
Staatsrath aufgemuntert, seinen Briefwechsel mit dem Aus-
lande fortzuführen und erhielt zudem Aussicht auf eine
Jahresrente von 100 £.
Es war ein grosser Kreis sehr verschiedenartiger, aber
doch zu einem Werk vereinter Naturen, in den Milton ein-
trat. Die Obliegenheiten seines Amtes gaben ihm Anlass,
mit ihnen allen in vielfache Berühning zu kommen und dann
und wann an ihren Leistungen unbefangene Kritik zu üben (s.
z. B. Anhang I). Die Protokolle des Staatsrathes lassen un-
schwer erkennen, worin diese Obliegenheiten bestanden. Man
muss sich von dem Gedanken frei machen, als sei j\Iilton's
Amt ein scharf umgrenztes gewesen. Allerdings blieb die
Abfassung der lateinischen Depeschen seine hauptsächhehe
Aufgabe. Der regelmässige Geschäftsgang war anscheinend
der, dass er seinen selbstständig verfassten oder nach einer
Vorlage übersetzten Entwurf dem Staatsrath zur Prüfung vor-
zulegen hatte, wonach, wenn es nöthig war, die Bestätigung
des Parlamentes eingeholt wurde. Ein grosser Theil jener
„Staatsbriefe", die in Milton's Werken abgedruckt, erst kürz-
lich eine werthvolle Ergänzung aus dem englischen Reichs-
archiv erfahren haben, gehört jener Zeit an, da er als
„Sekretär der fremden Sprachen" für die republikanische
Regierung die Feder führte. Es sind ^Muster würdiger Sprache,
kraftvoll und elegant zugleich, vom Hauche humanistischer
Bildung durchdrungen. Ein ganzes Stück englischer Geschichte
schliessen sie in sich ein. Nur selten scheint das individuelle
Gefühl des Schreibers durchzubrechen. Im allgemeinen weiss
er sich auf einer Höhe leidenschaftsloser Ruhe zu halten, die
der Eigenthümlichkeit seiner Aufgabe entspricht und der Art,
wie er sie löst, einen klassischen Werth verleiht f^).
Lateinische Depeschen. 29
Das erste officielle Schreiben von seiner Hand , das man
kennt, ist ein Brief des Parlamentes an die Stadt Hambur.ff,
durch welchen Isaac Lee, der Vorstand der englischen Kauf-
mannsgesellschaft daselbst, zugleich als Vertreter der Republik
akkreditirt werden sollte. Das Aktenstück, von Lee, der sich
einem solchen Posten nicht gewachsen fühlte, unbenutzt ge-
lassen, trägt das Datum des 2. April 1649 (i). Von da an
fliesst der Strom der lateinischen Korrespondenz, deren Führung
Milton's Geschick anvertraut wurde, ununterbrochen. Waren,
wie in HaHiburg, Reibungen zwischen dort ansässigen Eng-
ländern und Emissären des Prätendenten vorgekommen, so
ermahnt er namens des Parlamentes die parteiischen Behörden
der Stadt „die vertriebenen Tarquinier der Freundschaft des
englischen Volkes nicht vorziehen zu wollen." Wurden Agenten
nach Spanien und Portugal geschickt, so hatte er für sie die
Kredenzbriefe abzufassen. Und als der eine von ihnen der
Wuth der Kavaliere zum Opfer gefallen war, musste Milton
den König von Spanien an seine Pflicht erinnern „die Urheber
des schmählichen Meuchelmords'' zu bestrafen. Noch näher
mochte ihn die Ermordung des Dorislaus berührt haben, da
er diesen vielleicht von Cambridge her kannte. Doch findet
sich nicht, dass seine Feder auch bei diesem Anlass in Be-
wegung gesetzt worden wäre. Hingegen der Dank für diplo-
matische Höflichkeiten fremder Mächte war von ihm in ge-
bührende lateinische Form zu bringen. Der Grossherzog von
Toskana und der Doge von Venedig, Christine von Schweden
und der König von Dänemark, die Hansastädte und die
reformirten Kantone der Schweiz empfiengen Schreiben von
musterhafter Latinität, die ein grosser englischer Dichter auf-
gesetzt hatte. Desgleichen wenn es galt von Portugal die
Ausweisung der royalistischen „Piraten" zu fordern, über die
Wegnahme fremder Schiffe Aufklärung zu geben, den Schutz
englischer Unterthanen im Ausland wahrzunehmen, für die
verletzten Rechte englischer Kaufleute einzutreten, so war es
Milton, durch dessen Mund der Staatsrath sich vernehmen
liess.
Aber der Kreis seiner Geschäfte blieb nicht hierauf be-
30 Uebersetzungeu u. a. m.
schränkt. Meister des Lateinischen, wie er es war, wurde er
nicht nur dazu verwandt, officielle Aktenstücke in dieser
Sprache anzufertigen, sondern auch hie und da, wo es nöthig
war, den Uebersetzer abzugeben. Bei den Audienzen der
fremden Diplomaten, bei schriftlichen Verhandlungen mit den
ausländischen Agenten diente er als Dolmetscher. Er war
gleich geschickt eine englische Salva-Guardia für das Gebiet
des Grafen von Oldenburg in's Lateinische zu übersetzen wie
umgekehrt ein lateinisches Werk, welches Henry Vane ihm
überliefern würde, oder ein eingelaufenes französisches Akten-
stück in's Englische (^). Er hatte mit Buchhändlern und Buch-
druckern über den Druck von trfficiellen Deklarationen und
officiösen Schriften zu verhandeln. Er hatte Auszüge aus
Verhörsprotokollen zu machen, welche die Insurrektionen von
Kent und Essex betrafen. An ihn sollten nach einer Ver-
fügung vom 2. Februar 1650 alle dem Staate gehörigen Ur-
kunden ausgeliefert werden, die sich in den Händen von
Privaten befanden. Schon früher war er zum „Inspektor" des
Archivs in Whitehall ernannt worden. Man hält sich für be-
rechtigt, ihm einen wesentlichen Theil des Verdienstes daran
zuzuschreiben, dass die unschätzbaren Aktenstücke aus der
Zeit der Republik in verhältnismässig guter Ordnung auf
uns gekommen sind (2). Eine ähnliche Aufgabe fiel ihm zu,
als er mit den Geistlichen Thomas Goodwin und Sterry, dem
Sekretär Frost u. a. nach dem Schluss der Westminster-Synode
in eine Kommission gewählt wurde, der es oblag die Papiere
der Synode zu untersuchen und zu ordnen.
Nicht immer indessen trugen seine Pflichten einen so
unverfänglichen Charakter. Umgeben von Tausenden offener
und geheimer Feinde, sah sich die neue Regierung zu gewissen
Massregeln der Abwehr genöthigt, bei denen auch Milton zu
seinem Theil mitwirkte. Es ist nicht zu entscheiden, ob diese
Massregeln sämmtlich von ihm gebilligt wurden. Genug, dass
er der vorgesetzten Behörde seine Dienste nicht entzog, wenn
diese sie forderte. Als Lilburne's Flugschrift „England's neue
Ketten" erschienen war, hatte Milton dem Staatsrath seine
Bemerkungen darüber vorzulegen. Papiere von Gefangenen
Untersuchung v. Papieren u. Druckschriften. -- Pressverhältuisse. 31
und Verdächtigen, deren man sich bemächtigt hatte, waren
von ihm zu durchsuchen. Mitunter hatte er die zarte Auf-
gabe, Privatbriefe von Akten, denen ein öffentliches Interesse
anhaftete, zu trennen. Es ist ein aufgefangener Brief der
pfälzischen Prinzessin Sophia an ihren Bruder iNIoritz erhalten,
der sichtlich unter Milton's Aufsicht und Mitwirkung zur
Kenntnisnahme des Staatsraths in's Englische übersetzt worden
ist. Die Korrekturen der Uebersetzung des Briefes selbst
und die englische Wiedergabe der Nachschrift stammen ohne
Zweifel von der Hand des Dichters. Sie legen auch dafür
ein hinreichendes Zeugnis ab, dass er des Deutschen einiger-
massen mächtig war(^).
Aus allen diesen Angaben geht hinlänglich deutlich her-
vor, dass Milton's Amt keineswegs einer Sinekur glich. Und
doch bleibt von den laufenden Geschäften, die er zu besorgen
hatte, noch eines zu erwähnen, das man am wenigsten denken
sollte in Verbindung mit seinem Namen gebracht zu sehen.
Wie bemerkt, hatte sich die Presse nach Errichtung der
Republik eine Behandlung gefallen zu lassen, in der von dem
freien Geiste der Areopagitica nichts zu finden war. Ein
Gesetz vom 20. Sept. 1649 brachte die einzelnen Massregeln
der Beaufsichtigung und Unterdrückung in ein System. Es
enthielt u. a. neue Bestimmungen über die Handhabung der
Censur, erklärte die früher ertheilten Licenzen für aufgehoben
und bestimmte als künftige Censoren neben den Sekretären
des Parlaments und der Armee solche Personen, „die der
Staatsrath bevollmächtigen werde" (^). Das Gesetz sollte nur
einen provisorischen Charakter haben. Allein es wurde am
7. Jan. 1653 erneut, und allem Anschein nach sind auch
später noch die Normen, die hier vorgezeichnet waren, be-
folgt worden. Besonders auf die royalistischen Zeitungs-
schreiber und Pamphletisten war es abgesehen. Unter ihnen
hatte sich vorzüglich Marchmont Needham einen gefürchteten
Namen gemacht. Needham gehörte zu den Naturen, die mit
einem aussergewölmlichen literarischen Talent den jNIangel
an Charakter verbinden, dasselbe ohne langes Bedenken in
den Dienst entgegengesetzter Parteien zu stellen. ]\Iit drei-
32 Pressverhältnisse. — Marchmont Xeedham.
iindzwanzig Jahren hatte er begonnen, eine Wochenzeitung unter
dem Xamen Mercurius Britanniens herauszugeben. Beinahe
vier Jahi-e lang, von 1643—1647, hatte er in diesem Blatt die
parlamentarische Sache verfochten, bis es den Kavalieren ge-
lang ihn auf ihre Seite zu ziehen. Sein Mercurius pragmaticus,
mit Witz und Leidenschaft geschrieben, wurde fortan eine
ihrer schneidigsten Waffen. Da er auch nach dem Tode des
Königs seine Feder nicht ruhen liess, so ergieng der Befehl
ihn zu verhaften und seine Papiere mit Beschlag zu belegen.
Milton erhielt am 23. Juni 1649 den Auftrag über den Inhalt
der eingezogenen Schriften dem Staatsrath Bericht zu er-
statten. Yermuthlich ist darauf hin die Unterdrückung des
Blattes eifolgt. Xeedham war indess nicht gesonnen die
Eolle des Märtyrers zu spielen. Er liess sich nicht lange
bitten die Farbe wiederum zu wechseln und arbeitete für
gutes Geld mit dem Eifer eines überzeugten Republikaners
im Interesse der zeitigen Machthaber. In einer umfangreichen
Flugschrift setzte er die „Vortheile, die ein Freistaat vor dem
Königthum voraus hat," auseinander. Er erwiderte einem
Spanier, der die Mörder Asham's in Schutz genommen hatte
und wurde angewiesen, seine Erwiderung iu's Lateinische zu
übersetzen. Er veranstaltete eine englische Ausgabe der be-
rühmten Schrift von Seiden „Mare clausuni", die sich vor-
trefflich gegen die Ansprüche der Niederländer verwenden
liess. Für diese Mühe wurden ihm 200 '£. zugesichert.
Schon vorher im j\Iai 1650 hatte der Staatsrath ihm eine
Pension von 100 '£. jährlich ausgesetzt und ihm 50 £. als
Lohn „für bereits geleistete Dienste" auszahlen lassen. Durch
nichts indessen verdiente er sich mehr den Dank seiner neuen
Gönner und den Hass seiner alten Freunde, als durch die
Leitung eines politischen Wochenblattes, für die seine früheren
Unternehmungen der Art ihm gleichsam als Vorschule gedient
hatten. Die Zeitung erschien unter dem Titel Mercurius
politicus, und die erste Nummer, die sich erhalten hat, datirt
vom 13. Juni 1650 (i).
Wenn man überhaupt Censur übte, so war nichts natür-
licher, als dass man einem j\Iann wie Keedham namentlich
Miltoa u. der Mercurius politicus. — Der Rakow'sche Katechismus. 33
anfangs scharf auf die Finger sah. Wer sollte indess ver-
muthen, dass der Verfasser der Areopagitica sich zu diesem
Geschäft verstanden hätte? Und doch lässt es sich aus den
Registern der Stationers nachweisen. In ihnen findet sich
unter dem 17. März 1651 der Eintrag von sechs Nummern
der Zeitung Needham's „auf Befehl Mr. Milton's". Am
27. April tritt statt dessen die übliche Formel auf: „Unter
der Hand Mr. Milton's". Dieser Eintrag kehrt in der Folge
bis zum 29. Januar 1652 regelmässig wieder. Von da an
scheint Milton mit der Sache nichts mehr zu thun gehabt zu
haben. So überraschend die Entdeckung sein wird, dass er
wenigstens eine Zeit lang mit dem Amte eines Censors be-
traut erscheint, so wäre es doch voreilig daraus einen ehren-
rührigen Schluss zu seinen Ungunsten ziehen zu wollen. In
diesem Falle handelte es sich nicht um eine Handhabung der
Censur in der Weise, welche er einige Jahre vorher bekämpft
hatte. Die Zeitung Needham's war kein Privatunternehmen,
sondern das Organ der Regierung. Sie erschien, wie einer
der Einträge in den Registern der Stationers besagt, nicht
nur „mit Erlaubnis der Obrigkeit", sondern auf Veranlassung
und mit Unterstützung der Obrigkeit. Es war dem Staats-
rath nicht zu verübeln, wenn er ein Blatt, das er bezahlte,
auch beaufsichtigen Hess. Es war kein Abfall von früher ver-
theidigten Grundsätzen, wenn Milton eine Weile diesen Auf-
seher machte oder wohl gar dann und wann an der Redaktion
der Leitartikel sich betheiligte (0- Man trifft ihn freilich un-
gern in der Gesellschaft eines Marchmont Needham an. Er
mag indessen seine Bekehrung zu den Ansichten seiner Jugend
für ehrlich gehalten haben, wie denn der witzige und gebildete
Journalist auch zu den Besuchern seines Hauses gehörte (^).
Hatte der Verfasser der Areopagitica sonstwie Anlass sich
mit Angelegenheiten der Presse zu befassen, so konnte man
darauf rechnen, dass er sehr ft-eien Grundsätzen huldigte.
Das Jahr 1652 lieferte dafür einen deutlichen Beweis. Der
s. g. Rakow'sche socinianische Katechismus, der in Polen be-
kannt genug war, hatte einen Neudruck in England erlebt.
Als ein unverhohlener Ausdruck socinianischer Ansichten, er-
stem, Milton u. s. Z. II. 3. 3
34 Milton's „Bemerkungen" zum Frieden von Kilkenny.
regte diese Veröffentlichung grosses Aergernis. Die Exemplare
wurden mit Beschlag belegt. Der Drucker wurde vor den
Staatsrath gefordert. Das Parlament nahm sich der Sache
mit um so grösserem Eifer an, da eine Anzahl von Geistlichen
sich wegen des ketzerischen Inhalts jenes Buches bitter be-
klagt hatte. Der Drucker, ein ^Mann, den der Staatsrath
selbst zu beschäftigen pflegte, berief sich auf die vorgängige
Genehmigung Milton's. Dieser läugnete keinen Augenblick,
dass er nur seiner Ueberzeugung gefolgt sei und erinnerte
nicht ohne Stolz an seine früheren Bemühungen fiir die Press-
freiheit. Aber er war seiner Zeit weit vorangeeilt. Das
Parlament erklärte das Buch für „blasphemisch , irrig und
skandalös" und liess alle Exemplare, deren man habhaft
werden konnte, öffentlich verbrennen (^).
Die Nachwelt würde es im höchsten Grade bedauern müssen,
wenn Milton in seinem Amte nicht auch Gelegenheit gefunden
hätte, seine Kraft an grösseren Aufgaben zu erproben. In
der That hatte der Staatsrath ihn nicht nur deshalb in seinen
Dienst genommen, um ihn lateinische Depeschen schreiben,
Auszüge und Uebersetzungen anfertigen oder den Inhalt des
Regierungsblattes überwachen zu lassen. Milton's publicistische
Talente waren zu wohl bekannt, als dass man sich ihrer nicht
hätte bedienen sollen. Gleichsam sein Probestück auf diesem
Felde bildete eine Arbeit, die sich auf die Verhältnisse Irland's
bezog. Der Friede von Kilkenny, den Ormond mit den
Katholiken geschlossen hatte, sein Briefwechsel mit dem
Kommandanten von Dublin, die Proklamation Karls 11., alle
diese Vorgänge riefen, sobald sie im Frühjahr 1649 in England
bekannt wurden, eine nicht geringe Aufregung hervor. Zu
gleicher Zeit wurde eine Urkunde bekannt, die gleichfalls von
der grünen Insel, wenn schon aus einem anderen Lager,
stammte, aber nicht weniger Zeugnis dafür ablegte, welche
Gefahren an dieser Stelle dem Gemeinwesen drohten. Es
war eine „nothgedrungene Vorstellung" des schottischen Pres-
byteriums in Belfast vom 15. Febmar 1649, die, gestützt auf
den Covenant, sich an alle „Gutgesinnten" richtete und sie
Milton's „Bemerkungen" zum Frieden v. Kilkenny. 35
von jeder Verbindung mit der „sektirerisclien Partei" der
Königsmörder in England abmahnte. Der Staatsrat!! gab
Befehl die einschlägigen Aktenstücke durch den Druck zu
veröffentlichen. Zu gleicher Zeit beauftragte er Milton einige
„Bemerkungen" hinzuzufügen. Auf diese Weise ist eine Staats-
schrift entstanden, deren Ton von dem sonst üblichen ähn-
licher Dokumente sehr merklich abweicht ('). Es ist keine
ruhige geschichtliche oder rechtliche Auseinandersetzung,
sondern ein Ausfluss tief erregter Leidenschaft, die sich in
die Foiin -einer mehr als kraftvollen Rhetorik kleidet. Und
zwar wendet sie sich in gleicher Weise gegen Ormond wie
gegen die Presbyterianer von Belfast. Denn wenn auch diese
letzten in ihrem Protest sich ausdrücklich gegen eine Ver-
bindung mit „Papisten und anderen notorischen Malignanten"
verwahrt hatten, so sieht Milton im jetzigen Augenblick doch
in ihnen nur Mitschuldige der „verabscheuungswürdigen irischen
Aufrührer". Ist Ormond ein „windiger Lästerer," dem Namen
nach ein Protestant, aber „gegenwärtig der Rädelsführer der
irischen Rebellen", so werden die „hochmüthigen Inhaber des
Pontifikalsitzes in Belfast" als ein „Geschlecht von Hochlands-
dieben" titulirt, die es nicht verdienen, dass man „Zeit und
Gründe an sie verschwende". Es genügt an diesen Stilproben
den Charakter des ganzen Aktenstückes gezeigt zu haben.
Auch sei nur beiläufig darauf hingewiesen, mit welcher Ent-
schiedenheit Cromwell's Ehre gegenüber Ormond in Schutz
genommen wird, der es für gut befunden hatte, ihn mit
Johann von Leyden auf eine Linie zu stellen.
Wichtiger ist es an die allgemeinen Urtheile zu erinnern,
welche Milton sowohl über die Irländer wie über den Katho-
licismus fällt. Der Friede von Kilkenny, von staatsmännischem
Geiste eingegeben wie er war, musste dem englischen Puritaner
als ein Verrath an seinen heiligsten Ueberzeugungen gelten.
„Jeder wahre Engländer konnte ihn, nach Milton's Worten,
nur mit Entrüstung und Widerwillen lesen". Während „die
barbarische Abschlachtung von so viel tausenden von Eng-
ländern" noch ungesühnt schien, räumte dies Aktenstück den
katholischen Irländern „Freiheiten und Rechte ein, wie sie
36 Milton's „Bemerkungen" zum Frieden v. Kilkenny.
ihre Vorfahren selbst durch ihren Gehorsam, auf welchen im
besten Fall kein Verlass gewesen war, niemals hatten erwerben
können". Die Strafgesetze wurden aufgehoben, die freie Aus-
übung des Gottesdienstes und der kirchlichen Jurisdiktion,
der Besitz aller Kirchen und Kirchengüter seinem augenblick-
lichen Stande nach gewährleistet. Ein irisches Parlament
ward in Aussicht genommen, das nicht nur die volle politische
Gleichberechtigung zwischen Protestanten und Katholiken her-
zustellen, sondern zugleich die Poyning's Akte abzuschaffen
bestimmt war, die bisher die Berathungen des Parlaments in
Dublin von der vorgängigen Genehmigung des königlichen
Rathes in London abhängig gemacht hatte. Den Katholiken
wurde das Recht gegeben Schulanstalten zu gründen. Bis
zur endgiltigen Regelung aller Verhältnisse auf parlamen-
tarischem Wege sollten sie ein stehendes Heer von 17,500 Mann
unter Waffen halten dürfen. —
In diesen wichtigsten Artikeln des Vertrages waren mit
einem Federstrich Fragen abgethan, welche noch Generationen
ein Meer von Blut und Thränen kosteten. Für die damalige
Zeit würden sie eine Lösung des bisherigen staatsrechtlichen
Verhältnisses bedeutet und die Zukunft der protestantischen
Ansiedle)- mindestens zu einer sehr zweifelhaften gemacht
haben. Man muss sich dieses und das Ereignis von 1641 vor
Augen halten, um Milton's drakonisches Urtheil zu verstehen.
Was die Irländer als Nation betrifft, so steht ihm fest, dass
sie Barbaren und Wilde sind, „jeder Belehrung abgeneigt,
unfähig in Folge einer kultivirenden Eroberung selbst zur
Kultur zu gelangen". Er kennt keine Schuld auf Seite dieser
ihrer Eroberer. Er hält die Besiegten für blosse „Vasallen",
die „durch ihre endlosen Verräthereien und Revolten das
Recht verwirkt haben, überhaupt Parlamente zu halten, und
die nichts besseres verdienen, als durch Verordnungen und
Garnisonen regiert zu werden". Dieser harten Anschauung
entspricht vollkommen die puritanische Befangenheit gegen-
über dem Katholicismus. Wir wissen bereits, dass selbst für
einen Milton das Princip der Duldung hier seine Grenze hatte.
In dieser Staatsschrift weist er um so nachdrücklicher auf
Milton's „Bemerkungen" zum Frieden v. Kilkenny. 37
sie hin, je heftiger die Independenten von Ormond einer Be-
günstigung „der Irreligion und des Atheismus", von den Pres-
byterianern zu Belfast einer Begünstigung „allgemeiner Toleranz
selbst des Heidenthums und Judenthums" geziehen worden
waren. Er bemerkt den inneren Widerspruch nicht, in dem
er sich bewegt, wenn er sich entschieden gegen jede staatliche
„Verfolgung von Ketzereien" ausspricht und doch erklärt, der
Staat werde „die freie Ausübung einer Religion nicht dulden,
die gesunder Doktrin vollkommen widerstrebend erscheine."
Er verthpidigt den Grundsatz, dass die „Staatsmacht , . der
Geistlichkeit in Ausführung der Kirchenzucht nicht zu Hilfe
komme", und ihr Schwert nur gegen „bürgerliche Vergehen"
wende, aber er findet es völlig in Ordnung, vor allem den
Katholiken jegliche Kultusfreiheit zu versagen und sie „auf den
blossen Genuss des Gewissens" zu beschränken. Auch kann
man in einigen anderen Sätzen weitere Zeugnisse für seinen
Mangel an Klarheit in der Behandlung dieser Fragen finden.
Er erwartet vom Parlamente, dass es „erklärte Atheisten, bös-
willige Feinde Gottes und Christi nicht toleriren , sondern
unterdrücken werde". Er hebt mit Nachdruck hervor, dass
„die wahren Diener des Wortes" auch finanziell vom Parla-
mente unterstützt worden seien, obwohl es in „Geld und Lohn
eben nicht die beste Ermuthigung eines wahren Geistlichen"
erblicke. Er gesteht: „Wir verabscheuen das Juden-
thum," aber er fügt hinzu: „Wir wissen, dass Paulus Piöm. 11
uns befiehlt die Juden zu achten und auf alle Weise ihre
Bekehrung anzustreben". — Man wird indessen im Auge be-
halten müssen, dass nicht sowohl der selbstständige Schrift-
steller Milton seine Meinung darzulegen, als vielmehr der
Sekretär des Staatsraths diejenige seiner Auftraggeber aus-
zudrücken hatte. Es wäre daher unbillig in einer Schrift,
deren Tendenz in erster Linie eine politische war, eine syste-
matische Behandlung des Themas vom Verhältnis des Staates
zu den Religionsgesellschaften erwarten zu wollen. Im Hin-
blick auf Irland zeichnete dies Dokument eben das grausame
Programm deutlich genug vor, welches wenig später Crom-
welPs eiserne Hand mit fürchterlicher Folgerichtigkeit aus-
führte.
38 Ei-Aoiv ßaadixri.
Kur wenige Monate seit dem Erscheinen dieser „Be-
merkungen" Milton's waren verflossen, als er sich mit einer
noch wichtigeren literarischen Aufgabe betraut sah. Von allen
de-n Schriften, die das Andenken Karls I. verherrlichten, er-
regte keine ein ähnliches Aufsehen wie das berühmte Buch,
welches sich unter dem Titel „das Bild des Königs" beim Publi-
kum einführte. Betraclitungen, die sich auf einzelne wichtige
Momente der letzten neun Jahre richteten, Gebete, mit diesen
historischen Rückblicken in passender Weise verbunden, eine
rührende Ansprache an den Prinzen von Wales ; Todes-
Gedanken und Gelübde der Reue: das alles war in diesen
Blättern enthalten, deren Leser glauben mussten den hin-
gerichteten Monarchen selbst inmitten seiner Prüfungen, in
der Einsamkeit seiner qualvollen Haft zu belauschen. Seine
Gestalt erschien als die eines verklärten Märtyrers, wie ein
allegorisches Titelbild ihn darstellte: die Dornenkrone in der
Hand, das Haupt von den Strahlen eines Heiligenscheins um-
flossen. Seine Sprache athmete ein Gefühl christlicher Geduld
und Ergebenheit, das ihn dazu antrieb auch für seine bitter-
sten Feinde die göttliche Verzeihung zu erflehen. Hochtönende
Gemeinplätze, unerwartete Bilder belebten einen Stil, dessen
sentimentaler Grundton unschwer hätte ermüden können.
Wohlwollenden Lesern war es leicht gemacht, über dieSophistik
so mancher dieser historisch-politischen Betrachtungen und
über den schlecht verhüllten Hochmuth so mancher dieser
salbungsvollen Phrasen hinwegzusehen. Und indem der könig-
liche Schriftsteller seine eigene Handlungsweise im glänzendsten
Lichte darzustellen schien, wurde fast jeder Satz zugleich zu
einer furchtbaren Anklage gegen die Machthaber des Tages,
deren List und Gewalt es gelungen war ein so reines und
edles Wesen der Vernichtung zu weihen. Auch brachte die
Schrift die ausserordentlichsten Wirkungen hervor. Es ist
nicht völlig glaubwürdig nachgewiesen , dass sie schon einen
Tag nach der Hinrichtung Karls L erschien. Das älteste
Exemplar, das man kennt, enthält die handschriftliche Datum-
Bezeichnung des neunten Februar, aber von da an folgte in
kürzester Zeit Auflage nach Auflage, so dass man sich für
Eixwv ßaaü.iy.i]. — Milton's ,. Bilderstürmer". 39
berechtigt hält ihre Zahl auf etwa ein halbes Hundert anzu-
schlagen (^). Auszüge aus der Schrift wurden in Umlauf ge-
setzt, die Dichter der königlichen Partei spielten in ihren Versen
auf sie an, durch Uebersetzungen ward dafür gesorgt, auch
das Ausland mit dieser kostbaren Reliquie bekannt zu machen.
Die Pioyalisten nahmen sie verehrungsvoll entgegen, Tausende
wurden durch sie erbaut und zu einer trauernden Betrachtung
der Vergangenheit und Gegenwart geführt. Das kleine Buch,
das man nicht anstand den biblischen Schriften zu vergleichen,
drohte eine wirkliche Macht zu werden und für den lebenden
Karl IL ebenso erfolgreich Propaganda zu machen wie für
das Andenken des todten Karls I. Man unterliess nichts um
den Druck und die Ausbreitung der gefährlichen Schrift zu
verhindern, und am 16. März verfügte das Parlament sogar
eine Beschlagnahme sämmtlicher Exemplare in den Druckereien.
Allein alle Versuche das , .königliche Bild" zu unterdrücken,
blieben fruchtlos, ja sie dienten nur dazu seinen Erfolg zu
steigern. So wurde denn beschlossen eine officielle Gegen-
schrift zu verbreiten.
Es ist behauptet worden, Cromwell habe sich bemüht,
den grossen Gelehrten Seiden zur Abfassung einer solchen
zu bewegen (-). Sei dem,, wie ihm wolle: in Wirklichkeit
wurde diese Aufgabe Milton zu Theil. Zwar findet sich in
den Protokollen des Staatsraths keine darauf bezügliche Ver-
fügung, allein iNIilton's eigene Worte lassen keinen Zweifel
aufkommen. „Ich erhielt den Auftrag eine Erwiderung zu
schreiben," berichtet er in seiner zweiten Vertheidigung, und
in der Einleitung dieser Erwiderung selbst macht er kein
Hehl daraus, dass er in diesem Fall nicht sowohl freier
„Wahl" als höherer „Weisung" gefolgt sei. Eben hieraus er-
klärt er, dass seine Arbeit „so spät begonnen und inmitten
anderer Beschäftigungen so langsam beendigt worden sei".
In der That lässt sich nicht nachweisen, dass Milton's Schrift
schon vor dem Oktober 1649 die Presse verlassen hatte. Ihr
Titel konnte nicht geistreicher gewählt sein. Streuten die
Royalisten dem „Bilde" des Königs Weihrauch, so erschien
hier ein „Bilderstürmer" (=^J , der wie jene „gottesfürchtigen
40 [Milton's „Bilderstürmer". — Charakteristik des Königs,
griecliischen Kaiser" gegen den „Aberglauben" anzukämpfen
entschlossen war. Er war in die Schranken getreten, nicht
um sich über das Unglück des von seiner Höhe Herab-
gestürzten aufzuhalten und nicht, weil ihn kleinliche Autoren-
Eitelkeit angetrieben hätte, sondern weil er glaubte „die
Königin Wahrheit dem Könige Karl vorziehen zu müssen".
Allein so sehr sich der Schriftsteller auch bemühen mochte
ruhig zu erscheinen , so gieng es doch über seine Kraft hin-
aus, den Standpunkt des objektiv urtheilenden Historikers
zu bewahren. Indem er Abschnitt für Abschnitt dem gegneri-
schen Werke folgt und seinen Inhalt Satz für Satz mit Glossen
versieht, entwiift er seinerseits ein Bild der Vergangenheit,
zu dem ausschliesslich der Hass und die Vorurtheile des
Puritanismus ihre düsteren Farben geliehen haben (^). Mit-
unter glaubt man nur eine Umschreibung der Deklaration
des Parlamentes zu lesen, welche die Errichtung der Republik
begleitet hatte. Auf Buckingham bleibt der Verdacht haften,
König Jakob vergiftet zu haben, auf Karl I, bleibt der Ver-
dacht haften, den Sachverhalt haben „vertuschen" zu wollen.
Es ist kein Zweifel, dass der König „Urheber und Anstifter"
des irischen Aufstandes gewesen ist und dass er den Schotten
für ihre Hilfe die ., Plünderung Londons" und den Besitz von
,,vier Grafschaften des Nordens" versprochen hatte. Das
häusliche Leben des ..zweiten Rehabeam" erscheint nicht minder
abschreckend wie sein Wirken als ööenthcher Charakter.
Die „unzüchtige Zügellosigkeit seines Sonntagstheaters" kann
vor den Augen des Verfassers des Comus ebensowenig
Gnade finden wie „jenes ehrwürdige Statut für Sabbathtänze
und Maibäume, das er von seinem Vater Jakob entlehnt
hatte,"
Einseitig und parteiisch wie die historischen Betrach-
tungen Milton's sind, dienen sie doch dazu, die Schilderung
der Regierung Karls I. , welche im „königlichen Bilde" ent-
halten war, als eine durch und durch trügerische erscheinen
zu lassen. Milton spart weder glühendes Pathos noch eisigen
Hohn, um alle Widersprüche aufzudecken, alle Sophismen zu
zerreissen, alle Schönfärbereien abzuwaschen, auf die sein
Charakteristik des Königs. — Kritik des Königthums, 41
Auge traf. Es ist, als wollte er den Todten noch einmal vor
den Richterstuhl ziehen und Zeugnis auf Zeugnis häufen gegen
den, welcher es wohl verstanden hatte „die Sprache Davids
nachzuahmen, aber nicht sein Leben." Dass er schon auf
Erden seinen Eichter gefunden, dünkt Milton die beste Antwort
auf die zuversichtlichen Gebete, welche so manches englische
Herz erschütterten. Gegenüber einem Manne, der „so oft an
das Tribunal Gottes appellirt hatte", hebt er mit Genugthuung-
hervor, dass Gott, der „seiner nicht spotten lässt", ihn „nach
dem Verdijit seines eigenen Mundes" gerichtet habe. „Wir
messen unsere Sache nicht nach unserem Erfolge, sondern
unseren Erfolg nach unserer Sache. Aber in ;einer guten
Sache ist Erfolg eine gute Bestätigung, denn Gott hat
ihn fast auf jedem Blatt der Bibel den Guten versprochen".
Man sieht, auf einer wie schmalen Grenzlinie der Politiker
Milton sich hier bewegt, und wie leicht seine eigenen Worte
vorkommenden Falls zu einer Waffe gegen ihn werden konnten.
Ein Schriftsteller gewöhnlichen Schlages würde sich
damit begnügt haben, den Charakter und die Handlungen
Karls I. zu beleuchten und der Heiligengestalt, zu welcher
der König geworden war, ein anderes Bild gegenüberzu-
stellen, wie es freilich nur parteiische Hand entwerfen
konnte, Milton sah seine Aufgabe damit nicht erfüllt. Für
ihn handelte es sich nicht nur um eine Kritik des Königs,
sondern um eine Kritik des Königthums, und das um so
mehr, je sichtlicher das kleine Buch, dessen Bekämpfung ihm
oblag, zum Wachsthum der royalistischen Strömung in der
Nation beigetragen hatte. Er täuscht sich darüber nicht: es
sind „nur wenige, welche die altenglische Tapferkeit und
Freiheitsliebe bewahren," die Mehrzahl ,, schmachtet danach
in die Gefangenschaft der Könige zurückzukehren" und eilt
unaufhaltsam, „als hätten sie vom Circe-Becher der Knecht-
schaft getrunken, den Nacken wieder unter das Joch zu
beugen". Die Fiktion , als ' gründe sich das republikanische
Gemeinwesen auf den Willen der Majorität, Hess sich nicht
mehr aufrecht halten, und in keiner der Milton'schen Schriften
finden sich so herbe Urtheile über das „elende, leichtgläubige
42 Kritik des Königthums. — Konstitutionelle Theorie.
Geschöpf, das man die grosse Masse nennt," über
,,die tolle Menge", über das Volk von „bethörtem und ent-
artetem Geiste" wie in dieser. Allein das gemeine Volk er-
scheint immerhin nur als verführt. Die hauptsächliche Schuld
der Umwandlung der öffentlichen Meinung, und nur von dieser
kann nach Milton's Ansicht die Rede sein, — trifft die Männer
von ..sanfter Gesinnung," die „ihre Führer zu gefährlichen
Unternehmungen treiben, aus denen kein Rückzug möglich
ist", um sie inmitten des Entscheidungskampfes „feige zu ver-
rathen". Es sind die „Kollegen der Prälaten", deren Predigten
von Anfang bis zu Ende die „Theorie der Sklaverei" ent-
halten, und deren Leben ein „Abbild der Weltlust und Heuche-
lei" ist, Leute, welche den König nicht zu verletzen glaubten,
„indem sie das Schwert gegen ihn zogen" und die jetzt nicht Auf-
hebens genug machen können von „ihrer Loyalität und Königs-
treue", Menschen, die „sich selbst lieb hatten und nicht das
Gemeinwohl, und deren Gewissen ein Loch bekommen hat,
weil der Gewinn ausgeblieben ist, auf den sie gehofft hatten".
Es ist klar, dass alle diese Ausfälle sich gegen die Pres-
byterianer richten, deren Verbindung mit der KavaHerpartei
die Lage der herrschenden Gewalten anfangs zu einer über-
aus kritischen machte. Auch lässt sich deutlich verfolgen,
wie sehr es sich ]\Iilton hat angelegen sein lassen in einer
zweiten Auflage seiner Schrift gerade diesen Punkt zu betonen.
Diese zweite Auflage erschien im März 1651 (^). Unter den
vielfachen Zusätzen und Erweiterungen nehmen diejenigen
nicht die geringste Stelle ein, welche gegen die „Bethörung"
der Masse, das Verhalten der Presbyterianer und ihrer geist-
lichen .„Hexenmeister" ankämpfen.
Ebenfalls findet sich aber auch die politische Theorie
hier weiter ausgeführt, die der Schriftsteller mit Stolz als
Eigenthum der „wenigen" in Anspruch nimmt, welche „der
Weisheit und Wahrheit anhängen." Wir kennen bereits ihre
Grundzüge aus dem Pamphlet über „das Recht der Könige
und Obrigkeiten". Hier wird mit noch grösserer Schärfe die
Anwendung auf die heimischen Verhältnisse gemacht. Auch
dies Mal bildet den Ausgangspunkt die Annahme, dass die
Konstitutionelle Theorie. 43
„Könige, wie alle anderen öffentlichen Beamten, zuerst nur
durch Zustimmung und Wahl des Volkes eingesetzt worden
sind''. „Wäre ihre Race so erhaben über die anderen Menschen
wie die der Pferde von Tutbury über die anderen Pferde, so
hätten sie freilich von Rechtswegen nur zu befehlen und wir
nur zu gehorchen." So aber sind sie, — er nimmt einem
grossen Monarchen den Ausdruck vorweg, — nichts weiter
als „die Diener des Staates." Hiernach bestimmt der Autor
das Verhältnis von König und Parlament. Er äussert sich,
ohne sich um die vielen Abwandlungen der Vergangenheit zu
kümmern, mit jener Siegesgewissheit der abstrakten Doktrin,
welche den Zeiten der Revolution eigen zu sein pflegt. j\Ian
fühlt sich einen Augenblick wie in's achtzehnte Jahrhundert ver-
setzt unter die Jünger Montesquieu's, wenn man die Theorie der
„Trennung der Gewalten", zu der sich die „weisesten Nationen"
bekannt haben, angedeutet findet Und man wird an
die Schlagworte der Constituante erinnert, wenn man hört,
was bei dieser Trennung der Gewalten der einen und der
anderen zugesprochen wird. Die Legislative ist die ,, höchste"
(supreme), die Exekutive „untergeordnet" (subordinate), denn
„der König ist nur dazu da, das Gesetz zu vollstrecken (i)."
Die Folgerungen ergeben sich für Milton ganz von selbst.
„Wo der Sitz des Parlaments ist, da ist auch untrennbar der
Sitz des Königs." Das Recht des Veto kann unmöglich auf
gesetzlicher Grundlage ruhn, es war „ein abgeschmacktes
und vernunftwidriges Herkommen, eine Erfindung der Schmeiche-
lei und der Usurpation". Ein Parlament wäre lächerlich und
verächtlich, welches erst Gesetze ausarbeiten sollte, um sie
dann stückweise der Vernunft, dem Gewissen, der Laune, der
Leidenschaft, der Narrheit, dem Eigensinn eines Mannes abzu-
handeln." Das Recht der beliebigen Berufung und Auflösung
des Parlaments gehört nicht zur königlichen „Prärogative,"
sondern war ein blosser Ausfluss des öffentlichen „Vertrauens".
Ohne die Möglichkeit zusammenzutreten .,so oft es die Noth
erfordert," wie die Möglichkeit zusammenzubleiben, „bis die
dringenden Geschäfte vollständig erledigt sind", würden die
Parlamente „bald zu einem blossen Gegenstand des Spottes
44 Omuijiotenz des Parlaments.
werden". [ Das Recht der Militia eignet keineswegs der Krone.
„Nur mit Zustimmung des Parlaments" kann über die Streit-
kräfte des Landes verfügt werden. „Wenn die Macht des
Schwertes von der Macht des Gesetzes getrennt ist, dann
wird das Schwert bald Herr über das Gesetz werden". —
Mit einem "Worte: Nicht der König, sondern das Parlament
ist „omnipotent", aber in einem noch weit ausgedehnterem
Sinn, als berühmte Staatsrechtslehrer späterer Zeit das W^ort
verstanden haben. Denn da es in der Hand des Parlamentes
liegt, die Gesetze zu ändern oder zu abrogiren, „jenachdem
es ihm zum Besten des Gemeinwesens zu sein dünkt", so
hat es auch das Piecht „das Königthum abzuschaffen, sobald
dies zu herrisch und lästig wird".
Es ist ungefähr die Theorie, welche das grosse Manifest
der Armee Ende 1648 ausgeführt hatte, vor der das König-
thum und das Haus der Lords zusammengebrochen war,
während das „omnipotente" Parlament sich selbst zu einem
blossen Werkzeug in nerviger Soldatenfaust hatte erniedrigen
müssen. Ueber diesen inneren Widerspruch geht Milton
schweigend hinweg, wie er sich denn auch wohl hütet anzu-
geben , inwieferue in dem Parlamente der Wille der gesamm-
ten Nation zum Ausdruck komme. Eine solche Betrachtung
hätte, Avie die Lage der Dinge war, zu bedenklichen Schlüssen
führen können. Weniger verfänglich schien es dem Verfechter
der neuen Piegierung auf den Geist und die Präcedenztälle
der alten Landesverfassung zurückzugehn. In der That, durch
und durch radikal, wie der Schriftsteller erscheint, bleibt er
insoweit Engländer, dass er jede Gelegenheit wahi-nimmt, wie ,
schon ein Mal, die „alten Gesetzbücher" heranzuziehn, freilich
nur, um ihnen mehr oder weniger Gewalt anzuthun. Wenn
B. n. 446 darauf hinzuweisen war, dass Milton's frühere
staatsrechtliche Bemerkungen einem bekannten Publicisten
der Zeit, John Sadler, nicht fremd geblieben zu sein scheinen,
so führt er hier seinerseits Sadler s „kürzlich erschienenen
Traktat: Rechte des Reiches" als seine Quelle an, deren
juristische Auszüge ihm zu Gute kommen. —
Nach allem, was er mit leidenschaftlicher Beredtsamkeit
Die Frage nach der Aechtheit des E. ß. 45
zur Vertheidigung der Revolution und zur Bekämpfung des
Königs vorgebracht hat, wendet er sich zu einer letzten feier-
lichen Beschwörung an seine Mitbürger : „Er gebietet seinem
Sohn : halte fest an den wahren Grundsätzen der Frömmigkeit,
Tugend und Ehre und du wirst nie eines Königreichs bedürfen.
Ich aber sage dir, o Volk von England, halte du fest an
diesen Grundsätzen, und du wirst nie eines Königs bedürfen".
Wie der Wortlaut dieses Satzes zeigt, und wie sich durch viele
Stellen des Eikonoklastes sonst belegen liesse, nimmt sein Ver-
fasser an , dass das „königliche Bild" im ganzen und grossen
wirklich aus der Feder Karl's I. stamme. Bekanntlich knüpft
sich aber gerade an dieses Buch eine der berühmtesten Kon-
troversen, die jemals über die Frage der Urheberschafteines
literarischen Erzeugnisses geführt worden ist. Vor allen
Dingen wird man daher zu erfahren wünschen, ob in Milton
nicht wenigstens einige Zweifel aufgestiegen sind. Man weiss,
dass gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts der heftigste
Streit darüber entbrannte, ob der König in Wahrheit der Ver-
fasser des merkwürdigen Buches gewesen, oder ob es nicht
für eine geschickte und wohlberechnete Fälschung des Dr.
Gauden zu halten sei, der fast im letzten ]\Ioment seine Stimme
für Karl I. erhoben hatte, nach der Restauration vertraulich
seine Autorschaft eingestand und 1662 als Bischof von Worcester
starb. j\Ian kennt die grosse Literatur, welche sich in den
zwanziger Jahren unsres Jahrhunderts ansammelte, als eine
gründliche Revision jener anziehenden Streitfrage stattfand,
und Christoph Wordsworth gegen eine ganze Phalanx von
Widersachern den schriftstellerischen Ruhm des Königs mit
Eifer und Scharfsinn zu retten suchte. Die Mehrzahl der
Späteren hat sich gegen ihn erklärt, und das „königliche
Bild" gilt heute als das Muster eines grossartigen Betruges,
während einige Forscher immerhin eine ]\Iitwirkung des Königs,
sei es bei der Vorbereitung, sei es bei der schliesslichen
Redaktion für wahrscheinlich halten (^). Wie immer dem sei,
der Biograph Milton's darf über den persönlichen Anspruch Gau-
den's hinwegsehn. Denn soviel steht fest : in der Zeit, als Milton
schrieb , wird Gauden's Name von niemandem genannt. Er
46 Die Frage nach der Aechtheit des E. ß.
ist überhaupt erst Jahre nach Milton's Tode in die Debatte
geworfen worden. Pas schliesst indessen nicht aus, dass sich
schon damals argwöhnische Stimmen gegen die Aechtheit des
überaus wirksamen Pamphlets erhoben, oder dass mindestens
auf die Spuren einer anderen Feder neben der des Königs
hingewiesen ward.
Bereits in der ersten Auflage seiner Gegenschrift hatte
Milton von einem „geheimen Gehilfen" des Königs gesprochen,
von seinem „Hofrhetoriker", „irgend einem Hof kaplan", der diese
und jene Phrase „eingeschoben'", dies und jenes „ungesalzene
Gebet zusammengestoppelt" haben möchte. Er hatte aus ein-
zelnen Ptedewendungen den Schluss zu ziehen gesucht, dass
sie nicht aus der Feder des Königs stammen könnten, ja das
„ganze Buch" war ihm einmal „als ein Stück Poesie" vorge-
kommen. In der zweiten Auflage erschienen diese Zweifel
noch verstärkt. Zugleich wurde hier ein Punkt weiter aus-
geführt, auf den er schon in seiner früheren Kritik mit sicht-
lichem Hohn hingewiesen hatte. Es fanden sich als Anhang
der „besten Ausgaben" des königlichen Bildes „Gebete seiner
Majestät aus der Zeit seiner Leiden, unmittelbar vor seinem
Tode dem Dr. Juxon, Bischof von London, überliefert". Milton,
der seinen Philip Sidney kannte, entdeckte, dass gleich das
erste dieser Gebete „Wort für \Yort" aus dessen berühmtem
Roman Arcadia „gestohlen" sei, und zwar „aus dem Munde
eines heidnischen Weibes, das zu einer heidnischen Gottheit
betet", und dessen „süsse Pihapsodieen" der König nichtsdesto-
minder kein Bedenken getragen habe, als seine „eigenen
himmlischen Gedanken" Gott darzubringen. Hier freilich
kommt es ihm darauf an, die Autorschaft Karls I. festzuhalten.
Denn alle „seine besten und theuersten Freunde, die ihn
vergötterten", erschienen somit durch ihn selbst hinter's Licht
geführt. „Die heulenden Kanzelredner" mussten sich sagen
lassen, dass er „in dem ganzen Magazin ihrer honigsüssen
Gebete und Meditationen" nichts gefunden habe, was dem
Gebete einer „gefangenen Schäferin" aus einem weltlichen
„Liebesgedieht" gleich gekommen wäre. Es ist indessen klar,
wie verdächtig damit alles das gemacht wurde, was aus der
Gleichzeitige Urtheile. 47
royalistischen Presse heivorgieng. Eine überraschende Ent-
deckung wie diese konnte wahrlich nicht vortheilhaft auf
die Beurtheilung des „königlichen Bildes" zurückwirken.
Was aber war besser geeignet, seinen Nimbus zu zer-
stören, als wenn es gelang wahrscheinlich zu machen, dass
bei seiner Herstellung Betrug die Hand im Spiele gehabt
habe?(i).
Allerdings Milton ist der erste nicht gewesen , der diesen
Gedanken geäussert hat, und andere haben ihn unmittelbar nach
ihm weiter 'ausgesponnen. Schon im Mai hatte John Goodwin,
der aufgeklärte Pfarrer in Colemanstreet , davon gesprochen^
dass man darüber streite, ob der König der „wirkliche oder
nur der vermeintliche Autor" sei. Eine Schrift, welche wenige
jNlonate nach dem Tode des Königs erschien, „der fürstliche
Pelikan", hatte gleichfalls diese Verdächtigungen erwähnt.
Sie nahm auf's entschiedenste für den König Partei, der wie
ein Pelikan sein Blut für seine Kinder vergossen habe, und
hatte besonders den Zweck, die Authenticität des „könig-
lichen Bildes" zu retten. Denn ihr Verfasser konnte nicht
läugnen, dass von mehreren „und darunter von den ersten
Günstlingen unserer Grandees" das hämische Gerücht ver-
breitet worden sei, das Werk stamme nicht vom König, son-
dern von einem seiner „Hofkaplane", wie denn sogar die Namen
„eines Dr. Harris und des Dr. Hammond" aufgeworfen worden
waren. Einmal auf's Tapet gebracht, konnte die Streitfrage
sobald nicht wieder verschwinden. Zwei Pamphlete, von denen
das eine, El%wv alr]d-iv)] nachweisbar am 16. August, das
andere, BI-kuv i) niGzri am 11. September 1649 in Umlauf
war, nahmen sie wieder auf. Jenes, „veröffentlicht um die
Welt zu enttäuschen" und „die falschen Farben abzuwaschen"
behauptete, „irgend ein prälatischer Levit, der nach einem
Bisthum, einer Dechanei oder dergleichen gierig sei, habe
dies Stück Schmeichelei kompilirt" und sucht im einzelnen
nachzuweisen, dass man nicht im König, sondern im „Doktor"
den Autor sehn müsse. Das andere, eine direkte Entgegnung'
der vorigen Broschüre, nimmt die Autorschaft des Königs ener-
gisch in Schutz und erklärt, sein Buch stehe ausserhalb des
48 Gleichzeitige Urtheile.
Bereiches jeder Verleumdung, „in der ]Mitte eines Firmaments
loyaler Herzen (^)". Wie man sieht: Milton trat mit seiner
Schrift in eine bereits seit lange und heftig geführte Debatte
ein. Aber dass seine Autorität sich mit derjenigen anderer
verband, welche die vollkommene Aechtheit des königlichen
Bildes angezweifelt hatten, war nicht ohne Bedeutung. Wenn
wenig später ein antimonarchischer Schriftsteller erklärte,
das royalistische Machwerk „sei schon gehörig und ohne
Handschuhe von einem Gentleman vorgenommen worden, der
keinem an Rechtschafienheit , Gelehrsamkeit und Verstand
zu weichen habe", so liegt es nahe zu vermuthen, dass er
an Milton gedacht hat. Ebenfalls nimmt der Astrolog William
Lilly in einer Schrift vom Jahre 1651, in der er seine Be-
denken gegen die vollkommene Aechtheit des königlichen
Bildes äussert, ausdrücklich auf Milton Bezug (^). Auch legte
der Staatsrath so grossen Werth auf seine Widerlegung, dass
er am 5. März 1650 das Committee of Examinations beauf-
tragte für einen Neudruck zu sorgen, falls dieser nützlich
scheine. Nicht genug damit: er liess gegen angemessenen
Lohn sogar eine französische Uebersetzung anfertigen, mit der
sich kein Geringerer befasste als John Durie, und gab Befehl,
die Exemplare dieser Uebersetzung zollfrei nach Frankreich
auszuführen (^j.
Aber auch die Royalisten rührten sich. Nachdem der
„Bilderstürmer" zum zweiten Mal in erneuter Gestalt erschie-
nen war, wurde ihm das „unzerbrochene Bild" direkt gegen-
übergestellt. Wer immer der Autor gewesen, ob Dr. Earle,
der Erzieher Karls IL, ob ein gewisser Jeanes, wie andere
behaupten, er führte eine sehr kräftige Sprache. In Milton's
Schrift sieht er einen „Verrath gegen Gott und die Menschen,
Religion, Wahrheit und Gerechtigkeit". Er bemerkt, dass
Milton „nicht nur die Gebeine des todten Königs wiederauf-
zugraben, sondern alle Könige auszurotten" gedenke und weiss
für seine Leistung keinen besseren Namen als „das Bild der
Rebellen'M^)- Auch scheint darüber kein Zweifel zu sein,
dass Milton's Schrift entfernt nicht die Wirkung hervorbrachte
wie diejenige, die zu verdrängen sie bestimmt war. Jeden-
Gleichzeitige Urtheile. 49
falls konnte er fortan sicher sein, in den Geschichtswerken
royalistischer Tendenz, als „boshafter feiler Skribler", „giftiue
Schlange" und „schwarzmäuliger Zoilus" zu figuriren('). Sein
„Bilderstininer" hätte ihn allein schon zur Zielscheibe ihrer
heftigsten Angriffe machen müssen, selljst wenn seinem Namen
nicht gleich darauf in einem anderen literarischen Waftengang
ein europäischer Ruf zu Theil geworden wäre.
Stern, Milton u. s. Z. U. 3.
Zweites Kapitel.
Der Kampf mit Salmasius.
VTöthe beklagt einmal in seinen Gesprächen mit Ecker-
mann, dass Uhland sich auf die thätige Theilnahme an den
politischen Kämpfen eingelassen habe. »Geben Sie Acht, ruft
er aus, der Politiker wird den Poeten aufzehren. Mit seinem
Gesänge wird 'es aus sein." „Die täglichen Reibungen und
Aufregungen" schienen ihm ,, keine Sache für die zarte Natur
eines Dichters" zu sein. Man könnte versucht sein, mit dem-
selben Bedauern von Milton's Betheiligung an den grossen
Bewegungen des öffentlichen Lebens zu sprechen. Seine
„zarte Dichternatur" gieng nicht ganz unversehrt aus dieser
Probe hervor. Sein Geist nahm eine Richtung auf streitbare
Tendenz, die der Unbefangenheit des Poeten allzuleicht
schaden konnte. Aber weit entfernt davon, dass dieser in den.
Kämpfen des Tages völlig untergegangen wäre, drängte er gleich-
sam seine ganze Kraft in sich zurück, um viele Jahre später,
als sich die Stürme der Revolution gelegt hatten, in seiner
eigenthümlichen Grösse hervorzulirechen. Auch iMilton selbst
war nichts weniger als unbefriedigt durch die Rolle, die er
auf sich genommen hatte. Er war entschlossen, das Gelübde
zu halten, zu dem er sieh einst vor seinem Gewissen ver-
pflichtet hatte: ,,in die Posaune zu stossen zu trauernder Klage
oder zu schmetterndem Schlachtruf, wie Gott es befiehlt". Und
Salmasius, 5"[
SO schickte er sich zu einem neuen Kampfe an, in dem es
galt, die Republik vor der Welt zu vertheidigen.
Das „königliche Bild" hatte der Sache des Royalismus in
England unberechenbar genützt, aber es kam darauf an, nicht
nur in England, sondern in Europa für das Haus Stuart zu
wirken. Es galt einen Schriftsteller von Talent und Hin-
gebung zu gewinnen, welcher der gestürzten Monarchie und
dem geächteten Sohne des hingerichteten Monarchen seine
Feder leihe. Dieser Mann fand sich in dem berühmten
Salmasius.*
. Claudius Salmasius, mit seinem französischen Namen
Claude Saumaise, nahm in der europäischen Gelehrtenrepublik
eine der ersten Stellen ein. Fast noch ein Knabe hatte er
in Paris die Aufmerksamkeit des Casaubonus erweckt. Wäh-
rend seiner Studienzeit in Heidelberg machte er sich bereits
als Schriftsteller bekannt und war in Gefahr, seinen schwäch-
lichen Körper den Anstrengungen seines Fleisses zu opfern.
Seine Neigungen wiesen ihn auf gelehrte und namentlich
philologische Arbeiten hin, aber dem Wunsche seines Vaters
entsprechend, nahm er eine Stelle als Advokat am Parlament
von Dijon an. Indessen, wie ihm seine Anhänglichkeit an
die reformirte Religion zum Hindernis auf der Beamtenlauf-
bahn wurde, zogen ihn auch seine eifrig fortgesetzten Studien
immer mehr von dieser ab. Man verdankte ihm eine Reihe
von Editionen und Dissertationen. War früher die klassische
Philologie der hauptsächlichste Gegenstand seiner Beschäftigung
gewesen, so strebte er danach, sich nun auch der orienta-
lischen Sprachen zu bemächtigen, und gelegentlich versuchte
er sich sogar als Poet. Im Jahre 1632 folgte er einem höchst
ehrenvollen Rufe nach Leyden, um einen Lehrstuhl auszu-
füllen, den einst der grosse Scaliger inne gehabt hatte. Seine
schriftstellerische Thätigkeit breitete sich immer weiter aus,
indem sie auch juristische, geschichtliche und theologische
Gegenstände umfasste, nicht ohne zu lebhaften literarischen
Kämpfen Anlass zu geben. Mit den bedeutendsten Gelehrten
seiner Zeit stand er in Verbindung, und mehr als einer
schmeichelte ihm in Ausdrücken ungemessener Bewunderung.
52 Salmasius. — Seine defensio regia.
Allerdings wusste man ihm auch manches nachzusagen, was
ihm nicht eben zur Ehre gereichte. Seine Schriften, ein so
unbestreitbares Zeugnis staunenswerther Gelehrsamkeit sie
ablegten, Hessen nicht selten die gehörige Ordnung und Klar-
heit vermissen. Sie glichen oft einer aufeinandergehäufteu
INIasse von Auszügen und Citaten. Wichtiges und Unwichtiges,
Erwiesenes und Zweifelhaftes war miteinander vermischt, und
der Autor schien häufig seinen vornehmsten Zweck zu ver-
gessen, um desto besser mit seiner Belesenheit und mit seinem
Gedächtnis prunken zu können. Dazu kam ein unverkennbar
hoher Grad von Einbildung, die zu einer verächtlichen Be-
handlung der Gegner führte. Man spottete darüber, dass
der Gelehrte von seinem Adelstitel — er war seigneur de
Tailly, Bonze, St. Loup — einen sehr ausgiebigen Gebrauch
machte. Endlich war es ein offenes Geheimnis, dass seine
Frau, ein Weib von herrschsüchtigem, eitlem Wesen, in seinem
Hause .vollkommen das Regiment führte und ihm manche
Verlegenheiten bereitete. Aber alles dies that seinem Ruhme
keinen Eintrag, und dieser hatte seine Höhe erreicht, als
der grosse Gelehrte sich dazu berufen sah , die neue englische
Regierung anzugreifen (^). Seine Sympathie für die Stuarts
war bekannt, und er liess sich sofort dafür gewinnen, ihre
Sache zu führen. Er gab seinem Werke den Titel einer
„Vertheidigung Karl's L", die aber zugleich eine „Vertheidigung
des Königthums" war. Unter diesem Namen erschien das Werk
Ende 1649 ohne Angabe des Verfassers „auf königliche Kosten
gedruckt"' und „an den legitimen KönigKarl HJ' gerichtet (^).
Salmasius setzte einen gewaltigen Apparat von Ge-
lehrsamkeit in Bewegung, um seiner Aufgabe zu genügen.
Es fehlte nicht viel, dass er drei und ein halbes Hundert
Seiten in Folio mit allen den Citaten aus der Profan-
und Kirchengeschichte, Bibel und Talmud, Kirchenvätern
und Klassikern, römischem und englischem Recht gefüllt
hätte, durch die sich, wie ein schmaler Pfad durch dichtes
Waldgestrüpp, der Gang seiner Beweisführung mühsam hin-
durchwindet. Indessen lässt sich dieser doch mit einiger Auf-
merksamkeit verfolgen. Auch kann nicht bezweifelt werden,
Inhalt. 53
dass der Schriftsteller aus dem Reichthum seiner historischen
und juristischen Studien den grössten Vortheil zieht, solanjje
er sich auf die Rolle des Kritikers beschränkt. Es fällt ihm
nicht schwer, die Vertrags -Theorie als eine unbeNveisbare
Fiktion zu entlarven und alle Folgerungen, die sich aus ihr
ziehen Hessen, durch die Erinnerung an gleichlautende Lehren
der „sophistischen Jesuiten" zu brandmarken. Es gelingt ihm
recht wohl, die Nutzanwendung auf die Geschichte der eng-
lischen Verfassung zu machen und zu zeigen, dass es ver-
lorene Mühe sei, alles das unter ihren Schutz stellen zu
wollen, was das Werk einer gewaltigen Revolution gewesen
war. Bedenkt man, dass Salmasius als Ausländer urtheilt
und bringt man Irrthümer in Abrechnung, welche durch den
damaligen Stand der Verfassungsgeschichte hervorgerufen
wurden, so wird man mit Achtung vor seinen Kenntnissen
erfüllt werden. Allein sobald er sich daran macht, selbst
etwas Positives zu schaffen, zeigt sich seine Schwäche.
Die staatsrechtliche Begründung der Monarchie , die er
verficht, ist nicht minder willkürlich als diejenige, die er be-
kämpft. Aber wenn jene die mystische Weihe des Königs
aufhebt, so entwürdigt diese die Natur des Menschen. Das
erbliche Königthum muss schlechterdings einen ülierirdischen
Ursprung haben, und das Princip der Legitimität wird dem
Stahl des siebzehnten .Jahrhunderts ebenso zum theologischen
Dogma, wie die Alleingiltigkeit der Episkopalverfassung den
Land und Neile oder die Alleingiltigkeit der Presbyterial-
verfassung den Henderson und Baillie. Auch in dem ersten
Königthum , das anscheinend rein menschlich aus der patri-
archalischen Familiengewalt erwachsen gedacht wird, wirkt
eine übernatürliche Kraft, und in allen Fällen, mittelbar oder
unmittelbar, bleibt „Gott die erste Ursache der Könige". Mit
unbarmherziger Konsequenz werden die Folgen dieses Princips
entwickelt. Der König steht über dem Gesetz, niemandem
verantwortlich denn allein Gott. Kein menschlicher Richter
darf den zur V'erantwortung ziehn, „der alle richtet", keine
menschliche Hand dessen Macht zurückfordern, der sie von
Gottes Gnaden hat. Auch „schlechte und ungerechte Könige",
54 Inhalt.
als eingesetzt von Gott, sind zu ertragen. Ein König schuldet
keinem Menschen Rechenschaft, auch wenn er die Eide bricht,
deren Wahrung er selbst zur Bedingung für den Gehorsam
der Unterthanen gemacht hat. Ein König bleibt straflos,
auch wenn er „Ehebrecher oder Mörder" ist. Es giebt nur
ein Verhältnis, das dem des Unterthanen zum König ent-
spräche: es ist das Verhältnis des „Sklaven zu seinem
Herren".
Mit dieser Palette an der Hand liess sich ein Bild der
englischen Verfassung entwerfen, wie es den kühnsten Wün-
schen des Hauses Stuart entsprach. Der „König über dem
Parlament", seine Gewalt „ununterbrochen und regelrecht"
auch ohne dasselbe, „unabhängig in Sachen der Religion und
kirchlichen Jurisdiktion, der Rechtspflege, des Krieges und
Friedens", vollkommen befugt, von sich aus eine Steuer wie
z. B. das Schiffsgeld aufzulegen. Den Besitz einer so um-
fassenden Gewalt hatte Karl I. dem Autor zufolge in idealer
Weise ausgenutzt. Die Welt hatte keinen „unschuldigeren,
gerechteren" Fürsten gesehen als ihn. Seine Herrschaft war
„unblutig". Ein einziges Todesurtheil , das unter ihm gefällt
wurde, milderte seine Gnade. Unter allen Tugenden, mit
denen er geschmückt war, stachen seine „Aufrichtigkeit" und
seine „Treue" hervor. Wie er nach Christi Gesetz gelebt
hatte, so endete er, jenem grössten Märtyrer vergleichbar, der
auch die Verzeihung Gottes auf seine Mörder herabflehte.
Wer die historischen Thatsachen für ein Gebiet in dieser
Weise zurechtzustutzen weiss , von dem ist nicht zu erwarten,
dass er auf einem anderen glimpflicher mit ihnen umspringe.
In der That ist nichts aufi"allender , als der Mangel an Ver-
ständnis für die Bedeutung der kirchlich -politischen Frage,
der sich in Salmasius zeigt. Er, auf dessen theologische
Schriften die Puritaner einst stolz gewesen waren, wird über
Nacht zu einem Verfechter des Episkopalsystems. Er wird
es, wie er später naiv genug gestanden hat, vorzüglich des-
halb, weil er als Vertheidiger des Königs es werden musste,
aber auch durch die „Erfahrung" eines besseren belehrt und
immerhin in gemässigtem Sinn (^). Obwohl er zugesteht, dass
Inhalt. 55
die „ersten vier Akte des Dramas" den Presbyterianern zu
danken seien, gilt doch sein ganzer Hass den Independenten,
welche den „Schluss der Tragödie*' hinzugefügt haben. Er
lässt sich die Mühe nicht verdriessen , ihre Geschichte auf
holländischem, amerikanischem, englischem Boden zu ver-
folgen, aber seine Erzählung kann nicht als befriedigend
gelten. Er macht auch den Versuch, ihre Principieu zu ent-
wickeln, aber es ist ihm unmöglich, sie in ihrer Reinheit zu
würdigen. Der Name Independenten scheint ihm daher zu
stammen t dass die Sekte nach einer vollständigen Zügellosig-
keit strebt. Mrs. Hutchinson, von deren Schicksalen in
Neu-England er Kunde hat . wagt er mit Johann von Leyden
zu vergleichen. Den Gottesdienst der Independenten, bei
dem nach Belieben geplaudert und geraucht wird, ihre Moral,
welche den „Heiligen" gestattet, ,,was bei anderen als Sünde
gilt'', weiss er drastisch zu schildern und mit pikanten Bei-
spielen zu belegen. Dass sie Gütergemeinschaft anstreben,
steht fest, was sie sich gegen die Keuschheit erlauben, ist
dem Autor aus einem bestimmten Falle bekannt geworden.
Am schwersten wird es ihm abei-, sich in das independen-
tische Princip der Gewissensfreilieit zu finden. Er hält fest
an dem Satze, dass „wer eine Ketzerei duldet, sie auch be-
geht". Dem Einzelnen „volle Freiheit geben in Sachen der
Religion zu glauben, was er will, und zu lehren, was er
glaubt" , gilt ihm als etwas „Ungeheuerliches". Die ganze
Gesellschaft löst sich damit auf, die festen bürgerlichen Ver-
bindungen werden sich lockern, man wird Nomaden gleich
,.nur noch in Zelten wohnen wie die alten Numidier".
Es wäre gut gewesen, wenn wenigstens die Form der Schrift
des Salmasius gegen mögliche Angriife geschützter gewesen
wäre als ihr Inhalt. Der Autor hätte seiner Sache nur nützen
können, wenn er bei seinem Vorsatz geblieben wäre, den
,. König zu vertheidigen durch einfache Erzählung des Her-
gangs" und auf alle ,, rhetorische Schminke" völlig zu ver-
zichten. Aber statt einfach zu erzählen, nahm er sich he)-aus
gröblich zu schmähen, und statt sich der rhetorischen
Schminke zu begeben, trug er die Farben faustdick auf. Es
56 Form. — Milton mit der Erwiderung beauftragt.
war richtig, dass ein Process, wie der jüngst erlebte, in dem
ein „legitimer, christlicher, reformirter Fürst von seinen Unter-
thanen angeklagt und verurtheilt worden", seines gleichen
nicht hatte. Aber es war eine hohle Phrase, den kommenden
Geschlechtern zuzumuthen, das Ereignis mit derselben Skepsis
zu betrachten wie die unglaublichen Wunderzeichen „sprechen-
der Ochsen" oder „rückwärts fliessender Ströme', von denen
die alten Chronisten berichten. Es war begreiflich, dass
alles, was der „glorreiche Märtyrer" verschuldet hatte, mit
Stillschweigen bedeckt, und alles, was seine Gegner vollführt
hatten, verzerrt und entstellt wurde. Aber es war unnöthig,
sie als ,,gTässliche Ungeheuer", als ,, wilde Thiere in Menschen-
gestalt", als eine „Pest" der Gesellschaft zu brandmarken.
Weit entfernt davon, sich mit einer Aufzählung der gewalt-
samen Massregeln zu begnügen, denen die Republik ihre
Entstehung und ihre Fortdauer verdankte, predigte der hitzige
Professor mit derselben Leidenschaft wie nach ihm Burke
gegen das revolutionäre Frankreich, einen förmlichen Kreuz-
zug gegen das neue Gemeinwesen in England. Er wendet
sich an alle Könige und Fürsten , ja überhaupt an alle Staats-
gewalten Europas. Denn ,,jene Feinde des menschlichen Ge-
schlechts", jene „tollen Hunde" sieht er darauf ausgehn, nicht
allein das Königthum, sondern alle Gesetze abzuschütteln, und
das nicht nur für sich, sondern um alle christlichen Völker
zu gleichem fortzureissen.
Die politische Kapuzinade des berühmten Gelehrten, den
man unter der Maske der Anonymität versteckt wusste,
machte ausserordentliches Aufsehn. Sobald der englische
Staatsrath Kunde davon erhielt, dass Exemplare des Buches
von Holland aus eingeführt werden sollten, gab er strengen
Befehl, sie mit Beschlag zu belegen (29, November 1649).
Aber damit wollte er sich nicht beruhigen. Er hielt es für
nöthig, wie kurz zuvor nach dem Erscheinen des „könig-
lichen Bildes", eine officielle Gegenschrift in Umlauf zu setzen.
Und welche Feder wäre geeigneter für eine solche Aufgabe
erschienen als diejenige, die eben erst ihr Bestes gethan
hatte, den Wirkungen jener royalistischen Veröffentlichung
Milton mit der Erwiderung beauftragt. 57
entgegenzuarbeiten? Der Staatsrath war einstimmig. Schon
am 8, Januar erliielt Milton den Auftrag, „etwas zur Er-
widerung gegen Salmasius' Buch vorzubereiten". Viele
riethen ihm ali, sich mit einem Gegner von so grossem Namen
zu messen. Aber eben dadurch fühlte er sich um so mehr
gereizt. Seine Arbeit gieng langsam von statten, wie er in
der Vorrede seiner Schrift bemerkt, theils weil ihn Fülle der
Geschäfte, theils weil ilm körperliches Leiden vom "Werke
abzog. Am 23. December 1650 konnte erst der Befehl für
den Druck ertheilt werden. Ende Februar oder Anfang März
1651 wird das Werk ausgegeben worden sein. Es schloss sieh
schön im Titel: „Vertheidigung des englischen Volkes" der
gegnerischen Vorlage an(0. Auph war hier gleichfalls der
Gebrauch der lateinischen Sprache, als des internationalen
Idioms, von selbst geboten. An einer sofortigen Uebersetzung
in's Holländische konnte es ohnehin nicht fehlen. Seinen
Namen zu verschweigen, hielt Milton für unwürdig. Auch
durfte er stolz darauf sein, in diesem Falle jede Belohnung
in klingender Münze ausgeschlagen zu haben. Es findet sich
allerdings in dem Protokollbuch des Staatsraths ein noch
lesbarer Eintrag, demzufolge der Sekretär ,, wegen der guten
Dienste, die er in seiner Erwiderung des Salmasius geleistet,"
mit dem Danke des Staatsrathes die Summe von „100 i^"
erhalten sollte. Allein eben dieser Eintrag ist kassirt und
ein anderer an seine Stelle getreten, der keine Silbe von
einem Honorar enthält, dafür aber den Dank in noch höf-
lichere Foi-men kleidet. Milton war daher ganz in seinem
Rechte, wenn er später den Vorwurf zurückwies, dass er
diesen Anlass benutzt habe, sich zu bereichern, während er
seinen Gegner oft genug hören lässt, dass er sich „mit 100
Jakobsthalern'' habe erkaufen lassen ^).
Er hatte noch seine besonderen Gründe, in der Be-
kämpfung des Salmasius eine persönliche Aufgabe zu sehn.
Sein Name war allerdings in dem Werke des leydener Pro-
fessors nicht genannt worden. Wenn dieser sich an einen be-
stimmten „Advokaten der fanatischen englischen Hunde"
gehalten hatte, .so war darunter der „infame" John Cook ge-
58 Seine „erste Vertheidigung des englischen Volkes".
meint, der durch den Druck veröffentlicht hatte, was im
Process des Königs auszuführen ihm versagt gewesen war.
Allein einige Stellen der Saumaise'schen Schrift konnte der
Autor des „Rechtes der Könige und Obrigkeiten" und des
„Eikonoklastes" unschwer auf sich beziehn. Er hatte zu den
„Schwärmern" gehört, welche die Worte des Apostel Paulus
über den göttlichen Ursprung der Obrigkeit in eben der
„fanatischen" Weise ausgelegt hatten, die Salmasius' Zorn
erregte. Er konnte als der „Gewisse aus der Sekte der In-
dependenten" gelten, welcher den Presbyterianern zu Gemüth
geführt hatte, dass „der König in Karl I" schon von ihnen
getödtet worden sei. In jedem Fall hatte er als Publicist für
die Sache der jungen Republik schon eine allzu hervorragende
Stellung eingenommen , als dass er sich mit ihren Leitern
nicht auch persönlich durch die Schmähungen des Salmasius
hätte verletzt fühlen sollen. In gehobener Stimmung machte
er sich an's Werk. Er gestand sich ein, dass er nicht von
„kleinen und gewöhnlichen Dingen" zu reden haben werde.
„Zu allen Völkern des Erdkreises" sollte seine Vertheidigung
der eigenen Nation erschallen. Dass man ihn vor allen zu
diesem Amte erwählt habe, erfüllt ihn mit Stolz, aber er
bittet zugleich demüthig den „Spender aller Gaben" um
Kraft, auf dass ihm sein neues Unternehmen ebenso wohl ge-
linge, wie kurz zuvor die Zertrümmerung des falschen Kö-
nigsbildes.
Dem Schriftsteller des siebzehnten Jahrhunderts war es
nicht möglich, sich auf dieser reinen Höhe zu halten. Bei
allem Bestreben, seihe Sache mit möglichster Würde zu füh-
ren, verfiel er fortwährend in die schlechten Sitten literari-
scher Klopffechterei. Was Lessing ein Jahrhundert später
vom Kritiker forderte, niemals verrathen zu dürfen , ,,dass er
von seinem Autor mehr wisse, als ihm die Schriften desselben
sagen können", hatte für die damalige Zeit am wenigsten
Geltung. Milton vergass schon auf den ersten Seiten, dass
er mit einem feierlichen Gebet zum Allmächtigen begonnen
hatte, um sich an sehr menschlichen Persönlichkeiten, die
nicht zur Sache gehörten, recht wohl sein zu lassen.
Form. Persönliche Anzüglichkeiteu. 59
Vor Jahren, in seiner Schrift über das Wesen der Kir-
chenverfassung, hatte er keinen Anstand genommen, den „Fleiss
des gelehrten Salmasius'' zu rühmen. { W. IIL 122.) Diese Stelle
hatte er schwerlich noch im Gedächtnis, als er „den fremden
Deklamator", den „elenden Professor", den „Grammatiker" voll
von ,,Thorheiten und Kindereien", den „geschwätzigsten Esel",
vor der gelehrten Welt an den Pranger zu stellen unternahm.
Es leidet nach seiner Ansicht gar keinen Zweifel, dass Sal-
masius, durch ,,G*eld bestochen", gegen seine bessere Ueber-
zeugung geschrieben habe. Eine „Börse mit hundert Gold-
stücken gespickt" hat ihn über Nacht zu einem Verfechter
der Absolutio und des Bisthums gemacht, und was er ge-
schrieben, ist daher nur Emigranten-Weisheit, deren „verleum-
derischer und lügenhafter" Inhalt ihm in die Feder „diktirt"
worden ist. Nicht genug damit die schriftstellerische Selbst-
ständigkeit seines Gegners zu läugnen, sucht Milton ihn auch
noch wegen seiner häuslichen Abhängigkeit lächerlich zu
machen und die politische Gesinnungslosigkeit, deren er ihn
zeiht, daraus abzuleiten. Das Wortspiel, zu welchem das la-
teinische „Gallus" mit seinem Doppelsinn aufforderte, mochte
sich Milton nicht entgehen lassen. Dieser „Gallier", mit dem
er es zu thun hat, erscheint ihm nicht als ein Hahn, der über
den Hühnerhof herrscht, sondern als ein Sklave seiner Henne.
„Man sagt, dass deine Frau königliche Gewalt über dich
ausübt. Sie ruft dir zu, wann sie will: ,,,, Schreib oder es
setzt Schläge"" . . . und es ist kein Wunder, dass du allen
ausserhalb deiner vier Wände das Joch der Tyrannei aufge-
legt wissen möchtest, der du selbst im Hause die schmählichste
Knechtschaft erträgst" . . „0 über dich Zuchthausritter und
ewige Schmach deines Vaterlandes! Die niedrigsten Knechte
auf dem Sklavenmarkte sollten auf einen so schändlichen
Fürsprecher der Sklaverei und Seelenverkäufer mit Abscheu
speien, keine bürgerliche Gesellschaft sollte dich unter sich
aufnehmen, dich, die Pestbeule der Menschheit und den Schand-
fleck der Freiheit".
Stellen wie diese sind noch bei weitem nicht das Stärkste,
was Milton's ungezügelte Leidenschaft ihm eingiebt, aber sie
60 Polemik gegen philologische Pedanterie.
gewähren einigermassen einen Begriff von der verletzenden
Sprache, zu der er sich hinreissen liess. Eine andere Seite
der Persönlichkeit seines Gegners, gegen die er seine Pfeile
des Zornes und Hohnes versendet, ist dessen Gelehrteneitel-
keit, die so deutlich in der „Vertheidigung des Königs" her-
vorgetreten war. Selbst ein Mann der Studirstube und auf
den verschiedensten Gebieten des Wissens wohlbewandert,
hat Milton doch keine Gelegenheit vorübergehn lassen, sich über
den Standesdünkel der gelehrten Kaste lustig zu machen und
die Rechte des einfachen Mutterwitzes in Schutz zu nehmen.
Zu gleicher Zeit kommt aber gegenüber dem philologischen
Pedanten etwas von jenem bitteren Gefühl zum Ausdruck,
das einst in der Schrift über die Erziehung sich Luft ge-
macht hatte. Er freut sich, dem berühmten Latinisten einige
sprachliche Schnitzer aufmutzen und dem Kenner der klassi-
schen Literatur die Unrichtigkeit eines Gitats nachweisen zu
können. Er geht so weit, auch die dauernden wissen-
schaftlichen Verdienste seines Gegners zu verkennen. „Du
hast dich zeitlebens mehr mit Wörterbüchern und Glossarien
abgegeben, als mit verständiger Lektüre guter Autoren.
Von verschiedenen Handschriften und Lesarten und Emenda-
tionen machst du grossen Lärm, aber an soliden Kenntnissen
zeigst du dich völlig baar . . Ueber die kleinsten Kleinigkei-
ten führst du Krieg und thust jeden in den Bann, der dir
den Ruhm der Wiederherstellung eines Buchstabens in irgend
einem Codex zu bestreiten wagt . . Aber ich sage dir, irgend
ein Mensch aus der Hefe des Volkes — diese Bezeichnung
hatte Salmasius den englischen Republikanern zugeschleu-
dert, — der des Glaubens ist, für Gott und sein Vaterland,
aber nicht für seinen König geboren zu sein, er ist gelehrter,
weiser, ehrenhafter und ein nützlicheres Mitglied der Gesell-
schaft als du. Denn er ist verständig ohne Gelehrsamkeit,
du aber hast Gelehrsamkeit ohne Verstand. Du kannst so
viele Sprachen und hast so viele Bände durchgelesen und bist
doch ein Dummkopf geblieben."
Für denjenigen, der sich an dieser allgemeinen Charak-
teristik des Salmasius genügen liess, musste das Werk, um
Eücksicbt auf Presbyterianer und Niederländer. 61
das es sich handelte, schon gerichtet sein. Indessen Milton
nimmt sich die Mühe, es im einzelnen zu zergliedern, seine
Unrichtigkeiten aufzudecken, seine Widersprüche blosszulegen,
vor allem seine Grundansicht zu bekämpfen. Er thut es mit
grossem dialektischen Geschick, mit wirksamen Uebergängen
des Tones vom Pathetischen zur Ironie und ohne in der
Hitze des Kampfes die praktischen Zwecke aus dem Auge zu
verlieren, denen seine Arbeit dienen sollte. Auf presbyteria-
nische Leser konnte es seine Wirkung vielleicht nicht ganz
verfehlen,* wenn sie sich aus Salmasius' eigenen Worten nach-
weisen lassen mussten, was für ein Schicksal die Restauration
der Stuarts so manchen jener gesetzgeberischen Akte bereiten
würde, bei denen sie selbst einst eifrig mitgewirkt hatten.
Auf das niederländische Publikum war es berechnet, wenn
auch hier wieder des Befreiungskampfes gegen Spanien rüh-
mend gedacht ward, während die „batavische Jugend" von
jenem ,, Sophisten" hören niusste, dass die elendeste Tyrannei
jeder Revolution vorzuziehen sei. Die Universität Leyden
insbesondere wird als „einstiger Sitz der Freiheit" hoch geprie-
sen. Es scheint dem Autor kaum glaublich, dass in ihren
Mauern ein Buch von so „sklavischer" Tendenz hat entstehen
können. Freilich springt Milton auch hier wieder nicht we-
niger frei mit den Thatsachen um, wie in den übrigen politi-
schen Schriften, die er bisher für die Republik verfasst hatte.
Es wäre eben so verfehlt, sich bei ihm Rathes erholen zu
wollen über die Ereignisse, die seiner eigenen Zeit angehört
hatten wie über die Geschichte der Verfassung seines Landes.
Im einen Fall spricht der Puritaner, dem es nicht möglich ist,
Dichtung und Wahrheit, zu scheiden , im anderen der Theo-
retiker, der sich die staatsrechtliche Ueberlieferung willkürlich
nach dem Bedürfnis seiner Doktrin zuschneidet. Allein eben
diese verleiht dem ganzen Buche das hauptsächliche Interesse.
Denn was früher nur in leichten Umrissen skizzirt worden
war, erscheint hier in festen Zügen genauer ausgeführt, da es
sich darum handelt, der Lehre des Salmasius eine andere
gegenüberzustellen.
Q2 Der Gegensatz der Principien.
In dei' That , was ]\Iilton in seinem Widersacher be-
kämpfte, war nicht dessen persönliche Ansicht, sondern die
Zusammenfassung jener politischen Grundsätze, die schon oft
in England eine Widerlegung hervorgerufen hatten. In glei-
cher Weise wie der Professor von Leyden hatte das anglika-
nische Hochkirchenthum dem unumschränkten Königthum das
Wort geredet. Mit derselben Xaivetät wie er hatte der loyale
Verfasser einer kleinen Flugschrift 1647 das Dasein monar-
chischer Ordnung im ganzen Bereich der Natur nachzuweisen
gesucht und daraus geschlossen, dass die Könige, als unmittel-
bar von Gott eingesetzt, nöthigenfalk auch als Strafe Gottes
zu ertragen seien (^). Ihre Spitze erhielt diese Richtung in
Robert Filmer. Dessen Hauptwerk „Patriarcha" wurde frei-
lich erst 1680 bekannt. Aber schon vor Begründung der Re-
publik war er bestrebt gewesen, seine Leser von der „Noth-
wendigkeit der absoluten -Macht aller Könige und insbesondere
des Königs von England'", sowie von der „Anarchie einer ein-
geschränkten oder gemischten Monarchie" zu überzeugen.
Auch hat es Filmer an seinem Widerspruch gegen die staats-
rechtliche Theorie Milton's nicht fehlen lassen (-).
Der Ausgangspunkt dieser Theorie und der Theorie des
Salmasius ist scheinbar der gleiche, der theologischen Denk-
und Sprechweise des Zeitalters entlehnt: „die Obrigkeit hat
ihren Ursprung von Gott". Es ist dieselbe Formel, mit der
einst Luther das selbstständige Recht des Staates gegenüber
der mittelalterlichen Anschauung in Schutz genommen hatte.
Aber während Salmasius daran gelegen ist, einer bestimmten
Staatsform, der monarchischen, dies Monopol zu sichern, fasst
Milton den Satz in dem allgemeinen Sinne auf, wie er von
Haus aus gemeint war. Er hütet sich, eine weitere Ver-
mischung von Theologie und Politik vorzunehmen. „Die
Obrigkeit geht insofern auf göttliche Einsetzung zurück", als
nach Gottes Willen die Menschen in Staaten unter Gesetzen
leben sollen. Eine prädestinirte , unter allen Umständen von
Gott gewollte Staatsform giebt es aber nicht. Bei der ..Ent-
scheidung über diese oder jene Art der Verfassung, bei der
Wahl dieser oder jener Regiemng" beginnt das freie mensch-
Menschlicher Ursprung der einzehien Staatsverfassungen. ßg
liehe Ermessen, ausgedrückt durch den Willen des „Volkes".
Von diesem „floss von Anfang an alle Gewalt, wie sie noch
heute von ihm ausgeht". Dem gründlichen Kenner des alten
Testamentes bieten sich alle jene so häufig angerufenen, von
antimonarchischem, ja republikanischem Geist durchdrungenen
Aussprüche als Hilfstnippen dar. Aber nicht weniger lässt
er sich angelegen sein, das Evangelium gegen Versuche einer
Auslegung in Schutz zu nehmen, die nicht zum ersten und
nicht zum letzten Male einer bestimmten politischen Idee ihre
wohlberecfinete Unterstützung lieh. „Jene göttliche Botschaft
der. Freiheit" kann nicht für die Sache der über jeden An-
griff erhabenen Monarchie angerufen werden. Im Gegentheil:
„Christen sollten entweder gar keinen König haben, oder er
sollte der Diener des Volkes sein".
Den Beweisen aus der Bibel war bei Salmasius der Beweis
aus der Natur gefolgt, dem Beweis aus der Natur der Beweis
aus der Geschichte. Auch hier giebt Milton dem Gegner
keinen Schritt breit nach. Es war ebenso kindlich wie be-
quem, den absoluten Werth der Monarcliie durch gewisse
Analogieen aus dem Thierreich zu begründen. Es war ebenso
geschmacklos wie verfänglich zu gleichem Zweck mit sicht-
lichem Behagen bei der Geschichte des orientalischen Alter-
thums zu verweilen. Dem Naturgesetz , welches sich dort
offenbaren sollte, stellt Milton ein anderes gegenüber: den
angeborenen Trieb, sich seiner Haut zu weliren. Dem Hin-
weis auf das vermeintliche Gesetz der Geschichte begegnet
er durch die Bemerkung: „Was Natur und Vernunft erhei-
schen, das lehrt uns die Betrachtung nicht der meisten , son-
dern der weisesten Nationen". Dass Griechen und Römer an
deren Spitze stehen , versteht sich für den begeisterten Ver-
ehrer des klassischen Alterthums von selbst. Und indem er
sie jenen grossen Despotieen des Ostens gegenüberstellt, die
für Salmasius' Beweisführung hatten dienen müssen, gelangt
er seinerseits unvermerkt dazu, republikanischen Einrichtungen
das Wort zu reden. Mit seiner Hinneigung zur Antike ver-
binden sich stolze Erinnerungen an gemeinsame politische
Urbegriffe der Germanen und an die eigenthümliche bürgerliche
g^ Befürwortung der Eepublik.
Entwickelimg der Engländer insbesondere. Von ihnen rühmt
er, dass sie „freigeboren sind, sich selbst genügen, sich nach
ihrem Willen Gesetze geben können und dass sie vor allen übrigen
jenes älteste, von der Natur selbst gegebene am höchsten
achten: dass jedes Recht und jede Regierung der Wohlfahrt
aller guten Bürger und nicht den Gelüsten einzelner Herr-
scher zu dienen habe-'. Allerdings er verwahrt sich ausdrück-
lich dagegen, der Monarchie an sich diesen Charakter zuzu-
schreiben. Sie kann sich sehr wohl „mit der höheren Macht
der Gesetze und des Volkes" vertragen. Aber immerhin be-
trachtet er es als ein Zeichen von ,. Schlauheit und Schwäche",
wenn ein Volk sein .,Hab und Gut, Freiheit und Frieden"
nicht durch eigene „Tüchtigkeit, Fleiss, Klugheit und Energie"
zu schützen im Stande ist.
In der That war es begreiflich, wenn er, dem Gedanken
einer alleinseligmachenden Staatsform entgegentretend, für
die republikanische dennoch die Vorbedingungen einer höheren
Bildung' voraussetzte und ihr selbst damit eine erhabenere
Stufe anwies. Denn den menschlichen Ursprung der einzeU
nen Verfassungsformen einmal zugegeben, scheint ihm die
monarchische gleichsam nur ein Nothbehelf zu sein. Sie ent-
stammt einer Epoche niederer Kultur, da das Volk es für ein
Bedürfnis hielt, „einen Einzigen zur Wahrung des Wohles, des
Friedens und der Freiheit aller an die Spitze zu stellen". Er
spricht nicht ausdrücklich von einem „Kriege aller gegen
alle", der dem Abschluss politischer Verträge vorangegangen
sei. Aber seine Worte streifen, wie in der Schrift über das
Recht der Könige und Obrigkeiten, doch nahe an diese Phrase.
Allein es soll nicht gesagt sein, „dass das Volk dem Könige
seine Macht einfach (ohne Bedingung) zu eigen gegeben habe",
ja es kann ,,der Natur nach" nicht gesagt sein. Denn wie
diese sich „durch die Mittheilung einer Kraft keineswegs er-
schöpft", so bleibt „sozusagen virtuell die Macht beim Volke,
auch wenn sie von diesem einem anderen übertragen worden
ist''. „Das Volk ist immer das Höhere". Wird der Zweck
nicht erreicht, der den Akt der Machtübertragung hervorge-
rufen hat, so „kehrt diese Macht zum Volke zurück", das
Idee der Volkssouveränetät. — Der Volksbegriff. 65
fiüher Geschehene ist einem , .nichtigen Vertrage" gleichzu-
aehten.
Es war nicht möglich, die Idee der Volkssouveränetät
entschiedener zu betonen. Trotz der biblischen Einkleidung
bricht sie mit eben der Verständlichkeit durch, mit der sie
ein Jahrhundert später durch Rousseau den modernen Leser
zu packen gewusst hat. — Hier drängte sich nun aber die Frage
auf, wer unter dem Volke zu verstehen sei, zu welchem die
Macht zurückkehre, und durch welche Organe es sieh dieser
wieder heimgefallenen Macht zu bedienen habe. Der Ver-
theidiger der englischen Republik bemhrte damit ein gefähr-
liches Thema. Wollte er sich auf den Begiiff der Mehrheit
stützen, so musste er dem Einwurf begegnen, dass sie nicht auf
seiner Seite stehe. Wollte er auf die Institution des Parla-
ments zurückgreifen, so musste er sich sagen lassen, dass sie
mit dem Wegfall der Lords ihr Wesen verändert habe. Und
selbst wenn er sich darauf beschränkte, im Hause der Ge-
meinen die Souveränetät des Volkes verkörpert zu sehn, so
Hess sich die Erinnerung an den gewaltsamen Eingriff in den
Bestand dieser Versammlung nicht abweisen. Salmasius hatte
alle diese schwachen Seiten sehr wohl zu fassen gewusst. Er
hatte gefragt, „was man sich denn unter dem Volke zu den-
ken habe'^ Er hatte hervorgehoben, wie das Unterhaus
schmähhch verstümmelt, das Oberhaus mit dem König dem
Untergang geweiht worden sei. Er hatte geradezu erklärt,
dass nichts mehr übrig geblieben sei als „der Schatten eines
Parlamentes", und dass in Wahrheit nur noch die rohe Ge-
walt des Säbels herrsche. Hier war ein klaffender Riss
zwischen der Wirklichkeit und zwischen der Theorie vorhan-
den, und keine noch so gewandte Dialektik war im Stande,
ihn zu überbrücken. Indem Milton sieh dennoch genöthigt
sieht, diesen vergeblichen Versuch zu unternehmen, beginnt
er mit einer Erklärung des Volksbegrififes , die man um so
mehr beachten wird, je deutlicher man sich der herben Worte
eiinnert, die er im Eikonoklastes gegen die „grosse Masse"
hatte fallen lassen. „Du scheinst zu meinen — ruft er sei-
nem Geg-ner zu, — dass wir unter Volk nur die Plebs ver-
Stern, Milton u. s. Z. II. 3. 5
QQ Der VolksbegiüfF. — Hervorhebung des dritten Standes.
stehn, weil wir das Haus der Lords abgeschafft haben. Und doch
beweist eben dies, dass wir mit dem Worte Volk alle Bürger
jedes Standes zusammenfassen. Daher haben wir eine höchste
Versammlung geordnet, in der auch Adlige, als Mitglieder
des Volkes, Sitz und Stimme haben können, aber nicht aus
eigenem Recht wie früher, sondern als Vertreter ihrer Wäh-
lerschaften. Du ziehst auf die Plebs los, nennst sie blind und
dumm, unfähig zur Regierung und behauptest, nichts sei win-
diger, eitler, unbeständiger und unzuverlässiger als sie. Das
alles passt Tortrefflich auf dich und in der That auch auf den
gemeinen Pöbel, aber nicht 'auf den Mittelstand (de media
non item). Unter ihm sind sehr viele höchst verständige und
geschäftskundige Männer. Die anderen werden theils durch
Luxus und Ueberfluss, theils durch Mangel und Noth von
männlicher Tugend und Einsicht in die staatlichen Angelegen-
heiten abgehalten."
Wie man sieht, zeigt sich Milton der Ausdehnung politi-
scher Berechtigung über eine gewisse Grenze innerhalb der
Masse der Staatsbürger ebenso abgeneigt wie der Erhaltung
gewisser Privilegien von Stand und Geburt. Man hat mit gutem
Grunde in seinen Worten den Kern jenes Gedankens gefun-
den, welchem der Abbö Sieyes am Vorabend der französischen
Revolution die einschneidende, epigrammatische Form gegeben
hat. Es ist der dritte Stand, der sich an die Stelle der bis-
herigen Gewalten setzt. Die von ihm gewählten Vertreter
erscheinen Milton als alleinige sichtbare Träger der Souverä-
netät des Volkes, und er scheint in keiner Weise zu besor-
gen, dass eine solche einzige „omnipotente" Versammlung
ihrerseits nicht weniger tyrannisch auftreten könne, wie der
unumschränkte Träger einer Krone. Dem Hause der Lords
M'urde damit die Berechtigung des Daseins abgesprochen.
Seine Mitglieder „vertraten nur sich selbst, standen, nicht aus
Wahl hervorgegangen, in keinem Rechtsverhältnis zum Volk".
„Das Haus der Gemeinen bildete für sich allein ein vollstän-
diges und gesetzmässiges Parlament". Und wie hier Milton's
Theorie den Thatsachen sich anzupassen weiss, so schreckt
er nicht davor zurück, auch den Akt der Gewalt in Schutz
Quellen der Milton'schen Theorie. 67
ZU nehmen, der doch sichtlich einem Hohn auf den Begriff
pariamen tarischer Autorität gleich kam, ^Der eine Theil des
Parlamentes erstrebte die Knechtschaft und einen Frieden um
jeden Preis, der andere die Freiheit und einen Frieden, der
sicher und ehrenvoll wäre". Dies war der „gesundere Theil".
Es war nur zu billigen, wenn dieser, um dem „Verrath des Vater-
landes" entgegenzutreten, die Hilfe des „tapfersten und treue-
ßten Heeres" anrief. Und so gewinnt Milton es über sich,
auf Salmasius' Frage, ob „das Volk" es gewesen, welches das
Unterhaus' verstümmelt habe, zu antworten: „Es war das
Volk. Denn was der bessere, gesundere Theil des Parla-
mentes that, bei dem die wahre Macht des Volkes ihren Sitz
hatte, davon darf ich sagen, dass das Volk selbst es ge-
than hat."
Der Biograph einer bedeutenden Persönlichkeit kann sich
nicht damit begnügen, diese für sich zu betrachten, abgelöst
von dem Boden, auf dem sie erwachsen ist. Er wird den
verschiedenen Bildungselementen nachgehn, die zur Entwick-
lung des einen Genius beigetragen haben und zu sondern
suchen, was diesem von Haus eigenthümlich ist, und was er
der Einwirkung von aussen verdankt. Diese Vorschrift, an-
gewandt auf die Biographie Milton's, hat eben so wohl Giltig-
keit für die Würdigung des Politikers wie für die Würdigung
des Dichters. Wer Milton's politische Schriften durchliest,
wird sich mit Leichtigkeit davon überzeugen, dass sich der
Grundstock seiner politischen Ansichten über den Staat aus
zwei Bestandtheilen zusammensetzt. Der eine dient mehr
zur Bildung seiner allgemeinen Ideen. Der andere bestimmt
sein Urtheil über die besonderen Verhältnisse seiner Nation.
Es sind die Schriftsteller des klassischen Alterthums und die
staatsrechtlichen Versuche heimischer Autoren, bald Aristo-
teles und Cicero, bald Fortescue und Sir Thomas Smith, auf
die er sich ausdrücklich beruft oder deren Aeusserungen er
umschreibt. Indem er sie mit gewissen Aussprüchen der
Bibel in Verbindung setzt, ahmt er eben das Verfahren nach,
welches er bei der Gestaltung seines poetischen Stils durch
63 Schriften der Jesuiten.
Verschmelzen biblischer, antiker und moderner Bestandtheile
mehr oder weniger bewusst befolgt hatte. Man fühlt sich in-
dess zu der Frage gedrängt, ob nicht noch näherliegende
Quellen vorhanden waren, denen jene Anschauung von der
Souveränetät des Volkes mit allem, was sich aus ihr ergab,
entfliessen mochte. Bedenkt man, dass Milton mit Hugo Gro-
tius persönlich bekannt war und nicht minder seine Werke
hochschätzte, so ist man versucht zu fragen, ob nicht das
„Recht des Krieges und des Friedens" ihm eine bedeutende
Anregung gegeben habe. Allein wenn sich hier auch die Theorie
angedeutet fand, nach welcher ein Vertrag der Einzelnen den
Staat begründet haben sollte, so wird doch aufs entschie-
denste Verwahrung dagegen eingelegt, dass die Souveränetät
überall und ausnahmslos beim Volk beruhe, sodass eine Be-
strafung tyrannischer Fürsten erlaubt sei ^).
Verführerischer wäre es, an gewisse Werke der Jesuiten
zu denken, die für die Ausbreitung jener Lehre eine so grosse
Bedeutung gehabt haben. Anknüpfend an dieselbe Idee, zu
deren Dolmetscher sich bereits Lainez auf dem Koncil von
Trient gemacht hatte, waren namentlich Bellarmin, Rosseus
und Mariana mit ebenso viel Eifer wie Geschick bemüht ge-
wesen, eine Theorie zu entwickeln, die überaus geeignet war,
gewaltige Kräfte und Leidenschaften für die Zwecke ihres
Ordens in Bewegung zu setzen-). Dass die Regierung nur
im allgemeinen Sinn, aber nicht nach ihrer besonderen Form
göttlichen Ursprungs sei, dass die Gewalt in der gesammten
Menge ruhe und von ihr auf einen oder mehrere übertragen
werde, dass aber damit kein endgiltiger Verzicht auf die Ge-
walt \^rbunden, vielmehr in gewissen Fällen das Recht ihrer
Zurücknahme unläugbar sei: diese Ansichten finden sich, wie
bekannt, durch die Autorität einer glänzenden Schaar jesui-
tischer Schriftsteller gestützt. Dieser und jener, wie Mariana,
geht dabei von der Annahme gleichsam eines doppelten Ver-
trages aus, eines ersten, der die Gesellschaft, eines anderen,
der die besondere obrigkeitliche Gewalt konstituirt, in eben
der Weise wie Milton später in seinem Werkchen über „das
Recht der Könige" (s. B. IL 442). r Aber derselbe Mariana
Schriften der Jesuiteu. — Hotman. Languet. Buchanan. 69
ist es auch, der die That des Jacques Clement erhebt, den
Tyrannenmord rechtfertigt, während Milton sich immerhin nur
dazu aufgerufen sah, einen Akt zu vertheidigen, bei welchem
die äusserlichen Formen eines gerichtlichen Verfahrens inne
gehalten waren ^). Und sollte es überhaupt angehen, in ihm
einen Schüler von Männern sehn zu wollen, gegen die seine
ganze puritanische Denkweise pm mit dem glühendsten Hass
erfüllen musste? Läuft ihre Lehre nicht darauf hinaus,
die Oberhoheit der geistlichen Macht zu begründen, deren
unerschütterliches göttliches Recht, im Pabstthum verkörpert,
den Ansprüchen der Staatsmacht um so siegreicher gegen-
übertreten konnte, je menschlicher der Ui"sprung dieser letz-
ten, auf dem veränderlichen Willen der Masse beruhend, ge-
dacht ward? Vermeidet Milton nicht selbst bei seiner Defini-
tion des Volksbegriffs sichtlich, das Volk der blossen Menge,
der „tota multitudo", wie Bellarmin sich ausgediückt hatte,
gleichzustellen? Mochte Salmasius immerhin von dem billigen
Kunstgriff Gebrauch machen, die „beiden Sekten in der Chri-
stenheit, Jesuiten und Independenten", als gemeinsame Väter
jener „verabscheuungswürdigen Doktrinen" zu betrachten,
Milton hatte nicht nöthig, sich gegen eine solche Gemeinschaft
mit allen Kräften zu wehren.
Man darf vermuthen, dass er in einem ganz anderen
Lager Verfechter einer politischen Idee aufgesucht und ge-
funden hat, für die er wenn nicht als der wirksamste so doch
als einer der edelsten Kämpen in die Schranken trat. Das
uns erhaltene Kollektaneenbuch des Dichters, zu dem man zu-
nächst um weiterer Aufklärung willen greifen wird, gewährt
fi'eilich nur eine magere Ausbeute. Allerdings finden sich
unter den Titeln „Republik, König, Tyrann" zahlreiche
charakteristische Einträge, denen man in den Milton'schen
Schriften wieder begegnet. Am bemerkenswerthesten sind
diejenigen Auszüge aus Macchiavelli , welche die tief republi-
kanische Gesinnung des grossen vieldeutigen Florentiners aus-
zudrücken scheinen. Auch der unerbittliche Satz aus den
Discorsi „gegen einen schlechten Fürsten hilft nur das Eisen"
hat Aufnahme gefunden (2). Allein die besondere Lehre, um
70 Hotman. Languet. Buchanan.
die es sich liier handelt, wird nicht berührt. Bemerkt man
nun aber, dass Milton eben in seiner „Vertheidigung des eng-
lischen Volkes" Franz Hotman's Franco-Gallia sowie wenig
später Hubert Languet's „Gegen die Tyrannen" citirt und
erwägt man andererseits, dass er auf Buchanan nicht hier zum
ersten Male Rücksicht nimmt, so wird man annehmen dürfen,
dass von diesen beiden Seiten her ein wesentlicher Einfluss
auf seinen eigenen Gedankengang ausgeübt worden ist(^).
Unter dem Eindruck der Bartholomäusnacht verfasst,
von den bitteren Gefühlen erfüllt, welche durch das allgemeine
Unglück und persönliche Schicksale hervorgerufen werden
mussten, waren die Schriften von Hotman und Languet an's
Licht getreten und hatten eine ganze Literatur nach sich ge-
zogen. Dort sollte aus den Denkmalen der heimischen Ge-
schichte und des heimischen Staatsrechts der Beweis erbracht
werden, dass der grosse Rath der Nation von je die höchste
Autorität besessen habe. Hier wurde aus biblischen und all-
gemein-historischen Zeugnissen die Lehre abgeleitet, dass das
Volk der Urquell der königlichen Gewalt sei, der wahre
„Herr" im Gegensatz zu seinem „ersten Diener", dass ein
gegenseitiger Vertrag Volk und König binde, jenes aber nur
unter bestimmten Bedingungen, von deren Innehaltung die
Rechtsgiltigkeit des Kontrakts abhänge. In beiden Fällen
wurde die Idee von der Volkssouveränetät nicht mehr wie bei
den Jesuiten einem bestimmten kirchlichen Zweck zu Gefallen,
sondern aus allgemeinen politisch-historischen Gründen ver-
fochten.
Derselben Zeit gehörte Buchanan's berühmter Dialog
„über das königliche Recht in Schottland" an. Der Geschichts-
schreiber seines Vaterlandes und der Lehrer des Sohnes
Maria Stuarts gab den Ueberzeugungen der presbyterianischen
Partei einen kaum weniger energischen Ausdruck als die
Hotman und Languet denen der Hugenotten. Das Volk hat
das Recht die Herrschaft wem es will zu übertragen. Der Ver-
trag, den es dadurch mit dem Herrscher eingeht, wird unter
Umständen auflösbar. Der grössere Theil des Volkes darf
den König vor Gericht stellen. Die Verfolgung des „Tyrannen",
Volkssouveränetät und Independentismus. 71
als eines „allgemeinen Feindes", sogar durch einzelne, erscheint
nicht tadelnswerth(i).
Es waren dies die politischen Grundbegriffe des Pres-
byterianismus, deren Eindringen in England Karl L mit gutem
Grunde als eine Gefahr für das Königthum, wie er es ver-
stand, bezeichnet hatte.
Inzwischen hatte der Independentismus schon längst sie
nicht nur mit der ihm eigenen Entschiedenheit aufgenommen
und weiter gebildet, sondern sogar jenseits des Weltmeeres
den glücklichen ^' ersuch gemacht Gemeinwesen in's Leben
zu rufen, die eben die Souveränetät des Volkes als Rechts-
gTund ihres Daseins voraussetzten. Eigenthümlich war den
independentischen Theoi'etikern nur dies, dass sie die Wirk-
samkeit der Volkssouveränetät und folglich auch der aus ihr
entfliessenden Gewalten ausdrücklich auf das bürgerliche Ge-
biet beschränkten. In Roger Williams' „blutiger Lehre der
Verfolgung" findet man vielleicht die schärfste Wiedergabe
dieser Ansichten. „Ein bürgerliches Regiment ist eine Ordnung
Gottes, um den bürgerlichen Frieden des Volkes zu bewahren,
so weit er Leib und Gut betrifft". Auch hier indess ist unter
der „Ordnung Gottes" keineswegs ein unmittelbares göttliches
Eingreifen verstanden. Die bürgerliche Gewalt hat keinen
„religiösen, "geschweige einen specifisch „christlichen" Charakter.
Sie ist „natürlich," „menschlich" und daher um nichts weniger
dort gesetzlich, „wo man nie etwas von Christi Namen ge-
hört hat." Fragt man aber, wo „die Souveränetät, der Ur-
sprung und Grund der bürgerlichen Gewalt liegt", so ist die
Antwort: „Im Volke, welches sich diejenige Regierungsfoim
geben kann, die seinen staatlichen Bedürfnissen am besten
entspricht." Daraus folgt, „dass die vom ^'olk eingesetzte
Regierung nicht mehr Gewalt und nur auf so lange besitzt,
als inwiefern die Zustimmung des Volkes sie ihr anvertraut
hat." Williams vergleicht daher die Gewalt „aller wahren
Obrigkeit" mit derjenigen eines „Parlaments-Committee, dessen
Handlungsfähigkeit durch die Ermächtigung des Hauses be-
stimmt wird," die obrigkeitlichen Personen selbst mit „blossen
Agenten, gleichsam Augen und Händen, die dem Wohl der
72 Volkssouveränetät und ludependentismus.
Gesammtheit dienen sollen." Dass das Volk gegen „Tyrannen"
von seiner „natürlichen Freiheit" Gebrauch machen darf, ist
eine selbstverständliche Folge. Dagegen würde es den heilig-
sten Ueberzeugungen des Autors ebenso zuwider laufen eine
„Entthronung und Absetzung wegen Abfalls von der Kirche"
zu billigen wie einen Gewissenszwang der Fürsten gegenüber
ihi-en Unterthanen für erlaubt zu halten. — Den Jesuiten
sollte die Lehre von der Volkssouveränetät zur Erhöhung der
einen unfehlbaren Kirche dienen. Williams benutzt sie zur
Begründung seiner Doktrin der Trennung von Kirche und
Staat (^). Wer möchte sich erkühnen im einzelnen die
Wirkungen zu ennesseu, welche eine mit Nachdruck vor-
getragene bedeutende Idee auf die empfänglichen Geister der
Mitlebenden ausübt? Sie zittert in immer weiteren Kreisen
nach, ähnlich denen der Wasserfläche, welche ein in sie
Niederfallendes bewegt hat. Unzweifelhaft blieb Williams'
Buch, in England von ihm in Druck gegeben und zuilick-
gelassen,. nicht ohne Leser. Immer mächtiger drängte der
Gedanke von der Souveränetät des Volkes sich vor, nirgends
entschiedener als im siegreichen Heere. Vor dem zweiten
Bürgerkrieg hatte er unter Einwirkung der Agitatoren seine
bestimmte Form erhalten. Nach dem zweiten Bürgerkrieg
war er in der Remonstranz der Armee zur Grundlage eines
umfassenden politischen Programms gemacht worden. Der
Process des Königs, die AbschaffuDg des Hauses der Lords,
die Errichtung der Republik wurden durch ihn in erster
Linie gerechtfertigt.
Wenn Milton also auch immerhin aus den Werken gleich-
gesinnter Autoren geschöpft haben mag, so sprach er doch
auch nur aus, was die lebendige Gegenwart an's Licht ge-
bracht und in zahlreichen Zeugnissen verkündigt hatte (-).
Allein darin unterschied sich seine Darlegung wesentlich von
der in den ]\Ianifesten des Heeres, dass er sich damit be-
gnügte in dem vorhandenen Reste des Parlaments, gleich
diesem selbst, eine „Vertretung des englischen Volkes" zu
sehen und es vermied auf die Nothwendigkeit einer Reform
der Repräsentation hinzuweisen. Es wäre sehr voreilig daraus
Volkssouveränetät und Independentismus. 73
sehliessen zu wollen, dass er diese verkannt hätte. Man muss
immer im Auge behalten, gegen wen er zu schreiben hatte
und für wen. Einem Salmasius gegenüber wäre es wenig am
Platz gewesen die schwachen Seiten der heimischen Regierung
aufzudecken. Einem Beauftragten des Staatsraths hätte es
schlecht geziemt die Sprache Lilburne's zu reden. Milton
schrieb in amtlicher Eigenschaft und war genöthigt in politischen
Fragen, welche die Zukunft betrafen, sich eine gewisse Zu-
rückhaltung aufzulegen. Nicht weniger verfehlt würde es sein
im letzten' Drittel des neunzehnten Jahrhunderts ihm einen
Vorwurf daraus zu machen, dass er die ungeschichtliche Basis,
den mechanischen Grundzug der allgemeinen Theorie, die er
vertrat, nicht durchschaut habe. Man hat zu bedenken, in
welcher Zeit er schrieb und dass er mit allen, die den gleichen
Gegenstand behandelt hatten, den Fehler theilte, eine Reihe
von Fiktionen und Hypothesen dem System zu Gefallen als
Gebilde der Wirklichkeit zu betrachten. Und Fiktion gegen
Fiktion, Hypothese gegen Hypothese gehalten, wird man zu-
geben, dass diejenigen, auf welche Milton seine Staatslehre
aufbaut, die Befriedigung einer edlen und freien Auffassung
der menschlichen Natur gewähren, indess sein Gegner ge-
nöthigt ist, sich an die niedrigsten und rohesten Triebe zu
w^enden.
Mit Recht ruft Milton ihm zu, dass Nationen, welche
seine Grundsätze bekennen, sich „von Sklaven und vom Vieh
nicht unterscheiden." Ihn, der es gewagt hatte die Tyrannei
unter den Schutz Gottes zu stellen, nennt er geradezu einen
„Atheisten." Ja er macht ihn höhnisch darauf aufmerksam,
dass er den Königen selbst einen sehr schlechten Dienst ge-
leistet habe. ,.Denn indem du die königliche Gewalt über
die Gesetze in's Unermessliche erhebst, bringst du fast allen
Völkern zum Bewusstsein, dass sie nichts als Knechte sind,
und die Königsherrschaft wird ihnen um so unerträglicher
erscheinen, je mehr Mühe du dir giebst ihnen zu beweisen,
diese schrankenlose Gewalt sei nicht allmählich mit ihrer
Bewilligung so gross geworden, sondern von Anfang an nach
ursprünglichem Königsrecht so gewesen . . . Wenn die Könige
74 Milton und Hobbes.
dagegen auf mich hören, wenn sie ihre Macht durch Gesetze
beschränken lassen wollen, so werden sie statt einer unge-
wissen, unsicheren, gewaltsamen und sorgenvollen Regierung
eine sehr sichere, friedliche und dauerhafte Macht bewahren."^
Einen so grossen Reiz es gewährt dem Dichter auf das
Feld der politischen Theorie zu folgen, so wäre es doch eine
Yerkennung der Thatsachen, wenn man ihn zu den staats-
rechtlichen Schriftstellern ersten Ranges, zu den Stiftern einer
weitverzweigten Schule rechnen wollte. Die Erzeugnisse eines
anderen zeitgenössischen Genius, der von gleichen Vordersätzen
ausgehend zu sehr verschiedenen Schlüssen gelangte, haben
unzweifelhaft einen viel grösseren Eintiuss auf Mit- und Nach-
welt ausgeübt. Es sind die Schriften von Thomas Hobbes,
dessen Leviathan in demselben Jahre erschien wie die Ver-
theidjgung des enghschen Volkes. Hobbes verweilte damals
noch in Frankreich, woselbst er eine Zeit laug Lehrer des
Prinzen von Wales gewesen war. Aber die Kühnheit seiner
Ansichten machte ihn bei seinen royalistischen Gönnern un-
möglich. Er kehrte nach England zurück, um im Hause des
Grafen von Devonshire, ungestört durch die republikanische
Regierung, seine Arbeiten fortzusetzen. Mit Milton scheint
er niemals in persönliche Berührung gekommen zu sein. Auch
machte Milton aus seiner Abneigung gegen den Verfasser des
Leviathan kein Hehl, obwohl er seine grossen Talente und
seine Gelehrsamkeit zugestand (i). Wer die Grundgedanken
der beiden ]\Iänner vergleicht, wird jene Abneigung durchaus
begTeiflich finden. Es gab allerdings scheinbare Berührungs-
punkte zwischen ihnen. Durch mannichfaltige Studien und
die Bekanntschaft mit dem Ausland auf die Höhe einer freien,
menschlichen Bildung erhoben, hatten sie sich ihre abgeschlossene
Ideenwelt geschaffen, welche in keinem wesentlichen Theile
die mächtige Einwirkung ihrer Zeit verläugnen kann. Sie
bekämpften beide mit ihren eigenthümlichen Waffen die
scholastischen Doktrinen. Sie zogen beide mit kühnem Radi-
kalismus abstrakte BegTiffe geschichtlichen Beweisen vor.
Einzelne Fragen, in denen sie sich verstehen konnten, waren
vorhanden, wie wenn sie den Staat schlechthin als ein Werk
Milton und Hobbes. 75
der Kunst, das Erzeugnis eines Vertrages betrachteten und
das Königthum der geheimnisvollen Weihe eines göttlichen
Ursprungs entkleideten.
Allein wie in ihrer allgemeinen "Weltanschauung, so auch
in ihrer politischen Ueberzeugung trennten sich ihre Wege
sehr bald. Man ;darf, um dies zu erkennen, nicht einzelne
ihrer Schriften herausgreifen. Man muss das Gesammtbild
in's Auge fassen, wie es sich am Ende ihrer literarischen
Laufbahn darstellt. Für Hobbes, den kalt berechnenden
Geometer* giebt es keine angeborenen Begrifte und keine
köi:perlosen Geister. Er ist grundsätzlich Skeptiker und
glaubt nur, was ihm seine Sinne sagen. Für Milton, den
phantasiereichen Dichter, hat die platonische Lehre von den
ewigen Urbildern und das luftige Reich der Geister Bestand.
Er hat einen Zug zum Dogmatischen und ist der feurige Ver-
kündiger des Idealismus. Hobbes betrachtet die Freiheit nur
als Abwesenheit des Zwanges, die auch den unvernünftigen
Dingen eignen könne, die Sittenlehre nur als den Ausfluss
des natürlichen Begehrens, das gesammte menschliche Streben
nur durch die Rücksicht auf den Nutzen und Genuss des
Einzelnen geleitet. Milton sieht in der Freiheit des Willens die
auszeichnende Würde des vernunftbegabtenjMenschen, im Moral-
gesetz die Ueberwindung der physischen Antriebe, im Streben
einem gottmeuschlichen Vorbild nachzueifern den höchsten
Zweck des Lebens erfüllt. Und so wird im Hobbes'schen
Staate die individuelle Freiheit der absoluten Gewalt voll-
ständig unterworfen, die er aus jenem Vertrag hervorgehen
lässt, während im Milton'schen Staat der freien Bewegung
des Einzelnen ein weiter Spielraum offen bleibt. Dort ein
einziger allmächtiger jWille, dem sich Eigenthum, Lehren,
Meinungen der Staatsangehörigen unterwerfen müssen. Keine
Theilung der Gewalten, die Monarchie |bei weitem die beste
der Staatsformen , der Monarch selbst die Personifikation des
Staates und gleichzeitig Inhaber der "höchsten kirchlichen
Macht. Hier die Staatsgewalt in gewisse Schranken ein-
geschlossen, die ihr Uebergreifen auf ein grosses Gebiet ausser-
halb derselben verhindern sollen. Eine entschiedene Abneigung
76 Milton lind Hobbes, — Schlussbetrachtung.
dagegen, die Souveränetät in der Hand Weniger oder gar
eines Einzigen zu koncentriren , die Repräsentativ-Republik
vor allen übrigen Yerfassungsformen gepriesen, und in dieser
die Trennung von Kirche und Staat vorausgesetzt. In diesem
letzten Punkt erscheint der Gegensatz der beiden Denker,
so weit er Fragen des wirklichen Lebens betraf, am schroffsten.
Hobbes hält es zur Wahrung des Friedens für unentbehrlich,
dass der absolute ^Machthaber, (denselben freilich wie seine
Unterthanen als Christen gedacht), gebiete, nicht nur, welcher
Art die Gottesverehrung sich äussere, sondern auch w^as über
Gott gelehrt und geglaubt werden solle. Er verschmäht nicht
ein niedriges Sophisma, um es für statthaft zu erklären, das-
jenige mit dem Munde zu bekennen, was dem Herzen fremd
ist. Milton leitet alle Kämpfe seines Zeitalters daraus ab,
dass der Staat es nicht über sich gewinnen könne, nicht nur
die religiöse Ueberzeugung sondern auch die Sorge für Kultus.
Erhaltung der Geistlichkeit, kirchliche Veifassung als An-
gelegenheit der Einzelnen zu betrachten. Er wagt es freilich
eben so wenig wie der Philosoph von Malmesbury sein Princip
ganz folgerichtig durchzuführen. Aber alles in allem erscheint
in ihm der independentische Republikanismus aufs schärfste
ausgeprägt, während die Lehre Hobbes' den Tendenzen unduld-
samer Absolutie gleichsam einen wissenschaftlichen Rückhalt
zu geben drohte.
Wenn Hobbes eben deshalb im Jahrhundert Ludwig's XIV.
bei weitem m«hr Gewalt über die Geister gewann als Milton,
so lässt sich dies nicht nur aus den allgemeinen Verhältnissen
der Zeit, sondern auch aus der besonderen Begabung beider
Autoren ei'klären.
Milton war weder Politiker von Beruf noch Philosoph von
Beruf. Er bildete sich kein vollständiges System, da er nicht
hinreichende Gelegenheit hatte, es aus der Erfahrung abzu-
ziehn und nicht hinlängliche Neigung es aus seinem eigenen
Denken aufzubauen. Er war ein grossartig begabter Publicist.
von gewaltiger rhetorischer Kraft, edler Gesinnung und über-
reich an Kenntnissen und Ideen, die er indessen grössten
Theils aus zweiter Hand empfangen hatte. Diejenige Bestimmt-
Scblussbetrachtung. 77
heit und Schärfe, welche nicht zum wenigsten den ausser-
ordentlichen Erfolg gewisser politischer Schriften erklärt, wird
man bei ihm vermissen. Es wird nicht ganz deutlich, ob er
seinen ursprünglichen Vertrag aus einem angeborenen Triebe
der Geselligkeit oder von der Berechnung des Nutzens ab-
leitet. Mitunter nimmt er zwei Verträge an, von denen der
erste überhaupt die Gesellschaft, der zweite den besonderen
Staat begründet, mitunter scheint er sich bei einem zu be-
gnügen. Im allgemeinen spricht er nur von dem Rechte des
Widerstandes gegen den Tyrannen, hie und da hält er das
Volk unter allen Umständen für befugt, die Regierungsform
des vertragsmässig gegründeten Staates nach seinem Willen
zu ändern (^).
Allein unläugbar [wie die Mängel der Schrift Milton's
einmal sind, wird man es doch zu würdigen wissen, wenn
sich in ihren Schlussworten mit dem Ausdruck einer gewissen
Besorgnis für die Zukunft der Ausdruck stolzer Genugthuung
wegen der eigenen Leistung verbindet. „So habe ich denn
mit Gottes Hilfe mein Werk zu Ende geführt: die Ver-
theidigung der grossen Thaten meiner Mitbürger gegen die
Wuth und die Missgunst eines verrückten Sophisten und die
Begründung des Volksrechtes gegen gesetzlose Königsherr-
schaft, nicht aus Hass gegen das Königthum überhaupt, sondern
aus Hass gegen die Tyrannei. Ich habe keinen Grund meines
Gegners unerwideit gelassen, keines seiner Beispiele oder
Citate übergangen, wenn es nur den Anschein eines Beweises
zu enthalten schien . , Nur eines bleibt noch zu thun übrig,
das Wichtigste, dass ihr selbst meine Mitbürger, diesen euren
Gegner widerlegt. Dies al)er kann nur dadurch ge-
schehen, dass ihr die schlimmen Nachreden der Leute durch
eure guten Thaten Lügen straft. Gott hat eure heissen
Gebete gnädig erhört, als ihr in euren Leiden bei ihm Zu-
flucht suchtet. Er hat euch, die erste der Nationen, von den
grössten Uebeln des Lebens ruhmvoll erlöst, von Tyrannei
und Aberglauben. Er hat euch mit [Geistesgrösse gerüstet,
sodass ihr zuerst von allen Menschen nicht davor zurück-
bebtet, einen besiegten und gefangenen König vor Gericht zu
78 Schlussbetrachtung.
stellen und den Spruch des Todes an ihm zu vollstrecken.
Nach einer so glorreichen That dürft ihr nichts Kleines und
Gemeines mehr denken und thun, sondern nur noch Grosses
und Erhabenes. Um diesen Ruhm zu erlangen steht euch
nur ein einziger Weg offen. Wie ihr eure Feinde im Felde
besiegt habt, so zeigt nun zur Zeit des Friedens, dass ihr
vor allen Sterblichen fähig seid, Ehrgeiz, Habsucht, Luxus
und die Verlockungen des Glückes zu überwinden, denen
andere Nationen so oft unterlegen sind. Bewährt eben so
viel Gerechtigkeit, Mässigung und Bescheidenheit in der Be-
hauptung eurer Freiheit wie ihr Tapferkeit bewiesen habt
das Sklavenjoch abzuschütteln. Durch solche Zeugnisse allein
könnt ihr darthun, dass ihr mit nichten Verräther, Räuber,
Mörder, Wahnsinnige seid, wie man euch vorwirft. Handelt
ihr anders, wisst ihr euch nur im Kriege, aber nicht im
Frieden Lorbeeren zu erwerben, — so wird euch Gottes Zorn
in kurzem um so viel schwerer treffen, je väterlicher euch
bisher vor allen Völkern der Erde seine Gunst zugewandt
gewesen ist."
Drittes Kapitel.
Polgen des Kampfes mit Salmasius.
i)er Streit zwischen ]\Iilton und Salmasius machte in
der Gelehrten-Republik das grösste Aufsehen. Mit dem
Interesse an dem Gegenstande verband sich das persönliche
Interesse an den Wortführern. Hier hatte Milton allerdings,
wie er selbst später hervorhob, zunächst einen schlimmen
Stand. Sein Gegner genoss eines europäischen Ruhmes, hatte
zahlreiche Verbindungen und war der Anwalt der besiegten
royalistischen Sache, die auf vielfache Sympathieen zu rechnen
hatte. Milton's Name war noch kaum über die Küsten Eng-
lands hinausgedrungen, gebot über keine literarische Klientel
und erschien in engster Verbindung mit den Namen solcher,
von denen sich viele mit einem Gefühl des Schauders ab-
wandten. Allein alles dies konnte eine Vergleichung der
Leistungen beider Autoren nicht hindern und niemandem
wurde es leicht gemacht sich völlig neutral zu verhalten.
Hobbes erklärte viele Jahre nachher, dass es schwer sei zu
entscheiden, in welchem der beiden Werke das „bessere Latein
und die schlechteren Gründe" enthalten seien und verglich
sie zwei „rhetorischen Schul Übungen". Conring meinte, dass
beide Schriftsteller ,. gleich ungenügend über die Monarchie
disputirt hätten". Dieser und jener, wie J. C. von Boyneburg,
hielt sich nur an die Aeusserlichkeiten des Stils und fand,
dass Milton eben so wohl Fehler gemacht habe wie sein
80 Gegenschr. gegen Milton's Vertheidigung d. e. V. Die „Apologia."
Gegner (^). Um so entschiedener nahmen andere Partei. In
den Jahren 1651 und 1652 erschienen nicht weniger als fünf
royalistische Gegenschriften.
Die erste gehörte noch demselben Jahre an, in dem
Milton's Werk herausgekommen war, und führte den Titel:
„Schutzschrift für England's König und Volk gegen des
Johannes Naseweis (sonst des Engländers Milton) königs- und
volksfeindliche Vertheidigung (2)". Der Verfasser dieses Libells,
der sieh in seiner Widmung an die Akademie von Leyden,
ihren „einstigen Zögling" und einen „aus England vertriebenen
Fremdling" nennt, preist in eben so schwülstigem und mittel-
mässigem Latein den Ruhm des grossen Salmasius wie er
seinen Abscheu vor dem „wüthenden Teufel Milton, der
Schmach Englands", dem „brüllenden Löwen, der alle Könige
verschlingen will," aufs kräftigste kundgiebt. Sein Eifer reisst
ihn zu der lächerlichen Behauptung fort, Milton könne nicht
im officiellen Auftrag geschrieben haben, weil seiner Broschüre
das Certifikat eines der Parlamentssekretäre fehle. Besonderes
Gewicht legt er darauf, dass Diodati von Genf aus Karl L
als Vertheidiger der reformirten Religion bezeichnet und sich
trotz vieler Bitten geweigert habe der „Perfidie" der Regiciden
seinen Beifall zu leihen. Schliesslich beschwört er höchst
salbungsvoll Milton und das englische Volk als Irrende, so
lange es noch Zeit sei, „auf den rechten Weg zurückzukehren".
Dieser Schrift erwiderte Milton bald darauf durch eine
Broschüre, zu der einer seiner Neffen den Grundstock ge-
liefert hatte. Der ältere von ihnen, Edward Phillips, hatte
1648 bis 1651 als Mitglied der Magdalen-Hall auf der Uni-
versität Oxford studirt. Der finstere puritanische Ernst, dem
er unter der Vorsteherschaft eines Thomas Goodwin begegnete,
mag ihn, den Schüler Milton's, auf die Seite der Kavaliere
hinübergetrieben haben, deren Gesinnungen er von da an
theilte. Sein jüngerer Bruder John dagegen huldigte damals
noch den politischen Grundsätzen, die sein Oheim ihm ein-
gepflanzt hatte. Er war wohl noch Milton's Hausgenosse und
wurde, wie es scheint, mehrfach von diesem als sein Sekretär
Joannis Philippi Responsio. 81
verwandt. Nichts lag näher als sich seiner Feder zu bedienen
um der anonymen Schmähschrift entgegen zu treten (^). Er
seinerseits war, wie er sagte, stolz darauf, die „Sache der
wiederhergestellten Freiheit" und ,, jenes von ihm verehrten
und ihm so eng verbundenen Mannes" vertheidigen zu dürfen
und wusste sich „keinen besseren Anlass für eine Erstlings-
schrift". Die Masse eingeflochtener Dichterstellen, das Spielen
mit schulmilssigen, logischen Formeln Hessen den jugendlichen
Charakter des Autors wohl erkennen. Andere Partieen da-
gegen, Proben biblischer Kritik, Ausbrüche eines grausamen
Hohnes erinnerten ganz entschieden an die Schreibweise des
Oheims. Und in der That lässt der ältere Phillips keinen
Zweifel daran aufkommen, dass Milton selbst, „ehe das Büch-
lein in die Druckerei kam , sehr sorgfältige Verbesserungen
daran vornahm". So ist es denn auch mitunter in seine
Werke aufgenommen worden.
In einem wesentlichen Punkte bewegte sich nun Milton
wie sein Neffe in einem grossen Irrthum, Sie waren
fest davon überzeugt, dass die feindliche Schrift entweder aus
der Feder eines gewissen Juristen Jane oder aus der Feder
des Bisehofs von Derry, Bramhall, stamme, dem sie auch die
Autorschaft des ,,unzerbrochenen Bildes" zugetraut hatten.
Die zweite Vermuthung schien die grössere Wahrscheinlichkeit
für sich zu haben, und so wurde denn der ganze Köcher
gegen den Bischof geleert, der als ein Anhänger Strafford's
bekannt war. Dies war aber ein Kampf gegen einen Schatten.
Bramhall selbst theilte seinem Sohn mit, „das einfältige Buch,
welches Milton ihm zugeschrieben habe, rühre von einem ge-
wissen John Rowland her" (2). Und dieser, „Geistlicher einer
Separatisten - Gemeinde", gestand in einem nachträglichen
Pamphlet, das er im Jahre 1653 seiner ersten Schrift folgen
Hess, die Thatsache zu (^). Von diesem Grundfehler abgesehn,
ist Milton-Phillips' Werkchen dem gegnerischen in jeder
Weise überlegen, was eben nicht schwer gemacht war. Das
Zeugnis des Diodati, eines Milton so wohl bekannten Mannes,
wird möglichst abgeschwächt. Von den Vorl)ereitungen des
Salmasius, den Kampf fortzuführen , wird in einer Weise ge-
stern. Milton u. s. Z. ir. 3. 6
S2 ..Carolus I. vindicatus"- — Gegenschr. v. Ziegler, Kieffer, Güntzer.
sproclien, die es als sicher erscheinen lässt, dass ]\lilton sehr
genau davon unterrichtet war.
Für längere Zeit war diese gemeinsame Arbeit des Neffen
und des Onkels das einzige, was aus Milton's Lager hervor-
gieng. Drei andere Erzeugnisse der feindlichen Presse liess
er unbeachtet. Eines wurde 1652 in Dublin veröffentlicht
unter dem Titel: „Karl I. beschirmt gegen die Axt und die
Feder Milton's" (^). Es war ein unbedeutendes Pamphlet,
dessen Verfasser, vielleicht ein irischer Katholik, durch Ge-
lehrsamkeit und guten Willen zu ersetzen suchte, was ihm
an Geist und Beredtsamkeit fehlte. Ueberzeugt davon, dass
die Nachwelt Milton als „geschickten Vertheidiger einer
schlechten Sache richten werde", sucht er ihn Punkt für
Punkt zu widerlegen, weiss sich aber von gehässigen Persön-
lichkeiten ziemlich frei zu halten. Doch kann er es nicht unter-
lassen den guten Ehemann Karl I. in Gegensatz zum Ver-
fasser der Schriften über die Ehescheidung zu stellen. Jener
hat, so sehr er sich kleine Galanterieen erlauben durfte, seiner
Gattin niemals die Treue gebrochen. Dieser, der heuchlerische
Puritaner, hat seine Frau Verstössen, um sich mit Konkubinen
einzulassen. — Ein anderes Pamphlet stammte von dem leipziger
Juristen Kaspar Ziegler. Ohne sich sklavisch an Salmasius zu
halten, entschied er doch die vorliegende Frage ganz in seinem
Sinne und erachtete es nur im Vorwort an den „wohlwollenden
Leser"' für nöthig sich ausdrücklich gegen Milton zu wenden.
Dessen Buch betrachtet er als ein „unerhörtes Ungethüm'*, ihn
selbst als einen halb „Wahnsinnigen", der in der Auslegung der
Bibel an Künsteleien die „Jesuiten , ja sogar den Teufek'
übertreffe und der selbst die ,, Sache der Mörder schmählich
verdorben habe"(-). W'eniger heftig, aber ohne viel Geist
drückte sich 1652 der jugendliche Verfasser einer strassburger
Dissertation aus, welche dem Markgrafen von Baden gewidmet
war. Er zog einzelne Sätze der Abhandlung eines „gewissen
Milton'" aus und suchte sie mit scholastischer Breite zu wider-
legen. Fünf Jahre später erschien eine Fortsetzung dieser
Universitätsschrift, von lateinischen Gedichten begleitet, in
denen wieder stärkere Bemerkungen gegen den Sekretär der
Urth. über Salmasius u. Miltoii. — Christine v. Schweden u. ihr Hof. 83
Republik fallen und auch die Latinität des Salmasius eines
besonderen Schutzes gewiirdi{jt wird(i). Ein fünftes Pamphlet
endlich „Der Aufschrei des königlichen Blutes zum Himmel",
das anonym im Jahre 1652 herauskam, verwickelte Milton
in eine neue literarische Fehde. Auch nahestehende Bekannte,
wie John Durie, der doch kurz zuvor den Bilderstürmer über-
setzt hatte, machten Milton persönlich gegenüber kein Hehl
daraus, dass ihnen der Ton seines letzten Buches missfalle (-).
Inzwischen äusserte sich die Feindschaft gegen den Ver-
theidiger der Königsmörder auch auf andere Weise. In Paris
und-Toulouse wurde sein Buch öffentlich verbrannt. Auf dem
Reichstag von Regensburg 1653 brachte man in Anregung,
ob es nicht unerlässlich sei, nebst anderen Schriften gleichen
Schlages auch „den ]\Iilton zu verbieten", um die Jugend vor
der Ansteckung mit „gefährlichen Principien*' zu bewahren (^).
In späterer Zeit, nach der Restauration, wurden die Stimmen,
Avelche Milton verurtheilten, immer lauter. Ein deutscher
Dichter, Philipp von Zesen, bemerkte in einem Leben Karls II:
„Ein umgekaufter Milton, durch eine vergälte Miltze gestochen,
durfte seine verwegene Zaunkönigsfeder gegen die hoch-
fliegende Adlersfeder (des Salmasius) schwingen, . . aber die
edle Adlersfeder hat dennoch das Feld und den Sieg behalten".
Ein englischer royalistischer Historiker vergisst nicht zu er-
wähnen, dass „ein gewisser Milton", der schon vorher „ein
unverschämtes Libell" gegen das königliche Bild gerichtet,
gewagt habe die Leistung des Salmasius zu „bekritteln" (■•).
Aber auch Salmasius hatte seine Gegner, die weniger
aus sachlichen als aus persönlichen Gründen wider ihn Partei
nahmen. Er hatte sich in wissenschaftlichen Kreisen zu viele
Feinde gemacht, als dass nicht einige von ihnen an der Ab-
fertigung, die ihm Milton zu Theil werden Hess, ihre Freude
hätten haben sollen. An ihrer Spitze standen zwei Männer
von berühmtem Namen, die, wie Salmasius selbst, für einige
Zeit der glänzenden Gefolgschaft Christina's von Schweden
angehörten. Die geistreiche Tochter Gustav Adolfs hatte
eben damals den Hof in Stockholm zum Mittelpunkt der
europäischen Gelehrtenrepublik gemacht. Vom regsten Interesse
6*
84 Verhältnis des Salmasius zu Vossius und Heinsius.
für die Fortschritte der Wissenschaft erfüllt, wusste sie sich
mit den ersten Gelehrten ihrer Zeit in Verbindung zu setzen
und mehrere durch glänzende Anerbietungen nach Schweden
zu ziehn. Auch Salmasius vermochte ihrer schmeichelhaften
Aufforderung nicht zu widerstehn und langte im Sommer 1650
in Stockholm an. Die Königin konnte seine schwachen Seiten
zwar nicht übersehn, aber sie zollte seinen ausgebreiteten
Kenntnissen unverhohlene Bewunderung. Indessen gab es
zwei Männer in ihrer Umgebung, die mit dem grossen Philo-
logen in eine unversöhnliche Fehde geriethen. Der eine,
Isaac Vossius, Freinsheim's Nachfolger als Bibliothekar der
Königin und ihr Lehrer im Griechischen, forderte vergeblich
von Salmasius eine Geldsumme zurück , die er dessen Sohn
geliehen haben wollte. Der andere, Nikolaus Heinsius, mit
seinem Vater, dem berühmten Daniel Heinsius, von Christine
nach Schweden berufen, wusste diesen wie sich selbst seit
zwanzig Jahren von Salmasius schmählich verfolgt. Mit In-
grimm gedachte er der lateinischen Schimpfworte , deren sich
Salmasius nach der herrschenden Mode in seinen gelehrten
Arbeiten bedient hatte. Vergeblich suchte die Königin die
Eifersüchteleien und Feindschaften von Männern, deren grosse
wissenschaftliche Verdienste sie schätzte, zu beschwichtigen.
Auf beiden Seiten wuchs die Erbitterung, und man muss
über den Grad von Rohheit und Gemeinheit erstaunen, der
sich in den Aeusserungen hochgebildeter Männer beim Fort-
gang ihrer Streitigkeiten kundgab (i).
Kaum war die Vertheidigung des englischen Volkes er-
schienen, als sowohl das Werk wie sein Verfasser in dem Brief-
wechsel der genannten Feinde des Salmasius eine grosse Rolle zu
spielen anfieng. Am 12. April 1651 hat Vossius die Schrift
bereits flüchtig durchlesen und bekennt, dass „er von einem
Engländer nichts von dieser Bedeutung erwartet habe". Am
8. Mai sind Heinsius in Leyden schon fünf Auflagen zu Gesicht
gekommen und er spricht davon, dass man eine holländische
und französische Uebersetzung erwarte. Dem Gronovius theilt
er schadenfroh mit, dass Salmasius „wüthe und schäume" und
sich berühme, Milton „mit sammt dem ganzen Parlament ver-
Verhältnis des Saltnasius zu Vossius und Heinsius.. 85
derben zu wollen'". Er spielte mit diesen Worten auf die
Gegenschrift an, zu deren Abfassung Salmasius sich mstete,
und er hatte ein um so grösseres Recht an dem Fortschreiten
dieses Werkes Antheil zu nehmen, da er vernahm, dass dieses
auch der alten Feindschaft des Mannes gegen ihn selbst und
seinen Ä^ater Ausdruck geben werde. In der That scheint
Salmasius sich mit dem Glauben durchdrungen zu haben,
Milton sei von Heinsius aufgestachelt und mit Material ver-
sehn worden. Vergeblich rief dieser Gott zum Zeugen dafür
an, dass ihm, ehe er die Yertheidigung des englischen Volkes
in .die Hand bekommen, „Milton's blosse Existenz unbekannt
gewesen sei". Salmasius wurde immer mehr gegen alles, was
den Namen Heinsius trug, eingenommen und sann auf Rache,
Sein Freund Bourdelot, der intriguante und einfiussreiche
Leibarzt der Königin Christine, suchte von Heinsius eine Art
von Abbitte zu erpressen , welche dieser zu leisten mit Ent-
rüstung sich weigerte. Auch Heinsius' Leidenschaft gegen
Salmasius kannte keine Grenzen mehr, und er wie seine
Freunde betrachteten von nun an ^lilton als einen sehr
brauchbaren Bundesgenossen.
Die Herkunft, die Schicksale, das Wesen des Engländers,
der eine so kühne Sprache geführt hatte, wurden Gegenstände
eifriger Nachforschung. Anfangs hörte man Dichtung und
Wahrheit vermischt. Der Buchhändler Elzevir wollte wissen,
Milton sei von Adel und sehr reich, er lebe ohne ein Amt
zu bekleiden auf dem Lande. Andere versicherten, er stamme
aus dem niedersten Volke, habe aber eine gute Erziehung
genossen. Allmählich eifuhr man das Riclitige, dass er den
Posten eines Sekretärs der fremden Sprachen inne habe, aus
gutem Hause sei, ein Mann von grosser Gelehrsamkeit, von
vortrefflichen Eigenschaften, im Umgang ,, freundlich und
liebenswürdig". Es war der Onkel des Isaac Vossius, Franz
Junius, der diese Mittheilungen machte. Dieser berühmte
Antiquar und Kenner des Altsächsischen, welcher seit Jahr-
zehnten in England verweilte, sprach als ein Gewährsmann,
der mit Milton „persönlich befreundet war"( '). Einige Monate
später, gegen Ende des Jahres 1651, reiste die niederländische
86 Nachrichten über Miltou durch F. Junius etc.
Gesandtschaft, an deren Spitze Jakob Cats, der ehemalige
Rathspensionär von Holland, stand, nach London ab. Als
Sekretär derselben gelangte der junge Janus Vlitius, ein ge-
lehrter Freund des Heinsius, nach der englischen Hauptstadt,
und Vlitius konnte, wofern er Milton nicht aufgesucht hat.
jedenfalls an Ort und Stelle Erkundigungen über jjin ein-
ziehn('). Endlich bot sich Heinsius selbst kurze Zeit nach-
her hiezu die beste Gelegenheit. Während einer -wissenschaft-
lichen Reise, die er im Auftrage Christinen's unternahm, kam
er in Italien mit den alten Gönnern und Freunden des Dichters
wiederholt in Berührung. Der Kardinal Barberini, falls er
sich des jungen Engländers erinnerte, der Bibliothekar
Holstenius, Dati, Chimentelli, Männer, die dem Heinsius zum
Theil schon von früher her bekannt waren, konnten ihm er-
wünschten Aufschluss geben. Er hörte, dass Milton's Leben
in Italien tadellos gewesen sei , wennschon man ihm daselbst
seine freimüthigen Aeusserungen über das Pabstthum nicht
vergessen hatte. Er lernte bei Holsten Milton's lateinische
Gedichte kennen, denen er nichts als mannicMache Verstösse
gegen die Prosodie vorzuwerfen wusste. Vossius hatte ein-
mal das Gerücht mitgetheilt, Milton sei gestorben. Diese
Nachricht wurde alsbald widerlegt; hingegen blieb den
Freunden darüber kein Zweifel, dass er ei-blindet sei(=^).
Was den Inhalt seines Buches betraf, so war man allerdings
vorsichtig genug mit ausführlichen Urtheilen zurückzuhalten.
Als sich aber die Nachricht verbreitete, es sei in Paris von
Henkershand verbrannt worden, konnte Vossius die Bemerkung
nicht unterdrücken, dies Schicksal habe es mit anderen
„guten Büchern" zu theilen.
Es wäre auffallend gewesen, wenn eine Frau von der
geistigen Regsamkeit Christinens einer Angelegenheit, die
ihren gelehrten Günstlingen so wichtig war, nicht gleichfalls
ihre Theilnahme geschenkt haben sollte. In der That weiss
Vossius schon am 12. April 1651 zu berichten, dass Christine
sein eigenes eben angelangtes Exemplar der Milton'schen
Schrift gefordert habe. Ei- fügt hinzu, das Buch scheine, von
einer Stelle abgesehn, ihr gefallen zu haben. Dasselbe wieder-
Christine und Wbitelocke. — Salmasius Tod. 87
holt er einige Tage später. Die Königin hatte nach seiner
Versicherung „das Genie und den Stil Milton's in Gegenwart
vieler anderer gelobt". Sie sprach sich einige Jahre nachher
gegenüber Whitelocke, dem englischen Gesandten, ganz in
gleicherweise aus('). Wenn sich die Gegner des Salmasius
indessen schmeichelten, er habe die Gunst der Monarchin ver-
loren, wenn gar Milton später sich einen Theil der Schuld
hiebei hat zuschreiben wollen . so lief das der Wahrheit ent-
schieden entgegen. Christine mochte ihrer spöttischen Laune
gemäss den Salmasius immerhin einmal „den Gelehrtesten
aller Narren" genannt haben: ihrer Gnade blieb er bis an
das Ende seines Lebens versichert. Nichts rechtfertigt die
Annahme, dass sein Weggang aus Schweden in irgend einer
Verbindung mit einer Schädigung seines literarischen Rufes
durch Milton gestanden habe. Er hatte das Klima von
Schweden niemals recht verti-agen können. Im Herbst 1651
hielt er sich für verpflichtet, nach Leyden zurückzukehren.
Christine entliess ihn mit reichen Geschenken. Er war da-
mals schon leidend , durch Gichtanfälle geplagt, denen er am
3. Sept. 1653 in den Bädern von Spa erlag. Auch seine
Wittwe erfuhr noch die Gunst der Königin, für zwei seiner
Söhne wurde in Schweden gesorgt.
Das letzte, Avomit sich Salmasius beschäftigt hatte, war
seine Widerlegung Milton's gewesen. Dieses Buch wurde erst
nach der Restauration der Stuarts in der unfertigen Gestalt,
in der es sich vorfand, von dem Sohne des Verstorbenen her-
ausgegeben und Karl IL gewidmet (2). Wenn auf den drei-
hundert enggedruckten Seiten für die Sache nichts neues
beigetragen wird . so sind sie dafür mit einer Summe von
Schmähungen angefüllt, die selbst über das Mass dessen, was jene
Zeit sich sonst bieten liess, weit hinausgeht. Man muss in
der That gestehen, dass Salmasius sich hier von einer sehr
schlechten Seite zeigt, indem er es nicht für unter seiner
Würde hält, von dem gemeinsten Klatsch Gebrauch zu
machen. Er hatte sich sorgfältig für sein Werk vorbereitet,
mit kritischem Auge Milton's Gedichte durchmustert und über
seine Vergangenheit Erkundigungen bei Leuten eingezogen,
88 Seine nachgelassene Schrift gegen Miltou.
die, wenn sie übei-liaupt berichtet hatten, was er mittheilt,
ebenso böswilhge wie unwissende Gewährsmänner waren.
Der Bischof von Derry, Dr. Bramhall , der seine besonderen
Gründe hatte, Milton zu zürnen, scheint an ihrer Spitze ge-
standen zu haben und er schöpfte seine Kunde wohl vorzüg-
lich aus den Kreisen ChappelFs, des ehemaligen Tutors Milton's,
mit dem der Dichter während seiner Studienzeit hart anein-
ander gerathen war (s. o. B. I. 83). Danach mischte Salma-
sius seine Farben. Der unwissende „Schulmeister", dessen
Feder für Geld feil war, der eitle Geck, der ,,sich seines
schönen Gesichtes rühmt" und darauf aufmerksam macht,
dass das Konterfei vor seinen Gedichten nicht getroifen sei,
das ., unreine Thier, an dem nichts iMenschliches ist als seine
Triefaugen": das ist eine bescheidene Blumenlese aus dem
Reichthum der salmasischen Höflichkeiten. In pedantischer
Weise werden sprachliche Einzelheiten der lateinischen Ge-
dichte und der Yertheidigung Milton's bekrittelt. Warum er
,,nach dem ersten Jahre der Ehe" sein Weib „Verstössen" habe^
soll nicht näher untersucht werden, doch ist anzunehmen,
dass „nicht alle Eunuchen waren, die sein Haus besuchten".
Dass er selbst in seiner Jugend sich den Italienern zum
schmählichsten Dienste Preis gegeben habe, ist ausser allem
Zweifel. Die angemessenste Strafe für ihn würde sein, ihn
„am höchsten Galgen aufzuhängen", seinen Kopf auf einem der
„Tliürme von London" aufzustecken, oder ihn in ,, glühendem
Pech und Oel zu verbrennen". Daneben regnet es Hiebe
gegen die Heinsius, gegen John Phillips, gegen die Führer
der Independenten, vor allem gegen Cromwell.
Milton wusste, dass ihm ein neuer Strauss mit Salmasius
bevorstehn werde. Er nahm die Nachricht seines Todes nicht
mit traurigen Empfindungen auf. Auch von der Beurtheilung
seines Buches durch die Königin Christine, von dem Interesse,
das Männer wie Heinsius und Vossius an ihm nahmen, erhielt er
unschwer Kunde. Wohl möglich, dass eben dies seine Autoren-
eitelkeit verführt hat, den Erfolg seines Buches im Ausland ein
wenig zu übertreiben (^}. Er spricht von dem Beifall „sehr vieler
wackeren und gelehrten Männer" in Frankreich und Deutsch-
A. Pauw. Leonard Philaras. 8^
land, ohne doch einzelne Namen zu nennen. Allein einige
andere Anjijaben, die er macht, sind zu bestimmt und wären
allzuleicht zu widerlen^en gewesen, als dass man sie nicht für
buchstäblich richtig halten sollte. „Das kann ich als wahr
versichern, sobald meine Vertheidigung erschienen war und
die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, gab es keinen Vertreter
eines Fürsten oder eines Staates mehr in London, der nicht bei
zufälligem Begegnen mir Glück gewünscht, mich zu sich
eingeladen oder mich in meiner Wohnung besucht hätte".
Er hebt unter den damaligen Gesandten einen ausdrücklich
hervor, Adrian Pauw, „die Ehre und Zierde Hollands'', der
ihn wiederholt seines „höchsten Wohlwollens" habe versichern
lassen. Ausserdem gedenkt er des Leonard Philaras, eines
geborenen Atheners, durch dessen Mund das alte Hellas
ihm gleichsam .,Beifall zuzurufen" schien. Dieser patriotische
und feingebildete 'Mann war damals Gesandter des Herzogs
von Parma am französischen Hofe und hatte ^lilton zum
Zeichen der Anei'kennung sein Bild und danach einen
freundlichen Brief übermitteln lassen. Er schloss sich in
der Folge noch enger an Milton an, und zwei der an-
muthigsten Briefe des Dichters sind an den Fremden ge-
richtet (/).
Milton fühlte sich durch das Lob des Philaras vor allem
deshalb geschmeichelt; weil es von einem „Erneuerer der alten
athenischen Kunst und Tugend" kam, von einem Sohne derjenigen
Stadt, der er selbst alles zu verdanken gestand, „was er als
Schriftsteller werth sei". Dieser Enthusiasmus für die ehr-
würdige Stätte seiner jugendlichen Sehnsucht riss ihn in
seinem Erwiderungsschreiben (Juni 1652) sogar zu Aeusse-
rungen ül)er die politische Zukunft Griechenlands hin, die
dem heutigen Geschlecht wie prophetisch klingen werden.
Hie und da hatte er schon auf die Türkenherrschaft, als ein
Muster schmählichster Tyrannei, gewiesen und den Gedanken
einer „Befreiung aller Griechen" hingeworfen. Hier sagt er
geradezu, indem er an die grossen Geister Athen's erinnert:
„Hätte ich von ihrer Redegewalt so viel geerbt, dass ich
unsere Heere und Flotten antreiben könnte, Griechenland,.
90 Milton's Briefwechsel mit Philaras.
das Vaterland der Beredtsamkeit, vom ottomanisclien Joche
zu befreien, eine herrliche That, zu deren Ausführung Sie
fast meine Hilfe zu erbitten scheinen, wahrlich ich thäte nur
das, was längst mein Wunsch war. Was haben einst die
tapfersten und beredtesten Männer für ruhmreicher und ehren-
voller gehalten als durch die That oder durch das Wort die
Hellenen frei und unabhängig zu machen? Aber allerdings
ist noch etwas anderes zu versuchen, und meiner Meinung
nach bei weitem das Wichtigste, nämlich in den Geistern
der Griechen den alten Mannesmuth. Fleiss, Arbeitseifer
wieder zu erwecken und zu entzünden. Niemand ist dazu
fähiger als Sie, der Sie glühende Vaterlandsliebe mit grösster
Klugheit, kriegerischer Erfahrung und höchster Freiheits-
sehnsucht verbinden. Ist das aber einmal erreicht, so werden,
dessen bin ich gewiss, die Griechen es nicht an sich selbst, und
so wird es kein Volk den Griechen an sich fehlen lassen" (/).
Milton mochte es schon als einen Gewinn betrachten,
wenn seine Vertheidigung des englischen Volkes ihn mit
Männern in Verbindung brachte, gegen die er sich
solchermasseu aussprechen durfte. Jedenfalls war sein Ruf
auch im Auslande der Art gewachsen, dass er nicht mehr
als der schwache David gegenüber dem Goliath der Gelehr-
samkeit erschien. Das beste Zeugnis des Erfolges, den er
davon getragen, haben ihm schliesslich die Gegner ausgestellt.
Der Leipziger Kaspar Ziegler theilt mit, dass ein aus Holland
übersandtes Exemplar von ]Milton"s Schrift ,.mit solcher Gier
von sehr vielen begehrt und durchlesen worden sei", dass er
selbst es „kaum einen Tag" zur Durchsicht habe erhalten
können. Und der Verfasser der , .Apologie" beklagt es bitter-
lich, dass die „Freude der Menschen an Lügen und Schmä-
hungen" einen ungemein grossen Absatz der Milton'schen
Schrift zur Folge gehabt habe (2). Alles dies liess Milton in
seiner zweiten Vertheidigung den Ausspruch wagen, dass, „wo
noch eine Spur von Freiheit übrig geblieben", sein Buch mit
Beifall begrüsst worden sei.
So gTOss seine Triumphe auch gewesen sein mögen, sie
wurden durch ein schweres Opfer erkauft. Das Leiden, wel-
Milton's Erblindung. 91
dies eine schnellere Vollendung seiner Arbeit verhindert hatte,
seit lange in der Entwickelung begriffen, machte reissende
Fortschritte. Milton's Augen waren, wie die seiner Mutter,
niemals die stärksten gewesen. Nach der Versicherung seines
Neffen hatte er beständig Arzneimittel für sie gebraucht.
Von Jugend auf hatte er an Kopfschmerzen gelitten , dabei
aber die Gewohnheit nicht aufgegeben, bis Mitternacht zu
arbeiten. Sein linkes Auge war schon 1650 so gut wie er-
blindet. Die Aerzte hatten erklärt, dass, wenn er die
ihm aufgetragene Widerlegung des Salmasius unternehme, in
kurzer Zeit auch das rechte seine Sehkraft verlieren werde.
Allein er glaubte, wie er später erklärte, mehr auf die innere
Stimme „des göttlichen Mahners" hören zu müssen. Es handelte
sich für ihn zu wählen „zwischen Erblindung oder Erfüllung der
Pflicht". Gleich „dem Sohn der Thetis" sah er „zwei Schick-
salswege vor sich ausgebreitet", und er wählte denjenigen,
„auf dem er dem Gemeinwesen den grössten Nutzen leisten
konnte". Die Prophezeiung der Aerzte gieng nur allzu rasch
in Erfüllung. Um die ]\Iitte des Jahres 1652 scheint den
Dichter vollständiges Dunkel umfangen zu haben.
Er selbst hat einige Zeit später seinem griechischen Freunde
Leonard Philaras auf dessen Wunsch eine genaue Beschreibung
seiner Krankheit gegeben. Philaras, der im Frühjahr 1054 die
Ungnade Mazarin's und seines Herzogs auf sich zog, hielt es für
gerathen, bis seine Angelegenheiten geordnet seien, eine Pteise
nach England zu unternehmen (0- Er erschien unvermuthet
in London zu einer Zeit, da Milton den werthen Gast schon
nicht mehr von Angesicht sehen konnte (^\ Von tiefem Mit-
leid ergriffen , bat der Grieche den Erblindeten um genauere
Auskunft, in der Hoffnung, daraufhin von seinem franzö-
sischen Freunde, dem berühmten Augenarzt Franz Thevenin,
Mittel der Heilung erfahien zu können. Milton machte ihm
daher folgende Mittheilungen (28. September 1654): „Es
wird, denke ich, etwa zehn Jahre her sein, seitdem ich eine
Abnahme und Verdunkelung meines Sehvermögens bemerkte
und zugleich in der Milz und in den Eingeweiden einen Druck
und Blähungen empfand. Am Morgen, wenn ich meiner
92 Milton's Erblindung.
Gewohnheit nach zu lesen anfieng, thaten mir die Augen
sofort weh, das Lesen war ihnen gleichsam zuwider, nach
einer massigen Leibesübung aber erholten sie sich. Wenn
ich auf ein Licht hinsah, erblickte ich es von einer Art von
Regenbogen umgeben. Nicht lange darnach entstand auf der
linken Seite meines linken Auges (denn dies fieng einige
Jahre früher an als das andere dunkel zu werden) eine Ver-
finsterung, welche mir alles, was auf dieser Seite war, ver-
barg. Wenn ich zufälliger Weise mein rechtes Auge schloss,
so kamen mir auch die Gegenstände, welche vor mir lagen,
kleiner vor. In den letzten drei Jahren nahm auch das
andere Auge nach und nach ab, und einige Monate, ehe ich
das Gesicht völlig verlor, schien mir alles bald rechts bald
links herumzuschwimmen, obwohl ich mich selbst nicht be-
wegte. Hartnäckige Dünste scheinen sich um meine Stirn
und um meine Schläfen festgesetzt zu haben und drücken
auf meine Augen mit lastender, einschläfernder Schwere be-
sonders nach dem Essen bis gegen Abend, so dass ich mich
oft an den Zustand des Wahrsagers Phineus von Salmydessos
in den Argonauticis erinnere: Dunkle Betäubung hüllte ihn
ein, die Erde schien unter seinen Füssen wegzurollen, lautlos
lag er da in dumpfem Schlafe. — Aber ich darf nicht über-
gehen, dass, als ich noch ein wenig sehen konnte, sobald ich
zu Bette gieng und mich auf die eine oder andere Seite
legte , gewöhnlich ein starkes Licht aus meinen verschlossenen
Augen strahlte. Später, als mein Gesicht von Tag zu Tag
schwächer wurde, schienen dunklere Farben mit Heftigkeit
und einer Art von innerem Geräusch hervorzubrechen. Jetzt
aber, als ob alles Lichtartige ausgelöscht wäre, ergiesst sich
gewöhnlich eine völlige oder mit Aschgrau vermischte und
gleichsam durchflochtene Schwärze auf meine Augen. Doch
seheint das Dunkel, das sie beständig umschwebt, bei Nacht
wie bei Tage sich immer eher dem Weissen als dem Schwarzen
anzunähern und lässt, wenn das Auge sich bewegt, wie durch
eine Spalte ein bisschen Licht zu. — Wenn mir auch ebenso
von Seite Ihres Arztes ein wenig Hoffnung übrig bleibt, so
suche ich mich doch wie gegen ein unheilbares Uebel gefasst
Milton's Erblindung. 93
ZU machen und zu beruhigen. Ich denke oft daran, da der
Tage der Finsternis, wie der Weise sagt, jedem von uns
viele zugezählt sind, dass meine Finsternis bisher durch be-
sondere Gnade Gottes unter Arbeit und Müsse im Gespräch
mit lieben Freunden weit erträglicher war, als jene Finsternis
des Todes. Denn wenn der Mensch, wie geschrieben steht,
nicht vom Brode allein lebt, sondern von jeglichem Worte,
das aus dem Munde Gottes geht, warum sollte sich einer
nicht auch mit dem Gedanken beruhigen, dass ihm nicht nur
das Augehlicht, sondern auch die Leitung und Vorsehung
Gottes zur Erleuchtung diene. So lange er selbst mein Wächter
und Schützer ist, wie bisher, und mich mein ganzes Leben
hindurch gleichsam an seiner Hand führt, will ich mit
Freuden , da es ihm so gefällt, meine Augen ausruhen lassen.
Ihnen aber, mein theurer Philaras, was immer erfolgen möge,
sage ich mit einem ebenso entschlossenen und standhaften
Gemüth, als ob ich Lynkeus selbst wäre, Lebewohl" (^).
Man weiss nicht, ob Philaras auf diesen Brief geant-
wortet und die Ansicht des bedeutenden Augenarztes mitge-
theilt hat. Ohne Zweifel wäre übrigens jeder Versuch einer
Heilung damals vergeblich gewesen. Wie immer das Leiden
Milton's zu charakterisiren sein mag — und aus seinen Worten
einen bestimmten Schluss zu ziehen, hält schwer — auch
der geschickteste Fachmann der Zeit hätte ihm keine Rettung
bringen können(-). Seine Augen, obgleich von ,, hellem, flecken-
losen Ansehn", blieben für immer „des Lichtes beraubt",
und in diesem einen Punkte war er, wie er einmal in
bitterem Scherze äusserte, „sehr wider seinen Willen ein
Heuchler".
Es war klar, dass Milton durch seine Krankheit ver-
hindert werden musste, den amtlichen Posten, den er be-
kleidete, ordnungsmässig auszufüllen. Allein der Staatsrath
dachte edel genug, um seinen berühmten Sekretär ein un-
verschuldetes Unglück nicht entgelten zu lassen. Mit Stolz
erinnert Milton in seiner zweiten Vertheidigung an die That-
sache, dass die Führer der Piopublik ihn nicht ,,verstiessen",
dass sie ihn gleichsam der Ehre theilhaftig werden
94 EinwirkuDg der Erblindung anf seine amtliche Stellung.
Hessen, ,,im Prytaneum gespeist zu werden*". Er erwähnt,
wie sie ihm „Müsse und Erholung gönnten", ohne ihn der
„Ehre" und der „Vortheile" seines Amtes zu berauben. In
der That blieb Milton im vollen Geuuss seiner Stelle und
leistete auch als Blinder durch die Macht seines Genius mehr
als ein Sehender zu leisten im Stande gewesen wäre. Mit einiger
Hilfe durch Vorlesen konnte er eine seiner hauptsächlichsten
Obliegenheiten, diejenige des Uebersetzens, nach wie vor erfüllen.
Galt es die Abfassung eines selbstständigen Aktenstückes, einer
Note oder einer Staatsschrift, so bot sich die Möglichkeit des
Diktirens. Vielleicht das letzte Werk , das er vor völliger
Erblindung vollendete, war die Latinisirung der Deklaration
des Parlaments, welche die Gründe des Streites mit Holland
darlegte (Juli 1652). Doch konnte er sich schon damals auf
einen geübten Geliilfen stützen, jenen deutschen Dichter
Weckherlin, der ihm im März 1652 zur Seite gestellt worden
war(^). Allein Weckherlin sah sich schon im December 1652
genöthigt, seine Geschäfte dem rüstigeren Tiuirloe zu über-
lassen und am 13. Februar 1653 nahm der Tod ihn hinweg.
Der Wunsch einen anderen geeigneten Beistand zu erhalten,
sprach sich einige Tage nachher in einem Briefe Milton's aus,
den er an Bradshaw, den zeitigen Präsidenten des Staatsraths,
richtete. Er erklärte allerdings, sich noch immer seinem
Amte gewachsen zu fühlen, die einzige Verpflichtung ausge-
nommen, durch die er genöthigt wurde bei den Konferenzen
mit den fremden Gesandten gegenwärtig zu sein. Aber er
empfahl doch zu gleicher Zeit der Aufmerksamkeit des Staats-
raths einen Mann, der ihm geeigneter als irgend ein anderer
erschien, Weckherlin zu ersetzen. Es war der Dichter Mar-
vell, welcher später in der That der Kollege Milton's wurde.
Damals gieng man über den Vorschlag hinweg, und Milton
scheint längere Zeit ohne officiellen Gehilfen geblieben
zu sein (2).
Seine Erblindung hätte es dem Dichter doppelt wünschens-
werth machen sollen zu der Last seines Amtes nicht auch
Die Schrift : Regii sanguinis clamor. 95
noch die Last eines heftigen schriftstellerisclien Kampfes über-
nehmen zu müssen. Aber unter den Paniplileten, die sich
gegen seine Vertheidigung des englischen Volkes richteten,
war eines, über das er nicht mit Stillschweigen hinweggehn
wollte, wennschon er längere Zeit verstreichen Hess, ehe er
seiner Entrüstung Luft machte. Der vielversprechende Titel
dieses Pamphlets lautete: „Der Aufschrei des königlichen
Blutes zum Himmel gegen die englischen Meuchelmörder".
Das Werk, im Jahre 1652 im Haag bei dem Holländer Adrian
Vlac erscKienen, leitete sich durch eine boml)astische Wid-
mung an Karl H. ein, welche die Unterschrift des Buch-
händlers führte (^). Es war recht eigentlich dazu bestimmt,
Milton vor der Welt anzuklagen und Salmasius Ruhm
zu verkünden. Zwar bleibt die allgemeine Frage nicht aus
dem Spiel. Kapitel für Kapitel werden die „Verbrechen
der englischen Mörder"' vorgeführt, Verbrechen gegen „die
königliche Majestät", gegen „das Volk", die „Kirche" und
„Gott", „alle Könige und Völker", „alle reformirten
Kirchen". Aber innner wieder kehrt der Verfasser zu
den Persönlichkeiten des Salmasius und Milton zurück.
Jener ist das Wunder der Zeit, der in „dem gesammten
Umkreis der Gelehrtenwelt seines gleichen nicht hat",
dieser ein „hungriger Schulmeister, der seine Feder für
Geld verkauft hat". Von jenem weiss man, wie ihn „Fürsten"
geehrt haben, wie ihn die Königin von Schweden ,,um reichen
Lohn zu sich eingeladen hat". Mit ihm zu wetteifern ist
unmöglich, auch rüstet er sich selbst, „in einem zweiten
Druckwerk" seinen Gegner zu zerschmettern. Inzwischen
soll Europa schon vorher über diesen aufgeklärt werden. Es
wird also eine Biographie Milton's entworfen , in der alle die
alten Verleumdungen und Verdrehungen der Wahrheit wieder
auftauchen. Woher er stammt, ,,ob er ein Mensch oder ein
Wurm aus Dreck geboren", bleibt dahingestellt Von Cam-
bridge ist er, wie man sagt, als Student wegen seiner
schlechten Streiche weggejagt worden und nach Italien ge-
flohen. Seine Schriften über die Ehescheidung werden in
diesem Sündenregister selbstverständlich nicht vergessen. Zur
-96 Peter du Mouliu der N'erfasser.
Hinrichtung des Königs hat er, „der höllische Galgenstrick",
«eine Partei vorzüglich angestachelt. Er ist der wahre
„Scharfrichter" und in seinem „Schmachwerk", dem „Eikono-
klastes" hat er auch noch das Andenken des Königs- Märty-
rers verhöhnt. Der Autor hat so wenig Zartgefühl, dass er
sich selbst über die Blindheit Milton's lustig macht und in
ihr eine Strafe Gottes sieht. Milton ist ihm, mit Yirgil zu
reden, ein „grässliches Ungeheuer, dem dass Licht geraubt"
und zugleich von , .blutlosem , verkrüppeltem" Ansehn. In
einem Gedicht, welches der Schrift angehängt ist, wird der
„infame Hallunke Milton" auch noch poetisch verarbeitet, während
•der „grosse Salmasius" in pomphafter Ode als Triumphator er-
scheint. Ausfälle auf Cromwell, den zweiten „Muhammed", sind
selbstverständliche Zuthaten. Geht der Verfasser doch so
weit, die Missethaten, denen Gesandte der neuen Republik
zum Opfer gefallen waren, ziemlich unverblümt zu billigen.
Der Autor der Schmähschrift hatte sich nicht genannt,
sondern" nur an einigen Stellen verrathen, dass er von Geburt
ein Franzose und ein „Neuling in den englischen Angelegen-
heiten" sei. Es war Peter du Moulin, der Sohn des berühm-
ten reformirten Theologen gleichen Namens. Sein Bruder Louis,
Professor der Geschichte in Oxford , war independentisch und
republikanisch gesinnt, während Peter schon früher unter
mancherlei Gefahren prosaisch und poetisch die Sache des engli-
schen Königthums und der anglikanischen Kirche vertheidigt
hatte. In einer Zeit, da es unbedenklich war, hat er selbst ge-
standen, dass der „Aufschrei des königlichen Blutes" von ihm
herrühre ('). Da er indessen nicht wagen durfte, sein Libell in
England zu veröffentlichen, sandte er seine Papiere an Sal-
masius, bei dem sie der besten Aufnahme sicher sein durften.
Derselbe Mann, dem Salmasius das Manuskript zur A'eröftent-
lichung anvertraute, hatte auch die \Yidmung an Karl II.
hinzugefügt, für welche der Buchhändler nach üblicher Sitte
seinen Namen hergab. Es war diese Persönlichkeit, mit der
Milton in eine der hitzigsten Fehden verwickelt wurde, und
über deren Lebeiislauf es daher unerlässlich scheint, einige
Angaben zu machlhi^)
oeiisij
achWi
Monis von Milton für den Verfasser gehalten. 97
Alexander Morus war 1616 in der französischen Stadt
Castres geboren, woselbst sein Vater, ein schottischer Emi-
grant , Pfarrer der reformirten Kirche war. Der junge Morus
machte seine Studien hauptsächlich in Genf, wurde 1641 daselbst
in den Kirchendienst aufgenommen und entfaltete von da an
nicht nur als Prediger, sondern auch als Professor der Theo-
logie eine bedeutende Thätigkeit, Als Schriftsteller wurde
er erst später weiteren Kreisen bekannt. Seine Werke ent-
halten nicht nur theologische Traktate, Predigten und Streit-
Schriften, sondern auch lateinische Gedichte, wie er denn
überhaupt als ein Mann von allgemeiner Bildung erscheint.
Schon beim Beginn seiner genfer Laufbahn war sein Name im
Ausland so wohl bekannt, dass ihm 1642 mehrfache Auf-
forderungen von London zukamen, daselbst eine Predigerstelle
zu übernehmen. Ln Sommer 1647 dachte man in Schottland
daran, ihn für die Stelle des Vorstehers von St. Leonard's
College in St. Andrews gewinnen zu können ('). Er blieb
indessen in Genf, bis er im Juli 1649 nach der niederländi-
schen Stadt Middelburg abreiste, von wo ihm schon das Jahr
zuvor eine ehrenvolle Berufung zugekommen war. Salmasius,
der ihm längst gewogen war, sowie die Königin von Böhmen,
Karl's I. Schwester, die in den Niederlanden lebte, hatten
die Aufforderung, nach Middelburg überzusiedeln, unterstützt.
Auch hier fanden seine Predigten ausserordentlichen An-
klang (2). Im Jahre 1652 siedelte er nach Amsterdam über,
um der Nachfolger des Vossius als Professor der Kirchen-
geschichte zu werden. Er muss im Flause des Salmasius ein
oft gesehener Gast gewesen sein, und es konnte nicht fehlen,
dass er für dessen Streit mit IMilton lebhaft interessirt wurde.
Als nun die Schmähschrift du Moulin's bei Salmasius anlangte,
wurde es diesem ohne Zweifel um so leichter , den Freund
zur Herausgabe derselben zu bewegen, da Morus ohnehin dem
Hause Stuart verpflichtet war.
Es dauerte nicht lange, so verbreitete sich das Gerücht,
Morus sei der Verfasser jenes Lil)ells. Ihm selbst kamen
derartige Aeusserungen vielfach zu Ohren. In England fanden
sie gleichfalls Eingang und Glauben (^). Englische Zeitungen
Stern, Milton u. s. Z. II. 3. 7
98 Milton's zweite Vertheidigiing des englischen Volkes.
nannten Morus als Autor, und der Mercurius politicus, wie er
schon früher den ,, Goliath Salmasius" verspottet hatte, beeilte
sich den Hausfreund des Salmasius in Prosa und in Versen
der üifentlichen Verachtung Preis zu geben. Erinnert man sich,
in welchem Verhältnis der Herausgeber dieses Blattes,
Marchmont Xeedham, zu Milton stand, so wird man es für
wahrscheinlich halten, dass dieser hierbei die Hand im Spiele
hatte (^). Denn auch er durchdrang sich mit der Ueber-
zeugung , dass er die Maske seines Gegners durchschaut habe,
und Alexander ]\Iorus bildete fortan einen Gegenstand seiner
Aufmerksamkeit. Er kam indessen nicht so bald dazu, diesem
vermeintlichen Widersacher, wie er sich später ausdruckte,^
„den Mund zu stopfen", obwohl ihm dies leidige Geschäft
durch die Behörden seines Landes nahe genug gelegt wurde.
Die Erwartung, aufs neue von Salmasius angegriffen zu wei-
den, häusliche Sorgen, geschwächte Gesundheit, wachsende
Abnahme des Augenlichts liessen ihn jene Arbeit zwei Jahre
lang aufschieben. Erst Ende Mai 1654 erschien seine Ent-
gegnung, eine der merkwürdigsten Schriften, die Milton über-
haupt verfasst hat. Er gab ihr den Xamen der zweiten
Vertheidigung des englischen Volkes, weil es ihm darauf
ankam, nicht nur sich selbst, sondern aufs neue auch die
Führer und die Ergebnisse der Pievolution zu rechtfertigen (-).
Es war selbstverständlich nicht unbekannt geblieben, dass
er ein solches Werk vorbereite. Der erste, der ein lebhaftes
Interesse daran nahm , war jener Buchhändler Adrian Vlac,^
welcher die Hoffnung hatte, bei dieser Gelegenheit ein gutes
Geschäft zu machen. Schon früher, als Milton's erste Ver-
theidigung ein so gewaltiges Aufsehn machte, hatte er sich
bemüht, ein Werk des berühmten Publicisten für seinen Ver-
lag zu erhalten. Er stand, aus welchem Grunde auch immer,
mit Samuel Hartlib in Korrespondenz. Er hatte sogar die
Keckheit gehabt, diesem, dem Freunde Miltoifs , auf seine
Bitten wöchentlich die Aushängebogen der vermeintlichen
Moiiis'schen Schmähschrift zu übersenden und zugleich um
die Ehre gebeten, Milton's Verleger sein zu dürfen, falls es
diesem gefallen sollte eine Erwiderung in Druck zu geben.
Der Buchhändler Vlac. 00
Eh lässt sich denken, dass Hartlib sehr übel auf Vlac zu
sprechen war, als er dessen Namen unter der Widmung vor
dem „Aufschrei des königlidien Blutes" erblickte, und dass
Milton sich wohl hütete mit einem Manne in Verbindung zu
treten, der beiden Parteien auf jede Weise zu dienen bereit
war, um an beiden möglichst viel Geld zu verdienen (*).
Nächst Vlac war Morus sell)st höchst gespannt auf das
Erscheinen der Gegenschrift Milton-s. Ihm musste alles daran
liegen, diesen schon vorher davon zu überzeugen, dass er
nicht der Autor jenes Libells sei. Im April 16')4 kam John
Durie nach den Niederlanden. Durie's nahe Beziehungen zu
Milton waren bekannt, durch ihn liess man daher sofort und
wiederholt den Dichter bedeuten, dass nicht Morus, sondern
ein französischer Geistlicher, dessen Name jMorus im Vertrauen
einem Freunde mitgetheilt hatte, den „Aufschrei des könig-
lichen Blutes" verfasst habe. Nicht genug damit: es wurde
versucht noch einen stärkeren Druck auf Milton auszuüben^
um wenigstens Morus vor seinen Angriffen zu schützen, falls
es niclit überhaupt gelänge, ihm Schweigen aufzulegen. Eng-
land und die Niederlande hatten soeben, nach Errichtung des
Protektorats, Frieden miteinander geschlossen. Es war von
Wichtigkeit zu verhindern," dass etwas geschehe, was die
Leidenschaften wiederum aufreizen könne. Einer der hollän-
dischen Gesandten, Wilhelm Nieuport, war daher auf Morus
Bitten gerne bereit, an officieller Stelle in England sein
Interesse wahrzunehmen. Er bat den Staatssekretär Thurloe
sehr ernstlich, die Sache bei Cromwell zur Sprache zu bringen.
Er liess ausserdem durch zwei seiner Freunde, die ebenfalls
mit Milton genau bekannt waren, diesen ersuchen, von seinem
Unternehmen abzustehn oder doch Morus zu verschonen (^).
Die englischen Behörden waren indess durch die Entdeckung
royalistischer Mordpläne gegen das Leben des Protektors zu sehr
in Anspruch genommen, um für Morus Angelegenheit Flusse
erübrigen zu können. Und Milton, wiewohl er sich jeder
Beleidigung der Niederlande enthalten zu wollen versprach,
erklärte doch zugleich, er habe die feste Ueberzeugung, sein
anonymer Gegner sei niemand sonst als Morus (^). Dieser
100 ^61' Buchhändler Vlac.
hat später behauptet, Miltoü habe wider besseres Wissen
gehandelt, nur um den pikanten Stoff, den er gesammelt
hatte, nicht verloren gehen zu lassen. Der älteste Biograph
des Dichters bestätigt dies, indem er ihn nach Kenntnis-
nahme der Verwechselung von du Moulin und Morus ausrufen
lässt: „es sei ihm ganz gleich, einer sei so schlecht wie der
andere, und da er es einmal geschrieben habe, solle es in
die Welt gehn". Allein diese Anekdote beruht anscheinend
auf einer irrigen Angabe du Moulin's(^). Und so viel ist
gewiss, dass es Milton sehr schwer wurde, sich von seinem
Irrthum überzeugen zu lassen. Zwei Jahre lang war ihm,
wie er sagt, ,,von jedem Einheimischen und von jedem
Fremden", mit dem er über die Sache gesprochen hatte,
Morus als Autor bezeichnet worden. Von einem „gelehrten
und sachkundigen Manne", der ihm „wohlbekannt" und „in
Holland sehr angesehen war", war einem seiner Freunde die-
selbe Nachricht zugekommen. Briefe aus dem Haag und aus
Amsterdam hatten mitgetheilt, Morus habe die Korrektur
besorgt, Exemplare vertheilt und sich schriftlich und münd-
lich der Autorschaft der Dedikation an Karl II. berühmt.
Durie's Berichtigung machte keinen Eindruck auf ihn, denn
Durie's Gewährsmann, ein Roy allst und Morus' Freund, dünkte
ihn um so parteiischer, da er nur Morus' Sprachrohr sein
konnte. Dessen Interesse, nicht für den Verfasser der
Schmähschrift gehalten zu werden, lag aber am Tage, da er
auf seine Stellung in den Niederlanden Rücksicht zu nehmen
hatte. In demselben Lichte erschien der Vermittlungsversuch
des holländischen Gesandten (2).
Immerhin war es höchst bedenklich, sich so fest in diesen
Gedankengang zu verrennen und auf die entgegengesetzten
Stimmen nur mit halbem Ohre zu hören. Was hätte näher
gelegen als der Schluss, dass wer die Widmung verfasst, des-
halb nicht auch das Libell geschrieben haben müsse. Milton,
gereizt wie er w^ar, schloss gerade umgekehrt und brachte sich
damit in die zweideutige Lage, gegen Windmühlen zu kämpfen.
Freilich was ihm über Morus zu Ohren gekommen, war so ver-
fänglicher Art, dass auch ein anderer nicht leicht der Versuchung
Angriffe gegen Morus. 101
widerstanden haben würde, es weiteren Kreisen mitzutheilen.
Es war eine ganze Skandalchrouik , voll der anzüglichsten
Einzelheiten, die, untermischt mit sehr wenig geschmackvollen
Wortspielen und sehr wenig anständigen Bildern, in klassi-
schem Latein erbarmungslos vorgetragen wurde. ^Yas die genfer
Epoche des Morus betriflft, so werden ihm sehr wenig erbau-
liche Dinge nachgesagt. Nicht nur, dass von seinen „viel-
fachen Ketzereien" die Rede w'ar, die er abzuschwören ge-
zwungen worden sei, ohne sie aiikugeben, auch seine sittliche
Aufführung hatte schweren Anstoss erregt. Ein Verhältnis mit
dem Dienstmädchen seines Wirtes setzte er fort, selbst nachdem
es sich verheiratet hatte. Man wusste, dass er mit ihr in einem
Gartenhäuschen zusammenkam, ohne Zweifel doch nicht des-
halb , „um ihr botanische Vorlesungen zu halten''. Er trieb
es so weit, dass die Geistlichkeit über ihn, als einen Ehe-
brecher, die Censur aussprach und ihn seines Amtes für un-
würdig erklärte. Durch Vermittelung des Salmasius wurde
er nach Middelburg berufen und führte auch dort einen un-
moralischen Lebenswandel. Er fand im Hause seines gelehrten
Gönnei'S eine Magd — IMilton nennt sie ,,nach dem beissenden
Epigramm eines Holländers", das auch im Mercurius politicus
erschienen war, „Pontia" — und sofort wai-f er seine begehr-
lichen Blicke auf diese. Es kam ihm sehr gelegen die Ver-
theidigung des Salmasius zu übernehmen, denn nun hatte er
.,Tag und Nacht, um sich übei" dies Werk mit ihm zu be-
rathen", Zutritt zu seinem Hause. Der Pontia versprach er
die Ehe und gewann damit ihre Gunst. Aber nachdem er
der Verfechter der stuartischen Sache geworden war und sieh
die ganze oranisehe Partei dadurch verpflichtet glaubte, dünkte
er sich „für das arme Dienstmädchen" zu hoch. Die Verlassene
wandte sich klagend an Synode und Obrigkeit. Auf diese
Weise wurde die Sache ruchbar. Salmasius war nicht un-
empfindlich für den Sehimpf und Spott, dem er sich dadurch
ausgesetzt sah, und so musste auch Morus noch dazu bei-
tragen ihm die letzten Lebenstage zu verl)ittern. Neuerdings
soll die Kirche von Middelburg den ,, stinkenden Bock" aus
ihrer Gemeinschaft ausgestossen, die Obrigkeit von Amsterdam
102 Angriffe gegen Salmasius und Vlac.
ihm die Kanzel verboten haben. — Das also ist der Gegner, an
den sich der Yertheidiger der englischen Republik glaubt
halten zu müssen, ein ..treuloser, lügnerischer, undankbarer
Mensch", ein Heuchler und ]\Iädchenjäger , „der den guten
Ruf von Männei-n und Weibern in gleicher Weise zu schädigen
sucht".
Morus war die hauptsächliche Zielscheibe Milton's, aber
er vergass über ihn weder den alten Gegner, der jenen be-
nutzt, noch den geriebenen Buchhändler, der sich ihm zur
vollen Verfügung gestellt hatte. Salmasius war freilich todt,
und Milton wollte ihm „aus dem Tode keinen Vorwurf machen,
wie man ihm einen Vorwurf aus der Blindheit gemacht hatte".
Nichts desto minder hatte er Grund ihm auch über das Grab
hinaus zu grollen. Ihm dankte er diese neue Fehde, von ihm
wusste er sich durch eine nachgelassene Schrift noch immer
bedroht. In Prosa und Versen wird daher der „Ränkeschmied",
der von einem kritiklosen Lobhudler auf ein so erhabenes
Piedestail erhoben worden war, sehr reichlich bedacht. Bei
weitem unsanfter sah sich der Buchhändler Vlac angefasst.
Sein wenig ehrenvolles Verhalten in der ganzen Sache wird
ihm in den stärksten Ausdrücken vorgerückt. Seine Ver-
gangenheit giebt nach Milton's Behauptungen gleichfalls zu be-
denklichen Urtheilen Anlass, Er nennt ihn einen „notorischen
Schwindler und Verschwender'". Er weiss von ihm zu be-
richten, dass er lange ., einen heimlichen Handel in London
betrieben und nach unzähligen Betrügereien mit Zurücklassung
von Schulden das Weite gesucht habe". In Paris habe er es
nicht besser gemacht ('), er sei von dort geflohen und im
Haag als „neugeborener Buchdrucker" wieder aufgetaucht.
Die drei „Schauspieler des Dramas-'. Morus, Salmasius, Vlac
waren genügend gekennzeichnet, und nichts war versäumt
worden sie der Lächerlichkeit und Verachtung Preis zu geben.
Es wäre indess ein Mangel der Komposition gewesen, diesen
Karrikaturen nicht auch Bilder von reinen, anmuthenden
Zügen entgegenzustellen. Indem Milton sich dazu entschloss,
beugte er der Ermüdung des Lesers vor und gewann die Mög-
lichkeit grimmigen Hohn mit freudigem Lobe, niedrige Witze-
Milton's Selbstportrait. 103
leien mit erhabenem Pathos, übertriebene Ironie mit schlichter
Erzählung wechseln zu lassen. Alle Vorzüge seines Stiles
Icamen hiebei zur vollen Entfaltung, und die polemische Ge-
legenheitsschrift, die in ihrem ersten Theile nur allzuhäufig
durch rohe und unfläthige Spässe abslösst, erhebt sich in
ihrem zweiten Theile zu einem grossartigen Denkmal histori-
scher Darstellung.
Am merkwürdigsten und werthvollsten bleibt für uns das
scharf umrissene Selbstportrait, welches Milton, nach Art der
grossen Kiinsller, kühn genug war zu entwerfen und gegen
das Zerrbild zu halten, das seine Gegner geschaffen hatten.
Sie hatten ein Ungeheuer aus ihm gemacht, ein „Monstrum"
an Körper und Geist, um durch die Brandmarkung des Ver-
theidigers der englischen Nation diese selbst zu brandmarken.
Er sieht sich genöthigt mit eigener Hand seine Persönlich-
keit und seinen Lebensgang zu schildern, damit sein Vater-
land wisse, dass es keinen ehrlosen Mann zum Verfechter
seiner Sache gewählt habe. Eine solche Aufgabe wird immer
etwas Missliches an sich haben. Einem Schriftsteller von der
Natur Milton's, in dem eine starke Ader des Selbstbewusst-
seins schlug, konnte sie doppelt gefährlich werden. Es ist
ihm indess nicht übel gelungen sich von üebertreibung und
Schönfärberei fernzuhalten. Die Darstellung seiner Jugend-
zeit und seines früheren Mannesalters , auf die wir so häufig
haben Bezug nehmen müssen, ist ruhig und objektiv gehalten,
als handle es sich um eine dritte Person, Freilich nimmt
das stolze Gefühl , das ihn über gemeine Anschuldigungen
emporhebt, nicht selten einen starken Ausdruck an. Er tlmt
sich etwas zu Gute darauf, dass er. der Republikaner, seinen
ehrlichen Namen einsetzt, während seine Feinde „unter könig-
lichem Schutze", sich „wie Diebe" verstecken. Er betont,
dass es ihm nicht um klingenden Sold zu thun ist, während
€r in ihnen nur feile Lohnschreiber erblicken kann. Er pocht
auf seine fleckenlose, sittenreine Vergangenheit, indess er
«einem Angreifer Laster auf Laster glaubt vorwerfen zu dürfen.
Selbst über seine äussere Erscheinung meint er, nach dem,
was die Gegenpartei verbreitet hatte, ein Wort sagen zu
104 Charakteristik der politischen Grössen Englands.
müssen. Und indem er auf seine Blindheit zu sprechen
kommt, an der sich seine Widersacher geweidet hatten,
mischen sich Entrüstung, Schmerz und stille Ergebenheit in
das schwere Geschick zu einem überaus wirkungsvollen
Ganzen. Er tröstet sich mit dem Gedanken, „dass es nicht
so elend sei, blind zu sein, als die Blindheit nicht ertragen
zu können". Er gefällt sich in der Erinnerung an alle die
Weisen und Helden der Vorzeit, von Tiresias und Timoleon
bis zu Dandolo und Zanchius, die dasselbe Leiden wie er zu
tragen gehabt, „und deren Missgeschick die Gottheit durch
andere Gaben ausgeglichen hat". Den Spöttern ruft er zu:
„Die Blinden stehn unter Gottes Schutz . . Wehe dem, der
uns verhöhnt, und verletzt . . ich fühle mich gegen den An-
griff der Menschen nicht nur geschützt, sondern durch Gottes
Gunst beinahe geheiligt, . . in meiner Dunkelheit strahlt das
Licht der göttlichen Gegenwart nur um so heller".
Man hatte die Häupter der englischen Revolution, die
Männer,, welche das Heer von Sieg zu Sieg geführt, welche
die Staatsverwaltung unter den schwierigsten Umständen
übernommen hatten, gleichfalls mit Schmutz beworfen. Es
war nur billig auch ihre Charakterbilder von den entstellen-
den Flecken zu reinigen, damit sie nicht in dieser Weise auf
die Nachwelt kämen. Und so erscheinen die Fleetwood,
Lambert, Desborough, Whalley, Overton, Whitelocke, Picker-
ing, Strickland, Sydenham, Sidney, Montague, Lawrence ent-
weder etwas genauer skizzirt oder doch mit einem ehrenden
Beiwort geschmückt. John Bradshaw, „dessen Name überall
mit Beifall genannt werden wird, wo man die J^eiheit kennt
und liebt", erhält eine ausführlichere, von Lob überfliessende
Charakteristik. Fairfax wird mit einem der antiken Heroen
verglichen, von denen die Dichter singen, dass sie nach
Thaten unsterblichen Ruhmes mit den Göttern olympische
Ruhe gemessen. Die Persönlichkeit Cromwell's endlich be-
schäftigt den Verfasser so sehr in erster Linie und reizt ihn
zu so bemerkenswerthen Aeusserungen , dass es nothwendig
erscheint, dieses Abschnittes seiner Schrift noch in anderem
Zusammenhange zu gedenken. Selbstverständlich spricht.
Behauptung des früheren Standpunktes. 105
Milton auch liier immer als entschiedener Parteimann, aber
es bedarf nur eines flüchtigen Vergleiches seiner Skizzen mit
denen der royalistischen Federn, um zu erkennen, auf welcher
Seite man der Wahrheit am nächsten kam. Milton hatte
nicht nur den Vortheil eines feinen psychologischen Blickes,
sondern auch, in vielen Fällen, genauer persönlicher Bekannt-
schaft. Bradshaw nennt er den „Freund, den er aufs höchste
verehrt". Mit dem Colonel Robert Overton, dem tapferen
Soldaten, der sich schon bei Marston-Moor ausgezeichnet, das
Kommanck) in Hüll gehabt und seine reichsten Lorbeeren im
letzten schottischen Feldzug erworben hatte, fühlte er sich
,,seit vielen Jahren wegen der Aehnlichkeit der Studien und
der Anmuth seiner Sitten durch eine mehr als brüderliche
Eintracht innig verbunden" (i). Von Montague, dem späteren
Admiral und Mitglied des Cromwell'schen Hauses der Lords,
von Lawrence, Präsidenten des Cromweirschen Staatsraths,
spricht er wie ein genauer Bekannter. Fleetwood, den seine
Heirat mit Ireton's Wittwe zu Cromwell's Schwiegersohn ge-
macht hatte, beurtheilt er anscheinend gleichfalls aus eigener
langjähriger Erfahrung.
Indessen einen so grossen Raum das Persönliche in dieser
Schrift Milton's einnimmt, so lässt er deshalb die Sache, um
die es sich handelt, nicht aus dem Auge. Er weicht keinen
Sehritt zurück, sondern fühlt sich durch den Erfolg seiner
ersten Vertheidigung nur noch bestärkt, seinen Standpunkt
zu behaupten. Die Thaten des independentischen Heeres er-
halten in ihm aufs neue ihren begeisterten Herold. Der
Process und die Hinrichtung des Königs werden von ihm
noch ein Mal als völlig gerechtfertigte Handlungen dargestellt.
Die politische Theorie der Gegner erscheint ihm lächerlich
und für das Königthum selbst im höchsten Grade schädlich,
die seinige dagegen einzig menschenwürdig und ungefährlich
für das monarchische Princip. „Wenn ich Tyrannen angreife,
was geht das die Könige an? Ich hüte mich wohl diese jenen
gleichzustellen. Ich behaupte vielmehr : wie sich ein ehrlicher
Mann von einem Schurken unterscheidet, so unterscheidet
sich ein König von einem Tvrannen". Eben daher sucht er
106 Behauptung des frühereu Standpunktes.
die Befürchtungen zu widerlegen, als habe die englische Re-
gierung revolutionären Ursprungs es auf eine gewaltsame
Propaganda abgesehn, als sei ihr Dasein den übrigen Mächten
Europa's bedrohlich. „Nur unsere eigenen Angelegenheiten
haben uns beschäftigt, um diejenigen andeier bekümmern wir
uns nicht. Das Gute, was unsere Nachliarn von uns lernen
mögen, missgönnen wir ihnen nicht, den Schaden, der aus
unserem Beispiel erwächst, können wir allein dem Missbrauch
unserer Grundsätze zuschreiben". Es war nur politisch, wenn
ein Mann in Milton's Stellung diese Sprache führte, und von
demselben Gesichtspunkte aus ist es zu beti-achten , wenn er
das Verhältnis seines Staates zu einzelnen der fremden Mächte
in das beste Licht zu stellen und schon dadurch seinen Gegner
abzuführen versucht. Die mehrfachen Gesandtschaften der
„edlen Franzosen" werden rühmend erwähnt. Die „brüder-
liche" Gesinnung der Niederländer lässt ihn hoffen, dass der
eben mit ihnen abgeschlossene Friede von ewiger Dauer sein
möge*. Eine lange Abschweifung gilt dem überschwänglichen
Lobe Christinen's von Schweden, deren Beurtheilung seiner
ersten Veitheidigung dem Autor, ohne Zweifel in übertriebener
Form, zu Ohren gekommen war. Man wird die Schmeiche-
leien, die er der bizarren Tochter Gustav Adolfs sagt, nicht
auf niedere Beweggründe zurückführen wollen. Er glaubte
ihr zu Dank verpflichtet zu sein und nahm daher den Mund
etwas voll. Kaum verzeihlich dagegen erscheint es, dass er
seinen vermeintlichen Gegner, „den genfer Flüchtling" förm-
lich als einen Menschen denuncirt, der seine neue Heimat
entehre und gefährde, und dass er nicht übel Lust bezeigt
von den holländischen Behörden seine Ausweisung zu fordern.
Es lässt sich denken, dass Morus der Veröffentlichung
von Milton's Schrift nicht ohne Sorgen entgegensah. Nach
Milton's späterer Behauptung „wagte er gar nicht mehr das
Auge von der Küste abzuwenden", an der das gefürchtete
Buch anlangen musste. Er wusste sodann, wie er ihm vor-
wirft , den Vertrieb zu verhindern , bis seine Antwort fertig
geworden war. Diese selbst wurde einem schlechten Nach-
druck der Milton'schen Schrift angehängt. Wiederum war es
Vlac's Nachdruck uebst Morus' Fides puhdica. 107
Vlac, aus dessen Druckerei das Ganze hervorf,nenfr, und dieser
konnte somit nicht nur auf bedeutenden Geldgewinn reclinen,
sondern zugleich seine eigene Yertheidigung anfügen (9- Er
Hess indessen zuerst einem gewissen Doktor der Theologie,
Georg Crantz , das Wort. Dieser , ein Verwandter des be-
rühmten Historikers gleichen Namens, gab „wenn auch köiper-
lich leidend" ein eigenhändiges Zeugnis für Morus ab. Frei-
lich sah dasselbe etwas zweideutig aus. Crantz gestand zu,
dass sich sein Schützling durch allzu grosse Freiheit der Rede
viele Feinde gemacht habe. Der verstorbene Spanheim habe
ihm nichts vorzuwerfen gehabt als stolzes Wesen. Salmasius
habe nur das an ihm ausgesetzt, dass er nicht fleissig genug
und zu leichtgläubig sei, übrigens aber seine Taleofe aufs
höchste gerühmt. Morus habe freilich seine Gemahlin verletzt,
aber er , Salmasius selbst , wolle mit ihr der Kuppelei schul-
dig sein, wenn Morus die ihm gemachten Vorwürfe verdiene.
Von Milton dagegen weiss dieser Doktor der Theologie alles
mögliche Schlechte zu sagen, das er namentlich aus dem nach-
gelassenen Werke des Salmasius schöpft. Selbstverständlich
figuriren an der Spitze dieses Sündenregisters wieder die Schriften
über die Ehescheidung.
Hieiauf sprach der Buchhändler Vlac für sich selbst.
Er erklärte , der Autor jenes Lil)ells , das den ganzen Streit
hervorgerufen hatte, sei ihm bis zur Stunde unbekannt, setzte
seine Beziehungen zu Hartlib und INIilton auseinander und
wies die schweren Beschuldigungen des letzten zurück. Nach
seinem Dafürhalten beruhten diese auf den Aussagen eines
übelwollenden ungenannten Berufsgenossen, desselben, aus
dessen Presse Milton's zweite Vertheidigung hervorgegangen
sei. Er gab einen Ueberblick über seinen Verlag, erzählte
von den Plackereien, die er während seines englischen Auf-
enthaltes von der Innung der Stationers zu erdulden gehabt,
von den zünftischen Eifersüchteleien, die ihn auch nach Paris
hin verfolgt hätten und machte kein Hehl daraus, dass er
für die Widmung an Karl H. nur seinen Namen hergegeben
habe(-). Alles, was er vorbrachte, war mit Ausfällen gegen
Milton reichlich durchzogen. Er warf sogar die Frage auf,
108 Vlac's Nachdruck nebst Morus' Fides publica.
ob dieser durch Herausgabe seiner Schmähschrift nicht einen
Artikel des englisch-niederländischen Friedens verletzt habe.
Endlich kam Morus selbst an die Reihe, ausgerüstet mit
einer Masse von Aktenstücken, siegesgewiss im Gefühl ge-
kränkter Unschuld, wählerischer in der Auswahl lateinischer
Schmähworte als sein Gegner, aber immer noch derb und
beleidigend genug. Auch er suchte die ganze Sache zu einer
Staatsaktion aufzubauschen. Es lag ihm um so näher an den
eben abgeschlossenen Frieden zu erinnern, da niemand anders
als er selbst die Friedensartikel in's Französische übersetzt
hatte. Er erwälinte die Bemühungen Durie's und ISieuport's,
um zu zeigen, dass Milton ihm wider besseres Wissen die
Autorschaft des „Aufschreis" zugeschrieben^ habe. Ueber den
wahren Verfasser machte er nur einige Andeutungen ohne ihn
zu nennen. Doch glaubte dieser eine Zeit lang sich schon
hierdurch für sehr gefährdet halten zu müssen. Was Milton
betrifft, so war er für Morus wie für Vlac, und ohne Zweifel
auf dieselbe Autorität hin, ein Mensch „aus allen Verbrechen
zusammengesetzt". Die Hauptsache blieb indessen für Morus
den „Augias-Stall zu reinigen", dessen übelduftender Inhalt,
wie er richtig vermuthete seinem Gegner von anderen zu-
getragen worden war. Alle Beschuldigungen Milton's erklärte
er für „gefälscht und erlogen", von unzweifelhafter Aechtheit
erschien ihm nur Milton's „Unverschämtheit". Er Hess es daher
an einer Aufzählung der eigenen Schriften nicht fehlen und
erinnerte mit schlecht verhehlter Eitelkeit an die Masse von
Akademieen und Kirchen, bei denen er in höchster Achtung
stehe. In Ansehung seiner genfer Epoche rückte er mit
mehreren Zeugnissen auf, von denen schon früher einige ge-
druckt worden waren. Da war ein Schreiben der Kirche von
Genf vom 25. Januar 1648, das sein Lob in den höchsten
Tönen sang und nur obenhin veraltete Anklagen wegen
„grässlicher Ketzerei^'. berührte, Anklagen die er längst sieg-
reich zurückgewiesen haben wollte. Bürgermeister und Rath
der Stadt Genf hatten sich am folgenden Tage auf seine
Bitten in derselben Weise ausgesprochen und kundgethan,
dass man in den Niederlanden seine Rechtgläubigkeit fälsch-
Vlac's Nachdruck nebst Morus' Fides publica. 109
lieh in Zweifel ziehe. Man hatte verbreitet, das Zeugnis der
Compagnie vönörable sei anfechtbar, es sei in einer ausser-
gewöhnlichen Sitzung ausgestellt, Morus habe die Stimmen
erbettelt , die Angesehensten hätten sich geweigert zu unter-
zeichnen. Am 10. April 1048 erfolgte daher seitens der genfer
Geistlichkeit eine feierliche Bestätigung ihrer Urkunde, eine
Zurückweisung jener Verdächtigungen, eine Erklärung, dass
nur die Namen von drei Mitgliedern fehlten. Die Obrigkeit
liess es wiederum (29. März und 12. April 1648) an bekräftigen-
den Certüfikaten nicht fehlen. Zu guterletzt folgte noch ein
Brief von Diodati, dem 1649 gestorbenen alten Freunde
Milton's, an Salmasius, in welchem Morus gleichfalls als ein
vortrefflicher Mensch, das unschuldige Opfer hämischer An-
griffe, dargestellt wurde. Es war zwar von dem Uebermass
seiner Hitze die Rede; auch dünkte Diodati das kirchliche
Zeugnis etwas zu blumenreich. Uebrigens sprach er sich mit
Entrüstung über die Feinde des Morus aus, welche falsche
Gerüchte ausgestreut hätten, um ihn aus Genf zu vertreiben
und um ihm in Holland die Thore zu verschliessen.
Hier brach die Vertheidigung des Morus plötzlich ab,
wie der Verleger in einer Nachschrift erklärte, weil der Ver-
fasser durch eine Reise verhindert worden sei das übrige
Material für den Druck einzuliefern. Morus befand sich in
der That auf Urlaub, in Frankreich und in Italien, woselbst
er trotz seines feindlichen Verhältnisses zu Milton bei Milton's
alten Freunden, Dati und Holstenius gute Aufnahme fand(>).
Erst im Jahre 1655 liess er eine Ergänzung seiner Ver-
theidigung nachfolgen (2). Zunächst wurden noch weitere
briefliche Zeugnisse aus genferischen Kreisen beigebracht:
von Diodati, dem Juristen J. Godefroy, dem Theologen Sartoris,
der gleichfalls mit Salmasius in Korrespondenz gestanden
hatte. Dann aber wandte sich Morus zu einer aktenmässigen
Widerlegung der Angriffe, welche gegen sein Leben in den
Niederlanden gerichtet worden waren. Briefe der Geistlichkeit
von Middelburg, Auszüge aus den Protokollen verschiedener
Synoden, Zeugnisse der Obrigkeit von Amsterdam und der
Schulbehörde wechselten mit einander ab. Auf diese Masse
wo Vlac's Nachdruck nebst Morus' Fides publica.
von Urkunden gestützt, erklärte Morus seinen Gegner für
einen lügnerischen Schwätzer. Er läugnete, dass man ihn in
Middelburg aus der Kirche ausgestossen , in Amsterdam am
Predigen verhindert habe. Mit Salmasius wollte er bis zu
dessen Tode gut Freund gewesen sein. Doch konnte er nicht
in Abrede stellen, dass der Roman, der im Hause des Salmasius
gespielt haben sollte, nicht ohne einen gewissen historischen
Kern war. Aber er schob die ganze Schuld jenes ärgerlichen
Handels auf die Frau des Salmasius, die nach den wenigen
Andeutungen, welche er macht, als eine wahre Xanthippe
erscheint. Sie hat sich, so behauptet er, mit einer ihm feind-
lichen Partei verbündet, ganz Belgien mit „unsinnigen Ge-
rüchten" erfüllt und ihn zuletzt gezwungen, so sehr Salmasius
sich bemüht hatte die Sache friedlich beizulegen, einen Process
gegen ihre Dienerin oder richtiger gegen sie selbst anzustrengen.
Bei der Gerichtsverliandlung wie auf der Synode von Utrecht
seien eine Menge offener und heimlicher Feinde mit zahllosen
Verleumdungen gegen ihn aufgetreten, aber das Tribunal wöv\^
die Synode hätten ihm vollkommen Recht gegeben. — Auf
diese Weise glaubte sich jMorus gegen ]Milton's Angriffe hin-
länglich gedeckt zu haben. Jeder verständige Leser musste
die Ueberzeugung gewinnen, dass es ihm ein Leichtes sein
würde, den Autor jener Schmähschrift zu nennen, für den
man ihn gehalten hatte. Jeder unparteiische Leser musste
sich mit dem Glauben erfüllen, dass so viele übereinstimmende
Beweisstücke, die für den Charakter des Angegriffenen
sprachen, nicht gefälscht sein konnten. In beiden Beziehungen
erschien die Rolle, welche Milton spielte, als eine wenig
rühmliche.
Er entschloss sich dennoch sie fortzusetzen. Eine „Ver-
theidigung für sich selbst" stellte er dem Haupttheil der
Morus'schen Schrift entgegen, und da er abgewartet hatte,
bis die angekündigte Ergänzung derselben erscheinen würde,
konnte er auch diese sofort erwidern ('). Es wäre
vielleicht das Beste gewesen, wenn Milton sich hätte über-
winden können zu schweigen. Sein literarischer Ruhm hatte
bei der Fortsetzung dieser Debatte wenig zu gewinnen, und
Milton's „Selbstvertheidigung". Hl
auf seinen Charakter drohte, wofern er sich trotzig besserer
Einsicht verschloss, ein kleiner Flecken zu fallen. Einer seiner
Freunde, der Bremensei' Heinrich Oldenburii-, dem er sein
Buch überschickt hatte, scheint denn auch den Wunsch aus-
gedrückt zu haben , dass Milton sich anderen Gegenständen
zuwenden möge. Eben dieser hatte die früher von ihm selbst
getheilte Ansicht über die Autorschaft des Morus widerrufen.
Ein anderer Bekannter dagegen, der Dichter Andrew Marvell,
ermuthigte Milton durch sein hohes Lob der „zweiten Ver-
theidigunp»" ohne Zweifel nicht wenig, den Kampfplatz zu
behaupten. Er hatte sieh vorgenommen das Buch auswendig
zu lernen, er verglich es mit der Trajanssäule und sah in
ihm die verschiedenen Triumphe Milton's über seine Feinde
abgebildet (^). Derartige schmeichelhafte Urtheile konnten
ihres Eindrucks auf Milton nicht verfehlen, und da die Sache
über eine persönliche Streitigkeit schon anfangs hinaus ge-
wachsen war, hielt er sich für verpflichtet dem Feinde nicht
das letzte Wort zu lassen.
Xoch immer wäre es möglich gewesen die beiden Fragen,
um die es sich handelte, zu trennen. W^enn Milton sich zu
dem Geständnis zwang, im Autor des royalistischen Pamphlets
geirrt zu haben, so brauchte er deshalb seine übrigen An-
klagen noch nicht zurückzunehmen. Zugegeben, dass Morus
in jenem Punkte den Gegenbeweis erbracht habe, so blieb
noch immer der Zweifel bestehn, ob er auch in anderen
Dingen so unschuldig sei wie er sich darstellen wollte.
Milton begieng den Fehler beide Fragen zu vermischen. Er
wollte auch nicht ein Titelchen von dem Behaupteten auf-
geben. Er, der Blinde, wollte, wie der wirkliche Autor des
„Aufschreis des königlichen Bluts" zu verstehn giebt, sich
nicht nachsagen lassen, dass er wie ein Blinder von der Farbe
gesprochen habe. Um sich nicht lächerlich zu machen,
kümmerte er sich nicht um diesen, sondern blieb dabei, Morus
sei der Schuldige. Durch und durch sophistisch suchte er
das aus dessen eigenen Worten zu beweisen und liess sich
durch nichts davon abbringen. Man kann sich der Ansicht
112 Miltou's „Selbstvertheidigung".
kaum verschliessen, dass er hier eine Position vertheidigte,
die er selbst schon als verloren betrachtete.
Mit grösserer Siegeszuversicht hielt er dagegen an den
Anklagen fest, die er gegen den Charaktei- des Morus vor-
gebracht hatte. In der That wäre es ein unverzeihlicher
Grad von Leichtsinn gewesen, wenn er sie rein aus der Luft
gegriffen hätte und nicht fähig gewesen wäre, wenigstens auf
einige Quellen hinzuweisen , aus denen er geschöpft hatte
Es ist schwer zu sagen, wer ihm zuerst für die Schilderung
der Wirksamkeit des Morus in Genf als Gewährsmann gedient
hat. Später nennt er einmal ausdrücklich die Theologen
Th. Tronchin, J. F. Mermillod, J. Pictet, Amtsgenossen seines
Widersachers, die sich bei ihren Anschuldigungen gegen ihn
auf viele Zeugen gestützt hätten (^) (VL 408). Möglich, dass
er mit dem einen oder anderen von diesen in Verbindung ge-
treten war und von ihnen erfahren hatte, dass die ,. Anklage-
punkte noch damals in der Stadtbibliothek von Genf auf-
bewahrt würden". Diese Behauptung kehrt in der zweiten
Schrift, der Selbstvertheidigung, noch zweimal mit aller Be-
stimmtheit wieder. Es ist von „beinahe hundert Artikeln"
die Rede, die als ein Denkmal der Schande des Morus in der
genfer Bibliothek vorhanden seien (2). Auch wird der Name
jenes Frauenzimmers — Claudia Pelletta - genannt, mit
welchem Morus in Genf ein unerlaubtes Verhältnis gehabt
haben soll. Geistliche und Gelehrte von Ptuf sollen bereit
sein für die Wahrheit des Erzählten einzustehn. Die Empfeh-
lungsbriefe, die Morus abdruckt, beweisen nur, dass man einen
Menschen seiner Art lieber fortloben wollte, um nicht durch
sein Bleiben einen Skandal zu veranlassen. Vor allem aber:
sie sind ausgestellt worden, noch ehe Morus durch seinen
unsittlichen Lebenswandel sich biossgestellt hatte. Sie be-
rühren wohl seine Heterodoxie, aber sie schweigen von dem,
wodurch er sich und seinen Stand ausserdem entehrte. Dies
wurde ruchbar während der Zeit, in der er nach Ausstellung
jener Briefe noch in Genf verweilte , und er hütet sich wohl
das spätere Zeugnis der Genfer vorzuweisen, das einen ganz
anderen Charakter trägt: Er war unverschämt genug es zu
Milton's ,,Selbstvertheidigung''. 113
fordern, man zögerte indessen zehn Monate lang es ihm zu
geben. Als man seinem Drängen nachgab, geschah es wiederum,
um ihn nur los zu werden und es nicht zu einem ärgerlichen
Process kommen zu lassen (i).
Es war klar, dass so ausführliche Angaben, die wohl ge-
eignet waren, das Verfahren der genfer Behörden in ein eigen-
thümliches Licht zu stellen, nicht ohne erneute Xacliforschungen
an Ort und Stelle hatten gemacht werden können. Auch
hatte man Milton nach Erscheinen seiner zweiten Vertheidigung
darauf hingewiesen, dass er in Genf über den Werth jener Zeug-
nisse Näheres erfahren würde (-J. Es war der berühmte Ezechiel
Spanheim, der dem englischen Schriftsteller den Liebesdienst
leistete, ihn mit neuem Material zu versorgen. Spanheim
war um so eher bereit, Milton bei seinem Kampf zu unter-
stützen, da Morus als ihr „gemeinsamer Gegner" gelten konnte.
Schon Spanheim's Vater scheint, eifersüchtig auf Morus Talente,
nicht zum besten mit ihm gestanden zu haben, sein Bruder
Friedrich wurde in Leyden des Morus glücklicher Neben-
buhler. Er selbst hatte am 14. Okt. 1654 Milton zur ge-
lungenen Entlarvung des Verbrechers gratulirt, und Milton
nahm keinen Anstand, einen Theil dieses schätzenswerthen
Belastungszeugnisses seiner Selbstvertheidigung einzuver-
leiben (^). Nicht weniger Mühe hatte er sich gegeben, die
niederländische Epoche des ^lorus zu erforschen. Auch hier
hütet Milton sich gar wohl, nur dem „allgemeinen Gerücht"'
zu folgen. Er beruft sich auf „ausreichende Zeugen", auf
„zahlreiche Briefe" , die ihm den Stoff zu seinen Anklagen
zugetragen hatten. Und weit entfernt davon, etwas von dem
Gesagten zurückzunehmen, sucht er den Eindruck desselben
noch zu verstärken. Er gefällt sich in der drastischen Aus-
malung einer Scene im Hause des Salmasius, bei der es sehr
zu Ungunsten des Liebhabers Morus zu Handgreiflichkeiten
gekommen sein soll. Er macht sich über seine nächtlichen
Reisen zwischen dem Haag und Leyden lustig. Er spielt
auf andere verfängliche Abenteuer an, deren Schauplatz
Amsterdam gewesen sei, und behauptet, dass man auch wegen
Storn. Milton u. ». Z. II. 3. S
1]4 Milton's „Selbstvertlieidigung".
dieser neuesten Vorgänge bei der Geistlichkeit Klage geführt
habe. Den geistlichen Behörden selbst macht er den Vor-
wurf, dass sie ähnlich wie diejenigen von Genf zur Wahrung
der Standesehre ein Auge zugedrückt hätten. Sucht man
die Kamen seiner Gewährsmänner zu erfragen, so sieht es
freilich damit nicht zum besten aus. Durie hatte allerdings
aus Basel geschrieben, dass man dort dieselbe schlechte
Meinung von Morus hege, der er auch in den Niederlanden
begegnet war. Aber seine Gewährsmänner waren Persönlich-
keiten, „denen Morus verhasst sei". Von Johannes Longus,
dem ersten Geistlichen, von Middelburg, hiess es , er habe die
Maske des Morus nun durchschaut und seine frühere günstige
Meinung völlig geändert. Aber urkundliche Beweise dafür
wurden nicht beigebracht. Ein Theil der Skandalchronik, die
Milton zum besten giebt, findet sich in der Korrespondenz
des Heinsius und Vossius, welche gerne dazu bereit gewesen
sein werden, ihr Scherflein beizusteuern. Einen Theil mochte
er durcb den jüngeren Fiiedrich Spanheira erfahren haben.
Endlich war er darauf aufmerksam gemacht worden, dass
sogar die Wittwe des Salmasius geneigt sein werde, ihm
Waffen gegen Morus zu leihen.
So trübe jede dieser Quellen auch war, so scheint Milton
dennoch nicht auf falscher Fährte gewesen zu sein. So viel war
jedenfalls richtig: „Des Morus Hand war gegen alle und aller
Hand gegen ihn". Unliebenswürdige Eigenschaften, von denen ihn
auch seine Freunde nicht freisprachen, legten ihm Hindernisse
aller Art in den Weg. Er wurde von den Synoden in ärger-
liche Händel verwickelt. Nur wenige Jahre, nachdem er den
Kampf mit Milton geführt hatte, wurden neue Anklagen gegen
ihn laut, die einen bedenklichen Schluss auf seine Vergangen-
heit zu ziehen gestatten. Es ist nicht nur von „Lüge, Falsch-
heit, Stolz", sondern auch von seinen „infamen Lastern" die
Rede. Eine Reihe von Beschwerdepunkten, die vor der
Synode der wallonischen Kirchen gegen ihn erhoben wurden,
lief darin aus, dass er „als ein leichtfertiger und unbeständiger
Geist von schmutzigen und unkeuschen Trieben und einem
unerträglichen Stolz" bezeichnet wird. Auch fehlt es aus dem
Schwächen und Stärken Milton's. 115
späteren Leben des Monis nicht an gewichtigen Zeugnissen,
welche diese Charakteristik bestätigen und auf sein fili-
heres Leben einen Rückschluss erlauben. Anschuldigungen,
wie sie Milton vorgebracht, wie sie in den Niederlanden aus-
gesprochen wurden, tauchten wieder gegen Morus auf, als er
in einen anderen Wirkungskreis berufen worden war und dort
seine heuchlerische Rolle fortspielte (^).
Obwohl Milton in der Bekämpfung dieses Gegners sich ge-
nöthigt sah, in die Region gewöhnlichen Klatsches herabzu-
steigen, so nimmt doch auch in dieser Schrift seine Schreibweise
mitunter einen höheren Flug. "Wenn er der grossen Sache ge-
denkt, deren Vertheidigung ihm diese persönlichen Streitigkeiten
eingetragen hatte, wenn er die reformirte Geistlichkeit beschwört
ihre Würde zu wahren , wenn er sich nochmals auf das stolze
Bewusstsein seiner eigenen sittlichen Reinheit beruft, so erkennt
man den Autor der beredten kirchlichen und politischen Flug-
schriften wieder. Wenn er dem niederländischen Gesandten
seine Hochachtung ausdrückt, wenn er den Feinden England's
verwehrt unter dem Namen der Generalstaaten Schutz zu
suchen, wenn er seinerseits den jüngsten Friedensvertrag für
sich geltend macht, so kann sich der diplomatisch geschulte
Staatssekretär nicht verläugnen. Allerdings die Ausfälle
grimmigen Hohnes, die er sich gegen Morus, Crantz, Ylac
erlaubt, werden uns wiederum als sehr ungeniessbar er-
scheinen. Sie sind häufig ebenso witzlos wie roh, und Milton
selbst hat es gefühlt, dass seine Sprache einer Rechtfertigung
bedürfe. Er sucht sie in den Beispielen der Bibel und der
Antike und findet, dass man auch dort das „Nackte" mit
seinem Namen genannt sehe. Uns wird es mehr Eindruck
machen, wenn er ein Mal, zur Wuth gereizt, in den Ausruf
ausbricht: „Ich bin ein Mensch und trage ein menschliches,
kein eisernes Herz in der Bmst".
Vergnügen fand er freilich an dem Geschäfte nicht, das
ihm zugefallen war. Aber seine Arbeit schien ihm doch auch
keine „vergebliche" zu sein (2). Denn immer stand ihm das
Allgemeine über dem Persönlichen. In seinem vermeintlichen
WQ Schwächen und Stärken IMilton's.
Privatfeinde glaubte er den „Schurken, den Entehrer der
Religion und seines Standes, die Schande der Gelehrsamkeit,^
den Verderber der Jugend" zu treffen. Indem er sich selbst
vertheidigte, hoffte er der Freiheit seines Volkes einen Dienst
zu leisten, „die es sich durch eigene Kraft errungen und nicht
erst von anderen überkommen hatte". Er war nun einmal
der Herold dieses revolutionären Staatswesens geworden. Er
wusste, dass ein ganzer Welttheil auf ein literarisches
Gladiatorenspiel blicken würde, Avelches unter anderen Um-
ständen wenig Anziehungskraft gehabt hätte. Und so hatte
er im Eingang seiner zweiten Vertheidigung die stolzen Worte
gesprochen: „Ich sehe mich im Geiste auf der Kostra,
umgeben von dem ganzen aufhorchenden Europa . . Es ist
mir, als stände ich auf einer gewaltigen Höhe und über-
schaute alle die weiten Lande und 'unzählige Massen mir
unbekannter Gesichter, deren Mienen die grösste Theil-
nahme . verrathen. Hier erblicke ich die mannhaften und
freiheitsliebenden Deutschen, dort die Franzosen mit ihrem
lebhaften und edlen Ungestüm, hier die Spanier mit be-
sonnenem Muthe, dort die gesetzten, edelsinuigen Italiener.
Alle Freunde der Freiheit und Tugend, mögen sie es für ge-
rathen halten sich zu verbergen oder an's Licht hervortreten,
schenken mir entweder im Stillen oder öffentlich ihre Gunst,
andere eilen herbei und rufen mir Beifall zu, andere ergeben
sich endlich der Macht der Wahrheit. Umringt von den ver-
sammelten Massen ist es mir, als sähe ich von den Säulen
des Herkules bis zum indischen Weltmeer die lange vertriebene
und flüchtige Freiheit zu ihrer Heimstätte bei allen Völkern
zurückkehren. Mein Volk bietet ihnen eine edlere Frucht,
als die war, welche Triptolemus einst über die Lande getragen
haben soll. Es streut den Samen der Freiheit und Bildung
über Städte, Königreiche und Völker aus".
So viel Irrthümliches bei dieser rühmenden Beurtheilung
der englischen Revolution mit unterlief, grossartiger war sie
niemals aufgefasst worden. Auch dies Mal konnte sich der
ideale Grundzuft- der Persönlichkeit Milton's nicht verläugnen.
Schwächen und Stärkeu Milton's. 117
Mochte er es auch mit einem sehr schmutzigen Stoff zu thun
haben, moclite er nicht immer wählerisch in seinen Worten
sein: die Macht seiner Individuahtät verleiht einem an sich
gleichgiltigen und niedrigen Gegenstande ein Interesse, ähn-
lich demjenigen, das uns die derben Streitschriften ver-
wandter Geister, wie eines Hütten oder Luther, fast ohne
Ausnahme abnöthigen.
Viertes Kapitel.
Milton und Cromwell.
Als Milton seine zweite Yertheidigung des englischen
Volkes schrieb, war er schon nicht mehr der Diener der
Republik, sondern der Diener des Protektorats. Das grosse
Ereignis der Erhebung CromweH's hatte sich vollzogen. Eng-
land hatte einen ersten Schritt zur Monarchie zurückgemacht.
Immer mächtiger war im Verlauf der Bewegung Crom-
weH's Gestalt hervorgetreten. Nicht in dem Berathungssaal
von Westminster, sondern auf den Schlachtfeldern von Preston
und von Drogheda, von Dunbar und von Worcester hatte die
Entscheidung über den Gang der Ereignisse gelegen. Ein
Heer , von Sieg zu Sieg geführt , erfüllt mit enthusiastischen
Gedanken politischer und religiöser Reform, war zur ersten
Macht in diesem Gemeinwesen geworden. An seiner Spitze
stand der Mann, der im Beginn der Revolution nichts gewesen
war als ein einfacher Landwirt, und den ein Jahrzehnt blu-
tiger Kämpfe und angestrengter Arbeit zum ersten Feldherrn
und zum ersten Staatsmann seines Volkes gemacht hatte.
Seitdem die Sammlung von CromweH's Briefen und Reden,
als würdigstes Denkmal seiner Grösse, jedem zur Einsicht
vorliegt, hat man angefangen die Schuld zu sühnen, welche
Schriftsteller jeder Partei gegenüber seinem Andenken auf
sich zu nehmen gewetteifert haben. Cromwell gilt nicht mehr
als das verabscheuungswürdige Muster eines ehrgeizigen
Oliver Cromwell. 119
Heuchlers, weil Ehrgeiz eine der mächtigsten Triebfedern
seiner Natur bildete und weil er die Sprache der „Heiligen"
redete. Man beginnt zu erkennen, dass ihn auf seiner domi-
gen Laufbahn etwas Höheres leitete als nur der Gedanke
an sich selbst, und dass die mystischen Worte, in die er
seine Ideen kleidete, etwas mehr waren als der angelernte
Jargon der herrschenden Sekte. Ein und dasselbe Gefühl
durchzieht alle seine Aeusserungen , von den vertraulichsten
Briefen, die er an Verwandte und Freunde richtet, bis zu
den feierlichen Ansprachen an die Vertreter der Nation: das
Gefühl, ein erwähltes Rüstzeug in der Hand Gottes zu sein,
dasselbe Gefühl, dem Milton einst Ausdruck gegeben hatte,
als er erklärte, sich „immer wie unter dem Auge seines
grossen Werkmeisters" zu wissen. Der Independent mochte
sich über die Schranken des dogmatischen Systems erheben.
Aber er wurde unwiderstehlich dazu angetrieben, jedes Er-
eignis seines Lebens in unmittelbare Beziehung zum göttlichen
Willen, zum Weltgeist, zu setzen, in allem „den Herrn zu
suchen" und, wo die menschliche Schwäche es zuliess, auch
zu finden. „Ich bedarf Mitleid — schreibt der Feldherr 1650
während des Krieges gegen die Schotten einem Verwandten
— ich weiss, was ich fühle. Grosse Stellung und hohes Amt
in der Welt sind nicht werth, dass man darauf sieht.
Auch würde ich in mir selbst keinen Trost haben, stände
meine Hoffnung nicht auf der Gegenwart des Herrn. Ich
habe diese Dinge nicht gesucht, wahrlich ich bin vom Herrn
dazu berufen. Und darum bin ich nicht ohne Zuversicht,
dass er mich, seinen armen Wurm und schwachen Knecht,
fähig machen wird, seinen Willen zu thun und das zu erfüllen,
wozu ich geboren bin. Ich bitte euch: Betet für mich"(').
In dieser vorwaltenden Stimmung glaubte der Heros des
Puritanismus indessen an eine göttliche Führung nicht nur
seiner eigenen Angelegenheiten. Er war gewohnt auch alle
Fragen des öff'entlichen Lebens vom religiösen Gesichtspunkte
aus in's Auge zu fassen. Alles, was zur Vertheidigung des
Gemeinwesens geschah, erschien ihm als „Sache des Herrn",
und als Ziel aller Kämpfe betrachtete er die Herbeiführung
120 Oliver Croinwell.
des ..verheissenen Reiches der Herrlichkeit und des Friedens".
Nach jedem Siege richtete er daher ernste Mahnungen an
die Männer der Regiemng. Er nahm dabei einen Ton an,
als hätten sie von ihm und nicht er von ihnen die Macht
erhalten. Er beschränkte sieh nicht auf Allgemeinheiten,
sondern bekundete durch den Hinweis auf bestimmte Punkte
einen eminent praktischen Sinn, der sich mit dem schwär-
merischen Grundzug seines Charakters sehr wohl vertrug.
Es war den Tag nach der Schlacht von Dunbar, als er den
Sprecher des Parlaments und durch ihn das Parlament hören
Hess: ..Gebt Gott die Ehre, verläugnet euch selbst, aber
verläugnet eure Macht nicht. Gebraucht sie zur Demüthigung
der Stolzen und Frechen, die England"s Paihe, unter welchem
Yorwande es sei, zu stören wagen. Erleichtert den Unter-
drückten, hört die Seufzer der armen Gefangenen. Ver-
bessert die Missbräuche jedes Berafes. und sollten Leute da
sein, die viele arm machen um wenige reich zu machen, so
lasst euch sagen: das passt nicht für eine Piepublik. Wenn
der, welcher eure Diener zum Kampf stärkt, eure Herzen
dazu antreibt, dann wird nicht bloss England Gutes davon
haben, sondern ihr werdet anderen Nationen als anfeuerndes
Vorbild voranleuchten". Und nach dem Siege von Worcester
ergeht derselbe Piuf an dieselbe Adresse : „Ich bitte euch,
richtet alle eure Gedanken dahin Gottes Ehre zu fördern,
der uns so wunderbar errettet hat. Möge die Grösse seiner
fortgesetzten Gnade nicht Stolz und Uel)ermuth erzeugen, wie
es schon ein Mal bei einem erwählten Volke der Fall gewesen
ist. Die Furcht des Herrn erhalte Eegierung und Volk
demüthig und fromm. Gerechtigkeit und Piedlichkeit , Milde
und "Wahrheit fiiesse von euch zum Dank für seine Gnade" (^).
Ei-füllt von diesen Gesinnungen und zugleich von dem Be-
wusstsein der eigenen Ueberlegenheit , war der siegreiche
General nach London zurückgekehrt. Er war einige Jahre
zuv^or den radikalen Stürmern und Drängern entgegengetreten,
welche in dem Augenblick drohender auswärtiger Gefahren
für tiefgreifende Neuerungen des öffentlichen und privaten
Rechts agitirt hatten. Aber nun. nachdem diese Gefahren
Milton's Sonett auf Croinwell. 121
dank seinem tapferen Schwert grössten Theils bestanden
waren, war er selbst dazu entschlossen, Veränderungen eines
ZuStandes herbeizuführen, dessen Fortdauer aus mehr als
einem Grunde unerträglich schien.
Eben dies war es, was Milton, als einer unter vielen,
von Cromwell hoffte. Wenige Wochen, ehe er Henry Vane
seinen poetischen Tribut darbrachte, richtete er an Cromwell
ein Sonett, das für den Eingeweihten klar genug sprach (>).
Cromwell, du unser Haupt, der du gedrungen
Dui'ch der Verleumdung Sturm, der Schlachten Blut,
Gefülirt vom Glauben und des Herzens Muth,
Der Frieden uns und Wahrkeit kühn errungen,
Der Gottes Siegesbanner du geschwungen,
Gezügelt des geki-öuten Feindes Wuth,
Als deinen Euhm gerauscht des Parwen Fluth
Und Dunbar's Höhn von deinem Ruhm erklungen,
Und Worcester dir den Lorbeerkranz geflochten:
Es bleibt uns vieles, was noch nicht erfochten,
Und seine Siege hat der Frieden auch.
Ein neuer Feind will unsre Seelen ketten.
Oh hilf ein fi-ei Gewissen uns erretten
Vor Miethlingswölfen, deren Gott ihr Bauch.
Man kann nicht behaupten, dass der Schlussgedanke
dieses Sonetts zum ersten Male bei Milton vorkäme. Ganz
ähnlich hatte sich der mahnende Dichter vier Jahre früher
an Fairfax gewandt. Genau in derselben Weise hatte er einst
zur Bekämpfung der ,. neuen Gewissenstyrannen" aufgefordert.
Er muss indess der Ansicht gewesen sein, dass man gewisse
Dinge nicht oft genug sagen könne. Und somit sprach er
ungescheut aufs neue ein scharfes Wort, das in letzter Linie
die Träger der höchsten Gewalt trelf'en musste.
In der That konnte die Haltung, die das Rumpparlament
gegenüber den kirchlich -politischen Fragen einnahm, einen
Milton und viele ihm gleich Gesinnte in keiner Weise befriedigen.
Für sie war das System des Presbyterianismus nur eine verän-
derte Ausgabe des Systems der bischöflichen Kirche. In dem
einen wie in dem anderen erblickten sie ein unübersteigliches
Hindernis für die Verwirklichung jenes Ideals religiöser Freiheit,
122 Kirchenpolitische Angelegenheiten.
(las ihnen vorschwebte. Sie mussten indessen bemerken, dass
die Mehrheit des Parlaments davor zurückschreckte ihrem
Drängen nachzugeben. Die Westminster - Synode hatte zwar
am 22. Februar 1649 ihre letzte Sitzung gehalten, und mit
ihr löste sich diejenige Körperschaft auf, deren Arbeiten
wesentlich dem Presbyterianismus zu gute gekommen waren.
Auch trat die presbyterianische Verfassung mit ihren regel-
mässig wiederkehrenden provinciellen und örtlichen Versamm-
lungen, abgesehen von London und Lancashire, nirgends in's
Leben , und die Masse der independentischen Gemeinden fand
ihr zum Trotz Duldung und Gunst. Allein diese Kirchen-
verfassung war doch immerhin die anerkannte Kirchenver-
fassung der ganzen Nation und die Gesetzgebung hielt daran
fest, dass es eine Landeskirche geben müsse, deren Erhaltung
und Beschützung Sache des Staates sei. Auch unter den
Independenten , so heftig sie die presbyterianische Intoleranz
bekämpften, rissen sich viele von dem Gedanken nicht los,
dass die Fürsorge für die religiösen Interessen der Bürger zu
den wichtigsten Aufgaben der weltlichen Obrigkeit gehöre,
Ihnen gegenüber standen alle diejenigen, welche den Bund
zwischen Kirche und Staat als unheilvoll und unsittlich be-
trachteten, Sie forderten Aufhebung der erzwungenen
Zehnten. Sie fanden, dass es über den Beruf der welt-
lichen Obrigkeit hinausgehe, die Bürger bei Strafe zum Kir-
chenbesuch anzuhalten oder Missionare zu den Ungläubigen
auszusenden, Ihr Bestreben gieng dahin, die einheitliche Staats-
kirche, welchen Namen sie auch trage, aufzulösen und durch
die Fülle der selbstständigen, religiösen Vereine zu ersetzen.
Seit dem Mai des Jahres 1651 hatte der Gegensatz
dieser Ansichten an Schärfe gewonnen. Damals hatte „eine
Akte für die bessere Ausbreitung und Predigt des Evange-
liums, Erhaltung der Geistlichen und andere fromme Zwecke"
zwei Lesungen passirt. Verwickelte Fragen von höchster
Wichtigkeit wurden dadurch berührt und beschäftigten ernst-
licher als jemals vorher die Gemüther. In welcher Weise
der Staat jenen Pflichten genügen, durch welche Behörden
er seine Kirchenhoheit ausüben solle, von welchen Bedingungen
Kirchenpolitische Angelegenheiten. 123
die Anstellung und Dotimng eines Geistlichen abhängig zu
machen, in wie weit neben der privilegirten Landeskirche
freien Gemeinden Duldung und Spielraum zu gewähren sei:
alle diese Gegenstände wurden von den verschiedenen Par-
teien mit leidenschaftlichem Eifer behandelt. Zur Entgegen-
nahme von Petitionen ernannte das Parlament am 10. Februar
1652 eine Kommission, deren bedeutendstes Mitglied Oliver
Cromwell war. Einige Monate lang fesselte diese „Kommission
für die Ausbreitung des Evangeliums" die allgemeine Auf-
merksamkeit. Von allen Seiten strömten ihr Anträge zu.
Die -Presbyterianer hielten in geschlossener Reihe ihren alten
Standpunkt fest. Die Independenten spalteten sich in zwei
Gruppen. Je verführerischer ihren Geistlichen die Aussicht
winkte , ein gutes Stück von der Beute des allgemeinen
Kirchenguts festzuhalten, desto weniger waren sie geneigt
ein Institut wie das der Zehnten über den Haufen zu werfen.
Je Wünschenswerther es ihnen erschien, dass die bürgerlichen
Gewalten sich der Pflege der religiösen Interessen annähmen,
desto entschiedener widersetzten sie sich dem Gedanken der
Trennung von Kirche und Staat. In diesem Sinn war eine
Reihe von Vorschlägen an das Parlament gelangt, welche
die Unterschrift angesehener independentischer Geistlichen
aufwiesen. Sie nahmen allerdings Rücksicht auf „Personen,
die sich aus Gewissenskrupeln vom sonntäglichen Gottesdienst
fem hielten" und auf solche, welche „mit dem vom Staat
anerkannten Dogma und Kultus" nicht ganz übereinstimmten.
Allein eben dadurch gestanden sie zu, dass es eine aner-
kannte Staatskirche geben müsse. Dem Staate schrieben sie
das Recht zu, durch Kommissäre „anstössige Geistliche" zu
entsetzen und die Kandidaten für das Predigtamt prüfen zu
lassen. Vom Staate forderten sie Einschreiten gegen die
Verkündigung gewisser ketzerischer Lehren, welche „die»
Gmndlagen der christlichen Religion" verletzten. Das her-
kömmliche System der „öffentlichen Erhaltung" des geistlichen
Standes hüteten sie sich anzugreifen, wennschon sie den Ge-
nuss dieser öffentlichen Erhaltung nicht zu einem Privilegium
der Ordinirten machen wollten ('). Aber es kamen auch
1 24 Kircheupolitische Angelegenheiten.
andere Stimmen aus dem independentischen Lager zur Gel-
tung. Ein Aktenstück, das an den eben genannten Vor-
schlägen scharfe Kritik übte, warf einige Fragen auf, welche
bei vielen Lesern Entsetzen erregen mussten. Es waren die
Fragen, ob Christus nicht Arbeiter in seinen Weinberg sende
ohne Rücksicht auf den ,,Lohn der Menschen", ob es nicht
Gottes Wille sei, dass zur Stärkung der Frommen , .Ketze-
reien existirten, deren Bestrafung er sich selbst vorbehalten
habe", ob es nicht der christlichen Freiheit zuwiderlaufe,
„dass sich die Staatsgewalt in geistlichen Angelegenheiten ein
Uitheil anmasse", ob es nicht Pflicht der Obrigkeit sei, den
Juden, ,. deren Bekehrung wir erhoffen", zu gestatten friedlich
in England zu wohnen (^).
Von allen diesen Punkten hatte zunächst keiner eine so
grosse praktische Wichtigkeit wie der erste. Denn unter
dem ,.Lohn der i\lenschen" waren vor allem jene Zehnten
verstanden, deren Beibehaltung oder Aufhebung so viele Inter-
essen berührten. Das Parlament konnte sich der Behandlung
dieser Angelegenheit nicht entziehen. Es forderte jene „Kom-
mission für die Ausbreitung des Evangeliums" zur Begut-
achtung der Frage auf, „in welcher Weise statt der Zehnten
für einen genügenden und passenden Unterhalt eines frommen
und fähigen Klerus gesorgt werden könne". Inzwischen soll-
ten bis auf weiteres die Zehnten fortbezahlt werden. Eben
um diese Zeit richtete Milton sein Sonett an Cromwell. Sein
ursprünglicher Titel lautete: ..Ueber die Vorschläge, welche
gewisse Geistliche der Kommission für die Ausbreitung des
Evangeliums eingereicht haben", und sein Inhalt gab deutlich
genug zu verstehn, wer unter den „gewissen Geistlichen"
gemeint sei. Es waren alle diejenigen, welche das „freie Ge-
wissen" zu ketten drohten, welche auf den hergebrachten
..Miethlingssold" nicht verzichten wollten : Presbyterianer in
erster Linie, aber auch nicht wenige Independenten. Hier,
wo er für sich aliein spricht , macht Milton wieder kein Hehl
aus seinen radikalen kirchenpolitischen Ansichten , und von
Cromwell, dem angesehensten Mitgliede jener Kommission,
hofft er, dass er ihnen zum Siege verhelfen werde. Allein
Auswärtige Politik. 125
er sah sich bald penug enttäuscht. Die Kommission erstattete
erst nach Jaliresfrist ihren Bericht an das Parlament. Und in
diesem fand die Theorie der Trennung von Kirche und Staat
keinen Anklang. Durch Abstimmung wurde am 25. Februar
1653 die grundsätzliche Entscheidung gefasst, „dass die bür-
gerliche Obrigkeit in religiösen Angelegenheiten für die Aus-
breitung des Evangeliums Gewalt habe'". Es folgten einige
andere Beschlüsse, kraft welcher der Staat Kommissionen er-
nennen sollte, um „fromme und begabte" Personen vor der
Uebertragung eines Seelsorgeamtes und der damit verbun-
denen Pfründe zu prüfen. Das „Miethlingswesen" sollte also
auch in Zukunft bestehn bleiben. Der „Freiheit des Ge-
wissens" drohten noch immer Gefahren. Das Rumpparlament
stellte sich mit einem Worte durch seine Behandlung der
kirchenpolitischen Fragen in Gegensatz zu denjenigen engli-
schen Bürgern, die wie Milton dachten und fühlten (^).
Es gab indessen noch andere Punkte, welche zum Wider-
spruch gegen die republikanische Regierung herausforderten.
Ihre auswärtige Politik, so glänzende Triumphe man ihr
verdankte, hatte doch auch ihre bedenklichen Seiten. Bei
jeder wichtigen Frage vor die Wahl gestellt sich für Frank-
reich oder für Spanien zu entscheiden, deren Gegensatz die
grossen Machtverhältnisse des Jahrhunderts bestimmte, konn-
ten die Leiter des englischen Gemeinwesens es nicht über
sich gewinnen, einen festen Entschluss zu fassen. Ihre Politik
erhielt den Charakter des Schwankenden und Unsicheren,
während der Puritanismus auf diesem Gebiete seit jeher ein
klares Ziel in's Auge gefasst hatte. Noch immer erschien in
den Augen der puritanischen Masse Spanien, der Vorkämpfer
des Pabstthums, als nationaler Erbfeind, und es waren nicht nur
die Durie und Hartlib, die eine Verbindung aller reformirten
Mächte unter England's Führung, um die Interessen des
europäischen Protestantismus zu schützen, für wünschens-
werth hielten. Ohne Zweifel entsprach diese Ansicht der
Dinge nicht mehr den wirklichen Zuständen. Die aufstrebende
Macht, die ein Gegengewicht zu erfordern schien, war nicht
Spanien, sondern Frankreich. Europa hatte aufgehört, sich
126 Auswärtige Politik. — Missbräuche der Verwaltung.
in zwei feindliche Lager zu theilen, die einzig um das Banner
des Glaubens geschaart waren. ]\Iit dem Abschluss des west-
phälischen Friedens war eine neue internationale Grundlage
geschaffen worden. Das Zeitalter der Religionskriege war zu
Ende und konnte nur noch wenige, vereinzelte Nachspiele
finden. Allein jene Ansicht, veraltet wie sie war, hatte den
Vortheil, durch ihre scheinbare Einfachheit zu bestechen und
den Vorurtheilen der Masse entgegenzukommen. Die aus-
wärtige Politik der Republik nahm eine andere Richtung.
Ohne förmlich mit Frankreich zu brechen, Hess sie es an
Verletzungen Frankreich's und an eben so viel Begünstigungen
Spanien" s nicht fehlen. Wenn Frankreich die Einfuhr engli-
scher Wollen- und Seidenstoffe verbot, so antwortete England
mit einem Verbot der Einfuhr französischer Weine. Die Weg-
nahme englischer Handelsschiffe durch französische Piraten
wurde von England durch die Ausstellung von Kaperbriefen
erwidert.. Robert Blake griff eine französische Flotille an,
die im Begriff" war, dem bedrängten Dünkirchen zu Hilfe zu
kommen. Dünkirchen selbst fiel darnach in die Hände der Spanier
Spanien's Bundesgenosse, der Prinz von Condö, das Haupt
der Fronde, wandte sich an das Rumpparlament um Beistand.
Endlich konnte der grosse Krieg, der zwischen England und
den Niederlanden entbrannt war, den Absichten Spanien's
gleichfalls nur zu statten kommen (^).
Eben dieser Krieg gab den Anlass zu jenen Härten und
Missbräuehen der Verwaltung, auf welche Cromwell schon
hie und da in seinen Briefen angespielt hatte. Krongut und
Kirchengut wurden unter den Hammer gebracht, und dennoch
fehlte es an Mitteln für die Bedürfnisse des Staates. Der
englische Bürger, auch wenn er nicht zu der Klasse der
„Delinquenten" gerechnet wurde, hatte eine schwere Last
direkter und indirekter Steuern zu tragen. Der überführte
Royalist vollends musste sich wohl oder übel eine Ausein-
andersetzung mit den gestrengen Committees und eine un-
barmherzige Verkürzung seines Vermögens gefallen lassen.
Die Gelegenheit im Trüben zu fischen war zu verlockend,
als dass sie nicht hätte benutzt werden sollen. Mochten die
Missbräuche der Verwaltung. — Reformbill. 127
Häupter der Regierung ihre sittliche Reinheit bewahren, es
gab nicht wenige Persönlichkeiten von Einfluss, die der Ver-
führung erlagen. Mitglieder des Parlaments wurden der Be-
stechlichkeit beschuldigt und blieben, weil sie j\Iitglieder des
Parlaments waren, unverfolgt. Auf dem Lande konnten sich
Willkür und Egoismus der Kommissäre noch leichter jeder
Beaufsichtigung entziehen. Ein Fall wie derjenige des alten
Powell, den Milton aus nächster Nähe hatte verfolgen können,
stand nicht vereinzelt da. Aber dem Verletzten war es nicht
leiQht gemacht, sich Gehör zu verschaffen bei einem weitläufigen
Rechtsverfahren, das der Verbesserung dringend bedürftig
war, und gegenüber einer selbstbewussten Körperschaft, die
■sich im Besitz der usurpirten Gewalt verewigen zu wollen
Miene machte (^).
Diese letzte Anmassung deckte die verwundbarste Seite
des Rumpparlaments auf. Die Versammlung bestand für ge-
wöhnlich aus einem halben Hundert von Mitgliedern, um bei
wichtigen Abstimmungen auf wenig mehr als das Doppelte
zn steigen. Sie hatte nichts Wichtigeres zu thun als bald-
möglichst einer Nachfolgerin Platz zu machen , der man eher
das Recht hätte zugestehen können, die Souveränetät des
Volkes darzustellen. Eine Zeit lang drängten wichtigere An-
gelegenheiten diese Frage in den Hintergrund. AVährend das
Gemeinwesen selbst noch um sein Dasein zu kämpfen hatte,
schien es gefährlich seine Schöpfer vom Schauplatz ver-
schwinden zu lassen. So hatte, nach dem Vergleich Henry
Marten's, die Tochter des Pharao das zarte Knäbleiu Moses
keiner anderen Frau zur Auferziehung gegeben als seiner
Mutter. Die Vorschläge des Kriegsraths und die Agitationen
Lilburne's waren daher ohne Erfolg geblieben. Nichtsdesto-
weniger hatte das Haus schon im Mai 1649 die Noth wendig-
keit gefühlt, den Gegenstand jener Agitationen seinerseits in
Betracht zu ziehu. Aber ehe man sich ül)er den Zeitpunkt
der Auflösung schlüssig machen wollte, schien es nöthig, sich
über eine so dringend gewünschte Reformbill zu verständigen.
In dem Committee, das dieselbe auszuarbeiten hatte, nahm
Henry Vane die wichtigste Stelle ein. Er hatte die ganze
X28 Keformbill. — Kiimpparlament und Heer.
Bedeutung der Frage erkannt und schloss sich in wesent-
lichen Punkten an die früher gemachten Vorschläge an. Sein
Bericht, den er am 9. Januar 1650 dem Hause abzustatten
begann, ist gleichsam prophetisch für die englische Gesetz-
gebung unseres Jahrhunderts. Ohne sich zu dem allgemeinen
Stimmrecht zu bekennen, suchte Vane eine grössere Gleich-
mässigkeit und Ausdehnung der Parlamentswahlen zu bewir-
ken. Das aktive Wahlrecht sollte an einen bestimmten Census
geknüpft, bei Bestimmung der Deputirtenzahl jeder Grafschaft
die Summe ihrer Steuerbeiträge massgebend sein. Eine An-
zahl alter Burgflecken sollte das Wahlrecht verlieren, dagegen
grösseren Städten eine verstärkte Vertretung zu Theil werden.
Indessen sollten die bisherigen Mitglieder nach wie vor die
Repräsentation der Städte und Grafschaften bilden, für welche
sie einst gewählt waren. Die Versammlung beschloss darauf-
hin, dass die Mitgliederzahl des reformirten Parlaments vier-
hundert jiicht übersteigen solle und schritt dazu, die einzelnen
Theile der Akte an bestimmten Tagen zu berathen. Allein
diese Berathungen zögerten sich von Monat zu Monat hin,
ohne dass sie zu einem Abschluss geführt hätten. Erst als
Cromwell zurückgekehrt war, wurde ei5 neuer Anstoss ge-
geben. Er bestand darauf, dass zunächst ein Termin fest-
gestellt werde, an dem sich das Rumpparlament auflöse.
Seinem Einfluss gelang es in der That eine Bill durchzusetzen,
welche den 3. November 1654 als Tag der Auflösung be-
stimmte (18. November 1651).
Aber das Ansehn des Parlaments war zu tief gesunken,
als dass es ihm möglich gewesen wäre, sich bis zu dieser
Frist zu behaupten. Von allen Seiten häuften sich die Klagen
über die Parteilichkeit seiner Mitglieder, die Unwürdigkeit
seiner Kommissäre, den Druck seiner Auflagen, die Ver-
schleppung seiner Arbeiten. Auch dies Mal machte sich das
Heer zum vornehmsten Dolmetscher des steigenden Unwillens.
Und es waren die höchsten Officiere, es war der Feldherr
selbst, die nun das Wort ergriff'en. Je weniger Grund vor-
handen war sich einer Verminderung der Truppenzahl zu
widersetzen, desto nöthiger schien es Cromwell, einen Druck
Kumpparlament und Heer. 129
auf das Parlament auszuüben, solange das Heer noch Beach-
tung verdiente. Einige seiner Officiere drängten ihn zu kräf-
tigem Vorgehen. Es war namentlich Lambert, der sich durch
das Parlament zurückgesetzt glaubte, und Harrison, der in der
schwärmerischen Weise der \Viedertäufer von einer radikalen
Umgestaltung des Gemeinwesens träumte. Eine Petition des
Kriegsrathes vom 13. August 1652 zählte die wichtigsten
Forderungen auf. Sie erhoben sich über die finanziellen An-
sprüche des militärischen Standes zu den Wünschen all-
gemeiner Art, die im Lande laut geworden waren. Man
wollte Ersetzung unwürdiger Geistlicher durch achtbare Pre-
diger und der Zehnten durch andere Mittel des Unterhalts,
Verbesserung des Rechtsverfahrens, Entfernung unehrlicher
Beamten, Abschaffung überflüssiger Stellen und Gehalte,
regelmässigere Verwaltung der Staatsgelder, Pieforra der
Armengesetzgebung. Endlich sollten die Qualifikationen für
die Mitglieder künftiger Parlamente bedeutend beschränkt
werden, damit man nicht die Republik und die Gewissens-
freiheit dem bösen Willen von Royalisten und Presbyterianern
ausliefere. Das Parlament überwies die Petition einem
Committee und sprach den Ueberbiingern den wärmsten
Dank aus. Aber es blieb kein Zweifel darüber bestehn, dass
ein geheimer Krieg zwischen der Versammlung und dem
Heere geführt wurde. Wie manche Berathungen von ange-
sehenen Vertretern der bürgerlichen und militärischen Gewalt
auch stattfanden, wie manche Vorschläge der Vermittlung
auch gemacht wurden, man kam sich um keinen Schritt näher.
Das Parlament kämpfte für eine Fortsetzung seiner
Autorität, die es als die höchste im Lande anerkannt wissen
wollte. Es weigerte sich, einzelne anstössige Bestimmungen
der Reformbill zu ändern. Seine Mitglieder behielten sich
vor allem das Recht vor, auch ohne Wiederwahl in der
künftigen, erweiterten Versammlung zu sitzen, ja sogar die
Wahlen und die Zulässigkeit der neuen Abgeordneten für sich
allein zu prüfen. Das Heer fühlte sich in einer gleichberech-
tigten Stellung neben dem Parlament und forderte eine neue
Regierung, bei deren Zusammensetzung es selbst mitgewirkt
Stern, Milton u. =. Z. II. 3. 9
J30 Rumpparlament und Heer.
hätte. Es vermisste in der Reformbill gewisse Bürgschaften
gegen das Emporkommen alter Feinde. Es bestritt dem
Rumpparlament den Anspruch, selbst nach seiner Auflösung
sich noch fortsetzen zu wollen.
Niemanden konnte die Verschaifung dieser Gegensätze mit
grösseren Sorgen erfüllen als Henry Vane , weil nicht leicht
jemand die Kräfte, welche sich gegenüber standen, so gut zu
schätzen wusste, wie er. Er mag einzelnes in den For-
derungen Cromwell's und seiner Genossen als richtig an-
erkannt haben. Er dachte jedenfalls nicht an einen drohenden
Gewaltstreich. Noch schien die Hoffnung auf eine friedliche
Lösung nicht verloren zu sein. Der grosse Sieg, den Blake
im Februar 1653 über Tromp davontrug, warf noch einen
glänzenden Schimmer auf die republikanische Staatsverwal-
tung. Die Abkürzung des Auflösungstermins auf den 3. No-
vember des laufenden Jahres (1653) war ein letztes Zuge-
ständnis an die Gegner, das sieh die Mehrheit der Versammlung
entreissen Hess. Aber zu weiterem war sie nicht zu bewegen.
Sie schritt in der Berathung des Wahlgesetzes mit eben so
grosser Hast fort, wie sie früher dieselbe verzögert hatte. Sie
nahm dabei auf die Wünsche der Offi eiere keine Rücksicht
und war gewillt, am 20. April ihr Werk zu beendigen. Den
Abend vorher hatte in Cromweirs Wohnung eine jener Kon-
ferenzen zwischen hervorragenden Mitgliedern des Parlaments
und des Heeres stattgefunden. Der Vorschlag war gemacht
worden, die tagende Versammlung, die sich ein Parlament
nannte, sofort aufzulösen und die Regierung vorläufig einem
von ihr ernannten, aus Officieren und Parlamentariern zusam-
mengesetzten Rathe zu übertragen. Man hatte sich nicht
darüber verständigen können, aber Cromwell und seine Ge-
nossen rechneten darauf, dass nichts abgeschlossen werde,
bis eine Einigung erzielt sei. Am Morgen des 20. April er-
hielt er die Nachricht, dass die bestrittene Bill dennoch auf
dem Punkt stehe, durch eine letzte Abstimmung Gesetzes-
kraft zu erhalten. Er war entschlossen, es nicht zu dulden.
Der Billigung seiner Kriegskameraden war er gewiss. Den
Widerstand des Volkes hatte er nicht zu befürchten. Er eilte,
Zersprengung des Rumpparlaments. 131
begleitet von einigen Officieren, mit Zurücklassung einer Wache
in der Vorhalle und an der Thür, in den Sitzungssaal. Eine
Zeit lang hielt er sich mhig auf seinem gewohnten Platz.
Als die entscheidende Frage gestellt wurde, erhob er sich
entblössten Hauptes. Er begann damit, die Verdienste des
Parlaments aufzuzählen, bis er plötzlich in einen anderen Ton
übersprang. Fortgerissen von überwallender Leidenschaft,
schleuderte er den Umsitzenden eben jene Vorwürfe in's Ge-
sicht, die sieh in Stadt und Land gegen sie erhoben hatten.
Die; erstaunten Mitglieder horchten auf, einzelne Zurufe wur-
den laut, auch Vane Hess seine Stimme hören. Das steigerte
die Erregung des Sprechenden. Er bewegte sich in dem
Zwischengang des Saales heftig auf und ab, den Hut auf dem
Kopf, abgerissene Sätze hervorstossend : „Ihr seid kein Parla-
ment. Ich will eurer Session ein Ziel setzen. Macht ehr-
licheren Leuten Platz". Was König Karl nicht gewagt hatte,
wagte Cromwell. Er gab das Zeichen zum Eindringen seiner
Musketiere. Der Sprecher wurde nicht ohne Widerstreben
genöthigt, seinen Sitz zu rcäumen. Die Mitglieder verliessen
ihre Plätze, von Schmähungen Cromwell's verfolgt. „Sir Harry
Vane, soll er zu Vane gesagt haben, Ihr seid ein Gaukler,
der alles dies hätte verhindern können. Der Herr erlöse mich
von Sir Harry Vane". Soldaten nahmen das Scepter vom
Tisch des Hauses, Cromwell steckte die Akte zu sich, die
man berathen hatte. Dann Hess er die Thüren verschliessen
und begab sich zurück zu den Officieren, um ihnen Mitthei-
lung von dem Geschehenen zu machen (i).
• Noch war die regierende Behörde in Thätigkeit, der das
Rumpparlament die Exekutive übertragen hatte. Am Nach-
mittag verfügte sich Cromwell in Begleitung Lamberts und
Harrison's in das Sitzungszimmer des Staatsraths. Er er-
klärte, die öffentlichen Gewalten der Versammelten seien er-
loschen, da das Parlament, von dem sie dieselben erhalten
hätten, aufgelöst sei. Bradshaw, obwohl er an diesem Tage
nicht das Präsidium hatte, legte im Namen der übrigen Pro-
test ein, da keine Macht der Welt das Recht habe, das Par-
lament aufzulösen ausser diesem selbst. Damit gieng der
9* "
132 Auflösung des republikanischen Staatsraths.
Staatsrath auseinander, Vane zog sich wie vor dem Process
des Königs auf eines seiner Landgüter zurück. Von einzelnen
Heerestheilen kamen Zustimmungsadressen. Auf der Flotte,
deren Mannschaft der gestürzten Regierung am meisten er-
geben war, herrschte doch das Gefühl vor, dass jeder seine
Pflicht für das Vaterland thun müsse, ohne sich in die inneren
Händel einzumischen. Im Lande regte sich keine Hand für
das zersprengte Parlament, weil, nach dem Urtheil eines frem-
den Gesandten, „männiglich befand, dass die geschehene Ver-
änderung auf das gemeine Beste gerichtet sei"(^).
Ein Bruch des öffentlichen Rechtes in brutalster Form
war erfolgt, aber er sollte nicht der Aufrichtung einer Will-
kürherrschaft dienen. Das Schwert des Soldaten hatte den
Knoten durchhauen, der sich nicht lösen zu wollen schien,
aber England sollte deshalb nicht nur von Soldatenhand regiert
werden. Zunächst freilich wurde, um die Geschäftsführung
nicht zu unterbrechen, unter Cromwell's Leitung ein neuer
Staatsrath gebildet, in welchem das militärische Element ent-
schieden vorherrschte. Daneben blieb der Kriegsrath, der
während der letzten Ereignisse eine so grosse Rolle gespielt
hatte, als solcher bestehn. Beide Körperschaften wirkten eine
Zeit lang völlig selbstständig, lediglich auf angemasste Macht-
vollkommenheiten gestützt, neben einander. Aber dieser Zu-
stand sollte nicht andauern. Schon mehrfach war von Cromwell
auf die Nothwendigkeit hingedeutet worden, „Gutgesinnte,
^länner von Gottesfurcht und erprobter Rechtschaffenheit", zu
berufen, um durch sie alle jene Reformen einführen zu lassen,
die bis dahin noch zu den fi'ommen Wünschen gehörten.
Nicht auf eine freie Wahl war es abgesehen, weil diese auf
„Schlechtgesinnte" hätte fallen können, sondern auf eine Aus-
lese von Vertrauensmännern, deren independentische Gesin-
nung über jeden Zweifel erhaben sei. Der Rath der Officiere
setzte sich zu dem Behuf mit einzelnen Kongregationen in
Verbindung, um sich gottesfürchtige Männer, „Freunde des
Herrn", vorschlagen zu lassen. Es waren alles in allem hun-
Das kleine Parlament. 133
dertneununddreissig, an welche Crom well die Aufforderung
richtete, sich am 4, Juli im Rathszimmer zu Whitehall ein-
zufinden (^). Die Männer des landsässigen und gewerbtreiben-
den pui'itanischen Mittelstandes bildeten den Grundstock.
Einer aus ihrer Zahl, der Lederhändler Preise - Gott Barebone
musste seinen Namen von den Royalisten zur spöttischen Be-
zeichnung dieses „kleinen Parlaments" missbrauchen lassen.
Einige Adlige, nicht wenige Officiere waren entboten worden.
Neben dem ehrlichen Namen Robert Blake's war der Name
Anton Ashley Coopers zu bemerken , der als Shaftesbury be-
rühmt und berüchtigt wurde. Auch Irland und Schottland
waren einige Vertreter zugetheilt.
Am festgesetzten Tage eröffnete Cromwell die Versamm-
lung mit einer jener merkwürdigen Reden, die bei aller Weit-
schweifigkeit und scheinbarer Dunkelheit sein Inneres doch
aufs getreueste abspiegeln. Er warf zuerst einen Rückblick
auf „die wunderbaren Fügungen der Vorsehung, in denen
der Herr seit dem Beginn der Revolution sich diesen Völkern
offenbart habe". Dann gieng er über zu einer Rechtfertigung
der letzten gewaltsamen Veränderung. Er berief sich auf „die
unabwendbare Nothwendigkeit" , die ihn und seine Genossen
zu ihrer That gezwungen habe. Wenn man ihm Glauben
schenkte, so waren „alle gesetzlichen Mittel, der Nation die
Früchte ihrer Opfer an Gut und Blut zu verschaffen", voll-
kommen erschöpft gewesen. Dieselbe „Nothwendigkeit", gleich-
bedeutend mit dem Willen einer „weisen Vorsehung", machte
er für die eigenmächtige Berufung seiner andächtigen Hörer
geltend. Er betete zu Gott, dass er sie mit dem Geiste Mosis
und Pauli erfüllen möge, um sie für ihr heiliges Amt tüchtig
zu machen. Denn die Aufgabe der Versammlung erschien
ihm in erster Linie als eine religiöse : Bethätigung christlicher
Liebe „auch gegen den Aermsten", Duldung „abweichender
Ansichten unter den Heiligen", „Ausbreitung des Evangeliums",
Unterstützung der „wahren Seelsorger, die den Geist Gottes
empfangen haben". Das ist der Weg, um das ^'olk auch zur
bürgerlichen Freiheit zu führen. „Ich sage euch: mit einem
hohen Rufe seid ihr berufen. Und warum sollten wir uns
234 Hoffnungen der „Heiligen".
fürchten, zu sagen oder zu denken, dass dies das Thor sei,
um Gottes Verheissungen einzuführen? Wir wissen, wer die
sind, welche mit dem Lamme kämpfen sollen gegen seine
Feinde: ein Volk berufen, auserwählt und treu. . . Und wir
haben geglaubt, einige von uns, dass es unsere Pflicht sei,
diesen Weg mit der That zu betreten und nicht thatenlos
auf die Prophezeiung Daniel's zu blicken : das Reich soll nicht
an ein anderes Volk gegeben werden". — Nach Beendigung
seiner Ansprache, welche über zwei Stunden gewährt hatte,
legte Cromwell eine Urkunde vor, durch die er namens der
Officiere erklärte, dass die. höchste Gewalt fortan bei der Ver-
sammlung ruhe. Die Dauer ihrer Session sollte sich nicht
über den 3. November 1654 erstrecken, drei Monate vor ihrer
Auflösung hatten sie ihre Nachfolger zu wählen.
Was so viele schwärmerische Gemüther sehnlich erhofft
hatten, war eingetroffen. Eine mit Sorgfalt ausgewählte Ge-
nossenschaft von „Heiligen" hatte die Geschicke Englands in
ihrer Hand. Der „Tag des Herrn" war angebrochen. Das
Reich Gottes auf Erden stand in Aussicht. Eine gewaltige
Erregung bemächtigte sich aller der zerstreuten Gemeinden,
die sich im Lauf der Jahre ausserhalb des Rahmens der Lan-
deskirche gebildet hatten. Aus einzelnen Aktenstücken, Peti-
tionen an Cromwell oder an das kleine Parlament, fasst man
am besten, wohin diese geistige Strömung gieng. So häufig
sich der Sinn der Schreiber in der Phraseologie der Prophe-
ten und der Apokalypse verhüllt, so ist es doch möglich, die
praktischen Ziele zu erkennen, denen sie zustreben. Was
man forderte und auf dem Wege der Gesetzgebung einführen
zu können sich schmeichelte, war eine Reform nicht nur der
Institute, sondern auch der Sitten. Die Zehnten und die
Patronatsrechte sollten aufhören, die Accise wegfallen, alle
Theile des englischen Rechts revidirt, die Volksbildung be-
fördert, die Verwaltung des Staates und der Gemeinden ver-
bessert werden. Aber zugleich tauchte das Verlangen auf,
den puritanischen Charakter der Legislation noch zu verschär-
fen, die Zahl der Wirtshäuser einzuschränken, jedem Eng-
länder bis zum fünfundzwanzigsten Jahr und Geistlichen über-
, Wahl eines neuen Staatsraths. 135
haupt den Genuss „starker Getränke" zu verbieten, eine
Kleiderordnung zu erlassen und den Sabbath zu einem Fast-
tag zu machen. Freiheit des Gewissens und des Kultus „für
alle friedlichen Unterthanen" bildete nach wie vor den wich-
tigsten Artikel des independentischen Programms. Mitunter
wird auch hier empfohlen, „die Juden zuzulassen und ihnen
"Wohnplätze anzuweisen, da ihre Zeit nahe ist". Beinahe
regelmässig bleibt die Unklarheit bestehn, dass der Staat, ob-
wohl er selbst den religiösen Genossenschaften parteilos-gegen-
überstehen soll, dennoch verpflichtet wird, „die Ausbreitung
des Evangeliums durch Prediger von wahrem Glauben" an
die Hand zu nehmen (').
Das kleine Parlament w^ar gleichfalls von begeisterten
Hoffnungen auf eine religiöse Wiedergeburt des gesammten
nationalen Lebens erfüllt und erhielt dadurch eine Physiogno-
mie, wie sie niemals eine parlamentarische Versammlung weder
vorher noch nachher gezeigt hat. Die erste Sitzung war fast
ausschliesslich freiem Gebet gewidmet, in welchem je acht
oder zehn Mitglieder vom Morgen bis zum Abend ihrer Be-
geisterung Luft machten. Man gewöhnte sich an die eigen-
thümliche Geschäftsordnung, sobald ein Dutzend Mitglieder
versammelt waren, im Gebet zu verharren, bis die beschluss-
fähige Anzahl erschien und es möglich wurde, die regelmässige
Arbeit wieder aufzunehmen. Eine Proklamation an das eng-
lische Volk beschwor dasselbe, Gott um seinen Segen anzu-
flehen, denn es zeige sich, „dass die Finsternis weiche und
der Tag anbreche". — Eine der ersten Aufgaben der Versamm-
lung war die Wahl eines neuen Staatsraths. Sie war zur In-
haberin der höchsten Gewalt im Volk erklärt worden, sie
allein hielt sich daher für berechtigt, dieselbe zu übertragen.
Indessen blieb der Charakter der Regierungsbehörde, obwohl
sie bedeutend verstärkt wurde, wesentlich derselbe. Auch die
Neuwahlen am 1. November wahrten dem militärischen Ele-
ment sein Gewicht. Scheinbar einander gleichgeordnet, folgten
alle Mitglieder des Staatsraths der Leitung Cromwell's, dessen
ausserordentliche Stellung die puritanische Notabelnversamm-
lung selbst anerkannte. Sie beschloss, ihn zu ihrem Mitglied
]^3g Gesetze über Schuldhaft, Civilehe u. s. w.
ZU ernennen und dieselbe Ehre auf vier seiner Vertrauten,
seinen Schwager Desborough, die Generale Lambert und Harri-
son und den Colonel Tomlinson, zu übertragen.
Dann aber machte sie sich mit überstürztem Eifer an ihr
Werk. Eine Reihe von Kommissionen war thätig, die Missbräuche
der Verwaltung zu untersuchen, die Steuerverhältnisse zu prüfen,
Vorschläge zur Beförderung der Predigt, des Unterrichts, des
Handels entgegenzunehmen und die grosse Justizreform vor-
zubereiten, der man entgegensah. Die Angelegenheiten von
Irland und Schottland, der Krieg mit den Niederlanden, die
Geldbewilligung für Heer und Flotte beschäftigten das Parla-
ment in nicht geringem Masse. Es hat einige Gesetze aus-
gearbeitet, mit denen es seiner Zeit weit vorauseilte, deren
hohen Werth aber unser Jahrhundert zu würdigen fähig ist.
So wurden Bestimmungen getroffen, um wenigstens die grössten
Härten der Schuldhaft zu mildern und auf diese Weise die
Klagen zum Schweigen zu bringen, die sich aus zahlreichen
Gefängnissen wegen „dieses ägyptischen Sklavenjoches und
Elends" erhoben hatten. Noch wichtiger war es, dass dies
Parlament das erste war, welches als die einzig gesetzliche
Form der Eheschliessung die bürgerliche gelten Hess. Einem
Standesbeamten lag es ob, die Papiere der Brautleute zu
prüfen und sie drei Sonntage hintereinander aufzubieten. Sie
wurden demnächst verpflichtet, mit Zeugen vor dem Frie-
densrichter zu erscheinen, um ihren Entschluss in vorge-
schriebenen Worten kundzuthun und aus seinem Munde
die Erklärung zu vernehmen , dass sie Mann und Weib seien.
Nicht minder war die Eintragung der Ehen, der Geburten
und der Begräbnisse Sache der Civilbehörde. Das kleine
Parlament gieng mit solchen Bestimmungen lediglich auf die
früheren Anregungen des Independentismus zurück (^). Es
machte einen neuen bedeutenden Schritt der Trennung von
Kirche und Staat entgegen , dem auch Milton einige Zeit
nachher seinen vollen Beifall schenkte. Hingegen zu einer
Reform des Scheidungsrechtes, wie er sie mit so viel Nach-
druck befürwortet hatte, konnte sich die Versammlung nicht
verstehu.
Debatten über Zehnten, Patronate, Kauzleihof. 137
Alle iltre Beschlüsse hatten gezeigt, dass sie vor einer
radikalen Veränderung bestehender Einrichtungen nicht zu-
rückbebte. Aber ihre Bedeutung trat doch hinter denjenigen
zurück, die sich auf die Anstellung wie Erhaltung der Geist-
lichkeit und auf die allgemeinen Verhältnisse der Rechtspflege
bezogen. Die erste dieser Fragen hatte in dem Programm
der am weitesten fortgeschrittenen Independenten gleichfalls
schon längst ihre theoretische Lösung gefunden. Sie verwar-
fen den Begriif einer mit weltlichem Besitz ausgestatteten
La/ideskirche. Sie erblickten ihr Ideal im Dasein freier Ge-
meinden und machten diesen im Fall der Noth die Erhaltung
der Seelsorger ebenso zur Pflicht, wie sie ihnen das Ptecht
zusprachen, dieselben aus der Zahl der Gläubigen zu er-
wählen. Man hatte allerdings die Einführung der Presbyte-
rialverfassung nicht hindern können. Aber man hatte an der
Hoffnung festgehalten, die Institute des Patronats und der
Zehnten, die oft sehr Unwürdigen und nicht zum wenigsten
den Presbyterianern zu statten gekommen waren, gänzlich
vernichten zu können. Dass das lange Parlament, selbst in
seiner letzten verstümmelten Form, einen Versuch der Art nicht
unternommen hatte, war keiner der geringsten Vorwürfe, mit
dem es belastet wurde. Inzwischen ward in der Presse und
in Petitionen der Gegenstand fortwährend mit Leidenschaft
behandelt. Milton hatte in Prosa und in Versen schon mehr-
fach auf ihn angespielt. Der Geistliche erschien nicht als
ein Hirt seiner Heerde, sondern als ein .,Miethling" dessen,
der ihn für seine Stelle präsentirt hatte. Die Zehuten wurden
als ein Rest „jüdischer und antichristlicher Knechtschaft", als
ein Erbstück der katholischen Kirche, gebrandmarkt. Das
kleine Parlament zögerte nicht, sich in gleichem Sinn aus-
zusprechen. Am 17. November wurde das Präsentationsrecht
der Patronatsherren für aufgehoben erklärt. Am 10. Decem-
ber wurde die erste Klausel eines Committeeberichts, welcher
die Fortdauer der Zehnten in Schutz nahm , mit einer Mehr-
heit von zwei Stimmen verworfen. — Schon früher hatte man
sieh mit gleicher Entschiedenheit der Frage der Justizreform
zugewandt. Die Vorarbeiten des langen Parlaments für eine
138 Stellung Cromwell's.
Kodifikation des gemeinen Rechts in englischer Sprache wur-
den wieder aufgenommen. Gleichzeitig machte man sich daran,
dem Gerichtshof des Lord -Kanzlers, dem Vertreter des aus-
helfenden Billigkeitsverfahrens, das Urtheil zu sprechen. Von
allen Seiten waren die bittersten Beschwerden über die Miss-
bräuche dieses Tribunals eingelaufen. Man bezeichnete es
wegen der Willkür, der Kostspieligkeit und der Langsamkeit
seines Geschäftsganges als die „grösste Bürde der Nation".
Man wollte wissen, dass dreiundzwanzigtausend Processe bei
ihm anhängig seien, von denen einige seit zwanzig, dreissig
Jahren spielten. Es gab Rechtshändel, in denen über fünf-
hundert Mandate ergangen und tausende von Pfunden für
Gebühren aller Art eingezogen worden waren. Das kleine
Parlament hielt sich für verpflichtet, schonungslos einzugreifen.
Es warf das ganze der Verbesserung dringend bedürftige In-
stitut über Bord, indem es ohne langes Besinnen die Auf-
hebung des Kanzleigerichtshofes dekretirte.
Ohne Zweifel zeigte die Versammlung der Heiligen in
der Behandlung dieser Angelegenheiten mehr guten Willen
als praktisches Geschick. Die Kommission, welche eine Ko-
difikation des Rechtes berathen sollte, zählte keinen Juristen
unter ihren Mitgliedern. Der Gerichtshof des Lordkanzlers
wurde abgeschafft, ohne dass an einen Ersatz durch eine an-
dere Behörde gedacht worden wäre. Der einfache Wegfall
des Patronats musste zahlreichen adligen Familien als ein
Raub ihres guten Rechtes erscheinen. Von den Zehnten
waren nicht wenige in Privateigenthum übergegangen, und
auf ihrem Fortbezug ruhte nicht nur das Dasein von so vielen
geistlichen Haushaltungen und Stiftungen, sondern zum Theil
auch die Erhaltung der Universitätsanstalten, Auf diese
Weise wurden sehr wichtige Interessen der besitzenden Klas-
sen und mächtiger Korporationen durch die Umsturzversuche
des kleinen Parlaments bedroht. Die Revolution, welche bis
dahin eine ausgesprochene politische und religiöse Färbung
gehabt hatte, schien nun allen Ernstes auch einen socialen
Charakter annehmen zu wollen. In Frankreich ist sie andert-
halb Jahrhunderte nachher in dieser Form zum Siege gelangt.
Stellung Cromwell's. 139
weil die Gesellschaft des ancien rögime bei weitem tiefer an-
gefressen war. In England waren die überkommenen Zu-
stände nicht so drückend, dass das Bestreben, mit der Ver-
gangenheit gänzlich zu brechen, Aussicht auf Erfolg hätte
haben können. Wer etwas zu verlieren hatte, blickte Hilfe
suchend auf Cromwell, dessen Arm allein fähig erschien, das
drohende Unheil abzuwenden. Er hatte sich nun zu entscheiden,
ob er seinen Bund mit den Freunden radikaler Neuerungen
aufrecht erhalten oder ob er sich der Eigenthümer, der Geist-
liehen, der Juristen annehmen sollte. Sachliche und persön-
liche Beweggründe bestimmten seine Wahl. Sein staatsmän-
nischer Sinn sträubte sich gegen eine Umwälzung von Grund
aus. Sein Bewusstsein, zum Herrscher geschaffen zu sein,
drängte ihn dazu, den Heiligen die Zügel aus der Hand zu
nehmen. Schon im August hatte er sich darüber beklagt,
dass ihre Ansichten so weit auseinandergiengen. Bei den
wichtigsten Verhandlungen traten sich zwei Parteien, eine
radikale und eine gemässigte, entgegen. Bei der Abstimmung
über den Bericht des Zehnten - Committee hatten die Enthu-
siasten nur mit zwei Stimmen Mehrheit gesiegt. In der aus-
wärtigen Politik verfolgten sie mit Leidenscliaft die einge-
schlagenen Bahnen, denn der Krieg gegen die Niederlande
galt ihnen nur als Vorspiel zur „Ausbreitung des Reiches
Christi" auf dem Kontinent (^). Zu der bewaffneten Macht
stellten sie sich in feindlichen Gegensatz, indem sie den höch-
sten Officieren ihr Gehalt für ein Jahr strichen und den
Sold der Armee in der üblichen Weise zu bewilligen Anstand
nahmen.
Cromwell konnte sich indessen eine Wiederholung der
beleidigenden Scene ersparen, welche den Schluss des Rump-
parlaments gebildet hatte. Ein Theil der Versammlung mit
Inbegriff des Sprechers kam seinen Absichten entgegen. Zwei
Tage nach jener Abstimmung, die das Schicksal der Zehn-
ten vorauskündigte, am 12. December, erschienen die ge-
mässigten Mitglieder in grosser Anzahl, noch ehe ihre Gegner
sich in gleicher Stärke eingefunden hatten. Einige Redner
griffen die radikale Partei aufs heftigste an. Der Antrag
J40 Resignation des kleinen Parlaments.
wurde gestellt, dass das Parlament, da seine Fortdauer mit
dem Gemeinwohl unverträglich sei, die Macht, die es vom
Lord General erhalten habe, in seine Hände zurücklegen solle.
Dem überraschenden Vorschlag wurde lebhaft widersprochen,
und während der erregten Debatte begann das Haus sich
allmählich zu füllen. Da erhob sich der Sprecher von sei-
nem Sitz, das Scepter wurde vor ihm hergetragen, die Mehr-
zahl der Anwesenden schloss sich ihm an, um ihm nach
Whitehall zu folgen. Dort wurde eine Verzichtsurkunde auf-
gesetzt, unterschrieben und Cromwell überreicht. Im Lauf
der nächsten Tage bedeckte sie sich noch mit mehreren Na-
men, so dass der Wille der Majorität durch sie zum Ausdruck
gelangte. Die Zurückgebliebenen, ohne Sprecher und nicht
beschlussfähig, erklärten, freiwillig ihren Platz nicht räumen
zu wollen. Erst nach dem Erscheinen einer Rotte von Mus-
ketieren verliessen sie den Saal. Zu ihnen gehörte Harrison,
der von ■ da an in Cromwell einen abtrünnigen Verräther er-
blickte und sich aufs engste an die fanatischen Verkündiger
der fünften Monarchie anschloss.
Das lange Parlament war zersprengt. Das Werk der
Heihgen war gescheitert. Cromwell und seine Genossen blie-
ben als Sieger übrig. Aus ihrer Hand empfieng das Land
seine neue Verfassung. Es war die erste moderne Urkunde
der Art, welche das Verhältnis der Staatsgewalten zu einander
bestimmt und ausführlich regelte. An der Spitze des Gemein-
wesens stand mit lebenslänglicher, aber unvererblicher Würde,
ausgestattet mit königlichen Attributen und königlichen Gü-
tern, der Lord Protektor von England, Schottland und Irland.
Ihm zur Seite trat ein ständiger Staatsrath, auf dessen Zu-
sammensetzung er Einfluss hatte, mit dem wichtigsten Piecht,
seinen Nachfolger zu wählen. Das dritte Element der Lan-
desverfassung ward durch das Parlament gebildet, eine Kam-
mer, die aus den W^ahlen des Volks hervorgehend zuerst am
3. September 1654 zusammentreten sollte. Indem man sich
die Lehren der Vergangenheit vergegenwärtigte, suchte man
jeder dieser Gewalten ihre Machtsphäre anzuweisen , aber
keine von der Mitwirkung der anderen unabhängig zu machen.
Die Protektoratsverfassung. 141
Der Protektor war in wichtigen Fallen an den Beirath und
die Zustimmung seines Staatsrathes gebunden. Er hatte in
Gemeinschaft mit ihm die Leitung der auswärtigen Politik
und die Entscheidung über Krieg und Frieden. p]r durfte
bis zum Zusammentritt des ersten Parlaments mit Einwilligung
des Staatsrathes Steuern erheben und Verordnungen erlassen.
Er gebot, wenn kein Parlament versammelt war, unter Zu-
ziehung des Staatsrathes über die Militia. Das Parlament da-
gegen hatte nicht weniger bestimmte Rechte. Ihm allein
stand es künftig zu, Steuern zu bewilligen. Die provisorischen
Verfügungen des Protektors konnten vom Parlament wider-
rufen werden. Seine Gesetze, soferne sie keinen Verfassungs-
artikel betrafen, erhielten zwanzig Tage nach ihrer üeber-
reichung Kraft, auch wenn der Protektor seine Zustimmung
weigerte. Es musste mindestens einmal in jedem dritten
Jahre berufen und durfte in den ersten fünf Monaten nach
seiner Eröffnung nur mit seinem Willen vertagt oder aufge-
löst werden. — Das Wahlgesetz lehnte sich in wesentlichen
Bestimmungen an die Keforrabill Henry Vane's an. Es nahm
auf eine gerechtere Vertheilung der Piepräsentation Bedacht,
die für England und Wales vierhundert, für Schottland und
Irland je dreissig Deputirte betragen sollte. Das Wahlrecht
wurde an den Nachweis eines Vermögens von 200 £ und an
gewisse Qualifikationen geknüpft, die man in der Reformbill
des Rumpparlaments schmerzlich vermisst hatte. Wer seit
1641 die Waffen für den König getragen hatte, war unfähig,
während der nächsten vier Parlamente als Wähler oder Ab-
geordneter aufzutreten. Katholiken und Beförderer des irischen
Aufstandes waren überhaupt ausgeschlossen. Dem Staatsrath
blieb sogar bis zum Beginn des vierten Parlaments das Recht
der Prüfung und Bestätigung der Wahlen gewahrt. — Den
Schöpfern der Protektoratsverfassung erschien indessen die
Ruhe nicht sicher verbürgt zu sein, woferne nicht auch das
Dasein der bewaffneten ]\Iacht, wie sie der Krieg hervorge-
bracht hatte, und die Gewissensfreiheit, wie sie selbst die-
selbe verstanden, über den Streit der Parteien erhoben würde.
Ein stehendes Heer von 30,000 Mann und eine Kriegsflotte zum
142 ^^6 Protektoratsverfassung.
Schutz der Küsten, auf die jährlichen Staatseinkünfte ange-
wiesen, wurde für die nächste Zeit vorausgesetzt. Die christ-
liche Religion wurde für die ,,der Nation" erklärt. Der
Staat verbürgte „die Erhaltung fähiger und sorgfältiger Leh-
rer" nicht etwa lediglich „für den Unterricht des Volkes",
sondern zugleich „für die Widerlegung von Irrthümern und
Ketzerei". Bis ein Ersatz gefunden sei , sollte das System
der Patronate, Pfründen und Zehnten bestehn bleiben. Doch
sollte niemand mehr zur Theilnahme am Gottesdienste ge-
zwungen werden. Jedem christlichen Kultus war Duldung
und Schutz versprochen, ausgenommen dem Kultus der Katho-
liken und der bischöflichen Kirche.
Das Ganze war der Ausdruck der thatsächlichen Macht-
verhältnisse, nicht einer vom Boden der Wirklichkeit abge-
lösten, streng durchgeführten Theorie. Der Gedanke der
Souveränetät des Volkes war zurückgedrängt. Der Gedanke
der Trennung von Kirche und Staat war verworfen. Milton
hatte kurz vorher im „omnipotenten Parlament" den Schluss-
stein des öffentlichen Rechtes gefunden. Roger Williams
hatte seit einiger Zeit auf dem jungfräulichen Boden von
Rhode -Island ein Gemeinwesen gegründet, in welchem die
Organisation des kirchlichen Lebens völlig den Einzelnen über-
lassen blieb. In beiden Beziehungen trat die Protektorats-
verfassung den äussersteu Folgerungen des independentischen
Princips entgegen. Sie nahm auf die eigenthümliche Stellung
Cromwell's und seiner militärischen Anhänger, auf die Wün-
sche der gemässigten Presbyterianer wie der gemässigten
Sektirer, auf die Besorgnisse der Patronatsherren und Eigen-
thümer in gleicher Weise Rücksicht. Ihre Urheber hofften
allmählich durch eine Verschmelzung aller dieser Interessen der
Unversöhnlichen im royalistischeu wie im republikanischen Lager
Herr zu werden und nach der vorausgegangenen Zerstömng
mit ihrem Werke etwas Dauerndes geschaffen zu haben (i).
Am 16. December 1653 um ein Uhr Nachmittags fand
die Installation des Lord Protektor in der Westminster- Halle
statt. In schwarzem Sammetgewand , ein breites goldenes
Band um den Hut, stellte sich CroniNvell zwischen zwei der
Installation CromweU's als Protektor. 143
Siegelbewahrer neben den Staatssessel, der sich auf reichem
Teppich erhob. Die Richter, Lord-Mayor und Aldermen von
London, die Mitglieder des Staatsrathes und des Kriegsrathes
hatten sich in der Runde gruppirt. General Lambert, der bei
den letzten Vorgängen eine Hauptrolle gespielt hatte, trat
vor, erklärte die Auflösung des Parlaments und bat Cromwell
im Namen des Heeres und der drei Nationen die Würde des
Protektors anzunehmen. Die Urkunde der Verfassung wurde
verlesen, einer der Siegelbewahrer legte dem Feldherrn den
Eid vor, durch den er zu beschwören hatte, die Verfassung
zu halten, den Gesetzen und Statuten gemäss zu regieren,
Frieden und Gerechtigkeit zu wahren. Er unterschrieb und
fügte hinzu, seine Macht möge nicht länger dauern, als sie
mit dem Werke Gottes in Einklang stehe. Hierauf vertauschte
er seinen Degen mit einem anderen in der Scheide stecken-
den, um symbolisch anzudeuten, dass er nicht mit der Waffe
•des Kriegers herrschen wolle. Bedeckten Hauptes nahm er
auf dem Thronsessel Platz, empfieng aus der Hand der Sie-
gelbewahrer das grosse Siegel, aus der Hand des Lord-Mayor
das Schwert und erstattete kraft seiner Souveränetät das eine
wie das andere ihren Trägern zurück. Mit kriegerischem
Pomp, wie er gekommen, kehrte er zurück in den Palast von
Whitehall, begleitet von dem glänzenden Zuge der Versam-
melten, durch Zurufe der Volkmasse begrüsst. Die Predigt
eines seiner Kaplane und eine dreifache Salve seiner Soldaten
bildete das Ende der Ceremonie.
Im ganzen Reiche gieng die Ausrufung des Protektors
ohne Widerstreben der Bevölkerung vor sich. Unter seinem
Namen wurden fortan alle öffentlichen Aktenstücke ausgefertigt.
Von ihm empfiengen Richter und hohe Staatsbeamte ihre Be-
stallung. Sein Haushalt in Whitehall erhielt ein höfisches
Ceremoniell. Die Republikaner alten Schlages, die Mitglieder
enthusiastischer Sekten grollten und hielten sich entweder ent-
fernt oder sannen auf Rache. In anabaptistischen Konventikeln
verglich man den „eidbrüchigen Verräther" mit Richard dem
Dritten. In einzelnen Regimentern herrschte eine bedenk-
liche Gährung, Hie und da mussten die Officiere selbst als
144 Befestigung, d. neuen Keg. Verordnungen. Union m. Schottland.
verdächtig gelten. Indessen gegenüber den alten Genossen
war es rathsam, die Seiten nicht zu straff zu spannen. Es
schien genügend, sie zeitweilig von ihren Posten abzuberufen
oder durch verlässlichere Nachfolger zu ersetzen. — Die roya-
listischen Verschwörer hatten ein schlimmeres Schicksal zu
erwarten. Im Frühling 1654 wurde ein Komplott entdeckt,
dessen Zweck die Ermordung des Protektors und die Pro-
klamation Karls II. war. Ein ausserordentlicher Gerichtshof
sprach das Urtheil und zwei der Betheiligten büssten mit dem
Tode.
Von rechts und links beständig durch Gefahren bedroht,
wusste die neue Regierungsgewalt sich doch zu befestigen und
die Zwischenzeit, die ihr bis zur Eröffnung des Parlaments
gegönnt war, vortrefflich auszunutzen. Die Verfassung räumte
dem Protektor das wichtige Piecht ein, unter Zustimmung
des Staatsraths zum Besten der Nation Verordnungen zu
erlassen.. Er machte von diesem Ptecht einen sehr ausge-
dehnten Gebrauch. Dem Grössten wie dem Kleinsten schenkte
er seine Beachtung. Kraft seiner Verordnungsgewalt erfolgte
die Forterhebung der Steuern sowie eine neue Erklärung des
Hochverrathsbegriftes , und auf dieselbe Autorität hin wurden
die Hahnenkämpfe untersagt und die Duelle verboten. Die
lange vorbereitete Akte der legislativen Union England's und
Schottland's kam nun zur Veröffentlichung. Eine ausführliche
Ordonnanz verbesserte das Verfahren des Kanzleigerichts. Eine
andere bestellte Visitatoren für die Universitäten und mehrere
hervorragende Schulanstaltefi. In alle Gebiete des inneren
Staatslebens griff die starke Hand des neuen Gebieters ein,
der sich die Aufgabe gestellt hatte, zwischen den Einrichtungen
der Vergangenheit und zwischen den Anforderungen der
Gegenwart eine Brücke zu schlagen. Diesen vermittelnden
Charakter zeigte vor allem die kirchliche Politik des Protek-
tors. Er ernannte Kommissionen, aus Laien und Geistlichen
gemischt, mit ausserordentlichen Gewalten versehn, wie sie
das Piumpparlament und das Zehnten - Committee des kleinen
Parlaments ähnlich bereits in Aussicht genommen hatte. Eine
allgemeine Behörde hatte alle diejenigen auf ihren Glauben,
Friede mit den Niederlanden, ^'ertrage m. Schweden u. Norwegen. 145
ihre Kenntnisse und ihren Lehenswandel hin zu prüfen, die
in ein bepfründetes Seelsorgeamt eintreten wollten. Beson-
dere Bevollmächtigte in den einzelnen Grafschaften hatten
bereits angestellte ,, unwürdige, unwissende und untaugliche
Geistliche und Lelirer" vor sich zu fordern und aus ihren
Pfründen zu entfernen. Gleicher Weise ward auf die Aus-
füllung von Vakanzen, auf die Trennung oder Zusammen-
legung von Pfarreien Bedacht genommen. In den Kom-
missionen Sassen Presbyterianer und Independenten friedlich
neljen einander. Die Gegensätze der kirchlichen Parteien
sollten zurücktreten, da die Staatsgewalt beide für das Reform-
werk benutzen wollte, zu dessen Uebernahme sie selbst sich
für verpflichtet hielt (').
Nicht weniger tief eingreifend wandte sich die Politik des
Protektors nach aussen. Der Krieg mit den Niederlanden
war unter den Anspielen der republikanischen Staatsmänner be-
gonnen worden. Die völlige Unterwerfung des besiegten
Feindes, gehörte zu den Lieblingsträumen der Heiligen.
Cromwell beendigte diesen Krieg, dessen Lorbeeren mit so
viel Opfern erkauft wurden , und suchte die Freundschaft der
beiden Gemeinwesen zu begTünden, statt noch länger der
Chimäre ihrer Verschmelzung nachzujagen. Nach vielfachen
Verhandlungen kam im Frühjahr 1654 der Friede zu Stande.
Die Generalstaaten mussten die Navigationsakte anerkennen
und sich nicht wenigen der von England aufgestellten Be-
dingungen fügen. Aber sie hatten eine noch grössere
Demüthigung auf sich zu nehmen. Der Protektor forderte
nicht nur, dass den Stuarts das Asyl geweigert werde, son-
dern auch, dass ihre Verwandten und Gönner, die Glieder
des Hauses Oranien, von der Bekleidung der hohen Staats-
ämter ausgeschlossen blieben. Er unterzeichnete den Vertrag
nicht eher, als bis ihm die holländischen Stände durch Aus-
händigung der Akte van Seclusie für die übrigen Bürgschaft
leisteten. — Die beiden nordischen Mächte, Dänemark und
Schweden, hatten zu dem englisch -niederländischen Krieg
eine ungleiche Stellung eingenommen. Während der dänische
Stern, Milton u. s. Z. II. Z. 10
]^46 Verträge mit Schweden und Dänemark.
König sich durch frühere Verträge und gemeinsame Handels-
interessen zu den Generalstaaten hingezogen fühlte, hatte
Christine von Schweden einige Theilnahme für England ge-
zeigt und Hoffnungen auf den möglichen Abschluss eines
Bündnisses erweckt. Sobald die beiden grossen Seemächte
anfiengen sich zu verständigen, machte dieser Gegensatz
einem gleichmässigen , wohlwollenden Verhältnis zu England
Platz. Am schwedischen Hofe hatte Whitelocke, Cromwell's
Gesandter, mit bestem Erfolg für die Unterzeichnung eines
Freundschafts- und Handelsvertrages gewirkt. Noch trug
Christine die Krone. Cromwell hatte ihr sein Bild geschickt
mit einigen schmeichelhaften Versen , die man irriger Weise
mitunter Milton zugeschrieben hat('). Sie selbst sprach sich
bewundernd über den Protektor aus. Allein ihr Entschluss
vom Thron herabzusteigen , war schon gefasst, und man hatte
sich glücklich zu schätzen, dass ihr Nachfolger, Karl X., von
gleichen Gesinnungen beseelt zu sein schien wie sie. Danach
kam auch ein Vertrag mit Dänemark zu Stande, der den
englischen Handelsschiffen für die Durchfahrt durch den Sund
dieselben Vortheile zusicherte , die bis dahin die Niederländer
genossen hatten. — In kurzer Zeit hatte sieh England's
Stellung im europäischen Staatensystem gänzlich verändert.
Es hatte sich drei grossen Gemeinwesen angenähert, deren
religiöse Interessen es theilte, und konnte mit Ruhe für
Spanien oder für Frankreich den Preis einer Allianz bestimmen,
welche die eine und die andere Macht wetteifernd anbot.
Zugleich kam erst unter dem Protektorat der Begriff eines
grossbritannischen Reiches zu voller Geltung. In Irland war
durch Fleetwood und Ludlow die Ordnung aufrecht erhalten,
und wenn sich hie und da republikanische Regungen gezeigt
hatten, so gelang es dem jungen Henry Cromwell, die Auto-
rität des Vaters mit Kraft und Würde herzustellen. In
Schottland wusste Monk die royalistischen Insurgenten der
Hochlande zu zerstreuen und die Armee von den Anhängern
der radikalen Partei zu reinigen. Zum ersten Male sollten
Abgeordnete aus Irland und Schottland neben denen aus
England in dem nächsten Parlament ihre Sitze einnehmen.
Milton im Dienste des Protektorats. 147
Seine Einberufung stand bevor, als Milton in der zweiten
Vertheidigung des englischen Volkes die Gelegenheit wahr-
nahm, sich über den Umschwung der Dinge und über den
neuen Herrscher öffentlich auszusprechen (^).
Milton hatte im Dienst des Rumpparlaments gestanden.
Der Staatsrath, welcher aus diesem hervorgegangen war, hatte
ihn angestellt. Jenes Parlament und jener Staatsrath wurden
aufgelöst, aber er blieb in seinem Amte. Die Zwischen-
regierung, die sich unter Cromwell's Leitung konstituirte,
nahm seine Dienste in Anspruch (^). Der erste Staatsrath des
kleinen Parlaments beliess ihn stillschweigend auf seinem
Posten, der zweite gab ihm seine ausdrückliche Bestätigung.
Obwohl in William Jessop und Philipp Meadows neue Kräfte
für die Erledigung der Geschäfte gewonnen wurden, die
anfangs Milton allein besorgt hatte, blieb er doch im vollen
Genuss seines Einkommens. Der Staatsrath des Protektors
behielt „Mr. Milton" als Angestellten bei, gab indessen jenem
Meadows gleichfalls den Titel eines „lateinischen Sekretärs"
und verkürzte am 17. April 1655 den jährlichen Gehalt des
Dichters auf 150 "£. In Ansehung seiner verminderten
Leistungsfähigkeit war dies nicht ungerecht, um so weniger,
als ihm dieses Einkommen als ein „lebenslängliches" zuge-
sichert wurde. Offenbar war die Absicht ihm eine Pension
zu gewähren und auf seine Thätigkeit so gut wie ganz zu
verzichten. Milton scheint sich indessen gegen die Annahme
eines Ruhegehalts gewehrt zu haben. Eine ^'erminderung
seines ursprünglichen Einkommens trat freilich ein. Aber es
betrug doch noch am Ende des Protektorats 200 £, wofür
er seinerseits der Regierungskanzlei nach besten Kräften sich
nützlich machte (^).
In der That würde die Sammlung seiner Staatsbriefe
schon allein dafür sprechen, dass seine Feder noch viel-
fache Verwendung gefunden hat. Wie vordem, so betraf
ein grosser Theil der lateinischen Korrespondenz, die
in seinen Händen lag, Gegenstände von nicht eben her-
10*
148 Milton im Dienste des Protektorats.
vorragendem Interesse. Beglaubigungsbriefe für englische
Gesandte, Reklamationen zu Gunsten englischer ünterthanen
wegen geweigerter Rechtshilfe oder Schädigung ihres Eigen-
thums konnten seinem Genius wenig Gelegenheit zur Ent-
faltung seiner Kraft bieten. Aber daneben tauchten Fragen
der grossen Politik auf, die er namens des Protektors in der
Sprache des alten Rom zu behandeln hatte und die er mit
einer Würde und einer Wärme ohne gleichen zu behandeln
wusste. Die Sammlung seiner Staatsbriefe trägt daher in
dieser Zeit fast noch mehr als in der früheren den Charakter
einer Art von diplomatischem Blaubuch. Aber es sind nicht
diese Briefe allein, die für Milton's fortgesetzte amthche Be-
schäftigung Zeugnis ablegen. Als ein schwedischer Gesandter
in London über eine Ergänzung des früheren kommerciellen
Vertrages und den Abschluss eines engeren Bündnisses ver-
handelte, musste man sich an Milton, als Uebersetzer, wenden.
Sein Kollege Meadows war auf einer Mission nach Portugal
abwesend,- andere des Lateinischen kundige Mitglieder der
Kanzlei standen gleiclifalls augenblicklich nicht zur Verfügung.
Es gab indessen eine unliebsame Verzögerung und der Gesandte
beklagte sich darüber, dass ein Blinder, dessen Amanuensis
leicht etwas ausplaudern könne, mit dieser Arbeit betraut
werde (0. Dieser Anlass, Milton's Latinität auf die Probe zu
stellen, war nicht der einzige seiner Art, und wir werden
noch Gelegenheit finden, ähnliche Spuren seiner Thätigkeit
zu bemerken.
Weniger angestrengt als vorher, blieb er doch mit dem
Lauf der öffentlichen Angelegenheiten immer vertraut und
mit den leitenden Persönlichkeiten in gewisser Berührung.
Von seinen nächsten Kollegen, den Angestellten der Regie-
rung, nahm keiner eine gleich wichtige Stellung ein wie John
Thurloe. Er war der Sekretär des Staatsraths, in die gröss-
ten Geheimnisse der Cromweirschen Politik eingeweiht. Von
ihm, der sich allmählich zur Stellung eines ersten Ministers
erhob, hatte Milton unzweifelhaft nicht selten die nöthigen
Anweisungen für Abfassung der lateinischen Depeschen ent-
gegenzunehmen. Aber auch die Mitglieder des CromweH'schen
Seine Beurtheilung Ciomweirs. 149
Staatsraths werden ihm nicht unbekannt geblieben sein. Die
meisten der glänzenden Namen, die er in seiner zweiten
Vertheidigung verherrlicht, fanden sich hier zusammen. Dass
er diesen und jenen der Staatsräthe, wie den charakterlosen
Ashley Cooper, von jener Ehrentafel ausschloss, geschah wohl
nicht ganz ohne Absicht, Vor allem zu dem mächtigen Ge-
bieter, zu Cromwell selbst, trat er nun erst in ein näheres,
persönliches Verhältnis. Es hatte einen Augenblick gegeben,
in dem er sich entscheiden musste zwischen ihm und zwischen
Henry Vane. Die Wahl mag ihm nicht leicht geworden sein.
Aber er überwand sich den geschehenen Gewaltakt als noth-
wendig und heilsam anzuerkennen, statt sich mit dem repu-
blikanischen Freunde grollend zurückzuziehn. So standen sie
nebeneinander, zwei der Grössten ihrer Nation, der Mann
des Wortes und der Mann der That, jeder von beiden eine
streng in sich abgeschlossene Individualität, jeder Meister in
seinem Fache, durch dieselbe Welle der stürmischen Zeit
emporgehoben, um demselben Gemeinwesen in gemeinsamer
Arbeit zu dienen.
Es fehlt uns an Zeugnissen darüber, wie der Protektor
über seinen lateinischen Sekretär gedacht hat. Wir wissen
nicht, ob er sich dazu herabliess, ihn seines vertrauten Um-
gangs zu würdigen. Nur die Phantasie des Künstlers malt
sieh aus, wie er, auf sein Schwert gestützt, mit der Lady
Protectress im Kreise seiner Kinder und Getreuen dem Orgel-
spiel des blinden Dichters lauscht. Aber wie dieser den
Herrscher beurtheilte, was er von ihm hoffte, wessen er ihn
für fähig hielt, geht deutlich genug aus seiner zweiten Ver-
theidigung des englischen Volkes hervor. In klassischer
Sprache skizzirt er das Jugendleben seines Helden. Mit
Woi-ten der Entrüstung nimmt er ihn gegen die ^'erleum-
dungen der Royalisten in Schutz. Er zählt die tapferen
Thaten seines Schwertes auf, aber er rühmt vor allem, dass
der Sieger in so vielen Schlachten gelernt haben müsse sich
selbst zu besiegen. Im Frieden erscheint er ihm nicht weniger
gross als im Kriege, und er scheut sich nicht auch der beiden
entscheidenden Thaten zu gedenken, welche dieser „fried-
]^50 Mahnvmgen au den Protektor.
liehen" Epoche CromweH's angehören. „Als du sähest — so
milde spricht er von der Zersprengung des Rurapparlaments
— dass man auf Zögeningen bedacht war, dass jeder eher
seinen Privatvortheil als das öffentliche "Wohl im Auge hatte,
dass das Volk sich darüber beklagte, die Macht einiger
Wenigen raube ihm die Erfüllung seiner Hoffnungen: da
machtest du, was sie selbst trotz häufiger Aufforderungen zu
thun sich geweigert hatten, ihrer Herrschaft ein Ende. Ein
neues Parlament — er meint das kleine — wird berufen.
Die Mitglieder werden von denjenigen, denen es anstand,
ausgewählt. Die Erwählten kommen zusammen, aber sie
bringen nichts vor sich. Nachdem sie sich lange genug durch
Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten ermüdet haben,
kommt die Mehrzahl zur Erkenntnis, dass sie ihrer grossen
Aufgabe nicht gewachsen sei, und die Versammlung löst sich
aus fi-eien Stücken auf. "Wir sind verlassen, Cromwell. Du
allein bist noch übrig. Auf dich ist die höchste Gewalt über-
gegangen, bei dir ruht sie, wir alle beugen uns vor deiner
unbesiegbaren Tüchtigkeit". Er geht über die Ausnahmen
von diesem etwas kühnen „wir alle" kurz hinweg. Er nennt
den Protektor den „grössten und ruhmvollsten Bürger, den
Erhalter und "Wächter, den Vater des Vaterlandes". Er preist
ihn deshalb, dass er den Königsnamen verschmäht und einen
anderen Titel angenommen habe , der ihn dem Bereich der
übrigen Menschen näher biinge.
Man könnte meinen, dieser Redeprunk sei die schmeich-
lerische Demüthigung des Journalisten vor dem Manne der
That , weil der Erfolg auf dessen Seite stand. Kein grösseres
Unrecht vermöchte man Milton zuzufügen. "Wenn er die
wahrhaften Verdienste des mächtigen Genius erhebt, so opfert
er seine eigene Meinung deshalb nicht auf. Der Anwalt des
Freistaates stellt sich ebenbürtig neben seinen Protektor. In
demselben Athem, in dem er seinen Namen zu den Sternen
erhoben hat, fordert er Gehör für sich und alle Freien in
England und wagt es, dem siegreichen Inhaber der Macht
ahnungsvolle "Warnungen und Ermahnungen zuzurufen.
„Denke daran, welch ein kostbares Kleinod die Freiheit
Mahnungen an den Protektor. 151
ist, die (las Vaterland deinem Schutze anvertraut hat. Denke
daran, dass dies Vaterland die Hoffnungen, die es eben noch
auf die Auserwählten der Nation setzte, jetzt auf dich allein
übertragen hat. Ehre diese Hoffnung, ehre dies Vertrauen.
Ehre das Antlitz und die Wunden all der Tapferen, die unter
deiner Führung so wacker für die Freiheit gestritten haben.
Ehre die Schatten derer, die im Kampfe gefallen sind. Ehre
das Urtheil der fremden Völker, die von unserem tapfer
errungenen und ruhmvoll begründeten Gemeinwesen so viel
erAvarten. Ehre vor allem dich selbst und lass es nicht ge-
schehen, dass die Freiheit, für welche du so vielen Sorgen
und Gefahren Trotz geboten, von dir selbst oder von anderen
verletzt werde. Du kannst nicht frei sein, wenn wir es nicht
sind. Denn das ist ein ewiges Gesetz der Natur, dass der,
welcher anderen die Freiheit raubt, zuerst die seinige ver-
lieren und sich zum Sklaven machen muss. Wenn du, der
du ihr Beschützer und Schirmgeist sein solltest, die Freiheit
angriffest, so wäre das nicht nur für dein Andenken, es wäre
für die Sache des Guten und Edlen überhaupt ein tödtlicher
Schlag, eine Verwundung des ganzen menschlichen Geschlechts»
wie sie nicht schmerzlicher gedacht werden könnte".
Und nun fasst er alle die Forderungen zusammen, deren
Erfüllung er von dem grossen Staatsmann erwartet, davon
ausgehend, dass dieser nicht eigenwillig, sondern nur mit
dem Beirath seiner alten Waftengefährten und erprobter
Patrioten regieren werde. Es ist vor allem die Trennung des
Bundes zwischen Kirche und Staat. Milton stellt sich ganz
und gar auf den Standpunkt des äussersten Independentismus,
wie er in den radikalen Anträgen des kleinen Parlaments
hervorgetreten war. Er bezeichnet jenen Bund als unheilvoll
und unsittlich. Er findet, dass beide Gewalten sich nur
scheinbar ihre Hilfe leihen, „um sich in Wahrheit gegenseitig
zu schwächen". Die kirchlichen Genossenschaften seien ganz
auf sich selbst angewiesen , auf eigene Kraft gestellt , ohne
die Fähigkeit thätliche Gewalt auszuüben. Dies ist aber, wie
die Geschichte eines Menschenalters ihn gelehrt hat, am
wenigsten möglich, so lange der Staat die Erhaltung ihrer
152 Mahuungeu au den Protektor.
Diener aiif sich nimmt oder ein für alle ISIal gewährleistet.
„Denn die Gewalt wird nie aufhören, so lange der Sold für
Verkündigung des Evangeliums wider Willen den Unterthanen
abgepresst wird, was nur dazu dient, die Religion zu ver-
giften und die Wahrheit zu erwürgen". In diesem Sinne
mahnt er den Protektor „die Wechsler aus dem Tempel zu
treiben". Er verlangt sodann Verbesserung der Gesetze,
nicht sowohl durch Zufügung neuer als durch Aufhebung alter.
„Schaffe mehr alte Gesetze ab als du neue einführst. Es giebt
oft Leute im Staate, die ein ähnlicher Kitzel treibt viele
Gesetze zu macheu, wie ihn gewisse Dichterlinge empfinden,
viele Verse hinzusudeln. Aber je grösser die Anzahl der
Gesetze, desto geringer ihr Werth. Aus einem Zügel werden
sie zum Fallstrick. Sorge daher, dass die Vorschriften, die
du als nöthig aufrecht erhältst, sowie die , welche du zufügst,
nicht die Guten und Bösen unter das gleiche Joch beugen.
Strafe das Verbrechen, aber verbiete nicht an sich Erlaubtes
unter dem Vorwand, es könne gemissbraucht werden. Das
Gesetz vermag nur das Laster zu zügeln, die Freiheit allein
ist die Bildnerin der Tugend". — Er fordert endlich bessere
Sorge für die Erziehung der Jugend von Staats wegen, ohne
andere Gunst und Parteilichkeit bei Austheilung von Beloh-
nungen und Besetzung der Stellen als für Wissen und Talent,
Freiheit der Lehre, Freiheit der Presse, Duldung verschieden-
artiger Meinungsäusserungen, auch solcher, die den herrschen-
den Gewalten unliebsam sein mussten. Bestrebungen dfer
Art und das Bemühen Aberglauben, Habsucht, Luxus zu
bekämpfen, fügt er an die Adresse seiner Mitbürger hinzu,
sind werthvoller als Vermehrung der Einkünfte durch raffi-
uirte Kunstgriffe, Vergrösserung des Heeres und der Flotte,
Ueberlistung fremder Gesandten , Abschliessung schlauer Ver-
träge und Bündnisse (^).
^ So wagte es der erste Schriftsteller der Nation vor ihrem
^ten Staatsmann zu sprechen. Und war es Zufall, dass er
das Bildnis Bradshaw"s mit solcher Liebe ausmalte, desselben
Bradshaw, der nach der Zersprengung des Parlaments einen
letzten Protest gegen den Gewaltstreich eingelegt hatte? Hob
CromweU's innere Politik. 153
€r ohne Absicht nachdrücklich hervor, Fairfax werde sicher
auf seinem Posten geblieben sein, wenn er nicht die feste
Ueberzeugung gehabt habe, sein Nachfolger werde die Frei-
heiten Englands schützen und wahren? Erschien es nicht als
ein grossartiger Beweis unerschrockenen Freimuthes, sich der
Freundschaft jenes Colonel Overton offen zu rühmen, den
tapferen Soldaten laut zu preisen, während eben dieser
Overton, wegen seiner republikanischen Gesinnung gefürchtet,
von Schottland nach London citirt worden war und dort vom
Mai bis zum September 1654 festgehalten wurde '?(') Man
sieht: Milton war nicht dazu gemacht, seiner eigenen Würde
zu vergessen. Er neigte sich vor der imponirenden Persön-
lichkeit des Protektors. Er weigerte dem Werke, das dieser
geschaffen hatte, nicht seine Anerkennung. Aber der Glanz,
der jenes gebietende Haupt umstrahlt, macht ihn nicht blind
für die Zukunft. Und das Protektorat selbst betrachtet er
als eine Art von vorläufigem Nothbehelf, „da nach dem vor-
ausgegangenen Sturme, von dem die Wellen noch aufgewühlt
sind, beim Gegensatz der Parteien ein Wünschenswerther,
vollkommener Zustand sich noch nicht verwirkliehen lässt"\
Die nächsten Jahre hatten zu zeigen, ob Milton's Hoff-
nungen begründet waren, oder ob er seine Enttäuschung ge-
stehn musste. Er brauchte nicht lange zu warten, um sich
ein klares Urtheil zu bilden. Kein Wort war in seinem Appell
an Cromwell so laut erklungen wie das Zauberwort der Freiheit.
Cromwell, in den Grundlagen seiner Macht bedroht, von Ver-
schwörungen umgeben , seines Lebens nicht sicher , griff zu
gewaltsamen Mitteln, um die Freiheit zu beschränken. Er
stellte sich der freien, parlamentarischen Debatte entgegen.
Er machte die freie Kritik der Presse unmöglich. Die alten
•Freiheiten des englischen Bürgers, durch die sein Eigenthum
und seine Person gegen Willkür gewahrt sein sollten, fanden
gegen ungesetzliche Eingriffe der Protektoratsregierung nicht
immer Schutz. Die Aufgabe, ein republikanisches Gemein-
154 CromweU's innere Politik. — Parlament von 1654.
wesen mit einem stehenden Heer auf die Dauer zu vereinigen
blieb ungelöst, weil sie unlösbar war. £ine neue tyrannische
Staatsgewalt kam zur Erhebung, gestützt auf die militärische
Streitmacht, welche der Revolution ihr Dasein verdankte.
Der Träger dieser Staatsgewalt war sich ihres bedenklichen
Charakters wohl bewusst. Er wünschte nichts sehnlicher als
sich Anerkennung zu verschaffen, um der Anwendung jener
gewaltsamen Mittel überhoben zu sein. Er blieb für seine
Person geneigt, einen sparsamen und schonenden Gebrauch
von ihnen zu machen. Er zeigte sich nachgiebig, um durch
eine Aenderung der Verfassung der Regierung eine bessere
Gewähr ihrer Haltbarkeit zu verleihen. Aber die Thatsache
war unbestreitbar, dass England in diesen Jahren so gut wie
ganz durch den Willen eines Mannes beherrscht wurde, der
sich oft genug über die Mitwirkung des Parlaments, über die
Zustimmung des Staatsraths, über die Rechte der Einzelnen
hinwegsetzte und sich zu seiner Vertheidigung nur immer
wieder auf die „Nothwendigkeit"' berufen konnte, „die kein
Gesetz kennt" (^). Denn diesen Gang nahmen die öffentlichen
Angelegenheiten, seitdem Milton vergeblich seine warnende
Stimme hatte erschallen lassen.
Gleich das Parlament von 1654 gerieth mit dem Protektor
in unlösbare Konflikte. Seit vierzehn Jahren fanden zum
ersten Male wieder allgemeine Wahlen statt, nach einem ver-
besserten Plane, in dem auch eine Vertretung Schottlands und
Irlands ihre Stelle erhalten hatte. Sie waren freilich be-
schränkt durch die Bestimmungen der Verfassung und durch
die Form des Ausschreibens, welches voraussetzte, dass die
bestehende Regierung nicht in Frage gestellt werde. Aber
sie gewährten dennoch dem Ausdruck der Parteien freien
Spielraum. Neben zahlreichen Independenten erschienen viele
Presbyterianer, neben Anhängern der Regierung, wie Lambert
und Fleetwood, alte Republikaner wie Bradshaw und Haselrig.
Kaum war die Versammlung eröffnet, so regte sich in ihr
das parlamentarische Selbstgefühl. Der Gedanke der Volks-
souveränetät wachte mit aller Kraft in ihr auf. Als die
Parlament von 1654. 155
alleinige Inhaberin dieser Souveränetät betrachtete sie sich
selbst. Sie wollte keine Regierungsgewalt dulden, die ein
ursprüngliches Recht neben ihr beanspruchte. In diesem Sinn
machte sie sich an eine Prüfung der Protektoratsverfassung.
Nicht dass die Absicht gewesen wäre den Protektor von seinem
Posten zu verdrängen, aber er sollte sein Amt nur parlamen-
tarischer Uebertragung verdanken, er sollte sich den Be-
dingungen fügen, die man für gut halten würde ihm vorzu-
schreiben. Cromwell sah die Fundamente seines Gebäudes
ei"schüttert. Er sagte dem Parlament, dass er eine Fort-
setzung dieser Debatten nicht dulden werde. Er forderte die
schriftliche Erklärung der „Treue gegen den Lord Protektor
und das Gemeinwesen von England, Schottland und Irland"
und des Versprechens, die bestehende Regierung „eines Einzigen
und eines Parlaments" nicht ändern zu wollen. Die Mehr-
zahl der Mitglieder fügte sich dieser Forderung. Aber die
Unvereinbarkeit der Gegensätze war damit nicht aufgehoben.
War der erste Artikel der Verfassung über jede Anfechtung
hinaus gerückt, so wurden alle übrigen einer um so schärferen
Kritik unterzogen. Bedeutende Rechte des Protektors und des
Staatsraths sollten beschränkt werden. Wichtige Verord-
nungen, die in der Zwischenzeit erlassen worden waren,
wurden suspendirt oder Kommissionen zur Begutachtung über-
wiesen. Die Gegner der stehenden Kriegsmacht nahmen au
der Stärke des Heeres und der Flotte Anstoss. Die Gegner
der independentischen Toleranz wünschten Wiederherstellung
der Strafgesetze und Ketzerlisten früherer Zeiten. Mit einem
Worte: die Versammlung legte sich einen konstituirenden
Charakter bei und verlangte, dass der voa ihr ausgearbeitete
Verfassungsentwurf im ganzen und grossen angenommen werde.
Noch waren die nöthigen Bewilligungen für die Erhaltung
von Heer und Flotte nicht Gesetz geworden. Auch waren
die fünf Monate, während deren eine einseitige Auflösung
verboten war, noch nicht abgelaufen. Aber Cromwell sah
sieh zum äussersten getrieben. Er wagte es den Monat zu
achtundzwanzig Tagen anzunehmen entsprechend der Berech-
nung, die bei der Soldzahlung im Heer und auf der Flotte
1^56 Komplotte. Overtou. Koyalisteu.
Üblich war, und löste das Parlament am 22. Januar 1655 mit
"Worten des Unmuths auf.
Der erste Versuch, die Ansprüche des Parlaments und
der aus dem Heere hervorgegangenen Kegierungsgewalt
miteinander auszugleichen, war gänzlich gescheitert. Die
Regierung blieb auf sich allein angewiesen und fand sich den
grössten Schwierigkeiten gegenüber. Mit gutem Grunde hatte
Cromwell dem Parlamente zum Abschied zugerufen, dass
während seiner Sitzungen die Unzufriedenheit und Unruhe
im Lande beständig gewachsen sei. Die Kavaliere schöpften
frischen Muth. Die Republikaner hofften auf den Sturz des
Usurpators. Unter den Soldaten wurden Befürchtungen wegen
ihrer ungesicherten Zukunft laut, und hie und da machte
man sich darauf gefasst, dass sie durch Erzwingung ft-eien
Quartiers der Bevölkerung wieder zur Last fallen würden.
Die Regierung Hess es an Wachsamkeit nicht fehlen. Einer
der ersten, den ihre strafende Hand traf, war ]\Iilton's Freund,
Robert Overton. Ln September 1654 war er wieder der Auf-
sicht entlassen und sogar als zweiter im Kommando nach
Schottland zurückgeschickt worden. Aber hier Hess er sich
mit den Missvergnügten des Heeres in eine Verschwörung
ein, die um so bedrohlicher war, einen je höheren Posten er
bekleidete. Es war davon die Rede, ihn an die Stelle Monk's
zu setzen, nach England zu marschiren, eine Erhebung der
republikanischen Partei zu veranlassen und das Protektorat
zu stürzen, wenn nicht gar den Protektor nebst Lambert aus
dem Wege zu räumen. Möglich, dass ein Theil dieser Pläne
einer früheren Zeit angehörte. Jedenfalls fanden sich unter
den Papieren Overton's Aktenstücke, deren Inhalt ihn be-
lastete; selbst der Prätendent aus dem Hause Stuart machte
sich Hoffnung auf seine Hilfe. Noch ehe die Verschwörung
zum Ausbruch kam, ward er festgenommen und nach London
abgeführt. Er wurde zuerst in den Tower gebracht und
später, lediglich auf Grund einer Vollmacht Cromwell's, vom
Gouverneur der Insel Jersey in Haft genommen. So lange
der Protektor lebte, blieb er ein Gefangener, ohne vor einem
militärischen oder bürgerlichen Tribunal zur Verantwortung
Einführung der Generalmajore. 157
gezogen zu werden (^). Overton war nicht der einzige unter
den republikanisch gesinnten Ofticieren, der auf den Umsturz
der bestehenden Regierung hinarbeitete, aber alle Versuche
von dieser Seite wurden im Keime erstickt. Nicht minder
rasch gelang es die gefährlicheren Bewegungen der Royalisten
zur Ruhe zu bringen. In Yorkshire erhoben sich einzelne
Kavaliere für Karl IL In Salisbury brach ein Reitertrupp
während der Assisen in die Stadt ein und bemächtigte sich
der Richter. Aber die Bevölkerung schloss sich den Insurgenten
nicht an, und die bewaffnete Macht jagte sie bald auseinander.
Mehrere der Gefangenen wurden zum Tode verurtheilt. andere
zum Frohndienst nach Westindien verschifft.
Um die Ordnung in Zukunft aufrecht zu erhalten und
die Einzahlung willkürlich aufgelegter Abgaben zu sichern,
griff der Protektor zu unerhörten Massregeln (-). Das ganze
Land wurde in zwölf Militärbezirke getheilt, an deren Spitze
die Generalmajore standen. Es waren Officiere von bekanntem
Namen, dem Protektor ergeben, und mit umfassenden Voll-
machten bekleidet, die sie über jede bürgerliche Behörde
stellten. Von diesen Vollmachten waren zwei von besonders
starkem Gewicht. Die Generalmajore verfügten über die
Miliz in ihren Bezirken, die neuorganisirt und in scharfer
Zucht gehalten, eine Art von Nationalgarde bildete, von der
man ähnliche Versuche der Auflehnung, wie sie sich im
stehenden Heere gezeigt hatten, keineswegs fürchtete. Sie
erhoben ferner zur Erhaltung der Miliz eine ausserordentliche
Steuer, ein Zehntel von dem Jahreseinkommen aller derer,
die für die Stuarts gekämpft hatten, sobald dies eine gewisse
Höhe erreichte, und handelten damit einer früher erlassenen
Amnestieakte zuwider. Auf diese Machtmittel gestützt, sollten
sie jeden Aufruhr unterdrücken, Papisten und Royalisten ent-
waffnen, die einzelnen Haushaltungen und Wirtshäuser beauf-
sichtigen, Register über die Verdächtigen führen, Schauspiele,
Bärenhetzen, Wettrennen und andere Anlässe zu Volksan-
sammlungen unmöglich machen, gegen Trunkenheit, Fluchen
und Blasphemie einschreiten. In ihrer Hand lag eine Summe
militärischer und polizeilicher Befugnisse, die sie zu Herren
258 Einführung der Generalmajore.
über Freiheit und Eigenthum ihrer Mitbürger machen konnte.
Das ganze Reich befand sich wie im Belagerungszustand.
Jeder Hausvater musste, wenn es verlangt ward, für die Ge-
sinnung seiner Dienerschaft Bürgschaft leisten. Jeder Fremde
musste sich eine scharfe Kontrolle gefallen lassen. Der freie
Verkehr der Reisenden wurde beschränkt, die Zahl der Gast-
höfe und Schenken vermindert. Bei allen diesen Anordnungen
und bei der Art ihrer Ausführung verläugnete sich keinen
Augenblick der Geist des Puritanismus. Nicht nur die öffent-
liche Ordnung sollte geschützt, es sollte zugleich ein sittlicher
Lebenswandel erzwungen werden. Die Soldaten selbst hielten
strenge Disciplin. Weit entfernt davon, sich Ausschweifungen
zu erlauben, wurden sie von den leichtfertigen Insassen
schlechter Häuser wie von der lustigen Zechgenossenschaft
lärmender Tavernen gleich sehr gefürchtet. Vor ihren
Patrouillen verschwanden die verdächtigen Gestalten, die zur
Seite der Heerstrasse im Buschwerk gelauert hatten. Nicht
selten begrüsste man sie als „Beschützer und liebe Gäste" (^).
Aber unerträglich war doch der Druck dieses Regiments, der
zwar auf einer Partei am schwersten lastete, allen jedoch mit
jedem Tage fühlbarer werden musste. Cromwell freilich gab
nach wie vor der Milde Gehör. Die Dichter Waller und
Cowley, so bekannt ihre frühere Gesinnung auch war, hatten
nach ihrer Rückkehr in die Heimat von dem Protektor nichts
zu fürchten. Davenant, den einige Jahre vorher seine Ergeben-
heit für die Sache der Stuarts in die grösste Gefahr gebracht
hatte, erhielt die Erlaubnis mit Zuhilfenahme musikalischer
Begleitung die theatralische Kunst wieder zu beleben. John
Cleveland, der einstige College-Genosse Milton's, wurde auf
eine freimüthige Petition an Cromwell seiner Haft entlassen.
Allein persönliches Eingreifen konnte die Härte des Systems
nicht ändern. Die Generalmajore schalteten mit unbeschränkter
Macht und weckten Gefühle eines allgemeinen Unmuths, die
im nächsten Parlamente sich Luft machten.
Cromwell hatte keineswegs die Absicht die Berufung
einer parlamentarischen Versammlung zu umgehn. Auch
sah er sich durch den Lauf der auswärtigen Politik dazu
Einführung der Generalmajore. — Gefangennahme H, Vane's. 159
gezwungen, die finanzielle Unterstützung eines Parlaments
nachzusuchen. Dies Mal indessen wollte er sich im voraus
der Fügsamkeit der Gewählten versichern. Nichts blieb un-
versucht diesen Zweck zu erreichen. Schon längst ward die
Presse in einoi' Weise behandelt, die zu den Rathschlägen
Milton's im schroffsten Gegensatz stand. Am 5, Sept. 1655
hatte der Staatsrath verfügt, dass foitan keine Zeitung er-
scheinen dürfe, ausser mit Erlaubnis seines Sekretärs. Die
Folge war, dass die officiellen Blätter, die von Marchmont
Needham geleitet wurden, zur Alleinherrschaft gelangten (i).
Die Censur bestand nach wie vor. Sie wurde zwar lässig
gehandhabt , aber Schriften, welche mit Umgehung derselben
die Regierung angriffen, wurden auf der Stelle unterdrückt.
Vor den Wahlen erschien die Aengstlichkeit und Wachsam-
keit der Presspolizei verdoppelt. Aber es galt nicht bloss
die Presse mundtodt zu machen, sondern auch eine Anzahl
von Personen einzuschüchtern, deren feindselige Haltung man
fürchtete. Mehrere Royalisten und Republikaner von Ruf
wurden für kürzere oder längere Zeit in Haft genommen,
ohne ihnen Gelegenheit zu geben sich vor Gericht zu verant-
worten. Von allen Willkürhandlungen machte keine so grosses
Aufsehn wie diejenige, unter welcher Henry Vane zu leiden
hatte. Vane war bis dahin ein schweigender Zuschauer der
Ereignisse geblieben. Erst im Frühling des Jahres 1656 fand
er sich veranlasst aus seiner Zurückhaltung herauszutreten.
Der Protektor hatte einen allgemeinen Fasttag angeordnet,
an dem das ganze Volk „den Herrn anflehen sollte, den
Achan zu entdecken, der dem Frieden des zerrütteten Reiches
im Wege stehe". Die Frage war zu verlockend, als dass
Vane nicht in einer Flugschrift darauf hätte antworten sollen.
Er schlug einen versöhnlichen Ton an. Er nahm sich vor
„Balsam in die Wunde zu träufeln, ehe sie unheilbar werde".
Das Heer erhält aus seinem Munde reiches Lob, den General
der es anführt, nennt er „ehrlich und weise", er will sich
sogar gefallen lassen, dass ein Einzelner an der Spitze der
Regierung stehe. Aber massgebend ist ihm immer der Grund-
satz der Volkssouveränetät, wobei er freilich nicht vergisst,
160 Gefangennahme H. Vane"s. — Parlament von 1656 ff.
das Volk auf die Verfechter der „guten Sache" zu beschränken.
Nur durch „freie Zustimmung" der Vertreter des Volks kann
die höchste Macht übertragen werden. Stützt sie sich nur
auf das Schwert des SoUlaten, so lebt die alte Tyrannei wieder
auf, mit der Gott die Vorfahren heimgesucht hat(*). Vane
war seiner Sache so sicher, dass er vor der Veröffentlichung
seiner Schrift Cromwell mit ihr bekannt zu machen suchte.
Aber als die Wahlen bevorstanden, wurde er vor den Staats-
rath citirt um sich zu verantworten. Sein Werk wurde als
ein solches bezeichnet, durch das er die Ruhe des Gemeinwesens
zu stören beabsichtige. Ihm selbst ward die Leistung eine
Friedensbürgschaft von 5000 £. auferlegt. Er wies dies An-
sinnen mit Entrüstung von sich und wurde in Folge dessen
nach der Insel Wight entfernt (9. Sept.). Dasselbe Sehloss
Carisbrooke, welches der Kerkei- König Karl's gewesen war^
beherbergte bis zum Ende des Jahres 1656 Henry Vane als
Staatsgefangenen in seinen Mauern.
Unter den Eindrücken dieser Vorgänge fanden die Wahlen
statt. Die Generalmajore hatten Mittel genug auf sie einzu-
wirken. Die Abgeordneten von Irland und Schottland konnten
als Ernannte der Regierung gelten. Das Parlament Hess demnach
in seiner Gesammtheit keinen Widerstand befürchten. Auch so
indess schien die gewünschte Sicherheit noch nicht vollkommen
erreicht zu sein. Die Gegner des Protektors waren nicht
ohne Vertretung. Männer wie Haselrig und Scott oder der
zur Opposition übergegangene Ashley Cooper konnten gefähr-
lich werden. Der Staatsrath gab sich aus diesen Gründen,
dazu her, von jenem Artikel der Verfassung, der ihn bevoll-
mächtigte die Qualifikationen der Gewählten zu prüfen, einen
äusserst kühnen Gebrauch zu machen. Etwa hundert der
Gewählten wurde die Bescheinigung geweigert, die sie zum
Eintritt berechtigt haben würde (17. Sept. 1656). Vergeblich
suchten sie Hilfe bei ihren Kollegen. Die Versammlung nahm
das Geschehene hin und wandte sich ihren Arbeiten zu. Sie
zeigte sich bei jedem Schritt dem Protektor willfährig und
fand dafür auch bei ihm ein unerwaitetes Entgegenkommen.
Der grosse Stein des Anstosses, die drückende Herrschaft der
Abschaffung der Generalmajore. 161
Generalmajore und die gesetzwidrige Besteuerung der Kavaliere,
kam in Wegfall. Trotz der Vertheidigung beider Institute
durch die Militärpartei gab der Protektor den Angriffen, die
sich gegen seine eigene Schöpfung erhoben, weise nach. Er
verzichtete auf die Aufrechthaltung jenes Systems der Will-
kür, sobald er der Bewilligung einer Subsidie von 400,000 ^.
sicher sein konnte. Nach langer Zeit fortdauernder Erschütte-
rungen schien sich ein Zustand der Beruhigung und Gesetz-
lichkeit herzustellen. Und nicht genug damit, dass das
Parlament mit dem Protektor einträchtig zusammenwirkte:
es trug ihm freiwillig eine Erhöhung seiner Stellung an.
Pläne der exilirten Royalisten in England einzufallen,
erneuerte Versuche fanatischer Anabaptisten, Cromwell aus
dem Wege zu räumen, waren erst kürzlich entdeckt worden
und hatten allen über die Ungewissheit des Bestehenden die
Augen geöffnet. Wer irgend Grund hatte die Rückkehr der
Stuarts zu fürchten, wer mit heimlichem Bangen dem Tag
entgegensah, da ein wilder Kampf der entfesselten Kräfte
um den erledigten Platz ihres Bändigers anheben würde, der
musste wünschen, seiner Nachfolge eine gesetzliche Sicherheit
zu gel)en, die nur durch Umwandlung des Protektorats in ein
Königthum erreicht werden konnte. Auch schien der könig-
liche Titel seinen Träger nöthigen zu müssen die Bahn der
Revolution zu verlassen und sich mit den überlieferten
Prärogativen des Monarchen zu begnügen. Die ganze Ver-
fassung konnte ihrem früheren Wesen angenähert und mancher,
der bisher noch grollte, mit dem Umschwung der Dinge ver-
söhnt werden. Es waren die Abgeordneten bürgerlichen
Standes und besonders die vorsichtigen Juristen, denen diese
Erwägungen nahe lagen. Für die presbyterianische Partei
hatten sie viel Anziehendes. iNIehrere der Officiere Hessen
sich gleichfalls für einen solchen Plan gewinnen. Aber die
Mehrzahl der alten Waffengefährten Cromwell's gerieth in die
lebhafteste Erregung. Fleetwood und Desborough, obwohl
durch verwandtschaftliche Bande mit ihm verknüpft, wider-
setzten sich der Ei'neuerung einer Würde, die sie als Symbol
der Tyrannei bekämpft hatten. Lambert, von ehrgeizigen
Stern, Milton u. s. Z. II. 3. 11
162 Yerhaudlung über Erneuerung der Königs würde.
Gedanken erfüllt, konnte seinen Unmutli über die veränderten
Aussichten nicht verbergen. Die Masse der Soldaten hielt
nach wie vor zur „alten guten Sache". Aus den Kreisen der
unversöhnlichen Repuljlikaner tauchten Kundgebungen auf wie
jene Flugschrift „Tödten kein Mord", die dem ,, Tyrannen",
dem neuen „Eglon", den „Dolch Ehud's" vor die Augen
rückte, und deren Verfasser Gelegenheit nahm, sich zu seiner
Rechtfertigung auf Milton's „tyrannenfeindliche" Schriften zu
berufen (^). Cromwell's Urtheil war unbefangen genug, als
dass ihn der lockende Schimmer der Königskrone hätte
blenden sollen. Er fühlte, dass er des Titels, dieser „Feder
für seinen Hut", nicht bedürfe, dass derselbe zu seiner ganzen
Vergangenheit nicht passen würde. Bei diesem Anlass machte
er Milton's Hoffnungen nicht zu Schanden. Seine Hand war
nicht fähig „das Götzenbild wieder aufzurichten, das sie eben
zertrümmert hatte".
Das. Ergebnis der denkwürdigen Verhandlungen bestand
darin, dass Cromwell die königliche Würde zurückwies, da-
gegen den vorgeschlagenen Aenderungen der Verfassung zu-
stimmte. In der Form „einer Petition und eines Rathes"
überreicht und durch einige Verbesserungen des Protektors
ergänzt, bedeutete die neue Verfassungsurkunde doch einen
weiteren Schritt rückwärts zu den Zuständen der monarchischen
Zeit. Das Protektorat wurde zwar nicht für erblich erklärt,
aber der zeitige Protektor ward mit dem Recht und mit der
Pflicht betraut seinen Nachfolger zu bezeichnen. Ein „anderes
Haus" entsprechend dem Hause der Lords ward wiederher-
gestellt und dem Protektor die Wahl seiner Mitglieder über-
lassen. Dass eine Akte auch gegen seinen Willen Gesetz
werde, blieb in Zukunft unmöglich. Die Vertreter der Nation
dagegen erhielten das Recht zurück, über die Zulässigkeit
der Mitglieder ihres Hauses selbstständig zu entscheiden.
Für die Ernennung der neuen Lords und der wichtigsten
Staatsbeamten war ihre Billigung einzuholeji. Ohne Zustimmung
des Parlaments durfte keine Auflage erhoben werden, jedoch
brachte man das ungeheure konstitutionelle Opfer, zur Er-
haltung der Kriegsmacht ein für alle Mal eine jährliche
Die neue Protektoratsverfassung. 163
Revenue festzusetzen. Auch hier wurde der Genuss der
höchsten politischen Rechte durch genaue Bestimmung der
Qualifikationen auf einen kleinen Bruchtheil des Volkes be-
schränkt. Die Gewährung der Kultusfreiheit blieb nach wie
vor in enge Grenzen eingeschlossen. — Eine zweite feierliche
Investitur des Lord Protektor besiegelte den Bund, der
zwischen ihm und dem Parlament geschlossen worden war
(26. Juni 1657). Nachdem es den neuen Grundriss entworfen,
eine Reihe der früher erlassenen Verordnungen bestätigt, für
diQ Bedürfnisse der Verwaltung freigebig gesorgt hatte, wurde
es. auf einige Monate vertagt, um der Regierung Zeit zu
geben, den vorgezeichneten Plan auszuführen.
Endlich konnte man hotien den Punkt gefunden zu haben,
auf dem eine Versöhnung der Geister möglich wäre. Allein
auch dies Mal zeigte sich der Gegensatz der ursprünglichen
Ideen stärker als die umsichtigste Berechnung. Mit welchem
Feuer hatte einst Milton den Gedanken verfochten, dass die
Souveränetät nur in einer einzigen, vom Volk gewählten
höchsten Versammlung zum Ausdruck kommen dürfe. Mit
welcher Entschiedenheit hatte er ein „anderes Haus" ver-
worfen, dessen Mitglieder ihr politisches Recht nicht diesem
Ursprung verdankten. Die verbesserte Verfassung des Protek-
torats nöthigte nun doch dazu, ein solches „anderes Haus"
wiederherzustellen, und der Protektor benutzte den gebotenen
Anlass sehr gerne, einigen der hohen aristokratischen Familien
die Hand zu bieten. Schon die Vermählung zweier seiner
Töchter, der Lady Frances mit dem Enkel des Grafen von
Warwick und der Lady Mary mit Lord Fauconberg hatte
dieser politischen Absicht zu dienen. Von eben diesem Ge-
danken geleitet, berief er in das neue Haus der Lords neben
Angehörige seiner Familie, neben bürgerliche und militärische
Würdenträger des bestehenden Gemeinwesens einige Träger
altadligen Namens, die sich am Kriege gegen den König be-
theiligt hatten. Die Notabilitäten der Revolution und die
Sprösslinge vornehmer puritanischer Geschlechter sollten durch
seine mächtige Hand zu einer neuen Pairie verschmolzen
werden. Schon dieses Unternehmen war äusserst gewagt,
11*
164 Wiederherst. e. Hauses d. Lords. — Auflösung d. Parlaments.
Dieser und jener, der stolz auf die Reihe seiner Ahnen war,
weigerte sich neben Cromweirschen Marschällen zu sitzen,
denen royalistische Spottlieder vorwarfen, dass sie Schuster
und Kärrner gewesen seien. Aber die grössten Schwierig-
keiten entstanden, als bei der Wiederaufnahme der Session
ein Kampf des einen Hauses gegen das andere entbrannte.
Die früher ausgeschlossenen Parlamentsmitglieder wurden,
getroffener Uebereinkunft gemäss, nunmehr zugelassen und
nahmen grössten Theils ihre Sitze ein. Sie erschienen mehr
als je vom Geiste der republikanischen Opposition erfüllt und
weigerten sich das „andere Haus" überhaupt als berechtigt
anzuerkennen. Vergeblich mahnte der Protektor, im HinbUck
auf die inneren und äusseren Gefahren des Reiches an der
so mühsam geschaffenen Grundlage nicht zu rütteln. Die
Debatten wurden immer hitziger, Kavaliere und Männer der
fünften Monarchie glaubten ihre Stunde gekommen, und
während . die Republikaner sich anschickten eine Verfassung,
die ohne ihre ^litwirkung vereinbart war, zu zerfetzen, gährte
in Stadt und Land das alte unheimliche Chaos der Faktionen.
Wiederum fühlte sich Cromwell vor jene Nothwendigkeit ge-
stellt, „die kein Gesetz kennt". Als es von bedrohlichen
Konventikeln zu bedrohlichen Petitionen kam, und die Er-
regung der Bürger und der Soldaten durch die parlamen-
tarischen Verhandlungen gesteigert wurde, hielt er nicht
länger an sich. Rasch entschlossen, ohne fremden Rath ein-
zuholen, entbot er am 4. Februar 1658 die Gemeinen in das
Haus der „Lords", dem sie seinen Titel weigerten. In seiner
Ansprache mischten sich Kummer und Entrüstung. Er rief
den Allwissenden zum Zeugen dafür an, dass er nicht frei-
willig die Bürde der Regierung auf sich genommen habe und
wälzte die Verantwortlichkeit für den Schritt, den zu thun er
im Begriff war, von sich ab. „Ich denke, so schloss er, es
ist hohe Zeit euren Sitzungen ein Ende zu machen. Ich löse
dieses Parlament auf, und möge Gott Richter sein zwischen
euch und mir!"
Eine Woche später schrieb Samuel Hartlib an John Pell,
den damaligen Vertreter CromweH's bei den reformirten
Auflösung des Parlaments. — Die Frage der Untemchtsreform. 165
Kantonen der Schweiz, die Aiiflösunp- des Parlaments sei so
nothig gewesen. ,,dass, wenn die Session noch zwei oder drei
Tage gedauert hätte, in Stadt und Land auf Rechnung Karl
Stuart's ein grosses Blutvergiessen erfolgt sein würde" (').
Beängstigende Gerüchte der Art, die seinem alten deutschen
Freunde zukamen , werden auch Milton schwerlich unljekannt
geblieben sein. Aber konnte er sich durch den Gang der
Ereignisse, so unvermeidlich er sein mochte, befriedigt fühlen ?
Drängte nicht wiederum alles auf die Erneuerung einer Will-
küj-herrschaft hin, die er des Beschützers und Schinngeistes
„der englischen Freiheiten" für unwürdig erklärt hatte?
Und so sah er das Programm, das von seiner Hand in
glänzenden Farben entworfen worden war, auch in anderen
Theilen keineswegs ausgeführt. Der Verfasser der Schrift
über die Erziehung hatte die Sorge für Volksbildung und
höheren Unterricht dem Protektor besonders an's Herz gelegt.
Er hatte damit allerdings nur dessen eigene Wünsche aus-
gesprochen. Cromwell, ein Zögling der Universität Cambridge,
von lebhafter Theilnahme für pädagogische und wissenschaft-
liche Bestrebungen erfüllt, war der Gönner der Gelehrten
und der Förderer der Lehranstalten. Aehnlich wie es einst
Milton gethan hatte, äusserte er sich vor dem Parlament
über die Unsitte, die jungen Leute guten Standes über den
Kanal nach Frankreich zu schicken, „von wo sie mit der
ganzen Leichtfertigkeit jener Nation zurückkehren, ohne dass
sie vor ihrem Weggang erzogen oder nach ihrer Wiederkehr
vor Ausschreitungen bewahrt würden". Den Fanatikern, welche
die Landesuniversitäten als Sitze des Satans dem Untergange
geweiht wissen wollten, trat er entgegen. Das Ehrenamt des
Kanzlers von Oxford, das er eine Reihe von Jahren hindurch
bekleidete, nahm er sehr ernst. Die Männer, die auf seinen
Antrieb in die akademischen Körperschaften eintraten, führten
ihnen frisches Leben zu, wenn sie auch hie und da in
puritanischen Vorurtheilen befangen waren. In Durham suchte
er sogar, um den Bedürfnissen der nördlichen Landestheile
abzuhelfen, aus eingezogenem Kirchengut ein neues bedeuten-
des College zu begründen. Allein die politischen Wirren
\QQ Das kirchenpolitische Kompromiss.
Hessen es an keiner Stelle zu entschiedenen Reformen kommen.
An den Grundfehlern der englischen Universitätsbildung, die
Milton aus eigener Erfahrung kannte, wurde nichts geändert,
und die Volksbildung, von den Gesinnungsgenossen des Dichters
abgerechnet, gleichfalls nach wie vor als Aufgabe der Kirche
betrachtet, hatte in einer Epoche allgemeiner kirchlicher Auf-
lösung am wenigsten Gewinn zu erwarten.
Endlich die Frage über das Verhältnis von Kirche und
Staat, die Milton in den Vordergrund seiner Ermahnungen
gestellt hatte, wurde von der Regierung des Protektors doch
durchaus nicht in dem Sinne beantwortet, in dem er sie be-
antwortet wissen wollte. Allerdings in einem wesentlichen
Punkte verstand sich der independentische Herrscher mit dem
independentischen Denker sehr wohl. Er theilte mit ihm den
Grundsatz der Toleranz, einer Toleranz freilieh, die weit ent-
fernt davon war eine allgemeine zu sein, die sich aber über
die bisher geltenden Vorstellungen hoch zu erheben versuchte.
Cromwell wollte auch als Regent nicht verläugnen , was er
als Privatmann so oft verfochten hatte. Bei aller Energie
des Willens war er milde und versöhnlich seiner Natur
nach. Er war mit seinen Begriffen von religiöser Duldsam-
keit seiner Nation weit voraus. Unablässig ermahnte er die
von ihm berufenen Volksvertreter, „die Gewissen ihrer Brüder
nicht zu bedrücken". Die Hindernisse, die sich ihm in den
Weg stellten, bestanden nicht zum wenigsten darin, dass die
Masse der Nation seine Toleranz nicht verstand und ihn
nöthigte, um die Gewissensfreiheit einer Minderheit zu schützen
die bürgerliche Freiheit der Mehrheit einzuschränken. Wenn
er sein erstes Parlament auflöste und eine Militärherrschaft
einsetzte, so geschah es auch deshalb, um England das Schau-
spiel der Ketzerverfolgungen zu ersparen, welches die Pres-
byterianer ihm zugedacht hatten. Er milderte die Strafe des
annen Schulmeisters John Biddle, dem seine socinianischen
Ansichten zuerst ein Paar Monate Untersuchungshaft und
später ein Paar Jahre Verbannung einbrachten. Er tadelte
das willkürliche Vorgehen des Parlamentes gegen den phan-
tastischen Quäker Jakob Naylor, der kaum der Hinrichtung
Die Toleranz und ihre Grenzen. 167
entgieng, aber dafür mit mehrhundertfachen Peitschenhieben,
Durchbohrung der Zunge mit einem glühenden Eisen und
Brandmarkung der Stirne bestraft wurde, weil er in „gräss-
licher Blasphemie" sich den Sohn Gottes genannt hatte und
unter den Hosiannahrufen seiner Anhänger triumphirend in
Bristol eingezogen war. In diesem Bestreben Vorurtheilen
früherer Zeiten durch das Beispiel der Duldsamkeit entgegen-
zuarbeiten, konnte Cromwell auch für den Gedanken gewonnen
werden, den Juden in England wieder offene Aufnahme zu ge-
W9,hren und ihnen wenigstens in London Freiheit des Kultus zu
gestatten. Sclion mehrfach war aus den Reihen der Indepen-
denten das Verlangen einer Duldung der Juden laut geworden,
sei es auch nur um Gelegenheit zu ihrer Bekehrung zu geben.
Im Vertrauen auf diese Stimmung langte im Oktober 1655
der bekannte Menasseh Ben Israel, der schon mit dem langen
und mit dem kleinen Parlament in Verbindung getreten war,
von Amsterdam in England an. Er wandte sich an Cromwell.
Dieser berief eine Konferenz von Juristen, Kaufleuten und
Theologen zur Berathung der Angelegenheit und betheiligte
sich lebliaft an den Debatten. Allein weder die Eifersucht
der Kauf leute noch die Bedenklichkeit der Theologen liess sich
überwinden. Die Konferenz wurde aufgelöst,'aber der Protektor
gestattete dennoch einer Anzahl von Juden die Erbauung einer
Synagoge und die Anlage eines Begräbnisplatzes in London (').
Sobald indessen eine Aeusserung des religiösen Lebens
der Staatsmacht als politisch gefährlich erschien , hatte
es mit der Duldsamkeit ein Ende. Der Engländer, der die
Messe las oder die Messe hörte, galt nach wie vor für einen
Staatsverbrecher, und selbst unter einem Cromwell ist noch
ein katholischer Priester, weil er katholischer Priester war,
hingerichtet worden (2). Die Anhänger der Episkopalkirche
wurden eine Zeit lang mit Nachsicht behandelt, aber nach den
royalistischen Bewegungen von 1655 ward der bischöfliche
Ritus selbst beim Hausgottesdienst im Inneren der Familien
verfolgt, und die Benutzung des Common-Prayer-Book, der
Genuss der Sakramente nach anglikanischem Brauch setzte
die strafende Hand des Staates in Bewegunff.
Jg8 Gegensatz Cromwellä uad Milton's.
In die Nothwendigkeit versetzt die kirchlichen Fragen nach
politischen Rücksichten zu entscheiden, wich die Praxis der
Protektoratsregierung bedeutend von dem ab , was der unge-
bundene Verfechter eines grossen Gedankens von ihr gefordert
hatte. Milton, von einer grossen und von einigen kleineren In-
konsequenzen abgesehen , verpflichtet die bürgerliche Gewalt
das religiöse Gebiet nicht zu betreten. Er will dem Staat
einen wichtigen Theil von dem zuweisen, was sich bis dahin
die Kirche angemasst hatte, aber den kirchlichen Gemeinden
auf ihrem abgegrenzten Territorium Freiheit gewähren wie
jedem Verein in gesetzlichen Schranken. Ihm war, da es
mehrere Religionen gab, der Staat religionslos, und die Kirche,
deren Einheit längst gebrochen war, keine Staatsanstalt.
Cromwell, so sehr er sich vor dogmatischem Zwang zu hüten
suchte, wollte dem Staat selbst doch kirchliche Aufgaben zu-
weisen, einen Gottesstaat errichten, welchem die Verehrung
Gottes in Leben und Lehre als Ziel gesteckt wäre. Unter
seine höchsten Pflichten rechnete er die Schaff'ung und Er-
haltung einer „frommen Geistlichkeit". „Gewissensfreiheit der
Bürger, erklärte er vor dem Parlamente, ist ein natürliches
Recht, aber auch die oberste Staatsgewalt hat ein Recht
darauf der Kirche diejenige Form zu geben, die ihr die beste
zu sein scheint" (^). Er reichte die eine Hand den Indepen-
denten, die andere den Presbyterianern. Und so machte er
sich daran zwei Gedankenströmungen miteinander zu ver-
binden, die sich so wenig mischen Hessen wie Oel und Wasser.
Der Satz der Verfassung, dass die christHche Religion die-
jenige der „Nation" sei, sollte kein leeres Wort bleiben. Man
wollte sich von dem Gedanken eines „christlichen Staates"
nicht losreissen. Die erneuerte Verfassung von 1657 nahm
sogar wieder die Vereinbarung eines nationalen Glaubens-
bekenntnisses durch den Protektor und durch das Parlament
in Aussicht und machte den Genuss der Pfründen und Zehnten
von der Uebereinstimmung mit jenem Bekenntnis abhängig.
Eine Akte „für die bessere Beobachtung des Tages des Herrn"
suchte doch wieder den sonntäglichen Besuch des Gottes-
dienstes bei Strafe zu erzwingen (-). Die bisherige Art der
Gegensatz Cromwells imd Milton's. 169
Erhaltung des Klerus blieb in Kraft. Jene Kommissionen,
die der Protektor eingesetzt hatte, sollten nur darauf hin-
wirken, dass bei der Vertheilung der geistlichen Einnahmen
nicht eine Partei allein und dass nicht Unwürdige den Lohn
empfiengen. Es sassen Männer in diesen Kommissionen, wie
Owen und Goodwin, die viele von Milton's Ansichten theilten,
wie Fairfax und Lawrence, deren Verdienste er zu schätzen
wusste. Auch war die Thätigkeit der Kommissäre, selbst
nach dem Urtheil solcher, die nicht zu Cromwell's Verehrern
gehörten, im ganzen und grossen nicht ohne gute Folgen.
Aber wurde damit nicht ,jene Buhlschaft von Kirche und
Staat" fortgesetzt, gegen die Milton geeifert hatte? Eine
Behörde, die von der bürgerlichen Gewalt abhängig und ihr
verantwortlich war, legte den Geistlichen Fragen vor über die
Zeiten, Tag und Stunde der Wiedergeburt, Auffassung der
Prädestination, Gewissheit der Gnade, prüfte ihre Kenntnisse
und ihren sittlichen Wandel. Von dem Ausfall dieses Examens
hieng der Eintritt in's Amt oder das Verbleiben im Amt,
Meng der Bezug der Besoldung ab. Eben dies System war
es, das Milton bekämpft hatte, dem er einige Zeit nachher
in zwei merkwürdigen Schriften noch entschiedener entgegen-
trat. Man sieht : die independentische GesinnungMilton'sist von
derjenigen CromweH's wesentlich verschieden. In Milton wird
sie zur Ahnung des zukünftigen ^'erhältnisses von Kirche und
Staat, wie es eben erst anfieng in einem kleinen Gemeinwesen
jenseits des Oceans sich zu verwirklichen. In Cromwell greift
sie beinahe auf die Ideale einer fernen Vergangenheit zurück,
welche dem Wiesen der modernen Zeit nicht entsprechen.
Alles in allem hatte die innere Regierung des Protektors
keine einzige der hohen Forderungen genügend erfüllt, welche
der Dichter mit so viel Freimuth an sie gestellt hatte. Es
geht viel zu weit, wenn man annimmt, dass ein förmlicher
Zwiespalt zwischen ihm und seinem Amte bestanden habe.
Es ist ganz irrig, wenn man behauptet hat. dass er um seinen
Abschied eingekommen sei. Aber nicht mit Unrecht hört
man vielleicht seinen Unmuth aus den Worten eines Briefes
heraus, den er lö57 einem Freunde, auf dessen Bitte sich
170 Auswärtige Politik.
für ihn zu verwenden, übersandte: „Ich pflege keinen ver-
trauten Umgang mit denen, welche in Gunst stehn und ziehe
es vor, ruhig zu Hause zu bleiben" (^).
Ein Gebiet gab es indessen, auf dem der „Sekretär für
die lateinische Sprache" voll -freudiger Hingebung mit dem
Protektor zusammenarbeitete. Es war das Gebiet der aus-
wärtigen Politik. Freilich hatte INÜlton sehr nachdrücklich
davor gewarnt kriegerischen Ruhm und diplomatische Erfolge
den inneren Reformen vorzuziehn. Die unscheinbaren Siege
des Friedens hatte er hoch erhoben über die blendenden
Siege der Waffen. Aber er wollte deshalb nicht einen Frieden
auf jeden Fall. Er kannte einen Kampfpi-eis, für dessen
Gewinn ihn die Hingabe von englischem Gut und Blut nicht
zu kostbar dünkte. In den Vorstellungen des Puritanismus
aufgewachsen, wie er es war, hatte er von Jugend auf lebhaft
beklagen müssen, dass sein Vaterland davon abstand, als
Schutzmacht des europäischen Protestantismus aufzutreten.
Unter Cromwell's Scepter schien England sich diese Rolle
mit Entschiedenheit aneignen zu wollen. Bekenner des
Evangeliums , die aus Polen vertrieben waren , fanden Auf-
nahme in England. Heimatlose böhmische Brüder sollten in
Irland angesiedelt werden. Den Reformirten Frankreichs
wandte sich beständig die Sorge des Protektoi's zu(-). Und
hiebei blieb er nicht stehn. Er brauchte nur der puritanischen
Gedankenströmung und seiner eigenen Neigung zu folgen, um
sich der Pläne anzunehmen, mit denen sich Milton's Freunde,
Hartlib und Durie, seit lange getragen hatten. Was beide
schon hie und da angedeutet hatten, erhielt während des
Protektorates eine greifbare Bestätigung. Eine Union aller
protestantischen Mächte, eingeleitet und geführt durch Eng-
land: in dieser Form gestaltete sich unter der Hand des
Staatsmannes die gutgemeinte Idee einer Union der verschiedenen
akatholischen Bekenntnisse und einer theologischen Korre-
spondenz. Beim Abschluss der Verträge mit den Niederlanden,
mit Schweden und Dänemark blieb der Wunsch einer engeren
Vereinigung im protestantischen Interesse nicht verschwiegen.
Wenn sich Streitigkeiten zwischen Schweden und Bremen er-
Ihr proteet. Charakter. — Verhältnis zu d. ref. Kantonen d. Schweiz. 171
hoben, so suchte der Protektor durch den ernsten Hinweis
auf die Gemeinsamkeit der gefährdeten religiösen Interessen
zu vermitteln. Und es war Milton, der seinen Gedanken die
klassische Form gab. Durch ihn verkündete er der Welt,
dass er für seine erste Herrscherpflicht halte „über den Frieden
der Protestanten zu wachen'". Durch ihn machte er darauf
aufmerksam, „wie sehr sich der gemeinsame Feind der Re-
formirten an ihren inneren Zwistigkeiten erfreue" ('). Man
fühlt es der Sprache des Dichters an, wie tief ihn dieser
Gegenstand ergreift. So oft er die Umtriebe der Kurie, die
Gefahren der Neugläubigen, die Nothwendigkeit ihrer Ver-
einigung zu berühren hat, erhebt sich die trockene lateinische
Staatsschrift zu einem höheren Stil. Und bald ward ihm
Gelegenheit das ganze Pathos seiner Beredtsamkeit in der
Behandlung eben dieser Fragen zu entfalten.
Seit einiger Zeit herrschten sehr freundschaftliche Be-
ziehungen zwischen der englischen Regierung und den evan-
gelischen Kantonen der Schweiz (2). Ein Gesandter derselben
hatte den Frieden zwischen England und den Niederlanden
zu fördern gesucht. Cromwell hatte im Gespräch mit ihm
aus seiner Furcht vor einem neuen Religionskriege, aus seinem
Verlangen nach einer näheren Verbindung kein Hehl gemacht.
Milton hatte in einer seiner Depeschen die Söhne der Berge
gepriesen, „die beinahe als die ersten in Europa ihre Freiheit
errungen und mit Gottes Beistand durch nicht geringere Klug-
heit und Mässigung so viele Jahre hindurch rein erhalten
hätten" (•''). Im Sommer des Jahres 1654 sollte nun dieses
Band noch enger geknüpft werden. Zu allgemeinem Erstaunen
erschien ein diplomatischer Agent des Protektors in Zürich.
Es war der berühmte Mathematiker John Pell, der mit Hartlib
auf vertrautem Fusse stand und vermuthlich auch zu Milton's
Bekanntenkreise zählte. Und gleichzeitig mit Pell, ein
Empfehlungsschreiben des Protektors in der Tasche, machte
sich John Durie auf den Weg, um sein ahes Friedenswerk
wieder aufzunehmen. Er hatte schon seit Jahren mit den
schweizer Theologen verhandelt, aber dies Mal arbeitete er
an seiner Sisyphusaufgabe nicht mehr auf eigene Hand»
172 Durie und Pell. — Verfolgung der Waldenser.
sondern im Vertrauen auf die Autorität des Protektors.
Politische und religiöse Bestrebungen unterstützten sich gegen-
seitig. In Frankreich sah man schon sorgenvoll voraus, dass
Cromwell als Vorbereitung auf eine evangelische Liga ein
allgemeines Koncil seiner Glaubensgenossen berufen werde,
dem es obliegen würde ein gemeinsames Bekenntnis festzu-
stellen (^). Damals brachte Durie jene Nachrichten über
Morus in Erfahrung, durch die er Milton Waffen in die Hand
gab. Damals wurde ihm auch von ängstlichen Gemüthern
entgegengehalten, dass er eine jener königsfeindlichen Schriften
Milton's übersetzt habe (s. o. S. 83 Anm. 2). Uebrigens war
er mit seinen Erfolgen sehr zufrieden. Er durchreiste einen
grossen Theil der Schweiz, konfeiirte und disputirte aller
Orten und begab sich, in der sicheren Hoffnung die einigende
Formel aufzufinden, nach Deutschland. Pell bheb zurück und
wurde durch eine wichtige Angelegenheit in Anspruch ge-
nommen, die alle Befürchtungen einer Entflammung der alten
Keligionskriege zu rechtfertigen schien und die Politik des
Protektors zu einer fieberhaften Thätigkeit veranlasste.
Es war das ]\lartyrium der Waldenser, von dem man
zuerst in der benachbarten Schweiz genauere Kunde erhielt.
Oft genug waren die Alpenthäler Piemont's, in denen seit
Jahrhunderten arme waldensische Gemeinden ihren Sitz hatten,
Zeugen heftiger religiöser Kämpfe gewesen. Wiederholte
Bestätigungen der alten Privilegien seitens der savojischen
Landesherrn hatten mit Rechtsbrüchen und Verfolgungen ge-
wechselt. Der Bekehrungseifer des katholischen Fanatismus
rief auf der Gegenseite mitunter Handlungen der Rache her-
vor, die sofort zur Rechtfertigung neuer Gewaltthaten benutzt
wurden. Bis zum Beginn des Jahres 1655 hatte die reformirte
Welt an diesen Kämpfen keinen aussergewöhnlichen Antheil
genommen. Damals aber führten sie zu einer Katastrophe,
welche die Aufmerksamkeit von ganz Europa auf sich lenkte.
Ende Januar des bezeichneten Jahres wurden die Bewohner
der Thäler von Luserna, Perosa, St. Martino angewiesen ent-
weder den Glauben ihrer Väter aufzugeben oder binnen drei
Tagen ihre Wohnstätten mit anderen zu vertauschen, in denen
Verfolgung der Waldenser. — Eindruck in England. 173
sie nur unter der Bedingung geduldet werden sollten, dass
sie die x\bhaltung der Messe, die Thätigkeit der Missions-
prediger und das Werk der Bekehrung in keiner Weise be-
hinderten. Sie hofften noch durch Unterhandlungen mit den
leitenden Persönlichkeiten zu Turin das Schlimmste abzu-
wenden, als im April der Marquis von Pianezza mit einer
ansehnlichen Truppenmacht in die Thäler einfiel. Einige Tage
lang waren in ihnen alle die Furien entfesselt, die während
der Bartholomäusnacht und während des irischen Aufstandes
gewüthet hatten. Brand, Mord und Schändung stritten sich
um ihre Opfer. Wehrlose Frauen wurden unter grässlichen
Martern zu Tode gequält, unmündige Kinder gegen die Felsen
geschleudert. Wer dem Blutbad oder der Gefangenschaft
entgangen war, flüchtete nach heldenmüthigem Widerstände
in das unzugängliche Gebirge und litt dort Qualen des Hungers
und der Kälte. Einige waren auf französisches Gebiet ent-
kommen. Doch durften ihre dortigen Glaubensgenossen nicht
wagen, ihnen wirksame Hilfe zu leihen. Waren doch selbst
französische Truppen bei ihrem ]\Iarsche durch savoyisches
Gebiet aufgehalten, zur Mitwirkung bei dem Gemetzel ver-
wandt worden. Inzwischen rafften sich die Angegriffenen von
dem ersten Schlage auf und setzten bis in den Sommer hinein
den verzweifelten Kampf unermüdet fort.
Kaum irgendwo machten die Nachrichten von diesen
Vorgängen einen so tiefen Eindruck wie in England. Was
viele Schwarzsichtige dort so lange vorausgesagt hatten, schien
endlich einzutreffen. Die Hauptschuld des Erlebten war auf
die katholische Propaganda zurückzuführen , deren Filiale in
Turin sass. Man war demnach geneigt, das Geschehene nur
als das Vorspiel der gefürchteten „papistischen Anschläge"
zu betrachten. Von allen Kanzeln wurden die Leidenschaften
des Volkes aufgerufen. Ausgestreute Libelle mahnten zur Rache
an den Katholiken. Eine Sammlung für die Waldenser, bei
welcher der Protektor mit dem besten Beispiel vorangieng
und bei deren Austheilung die Behörden und Geistlichen von
Genf gute Dienste leisteten, stieg allmählich auf 40,000 £.
Aberhiebei wollte Cromwell nicht stehn bleiben. In seinem Auf-
174 Eindruck in England. — Milton's Sonett und Dejjeschen.
trag eilte Samuel ]\Iorland, ein Freund der Hartlib und Pell, nach
Frankreich um die Vermittlung Ludwigs XIV. und Mazarin's
anzurufen und nach Turin um dem Herzog von Savoyen Vor-
stellungen zu machen. In seinem IS'amen ergieng ein Hilfe-
ruf an den König von Schweden, den König von Dänemark,
die evangelischen Kantone der Schweiz, die Generalstaaten,
ja sogar an den Fürsten von Siebenbürgen, um ihre Unter-
stützung in der gemeinsamen Sache des Protestantismus aus-
zuwirken. Und wieder war es Milton, der die edelmüthigen
Gedanken des Herrschers in hochtönende Worte umsetzte.
Auch ihn hatte das grässliche Ereignis mächtig ergriffen.
In einem Sonett von gewaltiger Kraft, einem lauten Aufschrei
seiner verletzten Gefühle, flehte er den Herrn an, „seiner
Heiligen nicht zu vergessen, deren Gebeine auf den kalten
Alpen zerstreut sind und dem Tyrannen mit der dreifachen
Krone ihre Seufzer, ihr Todesröcheln zu gedenken" (^). Was
er hier in englischen Versen ausgesprochen, hatte er als
Sekretär des Prolektors nur in lateinische Prosa zu verwandeln.
Denn von ihm rührten die zahlreichen diplomatischen Akten-
stücke her, welche diese Angelegenheit betrafen: die Schreiben
an die verschiedenen protestantischen j\Iächte, die Briefe, mit
denen Morland sich am französischen wie am turiner Hofe
einführte, die Rede sogar, die er in feierlicher Audienz vor
dem Herzog und seiner Mutter zu halten hatte (-). Wohl
fehlt es in allen diesen Erzeugnissen der Milton'schen Feder
nicht an Wiederholungen. Aber es kam eben darauf an mit
Nachdruck immer aufs neue das vollzogene Verbrechen in's
Gedächtnis zu rufen und seine Sühnung als eine allgemeine
Angelegenheit aller Bekenner der reformirten Lehre darzu-
stellen. Mit einer unverkennbaren Wärme im Ausdruck, die
von der üblichen Form derartiger Urkunden ausserordentlich
abwich, hat Milton sich seiner Aufgabe entledigt. Mitunter
kann er es nicht unterlassen ein Bild oder einen Vergleich aus
dem Alterthum anzubringen, wie er denn jNIorland in Turin
erklären lässt, dass „alle Xeronen aller Zeiten" nie etwas so
Unmenschliches erdacht hätten, wie es in den waldensischen
Thälern an's Licht getreten war.
Milton's Souett und Depeschen. 175
Milton's Feder war ein unverächtlicher Bundesgenosse
für den Protektor. Allein er schien eine Zeit lang geneigt
zu sein noch kräftigere Mittel anzuwenden. Eine starke
Flotte unter Robert Blake kreuzte im Mittelmeer. Der
Admiral hatte erst kürzlich in jenen Gewässern einen heil-
samen Schrecken vor der englischen Flagge verbreitet, Toskana
und den Kirchenstaat zur Leistung von Schadensersatz für den
geduldeten Verkauf gekaperter Kaufmannsgüter gezwungen
und die Raubstaaten der nordafrikanischen Küste durch die
Verbrennung der tunesischen Flotte und das Bombardement
der tunesischen Forts nicht wenig eingeschüchtert. Es wäre
kein Ding der Unmöglichkeit gewesen vor Nizza zu erscheinen,
auch das Herzogthum Savoyen den Donner englischer Ge-
schütze hören zu lassen und eine englische Truppenmacht an
die Küste zu werfen. Indessen erschien ein solcher Plan,
bedenklich wie er an sich war, nur ausführbar durch den
gleichzeitigen Eingriff einer festländischen Kriegsmacht. Zu
dieser Rolle sollten sich die evangelischen Kantone der Schweiz
bequemen. Die ganze Thätigkeit von Pell richtete sich darauf
sie für ein Schutz- und Trutzbündnis mit England zu gewinnen
und für das Versprechen englischer Subsidien zum Angriff
gegen Savoyen zu verlocken. Indessen es zeigte sich, wie schief
diese Verhältnisse vom religiösen Gesichtspunkt aus beurtheilt
worden waren. In der Schweiz, wo man soeben die Er-
schütterungen des Bauernkrieges durchgemacht hatte und am
Vorabend des Vilmergerkrieges stand, war man völlig zu-
frieden, wenn es nur gelang den Brand im eigenen Hause zu
vermeiden. Auf keine Weise Hessen sich die reformirten
Kantone dazu verleiten den gefährlichen Anmuthungen des
Protektors nachzugeben. Sie suchten wie zuvor auf diplo-
matischem Wege zu Gunsten der Waldenser einzuwirken und
versprachen sich das Beste von der Absendung einer vier-
gliedrigen Gesandtschaft nach Savoyen, mit welcher Agenten aus
England und aus den Niederlanden zusammeiizuhandeln be-
stimmt waren. Allein noch waren diese nicht auf dem Schau-
platz erschienen, als unter französischer Vermittlung der Ver-
trag von Pinerolo zwischen den Waldensern und ihrem Landes-
^76 Krieg mit Spanien.
heiTD abgeschlossen wurde (18. August 1655). Die Ent-
täuschung in England war nicht gering. Dieser Vertrag,
wenn er auch einige Zugeständnisse enthielt, gewährte doch
in keiner Weise Genugthuung. Es fehlte jede Bürgschaft für
seine ehrliche Ausführung. Vor allem die erträumte Liga
der Reforrairten fiel damit zu Boden. Das Zeitalter Alba's
und Wilhelm's von Oranien war überwunden. Die Gruppirung
der Mächte einzig um die Standarte des Glaubens hatte sich
überlebt.
Es waren andere Momente, die das Verhältnis der euro-
päischen Staaten zu einander bestimmten und der Politik des
Protektors ihre endgiltige Richtung anwiesen. Nicht umsonst
hatte Mazarin allen Eifer angewandt um durch den Vertrag
von Pinerolo die Klagen der Waldenser wenigstens für den
Augenblick zur Ruhe zu bringen. Die Zeit war ge-
kommen, in der England seinem langen Schwanken zwischen
Spanien und Frankreich ein Ende zu machen im Begriff stand.
Die Angelegenheit der Waldenser drohte ein unerwartetes
Hindernis der Entscheidung zu werden, es war demnach
wichtig sie so rasch als möglich aus dem Wege zu räumen.
Schon längst hatte der Protektor alles vorbereitet, um in die
Bahnen der volksthümlichen , auswärtigen Politik zurückzu-
lenken, die seinen eigenen Wünschen entsprach. Er war ge-
neigt unter den katholischen Mächten diejenigen, welche die
Vorfechter des Pabstthums seien, von denen zu unterscheiden,
welche ihre Interessen ohne Rücksicht auf das Oberhaupt der
Kirche verfolgten. Zu diesen rechnete er Frankreich, zu jenen
Spanien. Dass Spanien den englischen Kaufleuten nicht ge-
statten wollte, geschützt vor der Inquisition, „ihre Bibeln in
der Tasche bei sich zu tragen" bildete neben der Forderung
den kolonialen Handel frei zu geben einen vorzüglichen Be-
schwerdepunkt der englischen Regierung. „Alle eure Ge-
fahren, rief Cromwell gelegentlich dem Parlament zu, kommen
von dem gemeinsamen auswärtigen Feinde, von Spanien,
welches das Haupt der Armee des Pabstes ist"(0. Er nahm
den Lieblingsgedanken des elisabethanischen Zeitalters wieder
auf und konnte des Beifalls der ganzen puritanischen Partei
Allianz Cromwell's und Mazarins. — Eroberung Dünkirchen's. 177
sicher sein. Die unerwartete Eroberung von Jamaika im
Sommer 1655, die für den verfehlten Angriff auf St. Domingo
entschädigen musste, machte den Bmch mit Spanien unver-
meidlich. Der spanische Gesandte erhielt seine Pässe. Kurz
nach seiner Abreise erschien in lateinischer Sprache das engli-
sche Kriegsmanifest. Auch dieses Aktenstück ist mitunter
Milton's Feder zugeschrieben und in die meisten Ausgaben
seiner Werke aufgenommen worden. Innere wie äussere
Gründe machen seine Autorschaft indessen zweifelhaft ( ' ).
Allein unbeschäftigt Hess ihn der Gang der auswärtigen
Politik keineswegs. Während Spanien mit den verjagten
Stuarts in enge Verbindung trat, schloss Cromwell einen
Friedens- und Handelsvertrag mit Frankreich. Noch war die
Waffengenossenschaft der beiden Staaten nicht erklärt. Der
grosse Sieg über die reichbeladene spanische Flotte im Hafen
von Santa Cruz (20. April 1658), die letzte Heldenthat Robert
Blake's, war lediglich ein Ergebnis englischer Tapferkeit.
Aber schon war eine Offensivallianz zwischen England und
Frankreich zu Stande gekommen, der zu Folge ein englisches
Hilfscorps auf dem Kontinent erschien, um gemeinsam mit
den Franzosen die festen Plätze der spanischen Niederlande
anzugieifen. Die Soldaten aus der Schule Cromwell's kämpften
an der Seite der Truppen Turenne's gegen ihre royalistischen
Landsleute, die unter Führung des Herzogs von York in den
Reihen der Spanier standen. Der Preis des Sieges war die
Eroberung von Dünkirchen. Es wurde versprochener Massen
den Engländern ausgeliefert, nachdem sie schon vorher
Mardyke in Besitz genommen hatten. Der Schlüssel des Fest-
landes hieng, wie man sagte, am Gürtel CromwelFs (25. Juni
1658).
Diese gi-ossartigen Triumphe der äusseren Politik konnten
Milton am wenigsten gleichgiltig finden. Er hatte die latei-
nischen Kreditive für Sir William Lockhart abgefasst, den Ge-
sandten des Protektors am französischen Hofe und den sieg-
reichen Führer der englischen Hilfsmacht (-). Als Cromwell's
Schwiegersohn, Lord Fauconberg, im Frühling des Jahres 1658
nach Calais reiste, um Ludwig XI\'. und Mazarin daselbst
Stern, Milton u. s. Z. II. 3. 12
]^78 Eroberung Dünkii'chen's. — Nordische Politik.
ZU begrüssen, überbrachte er Schreiben des Protektors an
den König und an den Minister, die Milton aufgesetzt hatte (').
Und wiederum fiel es Milton zu, den gebührenden Dank für
die Mission des Herzogs von Crequi auszusprechen, der nach
London gekommen war, um die Einnahme Dünkirchen's zu
melden. In diesen Aktenstücken wäre das Pathos schlecht
am Platz gewesen, das in der Angelegenheit der Waldenser
zum Durchbruch gekommen war. Aber vergessen wurde
dieser vorgeschobene Posten der Reformirten weder vom
Protektor noch von seinem Sekretär. Je mehr Grund die
Waldenser hatten, sich über die mangelhafte Ausführung des
Vertrages von Pinerolo zu beklagen, desto ernster nahm
Crom well es mit seiner Pflicht, sie nach Möglichkeit zu
schützen. Noch ein Mal, im Mai 1658, wurde Mlton's Feder
in Bewegung gesetzt um Ludwig XIV. zu beschwören, seines
Titels des „allerchristlichsten Königs" eingedenk zu sein und
die Versprechungen Heinrich's IV. wahr zu machen. Noch
einmal ermahnte gleichzeitig dieselbe Stimme die evangelischen
Kantone der Schweiz, nicht müde zu werden in der Sorge
..für den ältesten Spross der reinen Religion".
Es gab noch eine andere Frage der Politik, welche die
religiösen Gefühle CromwelFs und Milton's gleich sehr erregte
und die Veranlassung wurde, eine Reihe lateinischer Depe-
schen durch den Dichter ausfertigen zu lassen. Im Nordosten
Europas war ein Kampf entbrannt, der argwöhnischen Zeit-
genossen einen inneren Zusammenhang mit dem Kampf gegen
Spanien zu haben schien. Karl X. von Schweden hatte sich
auf das Königreich Polen gestürzt und binnen kurzem die
grössten Erfolge davon getragen. Er stand in nahem Ver-
hältnis zu Cromwell , er erschien ihm als der Vorfechter des
Protestantismus im Norden, und durch Milton Hess der Pro-
tektor ihm Glück zu seinen Siegen über die „Feinde der
Kirche" wünschen. Es wäre ganz im Sinne des englisch-
französischen Bündnisses und der puritanischen Hoffnungen
gewesen, wenn sich der Träger der Krone Gustav Adolfs
gegen das Haus Habsburg gewandt und seinen Besitz der
deutschen Reichswürde gestört hätte. Allein statt dessen
Nordische Politik. — Milton's Depeschen. 179
musste Dian erleben, dass die Pi-otestanten des Nordens unter
sich in Zwiespalt geriethen. Der plötzliche Einfall der Dänen
in schwedisches Gebiet rief Karl X. von seiner Siegeslaufbahn
zurück. Mit den Dänen waren wiederum die Niederländer
im Bunde. Der grosse Kurfürst Hess sich für Anerkennung
der Souveränetät seines Herzogthums durch Polen von der
schwedischen Seite abdrängen. Nur für kurze Zeit brachte
englisch-französische Vermittelung in dem Kampf der beiden
skandinavischen Reiche wenigstens eine Pause hervor.
Auch an dieser Stelle des Welttheils zeigte sich, dass das
religiöse Moment nicht mehr das bestimmende war, so mächtig es
auch noch immer auf die Verhältnisse der Staaten einwirkte.
Dem Protektor dagegen schien es wichtiger zu sein als irgend
ein anderes. Nach allen Seiten liess er durch Milton seine
Warnungen ergehn. Die Niederlande beschwor er, sich mit
Schweden brüderlich zu vertragen. Den Schwedenkönig
mahnte er ab von der Feindseligkeit gegen die Niederlande
und von dem Kriege gegen Dänemark. Den grossen Kur-
fürsten suchte er mit schmeichlerischen Worten beim schwe-
dischen Bündnis festzuhalten (^). Und immer war es die Be-
rufung auf den gemeinsamen Glauben, die in allen diesen
Schriftstücken Milton's den Ausgangspunkt bildete. Vergeb-
lich hofft man in ihnen die mannichfachen ineinander ver-
schlungenen politischen und kommerziellen Fragen erörtert
zu sehn , die bei dem Kampf um die nordischen Küsten und
Meere den Ausschlag gaben. Dafür kehrt die Erinnerung an
das Geschick der Waldenser, an die neuerliche Niederlage
der schweizerischen Reformirten, an die Bedrängnis der
evangelischen Unterthanen Oesterreichs beständig wieder.
Die ganze europäische Menschheit erscheint nach diesen
Depeschen in zwei Lager gespalten. Ueber das eine gebietet
mit niemals rastenden Ränken der römische Pontifex, dessen
eifrigster Vorkämpfer das Haus Habsburg ist. In dem anderen
haben sich alle Bekenner der „reinen Lehre", mit Aufopferung
einzelner Vortheile, ihrer inneren Zwistigkeiten vergessend,
unter Englands Führung . zu gemeinsamer Abwehr der
„papistischen Anschläge" zu sammeln.
12*
180 Älilton's Depeschen.
Es ist dieselbe einseitige Auffassung der politischen Lage,
dieselbe Verkennung des Fortschrittes der Zeiten, die schon
bei einer anderen Gelegenheit zu bemerken gewesen war. Allein
so gefährlich für das wünschenswerthe Zurücktreten der reli-
giösen Gegensätze dieses Hervorkehren des evangelischen
Gemeingefühls auch werden konnte, es gab der Politik des
Protektors doch einen grossartigen Zug. "Wenn er sein Par-
lament aufforderte, sich mit ihm an „Luther's Psalm": eine
feste Burg ist unser Gott: zu erheben, wenn er mit dem
eisernen Klang des englischen Namens über den ganzen Erd-
ball hin die Anhänger der reformirten Lehre vor den An-
griffen ihrer Feinde zu schützen suchte, so konnte das den
feurigen Puritaner einigermassen für die Mängel entschädigen,
die er der inneren Regierung seines Vaterlandes vorzuwerfen
haben mochte. Der Staatsschreiber, dessen Feder die Ge-
danken des Herrschers wiedergab, war mehr als jeder andere
in diesem Fall.
Ein neuerer englischer Meister hat es versucht das Bild
der beiden Männer in ihrer gemeinsamen Arbeit zur An-
schauung zu bringen. Cromwell, stämmig und breitschultrig,
das Schwert an der Seite, in Reiterstiefeln, mit strengem,
fast löwenartigem Gesichtsausdruck, steht gebieterisch da»
Milton, eine schlanke Gestalt mit weicheren Zügen, sieht von
seinem Sitze zu dem Gebieter empor, mit der Linken auf ein
Blatt Papier deutend, die Feder in der Rechten, gleich als
warte er auf die Weisung in der Niederschrift fortzufahren.
Der Künstler hat sich bei seiner Darstellung manche Frei-
heiten genommen, vor allem die, dass der erblindete Milton,
zu der Zeit, als er in Diensten des Protektors stand, nicht
mehr fähig war, seinem Diktat zu folgen. Aber wie das Bild
den Beschauer eigenthümlich fesseln wird, so wird der Bund
des Sängers mit demjenigem, der König zu heissen verschmähte,
den Blick der Nachlebenden immer wieder auf die Höhen der
Menschheit hinlenken.
Fünftes Kapitel.
Familie und Freunde.
Ueffentliclie Charaktere fesseln die Aufmerksamkeit der
Nachwelt zunächst, soweit ihr Wirken für das Gemeinwohl in
Frage kommt. Ihre häuslichen Schicksale, ihre Verhältnisse
zu Familiengenossen und Freunden stehen in zweiter Linie.
Haben wir uns Milton in amtlicher Stellung vor Augen ge-
führt, die Thätigkeit des politischen Schriftstellers und Sekre-
tärs, seine Arbeit für den republikanischen Staatsrath und
für den Protektor, so ist es unerlässlich , zu schildern, wie
während eben dieser Jahre sein Privatleben sich gestaltete.
Das kleine Gartenhaus in Petty-France , das der Dichter seit
Ende 1651 bewohnte, war Zeuge wechselnder Scenen von
Freude und Leid, die sich in seinen Mauern abspielten.
Milton hatte es mit seiner Frau und drei Kindern bezogen.
Auf die beiden Töchter Anna und Mary, die noch im zartesten
Alter standen, war am 16. März 1651 ein Sohn gefolgt,
welcher vom Vater den Namen John empfangen hatte, (i) Ge-
währte die Ehe Milton auch nicht jene glückliche Befriedigung,
die nach der erfahrenen Enttäuschung unmöglich war, so
wurde doch durch das Dasein der Kinder ein festeres Band
zwischen ihm und der reuig zurückgekehrten Gattin geknüpft.
Um so unerquicklicher wurde sein Verhältnis zu der
Schwiegermutter, der alten Mrs. Powell. Mit ihrer zahlreichen
Familie in bedrängter Lage zurückgelassen, hatte die Wittwe
182 Geburt eines Sohnes (John). — Streitigkeiten mit Mrs. Powell.
Powell sieh bemüht, Genugthuuug für den Schaden zu er-
halten, der dem Vermögen ihres verstorbenen Gatten von
Staats wegen zugefügt worden war, und so viel als möglich
von seinen sequestrirten und verschleuderten Gütern zu retten.
Unter diesen Gütern war auch die Besitzung von Whatley
in Oxfordshire, an der Milton für ein altes Darlehen ein
Pfandrecht hatte. Er hatte keine Hoffnung, dass die Schuld
jemals zurückgezahlt werde. Er hatte noch keinen Schilling
von der versprochenen Mitgift seiner Frau gesehen. Nichts
desto minder hatte er, ohne dazu verpflichtet zu sein, von den
Erträgnissen dieser Besitzung jährlich einen Theil an seine
Schwiegermutter abgegeben. Allein ihr zu Gefallen die Staats-
kasse zu betrügen, sah er sich ausser Stande. In der That
wurde ihm diese Versuchung nahe gelegt. Es war das selbst-
verständliche Interesse der Wittwe Powell, als es sich um
Zahlung der Sühnesumme handelte, den Ertrag jenes Gutes
möglichst niedrig anzugeben. Milton, der nach einer Akte
von 1650 als Pfandinhaber eines Delinquentengutes zunächst
eintreten musste, hatte aber gefunden, dass dieser Ertrag
sich auf das Doppelte belief und danach gehandelt. Mochte
nun dies schon den Zorn seiner Schwiegermutter erregen, so
noch mehr, dass er Miene machte, jene jährliche Abtretung
eines Theiles der Einkünfte von Whatley zu sistiren. Er
hatte seine guten Gründe dafür, nicht länger den Freigebigen
zu spielen. Dass er nicht zu jener Zahlung verpflichtet sei,
war wenigstens aussergerichtlich anerkannt worden. Aber es
wurde bei der Abschätzung der Sühnesumme keine Rücksicht
darauf genommen, dass er sich dennoch bisher dies Opfer auf-
erlegt hatte. Mrs. Powell gerieth alsbald in Feuer und
Flamme. Sie forderte, „um sich und ihre Kinder vor dem
Hungertode zu retten", als ein rechtmässiges Witthum, was
sie bis dahin durch die Güte ihres Schwiegersohnes erhalten
hatte. Sie erklärte, nicht darum processiren zu können, weil
es ihr gänzlich an Mitteln fehle, und weil ihre Tochter da-
mnter leiden würde. Denn Milton, fügte sie hinzu, sei ein
„rauher und cholerischer Mann, der seine Frau schon früher
einmal weggeiagt habe". Der Dichter war edel genug, sich
Geburt von Deboiah Milton. — Tod von Milton's Frau und Sohn. 183
für ein solches Benehmen nicht auf eine sehr nahe liegende
Weise zu rächen. Es konnte ihm ein Leichtes sein, den
Nachweis zu führen, dass Mrs. Powell ihre Noth entschieden
übertrieb , wie sie denn , zum Theil sogar mit Hilfe von
Milton's Bruder, als ihres Rechtskonsulenten, vieles von dem
Verlorenen zurückgewann (^).
Inzwischen blieb der Friede des „rauhen und cholerischen"
Milton mit seiner Frau trotz dieser ärgerlichen Streitigkeiten
ungestört. Am 2. Mai 1652 wurde ihm eine Tochter geboren,
Deborah, die von allen seinen Kindern die grösste Aehnlich-
keit mit ihm hatte (^). Aber der Mutter kostete die Geburt
das Leben. Sie starb in Folge der Nachwehen des Wochen-
betts, sechsundzwanzigjährig , nachdem sie neun Jahre lang
des Dichters Weib gewesen war, ohne ihm das höchste Glück
haben schenken zu können, das er von der Ehe erhofft hatte.
Nicht lange vorher oder nachher wurde auch der schwäch-
liche Knabe hinweggerafft. Milton stand mit seinen drei
kleinen Töchtern allein. Es war die Zeit, da ihm über den
unwiederbringlichen Verlust seiner Sehkraft keine Täuschung
mehr übrig blieb, da ihn die literarischen Fehden, zu denen
Salmasius' Bekämpfung den Anlass gegeben hatte, in unab-
lässige Aufregung versetzten. Aber sein Muth gieng in den
Sorgen des täglichen Lebens nicht unter. Wohl nicht ohne
Beziehung auf seine eigene Lage wählte er sich im Jahre
1653 die acht ersten Psalmen zu freier englischer Ueber-
setzung in Reimen. Mit dem Psalmisten rief er aus: „Ach
Herr, wie ist meiner Feinde so viel, und setzen sich so viele
wider mich." Aber mit ihm tröstete er sich auch in dem
Gedanken: „Du Herr bist der Schild für mich, und der mich
zu Ehren setzet, und mein Haupt aufrichtet." (^) Dieselbe
Stimmung durchdringt das rührende Sonett „auf seine Blind-
heit". (*) Fromme Ergebung in sein schweres Schicksal wird
ihm leicht. Er klagt nicht, so wenig, wie er gegen den
Griechen Philaras geklagt hatte. Er weiss: „Wer Gottes
mildes Joch am besten trägt, dient ihm am besten".
Ob Tausende auf seinen Wink sich eilen,
Hinfliegend rastlos über Land und Meer,
Sie dienen auch, die ruhii? harrend weilen.
184 Fremde Besuche bei Miltou. — Christoph Arnold.
Wer sein schweres Loos mit so viel Fassung ertrug, war
nicht dazu geinacht, das Leben einsam zu vertrauern. Im
Gegentheil suchte er ihm durch den Verkehr mit Freunden
und Bekannten noch manche schöne Seite abzugewinnen.
Seine amtliche Stellung hatte es mit sich gebracht, dass an-
gesehene Fremde seine Gesellschaft suchten. Es wird be-
richtet, dass das Parlament ihn in die Lage versetzte, einmal
im Laufe der Woche „die Gesandten und Gelehrten des Aus-
landes, namentlich diejenigen, welche Protestanten waren," zu
Tische bei sich zu sehen, und Cromwell soll ihm die gleiche
Gunst gewährt haben (^). Sein Ruhm war nach der Be-
kämpfung des Salmasius in ganz Europa verbreitet. Fran-
zosen und Italiener sollen ihn eingeladen haben, ihre Länder
zu besuchen, indem sie es an schmeichelhaften Anerbietungen
nicht fehlen Hessen Fremde kamen nach London, um „den
Protektor und Mr. Milton'" zu sehen. ]\Ian suchte als eine
Merkwürdigkeit das Haus auf, in dem er geboren war. Nicht
leicht verliess ein ausländischer Gelehrter die Stadt, ohne
seine Bekanntschaft gemacht zu haben (-).
Ein paar Beispiele dafür sind uns bekannt. Im Jahre
1651 verweilte der Deutsche Christoph Arnold, welcher 1653
Diaconus an der Marienkirche in Nürnberg und Professor am
Egidiengymnasium daselbst wurde, für längere Zeit in Eng-
land. Da Männer, wie Durie, John Rons, Hermann Mylius
zu seinen Bekannten zählten, so konnte es ihm nicht schwer
werden, bei ihrem Freunde, dem berühmten Gegner des Sal-
masius, Zutritt zu erhalten. Er schildert in einem Briefe den
Eindruck, den ihm Milton machte, die Anmuth seiner Unter-
haltung, die Schärfe seines Urtheils über frühere englische
Theologen, Beim Scheiden legte er ihm nach der Sitte der
Zeit sein Album vor, das sich heute im Besitz des britischen
Museums befindet. Dort liegt ]\Iilton's kurzer Eintrag, dessen
Unterschrift jedenfalls von ihm selbst herrührt, aller Einsicht
offen (^). — Ein anderer junger Deutscher trat in ein noch
näheres Verhältnis zu Milton. Es war Peter von Heimbach,
der Sohn des cleveschen Kanzlers Winand von Heimbach, der
in der Zeit des »Kurfürsten Georg Wilhelm in den clevesch-
P. V. Heimbach. — Briefwechselm.Heimbach, deBras8,L. v.Aitzema. 185
niederländischen Angelegenheiten eine Rolle gespielt liatte.
Peter Heimbach war nach vollendeten Studien 1656 mit den
Formen eines vornehmen Mannes in England angelangt, mög-
licher Weise damit ])eauftragt, im Interesse der verwittweten
Königin von Böhmen zu wirken, vielleicht auch in der Hoff-
nung, eine Stelle in Oxford zu erhalten. Für Cromwell em-
pfand er eine unl)egrenzte Verehning, die sich in einer kleinen
Druckschrift äusserte. Namentlich hatte ihm sein Auftreten
in der Angekgenheit der Waldenser imponirt. Nichts natür-
licher , als dass er auch Milton , der die Depeschen des Pro-
tektors zu Gunsten der Waldenser abgefasst hatte, den Zoll
seiner Huldigung darbrachte. Er reiste zwar noch im Laufe
des Jahres 1656 wieder von London ab, vermuthlich nach
Amsterdam. Aber Milton blieb mit ihm in brieflicher Ver-
bindung, die sich über zehn Jahre erstreckte. Er nahm seine
Hilfe in Anspruch bei der Anschaffung eines Atlas, der freilich,
wie er selbst bemerkte, ihm, dem Blinden, von wenig Nutzen
sein konnte. Heimbach hinwiederum wünschte durch ihn zur
Stelle eines Sekretärs beim englischen Gesandten in den
.Niederlanden empfohlen zu werden. Noch sechs Jahre nach
der Restauration gedachte er in alter Anhänglichkeit seines
englischen Freundes (^).
Unter den Fremden waren es indessen nicht nur Deutsche,
die im A'erkehr mit Milton Genuss fanden. Französischer Ab-
kunft war vermuthlich ein gewisser Henri de Brass, an den
er gleichfeJls nach seiner Abreise von England mehrere Briefe
richtete, ^11 feiner, treffender Bemerkungen über die Aufgabe
des Historikers und den historischen Stil(-). Dem frieslän-
dischen Stamm gehörte der bekannte Publicist Leo von
Aitzema an, der als Agent für die Hansestädte in London
Milton's Umgang gesucht hatte, und in gleicher p]igenschaft
nach dem Haag gesandt, die Absicht hatte, Milton's Schrift
über die Ehescheidung in's Holländische übersetzen zu
lassen (3).
Von allen Fremden aber, die vorübergehend oder für
längere Zeit in London auftauchten und mit Milton in Be-
rührung kamen, war keiner merkwürdiger, als Roger Williams.
186 Eoger Williams in England. Verkehr mit Milton.
Der Gründer von Rhode-Island hatte Ende 1652 ein zweites
Mal die Reise über den Ocean gewagt, um die rechtliche
Stellung und den inneren Frieden seiner Kolonie durch Ver-
handlungen mit den Behörden des Mutterlandes aufs neue
zu sichern. Zwei Jahre lang verweilte er auf englischem
Boden und, wie bei seinem ersten Besuch der Heimat, fand er
auch dies Mal bei dem gesinnungsverwandten Henry Vane die
beste Unterstützung und gastfreie Aufnahme. Unter den son-
stigen Männern von Ansehen, mit denen er verkehrte, waren
Cromwell und Milton. Eine ihm bekannte englische Dame
konnte ihm freilich nicht verzeihen, dass er mit dem Verfasser
des Bilderstürmers umgehe, mit dem Manne, „der zwei oder
drei Frauen zu gleicher Zeit gehabt", und den Gott schon
auf Erden für seine Sünden ,, mit Blindheit gestraft habe". Er
aber schenkte den Stimmen aus royalistischem Lager kein
Gehör und wusste Milton's Bekanntschaft zu schätzen. „Es
gefiel dem Herrn — schrieb er einem seiner amerikanischen
Freunde — mich einige Zeit lang mit mehreren Personen
Hebräisch, Griechisch, Lateinisch, Französisch und Hollän-
disch treiben zu lassen. Der Sekretär des Staatsraths
(Mr. Milton) hat mir für mein Holländisch, das ich ihm las,
manche andere Sprache gelesen." Indessen für Milton und
Williams gab es wichtigere Gegenstände gemeinsamer Theil-
nahme. Ueber dem Austausch ihrer sprachhchen Kenntnisse
versäumten sie gewiss nicht den Austausch ihrer Gedanken
über die grossen kirchlich -politischen Fragen, die sie seit
Jahren unablässig beschäftigten. Milton war als Theoretiker
so ziemlich zu dem Grundsatz der Trennung von Kirche und
Staat bekehrt worden. Williams hatte diesen Grundsatz in
Rhode -Island zuerst in's Leben eingeführt. Wie früher, so
redete er ihm auch dies Mal in England mit Entschiedenheit
das Wort. Er wurde dadurch der Bundesgenosse aller derer,
welche die Sorge für die Erfüllung kirchlicher Aufgaben
lediglich dem freien Willen einzelner Gleichgesinnter über-
lassen wissen wollten. Unter den Schriften, die er 1652 in
London veröftentlichte, war eine, deren Titel schon andeutete,
dass ihr Verfasser beabsichtigte, in den Streit der englischen
Sonette an C. Skinner und Lawrence, 187
Parteien einzugreifen. Sie nannte sich „Die Miethlingsgeist-
lichkeit keine Geistlichkeit Jesu Christi oder ein Gespräch
über die Auslireitung des Evangeliums". Was Williams da-
mals ausführlich in Prosa begründet hatte, war von Milton
kurz und bündig in seinem Sonett an Cromwell angedeutet
worden. Mit dem Gründer von Pihode-Island hatte der Dichter
vollkommen übereingestimmt in der Bekämpfung der „Mieth-
lingswölfe, deren Gott ihr Bauch".
So anregend der Umgang mit Williams auch war, so
konnte Milton sich seiner doch nur für kurze Zeit erfreuen.
Er hatte es anderen , die nicht nur vorübergehend in seiner
Nähe verweilten, zu danken, wenn er in seiner hilflosen Lage
sich nicht verlassen, sondern sein Haus durch anmuthige Ge-
selligkeit belebt fand. Gerne schloss er sich an einige Jüngere
an, unter denen ihm sein ehemaliger Schüler, Cyriack Skinner,
am nächsten stand. Zwei Sonette hat er an ihn gerichtet,
beide anscheinend dem Jahre 1655 angehörig, aber sehr ver-
schieden im Ton. In dem einen erklärt er dem jungen
Freunde mit stolzen Worten, was ihn in der Nacht seiner
Blindheit aufrecht erhalte: das Bewusstsein, sein Augenlicht
der Vertheidigung der Freiheit zum Opfer gebracht zu haben,
„jener Vertheidigung, von der ganz Europa spricht". Durch
das andere fordert er Skinner auf, sich für kurze Zeit seinen
Studien zu entziehen und alle Sorgen mit ihm in harmloser
Fröhlichkeit zu ertränken. Eine ähnliche poetische Einladungs-
karte richtet sich an den jungen Lawrence, den Sohn des
Staatsrathspräsidenten, der in der zweiten Vertheidigung des
englischen Volkes rühmende Erwähnung gefunden hatte. In
diesen Versen tritt aufs deutlichste hervor, dass der blinde
Dichter weit davon entfernt war, griesgrämig zu werden. Mit
wahrem Behagen malt er aus, wie sie vor dem Winternebel
zum traulichen Kamin flüchten, an einem gewählten Mahl und
gutem Trunk sich erquicken und nach Tisch dem Klang der
Laute oder kunstvollem Gesang lauschen wollen. Denkt man
sich noch den witzigen Journalisten Marchmont Needham von
der Partie, so hat man das Bild einer kleinen Gesellschaft,
deren jugendliche Munterkeit dem schwer geprüften Bewohner
188 jVIilton's Neffen. — Andrew Marvell.
des Gartenhauses in Petty-France einige Stunden lang ver-
gessen lassen mochte, was er schon Trübes in eben diesen
Räumen erlebt hatte (i).
Ob seine beiden Neffen sich gleichfalls zu diesen ein-
fachen Gastereien einstellten, mag man bezweifeln. Ihre
literarische Tätigkeit konnte ihrem Oheim und Erzieher,
wenigstens nur ausnahmsweise gefallen, und ihre politischen
Ansichten liefen den seinigen geradezu entgegen. Sie ge-
hörten beide jenen lebenslustigen Kreisen der englischen
Jugend an, die den Zwang puritanischer Strenge unwillig er-
trug und sich vorläufig mit den Waffen des Spottes in Prosa
und Versen zu rächen suchte. So erschien 1655 „eine Satire
gegen Hypokrites", in der die bittersten Angriffe gegen alles,
was dem Puritanismus heilig war, oft in sehr unanständiger
Form gerichtet waren. Der ungenannte Verfasser war nie-
mand anders als der jüngere Neffe Milton's, welcher gänzlich
vergessen zu haben schien, dass er einige Jahre vorher dessen
Ehre gegen eine royalistische Schmachschrift veitheidigt hatte.
Sein älterer Bruder Edward konnte zwar als Uebersetzer
spanischer Novellen, als Herausgeber der Gedichte Drummond's
und eines „allgemeinen Wörterbuches*' auf Milton's Theil-
nahme rechnen. Aber seine „Geheimnisse der Liebe und Be-
redtsamkeit" (1658), eine Sammlung von Musterbriefen, Versen
und Redensarten zum Gebrauch der galanten englischen
Stutzer war wenig nach dem Geschmack des grossen puri-
tanischen Schriftstellers (2).
Er brauchte nicht weit zu suchen, um in seinem Be-
kanntenkreise auf eine Persönlichkeit zu stossen, an deren
geistigen Erzeugnissen er besseres Gefallen finden konnte.
Zu seinen vertrautesten Freunden gehörte Andrew Marvell.
Wir haben des Namens von Marvell schon mehrfach gedacht.
Er war es gewesen, der sich in so begeisterter Weise über
die „zweite Vertheidigung des englischen Volkes" ausge-
sprochen hatte. Ihn hatte sich Milton vor Jahren nach dem
Tode Weckherlin's und nach dem Erlöschen des Augenlichts
als Gehilfen in seinem Amte ausgebeten. Damals war die
Empfehlung nicht beachtet worden. Ein Mann von geringeren
Andrew [Marvell, 189
Gaben, Philipp Meadows, trat dem Erblindeten zur Seite.
Aber als Meadows 1657 eine Mission nach Dänemark über-
nahm, wurde das „lateinische Sekretariat" zwischen jSIilton
und Marvell getheilt. Die beiden Männer, welche von nun
an Amtsgenossen waren, müssen schon seit lange mit einan-
der befreundet gewesen sein. Man darf es aus den Worten
schliessen, mit denen Milton ehemals seinen Schützling em-
pfohlen hatte. Wenn er seine „Umgangsformen, seine Kennt-
nis der holländischen, französischen, italienischen Sprache,
seine Belesenheit in den lateinischen und griechischen Autoren"
gerühmt hatte, war er nicht blossen Gerüchten, sondern seinem
eigenen Urtheil gefolgt. Diese lobende Charakteristik war in
der That nicht unverdient. Andrew Marvell (geb. 1621)
hatte unter der Leitung seines Vaters, Lehrers und Predigers
in Hüll, eine vortreffliche Erziehung genossen, im Trinity-
College zu Cambridge seine akademische Bildung erworben
und durch ausgedehnte Reisen auf dem Festland seinen Ge-
sichtskreis erweitert. Nach England zurückgekehrt und in
die Parteikämpfe der Revolution versetzt, blieb er zunächst
den royalistischen Neigungen seiner Jugend treu, wie er denn
noch später des ,, tragischen Schaftbttes", auf dem ein König
sein „schönes Haupt" niederlegte, mit melancholischer Theil-
nahme gedachte. Er nahm indessen keinen Anstand, 1650
in den Dienst des parlamentarischen Generals Lord Fairfax
zu treten, der ihm die Erziehung seiner Tochter Mary anver-
traute. Einige glückliche Jahre vergiengen ihm auf dem Land-
sitze der vornehmen Familie, Jahre, in denen die Gestalt
Oliver Cromwell's immer entschiedener in den Vordergrund
trat, und der friedliche Bestand des Gemeinwesens sowie die
Grösse der auswärtigen Politik Englands mit der Erhaltung
von Cromwell's Machtstellung untrennbar verknüpft zu sein
schienen. Ohne seine Trauer über das Schicksal Karls L zu
verläugnen, erfüllte sich Marvell mit einer aufrichtigen Be-
wunderung des Protektors. Er trat ihm persönlich dadurch
näher, dass er der Lehrer eines jungen Menschen wurde, dem
Cromwell sein Interesse schenkte. Er nahm aus Cromwell's
Hand das Amt an, welches ihn zu einem Kollegen Milton's
machte.
190 Andrew Marvell.
Es konnte nicht fehlen, dass Milton sich zil dem jüngeren
Gefährten hingezogen fühlte. Dieser war eine ihm kongeniale
Natur, wenn auch die Ansichten beider Männer in einzelnen
Fragen von einander abwichen. Man braucht nur einen
Blick inMarvell's Werke zu werfen, um sich davon zu überzeugen,
dass er mit Milton den idealistischen Schwung , die unaus-
löschliche Freiheitsliel)e und selbst den Hang zu bitterer
Satire vollkommen theilte. Eine Schrift, wie diejenige „über
das Wachsthum des Papismus und der Willkürherrschaft in
England", die aus Marvell's Alter stammt, ein gleichzeitiges
Zeugnis englischen Unabhängigkeitssinnes und protestan-
tischer Unduldsamkeit, dabei ein Muster männlicher, leiden-
schaftlicher Prosa, ist wie von Milton'schem Geiste durch-
drungen. Vor allem : Marvell war ein Dichter, ja die Epoche
der Republik und des Protektorats kennt ausser Milton keinen
bedeutenderen Vertreter der Poesie als ihn. In seinen Jugend-
gedichten, leichtflüssigen Versen, für welche Liebe und
Freundschaft oder eine sinnige Betrachtung der Natur und
des Landlebens die Quelle ist, zeigt sich noch die starke
Nachwirkung der arkadischen Schule und des Donne'schen
Geschmacks. Schon hier indessen gelangt der Gedankenreich-
thum und eine eigenthüniliche Mischung von Grazie und
Strenge im Ausdruck nicht selten zur Geltung. Am meisten
ursprünglich erscheint aber Marvell's Talent in den Gedichten
politischen Inhalts, sowohl in denen, welche ihm die Begeiste-
rung vor der Ptestauration wie die Entrüstung nach derselben
eingab. Die Reihe jener wird durch die Ode auf „Cromweirs
Rückkehr aus Irland" eröffnet, einen Triumphgesang nach
horazischem Vorbild, den der ehemalige Anhänger des König-
thums sich gedrungen fühlt, „dem Sohn des Krieges und des
Glücks" zu weihen. Der ganze kecke Seemannstrotz des
Engländers spricht aus dem Siegesliede zum Preise des
Kampfes bei Teneriff"a, in welchem der „tapfere Blake" den
„Stolz des Spaniers" gebeugt hatte. Aber einen noch höheren
Platz nehmen jene pomphaften Jamben ein, welche die erste
Wiederkehr des Tages feiern, an dem das Protektorat be-
gründet worden war. Ein gut gemeintes Gedicht des uner-
Samuel Hartlib und seine Bestrebungen. 191
müdlichen alten Georg Wither „Der Protektor" tritt hinter
Marvell's poetischem Tiibut gänzlich in Schatten. Seine
Leistung kann nur mit dem Panegyricus auf Cromwell ver-
glichen werden, durch welchen der aus dem Exil zurück-
gekehrte Edmund Waller seine Vergangenheit zu sühnen ver-
suchte. Während Waller den Herrscher schmeichlerisch
„Protektor der Welt" nennt, vergleicht ihn Marvell der
Sonne, die jeden Tag mit neuem Glanz aufgeht. Milton er-
scheint dadurch grösser als beide, dass er über seiner Be-
geisterung nicht versäumte, dem Protektor freimüthige War-
nungen zuzurufen, wie sie freilich in einer prosaischen Ab-
handlung besser am Platz waren, als in einem Festgedicht (^).
Wenn Andrew Marvell neben Milton in gebundener und un-
gebundener Rede als getreuer Diener der Protektoratsregierung
vor die Oeffentlichkeit trat, so wirkte ein anderer der alten
Freunde Milton's, Samuel Hartlib, nicht weniger eifrig auf seine
Weise im stillen. Der merkwürdige, nach England verschlagene
Deutsche war seiner Natur vollkommen treu geblieben. Von
Krankheiten geplagt und häufig in Geldverlegenheit, war er
unermüdlich, sich seinen Freunden dienstfertig zu erzeigen
und auf das Wohl seiner Mitmenschen zu denken. Ohne auf
einem einzigen wissenschaftlichen Gebiet zu glänzen, ja oft
^enug von ganz abergläubischen Vorstellungen befangen, konnte
er doch auch damals als Mittelpunkt zahlreicher feingebildeter
und strebsamer Geister gelten und stand mit den grössten
Gelehrten des In- und Auslandes in regem Gedankenaustausch.
Es gab noch besondere Gründe, aus denen eine Befestigung
seiner Beziehungen zu Milton hervorgehen musste. Auch
Hartlib war gleichsam Milton's Kollege, wennschon in einem
anderen Sinne wie Marvell. Er war bereits vor der Be-
gründung des Protektorats den republikanischen Behörden als
«ine brauchbare Persönlichkeit erschienen. Nachdem Crom-
well das Staatsruder ergriffen hatte, machte er sich auch
diesem in mehr als einer Weise nützlich. In der grossen
Sammlung von Aktenstücken, die aus dem Kabinet des Staats-
sekretärs Thurloe stammen, findet man Zeitungen und Kund-
schaften, deren Adresse diejenige Hartlib"s ist. Er sendet
\g2 Samuel Hartlib und seine Bestrebungen.
dem Agenten CromwelFs in der Schweiz briefliche Berichte, und
dessen Depeschen nehmen Yorsichts halber ihren Weg durch
seine Hand. Einmal erscheint er sogar mit dem officiellen
Titel eines „Sekretärs" (^).
Ein Mann, der über ganz Europa hin seine Korrespon-
denten hatte, war in der That wie dazu geschaffen, um auch
für politische Zwecke als eine unverdächtige Mittelsperson zu
dienen, und er blickte seinerseits voll von Bewunderung und
Hoffnungen auf die Gestalt CromwelFs. Von diesem schien
man endlich eine Unterstützung der mannichfachen Vorschläge
„zum unendlichen Vortheile Englands und der Kolonien" er-
warten zu dürfen, welche Hartlib nicht abliess in zahlreichen
Schriften dem „unparteiischen Leser" zu unterbreiten (2). Die
meisten von ihnen drehen sich um Verbesserungen des Acker-
baues. Ein Werk, das freilich nur von Hartlib herausgegeben
ist, ohne von ihm verfasst zu sein, eine Beschreibung Irlands,
ist ausdrücklich Cromwell und Fleetwood gewidmet. Vor allem
die beiden alten Lieblingsfragen, die Frage einer „Korrespon-
denz" und Allianz sämmtlicher Evangelischen, wie die Frage
einer Reform des Unterrichtswesens, traten, nachdem sich
die neue Regierungsgewalt in England befestigt hatte, wieder
in den Vordergrund.
Der religiöse Zug, welcher die auswärtige Politik des
Protektors eine Zeit lang beherrschte, war ganz nach Hart-
lib's Sinn. Durie und Pell, die beiden Männer, die im Auf-
trage Cromwell's für die gemeinsame reformirte Sache wirkten,
gehörten zu seinen genauesten Freunden. Auch nachdem sie
von ihren Missionen zurückgekehrt waren, stand er mit dem
Gedanken einer Union der reformirten Kirchen, als unerläss-
licher Vorbedingung einer engeren politischen Verbindung,
nicht allein, wie denn das letzte Parlament des Protektors
einen darauf bezüglichen Beschluss gefasst hatte (^). Dies
Bewusstsein des reformirten Gemeingefühls, dem die englische
Politik der Zeit Ausdruck gab, schien auch dem alten Freunde
Hartlib's, Amos Comenius, zu gute kommen zu sollen. Der
gi'osse Pädagog war 1648 nach Polnisch-Lissa übergesiedelt
wo er an der Spitze einer kleinen Brüdergemeinde stand.
Samuel Hartlib und seine Bestrebungen. 193
Nur für wenige Jahre vertauschte er diesen Wohnort mit
Saros-Patak in Ungarn, wohin ihn eine Einladung der Fürstin
von Siebenbürgen zum Zwecke der Durchführung von Schul-
reformen gerufen hatte. Nach Lissa zurückgekehrt, erlebte
er dort 1656 den Sturm des katholischen Adels gegen die
schwedische Besatzung, welcher mit Einäscherung der Ortschaft
endigte. Die reformirte Kirche gieng bei dem Brande zu
Grunde, die Brüder zerstreuten sich, Comenius verlor alle
seine werthvollen Bücher und Handschriften. Diese Katastrophe
von Lissa erregte in England die grösste Theilnahme. Hartlib
versäumte keinen Augenblick, für die unglücklichen Glaubens-
brüder zu wirken. Mit Erlaubnis der Regierung wurden
Sammlungen für sie veranstaltet, und der Plan wird erwähnt,
ihnen Wohnsitze in Irland anzuweisen ('). Indessen fand dieser
Gedanke, wofern er überhaupt nicht nur in der Phantasie
Hartlib's und seiner Freunde bestanden hat, keine Verwirk-
lichung. Die Glieder von Comenius' Gemeinde wandten sich
grossen Theils nach Schlesien, ihm selbst gewährte die Fa-
milie seines alten Gönners de Geer in Amsterdam eine Zu-
flucht.
Die ununterbrochene Verbindung mit Comenius nöthigte
Hartlib von selbst dazu, die Frage der Unterrichtsrefoi m immer
im Auge zu behalten. Wie Milton, so hoffte auch er, dass mit
dem Protektoi'at eine neue Aera des Schulwesens und der ge-
lehrten Bildung anbrechen werde. In einer kleinen Schrift
über das lateinische Sprachstudium betonte er nachdrücklich
die hohe Wichtigkeit einer Verbesserung des Unterrichts. Sie
ist ihm „die tiefste Grundlage aller anderen guten Einrich-
tungen", und er lässt keinen Zweifel darüber, dass dieser
Gegenstand nach seiner Ansicht zu den höchsten Aufgaben
der zeitigen Staatsgewalt gehöre. Durch seinen Sohn suchte
er den Staatssekretär Thurloe für seine pädagogischen Refoim-
pläne zu gewinnen. Alle Fortschritte, welche in Oxford und
Cambridge gemacht wurden, verfolgte er mit höchstem
Eifer (^). In diesem Zusammenhang nahm, wie immer, der
Plan, eine grosse gemeinnützige und wissenschaftliche Gesell-
schaft zu gründen, eine vornehme Stelle ein. Das geheim-
st er u, Milton u. s. Z. II. 3. 13
194 Samuel Hartlib und seine Bestrebungen.
nisvolle Wort ,,^Iakana", welches sich so häufig in dem Brief-
wechsel Hartlib's vorfindet, deutet auf den Namen dieser er-
träumten Genossenschaft hin, von der er die Beförderung
alles Guten und Schönen erhoffte. Aehnliche Ideen bewegten
mehrere seiner Zeitgenossen und eben solche, die ihm per-
sönlich nahe standen. Ein merkwürdiger Brief John Evelyn's
an Robert Boyle befürwortet die Bildung einer „Societät",
Boyle selbst schenkte solchen Bestrebungen noch immer das
gleiche Interesse, das er seit Jahren gegenüber Hartlib an
den Tag gelegt hatte. Auch wurden gerade unter seiner
Theilnahme jene Gelehrtenzusammenkünfte fortgesetzt, die
schon den Keim der „Royal Society" in sich trugen (i). Von
dem Pfälzer Theodor Haak veranlasst, von Hartlib begünstigt,
dauerten sie unter der Republik und dem Protektorat in London
fort, während gleichzeitig ähnliche Vereinigungen in Oxford
zu Stande kamen. Einige der bedeutendsten Mitglieder jener
londoner Gelehrten - Genossenschaft hatten Anstellungen in
der Universitätsstadt gefunden, unter ihnen ein Schw-ager
CromweH's, Dr. Wilkins. Eine Zeit lang diente dessen "Woh-
nung als Yersammlungsplatz, später diejenige Boyle's, der seit
1654 in Oxford lebte, bis sich kurz vor der Restauration die
getrennten Zweige im Gresham College wieder vereinigten.
Auch zwischen diesem Kreise und" Milton gab es mannich-
fache Berührungspunkte. In dem Briefwechsel Hartlib's und
Boyle's wird sein Name einige I\Iale erwähnt. Es ist von
einem Geheimnis die Rede, das Milton mitgetheilt worden
ist, und welches der grosse Naturforscher zu erhalten wünscht,
vermuthlich eines jener untrüglichen Heilmittel , die eine so
grosse Rolle in Hartlib's Korrespondenz spielen {^). "Wenn
nicht Boyle selbst, so gehörte doch seine Schwester Katharine,
Viscountess Ranelagh, nachw^eislich zu denjenigen Personen,
welche Milton in seinem Hause in Petty-France häufig be-
suchten. Sie war eine Frau, in deren Lob die Zeitgenossen
einig sind, von ebenso grosser Herzensgüte wie "Verstandes-
schärfe. Die Bemerkungen, die sie einmal gegen Hartlib über
die Nothwendigkeit einer Hebung der Volksbildung macht,
zeigen am deutlichsten, dass sie sich mit diesem und seinem
Verhältnis zu Lady Ranelagh, R. Jones, H. Oldenburg. 195
Freunde Milton in den gleichen Ideen begegnete (^). Unter
diesen Umständen hatte sie Milton's pädagogische Talente mit
Freuden in Anspruch genommen. Er war der Lehrer ihres
Neffen gewesen, des jungen Grafen von Barrimore, und ihr
Sohn, Richard Jones, der spätere Graf von Ranelagh, genoss
gleichfalls Milton's Unterricht. Auch nach Oxford, wohin
Richard Jones zum Zweck seiner weiteren Ausbildung 1656
geschickt wurde, wie während einer längeren festländischen
Reise, begleiteten ihn die theilnehmeuden Rathschläge seines
alten Lehrers. Vier Briefe sind uns erhalten, in denen er
den jungen Sohn seiner Freundin mit väterlichem Ernst er-
mahnt, den schmalen Pfad der Tugend allen glänzenden
Lockungen vorzuziehn, unverkennbare Zeugnisse der strengen
Lebensanschauung, welche der puritanische Pädagog in seinen
Schülern auszul)ilden wünschte (=^).
Dies Verhältnis zu Richard Jones diente dazu, Milton's
Beziehungen zu einem geistreichen Manne enger zu knüpfen,
der ihm schon von früher her nahe stand. Der Bremenser
Heinrich Oldenburg war 1653 als Agent seiner Vaterstadt
nach London gelangt und erwarb mit der Zeit daselbst in
Gelehrtenkreisen grosses Ansehen. Er wurde der Schwieger-
sohn John Durie's und dadurch in den nächsten Freundes-
kreis Älilton's eingeführt. Ohne Zweifel hatte er schon vorher
als ^lentor des jungen Richard Jones die Aufgabe über-
nommen, jNIilton's Erziehungswerk fortzusetzen. Er begleitete
seinen vornehmen Schützling nach Oxford wie auf das Fest-
land, verweilte längere Zeit mit ihm in Saumur und in
Paris und blieb fortwährend mit Milton in brieflicher Ver-
bindung. Er hatte immer etwas Interessantes mitzutheilen.
Bald spielte er auf eine neue literarische Erscheinung an.
Bald berührte er die politischen Tagesereignisse. Milton's
Antworten sind eingehend, sehr freundschaftlich gehalten, mit-
unter etwas scharf. Oldenburg's Schilderungen des Lebens in
Oxford veranlassten ihn zu bitteren Bemerkungen über die engli-
schen Universitäten. Aber noch weniger angenehm fühlte er sich
durch gewisse Mittheilungen berührt, die ihm der sorgsame
Freund aus Frankreich übersandte. Wie Oldenburg daselbst
13*
196 Briefwechsel mit R. Jones, H. Oldenburg. E. Bigot, J. Labadie.
erfahren hatte, war dem alten Gegner Milton's, Alexander
Monis, eine Berufung an die Gemeinde von Charenton zuge-
kommen. Für ]\Iilton war der Gedanke unerträglich, dass
ein Mann, den er für eine Schmach des geistlichen Standes
hielt, eine der wichtigsten Kanzeln der reformirten Kirche
einnehmen sollte. Er hatte mehrere Exemplare seiner gegen
Morus gerichteten Schriften zur Vertheilung an Oldenburg
geschickt, da bisher nur eines nach Saumur gedrungen war,
und wünschte den Franzosen über den sittlichen Werth ihres
Landsmannes die Augen zu öffnen. In der That dauerten die
Verhandlungen der französischen und der holländischen Sy-
noden üljer Morus' Antecedentien mehr als zwei Jahre. In
Holland wurden Beschuldigungen gegen ihn laut, welche die
furchtbare Anklage, die INIilton einst gegen ihn geschleudert
hatte, vollkommen zu rechtfertigen schienen. Allein die fran-
zösische Xationalsynode von Loudun bestätigte ihn (1660) auf
seinem Posten in Charenton mit der Mahnung, die freilich
fruchtlos blieb, in Zukunft vorsichtiger zu sein und keinen
Anstoss zu geben (^).
Wäre uns von dem Briefwechsel Milton's mehr als einige
spärliche Reste erhalten, so würde sich ohne Zweifel noch
klarer erkennen lassen, wie vielseitig seine persönlichen Be-
ziehungen waren. Zwar standen ihm nicht alle seine Korre-
spondenten so nahe wie Oldenburg. Mitunter war es ein
auswärtiger Gelehrter, wie jener ausgezeichnete französische
Philologe und Büchersammler Emery Bigot, der bei Gelegen-
heit einer englischen Reise Milton kennen und schätzen
gelernt hatte und nach seiner Rückkehr in die Heimat von
ihm ersucht wurde, ihm einige Bände der eben erscheinenden
Ausgabe byzantinischer Historiker zu verschaffen (^). Mitunter
war es ein Hilfe suchender Bittsteller, wie jener vom Katho-
licismus abgefallene Jean Labadie in Orange, dessen Schick-
sale Milton durch Durie bekannt geworden waren, und dem
er in London eine Stelle zu verschaffen hoffte (^). Bruchstücke
eines Briefwechsels des Dichtei's mit einem seiner alten
Collegegenossen, Andrew Sandelands, sind erst kürzlich zum
Vorschein Gekommen, und man darf die Hoffnung nicht auf-
Verheiratung m. Katharine Woodcock. — Tod von Mutter u. Kind. 197
geben, dass ein glücklicher Zufall noch diesen oder jenen
ähnlichen Beitrag an's Licht fördere (^).
So viel steht fest: es war ein grosser Kreis zum Theil
bedeutender Persönlichkeiten, mit welchem jNIilton auch nach
seiner Erblindung, während er seines Amtes waltete, in Ver-
bindung stand. In der Nähe und in der Ferne wurde seiner
mit Verehrung und Theilnahme gedacht, und der Umgang
mit geistreichen und liebenswürdigen Fremden konnte ihm
eine Zeit lang ersetzen, was an häuslichem Glück zu entbehren
ihm doppelt schmerzlich sein musste. Er hatte indessen schon
vier Jahre nach dem Tode von jMary Powell ein zweites Mal
den Versuch gewagt, dies Glück zu erringen. Die neue Mutter,
die er am 12. November 1656 seinen Kindern gab, hiess Ka-
tharine Woodcock. Wir wissen über ihre Familie nichts
weiter, als dass sie die Tochter eines Kapitän Woodcock von
Hackney war, und von ihr selbst würden wir nicht fähig sein,
uns irgend ein Bild zu machen, wenn der Dichter nicht dafür
gesorgt hätte, ihre Gestalt mit dem Strahlenkranz der Poesie
zu umgeben. Sein Glück war nur von kurzer Dauer. Am
19. Oktober 1657 wurde ihm eine Tochter geboren, die gleich-
falls auf den Namen Katharina getauft ward. Aber die Mutter,
von den Nachwehen der Geburt erschöpft, fristete nur noch
bis zum 10. Februar 1658 ihr Leben,, und einen ^lonat später
folgte das Kind ihr in das Grab nach, ^lilton stand wieder
allein. Ein allzu flüchtiger Traum hatte ihm die Nacht seiner
Blindheit verschönt. Nur im Schlummer kehrte ihm das Bikl
der entschwundenen Seligkeit zurück. So suchte er es fest-
zuhalten in einem rührenden Sonett, das mit der klagenden
Grazie von Petrarca und Camoens zu wetteifern sucht (-). Er
glaubt die ihm geraubte „Heilige" gleich Alkestis vom Tode
wieder auferstanden, obwohl noch „blass und schwach'', so wie
er einst, wenn auch ihm die Binde von den Augen gefallen
sein wird, „im Himmel ihren vollen Anblick'' zu geniessen
hofft. Sie kam
In -weissem Kleid, gleich ihrer Seele rein,
Das Haupt verhüllt. Jedoch ein heller Schein
Von Huld und Güte, wie mir nie sich zeigte,
198 Sonett auf die zweite Frau. — Herausgabe der „Regierungskunst" .
Floss aus von ihr; doch ach, als sie sieh neigte,
Mich liebend zu umfahn, bin ich erwacht.
Sie floh, und mit dem Tag kam meine Nacht.
Vielleicht um sich in seinem Schmerz durch Beschäfti-
gung zu zerstreuen, veröffentlichte er in demselben Jahre
1658 ein kleines Buch, in dem er allerdings nichts Selbst-
ständiges mittheilte, sondern durch welches er das Andenken
eines grossen Landsmannes erneute. Es war ein Traktat
„über die Regierungskunst" von Walter Raleigh, der sich nach
Milton's Vorwort in einer verlässlichen Abschrift „viele Jahre
lang in seinen Händen befunden hatte''. Er hatte das Manu-
skript „zufällig unter anderen Büchern und Papieren" wieder
entdeckt und hielt es mit Recht der Herausgabe für werth.
Wenn der Inhalt seinen eigenen Anschauungen mitunter ent-
gegenlief, so war doch auch mehr als eine dieser ]Maximen
dem alten Freiheitskämpfer wie aus der Seele geschrieben (^..
Weit ernster indessen, als kleine Gelegenheitsarbeiten der
Art musste der Lauf der öffentlichen Angelegenheiten seinen
Geist beschäftigen und von den schmerzlichen Erinnerungen
des häuslichen Lebens zur sorgenvollen Betrachtung der Ge-
schicke seiner Nation hinlenken.
Die Tage des grossen Mannes, dessen mächtige Persön-
lichkeit das englische Gemeinwesen zusammenhielt, neigten
sich ihrem Ende zu. Nach der Auflösung des Parlaments
am 4. Februar 1658 hatten sich die Schwierigkeiten für
Cromwell auf allen Seiten gehäuft. Die finanzielle Lage der
Regierung gab zu lebhaften Besorgnissen Anlass. Die Ruhe
des Landes war durch äussere und innere Feinde bedroht.
Selbst die persönliche Sicherheit des Herrschers erschien im
höchsten Masse gefährdet. Verschwörungen fanatischer Sektirer
vom Schlage Harrisou's wurden leicht entdeckt und an der
Ausbreitung gehindert. Aber um so grössere Befürchtungen
erweckten die Anschläge der Royalisten. In Flandern sam-
melte sich um den Prätendenten aus dem Hause Stuart ein
Schwierige Stellung des Protektorats. 199
Invasionsheer von geflüchteten Anhängern des Königthums
und spanischen Hilfstrappen. In England sollte gleichzeitig
mit der Landung dieses Heeres an mehreren Stellen das
Zeichen zum Aufruhr gegeben werden. Royalistische Agenten
waren im stillen überaus thätig, nicht ohne auf die Unzu-
friedenheit alter Republikaner zu rechnen, und insgeheim
langte der Herzog von Ormond in London an, um die Be-
wegung zu leiten. Aber die Polizei des Protektors hatte
scharfe Augen, Was ihrer Wachsamkeit entgieng, brachte der
A'errath einzelner Abtrünniger aus dem feindlichen Lager an
den Tag. Crom well durchschaute das ganze Gewebe der
Verschwörung, noch ehe ihre Fäden fest in einander griffen.
Er liess Ormond bedeuten, dass er seinen Aufenthalt kenne
und veranlasste ihn dadurch zur Abreise. Gegen die Rädels-
führer, denen die Ausführung des Planes oblag, kannte er
keine Schonung. Sie wurden in's Gefängnis geworfen, vor
einen ausserordentlichen Gerichtshof gestellt, und an zweien
von ihnen wurde das Todesurtheil vollstreckt. In gleicher
Weise misslang das Vorhaben, die Stadtbehörden von London
zu überfallen, die Wachen zu überrumpeln, den Tower zu
besetzen. Auch dies Komplott wurde i-echtzeitig entdeckt, und
mehrere der Verschworenen büssten mit dem Tode.
Mit der unaufhörlichen Aufregung über die Bedrohung
der Ruhe im Lande verband sich die Sorge wegen der Ge-
staltung der auswärtigen Verhältnisse. Der Bund mit Frank-
reich hatte Cromwell allerdings zu grossartigen Erfolgen ver-
holfen. Aber einem Verbündeten wie Mazarin war niemals
völlig zu trauen. Die Möglichkeit einer vorzeitigen Ver-
ständigung zwischen Frankreich und Spanien, welche die
englischen Interessen geschädigt haben würde, war unver-
kennbar, und bffld nachdem Cromwell die Augen geschlossen
hatte, wurde jene Verständigung wirklich zu Wege gebracht.
Kiclit minder lief die Politik der nordischen Mächte den Ab-
sichten der Protektoratslegierung entgegen. Der Kampf
zwischen Schweden und Dänemark brach wieder aus. Die
Eintracht aller Bekenner der „reinen Lelire", zu welcher
200 "Tod Uliver Cromwells.
Milton's Feder die Streitenden ermahnt hatte, Hess mehr zu
wünschen übrig als. jemals vorher.
Vergeblich suchte Cromwell im Kreise der Seinigen eine
Erleichterung der schweren Lasten zu finden, die das Leben
ihm aufgebürdet hatte. Der Charakter seines ältesten Sohnes
gab ihm wenig Bürgschaften dafür, dass er einst das Regi-
ment im Geiste des Vaters fortführen werde. Sein Schwieger-
sohn Fleetwood, wie sein Schwager Desborough neigten sieh
den radikalen Ansichten der Anabaptisten zu. Im Februar
1658 war ihm der plötzliche Tod des Gemahls seiner Tochter
Frances sehr nahe gegangen. Aber unvergleichlich tiefer
fühlte er sich erschüttert, als ihm im August seine Lieblings-
tochter, Lady Elisabeth Claypole, nach langen Qualen geraubt
wurde. Er wich nicht von ihrem Krankenbett in Hampton-
court, manchen bangen Tag vergass er über dem Vater den
Herrscher, die Phantasien der Tochter führten ihm schreckhafte
Bilder seiner Vergangenheit vor, und als er sein Kind hatte
sterben sehn, war seine eigene Kraft gebrochen. Seine schwer-
müthige Stimmung wurde durch Fieberanfälle und die Schmerzen
der Gicht noch gesteigert. Er suchte sich durch die Tröstungen
der Religion zu stärken und wieder aufzuraffen. Aber die
Besserung seines Zustandes war nur von kurzer Dauer. Der
Stifter der Quäker-Genossenschaft, der ihm damals begegnete,
als er an der Spitze seiner Leibgarde den Park von Hampton-
court durchritt, fasste den Eindruck, den ihm sein Anblick
machte, in die Worte zusammen: „Ich sah und fühlte einen
Hauch des Todes gegen ihn ausgehen." Auf Anrathen seiner
Aerzte siedelte er nach Whitehall über. Dort nahm indessen
seine Krankheit, die Folge eines fortgeschrittenen Milzleidens,
eine gefährliche Wendung. Mehrere Tage lang schwebte er
zwischen Tod und Leben. In den Augenblicken des Bewusst-
seins hörte man ihn feurige Gebete murmeln, während die
independentischen Geistlichen den Himmel um seine Erhal-
tung anflehten, und ein gewaltiger Orkan, über Land und
See wüthend, das Königsschloss umbrauste. Am 3. September,
seinem Glückstage, der die Siege von Dunbar und Worcester
bezeichnete, hatte er ausgekämpft.
Tod Oliver CroinweH's. 201
Die Leiche wurde einbalsamirt und in der Stille in der
Kapelle Heinrichs VII. beigesetzt. Statt ihrer blieb eine
wächserne Nachbildung des Herrschers, mit königlichem
Pmnk umgeben, Wochen lang auf einem Staatsbett in
Somerset -House ausgestellt, um am 23. November in dem
pomphaftesten Trauerzug einher geführt zu werden, der sich
durch die dichtgedrängten Volksmassen und das Spalier der
Soldaten nach der ehrwürdigen Abtei von Westminster be-
wegte. In langen Reihen schritten sie einher: die Diener des
Hofhalts, die hohen Staatsbeamten, die Offiziere der Flotte
uiid die Führer des Heeres, die Vertreter der Geistlichkeit
und der hauptstädtischen Bürgerschaft, die Botschafter der
fremden Mächte und die nächsten Anverwandten des abge-
schiedenen Helden. Sein Schlachtross, mit schwarzem Sammet
behangen, gieng dem Sarge voraus, seine Rüstung und sein
Schwert wurden ihm vorgetragen, und über den Häuptern
der ernsten Schaar erhoben sich die stolzen Banner der
Reiche, die das Scepter des Gewaltigen beherrscht hatte.
Auch Milton war in dem Trauerzuge zu sehen. Er war von
den übrigen „Sekretären der französischen und lateinischen
Sprache" umgeben. An seiner Seite schritten die Freunde:
Andrew Marvell und Samuel Hartlib(^).
Marvell legte einen Kranz poetischer Immortellen am
Grabe des Protektors nieder, der junge Dryden widmete dem
Andenken des Entschlafenen seine ausgefeilten „heroischen
Stanzen", Waller stimmte seine geschmeidige Leier zu einer
schwülstigen Klage, während Cowley, seiner royalistischen
Ueberzeugung getreu, in einem klassisch geformten Essay an
der Person und an der Regierung des „ungeheuren Mannes"
leidenschaftliche Kritik übte (2). Vier englische Dichter von
grossem Namen hatten ihr Urtheil über den Protektor ge-
sprochen. Ein grösserer, der ihm näher gestanden hatte, als
sie alle, übte die Entsagung, seine Gedanken über die Ver-
gangenheit und über die Zukunft in sich selbst zu ver-
schliessen.
Sechstes Kapitel.
In den letzten Zeiten der Republik.
JJer grosse Staatsmann , mit dessen Namen der Name
Milton's für immer verknüpft blieb, war nicht mehr. Auf
den schwachen Schultern seines ältesten Sohnes Richard, den
der Protektor als seinen Nachfolger bezeichnet hatte, ruhte
die schwere Aufgabe, eine Gewalt von völlig persönlichem
Ursprung und Charakter fortzusetzen. In Milton's Verhält-
nissen wurde durch diesen Wechsel des Herrschers nichts
geändert. Eine Reihe lateinischer Depeschen ist im Namen
Richard Cromwells von ihm verfasst worden (^). Sehr bald
indessen traten Ereignisse ein, welche die bestehende politi-
sche Ordnung auflösten und auch Milton in Mitleidenschaft
zogen. Der neue Protektor , leichtlebig und energielos, ohne
ausgeprägte politische und religiöse Ueberzeugungen , war
nicht der Mann, inmitten der grossen Parteigegensätze eine
gebietende Stellung zu behaupten. Die Royalisten hofften
alles von seiner Schwäche. Die entschiedenen Republikaner
athmeten freier auf. Die Führer des Heeres weigerten sich
anzuerkennen, dass das Generalat wie das Protektorat eine
erbliche Würde sei und erneuerten den alten Kampf zwischen
militärischer und bürgerlicher Gewalt. Von dieser Seite
drohte der Regierung zunächst die grösste Gefahr. Die
wöchentlichen Zusammenkünfte der Obersten in Wallingford-
house beunruhigten den Protektor und seine Anhänger im
Protektorat Richard Cromweirs. — Zusammentritt d. Parlaments. 203
höchsten Masse, ^'on hier aus verbreitete sich der Geist der
Unbotmässigkeit im Heere. Fanatische Sektirer wühlten
gegen die Söhne des „eidbrüchigen Yerräthers", den nur sein
starkes Schwert hatte schützen können. Der ehrgeizige Lam-
bert, der mit Oliver Cromwell gebrochen hatte, weil er sich
nicht' genugsam für seine Dienste belohnt glaubte , kam aus
seiner Zurückgezogenheit wieder zum Vorschein. Desborough
und Fleetwood, die nahen Verwandten des Protektors, traten
mit ihren Wünschen radikaler Umgestaltung auf bürgerlichem
und kirchlichem Gebiet hervor, die sie zu Lebzeiten Oliver's
hatten unterdrücken müssen. In Fleetwood , dem verdienten
Soldaten und vorgeschrittenen Independenten, forderten die
Offiziere ihr Haupt, und er selbst war nicht gewillt dem
Schwager, der keine kriegerischen Lorbeeren aufzuweisen
hatte, den Platz zu räumen.
Der junge Protektor und seine Vertrauten sahen kein
anderes Mittel den Sturm zu beschwören als die Berufung
eines Parlaments, welches am 27. Januar 1659 zusammen trat.
Der Hof von Whitehall hatte sich der willkürlichsten Mittel
bedient, um seinen Einfluss zu sichern. Bei den Wahlen
zum Unterhause wurde das reformirte System verlassen und
das veraltiete Verfahren wieder befolgt, wie es unter der
IMonarchie bestanden hatte. In Irland und Schottland waren
die Erwählten nichts mehr als blosse Ernannte der Regierung.
Dennoch blieb es zweifelhaft, ob sie in allen Fällen über die
Majorität verfügen könnte. Eine beträchtliche Anzahl von
Mitgliedern war von unbestimmbarer politischer Färbung.
Kicht wenige waren eingedrungen, die ihre royalistische Ge-
sinnung nur zeitweilig verbargen. Die entschiedenen Repu-
blikaner bildeten eine Gruppe, deren Stärke zwar nicht ge-
fährlich erschien, deren Kühnheit aber aufs äusserste zu
fürchten war. Und hier nahm neben den Scott, Ludlow,
Haselrig, Bradshaw auch Henry Vane wieder eine hervor-
ragende Stellung ein. Welchen Eindruck musste es auf Milton
machen, wenn dieser Parteiführer, den er so hoch verehrte,
den Rechtsgrund ' der ganzen bestehenden Verfassung läugnete
und ihr die Idee der unveräusserlichen Volkssouveränetät
204 Abschaffung des Protektorats.
gegenüberstellte. Mit welchen Gefühlen miisste er vernehmen,
dass sein alter Freund Overton vor das Parlament citirt und
von diesem als widerrechtlich verhaftet in Freiheit gesetzt
wurde (1). Jede neue Debatte, die in dieser Versammlung
geführt ward, konnte ihm zeigen, wie unversöhnlich sich die
Parteien gegenüber standen, wie rasch sich die Fugen dieses
künstlichen Staatsbaues lösten, nachdem die Hand seines
Gründers und Wächters erkaltet war. Mit heimlicher Freude
bemerkten die Roy allsten, dass der Gegensatz zwischen Heer
und Protektor sich zu einem Gegensatz zwischen Heer und
Parlament erweiterte. Die scharfe Kritik, die an den Will-
kürhaudlungen der letzten Regierung geübt wurde, traf in
erster Linie die höheren Officiere. Sie beschwerten sich bei
Richard Cromwell über die Angriffe, denen sie ausgesetzt
waren. Sie drangen auf Bürgschaften für die Aufrechthal-
tung der „alten, guten Sache". Die Trennung des Oberbefehls
vom Protektorat blieb nach wie vor ihr wichtigstes Ziel.
Allein während Richard Cromwell mit der Mehrheit des Unter-
hauses sich diesen Ansprüchen entgegenstellte, verständigten
sich die Officiere mit ihren republikanischen Gegnern. Auch
diesen kam alles darauf an, die Macht des Protektorats zu
schwächen und die „alte gute Sache" gegen die Umtriebe
der Kavaliere zu schützen. Richard Cromwell hatte weder
den Muth noch die Mittel, den Kampf für die Erhaltung
seiner eigenen und der parlamentarischen Autoiität auf sich
zu nehmen. Verlassen von den Soldaten, die ihren ge\vohnten
Führern folgten, gab er dem Andringen der Obersten nach,
das Parlament aufzulösen (22. Aprilj.
Er besiegelte damit sein eigenes Schicksal. Noch waren
mehrere der höheren Officiere geneigt, ihn seiner Würde
nicht gänzlich zu berauben, aber die Masse des Heeres be-
trachtete ihn mit einem Misstrauen, das nur durch Entfernung
von seinem Regentenposten gehoben werden konnte. Lam-
bert , der die Erfüllung seiner ehrgeizigen Wünsche heran-
nahen sah, wirkte in gleicher Richtung, Vane, Haselrig,
Ludlow und ihre Gesinnungsgenossen sagten ebenfalls ohne
Zögern ihre Bundesgenossenschaft für die Abschaffung des
Wiederherstellnng des langen Parlaments. 205
Protektorats zu. Die reine Republik, wie sie vor der Zer-
sprengung des Rumpparlaments bestanden hatte, sollte wieder
hergestellt werden. Die Männer, welche vor CromwelFs
Musketiren die St. "Stephan's-Kapelle hatten räumen müssen,
wurden zu ihren Sitzen zurückberufen. Der alte Sprecher
des langen Parlaments, Sir William Lenthall, fand sich nach
einigem Sträuben bewogen, sein Amt wieder aufzunehmen.
Die traurigen Reste dieser ehemals so stolzen Versammlung
erhoben sich unter dem Schutz der bewaffneten Macht zu
neuem Leben (7. Mai). Doch wurde ein baldiger Schlusstermin
ihrer Sitzungen und eine Neuwahl in Aussicht genommen.
Lediglich das Einverständnis der Officiere und der
republikanischen Führer hatte diese überraschende Wendung
herbeigeführt, und jene wie diese wachten ängstlich darüber,
dass die Früchte des Sieges getheilt würden. In dem Sicher-
heitsausschuss , dem das Rumpparlament die Exekutive über-
trug, Sassen neben Lambert und Desborough auch Vane und
Scott. In dem Staatsrath, der einige Zeit nachher an die
Stelle dieses Ausschusses trat, hielten sich die militärischen
und bürgerlich - republikanischen Elemente so ziemlich das
Gleichgewicht. Wurde Fleetwood zum Oberbefehlshaber aller
Streitkräfte in England und Schottland ernannt, so wurden
die Bestallungen der Officiere im Namen der Republik vom
Sprecher des Parlaments unterzeichnet. Mit leichter Mühe
gelang es, der gemeinsamen Gegner Herr zu werden. Die
beiden Söhne CromweH's leisteten keinen Widerstand. Richard
Crom well trat gegen eine anständige Geldabfindung in's Pri-
vatleben über. Heinrich Cromwell legte mit grösserer Würde
sein Amt in Irland nieder. Eine Familie, deren Name un-
vergesslich blieb , sank wieder in ihr früheres Dunkel zurück.
Die Royalisten waren im stillen geschäftig für die Wieder-
herstellung des Königthums zu wirken, aber sie wagten noch
keine offene Erhebung. Die ehemals ausgestossenen presby-
terianischen I^Iitglieder des Parlaments versuchten umsonst
ihr altes Recht geltend zu machen. Es schien eine Zeit lang
als werde der unnatürliche Bund derjenigen, welche die Pro-
tektoratsregierung gesprengt hatten, hinlänglich dauerhaft
206 Miltons Schrift: „Ueber d. Verhältnis d. Staates z. d. kirchl. Angl.
und kräftig sein, um das Gemeinwesen auf eben derselben
Grundlage wieder aufzurichten , die ihm die Männer von ent-
schieden republikanisch - independentischer Gesinnung nach
der Hinrichtung des Königs zu geben versucht hatten.
In diesem Zusammenhang traten auch die kirchenpoli-
tischen Fragen wieder in den Vordergrund. Schon das Par-
lament Richard CromwelFs hatte mehrfach Gelegenheit gehabt,
sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. So oft es geschah,
hatte der Geist des engherzigen Zelotismus sich Luft gemacht,
dessen heissester Wunsch darin bestand, von Staats wegen
die Gleichförmigkeit der kirchlichen Lehre wie des kirch-
lichen Lebens festzustellen und den Gottesdienst der Leute
von ketzerischen Ansichten zu unterdrücken (*). Mit der
Katastrophe, die im Frühjahr 1659 eingetreten war, gewannen
die Ideen des vorgeschrittenen Independentisnms wieder an
Kraft. Eine Petition der Officiere forderte wenigstens Frei-
heit des ■ Kultus für alle Christen mit Ausnahme der Papisten
und Episkopalisten. Henry Vane sprach einige Zeit nachhei-
in einem der Committees den Grundsatz aus, „dass die
höchste Gewalt den Bevollmächtigten des Volkes nicht an-
vertraut worden sei, um in Sachen des Glaubens und Kultus
einen Zwang auszuüben" (^). Noch immer blieb man im
allgemeinen dabei, dass die Erhaltung des geistlichen Standes
Sache der staatlichen Fürsorge sein müsse. Doch hatten
die Angriffe gegen die zur Zeit bestehende Art der Erhaltung
niemals geruht.
Auf diesem ihm so wohl vertrauten Gebiet erschien nach
langer Pause Milton aufs neue als Schriftsteller. Die Gegen-
stände von rein politischem Interesse traten ihm für einige
Zeit wieder hinter denen des religiösen Lebens zurück. Zwei
Abhandlungen liess er im Verlauf von wenigen Monaten
auf einander folgen. Die eine führte den Titel : „Ueber das
Verhältnis des Staates zu den kirchlichen Angelegenheiten,
worin nachgewiesen werden soll, dass keiner Macht auf Erden
Praktischer Zweck. 207
das Recht zusteht, in Sachen der Religion Zwang auszuüben".
Die andere enthielt „Betrachtungen über die geeigneten
Mittel, um ^liethlinge aus der Kirche zu entfernen'\
Die beiden Schriften gehören, wie man sofort bemerkt, zu
einander. „Zwei Dinge, beginnt die erste, haben von je der
Kirche Gottes und der Ausbreitung der Wahrheit viel ge-
schadet: Zwang, der ihre Lehrer niederdrückt, und Miethlings-
sold, der sie verdirbt. Von jenem will ich dies ^lal sprechen,
von diesem, je nachdem Gott mich dazu anleitet und die
Gelegenheit sich bietet". Und die Einleitung der zweiten
Schrift nimmt auf eben diese Aufstellung des doppelten
Themas wieder Bezug. Fasst man beide Verötfentlichungen
zusammen, so erhält man aus ihnen so ziemlich das vollständige
kirchenpolitische Programm, wie Milton es sich im Lauf der
Zeit gebildet hatte. Beim Beginn seiner literarischen Thätig-
keit hatte er die Frage vom Verhältnis der Kirche zum Staat
bereits scharf in's Auge gefasst. Wiederholt war er auf sie
zurückgeführt worden. Mitunter schien er durch seine ofri-
cielle Stellung verhindert worden zu sein, sich mit voller
Freiheit und Ausführlichkeit mitzutheilen. Hier fielen der-
artige Rücksichten weg. -Hatte sich Milton gegenüber der
imponirenden Gestalt des grossen Protektors zwar keineswegs
Schweigen, aber doch eine gewisse Zurückhaltung aufgelegt,
so fühlte er sich nach dessen Tode von diesem Bann befreit.
Dem Parlament, das der schwache Nachfolger Oliver's be-
rufen hatte, war die erste der beiden Schriften gewidmet und
jNIitte Februar war sie in der Hand der Mitglieder (^). Sie
hatte also neben ihrem theoretischen Inhalt einen rein prak-
tischen Zweck. Ihr Verfasser schmeichelte sich, dass sie dem
grossen Rathe der Nation „viel Mühe und Arbeit ersparen
werde". Er liess nicht undeutlich merken, wie nöthig es im
damaligen Augenblick sei , allgemeine Grundsätze zum Schutz
der Gewissensfreiheit aufzustellen, da Zeiten kommen könnten,
in denen die „Macht bei anderen" wäre. Auch versprach er
sich eine günstige Aufnahme seiner Vorschläge, um so mehr
da er sich erinnerte, von „einigen" Mitgliedern der Versamm-
lung „mehrere Jahre hindurch" und „oft" ganz die gleichen
208 Gegen den Autoritätsglauben.
Ansichten im Staatsrath entwickelt gehört zu haben. Man
braucht nicht zu sagen, dass unter diesen ..einigen" Henry
Vane die vornehmste Stelle einnahm. Die Ausdrücke, welche
Milton an dieser Stelle gebraucht, nifen sofort die Erinnerung
an das Sonett wach, mit dem er einige Jahre vorher den
wahlverwandten Genius Vane"s geehrt hatte.
Im Begriff, seine Ansichten zu entwickeln, läugnet er
zwar keineswegs, dass die Engländer bis zu einem gewissen
Grade bereits „christliche Freiheit gemessen", aber er besteht
ebenso fest darauf, dass dieselbe noch einer „Erweiterung"
bedürfe, und zwar ebensowohl in Ansehung des Glaubens wie
des Kultus. Fragt man aber, was diese Erweiterung bis jetzt
verhindert hat, so ist es der Fehler der Regierenden, „zwischen
bürgerlichen und religiösen Angelegenheiten nicht gehörig zu
unterscheiden". Daher schreiben sich „Verfolgungen, Ein-
kerkerungen, Verbannungen, Strafen, Schläge und Blutver-
giessen"-, und „protestantische Gewissenstyrannen tragen noch
bei weitem mehr die Verantwortung dafür als katholische''.
Hier knüpft das erste Argument Milton's an, ein Argument,
das er schon so häufig gebraucht hatte, und das ganz und
gar auf puritanische Gemüther berechnet war. Er operirt
wiederum mit dem Hinweis auf den Papismus und lässt seine
Mitbürger fühlen, dass sie, die schon den Namen der alten
Kirche verabscheuten, nicht verschmähten von ihren Mitteln
Gebrauch zu machen. j\Iit aller Entschiedenheit stellt er dem
blinden Autoritätsglauben den Grundsatz der Freiheit indi-
vidueller Ueberzeugung gegenüber, den er als eine „allgemeine
Maxime des Protestantismus" bezeichnet. Allerdings diese
individuelle Ueberzeugung soll, wie er schon früher hervor-
gehoben hatte, zunächst aus einer einzigen Quelle herfliessen:
aus der Bibel, Aber auch diese bleibt keine Satzung des
starren Buchstabens. Sie unterliegt der .,Interpretation"
kraft „der Erleuchtung des heiligen Geistes in uns". Es muss
jederzeit erlaubt sein, durch Schrift und Wort über ihren
Inhalt „frei zu debattiren", und niemand kann ein Ketzer
genannt werden, der „seinem Gewissen und seiner Fassungs-
kraft" folgend, von dieser Erlaubnis Gebrauch macht. Mag
Bibel und Interpretation. 209
seine Meinung dann auch immerhin von dem ,. Dogma, welches
die ganze Kirche angenommen hat'", abweichen, nicht er ist
im protestantischen Sinn ein Ketzer, sondern derjenige,
„welcher gegen sein Gewissen und gegen seine aus der Schrift
geschöpfte Ueberzeugung der Kirche folgt" . Haben nun aber
die „Leiter der Kirche kein Recht, in religiösen Angelegen-
heiten Gewalt anzuwenden, weil sie nicht unfehlbar ohne
innere Ueberzeugung die Gewissen beherrschen können, um
wie viel geringere Befugnis der Art hat die bürgerliche Obrig-
keit, da sie noch weniger Richter sein kann". Das hiesse
nichts anderes als ein „bürgerliches Pabstthum" aufrichten,
„Wir halten es für thöricht und irreligiös, dass der Papist
Gott Genüge zu thun vermeint, wenn er glaubt, was die
Kirche glaubt, aber um wie viel stärker verurtheilt der
Protestant sich selbst, der sich für gerechtfei'tigt hält, wenn
er glaubt, was der Staat glaubt"!
Wer die Bil)el als Fundament der heiligsten Ueber-
zeugungen betrachtet, kämpft selbstverständlich auch wiede-
rum mit biblischen Waffen, um seinen Satz zu verfechten.
Eine ganze Phalanx von Aussprüchen der Schrift wird auf-
geführt. ]\Iit Siegesbewusstsein hebt der bibelfeste Autor hervor,
dass auch solche darunter sind, die er früher „gegen Sal-
masius und die tyrannische Herrschaft der Könige ülier den
Staat" citirt hat, während sie ihm nun „gegen Erastus und
die tyrannische Herrschaft des Staates über die Kirche"
dienen müssen. Aber getreu dem Grundsatz, dass das ge-
schriebene Wort vernunftgemässer Interpretation unterliegen
müsse, macht er sofort einen Unterschied zwischen altem und
neuem Testament. Er hat, wie wir wissen, nicht immer
diesen Standpunkt festgehalten. Als ihm die Gesetzgebung
über die Ehescheidung reformbedürftig erschien, deckte er sich
mit dem Schilde des mosaischen Rechtes. Hier erklärt er,
wie einst gegenüber den Prälaten, dass die Theokratie des
alten Bundes mit dem Evangelium aufgehoben worden, und
dass es nicht statthaft sei, diese Analogie heranzuziehn , um
die Zwangsmassregeln des modernen Staates auf religiösem
Gebiet zu rechtfertigen. Es war die scharfe Abfertigung dei-
Stern, Milton u. s. Z. II. 3. 14
210 Mangel eines legislatorischen Progi-amms.
Erastianer, die das Verhältnis des Parlamentes zur Kirche
mit Vorliebe unter Ausnutzung jener Analogie konstruirt
hatten (s. o. IL 206). — Aber es ist nicht nur der Geist des
Urchristenthums , den er sich bei seiner Warnung vor Auf-
rechterhaltung des „bürgerlichen Pabstthums" zu Hilfe ruft,
es ist das Gefül der Entrüstung, welche zu allen Zeiten und
unter allen Umständen ein solches System erwecken wird.
Kaum jemals zuvor hatte er so deutlich auf den sittlichen
Verderb hingewiesen, der mit ihm verknüpft war. ,,Ein
äusserliches Bekenntnis erzwingen, heisst nur die Heuchelei
erzwingen, aber nicht die Religion befördern". „Zwang in
religiösen Dingen kann weder belehren noch Reue oder Bes-
serung herbeiführen, sondern im Gegentheil nur Trotz, Formel-
wesen, Verstellung und jede Art von Sünde begünstigen".
Und zwar wird dem „körperlichen Zwang" wiederholt die
„Auflegung von Geldstrafen" gleichgestellt.
Wer etwa vennuthen sollte, ]Milton werde nach diesen
Vordersätzen einen ausführlichen Plan entwickeln, bestimmte
legislatorische Vorschläge machen, würde irren. Er begnügt
sich, im ganzen und grossen die leitende Idee möglichst sicher
gestellt und gegen alle Einwürfe geschützt zu haben, um so
mehr, da er schon damals die Absicht hatte, in einer zweiten
Schrift eine Ergänzung der ersten zu liefern. Nur in einigen
praktischen Fragen, die sich beim Gegensatz der Indepen-
denten und Presbyterianer oft genug aufgedrängt hatten,
giebt er schon hier seine Meinung zu erkennen. Er scheint
einen Anlauf dazu zu nehmen, das Einschreiten der Staats-
gewalt gegen „Blasphemie" überhaupt für ungehörig zu erklären,
indem er die Gegner seiner Theorie vom Verhältnis des Staates
zur Kirche ersucht, „das Volk nicht mit diesem griechischen
Worte so sehr in Schrecken zu setzen". Auch konnte selbst-
verständlich ein drakonisches Gesetz, wie dasjenige, welches
am 2. Mai 1648 unter dem Uebergewicht der Presbyterianer
gegen Blasphemie und Ketzereien erlassen worden war (s. o.
IL 423), vor seinen Augen nicht Gnade finden. Dagegen
steht er nicht an, der späteren Ordonnanz vom 9. August 1650,
die noch hart genug war, seine volle Billigung zu Theil werden
Gegen Duldung des katholischen Kultus. 211
ZU lassen (^). Ein zweiter Punkt betrifft die ausgesprochene
Befürchtung, dass mit dem Wegfall staatlicher Zwangsgewalt
„unwürdige und zügellose Personen ermuthigt werden würden,
die Ausübung der religiösen Pflichten .zu unterlassen", will
sagen den Besuch des Gottesdienstes. Hier entschied Milton
sich ohne Zögern gegen die Praxis, die so lange geherrscht
hatte und die durch eine Akte vom 26. Juni 1657 unter dem
Protektorat Oliver Cromweirs ausdrücklich bestätigt worden
war(^). Ein Protestant kann nach Milton gar nicht zügelnen,
dass die bezeichneten Personen ihre religiösen Pflichten wahr-
haft auszuüben im Stande sind und er macht auf den inneren
Widerspruch aufmerksam, der darin liegen würde, wenn die
Kirche dieselben Leute vom Genuss der Gnadenmittel aus-
schliesse, welche der Staat unter Androhung von Geldstrafen
in den Gottesdienst treibe. Endlich kann darüber kein
Zweifel sein, dass nach Milton's Meinung der Katholik von dem
geforderten Anerkenntnis wenigstens der Kultusfreiheit ausge-
nommen sein soll. Ein Fortschiitt über die bezüglichen Stellen
der Areopagitica oder der Erklärung gegen Ormond ist
keineswegs zu bemerken. „Je mehr man die Religion der
Papisten in Betracht zieht, je weniger kann sie als eine
Religion gelten, sondern eher als ein römisches Fürstenthum,
welches danach strebt , seine alte W^eltherrschaft unter einem
neuen Namen und dem leeren Schatten einer katholischen
Religion aufrecht zu halten , die man lieber eine 'katholische
Ketzerei gegen die Schrift nennen sollte. Sie wird gestützt
durch eine weltliche und, ausserhalb Roms selbst, durch eine
fremde Macht, mit Recht ist sie daher der Obrigkeit eines
anderen Landes verdächtig und wird nicht von ihr geduldet."
Dem Katholicismus wird aber Götzendienst (Idolatrie) gleich-
gestellt, und es blieb unklar, was alles mit diesem Schlag-
wort getroffen werden konnte.
Der Sturz der Protektoratsverfassung war erfolgt, als
Milton von einem Freunde die dringende Aufforderung er-
hielt, seiner Schrift die Ergänzung zu Theil werden zu lassen,
die er selbst schon halb und halb in Aussicht gestellt hatte.
Es war John Wall von Caversham in Oxfordshire, eine Per-
14*
212 Brief John Wall's an Miltou.
sönlichkeit. über die leider nichts Näheres bekannt ist. Wall
hatte von Milton ohne Zweifel ein Exemplar der Arbeit ..über
das Verhältnis des Staates zu den kirchlichen Angelegenhei-
ten" zugesandt erhalten. In einem Dankschreiben vom 26. Mai
1659 spricht er mit hoher Achtung von dem Freunde, der
von Jugend auf und auch in schlechten Zeiten der Wahrheit
treu .geblieben sei. Mcht ohne Bitterkeit gedenkt er so man-
cher unerfüllt gebliebener Hoftnungen. Aber er lässt den Muth
nicht sinken und bittet auch ]Milton, der alten Fahne treu zu
bleiben. Da lag es ihm denn nahe, den Wunsch auszuspre-
chen, dass die angekündigte Abhandlung über das Miethlings-
wesen nicht mehr lange möge auf sich warten lassen (^).
]\Iilton zögerte nicht, der Auffordei-ung Wall's nachzu-
kommen. Er veröffentlichte seine ..Betrachtungen über die
geeignetsten Mittel, um Miethlinge aus der Kirche zu ent-
fernen, wobei auch über Zehnten, Kirchen -Gebühren und
-Einkünfte gesprochen und die Frage beantwortet wird, ob
die Geistlichen vom Staate zu besolden seien" {^).
Die Schrift ist dem aufs neue zusammengetretenen ..langen
Parlament" gewidmet, und diese Zueignung zeigt deutlieh, mit
welchen Hoffnungen Milton diese jüngste Wendung der inneren
Politik begTüsste. Er erinnert daran, wie diese hohe Körperschaft
zuerst die Nation von der „doppelten Knechtschaft der präla-
tischen und königlichen Tyrannei" befreit, wie er selbst den
ehrenvollen Auftrag erhalten, „ihre Thaten vor der ganzen
Christenheit gegen einen Widersacher von nicht geringem
Piuf zu vertheidigen". Er sieht „nach einer kurzen, aber
schmählichen Nacht der Unterbrechung-' in ihrer Piückkehr
das Morgeuroth einer schöneren Zukunft. Zielen jene Worte
ohne Zweifel nur auf die letzte Zeit der Missregiening Richard
Cromwell's ab. nicht auf die Glanzperiode seines Vaters, nie-
mals hatte Milton so unverhohlen seinen tiefen Schmerz über
den Gang der öffentlichen Angelegenheiten ausgesprochen.
Wie viel getäuschte Hoffnungen musste der Mann begraben
haben, der die zurückgekehrten Mitglieder einer Versamm-
lung als ,, Wiederhersteller der Freiheit" preisen konnte, deren
gewaltsame Auflösung er fünf Jahre vorher, wenn nicht mit
Seine Schrift „Mittel, um Miethlinge a. d. Kirche zu eutferueu. 213
entschiedenem Beifall, so doch auch nicht mit entschiedenem
Tadel begleitet hatte! Dass er es über sich gewann, diesen
Schein eines Gesinnungswechsels auf sich zu nehmen , zeigt
indess , wie weit er auch damals noch vom Standpunkte der
Verzweiflung entfernt war. Vor allem in Betreff" der kirch-
lich-politischen Frage hoff'te er von der Versammlung eine
Verwirklichung seiner kühnen Pläne. Wenn er sah, dass sie
täglich ., Petitionen mit neuen Vorschlägen für die Gesti-ltung
des Gemeinwesens" entgegennahm, so hielt er es für um so
mehr erlaubt, „mitzutheilen, was sein Gewissen ihm als wich-
tig für die Freiheit und Verfassungsreform der Kirche ein-
gab". Denn davon war er überzeugt, „dass kein wie immer
ausgedachter Plan eines Gemeinwesens Erfolg haben könne'",
wenn nicht „die Religion vom Monopol der Miethlinge be-
freit", die „Begehrlichkeit und der ungerechte Anspruch des
Klerus auf anderer Leute Gut" zurückgewiesen werde.
Hier hatte man also die Nachträge zu jener früheren
Darlegung zu erwarten. In beiden Fällen war von Eingriffen
des Staates in das kirchliche Gebiet die Rede. Aber dort
hatte es sich um die Anwendung von Zwang geliandelt, hier
handelte es sich um die finanzielle Garantie. Dort war von
dem äusseren, hier war von dem inneren „Verderb" der
Kirche die Rede. Milton nimmt keinen Anstand, den zweiten
Punkt als den bei weitem bedenklicheren zu bezeichnen.
„Unter dem Druck der Gewalt, wenn auch gegen die Absicht
der Unterdrücker, gedeiht und blüht die Religion oft am
besten, aber die Korruption ihrer Lehrer, die gewöhnliche
Folge des Miethlingssoldes , ist geradezu das Gift der Wahr-
heit". Nicht als ob damit materieller Gewinn als unverträg-
lich mit dem geistlichen Berufe gedacht werden sollte. Auch
hier ist „jeder Arbeiter seines Lohnes werth'', und „nur we-
nige werden wie Paulus zufrieden sein, gratis zu predigen".
Aber dieser Lohn soll eine freiwillige Gabe der Gläubigen
sein, mit der vom Staate privilegirten Landeskirche soll auch
ihr abgesondertes Gut in Wegfall kommen, Steuern zu Zwecken
des Kultus dürfen seitens des Staates nicht erhoben werden.
214 Gegen staatliche Pi-üfung und Besoldung.
Es war nicht möglich, sich radikaler in dieser Frage zu ver-
halten. Von der alten bischöflichen Kirche zu schweigen,
die mit so vieler Mühe und so unvollständig eingeführte Pres-
byterialverfassung , ja selbst das Kompromiss, zu dem sich
Crorawell verstanden hatte, wurde von Milton verurtheilt.
Er stellt die Begriffe „Independentismus" und „Staatslohn in
Sachen der Religion" als durchaus unverträglich einander
gegenüber. Die christliche Kirche, „weil universal", kann
nach ihm niemals eine „nationale" sein, sie besteht immer
nur aus den „vielen einzelnen Kongregationen, welche selbst
manchen Veränderungen unterworfen sind". Und diese freien
Gemeinden sind nicht „aus Zwang entstanden oder aus dem
Zufall nachbarlichen Zusammenwohnens, sondern aus freiwilliger
Uebereinstimmung". Eben deshalb gewähren sie das Bild
,,der heiligsten aller Genossenschaften auf Erden". Es heisst
ihr freies Wahlrecht beschränken, wenn der Staat „Prüfungs-
kommissionen" (examinant committees, p. 373) zur Begutachtung
der geistlichen Kandidaten ernennt, wie es unter Cromwell
geschehen war. Es heisst die Geistlichen in „Staatspensio-
näre" verwandeln, wenn der Staat „ihre Besoldung in
seine Hand nimmt", oder die Kation in ihrer Gesammtheit
„durch Gesetz zwingt", dafür aufzukommen, wie es ihm bei
der „established church" der P'all zu sein schien. Milton
sieht darin gleichsam eine , .blutschänderische Verbindung",
ein „Monstrum", indem ein „politischer Kopf auf einen geist-
lichen Körper" gesetzt werde. Kein Gedanke daran, dass er
die geschichtliche Entwicklung der heimischen Verhältnisse,
die Art und Weise der Entstehung des Kirchenguts, seine
Schicksale während und nach der Trennung von Rom, seinen
öffentlichen oder privatrechtlichen Charakter in's Auge fasste.
Er löscht so zu sagen die ganze Vergangenheit aus dem
Gedächtnis aus, um eine reine Tafel herzustellen, auf der
sich das Bild seiner kühnsten Träume verzeichnen Hesse.
Hier stiess er nun aber als auf ein Haupthindernis auf
jenes Institut der Kirchenzehnten, auf dem. wie sehr die
grosse Katastrophe des sechzehnten Jahrhunderts es auch ge-
schmälert hatte, der Bestand der geistlichen Stellen vorwie-
Bekämpfung der Zehnten. 215
gend beruhte. Einundviei-zig Jahre waren vergangen, seitdem
John Seiden durch seine „Geschichte der Zehnten" eine
ungeheure Aufregung hervorgerufen hatte= Die Theorie, welche
die Zehnten aus göttlichem Recht ableitete, hatte sich von dem
damals erhaltenen Schlage niemals wieder recht erholen können.
Mit dem wachsenden Druck des stuartischen Regiments, so-
dann mit dem Fortschreiten der revolutionären Ideen war die
Strömung erstarkt, welche sich gegen die überkommene Weise
der landeskirchlichen Ausstattung wandte. Die Independenten
wiederholten bei ihren Angriffen auf Patronat und Zehnten
nur, was sie schon seit langer Zeit auf ihr Panier geschrieben
hatten, die Presbyterianer dagegen hielten um so zäher daran
fest, je mehr sie sich mit der Hoffnung schmeichelten, ihrer-
seits des alleinigen Genusses der Pfründen theilhaftig zu wer-
den. Der Sturm, der sich im kleinen Parlament gegen die
herkömmliche Art der Erhaltung des geistlichen Standes er-
hoben hatte, war ohne weitere Folgen vorübergebraust. Das
Kompromiss , dem Cromwell seinen Schutz geliehen hatte,
konnte selbst manchen independentischen Geistlichen mit dem
Bestehen von Einrichtungen versöhnen, deren Yortheile auch
ihm zu gute kamen. Schon war eine grosse Literatur über
diese Frage erwachsen, und wiederum nahm William Prynne
unter den presbyterianischen Kampfhähnen eine der ersten
Stellen ein. Keinen anderen hatte Milton im Sinne, wenn er
über einen „jüngst aufgetretenen hitzigen Frager zu Gunsten
der Zehnten" spottete, der daran kenntlich sei, dass „sein
Witz in den Marginalnoten immer neben seinem Witz im
Texte liege", den Mann, der „einst ein feuriger Reformer ge-
wesen, nun aber in entgegengesetzten Gluthen rase"(^). Hatte
doch auch Prynne einige Jahre vorher von den ,, blinden
Führern" gesprochen, welche „die Häretiker und Schismatiker
zu blindem Gehorsam zwängen".
Es wai- also ein schon nach allen Seiten hin durchfurch-
ter Boden, den Milton betrat. Unter den Argumenten, die
er gegen die Zehnten vorbrachte, ist keines, das nicht schon
von anderen aufgestellt worden wäre. Die ganze Auseinander-
setzung über die Bedeutung der Zehnten in der altjüdischen,
216 Befürwortung einer Säkularisation zu Gunsten d. Volksbildung.
als einer nationalen Kirche, und was sich daran schliesst,
findet sieh bereits bei seinen Vorgängern. Eigenthümlich ist
ihm die mehrfache Berufung auf das Vorl)ild der Waldenser,
„der ersten Reformatoren", deren Geschichte, ihm vorzüglich
durch das Werk von Pierre Gilles bekannt geworden, seit
den blutigen Ereignissen des Jahres 1655 eine besonders starke
Anziehungskraft auf ihn ausüben musste. Von einem An-
gritf auf die Zehnten war nur ein Schritt zu machen zu
einem Angriff auf die gesammte Institution eines abgesonder-
ten Kirchengutes. Es ist in der That eine Säkularisation in
grösstem Mass-Stabe, für die der Schriftsteller seine Mitbürger
zu gewinnen sucht, eine Säkularisation nach Art derjenigen,
wie sie „die Fürsten und Städte Deutschlands während der
Reformation" vorgenommen hatten. Jenes Kirchengut, „aus
frommen Gaben zum Zwecke des Seelenheils" erwachsen, „in
Wahrheit oft genug gleich einer Bestechung Gottes oder
Christi zum Zwecke der Absolution von Mördern und Ehe-
brechern", es steht nach der Ansicht Milton's ganz und gar
zur „Disposition des Staates", der es entsprechend dem all-
gemeinen Besten verwenden darf. Milton lässt immerhin noch
an erster Stelle eine Verwendung zum Zwecke der Unter-
stützung mittelloser Reiseprediger bestehn, ohne zu bemerken,
dass er sich dadurch wiederum in Widerspruch mit dem
Grundgedanken seiner Polemik gegen das „Miethlingswesen
in der Kirche" setzt. Aber daneben sind es allgemeine In-
teressen, die Interessen der Erziehung und Bildung, denen
das eingezogene Kirchengut dienen soll. Die Abneigung gegen
den üblichen Studiengang der Universitäten, wie sie in dieser
Schrift wieder mächtig durchbricht und die Erinnerung an
das pädagogische Ideal, dem er selbst mit Comenius und
Hartlib, Durie und Petty huldigte, führen Milton zur Auf-
stellung eines Programms, mit dem er seiner Zeit weit vor-
auseilte. Ausgerüstet mit den Mitteln, welche die Säkulari-
sation ihm an die Hand giebt, soll der Staat „über das ganze
Land hin in grösserer Anzahl Schulen gründen". In diesen
sollen „Sprachen und Künste frei gelehrt werden", und mit
ihnen sollen „öffentliche Büchersammlungen" verbunden sein.
Bürgerlicher Charakter von Ehe und Begräbnis. 217
Eine Volksschule und Yolksbibliotheken schweben dem Autor
vor, und es ist der Staat, dem er auch hier wieder zur hei-
ligen Pflicht macht, seine erste Aufgabe darin zu erkennen,
die Massen zu bilden.
Wurde somit das Gebiet der Erziehung der modernen
Macht zugewiesen, auf welche die wesentlichsten Kulturauf-
gaben der mittelalterlichen Kirche übergegangen waren, so
wagte Milton auch in anderen Fragen den Schnitt vorzuneh-
men , der kirchliche und bürgerliche Befugnisse von einander
trennte. Wie die erzwungenen Gebühren für Taufen fallen
sollen, so auch diejenigen für „Heiraten und Begräbnisse",
und zwar diese letzten, weil weder zum einen noch zum an-
deren eine geistliche Mitwirkung erforderlich ist. Die Idee,
dass die Sorge für die Bestattung der Todten eine bürgerliche
Angelegenheit sei, sowie die der obligatorischen Civilehe tritt mit
aller Klarheit hervor. Die schwankenden Begriffsbestimmun-
gen der früheren Schriften über das Scheidungsrecht sind ver-
schwunden. Es ist vollständig im Geiste des kleinen Parla-
ments gedacht, wenn die Ehe hier „eine bürgerliche Ordnung",
ein „Familienkontrakt" genannt wird, der ebensowenig wie
irgend ein anderer ,.Akt oder Vertrag des bürgerlichen Le-
bens" dadurch „ungiltig oder unheilig werden kann", dass
er „ohne einen Priester und seine vorgebliche nöthige Weihe"
vorgenommen wird.
Nach allem Erwähnten erscheint es begreiflich, wenn der
geistliche Stand überhaupt in dieser Schrift in einer Weise
aufgefasst wird, welche von der herrschenden Anschauung
sehr bedeutend abwich. Zwar wird die Möglichkeit nicht in
Abrede gestellt, dass es auch nach den einschneidenden Ver-
änderungen, die gefordert werden, Männer geben könne, für
die das geistliche Amt ausschliesslicher Lebensberuf sei. Aus
freier Wahl der Kongregation hervorgegangen und durch deren
Beiträge erhalten, sollen sie nach besten Kräften ihren Be-
rufspriichten genügen. Reichere Gemeinden, „die meist Ueber-
fluss an Predigern haben", mögen einzelne von ihnen zu den
„umliegenden Dörfern" aussenden. Andere Männer, getrieben
von dem Verlangen, „den Heiland und seine Schüler nachzu-
218 Auffassung des geistlichen Standes.
ahmen", werden ..ohne einer, einzelnen Gemeinde zu dienen",
ihr apostolisches Amt, gleichfalls von Ort zu Ort wandernd,
iiber das Land hin ausüben. Sie werden keiner kostbaren
Kirche oder verzierten Kapelle bedürfen. Ein einfaches Haus
oder eine Scheuer wird hinreichen, die Gläubigen um sie zu
versammeln. „Primitive Zusammenkünfte dieser Art" werden
in kurzem der Ausbreitung des Christenthums und der Besse-
rung der Sitten mehr nützen als jahrelanges Predigen der
bisherigen Pfarrer am Sitz ihrer Pfründe. — Diese Hinnei-
gung zur künstlichen Nachahmung urkirchlicher Zustände
führte von selbst dazu, wie es schon an anderen Stellen der
Milton'schen Schriften geschehen war. die Nothwendigkeit
eines abgesonderten geistlichen Standes zu läugnen. Die Frage
der finanziellen Erhaltung von Predigern und Seelsorgern, so
sehr sich der Autor bemüht hatte, auf einzelne Aushilfsmittel
hinzuweisen, blieb doch immer eine offene, woferne nicht die
Möglichkeit dargethan wurde, dass die Ausübung des geist-
lichen Amtes nicht zur alleinigen Erwerbsquelle werde. Es
wird daher für nothwendig erklärt, dass jeder in den vom
Staate gegründeten Schulen auch Gelegenheit erhalte, ein
„ehrliches Handwerk'' zu lernen. „Wie Paulus durch Aus-
übung seines Gewerbes nicht entehrt worden ist", wie die
„Prediger der armen "VYaldenser" sich vorzüglich als ,,Aerzte
und Chirurgen" erhalten haben, so soll es auch in der mo-
dernen Zeit nicht für eine Schande gelten, wenn ,. Handwerker
das Evangelium predigen". „Es wäre zu wünschen, dass alle
Geistlichen Handwerker wären, dann würden nicht so viele
von ihnen gezwungen sein, aus dem Predigen ein Handwerk
zu machen, weil sie kein anderes verstehn" (^).
Eine so gründliche Veränderung des Bestehenden, wie sie
ähnlich von gewissen radikalen Verfechtern der deutschen Refor-
mation schon einmal verlangt worden war, setzte selbstver-
ständlich eine ganz neue Art des theologischen Studiums voraus.
Man erinnert sich, wie wenig dieses in seiner damahgen Ge-
stalt Milton befriedigte. Hier nimmt er auf's neue Gelegen-
heit, sich gegen die „Schultheologie" der Universitäten als
eine „leere Sophisterei" zu erklären. Er verspottet die Hau-
Polemik gegen die „Schultheologie". 219
fen von „Predigten, Noten und Kommentaren über alle Theile
der Bibel", die „theologischen Disputationen von Professoren
und Graduirten", wie er sie einst als Student kennen gelernt
hatte. In der Behauptung der angeblich höchst nothwendigen
Vorbildung auf der Universität sieht er so gut wie nichts als
einen Vorwand, dem Begünstigten eine fette Stelle, sei es als
Fellow, oder als Hauskaplan, oder als Pfründner zu verschaffen.
Nach seiner Ansicht kann ,,so viel Gelehrsamkeit, wie für einen
Geistlichen nothwendig ist, ebenso gut und für weniger Geld
privatim erlernt Averden". „Die christliche Religion wird aufs
leichteste selbst durch den geringsten Verstand begriffen."
Man braucht, um sie zu verstehn, nicht „sein Leben lang zu
den Füssen eines Kanzelredners zu sitzen", denn die einzige
wahre Theologie ist „Kenntnis der heiligen Schrift". Diese
aber würde ausserordentlich erleichtert werden durch „Ueber-
setzung der ganzen Bibel in's Englische mit zahlreichen No-
ten", sowie durch ,, Herstellung eines vollständigen Systems
der Theologie ohne den Jargon der Schule und metaphysische
verdunkelnde Bezeichnungen", ganz abgesehen davon, dass die
öffentlichen Unterrichtsanstalten und Büchersammlungen die
Möglichkeit gewähren würden, sich der Sprache des Urtextes
und der ergänzenden Wissenszweige zu bemächtigen. Auf
diese Weise hält Milton, wie es scheint, einen besonderen
Stand der Geistlichen für durchaus entbehrlich. Er sieht in
ihm nur einen „Stamm von Leviten, eine Faktion, eine Kaste
im Gemeinwesen", deren Glieder in „plappernden Schulen auf-
erzogen, auf Staatskosten gefüttert, träge und stolz sich be-
ständig gegen ihre Ernährer, die verachtete Laienschaft, auf-
lehnen". Er stellt dem die Gemeinschaft aller ,. Gläubigen"
als „eine heilige und königliche Priesterschaft" gegenüber, aus
der nach „freier Wahl" aus allen Ständen vom höchsten ., Be-
amten bis zum niedrigsten Handwerker" Männer als Prediger
hervorgehn können, wenn „Gott sie mit geistlichen Gaben
begnadigt". „Ich sage das, bemerkt er beschwichtigend, nicht
aus Geringschätzung der Gelehrsamkeit oder des Predigt-
amtes, sondern aus Hass gegen die übliche Quacksalberei von
beiden".
220 Einwirkung der Quäker,
Eine solche Reaktion gegen das Gewohnte hatten die
Erfahi-imgen von beinahe drei Jahrzehnten in einem Manne
hervorrufen können, der es selbst an schulgerechter theologi-
scher Bildung dreist mit der Mehrzahl der damaligen geist-
lichen "Würdenträger seines Vaterlandes aufnehmen konnte.
Eben damals, als ]Milton diese kühnen Ideen entwickelte,
wurde der Versuch gemacht, ihnen praktische Geltung zu
verschaffen. Es war die Zeit des ersten Auftretens der
Quäker. Ein Jahrzehnt war verflossen, seit der Begründer
einer Sekte, die in kurzem zu weltgeschichtlicher Bedeutung
anwuchs, sein Prophetenamt begonnen hatte. Nach Art eines
Missionspredigers, wie er Milton's Phantasie als Ideal vorzu-
schweben schien, hatte Georg Fox das Land durchzogen,
durch begeisterte Rede auf die Massen gewirkt und aller
Verfolgungen ungeachtet sein Werk fortgesetzt. ]\Iit grösserer
Entschiedenheit hatte sich niemand gegen Zehnten und staat-
liche Besoldung der Geistlichen ausgesprochen als er. Die
Gesellschaft der Freunde, die er an sich zu fesseln wusste,
war von Jahr zu Jahr zahlreicher geworden. Sie theilten mit
ihm jene Scheu vor der Schulgelehrsamkeit, jene Abneigung
gegen die Absonderung einer geistlichen Kaste, aus der auch
Milton kein Hehl macht. Sie wandten sich 1658 mit einer
Petition an den Staatsrath, deren Ausführungen über das
Verhältnis von Kirche und Staat Milton unschwer hätte un-
terschreiben können. Es ist nicht denkbar, dass ihm die
ersten Bestrebungen des Quäkerthums fremd geblieben wären.
Der Sekretär CromwelFs musste etwas von den schweren Be-
sorgnissen erfahren, die man in den Kreisen der Regierung
vor dieser neuen Macht, der Erbin aller Tendenzen der Hei-
ligen, zu hegen nicht müde wurde. Das Vordringen quäkeri-
scher Apostel nach London, ihre grossen Erfolge in gewissen
Theilen des Heeres, das Martyrium, das so manche von ihnen
auf sich nahmen: alles das konnte einem Manne, der sich in
einer Art von officieller Stellung befand, nicht Avohl unbe-
kannt bleiben. Mit Fox hatte Cromwell selbst denkwürdige
Zusammenkünfte gehabt, die ihres Eindrucks auf den Pro-
tektor nicht völlig verfehlten. Henry Vane, der dem Dichter
Einwirkung von Roger Williams. 221
persönlich so nahe stand, hatte längst Verbindungen mit den
Freunden angeknüpft. Von dem grausamen Verfahren, dessen
sich das Parlament gegen eines ihrer Häupter, Jakob Naylor,
schuldig machte, hatte im December 1656 ganz London gespro-
chen (i). jNIochten manche Ausschreitungen und Aeusserlich-
keiten, in denen sich die Sekte gefiel, Milton nicht anmuthen,
ihre Lehre von der inneren Erleuchtung konnte ihm wohl
kongenial sein, die Verfolgung vieler ihrer Mitglieder lief sei-
nen theuersten Ueberzeugungen zuwider, er hat unter ihnen
selbst sogar in späterer Zeit noch treue Freunde gewonnen.
Und so mag ihm denn die Erinnerung an die eigenthümliche
Erscheinung der Quäker auch 1659 hie und da die Feder ge-
führt haben.
Wichtiger für die Ausbildung seiner kirchenpolitischen
Ansichten, wie sie uns hier entgegentreten, ist aber ohne
Zweifel die Einwirkung einer anderen geistigen Macht ge-
wesen. Man erinnert sich , dass Roger "Williams bei der
zweiten Reise, die er im Interesse seiner Kolonie unternahm,
persönlich mit Milton bekannt wurde. Was der Gründer des
konfessionslosen Staates schon durch sein geschriebenes Wort
gelehrt hatte, das wurde durch das gesprochene unschwer er-
gänzt. Wenn es Miltun auch nicht gelungen ist, sich zu jener
Weite und Klarheit der Ideen durchzuringen, mit denen Wil-
liams fast einzig in seiner Zeit dasteht, so braucht man dessen
Schrift „die blutige Lehre der Verfolgung'" mit Milton"s beiden
Traktaten aus dem Jahre 1659 nur etwas genauer zu ver-
gleichen, um sich von der engen Verwandtschaft, die zwischen
ihnen besteht, zu überzeugen. Selbst die Polemik gegen Ox-
ford und Cambridge findet sich fast in gleicher Weise schon
bei Williams. Und auch im Titel seiner zweiten Schrift
brauchte Milton nur auf jenes Werk seines Freundes über
die „Miethlingsgeistlichkeit" zurückzugehn, das dieser bei Ge-
legenheit seiner zweiten englischen Reise verfasst hatte.
222 Konflikt zwischen Heer und Parlament.
Während der blinde Denker sich mit den grossen kirchen-
politischen Fragen beschäftigte, deren Lösung noch den Ge-
nerationen nach ihm zu thun giebt, bereitete sich eine neue
Erschütterung des revolutionären Staatswesens vor, dem er
diente. Man hatte das Schattenbild der Republik noch ein-
mal heraufbeschwören können, die Republik selbst zu be-
gründen blieb unmöglich. Kaum war der leichte Sieg über
die Protektoratsregierung erfochten, so begann die Eintracht
der Sieger sich zu lockern. Die Häupter der bewaffneten
Macht forderten Bestätigung aller Gesetze und Verordnungen,
die seit der Zersprengung des langen Parlaments ergangen
waren, sowie Erlass einer Indemnitätsakte für alle seit jenem
Zeitpunkt vorgenommenen Amtshandlungen. Das Rumpparla-
ment war nicht gewillt, der bürgerlichen A.utorität, die es
vertrat, so viel zu vergeben und allen Akten der Willkür,
welche während der letzten sechs Jahre vorgekommen waren,
den Stempel der Gesetzlichkeit aufzudrücken. Schon machte
Lambert's ünmuth sich in den Worten Luft : ,.Ich weiss nicht,
warum sie nicht eben so gut von unserer Gnade abhängen
sollen, wie wir von der ihrigen", als eine royalistische Empö-
rung für kurze Zeit den drohenden Ausbruch des Kampfes
hinausschob. Die Kavaliere trugen sich seit dem Sturze des
Protektorats mit lebhafteren Hoffnungen als jemals. Sie rech-
neten auf die Presbyterianer, deren Hauptquartier London
war, auf die Unterstützung Spaniens und Frankreichs, die im
Begriff standen, sich über einen Frieden zu vereinigen, auf
die Uneinigkeit ihrer Gegner, die sie kannten. Vane selbst legte
das Geständnis ab: „Der König wird eines Tages die Krone
wiedergewinnen, das Volk verabscheut jede andere Regie-
rungsform''(^). Karl n war von den Vorbereitungen seiner
Anhänger benachrichtigt. Er begab sich nach Calais, um in
England zu erscheinen, sobald die allgemeine Empörung ge-
glückt sei. Allein die republikanische Regierung war auf
ihrer Hut. Sie hatte genaue Kunde von den Plänen ihrer
Gegner erhalten und traf umfassende Vorsichtsmassregeln.
An einer einzigen Stelle kam es zu einem gi-össeren Kampf.
In Cheshire stand Sir George Booth an der Spitze einer be-
Besiegung d. ßoyalisteu G. Booth. — Lambert sprengt d. Parlament. 223
deutenden Streitmacht, die über die Stadt Chester gebot.
Er selbst schien sich nur für „ein freies Parlament'' erhoben
zu haben, aber unter dem Schutze seiner Waffen wurde Karl II
als König ausgerufen. Das Heranrücken Lambert's machte
der weiteren Ausbreitung des Aufstandes ein Ende. Der Ge-
neral schlug die royalistischen Freischaaren und brachte ihre
Führer in seine Hand.
Diese Erfolge steigerten naturgemäss das Selbstgefühl
der Armee. Die Soldaten spotteten darüber, dass ihre Ofti-
ciere von einem Juristen ernannt würden. Die Officiere be-
klagten sich darüber, dass man ilire republikanische Gesin-
nung verdächtige. Lambert's Regimenter gaben den übrigen
das Beispiel der Unbotmässigkeit. Man forderte vom Parla-
ment eine Reihe von Bewilligungen, deren Gewährung dem
Heere eine grössere Selbstständigkeit in Rücksicht auf seine
Zusammensetzung wie auf seine Leitung gegeben haben würde.
Man liess auch dann nicht ab zu agitiren, als diese Forderun-
gen auf Widerstand stiessen. Vane hätte gewünscht, den
Sturm durch Nachgiebigkeit gegen die Ofticiere zu beschwich-
tigen. Aber die Mehrzahl seiner Kollegen war entschlossen,
die Anmassung der liewaffneten Macht nicht zu dulden. Sie
sprachen ihr Urtheil über die Vergangenheit aus, indem sie
alle vom 19. April 1G53 bis zum 7. Mai 1G59 erlassenen Akte
für ungiltig erklärten, woferne ihnen ihre Bestätigung fehle.
Sie suchten den Gefahren der Zukunft vorzubeugen, indem
sie auf die Erhebung unbewilligter Auflagen die Strafe des
Hochverrathes setzten. Lambert, Desborough und sieben ihrer
Genossen wurden ihre Kommandos genommen. Der Ober-
befehl gieng von Fleetwood auf eine Kommission von sieben
^Mitgliedern über. Er selbst gehörte zwar zu ihnen, aber er
sollte durch Männer wie Haselrig und Milton's Freund Overton
überwacht werden. Bis dahin war nur mit Worten gekämpft
worden, am 12. und 13. Oktober kam es zur Entscheidung
durch die G'ewalt der Waffen. Lambert nahm es auf sich,
den Staatsstreich auszuführen. Er rückte gegen Westminster
heran und brachte die Truppen, die daselbst zum Schutze
des Parlaments aufgestellt waren, mit leichter Mühe auf seine
224 Milton's Brief: „Ueber die Wirren des Gemeinwesens".
Seite. Der Sprecher Lenthall, der sich zu 'Wagen in die
Sitzung begeben wollte, wurde von den Soldaten unter höhni-
schen Bemerkungen gezwungen umzukehren. Nur wenigen
Mitgliedern gelang es, zu ihrem Versammlungsort durchzu-
dringen. Die City, auf deren Beistand sie gerechnet hatten,
verhielt sich ruhig. Ohne Blutvergiessen Avar das Rumppar-
lament zum zweiten Male auseinandergejagt. Dem greisen
John Bradshaw, dessen Tage sich zu Ende neigten, blieb
wiederum nichts übrig als ein ohnmächtiger Protest.
Wir wissen, dass Milton diesen Protest seines alten Be-
kannten von Herzen theilte. Eine Woche, nachdem das Er-
eignis sich vollzogen hatte, schrieb er einem Freunde ,.über
die Wirren des Gemeinwesens". Sein Brief ist eine kleine
politische Abhandlung, hervorgerufen durch ein Gespräch, das
er mit jenem Freunde geführt haben will, woferne man nicht
vorzieht, die Briefform nur als eine bequeme literarische Ein-
kleidung, zu betrachten (^). Auch hier macht Milton kein
Hehl daraus, dass die Zurückberufung des Rumpparlaments
ihn mit grossen Hoffnungen erfüllt habe. Es war ihm doch
immerhin das „berühmte Parlament, das sich so grosse Ver-
dienste um die Nation erworben hatte", selbst im Zustande
seiner Verstümmelui^-g. Wie dieses „berühmte Parlament" von
Cromwell ehemals behandelt woi'den war, hatte er seiner Zeit
nicht missbilligt. Einem Lambert sprach er die Berechtigung
dazu ab, nach CromweH's Beispiel zu verfahren. Doch drückt
er seinen Tadel noch leidlich vorsichtig aus. Noch immer
scheint es ihm möglich, „Heilmittel" zu finden, um sich aus
der „Anarchie'' herauszuarbeiten und vor dem „drohenden
Ruin zu retten". Er hofft, dass die Führer des Heeres sich
dazu entschliessen werden, ihre rebellische Stellung aufzuge-
ben, um sich mit den bürgerlichen Republikanern über die
Bildung einer Regierung zu vereinigen. Ist an eine Zurück-
l3erufung des Parlamentes nicht zu denken, so gilt es wenig-
stens, schleunigst einen ..Staatsrath" aus Officieren und Par-
lamentariern zusammenzusetzen. Seine Mitglieder müssen
über zwei Punkte einig sein: Gewährung der „Gewissensfrei-
heit für alle, denen die heilige Schrift Norm des Glaubens
Günstige Aussichten für die Restauration. 225
und Kultus ist" — womit auch der „erzwungene Unterhalt
des geistlichen Standes" fallen soll — und „Abschwörung der
monarchischen Regierungsform". Um jeden neuen Zusammen-
stoss zwischen der militärischen und bürgerlichen Gewalt zu
verhindern, sollen sich beide Theile eidlich verbinden, ,. ein-
ander bis zum Tode nicht verlassen zu wollen". Dem Heere
soll seine Erhaltung, den Officieren die lebenslängliche Dauer
ihrer Stellen zugesichert werden. Aber dieselbe Zusicherung
sollen auch die „Mitglieder des Parlaments oder des Staats-
rathes" erhalten. —
' Man braucht nicht zu sagen, wie viel Phantastisches in
diesen erst lange Zeit nachher bekannt gewordenen Vorschlä-
gen steckt, wie kümmerlich zusammengeschrumpft das politi-
sche Glaubensbekenntnis des alten Republikaners hier er-
scheint. Auch giebt er seine Arbeit nu^- für eine flüchtige
Skizze, in der die Furcht vor der Rückkehr des „gemeinsamen
Feindes" am auffälligsten in die Augen springt. Dieselbe
Befürchtung tritt in einem schwermüthigen Briefe hervor, den
er einige Wochen später an Oldenburg richtete. Der Freund
hatte ihn aufgemuntert, eine Geschichte der Revolution ab-
zufassen. Er antwortet darauf: ,.Ich bin weit entfernt da-
von, mich mit einer Geschichte unserer Unruhen zu be-
schäftigen. Sie verdienen eher mit Stillschweigen übergangen
als gelobt zu werden. Wir bedürfen nicht sowohl eines Man-
nes, der im Stande sei, diese Unruhen zu schildern, als viel-
mehr sie glücklich zu endigen. Denn mit Ihnen befürchte
ich, dass die vereinten Feinde unseier bürgerlichen und reli-
giösen Freiheit diese unsere Zwistigkeiten oder richtiger diese
unsere Anfälle von Wahnsinn nur zu gut ausnutzen werden" (^).
In der That konnte sich niemand darüber täuschen, wie
sehr die Restauration des Königthums an günstigen Aussichten
gewonnen hatte. Die Masse des Volkes war der unaufhör-
lichen Umwälzungen, des schweren Steuerdrucks und der Last
des stehenden Heeres herzlich müde. Die besitzenden Fami-
lien der Grafschaften sahen sich grossen Theils aus ihrer so-
cialen Stellung verdrängt. Die Mehrzahl der städtischen
Gemeinden und vor allem die City hoffte von der Rückkehr
Stern, Mi/ton u. s. Z. II. 3. 15
226 Monk und Lambert.
der Monarchie friedlichere Zeiten. Presbyterianismus und
Ptoyalismus giengen Hand in Hand. Selbst von den Männern,
die der Pteyolution ihr Emporkommen verdankt hatten, stan-
den einzelne von ängstlicher Voraussicht mit dem Hause
Stuart bereits in geheimer Verbindung. Noch ahnten wenige,
wer unter diesen die vornehmste Rolle spielen würde. George
Monk hatte während der ganzen stürmischen Zeit der inneren
Wirren eine sehr bemerkenswerthe Stellung eingenommen.
Ein Ueberläufer von der royalistischen zur parlamentarischen
Sache, in den grossen Kriegen der Republik und des Protek-
torats zu Land und zur See als ein tapferer Soldat und ein
fähiger Führer erprobt, überaus behebt bei seinen Leuten,
thatkräftig und berechnend, fühlte er sich als höchst Kom-
mandirender in Schottland beinahe unabhängig von den hei-
mischen Gewalten ijnd den Kämpfen, welche England bewegten,
entrückt. Er folgte ihnen indessen als aufmerksamer Beob-
achter aus der Ferne, und in London blickten die Häupter
der einzelnen Parteien mit Spannung auf die Schritte des
Generals im Norden, Er war ein zuverlässiger Diener Oliver
Cromwell's gewesen, auch Richard Cromwell würde er nicht
verlassen haben, hätte dieser, wie er sagte, sich nicht selbst
verlassen. Seitdem wartete er den Gang der Ereignisse in
Ruhe ab, frei von den religiösen und politischen Leidenschaf-
ten seiner Waö'engefährteu jenseits der Grenze, entschlossen,
seine Kräfte nicht in einer voreiligen Unternehmung zu ver-
brauchen. Er Hess sich von allen Parteien umwerben, ohne
sich der einen oder der anderen hinzugeben. Die Führer der
Armee verbargen ihr Misstrauen gegen den alten Kameraden.
Die republikanischen Verfechter der parlamentarischen Ober-
hoheit glaubten auf ihn zählen zu können. Die Royalisten
wagten es, ihm vertrauhche Anträge zu machen. Kühl und
schweigsam nahm er Eröffnungen und Vorschläge von allen
Seiten entgegen, aber er hütete sich, für die Zukunft sich zu
binden.
Die Vertreibung des Rumpparlaments durch Lambert
und seine Genossen nöthigte ihn, aus seiner Zurückhaltung
herauszutreten. Er missbilligte den geschehenen Gewaltakt,
Rückkehr des Rumpparlaments. 227
gelobte „die Freiheit und Autorität des Parlaments zu schützen"
und äusserte, sein einziger Wunsch gehe dahin, „die Republik
aufrechtzuerhalten". Aus seinem Heere wurden alle diejenigen
Elemente entfernt, die ihm nicht unbedingt zuverlässig er-
schienen. Kleine Flugschriften bearbeiteten die Soldaten, um
sie mit dem Gedanken des Einrückens in England vertraut
zu machen. Die Machthaber in London, unter sich durchaus
nicht einig, durch weit auseinandergehende Entwürfe einer
neuen Verfassung in Anspruch genommen, von den fanatischen
Sektirern vorwärts getrieben, erkannten in dem selbststän-
dig'en Auftreten des Befehlshabers der schottischen Armee
eine gemeinsame Gefahr. Man verhandelte über eine Aus-
söhnung, aber gleichzeitig stellte sich Lambert im Norden auf.
Er fand nirgendwo ein freundliches Entgegenkommen der Be-
völkerung, während Monk überall auf Sympathieen zählen
konnte. Eine Konvention der schottischen Stände bewilligte
ihm eine ansehnliche Geldhilfe. Fairfax erbot sich, in York-
shire einen Aufstand zu erregen. Portsmouth wurde von Ha-
selrig zum Abfall gebracht. Der Admiral Lawson erklärte,
nur einem Parlament gehorchen zu wollen. In London mehr-
ten sich die Zeichen des Unwillens gegen den Sicherheitsaus-
sehuss, welcher damals den Mittelpunkt der Regierung bildete.
Sogar die Regimenter, die in der Hauptstadt lagen, drangen
auf Beendigung des gesetzlosen Zustandes, der nur dem Roya-
lismus Nutzen gebracht hatte. Unter ihrem Schutz konnte
sich am 26. December das Rumpparlament ein zweites Mal
unter Lenthall's Vorsitz installiren. Die Generale, die einige
Monate vorher seine Sitzungen unterbrochen hatten, räumten
das Feld. Ein Staatsrath wurde erwählt, dessen Mitglieder-
liste der Name Arthur Haselrig's eröffnete.
Diese Wendung der Dinge, die der „guten, alten Sache"
so günstig zu sein schien, konnte Monk nicht aufhalten. Am
Neujahrstage 1660 liess er seine Infanterie die Grenze über-
schreiten und rückte ihr am folgenden Tage mit der Reiterei
nach. Die Truppen Lambert's hatten sich schon vor seiner
Ankunft von ihrem General getrennt, um sich den Befehlen
des Parlaments zu unterwerfen. Fairfax, der sich an die
15*
228 Monk iu England. — Monk und die City.
Spitze einer royalistisehen Bewegung- gestellt hatte, nahm den
Führer des schottischen Heeres mit Freuden bei sich auf. Er
seihst fand sich auch damals nicht veranlasst, seine Entscheidung
zu treffen. Die Kavaliere verzweifelten an ihm, wenn sie hörten,
wie er sich seiner republikanischen Gesinnung rühmte. Den
Republikanern war es verdächtig, dass er seinen Zug begon-
nen hatte, ohne dazu ausdrücklich ermächtigt zu sein. Je
weiter er vorrückte, desto unverhohlener drangen sich ihm
in Adressen und Ansprachen die Wünsche der Bevölkerung
auf. Zulassung der 1648 ausgeschlossenen Mitglieder oder
Neuwahl eines , .freien Parlamentes" waren die vornehmsten
Forderungen, die er überall zu hören bekam. Er wies die
Verantwortlichkeit, hierüber zu bestimmen, von sich ab, aber
er betonte, dass die Zulassung der Presbyterianer gefährlich
sein werde, da diese der Monarchie den Weg eröffnen und
dadurch den Bürgerkrieg aufs neue entflammen würden. So
gelangte er nach London (3. Februar), allem Anschein nach
der getreue Diener des republikanischen Parlaments, in Wahr-
heit sein gefährlichster Gegner und unwiderstehlicher Meister.
Seine Truppen lösten gi-össten Theils die Regimenter ab,
die bis dahin in der Hauptstadt gestanden hatten. Er selbst be-
zog in Whitehall Quartier, wohin Besucher aus allen Parteien
strömten, um ihn zu sprechen. Noch immer blieb sein Ver-
halten zweideutig. Als man die Abschwörung des Königthums
und des Hauses Stuart von ihm forderte, trug er Bedenken,
dem Verlangen nachzukommen. Als indess die City dem ver-
hassten Rumpparlament durch Verweigerung der Steuern den
Gehorsam kündigte und sich zum bewaffneten Widerstand
rüstete, zögerte er nicht, erhaltenem Befehl gemäss, gegen
die rebellischen Bürger einzuschreiten, die Ketten und Pfosten
entfernen, die Thore und Schutzgatter niederreissen zu lassen
(9. und 10. Februar). — Er hatte den Aufstand gebändigt, um
Herr der Ereignisse zu bleiben, aber er fühlte nun um so
mehr die Nothwendigkeit. das verscherzte Vertrauen aller
derer zurückzugewinnen, die ihn als den Retter vor der Ob-
macht der politischen und kirchlichen Radikalen betrachteten.
Er forderte vom Rumpparlament schleunige Ausschreibung
Rückkehr der presbyterianischen Parlamentsmitgliedei-. 229
von Ergänzunpswahlen und pünktliche Innehaltung des Ter-
mins der Auflösung. Er verlegte sein Hauptquartier in eben
jene City, deren Empörung er den Tag vorher niedergeworfen
hatte und die ihn nun mit Jubel begrüsste (11. Febr.). In den
Strassen und auf den Plätzen loderten Freudenfeuer empor, an
denen man zur Verspottung des Rump Fleischstüeke röstete,
die dieser wenig schmeichelhaften Bezeichnung entsprachen.
Die Mitglieder des verhöhnten Rumpparlaments zeigten
einige Nachgiebigkeit. Sie beendigten die lange berathene
Akte, welche die Bestimmungen für die Wahl des künftigen
Parlaments enthielt. Sie gaben zugleich den Auftrag, die
Ausschreiben für die Vornahme der Ergänzungswahlen vor-
zubereiten (16. Februar). Aber sie Hessen noch immer der
Befürchtung Raum , dass sie den Besitz der Macht nicht auf-
geben würden und legten durch Ernennung einer militärischen
Kommission ihr Misstrauen gegen den aufdringlichen Feld-
herrn deutlich genug an den Tag. Er hielt es für zeitgemäss,
einen anderen Weg einzuschlagen. Schon längst waren Ver-
handlungen mit den ausgeschlossenen presbyterianischen Mit-
gliedern im Gange. Sie versprachen , für die Erhaltung und
das Kommando der Armee geeignete Massregeln zu treffen,
sowie einem neuen Parlament in kurzer Frist den Platz räu-
men zu wollen und konnten am 21. Februar, beschützt von
Monk, zu ihren Sitzen zurückkehren. Mochte er selbst nach
wie vor seine unverbrüchliche Treue gegen die Republik ver-
bürgen, die Männer, welche die Hinrichtung des Königs und
die Abschaffung des Königthums niemals verziehen hatten,
beherrschten das Feld. Sie wussten, dass sie von ihrem Be-
schützer nichts zu fürchten hatten. Sie widerriefen alle frü-
heren Akte, die ihre Ausschliessung betroffen hatten und zogen
die Ausschreiben für die Vornahme der Ergänzungswahlen
zurück, Sie hoben die militärische Kommission wieder auf
und ernannten Monk zum höchst Kommandirenden der ge-
sammten Landmacht in England, Schottland und Irland. Der
Staatsrath , den sie erwählten , setzte sich fast gänzlich aus
Anhängern des Presbyterianismus und Gegnern der Republik
zusammen. In ihrem Sitzungslokal und in allen Kirchen
230 Auflösung des langen Parlaments.
wurde die Urkunde von Liga und Covenant angesehlagen.
Die City erhielt gegen Gewährung einer Anleihe volle Genug-
thuung für die erlittene Bestrafung. Das Beamtenpersonal
erlebte durchgreifende Aenderungen. Im ganzen Lande liess
sich der Rückschlag gegen die ehemaligen independentisch-
republikanischen Machthaber erkennen. Bänkelsänger und
Journalisten priesen den rechtmässigen Erben des väterlichen
Thrones an. Schon wagte man in Gegenwart Monk's bei den
Festen, die einzelne Gilden zu seinen Ehren veranstalteten,
auf die Gesundheit des Königs zu trinken. Die Kavaliere
hatten gute Gründe, alles von einem „freien Parlament'^ zu
hoffen, das am 25. April zusammentreten sollte. Zwar blieben
gewisse Einschränkungen der Wahlen in Kraft, aber das Ge-
löbnis, „dem bestehenden Gemeinwesen ohne König und Lords"
Treue bewahren zu wollen, sollte in Wegfall kommen. Der
Restauration war der Weg geebnet, und die Presbyterianer
fühlten sich selbst beinahe schon ausser Stande, ihr noch Be-
dingungen vorzuschreiben. Am 16. März löste das lange Par-
lament sich auf. Das Land schickte sich dazu an, durch die
Wahlen seinem heissen Verlangen Ausdruck zu geben.
In dieser Zeit, als die Frage ob Republik oder Monarchie
schon so gut wie entschieden war, hatte Milton noch den
Muth, mit oft'enem Visier auf dem Kampfplatz zu erscheinen.
Es ist fraglich, ob er noch in amtlicher Stellung war. Nach
seines Neffen Bericht, hatte er seinen Posten und „den dazu
gehörigen Gehalt kurz vor der Rüekehr des Königs verloren''.
In den Registerbüchern des Staatsraths findet sich eine letzte
Besoldungsanweisung für ihn unter dem 25. Oktober 1659.
Er durfte sich jedenfalls nicht darüber täuschen, wie ver-
zweifelt es um die Sache stehe, der er mehr als ein Jahr-
zehnt seine besten Kräfte gewidmet hatte. Seine Ansichten
über das Verhältnis von Staat und Kirche waren von dem
siegreichen General wie von der Versammlung, die unter
dessen Schutz sretagt hatte, häufig und nachdrückhch miss-
Milton's Schrift: ,.Der sichere u. leichte Weg zur Begründ. etc. 231
billigt worden. Seine Ansichten über die Vorzüge einer Re-
gierungsforin, die er gegen Salmasius vertheidigt hatte, ^Yaren
in Gefahr, als ketzerisch von der aufgeregten Masse ver-
urtheilt zu werden. Auch hätte ihm das Schicksal zweier
Freunde als Fingerzeig für sein eigenes Verhalten dienen
können. Overton, der den Posten des Kommandanten von
Hüll bekleidete, hatte versucht, eine Verabredung mit anderen
Officieren zu treffen, um die Zurückführung der Einzelherr-
schaft auf alle Weise zu hindern. Er wurde aufgefordert,
sich zu rechtfertigen und seines Postens enthoben. Henry
Vane, wegen seiner Verbindung mit Lambert aus dem Par-
lament ausgestossen und auf eines seiner Landgüter verwiesen,
war zur Zeit des Einrückens Monk's nach London zurückge-
kehrt und hatte daselbst mit seinen republikanischen Freun-
den agitirt. Er wurde aufs neue verbannt und täuschte sich
nicht über den Ruin seiner Hoffnungen. Aber Milton wollte
noch immer nicht alles verloren geben. Im Februar, als das
Rumpparlament sich zur Ausschreibung von Ergänzungswahlen
verstanden hatte, war eine Schrift von ihm zum Druck ge-
kommen mit dem Titel: „Der sichere und leichte Weg zur
Begründung eines freien Gemeinwesens und die Vorzüge eines
solchen, verglichen mit den Nachtheilen und Gefahren, welche
die Wiedereinführung des Königthums in diesem Lande nach
sich ziehen müsste"(^). Aber die Ereignisse hatten einen
rascheren Verlauf, als der Verfasser vorhergesehen hatte. Die
presbyterianischen Mitglieder nahmen ihre Sitze wieder ein.
Jene Ausschreiben wurden zurückgezogen. Milton Hess seine
Schrift nichts desto minder erscheinen, da er auch von dem
ergänzten „volleren" Parlament Gutes erwartete. Und wie-
derum überholten die Thatsachen seine Voraussicht. Die Ver-
sammlung beschloss, sich aufzulösen, Neuwahlen zu einem
„freien Parlament" standen bevor. Da erschien Milton's
Schrift in zweiter, verbesserter Ausgabe, mit veränderter Ein-
leitung und mit dem Motto frei nach Juvenal geschmückt,
das dem getreuen Eckardt Oliver Cromwell's wohl anstand:
Et DOS
Consilium dedimus Syllae, demus populo nunc (2).
232 Vorzug der Republik vor der Monarchie.
Die sonstigen Abweichungen dieser zweiten von der ersten
Ausgabe, die noch kein Herausgeber der Milton'sehen Werke
beachtet hat, sind gar nicht unbedeutend. Einige Stellen
sind weggelassen, darunter namentlich eine höchst interessante,
die zur Beleuchtung der kirchlich -politischen Ideen Milton's
dienen kann, aber bei weitem mehr sind der Zusätze, die
der Autor gemacht hat. Sie sind zum Theil durch die ver-
änderte Sachlage hervorgerufen worden, zum Theil haben sie
nur den Zweck stilistischer Verbesserungen. Die Macht der
Presbyterianer war in der Zwischenzeit gewachsen, nicht we-
nige Sätze sind daher neu hinzugekomm.en, die besonders auf
sie gemünzt sind. Die royalistische Strömung hatte in einigen
Wochen ungemein an Kraft gewonnen, um so mehr Hess Milton
es sich angelegen sein, die Folgen der Restauration in noch
dunkleren Farben erscheinen zu lassen als das erste Mal.
Uebrigens war der Grundton der gleiche. Man hört aus jeder
Zeile den alten Gegner des Salmasius heraus, wie er sich
denn einmal geradezu nicht ohne Selbstbewusstsein auf seine
„erste Vertheidigung des englischen Volkes" beruft, als auf
ein ,, geschriebenes Denkmal, das die Verleumdung überleben
wird"'.
Als politischer Glaubenssatz bleibt ihm bestehn, dass die
republikanische Verfassung einen Fortschritt über die monar-
chische bedeute. Nicht dass er den relativen Werth des
Königthums hätte läugnen wollen. Gewiss „die Monarchie
mag dieser oder jener Nation angemessen sein". Auch der
einzelne Monarch mag sich dann und wann dem Ideal des
„ersten Staatsdieners" annähern, „das gemeine Beste seinem
eigenen Wohl vorziehn und statt auf einen lasterhaften Günst-
ling auf die weisesten und tugendhaftesten Mitglieder seines
Parlaments hören". Aber je seltener solche Fälle nach Milton's
Ansicht sind, desto weniger ziemt es einem gebildeten Volk,
„die Summe seiner Wohlfahrt dem Zufall zu überlassen". Im
glücklichsten Fall ist ihm ein König, „da er nicht mehr als
ein anderer Mensch vermag", nur „eine grosse Null, die ohne
Zweck vor einer langen Reihe anderer Ziffern steht". Aber
oft genug wird er „zum Unheil, zur Pest und zur Geisel eines
Appell au Gefühl und Berechnung. 233
Volkes, das nicht im Stande ist, sich seiner zu entledigen".
Und so hält er allen trüben Erfahrungen zum Trotz uner-
schütterlich daran fest, „dass ein freies Gemeinwesen d^ie
edelste und gerechteste Regierungsform sei", in welcher alle
guten Bestrebungen „des Menschen, des Bürgers und des
Christen'' den weitesten Spielraum finden. Er hütet sich zu
untersuchen, ob nicht sein eigenes Volk damals zu denen ge-
höre, für welche die jNIonarchie „angemessen" sei. Das
einmal abgeworfene „Joch" wieder auf sich nehmen , zu
der ehemals abgeschworenen „Knechtschaft des Königthums"
zurückkehren, scheint ihm unter allen Umständen eine Schmach
zu sein, „wie sie niemals eine Nation betroffen hat, die im
Besitz ihrer Freiheit war". — Nicht nur die Aufstellung des
politischen Axioms, auch seine Bestätigung durch Beispiele
war ganz die gleiche, wie wir sie aus den früheren Arbeiten
Milton's kennen. Auch hier müssen die Vertheidiger der
Monarchie sich sagen lassen, „dass Gott im Zorne den Juden
einen König gegeben hat". Auch hier wird auf die grossen
Freistaaten des Alterthums hingewiesen. Ein Ausspruch
Christi kommt dem Verehrer der Republik gleichfalls zu
Hilfe. Es ist die bekannte Vermischung biblischer und ge-
schichtlicher Argumente, in der Milton wie immer der Ge-
wohnheit seines Zeitalters folgte.
Er sah indessen ein, dass diese akademischen Gründe im
damaligen Augenblick nicht genügen konnten. Er appellirte
an das Gefühl und an die Berechnung seiner Landsleute, und da-
bei steigert sich sein Pathos nicht selten zur Höhe propheti-
schen Schmerzes. Was werden die fremden Völker von uns
sagen, ruft er den Männern von Ehrgefühl zu, ,,die eifersüch-
tigen Nachbarn, deren Bewunderung und Schrecken unser
freies Gemeinwesen war?" Sie werden uns „verachten und
verlachen". „Werden sie nicht den englischen Namen zum
Gespött machen, wie den des thörichten Bauherrn der Bibel,
der einen Thurm zu bauen begann und ihn nicht vollenden
konnte? Wo ist jener herrliche Thurmbau eines Freistaates,
den die Engländer zu errichten sich vermassen, jenes Frei-
staates, der Königreiche überragen sollte, ein neues Rom im
234 Appell au Gefühl und Berechnung.
Westen? Den Grund dazu haben sie freilich muthig gelegt,
aber dann fielen sie in eine Verwirrung, schlimmer als die
babylonische, nicht von Sprachen, sondern von Faktionen, und
keine andere Erinnerung ihres Werkes blieb zurück, als das
allgemeine Gelächter von Europa. Und das wird um so mehr
zu unserer Schande erschallen, da ein Blick auf unsere Nach-
barn, die vereinigten Staaten der Niederlande, uns lehren
kann, wie sie ohne äussere Vortheile unter weit grösseren
Schwierigkeiten mit Muth, Weisheit und Standhaftigkeit das-
selbe Werk glücklich vollendet und sich den ruhigen Genuss
einer mächtigen und blühenden Republik erobert haben."
Allein nicht genug damit, dass England den Spott des Aus-
landes sich herauf beschwören würde , es würde „den ganzen
Schatz" verlieren , den seine Revolution ihm zugebracht hat,
oder doch, nach Milton's Meinung, zuzubringen bestrebt war.
„Alle gewonnenen Schlachten würden nachträglich verloren
gehn". Alle Opfer an Gut und Blut wären umsonst gebracht.
Die Union mit Schottland würde zerbrechen. Die Gewissens-
freiheit hätte „von dem Bunde des Königs mit den Bischöfen"
nichts zu hoffen. Das Parlament würde zu einer gedemü-
thigten Stellung herabsinken. „Wir werden, ruft Milton
ahnungsvoll aus, vielleicht noch einmal um alles das kämpfen
müssen, wofür wir gekämpft haben, wir werden noch einmal
die Opfer bringen müssen, die wir gebracht haben, aber
schwerlich werden wir uns der Freiheit und der Gunst des
Himmels in eben dem Grade erfreuen wie jetzt."
Es gab eine andere Gattung von Engländern, denen mit
solchen Gründen nicht beizukommen war. Es waren die
Männer, deren Politik sich nach ihrer Börse richtete, und die
kaufmännisch berechneten, wie viel bei dem Tausch von Re-
publik und Monarchie zu gewinnen oder zu verlieren sein
möchte. Diesen sucht Milton den Wahn zu benehmen, als
werde das wiedereingesetzte Königthum ihnen billiger zu stehn
kommen. Der König lebt, „angebetet wie ein Halbgott", ein
ausschweifender, prunkender Hof, „der bei seinen Masken-
spielen und Gelagen den Adel beiderlei Geschlechts entsitt-
lichen wird, umgiebt ihn". „Auch eine Königin wird da sein
Appell an Gefühl und Berechnung. 235
und nicht weniger kosten ; aller Wahrscheinlichkeit nach eine
Ausländerin und Papistin. Eine Königin -Mutter (wie man
das zur Zeit Karl's I erlebt hatte) darf man dazu rechnen,
beide haben ihren Hofhalt und ein zahlreiches Gefolge. Da
sind ferner die königlichen Sprösslinge, jeder alsbald mit sei-
nem eigenen Hof. Des Bedientengesindels wird kein Ende
sein. Nobility und Gentry werden sich um die Hofämter
reissen, und je serviler ihre Gesinnung, desto grösser wird ihr
Hochmuth und ihre Verschwendung sein." Mit gutem Grund
weist der entrüstete Puritaner auf den Hof von Versailles hin,
dessen „Anlockungsmittel" und „pomphafte" Ceremonieen liald
auch jenseits des Kanals zum Vorbild dienten. Eine weitere
Ausgabe wird das „stehende Heer" verursachen. Man bilde
sich nicht ein, mit der Republik würde es dauernd in Wegfall
kommen. ,,Die Furcht vor der feindlichen Partei" wird es
nicht verschwinden lassen. Aber es wird ein anderes sein
als das bisherige, das man vielleicht „ohne Zahlung des Sol-
des" auflösen wird, um seine Glieder alsdann zur Rechenschaft
zu ziehn. Es wird aus den „trotzigsten Kavalieren" bestehn,
„möglicher Weise wieder unter Führung eines Prinzen Rupert".
Auch die bischöfliche Kirche wird ihr Vermögen wieder in An-
spruch nehmen. Man wird die eingezogenen geistlichen Güter
zurückfordern, und dem Eigenthum zahlreicher Privaten, die
sich durch seinen Ankauf bereichert haben, droht Zerrüttung
und gänzlicher Ruin. In royalistischen Schriften war endlich
zu lesen gewesen, nur unter dem Schutz der Krone könne
Handel und Wandel gedeihen. Auch in diesem Punkt sucht
Milton ihnen entgegenzuarbeiten. Er will zwar nichts davon
wissen, dass man „Religion, Freiheit, Ehre und Sicherheit
Preis gebe, um den Handel aufrecht zu halten". Aber er
glaubt zum Ueberfluss bemerken zu sollen, dass der Handel
nirgends schöner blühe, „als in den Freistaaten Italiens,
Deutschlands und der Niederlande".
Noch ein Argument blieb ihm übrig, das in weiten Kreisen
den tiefsten Eindruck machen konnte; der Hinweis auf die
bevorstehende Rache der künftigen Machthaber. „Nicht allein
die Hauptperson, sondern alle seine Anhänger" werden sich an
236 Vorschläge zu Gunsten der Erhaltung der Eepublik.
diesem Werk der Rache betheiligen. „Man wird Rechnungsab-
lage und Entschädigung fordern, Processe, Untersuchungen, An-
klagen, Denunciationen vielleicht auch solcher, die sich neutral
verhalten haben, werden in Masse erfolgen. Kommt es nicht zum
äussersten, so bleibt doch Gefängnis, Geldbusse, Verbannung,
Misshandlung nicht aus." Zum mindesten müssen sich alle,
die „nicht erprobte Royalisten sind oder von solchen begün-
stigt werden", Ungnade und Verachtung gefallen lassen. Das
droht nicht zum wenigsten den „kürzlich royalisirten Presby-
terianern". „Sie bilden sich ein, man w^erde ihre Vergangen-
heit vergessen, da sie Reue an den Tag legen, man werde
die Bedingungen halten, auf die sie sich verlassen möchten.
Aber erinnern sie sich nicht, wie den Schotten ihr Friedens-
vertrag gehalten wurde, wie so manches andere feierliche
Versprechen,, das uns gegeben ward? Glauben sie, die am
meisten Eifer an den Tag legen den König zurückzuführen,
er werde ihnen vertrauen und auf sie Rücksicht nehmen ? "
Die „diabolischen Libelle" der royalistischen Partei, die „Ge-
stalten und Mienen , die jetzt frech und vordringlich auf den
Strassen auftauchen", die „Drohungen und Beleidigungen un-
serer gemeinsamen Feinde", das alles mag den Presbyterianern
ihr Schicksal vorausverkünden. Der neue Herrscher wird sie
behandeln, „wie Könige versöhnte Feinde zu behandeln pfle-
gen, zuerst sie vernachlässigen, dann sie entlassen, oder gar
als alte Hochverräther und erste Urheber des Geschehenen
bestrafen". Der Covenant wird zerrissen werden, denn kein
Sohn Karl's I. kann ihn halten , ohne dem Andenken seines
Vaters untreu zu werden. Diejenigen, welche alle die so ge-
nannten „Sektirer" Preis geben, werden erleben, dass das Schiff
ihrer eigenen Gewissensfreiheit elendiglich scheitert. —
Alle Gründe waren erschöpft, die man dem Verlangen
entgegenstellen konnte, „den Nacken wieder unter das könig-
liche Joch zu beugen". Die Frage entstand, was sich thun
lasse, um diese Rückkehr in die ägyptische Knechtschaft zu
verhindern. Milton ist um Vorschläge, die diesem Zweck die-
nen sollen, nicht verlegen. „Eben jetzt — ruft er aus — ist
der günstige Augenblick da, um ein freies Gemeinwesen für
Der , .grosse Rath" der Nation. 237
immer zu bepfründen". Die Ausschreiben für die Neuwahlen
sind erjrangen. Ein „freies Parlament" soll zusammentreten.
Die Wählbarkeit ist an „gerechte und nothwendi.ae" Bedingun-
gen geknüpft. Wenn das Volk sein eigenes Wohl im Auge
hat und demgemäss fähige Vertreter wählt, die von der Herr-
schaft eines Einzelnen oder von einem Hause der Lords nichts
wissen wollen, „so ist das Werk gethan". „Der Grund eines
freien Gemeinwesens ist wenigstens gelegt". Denn dies ist
nicht zu denken, ohne einen solchen „grossen Rath", den das
Volk erwählt hat, „dem es seine Souveränetät delegirt". Die
Kompetenzen dieses „grossen Rathes" — absichtlich wird der
Name Parlament vermieden — sind sehr bedeutende. Er
verfügt über die Kriegsmacht zu Land und zur See, um Frie-
den und Freiheit zu schützen. Er erhebt und verwendet unter
der Kontrolle besonderer „Inspektoren" die öffentlichen Ein-
künfte. Die bürgerliche Gesetzgebung, der Abschluss von
Handelsverträgen, die diplomatischen Beziehungen zum Aus-
land, die Entscheidung über Krieg und Frieden fallen in sein
Bereich. Zur Führung gewisser Geschäfte, deren Erledigung
grössere „Geheimhaltung und Schnelligkeit" erfordert, wählt
der grosse Rath aus seiner Mitte einen ,.Staatsrath".
Es ist einleuchtend, wie enge sich diese Ausführungen
Milton's an jene früheren Aeusserungen anschliessen , die
namentlich im Bilderstürmer und- in der ersten Vertheidigung
des englischen Volkes hervorgetreten waren. Damals war
ihm die in Westminster tagende Versammlung als Trägerin
der Volkssouveränetät erschienen. Hier spielt der grosse
Rath, wie er ihn sich ausmalt, genau dieselbe Rolle. Nur
damit wagt sich der Schriftsteller an eine wesentliche Neue-
rung, dass er den grössten Theil der Obliegenheiten des alten
„Staatsrathes" gleichfalls direkt von der Gesammtkörperschaft
besorgt wissen will. Die Ansichten, die er sich während der
Protektoratsregierung und in den folgenden stürmischen Zeiten
über dies Institut des Staatsraths gebildet hatte, mochten ihn
zu einer so bedeutenden Abweichung von dem früheren Vor-
bild bewegen. Er sah möglicher Weise neue Konflikte zwischen
den beiden Gewalten voraus, wenn man die eine, welche bis
238 Gegen allgemeines Wahlrecht.
dahin die Summe der Exekutive in sich vereint hatte, nicht
zu einer ganz untergeordneten Stellung herabdrücke. In einem
anderen wichtigen Punkt dagegen giebt er seine ehemaligen
Ueberzeugungen nicht auf. Er hatte vor Zeiten aus seiner
Abneigung gegen die Theilnahme der „Plebs" an der Aus-
übung politischer Ptechte kein Hehl gemacht. Hier kehrt der-
selbe Gedanke mit verstärkter Kraft wieder. Das Wohl des
Staates soll nicht dem „Lärm einer rohen Menge" anvertraut
sein. Nur die „richtig Qualificirten" sollen berechtigt sein,
sich bei den Wahlen zu betheiligen. Aber auch ihr Wahlakt
ist nicht mit einem Male beendigt. Er wird ein zweites,
drittes und viertes Mal wiederholt, bis durch dieses mehr-
fache „Prüfen und Sieben" die Masse der Kandidaten sich
verkleinert und „zuletzt nur die erforderliche Zahl übrig bleibt,
welche als die Würdigsten die meisten Stimmen auf sich ver-
einigt haben". Es wird nicht klar, wie sich Milton im ein-
zelnen dies Verfahren denkt. Aber so viel ist gewiss: nichts
lag ihm ferner, als die Idee des allgemeinen Stimmrechts.
Er hielt es mit Raleigh, welcher unter einem Freistaat ein Ge-
meinwesen verstand, in dem die Herrschaft von der „aus-
erlesenen Klasse des Volkes, von den Besseren, Edleren und
Pteicheren" geführt wird(^). Republikaner, wie er war, blieb
er seinen aristokratischen Neigungen getreu. Im damaligen
Augenblick kam noch ein anderes hinzu, das ihn auf seinem
früheren Standpunkt festhielt. Die Furcht vor einem Siege
der Koyalisten entlockte ihm den verdächtigen Wunsch, dass
man die Stimmen nicht zählen, sondern wägen möge. Er
täuschte sich nicht darüber, dass „die Mehrheit des Volkes die
Freiheit aufzugeben feige genug sei". Und deshalb suchte er
sieh hinter das durchsichtige Sophisma zu verschanzen: „Ge-
rechter und vernünftiger ist es, dass die Minderheit die Mehr-
heit zwingt, ihre Freiheit zu behalten, als dass die Mehrheit
die Minderheit zwingt, ihre Sklaverei zu theilen".
Noch eine wichtige Frage war zu entscheiden. Sollte
jener grosse Rath, der als Heilmittel vorgeschlagen wurde, eine
unabsetzbare Behörde sein oder von Zeit zu Zeit einer Er-
neuerung durch die Wahlen unterworfen werden? Milton
Für ständige Dauer des „grossen Rathes". 239
spricht für das erste und hat diese Ansicht in der zweiten
Auflage mit grösserer Ausführlichkeit entwickelt. Da müssen
denn das Sanhedrin der Juden , der athenische Areopag , der
römische Senat, die venetianische Signoria als Beispiele her-
halten, obschon Milton sehr wohl fühlt, wie häufig der Ver-
gleich hinkt. Aber er will nicht nur die Erfahrungen der
Vergangenheit für sich anrufen. Die Gegenwart scheint ihm
unbedingt die P^insetzung einer permanenten regierenden
Körperschaft nöthig zu machen. „Sich ablösende und vorüber-
gehende Parlamente werden eine freiheitliche Regierung viel
eher erschüttern als befestigen, sie werden eine unruhige Be-
wegung und die Sucht nach Neuerungen hervorrufen. Man
wird vernachlässigen, was der Augenblick erfordert, weil alles
auf die neue Versammlung gespannt ist. Und wenn diese
nicht genug zu thun vorfindet, so wird sie sich etwas zu thun
machen, indem sie frühere Akte ändert und widerruft oder
neue macht und vervielfältigt, bis alles Gesetz in der Masse
sich widersprechender Statuten verloren geht." Nur mit ^Vi-
derstreben geht der Autor auf die Idee ein, durch „partielle
Rotation" wenigstens einen Theil, etwa ein Drittel, jährlich
ausscheiden und durch neugewählte Mitglieder ersetzen zu
lassen. Aber er sähe auch dies lieber vermieden, da es immer
vom Zufall abhängen würde, ob nicht die „Besten und Fähig-
sten'' durch dieses „Glücksrad" entfernt würden, um vielleicht
eben so vielen „Unerfahrenen und Neulingen" Platz zu machen.
Alles überlegt, dünkt ihn ein „stehender Senat" neben einem
„stehenden Heer" oder einer „geordneten Miliz" in England
nicht gefährlich, sondern einzig fähig, das Staatsschift" sicher
durch die Fluthen zu lenken. — Ein unläugbares Gefühl von
Ermüdung und Enttäuschung spricht aus diesen überraschen-
den Sätzen. Milton hatte gesehn, wohin das Widerstreben
des langen Parlamentes, einer neuen Versammlung zu weichen,
geführt hatte. Er hatte die Beweggründe gebilligt, die Crom-
well für seinen Gewaltstreich geltend machte. Und dennoch
fühlt er sich durch das Schauspiel beständiger Erschütterun-
gen der x\rt angewidert, dass er sich dazu entschliesst, einem
stehenden grossen Rathe das Wort zu reden.
240 I^^^ einer neuen Decentralisation.
So viel Klarheit des Blickes hatte er sich indessen be-
wahrt, um die Nothwendigkeit zu erkennen, einer Regierungs-
hehörde von so umfassender und konzentrirter Gewalt ein
..Gegengewicht" zu geben. Es soll aber nicht in einer Ver-
fassungs- Institution bestehn, wie z. B. die .,Yolkstribunen'- es
gewesen waren, auch nicht in ..einer anderen populären Ver-
sammlung". Er sieht darin die drohende Gefahr einer zügel-
losen und ungebändigten Demokratie , bei der zuletzt das
Volk selbst durch ., seine übertriebene Macht zu Grunde geht".
Das Gegengewicht, an das er denkt, ist anderer Art. Er war
aufgewachsen im Lande des Selfgovernment. Aber die Re-
volution war mit den hergebrachten Formen desselben in un-
versöhnlichen Widerspruch getreten. In alle Theile des fein-
gegliederten Organismus hatten die verhassten ..Committees"
oder militärische Bevollmächtigte der Centralgewalt schonungs-
los eingegriffen. Milton wagte daher den kühnen Versuch,
ohne jede Rücksicht auf die geschichtliche Entwickelung von
Jahrhunderten, einen neuen Plan zu entwerfen, nach welchem
der Gefahr einer zu straff gespannten Centralisation auf an-
dere Weise vorgebeugt werden sollte Waren gewisse allge-
meine Interessen des Gesammtreichs jenem grossen Rathe
anvertraut, so sollten neben ihm besondere ..Versammlungen"
in den einzelnen Bezirken bestehn, die eine Reihe von staat-
lichen Aufgaben zu übernehmen hätten. Es sollte, wie er sich
ausdrückte. ..jede Grafschaft zu einer Art von untergeordneter
Republik gemacht werden*" , deren Vertreter — aus Nobility
und Gentry hervorgegangen — am „Hauptorte" sich gleichfalls
zu einem stehenden Rathe vereinigen würden. Diese Be-
zirksräthe hätten das Recht, Verordnungen für die Bedürf-
nisse ihres Bezirks zu erlassen, die allgemeinen Landesgesetze
auszuführen und Gerichtsbehörden zu schaffen, vor denen die
Streitigkeiten zwischen den Bewohnern ihres Kreises ohne Ap-
pellation an die obersten Gerichte in der Kapitale entschieden
würden. Eben diesen Bezirksräthen will er vermuthlich die
Sorge für Armenpflege. Gefängniswesen, Strassenbau u. s. w.
zugetheilt wissen, obwohl es in seinem flüchtig skizzirten Ent-
wurf nicht ausdrücklich bemerkt ist. Dacesen hebt er mit
Idee einer neuen Deceutralisation. 241
Nachdruck hervor, dass die Ausbreitung der Volksbildung,
die Errichtung von „Schulen und Akademieen" eine ihrer
wichtigsten Aufgaben sein müsse. Er wiederholt nur früher
Gesagtes, er knüpft nur an die Bestrebungen des Comenius
und Hartlib an. wenn er hier aufs neue dem heimatlichen
Staate eine seiner am meisten vernachlässigten Pflichten in"s Ge-
dächtnis zurückruft. Die Schulanstalten, die ihm vorschweben,
sollen nicht allein „Grammatik, sondern alle freien Künste und
Uebungen^' lehren. ,,Auf diese Weise würde die Lebenswänne
des Staates und der Kultur selbst die entferntesten Gebiete
durchdringen, die jetzt erstarrt und vernachlässigt dahegen.
Die ganze Nation würde in Bälde fleissiger und tüchtiger zu
Haus, mächtiger und angesehener im Ausland werden".
Allein nicht genug damit: die Machtsphäre der Central-
behörde soll noch nach einer anderen Richtung hin beschränkt
werden. Die allgemeine Reichsgesetzgebung, die Leitung der
auswärtigen Angelegenheiten, die Entscheidung über Krieg
und Frieden fällt allerdings in die Kompetenz des grossen
Rathes, der in der Hauptstadt residirt. Aber er ist dabei
an die Zustimmung der Mehrheit jener Bezirksräthe oder
einzuberufender ^'ersammlungen von Vertretern des Bezirkes
gebunden (^). Doch soll niemals ein einzelner Bezirk sieh
über die Beschlüsse der Majorität hinaussetzen dürfen. Der
Vergleich mit den vereinigten Niederlanden, der sehr nahe
lag, wird entschieden abgewiesen. Es wird ein Vorzug des
künftigen englischen Gemeinwesens sein, dass es „nicht viele
Souveränetäten zu einer Republik, sondern viele Republiken
unter einer Souveränetät verbinden wird".
Es wäre überflüssig, eine eingehende Kritik dieses Planes
zu versuchen. Man bemerkt, wie der Autor, dem radikalen
Zug seiner Natur getreu, kühn und gross selbst in seinen
Irrthümern, mit dem überkommenen Stoff rücksichtslos schaltet,
und das in einem Augenblick, da die grosse Masse des Volkes
die Rückkehr der alten zertrümmerten Formen herbeisehnte.
Auch verhehlt er sich nicht, wie weit die „Ansteckung" des
Royalismus bereits fortgeschritten ist. Was er für sich er-
beten hatte, war, „vor der langen Fastenzeit der Knechtschaft
Stern, Miltoii u. s. Z. II. 3. 16
242 Milton's Brief an Monk,
(las Recht des kurzen Fasching benutzen zu dürfen: noch
ein Mal ohne Rückhalt sich auszusprechen und der Freiheit
für immer Lebewohl zu sagen". Und so lässt er am Schluss
die Maske des Optimismus fallen. „Ich habe das gefährliche
Wagestück unternommen, dasjenige zu sagen, wozu ich mich ver-
pflichtet fühlte, und meine Mitbürger rechtzeitig zu warnen.
Es ist die gute alte Sache, die ich in Schutz genommen
habe, wie auffällig dies auch erscheinen mag. Aber ich würde
nicht gezögert haben für sie zu reden, hätte ich auch nur zu
Bäumen und Steinen gesprochen, könnte ich mit dem Pro-
pheten nur rufen: o Erde, Erde, Erde, um ihr zu sagen,
was ihre abtrünnigen Bewohner nicht hören wollen. Ja, ich
würde nicht anders gehandelt haben, selbst wenn meine
Worte die letzten Worte der verröchelnden Freiheit wären."
Es konnte billiger Weise Wunder nehmen, dass in der
ganzen Schrift Milton's der Name des Mannes nicht erwähnt
war, von dessen Verhalten eben damals so viel abhieng.
Wenn an einer Stelle von „ehrgeizigen Führern des Heeres"
die Rede war, so traf diese Anspielung nicht sowohl Monk
als Lambert. Und die Warnung, sich vor der Kopie eines
venetianischen Dogen oder eines niederländischen Statthalters
zu hüten, enthielt vielleicht auch nur einen sehr versteckten
Seitenhieb gegen den siegreichen General, der die Lage be-
herrschte. Indessen hatte Milton ihn keineswegs aus seiner
Berechnung fallen lassen. Viele Jahre nach seinem Tode ist
ein Schreiben bekannt geworden, das er an Monk gerichtet
hat und welches völlig den Eindruck macht, als sei es Be-
gleitbrief für ein Widmungsexemplar seiner Schrift, vermuth-
lich der ersten Ausgabe, gewesen (^). Es war damals üblich,
Monk mit Rathschlägen und Anträgen in Briefform zu über-
schütten. Nicht wenige gedruckte Flugblätter der Art haben
sich erhalten (-). Allein es unterliegt keinem Zweifel, dass
Milton's Brief niemals in die Oetfentlichkeit gedrungen und
es bleibt ungewiss, ob er überhaupt jemals an seine Adresse
abgesandt worden ist. Was seinen Inhalt betrifft, so er-
scheinen hier die Vorschläge der Abhandlung noch einmal
kurz zusammengefasst. Sie werden dem General warm em-
Harringtou und die Kota. 243
pfohlen, nicht ohne dass sein Anspruch auf das höchste Kom-
mando der gesammten Streitkräfte ausdrückliche Anerkennung
fände. Uebrigens kommt ein gewisses Misstrauen gegen
Monk zum Durchbruch. Zwar werden seine republikanischen
Erklärungen rühmend erwähnt, aber er wird zugleich ermahnt,
die Nation „nicht länger mit blossen Erw^artungen hinzu-
halten" und dem kommenden Parlament „den Besitz eines
freien Gemeinwesens" zu gewähren.
Wie wenig Grund für die Verwirklichung seiner Hoff-
nungen vorhanden war, darüber konnte Milton schon die
Aufnahme belehren, die seine A'orschläge in weiteren Kreisen
erlebten. Es fällt nicht schwer, aus der grossen Masse zeit-
genössischer Flugschriften einzelne herauszufinden, in denen
Milton s Werk die gelegentliche Zielscheibe des Angriffs zu
sein scheint (M. Allein man kennt auch zwei Pamphlete, die
sich ausdrücklich gegen seine Arbeit richten. Das eine ist
so geschickt eingekleidet, dass es zu gleicher Zeit einen an-
deren Verfechter der republikanischen Staatsform und seinen
Anhang dem allgemeinen Gespött Preis giebt. Unter den po-
litischen Schriftstellern der Zeit nahm James Harrington eine
hervorragende Stellung ein. - Schon als junger Mann im Dienste
Karls I. hatte er den Monarchen häufig durch seine zur
Schau getragenen republikanischen Ansichten verletzt. Xach
der Abschaffung des Königthums suchte er seine Ideen durch
den Druck zu verbreiten. Die Veröffentlichung seines Haupt-
werkes „Oceana", eines bis in's einzelne ausgeführten Staats-
romanes, stiess auf Schwierigkeiten bei dem Protektor. Doch
wusste der Verfasser durch einen witzigen Appell an Crom-
well's Tochter, Lady Claypole, die Handschrift zurück zu er-
halten und wagte sogar, sein Werk dem Protektor zu widmen
(1656). Harrington's Vorschläge, in denen Verstand und
Phantasie wunderbar gemischt waren, riefen zahlreiche Streit-
schriften hervor. Er liess sich indess so wenig irre machen,
dass er im Herbst des Jahres 1659 einen Klubb gründete,
dessen Mitglieder jeden Abend im „Türkenkopf", einer Taverne'
in New Palace Yard, zusammenkamen. Man debattirte beim
Kafi"ee sehr ernsthaft über politische Fragen und stimmte
16*
244 ^^^ fiugirte „Urtheil der Rota".
durch Kugelloos ab. Erst im letzten Drittel des Febmar
körten diese Zusammenkünfte auff^). Milton hatte mehr als
einen Gmnd, sich mit Harrington und dessen Werken zu be-
schäftigen, blanche Ideen des Verfassers der Oceana ent-
sprachen seinen eigenen. Personen, die ihm nicht fremd waren,
sein späterer Biograph Aubrey, der Mathematiker John Pell,
der Dichter Marvell gehörten zu Hamngton's Freunden, Sein
vertrauter Schüler Cyriac Skinner war Vorsitzender jenes von
Harrington gestifteten Klubbs. Aber indem er dem merkwür-
digen Theoretiker seine Aufmerksamkeit schenkte, fühlte er
sieh durch einige Theile seines politischen Programms ent-
schieden abgestossen. Dahin gehörte u. a. jene fixe Idee einer
„Rotation". Für Harrington bestand das untrügliche Heilmittel
gegen die Gefahren einer stehenden regierenden Körperschaft
in der jährlichen Ausloosung eines Drittheils, das während
dreier Jahre nicht wieder wählbar sein sollte. Eine besondere
Schrift,- „die Rota" (20. December 1659), hatte den Gedanken
nochmals verfochten. Der Klubb erhielt von ihr seinen Namen.
Wie erwähnt, suchte sich Milton gegen ein Aushilfsmittel zu
sträuben, das er nur im äussersten Xothfall für zulässig
halten wollte. Allein dieser Widerspruch zwischen zwei her-
vorragenden republikanischen Wortführern gab einem roya-
listischen Witzbold Gelegenheit, an beiden sein iSIüthchen zu
kühlen.
Unter dem Titel ,,das Urtheil der Rota über Mr. Milton's
Buch: der sichere und leichte Weg zur Begründung eines
freien Gemeinwesens", erschien eine kleine Broschüre, die sich
schon dem Datum nach als eine ironische Fiktion auswies (2).
Auf Wunsch des Klubbs - so hiess es — sei sein Ui-theil
über Milton's Buch von Harrington veröffentlicht und Milton
mitgetheilt. Dieser konnte freilich, wie der erdichtete Har-
rington in seiner Einleitung bemerkte , ebenso wenig Freude
daran haben, es zu vernehmen, wie der Berichterstatter selbst
es zu wiederholen. Allein Harrington musste ., seine eigenen
Gefühle" schweigen lassen und sich dabei begnügen, die An-
sichten der Klubbisten möglichst getreu wiederzugeben. Da
fand sich denn, dass auch nicht eine Stimme für Milton ab-
Das fingirte „Urtheil der Rota". 245
gegeben worden war. Ein ^Mitglied, und noch dazu ein
„Bekannter'' Milton's, hatte an dem Titel seiner Schrift An-
stoss genommen und bemerkt, dass Milton auch sonst in der
Benennung seiner Werke „keine glückliche Hand habe". Ein
anderer hatte seine Verwunderung darüber geäussert, dass er
die Schriftstellerei nicht längst aufgegeben habe. Denn ob-
wohl er sich die Augen ausgeschrieben, seien seine Bücher
nur Makulatur, und „Lichtzieher und Tabakverkäufer" ihre
einzigen Abnehmer. Ein dritter, „eine würdige Gerichts-
person", machte sich lustig über die preisende Vertheidigung
eines verstümmelten Parlamentes, das, auf eine kleine Minder-
heit des Volkes gestützt, „die königliche Knechtschaft in einen
Freistaat verwandelt habe". Es sei merkwürdig, dass Milton
„Unsinn und Fälschungen der Art von anderen stehle, wäh-
rend er doch selbst Vorrath genug von eigenem Gewächs be-
sitze". Nicht weniger entschieden wurde die Grösse der Re-
publik gegenüber dem Ausland geläugnet. Englands Macht-
stellung sei erst dann bedeutend geworden, nachdem ,, Oliver
Cromwell unter dem Namen eines Freistaates eine absolute
Monarchie eingeführt habe", während die Vorgänge der
inneren Regierung von Europa als Akte „gothischer und van-
dalischer Barbarei" betrachtet worden seien.
Mit einem Wort: die ganze Versammlung war so ent-
schieden royalistisch gesinnt, dass sie für den Vertheidiger
der republikanischen Staatsform nur den bittersten Spott, die
schmählichsten Verleumdungen und die niedrigsten Schmäh-
ungen erübrigte. Er hatte die Theorie verfochten „und da-
nach gehandelt", dass „ein Mann seine Frau beliebig Ver-
stössen und eine andere nehmen dürfe". Er hatte das „An-
denken eines ermordeten Fürsten mit Schmutz beworfen".
Er hatte mehrfach und noch kürzlich in seiner Abhandlung
über die Zehnten zum „Kirchenraub" aufgefordert. Seine
letzte Schrift erschien „von Anfang bis zu Ende als windige
Fopperei, verfasst zur Erhöhung des Pöbels und in der Ab-
sicht, den Unwissenden zu betrügen". Man konnte nicht an-
nehmen, dass „er an seine eigenen Gründe glaube", und einer
sprach die \'ermuthung aus, nur die Furcht, von seiner be-
246 Die „Vertheidiguug der Würde des Königthums".
wunderaswürdigen Beredtsamkeit unter einer Monarchie keinen
Gebrauch machen zu können", habe ^Nlilton angetrieben, die
Welt mit seinem jüngsten absurden Pamphlet zu beschenken.
Der Pseudo - Harrington selbst, der zuletzt das Wort nahm,
gebrauchte allerdings weniger verletzende Ausdrücke, aber in
der Sache war er ebenso schonungslos wie seine Genossen.
Seine Eitelkeit fühlte sich .dadurch besonders beleidigt, dass
Milton auf seine Lieblingsideen keine Ptücksicht genommen
hatte. Demnächst fand er eine Parallele zwischen dem
römischen Senat und der venetianischen Signorie höchst
lächerlich. Er gab sein zusammenfassendes Urtheil dahin ab,
der Titel der Milton'schen Schrift hätte lauten sollen: „Der
sicherste und leichteste Weg zur Begründung der Sklaverei".
Ohne Zweifel waren die bedenklichen Seiten der Milton'-
schen Schrift in diesem Pamphlet vortrefflich gefasst worden.
Auch die allgemeine Schwäche seiner politischen Ansichten
war dem witzigen Gegner nicht entgangen. Es war nicht
ganz unbegründet, ,,dass er sich immer in Allgemeinheiten
bewege" und sich von „blossen Worten" fangen lasse, dass er
die „Monarchie als solche bekämpfe, ohne Rücksicht auf die
besondere Verfassung", dass er „in der Regierung eines
Einzigen nur Sklaverei finde, in der Regierung Vieler nur
Freiheit". Aber andererseits, welche Gerechtigkeit hatte
Milton von einem Widersacher zu erwarten, nach dessen An-
sicht „Republiken gemeiniglich aus unwürdigen Ursachen
entstehen", und dem zufolge die Niederländer ihren Frei-
staat begründet hatten, nicht um ihre Religion und ihre Un-
abhängigkeit zu schützen, sondern „wegen der Steuer von
einem Penny, die auf ein Pfund Butter gelegt wurde".
Ernster gemeint war eine andere Gegenschrift, die etwa
Ende April unter dem Titel herauskam: „Vertheidigung der
Würde des Königthums" (^). Der Verfasser hat absichtlich nur
die Anfangsbuchstaben seines Namens auf das Titelblatt ge-
setzt. Im Begritf, einen Mann von so „anerkannter Scharf-
sinnigkeit und Gelehrsamkeit" zu bekämpfen, wollte er. wie
er etwas ironisch bemerkt, den Leser lieber im Ungewissen
darüber lassen, wer er sei, damit die Sache, die er verficht.
Die ,.Vertheidiguug der "Würde des Köuigthums". 247
nicht leide. Man vermuthet, indessen ohne genügenden Grund,
dass sich unter dem G. S. das presbyterianische Parlaments-
mitglied für Taunton George Searle verberge (^J.
Dieser Autor erscheint königlicher gesinnt als der König
selbst. Für ihn giebt es nichts Elenderes und Klaglicheres
als eine Republik. Was die Freistaaten des alten Griechen-
land betrifft, so macht er sich die Sache sehr bequem. ..Sie sind
von so altem Datum, dass man sich über ihre wahre Geschichte
kaum vergewissern kann." Um die Grösse der römischen
Republik herabzusetzen, wird er zum begeisterten Lobredner
des römischen Kaiserreichs, ^'enedig und die Eidgenossen-
schaft bekommen bittere Worte zu hören. Am meisten sind
aber dem royalistischen Engländer die vereinigten Nieder-
lande verhasst, deren Verhältnisse er eingehend zu schildern
versucht. Er betrachtet sie etwa mit den Blicken, mit denen
ein heutiger Junkei' auf Nordamerika hinsieht, und die na-
tionale Eifersucht, zu deren Dolmetscher er sich macht, schärft
ihm noch den Griffel. Die Niederländer sind ihm „eine Heerde
von Schweinen', der „Holländer wird einem Christen so wenig
Beistand leisten wie ein Türke oder Jude". Unter den ruhm-
reichen Monarchieen figuriren dagegen , wie einst in dem
Werke des Salmasius, diejenige von „Babylon, Assyrien, Per-
sien", über deren „wahre Geschichte" der Autor sich offenbar
weit eher „vergewissern'' konnte, als über die Geschichte
Sparta's und Athen's. Einen Hauptti'umpf spielt er mit dem
geistreichen Satze aus, dass „Christus unter einem Kaiser,
aber nicht zur Zeit der Republik geboren worden ist'^ — Es
lässt sich nach diesen Proben denken, wie Milton persönlich
behandelt wird. Ein Tröpfchen gelegentlicher Anerkennung
seines Talents verschwindet in der Fluth giftiger Beleidigungen,
mit der man ilm überschüttet. Er hat „Witz", aber es ist
der Witz eines „Schurken'-. Er verfügt über ,, Gelehrsam-
keit", aber er macht von ihr „den schlechtesten Gebrauch''.
Seine Schriften über die Ehescheidung, sein Bildei*stürmer,
seine Yertheidigung des englischen Volkes werden zum Be-
weise angeführt. Er ist ..ein Bruder Lüderlich, ein Atheist,
ein Vertheidiger des Königsmordes, der sich seine Arbeit
248 Die Wahlen. — Das Konventionsparlameut.
nicht schlecht hat bezahlen lassen". — Es bleibt dem Lob-
redner der Monarchie noch Athem übrig, um den „kupfer-
nasigen Heiligen Oliver" und den „absurden Phantasten Har-
rington" zu schmähen. Aber am Schluss kehrt er zu seinem
Hauptopfer zurück, um ihm eine „aufrichtige Reue und ge-
sunden Verstand" zu wünschen.
Weit besser als durch alle Gegenschriften konnte Milton sich
durch den Gang der Ereignisse davon überzeugen lassen, dass
er in den Wind geredet hatte. Für alle seine Betrachtungen
war Voraussetzung gewesen, dass man bei den Wahlen die
Bestimmungen über die Qualifikationen aufrecht halten und
somit wenigstens diejenigen ausschliessen würde, die während
des Bürgerkrieges für den König Partei genommen hatten.
Allein nirgendwo hielt man sich an diese Beschränkungen
gebunden. Neben den Wortführern der Presbyterianer er-
rangen die entschiedenen Kavaliere in Masse den Sieg. Nur
wenig einflussreiche Republikaner erlangten Sitze. Noch ein-
mal leuchtete dieser Partei ein Hoffnungsstrahl, als es Lambert
glückte, aus dem Tower, wo er in Haft lag, zu entspringen
und einige rebellische Truppen um sieh zu sammeln. Aber
die energischen Massregeln Monk's entschieden sehr bald die
Niederlage seines ehemaligen Rivalen. Schon war der so
lange zurückhaltende General in direkte Verhandlungen mit
Karl H. getreten, die presbyterianischen Parteiführer suchten
durch ihre loyalen Anerbietungen wenigstens einige Bürg-
schaften für die Zukunft zu erhalten, von allen Seiten liefen
die Versicherungen der Reue, die Erklärungen der Ergeben-
heit beim jungen König und Edward Hyde, seinem vertrau-
testen Rathgeber, ein. Am 25. April trat das neue Parlament
zusammen. Gleichzeitig und ungehindert vereinigten sich
zehn der Peers im Hause der Lords. Die alte Landesver-
fassung fand sich stückweise wieder zusammen. Nur durch
eine kurze Spanne Zeit war man von dem Augenblick ge-
trennt, in dem das letzte noch fehlende Element sich mit
ihnen verbände. Am L Mai wurden Schreiben des Königs
an die beiden Häuser überbracht. Zugleich ward eine von
Breda datirte I'eklaration mitgetheilt, in der weitgehende
Deklaration von Breda. — r4riffith's Predigt. 249
Amnestie, Gewährung der Gewissensfreiheit, Ordnung der
Eigenthumsfragen gemäss den künftigen Beschlüssen des Par-
laments versprochen wurde. Dem Gemeinderath der City,
dem General Monk und seinen Officieren , dem Befehlshaber
der Flotte giengen gleichfalls königliche Briefe zu. Die all-
gemeine Begeisterung der Bevölkerung machte jede Zögerung
unmöglich. Während bekannte Republikaner auf den Strassen
der Wuth des Pöbels ausgesetzt waren, wurde Karl II. unter
Glockenklang und Freudensalven als Erbe der Krone seines
Vaters feierlich ausgerufen (8. Mai). Einige Tage nachher
reiste die Deputation der Lords und Gemeinen ab, die ihn
zur Rückkehr einzuladen beauftragt war. Auch die presby-
terianische Geistlichkeit schickte ihre Vertreter, und unter
ihnen konnte man Edmund Calaniy bemerken, den Mitheraus-
geber des Smectymnuus, dessen Name ]\Iilton vor Zeiten nicht
gleichgiltig gewesen war.
Milton selbst hatte sich erkühnt, gleichsam schon in der
Höhle des Löwen, denselben nochmals zu reizen.
Matthew Griffith, einer der Kapläne Karls L, hatte am
25. März eine Predigt gehalten, die unter dem Titel: ,,Die
Furcht Gottes und des Königs" alsbald gedruckt wurde (^j.
Auf eine sehr blumenreiche Widmung an Monk, den er auf-
fordert, das begonnene Werk fortzusetzen, lässt der angli-
kanische Kaplan seine Predigt folgen. Ihr Thema ist „Lege
nicht Hand an den Gesalbten Gottes". Es wird vielfach variirt
und durch Bibelsprüche, die nicht immer glücklich ausgewählt
sind, sowie durch zusammengeraffte historische Beispiele be-
leuchtet. Dabei kann sich die sehr knechtische Gesinnung
des Redners nicht verläugnen. Er ist ein entschiedener Ver-
theidiger der Lehre vom „duldenden Gehorsam''. Ein König
ist ihm schlechthin aus einem besseren Stoff gemacht als
„andere Menschen". In den beständigen politischen Neue-
rungen, die England erschüttert haben , sieht er etwas Teuf-
lisches, wie ihm denn der Sündenfall im Paradiese gleichfalls
aus dem „Wunsche nach Veränderung" hervorgegangen zu sein
scheint, Monk war über diesen Appell an seine Loyalität zu einer
Zeit, da er noch den Republikaner spielte, wenig erbaut, und
250 Miltou's „Aumerkungen" zu Griffith's Predigt.
Giiffith musste für einige Zeit in's Gefängnis wandern. Dies
hielt indessen Milton nicht ab, eine Lanze mit dem Kaplan
zu brechen. Er veröffentlichte „kurze Anmerkungen zu einer
jüngst gehaltenen Predigt Mr. Griffith's", nur ein paar Seiten.
aber voll Schärfe und Leidenschaft (^). Das Schriftchen ward
abgefasst, wie man schon aus einer Stelle schliessen könnte,
ehe das neue Parlament zusammengetreten war. Koch immer
konnte Milton also sich wenigstens den Anschein geben, als
glaube er nicht an die Restauration der Stuarts. Noch immer
konnte er sich auf die feierlichen „Versprechungen und Er-
klärungen" Monk's berufen, ja sogar den General gegen die
Zumuthungen des Kaplans, als gegen „unverschämte Verleum-
dungen" in Schutz nehmen. Griffith selbst kommt unter den
Händen des alten Streiters übel weg. Der Theologe Milton
greift seine biblischen Citate an. Der Historiker Milton hält
ihm seine groben geschichtlichen Irrthümer vor. Der unbe-
grenzten Vergötterung der Monarchie stellt sich das Princip
der Volkssouveränetät gegenüber. Es muss als ein grosses
Zugeständnis Milton's gelten, wenn er, die Niederlage der
republikanischen Sache vor Augen, seine Mitbürger beschwört,
sich wenigstens nicht der Rache des ,. Besiegten" Preis zu
geben, sondern schlimmsten Falles aus ihrer eigenen Mitte
denjenigen zum König zu wählen, „der dem Volk am besten
geholfen und sich gegen die Tyrannei die grössten Verdienste
erworben hat".
Kaum waren diese „kurzen Anmerkungen" erschienen,
als ihnen ein royalistisches Pamphlet antwortete. Sein Ver-
fasser war Roger L" Estrange (geb. 1616), der als feuriger An-
hänger Karls L den Bürgerkrieg mitgemacht hatte und, in die
Gefangenschaft des Parlaments gerathen, kaum dem Tode
entgangen war(-). Er hatte seit 1653 in London gelebt und
galt für einen witzigen Kopf. Unter dem Schutz der Stuarts
erlangte er später noch eine bedeutende literarische Stellung,
die er nicht zum wenigsten seiner loyalen Gesinnung ver-
dankte. Eben diese bethätigte er in der Flugschrift „Keine
blinden Führer", durch die er Milton an den Pranger stellte (^).
"Wie schon der Titel andeutet, gewann er es über sich, gleich
K. l'Estrange's Gegenschrift: ..Keine blinden Führer". 251
früheren Gegnern des republikanischen Vorkämpfers, selbst
über dessen körperliches Leiden seine Glossen zu machen.
Er lässt es sich gleichfalls nicht entgehen, ihm seine alten
schriftstellerischen Sünden zu Gemüth zu führen: seine „Recht-
fertigung des Königsmordes", die ,. gotteslästerliche Unver-
schämtheit", mit der er im Bilderstürmer die „geheimen
Qualen der ringenden Seele" des Königs-^Iärtyrers verspottet
hat. Er bittet Milton höhnisch, „den Teufel abzulegen und sich
wie ein Mensch zu geberden, damit ein guter Christ sich doch
nicht zu fürchten brauche, für ihn zu beten". In dem, was
er zur Sache beibringt, ist viel Richtiges, soweit es die Ge-
waltsamkeiten der republikanischen Epoche betrifft. Aber
wie Griffith, so bleibt auch l'Estrange hinter der Gedanken-
tiefe und dem erhebenden Pathos seines Gegners weit zurück.
Seine Schrift macht eher den Eindrack einer Denunciation,
und in der That lagen die Dinge schon so, dass man hoffen
durfte, an den hervorragenden Feinden des Königthums bald
einigei'massen Rache nehmen zu können.
Es war alles vorbereitet, um den Sohn Karls I. im
Triumph zu seinem reuigen Volke zurückzuführen. i\Ionk
drängte ihn, um der Erhaltung der Ruhe willen seine Ankunft
zu beschleunigen. In der Bucht von Scheveningen lag die
englische Flotte vor Anker, die den König und seinen Hof-
halt befördern sollte. In England rüstete man sich zu fest-
lichem Empfang. Am 23. Mai verliess der so lange von Asyl
zu Asyl getriebene Fürst den Haag, woselbst er von den Ge-
neralständen freundlichen Abschied genommen hatte. Den
Tag darauf lichtete die Flotte die Segel, um das Geschlecht
der Stuarts zur Heimat zurück zu geleiten. Das Interregnum
war zu Ende. Die Sache, für welche Milton bis zuletzt mit
dem Muthe der \'erzweiflung gestritten hatte, w^ar verloren.
Anmerkiinii'en und Anliäna^e.
Anmerkungen.
Erstes Kapitel.
Seite
7 i)An agreement of the people etc. Pari. bist. III. 1262 — 1278.
8 ')An agreement of the fi'ee people of England 1. May 1649. Old
pari, history XIX. 111 — 119, ebenda 91 — 94 ein Auszug aus
England's new chains discovered.
18 ^) Pauli: Robert Blake in den Aufsätzen zur englischen Geschichte
(1869) nach H. Dixon: Robert Blake 1858 und Warburton :
Memoirs of Prince Rupert, 1849.
20 ^) Er war einer der Gesandten gewesen, die zu Gunsten des Königs
wirken sollten, s. B. II, 446.
*) Für das Folgende bieten die Hauptquelle die Protokolle des Staats-
raths, die ich im Record- Office einsehen konnte. Die Auszüge,
welche Todd aus ihnen gemacht hat, sind ergänzt worden diurch
Hamilton und durch Bisset in seinem Werke; History of the
Commonwealth of England, 2 Vols. 1867. Neuerdings hat man
angefangen, in den C. S. P. jene Protokolle musterhaft zu ediren,
und diese Edition mit ihren vorzüglichen Registern wird den werth-
vollsten Kommentar zu der gesammten amtlichen Thätigkeit Mil-
ton's bilden.
21 ') Gedichte von G. R. Weckherlin, herausgegeben von K. Goedeke
(Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. V. 1873), daselbst eine
ausführliche biographische Einleitung. C. S. P. Reg. s. v. Weck-
herlin und Whitelocke, Ed. 1732 p. 204, 237 etc. Todd I.
108, Godwin 11. 494.
22 1) S. 0. B. n. 190, 264.
23 *) Wood: „without any seeking of bis by the endeavours of a pri-
vate acquaintance who was a member of the new Council of State".
Vgl. Phillips und De f. sec. Man könnte nächst Vane auch
ßradshaw, der am 10, März Präsident des Staatsraths wurde, für
256 Anmerkungen.
Seite
dies „member" halten , wenn seine Verwandtschaft mit Milton er-
wiesen wäre, s. aber I. 345. n. 430.
23 ^) „at one Thomson's , next door to the BuUhead tavern at Charing
Gross opening into the Spring gardens". Phillips, der irriger
Weise die Abfassung der defensio prima in diese Wohnung verlegt.
24 ^) C. S. P. ed. M. A. E verett Green zu den bezeichneten Daten, wo-
durch der Zweifel bei Phillips gelöst wird. Guizot: Histoire de
la republique d'Angleterre , II. 133 verlegt Miltons Ausweisung aus
Whitehall irrig auf eine spätere Zeit. Das Haus ist seit 1877 ab-
gerissen, s. Masson IV. 420.
25 1) To Sir Hem-y Vane the younger P. W. IL 484, 298. III. 480. Es
scheint Masson entgangen zu sein, dass zuerst Sikes: Life and
death of Sir H. Vane 1662 dies Sonett abgedruckt und bemerkt
hat, Milton habe es am 3. Juli 1652 Vane zugestellt, s. Forster,
Statesmen, 312.
26 ')S. über Fleming: Jahrbuch für Schweizerische Geschichte III. p. 5,
10. Seine Briefe im Reco rd-Office wie im Züricher Archiv
haben mir vorgelegen.
27 ') S. über Haak wie über Hartlib: C. S. P., Pieg. Wood , Wo rthi ng-
t OH ' s Diary Reg. B o y 1 e " s Works ed. Birch 1. 25 etc. ; vgl. über Haak :
Ko berstein, Grundriss der Geschichte der Deutschen National-
literatur, 5. Auflage. H. 93. Die daselbst erwähnte älteste deutsche
üebersetzung des Milton'schen Epos von E. G. V. B. (Ernst Gott-
lieb von Berge nach Ausweis der Dedikation), Zerbst 1682, befindet
sich auch in der göttinger Bibliothek, Poetae 4713. Der Ueber-
setzer sagt, er habe versucht, das Gedicht ..auf gleichmässige Art,
wie es unlängst zuvor von dem berühmten H. Theodoro Haaken,
fürnehmen ^litglied der curiösen königlichen Gesellschaft allberejl
angefangen, vollends überzutragen und durch den Druck an's Licht
zu bringen'". Möglich, dass er jene Üebersetzung der ersten sechs
Bücher von Haak, die bei Aubrey erwähnt wird, benutzt hat.
*) Uebrigens Auirde Milton die ihm übertragene Arbeit wieder abgenom-
men und Thomas May zugewiesen, s. C. S. P. 1650 Juni 26, Juli 2
(p. 216. 228 1. Als üebersetzer in's Französische wird Rene
Augier genannt, der schon seit lt544 als. Agent des Parlamentes
in Paris gedient hatte, zur Zeit der Republik vielfältige diploma-
tische Verwendung fand und auch mit ^Milton in Berührung kam.
28 ')S. über Durie C. S. P. Reg. Whitelocke (Ed. 1732 p. 416i, die
Schutzschrift HartUb's für ihn The unchanged . . Peace-Maker
(s. 0. II. 474) 1650, femer The reformed school by John Dury . .
London 1650 und The reformed librarie keeper with a Supplement
to the reformed school, as subordinate to Colleges in universities
by John Dury . . London 1650, beide mit Vorwort von Hartlib.
Br. M. 1031. a. 11.
Erstes Kapitel. 257
Seite
28 ^) Literae seuatus Anglicani nee non Cromwellii etc. nomine ac jussu
conscriptae W. VII. 1S6 flF. , ergänzt diu-ch die Mittlieilungen Ha-
milton's, aus dem im Kecord- Office befindlichen Ms. Exemplar
109 S. klein 4" von Daniel Skinner's Hand. Dies Ms., das ich in
London benutzen konnte, hätte man für eine neue, sehr nöthige,
kritische Ausgabe der Staatsbriefe heranzuziehn. Einen Kommentar
zu den einzelnen Briefen zu geben, was mit Hilfe der C. S. P. am
besten geschehn kann, lag ausser meiner Aufgabe.
29 ^) Hamilton 16, 17. Man hat zur Erläuterung dieses wie der
übrigen an Hamburg gerichteten Staatsbriefe die Bände des C.
S. P. und die Hamburgh-Correspondence im Record-Office
herbeizuziehn.
30 *) Order Books of the Council of State 26. Jan. 1652, s. Hamilton 27,
Bisset 284. Ueber die ^Idenburgische Salva-Guardia s. Anhang I.
2) Bisset I. 40. C. S. P. 1649, 16. Juli.
31 *) C. S. F. 1649, April 13, vgl. Facsimiles of national manuscripts
from William the conqueror to queen Anne, selected under the di-
rectioü of the master of the rolls Part IV. 1868, Charles II.
No. XL VI. Ich sehe keinen Grund, auch die Uebersetzung des fol-
genden Stückes Milton zuzuschreiben.
^) An act against unlicensed and scandalous books and pamphlets
and for better regulating of printing Br. M. 115 f. 8. Old pari,
history XIX. 170—176.
32 >) Wood. C. S. P.
33 ^) S. die Ausführungen bei Masson IV. 324 ff.
*) S. über Needham die Mittheilungen bei Godwin III. 343 — 347
nach Wood, Forster, Statesmen 530, 535, 598. Hamilton
28, 29. C. S. P. unter den angegebenen Daten und s. v. Needham.
Der Eintrag in den Registern der Stationers' Company „17 Marcii
1650-' [1651] lautet: „Tho. Newconib: Entred for his Copie by
Order of Mr. Milton 6 Pamphlets called Mercurius Politicus." Da-
nach: „Tho. Newcomb 17. Aprill 1651 Entred for his copies under
the band of Mr. Milton 5 Pampliletts called Mercurius Politicus."
„Tho. Newcomb 28 April 1651 Entred for his copies by permission
of Authority 3 Pamphletts called Mercurius Politicus." „Tho. New-
comb 22 Mai 1651 Entred for his Copies under the band of Mr.
Milton 4 Pamphletts called Mercurius Politicus." Vom 29. Mai 1651
bis 22. Jan. 1652 folgt dann der wöchentliche Eintrag „under the
band of 'Mr. IMilton''. Vom 29. Jan. 1652 folgen Einträge ohne Be-
zeichnung eines Licensei'. Am 12. Jan. 1653 heisst es „under the hands
of Mr. J. Thurloe Servant to the Councell of State", und am 2. Juli
1653 wird der Gesammteintrag für .,fifty and one Pamphlets called
^lercurio Politico beginning 8. July 1652 endiug 30. June 1653"
nachgeholt. Unter dem 6. Okt. 1651 findet sich: „Mr. Griffin and
Stern, Milton u. s. Z. II. 3. 17
258 Anmerkungen.
Seite
Mr. Leach entered for tlieii' copy under the band of Mr. Milton a
pamphlet called The Perfect Dim-nall", woraus hervorgeht, dass
Milton auch einmal ein Geschäft besorgte, welches gewöhnlich
Rushworth oblag.
34 ^) C. S. P. 1652 s. Reg. s. v. Dugard. C. J. 1652, 10. Febr., 2. April,
22. Juni. Höchst erwünscht ist folgende ergänzende Nachricht aus
dem Ms. Tagebuche des L. von Aitzema, hansischen Residenten
(Archiv im Haag, nach einer Mittheilung von H. Dr. GoU) :
,, London 5. Martii 1652 In't stuck van de Religie houden sij
deese regel, dat se toestaen alle exercitie van religie, die nict
doolt in de fundamenten, en die nict papist is. Onlangs was hier
gedruckt catechismus Socin. Racov. Sulx wiert van't Parlament
qualijck genoomen: de drucker segt dat Mr. Milton het hadde
geliccntieert : Milton gevraegt seyde^ja ende dat hy een bouckien
op dat stuck hadde uyt gegeven , dat men geen boucken behoorde
te verbieden: dat hy in't approbeeren van dat bouck nit meer ge-
daen had als wat syn opinie was."
35 ^) Articles | of peace, | made and concluded with the Irish rebels, and
papists, I by James cai'le of Ormond, | for and in behalfe of the
lateKing, | and by vertue of his Autoritie. | Also a Letter sent by
Ormond to | Col. Jones, Govemour of Dublin, | with his Answer
thereunto. | And a representation of the Scotch Presbytery ; at
Belfast in Ireland. \ Upon all which are added Observations. |
Publisht by Autority. I London; 1 Printed by Matthew Simmons in
Aldergate-sta-eete. ; 1649. Er. M. E. 555. 65 S. 8". Ms. Vermerk
„May. 16." W. lY. 502 — 581. Schon Todd hat den Irrthum vieler
Biographen Milton's bemerkt, welche dies Aktenstück vor die Zeit
seiner Anstellung setzen, vgl. die Verfügung des Staatsrathes, C. S, P.
28. Mäi-z 1649.
39 1) Eixcüv ßtcaihy-T). \ The Po\Ttraitvre ] Of | His Sacred Majestie 1 In |
His Solitvdes | And S\'fferings. ; . . . M.D.C.XLVIII. Er. M. E. 1096.
kl. 8". 269 S. :\Iit Tinte von Thomason's Hand: „Feb. 9tii.", und
auf dem Blatt vor dem Titel : „The fii-st Impression". Gewöhnlich wer-
den 46 oder 47 Auflagen angegeben. Nach Todd 117 sollen von 29
Abdrücken, welche die „Prayers . . delivered to Dr. Juxon'' nicht ent-
halten, 17 im Jahre 1649 erschienen sein, während man 27 Ausgaben
mit den „Prayei's'* aufzähle. Doch steht nicht fest, wie viele von
diesen späterer Zeit angehören. Eine deutsche üebersetzung er-
wähnt Eoinebiu"g in einem Brief vom 12. Okt. 1650 (Epistolaep. 122).
eine spätere von D. G. Schreber 1747 liegt mir vor
^) Wordsworth: Who wrote K ß.? p. 96 nachWilkins: Vita Sel-
deni p. 54. — „Les Anglais ne veuleut repondre qu'avec l'epee ä
M. Saumaise et ont fait cesser l'edition du li^Te de J. Seldenus qui
Erstes Kapitel. 259
Seite
etait sur la presse contenant la reponse ä Mr. Saumaise". Lettres
de Gui Patin (Ed. 1846) II. 17. 24. Mai 1650.
39 ^) EIK0\0KAA:iT11Z \ In I Answer | To a Book Intitl'd | E'IKSiN
BA2:rArKH, I The | Portrature of bis Sacred Majesty | in bis Soli-
tudes and Sufferings. The Author I. M. (dahinter von Thomason's
Hand „ilton'") (hierauf die Mottos aus Prov. XXVIII und Salust)
Published by Authority. | London, Printed by Matthew Simmons,
next dore to thegilded | Lyon in Aldersgate street 1649. 4'. 242 S.
Titel und Vorrede auf 6 unpaginirten Blättern. Br. M. 293. f. 37,
■p rro
dasselbe Br. M. r — mit der Ms. Note Thomason's .,Octob. 6".
o
. Die zweite Ausgabe: „Publish'd now the second time, and much
enlarg'd. | London, Printed by T. N. and are to be sold by Tho.
Brewster j and G. Moule at the three Bibles in Pauls Church-Yard
nearthe West-end, 1650. 4'\ 230 S. Titel und Vorrede auf sieben un-
599 e
paginirten Blättern: Br. M. — y — ' In den W. Ed. Pickering III.
327 — 530 findet man niu* einen Abdruck der ersten Ausgabe, in
der Ed. St. John I. 301—496 die zweite, in der Ed. Birch (17.53)
I. 401 flf. , sind die Unterschiede beider Ausgaben ziemlich zuver-
lässig angegeben. Deutsche Uebersetzung von Bernhardi 11.
1 — 174.
40 *) Im ersten Abschnitt schleicht sich sogar das Versehen ein, dass die
Auflösung des ersten und des zweiten Parlaments Karl's I. ver-
wechselt wird, wie schon Thomason bemerkt hat.
42 1) C. S. P. 5. März 1651. Ich beziehe den Eintrag auf den Eikono-
klastes und nicht auf die Defensio pro populo Anglicano.
43 *) Sehr klar wird der Satz auch ausgesprochen in Def. prima C'ap.IX:
„Ut summatim dicam quod res est, Parlamentum est supremum gen-
tis Concilium, ad hoc ipsum a populo plane libero constitutum
et potestate plena instructum, ut de summis x'ebus in commune
consulat; rex ideo erat creatus, ut de consilio et sententia illorum
ordinum consulta omnia exequenda curaret."
45 *) Einen Ueberblick über die ganze Streitfrage gewährt C. Words-
worth: Who vixoiQ rAxoyv ßaadixri considered and answered, Lon-
don 1824, und: King Charles the First the author of Icön Ba-
silike further proved etc., 1828. Guizot: Hist. de la rep. d'Angle-
terre I. 2tJ hält eine Billigung und Korrektui- des Ms. durch Karl I.
für wahrscheinlich (vgl. die Einleitung zur Uebersetzung des E. b
in der Collection des Memoires etc.). Ranke, E. G. III. 317, nimmt
dagegen nach Kennett an, dass der Grundstock vom König her-
rühre, die Form des Buches von einem anderen. Unbedeutend ist
A. Tuckermanu: On the author of the E. ß., Berlin, Herrmann,
* 1874.
17*
2(50 Anmerkungen.
Seite
47 ^) Bekanntlich hat man Miltou selbst Schuld gegeben , er habe den
Betrug erst in das „königliche Bild" eingeführt, um ihn alsdann
aufdecken zu können. S. über diese sinnlose Verleumdung Mas-
sen IV. 249, 2.50.
48 ^) Vgl. über diese ganze Literatur aus dem ersten Stadium der Kon-
troverse Wordsworth: "NVho wrote etc. 52 — 111. Das Datum
des Erscheinens von Godwin's Schrift „Obstructors of Justice", in
der auf ^Slilton's „Tenure of Kings" vielfach Rücksicht genommen
wird, ergiebt sich aus den Bemerkungen von Jackson, Life of God-
win. Von The Princely Pellican . . 1649 besitzt das Br. M. ein
Exemplar E. 558 mit dem Ms. Vermerk „June 2d". Für den Titel
dieser Schrift bot Eixwr ßcta. gleichsam von selbst die Handhabe,
vgl. das Gebet im Anhang zu XXIV: „It is now thy pleasure that
I should be as a Pelican in the vnlderness". Der Autor des
Princely Pelican führt sich ein als einer der vertrautesten Diener
des Königs, der bis zuletzt bei ihm geblieben sei (Herbert ?), allein
stilistische Eigenthümliclikeiten wecken den Verdacht, dass dieselbe
Feder diese Vertheidigung des E. ß. geschrieben hat, der E. ß.
selbst entstammte. — Eiy.mv dXrif^ivi] . . London pr. by Thomas
Paine . . 1649 trägt in dem Exemplare des B r. M. E. 569 von Tho-
mason's Hand den Ms. Vermerk auf dem Titel „August 16", EI-zmv
Tj TTcarri ebenda E. 537: „Sept. llth", mit Bleistift u. bemerkt: [By
End}Tnion Porter?], vgl. Wordsworth 65.
") The life and reigne of King Charls (sie) or the pseudo-martjT
discovered . . London . . 1651 (Ms. Note von Thomason: „Janua-
rii 29"), Br. M. E. 1338 p. 178: „the whole contexture whereof
hath already been sufficiently handled without mittens by a Gentle-
man of such abiUties as gives place to none for bis integrity, learn-
ing and judgment.'' W. Lilly: Monarchy or no Monarchy etc.
1651, p. 81: ,,But it is answered by the learned Milton" etc., vgl.
die Worte von E.Walker, die sich hiergegen richten, bei W o r d s -
worth: Who wrote etc., 108.
^) Orders vom 5. Milrz, 20. Mai 1651, 15. Nov. 1652, 1. April 1653.
C. S. P. und Todd 118, 119. Dmie's üebersetzimg befindet sich
im Br. M. 8122. a: Eixovox).aOT),g ou Reponse au Livre intitule
Eiy.wv ßaaihxrj . . Traduite de l'Anglais sur la seconde et plus
ample edition et revue par l'Auteiu: ä Londres. Par G. Du-Gard,
1652. Im .Vorwort spricht Durie „de l'elegance du stile et du lan-
gage de l'auteui' et de ses conceptions".
*) FJy.wv axlctOTos ^ The , Image Vnbroken | A Perspective of the Im-
pudence. Falshood, Va- j nitie, and Prophannes, Published | in a Li-
bell entitled ■ Ery.ovoylaairi^ (sie) against Etxuyv ßacfiltxrj ' Or the
Pourti-aicture of his Sacred Majestie in his solitudes and Sufferings.
Printed Anno Dom. 1651. 4". 267. S. Br. M. 599. e. 18. lieber
Zweites Kapitel. 261
Seite
Earle, der 1649 Eixoir ßuaihxr, aus dem Englischen in's Lateini-
sche übersetzt hatte, s. Wood ed. Bliss III. 716, über Jeanes da-
selbst III. 590. Im Jahre 1660 erschien eine zweite Auflage des
Eiy.ü)v ((xlnnTog unter dem Titel: ,.Salmasius dissection and confu-
tation of the diabolical rebel Milton"; s. Words worth, Who
wrote etc., p. 101.
49 *) S. die Urtheile von Hacket und Sanderson bei Words worth, 1. c.
108, 109; auch Bates: Elenchi motuum nuperorum in Anglia pars
prima (Ed. Amsterdam 1668), p. 161; vgl. ein ungünstiges Urtheil
von J. Beal in Boyle's Works V. 438. Was den Erfolg des Eiko-
noklastes betrifft, so verwechselt Geffroy S. 143 dies Buch mit
dem E. ß.
Zweites Kapitel.
52 ^) Von Biographieen des Salmasius citire ich diejenige in Haag: La
France protestante IX und diejenige in Worthington 's Diary
I. 324; vgl. Salmasii epistolae accurante A. Clementio, 1656,
Cl. Sarravii epistolae, 1654, Lucian Müller: Geschichte der
klassischen Philologie in den Niederlanden, 1869.
^) Defensio Regia Pro Carolo I. Ad Serenissimum Magnae Britanniae
Regem Carolum II Filium natu majorem, Heredem & Successorem
legitimam Sumptibus Regiis. Anno MDt'XLIX. fol. 338 S. ; über
andere Ausgaben s. Brunet.
54 ') Salmasii ad J. Miltonum Responsio, Opus posthumum (1660), p. 30 fif.
57 0 Joannis Miltoni 1 Angli | Pro Populo Anglicauo i Defensio, | Contra |
Claudii Anonymi, alias Salmasii, | Defensionem Regiam. | Cum In-
dice. 1 Londini, , Typis Dv Gardianis, Anno Domini 1651. — In
dem Exemplare des Br. M. E. 1393 ist die Jahreszahl in 1650 verändert
und „Aprill 6 tu" von Thomason bemerkt worden. Man wird dar-
aus schliessen dürfen, dass Th. sein Exemplar am 6. April erwarb,
dass aber das Buch schon vor dem 25. März in Umlauf war. 4".
260 S. , darauf 6 Bl. Index Rerum Memorabilium W. VI. 1 — 190.
Eine zweite, wenig veränderte Auflage, die allen bisherigen Her-
ausgebern von Milton's Werken entgangen zu sein scheint, mit einem
stolzen Nachwort gab Milton 1658 heraus. Br. M. E. 1960: Joannis
MiltonJ I Angli [ Pro \ Populo Anglicano | Defensio I Contra Claudii
Anonymi | alias | Salmasii Defensionem Regiam. Editio correctior
et auctior, ab Autore denuo recognita | Londini, | Typis Neucom-
bianis, Anno Dom. 1658. 8". 171 S. Uebersetzung bei Bern-
hardi L163— 321, zum Theil auch bei Troxler: Fürst undVolk
nach Buchanan's und Milton's Lehre, 2. Auflage, Aarau 1821, fran-
zösische Bearbeitung von Mirabeau: Theorie de la royaute
d' apres la doctriue de Milton, 1789. — Der Drucker William Dugar d
262 Anmerkungen.
Seite
war früher als „Staatsfeind" veiiolgt worden, da er u. a. Ausgaben
des „königlichen Bildes" gedruckt und eine Ausgabe von Salma-
sius' Buch vorbereitet hatte. Indessen kein anderer als Milton soll
ihn bewogen haben, sich den republikanischen Behörden zur Ver-
fügung zu stellen, s. C. S. P. und Wo rdsworth: Who -wi'ote etc.,
139, 140.
57 -) Def. sec. Milton W. VI. 280, 293. C. S. P. 8. Jan., IS. Febr.,
23. Dec. 1650, 18. Juni 1651 ; vgl. Hamilton25. Noch Bluntschli:
Geschichte des allg. Staatsrechts, 1867, S. 86, wiederholt das Märchen,
Milton habe „eine Nationalbelohnung von 1000 i^ erhalten", vgl.
IVIilton's Worte in Def. sec: „Tuque scito me illas opimitates at-
que opes, quas mihi exprobras, non attigisse neque eo nomine quo
maxime accusas obolo factum ditiorem".
62 1) Royalty and Loyalty . . by R. Grose, 1647. Br. M. 100. k. 6.
*) Observations concerning the originall of government upon Mr. Hobs.
Leviathan. Mr. Milton against Salmasius. H. Grotius de jure belli.
Mr. Huntons treatise of monarchy. London printed for R. Royston . .
1652. Br. M. 100. k. 7. (Gegen Milton richten sich S. 12 — 22.)
68 ^) De jm-e belli ac pacis I. 3. 8; über Grotius und Milton s. B. I. 264.
IL. 190.
68 -) Ranke: Zur Geschichte der politischen Theorieen, G. W. XXIV.
Hub er: Der Jesuitenorden, 244 — 268.
69 ^) Eine Stelle der Schrift „The tenure" etc. (Ed. St. John II. 18) er-
regt allerdings Bedenken : „The Greeks and Romans . . held it not
only lawful, but a glorious and heroic deed . . to kill an infamous
tyrant at any time without trial ; and but reason, that he, who trod
do\\Ti all law, should not be vouchsafed the benefit of law". Der
Autor versetzt sich indess hier mehr in den Geist des Alterthums,
als dass er selbst einen Grundsatz aufstellen wollte. In den „Ob-
servations on the articles of peace" etc. (W. IV. 566) missbilligt
er auf's entschiedenste die jesuitische Lehre ,,to murder kings in
the basest and most assassinous manner" etc. Doch ist Milton,
wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, noch ziu' Zeit der Commune
als einer der Vertheidiger des Tyrannenmordes citirt worden.
2) Commonplace-Book ^famden-Soc. 1876), p. 21, 32, 41. Es findet
sich kein Excerpt aus Hooker und ich sehe auch nicht, dass dessen
politische Grundansichten auf Milton eingewirkt hätten.
70 ') Der Hinweis auf Hotmann C. IV a. E. und C. VIII a. Anfang. Eben-
dort über Buchanan (vgl. schon Buch II. 446), s. auch Def. sec.
W. VI. 313.
71 ') Buchanan: De jure regni apud Scotos (1579), p. 14, TjTannen
sind „qui palam non patriae sed sibi gerunt imperium neque publi-
cae utilitatis sed suae voluptatis rationem habent. Milton: Tenure
of kings etc. (Ed. St. John II. 17) „A tyrant is he who, regarding
Drittes Kapitel. 263
Seite
neither law nor the common good, reigiis only for himself and his
faction." Stellen aus Languet, zu denen sich schlagende Analogieen
bei Milton finden (Vindiciae c. t. Ed. MDLXXX, j). 16-5): „Proba-
vimus reges omnes regiam dignitatem a populo accipere populum
Universum rege potiorem et superiorem esse, regem regni, impera-
torem imperii supremiun tantum ministrum et actorem esse, popu-
lum vere dominum existere." p. 167: „Est inter principem et po-
pulum ubique locorum mutua et reciproca obligatio . . obligatur
populus principi sub conditione princeps populo pure. Itaque si
minus adirapletur conditio , solutus est populus , irritus contractus,
obligatio ipso jure nuUa." p. 21.5: „ünde consequitur non populos
propter magistratum sed contra magistratus propter populum fuisse
creatos.'"
72 ^) Die Hauptstellen in R. Williams: Bloudy tenent of persecution
(vgl. B. II. 234 ff.), p. 214, 31-5, 341. „The sovereign, original and
foundation of civil power lies in the people . . a people may erect
and establish what form of government seems to them niost meet
for their civil condition. It is evident that such governments as
are by them erected and established, have no more pov/er, nor for
no longer time, than the civil power, or people consenting and agreeing
shall betrust them with. This is clear not only in reason but in
the experience of all commonweals, where the people are not de-,
prived of their natural freedom by the power ot tyrants" etc.
") Eine zeitgenössische Schrift , die sich ganz mit ^lilton's Ansichten
begegnet, ist z. B. rirtan y.id rü.og t^ovaücg The original and end
of civil power . . by Eutactus Philodemius, London 1649 (Oxford,
Leicester-College Pol. Tracts 1646 — 61 No. 7), von den Schriften
Lilburne's an dieser Stelle zu schweigen.
74 ^) Aubrey.
77 ^) R. v. Mo hl: Geschichte und Literatui" der Staatswissenschaften
I. 231 läugnet dies. Vgl. indess die schon o. B. II. 443 citirte
Stelle aus „Tenure of Kings". S. im allgemeinen die guten Bemer-
kungen von Seeley: Milton's political opinions in ,,Lectures and
Essays", London 1870.
Drittes Kapitel.
80')Hobbes: Behemoth 1679 (W. VL 368). t'onring: „Uterque
mihi Visus est aeque imperite de regno disputare" (s. Worthington's
Diary I. 328). J. ('. ßaronis de Boyneburg Epistolae ad J.
C. Dietericum . . . 1705, p. 270; s. d. „Miltonus exprobravit nimis
acerbe Salmasii erroi'es quos ipse ubique non vitavit".
*) Pro Rege et Populo Anglicano Apologia , Contra Johannis Poly-
pragmatici (alias Miltoni Angli Defensionem destructivara, Regis et
2(34 Anmerkungen.
Seite
Populi Änglicani, Antverpiae ApudHieronymum Verdussen,MDCLI. —
2 S. „ad Lectorem", 8 S. „Ad praefationem praeludium", 4 S. .,ad
celeberrimam academiam Leidensem epistola dedicatoria", darauf
195 S. 12', enthalten in der darmstädter Bibliothek.
81 M Joannis Philippi (darunter in Ms. „i- e. Miltoni Amanuensis") Angli i
Responsio | Ad j Apologiam Anonymi cu | jusdam tenebrionis pro |
Rege et Populo Angli- ! cano infantissimam. i Londini | Typis Du-
gardianis. An. Dom. MDCLII. 12 '. Br. M. 599. a. 22. W. VI. 190—
235; vgl. Godwin. Lives of E. and J. Phillips 12-20, 383. An-
fang Januar 1652 war die Schrift schon erschienen, s. u. Anhang I.
^j Mit Jane ist vielleicht jener Jeanes, dem die Autorschaft des
Eixöjv (iyJ.aarog zugeschrieben ward, verwechselt. S. o. S. 48. Was
Bramhall betrifft, so vgl. dessen Works, Oxford 1842, I. p. XCIV.
Brief No. IX, May 9, 1654: „That Ijlng abusive book was written
by Milton himself, one who was sometime Bishop Chappell's pupil
in Christ Church in Cambridge but turned away by him, as he well
deserved to have been both out of the University and out of the
Society of men. If Salmasius bis friends knew as much of him as
I, they would make him go neai- to hang himself. But I desire not
to.wound the nation through bis sides, yet I have written to him
long since about it roundly. It seems he desires not to touch upon
that subject. That silly book which he ascribed to me, was WTitten
by one John Rowland" etc,
^) Polemica sive supplementiun ad apologiam anonymam pro rege et
populo Anglicano adversus Jo. 31iltoui defensionem populi Ängli-
cani. Et Irenica sive cantus receptui ad Christianos omnes. Per
Jo. Rowlandum pastorem Anglicum. ^MDCLIII; s. namentlich den
Schluss von Kap. 5.
82 ^) Carolus I. Britanniarum ' Rex. ' A Securi Et ; Calamo Miltonii | Vin-
dicatus. I Quiper Virtutem pari t haud pol i interiet. Plautus in
Captiveis. Dublini, Apud Liberum Con'ectorem, i via Regia, sub
signo solutae fascis. | MDCLII. 118 S. 12", Die seltene Schrift ist
mir nur aus der Bibliotheque nationale in Paris (Nc. 1065)
bekannt geworden.
82 ') Casparis Ziegleri Lipsiensis circa regicidium Anglorum exercitatio-
nes. Lipsiae apud haered. Henning Grossi . . 1652. 191 S. 12 '.
mit einer Ode des 31. Fridericus Rappoltus in acad. Lips. prof.
publ. Ich benutze ein Exemplar der Stadt-Bibliothek zu Bern.
Eine zweite Ausgabe „accedit J. Schalleri dissertatio" (s. die fol-
gende Anm.) Leyd. Batav. 1653.
83 \ Dissertationis ad quaedam loca Miltoni pars prior, quam annuente
Deo. praeside Dr. Jacobo Schallero, SS. theol. doct. et philosoph.
pract. professore solenniter defendere conabitui' die mensis septem-
bris (mit Ms. verändert in ..13 die mensis Xov.") Erhardus Kieffer
Drittes Kapitel. 265
Seite
Durlaco -Marchicus Argentorati Typis Friderici Spoor MDCLII,
44 S. . . Pars posterior quam . . solenniter defendet die 17 mens. Sept.
Christophorus ©ün^er Argentorat. A. Typis F. Spoor MDCLVII
p. 45 — 92. Ich benutze ein Exemplar der darmstädter Biblio-
thek. Ebendaher habe ich kenneu gelernt: Examen Anglicum Ex-
hibens V. Quaestiones Politico - Juridicas. In quibus Breviter et di-
lucide ostenditur, Regiam Majestatem non esse violandam a sub-
ditis, sed sancte colendam; Exercitii gratia conscriptum ab Henrico
9temmigf)aufcn . . Rintelii . . MDCLIII. 40 S. 4"., eine Schrift,
die sich wesentlich auf Salmasius stützt.
83 ^) Dies geht aus einem Briefe Durie's (Basel, 30. INIai 1655) her-
vor, der sich im Staats-Archiv von Zürich (Dui'aeana de
Syncretismo Vol. III. 263) befindet, und in dem er sich gegen ver-
schiedene Anschuldigungen verwahrt: „Secondement touchant la
translation du livre de M. Milton contre S. qui s'appelle Defensio
Regia il dit que c'est une fiction et faussete controuver [controuvee]
ä plaisir. car tant s'en faut qu"il aye translate ce livre en Anglais,
que niesme il n'a jamais oui dire jusques ä present qu'il aye este
translate et mesraes ä peine le peut-il encore croire et en oultre
il declare que l'asprete qui est au livre de M. .Milton lui a tellement
depleu qu'il a tesmoigne le mescontentement qu'il en
avait ä Tautheur raesme aussitost que le li\Te fust imprime.''
Vgl. 1. c. III 271 einen Brief von J Frays an „M. Ulrich premier
miuistre de l'eglise ä Zuric", Heidelbergae 19. 29 May 1655 .
„ayant de mesme (ä ce qü'on dit) translate en Anglais le livre de
Milton qui a refute Defensionem Regiam Salmasii" etc. Auf Seite
der Ankläger Durie's lag offenbar eine Verwechselung mit seiner
Uebersetzung des Eikonoklastes vor, s. o. S. 48 Anm. 3.
') Def. secunda. Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kui-
fürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, VI. 258, herausgege-
ben von Erdmannsdörffer.
*)Filip von Zesen: Die verschmähete doch wieder ei'höhete INIaje-
stäht . . Amsterdam 1661. S. 185. J. Heath: A brief chronicle
of the late intestine war etc. Second Impression London 1663,
p. 435: „the royal defence which one Milton since stricken vrith
blindness cavilled at*' etc. Man kennt ein Exemplar der ,, Defensio
prima pro populo Anglicano", in das der Besitzer, der zweite Graf
von Bridgewater, der s. Z. im Comus mitgewirkt hatte, die Worte
eingeschrieben hat: „Liber igne, author furca dignissimi"; s. P.W.
II. 257.
84 ') Grauer t: Christina, Königin von Schweden, und ihr Hof, 2 Bde,
1837. 1842. Der Briefwechsel des Heinsius, Vossius, Gronov, Bour-
delot, Vlitius in Burmanni, Sylloges epistolarum a viris illu-
stribus scriptarum, T. 1 — 5, Leidae 1727, zum Theil abgedruckt
266 Anmerkungen.
Seite
in Milton's Works ed. Pickering I. ; vgl über die genannten Ge-
lehi'ten Jöcher und Zedier.
85 ^) S. die bereits Buch I Anm. 1 zu S. 14 citirte Stelle; vgl. Anm. 2
zu Buch II S. 342 über die Verwechselung von Patric und Tho-
mas Young.
86 ')Burmanni, Syllog. III. 742.
-) Vossius theilt es dem Heinsius schon am 19. Juli 1652 mit (Bur-
mannni, Syllog. III. 639).
87 ^) Whitelocke. der vom November 1653 bis Mai 1654 in Schweden als
Cromwell's Gesandter verweilte, frug die Königin: .,if she had seen
a book lately written by one Milton, an Englishman, and how she
liked his style'", worauf „she highly commended the matter of part
of it and the language". Whitelocke: Journal of the Swedish
embassy Ed. 1855, I. 417; s. daselbst I. 203: „The consul (in Kö-
pingi Said that he had read Milton's book and liked it and had
it at home".
-) Claudii Salm asii ad Johannem Miltonum responsio. Opus posthu-
mum. Londini . . 1660. 304 S. Eintrag in den Registern von
Stationers' Hall „19. Sept. 1660'-.
88 ^) I)e-fensio secunda.
89 ') Ein Artikel über Philaras findet sich bei Chardon de la Ro-
ch ette: Melanges de critique et de philologie, 1812, 11.302—332.
Die Besorgung an ^lilton hatte Augier übernommen, s. über ihn oben
Anm. 2 zu S. 27.
90 ^) Def. sec. W. VI. 310, die beiden Briefe an L. Philaras Jan. 1652
imd 28. Sept. 1654. W. VII. 388. 392. Weitere Stellen über die
Türken und Griechen im Eikonoklastes C. X . . ,,after he had de-
manded more money of them and they to obtain their rights had
granted him than would have bought the Turk out of
Morea and set free all Greeks." G. XXVII: „and so far
Tiu'kish vassals enjoy as much liberty under Mahomet and the
Grand Signior" etc.
-) Ziegleri circa regicidium Anglorum exercitationes im Vorw^ort an
den Leser. Apologia pro rege et populo A. ebenda. Doch heisst
es hier irriger Weise, von Salmasius Def regia sei nur ein Abdruck
erschienen.
91 i)Thurloe II. 246, 289, 418, 629. Philaras ler wird bei Thui-loe
Vi 1 lere genannt; sass eine Zeit lang in Paris gefangen. Unter
seinen Papieren fand sich .,a letter of civility Mr. Milton had writ
to him". Es war der Brief vom Juni 1652.
91 *) üeber Philaras Aufenthalt in London finde ich die folgende Notiz
in den Depeschen Salvetti's (Abschriften nach den Originalen
zu Florenz im Br. M. Add. Mss. 27962 sqq.): ,,12. Febr. 1655.
E un pezzo che io dovevo dire a vostra signoria illustrissima come
Drittes Kapitel. 267
Seite
si trova qui il signor Leonardo Villare residente del serenissimo
di Parma a Parigi che tu comandato di sortire di Francia et si va
intrattenendo qui , con speranza che il suo serenissimo padrone sia
ben presto per farlo richiamare ad esercitare quella sua carica
0 impiegarlo in altra altanto honorevole. Viene alle volte a casa
mia a visitarmi et veramente io lo trovo molto intelligente nel suo
ministerio et ne discorre come Greco ch'egli ö.''
93 ') Der Brief an Philaras „Westmonasterio Sept. 28, 1654". W. VII.
392—394. In diesem Briefe wird der Augenarzt in Paris Tevenot
genannt. Es ist aber offenbar ein Schreibfehler für Thevenin, s.
Zedier, Universallexikon ; vgl. Def. sec. W. VI. 2G9 — 272. E-
Phillips.
-) Nach dem Urtheile eines ausgezeichneten Ophthalmologen spricht
einiges in Milton's Worten für die Annahme von Glaukom, während
anderes sich nicht gut damit vereinigen lässt. Milton selbst ge-
braucht für sein Leiden die Ausdrücke „drop serene", „or dim suf-
fusion", Par. 1. III 25. Good: The study of medicine, 4. Ed.,
Vol. III. 175 nimmt auf die Stelle Bezug. In Sonett 22 sagt Milton :
.jthese eyes, though clear to outward view, of blemish or of spot"
und in Def sec. (W. VI. 267); ,,oculi ita estrinsecus illaesi, ita
sine nube clari ac lucidi, ut eorum qui acutissimum cernunt, in hac
solum pai'te, memet invito, Simulator sum ! "
94 >) Weckheriin's Anstellung fällt auf den 11. März 1652. Die Ver-
fügung über Weckheriin's Ersetzung durch Thurloe mit Beibehal-
tung Milton's 1. Dec. 1652. Hamilton 20 — 22 nimmt als sicher
an, dass die erwähnte Deklaration, in der Form, wie sie lateinisch
im Druck erschien, von Milton übersetzt worden sei. Allein es
geht nicht unumstösslich aus den Einträgen der Protokolle des
Staatsraths hervor. G. S. P. 1650. 26 Juni darf man nicht heran-
ziehen, da es sich hier um eine Deklaration gegen die Schotten han-
delt; s. 0. Anm. 2 zu S. 27.
^) Das Datum von Weckheriin's Tod s. bei Eye: England as seen
by Foreigners p. CXXXII. Milton's Brief vom 21. Febr. 1658 an
Bradshaw u. a. bei Hamilton 22.
95 M Regii Sanguinis Clamor ad ( oelum Adversus Pamcidas Anglicanos.
Hagae-Comitun (sie), Ex Typographia Adriani Vlacq. MDCLII.
148 S. 12'.; eine zweite Auflage ebenda 1661. Br. M. 600. a. 19.
96 ^) Vgl.Wood, Todd L160. Birch L p. XXXIX— XXXLI. Haag:
La France protestante IV. Milton hätte noch einen besonderen
Grund gehabt, sich für Dumoulin zu interessiren , da dieser eine
Zeit lang Hauslehrer der Neffen R. Boyle's und Lady Ranelagh's
gewesen war. Auch stand er noch später mit Boyle in Verbindung
(s. Boyle's Works V. 594 flf.).
96 -)Art. Morus in Haag: La France protestante VII. Archibald
2(58 Anmerkungen.
Seite
Bruce: A critical account of the life. character and discourses of
Älr. A. Morus. London 1813, eine verfeMte Vertheidigung des Mo-
rus , bringt kein neues Material bei. Ich stütze mich auf reiche
Materialien, welche die Bibliothek sowie das Archiv der Stadt
Genf und die Registres de la venerable compagnie da-
selbst für die Geschichte des Morus enthalten, ferner auf die Ar-
ticles des synodes Wallons des provinces unies, die
Actes du consistoire de I'eglise d'Amsterdam u. a. m..
die mir aus Amsterdam zugekommen sind; s. Näheres im Anhang II.
97 ^) Registres de la venerable compagnie, Genf 29. JuUiet,
9. Dec. 1642. Baillie III. 6.
*) In einem Briefe der Geistlichen von Middelburg an die Compagnie
venerable (Original Genf, Stadtbibliotkek, den 12. Nov. 1649)
wird für den Brief der c. v. vom 5. Juli 1649 „que vous nous avez
escrite par nostre tres honore frere le sieur AI, Monis" gedankt.
Morus erscheine durch diesen Brief gegen aufgetauchte Anschul-
digungen ganz gerechtfertigt, man könne nicht glauben, „avec quelle
ardeur et concurrence de peuple on vient escouter ses predications
qui semblent venir jusques au troisieme ciel".
^) Stoupe an Ulrich in Zürich: .,ä Londres 27 Janvier 1652/3. „Morus
a fait un livre sanglant contre cet etat intitule Clamor sanguinis
regii ad Coelum contra par. Angl. II est plein de fleurettes sans
aucun raisonnement. 11 dechire Milton qui avait repondu au livre
de Saumaise. II eleve jusques aux nues ce dernier avec lequel il
s'est depuis mis fort mal, ayant deshonore sa maison par ses trop
familieres Communications avec une sienne domestique laquelle il
avait promis d'epouser ce qu'il n'a point accompli. Ce malheureux
homme s'est perdu de reputation par sa medisance et par ses ac-
tions infames par lesquelles il a fietri le cai-actere qu'il a eu l'hon-
neur de porter."' Züricher Staats-Archiv, Acta Anglicana 171.
98 ^) Man schreibt das bekannte Epigramm, das zuerst im Mercurius po-
liticus 1652, 23. — 30 Sept. p. 1910 erschien: „Galli e concubitu
gravidam te Bontia (Pontia) Mori \ Quis bene moratam morigeram-
que neget'", gewöhnlich Milton zu, so auch Masson P. W. II. 343.
Milton selbst scheint dem zu widersprechen (W. VI. 259, 411 „autho-
rem Batavum"); vgl. indess Burmanni, Syllog. III 305, 307,
649, 651, 746.
2) lieber die Entstehungsgeschichte der Def. sec. s. W. VI. 836, 386,
364 (Authoris pro se defensio). Das Exemplar im Br. M. E. 1487
Joannis MiltonJ | Angli | Pro | Populo Anglicano | Defensio | Se-
cunda. | Contra infamem libellum anonymum | cui titulus, ] Regii san-
guinis clamor ad | coelum adversus parri- | cidas Anglicanos. | Lon-
dini, Typis Neucomianis, 1654. 173 S. 12"., trägt den Ms. Ver-
merk ..Mav 30".
Drittes Kapitel. * 269
Seite
99 ') Das Thatsächliche ergiebt sich aus den Worten des „Typographus
pro se ipso*' vor „Fides publica" und aus Milton's Def. sec.
*) Ueber Durie's Aufenthalt in den Niederlanden s. Vaughan: The
protectorate of 0. Cromwell 1839, I. 1. Auszüge aus Durie's Brie-
fen Def. sec. W. VI. 340; vgl. Morus : Fides publica 18. 19. Nieuport's
Brief an Morus, Westminster 23. Juni (3. Juli) 16-54, in Fides publica
19 — 21: „Ce grand dessein", von dem Nieuport spricht, ist ohne
Zweifel, „Vowel and Gerard's Plot." etc., s. Carlyle III. 20.5, 208.
^) W. VI. 364 : „duos viros nobiles , amicos meos". Der eine war
wohl jener Abraham Hill, den Aubrey in diesem Zusammenhang
erwähnt. Er lebte von 1683—1721, war namentlich in den Spra-
chen wohl bewandert und zeichnete sich als einer der Beförderer
der Royal Society aus. Ein Band seiner Privatbriefe ist 1767 ver-
öffentlicht worden ; s. R o s e : New general dictionary. Wood dreht
den Sachverhalt offenbar um.
100 ^) Dumoulin sagt in einer Ausgabe seiner Gedichte (P. Molinaei nng-
f()ya: Poematum libelli tres', die erst 1609 (1670) erschien, L. III.
p. 141: „Morus tantae invidiae impar, . . clamoris authorem Mil-
tono indicavit. Enimvero in sua ad Miltoni maledicta responsione,
duos adhibuit testes praecipuae apud perduelles fidei, qui authorem
probe nossent, et rogati possent revelare.*' Milton habe aber seinen
Irrthum nicht zugeben wollen. — Indessen findet sich bei Morus
nichts der Art. Er hat sich wenigstens durch öffentliche Preisgebung
Dumoulin's nicht gedeckt.
*) Autoris pro se defensio "w. VI. 336, 340, 341, 344, 347; vgl. den
Brief an Morus 7. Aug. 1654 bei Thurloe: State Papers II. 529.
102 ^) Ganz verkehi-t übersetzt Beruh ardi 185: „Er lebte späterhin wäh-
rend der ganzen Regierung Jacob's, ein Gegenstand des Misstrauens
und ein Ungeheuer an Erpressung, in Paris". In den schlechten
Drucken der Def. sec. steht allerdings: „Eundem Parisiis fide cas-
sum et male agendo insignem , v i t a tota Jacobaea cognovit", es
soll aber heissen: „via tota Jacobaea"', die ganze Rue St. Jacques.
105 ') S. über Overton namentlich Godwin IV. 68 ff. 161 ff. Carlyle
Register, Diary of Burton member in the parliaments of Oliver and
Richard Cromwell from 1650 — -59, ed. J. Towill Rutt, 4 Vols.
1828 Register.
107 ') Joannis Miltoni ! Defensio Secunda Pro Populo Anglicano | Contra
infamem Libellum anonymum , | cujus Titulus , Regii sanguinis cla-
mor 1 adversus parricidas Anglicanos. | Accessit Alexandri Mori !
Ecclesiastae, Sacrarumque litterarum : Professoris i Fides Publica, |
Contra calumnias Joannis [Miltoni | Scurrae. , Hagae-Comitum , Ex
Tj'pographia Adriani Vlacq. \ MDCLIV. 12 '. Morus scheint sich
anfangs wegen des eben abgeschlossenen Friedens vor einer Er-
270 Anmerkungen.
Seite
widerung gescheut und versucht zu haben, Mlton's Schrift aufzu-
kaufen; s. Thurloe, II. 394. ßurmanni, Ep. Syll. III. 675.
Milton: Pro se defensio.
107 ■■*) Vgl. über Vlac's Erlebnisse in Paris: Lettres de Gui Patin (Ed.
1846), I. 469; über seine englische Vergangenheit die von Masson
V. 155 angeführten Dokumente.
109 0 unter A. Mori Poemata Paris 1669 befinden sich zwei an Holste-
nius und Dati. — Von Interesse ist ein Brief bei Thurloe IL 708
aus dem Haag vom 13. Nov. 1654: „Morus is gone iuto France. .
They love well his renoune and learning but not his conversation,
for they do not desire that he should come to visit the daughters
of condition, as he was used to do. He promised Vlack to finish
his apologie, but he went away without taking his leave of him, so
that you see, that Vlack hath finished abrupte. The truth is Mo-
rus durst not add the sentence agaiust Pontia for the charges are
recompensed . . . yea I believe, that Morus was faine to piu'ge
himself upon oath , and the attestations of his life at Amsterdam
and at the Hague, he could not gett them to his phansie."
*) Alexandri Mori Ecclesiastae et Sacrarum Litterarum Professoris
Supplementum Fidei Publicae Conti-a Calumnias Joannis Miltoni.
Hagae-Comitum, Typis Adriani Vlacq. MDCLV, auf der Rückseite
„Typographus lectori", angebunden an „Fides publica" und ohne
Beginn einer neuen Paginirung.
110 ^) Joannis MiltonJ | Angli ! Pro Se | Defensio | Contra \ Alexandrum
Morum | Ecclesiasten, | LibelU famosi , cui titulus , Regii sanguinis
clamor ad | coelum adversus Parricidas | Anglicanos, authorem
recte | dictum. | Londini. Typis Neucomianis, 1655. 204 S. 12',
Br. M. E. 1661, ]*Is. Vermerk Thomason's „August 8".
111 1) Milton an Oldenbm-g 6. Juli 1654. W. VI. 390— 392. MaiTell au
Milton, Eton 2. Juni 1654 bei Birch I. p. XL und in Marvell's
"Works ed. Grosart I. 11.
112 ^) Diese drei weigerten sich, der Bestätigung des Zeugnisses der v. C.
beizutreten. Registres de la v. C. 7. April 1648. Noch bedenk-
licher sind die folgenden Worte, die sich a. a. 0. finden : „En outre
d'autant que nos surdits freres ont offert de dire les raisons pour
lesquelles il n'ont voulu signer le precedent tesmoiguage a este mis
en prosposite si on les de\Toit oüir lä dessus. Sur quoi a este
avise que non, que cela estoit inutile, veu qu'on ne les leur de-
maudait pas, laissant cela ä leur jugement pai-ticulier."
^) W. VI. 257, 374, 394. Trotz eifriger Nachforschungen in der genfer
Stadtbibliothek hat sich das Aktenstück daselbst nicht gefunden.
113 ^) Von diesem Zeugnis ist in den aus Genf mir mitgetheilten Archi-
valien nichts zu finden.
*) „Mori contra Miltonum apologiam vidisse vos credo. Si Miltonus
Viertes Kapitel. 271
Seite
de Mori testimoniis certiora nosse cupit, scribat Genevam et ad
viduam Salmasianam , quae ipsi abunde suppeditabit materiam."
Br. M, Sloane Ms. 649 f. 30 a. Der Brief, datirt „Leyda 6. Jan.
St. V.", ohne Unterschrift, scheint eine blosse Kopie zu sein.
113 ')Senebier: Histoire litteraire de Geneve, II. 192. 267. Autoris
pro se def. W. Yl. 395. .Alilton an E. Spanheim 24. März 1654—5.
W. VII. 395. Der von Milton erwähnte Calandrini, der die Verbin-
dung zwischen ihm und E. Spanheim angebahnt zu haben scheint
ist rielleicht identisch mit dem in Vaughan's Protectorate of 0.
Cromwell mehrfach genannten. Uebrigens blühte auch ein Zweig
der Familie in England, s. Galiffe: Kotices genealogiques sur les
familles genevoises. Der in Genf lebende Turretini, den Milton er-
wähnt, ist der Theologe Franz Turretini 1623 — 1687.
115 ^) S. Näheres in Kapitel 5 und Anhang 11.
>) W. VI. 392, Milton an Oldenburg; vgl. Yl. 406.
Viertes Kapitel.
119 >) 17. Juli 1650, Carlyle II. 301.
120 ') Carlyle II. 342. III. 49.
121 ') P. W. II. 484. 296 „To the Lord General Cromwell May 1652: On
the proposals of certain ministers at the committee for the pro-
pagation of the gospel*'. So lautet die durchgestrichene, aber noch
lesbare Ueberschrift im Cambridge-Ms. ,.Darwen" ist das Gewässer
in Lancashire, das in der Nähe von Preston in den Ribble fällt.
Ich benutze die gelungene Uebersetzung von Carriere: Die Kunst
im Zusammenhang der Cultur - Entwicklung. IV. 639.
123 ') The humble propösals of Mr. Owen, Mr. Thomas Goodwin . . . and
other ministers who presented the petition to parliament (cf. C. J.
10. Febr. 1652), Printcd at London for R. Ibbitson 1652. Br. M.
E. 65S. 4 '. (Ms. Vermerk von Thomason „March 31".) Zu diesen
Geistlichen gehörte John Durie (C. J. vom 11. Febr. 1653 steht
Drury) und, was man nicht erwarten sollte, auch John Goodwin.
124 *) The fourth paper presented by major Butler to the honoui-able
committee of parliament for the propagating the gospel of Christ
Jesus . . . together with testimony to the said fourth paper by way
of explanation upon the four proposals of it by R. W. 1652.
Br. jNI. E. 658 (Ms. Vermerk Thomason's „March 30th"). In dem
Vorwort „to the truly Christian reader"' von R. W. wird als eine
Aeusserung Cromwell's in dem Committee angeführt: ,,That he had
rather that Mahumetanism were permitted amongst us, then that
one of Gods children should be persecuted".
125 *) S. ausser den angeführten Schriften und den Bemerkungen in P. W.
n. 296. C. J. 1650 7. Juni, 13. Sept., 1651 23. Mai, 1652 10. Febr.,
272 Anmerkungen.
Seite
29. April, S. Okt., 1653. 11. 25. Febr. 4. 18. März, 1. April. Wie
gross die Erbitterung in den radikalen Kreisen war , zeigen viele
der im B r. M. aufbewahrten Flugschi'iften, welche für die Geschichte
der englischen Revolution von unschätzbarem Werthe sind.
126 ^) Es können hier nur einige Andeutungen gegeben werden. Grund-
legend ist die Darstellung von Guizot. Lehrreich, namentlich
auch mit Bezug auf die geheimen Unterhandlungen Conde"s , sind
neben den Depeschen Salvetti's, abschriftlich im Br. M. , und
des Yenetianers Paulucci. abschriftlich im Record-Off ice, die
Depeschen J. Stockar's, des Abgesandten der reformirten Kantone
der Sehweiz, der in London verweilte, um den Frieden zwischen
England und den Niederlanden zu vermitteln. Sie befinden sich
im Staatsarchiv zu Zürich.
127 ^) Man muss den Schönfärbereien von Godwin u. a. Urtheile,
wie die von Guizot I. 2S1 flf. und in den Einleitungen zu den C.
S. P. gegenüberstellen. Milton's scharfes Urtheil s. u. ß. IV. Kap. 5.
131 ^) Man sollte wünschen , eine kritische Schilderung des Vorganges zu
besitzen, ,wie sie Forster für das Attentat auf die fünf Mitglieder
gegeben hat. Ranke's Wort: „eine historisch richtige Darstellung
dieser Scene giebt es nicht", sagt nicht zu viel. Hie und da hat
man dem Berichte des entfernten Ludlow zu sehr vertraut.
132 \1 Aus Stockar's Depeschen (Staatsarchiv Zürich) 22. April 1653:
„Und ist sich hiebey zu verwundern, wie still, gutwillig, undt ohne
einigen Tumult diese unerhörte plötzliche Veränderung vorgegangen,
zweifelsohne weil menniglich befindt, dass solche auf das gemein
Beste gerichtet, da aber die Factionirer einer gantz anderen Mei-
nung und ihnen selbsten zu deme, was sie wünschen und gern
sehen, di^e beste Hofinung machen." (In derselben Weise äussern
sich Salvetti, Paulucci und Sagredo in seiner Relation, ab-
gedruckt bei Berchet: C'romwell e la republica di Venezia, 1864.)
5. Mai 1053: „Unter anderen ungemeldten Ursachen, warumb das
Parlament dissolvirt worden, ist eine von den vornemsten, dass es
keine Inclination solle zum Frieden (mit den Niederlanden) gehabt
und unterstanden haben mit dem General C'romwell und etlichen
seinen Officieren vorzunehmen, was er mit ihnen gethan." Eine
Reihe von Zustimmungsadressen aus einzelnen Landestheilen in den
s. g. Milton-State-Papers ed. J. Nickolls 1743 p. 90 ff.
133 ^) Die Zahl 144, welche man mitunter angegeben findet, kommt daher,
dass Cromwell, Lambert, Desborough, Harrison, Tomlinson, die das
kleine Parlament selbst erst zufügte, mit eingerechnet werden. C'romwell
spricht in seiner Eröffnungsrede (C'arlyle III. 168) allerdings von
„above 140 I believe", allein dies stimmt mit den Listen nicht überein.
135 ^) Ich beziehe mich u. a, auf die merkwürdige Eingabe von Samuel
Herring, abgedruckt in den s. g. Milton-State-Papers 99— 102.
Viertes Kapitel. 273
Seite
136 *) „Concerning making of marriage and burying tlie dead we believe,
that they are no actions of a church-minister , because they are no
actions spiritual but civil". So das Glaubensbekenntniss von 1616
(vgl. II. 210), Hanbury I. 300. Die Akte des kleinen Parlaments
vom 25. August 1653 in Old pari. bist. XX. 214 — 217. Spätere
Debatten darüber s. in Burton's Diary Reg. s. v. Marriage.
139 ^) Stockar's Depesche, 9. December 16.53 (Staatsarchiv Zü-
rich): „Nun ist grosses Ansehen und viel Muthmassen, dass, alldie-
weil H. General bey dieser allzu weitleuftigen verwirrten und ungleich
gesinnten Regierung des Parlaments den aufgesteckten Zweck
des Fridens ohne Widersprechen nicht wol erlangen kann, er
das Parlament mit Hilff der besseren Parthey . . allerdings ab-
schaffen und die Regierung dieser Republic uff etliche wenige 10
oder 12 verständige patriotische Personen mit erstem zu setzen und
zu bringen gemeint sei."
142 ^) The government of the common-wealth of England, Scotland and
Ireland and the dominions thereunto belonging. Old pari. bist.
XX. 248 — 262.
145 i)Godwin IV. 35 ff. Weingarten 154.
146 ^) Das bekannte lateinische Gedicht scheint nicht von Milton, sondern
von Marvell herzurühren , von dem man auch andere Gelegenheits-
verse der Art besitzt; s. Marvell's Works ed. Grosart I. 416, vgl.
I. 403 ff. und P. W. II. 343 ff
147 ^) Man darf vielleicht annehmen, dass schon vor dem Erscheinen sei-
ner zweiten Vertheidigung ein Urtheil Milton's über den Umschwung
"R fiQ7
der Dinge in die Oeffentlichkeit gelangt w^äre. Im Br. M. — *-ö —
befindet sich unter Thomason's Sammlung von Flugschriften eine,
auf der Thomason den Ms. Vermerk angebracht hat, „by Mr. John
MiltonMay 1 6'-. Sie führt den Titel : „A | Letter | Written | To a
Gentleman in the Coun- | try, touching the | Dissolution | of the
late I Parliament, | And The | Reasons ] Thereof. | Senec. Troad. |
Quaeris quo jaceas post obitum loco ? | Quo non nata jacent. |
London, | Printed by F. Leach, for Richard Baddeley at his Shop
within ! the Middle Temple Gate 1653. 4 ■. 20 S., am Schluss „Lon-
don May 3, 1053. Your affectionate Servant N. LL." Dass der
kundige Buchhändler Thomason selbst (auch in dem Kataloge sei-
ner Sammlung) dies Pamphlet Milton zuschreibt, wird man um so
mehr zu würdigen wissen, wenn man sich erinnert, dass er ihm per-
sönlich nahe stand (s. o. Buch II Anhang I). Der Inhalt der Schrift
entspricht den Ansichten Milton's. Hie und da wird man sogar an
seine eigenen Worte erinnert, so wenn es von dem zersprengten
Parlament heisst p. 4: „while they seemed to look direct upon the
publick interest, their businesse was to look asquint upon their
Stern, Milton u. s. Z. II. 3. 13
274 Anmerkungen.
Seite
own: as if they had been employ'd by their country not to make
up publick, but private breaclies . . . oppositions and conjunctions
were laid, private interests^interven'd, (and these commonly by way
of exchange,; needlesse tliings niightily,insisted upon, whilst thousands
of poor creditors and petitioners starved at their door with their
printed papers, unheard, uuregarded etc." (vgl. Def. sec. W. VII. 320.
History of England W. V. 96). Endlich passt es vortrefflich auf
Milton, dass der Autor p. 19. 20 von sich sagt: „I am no member
of their councills and by a late infirmity lesse able to
attend them" (nämlich Cromwell und seine Genossen) . . „if my
infirmity had not been, which contin'd me to my Chamber". Da-
gegen widerspricht es einer Ansicht Milton's, die freilich erst viel
später, nach bittereu Erfahrungen, in der Schrift „The ready and
easy way" hervortritt, wenn es hier S, 10 heisst: „You cannot
allow any thing more destructive to it (a Commonwealth), than the
continuation of mauy men in the same power". Auch würde es
ihm gar nicht ähnlich sehn, dass er seinen Namen unter den fal-
schen Zeichen „N. LL." verborgen haben sollte. Eher könnte man
annehmen, dass der „Gentleman in the country" ohne Milton's
"Wissen und Willen seinen Brief veröffentlicht hätte. Dass wir
es wiiklich mit einem Briefe, einem Antwortschreiben, zu thun
haben , scheinen die Anfangsworte der Schrift zu beweisen : „Sir,
Yours of the 27th past came safe". Keinesfalls möchte ich die
Autorschaft ]Milton's so unbedingt verwerfen, wieGodwin: History
of the Commonwealth III. 480, der meines Wissens zuerst auf diese
Flugschrift aufmerksam gemacht hat, aus inneren Gründen es thut.
Masson IV. 519 — 523 scheint keinen Zweifel an Milton's Autor-
schaft zu haben. W^er immer der Verfasser jener Flugschi'ift war,
sie blieb nicht unbeachtet. Ein anderes Pamphlet: „Reasons why
the supreme authority of the three nations (for the time) is not in
the parliament, but in ,the new-established councel of State con-
sisting of his excellence the Lord General Cromwel, and his ho-
nourable assessors 1653" (Br. M. E. 697. 4'. Ms. Vermerk „May")
nimmt, wie ich finde, ausdrücklich auf sie Bezug p. 27: „New for
your further Information in this particular I have thought it not
unexpedient to send you with this letter another of that worthy
gentleman N. LL. written to a gentleman in the country" etc.
Ausserdem habe ich in zwei Zeitungen, dem Mercurius Britanniens
Nr. 3 (23. — 30. May 1653) und dem W^eekly Intelligencer No. 120
(24. — 31. May 1653), Br. M. E. 698, ungeschickte Auszüge aus der
fraglichen Flugschrift gefunden, das eine Mal mit der Anrede
„Gentlemen", das andere Mal mit der Ueberschrift : „To the free-
born people of this nation".
147 ') Council-Book 9. Juli 1653 : „Upon the reading of the letter written
Viertes Kapitel. 275
Seite
from Mr. Milton to Sir Gilbert Pickering it is ordered that Sir G.
P. be desired to conferre with the doctors mentioned in the said
letter, and to know from them what quantity of paper they desire
to Import free of custom and excise towards the carrying on of
their work of a~new translation of the bible."
147 ") Council-Book 1653, Okt. 17 und Nov. 3; 1654, Febr. 3; 1655, April 17.
Money- Warrant 25. Okt. 1659, s. Todd.
148 ^) Whitelocke 645 (6. Mai 1656). Pufendorf: De rebus a Ca-
rolo Gustavo gestis Comment. III. § 80. Gänzlich unbewiesen
scheint mir die Behauptung, Milton sei der Verfasser eines Pane-
gyricus auf Cromwell, der freilich Anklänge an die Def. sec. ent-
hält: ,,Substance of a paneg}Tick of the lord general 0. Cromwell
as presented to him by the Portuguese ambassador Don John Ro-
deriguez de Saa Meneses . . Written in Latin', as pretended by a
leamed Jesuit bis excellency's chaplain, but as more probablyjsup-
posed by the celebrated Mr. John Milton"; s. A short critical re-
view of the political life of 0. Cromwell by a gentleman of the
:Middle Temple Glasgow 1755 p. 335 ff. Peck: Memoirs of the
life and actions of »Oliver Cromwell etc., 1744. Forster: Statesmen
399, nimmt die Vermuthung als richtig an.
152 ^) Ich bin, wie schon in meinem Vortrage: Milton und Cromwell (Samm-
lung gemeinverständlicher, wissenschaftlicher Vorträge, herausg. von
Virchow und v. Holtzendorff, Heft 236) vielfach der Uebersetzung von
Liebert gefolgt.
153 1) S. 0. Anm. 1 zu S. 105. "
154 1) Carlyle III. 263, vgl. 306, 428: „Necessity hath no law".
157 ^) S. die Anm. 1 zu S. 105 angeführte Literatur. Das hauptsächlichste
Material findet sich beiThurloe und in Burton's Diary. Man
beachte daselbst IV. 157 die Bemerkung von Colonel Okey: „The
plot which they talked on, was of several officers dissatisfied with
the breaking the Long Parliament",
*) Godwin IV. 175 nimmt an, die „ordinance [of assessment" vom
8. Februar 1655 stehe mit der Protektoratsverfassung in Einklang,
und Cromwell selbst in seiner Rede »vom 22, Januar 1655 (Car-
lyle III. 310) sagt: ,,if I shall now raise money according to the
article in the government" etc. Allein Art. 30 der Protektorats-
verfassung giebt dem Protektor das fragliche Recht nur „untill the
meeting of the first parliament".
162 ^) In einem Nachdruck der berüchtigten Schrift: ,.Killing no murder"
von 1743 (Br. M. 8122 b) wird „leamed Milton" p. 32 erwähnt.
165 1) Vaughan: The protectorate of 0. Cromwell 1839. II. 442. Car-
lyle IV. 198 lässt.den Brief irriger Weise an Morland gerichtet sein.
167 ') Die Angelegenheit, für deren Geschichte ein reiches Material vor-
liegt, verdient eine genauere Behandlung. Hier sei nur verwiesen
18*
276 Anmerkungen.
Seite
auf Godwin IV. 243 — 251, Guizot II. 125—128, Harl. Mise.
VII. 578 ff. Milton's Freunde Durie und Hartlib 'nahmen an der
Sache ein besonders lebhaftes Interesse, vgl. A case of conscience
whether it be lawful to admit Jews into a Christian Common-
wealth resolved by ]yir. John Dury written to Samuel Hartlib, Es-
quire. London 1656. Br. M. E. 882, abgedruckt Harl. Mise. VII.
240, s. auch Worthington's Diary I. 83, Kennett, Register
p. 138 etc.
167 2) Guizot II. 122.
168 i)Carlyle III 259 (12. Sept. 1654): „So long as there is liberty of
conscience for the supreme magistrate to exercise his conscience in
erecting what form of chm'ch-government he is satisfied he should
set up, why should he not give the like liberty to others? Liberty
of conscience is a natural right; and he that would have it, ought
to give it; having himself liberty to settle what he likes for the
public."
2)Hanbury IIL 516 nach Scobell 441.
170 ^)Ep. fam. 27. Petro Heimbachio Dec. 18, 1657. W. VII. 406. Zu
sehr darf man auch diese "Worte nicht pressen, da sie in erster
Linie auf Thurloe abzuzielen scheinen.
*)Burton's Diary IL 358. Vaughan IL 447. Guizot. Akten im
Record-Office.
171 1) W. Vn. 242. 243.
^) Ich habe über diese und die Angelegenheit der Waldenser ausführ-
lich gehandelt in einem Aufsatze: „0. Cromwell und die evangelischen
Kantone der Schweiz" (v. Sybel's histor. Z eitschrift. N. F. IV.
52—99), dem ich hier folge. Daselbst sind in erster Linie benutzt
worden R. Vau gh an: The protectorate ofO. Cromwell (die Korrespon-
denz von Pell, Morland, Thurloe, Hartlib etc.), London 1839, 2 Vols.
Morland: The history of the evangelical churches of the Valleys
of Piemont. London 1658. J. Leger: Histoire generale des eglises
evangeliques des vallees de Piemont, Leyde 1679, die Eidgenös-
sischen Abschiede und vor allem das ausserordentliche reiche
Matei'ial des .Staatsarchivs zu Zürich. Manche der Doku-
mente, die Hamilton aus dem Record-Office mittheilt, finden sich
schon bei Morland oder bei Guizot.
^) W. vn. 229. Im Originale des Schreibens zu Zürich findet sich das
Datum „28. die Novembris 1653". Daselbst bemerkt man noch an-
dere, geringfügige Abweichungen vom Druck, die bei einer sehr
nöthigen, kiütischen Ausgabe der prosaischen Werke Llilton's zu
berücksichtigen wären.
172 1) Guizot IL 347 ü. „Avis ä INlr. le cardinal 21 Julliet 1654". "
174 ^) On the late massacre in Piedmont. P. W. II. 485.
*) Hamilton 18. Auch innere Gründe sprechen dafür, dass diese
Fünftes Kapitel. 277
Seite
Rede von ^lilton ausgearbeitet ist. Dagegen lässt sich durchaus
nicht sagen, ob Theile der Druckschrift „Sabaudiensis in reforma-
tam religionem persecutionis brevis narratio . . 1655" (Hamilton 24)
Milton angehören.
176 ^) 17. Sept. 1656. Carlyle IV. 399.
177 1) W. VII. .345—368; vgl. die Bemerkungen von G odwinIV. 217—219.
*) Hamilton 9, Das Datum .,Aug. 1658" ist indess zu verbessern,
denn Lockhart verliess England Anfang 1656.
178 ^)Nach W. VII. 321 — 324 wären es je zwei Schreiben. Es sind
aber wohl die beiden ersten Briefe nur Entwüi'fe, s. auch Guizot
II. 309.
179 ^) Es kann selbstverständlich nicht die Absicht sein, hier eine Ge-
schichte der auswärtigen Politik des Protektors zu geben. Nur
die Thätigkeit Milton's im Dienste dieser Politik, die Bedeutung
der ., Staatsbriefe" ist hervorzuheben, üeber das Verhältnis des
Protektors zum gi'ossen Kurfürsten verbreiten neuerdings die „Ur-
kunden und Aktenstücke" u. s. w., herausg. von Erdmann s-
dörffer, ein helles Licht.
Fünftes Kapitel.
181 ^) „My son John was born on Sunday, 3Iarch the 16th about hälfe an
houre past nine at night 1650". Add. Mss. 4244, ungenau abge-
druckt bei Hunt er 34.
188 ^) S. die ausführlichen Dokumente bei Hamilton.
2) „My daughter Deborah was born the 2n(i of May, being Sunday
somewhat before 3 of the clock in the morning 1652". Add. Ms.
4244, bei Hunt er 34. S. für das Folgende Phillips. Auf die
zwei Todesfälle seiner Frau und seines Söhnchens bezieht sich ohne
Zweifel die Anspielung in der Autoris pro se Defensio (W. VI. 336) :
„duorum fimerum luctus domesticus".
^) Eight of the psalms done into verse 1653. P. W. III. 20 — 29.
IL 31.5, 316.
*) On his blindness. P. W. IL 485, 300.
184 1) Mitford: Live of Milton (W. L p. CLXVI).
^) A u b r e y , Phillips.
^) S. über C. Arnold (1627 — 85) Jöcher's Gelehrtenlexikon und die
allg. deutsche Biographie nach Will's Nürnbergischem Gelehrten-
lexikon. Der angeführte Brief vom 7. August 1651 steht in Georgi
Richteri ejusque familiarium epistolae selectiores Norimbergae
1662 p. 482 ff. Arnold's Album, Br. M., Egerton Ms. 1324, da-
selbst Milton's Eintrag f 85 b. Ein anderer eigenhändiger Album-
Eiutrag Milton's ist den englischen Forschern bisher unbekannt
geblieben. Er findet sich in dem „Album amicorum Johannis
278 Anmerkungen.
Seite
Zollikoferi Sangallensis S. Th. st," (Bibliothek der Vadiana,
St. Gallen No. 92 a), -welches mir von H. Dr. Dierauer in St. Gallen
bereitwillig zur Einsicht überschickt worden ist. Zolükofer , geb.
1633, gest. 1692 als reformirter Pfarrer, verweilte 1656 in England.
Obwohl ]Milton damals vollkommen blind war, lässt doch die Schrift
des betr. Album-Eintrags keinen Zweifel darüber, dass sie von sei-
ner Hand stammt, doch sind die Zeilen und Buchstaben schief
genug. Der Eintrag lautet in Anlehnung an II. Korinther 12, 9:
.,ti' uaSfTeia Tflfi vjucig, Londini 26. Sept. Joannes ISIiltonius".
Das Album enthält auch Einzeichnungen von mehreren, Milton nahe
stehenden Personen, wie Th. Haak, S. Hartlib, J. Durie, ebenso von
Comenius, Menasseh-Ben-Israel etc.
185 1) Drei Briefe Milton's an Heimbach (W. YII. 398, 406, 409) 8. Nov.
1656, 18. Dec. 1657, 15. Aug. 1666 (der letzte „Petro Heimbachio
electoris Brandenburgici consiliario", die Antwort auf einen Brief
Heimbach's „Clivopoh ubi electorali soUo vivimus a consilio 6. Juni
1666", abgedi-uckt in Mitford's Life of Milton, W. I. p. CXGYI.).
Aus dem zweiten der INIilton'schen Briefe ist schon oben S. 170
eine Stelle benutzt' worden. Ueber Heimbach's Vater s. das Re-
gister der Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des grossen
Kurfürsten. Eine biographische Xotiz über P. v. Heimbach findet
sich in Wass enberg: Embrica, Clivis apud Tobiam Silberling
1667 fol. p. 284: „Petrus ab Heimbach, Embricensis Winandi ab
Heimbach ducatus Cliviae et Marcani comitatus , cum superesset,
cancellarii, serenissimo de electore atque tota de republica summe
meriti, praeclarus filius ac virtute fere omnium paternarum haeres
suoque vates lauro dignus, Serenissimi Anhaltini principis consilia-
rius. Memoi'iam meritissimi sui patiüs heroico carmine posteritati
pius commendavit, Trajecti ad Rhenum apud Giobertum a Zyll in
fol. Edidit et alia et inter caetera ingenii exercendi gratia Olive-
rium Cromwellium heroico quoque versu et vere masculo celebravit
(ohne Zweifel eine Verwechselung mit der Schrift: Petri ab Heim-
bach, G. F. ad serenissimum , potentissimumque principem, Oliva-
rium D. G. Magnae Britanniae protectorem . . . adlocutio gratula-
toria Londini Ex typogi-aphia Jacobi CottrelU MDCLVI. 35 S. fol
B r. M. E. 1069). Habet et pluscula parata propediem in lucem
proditura." Die Nachricht, dass P. v. Heimbach anhaltinischer
Rath gewesen sei, hat sich nach gefälliger Mittheilung des H. Geh.
Archivrath Siebigk in Zerbst bisher nicht bestätigt, hingegen
findet sich, wie mir H. Dr. Isaacsohn aus Archivalien in
Berlin zu übermitteln die Güte hat, dass H. im März 1659 zum
Rath und kiu-brandenburgischen Historiographen bestellt wurde. Im
April des J. 1664 wm"de er zum titulären clevischen Regierungsrath
gemacht. Da ihm indess keine Gelegenheit zu praktischem- Wirken
Fünftes Kapitel. 279
Seite
geboten wurde, nahm er im August des J, 1666 seine Entlassimg. —
Heimbach's Aufenthalt in England wird durch folgende Notiz aus dem
Archiv von Arolsen beleuchtet, die ich der Güte des H. Prof^
Erdmannsdörffer verdanke: In einem Berichte des brandenbur-
gischen Residenten Schlezer an den Grafen Waldeck (London 6. Juni
st. V, 1GÖ6) wird erwähnt, dass neuerdings der niederländische Ge-
sandte sich etwas zurückhaltend gegen Schlezer benehme und weiter
bemerkt: „Denn in der Visite, die er mir gestern gab, konnte ich
ihn auf keine Staatssachen bringen, und das fürnembste Subject
war, dass er gern wissen wollte, warum des gewesenen churf. Canz-
lers zu Cleve Sohn, der unlängst wie eine particuliere Person an-
hero kommen, sich aber mehr als ordinarie mit einem Train prae-
sentirt, hie sei und was er fürgebe. Ich halte, der Ambassadeui-
stehe in den Gedanken , dass er von dem Hause Orange eine se-
crete Commission habe und ich habe dieselbe Muthmassung. Weil
er sich aber noch zur Zeit nichts gegen mir äussert, lass ich's auch da-
hin gestellt sein. Wäre es aber so, könnte es nicht schaden, dass
wir miteinander darum conferirten. Ich vermerke so viel, dass
ihm der verwitweten Königin von Böhmen alhie habende Forderun<T
recommandiret sei, woraus ich das übrige beschliesse. Es ist sonst
diser M. Heimbach noch ziemlich jung, kommt nur gleich von den
Academieen und gibt vor, 'der Herr Protector hab ihm eine Pro-
fession zu Oxford offeriret, weshalben er herüberkommen sei. Das
dünket mir aber gar zu ein frigidum Schema zu sein." — Heimbach
konnte die Bekanntschaft Milton's um so leichter machen, da der
Agent des grossen Kurfürsten, Schlezer, im Hause Hartlib's, des
intimen Freundes Milton's, wohnte; s. Worthington's Diarv
I. 66.
185 2) Ep. fam. 23 und 26, W. VII. 401, 405.
^) Darauf bezieht sich ein Brief Aitzema's an Milton vom 29. Januar
1655 (Mitford: Life of Milton, W. L p. CXCVII) und Milton's
Antwort vom 5. Febr. 1655, W. VII. 394. Nach gefälliger :Mitthei-
lung von H. Professor deHoop-Scheffer in Amsterdam ist von
einer holländischen Uebersetzung Milton'scher Schriften über die
Ehescheidung nichts bekannt.
187 1) Williams Brief an Winthrop u. a, bei Knowles 261—264; vgl.
ausserdem Palfrey, Greene- Arnold. Auszüge aus dem Brief-
wechsel zwischen Williams und Mrs. Sadleir, einer Tante C. Skin-
ner's, über Milton bei Elton: Life of R. Williams, Providence 1853,
und Masson IV. 529 — 531. Es kann kein Zweifel darüber be-
stehn, dass jener R. W., der die oben S. 124 Anm. 1 erwähnten
„Four Proposais" herausgab, niemand anders war, als Roger Wil-
liams. Denn in einer Randnote des „Testimony" p. 14 sagt der
Autor: „The füll debate of this point may bo seeu in that great
280 Anmerkungen.
Seite
controversie of the bloody tenent between Mr. Cotton and myself."
Die im Text erwähnte Schrift von "Williams führte den Titel : .,The
hireling ministry none of Christs or a Discourse touching the
propagation the gospel of Christ Jesus" etc., 1652. Br. M.
702. d. 12.
188 ') Die Sonette: ,.to Mr. Lawrence", „to C}'riack Skinner", „to the
same", P. W. II. 486—487, Kommentar II. 301—308. Unter den
„particular friends" Milton's „that had a high esteem for him"
nennt Phillips: „Mr. Andrew Marvel, young Lawrence, Mr. March-
mont Needham, but above all Mr. Cyriack Skinner", unter denen, die
ihn häufig besuchten , „particularly my lady Ranala, whose son for
some time he instructed".
2)Godwin. Räthselhafter Weise ist „Satj-re against Hj-pocrjtes" in
einem Exemplare des Br. M. (161. k. 21. Ed. 1710) als ein Werk
„Mr. John Milton's" bezeichnet.
191 ^) The complete works in verse and prose of A. Marvell ed. A. B.
Grosart (Füller Worthies' Library), 4 Vols. 1872 — 75, Aus Mar-
vell's Brief an Milton vom 2. Juni 1654 (s. o. Anm. 1 zu S. 111) geht
hervor, dass auch der Geistliche John Oxenbridge, damals Fellow in
Eton, mit Milton bekannt war. Denn er beauftragt Marvell, je ein
Exemplar seiner Vertheidigung an Bradshaw und an Oxenbridge zu
geben. S. Näheres über Oxenbridge bei A. B. Grosart I. 5.
192 i)Thurloe, S. P. IL 61, 140, 441. Vaughan L 118 und Reg.,
s. V. Hartlib. (Auch Haak wird bei Vaughan I. 7. IL 242, 260,
290, 389 etc., sowie in den gleichzeitigen eidgenössischen Abschieden
erwähnt.) Die Titulatur „Sekretär" findet sich in der unten ange-
führten Beschreibung des Leichenbegängnisses Cromwell's.
2) S. das Verzeichnis der Schriften Hartlib's bei Dircks.
2)Burton's Diary IL 313. Durie langte im Frühjahr 1657, Pell im
Sommer 1658 wieder in London an.
193 1) Vaughan IL 447.
*) The true and ready way to learne the Latine tongue etc. presented
to the unpartiall both publick and private considerations of those
that seek the advancement of learning in these nations by Samuel
Hartlib. London 1654. Br. M. 236, c. 30. Für die übrigen An-
gaben vgl. Boyle's Works V. 270, 278, 282.
194 ') S. den Briefwechsel Hartlib's mit Worthington ed. Crossley, so-
wie denjenigen mit B o y 1 e (Boj-le's Works I und V , daselbst V.
p. 397 der Brief Evelyn's). Ueber die Anfänge der Royal Society
s. 0. Buch IL 401 und den Brief von Wallis an Boyle (Boyles
Works I. 25\
2) Hartlib an Boyle 2. Febr. 1658 (Boyle's Works V. 270) : „I shall
not be wanting to obtain that secret, which hath been imparted to
]Mr. Milton. It may be the publick gentleman, that sent it unto
Fünftes Kapitel. 281
Seite
him will let me have a copy, in case the other should not come
off readily with the communication of it. But if yours would ask
it from Mr. Mi 1 ton, I am confident, he would not deny it." —
Beiläufig sei bemerkt, dass Haak, Pell, Dury, Marvell, Oldenburg
in dem Briefwechsel Boyle's und Hartlib's vorkommen.
195 1) S. über Lady Ranelagh (1614— 1691) Worthington's Diary and
Correspondence I. 164 ff. Boyle's W. I. 85 nach Burnet und
eine ausführliche Biographie in J. Anderson: Memorable women
of the Puritan times IT. 108—144; vgl. oben B. II. 395.
*) Nobilissimo adolescenti Richardo Jonesio Ep. fam. 19, 22, 25, 30.
W. VII.
196 ^) Milton's Briefe an Oldenburg Ep. fam. 14 (schon oben benutzt),
18,24,29. W. VII. Ueber Oldenburg selbst S.Wood und Wor-
thington's Diary Reg., sowie Boyle's Works, lieber Morus
s. Anhang II. Er starb 1670.
2) Emerico Bigotio Ep. fam. 21. W. VII. 399. S. über Bigot (1626 —
1689) Zedier, Gui Patin lettres III. 77, Burmanni, Syllog.,
wo er häufig erwähnt wird, z. B. V. 19 in einem Briefe des Hein-
sius als „vir officiosissimus et qui nobilitatem gentis cultu literarum
egregie exornat". Auch Dati gehörte zu Bigot's Korrespondenten,
s. Lettere di Carlo Ruberto Dati, Firenze 1825, nella stamperia
Magheri p. 149. Die Schrift „de modo tenendi parlamenta", nach
der sich Bigot bei ^lilton erkundigt hatte, ist am besten 1846 von
Sir Thomas Dufifus Hardy edirt. Der „fecialis cui actorum (in arce
Londinensi) custodia mandata est", von dem Milton sagt: „quo ipse
utor familiariter" , ist identisch mit William Ryley, auf den
Prynne folgte (nach gef. INlittheilung von H. W. D. Hamilton). Stoup-
pius, den Milton erwähnt, ist genügend bekannt aus Burnet.
^) Joanni Badiaeo pastori Arausionensi Ep. fam. 28. W. VII. 406 — 408.
S. über Labadie (1610 — 1674) Zedier: Universallexikon und die
daselbst angeführte, grosse Literatur. ^lilton scheint gewisse Ge-
rüchte, die sich an Labadie's Namen hiengen, nicht geglaubt zu
haben. Uebrigens kam L. nicht nach England. Er führte auf dem
Festlande ein Wanderleben, das in Altona endigte und Hess die
Sekte der Labadisten zurück.
197 ^) S. zwei Briefe von Sandelands an Milton vom 15. Jan. und 29. März
1653, welche Mrs. Everett Green im Record-Office aufgefunden hat,
bei Masson IV. 490 — 494; vgl. daselbst V. 227, 706.
*) On his deceased wife P. W. IL 487. Phillips. Hunter. Die
Einträge über den Abschluss der Ehe (vor dem Standesbeamten)
wie über die Geburt des Kindes, seinen und der ^lutter Tod aus
den Pfarr- Registern bei Masson V. 281, 376, 382.
198 *) The Cabinet-Couucil : Containing the ( hief Arts | Of | Empire, ! And
Mysteries of State; \ Discabineted | InPolitical andPolemical Apho-
282 Anmerkungen.
Seite
risms, grouuded on Authority, and Experience; i And illustrate.
with the choicest | Examples and Historical ' Observations. | By the
Ever-renowned Kniglit, ' Sir Walter Raleigh, I Published By John
]NIilton Esq. ; Quis Martern tunicä tectum Adamantinä digne scripse-
rit? I London, Printed by Tho. Kewcomb for Tho. Jobn- | son at
tlie sign of the Key in St. Pauls Chm-cli-yard, | near tbeWest-end.
1658. |l2^ 199 S.' Br. M. 521. b. 27. Dasselbe unter dem Titel:
The Arts of Empire And INIysteries of State Discabineted etc.
London 1692. 8". 238 S. Br. M. 8006 a. Aufgenommen in Ra-
leigh's Works (1829) VIII 35 — 150 (daselbst VIIL 1—35 noch
Maxims of State. Todd 172 hat schon auf die Verwirrung auf-
merksam gemacht, welche bei Wood hierüber herrscht.
201 ^j „Secretaries of the French and Latin tongues, Mr. Dradon, Mr.
Marvel, Mr. SteiTy, Mr. JohnMilton, Mr. Hartlibbe, Sen", s. „The
death, funeral order and procession of bis highness the most illu-
strious Oliver Cromwell . . The whole of this faithfuUy copied from
the Ms. of the rev. John Prestwich, feUow af All Souls' College,
Oxford", abgedruckt in Burton's Diary IL 516 — 529 und bei
Forster, 0. Cromwell Appendix L. p. 639 — 042.
*;Marvell: A poem upon the death of his late highness the lord
protector (Works I. 192 — 206). Dryden: Heroic stanzas etc.
Poetical Works Ed. Christie 1874 p. 5 — 11). Waller: Upon the
death of the Lord Protector (Works Ed. 1772 p. 97. Dryden's
und Waller's Gedichte erschienen mit einem dritten von Sprat
verbunden 1659 1. Cowley: A discourse by way of vision con-
cerningthe govemment of 0. Cromwell (Works Ed. 1710. II. 624—671).
Sechstes Kapitel.
202 i)W. VIL Hamilton.
204 ^) S. über 0 verton: Guizot: Histoire du protectorat de Richard Crom-
well I. 89 ff., daselbst Angabe der Quellen.
206 i)S. z. B. Burton's Diary IIL 403, IV. 328.
2) Die Petition vom 12. Mai 1659, Old pari. bist. XXL 403, der
Auszug aus Vane's Rede bei For st er 330. Am 27. Juni 1659
wurde eine Petition auf Abschaffung der Zehnten zurückgewiesen. C. J.
207 ^) A I Treatise i Of | Civil power j In \ Ecclesiastical causes: ! Shewing |
That it is not lawfull for any | power on earth'to compell | in mat-
ters of ReHgion i The author (Name oder Initialen herausgeschnit-
ten) London, Printed by Tho. Kewcomb, i Anno 1659. 12". 83 S.,
vorher 5 Bl. Widmung. Br. M. 1019. b. 18. W. V. 302—336. Ueber-
setzung bei Bernhardi I. 3 — 28. Eintrag in den Stationers' Re-
gisters : „The 16tii of February 1658 Tho. Newcomb. Entred for
Sechstes Kapitel. 283
•Seite
his Copie unJer the band oi Mr. Pullejii warden a booke called a
Treatise of Civil Power in Ecclesiastical causes by John Milton."
211 1) S. die Ordonnanz Old pari, history XIX. 323—326, vgl. Burton's
Diary I. 392 und Reg., s. v. „Blasphemy".
211 2)Hanbury III. 516 nach C. J. VII. 575.
212 ^) Wall's Brief, dat. Causham, May 26, 1659, in Milton's W. ed.lBirch
I. in der Vorrede R. Barou's zum Eikonoklastes.
^) Considerations [ Touching | Tbe likeliest means to remove | Hirelings 1
out of the church. | Wherein is also discourc'd , Of iTithes, Church-
fees, I Church- revenues ; | And whether any maintenance | of mini-
sters can be settl'd by law. | The author J. M. I London: | Printed
by T. N. for L. Chap- [ man at the Crown in Popes- | head Alley.
1659. Br.M. E. 2110. 153 S. 12". Ms. Vermerk Thomason's „Aug."
W. V. 337—388. Uebersetzung bei Bernhard! III. 128 ff.
215 ^) Eine Reihe von Schriften über die Frage der Zehnten aus der Zeit
noch vor Errichtung der Republik konnte ich in einem Sammel-
bande der göttinger Bibliothek bist. ]M. B. 63 b einsehn. Schriften
aus den Jahren 1652, 1653 im Br. M. E. 656, 683, 687. Die Stelle
aus W. Pr y nne' s The Sword of Christian magistrate supported etc.
4105 c
1653. B r. M. — ^^-^ p, 144 : „Hereticks and schismaticks seduced to
blind obedience by blind leaders", könnte immerhin auf !Milton
gehen. Milton spielt an auf Prynne's Ten considerable queries con-
cerning tythes 1659.
218 ^) Ganz ähnlich in der Schrift: Christs' order and the disciples prac-
tice concerning the ministers maintenance etc., s. a. (Sammelband
der [göttinger Bibl. h. M. B. 63 b) . . „it were farre more apostoli-
call and christianlike to labour as Paule did with his owne hands
than to force or require a subsistence in such a manner as being
never appointed".
221 ^) Vgl. die betr. Abschnitte bei Weingarten, daselbst 242 über
Vane, und R. Barclay: The inner life of the religious societies
of the Commonwealth, London 1876; 'namentlich 197, 272, Appen-
dix zu Ch. XVI: Petition from friends to the coimcil of the Lord
Protector 1658.
222 ') Clarendon St, P. IIL 527: „Vane now believes the king will at
one time or other obtain the crown , the nation being dissatisfied
•with any other government" (16. Juli 1659).
224 ^) A letter to a friend concerning the ruptures of the Commonwealth.
Publish'd from the Manuscript (zuerst vonToland veröflfentlicht),
dat. 20. Oct. 1659. W. V. 400 — 405.
225 1) H. Oldenbm-go, 20. Dec. 1659. W. VIL 408.
231 ^) The Readie&Easie 1 Way : ToEstablish ! A 1 Free Commonwealth. '
And 1 The Excellence therof | Compar'd with | The iuconveniences
284 Anmerkungen.
Seite
and dangers of | readmitting kingship in this nation. | The author
J. M. (Ms. Ergänzung „ilton") London, (Ms. Note Thomason's „March 3.
1659) Printed by T. N. and are to be sold by Livewell Chapman |
at the Crown in Popes-Head AUey 1660. 18 S. 4". Br. M. ^^^^.
Ein Originalexemplar der sehr erweiterten zweiten Auflage dieser
Schrift, wie sie sich in 3Iilton's Werken (W. V. 420 — 455) abge-
druckt findet, ist heute nicht mehr bekannt. Uebersetzung bei
Bernhardi IH. 165 ff.
231 ^) „Ich habe einst dem Sulla meinen Rath gegeben und will ihn nun
dem Volke geben". Es scheint mir unmöglich, dies Motto, wie
einige es haben thim wollen, auf Monk zu beziehen. Denn der
Brief an Monk, mit dem Milton seine Schrift an Monk übersandte,
und auf den er einzig mit jenem Motto hätte anspielen können,
blieb dem grossen Publikum ganz unbekannt, da Milton ihn nicht
veröffentlichte. Sein Motto wäre also auf Monk bezüglich ganz un-
verständlich gewesen.
238 ^) „The populär State is the government of a State by the choicer sort
of people, tendiiig to the public good of all sorts viz. with due
respect of the better, nobler and richer sort . . A Commonwealth
is the swerving or deprivation of a free or populär State or the
government of the whole multitude of the base and poorer sort
without respect of the Orders." Raleigh: Maxims of State (Works
VIII. 8, 4).
241 ^) Dass dies Milton's Meinung war , ergiebt sich erst recht deutlich
aus dem noch zu erwähnenden Briefe an Monk.
242 ^) W. 455 — 457. Auch dies Aktenstück kam auf die gleiche Weise
wie das oben S. 224 besprochene in Toland's Hände und wurde zu-
erst von ihm Iveröffentlicht , „from the Ms." Symmons, Keightley
u. a. versetzen diesen Brief irrig in's Jahr 1659.
*) Einige solcher Briefe an Monk enthält z. B. der Sammelband E. 1016
im Br. M.
243 ^) Dahin mag z. B. gehören „Englands Monarchy Asserted" etc. (1660,
March 8,) Br. M. E. 1016 p. 2. : „These subtle men know well
enough, that there is no easier way to cheat us of our best
condition than by the hope of enjojing it in a better manner".
Man kann anch dahin rechnen die Schrift von Gauden: „y.ay.ovQyot
sive Medicastri etc. set forth in a sermon preached in S. Paul's 1659,
Febr. 28." Br. M. E. 1019. p. 97: „It is but the capricious and
ridiculous conceit of some fine men who want employment to send
this now languishing State of Englaijd and the other two adjacent
antient and united Kingdomes to Mars his hill in Athens or to
the Lacedemonian Sparta or to the Pioman Capitol or to the Ve-
netian Arsenal" etc.
Sechstes Kapitel. 285
Seite
244 ^) The Oceana and other works of James Harrington collected by John
Toland 3 Ed. 1747.
*) The Censure of the Rota upon Mr. Miltons Book, intitled The
readj' and easy Way to establish a free Commonwealth. Die Lunae
26 Martii 1660. Ordered by the Rota, that Mr. Harrington be desi-
red to draw up a Narrative of this Day's Proceeding upon Mr.
Milton's Book, called The ready and easy Way etc. And to cause
the same to be forthwith printed and published and a Copy thereof
to be sent to ]Mr. Milton. Trundle Wheeler, Clerk to the Rota.
Pr. at London by Paul Giddy, Printer to the Rota . . 1660. 4".
16 S. Br. M. E. 1019. Ms. Vermerk Thomason's „MarchSO"; ab-
gedruckt in Harleian Mise. 4". IV. 179 — 186 Br. M.
246 1) The | Bignity Of l Kingship | Asserted : | In Answer to Mr. :\rilton's '
Ready and Easie way to establish a Free Common Wealth. | Pro-
ving that Kingship is both in it | seif, and in reference to these
Nations, | fan-e the most Excellent Government, and the ; retuming
to our former Loyalty, or Obedi- | ence thereto is the only way under
God to restore \ and settle these there once flourishing, now | lan-
guishing, broken & almost ruined Nations. | By G. S, a Lover of
Loyalty. ' Humbly Dedicated and Presented to bis most | Excellent
Majesty Charles the Second, of England | Scotland, France and Ire-
land, True Hereditary King. ! London, Printed by E. C. for H. Seile
over against | St. Dunstans Church in Fleet-street and for "W. Pal-
mer at the I Palm-tree over against Fetter-laue-end in Fleet-street,
1660. 12 '. 179 S., am Schlüsse des Druckfehlerverzeichnisses „From
my Study Mar. 29. 1660". Br. M. E. 1915 (auf dem Titel hand-
schriftlich „May"). Eintrag in den Stationers' Registers „31 March
1660". Am Ende der Dedikation steht: „Your majesties unworthy
most humble orator G. S." Der Schrift ist eine „Peroration to bis
Excellencie the L. G. Monck and both houses of parliament" an-
gehängt.
247 ^) T 0 d d. Dagegen könnte sprechen, dass der Verfasser erklärt, kein
Politiker von Beruf zu sein, p. 6: „The afifairs of politick forms
are besides my practice".
249 1) The Fear of | God \ And The | King. I Press'd in a Sermon, | Preach'd
at Mercers 1 Chappell, on the 25th of ] March, 1600. j Together
With A brief Historical account of the Causes of ', our unhappy
Distractions, and the onely | way to Heal them. ' By Matthew Grif-
fith, D.D. I and Chaplain to the late King. , London, | Printed for
Tho. Johnson at the Golden | Key in St. Pauls Church-yard, 1660.
12^ Im ganzen 106 S. Br. M. E. 1918. Eintrag in den Statio-
ners' Registers „31 March 1660"; s. über Griffith: Wood.
250 *) Brief Notes upon a late sermon, titl'd The feai- of God and the
King. Preach'd and since publish'd by ISlatthew Griffith , D. D.
286 Anmerkungen. Sechstes Kapitel.
Seite
and chaplain to the late King. Wherin many notorious wrestings
of scripture and other falsities are observ'd. W. V. 389—399. Im
Br. M. ist kein Originalexemplar dieser Sctrift vorhanden.
250 *)S. über R. l'Estrange Wood etc. Wichtig füi- l'Estrange's Bio-
graphie ist die Schrift : To the right honorable, Edward earl of Cla-
rendon, the humble apology of R. l'Estrange . . 3. Dec. 1661. ßr.
,, E. 1956
^) No I Blinde Guides, ' In Answer To a seditious Pamphlet of 1 J.
Milton's Intituled Brief Notes upon a late Sermon Titl'd, the
fear of God | and the King ; 1 Preachd, and since Publishd, By 1 Mat-
thew Griffith, D. D. And Chaplain to the | late King etc. 1 Addressed
to the Author. ] If the Blinde lead the Blinde , Both shaU fall into
the Ditch. | London Printed for Henry Browne April 20. 1660. 4".
•p 1021
14 S. Br. M. • -., (handschriftUch aux dem Titelblatt April 25).
Anhang L
Ueber eine bisher unbekannt gebliebene Korrespondenz
Milton's.
Die Anzahl der bekannten Privatbriefe Milton's ist, wie jeder Kenner
seiner Werke weiss, eine sehr geringe. Auch von den Briefen, welche an
seine Adresse gerichtet waren, so gross ihre Masse gewesen sein muss,
haben sich leider nur wenige erhalten. Es ist daher als ein besonderer
Glücksfall zu betrachten , wenn bisher unbekannte Stücke dieser Privat-
korrespondenz des Dichters an's Licht kommen. Man wird sie vielleicht
überall eher suchen, als in einem deutschen Archive, und doch gewährt
eines derselben na'ch dieser Richtung hin eine interessante Ausbeute. Es
ist das grossherzogliche Haus- und Centralarchiv in Oldenburg, woselbst
sich nebst einer Anzahl von Briefen das Tagebuch des Landrichters Her-
mann Mylius befindet, den der Graf Anton Günther von Oldenbiu-g im
Sommer 1651 als ausserordentlichen Gesandten nach London schickte.
Seine Aufgabe war, vom englischen Parlamente für die Territorien seines
Herrn eine „Salva-Guardia" zu erwirken, die während des englisch-nieder-
ländischen Krieges von Wichtigkeit sein musste. Durch G. A. von Ha-
ie m's Geschichte des Herzogthums Oldenburg II. 439 (daselbst II. 491
Näheres über Mylius) auf das .,Diarium des Landrichters H. Mylius, seine
Reise nach England betreffend", aufmerksam gemacht, schien es mir um
so wichtiger, Einblick in dies Schriftstück zu erhalten, da Mylius als einer
der Korrespondenten Milton's bekannt war. Der Vermittlung des H. Dr.
M 0 s e n und der Gefälligkeit des H. Ministerialrathes R o m e r in Oldenburg
habe ich es zu danken, |dass ich Mylius' Tagebuch durchlesen und aus-
ziehen konnte. Leider ist es grossen Theils sehr schlecht geschrieben,
auch lückenhaft, imd die erkennbare Absicht, die Kladde in eine Rein-
schrift umzuwandeln, ist nur unvollständig dAchgeführt. Dennoch fügt
es einer Biographie Milton's sehr schätzbare neue Materialien hinzu. Es
enthält nicht nur abschriftlich |einige bisher unbekannt gebliebene Briefe
des Dichters, die ich zur besseren Verbreitung in England in der Aca-
I
288 Anhang I.
demy vom 13. Oktober 1877 und vom 6. Juli 1878 bereits veröffentlicht habe,
sondern es ist reich an Mittheilungen über ihn, welche man ungern missen
würde. Mylius stand, wie sich aus seinen Aufzeichnungen ergiebt, mit
Milton persönlich auf einem ebenso vertrauten Fusse wie mit Fleming,
W'eckherlin, Durie, Hartlib, Haak, deren er an vielen Stellen
seines Tagebuchs gedenkt. Er war von hoher Achtung gegen den Mann
erfüllt, den er einmal „magnum Miltonium" nennt, „der des Salmasii de-
fensionem regis anglice refutirct", und Milton seinerseits erwies ihm Ge-
fälligkeiten, die ihm sein Amt beinahe nicht erlaubt hätte. Eben seine
amtliche Thätigkeit in den ersten Jahren der Republik wird an einem
greifbaren Beispiele durch die Blätter von Mylius' Tagebuch unserer An-
schauung klar gemacht. Aber auch seine persönlichen Verhältnisse, die
Art und "V^'eise seines Gesprächs und Umgangs werden hier in dankens-
werther Weise beleuchtet. Ich habe daher Mylius meistens selbst sprechen
lassen, ohne seine Schreibung und Interpunktion streng beizubehalten.
Von Interesse ist schon die Schilderung der Audienz, welche ein Aus-
schuss des Staatsraths Mylius am 20. Oktober 1651 ertheilte. Er erzählt,
wie er mit Fleming nach Whitehall gefahren, wie sie „endlich in eine mit
schönen tapetten behangene kammer gangen, der herr Fleming aber etwas
abgetretten, bald widerkomen und hat mich mit in die audience geführt,
da die harren commissari, als herren "Whitlock, magni sigilli custos, Henry
Fene [Vane], Henry Mildmay, John Trever [Trevor] an einem langen tisch
auf einer seite gesessen(*), hen-Miltonius ad dextram primi gestanden;
auf der anderen seite . . ist ein lediger stul gestanden, da nach abgelegter
reverentz ich mich niedergesetzt und mit folgenden praeambulibus meine
person legitimirt und das creditiv in autographo et copia latina et angli-
cana überreichet . . "Wie dieses angenommen, habe ich mich gesetzet, der
herr Fleming aber ist mir zur linken stehend gepliben und habe ich meine
proposition in substantialibus und auch mehrentheils in formalibus . . ab-
gelegt, da dan eine sonderbare aufmerkung auch verzeichnus meiner gar
langsam ausgesprochenen phrasium, wobei auch der herr Miltonius
sehr attent sich bezeiget, zweifelsohne aus denen Ursachen, ob ich auch
meine petita andersten als mündlich vorgebracht einrichten würde, ver-
spüret und wargenommen. Inseratur (hierauf folgt die petitio parlamento
reip. Angliae nomine . . comitis in Oldenburg . . exhibita). Nach ge-
endigter . . proposition haben die herren commissarii unter einander ge-
redet und bald der mittelst unter ihnen, herr "\Miitlock custos magni sigilli,
auf englisch, welches der herr Miltonius lateinisch wiederholen müssen,
1) Dagegen heisst es C. S. P. 1651 Oct.15 (p. 477): „Sir H. Vane, Sir H. Mildmay, Lords
Commissioners ^Vhitelocke and Litle, Mr. Bond and colonel Pnrefoy to give andiene« to the
agent of the duke of Oldenl'urg and appoint a time for it and give Mm notice by Sir 0_
Fleming". „Alylias" auf derselben Seite steht irriger Weise für „Mylius". Nach einem Briefe
des Mylius an den oldenburgischen Rath Wolzogen vom 17. Okt. hatte er Milton bis dahin
noch nicht gesprochen.
Ueber eine bisher unbekannt gebliebene Kon'espondenz Milton's. 289
also geantwortet (folgt die Antwort), dem ich hac replica begegnet (folgt
die Replik). Damit ich aufgestanden, mit . . complimenten und solenni-
teten wieder aus dem schloss per aream an die kutsche und von dem herrn
Fleming in mein quartier begleitet."
Es geht aus dem Tagebuch weiter hervor, dass von Mylius ein Formular
der Salva - Guardia , wie er sie stilisirt zu sehn wünschte, an Milton ge-
schickt wurde, und dass Durie darüber mit Milton verhandelte (^). Auch
wandte sich Mylius mit verschiedenen Briefen an Milton zum Zwecke der
Beschleunigung seiner Angelegenheit. Sie zeichnen sich durch eine äusserst
gesuchte Form aus, von der die Einfachheit der Milton'schen Latinität
wohlthuend absticht. Einer von diesen Briefen trägt das Datum des
6. November 1651 und lautet folgendermassen :
„Virorum optime
Invitus obstrepo tuis arduis, sed nosti quo amore tribus jam men-
sibus hie ex spe et desiderio morer et langueam.
Ut nox longii ijuibus nientitur amica diesque
Longa videtur opus debentibus — —
Sic mihi tarda fluunt et longa haec tenipora quae spein
ConsiliuiiKiue morantur etc.
Vello saltem memoriam mei et meae expeditionis quae quidem ex volun-
tate gravissimi senatus vestri dependet, si autem vis flexauima suadae tuae
stimulum addiderit, non dubito de celeri successu. Hoc summopere saltem
rogo , ut ante ultimam manum meae expeditionis mihi intueri liceat pro-
jecta diplomatum , sicubi forte ratione domini et patriae quicquam occur-
reret, quod monere, ex usu et re nostra nee contra mentem celebratissimi
parlamenti foret, possim. Patiere" , ut prorsus confido , me in eo esse im-
petrabilem et tibi me vicissim.
0 et praesidium et dulce decus meum nuncupabo
Totum tuum.'"
„Hat mir sagen lassen, dass wegen der vielen arbeit er dato noch
nicht an meine abfertigung konte komen, wolte heute oder morgen mit
mir reden."
Als Antwort Milton's liegt ausserdem der folgende Brief vom 7. No-
vember vor:
,,Acceptis a te, vir nobilissime, trinis jam literis omni hunianitate nee
non benevolentia erga me summa refertissimis , quarum prioribus conven-
tum me velle peramice significabas, equidem et-"doleo sane partim per oc-
cupationes meas , quibus in presentia distriugor , partim per valetudinem
nondum mihi licuisse virum eximium et hospitem mei tarn cupientem con-
venire, et diutius certe non potui, quin, si adesse non queam, per literas
saltem tam praeclaris in me studiis tuis aliqua ex parte responderem.
1) Zur Ergänzung dient ein Krief des Mylius an Wolzogen vom 31. Okt. 1651; „H. Miltonius
hat zweimal zu mir geschickot in meinung mich zu besuchen, quem etiam desiderio desidera-
tissimo passis brachiis expectavi, ist aber verhindert und hat sich entschuldigen lassen".
Stern, Nilton u. s. Z. 11. 3. ]9
290 Anhang I.
Projecta illa quae vocas, ad me missa, pro meo otio satis diligenter per-
curri, quorum ad exemplum, quid sis a nostris comiti tuo impetraturus,
haud facile divinarim, hoc possum dicere, nihil in hoc negotio praetermis-
sum a te esse, quod apposite ad persuadendum dici potuerit. Et spero
equidem responsum tibi brevi datum iri, nam quibus commissa ea res est,
id agere scio. Projecta interim illa perlecta, ut dixi, ad te remitto mea-
que omnia officia vel hie vel alias qiianta possum fide et observantia
tibi defero.
Tai studiosissimus atque observantissimus
Johann. Miltonius."
Am selben Tage erfolgte eine Antwort des Mylius:
„Manum et ex ea mentem tuara ad pectus appressi, quod amore et
candore erga te exuberantissimum dudum tibi obligatum denuo hac dextra
consigno. Humanitas tua et inclinatio , ut spero , in maturandis et pro-
movendis meis desideriis porro non deerit nee exigua haec optimae apud
exteros famae tuae pars erit , si etiam exteris frui tua comitate et bene-
volentia patieris, qua nisi abutar, remitto mea projecta futurae expeditioni
si placuerit reservanda et me nuncupo ex asse tuum."
Demselben Datum gehört ein Eintrag im C. S. P. 1651 an: „The busi-
ness of the count of Oldenburg to be again considered, before it be re-
ported to the house". Die Agelegenheit erlitt nämlich neue Verzögerungen,
u. a. auch deshalb, weil der entfernt mit dem Hause Stuart verwandte
Graf royalistischerSympathieen bezichtigt, und weil von Seite Bremen's wegen
des Weserzolls gegen ihn intriguirt wurde. Am 17. Dec. wandte sich da-
her Mylius wiederum an Milton, dessen Antwort vom 2. Januar 1652 sich
in . seinen Werken VII. 387 (s. d.) abgedruckt findet(i). (Vgl. C. S. P.
1651. Dec. 31, p. 85. Ansetzung eines Termins für eine Audienz des ol-
denburgischen Gesandten auf „next friday".)
Von da an kann man dem Zusammenhang des Tagebuches folgen.
„3. Jan. 1052. Bey herrn Miltonio gewesen und nebenst gethaner
congi'atulation zum neuen jähr und anwünschung völliger restitution, cum
cephalalgia et suffusione oculorum laboret(-), die beschaffenheit in meinen
affairen ein wenig erkundiget ;Sie reden dann über die oldenburgische
1) Wenn in diesem Briete Milton's von einer „subita in aedes alias migratio" die Rede
:st , so erhalt man dadurch zugleich eine genauere Bestimmung der Zeit, in welcher Milton aus
Whitehall nach Petty-France übersiedelte, s. o. S. 23, 181. Die Datirung des Briefes ergiebt sich
aus einer unter den Papieren des Mylius befindlichen Kopie. Daselbst erscheinen folgende
Varianten von dem Abdruck in Milton's Werken: Es fehlt mihi hinter adversatrix, es
eo qne statt ex que eo, expectabas st. exp eteb a s, hinter Co ncil io eingeschoben
Dominum Withlochiura, hinter deliberatio est e. Eamque brevem adniodum
ausim dicere futuram, nisi tu istam brevem voculam quasi ad calculos
accurate nimium exegisses, prius st. primus, quodcunque st. aliquod
Der Schluss lautet: Datae in Parva Francia Westmonasterii 2. Jan. 1652 Tuarum rerum tui-
que honoris studiosissimus Joannes Miltonius.
2) Es ist ein Mal davon die Rede, dass „haupt- und augenweh" Milton verhindert, den
Mylius zu besuchen.
Ueber eine bisher unbekannt gebliebene Korrespondenz Milton's. 291
Angelegenheit) . . haben viele andere discursus insonderheit de constitu-
tione hujus et imperii Romani gepflogen, endlich auf seine defensionem
populi ad Salmasii sugillationem kommen, da er mir ein büchlein, welches
Joannis Philippi responsio ad apologiam anonymi cujusdam tenebrionis
pro rege et populo Anglicano infantissimam rubriciret, verehret und be-
gehret mein Judicium davon zu geben, hat sich gar höflich erboten." Es
findet sich ein schmeichelhaftes'iUrtheil des ^lylius über das Buch in Form
eines sorgsam vorbereiteten Briefes an Milton.
„6. Jan. 16 52" berichtet Mylius von einem neuen Besuch bei Mil-
ton. Dieser verspricht, „ob er es wol absque praevia permissione prae
sidis nicht thun solte", ihm seinen Aufsatz vorher zur Einsicht zugehn
lassen zu wollen „und begehret, ich amanuensem meum morgen frue zu
ihm schicken solte".
„7. Jan. 1652. Schreibe herrn Miltonio:
Flos et ocelle virorum
Praevio amplexu matutino, memor hesterni promissi amanuensem ad
impetrandum meae expeditionis projecta mitto, lecta remittam et censurae
vestrae denuo submittam veluti me charitati vestrae sine fuco et feile
totum etc.
Eodem schickte mir h. ^Milton das projectum salvae guardiae hisce
literis ad revidendum:
Concinnatum, ut potui, salvam guardiam hanc, vir carissime, tuis plerum-
que verbis usus, perlegendam tibi mitto. Quaedam inserere necesse habui-
alia feci contractiora, prolixiorem vix credo concilium velle, succinctiorem
non potui, quandoquidem per omnia :tibi satisfactum esse cupio. Exem-
plar tibi ipsum mitto quod hodie vesperi in concilio obtensurus sum, ita-
que nisi ante horam secundam postmeridianam mihi remittatur, vereor ut
possim hodie effectam rem dare.
Tuae claritatis^studiosissimus
Johannes Miltonius.
Darauf ich es durchgelesen und einige defecten darinnen zu suppliren,
auch meine marginalia zu observiren gebeten, damitjllustrissimus sich so
viel mehr bedienen muge. Antworte ihm sequentibus:
Nobilissime Miltoni.
Compendiaria via ad gloriam incedis, qui talis es, qualis vis haberi
et videri , nee fingis , sed probas te amieum , et dicta tua facta experior.
Perlegi projectum, et illa quae adjeci inseri et quae interlineari tractu no-
tavi, omitti quaeso, caetera limae et lineae tuae denuo expedienda sub-
jicio. Rescriptum ad legatos aliosque publicos reipublicae ministros extra
rempublicam constitutos et in futurum constitueudos penes augustum se-
natum Status monebis et pro dexteritate promovebis, tanto major domini
mei obligatio et mens in te amor, quo te amplexatur
Tuus.
Bald darauf bin ich noch ante secundam zu !ihm gefahren , damit
19*
292 Anhang 1.
nichts von ihm übersehen werde und hat in mea praesentia die notata ad
marginem selbst gesetzt
E 0 d e m : Herr M i 1 1 o n i u s selbst zu mir kommen und das andere
projectimi rescripti mitgebracht und mir durchzulesen auch vergönnet und
gelassen , ist in die statt gefahren , wolte es bey seiner ruckkunft wieder
abfodern. Gestern hette es im rath wichtiger affairen halber nicht vorge-
bracht werden können, wolte es heute nachmittag versuchen
2 0. Jan. Schreibet mir heiT Miltonius nachfolgendes:
Heri aderam pro more in consilio, vir clarissime. cum chartis vestris,
cumque nactus occasionera domino praesidi rem repraesentassem, is statim
de iis utraque lingua legendis, ad consilium retulit, nihilque videbatur non
concedendum , si Bremensibus sociis nostris et amicis duntaxat caveretiu*,
in quos moliri aliquid dominum comitem nonnuUi nescio qua de causa
visi sunt suspicari. Res itaque certis ex consilio coramissa est, qui con-
silium de eo certius faciant.
Tuis rationibus addictissimus
Parva Franciae Westmonasterii
20™" Januarii 16-51. Johannes Miltonius.
Darauf bin ich alsobald zu herrn M i 1 1 o n i o gefahren , der mir im
höchsten vertrauen eröfinet, gestalt alles gestern placitiret gewesen, aus-
genommen weren einige, die er nicht nennen wolte, welche die Bremer
auch ihre affection zu diesem ort hochlich geruhmet, auch ihre merita in
hanc nationem sehr ausgestrichen und weitleuftige motus in consilio ge-
machet, dass man wider dieselbe dem hen'n graffen zu assistiren befelchlig
ertheilete. Weren einer religion, von undenklichen Jaliren alliirte socii,
und viele commercia zwischen beydeu, die per teloneum, wo nicht gar auf-
gehoben, doch gesperret und gemindert würden. [Caeteri et maxime Tho-
mas Challenor /•) hetten repliciret, dass es causa forensis, die ihre decision
vom reich durch den friedensschluss vom ganzen reich erhalten, musten
sich nicht damit bemengen. Das haus Oldenburg hette Igrossen anhang
und das parlament keine ursach selbiges zu oiFendiren. Endlich weren a
consilio abermal etzliche denominiret, die nochmals dies dubium pro et
contra erwegen und ein conclusum darinnen machen und ad consilium
wieder davon referiren solten. Ego : musten grosse patroni , die non ro-
gati für Bremen sich also einliessen, und vielleicht nicht absque stipendio
sein, und wie ich de statu causae grundlich informiretj, habe ich abscheid
genommen, und ist in discessu meo einer von den hollandischen zu ihm
kommen. (Es folgen Briefe von Mylius zur Aufklärung an Challoner und
Nevill, welche Weckherlin auf seine Bittep unterstützt.)
22. Jan. Schreibe ich herrn Miltonio:
Pelagus sum inquietum — hujus dum vitae Ijachesis sua fila move-
bit vester ex asse H. M.
1) Challoner.
Ueber eine bisher unbekannt gebliebene Korrespondenz Milton's. 293
(Der Brief setzte die Sachlage auseinander: „Controversia cum Bre-
manis imperium Romanum tangit , non hanc rempublicam" etc. und that,
nach einer Mittheilung Pleming's an Mylius, gute Wirkung.)
27. Jan. Hey herrn Miltonio und Fleming gewesen, erfahre
nichts weiter, als dass die occupationes mit den hollendischen Sachen, dar-
auf eine antwort praeliminariter an die herren statten generalen soll ab-
gehen, meine expedition verhinderte, dabey dann einige Bremische ad-
fectionii'te widrige impressiones und operas erwieseten
6. Febr. Bin ich zu h. Miltonio gefahren, der berichtet mir, dass
gestern circa undecimam das rescriptum ad legatos aliosque ministros in
englisch ihm zugeschicket, die andere papieren der salva-guardi und latei-
nische versiones zui'uckplieben sein, hette seinen Schreiber hingeschicket,
umb selbige abzuholen und wolte soviel muglich damit maturiren.
9. Febr. Bey h. Mi 1 ton gewesen und gefraget, wie es doch mit
meiner expedition beschaffen. Ille zeigete mir das rescriptum ad legatos
et publicos ministros und referirte sich darinnen ad salvam-guardiam, die
sie nicht geben wollen, solte diesen nachmittag in consilio verlesen und
weiter nichts ertheilet werden. Ego : das relatum were ja nicht dabey, als
konte ich's nicht acceptiren, muchte doch in consilio solches remonstriren,
Tcaput negotiatiouis meae esse salvam-guardiam . . betten mich largis et
lautis promessis ein halb jähr aufgehalten . . jezige abfertigung were eine
tacita elusio indigna et plane inhumaua repulsa . . gebeten solches diesen
nachmittag cordate und favorabiliter vorzupringen und enderung zu be-
gehren , wo nicht muste ich's der zeit befehlen und mich auf die ruckreise
machen . . Ille er sehe gar wol die faute, qui [sie] ex imperitia et malitia
eorum, qui pku-alitate votorum gauderent, heiTuhrte, weren homines me-
chanici , milites , domestici , fortes satis et acres , at rerum politicarum
maxime forensium imperiti, darinnen potior pars reipublicae bestünde,
trudentiores durften auch ihre meinung nicht recht eröffnen. Muchte es
reipublicae nicht imputiren noch den sanioribus unter den 40 personen,
die in consilio Status, weren über drey oder vier nicht, qui extra Angliam
gewesen, aber darunter de Mercurii et Martis prole gnung. Unterdessen
versprochen dextre dem consilio es nochmals vorzutragen und selben abendt,
finito consilio mir von endlicher erklerung part zu geben (M-
1) Mit Milton's scharfen Aeusserungeu stimmt überein, was an einer anderen Stelle von
Mylius' Tagebuch zu lesen ist: „T.Jan. 1652 herrn Wecherling (W eck h erl i n), der otio
niolesto pedibus podagra laborantibus hereinkommen , besuchet , redete von denen alhier vor-
gehenden tunniltuariis negotiis, einer traute dem anderen nicht, und der numerus consultan-
tium wer zu gross, die Teutsche affaires niemand bekannt, dahero keine expedi-
tion, zudem wolte der prolecutor alle minuta wissen und darvon inforniirt sein, ehe er, was im
consilio status concludiret, zur volligen ausfertigung gelangen liesse, der aber tanti moli nicht
gewachsen, mangelte ihm am verstand und experionce, insonderheit halte er de exteris rebus
et forensibus die geringste Wissenschaft nicht, were nie über see gewesen" etc. Ebenso spricht
der florentinische Gesandte Salvetti von „gente nuova e che nonhanno ancora beneimparato
11 mestiere delle cose di stato e per quello che io credo poco si curano delle cose di fuori".
(Transscripts from the public archives at Florence 1) r. M. Add. Mss. 27962 seq. 18. VIII 1651.
294 Anhang I.
10. Febr. Schreibet mir herr Mi 1 ton sequentibus:
Quod heri pollicitus tibi sum, \-ir nobilissime , id serio egi, cum
singulis de tuo negotio locutus sum, quibus id commissum esse noram,
plerique mihi videbantur 'non satis advertisse potius, quam noluisse con-
cedere. quod petis, nam et concessisse se putabant in illo scripto quicquid
volebas. venim ut res in consilio heri rursus agitaretur, efficere non potui
neque quo die id efficiam certo scio. Eeliquiun est itaque, ut ipse tibi
ne desis, deque ista dilatione ad consilium scribas. ego enim. quod in nie
situm est. nihil praetermisi. Tui honoris, tuarumque rationum studio-
sissimus.
10. Febr. 1651. Joannes Miltonius^).
Antworte herm INIiltonio sequentibus:
P. P. Mentem tuam amicam ex manu intellexi et gratias ago re
ipsa eas ante abitum contestaturus. Monitorium postmeridiem denuo
augusto consilio Status exhibebo, si adfueris. mi Miltoni, assistas pon'O
tuo consilio et eos, qui intentionem domini mei hactenus non intellexerunt,
plenius informes, ut tandem expediri et aequo animo hinc migrare queam.
Si poterit diploma vel rescriptum desideratum saltem in apposita forma-
litate, una cum recredentialibus Uteris ut styli et moris est, concedi ac-
quiescam et me totum, donec vixero obaeratum fatebor et nuncupabo do-
mini Miltonii
observantissimum et addictissimum H. M.
Bald hernach bin ich selbst zu ihm gefahren und habe obgedachtes
project . . mitgenommen.
12. Febr. (Nach einem Besuch bei 0. Fleming.) Alsobald zu
herm Milton gefahren, der meine projecten vorgestern und gestern ad
consilium cum translata copia gegeben, empfangen und die verba „succes-
sores et heredes" durchgesti-ichen funden. Ego remonstrirt . . ihm auch
dabei umbstendlich conditionem et diversitatem successorum vermeldet.
Weilen ich aber leichtlich gemerket, dass die suspiciones wegen des konigs
in Dennemarck, so konte ich leiden, dass hinzugesetzet wurde ,.dummodo
nihil iniqui contra rempublicam hanc moliantur". Ille: durfte es nicht
absque expresso consilii jussu dabey setzen, hette [bereits oft zimbliche"
harte reden gedulden und über sich gehen lassen müssen, dass er mir die
concepta zeigete und heimbliche con'espondence mit mir hette, wolte aber
herren Challenor von diesem Vorschlag advertiren und pitten, weilen es
heute dem parlament solte vorgetragen werden, dass er's in pleno erinneren
und dahin einrichten muchte.
Eodem. Darauf zu herrn Fleming gefahren und obiges wieder-
holet, vermeinet, es wurde am besten gerathen sein, dass es heute wieder
ad consilium gebracht und proponiret wurde. Er wolte alsobald zum
1) Vgl. C. S. P. 1652 Febr. 10. 11, p. 139. 140.
Ueber eine bisher unbekannt gebliebene Korrespondenz Milton's. 295
general(^) und anderen gehen und versuchen, ob es dergestalt konte ein-
gerichtet werden. Habe darauf herrn Miltonio geschrieben :
Nobilissime M i 1 1 o n i.
Adfui domino Flemingio, qui cum domino generali et aliis membris
consilii potioribus de verbis omissis (heredibus et successoribus) communi-
cabit. Malo itaque differri et suspendi hodie negotium, ut post meridiem
in senatu reproduci et domino meo satisfieri possit. Apponant quae dixi
vei alia ejusdem sensus „si heredes nihil adversi vel iniqui contra rem-
publicam attentent vel machinentur". Sinceram enim amicitiam et bene-
volentiam parlamenti reipublicae quaerit dominus comes eamque a se
suisque successoribus reddi cupit et optat ut ego tuam. Mi Miltoni, mutuo
in adfectu et eflfectu tuus M.
' Eodem komt b. Duraeus bey mir (berichtet über die Machinatio-
nen der Bremer, die auch „den General" gewonnen hätten) . . .
13. Febr. Herren Milton geschrieben:
Amicissime Miltoni.
Si placet verbo rescribas, quid heri actum sit aut porro agi debeat
circa negotium domini mei, quo meminisse ejus saltem in hodiernis literis
queam. Nunquam immemor futurus tui Miltonii
H. M.
Darauf antwortet mir hen* Miltonius alsobald in sequentibus:
Heri, mi spectatissime Hermanne, postquam discesseras, pervenit ad
me concilii(") mandatum, quo jubebar. exemplar latinum cum anglico con-
ferre, operamque dare, ut inter se congruerent, deinde domino Whitlockio
et Nevillo utrumque mittere percurrendum, quod et feci, et simul domino
Whitlockio ampliter scripsi, de illo quod inseri cupiebas, nimirum ut suc-
cessoribus et posteris etiam domini comitis, caveretur, eadem formula(*)
quam et ipse suggerebas : addidi insuper quas et ipse attulisti rationes,
quamobrem id nisi fieret, nihil agi videretur, quid deinceps in concilio (•'^)
actum sit, certe nescio hesterna enim pluvia detentus non interfui. Tu
si ad concilii(ß) scribas, vel potius ad dominum Frostium quemquam
ex tuis mittas, ex iis credo audies, vel saltem vespere (') ex me scies
Tibi addictissimo »
. Febr. 13mo 1651 [1652]. Johanne Miltonio(*).
(16. Febr. Besuch bei Milton.)
1) Cromwell.
2) Dieser Urief ist noch im Original in der Antographensammlung des Kardinaler2-
bischofs Fürsten Scliwarzenherg erhalten. Ich verdanke der Gefälligkeit meines Freundes, des
H. Dr. GoU in Prag, eine Kopie und folge dieser in der Wiedergabe, indem ich die Abwei-
chungen des Mylius'schen Tagebuches bemerke.
3) consilii Mylius' Tagebuch.
4) forma M. T.
5) consilio M. T.
6) consilii M. T.
7) vesperi M. T.
296 Anhang I.
18. Febr. Schicket herr Miltonius seinen cognatuni(^) spät zu
mir und lesset mir sagen, dass die acta salvae guardiae voUenzogen und
von dem clerico parlamenti Scobel ihm . . ins lateinische überzusetzen
zugeschicket . .
21. Febr. Schreibe ich herrn Miltonio (Bitte ihm die Salva-
Guardia zur Einsicht zu senden). Hat mir darauf, wie folget, geantwortet.
Inseratur. (Der Brief fehlt.)
23. Febr. Schreibe ich herrn Miltonio . . lesset mir wissen, es
solte heute zesamen (Salva-Guardia und Rekreditiv) fertig sein . ,
24. Febr. Begegnet mir herr Milton . . und saget das parlament
und consilium status betten die successores et heredes nicht inseriren
wollen . . Ego : „muste in voluntate parliamenti acquiesciren" (Mylius war
mit dem Wortlaut des Aktenstückes noch immer nicht recht zufrieden und
fürchtete zudem neue Intriguen von L. v. Aitzema. Unter anderem war
Fleming vorgeworfen, er habe sich der Sache des Mylius deshalb so sehr
angenommen, weil er von ihm ein Kleinod im Werthe von 200 £ em-
pfangen hätte. Auch Milton war sein vertrauliches Verhältnis zu Mylius
verdacht worden.) . .
2. März. Bericht über die Abschiedsaudienz, bei welcher „herr
3Iilton'- wieder fungirt; vgl. C. S. P. 1652 p. 164. 165.
3. März. Samuel Hartlib von mir abscheid genomen, den sie
nennen agentem rei literariae in Anglia.
4. März. Dem herrn Miltonio omni gratia, factis et verbis, valedi-
cieret. (Er rühmt die von Milton bewiesene „adfection" und bemerkt,
dass er ihm das englische Originaldiplom und die lateinische Uebersetzung
mit seiner Namensunterschrift habe zustellen lassen, „unangesehen er
gantz Seins gesiebtes anno quadragesimo secundo [ein Irrthum, da ]\Iilton
1608 geboren war] et ita in ipso tiore et vigore aetatis beraubet. Quidam
discurrendo uuper ajebat: Lycurgus Driantis filius, qui quoniam cum diis,
Baccho praesertim pugnare consuluerit caecitate perpetua, a Jove Saturnio
affectus est" etc.)
Die „Salva-Guardia" findet man abgedruckt bei Thurloe I. 385 und
bei J. J. Winkelmann: Oldenburgische Friedens und der benachbarten
Oerter lüiegs-Handlungen 1671 mit der Unterschrift:
Guilelmus Lenthal
Prolocutor Parlamenti Reipubl. Angliae
Hoc Diploma ex Anglico originali in latinum"verbatim versum est.
Westmonasterii , 17. Feb. 165ö-.
Joannes Miltonius.
Das von „Scobell der. pari." unterzeichnete Aktenstück (]Milton
Works VII. 227) Ist offenbar der Begleitbrief der Salva-Guardia. — Es
1) Ohne Zweifel John Phillips, s. o. S. 80.
Anhang IL Aktenstücke betreffend Alexander Monis. 297
ist bekannt, dass der Graf von Oldenburg einige Jahre später zu Crom-
well in ein nahes Verhältnis trat. Er machte ihm damals ein Geschenk
von feurigen Pferden, die Cromwell bei Gelegenheit einer Spazierfahrt bei-
nahe das Leben gekostet hätten (vgl. Carlyle III. 272 und die beiden Briefe
in Milton's Werken VII. 238, 239).
Anhang IL
Aktenstücke betreff'end Alexander Monis.
Man muss sich darüber verwundem, dass die bisherigen Biographen
Milton's es versäumt haben, der Geschichte eines Mannes, mit dem er in
die heftigste literarische Fehde gerieth, an der Hand von urkundlichem
Material nachzugehn. Denn dadurch allein kann es möglich gemacht wer-
den, sich über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Milton'schen An-
schuldigungen ein sicheres Urtheil zu bilden. Indem ich mich bemühte,
diese Lücke auszufüllen , bin ich von Genf aus durch die Herren Pro-
fessoren P. Vaucher und E. Ritter, sowie durch H. Ph. Plan, Kon
servator der Bibliothek, von Amsterdam aus durch H. Professor de Hoop_
Scheffer auf's dankenswertheste unterstützt worden.
Was die genfer Epoche des Morus betrifft, so sind die vorhandenen
urkundlichen Materialien viel zu umfangreich, als dass an ihre wörtliche
Mittheilung zu denken wäre. Sie befinden sich theils im Archiv der ve-
nerable Compagnie, theils im Archiv der Stadt, theils in der öffentlichen
Bibliothek daselbst. Die Register der venerable Compagnie wie des Con-
seil, Briefe der Geistlichen und Behörden von Middelburg, sowie der Kö-
nigin von Böhmen, Liriefe des älteren Spanheim und des Salmasius an die
V. C, ein Schreiben des Salmasius an den Rath von Genf („Lettre de
Claude Saumaise, professeur ä Leyde au sujet des accusations d'heresie
et d'heterodoxie contre Alexandre Morus appele depuis peu pour desservir
l'eglise frangaise de ]\Iiddelbourg Leide 8. Juin 1648'', Archives de Geneve
No. 3194) etc. kommen hier in Betracht. Ergiebt sich aus diesen Akten-
stücken auch nicht unwiderleglich {die Richtigkeit der Milton'schen Be-
hauptungen, so machen sie im ganzen und grossen doch nicht den Ein-
druck, als sei die Sache des Morus ganz rein gewesen. Dass ihm nicht
nur Abweichungen von der orthodoxen Lehre, sondern auch von Anstand
und guten Sitten vorgeworfen wurden, steht fest. Salmasius spricht in
seinem Briefe von den „vi ces enormes", die man ihm imputirt habe,
und erwähnt, „que le dit sieur Morus a estö represente pour un monstre
d'homme , . ä l'esgard de la doctrine que de ses moeurs".
Damit stimmt der folgende Auszug aus den Registres de la v. C.
25. Juli 1648 überein, den ich, wie die meisten der übrigen, einer Kopie
des H. Plan verdanke:
298 Anhang II.
Monis demande un conge temporaire pour aller se justifier devant
un Synode des Pays-Bas des accusations portees contre lui. II est re-
presente ä ce sujet qu'il y avait de grandes difficultes de part et d'autre :
1." La volonte de M. Morus .,pere" qui par lettre lui dit qu'il ne le
reconnaitra plus poui' fils en cas qu'il n'aille se justifier,
2." Que las temoignages donnes n'ont pu produire l'eclaircissement
requis et dissiper le brouiUard des sinistres impressions qu'on a eues tou-
chant Morus.
3." Quil etait encore de nouveau accuse de diverses choses, non
seulement en la doctrine mais aussi en la vie; partant qu'il semblait
expedient de lui accorder le conge qu'il demande. Mais d'autre part qu'il
y a du danger soit que les choses ne s'arrangent pas aussi bien qu'il
l'espere, soit que l'eglise de Geneve ne le revoie pas une fois qu'il l'aura
quittee. — Pendant que la Compagnie discute ainsi, Morus se rend ä
l'hotel de ville et obtient de la Seigneurie un conge de trois mois. La
Compagnie ne peut qu'y souscrire.
Einige Zeit nachher bemerkt die venerable Compagnie, mit den bür-
gerlichen Behörden wegen der Angelegenheit des Morus in Konflikt ge-
rathen, „que Messieurs avoyent cidevant trouve ä propos qu'on dit tou-
chant M. Morus tout ce qu'ou avoit ä dire et sur sa doctrine et sur sa
vie et qu'on ne reservast rien pour nettover une fois tous ombrages et
soupgons, que quoique la Compagnie y trouvast de grandes difficultez,
neantmoins leurs Seigneuries avoyent impose ceste necessite ä la Com-
pagnie, laquelle avoyt tenu ceste procedure, scavoir qu'ayant este proposez
divers poincts soit sur la doctrine soit sur la vie, on avoit choisi les
poincts que la Compagnie avoit juge ä propos , sur lesquels le dit Sieur
Monis avoit respondu ... et sa response escrite et leue les uns la
trouvoyent satisf actoire les autres non." (Reg. de la v. C.
24. Nov. 1648.) Verdächtig erscheint auch die Weigerung der v. C. (Re-
gistres 16. Fevrier 1649 p. 208), sich nochmals auf die Sache des Morus
einzulassen mit der Motivirung , dass er längst seinen Abschied erhalten
und dass die v. C. beschlossen habe, ,.que toutes les procedures tenues
contre M. Morus furent esteintes et assoupies et qu'on n'en parlast plus"
etc. Als die v. C. sich aber doch nicht weigern kann, auf die Sache zu-
rückzuliommen, heisst es 1. c: .,Et en outre ayant la Compagnie veu et
releu tous les articles s'est arreste ä ce qu'elle a dit et juge sur un chacun
d'iceux en particulier et en suite declare que le ministere du sus-
dit sieur Morus ne peut estre en edification en ceste eglise
et academie." Nichtsdestominder fand, auf Betreiben der weltlichen
Obrigkeit, ein versöhnlicher Abschied des Monis von der v. C. statt (Re-
gistres 2. Juillet 1649 , und auch später noch stand sie mit ihm in freund-
schaftlicher Verbindung (Registres 7. Juin 1667). Man sieht, wie manches
in dieser Angelegenheit dunkel bleibt, und es wäre zu vmnschen, dass
einer der genfer Gelehrten sich der Mühe unterzöge, das urkundliche
Aktenstücke betreffend Alexander Morus. 29P
Material an Ort und Stelle noch 'genauer zu durchforschen , als es mir
möglich war.
Was die niederländisch^ Epoche des Morus betrifft, so bin ich im
Stande, ein Aktenstück zum Abdruck zu bringen, welches die Angaben
Milton's wesentlich ergänzen wird. Es ist eine Kopie nach dem Original,
enthalten in einem „Recueil des articles des synodes Walions des Pro-
vinces Unies t. II. 1652-16911" (Ms. der Bibliothek des Dr. P. J. J.
Mounier in Amsterdam) und lautet folgendermassen :
A. 1659. Recit des principaux chefs des accusations qui ont ete faites
au sjTiode des eglises Walonnes des provinces unies, as-
semble ä ter Goude le 23, 24, 25, 26, 27 & 28 d'A\Til 1659
par les deputes de plusieurs eglises contre la personne du
sieur Alexandre Morus, ministre de la parole de Dieu,
professeur en l'histoire ecclesiastique & membre de Teglise
d'Amsterdam. —
Les deputez de noc eglises en ce synode convoque ä ter Goude ayants
(seien la louable coustume que j'observe parmi nous) estö requis par
monsieur le president de faire lecture & proposer ä la compagnie les In-
structions dont leurs eglises respectivement les avayent chargees. il a ap-
paru que plusieurs desdits deputes avoyeut ordre de leurs consistoires de
se plaindre de la conduite du s. Alexandre Morus, &de demander
d'estre ouis en la deduction qu'ils desiroient de faire de plusieurs mau-
vaises actions, par lesquelles il avoit donne un tres grand scandale ä tous
les fidäles de ces provinces & particulierement a ceux des eglises de
nostre langue, le synode de^ant de remedier autant qu'il luy seroit pos-
sible ä tous les desordres qui peuvent troubler le repos & l'edification
des eglises qui sont sous son inspection spirituelle, a premierement fait
citer par ses lettres & par ses de])utL'z ledit s"" Morus qu'il est ä compa-
roitre en cette assemblöe pour se purger dont il seroit accusö, mais
s'estant contente de repondre par une lettre ä lad, citation par laqu'elle
il refusoit de se soumettre au jugement de ce sj'node: La compagnie ayant
pes^ les raisons que led. Morus allfegue en lad. lettre & ne les ayant
trouvees d'aucun poids pour empescher qu'elle ne dust ouir les plaintes
que les-d. Eglises demandoyent de faire de sa conversation afin qu'elle
pouvoit Selon sa prudence d'un bon remede(V) pour arracher le scandale
qui en estoit arrive & pour y procöder , eile a resolu qu'on feroit un
sommaire des principales accusations qui seroyent faites contre led. s'' Mo-
rus, ainsi qu'on les recueilleroit des instructions des deputez des eglises,
& des temoignages qu'ils produiroyent pour les confirmer.
I, A este rapporte ä cette compagnie qu'en l'an 1651 lorsqu'il demeuroit
a Middelburg il fut accuse par une jeune fille nommee Marie de l'avoir
sollicitee ä paillardise & luy avoir dit qu'en la considerant au temple un
jour qu'il preschoit de la passion, il sentoit les mesmes mouvemens que
sentoit la vierge au pied de la croix en voyant son fils, que cette fille
300 Anhang II.
ayant fait esclatter cette acticn impudique & impie, il l'en fit dedire de-
vant un ancien de l'eglise, la menagant de la faire chatier par la justice
mais cette fiUe s'etant retiree depuis ä Flissingue, d'oü eile vint pour de-
mander son temoignage au s» Jean le Long coUegue dudit Morus, il le
luy refusa disant, que quoyque s'en soji; eile ne valoit rien puisqu'elle
avoit calomnie son coUegue, ä quoy eile repondit en levant les mains
au ciel, qu'aussi vray qu'il y avait un Dieu ce quelle avoit dit estoit veri-
table & qu'elle avait este obligee de s'en dedii-e, ä quoy qu'on 1' avoit
menacee de la faire punir par les mains du bourreau. Led. sieur le
Long ayant en suite averty le sr Morus que lad. fiUe ayant demande son
temoignage il le lui avoit refuse pour la raison susdite, il dit en palissant
qu'il le luy donnerait, ce qu'il fit depuis ä l'inscu du consistoire, & sans
l'obliger ä retraiter ce dont eile l'avait accuse. —
II. On l'accusa en suite qu'en Fan 1653 estant venu ä Leyden en-
viron le temps de la pentecoste & s'estant retire en une petite maison
derriere le logis de mons. de Saumaise, son bon amy, pour lors, il y
avoit attire la damoiselle servante de madame de Saumaise, nommeeEli-
sabet Gueret & qu'il y eut diverses Conferences avec eile & que la
veille de la pentecoste led. Morus ayant feint de s'en reto urner en Ze-
lande il estoit venu jusques ä Delft & que de lä siu* la nuit il s'en seroit
retourne sur ses brisees k Leyden oii estant arrive sur les dix heures du
soir , il se seroit rendu en la mesme petite maison oü il passa la nuit
avec la susdite Guerette, laquelle voulant le matin aller au presche il
l'en auroit empeschee quoyque ce fut le jour de la pentecoste afin de
l'obliger h demeurer tout le jour avec luy, comme eile fit. Ledit Morus
a este aussi accuse d'avoir commis plusieurs autres actions scandaleuses
avec lad. Guerette qui cy devant ont este produites en divers synodes &
qui n'ont pas este approfondies. Et encore que led. Morus ait excuse
toutes les privautes qu'il avoit eues avec cette fille sous pretexte d'une
recherche honneste & que la promesse de mariage pour laqu'elle lad.
Guerette l'avait tire en cause devant la cour de Hollande ait este annuUee
par lad. cour, le scandale de tant de privautes qu'il avoit eues avec eile
fit des lois une si forte Impression dans l'eglise dudit lieu, que par
l'ordi'e de son consistoire il fut arreste qu'on ne luy presenteroit plus
la chaire, ce qui a este punctuellement execute. —
III. II a aussi este dit que ledit Morus demeurant ä Middelbourg
avoit souvent converse familierement au grand scandale de l'eglise avec
une femme mariee de tres mauvaise reputation & qu'il avait commis
plusieurs legeretes de mesme nature pendant le sejour qu'il avoit en
lad. ville.
IV. II a encore este accuse qu'estant appelle ä Amsterdam, il auroit
eu diverses correspoudances avec une certaine femme de mauvaise vie
nommee Marie Cresson, qu'il auroit este vu entrer deux ou trois fois
en sa maison , ce qu'un membre de l'eglise auroit depose avoir remarque
Aktenstücke betreffend Alexander Monis. 301
& de plus qu'il auroit vu ledit Morus prenant conge d'elle & luy disaiit
qua puisqu'elle devoit aller demeurer comme eile luy signifioit en la rue
des juifs il se donnerait l'honneur de la visiter, ce qui paroit par le tt-
moignage dudit membre, qui a depose par escrit qu'il avoit vu & oui ce
qua dessus. Et pour preuve que lad. Cresson estoit de mauvaise vie,
«Ue a este depuis enferraee dans le spinliuys ä l'instance de sa propre
möra & da son fröre
V. II a apparu pleinement ä tout le synode par une lettre que led.
Morus a escrite qu'il avoit ete en un bordel ä Amsterdam & que pour
y aller plus librement il avoit suppose un homme qui vint trouver le
sr Soler. Tun des ministres de Delft, pour tirer une lettre de sa main, en
vartu de laquelle il put estre ä couvert en cas qu'il y fut surpris comme
ceia arriva & pour venir ä bout de ce dessein il persuada audit homme
suppose, qui se disoit son cousin germain & prenait le nom de Jean
Dalmas natif de Monpelier, de dire en parlant audit s"" Soler tous les
outrages dudit IMorus qui luy viendroyent en la bouche, en quoy il reussit
d'une teile sorte qu'il obligea ledit sr Soler k escrire audit Morus la
lettre par laquelle il a platre sa salete avec serment en plein consistoire
de l'eglise d'Amsterdam assemble pour cet effet dans la maison d'un des
ministres, ce qui arriva en l'an 1656, dont le verbal se trouve dans les
memoires dudit consistoire.
VI. On dit aussi que peu de jours aprez cet affaire estant retourne
d'un voyage qu'il avait fait ä Anvers, il fut accuse en presence des
temoins dignas de foy par une hostesse d'avoir voulu faire un bordel de
sa maison.
VII. En la mesme annee ledit Morus a estö accuse dans la viile
d'Amsterdam d'avoir attente de commettre Sodomie avec un gar^on aage
d'environ 19 ans, nomme Herman Hendric de Doesburg, comme il
appert par le verbal qui an fut dresse devant un notaire, ce qui causa
un tres grand scandale, vu notamment qu'il avoit dejä este sou^onne d'un
masma crime estant k Middelbourg lequel sou^on fut confirme par les
plaintes des parens du jeune gargon & aggrave par la derniere accusation
qui a este instituee contre ledit Morus ä Flissingue oü sur les plaintes
d'une femme qui disoit l'avoir vu dans une posture indecente avec un
gar^on dans une cliambre de sa maison oü il avoit dine le 13. Sept.
1658. Et c'est en suite de cette plainte qui esclatta tellement par toute
lad. ville que le Substitut du baillif l'arresta comme un criminel, & en-
cora qu'il fut bientot apres mis en liberte, neanmoins les circonstances
qui accompagnerent ou suivirent cette detention sont tellas qu'elles ont
laisse un grand sujet de scandale dans l'esprit de tous qui en ont eu
cognoissanca, cas circonstances : qu'estant arrelö & conduit dans une mai-
son qui a pour enseigna le eigne blanc il essaya de se sauver et de
sauter par la fenestre de la chambre, ce qui obligea ceux qui l'avoyent
an garda ä le faire passer en une autre, comme il appert pai" la decla-
302 Anhang II.
ration que la maitresse de lad. niaison en a faite li trois pasteurs & par
un escrit qu'elle en a donne, mai-que de sa propre main. 2e L'autre se
recueille de la lettre qu'il escrivit au sr Spang ministre anglois ä Mid-
delburg aussitost qu'il se vit arreste, par laquelle il le prioit de venir ä
luy promptement s'il vouloit voir son amy en vie. 3e La troisieme est sa
retraite de INIiddelburg faite furtivement apres y avoii- demem'e cache
l'espace de 9 jours sans avoir ose paroitre ni audit Middelburg ni ä Flis-
singue pour se justincier comme il devoit. 4^ la quatrieme est l'evanouis-
sement du gar^on qui n'a plus comparu 5<^ qu'il n'a point intente action
contra le Substitut qui l'avoit arreste, ni conti-e la femme qui l'avoit accuse,
toutes lesquelles circonstances ont apporte un si grand scandale en la
Zelande, que nos eglises se virent obligees de lui defendre la chaire en la
province jusques a ce que le sj-node en eut pris cognoissance comme il
le fait ä present.
VIII. Ledit Morus est aussi charge de ce que quelques jours avant
le 13. de Sept. en la mesme annee 1658, estant pour lors ä Middelburg oii
il attendait le vent favorable pour passer en France, des personnes dignes
de foy le virent entrer ä diverses fois en une petite maison joignant un
jardin, en laquelle il n'y avait qu'une vieille femme de mauvais renom &
une putain publique.
IX. II a este aussi accuse de ce qu' ayant este adverty par plusieurs
fois de ne point frequenter un certain lieu infame de la ville de Delf qui
avoit pour enseigne S. P. Q. R. un jour de dimancbe apres avoir presche
en l'egUse de lad. ville il y fut vu entrer ayant retuse l'oflcre reiteree que
le pasteur du lieu luy avoit faite de diner en sa maison , de sorte qu'il
fiit tire avec beaucoup de peine de ce lieu infame par des personnes
d'honneur qui craignoyent le scandale que l'eglise recevroit si on le voyoit
sortir apres une longue demeure.
X. De plus les lettres escrites de sa propre main & quelques autres
qui sont de personnes dignes de foy & de ses amis, lesqueUes ont toutes
este receues en ce synode jle convainquent clairement de mensonges en
matieres tres importantes, de faussete's, de calomnies, de fourbes, de mes-
disances atroces qu'il a proferees contre toutes sortes de personnes tant
politiques qu'ecclesiastiques & notamment contre des consistoires entiers
& contre des pasteurs qui servent avec gi-ande edification en leurs eglises.
XI. Enfin en toutes accusations qui ont este faites contre luy on a
remarque que toute sa conduite depuis qu'il est parmi nous il a tous-
jours fait paroitre un esprit inconstant et leger, des inclinations sales &
impudiques & une vanite insupportable. Nous sousignez certifions que
toutes les accusations susdites ont este faites contre Alexandre Morus en
presence de tout le ejTiode pendant plusieurs sessions qui ont este em-
ployees en cette affaire & que ce verbal qui en a este dresse pour y avoir
recours au besoin a este recueilly des Instructions des desputez de nos
eglises & des temoignages donnes par escrit & de vive voix en confirma-
Aktenstücke betreffend Alexander Morus. 303
tion desdites instructions & depositions. Nous certifions aussi que tous
les articles contenus dans ce verbal ont este lus & relus en presence
de la compagnie & reconnu contenir un recit veritable desdites accusations
en foy de quoy & par l'ordre de lad. compagnie nous avons appose nos
seins au present escrit
Charles Everwyn president.
Charles de Rochefort scribe.
lieber einzelne dieser Anklagepunkte finden sich nähere Angaben in
den Synodalakten und in den „Actes du consistoire de l'eglise d' Amster-
dam", ebenso über die Verhandlungen mit den reformirten Earchenbehör-
den von Frankreich. Dass Monis auch hier zu neuen Anklagen Anlass gab,
ersieht man aus Haag. Er wurde 1664 ermahnt, zu verfahren „avec plus
de circonspection et de prudence, de s'abstenir de toutes ses courses dans
les rues qui ont donne du soupQon*'. Weitere sehr ungünstige Nach-
richten über Morus finden sich in Burmanni, Syllog. III. 380, 386.
V. 19, 48.
Druckfehler und Berichtigimgen.
S. 25 letzte Zeile ist um zu streichen.
S. 35 Z. 20 ist als zu streichen.
S. 36 Z. 24 lies hartes statt drakonisches.
S. 110 Z. 18 lies wie statt wei.
S. 187 Z. 8 ist das Anmerkungszeichen ^) ausgefallen.
Pierer'sche Hofbuchdrnckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
MILTON
UND SEINE ZEIT.
ZWEITER THEIL.
1649—1674.
MILTON
UND SEINE ZEIT.
Von
ALFRED STERN,
Professor der Geschichte an der Universität Bern.
ZWEITER THEIL.
1649-1674.
Viertes Buch. Unter der Restauration.
LEIPZIG.
VERLAG VON DUNCKER & HTOIBLOT.
1879.
MILTON
UND SEINE ZEIT.
Von
ALFEED STERN.
Viertes Buch.
Unter der Restauration.
1660—1674.
LEIPZIG.
VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT.
1879.
Das EecM der Uebersetzung wie alle anderen ßeclite vorbehalten von der
Verlagsbuchhandlun g.
Viertes Buch.
Unter der Restanration 1660 — 1674.
Inhalts - Verzeicliniss.
Erstes Kapitel.
Gefahr und Rettung S. 3 - 24.
Rückkehr der Stuarts 3. Indemnitätsakte 4. Hinrichtungen 5. Schick-
sal von Lambert und Vane 6. Gefahr Milton's 7, S. Proklamation
gegen ihn und Goodwin. Milton in der Indemnitätsakte übergangen 9.
Frage nach seinen Fürsprechern 10. Anekdote seines Scheinbegräb-
nisses 11. In zeitweiliger Haft des Parlamentes 1 2. Verschwinden vom
öffentlichen Schauplatze 12. Wohnungen, Vermögensverhältnisse, dritte
Ehe 13. Wohnung im Artillerie- Weg. Häusliches Leben 14. Die drei
Töchter 15, 16. Edward Phillips. Christoph Milton 17. Thomas Ell-
wood 18, 19. Tod von Lawes und Hartlib 20. Comenius. Durie. Pell
21, 22. Die Royal Society 23. Barrow und Marvell 24.
Zweites Kapitel.
Die Reaktion geg-en den Puritanismus S. 25 — 47.
Reaktion gegen den puritanischen Rigorismus 25, 26. Der König und
der Hof 27. Ton der höfischen Gesellschaft 28. Reaktion in der Lite-
ratur. Butlcr's Hudibras 29, 3l). Rochester 31. Dorset. Sedley 32.
Die Bühne. Das Lustspiel 33. Die Tragödie 34. Einfluss Frankreichs 35.
Heroische Schauspiele 36. John Dryden 37. Reaktion in der Kirche,
Wiederherstellung der bischöflichen Kirche 38 — 40. Verhandlungen mit
den Presbyterianern 41, Savoy- Konferenz. Konvokation 42. Korpo-
rationsakte. Uniformitätsakte 43. Der Bartholomäustag 1 662 44. lu-
dulgenzerklärung des Königs 45. Konventikelakte. Fünfmeilenakte 46.
Auswärtige Politik 47.
VI Inhalts -Verzeichniss.
Drittes Kapitel.
Das verlorene Paradies . . . * S. 48 — 103,
Frühe Beschäftigung mit dem Gegenstande 48, 49. Zeit der Abfassung 50.
Die Pest 1665. Milton in Chalfont 51. Ellwood liest das Gedicht 52.
Brand von London 1666 53. Englisch -niederländischer Krieg 54, 55.
Erscheinen des verlorenen Paradieses 56, 57. Quellen: Caedmon. Du-
Bartas. Die Fletcher etc. 5S, 59. Andreini's Adamo 60. H. Grotius'
Adamus exul 6U. Vondel's Lucifer 61. Der Gegenstand 62 — 65. Dra-
matischer Charakter des Gedichtes 66. Inhaltsangabe 66 — 76. Die
Charaktere: Satan und die Teufel 76 — 80. Gott, Gottes Sohn und die
Engel 81 — 83. Adam und Eva 83 — 87. Das epische Element 88.
Kopernikanisches oder ptolemäisches System 89 — 91. Das lyrische Ele-
ment 92, 93. Puritanische Teudenz 94. Das didaktische Element. Die
Weltanschauung des Dichters 95 — 97. — Milton und Bunyan 97, 98.
Milton und Klopstock 99, 100. Milton uud Dante 101—103.
Viertes Kapitel.
Das wiedej'geivonnene Paradies. Simson der Athlet S, 104 — 128.
Entstehung des wiedergewonnenen Paradieses 104, 105. Verhältnis zum
verlorenen Paradiese lu6. Inhaltsangabe 107 — 114. Renaissance und
Puritanismus 115. Milton's Latinismen 116. Der reimlose Jambus 117,
118. Behandlung dieser Versform 119. — Entstehung des Simson 120,
121. Antike Form des Dramas 122, 123. Inhalt 124—126. Kritik 126.
Autobiographische Andeutungen 127. Politische Tendenz 128.
Fünftes Kapitel.
Abschluss der g-elehrteu Arbeiten S. 129 — 165.
Lateinisches Wörterbuch 130. Lateinische Grammatik 131.
Geschichte Britanniens 132 — 145. Milton's historische Befähi-
gung 133. Benutzte Quellen 134. Seine Quellenkritik 135. Populärer
Charakter seines Werkes 136. Sein historischer Stil 137, 138. Anspie-
lungen auf die Zeitgeschichte 134. Die unterdrückte Stelle bezüglich
der Revolution 140 — 145. Lehrbuch derLogik 146. System der
Theologie 147. Entstehung und Handschrift des Werkes 147, 148.
Allgemeiner Charakter des Werkes 149, 150. Sein Zweck 151. Anleh-
nung an die Bibel 152. Benutzung früherer Lehrbücher 153. Verbin-
dung von Glaubens- und Sittenlehre 154. Vergleichung mit dem ver-
lorenen Paradiese 155, 156. Milton und der Calvinismus 157, 158.
Milton und die Dreieinigkeitslehre 759, 760. Milton und der Pantheis-
mus 161, 162. Ansichten über Taufe und Ehe 163, 164. Schlussbe-
trachtimg 164, 165.
Inhalts - Verzeichniss. Vn
Sechstes Kapitel.
Des Lebens Ende S. 166 — 192.
Ereignisse in Staat und Kirche 166 — 168. Test-Akte 169. Milton's
Schrift „Von wahrer Religion, Schisma, Toleranz" 17 U —
175. lieber den Katholicismus 171. Ueber die protestantischen Sekten
172. Grenze der Toleranz gegenüber dem Katholicismus 173, 174. Ver-
theidigung Milton's durch Marvell gegen Samuel Parker und Genossen
175, 176. Milton's „Beschreibung des russischen Reiches''
777, 178. Uebersetzung der D eklaration betreffend die Kö-
nigswahl Sobieski's. Zweite Auflage der Gedichte 179.
Die Privatbriefe und College-Reden. Die Staatsbriefe
180. Mitwirkung an E. Phillips' Theatrum poetarum 181. Zweite
Auflage des verlorenen Paradieses 182. Milton und Dryden
183. Undankbarkeit von Milton's Töchtern 184, 185. Letzte Willens-
erklärung 186, 187. Zeugenaussagen über das Verhalten der Töchter
188. Schicksale Christoph Milton's und der beiden Phillips 189, 190 .
Milton's Nachkommenschaft 190, 191. Schluss 191, 192.
Aiimerkung-eu S- 193 — 210.
Personenresrister S. 211 — 217.
Viertes Buch.
Unter der Restauration.
1660-1674.
Stern, Milton n. s. Z. II. 4.
Erstes Kapitel.
Gefahr und Rettung.
Am 29. Mai 1660 hielt Karl II. unter dem brausenden
Jubel der dichtgedrängten Volksmassen seinen Einzug in den
väterlichen Palast. Es war ein Tag, von dem eine neue Aera
in der Geschichte Englands datirte, und mit dem auch im
Leben Milton's ein neuer Abschnitt begann. Was er mit
Bangen hatte herannahen sehen, war eingetreten. Seine
Rathschläge , seine Warnungen, seine Beschwörungen waren
vergeblich gewesen. Ihm blieb nur die späte Erkenntnis
Unmögliches erstrebt, und das bittere Bewusstsein die Hoff-
nungen der Mannesjahre verloren zu haben. Vereinsamt
stand er unter einem Geschlecht, dem er sich fremd fühlte,
und jeder Tag brachte ihm Kunde davon , wie rasch sich die
Restauration befestigte. Es zeigte sich, dass dieses Volk,
dem die Republik nur in Form einer drückenden Älilitärherr-
schaft erschienen war, die Monarchie als rettende und er-
lösende Macht begrüsste. Es zeigte sich nicht minder deut-
lich, dass der Gedanke einer legislativen Union der drei Reiche
verfrüht gewesen war.
Der junge Fürst, dem man seine Fehler um seiner Schick-
sale willen nachsah, bezauberte alle Herzen. Im Staatsrath
fanden sich Vertreter aller derjenigen Parteien friedlich zu-
sammen, deren vereinte Kraft die Wiederherstellung des
Königthums bewirkt hatte. Im kleineren Kreise des Kabinets
4 Indemnitätsakte.
entfaltete der alsbald zum Grafen von Clarendon ei-hobene
Lordkanzler Edward Hyde mit den engsten Vertrauten eine
stetige und eingreifende Thätigkeit. Die tapferen Veteranen,
in denen der Engländer die Institution des stehenden
Heeres hassen und fürchten gelernt hatte, legten ohne
Murren die Waffen nieder und kehrten ohne Zögern zum
bürgerlichen Leben zurück. Das Konventionsparlament, von
Karl IL als gesetzmässig anerkannt, nahm keinen Anstand
das Tonnen- und Pfundgeld auf die Zeit seines Lebens zu
bewilligen und dem König ein Jahreseinkommen zu sichern,
das zwar für seine Bedürfnisse nicht genügte, aber reicher
ausfiel als es jemals vorher der Fall gewesen war. Die Frage
der Rückerstattung eingezogener Güter der Krone, der Kirche
und von Privaten gieng einer Lösung entgegen, die, wenn sie
auch zahlreiche Ansprüche unbefriedigt liess, einen gesicherten
Rechtszustand schuf und besser als irgend etwas sonst die
Stärke der neuen Regierung bezeugte.
Indessen die wichtigste Angelegenheit war die der
Indemnität, des Vergebens und Vergessens, mit Rücksicht
auf alle die, welche sich persönlich an der Revolution be-
theiligt hatten. In der Erklärung von Breda vom 14. April
1660 hatte Karl IL eine allgemeine Verzeihung für alle, die
binnen vierzig Tagen ihre Loyalität bekunden würden, ver-
sprochen, mit alleinigem Ausschluss derjenigen, die das Parla-
ment davon ausnehmen werde. Bald nach seiner Rückkehr
hatte er durch eine Proklamation die Richter seines Vaters
aufgefordert, sich binnen vierzehn Tagen zu stellen, bei Strafe
der Wohlthat der Amnestie verlustig zu gehn. Eine Anzahl
hatte sich im Vertrauen auf das königliche Wort ausgeliefert.
Einige wurden auf der Flucht ergriffen. Anderen gelang es
auf das Festland zu entkommen. Das Unterhaus legte zuerst
wenig Neigung an den Tag, die Politik der Rache über einen
sehr beschränkten Kreis von Personen hinaus zu erstrecken.
Seiner Masse nach aus Männern von presbyterianischen
Sympathieen zusammengesetzt, schien es gewillt, einige wenige
Opfer von besonders verhasstem Namen auszuwählen und
durch ihren Tod die Schuld aller übrigen sühnen zu lassen.
Indemnitätsakte, — Hinrichtungen. 5
Selbst von den Regiciden hatte es ursprünglich nur sieben
von der Zusicherung des Lebens ausgeschlossen zu sehn ge-
wünscht. Allein bald wuchs schon bei den Gemeinen das
Register der zum Tode Bestimmten an, und eine zweite Liste
umfasste die Namen derjenigen, denen eine geringere Strafe
zugedacht war. Das Htius der Lords, das sich seit dem ]\Iai
wieder gefüllt hatte, war bei weitem mehr von den Gefühlen
des Hasses und der Rache beseelt. Jede Veränderung, die
es an der Indemnitätsbill vornahm, war eine Verschärfung.
Es forderte den Tod für alle diejenigen, welche das Urtheil
über den König gesprochen hatten, und fügte fünf Namen,
unter denen die von Vane und Lambert, hinzu.
Das Ergebnis der langen Verhandlungen war ein Kom-
promiss, bei dessen Herstellung der erste Berather des
Monarchen es sich wenig angelegen sein liess, die Ehre des
königlichen Wortes zu wahren. Unter den zehn Männei'n,
an welchen das Todesurtheil vollstreckt wurde, war einer de
Königsrichter, der sich im Vertrauen auf die Proklamation
Karls n. gestellt hatte. Fünf, die wie er den ,, blutigen Voll-
zugsbefehl" vom 29. Januar 1649 unterzeichnet hatten, theilten
sein Schicksal. John Cook, der einstige Vertreter der An-
klage gegen den „Tyrannen und Feind des Gemeinwesens",
Hacker und Axteil, welche während des Processes und während
der Hinrichtung die Wachen kommandirt hatten, Hugli Peters,
der leidenschaftliche Prediger, den ein besonderer Hass ver-
folgte, bestiegen gleichfalls unweit der Richtstätte von White-
hall das SchaÖbt. Mit Ausnahme des zuletzt Genannten legten
sie sämmtlich die grösste Standhaftigkeit und Zuversicht in
die Gerechtigkeit ihrer Sache an den Tag. Drei weitere
Regiciden wurden einige Zeit nachher -von den Niederlanden
ausgeliefert und giengen mit dem Gefühl von Märtyrern in
den Tod. Die Flüchtlinge, welche unter dem Schutz des
Freistaates von Bern an den Ufern des genfer Sees ein Asyl
gefunden hatten, sahen sich noch in dieser Entfernung von
der Heimat beständig durch meuchlerische Nachstellungen
bedi-oht, und einen von ihnen traf die Kugel des gedungenen
Mörders (^). Auch blieben diejenigen Königsrichter, deren
6 Hinrichtungen. — Schicksal von Lambert und Vane.
man habhaft geworden war und deren Leben geschont wurde,
der Freiheit beraubt. Henry Märten hat zwanzig Jahre ge-
duldet, und erst der Tod hat den Achtundsiebzigjährigen er-
löst. —
Lambert und Vane hatten nicht zu den Richtern Karls L
gehört, aber die fanatischen Royalisten setzten es durch, dass
auch sie von jeder Amnestie ausgenommen sein sollten. Das
Konveiitions-Parlament zeigte immerhin noch so viel Mässigung
darauf zu dringen, dass falls sie des Todes schuldig befunden
würden, die Ausführung des Urtheils unterbleiben sollte.
Das neue Parlament, welches aus den Wahlen von 1661 her-
vorgleng, kannte keine Schonung. Lambert M'usste durch die
demüthige Haltung, die er vor seinen Richtern einnahm, wie
durch Anrufung der königlichen Gnade sein Leben zu retten
und blieb dreissig Jahre lang ein Gefangener auf der Lisel
Guernsey. Vane erwartete ein anderes Geschick. Von Ge-
fängnis zu Gefängnis geschleppt und zuletzt auf Scilly in ein-
samer Haft gehalten, hatte er weder die Spannkraft noch die
Ruhe seines Geistes verloren. In den Todesbetrachtungen,
die er niederschrieb, in dem rührenden Briefe, durch den er
sein Weib über ihr Schicksal zu trösten suchte, athmet das
Gefühl einer allen irdischen Kämpfen entrückten, durch nichts
mehr zu erschütternden Seele. Seine Vertheidigung vor dem
Tribunal gegen eine Anklage, die tausend andere ebenso gut
hätte treft'en können wie ihn, kann noch heute als ein Muster
muthiger und würdiger Beredtsamkeit gelten. Aber sein
Loos war entschieden. Der König selbst, der doppelt und
dreifach gebunden war, dem stolzen Republikaner Gnade zu
erweisen, so sehr er sich sonst bemühte die Rachegefühle
seiner Anhänger zu zügeln , gab ihn auf. „Er ist ein zu ge-
fährlicher Mann, schrieb er dem Lordkanzler, um ihn am
Leben zu lassen, wenn wir ihn auf gute Art bei Seite schaffen
können". Indem sich Vane auf den Tod vorbereitete und
die Seinigen zu einem letzten Gebete um sich versammelte,
sprach er die Ueberzeugung aus, dass die „ruhmreiche Sache'\
für die er gelebt, aus seinem Blute wieder emporspriessen
werde. Am 14. Juni 1662 endete der Mann, der einst von
Schicksal vou Lambert und Vane. — Gefahr Milton's. 7
Milton mit begeisterten Worten gepriesen worden war, au
derselben Stätte, welche die letzten Momente Strafford's ge-
sehn hatte, unter dem Richtschwert (^). Ein Jahr vorher
war, um auch in Schottland den Umschwung der Dinge mit
Blut zu bezeichnen, das Haupt Argyle's auf dem Schaffot
gefallen. Es wurde auf demselben Pfahl aufgesteckt, der den
Kopf seines Gegners Montrose getragen hatte. Zwei weitere
Opfer, ein Kapitän, der einst zu Cromwell übergegangen war,
und ein einflussreiches Mitglied des Klerus folgten ihm nach. —
Man wollte nicht dabei stehn bleiben der "Welt das Schau-
spiel von Hinrichtungen zu geben, auch die Todten sollten
von der Rache der Restauration getroffen werden. Die Ge-
beine von Cromwell's Mutter und Tochter, von Pym und
Blake wurden aus der Kapelle Heinrich's VH. und aus der
Westminsterabtei entfernt um in den anstossenden Kirchhof
versetzt zu werden. Die Leichname CromwelFs, Bradshaw's,
Ireton's wurden aus ihren Gräbern gerissen und an dem
Galgen von Tyburn aufgehängt. Man schnitt ihnen die Köpfe
ab und machte sie zum grässlichen Schmuck derselben Halle
von Westminster, in der das Urtheil über Karl I. gefällt
worden war.
Die Frage drängt sich auf, welches Schicksal Milton er-
eilte. Von allen denen, deren Feder der Republik gedient
hatte, gab es keinen Berühmteren als ihn. Hatte er keine
Gelegenheit gehabt,, an der Verurtheilung des Königs Theil
zu nehmen, so hatte er sie doch für vollkommen gerechtfertigt
erklärt. Er hatte die Zertrümmerung des „königlichen Bildes"
übernommen. Er hatte im Kampfe mit Salmasius und seinen
Geistesverwandten die grosse politische Frage vor dem Forum
der öffentlichen Meinung Europas behandelt. Ein Jahrzehnt
hindurch hatte er einen wichtigen amtlichen Posten bekleidet.
Bis zuletzt war seine Stimme gegen die Herstellung der
Monarchie laut geworden, und unmittelbar vor der Rückkehr
des Königs hatte man seinen Namen wiederholt in den £;chrift-
stellerischen Kämpfen des Tages genannt hören können.
8 Gefahr Miltou's.
Karl II. hätte noch seine besonderen Gründe gehabt, den
Mann seine strafende Hand fühlen zu lassen, der im sieben-
undzwanzigsten Kapitel des Bilderstürmers ein wenig schmeichel-
haftes Bild von seiner Person entworfen hatte. Wenn Vane
zum Richtplatz geführt werden konnte, so durfte sich sein
blinder Gesinnungsgenosse nicht sicher fühlen, und theilnehmende
Freunde im Ausland hatten Grund genug sich ängstlich nach
seinem Loose zu erkundigen. Auch fehlte es keineswegs an
Denunciationen, wie sie in Zeiten eines plötzlichen Umschlags
der öffentlichen Angelegenheiten mit widerlicher Geschäftig-
keit vorgebracht zu werden pflegen. Möglicher Weise war
auch Milton's politischer Phantasieen gedacht worden, wenn
schon am 20. April ein anonymer Pamphletist die Frage auf-
gewoifen hatte, „ob Erhängen oder Ertränken die beste Art
sei unsere vormaligen Piepublikaner in die Gemeinwesen
Utopia oder Oeeana zu befördern'* (^). Roger L'Estrange
versäumte nicht in einer neuen Schrift, die von seinem er-
probten Royalismus Zeugnis ablegen sollte, darauf hinzuweisen,
dass Milton „gegen Dr. Griffith geschrieen", von ihm selbst
aber die gebührende Antwort empfangen habe(-). Ein ge-
reimtes Libell nannte unter der Zahl derer, die „im schwarzen
Hofe Plutos" gleichsam die Leibwache des Protektors gebildet
hätten, neben den Harrison, Hewson, Cook, Vane u. s. w.
ausdrücklich auch Milton (^), Die nachgelassene Schrift des,
Salmasius, die einige Monate nach der Rückkehr des Königs
in London herauskam, ein Neudruck des „unzerbrochenen
Bildes" (s. o. III. 48), rief aufs neue die Erinnerung an die über-
lebende Partei jener denkwürdigen literarischen Kämpfe wach. —
Je stärker unmittelbar nach der Restauration diejenige Art
historischer Literatur anwuchs, welche die Vergangenheit vom
einseitigen Parteistandpunkt aus beurtheilte, je lebhafter die
Neigung war, das Andenken des Königs-Märtyrers in glänzen-
den Farben aufzufrischen, desto häufiger bot sich auch der
Anlass dar, den ehemaligen Sekretär der Republik recht ein-
dringlich der Beachtung derer zu empfehlen, gegen die er so
empfindliche Streiche geführt hatte.
In der That zeigte sich sehr bald, dass man Milton's
Prokl. geg. ihn u. Goodwiu. — Milton i. d. Indeninitätsakte überg. 9
nicht vergessen habe. Am 16. Juni beschloss das Haus der
Gemeinen den König zu bitten, zwei Bücher Milton's — man
dachte an den Bilderstürmer und die erste Vertheidigung des
englischen Volkes — und eine Schrift John Goodwin's (The
obstructors of justice), in denen der Mord Karls I. gerecht-
fertigt worden sei, konfisciren und verbrennen zu lassen, so-
wie durch den Attorney-General gegen die Verfasser einzu-
schreiten. Auch sollte der Sergeant-at-Arms des Hauses beide
in Haft nehmen. Am 13. August erschien die gewünschte
königliche Proklamation. Sie nannte die Titel der betreften-
den Schriften Milton's und Goodwin's, forderte ihre Ausliefe-
rung, „auf dass die guten Unterthanen von ihren schlechten
und verrätherischen Grundsätzen nicht angesteckt würden",
und ermächtigte die Sheriffs die konfiscirten Exemplare durch
die Hand des Henkers verbrennen zu lassen. Von den Autoren
hiess es, sie seien „entweder geflohen oder hielten sich so ver-
borgen, dass alle Bemühungen ihrer habhaft zu werden, um
sie vor Gericht zu stellen und der gerechten Strafe für ihren
Verrath und ihre Verbrechen zu überliefern, bisher vergeblich
gewesen seien". Schon hieraus geht hervor, dass das Gerücht
falsch war, welches IMilton bereits am 15. Juli verhaftet sein
liess(^). Am 27. August wurden, wie die Zeitung verkündigte,
„verschiedene Exemplare dieser infamen Bücher John Good-
win's und John Milton's, geschrieben zur Rechtfertigung des
grässlichen jNIordes des verewigten ruhmvollen Herrschers,
Königs Karl I. , vor dem Gerichtshaus in Old Bailey durch
Henkershand verbrannt" (-). Zwei Tage später kam die
Indemnitäts-Akte heraus. John Goodwin war unter denen
aufgeführt, die für unfähig erklärt wurden, ein kirchliches,
bürgerliches oder militärisches Amt zu bekleiden. Milton's
Name war übergangen (').
^lan hat sich Mühe gegeben an's Licht zu bringen, wessen
\'ermittelung es Milton verdankte, dass er um so viel besser
behandelt wurde als Goodwin, während dieser doch zur Zeit
des Interregnums eine viel geringere Rolle gespielt hatte.
E. Phillips spricht nur von „einigen im Geheimrath und
Parlament" und gedenkt besonders der Bemühungen „Andrew
10 Frage nach seinen Fürsprechern.
Marvell's, des Mitgliedes für Hüll, der sich ^lilton's tapfer im
Unterhause annahm und eine starke Partei für ihn zusammen-
brachte''. Marvell. der schon in dem Parlamente Richard
Cromwell's gesessen hatte, ^Yar allerdings nicht der Mann,
seinen einstigen Kollegen in der Xoth zu verlassen . wie er
denn noch später muthig eine Lanze für den alten Freund
gebrochen hat. Von anderer Seite werden die Namen des
Staatssekretärs William INIorris und des Sir Thomas Clarges
genannt. Beide standen Monk sehr nahe, und nach derVer-
muthung einiger wäre Monk selbst für den Dichter eingetreten.
Endlich soll ihm ein Genosse seiner Kunst, ohne Rücksicht
auf die Verschiedenartigkeit ihrer politischen Stellung, einen
Dienst vergolten haben, den INIilton ihm seinerseits früher ge-
leistet habe.
Der Dichter William Davenant war, im Begriff sich nach
Virginien zu begeben, im Anfang des Jahres 1650 mit seinem
Schiff in die Hände der Republikaner gefallen. Davenant,
der ehemals nicht nur mit der Feder sondern auch mit dem
Schwerte für die königliche Sache gefochten hatte, war eine
zu bekannte Persönlichkeit, als dass man ihm nicht staats-
gefährliche Absichten hätte Schuld geben sollen. Er wurde
im Schloss von Cowes auf der Insel Wight gefangen gehalten
und beförderte von hier aus sein Heldengedicht „Gondibert",
unvollendet wie es war. zum Druck. Vermochten sich selbst
Davenanfs Gesinnungsgenossen nicht dazu aufzuschwingen,
dies Gedicht mit Hobbes der Iliade und Aeneide an die Seite
zu stellen, so forderte doch das persönliche Schicksal des
Dichters zu ausserordentlicher Theilnahme auf. Man ver-
brachte ihn nach dem Tower und war im Begriff ihm den
Process auf Leben und Tod zu machen, als er sich auf eine
nicht hinlänglich aufgeklärte Weise in Freiheit gesetzt und
weiteren Verfolgungen entzogen sah. Zwei Aldermen von
York, gegen die er sich während des Bürgerkrieges sehr
freundlich erwiesen hatte, sollen sich für ihn verwandt haben.
Von anderer Seite taucht die Nachricht auf, die Fürbitte
Milton's sei ihm gleichzeitig zu gute gekommen. Indessen
ist diese Ueb erlief erung zu unsicher, als dass mau sie ohne
Anekdote s. Scheinbegräbnisses. — In zeitweiliger Haft d. Parlam. \\
weiteres gelten lassen dürfte. Mit ihr steht und fällt a])er
die andere, dass Davenant, der die Gunst der herrschenden
Kreise in hohem Masse genoss, sich jenes Liebesdienstes er-
innert und für Milton verwandt habe(*).
Kaum besser begründet erscheint die Anekdote, die zu
berichten weiss, auf welche Weise es gelungen sei, bis zum
Erlass der Indemnitätsakte die Wachsamkeit der Späher,
welche Milton auflauerten, zu täuschen. Die Freunde des
Dichters — so heisst es — feierten, um Zeit zu gewinnen,
zum Sehein sein Leichenbegängnis, ein Komödiantenstreich,
über den der König selbst später herzlich gelacht haben soll {^).
In jedem Fall kann die Mitwissenschaft Milton's nicht voraus-
gesetzt werden. Auch sein Neffe giebt keine Andeutung irgend
eines Vorganges dieser Art. Er berichtet nur, dass diejenigen,
die sich für das Wohl seines Oheims interessirten , ihm ge-
rathen hatten sich eine Zeit lang verborgen zu halten. Ohne
Zweifel fiel das noch in die Zeit vor der Rückkehr des Königs.
Man kennt eine Urkunde, aus der hervorgeht, dass am 7. Mai
1660 Cyriack Skinner seinem Freunde iMilton 400 £. vor-
streckte. Offenbar brauchte der Dichter damals rasch eine
bedeutende Geldsumme für alle Fälle. Er verliess seine
Kinder und hielt sich im Hause eines Freundes in Bartholomew-
Close bis zum Erscheinen der Indemnitätsakte versteckt (^).
Allein auch danach war die Zeit der Gefahr für ihn noch
nicht vorüber. Wir wissen nicht, was ihm die nächsten
Monate gebracht haben. Es wird erzählt, er habe in schlaf-
losen Nächten die Tücke fanatischer Royalisten gefürchtet.
Sicher ist, dass ihn das Haus der Gemeinen in den Gewahr-
sam seines Sergeant-at-Arms abführen liess. Zwar fehlt sein
Name in einer am 12. Sept. verlesenen Liste derjenigen, die
sich unter Aufsicht dieses Beamten befanden. Abei- vom
15. Dec. 1660 datirt die Vollmacht, ihn nach Zahlung der
Gebühren zu entlassen. Am siebzehnten wurde berichtet,
dass der Sergeant übermässige Gebühren für die Haft Milton's
„verlangt" habe, und der Beschluss gefasst, beide vorzufordern,
um das richtige iNIass der zu zahlenden Summe festzusetzen.
Vermuthlich hatte Milton selbst auf diese Genugthuung zu
12 In zeitweiliger Haft d. Parlam. — Verschw. v, öffentl. Schauplatz.
dringen den Muth gefunden, nachdem ihm auch die ausdrück-
liche Verzeihung des Königs zu Theil geworden war(^).
Eine grosse Gefahr war glücklich am Haupte des Dichters
vorübergezogen. Sein Leben und seine Freiheit waren gerettet,
aber er war ein abgethaner Mann. Nichts kann verkehrter
sein als der Erzählung Glauben zu schenken, der König habe
ihm, der die Hinrichtung seines Vaters vertheidigt hatte, bald
nach seiner Rückkehr wiederum eine Stelle im Staatsdienst,
den Posten eines „lateinischen Sekretärs" angeboten, und
Milton habe dem Zureden seines Weibes mit den Worten ent-
gegentreten müssen: ,,Du hast ganz Recht, du möchtest wie
andere Frauen in deiner eigenen Kutsche fahren, mein Wunsch
aber ist als ein ehrlicher Mann zu leben und zu sterben".
Für die herrschenden Kreise war er nicht mehr vorhanden.
Nur ein einziges Mal, als Alexander Morus unter dem Zu-
drang der vornehmen Welt in der Kapelle von St. James als
Prediger auftrat, erinnerte man sich vielleicht daran, dass
ein gewisser John Milton, der schwerlich unter den Zuhörern
war, dem erborgten Heiligenschein dieses Schauspielers im
Priestergewande vor Jahren wenig Achtung erzeigt hatte (-).
Er selbst sah sich in einem Brief an Heimbach zu dem bitteren
Geständnis gezwungen, dass „seine Liebe zum Vaterlande ihn
beinahe des Vaterlandes beraubt hätte". Presbyterianische
Feinde, die ihre herzliche Freude über die Hinrichtung der
Regiciden nicht verbargen, jubelten auch darüber, dass der
„blinde ]\Iilton" wie „andere aus der verfluchten Rotte", für
immer in Ungnade gefallen sei"('). Von einer Ausnahme
abgesehn, hat er nie wieder als Schriftsteller vor der Oeffent-
lichkeit Fragen von politischem Interesse berührt. Um so
entschiedener wandte er sich in den folgenden Jahren zu der-
jenigen Art des Schaffens zurück, zu der ihn, wie er einst
erklärt hatte, „der Genius seiner Natur gewaltig hintrieb".
Seine ganze publicistische Thätigkeit war ihm immer nur als
eine Ablenkung von der Erfüllung seiner Lieblingspläne er-
schienen. Die Restauration gab ihm Müsse sie wieder auf-
zunehmen.
Sobald er es ohne Gefahr wagen konnte, hatte er eine
Wohnungen. — Vermögensverhältnisse, — Dritte Ehe. 13
Wohnung ,.in Holborn nahebei Red-Lion-Fields" genommen, diese
indessen wenig später mit einer anderen in Jewin-Street ver-
tauscht. Seine Vermögensverhältnisse hatten inzwischen
schwer gelitten. Zweitausend i^. , die er von seinem Gehalt
als Sekretär erspart hatte, soll er bei der Accise- Verwaltung
angelegt, aber durch die Weigerung der Regierung, die Ver-
pflichtungen der Republik anzuerkennen, nach der Restauration
verloren haben. Auch von einer anderen grösseren Summe
ist die Rede, vielleicht dem Jahresertrag erkauften Kirchen-
gutes, die ihm entzogen wurde. Das väterliche Haus in
Br'ead-street mag seinen Hauptbesitz gebildet haben (^). Doch
blieb es ihm möglich ganz unabhängig, wenn auch höchst ein-
fach und eingeschränkt zu leben. Allein der Blinde war hilfs-
bedürftiger als jeder andere. Seine drei Töchter, deren jüngste
noch ein Kind war, hatten eine mütterliche Aufsicht nöthig.
Da hielt es „ein alter Freund" für gerathen, ihn zu bewegen
zum dritten Mal zur Ehe zu schreiten. Es war der Dr. Paget,
ein in Coleman-Street ansässiger Arzt, der nach ülierein-
stimmenden Berichten in sehr vertrautem Verhältnis zum
Dichter gestanden haben muss(-). Die Gattin, die er ihm zu-
führte, war vermuthlich eine entfernte Vei-wandte, Elisabeth
Minshul, aus einer Familie, welche seit geraumer Zeit ein
kleines Besitztimm in Wistaston nahe bei Kantwich (Cheshire),
in Händen hatte. Als die Fünfundzwanzigjährige im Februar
1663 sich mit Milton verband, konnte von gegenseitiger tieferer
Neigung schwerlich die Rede sein, aber da sie „sanft, von
verträglicher und angenehmer Art'' war, so schien sich sein
Lebensabend doch etwas heiterer zu gestalten (^). Nicht
lange nach seiner Verheii-atung bezog er wiederum eine neue
Wohnung, die ihm von einer kurzen Unterbrechung abgesehn,
für den Rest seiner Tage diente. Sie wird bezeichnet als ge-
legen im „Artillerie-Weg, der zu den Feldern von Bunhill"
führt, und man vermuthet, dass sie sich auf der linken Seite
des heutigen Bunhill-Row befand, wenn man durch diese
Strasse nordwärts den Weg gegen das St. Lukas - Hospital
nimmt. Damals stand nur eine Reihe von Häusern, und ihr
gegenüber breitete sich jener „Artillerie-Grund" aus, auf
14 Wohnung im Artillerie-Weg. — Häusliches Leben.
welchem die ehrbare Bürgerschaft ihre Waffenübungen ab-
gehalten hatte.(i)
Wir sind im Stande, uns ein Bild davon zu machen, wie
Milton in diesen neuen Umgebungen, unter diesen neuen Ver-
hältnissen sein äusseres Leben einrichtete. Hatte er in
besseren Zeiten viel auf Massigkeit und Fleiss gehalten, so
blieb er diesen Tugenden nach dem Wechsel der Dinge, den
er erfahren hatte, erst recht getreu. Seitdem sein Augenlicht
abgenommen, hatte er die Gewohnheit, bis tief in die Nacht
hinein zu arbeiten, aufgegeben und sich statt dessen dazu
bequemt, den Tag frühe zu beginnen. Er pflegte um vier
Uhr aufzustehen, und das erste, was seinen Geist beschäftigte,
war nach puritanischer Sitte die Bibel, aus der ihm ein Diener
einen Abschnitt vorlesen musste. Hierauf überliess er sich
einige Zeit seinen Gedanken. Um sieben kam sein Diener
wieder, um ihm bis gegen Mittag vorzulesen oder sein Diktat
nachzuschreiben. Während der einfachen Mahlzeit fehlte es
nicht an Unterhaltung. Die Anmuth, aber auch der stark
satirische Zug dieser Tischgespräche, wie der Milton'schen
Konversation überhaupt, bei der die scharfe Aussprache des
Buchstabens R noch besonders auffiel, wird von Urtheils-
fähigen ausdrücklich hervorgehoben. Er war nach dem, was
Richardson viele Jahre später von seiner jüngsten Tochter
hörte, ein „liebenswürdiger Gesellschafter, die Seele der
Unterhaltung wegen des überfliessenden Reichthums an Ge-
sprächsstoff und in Folge seiner natürlichen Heiterkeit und
Artigkeit". Den Körper frisch zu erhalten, ergieng er sich
gerne ein paar Stunden in freier Luft, und da mit seiner
ländlichen Wohnung ein Garten verbunden war, so war es ihm
leicht gemacht, sich diese Erholung zu gönnen. Musik war
ihm von jeher eine Quelle des Genusses gewesen, sie wurde
nun dem Blinden zur Trösterin. Er hatte eine Orgel in
seinem Hause, auf der er häufig spielte, oder sich zum Ge-
sang begleitete. Auch an seiner Frau soll er eine gute
Stimme zu rühmen gehabt, ihr aber musikalisches Gehör ab-
gesprochen haben. Der Besuch von Freunden verkürzte den
Nachmittag, sie blieben wohl manchmal bei ihm, bis das
Die« drei Töchter. 15
frugale Nachtessen aufgetragen wurde. Danach rauchte er
zu einem Glase "Wasser seine Pfeife und legte sich, selten
später als neun Uhr, zur Ruhe. — So war der' Tag regel-
mässig eingetheilt, und in einfachen, festen Formen bewegte
sich ein innerlich reiches und arbeitsvolles Dasein (').
Eine wesentliche Frage war, ob sich für die geistige
Thätigkeit und den Schaffensdrang des seines Augenlichtes Be-
raubten immer die nöthige Hilfe finden werde. Wie übel es
häufig damit bestellt war, ersieht man aus einem Briefe Mil-
ton's an Heimbach, dem einzigen Schreiben aus der Zeit seines
Alters, das auf uns gekommen ist. Er klagt seinem Korre-
spondenten , wie er genöthigt sei , „einem Knaben , der des
Lateinischen ganz unkundig, beinahe die einzelnen Buchstaben
vorzusprechen" und bittet etwa vorkommende Fehler ent-
schuldigen zu wollen. Es ist dann allerdings von einem Diener
die Rede, der regelmässig zu ihm kam. Allein wir dürfen
voraussetzen, dass dieser nur eben noth dürftig Englisch lesen
und schreiben konnte, während Milton's Studien von jeher
einen weiten Umkreis todter und lebender Sprachen umfasst
hatten. Da war er denn, ohne Zweifel schon vor seiner
dritten Verheiratung, auf das Auskuuftsmittel verfallen, zwei
seiner Töchter anzulernen. Anna, die älteste, war freilich für
seine Zwecke sehr unbrauchbar. Sie war schwächlich und
hatte zudem einen Fehler an der Zunge, der ihr eine deut-
liche Aussprache unmöglich machte. Auch wissen wir, dass
sie des Schreibens nicht kundig war. Die beiden anderen da-
gegen, Mary und Deborah, so jung sie noch waren, machten
sich dem Vater durch Vorlesen wie durch Nachschreibea
nützlich. Die jüngste, welche am besten dazu fähig gewesen
zu ^ein scheint, wird insbesondere als „sein Amanuensis'" be-
zeichnet. Er pflegte, so Hess sich der Maler Richardsoii später
berichten , gewöhnlich in einem bequemen Stuhl sitzend , ein
Bein über die Lehne geschlagen , zu diktiren. Oft aber, na-
mentlich an kalten Wintermorgen . und ebenso in schlaflosen
Nächten habe er im Bette liegend gedichtet und, wenn er
die passende Form gefunden, ohne Rücksicht auf die Stunde,
seine Töchter herbeigeschellt, um das Erdachte durch die
IQ Die drei Töchter.
Schrift fixiren zu lassen. So viel es für sich hat,, diese letzte
Bemerkung nur für eine spätere Ausschmückung der wirk-
lichen Yerliältnisse zu halten, so scheint doch so viel gewiss,
dass die beiden jüngeren Töchter die geistlose Arbeit, die sie
vielfach zu leisten hatten, nur ungern auf sich nahmen. Sie
^vurden dazu angehalten. ,.ihm Bücher aller Art vorzulesen,
ohne ein Wort vom Inhalt zu verstehn", und auf's ,. ge-
naueste alle die Sprachen auszusprechen, deren mechanische
Wiedergabe er ihnen . auf welche Weise auch immer , beige-
bracht hatte. Unter diesen waren aber nicht nur Französisch,
Italienisch und Spanisch, sondern selbst Lateinisch, Griechisch,
Hebräisch, wenn nicht auch Syrisch einbegriffen. Lange Zeit
nach dem Tode ihres Vaters erzählte Deborah, dass die Ge-
schwister ihm „in acht Sprachen vorgelesen" hätten, obgleich
sie nur die englische verstanden. Er habe oft gesagt: „eine
Zunge sei für ein Weib genug". Auch habe er sie nie eine
Schule besuchen, sondern durch eine Lehrerin zu Hause unter-
richten lassen (\). Soweit ihre Fähigkeiten es erlaubten, leistete
selbstverständlich auch die junge Frau dem Hilflosen ihre Dienste.
Aber ^lilton war schon früher nicht allein auf die Ge-
nannten angewiesen gewesen. In dem kostbaren Ms. Bande,
der im Trinity College zu Cambridge aufbewahrt wird, kann
man ausser den Original-Entwürfen von ]\Iilton's eigener Hand,
mindestens sechs verschiedene andere Hände nachweisen, deren
'kerne seiner dritten Frau oder den Töchtern zugesehrieben
werden darf, selbst wenn die betreffenden Stücke erst später
niedergeschrieben sein sollten, als das Datum der Abfassung
zulassen würde. Der Neflfe Milton's lässt uns denn auch
hören, dass sein Oheim, wenn nicht regelmässig, so doch ab
und zu die Hilfe wissenschaftlich gebildeter Freunde in An-
spruch nehmen konnte. Es waren darunter , .Männer, die sich
mit Eifer dazu drängten, ihm vorzulesen, sowohl um an den
Früchten dieser Lektüre selbst Theil zu nehmen, wie auch
imi sich ihm durch diese Gefälligkeit zu Dank zu verpflichten".
„Jüngere wurden von ihren Eltern aus demselben Grunde zu
ihm geschickt." Man denkt in erster Linie an die beiden
Phillips selbst, die ihrem Oheim so viel zu verdanken hatten.
Edward Phillii^s. Christoph Milton. 17
Dass der Zweite, John, dessen literarische Thätigkeit Milton
nur wenig gefallen konnte, den Verkehr mit ihm fortgesetzt
haben sollte, ist kaum glaublich. Vom Aelteren, Edward, ist
es bezeugt. Doch wurde er ohne Zweifel durch seine eigenen
Angelegenheiten stark in Anspruch genommen, als er im Ok-
tober 1663 die Stelle des Erziehers eines der Söhne John
Evelyn's antrat, die er 1665 mit einer entsprechenden im
Hause des Grafen von Pembroke vertauschte. Der Bruder
des Dichters, Christoph, war zwar nach wie vor durch seine
politische Gesinnung von ihm getrennt, allein da er nach
Phillips' Zeugnis ein Mann von ruhigem Temperament war, so
that dieser Gegensatz dem nahen Verhältnis der Geschwister
keinen Abbruch. Ein eifriger Verkehr fand indessen schwer-
lich statt, zumal dem Juristen, der nach der Restauration eine
Stelle am Kanzleihof gefunden hatte, seine Amtsgeschäfte voll-
auf zu thun gaben (^).
Dagegen hatte sich bereits vor dieser Zeit Milton's Be-
kanntschaft mit einem jungen Quäker angeknüpft, welche für
beide Theile sehr gewinnbringend wurde. Es war Thomas
Ellwood, dessen höchst anziehende Autobiographie uns er-
wünschte Auskunft über sein Verhältnis zu Milton giebt. Ell-
wood stammte aus einem vermöglichen Hause in Oxfordshire.
Er war als Kind nach London gekommen und mit der Fa-
milie jenes Isaac Pennington vertraut geworden, der während
der Revolution eine so bedeutende Rolle gespielt hatte. Der
ehemalige Lordmayor von London und Königsrichter hatte
seine Vergangenheit mit dem Tode im Tower gebüsst. Sein
gleichnamiger Sohn nahm sich Ellwood's an(='). Ellwood war
der Spielgenosse der schönen Stieftochter Pennington's , Guli
Springett, gewesen, die später als Gemahlin William Penn's
weiteren Kreisen bekannt wurde. Das Beispiel dieser Familie.
die auf ihrem Landgut bei Chalfont in Buckinghamshire zum
Quäkerthum übergegangen war, wurde für den jungen Ellwood
bestimmend. Er sah ein, dass „der Geist der Welt bisher
über ihn geherrscht hatte" und wurde in seiner Gesinnung
wie in den äusserlichen Lebensformen ein Mitglied der Sekte.
Auch konnten ihn weder der Unwille seines Vaters noch
Stern, Milton u. s. Z. U. 4. 2
18 Thomas Ellwood.
Verfolgungen der Behörden der Macht des ,, inneren Lichtes",
das ihn erleuchtete, entziehen. Erfüllt von Abscheu vor „der
grässlichen Schuld der trügerischen Priester der verschiedenen
Religionsgesellschaften, die ein Gewerbe aus dem Predigen
machten und um schmutzigen Gewinnes willen das Volk immer
wie Schulknaben behandelten", hatte er bereits 1660 seine
erste Schrift, ,,Ein Alarmruf an die Priester/' ausgehn lassen,
ein Druckwerk, dem während eines langen thaten- und leiden-
reichen Lebens viele andere, u. a. auch speciell gegen das
Institut der Zehnten, nachfolgten.
Nicht lange darauf, 1662, als Milton noch in Jewin-Street
wohnte, hatte er diesen kennen lernen. Er erstattet uns über
den Hergang in seiner Lebensgeschichte ausführlich Bericht.
Ellwood hatte während seiner Jünglingsjahre dasjenige, was
er als Kind erlernt hatte, so ziemlich wieder vergessen. Erst,
nachdem jene geistige Wandlung mit ihm vorgegangen war,
empfand- er den Mangel an nützlichen Kenntnissen. Er
suchte ihm abzuhelfen und sehnte sich nach dem Unter-
richt eines tüchtigen Lehrers. In dieser Lage klagte er
seinem Freunde Isaac Pennington sein Leid. Dieser ver-
fiel auf den Gedanken, ilm durch Dr. Paget, jenen Arzt, der
ihm wie ^lilton befreundet war, bei dem letzten einführen zu
lassen. Ellwood erfuhr, dass Milton damals „regelmässig
einen Vorleser hielt, gewöhnlich den Sohn eines Gentleman
seiner Bekanntschaft, den er aus Güte annahm, um seine
Kenntnisse zu vermehren". Auf solche Weise durch den
Dr. Paget empfohlen, fand der damals dreiundzwanzigj ährige
Quäker bei dem Dichter Zutritt „nicht als ein Diener", auch
nicht als ein „Genosse seines Hauses", sondern nur mit der
Erlaubnis, „zu gewissen Stunden, wann er wollte, zu kommen
und ihm aus den Büchern, die er ihm bezeichnete, vorzu-
lesen". Milton scheint an dem jungen Mann, der, wie die
Quäker überhaupt, so manche Idee mit ihm theilte, sonder-
liches Gefallen gefunden zu haben. Nach einem ersten kurzen
Besuch, während dessen Ellwood Rechenschaft über den Stand
seines Wissens ablegen musste, miethete er sich eine Woh-
nung in der Nähe seines künftigen Lehrers. Er gieng „von
Thomas Ellwood. 19
da an jeden Nachmittag, den ersten Tag- in der Woche aus-
genommen, zu ihm, sass bei ihm in seinem Speisezimmer und
las ihm aus denjenigen Büchern in lateinischer Sprache vor,
die er eben vorgelesen zu hören wünschte". In seiner Schrift
über die Erziehung (s. o. II. 291) hatte Milton schon einer
reinen Aussprache des Lateinischen das Wort geredet. Gleich
das ei-ste Mal, als Elwood kam, um ihm vorzulesen, bemerkte
der Lehrer seinem Schüler, dass er, schon um mit Fremden
in lateinischer Sprache sich unterhalten zu können, die eng-
lische Aussprache ablegen müsse. Er machte ihn mit vieler
Geduld auf den Unterschied im Klange der Vokale und
einiger Konsonanten aufmerksam, und nun erschien dem ge-
lehrigen Schüler das Lateinische, so schwer ihm diese neue
Angewöhnung auch wurde, als eine ganz andere Sprache. ,,Der
blinde Lehrer andrerseits, berichtet Ellwood, lieh mir, als er
meinen Eifer erkannte, nicht nur jede Art von Ermuthigung,
sondern auch von Hilfe. Denn da er ein feines Ohr hatte,
so merkte er an meinem Ton, ob ich das Gelesene begreife
oder nicht, Hess mich demnach anhalten, befragte mich und
machte mir die schwersten Stellen verständlich."
Nach kurzer Zeit wurden Ellwood's Studien allerdings in
Folge seiner schlechten Gesundheit unterbrochen. Er zog
sich auf das Land zurück und machte hier im Hause eines
befreundeten Arztes eine schwere Krankheit durch. Nicht so-
bald fühlte er sich dazu im Stande, als er nach London zu-
rückkehrte. „Ich wurde", erzählt er, „von meinem Lehrer
sehr gütig aufgenommen. Er hatte eine so gute Meinung von
mir gefasst , dass ihm , wie ich fand , meine Unterhaltung an-
genehm war und er schien über meine Wiederherstellung und
Rückkehr herzlich erfreut zu sein. Wir nahmen unsere alte
Methode zu studiren wieder auf. Ich las ihm vor, und er gab
mir, wo es die Gelegenheit erforderte, Erläuterungen," Allein
auch dies INIal war Ellwood's Glück nur von kurzer Dauer.
Am 26. Oktober 1662 wurde eine Quäkerversammlung in
London, in der er sich befand, gewaltsam aufgehoben. Er
selbst wurde mit seinen Gesinnungsgenossen von einem Ge-
fängnis zum anderen geschleppt. Nach erfolgter Freilassung
2*
20 Tod von Lawes und Hartlib.
suchte er Milton wieder auf, Aber er begab sich darauf wieder
nach Buckinghamshire , um die Familie Pennington, die ihm
während der Haft aus der bittersten Noth geholfen hatte, zu
besuchen. Da ihm Pennington eine Stelle als Lehrer des
Lateinischen für seine Kinder antrug, so blieb er bei ihm,
ohne indessen Milton's zu vergessen (^).
Mit Ellwood erweiterte sich der Freundeskreis Milton's
nach der Restauration. Aber es blieben ihm doch auch
manche vertraute Genossen früherer Tage, die stolz darauf
waren, selbst bei abweichender politischer Gesinnung, den
Umgang mit dem vom öffentlichen Schauplatz abgetretenen
Zeugen einer grossen Zeit fortzusetzen. Zwar der jNIusiker
Henry Lawes überlebte die Restauration nur um zwei Jahre,
nachdem ihm noch die Ehre zu Theil geworden war, die Ode
zum Krönungsfest Karls H. zu komponiren und seine frühere
Stellung am Hofe zurückzugewinnen. Auch der interessante
Deutsche, dem Milton einst seine Schrift über die Erziehung
gewidmet, und der seinen Idealismus wärmer als irgend ein
anderer getheilt hatte , war nicht mehr. Samuel Hartlib
hatte, während die politische Umkehr sich vorbereitete und
nach der Wiederherstellung des Königthums, eine trübe Zeit
durchlebt, ohne sich dadurch die Elasticität des Geistes, die
ruhelose Theilnahme an allen Ereignissen der wissenschaft-
lichen Welt und die sanguinische Hoffnung auf die Verwirk-
lichung seiner eigenen Lieblingspläne rauben zu lassen. In
dem Process gegen die Regiciden wurde er als Zeuge auf-
gerufen. Er selbst, obwohl er der Regierung Cromwell's
seine Dienste geleistet hatte, gieng frei aus. Aber der Brief-
wechsel seiner letzten Jahre gewährt von seinem elenden Zu-
stande ein deutliches Bild. Seine körperlichen Leiden, na-
mentlich in Folge von Steinbildung, wurden unerträglich.
Seine Geldnoth und seine Schuldenlast wurden so gross, dass
er genöthigt war, die Wohlthätigkeit von Freunden in An-
spruch zu nehmen. Eine Pension, die ihm das letzte Parla-
ment Oliver Cromweirs bewilligt hatte, war schon seit längerer
Zeit nicht ausbezahlt worden, und seine Bemühungen, sie
vom Konventions - Parlament erneuern zu lassen, waren ver-
Comeuius und Durie. 21
geblich. Umsonst berief er sich in einer an das Unterhaus
gerichteten Petition darauf, dass er seit dreissig Jahren für
die Fördemng des Jugendunterrichts, die Erhaltung einer ge-
meinnützigen Korrespondenz mit dem Auslande, die Linderung
der Noth vertriebener Protestanten so viel gethan habe und
nun „in seinen alten und kranken Tagen sich und seine Fa-
milie nicht erhalten könne". Für die Unterstützung eines
unpraktischen Idealisten hatte man keine ]\Iittel. Er musste
selbst die harten Folgen seiner Gutmiithigkeit und Uneigen-
nützigkeit tragen. Sogar der Schmerz, einen Theil seiner
Bücher und Manuskripte durch ein Feuer zu verlieren, blieb
ihm nicht erspart. Das letzte Lebenszeichen Harthb's, das
man kennt, ist ein Aktenstück, welches vom 9. April 1662
datiit , und es ist wahrscheinlich , dass er bald darauf ge-
storben ist(^).
^lit Hartlib's Tode werden auch die beiden berühmten
Männer so gut wie ganz ausMilton's Gesichtskreis geschwun-
den sein, für deren Bestrebungen der Deutsche seinen eng-
lischen Freund zu interessiren gewusst, und deren einer ihm
persönlich nahe gestanden hatte. Comenius weilte seit 1656
in Amsterdam in Verhältnissen, die ihm erlaubten, sich ganz
und gar seiner unermüdlichen schriftstellerischen Thätigkeit
zu widmen. Dort erschienen seine gesammelten didaktischen
Werke. Unter den übrigen Schriften seines Alters machten
namentlich diejenigen nicht geringes Aufsehen, in denen sich
der grosse Pädagog zum Glauben an gewisse Visionen be-
kannte. Er sah sich auf's heftigste wegen dieser Ansichten
angegriffen, ohne sich dadurch die Ruhe seiner Seele rauben
zu lassen. ]\Iilton hat noch von seinem Tode hören können,
der im Jahre 1670 in Naarden erfolgte.
Eine längere Laufbahn stand John Durie offen. Der
vielgeschäftige Theologe hatte eine Zeit lang von der Re-
gierung Karls II. etwas für seine Pläne gehofft und seinen
Freunden in Zürich, mit denen er in Verbindung blieb, sogar
gerathen, wegen des Unionswerkes sich an den Erzbischof von
Canterbury und den Bischof von London zu wenden. Allein
so sehr er sich auch bemühte, seine Vergangenheit vergessen
22 Comenius uud Durie.
ZU lassen, und so leicht es seinem geschmeidigen Wesen wurde,
die Restauration als ein „glückliches Mirakel" zu preisen, so
war doch unter den verändei'ten Verhältnissen in England
nichts mehr für ihn zu erwarten. Er verlor seine Stelle als
Bibliothekar von St. James und begab sich schon im Anfang
des Jahres 1661 auf das Festland. Aufs neue mühte er sich
unverdrossen ab, die Versöhnung der Lutheraner mit den Re-
formirten durchzusetzen, bis in seinem fünfundachtzigsten
Jahre der Tod allen seinen Bestrebungen in Kassel, wo er
eine Zuflucht gefunden hatte, ein Ende machte (^).
Durie's einstiger Reisegefährte, der ^Mathematiker John
Pell, wurde von den neuen Machthabern nicht belästigt. Man
fand , dass er durch seine diplomatische Thätigkeit unter
Cromwell „nichts gegen das Interesse der englischen Kirche
gethan habe". Er trat sogar in den Kirchendienst ein, aber
seine Hoffnung, in diesem rasch emporzusteigen, um sich
durch eine gute Pfründe erhalten zu können, verwirklichte
sich nur in sehr geringem j\Iasse. Im Jahre 1670 taucht er
in Amerika auf, auch dort aber kann sein Weizen nicht ge-
blüht haben. In die Heimat zuilickgekehrt , hatte er, eine
Zierde der Wissenschaft, aber gleichfalls eine vergessene
Grösse der republikanischen Epoche, mit der bittersten Xoth
zu kämpfen. Seine Schulden führten ihn in's Gefängnis, sein
Begräbnis (1685) wurde durch die jNIildthätigkeit von Freunden
bestritten (-)•
John Pell erlebte noch, dass ein Gedanke, für den sieh ausser
ihm selbst so viele Milton nahestehende Personen erwärmt hatten,
in glänzender Weise verwirklicht ward. Die Anregungen, welche
einst der Pfälzer Theodor Haak gegeben hatte, die Träume
Hartlib"s von einer grossen geistigen Genossenschaft „Makaria",
die Zusammenkünfte des „unsichtbaren College" und ihre
Fortsetzungen im Hause Robert Boyle's und im Gresham
College: alles dies blieb nicht verloren. In einem Zeitalter,
welches den naturwissenschaftlichen Bestrebungen eine ausser-
ordentliche Gunst entgegenbrachte, unter einem Fürsten, der
selbst ein Vergnügen daran fand, auf diesem Gebiet zu di-
lettiren, nahmen frühere schwärmerische Ideen eine Forai an.
Die Royal Society. 23
die zwar bescliränkter war als sie sich in manchem Kopfe
gemalt hatte, dafür aber glücklicher Weise auf einer solideren
Grundlage beruhte. Jene Gelehrtenzusammenkünfte, welche
seit anderthalb Jahrzehnten mit grösseren oder geringeren
Unterbrechungen bestanden hatten, wurden nach der Restau-
ration mit erneutem Eifer wieder aufgenommen. Die Zahl
ihrer Theilnehmer wuchs, und man hielt sich an ein regel-
mässiges Verfahren. Am 15. Juli 1G62 verlieh ein könig-
licher Freibrief der Gesellschaft unter dem Namen der „Royal
Society" Korporationsrechte. Es war ein grosser Akt in der
Geschichte der Wissenschaften , der Milton nicht ohne Theil-
nahme lassen konnte. Die rhetorischen Essays seiner Uni-
versitätszeit hatten im Sinne Bacon's den Fortschritten der
Empirie das Wort geredet. Seine Schrift über die Erziehung
hatte nachdi-ücklich auf den Mangel naturwissenschaftlicher
Bildung hingewiesen. Durch Hartlib musste er mit der
ganzen Vorgeschichte des neuen Instituts vertraut geworden
sein, und dieses selbst zählte Männer zu seineu Mitgliedern,
die ihm schon damals nicht nur dem Namen nach, sondern
persönlich bekannt waren. Unter jenen glänzten auch zwei
der berühmtesten Dichter, AYaller und Dryden, über denen
man den einstigen blinden Sekretär der Republik und des
Protektorats sehr leicht vergass. Zu diesen gehörte der
Antiquar John Aubrey, der älteste Biograph ]\Iilton's,
Theodor Haak, Abraham Hill. Robert Boyle, der 1668 zu
seiner Schwester, Lady Ranelagh, nach London zog, war eine
der Hauptzierden der Societät. Sein Neflfe, Richard Jones,
Milton's ehemaliger Zögling, wurde unter ihre Mitglieder auf-
genommen. Heinrich Oldenburg war der Sekretär der Ge-
sellschaft, dem man die ersten Veröffentlichungen ihrer Ver-
handlungen verdankt. Bei den innigen Beziehungen, die
zwischen Oldenlnirg und INIilton in früheren Jahren geherrscht
hatten, darf man annehmen, dass ihr Umgang auch nach der
Restauration fortdauerte. Wenn irgend einer, so konnte
Oldenburg am besten dem alten Freunde mittheilen, was die
wissenschaftlichen Kreise London's bewegte (^).
Diesen Jüngern der Naturwissenschaft mag sich auch da-
24 Barrow und Marvell.
mals schon der Älediciner Samuel Barrow angeschlossen haben,
dessen freundschaftliches Verhältnis zu ]\Iilton durch die latei-
nischen Lobverse, die er der zweiten Ausgabe des verlorenen
Paradieses Vordrucken Hess, hinlänglich bezeugt wird. Barrow
war Oberarzt im Heere Monks gewesen. Er wurde später
Generalauditor der Armee und Leibarzt Karls IL, allein dies
that seiner Verehrung für den ehemaligen Sekretär der Re-
publik keinen Abbruch {^). Man wird bezweifeln dürfen, ob der
windige Zeitungsschreiber Marchmont Xeedham sich ihm
gleichfalls noch zu nähern wagte. Charakterlos, wie er war,
erkaufte er von der Restauration dadurch Verzeihung, dass er
seine republikanische Vergangenheit selbst verspottete. Ver-
muthlich Hess er sich an den Gegner des Salmasius und des
Morus nur ungern erinnern. Hingegen der Dichter Andrew
Marvell, Mitglied des Parlamentes für Hüll, der junge Law-
rence. Cyriack Skinner werden ihren intimen Verkehr mit
Milton nicht abgebrochen haben.
Man sieht, es war dafür gesorgt, dass er nicht verein-
samte. Er wurde namentlich von Gelehrten häufig besucht,
ja sogar, seinem ältesten Biographen zu Folge, „mehr als ihm
lieb war". In jedem FaH konnte er, unterstützt durch das
ausgezeichnete Gedächtnis, das man an ihm rühmte, mit Zu-
hilfenahme anderer Augen, die für ihn sahen, und anderer
Hände, die für ihn schrieben, der Ausführung seiner mannich-
faltigen literarischen Pläne nachhängen.
Zunächst freilich war noch nichts von allem, was ihn im
stiHea beschäftigte, hinlänglich reif, um aus seiner Werk-
statt entlassen zu werden. Die Stimme, auf welche England
und selbst Europa eine Zeit lang gelauscht hatte, schien ver-
stummt zu sein, wie untergegangen in dem wilden, bacchan-
tischen Chor, der seine Lieder des Triumphs über den ge-
fallenen Puritanismus erschallen Hess.
Zweites Kapitel.
Die Reaktion gegen den Puritanismus.
Xliin Zeitraum von beinahe zwei Jahrzehnten war ver-
gangen, in welchem das englische Volk unter der Herrschaft
des Puritanismus gestanden hatte. Erstarkt unter Verfol-
gungen und Leiden, zum Siege gelangt durch eine unwider-
stehliche Revolution, hatten die puritanischen Ideen die
schärfste Form gewonnen und der inneren und äusseren Poli-
tik, der Gesetzgebung und den Sitten, der Tracht und dem
Gespräch der Menschen ihren Stempel aufgeprägt. Der Staat
schien dazu bestimmt zu sein, seine Bürger zu einem heiligen
Wandel zu erziehen und für „die Ausbreitung des Reiches
Gottes" nach aussen zu wirken. Die Kirche sollte eine Reform
erleben, ohne welche sie als unfähig betrachtet w^urde, ihre
Aufgabe zu erfüllen. Der Einzelne wurde dazu angehalten,
im täglichen Leben sich in den Schranken zu bewegen,
welche unerbittliche Vorschi'ift seiner Arbeit wie seiner Er-
holung zu ziehen wusste. Mit dem Zusammenbruch des Inter-
regnums brach auch die Obmacht der puritanischen Ideen.
Sie blieben für immer ein mächtiges Element des englischen
Volkscharakters und der englischen Geschichte. Sie erhoben
sich in späteren Zeiten nicht selten wiederum zu ausser-
ordentlicher Bedeutung. Aber zunächst erfolgte ein natür-
licher Rückschlag gegen alle die Satzungen und Bräuche,
die von dem harten Druck beständiger Zwangsmassregeln
26 Reaktion gegen den puritanischen Rigorismus.
unzertrennlich gewesen waren und die der Heuchelei und
Scheinheiligkeit nur zu oft als Deckmantel gedient hatten.
Es hatte Zeiten gegeben, in denen der Sabbathbrecher
mit schwerer Geldstrafe oder körperlicher Züchtigung bedroht
gewesen war. Wer am Tage des Herrn ein Boot, ein Pferd,
einen Wagen, eine Sänfte benutzte, es sei denn, um sich
zur Kirche zu begeben, hatte 10 Schillinge Busse zu erlegen
oder sechs Stunden im Stock zu liegen. Die gleiche Strafe
galt dem Besuch von Schenken, Tanzen und „profanem Ge-
sang". Urkunden, die an kirchlichen Feiertagen ausgestellt
w^aren, hatten keine Rechtskraft. Andere Akte der purita-
nischen Gesetzgebung hatten den moralischen Zustand durch
übertriebenen Zwang zu bessern gesucht. Schwören und
Fluchen wurden gerichtlich verfolgt. Leichtfertigem Lebens-
wandel drohten drei Monate Gefängnis. Kuppler und Kupp-
lerinnen wurden ausgepeitscht und gebrandmarkt, ehe sie
eine langdauernde Haft antraten und büssten im Wieder-
holungsfall mit dem Leben. Auf Ehebruch stand der Tod. —
Drakonische Bestimmungen dieser Art hatten gerade das
Gegen th eil von demjenigen errreicht, w^as sie hatten erreichen
sollen. Unter ihrer Herrschaft war ein Geschlecht gross ge-
worden, das es gelernt hatte, im geheimen erst recht zu
sündigen, da auch Unschuldiges öffentlich als Sünde galt.
Dies Geschlecht Hess nach der Restauration, der Fesseln
ledig, allen Begierden die Zügel schiessen. Nicht dass die
grosse Masse der englischen Nation der alten Zucht und Sitte
vergessen hätte. Aber die höheren Stände gefielen sich
darin, die lange entbehrte Freiheit in einer Weise zu miss-
brauchen , welche der sittlichen Gesundheit der übrigen Volks-
schichten gefährlich zu werden drohte.
Der Hof gieng mit dem schlimmsten Beispiel voran.
Karl II. gehörte zu den Naturen, welche durch den Wechsel
des Geschicks nicht geläutert, sondern verschlechtert werden.
Die vornehmste Lehre, die er aus den langen Jahren des
Elends und der Verbannung zog, war, sich über die Achtung
der Menschen hinwegzusetzen, weil er selbst oft genug Ge-
legenheit gehabt hatte, sie zu verachten. Die vornehmste
Der König und der Hot. 27
Absicht, mit der er auf den väterlichen Thron zurückkehrte,
war, sein königliches Dasein zu geniessen, weil ihm sinnlicher
Genuss als Zweck des Lebens galt. Von Haus aus viel zu
gutmüthig, um irgend eine Persönlichkeit leidenschaftlich zu
hassen und viel zu faul, um irgend ein Geschäft ernsthaft
zu betreiben, hatte er nichts von dem Stoff in sich, aus dem
Tyrannen gemacht werden, aber genug von den Eigenschaften,
aus denen sich das Muster eines pflichtvergessenen Fürsten
zusammensetzt. Von ihm hatte man nicht zu fürchten, dass
er ein ganzes Volk in Fesseln zu schlagen versuchen werde,
um seinem Ehrgeiz zu fröhnen oder um die Probe auf das
göttliche Recht des Königthums zu machen. Aber er war so
geartet, dass selbst die liebenswürdigen Eigenschaften seines
Wesens nur zu häufig eine Entehrung seiner Stellung mit
sich brachten. Das geistreiche Geplauder, in dem er Meister
war, wurde ihm ein Älittel, um die Oberflächlichkeit seiner
Kenntnisse und den Widerwillen gegen Arbeit geschickt zu
verdecken. Die Freigebigkeit, mit der er Aemter und Summen
verschenkte, kam ausschliesslich denen zu gut, die mit dem
geringsten ^'erdienst die grösste Keckheit verbanden, seine
schwachen Seiten auszubeuten.
Ein Fürst vom Schlage Karl's IL war dazu angelegt, der
Sklave weiblicher Reize zu werden. Schon während seines
Exils hatten galante Abenteuer einen grossen Theil seiner
Zeit in Anspruch genommen. Nach seiner Rückkehr gab
seine Zügellosigkeit für das sittliche Verhalten der höheren
Gesellschaftskreise den Ton an. Whitehall, das als Residenz
des Protektors das Bild eines musterhaften Familienlebens
geboten hatte, glich nunmehr einem Serail, in dem sich die
Intriguen der königlichen Favoritinnen bekämpften. Die leicht-
fertigen und verführerischen Geschöpfe mit allen den Reizen
von Natur und Kunst, wie sie in den s. g. Memoiren des
Chevalier de Grammont und in den Bildern Peter Lely's
erscheinen, geboten über den Willen wie über die Kasse des
gekrönten Seladon. Nur eine Frau am Hofe sah sich nicht
selten durch eine gesuchte Zurücksetzung ausgezeichnet: die
junge portugiesische Infantin, welche Königin von England
28 Ton der höfischen Gesellschaft.
hiess. In Bälde bei'eicherte sich der englische Adel durch
die Bastarde des Monarchen. Ihre genaue Zahl festzustellen,
bot nicht geringere Schwierigkeiten wie diejenige der könig-
lichen Maitressen. Die vornehme Welt wollte hinter einem
Beispiel nicht zurückbleiben , das der Herzog von York, wenn
auch mit etwas weniger Cynismus, unterstützte. Nicht selten
lag ein besonderer Reiz darin, einige Stufen hinabzusteigen
und sich auf der Strasse oder hinter den Kulissen die käuf-
lichen Gegenstände der Lust zu suchen. Wurden die Männer
durch die freien Bewegungen und die kecke Sprache einer
üppigen Subrette gefangen, so fand bei den Damen die
Kraft und die Gewandtheit kühner Akrobaten mitunter eine
mehr als ästhetische Bewunderung. Man hatte so lange die
Maske der Ehrbarkeit und Sittenstrenge getragen, dass man
sich nicht bedachte, mit der Maske auch die Scham abzu-
werfen.
Der ganze gesellschaftliche Ton der höheren Klassen
wurde gleichzeitig ein anderer. Mit den zierlichen Mode-
waaren, die man aus der Hauptstadt Frankreichs bezog,
empfieng man nicht immer jene Grazie, die am Hofe Lud-
wig's XIV. auch das Verfängliche mit einem anmuthigen
Schleier zu umwehen wusste. Phrasen und Bilder von sehr
zweifelhaftem Geschmack drangen in die Sprache des Umgangs
ein. Ein kräftiger Fluch gab jedem Ausspruch die beste
Würze. Wetten, Duelle, Verkleidungen brachten Abwechse-
lung in den Gang des täglichen Lebens. Es wurde Sitte hoch
zu spielen, und auch diese Leidenschaft fand nirgends bereit-
willigere Opfer als am Hofe. Es war nichts aussergewöhn-
liehes, dass der König an einem Abend „seine hundert Pfund
verlor", oder dass ein anderer der Spieler ..über tausend
Pfund" gewann. Mit Abscheu wandten sich gute Royalisten
von diesem Bilde ab. Mit Bitterkeit sprachen sie von der
„wilden und ausgelassenen Bande", die „dem übrigen Volke
ein Beispiel der Tugend hätte geben sollen" (i). Um wie
viel herber musste das Urtheil eines Mannes wie Andrew
Marvell lauten, der in seinen Satiren dem ganzen puritani-
schen Groll über den Zustand der herrschenden Kreise Luft
Keaktion in der Literatur. 29
machte. Er hielt sich für berechtigt zu sagen, dass „Un-
zucht noch das geringste Laster am Hofe sei" und Hess den
„Geist CromweH's" mit „dem Lachen der Verachtung" empor-
steigen. Freilich durften diese poetischen Aeusserungen eines
bekannten Mitgliedes der besiegten Partei damals das Licht
der Oeffentlichkeit nicht erblicken. Auch wären sie ohne
Zweifel unter der Masse entgegengesetzter Stimmen verhallt.
Denn die schöne Literatur durchdrang sich gleichfalls immer
mehr mit jenem Geiste, der den Ideen der jüngst durch-
lebten Epoche entschieden zuwiderlief.
Auf doppelte Weise kam diese antipuritanische Strömung
der englischen Poesie zum Ausdruck. Bald sah sich der
Puritanismus durch die Dichter des Tages dem allgemeinen
Gelächter Preis gegeben. Bald stellten sie seinen Idealen
Bilder eigener Erfindung gegenüber, von denen er sich mit
Abscheu wegwenden musste. Aus jener Reihe seiner "Wider-
sacher, die sich der scharfen Waffe der Satire bedienten,
ward ihm niemand so gefährlich wie Samuel Butler. Der
Hudibras wurde das poetische Hilfs- und Handbuch aller der-
jenigen, die sich unter einem Puritaner nichts anderes zu
denken wussten als einen scheinheiligen Bramarbas mit
kurzgeschnittenen Haaren, näselnder Stimme und frommem
Augenaufschlag. Diese kecken, burlesken Reime, in denen
die lächerlichen Aeusserlichkeiten der Heiligen mit ebenso viel
Witz wie Behagen verspottet waren, prägten sich ganz von
selbst dem Gedächtnis ein. Der König trug das Gedicht in
der Tasche bei sich, die Höflinge mischten ihrer Unterhaltung
einzelne seiner muthwilligen Kraftstellen bei, auf der Strasse
und in den Tavernen sprach man von dem neuen Don
Quixote, Sir Hudibras, dem polternden Kavalier der „Dame
Religion",
dem Musterexemplar
Und Spiegel aller Ritterschaar,
Der jedem Kanon gab das Siegel
Sehr salbungsvoll mit Faust und Prüsrel
30 Butlers Hudibras.
und von seinem Knappen Ralph, dem neuen Sancho Pansa,
dem Schneiderssohn , der seinem Herrn
im Witze hielt die Waage,
Ob er gleich war von anderm Sehlage,
So man heisst „Gabe", „inner Licht'',
Die ohne Müh vom Zaun man bricht.
Es war recht leichte poetische Waare, was Butler
seinen Zeitgenossen bot: eine lose aneinander gefügte Reihe
komischer Situationen, in denen selbstverständlich die frommen
Verfechter der „guten, alten Sache'* regelmässig den Kürzeren
ziehen, unterbrochen durch polemische Betrachtungen, ohne
tieferen Hintergrund. Aber er traf damit vollkommen den
Ton der lebenslustigen, höheren Gesellschaft. Auch war das
dünne Gewebe seiner regsamen Phantasie durchsichtig genug,
um zahllose Anspielungen auf Ereignisse und Personen, die
der Vergangenheit angehörten, erkennen zu lassen. Das
lange Parlament und die ^Vestminster - Synode , Liga und
Covenant, wie die grosse Remonstranz, Staatsmänner und
Feldherrn der Republik und des Protektorats, Presbyterianer
und Independenten : für alles fand sich in den zwanglosen
Knittelversen Butler's ein breiter Raum. Die Verfasser des
Smectymnuus, deren Sache Milton ehemals zur seinigen ge-
macht hatte , wurden an mehr als einer Stelle verspottet.
Ihm selbst war wenigstens in einem der Entwürfe des Ge-
dichts ein scharfer Hieb zugedacht gewesen (i).
Butler war für die Reaktion gegen den Puritanismus eine
unschätzbare Kraft, wie wenig auch die IMachthaber des
Tages es sich angelegen sein Hessen, seine Dienste zu be-
lohnen. Aber bei aller Derbheit seiner Satire hütete er sich
doch, die puritanischen Ideen dadurch zu bekämpfen, dass
er sich zum Lobredner einer möglichst laxen Moral gemacht
hätte. Er selbst hatte ein deutliches Bewusstsein von der
„Fäulnis" des Zeitalters, in dem er lebte (2). Er brauchte
in der That sein Auge nur auf einige Genossen seiner Kunst
zu werfen, um zu bemerken, wie giftige Blüthen sie unter
der Herrschaft der Restauration zu treiben begann.
Rochester. 31
Vielleicht p^iebt nichts einen deutlicheren Begriff von der
sittlichen Verwilderung, die nach der Wiederherstellung des
Königthums in der höfischen Gesellschaft zum Vorschein kam»
als die Lebensgeschichte des Grafen von Rochester. Sein
Vater hatte die Schicksale Karls 11. nach der Schlacht von
Worcester getheilt und dem Sohn ein Anrecht auf die könig-
liche Dankbarkeit hinterlassen, das zu einem Erbtheil von
sehr zweifelhaftem Werthe wurde. Jung und leichtsinnig, von
angenehmem Aeusseren und natürlicher Lebhaftigkeit, kam
er an diesen Hof, in dessen unreinem Dunstkreis nichts
Gesundes athmen konnte. Bald war er der erklärte Günst-
ling des Monarchen, der erste in allen Lastern, die zum
guten Ton gehörten , gefürchtet wegen seiner schaifen Zunge,
die auch die höchsten Persönlichkeiten nicht verschonte. Es
kam wohl vor, dass er die Gnade seines Herrn zeitweise
verwirkte, weil er sich über dessen öffentliche und heimliche
Sünden in satirischen Gedichten von unaussprechlicher Natur-
wahrheit lustig machte. AYährend einer solchen vorüber-
gehenden Vei-bannung vom Hofe legte er die Verkleidung
eines herumziehenden Quacksalbers an. Die Rede, mit der
er damals vor einem gaffenden Volkshaufen seine Künste an-
pries, die Abenteuer, die ihm in dieser Rolle begegneten,
boten der Skandalchronik einen unerschöpflichen Stoft". Seine
Theilnahme an dem Seekrieg gegen die Niederlande unter-
brach nur auf kurze Zeit ein Wüstlingsleben, das
seinen Körper ebenso entnervte, wie es seiner Talente un-
würdig war. Wie bedeutend diese auch waren: Schöpfungen
von dauerndem poetischen Werthe hervorzubringen, war
Rochester nicht im Stande. Ich wage nicht zu entscheiden,
ob ihm diese oder jene schmutzigen Gedichte zuzuschreiben
sind, die, ohne in seine Werke aufgenommen zu sein, unter
seinem Namen gehn. Wer immer ihr Verfasser gewesen ist,
er scheint aus dem wüsten Rausche eines tollen Bacchanals
nur auf Stunden erwacht zu sein , um sich mit thierischer
Lust in Ausschweifungen anderer Art zu stürzen. Von einigen
dieser Bastarde der Poesie lassen sich selbst die Namen nicht
nennen. Es dürfte schwer sein, ihres gleichen in der Lite-
32 Dorset. Sedley.
ratur irgend eines noch so verkommenen Volkes irgend einer
noch so verkommenen Zeit zu finden (^).
Rochester war nur einer aus der Schaar der zuchtlosen
Jugend, deren Ruhm darin bestand, die Schamlosigkeit ihres
Lebens über der Keckheit ihres Witzes vergessen zu lassen.
Auch hatten die beliebten Schöngeister des Hofes denn doch
auf einen feineren Geschmack zu rechnen als den Geschmack
der Insassen und Stammgäste gemeiner Häuser. Lord Buck-
hurst, bekannter unter dem Kamen des Grafen von Do)-set,
wurde freilich einmal mit anderen wilden Genossen vor Ge-
rieht gefordert, um sich wegen der Anklage auf Raub und
Mord zu rechtfertigen. Aber die Kinder seiner Muse lassen
nicht ahnen, wie tief der Dichter zeitweise sinken konnte.
Charles Sedley, der „Vicekönig Apollo's, wie der bewundernde
Monarch ihn nannte, betrug sich eines Tages öffentlich in
einer so gröblich unanständigen Weise, dass ein Auflauf des
empörten Volkes entstand und ein ärgerlicher Process erfolgte.
Aber von seinen einschmeichelnden Versen sagte ein genauer
Kenner des Fachs, dass sie mit unwiderstehlichem Zauber
auch dem keuschesten Herzen die lockersten Wünsche ein-
flössen könnten, weil der Dichter sich trefflich darauf ver-
stehe „manierlich ob&cön" zu sein (2). — Es ist klar, zu
welchem Dienste im besten Fall die Kunst von solchen Hän-
den herabgewürdigt wurde. Man war einig darüber, dass
„jedes Mädchen mit vierzehn Jahren besiegbar", und dass die
Ehe „nur ein erlaubter Weg zur Sünde sei" (3). Man prägte
sich diese Lehren um so viel leichter ein, wenn sie im ver-
führerischen Gewände gebundener Rede erschienen. Und der
erste Lorbeer winkte dem, welchem es glückte, dem Tropfen
Gift möglichst viel Süssigkeit beizumischen.
In keiner Form der schönen Literatur trat der Rück-
schlag gegen die puritanische Epoche so deutlich zu Tage
wie in der des Dramas. Die Bühne war das günstigste Feld,
auf dem die Sieger ihren Triumph zur öffentlichen Geltung
bringen konnten. Der Puritanismus hatte die Theater als
Werkzeuge des Teufels bekämpft und unterdrückt. Nur mit
]\Iühe war es Davenant Gelungen, unter dem Protektorat der
Die Bühne. — Das Lustspiel. 33
dramatischen Kunst eine stillschweigende Duldung zu erwirken.
Durch die Restauration ihrer vollen Freiheit zurückgegeben,
rächte sie sich für den frommen Zwang der letzten zwei
Jahrzehnte, indem sie mit ausgesuchtem Raffinement eben
nach jener Seite hin sündigte, die schon während der grossen
Zeit des englischen Dramas das strenge Gefühl des Puritaners
verletzt hatte. Das Lustspiel war wie immer der Spiegel des
wirklichen Lebens. Geistreich, witzig, voll feiner psycholo-
gischer Züge, erhob es sich doch nur selten zu reiner, künst-
lerischer Höhe. Berechnet auf den Beifall der höheren Ge-
sellschaftskreise, unter deren Schutz die Bühne wieder erstand,
entlehnte es diesen Kreisen die Lebensanschauung und die
Sprache, die in ihnen gang und gebe waren. Die lange unter-
drückte Sinnlichkeit, welche auch an dieser Stelle wieder
zum Durchbruch kam, erschien nicht als die naive Aeusserung
lebensfroher Gesundheit, sondern als ekles Reizmittel geiler
Genuss-Sucht. Je frecher der Inhalt, je lasciver die Form,
desto grösser war der Erfolg, der dem Dichter zu Theil
wurde. Man wusste aus eigener Praxis , dass Verführung und
Ehebruch zum guten Ton gehörten. Man haschte in der
Unterhaltung nach Flüchen und Zoten, Um so stärker war
die Empfänglichkeit dafür, sich im Theater am Anblick be-
denklicher Situationen aufzuregen und sich durch eine Fülle
schamloser Phrasen das Ohr kitzeln zu lassen. Die Ueber-
tragung der Frauenrollen auf Personen weiblichen Geschlechts
trug nicht wenig dazu bei, diesen Reiz zu steigern. Die
unanständigsten Worte klangen am schönsten aus dem ]\Iunde
eines jungen Mädchens, und wenn es Anmuth mit der Jugend
verband, so war eine Unschuld, die es bis dahin gerettet
haben mochte, sicher verloren.
Diesen allgemeinen Charakter hat die englische Komödie
Jahrzehnte lang behalten. Man kann nicht einmal sagen, dass
sie während Milton's Leben den Höhepunkt der Gemeinheit
erreicht hätte. Eine besondere Richtung des englischen Lust-
spiels dagegen, die sich noch unmittelbarer gegen den Puri-
tanismus wandte, kam begreiflicher Weise am stärksten sofort
Stern. Milton u. s. Z. H. 4. 3
34 Die Tragödie.
im Beginn der Restauration zur Erscheinung. Wenn Butler
die besiegte Partei in den Knittelversen eines komisehen Epos
verhöhnt hatte, so war die Versuchung sehr lockend, sie auch
in karrikirten Typen auf die Bühne zu bringen. Es hatte so
viele Tartuffes unter den einflussreichen Persönlichkeiten der
revolutionären Epoche gegeben, dass die englischen Rivalen
Moliere's um Urbilder für ihre Charakterzeichnung keineswegs
in Verlegenheit waren. Nicht alle bewahrten sich die Un-
parteilichkeit eines Cowley, dessen Lustspiel ..Cutter von Cole-
man-Street", die zeitgemässe Umarbeitung seines ..Guardian",
doch auch die schlechten Auswüchse der royalistischen Faktion
zur Anschauung brachte. In den meisten Fällen war die ko-
mische Muse einseitig tendentiös. Stücke wie der .,Rump",
das „Committee", die ..Betrügereien" stellten sehr wenig
schmeichelhafte Bilder der letzten Jahre vor Augen, und die
Habsucht des revolutionären Politikers wurde von den höfischen
Besuchern der hauptstädtischen Theater ebenso herzlich be-
lacht wie der biblische Jargon des scheinheiligen Sektirers.
Nicht weniger deutlich trat in der wiedererweckten Tra-
gödie, als ein bedenkliches Element der Poesie, die politische
Tendenz hervor. Die Tragödiendichter der Restauration Hessen
keine Gelegenheit vorübergehn, die beschränkte Monarchie
anzugreifen und die absolute Monarchie zu preisen. „Könige
können irren, — heisst es in Dryden's indischem Kaiser —
aber sollte sich der Unterthan herausnehmen, ihre Schand-
thaten zu richten, so würde er ihnen ihr Bestes streitig
machen." „Die Rechte der Unterthanen und der Regenten —
lässt derselbe Dichter eine seiner Königinnen sagen — sind
ihrer Natur nach grundverschieden. Jene haben nur ein
Recht darauf, ihr Hab und Gut zu geniessen, diese haben das
alleinige Recht zu herrschen" (^). Derartige Sentenzen klangen
dem Ohr des niedrig denkenden Fürstendieuers sehr ange-
nehm, aber sie fanden keinen Widerhall im Herzen der Nation,
die ihre besten Kräfte an die Erkämpfung einer verfassungs-
mässigen Regierung gesetzt hatte. —
Etwas anderes kam hinzu, um dem Drama der Restau-
ration jenen innigen Zusammenhang mit dem nationalen Leben
Einfiuss Frankreichs. 35
abzuschneiden, den es einst während der Herrschaft Elisa-
beth's und in den nächsten Jahrzehnten nach ihrem Tode ge-
habt hatte. Es gab allerdings hervorragende Geister, welche
die Meisterschaft Shakespeare's willig anerkannten und auch
für die Bedeutung der übrigen grossen Dramatiker der Ver-
gangenheit ein offenes Auge hatten. Aber im ganzen fühlte
sich das „verfeinerte Zeitalter" den mächtigen poetischen Ge-
bilden des Genies nicht mehr gewachsen (^j. Wenn man diese
Gebilde dem Publikum wieder vorführte, hielt man es nicht
selten für nöthig, eine gründliche Umänderung mit ihnen vor-
zunehmen, um sie dem herrschenden Geschmack anzupassen.
In dieser Weise wurden einzelne der berühmten Werke von
Shakespeare, Beaumont und Fletcher, Webster u. a. ver-
arbeitet. Sie wurden glänzend ausgestattet, durch die Künste
des Maschinisten und Decorateurs geziert, mit den unerläss-
lichen Zuthaten von Musik und Ballet versehen, aber zugleich
von rohen Händen der Art verunstaltet, dass Miranda eine
Schwester erhielt, mit der sie unter der Maske der Unschuld
die schlüpfrigsten Zwiegespräche führen konnte, und dass dem
Mädchen, welches niemals einen Mann gesehn hatte, ein Jüng-
ling gegenübertrat, der naiv genug war, nicht zu wissen, was
ein weibliches W^esen sei. Mächtiger indessen als die grossen
Muster des eigenen Volkes wirkten fremde Vorbilder auf die
Dichter des Tages ein. Fand das spanische Theater nach
wie vor begeisterte Nachahmer, so war der Einfluss der dra-
matischen Autoren Frankreichs noch bei weitem grösser. Die
Hauptstadt Frankreichs war eine Zeit lang der Mittelpunkt
der royalistischen Emigration gewesen. Französische Sprache,
französische Sitte waren mit der Rückkehr des Königthums in
die höheren Schichten der Gesellschaft eingedrungen. Für
viele ihrer Glieder waren das Ideal eines Staates der Staat
Ludwig's XIV., das Ideal eines Hofes der Hof von Versailles,
das Ideal der Dichtkunst ein Roman von Mademoiselle de
Scudöry oder ein Drama von Pierre Corneille. In den Er-
zeugnissen der gleichzeitigen Poesie des Nachbarlandes fanden
sich der Stoff und die Form , welche der vornehmen Welt
allein als klassisch erschienen : die Anhäufung abenteuer-
3*
36 Heroische Schauspiele.
lieber Zufälle, die Darstellung überspannter Gefüble in den
Scbrajiken akademischer Vorscbrift und in der Spracbe ab-
gemessener Etikette. Die Dramatiker der Restauration kamen
den Wünschen ihrer Gönner nur entgegen, wenn sie sich be-
mühten, die Liebe, die Grossmuth, die Kühnheit, die Eifer-
sucht christlicher und heidnischer, moderner und antiker,
afrikanischer und asiatischer Grossen beiderlei Geschlechts
in volltönenden Reimen auszudrücken. Aber sie theilten das
Schicksal fast aller Nachahmer: der Form ihrer Vorbilder
Gewalt anzuthun und den Geist ihrer Vorbilder nicht in sei-
ner Tiefe zu erfassen. Ihre erzwungenen Reimpaare können
sich den flüssigen Alexandrinern ebenso wenig vergleichen wie
ihre marionettenhaften Helden und Heldinnen den stolzen Ge-
stalten der grossen Franzosen. „Wie diese besingen sie he-
roische Tapferkeit und heroische Liebe, aber ungleich diesen
haben sie wenig daran gedacht, die eine mit höfischer Würde
zu umkleiden und die andere in ihrer Zartheit und Reinheit
zu schildern. Sie erniedrigen die Leidenschaft, und um ihren
Bildern mehr Kraft zu verleihen, nehmen sie ihre Zuflucht
zum Bombast" (^)- Und so entstanden jene „heroischen Schau-
spiele", in denen, mit Walter Scott zu reden, jeder König
nach angestammtem Recht ein Held war, jedes Frauenzimmer
eine Göttin, jeder Tyrann eine feuerschnaubende Chimära,
jeder Soldat ein unwiderstehlicher Amadis. So kam es zu
jenen Missbildungen der tragischen Muse, in denen verkün-
stelte Begrifi'e ritterlicher Ehre und Galanterie das natürliche
Gefühl, und ein hohles Pathos die Sprache des Herzens er-
setzen sollten. Für lange Zeit beherrschte diese Manier die
englische Bühne, bis ihr Buckingham's berühmte Satire „die
Probe" drei Jahre vor Milton's Ende den Todesstoss versetzte.
Wie mächtig auch Männer, wie Davenant, Crowne, der
Graf von Orrery u. a., nach dieser Richtung hin gewirkt haben,
zum höchsten iVnsehn verhalf ihr die Autorität John Dryden's.
Man thäte ihm Unrecht, wenn man ihn mit demselben Mass-
stab messen wollte wie die übrigen Dichter der Restaura-
tionszeit. Die Vielseitigkeit seines Talents, der Reichthum
seiner Einbildungskraft, die Geschmeidigkeit seiner Rede in
Joliii Drydea. 37
Vers und Prosa würden ihn allein schon über ihre Reihe hin-
ausheben, selbst wenn der Sinn für Kritik nicht dermassen
in ihm ausgebildet gewesen wäre, dass ihm alsbald die grosse
Ueberlegenheit der heimischen über die fremden Muster zum
Bewusstsein kam, und dass es ihn keine Mühe kostete, in
einer späteren Zeit Irrthümer einzugestehn , zu deren Ver-
breitung sein Beispiel und seine Lehre nicht am wenigsten bei-
getragen hatten. Aber mit allen seinen Stärken und Schwächen
wurzelte er in dem Zeitalter der Restauration und konnte
als der vornehmste Vertreter ihrer schöngeistigen Bestrebun-
gen gelten. Mit derselben Geschicklichkeit wie Edmund
Waller machte er seine Muse zur Anbeterin des Erfolges.
Er hatte einst das Andenken Oliver CromweH's besungen. Er
wurde nun der poeta laureatus Karl's IL Milton lebte un-
beachtet in dunkler Zurückgezogenheit, Dryden sonnte sich
in der Gunst des Hofes. Vor diesem ästhetischen Tribunal
bestanden die servilen Schmeicheleien, die schwülstigen De-
klamationen, die frivolen Zweideutigkeiten, welche so viele der
werthvollsten Schöpfungen Dryden's entstellen. Und doch hat
vielleicht niemals ein puritanischer Schriftsteller schärfer über
die poetischen Sünden der Restaurationszeit geurtheilt als
derjenige, den sie ihren ersten Dichter nannte. „Wir haben —
ruft Dryden bei einem Rückblick auf die Vergangenheit kla-
gend aus — die himmlische Gabe der Poesie profanirt. Wir
haben die Muse zur feilen Dirne gemacht und zum Dienst
der Unzucht erniedrigt . . Oh, wir Elenden, was können wir
sagen, um diesen unseren zweiten Sündenfall zu entschul-
digen?"(').
Wenn im Leben der höheren Gesellschaftskreise ein Rück-
schlag gegen den Puritanismus erfolgte, wenn die schöne Lite-
ratur sich auf mannichfache Weise in Widerspruch mit dem
puritanischen Geiste setzte , der im englischen Bürgerthum
unausrottbare Wurzeln geschlagen hatte, so erlitt er auf einem
anderen Gebiete, das er als seine eigentliche Domäne betrach-
tete, gleichfalls eine Niederlage nach der anderen. Die an-
38 Reaktion in der Kirche.
gestrebte Reform der Kirche wurde abgelöst durch eine un-
barmherzige Reaktion. Die puritanische Umwälzung hatte
den Bau des Anglikanismus von Grund aus zu zerstören ge-
sucht. Die Verfassung der bischöflichen Kirche war vernichtet,
ihre höchsten Würdenträger hatten mit ihrer geistlichen Ge-
walt ihre politischen Vorrechte eingebüsst, ihre ehemals ge-
fürchteten Tribunale verhassten Angedenkens waren aufgehoben.
Der Familienvater, der sich in seinen vier Wänden der über-
kommenen Formeln des Common-Prayer-Book bediente, hatte
sich schwerer Strafe ausgesetzt. Gegen Orgeln, Bilder und
bunte Fenster in den Kirchen war von den Helden von Mar-
ston-Moor und Worcester ein unerbittlicher Krieg geführt
worden. Alte Festtage, deren blosser Name theuere Erinne-
rungen weckte, waren in Wegfall gekommen. An Gebet und
Fasten war Ueberfluss gewesen, aber die grünen Maibäume
waren umgerissen und die lustigen Kirchweihen hatten auf-
gehört. . Auch auf diesem Gebiete hatte der Eifer der Neuerer
neben drückenden Härten und ISIissbräuchen eine Reihe von
harmlosen Gewohnheiten und Formen zu beseitigen gesucht,
die zu enge mit dem allgemeinen Volksbewusstsein verwach-
sen waren, als dass ein einfaches Dekret die von den Vätern
ererbten Gewohnheiten hätte vergessen lassen können.
Bei dem Versuche eines kirchlichen Neubaues waren die
verschiedenen Richtungen des Puritanistnus auseinanderge-
gangen. Der Presbyterianismus hatte dem äusseren Anscheine
nach den Sieg gewonnen. Die Presbyterialverfassung war in
aller Form als die der nationalen Kirche eingeführt worden,
und die durchgreifenden Personalveränderungen in den Pfar-
reien wie in den Universitäten waren in erster Linie den
Verehrern des schottischen Ideals zu gute gekommen. Aber
die Presbyterialverfassung war auf englischem Boden immer
ein fremdes Gewächs geblieben. Sie stand zwar auf dem
Papier, allein sie konnte, von London abgesehen, nur in einem
kleinen Theile des Landes durchgeführt werden. Im Kongre-
gationalisnms , im Anwachsen independentischer Gemeinden
erhob sich eine furchtbare Macht, die den Rahmen der neuen
Kirchen Verfassung beständig durchbrach. Je entschiedenere
Wiederherstellung der bischöflichen Kirche. 39
Siege der Independeiitismus auf politischem Gebiet erfocht,
desto zahlreicher drangen seine Anhänger auch in die er-
ledigten kirchlichen Stellen ein. In beiden Fällen nahm der
Staat, unter dessen Schutz und mit dessen Beihilfe sich die
Umwandlung vollzog, ein Recht der Prüfung und Beaufsich-
tigung in Anspruch. Daneben gewannen aber auch jene Ideen
fortwährend an Boden, die im Gemeinwesen Roger Williams'
in ihrer Reinheit verwirklicht waren, und zu denen sich, trotz
einzelner Unklarheiten, ebenfalls Milton's letzte Schriften be-
kannt hatten. Eine Anzahl von Sekten breitete sich aus, die
dem Grundsatz der Freiwilligkeit in seiner ganzen Strenge
huldigten. Sie verzichteten auf jede Unterstützung des Staa-
tes, aber sie sprachen ihm auch das Recht ab, ihnen das
Dasein zu verwehren oder sie in Dogma, Ritus, Veiiassung
durch obrigkeitliche Vorschriften zu binden.
Der Gegensatz dieser sich einander befehdenden Parteien
beförderte den Sieg der alten Episkopalkirche. Nach der
Rückkehr des Stuart'schen Königsgeschlechts erstand sie aus
den Ruinen und nahm eine unbarmherzige Rache für die Akte
der puritanischen Epoche. Die Presbyterianer, die mit allen
Kräften auf die Restauration hingewirkt hatten, hofften, wenn
nicht auf völlige Anerkennung ihres Systems, so doch auf einen
billigen Vergleich. Die Independenten, Quäker, Baptisten und
andere Sektirer forderten Toleranz. Aber die so lange unter-
drückten Episkopalisten verlangten mit Ungestüm die Wie-
derherstellung jener ausschliesslichen Kirche, für welche Karl I.
den Märtyrertod auf sich genommen haben sollte. Nach ihnen
bestand keine andere kirchliche Form für ihr Vaterland zu
Recht als die bischöfliche, und Abweichungen von deren Ver-
fassung, Ceremonieen und Dogma waren nicht zu dulden.
Die beraubten Prälaten , welche den Sturm der Zeiten über-
lebt hatten, die zahlreichen aus ihren Pfründen vertriebenen
Kleriker traten mit ihren Ansprüchen auf Genugthuung her-
vor. Die Masse der Kavaliere erwartete mit Ungeduld den
Augenblick der Rache für die Uebergriffe der puritanischen
Neuerer. Dem eintiussreichen Lordkanzler erschien das p]pis-
kopalsystem als das vornehmste Bollwerk des Protestantismus.
^Q Wiederherstellung der bischöflichen Kirche.
Der König hätte allerdings den Gang der Reaktion zu hem-
men gewünscht, nicht als ob seine skeptische Natur einer
ernsten Behandlung religiöser Fragen überhaupt geneigt ge-
wesen wäre, sondern weil ihn wichtige Beweggründe anderer
Art leiteten. Er hatte durch seine Deklaration von Breda
Gewissensfreiheit in Aussicht gestellt und versprochen, „dass
niemand wegen der Unterschiede rehgiöser Ansichten, die den
Frieden des Reiches nicht stören, beunruhigt oder zur Ver-
antwortung gezogen werden sollte". Er w^isste, dass die Pres-
byterianer zu schonen waren, solange sie im Konventions-
parlament eine Macht bedeuteten. Endlich war zu hoffen,
dass eine Politik religiöser Duldsamkeit auch den Katholiken
zu gute kommen werde, deren treue Dienste nicht besser
belohnt werden konnten als durch Aufhebung der harten
Strafgesetze, und deren allein selig machende Gemeinschaft den
königlichen Sünder halb und halb zu den ihrigen rechnen
duifte.
Aber schon im ersten Jahre nach der Restauration kam
die Strömung, die der Wiederherstellung der bischöflichen
Verfassung günstig war, immer entschiedener zum Durch-
bruch. Wohl leisteten die Parteigänger des Furitanismus im
Konventionsparlament allen Schritten, die darauf abzielten,
heftigen Widerstand. Indessen die Zahl der Episkopalisten
gewann durch Nachwahlen an Stärke und Kühnheit. Die ehe-
maligen Innehaber von Pfründen durften ihre puritanischen
Nachfolger zum Weichen bringen. Mit ihnen kehrten zur
Freude der einen, zum Abscheu der anderen Chorrock und
Liturgie an die Altäre zurück. In den Universitäten traten
vertriebene Anhänger der bischöflichen Kirche wieder in
ihre Stellen ein, und die alten Formen der Gottesverehrung
suchten auch hier die während der Umwälzung eingeführten
zu verdrängen. Die überlebenden Bischöfe nahmen ihre Amts-
thätigkeit wieder auf, und bald waren die Lücken, welche
während der Revolution in ihre Reihen gerissen waren, aus-
gefüllt. Nicht lange währte es, so sah man auch in Irland
und Schottland das Bisthum wieder hergestellt. Immer un-
gestümer drangen die Klagen und Anklagen von Klerikern,
Vorhaudlungen mit den Presbyterianern. 41
die wegen ihrer loyalen Gesinnungen Jahre lang gelitten hatten,
an den königlichen Thron. Immer häufiger wurden die An-
fechtungen der „Leute von gefährlichen Grundsätzen", die
allen Drohungen zum Trotz religiöse Zusammenkünfte hielten
und sich weigerten, den königlichen Supremat in geistlichen
Dingen anzuerkennen. Ein tollkühnes Unternehmen, wie das
des fanatischen Küfers Thomas Venner, der mit wenigen Mit-
verschworenen das Reich des Königs Karl hatte umstürzen und
das Reich „des Königs Jesu" hatte aufrichten wollen, gab den
Verfolgungen neue Nahrung und schlug tausenden von Un-
schuldigen zum Unheil aus. Die Gefängnisse füllten sich mit
Verdächtigen, die sich vergeblich gegen den ^'orwurf ver-
wahrten, den Männern der „fünften Monarchie)-' anzuhangen.
Friedliche Bürger wurden mit Steinwürfen iasultirt. weil sie
Mitglieder der verhassten Sekten waren. Die Häuser wurden
nach Waffen durchsucht, die Post mit Verletzung des Brief-
geheimnisses streng überwacht.
Inzwischen war der Versuch gemacht worden, ein Ab-
kommen mit den Presbyterianern zu treffen. Mehrere ihrer
vornehmsten Geistlichen waren zu Hofkaplänen ernannt wor-
den, darunter die drei Smectymnianer, Calamy, Spurstow, New-
comen(^). Ihre Namen spielen neben demjenigen des be-
rühmten Richard Baxter eine Hauptrolle in den wichtigen
Verhandlungen, welche eine Aussöhnung zwischen Presbyte-
rianern und Episkopalisten l)ewirken sollten. Alle jene kir-
chengeschichtlichen und kirchenpolitischen Fragen, die in den
ersten prosaischen Schriften Milton's eine so grosse Rolle ge-
spielt hatten, tauchten hier wieder auf. Aber damals so wenig
wie früher war es möglich eine Ausgleichung der Gegensätze
zu erzielen. Indem der König durch die Vorlage einer mass-
vollen Deklaration zwischen ihnen zu vermitteln suchte, hoffte
er eine Klausel einschieben zu können, die allein auf die in-
dependentischen Sekten berechnet zu sein schien, aus der
aber auch die gedrückten Katholiken Nutzen ziehn mochten.
Presbyterianer wie Episkopalisten, gleich unduldsam, wenn es
sich um ihre papistischen Mitbürger handelte, schöpften Arg-
wohn. Die Deklaration musste ohne jenen Zusatz erscheinen.
42 Savoy - Konferenz. Konvokation.
Ohne Zweifel hatte sie eben daher ihren Werth für den König-
verloren. Als es sich darum handelte, ihr Gesetzeskraft zu
geben, wurde die ßill, auf deren Annahme die Presbyterianer
gerechnet hatten, von Seiten des Hofes Preis gegeben und
vom Hause verworfen.
Von Feinden umgeben, ohne auch nur zu einem Theile
gesetzlichen Schutz errungen zu haben, sah sich nunmehr
alles, was während des Interregnums im Gegensatz zur angli-
kanischen Kirche emporgekommen war, dem Sturme ausge-
setzt, dessen Losbrach nach dem Zusammentritt des neuen
Parlaments zu erwarten war. In dieser Versammlung war
der Puritanismus nur in sehr ungenügender Weise veitreten.
Der Einfluss der Krone, der Eifer des Adels und die Thätig-
keit des bischöflichen Klerus verhalfen vielen der alten Ka-
valiere zum Siege, und die Männer, die unter dem Banner
Karl's I gefochten oder für seine Sache geduldet hatten, waren
entschlossen , durch die Erneuerung kirchlicher Uniformität
im alten Sinne eine unbarmherzige Vergeltung zu üben. Xoch
eben hatten sich in dem Savoy -Palast am Strand in Folge
königlichen Auftrags Episkopalisten und Presbyterianer zu
neuen Ausgleichsverhandlungen zusammengefunden. Allein
auch hier zeigte sich die ünversöhnlichkeit der beiden An-
schauungen. Der schriftlich und mündlich geführte Kampf
diente nur dazu, sie zu verschärfen. Die kirchliche Konvo-
kation, welche gleichzeitig mit dem Parlament seit 1640 zum
ersten Male wieder tagte, machte alle Hoffnungen zu Schan-
den, die etwa noch in puritanischen Kreisen geherrscht hatten.
Die Beschlüsse des Parlaments beschleunigten einer nach
dem anderen den Lauf der Reaktion. Man wandte sich zunächst
gegen jene Urkunde, die so lange als das Panier der purita-
nischen Partei gegolten hatte. Liga und Covenant, worauf
einst Alt und Jung einen feierlichen Eid geleistet hatten,
wurde an drei Plätzen in London durch Henkershand ver-
brannt, und das Schauspiel, das die Hauptstadt gegeben hatte,
ward hier und dort im Lande unter festlicliem Gepränge nach-
geahmt. Demnächst war es von unermesslicher Bedeutung,
dass die Prälaten ihre weltlichen Gerechtsame zurückerhielten.
Korporatiousakte. Unifoimitätsakte. 43
Am 20. November 1661 sah man sie zum ersten Mal seit
zwanzig Jahren in ihren rothen Gewiindern als Pairs des
Reiches ihre alten Sitze einnehmen. Einige Wochen später
bestätigte der König eine Akte, welche darauf abzielte, die
Puritaner aus den Gemeindeverwaltungen, woselbst sie ihre
Stärke hatten, zu vertreiben. Alle Mitglieder städtischer
Korporationen hatten , abgesehen vom Suprematseid , die Un-
gesetzlichkeit von Liga und Covenant wie des Tragens von
Waffen gegen den König zu beschwören. Niemand sollte in
Zukunft für ein Gemeindeamt wählbar sein, der nicht binnen
des Jahres vorher das Abendmahl nach anglikanischem Ritus
empfangen hatte. Die Korporationsakte verdrängte die An-
hänger des Puritanismus aus den wichtigsten ihrer Stellungen
im Staate. Die Uniformitätsakte schnitt ihnen die Möglich-
keit des Verbleibens in der Kirche ab. Von allen Schlägen,
die gegen die besiegte Partei geführt wurden, traf keiner so
schwer wie dieser. Das Common-Prayer-Book , in der revi-
dirten Form, wie es aus den Berathuugen der Konvokation
hervorgegangen war, mit allen seinen rituellen Vorschriften
war das allein giltige gottesdienstliche Muster, und jeder Pfarrer,
Vikar oder sonst mit kirchlichen Einkünften bedachte Geist-
liche hatte vor seiner Gemeinde zu erklären, dass er den
ganzen Inhalt des Buches „billige" und mit ihm ., überein-
stimme". Von nun an sollte niemand, nicht nur zum Genuss
einer kirchlichen Pfründe, sondern zur Ausübung der Seel-
sorge zugelassen werden, der nicht die bischöfliche Ordination
oder Licenz erhalten hätte. Der gesammte Klerus, die Inne-
haber von Universitätsämtern, Schulmeister und selbst Pri-
vatlehrer hatten bei Strafe des Verlustes ihrer Einkünfte oder
bei Strafe von Gefängnishaft durch ihre Namensunterschrift
eine Erklärung auszustellen, die ihre Billigung der vorge-
schriebenen Liturgie verbürgte und den (jesinnungen der
Loyalität einen noch schärferen Ausdruck gab, als in dem Eide
der Gemeindebeamten vorgesehn worden war.
So Hess man sich dazu fortreissen, die bitteren Erfahrungen
eines Jahrhunderts zu missachten. Die kirchliche Gesetzgebung
Elisabetir.s, wurzelnd in einem Zeitalter, in welchem die reli-
44 Der Bartholomäustag 1662.
giösen Gegensätze Europa in z^yei feindliche Lager spalteten,
hatte einst durch staatlichen Zwang etwas Dauerndes zu schaffen
gesucht, und das Werk war misslungen. Nichtsdestoniinder gieng
man auf das Vorbild dieser Gesetzgebung zurück, ohne sich dar-
ü1)er Rechenschaft zu geben, um wie viel schwerer jener Zwang
in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts sich fühl-
bar machen werde als in der zweiten Hälfte des sechzehnten.
Der 24. August 1662, der Bartholomäustag, war der Ter-
min, bis zu welchem Unterwerfung unter die neue Uniformitäts-
akte gefordert wurde. Es war ein Tag der Trauer für den
Puritanisuius , dessen sämmtliche Glieder fortan wieder ein
Loos theilten : zu dulden , wo Widerstand unmöglich war.
Wie mancher hatte den harten Kampf in sich auszufechten,
ob er zum Heuchler oder zum Märtyrer werden sollte. WMe
schwer wurde den meisten der Abschied von dem gewohnten
Heim und der trauernden Gemeinde, wie ungewiss war die
Zukunft so vieler Familien! Aber in dieser Krisis zeigte der
Puritanismus aufs neue seine moralische Stärke, und mancher
garstige Makel, der seine Erscheinung in den Tagen des
Glücks befleckt hatte, verwischte sich in den Tagen der Noth.
Die Zahl der Verjagten kann nicht festgestellt werden.
Es ist ohne Zweifel eine übertriebene Annahme, dass ihrer
über zweitausend waren, aber in die Hunderte belief sich die
Masse der Ausgestossenen sicherlich ('). Auch von Milton's
alten Bekannten wurden nicht wenige, darunter die drei über-
lebenden Verfasser des Smectymnuus, durch den Racheakt
der Restauration betroffen.
Der König war noch immer gewillt, die Härten der Ge-
setzgebung zu mildern, nicht so sehr um das Schicksal der
Konkonformisten zu erleichtern , als vielmehr aus Theilnahme
mit der traurigen Lage der Katholiken. Gegen Ende dessel-
ben Jahres, in welchem die Uniformitätsakte in Kraft getreten
war, erliess er eine Deklaration, in der er sich gegen den
Vorwurf vertheidigte , ein Beförderer des Papismus zu sein,
zugleich aber seine Absicht kundgab , zu Gunsten religiöser
Toleranz von bestehenden Gesetzen zu dispensiren. Es war
ein erster Versuch, jener verhängnisvollen Theorie Geltung
Indulgenzerklärung des Königs. 45
ZU verschafifen , welche mehr als alles sonst das Misstrauen
des Parlamentes weckte und für Jahrzehnte seine Vertheidi-
gung verfassungsmässiger Rechte mit den Forderungen der
Toleranz in einen unheilvollen "Widerspruch setzte. Auch
wurde die Bill, die auf Grund jener Indulgenzerklärung den
Häusern vorgelegt ward, mit Entschiedenheit zunickgewiesen.
Ihre Wirkung war nur gewesen, den alten Hass gegen die Mit-
glieder ^ler katholischen Kirche aufzureizen und die Verfol-
gungen, denen sie ausgesetzt waren, zu verschärfen. Inzwi-
schen wurde von Tag zu Tage klarer, dass die Uniformitäts-
akte ihren Zweck nicht erreichte. Trotz der angedrohten
Strafen, trotz des Eifers bezahlter Spione und der Wachsam-
keit misstrauischer Behörden dauerten die religiösen Zusam-
menkünfte der Nonkonformisten jeder Schattirung fort. Wohl
wurden nicht wenige, wie einst die Pilgerväter, dazu getrie-
ben, nach den Kolonieen jenseits des Oceans auszuwandern,
wo man der hochkirchlichen Unduldsamkeit zu entfliehen
hoffte, die in dem Mutterlande ihre Triumphe feierte. Aber
tausende blieben zurück, die den Kampf mit den heimischen
Gewalten aufnahmen. Ihre Häuser wurden überwacht, ihre
Konventikel zersprengt. Viele wurden beschuldigt, Aufstände
vorzubereiten, und die Gefängnisse wurden nicht leer von ver-
folgten Sektirern. Allein die Gefahren, die ihren gottesdienst-
lichen Vereinigungen drohten, steigerten ihre Standhaftigkeit
und ihre A'orsicht. Wo sie nicht wagen konnten , bei Licht
zusammenzukommen, stärkten sie sich durch Gebet und Pre-
digt im Dunkeln. Noch lange nachher bezeichnete die Ueber-
lieferung des Volkes in den Wäldern bei Norwich, Hitchin
und Duckinfield die Plätze, wo der geächtete Geistliche unter
den Wipfeln ehrwürdiger Eichen und unter dem Dach des
Himmels eine kleine Gemeinde getreuer Anhänger um sich
geschaart hatte.
Die Konventikelakte vom ]Mai 1664 sollte unmöglich machen,
was durch die Uniformitätsakte nicht hatte vei-hindert werden
können. Hatte diese in erster Linie den Geistlichen gegolten,
so war das neue Gesetz auf die ketzerischen Laien gemünzt.
Sobald über fünf Personen von mehr als sechzehn Jahren sich
46 Kouventikelakte. Fimfmeilenakte.
bei religiösen Zusammenkünften betreffen Hessen, die von den
vorgeschriebenen Formen abwichen, verfielen sie in Strafe.
Auf das erste I\Ial stand Gefängnis bis zu drei Monaten
oder eine Busse von 5 £. Im Wiederholungsfall trat eine
Steigerung auf 10 £ oder Gefängnis bis zu sechs Monaten
ein. Nach dreimaliger Verletzung der Akte erfolgte Ver-
urtheilung auf Zahlung von 100 ^ oder Deportation auf sieben
Jahre. Wer vor der Deportation einen Fluchtversuch machte,
war des Todes schuldig. Die Kouventikelakte hatte nur eine
vorläufige Wirksamkeit auf drei Jahre, aber dieser Zeitraum
war lang genug, um zahllose neue Opfer der kirchlichen Ty-
rannei zu fordern. Bald reichten die Räume der Gefängnisse
nicht mehr aus, bis ansteckende Krankheiten hier und da die
Masse der zusammengepressten Sträflinge lichteten. — Aber
noch waren die Mittel des antipuritanischen Zelotismus nicht
erschöpft. Den Schluss- Stein seines Systems bildete die Akte
des Jahres 1665, nach der es den nonkonformistisehen Geist-
liehen bei schwerer Strafe verboten wurde, im Bezirk der näch-
sten fünf Meilen in der Umgebung eines parlamentarischen Wahl-
fleckens oder irgend eines Ortes, in dem sie seit Erlass der In-
demnitätsakte Seelsorge geübt hatten, sich dauernd aufzuhalten.
Die ganze Stufenleiter, die sich erdenken Hess, war von
der reaktionären Gesetzgebung durchlaufen worden. „Die
Uniformitätsakte hatte die nonkonformistischen Geistlichen
von den Kanzeln der Pfarrkirchen verbannt. Die Kouven-
tikelakte hatte die Kongregationen zersprengt, welche diese
Geistlichen seit dem Bartholomäustage heimlich um sich ge-
sammelt hatten. Die Fünfmeilenakte trieb sie in die Verban-
nung und überlieferte sie vielleicht dem Hungertode" (^).
In dem allgemeinen Zusammenhang der Dinge erlitt denn
auch die auswärtige Politik des englischen Reiches eine gründ-
liehe Aenderung, welche gleichfalls als eine Wendung gegen
die Tendenzen des Puritanismus zu betrachten war. Sie hatte
unter der Einwirkung puritanischer Ideen gewissermassen einen
religiösen Charakter erhalten. Den Einfluss Englands auf
dem Festland zu stärken, um unter englischer Führung die
Gesammtinteressen der reformirten Welt zu fördei-n, galt als
Auswärtige Politik. • 47
ein Ziel , für dessen Erreichung alle Kräfte anzuspannen
wären. Allerdings war es unerlässlich gewesen, hei der
Einmischung in die Angelegenheiten des Kontinents ein Ein-
verständnis mit Frankreich zu suchen. Aber eine Verbindung
mit dieser Macht sollte keine Unterordnung unter sie bedeu-
ten, und die Erwerbung Dünkirchens schien dafür zu bürgen,
dass die französische Eroberungslust an dem festen Willen
des englischen Bundesgenossen eine Grenze finde. Karl II.
schlug andere Bahnen ein. Von einer Erweckung des prote-
stantischen Gemeingefühls durch England war nicht mehr die
Rede. Von Eingriffen in die politischen Verwicklungen des
Festlandes wurde für lange Zeit Abstand genommen. Der
Bundesgenosse Frankreichs verwandelte sich in seinen Va-
sallen, und Dünkirchen, die Eroberung Oliver CromwelFs.
wurde für gutes französisches Gold an Ludwig XIV. ver-
handelt.
Wohin man sah: die Reaktion gegen den Puritanismus
ergrift" alle Gel)iete, die gesellschaftlichen Gewohnheiten, die
schöne Literatur, das kirchliche Leben, die auswärtige Politik.
Und doch war die geistige Macht des Puritanismus nicht er-
storben. In eben dieser Zeit setzte ihm sein nmthigster Wort-
führer ein unvergängliches Denkmal. Sieben Jahre nach der
Rückkehr der Stuarts erschien das verlorene Paradies.
Drittes Kapitel.
Das verlorene Paradies.
In seiner Jugend, als das Leben noch wie eine Land-
schaft im Glanz der Morgensonne vor ihm lag, hatte der
Dichter sich gleichsam durch sein Ehrenwort gebunden, die
Welt mit einem erhabenen Werke seiner Muse zu beschenken.
Aus den „wenigen Jahren", die er als „Frist zur Entrichtung
jener Schuld'^ erbeten hatte, war fast ein Menschenalter ge-
worden, und der Abend warf lange Schatten auf seinen Weg.
Aber niemals hatte Milton jenes stolzen Gelöbnisses vergessen.
Auch über den Gegenstand und die Art seiner Behandlung
war er seit Jahren zu voller Klarheit gelangt. Wir wissen,
wie tief ihn früher der Gedanke ergriffen hatte, ein Stück
aus der vaterländischen Sage oder Geschichte für ein grosses
Heldengedicht auszuwählen. Noch war er zu keinem festen
Entschluss gekommen, als sich ihm in der Bibel ein nicht
weniger reiches Feld dichterischer Vorwürfe darzubieten schien.
Und schon damals hatte von diesen letzten einer vor allen
seine Aufmerksamkeit gefesselt. Nicht weniger als vier jener
dramatischen Skizzen aus der Jugendzeit sind ihm gewidmet,
lieber einem von ihnen findet sich ausdrücklich als Titel
„Das verlorene Paradies". Sucht man nach weiteren Spuren
einer Beschäftigung mit diesem Thema , so wird man sie an
zahlreichen Stellen der prosaischen Schriften unschwer be-
merken (i). Aber es dauerte lange, bis der Dichter, inmitten
Frühe Beschäftigung mit dem Gegenstande. 49
der Anforderungen des täglichen Lebens, „seine Lippen von
dem heiligen Feuer berührt fühlte", bis es ihm gelang die
schwankenden Gestalten festzuhalten, und auch so vergieng
manches Jahr vom ersten Ansetzen bis zum Niederlegen der Feder.
Edward Phillips erinnert sich, dass die Phantasie seines
Oheims sich „ernstlich und vornehmlich mit dem verlorenen
Paradiese beschäftigte", als er in dem Hause von Petty
France wohnte. Aubrey verlegt mit Bezug auf denselben
Gewährsmann den Anfang der Abfassung auf „ungefähr
zwei Jahre, ehe der König zurückkam", das Ende auf
„ungefähr drei Jahre nach der Restauration". Das schliesst
nicht aus, dass dieses und jenes Bruchstück schon früher vor-
handen war. Derselbe Phillips, und er nicht allein, will
mehrere Jahre, (nach Aubrey „fünfzehn oder sechszehn") ehe
die Ausarbeitung des Gedichtes begann, einige Verse gesehn
haben, die ihm damals noch als Einleitung zu einem Drama
bezeichnet wurden. Es ist jene grandiose Ansprache Satan's
an die Sonne, die man im Anfange des vierten Buches findet.
Sie würde in der That die Exposition eines in antikem
Geiste gedachten Bühnenstückes höchst würdig eröffnet haben.
Allein so bedeutungsvoll für den Aufbau des Gedichtes es
auch blieb, dass seinem Stoffe ursprünglich die Form des
Dramas bestimmt gewesen war, so Hess doch ein richtiger Takt
Milton zu dem alten Lieblingsgedanken eines Epos zurückkehren.
In diesem konnte er weit eher hoffen jenem poetischen Ideale
nahe zu kommen, das er einst mit einer beinahe religiösen
Inbrunst gepriesen hatte.
Alles in allem währte die Zeit, in der das Werk ernst-
lich in Angriff genommen und zum Abschluss gebracht wurde,
fünf bis sechs Jahre. An eine ununterbrochene Arbeit in
diesem Zeiträume ist aber nicht zu denken. In seinen Anfang
fallen noch diejenigen prosaischen Schriften, durch welche
Milton die sinkende Republik zu vertheidigen suchte. Die
Rückkehr des Königthums und die Gefahren, die sich mit
ihm einstellten, störten seine Müsse auf's neue. Erst als er
sich einigermassen geborgen und vergessen wusste, konnte er
das Begonnene in Ruhe zu Ende führen.
Stern, Milton n. s. Z. II. 4. 4
50 Zeit der Abfassung.
Von den angegebenen Unterbrechungen abgesehn, war
indess noch eine Eigenthümlichkeit seiner Muse dem stetigen
Fortsehritt der Produktion hinderlich. Milton gehörte nicht
zu den glücklichen Geistern, die, fortgerissen durch einen
rastlosen inneren Drang, ohne, Rücksicht auf äusserliche Um-
stände den einmal gefassten künstlerischen Gedanken wie in
einem Guss ausgestalten. Es gab Monate, in denen er so
gut wie gar nichts vor sich brachte. Sein Neffe versichert,
dass ihm von Anfang an bei seinen Besuchen das Gedicht,
wie es allmähüch entstand und wuchs, mitgetheilt worden sei,
je nachdem zehn, zwanzig, dreissig Verse. Der Dichter musste
sie so lange im Kopfe behalten, „bis jemand zur Hand war",
der sie niederschreiben konnte. Eines Tages — es war beim
Herannahen des Sommers — frug Phillips den Oheim, warum
er so lange nichts von dem Gedichte zu sehn bekommen habe.
Milton erwiderte ihm, „dass seine poetische Ader nur von
der Herbst- bis zur Frühlings-Nachtgleiche glücklich fliesse.
Nichts falle zu seiner Befriedigung aus, was er ausserdem
versuche, wie sehr er seine Phantasie auch anstrenge". Auch
Milton's Frau Elisabeth bestätigt dies. „Ihr Mann — er-
zählte sie später — pflegte besonders im Winter zu dichten
und diktirte ihr, wenn er Morgens erwacht war, mitunter
zwanzig, dreissig Verse". Es wäre nicht zu verwundern,
wenn bei dieser langsamen und unbehilflichen Art der
Komposition die erste Handschrift des verlorenen Paradieses
ein sehr unordentliches Ansehn gewonnen hätte. Aus-
streichungen, Zusätze, Veränderungen bis herab zur Recht-
schreibung und Interpunktion nach der Anweisung des Blinden
waren unvermeidlich. Selbst als das Werk vollendet war,
mag noch längere Zeit darüber verstrichen sein, bis es in
einem reinlichen Manuskript diesem und jenem Freunde vor-
gelegt werden konnte (^). Mit der Veröffentlichung wurde selbst
dann noch, aus welchem Grunde auch immer, zurückgehalten.
Eine erste verlässliche Angabe über das Dasein des Ge-
dichtes stammt aus dem Jahre 1665. Dieses Jahr war für die
Stadt London von verhängnisvoller Bedeutung. Seit kurzem
war der Krieg zwischen England und Holland, den Cromwell
Die Pest 1665. — iMilton iu Chalfont. 51
einst zu einem glücklichen Ende gebracht hatte, mit erneuter
Gewalt wieder ausgebrochen. Mit Spannung lauschte die
englische Hauptstadt den Siegesnachrichten, die von der Flotte
anlangten, aber der Jubel über die Erfolge, deren man sich
rühmen konnte, gieng unter in den angstvollen Klagen, die
sich am eigenen Heerde erhoben. Die Pest, die während
Milton's Jugend mehr als ein Mal gewüthet hatte, trat da-
mals mit einer Gew^alt auf, welche alles früher Erlebte hinter
sich Hess. Es gab Wochen, in denen die Todtenlisten an
10000 Opfer zählten, und man rechnete, dass im ganzen gegen
100000 Menschen der furchtbaren Krankheit erlagen. Ihret-
wegen kam im Herbst das Parlament nicht in London sondern
in Oxford zusammen. Eine allgemeine Panik ergriif die Be-
völkerung. Wer dazu im Stande war, suchte das Weite.
Die Nachbarschaft von Milton's Wohnung musste als besonders
gefährdet erscheinen. Damals begann man die Felder von
Bunhill als einen öffentlichen Begräbnisplatz zu benutzen und
die Opfer der Krankheit haufenweise in ihnen zu betten (^).
Milton hielt es für rathsam, der verpesteten Luft der
Hauptstadt für einige Zeit zu entfliehen und sich auf dem
Lande einzumietheu. Er \yandte sich zu dem Ende an jenen
jungen Quäker Thomas Ellwood, der zu seinen gelehrigsten
Schülern gehört hatte und damals im Hause der Familie
Pennington lebte. Es war die Zeit, da die Sekte durch die
neuen Strafgesetze am schwersten betroffen wurde. Ellwood
selbst w-ard am 1. Juli 1665 mit mehreren Genossen, im Be-
griff einem der Freunde das letzte Geleit zu geben, auf Be-
fehl eines Friedensrichters verhaftet und in das Gefängnis von
Aylesbury abgeführt. Indess noch vorher hatte er für Milton
ein „hübsches Häuschen" miethen können, etwa eine englische
Meile von der Wohnung der Penningtons entfernt, in Chal-
font St. Giles. Als Milton mit seiner Familie vor der furcht-
baren Krankheit in diesem ländlichen Asyl Zuflucht suchte.
Sassen Pennington und Ellwood noch in Haft. Ueber einen
Monat wurden sie festgehalten. Nicht sobald waren sie in
Freiheit gesetzt, als Ellwood seinen alten Lehrer aufsuchte.
Er war es dann, der damals, als einer der ersten, von dem
4*
52 Milton in Chalfont. — Ellwood liest das Gedicht.
Kunstwerk Kenntnis nahm, das nach ihm tausende zur Be-
wunderung hingerissen hat. „Nachdem wir uns eine Zeit
lang unterhalten hatten — so schildert Ellwood jenen Besuch
bei Milton — Hess er ein Manuskript herbeiholen. Er über-
gab QS mir und gestattete mir, es mit mir zu nehmen und in
Müsse durchzulesen, damit ich ihm bei der Rückgabe mein
Urtheil sagen könnte. Als ich nach Hause kam und zu lesen
begann, fand ich, dass es jenes herrliche Gedicht sei, welches
er das verlorene Paradies betitelt hatte. Ich las es mit
grösster Aufmerksamkeit durch und gab ihm bei meinem
nächsten Besuche mit bestem Dank für die Gunst, die er mir
durch die Mittheilung erzeigt hatte, sein Buch zurück. Er
frug mich, wie es mir gefiele und was ich davon hielte, und
ich sprach mich mit Bescheidenheit aber Freimuth darüber aus".
Es ist schwer denkbar, dass das Gedicht, mit dem sich
Ellwood vertraut machen durfte, seinen Gönnern, den Penning-
tons, unbekannt hätte bleiben, dass der Dichter selbst nicht
auch dieser Familie, mit der ihn so manches geistige Band
verknüpfte, sehr nahe hätte treten sollen. Und so mag man
sich sein Still -Leben im reizendsten Lichte ausmalen. Er
selbst im Gefühle der Befriedigung über ein lange vorbereitetes,
endlich zum Abschluss gebrachtes Werk, in seiner unmittel-
baren Nähe ein junger Freund, der mit Begeisterung an seinen
Lippen hieng, ausser ihm jene religiös gestimmte Genossen-
schaft charakterfester Männer und anmuthiger Frauen, deren
Gesinnung und Schicksale ihn zur Theilnahme aufforderten,
ein Kreis, dem bald nachher die Verbindung mit William
Penn eine noch höhere Bedeutung gab. Der kleine Fleck
englischer Erde, auf dem sich diese Persönlichkeiten zusammen-
fanden, ist durch die Erinnerung an jene Tage gleichsam für
immer geheiligt worden. Freilich bheb der Genuss dieses
vertraulichen Daseins nicht lange ungetrübt. Die Pest forderte
auch in Chalfont ihre Opfer. Isaac Pennington wurde schon
einen Monat nach seiner Rückkehr wieder gefänglich ein-
gezogen. Dreiviertel Jahre lang lag er im Kerker von
Aylesbury, wo gleichfalls die Krankheit wüthete. Seine
Familie wurde aus dem Hause vertrieben, seine Frau mit den
Ellwood und Peuuiugtoa verhaftet. — Brand von London 1666. 53
jüngeren Kindern beiiab sich zu dem Gefangenen, bis sie in
einer kleinen Farm in Chalfont ein Obdach gefunden hatte.
Dorthin kehrte auch ihre Tochter Guli zurück, die nach
Bristol zu Bekannten geflüchtet war, von Ellwood geleitet.
Dieser selbst blieb nur kurze Zeit im Besitz seiner Freiheit.
Derselbe Friedensrichter, der erst kurz zuvor so entschieden
gegen die Quäker dieser Gegend aufgetreten war, löste eine
jener Versammlungen auf, bei der sich Ellwood eingefunden
hatte, und nahm ihn mit einigen anderen im März 1666 ge-
fangen.
- Milton hat einen Theil dieser Verfolgungen seiner Freunde
noch an Ort und Stelle erlebt. Alle die Fragen, die er so
oft durchdacht, für die er so oft die Feder ergriffen hatte,
traten ihm hier, da es sich um den Kampf des Staates mit
einer neuen religiösen Gemeinschaft handelte, noch einmal
lebendig entgegen. Hätte er irgend einer Bestärkung seiner
früheren freien Ansichten bedurft, die Erfahrungen, die er
damals machte, hätten sie ihm gewährt. Es bleibt ungewiss,
wie lange er in Chalfont verweilte. Nach Ellwood's Zeugnis
kehrte er erst dann nach London zurück, „als die Krankheit
vorüber, die Stadt gereinigt und wieder sicher bewohnbar
war''(^). Sein Aufenthalt in Chalfont könnte daher noch den
Winter über gedauert und sich bis in's Jahr 1665 hineiu-
erstreckt haben. Jedenfalls hat er das neue grössere Unheil,
von dem London in diesem „annus mirabilis" betroffen wurde,
daselbst durchmachen müssen.
Es war der grosse Brand, der am 2. September in
Pudding-Lane, einem der bevölkertsten Quartiere, ausbrach,
mit rasender Schnelligkeit die Holzhäuser und Magazine der
Nachbarschaft ergriff und durch einen starken Ostwind als-
bald über die engen und winkeligen Strassen verbreitet wurde.
Die Unschlüssigkeit des Lordmayor , der es nicht über sich «
gewinnen konnte rechtzeitig eine Anzahl von Häusern nieder-
reissen zu lassen, und die Verzweiflung der Bürger, die nur
auf Rettung ihres Lebens und ihrer Habe bedacht waren,
gestatteten dem rasenden Element immer weiter um sich zu
greifen. Fünf Tage und fünf Nächte lang glich die City einem
54 Brand von London 1666. — Englisch-niederländischer Krieg.
gewaltigen Flammenmeer. Die Thürme'der Kirchen, unter ihnen
derjenige der Kathedrale von St. Paul, stürzten zertrümmert
in die Gluthen. Die Themse, bedeckt mit Schiften und Booten,
wurde durch einen sprühenden Funkenregen überschüttet.
Meilenweit sah man die dichtgeballte schwarze Rauchwolke,
die über der zerstörten Hauptstadt lagerte. Ein blinder Arg-
wohn, der Fremde und Katholiken als Brandstifter bezeichnete,
trug dazu bei, die Aufregung der Masse zu steigern, die
obdachlos und zusammengewürfelt auf den Feldern kampirte.
Als man dazu kam, den Schaden zu überschlagen, fand sich,
dass der ungeheure Halbkreis vom Tempel über Cripplegate
bis gegen den Tower hin, mehr als 13000 Häuser, 89 Kirchen
und die meisten der übrigen öff'entlichen Gebäude, einem
einzigen Schutthaufen glich. An Eigenthum waren gegen eilf
Millionen '£. zu Grunde gegangen, während man glücklich
genug war nur wenig Menschenleben beklagen zu müssen.
Auch die Strasse, in der Milton das Licht der Welt erblickt,
in der er seine Jugend verbracht hatte, war ein Opfer der
Flammen geworden, und mit ihr das väterliche Haus „zum
fliegenden Adler" (^).
Zu diesem Ruin der Hauptstadt gesellte sich der be-
denkliche Verlauf des Krieges. Dryden glaubte in seinem
grossen Gedicht über das „wundersame Jahr" noch prophe-
zeien zu dürfen, dass man einen zweiten punischen Krieg
erleben würde. Aber seine Voraussagung wurde nur zu bald
durch die Thatsachen Lügen gestraft. England sah sich in
dem schweren Kampfe, den es unternommen hatte, völlig ver-
einzelt, während sein Gegner an Frankreich und Dänemark
einen Rückhalt fand. Die gewaltigen Rüstungen und See-
schlachten des Sommers 1666 hatten die Kraft des Reiches
schon beinahe errchöpft, als jenes plötzliche Unheil eine all-
gemeine Verwirrung aller Geschäfte hervorrief. Man war zu
stolz um sogleich auf die Fortsetzung des Krieges zu ver-
zichten, aber es Hess sich voraussehn, dass die Mittel des
Staates auf die Dauer sich unzureichend erweisen würden.
Die Flotte war denen der Gegner nicht gewachsen. Die
Festungswerke an der Küste waren nicht im besten Stande.
Im Lande regten sich die unterdrückten Parteien. Ausser-
Englisch-niederländischer Krieg. 55
liall) der Grenzen wiesen die verjagten Königsrichter und
Republikaner schadenfroh auf die sichtbaren Strafen des
Himmels hin oder traten wohl gar mit den Feinden ihres
Vaterlandes in Verbindung. Die Holländer machten sich die
ausserordentliche Gunst der Umstände zu Nutze, um einen Schlag
gegen ihren Feind zu führen, der seine ganze Schwäche ent-
hüllte und ihn vor den Augen der Welt aufs tiefste demüthigte.
Schon war zwischen Ludwig XIV. und Karl H. das beste Ein-
vernehmen hergestellt, seit dem Mai 1667 tagte der Friedens-
kongress in Breda, man durfte hoffen, dass hier eine Ver-
ständigung zwischen den Niederlanden und England erreicht
werden würde. Als indessen die holländischen Forderungen
Widerstand fanden, und der Republik selbst durch die
Wendung der europäischen Angelegenheiten Gefahr drohte,
entschloss sie sich unter Leitung Johann's de Witt zu einer
Ueberraschung des Feindes, die ihn zum Frieden zwingen
sollte. Den 8. Juni erschien eine starke holländische Flotte
an der Themsemündung. Eine Abtheilung nahm Sheerness,
erzwang sich den Eingang in den Medway, warf in drei
Kriegsschiffe, die hier vor Anker lagen, Feuer und kehrte un-
gestraft zu der Hauptmacht unter de Ruyter zurück. Einige
Wochen lang konnte der feindliche Admiral triumphirend als
Herrscher des Kanals die englische Küste unsicher machen.
Damals, als der Donner der holländischen Kanonen in London
gehört wurde, erwachte selbst in loyalen Kreisen die Erinne-
rung an den Heros der puritanischen Revolution. „Jeder-
mann — erzählt der gute Royalist Samuel Pepys — denkt
an Oliver und spricht von seinen tapferen Thaten, und wie
alle Nachbarfürsten ihn fürchteten'' {^). Wie sollte Milton
dies Gefühl nicht getheilt haben, der Cromwell so viel näher
gestanden hatte als tausend andere!
In dieser Zeit, als man eben anlieng nach den Eindrücken
so vieler erschütternder Ereignisse aufzuathmen, erschien das
verlorene Paradies. Der Vertheidiger der Pressfreiheit musste
sich wohl oder übel bequemen sein Manuskript dem Censor
einzureichen. Durch eine Akte von 1662 waren die Censur-
behörden erneuert. Milton's Werk fiel in die Domäne des
5ß Erscheinen des verlorenen Paradieses.
damaligen Erzbischofs von Canterbury, Dr. Gilbert Sheldon, der
durch seine Kapläne das Censoren-Amt verwalten Hess. Das
verlorene Paradies wurde dem erzbischöflichen Hauskaplan
Thomas Tomkyns, zur Beurtheilung überwiesen, einem jungen
Manne, der sich indessen l^ereits durch ein paar Schriften als
Streiter für Thron und Altar bekannt gemacht hatte. Später
hat er ein Werk über „die Unzuträglichkeiten der Toleranz"
verfasst, und seine Grabschrift weiss von ihm zu rühmen,
dass er die anglikanische Kirche wacker „gegen die Schis-
matiker" vertheidigt habe(^j. Milton's Name war bekannt
genug, als dass ein Censor von Tomkyns' Gesinnungen sich
nicht versucht haben sollte ihm schart auf die Finger zu sehn.
Auch wird versichert, dass er gezögert habe die Druck-
erlaubnis zu ertheilen. Unter den Stellen die ihm Anstoss
erregten, war namentlich (I. 594 ff.) ein Vergleich des ver-
dunkelten Glanzes Satan's mit dem der Sonne, die durch den
Mond verfinstert, ein verhängnisvolles Zwielicht auf die Erde
wirft, sodass Könige
Aus Furcht vor einem Schieksalsweehsel zittern.
Schliesslich Ijeruhigte sich indessen der Eifer des loyalen
Kaplans. Man besitzt noch das erste Buch des Gedichtes in
der Handschrift, welche ihm zur Durchsicht eingeliefert wurde,
mit seiner Bescheinigung, dass dem Drucke nichts entgegen-
stehe. Die übrigen Bücher haben sich nicht vorgefunden.
Nachdem dieser Akt vorüber war, galt es sich mit einem
Verleger zu einigen. Unter den Buchhändlern, mit denen Milton
bisher zu thun gehabt hatte, war Matthew Simmons gewesen,
derselbe, bei dem „das Urtheil Butzer's" „das Recht der
Könige", der „Bilderstürmer" erschienen war. Dessen Sohn
war vermuthlich jener Samuel Simmons „in Aldersgate-Street,
die nächste Thür beim goldenen Löwen", welcher den Dnick
und Verlag des verlorenen Paradieses übernahm. Der Vertrag
zwischen ihm und dem Dichter vom 27. April 1667 mit Milton's
Siegel und mit einer Namensunterschrift, die nicht von seiner
Hand heiTühren kann, zählt heute zu den am meisten an-
gestaunten Reliquien des britischen Museums. Er gehört zu
den schlagendsten Beweisen dafür, in einem wie geringen
Erscheinen des verlorenen Paradieses. — Quellen. 57
Verhältnis der irdische Gewinn des Genies zu seinem Ruhme
bei der Nachwelt stehn kann. Fünf Pfund zahlte der Buch-
händler dem Dichter für Ueberlassung seines Werkes aus.
Dieselbe Summe versprach er ihm zu geben, sobald die erste
Auflage erschöpft sei, und ebensoviel für eine zweite und
dritte. Mit dem Verkauf von dreizehnhundert Exemplaren
sollte die erste Auflage für erschöpft gelten, doch war es,
wohl mit Rücksicht auf die Vergabung von Widmungs-
e.xemplaren, dem Verleger gestattet, fünfzehnhundert zu
drucken. Noch dauerte es beinahe vier Monate, bis der
übliche Eintrag in die Register der Stationers erfolgte. Man
ersieht aus ihm, dass das Gedicht bei seinem ersten Er-
scheinen nur zehn Gesänge enthielt. Erst später hat sich
Milton entschlossen, das, was ursprünglich den siebenten und
zehnten Gesang bildete, noch einmal zu theilen. In einigen
Abzügen war der Verfasser mit vollem Namen genannt, in
anderen waren nur die Anfangsbuchstaben desselben zu sehn,
wie denn in den Titeln, und selbst über diese hinaus, manche
Abweichungen der Exemplare jener ersten Ausgal)e zu be-
merken sind(^).
Seit Voltaire in seinem Essay über die epische Poesie
seine Vermuthung über den Ursprung des verlorenen Paradieses
in die Welt geworfen, hat man nicht aufgehört den Quellen
nachzuforschen, aus denen der Dichter habe schöpfen können,
und auf frühere poetische Erzeugnisse hinzuweisen, die ihm
die erste Idee seines eigenen Werkes sollen eingegeben haben.
Der Vorwurf masslosen Plagiats, den um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts ein gewissenloser Fälscher gegen Milton erhob,
diente nur dazu, der Frage eine noch grössere Anziehungs-
kraft zu verleihen. Im Laufe der Zeit sind ein paar dutzend
von Schriftstellern genannt worden, bei denen der Dichter
des verlorenen Paradieses zu Gaste gegangen sein soll. Heute,
nachdem man die gesammte Literatur der Völker Europas
darauf hin durchsucht hat, dürfte es schwer sein, diese Liste
noch zu bereichern. Einen unläugbaren Vortheil hat diese
Durchmusterung gehabt. Sie hat demjenigen, der es vorher
noch nicht gewusst hatte, die Augen darüber geöffnet, dass
58 Quellen. — Caedmon.
der tiefsinnigste Mythus des alten Testaments in Verbindung
mit der ausgebildeten Engellehre ein uralter und oft benutzter
poetischer Vorwurf war. Sie hat aufs deutlichste erkennen
lassen, dass das verlorene Paradies mit den frühesten Offen-
barungen des germanisch-christlichen Dichtergeistes durch eine
lange, unzerreissbare Kette verbunden ist.
Als Michelangelo die eine Schmalwand der Sixtina mit
der Darstellung des jüngsten Gerichtes schmückte, behandelte
er einen Gegenstand, an dem sich hunderte vor ihm ver-
sucht hatten. Die Idee des Ganzen war niemandem fremd.
Die Anordnung im grossen war durch eine geheiligte Ueber-
lieferung gegeben. Und doch denkt sich heute unwillkürlich
jeder unter dem Bilde des jüngsten Gerichts jenes einzig-
artige Erzeugnis einer gigantischen Phantasie, welches selbst
in dem traurigen Zustande seiner Verdunkelung zeigt, dass
der Künstler aus einem sattsam ausgenutzten Stoff etwas bis
dahin Ungeahntes geformt habe. Milton, auf den die Wand-
und Deckengemälde eben dieser sixtinischen Kapelle einst
Eindruck gemacht haben mögen, befand sich in einer ähn-
lichen Lage wie ihr Schöpfer. Der alte angelsächsische Dichter,
der unter Caedmon's Namen gieng, hatte von den Geschlechtern
der Engel, dem Falle des obersten derselben und seiner Ge-
nossen, der Erschaffung der Erde, der Versuchung des ersten
Menschenpaares gesungen. In den geistlichen Spielen des
Mittelalters war dieses Thema, selbst in dramatischer Form,
lebendig im Volksbewusstsein geblieben. In lateinischer,
italienischer, spanischer, portugiesischer, französischer, holländi-
scher und englischer Sprache gab es eine Reihe von Dich-
tungen, die es in seiner Allgemeinheit oder doch von einer
bestimmten Seite behandelten. Milton gehörte zu den am
meisten belesenen Menschen seiner Zeit. Auch abgelegene
Werke der Literatur , wie das alte lateinische Epos des
Alcimus Ecdicius Avitus über den Ursprung der Welt, den
Sündenfall, das Gericht Gottes, die Sarcotis des Jesuiten
Jakob Masenius u. a. m. mögen ihm bekannt gewesen sein.
Sein gutes Gedächtnis musste ihm namentlich nach der Er-
blindung unschätzbar werden. Was liegt näher als die An-
Caednion. Du Bartas. Die Fletcher. 59
nähme, er habe diesen und jenen Zug einem seiner Vorgänger
entlehnt, wohl selbst zu einigen bedeutenden Wendungen von
ihnen sich leiten lassen. Man hat es im einzelnen nachzu-
weisen gesucht, ohne immer die richtige Grenze innezuhalten,
völlig abzuläugnen wird es nicht sein. Namentlich ein Blick
auf das Werk des du Bartas wird die Ueberzeugung erwecken,
dass in Milton die Jugenderinnerung an dies hochangesehene
Lehrgedicht mit seinen eingetlochtenen Schilderungen, astrono-
mischen Betrachtungen, Anrufungen der Gottheit keineswegs
erstorben war (s. o. I. 38). Ebenso ist der geistigen Ein-
wirkung der beiden Fletcher auf den Schöpfer des verlorenen
Paradieses schon gedacht worden (s, o. I. 172). In Abraham
Cowley's Davideis war ihm die Gestalt des Lucifer ent-
gegengetreten, als „des mächtijaen Gefangenen, stolz in seinem
W^eh und Tyrann in seinen Ketten", Aehnlich erschien sie
in der jüngeren Genesis, welche eine Lücke der sog.
Caedmon'schen Genesis ausfüllte, und von diesen Gedichten
hatte Milton vielleicht durch seinen Freund F. Junius gelegent-
liche Kunde erhalten. Diese und jene Episode, die als originell
zu bewundern man bei flüchtiger Betrachtung besonders
geneigt sein könnte, wie . z. B. die Erfindung von Pulver
und die Herstellung von Artillerie durch Satan während
des Himmelskampfes, erscheint bei genauerem Studium auch
nur als Nachahmung fremder Vorlagen.
Allein was beweist alles dies für den Ursprung des Ge-
dichtes? Hier kann nicht, wie beim Comus, eine Summe von
einzelnen Momenten der Aehnlichkeit geltend gemacht werden,
da Handlung, Charaktere, Tendenz gleichsam eine grosse Erb-
schaft ausmachen, die ein Geschlecht dem anderen überliefert
hatte. Es müssen sehr viel stärkere Gründe in's Feld geführt
werden, um uns mit dem Glauben an eine erste äussere Anregung
zu erfüllen. Betrachtet man aber die hauptsächlichsten Werke,
die sich hier anführen lassen, so wird man sehr misstrauisch
gegen voreilig gemachte Schlüsse werden. Der Adamo
Andreini's, auf den Voltaire hingewiesen hat, ist seitdem einer
gründlichen Kritik unterzogen worden. Dafür, dass Milton
das biblische Drama dieses Dichters in Italien habe aufführen
60 Andreini's Adamo. — H. Grotius. Adamus exul.
sehn, liegt auch nicht die Spur eines Beweises vor. Auch
bleibt es nur eine geistreiche Vermuthung, dass er es in einer
der beiden Ausgaben, die damals vorhanden waren (von 1613
und 1617), mit sich nach England genommen habe. Seine
eigenen dramatischen Entwürfe zeigen allerdings in ihrem
Personenregister eine gewisse Uebereinstimmung mit dem-
jenigen Andreini's. Aber wenn sie neben den Gestalten
Adam's und Eva's, des Erzengels Michael und Lucifer's u. a.
gleichfalls dem Neide, dem Hunger, der Arbeit, der Krank-
heit u. s. w. eine Stelle einräumen, so folgen sie darin nur
der allgemeinen Ueberlieferung , wie sie z. B. auch bei du
Bartas hervortritt. Sie kommen damit ausserdem nur der auf
das Allegorische gerichteten Neigung des Zeitalters entgegen.
Die Chöre bei Andreini dienen nicht unwesentlich selbst-
ständigen musikalischen und ballettmässigen Aufführungen,
bei Milton sind sie offenbar mehr als recitirende Kommentatoren
der Handlung gedacht, in der Art, wie sie ihm in den antiken
Tragödien erscheinen mochten. Die Handlung selbst endlich
hätte nach Milton's Skizze einen würdigeren, einfacheren Ver-
lauf genommen als bei seinem italienischen Vorgänger, der
sich in einer bunten Fülle schnörkelhafter Zuthaten gefiel.
Bezeichnend ist, dass dieser sich nichts daraus macht, Gott
Vater auf die Bühne zu bringen, während Milton höchstens
an die Darstellung des Begriffes der „himmlischen Liebe" zu
denken wagte und auch davon in dem ausführlichsten Ent-
wurf abgekommen zu sein scheint.
Blieb der Adamo Andreini's aller Wahrscheinlichkeit nach
Milton vollkommen fremd, so lag es ihm um so näher, von
dem „vertiiebenen Adam" des Hugo Grotius Kenntnis zu
nehmen, je lebhafter er sich seines persönlichen Zusammen-
treffens mit dem grossen Gelehrten in Paris erinnern musste.
Das genannte lateinische Drama war 1601 von dem jungen
Grotius vei'öffentlicht worden und konnte Milton leicht zu-
gänglich sein. Auch mag man annehmen, dass einzelne Züge
sich seinem Gedächtnis der Art eingeprägt hatten, dass sie
ihm bei Beginn seines eigenen Werkes vorschwebten, so das
Gespräch Adam's und des Engels im zweiten Akt, die Be-
Vondels Lucifer. 61
Schreibung der Schlange ii. a. m. Indessen daraus schliessen
zu wollen, dass der Plan des verlorenen Paradieses auf Grotius
Einwirkung zurückzuführen sei, wäre um so mehr gewagt, da
bei Grotius der Kampf um den Himmel gar nicht zur Geltung
kommt.
Nicht anders verhält es sich mit Vonders Lucifer. Das
grossartige Drama des l)erühmten holländischen Dichters war
dreizehn Jahre vor dem verlorenen Paradies im Druck er-
schienen. Es konnte Milton um so leichter bekannt werden,
da er vielfache Beziehungen zu den Niederlanden hatte und
durch Roger Williams in die holländische Literatur eingeführt
wurde. Auch stellt sich nicht selten eine überraschende Aehn-
lichkeit zwischen beiden Werken heraus. Das Motiv der
Rebellion Satan's ist zwar bei Vondel ein anderes. Auch hat
sein Satan noch die Wahl Rebell zu werden oder nicht, und
es fehlt ihm die titanenhafte Grösse und Sicherheit der
Schöpfung Milton's. Aber unverkennbar sind die Ansätze zu
der Charakteristik des Milton'schen Satan schon bei Vondel
vorhanden. Unverkennbar ist auch die gleiche, von der Ueber-
lieferung so sehr abweichende Auffassung der übrigen Engels-
gestalten. Und dazu kommen so manche auffallende Anklänge
im einzelnen wie z. B. in der Schilderung der Empörung und
der Himmelsschlacht, in epigrammatisch zugespitzten Aus-
sprüchen, dass man sich der Ueberzeugung nicht wohl er-
wehren kann, Milton habe Vondel hie und da geradezu als
Vorbild benutzt. Allein an eine Ein^Yirkung auf die Konception
ist auch hier nicht zu denken, da die dramatischen Ent-
würfe Milton's viel älter sind als Vondel's Tragödie. Und
was sich von Vondel'schen Zügen im verlorenen Paradies vor-
findet, ist wieder so eigenthümlich verarbeitet, dass sich ein
mögliches Plagiat in eine Neuschöpfung verwandelt (0-
Ueberblickt man alles, was Sammelfleiss und Scharfsinn
zur Aufhellung der Frage versucht haben, so wird man in
das Urtheil Chateaubriand's einstimmen: „Ein originaler
Schriftsteller ist nicht der, welcher niemanden nachahmt,
sondern der, welchen niemand nachzuahmen im Stande ist"(^).
Q2 Der Gegenstand.
Milton selbst scheint denn auch in der Einleitung seines
Gedichtes die Ursprünglichkeit der Erfindung für sich in An-
spruch zu nehmen. Doch will es noch etwas mehr bedeuten,
wenn er hier äussert, er wolle Dinge singen, „an die sich
Vers und Prosa nie gewagt". Auch Ariost hatte sich einst
vorgesetzt, zu künden ,,Cosa non detta in prosa mai, ue in
rima". Aber Milton, der die Worte von ihm entlehnt, fühlt,
dass er sich in ganz anderen Bahnen bewegen wird wie seine
grossen Vorgänger. Was waren ihm der Zorn des Peliden.
die Irrfahrten des Dulders Odysseus, die Thaten des frommen
Aeneas odev des frommen Gottfried von Bouillon, die viel-
gerühmten Kämpfe und Liebesgeschichten tapferer Ritter und
schöner Damen, verglichen mit dem erhabenen Gegenstande,
den er sich erwählt hatte:
Vom Fall des ersten Menschen, dem Geuuss
Von des verbotneu Baumes Fi-ucht, die Tod
Und alles Weh gebracht hat in die Welt,
Uns Eden raubte, b'is ein grössrer Mensch
Den Sitz des Heils uns wiederum errang,
Sing" Himmelsmuse, die du auf des Horeb.
Auf Sinai's verborgnem Gipfel einst
Den Hirten hast begeistert, der zueilst
Dem auserwählten Volke kundgethan,
Wie Erd und Himmel aus dem Chaos stiegen.
So ist es denn, wie er an anderer Stelle sagt „keine der
neun Musen", die er anruft, keine von denen, „die auf der
Höhe des alten Olymp wohnen". Es ist „die Sionitin" , die
Muse dei- religiösen Poesie, die „Nachts seinem Schlummer
naht und ihn besucht, wenn den Ost der Morgen purpurn
färbt". Sie ist ihm gleichbedeutend mit dem heiligen Geiste,
„der von Anbeginn war und einer Taube gleich mit mächtig
ausgespreiztem Flügelpaar über dem ungeheuren Abgrund
brütete". Der Dichter selbst, den sie inspirirt, fühlt sich ein
höheres Wesen werden. Er nähert sich jenem Ideale des
Poeten, das er vor Jahren den Dichterlingen des Tages in
leuchtender Erhabenheit vorgeführt hatte (s. o. I. 257). Er
Der Gegenstand. 63
wird zum Lehrer, zum Prediger, denn er will sich nicht frei
dem Spiele seiner Phantasie überlassen, sondern
Kechtfertigen die ew'ge Vorsehung
Und Gottes Wege vor den Menschen preisen.
Die ganze eigenthümliche Grösse, aber auch die ganze
unvermeidliche Schwäche, welche die Wahl des Gegenstandes
mit sich brachte, war in diesen Worten gegeben. Die er-
habensten, furchtbarsten und lieblichsten Schilderungen, zu
denen Himmel, Hölle und Erde den Anlass boten, drohten
abzuwechseln mit den trockensten, nüchternsten und schwer-
fälligsten Auseinandersetzungen über die Prädestination, die
Verwerfung und Erwählung. Der Fortschritt der Handlung
konnte beständig unterbrochen werden durch lehrhafte Vor-
träge. Die Freiheit der Erfindung musste sich nicht selten
gehemmt sehn durch die Rücksicht auf die kirchliche Ueber-
lieferung. Der Dichter wurde zum Theologen, das Epos wurde
zur Theodicee.
Man hat mitunter das lebhafteste Bedauern darüber aus-
gesprochen, dass Milton einen solchen Stoff gewählt habe,
einen Stoff, den Goethe keinen Anstand nimmt als „abscheu-
lich, äusserlich scheinbar und innerlich wurmstichig und hohl"^
zu bezeichnen (0- Man hat bemerkt, dass sich die Artussage,
die Milton in seiner Jugend gefesselt hatte, aus rein poetischen
Gründen weit eher empfohlen haben würde. So hoch das
verlorene Paradies auch stehe, er habe, wenn er seiner ersten
Neigung treu geblieben wäre, noch Höheres schaffen können.
Hypothetische Betrachtungen der Art fallen nicht unter die
Aufgabe des Biographen. Für diesen muss es genügen darauf
hinzuweisen, dass Milton so gewählt hat und warum er so gewählt
hat, wie es geschehn ist. Die Jahrzehnte gewaltigster Er-
schütterungen, welche sein Vaterland erlebt, die Kämpfe und
Sorgen, die er selbst auszuhalten gehabt hatte, waren auch
an seinem dichterischen Genius nicht spurlos vorübergegangen.
Von jeher hatte dieser einen puritanischen Anhauch gehabt.
Von jeher war ihm eine didaktische Neigung eigen gewesen.
Aber die unbefangene Freude am Schönen, auf welcher Seite
es sich finden mochte, die mächtige Einwirkung der Antike,
(54 Der Gegenstand.
das Strahlende Vorbild Edmund Spenser's: alles dies hatte in
Milton's Seele ein glückliches Gegengewicht gegen Einseitig-
keit und Tendenz gebildet. In seiner Jugend erschien er als
begeisterter Herold der Renaissance, wenn auch von einer
religiösen Grundstimmung beherrscht. In seinem Alter
erscheint er als der grosse Dichter des Puritanismus,
wenn auch durch die Vorstellungen der Renaissance be-
reichert. Er war zum Manne geworden während einer Um-
wälzung, welche dem religiösen Gefühl einen mächtigen Im-
puls gab. Er selbst hatte sich, an den Ereignissen lebhaft
betheiligt, in eine Stimmung versetzt, die an den höchsten
Fragen der Spekulation viel mehr Gefallen fand als an den
bunten Bildern ritterlicher Romantik. Die umfassenden Kennt-
nisse, die er sich aneignete, hiengen sich wie schwere Fesseln
an seine ursprüngliche Dichterkraft. Die theologischen Studien,
denen er sich hingab, lenkten ihn auf natürliche Weise bibli-
schen Stoffen zu. Trübe häusliche Erfahrungen, ein schweres
körperliches Gebrechen, bittere Enttäuschungen jeder Art
mussten nothwendig den Ernst und die Strenge des Dichters
steigern. Seine Muse bedurfte eines „grossen Gegenstandes",
d. h. eines solchen, der sich von selbst „zur Höhe des Helden-
gedichtes erhöbe", auch ohne von Helden im üblichen Sinne
zu handeln. Und so fiel „nach langer Wahl" die Entschei-
dung. Einst im Allegro hatte sich der Dichter mit Wonne
„unter das geschäftige Summen der Menge" versetzt, zum
glänzenden Turnier, wo voi' schönen Damen die Ritter und
Barone um die Ehre kämpfen , „zu Pomp und Fest und
Schmauserei". Diese Zeiten waren vorüber. Nun hielt er es
recht im Gegensatze zum Geschmack der herrschenden Kreise
für unwürdig, sogenannte „heroische" Thaten zu besingen,
„mythische Schlachten . . fabelhafte Ritter",
Wettlauf und Turnier
Das Kampfgeräth, der Schilde Wappenprank,
Mit närrischen Enablemen, das Getrab
Der goldbefransten Rosse, Ritters Schmuck
Beim Ring- und Lanzenstechen und das Mahl,
Von Seneschall und Truchsess aufgetischt.
Der Gegenstand. 65
Das alte Testament hatte die Heldensage verdrängt. Die
Frage nach dem Fall Adam's und Eva's war wichtiger als
die Frage nach dem Verrath Mordred's. Die Kämpfe zwischen
den himmlischen Heerschaaren und den rebellischen Engeln
bedeuteten mehr als die Kämpfe sämmtlicher Ritter der
Tafelrunde gegen Riesen und Ungeheuer. Die unschuldigen
Wonnen des Paradieses überstrahlten alle Wunder des Zauber-
waldes von Breceliand.
Es war kein schmerzliches Opfer, das der Dichter brachte,
wenn er den spröderen Stoff wählte. Er fühlte sich vielmehr
durch eine immer stärker werdende Neigung zu ihm hin-
gezogen. In diesem Stoff war eingeschlossen, was ihn und
tausende seiner Zeitgenossen mit ihm bewegte: die grosse
Streitfrage über den Ursprung des Uebels, die Vorherbestim-
mung des Schöpfers und den freien Willen der nach seinem
Bilde Geschaffenen, eine Streitfrage, welche ebenso sehr an
die ersten Anfänge des Menschengeschlechts anknüpfte, wie
sie zu Ausblicken auf den Verlauf seiner ganzen Geschichte
nöthigte. Der Kampf des bösen und des guten Princips, die
schreckensvollen Gebilde von Sünde und Tod, die verneinen-
den und zerstörenden Kräfte in der Gestalt Satan's: alles
das lebte mehr oder weniger klar in den Vorstellungen grosser
Volksmassen und wartete nur auf die Hand des Künstlers,
um feste Formen zu gewinnen.
Der Gegenstand des verlorenen Paradieses ist als ge-
geben zu betrachten. Statt ^lilton einen Vorwurf daraus zu
machen, dass er ihn gewählt, wird man fragen müssen, wie
er ihn verwerthet hat. Sucht man sich hierüber Rechenschaft
abzulegen, so wird nichts so bald auffallen wie die vielfachen
Anklänge des Milton'schen Epos an die Form des Dramas.
Man erinnert sich, dass der Dichter den Stoff ursprünglich
für diese bestimmt hatte. Indem er noch unter dem Banne
dieser früheren Idee stand , gewann er den unschätzbaren
Stern, Jlilton vi. s. Z. II. 4. 5
(56 Dramatischer Charakter des Gedichtes.
Vortheil, der Handlung einen straffen, energischen Zug ver-
leihen und der psychologischen Entwicklung der Charaktere
eine vornehme Stelle einräumen zu müssen. Eine grosse Ge-
fahr, welche sein Thema mit sich führte, die Versuchung, sich
lehrhafte Abschweifungen zu gestatten, wurde damit zwar
durchaus nicht abgewandt, aber doch in etwas gemindert.
Andrerseits wurde der natürlichste Anlass gegeben, die drei
Anfangskapitel der Genesis, um die es sich in erster Linie
handelte, ohne Anstoss poetisch auszufüllen. — Ein kurzer
Ueberblick über den Gang der Fabel wird ihren dramatischen
Aufbau in's Licht stellen.
Hält man sich an die Eintheilung in zwölf Bücher, zu
der Milton selbst sich in der zweiten Auflage entschloss, so
wird man diese unschwer in drei gleich starke Gruppen
theilen können. Die ersten vier Bücher eröffnen Hölle, Him-
mel und Erde vor unseren Blicken und zeigen uns das erste
Mensehenpaar , ahnungslos zwischen die streitenden Mächte
von Gut und Uebel gestellt. Der Sturz der rebellischen
Engel wird im Beginne des Gedichtes als eben geschehen ge-
dacht. Satan's Erwachen aus dem Flammenpfuhl des boden-
losen Abgrunds, seine trotzige Unterredung mit Beelzebub,
dem Genossen seiner Qual, bilden gleichsam die erste Scene.
Die Besitzergreifung des höllischen Reiches schliesst sich
daran. Eine IMusterung der teuflischen Heerschaaren führt
kriegerische Massen auf die Bühne, die der heroischen An-
sprache des Führers mit geschwungenen Waffen zujubeln.
Die Versammlung des Teufelsparlamentes, des grossen Rathes
der Hölle, im kunstvollen Pandämonium entrollt ein anderes
jener Bilder, die dem historischen Drama geläufig waren.
Eine pomphafte Ansprache des Fürsten, wechselnde Rath-
schläge seiner Paladine, der Beschluss, sieh an Gott zu rächen
durch einen Angriff „auf jene andere Welt, den seligen Sitz
des neuerschaffenen Volkes, Mensch genannt" : das alles reiht
sich in lebendigem Foitschritt an einander. Die grosse Staats-
aktion ist vorbereitet. Satan selbst nimmt es auf sich, den
erwählten Angriffspunkt zu rekognosciren. Sünde und Tod,
phantastische Gebilde von unfassbarem Graus, öffnen die
Inhaltsangabe. Buch 1—4. 67
Höllenpforten. Er gelangt emporfliegend in's Reich des Chaos
und der alten Nacht und erfragt von ihnen den Weg nach
jener neuen Welt, die vom Himmel heral)hängt „an goldner
Kette schwebend, an Umfang gleich einem Stern von letzter
Grösse dicht am Mond".
Die Scene wechselt, indem wir dem Gegenbilde der Hölle, der
hohen himmlischen Wohnung, angenähert werden. Auch hier
entwickelt sich das Gedicht in dialogischer Form. Gott Vater,
„der das Einst und Jetzt undKünft'ge sieht", weist seinen Sohn
auf das Unternehmen Satan's hin und sagt den Fall der Menschen
voraus. Gott der Sohn legt Fürbitte für das Menschengeschlecht
ein und erbietet sich als INIittler. Das Opfer des himmlischen
„Vicekönigs" wird angenommen, und wie der Chor der Teufel
den Rathschluss ihres Hauptes mit Jubel begrüsst, so erschallt
der pui-purglänzende Himmel von den heiligen Gesängen und
den goldenen Harfen der Engel. Währenddess ist Satan, mit
Mühe durch das Chaos sich durcharbeitend, an die Grenze
des Weltsystems, zu dem die Erde gehört, gekommen. Es
ist die „erste Wölbung", welche die „leuchtenden kleineren
Sphären" in sich einschliesst. Sie hat an ihrem oberen Pol
eine Oeftnung, dieselbe, durch die ein Weg zum Thor des
Himmels führt. Durch diese erblickt Satan die ganze neue
Welt. Er nimmt durch unzählbare Sterne, ,,um deren
glückliche Bewohner er sich nicht kümmert", den Weg zur
Sonne, deren Glanz ihn am meisten anzieht. Dort findet er
Uriel, einen der sieben Erzengel. In der Verkleidung eines
Cherub weiss er ihm die Kunde zu entlocken, w^elches unter
den Sternen die Erde ist, und wo auf der Erde das Paradies.
Beim Anblick desselben verhärtet er sich, seiner Leidenschaft
Luft machend, in seinem Vorsatz, überspringt die bewaldete
Gebirgsmauer und lässt sich als ein Rabe auf den Baum des
Lebens nieder. Von dort aus „sieht er voll Grimm die ganze
Pracht Eden's, die Ueppigkeit der Pflanzen, die Fülle der
friedlich bei einander wohnenden Thiere. das erste Paar der
Menschen, von allen Reizen der Jugend und Unschuld um-
spielt. Er verwandelt sich in dies und jenes der Thiere, um
das holde Geplauder Adam's und Eva's besser belauschen zu
5*
QQ Buch 1—4. — Buch 5—8.
können. Jener spricht von dem Verbote Gottes, die Früchte
des Baumes der Erkenntnis zu kosten. Diese gedenkt ihres
ersten Erwachens unter Blumenschatten, ihres ersten Be-
gegnisses mit dem Geliebten. Mit Neid sieht Satan seitwärts
auf ihre Küsse, auf das „glücklichere Eden, eins in des an-
deren Arm", Er beschliesst, sie zu verderben, indem er jene
Lust der Erkenntnis in ihnen wecken will, die Gott ihnen versagt.
Während er im Hintergrund verschwindet, und die Sonne
sinkt, gleitet Uriel auf einem ihrer Strahlen hernieder. Er
hat die Maske des Erzfeindes durchschaut, sein Beginnen
verfolgt und warnt die Wächter des Paradieses. Die Abend-
dämmerung bricht an. Adam und Eva suchen nach ein-
fachem, formlosem Gebet in duftender Laube ihr weiches
Lager auf und entschlummern nach sündlosem Liebesgenuss
„von Nachtigallen eingesungen, von Rosen überstreut". Zu
Eva's Ohr schleicht Satan, als Kröte hingestreckt, um ihre
Phantasie durch lockende Träume zu reizen. Ihn finden zwei
der Engels-Wächter. Vom Speer des einen berührt, schnellt
er in seiner wirklichen Gestalt empor und lässt sich vor
Gabriel führen, den Obersten der paradiesischen Hut, um ihn
und seine Schaar zum Kampfe herauszufordern. Aber der
Ewige hängt seine „Wage", in der er jegliches Erschaffene
wog, am Himmel aus. Satan's Schale steigt, er flieht, „und
mit ihm flieht die Dunkelheit der Nacht".
In den nächsten vier Büchern kommt die Handlung so
gut wie zum Stehen. Als der Morgen naht, schlägt Adam
die Augen auf und sieht Eva mit wirren Locken und glühen-
der Wange noch unruhig schlafen. Von ihm geweckt, erzählt
sie ihren Traum, in dem sie, durch eine Engelserscheinung
verführt, von der verbotenen Frucht gekostet hat. Adam
tröstet sie und küsst ihr die Thränen aus den Augen. Sie
sprechen ihr Morgengebet, wiederum ein reiner Ausdruck
der Naturreligion und wiederum „unvorbedacht", wie es
ihnen ihr Herz eben eingiebt. Dann eilen sie zu ihrem ge-
wöhnlichen Tagewerk, der einzigen „Arbeit", die das Para-
dies kennt, schwankende Blumenstengel zu stützen, den üppigen
Trieb früchtebeladener Bäume zu hemmen, die Ulme mit der
Buch 5—8. 69
Rebe zu umranken. Es sind harmlose Gegenstände tändeln-
der Geschäftigkeit, wenig ernster, als diejenige der Elfen im
Sommernachtstraum. Mitleidig sieht sie Gott und beauftragt
den Engel Raphael, als Warner zu Adam zu eilen, „auf dass
er nicht mit Wissen sündigend als Vorwand Ueberraschung
nennen kann". — Es ist schwüler Mittag, als der Engel im
Paradiese anlangt. Adam sieht ihn von weitem vor seiner
Laube, während Eva drinnen das Mahl aus „schmackhaften
Früchten" bereitet. Man wird einig, den hohen Gast einzu-
laden, und Eva beeilt sich hausmütterlich, noch für einige
ausserordentliche Gänge zu sorgen, selbstverständlich streng
nach vegetarianischer Vorschrift. Bei Tische spricht der
himmlische Bote Speise und Trank ganz menschlich zu, gleich
als wäre es „Engelskost". Adam, wissbegierig, schon ohne vom
Baume der Erkenntnis gegessen zu haben, nimmt daher Gelegen-
heit, dem herablassenden Fremden mit einer harmlosen Wen-
dung Kunde „von den Dingen über seiner Welt" zu entlocken.
Und nun folgt nach geschickter Ueberleitung ein aus-
führlicher Bericht von dem, was vor dem Beginne des Ge-
dichtes und vor der Schöpfung „dieser Welt" als geschehen
zu denken ist: von der Proklamation des einzigen, einge-
borenen Gottessohnes als „Vicekönigs'' des Reiches, von der
Empörung eines der ersten Erzengel — ,, jetzt heisst er
Satan, sein früh'rer Name ward getilgt im Himmel" — und
seiner Genossen gegen diesen Herrscherspruch, von dem ge-
waltigen Kampf um den Himmel und den Thaten ewigen
Ruhmes, die der Erzähler mit erlebt hat, von der Besiegung
der Rebellen durch den Gottessohn, der sie mit seinen „zehn-
tausend Donnern, von glänzendem Streitwagen herabgeschleu-
dert, niederschmettert zum schwarzen Schlund der Hölle. Die
Moral der Geschichte ist eine ernstliche Warnung vor dem
Ungehorsam, vor den Lockungen des Versuchers. Adam ver-
spricht für sich und „seine schwächere Gefährtin" Gottes Ge-
bote zu halten. Aber „wie einer, der den Durst sich kaum
gelöscht, zum Strom hinabblickt, dessen Rauschen ihm aufs
neue Durst erweckt", so wünscht Adam weitere Kunde über
das ihm näher Liegende, über die Entstehung von Himmel.
70 Buch 5—8.
Luft und Erde zu hören. Der Engel giebt einen kurzen Ab-
riss der Schöpfungsgeschichte, nach welcher Gott der Sohn
im Auftrag Gott des Vaters die Welt in's Leben gerufen hat.
Adam würde vollkommen dadurch befriedigt sein, wenn ihm
jene astronomischen Zweifel benommen würden, über die sich
Raphael in sehr bemerkenswerthen, früher angeführten Worten
ausspricht (s. B. L 279). Schon beim Beginne dieses wissen-
schaftlichen Gesprächs zieht Eva es vor, sich zu entfernen.
Adam aber erzählt, nachdem sein Wissensdrang vorläufig be-
friedigt ist, dem Gaste seinerseits von seines Daseins Anfang,
von seiner Sehnsucht nach einem gleichartigen Geschöpf, von
der Erfüllung seines Wunsches, als Gott ihm Eva geschenkt
hatte :
Ich sah sie
Ganz wie ich sie im Traum erblickt, geschmückt
Mit allem, was sie liebenswerth zu machen
Nur Erd und Himmel spenden kann. Sie kam,
Von ihres unsichtbaren Bildners Euf
Geleitet, näher, eingeweiht durch ihn
In Heiligkeit und Brauch des Ehebunds,
Anmuth in jedem Schritt, in ihrem Auge
Der ganze Himmel, voller Huld und Würde.
Und wonnetrunken rief ich jubelnd aus :
,,Xun ist mein Wunsch vollendet, ia du hast
Erfüllt, Allgüt'ger, was du mir versprachst,
Neidloser Geber alles Schönen, dies
Ist deiner Gaben schönste" .......
Sie hörte mich ; geführt von Gott empfand
Sie doch jungfräulich Beben, holde Scham,
Des reinen Fraueuwerthes sich bewusst,
Der ungeworben nicht, nicht ungesucht
"Von selbst sich hiugiebt, lieblich widerstrebt,
Damit Gewährung doppelt köstlich sei.
Unwissend, was sie that, gehorchte sie
Der Stimme der Natur und wandte sich
Bei meinem Anblick ab. Ich folgte ihr;
Mit keuscher Würde, stolzer Fügsamkeit
Gab sie mir nach. Zur hochzeitlichen Laube
Führt" ich die morgengleich Erröthende.
Der Himmel und die Sterne gössen Licht
Des Glücks auf diese Stunde aus, die Erde
Buch 9—12. 71
Rief unserm Bund von jedem Hügel Heil,
Die Vögel jauchzten, sanfter Lüftchen Hauch
Durch flüsterte den Hain, von ihren Schwingen
Streuten sie Rosenduft und würz'gen Balsam,
Bis uns die Nachtigall das Brautlied sang
Und eilen hiess den nahen Abendstern,
Damit er uns die Hochzeitsfackel zünde.
Mit solchem Entzücken schildert unser Urahn sein ehe-
liches Glück, tlass der Engel ihm sehr puritanisch vorhält,
nicht „Liebe" und „Leidenschaft" zu verwechseln und mit
einer nochmaligen ernsten Verwarnung, „festzustehn" von dem
gastfreundlichen Heim des ersten Menschenpaares Abschied
nimmt.
In den letzten vier Büchern schreitet die Handlung wie-
der fort. Sieben Tage und Nächte hat Satan die Erde um-
kreist. In der achten Nacht weiss er auf's neue in das Paradies
einzudringen und schlüpft, den Zwang dieser Selbsterniedrigung
verfluchend, in eine schlafende Schlange, als das geeignetste
Werkzeug seiner Anschläge. Beim Anbi'uch des Morgens,
des letzten der paradiesischen Unschuld, schlägt Eva dem
Gefährten eine kurze Trennung vor, da die „Arbeit" beiden
besser von der Hand gehn werde, wenn Geplauder und Ge-
kose sie nicht unterbreche. Adam ist nicht sehr erbaut von
diesem Vorschlag. Er erlaubt sich , Eva daran zu erinnern,
dass ihr allein leicht Gefahr und Verführung drohen, Sie
schmollt ein wenig, beide werden in Rede und Gegenrede
etwas gereizt, zuletzt behält sie ihren Willen. Sie geht mit
ihrem „Gartengeräth", lieblich wie „Pomona" oder die „jung-
fräuliche Ceres", um hängende Blumenkronen mit Myrthen-
reisern emporzurichten, „sie selbst, der Blumen schönste,
stützelos, so fern dem besten Halt, so nah dem Sturm".
Sogar Satan, als Schlange näher kriechend, wird einen Augen-
blick zur Bewunderung hingerissen und bleibt eine Weile
„dummgut entwaffnet, seiner eigenen Bosheit entfremdet".
Dann aber erwacht die „heisse Hölle" wieder in seiner Brust.
Emporgeringelt mit erhobenem Kopf — so wie die Schlange
auf so manchen der altdeutschen und italienischen Bilder er-
scheint — umtanzt das Thier Eva, küsst die Spur ihrer
72 Buch 9—12.
Füsse und redet sie schmeichelnd an. Dass es reden kann,
erklärt es selbst der Verwunderten als Folge des Genusses
der verbotenen Frucht und reizt dadurch ihre Neugier nur
noch mehr. Der Zug gehört Milton an und nicht der Bibel,
aber wie er wenige Verse derselben zu verwerthen, psycho-
logisch zu vertiefen und rhetorisch auszuschmücken weiss,
zeigt vielleicht keine Stelle seines Gedichtes so deutlich wie
die Ausmalung dieser ganzen Scene.
Die That ist geschehen. „Die Erde fühlte die Wunde,
tief seufzte die Natur in ihrem ganzen Bau vor Schmerz, dass
alles nun verloren war." Eva aber, erhitzt und berauscht,,
segnet den Baum , ja erweist ihm Götzendienst. Sie denkt
einen Augenblick daran , „die Ueberlegenheit der Kenntnis
für sich zu behalten, '^ dadurch die Schwäche ihres Geschlechts
auszugleichen und Adam's Liebe zu steigern. Wie aber,
wenn Gott sie mit dem Tode strafte, wenn Adam, „mit einer
anderen Eva verbunden", leben bliebe? Lieber soll er Wohl
oder Wehe mit ihr tragen. Sehnsüchtig kommt er ihr schon
entgegen mit einem Kranze, den er für sie gewunden hat.
Seinem Entsetzen, nachdem er ihr Bekenntnis gehört, folgt
sein Entschluss, ihr Loos zu theilen. Er nimmt aus ihrer
Hand die Frucht und isst, „von Frauenreize sanft besiegt".
Und wieder „erbebt der Erde Schoos, stöhnt die Natur ein
zweites Mal; der Himmel verdunkelt sich und weint dumpf-
donnernd schwere Tropfen". — Die erste Folge des Sünden-
falles ist das Entbrennen „fleischlicher Begierden". Die Un-
schuld ist dahin, beide sind wie „von neuem Weine
trunken", und zum ersten Male dient ihr schattiges Blumen-
bett der wilden Lust der Sinne. Sie erwachen, anders wie
sonst, aus wüstem Schlafe, dunklen Sinnes, beschämt über ihre
Nacktheit. Der Schurz aus Feigenblättern, die sie sich
pflücken, kann ihre Schuld nicht verdecken, mit W^einen,
Klagen und Vorwürfen verbringen sie die Stunden.
Indessen hat der Himmel von Gott Vater erfahren, was dieser
„längst vorausgesagt" hatte, wird Gott der Sohn entsandt, die
Gefallenen zu richten. Dieser spielt demnach die Rolle, die
nach der Genesis dem einigen Gotte zukommt. Er spricht
Buch V)— 12. 73
den Fluch über die Schlange, das Urtheil über die Menschen
aus und kleidet sie mitleidig in Thierfelle. Satan war vor
dem Anblick des Göttlichen aus Furcht vor augenblicklicher
Strafe geflohen. Nachts kehrt er zurück, belauscht Adanfs
und Eva's traurige Gespräche und entnimmt aus ihnen, dass
sein Urtheil — gemäss dem mystischen, über die Schlange
ausgesprochenen Fluche — erst in Zukunft vollzogen werden
soll. Beruhigt und triumphirend eilt er seinem Reiche zu
und trifft unterwegs auf seine Kinder, Sünde und Tod. die
gleich nach dem Falle des Menschen, „den Hauch der Sterb-
lichkeit witternd'", eine kunstvolle und bequeme Brücke von
der Hölle über das Chaos zur neuen Welt geschlagen haben.
Er eilt zu seinem Herrschersitz und verkündet seinen Ge-
treuen den Sieg, aber statt des erwarteten Beifalls muss er
ein misstöniges Zischen hören. Die Teufel sind sämmtlich in
Schlangen verwandelt, er selbst sträubt sich vergeblich gegen
diese ^Metamorphose. Zugleich erwächst vor ihren Augen ein
Hain mit lockenden Früchten, aber diese werden, als sie sich
gierig darauf stürzen, zu bitterer Asche. Satan und seine Ge-
nossen erhalten, wenn die Qual lange genug gedauert hat,
zwar ihre wahre Gestalt wieder, aber, „wie einige sagen'-,
müssen sie in jedem Jahre gewisse Tage diese Demüthigung
erdulden. Man bemerke, wie dem alttestamentarischen Stoff
romantische Züge beigemischt werden, gleich diesem, deren
richtige Stelle in den Märchen von Hexen und Zauberern
oder bei Ariost und Spenser zu suchen wäre.
Weit besser fügt sich dem Ganzen jene durchgeführte
Allegorie von Sünde und Tod ein, deren Ankunft im Para-
diese mit grellen Farben geschildert wird. Sie beginnen ihr
Zerstörungswerk bei Pflanzen und Thieren. Die Zwietracht,
der Sünde Tochter, verhetzt die Geschöpfe zum Kampf um's
Dasein. Gott sieht der Verwüstung seiner „schönen Weif"
nicht nur gelassen zu, da er des endlichen Sieges seines
Sohnes über Sünde und Tod gewiss sein kann, sondern thut
noch das Seinige, um seine Schöpfung zum Schlechteren zu
„verändern". So wenigstens erscheint in diesem Zusammen-
hange alles das, was wenig mehr denn ein Jahrhundert später
74 B"ch 9—12.
Herder's „Ideen" als Zeichen der „Harmonie, Güte und Weis-
heit" zu preisen nicht müde wurden: die Schiefe der Ekliptik,
die Verschiedenheit der Zonen, der Wechsel der Jahreszeiten,
der Widerstreit der Winde. Mit Schrecken sieht Adam, wie
die Thiere ihn iiiehen oder grimmig nach ihm blicken. Er
fühlt das „Elend nach der Seligkeit", den Fluch des Todes,
in den sich der Segen Gottes „seid fruchtbar und mehret
euch" verwandelt hat. Er sehnt die Sterbestunde herbei, um
nicht die Verwünschungen der Enkel hören zu müssen. Aber
wird der Tod ihm die Wohlthat völliger Vernichtung bringen,
wird er sich nicht verewigen in dem „endlosen Jammer"
seines ganzen Geschlechts, das er nicht zu entsühnen ver-
mag? Seine Gedanken finden keinen Ausweg aus diesen Ge-
heimnissen. Die dunkle Nacht hört seine Klagen. Eva naht
sich ihm, um ihn zu trösten, er stösst mit Zornesworten die
„Schlange hinweg aus seinem Angesichte". Sie wirft sich
ihm zu Füssen, und er kann ihren Thränen , ihren flehenden
Worten nicht widerstehn. Es folgt die Versöhnungsscene,
in deren Schilderung der Dichter vielleicht das selbst Erlebte
verarbeitet hat (s. o. B. IL 337). Eva's exaltirter Vorschlag,
durch Selbstmord alle Qualen zu enden und dem göttlichen
Urtheil die Spitze abzubrechen, weist der kühler gewordene
Adam zurück. Er sinnt schon auf Mittel, das menschliche
Dasein erträglich zu machen. Er hofft „durch Reibung von
zwei Körpern" Feuer zu gewinnen und entwickelt vorahnend
eine Art Geschichte primitiver Kultur. Beide finden Trost
im reuigen Gebet. Der Messias legt es am Thron des Vaters
nieder, und dieser gewährt die Bitte, dem ]\Ienschen eine
Frist des Lebens zu gönnen. Aber ihn länger im Paradiese
zu belassen, verbietet das Gesetz der Natur. Eine Thronrede
macht den versammelten Engeln hiervon officielle Mittheilung.
Der Erzengel Michael erhält den Befehl, mit einer Kohorte
von Cherubim das Beschlossene auszuführen.
Noch ahnen die Menschen nicht, was ihnen bevorsteht,
aber böse Vorzeichen künden ihnen Unheil an. Sie vernehmen
MichaeFs Botschaft. Eva jammert, dass sie ihre „Blumen",
ihre ., hochzeitliche Laube" lassen soll, Adam bangt vor dem
Gedanken, dass eine Verbannung aus dem Paradies eineVer-
Buch 9—12. 75
bannung aus der Nähe Gottes sein werde. Der Erzengel
tröstet ihn mit dem Hinweis auf die göttliche Allgegenwart.
Zur Bestätigung dessen verspricht er ihm, seinem Auftrag
gemäss, ein Bild „zukünftigei- Tage" zu zeigen, den „Kampf
der göttlichen Gnade mit menschlicher Sünde", daraus Geduld
zu lernen, zu lernen „durch fromme Furcht die Freude massi-
gen, Günst'ges und Widriges mit Gleichmuth tragen". Wäh-
rend Eva in Schlaf versinkt, folgt Adam dem Engel auf einen
hohen Hügel. Er überblickt von dort die ganze Bühne der
künftigen Thaten und Leiden seines Geschlechts. Eine Vision
fortlaufender Bilder, an die sich die Belehrung seines Führers
anreiht, zeigt ihm die Geschichte der Menschen von Abel's
Tod bis zur Sindfluth, von der Sindfluth bis zur Erlösung
durch den Messias, und selbst die Ausbreitung des Christen-
thums und sein Verfall nach dem Eindringen priesterlicher
„Wölfe" wird mit ein paar flüchtigen Strichen angedeutet.
Zuletzt prophezeit der Erzengel einen „Weltbrand", in dem
Satan zu Grunde gehn, eine neue Erde und ein neuer Himmel
entstehn wird. Beim Entrollen dieses Abrisses der Geschichte,
soweit sie sich dem Rahmen der Bibel einfügen lässt, einem
mit Recht bewunderten „Meisterstück poetischer Oekonomie",
lösen sich Rede und Gegenrede des staunenden Zuschauers
und des kundigen Erklärers beständig ab. Scenen des Krieges
und des Friedens — wie auf dem homerischen Schilde des
Achilleus — Darstellungen von Lebenslust, Arbeit, Kunst-
übung, von Krankheit, Verzweiflung, Tod wechseln mit ein-
ander und regen sich widersprechende Gefühle auf. Das
ganze vielverschlungene Gewebe des menschlichen Daseins
breitet sich aus, und die Erött'nung einer unendlichen Per-
spektive hebt den Geist über den Schmerz des Augenblicks
empor. Adam bezweifelt nicht mehr, dass der Mensch, wenn
er mit „dem Wissen" die gute „That" verbindet, „ein schö-
neres Paradies" in sich selbst tragen wird. Und so findet er
Eva wieder, schon erwacht und durch heilverkündenden
Traum getröstet, Sie folgt ihm gerne: „du bist mein alles
unterm Himmelszelt, mit dir gehn, heisst im Paradiese bleiben".
Schon ziehen die Cherubim näher, .,vor ihnen Gottes Flam-
76 Die Charaktere.
menschwert wie ein Komet". Au der Hand des Engels ge-
langt das Menschenpaar zum Thore. Koch einmal schauen
sie sich um nach den Schreckgestalten und weinen. Aber
bald trocknen sie ihre Thränen.
Vor ihuen lag die weite "Welt zur Wahl
Der ueueu Kuhestatt, ihr Führer : Gott.
Sie nahmen Hand in Hand mit zagem Schritt
Durch Eden lancrsam ihren stillen Wec;.
Es wird nicht mehr auffallend erscheinen, warum das ver-
lorene Paradies das am meisten dramatische aller epischen
Gedichte genannt worden ist. In der That, wenn man von
dem Stillstand der mittleren vier Bücher und von der Di-
gression in den zwei letzten einmal absieht, so fällt es nicht
schwer, sich den Rest zu einer bühnenmässigen Handlung
umgestaltet zu denken. Die Form , in der sich die Dichtung
bewegt, ist vorwiegend die des Dialogs oder des Selbstge-
sprächs Der Schauplatz wechselt mit einer Leichtigkeit, die
für die grossen dramatischen Dichter England's zur Mode ge-
worden war. Hie und da glaubt man auf Effekte der Be-
leuchtung und Dekoration zu stossen , die wie dem Theater
entlehnt erscheinen. Fasst man aber die Charaktere in's
Auge, durch deren Spiel und Widerspiel Milton die Handlung
sich entwickeln lässt, so wird man alsbald seine Schwäche
gegenüber den grossen Meistern der dramatischen Poesie seines
Landes gewahr werden. Für ihn giebt es nicht jenen ge-
heinmisvolleu seelischen Hintergrund, auf dem die Gedanken
sich haschen und fliehen wie die verschwommenen Bilder
eines hin- und herschwankenden Spiegels, jenes Gemisch von
Neigung und Abneigung, Erinnerung und Ahnung, Stärke und
Schwäche, aus dem die Entschlüsse sich bilden und die Thaten
hervorgehn. Seine Charaktere sind fast niemals verwickelt, son-
dern in der Regel einfach, durchsichtig, ja mitunter ohne indi-
viduelles Leben, in blosse Schemen aufgelöst, eben gut genug,
dem Dichter als Maske zu dienen, durch deren "Shmd er nach
Gefallen rhetorisch, polemisch, dialektisch seine eigene Mei-
Satan und die Teufel. 77
niing an den Mann zu brinfjen sucht. Eben damit hängt
sein auffallender Mangel an Humor zusammen. Es giebt viel-
leicht keinen zweiten englischen Dichter, dem diese glückliche
echt englische Gabe in dem Grade abgienge wie ihm. Er
kann sich das Leben nicht als ein buntes, leicht bewegliches
Kaleidoskop denken, in welchem Scherz und Ernst, Lachen und
Weinen in raschem Wechsel sich ablösen und in einander über-
gehn, weil er selbst einer solchen Beweglichkeit der Stimmung
nicht fähig ist. Versucht er es je einmal , das Gebiet des
Komischen zu streifen, so geräth er in Gefahr, gi'otesk zu
werden oder sich mit geschmacklosen Wortspielen abzufinden.
Immer ist es seine Subjektivität, welche durchbricht, seine
sittliche Hoheit, sein Pathos, sein Idealismus, und selbst die
Verkörperung des bösen Princips lässt uns den Schöpfer nicht
über seiner Schöpfung vergessen.
Es wird wenig Leser des verlorenen Paradieses geben,
auf welche die Figur des Satan nicht die grösste Anziehungs-
kraft unter allen den Charakteren ausübt, die überhaupt in
dem Gedichte vorgeführt werden. Seine Gestalt drängt sich
so sehr hervor, dass Addison keinen Anstand genommen hat,
ihn den „Heros" des Epos zu nennen. Und ohne Zweifel
lässt dieses Wort sich rechtfertigen. Es ist freilich unbe-
streitbar, dass INIilton, der „den Fall des ersten Menschen"
besingen wollte, von einem epischen Helden im üblichen Sinne
mit vollem Bewusstsein absah. Allein unvermerkt wächst die
Figur des Satan in diese Piolle hinein. Er ist der Führer im
Kampf und der erste im Rath, gleich den Völkerhirten der
nationalen und romantischen Epen. Er erdenkt die listigsten
Anschläge und besteht die gefährlichsten Abenteuer gleich
Odysseus und Orlando. Seine Kraft ist selbst nach seinem
Sturz mit menschlichen BegritTen nicht zu messen. Sein
Körper bedeckt, auf dem Flammenpfuhl schwimmend, „Aveit
ausgestreckt, viele Hufen". Gegen seinen Speer gehalten, ist
die grösste norwegische Fichte, die einem Admiralschitf als
Mastbaum dienen soll, „nur eine dünne Gerte". — Gigantisch
wie alles, was mit seiner äusseren Erscheinung zusammen-
hängt, stellt sein geistiges Wesen sich dar. Wir verlieren
78 Satan und die Teufel.
niemals aus dem Auge, dass dieser Teufel ein gefallener
Engel ist, „einer der Erzengel, wenn nicht der Erzengel
ei'ster", von Haus aus mit allen grössten Anlagen ausgerüstet.
Nur eine Eigenschaft beraubt sie sämmtlich ihres Werthes:
unbezähmbarer Ehrgeiz, der ihn, den Prometheus der christ-
lichen Mythologie, den Vorläufer des Byron'schen Lucifer, zur
Empörung treibt. Aber eben diesen Grundzug seines Cha-
rakters sind wir am leichtesten geneigt zu verzeihen. Es
fehlt nicht viel, dass wir für den stolzen Revolutionär Partei
nehmen, der sich einem verletzenden Ceremonialgebot nicht
fügen will. Es wird uns schwer, das Rachegefühl des Be-
siegten zu tadeln, der nur dem ,.üonner", der physischen
Gewalt, erlegen ist. Ein Satan, der ungebrochenen Muthes,
glühenden Hasses voll, den Schmerz besiegend, in die eines
Cäsar's würdigen Worte ausbricht ., Besser in der Hölle
herrschen, als Knecht im Himmel sein", stellt sich als ein
Wesen .dar, aus nicht gemeinem Stoff gemacht. Und wie-
derum ein Satan , der fast zu Thränen gerührt wird , als er
zum ersten Male des unschuldigen Menschenpaares ansichtig
wird, beweist deutlich genug, dass er kein „wissentlicher
Feind" ist, dass er das Böse nicht aus Lust am Bösen sucht.
Mit einem Worte: diese Gestalt entlockt uns eben diejenige
Empfindung, welche nach Lessing dem „Helden der Epopöe"
zukommt. Wir „bewundern" diesen, während wir den Helden
des Trauerspiels „bemitleiden" (^).
Es ist klar, dass mit dieser Zeichnung des Satan ein
ungeheurer Fortschritt über die volksthümliche Auffassung
hinaus gemacht wurde. Freilich der jMilton'sche Teufel ist
noch nicht zu dem spöttischen Mephistopheles , dem bösen
Geist der modernen Gesellschaft , zusammengeschrumpft . der
im grossen nichts vernichten kann und es nun im kleinen
anfängt. Aber er ist auch nicht mehr das nordische Phantom
mit Hörnern, Schweif und Klauen. Man hat wohl Recht ge-
habt, zu behaupten, dass Milton zuerst den Satan und seine
Wohnstätte der noch obwaltenden populären Verzerrung mit
Erfolg entrissen habe. Eine solche Umwandlung gieng freilich
nicht ganz ohne Schaden für die plastische Greifbarkeit ab.
Satan uud die Teufel. 79
Kolossal, wie die ]\Iilton"sche Hölle und der Milton'sche
Teufel ersclieiuen, fehlen ihnen doch die bestimmten Umrisse
und Farben, welche der angstvollen Phantasie des gemeinen
Mannes unentbehrlich waren. Aber der Eindruck des Grausi-
gen und Unheimlichen wird dadurch verstärkt, dass die kör-
perliche Erscheinung der höllischen Mächte, eines mannich-
fachen Wechsels fähig, in geheimnisvollem Helldunkel auf-
und absch wankt (^).
Mitunter ist die Frage aufgeworfen worden, ob zu INIilton's
Satan nicht eine der grossen Persönlichkeiten Modell gesessen
habe, die in den gewaltigen Kämpfen seiner Zeit auf den
Schauplatz getreten waren. Die Frage liegt um so näher, für
je wahrscheinlicher man es hält, dass Vondel's Lucifer dem
englischen Dichter bekannt war. Auch in Vondel's Drama
hat man Anspielungen auf die Geschichte seines Vaterlandes
gefunden, und die Holliinder erblicken im Lucifer den rebel-
lischen „Statthalter", Wilhelm von Oranien. Dem würde es
am besten entsprechen, das Urbild zu Milton's Satan in Crom-
well zu suchen. In der That ist dieser Gedanke aufgetaucht,
und er hat unläugbar viel Bestechendes. Das überaus Kraft-
volle, Beherrschende, Selbstbewusste , das titanenhafte sich
Aufbäumen dessen, der sich gegen den „gesalbten" Himmels-
könig empört hat , um Tyrann in der Hölle zu werden : das
I alles waren Züge, die sich in Oliver Cromwell vorfanden.
Wenn Satan sich auf die „W^ahl" seiner Genossen beruft, die
ihn um seiner Verdienste willen an die Spitze gestellt haben,
wenn er beständig mit Freiheit athmenden Reden seine dik-
tatorische Gewalt rechtfertigt, wenn er sich zur Entschuldigung
seines Thuns auf den Staatszweck beruft, auf die „Nothwen-
digkeit", „den Rechtsgrund der Tyrannen", wie Milton hinzu-
fügt, so glaubt man den gewaltigen Protektor selbst, sogar
nach dem W' ortlaute seiner Reden, wiederzuerkennen. Allein
wie viel auch immer von Cromwell's Helden- und Herrscher-
natur auf die Gestalt des Satan übertragen worden sein mag,
dass mit diesem eine Satire des Protektors gegeben werden
sollte, ist nicht zu erweisen. Es ist wahr: Milton hatte keinen
Grund dazu, Cromwell als seinen Abgott zu verehren, aber
gQ Satan und die Teufel.
er brauchte ihn darum noch nicht als den obersten der Teufel
zu hassen. Und er hätte ein gutes Stück seiner eigenen
Vergangenheit verurtheilt, wenn er damals unter den Augen
der übermüthigen Sieger den Heros des Puritanismus in teuf-
lischer Maske dargestellt und dem Spotte preisgegeben hätte.
Auch gab es noch andere Grössen seiner Zeit, deren An-
denken neben dem Andenken Cromweirs sich wie von selbst
der Einbildungskraft des Poeten aufdrängen mochte. Wer
hatte eine unbeugsamere Willenskraft, eine stolzere Haltung
zur Schau getragen als Sti-afford ? Wo war ein besseres Ur-
bild des Despoten, des Listigen, des noch im Unglück Vor-
nehmen und Fesselnden zu finden als in Karl I. ? Wer hiess
dem Dichter mit mehr Piecht ein schlauer Heuchler, ein Ver-
räther der Freiheit, der „um schändlicher Dinge willen nach
Ehre strebt" als ]\IonkV Man wird eben nur dies sagen
dürfen, dass eine Reihe politischer Charaktere, die vor Milton's
Augen ihre Rolle gespielt hatten, ihm für die Zeichnung der
Centralfigur seines Epos brauchbare Züge lieferte, ohne dass
man seiner frei schaffenden Phantasie irgendwie Gewalt an-
thun dürfte (1).
Nicht weniger gemahnen die Genossen Satan's in ihrer
scharf ausgesprochenen Individualität an diese und jene Ge-
stalt des wirklichen Lebens. In Whitehall oder in West-
minster ist der Dichter ihnen schon begegnet. Er hat sie
alle gelegentlich kennen gelernt: jenen Moloch, den wilden
Kriegsteufel, dessen Sinn nur auf Mord und Zerstörung steht,
jenen Belial, den „graciösesten Kavalier der Hölle', von
aussen „erhaben und würdig, aber innen falsch und hohl,
dessen Zunge von Lianna überfliesst" , jenen Mammon, den
gemeinen Geldteufel, der am Himmel nichts mehr bewundert
als den Schmuck von Gold und Edelsteinen, jenen Beelzebub,
den Senator von gedankenschwerer ]Miene, der als ein „Pfeiler
des Staates", als ein „Weiser mit Atlantenschultern" sich
darstellt. Die grosse Meisterschaft, mit der die ganze höllische
Rathsversammlung geschildert wird, lässt die Vertrautheit des
Dichters mit dem Gange lebhafter parlamentarischer Debatten
erkennen. Und in dem wilden Sturm der gefallenen Engel
Gott, Gottes Sohn und die Engel. 81
gegen die „geschlossene Phalanx" der himmlischen Heer-
schaaren erbraust aufs neue der kecke Angi-iff von Ruperts
Reiterschaaren gegen die eiserne Schlachtreihe der gottbe-
geisterten Heiligen.
Gegenüber der Hölle und ihren Geschöpfen ist der Himmel
mit seinen Bewohnern entschieden zu kurz gekommen. Hier
ist die Stelle, an der ein Poet am ehesten scheitern musste,
den seine Aufgabe dazu verlockte, die höchsten Gegenstände
der Theologie sinnlich vorzustellen, und in dem doch der
Theologe zu stark war, als dass er hätte wagen können,
seiher anthropomorphischen Neigung die Zügel schiessen zu
lassen. Das Ergebnis war ein Kompromiss, das die Frommen
nicht befriedigen kann und die Dichtung nicht rettet. Wir
fühlen uns in dem Milton'schen Himmel unbehaglich wie auf
dem glatten Parkett eines grossen Palastes und bei jedem
Schritt stossen wir auf die steife Grandezza einer vornehmen
Hofhaltung. In diesem durchdufteten, blumengeschmückten
Räume, in dem es auch an reichbesetzten Tafeln mit Perlen-
glanz und Goldgefässen nicht fehlt, glaubt man sich in der
That, mit einem geistreichen Franzosen zu reden, wie nach
Whitehall versetzt (^j. Die Hofkapelle der Engel musicirt,
und das sogar „eine ganze Nacht lang", Tänze werden auf-
geführt, bei Gelegenheit des grossen Staatsaktes wird ein
ausserordentlicher militärischer Pomp entfaltet, alles mit ge-
höriger Abstufung von „Hierarchieen, Ordnungen und Graden".
Gott selbst erscheint nicht in der lebendigen Hoheit der
grossen nationalen Epen oder des alten Testaments, so manche
einzelne Züge ihnen auch abgeborgt worden sind. Er re-
präsentirt wie ein Monarch. Die Etikette Karls I. umgiebt
ihn, und sein Mund tliesst von der theologischen Weisheit
Jakob's I. über. Er ist allmächtig und bespricht sich doch
mit seinem Sohne über die drohende Gefahr, das Reich zu ver-
lieren. Er ist allgütig und lässt es doch zu, dass sich seiner
Allgüte zum Trotz die Sünde in seine neue Schöpfung einschleicht.
Wir werden noch Gelegenheit haben, zu bemerken, in-
wiefern Milton bei der Erläuterung des göttlichen Willens
von den Satzungen des strengen Calvinismus abwich. So viel
Stern, Milton u. >. Z. II. 4. 6
82 Gott, Gottes Sohn und die Engel.
ist gewiss: auch seine Erklärung des Centraldogmas der re-
formirten Kirche kann der poetischen Gestaltung des Gött-
Hchen nicht zu statten kommen. Ein Kampf der höheren
Gewalten, über dessen Ausgang man ernstlich zweifelhaft
wäre, oder das Walten einer dunklen, selbst vom göttlichen
Willen nicht schlechthin abhängigen Schicksalsmacht ist für
den Dichter von christlich-reformirter Anschauung unmöglich
geworden. Der Wille seines Gottes ist das „Fatum". Bleibt
auch dem menschlichen Willen gegenüber diesem noch ein
weiter Spielraum, der ihm die Wahl zwischen Gut und Böse
gestattet, so hat doch das göttliche Wesen wenigstens mit
aller Sicherheit „vorhergewusst", wohin sich diese Wahl neigen
werde. Die ganze himmlische Maschinerie kann daher wohl
als eine Art von Observatorium für die menschlichen Hand-
lungen gelten, aber sie greift recht wirksam in dem Augen-
blick erst in das irdische Dasein ein, nachdem die entschei-
dende That geschehen ist und die Strafe herausfordert.
Man könnte glauben, dieser so fühlbar lückenhafte poe-
tische Zusammenhang zwischen Makrokosmos und Mikrokos-
mos würde durch die Gestalt des Messias hergestellt, der sich
als die schöpferische erscheinende Gottheit enthüllt. Allein
auch hier wieder sah sich Milton genöthigt, den Anforde-
rungen der religiösen Formel die dichterische Wirkung auf-
zuopfern. Seine Auffassung des göttlichen Sohnes entfernt
sich zwar nicht weniger weit vom Standpunkt der Recht-
gläubigkeit wie seine Auffassung des göttlichen Willens, aber
gleichfalls ohne sonderlichen Nutzen für die Bedürfnisse seiner
Dichtung. Man fühlt es, welchen Schaden diese durch jene
Theilung der Gewalten leiden musste. Der eine väterlich
ehrwürdige Gott der Genesis ist verschwunden. Für den
Messias, den „Vicekönig des Himmels", muss erst mit aller
Anstrengung ein Feld der Thätigkeit gesucht werden. Seine
Gestalt Hesse sich mit Leichtigkeit aus dem Gedicht heraus-
nehmen. Selbst zu der Empörung Satan's und seiner Genossen
hätte sich unschwer ein Motiv erfinden lassen, für das die
Figur des zu einem höheren Range erhobenen Gottessohnes
entbehrlich gewesen wäre. Wie einfach, erhaben und doch
Gott, Gottes Sohn und die Engel. — Adam und Eva. 83
persönlich greif])ar wirkt nach dem Vorbilde des Buches
Hiob „der Herr'- im Prolog zum Faust, so wenig Worte er
auch spricht. Wie kalt, ceremoniell und abgeblasst bleiben
Gott Vater und Gott Sohn bei Milton mit allen den theolo-
gischen Dissertationen, die sie uns zum besten geben. —
Man wird sich ebenso wenig durch die verschiedenen Engels-
gestalten befriedigt fühlen, die er kommen und gehen lässt.
Sie sehen sich alle zum Verwechseln ähnlich, kaum dass sich
hie und da der Ansatz zu einer individuellen Charakteristik
findet. Will der Dichter die Vorgänge und die Gestalten des
Himmels unserem Verständnisse näher bringen, so weiss er
wenig besseres zu thun, als auf antike Vorbilder zurückzu-
greifen. Die Himmelsspeise ist Nektar und Ambrosia, der
Kampf mit den rebellischen Engeln nimmt die Formen des
Titanenkampfes an, und Raphael, im Begriff, zum Paradiese
hinabzufliegen, sieht sich herrlich an „wie Maja's Sohn".
Milton täuscht sich nicht darüber, welches sein „Heimat-
element" sei, weder die Hölle noch der Himmel, sondern die
Erde. Hier fühlt man sieh, nachdem man die unteren und
oberen Regionen an seiner Hand durchwandelt hat, mit ihm
zu Hause. In den sprachbegabten Bewohnern dieser kleinen
Welt erkennt man mit Freude seines gleichen. Wenn alle
übrigen Theile des Milton'schen Epos veralten sollten, das
anmuthige Idyll des paradiesischen Lebens, das durch den
Gegensatz zu den beiden anderen Schauplätzen der Handlung
noch mehr gehoben wird, würde immer im frischen Glänze
ewiger Jugend strahlen. Der Dichter kann es bei dieser
Schilderung des seligen, unschuldigen Daseins mit den grossen
Meistern anderer Künste dreist aufnehmen, mag er nun ein
wundervolles Bild üppiger Landschaft entwerfen oder das erste
Menschenpaar inmitten dieser Schönheit und Frieden athmen-
den Umgebung uns vor Augen führen. Man glaubt die un-
sterblichen, reinen Klänge der Haydn'schen Schöpfung zu
hören, wenn Adam und Eva, vom Satan belauscht, zuerst in
die Erscheinung treten, die beiden „edlen Gestalten, aufrecht,
schlank, mit angeborner Würde angethan, in nackter Ma-
jestät".
84 Adam und Eva.
Sein Wesen ernstes Denken, tapfre That,
Ihr Wesen milde Anmuth, süsser Reiz,
Er nur für Gott, und sie für Gott in ihm.
Sein kühner Blick, die schöne hohe Stirn
Verkündeten den Herrscher. Kraus und dicht
Hieng von dem Scheitel ihm das dunkle Haar
Bis auf der Schultern breiten Bau herab.
Ihr flössen goldne Locken, luftig, frei
In losen Ringeln ohne fremden Schmuck,
Gleich einem Schleier um die schlanke Hüfte . . .
Sie giengen Hand in Hand; ein hold'res Paar
Hat nie seitdem in Liebe sich umarmt.
Adam, der schönste seiner Menschensöhne,
Und Eva ihrer Töchter lieblichste.
Es sind ein paar Naturkinder, Ideale von Schönheit,
Gesundheit und Naivetät, etwa so, wie sich das achtzehnte
Jahrhundert die ßlücklichen Bewohner der Südseeinseln aus-
zumalen liebte. Oder vielmehr sie sollten es sein, wenn nicht
der Dichter selbst allzu häufig einen Strich durch die Rech-
nung machte und die Anschauungen, welche ihm und seinem
Zeitalter eigen sind, auf das Paradies zu übertragen sich ge-
drungen fühlte.
Allerdings wird es immer bewundernswerth bleiben, mit
welcher Feinheit er gewisse allgemein menschliche Züge, und
eben solche, die zur unterscheidenden Charakteristik des
Seelenlebens der beiden Geschlechter dienen, zu treffen ge-
wusst hat. Es ist .ihm vorzüglich gelungen , den Forschungs-
trieb, den Thatendrang und die Selbstbeherrschung des Mannes
in Gegensatz zu der grösseren Genügsamkeit, Empfänglichkeit
und Nervosität des Weibes zu stellen. Adam's erstes Ge-
schäft, nachdem er zum Dasein erwacht, ist, den Himmel zu
betrachten, aufzuspringen und Land und Thiere ringsum in
Augenschein zu nehmen. Eva blickt zuerst in den Spiegel
eines klaren Teiches und freut sich ihres reizenden Bildes.
Adam kann sich nicht satt hören an dem Bericht von fremden
Dingen, den ihm der Erzengel Raphael ertheilt. Eva „spart
sich den Genuss, bis Adam Erzähler sei, sie einz'ge Hörerin;
sein Wort zog sie des Engels Worten vor". Adam verstummt
vor Schmerz, als er vernimmt, dass die Verbannung aus dem
Adam und Eva. 85
Paradiese unabwendbar sei. Eva verrath durch lautes Jam-
mern das Versteck, in dem sie die Botschaft gehört hat.
Diese Züge werden wegen ihrer psychologischen Wahrheit
zu allen Zeiten ansprechen, andere indessen, die dem Bilde
des ersten Menschenpaares angehören, werden den modernen
Leser abstossen. Mit so lebhaften Farben IMilton das Glück
ihres Zusammenseins schildert, so lässt er doch darüber keinen
Zweifel aufkommen, dass er das Weib für ein Wesen von
untergeordnetem Range hält. Er sagt es ausdrücklich: die
beiden Geschöpfe stehen sich „nicht gleich". Er versäumt
keine Gelegenheit, diesen Gedanken eindringlich zu wieder-
holen. Eva äussert sich gegenüber Adam mit einer Unter-
würfigkeit, die freilich so ernst nicht gemeint ist, von ihm
aber doch als baare Münze angenommen wird. Die himm-
lischen Besucher des Paradieses behandeln sie sämmtlich mit
ausgesuchter ünhöflichkeit. Alles, was sie reizend und un-
widerstehlich macht, die Schönheit ihrer Erscheinung, die
Schmeichelkunst ihrer Rede, bildet nur die Folie zu ihrer
Schwäche, welche die beständige Führung des Mannes erfor-
dert. Der puritanische Republikaner Milton begegnet sich
in diesem Punkte mit dem ultramontanen Legitimisten Bonald.
Man wird nicht irre gehn, wenn man in der herben Beur-
theilung des weiblichen Geschlechts eine Nachwirkung eigener
Lebenserfahrungen des Dichters erblickt. Seitdem er die
erste Schrift über die Ehescheidung geschrieben hatte, stand
seine Meinung hierüber fest. In seinem theologischen Traktate,
mit dem er sich bis gegen das Ende seines Lebens beschäf-
tigte, nahm er keinen Anstand, sie in aller Schärfe zu wieder-
holen. Aber man muss zu gleicher Zeit bedenken, wie sehr
sein Thema dieser Auffassung entgegen kam. Nach der Bibel
war das Weib geschaffen, um eine „Gehülfin" des Mannes zu
sein. Es war das Weib, welches der Versuchung der Schlange
erlag. Des Weibes Wille wurde ausdrücklich von Gott dem
Willen des Mannes „unterworfen". Kein Wunder, wenn
Milton hierin eine Bestätigung seiner eigenen Lleen fand und
gleichsam gezwungen wurde, sich in ihnen zu bestärken.
Es wird noch etwas anderes zu erwägen sein , um der
gß Adam und Eva.
Zeichnung der ersten Menschen, wie sie Milton gefallen hat,
vollkommen gerecht zu werden. Er unternahm es, mensch-
liche Wesen zu schildern, deren Vergangenheit beinahe einem
unbeschriebenen Blatte glich, deren Blicke nie über die Gren-
zen ihres schönen Gartens hinausgeschweift waren, deren Er-
innerungen beschränkter waren als die eines Kindes. Mit
ihnen fieng die Geschichte der Menschheit an. Sie zuerst
hatten die Erfahrungen der einfachsten Vorgänge ihres
eigenen Lebens und der sie umgebenden Natur zu machen.
Wie schwierig musste es sein, nur ihrem Ges'präche die rich-
tige Färbung zu geben, nur für ihre tägliche Beschäftigung
von allen Voraussetzungen abzusehn, die für den paradiesi-
schen Bildungszustand, wenn das Wort erlaubt ist, zu hoch
gegriffen gewesen wären. Hier hätte ein Homer bei jedem
Schritte straucheln müssen, man darf einem Milton nicht übel
nehmen, wenn sein Gang unsicher wird. Er war sich dieser
bedenklichen Seite seiner Aufgabe wohl bewusst, bei keiner
Stelle mehr, als wo der Erzengel seinen Gastfreunden vom
Kampf um den Himmel erzählt. Er lässt ihn sagen, dass er
versuchen müsse, „Himmlisches mit irdischem Masse zu mes-
sen", aber was konnte diese Herablassung seinen Zuhörern
nützen, für welche die Begriffe Standarte und Streitwagen
wie so viele andere erst einer weitläuftigen Erklärung bedurft
hätten, da sie auch mit „irdischem Masse" für sie nicht mess-
bar waren. ]\Ian wird einen ähnlichen Einwand machen, wenn
Adam sich danach sehnt, in der Erde zu ruhn, wie ,,in seiner
Mutter Schooss", er, der keine Mutter gehabt hat, oder wenn
Eva vorschlägt, die üppigen Gebüsche ,,zu beschneiden'", sie,
deren Hausrat so geringfügig ist, dass sie sich die Thränen
mit ihren blonden Locken trocknen muss. Beständig drängt
sich die Unmöglichkeit auf, vom historischen Menschen zu ab-
strahiren und sich in einen reinen Naturzustand zu versetzen.
Allein es wäre eben so pedantisch, Milton deshalb einen
Vorwurf zu machen, wie sich darüber aufzuhalten, dass er das
Problem der Entstehung der Sprache in derselben naiven
Weise gelöst sein lässt wie die Bibel. Die ästhetische Wir-
kung wird dadurch nicht berührt. Sobald aber dies in Folge
Adam und Eva. 87
des Hineintragens fremder Begriffe der Fall ist, werden wir
den Dichter verantwortlich machen. Es geht nun freilich zu
weit, wenn man in Adam den ehrenfesten Wähler seiner Graf-
schaft, das whigistische Mitglied des Hauses der Gemeinen,
in Eva das Muster der wackeren, auf Haus und Hof bedach-
ten Landlady hat finden wollen, obw^ohl dem Bilde der ersten
Menschen von dem englischen Dichter einige nationale Züge
ganz natürlich beigemischt worden sind. Hätte er es indessen
nur bei diesen bewenden lassen, w^ürfe er den nackten Ge-
stalten der unschuldigen Kinder nicht dann und wann den
faltigen, schwarzen Talar um die Schultern, drückte er ihnen
nicht von Zeit zu Zeit die viereckige Kappe aufs lockige
Haupt, so dass sie sich in dieser Verkleidung wie Baccalaurei
von Oxford und Cambridge geriren, um mit einer Weisheit
und mit einem Eifer, die auf das Katheder passen würden,
diese und jene These zu verfechten! Vor allem Adam leistet
in dieser Verkleidung das Stärkste. Er docirt gegenüber
Gott über die Un Vollkommenheit des Junggesellenlebens, ge-
genüber dem Erzengel Raphael über die Freiheit des Willens,
gegenüber Eva über die Unwürdigkeit des Müssigganges, über
die Vortrefflichkeit eines haushälterischen Weibes, über die
gefährlichen Wirkungen der Phantasie, über die höheren
Zwecke der Liebe und über was sonst nicht.
Alles zusammengefasst : die Charakteristik der handelnden
Personen des verlorenen Paradieses bleibt hinter dem Aufbau
der Handlung an Reichthum und Folgerichtigkeit bedeutend
zurück. Die Gestalten der Hölle werden am besten, diejenigen
des Himmels am wenigsten gelungen erscheinen. Die Men-
schen stehn auch hier in der Mitte, sie werden das Auge oft
im höchsten Grade entzücken, oft im höchsten Grade er-
müden. —
Von der Fabel wie von den Charakteren des Gedichtes
mag eine wenn auch leichthingewoifene Skizze einigermassen
einen Begriff geben. Diejenigen seiner Schönheiten, welche
ihm recht eigentlich sein episches Gepräge verleihen, können
nur gewürdigt werden, wenn man sich die lohnende Mühe
nimmt, das Werk in der Ursprache zu studiren. So mächtig
38 Das epische Element.
das dramatische Element in ihm hervortritt, so kommt doch
auch, wie man bemerkt haben wird, das deskriptive durch-
aus zu seiner Geltung. In den grandiosen und lieblichen
Schilderungen, in Bildern und Vergleichen von unerhörter
Grossartigkeit und Mannichfaltigkeit, in der Erfindung der
kühnsten und wirksamsten Allegorieen feiert die Phantasie
des Dichters ihre höchsten Triumphe. Das Alter hat ihr
nichts an Kraft entzogen, die Blindheit hat ihr nichts an
Feuer genommen. Ja man darf vielleicht sagen, dass, was
das Unglück des Menschen war, dem Dichter hie und da zu
statten gekommen ist. Wenn sich so auffallend viele Stellen
in dem verlorenen Paradiese vorfinden, in denen Lichtwirkun-
gen der verschiedensten Art und Abstufung mit ausserordent-
lichem Glück aufs feinste ausgemalt und poetisch verwendet
werden, so wird man zu der Frage gedrängt, ob nicht manche
dieser berühmten Verse eben der Blindheit ihres Autors zu
verdanken sein mögen. Er schilderte den Glanz der Sonne,
den Schiinmer des Mondes, die Gluth emporlohender Flammen
und das Farbenspiel bunter Blumen nicht mit dem Behagen
dessen, dem jeder Tag diesen Anblick gewähren kann, son-
dern mit der Sehnsucht dessen, dem dieser Anblick auf immer
geraubt ist. Umgeben von undurchdringlicher Nacht , suchte
er sich in einer Art schmerzlicher Lust gerade diejenigen
Bilder zurückzurufen, welche den grössten Gegensatz zu diesem
Dunkel ausmachten. Allein diese gezwungene Abgeschieden-
heit von der Aussenwelt hatte noch einen anderen Vortheil.
Ungestört durch den zerstreuenden Eindruck der Gegenstände
des täglichen Lebens, erhob sich der Dichter zu den unge-
wohntesten und umfassendsten Vorstellungen. Der übliche
Mass-Stab war ihm abhanden gekommen. Ein grenzenloses
Gebiet that sich vor seinem geistigen Auge auf, um sich jeder
beliebigen Eintheilung und Füllung zu fügen. So baut er
über dem unermesslichen Chaos den unermesslichen Himmel
auf. So lässt er nach Niederwerfung der Empörung Sa-
tan's ein Stück des Chaos als Sitz der Hölle ausscheiden, ein
anderes durch den göttlichen Schöpfungsakt zu dem gebildet
werden, was uns das Weltall ist. Und doch erscheint dieses
Kopernikanisches oder ptolemäisches System? 89
Universum mit allen seinen unzählbaren Gestirnen dem Satan
von ferne nicht grösser als uns einer der kleinsten Sterne.
Selten hat die Einbildungskraft eines Dichters der sinnlichen
Anschauung etwas ähnliches zugemuthet.
Hier entsteht nun die Frage, zu welchem astronomischen
Systeme sich Milton bekannt habe, und ob es dasselbe sei,
welches er der Maschinerie seines Gedichtes zu Grunde ge-
legt hat. Darüber, dass dieses das ptolemäisch-alphonsinische
war, kann für den aufmerksamen Leser des Werkes kein
Zweifel übrig bleiben. Eine Anzahl von Stellen beweist es,
und es sind eben solche, in denen der Dichter nicht etwa
andere sprechen lässt, sondern selbst das Wort nimmt (\).
Aber es wäre ebenso voreilig, daraus schliessen zu wollen,
dass er von der Richtigkeit dieses Systems überzeugt gewesen
wäre, wie gelegentliche poetische Phrasen vom guten und
bösen Einfluss der Gestirne zu benutzen, um ihn zu einem
Anhänger der Astrologie zu stempeln. i\Ian ]>edenke, welcher
Aufgabe er sich gegenüber befand. Seine nächste Vorlage
war auch hier das alte Testament. Von dessen Schöpfungs-
geschichte durfte er so wenig wie möglich abweichen, wenn
er die theologische Grundlage seines Werkes nicht überhaupt
zertrümmern, das Auge seiner bibelkundigen Leser nicht aufs
schwerste beleidigen wollte. Mit welchem Systeme Hess sich
aber die biblische Kosmologie besser verbinden: mit dem-
jenigen, das erst eben im Begriife war, dem kopernikanischen
den Platz zu räumen oder mit diesem, das noch keineswegs
zu den Schätzen des allgemeinen Bewusstseins gehörte? Ln
verlorenen Paradiese mussten nothwendig Sonne, Mond und
Sterne zum Nutzen der Erde gemacht sein, musste die Erde
nothwendig als jMittelpunkt der ., neuen Schöpfung" gedacht
werden, da sie und ihre menschlichen Bewohner auch im
Mittelpunkte des gesammten Interesses standen. Auf diese
Weise liess sich durch die sinnlichsten Mittel ein leichtfass-
licher und greifbarer Zusammenhang zwischen den einzelnen
Theilen des poetischen Universums, Hölle, Chaos, Welt und
Himmel, herstellen. Auf diese Weise wurde ferner am besten
Raum gewonnen für die Anlage jenes „Narrenparadieses", mit
9Q Kopernikanisches oder ptolemäisches System?
dessen luftigen Gestalten sich im Verlaufe der Menschheitsge-
schichte die äussere Oberfläche der letzten Sphäre füllen
sollte. Auch dieses war nur eine Ausgeburt der Phantasie,
auch hierauf Hesse sich das Goethe'sche „Willst du Dichter
ganz verstehn, musst in Dichters Lande gehn" mit vollem
Rechte anwenden. Aber mit demselben Rechte gilt es für die
ganze Kosmologie, zu der sich Milton aus poetischen Gründen
verstand.
Er lässt es indess an deutlichen Fingerzeigen in Betreff sei-
ner wahren Ansicht nicht fehlen. Es ist doch sehr bemerkens-
werth, wie fast an jeder Stelle des Gedichtes, wo ein natur-
wissenschaftlicher Zweifel sich vordrängen kann, gleichsam zur
Beschwichtigung desselben, ein abschwächender oder erläu-
ternder Zusatz gemacht wird. Als von den klimatischen
Veränderungen die Rede ist, die nach dem Sündenfall in Folge
der eintretenden Schiefe der Ekliptik fühlbar werden, heisst
es ausdrücklich, dass diese Neuerungen nicht plötzlich, son-
dern „langsam" erfolgt seien. Als Satan durch unzählbare
Sterne auf die Sonne zufliegt, sind diese Sterne nicht einfach
am Firmament aufgehängte Lampen, sondern „andere Welten",
von deren Bewohnen! indessen nichts Näheres gesagt wird, da
Satan die Glücklichen nicht heimsucht. Adam „scheint es"
nur so, als ob die Leuchten des Himmels ausschliesslich für
die Bedürfnisse der Erde bestimmt seien , aber er ist nicht
ganz gewiss darüber. Und in derselben zweifelnden Weise wer-
den das alte und das neue astronomische System nebeneinander
gestellt, als Uriel's Reise auf einem Strahl der Sonne zu er-
wähnen ist. Am stärksten drängt sich indessen jenes Ge-
spräch zwischen Raphael und Adam der Beachtung auf, in
welchem die Grundzüge der beiden Systeme entwickelt werden
(s. 0. B. L 279). Es ist im höchsten Grade bewundernswerth,
wie der Dichter durch ungezwungene Einflechtung dieser
Stelle die grosse Schwierigkeit überwunden hat, die darin ge-
legen war, jene ihm unentbehrliche Maschinerie beizubehalten
und doch durchschimmern zu lassen, dass auch sie in späterer
Zeit, wenn Zweifel und Forschen unwiderruflich an Stelle des
gläubigen Vertrauens treten werde, mit dem „verlorenen Pa-
Kopernikanisches oder ptolemäisches System? 91
radies" ferloren gehen müsse. Zu gleicher Zeit aber gab er
seiner eigenen Meinung einen ziemlich unverblümten Ausdruck.
Es wäre höchst unpassend gewesen, sich durch den Mund
des Erzengels etwa mit der Bestimmtheit zu äussern, die sich
Davenant in seinem Gondibert gestatten durfte (0. Aber der
Spott, mit dem alle jene vergeblichen Anstrengungen verlacht
werden, die Schäden der alten Lehre auszuflicken, ist zu
bitter, als dass es ferner erlaubt wäre, ]\Iilton unter ihre auf-
richtigen Verehrer zu zählen. Ja eine Wendung kommt in
dieser Auseinandersetzung des Erzengels Raphael vor, die mir
zu beweisen scheint, dass Milton viel tiefer in die naturwis-
senschaftlichen Forschungen seiner Zeit eingedrungen war als
man gewöhnlich annimmt. Er begnügt sich nämlich nicht,
von einer ,,dreifachen Bewegung" der Erde zu sprechen (^).
Er wirft YIII. 122 ff", die Frage auf, denn anders lassen sich
seine Worte nicht verstehn, ob nicht eine gegenseitige
Anziehung der Sonne, als des Mittelpunktes der Welt, und
der anderen Gestirne stattlinde.
AYhat if the suu
Be eentre to the world aud other stars,
By his attractive virtue and their own
Incited, dance about him various rounds.
So schreibt er zwei Jahrzehnte vor dem Erscheinen von Xew-
ton's „Principia".
Man sieht: es war nicht allein die Erinnerung an Ga-
lilei, die in Milton nachwirkte. Er hatte auch nicht ohne
Gewinn den Umgang so mancher der Männer genossen, die
zu den Mitgliedern der Royal Society gehörten. Mögen sich
in seinen Jugendgedichten Ausdrücke vorfinden, welche be-
weisen, dass er damals noch in den mittelalterlichen An-
schauungen der Sternkunde befangen war, in seinen späteren
Jahren hatte er sich nicht nur aus diesen herausgearbeitet,
sondern er hatte auch, soweit das einem theilnehmenden Laien
möglich war, für die grösste naturwissenschaftliche Idee seiner
Epoche Verständnis gewonnen. Ueber die blosse Skeptik
Bacon's, dessen Anregung er sonst so viel verdankte, war er
weit hinausgeschritten, und dennoch durfte er es wagen, an
92 Das lyrische Element.
einer poetischen Illusion festzuhalten, an der vielleitht selbst
Bacon Anstoss genommen haben würde (^). Er durfte es, weil
sein Zeitalter doch nur eine geringe Anzahl von Köpfen be-
sass, in denen hinlängliche Klarheit herrschte, um durch den
frommen Betrug des Dichters verletzt werden zu können. Die
grosse Masse war den Fortschritten der Forschung noch nicht
gefolgt, die allgemeinen Vorstellungen bewegten sich höchstens
in einem unsicheren Dämmerlicht, und zwischen Theologie
und Wissenschaft eine Grenze zu ziehn, mochte den wenigsten
möglich werden. Aber man wird sagen dürfen, dass für einen
Versuch der Art, wie ihn Milton unternahm, nie wieder die
Möglichkeit gegeben worden ist. Jeder spätere Dichter hatte
in einem ähnlichen Fall mit dem wissenschaftlichen Gemein-
gefühl seiner Zeit zu rechnen, und es war ihm nicht erlaubt,
sich ungestraft in AYiderspruch mit ihm zu versetzen.
Ein geistreicher Bewunderer des Milton'schen Gedichtes
hat die Bemerkung gemacht, dass es gleichsam die vier para-
diesischen Ströme der Poesie in sich aufnehme, die man den
vier Almen des Stromes von Eden vergleichen kann. Haben
wir auf die starken dramatischen Züge hingewiesen, die trotz
der epischen Grundform sich vordrängen, so dürfen wir über
die vorwiegend lyrischen und didaktischen Elemente, die das
verlorene Paradies enthält, nicht hinwegsehn. Es giebt in der
That keinen Gesang dieses Buches, der dem Leser nicht die
ehrwürdige Gestalt, den edlen Charakter des Dichters vor
Augen führte. Was er jemals genossen und gelitten, was er
ersehnt und entbehrt hatte, die Ideale des Jünglings, die
Kämpfe des Mannes, die Enttäuschungen des Greises, Ur-
theile über Menschen und Dinge, Erfahrungen des häuslichen
und politischen Lebens, Worte bitterer Satire und Sprüche
ruhiger Weisheit: das alles, für jeden theilnehmenden Leser
unvergesslich , war in die Verse seines Gedichtes verwoben.
Auch er konnte in mehr als einem Sinne sagen, dass er sein
Paradies verloren habe, und Trauer bildet den Grundton sei-
ner Leier. Er ruft das „heilige Licht'' au, die „Erstgeburt
Das lyrische Element. 93
des Himrfiels, gleich ewig mit dem Ewigen", aber nur um
sich zu erinnern, dass es ihm nicht mehr leuchtet :
Wohl wiederkehrt
Der Jahreszeiten Lauf; mir kehrt kein Tag
Zurück, kein Morgen- und kein Abendroth,
Nicht süsse Frühlingsblüthcn, nicht die Rose
Des Sommers und der Heerden muntres Spiel,
Mir lacht der Menschen göttlich Antlitz nicht.
Er weiss, dass er nicht auf den Beifall der Menschen zu
rechnen hat, er, das Mitglied der besiegten Partei, im Wider-
streit mit den herrschenden Mächten und mit dem herrschen-
den Geschmack:
In bösen Tagen, unter bösen Zungen,
Von Finsternis, Gefahr und Einsamkeit
Umringt.
Mitunter beschleichen ihn rührende Zweifel an der Kraft sei-
nes Genius:
üb nicht
Die stumpfgeword'ne Zeit, das kalte Land,
Des Alters schwerer Druck die Schwingen lähmt.
Aber immer wieder erhebt ihn eine heldenmüthige An-
strengimg über die melancholischen Gedanken und den Schmerz
herber Enttäuschungen empor. Er fühlt „das schönere Para-
dies" in sieh selbst. Je dunklere Nacht ihn umfängt, desto
heller strahlt ihm „das himmlische Licht im Inneren". Je
weniger Hörer er für sein Lied zu finden erwartet, desto
stolzer ist er darauf, dass sie würdig seien, es zu vernehmen.
Mit den grossen blinden Sängern und Sehern der Vorzeit will
er wetteifern :
Begeistert von Gedanken, die sich selbst
Zu Mass und Wohllaut fügen, wie versteckt
Aus dichtestem Gebüsch, im Dunkel wach,
Die Nachtigall ihr Lied erschallen lässt. —
Der Vergleich war schön, aber er war nicht erschöpfend.
Die Muse Milton's war zu feurig und zu streitbar, um sich dabei
zu begnügen, das schmachtende Lied der Nachtigall nachzu-
ahmen, Sie stimmte eben so oft den alten Schlachtgesang
an, der die zersprengten Kampfgenossen um die zerfetzte
g^ Puritanische Tendenz.
Fahne sammeln und zum Trotz der übermüthigeu Sieger weit-
hin erschallen sollte. Man brauchte nicht lange zu suchen,
um die „frechen :\Iiethlinge der Kirche" zu finden, die „jedes
Gewissen mit weltlichem Zwang binden wollten". Man hatte
nur nach Whitehall zu gehn, um ,.das erkaufte Lächeln feiler
Dirnen*' zu erblicken oder den „rohen Lärm" der tobenden
Bacchanten zu hören.
Die Zelte, die so reizend schienen, sind
Der Bösen Wohnungen, in ihnen haust
Des Brudermörders Stamm. Wohl sind sie klug,
Bedacht auf Künste, die das Leben schmücken,
Doch ihres Schöpfers, der sie klug gemacht
Vergessen sie, verachten seine Gaben . . .
Du sähest jene schöne Frauenschaar,
Göttinnen gleich, so schmeichelnd, fröhlich, hold.
Doch jeder Ehre baar, mit der geschmückt
Das Weib des Hauses edle Zierde wird,
Erzogen nui" für Sinuenlust und Tand
Zu fi-echem Tanz und lüsternem Gesang,
Zum Zungendreschen und zum Augeuspiel.
Für sie wird jener ernste Männerstamm,
So fromm, dass man sie Gottes Söhne hiess.
Die Tugend schmählich opfern und den Euhm.
Besiegt vom buhlerischen, süssen Reiz
Gottloser Schönen, schwimmen sie in Lust.
Jetzt lachen sie — bald schwemmt die Fluth sie weg,
Und einen Strom von Thränen weint die Welt.
Es ist der Erzengel Michael, der diese Worte an Adam rich-
tet, indem er ihm die Verbindung derer, welche als „Söhne
Gottes" erschienen waren, mit den Töchtern Kain's vorführt.
Aber jeder fühlt, dass der Dichter auch seine eigene Zeit im
Auge hat, die Lockerung von Zucht und Sitte, für welche die
höheren Stände das Beispiel gaben, die Herrschaft leichtfer-
tiger Schönen, die mitunter erst aus dem Ausland eingedrun-
gen waren, die Verweichlichung englischer Männer, die erst
wenige Jahre vorher unter dem Scepter puritanischer Strenge
gestanden hatten. Und so bricht au zahlreichen Stellen des
Gedichtes die religiöse, politische oder ethische Tendenz der
besiegten Partei durch, sei es im Lobe des improvisirten Ge-
Das didaktische Element. Die Weltanschauung. 95
betes der ersten Menschen oder in der Verweisung des mön-
chischen „Plunders" in's Narrenparadies, in der Anempfehlung
des Masshaltens beim Genuss oder in den Ausfällen gegen
„fürstlichen Pomp und goldbetresste Schranzen", So oft die
Fragen von Befehl und Gehorsam, Herrschen und Dienen be-
rührt werden, erkennt man den Verfasser des Bilderstürmers
und der Vertheidigung des englischen Volkes wieder. Er
hält die Grundsätze aufrecht, die er damals verfochten hat,
und wenn einer der gefallenen Engel seine Genossen auffor-
dert, „die harte Freiheit dem leichten Joch glänzenden Dien-
stes vorzuziehen", so scheint der Gegner des Salmasius
wieder wie vor Jahren mahnend zu seinen Landsleuten zu
sprechen. Aber er täuscht sich auch nicht darüber, dass
jene „äussere Freiheit" ohne Bändigung der „inneren unwür-
digen Mächte" nicht zu erringen ist. Er kennt keine poli-
tische Reform ohne sittliche Grundlage, Und so lange es an
dieser fehlt, erscheint ihm die Herrschaft eines „starken Herrn"
als ein Ausfluss der göttlichen Gerechtigkeit. Es war eine
grosse Summe schmerzlicher Erfahrungen in den wenigen
Worten zusammengepresst :
• Tyrannei muss sein,
Doch mindert dies nicht des Tyrannen Schuld.
So entsagungsvoll dieser Ausspruch auch klingt, so ist es
doch nicht der Eindruck verzweifelnder Resignation, mit dem
der Dichter uns entlässt. Die Weltanschauung, welche aus
seinen Versen hervorleuchtet, die Moral, die er aus seinem
Gegenstande zu ziehen weiss, lässt der Hoffnung Raum und
fordert zu muthigem Handeln auf. Didaktisch wie sein Werk
nach seinen ersten Zeilen sich einführte, gipfelte es in einer
Lehre, die beiläufig schon oft genug in den früheren Schriften
Milton's aufgetaucht war, hier aber den philosophischen Hin-
tergrund für das ganze Gedicht bildete. Die Weltgeschichte
ist dem Dichter ein beständiger Kampf zwischen Licht und
Finsternis, zwischen Gott und dem Teufel. Für das böse
Prineip wird die Älöglichkeit des Eingriffs gegeben durch die
Willensfreiheit des Menschen. Denn gleich seinem hingerich-
9ß Das didaktische Element. Die Weltanschauung.
teten Freunde Henry Vane kann Milton sich nicht dazu ent-
schliessen, die menschliche „Fähigkeit des Urtheilens und
Wählens" zu Gunsten einer starren höheren ^Nlacht abdanken
zu lassen (^). Er lässt vielmehr Gott vom Menschen wie von
den Engeln sagen (III. 98 ff.):
Ich schixf ihn gut und recht,
Kräftig zum Stehen, doch fähig auch des Falls.
So schuf ich auch des Himmels Geisterschaar,
Die treu Geblieb'nen, die Gefairnen frei.
Denn wären sie nicht frei, was spräche mir
Für ihre Liebe und Beständigkeit?
Wenn sie nur thäten, was sie thun gemusst,
Nicht, was sie wollten? AYelches Lob für sie,
Und am Gehorsam welche Lust für mich? . . .
Sie klagen fälschlich ihren Schöpfer an,
Ihr Dasein, ihr Geschick, als hätt' ein Schluss
Von unbedingter Kraft, Vorherbestimmung,
Voraussicht ihren Willen übermannt.
■ Sie selbst beschlossen ihren Fall, nicht ich.
Dass ich die Sünde schon vorher gewusst,
Macht sie nicht minder schuldig. Sicherlich,
Auch unvorhergewusst, trat Sünde ein.
Eben dieser Gedanke von der Möglichkeit zwischen Gutem
und Bösem zu wählen, von der Freiheit „zu stehn oder zu
fallen" wird in den mannichfaltigsten Wendungen variirt.
Gieng nach der W^ahl der ersten Mensehen das Paradies auch
verloren, so verbleibt ihrem Stamm doch die Fähigkeit, gleichfalls
durch Bethätigung der Willensfreiheit seine Zurückeroberung
zu versuchen. Die Idee der allmählichen Entwicklung der
Menschheit durch ihre eigene Arbeit war erst damit gegeben.
Und Milton's Optimismus hält an dem Glauben fest, dass diese
Entwicklung eine „Erhebung nach Stufen des Verdienstes"
zum Göttlichen sein • wird. Auch der Teufel ist ihm nur ein
Theil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das
Gute schafft. Die ganze neue Welt war hervorgerufen, um
einen Ersatz für die Empörung Satan's zu bieten. Der Sün-
denfall selbst bildete „einen Riesenschritt in der Geschichte
der Menschheit". Die beiden idealsten Naturen, welche der
englische und der deutsche Boden hervorgebracht hat, begeg-
Milton und Bunyan. 97
nen sich in demselben erhabenen Gedanken. — Die Engel
singen von Gott:
Wer sich vermisst
Dich zu verkleinern, wider Willen dient
Er deiner Macht, und was er Uebles will,
Weiss deine Hand zu gi'össrem Gut zu nutzen.
Und Adam giebt, nachdem er von den Schicksalen seines
Geschlechtes Kunde erhalten hat, seiner feurigen Bewun-
derung Ausdruck :
0 ew'ge Güte, Güte ohne Mass
Die all dies Gute selbst aus Bösem schafft
Und selbst das Böse noch in Gutes wendet:
Weit wunderbarer als die Schöpfung war,
Die Licht zuerst aus Finternis erschuf.
Es wird kein Zweifel darüber bestehn : das Epos Milton's
ist das grossartigste Denkmal des Puritanismus. Er würde
an idealem Schimmer unendlich in der Geschichte verlieren,
wenn er dieser poetischen Urkunde beraubt wäre. Man stellt
ihr mitunter eine zweite an die Seite, auf die er unbestreitbar
gleichfalls ein Recht hat, stolz zu sein, die Pilgerreise John
Bunyan's. Zu der Zeit, als das verlorene Paradies erschien,
hatte der arme Kesselflicker von Elstow, der während des
Protektorats zum feurigen Baptisten - Prediger geworden war,
erst einen Theil seiner fast zwölfjährigen Haft hinter sich. In
der Gefangenschaft begann er das Werk, das seinen Namen
einige Jahre nach Milton's Tode berühmt gemacht hat. Und
mit gutem Grunde hat es bis zum heutigen Tage seine ausser-
ordentliche Volksthümlichkeit bewahrt. Die Ungezwungenheit
der Allegorie, die Lebhaftigkeit des Dialogs, die Sicherheit
der Charakterzeichnung, die eigenthümliche Verbindung kind-
lichen Humors mit pathetischem Ernst, endlich eine Sprache,
die jeder Bauersmann und Handwerker fassen konnte, haben
die Pilgerreise nächst der Bibel vielleicht zum verbreitetsten
Buche englischer Zunge gemacht. Die Gespräche Adam's und
Stern, Milton u. s. Z. II. 4. 7
9g Milton und Bunyan.
Eva's erschienen gekünstelt, verglichen mit den Gesprächen
des christlichen Pilgers und der Herren Biegsam, Weltklug
und Hoffnungsvoll. Wer die Milton'sche Hölle und den Mil-
ton'schen Himmel vollständig würdigen wollte, bedurfte eines
wissenschaftlichen Kommentars. Das Thal des Todesschattens,
die Burg des Zweifels und die Stadt Sion's waren jedem ver-
ständlich, auch wenn er nie etwas von Mulciber oder von
Ambrosiaduft gehört hatte. Und dennoch wäre es eine un-
verzeihliche Verkennung der künstlerischen und der allgemein-
geschichtlichen Bedeutung beider Werke ihnen den gleichen
Rang anzuweisen oder gar Bunyan als poetisches Genie und als
poetischen Vertreter des Puritanismus über Milton zu erheben.
In jenem erschien der Puritanismus der Heiligen, er-
füllt von Visionen, aber ohne höhere Kultur, ein laut reden-
des Zeugnis für die schwärmerischen Ideen, welche gewisse
Schichten einer Nation in einer kurzen Epoche bewegt hatten.
Mit diesem suchte der Puritanismus an alle Elemente der
Bildung anzuknüpfen, die während der Jahrtausende der
Menschheitsgeschichte wie zu einem grossen Gemeingut an-
gesammeft waren. Die Sagen und Erzählungen des Orients,
die Mythologie der Griechen und Römer, rabbinische und pa-
tristische Ueberlieferung, antike und moderne Poesie, Philo-
sophie und Theologie, Geographie, Geschichte und Astronomie:
alles dies war dem Dichter geläufig, aus allem suchte er
Steine für den Rohbau oder für die Ausschmückung seines
Werkes zu brechen. Je schwerer er an der Masse des über-
kommenen Bildungsstoffes zu tragen hatte, desto bewunderns-
werther erscheint es, dass sich seine Phantasie, wenn nicht
immer, so doch vielfach über das Hindernis lastender Gelehr-
samkeit emporzuschwingen wusste. Je weiter sein geistiger
Horizont sich ausdehnte, desto mehr Gestaltungskraft erfor-
derte es, ihn mit poetischen Gebilden anzufüllen, stark genug,
um die Träger seiner Gedanken zu werden. Für den ehr-
lichen Kesselflicker, der nur die Bibel, das Buch der Mär-
tyrer und die Geschichte des Sir Bevis von Southampton ge-
lesen hatte, waren freilich Schwierigkeiten, wie sie sich dem
Genius Milton's entgegenstellten, nicht zu überwinden. Dafür
Milton und Klopstock. 99
wusste er auch nicht Bilder vorzuführen, deren Erhabenheit
oder Lieblichkeit ihres gleichen sucht, Jamben zu dichten,
deren Kraft und Anniuth sich für immer dem Gedächtnis ein-
prägt und dem Rahmen einer uralten morgenländischen Mythe
eine ganze "Weltanschauung einzufügen.
Mit anderen berühmten Dichtungen hat man das ver-
lorene Paradies zu vergleichen, um ihm den verdienten Platz
in der Weltliteratur anzuweisen. Ein Epos von religiösem
Inhalt, wie es nun ein Mal ist, stellt es sich neben die grössten
epischen Werke desselben Charakters in deutscher und ita-
lienischer Sprache (^). Es wäre eine Aufgabe für sich, zu
zeigen, welchen Einfluss Milton auf die Entwicklung der deut-
schen Dichtung im achtzehnten Jahrhundert gehabt hat. So
viel steht ausser allem Zweifel, dass einer der ersten Geister,
dem wir die Wiederbelebung unserer schönen Literatur ver%
danken, die nachhaltigsten Einwirkungen von seinem engli-
schen Vorgänger empfangen hat. Zwischen Klopstock und Mil-
ton, so verschieden übrigens ihre Naturen waren, bestand eine
Art von Wahlverwandtschaft, und die Messiade, wie sie vor-
liegt, ist kaum zu denken ohne das verlorene Paradies. Auch
die Entstehungsgeschichte beider Werke bietet mehr als eine
Analogie. Klopstock wie Milton suchte zuerst nach einem
vaterländischen Helden, als Gegenstand für ein Epos. Hein-
rich der Vogler war dem Deutschen, was König Arthur dem
Engländer. Als der eine wie der andere Dichter den bibli-
schen Vorwurf wählte, geschah es nicht so sehr aus ästheti-
schen Gründen als aus innerem religiösem Drang. Beide
bereiteten sich durch sorgfältige Studien für ihre Aufgabe
vor, beide gebrauchten Jahre, sie zu lösen.
Wer wollte indessen den gewaltigen Unterschied verken-
nen, der zwischen dem einen und dem anderen Werke be-
steht. Ich wage es auszusprechen: Die Messiade überragt an
literaturgeschichtlicher Bedeutung das verlorene Paradies
um eben so viel, als sie an dauerndem künstlerischem Werth
hinter ihm zurückbleibt. Klopstock kam mit freudiger Be-
geisterung den Erwai'tungen und Anforderungen des Zeit-
alters entgegen und erregte daher einen Enthusiasmus der
7*
10() Milton uud Klopstock.
Nation, der ohne gleichen war. Milton wandte sich stolz
und eiTist von den Idolen des heiTSchenden Geschmacks hin-
weg und blieb Jahre lang der Liebling einer auserwählten,
nur langsam wachsenden Gemeinde. Auf Klopstock sah eine
schwärmerische Genossenschaft nachstrebender Jünger als auf
den bahnbrechenden Meister. Milton verharrte in einsamer
Grösse für sich, ohne einen Bund gleichgesinnter Barden um
sich zu sammeln. Klopstock war schöpferisch nicht nur im
Stoff, sondern auch als Erneuerer und Vorbildner der Form.
Milton brauchte das übliche poetische Handwerkszeug nur zu
ergreifen und blieb bei der "Wahl seiner Versform ohne nen-
nenswerthe Nachahmer. Und dennoch droht der eine Dichter
für sein Volk ein blosser Name zu werden, während der an-
dere für das seinige noch immer eine lebendig wirkende Kraft
ist. Heutzutage ist man fast versucht, das bekannte Lessing-
sche Epigi'amm noch für zu milde zu halten. Klopstock wird
in "Wahrheit von jedem gelobt, aber fast von niemandem ge-
lesen. Milton dagegen gehört nicht nur noch immer zu den
Lieblingsdichtern der Gebildeten englischer Zunge, sondern
ist auch bei uns in zahlreichen Uebersetzungen verbreitet.
Der Grund davon ist nicht schwer zu erkennen. Die theolo-
gischen Vorträge und die lehrhaften Abschweifungen bei Milton
kann man überschlagen, und man wird dennoch übergenug
von reiner, erquickender Poesie zurückbehalten. Bei Klop-
stock hingegen geht es nicht an, einzelnes unseren Geschmack
Abstossendes auszuscheiden, man hat sich durch das ganze,
unergründliche Meer von Gefühlsweichheit und Ueberschwäng-
lichkeit hindurchzuarbeiten. An ^Milton's Hand fühlt man sich
sicher geführt , man wird genöthigt , der dramatischen Ent-
wickelung zu folgen, man findet sich immer bestimmten Cha-
rakteren gegenüber, wenn sie auch mitunter an Folgerichtig-
keit und Lebenswahrheit etwas zu wünschen übrig lassen.
Den Faden des Klopstock'schen Epos verliert man über den
lyrischen Ergüssen und rhetorischen "VN^eitschweifigkeiten hun-
dert ^lal aus dem Gesicht, und die Theilnahme erlahmt, da
dem Dichter die Fähigkeit plastischer Gestaltung so gut wie
ganz abgeht. Die Hexameter der Messiade fallen immer
Miltou und Daute. 101
gleich volltönend in"s Ohr, aber mau vergisst auch leicht, bei
ihnen etwas anderes als die musikalische Wirkung zu empfin-
den , weil man nicht mehr fähig ist , mit dem Dichter in
„Thränen der Wonne" oder in ,, Entzückungen stammelnder
Freude zu zerfliessen". Die Jamben Milton's wollen anschau-
liche Bilder vor das Auge stellen, welche ihren Reiz behalten,
so lange ihre Gegenstände den Menschen noch anziehen und
das menschliche Auge dasselbe bleibt. —
Klopstock wird je länger je mehr gegen IMilton verlieren.
Dante hält ihm vollkommen das Gegengewicht. Wie oft man
auch eine Parallele zwischen dem italienischen und dem eng-
lischen Sänger gezogen hat, man wird immer aufs neue durch
die Aehnlichkeit ihrer Schicksale und ihrer Individualitäten
überrascht. Beide sind verflochten in die gewaltigen Kämpfe
ihrer. Zeit. Beide sind erfüllt von hohen Idealen einer Um-
gestaltung des kirchlichen und staatlichen Lebens. Beiden
raubt der Gang der Ereignisse ihre theuersten Hoffnungen.
Beiden bleibt der Trost stolzen Selbstgefühls und melancho-
lischer Betrachtung. Und so sammeln sie beide in Jahre
langer Arbeit ihre beste Kraft zur Ausführung zweier Kunst-
werke, die auf ihre ganze Laufbahn einen unauslöschlichen
Glanz zurückwerfen. Sie zeigen erst hier ihren Genius in
voller Entfaltung. Sie erscheinen ausgerüstet mit allen Schätzen
des Wissens ihrer Zeit. Sie umspannen Irdisches und Ueber-
irdisches in einem weiten Rahmen. Nicht weniger als Milton
weiss Dante alles, was er jemals empfunden und erfahren hat,
seine Freuden und Schmerzen, seine Hoifnungen und Befürch-
tungen in sein Gedicht zu legen und es in erhabenem Zorne
zu einem Spiegel seines Zeitalters zu machen. Nicht weniger
als bei Milton löst sich bei Dante der spröde, lehrhafte Stoft"
nicht immer in die reine poetische Form auf, ohne dass die
Kraft des Dichters in den ermüdenden, scholastischen Spitz-
findigkeiten völlig verloren gienge.
Allein bei aller Aehnlichkeit doch auch welche Verschie-
denheit! Schon dadurch büsst der Vergleich sehr viel an Rich-
tigkeit ein, dass Dante Italien erst eine volksthümliche Schrift-
sprache geschaffen hat, während Milton eine fein ausgebildete
102 Milton und Dante.
Schriftsprache vorfand, deren Vergangenheit nach Jahrhun-
derten zählte. Der eine wird der Vater der Poesie seines
Volkes, der andere steht am Ende der grössten poetischen
Penode des seinigen. Sodann bedingt der Aufbau beider
Kunstwerke ihre Ungleichartigkeit. Dort eine Reihe sich ab-
lösender Bilder, die langsam am Auge des Dichters vorüber-
ziehen, aber er selbst immer die Hauptperson, dessen wun-
derbare Wanderung, dessen Fragen und Betrachtungen sie
mit einander verknüpfen. Hier eine dramatisch bewegte Er-
zählung, ein Kampf zwischen den himmlischen und höllischen
Mächten, über dessen Schilderung der Dichter zwar sich selbst
nicht vergisst, in den er aber keinen Anlass hat, sich einzudrän-
gen. Bei der Ausmalung im einzelnen dort eine Kraft und oft
bizarre Naivetät der Zeichnung, der man es anmerkt, dass der
Zeichner mit scharfen Augen seine Studien nach der Natur
gemacht hat, hier eine Fülle gewaltiger aber schwankender
Vorstellungen und Gleichnisse, die dem Stubengelehrten grossen
Theils aus seinen Büchern bekannt geworden waren. Bei
Dante blickt einer der Verdammten die Wanderer an „mit
dem Augenblinzeln eines Schneiders, der eine Nadel einfädelt".
Bei Milton schlagen Tod und Sünde eine Brücke zur neuen
Welt, „gleich der des Xerxes, durch die er Asien an Europa
band". Die Dante'sche Hölle, der Trichter im Schooss der
Erde, in eine bestimmte Anzahl von Ringen getheilt, erscheint
messbar und darstellbar. Die Milton'sche Hölle, der boden-
lose Abgrund unterhalb des Chaos, der als ein „ewigbrennen-
des Schw^efelmeer" in „äusserster Finsternis" ruht, entzieht
sich jeder bildlichen Wiedergabe. Der Dante'sche Lucifer
steht dank den genauen Angaben des Dichters in festen,
schauerlichen Zügen vor uns. Es ist ein dreiköpfiges Mon-
strum, mit einem rothen, einem schwarzen und einem gelblich-
weissen Gesicht. Er hat sechs Flügel, grösser als irgend ein
Segel, das Dante jemals gesehen hat, ohne Federn, wie die
der Fledermaus. Aus seinen sechs Augen strömen Thränen
und blutiger Geifer auf seine drei Kinne. Mit seinen drei
Mäulern zermalmt er drei Verdammte „wie in einer Hanf-
breche". Der Milton'sche Satan wechselt beständig seine
Milton und Dante. 103
Gestalt. Bald gleicht er dem Meerthier Leviatlian, in dessen
Schuppenhallt der Schiffer, im Glauben, es sei eine Insel, sei-
nen Anker wirft. Bald ragt sein Wuchs in die Wolken „wie
der Atlas oder Teneriffa". Bald schreitet er „gleich einem
gemeinen Soldaten letzten Ranges" durch die teuflischen
Schaaren.
Und doch , obwohl die ehernen Terzinen der göttlichen
Komödie unzählige Bilder von unvergesslicher Lebenswahrheit
und Anschaulichkeit vorführen : der Sinn des Ganzen und der
Sinn des Einzelnen ist geheimnisvoll - dunkel , während das
verlorene Paradies dem Leser keine Räthsel aufgeben will.
Milton erzählt, als sei alles, was er meldet, wirklich geschehen,
seine Worte sind buchstäblich und lediglich buchstäblich auf-
zufassen. Dante bewegt sich in beständigen Allegorieen, seine
Rede ist beladen mit „Sphinx- und Themis - Sprüchen" wie
die seiner Beatrice und fordert eine mehrfache Deutung her-
aus. Der eine ist eben ein Kind des Mittelalters, der andere
ist ein Kind der Neuzeit. Wenn jener das ptolemäische Sy-
stem mit gläubigem Vertrauen annimmt, so überhäuft dieser
es, obwohl es ihm für seine poetische Maschinerie unentbehr-
lich ist, mit bitterem Spott. Wenn jener sich für eine Welt-
monarchie und für ein gereinigtes Pabstthum begeistert, so
findet dieser sein Ideal in einem freien, nationalen Gemein-
wesen und in der Trennung von Kirche und Staat. Die gött-
liche Komödie mündet aus in eine traumhafte Vision , für
deren Schilderung „die Sprache nicht mehr genügt", in das
selige Anschauen des Göttlichen, vor dessen Strahlen alles
menschhche Wollen zerschmilzt. Das verlorene Paradies endigt
mit dem Ausblick auf die arbeitsvolle Geschichte des mensch-
lichen Geschlechts, dessen energischer Wille dazu berufen wird,
sich ein neues Eden in sich selbst zu erobern.
Erhabene Denkmale zweier Weltanschauungen in gross-
artiger künstlerischer Fassung überdauern beide Dichtungen
die Jahrhunderte, während der Strom der Zeit die schwach
gezimmerten Götzen des Tages erbarmungslos wegschwemmt.
Viertes Kapitel.
Das wiedergewonnene Paradies. Simson
der Athlet.
-Das verlorene Paradies war ein in sich abgeschlossenes
Kunstwerk. Die poetische Aufgabe war, so weit der Gegen-
stand es' zuliess, vollständig gelöst. Wer sich durch diese
Lösung nicht befriedigt fühlte , wer eine Fortsetzung forderte,
konnte wohl aus theologischen, aber nicht aus ästhetischen
Gründen dazu bestimmt werden. Dies war der Fall des
jungen Quäkers Thomas Ellwood, dem Milton zuerst in Chal-
font Einsicht in das Manuskript gegönnt hatte. Ellwood
selbst theilt uns mit, wie er bei der Rückgabe der Hand-
schrift Milton gegenüber diesen Gedanken geäussert, und wie
der Dichter seine Worte aufgenommen habe. „Nach einigem
weiterem Gespräch über sein Werk sagte ich im Scherz zu
ihm : Du hast uns viel vom verlorenen Paradies erzählt, aber
was hast du uns vom gefundenen zu berichten? Er antwortete
mir nicht, sondern blieb eine Zeit lang in Nachdenken ver-
sunken. Dann brach er das Gespräch ab und verfiel auf
einen anderen Gegenstand. Als die Pest vorüber, die Stadt
gereinigt und wieder sicher bewohnbar war, kehrte er dorthin
zurück. Und als ich ihn hierauf dort besuchte, was ich selten
zu thun versäumte, so oft ich gelegentlich nach London kam,
zeigte er mir ein zweites Gedicht, das wiedergewonnene
Paradies, und sagte scherzend zu mir: Dies verdankt man
Entstehung des wiedergewonnenen Paradieses. 105
dir, denn die Frage, die du in Chalfont an mich gericlitet
hast, hat mich dazu geführt, während ich vorher nicht daran
gedacht hatte" (M.
Gebührt somit Ellwood das Verdienst, die erste An-
regung zu dem Plane des zweiten Epos gegeben zu haben,
so hatte dieser Plan an sich für Milton einen grossen Reiz.
Und kam in den Worten des Quäkers, dessen eigene Poesieen
wenig Talent verrathen, nur ein i-eligiöser "Wunsch zum Aus-
dmck, so suchte der Dichter ihm, unbeschadet seiner früheren
Schöpfung, so gut es angieng, künstlerisch gerecht zu werden.
Im, verlorenen Paradies hatte er einen Weheruf erhoben
über den Lauf der Welt, die dahin geht „den Guten feind-
lich und den Schlechten hold, erseufzend unter ihrer
eignen Last". Er hatte den Sieg der teuflischen Gewalten
an dem ersten grossen Beispiel gezeigt, das er an der
Schwelle der Menschheitsgeschichte vorfand. Aber dies war
nicht der Weisheit letzter Schluss. Niemand sollte damber
in Zweifel sein , dass das Licht zuletzt doch über die Finster-
nis triumphiren werde. Da sich dieser Triumph für i\Iilton
nothwendig in die Formen des christlichen Glaubens kleiden
musste, so wurde der Mythus des alten Testamentes mit be-
ständigen Hinweisungen auf die Gestalt des Messias erfüllt.
Durch seine Erscheinung wurde das verlorene Paradies wieder-
gewonnen, und den dunklen Mächten der sicher geglaubte
Sieg wieder entrissen. Eine Messiade zu schreiben, das ganze
Wirken und Leiden des Erlösers zu schildern, würde dennoch
dem Zwecke Milton's wenig entsprochen haben. Für ihn kam
es darauf an, einen Moment aus diesem Leben herauszu-
greifen, in dem der Gegensatz des verlockenden Bösen und
des unerschütterten Tugendhaften dramatisch hervortrat. Er
konnte die Figur des Satan , die im verlorenen Paradies fast
die Rolle des Heros gespielt hatte, nicht entbehren. Er suchte
nach einer Situation, die eben diesen Satan im Ringen mit
Jesus zeigte. Da bot sich ihm jener sinnige Mythus von der
Versuchung Christi in der Wüste dar. Man weiss, dass auch
dieser Stoff schon mehrfach dichterisch behandelt war, u. a.
in dem „Sieg und Triumph Christi" von Giles Fletcher. Aber
1Q5 Verhältnis zum verloreiien Paradies.
es wäre unbillig, dies zu Ungunsten der Ursprünglichkeit
Milton"s geltend zu machen, der seinen Vorgängern höchstens
einzelne Züge zu entlehnen hatte. Indem er den biblischen
Mythus mit anderen Stellen der Evangelisten verknüpfte und
das einfache Gerüst der Handlung mit den Schätzen seiner
Eilindung und Gelehrsamkeit ausschmückte, wusste er dem
verlorenen Paradies ein Gegenbild zu schallen , das man ganz
falsch beurtheilt. wenn man es für ein Bruchstück hält(^).
Freilich an Reichthum und Farbenglanz kann es nicht mit
dem gi-ossen Epos verglichen werden. Es fehlt der in über-
wältigenden und lieblichen Bildern wechselnde Schauplatz,
die Masse der handelnden Personen, die Steigemng der
Handlung, das Pathos der Sprache, der Schmelz der Schil-
derung. Die vier kurzen Bücher, in die der Stoff getheilt
ist, sind kaum ein Epos zu nennen, sondern etwa eine didak-
tische Erzählung in Versen ;2). Allerdings hat Milton dafür
gesorgt j dass der Leser immer an sein fiiiheres Werk erinnert
wird. Gleich die ersten Zeilen weisen darauf zuriick:
Der ich gesungen, wie das Paradies
Verloren ward durch eines Menschen Schuld,
Besinge nun, wie eines Menschen Treu
Der ganzen Menschheit es zurückgewann.
Auch hier wird ein Höllenparlament gehalten, in dem
Satan sich mit seinen „mächtigen Pairs*" berathschlagt. Auch
hier erklingt der Himmel vom Worte des Höchsten und von
den Chören der Engel, Aber die übersinnliche Maschinerie
spielt eine sehr nebensächliche Rolle. Das Interesse koncen-
trirt sich auf die Gespräche zwischen Satan und Jesus, und
diese selbst sind möglichst auf ein irdisches Niveau herab-
gedrückt. Satan hat nur wenige Augenblicke, in denen er
als der trotzige Rebell, prometheisch und titanenhaft, ei-scheint,
wie wir ihn von früher her kennen. Er hat sein heroisches
Zeitalter gehabt, die Jahrtausende der Thätigkeit, die er
unserem Planeten gewidmet hat, haben ihn civilisirt, wenn-
schon er noch nicht in dem Grade von der Kultur beleckt
worden ist wie Goethe's Mephistopheles. Nicht minder ver-
Inhaltsangabe. 107
ändert ist die Gestalt Christi. Es ist nicht der Yicekönig
des Himmels, der siegreich auf glänzendem Streitwagen ein-
herfahrende Gottessohn, der uns entgegentritt, sondern der
„vollkommene Mensch", der Mann von unerschütterlichen
Grundsätzen, das Ideal eines Puritaners. Aus puritanischem
Geiste sind beide Werke hervorgegangen. Das wiedergewonnene
Paradies ist ebenso von einer bestimmten Tendenz durchzogen
wie das verlorene Paradies. Es richtet gleichfalls strafende
Worte an das entartete Zeitalter und stellt ihm die Möglich-
keit des Sieges über verführerische Mächte an dem edelsten
Muster vor Augen. Es ist daher erklärlich, das dem Dichter
dieses Kind seiner Muse nicht weniger lieb war als jenes und
wohl glaublich, dass er mit Unmuth hörte, wenn man das
eine nicht gleich günstig beurtheilte wie das andere. Die
„Thaten", die er neuerdings pries, erschienen ihm „mehr als
heldenhaft, wenn auch still vollführt, ungerühmt Jahrhunderte
lang, obwohl wie keine des Besingens werth".
Vergleicht man das Gedicht mit den beiden kurzen
Stellen des Evangeliums Matthaei und Lucae, so bemerkt
man, wie viel Spielraum der ergänzenden Phantasie Milton's
gelassen war. Er hütet sich, sofort mit der eigentlichen
Handlung zu beginnen, sondern schickt ihr eine Einleitung
voraus, die den grössten Theil des ersten Buches füllt. Bei
der Taufe „dessen, der für den Sohn Joseph's galt", bei der
Verkündigung, dass der Getaufte der Sohn Gottes sei, lässt
er Satan zugegen sein. Der böse Feind ahnt, dass die Stunde
nahe, da der Fall Adam's gesühnt und seine Herrschaft über
den Menschen gebrochen werden soll. Wie ehemals erbietet
er sich vor seinen Genossen, um Gottes Absichten zu kreuzen,
die Expedition auf die P'.rde zu unternehmen. Wie ehemals
sieht Gott herab auf sein Unterfangen , dies Mal gewiss, dass
„des Weibes Same allen Versuchungen wiederstehn werde".
Ein langes Selbstgespräch, das Jesus in der Wüste führt,
giebt Gelegenheit seinen Charakter zu entfalten. Man hat
wohl nicht Unrecht, zu vermuthen, dass Milton bei der
warmen Schilderung' des frühreifen Lerneifers und des idea-
listischen Strebens seiner eigenen glücklichen Jugend gedacht
IQg Inhaltsangabe.
habe. Erst hierauf nimmt der erste Akt der Versuchung
seinen Anfang, mit dem vierzigsten Tage jenes Aufenthaltes
Jesu in der Wüste, als der Hunger den Wanderer zu quälen be-
ginnt. Satan naht sich in der Verkleidung eines alten Land-
mannes, der jene Offenbarung nach der Taufe mitangehört
haben will. Er fordert Jesus auf, wenn er wirklich der Sohn
Gottes sei, ein Wunder zu thun und die Steine in Brot zu
verwandeln. Erst als er sich zurückgewiesen und durchschaut
sieht, lässt er die Maske fallen, aber nur um schmeichlerisch-
beredt die Vorurtheile zu zerstreuen, die über ihn, den
Teufel, im Schwange seien. Er läugnet, ein ,, Feind des
Menschengeschlechts" zu sein, durch das er nichts verloren,
sondern etwas gewonnen hat. Vielmehr suche er den Men-
schen in Zeichen und Träumen guten Rath zu geben, be-
wundere alles Schöne und Herrliche und wünsche daher auch
durch die Weisheit dessen gefördert zu werden, zu dem er
spricht. Dieser zerreisst das Gewebe seiner Sophistik, nennt
ihn einen Geist, der es trefflich verstehe, der Lüge etwas
Wahrheit beizumischen und führt, acht christlich, den INIiss-
brauch der heidnischen Orakel auf teuflischen Trug zurück.
Satan behält seine unterwürfige Haltung bei und sucht die
Anwendung gelegentlicher Nothlügen zu rechtfertigen, zu der
der „Unglückliche" so leicht gedrängt werde. Aber er bittet
wenigstens um die Gunst, sich demjenigen ferner nahen und
Worte der Wahrheit aus dessen Munde hören zu dürfen,
dessen Vater ja auch den „heuchlerischen und gottesläug-
nerischen Priester" an seinem Altar dulde. Jesus stellt es
in sein Belieben. Da die Nacht anbricht, nimmt der Ver-
sucher mit der Verbeugung eines höflichen Kavaliers von
ihm Abschied.
Der Anfang des zweiten Buches , Klagen der Jünger und
Maria's über das räthselhafte Verschwinden ihres Sohnes, ist
sichtlich nur, um den Rahmen der dürftigen Handlung zu
füllen, gedichtet worden. Die neue Berufung des höllischen
Parlaments steht dagegen mit dem Gegenstande der Fabel in
natürlichem Zusammenhang, Satan berichtet von seinem Miss-
erfolge. Er hat sich überzeugt, dass es diesmal ganz anderer
Inhaltsangabe. 109
Anstrengungen bedürfen werde als gegenüber Adam und fordert
guten Rath von den Genossen, Belial, seiner alten Natur
getreu, ist der Meinung, man solle dem Messias Weiber vor
Augen und in den Weg stellen. Durch das Weib war der
Mann schon einmal zu Fall gebracht worden, was lag näher,
als ihn aufs neue durch „die schönsten Töchter der Men-
schen" zu verführen. Aber Satan weist diesen Rath zurück.
Er wirft Belial vor, dass er andere mit eigenem Mass- Stab
messe. Er führt ihm schulmeisterlich die Beispiele eines
Alexander und Scipio Africanus vor Augen, die mit geringerer
Widerstandskraft Frauenreizen nicht erlegen seien. Mit „männ-
licheren Dingen" will er Jesus verblenden, mit „Ehre, Ruhm
und Yolksgunst, Klippen, woran die grössten Menschen
scheiterten", und eine Schaar dienstbarer Geister soll ihm
seinen neuen Plan ausführen helfen. Währenddess ist Jesus
hungrig eingeschlafen und hat von Speise und Trank geträumt.
Dem Erwachenden naht Satan dies Mal in zierlicher Höflings-
tracht. Er zeigt ihm von weitem einen Tisch, auf dem auf-
gehäuft ist, was immer alle Welttheile hervorbringen, den
Gaumen zu reizen. Schöne Jünglinge, liebliche Mädchen
stehen bereit den Gast zu bedienen, die Luft ist von Wohl-
gerüchen geschwängert, süsse Musik erschallt; „wie schlicht
war gegen diese Leckerbissen der Apfel, der einst Eva's
Sinn verlockt". Und „diese Früchte, bemerkt Satan, sind
nicht verboten". Aber Jesus wehrt sich gegen die Ver-
suchung um „des Gebers" willen. Wie in so manchen Epi-
soden der romantischen Epen verschwindet mit einem Schlage
der ganze Zauber. Nur der Versucher bleibt zurück, unwillig
aber nicht entmuthigt.
Er macht Anstalten, sich seinem Ziele von einer anderen
Seite zu nahen. Ich merke, ruft er dem ^Messias zu, dass
nicht gemeiner Hunger dich verzehrt, sondern der Hunger
nach grossen Thaten. Aber sie können nicht vollführt werden
ohne grosse Mittel, und Reichthum, den auszuspenden in
meiner Hand liegt, ist eines der mächtigsten. — Es war ein
Stück eigener Lebenserfahrung, wenn der Dichter den Erz-
feind sagen Hess:
\IQ Inhaltsangabe.
Das Geld bringt. Ehre, Freunde, Herrschaft, Sieg,
Indessen Tugend, Muth und Weisheit darben.
Mit Überlegener Ruhe entzieht sich Jesus dieser neuen
Schlinge. Auch er entfaltet wunderbarer Weise überraschende
historische Kenntnisse, wie er denn seinen Widerpart an die
Uneigennützigkeit und Unbestechlichkeit eines Cincinnatus,
Fabritius, Curius Dentatus, Regulus erinnert. Nicht minder
erscheint ihm die Krone des Herrschers verächtlich, die ihm
Reichthümer verschaffen sollen. Ganz puritanisch, als sollte
der Hof Karl's H. ihn hören, ruft er aus:
Die Krone,
Von aussen Gold, ist nur ein Dornenkranz,
Und seinem Träger bringt das Diadem
Gefahr und Sorgen, Nächte ohne Schlaf,
Die Bürde aller ruht auf seinen Schultern.
Darin besteht ja eines Königs Amt,
. Sein Ruhm, Verdienst und Werth, sein höchstes Lob,
Dass er für's Ganze solche Lasten trägt.
Doch wahrer König ist, wer sich beherrscht,
Wer meistern kann Begierde, Wunsch und Furcht,
Und jeden Edlen ziert dies Köuigthum.
Einen Augenblick steht Satan beschämt und sprachlos
da. Dann macht er seiner Bewunderung über so viel Weis-
heit Luft, aber auch seinem Bedauern, dass sie in der Wüste
begraben sein soll. Er sucht seinen Hörer dazu aufzureizen,
sich Ruhm zu gewinnen und hält ihm eine kleine Vorlesung
über die Heroen des Alterthums, die auf dieser Bahn voran-
gegangen sind. Jesus erwidert:
Was ist der Ruhm als leerer Zungen Hauch,
Des Volkes Lob und selten reines Lob?
Und was ist Volk als eine wirre Heerde,
Ein bunter Haufe, der Gemeines preist,
Das, wohl erwogen, keinen Preis verdient.
Es lobt, bewundert und es weiss nicht was.
Nicht wen, der eine spricht dem andren nach.
Ist es ein Glück, der Menge zu gefallen,
In deren Mund als ihr Geschwätz zu leben.
Die den am höchsten ehren, den sie schmähnV
Inhaltsangabe. 111
Mit gleicher Bitterkeit hatte sich der Verfasser des
„Bilderstürmers" üher die „grosse INIasse" ausgesprochen.
Sein eigenes zürnendes Urtheil vernimmt man auch in den
folgenden Worten, mit denen Jesus den herkömmlichen Ruhm
der kriegerischen Eroberer brandmarkt. Es war nur eine
Variation des Spruches, den der Erzengel Michael, selbst ein
tapferer Krieger, im verlorenen Paradiese während der Vision
Adam's über die „Menschenschlächterei" gefällt hatte.
Im Irrthum lebt, wer es für rühmlich hält,
Ein weites Reich gewinnen mit Gewalt,
Das Land verheeren, grosse Schlachten schlagen
Und Städte stürmen. Ist es heldenhaft
Zu rauben, brennen, morden, friedliche
Nationen, die der Freiheit würd'ger sind
Als ihre Dräuger, nah und fern zu knechten,
Nichts hinter sich zu lassen weit umher
Als Schutt- und Trümmerhaufen und durch Krieg
Des Friedens blüh'nde Werke zu zerstören V
Und dann, von Stolz geschwellt, sich Götter nennen,
Wohlthüter für die Menschheit und Befieier,
Mit Tempeln, Priestern, Opferdienst verehrt?
Der nennt sich Sohn des Zeus und der des Mars,
Bis der Erobrer Tod die lasterhaft
Entwiu-digten für Menschen kaum erkennt.
Nicht die Vertheidigungskriege zur ,, Befreiung des Vater-
landes" trifft diese herbe Anklage. Es wäre auch ein selt-
samer Widerspruch gewesen, wenn derselbe Milton durch den
Mund des Weisesten tapferen Waffenthaten schlechthin ihren
Ruhm abgesprochen hätte, der einst zum Ruhmesherold des
independentischen Heeres geworden war. Aber am höchsten
stehen ihm doch die unblutigen Siege des Geistes, die an-
spruchslosen Thaten dessen, der für die Wahrheit kämpft und
duldet. Hiob und Sokrates — der Messias nennt sie in
einem Athem — sind seine Ideale. Ihr Ruhm bleibt hinter
dem der stolzesten Eroberer nicht zurück.
Satan giebt seine Stellung noch nicht verloren, aber er
sucht einen würdigeren Gegenstand des Ruhmes vor Augen
zu führen. Sein Volk zu befreien, sich als Retter an seine
\\2 Inhaltsangabe.
Spitze zu stellen , zeigt er als ein Ziel , der edelsten Anstren-
gung werth. Aber er giebt zu, dass ein Eingreifen in die
gi-osse Politik ohne vorangegangene Schulung und Einsicht in
die Weltlage nicht möglich sei. Hier wurde der biblische Mythus
nach der Anordnung des Evangeliums Lucae wieder brauch-
bar. Mit grosser Kunst wird jener Scene des Ausblicks von
dem hohen Berge über alle Reiche der Welt eine Schilderung
der politischen Verhältnisse der ersten Jahrzehnte unserer
Zeitrechnung eingeflochten. Kleine geschichtliche Versehen
laufen mit unter. Aber im ganzen und grossen ist die histo-
risch-politische Auseinandersetzung geistvoll und richtig. Der
Vorschlag, zunächst eine Anlehnung bei den Parthern gegen
die Römer zu suchen, um alsdann nach Befreiung der „zehn
Stämme" ein selbstständiges Reich zwischen den rivalisirenden
Mächten zu bilden, macht der satanischen Staatskunst alle
Ehre. Diese ..politischen Maximen" finden aber bei dem
Hörer keinen Anklang, Kriegsgeräth ist ihm „ein Beweis
der Schwäche, nicht der Stärke der ISIenschen". Die „tiefen
Pläne von Feinden, Beistand, Schlachten, Bündnissen" dünken
ihn werthlos. Seine abgefallenen Brüder, die zehn Stämme,
hält er seines Befreiungswerkes nicht für würdig. Er giebt
zu verstehn, dass seine Aufgabe eine höhere sei. Satan geht
auch auf diesen Gedanken ein, in der ^leinung, es handle
sich nicht um die Gründung eines nationalen Reiches, sondern
um die Erwerbung der Weltherrschaft. Er lässt daher das
Bild der gebietenden Siebenhügelstadt auftauchen mit allem,
was sie Grossartiges enthält. Es ist ein glänzendes Gemälde,
das der Blinde nach seinen liebsten jugendlichen Erinnerungen
und seinen umfassenden antiquarischen Kenntnissen sich
rekonstruiren konnte. Zuletzt erscheint die Gestalt des Tibe-
rius auf Capri in seine Lüste versunken, und der Verführer
schliesst mit der Aufforderung, mit seiner Hilfe ,,dies Unge-
heuer vom Thron zu stossen". Jesus bleibt auch durch diese
„sogenannte Herrlichkeit" ungerührt. Er entwirft das finstere
Gegenbild der faulen römischen Kultur, die alle Laster er-
zeugt habe:
Inhaltsangabe. 113
Welch Weiser, Tapfrer möchte wohl sich mühn,
Sie, durch sich selbst geknechtet, zu befrein?
Wer schafft ein freies Volk aus Sklaveuseelen?
Kommt meine Zeit, besteig' ich David's Thron,
Und meines Reiches wird kein Ende sein.
Durch diese neue Ablehnung gereizt, vergisst Satan seine
Rolle. Er zeigt sich als der Teufel, der er ist, indem er als
Bedingung für seine Geschenke fordert, dass Jesus nieder-
falle und ihn anbete. Alsbald, gehörig zurechtgewiesen,
nimmt er seinen höflichen Ton wieder an und geht zu dem
letzten Appell an den Ehrgeiz über, der noch möglich war.
Wer Kriegsruhm und irdische Herrschaft versehmähte, mochte
dafür empfänglich sein, mit den Lorbeeren von Kunst und
Wissenschaft geschmückt, ein Herrscher im Reiche der Geister
genannt zu werden. Nicht glücklicher liess sich dies Motiv
ausführen als durch eine blendende Schilderung griechischer
Bildung. War Rom der eine Brennpunkt antiker Kultur, so
war Athen der andere. Die „Mutter der Künste und Beredt-
samkeit" stellt sich von weitem den Blicken dar, der „Oliven-
hain der Akademie" , die „Schulen der alten Weisen" , die
geheime Macht „der Harmonie" in den Gesängen der lyrischen
und epischen Dichter, die Chöre und Jamben der „erhabenen
Tragiker", die unwiderstehliche Gewalt der „berühmten
Redner". W^as Milton jemals bei zunehmender Bekanntschaft
mit den Schätzen des griechischen Genius an Entzücken ge-
fühlt hatte, findet hier in den Worten des Satan ein voll-
tönendes Echo. Aber dem Messias erscheint auch dies alles
als teuflische Lockung. -VY^j. Li(.jj|.
Von oben, aus dem Quell des Lichts, empfangt,
Braucht andre Lehren, wiir's auch Wahrheit, nicht.
Doch falsch sind jene, wenig mehr als Träume,
Vermuthung, Phantasien auf Sand gebaut.
Die Ueberlegenheit des reineren Gottesbegriffes, die der
Spross des auserwählten Volkes sich eigen weiss, reisst ihn
zu einer höchst parteiischen Vergleichung der beiden Kultur-
elemente fort, aus deren Verbindung erst eine neue Epoche
für die Geschichte der j\Ienschheit beginnen konnte. Die
Systeme der griechischen Philosophen finden keine Gnade vor
Stern, Milton n. s. Z. II. 4. 8
W^ Inhaltsangabe.
seinen Augen, „denn auch der Weiseste bekannte nur das zu
wissen, dass er nichts wisse". Die Poesie der Hellenen kann
sich nicht messen mit den Gedichten der „Muttersprache",
mit ihren Hymnen und Psalmen. Die griechischen Rhetoren
stehen weit zurück hinter den von Gott begeisterten Propheten.
Hier ist „Einfachheit und Majestät", „wahrer Preis des Heilig-
sten", „gediegene Regierungsweisheit", dort nur ein „Trugbild
der Wahrheit" , gotteslästerlicher und schamloser Fabelwust.
„Schwulst von Beiwörtern, dick aufgelegt wie Schminke auf
einer Buhlin Wangen". — Wie viel oder wie wenig Milton
selbst von diesem Urtheil angehören mag, das wird man sagen
dürfen, dass er es in seiner Jugend schwerlich, selbst durch
den Mund eines anderen, ausgesprochen haben würde. Auch
dazu hatte er durch die Sturm- und Drangperiode des
Puritanismus hindurchgehen müssen, um den Teufel zum Ver-
herrlicher der antiken Bildung zu machen und die specifisch
christliche, aus dem Schoosse des Judenthums erwachsene Idee
ihr feindselig und triumphirend gegenül)erzustellen.
Der zweite Tag der Versuchung, dessen Schilderung sich
tief bis in das vierte Buch des Gedichtes hinein erstreckt,
ist damit zu Ende. Der letzte Akt des Mythus nach der
Anordnung des Evangeliums Lucae blieb noch übrig, die
Versuchung auf der Zinne des Tempels von Jerusalem, welche
der Dichter auf den dritten Tag verlegt. Auch diesen Schluss-
akt hat er mit dem schönsten Schmuck seiner Phantasie ver-
schwenderisch bedacht. Die Schilderung der vorangehenden
Gewitternacht, des anbrechenden Morgens ist reich an frischen,
gesättigten Farben. Das Gespräch, welches dem Zauberfluge
zum Tempel vorausgeht, erinnert mitunter an das grossartige
Pathos des verlorenen Paradieses. Das Ende hinterlässt einen
erhebenden und beruhigenden Eindruck. Jesus kehrt „unbe-
merkt", als Mann, der seinen Lohn in sich selbst trägt, in
das einfache Haus seiner Mutter zurück. Aber der Chor der
triumphirenden Engel lässt einen Freudengesang erschallen,
in welchem noch einmal die Erinnerung an das grosse Epos
nachklingt :
Renaissance und Puritanismus. 115
Jetzt ward durch deinen reiueu Sieg gerächt
Die Ueberlistung Adam's, und zurück
Gewonnen das verlorne Paradies;
Vereitelt ist, was einst Betrug geraubt.
Bleibt der innige' Ziisammenhanof der beiden Gedichte
somit bis zum Schluss erhalten, so gemalint das wiederge\vonnene
Paradiel zugleich beständig an das erste gi'össere poetische
Erzeugnis der Milton'schen Jugend, Einem unbefangenen
Leser wird sich der Vergleich mit dem Comus sofort auf-
drängen. Wie dort so ist hier die leitende Idee der Tiiumph
der Tugend über die Verführang. AYie dort so kleidet sich
hier der Kampf zwischen dem guten und zwischen dem l)ösen
Prineip in pomphafte Rhetorik. In beiden Fällen tritt die
dramatische Gestaltungskraft hinter dem ausgesprochenen
Lehrzweck zurück. Aber weit entschiedener als das Jugend-
gedicht trägt diese Schöpfung des Alters den Stempel ernster,
fast finsterer Lebensanschauung. Der Schmelz der heiteren
Renaissance ist beinahe verflogen, die sorglose Freude an
der Antike hat der religiösen Beschaulichkeit Platz gemacht.
In einer anderen Beziehung hingegen hat die Antike
sichtlich, je älter Milton wurde, einen immer stärkeren Ein-
fluss auf ihn gewonnen. Es wii'd kaum einen grossen engli-
schen Schriftsteller geben, dessen Latinismen einen solchen
Umfang erreichen, als es bei Milton nachweisbar erscheint.
Die beständige Beschäftigung mit den Autoren des römischen
Alterthums, die frühe Angewöhnung ihrer Sprache zum
poetischen und prosaischen Gebrauche, die Nothwendigkeit l)ei
den wichtigsten Gelegenheiten im Amt und ausser dem Amt.
zum Angriff, wie zur Abwehr sich des Lateinischen zu be-
dienen: alles dies hatte auf die Ausbildung des ]\rilton*schen
Englisch einen wesentlichen Eintiuss ausgeübt und ihm ein
bestimmtes, im Laufe der Zeit immer schärfer werdendes
Gepräge gegeben. Es ist hier nicht nur von dem Milton'schen
Sprachschatz die Rede und von dem Verhältnis, in welchem
sich die angelsächsischen und romanischen Bestandtheile seines
Vokabulai-s befinden. Allerdings schon eine Betrachtung dieses
Gegenstandes hat zu interessanten Ergebnissen geführt. Man
11(3 Milton's Latinismen.
hat die poetischen Werke Milton's einer genaueren Unter-
suchung auf diese Frage hin gewürdigt und gefunden, dass
von den etwa 8000 verschiedenen "Worten, die in ihnen vor-
kommen, ungefähr 5300 nicht-germanischen Ursprungs sind.
Was Shakespeare betrifft, so hält man sich zu der Annahme
berechtigt, dass von der Summe der 15000 Worte, die seinen
poetischen Sprachschatz ausmachen mögen, etwa 600b nicht
dem angelsächsischen Stamm angehören. Milton's Zurück-
greifen auf nicht germanische Formen in seinen Gedichten
würde demnach zwar nicht absolut aber relativ bei weitem
bedeutender erscheinen, als es bei Shakespeare der Fall ist.
Unter diesen nicht germanischen Wortformen sind viele, die
erst Milton in die englische Sprache eingeführt hat, wenn-
gleich es über jedes erlaubte Mass hinausgehen wird, mit
Tocqueville ihre Zahl auf sechshundert anzusetzen. Unläug-
bar aber ist, dass die Jugendgedichte einen geringeren Procent-
satz niclit-sächsischer Worte enthalten als die Gedichte des Alters.
Und zugleich legen diese beim ersten Blick voll-
giltiges Zeugnis für das Vorherrschen von Latinismen nach
anderer Richtung hin ab. Die Syntax Milton's zeigt eine
entschiedene Hinneigung zu der der lateinischen Sprache und
dies je mehr, je älter er wurde, je häufiger er selbst Veran-
lassung gehabt hatte die lateinische Sprache anzuwenden.
In seinen Jugendgedichten herrscht noch der leichte natür-
liche Satzbau des elisabethanischen Zeitalters vor, doch
drängen sich bereits Wendungen ein, die wie ungeschickt aus
dem Lateinischen übersetzt erscheinen. In den früheren seiner
englischen Prosaschriften tritt die Einwirkung antiker Vor-
bilder schon deutlicher hervor. Im späteren "Mannesalter, als
er jene fein ausgearbeiteten Streitschriften verfasst hatte, die
alsbald einen europäischen Ruf erlangten, dachte er, auch
wenn er englisch schrieb, mit Vorliebe in lateinischen Formen.
Konstruktionen, welche dem Genius der englischen Sprache
von Haus aus fremd waren, Participialverbindungen . Ver-
kürzungen durch die Anwendung des absoluten Casus, Aus-
lassungen, Verschränkungen, Vertauschungen einzelner Rede-
theile werden immer häufiger. Das wiedergewonnene Paradies
Der reimlose Jambus. 117
nicht minder wie das verlorene Paradies sind von Latinismen
der Art erfüllt, und der moderne Leser wird sich nicht selten
an einzelnen Härten der Diktion stossen, welche auf diesen
Ursprung zurückzuführen sind(^).
Die Form des wiedergewonnenen wie des verlorenen Para-
dieses zeigt aber noch nach einer anderen Richtung hin eine Ab-
weichung von den heimischen Gewohnheiten. Alle bedeutenden
epischen Dichtungen Englands waren in das Gewand gereimter
Verse gekleidet. Milton wagte es für die beiden Epen, die seinem
Alter angehörten, den fünffüssigen, reimlosen Jambus zu wählen.
Diese Verwendung des üblichen Versmasses des Dramas für
die erzählende Poesie konnte als eine kühne Neuerung gelten.
Sie erschien um so kühner, da der Reim in jener Zeit sich
der höchsten Gunst erfreute und selbst Gebiete zu er-
obern drohte, die ihm bis dahin verschlossen gewesen waren.
In Butler's Hudibras waren eben durch die gewagtesten,
kecksten Reime höchst komische Wirkungen hervorgebracht
worden. Dryden feierte durch die geschickte Handhabung
der heroischen Stanze die grössten Triumphe. Mit ihm vor
allem drang der Reim, nach dem verführerischen, französischen
Muster, zeitweise sogar in"s Drama ein. Erst wenige Jahre
zuvor hatte Dryden selbst für die Zwecke der Bühne den
Reim gerechtfertigt, weil „er die Phantasie am besten regele".
In seinem Essay „über die dramatische Poesie" (1667) hatte
er diese Ansicht näher ausgeführt. Von Robert Howard des-
halb angegriffen, hatte er in der Vertheidigung seines Essays
(1668) die Sache des Reimes im Drama nochmals verfochten.
In seinem Aufsatz über „heroische Schauspiele" (1672) kam
er auf die Frage zurück und erst sechs Jahre später l:)equemte
er sich dazu eine Manier aufzugeben, die dem Genius seines
Volkes widerstrebte (^). Hatte sich nun aber der Reim gegen
Ende von Milton's Leben selbst der Bühne zu bemächtigen gewusst,
so schaltete er in der epischen Dichtung als legitimer Herrscher.
Allein auch dieser Legitimität gegenüber erhob sich in Milton
der Revolutionär. Der übertriebene Kultus des Reimes, zu
dem man sich herabliess, reizte ihn erst recht zum Wider-
spmch. Er bekannte sich ohne Zweifel mit Wycherley zu
WQ Der reimlose Jambus.
der Ansicht, „dass in Folge des Reimes mystischer Nonsens
von den Kritikern oft für witzig, und Doppelsinnigkeiten von
den Damen für zart und rührend gehalten würden''. Dieses
ürtheil schimmert sichtlich durch die Worte hindurch, mit
denen er genöthigt ward seine unerhörte Neuerung in Schutz
zu nehmen (^).
Denn kaum war das verlorene Paradies erschienen,
als nach der Versicherung des Verlegers viele Leser an
der Reimlosigkeit des Gedichtes „Anstoss nahmen". Er
brachte daher 1668 eine Reihe von Exemplaren auf den Markt,
denen nicht nur , nach lebhaft geäussertem Wunsche, ein In-
haltsverzeichnis der einzelnen Gesänge vorgedruckt war,
sondern die auch eine kurze Vorbemerkung Milton's über
„den Vers" enthielten. In dieser nannte er den Reim ge-
radezu „die Erhndung eines barbarischen Zeitalters" und,
namentlich wenn es sich um „längere Werke" handle, nur
dazu dienlich, „schlechten Inhalt und lahmes Metrum zu ver-
brämen". Er gab zu, „dass einige berühmte moderne Dichter"
sich der Mode des „trivialen Reimgeklingels" anbequemt
hätten. Aber er hielt sich davon überzeugt, dass dieser
„Zwang" der Güte ihrer Leistungen nur Eintrag gethan habe.
Für sein Unterfangen, diese „Fesseln abzuschütteln", „als der
erste in England dem Epos seine Freiheit zurückzuerobern",
berief er sich auf das Beispiel Homers und Virgil's, der „besten
englischen Tragiker" und „einiger italienischer und spanischer
Dichter ersten Ranges" (^). Immerhin war diese Methode der
Vertheidigung eine sehr bedenkliche. Denn darüber konnte
kein Zw'eifel obwalten, dass die vorzüglichsten epischen Werke
der Neuzeit bei allen Völkern die Form des Reimes zur Ver-
wendung gebracht und eben durch sie einen nicht geringen
Theil ihrer Volksthümlichkeit erworben hatten. Auch hat
der Vorgang Milton's auf die Dichter seines Vaterlandes
wenig Eindruck gemacht. Allein er gieng auch hier stolz
und unbekümmert den Weg, den er für den richtigen hielt.
Indem er für das wiedergewonnene Paradies dieselbe Form
wählte, die einige Jahre vorher in seinem grossen Epos An-
stoss erregt hatte, zeigte er, dass er nicht gesonnen sei, dem
Geschmack des Tages das kleinste Zugeständnis zu machen (^).
BehaudluDg dieser Versform. 119
Es wild dem Biographen eines grossen Künstlers erlaubt
sein, über die eigenthümliche Technik, deren sich derselbe
bediente, noch ein Wort zu sagen. Sucht man sich darüber
klai" zu werden, welcher Art Milton mit der erwählten Form
zu schalten gewusst hat, so wird man seinem poetischen Takt
vollkommen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Im Drama er-
hält der reimlose Jambus schon durch den Austausch von
Rede und Gegenrede, der mitten in einem Verse einsetzen
kann, diejenige Abwechselung, ohne welche er von unerträg-
licher Eintönigkeit werden würde. Im gleichmässig einher-
wallenden Fluss des Epos müssen andere Mittel zur An-
wendung kommen, um das Ohr nicht zu ermüden. Das Ge-
heimnis des Milton'schen Versbaues liegt nun darin, dass er
sich von dem Ideal des strengen zehnsilbigen Jambus mög-
lichst weit entfernt. Jeder seiner Verse trägt zwar die ihm
zukommende Bürde fünfmaliger, hervorgehobener Betonung,
aber diese Bürde ist in den verschiedenen Versen sehr ver-
schieden vertheilt. Mitunter nehmen zwei Silben die Stelle
von einer ein, mitunter genügt eine Silbe, wo die Regel deren
zwei erfordern würde. Dadurch wird die Möglichkeit gegeben,
den Sinn dem Rhythmus anzupassen und bald den Eindruck
einer spielenden Beschleunigung bald den einer bedeutungs-
vollen Zurückhaltung hervorzubringen. Zu diesen Mitteln der
Tonmalerei kommen andere, die der Dichter mit nicht weniger
feinem Gefühl angewandt hat, vor allem der weise Gebrauch
der Alliteration und der Assonanz. — Es lässt sich allerdings
nicht läugnen, dass die Behandlung des reimlosen Jambus im
wiedergewonnenen Paradies hinter derjenigen im verlorenen
Paradies zurücksteht. Hier erreicht die Milton'sche Verskunst
ihre Höhe. Sie erhebt sich über die weichere, glättere Manier
des Comus zu männlicher Kraft und Würde, ohne deshalb
rauh und unmelodisch zu werden. In dem zweiten Epos da-
gegen scheint dem Dichter die Empfindung für die Wirkung
des Metrums sehr wesentlich abhanden gekommen zu sein.
Die eilfsilbigen Verse häufen sich im Uebermass, die
Alliterationen und Assonanzen nehmen ab. Es ist, als wenn
auch in diesem Punkte das Alter sich fühlbar machte, welches
120 ' Entstehung des Sitnson.
stark sinnliche Mittel verschmähte. In noch höherem Masse
gilt dies von der Versifikation des Dramas, mit dem die
künstlerische Thätigkeit Milton's abschhesst(^).
Seiner poetischen Individualität würde ein unentbehrlicher
Zug fehlen, wenn das wiedergewonnene Paradies das letzte
Wort des Dichters geblieben wäre. Man erkennt allerdings
in dieser Aeusserung seines Geistes die fromme Ergebenheit,
die sittliche Hoheit und den Glauben an den Sieg des Guten,
die sein Alter vor Verbitterang und Verzweiflung bewahrten.
Aber man fühlt, dass noch etwas Unausgesprochenes in seiner
Seele schlummert. Er konnte sich wohl über den Lauf der
Welt zur Hoffnung auf bessere Zeiten erheben, aber er konnte
sich nicht mit ihm versöhnen. Er durfte sich nicht damit
begnügen die leidende Tugend zu preisen, deren Grösse in
der Abwehr und Verneinung bestand , er lechzte nach einer
befreienden, männlichen That. Der ..sanfte Heiland" mochte
das Werk der Vergeltung dem göttlichen Vater überlassen,
er war ein Mensch, ein Parteimann, mit Hass und Groll gegen
die freudetrunkenen Sieger erfüllt , welche seine Ideale ver-
höhnten und auf dem Grabe seiner Hoffnungen ihre triumphiren-
den Tänze aufführten. Sein Schwanengesang wurde zum
Fluch über ihre Herrschaft, zur Prophezeiung ihres Falles.
Die christliche Sanftmuth der evangelischen Erzählungen
vertrug sich freilich sehr wenig mit einer solchen Stimmung.
Der Dichter wandte sich daher zurück zum alten Testament,
der unversieglichen Quelle puritanischer Leidenschaft, und
fand in „der Geschichte Simson's, des Athleten", den ge-
waltigen Stoff, aus dem er mit der Kraft eines Älichel Angelo
ein reckenhaftes Denkmal seines eigenen Schmerzes und Zornes
herausschlug. Und so erschienen 1671 die l^eiden einander
ergänzenden poetischen Zeugnisse des Puritanismus gemein-
sam : das wiedergewonnene Paradies, ein Lobgesang des sieg-
reichen Duldens, Simson, eine Verherrlichung der rächenden
That. Vielleicht hatte der Dichter, um diese Zusammen-
Entstehung des Simson. 121
Stellung ZU ermöglichen, darauf verzichtet, sein zweites Epos
früher zum Abdruck zu bringen. Denn so viel daii man aus
den Worten des Quäkers Ellwood entnehmen, dass es, wenn
nicht früher, so doch jedenfalls vollendet wurde, als Milton
nach der Pestzeit vom Lande in die Stadt zurückgekehrt war,
und ohne Zweifel vollendet war, als das verlorene Paradies
bekannt wurde. In den nächsten vier Jahren muss der Simson
entstanden sein. Auch dieser Gegenstand hatte unter den
dramatischen Entwürfen von Milton's Jugend eine Stelle ge-
funden, so zwar dass für ihn zwei verschiedene Tragödien in
Aussicht genommen waren, deren eine das vierzehnte und
fünfzehnte, die andere das sechzehnte Kapitel des Buches der
Richter umfassen sollte. Aber nichts spricht dafür, dass an
die Ausführung dieser Idee schon in früherer Zeit Hand ge-
legt worden wäre. Gelegentlich wird einmal die Sage von
Simson zu einem Vergleich in einer dei' kirchenpolitischen
Schriften benutzt (s o. II. 102j. Besonderes Interesse für
den Stoff tritt nicht hervoi". Erst im Alter erweckte er eine
natürliche Theilnahme. und die Dichtung erschien nun. als
Anhang zu dem wiedergewonnenen Paradiese, wie ein Werk
aus einem Gusse. Dies Mal scheint Milton selbst die Druck-
kosten übernommen und in einem Buchhändler, mit dem er
sonst noch nicht in Verbindung getreten war, nur einen
Agenten für den Vertrieb gewonnen zu haben (^).
Lassen wir zunächst den Inhalt des Werkes bei Seite,
um seiner Form unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Nach
langen Jahren wagte sich Milton wieder an eine dramatische
Dichtung , von der er erst einmal , in dem Maskenspiele des
Comus, eine Probe gegeben hatte. Seit dieser Zeit hatte,
wenn nicht alles trügt, seine Beiirtheilung der dramatischen
Poesie eine Veränderung erlitten, die wie so vieles in der
Entwicklungsgeschichte seiner Ideen auf Rechnung des mächtig
erstarkenden Puritanisnms zu setzen ist. Zwar gieng er
keineswegs so weit, das Theater als solches zu verwerfen.
Aber vergeblich sucht man in seinen Schriften eine Wieder-
holung der Ausdrücke, mit denen er einst die nationale Bühne
gepriesen hatte. In seiner Schrift über das Wesen der Kirchen-
122 Antike Form des Dramas.
Verfassung hatte er Gelegenheit genommen, sieh über drama-
tische Dichtung auszusprechen. Aber es waren nicht mehr
„der süsseste Shakespeare" und „der gelehrte Ben Jonson",
die er als Muster aufführte, sondern die Tragödien des
Sophokles und Euripides, wo nicht gar das „Pastoraldrama",
des hohen Liedes oder die „Scenen und Chöre" der Apokalypse.
Es kam die Zeit, in der das Theater ganz unterdrückt war,
hierauf die Epoche des Rückschlags, in der es sich für den
angethanen Zwang rächte und zum brauchbaren Hilfsmittel
der zügellosen Reaktion herabsank. Für Milton war das ein
Grund mehr, sich von der allgemein angenommenen Form
abzuwenden.
Wieder stellte er sich in den schärfsten Gegensatz zu
dem angesehensten Dichter des Tages, zu John Dryden. In
seinem Essay über die dramatische Poesie (1668) hatte dieser
u. a. die Ueberlegenheit des modernen über das antike Drama
behauptet. Er hielt immer daran fest, dass das „Muster der
Alten zu klein für die englische Tragödie" sei. Milton im
Gegentheile bestärkte sich immer mehr in der Ueberzeugung,
dass die Form des antiken Dramas am höchsten stehe. Dieser
Ueberzeugung gab er in einem kurzen Vorwort zum Simson
„über diejenige Art dramatischer Poesie, die man Tragödie
nennt," einen unverhohlenen Ausdruck. Er beginnt mit einer
Vertheidigung der dramatischen Poesie überhaupt und bemft
sich, wie schon in dem Motto seines Werkes, auf Aristoteles.
Wenn er dann weiter eine Anzahl von Gewährsmännern her-
beizieht, unter denen selbst der Apostel Paulus und Gregor
von Nazianz nicht fehlen, so gemahnt das fast an eine der alten
Vertheidigungen des Schauspiels aus den Tagen Elisabeth's.
Er hält indess eine solche Vertheidigung für nöthig, weil die
Tragödie zu seiner Zeit „bei vielen in Missachtung und sogar
in Verruf gekommen sei". Diese puritanische Verurtheilung
erklärt er aus dem Verschulden der Dichter selbst, da sie
„dem Ernst und der Würde der Tragödie komischen Stoff
beimischen oder niedere und gemeine Personen in ihr auf-
treten lassen". Ein derartiges Verfahren gilt „allen Ver-
ständigen als absurd und taktlos''. Es dient nur dazu, „auf
Antike Form des Dramas. 123
unerlaubte Weise die Gunst der grossen Masse zu gewinnen*'.
Hingegen giebt es ein anderes Ideal der Tragödie, das nicht
der leiseste Vorwurf treffen kann. Es ist dasjenige der Alten,
das Ideal, welches Aeschylus, Sophokles, Euripides zu ver-
wirklichen gesucht haben, „die drei tragischen Dichter, die
noch niemand sonst erreicht hat". Es giebt „kein besseres
Muster für irgend jemanden, der eine Tragödie zu schreiben
unternimmt". Ihnen will, nach dem Vorgang italienischer
Dichter, auch Milton folgen. Er führt den alten Chor wieder
ein, ohne diese Neuerung mit der Ausführlichkeit zu recht-
fertigen, wie Schiller es im Vorwort zur Braut von Messina ver-
sucht hat. Die Zahl der handelnden Personen ist wie im
griechischen Trauerspiel äusserst beschränkt. Wie hier ist
dem „Boten" die Aufgabe zugewiesen, über die Katastrophe,
die sich dem Auge des Zuschauers entzieht, ausführlich Be-
richt zu erstatten. Der Schauplatz bleibt von Anfang bis zu
Ende derselbe. Die Handlung spielt sich „nach alter Regel
und den besten Mustern" in vierundzwanzig Stunden ab. Un-
willkürlich fühlt man sich mitunter an den gefesselten Prome-
theus, mitunter an den Oedipus oder Philoktetes gemahnt. —
]\Ian braucht nicht zu sagen, dass Milton einen Weg be-
trat, auf dem er vereinsamt bleiben musste. Empört über
die theatralischen Erscheinungen des Tages, sprach er ein Ver-
dammungsurtheil aus, das zwischen der eingebürgerten Kunst-
form und ihren Auswüchsen keinen Unterschied machte, und
vor welchem Shakespeare so wenig bestehn konnte wie irgend
einer der Dramatiker der Restauration. Auch hat er selbst
sich nicht darüber getäuscht, dass seine Stimme kein Echo
finden werde. Er hatte, wie er sagt, sein Werk „niemals für
die Bühne bestimmt" und daher auch jede Eintheilung in
Akte oder Scenen unterlassen. Bei alledem war es ein glück-
licher Griff, dem biblischen Stoffe die Form des antiken Dramas
zu geben. Wurde er damit auch der Bühne entzogen, so blieb
ihm jene religiöse Weihe bewahrt, die sich auf keine bessere
Weise erhalten Hess. Und unverloren ist das Werk auch in
dieser Gestalt der Nachwelt nicht gewesen. Der Mund des
Schauspielers hat Milton's Dichtung freilich nicht zum Gemeingut
124 Inhalt.
gemacht. Aber in Händers majestätischen Tönen hat sie ein
unvergängliches Dasein gewonnen.
Fasst man den Inhalt des Simson in"s Auge, so hat man
ausser den vier bezüglichen Kapiteln des Buches der Richter
kaum eine andere Stelle des alten Testamentes als Quelle des
Trauerspiels heranzuziehn. Mit demselben poetischen Takt
wie in den beiden Epen sucht Milton den biblischen Stoff
auszunutzen und durch glücklich angebrachte Motive zu be-
leben. Der letzte Tag Simson's schliesst die ganze Handlung
ein. Nur durch Rückblicke wird seine grosse Vergangenheit
beleuchtet, und der historische Hintergrund erhellt. Es ist
der Tag, an dem die Philister ihrem Götzen Dagon ein Fest
feiern und dem blinden, zu niederer Sklavenarbeit verurtheilten
Helden gestatten in frischer Luft zu rasten. Er wird zu
einer Ruhebank geleitet und bejammert sein schweres Loos,
dessen gedenkend, „was er einst war und was ei- nun ist''.
Am lautesten erschallt seine Klage über die Blindheit:
Blind unter Feinden — ach ein härter Weh
Als Ketten, Kerker, Armuth, Alters Druck.
Das Licht, das erste Gotteswerk, erlosch
Für mich, mir bleibt kein Quell des Trostes mehr . . .
Oh Dunkel, Dunkel, Dunkel bei dem Glanz
Des Mittags, ew'ge dichte Nacht und nie
Die Hoffnung neuen Tag's!
Du erstgeschatiTner Strahl, du grosses Wort:
„Es werde Licht, und Licht ward überall"
Wie bin ich deines Segens so beraubt?
Schwarz ist die Sonne mir
Und schweigend wie der Mond,
Wenn er die Nacht verlässt,
In seiner finstren Höhle still versteckt.
Da Licht dem Leben so nothwendig ist.
Das Leben selbst ist, wenn es wahr, dass Licht
Auch in der Seele wohnt,
Und diese allen Theilen gleich gehört,
Warum ward auf des Auges zarten Ball,
So leicht getroffen und so schnell zerstört.
Von der Natur die Kraft des Sehns beschränkt?
Warum lässt sie es nicht wie das Gefühl
Durch alle Poren gleicher Weise strömen? . . .
Inhalt. 125
Der Chor tritt auf, eine Schaar der Landsleute und Freunde
Simson's, um ihn zu trösten. Sein alter Vater Manoa er-
scheint zu gleichem Zweck. Er will versuchen ilin durch
Zahlung eines Lösegeldes zu befreien und entfernt sich um
seine Bemühungen fortzusetzen. Nach einem tiefsinnigen Chor-
gesang über den Wechsel des menschlichen Schicksals naht
Delila, Simson's Weib, um seine Verzeihung zu ei-flehn. Ein
Zwiegespräch voll Schärfe und Leidenschaft führt keine Ver-
söhnung herbei. Nach dem Abgang Delila's spricht sich der
Chor in einer Weise über die Ehe und das Verhältnis von
Mann und Frau aus, die Milton's eigene Meinung wieder-
spiegelt (^j:
Gottes heilige Gesetzesrollen
Geben dem Maune Herrscbermaclit
lieber die Frau. Drum halte er Wacht,
Dass er sie zügle durch strenges Wollen,
Möge sie schmeicheln, möge sie schmollen ;
Sonst bezwingt sie ihn, eh' er's gedacht.
Der Riese Harapha von Gath, der hierauf vor Simson
tritt, ist eine Zuthat iMilton's, dem zweiten Buche Samuelis
(Kap. 21) entlehnt. Der Riese hat grosse Worte, aber er
wagt nicht den angebotenen Kampf anzunehmen. Seine
spöttischen Reden haben nur dazu gedient, das alte Kraft-
gefühl in dem blinden Helden zu wecken, und die Zu-
stimmung des Chores hebt ihn noch mehr. Ein Bote fordert
von ihm im Namen seiner „Lords", zu Ehren Dagon's auf dem
Festplatz eine Probe seiner Kraft zu geben, ein Anschlag,
den ohne Zweifel dei- beleidigte Riese eingegeben hatte.
Simson weigert sich unter „Athleten, Kunstreitern, Taschen-
spielern, Tänzern und Komödianten" aufzutreten. Es bedarf
des Zuredens des Chores und neuer energischer Mahnung des
Boten, um ihn zum Gehen zu bewegen. Er geht, das Herz
von heroischen Entschlüssen erfüllt. Eine Ahnung sagt ihm,
dass dieser Tag durch eine grosse That bezeichnet oder der
letzte seines Lebens sein werde. Manoa kehrt zurück und
macht den Chor zum Vertrauten seiner frohen Hoffnungen.
Während ihres Gespräches erschallt ein brausender Lärm, es
ist der Beifall des Volkes, das Simson's Kraftentfaltung zu-
]26 Inhalt. — Kritik.
jauchzt. Sie sprechen weiter, da lässt sich ein neues, furclit-
bareres Getöse hören, „ein allgemeiner Seufzer, als war ein
ganzes Volk dahingestorben". Vei-stört und athemlos kommt
ein Hebräer gelaufen, welcher dem Ruin entronnen ist. Er
sagt das Schlimmste zuerst: Simson ist todt, durch eigene
Hand gefällt, aber in seinem Sturze hat er seine Feinde be-
graben. Erst darauf sammelt er sich zu einer gedrängten
Schilderung des Herganges, die es mit jedem antiken Muster-
stück der Art aufnehmen kann(i). Die Hörer geben ihren
Gefühlen lebhaften Ausdruck, Manoa, gefasst und erhoben,
fordert zu einer grossartigen Leichenfeier auf, und der Chor
mit seiner Hindeutung auf die Weisheit des Höchsten schliesst
das Ganze würdig ab.
Auch in dieser Dichtung springen einige Mängel sofort
in die Augen. Man hat nicht ohne Grund in den einzelnen
aneinandergereihten Scenen jede dramatische Steigerung ver-
misst. Man hat auch hier die Yordringlichkeit der Milton'-
schen Gelehrsamkeit bemerkt. Simson spricht von „ver-
zauberten Bechern und lockendem Gesang" , als wären ihm
die Mythen von Circe und den Sirenen bekannt. Der Chor
der Hebräer vergleicht die Tugend mit dem „Vogel, der aus
seiner Asche ersteht", als wäre ihm die Sage vom Phönix
gegenwärtig. Wortspiele und Bilder, welche an die Künste-
leien der Donne'schen Schule erinnern, drängen sich ein.
Aber nicht leicht wird jemand Milton's Tragödie aus der
Hand legen, ohne von ihrer einfachen Grösse ergriffen worden
zu sein. Die Charaktere werden klar und bestimmt durch-
geführt. Die Sprache ist von natürlicher Würde und Hoheit.
In den Chorgesängen zeigt sich zwar ein bedenklicher Mangel
des fi-eien, lyrischen Schwunges, desto besser wird der Ton
reflektirender Theilnahme getroffen, die sich zu allgemeinen
Betrachtungen erhebt. Die Verflechtung des Chores in den
Dialog erscheint keineswegs, wie man befürchten sollte, als
ein trauriger Nothbehelf. Allerdings hat Milton die lyrische
Bedeutung des Chores noch auf andere Weise abgeschwächt.
Er verzichtete auf die Theilung in Strophe, Antistrophe und
Epode. weil, wie er im Vorworte zu seiner Tragödie sagt, seine
Autobiographische Andeutungen. 127
Chöre gar nicht auf den Gesang berechnet waren. Dafür
entschloss er, sich hie und da den Reim anzubringen, dem er
noch kurz zuvor auf einem anderen Felde den Krieg erklärt
hatte.
Den grössten Reiz erhält das Werk durch seine beständig
merklichen Beziehungen auf die Schicksale und auf die Persön-
lichkeit des Dichters. Man fühlt es, dass er mit dem Blute
seines Herzens und mit dem Safte seiner Nerven schreilit.
Wie Simson, so war auch er ein starker Held gewesen im
Kampfe für eine verlorene Sache. Wie Simson, so war auch
er zum Spott seiner Feinde geworden, der Philister der
Revolution. Auch er hatte immer wie ein „Verlobter Gottes"
Enthaltsamkeit geübt und den Wahn der anderen nicht ge-
theilt, dass „Wein und starkes Getränke" besondere Kraft
gebe. Auch ihn hatte einst ein Weib aus feindlichem Lager
umstrickt, und der Missgriff hatte ihm die schönsten Jahre
des Lebens verbittert. Endlich die elende Nacht der Blind-
heit war ihm gemein mit dem alttestamentarischen Heroen.
Simson spricht es aus, aber es gab Momente, in denen Milton
es ihm nachempfand:
Ich fühl' es, wie das Leben in mir sinkt,
Verwelkt ist all mein Hoffen, die Natur
Erschlafft in mir, wie müde ihrer selbst.
Die Balin des Kuhms, der Schande lief ich durch,
Bei denen bin ich bald, die friedlich rulm.
Und nicht bloss die Betrachtung seines persönlichen Schick-
sals legte dem Dichter einen Vergleich nahe. Der allgemeine
historisch-politische Hintergrund, von dem sich die Gestalt
seines Helden abhob, machte sein Werk zu einem ernsten
Denkmal seiner eigenen Zeit. Wenn Simson die Häupter
Israels schilt, welche „die grossen Thaten der Befreiung miss-
achteten , die Gott durch ihn vollführt hatte" , wem sollten
nicht die Mahnungen einfallen, die der Gegner des Salmasius
ehemals an seine Landsleute gerichtet hatte? Schmerzbewegt
ruft er aus:
Wie oft geschieht's, dass ein entai'tet Volk
Durch seine Laster bald zum Sklaven wird.
128 Politische Tendenz.
Die Fesseln höher als die Freiheit schätzt,
Höher als schlichte Freiheit goldne Fesselo.
Dann schleudern sie Verleumdung, Argwohn, Neid
Auf ihn, den Gottes hohe Gunst erweckt,
Sie zu befrei'n. Bleibt er der Fahne treu,
So lassen sie den Muthigen im Stich
Und häufen Undank auf die \Yackre That.
Er gedenkt der „ungerechten Tribunale", des feindlichen
Schwertes der Abgöttischen, das die „Leichen der Erwählten
den Hunden und Vögeln zum Frass giebt" , und man hört
den trauernden Freund der Cromwell, Bradshaw und Vane
reden. Er schildert die verschiedenen Klassen der Sieger,
die „stolzen und racheschnaubenden Verehrer Dagon's und
seiner Priesterschaft'' , die Gewinnsüchtigen, welche für ihren
Privatvortheil „Gott und den Staat zu verschachern bereit
sind" , die Milderen , die sich mit einem Lösegeld begnügen
wollen, und man fühlt durch, dass er die Männer der Hoch-
kirche und der Kavalierpartei nach dem Leben abzeichnet.
Diese Erinnerungen an" Selbsterlebtes verstärken den melan-
cholischen Hauch, der über das ganze Drama ausgebreitet
ist. Aber sie erscheinen verbunden mit dem stolzen Gefühle
siegesfreudiger Zuversicht. „Der ganze Kampf ist zwischen
Gott und Dagon" ruft Simson aus, und Milton ruft es mit
ihm. Er weiss, dass der Sieg bei Gott verbleiben wird, bei
dem Gotte, in dessen Namen die edelsten Söhne des Puritanis-
mus ihr Banner erhoben hatten. — Er hat die zweite glor-
reiche Revolution nicht mehr erlebt, aber weissagend schildert
er, wie sie gleich dem^ erstarkten Helden an den Säulen der
stuartischen Herrschaft rütteln und den gleissenden Bau der
Restauration in Trümmer legen werde.
In dieser Gestalt des zürnenden Propheten sollten die
folgenden Geschlechter das Bild des blinden Dichters festhalten.
Fünftes Kapitel.
Abschluss der gelehrten Arbeiten.
Im Gedächtnis der Nachwelt wird Milton immer vor-
zugsweise als Schöpfer jener drei grossartigen Dichtungen
fortleben, deren Hervorl)ringung ihm eine unfreiwillige Müsse
nach der Wiederherstellung des Königthums ermöglichte. Ihm
selbst galt die Arbeit des Lebens damit nur als zur Hälfte
gethan. Mit dem Dichter Milton hatte, nicht eben zu dessen
Vortheil, der Gelehrte Milton von jeher gewetteifert. Als
er sich einst, um den Tageskämpfen nicht vom sicheren
Ufer aus zuzuschauen, „auf der stürmischen See lärmenden
und groben Gezänkes eingeschifft hatte", waren es doch nicht
bloss poetische Träume seiner „ruhigen und lieblichen Ein-
samkeit" gewesen, aus denen er sich hatte losreissen müssen.
Er hatte zugleich jene ernsten und nüchternen Studien ein-
zuschränken gehabt, die, ohne Rücksicht auf obwaltende
Streitigkeiten betrieben, ihren Lohn lediglich in sich selbst
trugen. Doch waren diese rein wissenschaftlichen Bestre-
bungen deshalb keineswegs ganz in Vergessenheit gerathen.
Drei grosse Arbeiten gelehrten Charakters waren in Angriff
genommen worden und zum Theil schon ziemlich weit vor-
gerückt, als der Eintritt in den Staatsdienst eine neue Unter-
brechung herbeiführte. Der Verlust des Augenlichtes musste
die Vollendung jener Aufgaben noch mehr verzögern. Erst
nach langen Jahren ward es möglich, wenigstens einige jener
Stern, Milton u. s. Z. II. 4. 9
]^30 Lateinisches Wörterbuch.
Werke zu einem gewissen Abschluss zu bringen und ihnen
ein paar kleinere Erzeugnisse des Gel ehrt enfleisses hinzu-
zufügen.
Unter jenen schon längst begonnenen wissenschaftlichen
Arbeiten hatten sich die Vorbereitungen zur Herstellung eines
lateinischen Wörterbuches befunden. Es gehört zu den schein-
baren Widersprüchen im Genius Milton's, dass er, dessen
Phantasie Himmel, Hölle und Erde zu umspannen wagte, sich
in der peinlichen Sorgfalt des Excerpirens und Kompilirens
gefiel. "Wie er sich mehrere wohlgeordnete Sammlungen von
Lesefrüchten in besonderen Heften anlegte, deren eines erst
kürzlich zum Vorschein gekommen ist, so wünschte er seine
umfassende Kenntnis der römischen Literatur in einer prak-
tischen Weise, die den höchsten Beifall Hartlib's und Co-
menius' gefunden haben würde , weiter zu verwerthen. Be-
mühungen dieser Art mussten, nachdem er erblindet war, eine
schwer -zu überwindende Schranke finden. So begreift man es,
dass die Vollendung jenes lexikalischen Unternehmens am
ehesten unmöglich wurde. Nach Phillip's Bericht fuhr er
zwar „fast bis zu seinem Todestage mit den Sammlungen aus
seiner Lektüre fort", die zur Herausgabe eines „neuen the-
saurus linguae latinae nach der Art des Stephanus" dienen
sollten. Allein die bezüglichen Papiere fanden sich nach
seinem Tode „in einem so verwirrten und mangelhaften Zu-
stande vor, dass sie als unbrauchbar für den Druck er-
schienen". Sie sind indessen doch nicht ganz werthlos ge-
blieben. „Was von ihnen vorhanden war", fährt Phillips fort,
„wurde für ein anderes Wörterbuch benutzt", und in der
That erklären die Herausgeber des sg. Cambridge - Wörter-
buchs von 1693, die sich enge an Adam Littleton's Wörter-
buch von 1678 anschlössen, wie dieser selbst, in der Vorrede.,
dass sie „drei grosse Manuskriptbände in Folio, alphabetisch
geordnet und von dem gelehrten John Milton angefertigt",
hätten ausbeuten können (^). Es ist vermuthet worden, dass
Edward Phillips selbst diese Papiere aus dem Nachlasse seines
Oheims bereitwillig zur Verfügung gestellt habe. Jedenfalls
scheinen sie sich eine Zeit lang in seiner Hand befunden zu
Lateinische Grrammatik. 131
haben. Auch mögen sie ihm für eigene Veröffentlichungen,
ein „Enchiridion" und ein „speculum linguae latinae" (1684),
zu gute gekommen sein(^).
Ein genügendes Wörterbuch war nicht das einzige Hilfs-
mittel zur Erleichtei-ung der lateinischen Studien, auf dessen
Zurüstung Milton Mühe und Zeit verwandt hat,
Seit lange hatte ihn die Frage , auf welche Weise die
lateinische Sprache am leichtesten erlernt werden könnte,
lebhaft beschäftigt. In seiner Jugend mit Lily's veralteter
Grammatik aufgezogen, musste er das Bedürfnis eines neueren
Lehrmittels bei seiner eigenen pädagogischen Thätigkeit häufig
empfinden. Durch die Bestrebungen des Comenius wurde er
angelegt, sich mit diesem Thema weiter zu beschäftigen.
Während er auf Hartlib's Wunsch seine Ideen über die Er-
ziehung entwickelte, tauchte es auf's neue vor ihm auf, und
Hartlib selbst hatte es ein Jahrzehnt danach auf seine Art
behandelt. Im Jahre 1669 fasste Milton die Ergebnisse
seines Nachdenkens in einer kurzen englisch geschriebenen
Grammatik zusammen (-). In einem Vorwort an den Leser
bemerkt er, wie seit lange, nicht ohne Ui'sache, darüber
geklM worden sei, „dassmit einer noch dazu sehr mittel-
mäsöfgeu Erlernung dei" lateinischen Sprache der zehnte Theil
eines Menschenlebens daraufgehe". Eine Hauptursache davon
scheint ihm darin zu liegen , dass die Anfangsgründe, wie die
höhere Grammatik , gesondert und gleich in lateinischer
Sprache gelehrt werden, noch ehe die Schüler diese verstehn.
Milton's Reform, und er schmeichelt sich in der That, wie
er sie einführt, der erste zu sein, besteht also darin, dass
er die elementaren und höheren Theile der Grammatik ver-
bindet und zwar in englischer Sprache. „Was Buchstaben
und Silben betrifft", so ist das darüber zu Sagende weg-
geblieben, da es „vorher und mit geringen Abweichungen aus der
englischen Fibel gelernt sein wird, und da sich doch nur
wenige werden übereden lassen, das Lateinische anders
auszusprechen wie ihr eigenes Englisch." Anderes, wie Un-
regelmässigkeiten von Deklination, Geschlecht, Konstruktion
ist absichtlich ausgelassen, um nicht das Büchlein ,, durch
232 Geschichte Britanniens.
Kataloge zu überbürden" und .,die Reihenfolge der Regeln zu
oft zu unterbrechen". Ein „Wörterbuch mit guten Beleg-
stellen" scheint IMilton für diesen Zweck besser zu dienen.
Er tadelt trotz aller sonstigen Anerkennung an seinem Vor-
gänger Linacre, der eine lateinische Elementargrammatik in
englischer Sprache für die Prinzessin Maria, Heinrichs VIII.
Tochter, geschrieben hatte, dass er anderer ]\Ieinung gewesen
sei. — Man sieht, das vornehmste Bestreben Milton's war
darauf gerichtet, einen möglichst praktischen Leitfaden her-
zustellen, nicht nur für den Unterricht Jüngerer, sondern
auch zur Selbstbelehrung Aelterer. Es hat wiederum etwas
Rührendes, zu bemerken, wie er dem nützlichen Zweck zu Ge-
fallen minder bedeutenden Aufgaben seine Kraft zuwandte.
Ein "Werk von bei weitem grösserer Wichtigkeit, ja ohne
Zweifel eines der interessantesten, das der Reihe seiner pro-
saischen Schriften angehört, liess er ein Jahr darauf er-
scheinen. Es ist die „Geschichte Britanniens, vorzüglich des-
jenigen Theiles, der heute England genannt wird, von den ersten
sagenhaften Anfängen bis zur normannischen Eroberung" (\),
Das Buch war von einem Bilde des zweiundsechzigjährigen
Autors begleitet, welches der berühmte Kupferstecher William
Faithorne nach dem Leben angefertigt hatte. Dies war die
zweite jener gi'ossen Arbeiten, die schon seit Jahren begonnen,
in ihrer Fortführung aber oft genug unterbrochen worden
waren. Vier Bücher waren vollendet gewesen, als Milton dem
Rufe des republikanischen Staatsrathes folgte. Zwei weitere
Bücher traten im Laufe der Zeit hinzu, und der Aufschub der
Veröffentlichung konnte der Ausfeilung des Ganzen nur zu
statten kommen. Ursprünglich war der Plan des Werkes
noch grossartiger gewesen. Es sollte die vaterländische Ge-
schichte von den ältesten Zeiten an „bis auf die Gegenwart"
umfassen. Allein der Erblindete war der Lösung einer
solchen Riesenaufgabe nicht mehr gewachsen. Auch so indess
ist seine Leistung, beschränkt auf einen kleineren Umfang,
aller Achtung werth.
Während der Revolution war in politischen Schriften
häufig eine entschiedene Hinneigung zu den vornormannischen
Miltons historische Befähigung. 133
Zeiten hervorgetreten. Die bekämpften Zustände waren nicht
selten in künstlicher Weise auf die Feudalmonarchie, als ihre
hauptsächlichste Ursache, zurückgeführt worden (^). Milton,
der geistige Vorfechter jener Revolution, war der erste,
welcher eine ausführliche und wohlgeordnete Geschichte der
früheren überlaut gepriesenen Epoche in der Muttersprache
zu schreiben den Muth fand. Freilich hat erst anderthall)
Jahrhunderte später das Zusammenwirken von Alterthums- *
künde, Sprachforschung und Rechtswissenschaft ein richtigeres
Verständnis jener dunklen Zeiten erschlossen. Allein schon
die Kühnheit, mit der sich Milton nach seiner Art einen Weg
durch das Dickicht der Ueberlieferung zu brechen suchte,
würde ihm für immer einen ehrenvollen Platz in der Ge-
schichte der englischen Historiographie sichern, auch wenn
seine Arbeit nicht noch durch andere Vorzüge ausgezeichnet wäre.
Allerdings wird man zunächst einen leisen Zweifel an
der Befähigung des Schriftstellers für die Lösung seiner Auf-
gabe nicht unterdrücken können. Man hat Milton mitunter
den historischen Sinn ganz abgesprochen. Niemand wird
läugnen, dass die Art seines literarischen Eingreifens in die
bewegenden Fragen des Tages Gründe genug für die Abgabe
dieses Urtheils liefert. Mit schonungslosem Radikalismus
hatte er mehr als einmal für einen vollständigen Bruch mit
der Vergangenheit gesprochen. Der abstrakten Idee, nach
der er die Dinge in Kirche und Staat umgestaltet wissen
wollte, sollte sich der vorhandene spröde Stoff wohl oder übel
fügen. Oft schien er dem Baumeister zu gleichen, der sich
daran genügen lässt, einen kühnen Riss zu entwerfen, ohne
sich zu fragen, ob er Hände und Steine zu seiner Ausführung
finden werde. Allein er hatte doch auch niemals das Be-
dürfnis verläugnet, seine Theorieen durch den Hinweis auf
geschichtliche Vorgänge zu stützen. Er hatte, wenn auch oft
genug gewaltsam, den Zustand, den die Revolution geschaffen,
an einen früheren Zustand der Nation anzuknüpfen gesucht.
Seine Kenntnis ihrer historischen und rechtshistorischen Denk-
mäler war beinahe auf jeder Seite seiner Schriften hervor-
getreten. Dazu kam, dass das Studium der heimischen Vor-
134 Benutzte Quellen.
zeit für ihn noch einen besonderen Zweck hatte. Lange Zeit
von dem Gedanken erfüllt, den sagenhaften und geschicht-
lichen Schatz der nationalen Vergangenheit in epischer oder
dramatischer Form poetisch zu verwerthen, hatte er sich die
Mühe nicht verdriessen lassen, sich mit den Quellen der
älteren englischen Geschichte genau bekannt zu machen. In
jener Liste dichterischer Entwürfe, die er bald nach der
Rückkehr aus Italien angelegt zu haben scheint, war eine
ganze Anzahl ihm wohlbekannter Autoritäten angeführt. Die
grossen Sammlungen der englischen Chronisten von Parker,
Savile und vor allem von William Camden waren ihm zu-
gänglich. Ein erster Abdruck der angelsächsischen Chronik,
der ihm sehr zu statten kommen musste, war wenige Jahre,
ehe er ernstlich Hand an sein Werk legte, erfolgt. Die Be-
kanntschaft mit Franz Junius konnte dazu dienen, ihn über
die Zustände der angelsächsischen Epoche mannichfach zu
belehren. Von Arbeiten über die schottische und dänische
Geschichte waren ihm wenigstens solche allgemeinen Cha-
rakters, wie diejenigen von Buchanan und Pontanus nicht
fremd. Mit den Autoren des klassischen Alterthums endlich,
von denen namentlich Cäsar und Tacitus für ihn in Betracht
kamen, war er seit seiner Jugend vertraut. Es war mit einem
Worte kein kleines Material, dessen er sich zu bemächtigen
gewusst hatte, und die genaue Angabe der Belegstellen konnte
die Zuverlässigkeit des Geschichtsschreibers verbürgen.
Indessen ohne kritische Sichtung wäre für den Erzähler
die Fülle des Stoffes eher vom Uebel als vom Guten gewesen.
Heutige Leser von billigem Urtheil, die sich hüten, den Mass-
stab der Gegenwart an Milton's Leistung zu legen, werden
finden, dass er auch in dieser Beziehung sich seiner Aufgabe
wohl gewachsen zeigte. Man darf sagen , dass ihm der erste
Grundsatz historischer Forschung, möglichst auf die gleich-
zeitigen Quellen zurück zugehn , unwiderruflich feststeht. Er
scheidet ohne Schonung vieles aus der beglaubigten üeber-
lieferung aus, was er als „absurde Erfindung", als „grossartige
Fabel" kennzeichnet, ohne deshalb läugnen zu wollen, dass
man „oft in Erzählungen, die als fabelhaft gegolten haben,
Seine Quellenkritik. 135
später Spuren und Reste von etwas Wahrem erkannt hat".
Ueber den sehr verschiedenen Werth der Quellen giebt er
sich keiner Täuschung hin. Mehr als einmal äussert sich sein
Urtheil in harten Worten. So wohl ihm ist, wenn er sich
auf Gewährsmänner der griechisch-römischen Kultur berufen
kann, so gerne er sieh der Führung eines Baeda anvertraut,
so heftig sträubt sich sein kritischer und protestantischer
Sinn gegen eine gewisse „Sorte" von mittelalterlichen Autoren.
Sie stehen zwar oft „den Dingen, die sie beschreiben, nahe
genug, da sie sich in ihrem Vaterlande ereignen. Der Zeit
nach sind sie von den Ereignissen nicht gar weit entfernt,
einige gehören sogar derselben Epoche an. Aber sie sind
barbarisch in ihrer Sprache, unzuverlässig, wenn es sich um
politische Angelegenheiten handelt, Lobredner dessen, was sie
die heilige Kirche nennen, womit sie in Wahrheit sich selbst
meinen, in Betrefif der meisten anderen Fragen der Religion
blind, dumm und abergläubisch: mit einem Worte Mönche".
Es widersteht ihm, „ihre Legenden für gute Geschichte an-
zunehmen". Er erklärt, dass, „um einen Band schnell mit
solchem Bettel zu füllen, nur zwei Dinge, Müsse und Glauben,
beim Schreiber wie beim Leser vorauszusetzen wären". Die
angelsächsischen Annalen schätzt er hoch als „Hauptquelle"
der nationalen Geschichte, als „Grundlage, die den späteren
Mönchen für ihre Glossen und Kommentare gedient hat"
(S. 202). Allein ,,der Gedanke erscheint ihm qualvoll", alle
die „Bände eines Florenz von Worcester, Roger von Hoveden,
Matthäus von Westminster und vieler anderer von geringerem
Ruf mit allen ihren Mönchereien durchlesen zu müssen".
Findet Wilhelm von Malmesbury, „was den Stil und das Ur-
theil anbetrißt", noch eher Gnade vor seinen Augen, so kennt
sein Spott und sein Unwille keine Grenzen, Avenn er auf die
„Fabeleien" Gottfried's von ]\Ionmouth zu sprechen kommt.
Aber auch modernen Geschichtsschreibern weist er einzelne
Irrthümer nach. Buchanan muss sieh von ihm sagen lassen,
dass „die angeborene Eitelkeit von solchen, die ohne Recht
Historiker genannt werden, oder das Bestreben, die eigene
Nation wahrheitswidrig zu preisen", oft dazu führe, „ohne
jgg Populärer Charakter seines Werkes.
weiteres zu erfinden, was dazu dienlich scheine, das Geschichts-
werk zu schmücken oder den vaterländischen Ruhm zu er-
höhen" (S. 104).
Man sollte wünschen, dass die Kritik Milton's sich hie
und da nicht bloss auf eine bequeme Negative beschränkt
hätte. Nicht selten kehren Bemerkungen wieder, wie
die, „er wolle über Ungewissheiten nicht länger streiten",
es „habe keinen Zweck, die verschiedenen Königsgenealogieen
abzuschreiben und sein Buch mit barbarischen Namen anzu-
füllen". Er überlässt es" häufig dem Leser, sich selbst ein
Urtheil zu bilden und begnügt sich, die verschiedenen ein-
ander widersprechenden Ueb erlief erungen neben einander zu
stellen. Noch öfter hält er es für erlaubt, einzelne Ereignisse
ganz zu übergehen, deren wirkliches Geschehen ihm nicht
hinlänglich begründet erscheint. Es ist indessen zu bedenken,
von welchem Gesichtspunkt aus er seine Arbeit unternommen
und auf welchen Leserkreis er sie berechnet hatte. An mehr
als einer Stelle betont er den populären Charakter seines
Werkes. Es sollte nicht Untersuchungen bieten, sondern die Er-
gebnisse der Untersuchung zusammenfassen. Mochten immerhin
streitige Fragen den „Erforschern der Antiquitäten" vor-
behalten bleiben, ihm kam es auf eine „kurze und glatte"-
Darstellung an, die man „bis dahin am meisten entbehrt
habe". Eben deshalb gönnt er, immer mit kritischen Vor-
behalten, auch den „verrufenen Fabeln", die nun einmal
Eigenthum des Volksbewusstseins geworden waren, Aufnahme.
Er gönnt sie ihnen, „wäre es auch nur zu Gunsten der eng-
lischen Poeten und Rhetoren, die ihrer Kunst gemäss wohl
wissen werden, sie mit Verstand auszunutzen" (^). So wird
vor allem die Artussage, die ihn schon früher als poetischer
Gegenstand gefesselt hatte, in ihren Grundzügen mitgetheilt,
wennschon es ungewiss bleibt, „wer Arthur war, und ob über-
haupt jemals ein solcher in Britannien regiert hat". Von den
bedeutenden historischen Persönlichkeiten steht ihm, wie man
denken kann, keine höher als die Alfred's des Grossen. Auch
mit diesem hatte sich seine dichterische Phantasie einst leb-
haft beschäftigt. In den Blättern seines Geschichtswerkes
Historischer Stil. 137
setzte er ihm uun ein Denkmal. Er fjalt ihm offenbar als
der edelste ^'e)•treter des rein germanischen Staatsgedankens,
während er die normannische Feudalmonarchie als das „Joch
des fremden Eroberers" betrachtete.
Das bisher Gesagte bezieht sich ausschliesslich auf den
Inhalt der „Geschichte Englands", allein um ihre Bedeutung
vollkommen zu würdigen, wird man auch ihre Form in's Auge
fassen müssen. Milton hatte einst in einem Privatbriefe seine
Gedanken über historischen Stil in Kürze ausgesprochen. Er
setzte beim Geschichtsschreiber Gesinnungen und Kenntnisse
voraus, die der Bedeutung seines Gegenstandes angemessen
wären. Er forderte eine „reine und ungeschminkte, klare
und würdige Darstellung". Auf besonderen Schmuck der-
selben legte er weniger Gewicht. „Denn", dies hatte er hinzu-
gefügt, ich frage einem Historiker nach, nicht einem Redner.
Ich bin kein Freund häufiger Betrachtungen und weitläuftiger
Urtheile über das Geschehene, weil der Faden der Erzählung
dadurch unterbrochen wird, und der Historiker damit dem
Politiker in's Amt greift." Von allen Geschichtsschreibern
lateinischer Sprache erkannte er dem Salust den Preis zu,
und selbst Tacitus schien ihm keines höheren Lobes würdig
zu sein, als dass er sich bestrebt habe,- „mit allen Kräften
den Salust nachzuahmen". Bei diesem fand er alle seine An-
forderungen erfüllt, vorzüglich jene Fähigkeit, „mit wenig
Worten viel zu sagen", die sich niemand „ohne den feinsten
Takt und ein^ gewisse Mässigung" zu eigen machen könne (^\
Dieses historiographische Ideal vor Augen, befleissigte er sich,
ihm nachzueifern, ohne deshalb zum sklavischen Kopisten zu
werden. Seine Sprache ist einfach und nüchtern. Die Sätze
sind gedankenreich, mitunter gedrungen. Bilder und Ver-
gleiche werden verschmäht, ebenso „wohlgesetzte Reden, wie
sie einige Historiker, um die Nachwelt zu täuschen, erfunden
haben". Nur selten erhebt sich die Darstellung zu höherem
Schwünge, wie in der Einleitung zum zweiten Buche, die dem
Preise der griechisch-römischen Kultur gilt.
Mit den bezeichneten stilistischen Eigenthüralichkeiten
verbinden sich andere, welche in diesem prosaischen Werke
138 Historischer Stil.
Milton's nicht zuerst, aber nur in wenigen der frühereu mit
gleicher Stärke auftreten.
Es ist schon von den Latinismen die Rede gewesen, die
mit immer steigendem umfange in die Gedichte Milton's ein-
drangen. Seine englischen Schriften in ungebundener Rede
haben dasselbe Schicksal gehabt. Auch sie erscheinen von den
Eigenthümlichkeiten des lateinischen Idioms durchtränkt, und
die gi'osse geschichtliche Arbeit nimmt an dieser Manier
einen stärkeren Antheil als irgend eine andere. Noch hatte
sich eine gleichmässige englische Prosa nicht gebildet, aber
dass man ein durchsichtiges, ja sogar ein anmuthiges Eng-
lisch schreiben könne, wurde der Nachwelt durch manches
Memoirenwerk, durch Cowley und selbst durch Clarendon
hinlänglich bewiesen. Dagegen die vaterländische Geschichte
Milton's obwohl für einen weiten Leserkreis bestimmt, glänzte
nicht in dem leichten, gefälligen Gewände, das die ^Massen
entzückt und einem Schriftsteller die grösste Yolksthümlich-
keit sichert. Sie Hess auf jeder Seite den genauen Kenner
des antiken Stiles durchblicken und stellte Forderungen an
die Denkweise der Leser, welche nur in einem beschränkten
Kreise derselben erfüllt werden konnten.
Es wäre möglich, die Bemerkungen über Milton's eng-
lische Geschichte hiermit abzuschliessen, wenn sie der Kritik
nicht noch eine sehr beachtensweithe Seite darböte. Er hatte
allerdings seine Abneigung gegen „häufige Betrachtungen und
weitläuftige Urtheile" in einer histonschen Arbeit ausge-
sprochen, allein man darf nicht glauben, dass deshalb seine
Persönlichkeit hinter der reinen Erzählung ganz zurücktrete.
Im Gegentheile hat er sich keineswegs enthalten, kurze An-
spielungen auf neuere Ereignisse, gelegentliche Parallelen und
moralische Aussprüche anzubringen, Von einem Manne, der
einen so regen Antheil an der Politik genommen hatte, war
es kaum anders zu erwarten, als dass er die Vergangenheit
wie einen Spiegel für die Gegenwart betrachtete. Die Ab-
sicht, aus den früheren Schicksalen der Nation eine patrio-
tische Nutzanwendung für das lebende Geschlecht zu ziehen,
bricht oft genug durch. In diesem Sinne mag man das Wissenschaft-
Anspielungen auf die Zeitgeschichte. 139
liehe Unternehmen Milton's nicht völlig von dem Vorwurfe der
Tendenz freisprechen. — Er leitete sein fünftes Buch mit der
Bemerkung ein: „Wenn Gottes Rathschlüsse einem sündigen
Volke die Knechtschaft zugedacht haben, als den einzigen
Zustand, der seinen Lastern angemessen ist, so sind alle Ver-
fassungsformen gleich unfähig, dies zu vermeiden". Er knüpfte
an eine Schilderung König Cnut's die Sentenz an: ,,Es ist
eine Lieblingsgewohnheit vieler Grossen, erst dann ihre Ge-
waltsamkeiten aufzugeben , wenn sie das Ziel ihres Ehrgeizes
erreicht haben, und zu glauben, Gott versöhnen zu können,
indem sie ihn mit einem Stück der Beute abfinden''. Noch
deutlicheren Bezug auf zeitgenössische Vorgänge hatte es,
wenn er die frühere „Harmlosigkeit'' der Irländer mit dem
Charakter ihrer Nachkommenschaft „heutigen Tages" in Ge-
gensatz stellte, oder wenn er dem „Heiden Penda", der „das
Anhören des Evangeliums in seinem Reich nicht verhindert
habe", vor ., vielen angeblichen Christen seiner und der mo-
dernen Zeit" den Vorzug gab. Gänzlich Hess er sodann die
Maske fallen, indem er gelegentlich den „Presbyterianern
unseres Zeitalters" einen Hieb versetzte, die sehr verschieden
von gewissen Geistlichen des vierten Jahrhunderts „mit grossem
Vergnügen auf öifentliche Kosten in einer Synode sitzen",
ohne deshalb Freunde „der Armuth" zu sein(M.
Alle diese Anzüglichkeiten werden indess übertroffen
durch eine sehr wichtige Ausführung, die Milton selbst als
eine „Digression" bezeichnet, und an welcher der Censor so
viel Anstoss nahm, dass er es für seine Pflicht hielt, sie zu
streichen. Sie ist nur dadurch gerettet worden, dass Milton
einem Bekannten eine Abschrift zum Geschenk machte. Es
war der Graf von Anglesey, der schon als Mr. Arthur Annes-
ley zur Zeit des Interregnums keine unbedeutende Rolle ge-
spielt hatte. Man darf sich billig wundern, einen Mann unter
der Zahl von Milton's Freunden zu finden, dessen Verdienste
um die Restauration mit der Grafenwürde belohnt wurden,
und dem ein Zeitgenosse nachsagt, dass ihm keine Partei
mehr traute, weil er ^ich selbst nur zu oft an den meist
Bietenden verkauft hatte. Allein abgesehen von der Unzu-
140 Die unterdrückte Stelle bezüglich der Revolution.
verlässigkeit dieses Zeugen , hat der Graf von Anglesey als
ein Freund religiöser Toleranz und ein Gönner der Wissen-
schaften sich einen Namen gemacht. So trug er denn auch
kein Bedenken, Milton „häufig zu besuchen, liebte seine
Unterhaltung" und empfieng aus seiner Hand jene Blätter,
die vor dem Censor keine Gnade gefunden hatten. Im Jahre
1681 wurde diese unterdrückte Stelle mit einer Vorrede be-
sonders veröffentlicht (^). Man findet sie in den gesammelten
Werken des Dichters nach den ersten Sätzen des dritten
Buches der englischen Geschichte vollständig abgedruckt. Er
bemerkt zur Einleitung dieses Buches, dass es eine „mehr als
gewöhnliche Aufmerksamkeit verdiene". Er findet nämlich
eine auffallende Aehnlichkeit zwischen der Lage der alten
Briten nach dem Aufhören der römischen Herrschaft und der
Lage der neuen Briten im Verlaufe der „letzten Revolution".
In beiden Fällen war eine Art von „Interregnum" eingetreten.
Beide Male war dem A'olke seine volle, „lange ersehnte Frei-
heit" zurückgegeben. Beide Male wusste es dieselbe „nicht
richtig zu benutzen". Eine solche Parallele zu ziehn, scheint ihm,
als Geschichtsschreiber, nicht nur erlaubt, sondern geboten.
Die Nation erhält dadurch ein Mittel zur „Selbsterkenntnis",
das ihr mehr nützen wird als die „gewöhnlichen Schmeiche-
leien und Lobhudeleien". Sie kann aus ihrer eigenen Ver-
gangenheit für ihre Zukunft lernen. Und nun folgt ein Rück-
blick auf jene Ereignisse, die er mithandelnd erlebt hatte, in
dem man den tiefen Schmerz eines um seine schönsten Hoff-
nungen betrogenen Patrioten erkennen wird.
Er läugnet, dass zu seiner Zeit wie damals vor mehr als
einem Jahrtausend „]\Iangel an Kraft oder kriegerischem
Muth" das Versäumnis der „guten Gelegenheit" verschuldet
habe. Es waren ,. andere Ursachen", ehedem wie neuerdings
gleicher Weise, die ,,so viel Arbeit, Blutvergiessen und Ver-
luste an Hab und Gut" als nutzlose Opfer erscheinen Hessen.
Unter diesen „anderen Ursachen'- stellt er das Verhalten des
langen Parlaments an die Spitze. Ein grosser Theil von
dessen Mitghedern verdankte nach seiner Ansicht Sitz und
Stimme nicht sowohl wirklichen -Verdiensten", als vielmehr
Die unterdrückte Stelle bezüglich der Revolution. 141
„Reichthümern" und „ehrgeizigen Umtrieben'-. Sobald sich
ihr „oberflächlicher Eifer" für die Sache des Volkes abgekühlt
hatte, „zog jeder seine Privatzwecke dem öffentlichen Wohle
vor und handelte je nach seinem Vortheil und Interesse".
„Da wurde das Recht verzögert und bald ganz geweigert,
Gunst und Hass entschied alles. Daher kam das Faktions-
wesen und Verrath im Inneren und gegenüber dem Feinde.
Ueberall war Unrecht und Unterdrückung. Schändliche und
verabscheuungswürdige Thaten wurden täglich begangen und
im geheimen oder öffentlich geschützt. Manche, die ohne
irgend ein Verdienst aus dem Laden oder Magazin weggeholt
waren, um im höchsten Rathe der Nation und in den Com-
mittees zu sitzen, trieben ihrem gewohnten Gewerbe gemäss
Schacher mit dem Gemeinwohl. Es gab Leute, die es vor-
trefflich verstanden, ihnen zu schmeicheln und sich in ihre
Launen zu schicken. Wer am meisten zahlen, wer sich unter
dem Schein eines heuchlerischen Eifers einzuschmeicheln
wusste, der empfieng, mochte er noch so unwürdig sein, den
Lohn der Gelehrsamkeit und Treue oder entgieng der Strafe
seiner Verbrechen und Missethaten. Ihre Beschlüsse und
Ordonnanzen, die der Erwartung des Volkes gemäss schlechte
Gesetze aufheben und bessere einführen sollten, enthielten
nichts als neue Auflagen, Zölle und Steuern, jährliche, monat-
liche, wöchentliche." Er fügte, gewiss nicht ohne in seinem
Kreise Erfahrungen der Art gemacht zu haben, hinzu: „Den
treuesten Anhängern der guten Sache, die ihre Person oder
ihr Vermögen eingesetzt hatten, wurden ihre gerechten An-
sprüche durch habgierige Sequestratoren abgestritten. Mit
der Bittschrift in der Hand wurden sie nach langem Warten
von einem Committee zum anderen geschickt, ohne irgendwo
etwas auszurichten. Wenn man ihnen je einmal aus Scham
und Klugheit wenigstens einen Schein von Recht zugestand,
so weigerten sich die Mitglieder der Unterausschüsse in den
Provinzen, meistens Leute von unersättlicher Habgier und
notorischer Schlechtigkeit, die Befehle auszuführen, was sie
nimmer gewagt haben würden, ohne mit einigen einflussreichen
Männern der oberen Behörden im Einverständnis zu sein"'.
142 Die unterdrückte Stelle bezüglich der Revolution.
Es ist, als könnte er dieses Thema, dem er einst in
seinem Sonett an Fairfax den kräftigsten x\usdruck gegeben
hatte, gar nicht erschöpfen. Immer wieder kommt er auf die
., unzähligen Diebe im Amt", auf die Entheiliger des ., öffent-
lichen Vertrauens" zurück, die „ungeheure Summen ver-
braucht", das Kirchengut zu ihrem Privatvortheil „ver-
schlungen", Malignanten und Gutgesinnte in gleicher Weise
bedrückt und den Staat dem „Bankerott" entgegen geführt
hätten. Er giebt zu verstehen, dass die „Süssigkeit betrüge-
rischen Gewinns, die Lust zu herrschen, das Gefühl der
eigenen Schuld und die Furcht vor dem Tage der Rechen-
schaft" einzelne selbst dazu vermocht habe, „heimlich die
Unruhen des Staates zu nähren, die sie heilen sollten".
„Immer waren sie auf neue Arbeit, auf neuen Aufschub be-
dacht, damit ja der schreckliche Moment nicht käme, in dem
sie aus Mangel an Geschäften ihre Macht niederlegen müssten.
und das zum Verderben des ganzen Volkes." Es hätte nur
noch gefehlt, dass er dem Gewaltstreiche Cromwell's, der die
Versammlung auseinandersprengte, seinen ausdrücklichen Bei-
fall geschenkt hätte. Allein soweit lässt er sich nicht fort-
reissen. Die Zeit des Protektorates bleibt überhaupt von
diesem Rückblick ausgeschlossen, der sich nunmehr den kirch-
lichen Zuständen zuwendet.
Schon bis hierher waren doch vornehmlich, "wenn auch
nicht ausschliesslich, die Presbyterianer bedacht worden. Auf
sie allein ist gemünzt , was über die religiösen Verhältnisse
gesagt wird. Vorzüglich der Westminster- Synode gilt der
Zorn des Autoi-s. Zunächst wird die Art ihrer Zusammen-
setzung durch Wahl des Parlaments von ihm getadelt. Er
behauptet, dass man „durch Frömmigkeit und Kenntnisse
hervorragende Männer ausgelassen habe". .,Der grösste Theil
der Synode bestand aus Männern, die mit dem Anschein
grossen Eifers von der Kanzel herab gegen die Habsucht und
Pfründenhäufung der Bischöfe und Prälaten gedonnert hatten.
Aber diese gewissenhaften Leute waren kühn genug, ehe
irgend etwas von ihren Aufgaben erfüllt war, zur Schande
ihres geistlichen Berufs und ihrer oft gerühmten Reformbestre-
Die unterdrückte Stelle bezüglich der Revolution. 143
bungen, mit wahrer Gier oder doch mit grossem Vergnügen
Masterstellen in den Colleges der Universitäten und wohl
dotiile Lecturerstellen in den Städten anzunehmen . . . Auf
diese Weise wurden sie, die heftigsten Gegner der Non-
Residenz, der Abwesenheit des Geistlichen von seinem Amts-
sitz, ihrerseits sehr raseh zu Pfründenhäufern und Non-
Residenten umgewandelt . . . Und doch lief die Hauptlehre,
für die sie so schnöden Sold nahmen und die sie für heiliger
hielten als das Evangelium darauf hinaus, dass die geistliche
Macht ihres Amtes nichts werth sei, im Vergleich mit dem
körperlichen Zwange. Diesen anzuwenden ermuthigten sie die
Obrigkeit auf alle Weise. Sie erachteten ihn für ein besseres
Mittel, die Gewissen zu gewinnen als evangelische Ueber-
redung. Sie sprachen für Zwang ohne Ueberzeugung , wäh-
rend sie sich noch kurz zuvor beklagt hatten, dass man gegen
sie unchristUcher Weise Gewalt gebrauche. Damit enthüllten
sie, dass ihre Absichten selbst antichristliche waren. Sie
wollten eine geistliche Tyrannei durch die Staatsmacht auf-
richten lassen, um ihre eigene Autorität über die der Obrig-
keit zu erheben. Sie wollten diese zu ihrem Executor machen,
um kirchliche Vergehen zu strafen, die für das bürgerliche
Recht nicht vorhanden sind". Wie die Lehrer, so die Schüler.
Diejenigen, welche sie als „eifrige und gottselige Männer"
empfohlen hatten, füllten ihre Stellen aus, ,,wie die Kinder
des Teufels", ungläubig, ungerecht, sittlich verderbt, so dass
dem Werke der Reform ein Schlag versetzt, den Feinden
Gottes und der Wahrheit eine Gelegenheit zum Lästern ge-
geben wurde, stärker „als jemals seit der ersten Predigt der
Reformation".
So war der Zustand in Staat und Kirche. Die Politiker
sah das Volk „ohne Charakter und Beständigkeit, in Kleinig-
keiten sehr geschäftig, in der Hauptsache müssig". Es fieng
an, „diejenigen zu verachten, die es einst geehrt hatte, sie
zu verlassen, sie zu bekämpfen oder gegen sie zu konspiriren".
Die Männer der Kirche erschienen ihm als „schlaue Heuchler,
als habgiei-ige und unwissende Verfolger, ganz ähnlich ihren
Vorgängern, gegen die sie ihre Anklagen geschleudert hatten".
144 Die unterdrückte Stelle bezüglich der Revolution.
Nach einer erkünstelten Hitze von Scheinheiligkeit wurde es
daher „kälter und verstockter als zuvor , lüderlich oder ge-
radezu atheistisch'". Mit einem Worte: dem begeisterten Auf-
schwünge folgte eine allgemeine Ermattung. „Die, welche wir
noch vor kurzem als unsere glorreichen Befreier priesen, denen
das Volk verehrungsvoll anhieng, sie haben nicht nur ihre
eigene Unfähigkeit verrathen, die versprochene Freiheit zu
geben, sie haben auch die Nation untauglich gemacht, über-
haupt irgend eine Freiheit zu empfangen oder zu ertragen . .
Denn die Freiheit hat ein scharfes, zweischneidiges Schwert,
das nur gerechte und tugendhafte ]\Iänner führen können.
Für die Schlechten und Sittenlosen wird es in ihrer eigenen
Hand gefährlich und unlenksam." —
Wie oft hatte er früher hervorgehoben, dass es zwar
Sache der Staatsweisheit sei, durch die Gesetze „den Ver-
brechern den nöthigen Zaum anzulegen", aber ohne damit die
Rechte, der „Guten" zu verletzen. Wie häufig hatte er auf
die erste politische Pflicht hingewiesen, rechtzeitig zu suchen,
die „Beschwerden des Volkes zu erkennen und ihnen Abhilfe
zu verschaffen."' Hier kommt er darauf zurück, allein er
findet, dass, was er voraussetzt, über den Gesichtskreis jener
„beschränkten Staatsmänner" weit hinausgieng. Ihm, der
früher mit solchem Stolz von seinem gottbegnadeten England
gesprochen hatte , scheint nun, nachdem er so bittere Er-
fahrungen gemacht hat, das selbstgenügsame Engländerthum,
die insulare Abgeschlossenheit eine hauptsächliche Ursache
jener Enttäuschungen zu sein. Auch wurde die politische
Korruption, wie sie unter dem Scepter Karls H. in üppigster
Blüthe stand, unzweifelhaft in dem folgenden harten Urtheil
mit betroffen : „Britannien, um eine Wahrheit auszusprechen,
die nicht oft gesagt wird, ist zwar ein Land, fruchtbar
an starken und muthigen Männern für den Krieg, aber durch-
aus von Natur nicht überreich an Männern, die im Frieden
rechtschaffen und weise zu herrschen vermöchten. Man ver-
traut bei uns zu viel auf seinen Mutterwitz und vergisst, dass
Bildung, Einsicht, selbstlose Hingabe an das Gemeinwesen
ohne Rücksicht auf Geld oder eitle Ehren auf diesem Boden
Die unterdrückte Stelle bezüglich der Revolution. 145
ge Wissermassen fremde Früchte sind. Sie gedeihen hier nur
in solchen Geistern, die eine sehr sorgsame und gründliche
Erziehung erhalten haben. Wie Wein und Oel von auswärts
bei uns eingeführt werden, so brauchen wir auch eine Ein-
fuhr gereiften Verständnisses und vieler bürgerlicher Tugenden
aus fremden Schriften und aus den Beispielen der besten
Jahrhunderte. Andernfalls werden wir immer seheitern und
niemals eine grosse Unternehmung glücklich zu Ende führen."
Es liegt auf der Hand, warum diese Stelle dem Censor
verdächtig vorkam. Mochte sie immerhin zunächst gegen
eine Partei gerichtet sein, deren Schonung den herrschenden
Gewalten gar nicht am Herzen lag, sie enthielt doch auch
vieles, was diese selbst sehr unangenehm berühren musste.
Xur das bleibt auffällig, dass andere Aeusserungen Milton's
der officiellen Spürkraft entgiengen. Wenn bei der Aus-
führung der Parallele davon die Rede war, dass „Lüge und
Falschheit in Ansehn standen" , dass „Schurkerei geehrt und
als Tugend belohnt wurde" , dass Frivolität und „Trunken-
heit" vorherrschten, so passte alles dies, obwohl es von den
alten Briten gesagt war, ebensowohl auf das erneute Stuart'-
sche Königthum. Und so wandte sich der Schluss des ganzen
Werkes, das bei der höchst einseitigen Schilderung der nor-
mannischen Eroberung und des ihr voraufgehenden bedenk-
lichen Zustandes abbrach, mit einer mahnenden Frage an die
Mitwelt: „Sind dies die Ursachen des Elends und der Knecht-
schaft unserer Ahnen gewesen, womit kann ich besser endigen,
als hier das lebende Geschlecht inmitten seiner Sicherheit
zeitig daran zu erinnern, von denselben unverbesserlichen
Lastern die Wiederkehr gleichen Unheils zu fürchten?" (*).
Als Geschichtsschreiber mochte Milton immerhin den
Ruhm einer gewissen Selbstständigkeit behaupten, als Philosoph
musste er auf einen solchen Anspruch verzichten. Auch war
es nicht seine Absicht diesen zu erheben als er der „Ge-
schichte Britanniens" zwei Jahre später eine „Logik" folgen
Stern, Jlilton u. s. Z. II. 4. 10
146 Lehrbuch der Logik.
Hess. Er wählte absichtlich diesen Ausdruck für die ., Kunst
gut zu räsonniren"' statt des noch von Petrus Kamus ge-
brauchten ..Dialektik". Uebrigens schloss er sich durchaus
an die Methode dieses Philosophen au, für den er eine hohe
Verehrung äusserte und dem er nur eine allzugrosse Kürze
vorwarf. Als Student hatte er die Qualen der üblichen
scholastischen Abrichtung empfunden und sich bitter über
die Misshandlungen der Logik, „der Königin der Wissen-
schaften", geäussert. Vielleicht waren ihm schon damals die
Schriften des Ramus als rettende Thaten erschienen. In jedem
Falle widmete er ihnen später ein genaues Studium. Auch
die Lebensgeschichte des'^kühnen Bekämpfers der aristotelischen
Logik, welcher der Bartholomäusnacht zum Opfer gefallen war.
hatte für Milton ein leicht begreifliches Interesse. Er hielt
es für angemessen, eine kurze Biographie des berühmten
Franzosen nach J. T. Freigius seinem Lehrbuch anzufügen (^).
Man erkennt in diesem auf Schritt und Tritt das fremde
Vorbild wieder. Das Widerstreben gegen „gehäufte, lästige
Regeln", die Erhebung der „Natur" gegenüber der ,. Kunst-',
die Verwahrung gegen die ..Einmischung von Physik, Ethik.
Theologie in die Logik" : alles dies war im Geiste des Ramus
gedacht. Seine Eintheilung der Logik wird im Grunde bei-
behalten, obwohl sich Milton die j\Iiene giebt, hiebei von seinem
Vorbild etwas abzuweichen. Auch er unterscheidet die Lehre
von der Auffindung und von der Anordnung der Gmnde und
vergleicht diese Eintheilung mit der der Grammatik in die
..Lehre von den einzelnen Worten und SjTitax". Desgleichen
folgt er dem Ramus in der Herbeiziehung zahlreicher Stellen
klassischer Autoren, als erläuternder Beispiele, ohne bei
seinem guten Gedächtnis zu sklavischer Nachahmung genöthigt
zu sein. Ich finde nicht, dass sich in Milton's Schrift ein
Fortschritt über die Tradition der ramistischen Schule kund-
gäbe. Das Wesentliche ist, dass auch er die Vorstellungen
ausser aller Beziehung zu den Sachen setzt und lediglich die
Form des Denkens und Redens in's Auge zu fassen sucht.
Uebrigens stellte er, den prosaischen Versuchen seiner Jugend
getreu, den gesunden Menschenverstand über „alle Kunst".
System der Theologie. 147
„Wendet man diese zu ängstlich, zu subtil und unnöthiger
Weise an, so dient sie nur dazu einen an sich scharfen Geist,
statt ihn noch mehr zu schärfen, vielmehr abzustumpfen, wie
der übei-flüssige oder unnöthige Gebrauch von Arzneimitteln
die Gesundheit untergräbt, statt sie zu stärken". Die blosse
Spekulation galt ihm einem Umherirren auf dürrer Heide
gleich.
Milton hatte sich in seiner Logik gegen jede Einmischung
theologischer Begriffe verwahrt, aber er hatte sich doch nicht
enthalten, seinerseits bei der Auswahl erläuternder Beispiele
an mehr als einer Stelle auf das theologische Gebiet zuräck-
zugreifen. Es war nicht schwer, schon aus solchen Stellen zu
erkennen, wie er über gewisse dogmatische Grundfragen, das
Wesen des göttlichen Willens, die göttliche Vorsehung, das
Verhältnis von Gott dem Vater zu Gott dem Sohne, u. a. m.
dachte. Indessen hat er auf andere Weise noch viel gründ-
licher dafür gesorgt, die Nachwelt über die Gesammtheit
seiner religiösen Anschauungen aufzuklären. Zu den längst
begonnenen gelehrten Arbeiten hatte die Abfassung eines
„vollkommenen Systems der Theologie" gehört. Mehrere
Jahre vor Uebernahme des Staatsamts hatte er angefangen,
seinen Schülern von Zeit zu Zeit aus brauchbaren Hand-
büchern zu diktiren, was für die Vorbereitung eines solchen
Werkes passend erschien (s. o. H. 398). Es lässt sich nicht
mit Sicherheit sagen, wie weit diese Vorarbeit in den folgen-
den Jahren gefördert wurde. Mit dem Eintritt der völligen
Erblindung wurde die Herstellung der endgiltigen Redaktion
begreiflicher Weise sehr erschwert. Es mag sein, dass im
Jahre 1655 mit dieser der Anfang gemacht worden war. und
man darf vielleicht aus einigen früher angeführten Worten
Milton's folgern, dass er 1659 sein Diktat noch keineswegs ab-
geschlossen hatte (s. 0. III. 219). Wie der reife Inhalt des ganzen
Werkes, so sprechen auch äussere Gründe für die Annahme,
dass es erst im Alter des Dichters vollendet worden ist.
Prüft man das noch vorhandene Manuskript des Buches, so
10*
248 Entstehuug und Handschrift des Werkes.
erkennt man auf den ersten Blick, dass von den 735 Seiten,
die es enthält, die letzten 539 einer in Absätzen diktirten
Kladde gleichen, in welcher zahlreiche Verbesserangen und
Zusätze, mitunter auf eingeklebten Blättern, von verschiedeneu
Händen erscheinen. Dass der Schreiber dieses grösseren
Theiles des Werkes die griechischen und hebräischen Buch-
staben nur sehr steif und mühsam auf's Papier brachte, ist
klar. Ueber seine Persönlichkeit lässt sich aber nichts weiter
feststellen, als dass er ein Amanuensis gewesen ist, dessen
Dienste Milton vom Jahre 1658 an mehrfach in Anspruch
nahm. Die ersten 196 Seiten dagegen machen durchaus den
Eindruck einer für die Veröffentlichung berechneten Reinschrift.
Sie weisen eine schöne, gewandte Hand auf, und eben diese hat
guten Theils den Rest des Manuskripts durchkorrigirt , ver-
muthlich auch die durchgehende Paginirung und Ueberschriften
über den einzelnen Kapiteln angebracht. Es i^t dieselbe
Hand, von welcher eine vollständige Abschrift der Milton'-
schen Staatsbriefe vorhegt, gleichfalls sichtlich zu dem Zwecke
angefertigt als Vorlage für den Druck zu dienen.
Es haben sich Mittel gefunden, die Indeutität dieses
Schreibers vollkommen festzustellen. Es war Daniel Skinner,
der Sohn eines londoner Kaufmannes, ohne Zweifel ein Ver-
wandter, vielleicht der Xeffe jenes Cyriack Skinner, der
Milton so nahe stand. Vermuthlich durch eben jenen wurde
er dem Dichter empfohlen. Er kann nur gegen das Ende
von dessen Leben genauer mit ihm bekannt geworden sein,
denn er hatte erst 1673 in Cambridge den Grad des Bacca-
laureus erworben. Später hat er sich gegen den Verdacht
verth eidigen zu müssen geglaubt, als ob er „im mindesten
von irgend einem der Grundsätze Milton's angesteckt worden
sei". Es war „lediglich die Liebe zur Wissenschaft", ,,der
Wunsch etwas von Milton zu lernen", was ihn öfter zu ihm
in's Haus führte. Sehr bald indessen wurde er, wie erwähnt,
einer der nützlichsten Gehilfen für seine Arbeiten. In seinen
Händen verblieb beim Tode des Dichters sowohl jene Kopie
der Staatsbriefe wie das ^lanuskript des theologischen Trak-
tates. Er wandte sich zum Zwecke der Veröffentlichung beider
Allgemeiner Charakter des Werkes 149
Stücke an die Elzevir'sche Buchhandlung in Amsterdam, ohne
etwas Böses dabei zu denken. Zu seinem Glücke zögerte
Elzevir mit der Herausgabe. Als 1676 in England eine un-
rechtmässig erworbene und verstümmelte Ausgabe der Staats-
briefe erschien, bat Daniel Skinner, ihm zu gestatten seine
vollständigere Kopie drucken lassen zu dürfen oder die un-
rechtmässige Edition seines Nebenbuhlers. zu verfolgen. Allein
nun wurden die Behörden auf die nachgelassenen Papiere eines
Schriftstellers, den sie noch im Tode fürchteten, erst recht
aufmerksam gemacht. Skinner, der als ein „kecker" und
„wilder junger Mann" bezeichnet wurde, gerieth in die grössteu
Ungelegenheiten , obgleich sowohl er selbst wie Elzevir die
feierliche Versicherung gaben, dass nichts von Milton's Manu-
skripten veröffentlicht werden sollte. Skinner nahm sie
darauf aus den Händen des Buchhändlers wieder in Empfang
und nach einigen Zwisclienfällen erhielt er in einer fetten
Stelle seines College reichlichen Lohn, ohne Zweifel nicht nur
für die loyale Gesinnung, die er zur Schau getragen hatte,
sondern auch für die Auslieferung jener verdächtigen Papiere,
welche in's Staatsarchiv wanderten. Hier hat man sie im
Jahre 1823 entdeckt. Zwei Jahre später wurde das theolo-
gische Werk bekannt gemacht, und im Anschluss an diese
Veröffentlichung erschien der berühmte Essay des jungen
Macaulay (i).
Das freudige Erstaunen, mit dem man in England die
unvermuthet zum Vorschein gekommene Eeliquie Milton's be-
grüsste, wai- durchaus berechtigt. Man lernte ein Werk
kennen, in welchem sich die Fortschritte seiner religiösen An-
schauungen deutlich verfolgen liessen, und aus welchem seine
umfassende Gelehrsamkeit, sein rastloser Forschungstrieb,
seine erstaunliche Kühnheit glänzend hervorleuchteten. Was
andere Schöpfungen seines Geistes bereits hatten durchblicken
lassen, erhielt hier eine vollkommene Bestätigung. Er hatte
als Independent nicht nur in P'ragen der kirchlichen Ver-
fassung und des kirchlichen Ritus mit dem Programm des
strengen Calvinismus gebrochen, das für seine Jugend be-
stimmend gewesen war, auch im Dogmatischen war er über
1^50 Allgemeiner Charakter des Werkes.
die geheiligte Tradition mit einer Unerschrockenheit hinaus-
geschritten, welche die grosse Masse der Rechtgläubigen
schaudern lassen musste. Freilich fanden sich auch in dieser
Arbeit alle jene Eigenthümlichkeiten wieder, welche die
Schwächen mancher seiner früheren Schriften ausgemacht
hatten: ein ängstliches Anklammern an den Buchstaben der
Bibel, währender die starre Wortgläubigkeit seinerseits ver-
urtheilt, eine sophistische Auslegung einzelner biblischer
Stellen, während er gegen die Sophistereien früherer Theo-
logen eifert, eine häufige Vermischung alttestamentarischer
und neutestamentarischer XJeberlieferuDg , während er doch
nicht weniger häufig den Unterschied in der Anwendbarkeit
von Gesetz und Evangelium festzuhalten sucht. Man erhält
auch hier das Bild eines freien und reichen Geistes, der sich
über den engen Gesichtskreis der Mitlebenden zu erheben
strebt, ohne sich von dem Grund und Boden der Bildung, auf
dem er. mit ihnen erwachsen ist, loslösen zu können.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dieser grossen
theologischen Arbeit und früheren kleineren desselben Autors
tritt sofort hervor. Sie ist frei von dem heftigen, polemischen
Tone, den er so häufig angewandt hatte. Allerdings enthält
sie gelegentliche Ausfälle gegen katholische wie protestan-
tische Lehrsätze und Schriftsteller, gegen akademische Insti-
tute und kirchliche Privilegien. Sie erklärt an einer Stelle
sogar ganz puritanisch den „Hass gegen die Feinde Gottes
und der Kirche für eine religiöse Pflicht" (V. 101). Aber
niemals werden wir an jene rohen Sitten literarischer Klopf-
fechterei erinnert, welche so manche theologische Ausführung
in anderen Werken Milton's entstellen. Hier befleissigt er
sich einer ruhigen, leidenschaftslosen Sprache. Auch dich-
terische Bilder und Vergleiche werden vermieden. Nur eine
einzige Anspielung auf die Zeitverhältnisse kommt vor, durch
die, wie einst im Lycidas, die pflichtvergessene, „beutelustige"
Geistlichkeit getroffen wird (IV. 460). Nur eine einzige Be-
ziehung auf eigene Arbeiten lässt sich nachweisen, welche
durch die erneute Behandlung der Ehescheidungsfrage nahe
gelegt wurde (IV. 249).
Sein Zweck. 15|
Der Zweck des Werkes erklärt seinen eigenartigen Cha-
rakter. In der Vorrede, die sieh an „alle Kirchen Christi
und an alle Bekenner des christlichen Glaubens in der Welt"
richtet, spricht sich der Verfasser mit einer eigenthümlichen
Mischung von Stolz und Bescheidenheit über seine Absicht
aus. Er gesteht, dass die Arbeiten seiner Vorgänger ihn
nicht befriedigt haben, und dass er das Ergebnis seiner For-
schungen für seinen „besten und reichsten Schatz" halte.
Aber indem er „der ganzen Welt" mittheilen will, was zu-
nächst nur ,,für ihn selbst" zu eigener Aufklärung und Er-
innerung bestimmt gewesen war, fordert er die Kritik ge-
lehrter und verständiger Richter heraus und verwahrt sich
gegen den möglichen Einwand, als wolle er seine Ansichten
dem Leser aufdringen. Er hofft vielmehr, dass sein Beispiel
Nachahmung finde. Er wünscht, dass „andere durch ihn be-
wogen werden, sich nach derselben Art zu belehren wie er".
Denn von diesem protestantischen Ursatz, der ihn sein ganzes
Leben hindurch leitete, geht er auch hier wieder aus: „In
den göttlichen Dingen darf man sich nicht auf den Glauben
oder das Urtheil anderer verlassen". „Wer erlöst werden
will, der muss seinen eigenen persönlichen Glauben haben . .
Alle Verheissungen Gottes gelten nicht einer trägen Recht-
gläubigkeit, sondern einem beständigen Fleiss, einem imer-
müdlichen Suchen nach Wahrheit." „Die Autorität der ganzen
Körperschaft der Theologen und des ehrwürdigen Namens der
Mutter Kirche" darf das Recht „der freien Forschung und
Erörterung" nicht einschränken und sich dem „individuellen
Glauben und der individuellen Ueberzeugung" nicht entgegen-
stellen. ,,Ohne diese Freiheit giebt es keine Religion und
kein Evangelium, sondern nur noch Gewalt, deren Unter-
stützung die christliche Religion schändet. Ohne diese Frei-
heit sind wir noch immer Sklaven, nicht mehr wie früher des
Gesetzes Gottes, sondern eines Gesetzes der Menschen,
oder richtiger einer barbarischen Tyrannei." Daher der An-
spruch, selbstständig „über jedes Dogma denken und schreiben
zu dürfen", die vorbeugende Bitte „an alle Parteien", es
freundlich aufzunehmen, wenn er etwas vorbringe, „was von
152 Anlehnung an die Bibel.
gewissen recipirten Ansichten abweiche", der Wunsch, „nicht
mit dem gehässigen Namen eines Ketzers gebrandmarkt zu
werden, ohne dass seine Lehre an dem Zeugnis der Schrift
geprüft worden sei".
Es ist etwas Lessing'sehes in dieser kraftvollen Ver-
theidigung des Rechtes individueller Kritik. Nur die letzten
Worte dieser Yertheidigung deuten au, worin Milton w^esent-
lich hinter den kühnen Bahnbrechern der folgenden Zeiten
zurückbleiben musste. Das Zeugnis der Schrift ist das einzige.
das ihm verbindlich erscheint. Die christliche Religion „steht
und fällt — ihm wie dem Pastor Goeze — mit der Bibel".
Nur dass er nicht müde wird, wie sonst, so auch hier, als
ächter Indepeudent die „äussere Autorität des Glaubens in
der Schrift" der „inneren des Geistes" unterzuordnen , des
jedem Einzelnen innewohnenden „heiligen Geistes", unter
dessen „.Führung" allein ein richtiges Verständnis der bibli-
schen Urkunden zu erlangen sei Er hatte sich genau ebenso
in einer Stelle des verlorenen Paradieses geäussert (XII. 511 ff,).
Ihm galt
die Wahrheit
Allein in jenen Schriften rein erhalten,
Jedoch nur zu verstehen durch den Geist ...
Diesem Grundsatz zufolge verschmäht er auch hier die
blosse „Spekulation". Er will nicht nach der Art seiner
meisten Vorgänger „ganze Seiten mit der Erläuterung seiner
eigenen Ansichten anfüllen und nur am Rande auf Kapitel
und Verse der Bibel verweisen". Er will ,,im Gegentheil seine
Blätter selbst zum Ueberfluss mit Stellen aus der Schrift an-
füllen und seinen eigenen Worten so wenig Raum als möglich
gönnen''. Indem er sich an das herkömmliche dogmatische
Schema anschliesst, trägt er die sämmtlichen einschlagenden
Stellen des alten und neuen Testamentes zusammen und sucht
„aus der so gewonnenen, rein biblischen Terminologie das
Dogma darzustellen und zu erklären". Er bietet mit einem
Worte, wie man ganz richtig gesagt hat, einen der ersten
Versuche zu einer rein biblischen Theologie. Und hierin
liegt ein um so grösseres Verdienst, da in seinem Jahrhundert
Benutzung früherer Lehrbücher. 153
„die exegetischen Vorlesungen von den Universitäten fast
verschwinden, und der Scholasticismus der Dogmatik nur nach
traditionellen Autoritäten sucht". Dass Milton zur Durch-
führung der erwählten Methode besonders befähigt war, wird
niemand läugnen wollen. Er war seit seiner frühesten Jugend
mit den biblischen Schriften aufs innigste vertraut. Er kannte
sie ohne Zweifel guten Theils auswendig. Er befand sich im
vollen Besitz der nöthigen philologischen Kenntnisse, soweit
sie im siebzehnten Jahrhundert zu erwerben waren. Er hand-
habte mit Geschick und Unerschrockenheit die biblische
Kritik, soweit sich sein Zeitalter überhaupt zu ihr erhoben
hatte. Häufig geht er auf die Lesarten der verschiedenen
alten Handschriften und Versionen zurück (z. B. IV. 94, 112.
371). Einmal erklärt er, dass „Moses das Buch der Genesis
viel später geschrieben zu haben scheine als die Verkün-
digung des Gesetzes" (IV. 223).
Indessen, wenn er sich zunächst an die Worte der Bibel
hält, so lässt er deshalb nicht unberücksichtigt, was die Ge-
lehrsamkeit so vieler Jahrhunderte bei der Verarbeitung dieses
Stotfes zusammengetragen hatte. Das Studium älterer Kom-
pendien hatte ihn zur Abfassung seines eigenen Werkes an-
geregt. Diktate aus den weit verbreiteten Büchern des
Niederländers Wilhelm Ames und des Schweizers Johannes
Wolleb hatten seine Zusammenstellung vorbereitet. An beide
schloss er sich nicht nur in der Eintheilung, sondern auch in
der Auswahl der Gitate und in einzelnen Ausdrücken sichtlich
an, wennschon er im sachlichen Urtheil nicht selten von
ihnen abwich. Aber daneben waren ihm die Werke Calvin's,
Beza's, Polanus', Episcopius*, Curcellaeus' u. a. sicherlich zur
Hand. In der patristischen Literatur zeigte er sich wohl be-
wandert. Mit den Klassikern war er zu gut bekannt, als dass
es ihn nicht hätte gelüsten sollen, hie und da inmitten der
Bibelverse einen heidnischen Ausspruch des Thucydides und
Euripides, Virgil's und Ovid's gelegentlich anzubringen (IV. 259,
278. etc.).
Wenn das Milton'sche Werk darin originell erscheint,
dass es eine rein biblische Theologie herzustellen versucht.
154 Verbindung von Glaubens- und Sittenlehre.
SO ist es nicht weniger beaclitenswerth wegen der engen Ver-
bindung von Dogmatik und Ethik , die in ihm durchgeführt
wird. Allerdings fand jMilton hierfür in Arnes und Wolleb
ein Vorbild. Aber im allgemeinen war man im siebzehnten
Jahrhundert auch in der reformirten Kirche daran gewöhnt,
wenn nicht Glaubenslehre und Sittenlehre zu trennen, so doch
der letzten häufig nur eine oberflächliche Betrachtung zu
widmen. Hier dagegen werden beide ganz gleichwerthig be-
handelt. Beschäftigt sich das erste umfangreichere Buch mit
der „Kenntnis Gottes", so nimmt das zweite, das „vom Kultus
Gottes" betitelt ist, auf die Pflichten des Menschen gegen sich
selbst und gegen seinen Nächsten besondere Rücksicht, weil
„wir in der Erfüllung dieser Pflichten Gott dienen , so lange
wir uns dabei den göttlichen Vorschriften unterordnen". Man
hat also den Vortheil, Milton, als Systematiker einer christ-
lichen Tugendlehre, mitunter als Meister einer überfeinen
Kasuistik, über eine Masse praktischer Fragen des täglichen
Lebens, allerdings unter beständiger Beziehung auf die Bibel,
sich aussprechen zu hören. Handelt er über die Stellung
des Weibes zum Manne, über die Pflichten der Kinder gegen
die Eltern, über die würdigste Art des Benehmens und der
Unterhaltung, über das Gebot, Leid und Unrecht männlich
zu tragen, so glaubt man darin einen Kommentar zu seinem
eigenen Leben, einen Niederschlag seiner persönlichen Er-
fahrungen zu finden. Erklärt er es mit dem Worte Gottes
für vollkommen verträglich, einen religiösen Eid zu leisten
oder Kriegsdienste zu thun, billigt er ausdrücklich die Sitte,
dass „die Weiber unter der Gemeine schweigen'^, so scheint
darin eine Abwehr gegen die Lehren gewisser Sekten seiner
Zeit, und namentlich der Quäker, zu liegen. Auch sonst be-
merkt man beständig den mächtigen Einfluss der ganzen
Epoche, zu deren begeistertem Dolmetscher er sich früher so
oft gemacht hatte. Die Lehre vom Widerstandsrechte des
Volkes gegen den Tyrannen, von dem allgemeinen Verhältnis
des Staates zu den kirchlichen Genossenschaften, insbesondere
von der Uugehörigkeit , Kultussteuern auf die Gesammtheit
der Staatsbürger zu legen und das Institut der Zehnten auf-
Vergleichuug mit dem verlorenen Paradiese. 155
recht zu erhalten, von dem „rein bürgerlichen" Charakter der
Ehe und des Begräbnisses: alle diese bedeutenden Gegen-
stände, die seine Feder in früheren Jahren so vielfach in Be-
wegung gesetzt hatten, finden hier in einem grösseren Rahmen
ihren Platz. Mitunter drückt er sich etwas vorsichtiger aus
als es ehemals nöthig gewesen war, wie wenn er zugiebt,
„aus Gründen des öffentlichen Friedens und der persönlichen
Sicherheit" erscheine es hie und da geboten, „auch den Be-
fehlen eines Tyrannen in gesetzlichen Dingen Gehorsam zu
leisten" (V. 156). Mitunter äussert er seinen Gegensatz zu
dem kirchlichen Formalismus noch entschiedener als jemals
sonst, wie wenn er die ein für alle Mal „festgesetzte" Uebung
zwingender Ritualien für „überflüssig" erklärt oder die
„Heilighaltung eines bestimmten Sabbathtages" als eine Folge
lediglich menschlicher Auswahl betrachtet (Y. 31, 74).
Wer an der Hand Milton's das ganze ungeheure Gebiet
durchwandelt, das er in diesem Werke umspannt, wird auf
Schritt und Tritt an die grossen Gedichte seines Alters er-
innert werden. Vor allem zu dem verlorenen Paradiese be-
merkt man fast auf jeder Seite Parallelstellen. Oft stimmen
einzelne Wendungen bis . auf den Buchstaben überein, aus
keinem anderen Grunde, als weil für das poetische wie für
das prosaische Werk der gleiche Satz aus der Bibel herüber-
genommen ist. Eine solche Vergleichuug lässt erst in voller
Klarheit erkennen, wie viel Theologie in das verlorene Para-
dies hineinverarbeitet worden ist, und wie sehr die Gewissen-
haftigkeit und Belesenheit des Gottesgelehrten Milton der
Naivetät und Ursprünglichkeit des Dichters Milton nothwendig
den schwersten Eintrag thun musste. Andrerseits wird man
nicht länger bezweifeln dürfen, dass vieles, was als freies Ge-
bilde dichterischer Phantasie Bewunderung erregen mochte,
im Grunde nichts ist, als der wirkliche Ausdruck ernstester
religiöser TJeberzeugung. Vom Glauben an Hexerei und Astro-
logie, dem sein Zeitalter noch sehr ergeben war, scheint Mil-
ton, der Verehrer der Naturwissenschaft, sich frei gemacht zu
haben (^). Den Glauben an Engel und Teufel, die ihm in der
Bibel leibhaftig entgegentraten, hielt er um so entschiedener
156 Vergleicliuug mit dem verlorenen Paradiese.
fest. Er weiss, dass die guten Engel um den Thron Gottes
stehn, dass Christus ihr Haupt ist, und dass ihrer sieben das
besondere Geschäft haben, Gottes Aufträge zur Erde zu über-
bringen. Er zweifelt nicht daran, dass auch die Teufel ihren
Fürsten haben, dass sie sich in verschiedene Rangklassen
theilen, und dass die Hölle „an einem Orte äusserster Finster-
nis, aber nicht in den Eingeweiden der Erde" gelegen sei.
Er ist des Eintreffens des jüngsten Tages versichert, an dem
die bösen Engel und die ganze Menschheit gerichtet werden,
die sündige "Welt verbrennt , und nach welchem ein neuer
Himmel und eine neue Erde entsteht, der Wohnort eines ver-
jüngten Geschlechtes, der „Gerechten", wie er gesungen
hatte, denen „goldene Tage ewigen Glückes" beschieden sind,
Dass er nicht etwa nur poetisch schwärmte, sondern sehr
nüchtern räsonnirte, beweist die Wichtigkeit, mit der er
einzelne Fragen behandelte, wie z. B. ob der jüngste Tag
wirklich nur vierundzwanzig Stunden dauern werde, oder ob
das Wort „Tag" nicht in einem weiteren Sinne zu nehmen
sei, „da es sich um das Urtheil über so viele Myriaden von
Menschen und Engeln handle" (IV. 484). Bedenkt man, dass
Hartlib sehr ernsthaft mit einem Freunde darüber korrespon-
dirte, ob die Engel Barte haben oder nicht, dass Robert
Boyle sich sehr ausführlich über die Eigenschaften der Engel
verbreitet (^); so wird man nicht erstaunt sein, Milton an ge-
wissen mythologischen Vorstellungen festhalten zu sehn, die
seine poetische Einbildungskraft nur im einzelnen auszumalen
nöthig hatte.
Ein anderes Ergebnis der Vergleichung zwischen dem
verlorenen Paradiese und dem theologischen Traktate wird noch
wichtiger erscheinen. Für das grosse Gedicht bildete gleich-
sam den philosophischen Hintergrund die Frage vom Ursprünge
des Uebels. Es war nicht möglich sie nur zu streifen ohne
zu dem Centraldogma des Calvinismus, dem Dogma der Prä-
destination, entschieden Stellung zu nehmen. Wir wissen,
wie Milton in früheren Jahren hierüber gedacht hat. Er
hatte sich einst wiederholt als Gegner des Arminianismus
erklärt. Er hatte den Arminius selbst einen ,. Verführten"
Milton und der Calvinismus. 157
genannt, freilich oline sich einzugestehn , dass er seinerseits
schon halb und halb derselben „Verführung" erlegen sei.
(S. 0. II. 185, 313.) Im Verlauf der Jahre entfernte er sich
immer weiter vom Standpunkte der calvinistischen Orthodoxie.
Derselbe Freiheitsdrang, der ihn an so vielen anderen Stellen
die Schranken des genfer Systems durchbrechen Hess, machte
ihm auch das harte Dogma unerträglich , welches das ganze
Lehrgebäude des genfer Reformators beherrscht. Das dritte
Kapitel des ersten Buches seiner umfassenden theologischen
Arbeit handelt „von den göttlichen Dekreten", das vierte
„von der Prädestination", das achte „von der Vorsehung",
das eilfte „vom Falle der ersten Menschen und von der Sünde"'.
Durchliest man diese Kapitel, zieht man die zahlreichen
Stellen des verlorenen Paradieses, welche eben diese Gegen-
stände behandeln, zur Vergleichung herbei, so bemerkt man
hier wie dort völlig dieselbe Anschauung, deren entschiedene
Abweichung von den recipirten Glaubenssätzen in die Augen
springt. Diese Anschauung steht mit dem independentischen
Glaubensbekenntnis der Savoy- Synode von 1650 in Wider-
spruch, während sie hie und da an die verschiedenen Glau-
bensbekenntnisse der Baptisten erinnert (^).
Als Grundlage der ganzen Beweisführung sucht Milton
aus zahlreichen Bibelstellen darzuthun, dass Gott nicht alle
Dinge absolut beschlossen hat. Den Gegnern dieser Ansicht,
den Verfechtern der unerbittlichen Prädestinationslehre, wird
der Vorwurf gemacht, dass nach ihrer Ansicht „alle Freiheit
des Handelns in menschlichen Dingen aufhören würde, so wie
jedes Bestreben und jeder Wunsch, das Rechte zu thun.
Denn wir könnten so argumentiren : Wenn Gott für alle Fälle
meine Erlösung beschlossen hat, so werde ich, ich mag han-
deln, wie immer ich will, nicht untergehn. Aber Gott hat
auch beschlossen, als Mittel zur Erlösung, dass du recht han-
deln sollst. Ich muss also nothwendig ein oder das andere
Mal recht handeln, da Gott es so beschlossen hat ; inzwischen
will ich nach meinem Gefallen handeln. Wenn ich niemals
recht handle, so wird sich zeigen, dass ich niemals für die
Erlösung vorherbestimmt gewesen bin, und dass, was für
]^58 Milton und der Calvinismus,
Gutes ich auch immer hätte thun mögen, es vergeblich ge-
wesen sein würde" (IV. 33). Kein Zweifel , dass Milton hier
bewusst den Finger in die grosse Wunde des calvinistischen
Dogmas legt. Er bezeichnet als nothwendige Folge desselben
jenen sittlichen Fatalismus, eine Folge, der Calvin selbst nur
durch ein inkonsequentes Verlassen seiner Theorie vorzubeu-
gen gewusst hatte (^). Milton im Gegentheil will den Glauben
an den freien Willen des Menschen nicht aufgeben. Und so
beurtheilt er den Sündenfall in den prosaischen Sätzen seiner
Dogmatik nicht anders wie in den kunstvoll gefügten Jamben
seines Epos. „Was immer dem freien Willen der ersten Men-
schen überlassen war, konnte nicht unabänderlich oder abso-
lut von aller Ewigkeit vorherbestimmt sein . . Gott wusste
vorher, dass Adam in Folge seines eigenen freien Willens fallen
würde, sein Fall war also gewiss, aber nicht nothwendig, da er
von seinem eigenen freien Willen abhieng, der mit der Nothwen-
digkeit unvereinbar ist." Dies Verhältnis des göttlichen Vor-
herwissens und der Willensfreiheit der geschaffenen Wesen
wird noch einmal in den unzweideutigen Worten zusammen-
gefasst: „Gott beschloss in seiner Weisheit, Menschen und
Engel als vernünftige Wesen zu schaffen, d. h. als solche, die
frei handeln. Aber er sah zugleich voraus, wohin sich in
der Benutzung ihrer ungehemmten Freiheit der Antrieb ihres
Willens neigen würde. Wie also, werden wir sagen, dass
diese Voraussicht oder dies Vorherwissen auf Seiten Gottes
ihnen die Xothwendigkeit auferlegte, in irgend einer be-
stimmten Weise zu handeln? Nicht mehr, als wenn der
künftige Erfolg von irgend einem menschlichen Wesen
vorhergesehn gewesen wäre" (IV. 38 — 41). Es ist nur nöthig,
einen Rückblick auf die klassische Stelle aus dem verlorenen
Paradiese (s. o. S. 96) zu werfen, um genau dieselbe dogma-
tische Auseinandersetzung in Versen zu gemessen (^). Eben
diesem Gedankengange entsprach es, wenn Milton gegen „die
Uebung der Schulen" ankämpfte, „das Wort Prädestination
nicht allein im Sinne der Wahl, sondern auch im Sinne der
Verwerfung zu gebrauchen". Für ihn, der „keine Verwer-
fung Einzelner von aller Ewigkeit her kennt", ist Prädesti-
Milton und die Dreieinigkeitslehre. 159
nation gleichbedeutend mit dem uranfänglichen göttlichen \oy-
satz, ,,aus Mitleid für das Menschengeschlecht diejenigen zu
erretten, welche glaul)en und im Glauben verharren würden".
Man sieht, wie Verstand und Gefühl des poetischen Theo-
logen und des theologischen Poeten sich abmühen, das Myste-
rium des Glaubens aufzuhellen. Aber man bemerkt auch,
dass es ihm so wenig wie tausend anderen gelingt, unverein-
bare Widersprüche zu beseitigen. Es geht ihm nicht besser
als seinen gefallenen Engeln, von denen ein Theil, um sich
die Zeit zu vertreiben, über eben dies Thema disputirt „und
findet aus dem Irrsal keinen Weg". Das Wollen und das
Wissen Gottes sind nicht im Einklang. Die freie Entschei-
dung des Geschöpfs läuft der absoluten Vorsehung des Schöpfers
entgegen. Das Böse war nicht im Weltplan gelegen, und doch
weiss es sich in die Welt einzudrängen. Ein Dualismus der
Anschauung bleibt bestehen, aber mit ihm wird wenigstens der
Gedanke der Selbstbestimmung gerettet, auf dem das höchste
menschliche Streben beruht.
Milton's Abweichung von der strengen Doktrin des Cal-
vinismus wird allgemein zugegeben. Seine ketzerische Auf-
fassung der Dreieinigkeitslehre hat man mitunter zu verdecken
gesucht. Zwar erscheint er in seiner Jugend und im früheren
Manuesalter, auch was diesen Punkt betrifft, noch durchaus
orthodox. Zahlreiche Aeusserungen in gebundener und un-
gebundener Rede liegen vor, welche dies zur Genüge bewei-
sen (i). Aber wie er allmählich vom strengen Calvinisten zum
Arminianer wurde, so konnte er sich der „Ansteckung der
Arianer" nicht erwehren , vor- der er ehemals gewarnt hatte.
Wiederum war es in erster Linie das verlorene Paradies, aus
dem sich diese Umwandlung erkennen liess. Schon De Foe
hat sie herausgefühlt und unter anderen scharfen Anmerkun-
gen hervorgehoben, dass „Milton in diesem Punkte nicht
rechtgläubig sei" (2). Als man in Italien 1758 das Gedicht
auf den Index der verbotenen Bücher setzte, wurde unter
den Ketzereien, die es enthalte, namentlich angeführt, „dass
die Menschwerdung Christi seine Trennung vom Vater erfor-
dert habe, dass Jesus Christus nicht der natürliche, sondern
](30 Milton und die Dieieinigkcitslehre.
der Adoptivsohn des Ewigen sei, nicht ihm gleich, sondern
ihm ähnlich" (^). Ein Theil dieser Worte erscheint zu stark,
ein Theil trifft das Richtige. Allerdings ist es so gut wie
unmöglich, einzelne "Widersprüche aufzuheben, die sich in der
poetischen Behandlung dieses Gegenstandes voi-finden. Auch
ist unschwer zu bemerken, dass der Dichtei- sich eine gewisse
Zurückhaltung auflegt, wie sie durch die Natur seiner Auf-
gabe geboten war. Er hält sich wie gewöhnlich an die Sprache
der Bibel und überlässt es dem Leser, sich aus ihren poetisch
verwertheten Aeusserungen ein Gesammtbild herzustellen.
Aber die Nothwendigkeit, „selbst am Throne des Allerhöchsten
dramatisches Leben zu entfalten", in Rede und Gegenrede
einen bestimmten Gedankenaustausch zwischen Gott Vater
und Gott Sohn stattfinden zu lassen, begünstigt seinen Abfall
vom strengen Dogma der Trinität. Während der heilige Geist
überhaupt nur als die inspirirende Muse auftritt, ohne in die
Handlung einzugreifen, erscheint Gott der Sohn, der „Vice-
könig" des Höchsten im Himmel und sein Vermittler auf
Erden, als „Erstling der Schöpfung", durch den, „als durch
sein Wort, der Vater alle Wesen schuf. Er ist zwar .,der
Abglanz seines Ruhmes", eins mit ihm im Wollen und Voll-
bringen, aber er stellt sich doch dar als ihm untergeordnet,
und einmal ist von seiner .,Aehnlichkeit" statt von seiner
Gleichheit mit Gott die Rede. Das wiedergewonnene
Paradies, das dazu bestimmt war, in Christus einzig
den „vollkommenen ^lenschen" zu verherrlichen , bot
keinen Anlass dar, den Eindruck dieser heterodoxen An-
schauungen Milton's abzuschwächen. Man durfte ihn dreist
den Arianem zuzählen, auch ehe sein theologisches Werk
bekannt war.
Aus diesem ergiebt sich nun mit voller Klarheit, dass
auch hiebei zwischen dem Dichter und dem. Gottesgelehrten
Milton die entschiedenste Uebereinstimmung herrscht. Die
Einleitung zu dem Kapitel „vom Sohne Gottes" macht kein
Hehl daraus, dass hier etwas vorgebracht werden soll, was
dem Autor „glaubwürdiger^' erscheint als das „allgemein an-
erkannte Dogma". Er hält es für nötliig, die „Freiheit", die
Milton und der Pantheismus. 1(31
er sich nehmen will, zu entschuldigen und er thut es, indem
er wiederum das Recht ungehinderter Forschung auf Grund-
lage der Schrift für sich, als Glied der reformirten Kirche, in
Anspruch nimmt. In der Bibel findet er aber „nur einen
wahren absoluten und höchsten Gott". Wenn der Sohn nichts-
destoweniger auch Gott genannt wird, so muss er „den gött-
lichen Namen und die göttliche Natur von Gott dem Vater
nach dessen Willen empfangen haben", seine Einheit mit dem
Vater ist „keine Einheit des Wesens", er hat zwar existirt
„ehe die Welt erschaffen war", aber „nicht von aller Ewigkeit
an". Ganz gegen seine Gewohnheit ruft er sich bei diesem
Thema neben den biblischen Citaten auch die „Vernunft" zu
Hilfe, und heftiger als er es sonst in diesem Werke zu thun
pflegt, eifert er gegen „gewisse Individuen, die durch betrü-
gerische Kunststücke den klaren Sinn der Schriftstellen zu
verdunkeln . . und sophistischer Weise absurde Paradoxen
aufrechtzuhalten suchen". Es lässt sieh denken, dass dieser
Widerstreit mit der herrschenden Dreieinigkeitslehre noch
eine Verschärfung erfahren musste in dem Kapitel „vom hei-
ligen Geiste", der seinerseits sowohl „dem Vater wie dem
Sohne untergeordnet" erscheint.
Wenn diese Ideen an theologische Begriffe anknüpfen und
in der theologischen Schulsprache auftreten, so enthält das
grosse Werk Milton's einige andere beachtenswerthe Aeusse-
rungen einer kühnen Kritik, die man ausschliesslich dem
philosophischen Gebiete zuweisen wird. Wir haben keine Nach-
richt darüber, ob der Dichter die Schriften Giordano Bruno's
gelesen hatte, dessen Schicksal ihm schwerlich verborgen ge-
blieben war. Wir wissen auch nicht, ob er von dem Genius
Spinoza's Kunde hatte, von dessen Leben und Lehre Robert
Boyle wie Heinrich Oldenburg ihm mit Leichtigkeit etwas
hätten berichten können (^). Aber so wenig Gemeinsamkeit
Milton mit den Verkündigern des Pantheismus sonst zu haben
scheint, so legen gewisse Sätze seines theologischen Traktates
die Vermuthung nahe, dass doch eine geistige Berührung
zwischen ihm und jenen stattgefunden habe. Indem er in
gewohnter Weise die Lehre „von der Schöpfung" entwickelt,
Stern, Milton u. s. Z. IT, 4. ' 11
152 Milton und der Pantheismus.
streitet er lebhaft gegen den Gedanken, „dass die Welt aus
nichts geschaffen sei". „Es ist klar, — zu diesem Schlüsse
gelangt er — dass die Welt aus Materie gebildet ward.
Denn da Thätigkeit und Leiden Begriffe sind, die einander
bedingen, so kann keine Thätigkeit wirken, ohne dass ein
Leidendes (wie die Materie) vorhanden ist". Auch hier wie-
der drängt sich neben der „Schrift" die „Vernunft" ein, und
diese führt ihn noch einen Schritt weiter. Die Materie muss
„von Ewigkeit her" bestanden haben, weil es unbegreiflich
wäre, „von welchem Zeitpunkt an sie entstanden sein sollte".
Ist sie aber ewig, so kann sie nicht neben Gott bestanden
haben, „es bleibt nur das eine übrig", dass sie Gott immanent
war, dass Gott sie aus sich entwickelte. „Es ist ein Beweis
der höchsten Macht und Güte, dass eine solche verschieden-
artige, vielförmige und unerschöpfliche Anlage substantiell in
Gott gelegen war und nicht in ihm schlummern blieb, sondern
sich so weit und der Art ergoss, fortpflanzte und ausdehnte,
wie es sein Wille war." Wie die Materie von Ewigkeit an
war, so ist sie auch in Ewigkeit unzerstörbar. „Wenn alle
Dinge nicht nur von Gott, sondern auch aus Gott sind, so
kann kein erschaffenes Ding jemals aufhören zu sein . . Gott
ist nicht Willens, oder, besser gesagt, nicht fähig, irgend ein
Ding zu vernichten." Selbst bei dem Hinweis auf den „Welt-
brand" wird „nur eine Umwandlung der Substanz" als mög-
lich vorausgesetztem (IV. 177 — 181, 488).
In engem Zusammenhange mit diesen Betrachtungen stehen
diejenigen, die sich auf das Wesen der menschHchen Seele
und des menschlichen Körpers beziehen. ,,Der Mensch, ein
Theil der sichtbaren Schöpfung, ist ein individuelles Gan-
zes, nicht zusammengesetzt oder trennbar, nicht, wie man ge-
wöhnlich annimmt, aus zwei verschiedenen Naturen, Seele
und Leib, zusammengefügt, vielmehr der ganze Mensch ist
Seele, und die Seele ist die individuelle, belebte, empfindende
und vernünftige Substanz". Undenkbar, „gegen die Schrift,
Natur und Vernunft", ist „das Dasein der menschlichen Seele,
abgesondert vom Körper". Auch wird die „menschliche Seele
nicht täglich durch unmittelbares Eingreifen Gottes geschaffen.
Ansichten über Taufe und Ehe. 163
sondern auf natürlichem Wege, wie der Leib , vom Vater auf
den Sohn fortgepflanzt." Gleicher Weise „kann auch der
Tod keine Trennung von Seele und Leib genannt werden''.
Der ganze Mensch stirbt. „Jeder Theil seines Wesens kehrt
zu den Elementen zurück" (^).
Unvermittelt stehen diese Aussprüche neben früher er-
wähnten desselben Autors. Er fühlt wohl, dass es nach die-
sem philosophischen Bekenntnis noch schwerer wird, den Ui'-
sprung des Uebels zu erklären, da die ,, Materie wesentlich
gut war, da sie unverdorben von Gott ausgieng", und so „die
Seele, die individuelle, belebte, empfindende und vernünf-
tige Substanz, rein von ihm empfangen werden musste".
Aber er zerreisst die geschlossene Kette der Ideen mit der-
selben gläubigen Sorglosigkeit, mit der er die „ausser-
ordentliche Vorsehung Gottes" durch ein Wunder in die ge-
setzliche „Ordnung der Natur" willkürlich eingreifen lässt
(IV. 212).
Es wird nun nicht mehr auffallend erscheinen, warum
Milton im Vorwort seines Buches so sehr darauf bedacht war.
sieh im voraus gegen den Vorwurf der Ketzerei zu verthei-
digen. Allein noch einige andere Stellen seines Traktates neben
jenen von dogmatisch -philosophischem Charakter waren vor-
handen, an die sich Anklage und Verleumdung der aufge-
schreckten Zionswächter mit Leichtigkeit hängen konnten. Die
freie Auffassung des Scheidungsrechtes, wie sie sich der Ver-
fasser des Tetrachordon gebildet hatte, wird, wie bemerkt,
wiederum mit alter Unerschrockenheit vorgetragen. Unerwar-
tet ist es, ihn auch über die Taufe eine Meinung äussern zu
hören, die sich mit der herrschenden Uebung in Widerspruch
setzt. Die Sitte der Kindertaufe fand er nur durch „hohle Ar-
gumente" gestützt. Mit den angeblichen Beweisen aus der
Bibel wurde es ihm nicht schwer fertig zu werden, und die
Vernunft sagte ihm, dass Unmündige ebenso wenig Gewinn aus
dem an ihnen vorgenommenen Akte ziehen könnten wie „Er-
wachsene aus dem Anhören einer ihnen unbekannten Sprache".
Geht er auch nicht so weit, eine Wiedertaufe zu fordern, so
setzt er doch bei den Täuflingen ein Alter voraus, in dem sie „der
11*
1(34 Ansichten über Taufe und Ehe. — Sclilussbetrachtung.
Erkenntnis und des Glaubens" fähig seien. Auch scheint ihm,
wie er bereits im verlorenen Paradiese XII. 442 angedeutet
hatte, das Eintauchen in fliessendes Wasser die unerlässliche
Form zu sein (IV. 404 ff.)- Am meisten muss es indessen über-
raschen, in Milton einen Vertheidiger der Polygamie zu entdecken.
Hier ist einer der Punkte, wo ihm seine mangelnde Kritik in
der richtigen Schätzung alttestamentarischer Ueberlieferungen
und Institute, seine Beurtheilung der Schrift, als eines voll-
ständigen Codex der Moral, einen Streich gespielt hat, den ihm
auch ein grosser Theil der Nachwelt nicht leicht vergeben wird.
Er fand, dass die „heiligen Patriarchen, die Grundpfeiler un-
seres Glaubens", mit voller Billigung Gottes mehrere Weiber
zu gleicher Zeit gehabt hatten. Er war sich nicht bewusst,
dass das neue Testament die Vielweiberei ausdrücklich ver-
boten habe. Alle Bibelstellen, die man ihm entgegenhalten
konnte, suchte er zu widerlegen, und mitunter mag ihm auch
das abfällige Urtheil, dem er überhaupt das schöne Ge-
schlecht im Gegensatz zum starken unterwarf, die Feder
geführt haben. Immerhin wird man anerkennen, wie er
selbst in dieser Frage, unbekümmert um die Meinung ande-
rer, mit Freimuth seine Behauptung zu begi'ünden versucht
(IV. 225).
Ueberblickt man die ganze Masse von Ideen, die in dem
theologischen System verarbeitet worden ist, so wird man die
Richtigkeit des Ausspruches Milton's, „dass er keiner Sekte
angehören wolle", vollkommen würdigen (^). Seine Kinder
scheinen die Kirche regelmässig besucht zn haben. Von ihm
selbst wird berichtet, dass er gegen Ende seines Lebens kein
erklärtes Mitglied irgend einer Religionsgenossenschaft gewe-
sen sei, an keiner ihrer Versammlungen Antheil genommen
oder in seiner Familie von ihrem besonderen Ritus Gebrauch
gemacht habe. Man hat es durch seine Blindheit einiger-
massen erklären wollen, dass er es vorzog, dem sonntäglichen
Gottesdienst seiner Pfarrkirche fern zu bleiben. Aber man
wird beachten müssen, dass er die Religionsübung des Ein-
zelnen, von der Gemeinschaft mit anderen Getrennten, aus-
drücklich in Schutz nahm, woferne „das Gewissen dabei seine
Schlussbetrachtung. 165
Befriedigung findet" (^). Jene stillen und ernsten „Kontem-
plationen" über ein ihm vorgelesenes Stück der Bibel, mit
denen er den Tag begann, machten seinen Gottesdienst
aus. Uebrigens war er weit entfernt davon, anderen seine
Art aufzudrängen. Er handelte auch hierin als ein freier
Mensch,
Sechstes Kapitel.
Des Lebens Ende.
Das Tagewerk Milton's war seinem Abschlüsse nahe. Die
grossen Vorsätze, mit denen er sich seit Jahren getragen,
waren erfüllt. Dem müden Arbeiter gleich konnte er die
Hand sinken lassen. Mochte so mancher der stolzen Träume,
in denen der schwärmerische Jüngling Vaterland und Mensch-
heit umfasst hatte, zerronnen sein, mochten sich in den
Stürmen, durch die er hindurchgegangen, seiner Stirn und
seinem Denken die scharfen Linien sorgenvoller Strenge ein-
gegraben haben, in einem war der Milton des Alters dem
Milton der Jugend gleich geblieben: in dem Streben nach
Wahrheit, in der Begeisterung für das Schöne, in dem Ge-
fühle sich „immer wie unter dem Auge seines grossen Werk-
meisters" zu befinden.
Nur von ferne drangen die Nachrichten aus der grossen
Welt an sein Ohr. Er konnte es mit stiller Genugthuung
begrüssen, als Clarendon von seiner stolzen Höhe stürzte.
Er mochte die allgemeine Freude theilen, als Englands
Bündnis mit Holland und Schweden bekannt wurde. Aber
solche Momente der Zufriedenheit mit dem Laufe der öffent-
lichen Angelegenheiten dauerten nur kurze Zeit an. Lange
genug hatte er an der Politik thätigen Antheil genommen,
um aus den Berichten der Freunde erkennen zu können, dass
Ereignisse in Staat und Kirche. 1(37
Europa schweren Kämpfen entgegengehe, und dass England
in ihnen eine sehr unwürdige Stellung einzunehmen im Begriff
sei. In seiner Jugend hatte beständig das Schreckbild einer
habsburgischen Universalmonarchie gedroht. In seinen alten
Tagen warf das Schreckbild einer bourbonischen Universal-
monarchie schon düstere Schatten voraus. Ludwig Xl\. be-
gann das Zeitalter zu beherrschen, und Karl IL hatte seine
Gründe, aufs neue die schmähliche Rolle seines Vasallen auf
sich zu nehmen. Die Triple - Allianz , auf englische Anregung
gegen Frankreichs erobernde Uebermacht abgeschlossen, hatte
keinen gefährlicheren Gegner als den englischen König. Er
arbeitete im geheimen an ihrer Auflösung. Er erschien als
Bundesgenosse Frankreichs gegen die Niederlande. Mit wel-
chem Wechsel der Empfindungen musste der aufhorchende
Blinde von den erschütternden Ereignissen erzählen hören,
deren Kunde den Welttheil bewegte, von dem jähen Ruin
der niederländischen Macht, von dem furchtbaren Schicksale
der Brüder de Witt, von dem heldenmüthigen Widerstände
des Oraniers, von den gewaltigen Kämpfen zu Land und
zur See!
Es waren nicht bloss ernste Betrachtungen politischer
Natur, zu denen diese Vorgänge den denkenden Engländer
anregten. Seit einigen Jahren war in der Nation eine religiöse
Bewegung wieder mächtig geworden, die sich von Tag- zu
Tage lebhafter äusserte. Auch hier wiederholten sich für
Milton die Eindrücke früherer Zeiten. Er war aufgewachsen
mit dem puritanischen Gefühle der Angst vor einer gewalt-
samen Zurückführung zum Katholicismus und mit dem puri-
tanischen Gefühle des Hasses gegen alles, was mit dem Katho-
licismus in Verbindung stand. Er erlebte, dass diese Ge-
sinnungen in der Brust seiner Mitbürger mit verstärkter
Gewalt wieder aufwachten und im Parlamente den Ausdruck
der heftigsten Opposition fanden. Alles, was in einer fridieren
Epoche den finstersten Argwohn gegen die Regierung Jakob's I.
und Karl's I. geweckt hatte, weckte ihn nun gegen die Re-
gierung Karl's IL, nur dass die Rolle, die ehemals von Spanien
gespielt worden zu sein schien, neuerdings auf Frankreich
jgg Ereignisse in Staat und Kirche.
übevgegaugeu war. Zwar blieben die Verhandlungen mit
Ludwig XIV., welche dazu bestimmt waren, die Wiederher-
stellung des Katholicismus anzubahnen, in ein tiefes Geheim-
nis gehüllt. Allein das Land hatte eine dunkle Ahnung von
den Gefahren, welche die französische Allianz sowohl für die
parlamentarische Verfassung wie für die anglikanische Kirche
in sich berge. Auch damals wieder war es das Loos der
englischen Katholiken, dass ihrer Sache durch ihre Verthei-
diger am meisten geschadet wurde. Auch damals wieder
musste die Idee der Toleranz den Massen in dem bedenk-
lichen Licht einer Gefährdung der Landesfreiheiten und der
Landeskirche erscheinen. Noch war die Erinnerung an die
Pulververschwörung und an den irischen Aufstand in den
Gemüthern lebendig. Man glaubte die ganze bewaffnete
Macht des Reiches papistischen Händen ausgeliefert. Der
Herzog von York, dessen Ueberti-itt zum Kathohcismus bald
offenkundig wurde, kommandirte die Flotte. Katholische
Officiere standen in den Regimentern, die zum Zweck einer
Invasion Holland"s zusammengebracht waren. Den Gesetzen
gegen die Rekusanteu zum Trotz wuchs die Anzahl der
katholischen Kapellen und Bethäuser, der Priester und
Jesuiten, der Brüderschaften und Klöster, und der König
selbst schien diese Fortschritte mit günstigen Augen an-
zusehn.
Seine Indulgenz-Erklärung, unmittelbar vor dem Ausbruch
des holländischen Krieges erlassen, gab den populären Be-
fürchtungen neue Nahrung. Dass sie den protestantischen
Dissenters Freiheit des Kultus in Aussicht stellte, erschien
nur als Deckung jener anderen Klausel, welche die Straf-
gesetze gegen die Katholiken aufhob, woferne sie sich auf
den häuslichen Gottesdienst beschränkten (15. März 1672).
Das Parlament weigerte sich anzuerkennen, dass die Präro-
gative der Krone auf kirchlichem Gebiet bis zu einer Auf-
hebung bestehender Gesetze ausgedehnt werden dürfe und
machte die Bewilligung von Geldmitteln für den Krieg von
der Zurückziehung der königlichen Deklaration abhängig.
Karl IL. ohne Hoffnung, diesen ^Yiderstand mit Gewalt brechen
Test-Akte. 169
ZU können, entschloss sich nachzugeben. Aber mit diesem
Siege war das Gefühl der allgemeinen Unruhe nicht befrie-
digt. Man glaubte der drohenden Gefahr durch Annahme
der Test- Akte begegnen zu müssen, durch welche sich jeder
von der Bekleidung eines öffentlichen Amtes ausgeschlossen
sah, dem sein Gewissen verbot, das Dogma von der Transsub-
stantiation abzuschwören und das Abendmahl nach anglika-
nischem Ritus zu nehmen (1G78). Der Herzog von York
legte seine Admiralswürde nieder. Thomas Cliftbrd, dessen
Name den Anfangsbuchstaben zur Bezeichnung jenes schmach-
vollen Cabal - Ministeriums gebildet hatte, schied aus dem
Schatzamt aus. Nicht wenige Inhaber militärischer und civiler
Posten waren genöthigt , ihrem Beispiel zu folgen. Die Nach-
richt, dass der Bruder des Königs im Begriff" stehe, den In-
teressen Frankreichs und des Katholicismus gemäss, eine
modenesische Prinzessin heimzuführen, erweckte neue Besorg-
nisse für die Zukunft des Landes und steigerte die Erregung
gegen die Mitglieder einer Kirche, deren Eroberungspläne
man durch die königliche Familie selbst befördert zu sehn
fürchten musste. — p]s erschien wünschenswerth in demselben
Augenblicke, da man das Verhältnis zum Katholicismus in
einem eben so argwöhnischen wie unduldsamen Geiste ordnete,
die protestantischen Nonkonformisten um so entschiedener mit
der herrschenden Landeskirche zu versöhnen. Allein die Ver-
handlungen, deren Zweck es war, die harten Bestimmungen
der letzten Jahre zu mildern, endeten, ohne durch Erlass
eines Gesetzes den erwünschten Abschluss zu erhalten.
Man muss sich diese Vorgänge vergegenwärtigen, um es
richtig zu würdigen, dass Milton ein Jahr vor seinem Tode
noch einmal mit einer Schiift hervortrat, welche die öffent-
lichen Angelegenheiten berührte ('). Nach langer Pause erhob
er wieder seine Stimme in den Kämpfen des Tages, durch
innere Neigung unwiderstehlich dazu gedrängt, wenn auch
vielleicht von wenigen nur beachtet. „Von wahrer Religion,
170 Miltou's Schrift: „Von wahrer Religion".
Ketzerei, Schisma, Toleranz" unternahm er zu sprechen.
Die Untersuchung, „welche jNIittel am besten gegen das Wachs-
thum des Papismus anzuwenden seien", sollte ihn besonders
beschäftigen. Er kehrte damit zu Gegenständen zurück, denen
die Kraft seiner Mannesjahre gehört hatte, und jede Seite
seiner Schrift legte Zeugnis dafür ab, dass er in seinen
Stärken wie in seinen Schwächen der Alte geblieben war. Er
erklärt es nur für eine einfache Pflichterfüllung, dem guten
Zweck „der Warnung des Volkes vor dem Wachsthum des
römischen Unkrauts" auch seine Hand zu leihen. Aber seine
Methode sollte sich von derjenigen anderer Schriftsteller, die
neuerdings in dieser Frage das Wort genommen hatten,
unterscheiden. Er will nicht ,,in das Labyrinth der Koncilien
und Kirchenväter eindringen", jenen „Urwald, in dem der
Papist zu kämpfen liebt, nicht aus Hoffnung auf den Sieg,
sondern- um die Schande seiner Niederlage verdecken zu
können". Er will sich vielmehr an „die gewönliche Fassungs-
kraft" wenden und die Entscheidung aus allgemeinen Grund-
sätzen ableiten. Eine Erläuterung dessen, was er unter
„wahrer Eeligion" begreift, macht daher billig den Anfang.
Der bekannten Formel gemäss besteht sie nur in derjenigen
Art der Gottesverehrung, die aus dem Worte Gottes selbst,
d. h. aus der Bibel gelernt wird. Aber das Recht der freien
Auslegung bleibt dabei gewahrt. Allerdings darf „allein das
Wort Gottes die Norm wahrer Religion bilden", aber niemand
soll gezwungen sein, „zu glauben gegen oder ohne Autorität
der Schrift", nur weil „die Kirche so glaubt". Diese beiden
Grundsätze scheinen Milton Gemeingut des gesammten Pro-
testantismus zu sein. Er bezweifelt nicht, dass, wenn sie
aufmerksam befolgt worden wären, „viele Debatten und
Streitigkeiten, viele Spaltungen und Verfolgungen" in der
protestantischen Welt sich hätten vermeiden, und dafür alle
Kräfte „gegen den gemeinsamen Feind" vereinigen lassen.
Aus dem Begriff der , .wahren Religion" ergiebt sich der
Begriff der „Ketzerei". Ketzerei besteht in einer Religion,
„welche aus menschlicher Tradition und aus Zusätzen zum
Worte Gottes geschöpft und danach geglaubt wird". „Daraus
lieber den Katholicismus. 171
folgt mit voller Klarheit, dass von allen bekannten Sekten
oder vorgeblichen Religionen in der Christenheit der Papis-
nius heutigen Tages die einzige oder grösste Ketzerei ist,
und der halsstarrige Papist, der so schnell bei der Hand ist
alle anderen als Ketzer zu brandmarken, selbst der einzige
Ketzer."
Von diesen theoretischen Vordersätzen aus gilt es die
Anwendung aufs praktische Leben zu machen. Was zunächst
den Protestantismus beti'ifft, so hiesse es von seinem wichtig-
sten Princip abfallen, wenn man sich durch die schreckenden
Worte Schisma und Sekten dazu verführen lassen wollte,
den Begriff der Ketzerei auf die verschiedenen Denominationen
anzuwenden, die sich auf Grund der Reformation gebildet
haben. Denn darin sind sie sich alle gleich, dass sie „einzig
das Wort Gottes als Glaubensregel anerkennen und sich mit
allem Eifer und aller Aufrichtigkeit des Herzens bemühen,
sie durch Lesen und Studium und Gebet um Erleuchtung
des heiligen Geistes zu verstehn". Sie können darin irren,
aber „Irrthum ist eine menschliche Schwäche, und niemand
ist hier auf Erden unfehlbar''. Von einem höheren Gesichts-
punkt aus erscheinen daher alle die Unterschiede zwischen
den Anhängern der reformirten Lehre als geringfügig.
„Der Lutheraner glaubt an die Konsubstantiation; es ist in
der That ein Irrthum, aber kein tödtlicher. Dem Calvinisten
legt man den Prädestinationsglauben zur Last, und dass er
Gott zum Urheber der Sünde mache, allein er thut es ohne
irgendwie uuehrerbietig von Gott au denken, indem er mög-
licher W^eise seine absolute Gewalt übereifrig betont und
nicht ohne sich auf die Schrift zu berufen. Den Anabaptisten
klagt man an, dass er den unmündigen Kindern das Recht
auf die Taufe abspreche, auch er behauptet, ihnen nichts zu
verweigern, als was ihnen gleichfalls durch die Schrift ver-
weigert wird. Der Arianer und Socinianer wird beschuldigt,
die Lehre von der Dreieinigkeit zu läugnen, indess sie ver-
sichern nach der Schrift und dem apostolischen Bekenntnis
an den Vater, den Sohn und den heiligen Geist zu glauben,
während sie allerdings die Ausdrücke Trinität, Triunität,
]^72 Ueber die protestantischen Sekten.
Koessentialität, Tripersonalität und dergleiehen als scholasti-
sche Begriffe, die sich in der Schrift nicht vorfinden, ver-
werfen. Der Arminiäner endlich wird deshalb verdammt, weil
er den freien Willen gegen die freie Gnade behauptet, aber
er weist diese Beschuldigung in allen seinen Schriften zurück
und gründet sich ausführlich nur auf die Schrift''. Man er-
kennt in diesen Sätzen den Autor des grossen theologischen
Systems wieder. Er hat sich sein eigenes Haus nach reif-
licher Ueberlegung gegründet, aber er ist tolerant gegen die
Nachbarn, die auf demselben Boden mit ihm, wennschon
nach einem anderen Stil, gebaut haben.
,, Fragt man nun, wie weit sie geduldet werden sollen, so
antworte ich: zweifellos in gleicher Weise, da sie alle Pro-
testanten sind." Man gebe ihnen daher vollkommene Freiheit
des Kultus und der Rede, Freiheit „durch Disputationen,
Predigen in ihren Gemeinden, Veröffentlichung von Druck-
schriften von ihrem Glauben Rechenschaft abzulegen". Es
war die ausgesprochene Verurtheilung der Politik, welche
seit der Restauration die Gesetzgebung gegenüber den Dis-
senters beherrscht hatte , die Forderung der Toleranz für alle
Bekenner des Protestantismus in einem weiteren Umfang, als
sie Cromwell jemals gewährt, als sie Milton selbst in einer
Zeit zu verlangen gewagt hatte, da die besiegte bischöf-
liche Kirche dem strengen Puritaner als „abgöttisch" er-
schienen war.
Ganz anders stellt er sich zum Katholicismus, „die ein-
zige und gi'össte Ketzerei", wie er ihn definirt hatte. Wir
wissen bereits, dass er weit davon entfernt war, eine Gleich-
giltigkeit der staatlichen Gewalten gegenüber Ketzerei, dies
Wort in seinem Sinne aufgefasst, in Schutz zu nehmen.
Schon aus diesem Grunde hat er sich niemals dazu verstehn
können, den Grundsatz der Toleranz in gleicher Weite auf
Protestanten und Katholiken anzuwenden. Immer aber, und
in der damaligen erregten Zeit mit doppeltem Gewicht, war
noch etwas anderes hinzugetreten. ,.Beim Pabstthum hat man
es mit einem Zwiefachen zu thun. Es beansprucht eine doppelte
Macht, eine kirchliehe und politische, beide usurpirt, aber
Grenze der Toleranz gegenüber dem Katholicismus. 173
sich gegenseitig stützend. . . In diesem gemischten Charakter
giebt der Pabst vor, ein Recht auf Königreiche und Staaten
und insbesondere auf dies englische Reich zu haben. Er setzt
Könige ein und ab und entbindet das Volk des Gehorsams
gegen sie . . Auch jetzt hat er, obgleich wir sein babyloni-
sches Joch abgeschüttelt haben, nicht aufgehört, durch seine
Spione und Agenten, seine Bullen und Emissäre auf die Ver-
nichtung von König und Parlament hinzuwirken und so viele
als möglich aus dem Volke zu verführen, zu korrumpiren
und zum Abfall zu bringen*'. — Es ist nicht anders: Milton
bleibt auch darin ein beschränktes Kind seiner Zeit, dass er
den Katholiken schlechtweg als Staatsfeind, die blosse Zuge-
hörigkeit zur katholischen Kirche als Zeichen einer Gesinnung
auffasst, die als solche Strafe verdiene. Auf die Erage, ob
„Leute von diesen religiösen Grundsätzen gegenüber dem
Staate" überhaupt in der bürgerlichen Gesellschaft zu dulden
seien, "will er sich indess nicht einlassen. Dies ist Sache
„der Obrigkeit, die am besten fähig ist, für ihre eigene und
die öffentliche Sicherheit zu sorgen". Für ihn handelt es
sich, das Dasein von Katholiken im Staatsverbande einmal
als ungefährlich zugegeben, um jene andere Frage, „in wie
weit die Ausübung ihrer Religion zu dulden sei". Und in
diesem Punkte ist er unerbittlich. Jeder Kultus kann entweder
„öffentlich oder privat" sein, aber der Kultus der katholischen
Religion, „insoferne er abgöttisch ist, darf weder auf die eine
noch auf die andere Weise geduldet werden, weder öffentlich,
ohne damit allen gewissenhaften Zuschauern den stärksten und
unerträglichsten Anstoss zu geben, noch privatim ohne eine
schwere Beleidigung Gottes , der sich gegen alle Art Idolatrie,
auch die geheime, erklärt hat". Der katholische „Bilderdienst
und seine gesammte Zubehör" darf nach seiner Ansicht selbst
mit Verletzung katholischer Gewissen entfernt werden. Wer
sich zum Katholicismus bekennt, soll wenigstens nicht das
Recht haben, es vor der W^elt zu zeigen. Ausgenommen
bleiben selbstverständlich „Fremde (Gesandte), die durch das
Völkerrecht privilegirt sind".
Man sollte hienach erwarten, dass die harten Pönalgesetze
174 Grenze der Toleranz gegenüber dem Katholicismus.
den vollen Beifall Milton's finden würden, allein so weit lässt ihn
sein independentisches Gefühl wieder nicht gehn. Den Katho-
liken „um ihrer Religion willen körperliche Strafe oder Geld-
busse aufzulegen" scheint ihm weder die Milde des Evange-
liums zu gestatten, noch die Sicherheit des Staates zu er-
fordern. Disputationen mit den Katholiken hält er nur dann
für wünschenswerth , wenn sie die Schrift allein als Norm
anerkennen wollen. Das Hauptmittel „um dem Wachsthum
des Papismus entgegenzuarbeiten" sieht er indessen in einer
eifrigen Lektüre der biblischen Urkunden, die in englischer
Uebersetzung „jedem Stande" zugänglich gemacht worden
sind, und in einer „Besserung der Sitten", ohne die man es
immer sehr bequem finden wird, sich der römischen Kirche
mit ihrer „leichten Beichte und Absolution, mit ihren Indul-
genzen und Messen, Agnus Dei und Reliquien" in die Arme
zu werfen. In einer Zeit, die nicht müde wurde, über den
biblischen Jargon der Heiligen zn spotten, wollte er es nicht
gelten lassen, dass sieh „der Landmann, der Kaufmann, der
Jurist, der Arzt, der Staatsmann durch seine Geschäfte für
entschuldigt halten dürfe kein eifriges Studium der Bibel zu
treiben". Unter einem Geschlecht, in welchem „in den letzten
Jahren Stolz, Luxus, Trunkenheit, Unzucht, Schwören und
Fluchen . . immer mehr zugenommen hatten", wagte er es,
dem Grabe nahe, noch einmal den Warnruf des puritanischen
Moralpredigers erschallen zu lassen.
Es wäre ein vergebliches Bemühen, bemänteln zu wollen,
dass eben die puritanische Denkungsart dem Toleranzbegrifi'
Milton's bis zu seinem letzten Athemzuge eine unübersteigliche
Schranke gesetzt hat. Nur ein gänzliches Verkennen der
thatsächlichen Verhältnisse konnte einen ehrlosen Schwindler
veranlassen, Milton einige Jahre nach seinem Tode als Mit-
glied eines „papistischen Klubs" zu bezeichnen (^). Er hatte
einst den Worten Roger Williams' gelauscht. Aber er ist
niemals zu jener Freiheit der Anschauung vorgedrungen wie
der Gründer von Rhode -Island, der hochbetagt aber unge-
brochen auf dem zukimftreichen Boden jenseits des Oceans
Vertheidigung Miltoa's durch Marvell. 175
noch immer das glänzende Banner aufrecht hielt, das er zu-
erst den Muth gehabt hatte zu entfalten (^).
Zu eben der Zeit als Milton's Schrift „von wahrer
Religion" erschien, wurde die öffentliche Aufmerksamkeit noch
in anderer Weise wiederum auf seinen Namen hingelenkt.
Milton war nur einer von vielen gewesen, die sich durch die
Tagesereignisse veranlasst gesehen hatten, das unerschöpfliche
Thema von der Zuständigkeit der Staatsgewalt in Fragen des
kirchlichen Lebens aufs neue zu behandeln. Aus der grossen
Literatur, die sich damals um diesen Gegenstand drehte,
hatte das Werk Samuel Parker's über die „Kirchenpolitik'-
nicht das geringste Aufsehn gemacht, theils wegen des Inhaltes
des Buches, das allen puritanischen Geistern höchst anstössig
sein musste, theils wegen der Persönlichkeit des Autors, den
sie als einen Abtrünnigen zu betrachten Grund genug hatten.
Denn Parker war in jungen Jahren eine Säule der indepen-
dentischen Partei gewesen, um nicht lange nach der Restau-
ration seinen Frieden mit den herrschenden Mächten in Staat
und Kirche zu machen und unter Jakob IL, vielfach für einen
Proselyten des Katholicismus gehalten, als Bischof von Oxford
zu enden. Sein kirchenpolitisches Werk verwickelte ihn in
heftige literarische Streitigkeiten. Anfangs nicht ohne gewisse
Erfolge, hatte er das Unglück, dass auch Milton's Freund,
der geistreiche Andrew Marvell, gegen ihn auftrat. Dieser
setzte ihm mit so viel Witz und Derbheit zu, dass er nach
Burnet's Urtheil alle Freunde des Humors auf seine Seite
l)rachte und „vom König bis zum Krämer" eifrige Leser
fand. Parker blieb indessen die Antwort nicht schuldig.
Auch nahmen zahlreiche Vertheidiger seine Partei. Und
einer von ihnen benutzte, wie Parker selbst, die Gelegen-
heit, nicht nur IMarvell alles Böse nachzusagen, sondern
auch seinen Freund I^Iilton, gleich als wäre dieser sein heim-
liche'K Mitarbeiter gewesen , an den Pranger zu stellen. Es
ist als hätte man es darauf abgesehn gehabt, ihn mit Ge-
walt in eine Fehde hineinzuziehn, die ihm von Haus
\~Q Vertheidigung Miltou's durch Marvell.
aus ganz fremd war. Seine politische Thätigkeit wird in Er-
innerung gebracht, die wichtigsten seiner Schriften werden
durchgenommen. Er ist. wie er es schon für frühere Gegner
gewesen w^r, der „blinde Schulmeister", er hat durch seine
Schriften über die Ehescheidung „die Unzucht geheiligt", selbst
daraus wird ihm ein Verbrechen gemacht, dass er sich im ver-
lorenen Paradies für den reimlosen Jambus entschieden hat.
Marvell hielt es für seine Pflicht, den alten Genossen
zu vertheidigen. Milton ist, in dieser Weise lässt er sich
vernehmen, ein jNfann von so grosser Gelehrsamkeit und von
so grossem Verstände wie irgend einer. Es war sein Unglück
in einer stürmischen Zeit zu leben und auf die unterliegende
Seite geschleudert zu werden, und er hat inmitten des
Kampfes gewisse gefährliche Traktate geschrieben. . . Bei
der Rückkehr des Königs hat er, wie du selbst, vor diesem
Gnade gefunden und seitdem in stiller Zurückgezogenheit
seine Vergangenheit abgebüsst. Ich habe dich einige Zeit
danach in Milton's Hause zufällig getroffen. . . Damals wan-
dertest du Moorfields auf und ab und suchtest in den Sternen
zu lesen, wie lange wohl die Herrschaft des Königs dauern
könnte. Das war die Zeit, in der du Milton unablässig
besuchtest und Tag für Tag in seinem Hause zu finden
wärest." — Wie man hieraus ersieht, hatte Samuel Parker
selbst in fi-üheren Jahren zu ]Milton"s Bekanntenkreise gehört.
Um so grösser war Marvell's Erbitterang, als er die Verleum-
dungen seines Freundes gewahr wurde. Doch that er Parker
darin ohne Zweifel Unrecht , dass er sie sämmtlich auf dessen
Rechnung schrieb. Sie scheinen gTössten Theils aus der
Feder eines gewissen Richard Leigh geflossen zu sein, der,
ohne seinen Namen zu nennen, gegen Marvell in die Schranken
getreten war(i). Vielleicht war es dieser ungenannte Denun-
ciant, dem Milton noch selbst das Handwerk zu legen gewillt
war. Wenigstens will sich sein Xeffe erinneni, „dass er eine
Erwiderung auf ein possenhaftes Libell eines kleinen markt-
schreierischen Skribenten in London für den Druck vorbe-
reitet hatte". Doch fügt er hinzu, dass „diese Erwiderung
niemals herausgekommen sei, entweder auf das Abrathen
Milton's Beschreibung des russischen fieiches. 177
von Freunden, welche den Burschen seiner Beachtung nicht
werth fanden oder aus irgend einem anderen unbekannten
Grunde"(^).
Eine andere Schrift, ein kurzer Abriss einer geographisch-
historischen Beschreibung des russischen Reiches und der an-
grenzenden östlichen Länder ist erst acht Jahre nach Milton's
Tode erschienen (2), Das Werkchen war, wie der Heraus-
geber in einer Vorbemerkung versicherte, „von der eigenen
Hand des Autors geschrieben, ehe er sein Augenlicht verlor,
und er hatte kurz vor seinem Tode den Druck verfügt". Der
Buchhändler hatte indess gehofft, noch „irgend ein andei-es
passendes Stück von der Hand desselben Autors" zur Ergän-
zung dieser Kleinigkeit zu erhalten und aus diesem Grunde
die Edition verschoben. Auf eine genaue Beschäftigung mit
der Geographie Russland's hatten bereits mehrere Stellen
des verlorenen Paradieses schliessen lassen. Dass die Arbeit
schon „vor vielen Jahren" vollendet war, bestätigt auch die
kurze Vorrede, welche Milton gegen Ende seines Lebens im
Hinblick auf die Veröffentlichung abgefasst hatte. Zugleich
spricht er sich hier über den Zweck seiner Studie aus. Sie
sollte, wie es scheint, nur- den ersten Theil eines grösseren
Ganzen bilden , einei* Sammlung von Traktaten , welche die
politische Geographie einzelner Länder mit besonderer Rück-
sicht auf die Sitten, die Religion, die Regierung ihrer Be-
wohner darzustellen bestimmt waren. Der Mangel einer
solchen Sammlung war Milton vermuthlich beim Unterricht
aufgefallen. Was er vorfand, erschien ihm wenig genügend,
„entweder zu kurz und lückenhaft" oder „zu umfangreich und
ermüdend" sowie auch „angefüllt mit langen Geschichten von
lächerlichen, abergläubischen Vorstellungen, Ceremonieen, wun-
derlichen Gewohnheiten und anderen unbedeutenden und
gleichgiltigen Dingen". Ein nachahmenswerthes Vorbild erblickte
er in Paolo Giovio's „Descriptio Britanniae, Scotiae, Hiber-
niae et Orcadum nee non Moscoviae" (1571), auch geht man
wohl nicht irre, wenn man annimmt, dass ihm Tacitus' Ger-
mania als höchstes Muster vorgeschwebt habe. Das ganze
Unternehmen gehörte so recht in den Kreis der encyklopä-
Stern, Milton n. s. Z. II. 4. 12
178 Uebersetzung der Deklaration betreflfend Sobieski.
distischen Bestrebungen, welche sich, wenn auch vorzüglich
nach anderer Richtung hin, in Comenius und Hartlib geäussert
hatten (0- Es galt auch hier das vorhandene Material zu
sammeln und in allgemein verständlicher Form einem grösseren
Leserkreis zugänglich zu machen. Erste, entschiedene Ver-
suche einer Popularisirung der Wissenschaft, die im folgenden
Jahrhundert eine ungeahnte Ausdehnung erlangten. Wie sehr
die Stimmung der Zeit der Ausführung eines solchen Planes
entgegenkam, bewies der gi'osse Absatz, den die berühmte
Sammlung der Elzevier'schen Republiken fand.
Nach dem Gesagten wäre es unbillig, an Milton's Arbeit
den Anspmeh selbstständiger Forschung zu stellen. Er war
darauf angewiesen, aus zweiter Hand zu schöpfen und ver-
zichtete auf eine einlässliche Kritik. Unter den von ihm
benutzten Reisebeschreibungen, mit deren Register er seine
Skizze beschliesst, sind ihm vorzüglich diejenigen zu Statten
gekommen, die er in den Sammelwerken von Richard Hakluyt
und Samuel Purchas vorfand. Einige Notizen verdankte er
vielleicht auch seinem Freunde Marvell, der 1663 als Sekretär
Lord ,Carlisle's eine Reise nach dem Norden unternommen
hatte. Was ihm die verschiedenen Berichte darboten, hat
er nicht ohne Geschick, in knapper aber ansprechender Form
verarbeitet. Irre ich nicht, so zeigt sogar das Englische
dieses Büchleins einen leichteren Fluss, als man ihn sonst in
Milton"s Schriften zu finden gewohnt ist. Man wird es be-
greiflich finden, dass die Geschichte des Demetrius den
Dichter besonders angezogen zu haben scheint. Wenn er
an einer Stelle hervorhebt, dass das russische Gesetz dem
Manne im Falle ,,äussersten Widerwillens" die Scheidung
erlaube, so hat er sich dabei ohne Zweifel seiner eigenen
Beschäftigung mit eben dieser Frage erinnert.
Es mag sein, dass Milton durch diese erneute Beschäftigung
mit den Angelegenheiten der östlichen Völker und durch eine
Aufforderung des Buchhändlers dazu bewogen wurde, eine Ar-
beit zu veröffentlichen, für die man vergeblich nach einem
tieferen Grunde sucht. Es war eine englische Uebersetzung der
lateinischen Deklaration, welche die Wahl Johann Sobieski's
Zweite Auflage der Gedichte. 179
zum König von Polen verkündigte. Immerhin war sowohl
die Heldengestalt des neuen Königs wie auch der staatsrecht-
liche Akt, dem er seine Würde verdankte, wohl fähig die
Theilnahme eines Mannes zu erregen, welcher sich noch der
Zeiten erinnern konnte, da einem Cromwell von einem eng-
lischen „Reichstag" die Krone angeboten worden war. Auch
konnte das Aktenstück in gewissem Sinn zur Bekräftigung
der politischen Theorie dienen, die Milton einst im Kampfe
für den Begriff der Volkssouveränetät mit offenem Visier
verfochten hatte, nun aber unter veränderten Verhältnissen
nur durch den Hinweis auf auswärtige Ereignisse seinen
Landsleuten nahe legen durfte (^).
Von grössei-em Werthe für die Freunde des Dichters war
es, dass ein Jahr vor seinem Tode eine neue Ausgabe seiner
vermischten Gedichte nöthig wurde, der er einen Abdruck
des Traktates „über die Erziehung" beifügte (-). Achtzehn
Jahre waren verflossen, seit diese Gedichtsammlung zuerst
erschienen war, doch war die Vermehrung, welche sie nach
einem so langen Zeitraum erfuhr, nicht sehr bedeutend.
Ausser demjenigen, was nach dem Jahre 1645 entstanden
war, fanden auch zwei poetische Jugendversuche, welche
früher gefehlt hatten, hier Aufnahme. Dagegen erschien es
bedenklich, vier der Sonette zum Abdruck zu bringen, in
denen die antiroyalistische Gesinnung des Autors unverhüllt
hervortrat, die Sonette auf Fairfax, Vane, Cromwell und das
zweite, welches Cyriack Skinner gewidmet war. Auch das
Widmungsschreiben Lawes' zum Comus und der schmeichel-
hafte Brief Henry Wotton's blieben fort. — Wurde die Auf-
merksamkeit des lesenden Publikums in dieser Weise wieder
auf Milton gelenkt, so war es begreiflich, dass ein unter-
nehmungslustiger Buchhändler sich noch anderer Schöpfungen
seines Geistes zu bemächtigen suchte. Derselbe Verleger, bei
dem die Deklaration der Polen und nach Milton's Tode der
Abriss der russischen Geschichte erschien, Brabazon Aylmer,
wusste aus dieser beinahe erschöpften Mine noch einen Ge-
winn zu ziehn. B. Aylmer war nach der Schilderung eines
Zeitgenossen nicht nur ,.ein sehr gerechter und frommer
12*
180 Seine Privatbriefe und Collegereden. — Seine Staatsbriefe.
Mann", sondern „mit den Erfordernissen seines Geschäftes wohl
vertraut und so gut wie irgend ein anderer seiner Berufsgenossen
mit höchst nützlichen Unternehmungen beschäftigt". Seiner
Gewandtheit ist es später sogar gelungen, vorübergehend den
Verlag des „verlorenen Paradieses" zu erwerben. Was er
damals erlangte, war von anderer Art. Dank der ausser-
ordentlichen Sorgfalt Milton's waren Abschriften von einund-
dreissig seiner lateinischen Privatbriefe vorhanden, die er des
Abdruckes nicht für unwerth hielt. Da diese aber nicht ein-
mal ein massiges Bändchen füllten, so liess ilm der Verleger
„durch einen gemeinschaftlichen Freund" ersuchen, auf irgend
eine Ergänzung bedacht zu sein. Das einzige, was sicfi ihm
darbot, waren jene sieben rhetorischen Essays, die der Cam-
bridger Studienzeit angehörten, und er glaubte nach Brabazon
Aylmer's Versicherung sich ihrer „nicht schämen zu müssen".
Auf diese Weise sind uns diese anziehenden Dokumente einer
früheren Epoche des Dichters, wenn auch in nachlässiger
Wiedergabe, erhalten worden (^). Dagegen wurde die Absicht
des Verlegers vereitelt, auch die Staatsbriefe Milton's, die
aus der Zeit seines Sekretariats stammten, an's Licht zu
bringen. Die Machthaber des Tages, welche die „Erlaubnis
dazu hätten geben müssen", waren, wie er bemerkt, „aus
gewissen Gründen dagegen". Sie sind zuerst 1676 von einem
fanatischen Royalisten edirt worden, der seiner Vorrede zu-
folge einige Zeit schwankte, ,,ob er sie der Presse oder den
Flammen" überliefern sollte. Im Jahre 1690 erschien eine
Ausgabe in Deutschland, und 1694 hat sodann Edward Phil-
lips eine englische Uebersetzung dieser politischen Akten-
stücke veröffentlicht, der er die Biographie seines Oheims
und jene vier früher ausgelassenen Sonette hinzufügte. Die
Stuarts waren verjagt, und unter Wilhelm III. war es kein
Verbrechen mehr ein Gedicht zum Preise Oliver Cromwell's
oder Henry Vane's der Vergessenheit zu entreissen (^).
In einer anderen Publikation Edward Phillips', die nur
ein .Jahr nach dem Tode Milton's erschien, aber schon zwei
Monate vor seinem Ende die Censur passirt hatte, fällt es
nicht schwer, wenn nicht seine Hand, so doch seinen Geist
Mitwiikuug au E. Phillips' Theatrum poetarum. 181
ZU entdecken. Es war ein kritisch -biographisches Sammel-
werk, in welchem berühmte Dichter des Alterthums und der
Neuzeit behandelt wurden. Schon die Vorrede ist reich an
Aeusserungen, wie sie Phillips oft genug aus dem Munde des
Oheims vernommen haben mochte. Die ideale Auffassung des
Dichterberufs, die Polemik gegen die Nachahmung der Fran-
zosen, die Erhebung des „heroischen Gedichtes", des Epos,
auf die höchste Stufe unter den verschiedenen Gattungen der
Poesie: alles dies deutet auf den Einfluss Milton'scher Lehren
hin. Man glaubt, ihn selbst zu hören, wenn die ,, Grösse des
Dichters" lediglich nach der „Grösse der Erfindung" bemessen,
wenn die Kunst des Versificirens, das „leere Wortgeklingel",
dem „erhabenen Gegenstande", „der Majestät des Vorwurfs"
nachgesetzt, wenn von dem Dichter verlangt wird, dass er
nicht versäume, sich unablässigen, selbst gelehrten Studiums
zu befleissigen, um bei seinen Schilderungen von Menschen
und Dingen keine Fehler zu begehn. Was zum Nachtheil des
Reimes gegenüber dem reimlosen Verse, zum Vortheil der an-
tiken Tragödie gegenüber der modernen gesagt wird, klingt
wie eine Erinnerung an die Vorreden zum verlorenen Para-
diese und zum Samson. ^- Bei der Beurtheilung der einzelnen
Dichter kommt wiederum Milton's Einfluss zur Geltung. Euri-
pides, den er so hoch verehrte, ist der „Fürst und Koryphäe
der griechischen Tragödie". Shakespeare und Ben Jonson wer-
den in einer Weise charakterisirt , welche sehr an Milton's
eigene Worte erinnert (s. o. I. 253). Wenn unter den Italie-
nern „Giacopo Gaddi" genannt wird, der „unter den Dichtern
seines Volkes berühmt sei", so ist darin vielleicht eine schmei-
chelhafte Erinnerung Milton's an den florentiner Jugendfreund
zu finden. Wenn Hugo Grotius' lateinische Gedichte beson-
ders hervorgehoben werden, so sollte der „vertriebene Adam"
unter ihnen sicherlich nicht die letzte Stelle einnehmen. Und
so darf man vielleicht auch Milton'sche Einwirkung in dem
Urtheile erkennen, das ül)er Corneille und Dryden ausgesprochen
wird. In beiden Fällen fehlt es nicht an Worten der An-
erkennung, aber zu gleicher Zeit findet der Tadel der „heroi-
schen Schauspiele", ihrer Unart „beständiger Reime", ihrer
2g2 Zweite Auflage des verlorenen Paradieses.
Ueberladung mit „aftektirter Liebe und Ehre", mit einem
Worte .Jener Korruption der englischen Bühne" durch das
Eindringen französischen Geschmacks einen so energischen
Ausdruck, wie er dem Dichter des verlorenen Paradieses wohl
angestanden hätte. Dies Epos selbst und sein Verfasser wer-
den mehrfach in einer Weise hervorgehoben, die der Pietät
wie dem Taktgefühl von Edward Phillips alle Ehre macht (i).
Milton war noch die Freude zu Theil geworden, eine
zweite Auflage seines grössten Werkes vorbereiten zu können.
Das Gedicht hatte denn doch trotz der Ungunst der Zeiten
so viel Beifall gefunden, dass etwa anderthalb Jahre nach
seinem Erscheinen dreizehnhundert Exemplare verkauft worden
waren. Man kennt eine Urkunde (vom 26, April 1669),
durch welche der Empfang jener weiteren 5 Pfund quittirt wurde,
deren Auszahlung der Buchhändler vom Absatz der erwähnten
Anzahl von Exemplaren abhängig gemacht hatte. Es bleibt
unklar, warum fünf Jahre verstrichen, ehe Hand an eine
zweite Auflage gelegt wurde. Allein Thatsache ist, dass eine
solche erst im Todesjahre Milton"s erschien. Hier hatte er,
von kleinen Verbesserungen abgesehen, als wichtigste Aende-
rung die Theilung des Ganzen in zwölf Bücher vorgenommen,
welche die Zufüguug einiger überleitender Verse im Anfang
des achten und zwölften Buches nach sich zog. Auch fehlte
es dieser zweiten Ausgabe nicht an vorgedruckten Lobversen,
die zwei Freunde, der Arzt Samuel Barrow und der Dichter
Andrew Marvell , beigesteuert hatten. Sie machen beide kein
Hehl daraus, wie tief sie von der Grossartigkeit des Milton-
schen Gedichtes durchdrungen sind, und der erste glaubt es
sogar über die epischen Meisterwerke der römischen und grie-
chischen Literatur erheben zu dürfen (2),
Noch weit besser beweist indess eine andere Thatsache,
dass sich die Aufmerksamkeit auf den blinden Sänger und
seine grösste Schöpfung hinlenkte. Der angesehenste Dichter
des Tages war ohne Zweifel John Dryden. Er hatte 1670,
zwei Jahre nach dem Tode Daveuanfs, auch die Würde
des poeta laureatus erlangt. Nach Milton's Urtheil war sein
Ruhm allerdings wenig verdient, wenn anders das scharfe
Milton und Drydeu. 183
Wort „Mr. Dryden ist ein Reimer, aber kein Dichter"' wirk-
lich von ihm gesprochen worden ist. Immerhin ward ihm
der Triumph, den gefeierten und verwöhnten Liebling der
vornehmen Welt als Bittenden in seiner ärmlichen Wohnung
zu empfangen. Dryden gieng zu ihm und bat ihn um Er-
laubnis, aus dem „verlorenen Paradiese" ein „gereimtes Drama"
machen zu dürfen. Milton erwiderte ihm nicht ohne Ironie, er
gestatte ihm „seine Verse zuzuspitzen", indem er auf die herr-
schende Mode anspielte, die bunten Bänder, mit denen man
sich schmückte, noch in Metallspitzen auslaufen zu lassen (^),
Es war indessen nicht bloss auf ein „gereimtes Drama" ab-
gesehen, sondern auf ein ähnliches Experiment, wie es sich
in unseren Tagen Faust und Wilhelm Meister und Hamlet
haben gefallen lassen müssen. Dryden wünschte aus dem
verlorenen Paradiese ein Libretto zu machen, obwohl er eine
theatralische Aufführung gar nicht ernstlich in's Auge gefasst
hatte. Und so erschien kurze Zeit nach Milton's Tode „der
Stand der Unschuld oder der Fall des Menschen, eine Oper".
Die Freunde Milton's werden über diese Entheiligung empört
gewesen sein. Man sieht ganz deutlich, wie Andrew Marvell
in seinem Lobgedichte vor der zweiten Ausgabe des „verlore-
nen Paradieses" sich heftig gegen Dryden wendet. Eben die-
ser ist es, der es „gewagt hat, die ganze Schöpfung in Scenen
zu verwandeln und als Theaterstück vorzuführen", der das
„Reimgeklingel" nicht unterlassen konnte, während Milton es
verschmäht hatte.
Dryden selbst war sich der Grösse seines Vorbildes und
seiner eigenen Schwäche sehr wohl bewusst. Er soll nach
der ersten Lektüre des verlorenen Paradieses gesagt haben:
„Dieser Mann sticht uns alle aus und die Alten dazu", und
diese Ansicht tindet sich in den berühmten Versen wieder,
die Dryden 1688 der vierten Ausgabe des verlorenen Para-
dieses beizufügen erlaubte. Aber er zögerte auch nicht, un-
mittelbar nach Milton's Tode in jener „Apologie für heroische
Poesie und poetische Licenz", die er der Veröfifentlichung
seines Operntextes vorausgehen liess, seiner ^Meinung öffentlich
Ausdruck zu geben. Mit vollem Freimuth gesteht er ein, dass
184 Undankbarkeit der Töcbter.
sein Werk „seine ganze Grundlage, einen Theil seines Planes
und viele seiner schönsten Stellen dem verstorbenen Autor
des verlorenen Paradieses verdanke". Er hofft zu seinem
eigenen Vortheil, dass niemand sich die Mühe nehmen werde,
die beiden Werke mit einander zu vergleichen, da das Urbild des
seinigen ,, unzweifelhaft eines der grössten, edelsten und erhaben-
sten Gedichte" sei, die „das Zeitalter oder die Nation" hervor-
gebracht habe. Ein solches Urtheil, von einem Manne in der
Stellung Dryden's ausgesprochen, durfte wohl als der Ausdruck
eines grösseren Kreises von Lesern gelten (i). Freilich erst
eine spätere Zeit hat dem Dichter des verlorenen Paradieses
die zweite Stelle auf dem englischen Parnass angewiesen,
aber der Abend seines Lebens wurde doch noch durch einige
Strahlen der öffentlichen Gunst vergoldet.
Man sollte wünschen, dass sich auch das Bild seines Fami-
lienlebens in dieser letzten Zeit mit heiteren Farben ausmalen
Hesse, allein wir wissen nur zu gut, dass das Verhältnis der
Kinder zu ihrem Vater diesem sein Alter verbitterte. Mitunter
sieht man Bilder, welche den blinden Dichter darstellen, wie er
in theatralischer Haltung den verzückt aufhorchenden Töchtern
die Aussprüche seiner Muse in die Feder diktirt. Der Phantasie
des Künstlers mag eine derartige fromme Täuschung gestattet
werden. In Wahrheit Hess sich von kindlichem Gefühl dieser
Töchter kaum reden, und keine von ihnen wurde dem Oedi-
pus zur Antigene. Es mag sein, dass sie sämmtlich die Herr-
schaft der Stiefmutter, so milde diese auch war, von Anfang
an drückend fanden. Die beiden jüngeren waren des Nach-
schreibens und Vorlesens in Sprachen, die sie nicht verstan-
den, schon längst überdrüssig geworden. „Sie konnten, nach
Phillips' Worten, den Aerger wegen dieser Art von Beschäf-
tigung nicht immer verbergen, und er brach je mehr und
mehr in Ausdrücken des Unwillens hervor. Zuletzt wurden
sie sämmtlich, die älteste mit eingeschlossen, aus dem Hause
gethan, um das Anfertigen von künstlichen und feinen Hand-
arbeiten zu erlernen, namentlich Stickereien in Gold oder
Silber." Auch hatte die älteste zur Zeit, da ihr Vater starb,
ein Posamentir- Geschäft, „von dem sie, nach der gericht-
Undankbarkeit der Töchter. 185
liehen Aussage eines Zeugen, leben konnte". Ob diese Ent-
fernung vom väterlichen Hause wirklich auf den Willen
Milton's zurückzuführen ist, machen gewisse Worte, die er
selbst hat fallen lassen, einigermassen zweifelhaft, das aber
wird auch sonst bezeugt, dass alle drei Töchter die letzten
„vier oder fünf Jahre" seines Lebens mit ihm nicht unter
einem Dache wohnten. Als Pflegerin und Genossin blieb ihm
sein Weib, seine „Betty", wie er sie zu nennen liebte. Sie
soll ihn wegen seiner Sorglosigkeit in Geldsachen mitunter
geneckt haben (^), übrigens lebten beide in bestem Einver-
nehmen. In einfach -häuslicher Weise ei-füllte sie ihre Pflich-
ten, wie sie denn auch als Wittwe das Andenken des ver-
storbenen Gatten immer geehrt hat und einige kostbare Re-
liquien , die an ihn erinnerten , bis zu ihrem Tode sorgfältig
aufbewahrte.
Noch schien nichts auf das nahe Ende Milton's hinzu-
deuten. Er war gesund, selten gebrauchte er irgend eine
Medicin, nur hie und da nahm er etwas Manna. Das Brust-
bild des Zweiundsechzigjährigen , jener Stich Faithorne's,
welcher der „Geschichte Englands" hinzugefügt worden ist.
nach Aubrey's Versicherung freilich ebenso unähnlich wie die
übrigen Bilder vor Miltons Büchern, giebt denjenigen Begritt'
von dem Aeusseren des Dichters, wie es sich der Vorstellung
der Nachwelt eingeprägt hat. Ernst und einfach erscheint
die Tracht: der faltenreiche, dunkle Mantel, der sich um die
Schultern schlingt, der weisse, herabfallende Kragen, unter
dem nur eben eine Quaste sichtbar wird. Das Haar, anschei-
nend noch wenig grau, in der Mitte gescheitelt und auf bei-
den Seiten lose niederwallend, umschliesst ein schmales,
hageres Gesicht, in dem man wohl noch die Züge des Jüng-
lings herausfinden kann, dem aber die Spuren Jahrzehnte
langer äusserer und innerer Kämpfe eingeprägt worden sind.
Der weiche, mädchenhafte Ausdruck ist verschwunden, scharfe
Linien umspielen die festgeschlossenen Lippen, die Augen
blicken starr, doch ohne deutliche Anzeichen, dass ihre Seh-
kraft erloschen ist. Der äusseren Erscheinung entsprach das
Wesen des ^Mannes. Ein nicht geringer Grad von Selbstge-
185 Letzte Willenserklärung.
fühl, verbunden mit puritanischer Strenge, verliehen der Per-
sönlichkeit des alternden Milton etwas Imponirendes und Ehr-
furcht Gebietendes, ohne dass er deshalb die Gabe anmuthiger
Unterhaltung verloren hätte. „Sein Temperament war ernst,
aber nicht melancholisch oder wenigstens nicht bis gegen
Ende seines Lebens. Er war nicht mürrisch, gTämlich oder
zänkisch, sein Geist war über kleinliche Dinge erhaben."
So fanden ihn die Freunde, die ihm geblieben waren, und
auch andere, „Männer von Adel, viele Leute von ausgezeich-
neten Eigenschaften'" und selbst „Fremde", die ihn ,.fast bis
zu seinem Todestage" aufsuchten. An warmen, sonnigen Ta-
gen trafen sie ihn „in einem grauen groben Rock", die frische
Luft geniessend, vor der Hausthüre sitzen. Ein gewisser Dr.
Wright, Geistlicher in Dorsetshire, sah ihn in seinem Hause
„eine Treppe hoch" in einem einfachen Zimmer, das „mit
einer schmutzig grünen Tapete behangen war". Der Dichter
sass „in einem Armstuhl, schwarz und sauber gekleidet, blass,
aber nicht leichenhaft, seine Hände und Finger geschwollen
und mit Gichtknoten bedeckt. Er sagte unter anderem, wenn
er von diesen Schmerzen frei wäre, würde seine Blindheit
schon erträglich sein"(i).
Es ist das letzte Bild, das wir uns vom verlöschenden
Dasein Milton's machen können. Leidend wie er war, suchte
er sich doch nicht niederbeugen zu lassen. Unter den Schmer-
zen seiner Gichtanfälle hörte man ihn scherzen und singen.
Aber seine Qualen nahmen zu, und er täuschte sich nicht
darüber, dass er bald ausgeduldet haben werde. Eines Vor-
mittags gegen Ende des Juli 1674 besuchte ihn sein Bruder
Christoph, wie er es gewöhnlich zu thun pflegte, wenn er beim
Beginne der Gerichtsferien London verliess, um sich zum Land-
aufenthalt nach Ipswich zu begeben. Ihm , dem Juristen , er-
klärte der Kranke mündlich seinen letzten ^Yillen, formlos
und ohne dass seine Frau und eine Magd, Elisabeth Fisher,
die sich im Zimmer befanden, zur Bezeugung herbeigemfen
worden wären. Auch wurde diese Willenserklämng, von
Christoph Milton später zu Papier gebracht, in einem Processe,
den die drei Töchter gegen ihre Stiefmutter anstrengten, nicht
Letzte Willenserklärung. 187
als Testament anerkannt, und sie hatte sich mit ihnen wegen
der Erbschaft auseinanderzusetzen. Immerhin wird durch die
Aeusserungen des Vaters, der sein Ende herannahen fühlte,
und durch Zeugenaussagen, die nach seinem Tode vor dem
Richter abgelegt wurden, die schwere Verschuldung der Töchter
klargestellt. „Das Erbtheil — sagte der Dichter seinem
Bruder — , welches mir von H. Powell, dem Vater meiner
ersten Gattin, zukommt, hinterlasse ich den lieblosen Kindern
(to the unkind children), die ich von ihr hatte ; aber ich habe
nichts davon empfangen. Meine Meinung ist, dass sie keinen
anderen Genuss von meinem Vermögen haben sollen als jenes
Erbtheil und was ich ausserdem noch für sie aufgewandt habe,
da sie sehr pflichtvergessen mir gegenüber gewesen sind.
Mein ganzes übriges Vermögen überlasse ich der Verfügung
meiner lieben Frau Elisabeth." Sie hatte, wie er hervorhob,
immer „sehr liebevoll für ihn gesorgt". Den Kindern ver-
blieb also der Anspruch auf die niemals ausgezahlte Mitgift
ihrer Mutter, 1000 Pfund nebst den Zinsen von etwa zwanzig
Jahren, und Milton mochte glauben, dass die Familie Powell
ebenso fähig sein würde, die Summe auszuzahlen, wie sie
dazu verpflichtet war. Auch hatte er wiederliolt erklärt, dass
er ,,zu seinen Lebzeiten für seine Kinder gesorgt" und „den
grössten Theil seines Vermögens" darauf verwandt habe.
Ausserdem hatte er noch später gegenüber seiner Frau den
Wunsch ausgesprochen, dass, falls sein Nachlass 1000 Pfund
übersteige, auch dieser Ueberschuss seinen Kindern zu gute
kommen solle. Doch fanden sich nach seinem Tode nur etwa
900 Pfund vor, welche, wenn es nach seinen Bestimmungen ge-
gangen wäre, die Wittwe ohne Abzug erhalten haben würde (^).
So viel sieht man deutlich: Milton wünschte seinen Kin-
dern zu zeigen, dass sie durch ihr Benehmen wenig Dank von ihm
verdient hätten. Er sprach sich seinem Bruder gegenüber
,,in voller Ruhe, leidenschaftslos'' darüber aus, ohne sich ,,auf
Einzelheiten einzulassen". Doch erinnerte sich Christoph Milton,
ihn früher darüber haben klagen zu hören, dass seine Kinder
,,sich um ihn in seiner Blindheit nicht kümmerten und sich
nichts daraus machten, ihn zu verlassen'-. Nicht genug damit,
188 Zeugenaussagen über das Verhalten der Töchter.
die Aussage jenes Dienstmädchens, der Elisabeth Fishei-, be-
lastete die Töchter noch schwerer. ^Yas sie zu Protokoll gab,
stützte sich auf eine £:chmerzliche Mittheilung Milton's selbst.
Kurz vor seiner dritten Heirat habe eine j\Iagd seiner zweiten
Tochter Mary gesagt, sie höre, der Vater wolle sich wieder
verehelichen, worauf Mary geantwortet: das sei nichts Neues,
„aber wenn sie von seinem Tode hören könnte, das wäre
etwas". Und er habe hinzugefügt, „dass alle seine Kinder sich
gegen ihn verschworen und die Magd angestachelt hätten,
ihn bei ihren Markteinkäufen zu betrügen, dass sie auch
einige seiner Bücher weggenommen hätten und den Rest den
Kehrichtweibern verkaufen wollten". Es ist möglich, dass
einiges in dieser Aussage auf einem Missverständnis beruht,
da Milton nach anderen Nachrichten einen Theil seiner Biblio-
thek gegen Ende seines Lebens selbst zu Geld gemacht haben
soll(^). Es ist auch nicht schwer, mildernde Umstände für
die Töchter geltend zu machen, die zu jener Zeit noch jung,
ohne rechte Aufsicht sich selbst überlassen heranwuchsen.
Namentlich die jüngste, Deborah, möchte man für schuldfrei er-
klären, da sie damals noch nicht eilf Jahre alt war und noch
als alte Frau mit Liebe von ihrem Vater gesprochen hat.
Aber alles in allem erhält man den Eindruck, dass schon von
frühe an der Charakter der Töchter sich nicht aufs beste
entwickelte. Man begreift nun erst recht, warum iMilton sich
auf Zureden eines wohlmeinenden Freundes hatte entschliessen
können, in einer dritten Gattin sich eine Stütze seines Alters
zu suchen. Vorher musste er sich vorkommen, wie sein Sam-
son Agonistes, in dessen rührenden Versen (75 — 79) etwas
von seinem eigenen Weh nachklingt:
. . Bei'm I.icht im Dunkeln, täglichem Betrug,
Schmach, Spott, Verachtung, Unrecht ausgesetzt,
Daheim wie draussen immer wie ein Narr,
Schein ich kaum halb zu leben, mehr als halb
Schon todt zu sein. . .
Die jüngste Tochter Deborah war kurz vor dem Ende Milton's
mit einer Lady Merian, vielleicht einer Freundin der Lady
Ranelagh, nach Irland gegangen, Ihre Schwestern waren
Tod und Begräbnis. — Schicksale C. Milton's und der Phillips. j[89
verniuthlicli in London geblieben, aber es ist zweifelhaft, ob
die Kinder am Bette ihres Vaters standen, als seine Todes-
stunde herannahte. Er überlebte jenes ernste Gespräch, das
er mit seinem Bmder geführt hatte, nur um wenige Monate.
Doch schien er noch Anfang Oktober 1674 „sehr munter und
in guter Gesundheit zu sein'' und plauderte über Tisch in
gewohnter heiterer Weise mit seiner Frau. Danach nahmen
unter erneuten Gichtanfällen seine Kräfte rasch ab. Nach
einer wohl zulässigen Annahme hauchte er am Sonntag, den
8. November, seinen letzten Athem aus, und sein Todeskampf
war so leicht, dass sein Ende von denen, die sich im Zimmer
befanden, nicht gleich bemerkt wurde. Am 12. November
wurde die Leiche Miltons am oberen Ende des Chores
der kleinen Kirche St. Giles, Cripplegate, beigesetzt. In dieser
Kirche waren vierundfünfzig Jahre vorher Oliver Cromwell
und Elisabeth Bourchier getraut worden. In demselben Baume
ruhten die Gebeine von Milton"s Vater. Die Freunde und
„Bewunderer" des Dichters, die sich in der Stadt befanden,
gaben dem Sarge das Geleite, und es fehlte nicht an „theil-
nehmendem Zulauf des Volkes".
Man darf vermuthen, dass sich unter dem Trauergefolge,
wenn nicht der Bruder, der vielleicht noch auf dem Lande
verweilte, so doch der ältere Netfe des Verstorbenen befunden
hat. Jener hatte noch eine Laufbahn vor sich, auf der man
einen Milton anzutreffen nicht hätte glauben sollen. Er wurde
als ein ergebener Anhänger Jakob's IL bei Gelegenheit einer
parteiischen Erneuerung des Tribunals unter die Richter der
Schatzkammer aufgenommen und in Whitehall zum Kitter ge-
schlagen. Ein Werkzeug der Stuart'schen Tyrannei, soll er
sogar dem königlichen Beispiele zu Gefallen zum Katholicis-
mus übergegangen sein. Es starb 1692 im siebenundsiebzig-
sten Jahr mit Hinterlassung eines Sohnes und mehrerer Töchter.
Der ältere Phillips überlebte den Bruder des Dichters nur
um zwei Jahre und machte sich noch kurz vor seinem Tode
29.0 Miltoü's Nachkommenschaft.
um das Andenken seines grossen Oheims durch die Veröffent-
lichung seiner Biographie verdient. Der jüngere Phillips da-
gegen, der bis in den Anfang des achtzehnten Jahrhunderts
hinein seiner gewandten Feder freien Lauf liess, gewann es
über sich, ein royalistisches Geschichtswerk fortzusetzen, wel-
ches Milton als einen „unverschämten und gotteslästerlichen"
Schriftsteller bezeichnete (^). — Milton's Wittwe kehrte nach
einigen Jahren in ihre Heimat zurück, wo sie, möglicher
Weise als Mitglied einer Baptistengemeinde, ein einfaches,
bescheidenes Leben führte. Nur wenige nahmen sich die
Mühe, bei ihr Erkundigungen über den Dichter des verlorenen
Paradieses einzuziehn. Als sie neunundachtzig Jahre alt 1727
starb, fanden sich in ihrem Nachlasse die beiden Bilder vor,
die ihn als Knalien und Jüngling darstellten. Was aus der
„grossen Masse von Briefen seiner gelehrten Bekannten in
England' und jenseits des Kanals" geworden ist, die sie nach
Aubrey's Versicherung besass, ist leider nicht festzustellen.
Die sonstigen hinterlassenen Papiere des Dichters hatte sie
seinem Neffen Edward Phillips gegeben (2).
Von den drei Töchtern hatte nur die jüngste lebens-
kräftige Nachkommenschaft. Die älteste , Anna , welche einen
„Baumeister" geheiratet hatte, starb mit dem Kinde im ersten
Wochenbett. Die zweite, Mary, war nie verheiratet und muss
wie ihre ältere Schwester schon vor 1694 nicht mehr am Le-
ben gewesen sein. Deborah dagegen, die dem Vater am
ähnlichsten war, hatte aus einer Ehe mit Abraham Clarke
aus Dublin, einem Seidenverkäufer, eine zahlreiche Familie.
Unter der Regierung Jakob's IL kehrte sie nach London
zurück, woselbst ihr Mann als ein „Weber in Spitalfields"
sich niederliess. Sie starb daselbst in dem gleichen Jahre wie
ihre Stiefmutter. In ihrem Alter, zu einer Zeit, da Milton's
Ruhm schon weit verbreitet war, empfieng sie häufig Besuche
von Männern, denen sie über das Leben ihres Vaters bereit-
willig Aufschluss gab. Man bemerkte mit Erstaunen, dass
ihr von früher her noch Stellen aus Homer und Euripides
wie auch aus Ovid's Metamorphosen im Gedächtnis geblieben
waren. Addison wirkte ihr bei der Prinzessin von Wales,
Schluss. 191
der späteren Köni^n Karoline, ein Geschenk von 50 Pfund aus.
Sie hatte verschiedene Andenken an ihren Vater gerettet, und
als sie bei einem Besuche des Kupferstechers Vertue eines
mitgebrachten Bildes Milton's ansichtig wurde, äusserte sie
ihre lebhafte Theilnahme. Sechs Söhne und zwei Töchter
Deborah's waren jung gestorben, aber eine Tochter, Elisabeth,
und ein Sohn, Caleb, versprachen das Geschlecht fortzusetzen.
Die Tochter, mit einem Mr. Foster verheiratet, der gleich-
falls als „ein Spitalfields-Weber" bezeichnet wird, gerieth in
sehr bedrängte Umstände und suchte durch Eröffnung eines
kleinen Spezereiladens etwas zum Erwerbe beizutragen. Man
veranstaltete, um dieser Enkelin Milton's aus der Noth zu
helfen, 1750 eine Benefizvorstellung des Comus, zu der Dr.
Johnson einen Prolog schrieb. Ihre sieben Kinder waren
sämmtlich frühe gestorben, und sie glaubte, dass ausser ilir
keine Descendenz des Dichters vorhanden sei, wenn nicht in
Ostindien. Dorthin war ihr Bruder in jungen Jahren aus-
gewandert, hatte sich in Madras einen Hausstand gegründet
und hinterliess zwei Söhne, deren ältester gleichfalls in Ma-
dras angesessen war und 1727 die Geburt einer Tochter ein-
tragen liess(^). Damit hört jede Spur der direkten Nachkom-
menschaft Milton's auf.
Aber sein Name ist über die heimatliche Insel hinaus
nach Osten und Westen überall dahin gedrungen, wohin die
Söhne seines Volkes als Pioniere der Kultur die siegreichen
Schritte gewandt haben. Im üppigen Landsitz des englischen
Kaufherrn an den Fluthen des Ganges wie im einfachen
Blockhaus des englischen Kolonisten an den Fluthen des Mis-
sissipi hat neben der Bibel das verlorene Paradies eine Stelle
erhalten , und die beredten Worte, die sein Schöpfer in Sachen
der Freiheit gesprochen hat, sind zu einer fort und fort spru-
delnden Quelle sittlicher und politischer Kraft geworden,
welche der gesammten Menschheit zu gute kommt.
Ein echtes Kind seiner Nation und doch von so mancher
nationalen Einseitigkeit frei, der erste Vorkämpfer des Puri-
tanismus und doch über so manches puritanische Vorurtheil
erhaben, ein grosser Dichter und zugleich ein Mann von um-
\Q2 Schluss.
fassender Gelehrsamkeit, ebenso hochstehend als Genius wie
als Charakter, hat Milton Aufnahme in jene Ruhmeshalle geisti-
ger Heroen gefunden , die wir mit den Grössten unseres Ge-
schlechtes bevölkern. Er hatte ein Recht darauf, sieh „zu
jenen Helden" zählen zu lassen. Er konnte „Rühmliches von
sich vermelden" und seine „Wunden anzeigen" so gut wie
jeder von ihnen —
„Denn ich bin ein Mensch gewesen
Un(J das heisst ein Kämpfer sein."
A n m e r k u n g e n.
Stern, ililton u. s. Z. IL 4. 13
ÄDinerkungen.
Erstes Kapitel.
Seite
5 ^) S. Näheres zur Ergänzung von Ludlow's Memoiren in den
von mir herausgegebenen „Bi-iefen Englischer Flüchtlinge in der
Schweiz", Göttingen, Peppmüller 1874. Zwei später im Staats-
archiv von Bern aufgefundene Briefe Ludlow's habe ich in der
Academy Sept. 2, 1876 zum Abdruck gebracht.
7 *) S. Näheres in F o r s t e r : Statesmen of the Commonwealth.
8 *) „Free Parliaments Quaeres . . . Printed in the year of redemption
1660" (Ms. Note „April 20"). Qu. 6 p. 2: „Whether hanging or
drowning be the best waies of transportation of our late republicans
to the commonwealths of Utopia or Oceana". Br. M. E. 1019.
2)L'Estrange His Apology etc. 1660 (Ms. Note „June 6"). 4'. Br.
M. E 187. p. 157: „Particularly Milton put forth a bawling piece
against Dr. Griffith and somebody eise another scurrilous libel
entitled Eye-Salve. I did not think it much material to reply upon
these, the people being already convinc'd of the right, but however
being excited to it by a private friend, I return'd these following
answers" (darauf folgt: „No blinde guides" etc., s. o. III. 250).
■•') The Blazing-Star or Noll's Nose. Br. M. E. 1040 (17. Aug. 1660),
s. Catalogue of prints and drawings in the Br. M. Div. 1. Political
and personal satires 1870 I. No. 957.
9 0 Lettres de Gui Patin (Ed. 1846) III. 238.
2) Kennet, Register (1728) p. 180. 189. 230. 239.
•'') E. Phillips sagt daher mit Unrecht: „so that together with John
Goodwin of Coleman-Street he was only so far excepted as not to
bear any office in the Commonwealth".
11 1) C. S. P. 1650 May 17. Juli 2. K. Elze: Davenant (Jahrbuch der
Deutschen Shakespeare - Geseilschaft IV. 127). Nach Wood hat
Milton mit den beiden aldermen zusammengewirkt, Richardson:
13*
\QQ Anmerkungen.
Seite
Life of Milton LXXXIX nennt nur Milton. Er beruft sich auf
Pope, der seine Kunde von dem Schauspieler Betterton hat. Aubrey
erwähnt die Sache nicht.
11 2) Vor Warton in seiner zweiten Ausgabe^der kleineren Gedichte
Milton's p. 358 findet sich die Erzählung bei Cunningham: Hist.
of great Britain I. 14. In S 1 o a n e M s s. 649 findet sich ein Brief
an Hartlib (?), unterzeichnet „Amstelodami 10. Aug. 1660 a tuo Q,
N. B.", in dem es heisst (f. 42 a): „De Miltono et captivis quid
actum fuerit aut agetur proximis tuis mihi rescribes".
^) Sotheby p. 129 und die Tafel nach p. 124. Phillips.
12 1) C. J. 12 Sept. 15, 17 Dec. 1660. Hamilton 61. Hier wird irrig
eine „sechsmonatliche Haft" Milton's angenommen.
•^) Evelyn 's Diary ed. W Bray I. 360 (12. Januar 1662): „At St.
James's chapel preached or rather harangued the famous orator
M. Morus in French. There were present the King, Duke, French
ambassador, Lord Aubigny, Earl of Bristol and a world of Roman
Catholics drawn thither to hear this eloquent Protestant."
^)Baillie (1661. 31 Januar) III. 443. Die Anekdote bei Richard-
son p. c widerlegt sich schon dadurch, dass sie von einem ,,latin
secretary" und von einer Frau Milton's zu einer Zeit spricht , da
er Wittwer war.
13 1) Wood, Phillips, Todd 255. Keightley 75.
■^) Paget wird C. S. P. 1650, Febr. 5 (p. 506) als „physician to the
tower" genannt, vgl. C. S. P. 1651 p. 189.
•■') Aubrey: „a gentle person, a peacefuU and agreeable humour".
[Näheres bei Hunter 36 — 41 und Marsh, daselbst 46 der Tauf-
eintrag Elisabeth's „80. Dec. 1638". Als Datum der Ehe giebt
Masson P. W. I. 62, 66 den Februar 1663 an, ohne Zweifel auf
urkundliches Material gestützt. Aubrey nimmt an „the yeare be-
fore the sicknesse", also 1664.
14 ^) Phillips. Näheres über die Lage der Wohnung nach Watts in
W. I. p. CLXXIV. P. W. L 53. Bei Hunter 43 findet man den
Abdruck eines „account of the hearth-money of thecounty ofMiddle-
sex for the year ending at Lady Day 1674" und darin den Eintrag:
.,John Melton 4 hearths". Hiernach heisst die Strasse „Artillery-
Wall", nicht wie bei Phillips „Artillery-Walk". Nach Richard-
son III. und XCIII. hätte Milton eine Zeit lang bei dem Buch-
händler Millington in „Little Britain" gewohnt, doch findet sich
diese Nachricht nirgend sonst bestätigt.
15 ^) Aubrey in Verbindung mit Newton' s Life of Milton vor seiner
Ausgabe von MiUon's poetical works Ed. 1761 p. LXVL LXVII.,
woselbst sich, nach mündlicher Tradition, einzelne kleine Züge fin-
den, die bei Aubrey und Phillips fehlen. Nach Aubrey begann der
Tag mit Vorlesung eines Stückes aus „the Hebrew bible", allein
Erstes Kapitel. 197
Seite
es ist doch nicht glaublich, dass ein Diener („his man"; dazu
fähig war. Oder heisst „Hebrew bible" etwa „das alte lestament" ?
16 ^) S. die Zusammenstellung in 1'. W. I. 65 ff. nach Phillips,
Aubrey (der in der Bezeichnung „his second daughter Deborah"
irrt), Richardson: Explanatory notes and remarks on Milton's
Paradise lost by J. R. father and son London 1734. Life by J.
R. senior p. C'XIV. Mary Milton unterschreibt ihren Namen „Mill-
ton", s. Marsh und Sotheby 177, ebenda 179 die Unterschrift
von Deborah (Deboroh). Die Notiz hei Newton, die auf l\Irs.
Fester, eine Tochter Deborah Milton's, zurückgeht, der Dichter
habe alle seine Kinder nicht schreiben lehren lassen, wird dadurch
widerlegt. Nur die älteste konnte nicht schreiben, vermuthlich
wegen eines körperlichen Gebrechens , das sie freilich später nicht
verhinderte, Handarbeiten anzufertigen; vgl. Marsh und So-
theby 176.
17 ^) S. den Stammbaum in Milton's Works ed. Pickering, über die
Phillips : Wood, G o d w i n , Diary and C'orrespondence of J o h n
Evelyn.
*) Ich verbessere bei dieser Gelegenheit ein Versehen des zweiten
Buches S. 152 Zeile 20. Es sollte dort heissen : „Die Thatsache,
dass der Dichter mit der Familie jenes Isaac Pennington . . be-
kannt war" u. s. w. , s. Rose: New general biogr. Dictionary.
20 *) Histoi'y of the life of Thomas Ellwood. Ich benutze die vierte
Ausgabe London 1791 p. 143 ff. 185. Unter den nachgelassenen
Mss. Ellwood's werden auch angeführt: „Several Decades of Letters
to particular Persons about 35 Sheets", über deren Verbleib leider
nichts bekannt ist. Ein Facsimile von Ellwood's (wie auch von
Marvell's und der beiden Phillips') Unterschrift bei Sotheby
T. XXIV.
21 ')Dircks, woselbst Wo r thingtou's Correspondence und P epys'
Diary and Correspondence, wenn auch nicht erschöpfend benutzt
worden sind; vgl. Evelyn' s Diary und die Korrespondenz Hart-
lib's mit Boyle in Boyle's Works Ed. Birch. Die Thatsache,
dass Hartlib gegen Jones als Zeuge aufgerufen ward, wurde mir
bekannt aus „An exact and most impartial account of the judgment
of 29 regicides, London 1660" p. 97.
22 ^) So die zu II. 269 citirte Literatur, Kennet: Register s. v. Durie,
dazu eine Druckschrift Durie's: ,.Copie d'une lettre escrite ä un
prince de l'Empire etc. de Zürich 19. Nov. 1662 Jean Dure", ent-
halten im Züricher staatsarchiv, Duraeana, ebenda die reich-
haltige Korrespondenz zwischen Durie und Ulrich etc. nach dem
Jahre 1660. In einem Brief vom 28. Jan. 1661 räth Durie ausdrück-
lich: „Et si vous voulez toucher un mot de ma negotiation avec
vous . . il ne faut nuUenient nommer le Protecteur ny de prös ny
J98 Anmerkungen.
Seite
de loin, aussi ne faut il pas mentionner avec aucun tiltre odieux
le Pape ny les Papistes". Briefe für ihn soll man adressiren, für
den Fall, dass er schon abgereist wäre: ,.To be left with Mr. Sam.
Hartlib dwelling in Axeyard in Kingstreet in Westminster". Der
nächste Brief an Ulrich, vom Anfang Februar 1661, datirt schon
aus Amsterdam.
22 ^) Kurze Biographie Pell's in Wort hington 's Diarj- I. 57 nach
Wood; vgl. I. 230. Die Thatsache, dass Pell in Amerika war,
wurde mir bekannt aus Boyle's Works V. 596.
23 ^)Birch: History of the royal society.
24 1) P. W. m. 107, 108.
Zweites Kapitel.
28 ^) Evelyn: Diarj- and Correspondence I. 359. n. 32.
30 ') Der erste Theil des Hudibras erschien 1663, der zweite 1664 (beide
zusammen 1674^, der dritte 1678. Ich benutze die [Ausgabe von
E. Bell und die Uebersetzung von Eiselein. Die auf Milton
bezügliche Stelle in den Fragmenten, welche Thyer veröffentlicht
hat, a. a, 0. I. 168: ,.As he who fought at barriers with Salma-
sius Engaged with nothing but his Stiles and phrases 1 Waved to
assert the murder of a prince'' etc. Man wäre in Versuchung, die
Stelle I. 50, in der vom Paradiese, Adam, der Schlange die Rede
ist, auf Milton's Gedicht zu beziehen, wenn dies 1663 schon be-
kannt gewesen wäre.
*) „T'is a Strange age we've lived in and a lewd". Satire upon the
licentious age of Charles II.
32 ^) Ich beziehe mich auf einen Sammelband englischer Dichtungen des
siebzehnten Jahrhunderts im Besitz der Bibliothek zu Göttingen.
*) Rochester: Horace's tenth satire of the first book imitated, vgl^
Jesse: Memoirs of the court of England during the reign of the
Stuarts IV. 266.
^)„Marriage! T'is but a licens'd way to sin" Rochester: A satire
against marriage. — „All maidens are mortal at fourteen" Dorset:
Song to Chloris.
34 ^) ,,iMonarchs may err, but should each private breast | Judge their
iU acts, they would dispute their best . . Whate'er faults in prin-
ces time reveal | None can be judge, where can be no appeal".
Aehnlich in Beeret love or the maiden queen: „The rights of sub-
jects and of sovereigns are things distinct in nature; theirs is to
enjoy propriety not empire".
35 ^) .,1 saw Hamlet prince of Denmark played , but now the old plays
began to disgust this refined age, since his Majesty's being so long
abroad". Evelyn' s Diary 1661 Nov. 26.
Zweites und drittes Kapitel. 199
Seite
36 ') Ward: A history of English dramatic literature II. 476, s. über
das Verhältnis Dryden's zu Shakespeare den Aufsatz von Delius
im Jahrbuch der deutschen Shakespeare - Gesellschaft IV.
37 *) Ode to the pious memory of Mrs. Anne Killigrew (1686): „Oh gra-
cious God ! how far have we | Profaned the heavenly gift of poesy"
etc. Man wird es nicht unbillig finden, dass in dieser Skizze auf
eine umfassende Charakteristik Dryden's verzichtet wird, und dass
literarische Erscheinungen wie Lee, Otway u. a., deren hauptsäch-
liche Wirksamkeit nicht mehr in die Lebenszeit Milton's fällt, ausser
Betraclit geblieben sind.
41 *)Stoughton: Ecclesiastical history of England. The church of the
restoration, London 1870 I. 100. Newcomen lehnte ab.
' 44 1) Stoughton IL 5.38 — 542.
46 ') Stoughton L .346.
Drittes Kapitel.
48 n S. oben IL 21, 67, 183, 189, 312, 442.
50 ^) Phillips, Aubrey, Newton: Life of :Milton p. LXXV.
51 ^)Lingard nach Hodges und de Foe: History of the plague.
(Works Ed. 1840 Vol. IX.)
53 1) Ellwood 205 ff. Es ist klar, dass Ellwood das Jahr mit dem
2.5. März beginnt. T'eber die Lage von Milton's Haus in Chalfont
s. Todd L 272. Mitford I. p. CX, daselbst hinter CLVII eine
Abbildung. Aus ,, London Aug. 15 , 1666'" datirt ^lilton's Brief an
Heimbach, Works VII. 409.
54 ^) Lappenberg: Der grosse Brand von London, 1842, namentlich
nach Evelyn und Pepys, vgl. Worthington's Diaries H. 1,
206 ff.
55 1) Pepys; Diary, 13. July 1667.
56 ') P. W. I. 1. Ueber die Erneuerung der Censurbehörde |s. Haies
in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Areopagitica. Eine Zeit
lang war ^Milton's Gegner R. rEstrangegeiner der Licensers.
57 *) S. die genauen Angaben V. V/, I. 8 ff., wie denn die hier gegebene
Einleitung überhaupt grundlegend für die Darstellung ist. Das
Exemplar des Br. M. C. 14. a. 9 führt den Titel: Paradise lost. |
A I Poem I Written in Ten Books | ßy John Milton Licensed and
Entred according | to Order. London 1 Printed, and are to be sold
by Peter Parker under Creed Church neer Aldgate; And by | Ro-
bert Boulter at the Turks Head in Bishopsgate-street ; And Mat-
thias Walker, under St. Dunstons Church 1 in Fleet-street, 1667. 4",
nicht paginirt, ohne Prosa - Einleitung, ohne Inhaltsangabe der Bü-
cher. Genaue Reproduktion dieser Ausgabe von Masson, 1877,
London. Man sieht, dass Simmons' Name hier verschwindet, viel-
200 Anmerkungen.
Seite
leicht weil in Folge des Brandes eine zeitweilige Störung seines
Geschäftsbetriebes eingetreten war. In anderen Abzügen tritt er.
auf. Der Eintrag in den Registers der Stationers: „August 20.
1667. Mr Sam. Symons: Enterd for his Copie under the hands of
Mr Thomas Tomkyns and Mr. Warden Royston A Booke Or Copie
Intituled Paradise lost A Poem in Tenne bookes by J. M." Was
die deutschen Uebersetzungen betrifft, so verweise ich mit Ueber-
gehung der zahlreichen älteren nur auf diejenigen von Böttger,
4. Aufl. Leipzig 1869, und Schuh mann. 2. Aufl. Stuttgart 1877.
61 ^) lieber die Quellen zu Milton's verlorenem Paradies handeln aus-
führlich T 0 d d : An inquiry into the origin of paradise lost, P. W.
Introduction, J. Moers: De fontibus paradisi amissi (Bonner Dis-
sertation 1865 P. 1). Ich habe mich auf das Wichtigste beschrän-
ken müssen. Der sehr seltene Adarao von Andreini hat mir in
der Ausgabe von 1617 vorgelegen, (lieber ihn findet sich in Phil-
lips' theatrum poetarum, einm Werke, auf dessen Abfassung Milton
doch anscheinend nicht ohne Einfluss -war, nur die Bemerkung:
„Giovanni Andreini another Italian author of a fantastick poem as
he himself calls it entitled Olivastro, which was printed at Bo-
logna a. 1642".) Der Adamus exul von Grotius findet sich ab-
gedruckt in Delectus auctorum sacrorum Miltono facem praelucen-
tium T. 2. Adcurante G. Laudero 1752, englische Uebersetzung
von F. Barham 1839. V o n d e 1 ' s Lucifer steht in V. Werken ed.
van Lennep VI. 201 — 310, deutsche Uebersetzung von G. H. de
Wilde 1869, Leipzig, Brockhaus; vgl Jonckbloet: Geschiedenis
der Nederlandsche Letterkunde, 2. Ed. 1874, IL 65 ff. R. Bud-
densieg: Der Fall der Engel bei John Milton und J. v. d. Vondel
(Grenzboten 1877 No. 33 S. 241 — 258) nennt Milton irrig „den
Dichter von Christ- C'hurch Cambridge" und meint, die drama-
tischen Entwürfe des verlorenen Paradieses seien noch nicht ver-
öffentlicht; s. auch E.W. G. A Dutch Milton in Cornhill Magazine,
May 1877, Vol. 35 p. 596 — 615. Unbedeutend ist Glaser: J. v.
Vondel und sein Lucifer in Herrig's Archiv für das Studium der neue-
ren Sprachen XII.
^) Genie du Christianisme , Anhang , ti-agments sur la poesie Ch. VII.
63 1) Goethe an Schiller 31. Juli 1799.
78 ^) Lessing an Nicolai November 1756, Werke herausgegeben von Lach-
mann - Maltzahn XII. 64.
79 ^) Vgl. Massen: The three devils: Luther's, Milton's and Goethe's
(Essays 1856). Elze: Milton im Jahrbuch der deutschen Shake-
speare-Gesellschaft XIT., namentlich p. 84. In Roskoff's Ge-
schichte des Teufels, 1869, hätte auf Milton Rücksicht genommen
werden sollen.
Drittes und viertes Kapitel. . 201
Seite
80 ')Liebert331 — 339. P auli: Aufsätze 383. Carrifere: Die Kunst
im Zusammenhang der Kulturentwicklung IV. 664.
81 ^) Taine: Histoire de la litterature anglaise II. 418.
89 ') S. III. 74, 418, 481 ff., 562 und die Bemerkungen in P. W. dazu,
sowie die Introduction; vgl. Keightley 217 ff., 45^ ff., der mir
indess die wahre Ansicht Milton's zu verkennen scheint
91 ^) „Man's pride , grown to religion . he abates j By moving our loved
earth, w'hich we think tix'd, | Think all to it, and it to none rela-
tes, I With other's raotions scorn to have it mix'd; 1 As if it were
great and stately to stand still j Whilst other orbs dance on, or
eise think all 1 Those vast bright globes, to show God's needless
skill, i Were made but to attendour little ball." Davenant: Gon-
dibert B. II. Canto V, 19. 20.
*) S, über die dritte von Copernicus angenommene Bewegung, den
Parallelismus der Erdaxe: Lalande, Astronomie I. 546.
92 ^) Eine bezeichnende Stelle aus ßaco: De Augmentis (1623) nach Ed.
Spedding IV. .347, s. in P. W. III. 222, 223. Milton's Freunde, die
Smectymnianer , verwarfen noch aufs entschiedenste das koperni-
kanische System, s. o. B. II. 83. Dass ^Nlilton ein Werk vne J. a
Sacrobosco's de sphaera dem Unterricht zu Grunde legte (s. o. IL
398) beweist nur, dass ihm kein besseres zu Gebote stand. Eben
dies mag ihm den nächsten Anlass gegeben haben, das alte System
zu verspotten. In du Bartas wird es noch in seiner ganzen Strenge
aufrecht erhalten.
96 ') S. Vane's Sätze aus „The retired man's meditations" bei Forster:
Statesmen of the Commonwealth ?87, '288.
99 ') C. Hill ebr and: De sacro apud Christianos carmine epico . .
Parisiis ISGl.
Viertes Kapitel.
105 0 Ellwood 213. S. 220 spricht Ellwood von seiner Anwesenheit bei
einem meeting in London, das „einige Zeit" nach dem Juni 1665
gehalten worden sei.
106 ^) In Deutschland ist dies geschehn von Löbell: Vorlesungen über
die Entwicklung der deutschen Poesie I. 185; s die Gegenbemer-
kungen vonllettner, Wiese: Milton's verlorenes Pai'adies, 1863,
Treitschke.
*)P. W. IL 1—81, IIL 279 — 319. Ich besitze eine alte deutsche
prosaische Uebersetzung : „Das wiedereroberte Paradies des Johann
Milton, nebst seiner Lebensbeschreibung, einigen dramatischen und
verschiedenen kleinern Gedichten. [Simson. Komus, Lycidas, l'AUe-
gro, il Penseroso, An die Zeit, Bey einer feyerlichen Musik.] Mit
allerhöchstem kaiserlichen Privilegio. Mannheim, im Verlage der
202 Anmerkungen.
Seite
Herausgeber der ausländischen schönen Geister, 1781. 302 S. Poe-
tische Uebersetzungen des wiedergewonnenen Paradieses bei Bött-
ger und Schuhmann.
117 1} Das Gesagte, das sich auf den Samson bezieht, stützt sich auf die
feinen Bemerkungen in P. W. I. p. IX — XI, LXXV— C, woselbst
namentlich auf Marsh: Lectui-es on English Language Rücksicht
genommen wird. Tocqueville: De la democratie en Amerique,
III. 107 sagt, ohne den Beweis zu erbringen: „Le seul Milton a
intraduit dans la langue anglaise plus de six Cents mots presque
tous tires du latin, du grec et de l'hebreu''.
2) W a r d : A history of english dramatic literature 1875 11. 475, 497 ff.
118 1) P. W. I. p. CVII, 8, 131. m. 110 — 113.
*) Es hätte ihm doch schwer werden sollen, ausser etwa Tasso's Sette
giomate noch andere "Werke von Dichtem „ersten Ranges" anzu-
führen. Merkwürdiger Weise nimmt er auf Surrey's reimlose Ueber-
setzung eines Stückes der Aeneide keine Rücksicht.
^) Schon einige Jahre nach Milton's Tode beklagte sich einer seiner
begeisterten Verehrer darüber, dass er den Reim verschmäht habe,
s. das Citat aus Woodford's Paraphrase on the Canticles 1679
in Worthington's Diaries II. P. 1, 192.
120 ^) Vgl. die feinen Bemerkungen von J. A. Symonds: The blank versa
of ^lilton (Fortnightly Review 1874 July — December p. 767 ff.).
121 0 Br- ^J- ^- 14. a. 12, S". Paradise ] Regain'd: \ A Poem: 1 In IV
Books. 1 To which is added 1 Samson Agonistes. \ The Author ' John
Milton. ! London, | Printed by J. M. foi John Starkey at the 1 Mitre
in Fleetstreet, near Temple-Bar. | :\IDCXXI. ; 111 S., auf der Rück-
seite des Blattes vor dem Titel: Licensed, ■ July 2. 1670, angebun-
den Samson Agonistes, | A | Dramatic Poem. ' The Author | John
Milton. ' Aristot. Poet. Cap. 6. TqayojSiu /m'uriai? Tr^ä^aios
anovöaiag etc. Tragoedia est imitatio actionis seriae etc. Per
misericordiam et metum perticiens talium effectuum lustrationem. 1
London, j Printed by J. M. for John Starkey at the | Mitre in Fleet-
street near Temple-Bar MDCLXXI. | 101 S. Dies Exemplar ent-
hält alte handschriftliche Bemerkungen. Der Eintrag in den Re-
gisters der Stationers Company lautet: „Sept. 10. 1670. Mr. John
Starkey. Entred for bis Copie under the hands of IMr. Tho. Tom-
kyns and Mr. Warden Roper A Copie or Booke Intituled Paradice
regaj-n'd A Poem in 4 Bookes. The Author John Milton. To which
is added Samson Agonistes A dramatic Poem by the same Author."
S. über Samson Ag. P. W. 11.85 — 153. lU. 323 — 328. Deutsche
Uebersetzung von Böttger, Eine gelegentliche Hindeutung (auf
die Geschichte Simson's s. in Def. Jprima Cap. IV, im Anfang.
Ueber die Simsonsage nach ihrer Entstehung, Form und Bedeutung
handelt Roskoff, Leipzig 1860.
Viertes und fünftes Kapitel. 203
Seite
125 ^) Ich folge Liebert's Uebersetzung 391.
126 ') Bei (lieser Stelle könnte man an eine Einwirkung des „Samson,
Treurspiel v. Vondel", (1660) denken, zumal dieser Dichter,
wie oben S. 61 bemerkt, Milton nicht ft-emd war.
Fünftes Kapitel.
130 ^) „That they likewise used a ^NIs. collection in three large folios,
digested into an alphabetical order made by Mr. John ISIilton out
of all the best and purest Roman authors". S. Rob. Ainsworth
in der Vorrede zum thesaurus linguae latinae 1752 p. VI.
131 ^)Aubrey, Wood, Phillips, dessen Ausdrücke der Angabe
Aubrey's , das Wörterbuch sei erst nach der Erblindung Milton's
ausgearbeitet worden, widersprechen; vgl. Todd I. 171 und So-
theby 127, daselbst auch ein Auszug aus der Vorrede von „Dr.
Adam Littleton's Latin Dictionary", Ed. 4, 1715. Die Notiz bei
Aubrey: „He wrote a Dictionary called Idioma Linguae Latinae
from Mr. Packer, who was bis scholar" (nicht „for Mr. Packer",
wie bei Godwin 349 steht), soll wohl nur heissen, dass Aubrey
diese Nachricht von Packer empfangen hatte. Nach Aubrey hat
Milton's Wittwe „all bis papers , among which this dictionary im-
perfect" an E. Phillips gegeben, allein am Rande steht, vermuth-
lich auf das Wörterbuch allein bezüglich: „In the hands of Moyses
Pitt'', d. h. zur Zeit als Aubrey schrieb. Ein Buchhändler Moses
Pitt wird erwähnt in „Letters of H. Prideaux to J. Ellis ed. J. M.
Thompson, Camden-Society 1875 p. 76, 147; s. einen Brief von J.
Pell an „Mr. Moses Pitt, a stationer at the White Hart in Little
Britaine" vom 3. Juni 1663 in „A collection of letters illustrative
of the progress of science in England etc. ed. J. 0. Halliwell, Lon-
don pr. for the historical society ot science'' 1841 p. 103, vgl. p. 97
und einen Brief Oldenburg's an Boyle vom 19. Sept. 1676 in Boyle's
Works V. .396. Pitt war also in dem Bekanntenkreise Milton's
kein Fremder und es ist ohne Zweifel derselbe, welcher zwei Jahre
nach dem Tode des Dichters erklärte, er habe ., einige seiner Pa-
piere gekauft" und eine gestohlene und unvollkommene Ausgabe
der Milton'schen Staatsbriefe veröffentlichte; s. Hamilton 30, 36
(hier heifest er: „Mr. Pitts, bookseller in Paul's Churchyard"). —
Neuerdings hat J. P. Collier behauptet, ein in seinem Besitz be-
findliches Exemplar von Cooper's „Thesaurus linguae Romanae et
Britannicae 1-573" enthalte Notizen von iMilton's Hand, sowie seinen
Namen (Athenaeum 1875, 23. Okt., p. 540). Der Herausgeber
von Milton's Commonplacebook (p. VIII) scheint indessen die Hand-
schrift nicht für die Milton's zu halten.
^) Accedence Commenc't [ Grammar, | Supply'd with sufficient 1 Ru-
204 Anmerkungen.
Seite
les , For the use of such (Younger or Eider i as are desirous,
\nth- \ out more trouble than nee'ds to attain the Latin Tongue |
The Eider sort especialk, with little Teaching. and their i own
Industry. ; ßy John Milton. London, Printed for S. S. and are to
be sold by John Starkey at the Miter in Fleet- street, near Temple-
bar. 1669. 8 . 65 S., am Schluss ein Druckfehlerverzeichnis. Br.
M. 624. a. 34, W. VI. 431— 48S. Fast alle Biographen, offenbar
einer dem anderen blindlings folgend, setzen diese Schrift fälschlich
in das Jahr 1661.
132 ^) The : History Of Britain That part especially now call'd Eng-
land. ! From the first Traditional Beginning, continu'd to the Nor-
man Conquest ! CoUected out of the antientest and best Authours [
thereof by ] John ^lilton. London, | Printed by j J. M. for James
Allestry, at the Rose | and Crown in St. Paul's Church-Yard, |
MDCLXX. j 4'. 308. S., danach „An Index of all the Chief Per-
sons & material passages" etc. auf 27 Bl. und auf Bl. 28 „Errata".
Vor dem Titel Milton's Bild, rechts und links in der Ecke „Gul.
Faithorne ad Vivum Delin. et sculpsit", darunter „Joannis ^liltoni
Effigies Aetat. 62. 1670". Br. M. 598. e. 1. W. V. 1—302.
133 ^) Dies tritt z. B. her\or in „Englands proper and onely way to an
establishment in honour. freedonie , peace and happinesse or the
Norman yoke once more uncased . . by the author of Antinorma-
nisme . . . 1648" idie Von-ede unterzeichnet: Jo. Hare), Derselbe
Gedankengang findet sich in H. Vane's „healing question" (For-
ster 343).
136 ^) „Seeing that oftimes relations heretefore accounted fabulous have
been after found to contain in them many footsteps and reliques
of something true ... I have therefore determined to bestow the
telling over even of these reputed talec=; be it for nothing eise bat
in favour of our English poets and rhetoricians , who by their art
will know how to use them judiciously". (In der Einleitung.) "Wenn
Milton auch von Wuuderzeichen spricht, so folgt er nur seinen
Quellen und lässt vz. B. S. 293) keinen Zweifel daran aufkommen,
wie er über s. g. Vorzeichen in Gestalt von Kometen etc. denkt.
137 1) Ep. fam. 23. 111. Domino Henrico de Brass Idib. Quintil. 1657 (W.
VII. 401—403), s. 0. III. 185.
139 1 S. die betreffenden Stellen S. 190, 267, 1hl, 158, 66.
140 \ ^Ir. John Miltons Character Of the Long Parliament And As-
sembly of Divines. In MDCXLI. | Omitted in his other "Works, and
never before Printed, \ And very seasonable for these times. 1 Lon-
don: I Printed for Henry ßromeat, the Gun at the West- | end of
St. Pauls 1681. 11 S. 8 . B r. M. 8122. d. Im Vorwort heisst
es, die Stelle sei unterdrückt worden, „out of tenderness to a party,
whom neither this nor much more lenitv has had the luck to
Fünftes Kapitel. 205
Seite
oblige". Es ist auffallend, dass diese VeröfFentlichung E. Phillips
und Toland entgangen zu sein scheint. Nach Toland wären auch
noch einige andere Stellen in Milton's Buche unterdrückt worden,
„wherin he expos'd the superstition, pride and cunning of the po-
pish nionks in the Saxon times, apply'd by the sagacious licensers
to Charles the second bishops", woferne hier keine Verwechselung
vorliegt. S. über den Grafen von An'4lesey (1614 — 1680) Burnet
(Ed. 1833) I. 177 und Wood.
145 0 S. allgemeine ürtheile über Milton's englische Geschichte bei Wach -
1er: Geschichte der historischen Forschung und Kunst I. 847 — 849:
Lappen berg: Geschichte von England I. p. LXXII, LXXIII (vgl
daselbst p. LX), Pauli: Aufsätze zur englischen Geschichte 365.
Den harten Bemerkungen von Keightley 378 ist im Text ent-
gegengetreten.
146 ') Joannis Miltoni | Angli, \ Artis Logicac Plenior Institutio, ' Ad 1
Petri Kami [ Methodum concinnata, Adjecta est Praxis Annalytica
(sie) & Petri [ Rami vita. Libris duobus Londini, Impensis Spencer
Hickman, So- | ciotatis Regalis Typographi, ad | insigne Rosae in
Coemeterio 1 D. Pauli. 1672 12 . 223 S. Br.M. 1134. a. 5. W.
VII. 1 — 185. Vor dem Titel Milton's Bild, darunter „W. Dolle
sculpsit" und „Joannis Miltoni Effigies aetat 63. 1671". Es ist
eine Kopie des Bildes von Faithorne; s. F. Marsh 1. c. No. 28.
Ich weiss nicht, wie Geffroy S. 241 dazu kommt, das Leben des
Ramus als eine^ besondere Schritt mit dem Datum 1674 anzuführen.
149 *) Ich habe zusammeugefasst, was sich mir aus Aubtey, Wood,
Toland, Hamilton, der Vorrede zur englischen Ueber-
setzung des Milton'schen Traktats (Prose- Works, Ed. St. John
1861. IV), Sotheby 155 — 166, dem Report of the R. Com-
missi o n 0 n H i s t. M s s. IV. P. 1 p. 227 und vor allem der
eigenen Einsicht in das Original Ms. im Reco rd-Office ergeben
hat. In den Korrekturen des Ms. glaube ich neben D. Skinner's
Hand zwei weitere Hände zu erkennen (z. B. S. 513 und 531 am
Rande). Mit T o d d 299 bin ich der Ansicht, dass die Hand, welche
das Stück von S. 197 an geschrieben hat, die gleiche ist, welche
im Cambridge Ms. in dem Sonett: „.Methought I saw" etc. auftritt,
ohne dass es mir möglich wäre, diese Hand zu identificiren ; vgl.
auch P. W. II. 305 — 307. — Für die Citate benutze ich nicht die
lateinisrhe Ausgabe: Joannis Miltoni Angli de doctrina christiana
libri duo posthumi ed. C. K. Sumner Cambridge 1825, sondern die
zugänglichere Uebersetzung in der Ed. St. John 1861, 68. Vol. IV. V.
155 ^) V. 57. Im verlorenen Paradies sind allerdings Stellen enthalten, in
welchen der Jargon der Astrologie angewendet wird, namentlich X.
658 ff., aber es wäre doch bedenklich, daraus Schlüsse auf die wirkliche
Meinung Milton's zu ziehn. Anderer Meinung ist Keightley 219.
206 Anmerkungen.
Seite
156 *) Worthington's Diary und Correspondence I. 360 ff. II. 1, 6 ff.
Boyle's Works IV. 347; vgl. im Register „Angels".
157 ^jHanbury III. 533 ff. Confessions of faith and other documents
illustrative of the history of the Baptist churches of England ed.
for the Hanserd-Knollvs-Society by E. B. Underhill 1854.
158 ') Kampschulte: Calvin I. 265.
2) Von anderen Stellen des P. 1. kommen besonders in Betracht:
III. 171 ff. V. 235 ff 524 ff. VIII. 635 ff IX. 350 ff 1171 ff-
X. 45.
159 ') S. die Zusammenstellung von Todd I. 313 und Sumner W. 1. c.
rV. p. XXX. Doch scheint mir die Stelle aus „The ready and easy
"way" nicht entscheidend zu sein.
'-) D e F 0 e : Political history of the devil (Works Ed. 1840, X. 68).
160 ')Todd I. 315 nach Saggio di critica sul paradiso perduto etc. Vita
di Milton, scritta da Alessandro Pepoli. Eine Zusammenstellung
der wichtigsten auf die Frage bezüglichen Stellen aus P. 1. von
Sumner 1. c. IV. p. XXIX.-, vgl. die Bemerkungen P.W. m. 197.
161 ^) Ueber einen bisher unbeachtet gebliebenen Brief Spinoza's, von dem
Oldenburg seinem Freunde Boyle eine Mittheilung macht, habe ich
in den „Nachrichten der K. Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Göttingen" 1872 S. 523 — 537 gehandelt. Vielleicht
sollte es daselbst statt „profecto" heissen „pro ficto".
162 '] Freilich zeigt die „Ungewissheit" Milton's, ob nicht doch eine „Zer-
störung der Substanz" anzunehmen sei, dass er früher Gesagtes
vergessen hatte.
163 1) rV. 188, 189, 270, 279; vgl. Paradise lost X. 790 ff.
164 ^) „De me, libris tantummodo sacris adhaeresco, haeresin aliam,
sectam aliam sequor nullam" (Widmung . Ueber die Doctrina chri-
stiana haben u. a. ausführlicher gehandelt: Sumner in der Ein-
leitung, Todd I. 293 — 364, Keightley 159 — 214, Mitford:
W. I. p. CXL — CLIV, Lelie vre und E. deGuerlein der Revue
chretienne 1863, 1869, Weingarten 80 — 82 (ich weiss nicht,
wieso dieser dazu kommt, das Autograph der D. c. in Cambridge
gefunden sein zu lassen), Liebert 276 — 284, dem ich hier, wie
schon früher in meinem Aufsatze : John Milton und der Calvinismus,
Jahrbücher für deutsche Theologie XYll, mehrfach wört-
lich gefolgt bin.
165 1) Works Ed. St. John IV. 430; vgl. Toland (Ed. 1761) p. 140.
Todd I. 268.
Sechstes Kapitel.
169 ^) Of True Religion. Haeresie, Schism, Toleratiou, ; And what best
means may be us'd against the growth of Popery The Author J.
Sechstes Kapitel. 207
Seite
M. ! London 1 Printed in the Year, 1673. 16 S. 4 . Br. M. E. 1958.
W. Y. 406 — 420.
174 *) S. die Aussage von Titus Gates, abgedruckt in Milton's Works ed.
St. John IV. p. XXVII.
175 *) Ich benutze diese Gelegenheit , um nachzuholen , dass Buch 2 Ka-
pitel 5 die Vorgänge in Maryland neben denen von Neu -England
noch eine Erwähnung verdient hätten.
176 ')üeber Parker s. Wood Ed Bliss IV. 225. Seine Schrift: „A
reproof to the rehearsal transpos'd in a discourse to its author,
London 1673", in den Stationers' Registers eingetragen unter dem
15 März 1673, befindet sich nach AYood IV. 2.30 in der Bodleiana
A. 41 Line. Das andere, an Angriifen auf Milton reiche Pamphlet
„The transproser rehears'd or the fifth act of Mr. Bayes's Play.
Oxford 1673", ist mir im Br. M. bekannt geworden. Dies Pam-
phlet stammt nach Wood 1. c. von „Rieh. Leigh sometime com-
moner of Queen's coUege" (s. über ihn Wood IV. .534). Marveli
hält Parker für den Autor auch dieser Schrift, wie sich aus seinen
Worten im zweiten Theile seines „Rehearsal transprosed" ergiebt-
Beide Theile dieses Werkes (1672 und 1673), dessen Titel sich aus
Buckingham's Rehearsal erklärt, sind neuerdings musterhaft heraus-
gegeben von A. B. Grosart in Marvell's Works III.; daselbst
498 — 500 die auf Milton bezügliche Stelle.
177 ') „He had, as I remember, prepared for the press an answer to some
little scribing quack in London [freilich war „the transposer re-
hears'd" in Oxford erschienen] , who had written a scurrilous libel
against him ; but whether by the diswasion of friends , as thinking
bim a fellew not worth bis notice, or for what other cause I know
not this answer was never publisht". E. Phillips.
^) A Brief ] History | Of 1 Moscovia | And i Of other less known Coun |
tries lying eastward of Russia as ; far as Cathay. | Gather'd from
the Writings of se- | veral Eye-witnesses. ßy John Milton. 1 Lon-
don, I Printed by M. Flesher, for Brabazon Ayl- | mer, at the Three
Pigeons against the i Royal Exchange. 1682. | 12'. 109 S., vorher
auf 3 Bl. „The Authors Preface" und „Advertisement". Br. M.
1049. c. 2. W. VIII. 469 — 519, hier fehlt indess das „Advertise-
ment". Es geht zu weit, wenn Wach 1er: Geschichte der histori-
schen Forschung und Kunst I. 847, das Werk „eine jugendliche
Compilation" nennt.
178 *) Hartlib's Interesse an ähnlichen Arbeiten ersieht man z. B. aus
Worthington's Correspondence I. 147. I. 139. Hier werden er-
wähnt: „The travels and voyages of Olearius and Mandeslo into
Musca%-ia, Persia and the dominions of the great Mogul, much aug-
mented and translated by Mons. Viqueford into French", Eine
208 Anmerkungen.
Seite
englische Uebersetzung von John Davies, die Milton leicht bekannt
werden mochte, erschien London 1662.
179 ^) A Declaxation, ] Or j Letters Patents of the Election ' of this pre-
sent i King of Poland 1 John the Third, I Elected on the 22'i of May
last past, I Anno Dom. 1674. | Containing the Reason of this Elec-
tion, the I great Vertues and Merits of the said Se- | rene Elect,
His eminent Services in War, e- | specially in his last great Victory
against the Turks and Tartars, whereof many Particulars are here
related, not published before. | Now faithfuUy translated from the
Latin Copy. (Darunter mit Tinte: „By John Milton".) London,
Printed for Brabazon Aylmer, at the three Pigeons in | Comhil,
1674. I 4". 12 S. Br. M. ^ . W. VIH. 458 — 468; über die
o
Frage der Aechtheit der'Milton'schen Uebersetzung s Todd I. 216,
217.
*) Poems, etc. Upon Several Occasions. j By , Mr. John Mlton : | Both
English and Latin, etc. ; Composed at several tiraes. With a small
Tractate of Education 1 To ]\Ir. Hartlib. j London, [ Printed forTho.
Dring at the White Lion | next Chancery Lane End, in | Fleet-
street. 1673. Br. M. 684. d. 34. 8". Nach S. 165 ein neuer Titel:
Joannis Miltoni '. Londinensis | Poemata. 1 Quorum pleraque intra
Annum ' aetatis Vigesimum Conscripsit. Nunc primum Edita. | Lon-
dini, Excudebat W. R. Anno 1673; danach 117 S. Ueber die Ab-
weichungen der ersten und der zweiten Ausgabe der Gedichte s.
P. W. II. 173.
180 ') Joannis Miltonii Angli, | Epistolarum Familiarium | Liber ünus : |
Quibus I Accesserunt, Ejusdem, jam olim in Col- | legio Adolescen-
tis, 1 Prolusiones ! Quaedam . Oratoriae, \ Londini, | Impensis Braba-
zoni Aylmeri sub Signo | Trium Columbarum Via vulgo | Cornhill
dicta, 1 An. Dom. 1674. 155 S. 12 . Der Eintrag in den Statio-
ners' Registers lautet: „1. July 1674 Mr. Brabazon Aylmer Entred
then for his Copy (under the hands of Mr. Roger L'estrange and
^Ir. Warden Mearne A Book or Copy intituled Joannis Miltonii
Angli Epistolarum familiarium Liber unus quibus accesserunt ejus-
dem jam olim in CoUegio Adolescentis Prolusiones quaedam orato-
riae." Ueber B. Aylmer s. P. W. I. 17. 18.
*) Ueber die Ergänzung der Staatsbriefe durch W. D. Hamilton nach
dem im Record-Office befindlichen Ms. s. o. Anm. 2 zu III. 28. Nicht
zu verwechseln mit den Staatsbriefen sind die „Original" letters and
papers of State addressed to Oliver Cromwell, concerning the aflfairs
of Great Britain . . found among the political coUections of John
Milton . . published by John Nickolls, London 1743. Diese Sammlung
von interessanten Aktenstücken soU sich nach den Bemerkungen
des Herausgebers p. IV. im Nachlass Th. Ellwood's befunden haben.
Sechstes Kapitel. 209
Seite
Innere Gründe dafür, dass sie einst in den Händen Milton's gewesen
seien, liegen nicht vor.
182 *) Edward Phillips: Theatrum poetarum, 1675. Br. M, 1088. d. 7;
vgl. Godwin 158 ff.
2) Paradise Lost. | A | Poem | In | Twelve Books. 1 The Author | John
Milton. I The Second Edition | Revised and Augmented by the 1 same
Author. I London, | Printed by S. Simmons next door to the | Gol-
den Lion in Aldersgate-street , 1674. 333 S. Br. M. 1076. f. 20.
12', Marvell's und Barrow's Verse in P. W. l. 127 — 129. In
einigen Exemplaren der zweiten Ausgabe findet sich Milton's Bild
mit der Unterschrift: „W. Dolle sculpsit: Johannis Miltoni effigies
. aetat. 63, 1671". Facsimile der Quittung vom 26. April 1669, deren
Unterschrift möglicher Weise von der Hand der Frau Milton's
stammt, bei Sotheby PI. XVIII.; vgl. P. W. I. 12.
183 ^)llichardson CXX. Hat man vielleicht die Verse in Marvell's
Gedicht On paradise lost: „Their Fancies like our Bushy-points
appear | The Poets tag them, we for fashion wear" mit Milton's
Worten: „he would give him leave to tagge his verses" (s. Aubrey)
in Verbindung zu bringen?
184 *) Aubrey, Richardson CXX. The dramatick works of Dryden
IV. (1735), daselbst das Gedicht von N. Lee: „To Mr. Dryden on
his poem of paradise", von Interesse wegen der Geringschätzung
des Milton'schen Epos; s. auch Dryden's Verse unter dem Bilde
Milton's in Tonson's Folio - Ausgabe des verlorenen Paradieses 1688
(Dryden: Poetical Works 1874 p. 652).
185 ^) Mehr wird man aus den Worten bei Richardson nicht entnehmen
dürfen, am wenigsten passt der Ausdruck „termagant" auf eine
Frau, die Aubrey nach eigener Bekanntschaft als „a gentle person,
a peacefuU and agreeable humoui'" schildert. Ich weiss nicht, wieso
Todd I, 287, Keightley 93 dazu kommen, auf Phillips Auto-
rität hin von der dritten Frau Milton's zu behaupten: „she perse-
cuted his children in his lifetime and cheated them at his death".
186 ^) Phillips. Richardson nach mündlichen Berichten.
187 ') Dass Milton nicht mehr als etwa 900 ^ hinterlassen hat, ist dar-
aus zu schliessen, dass die Wittwe, gezwungen, den Töchtern ein
Drittel herauszugeben , jeder 100 £ überliess ; s. Todd I. 290. P.
W. L 70. Phillips' Notiz: „He is said to have dyed 1500 £
in money . . besides household goods", wird damit hinfällig; vgl,
Marsh 13.
188 *) Toland, der einzelne Nachrichten, die sich sonst nicht vorfinden,
von Bekannten Milton's, welche er befragte, erhalten konnte.
189 ') Aubrey, Wood, Phillips, Toland. Die Akten des Pro-
cesses der drei Töchter gegen ihre Stiefmutter, zuerst herausgegeben
von Warton, sind abgedruckt bei Todd I. 203—290, Keightley
Stern, Milton u. s. Z. II. 4. 14
210 Anmerkungen. Sechstes Kapitel.
Seite
138 — 149; Tgl. Marsh. Der Eintrag in dem PfaiT- Register von
St. Giles , Cripplegate „L. John Melton, gentleman Consumption.
Chancell. 12. Nov. 1674" bei Todd I. 217 (.,Melton" später ver-
ändert in ,,]\Iilton"). üeber das Schicksal des Grabes ebenda 218 —
220. Im Jahre 1793 wurde eine Marmorbüste Milton's in der Kirche
aufgestellt, nachdem schon 1737 eine solche im Poeten'wankel der
Westminster- Abtei einen Platz gefunden hatte.
190 ')Heath: Chronicle of the civil wars; s. Godwin 178.
^)S. Aubrey. Toland i. f. bemerkt, er erwarte noch Miltoniana
„from James Tm-el, wbo has the manuscripts copies in his band,
and, I dare affirm, will not envy such a blessing to the nation'".
191 ^) S. die Zusammenstellung P. "SV. I. 69 — 74 und bei Keightley,
den Stammbaum in W. Band I.; über Christoph ^lilton daselbst I.
p. CLXXXIV. und Macaula y. H. of E. Register, über die Phil-
Ups s. Godwin.
Druckfehler und Berichtigan^en.
S. 54 Z. 8 V. u. lies erschöpft statt errschöpft.
S. 56 Z. 12 lies versucht gefühlt haben statt versucht h.
S. 189 Z. 20 fehlt hinter Volkes das Anmerkungszeichen ^).
S. 189 Z. 4 V. u. lies Er statt Es.
Personenregister.
Agar, Thomas, II. 24.
Aitzema, Leo von, III. 185.
Alphry, II. 26, 115.
Arnes, Wilhelm, IV. 153.
Andreini, Giovanni, Battista, IV.
59, 60.
Andrews, Lancelot, Bischof von
Winchester, I. 62. II. 97.
Anglese y, Arthur, Graf von, IV. 139.
« Applet ree, Matthew, IL 386.
Appletree, Thomas, IL 386.
Argyle, Graf von, IL 5, 84, 258,
371. IV. 7.
Arnold, Christoph, IIL 184.
Aubrey, John, L 336 ff. IIL 244.
IV. 23.
Au gier, Rene, IIL 256, 266.
Avitus, Alcimus, Ecdicius, IV. 58.
Aylmer, Brabazon, IV. 179.
Bacon, Franz, L 44, 117 — 119.
IV. 91.
Baillie, Robert, IL 38, 343.
Bainbrigge, Thomas, I. 54, 78.
IL 225.
Barbe rini, Francesco, Kardinal,
I. 282. III. 86.
Barebone, Preise -Gott, III. 133.
Baroni, Leonora, I. 284 — 86.
Barrimore, Richard, IL 395.
Barrow, Samuel, IV. 24, 182.
Bartas, Guillaume de Saluste,
seigneur du, I. 38. IV. 59.
Bastwick, John, L 244. II, 30.
Baxter, Richard, IV. 41.
Biddle, John, IIL 166.
Bigot, Emery, IIL 196.
B lackbor ough, IIL 336.
Blake, Robert, III. 18, 133, 175,
177. IV. 7.
Bolde, William, L 22
Bourdelot, IIL 85.
Bower, Thomas, L 22.
B 0 y 1 e , Robert, IL 395, 399, UI. 194.
IV. 22, 23. 161.
Brackley, Viscount, L 217, 240.
Bradshaw, John, L 345. IL 430.
IIL 94, 104, 105, 131, 152, 154,
203, 224, 255. IV. 7.
Bradshaw, Sarah, s. Milton.
Br am hall, Bischof von Derrv, IL
157. IIL 81, 88.
Brantswait, Michael, I. 264.
Brass, Henri de, III. 185.
Bridge, William, IL 220.
Bridgewater, Graf von, I. 216.
Bridge water, Alice, I. 217.
Browne, Robert, L 8. IL 206.
Bruno Giordano, IV. 161.
Buchanan, III. 70.
14*
212
Personenregister.
Buckingham, George Villiers, Her-
zog von, I. 76 — 79.
Buckingham, John Sheffield, Her-
zog von, IV. 36.
Bunyan, John, IV. 97 flf.
Buommattei, Benedetto , 1.269,
270, 274.
Burroughs, Jeremias, IL 220.
Burton, Henry, I. 244. II. 30, 220.
Butler, Samuel, IV 29, 30, 117.
Caedmon IV. 58, 59.
Calamy, Edmund, II. 50, 205, 241,
436. m. 249. IV. 41.
Carew, Thomas, I. 182—84.
Cartwright, I. 166, 193. II. 149.
Caryl H. 332, 383. EL 27.
Gas ton, Sarah, s. Milton.
Cats, Jakob, III. 20, 86.
Chapman I. 165.
Chappell, William, I. 56, 82.
m. 88.
Cherubini, Alexander, I. 283.
Chidley, Katharine, II. 222.
Chillingworth, WiUiam, I. 80.
n. 232.
Ghimentelli, Valerio, I. 269, 271.
m. 86.
Christine von Schweden, III. 83 ff.
106, 146.
Clarendon, Graf, s. Hyde.
Clarges, Thomas, IV. 10.
Clarke, Abraham, IV. 190.
Clarke, Caleb, IV. 191.
Clarke, Elisabeth, IV. 191.,
Cleveland, John, I. 70, 88, 113,
181. II. 56, 149. III. 158.
Clifford, Thomas, IV. 169.
Colbron, James, I. 17.
Colet, John, I. 30, 34.
Coltellini, Agostino, I. 269.
Comenius, Johann, Amos, H. 275—
283, 401. III. 192. 278. IV. 21.
Cook, John, II. 430. III. 57. IV. 5.
Cooper, Anton Ashley, HI. 133,
149, 160.
Cowley, Abraham, I. 181. IH. 158,
201. IV. 34, 59, 138.
Crantz. Georg, EI. 107.
Crashaw, Eichard, I. 185.
Crequi, Herzog von, IE. 178.
Crom well, Elisabeth, III. 200.
I Crom well, Frances, IE. 163.
Cromwell, Henry, EI. 146, 205.
Cromwell, Marj-, IE. 163.
Cromwell, Oliver, E. 28, 147, 159,
246-49, 254 ff., 356—58. IE. 10 ff
118 ff, 200. IV. 7.
! Cromwell, Richard, EI. 202, 205.
I Crown e, John, IV. 36.
Dante IV. 101 ff
Dati, Carlo, I. 268. II. 392, 403.
EI. 86. 109. 281.
Davenant, William, I. 167. II. 149,
378. IE. 158. IV. 10, 32, 36, 91.
Davis II. 336.
Dekker, Thomas, I. 165.
Derby, Alice, Gräfin von, I. 212—
214.
Desborough, IE. 136, 161, 200,
205, 223.
Diodati, Giovanni, I. 33, 294.
IE. 109.
Diodati, John, II. 18.
Diodati, Karl, I. 32, 41, 66 ff., 85,
240. E. 18.
Diodati, Philadelphia, II. 18.
Diodati, Theodor, I. 33. E. 25.
Doni, Giovanni Battista, I. 286.
Donne, John, I. 179.
Dorislaus, Isaac, 1.96. E. 430.
IE. 16.
Dorset, Graf von, IV. 32.
Drayton I. 171.
Drummond I. 171.
Dryden, John, IE. 301. IV. 23,
36 ff., 54, 117, 122, 181 — 183.
Personenregister.
213
Durie, John, II. 268 ff., 279 ff
m. 27, 99, 115, 171, 192, 195, 271.
278. 288. IV. 21.
Earle, Dr., m. 48.
Earle, Richard, I. 57.
Edwards II. 221, 238 ff., 343.
Egerton, Thomas, I. 217. III. 265.
EIlwoo d, Thomas, IV. 17 ff, 51 ff.
104.
Elze vir III. 85. IV. 149.
Essex, Graf von, II. 147, 205, 255.
Fair fax, Thomas, I. 177. II. 249,
257, 430. III. 13, 104, 153, 169,
227.
Faithorne, William, IV. 132.
Falkland, Lord, U. 29, 129, 134,
231.
Fauconberg, Lord, IIL 163, 177.
Featley II. 263, 362.
Fei ton, Nicholas, Bischof von Ely,
I. 62.
^ Film er, Robert, IIL 62.
Fish er, Elisabeth, IV. 186. '
Fleet wo od, Charles, IIL 23, 105,
146, 161, 200, 203.
Fleming, Oliver, IIL 26. 288.
Fletcher, Giles, L 172. IV. 59.
Fletcher, John, 1. 232 ff.
Fletcher, Phineas, I. 172. IV. 59.
Ford, John, L 165.
F oster, Elisabeth, IV. 191.
Fox, George, III. 200, 220.
Francini, I. 269, 271, 272.
Frescobaldi I. 268, 271.
Freshwater, Edward, I. 57.
Frost, Gualter sen., IIL 25, 30.
Frost, Gualter jun., III. 25.
Füller, Thomas, L 58.
Gaddi, Jacopo, L 269. IV. 181.
Galilei, Galileo, I. 275 ff.
Gardiner, Thomas, IL 395.
Gataker, Thomas, I. 19.
Gau den IL 4:35. IIL 45.
Geer de IL 281. IIL 193.
Gell, Robert, L 57.
Gill, Alexander, der Aeltere, I. 31,
34, 206, 239.
Gill, Alexander, der Jüngere, I. 32,
42, 45, 70, 80, 205, 239. IL 18.
Glam Organ, Graf von, U. 353 ff.
Godefroy, J., IIL 109.
Goodal, Edward, L 201.
Goodwin, John, II. 219, 236. IIL
47, 169, 271. IV. 9.
Goodwin, Thomas, IL 220, 283.
m. 27, 30, 271.
Gostlin L 63.
Griffith, Matthew, IIL 249.
Gronovius III. 84.
Grotius, Hugo, L 284. IL 190.
III. 68. IV. 60, 181.
Güntzer, Christoph, III. 265.
Haak, Theodor, IL 280. IIL 26.
194. 278. 288. IV. 22, 23.
Habington, William, L 187.
Hakewill, George, L 72.
Haies, John, IL 231.
Hall, Georg, IL 115.
Hall, Joseph, Bischof von Exeter,
H. 34, 72 ff., 94, 114 ff.
Hall, Robert, IL 115.
Hamilton, Marquis von, IL 4 ff.,
371, 420, 422. IIL 6.
Hammond IL 435. lU. 47.
Hampden, John, L 246. IL 28,
45, 92, 160.
Harrington, James, III. 243 ff.
Harris IH. 47.
Harrison, Thomas, IL 347. III.
15, 129, 137, 140, 198.
Hartlib, Samuel, IL 266 ff., 278 ff.,
399 ff. IIL 27, 28, 98, 164, 191 ff
278. 282. 288. 29b. IV. 20, 131.
214
Personenregister.
Haselrig, Arthur, H. 2S. lU. 154,
203, 227.
Haughton, Sarah, s. Milton.
Heimbach, Peter von. III. 184.
IV. 12.
Heimbach, Winand von, III. 184.
Heinsius, Daniel, HI. 84 flf.
Heinsius, Nikolaus, III. 84 ff., 114.
Henderson, Alexander , II. 5, 38,
193, 198.
Herbert, George. I. 58, 184.
Herr ick, Robert, I. 187.
Heth, Richard, II. 395.
Heywood, Thomas, I. 165.
Hill, Abraham, III. 269. IV. 23.
Hobbes, Thomas, III. 74, 79.
Hobson, Kapitän, II, 190.
Hobson, Thomas, I. 90.
Holland", Graf von, II. 421. HI. 6.
Holstenius, Lukas, I. 282. III.
86, 109.
Hotman, Franz, III. 69.
Howard, Robert, IV. 117.
Hutchinson, Mrs., 11.216. III. 55.
Hutton, John, I. 22.
Hyde, Edward, II. 29, 86, 129, 134.
m. 248. IV. 4, 138, 166.
Jansen, Cornelius, I. 28.
Jane III. 81.
Je an es III. 48.
Jefferys (Jeffray), Ellen, I. 19.346,
348.
Jeffray, Margarethe, I. 347.
Jeffray, Paul, I. 347.
Jessop, William, HI. 147. ,
Jones, Inigo, I. 25, 219.
Jones, Michael, HI. 10.
Jones, Richard , später Graf von
Ranelagh, U. 395. III. 195. IV. 23.
Jonson, Ben, I. 163. 205, 232.
Ir et on n. 350,407. III. 105. IV. 7.
Junius, Franz, IH. 85. IV 59,
134.
Karl I., I. 56. II. 132 ff., 366 ff.,
430.
Karl II., III. 10 ff IV. 26 ff.
Karl X., König von Schweden, III.
178.
Kieffer, Erhard, III. 264.
King, Edward, I. 71, 241.
King, John, I. 71.
King, Roger, I. 71.
Kinner II. 400.
Klopstock IV. 99 ff.
Labadie, Jean, III. 196.
Lambert, John, III. 15, 129, 136,
143, 154, 161, 203, 205, 222 ff.,
248. IV. 6.
Lane, John, I. 21.
Languet, Hubert, III. 69.
Land, William, Erzbischof von Can-
terbury, I. 133, 243. II. 259.
Lawes, Henry, I. 203, 216, 240.
II. 17, 341. IV. 20.
Lawes, William, I. 203. IL 341.
Lawrence, Henry, III. 105, 169.
Lawrence, Henry, Sohn des vori-
gen, IL 395. HI. 187.
Lee, Isaac, III. 29.
Leigh, Richard, IV 176.
Leighton, Alexander, 1. 150. II. 30.
Lenthall, WiUiam, IL 29, 131,
224, 227.
L e s 1 i e , Alexander, H. 7.
Leslie, David, IL 250. HL 13.
L' E Strange, Roger, m. 250. IV. 8.
Ley, James, H. 190.
Le'y, Margarethe, IL 190. 264.
Lilburne, John, IL 30, 220, 322.
m. 8, 30.
Lilly, William, IIL 48.
Lock hart, William. IH. 177.
Longus, Johannes, III. 114.
Lovelace, Richard, L 188. IL 149.
Lownes, Humphrey, I. 22.
Personenregister.
21;
Ludwig XIV,, III. 178. IV. 167.
Lunsford III. 95.
Malatesti, Antonio, I. 273.
Manchester, Graf von, IL 205,
253 ff.
Manso, Giambattista, I. 287 ff.
Marshall, Stephen, II. 50, 151,
198, 203, 205, 220, 241, 259, 864,
383, 436.
Marshall, William, II. 340.
Mars ton, John, I. 165.
Märten, Henry, II. 28.
Marvell, Andrew, III. 94, 111,
188 ff., 201, 244. IV. 10, 24, 28,
175 ff., 178, 182.
Masenius, Jakob, IV. 58.
Massinger, Philipp, I. 165.
May, Thomas, I. 166. III. 256.
Mazarin, Kardinal, III. 174.
Meade, Joseph, I. 54 ff, 90.
Meadows, Philipp, III. 147, 148,
188.
Mermillot, J. F., IIL 112.
Miller II. 26, 115.
Milton,
Agnes (des Dichters Urgross-
miitter), I. 15.
Alice, I. 15.
Anna (des Dichters Schwester,
verheiratete Phillips und Agar),
I. 18, 43, 61, 201.
Anna (des Dichters Tochter),
II. 387. IV. 15, 184, 190.
Anna (des Dichters Nichte), II.
161.
Christoph (des Dichters Bruder),
I. 18, 42, 92, 201, 259. II.
161, 389 ff III. 183. IV. 17,
186, 189.
Deborah (des Dichters Tochter),
III. 183. IV. 15, 16, 184, 188,
190.
Elisabeth, geb. Minshul (des
Dichters dritte Frau), IV. 13,
185.
Henry (des Dichters Urgross-
vater), I. 15.
Isabelle (des Dichters Gross-
tante), I. 15.
John (des Dichters Vater) , I.
16 ff, 159, 201. II. 101, 162,
338, 391.
John (des Dichters Sohn), III.
181, 183.
Katharine, geb. Woodcock (des
Dichters zweite Frau), III. 197.
Katharine (des Dichters Toch-
ter), III. 197. •
Mary, geb. Powell (des Dichters
erste Frau), II. 166 ff., 385 ff.
III. 183.
Mary (des Dichters Tochter^ II.
404. IV. 15, 184, 188, 190.
Rowland, I. 15.
Sarah (des Dichters Mutter), geb.
Bradshaw ? C'aston ? Haugh-
ton? Jefferys? I. 17 ff, 239,
845 ff
Sarah (des Dichters Nichte), II.
161.
Thomasine (des Dichters Schwä-
gerin, geb. Webber), I. 259.
Minshul, Elisabeth, s. Milton.
Monk, George. III. 15, 146, 226 ff.,
242 ff. IV. 10.
Montague, Edward, III. 105.
Montrose, Graf von, II. 15, 84,
196, 258, 348, 353, 355, 369.
Morris, William, IV. 10.
Moritz von der Pfalz III. 31.
Morus, Alexander, III. 97 ff., 196.
IV. 12.
Moseley, Humphrey, II. 838.
Moulton, Anna, s. Powell.
Munday, Anthony, I. 165.
Mylius, Hermann, III. 26.
216
Personenregister.
Naylor, Jakob, III. 166, 221.
Needham, Marchmont, III. 31 fif.,
98. IV. 24.
Newcomen, Matthew, 11. 51, 241.
IV. 41.
Newton, Isaac, IV. 91.
Kieuport, Wilhelm, m. 99.
Kye, Philipp, H. 220, 222, 283.
Oldenburg, Graf von, III. 80.
Oldenburg, Heinrich, EI. 111, 195.
IV. 23, 161.
Ormond, Graf, II. 201. IIL 10,
199.
Orrery, Graf von, IV. 36.
0 verton, Robert, m. 105, 153, 156,
223, 231.
Owen, John, III. 27, 169, 271.
Oxenbridge, John, IH. 280.
Packer E. 396.
Paget, Dr., IV. 13
Palm er, Herbert, II. 302, 326, 330.
Parker, Samuel, IV. 175, 176.
Pauw, Adrian, III. 20, 89.
Peele, George, I. 232.
Pell, John, II. 280. IE. 164, 171 ff.,
192, 244. IV. 22. 203.
Penn, WilHam, IV. 17, 52.
Pennington, Isaac, der Aeltere,
II. 28, 154, 430. IV. 17.
Pennington, Isaac, der Jüngere,
IV. 17, 51, 52.
Peters, Hugh, II. 415. IE. 27.
IV. 5.
Petty, William, II. 399.
Philaras, Leonard, IE. 89 ff.
Phillips, Edward, I. 43.
Phillips, Edward, Sohn des vo-
rigen, IL 24, 338, 395. EL 80, 188.
IV. 16, 17, 130, 180, 189.
Phillips, John, IL 24, 338, 395.
IE. 80, 188. IV. 16, 17, 190. 296.
Pictet, J., IE. 112.
Pitt, Moses, IV. 203.
Plato L 115 ff.
Pory, Robert, L 57.
Powell, Anna, IL 163 ff., 387. EL
181 ff
Powell, Jakob, E. 166.
Powell, Mary, s. Milton.
Powell, Richard, IL 163 ff., 384 ff.
Powell, Richard, IL 166.
Power, William, L 57,
Prynne, William, I. 192, 244. E.
30, 238, 326, 427, 435. EI. 215.
Puteanus, Erjcius, I. 229.
Pym, John, IL 21, 45, 129 ff., 148,
203. IV. 7.
Quarles, Francis, I. 185, 193. E.
149.
Eainolds E. 68.
Raleigh, Walter, L 44.
Ramus, Peter, L 115. IV. 146.
Randolph, Thomas, I. 58, 166.
Ranelagh, Katharina, E. 395. EI.
194. IV. 23.
Ranelagh, Richard, s. Jones.
Ridding, Richard, I. 63.
Rivers L 105.
Robinson, John, IL 206.
Rochester, Graf von, IV. 31.
Rons, John, IL 342.
Rowland, John, IE. 81.
R u p e r t von der Pfalz, Prinz, E. 249,
350. EJ. 17.
Ryley, William, IIL 281.
Salmasius, Claudius, EI. 51 ff.,
83 ff.
Salsillus, Johannes, I. 286.
Saltmarsh II. 243.
Sandelands, Andrew, IE. 196.
Sartoris IIL 109.
Saumaise s. Salmasius.
Scultetus IL 74.
Searle, George, IIL 247.
Sedley, Charles, IV. 32.
Personenregister.
217
Seiden, John, 11.28, 205. III. 215.
Selvaggi I. 287.
Shakespeare I. 209, 252. IV. 181.
Sheldon, Gilbert, Erzbischof von
Canterbury, IV. 56.
Shirley, James I. 160. IL 14!).
Sidney, Philipp, I. 54.
S i mm ons, Matthew, IV. 56.
S i m m 0 n s , Samuel, IV. 56.
Simpson, Sidrach, II. 220.
Skinner, Cyriack, II. 395 111.187,
.244. IV. 11, 24, 148.
Skinner, Daniel, IV. 148, 149.
Sobieski, Johann, IV. 178.
Sophia von der Pfalz III. 31.
Spanheini, Ezechiel, III. 113.
Spanheim, Friedrich, der Aeltex'e,
m. 113.
Span heim, Friedrich, der Jüngere,
III. 113.
Spens er, Edmund, 1.169 ff., 193, 254.
Spinoza IV. 161.
Springett, Guli, IV. 17.
Spurstow, William, I. 58. II. 51,
151, 160, 225, 436. IV. 41.
Sterry, Peter, III. 27, 30.
Stocke, Richard, I. 19.
Strafford s. Wentworth.
Suckling, John, I. 187. II. 149.
Sylvester, Josua, I. 38.
Taylor, Jeremy, II. 233.
Thevenin, Franz, III. 91.
Thomas on, George, II. 342, 497 ff.
Thomson, Katharine, II. 342.
Thurloe, John, III. 26, 94, 99,148,
193.
Tomkyns, Thomas, IV. 56.
Tovey, Nathanael. I. 57, 90.
Tronchin, Theodor, III. 112.
Ussher, Jakob, Erzbischof von Ar-
magh, II. 36, 68, 97.
Vane, Henry, 11.28, 197. 264. III.
16, 18, 21 ff., 25, 30, 127, 131, 132,
159, 186, 203, 205, 223, 231. IV. 6.
Vane, Karl, III 17, 30.
Venner, Thomas, IV. 41.
Vlac, Adrian, III. 95, 98 ff.
Vlitius, Janus, III. 86.
Vondel, Joost van den, IV. 61.
Vossius, Isaac, III. 84, 114.
Waller, Edmund, I 58, 188. III.
158, 301. IV. 23, 37.
Webster, John, I. 165.
Weckherlin, Rudolf, IIL 21, 26, 94.
288. 293.
Wentworth, Thomas, später Graf
von Straflbrd, I. 246 ff. II. 11, 32.
Whitelocke, Bulstrode, 1.201. II.
29. III. 87.
Williams, Bischof von Lincoln,
später Erzbischof von York, I. 245.
II. 36, 94, 95, 280.
Williams, Roger, II. 215 Ö'., 234 ff
III. 71, 185 ö'., 221. ly. 61.
Wither, George, I. 194—98. IL 309.
III. 191.
Wolleb, Johannes, IV. 153.
Woodcock, Katharine, s. Milton.
Wo od ward, Hezekiah, II. 283, 325.
Wotton, Henry, L 259-61. IL 17.
Wright, Dr., IV. 186.
Tat es, Jane, IL 25.
York, Herzog von, IV. 28, 168, 169.
Young, Patrick, IL 342. III. 27.
Young, Thomas, I. 27 30, 41, 45,
69. n. 17, 49, 205, 225.
Young, William, I. 27.
Zesen, Philipp von. III. 83.
Ziegler, Kaspar, III. 82.
Zollikofer, Johann, lU. 278.
14^
Pierer'sche Hofbucbdrackerei. Stephan Geibol & Co. in Altenburg.
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