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Full text of "Milton und seine Zeit"

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MILTON 

UND   SEINE   ZEIT. 


ZWEITER  THEIL. 

1649—1674. 


MILTON 


UND  SEINE  ZEIT. 


Von 

ALFRED  STERN, 

Professor  dei-  Geschichte  an  der  Universität  Bern. 


ZWEITER  THEIL. 

1649—1674. 

Drittes  Buch.    Unter  der  Republik  und  dem  Protektorat. 


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LEIPZIG. 

VERLAG  VON  DUXCKER  &  HÜÄIBLOT. 

1879. 


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MILTON 


UND  SEINE  ZEIT. 


Von 


ALFRED  STERN. 


Drittes  Buch. 
Unter  der  Republik  und  dem  Protektorat. 

1649-1660. 


Mit  einem  Portrait  des  ziveiundsechzigjälirigen  llilton. 


LEIPZIG. 
VERLAG  VON  DUNCKER  &  HUMBLOT. 

1879. 


Das  Recht  der  Uebersetzung  wie  alle  anderen  Rechte  vorbehalten  von  der 

Verlagsbuchhandlung. 


D  r  i  1 1  e  s    B  u  c  li. 

Unter  der  Republik  und  dem  Protektorat  1649  — 1660. 
Inhalts  -  Yerzeicliniss. 


Erstes  Kapitel. 

Eintritt  in  den  Staatsdienst S.  3  —  49. 

Gründung  der  Republik  4.  Der  Staatsrath  5.  Die  Eoyalisten  6.  Lil- 
burne  und  die  Levellers  7 — 9.  Irland  8.  Cromwell  in  Irland  11.  Schott- 
land 12.  Cromwell  in  Schottland  13.  Schlacht  bei  Dunbar  14.  Schlacht 
bei  Worcester  15.  Die  Republik  und  das  Ausland  16.  Prinz  Rupert 
und  Blake  17,  18.  Navigationsakte.  Krieg  mit  den  Niederlanden  19. 
Das  Sekretariat  für  die  ..fremden  Sprachen"  20.  Georg  Rudolf  Weck- 
herlin.  Anstellung  Milton's  21.  Henry  Vane  22,  23.  Verhältnis  zu 
den  Mitgliedern  des  Staatsraths  24.  Sonett  auf  Vane  2.5.  Frost, 
Thurloe,  Fleming,  Haak,  Sterry,  T.  Goodwin,  Owen,  Peters,  Caryl,  Young, 
Durie,  Hartlib  25  —  28.  Milton's  Gesehäftskreis.  Lateinische  Depeschen 
28,  29.  Uebersetzungen  u.  a.  m.  30.  Untersuchung  von  Papieren  und 
Druckschriften.  Pressverhältnisse  31.  Marchmont  Needham  31,  32. 
Milton  und  der  Mercurius  politicus  33.  Der  Rakow'sche  Katechismus 
33.  34.  Milton's  „Bemerkungen"  zum  Frieden  vonKilkenny 
34  —  37.  Eixd)v  ßaadiXT]  38,  3^.  Milton's  „Bilderstürme  r"  39— 44. 
Charakteristik  des  Königs  40.  Kritik  des  Königthums  41,  42.  Konsti- 
tutionelle Theorie  42,  43.  Omnipotenz  des  Parlaments  44.  Die  Frage 
nach  der  Aechtheit  des  Eixwv  ßaaiXixi]  45,  4G.  Gleichzeitige  Urtheile 
47  — -19. 

Zweites  Kapitel. 

Der  Kampf  mit  Salmasius S.  50  —  78. 

Salmasius  50,  51.  Seine  „Defensio  regia"  52  —  56.  Milton  mit  der  Er- 
widerung   beauftragt    57.      Seine    „erste   Vertheidigung    des    eng- 


VI  Inhalts  -  Verzeichniss. 

lischen  Volkes"  58  —  78.  Form,  Persönliche  Anzüglichkeiten  59. 
Polemik  gegen  philologische  Pedanterie  60.  Rücksicht  auf  Presbyterianer 
nnd  Niederländer  61.  Der  Gegensatz  der  Principien  62.  Menschlicher 
Ursprung  der  einzelnen  Staatsverfassungen  63.  Befürwortung  der  Re- 
publik 64.  Idee  der  Volkssouveränetät.  Der  Volksbegriff  65.  Hervor- 
hebung des  dritten  Standes  66.  Quellen  der  Milton'schen  Theorie.  Schrif- 
ten der  Jesuiten  6S,  69.  Hotman ,  Languet,  liuchanan  69,  TU.  Volks- 
souveränetät und  Independentismus  71  —  74.  Milton  und  Hobbes  74 — 76. 
Schlussbetrachtung  77,   78. 

Drittes  Kapitel. 
Folgen  des  Kampfes  mit  Salmasius S.  79  — 117. 

Gegenschriften  gegen  Milton's  Vertheidigung  des  englischen  Volkes.  „Pro 
Rege  et  Populo  Anglicauo  Apologia"  SO.  „Joannis  Philippi  Responsio" 
81.  „Carolas  I.  .  .  a  Securi  et  Calamo  >Hltonii  Vindicatus".  Gegen- 
schriften von  Ziegler,  Kieffer,  Güntzer  82.  Urtheile  über  Salmasius  und 
Milton.  Christine  von  Schweden  und  ihr  Hof  S3.  Verhältnis  des  Sal- 
masius zu  Vossius  und  Heinsius  84,  85.  Nachrichten  über  Milton  durch 
F.  Jnnius  etc.  86.  Christine  und  Whitelocke.  Salmasius'  Tod  87.  Seine 
nachgelassene  Schrift  gegen  Milton  88.  A.  Pauw,  Leonard'  Philaras  89. 
Milton's  Briefwechsel  mit  Philaras  9ü.  Milton's  Erblindung  91 — 93.  Ein- 
wirkung der  Erblindung  auf  seine  amtliche  Stellung  94.  Die  Schrift: 
„Regii  sanguinis  clamor''  95.  Peter  du  Moulin  der  Verfasser  96.  Alexan- 
der Morus  von  Milton  für  den  Verfasser  gehalten  97-  Milton's  „zweite 
Vertheidigung  des  englischen  Volkes"  98  — 106.  Der  Buch- 
händler Vlac  99,  lOo.  Angriffe  gegen  Morus  101,  gegen  Salmasius  und 
Vlac  102.  Miltons  Selbstportrait  103.  Charakteristik  der  politischen 
Grössen  England's  104.  Behauptung  des  früheren  Standpunktes  105,  106. 
Vlac's  Sachdruck  nebst  Morus' „Fides  publica"  107  — 110.  Milton's  Selbst- 
vertheidigung  111 — 114.     Schwächen  und  Stärken  Milton's  115 — 117 

Viertes  Kapitel. 
Milton  und  Cromwell S.   118  —  180. 

Oliver  Cromwell  118—120.  Milton's  Sonett  auf  Cromwell  121.  Kir- 
chenpolitische Angelegenheiten  122 — 124.  Auswärtige  Politik  125.  Miss- 
bräuche der  Verwaltung  126.  Reformbill  127.  Rumpparlament  und  Heer 
12^ — 130.  Zersprengung  des  Rumpparlaments  131.  Auflösung  des  re- 
publikanischen Staatsraths  132.  Das  kleine  Parlament  133.  Hoffnungen 
„der  Heiligen"  134.  Wahl  eines  neuen  Staatsraths  135.  Gesetze  über 
Schuldhaft,  Civilehe  u.  a.  m.  136.  Debatten  über  Zehnten,  Patronate, 
Kanzleihof  137.  Stellung  Cromwell's  138,  139.  Resignation  des  kleinen 
Parlaments  140.  Die  Protektoratsverfassung  141,  142.  Installation  Crom- 
well's als  Protektor  143.     Befestigung  der  neuen   Regierung,    Verordnun- 


Inhalts  -  Verzeichniss.  VII 

gen,  Union  mit  Schottland  144.  Friede  mit  den  Niederlanden,  Verträge 
mit  Schweden  und  Norwegen  145,  146.  —  Milton  im  Dienste  des  Pro- 
tektorats 147,  14S.  Seine  Beurtheilnng  Crom  well' s.  Mahnun- 
gen an  den  Prote  ktor.  149  — 152.  —  Cromwell's  innere  Politik  153. 
Parlament  von  1 654  154 — 156.  Komplotte,  Overton,  Royalisten  156.  Ein- 
führung der  Generalmajore  157,  158.  Gefangennahme  H.  Vane's  159. 
Parlament  von  1656  ff.  160.  Abschaffung  der  Generalmajore  161.  Ver- 
handlung über  Erneuerung  der  Königswürde  162,  Die  neue  Protektorats- 
verfassung 163.  Wiederherstellung  eines  Hauses  der  Lords.  Autlösimg 
des  Parlaments  164.  Die  Frage  der  Unterrichtsreform  165.  Das  kirchen- 
politische  Kompromiss  166.  Die  Toleranz  und  ihre  Grenzen  167.  Ge- 
gensatz^ Cromwell's  und  Milton's  168,  169.  Auswärtige  Politik  17(».  Ihr 
protestantischer  Charakter.  Verhältnis  zu  den  reformirten  Kantonen 
.  der  Schweiz  171.  Verfolgung  der  Waldenser  172,  173.  Eindruck  in 
England  173.  Milton's  Sonett  und  Depeschen  174,  175.  Krieg 
mit  Spanien  176.  Allianz  Cromwell's  und  Mazarin's.  Eroberung  Dün- 
kirchens   177.     Nordische  Politik.     Milton's  Depeschen  179,   180. 

Fünftes    Kapitel. 

Familie  und  Freunde S.   181  —  201. 

Geburt  eines  Sohnes  (John).  Streitigkeiten  mit  Mrs.  Powell  182.  Geburt 
einer  Tochter  (Deborah).  Tod  von  Milton's  Frau  und  Sohn.  Ueber- 
setzung  der  acht  ersten  Psalmen  18:{.  Fremde  Besuche  bei  Milton 
Christoph  Arnold.  Peter  von  Heimbach  184.  Briefwechsel  mit  Peter 
von  Heimbach,  Henri  de  Brass,  LeovouAitzema  185.  Roger 
Williams  in  England.  Sein -Verkehr  mit  Milton  186.  Sonette  an  (^y- 
riack  Skinner  und  Lawrence  187.  Milton's  Neffen  188.  Andrew 
Marvell  188  —  190.  Samuel  Hartlib  und  seine  Bestrebungen  191  —  194. 
Beziehungen  zu  Lady  Rauelagh,  Richard  Jones,  Heinrich  Oldenburg  194, 
195.  Briefwechsel  mit  ß.  Jones,  H.  Oldenburg,  E.  Bigot, 
J,  Labadie,  A.  Sandelands  196.  Verheiratung  mit  Katharine  Wood- 
cock.  Tod  Katharine's  und  ihrer  Tochter.  Milton's  Sonett  auf  die 
Verstorbene  197.  Veröffentlichung  von  Walter  Raleigh's  Traktat  „über 
die  Regierungskunst"  198.  —  Die  politischen  Varhältnisse.  Schwierige 
Stellung  des  Protektorats   199.     Tod  Oliver  Cromwell's  200. 

Sechstes  Kapitel. 
In  den  letzten  Zeiten  der  Republik  .  .  .  ,  S.  202  —  251, 
Protektorat  Richard  Cromwell's.  Zusammentritt  des  Parlaments  203.  Ab- 
schaffung des  Protektorats  204.  Wiederherstellung  des  langen  Parlaments 
205.  Milton's  Schrift  ,,über  das  Verhältnis  des  Staates  zu 
den  kirchlichen  Angelegenheiten"  206 — 211.  Praktischer  Zweck 
207.     Gegen   den   Autoritätsglauben    208.     Bibel    und  Interpretation  209. 


Vlil  Inhalts- Verzeichniss. 

Mangel  eines  legislatorischen  Programmes  210.  Gegen  Duldung  des  ka- 
tholischen Kultus  211.  Brief  John  Wall's  an  Milton  212.  Milton's 
Schrift  „Betrachtungen  über  die  geeignetsten  Mittel,  um 
Miethlinge  aus  der  Kirche  zu  entfernen'"  212  —  221.  Gegen 
staatliche  Prüfung  und  Besoldung  214.  Bekämpfung  der  Zehnten  215. 
Befürwortung  einer  Säkularisation  zu  Gunsten  der  Volksbildung  216.  Bür- 
gerlicher Charakter  von  Ehe  und  Begräbnis  217.  Auffassimg  des  geist- 
lichen Standes  21S.  Polemik  gegen  die  Schul theologie  219.  Einwirkung 
der  Quäker  220.  Einwirkung  von  Roger  Williams  221.  —  Konflikt 
zwischen  Heer  und  Parlament  222.  Besiegung  des  George  Booth.  Zer- 
sprengung  des  Parlaments  durch  Lambert  223.  Milton's  Brief  ,,über 
die  Wirren  des  Gemeinwesens"  224.  Günstige  Aussichten  für 
die  Restauration  225.  Monk  und  Lambert  226.  Rückkehr  des  Rump- 
parlanients  227.  Monk  in  England  22S.  Monk  und  die  City.  Rück- 
kehr des  langen  Parlaments  230.  Milton's  Schrift  „der  sichere 
und  leichte  Weg  zur  Begründung  eines  freien  Gemein- 
wesens" 232 — 241 .  Vorzug  der  Republik  vor  der  Monarchie  232.  Appell 
an  Gefühl  und  Berechnung  233 — 235.  Vorschläge  zu  Gunsten  der  Er- 
haltung der  Republik  236.  Der  , .grosse  Rath"  der  Nation  237.  Gegen 
allgemeines  Wahlrecht  238.  Für  ständige  Dauer  des  „grossen  Rathes" 
239.  Idee  einer  neuen  Decentralisation  24ü,  241.  Milton's  Brief 
an  Monk  242.  Harrington  und  die  Rota  243.  Das  fingirte  ,,Urtheil 
der  Rota''  über  Milton's  Schrift  244 — 246.  Die  ,,Vertheidigung  der  Würde 
des  Königthums"  von  G.  S.  gegen  Milton  247.  —  Die  Wahlen.  Das 
Konventionsparlament  248.  Deklaration  von  Breda.  Predigt  M.  Grif- 
fith's  „Die  Furcht  Gottes  und  des  Königs"  249.  Milton's  ,,  Anmer- 
kungen" zu  Griffith's  Predigt  250.  R.  l'Estange's  Gegenschrift 
„Keine  blinden  Führer"  250. 

Anmerkungen  und  AnhSng-e S.   252  —  303. 

Anmerkungen. 
Anhang  I. 
Ueber  eine  bisher  unbekannt  grebliebene  Kor- 
respondenz Milton's S.  287 — 297. 

Anhang  IL 
Aktenstücke  betreffend  Alexander  Morus    .     .     S.  297—308. 


Drittes  Buch. 

Unter  der  Republik  und  dem  Protektorat. 
1649-1660. 


Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  3. 


Erstes  Kapitel. 
-   Eintritt  in  den  Staatsdienst. 


„i)as  Recht,  seine  Regierung  zu  ändern,  liegt  nach 
Gottes  Yerwilligung  beim  Volke."  Mit  diesem  unerbittlichen 
Satze  hatte  Milton  den  letzten  Akt  jener  Revolution  in  Schutz 
genommen,  deren  erste  Anfänge  schon  Gegenstand  seiner 
Bewunderung  gewesen  waren.  In  der  That,  es  war  die  Idee 
der  Souveränetät  des  Volkes,  die  als  treibende  Kraft  hinter 
den  äusseren  Ereignissen  stand,  und  welcher  König  und 
Königthum  zum  Opfer  fielen,  Sie  war  nicht  auf  dem  Boden 
der  altparlamentarischen  Opposition  erw^achsen.  Sie  war  gross 
geworden  im  Lager  des  independentischen  Heeres.  Nur  durch 
dessen  gewaltthätigeS  Einschreiten  war  der  Widerstand  der 
Parlamentsmehrheit  gebrochen,  war  das  Verhängnis  des  Königs 
herbeigeführt  worden.  Der  klaffende  Widerspruch  zwischen 
Lehre  und  Wirklichkeit  blieb  bestehen,  dass  das  Volk,  dessen 
Souveränetät  man  proklamirte,  durch  die  drohende  Masse  der 
Soldaten  und  durch  ein  paar  dutzend  zurückgebliebene  Mit- 
glieder eines  verstümmelten  Unterhauses  dargestellt  wurde. 
Aber  dem  Zeitgenossen,  der  mit  dem  ganzen  Feuer  seines 
Naturells  Partei  ergriffen  hatte,  kam  dieser  Widerspruch 
nicht  sofort  zum  Bewusstsein.  Die  nächsten  Folgen  der  Hin- 
richtung Karl's  I.  erschienen  ihm  um  nichts  weniger  gerecht- 
fertigt, weil  die  Nation  sie  aus  den  Händen  der  kleinen  An- 
zahl von  ^lachthabern  entgegennehmen  musste. 

Die  Abschaffung  des  Hauses  der  Lords  durch  Votum 
der  Gemeinen  vom    6.  Februar  1649  war  das  Vorspiel   zur 


4  Gründung  der  Republik. 

förmlichen  Verwerfung  der  monarchischen  Staatsform  den  Tag 
darauf.  Das  „Amt  des  Königs  als  unnöthig,  lästig  und  gefähr- 
lich für  die  Freiheit,  die  Sicherheit  und  das  Wohl  des  Volkes" 
wurde  für  aufgehoben  erklärt.  Die  Ausrufung  eines  Königs  ohne 
Zustimmung  des  Parlaments  galt  als  Hochverrath.  Mit  den 
königlichen  Abzeichen  und  Bildern  verschwand  der  königliche 
Name  aus  den  Formeln  des  Rechts,  die  ihn  bis  dahin  an 
ihrer  Spitze  getragen  hatten.  Die  königlichen  Güter  und 
Schlösser  wurden  als  Eigenthum  der  Nation  betrachtet,  die 
herrliche  Sammlung  von  Kunstwerken,  die  Karl  I.  angelegt 
hatte,  zerstreute  sich  in  alle  Welt.  England  war  zur  Repu- 
blik geworden,  ohne  dass  die  grosse  Mehrheit  seiner  Bevöl- 
kerung aufgehört  hätte  monarchisch  gesinnt  zu  sein,  unter 
dem  unwiderstehlichen  Druck  der  independentischen  Krieger 
und  Staatsmänner,  denen  die  überaus  schwierige  Aufgabe  zu- 
fiel, das  neue  Gemeinwesen  zu  organisiren  und  aus  den  rings- 
um sich  aufthürmenden  Gefahren  zu  erretten.  Das  eine  wie 
das  andere  gelang  mit  einer  Schnelligkeit  und  Sicherheit, 
welche  die  zahlreichen  Gegner  der  Republik  nicht  erwartet 
hatten,  aber  freilich  auch  mit  einer  Anspannung  der  Kräfte  und 
einer  Anwendung  von  Strenge,  welche  der  so  genannten 
republikanischen  Herrschaft  wenig  Freunde  erwerben  konnten. 
Dem  Namen  nach  lag  die  höchste  Regierungsgewalt  bei  jener 
zusammengeschrumpften  Körperschaft,  die  der  Spott  ihrer 
Feinde  als  Runi^Darlament  kennzeichnete.  Allein  es  war 
klar,  dass  die  laufenden  Geschäfte  durch  eine  Versammlung 
dieses  Charakters  nicht  besorgt  werden  konnten.  In  einer 
Zeit,  in  welcher  die  ganze  alte  Maschinerie  der  Staatsver- 
waltung zertrümmert  und  durch  die  gefürchteten  „Committees" 
von  Anhängern  der  Revolution  ersetzt  worden  war,  entschloss 
man  sich  dazu,  auch  die  Summe  der  Exekutive  einem  höch- 
sten Committee  anzuvertrauen,  das  auf  je  ein  Jahr  durch  das 
Parlament  gewählt  wurde.  Es  war  der  „Staatsrath".  Seine 
Befugnisse  waren  freilich  gegenüber  denen  seines  Auftrag- 
gebers keineswegs  genau  abgegrenzt,  aber  da  seine  einund- 
vierzig Mitglieder  grossen  Theils  immer  auch  Mitglieder  des 
Rumpparlaments  waren,  so  hatten  die  häufigen  Verweisungen 


Der  Staatsrath.  5 

auf  paiiamentarische  Entscheidung  kaum  eine  ernstliche  Be- 
deutung. In  Wahrheit  ruhten  die  Zügel  der  Gewalt  anfangs 
so  gut  wie  ganz  in  den  Händen  der  Männer,  die  sich  bald 
mehr  bald  weniger  zahlreich  zu  den  Sitzungen  des  Staatsraths 
versammelten.  Sie  verfügten  über  die  Land-  und  Seemacht 
des  Reiches.  Sie  hatten  die  diplomatischen  Beziehungen  zum 
Ausland  zu  unterhalten.  Ihrer  Sorge  war  die  Bekämpfung 
monarchischer  Ansprüche,  die  Unterwerfung  widerstrebender 
Reichstheile,  die  Erhaltung  der  Ruhe,  der  Schutz  des  Handels 
und  der  Kolonien  anvertraut.  Neben  einem  nicht  scharf  be- 
stimmten Kredit  war  ihnen  die  diskretionäre  Gewalt  ertheilt, 
zur  Sicherung  des  gefährdeten  Gemeinwesens  von  einem 
Zeugniszwang  Gebrauch  zu  machen  oder  in  anderen  Fällen 
die  Festnahme  Widerspänstiger  zu  verfügen. 

Man  hat  nicht  Unrecht  gehabt  zu  sagen,  dass  diese  Ver- 
bindung von  Machtvollkommenheiten  verschiedenster  Art  kaum 
jemals  durch  die  Fülle  königlicher  Gewalt  erreicht  worden 
sei.  Auch  lehren  die  Protokolle  des  Staatsrathes ,  die  man  in 
unseren  Tagen  zu  veröffentlichen  begonnen  hat,  dass  die 
neue  Regierung  von  ihren  Befugnissen  einen  sehr  ausgiebigen 
Gebrauch  machte.  Harmlose  Vergnügungen  der  Bevölkerung 
in  Stadt  und  Land  wurden  gestört,  weil  sie  den  Anlass  zu 
staatsgefahrlichen  Verbindungen  oder  zu  offenem  Aufruhr  zu 
geben  drohten.  Schriftsteller  und  Buchhändler  hatten  selten 
schlimmere  Tage  gesehn,  als  diejenigen,  in  denen  einige 
Schwärmer  nach  dem  „ersten  Jahre  der  Freiheit  Englands" 
zu  rechnen  pflegten.  Willkürliche  Verhaftungen  erinnerten 
nur  allzu  lebhaft  an  die  düstersten  Zeiten  des  Königthums. 
Eine  scharfe  Beaufsichtigung  der  Post  mahnte  zur  Vorsicht 
beim  brieflichen  Gedankenaustausch.  Allein  wenn  die  urkund- 
lichen Zeugnisse  jener  Epoche  keinen  Zweifel  daran  auf- 
kommen lassen ,  wie  schwer  die  Herrschaft  der  neuen  Staats- 
lenker auf  dem  Lande  lastete,  so  stellen  sie  auch  das  Be- 
denkliche, ja  beinahe  Verzweifelte  ihrer  anfänglichen  Aufgabe 
in's  hellste  Licht.  Es  bedurfte  einer  Arbeitskraft,  einer  Un- 
erschrockenheit  und  eines  sittlichen  Ernstes,  wie  sie  nicht 
leicht  vereinigt  gefunden  werden,  um  das  schwankende  Fahr- 


Q  Der  Staatsrat^.  —  Die  Eoyalisten. 

zeug,  das  seine  Flagge  gewechselt  hatte,  durch  Stürme  und 
Klippen  hindurchzuführen.  Die  kühnen  Männer,  von  denen 
manche  die  einfachsten  Handgriffe  ihres  Werkes  noch  zu 
lernen  hatten,  konnten  stolz  darauf  sein,  dass  das  Ergebnis 
ihres  rastlosen  Schaffens  die  sorgsam  studirten  Künste  geschulter 
Praktiker  mitunter  beschämte.  Sie  wussten  das  Talent,  wo 
es  sich  fand ,  in  ihren  Dienst  zu  nehmen  und  an  seinen  rich- 
tigen Platz  zu  stellen.  Sie  Hessen  persönliche  Rücksichten 
der  Sache,  der  sie  dienten,  nicht  vorgehen.  Ein  einheitlicher, 
grossartiger  Zug  geht  durch  ihre  Geschäftsleitung.  Ihr  Erfolg 
war  die  Bändigung  der  widerstrebenden  Kräfte  im  Inneren 
und  die  Erhöhung  der  englischen  Macht  gegenüber  dem  Ausland. 
Zuerst  galt  es  den  Kampf  mit  jenen  bedrohlichen  inlän- 
dischen Elementen  aufzunehmen.  Es  konnte  kein  Zweifel 
darüber  sein,  dass  die  Hinrichtung  des  Königs,  die  Ab- 
schaffung der  Monarchie  von  der  Masse  der  Nation  nicht  ge- 
billigt wurde.  In  diesem  Punkte  waren  die  Anhänger  der 
bischöflichen  Kirche  und  die  Anhänger  des  Presbyterialsystems 
vollkommen  einig.  Es  gab  keine  Grafschaft,  in  welcher  der 
Royahsmus  nicht  zahlreiche  begeisterte  Anhänger  gehabt  hätte, 
die  den  Sohn  Karl's  I.  als  den  rechtmässigen  Erben  des 
Thrones  seiner  Väter  betrachteten.  Im  Westen  und  im  Nor- 
den des  Landes  waren  die  royalistischen  Sympathieen  so  stark, 
dass  es  häufig  unmöglich  wurde ,  die  Büssungsgelder  der 
..Delinquenten'"  einzutreiben.  An  verschiedenen  Stellen  wag- 
ten die  Anhänger  des  Königthnms  sich  mit  den  Waffen  in 
der  Hand  zu  erheben.  Die  republikanischen  Machthaber 
verstanden  sich  zu  ausserordentlichen  Gegenmassregeln.  Noch 
befanden  sich  einige  der  vornehmsten  Anhänger  des  Königs, 
die  im  zweiten  Bürgerkriege  für  ihn  aufgetreten  waren,  in 
ihrer  Hand.  Ein  neues  Ausnahmegericht  wurde  eingesetzt, 
um  ihnen  den  Process  zu  machen,  und  an  dem  Herzog  von 
Hamilton,  dem  Grafen  von  Holland,  Lord  Capel  wurde  der 
Spruch,  der  sie  zum  Tode  verdammte,  ohne  Gnade  vollzogen. 
Im  Lande  selbst  blieb  kein  Mittel  unversucht,  nicht  nur  um 
dem  Ausbruch  von  Empörungen  vorzubeugen,  sondern  auch 
um   der    freien  Meinungsäusserung,    sei   es   der  Presse  oder 


Die  Eoyalisten.  —  Lilbume  und  die  Levellers.  7 

der  Kanzel,  entgegenzutreten,  bis  die  Auflage  eines  allge- 
meinen Treueides  als  sicherster  Prüfstein  verlässlicher  Ge- 
sinnung erachtet  wurde.  Die  stärkste  Gefahr  lag  darin,  dass 
der  Widerstand  der  Royalisten  an  einer  Opposition  von  ganz 
anderer  Seite  her  Rückhalt  finden  konnte.  Die  grosse  politische 
Veränderung,  in  der  Form  wie  siejzu  Tage  getreten  war, 
beruhte  auf  einem  Verständnis  zwischen  den  independen- 
tischen  Ueberbleibseln  des  langen  Parlaments  und  den  weniger 
radikalen  Officieren  des  Heeres.  Sie  hatten  das  Princip  der 
Volkssouyeränetät  für  ihr  Verfahren  aufgerufen,  aber  sie 
hatten  nicht  gewagt,  von  diesem  Princip  eine  folgerichtige 
Anwendung  zu  machen.  Wäre  dies  geschehn,  so  hätte  das 
verstümmelte  Parlament,  das  ein  Hohn  auf  den  Begriff  einer 
Volksvertretung  war,  sofort  sich  selbst  das  Todesurtheil 
sprechen  müssen.  Eben  darum,  weil  es  vor  diesem  Sprung 
in's  Ungewisse  zurückbebte,  war  ihm  ein  denkwürdiges  Akten- 
stück wenig  genehm  gewesen,  das  ihm  Namens  des  Ober- 
befehlshabers und  des  Officierrathes  der  Armee  an  dem  Tage, 
da  der  König  zum  ersten  Male  vor  seinen  Richtern  stand, 
feierlich  überreicht  worden  war.  Wahrscheinlich  von  Ireton 
verfasst,  nahm  dies  Aktenstück  die  Ideen  der  „grossen 
Remonstranz  des  Heeres"  wieder  auf.  Es  forderte  den  baldigen 
Schluss  der  tagenden  Versammlung  und  enthielt  nichts  mehr 
und  nichts  weniger  als  die  Grundzüge  einer  Reformbill,  in 
der  die  weite  Ausdehnung  des  Wahlrechts  und  eine  neue  Ver- 
theilung  der  Wahlbezirke  zuerst  in  die  Augen  springen  musste(i). 
Die  Spitzen  der  bewaffneten  Macht  mochten  sich  vorläufig 
dabei  beruhigen,  dass  jene  Vorschläge  bei  Seite  gelegt  wurden. 
In  der  Masse  des  Heeres  konnte  die  Erinnerung  an  die  Ziele, 
denen  man  in  so  viel  Kämpfen  und  Entbehrungen  zugestrebt 
hatte,  nicht  so  rasch  verblassen.  In  diesen  Kreisen,  eben 
denen,  aus  welchen  einst  die  Agitatoren  hervorgegangen 
waren,  wollte  man  einen  Neubau  des  ganzen  Gemeinwesens 
von  unten  herauf,  eine  radikale  Umgestaltung  eben  so  wohl 
der  bürgerlichen  wie  der  kirchlichen  Zustände  auf  Grund  der 
leidenschaftlich  ergriffenen  Ideen  von  einer  glücklicheren  Zu- 
kunft.     Die    baldige  Einführung   einer   auf  breitester  Basis 


g  Lilburne  und  die  Levellers. 

ruhenden,  rasch  wechselnden  Volksvertretung  war  die  notli- 
wendige  Voraussetzung  aller  weiteren  Neuerungen.  Unter 
diesen  fand  die  Verbesserung  des  Rechtsverfahrens,  der  Weg- 
fall der  Schuldhaft,  die  Beschränkung  der  Todesstrafe  eben- 
sowohl eine  Stelle  wie  die  Aufhebung  der  Zehnten,  die  freie 
Wahl  der  Pfarrer  und  ihr  Unterhalt  durch  die  Gemeinden, 
die  Unabhängigkeit  der  politischen  Rechte,  soweit  nicht  die 
Katholiken  in  Betracht  kamen,  vom  religiösen  Bekenntnis. 
Wer  sich  diesen  Forderungen  widersetzte,  wurde  als  Ver- 
räther an  der  Sache  der  Freiheit  gebrandmarkt.  Die  Parla- 
mentsmitglieder, die  sich  an  ihre  Sitze  anklammerten,  galten 
als  Männer  ohne  Ehre,  denen  ihre  Stellung  nur  zur  Aus- 
beutung ihres  Privatvortheils  diene.  Die  Mitglieder  des 
Staatsrathes  wurden  als  Tyrannen  betrachtet,  deren  Joch 
nicht  weniger  hart  sei,  als  das  der  königlichen  Absolutie. 
Auch  dies  Mal  kamen  dieselben  Gründe  wie  früher  dazu,  die 
Unzufriedenheit  des  gemeinen  Soldaten  zu  steigern  und  ihn 
den  Verfechtern  jenes  radikalen  Programms  in  die  Arme  zu 
treiben.  Er  hatte  rückständigen  Sold  zu  fordern,  er  hielt 
den  Dienst  in  Irland,  zu  dem  er  ausgeloost  werden  sollte,  für 
ein  Mittel,  sich  seiner  auf  bequeme  Art  zu  entledigen.  In 
dem  einstigen  Lieutenant -Colonel  John  Lilburne  erhielt  die 
widersetzliehe  Masse  des  Heeres  ihr  sichtbares  Haupt.  Es 
war  derselbe  Lilburne,  der  als  ein  unermüdlicher  Mann  der 
Opposition  längst  bekannt  war,  mit  allen  Talenten  eines 
Demagogen  ausgerüstet,  im  höchsten  Grade  populär  schon 
seit  den  Tagen,  da  er  unter  der  Gewaltherrschaft  des  Königs 
ein  schwer  zu  vergessendes  Martyrium  auf  sich  genommen 
hatte.  Flugschriften,  wie  ,,England's  neue  Ketten",  deren 
zweiter  Theil  im  März  1649  erschien,  gaben  den  Gesinnungen 
Lilburne's  und  seiner  Anhänger  einen  unverhohlenen  Aus- 
druck. Der  Staatsrath  liess  ihn  nebst  dreien  seiner  Partei- 
gänger in  Haft  nehmen.  Allein  damit  war  die  Aufregung 
nicht  beschwichtigt.  Dringliche  Petitionen  forderten  ihre  Frei- 
lassung. Aus  dem  Kerker  heraus  verbreiteten  sie  ihr  Reform- 
programm, das  ein  ausserordentliches  Aufsehn  erregte  (^). 
Und  währenddess  hatte    die  Meuterei    in    den  Regimentern, 


Lilburne  und  die  Levellers,  9' 

zum  Trotz  der  energischen  Massregeln  des  Oberfeldlierrn^ 
immer  weitere  Foilschritte  gemacht.  Von  stürmischen  Ver- 
sammlungen und  Petitionen  kam  es  zu  offener  Rebellion.  In 
London  weigerte  sich  ein  Trupp ,  nach  Irland  zu  gehn.  In 
Oxfordshire,  Gloucestershire ,  Salisbury  verliessen  Hunderte 
ihre  Fahnen,  um  den  Aufrührern  zu  folgen.  Weitergehende 
Tendenzen  machten  sich  bei  den  Männern  bemerklich,  die  in 
Surrey  brachliegendes  Gemeindeland  zu  beackern  anfiengen, 
indem  sie  es  für  den  gemeinen  Nutzen  reklamirten,  und  ihr 
Verfahre^  mit  Berufung  auf  das  altsächsische  Recht  und  den 
ursprünglichen  Willen  Gottes  zu  rechtfertigen  suchten.  Grund- 
verschieden, wie  diese  Bestrebungen  einer  socialen  Umwälzung 
von  denen  Lilburne's  und  seiner  Genossen  auch  waren,  ge- 
wöhnte man  sich  doch  alsbald  daran,  beide  unter  einem 
Xamen  zusammenzufassen.  Als  Levellers,  als  Gleichmacher, 
wurden  diese  wie  jene  bezeichnet  und  angegriffen.  Ward 
die  levellistische  Bewegung  im  eigentlichen  Sinn  mit  leichter 
Mühe  unterdrückt,  so  kam  es  mit  den  meuterischen  Truppen 
hie  und  da  zu  förmlichen  Kämpfen.  Es  bedurfte  der  ganzen 
Kraft  und  Geschicklichkeit  von  Fairfax  und  Cromwell,  um 
eine  grössere  Ausdehnung  des  Aufruhrs  zu  verhindern,  die 
Rebellion  rasch  zu  ersticken  und  die  erschütterte  Disciplin 
wieder  herzustellen.  Einige  der  Rädelsführer  büssten  mit 
dem  Tode.  Noch  sass  Lilburne  gefangen  und  man  wagte 
nicht,  ihm  den  Process  zu  machen.  Als  man  sich  entschloss 
ihn  gegen  Bürgschaft  zu  entlassen,  glaubte  man  durch  ein 
neues  überaus  scharfes  Hochverrathsgesetz  gegen  seine  Angriffe 
geschützt  zu  sein.  Allein  die  Rolle  des  unversöhnlichen  Pam- 
phletisten  war  noch  nicht  ausgespielt  und  er  bereitete  in  der 
Folge  der  Regierung  ebensoviele  Verlegenheiten,  wie  sich 
selbst  vorübergehende  Triumphe. 

Erst  hienaeh ,  als  das  Dasein  der  neuen  Regierung  gegen 
ihre  gefährlichsten  Feinde  von  rechts  und  von  links  einiger- 
massen  sicher  gestellt  war,  konnte  sich  die  Aufmerksamkeit 
in  erster  Linie  jenem  Theile  des  Reiches  zuwenden,  der  seit 
Jahren  von  den  wildesten  Kämpfen  nationaler  und  religiöser 
Gegensätze  zerrissen,   sich   ganz   und  gar  von   der  Gesammt- 


10  Irland. 

masse  ablösen  zu  wollen  schien.  In  der  That  konnte  Irland, 
vom  Standpunkt  der  englischen  Gewalthaber  aus  betrachtet, 
fast  für  einen  verlorenen  Posten  gelten.  Der  Graf  von  Or- 
mond, welcher  lange  Zeit  mit  soviel  Ausdauer  das  angli- 
kanische und  königliche  Interesse  zugleich  verfochten  hatte, 
war  freilich  einige  Jahre  vorher  zu  dem  Entschluss  gedrängt 
worden,  die  Hauptstadt  des  Landes  lieber  den  parlamentari- 
schen Truppen  als  der  Heeresmacht  des  Nuntius  auszuliefern 
und  sich  selbst  von  einem  Kriegsschauplatz  zu  entfernen,  auf 
dem  er  keine  Stelle  mehr  fand.  Allein  im  Herbste  des  Jahres 
1648  war  er  mit  neuen  Vollmachten  des  Königs  zurück- 
gekehrt. Er  kam  zu  spät,  um  von  Irland  aus  der  pres- 
byterianischen  Erhebung  gegen  den  Independentismus  die 
Hand  zu  reichen,  aber  eben  recht,  um  den  klerikalen  Fana- 
tikern die  Zügel  zu  entwinden  und  durch  eine  Aussöhnung 
von  Katholiken  und  Protestanten  eine  starke  Macht  zu  Gunsten 
des  Royalismus  zu  bilden.  Der  Ausgang  des  zweiten  Bürger- 
krieges, der  Process  und  die  Hinrichtung  Karl's  I.  durch- 
kreuzten freilich  alle  Pläne,  die  man  von  dieser  Seite  für  seine 
Rettung  gefasst  hatte.  Aber  immerhin  wurde  durch  Ormond's 
Bemühungen  zu  Kilkenny  ein  Friedensvertrag  mit  den  Katho- 
liken zu  Stande  gebracht,  nach  dessen  Abschluss  alle  roya- 
listischen  Elemente  der  Insel,  einerlei  von  welchem  Bekennt- 
nis, sich  unter  seinem  Banner  zu  schaaren  drohten.  Wenig 
später  wurde  Karl  IL  von  Ormond  als  König  proklamirt. 
Auch  ergieng  an  Michael  Jones,  den  republikanischen  Gou- 
verneur von  Dublin,  die  Aufforderung,  sich  Ormond's  Autorität 
zu  unterwerfen,  „um  unter  Führung  Karl's  IL  der  protestan- 
tischen Religion  ihre  Reinheit,  dem  Parlament  seine  Unab- 
hängigkeit, guten  Gesetzen  ihre  Kraft  und  den  Mitbürgern 
ihre  gerechten  Freiheiten  wiederzugeben" ,  ein  Ansinnen, 
welches  Jones  freilich  mit  Entschiedenheit  zurückwies.  In- 
dessen wurde  es  immer  dringlicher,  mit  Entschiedenheit  auf 
der  grünen  Insel  einzuschreiten.  Bereits  hatte  Ormond  den 
Prätendenten  eingeladen,  sich  persönlich  an  die  Spitze  seiner 
dortigen  Getreuen  zu  stellen,  die  Häuptlinge  der  celtisch- 
katholischen  Masse  schlössen  sich  ihm  grössten  Theils  an,  die 


Cromwell  in  Irland,  H 

schottischen  Ansiedler  machten  gemeinsame  Sache  mit  ihm, 
bald  waren  die  Mauern  der  Hauptstadt  fast  der  einzige  Zu- 
fluchtsort der  republikanischen  Truppen. 

Die  Männer,  welche  in  England  zur  Herrschaft  berufen 
worden  waren,  schwankten  nicht  lange,  wem  sie  die  Leitung 
des  irischen  Feldzuges  anvertrauen  sollten.  Niemand  schien 
einer  solchen  Aufgabe  gleich  gewachsen  zu  sein  wie  Cromwell, 
und  er  übernahm  das  lastende  Amt,  durch  das  ihm  die 
höchste  militärische  und  bürgerliche  Gewalt  anvertraut  wurde, 
unter  dej-  Voraussetzung,  dass  man  mit  den  Mitteln  an  Geld 
und  Menschen  nicht  sparen  werde.  Die  grossartigsten  An- 
strengungen wurden  gemacht,  um  seinen  Wünschen  zu  ent- 
sprechen. Nachdem  alle  Vorbereitungen  mit  musterhafter 
Genauigkeit  getroffen  waren,  verliess  er  London  am  10.  Juli 
1649  mit  ungewöhnlichem  Pompe  und  landete  einige  Wochen 
später  an  der  irischen  Küste.  Und  nun  erfolgte  Schlag  auf 
Schlag  in  jenem  erbarmungslosen  Kriege,  der  als  der  erste 
vollgemessene  Racheakt  des  Puritanismus  und  des  Sachsen- 
thums  nach  der  Rebellion  des  Jahres  1641  gelten  konnte. 
Das  Gemetzel  von  Drogheda  und  Wexford  hat  sich  mit  blutigen 
Zügen  in  die  Jahrbücher  der  Geschichte  eingeschrieben,  und 
selbst  an  den  Buchten  von  Galway  und  Clewe,  die  sein  Fuss 
nie  betreten  hat,  dient  CromwelFs  Name  noch  heute  als 
Schreckmittel  für  den  celtischen  Schreihals.  Entstellt  durch 
Ausbrüche  fanatischer  Grausamkeit,  wie  seine  Siege  waren, 
sollten  sie  doch  nicht  dem  Zwecke  dienen,  einen  ganzen 
Volksstamm  der  Vernichtung  zu  weihen,  sondern  vielmehr 
seine  wilden  Triebe  zu  bändigen  und  seine  Widerstandskraft 
auf  lange  hinaus  zu  brechen.  —  Als  Cromwell  im  Frühjahr  1650 
die  Stätte  seiner  jüngsten  Thaten  verliess,  war  der  Krieg 
zwar  noch  nicht  beendigt,  aber  sein  Nachfolger  Treten  konnte 
die  begonnene  Arbeit  mit  Erfolg  fortsetzen,  bis  ihn  ein  früher 
Tod  von  einer  glänzenden  Laufbahn  abrief.  Nachdem  Tausende 
der  eingeborenen  Bevölkerung  durch  das  Schwert  zu  Grunde 
gegangen,  in  die  Sklaverei  verkauft  oder  als  brauchbare 
Kriegsleute  von  den  katholischen  Mächten  in  Sold  genommen 
worden  waren,  begann  in  Irland  jenes  Werk  der  Konfiskation 


12  Schottland. 

von  Grund  und  Boden  zu  Gunsten  der  Sieger,  das  freilich 
zu  einer  wohlthätigen  Anpflanzung  weiter  Landstrecken  führte, 
aber  den  Hass  der  Verjagten  und  Geknechteten  verewigen  musste. 
Cromwell  hatte  Irland  eben  zu  rechter  Zeit  verlassen, 
um  an  einer  anderen  Stelle  das  bedrohte  Gemeinwesen  zu 
schützen  und  sich  neue  Lorbeeren  zu  pflücken.  Seit  den. 
entscheidenden  Siegen  des  Independentismus  war  das  Band, 
w^elches  einst  das  englische  und  schottische  Volk  zum  ge- 
meinsamen Kampf  geeinigt  hatte,  zerrissen.  Der  zweite 
Bürgerkrieg  war  allerdings  gegen  den  Willen  der  strengen 
Covenanters  von  Schottland  aus  unterstützt  worden,  aber  die 
Hinrichtung  des  Königs  verletzte  einen  Argyle  nicht  weniger 
tief  wie  einen  Ormond.  Aus  politischen  und  religiösen  Grün- 
den fühlte  sich  der  schottische  Presbyterianismus  von  den 
independentischen  Usurpatoren  getrennt.  Auch  jenseits  des 
Tweed  war  Karl  IL  als  rechtmässiger  König  ausgerufen  und 
eingeladen  worden,  sich  an  die  Spitze  seiner  Getreuen  zu 
stellen.  Indessen  war  ihm  die  Beihilfe  der  herrschenden 
Partei  nur  unter  der  Bedingung  zugesichert,  dass  er  die 
Rechte  des  schottischen  Parlaments  und  der  schottischen 
Kirche  anerkenne,  und  dass  er  das  presbyterianische  System 
für  alle  drei  Reiche  genehmige.  Er  zögerte  noch  durch  eine 
so  weitgehende  Nachgiebigkeit  sich  selbst  zu  erniedrigen  und 
zahlreiche  Freunde,  Katholiken  wie  Episkopalisten,  der  pres- 
byterianischen  Unduldsamkeit  aufzuopfern,  als  der  feurigste 
seiner  Anhänger  sich  vermass,  mit  einer  angeworbenen  Schaar 
von  Bewaftheten  in  Schottland  zu  erscheineii,  um  die  Häupter 
der  dortigen  Regierung  zu  stürzen  und  seinen  Fürsten  unab- 
hängig von  ihren  Forderungen  zu  machen.  Es  war  der  Mar- 
quis von  Montrose,  dessen  wechselnde  Siege  und  Niederlagen 
noch  in  aller  Gedächtnis  lebten.  Montrose  hoffte  die  glänzende 
Rolle,  die  er  einst  gespielt  hatte,  wieder  aufnehmen  zu  können, 
aber  sehr  bald  nach  seiner  Landung  an  den  heimatlichen 
Gestaden,  im  Frühjahr  1650,  wurde  seine  kleine  Schaar  zer- 
sprengt und  er  selbst  gefangen.  Argyle  und  seine  Genossen 
kannten  gegenüber  dem  alten  Feinde  keine  Gnade.  Bis  zum 
letzten   Augenblick   ungebrochen,   litt  er  in  Edinburg  einen 


Cromwell  iu  Schottland.  13 

schmachvollen  Tod.  —  Das  Unternehmen  Montrose's  war  ge- 
scheitert, von  Irland  war  nichts  mehr  zu  hoffen,  Karl  II. 
gewann  es  daher  über  sich,  die  angebotene  Hand  der  Cove- 
nanters  anzunehmen.  Seine  Demüthigung  erschien  nunmehr 
noch  grösser,  als  sie  vor  dem  traurigen  Ende  seines  getreuesten 
Dieners  hätte  sein  können.  Im  Sommer  des  Jahres  1650  langte 
er  in  Schottland  an,  beschwor  Liga  und  Covenant  und  ver- 
stand sich  dazu,  die  Maske  eines  überzeugten  Presbyterianers 
anzulegen,  ja  sogar  das  Andenken  seines  Vaters  durch  eine 
ihm  vorgeschriebene  Erklärung  zu  beschimpfen.  Die  kriege- 
rischen Rüstungen  wurden  mit  Eifer  aufgenommen.  Niemand 
konnte  zweifelhaft  darüber  sein,  dass  sie  auf  eine  Bekämpfung 
der  independentischen  Republik,  auf  ihre  Ersetzung  durch 
ein  presbyterianisches  Königthum  abzielten. 

In  England  war  man  entschlossen,  dem  Angriff  der  Schotten 
zuvorzukommen.  Es  wurde  beabsichtigt,  Faiifax  die  Leitung 
des  Unternehmens  zu  übertragen  und  ihm  Cromwell  an  zwei- 
ter Stelle  beizugeben.  Fairfax  war  indessen  auf  keine  Weise 
zu  bewegen,  sich  zu  diesem  Zweck  gebrauchen  zu  lassen.  Er 
räumte  seinen  Platz  dem  alten  Kriegskameraden,  dessen  Ruhm 
den  seinigen  längst  überstrahlte.  Cromwell  wurde  zum  Be- 
fehlshaber aller  Truppen-  in  England  ernannt  und  setzte  sich 
an  der  Spitze  von  15,000  Mann  nach  Norden  in  Bewegung. 
Der  Vormarsch  gegen  Edinburg  fand  keine  Schwierigkeiten, 
aber  die  geschickten  Bewegungen  des  feindlichen  Anführers, 
David  Leslie,  und  die  Nothwendigkeit,  auf  Zufuhr  bedacht  zu 
sein,  zwangen  Cromwell,  an  die  Küste  nach  Dunbar  zurück- 
zuweichen. Hierhin  zogen  die  Schotten  ihm  nach  und  be- 
setzten die  umliegenden  Anhöhen.  Schon  drohte  die  Lage 
des  schwächeren,  durch  Kränkelten  decimirten  englischen 
Heeres  höchst  bedenklich  zu  werden,  als  Leslie,  zum  Theil 
auf  den  Antrieb  der  siegesgewissen,  fanatischen  Geistlichen 
in  seinem  Lager,  die  gewohnte  Vorsicht  aufgab  und  sich  zum 
Angriff  in  der  Ebene  anschickte.  Mit  Freuden  bemerkte 
Cromwell  diese  Bewegung  und  traf  seine  Bestimmungen  für 
den  folgenden  Tag.  Es  war  der  3.  September  1650,  dessen 
aufgehende  Sonne  das  schottische  Heer  überrascht  und  nach 


J4  Schlacht  bei  Dunbar. 

kurzer  Gegenwehr  zersprengt  sah.  An  dreitausend  blieben 
auf  dem  Platze,  gegen  zehntausend  wurden  gefangen,  das' 
ganze  Lager  fiel  in  die  Hände  der  Sieger.  In  diesen  war  der 
kriegerisch  -  religiöse  Enthusiasmus  zu  voller  Stärke  erwacht. 
Ihr  Führer  stimmte  während  der  Verfolgung  den  hundertund- 
siebenten Psalm  an.  „Es  ist  die  That  des  Herrn,"  schrieb 
er  an  den  Sprecher  des  Parlaments,  „er  hat  England  und 
seinem  Volke  eine  sichtbare  Gnade  erwiesen." 

Die  Folge  des  Sieges  war  die  Unterwerfung  eines  grossen 
Theiles  von  Schottland.  Aber  während  des  Winters  rüsteten 
sich  die  Schotten  zur  energischen  Fortsetzung  des  Krieges, 
indem  sie  sich  dazu  verstanden,  dem  jungen  König  einen 
grösseren  Einfluss  einzuräumen  als  bisher.  Während  ein  Theil 
der  Geistlichkeit  in  seinem  Dasein  den  Grund  des  schweren 
Missgeschicks  fand,  suchten  die  leitenden  Parteihäupter  durch 
Aufnahme  solcher  Royalisten,  die  vordem  als  staatsgefährlich 
gegolten  hatten,  ihre  Streitkraft  zu  stärken.  Die  feierliche 
Krönung  Karl's  H.  erhob  ihn  auch  äusserlich  aus  seiner  ge- 
drückten Lage.  Er  sah  sich  an  der  Spitze  eines  Heeres,  in 
dem  viele  der  getreuen  Kavaliere  standen.  In  England  waren* 
die  heimlichen  Emissäre  des  Royalismus  geschäftiger  als  je. 
Der  kühne  Plan  tauchte  auf,  ohne  w^ eitere  Rücksicht  auf 
Cromwell's  drohende  Stellung  zu  nehmen,  die  englische  Grenze 
zu  überschreiten  und  in  Eilmärschen  den  Weg  nach  Süden 
einzuschlagen.  Im  Sommer  1651  kam  der  Gedanke,  der  be- 
sonders den  Wünschen  des  jungen  Königs  entsprach,  zur  Aus- 
führung. Ungehindert  von  Cromwell  drang  Karl  IL  von  Carlisle 
aus  in  England  vor.  Er  durchzog  die  nordwestlichen  Grafschaften, 
ohne  grosse  Hindernisse  zu  finden,  aber  freilich  auch  ohne  die 
erhoffte  Begeisterung  unter  der  Bevölkerung  hervorzurufen.  Die 
Energie,  welche  die  republikanischen  Machthaber  gegenüber 
den  Empörungsversuchen  der  Royalisten  gezeigt  hatten,  war 
genügend  gewesen,  um  diese  einzuschüchtern.  So  verhasst 
die  Herrscher  des  Tages  auch  sein  mochten ,  das  englische 
Volk  wollte  sich  nicht  durch  fremde  Waffen  einen  Fürsten 
aufzwingen  lassen,  der  für  den  Presbyterianismus  zu  kämpfen 
gelobt  hatte.   Wo  die  Ruhe  ernstlich  gestört  wurde,  genügten 


Schlacht  bei  Worcester.  1 5 

die  verfügbaren  Truppen  und  die  Grafschaftsmilizen  unter 
vertrauenswürdiger  Führung  sie  wiederherzustellen.  Aber  es 
rief  doch  eine  gewaltige  Aufregung  in  London  hervor,  als 
man  hörte,  dass  der  Prätendent  immer  weiter  vorrücke,  dass 
er  in  Worcester  am  Severnfluss  erschienen  sei,  von  wo  ein 
glücklicher  Verstoss  in  südöstlicher  Richtung  ihn  vor  die 
Thore  der  Hauptstadt  führen  konnte.  Da  galt  es,  alle  Kräfte 
anzuspannen.  Nach  allen  Seiten  hin  ti'ugen  von  Whitehall 
aus  Kuriere  die  Befehle  des  Staatsraths,  und  bei  einem  Ver- 
gleich dfti"  eigenen  Rüstungen  mit  dem  abgematteten  Heer 
des  Stuart'schen  Prinzen  durfte  man  mit  grösserer  Ruhe  auf 
*  die  Augenblicke  der  ersten  Bestürzung  zurückblicken.  Schon 
katte  auch  Cromwell  seine  ^fassregeln  mit  gutem  Erfolg  ge- 
troffen. Während  die  Generale  Lambert  und  Han-ison  dera 
schottischen  Heer  auf  den  Fersen  gefolgt  waren,  hatte  er 
selbst  einen  wohlüberlegten  Flankenmarsch  über  York,  Not- 
tingham, Coventry  angetreten.  Auf  dem  ganzen  Wege  flössen 
ihm  grosse  Verstärkungen  zu.  Sobald  er  von  der  Stellung" 
des  Feindes  in  Worcester  Kunde  hatte,  schwenkte  er  mit  seiner 
überlegenen  Streitmacht  nach  Westen  ab,  verband  sich  mit 
den  dortigen  Truppen  der  Republik  und  schloss  die  Schotten 
von  beiden  Seiten  des  Severn  her  ein.  Am  3.  September, 
dem  Jahrestag  von  Dunbar,  erfolgte  der  Angriff,  dessen  ver- 
nichtende Wirkung  im  voraus  so  gut  wie  entschieden  war. 
So  tapfere  Gegenwehr  die  schottischen  Soldaten  auch  leisteten, 
so  sehr  ihr  fürstlicher  Anführer  selbst  sich  aussetzte,  vor  der 
Uebermacht  und  der  Wucht  des  feindlichen  Ansturmes  mussten 
sie  zurückweichen.  In  den  Strassen  von  Worcester  setzte  der  er- 
bitterte Kampf  sich  fort,  zuletzt  artete  er  in  eine  regellose  Flucht 
der  Schotten  aus,  bei  der  jeder  auf  seine  eigene  Sicherheit  be- 
dacht war.  Der  eine  Tag  hatte  der  ganzen  gewagten  Expe- 
dition ein  Ende  gesetzt.  Haufenweise  wurden  die  Flüchtigen 
aufgefangen.  Der  junge  König  entkam  nach  abenteuerlich- 
romantischen L-rfahrten  auf's  Festland.  In  Schottland  voll- 
endete der  Lieutenant -General  George  Monk  das  Werk  der 
Eroberung.  Ein  fester  Platz  nach  dem  anderen  fiel  in  seine 
Gewalt.  Auf  den  Orknev-  und  Shetland-Inseln  flatterte  das  Ban- 


16  Die  Republik  und  das  Ausland. 

iier  der  Republik.  Aber  ein  höherer  staatsmännischer  Gedanke 
beseelte  ihre  Führer.  Die  Idee  einer  Union  der  beiden  Reiche 
in  Form  einer  gemeinsamen  parlamentarischen  Vertretung 
brach  sich  Bahn.  Eine  Kommission,  in  der  Henry  Yane  eine 
der  ersten  Stellen  einnahm,  verhandelte  seit  dem  Anfang  des 
Jahres  1(352  über  diese  Frage  in  Schottland  selbst,  und  dem 
Parlament  in  Westminster  schien  der  Augenblick  günstig  ge- 
wählt zu  sein,  um  eine  Bill  in  Angriff  zu  nehmen,  nach  welcher 
Schottland  und  England  ein  einziges  republikanisches  Gemein- 
wesen bilden  sollten.  — 

Die  neue  Regierungsgewalt  hatte  sich  organisirt,  sie  hatte, 
die  feindlichen  Regungen  im  Lande  unterdrückt,  aus  zwei  ge- 
fährlichen Kriegen  war  sie  triumphirend  hervorgegangen.  Sie 
zwang  auch  den  Mächten  Europa's  wenn  nicht  Theilnahme  an 
ihrem  Gedeihen,  so  doch  Achtung  vor  ihrer  Stärke  ab.  Un- 
mittelbar nach  der  Hinrichtung  Karl's  I.  und  nach  der  Ab- 
schaffung des  Königthums  waren  die  independentischen  Usur- 
patoren von  den  Staatsgewalten  des  Festlandes  mit  Gefühlen 
betrachtet  worden ,  in  denen  sich  Abscheu  und  Misstrauen 
mit  einander  mischten.  Auch  setzte  sich  der  Eindiiick  des 
erschütternden  Ereignisses  in  die  Tiefe  fort,  und  in  protestan- 
tischen Ländern  sorgte  namentlich  die  Geistlichkeit  dafür, 
dem  Volke  die  englischen  Vorgänge  in  den  schwärzesten 
Farben  zu  malen.  Die  „Königsmörder"  begegneten  nirgends 
Sympathieen.  Die  Agenten  KarFs  H.  sahen  sich  fast  überall 
zuvorkommend  aufgenommen.  Er  selbst  hatte  im  Haag,  am 
Hofe  seines  Schwagers,  des  Statthalters  Wilhelm's  H.  von 
Uranien,  ein  Asyl  gefunden,  in  dem  sich  ein  Haufe  thatlustiger 
und  fanatischer  Kavaliere  um  ihn  sammelte.  Eben  liier  kam 
es  zu  einem  ersten  tragischen  Ereignis,  das  zu  einer  diplo- 
matischen Verwicklung  zu  führen  drohte.  Isaac  Dorislaus, 
ein  Holländer  von  Geburt,  aber  seit  langer  Zeit  in  England 
ansässig ,  wurde  vom  Parlament  als  ausserordentlicher "  Ge- 
sandter neben  dem  Residenten  Walter  Strickland  nach  dem 
Haag  geschickt.  Seine  Persönlichkeit  war  den  Kavalieren 
um  so  mehr  verhasst,  da  er  im  Prozess  des  Königs  als  einer 
der   Ankläger  aufgetreten    war.      Seine   Ankunft    war   kaum 


Prinz  Ruijert  und  Blake.  17 

bekannt  geworden,  als  einige  Maskirte  in  den  Gasthof  ein- 
drangen, wo  er  eben  beim  Mahle  sass,  über  ihn  herfielen  und 
ihn  auf  barbarische  Weise  ermordeten  (Mai  1649).  Es  waren 
allem  Anschein  nach  Schotten,  aus  der  Umgebung  Montrose's. 
Das  Verbrechen  rief  keine  geringe  Aufregung  in  England 
hervor.  Der  Staatsrath  beantragte  sofort,  für  die  Familie 
des  Ermordeten  zu  sorgen  und  die  Leiche  in  der  Abtei  von 
Westminster  beisetzen  zu  lassen.  Verhandlungen  erfolgten, 
die  über  die  Schuldlosigkeit  der  holländischen  Behörden  keinen 
Zweifel  ürbrig  Hessen,  aber  die  That  selbst  wurde  nicht  ge- 
sühnt, und  die  Mörder  bheben  unbelästigt.  Noch  war  kein 
Jahr  vergangen  als  Anton  Asham,  republikanischer  Agent  am 
Hofe  von  Madrid,  in  dieser  Stadt  mit  seinem  Dolmetscher 
ebenfalls  der  Wuth  royalistischer  Sendlinge  zum  Opfer  fiel 
(Juni  1650).  Die  Mörder  flüchteten  in  eine  Kirche.  Ver- 
geblich forderte  die  englische  Regierung  ihre  Bestrafung,  nur 
einer,  ein  Protestant,  wurde  dem  weltlichen  Gericht  aus- 
geliefert und  gehangen.  Darauf  hin  hielt  sich  auch  Karl  Vane, 
den  die  Republik  nach  Portugal  gesandt  hatte,  daselbst  nicht 
mehr  für  sicher.  Schon  früher  waren,  in  gleicher  "Weise  gegen 
Frankreich  gerichtet,  Beschwerden  über  die  Störung  des  eng- 
lischen Handels,  die  Wegnahme  englischer  Schifte  laut  geworden. 
Aber  ein  anderer  Grund  hatte  der  Republik  noch  entschiedener  die 
Pflicht  auferlegt,  ihre  Ehre  gegenüber  dem  Ausland  zu  wahren. 
Prinz  Rupert  von  der  Pfalz,  der  während  des  Bürger- 
krieges mit  einer  so  rücksichtslosen  Tapferkeit  für  seinen 
königlichen  Oheim  gefochten  hatte,  führte  seit  geraumer  Zeit 
mit  nicht  geringerer  Kühnheit  auf  einem  anderen  Gebiete  den 
Kampf  gegen  die  republikanischen  Machthaber  fort.  Ein  Theil 
der  englischen  Flotte  war  während  des  zweiten  Bürgerkrieges 
von  der  Sache  des  Parlaments  abgefallen.  Was  von  diesen 
Schift"en  nicht  unter  dessen  Botmässigkeit  zurückgebracht  wor- 
den war,  bildete  den  Kern  eines  Geschwaders,  mit  welchem 
der  wilde  Prinz  die  Meere  unsicher  machte.  Er  gefiel  sich 
in  der  Rolle  eines  Korsaren  und  bezahlte  seine  Matrosen  mit 
der  Ladung  gekaperter  Kauffahrer,  sie  mochten  angehören, 
welcher  Nation  sie  wollten.     Aber  seine   wichtigste  Aufgabe 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  3.  2 


28  Prinz  Rupert  vmcl  Blake. 

sah  er  darin,  den  englischen  Handelsschiffen  aufzulauern,  die 
Verbindung  Englands  und  Irlands  zu  erschweren  und  dem  neuen 
Gemeinwesen  auf  jede  mögliche  ^Yeise  Abbruch  zu  thun.  Hie- 
gegen  musste  nothwendig  etwas  geschehen.  Es  war  das  unver- 
gängliche Verdienst  Henry  Vane's  durch  seine  hervorragende 
Theilnahme  an  den  Arbeiten  des  Committee  der  Marine  für  die 
Herstellung  einer  starken  Flotte  zu  sorgen.  Seinen  rastlosen 
Bemühungen,  seinem  Talent,  Mittel  und  Menschen  auszuwählen 
und  richtig  zu  verwenden,  hatte  man  es  vorzüglich  zu  danken, 
wenn  England  sich  in  diesen  Jahren  zu  einer  kriegerischen 
Seemacht  ersten  Ranges  erhob  und  seit  langer  Zeit  wieder 
fähig  wurde,  in  die  grosse  europäische  Politik  einzugreifen. 
Auch  war  bereits  der  Mann  gefunden,  dessen  Hand  das  ge- 
waltige "Werkzeug  nationaler  Grösse  mit  Meisterschaft  zu 
führen  verstand  und  der  sich  in  diesem  Amt  mit  unsterb- 
lichem Ruhm  bedeckte.  Es  war  Robert  Blake,  ein  Mann 
von  jener  einfachen,  heroischen  Hoheit,  die  darauf  verzichten 
kann,  dur-ch  den  Schein  zu  blenden  und  die  sich  durch  keinen 
Schein  blenden  lässt,  Republikaner  und  Puritaner  von  Ueber- 
zeugimg,  durch  seine  Vertheidigung  von  Taunton  schon  all- 
gemein bekannt,  und  fähig,  aus  einem  der  tapfersten  Land- 
soldaten noch  als  Fünfzigjähriger  einer  der  ersten  Seehelden 
seines  Vaterlandes  zu  werden  (M-  Er  vertrieb  den  Prinzen 
Rupert  zunächst  von  der  irischen  Küste,  blokirte  ihn  alsdann 
im  Tajo,  wandte  sich  gegen  die  portugiesischen  Handelsschiffe, 
um  die  Preisgebung  der  beschützten  Freibeuter  zu  erzwingen, 
folgte  ihnen  an  die  Küsten  Spaniens  und  Frankreichs  und 
übte  auch  gegen  diese  Staaten  sehr  fühlbare  Repressalien. 
Nachdem  es  ihm  gelungen  war,  den  grössten  Theil  der  Kavalier- 
flotte zu  vernichten,  kehrte  er  in  die  heimischen  Gewässer 
zurück  und  zerstörte  die  gefährlichen  Raubnester,  die  sich 
unter  royalistischer  Flagge  zwischen  den  Klippen  der  Scilly- 
Inseln  und  auf  den  Felsen  von  Jei-sey  und  Guernsey  gebildet 
hatten.  Dem  englischen  Handel  war  seine  Sicherheit  zurück- 
gegeben. Der  englische  Name  wurde  gefürchtet,  wo  er  vorher 
nur  gehasst  worden  war.  Im  Verein  mit  den  Siegen  Crom- 
weirs  trugen  die  Thaten  Blake's  nicht  wenig  dazu  bei,  die 


Navigationsakte,    Krieg  mit  den  Niederlanden.  19 

Republik  aus  ihrer  politischen  Isolirang  zu  befreien.  Ein 
regelmässiger  oder  ausserordentlicher  diplomatischer  Verkehr 
mit  den  Grossmächten  Europa's  und  einer  Reihe  kleinerer 
Gemeinwesen,  auch  ohne  jedesmalige  förmliche  Anerkennung, 
leitete  sich  ein.  Schon  sah  sich  der  emporstrebende  Freistaat 
von  Spanien  und  Frankreich,  den  beiden  rivalisirenden  Ge- 
walten des  Erdtheils,  gleichzeitig  umworben. 

Es  gab  indessen  eine  Macht,  deren  Beziehungen  zu  England 
in  dem  Grade  gespannt  w  urden,  dass  ein  feindlicher  Zusammen- 
stoss  nicht  mehr  vermieden  werden  konnte:  die  vereinigten 
Niederlande.  Der  Tod  des  Prinzen  von  Oranien  schien  aller- 
dings einem  freundschaftlichen  Verständnis  beider  Republiken 
gute  Aussichten  zu  eröffnen.  Die  Partei  des  Statthalters, 
welche  die  Stuarts  begünstigt  hatte,  verlor  an  Einfiuss.  Die 
Provinz  Holland,  deren  Kaufleute  und  Patricier  immer  für 
Frieden  mit  England  gewesen  waren,  erhielt  das  Uebergewicht. 
Es  gab  eine  Zeit,  in  der  man  sich  schmeichelte,  nicht  nur 
eine  Allianz,  sondern  eine  Art  von  Union  der  beiden  reformirten 
Freistaaten  zu  "Wege  bringen  zu  können.  Aber  die  Verhand- 
lungen einer  englischen  Gesandtschaft  mit  den  Generalstaaten 
erwiesen  das  Phantastische  eines  solchen  Gedankens.  Der  natür- 
liche Gegensatz  zweier  Mächte,  die  auf  so  verschiedenen  Grund- 
lagen ruhten  und  mitNothwendigkeit  Nebenbuhler  werden  muss- 
ten,  trat  unverkennbar  hervor.  Beleidigungen  der  Gesandten 
durch  Anhänger  der  oranischen  und  stuartischen  Partei  verbitter- 
ten die  Stimmung  noch  m.ehr.  Die  Verhandlungen  wurden 
abgebrochen,  und  England's  Antwort  auf  die  kühle  Aufnahme 
seiner  Vorschläge  war  der  Erlass  der  Navigationsakte  (Okt. 
1651).  Diese  Akte  gab  lediglich  englischen  Schiffen  das  Recht 
der  Waareneinfuhr  aus  anderen  Welttheilen  und  gewährte 
fremden  Kauffahreni  nur  in  dem  Falle  Eiulass,  wenn  ihre 
Fracht  auf  die  Erzeugnisse  ihres  eigenen  Landes  beschränkt 
blieb.  Es  war  ein  brutaler  Schlag  gegen  die  Niederlande 
welche  der  Beherrschung  des  Zwischenhandels  ihre  grösste 
Blüthe  verdankten.  Streitfragen  anderer  Art,  wie  über  den 
Flaggengruss ,  das  üurchsuchungsrecht  und  die  Fischerei, 
trugen  dazu  bei,  die  Gemüther  auf  beiden  Seiten  zu  erhitzen. 

2* 


20  Das  Sekretariat  für  „die  fremden  Sprachen." 

Wohl  erschien  Ende  1651  eine  niederländische  Gesandtschaft, 
mit  Jakob  Cats,  gewesenem  Rathspensionilr  von  Holland  an 
ihrer  Spitze,  um  die  unterbrochenen  Yeihandlungen  wieder- 
aufzunehmen. Aber  schon  hatten  die  Feindseligkeiten  be- 
gonnen. Im  Mai  des  Jahres  1652  kam  es  in  der  Nähe  von 
Dover  zu  einem  ersten  Seegefecht  zwischen  den  Admirälen 
Blake  und  van  Tromp.  j\Ian  glaubte  den  Zusammenstoss 
noch  einem  Missverständnis  zuschreiben  zu  können. .  Ein 
neuer  Gesandter  wurde  im  Juni  vom  Haag  mit  Entschuldigungen 
nach  London  geschickt:  Adrian  Pauw,  Rathspensionär  von 
Holland,  der  nicht  zum  ersten  Mal  den  englischen  Boden  be- 
trat (^).  Aber  die  Leiter  der  englischen  Regierung  waren 
entschlossen  keinen  Schritt  breit  zurückzuweichen.  Im  Ver- 
trauen auf  die  Mittel,  die  ihnen  zu  Gebote  standen,  stürzten 
sie  sich  in  einen  Krieg  mit  der  grössten  Seemacht  der  Zeit, 
welcher  die  ganze  reformirte  Welt  mit  Sorgen  erfüllte.  Auf 
allen  ]\Ieeren  lauerten  die  englischen  und  niederländischen 
Schiffe  einander  auf,  der  Kanal  ertönte  von  der  Kanonade 
der  gewaltigen  Seeschlachten,  und  führten  sie  auch  zu  keiner 
endgiltigen  Entscheidung,  so  trat  doch  beim  Fortgang  des 
Krieges  die  Ueberlegenheit  der  jungen  englischen  Marine 
immer  deutlicher  zu  Tage. 


Mit  diesem  grossartigen  Gewebe  der  allgemeinen  Ge- 
schichte verschlingt  sich  in  den  Jahren,  welche  unmittelbar 
auf  die  Gründung  der  Republik  folgen,  der  Faden  von  Milton's 
Leben  (-).  Wenn  man  den  Worten  seines  Neifen  Glauben 
schenkt,  so  war  es  ein  bewusstes  Widerstreben  gegen  „den 
schmeichlerischen,  kriechenden  Jargon  des  süsshchen  Franzö- 
sisch", was  den  Staatsrath  dazu  bewog,  für  den  Briefwechsel 
mit  den  auswärtigen  ]\Llchten  die  lateinische  Sprache  zu 
adoptiren.  Es  schien  zwar  anfangs  mit  der  Anknüpfung  eines 
solchen  Briefwechsels  noch  gute  Wege  zu  haben.  Indess 
■wurde  am  13.  März  1649  doch  eine  Kommission  niedergesetzt, 
um  die  Beziehungen  zum  Ausland  zu  prüfen  und  Vorschläge 
über  die  Erneuerung  alter  Verbindungen  zu  machen.  Damit 
drängte  sich  nothwendig  der  Gedanke  auf.  einen  Sekretär  für 


Weckherlin.  —  Anstellung  Milton's.  —  H.  Vane.  21 

die  auswärtige  Korrespondenz  anzustellen.  Man  bedurfte  also 
einer  Persönlichkeit,  welche  die  lateinische  Sprache  vollständig 
beherrschte,  wenn  man  den  Posten  würdig  ausfüllen  wollte. 
Immerhin  war  es  unerlässlich,  dass  diesem  Beamten  auch  die 
wichtigsten  modernen  Idiome  wenigstens  verständlich  seien, 
wie  er  denn  den  ofticiellen  Titel  „eines  Sekretärs  für  die 
fremden  Sprachen"  führte.  Einen  ähnlichen  Posten  hatte 
unter  Karl  I.  ein  Deutscher  bekleidet,  Georg  Ptudolf  Weck- 
herlin, Dichter  wie  sein  grosser  Nachfolger,  wenn  er  sich  auch 
mit  einem  bescheideneren  Lorbeer  begnügen  muss.  In  jungen 
Jahren  nach  England  gelangt,  hatte  der  gelehrte  Schwabe 
sich  eine  gründliche  Kenntnis  der  englischen  Sprache  zu  eigen 
gemacht,  bis  die  Vermählung  der  Prinzessin  Elisabeth  mit 
dem  Kurfürsten  von  der  Pfalz  ihn  wieder  nach  Deutschland 
führte.  Auf  heimatlichem  Boden  kam  sein  poetisches  Talent 
zu  vollerer  Entfaltung,  freilich  oft  genug  nur  im  Dienste  fürst- 
licher Gönner,  dem  Volksmässigen  durch  Nachahmung  aus- 
ländischer Formen  entfremdet.  Vermuthlich  bald  nach  der 
Schlacht  am  weissen  Berge  nach  England  zurückgekehrt, 
hatte  der  gewandte  Deutsche  in  der  Kanzlei  für  die  Korre- 
spondenz mit  dem  Ausland  Verwendung  gefunden  und  gleich- 
zeitig die  Helden  der  protestantischen  Sache  in  steifen,  bom- 
bastischen Versen  gepriesen.  Während  des  Bürgerkrieges  stand 
er  auf  Seite  des  Parlaments.  Von  der  Zeit  an,  da  das  Committee 
der  beiden  Königreiche  begründet  war,  erscheint  er  als  Unter- 
sekretär für  die  „auswärtigen  Angelegenheiten"  und  diese  Stelle 
hatte  er  noch  in  den  letzten  Zeiten  des  Königthums  inne('). 
Es  bleibt  unklar,  warum  Weckherlin  beim  Beginn  der  Republik 
sein  Amt  nicht  fortführte.  Genug  dass  es  erledigt  wurde,  und 
dass  sich  die  Aufmerksamkeit  der  Machthaber  auf  Milton,  als 
geeigneten  Kandidaten  zur  Ersetzung  Weckherlin's,  hinwandte. 
Schon  am  13.  März  1649  wurde  dasselbe  Committee, 
welches  über  die  auswärtigen  Verhältnisse  des  Staates  be- 
richten sollte,  damit  beauftragt  Milton  den  erledigten 
Posten  anzubieten.  Von  allen  Mitgliedern  des  Staatsraths 
war  ihm  vielleicht  nur  der  eine  Henry  Vane  persönlich 
bekannt.    Man  erinnert  sich  jener  Lady  Margarethe  Ley,  die 


22  H.  Vaue. 

der  Dichter  durch  ein  Sonett  geehrt  hat.  In  ihrem  Hause 
konnte  er  am  ehesten  die  Bekanntschaft  Henry  Vane's  ge- 
macht hahen,  da  dieser  für  die  Familie  Ley  kein  Fremder 
war(^).  Auch  gab  es  unter  den  damaligen  hervorragenden 
Politikern  kaum  einen,  dem  sich  ]\Iilton  gleich  geistesverwandt 
fühlen  konnte  wie  Yane.  Noch  nicht  vierzig  Jahre  alt,  hatte 
er  während  der  Revolution  bereits  in  den  wichtigsten  An- 
gelegenheiten eine  hoch  bedeutende  Rolle  gespielt  und  ein 
seltenes  praktisches  Geschick  gezeigt.  Allein  niemals  hatte 
er  über  dem  ermüdenden  Getriebe  der  täglichen  Geschäfte 
die  hohen  Ziele  aus  dem  Auge  verloren,  denen  er  die  grosse 
Bewegung  anzunähern  hoffte.  Er  war  Idealist  wie  Milton, 
gleich  diesem  von  dem  Glauben  erfüllt,  dass  ein  glücklicheres 
Zeitalter  für  sein  Volk  anbrechen  werde.  Er  war  Doktrinär 
wie  Milton,  gleich  diesem  durch  die  Begeisterung  für  das  als 
wahr  Erkannte  über  die  Hindernisse  des .  wirklichen  Lebens 
mitunter  getäuscht.  Betrat  der  Dichter  Milton  mit  einem 
grossen  Theil  seiner  Werke  das  politische  Gebiet,  so  gab  der 
schwärmerische  Grundton  in  mündlichen  und  schriftlichen 
Aeusserungen  des  Politikers  Henry  Vane  von  einer  beinahe 
dichterischen  Phantasie  Kunde.  Vor  allem  waren  es  die 
Fragen  über  die  Grenzen  der  Gebiete  von  Kirche  und  Staat, 
in  deren  Beuitheilung  beide  Männer  sich  begegneten.  Dem 
gemeinsamen  Stamm  des  Independentismus  erwuchsen  in  ihnen 
zwei  seiner  edelsten  Blüthen.  An  den  letzten  erschütternden 
Ereignissen  hatte  Vane  allerdings  keinen  Antheil  genommen. 
Er  hatte  die  gewaltsame  Verstümmelung  des  Parlaments 
missbilligt  und  sich  auf  das  Land  zurückgezogen.  Der  Process 
des  Königs  hatte  sich  ohne  sein  Zuthun  abgespielt.  In  den 
Staatsrath  gewählt,  war  er  erst  nach  einiger  Zeit  dazu  be- 
wogen worden  seinen  Sitz  einzunehmen,  aber  wie  andere  Mit- 
glieder hatte  auch  er  sich  geweigert  einen  Eid  in  derjenigen 
Form  zu  leisten,  welche  einer  nachträglichen  Billigung  des 
Geschehenen  gleichgekommen  wäre.  ]\ran  mag  immerhin  an- 
nehmen, dass  Vane  es  war,  der  den  Dichter  in  seiner  be- 
scheidenen Wohnung  aufsuchte,  um  ihm  den  Antrag  des  Staats- 
raths   zu   übermitteln.     Die   Aufforderung   kam  ihm,   wie   er 


H.  Vane.  23 

selbst  andeutet,  überraschend,  aber  er  war  schnell  entschlossen 
ihr  zu  folgen  (^).  Schon  am  15.  März  empfieng  er  seine  Be- 
stallung und  die  Zusicherung  eines  Gehaltes  entsprechend  der 
Summe,  die  Weckherlin  empfangen  hatte,  nach  einer  späteren 
Quittung  zu  schliessen  etwa  290  ^£.  Es  dauerte  geraume 
Zeit,  bis  ihm  auch  eine  Amtswohnung  zugewiesen  wurde. 
Koch  behalf  sich  der  Staatsrath  selbst  mit  Derby-House,  dem 
Sitze  des  ehemaligen  „Commitee  der  beiden  Königreiche".  Erst 
Ende  Mai  siedelte  er  nach  Whitehall  über,  das  nur  allmäh- 
lich untl,  nicht  ohne  Widerstreben  von  seinen  bisherigen  In- 
sassen, meistens  militärischen  Eindringlingen,  geräumt  wurde. 
Milton  hatte  ein  nahgelegenes  Haus  in  Charing-Cross  bezogen  (-). 
Erst  am  19.  November  wurde  verfügt  in  Whitehall  für  ihn 
eine  Wohnung  in  Stand  zu  setzen.  Der  republikanische  Schrift- 
steller bezog  im  Königsschloss  Quartier.  Wenig  später  wurden 
ihm  einige  „Tapeten"  aus  dem  Hausrat  des  hingerichteten 
Monarchen  zu  eigenem  Gebrauch  überliefert. 

Sehr  lange  hat  indess  INIilton's  Aufenthalt  in  dem  Palaste 
nicht  gedauert.  Obwohl  es  für  unerlässlich  erklärt  wurde, 
dass  er  „in  der  Nähe  des  Staatsraths  wohne" ,  nahm  das 
„parlamentarische  Committee  für  Whitehall"  keine  Rücksicht 
darauf.  Schon  am  10.  April  1651  war  es  nöthig,  dass  der 
Staatsrath  sich  für  sein  Bleiben  verwendete.  Ein  kurzer  Auf- 
schub wurde  erreicht,  aber  einige  Wochen  später  ergieng  „der 
positive  Befehl  zu  seiner  schleunigen  Entfernung".  Yermuth- 
lieh  wurde  es  als  ein  Missbrauch  betrachtet,  dass  ihm  eine 
Vergünstigung  gewährt  war,  auf  die  auch  andere  Beamte 
hätten  Anspruch  machen  können.  Eine  Kommission,  in  der 
sich  kein  Geringerer  als  der  Generallieutenant  Fleetwood  be- 
fand, empfieng  den  Auftrag  namens  des  Staatsraths  zu  prote- 
stiren  (11.  Juni).  Aber  auch  dieser  Protest  blieb  auf  die 
Dauer  unwirksam.  Wenigstens  finden  wir  den  Dichter  seit 
dem  Ende  1651  „in  einem  hübschen  Gartenhause  in  Petty- 
Erance,  Westminster,"  installirt,  in  dem  er  acht  Jahre  lang, 
„bis  wenige  Wochen  vor  der  Restauration  Karls  II."  gelebt 
hat.  Das  Haus  war  neben  dem  des  Lord  Scudamore  gelegen, 
dessen  Name  ihm  die  Erinnerung  an  alte  Zeiten  erwecken 


24       H.  Vane.  —  Verliältnis  z.  d.  Mitgliedern  des  Staatsraths. 

musste,  (s.  o.  I.  264),  mit  der  Aussicht  auf  den  Park  von 
St.  James,  dem  Sitze  des  Staatsraths  immerhin  nahe  genug, 
um  es  ihm  möglich  zu  machen,  sich  in  kurzer  Zeit  dorthin 
zu  begeben  (*).  Nach  der  jedesmaligen  Neuwahl  des  Staats- 
raths und  seines  Protokollführers  durch  das  Parlament,  hatte 
auch  jene  Behörde  das  ihr  zugehörige  Beamtenpersonal  aufs 
neue  zu  bestätigen.  Viermal,  für  die  Jahre  1650 — 53  wurde 
]\Iilton  sein  Posten  und  sein  Gehalt  wieder  zugesichert,  da 
man  allen  Grund  hatte  mit  seinen  Diensten  zufrieden  zu  sein. 
Jedes  Mal  wurde  ohne  Zweifel  der  vorgeschriebene  Eid  der 
„Geheimhaltung  und  Treue'"  auch  von  ihm  wiederholt.  So 
sah  er  sich  denn  für  Jahre  aus  der  Stille  und  Unabhängigkeit 
seines  Gelehrtenlebens  herausgerissen  und  als  dienendes  Glied 
in  die  grosse  Yerwaltungsmaschine  eingefügt,  die  mit  ebenso 
erstaunlicher  Sicherheit  wie  mit  unnachsichtiger  Gewalt  im 
^Mittelpunkte  des  neuen  Gemeinwesens  arbeitete. 

In  keiner  Epoche  seines  Lebens  wurde  er  mit  so  vielen 
ausgezeichneten  und  merkwürdigen  Persönlichkeiten  in  die 
nächste  Berührung  gebracht  wie  in  dieser.  Die  Mitglieder 
des  Staatsrathes  nahmen  unter  diesen  selbstverständlich  die 
erste  Stelle  ein ,  und  da  ein  Theil  dieser  Behörde  bei  ihrer 
jedesmaligen  Erneuerung  in  den  Jahren  1651 — 53  auszuscheiden 
verpflichtet  wurde,  so  hatte  er  beständig  Gelegenheit  den 
Kreis  anziehender  Bekanntschaften  zu  erweitern.  Sein  Amt 
nöthigte  ihn  zwar  nicht  dazu,  den  Sitzungen  des  Staatsrathes 
regelmässig  beizuwohnen.  Aber  es  war  doch  nichts  natür- 
licher, als  dass  er  durch  seine  Geschäfte,  sei  es  um  Aufträge 
in  Empfang  zu  nehmen  oder  um  sich  solcher  zu  entledigen, 
mit  einzelnen  Mitgliedern  oder  mit  gewissen  Kommissionen 
der  regierenden  Körperschaft  häufig  zusammengefühlt  wurde. 
Die  berühmten  Soldaten,  die  grossen  Rechtsgelehrten,  die 
vorurtheilsfreien  Männer  von  Adel  und  die  muthigen  Bürger^ 
die  sich  zu  ein-  und  demselben  schwierigen  Werke  mit- 
einander verbunden  sahen,  müssen  ihm  im  Laufe  der  Jahre 
oft  genug  in  der  Vorhalle,  in  den  Gemächern,  in  den  Gärten 
oder  in  der  Kapelle  von  Whitehall  begegnet  sein.  Es  waren 
Namen  darunter,  wie  die  von  Fairfax  und  Ludlow,  von  Fleet- 


« 


Sonett  auf  Vane,  —  Frost.  25 

w'ood  und  Märten,  von  Whitelocke  und  St.  Jolin,  von  Philip 
und  Algernon  Sydney,  von  Arthur  Haselrig  und  Isaac  Penning- 
ton,  welche  jeder  Engländer  kannte  und  mit  lautem  Lobe 
oder  mit  heimlichen  Verwünschungen  aussprach.  Cromwell 
verweilte  allerdings,  von  der  kurzen  Pause  zwischen  dem 
irischen  und  dem  schottischen  Feldzug  abgesehn,  seit  dem 
Sommer  1649,  durch  wichtigere  Geschäfte  in  Anspruch  ge- 
nommen, fern  von  London  und  kehrte  erst  im  Herbst  1651 
dauernd  zurück.  Mit  Henry  Vane  dagegen  wird  Milton  schon 
früh  in  nahem  persönlichen  Verhältnis  gestanden  haben.  Im 
Sommer  1652  hat  er  ihm  ein  Sonett  gewidmet,  das  seiner 
Verehrung  für  den  republikanischen  Staatsmann  entsprungen 
ist  und  die  Verdienste  desselben  in  wenigen  treffenden  Worten 
hervorhebt.  Er  wird  mit  einem  der  grossen  Senatoren  Rom's 
verglichen.  Den  Frieden  weiss  er  eben  so  wohl  zu  befestigen, 
wie  er  sich  darauf  versteht  „die  beiden  Hauptnerven  des 
Krieges,  Eisen  und  Gold,  in  Bewegung  zu  setzen".  Was  aber 
dem  Gefeierten  den  höchsten  Ruhm  in  Milton's  Augen  zu 
verleihen  scheint:  „Er  hat  wie  wenige  gelernt,  der  bürger- 
lichen und  geistlichen  Gewalt  ihre  Grenzen  zu  ziehn".  .  . 
Auf  deine  starke  Hand  ist  Religion 
Gestützt  und  nennt  dich  ihren  ersten  Sohn  (^). 

Nicht  minder  hat  man  gute  Gründe  anzunehmen,  dass 
Bradshaw,  derselbe,  welcher  dem  Process  des  Königs  präsidirt 
hatte,  dem  Dichter  genau  bekannt  wurde.  Seine  anerkannte 
Rechtlichkeit  und  Tüchtigkeit  hatten  ihm  das  allgemeine  Ver- 
trauen erworben.  Er  war  drei  Jahre  lang  Vorsitzender  des  Staats- 
rathes,  und  auch  nachdem  man  das  Präsidium  jeden  Monat 
wechseln  Hess,  wurde  ihm  diese  Würde  noch  mehrfach  übertragen. 

Indessen  es  waren  nicht  allein  die  Mitglieder  des  Staats- 
rathes,  mit  deren  Wegen  sich  die  Wege  Milton's  fast  täglich  zu 
kreuzen  hatten.  Das  ganze  Personal  von  Unterbeamten,  über 
das  die  Centralbehörde  gebot,  Männer,  von  denen  einige  eine 
Zeit  lang  mit  ihm  unter  einem  Dach  wohnten ,  musste  ihm 
vertraut  werden.  Da  war  Gualter  Frost,  der  sehr  in  An- 
spruch genommene  „Sekretär  des  Staatsrathes" ,  dessen  Ge- 
schaftskreis  über  den  des  blossen  Protokollführers  oft  genug 
hinausgieng.       Ihm     zur    Seite     stand     um     sein     gleich- 


26  Thurloe.    Fleming.     Haak. 

namiger  Sohn.  Der  Nachfolger  des  Vaters  wurde  nach  dessen 
Tode  (April  1652)  jener  John  Thurloe,  den  Gewandtheit  und 
Arbeitskraft  später  dem  Protektor  unentbehrlich  machten.  Da 
war  ferner  der  erfahrene  „Ceremonienmeister"  Oliver  Fleming, 
dem  es  oblag  den  officiellen  Verkehr  mit  den  fremden  Ge- 
sandten zu  erhalten,  sie  feierlich  zu  empfangen,  zur  Audienz 
zu  geleiten  und  über  Bewahrung  des  angenommenen  Cere- 
moniell's  zu  wachen,  (i)  Auf  Fleming's  Rath  sah  sich  Milton 
mehrfach  angewiesen.  Sein  Amt  brachte  es  mit  sich,  dass 
er  nicht  selten  mit  den  fremden  Gesandten  mündlich  oder 
schriftlich  zu  verkehren  hatte,  und  das  Tagebuch  eines  dieser 
Gesandten ,  des  Oldenburgers  Hermann  Mylius  bringt  uns  zu 
lebendiger  Anschauung,  wie  dieser  Verkehr  sich  mitunter  ge- 
staltete (s.  Anhang I).  Der  deutsche  Dichter  Weckherlin,  dessen 
Posten  ?iIilton  eingenommen  hatte,  wurde  später  gleichfalls 
wieder  augestellt,  und  zwar  als  sein  Gehilfe,  so  dass  er  zu 
ihm  in  das  engste  Verhältnis  treten  musste.  Er  war  nicht 
der  einzige  Deutsche,  den  der  Staatsrath  der  Republik  in 
seinen  Diensten  verwandte.  Seit  langen  Jahren  lebte  in  Eng- 
land ein  Pf  älzer,  Theodor  Haak,  der  durch  seine  Studien  auf  % 
den  dortigen  wie  auf  fremden  Universitäten  gebildet  und  durch 
regen  Eifer  für  gemeinnützige  und  wissenschaftliche  Be- 
strebungen ausgezeichnet,  ähnlich  wie  Samuel  Hartlib  mit 
vielen  bedeutenden  Männern  in  Verbindung  stand.  Hartlib 
selbst,  der  Mathematiker  John  Pell,  Weckherlin  gehörten  zu 
seinen  Freunden.  Den  Comenius  hatte  er  bei  dessen  Er- 
scheinen in  London  zuvorkommend  aufgenommen.  Er  soll  in 
den  vierziger  Jahren  den  ersten  Anstoss  zu  jenen  Gelehrten- 
zusammenkünften gegeben  haben,  aus  denen  später  die  „Royal 
Society"  erwuchs.  Auch  als  theologischer  Schriftsteller  machte- 
er sich  bekannt.  Die  Vermuthung,  dass  er  Milton  nicht  fremd 
geblieben  ist,  wird  durch  die  Thatsache  bestärkt,  dass  er  die 
Hälfte  des  verlorenen  Paradieses  in's  Deutsche  übersetzt  hat. 
Aus  seinen  Sympathieen  für  die  Sache  des  Parlaments  hatte 
er  nie  ein  Hehl  gemacht.  Während  des  dreissigjährigen 
Krieges  war  er  es  gewesen,  der  von  England  aus  Geld- 
sendungen an  die  Protestanten  Deutschlands  vermittelt  hatte. 


Steny.  Goodwin.  Owen,  Peters.  Caiyl.  —  Young.  Durie.  Hartlib.   27 

Seine  Verbinclungen  mit  dem  Ausland  müssen  indess  noch 
anderen  Zwecken  gedient  haben.  Ohne  Zweifel  war  er  wie 
Hartlib  und  Durie  auf  eine  internationale  „Korrespondenz" 
der  Reformirten  bedacht(^).     So  ist  es  zu  erklären,  dass  er  am 

16.  Juli  1649  der  Berücksichtigung  des  Committee  von  Gold- 
smith  Hall   empfohlen   wurde,  und'  dass  der  Staatsrat!!    am 

17.  Aug.  1650  ihm  „wegen  seiner  vielen  guten  Dienste  in  der 
Führung  einer  überseeischen  Korrespondenz  und  um  die  Fort- 
setzung derselben  zu  ermöglichen"  50  '£.  auszahlen  Hess. 
Allein  der  .welterfahrene  und  sprachkundige  Pfälzer  leistete 
der  neuen  Regierung  noch  auf  andere  Weise  seine  Dienste. 
Man  findet,  dass  ein  und  dasselbe  Aktenstück,  eine  Deklaration 
des  Parlamentes  zur  Rechtfertigung  des  ]\farsches  gegen  Schott- 
land, von  Milton  in's  Lateinische,  von  Haak  in's  Holländische 
übersetzt  werden  sollte (-). 

Unter  dem  ständigen  Beamtenpersonal  des  Staatsrathes 
waren  ferner  die  Geistlichen  nicht  zu  übersehn.  Die  täglichen 
Sitzungen  sollten  mit  feierlichem  Gebet  beginnen,  und  in  der 
Kapelle  wurde  ein  regelmässiger  Gottesdienst  eingerichtet 
Peter  Sterry,  Thomas  Goodwin,  John  Owen,  Hugh  Peters  er- 
scheinen nebeneinander  oder  nacheinander  mit  diesem  Ge- 
schäft betraut,  lauter  ^länner,  die  in  der  Geschichte  der  eng- 
lischen Revolution  oder  der  englischen  Theologie  eine  Rolle 
gespielt  haben.  Eine  Zeitlang  fand  auch  jener  Joseph  Caryl 
Verwendung,  derselbe,  den  Milton  einst  in  seiner  vierten 
Schrift  über  die  Ehescheidung  so  unsanft  angefasst  hatte. 

Waren  ihm  die  meisten  dieser  Persönlichkeiten  bis  dahin 
nur  dem  Namen  nach  bekannt  gewesen,  so  wusste  er  sich  mit 
einigen  alten  Freunden  nicht  zwar  im  täglichen  Geschäfts- 
verkehr, aber  doch  im  Dienst  für  dieselbe  Behörde  verbunden. 
Patrick  Young  blieb  vorläufig  Hüter  der  schwer  gefährdeten 
Bibliothek  von  St.  James,  bis  ihn  John  Durie  in  seinem  Amte 
ablöste.  Dieser ,  von  Hartlib  gegen  ausgestreute  Verdäch- 
tigungen in  Schutz  genommen,  hoffte  von  dem  Umschwung 
der  Dinge  in  England  nicht  wenig  für  seine  Unionsbestrebungen. 
Aber  gleichzeitig  wandte  auch  er  sich  der  Frage  einer  Reform 
des  Erziehungswesens  zu.     Seine  Vorschläge   über  eine  Neu- 


28  Milton's  Geschäftskreis.  —  Lateiniselie  Depeschen. 

Ordnung  des  Jugendunterrichts  wie  der  Universitäten  gemahnen 
eben  so  wohl  an  die  Ideen  des  Comenius  wie  an  diejenigen 
Milton's.  Dass  er  mit  dem  letzten  oft  aufs  merkwürdigste 
übereinstimmt,  wird  um  so  erklärlicher,  wenn  man  bedenkt, 
dass  Hartlib  das  beste  Bindeglied  zwischen  beiden  Männern 
bilden  konnte  (^).  Samuel  Hartlib  selbst  wurde  in  derselben 
Weise  und  aus  gleichen  Gründen  wie  Theodor  Haak  vom 
Staatsrath  aufgemuntert,  seinen  Briefwechsel  mit  dem  Aus- 
lande  fortzuführen  und  erhielt  zudem  Aussicht  auf  eine 
Jahresrente  von  100  £. 

Es  war  ein  grosser  Kreis  sehr  verschiedenartiger,  aber 
doch  zu  einem  Werk  vereinter  Naturen,  in  den  Milton  ein- 
trat. Die  Obliegenheiten  seines  Amtes  gaben  ihm  Anlass, 
mit  ihnen  allen  in  vielfache  Berühning  zu  kommen  und  dann 
und  wann  an  ihren  Leistungen  unbefangene  Kritik  zu  üben  (s. 
z.  B.  Anhang  I).  Die  Protokolle  des  Staatsrathes  lassen  un- 
schwer erkennen,  worin  diese  Obliegenheiten  bestanden.  Man 
muss  sich  von  dem  Gedanken  frei  machen,  als  sei  j\Iilton's 
Amt  ein  scharf  umgrenztes  gewesen.  Allerdings  blieb  die 
Abfassung  der  lateinischen  Depeschen  seine  hauptsächhehe 
Aufgabe.  Der  regelmässige  Geschäftsgang  war  anscheinend 
der,  dass  er  seinen  selbstständig  verfassten  oder  nach  einer 
Vorlage  übersetzten  Entwurf  dem  Staatsrath  zur  Prüfung  vor- 
zulegen hatte,  wonach,  wenn  es  nöthig  war,  die  Bestätigung 
des  Parlamentes  eingeholt  wurde.  Ein  grosser  Theil  jener 
„Staatsbriefe",  die  in  Milton's  Werken  abgedruckt,  erst  kürz- 
lich eine  werthvolle  Ergänzung  aus  dem  englischen  Reichs- 
archiv erfahren  haben,  gehört  jener  Zeit  an,  da  er  als 
„Sekretär  der  fremden  Sprachen"  für  die  republikanische 
Regierung  die  Feder  führte.  Es  sind  ^Muster  würdiger  Sprache, 
kraftvoll  und  elegant  zugleich,  vom  Hauche  humanistischer 
Bildung  durchdrungen.  Ein  ganzes  Stück  englischer  Geschichte 
schliessen  sie  in  sich  ein.  Nur  selten  scheint  das  individuelle 
Gefühl  des  Schreibers  durchzubrechen.  Im  allgemeinen  weiss 
er  sich  auf  einer  Höhe  leidenschaftsloser  Ruhe  zu  halten,  die 
der  Eigenthümlichkeit  seiner  Aufgabe  entspricht  und  der  Art, 
wie  er  sie  löst,  einen  klassischen  Werth  verleiht f^). 


Lateinische  Depeschen.  29 

Das  erste  officielle  Schreiben  von  seiner  Hand ,  das  man 
kennt,  ist  ein  Brief  des  Parlamentes  an  die  Stadt  Hambur.ff, 
durch  welchen  Isaac  Lee,  der  Vorstand  der  englischen  Kauf- 
mannsgesellschaft daselbst,  zugleich  als  Vertreter  der  Republik 
akkreditirt  werden  sollte.  Das  Aktenstück,  von  Lee,  der  sich 
einem  solchen  Posten  nicht  gewachsen  fühlte,  unbenutzt  ge- 
lassen, trägt  das  Datum  des  2.  April  1649  (i).  Von  da  an 
fliesst  der  Strom  der  lateinischen  Korrespondenz,  deren  Führung 
Milton's  Geschick  anvertraut  wurde,  ununterbrochen.  Waren, 
wie  in  HaHiburg,  Reibungen  zwischen  dort  ansässigen  Eng- 
ländern und  Emissären  des  Prätendenten  vorgekommen,  so 
ermahnt  er  namens  des  Parlamentes  die  parteiischen  Behörden 
der  Stadt  „die  vertriebenen  Tarquinier  der  Freundschaft  des 
englischen  Volkes  nicht  vorziehen  zu  wollen."  Wurden  Agenten 
nach  Spanien  und  Portugal  geschickt,  so  hatte  er  für  sie  die 
Kredenzbriefe  abzufassen.  Und  als  der  eine  von  ihnen  der 
Wuth  der  Kavaliere  zum  Opfer  gefallen  war,  musste  Milton 
den  König  von  Spanien  an  seine  Pflicht  erinnern  „die  Urheber 
des  schmählichen  Meuchelmords''  zu  bestrafen.  Noch  näher 
mochte  ihn  die  Ermordung  des  Dorislaus  berührt  haben,  da 
er  diesen  vielleicht  von  Cambridge  her  kannte.  Doch  findet 
sich  nicht,  dass  seine  Feder  auch  bei  diesem  Anlass  in  Be- 
wegung gesetzt  worden  wäre.  Hingegen  der  Dank  für  diplo- 
matische Höflichkeiten  fremder  Mächte  war  von  ihm  in  ge- 
bührende lateinische  Form  zu  bringen.  Der  Grossherzog  von 
Toskana  und  der  Doge  von  Venedig,  Christine  von  Schweden 
und  der  König  von  Dänemark,  die  Hansastädte  und  die 
reformirten  Kantone  der  Schweiz  empfiengen  Schreiben  von 
musterhafter  Latinität,  die  ein  grosser  englischer  Dichter  auf- 
gesetzt hatte.  Desgleichen  wenn  es  galt  von  Portugal  die 
Ausweisung  der  royalistischen  „Piraten"  zu  fordern,  über  die 
Wegnahme  fremder  Schiffe  Aufklärung  zu  geben,  den  Schutz 
englischer  Unterthanen  im  Ausland  wahrzunehmen,  für  die 
verletzten  Rechte  englischer  Kaufleute  einzutreten,  so  war  es 
Milton,  durch  dessen  Mund  der  Staatsrath  sich  vernehmen 
liess. 

Aber  der  Kreis  seiner  Geschäfte  blieb  nicht  hierauf  be- 


30  Uebersetzungeu  u.  a.  m. 

schränkt.  Meister  des  Lateinischen,  wie  er  es  war,  wurde  er 
nicht  nur  dazu  verwandt,  officielle  Aktenstücke  in  dieser 
Sprache  anzufertigen,  sondern  auch  hie  und  da,  wo  es  nöthig 
war,  den  Uebersetzer  abzugeben.  Bei  den  Audienzen  der 
fremden  Diplomaten,  bei  schriftlichen  Verhandlungen  mit  den 
ausländischen  Agenten  diente  er  als  Dolmetscher.  Er  war 
gleich  geschickt  eine  englische  Salva-Guardia  für  das  Gebiet 
des  Grafen  von  Oldenburg  in's  Lateinische  zu  übersetzen  wie 
umgekehrt  ein  lateinisches  Werk,  welches  Henry  Vane  ihm 
überliefern  würde,  oder  ein  eingelaufenes  französisches  Akten- 
stück in's  Englische  (^).  Er  hatte  mit  Buchhändlern  und  Buch- 
druckern über  den  Druck  von  trfficiellen  Deklarationen  und 
officiösen  Schriften  zu  verhandeln.  Er  hatte  Auszüge  aus 
Verhörsprotokollen  zu  machen,  welche  die  Insurrektionen  von 
Kent  und  Essex  betrafen.  An  ihn  sollten  nach  einer  Ver- 
fügung vom  2.  Februar  1650  alle  dem  Staate  gehörigen  Ur- 
kunden ausgeliefert  werden,  die  sich  in  den  Händen  von 
Privaten  befanden.  Schon  früher  war  er  zum  „Inspektor"  des 
Archivs  in  Whitehall  ernannt  worden.  Man  hält  sich  für  be- 
rechtigt, ihm  einen  wesentlichen  Theil  des  Verdienstes  daran 
zuzuschreiben,  dass  die  unschätzbaren  Aktenstücke  aus  der 
Zeit  der  Republik  in  verhältnismässig  guter  Ordnung  auf 
uns  gekommen  sind  (2).  Eine  ähnliche  Aufgabe  fiel  ihm  zu, 
als  er  mit  den  Geistlichen  Thomas  Goodwin  und  Sterry,  dem 
Sekretär  Frost  u.  a.  nach  dem  Schluss  der  Westminster-Synode 
in  eine  Kommission  gewählt  wurde,  der  es  oblag  die  Papiere 
der  Synode  zu  untersuchen  und  zu  ordnen. 

Nicht  immer  indessen  trugen  seine  Pflichten  einen  so 
unverfänglichen  Charakter.  Umgeben  von  Tausenden  offener 
und  geheimer  Feinde,  sah  sich  die  neue  Regierung  zu  gewissen 
Massregeln  der  Abwehr  genöthigt,  bei  denen  auch  Milton  zu 
seinem  Theil  mitwirkte.  Es  ist  nicht  zu  entscheiden,  ob  diese 
Massregeln  sämmtlich  von  ihm  gebilligt  wurden.  Genug,  dass 
er  der  vorgesetzten  Behörde  seine  Dienste  nicht  entzog,  wenn 
diese  sie  forderte.  Als  Lilburne's  Flugschrift  „England's  neue 
Ketten"  erschienen  war,  hatte  Milton  dem  Staatsrath  seine 
Bemerkungen  darüber  vorzulegen.    Papiere  von  Gefangenen 


Untersuchung  v.  Papieren  u.  Druckschriften.  --  Pressverhältuisse.  31 

und  Verdächtigen,  deren  man  sich  bemächtigt  hatte,  waren 
von  ihm  zu  durchsuchen.  Mitunter  hatte  er  die  zarte  Auf- 
gabe, Privatbriefe  von  Akten,  denen  ein  öffentliches  Interesse 
anhaftete,  zu  trennen.  Es  ist  ein  aufgefangener  Brief  der 
pfälzischen  Prinzessin  Sophia  an  ihren  Bruder  iNIoritz  erhalten, 
der  sichtlich  unter  Milton's  Aufsicht  und  Mitwirkung  zur 
Kenntnisnahme  des  Staatsraths  in's  Englische  übersetzt  worden 
ist.  Die  Korrekturen  der  Uebersetzung  des  Briefes  selbst 
und  die  englische  Wiedergabe  der  Nachschrift  stammen  ohne 
Zweifel  von  der  Hand  des  Dichters.  Sie  legen  auch  dafür 
ein  hinreichendes  Zeugnis  ab,  dass  er  des  Deutschen  einiger- 
massen  mächtig  war(^). 

Aus  allen  diesen  Angaben  geht  hinlänglich  deutlich  her- 
vor, dass  Milton's  Amt  keineswegs  einer  Sinekur  glich.  Und 
doch  bleibt  von  den  laufenden  Geschäften,  die  er  zu  besorgen 
hatte,  noch  eines  zu  erwähnen,  das  man  am  wenigsten  denken 
sollte  in  Verbindung  mit  seinem  Namen  gebracht  zu  sehen. 
Wie  bemerkt,  hatte  sich  die  Presse  nach  Errichtung  der 
Republik  eine  Behandlung  gefallen  zu  lassen,  in  der  von  dem 
freien  Geiste  der  Areopagitica  nichts  zu  finden  war.  Ein 
Gesetz  vom  20.  Sept.  1649  brachte  die  einzelnen  Massregeln 
der  Beaufsichtigung  und  Unterdrückung  in  ein  System.  Es 
enthielt  u.  a.  neue  Bestimmungen  über  die  Handhabung  der 
Censur,  erklärte  die  früher  ertheilten  Licenzen  für  aufgehoben 
und  bestimmte  als  künftige  Censoren  neben  den  Sekretären 
des  Parlaments  und  der  Armee  solche  Personen,  „die  der 
Staatsrath  bevollmächtigen  werde"  (^).  Das  Gesetz  sollte  nur 
einen  provisorischen  Charakter  haben.  Allein  es  wurde  am 
7.  Jan.  1653  erneut,  und  allem  Anschein  nach  sind  auch 
später  noch  die  Normen,  die  hier  vorgezeichnet  waren,  be- 
folgt worden.  Besonders  auf  die  royalistischen  Zeitungs- 
schreiber und  Pamphletisten  war  es  abgesehen.  Unter  ihnen 
hatte  sich  vorzüglich  Marchmont  Needham  einen  gefürchteten 
Namen  gemacht.  Needham  gehörte  zu  den  Naturen,  die  mit 
einem  aussergewölmlichen  literarischen  Talent  den  jNIangel 
an  Charakter  verbinden,  dasselbe  ohne  langes  Bedenken  in 
den  Dienst  entgegengesetzter  Parteien   zu  stellen.    ]\Iit  drei- 


32  Pressverhältnisse.  —  Marchmont  Xeedham. 

iindzwanzig  Jahren  hatte  er  begonnen,  eine  Wochenzeitung  unter 
dem  Xamen  Mercurius  Britanniens  herauszugeben.  Beinahe 
vier  Jahi-e  lang,  von  1643—1647,  hatte  er  in  diesem  Blatt  die 
parlamentarische  Sache  verfochten,  bis  es  den  Kavalieren  ge- 
lang ihn  auf  ihre  Seite  zu  ziehen.  Sein  Mercurius  pragmaticus, 
mit  Witz  und  Leidenschaft  geschrieben,  wurde  fortan  eine 
ihrer  schneidigsten  Waffen.  Da  er  auch  nach  dem  Tode  des 
Königs  seine  Feder  nicht  ruhen  liess,  so  ergieng  der  Befehl 
ihn  zu  verhaften  und  seine  Papiere  mit  Beschlag  zu  belegen. 
Milton  erhielt  am  23.  Juni  1649  den  Auftrag  über  den  Inhalt 
der  eingezogenen  Schriften  dem  Staatsrath  Bericht  zu  er- 
statten. Yermuthlich  ist  darauf  hin  die  Unterdrückung  des 
Blattes  eifolgt.  Xeedham  war  indess  nicht  gesonnen  die 
Eolle  des  Märtyrers  zu  spielen.  Er  liess  sich  nicht  lange 
bitten  die  Farbe  wiederum  zu  wechseln  und  arbeitete  für 
gutes  Geld  mit  dem  Eifer  eines  überzeugten  Republikaners 
im  Interesse  der  zeitigen  Machthaber.  In  einer  umfangreichen 
Flugschrift  setzte  er  die  „Vortheile,  die  ein  Freistaat  vor  dem 
Königthum  voraus  hat,"  auseinander.  Er  erwiderte  einem 
Spanier,  der  die  Mörder  Asham's  in  Schutz  genommen  hatte 
und  wurde  angewiesen,  seine  Erwiderung  iu's  Lateinische  zu 
übersetzen.  Er  veranstaltete  eine  englische  Ausgabe  der  be- 
rühmten Schrift  von  Seiden  „Mare  clausuni",  die  sich  vor- 
trefflich gegen  die  Ansprüche  der  Niederländer  verwenden 
liess.  Für  diese  Mühe  wurden  ihm  200  '£.  zugesichert. 
Schon  vorher  im  j\Iai  1650  hatte  der  Staatsrath  ihm  eine 
Pension  von  100  '£.  jährlich  ausgesetzt  und  ihm  50  £.  als 
Lohn  „für  bereits  geleistete  Dienste"  auszahlen  lassen.  Durch 
nichts  indessen  verdiente  er  sich  mehr  den  Dank  seiner  neuen 
Gönner  und  den  Hass  seiner  alten  Freunde,  als  durch  die 
Leitung  eines  politischen  Wochenblattes,  für  die  seine  früheren 
Unternehmungen  der  Art  ihm  gleichsam  als  Vorschule  gedient 
hatten.  Die  Zeitung  erschien  unter  dem  Titel  Mercurius 
politicus,  und  die  erste  Nummer,  die  sich  erhalten  hat,  datirt 
vom  13.  Juni  1650 (i). 

Wenn  man  überhaupt  Censur  übte,  so  war  nichts  natür- 
licher, als  dass  man  einem  j\Iann  wie  Keedham  namentlich 


Miltoa  u.  der  Mercurius  politicus.  —  Der  Rakow'sche  Katechismus.  33 

anfangs  scharf  auf  die  Finger  sah.  Wer  sollte  indess  ver- 
muthen,  dass  der  Verfasser  der  Areopagitica  sich  zu  diesem 
Geschäft  verstanden  hätte?  Und  doch  lässt  es  sich  aus  den 
Registern  der  Stationers  nachweisen.  In  ihnen  findet  sich 
unter  dem  17.  März  1651  der  Eintrag  von  sechs  Nummern 
der  Zeitung  Needham's  „auf  Befehl  Mr.  Milton's".  Am 
27.  April  tritt  statt  dessen  die  übliche  Formel  auf:  „Unter 
der  Hand  Mr.  Milton's".  Dieser  Eintrag  kehrt  in  der  Folge 
bis  zum  29.  Januar  1652  regelmässig  wieder.  Von  da  an 
scheint  Milton  mit  der  Sache  nichts  mehr  zu  thun  gehabt  zu 
haben.  So  überraschend  die  Entdeckung  sein  wird,  dass  er 
wenigstens  eine  Zeit  lang  mit  dem  Amte  eines  Censors  be- 
traut erscheint,  so  wäre  es  doch  voreilig  daraus  einen  ehren- 
rührigen Schluss  zu  seinen  Ungunsten  ziehen  zu  wollen.  In 
diesem  Falle  handelte  es  sich  nicht  um  eine  Handhabung  der 
Censur  in  der  Weise,  welche  er  einige  Jahre  vorher  bekämpft 
hatte.  Die  Zeitung  Needham's  war  kein  Privatunternehmen, 
sondern  das  Organ  der  Regierung.  Sie  erschien,  wie  einer 
der  Einträge  in  den  Registern  der  Stationers  besagt,  nicht 
nur  „mit  Erlaubnis  der  Obrigkeit",  sondern  auf  Veranlassung 
und  mit  Unterstützung  der  Obrigkeit.  Es  war  dem  Staats- 
rath  nicht  zu  verübeln,  wenn  er  ein  Blatt,  das  er  bezahlte, 
auch  beaufsichtigen  Hess.  Es  war  kein  Abfall  von  früher  ver- 
theidigten  Grundsätzen,  wenn  Milton  eine  Weile  diesen  Auf- 
seher machte  oder  wohl  gar  dann  und  wann  an  der  Redaktion 
der  Leitartikel  sich  betheiligte  (0-  Man  trifft  ihn  freilich  un- 
gern in  der  Gesellschaft  eines  Marchmont  Needham  an.  Er 
mag  indessen  seine  Bekehrung  zu  den  Ansichten  seiner  Jugend 
für  ehrlich  gehalten  haben,  wie  denn  der  witzige  und  gebildete 
Journalist  auch  zu  den  Besuchern  seines  Hauses  gehörte  (^). 
Hatte  der  Verfasser  der  Areopagitica  sonstwie  Anlass  sich 
mit  Angelegenheiten  der  Presse  zu  befassen,  so  konnte  man 
darauf  rechnen,  dass  er  sehr  ft-eien  Grundsätzen  huldigte. 
Das  Jahr  1652  lieferte  dafür  einen  deutlichen  Beweis.  Der 
s.  g.  Rakow'sche  socinianische  Katechismus,  der  in  Polen  be- 
kannt genug  war,  hatte  einen  Neudruck  in  England  erlebt. 
Als  ein  unverhohlener  Ausdruck  socinianischer  Ansichten,  er- 
stem, Milton  u.  s.  Z.    II.  3.  3 


34  Milton's  „Bemerkungen"  zum  Frieden  von  Kilkenny. 

regte  diese  Veröffentlichung  grosses  Aergernis.  Die  Exemplare 
wurden  mit  Beschlag  belegt.  Der  Drucker  wurde  vor  den 
Staatsrath  gefordert.  Das  Parlament  nahm  sich  der  Sache 
mit  um  so  grösserem  Eifer  an,  da  eine  Anzahl  von  Geistlichen 
sich  wegen  des  ketzerischen  Inhalts  jenes  Buches  bitter  be- 
klagt hatte.  Der  Drucker,  ein  ^Mann,  den  der  Staatsrath 
selbst  zu  beschäftigen  pflegte,  berief  sich  auf  die  vorgängige 
Genehmigung  Milton's.  Dieser  läugnete  keinen  Augenblick, 
dass  er  nur  seiner  Ueberzeugung  gefolgt  sei  und  erinnerte 
nicht  ohne  Stolz  an  seine  früheren  Bemühungen  fiir  die  Press- 
freiheit. Aber  er  war  seiner  Zeit  weit  vorangeeilt.  Das 
Parlament  erklärte  das  Buch  für  „blasphemisch ,  irrig  und 
skandalös"  und  liess  alle  Exemplare,  deren  man  habhaft 
werden  konnte,  öffentlich  verbrennen  (^). 


Die  Nachwelt  würde  es  im  höchsten  Grade  bedauern  müssen, 
wenn  Milton  in  seinem  Amte  nicht  auch  Gelegenheit  gefunden 
hätte,  seine  Kraft  an  grösseren  Aufgaben  zu  erproben.  In 
der  That  hatte  der  Staatsrath  ihn  nicht  nur  deshalb  in  seinen 
Dienst  genommen,  um  ihn  lateinische  Depeschen  schreiben, 
Auszüge  und  Uebersetzungen  anfertigen  oder  den  Inhalt  des 
Regierungsblattes  überwachen  zu  lassen.  Milton's  publicistische 
Talente  waren  zu  wohl  bekannt,  als  dass  man  sich  ihrer  nicht 
hätte  bedienen  sollen.  Gleichsam  sein  Probestück  auf  diesem 
Felde  bildete  eine  Arbeit,  die  sich  auf  die  Verhältnisse  Irland's 
bezog.  Der  Friede  von  Kilkenny,  den  Ormond  mit  den 
Katholiken  geschlossen  hatte,  sein  Briefwechsel  mit  dem 
Kommandanten  von  Dublin,  die  Proklamation  Karls  11.,  alle 
diese  Vorgänge  riefen,  sobald  sie  im  Frühjahr  1649  in  England 
bekannt  wurden,  eine  nicht  geringe  Aufregung  hervor.  Zu 
gleicher  Zeit  wurde  eine  Urkunde  bekannt,  die  gleichfalls  von 
der  grünen  Insel,  wenn  schon  aus  einem  anderen  Lager, 
stammte,  aber  nicht  weniger  Zeugnis  dafür  ablegte,  welche 
Gefahren  an  dieser  Stelle  dem  Gemeinwesen  drohten.  Es 
war  eine  „nothgedrungene  Vorstellung"  des  schottischen  Pres- 
byteriums  in  Belfast  vom  15.  Febmar  1649,  die,  gestützt  auf 
den  Covenant,  sich    an   alle  „Gutgesinnten"  richtete  und  sie 


Milton's   „Bemerkungen"  zum  Frieden  v.  Kilkenny.  35 

von  jeder  Verbindung  mit  der  „sektirerisclien  Partei"  der 
Königsmörder  in  England  abmahnte.  Der  Staatsrat!!  gab 
Befehl  die  einschlägigen  Aktenstücke  durch  den  Druck  zu 
veröffentlichen.  Zu  gleicher  Zeit  beauftragte  er  Milton  einige 
„Bemerkungen"  hinzuzufügen.  Auf  diese  Weise  ist  eine  Staats- 
schrift entstanden,  deren  Ton  von  dem  sonst  üblichen  ähn- 
licher Dokumente  sehr  merklich  abweicht  (').  Es  ist  keine 
ruhige  geschichtliche  oder  rechtliche  Auseinandersetzung, 
sondern  ein  Ausfluss  tief  erregter  Leidenschaft,  die  sich  in 
die  Foiin  -einer  mehr  als  kraftvollen  Rhetorik  kleidet.  Und 
zwar  wendet  sie  sich  in  gleicher  Weise  gegen  Ormond  wie 
gegen  die  Presbyterianer  von  Belfast.  Denn  wenn  auch  diese 
letzten  in  ihrem  Protest  sich  ausdrücklich  gegen  eine  Ver- 
bindung mit  „Papisten  und  anderen  notorischen  Malignanten" 
verwahrt  hatten,  so  sieht  Milton  im  jetzigen  Augenblick  doch 
in  ihnen  nur  Mitschuldige  der  „verabscheuungswürdigen  irischen 
Aufrührer".  Ist  Ormond  ein  „windiger  Lästerer,"  dem  Namen 
nach  ein  Protestant,  aber  „gegenwärtig  der  Rädelsführer  der 
irischen  Rebellen",  so  werden  die  „hochmüthigen  Inhaber  des 
Pontifikalsitzes  in  Belfast"  als  ein  „Geschlecht  von  Hochlands- 
dieben" titulirt,  die  es  nicht  verdienen,  dass  man  „Zeit  und 
Gründe  an  sie  verschwende".  Es  genügt  an  diesen  Stilproben 
den  Charakter  des  ganzen  Aktenstückes  gezeigt  zu  haben. 
Auch  sei  nur  beiläufig  darauf  hingewiesen,  mit  welcher  Ent- 
schiedenheit Cromwell's  Ehre  gegenüber  Ormond  in  Schutz 
genommen  wird,  der  es  für  gut  befunden  hatte,  ihn  mit 
Johann  von  Leyden  auf  eine  Linie  zu  stellen. 

Wichtiger  ist  es  an  die  allgemeinen  Urtheile  zu  erinnern, 
welche  Milton  sowohl  über  die  Irländer  wie  über  den  Katho- 
licismus  fällt.  Der  Friede  von  Kilkenny,  von  staatsmännischem 
Geiste  eingegeben  wie  er  war,  musste  dem  englischen  Puritaner 
als  ein  Verrath  an  seinen  heiligsten  Ueberzeugungen  gelten. 
„Jeder  wahre  Engländer  konnte  ihn,  nach  Milton's  Worten, 
nur  mit  Entrüstung  und  Widerwillen  lesen".  Während  „die 
barbarische  Abschlachtung  von  so  viel  tausenden  von  Eng- 
ländern" noch  ungesühnt  schien,  räumte  dies  Aktenstück  den 
katholischen  Irländern  „Freiheiten  und  Rechte  ein,  wie  sie 


36  Milton's  „Bemerkungen"  zum  Frieden  v.  Kilkenny. 

ihre  Vorfahren  selbst  durch  ihren  Gehorsam,  auf  welchen  im 
besten  Fall  kein  Verlass  gewesen  war,  niemals  hatten  erwerben 
können".  Die  Strafgesetze  wurden  aufgehoben,  die  freie  Aus- 
übung des  Gottesdienstes  und  der  kirchlichen  Jurisdiktion, 
der  Besitz  aller  Kirchen  und  Kirchengüter  seinem  augenblick- 
lichen Stande  nach  gewährleistet.  Ein  irisches  Parlament 
ward  in  Aussicht  genommen,  das  nicht  nur  die  volle  politische 
Gleichberechtigung  zwischen  Protestanten  und  Katholiken  her- 
zustellen, sondern  zugleich  die  Poyning's  Akte  abzuschaffen 
bestimmt  war,  die  bisher  die  Berathungen  des  Parlaments  in 
Dublin  von  der  vorgängigen  Genehmigung  des  königlichen 
Rathes  in  London  abhängig  gemacht  hatte.  Den  Katholiken 
wurde  das  Recht  gegeben  Schulanstalten  zu  gründen.  Bis 
zur  endgiltigen  Regelung  aller  Verhältnisse  auf  parlamen- 
tarischem Wege  sollten  sie  ein  stehendes  Heer  von  17,500  Mann 
unter  Waffen  halten  dürfen.  — 

In  diesen  wichtigsten  Artikeln  des  Vertrages  waren  mit 
einem  Federstrich  Fragen  abgethan,  welche  noch  Generationen 
ein  Meer  von  Blut  und  Thränen  kosteten.  Für  die  damalige 
Zeit  würden  sie  eine  Lösung  des  bisherigen  staatsrechtlichen 
Verhältnisses  bedeutet  und  die  Zukunft  der  protestantischen 
Ansiedle)-  mindestens  zu  einer  sehr  zweifelhaften  gemacht 
haben.  Man  muss  sich  dieses  und  das  Ereignis  von  1641  vor 
Augen  halten,  um  Milton's  drakonisches  Urtheil  zu  verstehen. 
Was  die  Irländer  als  Nation  betrifft,  so  steht  ihm  fest,  dass 
sie  Barbaren  und  Wilde  sind,  „jeder  Belehrung  abgeneigt, 
unfähig  in  Folge  einer  kultivirenden  Eroberung  selbst  zur 
Kultur  zu  gelangen".  Er  kennt  keine  Schuld  auf  Seite  dieser 
ihrer  Eroberer.  Er  hält  die  Besiegten  für  blosse  „Vasallen", 
die  „durch  ihre  endlosen  Verräthereien  und  Revolten  das 
Recht  verwirkt  haben,  überhaupt  Parlamente  zu  halten,  und 
die  nichts  besseres  verdienen,  als  durch  Verordnungen  und 
Garnisonen  regiert  zu  werden".  Dieser  harten  Anschauung 
entspricht  vollkommen  die  puritanische  Befangenheit  gegen- 
über dem  Katholicismus.  Wir  wissen  bereits,  dass  selbst  für 
einen  Milton  das  Princip  der  Duldung  hier  seine  Grenze  hatte. 
In   dieser  Staatsschrift  weist  er   um   so   nachdrücklicher   auf 


Milton's  „Bemerkungen"  zum  Frieden  v.  Kilkenny.  37 

sie  hin,  je  heftiger  die  Independenten  von  Ormond  einer  Be- 
günstigung „der  Irreligion  und  des  Atheismus",  von  den  Pres- 
byterianern  zu  Belfast  einer  Begünstigung  „allgemeiner  Toleranz 
selbst  des  Heidenthums  und  Judenthums"  geziehen  worden 
waren.  Er  bemerkt  den  inneren  Widerspruch  nicht,  in  dem 
er  sich  bewegt,  wenn  er  sich  entschieden  gegen  jede  staatliche 
„Verfolgung  von  Ketzereien"  ausspricht  und  doch  erklärt,  der 
Staat  werde  „die  freie  Ausübung  einer  Religion  nicht  dulden, 
die  gesunder  Doktrin  vollkommen  widerstrebend  erscheine." 
Er  verthpidigt  den  Grundsatz,  dass  die  „Staatsmacht  ,  .  der 
Geistlichkeit  in  Ausführung  der  Kirchenzucht  nicht  zu  Hilfe 
komme",  und  ihr  Schwert  nur  gegen  „bürgerliche  Vergehen" 
wende,  aber  er  findet  es  völlig  in  Ordnung,  vor  allem  den 
Katholiken  jegliche  Kultusfreiheit  zu  versagen  und  sie  „auf  den 
blossen  Genuss  des  Gewissens"  zu  beschränken.  Auch  kann 
man  in  einigen  anderen  Sätzen  weitere  Zeugnisse  für  seinen 
Mangel  an  Klarheit  in  der  Behandlung  dieser  Fragen  finden. 
Er  erwartet  vom  Parlamente,  dass  es  „erklärte  Atheisten,  bös- 
willige Feinde  Gottes  und  Christi  nicht  toleriren ,  sondern 
unterdrücken  werde".  Er  hebt  mit  Nachdruck  hervor,  dass 
„die  wahren  Diener  des  Wortes"  auch  finanziell  vom  Parla- 
mente unterstützt  worden  seien,  obwohl  es  in  „Geld  und  Lohn 
eben  nicht  die  beste  Ermuthigung  eines  wahren  Geistlichen" 
erblicke.  Er  gesteht:  „Wir  verabscheuen  das  Juden- 
thum,"  aber  er  fügt  hinzu:  „Wir  wissen,  dass  Paulus  Piöm.  11 
uns  befiehlt  die  Juden  zu  achten  und  auf  alle  Weise  ihre 
Bekehrung  anzustreben".  —  Man  wird  indessen  im  Auge  be- 
halten müssen,  dass  nicht  sowohl  der  selbstständige  Schrift- 
steller Milton  seine  Meinung  darzulegen,  als  vielmehr  der 
Sekretär  des  Staatsraths  diejenige  seiner  Auftraggeber  aus- 
zudrücken hatte.  Es  wäre  daher  unbillig  in  einer  Schrift, 
deren  Tendenz  in  erster  Linie  eine  politische  war,  eine  syste- 
matische Behandlung  des  Themas  vom  Verhältnis  des  Staates 
zu  den  Religionsgesellschaften  erwarten  zu  wollen.  Im  Hin- 
blick auf  Irland  zeichnete  dies  Dokument  eben  das  grausame 
Programm  deutlich  genug  vor,  welches  wenig  später  Crom- 
welPs  eiserne  Hand  mit  fürchterlicher  Folgerichtigkeit  aus- 
führte. 


38  Ei-Aoiv  ßaadixri. 

Kur  wenige  Monate  seit  dem  Erscheinen  dieser  „Be- 
merkungen" Milton's  waren  verflossen,  als  er  sich  mit  einer 
noch  wichtigeren  literarischen  Aufgabe  betraut  sah.  Von  allen 
de-n  Schriften,  die  das  Andenken  Karls  I.  verherrlichten,  er- 
regte keine  ein  ähnliches  Aufsehen  wie  das  berühmte  Buch, 
welches  sich  unter  dem  Titel  „das  Bild  des  Königs"  beim  Publi- 
kum einführte.  Betraclitungen,  die  sich  auf  einzelne  wichtige 
Momente  der  letzten  neun  Jahre  richteten,  Gebete,  mit  diesen 
historischen  Rückblicken  in  passender  Weise  verbunden,  eine 
rührende  Ansprache  an  den  Prinzen  von  Wales ;  Todes- 
Gedanken  und  Gelübde  der  Reue:  das  alles  war  in  diesen 
Blättern  enthalten,  deren  Leser  glauben  mussten  den  hin- 
gerichteten Monarchen  selbst  inmitten  seiner  Prüfungen,  in 
der  Einsamkeit  seiner  qualvollen  Haft  zu  belauschen.  Seine 
Gestalt  erschien  als  die  eines  verklärten  Märtyrers,  wie  ein 
allegorisches  Titelbild  ihn  darstellte:  die  Dornenkrone  in  der 
Hand,  das  Haupt  von  den  Strahlen  eines  Heiligenscheins  um- 
flossen. Seine  Sprache  athmete  ein  Gefühl  christlicher  Geduld 
und  Ergebenheit,  das  ihn  dazu  antrieb  auch  für  seine  bitter- 
sten Feinde  die  göttliche  Verzeihung  zu  erflehen.  Hochtönende 
Gemeinplätze,  unerwartete  Bilder  belebten  einen  Stil,  dessen 
sentimentaler  Grundton  unschwer  hätte  ermüden  können. 
Wohlwollenden  Lesern  war  es  leicht  gemacht,  über  dieSophistik 
so  mancher  dieser  historisch-politischen  Betrachtungen  und 
über  den  schlecht  verhüllten  Hochmuth  so  mancher  dieser 
salbungsvollen  Phrasen  hinwegzusehen.  Und  indem  der  könig- 
liche Schriftsteller  seine  eigene  Handlungsweise  im  glänzendsten 
Lichte  darzustellen  schien,  wurde  fast  jeder  Satz  zugleich  zu 
einer  furchtbaren  Anklage  gegen  die  Machthaber  des  Tages, 
deren  List  und  Gewalt  es  gelungen  war  ein  so  reines  und 
edles  Wesen  der  Vernichtung  zu  weihen.  Auch  brachte  die 
Schrift  die  ausserordentlichsten  Wirkungen  hervor.  Es  ist 
nicht  völlig  glaubwürdig  nachgewiesen ,  dass  sie  schon  einen 
Tag  nach  der  Hinrichtung  Karls  L  erschien.  Das  älteste 
Exemplar,  das  man  kennt,  enthält  die  handschriftliche  Datum- 
Bezeichnung  des  neunten  Februar,  aber  von  da  an  folgte  in 
kürzester  Zeit  Auflage  nach  Auflage,  so   dass  man  sich  für 


Eixwv  ßaaü.iy.i].  —  Milton's  ,. Bilderstürmer".  39 

berechtigt  hält  ihre  Zahl  auf  etwa  ein  halbes  Hundert  anzu- 
schlagen (^).  Auszüge  aus  der  Schrift  wurden  in  Umlauf  ge- 
setzt, die  Dichter  der  königlichen  Partei  spielten  in  ihren  Versen 
auf  sie  an,  durch  Uebersetzungen  ward  dafür  gesorgt,  auch 
das  Ausland  mit  dieser  kostbaren  Reliquie  bekannt  zu  machen. 
Die  Pioyalisten  nahmen  sie  verehrungsvoll  entgegen,  Tausende 
wurden  durch  sie  erbaut  und  zu  einer  trauernden  Betrachtung 
der  Vergangenheit  und  Gegenwart  geführt.  Das  kleine  Buch, 
das  man  nicht  anstand  den  biblischen  Schriften  zu  vergleichen, 
drohte  eine  wirkliche  Macht  zu  werden  und  für  den  lebenden 
Karl  IL  ebenso  erfolgreich  Propaganda  zu  machen  wie  für 
das  Andenken  des  todten  Karls  I.  Man  unterliess  nichts  um 
den  Druck  und  die  Ausbreitung  der  gefährlichen  Schrift  zu 
verhindern,  und  am  16.  März  verfügte  das  Parlament  sogar 
eine  Beschlagnahme  sämmtlicher  Exemplare  in  den  Druckereien. 
Allein  alle  Versuche  das  , .königliche  Bild"  zu  unterdrücken, 
blieben  fruchtlos,  ja  sie  dienten  nur  dazu  seinen  Erfolg  zu 
steigern.  So  wurde  denn  beschlossen  eine  officielle  Gegen- 
schrift zu  verbreiten. 

Es  ist  behauptet  worden,  Cromwell  habe  sich  bemüht, 
den  grossen  Gelehrten  Seiden  zur  Abfassung  einer  solchen 
zu  bewegen (-).  Sei  dem,,  wie  ihm  wolle:  in  Wirklichkeit 
wurde  diese  Aufgabe  Milton  zu  Theil.  Zwar  findet  sich  in 
den  Protokollen  des  Staatsraths  keine  darauf  bezügliche  Ver- 
fügung, allein  iNIilton's  eigene  Worte  lassen  keinen  Zweifel 
aufkommen.  „Ich  erhielt  den  Auftrag  eine  Erwiderung  zu 
schreiben,"  berichtet  er  in  seiner  zweiten  Vertheidigung,  und 
in  der  Einleitung  dieser  Erwiderung  selbst  macht  er  kein 
Hehl  daraus,  dass  er  in  diesem  Fall  nicht  sowohl  freier 
„Wahl"  als  höherer  „Weisung"  gefolgt  sei.  Eben  hieraus  er- 
klärt er,  dass  seine  Arbeit  „so  spät  begonnen  und  inmitten 
anderer  Beschäftigungen  so  langsam  beendigt  worden  sei". 
In  der  That  lässt  sich  nicht  nachweisen,  dass  Milton's  Schrift 
schon  vor  dem  Oktober  1649  die  Presse  verlassen  hatte.  Ihr 
Titel  konnte  nicht  geistreicher  gewählt  sein.  Streuten  die 
Royalisten  dem  „Bilde"  des  Königs  Weihrauch,  so  erschien 
hier  ein  „Bilderstürmer"  (=^J ,  der  wie  jene  „gottesfürchtigen 


40  [Milton's  „Bilderstürmer".  —    Charakteristik   des  Königs, 

griecliischen  Kaiser"  gegen  den  „Aberglauben"  anzukämpfen 
entschlossen  war.  Er  war  in  die  Schranken  getreten,  nicht 
um  sich  über  das  Unglück  des  von  seiner  Höhe  Herab- 
gestürzten aufzuhalten  und  nicht,  weil  ihn  kleinliche  Autoren- 
Eitelkeit  angetrieben  hätte,  sondern  weil  er  glaubte  „die 
Königin  Wahrheit  dem  Könige  Karl  vorziehen  zu  müssen". 
Allein  so  sehr  sich  der  Schriftsteller  auch  bemühen  mochte 
ruhig  zu  erscheinen ,  so  gieng  es  doch  über  seine  Kraft  hin- 
aus, den  Standpunkt  des  objektiv  urtheilenden  Historikers 
zu  bewahren.  Indem  er  Abschnitt  für  Abschnitt  dem  gegneri- 
schen Werke  folgt  und  seinen  Inhalt  Satz  für  Satz  mit  Glossen 
versieht,  entwiift  er  seinerseits  ein  Bild  der  Vergangenheit, 
zu  dem  ausschliesslich  der  Hass  und  die  Vorurtheile  des 
Puritanismus  ihre  düsteren  Farben  geliehen  haben  (^).  Mit- 
unter glaubt  man  nur  eine  Umschreibung  der  Deklaration 
des  Parlamentes  zu  lesen,  welche  die  Errichtung  der  Republik 
begleitet  hatte.  Auf  Buckingham  bleibt  der  Verdacht  haften, 
König  Jakob  vergiftet  zu  haben,  auf  Karl  I,  bleibt  der  Ver- 
dacht haften,  den  Sachverhalt  haben  „vertuschen"  zu  wollen. 
Es  ist  kein  Zweifel,  dass  der  König  „Urheber  und  Anstifter" 
des  irischen  Aufstandes  gewesen  ist  und  dass  er  den  Schotten 
für  ihre  Hilfe  die  ., Plünderung  Londons"  und  den  Besitz  von 
,,vier  Grafschaften  des  Nordens"  versprochen  hatte.  Das 
häusliche  Leben  des  ..zweiten  Rehabeam"  erscheint  nicht  minder 
abschreckend  wie  sein  Wirken  als  ööenthcher  Charakter. 
Die  „unzüchtige  Zügellosigkeit  seines  Sonntagstheaters"  kann 
vor  den  Augen  des  Verfassers  des  Comus  ebensowenig 
Gnade  finden  wie  „jenes  ehrwürdige  Statut  für  Sabbathtänze 
und  Maibäume,  das  er  von  seinem  Vater  Jakob  entlehnt 
hatte," 

Einseitig  und  parteiisch  wie  die  historischen  Betrach- 
tungen Milton's  sind,  dienen  sie  doch  dazu,  die  Schilderung 
der  Regierung  Karls  I. ,  welche  im  „königlichen  Bilde"  ent- 
halten war,  als  eine  durch  und  durch  trügerische  erscheinen 
zu  lassen.  Milton  spart  weder  glühendes  Pathos  noch  eisigen 
Hohn,  um  alle  Widersprüche  aufzudecken,  alle  Sophismen  zu 
zerreissen,   alle  Schönfärbereien  abzuwaschen,    auf  die  sein 


Charakteristik  des  Königs.  —  Kritik  des  Königthums,  41 

Auge  traf.  Es  ist,  als  wollte  er  den  Todten  noch  einmal  vor 
den  Richterstuhl  ziehen  und  Zeugnis  auf  Zeugnis  häufen  gegen 
den,  welcher  es  wohl  verstanden  hatte  „die  Sprache  Davids 
nachzuahmen,  aber  nicht  sein  Leben."  Dass  er  schon  auf 
Erden  seinen  Eichter  gefunden,  dünkt  Milton  die  beste  Antwort 
auf  die  zuversichtlichen  Gebete,  welche  so  manches  englische 
Herz  erschütterten.  Gegenüber  einem  Manne,  der  „so  oft  an 
das  Tribunal  Gottes  appellirt  hatte",  hebt  er  mit  Genugthuung- 
hervor,  dass  Gott,  der  „seiner  nicht  spotten  lässt",  ihn  „nach 
dem  Verdijit  seines  eigenen  Mundes"  gerichtet  habe.  „Wir 
messen  unsere  Sache  nicht  nach  unserem  Erfolge,  sondern 
unseren  Erfolg  nach  unserer  Sache.  Aber  in  ;einer  guten 
Sache  ist  Erfolg  eine  gute  Bestätigung,  denn  Gott  hat 
ihn  fast  auf  jedem  Blatt  der  Bibel  den  Guten  versprochen". 
Man  sieht,  auf  einer  wie  schmalen  Grenzlinie  der  Politiker 
Milton  sich  hier  bewegt,  und  wie  leicht  seine  eigenen  Worte 
vorkommenden  Falls  zu  einer  Waffe  gegen  ihn  werden  konnten. 
Ein  Schriftsteller  gewöhnlichen  Schlages  würde  sich 
damit  begnügt  haben,  den  Charakter  und  die  Handlungen 
Karls  I.  zu  beleuchten  und  der  Heiligengestalt,  zu  welcher 
der  König  geworden  war,  ein  anderes  Bild  gegenüberzu- 
stellen, wie  es  freilich  nur  parteiische  Hand  entwerfen 
konnte,  Milton  sah  seine  Aufgabe  damit  nicht  erfüllt.  Für 
ihn  handelte  es  sich  nicht  nur  um  eine  Kritik  des  Königs, 
sondern  um  eine  Kritik  des  Königthums,  und  das  um  so 
mehr,  je  sichtlicher  das  kleine  Buch,  dessen  Bekämpfung  ihm 
oblag,  zum  Wachsthum  der  royalistischen  Strömung  in  der 
Nation  beigetragen  hatte.  Er  täuscht  sich  darüber  nicht:  es 
sind  „nur  wenige,  welche  die  altenglische  Tapferkeit  und 
Freiheitsliebe  bewahren,"  die  Mehrzahl  ,, schmachtet  danach 
in  die  Gefangenschaft  der  Könige  zurückzukehren"  und  eilt 
unaufhaltsam,  „als  hätten  sie  vom  Circe-Becher  der  Knecht- 
schaft getrunken,  den  Nacken  wieder  unter  das  Joch  zu 
beugen".  Die  Fiktion ,  als  '  gründe  sich  das  republikanische 
Gemeinwesen  auf  den  Willen  der  Majorität,  Hess  sich  nicht 
mehr  aufrecht  halten,  und  in  keiner  der  Milton'schen  Schriften 
finden  sich  so  herbe  Urtheile  über  das  „elende,  leichtgläubige 


42  Kritik  des  Königthums.  —  Konstitutionelle  Theorie. 

Geschöpf,  das  man  die  grosse  Masse  nennt,"  über 
,,die  tolle  Menge",  über  das  Volk  von  „bethörtem  und  ent- 
artetem Geiste"  wie  in  dieser.  Allein  das  gemeine  Volk  er- 
scheint immerhin  nur  als  verführt.  Die  hauptsächliche  Schuld 
der  Umwandlung  der  öffentlichen  Meinung,  und  nur  von  dieser 
kann  nach  Milton's  Ansicht  die  Rede  sein,  —  trifft  die  Männer 
von  ..sanfter  Gesinnung,"  die  „ihre  Führer  zu  gefährlichen 
Unternehmungen  treiben,  aus  denen  kein  Rückzug  möglich 
ist",  um  sie  inmitten  des  Entscheidungskampfes  „feige  zu  ver- 
rathen".  Es  sind  die  „Kollegen  der  Prälaten",  deren  Predigten 
von  Anfang  bis  zu  Ende  die  „Theorie  der  Sklaverei"  ent- 
halten, und  deren  Leben  ein  „Abbild  der  Weltlust  und  Heuche- 
lei" ist,  Leute,  welche  den  König  nicht  zu  verletzen  glaubten, 
„indem  sie  das  Schwert  gegen  ihn  zogen"  und  die  jetzt  nicht  Auf- 
hebens genug  machen  können  von  „ihrer  Loyalität  und  Königs- 
treue", Menschen,  die  „sich  selbst  lieb  hatten  und  nicht  das 
Gemeinwohl,  und  deren  Gewissen  ein  Loch  bekommen  hat, 
weil  der  Gewinn  ausgeblieben  ist,  auf  den  sie  gehofft  hatten". 
Es  ist  klar,  dass  alle  diese  Ausfälle  sich  gegen  die  Pres- 
byterianer  richten,  deren  Verbindung  mit  der  KavaHerpartei 
die  Lage  der  herrschenden  Gewalten  anfangs  zu  einer  über- 
aus kritischen  machte.  Auch  lässt  sich  deutlich  verfolgen, 
wie  sehr  es  sich  ]\Iilton  hat  angelegen  sein  lassen  in  einer 
zweiten  Auflage  seiner  Schrift  gerade  diesen  Punkt  zu  betonen. 
Diese  zweite  Auflage  erschien  im  März  1651  (^).  Unter  den 
vielfachen  Zusätzen  und  Erweiterungen  nehmen  diejenigen 
nicht  die  geringste  Stelle  ein,  welche  gegen  die  „Bethörung" 
der  Masse,  das  Verhalten  der  Presbyterianer  und  ihrer  geist- 
lichen .„Hexenmeister"  ankämpfen. 

Ebenfalls  findet  sich  aber  auch  die  politische  Theorie 
hier  weiter  ausgeführt,  die  der  Schriftsteller  mit  Stolz  als 
Eigenthum  der  „wenigen"  in  Anspruch  nimmt,  welche  „der 
Weisheit  und  Wahrheit  anhängen."  Wir  kennen  bereits  ihre 
Grundzüge  aus  dem  Pamphlet  über  „das  Recht  der  Könige 
und  Obrigkeiten".  Hier  wird  mit  noch  grösserer  Schärfe  die 
Anwendung  auf  die  heimischen  Verhältnisse  gemacht.  Auch 
dies  Mal  bildet  den  Ausgangspunkt  die  Annahme,  dass   die 


Konstitutionelle  Theorie.  43 

„Könige,  wie  alle  anderen  öffentlichen  Beamten,  zuerst  nur 
durch  Zustimmung  und  Wahl  des  Volkes  eingesetzt  worden 
sind''.  „Wäre  ihre  Race  so  erhaben  über  die  anderen  Menschen 
wie  die  der  Pferde  von  Tutbury  über  die  anderen  Pferde,  so 
hätten  sie  freilich  von  Rechtswegen  nur  zu  befehlen  und  wir 
nur  zu  gehorchen."  So  aber  sind  sie,  —  er  nimmt  einem 
grossen  Monarchen  den  Ausdruck  vorweg,  —  nichts  weiter 
als  „die  Diener  des  Staates."  Hiernach  bestimmt  der  Autor 
das  Verhältnis  von  König  und  Parlament.  Er  äussert  sich, 
ohne  sich  um  die  vielen  Abwandlungen  der  Vergangenheit  zu 
kümmern,  mit  jener  Siegesgewissheit  der  abstrakten  Doktrin, 
welche  den  Zeiten  der  Revolution  eigen  zu  sein  pflegt.  j\Ian 
fühlt  sich  einen  Augenblick  wie  in's  achtzehnte  Jahrhundert  ver- 
setzt unter  die  Jünger  Montesquieu's,  wenn  man  die  Theorie  der 
„Trennung  der  Gewalten",  zu  der  sich  die  „weisesten  Nationen" 
bekannt  haben,  angedeutet  findet  Und  man  wird  an 
die  Schlagworte  der  Constituante  erinnert,  wenn  man  hört, 
was  bei  dieser  Trennung  der  Gewalten  der  einen  und  der 
anderen  zugesprochen  wird.  Die  Legislative  ist  die  ,, höchste" 
(supreme),  die  Exekutive  „untergeordnet"  (subordinate),  denn 
„der  König  ist  nur  dazu  da,  das  Gesetz  zu  vollstrecken (i)." 
Die  Folgerungen  ergeben  sich  für  Milton  ganz  von  selbst. 
„Wo  der  Sitz  des  Parlaments  ist,  da  ist  auch  untrennbar  der 
Sitz  des  Königs."  Das  Recht  des  Veto  kann  unmöglich  auf 
gesetzlicher  Grundlage  ruhn,  es  war  „ein  abgeschmacktes 
und  vernunftwidriges  Herkommen,  eine  Erfindung  der  Schmeiche- 
lei und  der  Usurpation".  Ein  Parlament  wäre  lächerlich  und 
verächtlich,  welches  erst  Gesetze  ausarbeiten  sollte,  um  sie 
dann  stückweise  der  Vernunft,  dem  Gewissen,  der  Laune,  der 
Leidenschaft,  der  Narrheit,  dem  Eigensinn  eines  Mannes  abzu- 
handeln." Das  Recht  der  beliebigen  Berufung  und  Auflösung 
des  Parlaments  gehört  nicht  zur  königlichen  „Prärogative," 
sondern  war  ein  blosser  Ausfluss  des  öffentlichen  „Vertrauens". 
Ohne  die  Möglichkeit  zusammenzutreten  .,so  oft  es  die  Noth 
erfordert,"  wie  die  Möglichkeit  zusammenzubleiben,  „bis  die 
dringenden  Geschäfte  vollständig  erledigt  sind",  würden  die 
Parlamente  „bald  zu  einem  blossen  Gegenstand  des  Spottes 


44  Omuijiotenz  des  Parlaments. 

werden".  [  Das  Recht  der  Militia  eignet  keineswegs  der  Krone. 
„Nur  mit  Zustimmung  des  Parlaments"  kann  über  die  Streit- 
kräfte des  Landes  verfügt  werden.  „Wenn  die  Macht  des 
Schwertes  von  der  Macht  des  Gesetzes  getrennt  ist,  dann 
wird  das  Schwert  bald  Herr  über  das  Gesetz  werden".  — 
Mit  einem  "Worte:  Nicht  der  König,  sondern  das  Parlament 
ist  „omnipotent",  aber  in  einem  noch  weit  ausgedehnterem 
Sinn,  als  berühmte  Staatsrechtslehrer  späterer  Zeit  das  W^ort 
verstanden  haben.  Denn  da  es  in  der  Hand  des  Parlamentes 
liegt,  die  Gesetze  zu  ändern  oder  zu  abrogiren,  „jenachdem 
es  ihm  zum  Besten  des  Gemeinwesens  zu  sein  dünkt",  so 
hat  es  auch  das  Piecht  „das  Königthum  abzuschaffen,  sobald 
dies  zu  herrisch  und  lästig  wird". 

Es  ist  ungefähr  die  Theorie,  welche  das  grosse  Manifest 
der  Armee  Ende  1648  ausgeführt  hatte,  vor  der  das  König- 
thum und  das  Haus  der  Lords  zusammengebrochen  war, 
während  das  „omnipotente"  Parlament  sich  selbst  zu  einem 
blossen  Werkzeug  in  nerviger  Soldatenfaust  hatte  erniedrigen 
müssen.  Ueber  diesen  inneren  Widerspruch  geht  Milton 
schweigend  hinweg,  wie  er  sich  denn  auch  wohl  hütet  anzu- 
geben ,  inwieferue  in  dem  Parlamente  der  Wille  der  gesamm- 
ten  Nation  zum  Ausdruck  komme.  Eine  solche  Betrachtung 
hätte,  Avie  die  Lage  der  Dinge  war,  zu  bedenklichen  Schlüssen 
führen  können.  Weniger  verfänglich  schien  es  dem  Verfechter 
der  neuen  Piegierung  auf  den  Geist  und  die  Präcedenztälle 
der  alten  Landesverfassung  zurückzugehn.  In  der  That,  durch 
und  durch  radikal,  wie  der  Schriftsteller  erscheint,  bleibt  er 
insoweit  Engländer,  dass  er  jede  Gelegenheit  wahi-nimmt,  wie  , 
schon  ein  Mal,  die  „alten  Gesetzbücher"  heranzuziehn,  freilich 
nur,  um  ihnen  mehr  oder  weniger  Gewalt  anzuthun.  Wenn 
B.  n.  446  darauf  hinzuweisen  war,  dass  Milton's  frühere 
staatsrechtliche  Bemerkungen  einem  bekannten  Publicisten 
der  Zeit,  John  Sadler,  nicht  fremd  geblieben  zu  sein  scheinen, 
so  führt  er  hier  seinerseits  Sadler  s  „kürzlich  erschienenen 
Traktat:  Rechte  des  Reiches"  als  seine  Quelle  an,  deren 
juristische  Auszüge  ihm  zu  Gute  kommen.  — 

Nach  allem,  was  er  mit  leidenschaftlicher  Beredtsamkeit 


Die  Frage  nach  der  Aechtheit  des  E.  ß.  45 

zur  Vertheidigung  der  Revolution  und  zur  Bekämpfung  des 
Königs  vorgebracht  hat,  wendet  er  sich  zu  einer  letzten  feier- 
lichen Beschwörung  an  seine  Mitbürger :  „Er  gebietet  seinem 
Sohn :  halte  fest  an  den  wahren  Grundsätzen  der  Frömmigkeit, 
Tugend  und  Ehre  und  du  wirst  nie  eines  Königreichs  bedürfen. 
Ich  aber  sage  dir,  o  Volk  von  England,  halte  du  fest  an 
diesen  Grundsätzen,  und  du  wirst  nie  eines  Königs  bedürfen". 
Wie  der  Wortlaut  dieses  Satzes  zeigt,  und  wie  sich  durch  viele 
Stellen  des  Eikonoklastes  sonst  belegen  liesse,  nimmt  sein  Ver- 
fasser an ,  dass  das  „königliche  Bild"  im  ganzen  und  grossen 
wirklich  aus  der  Feder  Karl's  I.  stamme.  Bekanntlich  knüpft 
sich  aber  gerade  an  dieses  Buch  eine  der  berühmtesten  Kon- 
troversen, die  jemals  über  die  Frage  der  Urheberschafteines 
literarischen  Erzeugnisses  geführt  worden  ist.  Vor  allen 
Dingen  wird  man  daher  zu  erfahren  wünschen,  ob  in  Milton 
nicht  wenigstens  einige  Zweifel  aufgestiegen  sind.  Man  weiss, 
dass  gegen  Ende  des  siebzehnten  Jahrhunderts  der  heftigste 
Streit  darüber  entbrannte,  ob  der  König  in  Wahrheit  der  Ver- 
fasser des  merkwürdigen  Buches  gewesen,  oder  ob  es  nicht 
für  eine  geschickte  und  wohlberechnete  Fälschung  des  Dr. 
Gauden  zu  halten  sei,  der  fast  im  letzten  ]\Ioment  seine  Stimme 
für  Karl  I.  erhoben  hatte,  nach  der  Restauration  vertraulich 
seine  Autorschaft  eingestand  und  1662  als  Bischof  von  Worcester 
starb.  j\Ian  kennt  die  grosse  Literatur,  welche  sich  in  den 
zwanziger  Jahren  unsres  Jahrhunderts  ansammelte,  als  eine 
gründliche  Revision  jener  anziehenden  Streitfrage  stattfand, 
und  Christoph  Wordsworth  gegen  eine  ganze  Phalanx  von 
Widersachern  den  schriftstellerischen  Ruhm  des  Königs  mit 
Eifer  und  Scharfsinn  zu  retten  suchte.  Die  Mehrzahl  der 
Späteren  hat  sich  gegen  ihn  erklärt,  und  das  „königliche 
Bild"  gilt  heute  als  das  Muster  eines  grossartigen  Betruges, 
während  einige  Forscher  immerhin  eine  ]\Iitwirkung  des  Königs, 
sei  es  bei  der  Vorbereitung,  sei  es  bei  der  schliesslichen 
Redaktion  für  wahrscheinlich  halten (^).  Wie  immer  dem  sei, 
der  Biograph  Milton's  darf  über  den  persönlichen  Anspruch  Gau- 
den's  hinwegsehn.  Denn  soviel  steht  fest :  in  der  Zeit,  als  Milton 
schrieb ,  wird  Gauden's  Name  von  niemandem  genannt.    Er 


46  Die  Frage  nach  der  Aechtheit  des  E.  ß. 

ist  überhaupt  erst  Jahre  nach  Milton's  Tode  in  die  Debatte 
geworfen  worden.  Pas  schliesst  indessen  nicht  aus,  dass  sich 
schon  damals  argwöhnische  Stimmen  gegen  die  Aechtheit  des 
überaus  wirksamen  Pamphlets  erhoben,  oder  dass  mindestens 
auf  die  Spuren  einer  anderen  Feder  neben  der  des  Königs 
hingewiesen  ward. 

Bereits  in  der  ersten  Auflage  seiner  Gegenschrift  hatte 
Milton  von  einem  „geheimen  Gehilfen"  des  Königs  gesprochen, 
von  seinem  „Hofrhetoriker",  „irgend  einem  Hof  kaplan",  der  diese 
und  jene  Phrase  „eingeschoben'",  dies  und  jenes  „ungesalzene 
Gebet  zusammengestoppelt"  haben  möchte.  Er  hatte  aus  ein- 
zelnen Ptedewendungen  den  Schluss  zu  ziehen  gesucht,  dass 
sie  nicht  aus  der  Feder  des  Königs  stammen  könnten,  ja  das 
„ganze  Buch"  war  ihm  einmal  „als  ein  Stück  Poesie"  vorge- 
kommen. In  der  zweiten  Auflage  erschienen  diese  Zweifel 
noch  verstärkt.  Zugleich  wurde  hier  ein  Punkt  weiter  aus- 
geführt, auf  den  er  schon  in  seiner  früheren  Kritik  mit  sicht- 
lichem Hohn  hingewiesen  hatte.  Es  fanden  sich  als  Anhang 
der  „besten  Ausgaben"  des  königlichen  Bildes  „Gebete  seiner 
Majestät  aus  der  Zeit  seiner  Leiden,  unmittelbar  vor  seinem 
Tode  dem  Dr.  Juxon,  Bischof  von  London,  überliefert".  Milton, 
der  seinen  Philip  Sidney  kannte,  entdeckte,  dass  gleich  das 
erste  dieser  Gebete  „Wort  für  \Yort"  aus  dessen  berühmtem 
Roman  Arcadia  „gestohlen"  sei,  und  zwar  „aus  dem  Munde 
eines  heidnischen  Weibes,  das  zu  einer  heidnischen  Gottheit 
betet",  und  dessen  „süsse  Pihapsodieen"  der  König  nichtsdesto- 
minder  kein  Bedenken  getragen  habe,  als  seine  „eigenen 
himmlischen  Gedanken"  Gott  darzubringen.  Hier  freilich 
kommt  es  ihm  darauf  an,  die  Autorschaft  Karls  I.  festzuhalten. 
Denn  alle  „seine  besten  und  theuersten  Freunde,  die  ihn 
vergötterten",  erschienen  somit  durch  ihn  selbst  hinter's  Licht 
geführt.  „Die  heulenden  Kanzelredner"  mussten  sich  sagen 
lassen,  dass  er  „in  dem  ganzen  Magazin  ihrer  honigsüssen 
Gebete  und  Meditationen"  nichts  gefunden  habe,  was  dem 
Gebete  einer  „gefangenen  Schäferin"  aus  einem  weltlichen 
„Liebesgedieht"  gleich  gekommen  wäre.  Es  ist  indessen  klar, 
wie  verdächtig  damit  alles  das  gemacht  wurde,  was  aus  der 


Gleichzeitige  Urtheile.  47 

royalistischen  Presse  heivorgieng.  Eine  überraschende  Ent- 
deckung wie  diese  konnte  wahrlich  nicht  vortheilhaft  auf 
die  Beurtheilung  des  „königlichen  Bildes"  zurückwirken. 
Was  aber  war  besser  geeignet,  seinen  Nimbus  zu  zer- 
stören, als  wenn  es  gelang  wahrscheinlich  zu  machen,  dass 
bei  seiner  Herstellung  Betrug  die  Hand  im  Spiele  gehabt 
habe?(i). 

Allerdings  Milton  ist  der  erste  nicht  gewesen ,  der  diesen 
Gedanken  geäussert  hat,  und  andere  haben  ihn  unmittelbar  nach 
ihm  weiter 'ausgesponnen.  Schon  im  Mai  hatte  John  Goodwin, 
der  aufgeklärte  Pfarrer  in  Colemanstreet ,  davon  gesprochen^ 
dass  man  darüber  streite,  ob  der  König  der  „wirkliche  oder 
nur  der  vermeintliche  Autor"  sei.  Eine  Schrift,  welche  wenige 
jNlonate  nach  dem  Tode  des  Königs  erschien,  „der  fürstliche 
Pelikan",  hatte  gleichfalls  diese  Verdächtigungen  erwähnt. 
Sie  nahm  auf's  entschiedenste  für  den  König  Partei,  der  wie 
ein  Pelikan  sein  Blut  für  seine  Kinder  vergossen  habe,  und 
hatte  besonders  den  Zweck,  die  Authenticität  des  „könig- 
lichen Bildes"  zu  retten.  Denn  ihr  Verfasser  konnte  nicht 
läugnen,  dass  von  mehreren  „und  darunter  von  den  ersten 
Günstlingen  unserer  Grandees"  das  hämische  Gerücht  ver- 
breitet worden  sei,  das  Werk  stamme  nicht  vom  König,  son- 
dern von  einem  seiner  „Hofkaplane",  wie  denn  sogar  die  Namen 
„eines  Dr.  Harris  und  des  Dr.  Hammond"  aufgeworfen  worden 
waren.  Einmal  auf's  Tapet  gebracht,  konnte  die  Streitfrage 
sobald  nicht  wieder  verschwinden.  Zwei  Pamphlete,  von  denen 
das  eine,  El%wv  alr]d-iv)]  nachweisbar  am  16.  August,  das 
andere,  BI-kuv  i)  niGzri  am  11.  September  1649  in  Umlauf 
war,  nahmen  sie  wieder  auf.  Jenes,  „veröffentlicht  um  die 
Welt  zu  enttäuschen"  und  „die  falschen  Farben  abzuwaschen" 
behauptete,  „irgend  ein  prälatischer  Levit,  der  nach  einem 
Bisthum,  einer  Dechanei  oder  dergleichen  gierig  sei,  habe 
dies  Stück  Schmeichelei  kompilirt"  und  sucht  im  einzelnen 
nachzuweisen,  dass  man  nicht  im  König,  sondern  im  „Doktor" 
den  Autor  sehn  müsse.  Das  andere,  eine  direkte  Entgegnung' 
der  vorigen  Broschüre,  nimmt  die  Autorschaft  des  Königs  ener- 
gisch in  Schutz  und  erklärt,   sein  Buch  stehe  ausserhalb  des 


48  Gleichzeitige  Urtheile. 

Bereiches  jeder  Verleumdung,  „in  der  ]Mitte  eines  Firmaments 
loyaler  Herzen (^)".  Wie  man  sieht:  Milton  trat  mit  seiner 
Schrift  in  eine  bereits  seit  lange  und  heftig  geführte  Debatte 
ein.  Aber  dass  seine  Autorität  sich  mit  derjenigen  anderer 
verband,  welche  die  vollkommene  Aechtheit  des  königlichen 
Bildes  angezweifelt  hatten,  war  nicht  ohne  Bedeutung.  Wenn 
wenig  später  ein  antimonarchischer  Schriftsteller  erklärte, 
das  royalistische  Machwerk  „sei  schon  gehörig  und  ohne 
Handschuhe  von  einem  Gentleman  vorgenommen  worden,  der 
keinem  an  Rechtschafienheit ,  Gelehrsamkeit  und  Verstand 
zu  weichen  habe",  so  liegt  es  nahe  zu  vermuthen,  dass  er 
an  Milton  gedacht  hat.  Ebenfalls  nimmt  der  Astrolog  William 
Lilly  in  einer  Schrift  vom  Jahre  1651,  in  der  er  seine  Be- 
denken gegen  die  vollkommene  Aechtheit  des  königlichen 
Bildes  äussert,  ausdrücklich  auf  Milton  Bezug  (^).  Auch  legte 
der  Staatsrath  so  grossen  Werth  auf  seine  Widerlegung,  dass 
er  am  5.  März  1650  das  Committee  of  Examinations  beauf- 
tragte für  einen  Neudruck  zu  sorgen,  falls  dieser  nützlich 
scheine.  Nicht  genug  damit:  er  liess  gegen  angemessenen 
Lohn  sogar  eine  französische  Uebersetzung  anfertigen,  mit  der 
sich  kein  Geringerer  befasste  als  John  Durie,  und  gab  Befehl, 
die  Exemplare  dieser  Uebersetzung  zollfrei  nach  Frankreich 
auszuführen  (^j. 

Aber  auch  die  Royalisten  rührten  sich.  Nachdem  der 
„Bilderstürmer"  zum  zweiten  Mal  in  erneuter  Gestalt  erschie- 
nen war,  wurde  ihm  das  „unzerbrochene  Bild"  direkt  gegen- 
übergestellt. Wer  immer  der  Autor  gewesen,  ob  Dr.  Earle, 
der  Erzieher  Karls  IL,  ob  ein  gewisser  Jeanes,  wie  andere 
behaupten,  er  führte  eine  sehr  kräftige  Sprache.  In  Milton's 
Schrift  sieht  er  einen  „Verrath  gegen  Gott  und  die  Menschen, 
Religion,  Wahrheit  und  Gerechtigkeit".  Er  bemerkt,  dass 
Milton  „nicht  nur  die  Gebeine  des  todten  Königs  wiederauf- 
zugraben, sondern  alle  Könige  auszurotten"  gedenke  und  weiss 
für  seine  Leistung  keinen  besseren  Namen  als  „das  Bild  der 
Rebellen'M^)-  Auch  scheint  darüber  kein  Zweifel  zu  sein, 
dass  Milton's  Schrift  entfernt  nicht  die  Wirkung  hervorbrachte 
wie  diejenige,    die   zu  verdrängen  sie  bestimmt  war.    Jeden- 


Gleichzeitige  Urtheile.  49 

falls  konnte  er  fortan  sicher  sein,  in  den  Geschichtswerken 
royalistischer  Tendenz,  als  „boshafter  feiler  Skribler",  „giftiue 
Schlange"  und  „schwarzmäuliger  Zoilus"  zu  figuriren(').  Sein 
„Bilderstininer"  hätte  ihn  allein  schon  zur  Zielscheibe  ihrer 
heftigsten  Angriffe  machen  müssen,  selljst  wenn  seinem  Namen 
nicht  gleich  darauf  in  einem  anderen  literarischen  Waftengang 
ein  europäischer  Ruf  zu  Theil  geworden  wäre. 


Stern,   Milton  u.  s.  Z.    U.  3. 


Zweites  Kapitel. 
Der  Kampf  mit  Salmasius. 


VTöthe  beklagt  einmal  in  seinen  Gesprächen  mit  Ecker- 
mann, dass  Uhland  sich  auf  die  thätige  Theilnahme  an  den 
politischen  Kämpfen  eingelassen  habe.  »Geben  Sie  Acht,  ruft 
er  aus,  der  Politiker  wird  den  Poeten  aufzehren.  Mit  seinem 
Gesänge  wird  'es  aus  sein."  „Die  täglichen  Reibungen  und 
Aufregungen"  schienen  ihm  ,, keine  Sache  für  die  zarte  Natur 
eines  Dichters"  zu  sein.  Man  könnte  versucht  sein,  mit  dem- 
selben Bedauern  von  Milton's  Betheiligung  an  den  grossen 
Bewegungen  des  öffentlichen  Lebens  zu  sprechen.  Seine 
„zarte  Dichternatur"  gieng  nicht  ganz  unversehrt  aus  dieser 
Probe  hervor.  Sein  Geist  nahm  eine  Richtung  auf  streitbare 
Tendenz,  die  der  Unbefangenheit  des  Poeten  allzuleicht 
schaden  konnte.  Aber  weit  entfernt  davon,  dass  dieser  in  den. 
Kämpfen  des  Tages  völlig  untergegangen  wäre,  drängte  er  gleich- 
sam seine  ganze  Kraft  in  sich  zurück,  um  viele  Jahre  später, 
als  sich  die  Stürme  der  Revolution  gelegt  hatten,  in  seiner 
eigenthümlichen  Grösse  hervorzulirechen.  Auch  iMilton  selbst 
war  nichts  weniger  als  unbefriedigt  durch  die  Rolle,  die  er 
auf  sich  genommen  hatte.  Er  war  entschlossen,  das  Gelübde 
zu  halten,  zu  dem  er  sieh  einst  vor  seinem  Gewissen  ver- 
pflichtet hatte:  ,,in  die  Posaune  zu  stossen  zu  trauernder  Klage 
oder  zu  schmetterndem  Schlachtruf,  wie  Gott  es  befiehlt".   Und 


Salmasius,  5"[ 

SO  schickte  er  sich  zu  einem  neuen  Kampfe  an,  in  dem  es 
galt,  die  Republik  vor  der  Welt  zu  vertheidigen. 

Das  „königliche  Bild"  hatte  der  Sache  des  Royalismus  in 
England  unberechenbar  genützt,  aber  es  kam  darauf  an,  nicht 
nur  in  England,  sondern  in  Europa  für  das  Haus  Stuart  zu 
wirken.  Es  galt  einen  Schriftsteller  von  Talent  und  Hin- 
gebung zu  gewinnen,  welcher  der  gestürzten  Monarchie  und 
dem  geächteten  Sohne  des  hingerichteten  Monarchen  seine 
Feder  leihe.  Dieser  Mann  fand  sich  in  dem  berühmten 
Salmasius.* 

.  Claudius  Salmasius,  mit  seinem  französischen  Namen 
Claude  Saumaise,  nahm  in  der  europäischen  Gelehrtenrepublik 
eine  der  ersten  Stellen  ein.  Fast  noch  ein  Knabe  hatte  er 
in  Paris  die  Aufmerksamkeit  des  Casaubonus  erweckt.  Wäh- 
rend seiner  Studienzeit  in  Heidelberg  machte  er  sich  bereits 
als  Schriftsteller  bekannt  und  war  in  Gefahr,  seinen  schwäch- 
lichen Körper  den  Anstrengungen  seines  Fleisses  zu  opfern. 
Seine  Neigungen  wiesen  ihn  auf  gelehrte  und  namentlich 
philologische  Arbeiten  hin,  aber  dem  Wunsche  seines  Vaters 
entsprechend,  nahm  er  eine  Stelle  als  Advokat  am  Parlament 
von  Dijon  an.  Indessen,  wie  ihm  seine  Anhänglichkeit  an 
die  reformirte  Religion  zum  Hindernis  auf  der  Beamtenlauf- 
bahn wurde,  zogen  ihn  auch  seine  eifrig  fortgesetzten  Studien 
immer  mehr  von  dieser  ab.  Man  verdankte  ihm  eine  Reihe 
von  Editionen  und  Dissertationen.  War  früher  die  klassische 
Philologie  der  hauptsächlichste  Gegenstand  seiner  Beschäftigung 
gewesen,  so  strebte  er  danach,  sich  nun  auch  der  orienta- 
lischen Sprachen  zu  bemächtigen,  und  gelegentlich  versuchte 
er  sich  sogar  als  Poet.  Im  Jahre  1632  folgte  er  einem  höchst 
ehrenvollen  Rufe  nach  Leyden,  um  einen  Lehrstuhl  auszu- 
füllen, den  einst  der  grosse  Scaliger  inne  gehabt  hatte.  Seine 
schriftstellerische  Thätigkeit  breitete  sich  immer  weiter  aus, 
indem  sie  auch  juristische,  geschichtliche  und  theologische 
Gegenstände  umfasste,  nicht  ohne  zu  lebhaften  literarischen 
Kämpfen  Anlass  zu  geben.  Mit  den  bedeutendsten  Gelehrten 
seiner  Zeit  stand  er  in  Verbindung,  und  mehr  als  einer 
schmeichelte  ihm  in  Ausdrücken  ungemessener  Bewunderung. 


52  Salmasius.  —  Seine  defensio  regia. 

Allerdings  wusste  man  ihm  auch  manches  nachzusagen,  was 
ihm  nicht  eben  zur  Ehre  gereichte.  Seine  Schriften,  ein  so 
unbestreitbares  Zeugnis  staunenswerther  Gelehrsamkeit  sie 
ablegten,  Hessen  nicht  selten  die  gehörige  Ordnung  und  Klar- 
heit vermissen.  Sie  glichen  oft  einer  aufeinandergehäufteu 
INIasse  von  Auszügen  und  Citaten.  Wichtiges  und  Unwichtiges, 
Erwiesenes  und  Zweifelhaftes  war  miteinander  vermischt,  und 
der  Autor  schien  häufig  seinen  vornehmsten  Zweck  zu  ver- 
gessen, um  desto  besser  mit  seiner  Belesenheit  und  mit  seinem 
Gedächtnis  prunken  zu  können.  Dazu  kam  ein  unverkennbar 
hoher  Grad  von  Einbildung,  die  zu  einer  verächtlichen  Be- 
handlung der  Gegner  führte.  Man  spottete  darüber,  dass 
der  Gelehrte  von  seinem  Adelstitel  —  er  war  seigneur  de 
Tailly,  Bonze,  St.  Loup  —  einen  sehr  ausgiebigen  Gebrauch 
machte.  Endlich  war  es  ein  offenes  Geheimnis,  dass  seine 
Frau,  ein  Weib  von  herrschsüchtigem,  eitlem  Wesen,  in  seinem 
Hause  .vollkommen  das  Regiment  führte  und  ihm  manche 
Verlegenheiten  bereitete.  Aber  alles  dies  that  seinem  Ruhme 
keinen  Eintrag,  und  dieser  hatte  seine  Höhe  erreicht,  als 
der  grosse  Gelehrte  sich  dazu  berufen  sah ,  die  neue  englische 
Regierung  anzugreifen  (^).  Seine  Sympathie  für  die  Stuarts 
war  bekannt,  und  er  liess  sich  sofort  dafür  gewinnen,  ihre 
Sache  zu  führen.  Er  gab  seinem  Werke  den  Titel  einer 
„Vertheidigung  Karl's  L",  die  aber  zugleich  eine  „Vertheidigung 
des  Königthums"  war.  Unter  diesem  Namen  erschien  das  Werk 
Ende  1649  ohne  Angabe  des  Verfassers  „auf  königliche  Kosten 
gedruckt"'  und  „an  den  legitimen  KönigKarl  HJ'  gerichtet (^). 

Salmasius  setzte  einen  gewaltigen  Apparat  von  Ge- 
lehrsamkeit in  Bewegung,  um  seiner  Aufgabe  zu  genügen. 
Es  fehlte  nicht  viel,  dass  er  drei  und  ein  halbes  Hundert 
Seiten  in  Folio  mit  allen  den  Citaten  aus  der  Profan- 
und  Kirchengeschichte,  Bibel  und  Talmud,  Kirchenvätern 
und  Klassikern,  römischem  und  englischem  Recht  gefüllt 
hätte,  durch  die  sich,  wie  ein  schmaler  Pfad  durch  dichtes 
Waldgestrüpp,  der  Gang  seiner  Beweisführung  mühsam  hin- 
durchwindet. Indessen  lässt  sich  dieser  doch  mit  einiger  Auf- 
merksamkeit verfolgen.     Auch   kann  nicht  bezweifelt  werden, 


Inhalt.  53 

dass  der  Schriftsteller  aus  dem  Reichthum  seiner  historischen 
und  juristischen  Studien  den  grössten  Vortheil  zieht,  solanjje 
er  sich  auf  die  Rolle  des  Kritikers  beschränkt.  Es  fällt  ihm 
nicht  schwer,  die  Vertrags -Theorie  als  eine  unbeNveisbare 
Fiktion  zu  entlarven  und  alle  Folgerungen,  die  sich  aus  ihr 
ziehen  Hessen,  durch  die  Erinnerung  an  gleichlautende  Lehren 
der  „sophistischen  Jesuiten"  zu  brandmarken.  Es  gelingt  ihm 
recht  wohl,  die  Nutzanwendung  auf  die  Geschichte  der  eng- 
lischen Verfassung  zu  machen  und  zu  zeigen,  dass  es  ver- 
lorene Mühe  sei,  alles  das  unter  ihren  Schutz  stellen  zu 
wollen,  was  das  Werk  einer  gewaltigen  Revolution  gewesen 
war.  Bedenkt  man,  dass  Salmasius  als  Ausländer  urtheilt 
und  bringt  man  Irrthümer  in  Abrechnung,  welche  durch  den 
damaligen  Stand  der  Verfassungsgeschichte  hervorgerufen 
wurden,  so  wird  man  mit  Achtung  vor  seinen  Kenntnissen 
erfüllt  werden.  Allein  sobald  er  sich  daran  macht,  selbst 
etwas  Positives  zu  schaffen,  zeigt  sich  seine  Schwäche. 

Die  staatsrechtliche  Begründung  der  Monarchie ,  die  er 
verficht,  ist  nicht  minder  willkürlich  als  diejenige,  die  er  be- 
kämpft. Aber  wenn  jene  die  mystische  Weihe  des  Königs 
aufhebt,  so  entwürdigt  diese  die  Natur  des  Menschen.  Das 
erbliche  Königthum  muss  schlechterdings  einen  ülierirdischen 
Ursprung  haben,  und  das  Princip  der  Legitimität  wird  dem 
Stahl  des  siebzehnten  .Jahrhunderts  ebenso  zum  theologischen 
Dogma,  wie  die  Alleingiltigkeit  der  Episkopalverfassung  den 
Land  und  Neile  oder  die  Alleingiltigkeit  der  Presbyterial- 
verfassung  den  Henderson  und  Baillie.  Auch  in  dem  ersten 
Königthum ,  das  anscheinend  rein  menschlich  aus  der  patri- 
archalischen Familiengewalt  erwachsen  gedacht  wird,  wirkt 
eine  übernatürliche  Kraft,  und  in  allen  Fällen,  mittelbar  oder 
unmittelbar,  bleibt  „Gott  die  erste  Ursache  der  Könige".  Mit 
unbarmherziger  Konsequenz  werden  die  Folgen  dieses  Princips 
entwickelt.  Der  König  steht  über  dem  Gesetz,  niemandem 
verantwortlich  denn  allein  Gott.  Kein  menschlicher  Richter 
darf  den  zur  V'erantwortung  ziehn,  „der  alle  richtet",  keine 
menschliche  Hand  dessen  Macht  zurückfordern,  der  sie  von 
Gottes  Gnaden  hat.     Auch  „schlechte  und  ungerechte  Könige", 


54  Inhalt. 

als  eingesetzt  von  Gott,  sind  zu  ertragen.  Ein  König  schuldet 
keinem  Menschen  Rechenschaft,  auch  wenn  er  die  Eide  bricht, 
deren  Wahrung  er  selbst  zur  Bedingung  für  den  Gehorsam 
der  Unterthanen  gemacht  hat.  Ein  König  bleibt  straflos, 
auch  wenn  er  „Ehebrecher  oder  Mörder"  ist.  Es  giebt  nur 
ein  Verhältnis,  das  dem  des  Unterthanen  zum  König  ent- 
spräche: es  ist  das  Verhältnis  des  „Sklaven  zu  seinem 
Herren". 

Mit  dieser  Palette  an  der  Hand  liess  sich  ein  Bild  der 
englischen  Verfassung  entwerfen,  wie  es  den  kühnsten  Wün- 
schen des  Hauses  Stuart  entsprach.  Der  „König  über  dem 
Parlament",  seine  Gewalt  „ununterbrochen  und  regelrecht" 
auch  ohne  dasselbe,  „unabhängig  in  Sachen  der  Religion  und 
kirchlichen  Jurisdiktion,  der  Rechtspflege,  des  Krieges  und 
Friedens",  vollkommen  befugt,  von  sich  aus  eine  Steuer  wie 
z.  B.  das  Schiffsgeld  aufzulegen.  Den  Besitz  einer  so  um- 
fassenden Gewalt  hatte  Karl  I.  dem  Autor  zufolge  in  idealer 
Weise  ausgenutzt.  Die  Welt  hatte  keinen  „unschuldigeren, 
gerechteren"  Fürsten  gesehen  als  ihn.  Seine  Herrschaft  war 
„unblutig".  Ein  einziges  Todesurtheil ,  das  unter  ihm  gefällt 
wurde,  milderte  seine  Gnade.  Unter  allen  Tugenden,  mit 
denen  er  geschmückt  war,  stachen  seine  „Aufrichtigkeit"  und 
seine  „Treue"  hervor.  Wie  er  nach  Christi  Gesetz  gelebt 
hatte,  so  endete  er,  jenem  grössten  Märtyrer  vergleichbar,  der 
auch  die  Verzeihung  Gottes  auf  seine  Mörder  herabflehte. 

Wer  die  historischen  Thatsachen  für  ein  Gebiet  in  dieser 
Weise  zurechtzustutzen  weiss ,  von  dem  ist  nicht  zu  erwarten, 
dass  er  auf  einem  anderen  glimpflicher  mit  ihnen  umspringe. 
In  der  That  ist  nichts  aufi"allender ,  als  der  Mangel  an  Ver- 
ständnis für  die  Bedeutung  der  kirchlich -politischen  Frage, 
der  sich  in  Salmasius  zeigt.  Er,  auf  dessen  theologische 
Schriften  die  Puritaner  einst  stolz  gewesen  waren,  wird  über 
Nacht  zu  einem  Verfechter  des  Episkopalsystems.  Er  wird 
es,  wie  er  später  naiv  genug  gestanden  hat,  vorzüglich  des- 
halb, weil  er  als  Vertheidiger  des  Königs  es  werden  musste, 
aber  auch  durch  die  „Erfahrung"  eines  besseren  belehrt  und 
immerhin  in  gemässigtem  Sinn  (^).    Obwohl  er  zugesteht,  dass 


Inhalt.  55 

die  „ersten  vier  Akte  des  Dramas"  den  Presbyterianern  zu 
danken  seien,  gilt  doch  sein  ganzer  Hass  den  Independenten, 
welche  den  „Schluss  der  Tragödie*'  hinzugefügt  haben.  Er 
lässt  sich  die  Mühe  nicht  verdriessen ,  ihre  Geschichte  auf 
holländischem,  amerikanischem,  englischem  Boden  zu  ver- 
folgen, aber  seine  Erzählung  kann  nicht  als  befriedigend 
gelten.  Er  macht  auch  den  Versuch,  ihre  Principieu  zu  ent- 
wickeln, aber  es  ist  ihm  unmöglich,  sie  in  ihrer  Reinheit  zu 
würdigen.  Der  Name  Independenten  scheint  ihm  daher  zu 
stammen t  dass  die  Sekte  nach  einer  vollständigen  Zügellosig- 
keit  strebt.  Mrs.  Hutchinson,  von  deren  Schicksalen  in 
Neu-England  er  Kunde  hat .  wagt  er  mit  Johann  von  Leyden 
zu  vergleichen.  Den  Gottesdienst  der  Independenten,  bei 
dem  nach  Belieben  geplaudert  und  geraucht  wird,  ihre  Moral, 
welche  den  „Heiligen"  gestattet,  ,,was  bei  anderen  als  Sünde 
gilt'',  weiss  er  drastisch  zu  schildern  und  mit  pikanten  Bei- 
spielen zu  belegen.  Dass  sie  Gütergemeinschaft  anstreben, 
steht  fest,  was  sie  sich  gegen  die  Keuschheit  erlauben,  ist 
dem  Autor  aus  einem  bestimmten  Falle  bekannt  geworden. 
Am  schwersten  wird  es  ihm  abei-,  sich  in  das  independen- 
tische  Princip  der  Gewissensfreilieit  zu  finden.  Er  hält  fest 
an  dem  Satze,  dass  „wer  eine  Ketzerei  duldet,  sie  auch  be- 
geht". Dem  Einzelnen  „volle  Freiheit  geben  in  Sachen  der 
Religion  zu  glauben,  was  er  will,  und  zu  lehren,  was  er 
glaubt" ,  gilt  ihm  als  etwas  „Ungeheuerliches".  Die  ganze 
Gesellschaft  löst  sich  damit  auf,  die  festen  bürgerlichen  Ver- 
bindungen werden  sich  lockern,  man  wird  Nomaden  gleich 
,.nur  noch  in  Zelten  wohnen  wie  die  alten  Numidier". 

Es  wäre  gut  gewesen,  wenn  wenigstens  die  Form  der  Schrift 
des  Salmasius  gegen  mögliche  Angriife  geschützter  gewesen 
wäre  als  ihr  Inhalt.  Der  Autor  hätte  seiner  Sache  nur  nützen 
können,  wenn  er  bei  seinem  Vorsatz  geblieben  wäre,  den 
,. König  zu  vertheidigen  durch  einfache  Erzählung  des  Her- 
gangs" und  auf  alle  ,, rhetorische  Schminke"  völlig  zu  ver- 
zichten. Aber  statt  einfach  zu  erzählen,  nahm  er  sich  he)-aus 
gröblich  zu  schmähen,  und  statt  sich  der  rhetorischen 
Schminke  zu  begeben,  trug  er  die  Farben  faustdick  auf.     Es 


56  Form.  —  Milton  mit  der  Erwiderung  beauftragt. 

war  richtig,  dass  ein  Process,  wie  der  jüngst  erlebte,  in  dem 
ein  „legitimer,  christlicher,  reformirter  Fürst  von  seinen  Unter- 
thanen  angeklagt  und  verurtheilt  worden",  seines  gleichen 
nicht  hatte.  Aber  es  war  eine  hohle  Phrase,  den  kommenden 
Geschlechtern  zuzumuthen,  das  Ereignis  mit  derselben  Skepsis 
zu  betrachten  wie  die  unglaublichen  Wunderzeichen  „sprechen- 
der Ochsen"  oder  „rückwärts  fliessender  Ströme',  von  denen 
die  alten  Chronisten  berichten.  Es  war  begreiflich,  dass 
alles,  was  der  „glorreiche  Märtyrer"  verschuldet  hatte,  mit 
Stillschweigen  bedeckt,  und  alles,  was  seine  Gegner  vollführt 
hatten,  verzerrt  und  entstellt  wurde.  Aber  es  war  unnöthig, 
sie  als  ,,gTässliche  Ungeheuer",  als  ,, wilde  Thiere  in  Menschen- 
gestalt", als  eine  „Pest"  der  Gesellschaft  zu  brandmarken. 
Weit  entfernt  davon,  sich  mit  einer  Aufzählung  der  gewalt- 
samen Massregeln  zu  begnügen,  denen  die  Republik  ihre 
Entstehung  und  ihre  Fortdauer  verdankte,  predigte  der  hitzige 
Professor  mit  derselben  Leidenschaft  wie  nach  ihm  Burke 
gegen  das  revolutionäre  Frankreich,  einen  förmlichen  Kreuz- 
zug gegen  das  neue  Gemeinwesen  in  England.  Er  wendet 
sich  an  alle  Könige  und  Fürsten ,  ja  überhaupt  an  alle  Staats- 
gewalten Europas.  Denn  ,,jene  Feinde  des  menschlichen  Ge- 
schlechts", jene  „tollen  Hunde"  sieht  er  darauf  ausgehn,  nicht 
allein  das  Königthum,  sondern  alle  Gesetze  abzuschütteln,  und 
das  nicht  nur  für  sich,  sondern  um  alle  christlichen  Völker 
zu  gleichem  fortzureissen. 

Die  politische  Kapuzinade  des  berühmten  Gelehrten,  den 
man  unter  der  Maske  der  Anonymität  versteckt  wusste, 
machte  ausserordentliches  Aufsehn.  Sobald  der  englische 
Staatsrath  Kunde  davon  erhielt,  dass  Exemplare  des  Buches 
von  Holland  aus  eingeführt  werden  sollten,  gab  er  strengen 
Befehl,  sie  mit  Beschlag  zu  belegen  (29,  November  1649). 
Aber  damit  wollte  er  sich  nicht  beruhigen.  Er  hielt  es  für 
nöthig,  wie  kurz  zuvor  nach  dem  Erscheinen  des  „könig- 
lichen Bildes",  eine  officielle  Gegenschrift  in  Umlauf  zu  setzen. 
Und  welche  Feder  wäre  geeigneter  für  eine  solche  Aufgabe 
erschienen  als  diejenige,  die  eben  erst  ihr  Bestes  gethan 
hatte,    den   Wirkungen  jener   royalistischen  Veröffentlichung 


Milton  mit  der  Erwiderung  beauftragt.  57 

entgegenzuarbeiten?  Der  Staatsrath  war  einstimmig.  Schon 
am  8,  Januar  erliielt  Milton  den  Auftrag,  „etwas  zur  Er- 
widerung gegen  Salmasius'  Buch  vorzubereiten".  Viele 
riethen  ihm  ali,  sich  mit  einem  Gegner  von  so  grossem  Namen 
zu  messen.  Aber  eben  dadurch  fühlte  er  sich  um  so  mehr 
gereizt.  Seine  Arbeit  gieng  langsam  von  statten,  wie  er  in 
der  Vorrede  seiner  Schrift  bemerkt,  theils  weil  ihn  Fülle  der 
Geschäfte,  theils  weil  ilm  körperliches  Leiden  vom  "Werke 
abzog.  Am  23.  December  1650  konnte  erst  der  Befehl  für 
den  Druck  ertheilt  werden.  Ende  Februar  oder  Anfang  März 
1651  wird  das  Werk  ausgegeben  worden  sein.  Es  schloss  sieh 
schön  im  Titel:  „Vertheidigung  des  englischen  Volkes"  der 
gegnerischen  Vorlage  an(0.  Auph  war  hier  gleichfalls  der 
Gebrauch  der  lateinischen  Sprache,  als  des  internationalen 
Idioms,  von  selbst  geboten.  An  einer  sofortigen  Uebersetzung 
in's  Holländische  konnte  es  ohnehin  nicht  fehlen.  Seinen 
Namen  zu  verschweigen,  hielt  Milton  für  unwürdig.  Auch 
durfte  er  stolz  darauf  sein,  in  diesem  Falle  jede  Belohnung 
in  klingender  Münze  ausgeschlagen  zu  haben.  Es  findet  sich 
allerdings  in  dem  Protokollbuch  des  Staatsraths  ein  noch 
lesbarer  Eintrag,  demzufolge  der  Sekretär  ,, wegen  der  guten 
Dienste,  die  er  in  seiner  Erwiderung  des  Salmasius  geleistet," 
mit  dem  Danke  des  Staatsrathes  die  Summe  von  „100  i^" 
erhalten  sollte.  Allein  eben  dieser  Eintrag  ist  kassirt  und 
ein  anderer  an  seine  Stelle  getreten,  der  keine  Silbe  von 
einem  Honorar  enthält,  dafür  aber  den  Dank  in  noch  höf- 
lichere Foi-men  kleidet.  Milton  war  daher  ganz  in  seinem 
Rechte,  wenn  er  später  den  Vorwurf  zurückwies,  dass  er 
diesen  Anlass  benutzt  habe,  sich  zu  bereichern,  während  er 
seinen  Gegner  oft  genug  hören  lässt,  dass  er  sich  „mit  100 
Jakobsthalern''  habe  erkaufen  lassen  ^). 

Er  hatte  noch  seine  besonderen  Gründe,  in  der  Be- 
kämpfung des  Salmasius  eine  persönliche  Aufgabe  zu  sehn. 
Sein  Name  war  allerdings  in  dem  Werke  des  leydener  Pro- 
fessors nicht  genannt  worden.  Wenn  dieser  sich  an  einen  be- 
stimmten „Advokaten  der  fanatischen  englischen  Hunde" 
gehalten  hatte,  .so  war  darunter  der  „infame"  John  Cook  ge- 


58  Seine  „erste  Vertheidigung  des  englischen  Volkes". 

meint,  der  durch  den  Druck  veröffentlicht  hatte,  was  im 
Process  des  Königs  auszuführen  ihm  versagt  gewesen  war. 
Allein  einige  Stellen  der  Saumaise'schen  Schrift  konnte  der 
Autor  des  „Rechtes  der  Könige  und  Obrigkeiten"  und  des 
„Eikonoklastes"  unschwer  auf  sich  beziehn.  Er  hatte  zu  den 
„Schwärmern"  gehört,  welche  die  Worte  des  Apostel  Paulus 
über  den  göttlichen  Ursprung  der  Obrigkeit  in  eben  der 
„fanatischen"  Weise  ausgelegt  hatten,  die  Salmasius'  Zorn 
erregte.  Er  konnte  als  der  „Gewisse  aus  der  Sekte  der  In- 
dependenten"  gelten,  welcher  den  Presbyterianern  zu  Gemüth 
geführt  hatte,  dass  „der  König  in  Karl  I"  schon  von  ihnen 
getödtet  worden  sei.  In  jedem  Fall  hatte  er  als  Publicist  für 
die  Sache  der  jungen  Republik  schon  eine  allzu  hervorragende 
Stellung  eingenommen ,  als  dass  er  sich  mit  ihren  Leitern 
nicht  auch  persönlich  durch  die  Schmähungen  des  Salmasius 
hätte  verletzt  fühlen  sollen.  In  gehobener  Stimmung  machte 
er  sich  an's  Werk.  Er  gestand  sich  ein,  dass  er  nicht  von 
„kleinen  und  gewöhnlichen  Dingen"  zu  reden  haben  werde. 
„Zu  allen  Völkern  des  Erdkreises"  sollte  seine  Vertheidigung 
der  eigenen  Nation  erschallen.  Dass  man  ihn  vor  allen  zu 
diesem  Amte  erwählt  habe,  erfüllt  ihn  mit  Stolz,  aber  er 
bittet  zugleich  demüthig  den  „Spender  aller  Gaben"  um 
Kraft,  auf  dass  ihm  sein  neues  Unternehmen  ebenso  wohl  ge- 
linge, wie  kurz  zuvor  die  Zertrümmerung  des  falschen  Kö- 
nigsbildes. 

Dem  Schriftsteller  des  siebzehnten  Jahrhunderts  war  es 
nicht  möglich,  sich  auf  dieser  reinen  Höhe  zu  halten.  Bei 
allem  Bestreben,  seihe  Sache  mit  möglichster  Würde  zu  füh- 
ren, verfiel  er  fortwährend  in  die  schlechten  Sitten  literari- 
scher Klopffechterei.  Was  Lessing  ein  Jahrhundert  später 
vom  Kritiker  forderte,  niemals  verrathen  zu  dürfen ,  ,,dass  er 
von  seinem  Autor  mehr  wisse,  als  ihm  die  Schriften  desselben 
sagen  können",  hatte  für  die  damalige  Zeit  am  wenigsten 
Geltung.  Milton  vergass  schon  auf  den  ersten  Seiten,  dass 
er  mit  einem  feierlichen  Gebet  zum  Allmächtigen  begonnen 
hatte,  um  sich  an  sehr  menschlichen  Persönlichkeiten,  die 
nicht  zur  Sache  gehörten,  recht  wohl  sein  zu  lassen. 


Form.     Persönliche  Anzüglichkeiteu.  59 

Vor  Jahren,  in  seiner  Schrift  über  das  Wesen  der  Kir- 
chenverfassung, hatte  er  keinen  Anstand  genommen,  den  „Fleiss 
des  gelehrten  Salmasius''  zu  rühmen.  { W.  IIL  122.)  Diese  Stelle 
hatte  er  schwerlich  noch  im  Gedächtnis,  als  er  „den  fremden 
Deklamator",  den  „elenden  Professor",  den  „Grammatiker"  voll 
von  ,,Thorheiten  und  Kindereien",  den  „geschwätzigsten  Esel", 
vor  der  gelehrten  Welt  an  den  Pranger  zu  stellen  unternahm. 
Es  leidet  nach  seiner  Ansicht  gar  keinen  Zweifel,  dass  Sal- 
masius,  durch  ,,G*eld  bestochen",  gegen  seine  bessere  Ueber- 
zeugung  geschrieben  habe.  Eine  „Börse  mit  hundert  Gold- 
stücken gespickt"  hat  ihn  über  Nacht  zu  einem  Verfechter 
der  Absolutio  und  des  Bisthums  gemacht,  und  was  er  ge- 
schrieben, ist  daher  nur  Emigranten-Weisheit,  deren  „verleum- 
derischer und  lügenhafter"  Inhalt  ihm  in  die  Feder  „diktirt" 
worden  ist.  Nicht  genug  damit  die  schriftstellerische  Selbst- 
ständigkeit seines  Gegners  zu  läugnen,  sucht  Milton  ihn  auch 
noch  wegen  seiner  häuslichen  Abhängigkeit  lächerlich  zu 
machen  und  die  politische  Gesinnungslosigkeit,  deren  er  ihn 
zeiht,  daraus  abzuleiten.  Das  Wortspiel,  zu  welchem  das  la- 
teinische „Gallus"  mit  seinem  Doppelsinn  aufforderte,  mochte 
sich  Milton  nicht  entgehen  lassen.  Dieser  „Gallier",  mit  dem 
er  es  zu  thun  hat,  erscheint  ihm  nicht  als  ein  Hahn,  der  über 
den  Hühnerhof  herrscht,  sondern  als  ein  Sklave  seiner  Henne. 
„Man  sagt,  dass  deine  Frau  königliche  Gewalt  über  dich 
ausübt.  Sie  ruft  dir  zu,  wann  sie  will:  ,,,, Schreib  oder  es 
setzt  Schläge""  .  .  .  und  es  ist  kein  Wunder,  dass  du  allen 
ausserhalb  deiner  vier  Wände  das  Joch  der  Tyrannei  aufge- 
legt wissen  möchtest,  der  du  selbst  im  Hause  die  schmählichste 
Knechtschaft  erträgst"  .  .  „0  über  dich  Zuchthausritter  und 
ewige  Schmach  deines  Vaterlandes!  Die  niedrigsten  Knechte 
auf  dem  Sklavenmarkte  sollten  auf  einen  so  schändlichen 
Fürsprecher  der  Sklaverei  und  Seelenverkäufer  mit  Abscheu 
speien,  keine  bürgerliche  Gesellschaft  sollte  dich  unter  sich 
aufnehmen,  dich,  die  Pestbeule  der  Menschheit  und  den  Schand- 
fleck der  Freiheit". 

Stellen  wie  diese  sind  noch  bei  weitem  nicht  das  Stärkste, 
was  Milton's  ungezügelte  Leidenschaft  ihm  eingiebt,   aber  sie 


60  Polemik  gegen  philologische  Pedanterie. 

gewähren  einigermassen  einen  Begriff  von  der  verletzenden 
Sprache,  zu  der  er  sich  hinreissen  liess.  Eine  andere  Seite 
der  Persönlichkeit  seines  Gegners,  gegen  die  er  seine  Pfeile 
des  Zornes  und  Hohnes  versendet,  ist  dessen  Gelehrteneitel- 
keit, die  so  deutlich  in  der  „Vertheidigung  des  Königs"  her- 
vorgetreten war.  Selbst  ein  Mann  der  Studirstube  und  auf 
den  verschiedensten  Gebieten  des  Wissens  wohlbewandert, 
hat  Milton  doch  keine  Gelegenheit  vorübergehn  lassen,  sich  über 
den  Standesdünkel  der  gelehrten  Kaste  lustig  zu  machen  und 
die  Rechte  des  einfachen  Mutterwitzes  in  Schutz  zu  nehmen. 
Zu  gleicher  Zeit  kommt  aber  gegenüber  dem  philologischen 
Pedanten  etwas  von  jenem  bitteren  Gefühl  zum  Ausdruck, 
das  einst  in  der  Schrift  über  die  Erziehung  sich  Luft  ge- 
macht hatte.  Er  freut  sich,  dem  berühmten  Latinisten  einige 
sprachliche  Schnitzer  aufmutzen  und  dem  Kenner  der  klassi- 
schen Literatur  die  Unrichtigkeit  eines  Gitats  nachweisen  zu 
können.  Er  geht  so  weit,  auch  die  dauernden  wissen- 
schaftlichen Verdienste  seines  Gegners  zu  verkennen.  „Du 
hast  dich  zeitlebens  mehr  mit  Wörterbüchern  und  Glossarien 
abgegeben,  als  mit  verständiger  Lektüre  guter  Autoren. 
Von  verschiedenen  Handschriften  und  Lesarten  und  Emenda- 
tionen  machst  du  grossen  Lärm,  aber  an  soliden  Kenntnissen 
zeigst  du  dich  völlig  baar  .  .  Ueber  die  kleinsten  Kleinigkei- 
ten führst  du  Krieg  und  thust  jeden  in  den  Bann,  der  dir 
den  Ruhm  der  Wiederherstellung  eines  Buchstabens  in  irgend 
einem  Codex  zu  bestreiten  wagt  .  .  Aber  ich  sage  dir,  irgend 
ein  Mensch  aus  der  Hefe  des  Volkes  —  diese  Bezeichnung 
hatte  Salmasius  den  englischen  Republikanern  zugeschleu- 
dert, —  der  des  Glaubens  ist,  für  Gott  und  sein  Vaterland, 
aber  nicht  für  seinen  König  geboren  zu  sein,  er  ist  gelehrter, 
weiser,  ehrenhafter  und  ein  nützlicheres  Mitglied  der  Gesell- 
schaft als  du.  Denn  er  ist  verständig  ohne  Gelehrsamkeit, 
du  aber  hast  Gelehrsamkeit  ohne  Verstand.  Du  kannst  so 
viele  Sprachen  und  hast  so  viele  Bände  durchgelesen  und  bist 
doch  ein  Dummkopf  geblieben." 

Für  denjenigen,   der  sich  an  dieser  allgemeinen  Charak- 
teristik des   Salmasius  genügen  liess,   musste  das  Werk,   um 


Eücksicbt  auf  Presbyterianer  und  Niederländer.  61 

das  es  sich  handelte,  schon  gerichtet  sein.  Indessen  Milton 
nimmt  sich  die  Mühe,  es  im  einzelnen  zu  zergliedern,  seine 
Unrichtigkeiten  aufzudecken,  seine  Widersprüche  blosszulegen, 
vor  allem  seine  Grundansicht  zu  bekämpfen.  Er  thut  es  mit 
grossem  dialektischen  Geschick,  mit  wirksamen  Uebergängen 
des  Tones  vom  Pathetischen  zur  Ironie  und  ohne  in  der 
Hitze  des  Kampfes  die  praktischen  Zwecke  aus  dem  Auge  zu 
verlieren,  denen  seine  Arbeit  dienen  sollte.  Auf  presbyteria- 
nische  Leser  konnte  es  seine  Wirkung  vielleicht  nicht  ganz 
verfehlen,*  wenn  sie  sich  aus  Salmasius'  eigenen  Worten  nach- 
weisen lassen  mussten,  was  für  ein  Schicksal  die  Restauration 
der  Stuarts  so  manchen  jener  gesetzgeberischen  Akte  bereiten 
würde,  bei  denen  sie  selbst  einst  eifrig  mitgewirkt  hatten. 
Auf  das  niederländische  Publikum  war  es  berechnet,  wenn 
auch  hier  wieder  des  Befreiungskampfes  gegen  Spanien  rüh- 
mend gedacht  ward,  während  die  „batavische  Jugend"  von 
jenem  ,, Sophisten"  hören  niusste,  dass  die  elendeste  Tyrannei 
jeder  Revolution  vorzuziehen  sei.  Die  Universität  Leyden 
insbesondere  wird  als  „einstiger  Sitz  der  Freiheit"  hoch  geprie- 
sen. Es  scheint  dem  Autor  kaum  glaublich,  dass  in  ihren 
Mauern  ein  Buch  von  so  „sklavischer"  Tendenz  hat  entstehen 
können.  Freilich  springt  Milton  auch  hier  wieder  nicht  we- 
niger frei  mit  den  Thatsachen  um,  wie  in  den  übrigen  politi- 
schen Schriften,  die  er  bisher  für  die  Republik  verfasst  hatte. 
Es  wäre  eben  so  verfehlt,  sich  bei  ihm  Rathes  erholen  zu 
wollen  über  die  Ereignisse,  die  seiner  eigenen  Zeit  angehört 
hatten  wie  über  die  Geschichte  der  Verfassung  seines  Landes. 
Im  einen  Fall  spricht  der  Puritaner,  dem  es  nicht  möglich  ist, 
Dichtung  und  Wahrheit,  zu  scheiden ,  im  anderen  der  Theo- 
retiker, der  sich  die  staatsrechtliche  Ueberlieferung  willkürlich 
nach  dem  Bedürfnis  seiner  Doktrin  zuschneidet.  Allein  eben 
diese  verleiht  dem  ganzen  Buche  das  hauptsächliche  Interesse. 
Denn  was  früher  nur  in  leichten  Umrissen  skizzirt  worden 
war,  erscheint  hier  in  festen  Zügen  genauer  ausgeführt,  da  es 
sich  darum  handelt,  der  Lehre  des  Salmasius  eine  andere 
gegenüberzustellen. 


Q2  Der  Gegensatz  der  Principien. 

In  dei'  That ,  was  ]\Iilton  in  seinem  Widersacher  be- 
kämpfte, war  nicht  dessen  persönliche  Ansicht,  sondern  die 
Zusammenfassung  jener  politischen  Grundsätze,  die  schon  oft 
in  England  eine  Widerlegung  hervorgerufen  hatten.  In  glei- 
cher Weise  wie  der  Professor  von  Leyden  hatte  das  anglika- 
nische Hochkirchenthum  dem  unumschränkten  Königthum  das 
Wort  geredet.  Mit  derselben  Xaivetät  wie  er  hatte  der  loyale 
Verfasser  einer  kleinen  Flugschrift  1647  das  Dasein  monar- 
chischer Ordnung  im  ganzen  Bereich  der  Natur  nachzuweisen 
gesucht  und  daraus  geschlossen,  dass  die  Könige,  als  unmittel- 
bar von  Gott  eingesetzt,  nöthigenfalk  auch  als  Strafe  Gottes 
zu  ertragen  seien (^).  Ihre  Spitze  erhielt  diese  Richtung  in 
Robert  Filmer.  Dessen  Hauptwerk  „Patriarcha"  wurde  frei- 
lich erst  1680  bekannt.  Aber  schon  vor  Begründung  der  Re- 
publik war  er  bestrebt  gewesen,  seine  Leser  von  der  „Noth- 
wendigkeit  der  absoluten  -Macht  aller  Könige  und  insbesondere 
des  Königs  von  England'",  sowie  von  der  „Anarchie  einer  ein- 
geschränkten oder  gemischten  Monarchie"  zu  überzeugen. 
Auch  hat  es  Filmer  an  seinem  Widerspruch  gegen  die  staats- 
rechtliche Theorie  Milton's  nicht  fehlen  lassen (-). 

Der  Ausgangspunkt  dieser  Theorie  und  der  Theorie  des 
Salmasius  ist  scheinbar  der  gleiche,  der  theologischen  Denk- 
und  Sprechweise  des  Zeitalters  entlehnt:  „die  Obrigkeit  hat 
ihren  Ursprung  von  Gott".  Es  ist  dieselbe  Formel,  mit  der 
einst  Luther  das  selbstständige  Recht  des  Staates  gegenüber 
der  mittelalterlichen  Anschauung  in  Schutz  genommen  hatte. 
Aber  während  Salmasius  daran  gelegen  ist,  einer  bestimmten 
Staatsform,  der  monarchischen,  dies  Monopol  zu  sichern,  fasst 
Milton  den  Satz  in  dem  allgemeinen  Sinne  auf,  wie  er  von 
Haus  aus  gemeint  war.  Er  hütet  sich,  eine  weitere  Ver- 
mischung von  Theologie  und  Politik  vorzunehmen.  „Die 
Obrigkeit  geht  insofern  auf  göttliche  Einsetzung  zurück",  als 
nach  Gottes  Willen  die  Menschen  in  Staaten  unter  Gesetzen 
leben  sollen.  Eine  prädestinirte ,  unter  allen  Umständen  von 
Gott  gewollte  Staatsform  giebt  es  aber  nicht.  Bei  der  ..Ent- 
scheidung über  diese  oder  jene  Art  der  Verfassung,  bei  der 
Wahl  dieser  oder  jener  Regiemng"  beginnt  das  freie  mensch- 


Menschlicher  Ursprung  der  einzehien  Staatsverfassungen.        ßg 

liehe  Ermessen,  ausgedrückt  durch  den  Willen  des  „Volkes". 
Von  diesem  „floss  von  Anfang  an  alle  Gewalt,  wie  sie  noch 
heute  von  ihm  ausgeht".  Dem  gründlichen  Kenner  des  alten 
Testamentes  bieten  sich  alle  jene  so  häufig  angerufenen,  von 
antimonarchischem,  ja  republikanischem  Geist  durchdrungenen 
Aussprüche  als  Hilfstnippen  dar.  Aber  nicht  weniger  lässt 
er  sich  angelegen  sein,  das  Evangelium  gegen  Versuche  einer 
Auslegung  in  Schutz  zu  nehmen,  die  nicht  zum  ersten  und 
nicht  zum  letzten  Male  einer  bestimmten  politischen  Idee  ihre 
wohlberecfinete  Unterstützung  lieh.  „Jene  göttliche  Botschaft 
der.  Freiheit"  kann  nicht  für  die  Sache  der  über  jeden  An- 
griff erhabenen  Monarchie  angerufen  werden.  Im  Gegentheil: 
„Christen  sollten  entweder  gar  keinen  König  haben,  oder  er 
sollte  der  Diener  des  Volkes  sein". 

Den  Beweisen  aus  der  Bibel  war  bei  Salmasius  der  Beweis 
aus  der  Natur  gefolgt,  dem  Beweis  aus  der  Natur  der  Beweis 
aus  der  Geschichte.  Auch  hier  giebt  Milton  dem  Gegner 
keinen  Schritt  breit  nach.  Es  war  ebenso  kindlich  wie  be- 
quem, den  absoluten  Werth  der  Monarcliie  durch  gewisse 
Analogieen  aus  dem  Thierreich  zu  begründen.  Es  war  ebenso 
geschmacklos  wie  verfänglich  zu  gleichem  Zweck  mit  sicht- 
lichem Behagen  bei  der  Geschichte  des  orientalischen  Alter- 
thums  zu  verweilen.  Dem  Naturgesetz ,  welches  sich  dort 
offenbaren  sollte,  stellt  Milton  ein  anderes  gegenüber:  den 
angeborenen  Trieb,  sich  seiner  Haut  zu  weliren.  Dem  Hin- 
weis auf  das  vermeintliche  Gesetz  der  Geschichte  begegnet 
er  durch  die  Bemerkung:  „Was  Natur  und  Vernunft  erhei- 
schen, das  lehrt  uns  die  Betrachtung  nicht  der  meisten ,  son- 
dern der  weisesten  Nationen".  Dass  Griechen  und  Römer  an 
deren  Spitze  stehen ,  versteht  sich  für  den  begeisterten  Ver- 
ehrer des  klassischen  Alterthums  von  selbst.  Und  indem  er 
sie  jenen  grossen  Despotieen  des  Ostens  gegenüberstellt,  die 
für  Salmasius'  Beweisführung  hatten  dienen  müssen,  gelangt 
er  seinerseits  unvermerkt  dazu,  republikanischen  Einrichtungen 
das  Wort  zu  reden.  Mit  seiner  Hinneigung  zur  Antike  ver- 
binden sich  stolze  Erinnerungen  an  gemeinsame  politische 
Urbegriffe  der  Germanen  und  an  die  eigenthümliche  bürgerliche 


g^  Befürwortung  der  Eepublik. 

Entwickelimg  der  Engländer  insbesondere.  Von  ihnen  rühmt 
er,  dass  sie  „freigeboren  sind,  sich  selbst  genügen,  sich  nach 
ihrem  Willen  Gesetze  geben  können  und  dass  sie  vor  allen  übrigen 
jenes  älteste,  von  der  Natur  selbst  gegebene  am  höchsten 
achten:  dass  jedes  Recht  und  jede  Regierung  der  Wohlfahrt 
aller  guten  Bürger  und  nicht  den  Gelüsten  einzelner  Herr- 
scher zu  dienen  habe-'.  Allerdings  er  verwahrt  sich  ausdrück- 
lich dagegen,  der  Monarchie  an  sich  diesen  Charakter  zuzu- 
schreiben. Sie  kann  sich  sehr  wohl  „mit  der  höheren  Macht 
der  Gesetze  und  des  Volkes"  vertragen.  Aber  immerhin  be- 
trachtet er  es  als  ein  Zeichen  von  ,. Schlauheit  und  Schwäche", 
wenn  ein  Volk  sein  .,Hab  und  Gut,  Freiheit  und  Frieden" 
nicht  durch  eigene  „Tüchtigkeit,  Fleiss,  Klugheit  und  Energie" 
zu  schützen  im  Stande  ist. 

In  der  That  war  es  begreiflich,  wenn  er,  dem  Gedanken 
einer  alleinseligmachenden  Staatsform  entgegentretend,  für 
die  republikanische  dennoch  die  Vorbedingungen  einer  höheren 
Bildung'  voraussetzte  und  ihr  selbst  damit  eine  erhabenere 
Stufe  anwies.  Denn  den  menschlichen  Ursprung  der  einzeU 
nen  Verfassungsformen  einmal  zugegeben,  scheint  ihm  die 
monarchische  gleichsam  nur  ein  Nothbehelf  zu  sein.  Sie  ent- 
stammt einer  Epoche  niederer  Kultur,  da  das  Volk  es  für  ein 
Bedürfnis  hielt,  „einen  Einzigen  zur  Wahrung  des  Wohles,  des 
Friedens  und  der  Freiheit  aller  an  die  Spitze  zu  stellen".  Er 
spricht  nicht  ausdrücklich  von  einem  „Kriege  aller  gegen 
alle",  der  dem  Abschluss  politischer  Verträge  vorangegangen 
sei.  Aber  seine  Worte  streifen,  wie  in  der  Schrift  über  das 
Recht  der  Könige  und  Obrigkeiten,  doch  nahe  an  diese  Phrase. 
Allein  es  soll  nicht  gesagt  sein,  „dass  das  Volk  dem  Könige 
seine  Macht  einfach  (ohne  Bedingung)  zu  eigen  gegeben  habe", 
ja  es  kann  ,,der  Natur  nach"  nicht  gesagt  sein.  Denn  wie 
diese  sich  „durch  die  Mittheilung  einer  Kraft  keineswegs  er- 
schöpft", so  bleibt  „sozusagen  virtuell  die  Macht  beim  Volke, 
auch  wenn  sie  von  diesem  einem  anderen  übertragen  worden 
ist''.  „Das  Volk  ist  immer  das  Höhere".  Wird  der  Zweck 
nicht  erreicht,  der  den  Akt  der  Machtübertragung  hervorge- 
rufen  hat,   so   „kehrt   diese  Macht  zum  Volke  zurück",   das 


Idee  der  Volkssouveränetät.  —  Der  Volksbegriff.  65 

fiüher  Geschehene  ist  einem  , .nichtigen  Vertrage"  gleichzu- 
aehten. 

Es  war  nicht  möglich,  die  Idee  der  Volkssouveränetät 
entschiedener  zu  betonen.  Trotz  der  biblischen  Einkleidung 
bricht  sie  mit  eben  der  Verständlichkeit  durch,  mit  der  sie 
ein  Jahrhundert  später  durch  Rousseau  den  modernen  Leser 
zu  packen  gewusst  hat.  —  Hier  drängte  sich  nun  aber  die  Frage 
auf,  wer  unter  dem  Volke  zu  verstehen  sei,  zu  welchem  die 
Macht  zurückkehre,  und  durch  welche  Organe  es  sieh  dieser 
wieder  heimgefallenen  Macht  zu  bedienen  habe.  Der  Ver- 
theidiger  der  englischen  Republik  bemhrte  damit  ein  gefähr- 
liches Thema.  Wollte  er  sich  auf  den  Begiiff  der  Mehrheit 
stützen,  so  musste  er  dem  Einwurf  begegnen,  dass  sie  nicht  auf 
seiner  Seite  stehe.  Wollte  er  auf  die  Institution  des  Parla- 
ments zurückgreifen,  so  musste  er  sich  sagen  lassen,  dass  sie 
mit  dem  Wegfall  der  Lords  ihr  Wesen  verändert  habe.  Und 
selbst  wenn  er  sich  darauf  beschränkte,  im  Hause  der  Ge- 
meinen die  Souveränetät  des  Volkes  verkörpert  zu  sehn,  so 
Hess  sich  die  Erinnerung  an  den  gewaltsamen  Eingriff  in  den 
Bestand  dieser  Versammlung  nicht  abweisen.  Salmasius  hatte 
alle  diese  schwachen  Seiten  sehr  wohl  zu  fassen  gewusst.  Er 
hatte  gefragt,  „was  man  sich  denn  unter  dem  Volke  zu  den- 
ken habe'^  Er  hatte  hervorgehoben,  wie  das  Unterhaus 
schmähhch  verstümmelt,  das  Oberhaus  mit  dem  König  dem 
Untergang  geweiht  worden  sei.  Er  hatte  geradezu  erklärt, 
dass  nichts  mehr  übrig  geblieben  sei  als  „der  Schatten  eines 
Parlamentes",  und  dass  in  Wahrheit  nur  noch  die  rohe  Ge- 
walt des  Säbels  herrsche.  Hier  war  ein  klaffender  Riss 
zwischen  der  Wirklichkeit  und  zwischen  der  Theorie  vorhan- 
den, und  keine  noch  so  gewandte  Dialektik  war  im  Stande, 
ihn  zu  überbrücken.  Indem  Milton  sieh  dennoch  genöthigt 
sieht,  diesen  vergeblichen  Versuch  zu  unternehmen,  beginnt 
er  mit  einer  Erklärung  des  Volksbegrififes ,  die  man  um  so 
mehr  beachten  wird,  je  deutlicher  man  sich  der  herben  Worte 
eiinnert,  die  er  im  Eikonoklastes  gegen  die  „grosse  Masse" 
hatte  fallen  lassen.  „Du  scheinst  zu  meinen  —  ruft  er  sei- 
nem Geg-ner  zu,  —  dass  wir  unter  Volk  nur  die  Plebs  ver- 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  3.  5 


QQ         Der  VolksbegiüfF.  —  Hervorhebung  des  dritten  Standes. 

stehn,  weil  wir  das  Haus  der  Lords  abgeschafft  haben.  Und  doch 
beweist  eben  dies,  dass  wir  mit  dem  Worte  Volk  alle  Bürger 
jedes  Standes  zusammenfassen.  Daher  haben  wir  eine  höchste 
Versammlung  geordnet,  in  der  auch  Adlige,  als  Mitglieder 
des  Volkes,  Sitz  und  Stimme  haben  können,  aber  nicht  aus 
eigenem  Recht  wie  früher,  sondern  als  Vertreter  ihrer  Wäh- 
lerschaften. Du  ziehst  auf  die  Plebs  los,  nennst  sie  blind  und 
dumm,  unfähig  zur  Regierung  und  behauptest,  nichts  sei  win- 
diger, eitler,  unbeständiger  und  unzuverlässiger  als  sie.  Das 
alles  passt  Tortrefflich  auf  dich  und  in  der  That  auch  auf  den 
gemeinen  Pöbel,  aber  nicht  'auf  den  Mittelstand  (de  media 
non  item).  Unter  ihm  sind  sehr  viele  höchst  verständige  und 
geschäftskundige  Männer.  Die  anderen  werden  theils  durch 
Luxus  und  Ueberfluss,  theils  durch  Mangel  und  Noth  von 
männlicher  Tugend  und  Einsicht  in  die  staatlichen  Angelegen- 
heiten abgehalten." 

Wie  man  sieht,  zeigt  sich  Milton  der  Ausdehnung  politi- 
scher Berechtigung  über  eine  gewisse  Grenze  innerhalb  der 
Masse  der  Staatsbürger  ebenso  abgeneigt  wie  der  Erhaltung 
gewisser  Privilegien  von  Stand  und  Geburt.  Man  hat  mit  gutem 
Grunde  in  seinen  Worten  den  Kern  jenes  Gedankens  gefun- 
den, welchem  der  Abbö  Sieyes  am  Vorabend  der  französischen 
Revolution  die  einschneidende,  epigrammatische  Form  gegeben 
hat.  Es  ist  der  dritte  Stand,  der  sich  an  die  Stelle  der  bis- 
herigen Gewalten  setzt.  Die  von  ihm  gewählten  Vertreter 
erscheinen  Milton  als  alleinige  sichtbare  Träger  der  Souverä- 
netät  des  Volkes,  und  er  scheint  in  keiner  Weise  zu  besor- 
gen, dass  eine  solche  einzige  „omnipotente"  Versammlung 
ihrerseits  nicht  weniger  tyrannisch  auftreten  könne,  wie  der 
unumschränkte  Träger  einer  Krone.  Dem  Hause  der  Lords 
M'urde  damit  die  Berechtigung  des  Daseins  abgesprochen. 
Seine  Mitglieder  „vertraten  nur  sich  selbst,  standen,  nicht  aus 
Wahl  hervorgegangen,  in  keinem  Rechtsverhältnis  zum  Volk". 
„Das  Haus  der  Gemeinen  bildete  für  sich  allein  ein  vollstän- 
diges und  gesetzmässiges  Parlament".  Und  wie  hier  Milton's 
Theorie  den  Thatsachen  sich  anzupassen  weiss,  so  schreckt 
er  nicht   davor  zurück,  auch   den  Akt  der  Gewalt  in  Schutz 


Quellen  der  Milton'schen  Theorie.  67 

ZU  nehmen,  der  doch  sichtlich  einem  Hohn  auf  den  Begriff 
pariamen tarischer  Autorität  gleich  kam,  ^Der  eine  Theil  des 
Parlamentes  erstrebte  die  Knechtschaft  und  einen  Frieden  um 
jeden  Preis,  der  andere  die  Freiheit  und  einen  Frieden,  der 
sicher  und  ehrenvoll  wäre".  Dies  war  der  „gesundere  Theil". 
Es  war  nur  zu  billigen,  wenn  dieser,  um  dem  „Verrath  des  Vater- 
landes" entgegenzutreten,  die  Hilfe  des  „tapfersten  und  treue- 
ßten  Heeres"  anrief.  Und  so  gewinnt  Milton  es  über  sich, 
auf  Salmasius'  Frage,  ob  „das  Volk"  es  gewesen,  welches  das 
Unterhaus' verstümmelt  habe,  zu  antworten:  „Es  war  das 
Volk.  Denn  was  der  bessere,  gesundere  Theil  des  Parla- 
mentes that,  bei  dem  die  wahre  Macht  des  Volkes  ihren  Sitz 
hatte,  davon  darf  ich  sagen,  dass  das  Volk  selbst  es  ge- 
than  hat." 


Der  Biograph  einer  bedeutenden  Persönlichkeit  kann  sich 
nicht  damit  begnügen,  diese  für  sich  zu  betrachten,  abgelöst 
von  dem  Boden,  auf  dem  sie  erwachsen  ist.  Er  wird  den 
verschiedenen  Bildungselementen  nachgehn,  die  zur  Entwick- 
lung des  einen  Genius  beigetragen  haben  und  zu  sondern 
suchen,  was  diesem  von  Haus  eigenthümlich  ist,  und  was  er 
der  Einwirkung  von  aussen  verdankt.  Diese  Vorschrift,  an- 
gewandt auf  die  Biographie  Milton's,  hat  eben  so  wohl  Giltig- 
keit  für  die  Würdigung  des  Politikers  wie  für  die  Würdigung 
des  Dichters.  Wer  Milton's  politische  Schriften  durchliest, 
wird  sich  mit  Leichtigkeit  davon  überzeugen,  dass  sich  der 
Grundstock  seiner  politischen  Ansichten  über  den  Staat  aus 
zwei  Bestandtheilen  zusammensetzt.  Der  eine  dient  mehr 
zur  Bildung  seiner  allgemeinen  Ideen.  Der  andere  bestimmt 
sein  Urtheil  über  die  besonderen  Verhältnisse  seiner  Nation. 
Es  sind  die  Schriftsteller  des  klassischen  Alterthums  und  die 
staatsrechtlichen  Versuche  heimischer  Autoren,  bald  Aristo- 
teles und  Cicero,  bald  Fortescue  und  Sir  Thomas  Smith,  auf 
die  er  sich  ausdrücklich  beruft  oder  deren  Aeusserungen  er 
umschreibt.  Indem  er  sie  mit  gewissen  Aussprüchen  der 
Bibel  in  Verbindung  setzt,  ahmt  er  eben  das  Verfahren  nach, 
welches  er  bei  der  Gestaltung  seines  poetischen  Stils  durch 


63  Schriften  der  Jesuiten. 

Verschmelzen  biblischer,  antiker  und  moderner  Bestandtheile 
mehr  oder  weniger  bewusst  befolgt  hatte.  Man  fühlt  sich  in- 
dess  zu  der  Frage  gedrängt,  ob  nicht  noch  näherliegende 
Quellen  vorhanden  waren,  denen  jene  Anschauung  von  der 
Souveränetät  des  Volkes  mit  allem,  was  sich  aus  ihr  ergab, 
entfliessen  mochte.  Bedenkt  man,  dass  Milton  mit  Hugo  Gro- 
tius  persönlich  bekannt  war  und  nicht  minder  seine  Werke 
hochschätzte,  so  ist  man  versucht  zu  fragen,  ob  nicht  das 
„Recht  des  Krieges  und  des  Friedens"  ihm  eine  bedeutende 
Anregung  gegeben  habe.  Allein  wenn  sich  hier  auch  die  Theorie 
angedeutet  fand,  nach  welcher  ein  Vertrag  der  Einzelnen  den 
Staat  begründet  haben  sollte,  so  wird  doch  aufs  entschie- 
denste Verwahrung  dagegen  eingelegt,  dass  die  Souveränetät 
überall  und  ausnahmslos  beim  Volk  beruhe,  sodass  eine  Be- 
strafung tyrannischer  Fürsten  erlaubt  sei  ^). 

Verführerischer  wäre  es,  an  gewisse  Werke  der  Jesuiten 
zu  denken,  die  für  die  Ausbreitung  jener  Lehre  eine  so  grosse 
Bedeutung  gehabt  haben.  Anknüpfend  an  dieselbe  Idee,  zu 
deren  Dolmetscher  sich  bereits  Lainez  auf  dem  Koncil  von 
Trient  gemacht  hatte,  waren  namentlich  Bellarmin,  Rosseus 
und  Mariana  mit  ebenso  viel  Eifer  wie  Geschick  bemüht  ge- 
wesen, eine  Theorie  zu  entwickeln,  die  überaus  geeignet  war, 
gewaltige  Kräfte  und  Leidenschaften  für  die  Zwecke  ihres 
Ordens  in  Bewegung  zu  setzen-).  Dass  die  Regierung  nur 
im  allgemeinen  Sinn,  aber  nicht  nach  ihrer  besonderen  Form 
göttlichen  Ursprungs  sei,  dass  die  Gewalt  in  der  gesammten 
Menge  ruhe  und  von  ihr  auf  einen  oder  mehrere  übertragen 
werde,  dass  aber  damit  kein  endgiltiger  Verzicht  auf  die  Ge- 
walt \^rbunden,  vielmehr  in  gewissen  Fällen  das  Recht  ihrer 
Zurücknahme  unläugbar  sei:  diese  Ansichten  finden  sich,  wie 
bekannt,  durch  die  Autorität  einer  glänzenden  Schaar  jesui- 
tischer Schriftsteller  gestützt.  Dieser  und  jener,  wie  Mariana, 
geht  dabei  von  der  Annahme  gleichsam  eines  doppelten  Ver- 
trages aus,  eines  ersten,  der  die  Gesellschaft,  eines  anderen, 
der  die  besondere  obrigkeitliche  Gewalt  konstituirt,  in  eben 
der  Weise  wie  Milton  später  in  seinem  Werkchen  über  „das 
Recht  der  Könige"  (s.  B.  IL  442).  r  Aber  derselbe  Mariana 


Schriften  der  Jesuiteu.  —  Hotman.    Languet.    Buchanan.       69 

ist  es  auch,  der  die  That  des  Jacques  Clement  erhebt,  den 
Tyrannenmord  rechtfertigt,  während  Milton  sich  immerhin  nur 
dazu  aufgerufen  sah,  einen  Akt  zu  vertheidigen,  bei  welchem 
die  äusserlichen  Formen  eines  gerichtlichen  Verfahrens  inne 
gehalten  waren ^).  Und  sollte  es  überhaupt  angehen,  in  ihm 
einen  Schüler  von  Männern  sehn  zu  wollen,  gegen  die  seine 
ganze  puritanische  Denkweise  pm  mit  dem  glühendsten  Hass 
erfüllen  musste?  Läuft  ihre  Lehre  nicht  darauf  hinaus, 
die  Oberhoheit  der  geistlichen  Macht  zu  begründen,  deren 
unerschütterliches  göttliches  Recht,  im  Pabstthum  verkörpert, 
den  Ansprüchen  der  Staatsmacht  um  so  siegreicher  gegen- 
übertreten konnte,  je  menschlicher  der  Ui"sprung  dieser  letz- 
ten, auf  dem  veränderlichen  Willen  der  Masse  beruhend,  ge- 
dacht ward?  Vermeidet  Milton  nicht  selbst  bei  seiner  Defini- 
tion des  Volksbegriffs  sichtlich,  das  Volk  der  blossen  Menge, 
der  „tota  multitudo",  wie  Bellarmin  sich  ausgediückt  hatte, 
gleichzustellen?  Mochte  Salmasius  immerhin  von  dem  billigen 
Kunstgriff  Gebrauch  machen,  die  „beiden  Sekten  in  der  Chri- 
stenheit, Jesuiten  und  Independenten",  als  gemeinsame  Väter 
jener  „verabscheuungswürdigen  Doktrinen"  zu  betrachten, 
Milton  hatte  nicht  nöthig,  sich  gegen  eine  solche  Gemeinschaft 
mit  allen  Kräften  zu  wehren. 

Man  darf  vermuthen,  dass  er  in  einem  ganz  anderen 
Lager  Verfechter  einer  politischen  Idee  aufgesucht  und  ge- 
funden hat,  für  die  er  wenn  nicht  als  der  wirksamste  so  doch 
als  einer  der  edelsten  Kämpen  in  die  Schranken  trat.  Das 
uns  erhaltene  Kollektaneenbuch  des  Dichters,  zu  dem  man  zu- 
nächst um  weiterer  Aufklärung  willen  greifen  wird,  gewährt 
fi'eilich  nur  eine  magere  Ausbeute.  Allerdings  finden  sich 
unter  den  Titeln  „Republik,  König,  Tyrann"  zahlreiche 
charakteristische  Einträge,  denen  man  in  den  Milton'schen 
Schriften  wieder  begegnet.  Am  bemerkenswerthesten  sind 
diejenigen  Auszüge  aus  Macchiavelli ,  welche  die  tief  republi- 
kanische Gesinnung  des  grossen  vieldeutigen  Florentiners  aus- 
zudrücken scheinen.  Auch  der  unerbittliche  Satz  aus  den 
Discorsi  „gegen  einen  schlechten  Fürsten  hilft  nur  das  Eisen" 
hat  Aufnahme  gefunden (2).    Allein  die  besondere  Lehre,  um 


70  Hotman.    Languet.     Buchanan. 

die  es  sich  liier  handelt,  wird  nicht  berührt.  Bemerkt  man 
nun  aber,  dass  Milton  eben  in  seiner  „Vertheidigung  des  eng- 
lischen Volkes"  Franz  Hotman's  Franco-Gallia  sowie  wenig 
später  Hubert  Languet's  „Gegen  die  Tyrannen"  citirt  und 
erwägt  man  andererseits,  dass  er  auf  Buchanan  nicht  hier  zum 
ersten  Male  Rücksicht  nimmt,  so  wird  man  annehmen  dürfen, 
dass  von  diesen  beiden  Seiten  her  ein  wesentlicher  Einfluss 
auf  seinen  eigenen  Gedankengang  ausgeübt  worden  ist(^). 

Unter  dem  Eindruck  der  Bartholomäusnacht  verfasst, 
von  den  bitteren  Gefühlen  erfüllt,  welche  durch  das  allgemeine 
Unglück  und  persönliche  Schicksale  hervorgerufen  werden 
mussten,  waren  die  Schriften  von  Hotman  und  Languet  an's 
Licht  getreten  und  hatten  eine  ganze  Literatur  nach  sich  ge- 
zogen. Dort  sollte  aus  den  Denkmalen  der  heimischen  Ge- 
schichte und  des  heimischen  Staatsrechts  der  Beweis  erbracht 
werden,  dass  der  grosse  Rath  der  Nation  von  je  die  höchste 
Autorität  besessen  habe.  Hier  wurde  aus  biblischen  und  all- 
gemein-historischen Zeugnissen  die  Lehre  abgeleitet,  dass  das 
Volk  der  Urquell  der  königlichen  Gewalt  sei,  der  wahre 
„Herr"  im  Gegensatz  zu  seinem  „ersten  Diener",  dass  ein 
gegenseitiger  Vertrag  Volk  und  König  binde,  jenes  aber  nur 
unter  bestimmten  Bedingungen,  von  deren  Innehaltung  die 
Rechtsgiltigkeit  des  Kontrakts  abhänge.  In  beiden  Fällen 
wurde  die  Idee  von  der  Volkssouveränetät  nicht  mehr  wie  bei 
den  Jesuiten  einem  bestimmten  kirchlichen  Zweck  zu  Gefallen, 
sondern  aus  allgemeinen  politisch-historischen  Gründen  ver- 
fochten. 

Derselben  Zeit  gehörte  Buchanan's  berühmter  Dialog 
„über  das  königliche  Recht  in  Schottland"  an.  Der  Geschichts- 
schreiber seines  Vaterlandes  und  der  Lehrer  des  Sohnes 
Maria  Stuarts  gab  den  Ueberzeugungen  der  presbyterianischen 
Partei  einen  kaum  weniger  energischen  Ausdruck  als  die 
Hotman  und  Languet  denen  der  Hugenotten.  Das  Volk  hat 
das  Recht  die  Herrschaft  wem  es  will  zu  übertragen.  Der  Ver- 
trag, den  es  dadurch  mit  dem  Herrscher  eingeht,  wird  unter 
Umständen  auflösbar.  Der  grössere  Theil  des  Volkes  darf 
den  König  vor  Gericht  stellen.   Die  Verfolgung  des  „Tyrannen", 


Volkssouveränetät  und  Independentismus.  71 

als  eines  „allgemeinen  Feindes",  sogar  durch  einzelne,  erscheint 
nicht  tadelnswerth(i). 

Es  waren  dies  die  politischen  Grundbegriffe  des  Pres- 
byterianismus,  deren  Eindringen  in  England  Karl  L  mit  gutem 
Grunde  als  eine  Gefahr  für  das  Königthum,  wie  er  es  ver- 
stand, bezeichnet  hatte. 

Inzwischen  hatte  der  Independentismus  schon  längst  sie 
nicht  nur  mit  der  ihm  eigenen  Entschiedenheit  aufgenommen 
und  weiter  gebildet,  sondern  sogar  jenseits  des  Weltmeeres 
den  glücklichen  ^' ersuch  gemacht  Gemeinwesen  in's  Leben 
zu  rufen,  die  eben  die  Souveränetät  des  Volkes  als  Rechts- 
gTund  ihres  Daseins  voraussetzten.  Eigenthümlich  war  den 
independentischen  Theoi'etikern  nur  dies,  dass  sie  die  Wirk- 
samkeit der  Volkssouveränetät  und  folglich  auch  der  aus  ihr 
entfliessenden  Gewalten  ausdrücklich  auf  das  bürgerliche  Ge- 
biet beschränkten.  In  Roger  Williams'  „blutiger  Lehre  der 
Verfolgung"  findet  man  vielleicht  die  schärfste  Wiedergabe 
dieser  Ansichten.  „Ein  bürgerliches  Regiment  ist  eine  Ordnung 
Gottes,  um  den  bürgerlichen  Frieden  des  Volkes  zu  bewahren, 
so  weit  er  Leib  und  Gut  betrifft".  Auch  hier  indess  ist  unter 
der  „Ordnung  Gottes"  keineswegs  ein  unmittelbares  göttliches 
Eingreifen  verstanden.  Die  bürgerliche  Gewalt  hat  keinen 
„religiösen, "geschweige  einen  specifisch  „christlichen"  Charakter. 
Sie  ist  „natürlich,"  „menschlich"  und  daher  um  nichts  weniger 
dort  gesetzlich,  „wo  man  nie  etwas  von  Christi  Namen  ge- 
hört hat."  Fragt  man  aber,  wo  „die  Souveränetät,  der  Ur- 
sprung und  Grund  der  bürgerlichen  Gewalt  liegt",  so  ist  die 
Antwort:  „Im  Volke,  welches  sich  diejenige  Regierungsfoim 
geben  kann,  die  seinen  staatlichen  Bedürfnissen  am  besten 
entspricht."  Daraus  folgt,  „dass  die  vom  ^'olk  eingesetzte 
Regierung  nicht  mehr  Gewalt  und  nur  auf  so  lange  besitzt, 
als  inwiefern  die  Zustimmung  des  Volkes  sie  ihr  anvertraut 
hat."  Williams  vergleicht  daher  die  Gewalt  „aller  wahren 
Obrigkeit"  mit  derjenigen  eines  „Parlaments-Committee,  dessen 
Handlungsfähigkeit  durch  die  Ermächtigung  des  Hauses  be- 
stimmt wird,"  die  obrigkeitlichen  Personen  selbst  mit  „blossen 
Agenten,  gleichsam  Augen   und  Händen,   die   dem  Wohl  der 


72  Volkssouveränetät  und  ludependentismus. 

Gesammtheit  dienen  sollen."  Dass  das  Volk  gegen  „Tyrannen" 
von  seiner  „natürlichen  Freiheit"  Gebrauch  machen  darf,  ist 
eine  selbstverständliche  Folge.  Dagegen  würde  es  den  heilig- 
sten Ueberzeugungen  des  Autors  ebenso  zuwider  laufen  eine 
„Entthronung  und  Absetzung  wegen  Abfalls  von  der  Kirche" 
zu  billigen  wie  einen  Gewissenszwang  der  Fürsten  gegenüber 
ihi-en  Unterthanen  für  erlaubt  zu  halten.  —  Den  Jesuiten 
sollte  die  Lehre  von  der  Volkssouveränetät  zur  Erhöhung  der 
einen  unfehlbaren  Kirche  dienen.  Williams  benutzt  sie  zur 
Begründung  seiner  Doktrin  der  Trennung  von  Kirche  und 
Staat (^).  Wer  möchte  sich  erkühnen  im  einzelnen  die 
Wirkungen  zu  ennesseu,  welche  eine  mit  Nachdruck  vor- 
getragene bedeutende  Idee  auf  die  empfänglichen  Geister  der 
Mitlebenden  ausübt?  Sie  zittert  in  immer  weiteren  Kreisen 
nach,  ähnlich  denen  der  Wasserfläche,  welche  ein  in  sie 
Niederfallendes  bewegt  hat.  Unzweifelhaft  blieb  Williams' 
Buch,  in  England  von  ihm  in  Druck  gegeben  und  zuilick- 
gelassen,.  nicht  ohne  Leser.  Immer  mächtiger  drängte  der 
Gedanke  von  der  Souveränetät  des  Volkes  sich  vor,  nirgends 
entschiedener  als  im  siegreichen  Heere.  Vor  dem  zweiten 
Bürgerkrieg  hatte  er  unter  Einwirkung  der  Agitatoren  seine 
bestimmte  Form  erhalten.  Nach  dem  zweiten  Bürgerkrieg 
war  er  in  der  Remonstranz  der  Armee  zur  Grundlage  eines 
umfassenden  politischen  Programms  gemacht  worden.  Der 
Process  des  Königs,  die  AbschaffuDg  des  Hauses  der  Lords, 
die  Errichtung  der  Republik  wurden  durch  ihn  in  erster 
Linie  gerechtfertigt. 

Wenn  Milton  also  auch  immerhin  aus  den  Werken  gleich- 
gesinnter  Autoren  geschöpft  haben  mag,  so  sprach  er  doch 
auch  nur  aus,  was  die  lebendige  Gegenwart  an's  Licht  ge- 
bracht und  in  zahlreichen  Zeugnissen  verkündigt  hatte  (-). 
Allein  darin  unterschied  sich  seine  Darlegung  wesentlich  von 
der  in  den  ]\Ianifesten  des  Heeres,  dass  er  sich  damit  be- 
gnügte in  dem  vorhandenen  Reste  des  Parlaments,  gleich 
diesem  selbst,  eine  „Vertretung  des  englischen  Volkes"  zu 
sehen  und  es  vermied  auf  die  Nothwendigkeit  einer  Reform 
der  Repräsentation  hinzuweisen.    Es  wäre  sehr  voreilig  daraus 


Volkssouveränetät  und  Independentismus.  73 

sehliessen  zu  wollen,  dass  er  diese  verkannt  hätte.  Man  muss 
immer  im  Auge  behalten,  gegen  wen  er  zu  schreiben  hatte 
und  für  wen.  Einem  Salmasius  gegenüber  wäre  es  wenig  am 
Platz  gewesen  die  schwachen  Seiten  der  heimischen  Regierung 
aufzudecken.  Einem  Beauftragten  des  Staatsraths  hätte  es 
schlecht  geziemt  die  Sprache  Lilburne's  zu  reden.  Milton 
schrieb  in  amtlicher  Eigenschaft  und  war  genöthigt  in  politischen 
Fragen,  welche  die  Zukunft  betrafen,  sich  eine  gewisse  Zu- 
rückhaltung aufzulegen.  Nicht  weniger  verfehlt  würde  es  sein 
im  letzten'  Drittel  des  neunzehnten  Jahrhunderts  ihm  einen 
Vorwurf  daraus  zu  machen,  dass  er  die  ungeschichtliche  Basis, 
den  mechanischen  Grundzug  der  allgemeinen  Theorie,  die  er 
vertrat,  nicht  durchschaut  habe.  Man  hat  zu  bedenken,  in 
welcher  Zeit  er  schrieb  und  dass  er  mit  allen,  die  den  gleichen 
Gegenstand  behandelt  hatten,  den  Fehler  theilte,  eine  Reihe 
von  Fiktionen  und  Hypothesen  dem  System  zu  Gefallen  als 
Gebilde  der  Wirklichkeit  zu  betrachten.  Und  Fiktion  gegen 
Fiktion,  Hypothese  gegen  Hypothese  gehalten,  wird  man  zu- 
geben, dass  diejenigen,  auf  welche  Milton  seine  Staatslehre 
aufbaut,  die  Befriedigung  einer  edlen  und  freien  Auffassung 
der  menschlichen  Natur  gewähren,  indess  sein  Gegner  ge- 
nöthigt ist,  sich  an  die  niedrigsten  und  rohesten  Triebe  zu 
w^enden. 

Mit  Recht  ruft  Milton  ihm  zu,  dass  Nationen,  welche 
seine  Grundsätze  bekennen,  sich  „von  Sklaven  und  vom  Vieh 
nicht  unterscheiden."  Ihn,  der  es  gewagt  hatte  die  Tyrannei 
unter  den  Schutz  Gottes  zu  stellen,  nennt  er  geradezu  einen 
„Atheisten."  Ja  er  macht  ihn  höhnisch  darauf  aufmerksam, 
dass  er  den  Königen  selbst  einen  sehr  schlechten  Dienst  ge- 
leistet habe.  ,.Denn  indem  du  die  königliche  Gewalt  über 
die  Gesetze  in's  Unermessliche  erhebst,  bringst  du  fast  allen 
Völkern  zum  Bewusstsein,  dass  sie  nichts  als  Knechte  sind, 
und  die  Königsherrschaft  wird  ihnen  um  so  unerträglicher 
erscheinen,  je  mehr  Mühe  du  dir  giebst  ihnen  zu  beweisen, 
diese  schrankenlose  Gewalt  sei  nicht  allmählich  mit  ihrer 
Bewilligung  so  gross  geworden,  sondern  von  Anfang  an  nach 
ursprünglichem  Königsrecht  so  gewesen  .  .  .    Wenn  die  Könige 


74  Milton  und  Hobbes. 

dagegen  auf  mich  hören,  wenn  sie  ihre  Macht  durch  Gesetze 
beschränken  lassen  wollen,  so  werden  sie  statt  einer  unge- 
wissen, unsicheren,  gewaltsamen  und  sorgenvollen  Regierung 
eine  sehr  sichere,  friedliche  und  dauerhafte  Macht  bewahren."^ 
Einen  so  grossen  Reiz  es  gewährt  dem  Dichter  auf  das 
Feld  der  politischen  Theorie  zu  folgen,  so  wäre  es  doch  eine 
Yerkennung  der  Thatsachen,  wenn  man  ihn  zu  den  staats- 
rechtlichen Schriftstellern  ersten  Ranges,  zu  den  Stiftern  einer 
weitverzweigten  Schule  rechnen  wollte.  Die  Erzeugnisse  eines 
anderen  zeitgenössischen  Genius,  der  von  gleichen  Vordersätzen 
ausgehend  zu  sehr  verschiedenen  Schlüssen  gelangte,  haben 
unzweifelhaft  einen  viel  grösseren  Eintiuss  auf  Mit-  und  Nach- 
welt ausgeübt.  Es  sind  die  Schriften  von  Thomas  Hobbes, 
dessen  Leviathan  in  demselben  Jahre  erschien  wie  die  Ver- 
theidjgung  des  enghschen  Volkes.  Hobbes  verweilte  damals 
noch  in  Frankreich,  woselbst  er  eine  Zeit  laug  Lehrer  des 
Prinzen  von  Wales  gewesen  war.  Aber  die  Kühnheit  seiner 
Ansichten  machte  ihn  bei  seinen  royalistischen  Gönnern  un- 
möglich. Er  kehrte  nach  England  zurück,  um  im  Hause  des 
Grafen  von  Devonshire,  ungestört  durch  die  republikanische 
Regierung,  seine  Arbeiten  fortzusetzen.  Mit  Milton  scheint 
er  niemals  in  persönliche  Berührung  gekommen  zu  sein.  Auch 
machte  Milton  aus  seiner  Abneigung  gegen  den  Verfasser  des 
Leviathan  kein  Hehl,  obwohl  er  seine  grossen  Talente  und 
seine  Gelehrsamkeit  zugestand  (i).  Wer  die  Grundgedanken 
der  beiden  ]\Iänner  vergleicht,  wird  jene  Abneigung  durchaus 
begTeiflich  finden.  Es  gab  allerdings  scheinbare  Berührungs- 
punkte zwischen  ihnen.  Durch  mannichfaltige  Studien  und 
die  Bekanntschaft  mit  dem  Ausland  auf  die  Höhe  einer  freien, 
menschlichen  Bildung  erhoben,  hatten  sie  sich  ihre  abgeschlossene 
Ideenwelt  geschaffen,  welche  in  keinem  wesentlichen  Theile 
die  mächtige  Einwirkung  ihrer  Zeit  verläugnen  kann.  Sie 
bekämpften  beide  mit  ihren  eigenthümlichen  Waffen  die 
scholastischen  Doktrinen.  Sie  zogen  beide  mit  kühnem  Radi- 
kalismus abstrakte  BegTiffe  geschichtlichen  Beweisen  vor. 
Einzelne  Fragen,  in  denen  sie  sich  verstehen  konnten,  waren 
vorhanden,  wie  wenn  sie  den  Staat  schlechthin  als  ein  Werk 


Milton  und  Hobbes.  75 

der  Kunst,  das  Erzeugnis  eines  Vertrages  betrachteten  und 
das  Königthum  der  geheimnisvollen  Weihe  eines  göttlichen 
Ursprungs  entkleideten. 

Allein  wie  in  ihrer  allgemeinen  "Weltanschauung,  so  auch 
in  ihrer  politischen  Ueberzeugung  trennten  sich  ihre  Wege 
sehr  bald.  Man  ;darf,  um  dies  zu  erkennen,  nicht  einzelne 
ihrer  Schriften  herausgreifen.  Man  muss  das  Gesammtbild 
in's  Auge  fassen,  wie  es  sich  am  Ende  ihrer  literarischen 
Laufbahn  darstellt.  Für  Hobbes,  den  kalt  berechnenden 
Geometer*  giebt  es  keine  angeborenen  Begrifte  und  keine 
köi:perlosen  Geister.  Er  ist  grundsätzlich  Skeptiker  und 
glaubt  nur,  was  ihm  seine  Sinne  sagen.  Für  Milton,  den 
phantasiereichen  Dichter,  hat  die  platonische  Lehre  von  den 
ewigen  Urbildern  und  das  luftige  Reich  der  Geister  Bestand. 
Er  hat  einen  Zug  zum  Dogmatischen  und  ist  der  feurige  Ver- 
kündiger des  Idealismus.  Hobbes  betrachtet  die  Freiheit  nur 
als  Abwesenheit  des  Zwanges,  die  auch  den  unvernünftigen 
Dingen  eignen  könne,  die  Sittenlehre  nur  als  den  Ausfluss 
des  natürlichen  Begehrens,  das  gesammte  menschliche  Streben 
nur  durch  die  Rücksicht  auf  den  Nutzen  und  Genuss  des 
Einzelnen  geleitet.  Milton  sieht  in  der  Freiheit  des  Willens  die 
auszeichnende  Würde  des  vernunftbegabtenjMenschen,  im  Moral- 
gesetz die  Ueberwindung  der  physischen  Antriebe,  im  Streben 
einem  gottmeuschlichen  Vorbild  nachzueifern  den  höchsten 
Zweck  des  Lebens  erfüllt.  Und  so  wird  im  Hobbes'schen 
Staate  die  individuelle  Freiheit  der  absoluten  Gewalt  voll- 
ständig unterworfen,  die  er  aus  jenem  Vertrag  hervorgehen 
lässt,  während  im  Milton'schen  Staat  der  freien  Bewegung 
des  Einzelnen  ein  weiter  Spielraum  offen  bleibt.  Dort  ein 
einziger  allmächtiger  jWille,  dem  sich  Eigenthum,  Lehren, 
Meinungen  der  Staatsangehörigen  unterwerfen  müssen.  Keine 
Theilung  der  Gewalten,  die  Monarchie  |bei  weitem  die  beste 
der  Staatsformen ,  der  Monarch  selbst  die  Personifikation  des 
Staates  und  gleichzeitig  Inhaber  der  "höchsten  kirchlichen 
Macht.  Hier  die  Staatsgewalt  in  gewisse  Schranken  ein- 
geschlossen, die  ihr  Uebergreifen  auf  ein  grosses  Gebiet  ausser- 
halb derselben  verhindern  sollen.  Eine  entschiedene  Abneigung 


76  Milton  lind  Hobbes,  —  Schlussbetrachtung. 

dagegen,  die  Souveränetät  in  der  Hand  Weniger  oder  gar 
eines  Einzigen  zu  koncentriren ,  die  Repräsentativ-Republik 
vor  allen  übrigen  Yerfassungsformen  gepriesen,  und  in  dieser 
die  Trennung  von  Kirche  und  Staat  vorausgesetzt.  In  diesem 
letzten  Punkt  erscheint  der  Gegensatz  der  beiden  Denker, 
so  weit  er  Fragen  des  wirklichen  Lebens  betraf,  am  schroffsten. 
Hobbes  hält  es  zur  Wahrung  des  Friedens  für  unentbehrlich, 
dass  der  absolute  ^Machthaber,  (denselben  freilich  wie  seine 
Unterthanen  als  Christen  gedacht),  gebiete,  nicht  nur,  welcher 
Art  die  Gottesverehrung  sich  äussere,  sondern  auch  w^as  über 
Gott  gelehrt  und  geglaubt  werden  solle.  Er  verschmäht  nicht 
ein  niedriges  Sophisma,  um  es  für  statthaft  zu  erklären,  das- 
jenige mit  dem  Munde  zu  bekennen,  was  dem  Herzen  fremd 
ist.  Milton  leitet  alle  Kämpfe  seines  Zeitalters  daraus  ab, 
dass  der  Staat  es  nicht  über  sich  gewinnen  könne,  nicht  nur 
die  religiöse  Ueberzeugung  sondern  auch  die  Sorge  für  Kultus. 
Erhaltung  der  Geistlichkeit,  kirchliche  Veifassung  als  An- 
gelegenheit der  Einzelnen  zu  betrachten.  Er  wagt  es  freilich 
eben  so  wenig  wie  der  Philosoph  von  Malmesbury  sein  Princip 
ganz  folgerichtig  durchzuführen.  Aber  alles  in  allem  erscheint 
in  ihm  der  independentische  Republikanismus  aufs  schärfste 
ausgeprägt,  während  die  Lehre  Hobbes'  den  Tendenzen  unduld- 
samer Absolutie  gleichsam  einen  wissenschaftlichen  Rückhalt 
zu  geben  drohte. 

Wenn  Hobbes  eben  deshalb  im  Jahrhundert  Ludwig's  XIV. 
bei  weitem  m«hr  Gewalt  über  die  Geister  gewann  als  Milton, 
so  lässt  sich  dies  nicht  nur  aus  den  allgemeinen  Verhältnissen 
der  Zeit,  sondern  auch  aus  der  besonderen  Begabung  beider 
Autoren  ei'klären. 

Milton  war  weder  Politiker  von  Beruf  noch  Philosoph  von 
Beruf.  Er  bildete  sich  kein  vollständiges  System,  da  er  nicht 
hinreichende  Gelegenheit  hatte,  es  aus  der  Erfahrung  abzu- 
ziehn  und  nicht  hinlängliche  Neigung  es  aus  seinem  eigenen 
Denken  aufzubauen.  Er  war  ein  grossartig  begabter  Publicist. 
von  gewaltiger  rhetorischer  Kraft,  edler  Gesinnung  und  über- 
reich an  Kenntnissen  und  Ideen,  die  er  indessen  grössten 
Theils  aus  zweiter  Hand  empfangen  hatte.   Diejenige  Bestimmt- 


Scblussbetrachtung.  77 

heit  und  Schärfe,  welche  nicht  zum  wenigsten  den  ausser- 
ordentlichen Erfolg  gewisser  politischer  Schriften  erklärt,  wird 
man  bei  ihm  vermissen.  Es  wird  nicht  ganz  deutlich,  ob  er 
seinen  ursprünglichen  Vertrag  aus  einem  angeborenen  Triebe 
der  Geselligkeit  oder  von  der  Berechnung  des  Nutzens  ab- 
leitet. Mitunter  nimmt  er  zwei  Verträge  an,  von  denen  der 
erste  überhaupt  die  Gesellschaft,  der  zweite  den  besonderen 
Staat  begründet,  mitunter  scheint  er  sich  bei  einem  zu  be- 
gnügen. Im  allgemeinen  spricht  er  nur  von  dem  Rechte  des 
Widerstandes  gegen  den  Tyrannen,  hie  und  da  hält  er  das 
Volk  unter  allen  Umständen  für  befugt,  die  Regierungsform 
des  vertragsmässig  gegründeten  Staates  nach  seinem  Willen 
zu  ändern  (^). 

Allein  unläugbar  [wie  die  Mängel  der  Schrift  Milton's 
einmal  sind,  wird  man  es  doch  zu  würdigen  wissen,  wenn 
sich  in  ihren  Schlussworten  mit  dem  Ausdruck  einer  gewissen 
Besorgnis  für  die  Zukunft  der  Ausdruck  stolzer  Genugthuung 
wegen  der  eigenen  Leistung  verbindet.  „So  habe  ich  denn 
mit  Gottes  Hilfe  mein  Werk  zu  Ende  geführt:  die  Ver- 
theidigung  der  grossen  Thaten  meiner  Mitbürger  gegen  die 
Wuth  und  die  Missgunst  eines  verrückten  Sophisten  und  die 
Begründung  des  Volksrechtes  gegen  gesetzlose  Königsherr- 
schaft, nicht  aus  Hass  gegen  das  Königthum  überhaupt,  sondern 
aus  Hass  gegen  die  Tyrannei.  Ich  habe  keinen  Grund  meines 
Gegners  unerwideit  gelassen,  keines  seiner  Beispiele  oder 
Citate  übergangen,  wenn  es  nur  den  Anschein  eines  Beweises 
zu  enthalten  schien  .  ,  Nur  eines  bleibt  noch  zu  thun  übrig, 
das  Wichtigste,  dass  ihr  selbst  meine  Mitbürger,  diesen  euren 
Gegner  widerlegt.  Dies  al)er  kann  nur  dadurch  ge- 
schehen, dass  ihr  die  schlimmen  Nachreden  der  Leute  durch 
eure  guten  Thaten  Lügen  straft.  Gott  hat  eure  heissen 
Gebete  gnädig  erhört,  als  ihr  in  euren  Leiden  bei  ihm  Zu- 
flucht suchtet.  Er  hat  euch,  die  erste  der  Nationen,  von  den 
grössten  Uebeln  des  Lebens  ruhmvoll  erlöst,  von  Tyrannei 
und  Aberglauben.  Er  hat  euch  mit  [Geistesgrösse  gerüstet, 
sodass  ihr  zuerst  von  allen  Menschen  nicht  davor  zurück- 
bebtet, einen  besiegten  und  gefangenen  König  vor  Gericht  zu 


78  Schlussbetrachtung. 

stellen  und  den  Spruch  des  Todes  an  ihm  zu  vollstrecken. 
Nach  einer  so  glorreichen  That  dürft  ihr  nichts  Kleines  und 
Gemeines  mehr  denken  und  thun,  sondern  nur  noch  Grosses 
und  Erhabenes.  Um  diesen  Ruhm  zu  erlangen  steht  euch 
nur  ein  einziger  Weg  offen.  Wie  ihr  eure  Feinde  im  Felde 
besiegt  habt,  so  zeigt  nun  zur  Zeit  des  Friedens,  dass  ihr 
vor  allen  Sterblichen  fähig  seid,  Ehrgeiz,  Habsucht,  Luxus 
und  die  Verlockungen  des  Glückes  zu  überwinden,  denen 
andere  Nationen  so  oft  unterlegen  sind.  Bewährt  eben  so 
viel  Gerechtigkeit,  Mässigung  und  Bescheidenheit  in  der  Be- 
hauptung eurer  Freiheit  wie  ihr  Tapferkeit  bewiesen  habt 
das  Sklavenjoch  abzuschütteln.  Durch  solche  Zeugnisse  allein 
könnt  ihr  darthun,  dass  ihr  mit  nichten  Verräther,  Räuber, 
Mörder,  Wahnsinnige  seid,  wie  man  euch  vorwirft.  Handelt 
ihr  anders,  wisst  ihr  euch  nur  im  Kriege,  aber  nicht  im 
Frieden  Lorbeeren  zu  erwerben,  —  so  wird  euch  Gottes  Zorn 
in  kurzem  um  so  viel  schwerer  treffen,  je  väterlicher  euch 
bisher  vor  allen  Völkern  der  Erde  seine  Gunst  zugewandt 
gewesen  ist." 


Drittes  Kapitel. 
Polgen  des  Kampfes  mit  Salmasius. 


i)er  Streit  zwischen  ]\Iilton  und  Salmasius  machte  in 
der  Gelehrten-Republik  das  grösste  Aufsehen.  Mit  dem 
Interesse  an  dem  Gegenstande  verband  sich  das  persönliche 
Interesse  an  den  Wortführern.  Hier  hatte  Milton  allerdings, 
wie  er  selbst  später  hervorhob,  zunächst  einen  schlimmen 
Stand.  Sein  Gegner  genoss  eines  europäischen  Ruhmes,  hatte 
zahlreiche  Verbindungen  und  war  der  Anwalt  der  besiegten 
royalistischen  Sache,  die  auf  vielfache  Sympathieen  zu  rechnen 
hatte.  Milton's  Name  war  noch  kaum  über  die  Küsten  Eng- 
lands hinausgedrungen,  gebot  über  keine  literarische  Klientel 
und  erschien  in  engster  Verbindung  mit  den  Namen  solcher, 
von  denen  sich  viele  mit  einem  Gefühl  des  Schauders  ab- 
wandten. Allein  alles  dies  konnte  eine  Vergleichung  der 
Leistungen  beider  Autoren  nicht  hindern  und  niemandem 
wurde  es  leicht  gemacht  sich  völlig  neutral  zu  verhalten. 
Hobbes  erklärte  viele  Jahre  nachher,  dass  es  schwer  sei  zu 
entscheiden,  in  welchem  der  beiden  Werke  das  „bessere  Latein 
und  die  schlechteren  Gründe"  enthalten  seien  und  verglich 
sie  zwei  „rhetorischen  Schul  Übungen".  Conring  meinte,  dass 
beide  Schriftsteller  ,. gleich  ungenügend  über  die  Monarchie 
disputirt  hätten".  Dieser  und  jener,  wie  J.  C.  von  Boyneburg, 
hielt  sich  nur  an  die  Aeusserlichkeiten  des  Stils  und  fand, 
dass  Milton   eben   so    wohl  Fehler   gemacht   habe   wie   sein 


80  Gegenschr.  gegen  Milton's  Vertheidigung  d.  e.  V.  Die  „Apologia." 

Gegner  (^).  Um  so  entschiedener  nahmen  andere  Partei.  In 
den  Jahren  1651  und  1652  erschienen  nicht  weniger  als  fünf 
royalistische  Gegenschriften. 

Die  erste  gehörte  noch  demselben  Jahre  an,  in  dem 
Milton's  Werk  herausgekommen  war,  und  führte  den  Titel: 
„Schutzschrift  für  England's  König  und  Volk  gegen  des 
Johannes  Naseweis  (sonst  des  Engländers  Milton)  königs-  und 
volksfeindliche  Vertheidigung  (2)".  Der  Verfasser  dieses  Libells, 
der  sieh  in  seiner  Widmung  an  die  Akademie  von  Leyden, 
ihren  „einstigen  Zögling"  und  einen  „aus  England  vertriebenen 
Fremdling"  nennt,  preist  in  eben  so  schwülstigem  und  mittel- 
mässigem  Latein  den  Ruhm  des  grossen  Salmasius  wie  er 
seinen  Abscheu  vor  dem  „wüthenden  Teufel  Milton,  der 
Schmach  Englands",  dem  „brüllenden  Löwen,  der  alle  Könige 
verschlingen  will,"  aufs  kräftigste  kundgiebt.  Sein  Eifer  reisst 
ihn  zu  der  lächerlichen  Behauptung  fort,  Milton  könne  nicht 
im  officiellen  Auftrag  geschrieben  haben,  weil  seiner  Broschüre 
das  Certifikat  eines  der  Parlamentssekretäre  fehle.  Besonderes 
Gewicht  legt  er  darauf,  dass  Diodati  von  Genf  aus  Karl  L 
als  Vertheidiger  der  reformirten  Religion  bezeichnet  und  sich 
trotz  vieler  Bitten  geweigert  habe  der  „Perfidie"  der  Regiciden 
seinen  Beifall  zu  leihen.  Schliesslich  beschwört  er  höchst 
salbungsvoll  Milton  und  das  englische  Volk  als  Irrende,  so 
lange  es  noch  Zeit  sei,  „auf  den  rechten  Weg  zurückzukehren". 

Dieser  Schrift  erwiderte  Milton  bald  darauf  durch  eine 
Broschüre,  zu  der  einer  seiner  Neffen  den  Grundstock  ge- 
liefert hatte.  Der  ältere  von  ihnen,  Edward  Phillips,  hatte 
1648  bis  1651  als  Mitglied  der  Magdalen-Hall  auf  der  Uni- 
versität Oxford  studirt.  Der  finstere  puritanische  Ernst,  dem 
er  unter  der  Vorsteherschaft  eines  Thomas  Goodwin  begegnete, 
mag  ihn,  den  Schüler  Milton's,  auf  die  Seite  der  Kavaliere 
hinübergetrieben  haben,  deren  Gesinnungen  er  von  da  an 
theilte.  Sein  jüngerer  Bruder  John  dagegen  huldigte  damals 
noch  den  politischen  Grundsätzen,  die  sein  Oheim  ihm  ein- 
gepflanzt hatte.  Er  war  wohl  noch  Milton's  Hausgenosse  und 
wurde,  wie  es  scheint,  mehrfach  von  diesem  als  sein  Sekretär 


Joannis  Philippi  Responsio.  81 

verwandt.  Nichts  lag  näher  als  sich  seiner  Feder  zu  bedienen 
um  der  anonymen  Schmähschrift  entgegen  zu  treten  (^).  Er 
seinerseits  war,  wie  er  sagte,  stolz  darauf,  die  „Sache  der 
wiederhergestellten  Freiheit"  und  ,, jenes  von  ihm  verehrten 
und  ihm  so  eng  verbundenen  Mannes"  vertheidigen  zu  dürfen 
und  wusste  sich  „keinen  besseren  Anlass  für  eine  Erstlings- 
schrift". Die  Masse  eingeflochtener  Dichterstellen,  das  Spielen 
mit  schulmilssigen,  logischen  Formeln  Hessen  den  jugendlichen 
Charakter  des  Autors  wohl  erkennen.  Andere  Partieen  da- 
gegen, Proben  biblischer  Kritik,  Ausbrüche  eines  grausamen 
Hohnes  erinnerten  ganz  entschieden  an  die  Schreibweise  des 
Oheims.  Und  in  der  That  lässt  der  ältere  Phillips  keinen 
Zweifel  daran  aufkommen,  dass  Milton  selbst,  „ehe  das  Büch- 
lein in  die  Druckerei  kam ,  sehr  sorgfältige  Verbesserungen 
daran  vornahm".  So  ist  es  denn  auch  mitunter  in  seine 
Werke  aufgenommen  worden. 

In  einem  wesentlichen  Punkte  bewegte  sich  nun  Milton 
wie  sein  Neffe  in  einem  grossen  Irrthum,  Sie  waren 
fest  davon  überzeugt,  dass  die  feindliche  Schrift  entweder  aus 
der  Feder  eines  gewissen  Juristen  Jane  oder  aus  der  Feder 
des  Bisehofs  von  Derry,  Bramhall,  stamme,  dem  sie  auch  die 
Autorschaft  des  ,,unzerbrochenen  Bildes"  zugetraut  hatten. 
Die  zweite  Vermuthung  schien  die  grössere  Wahrscheinlichkeit 
für  sich  zu  haben,  und  so  wurde  denn  der  ganze  Köcher 
gegen  den  Bischof  geleert,  der  als  ein  Anhänger  Strafford's 
bekannt  war.  Dies  war  aber  ein  Kampf  gegen  einen  Schatten. 
Bramhall  selbst  theilte  seinem  Sohn  mit,  „das  einfältige  Buch, 
welches  Milton  ihm  zugeschrieben  habe,  rühre  von  einem  ge- 
wissen John  Rowland  her"  (2).  Und  dieser,  „Geistlicher  einer 
Separatisten  -  Gemeinde",  gestand  in  einem  nachträglichen 
Pamphlet,  das  er  im  Jahre  1653  seiner  ersten  Schrift  folgen 
Hess,  die  Thatsache  zu  (^).  Von  diesem  Grundfehler  abgesehn, 
ist  Milton-Phillips'  Werkchen  dem  gegnerischen  in  jeder 
Weise  überlegen,  was  eben  nicht  schwer  gemacht  war.  Das 
Zeugnis  des  Diodati,  eines  Milton  so  wohl  bekannten  Mannes, 
wird  möglichst  abgeschwächt.  Von  den  Vorl)ereitungen  des 
Salmasius,  den  Kampf  fortzuführen ,  wird  in  einer  Weise  ge- 
stern.  Milton  u.  s.  Z.    ir.  3.  6 


S2  ..Carolus  I.  vindicatus"-  —  Gegenschr.  v.  Ziegler,  Kieffer,  Güntzer. 

sproclien,  die  es  als  sicher  erscheinen  lässt,  dass  ]\lilton  sehr 
genau  davon  unterrichtet  war. 

Für  längere  Zeit  war  diese  gemeinsame  Arbeit  des  Neffen 
und  des  Onkels  das  einzige,  was  aus  Milton's  Lager  hervor- 
gieng.  Drei  andere  Erzeugnisse  der  feindlichen  Presse  liess 
er  unbeachtet.  Eines  wurde  1652  in  Dublin  veröffentlicht 
unter  dem  Titel:  „Karl  I.  beschirmt  gegen  die  Axt  und  die 
Feder  Milton's"  (^).  Es  war  ein  unbedeutendes  Pamphlet, 
dessen  Verfasser,  vielleicht  ein  irischer  Katholik,  durch  Ge- 
lehrsamkeit und  guten  Willen  zu  ersetzen  suchte,  was  ihm 
an  Geist  und  Beredtsamkeit  fehlte.  Ueberzeugt  davon,  dass 
die  Nachwelt  Milton  als  „geschickten  Vertheidiger  einer 
schlechten  Sache  richten  werde",  sucht  er  ihn  Punkt  für 
Punkt  zu  widerlegen,  weiss  sich  aber  von  gehässigen  Persön- 
lichkeiten ziemlich  frei  zu  halten.  Doch  kann  er  es  nicht  unter- 
lassen den  guten  Ehemann  Karl  I.  in  Gegensatz  zum  Ver- 
fasser der  Schriften  über  die  Ehescheidung  zu  stellen.  Jener 
hat,  so  sehr  er  sich  kleine  Galanterieen  erlauben  durfte,  seiner 
Gattin  niemals  die  Treue  gebrochen.  Dieser,  der  heuchlerische 
Puritaner,  hat  seine  Frau  Verstössen,  um  sich  mit  Konkubinen 
einzulassen.  —  Ein  anderes  Pamphlet  stammte  von  dem  leipziger 
Juristen  Kaspar  Ziegler.  Ohne  sich  sklavisch  an  Salmasius  zu 
halten,  entschied  er  doch  die  vorliegende  Frage  ganz  in  seinem 
Sinne  und  erachtete  es  nur  im  Vorwort  an  den  „wohlwollenden 
Leser"'  für  nöthig  sich  ausdrücklich  gegen  Milton  zu  wenden. 
Dessen  Buch  betrachtet  er  als  ein  „unerhörtes  Ungethüm'*,  ihn 
selbst  als  einen  halb  „Wahnsinnigen",  der  in  der  Auslegung  der 
Bibel  an  Künsteleien  die  „Jesuiten ,  ja  sogar  den  Teufek' 
übertreffe  und  der  selbst  die  ,, Sache  der  Mörder  schmählich 
verdorben  habe"(-).  W'eniger  heftig,  aber  ohne  viel  Geist 
drückte  sich  1652  der  jugendliche  Verfasser  einer  strassburger 
Dissertation  aus,  welche  dem  Markgrafen  von  Baden  gewidmet 
war.  Er  zog  einzelne  Sätze  der  Abhandlung  eines  „gewissen 
Milton'"  aus  und  suchte  sie  mit  scholastischer  Breite  zu  wider- 
legen. Fünf  Jahre  später  erschien  eine  Fortsetzung  dieser 
Universitätsschrift,  von  lateinischen  Gedichten  begleitet,  in 
denen  wieder  stärkere  Bemerkungen  gegen  den  Sekretär  der 


Urth.  über  Salmasius  u.  Miltoii.  —  Christine  v.  Schweden  u.  ihr  Hof.    83 

Republik  fallen  und  auch  die  Latinität  des  Salmasius  eines 
besonderen  Schutzes  gewiirdi{jt  wird(i).  Ein  fünftes  Pamphlet 
endlich  „Der  Aufschrei  des  königlichen  Blutes  zum  Himmel", 
das  anonym  im  Jahre  1652  herauskam,  verwickelte  Milton 
in  eine  neue  literarische  Fehde.  Auch  nahestehende  Bekannte, 
wie  John  Durie,  der  doch  kurz  zuvor  den  Bilderstürmer  über- 
setzt hatte,  machten  Milton  persönlich  gegenüber  kein  Hehl 
daraus,  dass  ihnen  der  Ton  seines  letzten  Buches  missfalle (-). 

Inzwischen  äusserte  sich  die  Feindschaft  gegen  den  Ver- 
theidiger  der  Königsmörder  auch  auf  andere  Weise.  In  Paris 
und-Toulouse  wurde  sein  Buch  öffentlich  verbrannt.  Auf  dem 
Reichstag  von  Regensburg  1653  brachte  man  in  Anregung, 
ob  es  nicht  unerlässlich  sei,  nebst  anderen  Schriften  gleichen 
Schlages  auch  „den  ]\Iilton  zu  verbieten",  um  die  Jugend  vor 
der  Ansteckung  mit  „gefährlichen  Principien*'  zu  bewahren  (^). 
In  späterer  Zeit,  nach  der  Restauration,  wurden  die  Stimmen, 
Avelche  Milton  verurtheilten,  immer  lauter.  Ein  deutscher 
Dichter,  Philipp  von  Zesen,  bemerkte  in  einem  Leben  Karls  II: 
„Ein  umgekaufter  Milton,  durch  eine  vergälte  Miltze  gestochen, 
durfte  seine  verwegene  Zaunkönigsfeder  gegen  die  hoch- 
fliegende  Adlersfeder  (des  Salmasius)  schwingen,  .  .  aber  die 
edle  Adlersfeder  hat  dennoch  das  Feld  und  den  Sieg  behalten". 
Ein  englischer  royalistischer  Historiker  vergisst  nicht  zu  er- 
wähnen, dass  „ein  gewisser  Milton",  der  schon  vorher  „ein 
unverschämtes  Libell"  gegen  das  königliche  Bild  gerichtet, 
gewagt  habe  die  Leistung  des  Salmasius   zu  „bekritteln"  (■•). 

Aber  auch  Salmasius  hatte  seine  Gegner,  die  weniger 
aus  sachlichen  als  aus  persönlichen  Gründen  wider  ihn  Partei 
nahmen.  Er  hatte  sich  in  wissenschaftlichen  Kreisen  zu  viele 
Feinde  gemacht,  als  dass  nicht  einige  von  ihnen  an  der  Ab- 
fertigung, die  ihm  Milton  zu  Theil  werden  Hess,  ihre  Freude 
hätten  haben  sollen.  An  ihrer  Spitze  standen  zwei  Männer 
von  berühmtem  Namen,  die,  wie  Salmasius  selbst,  für  einige 
Zeit  der  glänzenden  Gefolgschaft  Christina's  von  Schweden 
angehörten.  Die  geistreiche  Tochter  Gustav  Adolfs  hatte 
eben  damals  den  Hof  in  Stockholm  zum  Mittelpunkt  der 
europäischen  Gelehrtenrepublik  gemacht.  Vom  regsten  Interesse 

6* 


84  Verhältnis  des  Salmasius  zu  Vossius  und  Heinsius. 

für  die  Fortschritte  der  Wissenschaft  erfüllt,  wusste  sie  sich 
mit  den  ersten  Gelehrten  ihrer  Zeit  in  Verbindung  zu  setzen 
und  mehrere  durch  glänzende  Anerbietungen  nach  Schweden 
zu  ziehn.  Auch  Salmasius  vermochte  ihrer  schmeichelhaften 
Aufforderung  nicht  zu  widerstehn  und  langte  im  Sommer  1650 
in  Stockholm  an.  Die  Königin  konnte  seine  schwachen  Seiten 
zwar  nicht  übersehn,  aber  sie  zollte  seinen  ausgebreiteten 
Kenntnissen  unverhohlene  Bewunderung.  Indessen  gab  es 
zwei  Männer  in  ihrer  Umgebung,  die  mit  dem  grossen  Philo- 
logen in  eine  unversöhnliche  Fehde  geriethen.  Der  eine, 
Isaac  Vossius,  Freinsheim's  Nachfolger  als  Bibliothekar  der 
Königin  und  ihr  Lehrer  im  Griechischen,  forderte  vergeblich 
von  Salmasius  eine  Geldsumme  zurück ,  die  er  dessen  Sohn 
geliehen  haben  wollte.  Der  andere,  Nikolaus  Heinsius,  mit 
seinem  Vater,  dem  berühmten  Daniel  Heinsius,  von  Christine 
nach  Schweden  berufen,  wusste  diesen  wie  sich  selbst  seit 
zwanzig  Jahren  von  Salmasius  schmählich  verfolgt.  Mit  In- 
grimm gedachte  er  der  lateinischen  Schimpfworte ,  deren  sich 
Salmasius  nach  der  herrschenden  Mode  in  seinen  gelehrten 
Arbeiten  bedient  hatte.  Vergeblich  suchte  die  Königin  die 
Eifersüchteleien  und  Feindschaften  von  Männern,  deren  grosse 
wissenschaftliche  Verdienste  sie  schätzte,  zu  beschwichtigen. 
Auf  beiden  Seiten  wuchs  die  Erbitterung,  und  man  muss 
über  den  Grad  von  Rohheit  und  Gemeinheit  erstaunen,  der 
sich  in  den  Aeusserungen  hochgebildeter  Männer  beim  Fort- 
gang ihrer  Streitigkeiten   kundgab  (i). 

Kaum  war  die  Vertheidigung  des  englischen  Volkes  er- 
schienen, als  sowohl  das  Werk  wie  sein  Verfasser  in  dem  Brief- 
wechsel der  genannten  Feinde  des  Salmasius  eine  grosse  Rolle  zu 
spielen  anfieng.  Am  12.  April  1651  hat  Vossius  die  Schrift 
bereits  flüchtig  durchlesen  und  bekennt,  dass  „er  von  einem 
Engländer  nichts  von  dieser  Bedeutung  erwartet  habe".  Am 
8.  Mai  sind  Heinsius  in  Leyden  schon  fünf  Auflagen  zu  Gesicht 
gekommen  und  er  spricht  davon,  dass  man  eine  holländische 
und  französische  Uebersetzung  erwarte.  Dem  Gronovius  theilt 
er  schadenfroh  mit,  dass  Salmasius  „wüthe  und  schäume"  und 
sich  berühme,  Milton  „mit  sammt  dem  ganzen  Parlament  ver- 


Verhältnis  des  Saltnasius  zu  Vossius  und  Heinsius..  85 

derben  zu  wollen'".  Er  spielte  mit  diesen  Worten  auf  die 
Gegenschrift  an,  zu  deren  Abfassung  Salmasius  sich  mstete, 
und  er  hatte  ein  um  so  grösseres  Recht  an  dem  Fortschreiten 
dieses  Werkes  Antheil  zu  nehmen,  da  er  vernahm,  dass  dieses 
auch  der  alten  Feindschaft  des  Mannes  gegen  ihn  selbst  und 
seinen  Ä^ater  Ausdruck  geben  werde.  In  der  That  scheint 
Salmasius  sich  mit  dem  Glauben  durchdrungen  zu  haben, 
Milton  sei  von  Heinsius  aufgestachelt  und  mit  Material  ver- 
sehn worden.  Vergeblich  rief  dieser  Gott  zum  Zeugen  dafür 
an,  dass  ihm,  ehe  er  die  Yertheidigung  des  englischen  Volkes 
in  .die  Hand  bekommen,  „Milton's  blosse  Existenz  unbekannt 
gewesen  sei".  Salmasius  wurde  immer  mehr  gegen  alles,  was 
den  Namen  Heinsius  trug,  eingenommen  und  sann  auf  Rache, 
Sein  Freund  Bourdelot,  der  intriguante  und  einfiussreiche 
Leibarzt  der  Königin  Christine,  suchte  von  Heinsius  eine  Art 
von  Abbitte  zu  erpressen ,  welche  dieser  zu  leisten  mit  Ent- 
rüstung sich  weigerte.  Auch  Heinsius'  Leidenschaft  gegen 
Salmasius  kannte  keine  Grenzen  mehr,  und  er  wie  seine 
Freunde  betrachteten  von  nun  an  ^lilton  als  einen  sehr 
brauchbaren  Bundesgenossen. 

Die  Herkunft,  die  Schicksale,  das  Wesen  des  Engländers, 
der  eine  so  kühne  Sprache  geführt  hatte,  wurden  Gegenstände 
eifriger  Nachforschung.  Anfangs  hörte  man  Dichtung  und 
Wahrheit  vermischt.  Der  Buchhändler  Elzevir  wollte  wissen, 
Milton  sei  von  Adel  und  sehr  reich,  er  lebe  ohne  ein  Amt 
zu  bekleiden  auf  dem  Lande.  Andere  versicherten,  er  stamme 
aus  dem  niedersten  Volke,  habe  aber  eine  gute  Erziehung 
genossen.  Allmählich  eifuhr  man  das  Riclitige,  dass  er  den 
Posten  eines  Sekretärs  der  fremden  Sprachen  inne  habe,  aus 
gutem  Hause  sei,  ein  Mann  von  grosser  Gelehrsamkeit,  von 
vortrefflichen  Eigenschaften,  im  Umgang  ,, freundlich  und 
liebenswürdig".  Es  war  der  Onkel  des  Isaac  Vossius,  Franz 
Junius,  der  diese  Mittheilungen  machte.  Dieser  berühmte 
Antiquar  und  Kenner  des  Altsächsischen,  welcher  seit  Jahr- 
zehnten in  England  verweilte,  sprach  als  ein  Gewährsmann, 
der  mit  Milton  „persönlich  befreundet  war"(  ').  Einige  Monate 
später,  gegen  Ende  des  Jahres  1651,  reiste  die  niederländische 


86  Nachrichten    über    Miltou    durch   F.   Junius    etc. 

Gesandtschaft,  an  deren  Spitze  Jakob  Cats,  der  ehemalige 
Rathspensionär  von  Holland,  stand,  nach  London  ab.  Als 
Sekretär  derselben  gelangte  der  junge  Janus  Vlitius,  ein  ge- 
lehrter Freund  des  Heinsius,  nach  der  englischen  Hauptstadt, 
und  Vlitius  konnte,  wofern  er  Milton  nicht  aufgesucht  hat. 
jedenfalls  an  Ort  und  Stelle  Erkundigungen  über  jjin  ein- 
ziehn(').  Endlich  bot  sich  Heinsius  selbst  kurze  Zeit  nach- 
her hiezu  die  beste  Gelegenheit.  Während  einer  -wissenschaft- 
lichen Reise,  die  er  im  Auftrage  Christinen's  unternahm,  kam 
er  in  Italien  mit  den  alten  Gönnern  und  Freunden  des  Dichters 
wiederholt  in  Berührung.  Der  Kardinal  Barberini,  falls  er 
sich  des  jungen  Engländers  erinnerte,  der  Bibliothekar 
Holstenius,  Dati,  Chimentelli,  Männer,  die  dem  Heinsius  zum 
Theil  schon  von  früher  her  bekannt  waren,  konnten  ihm  er- 
wünschten Aufschluss  geben.  Er  hörte,  dass  Milton's  Leben 
in  Italien  tadellos  gewesen  sei ,  wennschon  man  ihm  daselbst 
seine  freimüthigen  Aeusserungen  über  das  Pabstthum  nicht 
vergessen  hatte.  Er  lernte  bei  Holsten  Milton's  lateinische 
Gedichte  kennen,  denen  er  nichts  als  mannicMache  Verstösse 
gegen  die  Prosodie  vorzuwerfen  wusste.  Vossius  hatte  ein- 
mal das  Gerücht  mitgetheilt,  Milton  sei  gestorben.  Diese 
Nachricht  wurde  alsbald  widerlegt;  hingegen  blieb  den 
Freunden  darüber  kein  Zweifel,  dass  er  ei-blindet  sei(=^). 
Was  den  Inhalt  seines  Buches  betraf,  so  war  man  allerdings 
vorsichtig  genug  mit  ausführlichen  Urtheilen  zurückzuhalten. 
Als  sich  aber  die  Nachricht  verbreitete,  es  sei  in  Paris  von 
Henkershand  verbrannt  worden,  konnte  Vossius  die  Bemerkung 
nicht  unterdrücken,  dies  Schicksal  habe  es  mit  anderen 
„guten  Büchern"  zu  theilen. 

Es  wäre  auffallend  gewesen,  wenn  eine  Frau  von  der 
geistigen  Regsamkeit  Christinens  einer  Angelegenheit,  die 
ihren  gelehrten  Günstlingen  so  wichtig  war,  nicht  gleichfalls 
ihre  Theilnahme  geschenkt  haben  sollte.  In  der  That  weiss 
Vossius  schon  am  12.  April  1651  zu  berichten,  dass  Christine 
sein  eigenes  eben  angelangtes  Exemplar  der  Milton'schen 
Schrift  gefordert  habe.  Ei-  fügt  hinzu,  das  Buch  scheine,  von 
einer  Stelle  abgesehn,  ihr  gefallen  zu  haben.    Dasselbe  wieder- 


Christine  und  Wbitelocke.  —  Salmasius  Tod.  87 

holt  er  einige  Tage  später.  Die  Königin  hatte  nach  seiner 
Versicherung  „das  Genie  und  den  Stil  Milton's  in  Gegenwart 
vieler  anderer  gelobt".  Sie  sprach  sich  einige  Jahre  nachher 
gegenüber  Whitelocke,  dem  englischen  Gesandten,  ganz  in 
gleicherweise  aus(').  Wenn  sich  die  Gegner  des  Salmasius 
indessen  schmeichelten,  er  habe  die  Gunst  der  Monarchin  ver- 
loren, wenn  gar  Milton  später  sich  einen  Theil  der  Schuld 
hiebei  hat  zuschreiben  wollen .  so  lief  das  der  Wahrheit  ent- 
schieden entgegen.  Christine  mochte  ihrer  spöttischen  Laune 
gemäss  den  Salmasius  immerhin  einmal  „den  Gelehrtesten 
aller  Narren"  genannt  haben:  ihrer  Gnade  blieb  er  bis  an 
das  Ende  seines  Lebens  versichert.  Nichts  rechtfertigt  die 
Annahme,  dass  sein  Weggang  aus  Schweden  in  irgend  einer 
Verbindung  mit  einer  Schädigung  seines  literarischen  Rufes 
durch  Milton  gestanden  habe.  Er  hatte  das  Klima  von 
Schweden  niemals  recht  verti-agen  können.  Im  Herbst  1651 
hielt  er  sich  für  verpflichtet,  nach  Leyden  zurückzukehren. 
Christine  entliess  ihn  mit  reichen  Geschenken.  Er  war  da- 
mals schon  leidend ,  durch  Gichtanfälle  geplagt,  denen  er  am 
3.  Sept.  1653  in  den  Bädern  von  Spa  erlag.  Auch  seine 
Wittwe  erfuhr  noch  die  Gunst  der  Königin,  für  zwei  seiner 
Söhne  wurde  in  Schweden  gesorgt. 

Das  letzte,  Avomit  sich  Salmasius  beschäftigt  hatte,  war 
seine  Widerlegung  Milton's  gewesen.  Dieses  Buch  wurde  erst 
nach  der  Restauration  der  Stuarts  in  der  unfertigen  Gestalt, 
in  der  es  sich  vorfand,  von  dem  Sohne  des  Verstorbenen  her- 
ausgegeben und  Karl  IL  gewidmet (2).  Wenn  auf  den  drei- 
hundert enggedruckten  Seiten  für  die  Sache  nichts  neues 
beigetragen  wird .  so  sind  sie  dafür  mit  einer  Summe  von 
Schmähungen  angefüllt,  die  selbst  über  das  Mass  dessen,  was  jene 
Zeit  sich  sonst  bieten  liess,  weit  hinausgeht.  Man  muss  in 
der  That  gestehen,  dass  Salmasius  sich  hier  von  einer  sehr 
schlechten  Seite  zeigt,  indem  er  es  nicht  für  unter  seiner 
Würde  hält,  von  dem  gemeinsten  Klatsch  Gebrauch  zu 
machen.  Er  hatte  sich  sorgfältig  für  sein  Werk  vorbereitet, 
mit  kritischem  Auge  Milton's  Gedichte  durchmustert  und  über 
seine  Vergangenheit  Erkundigungen    bei  Leuten  eingezogen, 


88  Seine  nachgelassene  Schrift  gegen  Miltou. 

die,  wenn  sie  übei-liaupt  berichtet  hatten,  was  er  mittheilt, 
ebenso  böswilhge  wie  unwissende  Gewährsmänner  waren. 
Der  Bischof  von  Derry,  Dr.  Bramhall ,  der  seine  besonderen 
Gründe  hatte,  Milton  zu  zürnen,  scheint  an  ihrer  Spitze  ge- 
standen zu  haben  und  er  schöpfte  seine  Kunde  wohl  vorzüg- 
lich aus  den  Kreisen  ChappelFs,  des  ehemaligen  Tutors  Milton's, 
mit  dem  der  Dichter  während  seiner  Studienzeit  hart  anein- 
ander gerathen  war  (s.  o.  B.  I.  83).  Danach  mischte  Salma- 
sius  seine  Farben.  Der  unwissende  „Schulmeister",  dessen 
Feder  für  Geld  feil  war,  der  eitle  Geck,  der  ,,sich  seines 
schönen  Gesichtes  rühmt"  und  darauf  aufmerksam  macht, 
dass  das  Konterfei  vor  seinen  Gedichten  nicht  getroifen  sei, 
das  ., unreine  Thier,  an  dem  nichts  iMenschliches  ist  als  seine 
Triefaugen":  das  ist  eine  bescheidene  Blumenlese  aus  dem 
Reichthum  der  salmasischen  Höflichkeiten.  In  pedantischer 
Weise  werden  sprachliche  Einzelheiten  der  lateinischen  Ge- 
dichte und  der  Yertheidigung  Milton's  bekrittelt.  Warum  er 
,,nach  dem  ersten  Jahre  der  Ehe"  sein  Weib  „Verstössen"  habe^ 
soll  nicht  näher  untersucht  werden,  doch  ist  anzunehmen, 
dass  „nicht  alle  Eunuchen  waren,  die  sein  Haus  besuchten". 
Dass  er  selbst  in  seiner  Jugend  sich  den  Italienern  zum 
schmählichsten  Dienste  Preis  gegeben  habe,  ist  ausser  allem 
Zweifel.  Die  angemessenste  Strafe  für  ihn  würde  sein,  ihn 
„am  höchsten  Galgen  aufzuhängen",  seinen  Kopf  auf  einem  der 
„Tliürme  von  London"  aufzustecken,  oder  ihn  in  ,, glühendem 
Pech  und  Oel  zu  verbrennen".  Daneben  regnet  es  Hiebe 
gegen  die  Heinsius,  gegen  John  Phillips,  gegen  die  Führer 
der  Independenten,  vor  allem  gegen  Cromwell. 

Milton  wusste,  dass  ihm  ein  neuer  Strauss  mit  Salmasius 
bevorstehn  werde.  Er  nahm  die  Nachricht  seines  Todes  nicht 
mit  traurigen  Empfindungen  auf.  Auch  von  der  Beurtheilung 
seines  Buches  durch  die  Königin  Christine,  von  dem  Interesse, 
das  Männer  wie  Heinsius  und  Vossius  an  ihm  nahmen,  erhielt  er 
unschwer  Kunde.  Wohl  möglich,  dass  eben  dies  seine  Autoren- 
eitelkeit verführt  hat,  den  Erfolg  seines  Buches  im  Ausland  ein 
wenig  zu  übertreiben  (^}.  Er  spricht  von  dem  Beifall  „sehr  vieler 
wackeren  und  gelehrten  Männer"  in  Frankreich  und  Deutsch- 


A.  Pauw.     Leonard  Philaras.  8^ 

land,  ohne  doch  einzelne  Namen  zu  nennen.  Allein  einige 
andere  Anjijaben,  die  er  macht,  sind  zu  bestimmt  und  wären 
allzuleicht  zu  widerlen^en  gewesen,  als  dass  man  sie  nicht  für 
buchstäblich  richtig  halten  sollte.  „Das  kann  ich  als  wahr 
versichern,  sobald  meine  Vertheidigung  erschienen  war  und 
die  Aufmerksamkeit  auf  sich  lenkte,  gab  es  keinen  Vertreter 
eines  Fürsten  oder  eines  Staates  mehr  in  London,  der  nicht  bei 
zufälligem  Begegnen  mir  Glück  gewünscht,  mich  zu  sich 
eingeladen  oder  mich  in  meiner  Wohnung  besucht  hätte". 
Er  hebt  unter  den  damaligen  Gesandten  einen  ausdrücklich 
hervor,  Adrian  Pauw,  „die  Ehre  und  Zierde  Hollands'',  der 
ihn  wiederholt  seines  „höchsten  Wohlwollens"  habe  versichern 
lassen.  Ausserdem  gedenkt  er  des  Leonard  Philaras,  eines 
geborenen  Atheners,  durch  dessen  Mund  das  alte  Hellas 
ihm  gleichsam  .,Beifall  zuzurufen"  schien.  Dieser  patriotische 
und  feingebildete  'Mann  war  damals  Gesandter  des  Herzogs 
von  Parma  am  französischen  Hofe  und  hatte  ^lilton  zum 
Zeichen  der  Anei'kennung  sein  Bild  und  danach  einen 
freundlichen  Brief  übermitteln  lassen.  Er  schloss  sich  in 
der  Folge  noch  enger  an  Milton  an,  und  zwei  der  an- 
muthigsten  Briefe  des  Dichters  sind  an  den  Fremden  ge- 
richtet (/). 

Milton  fühlte  sich  durch  das  Lob  des  Philaras  vor  allem 
deshalb  geschmeichelt;  weil  es  von  einem  „Erneuerer  der  alten 
athenischen  Kunst  und  Tugend"  kam,  von  einem  Sohne  derjenigen 
Stadt,  der  er  selbst  alles  zu  verdanken  gestand,  „was  er  als 
Schriftsteller  werth  sei".  Dieser  Enthusiasmus  für  die  ehr- 
würdige Stätte  seiner  jugendlichen  Sehnsucht  riss  ihn  in 
seinem  Erwiderungsschreiben  (Juni  1652)  sogar  zu  Aeusse- 
rungen  ül)er  die  politische  Zukunft  Griechenlands  hin,  die 
dem  heutigen  Geschlecht  wie  prophetisch  klingen  werden. 
Hie  und  da  hatte  er  schon  auf  die  Türkenherrschaft,  als  ein 
Muster  schmählichster  Tyrannei,  gewiesen  und  den  Gedanken 
einer  „Befreiung  aller  Griechen"  hingeworfen.  Hier  sagt  er 
geradezu,  indem  er  an  die  grossen  Geister  Athen's  erinnert: 
„Hätte  ich  von  ihrer  Redegewalt  so  viel  geerbt,  dass  ich 
unsere  Heere  und  Flotten  antreiben  könnte,    Griechenland,. 


90  Milton's  Briefwechsel  mit  Philaras. 

das  Vaterland  der  Beredtsamkeit,  vom  ottomanisclien  Joche 
zu  befreien,  eine  herrliche  That,  zu  deren  Ausführung  Sie 
fast  meine  Hilfe  zu  erbitten  scheinen,  wahrlich  ich  thäte  nur 
das,  was  längst  mein  Wunsch  war.  Was  haben  einst  die 
tapfersten  und  beredtesten  Männer  für  ruhmreicher  und  ehren- 
voller gehalten  als  durch  die  That  oder  durch  das  Wort  die 
Hellenen  frei  und  unabhängig  zu  machen?  Aber  allerdings 
ist  noch  etwas  anderes  zu  versuchen,  und  meiner  Meinung 
nach  bei  weitem  das  Wichtigste,  nämlich  in  den  Geistern 
der  Griechen  den  alten  Mannesmuth.  Fleiss,  Arbeitseifer 
wieder  zu  erwecken  und  zu  entzünden.  Niemand  ist  dazu 
fähiger  als  Sie,  der  Sie  glühende  Vaterlandsliebe  mit  grösster 
Klugheit,  kriegerischer  Erfahrung  und  höchster  Freiheits- 
sehnsucht verbinden.  Ist  das  aber  einmal  erreicht,  so  werden, 
dessen  bin  ich  gewiss,  die  Griechen  es  nicht  an  sich  selbst,  und 
so  wird  es  kein  Volk  den  Griechen  an  sich  fehlen  lassen"  (/). 

Milton  mochte  es  schon  als  einen  Gewinn  betrachten, 
wenn  seine  Vertheidigung  des  englischen  Volkes  ihn  mit 
Männern  in  Verbindung  brachte,  gegen  die  er  sich 
solchermasseu  aussprechen  durfte.  Jedenfalls  war  sein  Ruf 
auch  im  Auslande  der  Art  gewachsen,  dass  er  nicht  mehr 
als  der  schwache  David  gegenüber  dem  Goliath  der  Gelehr- 
samkeit erschien.  Das  beste  Zeugnis  des  Erfolges,  den  er 
davon  getragen,  haben  ihm  schliesslich  die  Gegner  ausgestellt. 
Der  Leipziger  Kaspar  Ziegler  theilt  mit,  dass  ein  aus  Holland 
übersandtes  Exemplar  von  ]Milton"s  Schrift  ,.mit  solcher  Gier 
von  sehr  vielen  begehrt  und  durchlesen  worden  sei",  dass  er 
selbst  es  „kaum  einen  Tag"  zur  Durchsicht  habe  erhalten 
können.  Und  der  Verfasser  der  , .Apologie"  beklagt  es  bitter- 
lich, dass  die  „Freude  der  Menschen  an  Lügen  und  Schmä- 
hungen" einen  ungemein  grossen  Absatz  der  Milton'schen 
Schrift  zur  Folge  gehabt  habe (2).  Alles  dies  liess  Milton  in 
seiner  zweiten  Vertheidigung  den  Ausspruch  wagen,  dass,  „wo 
noch  eine  Spur  von  Freiheit  übrig  geblieben",  sein  Buch  mit 
Beifall  begrüsst  worden  sei. 

So  gTOss  seine  Triumphe  auch  gewesen  sein  mögen,  sie 
wurden  durch  ein  schweres  Opfer  erkauft.     Das  Leiden,  wel- 


Milton's  Erblindung.  91 

dies  eine  schnellere  Vollendung  seiner  Arbeit  verhindert  hatte, 
seit  lange  in  der  Entwickelung  begriffen,  machte  reissende 
Fortschritte.  Milton's  Augen  waren,  wie  die  seiner  Mutter, 
niemals  die  stärksten  gewesen.  Nach  der  Versicherung  seines 
Neffen  hatte  er  beständig  Arzneimittel  für  sie  gebraucht. 
Von  Jugend  auf  hatte  er  an  Kopfschmerzen  gelitten ,  dabei 
aber  die  Gewohnheit  nicht  aufgegeben,  bis  Mitternacht  zu 
arbeiten.  Sein  linkes  Auge  war  schon  1650  so  gut  wie  er- 
blindet. Die  Aerzte  hatten  erklärt,  dass,  wenn  er  die 
ihm  aufgetragene  Widerlegung  des  Salmasius  unternehme,  in 
kurzer  Zeit  auch  das  rechte  seine  Sehkraft  verlieren  werde. 
Allein  er  glaubte,  wie  er  später  erklärte,  mehr  auf  die  innere 
Stimme  „des  göttlichen  Mahners"  hören  zu  müssen.  Es  handelte 
sich  für  ihn  zu  wählen  „zwischen  Erblindung  oder  Erfüllung  der 
Pflicht".  Gleich  „dem  Sohn  der  Thetis"  sah  er  „zwei  Schick- 
salswege vor  sich  ausgebreitet",  und  er  wählte  denjenigen, 
„auf  dem  er  dem  Gemeinwesen  den  grössten  Nutzen  leisten 
konnte".  Die  Prophezeiung  der  Aerzte  gieng  nur  allzu  rasch 
in  Erfüllung.  Um  die  ]\Iitte  des  Jahres  1652  scheint  den 
Dichter  vollständiges  Dunkel   umfangen  zu  haben. 

Er  selbst  hat  einige  Zeit  später  seinem  griechischen  Freunde 
Leonard  Philaras  auf  dessen  Wunsch  eine  genaue  Beschreibung 
seiner  Krankheit  gegeben.  Philaras,  der  im  Frühjahr  1054  die 
Ungnade  Mazarin's  und  seines  Herzogs  auf  sich  zog,  hielt  es  für 
gerathen,  bis  seine  Angelegenheiten  geordnet  seien,  eine  Pteise 
nach  England  zu  unternehmen  (0-  Er  erschien  unvermuthet 
in  London  zu  einer  Zeit,  da  Milton  den  werthen  Gast  schon 
nicht  mehr  von  Angesicht  sehen  konnte  (^\  Von  tiefem  Mit- 
leid ergriffen ,  bat  der  Grieche  den  Erblindeten  um  genauere 
Auskunft,  in  der  Hoffnung,  daraufhin  von  seinem  franzö- 
sischen Freunde,  dem  berühmten  Augenarzt  Franz  Thevenin, 
Mittel  der  Heilung  erfahien  zu  können.  Milton  machte  ihm 
daher  folgende  Mittheilungen  (28.  September  1654):  „Es 
wird,  denke  ich,  etwa  zehn  Jahre  her  sein,  seitdem  ich  eine 
Abnahme  und  Verdunkelung  meines  Sehvermögens  bemerkte 
und  zugleich  in  der  Milz  und  in  den  Eingeweiden  einen  Druck 
und  Blähungen     empfand.      Am   Morgen,    wenn    ich    meiner 


92  Milton's  Erblindung. 

Gewohnheit  nach  zu  lesen  anfieng,  thaten  mir  die  Augen 
sofort  weh,  das  Lesen  war  ihnen  gleichsam  zuwider,  nach 
einer  massigen  Leibesübung  aber  erholten  sie  sich.  Wenn 
ich  auf  ein  Licht  hinsah,  erblickte  ich  es  von  einer  Art  von 
Regenbogen  umgeben.  Nicht  lange  darnach  entstand  auf  der 
linken  Seite  meines  linken  Auges  (denn  dies  fieng  einige 
Jahre  früher  an  als  das  andere  dunkel  zu  werden)  eine  Ver- 
finsterung, welche  mir  alles,  was  auf  dieser  Seite  war,  ver- 
barg. Wenn  ich  zufälliger  Weise  mein  rechtes  Auge  schloss, 
so  kamen  mir  auch  die  Gegenstände,  welche  vor  mir  lagen, 
kleiner  vor.  In  den  letzten  drei  Jahren  nahm  auch  das 
andere  Auge  nach  und  nach  ab,  und  einige  Monate,  ehe  ich 
das  Gesicht  völlig  verlor,  schien  mir  alles  bald  rechts  bald 
links  herumzuschwimmen,  obwohl  ich  mich  selbst  nicht  be- 
wegte. Hartnäckige  Dünste  scheinen  sich  um  meine  Stirn 
und  um  meine  Schläfen  festgesetzt  zu  haben  und  drücken 
auf  meine  Augen  mit  lastender,  einschläfernder  Schwere  be- 
sonders nach  dem  Essen  bis  gegen  Abend,  so  dass  ich  mich 
oft  an  den  Zustand  des  Wahrsagers  Phineus  von  Salmydessos 
in  den  Argonauticis  erinnere:  Dunkle  Betäubung  hüllte  ihn 
ein,  die  Erde  schien  unter  seinen  Füssen  wegzurollen,  lautlos 
lag  er  da  in  dumpfem  Schlafe.  —  Aber  ich  darf  nicht  über- 
gehen, dass,  als  ich  noch  ein  wenig  sehen  konnte,  sobald  ich 
zu  Bette  gieng  und  mich  auf  die  eine  oder  andere  Seite 
legte ,  gewöhnlich  ein  starkes  Licht  aus  meinen  verschlossenen 
Augen  strahlte.  Später,  als  mein  Gesicht  von  Tag  zu  Tag 
schwächer  wurde,  schienen  dunklere  Farben  mit  Heftigkeit 
und  einer  Art  von  innerem  Geräusch  hervorzubrechen.  Jetzt 
aber,  als  ob  alles  Lichtartige  ausgelöscht  wäre,  ergiesst  sich 
gewöhnlich  eine  völlige  oder  mit  Aschgrau  vermischte  und 
gleichsam  durchflochtene  Schwärze  auf  meine  Augen.  Doch 
seheint  das  Dunkel,  das  sie  beständig  umschwebt,  bei  Nacht 
wie  bei  Tage  sich  immer  eher  dem  Weissen  als  dem  Schwarzen 
anzunähern  und  lässt,  wenn  das  Auge  sich  bewegt,  wie  durch 
eine  Spalte  ein  bisschen  Licht  zu.  —  Wenn  mir  auch  ebenso 
von  Seite  Ihres  Arztes  ein  wenig  Hoffnung  übrig  bleibt,  so 
suche  ich  mich  doch  wie  gegen  ein  unheilbares  Uebel  gefasst 


Milton's  Erblindung.  93 

ZU  machen  und  zu  beruhigen.  Ich  denke  oft  daran,  da  der 
Tage  der  Finsternis,  wie  der  Weise  sagt,  jedem  von  uns 
viele  zugezählt  sind,  dass  meine  Finsternis  bisher  durch  be- 
sondere Gnade  Gottes  unter  Arbeit  und  Müsse  im  Gespräch 
mit  lieben  Freunden  weit  erträglicher  war,  als  jene  Finsternis 
des  Todes.  Denn  wenn  der  Mensch,  wie  geschrieben  steht, 
nicht  vom  Brode  allein  lebt,  sondern  von  jeglichem  Worte, 
das  aus  dem  Munde  Gottes  geht,  warum  sollte  sich  einer 
nicht  auch  mit  dem  Gedanken  beruhigen,  dass  ihm  nicht  nur 
das  Augehlicht,  sondern  auch  die  Leitung  und  Vorsehung 
Gottes  zur  Erleuchtung  diene.  So  lange  er  selbst  mein  Wächter 
und  Schützer  ist,  wie  bisher,  und  mich  mein  ganzes  Leben 
hindurch  gleichsam  an  seiner  Hand  führt,  will  ich  mit 
Freuden ,  da  es  ihm  so  gefällt,  meine  Augen  ausruhen  lassen. 
Ihnen  aber,  mein  theurer  Philaras,  was  immer  erfolgen  möge, 
sage  ich  mit  einem  ebenso  entschlossenen  und  standhaften 
Gemüth,  als  ob  ich  Lynkeus  selbst  wäre,  Lebewohl" (^). 

Man  weiss  nicht,  ob  Philaras  auf  diesen  Brief  geant- 
wortet und  die  Ansicht  des  bedeutenden  Augenarztes  mitge- 
theilt  hat.  Ohne  Zweifel  wäre  übrigens  jeder  Versuch  einer 
Heilung  damals  vergeblich  gewesen.  Wie  immer  das  Leiden 
Milton's  zu  charakterisiren  sein  mag  —  und  aus  seinen  Worten 
einen  bestimmten  Schluss  zu  ziehen,  hält  schwer  —  auch 
der  geschickteste  Fachmann  der  Zeit  hätte  ihm  keine  Rettung 
bringen  können(-).  Seine  Augen,  obgleich  von  ,, hellem,  flecken- 
losen Ansehn",  blieben  für  immer  „des  Lichtes  beraubt", 
und  in  diesem  einen  Punkte  war  er,  wie  er  einmal  in 
bitterem  Scherze  äusserte,  „sehr  wider  seinen  Willen  ein 
Heuchler". 

Es  war  klar,  dass  Milton  durch  seine  Krankheit  ver- 
hindert werden  musste,  den  amtlichen  Posten,  den  er  be- 
kleidete, ordnungsmässig  auszufüllen.  Allein  der  Staatsrath 
dachte  edel  genug,  um  seinen  berühmten  Sekretär  ein  un- 
verschuldetes Unglück  nicht  entgelten  zu  lassen.  Mit  Stolz 
erinnert  Milton  in  seiner  zweiten  Vertheidigung  an  die  That- 
sache,  dass  die  Führer  der  Piopublik  ihn  nicht  ,,verstiessen", 
dass     sie     ihn     gleichsam      der     Ehre     theilhaftig     werden 


94         EinwirkuDg  der  Erblindung  anf  seine  amtliche  Stellung. 

Hessen,  ,,im  Prytaneum  gespeist  zu  werden*".  Er  erwähnt, 
wie  sie  ihm  „Müsse  und  Erholung  gönnten",  ohne  ihn  der 
„Ehre"  und  der  „Vortheile"  seines  Amtes  zu  berauben.  In 
der  That  blieb  Milton  im  vollen  Geuuss  seiner  Stelle  und 
leistete  auch  als  Blinder  durch  die  Macht  seines  Genius  mehr 
als  ein  Sehender  zu  leisten  im  Stande  gewesen  wäre.  Mit  einiger 
Hilfe  durch  Vorlesen  konnte  er  eine  seiner  hauptsächlichsten 
Obliegenheiten,  diejenige  des  Uebersetzens,  nach  wie  vor  erfüllen. 
Galt  es  die  Abfassung  eines  selbstständigen  Aktenstückes,  einer 
Note  oder  einer  Staatsschrift,  so  bot  sich  die  Möglichkeit  des 
Diktirens.  Vielleicht  das  letzte  Werk ,  das  er  vor  völliger 
Erblindung  vollendete,  war  die  Latinisirung  der  Deklaration 
des  Parlaments,  welche  die  Gründe  des  Streites  mit  Holland 
darlegte  (Juli  1652).  Doch  konnte  er  sich  schon  damals  auf 
einen  geübten  Geliilfen  stützen,  jenen  deutschen  Dichter 
Weckherlin,  der  ihm  im  März  1652  zur  Seite  gestellt  worden 
war(^).  Allein  Weckherlin  sah  sich  schon  im  December  1652 
genöthigt,  seine  Geschäfte  dem  rüstigeren  Tiuirloe  zu  über- 
lassen und  am  13.  Februar  1653  nahm  der  Tod  ihn  hinweg. 
Der  Wunsch  einen  anderen  geeigneten  Beistand  zu  erhalten, 
sprach  sich  einige  Tage  nachher  in  einem  Briefe  Milton's  aus, 
den  er  an  Bradshaw,  den  zeitigen  Präsidenten  des  Staatsraths, 
richtete.  Er  erklärte  allerdings,  sich  noch  immer  seinem 
Amte  gewachsen  zu  fühlen,  die  einzige  Verpflichtung  ausge- 
nommen, durch  die  er  genöthigt  wurde  bei  den  Konferenzen 
mit  den  fremden  Gesandten  gegenwärtig  zu  sein.  Aber  er 
empfahl  doch  zu  gleicher  Zeit  der  Aufmerksamkeit  des  Staats- 
raths einen  Mann,  der  ihm  geeigneter  als  irgend  ein  anderer 
erschien,  Weckherlin  zu  ersetzen.  Es  war  der  Dichter  Mar- 
vell,  welcher  später  in  der  That  der  Kollege  Milton's  wurde. 
Damals  gieng  man  über  den  Vorschlag  hinweg,  und  Milton 
scheint  längere  Zeit  ohne  officiellen  Gehilfen  geblieben 
zu  sein  (2). 


Seine  Erblindung  hätte  es  dem  Dichter  doppelt  wünschens- 
werth  machen   sollen    zu    der  Last  seines  Amtes  nicht  auch 


Die  Schrift :    Regii  sanguinis  clamor.  95 

noch  die  Last  eines  heftigen  schriftstellerisclien  Kampfes  über- 
nehmen zu  müssen.  Aber  unter  den  Paniplileten,  die  sich 
gegen  seine  Vertheidigung  des  englischen  Volkes  richteten, 
war  eines,  über  das  er  nicht  mit  Stillschweigen  hinweggehn 
wollte,  wennschon  er  längere  Zeit  verstreichen  Hess,  ehe  er 
seiner  Entrüstung  Luft  machte.  Der  vielversprechende  Titel 
dieses  Pamphlets  lautete:  „Der  Aufschrei  des  königlichen 
Blutes  zum  Himmel  gegen  die  englischen  Meuchelmörder". 
Das  Werk,  im  Jahre  1652  im  Haag  bei  dem  Holländer  Adrian 
Vlac  erscKienen,  leitete  sich  durch  eine  boml)astische  Wid- 
mung an  Karl  H.  ein,  welche  die  Unterschrift  des  Buch- 
händlers führte  (^).  Es  war  recht  eigentlich  dazu  bestimmt, 
Milton  vor  der  Welt  anzuklagen  und  Salmasius  Ruhm 
zu  verkünden.  Zwar  bleibt  die  allgemeine  Frage  nicht  aus 
dem  Spiel.  Kapitel  für  Kapitel  werden  die  „Verbrechen 
der  englischen  Mörder"'  vorgeführt,  Verbrechen  gegen  „die 
königliche  Majestät",  gegen  „das  Volk",  die  „Kirche"  und 
„Gott",  „alle  Könige  und  Völker",  „alle  reformirten 
Kirchen".  Aber  innner  wieder  kehrt  der  Verfasser  zu 
den  Persönlichkeiten  des  Salmasius  und  Milton  zurück. 
Jener  ist  das  Wunder  der  Zeit,  der  in  „dem  gesammten 
Umkreis  der  Gelehrtenwelt  seines  gleichen  nicht  hat", 
dieser  ein  „hungriger  Schulmeister,  der  seine  Feder  für 
Geld  verkauft  hat".  Von  jenem  weiss  man,  wie  ihn  „Fürsten" 
geehrt  haben,  wie  ihn  die  Königin  von  Schweden  ,,um  reichen 
Lohn  zu  sich  eingeladen  hat".  Mit  ihm  zu  wetteifern  ist 
unmöglich,  auch  rüstet  er  sich  selbst,  „in  einem  zweiten 
Druckwerk"  seinen  Gegner  zu  zerschmettern.  Inzwischen 
soll  Europa  schon  vorher  über  diesen  aufgeklärt  werden.  Es 
wird  also  eine  Biographie  Milton's  entworfen ,  in  der  alle  die 
alten  Verleumdungen  und  Verdrehungen  der  Wahrheit  wieder 
auftauchen.  Woher  er  stammt,  ,,ob  er  ein  Mensch  oder  ein 
Wurm  aus  Dreck  geboren",  bleibt  dahingestellt  Von  Cam- 
bridge ist  er,  wie  man  sagt,  als  Student  wegen  seiner 
schlechten  Streiche  weggejagt  worden  und  nach  Italien  ge- 
flohen. Seine  Schriften  über  die  Ehescheidung  werden  in 
diesem  Sündenregister  selbstverständlich  nicht  vergessen.   Zur 


-96  Peter  du  Mouliu  der  N'erfasser. 

Hinrichtung  des  Königs  hat  er,  „der  höllische  Galgenstrick", 
«eine  Partei  vorzüglich  angestachelt.  Er  ist  der  wahre 
„Scharfrichter"  und  in  seinem  „Schmachwerk",  dem  „Eikono- 
klastes"  hat  er  auch  noch  das  Andenken  des  Königs- Märty- 
rers verhöhnt.  Der  Autor  hat  so  wenig  Zartgefühl,  dass  er 
sich  selbst  über  die  Blindheit  Milton's  lustig  macht  und  in 
ihr  eine  Strafe  Gottes  sieht.  Milton  ist  ihm,  mit  Yirgil  zu 
reden,  ein  „grässliches  Ungeheuer,  dem  dass  Licht  geraubt" 
und  zugleich  von  , .blutlosem ,  verkrüppeltem"  Ansehn.  In 
einem  Gedicht,  welches  der  Schrift  angehängt  ist,  wird  der 
„infame  Hallunke  Milton"  auch  noch  poetisch  verarbeitet,  während 
•der  „grosse  Salmasius"  in  pomphafter  Ode  als  Triumphator  er- 
scheint. Ausfälle  auf  Cromwell,  den  zweiten  „Muhammed",  sind 
selbstverständliche  Zuthaten.  Geht  der  Verfasser  doch  so 
weit,  die  Missethaten,  denen  Gesandte  der  neuen  Republik 
zum  Opfer  gefallen  waren,  ziemlich  unverblümt  zu  billigen. 

Der  Autor  der  Schmähschrift  hatte  sich  nicht  genannt, 
sondern"  nur  an  einigen  Stellen  verrathen,  dass  er  von  Geburt 
ein  Franzose  und  ein  „Neuling  in  den  englischen  Angelegen- 
heiten" sei.  Es  war  Peter  du  Moulin,  der  Sohn  des  berühm- 
ten reformirten  Theologen  gleichen  Namens.  Sein  Bruder  Louis, 
Professor  der  Geschichte  in  Oxford ,  war  independentisch  und 
republikanisch  gesinnt,  während  Peter  schon  früher  unter 
mancherlei  Gefahren  prosaisch  und  poetisch  die  Sache  des  engli- 
schen Königthums  und  der  anglikanischen  Kirche  vertheidigt 
hatte.  In  einer  Zeit,  da  es  unbedenklich  war,  hat  er  selbst  ge- 
standen, dass  der  „Aufschrei  des  königlichen  Blutes"  von  ihm 
herrühre  (').  Da  er  indessen  nicht  wagen  durfte,  sein  Libell  in 
England  zu  veröffentlichen,  sandte  er  seine  Papiere  an  Sal- 
masius, bei  dem  sie  der  besten  Aufnahme  sicher  sein  durften. 
Derselbe  Mann,  dem  Salmasius  das  Manuskript  zur  A'eröftent- 
lichung  anvertraute,  hatte  auch  die  \Yidmung  an  Karl  II. 
hinzugefügt,  für  welche  der  Buchhändler  nach  üblicher  Sitte 
seinen  Namen  hergab.  Es  war  diese  Persönlichkeit,  mit  der 
Milton  in  eine  der  hitzigsten  Fehden  verwickelt  wurde,  und 
über  deren  Lebeiislauf  es   daher  unerlässlich  scheint,    einige 


Angaben  zu  machlhi^) 


oeiisij 
achWi 


Monis  von  Milton  für  den  Verfasser  gehalten.  97 

Alexander  Morus  war  1616  in  der  französischen  Stadt 
Castres  geboren,  woselbst  sein  Vater,  ein  schottischer  Emi- 
grant ,  Pfarrer  der  reformirten  Kirche  war.  Der  junge  Morus 
machte  seine  Studien  hauptsächlich  in  Genf,  wurde  1641  daselbst 
in  den  Kirchendienst  aufgenommen  und  entfaltete  von  da  an 
nicht  nur  als  Prediger,  sondern  auch  als  Professor  der  Theo- 
logie eine  bedeutende  Thätigkeit,  Als  Schriftsteller  wurde 
er  erst  später  weiteren  Kreisen  bekannt.  Seine  Werke  ent- 
halten nicht  nur  theologische  Traktate,  Predigten  und  Streit- 
Schriften,  sondern  auch  lateinische  Gedichte,  wie  er  denn 
überhaupt  als  ein  Mann  von  allgemeiner  Bildung  erscheint. 
Schon  beim  Beginn  seiner  genfer  Laufbahn  war  sein  Name  im 
Ausland  so  wohl  bekannt,  dass  ihm  1642  mehrfache  Auf- 
forderungen von  London  zukamen,  daselbst  eine  Predigerstelle 
zu  übernehmen.  Ln  Sommer  1647  dachte  man  in  Schottland 
daran,  ihn  für  die  Stelle  des  Vorstehers  von  St.  Leonard's 
College  in  St.  Andrews  gewinnen  zu  können  (').  Er  blieb 
indessen  in  Genf,  bis  er  im  Juli  1649  nach  der  niederländi- 
schen Stadt  Middelburg  abreiste,  von  wo  ihm  schon  das  Jahr 
zuvor  eine  ehrenvolle  Berufung  zugekommen  war.  Salmasius, 
der  ihm  längst  gewogen  war,  sowie  die  Königin  von  Böhmen, 
Karl's  I.  Schwester,  die  in  den  Niederlanden  lebte,  hatten 
die  Aufforderung,  nach  Middelburg  überzusiedeln,  unterstützt. 
Auch  hier  fanden  seine  Predigten  ausserordentlichen  An- 
klang (2).  Im  Jahre  1652  siedelte  er  nach  Amsterdam  über, 
um  der  Nachfolger  des  Vossius  als  Professor  der  Kirchen- 
geschichte zu  werden.  Er  muss  im  Flause  des  Salmasius  ein 
oft  gesehener  Gast  gewesen  sein,  und  es  konnte  nicht  fehlen, 
dass  er  für  dessen  Streit  mit  IMilton  lebhaft  interessirt  wurde. 
Als  nun  die  Schmähschrift  du  Moulin's  bei  Salmasius  anlangte, 
wurde  es  diesem  ohne  Zweifel  um  so  leichter ,  den  Freund 
zur  Herausgabe  derselben  zu  bewegen,  da  Morus  ohnehin  dem 
Hause  Stuart  verpflichtet  war. 

Es  dauerte  nicht  lange,  so  verbreitete  sich  das  Gerücht, 
Morus  sei  der  Verfasser  jenes  Lil)ells.  Ihm  selbst  kamen 
derartige  Aeusserungen  vielfach  zu  Ohren.  In  England  fanden 
sie  gleichfalls  Eingang  und  Glauben  (^).     Englische  Zeitungen 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  3.  7 


98  Milton's  zweite  Vertheidigiing  des  englischen  Volkes. 

nannten  Morus  als  Autor,  und  der  Mercurius  politicus,  wie  er 
schon  früher  den  ,, Goliath  Salmasius"  verspottet  hatte,  beeilte 
sich  den  Hausfreund  des  Salmasius  in  Prosa  und  in  Versen 
der  üifentlichen  Verachtung  Preis  zu  geben.  Erinnert  man  sich, 
in  welchem  Verhältnis  der  Herausgeber  dieses  Blattes, 
Marchmont  Xeedham,  zu  Milton  stand,  so  wird  man  es  für 
wahrscheinlich  halten,  dass  dieser  hierbei  die  Hand  im  Spiele 
hatte  (^).  Denn  auch  er  durchdrang  sich  mit  der  Ueber- 
zeugung ,  dass  er  die  Maske  seines  Gegners  durchschaut  habe, 
und  Alexander  ]\Iorus  bildete  fortan  einen  Gegenstand  seiner 
Aufmerksamkeit.  Er  kam  indessen  nicht  so  bald  dazu,  diesem 
vermeintlichen  Widersacher,  wie  er  sich  später  ausdruckte,^ 
„den  Mund  zu  stopfen",  obwohl  ihm  dies  leidige  Geschäft 
durch  die  Behörden  seines  Landes  nahe  genug  gelegt  wurde. 
Die  Erwartung,  aufs  neue  von  Salmasius  angegriffen  zu  wei- 
den, häusliche  Sorgen,  geschwächte  Gesundheit,  wachsende 
Abnahme  des  Augenlichts  liessen  ihn  jene  Arbeit  zwei  Jahre 
lang  aufschieben.  Erst  Ende  Mai  1654  erschien  seine  Ent- 
gegnung, eine  der  merkwürdigsten  Schriften,  die  Milton  über- 
haupt verfasst  hat.  Er  gab  ihr  den  Xamen  der  zweiten 
Vertheidigung  des  englischen  Volkes,  weil  es  ihm  darauf 
ankam,  nicht  nur  sich  selbst,  sondern  aufs  neue  auch  die 
Führer  und  die  Ergebnisse  der  Pievolution  zu  rechtfertigen  (-). 
Es  war  selbstverständlich  nicht  unbekannt  geblieben,  dass 
er  ein  solches  Werk  vorbereite.  Der  erste,  der  ein  lebhaftes 
Interesse  daran  nahm ,  war  jener  Buchhändler  Adrian  Vlac,^ 
welcher  die  Hoffnung  hatte,  bei  dieser  Gelegenheit  ein  gutes 
Geschäft  zu  machen.  Schon  früher,  als  Milton's  erste  Ver- 
theidigung ein  so  gewaltiges  Aufsehn  machte,  hatte  er  sich 
bemüht,  ein  Werk  des  berühmten  Publicisten  für  seinen  Ver- 
lag zu  erhalten.  Er  stand,  aus  welchem  Grunde  auch  immer, 
mit  Samuel  Hartlib  in  Korrespondenz.  Er  hatte  sogar  die 
Keckheit  gehabt,  diesem,  dem  Freunde  Miltoifs ,  auf  seine 
Bitten  wöchentlich  die  Aushängebogen  der  vermeintlichen 
Moiiis'schen  Schmähschrift  zu  übersenden  und  zugleich  um 
die  Ehre  gebeten,  Milton's  Verleger  sein  zu  dürfen,  falls  es 
diesem  gefallen    sollte   eine   Erwiderung  in  Druck  zu  geben. 


Der  Buchhändler  Vlac.  00 

Eh  lässt  sich  denken,  dass  Hartlib  sehr  übel  auf  Vlac  zu 
sprechen  war,  als  er  dessen  Namen  unter  der  Widmung  vor 
dem  „Aufschrei  des  königlidien  Blutes"  erblickte,  und  dass 
Milton  sich  wohl  hütete  mit  einem  Manne  in  Verbindung  zu 
treten,  der  beiden  Parteien  auf  jede  Weise  zu  dienen  bereit 
war,  um  an  beiden  möglichst  viel  Geld  zu  verdienen (*). 

Nächst  Vlac  war  Morus  sell)st  höchst  gespannt  auf  das 
Erscheinen  der  Gegenschrift  Milton-s.  Ihm  musste  alles  daran 
liegen,  diesen  schon  vorher  davon  zu  überzeugen,  dass  er 
nicht  der  Autor  jenes  Libells  sei.  Im  April  16')4  kam  John 
Durie  nach  den  Niederlanden.  Durie's  nahe  Beziehungen  zu 
Milton  waren  bekannt,  durch  ihn  liess  man  daher  sofort  und 
wiederholt  den  Dichter  bedeuten,  dass  nicht  Morus,  sondern 
ein  französischer  Geistlicher,  dessen  Name  jMorus  im  Vertrauen 
einem  Freunde  mitgetheilt  hatte,  den  „Aufschrei  des  könig- 
lichen Blutes"  verfasst  habe.  Nicht  genug  damit:  es  wurde 
versucht  noch  einen  stärkeren  Druck  auf  Milton  auszuüben^ 
um  wenigstens  Morus  vor  seinen  Angriffen  zu  schützen,  falls 
es  niclit  überhaupt  gelänge,  ihm  Schweigen  aufzulegen.  Eng- 
land und  die  Niederlande  hatten  soeben,  nach  Errichtung  des 
Protektorats,  Frieden  miteinander  geschlossen.  Es  war  von 
Wichtigkeit  zu  verhindern,"  dass  etwas  geschehe,  was  die 
Leidenschaften  wiederum  aufreizen  könne.  Einer  der  hollän- 
dischen Gesandten,  Wilhelm  Nieuport,  war  daher  auf  Morus 
Bitten  gerne  bereit,  an  officieller  Stelle  in  England  sein 
Interesse  wahrzunehmen.  Er  bat  den  Staatssekretär  Thurloe 
sehr  ernstlich,  die  Sache  bei  Cromwell  zur  Sprache  zu  bringen. 
Er  liess  ausserdem  durch  zwei  seiner  Freunde,  die  ebenfalls 
mit  Milton  genau  bekannt  waren,  diesen  ersuchen,  von  seinem 
Unternehmen  abzustehn  oder  doch  Morus  zu  verschonen  (^). 
Die  englischen  Behörden  waren  indess  durch  die  Entdeckung 
royalistischer  Mordpläne  gegen  das  Leben  des  Protektors  zu  sehr 
in  Anspruch  genommen,  um  für  Morus  Angelegenheit  Flusse 
erübrigen  zu  können.  Und  Milton,  wiewohl  er  sich  jeder 
Beleidigung  der  Niederlande  enthalten  zu  wollen  versprach, 
erklärte  doch  zugleich,  er  habe  die  feste  Ueberzeugung,  sein 
anonymer   Gegner    sei    niemand    sonst  als  Morus  (^).     Dieser 


100  ^61'  Buchhändler  Vlac. 

hat  später  behauptet,  Miltoü  habe  wider  besseres  Wissen 
gehandelt,  nur  um  den  pikanten  Stoff,  den  er  gesammelt 
hatte,  nicht  verloren  gehen  zu  lassen.  Der  älteste  Biograph 
des  Dichters  bestätigt  dies,  indem  er  ihn  nach  Kenntnis- 
nahme der  Verwechselung  von  du  Moulin  und  Morus  ausrufen 
lässt:  „es  sei  ihm  ganz  gleich,  einer  sei  so  schlecht  wie  der 
andere,  und  da  er  es  einmal  geschrieben  habe,  solle  es  in 
die  Welt  gehn".  Allein  diese  Anekdote  beruht  anscheinend 
auf  einer  irrigen  Angabe  du  Moulin's(^).  Und  so  viel  ist 
gewiss,  dass  es  Milton  sehr  schwer  wurde,  sich  von  seinem 
Irrthum  überzeugen  zu  lassen.  Zwei  Jahre  lang  war  ihm, 
wie  er  sagt,  ,,von  jedem  Einheimischen  und  von  jedem 
Fremden",  mit  dem  er  über  die  Sache  gesprochen  hatte, 
Morus  als  Autor  bezeichnet  worden.  Von  einem  „gelehrten 
und  sachkundigen  Manne",  der  ihm  „wohlbekannt"  und  „in 
Holland  sehr  angesehen  war",  war  einem  seiner  Freunde  die- 
selbe Nachricht  zugekommen.  Briefe  aus  dem  Haag  und  aus 
Amsterdam  hatten  mitgetheilt,  Morus  habe  die  Korrektur 
besorgt,  Exemplare  vertheilt  und  sich  schriftlich  und  münd- 
lich der  Autorschaft  der  Dedikation  an  Karl  II.  berühmt. 
Durie's  Berichtigung  machte  keinen  Eindruck  auf  ihn,  denn 
Durie's  Gewährsmann,  ein  Roy  allst  und  Morus'  Freund,  dünkte 
ihn  um  so  parteiischer,  da  er  nur  Morus'  Sprachrohr  sein 
konnte.  Dessen  Interesse,  nicht  für  den  Verfasser  der 
Schmähschrift  gehalten  zu  werden,  lag  aber  am  Tage,  da  er 
auf  seine  Stellung  in  den  Niederlanden  Rücksicht  zu  nehmen 
hatte.  In  demselben  Lichte  erschien  der  Vermittlungsversuch 
des  holländischen   Gesandten  (2). 

Immerhin  war  es  höchst  bedenklich,  sich  so  fest  in  diesen 
Gedankengang  zu  verrennen  und  auf  die  entgegengesetzten 
Stimmen  nur  mit  halbem  Ohre  zu  hören.  Was  hätte  näher 
gelegen  als  der  Schluss,  dass  wer  die  Widmung  verfasst,  des- 
halb nicht  auch  das  Libell  geschrieben  haben  müsse.  Milton, 
gereizt  wie  er  w^ar,  schloss  gerade  umgekehrt  und  brachte  sich 
damit  in  die  zweideutige  Lage,  gegen  Windmühlen  zu  kämpfen. 
Freilich  was  ihm  über  Morus  zu  Ohren  gekommen,  war  so  ver- 
fänglicher Art,  dass  auch  ein  anderer  nicht  leicht  der  Versuchung 


Angriffe  gegen  Morus.  101 

widerstanden  haben  würde,  es  weiteren  Kreisen  mitzutheilen. 
Es  war  eine  ganze  Skandalchrouik ,  voll  der  anzüglichsten 
Einzelheiten,  die,  untermischt  mit  sehr  wenig  geschmackvollen 
Wortspielen  und  sehr  wenig  anständigen  Bildern,  in  klassi- 
schem Latein  erbarmungslos  vorgetragen  wurde.  ^Yas  die  genfer 
Epoche  des  Morus  betriflft,  so  werden  ihm  sehr  wenig  erbau- 
liche Dinge  nachgesagt.  Nicht  nur,  dass  von  seinen  „viel- 
fachen Ketzereien"  die  Rede  w'ar,  die  er  abzuschwören  ge- 
zwungen worden  sei,  ohne  sie  aiikugeben,  auch  seine  sittliche 
Aufführung  hatte  schweren  Anstoss  erregt.  Ein  Verhältnis  mit 
dem  Dienstmädchen  seines  Wirtes  setzte  er  fort,  selbst  nachdem 
es  sich  verheiratet  hatte.  Man  wusste,  dass  er  mit  ihr  in  einem 
Gartenhäuschen  zusammenkam,  ohne  Zweifel  doch  nicht  des- 
halb ,  „um  ihr  botanische  Vorlesungen  zu  halten''.  Er  trieb 
es  so  weit,  dass  die  Geistlichkeit  über  ihn,  als  einen  Ehe- 
brecher, die  Censur  aussprach  und  ihn  seines  Amtes  für  un- 
würdig erklärte.  Durch  Vermittelung  des  Salmasius  wurde 
er  nach  Middelburg  berufen  und  führte  auch  dort  einen  un- 
moralischen Lebenswandel.  Er  fand  im  Hause  seines  gelehrten 
Gönnei'S  eine  Magd  —  IMilton  nennt  sie  ,,nach  dem  beissenden 
Epigramm  eines  Holländers",  das  auch  im  Mercurius  politicus 
erschienen  war,  „Pontia"  —  und  sofort  wai-f  er  seine  begehr- 
lichen Blicke  auf  diese.  Es  kam  ihm  sehr  gelegen  die  Ver- 
theidigung  des  Salmasius  zu  übernehmen,  denn  nun  hatte  er 
.,Tag  und  Nacht,  um  sich  übei"  dies  Werk  mit  ihm  zu  be- 
rathen",  Zutritt  zu  seinem  Hause.  Der  Pontia  versprach  er 
die  Ehe  und  gewann  damit  ihre  Gunst.  Aber  nachdem  er 
der  Verfechter  der  stuartischen  Sache  geworden  war  und  sieh 
die  ganze  oranisehe  Partei  dadurch  verpflichtet  glaubte,  dünkte 
er  sich  „für  das  arme  Dienstmädchen"  zu  hoch.  Die  Verlassene 
wandte  sich  klagend  an  Synode  und  Obrigkeit.  Auf  diese 
Weise  wurde  die  Sache  ruchbar.  Salmasius  war  nicht  un- 
empfindlich für  den  Sehimpf  und  Spott,  dem  er  sich  dadurch 
ausgesetzt  sah,  und  so  musste  auch  Morus  noch  dazu  bei- 
tragen ihm  die  letzten  Lebenstage  zu  verl)ittern.  Neuerdings 
soll  die  Kirche  von  Middelburg  den  ,, stinkenden  Bock"  aus 
ihrer  Gemeinschaft  ausgestossen,  die  Obrigkeit  von  Amsterdam 


102  Angriffe   gegen  Salmasius  und  Vlac. 

ihm  die  Kanzel  verboten  haben.  —  Das  also  ist  der  Gegner,  an 
den  sich  der  Yertheidiger  der  englischen  Republik  glaubt 
halten  zu  müssen,  ein  ..treuloser,  lügnerischer,  undankbarer 
Mensch",  ein  Heuchler  und  ]\Iädchenjäger ,  „der  den  guten 
Ruf  von  Männei-n  und  Weibern  in  gleicher  Weise  zu  schädigen 
sucht". 

Morus  war  die  hauptsächliche  Zielscheibe  Milton's,  aber 
er  vergass  über  ihn  weder  den  alten  Gegner,  der  jenen  be- 
nutzt, noch  den  geriebenen  Buchhändler,  der  sich  ihm  zur 
vollen  Verfügung  gestellt  hatte.  Salmasius  war  freilich  todt, 
und  Milton  wollte  ihm  „aus  dem  Tode  keinen  Vorwurf  machen, 
wie  man  ihm  einen  Vorwurf  aus  der  Blindheit  gemacht  hatte". 
Nichts  desto  minder  hatte  er  Grund  ihm  auch  über  das  Grab 
hinaus  zu  grollen.  Ihm  dankte  er  diese  neue  Fehde,  von  ihm 
wusste  er  sich  durch  eine  nachgelassene  Schrift  noch  immer 
bedroht.  In  Prosa  und  Versen  wird  daher  der  „Ränkeschmied", 
der  von  einem  kritiklosen  Lobhudler  auf  ein  so  erhabenes 
Piedestail  erhoben  worden  war,  sehr  reichlich  bedacht.  Bei 
weitem  unsanfter  sah  sich  der  Buchhändler  Vlac  angefasst. 
Sein  wenig  ehrenvolles  Verhalten  in  der  ganzen  Sache  wird 
ihm  in  den  stärksten  Ausdrücken  vorgerückt.  Seine  Ver- 
gangenheit giebt  nach  Milton's  Behauptungen  gleichfalls  zu  be- 
denklichen Urtheilen  Anlass,  Er  nennt  ihn  einen  „notorischen 
Schwindler  und  Verschwender'".  Er  weiss  von  ihm  zu  be- 
richten, dass  er  lange  ., einen  heimlichen  Handel  in  London 
betrieben  und  nach  unzähligen  Betrügereien  mit  Zurücklassung 
von  Schulden  das  Weite  gesucht  habe".  In  Paris  habe  er  es 
nicht  besser  gemacht  ('),  er  sei  von  dort  geflohen  und  im 
Haag  als  „neugeborener  Buchdrucker"  wieder  aufgetaucht. 

Die  drei  „Schauspieler  des  Dramas-'.  Morus,  Salmasius,  Vlac 
waren  genügend  gekennzeichnet,  und  nichts  war  versäumt 
worden  sie  der  Lächerlichkeit  und  Verachtung  Preis  zu  geben. 
Es  wäre  indess  ein  Mangel  der  Komposition  gewesen,  diesen 
Karrikaturen  nicht  auch  Bilder  von  reinen,  anmuthenden 
Zügen  entgegenzustellen.  Indem  Milton  sich  dazu  entschloss, 
beugte  er  der  Ermüdung  des  Lesers  vor  und  gewann  die  Mög- 
lichkeit grimmigen  Hohn  mit  freudigem  Lobe,  niedrige  Witze- 


Milton's  Selbstportrait.  103 

leien  mit  erhabenem  Pathos,  übertriebene  Ironie  mit  schlichter 
Erzählung  wechseln  zu  lassen.  Alle  Vorzüge  seines  Stiles 
Icamen  hiebei  zur  vollen  Entfaltung,  und  die  polemische  Ge- 
legenheitsschrift, die  in  ihrem  ersten  Theile  nur  allzuhäufig 
durch  rohe  und  unfläthige  Spässe  abslösst,  erhebt  sich  in 
ihrem  zweiten  Theile  zu  einem  grossartigen  Denkmal  histori- 
scher Darstellung. 

Am  merkwürdigsten  und  werthvollsten  bleibt  für  uns  das 
scharf  umrissene  Selbstportrait,  welches  Milton,  nach  Art  der 
grossen  Kiinsller,  kühn  genug  war  zu  entwerfen  und  gegen 
das  Zerrbild  zu  halten,  das  seine  Gegner  geschaffen  hatten. 
Sie  hatten  ein  Ungeheuer  aus  ihm  gemacht,  ein  „Monstrum" 
an  Körper  und  Geist,  um  durch  die  Brandmarkung  des  Ver- 
theidigers  der  englischen  Nation  diese  selbst  zu  brandmarken. 
Er  sieht  sich  genöthigt  mit  eigener  Hand  seine  Persönlich- 
keit und  seinen  Lebensgang  zu  schildern,  damit  sein  Vater- 
land wisse,  dass  es  keinen  ehrlosen  Mann  zum  Verfechter 
seiner  Sache  gewählt  habe.  Eine  solche  Aufgabe  wird  immer 
etwas  Missliches  an  sich  haben.  Einem  Schriftsteller  von  der 
Natur  Milton's,  in  dem  eine  starke  Ader  des  Selbstbewusst- 
seins  schlug,  konnte  sie  doppelt  gefährlich  werden.  Es  ist 
ihm  indess  nicht  übel  gelungen  sich  von  üebertreibung  und 
Schönfärberei  fernzuhalten.  Die  Darstellung  seiner  Jugend- 
zeit und  seines  früheren  Mannesalters ,  auf  die  wir  so  häufig 
haben  Bezug  nehmen  müssen,  ist  ruhig  und  objektiv  gehalten, 
als  handle  es  sich  um  eine  dritte  Person,  Freilich  nimmt 
das  stolze  Gefühl ,  das  ihn  über  gemeine  Anschuldigungen 
emporhebt,  nicht  selten  einen  starken  Ausdruck  an.  Er  tlmt 
sich  etwas  zu  Gute  darauf,  dass  er.  der  Republikaner,  seinen 
ehrlichen  Namen  einsetzt,  während  seine  Feinde  „unter  könig- 
lichem Schutze",  sich  „wie  Diebe"  verstecken.  Er  betont, 
dass  es  ihm  nicht  um  klingenden  Sold  zu  thun  ist,  während 
€r  in  ihnen  nur  feile  Lohnschreiber  erblicken  kann.  Er  pocht 
auf  seine  fleckenlose,  sittenreine  Vergangenheit,  indess  er 
«einem  Angreifer  Laster  auf  Laster  glaubt  vorwerfen  zu  dürfen. 
Selbst  über  seine  äussere  Erscheinung  meint  er,  nach  dem, 
was    die    Gegenpartei    verbreitet   hatte,    ein  Wort   sagen    zu 


104  Charakteristik  der  politischen  Grössen  Englands. 

müssen.  Und  indem  er  auf  seine  Blindheit  zu  sprechen 
kommt,  an  der  sich  seine  Widersacher  geweidet  hatten, 
mischen  sich  Entrüstung,  Schmerz  und  stille  Ergebenheit  in 
das  schwere  Geschick  zu  einem  überaus  wirkungsvollen 
Ganzen.  Er  tröstet  sich  mit  dem  Gedanken,  „dass  es  nicht 
so  elend  sei,  blind  zu  sein,  als  die  Blindheit  nicht  ertragen 
zu  können".  Er  gefällt  sich  in  der  Erinnerung  an  alle  die 
Weisen  und  Helden  der  Vorzeit,  von  Tiresias  und  Timoleon 
bis  zu  Dandolo  und  Zanchius,  die  dasselbe  Leiden  wie  er  zu 
tragen  gehabt,  „und  deren  Missgeschick  die  Gottheit  durch 
andere  Gaben  ausgeglichen  hat".  Den  Spöttern  ruft  er  zu: 
„Die  Blinden  stehn  unter  Gottes  Schutz  .  .  Wehe  dem,  der 
uns  verhöhnt,  und  verletzt  .  .  ich  fühle  mich  gegen  den  An- 
griff der  Menschen  nicht  nur  geschützt,  sondern  durch  Gottes 
Gunst  beinahe  geheiligt,  .  .  in  meiner  Dunkelheit  strahlt  das 
Licht  der  göttlichen  Gegenwart  nur  um  so  heller". 

Man  hatte  die  Häupter  der  englischen  Revolution,  die 
Männer,,  welche  das  Heer  von  Sieg  zu  Sieg  geführt,  welche 
die  Staatsverwaltung  unter  den  schwierigsten  Umständen 
übernommen  hatten,  gleichfalls  mit  Schmutz  beworfen.  Es 
war  nur  billig  auch  ihre  Charakterbilder  von  den  entstellen- 
den Flecken  zu  reinigen,  damit  sie  nicht  in  dieser  Weise  auf 
die  Nachwelt  kämen.  Und  so  erscheinen  die  Fleetwood, 
Lambert,  Desborough,  Whalley,  Overton,  Whitelocke,  Picker- 
ing, Strickland,  Sydenham,  Sidney,  Montague,  Lawrence  ent- 
weder etwas  genauer  skizzirt  oder  doch  mit  einem  ehrenden 
Beiwort  geschmückt.  John  Bradshaw,  „dessen  Name  überall 
mit  Beifall  genannt  werden  wird,  wo  man  die  J^eiheit  kennt 
und  liebt",  erhält  eine  ausführlichere,  von  Lob  überfliessende 
Charakteristik.  Fairfax  wird  mit  einem  der  antiken  Heroen 
verglichen,  von  denen  die  Dichter  singen,  dass  sie  nach 
Thaten  unsterblichen  Ruhmes  mit  den  Göttern  olympische 
Ruhe  gemessen.  Die  Persönlichkeit  Cromwell's  endlich  be- 
schäftigt den  Verfasser  so  sehr  in  erster  Linie  und  reizt  ihn 
zu  so  bemerkenswerthen  Aeusserungen ,  dass  es  nothwendig 
erscheint,  dieses  Abschnittes  seiner  Schrift  noch  in  anderem 
Zusammenhange    zu    gedenken.      Selbstverständlich     spricht. 


Behauptung  des  früheren  Standpunktes.  105 

Milton  auch  liier  immer  als  entschiedener  Parteimann,  aber 
es  bedarf  nur  eines  flüchtigen  Vergleiches  seiner  Skizzen  mit 
denen  der  royalistischen  Federn,  um  zu  erkennen,  auf  welcher 
Seite  man  der  Wahrheit  am  nächsten  kam.  Milton  hatte 
nicht  nur  den  Vortheil  eines  feinen  psychologischen  Blickes, 
sondern  auch,  in  vielen  Fällen,  genauer  persönlicher  Bekannt- 
schaft. Bradshaw  nennt  er  den  „Freund,  den  er  aufs  höchste 
verehrt".  Mit  dem  Colonel  Robert  Overton,  dem  tapferen 
Soldaten,  der  sich  schon  bei  Marston-Moor  ausgezeichnet,  das 
Kommanck)  in  Hüll  gehabt  und  seine  reichsten  Lorbeeren  im 
letzten  schottischen  Feldzug  erworben  hatte,  fühlte  er  sich 
,,seit  vielen  Jahren  wegen  der  Aehnlichkeit  der  Studien  und 
der  Anmuth  seiner  Sitten  durch  eine  mehr  als  brüderliche 
Eintracht  innig  verbunden"  (i).  Von  Montague,  dem  späteren 
Admiral  und  Mitglied  des  Cromwell'schen  Hauses  der  Lords, 
von  Lawrence,  Präsidenten  des  Cromweirschen  Staatsraths, 
spricht  er  wie  ein  genauer  Bekannter.  Fleetwood,  den  seine 
Heirat  mit  Ireton's  Wittwe  zu  Cromwell's  Schwiegersohn  ge- 
macht hatte,  beurtheilt  er  anscheinend  gleichfalls  aus  eigener 
langjähriger  Erfahrung. 

Indessen  einen  so  grossen  Raum  das  Persönliche  in  dieser 
Schrift  Milton's  einnimmt,  so  lässt  er  deshalb  die  Sache,  um 
die  es  sich  handelt,  nicht  aus  dem  Auge.  Er  weicht  keinen 
Sehritt  zurück,  sondern  fühlt  sich  durch  den  Erfolg  seiner 
ersten  Vertheidigung  nur  noch  bestärkt,  seinen  Standpunkt 
zu  behaupten.  Die  Thaten  des  independentischen  Heeres  er- 
halten in  ihm  aufs  neue  ihren  begeisterten  Herold.  Der 
Process  und  die  Hinrichtung  des  Königs  werden  von  ihm 
noch  ein  Mal  als  völlig  gerechtfertigte  Handlungen  dargestellt. 
Die  politische  Theorie  der  Gegner  erscheint  ihm  lächerlich 
und  für  das  Königthum  selbst  im  höchsten  Grade  schädlich, 
die  seinige  dagegen  einzig  menschenwürdig  und  ungefährlich 
für  das  monarchische  Princip.  „Wenn  ich  Tyrannen  angreife, 
was  geht  das  die  Könige  an?  Ich  hüte  mich  wohl  diese  jenen 
gleichzustellen.  Ich  behaupte  vielmehr :  wie  sich  ein  ehrlicher 
Mann  von  einem  Schurken  unterscheidet,  so  unterscheidet 
sich   ein  König  von  einem  Tvrannen".     Eben  daher  sucht  er 


106  Behauptung  des  frühereu  Standpunktes. 

die  Befürchtungen  zu  widerlegen,  als  habe  die  englische  Re- 
gierung revolutionären  Ursprungs  es  auf  eine  gewaltsame 
Propaganda  abgesehn,  als  sei  ihr  Dasein  den  übrigen  Mächten 
Europa's  bedrohlich.  „Nur  unsere  eigenen  Angelegenheiten 
haben  uns  beschäftigt,  um  diejenigen  andeier  bekümmern  wir 
uns  nicht.  Das  Gute,  was  unsere  Nachliarn  von  uns  lernen 
mögen,  missgönnen  wir  ihnen  nicht,  den  Schaden,  der  aus 
unserem  Beispiel  erwächst,  können  wir  allein  dem  Missbrauch 
unserer  Grundsätze  zuschreiben".  Es  war  nur  politisch,  wenn 
ein  Mann  in  Milton's  Stellung  diese  Sprache  führte,  und  von 
demselben  Gesichtspunkte  aus  ist  es  zu  beti-achten ,  wenn  er 
das  Verhältnis  seines  Staates  zu  einzelnen  der  fremden  Mächte 
in  das  beste  Licht  zu  stellen  und  schon  dadurch  seinen  Gegner 
abzuführen  versucht.  Die  mehrfachen  Gesandtschaften  der 
„edlen  Franzosen"  werden  rühmend  erwähnt.  Die  „brüder- 
liche" Gesinnung  der  Niederländer  lässt  ihn  hoffen,  dass  der 
eben  mit  ihnen  abgeschlossene  Friede  von  ewiger  Dauer  sein 
möge*.  Eine  lange  Abschweifung  gilt  dem  überschwänglichen 
Lobe  Christinen's  von  Schweden,  deren  Beurtheilung  seiner 
ersten  Veitheidigung  dem  Autor,  ohne  Zweifel  in  übertriebener 
Form,  zu  Ohren  gekommen  war.  Man  wird  die  Schmeiche- 
leien, die  er  der  bizarren  Tochter  Gustav  Adolfs  sagt,  nicht 
auf  niedere  Beweggründe  zurückführen  wollen.  Er  glaubte 
ihr  zu  Dank  verpflichtet  zu  sein  und  nahm  daher  den  Mund 
etwas  voll.  Kaum  verzeihlich  dagegen  erscheint  es,  dass  er 
seinen  vermeintlichen  Gegner,  „den  genfer  Flüchtling"  förm- 
lich als  einen  Menschen  denuncirt,  der  seine  neue  Heimat 
entehre  und  gefährde,  und  dass  er  nicht  übel  Lust  bezeigt 
von  den  holländischen  Behörden  seine  Ausweisung  zu  fordern. 
Es  lässt  sich  denken,  dass  Morus  der  Veröffentlichung 
von  Milton's  Schrift  nicht  ohne  Sorgen  entgegensah.  Nach 
Milton's  späterer  Behauptung  „wagte  er  gar  nicht  mehr  das 
Auge  von  der  Küste  abzuwenden",  an  der  das  gefürchtete 
Buch  anlangen  musste.  Er  wusste  sodann,  wie  er  ihm  vor- 
wirft ,  den  Vertrieb  zu  verhindern ,  bis  seine  Antwort  fertig 
geworden  war.  Diese  selbst  wurde  einem  schlechten  Nach- 
druck der  Milton'schen  Schrift  angehängt.     Wiederum  war  es 


Vlac's  Nachdruck  uebst  Morus'  Fides  puhdica.  107 

Vlac,  aus  dessen  Druckerei  das  Ganze  hervorf,nenfr,  und  dieser 
konnte  somit  nicht  nur  auf  bedeutenden  Geldgewinn  reclinen, 
sondern  zugleich  seine  eigene  Yertheidigung  anfügen  (9-  Er 
Hess  indessen  zuerst  einem  gewissen  Doktor  der  Theologie, 
Georg  Crantz ,  das  Wort.  Dieser ,  ein  Verwandter  des  be- 
rühmten Historikers  gleichen  Namens,  gab  „wenn  auch  köiper- 
lich  leidend"  ein  eigenhändiges  Zeugnis  für  Morus  ab.  Frei- 
lich sah  dasselbe  etwas  zweideutig  aus.  Crantz  gestand  zu, 
dass  sich  sein  Schützling  durch  allzu  grosse  Freiheit  der  Rede 
viele  Feinde  gemacht  habe.  Der  verstorbene  Spanheim  habe 
ihm  nichts  vorzuwerfen  gehabt  als  stolzes  Wesen.  Salmasius 
habe  nur  das  an  ihm  ausgesetzt,  dass  er  nicht  fleissig  genug 
und  zu  leichtgläubig  sei,  übrigens  aber  seine  Taleofe  aufs 
höchste  gerühmt.  Morus  habe  freilich  seine  Gemahlin  verletzt, 
aber  er ,  Salmasius  selbst ,  wolle  mit  ihr  der  Kuppelei  schul- 
dig sein,  wenn  Morus  die  ihm  gemachten  Vorwürfe  verdiene. 
Von  Milton  dagegen  weiss  dieser  Doktor  der  Theologie  alles 
mögliche  Schlechte  zu  sagen,  das  er  namentlich  aus  dem  nach- 
gelassenen Werke  des  Salmasius  schöpft.  Selbstverständlich 
figuriren  an  der  Spitze  dieses  Sündenregisters  wieder  die  Schriften 
über  die  Ehescheidung. 

Hieiauf  sprach  der  Buchhändler  Vlac  für  sich  selbst. 
Er  erklärte ,  der  Autor  jenes  Lil)ells ,  das  den  ganzen  Streit 
hervorgerufen  hatte,  sei  ihm  bis  zur  Stunde  unbekannt,  setzte 
seine  Beziehungen  zu  Hartlib  und  INIilton  auseinander  und 
wies  die  schweren  Beschuldigungen  des  letzten  zurück.  Nach 
seinem  Dafürhalten  beruhten  diese  auf  den  Aussagen  eines 
übelwollenden  ungenannten  Berufsgenossen,  desselben,  aus 
dessen  Presse  Milton's  zweite  Vertheidigung  hervorgegangen 
sei.  Er  gab  einen  Ueberblick  über  seinen  Verlag,  erzählte 
von  den  Plackereien,  die  er  während  seines  englischen  Auf- 
enthaltes von  der  Innung  der  Stationers  zu  erdulden  gehabt, 
von  den  zünftischen  Eifersüchteleien,  die  ihn  auch  nach  Paris 
hin  verfolgt  hätten  und  machte  kein  Hehl  daraus,  dass  er 
für  die  Widmung  an  Karl  H.  nur  seinen  Namen  hergegeben 
habe(-).  Alles,  was  er  vorbrachte,  war  mit  Ausfällen  gegen 
Milton  reichlich   durchzogen.     Er  warf  sogar  die  Frage  auf, 


108  Vlac's  Nachdruck  nebst  Morus'  Fides  publica. 

ob  dieser  durch  Herausgabe  seiner  Schmähschrift  nicht  einen 
Artikel  des  englisch-niederländischen  Friedens  verletzt  habe. 
Endlich  kam  Morus  selbst  an  die  Reihe,  ausgerüstet  mit 
einer  Masse  von  Aktenstücken,  siegesgewiss  im  Gefühl  ge- 
kränkter Unschuld,  wählerischer  in  der  Auswahl  lateinischer 
Schmähworte  als  sein  Gegner,  aber  immer  noch  derb  und 
beleidigend  genug.  Auch  er  suchte  die  ganze  Sache  zu  einer 
Staatsaktion  aufzubauschen.  Es  lag  ihm  um  so  näher  an  den 
eben  abgeschlossenen  Frieden  zu  erinnern,  da  niemand  anders 
als  er  selbst  die  Friedensartikel  in's  Französische  übersetzt 
hatte.  Er  erwälinte  die  Bemühungen  Durie's  und  ISieuport's, 
um  zu  zeigen,  dass  Milton  ihm  wider  besseres  Wissen  die 
Autorschaft  des  „Aufschreis"  zugeschrieben^  habe.  Ueber  den 
wahren  Verfasser  machte  er  nur  einige  Andeutungen  ohne  ihn 
zu  nennen.  Doch  glaubte  dieser  eine  Zeit  lang  sich  schon 
hierdurch  für  sehr  gefährdet  halten  zu  müssen.  Was  Milton 
betrifft,  so  war  er  für  Morus  wie  für  Vlac,  und  ohne  Zweifel 
auf  dieselbe  Autorität  hin,  ein  Mensch  „aus  allen  Verbrechen 
zusammengesetzt".  Die  Hauptsache  blieb  indessen  für  Morus 
den  „Augias-Stall  zu  reinigen",  dessen  übelduftender  Inhalt, 
wie  er  richtig  vermuthete  seinem  Gegner  von  anderen  zu- 
getragen worden  war.  Alle  Beschuldigungen  Milton's  erklärte 
er  für  „gefälscht  und  erlogen",  von  unzweifelhafter  Aechtheit 
erschien  ihm  nur  Milton's  „Unverschämtheit".  Er  Hess  es  daher 
an  einer  Aufzählung  der  eigenen  Schriften  nicht  fehlen  und 
erinnerte  mit  schlecht  verhehlter  Eitelkeit  an  die  Masse  von 
Akademieen  und  Kirchen,  bei  denen  er  in  höchster  Achtung 
stehe.  In  Ansehung  seiner  genfer  Epoche  rückte  er  mit 
mehreren  Zeugnissen  auf,  von  denen  schon  früher  einige  ge- 
druckt worden  waren.  Da  war  ein  Schreiben  der  Kirche  von 
Genf  vom  25.  Januar  1648,  das  sein  Lob  in  den  höchsten 
Tönen  sang  und  nur  obenhin  veraltete  Anklagen  wegen 
„grässlicher  Ketzerei^'. berührte,  Anklagen  die  er  längst  sieg- 
reich zurückgewiesen  haben  wollte.  Bürgermeister  und  Rath 
der  Stadt  Genf  hatten  sich  am  folgenden  Tage  auf  seine 
Bitten  in  derselben  Weise  ausgesprochen  und  kundgethan, 
dass  man  in  den  Niederlanden  seine  Rechtgläubigkeit  fälsch- 


Vlac's  Nachdruck  nebst  Morus'  Fides  publica.  109 

lieh  in  Zweifel  ziehe.  Man  hatte  verbreitet,  das  Zeugnis  der 
Compagnie  vönörable  sei  anfechtbar,  es  sei  in  einer  ausser- 
gewöhnlichen  Sitzung  ausgestellt,  Morus  habe  die  Stimmen 
erbettelt ,  die  Angesehensten  hätten  sich  geweigert  zu  unter- 
zeichnen. Am  10.  April  1048  erfolgte  daher  seitens  der  genfer 
Geistlichkeit  eine  feierliche  Bestätigung  ihrer  Urkunde,  eine 
Zurückweisung  jener  Verdächtigungen,  eine  Erklärung,  dass 
nur  die  Namen  von  drei  Mitgliedern  fehlten.  Die  Obrigkeit 
liess  es  wiederum  (29.  März  und  12.  April  1648)  an  bekräftigen- 
den Certüfikaten  nicht  fehlen.  Zu  guterletzt  folgte  noch  ein 
Brief  von  Diodati,  dem  1649  gestorbenen  alten  Freunde 
Milton's,  an  Salmasius,  in  welchem  Morus  gleichfalls  als  ein 
vortrefflicher  Mensch,  das  unschuldige  Opfer  hämischer  An- 
griffe, dargestellt  wurde.  Es  war  zwar  von  dem  Uebermass 
seiner  Hitze  die  Rede;  auch  dünkte  Diodati  das  kirchliche 
Zeugnis  etwas  zu  blumenreich.  Uebrigens  sprach  er  sich  mit 
Entrüstung  über  die  Feinde  des  Morus  aus,  welche  falsche 
Gerüchte  ausgestreut  hätten,  um  ihn  aus  Genf  zu  vertreiben 
und  um  ihm  in  Holland  die  Thore  zu  verschliessen. 

Hier  brach  die  Vertheidigung  des  Morus  plötzlich  ab, 
wie  der  Verleger  in  einer  Nachschrift  erklärte,  weil  der  Ver- 
fasser durch  eine  Reise  verhindert  worden  sei  das  übrige 
Material  für  den  Druck  einzuliefern.  Morus  befand  sich  in 
der  That  auf  Urlaub,  in  Frankreich  und  in  Italien,  woselbst 
er  trotz  seines  feindlichen  Verhältnisses  zu  Milton  bei  Milton's 
alten  Freunden,  Dati  und  Holstenius  gute  Aufnahme  fand(>). 
Erst  im  Jahre  1655  liess  er  eine  Ergänzung  seiner  Ver- 
theidigung nachfolgen  (2).  Zunächst  wurden  noch  weitere 
briefliche  Zeugnisse  aus  genferischen  Kreisen  beigebracht: 
von  Diodati,  dem  Juristen  J.  Godefroy,  dem  Theologen  Sartoris, 
der  gleichfalls  mit  Salmasius  in  Korrespondenz  gestanden 
hatte.  Dann  aber  wandte  sich  Morus  zu  einer  aktenmässigen 
Widerlegung  der  Angriffe,  welche  gegen  sein  Leben  in  den 
Niederlanden  gerichtet  worden  waren.  Briefe  der  Geistlichkeit 
von  Middelburg,  Auszüge  aus  den  Protokollen  verschiedener 
Synoden,  Zeugnisse  der  Obrigkeit  von  Amsterdam  und  der 
Schulbehörde  wechselten  mit  einander  ab.     Auf  diese  Masse 


wo  Vlac's  Nachdruck  nebst  Morus'  Fides  publica. 

von  Urkunden  gestützt,  erklärte  Morus  seinen  Gegner  für 
einen  lügnerischen  Schwätzer.  Er  läugnete,  dass  man  ihn  in 
Middelburg  aus  der  Kirche  ausgestossen ,  in  Amsterdam  am 
Predigen  verhindert  habe.  Mit  Salmasius  wollte  er  bis  zu 
dessen  Tode  gut  Freund  gewesen  sein.  Doch  konnte  er  nicht 
in  Abrede  stellen,  dass  der  Roman,  der  im  Hause  des  Salmasius 
gespielt  haben  sollte,  nicht  ohne  einen  gewissen  historischen 
Kern  war.  Aber  er  schob  die  ganze  Schuld  jenes  ärgerlichen 
Handels  auf  die  Frau  des  Salmasius,  die  nach  den  wenigen 
Andeutungen,  welche  er  macht,  als  eine  wahre  Xanthippe 
erscheint.  Sie  hat  sich,  so  behauptet  er,  mit  einer  ihm  feind- 
lichen Partei  verbündet,  ganz  Belgien  mit  „unsinnigen  Ge- 
rüchten" erfüllt  und  ihn  zuletzt  gezwungen,  so  sehr  Salmasius 
sich  bemüht  hatte  die  Sache  friedlich  beizulegen,  einen  Process 
gegen  ihre  Dienerin  oder  richtiger  gegen  sie  selbst  anzustrengen. 
Bei  der  Gerichtsverliandlung  wie  auf  der  Synode  von  Utrecht 
seien  eine  Menge  offener  und  heimlicher  Feinde  mit  zahllosen 
Verleumdungen  gegen  ihn  aufgetreten,  aber  das  Tribunal  wöv\^ 
die  Synode  hätten  ihm  vollkommen  Recht  gegeben.  —  Auf 
diese  Weise  glaubte  sich  jMorus  gegen  ]Milton's  Angriffe  hin- 
länglich gedeckt  zu  haben.  Jeder  verständige  Leser  musste 
die  Ueberzeugung  gewinnen,  dass  es  ihm  ein  Leichtes  sein 
würde,  den  Autor  jener  Schmähschrift  zu  nennen,  für  den 
man  ihn  gehalten  hatte.  Jeder  unparteiische  Leser  musste 
sich  mit  dem  Glauben  erfüllen,  dass  so  viele  übereinstimmende 
Beweisstücke,  die  für  den  Charakter  des  Angegriffenen 
sprachen,  nicht  gefälscht  sein  konnten.  In  beiden  Beziehungen 
erschien  die  Rolle,  welche  Milton  spielte,  als  eine  wenig 
rühmliche. 

Er  entschloss  sich  dennoch  sie  fortzusetzen.  Eine  „Ver- 
theidigung  für  sich  selbst"  stellte  er  dem  Haupttheil  der 
Morus'schen  Schrift  entgegen,  und  da  er  abgewartet  hatte, 
bis  die  angekündigte  Ergänzung  derselben  erscheinen  würde, 
konnte  er  auch  diese  sofort  erwidern  (').  Es  wäre 
vielleicht  das  Beste  gewesen,  wenn  Milton  sich  hätte  über- 
winden können  zu  schweigen.  Sein  literarischer  Ruhm  hatte 
bei  der  Fortsetzung  dieser  Debatte  wenig  zu  gewinnen,  und 


Milton's    „Selbstvertheidigung".  Hl 

auf  seinen  Charakter  drohte,  wofern  er  sich  trotzig  besserer 
Einsicht  verschloss,  ein  kleiner  Flecken  zu  fallen.  Einer  seiner 
Freunde,  der  Bremensei'  Heinrich  Oldenburii-,  dem  er  sein 
Buch  überschickt  hatte,  scheint  denn  auch  den  Wunsch  aus- 
gedrückt zu  haben ,  dass  Milton  sich  anderen  Gegenständen 
zuwenden  möge.  Eben  dieser  hatte  die  früher  von  ihm  selbst 
getheilte  Ansicht  über  die  Autorschaft  des  Morus  widerrufen. 
Ein  anderer  Bekannter  dagegen,  der  Dichter  Andrew  Marvell, 
ermuthigte  Milton  durch  sein  hohes  Lob  der  „zweiten  Ver- 
theidigunp»"  ohne  Zweifel  nicht  wenig,  den  Kampfplatz  zu 
behaupten.  Er  hatte  sieh  vorgenommen  das  Buch  auswendig 
zu  lernen,  er  verglich  es  mit  der  Trajanssäule  und  sah  in 
ihm  die  verschiedenen  Triumphe  Milton's  über  seine  Feinde 
abgebildet  (^).  Derartige  schmeichelhafte  Urtheile  konnten 
ihres  Eindrucks  auf  Milton  nicht  verfehlen,  und  da  die  Sache 
über  eine  persönliche  Streitigkeit  schon  anfangs  hinaus  ge- 
wachsen war,  hielt  er  sich  für  verpflichtet  dem  Feinde  nicht 
das  letzte  Wort  zu  lassen. 

Xoch  immer  wäre  es  möglich  gewesen  die  beiden  Fragen, 
um  die  es  sich  handelte,  zu  trennen.  W^enn  Milton  sich  zu 
dem  Geständnis  zwang,  im  Autor  des  royalistischen  Pamphlets 
geirrt  zu  haben,  so  brauchte  er  deshalb  seine  übrigen  An- 
klagen noch  nicht  zurückzunehmen.  Zugegeben,  dass  Morus 
in  jenem  Punkte  den  Gegenbeweis  erbracht  habe,  so  blieb 
noch  immer  der  Zweifel  bestehn,  ob  er  auch  in  anderen 
Dingen  so  unschuldig  sei  wie  er  sich  darstellen  wollte. 
Milton  begieng  den  Fehler  beide  Fragen  zu  vermischen.  Er 
wollte  auch  nicht  ein  Titelchen  von  dem  Behaupteten  auf- 
geben. Er,  der  Blinde,  wollte,  wie  der  wirkliche  Autor  des 
„Aufschreis  des  königlichen  Bluts"  zu  verstehn  giebt,  sich 
nicht  nachsagen  lassen,  dass  er  wie  ein  Blinder  von  der  Farbe 
gesprochen  habe.  Um  sich  nicht  lächerlich  zu  machen, 
kümmerte  er  sich  nicht  um  diesen,  sondern  blieb  dabei,  Morus 
sei  der  Schuldige.  Durch  und  durch  sophistisch  suchte  er 
das  aus  dessen  eigenen  Worten  zu  beweisen  und  liess  sich 
durch  nichts   davon   abbringen.     Man  kann   sich  der  Ansicht 


112  Miltou's  „Selbstvertheidigung". 

kaum    verschliessen,   dass   er  hier  eine  Position  vertheidigte, 
die  er  selbst  schon  als  verloren  betrachtete. 

Mit  grösserer  Siegeszuversicht  hielt  er  dagegen  an  den 
Anklagen  fest,  die  er  gegen  den  Charaktei-  des  Morus  vor- 
gebracht hatte.  In  der  That  wäre  es  ein  unverzeihlicher 
Grad  von  Leichtsinn  gewesen,  wenn  er  sie  rein  aus  der  Luft 
gegriffen  hätte  und  nicht  fähig  gewesen  wäre,  wenigstens  auf 
einige  Quellen  hinzuweisen ,  aus  denen  er  geschöpft  hatte 
Es  ist  schwer  zu  sagen,  wer  ihm  zuerst  für  die  Schilderung 
der  Wirksamkeit  des  Morus  in  Genf  als  Gewährsmann  gedient 
hat.  Später  nennt  er  einmal  ausdrücklich  die  Theologen 
Th.  Tronchin,  J.  F.  Mermillod,  J.  Pictet,  Amtsgenossen  seines 
Widersachers,  die  sich  bei  ihren  Anschuldigungen  gegen  ihn 
auf  viele  Zeugen  gestützt  hätten  (^)  (VL  408).  Möglich,  dass 
er  mit  dem  einen  oder  anderen  von  diesen  in  Verbindung  ge- 
treten war  und  von  ihnen  erfahren  hatte,  dass  die  ,. Anklage- 
punkte noch  damals  in  der  Stadtbibliothek  von  Genf  auf- 
bewahrt würden".  Diese  Behauptung  kehrt  in  der  zweiten 
Schrift,  der  Selbstvertheidigung,  noch  zweimal  mit  aller  Be- 
stimmtheit wieder.  Es  ist  von  „beinahe  hundert  Artikeln" 
die  Rede,  die  als  ein  Denkmal  der  Schande  des  Morus  in  der 
genfer  Bibliothek  vorhanden  seien  (2).  Auch  wird  der  Name 
jenes  Frauenzimmers  —  Claudia  Pelletta  -  genannt,  mit 
welchem  Morus  in  Genf  ein  unerlaubtes  Verhältnis  gehabt 
haben  soll.  Geistliche  und  Gelehrte  von  Ptuf  sollen  bereit 
sein  für  die  Wahrheit  des  Erzählten  einzustehn.  Die  Empfeh- 
lungsbriefe, die  Morus  abdruckt,  beweisen  nur,  dass  man  einen 
Menschen  seiner  Art  lieber  fortloben  wollte,  um  nicht  durch 
sein  Bleiben  einen  Skandal  zu  veranlassen.  Vor  allem  aber: 
sie  sind  ausgestellt  worden,  noch  ehe  Morus  durch  seinen 
unsittlichen  Lebenswandel  sich  biossgestellt  hatte.  Sie  be- 
rühren wohl  seine  Heterodoxie,  aber  sie  schweigen  von  dem, 
wodurch  er  sich  und  seinen  Stand  ausserdem  entehrte.  Dies 
wurde  ruchbar  während  der  Zeit,  in  der  er  nach  Ausstellung 
jener  Briefe  noch  in  Genf  verweilte ,  und  er  hütet  sich  wohl 
das  spätere  Zeugnis  der  Genfer  vorzuweisen,  das  einen  ganz 
anderen  Charakter  trägt:    Er  war  unverschämt  genug  es  zu 


Milton's  ,,Selbstvertheidigung''.  113 

fordern,  man  zögerte  indessen  zehn  Monate  lang  es  ihm  zu 
geben.  Als  man  seinem  Drängen  nachgab,  geschah  es  wiederum, 
um  ihn  nur  los  zu  werden  und  es  nicht  zu  einem  ärgerlichen 
Process  kommen  zu  lassen  (i). 

Es  war  klar,  dass  so  ausführliche  Angaben,  die  wohl  ge- 
eignet waren,  das  Verfahren  der  genfer  Behörden  in  ein  eigen- 
thümliches  Licht  zu  stellen,  nicht  ohne  erneute  Xacliforschungen 
an  Ort  und  Stelle  hatten  gemacht  werden  können.  Auch 
hatte  man  Milton  nach  Erscheinen  seiner  zweiten  Vertheidigung 
darauf  hingewiesen,  dass  er  in  Genf  über  den  Werth  jener  Zeug- 
nisse Näheres  erfahren  würde  (-J.  Es  war  der  berühmte  Ezechiel 
Spanheim,  der  dem  englischen  Schriftsteller  den  Liebesdienst 
leistete,  ihn  mit  neuem  Material  zu  versorgen.  Spanheim 
war  um  so  eher  bereit,  Milton  bei  seinem  Kampf  zu  unter- 
stützen, da  Morus  als  ihr  „gemeinsamer  Gegner"  gelten  konnte. 
Schon  Spanheim's  Vater  scheint,  eifersüchtig  auf  Morus  Talente, 
nicht  zum  besten  mit  ihm  gestanden  zu  haben,  sein  Bruder 
Friedrich  wurde  in  Leyden  des  Morus  glücklicher  Neben- 
buhler. Er  selbst  hatte  am  14.  Okt.  1654  Milton  zur  ge- 
lungenen Entlarvung  des  Verbrechers  gratulirt,  und  Milton 
nahm  keinen  Anstand,  einen  Theil  dieses  schätzenswerthen 
Belastungszeugnisses  seiner  Selbstvertheidigung  einzuver- 
leiben (^).  Nicht  weniger  Mühe  hatte  er  sich  gegeben,  die 
niederländische  Epoche  des  ^lorus  zu  erforschen.  Auch  hier 
hütet  Milton  sich  gar  wohl,  nur  dem  „allgemeinen  Gerücht"' 
zu  folgen.  Er  beruft  sich  auf  „ausreichende  Zeugen",  auf 
„zahlreiche  Briefe" ,  die  ihm  den  Stoff  zu  seinen  Anklagen 
zugetragen  hatten.  Und  weit  entfernt  davon,  etwas  von  dem 
Gesagten  zurückzunehmen,  sucht  er  den  Eindruck  desselben 
noch  zu  verstärken.  Er  gefällt  sich  in  der  drastischen  Aus- 
malung einer  Scene  im  Hause  des  Salmasius,  bei  der  es  sehr 
zu  Ungunsten  des  Liebhabers  Morus  zu  Handgreiflichkeiten 
gekommen  sein  soll.  Er  macht  sich  über  seine  nächtlichen 
Reisen  zwischen  dem  Haag  und  Leyden  lustig.  Er  spielt 
auf  andere  verfängliche  Abenteuer  an,  deren  Schauplatz 
Amsterdam  gewesen  sei,  und  behauptet,  dass  man  auch  wegen 

Storn.  Milton  u.  ».  Z.    II.  3.  S 


1]4  Milton's  „Selbstvertlieidigung". 

dieser  neuesten  Vorgänge  bei  der  Geistlichkeit  Klage  geführt 
habe.  Den  geistlichen  Behörden  selbst  macht  er  den  Vor- 
wurf, dass  sie  ähnlich  wie  diejenigen  von  Genf  zur  Wahrung 
der  Standesehre  ein  Auge  zugedrückt  hätten.  Sucht  man 
die  Kamen  seiner  Gewährsmänner  zu  erfragen,  so  sieht  es 
freilich  damit  nicht  zum  besten  aus.  Durie  hatte  allerdings 
aus  Basel  geschrieben,  dass  man  dort  dieselbe  schlechte 
Meinung  von  Morus  hege,  der  er  auch  in  den  Niederlanden 
begegnet  war.  Aber  seine  Gewährsmänner  waren  Persönlich- 
keiten, „denen  Morus  verhasst  sei".  Von  Johannes  Longus, 
dem  ersten  Geistlichen,  von  Middelburg,  hiess  es ,  er  habe  die 
Maske  des  Morus  nun  durchschaut  und  seine  frühere  günstige 
Meinung  völlig  geändert.  Aber  urkundliche  Beweise  dafür 
wurden  nicht  beigebracht.  Ein  Theil  der  Skandalchronik,  die 
Milton  zum  besten  giebt,  findet  sich  in  der  Korrespondenz 
des  Heinsius  und  Vossius,  welche  gerne  dazu  bereit  gewesen 
sein  werden,  ihr  Scherflein  beizusteuern.  Einen  Theil  mochte 
er  durcb  den  jüngeren  Fiiedrich  Spanheira  erfahren  haben. 
Endlich  war  er  darauf  aufmerksam  gemacht  worden,  dass 
sogar  die  Wittwe  des  Salmasius  geneigt  sein  werde,  ihm 
Waffen  gegen  Morus  zu  leihen. 

So  trübe  jede  dieser  Quellen  auch  war,  so  scheint  Milton 
dennoch  nicht  auf  falscher  Fährte  gewesen  zu  sein.  So  viel  war 
jedenfalls  richtig:  „Des  Morus  Hand  war  gegen  alle  und  aller 
Hand  gegen  ihn".  Unliebenswürdige  Eigenschaften,  von  denen  ihn 
auch  seine  Freunde  nicht  freisprachen,  legten  ihm  Hindernisse 
aller  Art  in  den  Weg.  Er  wurde  von  den  Synoden  in  ärger- 
liche Händel  verwickelt.  Nur  wenige  Jahre,  nachdem  er  den 
Kampf  mit  Milton  geführt  hatte,  wurden  neue  Anklagen  gegen 
ihn  laut,  die  einen  bedenklichen  Schluss  auf  seine  Vergangen- 
heit zu  ziehen  gestatten.  Es  ist  nicht  nur  von  „Lüge,  Falsch- 
heit, Stolz",  sondern  auch  von  seinen  „infamen  Lastern"  die 
Rede.  Eine  Reihe  von  Beschwerdepunkten,  die  vor  der 
Synode  der  wallonischen  Kirchen  gegen  ihn  erhoben  wurden, 
lief  darin  aus,  dass  er  „als  ein  leichtfertiger  und  unbeständiger 
Geist  von  schmutzigen  und  unkeuschen  Trieben  und  einem 
unerträglichen  Stolz"  bezeichnet  wird.     Auch  fehlt  es  aus  dem 


Schwächen  und  Stärken  Milton's.  115 

späteren  Leben  des  Monis  nicht  an  gewichtigen  Zeugnissen, 
welche  diese  Charakteristik  bestätigen  und  auf  sein  fili- 
heres  Leben  einen  Rückschluss  erlauben.  Anschuldigungen, 
wie  sie  Milton  vorgebracht,  wie  sie  in  den  Niederlanden  aus- 
gesprochen wurden,  tauchten  wieder  gegen  Morus  auf,  als  er 
in  einen  anderen  Wirkungskreis  berufen  worden  war  und  dort 
seine  heuchlerische  Rolle  fortspielte  (^). 

Obwohl  Milton  in  der  Bekämpfung  dieses  Gegners  sich  ge- 
nöthigt  sah,  in  die  Region  gewöhnlichen  Klatsches  herabzu- 
steigen, so  nimmt  doch  auch  in  dieser  Schrift  seine  Schreibweise 
mitunter  einen  höheren  Flug.  "Wenn  er  der  grossen  Sache  ge- 
denkt, deren  Vertheidigung  ihm  diese  persönlichen  Streitigkeiten 
eingetragen  hatte,  wenn  er  die  reformirte  Geistlichkeit  beschwört 
ihre  Würde  zu  wahren ,  wenn  er  sich  nochmals  auf  das  stolze 
Bewusstsein  seiner  eigenen  sittlichen  Reinheit  beruft,  so  erkennt 
man  den  Autor  der  beredten  kirchlichen  und  politischen  Flug- 
schriften wieder.  Wenn  er  dem  niederländischen  Gesandten 
seine  Hochachtung  ausdrückt,  wenn  er  den  Feinden  England's 
verwehrt  unter  dem  Namen  der  Generalstaaten  Schutz  zu 
suchen,  wenn  er  seinerseits  den  jüngsten  Friedensvertrag  für 
sich  geltend  macht,  so  kann  sich  der  diplomatisch  geschulte 
Staatssekretär  nicht  verläugnen.  Allerdings  die  Ausfälle 
grimmigen  Hohnes,  die  er  sich  gegen  Morus,  Crantz,  Ylac 
erlaubt,  werden  uns  wiederum  als  sehr  ungeniessbar  er- 
scheinen. Sie  sind  häufig  ebenso  witzlos  wie  roh,  und  Milton 
selbst  hat  es  gefühlt,  dass  seine  Sprache  einer  Rechtfertigung 
bedürfe.  Er  sucht  sie  in  den  Beispielen  der  Bibel  und  der 
Antike  und  findet,  dass  man  auch  dort  das  „Nackte"  mit 
seinem  Namen  genannt  sehe.  Uns  wird  es  mehr  Eindruck 
machen,  wenn  er  ein  Mal,  zur  Wuth  gereizt,  in  den  Ausruf 
ausbricht:  „Ich  bin  ein  Mensch  und  trage  ein  menschliches, 
kein  eisernes  Herz  in  der  Bmst". 

Vergnügen  fand  er  freilich  an  dem  Geschäfte  nicht,  das 
ihm  zugefallen  war.  Aber  seine  Arbeit  schien  ihm  doch  auch 
keine  „vergebliche"  zu  sein  (2).  Denn  immer  stand  ihm  das 
Allgemeine  über  dem  Persönlichen.     In  seinem  vermeintlichen 


WQ  Schwächen   und  Stärken  IMilton's. 

Privatfeinde  glaubte  er  den  „Schurken,  den  Entehrer  der 
Religion  und  seines  Standes,  die  Schande  der  Gelehrsamkeit,^ 
den  Verderber  der  Jugend"  zu  treffen.  Indem  er  sich  selbst 
vertheidigte,  hoffte  er  der  Freiheit  seines  Volkes  einen  Dienst 
zu  leisten,  „die  es  sich  durch  eigene  Kraft  errungen  und  nicht 
erst  von  anderen  überkommen  hatte".  Er  war  nun  einmal 
der  Herold  dieses  revolutionären  Staatswesens  geworden.  Er 
wusste,  dass  ein  ganzer  Welttheil  auf  ein  literarisches 
Gladiatorenspiel  blicken  würde,  Avelches  unter  anderen  Um- 
ständen wenig  Anziehungskraft  gehabt  hätte.  Und  so  hatte 
er  im  Eingang  seiner  zweiten  Vertheidigung  die  stolzen  Worte 
gesprochen:  „Ich  sehe  mich  im  Geiste  auf  der  Kostra, 
umgeben  von  dem  ganzen  aufhorchenden  Europa  .  .  Es  ist 
mir,  als  stände  ich  auf  einer  gewaltigen  Höhe  und  über- 
schaute alle  die  weiten  Lande  und  'unzählige  Massen  mir 
unbekannter  Gesichter,  deren  Mienen  die  grösste  Theil- 
nahme  .  verrathen.  Hier  erblicke  ich  die  mannhaften  und 
freiheitsliebenden  Deutschen,  dort  die  Franzosen  mit  ihrem 
lebhaften  und  edlen  Ungestüm,  hier  die  Spanier  mit  be- 
sonnenem Muthe,  dort  die  gesetzten,  edelsinuigen  Italiener. 
Alle  Freunde  der  Freiheit  und  Tugend,  mögen  sie  es  für  ge- 
rathen  halten  sich  zu  verbergen  oder  an's  Licht  hervortreten, 
schenken  mir  entweder  im  Stillen  oder  öffentlich  ihre  Gunst, 
andere  eilen  herbei  und  rufen  mir  Beifall  zu,  andere  ergeben 
sich  endlich  der  Macht  der  Wahrheit.  Umringt  von  den  ver- 
sammelten Massen  ist  es  mir,  als  sähe  ich  von  den  Säulen 
des  Herkules  bis  zum  indischen  Weltmeer  die  lange  vertriebene 
und  flüchtige  Freiheit  zu  ihrer  Heimstätte  bei  allen  Völkern 
zurückkehren.  Mein  Volk  bietet  ihnen  eine  edlere  Frucht, 
als  die  war,  welche  Triptolemus  einst  über  die  Lande  getragen 
haben  soll.  Es  streut  den  Samen  der  Freiheit  und  Bildung 
über  Städte,  Königreiche  und  Völker  aus". 

So  viel  Irrthümliches  bei  dieser  rühmenden  Beurtheilung 
der  englischen  Revolution  mit  unterlief,  grossartiger  war  sie 
niemals  aufgefasst  worden.  Auch  dies  Mal  konnte  sich  der 
ideale  Grundzuft-  der  Persönlichkeit  Milton's  nicht  verläugnen. 


Schwächen  und  Stärkeu  Milton's.  117 

Mochte  er  es  auch  mit  einem  sehr  schmutzigen  Stoff  zu  thun 
haben,  moclite  er  nicht  immer  wählerisch  in  seinen  Worten 
sein:  die  Macht  seiner  Individuahtät  verleiht  einem  an  sich 
gleichgiltigen  und  niedrigen  Gegenstande  ein  Interesse,  ähn- 
lich demjenigen,  das  uns  die  derben  Streitschriften  ver- 
wandter Geister,  wie  eines  Hütten  oder  Luther,  fast  ohne 
Ausnahme  abnöthigen. 


Viertes  Kapitel. 
Milton  und  Cromwell. 


Als  Milton  seine  zweite  Yertheidigung  des  englischen 
Volkes  schrieb,  war  er  schon  nicht  mehr  der  Diener  der 
Republik,  sondern  der  Diener  des  Protektorats.  Das  grosse 
Ereignis  der  Erhebung  CromweH's  hatte  sich  vollzogen.  Eng- 
land hatte  einen  ersten  Schritt  zur  Monarchie  zurückgemacht. 
Immer  mächtiger  war  im  Verlauf  der  Bewegung  Crom- 
weH's Gestalt  hervorgetreten.  Nicht  in  dem  Berathungssaal 
von  Westminster,  sondern  auf  den  Schlachtfeldern  von  Preston 
und  von  Drogheda,  von  Dunbar  und  von  Worcester  hatte  die 
Entscheidung  über  den  Gang  der  Ereignisse  gelegen.  Ein 
Heer ,  von  Sieg  zu  Sieg  geführt ,  erfüllt  mit  enthusiastischen 
Gedanken  politischer  und  religiöser  Reform,  war  zur  ersten 
Macht  in  diesem  Gemeinwesen  geworden.  An  seiner  Spitze 
stand  der  Mann,  der  im  Beginn  der  Revolution  nichts  gewesen 
war  als  ein  einfacher  Landwirt,  und  den  ein  Jahrzehnt  blu- 
tiger Kämpfe  und  angestrengter  Arbeit  zum  ersten  Feldherrn 
und  zum  ersten  Staatsmann  seines  Volkes  gemacht  hatte. 
Seitdem  die  Sammlung  von  CromweH's  Briefen  und  Reden, 
als  würdigstes  Denkmal  seiner  Grösse,  jedem  zur  Einsicht 
vorliegt,  hat  man  angefangen  die  Schuld  zu  sühnen,  welche 
Schriftsteller  jeder  Partei  gegenüber  seinem  Andenken  auf 
sich  zu  nehmen  gewetteifert  haben.  Cromwell  gilt  nicht  mehr 
als     das    verabscheuungswürdige    Muster     eines    ehrgeizigen 


Oliver  Cromwell.  119 

Heuchlers,  weil  Ehrgeiz  eine  der  mächtigsten  Triebfedern 
seiner  Natur  bildete  und  weil  er  die  Sprache  der  „Heiligen" 
redete.  Man  beginnt  zu  erkennen,  dass  ihn  auf  seiner  domi- 
gen Laufbahn  etwas  Höheres  leitete  als  nur  der  Gedanke 
an  sich  selbst,  und  dass  die  mystischen  Worte,  in  die  er 
seine  Ideen  kleidete,  etwas  mehr  waren  als  der  angelernte 
Jargon  der  herrschenden  Sekte.  Ein  und  dasselbe  Gefühl 
durchzieht  alle  seine  Aeusserungen ,  von  den  vertraulichsten 
Briefen,  die  er  an  Verwandte  und  Freunde  richtet,  bis  zu 
den  feierlichen  Ansprachen  an  die  Vertreter  der  Nation:  das 
Gefühl,  ein  erwähltes  Rüstzeug  in  der  Hand  Gottes  zu  sein, 
dasselbe  Gefühl,  dem  Milton  einst  Ausdruck  gegeben  hatte, 
als  er  erklärte,  sich  „immer  wie  unter  dem  Auge  seines 
grossen  Werkmeisters"  zu  wissen.  Der  Independent  mochte 
sich  über  die  Schranken  des  dogmatischen  Systems  erheben. 
Aber  er  wurde  unwiderstehlich  dazu  angetrieben,  jedes  Er- 
eignis seines  Lebens  in  unmittelbare  Beziehung  zum  göttlichen 
Willen,  zum  Weltgeist,  zu  setzen,  in  allem  „den  Herrn  zu 
suchen"  und,  wo  die  menschliche  Schwäche  es  zuliess,  auch 
zu  finden.  „Ich  bedarf  Mitleid  —  schreibt  der  Feldherr  1650 
während  des  Krieges  gegen  die  Schotten  einem  Verwandten 
—  ich  weiss,  was  ich  fühle.  Grosse  Stellung  und  hohes  Amt 
in  der  Welt  sind  nicht  werth,  dass  man  darauf  sieht. 
Auch  würde  ich  in  mir  selbst  keinen  Trost  haben,  stände 
meine  Hoffnung  nicht  auf  der  Gegenwart  des  Herrn.  Ich 
habe  diese  Dinge  nicht  gesucht,  wahrlich  ich  bin  vom  Herrn 
dazu  berufen.  Und  darum  bin  ich  nicht  ohne  Zuversicht, 
dass  er  mich,  seinen  armen  Wurm  und  schwachen  Knecht, 
fähig  machen  wird,  seinen  Willen  zu  thun  und  das  zu  erfüllen, 
wozu  ich  geboren  bin.  Ich  bitte  euch:  Betet  für  mich"('). 
In  dieser  vorwaltenden  Stimmung  glaubte  der  Heros  des 
Puritanismus  indessen  an  eine  göttliche  Führung  nicht  nur 
seiner  eigenen  Angelegenheiten.  Er  war  gewohnt  auch  alle 
Fragen  des  öff'entlichen  Lebens  vom  religiösen  Gesichtspunkte 
aus  in's  Auge  zu  fassen.  Alles,  was  zur  Vertheidigung  des 
Gemeinwesens  geschah,  erschien  ihm  als  „Sache  des  Herrn", 
und  als  Ziel   aller  Kämpfe  betrachtete  er  die  Herbeiführung 


120  Oliver  Croinwell. 

des  ..verheissenen  Reiches  der  Herrlichkeit  und  des  Friedens". 
Nach  jedem  Siege  richtete  er  daher  ernste  Mahnungen  an 
die  Männer  der  Regiemng.  Er  nahm  dabei  einen  Ton  an, 
als  hätten  sie  von  ihm  und  nicht  er  von  ihnen  die  Macht 
erhalten.  Er  beschränkte  sieh  nicht  auf  Allgemeinheiten, 
sondern  bekundete  durch  den  Hinweis  auf  bestimmte  Punkte 
einen  eminent  praktischen  Sinn,  der  sich  mit  dem  schwär- 
merischen Grundzug  seines  Charakters  sehr  wohl  vertrug. 
Es  war  den  Tag  nach  der  Schlacht  von  Dunbar,  als  er  den 
Sprecher  des  Parlaments  und  durch  ihn  das  Parlament  hören 
Hess:  ..Gebt  Gott  die  Ehre,  verläugnet  euch  selbst,  aber 
verläugnet  eure  Macht  nicht.  Gebraucht  sie  zur  Demüthigung 
der  Stolzen  und  Frechen,  die  England"s  Paihe,  unter  welchem 
Yorwande  es  sei,  zu  stören  wagen.  Erleichtert  den  Unter- 
drückten, hört  die  Seufzer  der  armen  Gefangenen.  Ver- 
bessert die  Missbräuche  jedes  Berafes.  und  sollten  Leute  da 
sein,  die  viele  arm  machen  um  wenige  reich  zu  machen,  so 
lasst  euch  sagen:  das  passt  nicht  für  eine  Piepublik.  Wenn 
der,  welcher  eure  Diener  zum  Kampf  stärkt,  eure  Herzen 
dazu  antreibt,  dann  wird  nicht  bloss  England  Gutes  davon 
haben,  sondern  ihr  werdet  anderen  Nationen  als  anfeuerndes 
Vorbild  voranleuchten".  Und  nach  dem  Siege  von  Worcester 
ergeht  derselbe  Piuf  an  dieselbe  Adresse :  „Ich  bitte  euch, 
richtet  alle  eure  Gedanken  dahin  Gottes  Ehre  zu  fördern, 
der  uns  so  wunderbar  errettet  hat.  Möge  die  Grösse  seiner 
fortgesetzten  Gnade  nicht  Stolz  und  Uel)ermuth  erzeugen,  wie 
es  schon  ein  Mal  bei  einem  erwählten  Volke  der  Fall  gewesen 
ist.  Die  Furcht  des  Herrn  erhalte  Eegierung  und  Volk 
demüthig  und  fromm.  Gerechtigkeit  und  Piedlichkeit ,  Milde 
und  "Wahrheit  fiiesse  von  euch  zum  Dank  für  seine  Gnade"  (^). 
Ei-füllt  von  diesen  Gesinnungen  und  zugleich  von  dem  Be- 
wusstsein  der  eigenen  Ueberlegenheit ,  war  der  siegreiche 
General  nach  London  zurückgekehrt.  Er  war  einige  Jahre 
zuv^or  den  radikalen  Stürmern  und  Drängern  entgegengetreten, 
welche  in  dem  Augenblick  drohender  auswärtiger  Gefahren 
für  tiefgreifende  Neuerungen  des  öffentlichen  und  privaten 
Rechts  agitirt  hatten.      Aber  nun.   nachdem   diese  Gefahren 


Milton's  Sonett  auf  Croinwell.  121 

dank  seinem  tapferen  Schwert  grössten  Theils  bestanden 
waren,  war  er  selbst  dazu  entschlossen,  Veränderungen  eines 
ZuStandes  herbeizuführen,  dessen  Fortdauer  aus  mehr  als 
einem  Grunde  unerträglich  schien. 

Eben  dies  war  es,  was  Milton,  als  einer  unter  vielen, 
von  Cromwell  hoffte.  Wenige  Wochen,  ehe  er  Henry  Vane 
seinen  poetischen  Tribut  darbrachte,  richtete  er  an  Cromwell 
ein  Sonett,  das  für  den  Eingeweihten  klar  genug  sprach  (>). 

Cromwell,  du  unser  Haupt,  der  du  gedrungen 

Dui'ch  der  Verleumdung  Sturm,  der  Schlachten  Blut, 

Gefülirt  vom  Glauben  und  des  Herzens  Muth, 

Der  Frieden  uns  und  Wahrkeit  kühn  errungen, 

Der  Gottes  Siegesbanner  du  geschwungen, 

Gezügelt  des  geki-öuten  Feindes  Wuth, 

Als  deinen  Euhm  gerauscht  des  Parwen  Fluth 

Und  Dunbar's  Höhn  von  deinem  Ruhm  erklungen, 

Und  Worcester  dir  den  Lorbeerkranz  geflochten: 

Es  bleibt  uns  vieles,  was  noch  nicht  erfochten, 

Und  seine  Siege  hat  der  Frieden  auch. 

Ein  neuer  Feind  will  unsre  Seelen  ketten. 

Oh  hilf  ein  fi-ei  Gewissen  uns  erretten 

Vor  Miethlingswölfen,  deren  Gott  ihr  Bauch. 

Man  kann  nicht  behaupten,  dass  der  Schlussgedanke 
dieses  Sonetts  zum  ersten  Male  bei  Milton  vorkäme.  Ganz 
ähnlich  hatte  sich  der  mahnende  Dichter  vier  Jahre  früher 
an  Fairfax  gewandt.  Genau  in  derselben  Weise  hatte  er  einst 
zur  Bekämpfung  der  ,. neuen  Gewissenstyrannen"  aufgefordert. 
Er  muss  indess  der  Ansicht  gewesen  sein,  dass  man  gewisse 
Dinge  nicht  oft  genug  sagen  könne.  Und  somit  sprach  er 
ungescheut  aufs  neue  ein  scharfes  Wort,  das  in  letzter  Linie 
die  Träger  der  höchsten  Gewalt  trelf'en  musste. 

In  der  That  konnte  die  Haltung,  die  das  Rumpparlament 
gegenüber  den  kirchlich -politischen  Fragen  einnahm,  einen 
Milton  und  viele  ihm  gleich  Gesinnte  in  keiner  Weise  befriedigen. 
Für  sie  war  das  System  des  Presbyterianismus  nur  eine  verän- 
derte Ausgabe  des  Systems  der  bischöflichen  Kirche.  In  dem 
einen  wie  in  dem  anderen  erblickten  sie  ein  unübersteigliches 
Hindernis  für  die  Verwirklichung  jenes  Ideals  religiöser  Freiheit, 


122  Kirchenpolitische  Angelegenheiten. 

(las  ihnen  vorschwebte.  Sie  mussten  indessen  bemerken,  dass 
die  Mehrheit  des  Parlaments  davor  zurückschreckte  ihrem 
Drängen  nachzugeben.  Die  Westminster  -  Synode  hatte  zwar 
am  22.  Februar  1649  ihre  letzte  Sitzung  gehalten,  und  mit 
ihr  löste  sich  diejenige  Körperschaft  auf,  deren  Arbeiten 
wesentlich  dem  Presbyterianismus  zu  gute  gekommen  waren. 
Auch  trat  die  presbyterianische  Verfassung  mit  ihren  regel- 
mässig wiederkehrenden  provinciellen  und  örtlichen  Versamm- 
lungen, abgesehen  von  London  und  Lancashire,  nirgends  in's 
Leben ,  und  die  Masse  der  independentischen  Gemeinden  fand 
ihr  zum  Trotz  Duldung  und  Gunst.  Allein  diese  Kirchen- 
verfassung war  doch  immerhin  die  anerkannte  Kirchenver- 
fassung der  ganzen  Nation  und  die  Gesetzgebung  hielt  daran 
fest,  dass  es  eine  Landeskirche  geben  müsse,  deren  Erhaltung 
und  Beschützung  Sache  des  Staates  sei.  Auch  unter  den 
Independenten ,  so  heftig  sie  die  presbyterianische  Intoleranz 
bekämpften,  rissen  sich  viele  von  dem  Gedanken  nicht  los, 
dass  die  Fürsorge  für  die  religiösen  Interessen  der  Bürger  zu 
den  wichtigsten  Aufgaben  der  weltlichen  Obrigkeit  gehöre, 
Ihnen  gegenüber  standen  alle  diejenigen,  welche  den  Bund 
zwischen  Kirche  und  Staat  als  unheilvoll  und  unsittlich  be- 
trachteten, Sie  forderten  Aufhebung  der  erzwungenen 
Zehnten.  Sie  fanden,  dass  es  über  den  Beruf  der  welt- 
lichen Obrigkeit  hinausgehe,  die  Bürger  bei  Strafe  zum  Kir- 
chenbesuch anzuhalten  oder  Missionare  zu  den  Ungläubigen 
auszusenden,  Ihr  Bestreben  gieng  dahin,  die  einheitliche  Staats- 
kirche, welchen  Namen  sie  auch  trage,  aufzulösen  und  durch 
die  Fülle  der  selbstständigen,  religiösen  Vereine  zu  ersetzen. 
Seit  dem  Mai  des  Jahres  1651  hatte  der  Gegensatz 
dieser  Ansichten  an  Schärfe  gewonnen.  Damals  hatte  „eine 
Akte  für  die  bessere  Ausbreitung  und  Predigt  des  Evange- 
liums, Erhaltung  der  Geistlichen  und  andere  fromme  Zwecke" 
zwei  Lesungen  passirt.  Verwickelte  Fragen  von  höchster 
Wichtigkeit  wurden  dadurch  berührt  und  beschäftigten  ernst- 
licher als  jemals  vorher  die  Gemüther.  In  welcher  Weise 
der  Staat  jenen  Pflichten  genügen,  durch  welche  Behörden 
er  seine  Kirchenhoheit  ausüben  solle,  von  welchen  Bedingungen 


Kirchenpolitische  Angelegenheiten.  123 

die  Anstellung  und  Dotimng  eines  Geistlichen  abhängig  zu 
machen,  in  wie  weit  neben  der  privilegirten  Landeskirche 
freien  Gemeinden  Duldung  und  Spielraum  zu  gewähren  sei: 
alle  diese  Gegenstände  wurden  von  den  verschiedenen  Par- 
teien mit  leidenschaftlichem  Eifer  behandelt.  Zur  Entgegen- 
nahme von  Petitionen  ernannte  das  Parlament  am  10.  Februar 
1652  eine  Kommission,  deren  bedeutendstes  Mitglied  Oliver 
Cromwell  war.  Einige  Monate  lang  fesselte  diese  „Kommission 
für  die  Ausbreitung  des  Evangeliums"  die  allgemeine  Auf- 
merksamkeit. Von  allen  Seiten  strömten  ihr  Anträge  zu. 
Die -Presbyterianer  hielten  in  geschlossener  Reihe  ihren  alten 
Standpunkt  fest.  Die  Independenten  spalteten  sich  in  zwei 
Gruppen.  Je  verführerischer  ihren  Geistlichen  die  Aussicht 
winkte ,  ein  gutes  Stück  von  der  Beute  des  allgemeinen 
Kirchenguts  festzuhalten,  desto  weniger  waren  sie  geneigt 
ein  Institut  wie  das  der  Zehnten  über  den  Haufen  zu  werfen. 
Je  Wünschenswerther  es  ihnen  erschien,  dass  die  bürgerlichen 
Gewalten  sich  der  Pflege  der  religiösen  Interessen  annähmen, 
desto  entschiedener  widersetzten  sie  sich  dem  Gedanken  der 
Trennung  von  Kirche  und  Staat.  In  diesem  Sinn  war  eine 
Reihe  von  Vorschlägen  an  das  Parlament  gelangt,  welche 
die  Unterschrift  angesehener  independentischer  Geistlichen 
aufwiesen.  Sie  nahmen  allerdings  Rücksicht  auf  „Personen, 
die  sich  aus  Gewissenskrupeln  vom  sonntäglichen  Gottesdienst 
fem  hielten"  und  auf  solche,  welche  „mit  dem  vom  Staat 
anerkannten  Dogma  und  Kultus"  nicht  ganz  übereinstimmten. 
Allein  eben  dadurch  gestanden  sie  zu,  dass  es  eine  aner- 
kannte Staatskirche  geben  müsse.  Dem  Staate  schrieben  sie 
das  Recht  zu,  durch  Kommissäre  „anstössige  Geistliche"  zu 
entsetzen  und  die  Kandidaten  für  das  Predigtamt  prüfen  zu 
lassen.  Vom  Staate  forderten  sie  Einschreiten  gegen  die 
Verkündigung  gewisser  ketzerischer  Lehren,  welche  „die» 
Gmndlagen  der  christlichen  Religion"  verletzten.  Das  her- 
kömmliche System  der  „öffentlichen  Erhaltung"  des  geistlichen 
Standes  hüteten  sie  sich  anzugreifen,  wennschon  sie  den  Ge- 
nuss  dieser  öffentlichen  Erhaltung  nicht  zu  einem  Privilegium 
der    Ordinirten    machen    wollten (').      Aber   es   kamen   auch 


1  24  Kircheupolitische  Angelegenheiten. 

andere  Stimmen  aus  dem  independentischen  Lager  zur  Gel- 
tung. Ein  Aktenstück,  das  an  den  eben  genannten  Vor- 
schlägen scharfe  Kritik  übte,  warf  einige  Fragen  auf,  welche 
bei  vielen  Lesern  Entsetzen  erregen  mussten.  Es  waren  die 
Fragen,  ob  Christus  nicht  Arbeiter  in  seinen  Weinberg  sende 
ohne  Rücksicht  auf  den  ,,Lohn  der  Menschen",  ob  es  nicht 
Gottes  Wille  sei,  dass  zur  Stärkung  der  Frommen  , .Ketze- 
reien existirten,  deren  Bestrafung  er  sich  selbst  vorbehalten 
habe",  ob  es  nicht  der  christlichen  Freiheit  zuwiderlaufe, 
„dass  sich  die  Staatsgewalt  in  geistlichen  Angelegenheiten  ein 
Uitheil  anmasse",  ob  es  nicht  Pflicht  der  Obrigkeit  sei,  den 
Juden,  ,. deren  Bekehrung  wir  erhoffen",  zu  gestatten  friedlich 
in  England  zu  wohnen  (^). 

Von  allen  diesen  Punkten  hatte  zunächst  keiner  eine  so 
grosse  praktische  Wichtigkeit  wie  der  erste.  Denn  unter 
dem  ,.Lohn  der  i\lenschen"  waren  vor  allem  jene  Zehnten 
verstanden,  deren  Beibehaltung  oder  Aufhebung  so  viele  Inter- 
essen berührten.  Das  Parlament  konnte  sich  der  Behandlung 
dieser  Angelegenheit  nicht  entziehen.  Es  forderte  jene  „Kom- 
mission für  die  Ausbreitung  des  Evangeliums"  zur  Begut- 
achtung der  Frage  auf,  „in  welcher  Weise  statt  der  Zehnten 
für  einen  genügenden  und  passenden  Unterhalt  eines  frommen 
und  fähigen  Klerus  gesorgt  werden  könne".  Inzwischen  soll- 
ten bis  auf  weiteres  die  Zehnten  fortbezahlt  werden.  Eben 
um  diese  Zeit  richtete  Milton  sein  Sonett  an  Cromwell.  Sein 
ursprünglicher  Titel  lautete:  ..Ueber  die  Vorschläge,  welche 
gewisse  Geistliche  der  Kommission  für  die  Ausbreitung  des 
Evangeliums  eingereicht  haben",  und  sein  Inhalt  gab  deutlich 
genug  zu  verstehn,  wer  unter  den  „gewissen  Geistlichen" 
gemeint  sei.  Es  waren  alle  diejenigen,  welche  das  „freie  Ge- 
wissen" zu  ketten  drohten,  welche  auf  den  hergebrachten 
..Miethlingssold"  nicht  verzichten  wollten :  Presbyterianer  in 
erster  Linie,  aber  auch  nicht  wenige  Independenten.  Hier, 
wo  er  für  sich  aliein  spricht ,  macht  Milton  wieder  kein  Hehl 
aus  seinen  radikalen  kirchenpolitischen  Ansichten ,  und  von 
Cromwell,  dem  angesehensten  Mitgliede  jener  Kommission, 
hofft  er,    dass   er  ihnen  zum  Siege  verhelfen  werde.    Allein 


Auswärtige  Politik.  125 

er  sah  sich  bald  penug  enttäuscht.  Die  Kommission  erstattete 
erst  nach  Jaliresfrist  ihren  Bericht  an  das  Parlament.  Und  in 
diesem  fand  die  Theorie  der  Trennung  von  Kirche  und  Staat 
keinen  Anklang.  Durch  Abstimmung  wurde  am  25.  Februar 
1653  die  grundsätzliche  Entscheidung  gefasst,  „dass  die  bür- 
gerliche Obrigkeit  in  religiösen  Angelegenheiten  für  die  Aus- 
breitung des  Evangeliums  Gewalt  habe'".  Es  folgten  einige 
andere  Beschlüsse,  kraft  welcher  der  Staat  Kommissionen  er- 
nennen sollte,  um  „fromme  und  begabte"  Personen  vor  der 
Uebertragung  eines  Seelsorgeamtes  und  der  damit  verbun- 
denen Pfründe  zu  prüfen.  Das  „Miethlingswesen"  sollte  also 
auch  in  Zukunft  bestehn  bleiben.  Der  „Freiheit  des  Ge- 
wissens" drohten  noch  immer  Gefahren.  Das  Rumpparlament 
stellte  sich  mit  einem  Worte  durch  seine  Behandlung  der 
kirchenpolitischen  Fragen  in  Gegensatz  zu  denjenigen  engli- 
schen Bürgern,  die  wie  Milton  dachten  und  fühlten (^). 

Es  gab  indessen  noch  andere  Punkte,  welche  zum  Wider- 
spruch gegen  die  republikanische  Regierung  herausforderten. 
Ihre  auswärtige  Politik,  so  glänzende  Triumphe  man  ihr 
verdankte,  hatte  doch  auch  ihre  bedenklichen  Seiten.  Bei 
jeder  wichtigen  Frage  vor  die  Wahl  gestellt  sich  für  Frank- 
reich oder  für  Spanien  zu  entscheiden,  deren  Gegensatz  die 
grossen  Machtverhältnisse  des  Jahrhunderts  bestimmte,  konn- 
ten die  Leiter  des  englischen  Gemeinwesens  es  nicht  über 
sich  gewinnen,  einen  festen  Entschluss  zu  fassen.  Ihre  Politik 
erhielt  den  Charakter  des  Schwankenden  und  Unsicheren, 
während  der  Puritanismus  auf  diesem  Gebiete  seit  jeher  ein 
klares  Ziel  in's  Auge  gefasst  hatte.  Noch  immer  erschien  in 
den  Augen  der  puritanischen  Masse  Spanien,  der  Vorkämpfer 
des  Pabstthums,  als  nationaler  Erbfeind,  und  es  waren  nicht  nur 
die  Durie  und  Hartlib,  die  eine  Verbindung  aller  reformirten 
Mächte  unter  England's  Führung,  um  die  Interessen  des 
europäischen  Protestantismus  zu  schützen,  für  wünschens- 
werth  hielten.  Ohne  Zweifel  entsprach  diese  Ansicht  der 
Dinge  nicht  mehr  den  wirklichen  Zuständen.  Die  aufstrebende 
Macht,  die  ein  Gegengewicht  zu  erfordern  schien,  war  nicht 
Spanien,   sondern  Frankreich.    Europa  hatte  aufgehört,  sich 


126  Auswärtige  Politik.  —  Missbräuche  der  Verwaltung. 

in  zwei  feindliche  Lager  zu  theilen,  die  einzig  um  das  Banner 
des  Glaubens  geschaart  waren.  ]\Iit  dem  Abschluss  des  west- 
phälischen  Friedens  war  eine  neue  internationale  Grundlage 
geschaffen  worden.  Das  Zeitalter  der  Religionskriege  war  zu 
Ende  und  konnte  nur  noch  wenige,  vereinzelte  Nachspiele 
finden.  Allein  jene  Ansicht,  veraltet  wie  sie  war,  hatte  den 
Vortheil,  durch  ihre  scheinbare  Einfachheit  zu  bestechen  und 
den  Vorurtheilen  der  Masse  entgegenzukommen.  Die  aus- 
wärtige Politik  der  Republik  nahm  eine  andere  Richtung. 
Ohne  förmlich  mit  Frankreich  zu  brechen,  Hess  sie  es  an 
Verletzungen  Frankreich's  und  an  eben  so  viel  Begünstigungen 
Spanien" s  nicht  fehlen.  Wenn  Frankreich  die  Einfuhr  engli- 
scher Wollen-  und  Seidenstoffe  verbot,  so  antwortete  England 
mit  einem  Verbot  der  Einfuhr  französischer  Weine.  Die  Weg- 
nahme englischer  Handelsschiffe  durch  französische  Piraten 
wurde  von  England  durch  die  Ausstellung  von  Kaperbriefen 
erwidert..  Robert  Blake  griff  eine  französische  Flotille  an, 
die  im  Begriff"  war,  dem  bedrängten  Dünkirchen  zu  Hilfe  zu 
kommen.  Dünkirchen  selbst  fiel  darnach  in  die  Hände  der  Spanier 
Spanien's  Bundesgenosse,  der  Prinz  von  Condö,  das  Haupt 
der  Fronde,  wandte  sich  an  das  Rumpparlament  um  Beistand. 
Endlich  konnte  der  grosse  Krieg,  der  zwischen  England  und 
den  Niederlanden  entbrannt  war,  den  Absichten  Spanien's 
gleichfalls  nur  zu  statten  kommen  (^). 

Eben  dieser  Krieg  gab  den  Anlass  zu  jenen  Härten  und 
Missbräuehen  der  Verwaltung,  auf  welche  Cromwell  schon 
hie  und  da  in  seinen  Briefen  angespielt  hatte.  Krongut  und 
Kirchengut  wurden  unter  den  Hammer  gebracht,  und  dennoch 
fehlte  es  an  Mitteln  für  die  Bedürfnisse  des  Staates.  Der 
englische  Bürger,  auch  wenn  er  nicht  zu  der  Klasse  der 
„Delinquenten"  gerechnet  wurde,  hatte  eine  schwere  Last 
direkter  und  indirekter  Steuern  zu  tragen.  Der  überführte 
Royalist  vollends  musste  sich  wohl  oder  übel  eine  Ausein- 
andersetzung mit  den  gestrengen  Committees  und  eine  un- 
barmherzige Verkürzung  seines  Vermögens  gefallen  lassen. 
Die  Gelegenheit  im  Trüben  zu  fischen  war  zu  verlockend, 
als  dass  sie  nicht  hätte  benutzt   werden  sollen.    Mochten  die 


Missbräuche  der  Verwaltung.  —  Reformbill.  127 

Häupter  der  Regierung  ihre  sittliche  Reinheit  bewahren,  es 
gab  nicht  wenige  Persönlichkeiten  von  Einfluss,  die  der  Ver- 
führung erlagen.  Mitglieder  des  Parlaments  wurden  der  Be- 
stechlichkeit beschuldigt  und  blieben,  weil  sie  j\Iitglieder  des 
Parlaments  waren,  unverfolgt.  Auf  dem  Lande  konnten  sich 
Willkür  und  Egoismus  der  Kommissäre  noch  leichter  jeder 
Beaufsichtigung  entziehen.  Ein  Fall  wie  derjenige  des  alten 
Powell,  den  Milton  aus  nächster  Nähe  hatte  verfolgen  können, 
stand  nicht  vereinzelt  da.  Aber  dem  Verletzten  war  es  nicht 
leiQht  gemacht,  sich  Gehör  zu  verschaffen  bei  einem  weitläufigen 
Rechtsverfahren,  das  der  Verbesserung  dringend  bedürftig 
war,  und  gegenüber  einer  selbstbewussten  Körperschaft,  die 
■sich  im  Besitz  der  usurpirten  Gewalt  verewigen  zu  wollen 
Miene  machte  (^). 

Diese  letzte  Anmassung  deckte  die  verwundbarste  Seite 
des  Rumpparlaments  auf.  Die  Versammlung  bestand  für  ge- 
wöhnlich aus  einem  halben  Hundert  von  Mitgliedern,  um  bei 
wichtigen  Abstimmungen  auf  wenig  mehr  als  das  Doppelte 
zn  steigen.  Sie  hatte  nichts  Wichtigeres  zu  thun  als  bald- 
möglichst einer  Nachfolgerin  Platz  zu  machen ,  der  man  eher 
das  Recht  hätte  zugestehen  können,  die  Souveränetät  des 
Volkes  darzustellen.  Eine  Zeit  lang  drängten  wichtigere  An- 
gelegenheiten diese  Frage  in  den  Hintergrund.  AVährend  das 
Gemeinwesen  selbst  noch  um  sein  Dasein  zu  kämpfen  hatte, 
schien  es  gefährlich  seine  Schöpfer  vom  Schauplatz  ver- 
schwinden zu  lassen.  So  hatte,  nach  dem  Vergleich  Henry 
Marten's,  die  Tochter  des  Pharao  das  zarte  Knäbleiu  Moses 
keiner  anderen  Frau  zur  Auferziehung  gegeben  als  seiner 
Mutter.  Die  Vorschläge  des  Kriegsraths  und  die  Agitationen 
Lilburne's  waren  daher  ohne  Erfolg  geblieben.  Nichtsdesto- 
weniger hatte  das  Haus  schon  im  Mai  1649  die  Noth wendig- 
keit gefühlt,  den  Gegenstand  jener  Agitationen  seinerseits  in 
Betracht  zu  ziehu.  Aber  ehe  man  sich  ül)er  den  Zeitpunkt 
der  Auflösung  schlüssig  machen  wollte,  schien  es  nöthig,  sich 
über  eine  so  dringend  gewünschte  Reformbill  zu  verständigen. 
In  dem  Committee,  das  dieselbe  auszuarbeiten  hatte,  nahm 
Henry  Vane    die  wichtigste  Stelle  ein.    Er   hatte   die  ganze 


X28  Keformbill.  —  Kiimpparlament  und  Heer. 

Bedeutung  der  Frage  erkannt  und  schloss  sich  in  wesent- 
lichen Punkten  an  die  früher  gemachten  Vorschläge  an.  Sein 
Bericht,  den  er  am  9.  Januar  1650  dem  Hause  abzustatten 
begann,  ist  gleichsam  prophetisch  für  die  englische  Gesetz- 
gebung unseres  Jahrhunderts.  Ohne  sich  zu  dem  allgemeinen 
Stimmrecht  zu  bekennen,  suchte  Vane  eine  grössere  Gleich- 
mässigkeit  und  Ausdehnung  der  Parlamentswahlen  zu  bewir- 
ken. Das  aktive  Wahlrecht  sollte  an  einen  bestimmten  Census 
geknüpft,  bei  Bestimmung  der  Deputirtenzahl  jeder  Grafschaft 
die  Summe  ihrer  Steuerbeiträge  massgebend  sein.  Eine  An- 
zahl alter  Burgflecken  sollte  das  Wahlrecht  verlieren,  dagegen 
grösseren  Städten  eine  verstärkte  Vertretung  zu  Theil  werden. 
Indessen  sollten  die  bisherigen  Mitglieder  nach  wie  vor  die 
Repräsentation  der  Städte  und  Grafschaften  bilden,  für  welche 
sie  einst  gewählt  waren.  Die  Versammlung  beschloss  darauf- 
hin, dass  die  Mitgliederzahl  des  reformirten  Parlaments  vier- 
hundert jiicht  übersteigen  solle  und  schritt  dazu,  die  einzelnen 
Theile  der  Akte  an  bestimmten  Tagen  zu  berathen.  Allein 
diese  Berathungen  zögerten  sich  von  Monat  zu  Monat  hin, 
ohne  dass  sie  zu  einem  Abschluss  geführt  hätten.  Erst  als 
Cromwell  zurückgekehrt  war,  wurde  ei5  neuer  Anstoss  ge- 
geben. Er  bestand  darauf,  dass  zunächst  ein  Termin  fest- 
gestellt werde,  an  dem  sich  das  Rumpparlament  auflöse. 
Seinem  Einfluss  gelang  es  in  der  That  eine  Bill  durchzusetzen, 
welche  den  3.  November  1654  als  Tag  der  Auflösung  be- 
stimmte (18.  November  1651). 

Aber  das  Ansehn  des  Parlaments  war  zu  tief  gesunken, 
als  dass  es  ihm  möglich  gewesen  wäre,  sich  bis  zu  dieser 
Frist  zu  behaupten.  Von  allen  Seiten  häuften  sich  die  Klagen 
über  die  Parteilichkeit  seiner  Mitglieder,  die  Unwürdigkeit 
seiner  Kommissäre,  den  Druck  seiner  Auflagen,  die  Ver- 
schleppung seiner  Arbeiten.  Auch  dies  Mal  machte  sich  das 
Heer  zum  vornehmsten  Dolmetscher  des  steigenden  Unwillens. 
Und  es  waren  die  höchsten  Officiere,  es  war  der  Feldherr 
selbst,  die  nun  das  Wort  ergriff'en.  Je  weniger  Grund  vor- 
handen war  sich  einer  Verminderung  der  Truppenzahl  zu 
widersetzen,  desto  nöthiger  schien  es  Cromwell,  einen  Druck 


Kumpparlament  und  Heer.  129 

auf  das  Parlament  auszuüben,  solange  das  Heer  noch  Beach- 
tung verdiente.  Einige  seiner  Officiere  drängten  ihn  zu  kräf- 
tigem Vorgehen.  Es  war  namentlich  Lambert,  der  sich  durch 
das  Parlament  zurückgesetzt  glaubte,  und  Harrison,  der  in  der 
schwärmerischen  Weise  der  \Viedertäufer  von  einer  radikalen 
Umgestaltung  des  Gemeinwesens  träumte.  Eine  Petition  des 
Kriegsrathes  vom  13.  August  1652  zählte  die  wichtigsten 
Forderungen  auf.  Sie  erhoben  sich  über  die  finanziellen  An- 
sprüche des  militärischen  Standes  zu  den  Wünschen  all- 
gemeiner Art,  die  im  Lande  laut  geworden  waren.  Man 
wollte  Ersetzung  unwürdiger  Geistlicher  durch  achtbare  Pre- 
diger und  der  Zehnten  durch  andere  Mittel  des  Unterhalts, 
Verbesserung  des  Rechtsverfahrens,  Entfernung  unehrlicher 
Beamten,  Abschaffung  überflüssiger  Stellen  und  Gehalte, 
regelmässigere  Verwaltung  der  Staatsgelder,  Pieforra  der 
Armengesetzgebung.  Endlich  sollten  die  Qualifikationen  für 
die  Mitglieder  künftiger  Parlamente  bedeutend  beschränkt 
werden,  damit  man  nicht  die  Republik  und  die  Gewissens- 
freiheit dem  bösen  Willen  von  Royalisten  und  Presbyterianern 
ausliefere.  Das  Parlament  überwies  die  Petition  einem 
Committee  und  sprach  den  Ueberbiingern  den  wärmsten 
Dank  aus.  Aber  es  blieb  kein  Zweifel  darüber  bestehn,  dass 
ein  geheimer  Krieg  zwischen  der  Versammlung  und  dem 
Heere  geführt  wurde.  Wie  manche  Berathungen  von  ange- 
sehenen Vertretern  der  bürgerlichen  und  militärischen  Gewalt 
auch  stattfanden,  wie  manche  Vorschläge  der  Vermittlung 
auch  gemacht  wurden,  man  kam  sich  um  keinen  Schritt  näher. 
Das  Parlament  kämpfte  für  eine  Fortsetzung  seiner 
Autorität,  die  es  als  die  höchste  im  Lande  anerkannt  wissen 
wollte.  Es  weigerte  sich,  einzelne  anstössige  Bestimmungen 
der  Reformbill  zu  ändern.  Seine  Mitglieder  behielten  sich 
vor  allem  das  Recht  vor,  auch  ohne  Wiederwahl  in  der 
künftigen,  erweiterten  Versammlung  zu  sitzen,  ja  sogar  die 
Wahlen  und  die  Zulässigkeit  der  neuen  Abgeordneten  für  sich 
allein  zu  prüfen.  Das  Heer  fühlte  sich  in  einer  gleichberech- 
tigten Stellung  neben  dem  Parlament  und  forderte  eine  neue 
Regierung,  bei  deren  Zusammensetzung  es  selbst  mitgewirkt 

Stern,    Milton  u.  =.  Z.     II.  3.  9 


J30  Rumpparlament  und  Heer. 

hätte.  Es  vermisste  in  der  Reformbill  gewisse  Bürgschaften 
gegen  das  Emporkommen  alter  Feinde.  Es  bestritt  dem 
Rumpparlament  den  Anspruch,  selbst  nach  seiner  Auflösung 
sich  noch  fortsetzen  zu  wollen. 

Niemanden  konnte  die  Verschaifung  dieser  Gegensätze  mit 
grösseren  Sorgen  erfüllen  als  Henry  Vane ,  weil  nicht  leicht 
jemand  die  Kräfte,  welche  sich  gegenüber  standen,  so  gut  zu 
schätzen  wusste,  wie  er.  Er  mag  einzelnes  in  den  For- 
derungen Cromwell's  und  seiner  Genossen  als  richtig  an- 
erkannt haben.  Er  dachte  jedenfalls  nicht  an  einen  drohenden 
Gewaltstreich.  Noch  schien  die  Hoffnung  auf  eine  friedliche 
Lösung  nicht  verloren  zu  sein.  Der  grosse  Sieg,  den  Blake 
im  Februar  1653  über  Tromp  davontrug,  warf  noch  einen 
glänzenden  Schimmer  auf  die  republikanische  Staatsverwal- 
tung. Die  Abkürzung  des  Auflösungstermins  auf  den  3.  No- 
vember des  laufenden  Jahres  (1653)  war  ein  letztes  Zuge- 
ständnis an  die  Gegner,  das  sieh  die  Mehrheit  der  Versammlung 
entreissen  Hess.  Aber  zu  weiterem  war  sie  nicht  zu  bewegen. 
Sie  schritt  in  der  Berathung  des  Wahlgesetzes  mit  eben  so 
grosser  Hast  fort,  wie  sie  früher  dieselbe  verzögert  hatte.  Sie 
nahm  dabei  auf  die  Wünsche  der  Offi eiere  keine  Rücksicht 
und  war  gewillt,  am  20.  April  ihr  Werk  zu  beendigen.  Den 
Abend  vorher  hatte  in  Cromweirs  Wohnung  eine  jener  Kon- 
ferenzen zwischen  hervorragenden  Mitgliedern  des  Parlaments 
und  des  Heeres  stattgefunden.  Der  Vorschlag  war  gemacht 
worden,  die  tagende  Versammlung,  die  sich  ein  Parlament 
nannte,  sofort  aufzulösen  und  die  Regierung  vorläufig  einem 
von  ihr  ernannten,  aus  Officieren  und  Parlamentariern  zusam- 
mengesetzten Rathe  zu  übertragen.  Man  hatte  sich  nicht 
darüber  verständigen  können,  aber  Cromwell  und  seine  Ge- 
nossen rechneten  darauf,  dass  nichts  abgeschlossen  werde, 
bis  eine  Einigung  erzielt  sei.  Am  Morgen  des  20.  April  er- 
hielt er  die  Nachricht,  dass  die  bestrittene  Bill  dennoch  auf 
dem  Punkt  stehe,  durch  eine  letzte  Abstimmung  Gesetzes- 
kraft zu  erhalten.  Er  war  entschlossen,  es  nicht  zu  dulden. 
Der  Billigung  seiner  Kriegskameraden  war  er  gewiss.  Den 
Widerstand  des  Volkes  hatte  er  nicht  zu  befürchten.    Er  eilte, 


Zersprengung  des  Rumpparlaments.  131 

begleitet  von  einigen  Officieren,  mit  Zurücklassung  einer  Wache 
in  der  Vorhalle  und  an  der  Thür,  in  den  Sitzungssaal.  Eine 
Zeit  lang  hielt  er  sich  mhig  auf  seinem  gewohnten  Platz. 
Als  die  entscheidende  Frage  gestellt  wurde,  erhob  er  sich 
entblössten  Hauptes.  Er  begann  damit,  die  Verdienste  des 
Parlaments  aufzuzählen,  bis  er  plötzlich  in  einen  anderen  Ton 
übersprang.  Fortgerissen  von  überwallender  Leidenschaft, 
schleuderte  er  den  Umsitzenden  eben  jene  Vorwürfe  in's  Ge- 
sicht, die  sieh  in  Stadt  und  Land  gegen  sie  erhoben  hatten. 
Die;  erstaunten  Mitglieder  horchten  auf,  einzelne  Zurufe  wur- 
den laut,  auch  Vane  Hess  seine  Stimme  hören.  Das  steigerte 
die  Erregung  des  Sprechenden.  Er  bewegte  sich  in  dem 
Zwischengang  des  Saales  heftig  auf  und  ab,  den  Hut  auf  dem 
Kopf,  abgerissene  Sätze  hervorstossend :  „Ihr  seid  kein  Parla- 
ment. Ich  will  eurer  Session  ein  Ziel  setzen.  Macht  ehr- 
licheren Leuten  Platz".  Was  König  Karl  nicht  gewagt  hatte, 
wagte  Cromwell.  Er  gab  das  Zeichen  zum  Eindringen  seiner 
Musketiere.  Der  Sprecher  wurde  nicht  ohne  Widerstreben 
genöthigt,  seinen  Sitz  zu  rcäumen.  Die  Mitglieder  verliessen 
ihre  Plätze,  von  Schmähungen  Cromwell's  verfolgt.  „Sir  Harry 
Vane,  soll  er  zu  Vane  gesagt  haben,  Ihr  seid  ein  Gaukler, 
der  alles  dies  hätte  verhindern  können.  Der  Herr  erlöse  mich 
von  Sir  Harry  Vane".  Soldaten  nahmen  das  Scepter  vom 
Tisch  des  Hauses,  Cromwell  steckte  die  Akte  zu  sich,  die 
man  berathen  hatte.  Dann  Hess  er  die  Thüren  verschliessen 
und  begab  sich  zurück  zu  den  Officieren,  um  ihnen  Mitthei- 
lung von  dem  Geschehenen  zu  machen  (i). 

•  Noch  war  die  regierende  Behörde  in  Thätigkeit,  der  das 
Rumpparlament  die  Exekutive  übertragen  hatte.  Am  Nach- 
mittag verfügte  sich  Cromwell  in  Begleitung  Lamberts  und 
Harrison's  in  das  Sitzungszimmer  des  Staatsraths.  Er  er- 
klärte, die  öffentlichen  Gewalten  der  Versammelten  seien  er- 
loschen, da  das  Parlament,  von  dem  sie  dieselben  erhalten 
hätten,  aufgelöst  sei.  Bradshaw,  obwohl  er  an  diesem  Tage 
nicht  das  Präsidium  hatte,  legte  im  Namen  der  übrigen  Pro- 
test ein,  da  keine  Macht  der  Welt  das  Recht  habe,  das  Par- 
lament   aufzulösen    ausser    diesem  selbst.     Damit  gieng   der 

9*  " 


132  Auflösung  des  republikanischen  Staatsraths. 

Staatsrath  auseinander,  Vane  zog  sich  wie  vor  dem  Process 
des  Königs  auf  eines  seiner  Landgüter  zurück.  Von  einzelnen 
Heerestheilen  kamen  Zustimmungsadressen.  Auf  der  Flotte, 
deren  Mannschaft  der  gestürzten  Regierung  am  meisten  er- 
geben war,  herrschte  doch  das  Gefühl  vor,  dass  jeder  seine 
Pflicht  für  das  Vaterland  thun  müsse,  ohne  sich  in  die  inneren 
Händel  einzumischen.  Im  Lande  regte  sich  keine  Hand  für 
das  zersprengte  Parlament,  weil,  nach  dem  Urtheil  eines  frem- 
den Gesandten,  „männiglich  befand,  dass  die  geschehene  Ver- 
änderung auf  das  gemeine  Beste  gerichtet  sei"(^). 


Ein  Bruch  des  öffentlichen  Rechtes  in  brutalster  Form 
war  erfolgt,  aber  er  sollte  nicht  der  Aufrichtung  einer  Will- 
kürherrschaft dienen.  Das  Schwert  des  Soldaten  hatte  den 
Knoten  durchhauen,  der  sich  nicht  lösen  zu  wollen  schien, 
aber  England  sollte  deshalb  nicht  nur  von  Soldatenhand  regiert 
werden.  Zunächst  freilich  wurde,  um  die  Geschäftsführung 
nicht  zu  unterbrechen,  unter  Cromwell's  Leitung  ein  neuer 
Staatsrath  gebildet,  in  welchem  das  militärische  Element  ent- 
schieden vorherrschte.  Daneben  blieb  der  Kriegsrath,  der 
während  der  letzten  Ereignisse  eine  so  grosse  Rolle  gespielt 
hatte,  als  solcher  bestehn.  Beide  Körperschaften  wirkten  eine 
Zeit  lang  völlig  selbstständig,  lediglich  auf  angemasste  Macht- 
vollkommenheiten gestützt,  neben  einander.  Aber  dieser  Zu- 
stand sollte  nicht  andauern.  Schon  mehrfach  war  von  Cromwell 
auf  die  Nothwendigkeit  hingedeutet  worden,  „Gutgesinnte, 
^länner  von  Gottesfurcht  und  erprobter  Rechtschaffenheit",  zu 
berufen,  um  durch  sie  alle  jene  Reformen  einführen  zu  lassen, 
die  bis  dahin  noch  zu  den  fi'ommen  Wünschen  gehörten. 
Nicht  auf  eine  freie  Wahl  war  es  abgesehen,  weil  diese  auf 
„Schlechtgesinnte"  hätte  fallen  können,  sondern  auf  eine  Aus- 
lese von  Vertrauensmännern,  deren  independentische  Gesin- 
nung über  jeden  Zweifel  erhaben  sei.  Der  Rath  der  Officiere 
setzte  sich  zu  dem  Behuf  mit  einzelnen  Kongregationen  in 
Verbindung,  um  sich  gottesfürchtige  Männer,  „Freunde  des 
Herrn",  vorschlagen  zu  lassen.    Es  waren  alles  in  allem  hun- 


Das  kleine  Parlament.  133 

dertneununddreissig,  an  welche  Crom  well  die  Aufforderung 
richtete,  sich  am  4,  Juli  im  Rathszimmer  zu  Whitehall  ein- 
zufinden (^).  Die  Männer  des  landsässigen  und  gewerbtreiben- 
den  pui'itanischen  Mittelstandes  bildeten  den  Grundstock. 
Einer  aus  ihrer  Zahl,  der  Lederhändler  Preise  -  Gott  Barebone 
musste  seinen  Namen  von  den  Royalisten  zur  spöttischen  Be- 
zeichnung dieses  „kleinen  Parlaments"  missbrauchen  lassen. 
Einige  Adlige,  nicht  wenige  Officiere  waren  entboten  worden. 
Neben  dem  ehrlichen  Namen  Robert  Blake's  war  der  Name 
Anton  Ashley  Coopers  zu  bemerken ,  der  als  Shaftesbury  be- 
rühmt und  berüchtigt  wurde.  Auch  Irland  und  Schottland 
waren  einige  Vertreter  zugetheilt. 

Am  festgesetzten  Tage  eröffnete  Cromwell  die  Versamm- 
lung mit  einer  jener  merkwürdigen  Reden,  die  bei  aller  Weit- 
schweifigkeit und  scheinbarer  Dunkelheit  sein  Inneres  doch 
aufs  getreueste  abspiegeln.  Er  warf  zuerst  einen  Rückblick 
auf  „die  wunderbaren  Fügungen  der  Vorsehung,  in  denen 
der  Herr  seit  dem  Beginn  der  Revolution  sich  diesen  Völkern 
offenbart  habe".  Dann  gieng  er  über  zu  einer  Rechtfertigung 
der  letzten  gewaltsamen  Veränderung.  Er  berief  sich  auf  „die 
unabwendbare  Nothwendigkeit" ,  die  ihn  und  seine  Genossen 
zu  ihrer  That  gezwungen  habe.  Wenn  man  ihm  Glauben 
schenkte,  so  waren  „alle  gesetzlichen  Mittel,  der  Nation  die 
Früchte  ihrer  Opfer  an  Gut  und  Blut  zu  verschaffen",  voll- 
kommen erschöpft  gewesen.  Dieselbe  „Nothwendigkeit",  gleich- 
bedeutend mit  dem  Willen  einer  „weisen  Vorsehung",  machte 
er  für  die  eigenmächtige  Berufung  seiner  andächtigen  Hörer 
geltend.  Er  betete  zu  Gott,  dass  er  sie  mit  dem  Geiste  Mosis 
und  Pauli  erfüllen  möge,  um  sie  für  ihr  heiliges  Amt  tüchtig 
zu  machen.  Denn  die  Aufgabe  der  Versammlung  erschien 
ihm  in  erster  Linie  als  eine  religiöse :  Bethätigung  christlicher 
Liebe  „auch  gegen  den  Aermsten",  Duldung  „abweichender 
Ansichten  unter  den  Heiligen",  „Ausbreitung  des  Evangeliums", 
Unterstützung  der  „wahren  Seelsorger,  die  den  Geist  Gottes 
empfangen  haben".  Das  ist  der  Weg,  um  das  ^'olk  auch  zur 
bürgerlichen  Freiheit  zu  führen.  „Ich  sage  euch:  mit  einem 
hohen  Rufe   seid   ihr   berufen.    Und  warum  sollten  wir  uns 


234  Hoffnungen  der  „Heiligen". 

fürchten,  zu  sagen  oder  zu  denken,  dass  dies  das  Thor  sei, 
um  Gottes  Verheissungen  einzuführen?  Wir  wissen,  wer  die 
sind,  welche  mit  dem  Lamme  kämpfen  sollen  gegen  seine 
Feinde:  ein  Volk  berufen,  auserwählt  und  treu.  .  .  Und  wir 
haben  geglaubt,  einige  von  uns,  dass  es  unsere  Pflicht  sei, 
diesen  Weg  mit  der  That  zu  betreten  und  nicht  thatenlos 
auf  die  Prophezeiung  Daniel's  zu  blicken :  das  Reich  soll  nicht 
an  ein  anderes  Volk  gegeben  werden".  —  Nach  Beendigung 
seiner  Ansprache,  welche  über  zwei  Stunden  gewährt  hatte, 
legte  Cromwell  eine  Urkunde  vor,  durch  die  er  namens  der 
Officiere  erklärte,  dass  die. höchste  Gewalt  fortan  bei  der  Ver- 
sammlung ruhe.  Die  Dauer  ihrer  Session  sollte  sich  nicht 
über  den  3.  November  1654  erstrecken,  drei  Monate  vor  ihrer 
Auflösung  hatten  sie  ihre  Nachfolger  zu  wählen. 

Was  so  viele  schwärmerische  Gemüther  sehnlich  erhofft 
hatten,  war  eingetroffen.  Eine  mit  Sorgfalt  ausgewählte  Ge- 
nossenschaft von  „Heiligen"  hatte  die  Geschicke  Englands  in 
ihrer  Hand.  Der  „Tag  des  Herrn"  war  angebrochen.  Das 
Reich  Gottes  auf  Erden  stand  in  Aussicht.  Eine  gewaltige 
Erregung  bemächtigte  sich  aller  der  zerstreuten  Gemeinden, 
die  sich  im  Lauf  der  Jahre  ausserhalb  des  Rahmens  der  Lan- 
deskirche gebildet  hatten.  Aus  einzelnen  Aktenstücken,  Peti- 
tionen an  Cromwell  oder  an  das  kleine  Parlament,  fasst  man 
am  besten,  wohin  diese  geistige  Strömung  gieng.  So  häufig 
sich  der  Sinn  der  Schreiber  in  der  Phraseologie  der  Prophe- 
ten und  der  Apokalypse  verhüllt,  so  ist  es  doch  möglich,  die 
praktischen  Ziele  zu  erkennen,  denen  sie  zustreben.  Was 
man  forderte  und  auf  dem  Wege  der  Gesetzgebung  einführen 
zu  können  sich  schmeichelte,  war  eine  Reform  nicht  nur  der 
Institute,  sondern  auch  der  Sitten.  Die  Zehnten  und  die 
Patronatsrechte  sollten  aufhören,  die  Accise  wegfallen,  alle 
Theile  des  englischen  Rechts  revidirt,  die  Volksbildung  be- 
fördert, die  Verwaltung  des  Staates  und  der  Gemeinden  ver- 
bessert werden.  Aber  zugleich  tauchte  das  Verlangen  auf, 
den  puritanischen  Charakter  der  Legislation  noch  zu  verschär- 
fen, die  Zahl  der  Wirtshäuser  einzuschränken,  jedem  Eng- 
länder bis  zum  fünfundzwanzigsten  Jahr  und  Geistlichen  über- 


,  Wahl  eines  neuen  Staatsraths.  135 

haupt  den  Genuss  „starker  Getränke"  zu  verbieten,  eine 
Kleiderordnung  zu  erlassen  und  den  Sabbath  zu  einem  Fast- 
tag zu  machen.  Freiheit  des  Gewissens  und  des  Kultus  „für 
alle  friedlichen  Unterthanen"  bildete  nach  wie  vor  den  wich- 
tigsten Artikel  des  independentischen  Programms.  Mitunter 
wird  auch  hier  empfohlen,  „die  Juden  zuzulassen  und  ihnen 
"Wohnplätze  anzuweisen,  da  ihre  Zeit  nahe  ist".  Beinahe 
regelmässig  bleibt  die  Unklarheit  bestehn,  dass  der  Staat,  ob- 
wohl er  selbst  den  religiösen  Genossenschaften  parteilos-gegen- 
überstehen  soll,  dennoch  verpflichtet  wird,  „die  Ausbreitung 
des  Evangeliums  durch  Prediger  von  wahrem  Glauben"  an 
die  Hand  zu  nehmen  ('). 

Das  kleine  Parlament  w^ar  gleichfalls  von  begeisterten 
Hoffnungen  auf  eine  religiöse  Wiedergeburt  des  gesammten 
nationalen  Lebens  erfüllt  und  erhielt  dadurch  eine  Physiogno- 
mie, wie  sie  niemals  eine  parlamentarische  Versammlung  weder 
vorher  noch  nachher  gezeigt  hat.  Die  erste  Sitzung  war  fast 
ausschliesslich  freiem  Gebet  gewidmet,  in  welchem  je  acht 
oder  zehn  Mitglieder  vom  Morgen  bis  zum  Abend  ihrer  Be- 
geisterung Luft  machten.  Man  gewöhnte  sich  an  die  eigen- 
thümliche  Geschäftsordnung,  sobald  ein  Dutzend  Mitglieder 
versammelt  waren,  im  Gebet  zu  verharren,  bis  die  beschluss- 
fähige Anzahl  erschien  und  es  möglich  wurde,  die  regelmässige 
Arbeit  wieder  aufzunehmen.  Eine  Proklamation  an  das  eng- 
lische Volk  beschwor  dasselbe,  Gott  um  seinen  Segen  anzu- 
flehen, denn  es  zeige  sich,  „dass  die  Finsternis  weiche  und 
der  Tag  anbreche".  —  Eine  der  ersten  Aufgaben  der  Versamm- 
lung war  die  Wahl  eines  neuen  Staatsraths.  Sie  war  zur  In- 
haberin der  höchsten  Gewalt  im  Volk  erklärt  worden,  sie 
allein  hielt  sich  daher  für  berechtigt,  dieselbe  zu  übertragen. 
Indessen  blieb  der  Charakter  der  Regierungsbehörde,  obwohl 
sie  bedeutend  verstärkt  wurde,  wesentlich  derselbe.  Auch  die 
Neuwahlen  am  1.  November  wahrten  dem  militärischen  Ele- 
ment sein  Gewicht.  Scheinbar  einander  gleichgeordnet,  folgten 
alle  Mitglieder  des  Staatsraths  der  Leitung  Cromwell's,  dessen 
ausserordentliche  Stellung  die  puritanische  Notabelnversamm- 
lung  selbst  anerkannte.     Sie  beschloss,  ihn  zu  ihrem  Mitglied 


]^3g  Gesetze  über  Schuldhaft,  Civilehe  u.  s.  w. 

ZU  ernennen  und  dieselbe  Ehre  auf  vier  seiner  Vertrauten, 
seinen  Schwager  Desborough,  die  Generale  Lambert  und  Harri- 
son  und  den  Colonel  Tomlinson,   zu  übertragen. 

Dann  aber  machte  sie  sich  mit  überstürztem  Eifer  an  ihr 
Werk.  Eine  Reihe  von  Kommissionen  war  thätig,  die  Missbräuche 
der  Verwaltung  zu  untersuchen,  die  Steuerverhältnisse  zu  prüfen, 
Vorschläge  zur  Beförderung  der  Predigt,  des  Unterrichts,  des 
Handels  entgegenzunehmen  und  die  grosse  Justizreform  vor- 
zubereiten, der  man  entgegensah.  Die  Angelegenheiten  von 
Irland  und  Schottland,  der  Krieg  mit  den  Niederlanden,  die 
Geldbewilligung  für  Heer  und  Flotte  beschäftigten  das  Parla- 
ment in  nicht  geringem  Masse.  Es  hat  einige  Gesetze  aus- 
gearbeitet, mit  denen  es  seiner  Zeit  weit  vorauseilte,  deren 
hohen  Werth  aber  unser  Jahrhundert  zu  würdigen  fähig  ist. 
So  wurden  Bestimmungen  getroffen,  um  wenigstens  die  grössten 
Härten  der  Schuldhaft  zu  mildern  und  auf  diese  Weise  die 
Klagen  zum  Schweigen  zu  bringen,  die  sich  aus  zahlreichen 
Gefängnissen  wegen  „dieses  ägyptischen  Sklavenjoches  und 
Elends"  erhoben  hatten.  Noch  wichtiger  war  es,  dass  dies 
Parlament  das  erste  war,  welches  als  die  einzig  gesetzliche 
Form  der  Eheschliessung  die  bürgerliche  gelten  Hess.  Einem 
Standesbeamten  lag  es  ob,  die  Papiere  der  Brautleute  zu 
prüfen  und  sie  drei  Sonntage  hintereinander  aufzubieten.  Sie 
wurden  demnächst  verpflichtet,  mit  Zeugen  vor  dem  Frie- 
densrichter zu  erscheinen,  um  ihren  Entschluss  in  vorge- 
schriebenen Worten  kundzuthun  und  aus  seinem  Munde 
die  Erklärung  zu  vernehmen ,  dass  sie  Mann  und  Weib  seien. 
Nicht  minder  war  die  Eintragung  der  Ehen,  der  Geburten 
und  der  Begräbnisse  Sache  der  Civilbehörde.  Das  kleine 
Parlament  gieng  mit  solchen  Bestimmungen  lediglich  auf  die 
früheren  Anregungen  des  Independentismus  zurück  (^).  Es 
machte  einen  neuen  bedeutenden  Schritt  der  Trennung  von 
Kirche  und  Staat  entgegen ,  dem  auch  Milton  einige  Zeit 
nachher  seinen  vollen  Beifall  schenkte.  Hingegen  zu  einer 
Reform  des  Scheidungsrechtes,  wie  er  sie  mit  so  viel  Nach- 
druck befürwortet  hatte,  konnte  sich  die  Versammlung  nicht 
verstehu. 


Debatten   über  Zehnten,  Patronate,  Kauzleihof.  137 

Alle  iltre  Beschlüsse  hatten  gezeigt,  dass  sie  vor  einer 
radikalen  Veränderung  bestehender  Einrichtungen  nicht  zu- 
rückbebte. Aber  ihre  Bedeutung  trat  doch  hinter  denjenigen 
zurück,  die  sich  auf  die  Anstellung  wie  Erhaltung  der  Geist- 
lichkeit und  auf  die  allgemeinen  Verhältnisse  der  Rechtspflege 
bezogen.  Die  erste  dieser  Fragen  hatte  in  dem  Programm 
der  am  weitesten  fortgeschrittenen  Independenten  gleichfalls 
schon  längst  ihre  theoretische  Lösung  gefunden.  Sie  verwar- 
fen den  Begriif  einer  mit  weltlichem  Besitz  ausgestatteten 
La/ideskirche.  Sie  erblickten  ihr  Ideal  im  Dasein  freier  Ge- 
meinden und  machten  diesen  im  Fall  der  Noth  die  Erhaltung 
der  Seelsorger  ebenso  zur  Pflicht,  wie  sie  ihnen  das  Ptecht 
zusprachen,  dieselben  aus  der  Zahl  der  Gläubigen  zu  er- 
wählen. Man  hatte  allerdings  die  Einführung  der  Presbyte- 
rialverfassung  nicht  hindern  können.  Aber  man  hatte  an  der 
Hoffnung  festgehalten,  die  Institute  des  Patronats  und  der 
Zehnten,  die  oft  sehr  Unwürdigen  und  nicht  zum  wenigsten 
den  Presbyterianern  zu  statten  gekommen  waren,  gänzlich 
vernichten  zu  können.  Dass  das  lange  Parlament,  selbst  in 
seiner  letzten  verstümmelten  Form,  einen  Versuch  der  Art  nicht 
unternommen  hatte,  war  keiner  der  geringsten  Vorwürfe,  mit 
dem  es  belastet  wurde.  Inzwischen  ward  in  der  Presse  und 
in  Petitionen  der  Gegenstand  fortwährend  mit  Leidenschaft 
behandelt.  Milton  hatte  in  Prosa  und  in  Versen  schon  mehr- 
fach auf  ihn  angespielt.  Der  Geistliche  erschien  nicht  als 
ein  Hirt  seiner  Heerde,  sondern  als  ein  .,Miethling"  dessen, 
der  ihn  für  seine  Stelle  präsentirt  hatte.  Die  Zehuten  wurden 
als  ein  Rest  „jüdischer  und  antichristlicher  Knechtschaft",  als 
ein  Erbstück  der  katholischen  Kirche,  gebrandmarkt.  Das 
kleine  Parlament  zögerte  nicht,  sich  in  gleichem  Sinn  aus- 
zusprechen. Am  17.  November  wurde  das  Präsentationsrecht 
der  Patronatsherren  für  aufgehoben  erklärt.  Am  10.  Decem- 
ber  wurde  die  erste  Klausel  eines  Committeeberichts,  welcher 
die  Fortdauer  der  Zehnten  in  Schutz  nahm ,  mit  einer  Mehr- 
heit von  zwei  Stimmen  verworfen.  —  Schon  früher  hatte  man 
sieh  mit  gleicher  Entschiedenheit  der  Frage  der  Justizreform 
zugewandt.    Die  Vorarbeiten  des  langen  Parlaments  für  eine 


138  Stellung  Cromwell's. 

Kodifikation  des  gemeinen  Rechts  in  englischer  Sprache  wur- 
den wieder  aufgenommen.  Gleichzeitig  machte  man  sich  daran, 
dem  Gerichtshof  des  Lord -Kanzlers,  dem  Vertreter  des  aus- 
helfenden Billigkeitsverfahrens,  das  Urtheil  zu  sprechen.  Von 
allen  Seiten  waren  die  bittersten  Beschwerden  über  die  Miss- 
bräuche dieses  Tribunals  eingelaufen.  Man  bezeichnete  es 
wegen  der  Willkür,  der  Kostspieligkeit  und  der  Langsamkeit 
seines  Geschäftsganges  als  die  „grösste  Bürde  der  Nation". 
Man  wollte  wissen,  dass  dreiundzwanzigtausend  Processe  bei 
ihm  anhängig  seien,  von  denen  einige  seit  zwanzig,  dreissig 
Jahren  spielten.  Es  gab  Rechtshändel,  in  denen  über  fünf- 
hundert Mandate  ergangen  und  tausende  von  Pfunden  für 
Gebühren  aller  Art  eingezogen  worden  waren.  Das  kleine 
Parlament  hielt  sich  für  verpflichtet,  schonungslos  einzugreifen. 
Es  warf  das  ganze  der  Verbesserung  dringend  bedürftige  In- 
stitut über  Bord,  indem  es  ohne  langes  Besinnen  die  Auf- 
hebung des  Kanzleigerichtshofes  dekretirte. 

Ohne  Zweifel  zeigte  die  Versammlung  der  Heiligen  in 
der  Behandlung  dieser  Angelegenheiten  mehr  guten  Willen 
als  praktisches  Geschick.  Die  Kommission,  welche  eine  Ko- 
difikation des  Rechtes  berathen  sollte,  zählte  keinen  Juristen 
unter  ihren  Mitgliedern.  Der  Gerichtshof  des  Lordkanzlers 
wurde  abgeschafft,  ohne  dass  an  einen  Ersatz  durch  eine  an- 
dere Behörde  gedacht  worden  wäre.  Der  einfache  Wegfall 
des  Patronats  musste  zahlreichen  adligen  Familien  als  ein 
Raub  ihres  guten  Rechtes  erscheinen.  Von  den  Zehnten 
waren  nicht  wenige  in  Privateigenthum  übergegangen,  und 
auf  ihrem  Fortbezug  ruhte  nicht  nur  das  Dasein  von  so  vielen 
geistlichen  Haushaltungen  und  Stiftungen,  sondern  zum  Theil 
auch  die  Erhaltung  der  Universitätsanstalten,  Auf  diese 
Weise  wurden  sehr  wichtige  Interessen  der  besitzenden  Klas- 
sen und  mächtiger  Korporationen  durch  die  Umsturzversuche 
des  kleinen  Parlaments  bedroht.  Die  Revolution,  welche  bis 
dahin  eine  ausgesprochene  politische  und  religiöse  Färbung 
gehabt  hatte,  schien  nun  allen  Ernstes  auch  einen  socialen 
Charakter  annehmen  zu  wollen.  In  Frankreich  ist  sie  andert- 
halb Jahrhunderte  nachher  in  dieser  Form  zum  Siege  gelangt. 


Stellung  Cromwell's.  139 

weil  die  Gesellschaft  des  ancien  rögime  bei  weitem  tiefer  an- 
gefressen war.  In  England  waren  die  überkommenen  Zu- 
stände nicht  so  drückend,  dass  das  Bestreben,  mit  der  Ver- 
gangenheit gänzlich  zu  brechen,  Aussicht  auf  Erfolg  hätte 
haben  können.  Wer  etwas  zu  verlieren  hatte,  blickte  Hilfe 
suchend  auf  Cromwell,  dessen  Arm  allein  fähig  erschien,  das 
drohende  Unheil  abzuwenden.  Er  hatte  sich  nun  zu  entscheiden, 
ob  er  seinen  Bund  mit  den  Freunden  radikaler  Neuerungen 
aufrecht  erhalten  oder  ob  er  sich  der  Eigenthümer,  der  Geist- 
liehen, der  Juristen  annehmen  sollte.  Sachliche  und  persön- 
liche Beweggründe  bestimmten  seine  Wahl.  Sein  staatsmän- 
nischer Sinn  sträubte  sich  gegen  eine  Umwälzung  von  Grund 
aus.  Sein  Bewusstsein,  zum  Herrscher  geschaffen  zu  sein, 
drängte  ihn  dazu,  den  Heiligen  die  Zügel  aus  der  Hand  zu 
nehmen.  Schon  im  August  hatte  er  sich  darüber  beklagt, 
dass  ihre  Ansichten  so  weit  auseinandergiengen.  Bei  den 
wichtigsten  Verhandlungen  traten  sich  zwei  Parteien,  eine 
radikale  und  eine  gemässigte,  entgegen.  Bei  der  Abstimmung 
über  den  Bericht  des  Zehnten  -  Committee  hatten  die  Enthu- 
siasten nur  mit  zwei  Stimmen  Mehrheit  gesiegt.  In  der  aus- 
wärtigen Politik  verfolgten  sie  mit  Leidenscliaft  die  einge- 
schlagenen Bahnen,  denn  der  Krieg  gegen  die  Niederlande 
galt  ihnen  nur  als  Vorspiel  zur  „Ausbreitung  des  Reiches 
Christi"  auf  dem  Kontinent  (^).  Zu  der  bewaffneten  Macht 
stellten  sie  sich  in  feindlichen  Gegensatz,  indem  sie  den  höch- 
sten Officieren  ihr  Gehalt  für  ein  Jahr  strichen  und  den 
Sold  der  Armee  in  der  üblichen  Weise  zu  bewilligen  Anstand 
nahmen. 

Cromwell  konnte  sich  indessen  eine  Wiederholung  der 
beleidigenden  Scene  ersparen,  welche  den  Schluss  des  Rump- 
parlaments gebildet  hatte.  Ein  Theil  der  Versammlung  mit 
Inbegriff  des  Sprechers  kam  seinen  Absichten  entgegen.  Zwei 
Tage  nach  jener  Abstimmung,  die  das  Schicksal  der  Zehn- 
ten vorauskündigte,  am  12.  December,  erschienen  die  ge- 
mässigten Mitglieder  in  grosser  Anzahl,  noch  ehe  ihre  Gegner 
sich  in  gleicher  Stärke  eingefunden  hatten.  Einige  Redner 
griffen  die  radikale  Partei  aufs  heftigste  an.     Der  Antrag 


J40  Resignation  des  kleinen  Parlaments. 

wurde  gestellt,  dass  das  Parlament,  da  seine  Fortdauer  mit 
dem  Gemeinwohl  unverträglich  sei,  die  Macht,  die  es  vom 
Lord  General  erhalten  habe,  in  seine  Hände  zurücklegen  solle. 
Dem  überraschenden  Vorschlag  wurde  lebhaft  widersprochen, 
und  während  der  erregten  Debatte  begann  das  Haus  sich 
allmählich  zu  füllen.  Da  erhob  sich  der  Sprecher  von  sei- 
nem Sitz,  das  Scepter  wurde  vor  ihm  hergetragen,  die  Mehr- 
zahl der  Anwesenden  schloss  sich  ihm  an,  um  ihm  nach 
Whitehall  zu  folgen.  Dort  wurde  eine  Verzichtsurkunde  auf- 
gesetzt, unterschrieben  und  Cromwell  überreicht.  Im  Lauf 
der  nächsten  Tage  bedeckte  sie  sich  noch  mit  mehreren  Na- 
men, so  dass  der  Wille  der  Majorität  durch  sie  zum  Ausdruck 
gelangte.  Die  Zurückgebliebenen,  ohne  Sprecher  und  nicht 
beschlussfähig,  erklärten,  freiwillig  ihren  Platz  nicht  räumen 
zu  wollen.  Erst  nach  dem  Erscheinen  einer  Rotte  von  Mus- 
ketieren verliessen  sie  den  Saal.  Zu  ihnen  gehörte  Harrison, 
der  von  ■  da  an  in  Cromwell  einen  abtrünnigen  Verräther  er- 
blickte und  sich  aufs  engste  an  die  fanatischen  Verkündiger 
der  fünften  Monarchie  anschloss. 

Das  lange  Parlament  war  zersprengt.  Das  Werk  der 
Heihgen  war  gescheitert.  Cromwell  und  seine  Genossen  blie- 
ben als  Sieger  übrig.  Aus  ihrer  Hand  empfieng  das  Land 
seine  neue  Verfassung.  Es  war  die  erste  moderne  Urkunde 
der  Art,  welche  das  Verhältnis  der  Staatsgewalten  zu  einander 
bestimmt  und  ausführlich  regelte.  An  der  Spitze  des  Gemein- 
wesens stand  mit  lebenslänglicher,  aber  unvererblicher  Würde, 
ausgestattet  mit  königlichen  Attributen  und  königlichen  Gü- 
tern, der  Lord  Protektor  von  England,  Schottland  und  Irland. 
Ihm  zur  Seite  trat  ein  ständiger  Staatsrath,  auf  dessen  Zu- 
sammensetzung er  Einfluss  hatte,  mit  dem  wichtigsten  Piecht, 
seinen  Nachfolger  zu  wählen.  Das  dritte  Element  der  Lan- 
desverfassung ward  durch  das  Parlament  gebildet,  eine  Kam- 
mer, die  aus  den  W^ahlen  des  Volks  hervorgehend  zuerst  am 
3.  September  1654  zusammentreten  sollte.  Indem  man  sich 
die  Lehren  der  Vergangenheit  vergegenwärtigte,  suchte  man 
jeder  dieser  Gewalten  ihre  Machtsphäre  anzuweisen ,  aber 
keine  von  der  Mitwirkung  der  anderen  unabhängig  zu  machen. 


Die  Protektoratsverfassung.  141 

Der  Protektor  war  in  wichtigen  Fallen  an  den  Beirath  und 
die  Zustimmung  seines  Staatsrathes  gebunden.  Er  hatte  in 
Gemeinschaft  mit  ihm  die  Leitung  der  auswärtigen  Politik 
und  die  Entscheidung  über  Krieg  und  Frieden.  p]r  durfte 
bis  zum  Zusammentritt  des  ersten  Parlaments  mit  Einwilligung 
des  Staatsrathes  Steuern  erheben  und  Verordnungen  erlassen. 
Er  gebot,  wenn  kein  Parlament  versammelt  war,  unter  Zu- 
ziehung des  Staatsrathes  über  die  Militia.  Das  Parlament  da- 
gegen hatte  nicht  weniger  bestimmte  Rechte.  Ihm  allein 
stand  es  künftig  zu,  Steuern  zu  bewilligen.  Die  provisorischen 
Verfügungen  des  Protektors  konnten  vom  Parlament  wider- 
rufen werden.  Seine  Gesetze,  soferne  sie  keinen  Verfassungs- 
artikel betrafen,  erhielten  zwanzig  Tage  nach  ihrer  üeber- 
reichung  Kraft,  auch  wenn  der  Protektor  seine  Zustimmung 
weigerte.  Es  musste  mindestens  einmal  in  jedem  dritten 
Jahre  berufen  und  durfte  in  den  ersten  fünf  Monaten  nach 
seiner  Eröffnung  nur  mit  seinem  Willen  vertagt  oder  aufge- 
löst werden.  —  Das  Wahlgesetz  lehnte  sich  in  wesentlichen 
Bestimmungen  an  die  Keforrabill  Henry  Vane's  an.  Es  nahm 
auf  eine  gerechtere  Vertheilung  der  Piepräsentation  Bedacht, 
die  für  England  und  Wales  vierhundert,  für  Schottland  und 
Irland  je  dreissig  Deputirte  betragen  sollte.  Das  Wahlrecht 
wurde  an  den  Nachweis  eines  Vermögens  von  200  £  und  an 
gewisse  Qualifikationen  geknüpft,  die  man  in  der  Reformbill 
des  Rumpparlaments  schmerzlich  vermisst  hatte.  Wer  seit 
1641  die  Waffen  für  den  König  getragen  hatte,  war  unfähig, 
während  der  nächsten  vier  Parlamente  als  Wähler  oder  Ab- 
geordneter aufzutreten.  Katholiken  und  Beförderer  des  irischen 
Aufstandes  waren  überhaupt  ausgeschlossen.  Dem  Staatsrath 
blieb  sogar  bis  zum  Beginn  des  vierten  Parlaments  das  Recht 
der  Prüfung  und  Bestätigung  der  Wahlen  gewahrt.  —  Den 
Schöpfern  der  Protektoratsverfassung  erschien  indessen  die 
Ruhe  nicht  sicher  verbürgt  zu  sein,  woferne  nicht  auch  das 
Dasein  der  bewaffneten  ]\Iacht,  wie  sie  der  Krieg  hervorge- 
bracht hatte,  und  die  Gewissensfreiheit,  wie  sie  selbst  die- 
selbe verstanden,  über  den  Streit  der  Parteien  erhoben  würde. 
Ein  stehendes  Heer  von  30,000  Mann  und  eine  Kriegsflotte  zum 


142  ^^6  Protektoratsverfassung. 

Schutz  der  Küsten,  auf  die  jährlichen  Staatseinkünfte  ange- 
wiesen, wurde  für  die  nächste  Zeit  vorausgesetzt.  Die  christ- 
liche Religion  wurde  für  die  ,,der  Nation"  erklärt.  Der 
Staat  verbürgte  „die  Erhaltung  fähiger  und  sorgfältiger  Leh- 
rer" nicht  etwa  lediglich  „für  den  Unterricht  des  Volkes", 
sondern  zugleich  „für  die  Widerlegung  von  Irrthümern  und 
Ketzerei".  Bis  ein  Ersatz  gefunden  sei ,  sollte  das  System 
der  Patronate,  Pfründen  und  Zehnten  bestehn  bleiben.  Doch 
sollte  niemand  mehr  zur  Theilnahme  am  Gottesdienste  ge- 
zwungen werden.  Jedem  christlichen  Kultus  war  Duldung 
und  Schutz  versprochen,  ausgenommen  dem  Kultus  der  Katho- 
liken und  der  bischöflichen  Kirche. 

Das  Ganze  war  der  Ausdruck  der  thatsächlichen  Macht- 
verhältnisse,  nicht  einer  vom  Boden  der  Wirklichkeit  abge- 
lösten, streng  durchgeführten  Theorie.  Der  Gedanke  der 
Souveränetät  des  Volkes  war  zurückgedrängt.  Der  Gedanke 
der  Trennung  von  Kirche  und  Staat  war  verworfen.  Milton 
hatte  kurz  vorher  im  „omnipotenten  Parlament"  den  Schluss- 
stein des  öffentlichen  Rechtes  gefunden.  Roger  Williams 
hatte  seit  einiger  Zeit  auf  dem  jungfräulichen  Boden  von 
Rhode -Island  ein  Gemeinwesen  gegründet,  in  welchem  die 
Organisation  des  kirchlichen  Lebens  völlig  den  Einzelnen  über- 
lassen blieb.  In  beiden  Beziehungen  trat  die  Protektorats- 
verfassung den  äussersteu  Folgerungen  des  independentischen 
Princips  entgegen.  Sie  nahm  auf  die  eigenthümliche  Stellung 
Cromwell's  und  seiner  militärischen  Anhänger,  auf  die  Wün- 
sche der  gemässigten  Presbyterianer  wie  der  gemässigten 
Sektirer,  auf  die  Besorgnisse  der  Patronatsherren  und  Eigen- 
thümer  in  gleicher  Weise  Rücksicht.  Ihre  Urheber  hofften 
allmählich  durch  eine  Verschmelzung  aller  dieser  Interessen  der 
Unversöhnlichen  im  royalistischeu  wie  im  republikanischen  Lager 
Herr  zu  werden  und  nach  der  vorausgegangenen  Zerstömng 
mit  ihrem  Werke  etwas  Dauerndes  geschaffen  zu  haben  (i). 

Am  16.  December  1653  um  ein  Uhr  Nachmittags  fand 
die  Installation  des  Lord  Protektor  in  der  Westminster- Halle 
statt.  In  schwarzem  Sammetgewand ,  ein  breites  goldenes 
Band   um   den  Hut,   stellte  sich  CroniNvell  zwischen  zwei  der 


Installation  CromweU's  als  Protektor.  143 

Siegelbewahrer  neben  den  Staatssessel,  der  sich  auf  reichem 
Teppich  erhob.  Die  Richter,  Lord-Mayor  und  Aldermen  von 
London,  die  Mitglieder  des  Staatsrathes  und  des  Kriegsrathes 
hatten  sich  in  der  Runde  gruppirt.  General  Lambert,  der  bei 
den  letzten  Vorgängen  eine  Hauptrolle  gespielt  hatte,  trat 
vor,  erklärte  die  Auflösung  des  Parlaments  und  bat  Cromwell 
im  Namen  des  Heeres  und  der  drei  Nationen  die  Würde  des 
Protektors  anzunehmen.  Die  Urkunde  der  Verfassung  wurde 
verlesen,  einer  der  Siegelbewahrer  legte  dem  Feldherrn  den 
Eid  vor,  durch  den  er  zu  beschwören  hatte,  die  Verfassung 
zu  halten,  den  Gesetzen  und  Statuten  gemäss  zu  regieren, 
Frieden  und  Gerechtigkeit  zu  wahren.  Er  unterschrieb  und 
fügte  hinzu,  seine  Macht  möge  nicht  länger  dauern,  als  sie 
mit  dem  Werke  Gottes  in  Einklang  stehe.  Hierauf  vertauschte 
er  seinen  Degen  mit  einem  anderen  in  der  Scheide  stecken- 
den, um  symbolisch  anzudeuten,  dass  er  nicht  mit  der  Waffe 
•des  Kriegers  herrschen  wolle.  Bedeckten  Hauptes  nahm  er 
auf  dem  Thronsessel  Platz,  empfieng  aus  der  Hand  der  Sie- 
gelbewahrer das  grosse  Siegel,  aus  der  Hand  des  Lord-Mayor 
das  Schwert  und  erstattete  kraft  seiner  Souveränetät  das  eine 
wie  das  andere  ihren  Trägern  zurück.  Mit  kriegerischem 
Pomp,  wie  er  gekommen,  kehrte  er  zurück  in  den  Palast  von 
Whitehall,  begleitet  von  dem  glänzenden  Zuge  der  Versam- 
melten, durch  Zurufe  der  Volkmasse  begrüsst.  Die  Predigt 
eines  seiner  Kaplane  und  eine  dreifache  Salve  seiner  Soldaten 
bildete  das  Ende  der  Ceremonie. 

Im  ganzen  Reiche  gieng  die  Ausrufung  des  Protektors 
ohne  Widerstreben  der  Bevölkerung  vor  sich.  Unter  seinem 
Namen  wurden  fortan  alle  öffentlichen  Aktenstücke  ausgefertigt. 
Von  ihm  empfiengen  Richter  und  hohe  Staatsbeamte  ihre  Be- 
stallung. Sein  Haushalt  in  Whitehall  erhielt  ein  höfisches 
Ceremoniell.  Die  Republikaner  alten  Schlages,  die  Mitglieder 
enthusiastischer  Sekten  grollten  und  hielten  sich  entweder  ent- 
fernt oder  sannen  auf  Rache.  In  anabaptistischen  Konventikeln 
verglich  man  den  „eidbrüchigen  Verräther"  mit  Richard  dem 
Dritten.  In  einzelnen  Regimentern  herrschte  eine  bedenk- 
liche Gährung,     Hie  und  da  mussten  die  Officiere  selbst  als 


144    Befestigung,  d.  neuen  Keg.  Verordnungen.  Union  m.  Schottland. 

verdächtig  gelten.  Indessen  gegenüber  den  alten  Genossen 
war  es  rathsam,  die  Seiten  nicht  zu  straff  zu  spannen.  Es 
schien  genügend,  sie  zeitweilig  von  ihren  Posten  abzuberufen 
oder  durch  verlässlichere  Nachfolger  zu  ersetzen.  —  Die  roya- 
listischen  Verschwörer  hatten  ein  schlimmeres  Schicksal  zu 
erwarten.  Im  Frühling  1654  wurde  ein  Komplott  entdeckt, 
dessen  Zweck  die  Ermordung  des  Protektors  und  die  Pro- 
klamation Karls  II.  war.  Ein  ausserordentlicher  Gerichtshof 
sprach  das  Urtheil  und  zwei  der  Betheiligten  büssten  mit  dem 
Tode. 

Von  rechts  und  links  beständig  durch  Gefahren  bedroht, 
wusste  die  neue  Regierungsgewalt  sich  doch  zu  befestigen  und 
die  Zwischenzeit,  die  ihr  bis  zur  Eröffnung  des  Parlaments 
gegönnt  war,  vortrefflich  auszunutzen.  Die  Verfassung  räumte 
dem  Protektor  das  wichtige  Piecht  ein,  unter  Zustimmung 
des  Staatsraths  zum  Besten  der  Nation  Verordnungen  zu 
erlassen..  Er  machte  von  diesem  Ptecht  einen  sehr  ausge- 
dehnten Gebrauch.  Dem  Grössten  wie  dem  Kleinsten  schenkte 
er  seine  Beachtung.  Kraft  seiner  Verordnungsgewalt  erfolgte 
die  Forterhebung  der  Steuern  sowie  eine  neue  Erklärung  des 
Hochverrathsbegriftes ,  und  auf  dieselbe  Autorität  hin  wurden 
die  Hahnenkämpfe  untersagt  und  die  Duelle  verboten.  Die 
lange  vorbereitete  Akte  der  legislativen  Union  England's  und 
Schottland's  kam  nun  zur  Veröffentlichung.  Eine  ausführliche 
Ordonnanz  verbesserte  das  Verfahren  des  Kanzleigerichts.  Eine 
andere  bestellte  Visitatoren  für  die  Universitäten  und  mehrere 
hervorragende  Schulanstaltefi.  In  alle  Gebiete  des  inneren 
Staatslebens  griff  die  starke  Hand  des  neuen  Gebieters  ein, 
der  sich  die  Aufgabe  gestellt  hatte,  zwischen  den  Einrichtungen 
der  Vergangenheit  und  zwischen  den  Anforderungen  der 
Gegenwart  eine  Brücke  zu  schlagen.  Diesen  vermittelnden 
Charakter  zeigte  vor  allem  die  kirchliche  Politik  des  Protek- 
tors. Er  ernannte  Kommissionen,  aus  Laien  und  Geistlichen 
gemischt,  mit  ausserordentlichen  Gewalten  versehn,  wie  sie 
das  Piumpparlament  und  das  Zehnten  -  Committee  des  kleinen 
Parlaments  ähnlich  bereits  in  Aussicht  genommen  hatte.  Eine 
allgemeine  Behörde  hatte  alle  diejenigen  auf  ihren  Glauben, 


Friede  mit  den  Niederlanden,  ^'ertrage  m.  Schweden  u.  Norwegen.   145 

ihre  Kenntnisse  und  ihren  Lehenswandel  hin  zu  prüfen,  die 
in  ein  bepfründetes  Seelsorgeamt  eintreten  wollten.  Beson- 
dere Bevollmächtigte  in  den  einzelnen  Grafschaften  hatten 
bereits  angestellte  ,, unwürdige,  unwissende  und  untaugliche 
Geistliche  und  Lelirer"  vor  sich  zu  fordern  und  aus  ihren 
Pfründen  zu  entfernen.  Gleicher  Weise  ward  auf  die  Aus- 
füllung von  Vakanzen,  auf  die  Trennung  oder  Zusammen- 
legung von  Pfarreien  Bedacht  genommen.  In  den  Kom- 
missionen Sassen  Presbyterianer  und  Independenten  friedlich 
neljen  einander.  Die  Gegensätze  der  kirchlichen  Parteien 
sollten  zurücktreten,  da  die  Staatsgewalt  beide  für  das  Reform- 
werk benutzen  wollte,  zu  dessen  Uebernahme  sie  selbst  sich 
für  verpflichtet  hielt  ('). 

Nicht  weniger  tief  eingreifend  wandte  sich  die  Politik  des 
Protektors  nach  aussen.  Der  Krieg  mit  den  Niederlanden 
war  unter  den  Anspielen  der  republikanischen  Staatsmänner  be- 
gonnen worden.  Die  völlige  Unterwerfung  des  besiegten 
Feindes,  gehörte  zu  den  Lieblingsträumen  der  Heiligen. 
Cromwell  beendigte  diesen  Krieg,  dessen  Lorbeeren  mit  so 
viel  Opfern  erkauft  wurden ,  und  suchte  die  Freundschaft  der 
beiden  Gemeinwesen  zu  begTünden,  statt  noch  länger  der 
Chimäre  ihrer  Verschmelzung  nachzujagen.  Nach  vielfachen 
Verhandlungen  kam  im  Frühjahr  1654  der  Friede  zu  Stande. 
Die  Generalstaaten  mussten  die  Navigationsakte  anerkennen 
und  sich  nicht  wenigen  der  von  England  aufgestellten  Be- 
dingungen fügen.  Aber  sie  hatten  eine  noch  grössere 
Demüthigung  auf  sich  zu  nehmen.  Der  Protektor  forderte 
nicht  nur,  dass  den  Stuarts  das  Asyl  geweigert  werde,  son- 
dern auch,  dass  ihre  Verwandten  und  Gönner,  die  Glieder 
des  Hauses  Oranien,  von  der  Bekleidung  der  hohen  Staats- 
ämter ausgeschlossen  blieben.  Er  unterzeichnete  den  Vertrag 
nicht  eher,  als  bis  ihm  die  holländischen  Stände  durch  Aus- 
händigung der  Akte  van  Seclusie  für  die  übrigen  Bürgschaft 
leisteten.  —  Die  beiden  nordischen  Mächte,  Dänemark  und 
Schweden,  hatten  zu  dem  englisch -niederländischen  Krieg 
eine  ungleiche  Stellung  eingenommen.    Während  der  dänische 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  Z.  10 


]^46  Verträge  mit  Schweden  und  Dänemark. 

König  sich  durch  frühere  Verträge  und  gemeinsame  Handels- 
interessen zu  den  Generalstaaten  hingezogen  fühlte,  hatte 
Christine  von  Schweden  einige  Theilnahme  für  England  ge- 
zeigt und  Hoffnungen  auf  den  möglichen  Abschluss  eines 
Bündnisses  erweckt.  Sobald  die  beiden  grossen  Seemächte 
anfiengen  sich  zu  verständigen,  machte  dieser  Gegensatz 
einem  gleichmässigen ,  wohlwollenden  Verhältnis  zu  England 
Platz.  Am  schwedischen  Hofe  hatte  Whitelocke,  Cromwell's 
Gesandter,  mit  bestem  Erfolg  für  die  Unterzeichnung  eines 
Freundschafts-  und  Handelsvertrages  gewirkt.  Noch  trug 
Christine  die  Krone.  Cromwell  hatte  ihr  sein  Bild  geschickt 
mit  einigen  schmeichelhaften  Versen ,  die  man  irriger  Weise 
mitunter  Milton  zugeschrieben  hat(').  Sie  selbst  sprach  sich 
bewundernd  über  den  Protektor  aus.  Allein  ihr  Entschluss 
vom  Thron  herabzusteigen ,  war  schon  gefasst,  und  man  hatte 
sich  glücklich  zu  schätzen,  dass  ihr  Nachfolger,  Karl  X.,  von 
gleichen  Gesinnungen  beseelt  zu  sein  schien  wie  sie.  Danach 
kam  auch  ein  Vertrag  mit  Dänemark  zu  Stande,  der  den 
englischen  Handelsschiffen  für  die  Durchfahrt  durch  den  Sund 
dieselben  Vortheile  zusicherte ,  die  bis  dahin  die  Niederländer 
genossen  hatten.  —  In  kurzer  Zeit  hatte  sieh  England's 
Stellung  im  europäischen  Staatensystem  gänzlich  verändert. 
Es  hatte  sich  drei  grossen  Gemeinwesen  angenähert,  deren 
religiöse  Interessen  es  theilte,  und  konnte  mit  Ruhe  für 
Spanien  oder  für  Frankreich  den  Preis  einer  Allianz  bestimmen, 
welche  die  eine  und  die   andere  Macht  wetteifernd  anbot. 

Zugleich  kam  erst  unter  dem  Protektorat  der  Begriff  eines 
grossbritannischen  Reiches  zu  voller  Geltung.  In  Irland  war 
durch  Fleetwood  und  Ludlow  die  Ordnung  aufrecht  erhalten, 
und  wenn  sich  hie  und  da  republikanische  Regungen  gezeigt 
hatten,  so  gelang  es  dem  jungen  Henry  Cromwell,  die  Auto- 
rität des  Vaters  mit  Kraft  und  Würde  herzustellen.  In 
Schottland  wusste  Monk  die  royalistischen  Insurgenten  der 
Hochlande  zu  zerstreuen  und  die  Armee  von  den  Anhängern 
der  radikalen  Partei  zu  reinigen.  Zum  ersten  Male  sollten 
Abgeordnete  aus  Irland  und  Schottland  neben  denen  aus 
England   in  dem   nächsten  Parlament   ihre  Sitze  einnehmen. 


Milton  im  Dienste  des  Protektorats.  147 

Seine  Einberufung  stand  bevor,  als  Milton  in  der  zweiten 
Vertheidigung  des  englischen  Volkes  die  Gelegenheit  wahr- 
nahm, sich  über  den  Umschwung  der  Dinge  und  über  den 
neuen  Herrscher  öffentlich  auszusprechen  (^). 


Milton  hatte  im  Dienst  des  Rumpparlaments  gestanden. 
Der  Staatsrath,  welcher  aus  diesem  hervorgegangen  war,  hatte 
ihn  angestellt.  Jenes  Parlament  und  jener  Staatsrath  wurden 
aufgelöst,  aber  er  blieb  in  seinem  Amte.  Die  Zwischen- 
regierung, die  sich  unter  Cromwell's  Leitung  konstituirte, 
nahm  seine  Dienste  in  Anspruch  (^).  Der  erste  Staatsrath  des 
kleinen  Parlaments  beliess  ihn  stillschweigend  auf  seinem 
Posten,  der  zweite  gab  ihm  seine  ausdrückliche  Bestätigung. 
Obwohl  in  William  Jessop  und  Philipp  Meadows  neue  Kräfte 
für  die  Erledigung  der  Geschäfte  gewonnen  wurden,  die 
anfangs  Milton  allein  besorgt  hatte,  blieb  er  doch  im  vollen 
Genuss  seines  Einkommens.  Der  Staatsrath  des  Protektors 
behielt  „Mr.  Milton"  als  Angestellten  bei,  gab  indessen  jenem 
Meadows  gleichfalls  den  Titel  eines  „lateinischen  Sekretärs" 
und  verkürzte  am  17.  April  1655  den  jährlichen  Gehalt  des 
Dichters  auf  150  "£.  In  Ansehung  seiner  verminderten 
Leistungsfähigkeit  war  dies  nicht  ungerecht,  um  so  weniger, 
als  ihm  dieses  Einkommen  als  ein  „lebenslängliches"  zuge- 
sichert wurde.  Offenbar  war  die  Absicht  ihm  eine  Pension 
zu  gewähren  und  auf  seine  Thätigkeit  so  gut  wie  ganz  zu 
verzichten.  Milton  scheint  sich  indessen  gegen  die  Annahme 
eines  Ruhegehalts  gewehrt  zu  haben.  Eine  ^'erminderung 
seines  ursprünglichen  Einkommens  trat  freilich  ein.  Aber  es 
betrug  doch  noch  am  Ende  des  Protektorats  200  £,  wofür 
er  seinerseits  der  Regierungskanzlei  nach  besten  Kräften  sich 
nützlich  machte  (^). 

In  der  That  würde  die  Sammlung  seiner  Staatsbriefe 
schon  allein  dafür  sprechen,  dass  seine  Feder  noch  viel- 
fache Verwendung  gefunden  hat.  Wie  vordem,  so  betraf 
ein  grosser  Theil  der  lateinischen  Korrespondenz,  die 
in    seinen  Händen  lag,    Gegenstände    von    nicht  eben   her- 

10* 


148  Milton  im  Dienste  des  Protektorats. 

vorragendem  Interesse.  Beglaubigungsbriefe  für  englische 
Gesandte,  Reklamationen  zu  Gunsten  englischer  ünterthanen 
wegen  geweigerter  Rechtshilfe  oder  Schädigung  ihres  Eigen- 
thums  konnten  seinem  Genius  wenig  Gelegenheit  zur  Ent- 
faltung seiner  Kraft  bieten.  Aber  daneben  tauchten  Fragen 
der  grossen  Politik  auf,  die  er  namens  des  Protektors  in  der 
Sprache  des  alten  Rom  zu  behandeln  hatte  und  die  er  mit 
einer  Würde  und  einer  Wärme  ohne  gleichen  zu  behandeln 
wusste.  Die  Sammlung  seiner  Staatsbriefe  trägt  daher  in 
dieser  Zeit  fast  noch  mehr  als  in  der  früheren  den  Charakter 
einer  Art  von  diplomatischem  Blaubuch.  Aber  es  sind  nicht 
diese  Briefe  allein,  die  für  Milton's  fortgesetzte  amthche  Be- 
schäftigung Zeugnis  ablegen.  Als  ein  schwedischer  Gesandter 
in  London  über  eine  Ergänzung  des  früheren  kommerciellen 
Vertrages  und  den  Abschluss  eines  engeren  Bündnisses  ver- 
handelte, musste  man  sich  an  Milton,  als  Uebersetzer,  wenden. 
Sein  Kollege  Meadows  war  auf  einer  Mission  nach  Portugal 
abwesend,-  andere  des  Lateinischen  kundige  Mitglieder  der 
Kanzlei  standen  gleiclifalls  augenblicklich  nicht  zur  Verfügung. 
Es  gab  indessen  eine  unliebsame  Verzögerung  und  der  Gesandte 
beklagte  sich  darüber,  dass  ein  Blinder,  dessen  Amanuensis 
leicht  etwas  ausplaudern  könne,  mit  dieser  Arbeit  betraut 
werde  (0.  Dieser  Anlass,  Milton's  Latinität  auf  die  Probe  zu 
stellen,  war  nicht  der  einzige  seiner  Art,  und  wir  werden 
noch  Gelegenheit  finden,  ähnliche  Spuren  seiner  Thätigkeit 
zu  bemerken. 

Weniger  angestrengt  als  vorher,  blieb  er  doch  mit  dem 
Lauf  der  öffentlichen  Angelegenheiten  immer  vertraut  und 
mit  den  leitenden  Persönlichkeiten  in  gewisser  Berührung. 
Von  seinen  nächsten  Kollegen,  den  Angestellten  der  Regie- 
rung, nahm  keiner  eine  gleich  wichtige  Stellung  ein  wie  John 
Thurloe.  Er  war  der  Sekretär  des  Staatsraths,  in  die  gröss- 
ten  Geheimnisse  der  Cromweirschen  Politik  eingeweiht.  Von 
ihm,  der  sich  allmählich  zur  Stellung  eines  ersten  Ministers 
erhob,  hatte  Milton  unzweifelhaft  nicht  selten  die  nöthigen 
Anweisungen  für  Abfassung  der  lateinischen  Depeschen  ent- 
gegenzunehmen.    Aber  auch  die  Mitglieder  des  CromweH'schen 


Seine  Beurtheilung  Ciomweirs.  149 

Staatsraths  werden  ihm  nicht  unbekannt  geblieben  sein.  Die 
meisten  der  glänzenden  Namen,  die  er  in  seiner  zweiten 
Vertheidigung  verherrlicht,  fanden  sich  hier  zusammen.  Dass 
er  diesen  und  jenen  der  Staatsräthe,  wie  den  charakterlosen 
Ashley  Cooper,  von  jener  Ehrentafel  ausschloss,  geschah  wohl 
nicht  ganz  ohne  Absicht,  Vor  allem  zu  dem  mächtigen  Ge- 
bieter, zu  Cromwell  selbst,  trat  er  nun  erst  in  ein  näheres, 
persönliches  Verhältnis.  Es  hatte  einen  Augenblick  gegeben, 
in  dem  er  sich  entscheiden  musste  zwischen  ihm  und  zwischen 
Henry  Vane.  Die  Wahl  mag  ihm  nicht  leicht  geworden  sein. 
Aber  er  überwand  sich  den  geschehenen  Gewaltakt  als  noth- 
wendig  und  heilsam  anzuerkennen,  statt  sich  mit  dem  repu- 
blikanischen Freunde  grollend  zurückzuziehn.  So  standen  sie 
nebeneinander,  zwei  der  Grössten  ihrer  Nation,  der  Mann 
des  Wortes  und  der  Mann  der  That,  jeder  von  beiden  eine 
streng  in  sich  abgeschlossene  Individualität,  jeder  Meister  in 
seinem  Fache,  durch  dieselbe  Welle  der  stürmischen  Zeit 
emporgehoben,  um  demselben  Gemeinwesen  in  gemeinsamer 
Arbeit  zu  dienen. 

Es  fehlt  uns  an  Zeugnissen  darüber,  wie  der  Protektor 
über  seinen  lateinischen  Sekretär  gedacht  hat.  Wir  wissen 
nicht,  ob  er  sich  dazu  herabliess,  ihn  seines  vertrauten  Um- 
gangs zu  würdigen.  Nur  die  Phantasie  des  Künstlers  malt 
sieh  aus,  wie  er,  auf  sein  Schwert  gestützt,  mit  der  Lady 
Protectress  im  Kreise  seiner  Kinder  und  Getreuen  dem  Orgel- 
spiel des  blinden  Dichters  lauscht.  Aber  wie  dieser  den 
Herrscher  beurtheilte,  was  er  von  ihm  hoffte,  wessen  er  ihn 
für  fähig  hielt,  geht  deutlich  genug  aus  seiner  zweiten  Ver- 
theidigung des  englischen  Volkes  hervor.  In  klassischer 
Sprache  skizzirt  er  das  Jugendleben  seines  Helden.  Mit 
Woi-ten  der  Entrüstung  nimmt  er  ihn  gegen  die  ^'erleum- 
dungen  der  Royalisten  in  Schutz.  Er  zählt  die  tapferen 
Thaten  seines  Schwertes  auf,  aber  er  rühmt  vor  allem,  dass 
der  Sieger  in  so  vielen  Schlachten  gelernt  haben  müsse  sich 
selbst  zu  besiegen.  Im  Frieden  erscheint  er  ihm  nicht  weniger 
gross  als  im  Kriege,  und  er  scheut  sich  nicht  auch  der  beiden 
entscheidenden  Thaten  zu  gedenken,     welche   dieser   „fried- 


]^50  Mahnvmgen  au  den  Protektor. 

liehen"  Epoche  CromweH's  angehören.  „Als  du  sähest  —  so 
milde  spricht  er  von  der  Zersprengung  des  Rurapparlaments 
—  dass  man  auf  Zögeningen  bedacht  war,  dass  jeder  eher 
seinen  Privatvortheil  als  das  öffentliche  "Wohl  im  Auge  hatte, 
dass  das  Volk  sich  darüber  beklagte,  die  Macht  einiger 
Wenigen  raube  ihm  die  Erfüllung  seiner  Hoffnungen:  da 
machtest  du,  was  sie  selbst  trotz  häufiger  Aufforderungen  zu 
thun  sich  geweigert  hatten,  ihrer  Herrschaft  ein  Ende.  Ein 
neues  Parlament  —  er  meint  das  kleine  —  wird  berufen. 
Die  Mitglieder  werden  von  denjenigen,  denen  es  anstand, 
ausgewählt.  Die  Erwählten  kommen  zusammen,  aber  sie 
bringen  nichts  vor  sich.  Nachdem  sie  sich  lange  genug  durch 
Meinungsverschiedenheiten  und  Streitigkeiten  ermüdet  haben, 
kommt  die  Mehrzahl  zur  Erkenntnis,  dass  sie  ihrer  grossen 
Aufgabe  nicht  gewachsen  sei,  und  die  Versammlung  löst  sich 
aus  fi-eien  Stücken  auf.  "Wir  sind  verlassen,  Cromwell.  Du 
allein  bist  noch  übrig.  Auf  dich  ist  die  höchste  Gewalt  über- 
gegangen, bei  dir  ruht  sie,  wir  alle  beugen  uns  vor  deiner 
unbesiegbaren  Tüchtigkeit".  Er  geht  über  die  Ausnahmen 
von  diesem  etwas  kühnen  „wir  alle"  kurz  hinweg.  Er  nennt 
den  Protektor  den  „grössten  und  ruhmvollsten  Bürger,  den 
Erhalter  und  "Wächter,  den  Vater  des  Vaterlandes".  Er  preist 
ihn  deshalb,  dass  er  den  Königsnamen  verschmäht  und  einen 
anderen  Titel  angenommen  habe ,  der  ihn  dem  Bereich  der 
übrigen  Menschen  näher  biinge. 

Man  könnte  meinen,  dieser  Redeprunk  sei  die  schmeich- 
lerische Demüthigung  des  Journalisten  vor  dem  Manne  der 
That ,  weil  der  Erfolg  auf  dessen  Seite  stand.  Kein  grösseres 
Unrecht  vermöchte  man  Milton  zuzufügen.  "Wenn  er  die 
wahrhaften  Verdienste  des  mächtigen  Genius  erhebt,  so  opfert 
er  seine  eigene  Meinung  deshalb  nicht  auf.  Der  Anwalt  des 
Freistaates  stellt  sich  ebenbürtig  neben  seinen  Protektor.  In 
demselben  Athem,  in  dem  er  seinen  Namen  zu  den  Sternen 
erhoben  hat,  fordert  er  Gehör  für  sich  und  alle  Freien  in 
England  und  wagt  es,  dem  siegreichen  Inhaber  der  Macht 
ahnungsvolle  "Warnungen  und  Ermahnungen  zuzurufen. 

„Denke  daran,   welch  ein  kostbares  Kleinod  die  Freiheit 


Mahnungen  an  den  Protektor.  151 

ist,  die  (las  Vaterland  deinem  Schutze  anvertraut  hat.  Denke 
daran,  dass  dies  Vaterland  die  Hoffnungen,  die  es  eben  noch 
auf  die  Auserwählten  der  Nation  setzte,  jetzt  auf  dich  allein 
übertragen  hat.  Ehre  diese  Hoffnung,  ehre  dies  Vertrauen. 
Ehre  das  Antlitz  und  die  Wunden  all  der  Tapferen,  die  unter 
deiner  Führung  so  wacker  für  die  Freiheit  gestritten  haben. 
Ehre  die  Schatten  derer,  die  im  Kampfe  gefallen  sind.  Ehre 
das  Urtheil  der  fremden  Völker,  die  von  unserem  tapfer 
errungenen  und  ruhmvoll  begründeten  Gemeinwesen  so  viel 
erAvarten.  Ehre  vor  allem  dich  selbst  und  lass  es  nicht  ge- 
schehen, dass  die  Freiheit,  für  welche  du  so  vielen  Sorgen 
und  Gefahren  Trotz  geboten,  von  dir  selbst  oder  von  anderen 
verletzt  werde.  Du  kannst  nicht  frei  sein,  wenn  wir  es  nicht 
sind.  Denn  das  ist  ein  ewiges  Gesetz  der  Natur,  dass  der, 
welcher  anderen  die  Freiheit  raubt,  zuerst  die  seinige  ver- 
lieren und  sich  zum  Sklaven  machen  muss.  Wenn  du,  der 
du  ihr  Beschützer  und  Schirmgeist  sein  solltest,  die  Freiheit 
angriffest,  so  wäre  das  nicht  nur  für  dein  Andenken,  es  wäre 
für  die  Sache  des  Guten  und  Edlen  überhaupt  ein  tödtlicher 
Schlag,  eine  Verwundung  des  ganzen  menschlichen  Geschlechts» 
wie  sie  nicht  schmerzlicher  gedacht  werden  könnte". 

Und  nun  fasst  er  alle  die  Forderungen  zusammen,  deren 
Erfüllung  er  von  dem  grossen  Staatsmann  erwartet,  davon 
ausgehend,  dass  dieser  nicht  eigenwillig,  sondern  nur  mit 
dem  Beirath  seiner  alten  Waftengefährten  und  erprobter 
Patrioten  regieren  werde.  Es  ist  vor  allem  die  Trennung  des 
Bundes  zwischen  Kirche  und  Staat.  Milton  stellt  sich  ganz 
und  gar  auf  den  Standpunkt  des  äussersten  Independentismus, 
wie  er  in  den  radikalen  Anträgen  des  kleinen  Parlaments 
hervorgetreten  war.  Er  bezeichnet  jenen  Bund  als  unheilvoll 
und  unsittlich.  Er  findet,  dass  beide  Gewalten  sich  nur 
scheinbar  ihre  Hilfe  leihen,  „um  sich  in  Wahrheit  gegenseitig 
zu  schwächen".  Die  kirchlichen  Genossenschaften  seien  ganz 
auf  sich  selbst  angewiesen ,  auf  eigene  Kraft  gestellt ,  ohne 
die  Fähigkeit  thätliche  Gewalt  auszuüben.  Dies  ist  aber,  wie 
die  Geschichte  eines  Menschenalters  ihn  gelehrt  hat,  am 
wenigsten  möglich,    so  lange   der  Staat  die  Erhaltung  ihrer 


152  Mahuungeu  au  den  Protektor. 

Diener  aiif  sich  nimmt  oder  ein  für  alle  ISIal  gewährleistet. 
„Denn  die  Gewalt  wird  nie  aufhören,  so  lange  der  Sold  für 
Verkündigung  des  Evangeliums  wider  Willen  den  Unterthanen 
abgepresst  wird,  was  nur  dazu  dient,  die  Religion  zu  ver- 
giften und  die  Wahrheit  zu  erwürgen".  In  diesem  Sinne 
mahnt  er  den  Protektor  „die  Wechsler  aus  dem  Tempel  zu 
treiben".  Er  verlangt  sodann  Verbesserung  der  Gesetze, 
nicht  sowohl  durch  Zufügung  neuer  als  durch  Aufhebung  alter. 
„Schaffe  mehr  alte  Gesetze  ab  als  du  neue  einführst.  Es  giebt 
oft  Leute  im  Staate,  die  ein  ähnlicher  Kitzel  treibt  viele 
Gesetze  zu  macheu,  wie  ihn  gewisse  Dichterlinge  empfinden, 
viele  Verse  hinzusudeln.  Aber  je  grösser  die  Anzahl  der 
Gesetze,  desto  geringer  ihr  Werth.  Aus  einem  Zügel  werden 
sie  zum  Fallstrick.  Sorge  daher,  dass  die  Vorschriften,  die 
du  als  nöthig  aufrecht  erhältst,  sowie  die ,  welche  du  zufügst, 
nicht  die  Guten  und  Bösen  unter  das  gleiche  Joch  beugen. 
Strafe  das  Verbrechen,  aber  verbiete  nicht  an  sich  Erlaubtes 
unter  dem  Vorwand,  es  könne  gemissbraucht  werden.  Das 
Gesetz  vermag  nur  das  Laster  zu  zügeln,  die  Freiheit  allein 
ist  die  Bildnerin  der  Tugend".  —  Er  fordert  endlich  bessere 
Sorge  für  die  Erziehung  der  Jugend  von  Staats  wegen,  ohne 
andere  Gunst  und  Parteilichkeit  bei  Austheilung  von  Beloh- 
nungen und  Besetzung  der  Stellen  als  für  Wissen  und  Talent, 
Freiheit  der  Lehre,  Freiheit  der  Presse,  Duldung  verschieden- 
artiger Meinungsäusserungen,  auch  solcher,  die  den  herrschen- 
den Gewalten  unliebsam  sein  mussten.  Bestrebungen  dfer 
Art  und  das  Bemühen  Aberglauben,  Habsucht,  Luxus  zu 
bekämpfen,  fügt  er  an  die  Adresse  seiner  Mitbürger  hinzu, 
sind  werthvoller  als  Vermehrung  der  Einkünfte  durch  raffi- 
uirte  Kunstgriffe,  Vergrösserung  des  Heeres  und  der  Flotte, 
Ueberlistung  fremder  Gesandten ,  Abschliessung  schlauer  Ver- 
träge und  Bündnisse  (^). 

^  So  wagte  es  der  erste  Schriftsteller  der  Nation  vor  ihrem 
^ten  Staatsmann  zu  sprechen.  Und  war  es  Zufall,  dass  er 
das  Bildnis  Bradshaw"s  mit  solcher  Liebe  ausmalte,  desselben 
Bradshaw,  der  nach  der  Zersprengung  des  Parlaments  einen 
letzten  Protest  gegen  den  Gewaltstreich  eingelegt  hatte?  Hob 


CromweU's  innere  Politik.  153 

€r  ohne  Absicht  nachdrücklich  hervor,  Fairfax  werde  sicher 
auf  seinem  Posten  geblieben  sein,  wenn  er  nicht  die  feste 
Ueberzeugung  gehabt  habe,  sein  Nachfolger  werde  die  Frei- 
heiten Englands  schützen  und  wahren?  Erschien  es  nicht  als 
ein  grossartiger  Beweis  unerschrockenen  Freimuthes,  sich  der 
Freundschaft  jenes  Colonel  Overton  offen  zu  rühmen,  den 
tapferen  Soldaten  laut  zu  preisen,  während  eben  dieser 
Overton,  wegen  seiner  republikanischen  Gesinnung  gefürchtet, 
von  Schottland  nach  London  citirt  worden  war  und  dort  vom 
Mai  bis  zum  September  1654  festgehalten  wurde '?(')  Man 
sieht:  Milton  war  nicht  dazu  gemacht,  seiner  eigenen  Würde 
zu  vergessen.  Er  neigte  sich  vor  der  imponirenden  Persön- 
lichkeit des  Protektors.  Er  weigerte  dem  Werke,  das  dieser 
geschaffen  hatte,  nicht  seine  Anerkennung.  Aber  der  Glanz, 
der  jenes  gebietende  Haupt  umstrahlt,  macht  ihn  nicht  blind 
für  die  Zukunft.  Und  das  Protektorat  selbst  betrachtet  er 
als  eine  Art  von  vorläufigem  Nothbehelf,  „da  nach  dem  vor- 
ausgegangenen Sturme,  von  dem  die  Wellen  noch  aufgewühlt 
sind,  beim  Gegensatz  der  Parteien  ein  Wünschenswerther, 
vollkommener  Zustand  sich  noch  nicht  verwirkliehen  lässt"\ 


Die  nächsten  Jahre  hatten  zu  zeigen,  ob  Milton's  Hoff- 
nungen begründet  waren,  oder  ob  er  seine  Enttäuschung  ge- 
stehn  musste.  Er  brauchte  nicht  lange  zu  warten,  um  sich 
ein  klares  Urtheil  zu  bilden.  Kein  Wort  war  in  seinem  Appell 
an  Cromwell  so  laut  erklungen  wie  das  Zauberwort  der  Freiheit. 
Cromwell,  in  den  Grundlagen  seiner  Macht  bedroht,  von  Ver- 
schwörungen umgeben ,  seines  Lebens  nicht  sicher ,  griff  zu 
gewaltsamen  Mitteln,  um  die  Freiheit  zu  beschränken.  Er 
stellte  sich  der  freien,  parlamentarischen  Debatte  entgegen. 
Er  machte  die  freie  Kritik  der  Presse  unmöglich.  Die  alten 
•Freiheiten  des  englischen  Bürgers,  durch  die  sein  Eigenthum 
und  seine  Person  gegen  Willkür  gewahrt  sein  sollten,  fanden 
gegen  ungesetzliche  Eingriffe  der  Protektoratsregierung  nicht 
immer  Schutz.     Die   Aufgabe,  ein  republikanisches  Gemein- 


154  CromweU's  innere  Politik.  —  Parlament  von  1654. 

wesen  mit  einem  stehenden  Heer  auf  die  Dauer  zu  vereinigen 
blieb  ungelöst,  weil  sie  unlösbar  war.  £ine  neue  tyrannische 
Staatsgewalt  kam  zur  Erhebung,  gestützt  auf  die  militärische 
Streitmacht,  welche  der  Revolution  ihr  Dasein  verdankte. 
Der  Träger  dieser  Staatsgewalt  war  sich  ihres  bedenklichen 
Charakters  wohl  bewusst.  Er  wünschte  nichts  sehnlicher  als 
sich  Anerkennung  zu  verschaffen,  um  der  Anwendung  jener 
gewaltsamen  Mittel  überhoben  zu  sein.  Er  blieb  für  seine 
Person  geneigt,  einen  sparsamen  und  schonenden  Gebrauch 
von  ihnen  zu  machen.  Er  zeigte  sich  nachgiebig,  um  durch 
eine  Aenderung  der  Verfassung  der  Regierung  eine  bessere 
Gewähr  ihrer  Haltbarkeit  zu  verleihen.  Aber  die  Thatsache 
war  unbestreitbar,  dass  England  in  diesen  Jahren  so  gut  wie 
ganz  durch  den  Willen  eines  Mannes  beherrscht  wurde,  der 
sich  oft  genug  über  die  Mitwirkung  des  Parlaments,  über  die 
Zustimmung  des  Staatsraths,  über  die  Rechte  der  Einzelnen 
hinwegsetzte  und  sich  zu  seiner  Vertheidigung  nur  immer 
wieder  auf  die  „Nothwendigkeit"'  berufen  konnte,  „die  kein 
Gesetz  kennt"  (^).  Denn  diesen  Gang  nahmen  die  öffentlichen 
Angelegenheiten,  seitdem  Milton  vergeblich  seine  warnende 
Stimme  hatte  erschallen  lassen. 

Gleich  das  Parlament  von  1654  gerieth  mit  dem  Protektor 
in  unlösbare  Konflikte.  Seit  vierzehn  Jahren  fanden  zum 
ersten  Male  wieder  allgemeine  Wahlen  statt,  nach  einem  ver- 
besserten Plane,  in  dem  auch  eine  Vertretung  Schottlands  und 
Irlands  ihre  Stelle  erhalten  hatte.  Sie  waren  freilich  be- 
schränkt durch  die  Bestimmungen  der  Verfassung  und  durch 
die  Form  des  Ausschreibens,  welches  voraussetzte,  dass  die 
bestehende  Regierung  nicht  in  Frage  gestellt  werde.  Aber 
sie  gewährten  dennoch  dem  Ausdruck  der  Parteien  freien 
Spielraum.  Neben  zahlreichen  Independenten  erschienen  viele 
Presbyterianer,  neben  Anhängern  der  Regierung,  wie  Lambert 
und  Fleetwood,  alte  Republikaner  wie  Bradshaw  und  Haselrig. 
Kaum  war  die  Versammlung  eröffnet,  so  regte  sich  in  ihr 
das  parlamentarische  Selbstgefühl.  Der  Gedanke  der  Volks- 
souveränetät   wachte   mit   aller   Kraft    in    ihr    auf.    Als    die 


Parlament  von  1654.  155 

alleinige  Inhaberin  dieser  Souveränetät  betrachtete  sie  sich 
selbst.  Sie  wollte  keine  Regierungsgewalt  dulden,  die  ein 
ursprüngliches  Recht  neben  ihr  beanspruchte.  In  diesem  Sinn 
machte  sie  sich  an  eine  Prüfung  der  Protektoratsverfassung. 
Nicht  dass  die  Absicht  gewesen  wäre  den  Protektor  von  seinem 
Posten  zu  verdrängen,  aber  er  sollte  sein  Amt  nur  parlamen- 
tarischer Uebertragung  verdanken,  er  sollte  sich  den  Be- 
dingungen fügen,  die  man  für  gut  halten  würde  ihm  vorzu- 
schreiben. Cromwell  sah  die  Fundamente  seines  Gebäudes 
ei"schüttert.  Er  sagte  dem  Parlament,  dass  er  eine  Fort- 
setzung dieser  Debatten  nicht  dulden  werde.  Er  forderte  die 
schriftliche  Erklärung  der  „Treue  gegen  den  Lord  Protektor 
und  das  Gemeinwesen  von  England,  Schottland  und  Irland" 
und  des  Versprechens,  die  bestehende  Regierung  „eines  Einzigen 
und  eines  Parlaments"  nicht  ändern  zu  wollen.  Die  Mehr- 
zahl der  Mitglieder  fügte  sich  dieser  Forderung.  Aber  die 
Unvereinbarkeit  der  Gegensätze  war  damit  nicht  aufgehoben. 
War  der  erste  Artikel  der  Verfassung  über  jede  Anfechtung 
hinaus  gerückt,  so  wurden  alle  übrigen  einer  um  so  schärferen 
Kritik  unterzogen.  Bedeutende  Rechte  des  Protektors  und  des 
Staatsraths  sollten  beschränkt  werden.  Wichtige  Verord- 
nungen, die  in  der  Zwischenzeit  erlassen  worden  waren, 
wurden  suspendirt  oder  Kommissionen  zur  Begutachtung  über- 
wiesen. Die  Gegner  der  stehenden  Kriegsmacht  nahmen  au 
der  Stärke  des  Heeres  und  der  Flotte  Anstoss.  Die  Gegner 
der  independentischen  Toleranz  wünschten  Wiederherstellung 
der  Strafgesetze  und  Ketzerlisten  früherer  Zeiten.  Mit  einem 
Worte:  die  Versammlung  legte  sich  einen  konstituirenden 
Charakter  bei  und  verlangte,  dass  der  voa  ihr  ausgearbeitete 
Verfassungsentwurf  im  ganzen  und  grossen  angenommen  werde. 
Noch  waren  die  nöthigen  Bewilligungen  für  die  Erhaltung 
von  Heer  und  Flotte  nicht  Gesetz  geworden.  Auch  waren 
die  fünf  Monate,  während  deren  eine  einseitige  Auflösung 
verboten  war,  noch  nicht  abgelaufen.  Aber  Cromwell  sah 
sieh  zum  äussersten  getrieben.  Er  wagte  es  den  Monat  zu 
achtundzwanzig  Tagen  anzunehmen  entsprechend  der  Berech- 
nung,  die  bei   der  Soldzahlung  im  Heer  und  auf  der  Flotte 


1^56  Komplotte.     Overtou.     Koyalisteu. 

Üblich  war,  und  löste  das  Parlament  am  22.  Januar  1655  mit 
"Worten  des  Unmuths  auf. 

Der  erste  Versuch,  die  Ansprüche  des  Parlaments  und 
der  aus  dem  Heere  hervorgegangenen  Kegierungsgewalt 
miteinander  auszugleichen,  war  gänzlich  gescheitert.  Die 
Regierung  blieb  auf  sich  allein  angewiesen  und  fand  sich  den 
grössten  Schwierigkeiten  gegenüber.  Mit  gutem  Grunde  hatte 
Cromwell  dem  Parlamente  zum  Abschied  zugerufen,  dass 
während  seiner  Sitzungen  die  Unzufriedenheit  und  Unruhe 
im  Lande  beständig  gewachsen  sei.  Die  Kavaliere  schöpften 
frischen  Muth.  Die  Republikaner  hofften  auf  den  Sturz  des 
Usurpators.  Unter  den  Soldaten  wurden  Befürchtungen  wegen 
ihrer  ungesicherten  Zukunft  laut,  und  hie  und  da  machte 
man  sich  darauf  gefasst,  dass  sie  durch  Erzwingung  ft-eien 
Quartiers  der  Bevölkerung  wieder  zur  Last  fallen  würden. 

Die  Regierung  Hess  es  an  Wachsamkeit  nicht  fehlen.  Einer 
der  ersten,  den  ihre  strafende  Hand  traf,  war  ]\Iilton's  Freund, 
Robert  Overton.  Ln  September  1654  war  er  wieder  der  Auf- 
sicht entlassen  und  sogar  als  zweiter  im  Kommando  nach 
Schottland  zurückgeschickt  worden.  Aber  hier  Hess  er  sich 
mit  den  Missvergnügten  des  Heeres  in  eine  Verschwörung 
ein,  die  um  so  bedrohlicher  war,  einen  je  höheren  Posten  er 
bekleidete.  Es  war  davon  die  Rede,  ihn  an  die  Stelle  Monk's 
zu  setzen,  nach  England  zu  marschiren,  eine  Erhebung  der 
republikanischen  Partei  zu  veranlassen  und  das  Protektorat 
zu  stürzen,  wenn  nicht  gar  den  Protektor  nebst  Lambert  aus 
dem  Wege  zu  räumen.  Möglich,  dass  ein  Theil  dieser  Pläne 
einer  früheren  Zeit  angehörte.  Jedenfalls  fanden  sich  unter 
den  Papieren  Overton's  Aktenstücke,  deren  Inhalt  ihn  be- 
lastete; selbst  der  Prätendent  aus  dem  Hause  Stuart  machte 
sich  Hoffnung  auf  seine  Hilfe.  Noch  ehe  die  Verschwörung 
zum  Ausbruch  kam,  ward  er  festgenommen  und  nach  London 
abgeführt.  Er  wurde  zuerst  in  den  Tower  gebracht  und 
später,  lediglich  auf  Grund  einer  Vollmacht  Cromwell's,  vom 
Gouverneur  der  Insel  Jersey  in  Haft  genommen.  So  lange 
der  Protektor  lebte,  blieb  er  ein  Gefangener,  ohne  vor  einem 
militärischen  oder  bürgerlichen   Tribunal   zur  Verantwortung 


Einführung  der  Generalmajore.  157 

gezogen  zu  werden  (^).  Overton  war  nicht  der  einzige  unter 
den  republikanisch  gesinnten  Ofticieren,  der  auf  den  Umsturz 
der  bestehenden  Regierung  hinarbeitete,  aber  alle  Versuche 
von  dieser  Seite  wurden  im  Keime  erstickt.  Nicht  minder 
rasch  gelang  es  die  gefährlicheren  Bewegungen  der  Royalisten 
zur  Ruhe  zu  bringen.  In  Yorkshire  erhoben  sich  einzelne 
Kavaliere  für  Karl  IL  In  Salisbury  brach  ein  Reitertrupp 
während  der  Assisen  in  die  Stadt  ein  und  bemächtigte  sich 
der  Richter.  Aber  die  Bevölkerung  schloss  sich  den  Insurgenten 
nicht  an,  und  die  bewaffnete  Macht  jagte  sie  bald  auseinander. 
Mehrere  der  Gefangenen  wurden  zum  Tode  verurtheilt.  andere 
zum  Frohndienst  nach  Westindien  verschifft. 

Um  die  Ordnung  in  Zukunft  aufrecht  zu  erhalten  und 
die  Einzahlung  willkürlich  aufgelegter  Abgaben  zu  sichern, 
griff  der  Protektor  zu  unerhörten  Massregeln  (-).  Das  ganze 
Land  wurde  in  zwölf  Militärbezirke  getheilt,  an  deren  Spitze 
die  Generalmajore  standen.  Es  waren  Officiere  von  bekanntem 
Namen,  dem  Protektor  ergeben,  und  mit  umfassenden  Voll- 
machten bekleidet,  die  sie  über  jede  bürgerliche  Behörde 
stellten.  Von  diesen  Vollmachten  waren  zwei  von  besonders 
starkem  Gewicht.  Die  Generalmajore  verfügten  über  die 
Miliz  in  ihren  Bezirken,  die  neuorganisirt  und  in  scharfer 
Zucht  gehalten,  eine  Art  von  Nationalgarde  bildete,  von  der 
man  ähnliche  Versuche  der  Auflehnung,  wie  sie  sich  im 
stehenden  Heere  gezeigt  hatten,  keineswegs  fürchtete.  Sie 
erhoben  ferner  zur  Erhaltung  der  Miliz  eine  ausserordentliche 
Steuer,  ein  Zehntel  von  dem  Jahreseinkommen  aller  derer, 
die  für  die  Stuarts  gekämpft  hatten,  sobald  dies  eine  gewisse 
Höhe  erreichte,  und  handelten  damit  einer  früher  erlassenen 
Amnestieakte  zuwider.  Auf  diese  Machtmittel  gestützt,  sollten 
sie  jeden  Aufruhr  unterdrücken,  Papisten  und  Royalisten  ent- 
waffnen, die  einzelnen  Haushaltungen  und  Wirtshäuser  beauf- 
sichtigen, Register  über  die  Verdächtigen  führen,  Schauspiele, 
Bärenhetzen,  Wettrennen  und  andere  Anlässe  zu  Volksan- 
sammlungen unmöglich  machen,  gegen  Trunkenheit,  Fluchen 
und  Blasphemie  einschreiten.  In  ihrer  Hand  lag  eine  Summe 
militärischer  und   polizeilicher  Befugnisse,   die  sie  zu  Herren 


258  Einführung  der  Generalmajore. 

über  Freiheit  und  Eigenthum  ihrer  Mitbürger  machen  konnte. 
Das  ganze  Reich  befand  sich  wie  im  Belagerungszustand. 
Jeder  Hausvater  musste,  wenn  es  verlangt  ward,  für  die  Ge- 
sinnung seiner  Dienerschaft  Bürgschaft  leisten.  Jeder  Fremde 
musste  sich  eine  scharfe  Kontrolle  gefallen  lassen.  Der  freie 
Verkehr  der  Reisenden  wurde  beschränkt,  die  Zahl  der  Gast- 
höfe und  Schenken  vermindert.  Bei  allen  diesen  Anordnungen 
und  bei  der  Art  ihrer  Ausführung  verläugnete  sich  keinen 
Augenblick  der  Geist  des  Puritanismus.  Nicht  nur  die  öffent- 
liche Ordnung  sollte  geschützt,  es  sollte  zugleich  ein  sittlicher 
Lebenswandel  erzwungen  werden.  Die  Soldaten  selbst  hielten 
strenge  Disciplin.  Weit  entfernt  davon,  sich  Ausschweifungen 
zu  erlauben,  wurden  sie  von  den  leichtfertigen  Insassen 
schlechter  Häuser  wie  von  der  lustigen  Zechgenossenschaft 
lärmender  Tavernen  gleich  sehr  gefürchtet.  Vor  ihren 
Patrouillen  verschwanden  die  verdächtigen  Gestalten,  die  zur 
Seite  der  Heerstrasse  im  Buschwerk  gelauert  hatten.  Nicht 
selten  begrüsste  man  sie  als  „Beschützer  und  liebe  Gäste" (^). 
Aber  unerträglich  war  doch  der  Druck  dieses  Regiments,  der 
zwar  auf  einer  Partei  am  schwersten  lastete,  allen  jedoch  mit 
jedem  Tage  fühlbarer  werden  musste.  Cromwell  freilich  gab 
nach  wie  vor  der  Milde  Gehör.  Die  Dichter  Waller  und 
Cowley,  so  bekannt  ihre  frühere  Gesinnung  auch  war,  hatten 
nach  ihrer  Rückkehr  in  die  Heimat  von  dem  Protektor  nichts 
zu  fürchten.  Davenant,  den  einige  Jahre  vorher  seine  Ergeben- 
heit für  die  Sache  der  Stuarts  in  die  grösste  Gefahr  gebracht 
hatte,  erhielt  die  Erlaubnis  mit  Zuhilfenahme  musikalischer 
Begleitung  die  theatralische  Kunst  wieder  zu  beleben.  John 
Cleveland,  der  einstige  College-Genosse  Milton's,  wurde  auf 
eine  freimüthige  Petition  an  Cromwell  seiner  Haft  entlassen. 
Allein  persönliches  Eingreifen  konnte  die  Härte  des  Systems 
nicht  ändern.  Die  Generalmajore  schalteten  mit  unbeschränkter 
Macht  und  weckten  Gefühle  eines  allgemeinen  Unmuths,  die 
im  nächsten  Parlamente  sich  Luft  machten. 

Cromwell  hatte  keineswegs  die  Absicht  die  Berufung 
einer  parlamentarischen  Versammlung  zu  umgehn.  Auch 
sah   er  sich   durch   den  Lauf    der    auswärtigen  Politik  dazu 


Einführung  der  Generalmajore.  —  Gefangennahme  H,  Vane's.  159 

gezwungen,  die  finanzielle  Unterstützung  eines  Parlaments 
nachzusuchen.  Dies  Mal  indessen  wollte  er  sich  im  voraus 
der  Fügsamkeit  der  Gewählten  versichern.  Nichts  blieb  un- 
versucht diesen  Zweck  zu  erreichen.  Schon  längst  ward  die 
Presse  in  einoi'  Weise  behandelt,  die  zu  den  Rathschlägen 
Milton's  im  schroffsten  Gegensatz  stand.  Am  5,  Sept.  1655 
hatte  der  Staatsrath  verfügt,  dass  foitan  keine  Zeitung  er- 
scheinen dürfe,  ausser  mit  Erlaubnis  seines  Sekretärs.  Die 
Folge  war,  dass  die  officiellen  Blätter,  die  von  Marchmont 
Needham  geleitet  wurden,  zur  Alleinherrschaft  gelangten (i). 
Die  Censur  bestand  nach  wie  vor.  Sie  wurde  zwar  lässig 
gehandhabt ,  aber  Schriften,  welche  mit  Umgehung  derselben 
die  Regierung  angriffen,  wurden  auf  der  Stelle  unterdrückt. 
Vor  den  Wahlen  erschien  die  Aengstlichkeit  und  Wachsam- 
keit der  Presspolizei  verdoppelt.  Aber  es  galt  nicht  bloss 
die  Presse  mundtodt  zu  machen,  sondern  auch  eine  Anzahl 
von  Personen  einzuschüchtern,  deren  feindselige  Haltung  man 
fürchtete.  Mehrere  Royalisten  und  Republikaner  von  Ruf 
wurden  für  kürzere  oder  längere  Zeit  in  Haft  genommen, 
ohne  ihnen  Gelegenheit  zu  geben  sich  vor  Gericht  zu  verant- 
worten. Von  allen  Willkürhandlungen  machte  keine  so  grosses 
Aufsehn  wie  diejenige,  unter  welcher  Henry  Vane  zu  leiden 
hatte.  Vane  war  bis  dahin  ein  schweigender  Zuschauer  der 
Ereignisse  geblieben.  Erst  im  Frühling  des  Jahres  1656  fand 
er  sich  veranlasst  aus  seiner  Zurückhaltung  herauszutreten. 
Der  Protektor  hatte  einen  allgemeinen  Fasttag  angeordnet, 
an  dem  das  ganze  Volk  „den  Herrn  anflehen  sollte,  den 
Achan  zu  entdecken,  der  dem  Frieden  des  zerrütteten  Reiches 
im  Wege  stehe".  Die  Frage  war  zu  verlockend,  als  dass 
Vane  nicht  in  einer  Flugschrift  darauf  hätte  antworten  sollen. 
Er  schlug  einen  versöhnlichen  Ton  an.  Er  nahm  sich  vor 
„Balsam  in  die  Wunde  zu  träufeln,  ehe  sie  unheilbar  werde". 
Das  Heer  erhält  aus  seinem  Munde  reiches  Lob,  den  General 
der  es  anführt,  nennt  er  „ehrlich  und  weise",  er  will  sich 
sogar  gefallen  lassen,  dass  ein  Einzelner  an  der  Spitze  der 
Regierung  stehe.  Aber  massgebend  ist  ihm  immer  der  Grund- 
satz der  Volkssouveränetät,  wobei   er  freilich   nicht  vergisst, 


160        Gefangennahme  H.  Vane"s.  —  Parlament  von  1656  ff. 

das  Volk  auf  die  Verfechter  der  „guten  Sache"  zu  beschränken. 
Nur  durch  „freie  Zustimmung"  der  Vertreter  des  Volks  kann 
die  höchste  Macht  übertragen  werden.  Stützt  sie  sich  nur 
auf  das  Schwert  des  SoUlaten,  so  lebt  die  alte  Tyrannei  wieder 
auf,  mit  der  Gott  die  Vorfahren  heimgesucht  hat(*).  Vane 
war  seiner  Sache  so  sicher,  dass  er  vor  der  Veröffentlichung 
seiner  Schrift  Cromwell  mit  ihr  bekannt  zu  machen  suchte. 
Aber  als  die  Wahlen  bevorstanden,  wurde  er  vor  den  Staats- 
rath  citirt  um  sich  zu  verantworten.  Sein  Werk  wurde  als 
ein  solches  bezeichnet,  durch  das  er  die  Ruhe  des  Gemeinwesens 
zu  stören  beabsichtige.  Ihm  selbst  ward  die  Leistung  eine 
Friedensbürgschaft  von  5000  £.  auferlegt.  Er  wies  dies  An- 
sinnen mit  Entrüstung  von  sich  und  wurde  in  Folge  dessen 
nach  der  Insel  Wight  entfernt  (9.  Sept.).  Dasselbe  Sehloss 
Carisbrooke,  welches  der  Kerkei-  König  Karl's  gewesen  war^ 
beherbergte  bis  zum  Ende  des  Jahres  1656  Henry  Vane  als 
Staatsgefangenen  in  seinen  Mauern. 

Unter  den  Eindrücken  dieser  Vorgänge  fanden  die  Wahlen 
statt.  Die  Generalmajore  hatten  Mittel  genug  auf  sie  einzu- 
wirken. Die  Abgeordneten  von  Irland  und  Schottland  konnten 
als  Ernannte  der  Regierung  gelten.  Das  Parlament  Hess  demnach 
in  seiner  Gesammtheit  keinen  Widerstand  befürchten.  Auch  so 
indess  schien  die  gewünschte  Sicherheit  noch  nicht  vollkommen 
erreicht  zu  sein.  Die  Gegner  des  Protektors  waren  nicht 
ohne  Vertretung.  Männer  wie  Haselrig  und  Scott  oder  der 
zur  Opposition  übergegangene  Ashley  Cooper  konnten  gefähr- 
lich werden.  Der  Staatsrath  gab  sich  aus  diesen  Gründen, 
dazu  her,  von  jenem  Artikel  der  Verfassung,  der  ihn  bevoll- 
mächtigte die  Qualifikationen  der  Gewählten  zu  prüfen,  einen 
äusserst  kühnen  Gebrauch  zu  machen.  Etwa  hundert  der 
Gewählten  wurde  die  Bescheinigung  geweigert,  die  sie  zum 
Eintritt  berechtigt  haben  würde  (17.  Sept.  1656).  Vergeblich 
suchten  sie  Hilfe  bei  ihren  Kollegen.  Die  Versammlung  nahm 
das  Geschehene  hin  und  wandte  sich  ihren  Arbeiten  zu.  Sie 
zeigte  sich  bei  jedem  Schritt  dem  Protektor  willfährig  und 
fand  dafür  auch  bei  ihm  ein  unerwaitetes  Entgegenkommen. 
Der  grosse  Stein  des  Anstosses,  die  drückende  Herrschaft  der 


Abschaffung  der  Generalmajore.  161 

Generalmajore  und  die  gesetzwidrige  Besteuerung  der  Kavaliere, 
kam  in  Wegfall.  Trotz  der  Vertheidigung  beider  Institute 
durch  die  Militärpartei  gab  der  Protektor  den  Angriffen,  die 
sich  gegen  seine  eigene  Schöpfung  erhoben,  weise  nach.  Er 
verzichtete  auf  die  Aufrechthaltung  jenes  Systems  der  Will- 
kür, sobald  er  der  Bewilligung  einer  Subsidie  von  400,000  ^. 
sicher  sein  konnte.  Nach  langer  Zeit  fortdauernder  Erschütte- 
rungen schien  sich  ein  Zustand  der  Beruhigung  und  Gesetz- 
lichkeit herzustellen.  Und  nicht  genug  damit,  dass  das 
Parlament  mit  dem  Protektor  einträchtig  zusammenwirkte: 
es  trug  ihm  freiwillig  eine  Erhöhung  seiner  Stellung  an. 

Pläne  der  exilirten  Royalisten  in  England  einzufallen, 
erneuerte  Versuche  fanatischer  Anabaptisten,  Cromwell  aus 
dem  Wege  zu  räumen,  waren  erst  kürzlich  entdeckt  worden 
und  hatten  allen  über  die  Ungewissheit  des  Bestehenden  die 
Augen  geöffnet.  Wer  irgend  Grund  hatte  die  Rückkehr  der 
Stuarts  zu  fürchten,  wer  mit  heimlichem  Bangen  dem  Tag 
entgegensah,  da  ein  wilder  Kampf  der  entfesselten  Kräfte 
um  den  erledigten  Platz  ihres  Bändigers  anheben  würde,  der 
musste  wünschen,  seiner  Nachfolge  eine  gesetzliche  Sicherheit 
zu  gel)en,  die  nur  durch  Umwandlung  des  Protektorats  in  ein 
Königthum  erreicht  werden  konnte.  Auch  schien  der  könig- 
liche Titel  seinen  Träger  nöthigen  zu  müssen  die  Bahn  der 
Revolution  zu  verlassen  und  sich  mit  den  überlieferten 
Prärogativen  des  Monarchen  zu  begnügen.  Die  ganze  Ver- 
fassung konnte  ihrem  früheren  Wesen  angenähert  und  mancher, 
der  bisher  noch  grollte,  mit  dem  Umschwung  der  Dinge  ver- 
söhnt werden.  Es  waren  die  Abgeordneten  bürgerlichen 
Standes  und  besonders  die  vorsichtigen  Juristen,  denen  diese 
Erwägungen  nahe  lagen.  Für  die  presbyterianische  Partei 
hatten  sie  viel  Anziehendes.  iNIehrere  der  Officiere  Hessen 
sich  gleichfalls  für  einen  solchen  Plan  gewinnen.  Aber  die 
Mehrzahl  der  alten  Waffengefährten  Cromwell's  gerieth  in  die 
lebhafteste  Erregung.  Fleetwood  und  Desborough,  obwohl 
durch  verwandtschaftliche  Bande  mit  ihm  verknüpft,  wider- 
setzten sich  der  Ei'neuerung  einer  Würde,  die  sie  als  Symbol 
der  Tyrannei    bekämpft   hatten.    Lambert,    von    ehrgeizigen 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  3.  11 


162  Yerhaudlung  über  Erneuerung  der  Königs  würde. 

Gedanken  erfüllt,  konnte  seinen  Unmutli  über  die  veränderten 
Aussichten  nicht  verbergen.  Die  Masse  der  Soldaten  hielt 
nach  wie  vor  zur  „alten  guten  Sache".  Aus  den  Kreisen  der 
unversöhnlichen  Repuljlikaner  tauchten  Kundgebungen  auf  wie 
jene  Flugschrift  „Tödten  kein  Mord",  die  dem  ,, Tyrannen", 
dem  neuen  „Eglon",  den  „Dolch  Ehud's"  vor  die  Augen 
rückte,  und  deren  Verfasser  Gelegenheit  nahm,  sich  zu  seiner 
Rechtfertigung  auf  Milton's  „tyrannenfeindliche"  Schriften  zu 
berufen (^).  Cromwell's  Urtheil  war  unbefangen  genug,  als 
dass  ihn  der  lockende  Schimmer  der  Königskrone  hätte 
blenden  sollen.  Er  fühlte,  dass  er  des  Titels,  dieser  „Feder 
für  seinen  Hut",  nicht  bedürfe,  dass  derselbe  zu  seiner  ganzen 
Vergangenheit  nicht  passen  würde.  Bei  diesem  Anlass  machte 
er  Milton's  Hoffnungen  nicht  zu  Schanden.  Seine  Hand  war 
nicht  fähig  „das  Götzenbild  wieder  aufzurichten,  das  sie  eben 
zertrümmert  hatte". 

Das. Ergebnis  der  denkwürdigen  Verhandlungen  bestand 
darin,  dass  Cromwell  die  königliche  Würde  zurückwies,  da- 
gegen den  vorgeschlagenen  Aenderungen  der  Verfassung  zu- 
stimmte. In  der  Form  „einer  Petition  und  eines  Rathes" 
überreicht  und  durch  einige  Verbesserungen  des  Protektors 
ergänzt,  bedeutete  die  neue  Verfassungsurkunde  doch  einen 
weiteren  Schritt  rückwärts  zu  den  Zuständen  der  monarchischen 
Zeit.  Das  Protektorat  wurde  zwar  nicht  für  erblich  erklärt, 
aber  der  zeitige  Protektor  ward  mit  dem  Recht  und  mit  der 
Pflicht  betraut  seinen  Nachfolger  zu  bezeichnen.  Ein  „anderes 
Haus"  entsprechend  dem  Hause  der  Lords  ward  wiederher- 
gestellt und  dem  Protektor  die  Wahl  seiner  Mitglieder  über- 
lassen. Dass  eine  Akte  auch  gegen  seinen  Willen  Gesetz 
werde,  blieb  in  Zukunft  unmöglich.  Die  Vertreter  der  Nation 
dagegen  erhielten  das  Recht  zurück,  über  die  Zulässigkeit 
der  Mitglieder  ihres  Hauses  selbstständig  zu  entscheiden. 
Für  die  Ernennung  der  neuen  Lords  und  der  wichtigsten 
Staatsbeamten  war  ihre  Billigung  einzuholeji.  Ohne  Zustimmung 
des  Parlaments  durfte  keine  Auflage  erhoben  werden,  jedoch 
brachte  man  das  ungeheure  konstitutionelle  Opfer,  zur  Er- 
haltung  der  Kriegsmacht    ein    für    alle   Mal    eine   jährliche 


Die  neue  Protektoratsverfassung.  163 

Revenue  festzusetzen.  Auch  hier  wurde  der  Genuss  der 
höchsten  politischen  Rechte  durch  genaue  Bestimmung  der 
Qualifikationen  auf  einen  kleinen  Bruchtheil  des  Volkes  be- 
schränkt. Die  Gewährung  der  Kultusfreiheit  blieb  nach  wie 
vor  in  enge  Grenzen  eingeschlossen.  —  Eine  zweite  feierliche 
Investitur  des  Lord  Protektor  besiegelte  den  Bund,  der 
zwischen  ihm  und  dem  Parlament  geschlossen  worden  war 
(26.  Juni  1657).  Nachdem  es  den  neuen  Grundriss  entworfen, 
eine  Reihe  der  früher  erlassenen  Verordnungen  bestätigt,  für 
diQ  Bedürfnisse  der  Verwaltung  freigebig  gesorgt  hatte,  wurde 
es.  auf  einige  Monate  vertagt,  um  der  Regierung  Zeit  zu 
geben,  den  vorgezeichneten  Plan  auszuführen. 

Endlich  konnte  man  hotien  den  Punkt  gefunden  zu  haben, 
auf  dem  eine  Versöhnung  der  Geister  möglich  wäre.  Allein 
auch  dies  Mal  zeigte  sich  der  Gegensatz  der  ursprünglichen 
Ideen  stärker  als  die  umsichtigste  Berechnung.  Mit  welchem 
Feuer  hatte  einst  Milton  den  Gedanken  verfochten,  dass  die 
Souveränetät  nur  in  einer  einzigen,  vom  Volk  gewählten 
höchsten  Versammlung  zum  Ausdruck  kommen  dürfe.  Mit 
welcher  Entschiedenheit  hatte  er  ein  „anderes  Haus"  ver- 
worfen, dessen  Mitglieder  ihr  politisches  Recht  nicht  diesem 
Ursprung  verdankten.  Die  verbesserte  Verfassung  des  Protek- 
torats nöthigte  nun  doch  dazu,  ein  solches  „anderes  Haus" 
wiederherzustellen,  und  der  Protektor  benutzte  den  gebotenen 
Anlass  sehr  gerne,  einigen  der  hohen  aristokratischen  Familien 
die  Hand  zu  bieten.  Schon  die  Vermählung  zweier  seiner 
Töchter,  der  Lady  Frances  mit  dem  Enkel  des  Grafen  von 
Warwick  und  der  Lady  Mary  mit  Lord  Fauconberg  hatte 
dieser  politischen  Absicht  zu  dienen.  Von  eben  diesem  Ge- 
danken geleitet,  berief  er  in  das  neue  Haus  der  Lords  neben 
Angehörige  seiner  Familie,  neben  bürgerliche  und  militärische 
Würdenträger  des  bestehenden  Gemeinwesens  einige  Träger 
altadligen  Namens,  die  sich  am  Kriege  gegen  den  König  be- 
theiligt hatten.  Die  Notabilitäten  der  Revolution  und  die 
Sprösslinge  vornehmer  puritanischer  Geschlechter  sollten  durch 
seine  mächtige  Hand  zu  einer  neuen  Pairie  verschmolzen 
werden.    Schon   dieses   Unternehmen    war    äusserst    gewagt, 

11* 


164  Wiederherst.  e.  Hauses  d.  Lords.  —  Auflösung  d.  Parlaments. 

Dieser  und  jener,  der  stolz  auf  die  Reihe  seiner  Ahnen  war, 
weigerte  sich  neben  Cromweirschen  Marschällen  zu  sitzen, 
denen  royalistische  Spottlieder  vorwarfen,  dass  sie  Schuster 
und  Kärrner  gewesen  seien.  Aber  die  grössten  Schwierig- 
keiten entstanden,  als  bei  der  Wiederaufnahme  der  Session 
ein  Kampf  des  einen  Hauses  gegen  das  andere  entbrannte. 

Die  früher  ausgeschlossenen  Parlamentsmitglieder  wurden, 
getroffener  Uebereinkunft  gemäss,  nunmehr  zugelassen  und 
nahmen  grössten  Theils  ihre  Sitze  ein.  Sie  erschienen  mehr 
als  je  vom  Geiste  der  republikanischen  Opposition  erfüllt  und 
weigerten  sich  das  „andere  Haus"  überhaupt  als  berechtigt 
anzuerkennen.  Vergeblich  mahnte  der  Protektor,  im  HinbUck 
auf  die  inneren  und  äusseren  Gefahren  des  Reiches  an  der 
so  mühsam  geschaffenen  Grundlage  nicht  zu  rütteln.  Die 
Debatten  wurden  immer  hitziger,  Kavaliere  und  Männer  der 
fünften  Monarchie  glaubten  ihre  Stunde  gekommen,  und 
während  .  die  Republikaner  sich  anschickten  eine  Verfassung, 
die  ohne  ihre  ^litwirkung  vereinbart  war,  zu  zerfetzen,  gährte 
in  Stadt  und  Land  das  alte  unheimliche  Chaos  der  Faktionen. 
Wiederum  fühlte  sich  Cromwell  vor  jene  Nothwendigkeit  ge- 
stellt, „die  kein  Gesetz  kennt".  Als  es  von  bedrohlichen 
Konventikeln  zu  bedrohlichen  Petitionen  kam,  und  die  Er- 
regung der  Bürger  und  der  Soldaten  durch  die  parlamen- 
tarischen Verhandlungen  gesteigert  wurde,  hielt  er  nicht 
länger  an  sich.  Rasch  entschlossen,  ohne  fremden  Rath  ein- 
zuholen, entbot  er  am  4.  Februar  1658  die  Gemeinen  in  das 
Haus  der  „Lords",  dem  sie  seinen  Titel  weigerten.  In  seiner 
Ansprache  mischten  sich  Kummer  und  Entrüstung.  Er  rief 
den  Allwissenden  zum  Zeugen  dafür  an,  dass  er  nicht  frei- 
willig die  Bürde  der  Regierung  auf  sich  genommen  habe  und 
wälzte  die  Verantwortlichkeit  für  den  Schritt,  den  zu  thun  er 
im  Begriff  war,  von  sich  ab.  „Ich  denke,  so  schloss  er,  es 
ist  hohe  Zeit  euren  Sitzungen  ein  Ende  zu  machen.  Ich  löse 
dieses  Parlament  auf,  und  möge  Gott  Richter  sein  zwischen 
euch  und  mir!" 

Eine  Woche  später  schrieb  Samuel  Hartlib  an  John  Pell, 
den    damaligen    Vertreter    CromweH's    bei    den    reformirten 


Auflösung  des  Parlaments.  —  Die  Frage  der  Untemchtsreform.  165 

Kantonen  der  Schweiz,  die  Aiiflösunp-  des  Parlaments  sei  so 
nothig  gewesen.  ,,dass,  wenn  die  Session  noch  zwei  oder  drei 
Tage  gedauert  hätte,  in  Stadt  und  Land  auf  Rechnung  Karl 
Stuart's  ein  grosses  Blutvergiessen  erfolgt  sein  würde"  ('). 
Beängstigende  Gerüchte  der  Art,  die  seinem  alten  deutschen 
Freunde  zukamen ,  werden  auch  Milton  schwerlich  unljekannt 
geblieben  sein.  Aber  konnte  er  sich  durch  den  Gang  der 
Ereignisse,  so  unvermeidlich  er  sein  mochte,  befriedigt  fühlen  ? 
Drängte  nicht  wiederum  alles  auf  die  Erneuerung  einer  Will- 
küj-herrschaft  hin,  die  er  des  Beschützers  und  Schinngeistes 
„der  englischen  Freiheiten"  für  unwürdig  erklärt  hatte? 

Und  so  sah  er  das  Programm,  das  von  seiner  Hand  in 
glänzenden  Farben  entworfen  worden  war,  auch  in  anderen 
Theilen  keineswegs  ausgeführt.  Der  Verfasser  der  Schrift 
über  die  Erziehung  hatte  die  Sorge  für  Volksbildung  und 
höheren  Unterricht  dem  Protektor  besonders  an's  Herz  gelegt. 
Er  hatte  damit  allerdings  nur  dessen  eigene  Wünsche  aus- 
gesprochen. Cromwell,  ein  Zögling  der  Universität  Cambridge, 
von  lebhafter  Theilnahme  für  pädagogische  und  wissenschaft- 
liche Bestrebungen  erfüllt,  war  der  Gönner  der  Gelehrten 
und  der  Förderer  der  Lehranstalten.  Aehnlich  wie  es  einst 
Milton  gethan  hatte,  äusserte  er  sich  vor  dem  Parlament 
über  die  Unsitte,  die  jungen  Leute  guten  Standes  über  den 
Kanal  nach  Frankreich  zu  schicken,  „von  wo  sie  mit  der 
ganzen  Leichtfertigkeit  jener  Nation  zurückkehren,  ohne  dass 
sie  vor  ihrem  Weggang  erzogen  oder  nach  ihrer  Wiederkehr 
vor  Ausschreitungen  bewahrt  würden".  Den  Fanatikern,  welche 
die  Landesuniversitäten  als  Sitze  des  Satans  dem  Untergange 
geweiht  wissen  wollten,  trat  er  entgegen.  Das  Ehrenamt  des 
Kanzlers  von  Oxford,  das  er  eine  Reihe  von  Jahren  hindurch 
bekleidete,  nahm  er  sehr  ernst.  Die  Männer,  die  auf  seinen 
Antrieb  in  die  akademischen  Körperschaften  eintraten,  führten 
ihnen  frisches  Leben  zu,  wenn  sie  auch  hie  und  da  in 
puritanischen  Vorurtheilen  befangen  waren.  In  Durham  suchte 
er  sogar,  um  den  Bedürfnissen  der  nördlichen  Landestheile 
abzuhelfen,  aus  eingezogenem  Kirchengut  ein  neues  bedeuten- 
des   College    zu    begründen.     Allein    die   politischen   Wirren 


\QQ  Das  kirchenpolitische  Kompromiss. 

Hessen  es  an  keiner  Stelle  zu  entschiedenen  Reformen  kommen. 
An  den  Grundfehlern  der  englischen  Universitätsbildung,  die 
Milton  aus  eigener  Erfahrung  kannte,  wurde  nichts  geändert, 
und  die  Volksbildung,  von  den  Gesinnungsgenossen  des  Dichters 
abgerechnet,  gleichfalls  nach  wie  vor  als  Aufgabe  der  Kirche 
betrachtet,  hatte  in  einer  Epoche  allgemeiner  kirchlicher  Auf- 
lösung am  wenigsten  Gewinn  zu  erwarten. 

Endlich  die  Frage  über  das  Verhältnis  von  Kirche  und 
Staat,  die  Milton  in  den  Vordergrund  seiner  Ermahnungen 
gestellt  hatte,  wurde  von  der  Regierung  des  Protektors  doch 
durchaus  nicht  in  dem  Sinne  beantwortet,  in  dem  er  sie  be- 
antwortet wissen  wollte.  Allerdings  in  einem  wesentlichen 
Punkte  verstand  sich  der  independentische  Herrscher  mit  dem 
independentischen  Denker  sehr  wohl.  Er  theilte  mit  ihm  den 
Grundsatz  der  Toleranz,  einer  Toleranz  freilieh,  die  weit  ent- 
fernt davon  war  eine  allgemeine  zu  sein,  die  sich  aber  über 
die  bisher  geltenden  Vorstellungen  hoch  zu  erheben  versuchte. 
Cromwell  wollte  auch  als  Regent  nicht  verläugnen ,  was  er 
als  Privatmann  so  oft  verfochten  hatte.  Bei  aller  Energie 
des  Willens  war  er  milde  und  versöhnlich  seiner  Natur 
nach.  Er  war  mit  seinen  Begriffen  von  religiöser  Duldsam- 
keit seiner  Nation  weit  voraus.  Unablässig  ermahnte  er  die 
von  ihm  berufenen  Volksvertreter,  „die  Gewissen  ihrer  Brüder 
nicht  zu  bedrücken".  Die  Hindernisse,  die  sich  ihm  in  den 
Weg  stellten,  bestanden  nicht  zum  wenigsten  darin,  dass  die 
Masse  der  Nation  seine  Toleranz  nicht  verstand  und  ihn 
nöthigte,  um  die  Gewissensfreiheit  einer  Minderheit  zu  schützen 
die  bürgerliche  Freiheit  der  Mehrheit  einzuschränken.  Wenn 
er  sein  erstes  Parlament  auflöste  und  eine  Militärherrschaft 
einsetzte,  so  geschah  es  auch  deshalb,  um  England  das  Schau- 
spiel der  Ketzerverfolgungen  zu  ersparen,  welches  die  Pres- 
byterianer  ihm  zugedacht  hatten.  Er  milderte  die  Strafe  des 
annen  Schulmeisters  John  Biddle,  dem  seine  socinianischen 
Ansichten  zuerst  ein  Paar  Monate  Untersuchungshaft  und 
später  ein  Paar  Jahre  Verbannung  einbrachten.  Er  tadelte 
das  willkürliche  Vorgehen  des  Parlamentes  gegen  den  phan- 
tastischen Quäker  Jakob  Naylor,  der  kaum   der  Hinrichtung 


Die  Toleranz  und  ihre  Grenzen.  167 

entgieng,  aber  dafür  mit  mehrhundertfachen  Peitschenhieben, 
Durchbohrung  der  Zunge  mit  einem  glühenden  Eisen  und 
Brandmarkung  der  Stirne  bestraft  wurde,  weil  er  in  „gräss- 
licher  Blasphemie"  sich  den  Sohn  Gottes  genannt  hatte  und 
unter  den  Hosiannahrufen  seiner  Anhänger  triumphirend  in 
Bristol  eingezogen  war.  In  diesem  Bestreben  Vorurtheilen 
früherer  Zeiten  durch  das  Beispiel  der  Duldsamkeit  entgegen- 
zuarbeiten, konnte  Cromwell  auch  für  den  Gedanken  gewonnen 
werden,  den  Juden  in  England  wieder  offene  Aufnahme  zu  ge- 
W9,hren  und  ihnen  wenigstens  in  London  Freiheit  des  Kultus  zu 
gestatten.  Sclion  mehrfach  war  aus  den  Reihen  der  Indepen- 
denten  das  Verlangen  einer  Duldung  der  Juden  laut  geworden, 
sei  es  auch  nur  um  Gelegenheit  zu  ihrer  Bekehrung  zu  geben. 
Im  Vertrauen  auf  diese  Stimmung  langte  im  Oktober  1655 
der  bekannte  Menasseh  Ben  Israel,  der  schon  mit  dem  langen 
und  mit  dem  kleinen  Parlament  in  Verbindung  getreten  war, 
von  Amsterdam  in  England  an.  Er  wandte  sich  an  Cromwell. 
Dieser  berief  eine  Konferenz  von  Juristen,  Kaufleuten  und 
Theologen  zur  Berathung  der  Angelegenheit  und  betheiligte 
sich  lebliaft  an  den  Debatten.  Allein  weder  die  Eifersucht 
der  Kauf  leute  noch  die  Bedenklichkeit  der  Theologen  liess  sich 
überwinden.  Die  Konferenz  wurde  aufgelöst,'aber  der  Protektor 
gestattete  dennoch  einer  Anzahl  von  Juden  die  Erbauung  einer 
Synagoge  und  die  Anlage  eines  Begräbnisplatzes  in  London ('). 
Sobald  indessen  eine  Aeusserung  des  religiösen  Lebens 
der  Staatsmacht  als  politisch  gefährlich  erschien ,  hatte 
es  mit  der  Duldsamkeit  ein  Ende.  Der  Engländer,  der  die 
Messe  las  oder  die  Messe  hörte,  galt  nach  wie  vor  für  einen 
Staatsverbrecher,  und  selbst  unter  einem  Cromwell  ist  noch 
ein  katholischer  Priester,  weil  er  katholischer  Priester  war, 
hingerichtet  worden  (2).  Die  Anhänger  der  Episkopalkirche 
wurden  eine  Zeit  lang  mit  Nachsicht  behandelt,  aber  nach  den 
royalistischen  Bewegungen  von  1655  ward  der  bischöfliche 
Ritus  selbst  beim  Hausgottesdienst  im  Inneren  der  Familien 
verfolgt,  und  die  Benutzung  des  Common-Prayer-Book,  der 
Genuss  der  Sakramente  nach  anglikanischem  Brauch  setzte 
die  strafende  Hand  des  Staates  in  Bewegunff. 


Jg8  Gegensatz  Cromwellä  uad  Milton's. 

In  die  Nothwendigkeit  versetzt  die  kirchlichen  Fragen  nach 
politischen  Rücksichten  zu  entscheiden,  wich  die  Praxis  der 
Protektoratsregierung  bedeutend  von  dem  ab ,  was  der  unge- 
bundene Verfechter  eines  grossen  Gedankens  von  ihr  gefordert 
hatte.  Milton,  von  einer  grossen  und  von  einigen  kleineren  In- 
konsequenzen abgesehen ,  verpflichtet  die  bürgerliche  Gewalt 
das  religiöse  Gebiet  nicht  zu  betreten.  Er  will  dem  Staat 
einen  wichtigen  Theil  von  dem  zuweisen,  was  sich  bis  dahin 
die  Kirche  angemasst  hatte,  aber  den  kirchlichen  Gemeinden 
auf  ihrem  abgegrenzten  Territorium  Freiheit  gewähren  wie 
jedem  Verein  in  gesetzlichen  Schranken.  Ihm  war,  da  es 
mehrere  Religionen  gab,  der  Staat  religionslos,  und  die  Kirche, 
deren  Einheit  längst  gebrochen  war,  keine  Staatsanstalt. 
Cromwell,  so  sehr  er  sich  vor  dogmatischem  Zwang  zu  hüten 
suchte,  wollte  dem  Staat  selbst  doch  kirchliche  Aufgaben  zu- 
weisen, einen  Gottesstaat  errichten,  welchem  die  Verehrung 
Gottes  in  Leben  und  Lehre  als  Ziel  gesteckt  wäre.  Unter 
seine  höchsten  Pflichten  rechnete  er  die  Schaff'ung  und  Er- 
haltung einer  „frommen  Geistlichkeit".  „Gewissensfreiheit  der 
Bürger,  erklärte  er  vor  dem  Parlamente,  ist  ein  natürliches 
Recht,  aber  auch  die  oberste  Staatsgewalt  hat  ein  Recht 
darauf  der  Kirche  diejenige  Form  zu  geben,  die  ihr  die  beste 
zu  sein  scheint"  (^).  Er  reichte  die  eine  Hand  den  Indepen- 
denten,  die  andere  den  Presbyterianern.  Und  so  machte  er 
sich  daran  zwei  Gedankenströmungen  miteinander  zu  ver- 
binden, die  sich  so  wenig  mischen  Hessen  wie  Oel  und  Wasser. 

Der  Satz  der  Verfassung,  dass  die  christHche  Religion  die- 
jenige der  „Nation"  sei,  sollte  kein  leeres  Wort  bleiben.  Man 
wollte  sich  von  dem  Gedanken  eines  „christlichen  Staates" 
nicht  losreissen.  Die  erneuerte  Verfassung  von  1657  nahm 
sogar  wieder  die  Vereinbarung  eines  nationalen  Glaubens- 
bekenntnisses durch  den  Protektor  und  durch  das  Parlament 
in  Aussicht  und  machte  den  Genuss  der  Pfründen  und  Zehnten 
von  der  Uebereinstimmung  mit  jenem  Bekenntnis  abhängig. 
Eine  Akte  „für  die  bessere  Beobachtung  des  Tages  des  Herrn" 
suchte  doch  wieder  den  sonntäglichen  Besuch  des  Gottes- 
dienstes bei  Strafe  zu  erzwingen (-).    Die  bisherige  Art  der 


Gegensatz  Cromwells  imd  Milton's.  169 

Erhaltung  des  Klerus  blieb  in  Kraft.  Jene  Kommissionen, 
die  der  Protektor  eingesetzt  hatte,  sollten  nur  darauf  hin- 
wirken, dass  bei  der  Vertheilung  der  geistlichen  Einnahmen 
nicht  eine  Partei  allein  und  dass  nicht  Unwürdige  den  Lohn 
empfiengen.  Es  sassen  Männer  in  diesen  Kommissionen,  wie 
Owen  und  Goodwin,  die  viele  von  Milton's  Ansichten  theilten, 
wie  Fairfax  und  Lawrence,  deren  Verdienste  er  zu  schätzen 
wusste.  Auch  war  die  Thätigkeit  der  Kommissäre,  selbst 
nach  dem  Urtheil  solcher,  die  nicht  zu  Cromwell's  Verehrern 
gehörten,  im  ganzen  und  grossen  nicht  ohne  gute  Folgen. 
Aber  wurde  damit  nicht  ,jene  Buhlschaft  von  Kirche  und 
Staat"  fortgesetzt,  gegen  die  Milton  geeifert  hatte?  Eine 
Behörde,  die  von  der  bürgerlichen  Gewalt  abhängig  und  ihr 
verantwortlich  war,  legte  den  Geistlichen  Fragen  vor  über  die 
Zeiten,  Tag  und  Stunde  der  Wiedergeburt,  Auffassung  der 
Prädestination,  Gewissheit  der  Gnade,  prüfte  ihre  Kenntnisse 
und  ihren  sittlichen  Wandel.  Von  dem  Ausfall  dieses  Examens 
hieng  der  Eintritt  in's  Amt  oder  das  Verbleiben  im  Amt, 
Meng  der  Bezug  der  Besoldung  ab.  Eben  dies  System  war 
es,  das  Milton  bekämpft  hatte,  dem  er  einige  Zeit  nachher 
in  zwei  merkwürdigen  Schriften  noch  entschiedener  entgegen- 
trat. Man  sieht :  die  independentische  GesinnungMilton'sist  von 
derjenigen  CromweH's  wesentlich  verschieden.  In  Milton  wird 
sie  zur  Ahnung  des  zukünftigen  ^'erhältnisses  von  Kirche  und 
Staat,  wie  es  eben  erst  anfieng  in  einem  kleinen  Gemeinwesen 
jenseits  des  Oceans  sich  zu  verwirklichen.  In  Cromwell  greift 
sie  beinahe  auf  die  Ideale  einer  fernen  Vergangenheit  zurück, 
welche  dem  Wiesen  der  modernen  Zeit  nicht  entsprechen. 

Alles  in  allem  hatte  die  innere  Regierung  des  Protektors 
keine  einzige  der  hohen  Forderungen  genügend  erfüllt,  welche 
der  Dichter  mit  so  viel  Freimuth  an  sie  gestellt  hatte.  Es 
geht  viel  zu  weit,  wenn  man  annimmt,  dass  ein  förmlicher 
Zwiespalt  zwischen  ihm  und  seinem  Amte  bestanden  habe. 
Es  ist  ganz  irrig,  wenn  man  behauptet  hat.  dass  er  um  seinen 
Abschied  eingekommen  sei.  Aber  nicht  mit  Unrecht  hört 
man  vielleicht  seinen  Unmuth  aus  den  Worten  eines  Briefes 
heraus,   den  er   lö57  einem  Freunde,    auf  dessen  Bitte  sich 


170  Auswärtige  Politik. 

für  ihn  zu  verwenden,  übersandte:  „Ich  pflege  keinen  ver- 
trauten Umgang  mit  denen,  welche  in  Gunst  stehn  und  ziehe 
es  vor,  ruhig  zu  Hause  zu  bleiben"  (^). 

Ein  Gebiet  gab  es  indessen,  auf  dem  der  „Sekretär  für 
die  lateinische  Sprache"  voll -freudiger  Hingebung  mit  dem 
Protektor  zusammenarbeitete.  Es  war  das  Gebiet  der  aus- 
wärtigen Politik.  Freilich  hatte  INÜlton  sehr  nachdrücklich 
davor  gewarnt  kriegerischen  Ruhm  und  diplomatische  Erfolge 
den  inneren  Reformen  vorzuziehn.  Die  unscheinbaren  Siege 
des  Friedens  hatte  er  hoch  erhoben  über  die  blendenden 
Siege  der  Waffen.  Aber  er  wollte  deshalb  nicht  einen  Frieden 
auf  jeden  Fall.  Er  kannte  einen  Kampfpi-eis,  für  dessen 
Gewinn  ihn  die  Hingabe  von  englischem  Gut  und  Blut  nicht 
zu  kostbar  dünkte.  In  den  Vorstellungen  des  Puritanismus 
aufgewachsen,  wie  er  es  war,  hatte  er  von  Jugend  auf  lebhaft 
beklagen  müssen,  dass  sein  Vaterland  davon  abstand,  als 
Schutzmacht  des  europäischen  Protestantismus  aufzutreten. 
Unter  Cromwell's  Scepter  schien  England  sich  diese  Rolle 
mit  Entschiedenheit  aneignen  zu  wollen.  Bekenner  des 
Evangeliums ,  die  aus  Polen  vertrieben  waren ,  fanden  Auf- 
nahme in  England.  Heimatlose  böhmische  Brüder  sollten  in 
Irland  angesiedelt  werden.  Den  Reformirten  Frankreichs 
wandte  sich  beständig  die  Sorge  des  Protektoi's  zu(-).  Und 
hiebei  blieb  er  nicht  stehn.  Er  brauchte  nur  der  puritanischen 
Gedankenströmung  und  seiner  eigenen  Neigung  zu  folgen,  um 
sich  der  Pläne  anzunehmen,  mit  denen  sich  Milton's  Freunde, 
Hartlib  und  Durie,  seit  lange  getragen  hatten.  Was  beide 
schon  hie  und  da  angedeutet  hatten,  erhielt  während  des 
Protektorates  eine  greifbare  Bestätigung.  Eine  Union  aller 
protestantischen  Mächte,  eingeleitet  und  geführt  durch  Eng- 
land: in  dieser  Form  gestaltete  sich  unter  der  Hand  des 
Staatsmannes  die  gutgemeinte  Idee  einer  Union  der  verschiedenen 
akatholischen  Bekenntnisse  und  einer  theologischen  Korre- 
spondenz. Beim  Abschluss  der  Verträge  mit  den  Niederlanden, 
mit  Schweden  und  Dänemark  blieb  der  Wunsch  einer  engeren 
Vereinigung  im  protestantischen  Interesse  nicht  verschwiegen. 
Wenn  sich  Streitigkeiten  zwischen  Schweden  und  Bremen  er- 


Ihr  proteet.  Charakter.  —  Verhältnis  zu  d.  ref.  Kantonen  d.  Schweiz.  171 

hoben,  so  suchte  der  Protektor  durch  den  ernsten  Hinweis 
auf  die  Gemeinsamkeit  der  gefährdeten  religiösen  Interessen 
zu  vermitteln.  Und  es  war  Milton,  der  seinen  Gedanken  die 
klassische  Form  gab.  Durch  ihn  verkündete  er  der  Welt, 
dass  er  für  seine  erste  Herrscherpflicht  halte  „über  den  Frieden 
der  Protestanten  zu  wachen'".  Durch  ihn  machte  er  darauf 
aufmerksam,  „wie  sehr  sich  der  gemeinsame  Feind  der  Re- 
formirten  an  ihren  inneren  Zwistigkeiten  erfreue" (').  Man 
fühlt  es  der  Sprache  des  Dichters  an,  wie  tief  ihn  dieser 
Gegenstand  ergreift.  So  oft  er  die  Umtriebe  der  Kurie,  die 
Gefahren  der  Neugläubigen,  die  Nothwendigkeit  ihrer  Ver- 
einigung zu  berühren  hat,  erhebt  sich  die  trockene  lateinische 
Staatsschrift  zu  einem  höheren  Stil.  Und  bald  ward  ihm 
Gelegenheit  das  ganze  Pathos  seiner  Beredtsamkeit  in  der 
Behandlung  eben  dieser  Fragen  zu  entfalten. 

Seit  einiger  Zeit  herrschten  sehr  freundschaftliche  Be- 
ziehungen zwischen  der  englischen  Regierung  und  den  evan- 
gelischen Kantonen  der  Schweiz  (2).  Ein  Gesandter  derselben 
hatte  den  Frieden  zwischen  England  und  den  Niederlanden 
zu  fördern  gesucht.  Cromwell  hatte  im  Gespräch  mit  ihm 
aus  seiner  Furcht  vor  einem  neuen  Religionskriege,  aus  seinem 
Verlangen  nach  einer  näheren  Verbindung  kein  Hehl  gemacht. 
Milton  hatte  in  einer  seiner  Depeschen  die  Söhne  der  Berge 
gepriesen,  „die  beinahe  als  die  ersten  in  Europa  ihre  Freiheit 
errungen  und  mit  Gottes  Beistand  durch  nicht  geringere  Klug- 
heit und  Mässigung  so  viele  Jahre  hindurch  rein  erhalten 
hätten" (•'').  Im  Sommer  des  Jahres  1654  sollte  nun  dieses 
Band  noch  enger  geknüpft  werden.  Zu  allgemeinem  Erstaunen 
erschien  ein  diplomatischer  Agent  des  Protektors  in  Zürich. 
Es  war  der  berühmte  Mathematiker  John  Pell,  der  mit  Hartlib 
auf  vertrautem  Fusse  stand  und  vermuthlich  auch  zu  Milton's 
Bekanntenkreise  zählte.  Und  gleichzeitig  mit  Pell,  ein 
Empfehlungsschreiben  des  Protektors  in  der  Tasche,  machte 
sich  John  Durie  auf  den  Weg,  um  sein  ahes  Friedenswerk 
wieder  aufzunehmen.  Er  hatte  schon  seit  Jahren  mit  den 
schweizer  Theologen  verhandelt,  aber  dies  Mal  arbeitete  er 
an    seiner    Sisyphusaufgabe    nicht    mehr    auf   eigene    Hand» 


172  Durie  und  Pell.  —  Verfolgung  der  Waldenser. 

sondern  im  Vertrauen  auf  die  Autorität  des  Protektors. 
Politische  und  religiöse  Bestrebungen  unterstützten  sich  gegen- 
seitig. In  Frankreich  sah  man  schon  sorgenvoll  voraus,  dass 
Cromwell  als  Vorbereitung  auf  eine  evangelische  Liga  ein 
allgemeines  Koncil  seiner  Glaubensgenossen  berufen  werde, 
dem  es  obliegen  würde  ein  gemeinsames  Bekenntnis  festzu- 
stellen (^).  Damals  brachte  Durie  jene  Nachrichten  über 
Morus  in  Erfahrung,  durch  die  er  Milton  Waffen  in  die  Hand 
gab.  Damals  wurde  ihm  auch  von  ängstlichen  Gemüthern 
entgegengehalten,  dass  er  eine  jener  königsfeindlichen  Schriften 
Milton's  übersetzt  habe  (s.  o.  S.  83  Anm.  2).  Uebrigens  war 
er  mit  seinen  Erfolgen  sehr  zufrieden.  Er  durchreiste  einen 
grossen  Theil  der  Schweiz,  konfeiirte  und  disputirte  aller 
Orten  und  begab  sich,  in  der  sicheren  Hoffnung  die  einigende 
Formel  aufzufinden,  nach  Deutschland.  Pell  bheb  zurück  und 
wurde  durch  eine  wichtige  Angelegenheit  in  Anspruch  ge- 
nommen, die  alle  Befürchtungen  einer  Entflammung  der  alten 
Keligionskriege  zu  rechtfertigen  schien  und  die  Politik  des 
Protektors  zu  einer  fieberhaften  Thätigkeit  veranlasste. 

Es  war  das  ]\lartyrium  der  Waldenser,  von  dem  man 
zuerst  in  der  benachbarten  Schweiz  genauere  Kunde  erhielt. 
Oft  genug  waren  die  Alpenthäler  Piemont's,  in  denen  seit 
Jahrhunderten  arme  waldensische  Gemeinden  ihren  Sitz  hatten, 
Zeugen  heftiger  religiöser  Kämpfe  gewesen.  Wiederholte 
Bestätigungen  der  alten  Privilegien  seitens  der  savojischen 
Landesherrn  hatten  mit  Rechtsbrüchen  und  Verfolgungen  ge- 
wechselt. Der  Bekehrungseifer  des  katholischen  Fanatismus 
rief  auf  der  Gegenseite  mitunter  Handlungen  der  Rache  her- 
vor, die  sofort  zur  Rechtfertigung  neuer  Gewaltthaten  benutzt 
wurden.  Bis  zum  Beginn  des  Jahres  1655  hatte  die  reformirte 
Welt  an  diesen  Kämpfen  keinen  aussergewöhnlichen  Antheil 
genommen.  Damals  aber  führten  sie  zu  einer  Katastrophe, 
welche  die  Aufmerksamkeit  von  ganz  Europa  auf  sich  lenkte. 
Ende  Januar  des  bezeichneten  Jahres  wurden  die  Bewohner 
der  Thäler  von  Luserna,  Perosa,  St.  Martino  angewiesen  ent- 
weder den  Glauben  ihrer  Väter  aufzugeben  oder  binnen  drei 
Tagen  ihre  Wohnstätten  mit  anderen  zu  vertauschen,  in  denen 


Verfolgung  der  Waldenser.  —  Eindruck  in  England.  173 

sie  nur  unter  der  Bedingung  geduldet  werden  sollten,  dass 
sie  die  x\bhaltung  der  Messe,  die  Thätigkeit  der  Missions- 
prediger und  das  Werk  der  Bekehrung  in  keiner  Weise  be- 
hinderten. Sie  hofften  noch  durch  Unterhandlungen  mit  den 
leitenden  Persönlichkeiten  zu  Turin  das  Schlimmste  abzu- 
wenden, als  im  April  der  Marquis  von  Pianezza  mit  einer 
ansehnlichen  Truppenmacht  in  die  Thäler  einfiel.  Einige  Tage 
lang  waren  in  ihnen  alle  die  Furien  entfesselt,  die  während 
der  Bartholomäusnacht  und  während  des  irischen  Aufstandes 
gewüthet  hatten.  Brand,  Mord  und  Schändung  stritten  sich 
um  ihre  Opfer.  Wehrlose  Frauen  wurden  unter  grässlichen 
Martern  zu  Tode  gequält,  unmündige  Kinder  gegen  die  Felsen 
geschleudert.  Wer  dem  Blutbad  oder  der  Gefangenschaft 
entgangen  war,  flüchtete  nach  heldenmüthigem  Widerstände 
in  das  unzugängliche  Gebirge  und  litt  dort  Qualen  des  Hungers 
und  der  Kälte.  Einige  waren  auf  französisches  Gebiet  ent- 
kommen. Doch  durften  ihre  dortigen  Glaubensgenossen  nicht 
wagen,  ihnen  wirksame  Hilfe  zu  leihen.  Waren  doch  selbst 
französische  Truppen  bei  ihrem  ]\Iarsche  durch  savoyisches 
Gebiet  aufgehalten,  zur  Mitwirkung  bei  dem  Gemetzel  ver- 
wandt worden.  Inzwischen  rafften  sich  die  Angegriffenen  von 
dem  ersten  Schlage  auf  und  setzten  bis  in  den  Sommer  hinein 
den  verzweifelten  Kampf  unermüdet  fort. 

Kaum  irgendwo  machten  die  Nachrichten  von  diesen 
Vorgängen  einen  so  tiefen  Eindruck  wie  in  England.  Was 
viele  Schwarzsichtige  dort  so  lange  vorausgesagt  hatten,  schien 
endlich  einzutreffen.  Die  Hauptschuld  des  Erlebten  war  auf 
die  katholische  Propaganda  zurückzuführen ,  deren  Filiale  in 
Turin  sass.  Man  war  demnach  geneigt,  das  Geschehene  nur 
als  das  Vorspiel  der  gefürchteten  „papistischen  Anschläge" 
zu  betrachten.  Von  allen  Kanzeln  wurden  die  Leidenschaften 
des  Volkes  aufgerufen.  Ausgestreute  Libelle  mahnten  zur  Rache 
an  den  Katholiken.  Eine  Sammlung  für  die  Waldenser,  bei 
welcher  der  Protektor  mit  dem  besten  Beispiel  vorangieng 
und  bei  deren  Austheilung  die  Behörden  und  Geistlichen  von 
Genf  gute  Dienste  leisteten,  stieg  allmählich  auf  40,000  £. 
Aberhiebei  wollte  Cromwell  nicht  stehn  bleiben.  In  seinem  Auf- 


174      Eindruck  in  England.  —  Milton's  Sonett  und  Dejjeschen. 

trag  eilte  Samuel  ]\Iorland,  ein  Freund  der  Hartlib  und  Pell,  nach 
Frankreich  um  die  Vermittlung  Ludwigs  XIV.  und  Mazarin's 
anzurufen  und  nach  Turin  um  dem  Herzog  von  Savoyen  Vor- 
stellungen zu  machen.  In  seinem  IS'amen  ergieng  ein  Hilfe- 
ruf an  den  König  von  Schweden,  den  König  von  Dänemark, 
die  evangelischen  Kantone  der  Schweiz,  die  Generalstaaten, 
ja  sogar  an  den  Fürsten  von  Siebenbürgen,  um  ihre  Unter- 
stützung in  der  gemeinsamen  Sache  des  Protestantismus  aus- 
zuwirken. Und  wieder  war  es  Milton,  der  die  edelmüthigen 
Gedanken  des  Herrschers  in  hochtönende  Worte  umsetzte. 
Auch  ihn  hatte  das  grässliche  Ereignis  mächtig  ergriffen. 
In  einem  Sonett  von  gewaltiger  Kraft,  einem  lauten  Aufschrei 
seiner  verletzten  Gefühle,  flehte  er  den  Herrn  an,  „seiner 
Heiligen  nicht  zu  vergessen,  deren  Gebeine  auf  den  kalten 
Alpen  zerstreut  sind  und  dem  Tyrannen  mit  der  dreifachen 
Krone  ihre  Seufzer,  ihr  Todesröcheln  zu  gedenken"  (^).  Was 
er  hier  in  englischen  Versen  ausgesprochen,  hatte  er  als 
Sekretär  des  Prolektors  nur  in  lateinische  Prosa  zu  verwandeln. 
Denn  von  ihm  rührten  die  zahlreichen  diplomatischen  Akten- 
stücke her,  welche  diese  Angelegenheit  betrafen:  die  Schreiben 
an  die  verschiedenen  protestantischen  j\Iächte,  die  Briefe,  mit 
denen  Morland  sich  am  französischen  wie  am  turiner  Hofe 
einführte,  die  Rede  sogar,  die  er  in  feierlicher  Audienz  vor 
dem  Herzog  und  seiner  Mutter  zu  halten  hatte  (-).  Wohl 
fehlt  es  in  allen  diesen  Erzeugnissen  der  Milton'schen  Feder 
nicht  an  Wiederholungen.  Aber  es  kam  eben  darauf  an  mit 
Nachdruck  immer  aufs  neue  das  vollzogene  Verbrechen  in's 
Gedächtnis  zu  rufen  und  seine  Sühnung  als  eine  allgemeine 
Angelegenheit  aller  Bekenner  der  reformirten  Lehre  darzu- 
stellen. Mit  einer  unverkennbaren  Wärme  im  Ausdruck,  die 
von  der  üblichen  Form  derartiger  Urkunden  ausserordentlich 
abwich,  hat  Milton  sich  seiner  Aufgabe  entledigt.  Mitunter 
kann  er  es  nicht  unterlassen  ein  Bild  oder  einen  Vergleich  aus 
dem  Alterthum  anzubringen,  wie  er  denn  jNIorland  in  Turin 
erklären  lässt,  dass  „alle  Xeronen  aller  Zeiten"  nie  etwas  so 
Unmenschliches  erdacht  hätten,  wie  es  in  den  waldensischen 
Thälern  an's  Licht  getreten  war. 


Milton's  Souett  und  Depeschen.  175 

Milton's  Feder  war  ein  unverächtlicher  Bundesgenosse 
für  den  Protektor.  Allein  er  schien  eine  Zeit  lang  geneigt 
zu  sein  noch  kräftigere  Mittel  anzuwenden.  Eine  starke 
Flotte  unter  Robert  Blake  kreuzte  im  Mittelmeer.  Der 
Admiral  hatte  erst  kürzlich  in  jenen  Gewässern  einen  heil- 
samen Schrecken  vor  der  englischen  Flagge  verbreitet,  Toskana 
und  den  Kirchenstaat  zur  Leistung  von  Schadensersatz  für  den 
geduldeten  Verkauf  gekaperter  Kaufmannsgüter  gezwungen 
und  die  Raubstaaten  der  nordafrikanischen  Küste  durch  die 
Verbrennung  der  tunesischen  Flotte  und  das  Bombardement 
der  tunesischen  Forts  nicht  wenig  eingeschüchtert.  Es  wäre 
kein  Ding  der  Unmöglichkeit  gewesen  vor  Nizza  zu  erscheinen, 
auch  das  Herzogthum  Savoyen  den  Donner  englischer  Ge- 
schütze hören  zu  lassen  und  eine  englische  Truppenmacht  an 
die  Küste  zu  werfen.  Indessen  erschien  ein  solcher  Plan, 
bedenklich  wie  er  an  sich  war,  nur  ausführbar  durch  den 
gleichzeitigen  Eingriff  einer  festländischen  Kriegsmacht.  Zu 
dieser  Rolle  sollten  sich  die  evangelischen  Kantone  der  Schweiz 
bequemen.  Die  ganze  Thätigkeit  von  Pell  richtete  sich  darauf 
sie  für  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  mit  England  zu  gewinnen 
und  für  das  Versprechen  englischer  Subsidien  zum  Angriff 
gegen  Savoyen  zu  verlocken.  Indessen  es  zeigte  sich,  wie  schief 
diese  Verhältnisse  vom  religiösen  Gesichtspunkt  aus  beurtheilt 
worden  waren.  In  der  Schweiz,  wo  man  soeben  die  Er- 
schütterungen des  Bauernkrieges  durchgemacht  hatte  und  am 
Vorabend  des  Vilmergerkrieges  stand,  war  man  völlig  zu- 
frieden, wenn  es  nur  gelang  den  Brand  im  eigenen  Hause  zu 
vermeiden.  Auf  keine  Weise  Hessen  sich  die  reformirten 
Kantone  dazu  verleiten  den  gefährlichen  Anmuthungen  des 
Protektors  nachzugeben.  Sie  suchten  wie  zuvor  auf  diplo- 
matischem Wege  zu  Gunsten  der  Waldenser  einzuwirken  und 
versprachen  sich  das  Beste  von  der  Absendung  einer  vier- 
gliedrigen  Gesandtschaft  nach  Savoyen,  mit  welcher  Agenten  aus 
England  und  aus  den  Niederlanden  zusammeiizuhandeln  be- 
stimmt waren.  Allein  noch  waren  diese  nicht  auf  dem  Schau- 
platz erschienen,  als  unter  französischer  Vermittlung  der  Ver- 
trag von  Pinerolo  zwischen  den  Waldensern  und  ihrem  Landes- 


^76  Krieg  mit  Spanien. 

heiTD  abgeschlossen  wurde  (18.  August  1655).  Die  Ent- 
täuschung in  England  war  nicht  gering.  Dieser  Vertrag, 
wenn  er  auch  einige  Zugeständnisse  enthielt,  gewährte  doch 
in  keiner  Weise  Genugthuung.  Es  fehlte  jede  Bürgschaft  für 
seine  ehrliche  Ausführung.  Vor  allem  die  erträumte  Liga 
der  Reforrairten  fiel  damit  zu  Boden.  Das  Zeitalter  Alba's 
und  Wilhelm's  von  Oranien  war  überwunden.  Die  Gruppirung 
der  Mächte  einzig  um  die  Standarte  des  Glaubens  hatte  sich 
überlebt. 

Es  waren  andere  Momente,  die  das  Verhältnis  der  euro- 
päischen Staaten  zu  einander  bestimmten  und  der  Politik  des 
Protektors  ihre  endgiltige  Richtung  anwiesen.  Nicht  umsonst 
hatte  Mazarin  allen  Eifer  angewandt  um  durch  den  Vertrag 
von  Pinerolo  die  Klagen  der  Waldenser  wenigstens  für  den 
Augenblick  zur  Ruhe  zu  bringen.  Die  Zeit  war  ge- 
kommen, in  der  England  seinem  langen  Schwanken  zwischen 
Spanien  und  Frankreich  ein  Ende  zu  machen  im  Begriff  stand. 
Die  Angelegenheit  der  Waldenser  drohte  ein  unerwartetes 
Hindernis  der  Entscheidung  zu  werden,  es  war  demnach 
wichtig  sie  so  rasch  als  möglich  aus  dem  Wege  zu  räumen. 
Schon  längst  hatte  der  Protektor  alles  vorbereitet,  um  in  die 
Bahnen  der  volksthümlichen ,  auswärtigen  Politik  zurückzu- 
lenken,  die  seinen  eigenen  Wünschen  entsprach.  Er  war  ge- 
neigt unter  den  katholischen  Mächten  diejenigen,  welche  die 
Vorfechter  des  Pabstthums  seien,  von  denen  zu  unterscheiden, 
welche  ihre  Interessen  ohne  Rücksicht  auf  das  Oberhaupt  der 
Kirche  verfolgten.  Zu  diesen  rechnete  er  Frankreich,  zu  jenen 
Spanien.  Dass  Spanien  den  englischen  Kaufleuten  nicht  ge- 
statten wollte,  geschützt  vor  der  Inquisition,  „ihre  Bibeln  in 
der  Tasche  bei  sich  zu  tragen"  bildete  neben  der  Forderung 
den  kolonialen  Handel  frei  zu  geben  einen  vorzüglichen  Be- 
schwerdepunkt der  englischen  Regierung.  „Alle  eure  Ge- 
fahren, rief  Cromwell  gelegentlich  dem  Parlament  zu,  kommen 
von  dem  gemeinsamen  auswärtigen  Feinde,  von  Spanien, 
welches  das  Haupt  der  Armee  des  Pabstes  ist"(0.  Er  nahm 
den  Lieblingsgedanken  des  elisabethanischen  Zeitalters  wieder 
auf  und  konnte  des  Beifalls  der  ganzen  puritanischen  Partei 


Allianz  Cromwell's  und  Mazarins.  —  Eroberung  Dünkirchen's.    177 

sicher  sein.  Die  unerwartete  Eroberung  von  Jamaika  im 
Sommer  1655,  die  für  den  verfehlten  Angriff  auf  St.  Domingo 
entschädigen  musste,  machte  den  Bmch  mit  Spanien  unver- 
meidlich. Der  spanische  Gesandte  erhielt  seine  Pässe.  Kurz 
nach  seiner  Abreise  erschien  in  lateinischer  Sprache  das  engli- 
sche Kriegsmanifest.  Auch  dieses  Aktenstück  ist  mitunter 
Milton's  Feder  zugeschrieben  und  in  die  meisten  Ausgaben 
seiner  Werke  aufgenommen  worden.  Innere  wie  äussere 
Gründe  machen  seine  Autorschaft  indessen  zweifelhaft  ( ' ). 
Allein  unbeschäftigt  Hess  ihn  der  Gang  der  auswärtigen 
Politik  keineswegs.  Während  Spanien  mit  den  verjagten 
Stuarts  in  enge  Verbindung  trat,  schloss  Cromwell  einen 
Friedens-  und  Handelsvertrag  mit  Frankreich.  Noch  war  die 
Waffengenossenschaft  der  beiden  Staaten  nicht  erklärt.  Der 
grosse  Sieg  über  die  reichbeladene  spanische  Flotte  im  Hafen 
von  Santa  Cruz  (20.  April  1658),  die  letzte  Heldenthat  Robert 
Blake's,  war  lediglich  ein  Ergebnis  englischer  Tapferkeit. 
Aber  schon  war  eine  Offensivallianz  zwischen  England  und 
Frankreich  zu  Stande  gekommen,  der  zu  Folge  ein  englisches 
Hilfscorps  auf  dem  Kontinent  erschien,  um  gemeinsam  mit 
den  Franzosen  die  festen  Plätze  der  spanischen  Niederlande 
anzugieifen.  Die  Soldaten  aus  der  Schule  Cromwell's  kämpften 
an  der  Seite  der  Truppen  Turenne's  gegen  ihre  royalistischen 
Landsleute,  die  unter  Führung  des  Herzogs  von  York  in  den 
Reihen  der  Spanier  standen.  Der  Preis  des  Sieges  war  die 
Eroberung  von  Dünkirchen.  Es  wurde  versprochener  Massen 
den  Engländern  ausgeliefert,  nachdem  sie  schon  vorher 
Mardyke  in  Besitz  genommen  hatten.  Der  Schlüssel  des  Fest- 
landes hieng,  wie  man  sagte,  am  Gürtel  CromwelFs  (25.  Juni 
1658). 

Diese  gi-ossartigen  Triumphe  der  äusseren  Politik  konnten 
Milton  am  wenigsten  gleichgiltig  finden.  Er  hatte  die  latei- 
nischen Kreditive  für  Sir  William  Lockhart  abgefasst,  den  Ge- 
sandten des  Protektors  am  französischen  Hofe  und  den  sieg- 
reichen Führer  der  englischen  Hilfsmacht  (-).  Als  Cromwell's 
Schwiegersohn,  Lord  Fauconberg,  im  Frühling  des  Jahres  1658 
nach  Calais   reiste,   um  Ludwig  XI\'.   und   Mazarin  daselbst 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  3.  12 


]^78  Eroberung  Dünkii'chen's.  —  Nordische  Politik. 

ZU  begrüssen,  überbrachte  er  Schreiben  des  Protektors  an 
den  König  und  an  den  Minister,  die  Milton  aufgesetzt  hatte  ('). 
Und  wiederum  fiel  es  Milton  zu,  den  gebührenden  Dank  für 
die  Mission  des  Herzogs  von  Crequi  auszusprechen,  der  nach 
London  gekommen  war,  um  die  Einnahme  Dünkirchen's  zu 
melden.  In  diesen  Aktenstücken  wäre  das  Pathos  schlecht 
am  Platz  gewesen,  das  in  der  Angelegenheit  der  Waldenser 
zum  Durchbruch  gekommen  war.  Aber  vergessen  wurde 
dieser  vorgeschobene  Posten  der  Reformirten  weder  vom 
Protektor  noch  von  seinem  Sekretär.  Je  mehr  Grund  die 
Waldenser  hatten,  sich  über  die  mangelhafte  Ausführung  des 
Vertrages  von  Pinerolo  zu  beklagen,  desto  ernster  nahm 
Crom  well  es  mit  seiner  Pflicht,  sie  nach  Möglichkeit  zu 
schützen.  Noch  ein  Mal,  im  Mai  1658,  wurde  Mlton's  Feder 
in  Bewegung  gesetzt  um  Ludwig  XIV.  zu  beschwören,  seines 
Titels  des  „allerchristlichsten  Königs"  eingedenk  zu  sein  und 
die  Versprechungen  Heinrich's  IV.  wahr  zu  machen.  Noch 
einmal  ermahnte  gleichzeitig  dieselbe  Stimme  die  evangelischen 
Kantone  der  Schweiz,  nicht  müde  zu  werden  in  der  Sorge 
..für  den  ältesten  Spross  der  reinen  Religion". 

Es  gab  noch  eine  andere  Frage  der  Politik,  welche  die 
religiösen  Gefühle  CromwelFs  und  Milton's  gleich  sehr  erregte 
und  die  Veranlassung  wurde,  eine  Reihe  lateinischer  Depe- 
schen durch  den  Dichter  ausfertigen  zu  lassen.  Im  Nordosten 
Europas  war  ein  Kampf  entbrannt,  der  argwöhnischen  Zeit- 
genossen einen  inneren  Zusammenhang  mit  dem  Kampf  gegen 
Spanien  zu  haben  schien.  Karl  X.  von  Schweden  hatte  sich 
auf  das  Königreich  Polen  gestürzt  und  binnen  kurzem  die 
grössten  Erfolge  davon  getragen.  Er  stand  in  nahem  Ver- 
hältnis zu  Cromwell ,  er  erschien  ihm  als  der  Vorfechter  des 
Protestantismus  im  Norden,  und  durch  Milton  Hess  der  Pro- 
tektor ihm  Glück  zu  seinen  Siegen  über  die  „Feinde  der 
Kirche"  wünschen.  Es  wäre  ganz  im  Sinne  des  englisch- 
französischen Bündnisses  und  der  puritanischen  Hoffnungen 
gewesen,  wenn  sich  der  Träger  der  Krone  Gustav  Adolfs 
gegen  das  Haus  Habsburg  gewandt  und  seinen  Besitz  der 
deutschen  Reichswürde   gestört    hätte.      Allein    statt    dessen 


Nordische  Politik.  —  Milton's  Depeschen.  179 

musste  Dian  erleben,  dass  die  Pi-otestanten  des  Nordens  unter 
sich  in  Zwiespalt  geriethen.  Der  plötzliche  Einfall  der  Dänen 
in  schwedisches  Gebiet  rief  Karl  X.  von  seiner  Siegeslaufbahn 
zurück.  Mit  den  Dänen  waren  wiederum  die  Niederländer 
im  Bunde.  Der  grosse  Kurfürst  Hess  sich  für  Anerkennung 
der  Souveränetät  seines  Herzogthums  durch  Polen  von  der 
schwedischen  Seite  abdrängen.  Nur  für  kurze  Zeit  brachte 
englisch-französische  Vermittelung  in  dem  Kampf  der  beiden 
skandinavischen  Reiche  wenigstens   eine  Pause  hervor. 

Auch  an  dieser  Stelle  des  Welttheils  zeigte  sich,  dass  das 
religiöse  Moment  nicht  mehr  das  bestimmende  war,  so  mächtig  es 
auch  noch  immer  auf  die  Verhältnisse  der  Staaten  einwirkte. 
Dem  Protektor  dagegen  schien  es  wichtiger  zu  sein  als  irgend 
ein  anderes.  Nach  allen  Seiten  liess  er  durch  Milton  seine 
Warnungen  ergehn.  Die  Niederlande  beschwor  er,  sich  mit 
Schweden  brüderlich  zu  vertragen.  Den  Schwedenkönig 
mahnte  er  ab  von  der  Feindseligkeit  gegen  die  Niederlande 
und  von  dem  Kriege  gegen  Dänemark.  Den  grossen  Kur- 
fürsten suchte  er  mit  schmeichlerischen  Worten  beim  schwe- 
dischen Bündnis  festzuhalten  (^).  Und  immer  war  es  die  Be- 
rufung auf  den  gemeinsamen  Glauben,  die  in  allen  diesen 
Schriftstücken  Milton's  den  Ausgangspunkt  bildete.  Vergeb- 
lich hofft  man  in  ihnen  die  mannichfachen  ineinander  ver- 
schlungenen politischen  und  kommerziellen  Fragen  erörtert 
zu  sehn ,  die  bei  dem  Kampf  um  die  nordischen  Küsten  und 
Meere  den  Ausschlag  gaben.  Dafür  kehrt  die  Erinnerung  an 
das  Geschick  der  Waldenser,  an  die  neuerliche  Niederlage 
der  schweizerischen  Reformirten,  an  die  Bedrängnis  der 
evangelischen  Unterthanen  Oesterreichs  beständig  wieder. 
Die  ganze  europäische  Menschheit  erscheint  nach  diesen 
Depeschen  in  zwei  Lager  gespalten.  Ueber  das  eine  gebietet 
mit  niemals  rastenden  Ränken  der  römische  Pontifex,  dessen 
eifrigster  Vorkämpfer  das  Haus  Habsburg  ist.  In  dem  anderen 
haben  sich  alle  Bekenner  der  „reinen  Lehre",  mit  Aufopferung 
einzelner  Vortheile,  ihrer  inneren  Zwistigkeiten  vergessend, 
unter  Englands  Führung  .  zu  gemeinsamer  Abwehr  der 
„papistischen  Anschläge"  zu  sammeln. 

12* 


180  Älilton's  Depeschen. 

Es  ist  dieselbe  einseitige  Auffassung  der  politischen  Lage, 
dieselbe  Verkennung  des  Fortschrittes  der  Zeiten,  die  schon 
bei  einer  anderen  Gelegenheit  zu  bemerken  gewesen  war.  Allein 
so  gefährlich  für  das  wünschenswerthe  Zurücktreten  der  reli- 
giösen Gegensätze  dieses  Hervorkehren  des  evangelischen 
Gemeingefühls  auch  werden  konnte,  es  gab  der  Politik  des 
Protektors  doch  einen  grossartigen  Zug.  "Wenn  er  sein  Par- 
lament aufforderte,  sich  mit  ihm  an  „Luther's  Psalm":  eine 
feste  Burg  ist  unser  Gott:  zu  erheben,  wenn  er  mit  dem 
eisernen  Klang  des  englischen  Namens  über  den  ganzen  Erd- 
ball hin  die  Anhänger  der  reformirten  Lehre  vor  den  An- 
griffen ihrer  Feinde  zu  schützen  suchte,  so  konnte  das  den 
feurigen  Puritaner  einigermassen  für  die  Mängel  entschädigen, 
die  er  der  inneren  Regierung  seines  Vaterlandes  vorzuwerfen 
haben  mochte.  Der  Staatsschreiber,  dessen  Feder  die  Ge- 
danken des  Herrschers  wiedergab,  war  mehr  als  jeder  andere 
in  diesem  Fall. 

Ein  neuerer  englischer  Meister  hat  es  versucht  das  Bild 
der  beiden  Männer  in  ihrer  gemeinsamen  Arbeit  zur  An- 
schauung zu  bringen.  Cromwell,  stämmig  und  breitschultrig, 
das  Schwert  an  der  Seite,  in  Reiterstiefeln,  mit  strengem, 
fast  löwenartigem  Gesichtsausdruck,  steht  gebieterisch  da» 
Milton,  eine  schlanke  Gestalt  mit  weicheren  Zügen,  sieht  von 
seinem  Sitze  zu  dem  Gebieter  empor,  mit  der  Linken  auf  ein 
Blatt  Papier  deutend,  die  Feder  in  der  Rechten,  gleich  als 
warte  er  auf  die  Weisung  in  der  Niederschrift  fortzufahren. 
Der  Künstler  hat  sich  bei  seiner  Darstellung  manche  Frei- 
heiten genommen,  vor  allem  die,  dass  der  erblindete  Milton, 
zu  der  Zeit,  als  er  in  Diensten  des  Protektors  stand,  nicht 
mehr  fähig  war,  seinem  Diktat  zu  folgen.  Aber  wie  das  Bild 
den  Beschauer  eigenthümlich  fesseln  wird,  so  wird  der  Bund 
des  Sängers  mit  demjenigem,  der  König  zu  heissen  verschmähte, 
den  Blick  der  Nachlebenden  immer  wieder  auf  die  Höhen  der 
Menschheit  hinlenken. 


Fünftes  Kapitel. 
Familie  und  Freunde. 


Ueffentliclie  Charaktere  fesseln  die  Aufmerksamkeit  der 
Nachwelt  zunächst,  soweit  ihr  Wirken  für  das  Gemeinwohl  in 
Frage  kommt.  Ihre  häuslichen  Schicksale,  ihre  Verhältnisse 
zu  Familiengenossen  und  Freunden  stehen  in  zweiter  Linie. 
Haben  wir  uns  Milton  in  amtlicher  Stellung  vor  Augen  ge- 
führt, die  Thätigkeit  des  politischen  Schriftstellers  und  Sekre- 
tärs, seine  Arbeit  für  den  republikanischen  Staatsrath  und 
für  den  Protektor,  so  ist  es  unerlässlich ,  zu  schildern,  wie 
während  eben  dieser  Jahre  sein  Privatleben  sich  gestaltete. 
Das  kleine  Gartenhaus  in  Petty-France ,  das  der  Dichter  seit 
Ende  1651  bewohnte,  war  Zeuge  wechselnder  Scenen  von 
Freude  und  Leid,  die  sich  in  seinen  Mauern  abspielten. 
Milton  hatte  es  mit  seiner  Frau  und  drei  Kindern  bezogen. 
Auf  die  beiden  Töchter  Anna  und  Mary,  die  noch  im  zartesten 
Alter  standen,  war  am  16.  März  1651  ein  Sohn  gefolgt, 
welcher  vom  Vater  den  Namen  John  empfangen  hatte,  (i)  Ge- 
währte die  Ehe  Milton  auch  nicht  jene  glückliche  Befriedigung, 
die  nach  der  erfahrenen  Enttäuschung  unmöglich  war,  so 
wurde  doch  durch  das  Dasein  der  Kinder  ein  festeres  Band 
zwischen  ihm  und  der  reuig  zurückgekehrten  Gattin  geknüpft. 

Um  so  unerquicklicher  wurde  sein  Verhältnis  zu  der 
Schwiegermutter,  der  alten  Mrs.  Powell.  Mit  ihrer  zahlreichen 
Familie  in  bedrängter  Lage  zurückgelassen,  hatte  die  Wittwe 


182  Geburt  eines  Sohnes  (John).  —  Streitigkeiten  mit  Mrs.  Powell. 

Powell  sieh  bemüht,  Genugthuuug  für  den  Schaden  zu  er- 
halten, der  dem  Vermögen  ihres  verstorbenen  Gatten  von 
Staats  wegen  zugefügt  worden  war,  und  so  viel  als  möglich 
von  seinen  sequestrirten  und  verschleuderten  Gütern  zu  retten. 
Unter  diesen  Gütern  war  auch  die  Besitzung  von  Whatley 
in  Oxfordshire,  an  der  Milton  für  ein  altes  Darlehen  ein 
Pfandrecht  hatte.  Er  hatte  keine  Hoffnung,  dass  die  Schuld 
jemals  zurückgezahlt  werde.  Er  hatte  noch  keinen  Schilling 
von  der  versprochenen  Mitgift  seiner  Frau  gesehen.  Nichts 
desto  minder  hatte  er,  ohne  dazu  verpflichtet  zu  sein,  von  den 
Erträgnissen  dieser  Besitzung  jährlich  einen  Theil  an  seine 
Schwiegermutter  abgegeben.  Allein  ihr  zu  Gefallen  die  Staats- 
kasse zu  betrügen,  sah  er  sich  ausser  Stande.  In  der  That 
wurde  ihm  diese  Versuchung  nahe  gelegt.  Es  war  das  selbst- 
verständliche Interesse  der  Wittwe  Powell,  als  es  sich  um 
Zahlung  der  Sühnesumme  handelte,  den  Ertrag  jenes  Gutes 
möglichst  niedrig  anzugeben.  Milton,  der  nach  einer  Akte 
von  1650  als  Pfandinhaber  eines  Delinquentengutes  zunächst 
eintreten  musste,  hatte  aber  gefunden,  dass  dieser  Ertrag 
sich  auf  das  Doppelte  belief  und  danach  gehandelt.  Mochte 
nun  dies  schon  den  Zorn  seiner  Schwiegermutter  erregen,  so 
noch  mehr,  dass  er  Miene  machte,  jene  jährliche  Abtretung 
eines  Theiles  der  Einkünfte  von  Whatley  zu  sistiren.  Er 
hatte  seine  guten  Gründe  dafür,  nicht  länger  den  Freigebigen 
zu  spielen.  Dass  er  nicht  zu  jener  Zahlung  verpflichtet  sei, 
war  wenigstens  aussergerichtlich  anerkannt  worden.  Aber  es 
wurde  bei  der  Abschätzung  der  Sühnesumme  keine  Rücksicht 
darauf  genommen,  dass  er  sich  dennoch  bisher  dies  Opfer  auf- 
erlegt hatte.  Mrs.  Powell  gerieth  alsbald  in  Feuer  und 
Flamme.  Sie  forderte,  „um  sich  und  ihre  Kinder  vor  dem 
Hungertode  zu  retten",  als  ein  rechtmässiges  Witthum,  was 
sie  bis  dahin  durch  die  Güte  ihres  Schwiegersohnes  erhalten 
hatte.  Sie  erklärte,  nicht  darum  processiren  zu  können,  weil 
es  ihr  gänzlich  an  Mitteln  fehle,  und  weil  ihre  Tochter  da- 
mnter  leiden  würde.  Denn  Milton,  fügte  sie  hinzu,  sei  ein 
„rauher  und  cholerischer  Mann,  der  seine  Frau  schon  früher 
einmal   weggeiagt  habe".    Der  Dichter  war  edel  genug,  sich 


Geburt  von  Deboiah  Milton.  —  Tod  von  Milton's  Frau  und  Sohn.  183 

für  ein  solches  Benehmen  nicht  auf  eine  sehr  nahe  liegende 
Weise  zu  rächen.  Es  konnte  ihm  ein  Leichtes  sein,  den 
Nachweis  zu  führen,  dass  Mrs.  Powell  ihre  Noth  entschieden 
übertrieb ,  wie  sie  denn ,  zum  Theil  sogar  mit  Hilfe  von 
Milton's  Bruder,  als  ihres  Rechtskonsulenten,  vieles  von  dem 
Verlorenen  zurückgewann  (^). 

Inzwischen  blieb  der  Friede  des  „rauhen  und  cholerischen" 
Milton  mit  seiner  Frau  trotz  dieser  ärgerlichen  Streitigkeiten 
ungestört.  Am  2.  Mai  1652  wurde  ihm  eine  Tochter  geboren, 
Deborah,  die  von  allen  seinen  Kindern  die  grösste  Aehnlich- 
keit  mit  ihm  hatte  (^).  Aber  der  Mutter  kostete  die  Geburt 
das  Leben.  Sie  starb  in  Folge  der  Nachwehen  des  Wochen- 
betts, sechsundzwanzigjährig ,  nachdem  sie  neun  Jahre  lang 
des  Dichters  Weib  gewesen  war,  ohne  ihm  das  höchste  Glück 
haben  schenken  zu  können,  das  er  von  der  Ehe  erhofft  hatte. 
Nicht  lange  vorher  oder  nachher  wurde  auch  der  schwäch- 
liche Knabe  hinweggerafft.  Milton  stand  mit  seinen  drei 
kleinen  Töchtern  allein.  Es  war  die  Zeit,  da  ihm  über  den 
unwiederbringlichen  Verlust  seiner  Sehkraft  keine  Täuschung 
mehr  übrig  blieb,  da  ihn  die  literarischen  Fehden,  zu  denen 
Salmasius'  Bekämpfung  den  Anlass  gegeben  hatte,  in  unab- 
lässige Aufregung  versetzten.  Aber  sein  Muth  gieng  in  den 
Sorgen  des  täglichen  Lebens  nicht  unter.  Wohl  nicht  ohne 
Beziehung  auf  seine  eigene  Lage  wählte  er  sich  im  Jahre 
1653  die  acht  ersten  Psalmen  zu  freier  englischer  Ueber- 
setzung  in  Reimen.  Mit  dem  Psalmisten  rief  er  aus:  „Ach 
Herr,  wie  ist  meiner  Feinde  so  viel,  und  setzen  sich  so  viele 
wider  mich."  Aber  mit  ihm  tröstete  er  sich  auch  in  dem 
Gedanken:  „Du  Herr  bist  der  Schild  für  mich,  und  der  mich 
zu  Ehren  setzet,  und  mein  Haupt  aufrichtet." (^)  Dieselbe 
Stimmung  durchdringt  das  rührende  Sonett  „auf  seine  Blind- 
heit". (*)  Fromme  Ergebung  in  sein  schweres  Schicksal  wird 
ihm  leicht.  Er  klagt  nicht,  so  wenig,  wie  er  gegen  den 
Griechen  Philaras  geklagt  hatte.  Er  weiss:  „Wer  Gottes 
mildes  Joch  am  besten  trägt,  dient  ihm  am  besten". 

Ob  Tausende  auf  seinen  Wink  sich  eilen, 
Hinfliegend  rastlos  über  Land  und  Meer, 
Sie  dienen  auch,  die  ruhii?  harrend  weilen. 


184  Fremde  Besuche  bei  Miltou.  —  Christoph  Arnold. 

Wer  sein  schweres  Loos  mit  so  viel  Fassung  ertrug,  war 
nicht  dazu  geinacht,  das  Leben  einsam  zu  vertrauern.  Im 
Gegentheil  suchte  er  ihm  durch  den  Verkehr  mit  Freunden 
und  Bekannten  noch  manche  schöne  Seite  abzugewinnen. 
Seine  amtliche  Stellung  hatte  es  mit  sich  gebracht,  dass  an- 
gesehene Fremde  seine  Gesellschaft  suchten.  Es  wird  be- 
richtet, dass  das  Parlament  ihn  in  die  Lage  versetzte,  einmal 
im  Laufe  der  Woche  „die  Gesandten  und  Gelehrten  des  Aus- 
landes, namentlich  diejenigen,  welche  Protestanten  waren,"  zu 
Tische  bei  sich  zu  sehen,  und  Cromwell  soll  ihm  die  gleiche 
Gunst  gewährt  haben  (^).  Sein  Ruhm  war  nach  der  Be- 
kämpfung des  Salmasius  in  ganz  Europa  verbreitet.  Fran- 
zosen und  Italiener  sollen  ihn  eingeladen  haben,  ihre  Länder 
zu  besuchen,  indem  sie  es  an  schmeichelhaften  Anerbietungen 
nicht  fehlen  Hessen  Fremde  kamen  nach  London,  um  „den 
Protektor  und  Mr.  Milton'"  zu  sehen.  ]\Ian  suchte  als  eine 
Merkwürdigkeit  das  Haus  auf,  in  dem  er  geboren  war.  Nicht 
leicht  verliess  ein  ausländischer  Gelehrter  die  Stadt,  ohne 
seine  Bekanntschaft  gemacht  zu  haben  (-). 

Ein  paar  Beispiele  dafür  sind  uns  bekannt.  Im  Jahre 
1651  verweilte  der  Deutsche  Christoph  Arnold,  welcher  1653 
Diaconus  an  der  Marienkirche  in  Nürnberg  und  Professor  am 
Egidiengymnasium  daselbst  wurde,  für  längere  Zeit  in  Eng- 
land. Da  Männer,  wie  Durie,  John  Rons,  Hermann  Mylius 
zu  seinen  Bekannten  zählten,  so  konnte  es  ihm  nicht  schwer 
werden,  bei  ihrem  Freunde,  dem  berühmten  Gegner  des  Sal- 
masius, Zutritt  zu  erhalten.  Er  schildert  in  einem  Briefe  den 
Eindruck,  den  ihm  Milton  machte,  die  Anmuth  seiner  Unter- 
haltung, die  Schärfe  seines  Urtheils  über  frühere  englische 
Theologen,  Beim  Scheiden  legte  er  ihm  nach  der  Sitte  der 
Zeit  sein  Album  vor,  das  sich  heute  im  Besitz  des  britischen 
Museums  befindet.  Dort  liegt  ]\Iilton's  kurzer  Eintrag,  dessen 
Unterschrift  jedenfalls  von  ihm  selbst  herrührt,  aller  Einsicht 
offen  (^).  —  Ein  anderer  junger  Deutscher  trat  in  ein  noch 
näheres  Verhältnis  zu  Milton.  Es  war  Peter  von  Heimbach, 
der  Sohn  des  cleveschen  Kanzlers  Winand  von  Heimbach,  der 
in  der  Zeit  des  »Kurfürsten  Georg  Wilhelm  in  den  clevesch- 


P.  V.  Heimbach.  —  Briefwechselm.Heimbach,  deBras8,L.  v.Aitzema.  185 

niederländischen  Angelegenheiten  eine  Rolle  gespielt  liatte. 
Peter  Heimbach  war  nach  vollendeten  Studien  1656  mit  den 
Formen  eines  vornehmen  Mannes  in  England  angelangt,  mög- 
licher Weise  damit  ])eauftragt,  im  Interesse  der  verwittweten 
Königin  von  Böhmen  zu  wirken,  vielleicht  auch  in  der  Hoff- 
nung, eine  Stelle  in  Oxford  zu  erhalten.  Für  Cromwell  em- 
pfand er  eine  unl)egrenzte  Verehning,  die  sich  in  einer  kleinen 
Druckschrift  äusserte.  Namentlich  hatte  ihm  sein  Auftreten 
in  der  Angekgenheit  der  Waldenser  imponirt.  Nichts  natür- 
licher ,  als  dass  er  auch  Milton ,  der  die  Depeschen  des  Pro- 
tektors zu  Gunsten  der  Waldenser  abgefasst  hatte,  den  Zoll 
seiner  Huldigung  darbrachte.  Er  reiste  zwar  noch  im  Laufe 
des  Jahres  1656  wieder  von  London  ab,  vermuthlich  nach 
Amsterdam.  Aber  Milton  blieb  mit  ihm  in  brieflicher  Ver- 
bindung, die  sich  über  zehn  Jahre  erstreckte.  Er  nahm  seine 
Hilfe  in  Anspruch  bei  der  Anschaffung  eines  Atlas,  der  freilich, 
wie  er  selbst  bemerkte,  ihm,  dem  Blinden,  von  wenig  Nutzen 
sein  konnte.  Heimbach  hinwiederum  wünschte  durch  ihn  zur 
Stelle  eines  Sekretärs  beim  englischen  Gesandten  in  den 
.Niederlanden  empfohlen  zu  werden.  Noch  sechs  Jahre  nach 
der  Restauration  gedachte  er  in  alter  Anhänglichkeit  seines 
englischen  Freundes  (^). 

Unter  den  Fremden  waren  es  indessen  nicht  nur  Deutsche, 
die  im  A'erkehr  mit  Milton  Genuss  fanden.  Französischer  Ab- 
kunft war  vermuthlich  ein  gewisser  Henri  de  Brass,  an  den 
er  gleichfeJls  nach  seiner  Abreise  von  England  mehrere  Briefe 
richtete,  ^11  feiner,  treffender  Bemerkungen  über  die  Aufgabe 
des  Historikers  und  den  historischen  Stil(-).  Dem  frieslän- 
dischen  Stamm  gehörte  der  bekannte  Publicist  Leo  von 
Aitzema  an,  der  als  Agent  für  die  Hansestädte  in  London 
Milton's  Umgang  gesucht  hatte,  und  in  gleicher  p]igenschaft 
nach  dem  Haag  gesandt,  die  Absicht  hatte,  Milton's  Schrift 
über  die  Ehescheidung  in's  Holländische  übersetzen  zu 
lassen  (3). 

Von  allen  Fremden  aber,  die  vorübergehend  oder  für 
längere  Zeit  in  London  auftauchten  und  mit  Milton  in  Be- 
rührung kamen,  war  keiner  merkwürdiger,  als  Roger  Williams. 


186  Eoger  Williams  in  England.     Verkehr  mit  Milton. 

Der  Gründer  von  Rhode-Island  hatte  Ende  1652  ein  zweites 
Mal  die  Reise  über  den  Ocean  gewagt,  um  die  rechtliche 
Stellung  und  den  inneren  Frieden  seiner  Kolonie  durch  Ver- 
handlungen mit  den  Behörden  des  Mutterlandes  aufs  neue 
zu  sichern.  Zwei  Jahre  lang  verweilte  er  auf  englischem 
Boden  und,  wie  bei  seinem  ersten  Besuch  der  Heimat,  fand  er 
auch  dies  Mal  bei  dem  gesinnungsverwandten  Henry  Vane  die 
beste  Unterstützung  und  gastfreie  Aufnahme.  Unter  den  son- 
stigen Männern  von  Ansehen,  mit  denen  er  verkehrte,  waren 
Cromwell  und  Milton.  Eine  ihm  bekannte  englische  Dame 
konnte  ihm  freilich  nicht  verzeihen,  dass  er  mit  dem  Verfasser 
des  Bilderstürmers  umgehe,  mit  dem  Manne,  „der  zwei  oder 
drei  Frauen  zu  gleicher  Zeit  gehabt",  und  den  Gott  schon 
auf  Erden  für  seine  Sünden  ,, mit  Blindheit  gestraft  habe".  Er 
aber  schenkte  den  Stimmen  aus  royalistischem  Lager  kein 
Gehör  und  wusste  Milton's  Bekanntschaft  zu  schätzen.  „Es 
gefiel  dem  Herrn  —  schrieb  er  einem  seiner  amerikanischen 
Freunde  —  mich  einige  Zeit  lang  mit  mehreren  Personen 
Hebräisch,  Griechisch,  Lateinisch,  Französisch  und  Hollän- 
disch treiben  zu  lassen.  Der  Sekretär  des  Staatsraths 
(Mr.  Milton)  hat  mir  für  mein  Holländisch,  das  ich  ihm  las, 
manche  andere  Sprache  gelesen."  Indessen  für  Milton  und 
Williams  gab  es  wichtigere  Gegenstände  gemeinsamer  Theil- 
nahme.  Ueber  dem  Austausch  ihrer  sprachhchen  Kenntnisse 
versäumten  sie  gewiss  nicht  den  Austausch  ihrer  Gedanken 
über  die  grossen  kirchlich -politischen  Fragen,  die  sie  seit 
Jahren  unablässig  beschäftigten.  Milton  war  als  Theoretiker 
so  ziemlich  zu  dem  Grundsatz  der  Trennung  von  Kirche  und 
Staat  bekehrt  worden.  Williams  hatte  diesen  Grundsatz  in 
Rhode -Island  zuerst  in's  Leben  eingeführt.  Wie  früher,  so 
redete  er  ihm  auch  dies  Mal  in  England  mit  Entschiedenheit 
das  Wort.  Er  wurde  dadurch  der  Bundesgenosse  aller  derer, 
welche  die  Sorge  für  die  Erfüllung  kirchlicher  Aufgaben 
lediglich  dem  freien  Willen  einzelner  Gleichgesinnter  über- 
lassen wissen  wollten.  Unter  den  Schriften,  die  er  1652  in 
London  veröftentlichte,  war  eine,  deren  Titel  schon  andeutete, 
dass  ihr  Verfasser  beabsichtigte,  in  den  Streit  der  englischen 


Sonette  an  C.  Skinner  und  Lawrence,  187 

Parteien  einzugreifen.  Sie  nannte  sich  „Die  Miethlingsgeist- 
lichkeit  keine  Geistlichkeit  Jesu  Christi  oder  ein  Gespräch 
über  die  Auslireitung  des  Evangeliums".  Was  Williams  da- 
mals ausführlich  in  Prosa  begründet  hatte,  war  von  Milton 
kurz  und  bündig  in  seinem  Sonett  an  Cromwell  angedeutet 
worden.  Mit  dem  Gründer  von  Pihode-Island  hatte  der  Dichter 
vollkommen  übereingestimmt  in  der  Bekämpfung  der  „Mieth- 
lingswölfe,  deren  Gott  ihr  Bauch". 

So  anregend  der  Umgang  mit  Williams  auch  war,  so 
konnte  Milton  sich  seiner  doch  nur  für  kurze  Zeit  erfreuen. 
Er  hatte  es  anderen ,  die  nicht  nur  vorübergehend  in  seiner 
Nähe  verweilten,  zu  danken,  wenn  er  in  seiner  hilflosen  Lage 
sich  nicht  verlassen,  sondern  sein  Haus  durch  anmuthige  Ge- 
selligkeit belebt  fand.  Gerne  schloss  er  sich  an  einige  Jüngere 
an,  unter  denen  ihm  sein  ehemaliger  Schüler,  Cyriack  Skinner, 
am  nächsten  stand.  Zwei  Sonette  hat  er  an  ihn  gerichtet, 
beide  anscheinend  dem  Jahre  1655  angehörig,  aber  sehr  ver- 
schieden im  Ton.  In  dem  einen  erklärt  er  dem  jungen 
Freunde  mit  stolzen  Worten,  was  ihn  in  der  Nacht  seiner 
Blindheit  aufrecht  erhalte:  das  Bewusstsein,  sein  Augenlicht 
der  Vertheidigung  der  Freiheit  zum  Opfer  gebracht  zu  haben, 
„jener  Vertheidigung,  von  der  ganz  Europa  spricht".  Durch 
das  andere  fordert  er  Skinner  auf,  sich  für  kurze  Zeit  seinen 
Studien  zu  entziehen  und  alle  Sorgen  mit  ihm  in  harmloser 
Fröhlichkeit  zu  ertränken.  Eine  ähnliche  poetische  Einladungs- 
karte richtet  sich  an  den  jungen  Lawrence,  den  Sohn  des 
Staatsrathspräsidenten,  der  in  der  zweiten  Vertheidigung  des 
englischen  Volkes  rühmende  Erwähnung  gefunden  hatte.  In 
diesen  Versen  tritt  aufs  deutlichste  hervor,  dass  der  blinde 
Dichter  weit  davon  entfernt  war,  griesgrämig  zu  werden.  Mit 
wahrem  Behagen  malt  er  aus,  wie  sie  vor  dem  Winternebel 
zum  traulichen  Kamin  flüchten,  an  einem  gewählten  Mahl  und 
gutem  Trunk  sich  erquicken  und  nach  Tisch  dem  Klang  der 
Laute  oder  kunstvollem  Gesang  lauschen  wollen.  Denkt  man 
sich  noch  den  witzigen  Journalisten  Marchmont  Needham  von 
der  Partie,  so  hat  man  das  Bild  einer  kleinen  Gesellschaft, 
deren  jugendliche  Munterkeit  dem  schwer  geprüften  Bewohner 


188  jVIilton's  Neffen.  —  Andrew  Marvell. 

des  Gartenhauses  in  Petty-France  einige  Stunden  lang  ver- 
gessen lassen  mochte,  was  er  schon  Trübes  in  eben  diesen 
Räumen  erlebt  hatte  (i). 

Ob  seine  beiden  Neffen  sich  gleichfalls  zu  diesen  ein- 
fachen Gastereien  einstellten,  mag  man  bezweifeln.  Ihre 
literarische  Tätigkeit  konnte  ihrem  Oheim  und  Erzieher, 
wenigstens  nur  ausnahmsweise  gefallen,  und  ihre  politischen 
Ansichten  liefen  den  seinigen  geradezu  entgegen.  Sie  ge- 
hörten beide  jenen  lebenslustigen  Kreisen  der  englischen 
Jugend  an,  die  den  Zwang  puritanischer  Strenge  unwillig  er- 
trug und  sich  vorläufig  mit  den  Waffen  des  Spottes  in  Prosa 
und  Versen  zu  rächen  suchte.  So  erschien  1655  „eine  Satire 
gegen  Hypokrites",  in  der  die  bittersten  Angriffe  gegen  alles, 
was  dem  Puritanismus  heilig  war,  oft  in  sehr  unanständiger 
Form  gerichtet  waren.  Der  ungenannte  Verfasser  war  nie- 
mand anders  als  der  jüngere  Neffe  Milton's,  welcher  gänzlich 
vergessen  zu  haben  schien,  dass  er  einige  Jahre  vorher  dessen 
Ehre  gegen  eine  royalistische  Schmachschrift  veitheidigt  hatte. 
Sein  älterer  Bruder  Edward  konnte  zwar  als  Uebersetzer 
spanischer  Novellen,  als  Herausgeber  der  Gedichte  Drummond's 
und  eines  „allgemeinen  Wörterbuches*'  auf  Milton's  Theil- 
nahme  rechnen.  Aber  seine  „Geheimnisse  der  Liebe  und  Be- 
redtsamkeit"  (1658),  eine  Sammlung  von  Musterbriefen,  Versen 
und  Redensarten  zum  Gebrauch  der  galanten  englischen 
Stutzer  war  wenig  nach  dem  Geschmack  des  grossen  puri- 
tanischen Schriftstellers  (2). 

Er  brauchte  nicht  weit  zu  suchen,  um  in  seinem  Be- 
kanntenkreise auf  eine  Persönlichkeit  zu  stossen,  an  deren 
geistigen  Erzeugnissen  er  besseres  Gefallen  finden  konnte. 
Zu  seinen  vertrautesten  Freunden  gehörte  Andrew  Marvell. 
Wir  haben  des  Namens  von  Marvell  schon  mehrfach  gedacht. 
Er  war  es  gewesen,  der  sich  in  so  begeisterter  Weise  über 
die  „zweite  Vertheidigung  des  englischen  Volkes"  ausge- 
sprochen hatte.  Ihn  hatte  sich  Milton  vor  Jahren  nach  dem 
Tode  Weckherlin's  und  nach  dem  Erlöschen  des  Augenlichts 
als  Gehilfen  in  seinem  Amte  ausgebeten.  Damals  war  die 
Empfehlung  nicht  beachtet  worden.    Ein  Mann  von  geringeren 


Andrew  [Marvell,  189 

Gaben,  Philipp  Meadows,  trat  dem  Erblindeten  zur  Seite. 
Aber  als  Meadows  1657  eine  Mission  nach  Dänemark  über- 
nahm, wurde  das  „lateinische  Sekretariat"  zwischen  jSIilton 
und  Marvell  getheilt.  Die  beiden  Männer,  welche  von  nun 
an  Amtsgenossen  waren,  müssen  schon  seit  lange  mit  einan- 
der befreundet  gewesen  sein.  Man  darf  es  aus  den  Worten 
schliessen,  mit  denen  Milton  ehemals  seinen  Schützling  em- 
pfohlen hatte.  Wenn  er  seine  „Umgangsformen,  seine  Kennt- 
nis der  holländischen,  französischen,  italienischen  Sprache, 
seine  Belesenheit  in  den  lateinischen  und  griechischen  Autoren" 
gerühmt  hatte,  war  er  nicht  blossen  Gerüchten,  sondern  seinem 
eigenen  Urtheil  gefolgt.  Diese  lobende  Charakteristik  war  in 
der  That  nicht  unverdient.  Andrew  Marvell  (geb.  1621) 
hatte  unter  der  Leitung  seines  Vaters,  Lehrers  und  Predigers 
in  Hüll,  eine  vortreffliche  Erziehung  genossen,  im  Trinity- 
College  zu  Cambridge  seine  akademische  Bildung  erworben 
und  durch  ausgedehnte  Reisen  auf  dem  Festland  seinen  Ge- 
sichtskreis erweitert.  Nach  England  zurückgekehrt  und  in 
die  Parteikämpfe  der  Revolution  versetzt,  blieb  er  zunächst 
den  royalistischen  Neigungen  seiner  Jugend  treu,  wie  er  denn 
noch  später  des  ,, tragischen  Schaftbttes",  auf  dem  ein  König 
sein  „schönes  Haupt"  niederlegte,  mit  melancholischer  Theil- 
nahme  gedachte.  Er  nahm  indessen  keinen  Anstand,  1650 
in  den  Dienst  des  parlamentarischen  Generals  Lord  Fairfax 
zu  treten,  der  ihm  die  Erziehung  seiner  Tochter  Mary  anver- 
traute. Einige  glückliche  Jahre  vergiengen  ihm  auf  dem  Land- 
sitze der  vornehmen  Familie,  Jahre,  in  denen  die  Gestalt 
Oliver  Cromwell's  immer  entschiedener  in  den  Vordergrund 
trat,  und  der  friedliche  Bestand  des  Gemeinwesens  sowie  die 
Grösse  der  auswärtigen  Politik  Englands  mit  der  Erhaltung 
von  Cromwell's  Machtstellung  untrennbar  verknüpft  zu  sein 
schienen.  Ohne  seine  Trauer  über  das  Schicksal  Karls  L  zu 
verläugnen,  erfüllte  sich  Marvell  mit  einer  aufrichtigen  Be- 
wunderung des  Protektors.  Er  trat  ihm  persönlich  dadurch 
näher,  dass  er  der  Lehrer  eines  jungen  Menschen  wurde,  dem 
Cromwell  sein  Interesse  schenkte.  Er  nahm  aus  Cromwell's 
Hand  das  Amt  an,  welches  ihn  zu  einem  Kollegen  Milton's 
machte. 


190  Andrew  Marvell. 

Es  konnte  nicht  fehlen,  dass  Milton  sich  zil  dem  jüngeren 
Gefährten  hingezogen  fühlte.  Dieser  war  eine  ihm  kongeniale 
Natur,  wenn  auch  die  Ansichten  beider  Männer  in  einzelnen 
Fragen  von  einander  abwichen.  Man  braucht  nur  einen 
Blick  inMarvell's  Werke  zu  werfen,  um  sich  davon  zu  überzeugen, 
dass  er  mit  Milton  den  idealistischen  Schwung ,  die  unaus- 
löschliche Freiheitsliel)e  und  selbst  den  Hang  zu  bitterer 
Satire  vollkommen  theilte.  Eine  Schrift,  wie  diejenige  „über 
das  Wachsthum  des  Papismus  und  der  Willkürherrschaft  in 
England",  die  aus  Marvell's  Alter  stammt,  ein  gleichzeitiges 
Zeugnis  englischen  Unabhängigkeitssinnes  und  protestan- 
tischer Unduldsamkeit,  dabei  ein  Muster  männlicher,  leiden- 
schaftlicher Prosa,  ist  wie  von  Milton'schem  Geiste  durch- 
drungen. Vor  allem :  Marvell  war  ein  Dichter,  ja  die  Epoche 
der  Republik  und  des  Protektorats  kennt  ausser  Milton  keinen 
bedeutenderen  Vertreter  der  Poesie  als  ihn.  In  seinen  Jugend- 
gedichten, leichtflüssigen  Versen,  für  welche  Liebe  und 
Freundschaft  oder  eine  sinnige  Betrachtung  der  Natur  und 
des  Landlebens  die  Quelle  ist,  zeigt  sich  noch  die  starke 
Nachwirkung  der  arkadischen  Schule  und  des  Donne'schen 
Geschmacks.  Schon  hier  indessen  gelangt  der  Gedankenreich- 
thum  und  eine  eigenthüniliche  Mischung  von  Grazie  und 
Strenge  im  Ausdruck  nicht  selten  zur  Geltung.  Am  meisten 
ursprünglich  erscheint  aber  Marvell's  Talent  in  den  Gedichten 
politischen  Inhalts,  sowohl  in  denen,  welche  ihm  die  Begeiste- 
rung vor  der  Ptestauration  wie  die  Entrüstung  nach  derselben 
eingab.  Die  Reihe  jener  wird  durch  die  Ode  auf  „Cromweirs 
Rückkehr  aus  Irland"  eröffnet,  einen  Triumphgesang  nach 
horazischem  Vorbild,  den  der  ehemalige  Anhänger  des  König- 
thums  sich  gedrungen  fühlt,  „dem  Sohn  des  Krieges  und  des 
Glücks"  zu  weihen.  Der  ganze  kecke  Seemannstrotz  des 
Engländers  spricht  aus  dem  Siegesliede  zum  Preise  des 
Kampfes  bei  Teneriff"a,  in  welchem  der  „tapfere  Blake"  den 
„Stolz  des  Spaniers"  gebeugt  hatte.  Aber  einen  noch  höheren 
Platz  nehmen  jene  pomphaften  Jamben  ein,  welche  die  erste 
Wiederkehr  des  Tages  feiern,  an  dem  das  Protektorat  be- 
gründet  worden   war.     Ein  gut  gemeintes  Gedicht  des  uner- 


Samuel  Hartlib  und  seine  Bestrebungen.  191 

müdlichen  alten  Georg  Wither  „Der  Protektor"  tritt  hinter 
Marvell's  poetischem  Tiibut  gänzlich  in  Schatten.  Seine 
Leistung  kann  nur  mit  dem  Panegyricus  auf  Cromwell  ver- 
glichen werden,  durch  welchen  der  aus  dem  Exil  zurück- 
gekehrte Edmund  Waller  seine  Vergangenheit  zu  sühnen  ver- 
suchte. Während  Waller  den  Herrscher  schmeichlerisch 
„Protektor  der  Welt"  nennt,  vergleicht  ihn  Marvell  der 
Sonne,  die  jeden  Tag  mit  neuem  Glanz  aufgeht.  Milton  er- 
scheint dadurch  grösser  als  beide,  dass  er  über  seiner  Be- 
geisterung nicht  versäumte,  dem  Protektor  freimüthige  War- 
nungen zuzurufen,  wie  sie  freilich  in  einer  prosaischen  Ab- 
handlung besser  am  Platz  waren,  als  in  einem  Festgedicht (^). 
Wenn  Andrew  Marvell  neben  Milton  in  gebundener  und  un- 
gebundener Rede  als  getreuer  Diener  der  Protektoratsregierung 
vor  die  Oeffentlichkeit  trat,  so  wirkte  ein  anderer  der  alten 
Freunde  Milton's,  Samuel  Hartlib,  nicht  weniger  eifrig  auf  seine 
Weise  im  stillen.  Der  merkwürdige,  nach  England  verschlagene 
Deutsche  war  seiner  Natur  vollkommen  treu  geblieben.  Von 
Krankheiten  geplagt  und  häufig  in  Geldverlegenheit,  war  er 
unermüdlich,  sich  seinen  Freunden  dienstfertig  zu  erzeigen 
und  auf  das  Wohl  seiner  Mitmenschen  zu  denken.  Ohne  auf 
einem  einzigen  wissenschaftlichen  Gebiet  zu  glänzen,  ja  oft 
^enug  von  ganz  abergläubischen  Vorstellungen  befangen,  konnte 
er  doch  auch  damals  als  Mittelpunkt  zahlreicher  feingebildeter 
und  strebsamer  Geister  gelten  und  stand  mit  den  grössten 
Gelehrten  des  In-  und  Auslandes  in  regem  Gedankenaustausch. 
Es  gab  noch  besondere  Gründe,  aus  denen  eine  Befestigung 
seiner  Beziehungen  zu  Milton  hervorgehen  musste.  Auch 
Hartlib  war  gleichsam  Milton's  Kollege,  wennschon  in  einem 
anderen  Sinne  wie  Marvell.  Er  war  bereits  vor  der  Be- 
gründung des  Protektorats  den  republikanischen  Behörden  als 
«ine  brauchbare  Persönlichkeit  erschienen.  Nachdem  Crom- 
well das  Staatsruder  ergriffen  hatte,  machte  er  sich  auch 
diesem  in  mehr  als  einer  Weise  nützlich.  In  der  grossen 
Sammlung  von  Aktenstücken,  die  aus  dem  Kabinet  des  Staats- 
sekretärs Thurloe  stammen,  findet  man  Zeitungen  und  Kund- 
schaften,  deren  Adresse    diejenige  Hartlib"s    ist.     Er  sendet 


\g2  Samuel  Hartlib  und  seine  Bestrebungen. 

dem  Agenten  CromwelFs  in  der  Schweiz  briefliche  Berichte,  und 
dessen  Depeschen  nehmen  Yorsichts  halber  ihren  Weg  durch 
seine  Hand.  Einmal  erscheint  er  sogar  mit  dem  officiellen 
Titel  eines  „Sekretärs"  (^). 

Ein  Mann,  der  über  ganz  Europa  hin  seine  Korrespon- 
denten hatte,  war  in  der  That  wie  dazu  geschaffen,  um  auch 
für  politische  Zwecke  als  eine  unverdächtige  Mittelsperson  zu 
dienen,  und  er  blickte  seinerseits  voll  von  Bewunderung  und 
Hoffnungen  auf  die  Gestalt  CromwelFs.  Von  diesem  schien 
man  endlich  eine  Unterstützung  der  mannichfachen  Vorschläge 
„zum  unendlichen  Vortheile  Englands  und  der  Kolonien"  er- 
warten zu  dürfen,  welche  Hartlib  nicht  abliess  in  zahlreichen 
Schriften  dem  „unparteiischen  Leser"  zu  unterbreiten  (2).  Die 
meisten  von  ihnen  drehen  sich  um  Verbesserungen  des  Acker- 
baues. Ein  Werk,  das  freilich  nur  von  Hartlib  herausgegeben 
ist,  ohne  von  ihm  verfasst  zu  sein,  eine  Beschreibung  Irlands, 
ist  ausdrücklich  Cromwell  und  Fleetwood  gewidmet.  Vor  allem 
die  beiden  alten  Lieblingsfragen,  die  Frage  einer  „Korrespon- 
denz" und  Allianz  sämmtlicher  Evangelischen,  wie  die  Frage 
einer  Reform  des  Unterrichtswesens,  traten,  nachdem  sich 
die  neue  Regierungsgewalt  in  England  befestigt  hatte,  wieder 
in  den  Vordergrund. 

Der  religiöse  Zug,  welcher  die  auswärtige  Politik  des 
Protektors  eine  Zeit  lang  beherrschte,  war  ganz  nach  Hart- 
lib's  Sinn.  Durie  und  Pell,  die  beiden  Männer,  die  im  Auf- 
trage Cromwell's  für  die  gemeinsame  reformirte  Sache  wirkten, 
gehörten  zu  seinen  genauesten  Freunden.  Auch  nachdem  sie 
von  ihren  Missionen  zurückgekehrt  waren,  stand  er  mit  dem 
Gedanken  einer  Union  der  reformirten  Kirchen,  als  unerläss- 
licher  Vorbedingung  einer  engeren  politischen  Verbindung, 
nicht  allein,  wie  denn  das  letzte  Parlament  des  Protektors 
einen  darauf  bezüglichen  Beschluss  gefasst  hatte  (^).  Dies 
Bewusstsein  des  reformirten  Gemeingefühls,  dem  die  englische 
Politik  der  Zeit  Ausdruck  gab,  schien  auch  dem  alten  Freunde 
Hartlib's,  Amos  Comenius,  zu  gute  kommen  zu  sollen.  Der 
gi'osse  Pädagog  war  1648  nach  Polnisch-Lissa  übergesiedelt 
wo  er  an    der  Spitze    einer  kleinen  Brüdergemeinde    stand. 


Samuel  Hartlib  und  seine  Bestrebungen.  193 

Nur  für  wenige  Jahre  vertauschte  er  diesen  Wohnort  mit 
Saros-Patak  in  Ungarn,  wohin  ihn  eine  Einladung  der  Fürstin 
von  Siebenbürgen  zum  Zwecke  der  Durchführung  von  Schul- 
reformen gerufen  hatte.  Nach  Lissa  zurückgekehrt,  erlebte 
er  dort  1656  den  Sturm  des  katholischen  Adels  gegen  die 
schwedische  Besatzung,  welcher  mit  Einäscherung  der  Ortschaft 
endigte.  Die  reformirte  Kirche  gieng  bei  dem  Brande  zu 
Grunde,  die  Brüder  zerstreuten  sich,  Comenius  verlor  alle 
seine  werthvollen  Bücher  und  Handschriften.  Diese  Katastrophe 
von  Lissa  erregte  in  England  die  grösste  Theilnahme.  Hartlib 
versäumte  keinen  Augenblick,  für  die  unglücklichen  Glaubens- 
brüder zu  wirken.  Mit  Erlaubnis  der  Regierung  wurden 
Sammlungen  für  sie  veranstaltet,  und  der  Plan  wird  erwähnt, 
ihnen  Wohnsitze  in  Irland  anzuweisen  (').  Indessen  fand  dieser 
Gedanke,  wofern  er  überhaupt  nicht  nur  in  der  Phantasie 
Hartlib's  und  seiner  Freunde  bestanden  hat,  keine  Verwirk- 
lichung. Die  Glieder  von  Comenius'  Gemeinde  wandten  sich 
grossen  Theils  nach  Schlesien,  ihm  selbst  gewährte  die  Fa- 
milie seines  alten  Gönners  de  Geer  in  Amsterdam  eine  Zu- 
flucht. 

Die  ununterbrochene  Verbindung  mit  Comenius  nöthigte 
Hartlib  von  selbst  dazu,  die  Frage  der  Unterrichtsrefoi  m  immer 
im  Auge  zu  behalten.  Wie  Milton,  so  hoffte  auch  er,  dass  mit 
dem  Protektoi'at  eine  neue  Aera  des  Schulwesens  und  der  ge- 
lehrten Bildung  anbrechen  werde.  In  einer  kleinen  Schrift 
über  das  lateinische  Sprachstudium  betonte  er  nachdrücklich 
die  hohe  Wichtigkeit  einer  Verbesserung  des  Unterrichts.  Sie 
ist  ihm  „die  tiefste  Grundlage  aller  anderen  guten  Einrich- 
tungen", und  er  lässt  keinen  Zweifel  darüber,  dass  dieser 
Gegenstand  nach  seiner  Ansicht  zu  den  höchsten  Aufgaben 
der  zeitigen  Staatsgewalt  gehöre.  Durch  seinen  Sohn  suchte 
er  den  Staatssekretär  Thurloe  für  seine  pädagogischen  Refoim- 
pläne  zu  gewinnen.  Alle  Fortschritte,  welche  in  Oxford  und 
Cambridge  gemacht  wurden,  verfolgte  er  mit  höchstem 
Eifer (^).  In  diesem  Zusammenhang  nahm,  wie  immer,  der 
Plan,  eine  grosse  gemeinnützige  und  wissenschaftliche  Gesell- 
schaft zu  gründen,  eine  vornehme  Stelle  ein.  Das  geheim- 
st er  u,  Milton  u.  s.  Z.    II.  3.  13 


194  Samuel  Hartlib  und  seine  Bestrebungen. 

nisvolle  Wort  ,,^Iakana",  welches  sich  so  häufig  in  dem  Brief- 
wechsel Hartlib's  vorfindet,  deutet  auf  den  Namen  dieser  er- 
träumten Genossenschaft  hin,  von  der  er  die  Beförderung 
alles  Guten  und  Schönen  erhoffte.  Aehnliche  Ideen  bewegten 
mehrere  seiner  Zeitgenossen  und  eben  solche,  die  ihm  per- 
sönlich nahe  standen.  Ein  merkwürdiger  Brief  John  Evelyn's 
an  Robert  Boyle  befürwortet  die  Bildung  einer  „Societät", 
Boyle  selbst  schenkte  solchen  Bestrebungen  noch  immer  das 
gleiche  Interesse,  das  er  seit  Jahren  gegenüber  Hartlib  an 
den  Tag  gelegt  hatte.  Auch  wurden  gerade  unter  seiner 
Theilnahme  jene  Gelehrtenzusammenkünfte  fortgesetzt,  die 
schon  den  Keim  der  „Royal  Society"  in  sich  trugen  (i).  Von 
dem  Pfälzer  Theodor  Haak  veranlasst,  von  Hartlib  begünstigt, 
dauerten  sie  unter  der  Republik  und  dem  Protektorat  in  London 
fort,  während  gleichzeitig  ähnliche  Vereinigungen  in  Oxford 
zu  Stande  kamen.  Einige  der  bedeutendsten  Mitglieder  jener 
londoner  Gelehrten  -  Genossenschaft  hatten  Anstellungen  in 
der  Universitätsstadt  gefunden,  unter  ihnen  ein  Schw-ager 
CromweH's,  Dr.  Wilkins.  Eine  Zeit  lang  diente  dessen  "Woh- 
nung als  Yersammlungsplatz,  später  diejenige  Boyle's,  der  seit 
1654  in  Oxford  lebte,  bis  sich  kurz  vor  der  Restauration  die 
getrennten  Zweige  im  Gresham  College  wieder  vereinigten. 

Auch  zwischen  diesem  Kreise  und"  Milton  gab  es  mannich- 
fache  Berührungspunkte.  In  dem  Briefwechsel  Hartlib's  und 
Boyle's  wird  sein  Name  einige  I\Iale  erwähnt.  Es  ist  von 
einem  Geheimnis  die  Rede,  das  Milton  mitgetheilt  worden 
ist,  und  welches  der  grosse  Naturforscher  zu  erhalten  wünscht, 
vermuthlich  eines  jener  untrüglichen  Heilmittel ,  die  eine  so 
grosse  Rolle  in  Hartlib's  Korrespondenz  spielen  {^).  "Wenn 
nicht  Boyle  selbst,  so  gehörte  doch  seine  Schwester  Katharine, 
Viscountess  Ranelagh,  nachw^eislich  zu  denjenigen  Personen, 
welche  Milton  in  seinem  Hause  in  Petty-France  häufig  be- 
suchten. Sie  war  eine  Frau,  in  deren  Lob  die  Zeitgenossen 
einig  sind,  von  ebenso  grosser  Herzensgüte  wie  "Verstandes- 
schärfe. Die  Bemerkungen,  die  sie  einmal  gegen  Hartlib  über 
die  Nothwendigkeit  einer  Hebung  der  Volksbildung  macht, 
zeigen  am  deutlichsten,   dass  sie  sich  mit  diesem  und  seinem 


Verhältnis  zu  Lady  Ranelagh,  R.  Jones,    H.  Oldenburg.        195 

Freunde  Milton  in  den  gleichen  Ideen  begegnete  (^).  Unter 
diesen  Umständen  hatte  sie  Milton's  pädagogische  Talente  mit 
Freuden  in  Anspruch  genommen.  Er  war  der  Lehrer  ihres 
Neffen  gewesen,  des  jungen  Grafen  von  Barrimore,  und  ihr 
Sohn,  Richard  Jones,  der  spätere  Graf  von  Ranelagh,  genoss 
gleichfalls  Milton's  Unterricht.  Auch  nach  Oxford,  wohin 
Richard  Jones  zum  Zweck  seiner  weiteren  Ausbildung  1656 
geschickt  wurde,  wie  während  einer  längeren  festländischen 
Reise,  begleiteten  ihn  die  theilnehmeuden  Rathschläge  seines 
alten  Lehrers.  Vier  Briefe  sind  uns  erhalten,  in  denen  er 
den  jungen  Sohn  seiner  Freundin  mit  väterlichem  Ernst  er- 
mahnt, den  schmalen  Pfad  der  Tugend  allen  glänzenden 
Lockungen  vorzuziehn,  unverkennbare  Zeugnisse  der  strengen 
Lebensanschauung,  welche  der  puritanische  Pädagog  in  seinen 
Schülern  auszul)ilden  wünschte  (=^). 

Dies  Verhältnis  zu  Richard  Jones  diente  dazu,  Milton's 
Beziehungen  zu  einem  geistreichen  Manne  enger  zu  knüpfen, 
der  ihm  schon  von  früher  her  nahe  stand.  Der  Bremenser 
Heinrich  Oldenburg  war  1653  als  Agent  seiner  Vaterstadt 
nach  London  gelangt  und  erwarb  mit  der  Zeit  daselbst  in 
Gelehrtenkreisen  grosses  Ansehen.  Er  wurde  der  Schwieger- 
sohn John  Durie's  und  dadurch  in  den  nächsten  Freundes- 
kreis Älilton's  eingeführt.  Ohne  Zweifel  hatte  er  schon  vorher 
als  ^lentor  des  jungen  Richard  Jones  die  Aufgabe  über- 
nommen, jNIilton's  Erziehungswerk  fortzusetzen.  Er  begleitete 
seinen  vornehmen  Schützling  nach  Oxford  wie  auf  das  Fest- 
land, verweilte  längere  Zeit  mit  ihm  in  Saumur  und  in 
Paris  und  blieb  fortwährend  mit  Milton  in  brieflicher  Ver- 
bindung. Er  hatte  immer  etwas  Interessantes  mitzutheilen. 
Bald  spielte  er  auf  eine  neue  literarische  Erscheinung  an. 
Bald  berührte  er  die  politischen  Tagesereignisse.  Milton's 
Antworten  sind  eingehend,  sehr  freundschaftlich  gehalten,  mit- 
unter etwas  scharf.  Oldenburg's  Schilderungen  des  Lebens  in 
Oxford  veranlassten  ihn  zu  bitteren  Bemerkungen  über  die  engli- 
schen Universitäten.  Aber  noch  weniger  angenehm  fühlte  er  sich 
durch  gewisse  Mittheilungen  berührt,  die  ihm  der  sorgsame 
Freund  aus  Frankreich  übersandte.    Wie  Oldenburg  daselbst 

13* 


196     Briefwechsel  mit  R.  Jones,  H.  Oldenburg.  E.  Bigot,  J.  Labadie. 

erfahren  hatte,  war  dem  alten  Gegner  Milton's,  Alexander 
Monis,  eine  Berufung  an  die  Gemeinde  von  Charenton  zuge- 
kommen. Für  ]\Iilton  war  der  Gedanke  unerträglich,  dass 
ein  Mann,  den  er  für  eine  Schmach  des  geistlichen  Standes 
hielt,  eine  der  wichtigsten  Kanzeln  der  reformirten  Kirche 
einnehmen  sollte.  Er  hatte  mehrere  Exemplare  seiner  gegen 
Morus  gerichteten  Schriften  zur  Vertheilung  an  Oldenburg 
geschickt,  da  bisher  nur  eines  nach  Saumur  gedrungen  war, 
und  wünschte  den  Franzosen  über  den  sittlichen  Werth  ihres 
Landsmannes  die  Augen  zu  öffnen.  In  der  That  dauerten  die 
Verhandlungen  der  französischen  und  der  holländischen  Sy- 
noden üljer  Morus'  Antecedentien  mehr  als  zwei  Jahre.  In 
Holland  wurden  Beschuldigungen  gegen  ihn  laut,  welche  die 
furchtbare  Anklage,  die  INIilton  einst  gegen  ihn  geschleudert 
hatte,  vollkommen  zu  rechtfertigen  schienen.  Allein  die  fran- 
zösische Xationalsynode  von  Loudun  bestätigte  ihn  (1660)  auf 
seinem  Posten  in  Charenton  mit  der  Mahnung,  die  freilich 
fruchtlos  blieb,  in  Zukunft  vorsichtiger  zu  sein  und  keinen 
Anstoss  zu  geben  (^). 

Wäre  uns  von  dem  Briefwechsel  Milton's  mehr  als  einige 
spärliche  Reste  erhalten,  so  würde  sich  ohne  Zweifel  noch 
klarer  erkennen  lassen,  wie  vielseitig  seine  persönlichen  Be- 
ziehungen waren.  Zwar  standen  ihm  nicht  alle  seine  Korre- 
spondenten so  nahe  wie  Oldenburg.  Mitunter  war  es  ein 
auswärtiger  Gelehrter,  wie  jener  ausgezeichnete  französische 
Philologe  und  Büchersammler  Emery  Bigot,  der  bei  Gelegen- 
heit einer  englischen  Reise  Milton  kennen  und  schätzen 
gelernt  hatte  und  nach  seiner  Rückkehr  in  die  Heimat  von 
ihm  ersucht  wurde,  ihm  einige  Bände  der  eben  erscheinenden 
Ausgabe  byzantinischer  Historiker  zu  verschaffen  (^).  Mitunter 
war  es  ein  Hilfe  suchender  Bittsteller,  wie  jener  vom  Katho- 
licismus  abgefallene  Jean  Labadie  in  Orange,  dessen  Schick- 
sale Milton  durch  Durie  bekannt  geworden  waren,  und  dem 
er  in  London  eine  Stelle  zu  verschaffen  hoffte  (^).  Bruchstücke 
eines  Briefwechsels  des  Dichtei's  mit  einem  seiner  alten 
Collegegenossen,  Andrew  Sandelands,  sind  erst  kürzlich  zum 
Vorschein  Gekommen,   und  man  darf  die  Hoffnung  nicht  auf- 


Verheiratung  m.  Katharine  Woodcock.  —  Tod  von  Mutter  u.  Kind.    197 

geben,    dass    ein    glücklicher  Zufall  noch  diesen  oder  jenen 
ähnlichen  Beitrag  an's  Licht  fördere  (^). 

So  viel  steht  fest:  es  war  ein  grosser  Kreis  zum  Theil 
bedeutender  Persönlichkeiten,  mit  welchem  jNIilton  auch  nach 
seiner  Erblindung,  während  er  seines  Amtes  waltete,  in  Ver- 
bindung stand.  In  der  Nähe  und  in  der  Ferne  wurde  seiner 
mit  Verehrung  und  Theilnahme  gedacht,  und  der  Umgang 
mit  geistreichen  und  liebenswürdigen  Fremden  konnte  ihm 
eine  Zeit  lang  ersetzen,  was  an  häuslichem  Glück  zu  entbehren 
ihm  doppelt  schmerzlich  sein  musste.  Er  hatte  indessen  schon 
vier  Jahre  nach  dem  Tode  von  jMary  Powell  ein  zweites  Mal 
den  Versuch  gewagt,  dies  Glück  zu  erringen.  Die  neue  Mutter, 
die  er  am  12.  November  1656  seinen  Kindern  gab,  hiess  Ka- 
tharine Woodcock.  Wir  wissen  über  ihre  Familie  nichts 
weiter,  als  dass  sie  die  Tochter  eines  Kapitän  Woodcock  von 
Hackney  war,  und  von  ihr  selbst  würden  wir  nicht  fähig  sein, 
uns  irgend  ein  Bild  zu  machen,  wenn  der  Dichter  nicht  dafür 
gesorgt  hätte,  ihre  Gestalt  mit  dem  Strahlenkranz  der  Poesie 
zu  umgeben.  Sein  Glück  war  nur  von  kurzer  Dauer.  Am 
19.  Oktober  1657  wurde  ihm  eine  Tochter  geboren,  die  gleich- 
falls auf  den  Namen  Katharina  getauft  ward.  Aber  die  Mutter, 
von  den  Nachwehen  der  Geburt  erschöpft,  fristete  nur  noch 
bis  zum  10.  Februar  1658  ihr  Leben,, und  einen  ^lonat  später 
folgte  das  Kind  ihr  in  das  Grab  nach,  ^lilton  stand  wieder 
allein.  Ein  allzu  flüchtiger  Traum  hatte  ihm  die  Nacht  seiner 
Blindheit  verschönt.  Nur  im  Schlummer  kehrte  ihm  das  Bikl 
der  entschwundenen  Seligkeit  zurück.  So  suchte  er  es  fest- 
zuhalten in  einem  rührenden  Sonett,  das  mit  der  klagenden 
Grazie  von  Petrarca  und  Camoens  zu  wetteifern  sucht  (-).  Er 
glaubt  die  ihm  geraubte  „Heilige"  gleich  Alkestis  vom  Tode 
wieder  auferstanden,  obwohl  noch  „blass  und  schwach'',  so  wie 
er  einst,  wenn  auch  ihm  die  Binde  von  den  Augen  gefallen 
sein  wird,  „im  Himmel  ihren  vollen  Anblick''  zu  geniessen 
hofft.     Sie  kam 

In  -weissem  Kleid,  gleich  ihrer  Seele  rein, 
Das  Haupt  verhüllt.    Jedoch  ein  heller  Schein 
Von  Huld  und  Güte,  wie  mir  nie  sich  zeigte, 


198    Sonett  auf  die  zweite  Frau.  —  Herausgabe  der  „Regierungskunst"  . 

Floss  aus  von  ihr;  doch  ach,  als  sie  sieh  neigte, 
Mich  liebend  zu  umfahn,  bin  ich  erwacht. 
Sie  floh,  und  mit  dem  Tag  kam  meine  Nacht. 

Vielleicht  um  sich  in  seinem  Schmerz  durch  Beschäfti- 
gung zu  zerstreuen,  veröffentlichte  er  in  demselben  Jahre 
1658  ein  kleines  Buch,  in  dem  er  allerdings  nichts  Selbst- 
ständiges mittheilte,  sondern  durch  welches  er  das  Andenken 
eines  grossen  Landsmannes  erneute.  Es  war  ein  Traktat 
„über  die  Regierungskunst"  von  Walter  Raleigh,  der  sich  nach 
Milton's  Vorwort  in  einer  verlässlichen  Abschrift  „viele  Jahre 
lang  in  seinen  Händen  befunden  hatte''.  Er  hatte  das  Manu- 
skript „zufällig  unter  anderen  Büchern  und  Papieren"  wieder 
entdeckt  und  hielt  es  mit  Recht  der  Herausgabe  für  werth. 
Wenn  der  Inhalt  seinen  eigenen  Anschauungen  mitunter  ent- 
gegenlief, so  war  doch  auch  mehr  als  eine  dieser  ]Maximen 
dem  alten  Freiheitskämpfer  wie  aus  der  Seele  geschrieben (^.. 
Weit  ernster  indessen,  als  kleine  Gelegenheitsarbeiten  der 
Art  musste  der  Lauf  der  öffentlichen  Angelegenheiten  seinen 
Geist  beschäftigen  und  von  den  schmerzlichen  Erinnerungen 
des  häuslichen  Lebens  zur  sorgenvollen  Betrachtung  der  Ge- 
schicke seiner  Nation  hinlenken. 


Die  Tage  des  grossen  Mannes,  dessen  mächtige  Persön- 
lichkeit das  englische  Gemeinwesen  zusammenhielt,  neigten 
sich  ihrem  Ende  zu.  Nach  der  Auflösung  des  Parlaments 
am  4.  Februar  1658  hatten  sich  die  Schwierigkeiten  für 
Cromwell  auf  allen  Seiten  gehäuft.  Die  finanzielle  Lage  der 
Regierung  gab  zu  lebhaften  Besorgnissen  Anlass.  Die  Ruhe 
des  Landes  war  durch  äussere  und  innere  Feinde  bedroht. 
Selbst  die  persönliche  Sicherheit  des  Herrschers  erschien  im 
höchsten  Masse  gefährdet.  Verschwörungen  fanatischer  Sektirer 
vom  Schlage  Harrisou's  wurden  leicht  entdeckt  und  an  der 
Ausbreitung  gehindert.  Aber  um  so  grössere  Befürchtungen 
erweckten  die  Anschläge  der  Royalisten.  In  Flandern  sam- 
melte sich   um   den  Prätendenten   aus  dem  Hause  Stuart  ein 


Schwierige  Stellung  des  Protektorats.  199 

Invasionsheer  von  geflüchteten  Anhängern  des  Königthums 
und  spanischen  Hilfstrappen.  In  England  sollte  gleichzeitig 
mit  der  Landung  dieses  Heeres  an  mehreren  Stellen  das 
Zeichen  zum  Aufruhr  gegeben  werden.  Royalistische  Agenten 
waren  im  stillen  überaus  thätig,  nicht  ohne  auf  die  Unzu- 
friedenheit alter  Republikaner  zu  rechnen,  und  insgeheim 
langte  der  Herzog  von  Ormond  in  London  an,  um  die  Be- 
wegung zu  leiten.  Aber  die  Polizei  des  Protektors  hatte 
scharfe  Augen,  Was  ihrer  Wachsamkeit  entgieng,  brachte  der 
A'errath  einzelner  Abtrünniger  aus  dem  feindlichen  Lager  an 
den  Tag.  Crom  well  durchschaute  das  ganze  Gewebe  der 
Verschwörung,  noch  ehe  ihre  Fäden  fest  in  einander  griffen. 
Er  liess  Ormond  bedeuten,  dass  er  seinen  Aufenthalt  kenne 
und  veranlasste  ihn  dadurch  zur  Abreise.  Gegen  die  Rädels- 
führer, denen  die  Ausführung  des  Planes  oblag,  kannte  er 
keine  Schonung.  Sie  wurden  in's  Gefängnis  geworfen,  vor 
einen  ausserordentlichen  Gerichtshof  gestellt,  und  an  zweien 
von  ihnen  wurde  das  Todesurtheil  vollstreckt.  In  gleicher 
Weise  misslang  das  Vorhaben,  die  Stadtbehörden  von  London 
zu  überfallen,  die  Wachen  zu  überrumpeln,  den  Tower  zu 
besetzen.  Auch  dies  Komplott  wurde  i-echtzeitig  entdeckt,  und 
mehrere  der  Verschworenen  büssten  mit  dem  Tode. 

Mit  der  unaufhörlichen  Aufregung  über  die  Bedrohung 
der  Ruhe  im  Lande  verband  sich  die  Sorge  wegen  der  Ge- 
staltung der  auswärtigen  Verhältnisse.  Der  Bund  mit  Frank- 
reich hatte  Cromwell  allerdings  zu  grossartigen  Erfolgen  ver- 
holfen.  Aber  einem  Verbündeten  wie  Mazarin  war  niemals 
völlig  zu  trauen.  Die  Möglichkeit  einer  vorzeitigen  Ver- 
ständigung zwischen  Frankreich  und  Spanien,  welche  die 
englischen  Interessen  geschädigt  haben  würde,  war  unver- 
kennbar, und  bffld  nachdem  Cromwell  die  Augen  geschlossen 
hatte,  wurde  jene  Verständigung  wirklich  zu  Wege  gebracht. 
Kiclit  minder  lief  die  Politik  der  nordischen  Mächte  den  Ab- 
sichten der  Protektoratslegierung  entgegen.  Der  Kampf 
zwischen  Schweden  und  Dänemark  brach  wieder  aus.  Die 
Eintracht   aller    Bekenner   der   „reinen    Lelire",   zu    welcher 


200  "Tod  Uliver  Cromwells. 

Milton's  Feder  die  Streitenden  ermahnt  hatte,  Hess  mehr  zu 
wünschen  übrig  als.  jemals  vorher. 

Vergeblich  suchte  Cromwell  im  Kreise  der  Seinigen  eine 
Erleichterung  der  schweren  Lasten  zu  finden,  die  das  Leben 
ihm  aufgebürdet  hatte.  Der  Charakter  seines  ältesten  Sohnes 
gab  ihm  wenig  Bürgschaften  dafür,  dass  er  einst  das  Regi- 
ment im  Geiste  des  Vaters  fortführen  werde.  Sein  Schwieger- 
sohn Fleetwood,  wie  sein  Schwager  Desborough  neigten  sieh 
den  radikalen  Ansichten  der  Anabaptisten  zu.  Im  Februar 
1658  war  ihm  der  plötzliche  Tod  des  Gemahls  seiner  Tochter 
Frances  sehr  nahe  gegangen.  Aber  unvergleichlich  tiefer 
fühlte  er  sich  erschüttert,  als  ihm  im  August  seine  Lieblings- 
tochter, Lady  Elisabeth  Claypole,  nach  langen  Qualen  geraubt 
wurde.  Er  wich  nicht  von  ihrem  Krankenbett  in  Hampton- 
court, manchen  bangen  Tag  vergass  er  über  dem  Vater  den 
Herrscher,  die  Phantasien  der  Tochter  führten  ihm  schreckhafte 
Bilder  seiner  Vergangenheit  vor,  und  als  er  sein  Kind  hatte 
sterben  sehn,  war  seine  eigene  Kraft  gebrochen.  Seine  schwer- 
müthige  Stimmung  wurde  durch  Fieberanfälle  und  die  Schmerzen 
der  Gicht  noch  gesteigert.  Er  suchte  sich  durch  die  Tröstungen 
der  Religion  zu  stärken  und  wieder  aufzuraffen.  Aber  die 
Besserung  seines  Zustandes  war  nur  von  kurzer  Dauer.  Der 
Stifter  der  Quäker-Genossenschaft,  der  ihm  damals  begegnete, 
als  er  an  der  Spitze  seiner  Leibgarde  den  Park  von  Hampton- 
court durchritt,  fasste  den  Eindruck,  den  ihm  sein  Anblick 
machte,  in  die  Worte  zusammen:  „Ich  sah  und  fühlte  einen 
Hauch  des  Todes  gegen  ihn  ausgehen."  Auf  Anrathen  seiner 
Aerzte  siedelte  er  nach  Whitehall  über.  Dort  nahm  indessen 
seine  Krankheit,  die  Folge  eines  fortgeschrittenen  Milzleidens, 
eine  gefährliche  Wendung.  Mehrere  Tage  lang  schwebte  er 
zwischen  Tod  und  Leben.  In  den  Augenblicken  des  Bewusst- 
seins  hörte  man  ihn  feurige  Gebete  murmeln,  während  die 
independentischen  Geistlichen  den  Himmel  um  seine  Erhal- 
tung anflehten,  und  ein  gewaltiger  Orkan,  über  Land  und 
See  wüthend,  das  Königsschloss  umbrauste.  Am  3.  September, 
seinem  Glückstage,  der  die  Siege  von  Dunbar  und  Worcester 
bezeichnete,  hatte  er  ausgekämpft. 


Tod  Oliver  CroinweH's.  201 

Die  Leiche  wurde  einbalsamirt  und  in  der  Stille  in  der 
Kapelle  Heinrichs  VII.  beigesetzt.  Statt  ihrer  blieb  eine 
wächserne  Nachbildung  des  Herrschers,  mit  königlichem 
Pmnk  umgeben,  Wochen  lang  auf  einem  Staatsbett  in 
Somerset -House  ausgestellt,  um  am  23.  November  in  dem 
pomphaftesten  Trauerzug  einher  geführt  zu  werden,  der  sich 
durch  die  dichtgedrängten  Volksmassen  und  das  Spalier  der 
Soldaten  nach  der  ehrwürdigen  Abtei  von  Westminster  be- 
wegte. In  langen  Reihen  schritten  sie  einher:  die  Diener  des 
Hofhalts,  die  hohen  Staatsbeamten,  die  Offiziere  der  Flotte 
uiid  die  Führer  des  Heeres,  die  Vertreter  der  Geistlichkeit 
und  der  hauptstädtischen  Bürgerschaft,  die  Botschafter  der 
fremden  Mächte  und  die  nächsten  Anverwandten  des  abge- 
schiedenen Helden.  Sein  Schlachtross,  mit  schwarzem  Sammet 
behangen,  gieng  dem  Sarge  voraus,  seine  Rüstung  und  sein 
Schwert  wurden  ihm  vorgetragen,  und  über  den  Häuptern 
der  ernsten  Schaar  erhoben  sich  die  stolzen  Banner  der 
Reiche,  die  das  Scepter  des  Gewaltigen  beherrscht  hatte. 
Auch  Milton  war  in  dem  Trauerzuge  zu  sehen.  Er  war  von 
den  übrigen  „Sekretären  der  französischen  und  lateinischen 
Sprache"  umgeben.  An  seiner  Seite  schritten  die  Freunde: 
Andrew  Marvell  und  Samuel  Hartlib(^). 

Marvell  legte  einen  Kranz  poetischer  Immortellen  am 
Grabe  des  Protektors  nieder,  der  junge  Dryden  widmete  dem 
Andenken  des  Entschlafenen  seine  ausgefeilten  „heroischen 
Stanzen",  Waller  stimmte  seine  geschmeidige  Leier  zu  einer 
schwülstigen  Klage,  während  Cowley,  seiner  royalistischen 
Ueberzeugung  getreu,  in  einem  klassisch  geformten  Essay  an 
der  Person  und  an  der  Regierung  des  „ungeheuren  Mannes" 
leidenschaftliche  Kritik  übte  (2).  Vier  englische  Dichter  von 
grossem  Namen  hatten  ihr  Urtheil  über  den  Protektor  ge- 
sprochen. Ein  grösserer,  der  ihm  näher  gestanden  hatte,  als 
sie  alle,  übte  die  Entsagung,  seine  Gedanken  über  die  Ver- 
gangenheit und  über  die  Zukunft  in  sich  selbst  zu  ver- 
schliessen. 


Sechstes  Kapitel. 
In  den  letzten  Zeiten  der  Republik. 


JJer  grosse  Staatsmann ,  mit  dessen  Namen  der  Name 
Milton's  für  immer  verknüpft  blieb,  war  nicht  mehr.  Auf 
den  schwachen  Schultern  seines  ältesten  Sohnes  Richard,  den 
der  Protektor  als  seinen  Nachfolger  bezeichnet  hatte,  ruhte 
die  schwere  Aufgabe,  eine  Gewalt  von  völlig  persönlichem 
Ursprung  und  Charakter  fortzusetzen.  In  Milton's  Verhält- 
nissen wurde  durch  diesen  Wechsel  des  Herrschers  nichts 
geändert.  Eine  Reihe  lateinischer  Depeschen  ist  im  Namen 
Richard  Cromwells  von  ihm  verfasst  worden  (^).  Sehr  bald 
indessen  traten  Ereignisse  ein,  welche  die  bestehende  politi- 
sche Ordnung  auflösten  und  auch  Milton  in  Mitleidenschaft 
zogen.  Der  neue  Protektor ,  leichtlebig  und  energielos,  ohne 
ausgeprägte  politische  und  religiöse  Ueberzeugungen ,  war 
nicht  der  Mann,  inmitten  der  grossen  Parteigegensätze  eine 
gebietende  Stellung  zu  behaupten.  Die  Royalisten  hofften 
alles  von  seiner  Schwäche.  Die  entschiedenen  Republikaner 
athmeten  freier  auf.  Die  Führer  des  Heeres  weigerten  sich 
anzuerkennen,  dass  das  Generalat  wie  das  Protektorat  eine 
erbliche  Würde  sei  und  erneuerten  den  alten  Kampf  zwischen 
militärischer  und  bürgerlicher  Gewalt.  Von  dieser  Seite 
drohte  der  Regierung  zunächst  die  grösste  Gefahr.  Die 
wöchentlichen  Zusammenkünfte  der  Obersten  in  Wallingford- 
house   beunruhigten   den  Protektor   und    seine  Anhänger  im 


Protektorat  Richard  Cromweirs.  —  Zusammentritt  d.  Parlaments.  203 

höchsten  Masse,  ^'on  hier  aus  verbreitete  sich  der  Geist  der 
Unbotmässigkeit  im  Heere.  Fanatische  Sektirer  wühlten 
gegen  die  Söhne  des  „eidbrüchigen  Yerräthers",  den  nur  sein 
starkes  Schwert  hatte  schützen  können.  Der  ehrgeizige  Lam- 
bert, der  mit  Oliver  Cromwell  gebrochen  hatte,  weil  er  sich 
nicht'  genugsam  für  seine  Dienste  belohnt  glaubte ,  kam  aus 
seiner  Zurückgezogenheit  wieder  zum  Vorschein.  Desborough 
und  Fleetwood,  die  nahen  Verwandten  des  Protektors,  traten 
mit  ihren  Wünschen  radikaler  Umgestaltung  auf  bürgerlichem 
und  kirchlichem  Gebiet  hervor,  die  sie  zu  Lebzeiten  Oliver's 
hatten  unterdrücken  müssen.  In  Fleetwood ,  dem  verdienten 
Soldaten  und  vorgeschrittenen  Independenten,  forderten  die 
Offiziere  ihr  Haupt,  und  er  selbst  war  nicht  gewillt  dem 
Schwager,  der  keine  kriegerischen  Lorbeeren  aufzuweisen 
hatte,  den  Platz  zu  räumen. 

Der  junge  Protektor  und  seine  Vertrauten  sahen  kein 
anderes  Mittel  den  Sturm  zu  beschwören  als  die  Berufung 
eines  Parlaments,  welches  am  27.  Januar  1659  zusammen  trat. 
Der  Hof  von  Whitehall  hatte  sich  der  willkürlichsten  Mittel 
bedient,  um  seinen  Einfluss  zu  sichern.  Bei  den  Wahlen 
zum  Unterhause  wurde  das  reformirte  System  verlassen  und 
das  veraltiete  Verfahren  wieder  befolgt,  wie  es  unter  der 
IMonarchie  bestanden  hatte.  In  Irland  und  Schottland  waren 
die  Erwählten  nichts  mehr  als  blosse  Ernannte  der  Regierung. 
Dennoch  blieb  es  zweifelhaft,  ob  sie  in  allen  Fällen  über  die 
Majorität  verfügen  könnte.  Eine  beträchtliche  Anzahl  von 
Mitgliedern  war  von  unbestimmbarer  politischer  Färbung. 
Kicht  wenige  waren  eingedrungen,  die  ihre  royalistische  Ge- 
sinnung nur  zeitweilig  verbargen.  Die  entschiedenen  Repu- 
blikaner bildeten  eine  Gruppe,  deren  Stärke  zwar  nicht  ge- 
fährlich erschien,  deren  Kühnheit  aber  aufs  äusserste  zu 
fürchten  war.  Und  hier  nahm  neben  den  Scott,  Ludlow, 
Haselrig,  Bradshaw  auch  Henry  Vane  wieder  eine  hervor- 
ragende Stellung  ein.  Welchen  Eindruck  musste  es  auf  Milton 
machen,  wenn  dieser  Parteiführer,  den  er  so  hoch  verehrte, 
den  Rechtsgrund '  der  ganzen  bestehenden  Verfassung  läugnete 
und    ihr   die   Idee    der    unveräusserlichen    Volkssouveränetät 


204  Abschaffung  des  Protektorats. 

gegenüberstellte.  Mit  welchen  Gefühlen  miisste  er  vernehmen, 
dass  sein  alter  Freund  Overton  vor  das  Parlament  citirt  und 
von  diesem  als  widerrechtlich  verhaftet  in  Freiheit  gesetzt 
wurde (1).  Jede  neue  Debatte,  die  in  dieser  Versammlung 
geführt  ward,  konnte  ihm  zeigen,  wie  unversöhnlich  sich  die 
Parteien  gegenüber  standen,  wie  rasch  sich  die  Fugen  dieses 
künstlichen  Staatsbaues  lösten,  nachdem  die  Hand  seines 
Gründers  und  Wächters  erkaltet  war.  Mit  heimlicher  Freude 
bemerkten  die  Roy  allsten,  dass  der  Gegensatz  zwischen  Heer 
und  Protektor  sich  zu  einem  Gegensatz  zwischen  Heer  und 
Parlament  erweiterte.  Die  scharfe  Kritik,  die  an  den  Will- 
kürhaudlungen  der  letzten  Regierung  geübt  wurde,  traf  in 
erster  Linie  die  höheren  Officiere.  Sie  beschwerten  sich  bei 
Richard  Cromwell  über  die  Angriffe,  denen  sie  ausgesetzt 
waren.  Sie  drangen  auf  Bürgschaften  für  die  Aufrechthal- 
tung der  „alten,  guten  Sache".  Die  Trennung  des  Oberbefehls 
vom  Protektorat  blieb  nach  wie  vor  ihr  wichtigstes  Ziel. 
Allein  während  Richard  Cromwell  mit  der  Mehrheit  des  Unter- 
hauses sich  diesen  Ansprüchen  entgegenstellte,  verständigten 
sich  die  Officiere  mit  ihren  republikanischen  Gegnern.  Auch 
diesen  kam  alles  darauf  an,  die  Macht  des  Protektorats  zu 
schwächen  und  die  „alte  gute  Sache"  gegen  die  Umtriebe 
der  Kavaliere  zu  schützen.  Richard  Cromwell  hatte  weder 
den  Muth  noch  die  Mittel,  den  Kampf  für  die  Erhaltung 
seiner  eigenen  und  der  parlamentarischen  Autoiität  auf  sich 
zu  nehmen.  Verlassen  von  den  Soldaten,  die  ihren  ge\vohnten 
Führern  folgten,  gab  er  dem  Andringen  der  Obersten  nach, 
das  Parlament  aufzulösen  (22.  Aprilj. 

Er  besiegelte  damit  sein  eigenes  Schicksal.  Noch  waren 
mehrere  der  höheren  Officiere  geneigt,  ihn  seiner  Würde 
nicht  gänzlich  zu  berauben,  aber  die  Masse  des  Heeres  be- 
trachtete ihn  mit  einem  Misstrauen,  das  nur  durch  Entfernung 
von  seinem  Regentenposten  gehoben  werden  konnte.  Lam- 
bert ,  der  die  Erfüllung  seiner  ehrgeizigen  Wünsche  heran- 
nahen sah,  wirkte  in  gleicher  Richtung,  Vane,  Haselrig, 
Ludlow  und  ihre  Gesinnungsgenossen  sagten  ebenfalls  ohne 
Zögern    ihre   Bundesgenossenschaft  für   die   Abschaffung  des 


Wiederherstellnng  des  langen  Parlaments.  205 

Protektorats  zu.  Die  reine  Republik,  wie  sie  vor  der  Zer- 
sprengung  des  Rumpparlaments  bestanden  hatte,  sollte  wieder 
hergestellt  werden.  Die  Männer,  welche  vor  CromwelFs 
Musketiren  die  St.  "Stephan's-Kapelle  hatten  räumen  müssen, 
wurden  zu  ihren  Sitzen  zurückberufen.  Der  alte  Sprecher 
des  langen  Parlaments,  Sir  William  Lenthall,  fand  sich  nach 
einigem  Sträuben  bewogen,  sein  Amt  wieder  aufzunehmen. 
Die  traurigen  Reste  dieser  ehemals  so  stolzen  Versammlung 
erhoben  sich  unter  dem  Schutz  der  bewaffneten  Macht  zu 
neuem  Leben  (7.  Mai).  Doch  wurde  ein  baldiger  Schlusstermin 
ihrer  Sitzungen  und  eine  Neuwahl  in  Aussicht  genommen. 

Lediglich  das  Einverständnis  der  Officiere  und  der 
republikanischen  Führer  hatte  diese  überraschende  Wendung 
herbeigeführt,  und  jene  wie  diese  wachten  ängstlich  darüber, 
dass  die  Früchte  des  Sieges  getheilt  würden.  In  dem  Sicher- 
heitsausschuss ,  dem  das  Rumpparlament  die  Exekutive  über- 
trug, Sassen  neben  Lambert  und  Desborough  auch  Vane  und 
Scott.  In  dem  Staatsrath,  der  einige  Zeit  nachher  an  die 
Stelle  dieses  Ausschusses  trat,  hielten  sich  die  militärischen 
und  bürgerlich  -  republikanischen  Elemente  so  ziemlich  das 
Gleichgewicht.  Wurde  Fleetwood  zum  Oberbefehlshaber  aller 
Streitkräfte  in  England  und  Schottland  ernannt,  so  wurden 
die  Bestallungen  der  Officiere  im  Namen  der  Republik  vom 
Sprecher  des  Parlaments  unterzeichnet.  Mit  leichter  Mühe 
gelang  es,  der  gemeinsamen  Gegner  Herr  zu  werden.  Die 
beiden  Söhne  CromweH's  leisteten  keinen  Widerstand.  Richard 
Crom  well  trat  gegen  eine  anständige  Geldabfindung  in's  Pri- 
vatleben über.  Heinrich  Cromwell  legte  mit  grösserer  Würde 
sein  Amt  in  Irland  nieder.  Eine  Familie,  deren  Name  un- 
vergesslich  blieb ,  sank  wieder  in  ihr  früheres  Dunkel  zurück. 
Die  Royalisten  waren  im  stillen  geschäftig  für  die  Wieder- 
herstellung des  Königthums  zu  wirken,  aber  sie  wagten  noch 
keine  offene  Erhebung.  Die  ehemals  ausgestossenen  presby- 
terianischen  I^Iitglieder  des  Parlaments  versuchten  umsonst 
ihr  altes  Recht  geltend  zu  machen.  Es  schien  eine  Zeit  lang 
als  werde  der  unnatürliche  Bund  derjenigen,  welche  die  Pro- 
tektoratsregierung   gesprengt    hatten,    hinlänglich    dauerhaft 


206  Miltons  Schrift:  „Ueber  d.  Verhältnis  d.  Staates  z.  d.  kirchl.  Angl. 

und  kräftig  sein,  um  das  Gemeinwesen  auf  eben  derselben 
Grundlage  wieder  aufzurichten ,  die  ihm  die  Männer  von  ent- 
schieden republikanisch  -  independentischer  Gesinnung  nach 
der  Hinrichtung  des  Königs  zu  geben  versucht  hatten. 

In  diesem  Zusammenhang  traten  auch  die  kirchenpoli- 
tischen Fragen  wieder  in  den  Vordergrund.  Schon  das  Par- 
lament Richard  CromwelFs  hatte  mehrfach  Gelegenheit  gehabt, 
sich  mit  diesen  Fragen  zu  beschäftigen.  So  oft  es  geschah, 
hatte  der  Geist  des  engherzigen  Zelotismus  sich  Luft  gemacht, 
dessen  heissester  Wunsch  darin  bestand,  von  Staats  wegen 
die  Gleichförmigkeit  der  kirchlichen  Lehre  wie  des  kirch- 
lichen Lebens  festzustellen  und  den  Gottesdienst  der  Leute 
von  ketzerischen  Ansichten  zu  unterdrücken  (*).  Mit  der 
Katastrophe,  die  im  Frühjahr  1659  eingetreten  war,  gewannen 
die  Ideen  des  vorgeschrittenen  Independentisnms  wieder  an 
Kraft.  Eine  Petition  der  Officiere  forderte  wenigstens  Frei- 
heit des  ■  Kultus  für  alle  Christen  mit  Ausnahme  der  Papisten 
und  Episkopalisten.  Henry  Vane  sprach  einige  Zeit  nachhei- 
in  einem  der  Committees  den  Grundsatz  aus,  „dass  die 
höchste  Gewalt  den  Bevollmächtigten  des  Volkes  nicht  an- 
vertraut worden  sei,  um  in  Sachen  des  Glaubens  und  Kultus 
einen  Zwang  auszuüben"  (^).  Noch  immer  blieb  man  im 
allgemeinen  dabei,  dass  die  Erhaltung  des  geistlichen  Standes 
Sache  der  staatlichen  Fürsorge  sein  müsse.  Doch  hatten 
die  Angriffe  gegen  die  zur  Zeit  bestehende  Art  der  Erhaltung 
niemals  geruht. 


Auf  diesem  ihm  so  wohl  vertrauten  Gebiet  erschien  nach 
langer  Pause  Milton  aufs  neue  als  Schriftsteller.  Die  Gegen- 
stände von  rein  politischem  Interesse  traten  ihm  für  einige 
Zeit  wieder  hinter  denen  des  religiösen  Lebens  zurück.  Zwei 
Abhandlungen  liess  er  im  Verlauf  von  wenigen  Monaten 
auf  einander  folgen.  Die  eine  führte  den  Titel :  „Ueber  das 
Verhältnis  des  Staates  zu  den  kirchlichen  Angelegenheiten, 
worin  nachgewiesen  werden  soll,  dass  keiner  Macht  auf  Erden 


Praktischer  Zweck.  207 

das  Recht  zusteht,  in  Sachen  der  Religion  Zwang  auszuüben". 
Die  andere  enthielt  „Betrachtungen  über  die  geeigneten 
Mittel,    um   ^liethlinge   aus  der  Kirche   zu   entfernen'\ 

Die  beiden  Schriften  gehören,  wie  man  sofort  bemerkt,  zu 
einander.  „Zwei  Dinge,  beginnt  die  erste,  haben  von  je  der 
Kirche  Gottes  und  der  Ausbreitung  der  Wahrheit  viel  ge- 
schadet: Zwang,  der  ihre  Lehrer  niederdrückt,  und  Miethlings- 
sold,  der  sie  verdirbt.  Von  jenem  will  ich  dies  ^lal  sprechen, 
von  diesem,  je  nachdem  Gott  mich  dazu  anleitet  und  die 
Gelegenheit  sich  bietet".  Und  die  Einleitung  der  zweiten 
Schrift  nimmt  auf  eben  diese  Aufstellung  des  doppelten 
Themas  wieder  Bezug.  Fasst  man  beide  Verötfentlichungen 
zusammen,  so  erhält  man  aus  ihnen  so  ziemlich  das  vollständige 
kirchenpolitische  Programm,  wie  Milton  es  sich  im  Lauf  der 
Zeit  gebildet  hatte.  Beim  Beginn  seiner  literarischen  Thätig- 
keit  hatte  er  die  Frage  vom  Verhältnis  der  Kirche  zum  Staat 
bereits  scharf  in's  Auge  gefasst.  Wiederholt  war  er  auf  sie 
zurückgeführt  worden.  Mitunter  schien  er  durch  seine  ofri- 
cielle  Stellung  verhindert  worden  zu  sein,  sich  mit  voller 
Freiheit  und  Ausführlichkeit  mitzutheilen.  Hier  fielen  der- 
artige Rücksichten  weg.  -Hatte  sich  Milton  gegenüber  der 
imponirenden  Gestalt  des  grossen  Protektors  zwar  keineswegs 
Schweigen,  aber  doch  eine  gewisse  Zurückhaltung  aufgelegt, 
so  fühlte  er  sich  nach  dessen  Tode   von  diesem  Bann  befreit. 

Dem  Parlament,  das  der  schwache  Nachfolger  Oliver's  be- 
rufen hatte,  war  die  erste  der  beiden  Schriften  gewidmet  und 
jNIitte  Februar  war  sie  in  der  Hand  der  Mitglieder  (^).  Sie 
hatte  also  neben  ihrem  theoretischen  Inhalt  einen  rein  prak- 
tischen Zweck.  Ihr  Verfasser  schmeichelte  sich,  dass  sie  dem 
grossen  Rathe  der  Nation  „viel  Mühe  und  Arbeit  ersparen 
werde".  Er  liess  nicht  undeutlich  merken,  wie  nöthig  es  im 
damaligen  Augenblick  sei ,  allgemeine  Grundsätze  zum  Schutz 
der  Gewissensfreiheit  aufzustellen,  da  Zeiten  kommen  könnten, 
in  denen  die  „Macht  bei  anderen"  wäre.  Auch  versprach  er 
sich  eine  günstige  Aufnahme  seiner  Vorschläge,  um  so  mehr 
da  er  sich  erinnerte,  von  „einigen"  Mitgliedern  der  Versamm- 
lung „mehrere  Jahre  hindurch"  und   „oft"   ganz  die  gleichen 


208  Gegen  den  Autoritätsglauben. 

Ansichten  im  Staatsrath  entwickelt  gehört  zu  haben.  Man 
braucht  nicht  zu  sagen,  dass  unter  diesen  ..einigen"  Henry 
Vane  die  vornehmste  Stelle  einnahm.  Die  Ausdrücke,  welche 
Milton  an  dieser  Stelle  gebraucht,  nifen  sofort  die  Erinnerung 
an  das  Sonett  wach,  mit  dem  er  einige  Jahre  vorher  den 
wahlverwandten  Genius  Vane"s  geehrt  hatte. 

Im  Begriff,  seine  Ansichten  zu  entwickeln,  läugnet  er 
zwar  keineswegs,  dass  die  Engländer  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  bereits  „christliche  Freiheit  gemessen",  aber  er  besteht 
ebenso  fest  darauf,  dass  dieselbe  noch  einer  „Erweiterung" 
bedürfe,  und  zwar  ebensowohl  in  Ansehung  des  Glaubens  wie 
des  Kultus.  Fragt  man  aber,  was  diese  Erweiterung  bis  jetzt 
verhindert  hat,  so  ist  es  der  Fehler  der  Regierenden,  „zwischen 
bürgerlichen  und  religiösen  Angelegenheiten  nicht  gehörig  zu 
unterscheiden".  Daher  schreiben  sich  „Verfolgungen,  Ein- 
kerkerungen, Verbannungen,  Strafen,  Schläge  und  Blutver- 
giessen"-,  und  „protestantische  Gewissenstyrannen  tragen  noch 
bei  weitem  mehr  die  Verantwortung  dafür  als  katholische''. 
Hier  knüpft  das  erste  Argument  Milton's  an,  ein  Argument, 
das  er  schon  so  häufig  gebraucht  hatte,  und  das  ganz  und 
gar  auf  puritanische  Gemüther  berechnet  war.  Er  operirt 
wiederum  mit  dem  Hinweis  auf  den  Papismus  und  lässt  seine 
Mitbürger  fühlen,  dass  sie,  die  schon  den  Namen  der  alten 
Kirche  verabscheuten,  nicht  verschmähten  von  ihren  Mitteln 
Gebrauch  zu  machen.  j\Iit  aller  Entschiedenheit  stellt  er  dem 
blinden  Autoritätsglauben  den  Grundsatz  der  Freiheit  indi- 
vidueller Ueberzeugung  gegenüber,  den  er  als  eine  „allgemeine 
Maxime  des  Protestantismus"  bezeichnet.  Allerdings  diese 
individuelle  Ueberzeugung  soll,  wie  er  schon  früher  hervor- 
gehoben hatte,  zunächst  aus  einer  einzigen  Quelle  herfliessen: 
aus  der  Bibel,  Aber  auch  diese  bleibt  keine  Satzung  des 
starren  Buchstabens.  Sie  unterliegt  der  .,Interpretation" 
kraft  „der  Erleuchtung  des  heiligen  Geistes  in  uns".  Es  muss 
jederzeit  erlaubt  sein,  durch  Schrift  und  Wort  über  ihren 
Inhalt  „frei  zu  debattiren",  und  niemand  kann  ein  Ketzer 
genannt  werden,  der  „seinem  Gewissen  und  seiner  Fassungs- 
kraft" folgend,   von  dieser  Erlaubnis  Gebrauch  macht.    Mag 


Bibel  und  Interpretation.  209 

seine  Meinung  dann  auch  immerhin  von  dem  ,. Dogma,  welches 
die  ganze  Kirche  angenommen  hat'",  abweichen,  nicht  er  ist 
im  protestantischen  Sinn  ein  Ketzer,  sondern  derjenige, 
„welcher  gegen  sein  Gewissen  und  gegen  seine  aus  der  Schrift 
geschöpfte  Ueberzeugung  der  Kirche  folgt" .  Haben  nun  aber 
die  „Leiter  der  Kirche  kein  Recht,  in  religiösen  Angelegen- 
heiten Gewalt  anzuwenden,  weil  sie  nicht  unfehlbar  ohne 
innere  Ueberzeugung  die  Gewissen  beherrschen  können,  um 
wie  viel  geringere  Befugnis  der  Art  hat  die  bürgerliche  Obrig- 
keit, da  sie  noch  weniger  Richter  sein  kann".  Das  hiesse 
nichts  anderes  als  ein  „bürgerliches  Pabstthum"  aufrichten, 
„Wir  halten  es  für  thöricht  und  irreligiös,  dass  der  Papist 
Gott  Genüge  zu  thun  vermeint,  wenn  er  glaubt,  was  die 
Kirche  glaubt,  aber  um  wie  viel  stärker  verurtheilt  der 
Protestant  sich  selbst,  der  sich  für  gerechtfei'tigt  hält,  wenn 
er  glaubt,  was  der  Staat  glaubt"! 

Wer  die  Bil)el  als  Fundament  der  heiligsten  Ueber- 
zeugungen  betrachtet,  kämpft  selbstverständlich  auch  wiede- 
rum mit  biblischen  Waffen,  um  seinen  Satz  zu  verfechten. 
Eine  ganze  Phalanx  von  Aussprüchen  der  Schrift  wird  auf- 
geführt. ]\Iit  Siegesbewusstsein  hebt  der  bibelfeste  Autor  hervor, 
dass  auch  solche  darunter  sind,  die  er  früher  „gegen  Sal- 
masius  und  die  tyrannische  Herrschaft  der  Könige  ülier  den 
Staat"  citirt  hat,  während  sie  ihm  nun  „gegen  Erastus  und 
die  tyrannische  Herrschaft  des  Staates  über  die  Kirche" 
dienen  müssen.  Aber  getreu  dem  Grundsatz,  dass  das  ge- 
schriebene Wort  vernunftgemässer  Interpretation  unterliegen 
müsse,  macht  er  sofort  einen  Unterschied  zwischen  altem  und 
neuem  Testament.  Er  hat,  wie  wir  wissen,  nicht  immer 
diesen  Standpunkt  festgehalten.  Als  ihm  die  Gesetzgebung 
über  die  Ehescheidung  reformbedürftig  erschien,  deckte  er  sich 
mit  dem  Schilde  des  mosaischen  Rechtes.  Hier  erklärt  er, 
wie  einst  gegenüber  den  Prälaten,  dass  die  Theokratie  des 
alten  Bundes  mit  dem  Evangelium  aufgehoben  worden,  und 
dass  es  nicht  statthaft  sei,  diese  Analogie  heranzuziehn ,  um 
die  Zwangsmassregeln  des  modernen  Staates  auf  religiösem 
Gebiet  zu  rechtfertigen.    Es  war  die  scharfe  Abfertigung  dei- 

Stern,  Milton  u.   s.  Z.  II.  3.  14 


210  Mangel  eines  legislatorischen  Progi-amms. 

Erastianer,  die  das  Verhältnis  des  Parlamentes  zur  Kirche 
mit  Vorliebe  unter  Ausnutzung  jener  Analogie  konstruirt 
hatten  (s.  o.  IL  206).  —  Aber  es  ist  nicht  nur  der  Geist  des 
Urchristenthums ,  den  er  sich  bei  seiner  Warnung  vor  Auf- 
rechterhaltung des  „bürgerlichen  Pabstthums"  zu  Hilfe  ruft, 
es  ist  das  Gefül  der  Entrüstung,  welche  zu  allen  Zeiten  und 
unter  allen  Umständen  ein  solches  System  erwecken  wird. 
Kaum  jemals  zuvor  hatte  er  so  deutlich  auf  den  sittlichen 
Verderb  hingewiesen,  der  mit  ihm  verknüpft  war.  ,,Ein 
äusserliches  Bekenntnis  erzwingen,  heisst  nur  die  Heuchelei 
erzwingen,  aber  nicht  die  Religion  befördern".  „Zwang  in 
religiösen  Dingen  kann  weder  belehren  noch  Reue  oder  Bes- 
serung herbeiführen,  sondern  im  Gegentheil  nur  Trotz,  Formel- 
wesen, Verstellung  und  jede  Art  von  Sünde  begünstigen". 
Und  zwar  wird  dem  „körperlichen  Zwang"  wiederholt  die 
„Auflegung  von  Geldstrafen"  gleichgestellt. 

Wer  etwa  vennuthen  sollte,  ]Milton  werde  nach  diesen 
Vordersätzen  einen  ausführlichen  Plan  entwickeln,  bestimmte 
legislatorische  Vorschläge  machen,  würde  irren.  Er  begnügt 
sich,  im  ganzen  und  grossen  die  leitende  Idee  möglichst  sicher 
gestellt  und  gegen  alle  Einwürfe  geschützt  zu  haben,  um  so 
mehr,  da  er  schon  damals  die  Absicht  hatte,  in  einer  zweiten 
Schrift  eine  Ergänzung  der  ersten  zu  liefern.  Nur  in  einigen 
praktischen  Fragen,  die  sich  beim  Gegensatz  der  Indepen- 
denten  und  Presbyterianer  oft  genug  aufgedrängt  hatten, 
giebt  er  schon  hier  seine  Meinung  zu  erkennen.  Er  scheint 
einen  Anlauf  dazu  zu  nehmen,  das  Einschreiten  der  Staats- 
gewalt gegen  „Blasphemie"  überhaupt  für  ungehörig  zu  erklären, 
indem  er  die  Gegner  seiner  Theorie  vom  Verhältnis  des  Staates 
zur  Kirche  ersucht,  „das  Volk  nicht  mit  diesem  griechischen 
Worte  so  sehr  in  Schrecken  zu  setzen".  Auch  konnte  selbst- 
verständlich ein  drakonisches  Gesetz,  wie  dasjenige,  welches 
am  2.  Mai  1648  unter  dem  Uebergewicht  der  Presbyterianer 
gegen  Blasphemie  und  Ketzereien  erlassen  worden  war  (s.  o. 
IL  423),  vor  seinen  Augen  nicht  Gnade  finden.  Dagegen 
steht  er  nicht  an,  der  späteren  Ordonnanz  vom  9.  August  1650, 
die  noch  hart  genug  war,  seine  volle  Billigung  zu  Theil  werden 


Gegen  Duldung  des  katholischen  Kultus.  211 

ZU  lassen  (^).  Ein  zweiter  Punkt  betrifft  die  ausgesprochene 
Befürchtung,  dass  mit  dem  Wegfall  staatlicher  Zwangsgewalt 
„unwürdige  und  zügellose  Personen  ermuthigt  werden  würden, 
die  Ausübung  der  religiösen  Pflichten  .zu  unterlassen",  will 
sagen  den  Besuch  des  Gottesdienstes.  Hier  entschied  Milton 
sich  ohne  Zögern  gegen  die  Praxis,  die  so  lange  geherrscht 
hatte  und  die  durch  eine  Akte  vom  26.  Juni  1657  unter  dem 
Protektorat  Oliver  Cromweirs  ausdrücklich  bestätigt  worden 
war(^).  Ein  Protestant  kann  nach  Milton  gar  nicht  zügelnen, 
dass  die  bezeichneten  Personen  ihre  religiösen  Pflichten  wahr- 
haft auszuüben  im  Stande  sind  und  er  macht  auf  den  inneren 
Widerspruch  aufmerksam,  der  darin  liegen  würde,  wenn  die 
Kirche  dieselben  Leute  vom  Genuss  der  Gnadenmittel  aus- 
schliesse,  welche  der  Staat  unter  Androhung  von  Geldstrafen 
in  den  Gottesdienst  treibe.  Endlich  kann  darüber  kein 
Zweifel  sein,  dass  nach  Milton's  Meinung  der  Katholik  von  dem 
geforderten  Anerkenntnis  wenigstens  der  Kultusfreiheit  ausge- 
nommen sein  soll.  Ein  Fortschiitt  über  die  bezüglichen  Stellen 
der  Areopagitica  oder  der  Erklärung  gegen  Ormond  ist 
keineswegs  zu  bemerken.  „Je  mehr  man  die  Religion  der 
Papisten  in  Betracht  zieht,  je  weniger  kann  sie  als  eine 
Religion  gelten,  sondern  eher  als  ein  römisches  Fürstenthum, 
welches  danach  strebt ,  seine  alte  W^eltherrschaft  unter  einem 
neuen  Namen  und  dem  leeren  Schatten  einer  katholischen 
Religion  aufrecht  zu  halten ,  die  man  lieber  eine  'katholische 
Ketzerei  gegen  die  Schrift  nennen  sollte.  Sie  wird  gestützt 
durch  eine  weltliche  und,  ausserhalb  Roms  selbst,  durch  eine 
fremde  Macht,  mit  Recht  ist  sie  daher  der  Obrigkeit  eines 
anderen  Landes  verdächtig  und  wird  nicht  von  ihr  geduldet." 
Dem  Katholicismus  wird  aber  Götzendienst  (Idolatrie)  gleich- 
gestellt, und  es  blieb  unklar,  was  alles  mit  diesem  Schlag- 
wort getroffen  werden  konnte. 

Der  Sturz  der  Protektoratsverfassung  war  erfolgt,  als 
Milton  von  einem  Freunde  die  dringende  Aufforderung  er- 
hielt, seiner  Schrift  die  Ergänzung  zu  Theil  werden  zu  lassen, 
die  er  selbst  schon  halb  und  halb  in  Aussicht  gestellt  hatte. 
Es  war  John  Wall  von  Caversham  in  Oxfordshire,   eine  Per- 

14* 


212  Brief  John  Wall's  an  Miltou. 

sönlichkeit.  über  die  leider  nichts  Näheres  bekannt  ist.  Wall 
hatte  von  Milton  ohne  Zweifel  ein  Exemplar  der  Arbeit  ..über 
das  Verhältnis  des  Staates  zu  den  kirchlichen  Angelegenhei- 
ten" zugesandt  erhalten.  In  einem  Dankschreiben  vom  26.  Mai 
1659  spricht  er  mit  hoher  Achtung  von  dem  Freunde,  der 
von  Jugend  auf  und  auch  in  schlechten  Zeiten  der  Wahrheit 
treu  .geblieben  sei.  Mcht  ohne  Bitterkeit  gedenkt  er  so  man- 
cher unerfüllt  gebliebener  Hoftnungen.  Aber  er  lässt  den  Muth 
nicht  sinken  und  bittet  auch  ]Milton,  der  alten  Fahne  treu  zu 
bleiben.  Da  lag  es  ihm  denn  nahe,  den  Wunsch  auszuspre- 
chen, dass  die  angekündigte  Abhandlung  über  das  Miethlings- 
wesen  nicht  mehr  lange  möge  auf  sich  warten  lassen  (^). 
]\Iilton  zögerte  nicht,  der  Auffordei-ung  Wall's  nachzu- 
kommen. Er  veröffentlichte  seine  ..Betrachtungen  über  die 
geeignetsten  Mittel,  um  Miethlinge  aus  der  Kirche  zu  ent- 
fernen, wobei  auch  über  Zehnten,  Kirchen -Gebühren  und 
-Einkünfte  gesprochen  und  die  Frage  beantwortet  wird,  ob 
die  Geistlichen  vom  Staate  zu  besolden  seien"  {^). 

Die  Schrift  ist  dem  aufs  neue  zusammengetretenen  ..langen 
Parlament"  gewidmet,  und  diese  Zueignung  zeigt  deutlieh,  mit 
welchen  Hoffnungen  Milton  diese  jüngste  Wendung  der  inneren 
Politik  begTüsste.  Er  erinnert  daran,  wie  diese  hohe  Körperschaft 
zuerst  die  Nation  von  der  „doppelten  Knechtschaft  der  präla- 
tischen und  königlichen  Tyrannei"  befreit,  wie  er  selbst  den 
ehrenvollen  Auftrag  erhalten,  „ihre  Thaten  vor  der  ganzen 
Christenheit  gegen  einen  Widersacher  von  nicht  geringem 
Piuf  zu  vertheidigen".  Er  sieht  „nach  einer  kurzen,  aber 
schmählichen  Nacht  der  Unterbrechung-'  in  ihrer  Piückkehr 
das  Morgeuroth  einer  schöneren  Zukunft.  Zielen  jene  Worte 
ohne  Zweifel  nur  auf  die  letzte  Zeit  der  Missregiening  Richard 
Cromwell's  ab.  nicht  auf  die  Glanzperiode  seines  Vaters,  nie- 
mals hatte  Milton  so  unverhohlen  seinen  tiefen  Schmerz  über 
den  Gang  der  öffentlichen  Angelegenheiten  ausgesprochen. 
Wie  viel  getäuschte  Hoffnungen  musste  der  Mann  begraben 
haben,  der  die  zurückgekehrten  Mitglieder  einer  Versamm- 
lung als  ,, Wiederhersteller  der  Freiheit"  preisen  konnte,  deren 
gewaltsame  Auflösung  er  fünf  Jahre  vorher,   wenn   nicht  mit 


Seine  Schrift  „Mittel,  um  Miethlinge  a.  d.  Kirche  zu  eutferueu.  213 

entschiedenem  Beifall,  so  doch  auch  nicht  mit  entschiedenem 
Tadel  begleitet  hatte!  Dass  er  es  über  sich  gewann,  diesen 
Schein  eines  Gesinnungswechsels  auf  sich  zu  nehmen ,  zeigt 
indess ,  wie  weit  er  auch  damals  noch  vom  Standpunkte  der 
Verzweiflung  entfernt  war.  Vor  allem  in  Betreff"  der  kirch- 
lich-politischen Frage  hoff'te  er  von  der  Versammlung  eine 
Verwirklichung  seiner  kühnen  Pläne.  Wenn  er  sah,  dass  sie 
täglich  ., Petitionen  mit  neuen  Vorschlägen  für  die  Gesti-ltung 
des  Gemeinwesens"  entgegennahm,  so  hielt  er  es  für  um  so 
mehr  erlaubt,  „mitzutheilen,  was  sein  Gewissen  ihm  als  wich- 
tig für  die  Freiheit  und  Verfassungsreform  der  Kirche  ein- 
gab". Denn  davon  war  er  überzeugt,  „dass  kein  wie  immer 
ausgedachter  Plan  eines  Gemeinwesens  Erfolg  haben  könne'", 
wenn  nicht  „die  Religion  vom  Monopol  der  Miethlinge  be- 
freit", die  „Begehrlichkeit  und  der  ungerechte  Anspruch  des 
Klerus  auf  anderer  Leute  Gut"  zurückgewiesen  werde. 

Hier  hatte  man  also  die  Nachträge  zu  jener  früheren 
Darlegung  zu  erwarten.  In  beiden  Fällen  war  von  Eingriffen 
des  Staates  in  das  kirchliche  Gebiet  die  Rede.  Aber  dort 
hatte  es  sich  um  die  Anwendung  von  Zwang  geliandelt,  hier 
handelte  es  sich  um  die  finanzielle  Garantie.  Dort  war  von 
dem  äusseren,  hier  war  von  dem  inneren  „Verderb"  der 
Kirche  die  Rede.  Milton  nimmt  keinen  Anstand,  den  zweiten 
Punkt  als  den  bei  weitem  bedenklicheren  zu  bezeichnen. 
„Unter  dem  Druck  der  Gewalt,  wenn  auch  gegen  die  Absicht 
der  Unterdrücker,  gedeiht  und  blüht  die  Religion  oft  am 
besten,  aber  die  Korruption  ihrer  Lehrer,  die  gewöhnliche 
Folge  des  Miethlingssoldes ,  ist  geradezu  das  Gift  der  Wahr- 
heit". Nicht  als  ob  damit  materieller  Gewinn  als  unverträg- 
lich mit  dem  geistlichen  Berufe  gedacht  werden  sollte.  Auch 
hier  ist  „jeder  Arbeiter  seines  Lohnes  werth'',  und  „nur  we- 
nige werden  wie  Paulus  zufrieden  sein,  gratis  zu  predigen". 
Aber  dieser  Lohn  soll  eine  freiwillige  Gabe  der  Gläubigen 
sein,  mit  der  vom  Staate  privilegirten  Landeskirche  soll  auch 
ihr  abgesondertes  Gut  in  Wegfall  kommen,  Steuern  zu  Zwecken 
des  Kultus  dürfen  seitens  des  Staates  nicht  erhoben  werden. 


214  Gegen  staatliche  Pi-üfung  und  Besoldung. 

Es  war  nicht  möglich,  sich  radikaler  in  dieser  Frage  zu  ver- 
halten. Von  der  alten  bischöflichen  Kirche  zu  schweigen, 
die  mit  so  vieler  Mühe  und  so  unvollständig  eingeführte  Pres- 
byterialverfassung ,  ja  selbst  das  Kompromiss,  zu  dem  sich 
Crorawell  verstanden  hatte,  wurde  von  Milton  verurtheilt. 
Er  stellt  die  Begriffe  „Independentismus"  und  „Staatslohn  in 
Sachen  der  Religion"  als  durchaus  unverträglich  einander 
gegenüber.  Die  christliche  Kirche,  „weil  universal",  kann 
nach  ihm  niemals  eine  „nationale"  sein,  sie  besteht  immer 
nur  aus  den  „vielen  einzelnen  Kongregationen,  welche  selbst 
manchen  Veränderungen  unterworfen  sind".  Und  diese  freien 
Gemeinden  sind  nicht  „aus  Zwang  entstanden  oder  aus  dem 
Zufall  nachbarlichen  Zusammenwohnens,  sondern  aus  freiwilliger 
Uebereinstimmung".  Eben  deshalb  gewähren  sie  das  Bild 
,,der  heiligsten  aller  Genossenschaften  auf  Erden".  Es  heisst 
ihr  freies  Wahlrecht  beschränken,  wenn  der  Staat  „Prüfungs- 
kommissionen" (examinant  committees,  p.  373)  zur  Begutachtung 
der  geistlichen  Kandidaten  ernennt,  wie  es  unter  Cromwell 
geschehen  war.  Es  heisst  die  Geistlichen  in  „Staatspensio- 
näre" verwandeln,  wenn  der  Staat  „ihre  Besoldung  in 
seine  Hand  nimmt",  oder  die  Kation  in  ihrer  Gesammtheit 
„durch  Gesetz  zwingt",  dafür  aufzukommen,  wie  es  ihm  bei 
der  „established  church"  der  P'all  zu  sein  schien.  Milton 
sieht  darin  gleichsam  eine  , .blutschänderische  Verbindung", 
ein  „Monstrum",  indem  ein  „politischer  Kopf  auf  einen  geist- 
lichen Körper"  gesetzt  werde.  Kein  Gedanke  daran,  dass  er 
die  geschichtliche  Entwicklung  der  heimischen  Verhältnisse, 
die  Art  und  Weise  der  Entstehung  des  Kirchenguts,  seine 
Schicksale  während  und  nach  der  Trennung  von  Rom,  seinen 
öffentlichen  oder  privatrechtlichen  Charakter  in's  Auge  fasste. 
Er  löscht  so  zu  sagen  die  ganze  Vergangenheit  aus  dem 
Gedächtnis  aus,  um  eine  reine  Tafel  herzustellen,  auf  der 
sich  das  Bild  seiner  kühnsten  Träume  verzeichnen  Hesse. 

Hier  stiess  er  nun  aber  als  auf  ein  Haupthindernis  auf 
jenes  Institut  der  Kirchenzehnten,  auf  dem.  wie  sehr  die 
grosse  Katastrophe  des  sechzehnten  Jahrhunderts  es  auch  ge- 
schmälert hatte,   der  Bestand  der  geistlichen  Stellen  vorwie- 


Bekämpfung  der  Zehnten.  215 

gend  beruhte.  Einundviei-zig  Jahre  waren  vergangen,  seitdem 
John  Seiden  durch  seine  „Geschichte  der  Zehnten"  eine 
ungeheure  Aufregung  hervorgerufen  hatte=  Die  Theorie,  welche 
die  Zehnten  aus  göttlichem  Recht  ableitete,  hatte  sich  von  dem 
damals  erhaltenen  Schlage  niemals  wieder  recht  erholen  können. 
Mit  dem  wachsenden  Druck  des  stuartischen  Regiments,  so- 
dann mit  dem  Fortschreiten  der  revolutionären  Ideen  war  die 
Strömung  erstarkt,  welche  sich  gegen  die  überkommene  Weise 
der  landeskirchlichen  Ausstattung  wandte.  Die  Independenten 
wiederholten  bei  ihren  Angriffen  auf  Patronat  und  Zehnten 
nur,  was  sie  schon  seit  langer  Zeit  auf  ihr  Panier  geschrieben 
hatten,  die  Presbyterianer  dagegen  hielten  um  so  zäher  daran 
fest,  je  mehr  sie  sich  mit  der  Hoffnung  schmeichelten,  ihrer- 
seits des  alleinigen  Genusses  der  Pfründen  theilhaftig  zu  wer- 
den. Der  Sturm,  der  sich  im  kleinen  Parlament  gegen  die 
herkömmliche  Art  der  Erhaltung  des  geistlichen  Standes  er- 
hoben hatte,  war  ohne  weitere  Folgen  vorübergebraust.  Das 
Kompromiss ,  dem  Cromwell  seinen  Schutz  geliehen  hatte, 
konnte  selbst  manchen  independentischen  Geistlichen  mit  dem 
Bestehen  von  Einrichtungen  versöhnen,  deren  Yortheile  auch 
ihm  zu  gute  kamen.  Schon  war  eine  grosse  Literatur  über 
diese  Frage  erwachsen,  und  wiederum  nahm  William  Prynne 
unter  den  presbyterianischen  Kampfhähnen  eine  der  ersten 
Stellen  ein.  Keinen  anderen  hatte  Milton  im  Sinne,  wenn  er 
über  einen  „jüngst  aufgetretenen  hitzigen  Frager  zu  Gunsten 
der  Zehnten"  spottete,  der  daran  kenntlich  sei,  dass  „sein 
Witz  in  den  Marginalnoten  immer  neben  seinem  Witz  im 
Texte  liege",  den  Mann,  der  „einst  ein  feuriger  Reformer  ge- 
wesen, nun  aber  in  entgegengesetzten  Gluthen  rase"(^).  Hatte 
doch  auch  Prynne  einige  Jahre  vorher  von  den  ,, blinden 
Führern"  gesprochen,  welche  „die  Häretiker  und  Schismatiker 
zu  blindem  Gehorsam  zwängen". 

Es  wai-  also  ein  schon  nach  allen  Seiten  hin  durchfurch- 
ter Boden,  den  Milton  betrat.  Unter  den  Argumenten,  die 
er  gegen  die  Zehnten  vorbrachte,  ist  keines,  das  nicht  schon 
von  anderen  aufgestellt  worden  wäre.  Die  ganze  Auseinander- 
setzung über  die  Bedeutung  der  Zehnten  in  der  altjüdischen, 


216  Befürwortung  einer  Säkularisation  zu  Gunsten  d.  Volksbildung. 

als  einer  nationalen  Kirche,  und  was  sich  daran  schliesst, 
findet  sieh  bereits  bei  seinen  Vorgängern.  Eigenthümlich  ist 
ihm  die  mehrfache  Berufung  auf  das  Vorl)ild  der  Waldenser, 
„der  ersten  Reformatoren",  deren  Geschichte,  ihm  vorzüglich 
durch  das  Werk  von  Pierre  Gilles  bekannt  geworden,  seit 
den  blutigen  Ereignissen  des  Jahres  1655  eine  besonders  starke 
Anziehungskraft  auf  ihn  ausüben  musste.  Von  einem  An- 
gritf  auf  die  Zehnten  war  nur  ein  Schritt  zu  machen  zu 
einem  Angriff  auf  die  gesammte  Institution  eines  abgesonder- 
ten Kirchengutes.  Es  ist  in  der  That  eine  Säkularisation  in 
grösstem  Mass-Stabe,  für  die  der  Schriftsteller  seine  Mitbürger 
zu  gewinnen  sucht,  eine  Säkularisation  nach  Art  derjenigen, 
wie  sie  „die  Fürsten  und  Städte  Deutschlands  während  der 
Reformation"  vorgenommen  hatten.  Jenes  Kirchengut,  „aus 
frommen  Gaben  zum  Zwecke  des  Seelenheils"  erwachsen,  „in 
Wahrheit  oft  genug  gleich  einer  Bestechung  Gottes  oder 
Christi  zum  Zwecke  der  Absolution  von  Mördern  und  Ehe- 
brechern", es  steht  nach  der  Ansicht  Milton's  ganz  und  gar 
zur  „Disposition  des  Staates",  der  es  entsprechend  dem  all- 
gemeinen Besten  verwenden  darf.  Milton  lässt  immerhin  noch 
an  erster  Stelle  eine  Verwendung  zum  Zwecke  der  Unter- 
stützung mittelloser  Reiseprediger  bestehn,  ohne  zu  bemerken, 
dass  er  sich  dadurch  wiederum  in  Widerspruch  mit  dem 
Grundgedanken  seiner  Polemik  gegen  das  „Miethlingswesen 
in  der  Kirche"  setzt.  Aber  daneben  sind  es  allgemeine  In- 
teressen, die  Interessen  der  Erziehung  und  Bildung,  denen 
das  eingezogene  Kirchengut  dienen  soll.  Die  Abneigung  gegen 
den  üblichen  Studiengang  der  Universitäten,  wie  sie  in  dieser 
Schrift  wieder  mächtig  durchbricht  und  die  Erinnerung  an 
das  pädagogische  Ideal,  dem  er  selbst  mit  Comenius  und 
Hartlib,  Durie  und  Petty  huldigte,  führen  Milton  zur  Auf- 
stellung eines  Programms,  mit  dem  er  seiner  Zeit  weit  vor- 
auseilte. Ausgerüstet  mit  den  Mitteln,  welche  die  Säkulari- 
sation ihm  an  die  Hand  giebt,  soll  der  Staat  „über  das  ganze 
Land  hin  in  grösserer  Anzahl  Schulen  gründen".  In  diesen 
sollen  „Sprachen  und  Künste  frei  gelehrt  werden",  und  mit 
ihnen  sollen  „öffentliche  Büchersammlungen"  verbunden  sein. 


Bürgerlicher  Charakter  von  Ehe  und  Begräbnis.  217 

Eine  Volksschule  und  Yolksbibliotheken  schweben  dem  Autor 
vor,  und  es  ist  der  Staat,  dem  er  auch  hier  wieder  zur  hei- 
ligen Pflicht  macht,  seine  erste  Aufgabe  darin  zu  erkennen, 
die  Massen  zu  bilden. 

Wurde  somit  das  Gebiet  der  Erziehung  der  modernen 
Macht  zugewiesen,  auf  welche  die  wesentlichsten  Kulturauf- 
gaben der  mittelalterlichen  Kirche  übergegangen  waren,  so 
wagte  Milton  auch  in  anderen  Fragen  den  Schnitt  vorzuneh- 
men ,  der  kirchliche  und  bürgerliche  Befugnisse  von  einander 
trennte.  Wie  die  erzwungenen  Gebühren  für  Taufen  fallen 
sollen,  so  auch  diejenigen  für  „Heiraten  und  Begräbnisse", 
und  zwar  diese  letzten,  weil  weder  zum  einen  noch  zum  an- 
deren eine  geistliche  Mitwirkung  erforderlich  ist.  Die  Idee, 
dass  die  Sorge  für  die  Bestattung  der  Todten  eine  bürgerliche 
Angelegenheit  sei,  sowie  die  der  obligatorischen  Civilehe  tritt  mit 
aller  Klarheit  hervor.  Die  schwankenden  Begriffsbestimmun- 
gen der  früheren  Schriften  über  das  Scheidungsrecht  sind  ver- 
schwunden. Es  ist  vollständig  im  Geiste  des  kleinen  Parla- 
ments gedacht,  wenn  die  Ehe  hier  „eine  bürgerliche  Ordnung", 
ein  „Familienkontrakt"  genannt  wird,  der  ebensowenig  wie 
irgend  ein  anderer  ,.Akt  oder  Vertrag  des  bürgerlichen  Le- 
bens" dadurch  „ungiltig  oder  unheilig  werden  kann",  dass 
er  „ohne  einen  Priester  und  seine  vorgebliche  nöthige  Weihe" 
vorgenommen  wird. 

Nach  allem  Erwähnten  erscheint  es  begreiflich,  wenn  der 
geistliche  Stand  überhaupt  in  dieser  Schrift  in  einer  Weise 
aufgefasst  wird,  welche  von  der  herrschenden  Anschauung 
sehr  bedeutend  abwich.  Zwar  wird  die  Möglichkeit  nicht  in 
Abrede  gestellt,  dass  es  auch  nach  den  einschneidenden  Ver- 
änderungen, die  gefordert  werden,  Männer  geben  könne,  für 
die  das  geistliche  Amt  ausschliesslicher  Lebensberuf  sei.  Aus 
freier  Wahl  der  Kongregation  hervorgegangen  und  durch  deren 
Beiträge  erhalten,  sollen  sie  nach  besten  Kräften  ihren  Be- 
rufspriichten  genügen.  Reichere  Gemeinden,  „die  meist  Ueber- 
fluss  an  Predigern  haben",  mögen  einzelne  von  ihnen  zu  den 
„umliegenden  Dörfern"  aussenden.  Andere  Männer,  getrieben 
von  dem  Verlangen,  „den  Heiland  und  seine  Schüler  nachzu- 


218  Auffassung  des  geistlichen  Standes. 

ahmen",  werden  ..ohne  einer,  einzelnen  Gemeinde  zu  dienen", 
ihr  apostolisches  Amt,  gleichfalls  von  Ort  zu  Ort  wandernd, 
iiber  das  Land  hin  ausüben.  Sie  werden  keiner  kostbaren 
Kirche  oder  verzierten  Kapelle  bedürfen.  Ein  einfaches  Haus 
oder  eine  Scheuer  wird  hinreichen,  die  Gläubigen  um  sie  zu 
versammeln.  „Primitive  Zusammenkünfte  dieser  Art"  werden 
in  kurzem  der  Ausbreitung  des  Christenthums  und  der  Besse- 
rung der  Sitten  mehr  nützen  als  jahrelanges  Predigen  der 
bisherigen  Pfarrer  am  Sitz  ihrer  Pfründe.  —  Diese  Hinnei- 
gung zur  künstlichen  Nachahmung  urkirchlicher  Zustände 
führte  von  selbst  dazu,  wie  es  schon  an  anderen  Stellen  der 
Milton'schen  Schriften  geschehen  war.  die  Nothwendigkeit 
eines  abgesonderten  geistlichen  Standes  zu  läugnen.  Die  Frage 
der  finanziellen  Erhaltung  von  Predigern  und  Seelsorgern,  so 
sehr  sich  der  Autor  bemüht  hatte,  auf  einzelne  Aushilfsmittel 
hinzuweisen,  blieb  doch  immer  eine  offene,  woferne  nicht  die 
Möglichkeit  dargethan  wurde,  dass  die  Ausübung  des  geist- 
lichen Amtes  nicht  zur  alleinigen  Erwerbsquelle  werde.  Es 
wird  daher  für  nothwendig  erklärt,  dass  jeder  in  den  vom 
Staate  gegründeten  Schulen  auch  Gelegenheit  erhalte,  ein 
„ehrliches  Handwerk''  zu  lernen.  „Wie  Paulus  durch  Aus- 
übung seines  Gewerbes  nicht  entehrt  worden  ist",  wie  die 
„Prediger  der  armen  "VYaldenser"  sich  vorzüglich  als  ,,Aerzte 
und  Chirurgen"  erhalten  haben,  so  soll  es  auch  in  der  mo- 
dernen Zeit  nicht  für  eine  Schande  gelten,  wenn  ,. Handwerker 
das  Evangelium  predigen".  „Es  wäre  zu  wünschen,  dass  alle 
Geistlichen  Handwerker  wären,  dann  würden  nicht  so  viele 
von  ihnen  gezwungen  sein,  aus  dem  Predigen  ein  Handwerk 
zu  machen,  weil  sie  kein  anderes  verstehn"  (^). 

Eine  so  gründliche  Veränderung  des  Bestehenden,  wie  sie 
ähnlich  von  gewissen  radikalen  Verfechtern  der  deutschen  Refor- 
mation schon  einmal  verlangt  worden  war,  setzte  selbstver- 
ständlich eine  ganz  neue  Art  des  theologischen  Studiums  voraus. 
Man  erinnert  sich,  wie  wenig  dieses  in  seiner  damahgen  Ge- 
stalt Milton  befriedigte.  Hier  nimmt  er  auf's  neue  Gelegen- 
heit, sich  gegen  die  „Schultheologie"  der  Universitäten  als 
eine  „leere  Sophisterei"  zu  erklären.    Er  verspottet  die  Hau- 


Polemik  gegen  die  „Schultheologie".  219 

fen  von  „Predigten,  Noten  und  Kommentaren  über  alle  Theile 
der  Bibel",  die  „theologischen  Disputationen  von  Professoren 
und  Graduirten",  wie  er  sie  einst  als  Student  kennen  gelernt 
hatte.  In  der  Behauptung  der  angeblich  höchst  nothwendigen 
Vorbildung  auf  der  Universität  sieht  er  so  gut  wie  nichts  als 
einen  Vorwand,  dem  Begünstigten  eine  fette  Stelle,  sei  es  als 
Fellow,  oder  als  Hauskaplan,  oder  als  Pfründner  zu  verschaffen. 
Nach  seiner  Ansicht  kann  ,,so  viel  Gelehrsamkeit,  wie  für  einen 
Geistlichen  nothwendig  ist,  ebenso  gut  und  für  weniger  Geld 
privatim  erlernt  Averden".  „Die  christliche  Religion  wird  aufs 
leichteste  selbst  durch  den  geringsten  Verstand  begriffen." 
Man  braucht,  um  sie  zu  verstehn,  nicht  „sein  Leben  lang  zu 
den  Füssen  eines  Kanzelredners  zu  sitzen",  denn  die  einzige 
wahre  Theologie  ist  „Kenntnis  der  heiligen  Schrift".  Diese 
aber  würde  ausserordentlich  erleichtert  werden  durch  „Ueber- 
setzung  der  ganzen  Bibel  in's  Englische  mit  zahlreichen  No- 
ten", sowie  durch  ,, Herstellung  eines  vollständigen  Systems 
der  Theologie  ohne  den  Jargon  der  Schule  und  metaphysische 
verdunkelnde  Bezeichnungen",  ganz  abgesehen  davon,  dass  die 
öffentlichen  Unterrichtsanstalten  und  Büchersammlungen  die 
Möglichkeit  gewähren  würden,  sich  der  Sprache  des  Urtextes 
und  der  ergänzenden  Wissenszweige  zu  bemächtigen.  Auf 
diese  Weise  hält  Milton,  wie  es  scheint,  einen  besonderen 
Stand  der  Geistlichen  für  durchaus  entbehrlich.  Er  sieht  in 
ihm  nur  einen  „Stamm  von  Leviten,  eine  Faktion,  eine  Kaste 
im  Gemeinwesen",  deren  Glieder  in  „plappernden  Schulen  auf- 
erzogen, auf  Staatskosten  gefüttert,  träge  und  stolz  sich  be- 
ständig gegen  ihre  Ernährer,  die  verachtete  Laienschaft,  auf- 
lehnen". Er  stellt  dem  die  Gemeinschaft  aller  ,. Gläubigen" 
als  „eine  heilige  und  königliche  Priesterschaft"  gegenüber,  aus 
der  nach  „freier  Wahl"  aus  allen  Ständen  vom  höchsten  ., Be- 
amten bis  zum  niedrigsten  Handwerker"  Männer  als  Prediger 
hervorgehn  können,  wenn  „Gott  sie  mit  geistlichen  Gaben 
begnadigt".  „Ich  sage  das,  bemerkt  er  beschwichtigend,  nicht 
aus  Geringschätzung  der  Gelehrsamkeit  oder  des  Predigt- 
amtes, sondern  aus  Hass  gegen  die  übliche  Quacksalberei  von 
beiden". 


220  Einwirkung  der  Quäker, 

Eine  solche  Reaktion  gegen  das  Gewohnte  hatten  die 
Erfahi-imgen  von  beinahe  drei  Jahrzehnten  in  einem  Manne 
hervorrufen  können,  der  es  selbst  an  schulgerechter  theologi- 
scher Bildung  dreist  mit  der  Mehrzahl  der  damaligen  geist- 
lichen "Würdenträger  seines  Vaterlandes  aufnehmen  konnte. 
Eben  damals,  als  ]Milton  diese  kühnen  Ideen  entwickelte, 
wurde  der  Versuch  gemacht,  ihnen  praktische  Geltung  zu 
verschaffen.  Es  war  die  Zeit  des  ersten  Auftretens  der 
Quäker.  Ein  Jahrzehnt  war  verflossen,  seit  der  Begründer 
einer  Sekte,  die  in  kurzem  zu  weltgeschichtlicher  Bedeutung 
anwuchs,  sein  Prophetenamt  begonnen  hatte.  Nach  Art  eines 
Missionspredigers,  wie  er  Milton's  Phantasie  als  Ideal  vorzu- 
schweben schien,  hatte  Georg  Fox  das  Land  durchzogen, 
durch  begeisterte  Rede  auf  die  Massen  gewirkt  und  aller 
Verfolgungen  ungeachtet  sein  Werk  fortgesetzt.  ]\Iit  grösserer 
Entschiedenheit  hatte  sich  niemand  gegen  Zehnten  und  staat- 
liche Besoldung  der  Geistlichen  ausgesprochen  als  er.  Die 
Gesellschaft  der  Freunde,  die  er  an  sich  zu  fesseln  wusste, 
war  von  Jahr  zu  Jahr  zahlreicher  geworden.  Sie  theilten  mit 
ihm  jene  Scheu  vor  der  Schulgelehrsamkeit,  jene  Abneigung 
gegen  die  Absonderung  einer  geistlichen  Kaste,  aus  der  auch 
Milton  kein  Hehl  macht.  Sie  wandten  sich  1658  mit  einer 
Petition  an  den  Staatsrath,  deren  Ausführungen  über  das 
Verhältnis  von  Kirche  und  Staat  Milton  unschwer  hätte  un- 
terschreiben können.  Es  ist  nicht  denkbar,  dass  ihm  die 
ersten  Bestrebungen  des  Quäkerthums  fremd  geblieben  wären. 
Der  Sekretär  CromwelFs  musste  etwas  von  den  schweren  Be- 
sorgnissen erfahren,  die  man  in  den  Kreisen  der  Regierung 
vor  dieser  neuen  Macht,  der  Erbin  aller  Tendenzen  der  Hei- 
ligen, zu  hegen  nicht  müde  wurde.  Das  Vordringen  quäkeri- 
scher Apostel  nach  London,  ihre  grossen  Erfolge  in  gewissen 
Theilen  des  Heeres,  das  Martyrium,  das  so  manche  von  ihnen 
auf  sich  nahmen:  alles  das  konnte  einem  Manne,  der  sich  in 
einer  Art  von  officieller  Stellung  befand,  nicht  Avohl  unbe- 
kannt bleiben.  Mit  Fox  hatte  Cromwell  selbst  denkwürdige 
Zusammenkünfte  gehabt,  die  ihres  Eindrucks  auf  den  Pro- 
tektor nicht  völlig  verfehlten.    Henry  Vane,  der  dem  Dichter 


Einwirkung  von  Roger  Williams.  221 

persönlich  so  nahe  stand,  hatte  längst  Verbindungen  mit  den 
Freunden  angeknüpft.  Von  dem  grausamen  Verfahren,  dessen 
sich  das  Parlament  gegen  eines  ihrer  Häupter,  Jakob  Naylor, 
schuldig  machte,  hatte  im  December  1656  ganz  London  gespro- 
chen (i).  jNIochten  manche  Ausschreitungen  und  Aeusserlich- 
keiten,  in  denen  sich  die  Sekte  gefiel,  Milton  nicht  anmuthen, 
ihre  Lehre  von  der  inneren  Erleuchtung  konnte  ihm  wohl 
kongenial  sein,  die  Verfolgung  vieler  ihrer  Mitglieder  lief  sei- 
nen theuersten  Ueberzeugungen  zuwider,  er  hat  unter  ihnen 
selbst  sogar  in  späterer  Zeit  noch  treue  Freunde  gewonnen. 
Und  so  mag  ihm  denn  die  Erinnerung  an  die  eigenthümliche 
Erscheinung  der  Quäker  auch  1659  hie  und  da  die  Feder  ge- 
führt haben. 

Wichtiger  für  die  Ausbildung  seiner  kirchenpolitischen 
Ansichten,  wie  sie  uns  hier  entgegentreten,  ist  aber  ohne 
Zweifel  die  Einwirkung  einer  anderen  geistigen  Macht  ge- 
wesen. Man  erinnert  sich ,  dass  Roger  "Williams  bei  der 
zweiten  Reise,  die  er  im  Interesse  seiner  Kolonie  unternahm, 
persönlich  mit  Milton  bekannt  wurde.  Was  der  Gründer  des 
konfessionslosen  Staates  schon  durch  sein  geschriebenes  Wort 
gelehrt  hatte,  das  wurde  durch  das  gesprochene  unschwer  er- 
gänzt. Wenn  es  Miltun  auch  nicht  gelungen  ist,  sich  zu  jener 
Weite  und  Klarheit  der  Ideen  durchzuringen,  mit  denen  Wil- 
liams fast  einzig  in  seiner  Zeit  dasteht,  so  braucht  man  dessen 
Schrift  „die  blutige  Lehre  der  Verfolgung'"  mit  Milton"s  beiden 
Traktaten  aus  dem  Jahre  1659  nur  etwas  genauer  zu  ver- 
gleichen, um  sich  von  der  engen  Verwandtschaft,  die  zwischen 
ihnen  besteht,  zu  überzeugen.  Selbst  die  Polemik  gegen  Ox- 
ford und  Cambridge  findet  sich  fast  in  gleicher  Weise  schon 
bei  Williams.  Und  auch  im  Titel  seiner  zweiten  Schrift 
brauchte  Milton  nur  auf  jenes  Werk  seines  Freundes  über 
die  „Miethlingsgeistlichkeit"  zurückzugehn,  das  dieser  bei  Ge- 
legenheit seiner  zweiten  englischen  Reise  verfasst  hatte. 


222  Konflikt  zwischen  Heer  und  Parlament. 

Während  der  blinde  Denker  sich  mit  den  grossen  kirchen- 
politischen Fragen  beschäftigte,  deren  Lösung  noch  den  Ge- 
nerationen nach  ihm  zu  thun  giebt,  bereitete  sich  eine  neue 
Erschütterung  des  revolutionären  Staatswesens  vor,  dem  er 
diente.  Man  hatte  das  Schattenbild  der  Republik  noch  ein- 
mal heraufbeschwören  können,  die  Republik  selbst  zu  be- 
gründen blieb  unmöglich.  Kaum  war  der  leichte  Sieg  über 
die  Protektoratsregierung  erfochten,  so  begann  die  Eintracht 
der  Sieger  sich  zu  lockern.  Die  Häupter  der  bewaffneten 
Macht  forderten  Bestätigung  aller  Gesetze  und  Verordnungen, 
die  seit  der  Zersprengung  des  langen  Parlaments  ergangen 
waren,  sowie  Erlass  einer  Indemnitätsakte  für  alle  seit  jenem 
Zeitpunkt  vorgenommenen  Amtshandlungen.  Das  Rumpparla- 
ment war  nicht  gewillt,  der  bürgerlichen  A.utorität,  die  es 
vertrat,  so  viel  zu  vergeben  und  allen  Akten  der  Willkür, 
welche  während  der  letzten  sechs  Jahre  vorgekommen  waren, 
den  Stempel  der  Gesetzlichkeit  aufzudrücken.  Schon  machte 
Lambert's  ünmuth  sich  in  den  Worten  Luft :  ,.Ich  weiss  nicht, 
warum  sie  nicht  eben  so  gut  von  unserer  Gnade  abhängen 
sollen,  wie  wir  von  der  ihrigen",  als  eine  royalistische  Empö- 
rung für  kurze  Zeit  den  drohenden  Ausbruch  des  Kampfes 
hinausschob.  Die  Kavaliere  trugen  sich  seit  dem  Sturze  des 
Protektorats  mit  lebhafteren  Hoffnungen  als  jemals.  Sie  rech- 
neten auf  die  Presbyterianer,  deren  Hauptquartier  London 
war,  auf  die  Unterstützung  Spaniens  und  Frankreichs,  die  im 
Begriff  standen,  sich  über  einen  Frieden  zu  vereinigen,  auf 
die  Uneinigkeit  ihrer  Gegner,  die  sie  kannten.  Vane  selbst  legte 
das  Geständnis  ab:  „Der  König  wird  eines  Tages  die  Krone 
wiedergewinnen,  das  Volk  verabscheut  jede  andere  Regie- 
rungsform''(^).  Karl  n  war  von  den  Vorbereitungen  seiner 
Anhänger  benachrichtigt.  Er  begab  sich  nach  Calais,  um  in 
England  zu  erscheinen,  sobald  die  allgemeine  Empörung  ge- 
glückt sei.  Allein  die  republikanische  Regierung  war  auf 
ihrer  Hut.  Sie  hatte  genaue  Kunde  von  den  Plänen  ihrer 
Gegner  erhalten  und  traf  umfassende  Vorsichtsmassregeln. 
An  einer  einzigen  Stelle  kam  es  zu  einem  gi-össeren  Kampf. 
In  Cheshire  stand  Sir  George  Booth   an  der  Spitze  einer  be- 


Besiegung  d.  ßoyalisteu  G.  Booth.  —  Lambert  sprengt  d.  Parlament.  223 

deutenden  Streitmacht,  die  über  die  Stadt  Chester  gebot. 
Er  selbst  schien  sich  nur  für  „ein  freies  Parlament''  erhoben 
zu  haben,  aber  unter  dem  Schutze  seiner  Waffen  wurde  Karl  II 
als  König  ausgerufen.  Das  Heranrücken  Lambert's  machte 
der  weiteren  Ausbreitung  des  Aufstandes  ein  Ende.  Der  Ge- 
neral schlug  die  royalistischen  Freischaaren  und  brachte  ihre 
Führer  in  seine  Hand. 

Diese  Erfolge  steigerten  naturgemäss  das  Selbstgefühl 
der  Armee.  Die  Soldaten  spotteten  darüber,  dass  ihre  Ofti- 
ciere  von  einem  Juristen  ernannt  würden.  Die  Officiere  be- 
klagten sich  darüber,  dass  man  ilire  republikanische  Gesin- 
nung verdächtige.  Lambert's  Regimenter  gaben  den  übrigen 
das  Beispiel  der  Unbotmässigkeit.  Man  forderte  vom  Parla- 
ment eine  Reihe  von  Bewilligungen,  deren  Gewährung  dem 
Heere  eine  grössere  Selbstständigkeit  in  Rücksicht  auf  seine 
Zusammensetzung  wie  auf  seine  Leitung  gegeben  haben  würde. 
Man  liess  auch  dann  nicht  ab  zu  agitiren,  als  diese  Forderun- 
gen auf  Widerstand  stiessen.  Vane  hätte  gewünscht,  den 
Sturm  durch  Nachgiebigkeit  gegen  die  Ofticiere  zu  beschwich- 
tigen. Aber  die  Mehrzahl  seiner  Kollegen  war  entschlossen, 
die  Anmassung  der  liewaffneten  Macht  nicht  zu  dulden.  Sie 
sprachen  ihr  Urtheil  über  die  Vergangenheit  aus,  indem  sie 
alle  vom  19.  April  1G53  bis  zum  7.  Mai  1G59  erlassenen  Akte 
für  ungiltig  erklärten,  woferne  ihnen  ihre  Bestätigung  fehle. 
Sie  suchten  den  Gefahren  der  Zukunft  vorzubeugen,  indem 
sie  auf  die  Erhebung  unbewilligter  Auflagen  die  Strafe  des 
Hochverrathes  setzten.  Lambert,  Desborough  und  sieben  ihrer 
Genossen  wurden  ihre  Kommandos  genommen.  Der  Ober- 
befehl gieng  von  Fleetwood  auf  eine  Kommission  von  sieben 
^Mitgliedern  über.  Er  selbst  gehörte  zwar  zu  ihnen,  aber  er 
sollte  durch  Männer  wie  Haselrig  und  Milton's  Freund  Overton 
überwacht  werden.  Bis  dahin  war  nur  mit  Worten  gekämpft 
worden,  am  12.  und  13.  Oktober  kam  es  zur  Entscheidung 
durch  die  G'ewalt  der  Waffen.  Lambert  nahm  es  auf  sich, 
den  Staatsstreich  auszuführen.  Er  rückte  gegen  Westminster 
heran  und  brachte  die  Truppen,  die  daselbst  zum  Schutze 
des  Parlaments  aufgestellt  waren,  mit  leichter  Mühe  auf  seine 


224      Milton's  Brief:    „Ueber  die  Wirren  des  Gemeinwesens". 

Seite.  Der  Sprecher  Lenthall,  der  sich  zu  'Wagen  in  die 
Sitzung  begeben  wollte,  wurde  von  den  Soldaten  unter  höhni- 
schen Bemerkungen  gezwungen  umzukehren.  Nur  wenigen 
Mitgliedern  gelang  es,  zu  ihrem  Versammlungsort  durchzu- 
dringen. Die  City,  auf  deren  Beistand  sie  gerechnet  hatten, 
verhielt  sich  ruhig.  Ohne  Blutvergiessen  Avar  das  Rumppar- 
lament  zum  zweiten  Male  auseinandergejagt.  Dem  greisen 
John  Bradshaw,  dessen  Tage  sich  zu  Ende  neigten,  blieb 
wiederum  nichts  übrig  als  ein  ohnmächtiger  Protest. 

Wir  wissen,  dass  Milton  diesen  Protest  seines  alten  Be- 
kannten von  Herzen  theilte.  Eine  Woche,  nachdem  das  Er- 
eignis sich  vollzogen  hatte,  schrieb  er  einem  Freunde  ,.über 
die  Wirren  des  Gemeinwesens".  Sein  Brief  ist  eine  kleine 
politische  Abhandlung,  hervorgerufen  durch  ein  Gespräch,  das 
er  mit  jenem  Freunde  geführt  haben  will,  woferne  man  nicht 
vorzieht,  die  Briefform  nur  als  eine  bequeme  literarische  Ein- 
kleidung, zu  betrachten  (^).  Auch  hier  macht  Milton  kein 
Hehl  daraus,  dass  die  Zurückberufung  des  Rumpparlaments 
ihn  mit  grossen  Hoffnungen  erfüllt  habe.  Es  war  ihm  doch 
immerhin  das  „berühmte  Parlament,  das  sich  so  grosse  Ver- 
dienste um  die  Nation  erworben  hatte",  selbst  im  Zustande 
seiner  Verstümmelui^-g.  Wie  dieses  „berühmte  Parlament"  von 
Cromwell  ehemals  behandelt  woi'den  war,  hatte  er  seiner  Zeit 
nicht  missbilligt.  Einem  Lambert  sprach  er  die  Berechtigung 
dazu  ab,  nach  CromweH's  Beispiel  zu  verfahren.  Doch  drückt 
er  seinen  Tadel  noch  leidlich  vorsichtig  aus.  Noch  immer 
scheint  es  ihm  möglich,  „Heilmittel"  zu  finden,  um  sich  aus 
der  „Anarchie''  herauszuarbeiten  und  vor  dem  „drohenden 
Ruin  zu  retten".  Er  hofft,  dass  die  Führer  des  Heeres  sich 
dazu  entschliessen  werden,  ihre  rebellische  Stellung  aufzuge- 
ben, um  sich  mit  den  bürgerlichen  Republikanern  über  die 
Bildung  einer  Regierung  zu  vereinigen.  Ist  an  eine  Zurück- 
l3erufung  des  Parlamentes  nicht  zu  denken,  so  gilt  es  wenig- 
stens, schleunigst  einen  ..Staatsrath"  aus  Officieren  und  Par- 
lamentariern zusammenzusetzen.  Seine  Mitglieder  müssen 
über  zwei  Punkte  einig  sein:  Gewährung  der  „Gewissensfrei- 
heit für  alle,   denen   die   heilige  Schrift  Norm  des  Glaubens 


Günstige  Aussichten  für  die  Restauration.  225 

und  Kultus  ist"  —  womit  auch  der  „erzwungene  Unterhalt 
des  geistlichen  Standes"  fallen  soll  —  und  „Abschwörung  der 
monarchischen  Regierungsform".  Um  jeden  neuen  Zusammen- 
stoss  zwischen  der  militärischen  und  bürgerlichen  Gewalt  zu 
verhindern,  sollen  sich  beide  Theile  eidlich  verbinden,  ,. ein- 
ander bis  zum  Tode  nicht  verlassen  zu  wollen".  Dem  Heere 
soll  seine  Erhaltung,  den  Officieren  die  lebenslängliche  Dauer 
ihrer  Stellen  zugesichert  werden.  Aber  dieselbe  Zusicherung 
sollen  auch  die  „Mitglieder  des  Parlaments  oder  des  Staats- 
rathes"  erhalten.  — 

'  Man  braucht  nicht  zu  sagen,  wie  viel  Phantastisches  in 
diesen  erst  lange  Zeit  nachher  bekannt  gewordenen  Vorschlä- 
gen steckt,  wie  kümmerlich  zusammengeschrumpft  das  politi- 
sche Glaubensbekenntnis  des  alten  Republikaners  hier  er- 
scheint. Auch  giebt  er  seine  Arbeit  nu^-  für  eine  flüchtige 
Skizze,  in  der  die  Furcht  vor  der  Rückkehr  des  „gemeinsamen 
Feindes"  am  auffälligsten  in  die  Augen  springt.  Dieselbe 
Befürchtung  tritt  in  einem  schwermüthigen  Briefe  hervor,  den 
er  einige  Wochen  später  an  Oldenburg  richtete.  Der  Freund 
hatte  ihn  aufgemuntert,  eine  Geschichte  der  Revolution  ab- 
zufassen. Er  antwortet  darauf:  ,.Ich  bin  weit  entfernt  da- 
von, mich  mit  einer  Geschichte  unserer  Unruhen  zu  be- 
schäftigen. Sie  verdienen  eher  mit  Stillschweigen  übergangen 
als  gelobt  zu  werden.  Wir  bedürfen  nicht  sowohl  eines  Man- 
nes, der  im  Stande  sei,  diese  Unruhen  zu  schildern,  als  viel- 
mehr sie  glücklich  zu  endigen.  Denn  mit  Ihnen  befürchte 
ich,  dass  die  vereinten  Feinde  unseier  bürgerlichen  und  reli- 
giösen Freiheit  diese  unsere  Zwistigkeiten  oder  richtiger  diese 
unsere  Anfälle  von  Wahnsinn  nur  zu  gut  ausnutzen  werden"  (^). 
In  der  That  konnte  sich  niemand  darüber  täuschen,  wie 
sehr  die  Restauration  des  Königthums  an  günstigen  Aussichten 
gewonnen  hatte.  Die  Masse  des  Volkes  war  der  unaufhör- 
lichen Umwälzungen,  des  schweren  Steuerdrucks  und  der  Last 
des  stehenden  Heeres  herzlich  müde.  Die  besitzenden  Fami- 
lien der  Grafschaften  sahen  sich  grossen  Theils  aus  ihrer  so- 
cialen Stellung  verdrängt.  Die  Mehrzahl  der  städtischen 
Gemeinden  und  vor  allem  die  City  hoffte  von  der  Rückkehr 

Stern,  Mi/ton  u.  s.  Z.    II.  3.  15 


226  Monk  und  Lambert. 

der  Monarchie  friedlichere  Zeiten.  Presbyterianismus  und 
Ptoyalismus  giengen  Hand  in  Hand.  Selbst  von  den  Männern, 
die  der  Pteyolution  ihr  Emporkommen  verdankt  hatten,  stan- 
den einzelne  von  ängstlicher  Voraussicht  mit  dem  Hause 
Stuart  bereits  in  geheimer  Verbindung.  Noch  ahnten  wenige, 
wer  unter  diesen  die  vornehmste  Rolle  spielen  würde.  George 
Monk  hatte  während  der  ganzen  stürmischen  Zeit  der  inneren 
Wirren  eine  sehr  bemerkenswerthe  Stellung  eingenommen. 
Ein  Ueberläufer  von  der  royalistischen  zur  parlamentarischen 
Sache,  in  den  grossen  Kriegen  der  Republik  und  des  Protek- 
torats zu  Land  und  zur  See  als  ein  tapferer  Soldat  und  ein 
fähiger  Führer  erprobt,  überaus  behebt  bei  seinen  Leuten, 
thatkräftig  und  berechnend,  fühlte  er  sich  als  höchst  Kom- 
mandirender  in  Schottland  beinahe  unabhängig  von  den  hei- 
mischen Gewalten  ijnd  den  Kämpfen,  welche  England  bewegten, 
entrückt.  Er  folgte  ihnen  indessen  als  aufmerksamer  Beob- 
achter aus  der  Ferne,  und  in  London  blickten  die  Häupter 
der  einzelnen  Parteien  mit  Spannung  auf  die  Schritte  des 
Generals  im  Norden,  Er  war  ein  zuverlässiger  Diener  Oliver 
Cromwell's  gewesen,  auch  Richard  Cromwell  würde  er  nicht 
verlassen  haben,  hätte  dieser,  wie  er  sagte,  sich  nicht  selbst 
verlassen.  Seitdem  wartete  er  den  Gang  der  Ereignisse  in 
Ruhe  ab,  frei  von  den  religiösen  und  politischen  Leidenschaf- 
ten seiner  Waö'engefährteu  jenseits  der  Grenze,  entschlossen, 
seine  Kräfte  nicht  in  einer  voreiligen  Unternehmung  zu  ver- 
brauchen. Er  Hess  sich  von  allen  Parteien  umwerben,  ohne 
sich  der  einen  oder  der  anderen  hinzugeben.  Die  Führer  der 
Armee  verbargen  ihr  Misstrauen  gegen  den  alten  Kameraden. 
Die  republikanischen  Verfechter  der  parlamentarischen  Ober- 
hoheit glaubten  auf  ihn  zählen  zu  können.  Die  Royalisten 
wagten  es,  ihm  vertrauhche  Anträge  zu  machen.  Kühl  und 
schweigsam  nahm  er  Eröffnungen  und  Vorschläge  von  allen 
Seiten  entgegen,  aber  er  hütete  sich,  für  die  Zukunft  sich  zu 
binden. 

Die  Vertreibung  des  Rumpparlaments  durch  Lambert 
und  seine  Genossen  nöthigte  ihn,  aus  seiner  Zurückhaltung 
herauszutreten.     Er  missbilligte  den  geschehenen  Gewaltakt, 


Rückkehr  des  Rumpparlaments.  227 

gelobte  „die  Freiheit  und  Autorität  des  Parlaments  zu  schützen" 
und  äusserte,  sein  einziger  Wunsch  gehe  dahin,  „die  Republik 
aufrechtzuerhalten".  Aus  seinem  Heere  wurden  alle  diejenigen 
Elemente  entfernt,  die  ihm  nicht  unbedingt  zuverlässig  er- 
schienen. Kleine  Flugschriften  bearbeiteten  die  Soldaten,  um 
sie  mit  dem  Gedanken  des  Einrückens  in  England  vertraut 
zu  machen.  Die  Machthaber  in  London,  unter  sich  durchaus 
nicht  einig,  durch  weit  auseinandergehende  Entwürfe  einer 
neuen  Verfassung  in  Anspruch  genommen,  von  den  fanatischen 
Sektirern  vorwärts  getrieben,  erkannten  in  dem  selbststän- 
dig'en  Auftreten  des  Befehlshabers  der  schottischen  Armee 
eine  gemeinsame  Gefahr.  Man  verhandelte  über  eine  Aus- 
söhnung, aber  gleichzeitig  stellte  sich  Lambert  im  Norden  auf. 
Er  fand  nirgendwo  ein  freundliches  Entgegenkommen  der  Be- 
völkerung, während  Monk  überall  auf  Sympathieen  zählen 
konnte.  Eine  Konvention  der  schottischen  Stände  bewilligte 
ihm  eine  ansehnliche  Geldhilfe.  Fairfax  erbot  sich,  in  York- 
shire  einen  Aufstand  zu  erregen.  Portsmouth  wurde  von  Ha- 
selrig  zum  Abfall  gebracht.  Der  Admiral  Lawson  erklärte, 
nur  einem  Parlament  gehorchen  zu  wollen.  In  London  mehr- 
ten sich  die  Zeichen  des  Unwillens  gegen  den  Sicherheitsaus- 
sehuss,  welcher  damals  den  Mittelpunkt  der  Regierung  bildete. 
Sogar  die  Regimenter,  die  in  der  Hauptstadt  lagen,  drangen 
auf  Beendigung  des  gesetzlosen  Zustandes,  der  nur  dem  Roya- 
lismus Nutzen  gebracht  hatte.  Unter  ihrem  Schutz  konnte 
sich  am  26.  December  das  Rumpparlament  ein  zweites  Mal 
unter  Lenthall's  Vorsitz  installiren.  Die  Generale,  die  einige 
Monate  vorher  seine  Sitzungen  unterbrochen  hatten,  räumten 
das  Feld.  Ein  Staatsrath  wurde  erwählt,  dessen  Mitglieder- 
liste der  Name  Arthur  Haselrig's  eröffnete. 

Diese  Wendung  der  Dinge,  die  der  „guten,  alten  Sache" 
so  günstig  zu  sein  schien,  konnte  Monk  nicht  aufhalten.  Am 
Neujahrstage  1660  liess  er  seine  Infanterie  die  Grenze  über- 
schreiten und  rückte  ihr  am  folgenden  Tage  mit  der  Reiterei 
nach.  Die  Truppen  Lambert's  hatten  sich  schon  vor  seiner 
Ankunft  von  ihrem  General  getrennt,  um  sich  den  Befehlen 
des  Parlaments   zu  unterwerfen.     Fairfax,    der   sich    an    die 

15* 


228  Monk  iu  England.  —  Monk  und  die  City. 

Spitze  einer  royalistisehen  Bewegung-  gestellt  hatte,  nahm  den 
Führer  des  schottischen  Heeres  mit  Freuden  bei  sich  auf.  Er 
seihst  fand  sich  auch  damals  nicht  veranlasst,  seine  Entscheidung 
zu  treffen.  Die  Kavaliere  verzweifelten  an  ihm,  wenn  sie  hörten, 
wie  er  sich  seiner  republikanischen  Gesinnung  rühmte.  Den 
Republikanern  war  es  verdächtig,  dass  er  seinen  Zug  begon- 
nen hatte,  ohne  dazu  ausdrücklich  ermächtigt  zu  sein.  Je 
weiter  er  vorrückte,  desto  unverhohlener  drangen  sich  ihm 
in  Adressen  und  Ansprachen  die  Wünsche  der  Bevölkerung 
auf.  Zulassung  der  1648  ausgeschlossenen  Mitglieder  oder 
Neuwahl  eines  , .freien  Parlamentes"  waren  die  vornehmsten 
Forderungen,  die  er  überall  zu  hören  bekam.  Er  wies  die 
Verantwortlichkeit,  hierüber  zu  bestimmen,  von  sich  ab,  aber 
er  betonte,  dass  die  Zulassung  der  Presbyterianer  gefährlich 
sein  werde,  da  diese  der  Monarchie  den  Weg  eröffnen  und 
dadurch  den  Bürgerkrieg  aufs  neue  entflammen  würden.  So 
gelangte  er  nach  London  (3.  Februar),  allem  Anschein  nach 
der  getreue  Diener  des  republikanischen  Parlaments,  in  Wahr- 
heit sein  gefährlichster  Gegner  und  unwiderstehlicher  Meister. 
Seine  Truppen  lösten  gi-össten  Theils  die  Regimenter  ab, 
die  bis  dahin  in  der  Hauptstadt  gestanden  hatten.  Er  selbst  be- 
zog in  Whitehall  Quartier,  wohin  Besucher  aus  allen  Parteien 
strömten,  um  ihn  zu  sprechen.  Noch  immer  blieb  sein  Ver- 
halten zweideutig.  Als  man  die  Abschwörung  des  Königthums 
und  des  Hauses  Stuart  von  ihm  forderte,  trug  er  Bedenken, 
dem  Verlangen  nachzukommen.  Als  indess  die  City  dem  ver- 
hassten  Rumpparlament  durch  Verweigerung  der  Steuern  den 
Gehorsam  kündigte  und  sich  zum  bewaffneten  Widerstand 
rüstete,  zögerte  er  nicht,  erhaltenem  Befehl  gemäss,  gegen 
die  rebellischen  Bürger  einzuschreiten,  die  Ketten  und  Pfosten 
entfernen,  die  Thore  und  Schutzgatter  niederreissen  zu  lassen 
(9.  und  10.  Februar).  —  Er  hatte  den  Aufstand  gebändigt,  um 
Herr  der  Ereignisse  zu  bleiben,  aber  er  fühlte  nun  um  so 
mehr  die  Nothwendigkeit.  das  verscherzte  Vertrauen  aller 
derer  zurückzugewinnen,  die  ihn  als  den  Retter  vor  der  Ob- 
macht  der  politischen  und  kirchlichen  Radikalen  betrachteten. 
Er   forderte    vom   Rumpparlament   schleunige   Ausschreibung 


Rückkehr  der  presbyterianischen  Parlamentsmitgliedei-.        229 

von  Ergänzunpswahlen  und  pünktliche  Innehaltung  des  Ter- 
mins der  Auflösung.  Er  verlegte  sein  Hauptquartier  in  eben 
jene  City,  deren  Empörung  er  den  Tag  vorher  niedergeworfen 
hatte  und  die  ihn  nun  mit  Jubel  begrüsste  (11.  Febr.).  In  den 
Strassen  und  auf  den  Plätzen  loderten  Freudenfeuer  empor,  an 
denen  man  zur  Verspottung  des  Rump  Fleischstüeke  röstete, 
die  dieser  wenig  schmeichelhaften  Bezeichnung  entsprachen. 

Die  Mitglieder  des  verhöhnten  Rumpparlaments  zeigten 
einige  Nachgiebigkeit.  Sie  beendigten  die  lange  berathene 
Akte,  welche  die  Bestimmungen  für  die  Wahl  des  künftigen 
Parlaments  enthielt.  Sie  gaben  zugleich  den  Auftrag,  die 
Ausschreiben  für  die  Vornahme  der  Ergänzungswahlen  vor- 
zubereiten (16.  Februar).  Aber  sie  Hessen  noch  immer  der 
Befürchtung  Raum ,  dass  sie  den  Besitz  der  Macht  nicht  auf- 
geben würden  und  legten  durch  Ernennung  einer  militärischen 
Kommission  ihr  Misstrauen  gegen  den  aufdringlichen  Feld- 
herrn deutlich  genug  an  den  Tag.  Er  hielt  es  für  zeitgemäss, 
einen  anderen  Weg  einzuschlagen.  Schon  längst  waren  Ver- 
handlungen mit  den  ausgeschlossenen  presbyterianischen  Mit- 
gliedern im  Gange.  Sie  versprachen ,  für  die  Erhaltung  und 
das  Kommando  der  Armee  geeignete  Massregeln  zu  treffen, 
sowie  einem  neuen  Parlament  in  kurzer  Frist  den  Platz  räu- 
men zu  wollen  und  konnten  am  21.  Februar,  beschützt  von 
Monk,  zu  ihren  Sitzen  zurückkehren.  Mochte  er  selbst  nach 
wie  vor  seine  unverbrüchliche  Treue  gegen  die  Republik  ver- 
bürgen, die  Männer,  welche  die  Hinrichtung  des  Königs  und 
die  Abschaffung  des  Königthums  niemals  verziehen  hatten, 
beherrschten  das  Feld.  Sie  wussten,  dass  sie  von  ihrem  Be- 
schützer nichts  zu  fürchten  hatten.  Sie  widerriefen  alle  frü- 
heren Akte,  die  ihre  Ausschliessung  betroffen  hatten  und  zogen 
die  Ausschreiben  für  die  Vornahme  der  Ergänzungswahlen 
zurück,  Sie  hoben  die  militärische  Kommission  wieder  auf 
und  ernannten  Monk  zum  höchst  Kommandirenden  der  ge- 
sammten  Landmacht  in  England,  Schottland  und  Irland.  Der 
Staatsrath ,  den  sie  erwählten ,  setzte  sich  fast  gänzlich  aus 
Anhängern  des  Presbyterianismus  und  Gegnern  der  Republik 
zusammen.     In    ihrem    Sitzungslokal    und   in   allen   Kirchen 


230  Auflösung  des  langen  Parlaments. 

wurde  die  Urkunde  von  Liga  und  Covenant  angesehlagen. 
Die  City  erhielt  gegen  Gewährung  einer  Anleihe  volle  Genug- 
thuung  für  die  erlittene  Bestrafung.  Das  Beamtenpersonal 
erlebte  durchgreifende  Aenderungen.  Im  ganzen  Lande  liess 
sich  der  Rückschlag  gegen  die  ehemaligen  independentisch- 
republikanischen  Machthaber  erkennen.  Bänkelsänger  und 
Journalisten  priesen  den  rechtmässigen  Erben  des  väterlichen 
Thrones  an.  Schon  wagte  man  in  Gegenwart  Monk's  bei  den 
Festen,  die  einzelne  Gilden  zu  seinen  Ehren  veranstalteten, 
auf  die  Gesundheit  des  Königs  zu  trinken.  Die  Kavaliere 
hatten  gute  Gründe,  alles  von  einem  „freien  Parlament'^  zu 
hoffen,  das  am  25.  April  zusammentreten  sollte.  Zwar  blieben 
gewisse  Einschränkungen  der  Wahlen  in  Kraft,  aber  das  Ge- 
löbnis, „dem  bestehenden  Gemeinwesen  ohne  König  und  Lords" 
Treue  bewahren  zu  wollen,  sollte  in  Wegfall  kommen.  Der 
Restauration  war  der  Weg  geebnet,  und  die  Presbyterianer 
fühlten  sich  selbst  beinahe  schon  ausser  Stande,  ihr  noch  Be- 
dingungen vorzuschreiben.  Am  16.  März  löste  das  lange  Par- 
lament sich  auf.  Das  Land  schickte  sich  dazu  an,  durch  die 
Wahlen  seinem  heissen  Verlangen  Ausdruck  zu  geben. 


In  dieser  Zeit,  als  die  Frage  ob  Republik  oder  Monarchie 
schon  so  gut  wie  entschieden  war,  hatte  Milton  noch  den 
Muth,  mit  oft'enem  Visier  auf  dem  Kampfplatz  zu  erscheinen. 
Es  ist  fraglich,  ob  er  noch  in  amtlicher  Stellung  war.  Nach 
seines  Neffen  Bericht,  hatte  er  seinen  Posten  und  „den  dazu 
gehörigen  Gehalt  kurz  vor  der  Rüekehr  des  Königs  verloren''. 
In  den  Registerbüchern  des  Staatsraths  findet  sich  eine  letzte 
Besoldungsanweisung  für  ihn  unter  dem  25.  Oktober  1659. 
Er  durfte  sich  jedenfalls  nicht  darüber  täuschen,  wie  ver- 
zweifelt es  um  die  Sache  stehe,  der  er  mehr  als  ein  Jahr- 
zehnt seine  besten  Kräfte  gewidmet  hatte.  Seine  Ansichten 
über  das  Verhältnis  von  Staat  und  Kirche  waren  von  dem 
siegreichen  General  wie  von  der  Versammlung,  die  unter 
dessen  Schutz  sretagt  hatte,  häufig  und  nachdrückhch  miss- 


Milton's  Schrift:  ,.Der  sichere  u.  leichte  Weg  zur  Begründ.  etc.  231 

billigt  worden.  Seine  Ansichten  über  die  Vorzüge  einer  Re- 
gierungsforin,  die  er  gegen  Salmasius  vertheidigt  hatte,  ^Yaren 
in  Gefahr,  als  ketzerisch  von  der  aufgeregten  Masse  ver- 
urtheilt  zu  werden.  Auch  hätte  ihm  das  Schicksal  zweier 
Freunde  als  Fingerzeig  für  sein  eigenes  Verhalten  dienen 
können.  Overton,  der  den  Posten  des  Kommandanten  von 
Hüll  bekleidete,  hatte  versucht,  eine  Verabredung  mit  anderen 
Officieren  zu  treffen,  um  die  Zurückführung  der  Einzelherr- 
schaft auf  alle  Weise  zu  hindern.  Er  wurde  aufgefordert, 
sich  zu  rechtfertigen  und  seines  Postens  enthoben.  Henry 
Vane,  wegen  seiner  Verbindung  mit  Lambert  aus  dem  Par- 
lament ausgestossen  und  auf  eines  seiner  Landgüter  verwiesen, 
war  zur  Zeit  des  Einrückens  Monk's  nach  London  zurückge- 
kehrt und  hatte  daselbst  mit  seinen  republikanischen  Freun- 
den agitirt.  Er  wurde  aufs  neue  verbannt  und  täuschte  sich 
nicht  über  den  Ruin  seiner  Hoffnungen.  Aber  Milton  wollte 
noch  immer  nicht  alles  verloren  geben.  Im  Februar,  als  das 
Rumpparlament  sich  zur  Ausschreibung  von  Ergänzungswahlen 
verstanden  hatte,  war  eine  Schrift  von  ihm  zum  Druck  ge- 
kommen mit  dem  Titel:  „Der  sichere  und  leichte  Weg  zur 
Begründung  eines  freien  Gemeinwesens  und  die  Vorzüge  eines 
solchen,  verglichen  mit  den  Nachtheilen  und  Gefahren,  welche 
die  Wiedereinführung  des  Königthums  in  diesem  Lande  nach 
sich  ziehen  müsste"(^).  Aber  die  Ereignisse  hatten  einen 
rascheren  Verlauf,  als  der  Verfasser  vorhergesehen  hatte.  Die 
presbyterianischen  Mitglieder  nahmen  ihre  Sitze  wieder  ein. 
Jene  Ausschreiben  wurden  zurückgezogen.  Milton  Hess  seine 
Schrift  nichts  desto  minder  erscheinen,  da  er  auch  von  dem 
ergänzten  „volleren"  Parlament  Gutes  erwartete.  Und  wie- 
derum überholten  die  Thatsachen  seine  Voraussicht.  Die  Ver- 
sammlung beschloss,  sich  aufzulösen,  Neuwahlen  zu  einem 
„freien  Parlament"  standen  bevor.  Da  erschien  Milton's 
Schrift  in  zweiter,  verbesserter  Ausgabe,  mit  veränderter  Ein- 
leitung und  mit  dem  Motto  frei  nach  Juvenal  geschmückt, 
das  dem  getreuen  Eckardt  Oliver  Cromwell's  wohl  anstand: 

Et  DOS 

Consilium  dedimus  Syllae,  demus  populo  nunc  (2). 


232  Vorzug  der  Republik  vor  der  Monarchie. 

Die  sonstigen  Abweichungen  dieser  zweiten  von  der  ersten 
Ausgabe,  die  noch  kein  Herausgeber  der  Milton'sehen  Werke 
beachtet  hat,  sind  gar  nicht  unbedeutend.  Einige  Stellen 
sind  weggelassen,  darunter  namentlich  eine  höchst  interessante, 
die  zur  Beleuchtung  der  kirchlich -politischen  Ideen  Milton's 
dienen  kann,  aber  bei  weitem  mehr  sind  der  Zusätze,  die 
der  Autor  gemacht  hat.  Sie  sind  zum  Theil  durch  die  ver- 
änderte Sachlage  hervorgerufen  worden,  zum  Theil  haben  sie 
nur  den  Zweck  stilistischer  Verbesserungen.  Die  Macht  der 
Presbyterianer  war  in  der  Zwischenzeit  gewachsen,  nicht  we- 
nige Sätze  sind  daher  neu  hinzugekomm.en,  die  besonders  auf 
sie  gemünzt  sind.  Die  royalistische  Strömung  hatte  in  einigen 
Wochen  ungemein  an  Kraft  gewonnen,  um  so  mehr  Hess  Milton 
es  sich  angelegen  sein,  die  Folgen  der  Restauration  in  noch 
dunkleren  Farben  erscheinen  zu  lassen  als  das  erste  Mal. 
Uebrigens  war  der  Grundton  der  gleiche.  Man  hört  aus  jeder 
Zeile  den  alten  Gegner  des  Salmasius  heraus,  wie  er  sich 
denn  einmal  geradezu  nicht  ohne  Selbstbewusstsein  auf  seine 
„erste  Vertheidigung  des  englischen  Volkes"  beruft,  als  auf 
ein  ,, geschriebenes  Denkmal,  das  die  Verleumdung  überleben 
wird"'. 

Als  politischer  Glaubenssatz  bleibt  ihm  bestehn,  dass  die 
republikanische  Verfassung  einen  Fortschritt  über  die  monar- 
chische bedeute.  Nicht  dass  er  den  relativen  Werth  des 
Königthums  hätte  läugnen  wollen.  Gewiss  „die  Monarchie 
mag  dieser  oder  jener  Nation  angemessen  sein".  Auch  der 
einzelne  Monarch  mag  sich  dann  und  wann  dem  Ideal  des 
„ersten  Staatsdieners"  annähern,  „das  gemeine  Beste  seinem 
eigenen  Wohl  vorziehn  und  statt  auf  einen  lasterhaften  Günst- 
ling auf  die  weisesten  und  tugendhaftesten  Mitglieder  seines 
Parlaments  hören".  Aber  je  seltener  solche  Fälle  nach  Milton's 
Ansicht  sind,  desto  weniger  ziemt  es  einem  gebildeten  Volk, 
„die  Summe  seiner  Wohlfahrt  dem  Zufall  zu  überlassen".  Im 
glücklichsten  Fall  ist  ihm  ein  König,  „da  er  nicht  mehr  als 
ein  anderer  Mensch  vermag",  nur  „eine  grosse  Null,  die  ohne 
Zweck  vor  einer  langen  Reihe  anderer  Ziffern  steht".  Aber 
oft  genug  wird  er  „zum  Unheil,  zur  Pest  und  zur  Geisel  eines 


Appell  au  Gefühl  und  Berechnung.  233 

Volkes,  das  nicht  im  Stande  ist,  sich  seiner  zu  entledigen". 
Und  so  hält  er  allen  trüben  Erfahrungen  zum  Trotz  uner- 
schütterlich daran  fest,  „dass  ein  freies  Gemeinwesen  d^ie 
edelste  und  gerechteste  Regierungsform  sei",  in  welcher  alle 
guten  Bestrebungen  „des  Menschen,  des  Bürgers  und  des 
Christen''  den  weitesten  Spielraum  finden.  Er  hütet  sich  zu 
untersuchen,  ob  nicht  sein  eigenes  Volk  damals  zu  denen  ge- 
höre, für  welche  die  jNIonarchie  „angemessen"  sei.  Das 
einmal  abgeworfene  „Joch"  wieder  auf  sich  nehmen ,  zu 
der  ehemals  abgeschworenen  „Knechtschaft  des  Königthums" 
zurückkehren,  scheint  ihm  unter  allen  Umständen  eine  Schmach 
zu  sein,  „wie  sie  niemals  eine  Nation  betroffen  hat,  die  im 
Besitz  ihrer  Freiheit  war".  —  Nicht  nur  die  Aufstellung  des 
politischen  Axioms,  auch  seine  Bestätigung  durch  Beispiele 
war  ganz  die  gleiche,  wie  wir  sie  aus  den  früheren  Arbeiten 
Milton's  kennen.  Auch  hier  müssen  die  Vertheidiger  der 
Monarchie  sich  sagen  lassen,  „dass  Gott  im  Zorne  den  Juden 
einen  König  gegeben  hat".  Auch  hier  wird  auf  die  grossen 
Freistaaten  des  Alterthums  hingewiesen.  Ein  Ausspruch 
Christi  kommt  dem  Verehrer  der  Republik  gleichfalls  zu 
Hilfe.  Es  ist  die  bekannte  Vermischung  biblischer  und  ge- 
schichtlicher Argumente,  in  der  Milton  wie  immer  der  Ge- 
wohnheit seines  Zeitalters  folgte. 

Er  sah  indessen  ein,  dass  diese  akademischen  Gründe  im 
damaligen  Augenblick  nicht  genügen  konnten.  Er  appellirte 
an  das  Gefühl  und  an  die  Berechnung  seiner  Landsleute,  und  da- 
bei steigert  sich  sein  Pathos  nicht  selten  zur  Höhe  propheti- 
schen Schmerzes.  Was  werden  die  fremden  Völker  von  uns 
sagen,  ruft  er  den  Männern  von  Ehrgefühl  zu,  ,,die  eifersüch- 
tigen Nachbarn,  deren  Bewunderung  und  Schrecken  unser 
freies  Gemeinwesen  war?"  Sie  werden  uns  „verachten  und 
verlachen".  „Werden  sie  nicht  den  englischen  Namen  zum 
Gespött  machen,  wie  den  des  thörichten  Bauherrn  der  Bibel, 
der  einen  Thurm  zu  bauen  begann  und  ihn  nicht  vollenden 
konnte?  Wo  ist  jener  herrliche  Thurmbau  eines  Freistaates, 
den  die  Engländer  zu  errichten  sich  vermassen,  jenes  Frei- 
staates, der  Königreiche  überragen  sollte,  ein  neues  Rom  im 


234  Appell  au  Gefühl  und  Berechnung. 

Westen?  Den  Grund  dazu  haben  sie  freilich  muthig  gelegt, 
aber  dann  fielen  sie  in  eine  Verwirrung,  schlimmer  als  die 
babylonische,  nicht  von  Sprachen,  sondern  von  Faktionen,  und 
keine  andere  Erinnerung  ihres  Werkes  blieb  zurück,  als  das 
allgemeine  Gelächter  von  Europa.  Und  das  wird  um  so  mehr 
zu  unserer  Schande  erschallen,  da  ein  Blick  auf  unsere  Nach- 
barn, die  vereinigten  Staaten  der  Niederlande,  uns  lehren 
kann,  wie  sie  ohne  äussere  Vortheile  unter  weit  grösseren 
Schwierigkeiten  mit  Muth,  Weisheit  und  Standhaftigkeit  das- 
selbe Werk  glücklich  vollendet  und  sich  den  ruhigen  Genuss 
einer  mächtigen  und  blühenden  Republik  erobert  haben." 
Allein  nicht  genug  damit,  dass  England  den  Spott  des  Aus- 
landes sich  herauf  beschwören  würde ,  es  würde  „den  ganzen 
Schatz"  verlieren ,  den  seine  Revolution  ihm  zugebracht  hat, 
oder  doch,  nach  Milton's  Meinung,  zuzubringen  bestrebt  war. 
„Alle  gewonnenen  Schlachten  würden  nachträglich  verloren 
gehn".  Alle  Opfer  an  Gut  und  Blut  wären  umsonst  gebracht. 
Die  Union  mit  Schottland  würde  zerbrechen.  Die  Gewissens- 
freiheit hätte  „von  dem  Bunde  des  Königs  mit  den  Bischöfen" 
nichts  zu  hoffen.  Das  Parlament  würde  zu  einer  gedemü- 
thigten  Stellung  herabsinken.  „Wir  werden,  ruft  Milton 
ahnungsvoll  aus,  vielleicht  noch  einmal  um  alles  das  kämpfen 
müssen,  wofür  wir  gekämpft  haben,  wir  werden  noch  einmal 
die  Opfer  bringen  müssen,  die  wir  gebracht  haben,  aber 
schwerlich  werden  wir  uns  der  Freiheit  und  der  Gunst  des 
Himmels  in  eben  dem  Grade  erfreuen  wie  jetzt." 

Es  gab  eine  andere  Gattung  von  Engländern,  denen  mit 
solchen  Gründen  nicht  beizukommen  war.  Es  waren  die 
Männer,  deren  Politik  sich  nach  ihrer  Börse  richtete,  und  die 
kaufmännisch  berechneten,  wie  viel  bei  dem  Tausch  von  Re- 
publik und  Monarchie  zu  gewinnen  oder  zu  verlieren  sein 
möchte.  Diesen  sucht  Milton  den  Wahn  zu  benehmen,  als 
werde  das  wiedereingesetzte  Königthum  ihnen  billiger  zu  stehn 
kommen.  Der  König  lebt,  „angebetet  wie  ein  Halbgott",  ein 
ausschweifender,  prunkender  Hof,  „der  bei  seinen  Masken- 
spielen und  Gelagen  den  Adel  beiderlei  Geschlechts  entsitt- 
lichen wird,  umgiebt  ihn".    „Auch  eine  Königin  wird  da  sein 


Appell  an  Gefühl  und  Berechnung.  235 

und  nicht  weniger  kosten ;  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  eine 
Ausländerin  und  Papistin.  Eine  Königin -Mutter  (wie  man 
das  zur  Zeit  Karl's  I  erlebt  hatte)  darf  man  dazu  rechnen, 
beide  haben  ihren  Hofhalt  und  ein  zahlreiches  Gefolge.  Da 
sind  ferner  die  königlichen  Sprösslinge,  jeder  alsbald  mit  sei- 
nem eigenen  Hof.  Des  Bedientengesindels  wird  kein  Ende 
sein.  Nobility  und  Gentry  werden  sich  um  die  Hofämter 
reissen,  und  je  serviler  ihre  Gesinnung,  desto  grösser  wird  ihr 
Hochmuth  und  ihre  Verschwendung  sein."  Mit  gutem  Grund 
weist  der  entrüstete  Puritaner  auf  den  Hof  von  Versailles  hin, 
dessen  „Anlockungsmittel"  und  „pomphafte"  Ceremonieen  liald 
auch  jenseits  des  Kanals  zum  Vorbild  dienten.  Eine  weitere 
Ausgabe  wird  das  „stehende  Heer"  verursachen.  Man  bilde 
sich  nicht  ein,  mit  der  Republik  würde  es  dauernd  in  Wegfall 
kommen.  ,,Die  Furcht  vor  der  feindlichen  Partei"  wird  es 
nicht  verschwinden  lassen.  Aber  es  wird  ein  anderes  sein 
als  das  bisherige,  das  man  vielleicht  „ohne  Zahlung  des  Sol- 
des" auflösen  wird,  um  seine  Glieder  alsdann  zur  Rechenschaft 
zu  ziehn.  Es  wird  aus  den  „trotzigsten  Kavalieren"  bestehn, 
„möglicher  Weise  wieder  unter  Führung  eines  Prinzen  Rupert". 
Auch  die  bischöfliche  Kirche  wird  ihr  Vermögen  wieder  in  An- 
spruch nehmen.  Man  wird  die  eingezogenen  geistlichen  Güter 
zurückfordern,  und  dem  Eigenthum  zahlreicher  Privaten,  die 
sich  durch  seinen  Ankauf  bereichert  haben,  droht  Zerrüttung 
und  gänzlicher  Ruin.  In  royalistischen  Schriften  war  endlich 
zu  lesen  gewesen,  nur  unter  dem  Schutz  der  Krone  könne 
Handel  und  Wandel  gedeihen.  Auch  in  diesem  Punkt  sucht 
Milton  ihnen  entgegenzuarbeiten.  Er  will  zwar  nichts  davon 
wissen,  dass  man  „Religion,  Freiheit,  Ehre  und  Sicherheit 
Preis  gebe,  um  den  Handel  aufrecht  zu  halten".  Aber  er 
glaubt  zum  Ueberfluss  bemerken  zu  sollen,  dass  der  Handel 
nirgends  schöner  blühe,  „als  in  den  Freistaaten  Italiens, 
Deutschlands  und  der  Niederlande". 

Noch  ein  Argument  blieb  ihm  übrig,  das  in  weiten  Kreisen 
den  tiefsten  Eindruck  machen  konnte;  der  Hinweis  auf  die 
bevorstehende  Rache  der  künftigen  Machthaber.  „Nicht  allein 
die  Hauptperson,  sondern  alle  seine  Anhänger"  werden  sich  an 


236  Vorschläge  zu  Gunsten  der  Erhaltung  der  Eepublik. 

diesem  Werk  der  Rache  betheiligen.  „Man  wird  Rechnungsab- 
lage und  Entschädigung  fordern,  Processe,  Untersuchungen,  An- 
klagen, Denunciationen  vielleicht  auch  solcher,  die  sich  neutral 
verhalten  haben,  werden  in  Masse  erfolgen.  Kommt  es  nicht  zum 
äussersten,  so  bleibt  doch  Gefängnis,  Geldbusse,  Verbannung, 
Misshandlung  nicht  aus."  Zum  mindesten  müssen  sich  alle, 
die  „nicht  erprobte  Royalisten  sind  oder  von  solchen  begün- 
stigt werden",  Ungnade  und  Verachtung  gefallen  lassen.  Das 
droht  nicht  zum  wenigsten  den  „kürzlich  royalisirten  Presby- 
terianern".  „Sie  bilden  sich  ein,  man  w^erde  ihre  Vergangen- 
heit vergessen,  da  sie  Reue  an  den  Tag  legen,  man  werde 
die  Bedingungen  halten,  auf  die  sie  sich  verlassen  möchten. 
Aber  erinnern  sie  sich  nicht,  wie  den  Schotten  ihr  Friedens- 
vertrag gehalten  wurde,  wie  so  manches  andere  feierliche 
Versprechen,,  das  uns  gegeben  ward?  Glauben  sie,  die  am 
meisten  Eifer  an  den  Tag  legen  den  König  zurückzuführen, 
er  werde  ihnen  vertrauen  und  auf  sie  Rücksicht  nehmen  ? " 
Die  „diabolischen  Libelle"  der  royalistischen  Partei,  die  „Ge- 
stalten und  Mienen ,  die  jetzt  frech  und  vordringlich  auf  den 
Strassen  auftauchen",  die  „Drohungen  und  Beleidigungen  un- 
serer gemeinsamen  Feinde",  das  alles  mag  den  Presbyterianern 
ihr  Schicksal  vorausverkünden.  Der  neue  Herrscher  wird  sie 
behandeln,  „wie  Könige  versöhnte  Feinde  zu  behandeln  pfle- 
gen, zuerst  sie  vernachlässigen,  dann  sie  entlassen,  oder  gar 
als  alte  Hochverräther  und  erste  Urheber  des  Geschehenen 
bestrafen".  Der  Covenant  wird  zerrissen  werden,  denn  kein 
Sohn  Karl's  I.  kann  ihn  halten ,  ohne  dem  Andenken  seines 
Vaters  untreu  zu  werden.  Diejenigen,  welche  alle  die  so  ge- 
nannten „Sektirer"  Preis  geben,  werden  erleben,  dass  das  Schiff 
ihrer  eigenen  Gewissensfreiheit  elendiglich  scheitert.  — 

Alle  Gründe  waren  erschöpft,  die  man  dem  Verlangen 
entgegenstellen  konnte,  „den  Nacken  wieder  unter  das  könig- 
liche Joch  zu  beugen".  Die  Frage  entstand,  was  sich  thun 
lasse,  um  diese  Rückkehr  in  die  ägyptische  Knechtschaft  zu 
verhindern.  Milton  ist  um  Vorschläge,  die  diesem  Zweck  die- 
nen sollen,  nicht  verlegen.  „Eben  jetzt  —  ruft  er  aus  —  ist 
der  günstige  Augenblick  da,   um  ein  freies  Gemeinwesen  für 


Der  , .grosse  Rath"  der  Nation.  237 

immer  zu  bepfründen".  Die  Ausschreiben  für  die  Neuwahlen 
sind  erjrangen.  Ein  „freies  Parlament"  soll  zusammentreten. 
Die  Wählbarkeit  ist  an  „gerechte  und  nothwendi.ae"  Bedingun- 
gen geknüpft.  Wenn  das  Volk  sein  eigenes  Wohl  im  Auge 
hat  und  demgemäss  fähige  Vertreter  wählt,  die  von  der  Herr- 
schaft eines  Einzelnen  oder  von  einem  Hause  der  Lords  nichts 
wissen  wollen,  „so  ist  das  Werk  gethan".  „Der  Grund  eines 
freien  Gemeinwesens  ist  wenigstens  gelegt".  Denn  dies  ist 
nicht  zu  denken,  ohne  einen  solchen  „grossen  Rath",  den  das 
Volk  erwählt  hat,  „dem  es  seine  Souveränetät  delegirt".  Die 
Kompetenzen  dieses  „grossen  Rathes"  —  absichtlich  wird  der 
Name  Parlament  vermieden  —  sind  sehr  bedeutende.  Er 
verfügt  über  die  Kriegsmacht  zu  Land  und  zur  See,  um  Frie- 
den und  Freiheit  zu  schützen.  Er  erhebt  und  verwendet  unter 
der  Kontrolle  besonderer  „Inspektoren"  die  öffentlichen  Ein- 
künfte. Die  bürgerliche  Gesetzgebung,  der  Abschluss  von 
Handelsverträgen,  die  diplomatischen  Beziehungen  zum  Aus- 
land, die  Entscheidung  über  Krieg  und  Frieden  fallen  in  sein 
Bereich.  Zur  Führung  gewisser  Geschäfte,  deren  Erledigung 
grössere  „Geheimhaltung  und  Schnelligkeit"  erfordert,  wählt 
der  grosse  Rath  aus  seiner  Mitte  einen  ,.Staatsrath". 

Es  ist  einleuchtend,  wie  enge  sich  diese  Ausführungen 
Milton's  an  jene  früheren  Aeusserungen  anschliessen ,  die 
namentlich  im  Bilderstürmer  und-  in  der  ersten  Vertheidigung 
des  englischen  Volkes  hervorgetreten  waren.  Damals  war 
ihm  die  in  Westminster  tagende  Versammlung  als  Trägerin 
der  Volkssouveränetät  erschienen.  Hier  spielt  der  grosse 
Rath,  wie  er  ihn  sich  ausmalt,  genau  dieselbe  Rolle.  Nur 
damit  wagt  sich  der  Schriftsteller  an  eine  wesentliche  Neue- 
rung, dass  er  den  grössten  Theil  der  Obliegenheiten  des  alten 
„Staatsrathes"  gleichfalls  direkt  von  der  Gesammtkörperschaft 
besorgt  wissen  will.  Die  Ansichten,  die  er  sich  während  der 
Protektoratsregierung  und  in  den  folgenden  stürmischen  Zeiten 
über  dies  Institut  des  Staatsraths  gebildet  hatte,  mochten  ihn 
zu  einer  so  bedeutenden  Abweichung  von  dem  früheren  Vor- 
bild bewegen.  Er  sah  möglicher  Weise  neue  Konflikte  zwischen 
den  beiden  Gewalten  voraus,  wenn  man  die  eine,  welche  bis 


238  Gegen  allgemeines  Wahlrecht. 

dahin  die  Summe  der  Exekutive  in  sich  vereint  hatte,  nicht 
zu  einer  ganz  untergeordneten  Stellung  herabdrücke.  In  einem 
anderen  wichtigen  Punkt  dagegen  giebt  er  seine  ehemaligen 
Ueberzeugungen  nicht  auf.  Er  hatte  vor  Zeiten  aus  seiner 
Abneigung  gegen  die  Theilnahme  der  „Plebs"  an  der  Aus- 
übung politischer  Ptechte  kein  Hehl  gemacht.  Hier  kehrt  der- 
selbe Gedanke  mit  verstärkter  Kraft  wieder.  Das  Wohl  des 
Staates  soll  nicht  dem  „Lärm  einer  rohen  Menge"  anvertraut 
sein.  Nur  die  „richtig  Qualificirten"  sollen  berechtigt  sein, 
sich  bei  den  Wahlen  zu  betheiligen.  Aber  auch  ihr  Wahlakt 
ist  nicht  mit  einem  Male  beendigt.  Er  wird  ein  zweites, 
drittes  und  viertes  Mal  wiederholt,  bis  durch  dieses  mehr- 
fache „Prüfen  und  Sieben"  die  Masse  der  Kandidaten  sich 
verkleinert  und  „zuletzt  nur  die  erforderliche  Zahl  übrig  bleibt, 
welche  als  die  Würdigsten  die  meisten  Stimmen  auf  sich  ver- 
einigt haben".  Es  wird  nicht  klar,  wie  sich  Milton  im  ein- 
zelnen dies  Verfahren  denkt.  Aber  so  viel  ist  gewiss:  nichts 
lag  ihm  ferner,  als  die  Idee  des  allgemeinen  Stimmrechts. 
Er  hielt  es  mit  Raleigh,  welcher  unter  einem  Freistaat  ein  Ge- 
meinwesen verstand,  in  dem  die  Herrschaft  von  der  „aus- 
erlesenen Klasse  des  Volkes,  von  den  Besseren,  Edleren  und 
Pteicheren"  geführt  wird(^).  Republikaner,  wie  er  war,  blieb 
er  seinen  aristokratischen  Neigungen  getreu.  Im  damaligen 
Augenblick  kam  noch  ein  anderes  hinzu,  das  ihn  auf  seinem 
früheren  Standpunkt  festhielt.  Die  Furcht  vor  einem  Siege 
der  Koyalisten  entlockte  ihm  den  verdächtigen  Wunsch,  dass 
man  die  Stimmen  nicht  zählen,  sondern  wägen  möge.  Er 
täuschte  sich  nicht  darüber,  dass  „die  Mehrheit  des  Volkes  die 
Freiheit  aufzugeben  feige  genug  sei".  Und  deshalb  suchte  er 
sieh  hinter  das  durchsichtige  Sophisma  zu  verschanzen:  „Ge- 
rechter und  vernünftiger  ist  es,  dass  die  Minderheit  die  Mehr- 
heit zwingt,  ihre  Freiheit  zu  behalten,  als  dass  die  Mehrheit 
die  Minderheit  zwingt,  ihre  Sklaverei  zu  theilen". 

Noch  eine  wichtige  Frage  war  zu  entscheiden.  Sollte 
jener  grosse  Rath,  der  als  Heilmittel  vorgeschlagen  wurde,  eine 
unabsetzbare  Behörde  sein  oder  von  Zeit  zu  Zeit  einer  Er- 
neuerung  durch   die   Wahlen   unterworfen   werden?     Milton 


Für  ständige  Dauer  des  „grossen  Rathes".  239 

spricht  für  das  erste  und  hat  diese  Ansicht  in  der  zweiten 
Auflage  mit  grösserer  Ausführlichkeit  entwickelt.  Da  müssen 
denn  das  Sanhedrin  der  Juden ,  der  athenische  Areopag ,  der 
römische  Senat,  die  venetianische  Signoria  als  Beispiele  her- 
halten, obschon  Milton  sehr  wohl  fühlt,  wie  häufig  der  Ver- 
gleich hinkt.  Aber  er  will  nicht  nur  die  Erfahrungen  der 
Vergangenheit  für  sich  anrufen.  Die  Gegenwart  scheint  ihm 
unbedingt  die  P^insetzung  einer  permanenten  regierenden 
Körperschaft  nöthig  zu  machen.  „Sich  ablösende  und  vorüber- 
gehende Parlamente  werden  eine  freiheitliche  Regierung  viel 
eher  erschüttern  als  befestigen,  sie  werden  eine  unruhige  Be- 
wegung und  die  Sucht  nach  Neuerungen  hervorrufen.  Man 
wird  vernachlässigen,  was  der  Augenblick  erfordert,  weil  alles 
auf  die  neue  Versammlung  gespannt  ist.  Und  wenn  diese 
nicht  genug  zu  thun  vorfindet,  so  wird  sie  sich  etwas  zu  thun 
machen,  indem  sie  frühere  Akte  ändert  und  widerruft  oder 
neue  macht  und  vervielfältigt,  bis  alles  Gesetz  in  der  Masse 
sich  widersprechender  Statuten  verloren  geht."  Nur  mit  ^Vi- 
derstreben  geht  der  Autor  auf  die  Idee  ein,  durch  „partielle 
Rotation"  wenigstens  einen  Theil,  etwa  ein  Drittel,  jährlich 
ausscheiden  und  durch  neugewählte  Mitglieder  ersetzen  zu 
lassen.  Aber  er  sähe  auch  dies  lieber  vermieden,  da  es  immer 
vom  Zufall  abhängen  würde,  ob  nicht  die  „Besten  und  Fähig- 
sten'' durch  dieses  „Glücksrad"  entfernt  würden,  um  vielleicht 
eben  so  vielen  „Unerfahrenen  und  Neulingen"  Platz  zu  machen. 
Alles  überlegt,  dünkt  ihn  ein  „stehender  Senat"  neben  einem 
„stehenden  Heer"  oder  einer  „geordneten  Miliz"  in  England 
nicht  gefährlich,  sondern  einzig  fähig,  das  Staatsschift"  sicher 
durch  die  Fluthen  zu  lenken.  —  Ein  unläugbares  Gefühl  von 
Ermüdung  und  Enttäuschung  spricht  aus  diesen  überraschen- 
den Sätzen.  Milton  hatte  gesehn,  wohin  das  Widerstreben 
des  langen  Parlamentes,  einer  neuen  Versammlung  zu  weichen, 
geführt  hatte.  Er  hatte  die  Beweggründe  gebilligt,  die  Crom- 
well  für  seinen  Gewaltstreich  geltend  machte.  Und  dennoch 
fühlt  er  sich  durch  das  Schauspiel  beständiger  Erschütterun- 
gen der  x\rt  angewidert,  dass  er  sich  dazu  entschliesst,  einem 
stehenden  grossen  Rathe  das  Wort  zu  reden. 


240  I^^^  einer  neuen  Decentralisation. 

So  viel  Klarheit  des  Blickes  hatte  er  sich  indessen  be- 
wahrt, um  die  Nothwendigkeit  zu  erkennen,  einer  Regierungs- 
hehörde  von  so  umfassender  und  konzentrirter  Gewalt  ein 
..Gegengewicht"  zu  geben.  Es  soll  aber  nicht  in  einer  Ver- 
fassungs- Institution  bestehn,  wie  z.  B.  die  .,Yolkstribunen'-  es 
gewesen  waren,  auch  nicht  in  ..einer  anderen  populären  Ver- 
sammlung". Er  sieht  darin  die  drohende  Gefahr  einer  zügel- 
losen und  ungebändigten  Demokratie ,  bei  der  zuletzt  das 
Volk  selbst  durch  ., seine  übertriebene  Macht  zu  Grunde  geht". 
Das  Gegengewicht,  an  das  er  denkt,  ist  anderer  Art.  Er  war 
aufgewachsen  im  Lande  des  Selfgovernment.  Aber  die  Re- 
volution war  mit  den  hergebrachten  Formen  desselben  in  un- 
versöhnlichen Widerspruch  getreten.  In  alle  Theile  des  fein- 
gegliederten Organismus  hatten  die  verhassten  ..Committees" 
oder  militärische  Bevollmächtigte  der  Centralgewalt  schonungs- 
los eingegriffen.  Milton  wagte  daher  den  kühnen  Versuch, 
ohne  jede  Rücksicht  auf  die  geschichtliche  Entwickelung  von 
Jahrhunderten,  einen  neuen  Plan  zu  entwerfen,  nach  welchem 
der  Gefahr  einer  zu  straff  gespannten  Centralisation  auf  an- 
dere Weise  vorgebeugt  werden  sollte  Waren  gewisse  allge- 
meine Interessen  des  Gesammtreichs  jenem  grossen  Rathe 
anvertraut,  so  sollten  neben  ihm  besondere  ..Versammlungen" 
in  den  einzelnen  Bezirken  bestehn,  die  eine  Reihe  von  staat- 
lichen Aufgaben  zu  übernehmen  hätten.  Es  sollte,  wie  er  sich 
ausdrückte.  ..jede  Grafschaft  zu  einer  Art  von  untergeordneter 
Republik  gemacht  werden*" ,  deren  Vertreter  —  aus  Nobility 
und  Gentry  hervorgegangen  —  am  „Hauptorte"  sich  gleichfalls 
zu  einem  stehenden  Rathe  vereinigen  würden.  Diese  Be- 
zirksräthe  hätten  das  Recht,  Verordnungen  für  die  Bedürf- 
nisse ihres  Bezirks  zu  erlassen,  die  allgemeinen  Landesgesetze 
auszuführen  und  Gerichtsbehörden  zu  schaffen,  vor  denen  die 
Streitigkeiten  zwischen  den  Bewohnern  ihres  Kreises  ohne  Ap- 
pellation an  die  obersten  Gerichte  in  der  Kapitale  entschieden 
würden.  Eben  diesen  Bezirksräthen  will  er  vermuthlich  die 
Sorge  für  Armenpflege.  Gefängniswesen,  Strassenbau  u.  s.  w. 
zugetheilt  wissen,  obwohl  es  in  seinem  flüchtig  skizzirten  Ent- 
wurf nicht   ausdrücklich  bemerkt   ist.     Dacesen  hebt  er  mit 


Idee  einer  neuen  Deceutralisation.  241 

Nachdruck  hervor,  dass  die  Ausbreitung  der  Volksbildung, 
die  Errichtung  von  „Schulen  und  Akademieen"  eine  ihrer 
wichtigsten  Aufgaben  sein  müsse.  Er  wiederholt  nur  früher 
Gesagtes,  er  knüpft  nur  an  die  Bestrebungen  des  Comenius 
und  Hartlib  an.  wenn  er  hier  aufs  neue  dem  heimatlichen 
Staate  eine  seiner  am  meisten  vernachlässigten  Pflichten  in"s  Ge- 
dächtnis zurückruft.  Die  Schulanstalten,  die  ihm  vorschweben, 
sollen  nicht  allein  „Grammatik,  sondern  alle  freien  Künste  und 
Uebungen^'  lehren.  ,,Auf  diese  Weise  würde  die  Lebenswänne 
des  Staates  und  der  Kultur  selbst  die  entferntesten  Gebiete 
durchdringen,  die  jetzt  erstarrt  und  vernachlässigt  dahegen. 
Die  ganze  Nation  würde  in  Bälde  fleissiger  und  tüchtiger  zu 
Haus,  mächtiger  und  angesehener  im  Ausland  werden". 

Allein  nicht  genug  damit:  die  Machtsphäre  der  Central- 
behörde  soll  noch  nach  einer  anderen  Richtung  hin  beschränkt 
werden.  Die  allgemeine  Reichsgesetzgebung,  die  Leitung  der 
auswärtigen  Angelegenheiten,  die  Entscheidung  über  Krieg 
und  Frieden  fällt  allerdings  in  die  Kompetenz  des  grossen 
Rathes,  der  in  der  Hauptstadt  residirt.  Aber  er  ist  dabei 
an  die  Zustimmung  der  Mehrheit  jener  Bezirksräthe  oder 
einzuberufender  ^'ersammlungen  von  Vertretern  des  Bezirkes 
gebunden  (^).  Doch  soll  niemals  ein  einzelner  Bezirk  sieh 
über  die  Beschlüsse  der  Majorität  hinaussetzen  dürfen.  Der 
Vergleich  mit  den  vereinigten  Niederlanden,  der  sehr  nahe 
lag,  wird  entschieden  abgewiesen.  Es  wird  ein  Vorzug  des 
künftigen  englischen  Gemeinwesens  sein,  dass  es  „nicht  viele 
Souveränetäten  zu  einer  Republik,  sondern  viele  Republiken 
unter  einer  Souveränetät  verbinden  wird". 

Es  wäre  überflüssig,  eine  eingehende  Kritik  dieses  Planes 
zu  versuchen.  Man  bemerkt,  wie  der  Autor,  dem  radikalen 
Zug  seiner  Natur  getreu,  kühn  und  gross  selbst  in  seinen 
Irrthümern,  mit  dem  überkommenen  Stoff  rücksichtslos  schaltet, 
und  das  in  einem  Augenblick,  da  die  grosse  Masse  des  Volkes 
die  Rückkehr  der  alten  zertrümmerten  Formen  herbeisehnte. 
Auch  verhehlt  er  sich  nicht,  wie  weit  die  „Ansteckung"  des 
Royalismus  bereits  fortgeschritten  ist.  Was  er  für  sich  er- 
beten hatte,  war,  „vor  der  langen  Fastenzeit  der  Knechtschaft 

Stern,  Miltoii  u.  s.  Z.    II.  3.  16 


242  Milton's  Brief  an  Monk, 

(las  Recht  des  kurzen  Fasching  benutzen  zu  dürfen:  noch 
ein  Mal  ohne  Rückhalt  sich  auszusprechen  und  der  Freiheit 
für  immer  Lebewohl  zu  sagen".  Und  so  lässt  er  am  Schluss 
die  Maske  des  Optimismus  fallen.  „Ich  habe  das  gefährliche 
Wagestück  unternommen,  dasjenige  zu  sagen,  wozu  ich  mich  ver- 
pflichtet fühlte,  und  meine  Mitbürger  rechtzeitig  zu  warnen. 
Es  ist  die  gute  alte  Sache,  die  ich  in  Schutz  genommen 
habe,  wie  auffällig  dies  auch  erscheinen  mag.  Aber  ich  würde 
nicht  gezögert  haben  für  sie  zu  reden,  hätte  ich  auch  nur  zu 
Bäumen  und  Steinen  gesprochen,  könnte  ich  mit  dem  Pro- 
pheten nur  rufen:  o  Erde,  Erde,  Erde,  um  ihr  zu  sagen, 
was  ihre  abtrünnigen  Bewohner  nicht  hören  wollen.  Ja,  ich 
würde  nicht  anders  gehandelt  haben,  selbst  wenn  meine 
Worte  die  letzten  Worte  der  verröchelnden  Freiheit  wären." 
Es  konnte  billiger  Weise  Wunder  nehmen,  dass  in  der 
ganzen  Schrift  Milton's  der  Name  des  Mannes  nicht  erwähnt 
war,  von  dessen  Verhalten  eben  damals  so  viel  abhieng. 
Wenn  an  einer  Stelle  von  „ehrgeizigen  Führern  des  Heeres" 
die  Rede  war,  so  traf  diese  Anspielung  nicht  sowohl  Monk 
als  Lambert.  Und  die  Warnung,  sich  vor  der  Kopie  eines 
venetianischen  Dogen  oder  eines  niederländischen  Statthalters 
zu  hüten,  enthielt  vielleicht  auch  nur  einen  sehr  versteckten 
Seitenhieb  gegen  den  siegreichen  General,  der  die  Lage  be- 
herrschte. Indessen  hatte  Milton  ihn  keineswegs  aus  seiner 
Berechnung  fallen  lassen.  Viele  Jahre  nach  seinem  Tode  ist 
ein  Schreiben  bekannt  geworden,  das  er  an  Monk  gerichtet 
hat  und  welches  völlig  den  Eindruck  macht,  als  sei  es  Be- 
gleitbrief für  ein  Widmungsexemplar  seiner  Schrift,  vermuth- 
lich  der  ersten  Ausgabe,  gewesen  (^).  Es  war  damals  üblich, 
Monk  mit  Rathschlägen  und  Anträgen  in  Briefform  zu  über- 
schütten. Nicht  wenige  gedruckte  Flugblätter  der  Art  haben 
sich  erhalten (-).  Allein  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass 
Milton's  Brief  niemals  in  die  Oetfentlichkeit  gedrungen  und 
es  bleibt  ungewiss,  ob  er  überhaupt  jemals  an  seine  Adresse 
abgesandt  worden  ist.  Was  seinen  Inhalt  betrifft,  so  er- 
scheinen hier  die  Vorschläge  der  Abhandlung  noch  einmal 
kurz  zusammengefasst.    Sie  werden  dem  General  warm  em- 


Harringtou  und  die  Kota.  243 

pfohlen,  nicht  ohne  dass  sein  Anspruch  auf  das  höchste  Kom- 
mando der  gesammten  Streitkräfte  ausdrückliche  Anerkennung 
fände.  Uebrigens  kommt  ein  gewisses  Misstrauen  gegen 
Monk  zum  Durchbruch.  Zwar  werden  seine  republikanischen 
Erklärungen  rühmend  erwähnt,  aber  er  wird  zugleich  ermahnt, 
die  Nation  „nicht  länger  mit  blossen  Erw^artungen  hinzu- 
halten" und  dem  kommenden  Parlament  „den  Besitz  eines 
freien  Gemeinwesens"  zu  gewähren. 

Wie  wenig  Grund  für  die  Verwirklichung  seiner  Hoff- 
nungen vorhanden  war,  darüber  konnte  Milton  schon  die 
Aufnahme  belehren,  die  seine  A'orschläge  in  weiteren  Kreisen 
erlebten.  Es  fällt  nicht  schwer,  aus  der  grossen  Masse  zeit- 
genössischer Flugschriften  einzelne  herauszufinden,  in  denen 
Milton  s  Werk  die  gelegentliche  Zielscheibe  des  Angriffs  zu 
sein  scheint  (M.  Allein  man  kennt  auch  zwei  Pamphlete,  die 
sich  ausdrücklich  gegen  seine  Arbeit  richten.  Das  eine  ist 
so  geschickt  eingekleidet,  dass  es  zu  gleicher  Zeit  einen  an- 
deren Verfechter  der  republikanischen  Staatsform  und  seinen 
Anhang  dem  allgemeinen  Gespött  Preis  giebt.  Unter  den  po- 
litischen Schriftstellern  der  Zeit  nahm  James  Harrington  eine 
hervorragende  Stellung  ein.  -  Schon  als  junger  Mann  im  Dienste 
Karls  I.  hatte  er  den  Monarchen  häufig  durch  seine  zur 
Schau  getragenen  republikanischen  Ansichten  verletzt.  Xach 
der  Abschaffung  des  Königthums  suchte  er  seine  Ideen  durch 
den  Druck  zu  verbreiten.  Die  Veröffentlichung  seines  Haupt- 
werkes „Oceana",  eines  bis  in's  einzelne  ausgeführten  Staats- 
romanes,  stiess  auf  Schwierigkeiten  bei  dem  Protektor.  Doch 
wusste  der  Verfasser  durch  einen  witzigen  Appell  an  Crom- 
well's  Tochter,  Lady  Claypole,  die  Handschrift  zurück  zu  er- 
halten und  wagte  sogar,  sein  Werk  dem  Protektor  zu  widmen 
(1656).  Harrington's  Vorschläge,  in  denen  Verstand  und 
Phantasie  wunderbar  gemischt  waren,  riefen  zahlreiche  Streit- 
schriften hervor.  Er  liess  sich  indess  so  wenig  irre  machen, 
dass  er  im  Herbst  des  Jahres  1659  einen  Klubb  gründete, 
dessen  Mitglieder  jeden  Abend  im  „Türkenkopf",  einer  Taverne' 
in  New  Palace  Yard,  zusammenkamen.  Man  debattirte  beim 
Kafi"ee   sehr   ernsthaft   über   politische  Fragen    und    stimmte 

16* 


244  ^^^  fiugirte  „Urtheil  der  Rota". 

durch   Kugelloos    ab.    Erst  im   letzten  Drittel    des  Febmar 
körten  diese  Zusammenkünfte  auff^).    Milton  hatte  mehr   als 
einen  Gmnd,  sich  mit  Harrington  und  dessen  Werken  zu  be- 
schäftigen,   blanche   Ideen   des  Verfassers   der  Oceana  ent- 
sprachen seinen  eigenen.    Personen,  die  ihm  nicht  fremd  waren, 
sein  späterer  Biograph  Aubrey,   der  Mathematiker  John  Pell, 
der  Dichter  Marvell  gehörten  zu  Hamngton's  Freunden,   Sein 
vertrauter  Schüler  Cyriac  Skinner  war  Vorsitzender  jenes  von 
Harrington  gestifteten  Klubbs.   Aber  indem  er  dem  merkwür- 
digen Theoretiker  seine  Aufmerksamkeit  schenkte,    fühlte  er 
sieh  durch  einige  Theile  seines  politischen  Programms  ent- 
schieden abgestossen.   Dahin  gehörte  u.  a.  jene  fixe  Idee  einer 
„Rotation".   Für  Harrington  bestand  das  untrügliche  Heilmittel 
gegen  die  Gefahren  einer  stehenden  regierenden  Körperschaft 
in  der  jährlichen  Ausloosung   eines  Drittheils,    das   während 
dreier  Jahre  nicht  wieder  wählbar  sein  sollte.    Eine  besondere 
Schrift,-  „die  Rota"  (20.  December  1659),  hatte  den  Gedanken 
nochmals  verfochten.   Der  Klubb  erhielt  von  ihr  seinen  Namen. 
Wie  erwähnt,   suchte  sich  Milton  gegen  ein  Aushilfsmittel  zu 
sträuben,    das   er   nur    im    äussersten   Xothfall   für    zulässig 
halten  wollte.     Allein    dieser  Widerspruch  zwischen  zwei  her- 
vorragenden  republikanischen   Wortführern  gab   einem  roya- 
listischen  Witzbold  Gelegenheit,   an  beiden  sein  iSIüthchen  zu 
kühlen. 

Unter  dem  Titel  ,,das  Urtheil  der  Rota  über  Mr.  Milton's 
Buch:  der  sichere  und  leichte  Weg  zur  Begründung  eines 
freien  Gemeinwesens",  erschien  eine  kleine  Broschüre,  die  sich 
schon  dem  Datum  nach  als  eine  ironische  Fiktion  auswies  (2). 
Auf  Wunsch  des  Klubbs  -  so  hiess  es  —  sei  sein  Ui-theil 
über  Milton's  Buch  von  Harrington  veröffentlicht  und  Milton 
mitgetheilt.  Dieser  konnte  freilich,  wie  der  erdichtete  Har- 
rington in  seiner  Einleitung  bemerkte ,  ebenso  wenig  Freude 
daran  haben,  es  zu  vernehmen,  wie  der  Berichterstatter  selbst 
es  zu  wiederholen.  Allein  Harrington  musste  ., seine  eigenen 
Gefühle"  schweigen  lassen  und  sich  dabei  begnügen,  die  An- 
sichten der  Klubbisten  möglichst  getreu  wiederzugeben.  Da 
fand  sich  denn,  dass  auch  nicht  eine  Stimme  für  Milton  ab- 


Das  fingirte  „Urtheil  der  Rota".  245 

gegeben  worden  war.  Ein  ^Mitglied,  und  noch  dazu  ein 
„Bekannter''  Milton's,  hatte  an  dem  Titel  seiner  Schrift  An- 
stoss  genommen  und  bemerkt,  dass  Milton  auch  sonst  in  der 
Benennung  seiner  Werke  „keine  glückliche  Hand  habe".  Ein 
anderer  hatte  seine  Verwunderung  darüber  geäussert,  dass  er 
die  Schriftstellerei  nicht  längst  aufgegeben  habe.  Denn  ob- 
wohl er  sich  die  Augen  ausgeschrieben,  seien  seine  Bücher 
nur  Makulatur,  und  „Lichtzieher  und  Tabakverkäufer"  ihre 
einzigen  Abnehmer.  Ein  dritter,  „eine  würdige  Gerichts- 
person", machte  sich  lustig  über  die  preisende  Vertheidigung 
eines  verstümmelten  Parlamentes,  das,  auf  eine  kleine  Minder- 
heit des  Volkes  gestützt,  „die  königliche  Knechtschaft  in  einen 
Freistaat  verwandelt  habe".  Es  sei  merkwürdig,  dass  Milton 
„Unsinn  und  Fälschungen  der  Art  von  anderen  stehle,  wäh- 
rend er  doch  selbst  Vorrath  genug  von  eigenem  Gewächs  be- 
sitze". Nicht  weniger  entschieden  wurde  die  Grösse  der  Re- 
publik gegenüber  dem  Ausland  geläugnet.  Englands  Macht- 
stellung sei  erst  dann  bedeutend  geworden,  nachdem  ,, Oliver 
Cromwell  unter  dem  Namen  eines  Freistaates  eine  absolute 
Monarchie  eingeführt  habe",  während  die  Vorgänge  der 
inneren  Regierung  von  Europa  als  Akte  „gothischer  und  van- 
dalischer  Barbarei"  betrachtet  worden  seien. 

Mit  einem  Wort:  die  ganze  Versammlung  war  so  ent- 
schieden royalistisch  gesinnt,  dass  sie  für  den  Vertheidiger 
der  republikanischen  Staatsform  nur  den  bittersten  Spott,  die 
schmählichsten  Verleumdungen  und  die  niedrigsten  Schmäh- 
ungen erübrigte.  Er  hatte  die  Theorie  verfochten  „und  da- 
nach gehandelt",  dass  „ein  Mann  seine  Frau  beliebig  Ver- 
stössen und  eine  andere  nehmen  dürfe".  Er  hatte  das  „An- 
denken eines  ermordeten  Fürsten  mit  Schmutz  beworfen". 
Er  hatte  mehrfach  und  noch  kürzlich  in  seiner  Abhandlung 
über  die  Zehnten  zum  „Kirchenraub"  aufgefordert.  Seine 
letzte  Schrift  erschien  „von  Anfang  bis  zu  Ende  als  windige 
Fopperei,  verfasst  zur  Erhöhung  des  Pöbels  und  in  der  Ab- 
sicht, den  Unwissenden  zu  betrügen".  Man  konnte  nicht  an- 
nehmen, dass  „er  an  seine  eigenen  Gründe  glaube",  und  einer 
sprach  die  \'ermuthung  aus,  nur   die  Furcht,  von  seiner  be- 


246  Die  „Vertheidiguug  der  Würde  des  Königthums". 

wunderaswürdigen  Beredtsamkeit  unter  einer  Monarchie  keinen 
Gebrauch  machen  zu  können",  habe  ^Nlilton  angetrieben,  die 
Welt  mit  seinem  jüngsten  absurden  Pamphlet  zu  beschenken. 
Der  Pseudo - Harrington  selbst,  der  zuletzt  das  Wort  nahm, 
gebrauchte  allerdings  weniger  verletzende  Ausdrücke,  aber  in 
der  Sache  war  er  ebenso  schonungslos  wie  seine  Genossen. 
Seine  Eitelkeit  fühlte  sich  .dadurch  besonders  beleidigt,  dass 
Milton  auf  seine  Lieblingsideen  keine  Ptücksicht  genommen 
hatte.  Demnächst  fand  er  eine  Parallele  zwischen  dem 
römischen  Senat  und  der  venetianischen  Signorie  höchst 
lächerlich.  Er  gab  sein  zusammenfassendes  Urtheil  dahin  ab, 
der  Titel  der  Milton'schen  Schrift  hätte  lauten  sollen:  „Der 
sicherste  und  leichteste  Weg  zur  Begründung  der  Sklaverei". 

Ohne  Zweifel  waren  die  bedenklichen  Seiten  der  Milton'- 
schen Schrift  in  diesem  Pamphlet  vortrefflich  gefasst  worden. 
Auch  die  allgemeine  Schwäche  seiner  politischen  Ansichten 
war  dem  witzigen  Gegner  nicht  entgangen.  Es  war  nicht 
ganz  unbegründet,  ,,dass  er  sich  immer  in  Allgemeinheiten 
bewege"  und  sich  von  „blossen  Worten"  fangen  lasse,  dass  er 
die  „Monarchie  als  solche  bekämpfe,  ohne  Rücksicht  auf  die 
besondere  Verfassung",  dass  er  „in  der  Regierung  eines 
Einzigen  nur  Sklaverei  finde,  in  der  Regierung  Vieler  nur 
Freiheit".  Aber  andererseits,  welche  Gerechtigkeit  hatte 
Milton  von  einem  Widersacher  zu  erwarten,  nach  dessen  An- 
sicht „Republiken  gemeiniglich  aus  unwürdigen  Ursachen 
entstehen",  und  dem  zufolge  die  Niederländer  ihren  Frei- 
staat begründet  hatten,  nicht  um  ihre  Religion  und  ihre  Un- 
abhängigkeit zu  schützen,  sondern  „wegen  der  Steuer  von 
einem  Penny,  die  auf  ein  Pfund  Butter  gelegt  wurde". 

Ernster  gemeint  war  eine  andere  Gegenschrift,  die  etwa 
Ende  April  unter  dem  Titel  herauskam:  „Vertheidigung  der 
Würde  des  Königthums"  (^).  Der  Verfasser  hat  absichtlich  nur 
die  Anfangsbuchstaben  seines  Namens  auf  das  Titelblatt  ge- 
setzt. Im  Begritf,  einen  Mann  von  so  „anerkannter  Scharf- 
sinnigkeit und  Gelehrsamkeit"  zu  bekämpfen,  wollte  er.  wie 
er  etwas  ironisch  bemerkt,  den  Leser  lieber  im  Ungewissen 
darüber  lassen,   wer  er  sei,   damit  die  Sache,  die  er  verficht. 


Die  ,.Vertheidiguug  der  "Würde  des  Köuigthums".  247 

nicht  leide.  Man  vermuthet,  indessen  ohne  genügenden  Grund, 
dass  sich  unter  dem  G.  S.  das  presbyterianische  Parlaments- 
mitglied für  Taunton  George  Searle  verberge (^J. 

Dieser  Autor  erscheint  königlicher  gesinnt  als  der  König 
selbst.  Für  ihn  giebt  es  nichts  Elenderes  und  Klaglicheres 
als  eine  Republik.  Was  die  Freistaaten  des  alten  Griechen- 
land betrifft,  so  macht  er  sich  die  Sache  sehr  bequem.  ..Sie  sind 
von  so  altem  Datum,  dass  man  sich  über  ihre  wahre  Geschichte 
kaum  vergewissern  kann."  Um  die  Grösse  der  römischen 
Republik  herabzusetzen,  wird  er  zum  begeisterten  Lobredner 
des  römischen  Kaiserreichs,  ^'enedig  und  die  Eidgenossen- 
schaft bekommen  bittere  Worte  zu  hören.  Am  meisten  sind 
aber  dem  royalistischen  Engländer  die  vereinigten  Nieder- 
lande verhasst,  deren  Verhältnisse  er  eingehend  zu  schildern 
versucht.  Er  betrachtet  sie  etwa  mit  den  Blicken,  mit  denen 
ein  heutiger  Junkei'  auf  Nordamerika  hinsieht,  und  die  na- 
tionale Eifersucht,  zu  deren  Dolmetscher  er  sich  macht,  schärft 
ihm  noch  den  Griffel.  Die  Niederländer  sind  ihm  „eine  Heerde 
von  Schweinen',  der  „Holländer  wird  einem  Christen  so  wenig 
Beistand  leisten  wie  ein  Türke  oder  Jude".  Unter  den  ruhm- 
reichen Monarchieen  figuriren  dagegen ,  wie  einst  in  dem 
Werke  des  Salmasius,  diejenige  von  „Babylon,  Assyrien,  Per- 
sien", über  deren  „wahre  Geschichte"  der  Autor  sich  offenbar 
weit  eher  „vergewissern''  konnte,  als  über  die  Geschichte 
Sparta's  und  Athen's.  Einen  Hauptti'umpf  spielt  er  mit  dem 
geistreichen  Satze  aus,  dass  „Christus  unter  einem  Kaiser, 
aber  nicht  zur  Zeit  der  Republik  geboren  worden  ist'^  —  Es 
lässt  sich  nach  diesen  Proben  denken,  wie  Milton  persönlich 
behandelt  wird.  Ein  Tröpfchen  gelegentlicher  Anerkennung 
seines  Talents  verschwindet  in  der  Fluth  giftiger  Beleidigungen, 
mit  der  man  ilm  überschüttet.  Er  hat  „Witz",  aber  es  ist 
der  Witz  eines  „Schurken'-.  Er  verfügt  über  ,, Gelehrsam- 
keit", aber  er  macht  von  ihr  „den  schlechtesten  Gebrauch''. 
Seine  Schriften  über  die  Ehescheidung,  sein  Bildei*stürmer, 
seine  Yertheidigung  des  englischen  Volkes  werden  zum  Be- 
weise angeführt.  Er  ist  ..ein  Bruder  Lüderlich,  ein  Atheist, 
ein  Vertheidiger    des   Königsmordes,    der    sich   seine  Arbeit 


248  Die  Wahlen.  —  Das  Konventionsparlameut. 

nicht  schlecht  hat  bezahlen  lassen".  —  Es  bleibt  dem  Lob- 
redner der  Monarchie  noch  Athem  übrig,  um  den  „kupfer- 
nasigen  Heiligen  Oliver"  und  den  „absurden  Phantasten  Har- 
rington"  zu  schmähen.  Aber  am  Schluss  kehrt  er  zu  seinem 
Hauptopfer  zurück,  um  ihm  eine  „aufrichtige  Reue  und  ge- 
sunden Verstand"  zu  wünschen. 

Weit  besser  als  durch  alle  Gegenschriften  konnte  Milton  sich 
durch  den  Gang  der  Ereignisse  davon  überzeugen  lassen,  dass 
er  in  den  Wind  geredet  hatte.  Für  alle  seine  Betrachtungen 
war  Voraussetzung  gewesen,  dass  man  bei  den  Wahlen  die 
Bestimmungen  über  die  Qualifikationen  aufrecht  halten  und 
somit  wenigstens  diejenigen  ausschliessen  würde,  die  während 
des  Bürgerkrieges  für  den  König  Partei  genommen  hatten. 
Allein  nirgendwo  hielt  man  sich  an  diese  Beschränkungen 
gebunden.  Neben  den  Wortführern  der  Presbyterianer  er- 
rangen die  entschiedenen  Kavaliere  in  Masse  den  Sieg.  Nur 
wenig  einflussreiche  Republikaner  erlangten  Sitze.  Noch  ein- 
mal leuchtete  dieser  Partei  ein  Hoffnungsstrahl,  als  es  Lambert 
glückte,  aus  dem  Tower,  wo  er  in  Haft  lag,  zu  entspringen 
und  einige  rebellische  Truppen  um  sieh  zu  sammeln.  Aber 
die  energischen  Massregeln  Monk's  entschieden  sehr  bald  die 
Niederlage  seines  ehemaligen  Rivalen.  Schon  war  der  so 
lange  zurückhaltende  General  in  direkte  Verhandlungen  mit 
Karl  H.  getreten,  die  presbyterianischen  Parteiführer  suchten 
durch  ihre  loyalen  Anerbietungen  wenigstens  einige  Bürg- 
schaften für  die  Zukunft  zu  erhalten,  von  allen  Seiten  liefen 
die  Versicherungen  der  Reue,  die  Erklärungen  der  Ergeben- 
heit beim  jungen  König  und  Edward  Hyde,  seinem  vertrau- 
testen Rathgeber,  ein.  Am  25.  April  trat  das  neue  Parlament 
zusammen.  Gleichzeitig  und  ungehindert  vereinigten  sich 
zehn  der  Peers  im  Hause  der  Lords.  Die  alte  Landesver- 
fassung fand  sich  stückweise  wieder  zusammen.  Nur  durch 
eine  kurze  Spanne  Zeit  war  man  von  dem  Augenblick  ge- 
trennt, in  dem  das  letzte  noch  fehlende  Element  sich  mit 
ihnen  verbände.  Am  L  Mai  wurden  Schreiben  des  Königs 
an  die  beiden  Häuser  überbracht.  Zugleich  ward  eine  von 
Breda  datirte  I'eklaration  mitgetheilt,    in   der   weitgehende 


Deklaration  von  Breda.  —  r4riffith's  Predigt.  249 

Amnestie,  Gewährung  der  Gewissensfreiheit,  Ordnung  der 
Eigenthumsfragen  gemäss  den  künftigen  Beschlüssen  des  Par- 
laments versprochen  wurde.  Dem  Gemeinderath  der  City, 
dem  General  Monk  und  seinen  Officieren ,  dem  Befehlshaber 
der  Flotte  giengen  gleichfalls  königliche  Briefe  zu.  Die  all- 
gemeine Begeisterung  der  Bevölkerung  machte  jede  Zögerung 
unmöglich.  Während  bekannte  Republikaner  auf  den  Strassen 
der  Wuth  des  Pöbels  ausgesetzt  waren,  wurde  Karl  II.  unter 
Glockenklang  und  Freudensalven  als  Erbe  der  Krone  seines 
Vaters  feierlich  ausgerufen  (8.  Mai).  Einige  Tage  nachher 
reiste  die  Deputation  der  Lords  und  Gemeinen  ab,  die  ihn 
zur  Rückkehr  einzuladen  beauftragt  war.  Auch  die  presby- 
terianische  Geistlichkeit  schickte  ihre  Vertreter,  und  unter 
ihnen  konnte  man  Edmund  Calaniy  bemerken,  den  Mitheraus- 
geber des  Smectymnuus,  dessen  Name  ]\Iilton  vor  Zeiten  nicht 
gleichgiltig  gewesen  war. 

Milton  selbst  hatte  sich  erkühnt,  gleichsam  schon  in  der 
Höhle  des  Löwen,  denselben  nochmals  zu  reizen. 

Matthew  Griffith,  einer  der  Kapläne  Karls  L,  hatte  am 
25.  März  eine  Predigt  gehalten,  die  unter  dem  Titel:  ,,Die 
Furcht  Gottes  und  des  Königs"  alsbald  gedruckt  wurde  (^j. 
Auf  eine  sehr  blumenreiche  Widmung  an  Monk,  den  er  auf- 
fordert, das  begonnene  Werk  fortzusetzen,  lässt  der  angli- 
kanische Kaplan  seine  Predigt  folgen.  Ihr  Thema  ist  „Lege 
nicht  Hand  an  den  Gesalbten  Gottes".  Es  wird  vielfach  variirt 
und  durch  Bibelsprüche,  die  nicht  immer  glücklich  ausgewählt 
sind,  sowie  durch  zusammengeraffte  historische  Beispiele  be- 
leuchtet. Dabei  kann  sich  die  sehr  knechtische  Gesinnung 
des  Redners  nicht  verläugnen.  Er  ist  ein  entschiedener  Ver- 
theidiger  der  Lehre  vom  „duldenden  Gehorsam''.  Ein  König 
ist  ihm  schlechthin  aus  einem  besseren  Stoff  gemacht  als 
„andere  Menschen".  In  den  beständigen  politischen  Neue- 
rungen, die  England  erschüttert  haben ,  sieht  er  etwas  Teuf- 
lisches, wie  ihm  denn  der  Sündenfall  im  Paradiese  gleichfalls 
aus  dem  „Wunsche  nach  Veränderung"  hervorgegangen  zu  sein 
scheint,  Monk  war  über  diesen  Appell  an  seine  Loyalität  zu  einer 
Zeit,  da  er  noch  den  Republikaner  spielte,  wenig  erbaut,  und 


250  Miltou's  „Aumerkungen"  zu  Griffith's  Predigt. 

Giiffith  musste  für  einige  Zeit  in's  Gefängnis  wandern.  Dies 
hielt  indessen  Milton  nicht  ab,  eine  Lanze  mit  dem  Kaplan 
zu  brechen.  Er  veröffentlichte  „kurze  Anmerkungen  zu  einer 
jüngst  gehaltenen  Predigt  Mr.  Griffith's",  nur  ein  paar  Seiten. 
aber  voll  Schärfe  und  Leidenschaft  (^).  Das  Schriftchen  ward 
abgefasst,  wie  man  schon  aus  einer  Stelle  schliessen  könnte, 
ehe  das  neue  Parlament  zusammengetreten  war.  Koch  immer 
konnte  Milton  also  sich  wenigstens  den  Anschein  geben,  als 
glaube  er  nicht  an  die  Restauration  der  Stuarts.  Noch  immer 
konnte  er  sich  auf  die  feierlichen  „Versprechungen  und  Er- 
klärungen" Monk's  berufen,  ja  sogar  den  General  gegen  die 
Zumuthungen  des  Kaplans,  als  gegen  „unverschämte  Verleum- 
dungen" in  Schutz  nehmen.  Griffith  selbst  kommt  unter  den 
Händen  des  alten  Streiters  übel  weg.  Der  Theologe  Milton 
greift  seine  biblischen  Citate  an.  Der  Historiker  Milton  hält 
ihm  seine  groben  geschichtlichen  Irrthümer  vor.  Der  unbe- 
grenzten Vergötterung  der  Monarchie  stellt  sich  das  Princip 
der  Volkssouveränetät  gegenüber.  Es  muss  als  ein  grosses 
Zugeständnis  Milton's  gelten,  wenn  er,  die  Niederlage  der 
republikanischen  Sache  vor  Augen,  seine  Mitbürger  beschwört, 
sich  wenigstens  nicht  der  Rache  des  ,. Besiegten"  Preis  zu 
geben,  sondern  schlimmsten  Falles  aus  ihrer  eigenen  Mitte 
denjenigen  zum  König  zu  wählen,  „der  dem  Volk  am  besten 
geholfen  und  sich  gegen  die  Tyrannei  die  grössten  Verdienste 
erworben  hat". 

Kaum  waren  diese  „kurzen  Anmerkungen"  erschienen, 
als  ihnen  ein  royalistisches  Pamphlet  antwortete.  Sein  Ver- 
fasser war  Roger  L" Estrange  (geb.  1616),  der  als  feuriger  An- 
hänger Karls  L  den  Bürgerkrieg  mitgemacht  hatte  und,  in  die 
Gefangenschaft  des  Parlaments  gerathen,  kaum  dem  Tode 
entgangen  war(-).  Er  hatte  seit  1653  in  London  gelebt  und 
galt  für  einen  witzigen  Kopf.  Unter  dem  Schutz  der  Stuarts 
erlangte  er  später  noch  eine  bedeutende  literarische  Stellung, 
die  er  nicht  zum  wenigsten  seiner  loyalen  Gesinnung  ver- 
dankte. Eben  diese  bethätigte  er  in  der  Flugschrift  „Keine 
blinden  Führer",  durch  die  er  Milton  an  den  Pranger  stellte  (^). 
"Wie  schon  der  Titel  andeutet,  gewann  er  es  über  sich,  gleich 


K.  l'Estrange's  Gegenschrift:  ..Keine  blinden  Führer".  251 

früheren  Gegnern  des  republikanischen  Vorkämpfers,  selbst 
über  dessen  körperliches  Leiden  seine  Glossen  zu  machen. 
Er  lässt  es  sich  gleichfalls  nicht  entgehen,  ihm  seine  alten 
schriftstellerischen  Sünden  zu  Gemüth  zu  führen:  seine  „Recht- 
fertigung des  Königsmordes",  die  ,. gotteslästerliche  Unver- 
schämtheit", mit  der  er  im  Bilderstürmer  die  „geheimen 
Qualen  der  ringenden  Seele"  des  Königs-^Iärtyrers  verspottet 
hat.  Er  bittet  Milton  höhnisch,  „den  Teufel  abzulegen  und  sich 
wie  ein  Mensch  zu  geberden,  damit  ein  guter  Christ  sich  doch 
nicht  zu  fürchten  brauche,  für  ihn  zu  beten".  In  dem,  was 
er  zur  Sache  beibringt,  ist  viel  Richtiges,  soweit  es  die  Ge- 
waltsamkeiten der  republikanischen  Epoche  betrifft.  Aber 
wie  Griffith,  so  bleibt  auch  l'Estrange  hinter  der  Gedanken- 
tiefe und  dem  erhebenden  Pathos  seines  Gegners  weit  zurück. 
Seine  Schrift  macht  eher  den  Eindrack  einer  Denunciation, 
und  in  der  That  lagen  die  Dinge  schon  so,  dass  man  hoffen 
durfte,  an  den  hervorragenden  Feinden  des  Königthums  bald 
einigei'massen  Rache  nehmen  zu  können. 

Es  war  alles  vorbereitet,  um  den  Sohn  Karls  I.  im 
Triumph  zu  seinem  reuigen  Volke  zurückzuführen.  i\Ionk 
drängte  ihn,  um  der  Erhaltung  der  Ruhe  willen  seine  Ankunft 
zu  beschleunigen.  In  der  Bucht  von  Scheveningen  lag  die 
englische  Flotte  vor  Anker,  die  den  König  und  seinen  Hof- 
halt befördern  sollte.  In  England  rüstete  man  sich  zu  fest- 
lichem Empfang.  Am  23.  Mai  verliess  der  so  lange  von  Asyl 
zu  Asyl  getriebene  Fürst  den  Haag,  woselbst  er  von  den  Ge- 
neralständen freundlichen  Abschied  genommen  hatte.  Den 
Tag  darauf  lichtete  die  Flotte  die  Segel,  um  das  Geschlecht 
der  Stuarts  zur  Heimat  zurück  zu  geleiten.  Das  Interregnum 
war  zu  Ende.  Die  Sache,  für  welche  Milton  bis  zuletzt  mit 
dem  Muthe  der  \'erzweiflung  gestritten  hatte,  w^ar  verloren. 


Anmerkiinii'en  und  Anliäna^e. 


Anmerkungen. 


Erstes  Kapitel. 

Seite 

7  i)An  agreement  of  the  people  etc.    Pari.  bist.  III.  1262  —  1278. 

8  ')An  agreement   of  the  fi'ee  people    of  England  1.  May  1649.     Old 

pari,  history  XIX.   111  — 119,  ebenda  91  —  94  ein  Auszug  aus 
England's  new  chains  discovered. 
18  ^)  Pauli:    Robert  Blake  in  den  Aufsätzen  zur  englischen  Geschichte 
(1869)   nach   H.  Dixon:  Robert  Blake   1858   und  Warburton : 
Memoirs  of  Prince  Rupert,  1849. 

20  ^)  Er  war  einer  der  Gesandten  gewesen,   die  zu  Gunsten  des  Königs 

wirken  sollten,  s.  B.  II,  446. 
*)  Für  das  Folgende  bieten  die  Hauptquelle  die  Protokolle  des  Staats- 
raths,  die  ich  im  Record- Office  einsehen  konnte.  Die  Auszüge, 
welche  Todd  aus  ihnen  gemacht  hat,  sind  ergänzt  worden  diurch 
Hamilton  und  durch  Bisset  in  seinem  Werke;  History  of  the 
Commonwealth  of  England,  2  Vols.  1867.  Neuerdings  hat  man 
angefangen,  in  den  C.  S.  P.  jene  Protokolle  musterhaft  zu  ediren, 
und  diese  Edition  mit  ihren  vorzüglichen  Registern  wird  den  werth- 
vollsten  Kommentar  zu  der  gesammten  amtlichen  Thätigkeit  Mil- 
ton's  bilden. 

21  ')  Gedichte  von  G.  R.  Weckherlin,  herausgegeben  von  K.  Goedeke 

(Deutsche  Dichter  des  17.  Jahrhunderts.  V.  1873),  daselbst  eine 
ausführliche  biographische  Einleitung.  C.  S.  P.  Reg.  s.  v.  Weck- 
herlin und  Whitelocke,  Ed.  1732  p.  204,  237  etc.  Todd  I. 
108,  Godwin  11.  494. 

22  1)  S.  0.  B.  n.  190,  264. 

23  *)  Wood:    „without  any  seeking   of  bis  by  the  endeavours  of  a  pri- 

vate acquaintance  who  was  a  member  of  the  new  Council  of  State". 
Vgl.  Phillips  und  De  f.  sec.  Man  könnte  nächst  Vane  auch 
ßradshaw,  der  am  10,  März  Präsident  des  Staatsraths  wurde,  für 


256  Anmerkungen. 

Seite 

dies  „member"  halten ,  wenn  seine  Verwandtschaft  mit  Milton  er- 
wiesen wäre,  s.  aber  I.  345.   n.  430. 

23  ^)  „at  one  Thomson's ,  next  door  to  the  BuUhead    tavern  at  Charing 

Gross  opening  into  the  Spring  gardens".  Phillips,  der  irriger 
Weise  die  Abfassung  der  defensio  prima  in  diese  Wohnung  verlegt. 

24  ^)  C.  S.  P.  ed.  M.  A.  E  verett  Green  zu  den  bezeichneten  Daten,  wo- 

durch der  Zweifel  bei  Phillips  gelöst  wird.  Guizot:  Histoire  de 
la  republique  d'Angleterre ,  II.  133  verlegt  Miltons  Ausweisung  aus 
Whitehall  irrig  auf  eine  spätere  Zeit.  Das  Haus  ist  seit  1877  ab- 
gerissen, s.  Masson  IV.  420. 

25  1)  To  Sir  Hem-y  Vane  the  younger  P.  W.  IL  484,  298.    III.  480.    Es 

scheint  Masson  entgangen  zu  sein,  dass  zuerst  Sikes:  Life  and 
death  of  Sir  H.  Vane  1662  dies  Sonett  abgedruckt  und  bemerkt 
hat,  Milton  habe  es  am  3.  Juli  1652  Vane  zugestellt,  s.  Forster, 
Statesmen,  312. 

26  ')S.  über  Fleming:  Jahrbuch  für  Schweizerische  Geschichte  III.  p.  5, 

10.  Seine  Briefe  im  Reco  rd-Office  wie  im  Züricher  Archiv 
haben  mir  vorgelegen. 

27  ')  S.  über  Haak  wie  über  Hartlib:  C.  S.  P.,  Pieg.    Wood ,  Wo  rthi  ng- 

t  OH '  s  Diary  Reg.  B  o  y  1  e "  s  Works  ed.  Birch  1. 25  etc. ;  vgl.  über  Haak : 
Ko berstein,  Grundriss  der  Geschichte  der  Deutschen  National- 
literatur, 5.  Auflage.  H.  93.  Die  daselbst  erwähnte  älteste  deutsche 
üebersetzung  des  Milton'schen  Epos  von  E.  G.  V.  B.  (Ernst  Gott- 
lieb von  Berge  nach  Ausweis  der  Dedikation),  Zerbst  1682,  befindet 
sich  auch  in  der  göttinger  Bibliothek,  Poetae  4713.  Der  Ueber- 
setzer  sagt,  er  habe  versucht,  das  Gedicht  ..auf  gleichmässige  Art, 
wie  es  unlängst  zuvor  von  dem  berühmten  H.  Theodoro  Haaken, 
fürnehmen  ^litglied  der  curiösen  königlichen  Gesellschaft  allberejl 
angefangen,  vollends  überzutragen  und  durch  den  Druck  an's  Licht 
zu  bringen'".  Möglich,  dass  er  jene  Üebersetzung  der  ersten  sechs 
Bücher  von  Haak,  die  bei  Aubrey  erwähnt  wird,  benutzt  hat. 
*)  Uebrigens  Auirde  Milton  die  ihm  übertragene  Arbeit  wieder  abgenom- 
men und  Thomas  May  zugewiesen,  s.  C.  S.  P.  1650  Juni  26,  Juli  2 
(p.  216.  228 1.  Als  üebersetzer  in's  Französische  wird  Rene 
Augier  genannt,  der  schon  seit  lt544  als.  Agent  des  Parlamentes 
in  Paris  gedient  hatte,  zur  Zeit  der  Republik  vielfältige  diploma- 
tische Verwendung  fand  und  auch  mit  ^Milton  in  Berührung  kam. 

28  ')S.  über  Durie  C.  S.  P.  Reg.  Whitelocke  (Ed.  1732  p.  416i,  die 

Schutzschrift  HartUb's  für  ihn  The  unchanged  .  .  Peace-Maker 
(s.  0.  II.  474)  1650,  femer  The  reformed  school  by  John  Dury  .  . 
London  1650  und  The  reformed  librarie  keeper  with  a  Supplement 
to  the  reformed  school,  as  subordinate  to  Colleges  in  universities 
by  John  Dury  .  .  London  1650,  beide  mit  Vorwort  von  Hartlib. 
Br.  M.  1031.  a.  11. 


Erstes  Kapitel.  257 

Seite 

28  ^)  Literae  seuatus  Anglicani  nee  non  Cromwellii  etc.  nomine  ac  jussu 

conscriptae  W.  VII.  1S6  flF. ,  ergänzt  diu-ch  die  Mittlieilungen  Ha- 
milton's,  aus  dem  im  Kecord- Office  befindlichen  Ms.  Exemplar 
109  S.  klein  4"  von  Daniel  Skinner's  Hand.  Dies  Ms.,  das  ich  in 
London  benutzen  konnte,  hätte  man  für  eine  neue,  sehr  nöthige, 
kritische  Ausgabe  der  Staatsbriefe  heranzuziehn.  Einen  Kommentar 
zu  den  einzelnen  Briefen  zu  geben,  was  mit  Hilfe  der  C.  S.  P.  am 
besten  geschehn  kann,  lag  ausser  meiner  Aufgabe. 

29  ^)  Hamilton  16,  17.      Man    hat    zur  Erläuterung   dieses    wie    der 

übrigen  an  Hamburg  gerichteten  Staatsbriefe  die  Bände  des  C. 
S.  P.  und  die  Hamburgh-Correspondence  im  Record-Office 
herbeizuziehn. 

30  *)  Order  Books  of  the  Council  of  State  26.  Jan.  1652,  s.  Hamilton  27, 

Bisset  284.     Ueber  die  ^Idenburgische  Salva-Guardia  s.  Anhang  I. 
2)  Bisset  I.  40.     C.  S.  P.  1649,  16.  Juli. 

31  *)  C.  S.  F.  1649,  April  13,    vgl.  Facsimiles    of  national   manuscripts 

from  William  the  conqueror  to  queen  Anne,  selected  under  the  di- 
rectioü  of  the  master  of  the  rolls  Part  IV.  1868,  Charles  II. 
No.  XL  VI.  Ich  sehe  keinen  Grund,  auch  die  Uebersetzung  des  fol- 
genden Stückes  Milton  zuzuschreiben. 
^)  An  act  against  unlicensed  and  scandalous  books  and  pamphlets 
and  for  better  regulating  of  printing  Br.  M.  115  f.  8.  Old  pari, 
history  XIX.  170—176. 

32  >)  Wood.    C.  S.  P. 

33  ^)  S.  die  Ausführungen  bei  Masson  IV.  324  ff. 

*)  S.  über  Needham  die  Mittheilungen  bei  Godwin  III.  343  —  347 
nach  Wood,  Forster,  Statesmen  530,  535,  598.  Hamilton 
28,  29.  C.  S.  P.  unter  den  angegebenen  Daten  und  s.  v.  Needham. 
Der  Eintrag  in  den  Registern  der  Stationers'  Company  „17  Marcii 
1650-'  [1651]  lautet:  „Tho.  Newconib:  Entred  for  his  Copie  by 
Order  of  Mr.  Milton  6  Pamphlets  called  Mercurius  Politicus."  Da- 
nach: „Tho.  Newcomb  17.  Aprill  1651  Entred  for  his  copies  under 
the  band  of  Mr.  Milton  5  Pampliletts  called  Mercurius  Politicus." 
„Tho.  Newcomb  28  April  1651  Entred  for  his  copies  by  permission 
of  Authority  3  Pamphletts  called  Mercurius  Politicus."  „Tho.  New- 
comb 22  Mai  1651  Entred  for  his  Copies  under  the  band  of  Mr. 
Milton  4  Pamphletts  called  Mercurius  Politicus."  Vom  29.  Mai  1651 
bis  22.  Jan.  1652  folgt  dann  der  wöchentliche  Eintrag  „under  the 
band  of  'Mr.  IMilton''.  Vom  29.  Jan.  1652  folgen  Einträge  ohne  Be- 
zeichnung eines  Licensei'.  Am  12.  Jan.  1653  heisst  es  „under  the  hands 
of  Mr.  J.  Thurloe  Servant  to  the  Councell  of  State",  und  am  2.  Juli 
1653  wird  der  Gesammteintrag  für  .,fifty  and  one  Pamphlets  called 
^lercurio  Politico  beginning  8.  July  1652  endiug  30.  June  1653" 
nachgeholt.     Unter  dem  6.  Okt.  1651  findet  sich:   „Mr.  Griffin  and 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.     II.  3.  17 


258  Anmerkungen. 

Seite 

Mr.  Leach  entered  for  tlieii'  copy  under  the  band  of  Mr.  Milton  a 
pamphlet  called  The  Perfect  Dim-nall",  woraus  hervorgeht,  dass 
Milton  auch  einmal  ein  Geschäft  besorgte,  welches  gewöhnlich 
Rushworth  oblag. 

34  ^)  C.  S.  P.  1652  s.  Reg.  s.  v.  Dugard.     C.  J.  1652,  10.  Febr.,  2.  April, 

22.  Juni.  Höchst  erwünscht  ist  folgende  ergänzende  Nachricht  aus 
dem  Ms.  Tagebuche  des  L.  von  Aitzema,  hansischen  Residenten 
(Archiv  im  Haag,  nach  einer  Mittheilung  von  H.  Dr.  GoU) : 
,, London  5.  Martii  1652  In't  stuck  van  de  Religie  houden  sij 
deese  regel,  dat  se  toestaen  alle  exercitie  van  religie,  die  nict 
doolt  in  de  fundamenten,  en  die  nict  papist  is.  Onlangs  was  hier 
gedruckt  catechismus  Socin.  Racov.  Sulx  wiert  van't  Parlament 
qualijck  genoomen:  de  drucker  segt  dat  Mr.  Milton  het  hadde 
geliccntieert :  Milton  gevraegt  seyde^ja  ende  dat  hy  een  bouckien 
op  dat  stuck  hadde  uyt  gegeven ,  dat  men  geen  boucken  behoorde 
te  verbieden:  dat  hy  in't  approbeeren  van  dat  bouck  nit  meer  ge- 
daen  had  als  wat  syn  opinie  was." 

35  ^)  Articles  |  of  peace,  |  made  and  concluded  with  the  Irish  rebels,  and 

papists,  I  by  James  cai'le  of  Ormond,  |  for  and  in  behalfe  of  the 
lateKing,  |  and  by  vertue  of  his  Autoritie.  |  Also  a  Letter  sent  by 
Ormond  to  |  Col.  Jones,  Govemour  of  Dublin,  |  with  his  Answer 
thereunto.  |  And  a  representation  of  the  Scotch  Presbytery  ;  at 
Belfast  in  Ireland.  \  Upon  all  which  are  added  Observations.  | 
Publisht  by  Autority.  I  London;  1  Printed  by  Matthew  Simmons  in 
Aldergate-sta-eete.  ;  1649.  Er.  M.  E.  555.  65  S.  8".  Ms.  Vermerk 
„May.  16."  W.  lY.  502  —  581.  Schon  Todd  hat  den  Irrthum  vieler 
Biographen  Milton's  bemerkt,  welche  dies  Aktenstück  vor  die  Zeit 
seiner  Anstellung  setzen,  vgl.  die  Verfügung  des  Staatsrathes,  C.  S,  P. 
28.  Mäi-z  1649. 
39  1)  Eixcüv  ßtcaihy-T).  \  The  Po\Ttraitvre  ]  Of  |  His  Sacred  Majestie  1  In  | 
His  Solitvdes  |  And  S\'fferings.  ;  .  .  .  M.D.C.XLVIII.  Er.  M.  E.  1096. 
kl.  8".  269  S.  :\Iit  Tinte  von  Thomason's  Hand:  „Feb.  9tii.",  und 
auf  dem  Blatt  vor  dem  Titel :  „The  fii-st  Impression".  Gewöhnlich  wer- 
den 46  oder  47  Auflagen  angegeben.  Nach  Todd  117  sollen  von  29 
Abdrücken,  welche  die  „Prayers  . .  delivered  to  Dr.  Juxon''  nicht  ent- 
halten, 17  im  Jahre  1649  erschienen  sein,  während  man  27  Ausgaben 
mit  den  „Prayei's'*  aufzähle.  Doch  steht  nicht  fest,  wie  viele  von 
diesen  späterer  Zeit  angehören.  Eine  deutsche  üebersetzung  er- 
wähnt Eoinebiu"g  in  einem  Brief  vom  12.  Okt.  1650  (Epistolaep.  122). 
eine  spätere  von  D.  G.  Schreber  1747  liegt  mir  vor 
^)  Wordsworth:  Who  wrote  K  ß.?  p.  96  nachWilkins:  Vita  Sel- 
deni  p.  54.  —  „Les  Anglais  ne  veuleut  repondre  qu'avec  l'epee  ä 
M.  Saumaise  et  ont  fait  cesser  l'edition  du  li^Te  de  J.  Seldenus  qui 


Erstes  Kapitel.  259 

Seite 

etait  sur  la  presse  contenant  la  reponse  ä  Mr.  Saumaise".  Lettres 
de  Gui  Patin  (Ed.  1846)  II.  17.    24.  Mai  1650. 

39  ^)  EIK0\0KAA:iT11Z  \  In  I  Answer  |  To    a  Book  Intitl'd  |  E'IKSiN 

BA2:rArKH,  I  The  |  Portrature  of  bis  Sacred  Majesty  |  in  bis  Soli- 
tudes  and  Sufferings.  The  Author  I.  M.  (dahinter  von  Thomason's 
Hand  „ilton'")  (hierauf  die  Mottos  aus  Prov.  XXVIII  und  Salust) 
Published  by  Authority.  |  London,  Printed  by  Matthew  Simmons, 
next  dore  to  thegilded  |  Lyon  in  Aldersgate  street  1649.  4'.  242  S. 
Titel  und  Vorrede  auf  6  unpaginirten  Blättern.    Br.  M.  293.  f.  37, 

■p     rro 

dasselbe  Br.  M.        r  —    mit  der  Ms.  Note  Thomason's  .,Octob.  6". 
o 

.    Die  zweite  Ausgabe:    „Publish'd  now  the  second  time,  and  much 

enlarg'd.  |  London,  Printed  by  T.  N.  and  are  to  be  sold  by  Tho. 

Brewster  j  and  G.  Moule  at  the  three  Bibles  in  Pauls  Church-Yard 

nearthe  West-end,  1650.  4'\  230  S.   Titel  und  Vorrede  auf  sieben  un- 

599   e 
paginirten  Blättern:  Br.  M.  — y — '   In  den  W.  Ed.  Pickering  III. 

327  —  530  findet  man  niu*  einen  Abdruck  der  ersten  Ausgabe,  in 
der  Ed.  St.  John  I.  301—496  die  zweite,  in  der  Ed.  Birch  (17.53) 
I.  401  flf. ,  sind  die  Unterschiede  beider  Ausgaben  ziemlich  zuver- 
lässig angegeben.  Deutsche  Uebersetzung  von  Bernhardi  11. 
1  —  174. 

40  *)  Im  ersten  Abschnitt  schleicht  sich  sogar  das  Versehen  ein,  dass  die 

Auflösung  des  ersten  und  des  zweiten  Parlaments  Karl's  I.  ver- 
wechselt wird,  wie  schon  Thomason  bemerkt  hat. 

42  1)  C.  S.  P.  5.  März  1651.     Ich   beziehe  den  Eintrag   auf  den  Eikono- 

klastes  und  nicht  auf  die  Defensio  pro  populo  Anglicano. 

43  *)  Sehr  klar  wird  der  Satz  auch  ausgesprochen  in  Def.  prima  C'ap.IX: 

„Ut  summatim  dicam  quod  res  est,  Parlamentum  est  supremum  gen- 
tis  Concilium,  ad  hoc  ipsum  a  populo  plane  libero  constitutum 
et  potestate  plena  instructum,  ut  de  summis  x'ebus  in  commune 
consulat;  rex  ideo  erat  creatus,  ut  de  consilio  et  sententia  illorum 
ordinum  consulta  omnia  exequenda  curaret." 
45  *)  Einen  Ueberblick  über  die  ganze  Streitfrage  gewährt  C.  Words- 
worth:  Who  vixoiQ  rAxoyv  ßaadixri  considered  and  answered,  Lon- 
don 1824,  und:  King  Charles  the  First  the  author  of  Icön  Ba- 
silike  further  proved  etc.,  1828.  Guizot:  Hist.  de  la  rep.  d'Angle- 
terre  I.  2tJ  hält  eine  Billigung  und  Korrektui-  des  Ms.  durch  Karl  I. 
für  wahrscheinlich  (vgl.  die  Einleitung  zur  Uebersetzung  des  E.  b 
in  der  Collection  des  Memoires  etc.).  Ranke,  E.  G.  III.  317,  nimmt 
dagegen  nach  Kennett  an,  dass  der  Grundstock  vom  König  her- 
rühre, die  Form  des  Buches  von  einem  anderen.  Unbedeutend  ist 
A.  Tuckermanu:  On  the  author  of  the  E.  ß.,  Berlin,  Herrmann, 
*  1874. 

17* 


2(50  Anmerkungen. 

Seite 

47  ^)  Bekanntlich  hat  man  Miltou  selbst  Schuld  gegeben ,  er  habe  den 

Betrug  erst  in  das  „königliche  Bild"  eingeführt,  um  ihn  alsdann 
aufdecken  zu  können.  S.  über  diese  sinnlose  Verleumdung  Mas- 
sen IV.  249,  2.50. 

48  ^)  Vgl.  über  diese  ganze  Literatur  aus  dem  ersten  Stadium  der  Kon- 

troverse Wordsworth:  "NVho  wrote  etc.  52  — 111.  Das  Datum 
des  Erscheinens  von  Godwin's  Schrift  „Obstructors  of  Justice",  in 
der  auf  ^Slilton's  „Tenure  of  Kings"  vielfach  Rücksicht  genommen 
wird,  ergiebt  sich  aus  den  Bemerkungen  von  Jackson,  Life  of  God- 
win.  Von  The  Princely  Pellican  .  .  1649  besitzt  das  Br.  M.  ein 
Exemplar  E.  558  mit  dem  Ms.  Vermerk  „June  2d".  Für  den  Titel 
dieser  Schrift  bot  Eixwr  ßcta.  gleichsam  von  selbst  die  Handhabe, 
vgl.  das  Gebet  im  Anhang  zu  XXIV:  „It  is  now  thy  pleasure  that 
I  should  be  as  a  Pelican  in  the  vnlderness".  Der  Autor  des 
Princely  Pelican  führt  sich  ein  als  einer  der  vertrautesten  Diener 
des  Königs,  der  bis  zuletzt  bei  ihm  geblieben  sei  (Herbert  ?),  allein 
stilistische  Eigenthümliclikeiten  wecken  den  Verdacht,  dass  dieselbe 
Feder  diese  Vertheidigung  des  E.  ß.  geschrieben  hat,  der  E.  ß. 
selbst  entstammte.  —  Eiy.mv  dXrif^ivi]  .  .  London  pr.  by  Thomas 
Paine  .  .  1649  trägt  in  dem  Exemplare  des  B  r.  M.  E.  569  von  Tho- 
mason's  Hand  den  Ms.  Vermerk  auf  dem  Titel  „August  16",  EI-zmv 
Tj  TTcarri  ebenda  E.  537:  „Sept.  llth",  mit  Bleistift  u.  bemerkt:  [By 
End}Tnion  Porter?],  vgl.  Wordsworth  65. 
")  The  life  and  reigne  of  King  Charls  (sie)  or  the  pseudo-martjT 
discovered  .  .  London  .  .  1651  (Ms.  Note  von  Thomason:  „Janua- 
rii  29"),  Br.  M.  E.  1338  p.  178:  „the  whole  contexture  whereof 
hath  already  been  sufficiently  handled  without  mittens  by  a  Gentle- 
man of  such  abiUties  as  gives  place  to  none  for  bis  integrity,  learn- 
ing    and  judgment.''     W.  Lilly:   Monarchy   or  no  Monarchy  etc. 

1651,  p.  81:  ,,But  it  is  answered  by  the  learned  Milton"  etc.,  vgl. 
die  Worte  von  E.Walker,  die  sich  hiergegen  richten,  bei  W  o  r  d  s  - 
worth:  Who  wrote  etc.,  108. 

^)  Orders  vom  5.  Milrz,  20.  Mai  1651,  15.  Nov.  1652,  1.  April  1653. 
C.  S.  P.  und  Todd  118,  119.  Dmie's  üebersetzimg  befindet  sich 
im  Br.  M.  8122.  a:  Eixovox).aOT),g  ou  Reponse  au  Livre  intitule 
Eiy.wv  ßaaihxrj  .  .  Traduite  de  l'Anglais  sur  la  seconde  et  plus 
ample  edition  et  revue  par  l'Auteiu:  ä  Londres.    Par  G.  Du-Gard, 

1652.  Im  .Vorwort  spricht  Durie  „de  l'elegance  du  stile  et  du  lan- 
gage  de  l'auteui'  et  de  ses  conceptions". 

*)  FJy.wv  axlctOTos  ^  The  ,  Image  Vnbroken  |  A  Perspective  of  the  Im- 
pudence.  Falshood,  Va-  j  nitie,  and  Prophannes,  Published  |  in  a  Li- 
bell  entitled  ■  Ery.ovoylaairi^  (sie)  against  Etxuyv  ßacfiltxrj  '  Or  the 
Pourti-aicture  of  his  Sacred  Majestie  in  his  solitudes  and  Sufferings. 
Printed  Anno  Dom.  1651.    4".   267.  S.    Br.  M.  599.  e.  18.    lieber 


Zweites  Kapitel.  261 

Seite 

Earle,  der  1649  Eixoir  ßuaihxr,  aus  dem  Englischen  in's  Lateini- 
sche übersetzt  hatte,  s.  Wood  ed.  Bliss  III.  716,  über  Jeanes  da- 
selbst III.  590.  Im  Jahre  1660  erschien  eine  zweite  Auflage  des 
Eiy.ü)v  ((xlnnTog  unter  dem  Titel:  ,.Salmasius  dissection  and  confu- 
tation  of  the  diabolical  rebel  Milton";  s.  Words  worth,  Who 
wrote  etc.,  p.  101. 
49  *)  S.  die  Urtheile  von  Hacket  und  Sanderson  bei  Words  worth,  1.  c. 
108,  109;  auch  Bates:  Elenchi  motuum  nuperorum  in  Anglia  pars 
prima  (Ed.  Amsterdam  1668),  p.  161;  vgl.  ein  ungünstiges  Urtheil 
von  J.  Beal  in  Boyle's  Works  V.  438.  Was  den  Erfolg  des  Eiko- 
noklastes  betrifft,  so  verwechselt  Geffroy  S.  143  dies  Buch  mit 
dem  E.  ß. 

Zweites  Kapitel. 

52  ^)  Von  Biographieen  des  Salmasius  citire  ich  diejenige  in  Haag:  La 
France  protestante  IX  und  diejenige  in  Worthington 's  Diary 
I.  324;  vgl.  Salmasii  epistolae  accurante  A.  Clementio,  1656, 
Cl.  Sarravii  epistolae,  1654,  Lucian  Müller:  Geschichte  der 
klassischen  Philologie  in  den  Niederlanden,  1869. 
^)  Defensio  Regia  Pro  Carolo  I.  Ad  Serenissimum  Magnae  Britanniae 
Regem  Carolum  II  Filium  natu  majorem,  Heredem  &  Successorem 
legitimam  Sumptibus  Regiis.  Anno  MDt'XLIX.  fol.  338  S. ;  über 
andere  Ausgaben  s.  Brunet. 

54  ')  Salmasii  ad  J.  Miltonum  Responsio,  Opus  posthumum  (1660),  p.  30  fif. 

57  0  Joannis  Miltoni  1  Angli  |  Pro  Populo  Anglicauo  i  Defensio,  |  Contra  | 
Claudii  Anonymi,  alias  Salmasii,  |  Defensionem  Regiam.  |  Cum  In- 
dice.  1  Londini,  ,  Typis  Dv  Gardianis,  Anno  Domini  1651.  —  In 
dem  Exemplare  des  Br.  M.  E.  1393  ist  die  Jahreszahl  in  1650  verändert 
und  „Aprill  6  tu"  von  Thomason  bemerkt  worden.  Man  wird  dar- 
aus schliessen  dürfen,  dass  Th.  sein  Exemplar  am  6.  April  erwarb, 
dass  aber  das  Buch  schon  vor  dem  25.  März  in  Umlauf  war.  4". 
260  S. ,  darauf  6  Bl.  Index  Rerum  Memorabilium  W.  VI.  1  — 190. 
Eine  zweite,  wenig  veränderte  Auflage,  die  allen  bisherigen  Her- 
ausgebern von  Milton's  Werken  entgangen  zu  sein  scheint,  mit  einem 
stolzen  Nachwort  gab  Milton  1658  heraus.  Br.  M.  E.  1960:  Joannis 
MiltonJ  I  Angli  [  Pro  \  Populo  Anglicano  |  Defensio  I  Contra  Claudii 
Anonymi  |  alias  |  Salmasii  Defensionem  Regiam.  Editio  correctior 
et  auctior,  ab  Autore  denuo  recognita  |  Londini,  |  Typis  Neucom- 
bianis,  Anno  Dom.  1658.  8".  171  S.  Uebersetzung  bei  Bern- 
hardi  L163— 321,  zum  Theil  auch  bei  Troxler:  Fürst  undVolk 
nach  Buchanan's  und  Milton's  Lehre,  2.  Auflage,  Aarau  1821,  fran- 
zösische Bearbeitung  von  Mirabeau:  Theorie  de  la  royaute 
d' apres  la  doctriue  de  Milton,  1789.  —  Der  Drucker  William  Dugar  d 


262  Anmerkungen. 

Seite 

war  früher  als  „Staatsfeind"  veiiolgt  worden,  da  er  u.  a.  Ausgaben 
des  „königlichen  Bildes"  gedruckt  und  eine  Ausgabe  von  Salma- 
sius'  Buch  vorbereitet  hatte.  Indessen  kein  anderer  als  Milton  soll 
ihn  bewogen  haben,  sich  den  republikanischen  Behörden  zur  Ver- 
fügung zu  stellen,  s.  C.  S.  P.  und  Wo  rdsworth:  Who  -wi'ote  etc., 
139,  140. 

57  -)  Def.  sec.  Milton  W.  VI.  280,  293.  C.  S.  P.  8.  Jan.,  IS.  Febr., 
23.  Dec.  1650,  18.  Juni  1651 ;  vgl.  Hamilton25.  Noch  Bluntschli: 
Geschichte  des  allg.  Staatsrechts,  1867,  S.  86,  wiederholt  das  Märchen, 
Milton  habe  „eine  Nationalbelohnung  von  1000  i^  erhalten",  vgl. 
IVIilton's  Worte  in  Def.  sec:  „Tuque  scito  me  illas  opimitates  at- 
que  opes,  quas  mihi  exprobras,  non  attigisse  neque  eo  nomine  quo 
maxime  accusas  obolo  factum  ditiorem". 

62  1)  Royalty  and  Loyalty  .  .  by  R.  Grose,  1647.     Br.  M.  100.  k.  6. 
*)  Observations  concerning  the  originall  of  government  upon  Mr.  Hobs. 
Leviathan.    Mr.  Milton  against  Salmasius.    H.  Grotius  de  jure  belli. 
Mr.  Huntons  treatise  of  monarchy.   London  printed  for  R.  Royston  . . 
1652.    Br.  M.  100.  k.  7.    (Gegen  Milton  richten  sich  S.  12  —  22.) 

68  ^)  De  jm-e  belli  ac  pacis  I.  3.  8;  über  Grotius  und  Milton  s.  B.  I.  264. 
IL.  190. 

68  -)  Ranke:  Zur  Geschichte  der  politischen  Theorieen,  G.  W.  XXIV. 

Hub  er:  Der  Jesuitenorden,  244  —  268. 

69  ^)  Eine  Stelle  der  Schrift  „The  tenure"  etc.  (Ed.  St.  John  II.  18)  er- 

regt allerdings  Bedenken :  „The  Greeks  and  Romans  .  .  held  it  not 
only  lawful,  but  a  glorious  and  heroic  deed  .  .  to  kill  an  infamous 
tyrant  at  any  time  without  trial ;  and  but  reason,  that  he,  who  trod 
do\\Ti  all  law,  should  not  be  vouchsafed  the  benefit  of  law".  Der 
Autor  versetzt  sich  indess  hier  mehr  in  den  Geist  des  Alterthums, 
als  dass  er  selbst  einen  Grundsatz  aufstellen  wollte.  In  den  „Ob- 
servations on  the  articles  of  peace"  etc.  (W.  IV.  566)  missbilligt 
er  auf's  entschiedenste  die  jesuitische  Lehre  ,,to  murder  kings  in 
the  basest  and  most  assassinous  manner"  etc.  Doch  ist  Milton, 
wenn  mein  Gedächtnis  mich  nicht  trügt,  noch  ziu'  Zeit  der  Commune 
als  einer  der  Vertheidiger  des  Tyrannenmordes  citirt  worden. 
2)  Commonplace-Book  ^famden-Soc.  1876),  p.  21,  32,  41.  Es  findet 
sich  kein  Excerpt  aus  Hooker  und  ich  sehe  auch  nicht,  dass  dessen 
politische  Grundansichten  auf  Milton  eingewirkt  hätten. 

70  ')  Der  Hinweis  auf  Hotmann  C.  IV  a.  E.  und  C.  VIII  a.  Anfang.    Eben- 

dort  über  Buchanan  (vgl.  schon  Buch  II.  446),  s.  auch  Def.  sec. 
W.  VI.  313. 

71  ')  Buchanan:   De  jure  regni  apud  Scotos  (1579),  p.  14,  TjTannen 

sind  „qui  palam  non  patriae  sed  sibi  gerunt  imperium  neque  publi- 
cae  utilitatis  sed  suae  voluptatis  rationem  habent.  Milton:  Tenure 
of  kings  etc.  (Ed.  St.  John  II.  17)  „A  tyrant  is  he  who,  regarding 


Drittes  Kapitel.  263 

Seite 

neither  law  nor  the  common  good,  reigiis  only  for  himself  and  his 
faction."  Stellen  aus  Languet,  zu  denen  sich  schlagende  Analogieen 
bei  Milton  finden  (Vindiciae  c.  t.  Ed.  MDLXXX,  j).  16-5):  „Proba- 
vimus  reges  omnes  regiam  dignitatem  a  populo  accipere  populum 
Universum  rege  potiorem  et  superiorem  esse,  regem  regni,  impera- 
torem  imperii  supremiun  tantum  ministrum  et  actorem  esse,  popu- 
lum vere  dominum  existere."  p.  167:  „Est  inter  principem  et  po- 
pulum ubique  locorum  mutua  et  reciproca  obligatio  .  .  obligatur 
populus  principi  sub  conditione  princeps  populo  pure.  Itaque  si 
minus  adirapletur  conditio ,  solutus  est  populus ,  irritus  contractus, 
obligatio  ipso  jure  nuUa."  p.  21.5:  „ünde  consequitur  non  populos 
propter  magistratum  sed  contra  magistratus  propter  populum  fuisse 
creatos.'" 

72  ^)  Die  Hauptstellen  in  R.  Williams:  Bloudy  tenent  of  persecution 
(vgl.  B.  II.  234  ff.),  p.  214,  31-5,  341.  „The  sovereign,  original  and 
foundation  of  civil  power  lies  in  the  people  .  .  a  people  may  erect 
and  establish  what  form  of  government  seems  to  them  niost  meet 
for  their  civil  condition.  It  is  evident  that  such  governments  as 
are  by  them  erected  and  established,  have  no  more  pov/er,  nor  for 
no  longer  time,  than  the  civil  power,  or  people  consenting  and  agreeing 
shall  betrust  them  with.  This  is  clear  not  only  in  reason  but  in 
the  experience  of  all  commonweals,  where  the  people  are  not  de-, 
prived  of  their  natural  freedom  by  the  power  ot  tyrants"  etc. 
")  Eine  zeitgenössische  Schrift ,  die  sich  ganz  mit  ^lilton's  Ansichten 
begegnet,  ist  z.  B.  rirtan  y.id  rü.og  t^ovaücg  The  original  and  end 
of  civil  power  .  .  by  Eutactus  Philodemius,  London  1649  (Oxford, 
Leicester-College  Pol.  Tracts  1646  —  61  No.  7),  von  den  Schriften 
Lilburne's  an  dieser  Stelle  zu  schweigen. 

74  ^)  Aubrey. 

77  ^)  R.  v.  Mo  hl:  Geschichte  und  Literatui"  der  Staatswissenschaften 
I.  231  läugnet  dies.  Vgl.  indess  die  schon  o.  B.  II.  443  citirte 
Stelle  aus  „Tenure  of  Kings".  S.  im  allgemeinen  die  guten  Bemer- 
kungen von  Seeley:  Milton's  political  opinions  in  ,,Lectures  and 
Essays",  London  1870. 

Drittes  Kapitel. 

80')Hobbes:  Behemoth  1679  (W.  VL  368).  t'onring:  „Uterque 
mihi  Visus  est  aeque  imperite  de  regno  disputare"  (s.  Worthington's 
Diary  I.  328).  J.  ('.  ßaronis  de  Boyneburg  Epistolae  ad  J. 
C.  Dietericum  .  .  .  1705,  p.  270;  s.  d.  „Miltonus  exprobravit  nimis 
acerbe  Salmasii  erroi'es  quos  ipse  ubique  non  vitavit". 
*)  Pro  Rege  et  Populo  Anglicano  Apologia ,  Contra  Johannis  Poly- 
pragmatici  (alias  Miltoni  Angli    Defensionem  destructivara,  Regis  et 


2(34  Anmerkungen. 

Seite 

Populi  Änglicani,  Antverpiae  ApudHieronymum  Verdussen,MDCLI.  — 
2  S.  „ad  Lectorem",  8  S.  „Ad  praefationem  praeludium",  4  S.  .,ad 
celeberrimam  academiam  Leidensem  epistola  dedicatoria",  darauf 
195  S.  12',  enthalten  in  der  darmstädter  Bibliothek. 

81  M  Joannis  Philippi  (darunter  in  Ms.  „i-  e.  Miltoni  Amanuensis")  Angli  i 

Responsio  |  Ad  j  Apologiam  Anonymi  cu  |  jusdam  tenebrionis  pro  | 
Rege  et  Populo  Angli-  !  cano   infantissimam.  i  Londini  |  Typis  Du- 
gardianis.  An.  Dom.  MDCLII.    12  '.    Br.  M.  599.  a.  22.    W.  VI.  190— 
235;  vgl.  Godwin.  Lives  of  E.  and  J.  Phillips  12-20,  383.    An- 
fang Januar  1652  war  die  Schrift  schon  erschienen,  s.  u.  Anhang  I. 

^j  Mit  Jane  ist  vielleicht  jener  Jeanes,  dem  die  Autorschaft  des 
Eixöjv  (iyJ.aarog  zugeschrieben  ward,  verwechselt.  S.  o.  S.  48.  Was 
Bramhall  betrifft,  so  vgl.  dessen  Works,  Oxford  1842,  I.  p.  XCIV. 
Brief  No.  IX,  May  9,  1654:  „That  Ijlng  abusive  book  was  written 
by  Milton  himself,  one  who  was  sometime  Bishop  Chappell's  pupil 
in  Christ  Church  in  Cambridge  but  turned  away  by  him,  as  he  well 
deserved  to  have  been  both  out  of  the  University  and  out  of  the 
Society  of  men.  If  Salmasius  bis  friends  knew  as  much  of  him  as 
I,  they  would  make  him  go  neai-  to  hang  himself.  But  I  desire  not 
to.wound  the  nation  through  bis  sides,  yet  I  have  written  to  him 
long  since  about  it  roundly.  It  seems  he  desires  not  to  touch  upon 
that  subject.  That  silly  book  which  he  ascribed  to  me,  was  WTitten 
by  one  John  Rowland"  etc, 

^)  Polemica  sive  supplementiun  ad  apologiam  anonymam  pro  rege  et 
populo  Anglicano  adversus  Jo.  31iltoui  defensionem  populi  Ängli- 
cani. Et  Irenica  sive  cantus  receptui  ad  Christianos  omnes.  Per 
Jo.  Rowlandum  pastorem  Anglicum.  ^MDCLIII;  s.  namentlich  den 
Schluss  von  Kap.  5. 

82  ^)  Carolus  I.  Britanniarum  '  Rex.  '  A  Securi  Et  ;  Calamo  Miltonii  |  Vin- 

dicatus.  I  Quiper  Virtutem  pari  t  haud  pol  i  interiet.  Plautus  in 
Captiveis.  Dublini,  Apud  Liberum  Con'ectorem,  i  via  Regia,  sub 
signo  solutae  fascis.  |  MDCLII.  118  S.  12",  Die  seltene  Schrift  ist 
mir  nur  aus  der  Bibliotheque  nationale  in  Paris  (Nc.  1065) 
bekannt  geworden. 

82  ')  Casparis  Ziegleri  Lipsiensis  circa  regicidium  Anglorum  exercitatio- 

nes.  Lipsiae  apud  haered.  Henning  Grossi  .  .  1652.  191  S.  12 '. 
mit  einer  Ode  des  31.  Fridericus  Rappoltus  in  acad.  Lips.  prof. 
publ.  Ich  benutze  ein  Exemplar  der  Stadt-Bibliothek  zu  Bern. 
Eine  zweite  Ausgabe  „accedit  J.  Schalleri  dissertatio"  (s.  die  fol- 
gende Anm.)  Leyd.  Batav.  1653. 

83  \  Dissertationis  ad  quaedam  loca  Miltoni  pars  prior,  quam  annuente 

Deo.  praeside  Dr.  Jacobo  Schallero,  SS.  theol.  doct.  et  philosoph. 
pract.  professore  solenniter  defendere  conabitui'  die  mensis  septem- 
bris  (mit  Ms.  verändert  in  ..13  die  mensis  Xov.")  Erhardus  Kieffer 


Drittes  Kapitel.  265 

Seite 

Durlaco -Marchicus  Argentorati  Typis  Friderici  Spoor  MDCLII, 
44  S. .  .  Pars  posterior  quam  . .  solenniter  defendet  die  17  mens.  Sept. 
Christophorus  ©ün^er  Argentorat.  A.  Typis  F.  Spoor  MDCLVII 
p.  45 — 92.  Ich  benutze  ein  Exemplar  der  darmstädter  Biblio- 
thek. Ebendaher  habe  ich  kenneu  gelernt:  Examen  Anglicum  Ex- 
hibens  V.  Quaestiones  Politico  -  Juridicas.  In  quibus  Breviter  et  di- 
lucide  ostenditur,  Regiam  Majestatem  non  esse  violandam  a  sub- 
ditis,  sed  sancte  colendam;  Exercitii  gratia  conscriptum  ab  Henrico 
9temmigf)aufcn  .  .  Rintelii  .  .  MDCLIII.  40  S.  4".,  eine  Schrift, 
die  sich  wesentlich  auf  Salmasius  stützt. 

83  ^)  Dies  geht  aus   einem    Briefe   Durie's    (Basel,    30.  INIai  1655)  her- 

vor, der  sich  im  Staats-Archiv  von  Zürich  (Dui'aeana  de 
Syncretismo  Vol.  III.  263)  befindet,  und  in  dem  er  sich  gegen  ver- 
schiedene Anschuldigungen  verwahrt:  „Secondement  touchant  la 
translation  du  livre  de  M.  Milton  contre  S.  qui  s'appelle  Defensio 
Regia  il  dit  que  c'est  une  fiction  et  faussete  controuver  [controuvee] 
ä  plaisir.  car  tant  s'en  faut  qu"il  aye  translate  ce  livre  en  Anglais, 
que  niesme  il  n'a  jamais  oui  dire  jusques  ä  present  qu'il  aye  este 
translate  et  mesraes  ä  peine  le  peut-il  encore  croire  et  en  oultre 
il  declare  que  l'asprete  qui  est  au  livre  de  M.  .Milton  lui  a  tellement 
depleu  qu'il  a  tesmoigne  le  mescontentement  qu'il  en 
avait  ä  Tautheur  raesme  aussitost  que  le  li\Te  fust  imprime.'' 
Vgl.  1.  c.  III  271  einen  Brief  von  J  Frays  an  „M.  Ulrich  premier 
miuistre  de  l'eglise  ä  Zuric",  Heidelbergae  19.  29  May  1655  . 
„ayant  de  mesme  (ä  ce  qü'on  dit)  translate  en  Anglais  le  livre  de 
Milton  qui  a  refute  Defensionem  Regiam  Salmasii"  etc.  Auf  Seite 
der  Ankläger  Durie's  lag  offenbar  eine  Verwechselung  mit  seiner 
Uebersetzung  des  Eikonoklastes  vor,  s.  o.  S.  48  Anm.  3. 

')  Def.  secunda.  Urkunden  und  Actenstücke  zur  Geschichte  des  Kui- 
fürsten  Friedrich  Wilhelm  von  Brandenburg,  VI.  258,  herausgege- 
ben von  Erdmannsdörffer. 

*)Filip  von  Zesen:  Die  verschmähete  doch  wieder  ei'höhete  INIaje- 
stäht  .  .  Amsterdam  1661.  S.  185.  J.  Heath:  A  brief  chronicle 
of  the  late  intestine  war  etc.  Second  Impression  London  1663, 
p.  435:  „the  royal  defence  which  one  Milton  since  stricken  vrith 
blindness  cavilled  at*'  etc.  Man  kennt  ein  Exemplar  der  ,, Defensio 
prima  pro  populo  Anglicano",  in  das  der  Besitzer,  der  zweite  Graf 
von  Bridgewater,  der  s.  Z.  im  Comus  mitgewirkt  hatte,  die  Worte 
eingeschrieben  hat:  „Liber  igne,  author  furca  dignissimi";  s.  P.W. 
II.  257. 

84  ')  Grauer t:    Christina,  Königin  von  Schweden,  und  ihr  Hof,  2  Bde, 

1837.  1842.  Der  Briefwechsel  des  Heinsius,  Vossius,  Gronov,  Bour- 
delot,  Vlitius  in  Burmanni,  Sylloges  epistolarum  a  viris  illu- 
stribus  scriptarum,  T.  1  —  5,  Leidae  1727,   zum  Theil  abgedruckt 


266  Anmerkungen. 

Seite 

in  Milton's  Works  ed.  Pickering  I. ;  vgl  über  die  genannten  Ge- 
lehi'ten  Jöcher  und  Zedier. 

85  ^)  S.  die  bereits  Buch  I  Anm.  1   zu  S.  14    citirte  Stelle;   vgl.  Anm.  2 

zu  Buch  II  S.  342  über  die  Verwechselung  von  Patric  und  Tho- 
mas Young. 

86  ')Burmanni,  Syllog.  III.  742. 

-)  Vossius  theilt  es  dem  Heinsius   schon  am  19.  Juli  1652  mit  (Bur- 
mannni,  Syllog.  III.  639). 

87  ^)  Whitelocke.  der  vom  November  1653  bis  Mai  1654  in  Schweden  als 

Cromwell's  Gesandter  verweilte,  frug  die  Königin:  .,if  she  had  seen 
a  book  lately  written  by  one  Milton,  an  Englishman,  and  how  she 
liked  his  style'",  worauf  „she  highly  commended  the  matter  of  part 
of  it  and  the  language".  Whitelocke:  Journal  of  the  Swedish 
embassy  Ed.  1855,  I.  417;  s.  daselbst  I.  203:  „The  consul  (in  Kö- 
pingi  Said  that  he  had  read  Milton's  book  and  liked  it  and  had 
it  at  home". 
-)  Claudii  Salm  asii  ad  Johannem  Miltonum  responsio.  Opus  posthu- 
mum.  Londini  .  .  1660.  304  S.  Eintrag  in  den  Registern  von 
Stationers'  Hall  „19.  Sept.  1660'-. 

88  ^)  I)e-fensio  secunda. 

89  ')  Ein  Artikel  über  Philaras  findet  sich  bei  Chardon  de  la  Ro- 

ch ette:  Melanges  de  critique  et  de  philologie,  1812,  11.302—332. 
Die  Besorgung  an  ^lilton  hatte  Augier  übernommen,  s.  über  ihn  oben 
Anm.  2  zu  S.  27. 

90  ^)  Def.  sec.   W.  VI.  310,  die  beiden  Briefe  an  L.  Philaras  Jan.  1652 

imd  28.  Sept.  1654.  W.  VII.  388.  392.  Weitere  Stellen  über  die 
Türken  und  Griechen  im  Eikonoklastes  C.  X  .  .  ,,after  he  had  de- 
manded  more  money  of  them  and  they  to  obtain  their  rights  had 
granted  him  than  would  have  bought  the  Turk  out  of 
Morea  and  set  free  all  Greeks."  G.  XXVII:  „and  so  far 
Tiu'kish  vassals  enjoy  as  much  liberty  under  Mahomet  and  the 
Grand  Signior"  etc. 
-)  Ziegleri  circa  regicidium  Anglorum  exercitationes  im  Vorw^ort  an 
den  Leser.  Apologia  pro  rege  et  populo  A.  ebenda.  Doch  heisst 
es  hier  irriger  Weise,  von  Salmasius  Def  regia  sei  nur  ein  Abdruck 
erschienen. 

91  i)Thurloe  II.  246,  289,  418,  629.    Philaras  ler  wird  bei  Thui-loe 

Vi  1  lere  genannt;  sass  eine  Zeit  lang  in  Paris  gefangen.  Unter 
seinen  Papieren  fand  sich  .,a  letter  of  civility  Mr.  Milton  had  writ 
to  him".  Es  war  der  Brief  vom  Juni  1652. 
91  *)  üeber  Philaras  Aufenthalt  in  London  finde  ich  die  folgende  Notiz 
in  den  Depeschen  Salvetti's  (Abschriften  nach  den  Originalen 
zu  Florenz  im  Br.  M.  Add.  Mss.  27962  sqq.):  ,,12.  Febr.  1655. 
E  un  pezzo  che  io  dovevo  dire  a  vostra  signoria  illustrissima  come 


Drittes  Kapitel.  267 

Seite 

si  trova  qui  il  signor  Leonardo  Villare  residente  del  serenissimo 
di  Parma  a  Parigi  che  tu  comandato  di  sortire  di  Francia  et  si  va 
intrattenendo  qui ,  con  speranza  che  il  suo  serenissimo  padrone  sia 
ben  presto  per  farlo  richiamare  ad  esercitare  quella  sua  carica 
0  impiegarlo  in  altra  altanto  honorevole.  Viene  alle  volte  a  casa 
mia  a  visitarmi  et  veramente  io  lo  trovo  molto  intelligente  nel  suo 
ministerio  et  ne  discorre  come  Greco  ch'egli  ö.'' 

93  ')  Der  Brief   an  Philaras   „Westmonasterio  Sept.  28,  1654".    W.  VII. 

392—394.  In  diesem  Briefe  wird  der  Augenarzt  in  Paris  Tevenot 
genannt.  Es  ist  aber  offenbar  ein  Schreibfehler  für  Thevenin,  s. 
Zedier,  Universallexikon ;  vgl.  Def.  sec.  W.  VI.  2G9  — 272.  E- 
Phillips. 
-)  Nach  dem  Urtheile  eines  ausgezeichneten  Ophthalmologen  spricht 
einiges  in  Milton's  Worten  für  die  Annahme  von  Glaukom,  während 
anderes  sich  nicht  gut  damit  vereinigen  lässt.  Milton  selbst  ge- 
braucht für  sein  Leiden  die  Ausdrücke  „drop  serene",  „or  dim  suf- 
fusion",  Par.  1.  III  25.  Good:  The  study  of  medicine,  4.  Ed., 
Vol.  III.  175  nimmt  auf  die  Stelle  Bezug.  In  Sonett  22  sagt  Milton : 
.jthese  eyes,  though  clear  to  outward  view,  of  blemish  or  of  spot" 
und  in  Def  sec.  (W.  VI.  267);  ,,oculi  ita  estrinsecus  illaesi,  ita 
sine  nube  clari  ac  lucidi,  ut  eorum  qui  acutissimum  cernunt,  in  hac 
solum  pai'te,  memet  invito,  Simulator  sum ! " 

94  >)  Weckheriin's    Anstellung   fällt   auf   den   11.  März   1652.     Die  Ver- 

fügung über  Weckheriin's  Ersetzung  durch  Thurloe  mit  Beibehal- 
tung Milton's  1.  Dec.  1652.  Hamilton  20  —  22  nimmt  als  sicher 
an,  dass  die  erwähnte  Deklaration,  in  der  Form,  wie  sie  lateinisch 
im  Druck  erschien,  von  Milton  übersetzt  worden  sei.  Allein  es 
geht  nicht  unumstösslich  aus  den  Einträgen  der  Protokolle  des 
Staatsraths  hervor.  G.  S.  P.  1650.  26  Juni  darf  man  nicht  heran- 
ziehen, da  es  sich  hier  um  eine  Deklaration  gegen  die  Schotten  han- 
delt; s.  0.  Anm.  2  zu  S.  27. 
^)  Das  Datum  von  Weckheriin's  Tod  s.  bei  Eye:  England  as  seen 
by  Foreigners  p.  CXXXII.  Milton's  Brief  vom  21.  Febr.  1658  an 
Bradshaw  u.  a.  bei  Hamilton  22. 

95  M  Regii  Sanguinis  Clamor  ad  (  oelum  Adversus  Pamcidas  Anglicanos. 

Hagae-Comitun  (sie),  Ex  Typographia  Adriani  Vlacq.  MDCLII. 
148  S.  12'.;  eine  zweite  Auflage  ebenda  1661.    Br.  M.  600.  a.  19. 

96  ^)  Vgl.Wood,  Todd  L160.    Birch  L  p.  XXXIX— XXXLI.   Haag: 

La  France  protestante  IV.  Milton  hätte  noch  einen  besonderen 
Grund  gehabt,  sich  für  Dumoulin  zu  interessiren ,  da  dieser  eine 
Zeit  lang  Hauslehrer  der  Neffen  R.  Boyle's  und  Lady  Ranelagh's 
gewesen  war.  Auch  stand  er  noch  später  mit  Boyle  in  Verbindung 
(s.  Boyle's  Works  V.  594  flf.). 
96  -)Art.  Morus  in  Haag:   La  France  protestante  VII.    Archibald 


2(58  Anmerkungen. 

Seite 

Bruce:  A  critical  account  of  the  life.  character  and  discourses  of 
Älr.  A.  Morus.  London  1813,  eine  verfeMte  Vertheidigung  des  Mo- 
rus ,  bringt  kein  neues  Material  bei.  Ich  stütze  mich  auf  reiche 
Materialien,  welche  die  Bibliothek  sowie  das  Archiv  der  Stadt 
Genf  und  die  Registres  de  la  venerable  compagnie  da- 
selbst für  die  Geschichte  des  Morus  enthalten,  ferner  auf  die  Ar- 
ticles  des  synodes  Wallons  des  provinces  unies,  die 
Actes  du  consistoire  de  I'eglise  d'Amsterdam  u.  a.  m.. 
die  mir  aus  Amsterdam  zugekommen  sind;  s.  Näheres  im  Anhang  II. 

97  ^)  Registres    de   la   venerable  compagnie,   Genf  29.  JuUiet, 

9.  Dec.  1642.    Baillie  III.  6. 

*)  In  einem  Briefe  der  Geistlichen  von  Middelburg  an  die  Compagnie 
venerable  (Original  Genf,  Stadtbibliotkek,  den  12.  Nov.  1649) 
wird  für  den  Brief  der  c.  v.  vom  5.  Juli  1649  „que  vous  nous  avez 
escrite  par  nostre  tres  honore  frere  le  sieur  AI,  Monis"  gedankt. 
Morus  erscheine  durch  diesen  Brief  gegen  aufgetauchte  Anschul- 
digungen ganz  gerechtfertigt,  man  könne  nicht  glauben,  „avec  quelle 
ardeur  et  concurrence  de  peuple  on  vient  escouter  ses  predications 
qui  semblent  venir  jusques  au  troisieme  ciel". 

^)  Stoupe  an  Ulrich  in  Zürich:  .,ä  Londres  27  Janvier  1652/3.  „Morus 
a  fait  un  livre  sanglant  contre  cet  etat  intitule  Clamor  sanguinis 
regii  ad  Coelum  contra  par.  Angl.  II  est  plein  de  fleurettes  sans 
aucun  raisonnement.  11  dechire  Milton  qui  avait  repondu  au  livre 
de  Saumaise.  II  eleve  jusques  aux  nues  ce  dernier  avec  lequel  il 
s'est  depuis  mis  fort  mal,  ayant  deshonore  sa  maison  par  ses  trop 
familieres  Communications  avec  une  sienne  domestique  laquelle  il 
avait  promis  d'epouser  ce  qu'il  n'a  point  accompli.  Ce  malheureux 
homme  s'est  perdu  de  reputation  par  sa  medisance  et  par  ses  ac- 
tions  infames  par  lesquelles  il  a  fietri  le  cai-actere  qu'il  a  eu  l'hon- 
neur  de  porter."'   Züricher  Staats-Archiv,  Acta  Anglicana  171. 

98  ^)  Man  schreibt  das  bekannte  Epigramm,  das  zuerst  im  Mercurius  po- 

liticus  1652,  23.  —  30  Sept.  p.  1910  erschien:  „Galli  e  concubitu 
gravidam  te  Bontia  (Pontia)  Mori  \  Quis  bene  moratam  morigeram- 
que  neget'",  gewöhnlich  Milton  zu,  so  auch  Masson  P.  W.  II.  343. 
Milton  selbst  scheint  dem  zu  widersprechen  (W.  VI.  259,  411  „autho- 
rem  Batavum");  vgl.  indess  Burmanni,  Syllog.  III  305,  307, 
649,  651,  746. 
2)  lieber  die  Entstehungsgeschichte  der  Def.  sec.  s.  W.  VI.  836,  386, 
364  (Authoris  pro  se  defensio).  Das  Exemplar  im  Br.  M.  E.  1487 
Joannis  MiltonJ  |  Angli  |  Pro  |  Populo  Anglicano  |  Defensio  |  Se- 
cunda.  |  Contra  infamem  libellum  anonymum  |  cui  titulus,  ]  Regii  san- 
guinis clamor  ad  |  coelum  adversus  parri-  |  cidas  Anglicanos.  |  Lon- 
dini,  Typis  Neucomianis,  1654.  173  S.  12".,  trägt  den  Ms.  Ver- 
merk ..Mav  30". 


Drittes  Kapitel.  *   269 

Seite 

99  ')  Das  Thatsächliche  ergiebt  sich  aus  den  Worten  des  „Typographus 
pro  se  ipso*'  vor  „Fides  publica"  und  aus  Milton's  Def.  sec. 

*)  Ueber  Durie's  Aufenthalt  in  den  Niederlanden  s.  Vaughan:  The 
protectorate  of  0.  Cromwell  1839,  I.  1.  Auszüge  aus  Durie's  Brie- 
fen Def.  sec.  W.  VI.  340;  vgl.  Morus :  Fides  publica  18. 19.  Nieuport's 
Brief  an  Morus,  Westminster  23.  Juni  (3.  Juli)  16-54,  in  Fides  publica 
19  —  21:  „Ce  grand  dessein",  von  dem  Nieuport  spricht,  ist  ohne 
Zweifel,  „Vowel  and  Gerard's  Plot."  etc.,  s.  Carlyle  III.  20.5,  208. 

^)  W.  VI.  364 :  „duos  viros  nobiles ,  amicos  meos".  Der  eine  war 
wohl  jener  Abraham  Hill,  den  Aubrey  in  diesem  Zusammenhang 
erwähnt.  Er  lebte  von  1683—1721,  war  namentlich  in  den  Spra- 
chen wohl  bewandert  und  zeichnete  sich  als  einer  der  Beförderer 
der  Royal  Society  aus.  Ein  Band  seiner  Privatbriefe  ist  1767  ver- 
öffentlicht worden ;  s.  R  o  s  e :  New  general  dictionary.  Wood  dreht 
den  Sachverhalt  offenbar  um. 

100  ^)  Dumoulin  sagt  in  einer  Ausgabe  seiner  Gedichte  (P.  Molinaei  nng- 
f()ya:  Poematum  libelli  tres',  die  erst  1609  (1670)  erschien,  L.  III. 
p.  141:  „Morus  tantae  invidiae  impar,  .  .  clamoris  authorem  Mil- 
tono  indicavit.  Enimvero  in  sua  ad  Miltoni  maledicta  responsione, 
duos  adhibuit  testes  praecipuae  apud  perduelles  fidei,  qui  authorem 
probe  nossent,  et  rogati  possent  revelare.*'  Milton  habe  aber  seinen 
Irrthum  nicht  zugeben  wollen.  —  Indessen  findet  sich  bei  Morus 
nichts  der  Art.  Er  hat  sich  wenigstens  durch  öffentliche  Preisgebung 
Dumoulin's  nicht  gedeckt. 
*)  Autoris  pro  se  defensio  "w.  VI.  336,  340,  341,  344,  347;  vgl.  den 
Brief  an  Morus  7.  Aug.  1654  bei  Thurloe:   State  Papers  II.  529. 

102  ^)  Ganz  verkehi-t  übersetzt  Beruh  ardi  185:  „Er  lebte  späterhin  wäh- 
rend der  ganzen  Regierung  Jacob's,  ein  Gegenstand  des  Misstrauens 
und  ein  Ungeheuer  an  Erpressung,  in  Paris".  In  den  schlechten 
Drucken  der  Def.  sec.  steht  allerdings:  „Eundem  Parisiis  fide  cas- 
sum  et  male  agendo  insignem ,  v  i  t  a  tota  Jacobaea  cognovit",  es 
soll  aber  heissen:  „via  tota  Jacobaea"',  die  ganze  Rue  St.  Jacques. 

105  ')  S.  über  Overton  namentlich  Godwin  IV.  68  ff.  161  ff.  Carlyle 
Register,  Diary  of  Burton  member  in  the  parliaments  of  Oliver  and 
Richard  Cromwell  from  1650  — -59,  ed.  J.  Towill  Rutt,  4  Vols. 
1828  Register. 

107  ')  Joannis  Miltoni  !  Defensio  Secunda  Pro  Populo  Anglicano  |  Contra 
infamem  Libellum  anonymum ,  |  cujus  Titulus ,  Regii  sanguinis  cla- 
mor  1  adversus  parricidas  Anglicanos.  |  Accessit  Alexandri  Mori  ! 
Ecclesiastae,  Sacrarumque  litterarum  :  Professoris  i  Fides  Publica,  | 
Contra  calumnias  Joannis  [Miltoni  |  Scurrae.  ,  Hagae-Comitum ,  Ex 
Tj'pographia  Adriani  Vlacq.  \  MDCLIV.  12 '.  Morus  scheint  sich 
anfangs  wegen   des   eben   abgeschlossenen  Friedens  vor   einer  Er- 


270  Anmerkungen. 

Seite 

widerung  gescheut  und  versucht  zu  haben,  Mlton's  Schrift  aufzu- 
kaufen; s.  Thurloe,  II.  394.  ßurmanni,  Ep.  Syll.  III.  675. 
Milton:  Pro  se  defensio. 
107  ■■*)  Vgl.  über  Vlac's  Erlebnisse  in  Paris:  Lettres  de  Gui  Patin  (Ed. 
1846),  I.  469;  über  seine  englische  Vergangenheit  die  von  Masson 
V.  155  angeführten  Dokumente. 

109  0  unter  A.  Mori  Poemata  Paris  1669  befinden  sich  zwei  an  Holste- 

nius  und  Dati.  —  Von  Interesse  ist  ein  Brief  bei  Thurloe  IL  708 
aus  dem  Haag  vom  13.  Nov.  1654:  „Morus  is  gone  iuto  France.  . 
They  love  well  his  renoune  and  learning  but  not  his  conversation, 
for  they  do  not  desire  that  he  should  come  to  visit  the  daughters 
of  condition,  as  he  was  used  to  do.  He  promised  Vlack  to  finish 
his  apologie,  but  he  went  away  without  taking  his  leave  of  him,  so 
that  you  see,  that  Vlack  hath  finished  abrupte.  The  truth  is  Mo- 
rus  durst  not  add  the  sentence  agaiust  Pontia  for  the  charges  are 
recompensed  .  .  .  yea  I  believe,  that  Morus  was  faine  to  piu'ge 
himself  upon  oath ,  and  the  attestations  of  his  life  at  Amsterdam 
and  at  the  Hague,  he  could  not  gett  them  to  his  phansie." 
*)  Alexandri  Mori  Ecclesiastae  et  Sacrarum  Litterarum  Professoris 
Supplementum  Fidei  Publicae  Conti-a  Calumnias  Joannis  Miltoni. 
Hagae-Comitum,  Typis  Adriani  Vlacq.  MDCLV,  auf  der  Rückseite 
„Typographus  lectori",  angebunden  an  „Fides  publica"  und  ohne 
Beginn  einer  neuen  Paginirung. 

110  ^)  Joannis    MiltonJ  |  Angli  !  Pro    Se  |  Defensio  |  Contra  \  Alexandrum 

Morum  |  Ecclesiasten,  |  LibelU  famosi ,  cui  titulus ,  Regii  sanguinis 
clamor  ad  |  coelum  adversus  Parricidas  |  Anglicanos,  authorem 
recte  |  dictum.  |  Londini.  Typis  Neucomianis,  1655.  204  S.  12', 
Br.  M.  E.  1661,  ]*Is.  Vermerk  Thomason's  „August  8". 

111  1)  Milton  an  Oldenbm-g  6.  Juli  1654.    W.  VI.  390— 392.    MaiTell  au 

Milton,  Eton  2.  Juni  1654  bei  Birch  I.  p.  XL  und  in  Marvell's 
"Works  ed.  Grosart  I.  11. 

112  ^)  Diese  drei  weigerten  sich,  der  Bestätigung  des  Zeugnisses  der  v.  C. 

beizutreten.  Registres  de  la  v.  C.  7.  April  1648.  Noch  bedenk- 
licher sind  die  folgenden  Worte,  die  sich  a.  a.  0.  finden :  „En  outre 
d'autant  que  nos  surdits  freres  ont  offert  de  dire  les  raisons  pour 
lesquelles  il  n'ont  voulu  signer  le  precedent  tesmoiguage  a  este  mis 
en  prosposite  si  on  les  de\Toit  oüir  lä  dessus.  Sur  quoi  a  este 
avise  que  non,  que  cela  estoit  inutile,  veu  qu'on  ne  les  leur  de- 
maudait  pas,  laissant  cela  ä  leur  jugement  pai-ticulier." 
^)  W.  VI.  257,  374,  394.  Trotz  eifriger  Nachforschungen  in  der  genfer 
Stadtbibliothek  hat  sich  das  Aktenstück  daselbst  nicht  gefunden. 

113  ^)  Von  diesem  Zeugnis   ist  in  den  aus  Genf  mir  mitgetheilten  Archi- 

valien nichts  zu  finden. 
*)  „Mori  contra  Miltonum  apologiam  vidisse  vos  credo.     Si  Miltonus 


Viertes  Kapitel.  271 

Seite 

de  Mori  testimoniis  certiora  nosse  cupit,  scribat  Genevam  et  ad 
viduam  Salmasianam ,  quae  ipsi  abunde  suppeditabit  materiam." 
Br.  M,  Sloane  Ms.  649  f.  30  a.  Der  Brief,  datirt  „Leyda  6.  Jan. 
St.  V.",  ohne  Unterschrift,  scheint  eine  blosse  Kopie  zu  sein. 

113  ')Senebier:  Histoire  litteraire  de  Geneve,  II.  192.  267.  Autoris 
pro  se  def.  W.  Yl.  395.  .Alilton  an  E.  Spanheim  24.  März  1654—5. 
W.  VII.  395.  Der  von  Milton  erwähnte  Calandrini,  der  die  Verbin- 
dung zwischen  ihm  und  E.  Spanheim  angebahnt  zu  haben  scheint 
ist  rielleicht  identisch  mit  dem  in  Vaughan's  Protectorate  of  0. 
Cromwell  mehrfach  genannten.  Uebrigens  blühte  auch  ein  Zweig 
der  Familie  in  England,  s.  Galiffe:  Kotices  genealogiques  sur  les 
familles  genevoises.  Der  in  Genf  lebende  Turretini,  den  Milton  er- 
wähnt, ist  der  Theologe  Franz  Turretini  1623  — 1687. 

115  ^)  S.  Näheres  in  Kapitel  5  und  Anhang  11. 

>)  W.  VI.  392,  Milton  an  Oldenburg;  vgl.  Yl.  406. 

Viertes  Kapitel. 

119  >)  17.  Juli  1650,  Carlyle  II.  301. 

120  ')  Carlyle  II.  342.    III.  49. 

121  ')  P.  W.  II.  484.  296  „To  the  Lord  General  Cromwell  May  1652:  On 

the  proposals  of  certain  ministers  at  the  committee  for  the  pro- 
pagation  of  the  gospel*'.  So  lautet  die  durchgestrichene,  aber  noch 
lesbare  Ueberschrift  im  Cambridge-Ms.  ,.Darwen"  ist  das  Gewässer 
in  Lancashire,  das  in  der  Nähe  von  Preston  in  den  Ribble  fällt. 
Ich  benutze  die  gelungene  Uebersetzung  von  Carriere:  Die  Kunst 
im  Zusammenhang  der  Cultur  -  Entwicklung.  IV.  639. 

123  ')  The  humble  propösals  of  Mr.  Owen,  Mr.  Thomas  Goodwin  .  .  .  and 

other  ministers  who  presented  the  petition  to  parliament  (cf.  C.  J. 
10.  Febr.  1652),  Printcd  at  London  for  R.  Ibbitson  1652.  Br.  M. 
E.  65S.  4 '.  (Ms.  Vermerk  von  Thomason  „March  31".)  Zu  diesen 
Geistlichen  gehörte  John  Durie  (C.  J.  vom  11.  Febr.  1653  steht 
Drury)  und,  was  man  nicht  erwarten  sollte,  auch  John  Goodwin. 

124  *)  The  fourth   paper   presented   by   major  Butler  to  the  honoui-able 

committee  of  parliament  for  the  propagating  the  gospel  of  Christ 
Jesus  .  .  .  together  with  testimony  to  the  said  fourth  paper  by  way 
of  explanation  upon  the  four  proposals  of  it  by  R.  W.  1652. 
Br.  jNI.  E.  658  (Ms.  Vermerk  Thomason's  „March  30th").  In  dem 
Vorwort  „to  the  truly  Christian  reader"'  von  R.  W.  wird  als  eine 
Aeusserung  Cromwell's  in  dem  Committee  angeführt:  ,,That  he  had 
rather  that  Mahumetanism  were  permitted  amongst  us,  then  that 
one  of  Gods  children  should  be  persecuted". 

125  *)  S.  ausser  den  angeführten  Schriften  und  den  Bemerkungen  in  P.  W. 

n.  296.     C.  J.  1650  7.  Juni,  13.  Sept.,  1651  23.  Mai,  1652  10.  Febr., 


272  Anmerkungen. 

Seite 

29.  April,  S.  Okt.,  1653.  11.  25.  Febr.  4.  18.  März,  1.  April.  Wie 
gross  die  Erbitterung  in  den  radikalen  Kreisen  war ,  zeigen  viele 
der  im  B  r.  M.  aufbewahrten  Flugschi'iften,  welche  für  die  Geschichte 
der  englischen  Revolution  von  unschätzbarem  Werthe  sind. 

126  ^)  Es  können   hier  nur  einige  Andeutungen  gegeben  werden.     Grund- 

legend ist  die  Darstellung  von  Guizot.  Lehrreich,  namentlich 
auch  mit  Bezug  auf  die  geheimen  Unterhandlungen  Conde"s ,  sind 
neben  den  Depeschen  Salvetti's,  abschriftlich  im  Br.  M. ,  und 
des  Yenetianers  Paulucci.  abschriftlich  im  Record-Off  ice,  die 
Depeschen  J.  Stockar's,  des  Abgesandten  der  reformirten  Kantone 
der  Sehweiz,  der  in  London  verweilte,  um  den  Frieden  zwischen 
England  und  den  Niederlanden  zu  vermitteln.  Sie  befinden  sich 
im  Staatsarchiv  zu  Zürich. 

127  ^)  Man    muss    den    Schönfärbereien    von    Godwin    u.    a.    Urtheile, 

wie  die  von  Guizot  I.  2S1  flf.  und  in  den  Einleitungen  zu  den  C. 
S.  P.  gegenüberstellen.    Milton's  scharfes  Urtheil  s.  u.  ß.  IV.  Kap.  5. 

131  ^)  Man  sollte  wünschen ,   eine  kritische  Schilderung  des  Vorganges  zu 

besitzen,  ,wie  sie  Forster  für  das  Attentat  auf  die  fünf  Mitglieder 
gegeben  hat.  Ranke's  Wort:  „eine  historisch  richtige  Darstellung 
dieser  Scene  giebt  es  nicht",  sagt  nicht  zu  viel.  Hie  und  da  hat 
man  dem  Berichte  des  entfernten  Ludlow  zu  sehr  vertraut. 

132  \1  Aus  Stockar's  Depeschen  (Staatsarchiv  Zürich)  22.  April  1653: 

„Und  ist  sich  hiebey  zu  verwundern,  wie  still,  gutwillig,  undt  ohne 
einigen  Tumult  diese  unerhörte  plötzliche  Veränderung  vorgegangen, 
zweifelsohne  weil  menniglich  befindt,  dass  solche  auf  das  gemein 
Beste  gerichtet,  da  aber  die  Factionirer  einer  gantz  anderen  Mei- 
nung und  ihnen  selbsten  zu  deme,  was  sie  wünschen  und  gern 
sehen,  di^e  beste  Hofinung  machen."  (In  derselben  Weise  äussern 
sich  Salvetti,  Paulucci  und  Sagredo  in  seiner  Relation,  ab- 
gedruckt bei  Berchet:  C'romwell  e  la  republica  di  Venezia,  1864.) 
5.  Mai  1053:  „Unter  anderen  ungemeldten  Ursachen,  warumb  das 
Parlament  dissolvirt  worden,  ist  eine  von  den  vornemsten,  dass  es 
keine  Inclination  solle  zum  Frieden  (mit  den  Niederlanden)  gehabt 
und  unterstanden  haben  mit  dem  General  C'romwell  und  etlichen 
seinen  Officieren  vorzunehmen,  was  er  mit  ihnen  gethan."  Eine 
Reihe  von  Zustimmungsadressen  aus  einzelnen  Landestheilen  in  den 
s.  g.  Milton-State-Papers  ed.  J.  Nickolls  1743  p.  90  ff. 

133  ^)  Die  Zahl  144,  welche  man  mitunter  angegeben  findet,  kommt  daher, 

dass  Cromwell,  Lambert,  Desborough,  Harrison,  Tomlinson,  die  das 
kleine  Parlament  selbst  erst  zufügte,  mit  eingerechnet  werden.  C'romwell 
spricht  in  seiner  Eröffnungsrede  (C'arlyle  III.  168)  allerdings  von 
„above  140  I  believe",  allein  dies  stimmt  mit  den  Listen  nicht  überein. 
135  ^)  Ich  beziehe  mich  u.  a,  auf  die  merkwürdige  Eingabe  von  Samuel 
Herring,  abgedruckt  in  den  s.  g.  Milton-State-Papers  99— 102. 


Viertes  Kapitel.  273 

Seite 

136  *)  „Concerning  making  of  marriage  and  burying  tlie  dead  we  believe, 
that  they  are  no  actions  of  a  church-minister ,  because  they  are  no 
actions  spiritual  but  civil".  So  das  Glaubensbekenntniss  von  1616 
(vgl.  II.  210),  Hanbury  I.  300.  Die  Akte  des  kleinen  Parlaments 
vom  25.  August  1653  in  Old  pari.  bist.  XX.  214  —  217.  Spätere 
Debatten  darüber  s.  in  Burton's  Diary  Reg.  s.  v.  Marriage. 

139  ^)  Stockar's  Depesche,  9.  December  16.53  (Staatsarchiv  Zü- 
rich): „Nun  ist  grosses  Ansehen  und  viel  Muthmassen,  dass,  alldie- 
weil H.  General  bey  dieser  allzu  weitleuftigen  verwirrten  und  ungleich 
gesinnten  Regierung  des  Parlaments  den  aufgesteckten  Zweck 
des  Fridens  ohne  Widersprechen  nicht  wol  erlangen  kann,  er 
das  Parlament  mit  Hilff  der  besseren  Parthey  .  .  allerdings  ab- 
schaffen und  die  Regierung  dieser  Republic  uff  etliche  wenige  10 
oder  12  verständige  patriotische  Personen  mit  erstem  zu  setzen  und 
zu  bringen  gemeint  sei." 

142  ^)  The  government  of  the  common-wealth  of  England,  Scotland  and 
Ireland  and  the  dominions  thereunto  belonging.  Old  pari.  bist. 
XX.  248  —  262. 

145  i)Godwin  IV.  35  ff.    Weingarten  154. 

146  ^)  Das  bekannte  lateinische  Gedicht  scheint  nicht  von  Milton,  sondern 

von  Marvell  herzurühren ,  von  dem  man  auch  andere  Gelegenheits- 
verse der  Art  besitzt;  s.  Marvell's  Works  ed.  Grosart  I.  416,  vgl. 
I.  403  ff.  und  P.  W.  II.  343  ff 

147  ^)  Man  darf  vielleicht  annehmen,  dass  schon  vor  dem  Erscheinen  sei- 

ner zweiten  Vertheidigung  ein  Urtheil  Milton's  über  den  Umschwung 

"R    fiQ7 

der  Dinge  in   die  Oeffentlichkeit  gelangt  w^äre.     Im  Br.  M.  — *-ö — 

befindet  sich  unter  Thomason's  Sammlung  von  Flugschriften  eine, 
auf  der  Thomason  den  Ms.  Vermerk  angebracht  hat,  „by  Mr.  John 
MiltonMay  1  6'-.  Sie  führt  den  Titel :  „A  |  Letter  |  Written  |  To  a 
Gentleman  in  the  Coun-  |  try,  touching  the  |  Dissolution  |  of  the 
late  I  Parliament,  |  And  The  |  Reasons  ]  Thereof.  |  Senec.  Troad.  | 

Quaeris  quo  jaceas  post  obitum  loco  ?  |  Quo  non  nata  jacent. | 

London,  |  Printed  by  F.  Leach,  for  Richard  Baddeley  at  his  Shop 
within  !  the  Middle  Temple  Gate  1653.  4  ■.  20  S.,  am  Schluss  „Lon- 
don May  3,  1053.  Your  affectionate  Servant  N.  LL."  Dass  der 
kundige  Buchhändler  Thomason  selbst  (auch  in  dem  Kataloge  sei- 
ner Sammlung)  dies  Pamphlet  Milton  zuschreibt,  wird  man  um  so 
mehr  zu  würdigen  wissen,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  er  ihm  per- 
sönlich nahe  stand  (s.  o.  Buch  II  Anhang  I).  Der  Inhalt  der  Schrift 
entspricht  den  Ansichten  Milton's.  Hie  und  da  wird  man  sogar  an 
seine  eigenen  Worte  erinnert,  so  wenn  es  von  dem  zersprengten 
Parlament  heisst  p.  4:  „while  they  seemed  to  look  direct  upon  the 
publick  interest,   their  businesse  was  to  look  asquint  upon  their 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  3.  13 


274  Anmerkungen. 

Seite 

own:   as  if  they  had  been  employ'd  by  their  country  not  to  make 

up  publick,  but  private  breaclies  .  .  .  oppositions  and  conjunctions 
were  laid,  private  interests^interven'd,  (and  these  commonly  by  way 
of  exchange,;  needlesse  tliings  niightily,insisted  upon,  whilst  thousands 
of  poor  creditors  and  petitioners  starved  at  their  door  with  their 
printed  papers,  unheard,  uuregarded  etc."  (vgl.  Def.  sec.  W.  VII.  320. 
History  of  England  W.  V.  96).  Endlich  passt  es  vortrefflich  auf 
Milton,  dass  der  Autor  p.  19.  20  von  sich  sagt:  „I  am  no  member 
of  their  councills  and  by  a  late  infirmity  lesse  able  to 
attend  them"  (nämlich  Cromwell  und  seine  Genossen)  .  .  „if  my 
infirmity  had  not  been,  which  contin'd  me  to  my  Chamber".  Da- 
gegen widerspricht  es  einer  Ansicht  Milton's,  die  freilich  erst  viel 
später,  nach  bittereu  Erfahrungen,  in  der  Schrift  „The  ready  and 
easy  way"  hervortritt,  wenn  es  hier  S,  10  heisst:  „You  cannot 
allow  any  thing  more  destructive  to  it  (a  Commonwealth),  than  the 
continuation  of  mauy  men  in  the  same  power".  Auch  würde  es 
ihm  gar  nicht  ähnlich  sehn,  dass  er  seinen  Namen  unter  den  fal- 
schen Zeichen  „N.  LL."  verborgen  haben  sollte.  Eher  könnte  man 
annehmen,  dass  der  „Gentleman  in  the  country"  ohne  Milton's 
"Wissen  und  Willen  seinen  Brief  veröffentlicht  hätte.  Dass  wir 
es  wiiklich  mit  einem  Briefe,  einem  Antwortschreiben,  zu  thun 
haben ,  scheinen  die  Anfangsworte  der  Schrift  zu  beweisen :  „Sir, 
Yours  of  the  27th  past  came  safe".  Keinesfalls  möchte  ich  die 
Autorschaft  ]Milton's  so  unbedingt  verwerfen,  wieGodwin:  History 
of  the  Commonwealth  III.  480,  der  meines  Wissens  zuerst  auf  diese 
Flugschrift  aufmerksam  gemacht  hat,  aus  inneren  Gründen  es  thut. 
Masson  IV.  519  —  523  scheint  keinen  Zweifel  an  Milton's  Autor- 
schaft zu  haben.  W^er  immer  der  Verfasser  jener  Flugschi'ift  war, 
sie  blieb  nicht  unbeachtet.  Ein  anderes  Pamphlet:  „Reasons  why 
the  supreme  authority  of  the  three  nations  (for  the  time)  is  not  in 
the  parliament,  but  in  ,the  new-established  councel  of  State  con- 
sisting  of  his  excellence  the  Lord  General  Cromwel,  and  his  ho- 
nourable  assessors  1653"  (Br.  M.  E.  697.  4'.  Ms.  Vermerk  „May") 
nimmt,  wie  ich  finde,  ausdrücklich  auf  sie  Bezug  p.  27:  „New  for 
your  further  Information  in  this  particular  I  have  thought  it  not 
unexpedient  to  send  you  with  this  letter  another  of  that  worthy 
gentleman  N.  LL.  written  to  a  gentleman  in  the  country"  etc. 
Ausserdem  habe  ich  in  zwei  Zeitungen,  dem  Mercurius  Britanniens 
Nr.  3  (23.  — 30.  May  1653)  und  dem  W^eekly  Intelligencer  No.  120 
(24.  — 31.  May  1653),  Br.  M.  E.  698,  ungeschickte  Auszüge  aus  der 
fraglichen  Flugschrift  gefunden,  das  eine  Mal  mit  der  Anrede 
„Gentlemen",  das  andere  Mal  mit  der  Ueberschrift :  „To  the  free- 
born  people  of  this  nation". 
147  ')  Council-Book  9.  Juli  1653 :  „Upon  the  reading  of  the  letter  written 


Viertes  Kapitel.  275 

Seite 

from  Mr.  Milton  to  Sir  Gilbert  Pickering  it  is  ordered  that  Sir  G. 
P.  be  desired  to  conferre  with  the  doctors  mentioned  in  the  said 
letter,  and  to  know  from  them  what  quantity  of  paper  they  desire 
to  Import  free  of  custom  and  excise  towards  the  carrying  on  of 
their  work  of  a~new  translation  of  the  bible." 

147  ")  Council-Book  1653,  Okt.  17  und  Nov.  3;  1654,  Febr.  3;  1655,  April  17. 

Money- Warrant  25.  Okt.  1659,  s.  Todd. 

148  ^)  Whitelocke  645  (6.  Mai  1656).    Pufendorf:   De  rebus  a  Ca- 

rolo  Gustavo  gestis  Comment.  III.  §  80.  Gänzlich  unbewiesen 
scheint  mir  die  Behauptung,  Milton  sei  der  Verfasser  eines  Pane- 
gyricus  auf  Cromwell,  der  freilich  Anklänge  an  die  Def.  sec.  ent- 
hält: ,,Substance  of  a  paneg}Tick  of  the  lord  general  0.  Cromwell 
as  presented  to  him  by  the  Portuguese  ambassador  Don  John  Ro- 
deriguez  de  Saa  Meneses  .  .  Written  in  Latin',  as  pretended  by  a 
leamed  Jesuit  bis  excellency's  chaplain,  but  as  more  probablyjsup- 
posed  by  the  celebrated  Mr.  John  Milton";  s.  A  short  critical  re- 
view  of  the  political  life  of  0.  Cromwell  by  a  gentleman  of  the 
:Middle  Temple  Glasgow  1755  p.  335  ff.  Peck:  Memoirs  of  the 
life  and  actions  of  »Oliver  Cromwell  etc.,  1744.  Forster:  Statesmen 
399,  nimmt  die  Vermuthung  als  richtig  an. 

152  ^)  Ich  bin,  wie  schon  in  meinem  Vortrage:  Milton  und  Cromwell  (Samm- 

lung gemeinverständlicher,  wissenschaftlicher  Vorträge,  herausg.  von 
Virchow  und  v.  Holtzendorff,  Heft  236)  vielfach  der  Uebersetzung  von 
Liebert  gefolgt. 

153  1)  S.  0.  Anm.  1  zu  S.  105.   " 

154  1)  Carlyle  III.  263,  vgl.  306,  428:  „Necessity  hath  no  law". 

157  ^)  S.  die  Anm.  1  zu  S.  105  angeführte  Literatur.  Das  hauptsächlichste 
Material  findet  sich  beiThurloe  und  in  Burton's  Diary.  Man 
beachte  daselbst  IV.  157  die  Bemerkung  von  Colonel  Okey:  „The 
plot  which  they  talked  on,  was  of  several  officers  dissatisfied  with 
the  breaking  the  Long  Parliament", 
*)  Godwin  IV.  175  nimmt  an,  die  „ordinance  [of  assessment"  vom 
8.  Februar  1655  stehe  mit  der  Protektoratsverfassung  in  Einklang, 
und  Cromwell  selbst  in  seiner  Rede  »vom  22,  Januar  1655  (Car- 
lyle III.  310)  sagt:  ,,if  I  shall  now  raise  money  according  to  the 
article  in  the  government"  etc.  Allein  Art.  30  der  Protektorats- 
verfassung giebt  dem  Protektor  das  fragliche  Recht  nur  „untill  the 
meeting  of  the  first  parliament". 

162  ^)  In  einem  Nachdruck  der  berüchtigten  Schrift:  ,.Killing  no  murder" 
von  1743  (Br.  M.  8122  b)  wird  „leamed  Milton"  p.  32  erwähnt. 

165  1)  Vaughan:  The  protectorate  of  0.  Cromwell  1839.  II.  442.    Car- 
lyle IV.  198  lässt.den  Brief  irriger  Weise  an  Morland  gerichtet  sein. 

167  ')  Die  Angelegenheit,  für  deren  Geschichte  ein  reiches  Material  vor- 
liegt, verdient  eine  genauere  Behandlung.    Hier  sei  nur  verwiesen 

18* 


276  Anmerkungen. 

Seite 

auf  Godwin  IV.  243  —  251,  Guizot  II.  125—128,  Harl.  Mise. 
VII.  578  ff.  Milton's  Freunde  Durie  und  Hartlib  'nahmen  an  der 
Sache  ein  besonders  lebhaftes  Interesse,  vgl.  A  case  of  conscience 
whether  it  be  lawful  to  admit  Jews  into  a  Christian  Common- 
wealth resolved  by  ]yir.  John  Dury  written  to  Samuel  Hartlib,  Es- 
quire.  London  1656.  Br.  M.  E.  882,  abgedruckt  Harl.  Mise.  VII. 
240,  s.  auch  Worthington's  Diary  I.  83,  Kennett,  Register 
p.  138  etc. 

167  2)  Guizot  II.  122. 

168  i)Carlyle  III  259  (12.  Sept.  1654):   „So  long  as  there  is  liberty  of 

conscience  for  the  supreme  magistrate  to  exercise  his  conscience  in 
erecting  what  form  of  chm'ch-government  he  is  satisfied  he  should 
set  up,  why  should  he  not  give  the  like  liberty  to  others?  Liberty 
of  conscience  is  a  natural  right;  and  he  that  would  have  it,  ought 
to  give  it;  having  himself  liberty  to  settle  what  he  likes  for  the 
public." 
2)Hanbury  IIL  516  nach  Scobell  441. 

170  ^)Ep.  fam.  27.    Petro  Heimbachio  Dec.  18,  1657.    W.  VII.  406.    Zu 

sehr  darf  man  auch  diese  "Worte  nicht  pressen,   da  sie  in  erster 
Linie  auf  Thurloe  abzuzielen  scheinen. 
*)Burton's  Diary  IL  358.    Vaughan  IL  447.    Guizot.   Akten  im 
Record-Office. 

171  1)  W.  Vn.  242.  243. 

^)  Ich  habe  über  diese  und  die  Angelegenheit  der  Waldenser  ausführ- 
lich gehandelt  in  einem  Aufsatze:  „0.  Cromwell  und  die  evangelischen 
Kantone  der  Schweiz"  (v.  Sybel's  histor.  Z  eitschrift.  N.  F.  IV. 
52—99),  dem  ich  hier  folge.  Daselbst  sind  in  erster  Linie  benutzt 
worden  R.  Vau gh an:  The  protectorate  ofO.  Cromwell  (die Korrespon- 
denz von  Pell,  Morland,  Thurloe,  Hartlib  etc.),  London  1839,  2  Vols. 
Morland:  The  history  of  the  evangelical  churches  of  the  Valleys 
of  Piemont.  London  1658.  J.  Leger:  Histoire  generale  des  eglises 
evangeliques  des  vallees  de  Piemont,  Leyde  1679,  die  Eidgenös- 
sischen Abschiede  und  vor  allem  das  ausserordentliche  reiche 
Matei'ial  des  .Staatsarchivs  zu  Zürich.  Manche  der  Doku- 
mente, die  Hamilton  aus  dem  Record-Office  mittheilt,  finden  sich 
schon  bei  Morland  oder  bei  Guizot. 

^)  W.  vn.  229.  Im  Originale  des  Schreibens  zu  Zürich  findet  sich  das 
Datum  „28.  die  Novembris  1653".  Daselbst  bemerkt  man  noch  an- 
dere, geringfügige  Abweichungen  vom  Druck,  die  bei  einer  sehr 
nöthigen,  kiütischen  Ausgabe  der  prosaischen  Werke  Llilton's  zu 
berücksichtigen  wären. 

172  1)  Guizot  IL  347  ü.    „Avis  ä  INlr.  le  cardinal  21  Julliet  1654".      " 
174  ^)  On  the  late  massacre  in  Piedmont.    P.  W.  II.  485. 

*)  Hamilton  18.    Auch  innere  Gründe  sprechen    dafür,  dass  diese 


Fünftes  Kapitel.  277 

Seite 

Rede  von  ^lilton  ausgearbeitet  ist.  Dagegen  lässt  sich  durchaus 
nicht  sagen,  ob  Theile  der  Druckschrift  „Sabaudiensis  in  reforma- 
tam  religionem  persecutionis  brevis  narratio  . .  1655"  (Hamilton 24) 
Milton  angehören. 

176  ^)  17.  Sept.  1656.    Carlyle  IV.  399. 

177  1)  W.  VII.  .345—368;  vgl.  die  Bemerkungen  von  G  odwinIV.  217—219. 
*)  Hamilton  9,    Das  Datum  .,Aug.  1658"  ist  indess  zu  verbessern, 

denn  Lockhart  verliess  England  Anfang  1656. 

178  ^)Nach  W.  VII.  321  —  324  wären   es  je  zwei  Schreiben.     Es  sind 

aber  wohl  die  beiden  ersten  Briefe  nur  Entwüi'fe,  s.  auch  Guizot 
II.  309. 

179  ^)  Es  kann  selbstverständlich  nicht  die  Absicht  sein,   hier  eine  Ge- 

schichte der  auswärtigen  Politik  des  Protektors  zu  geben.  Nur 
die  Thätigkeit  Milton's  im  Dienste  dieser  Politik,  die  Bedeutung 
der  ., Staatsbriefe"  ist  hervorzuheben,  üeber  das  Verhältnis  des 
Protektors  zum  gi'ossen  Kurfürsten  verbreiten  neuerdings  die  „Ur- 
kunden und  Aktenstücke"  u.  s.  w.,  herausg.  von  Erdmann s- 
dörffer,  ein  helles  Licht. 

Fünftes  Kapitel. 

181  ^)  „My  son  John  was  born  on  Sunday,  3Iarch  the  16th  about  hälfe  an 
houre   past  nine   at  night  1650".     Add.  Mss.  4244,  ungenau  abge- 
druckt bei  Hunt  er  34. 
188  ^)  S.  die  ausführlichen  Dokumente  bei  Hamilton. 

2)  „My  daughter  Deborah  was  born  the  2n(i  of  May,  being  Sunday 
somewhat  before  3  of  the  clock  in  the  morning  1652".  Add.  Ms. 
4244,  bei  Hunt  er  34.  S.  für  das  Folgende  Phillips.  Auf  die 
zwei  Todesfälle  seiner  Frau  und  seines  Söhnchens  bezieht  sich  ohne 
Zweifel  die  Anspielung  in  der  Autoris  pro  se  Defensio  (W.  VI.  336) : 
„duorum  fimerum  luctus  domesticus". 

^)  Eight  of  the  psalms  done  into  verse  1653.  P.  W.  III.  20  —  29. 
IL  31.5,  316. 

*)  On  his  blindness.     P.  W.  IL  485,  300. 
184  1)  Mitford:  Live  of  Milton  (W.  L  p.  CLXVI). 

^)  A  u  b  r  e  y ,  Phillips. 

^)  S.  über  C.  Arnold  (1627  —  85)  Jöcher's  Gelehrtenlexikon  und  die 
allg.  deutsche  Biographie  nach  Will's  Nürnbergischem  Gelehrten- 
lexikon. Der  angeführte  Brief  vom  7.  August  1651  steht  in  Georgi 
Richteri  ejusque  familiarium  epistolae  selectiores  Norimbergae 
1662  p.  482  ff.  Arnold's  Album,  Br.  M.,  Egerton  Ms.  1324,  da- 
selbst Milton's  Eintrag  f  85  b.  Ein  anderer  eigenhändiger  Album- 
Eiutrag  Milton's  ist  den  englischen  Forschern  bisher  unbekannt 
geblieben.     Er   findet    sich    in   dem    „Album   amicorum  Johannis 


278  Anmerkungen. 

Seite 

Zollikoferi  Sangallensis  S.  Th.  st,"  (Bibliothek  der  Vadiana, 
St.  Gallen  No.  92  a),  -welches  mir  von  H.  Dr.  Dierauer  in  St.  Gallen 
bereitwillig  zur  Einsicht  überschickt  worden  ist.  Zolükofer ,  geb. 
1633,  gest.  1692  als  reformirter  Pfarrer,  verweilte  1656  in  England. 
Obwohl  ]Milton  damals  vollkommen  blind  war,  lässt  doch  die  Schrift 
des  betr.  Album-Eintrags  keinen  Zweifel  darüber,  dass  sie  von  sei- 
ner Hand  stammt,  doch  sind  die  Zeilen  und  Buchstaben  schief 
genug.  Der  Eintrag  lautet  in  Anlehnung  an  II.  Korinther  12,  9: 
.,ti'  uaSfTeia  Tflfi  vjucig,  Londini  26.  Sept.  Joannes  ISIiltonius". 
Das  Album  enthält  auch  Einzeichnungen  von  mehreren,  Milton  nahe 
stehenden  Personen,  wie  Th.  Haak,  S.  Hartlib,  J.  Durie,  ebenso  von 
Comenius,  Menasseh-Ben-Israel  etc. 
185  1)  Drei  Briefe  Milton's  an  Heimbach  (W.  YII.  398,  406,  409)  8.  Nov. 
1656,  18.  Dec.  1657,  15.  Aug.  1666  (der  letzte  „Petro  Heimbachio 
electoris  Brandenburgici  consiliario",  die  Antwort  auf  einen  Brief 
Heimbach's  „Clivopoh  ubi  electorali  soUo  vivimus  a  consilio  6.  Juni 
1666",  abgedi-uckt  in  Mitford's  Life  of  Milton,  W.  I.  p.  CXGYI.). 
Aus  dem  zweiten  der  INIilton'schen  Briefe  ist  schon  oben  S.  170 
eine  Stelle  benutzt'  worden.  Ueber  Heimbach's  Vater  s.  das  Re- 
gister der  Urkunden  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  grossen 
Kurfürsten.  Eine  biographische  Xotiz  über  P.  v.  Heimbach  findet 
sich  in  Wass  enberg:  Embrica,  Clivis  apud  Tobiam  Silberling 
1667  fol.  p.  284:  „Petrus  ab  Heimbach,  Embricensis  Winandi  ab 
Heimbach  ducatus  Cliviae  et  Marcani  comitatus ,  cum  superesset, 
cancellarii,  serenissimo  de  electore  atque  tota  de  republica  summe 
meriti,  praeclarus  filius  ac  virtute  fere  omnium  paternarum  haeres 
suoque  vates  lauro  dignus,  Serenissimi  Anhaltini  principis  consilia- 
rius.  Memoi'iam  meritissimi  sui  patiüs  heroico  carmine  posteritati 
pius  commendavit,  Trajecti  ad  Rhenum  apud  Giobertum  a  Zyll  in 
fol.  Edidit  et  alia  et  inter  caetera  ingenii  exercendi  gratia  Olive- 
rium  Cromwellium  heroico  quoque  versu  et  vere  masculo  celebravit 
(ohne  Zweifel  eine  Verwechselung  mit  der  Schrift:  Petri  ab  Heim- 
bach, G.  F.  ad  serenissimum ,  potentissimumque  principem,  Oliva- 
rium  D.  G.  Magnae  Britanniae  protectorem  .  .  .  adlocutio  gratula- 
toria  Londini  Ex  typogi-aphia  Jacobi  CottrelU  MDCLVI.  35  S.  fol 
B  r.  M.  E.  1069).  Habet  et  pluscula  parata  propediem  in  lucem 
proditura."  Die  Nachricht,  dass  P.  v.  Heimbach  anhaltinischer 
Rath  gewesen  sei,  hat  sich  nach  gefälliger  Mittheilung  des  H.  Geh. 
Archivrath  Siebigk  in  Zerbst  bisher  nicht  bestätigt,  hingegen 
findet  sich,  wie  mir  H.  Dr.  Isaacsohn  aus  Archivalien  in 
Berlin  zu  übermitteln  die  Güte  hat,  dass  H.  im  März  1659  zum 
Rath  und  kiu-brandenburgischen  Historiographen  bestellt  wurde.  Im 
April  des  J.  1664  wm"de  er  zum  titulären  clevischen  Regierungsrath 
gemacht.    Da  ihm  indess  keine  Gelegenheit  zu  praktischem-  Wirken 


Fünftes  Kapitel.  279 

Seite 

geboten  wurde,  nahm  er  im  August  des  J,  1666  seine  Entlassimg.  — 
Heimbach's  Aufenthalt  in  England  wird  durch  folgende  Notiz  aus  dem 
Archiv  von  Arolsen  beleuchtet,  die  ich  der  Güte  des  H.  Prof^ 
Erdmannsdörffer  verdanke:  In  einem  Berichte  des  brandenbur- 
gischen Residenten  Schlezer  an  den  Grafen  Waldeck  (London  6.  Juni 
st.  V,  1GÖ6)  wird  erwähnt,  dass  neuerdings  der  niederländische  Ge- 
sandte sich  etwas  zurückhaltend  gegen  Schlezer  benehme  und  weiter 
bemerkt:  „Denn  in  der  Visite,  die  er  mir  gestern  gab,  konnte  ich 
ihn  auf  keine  Staatssachen  bringen,  und  das  fürnembste  Subject 
war,  dass  er  gern  wissen  wollte,  warum  des  gewesenen  churf.  Canz- 
lers  zu  Cleve  Sohn,  der  unlängst  wie  eine  particuliere  Person  an- 
hero  kommen,  sich  aber  mehr  als  ordinarie  mit  einem  Train  prae- 
sentirt,  hie  sei  und  was  er  fürgebe.  Ich  halte,  der  Ambassadeui- 
stehe  in  den  Gedanken ,  dass  er  von  dem  Hause  Orange  eine  se- 
crete  Commission  habe  und  ich  habe  dieselbe  Muthmassung.  Weil 
er  sich  aber  noch  zur  Zeit  nichts  gegen  mir  äussert,  lass  ich's  auch  da- 
hin gestellt  sein.  Wäre  es  aber  so,  könnte  es  nicht  schaden,  dass 
wir  miteinander  darum  conferirten.  Ich  vermerke  so  viel,  dass 
ihm  der  verwitweten  Königin  von  Böhmen  alhie  habende  Forderun<T 
recommandiret  sei,  woraus  ich  das  übrige  beschliesse.  Es  ist  sonst 
diser  M.  Heimbach  noch  ziemlich  jung,  kommt  nur  gleich  von  den 
Academieen  und  gibt  vor,  'der  Herr  Protector  hab  ihm  eine  Pro- 
fession zu  Oxford  offeriret,  weshalben  er  herüberkommen  sei.  Das 
dünket  mir  aber  gar  zu  ein  frigidum  Schema  zu  sein."  —  Heimbach 
konnte  die  Bekanntschaft  Milton's  um  so  leichter  machen,  da  der 
Agent  des  grossen  Kurfürsten,  Schlezer,  im  Hause  Hartlib's,  des 
intimen  Freundes  Milton's,  wohnte;  s.  Worthington's  Diarv 
I.  66. 
185  2)  Ep.  fam.  23  und  26,    W.  VII.  401,  405. 

^)  Darauf  bezieht  sich  ein  Brief  Aitzema's  an  Milton  vom  29.  Januar 
1655  (Mitford:  Life  of  Milton,  W.  L  p.  CXCVII)  und  Milton's 
Antwort  vom  5.  Febr.  1655,  W.  VII.  394.  Nach  gefälliger  :Mitthei- 
lung  von  H.  Professor  deHoop-Scheffer  in  Amsterdam  ist  von 
einer  holländischen  Uebersetzung  Milton'scher  Schriften  über  die 
Ehescheidung  nichts  bekannt. 
187  1)  Williams  Brief  an  Winthrop  u.  a,  bei  Knowles  261—264;  vgl. 
ausserdem  Palfrey,  Greene- Arnold.  Auszüge  aus  dem  Brief- 
wechsel zwischen  Williams  und  Mrs.  Sadleir,  einer  Tante  C.  Skin- 
ner's,  über  Milton  bei  Elton:  Life  of  R.  Williams,  Providence  1853, 
und  Masson  IV.  529 — 531.  Es  kann  kein  Zweifel  darüber  be- 
stehn,  dass  jener  R.  W.,  der  die  oben  S.  124  Anm.  1  erwähnten 
„Four  Proposais"  herausgab,  niemand  anders  war,  als  Roger  Wil- 
liams. Denn  in  einer  Randnote  des  „Testimony"  p.  14  sagt  der 
Autor:    „The   füll  debate   of  this  point  may  bo  seeu  in  that  great 


280  Anmerkungen. 

Seite 

controversie  of  the  bloody  tenent  between  Mr.  Cotton  and  myself." 
Die  im  Text  erwähnte  Schrift  von  "Williams  führte  den  Titel :  .,The 
hireling  ministry  none  of  Christs  or  a  Discourse  touching  the 
propagation  the  gospel  of  Christ  Jesus"  etc.,  1652.  Br.  M. 
702.  d.  12. 
188  ')  Die  Sonette:  ,.to  Mr.  Lawrence",  „to  C}'riack  Skinner",  „to  the 
same",  P.  W.  II.  486—487,  Kommentar  II.  301—308.  Unter  den 
„particular  friends"  Milton's  „that  had  a  high  esteem  for  him" 
nennt  Phillips:  „Mr.  Andrew  Marvel,  young  Lawrence,  Mr.  March- 
mont  Needham,  but  above  all  Mr.  Cyriack  Skinner",  unter  denen,  die 
ihn  häufig  besuchten ,  „particularly  my  lady  Ranala,  whose  son  for 
some  time  he  instructed". 
2)Godwin.  Räthselhafter  Weise  ist  „Satj-re  against  Hj-pocrjtes"  in 
einem  Exemplare  des  Br.  M.  (161.  k.  21.  Ed.  1710)  als  ein  Werk 
„Mr.  John  Milton's"  bezeichnet. 

191  ^)  The  complete  works   in  verse   and  prose  of  A.  Marvell  ed.  A.  B. 

Grosart  (Füller  Worthies'  Library),  4  Vols.  1872  —  75,  Aus  Mar- 
vell's  Brief  an  Milton  vom  2.  Juni  1654  (s.  o.  Anm.  1  zu  S.  111)  geht 
hervor,  dass  auch  der  Geistliche  John  Oxenbridge,  damals  Fellow  in 
Eton,  mit  Milton  bekannt  war.  Denn  er  beauftragt  Marvell,  je  ein 
Exemplar  seiner  Vertheidigung  an  Bradshaw  und  an  Oxenbridge  zu 
geben.     S.  Näheres  über  Oxenbridge  bei  A.  B.  Grosart  I.  5. 

192  i)Thurloe,    S.   P.   IL  61,  140,  441.    Vaughan   L  118   und  Reg., 

s.  V.  Hartlib.  (Auch  Haak  wird  bei  Vaughan  I.  7.  IL  242,  260, 
290,  389  etc.,  sowie  in  den  gleichzeitigen  eidgenössischen  Abschieden 
erwähnt.)  Die  Titulatur  „Sekretär"  findet  sich  in  der  unten  ange- 
führten Beschreibung  des  Leichenbegängnisses  Cromwell's. 

2)  S.  das  Verzeichnis  der  Schriften  Hartlib's  bei  Dircks. 

2)Burton's  Diary  IL  313.  Durie  langte  im  Frühjahr  1657,  Pell  im 
Sommer  1658  wieder  in  London  an. 

193  1)  Vaughan  IL  447. 

*)  The  true  and  ready  way  to  learne  the  Latine  tongue  etc.  presented 
to  the  unpartiall  both  publick  and  private  considerations  of  those 
that  seek  the  advancement  of  learning  in  these  nations  by  Samuel 
Hartlib.  London  1654.  Br.  M.  236,  c.  30.  Für  die  übrigen  An- 
gaben vgl.  Boyle's  Works  V.  270,  278,  282. 

194  ')  S.  den  Briefwechsel  Hartlib's  mit  Worthington  ed.  Crossley,  so- 

wie denjenigen  mit  B  o  y  1  e  (Boj-le's  Works  I  und  V ,  daselbst  V. 
p.  397  der  Brief  Evelyn's).  Ueber  die  Anfänge  der  Royal  Society 
s.  0.  Buch  IL  401  und  den  Brief  von  Wallis  an  Boyle  (Boyles 
Works  I.  25\ 
2)  Hartlib  an  Boyle  2.  Febr.  1658  (Boyle's  Works  V.  270) :  „I  shall 
not  be  wanting  to  obtain  that  secret,  which  hath  been  imparted  to 
]Mr.  Milton.     It  may  be  the  publick  gentleman,  that  sent  it  unto 


Fünftes  Kapitel.  281 

Seite 

him  will  let  me  have  a  copy,  in  case  the  other  should  not  come 
off  readily  with  the  communication  of  it.  But  if  yours  would  ask 
it  from  Mr.  Mi  1  ton,  I  am  confident,  he  would  not  deny  it."  — 
Beiläufig  sei  bemerkt,  dass  Haak,  Pell,  Dury,  Marvell,  Oldenburg 
in  dem  Briefwechsel  Boyle's  und  Hartlib's  vorkommen. 

195  1)  S.  über  Lady  Ranelagh  (1614— 1691)  Worthington's  Diary  and 

Correspondence  I.  164  ff.    Boyle's  W.  I.  85   nach  Burnet  und 
eine  ausführliche  Biographie  in  J.  Anderson:  Memorable  women 
of  the  Puritan  times  IT.  108—144;  vgl.  oben  B.  II.  395. 
*)  Nobilissimo  adolescenti  Richardo   Jonesio  Ep.  fam.  19,  22,  25,  30. 
W.  VII. 

196  ^)  Milton's  Briefe  an  Oldenburg   Ep.  fam.  14  (schon  oben  benutzt), 

18,24,29.  W.  VII.  Ueber  Oldenburg  selbst  S.Wood  und  Wor- 
thington's Diary  Reg.,  sowie  Boyle's  Works,  lieber  Morus 
s.  Anhang  II.     Er  starb  1670. 

2)  Emerico  Bigotio  Ep.  fam.  21.  W.  VII.  399.  S.  über  Bigot  (1626  — 
1689)  Zedier,  Gui  Patin  lettres  III.  77,  Burmanni,  Syllog., 
wo  er  häufig  erwähnt  wird,  z.  B.  V.  19  in  einem  Briefe  des  Hein- 
sius  als  „vir  officiosissimus  et  qui  nobilitatem  gentis  cultu  literarum 
egregie  exornat".  Auch  Dati  gehörte  zu  Bigot's  Korrespondenten, 
s.  Lettere  di  Carlo  Ruberto  Dati,  Firenze  1825,  nella  stamperia 
Magheri  p.  149.  Die  Schrift  „de  modo  tenendi  parlamenta",  nach 
der  sich  Bigot  bei  ^lilton  erkundigt  hatte,  ist  am  besten  1846  von 
Sir  Thomas  Dufifus  Hardy  edirt.  Der  „fecialis  cui  actorum  (in  arce 
Londinensi)  custodia  mandata  est",  von  dem  Milton  sagt:  „quo  ipse 
utor  familiariter" ,  ist  identisch  mit  William  Ryley,  auf  den 
Prynne  folgte  (nach  gef.  INlittheilung  von  H.  W.  D.  Hamilton).  Stoup- 
pius,  den  Milton  erwähnt,  ist  genügend  bekannt  aus  Burnet. 

^)  Joanni  Badiaeo  pastori  Arausionensi  Ep.  fam.  28.  W.  VII.  406  — 408. 
S.  über  Labadie  (1610  — 1674)  Zedier:  Universallexikon  und  die 
daselbst  angeführte,  grosse  Literatur.  ^lilton  scheint  gewisse  Ge- 
rüchte, die  sich  an  Labadie's  Namen  hiengen,  nicht  geglaubt  zu 
haben.  Uebrigens  kam  L.  nicht  nach  England.  Er  führte  auf  dem 
Festlande  ein  Wanderleben,  das  in  Altona  endigte  und  Hess  die 
Sekte  der  Labadisten  zurück. 

197  ^)  S.  zwei  Briefe  von  Sandelands  an  Milton  vom  15.  Jan.  und  29.  März 

1653,  welche  Mrs.  Everett  Green  im  Record-Office  aufgefunden  hat, 
bei  Masson  IV.  490  —  494;  vgl.  daselbst  V.  227,  706. 
*)  On  his  deceased  wife  P.  W.  IL  487.  Phillips.  Hunter.  Die 
Einträge  über  den  Abschluss  der  Ehe  (vor  dem  Standesbeamten) 
wie  über  die  Geburt  des  Kindes,  seinen  und  der  ^lutter  Tod  aus 
den  Pfarr- Registern  bei  Masson  V.  281,  376,  382. 

198  *)  The  Cabinet-Couucil :  Containing  the  (  hief  Arts  |  Of  |  Empire,  !  And 

Mysteries  of    State;  \  Discabineted  |  InPolitical  andPolemical  Apho- 


282  Anmerkungen. 

Seite 

risms,  grouuded  on  Authority,  and  Experience;  i  And  illustrate. 
with  the  choicest  |  Examples  and  Historical  '  Observations.  |  By  the 
Ever-renowned  Kniglit,  '  Sir  Walter  Raleigh,  I  Published  By  John 
]NIilton  Esq. ;  Quis  Martern  tunicä  tectum  Adamantinä  digne  scripse- 
rit?  I  London,  Printed  by  Tho.  Kewcomb  for  Tho.  Jobn-  |  son  at 
tlie  sign  of  the  Key  in  St.  Pauls  Chm-cli-yard,  |  near  tbeWest-end. 
1658.  |l2^  199  S.'  Br.  M.  521.  b.  27.  Dasselbe  unter  dem  Titel: 
The  Arts  of  Empire  And  INIysteries  of  State  Discabineted  etc. 
London  1692.  8".  238  S.  Br.  M.  8006  a.  Aufgenommen  in  Ra- 
leigh's  Works  (1829)  VIII  35  —  150  (daselbst  VIIL  1—35  noch 
Maxims  of  State.  Todd  172  hat  schon  auf  die  Verwirrung  auf- 
merksam gemacht,  welche  bei  Wood  hierüber  herrscht. 
201  ^j  „Secretaries  of  the  French  and  Latin  tongues,  Mr.  Dradon,  Mr. 
Marvel,  Mr.  SteiTy,  Mr.  JohnMilton,  Mr.  Hartlibbe,  Sen",  s.  „The 
death,  funeral  order  and  procession  of  bis  highness  the  most  illu- 
strious  Oliver  Cromwell .  .  The  whole  of  this  faithfuUy  copied  from 
the  Ms.  of  the  rev.  John  Prestwich,  feUow  af  All  Souls'  College, 
Oxford",  abgedruckt  in  Burton's  Diary  IL  516  —  529  und  bei 
Forster,  0.  Cromwell  Appendix  L.  p.  639  —  042. 
*;Marvell:  A  poem  upon  the  death  of  his  late  highness  the  lord 
protector  (Works  I.  192  —  206).  Dryden:  Heroic  stanzas  etc. 
Poetical  Works  Ed.  Christie  1874  p.  5  — 11).  Waller:  Upon  the 
death  of  the  Lord  Protector  (Works  Ed.  1772  p.  97.  Dryden's 
und  Waller's  Gedichte  erschienen  mit  einem  dritten  von  Sprat 
verbunden  1659 1.  Cowley:  A  discourse  by  way  of  vision  con- 
cerningthe  govemment  of  0.  Cromwell  (Works  Ed.  1710.  II.  624—671). 

Sechstes  Kapitel. 

202  i)W.  VIL  Hamilton. 

204  ^)  S.  über  0 verton:  Guizot:  Histoire  du  protectorat  de  Richard  Crom- 
well I.  89  ff.,  daselbst  Angabe  der  Quellen. 

206  i)S.  z.  B.  Burton's  Diary  IIL  403,  IV.  328. 

2)  Die  Petition  vom  12.  Mai  1659,  Old  pari.  bist.  XXL  403,  der 
Auszug  aus  Vane's  Rede  bei  For  st  er  330.  Am  27.  Juni  1659 
wurde  eine  Petition  auf  Abschaffung  der  Zehnten  zurückgewiesen.  C.  J. 

207  ^)  A  I  Treatise  i  Of  |  Civil  power  j  In  \  Ecclesiastical  causes:  !  Shewing  | 

That  it  is  not  lawfull  for  any  |  power  on  earth'to  compell  |  in  mat- 
ters of  ReHgion  i  The  author  (Name  oder  Initialen  herausgeschnit- 
ten) London,  Printed  by  Tho.  Kewcomb,  i  Anno  1659.  12".  83  S., 
vorher  5  Bl.  Widmung.  Br.  M.  1019.  b.  18.  W.  V.  302—336.  Ueber- 
setzung  bei  Bernhardi  I.  3  —  28.  Eintrag  in  den  Stationers'  Re- 
gisters :    „The   16tii  of  February  1658  Tho.  Newcomb.    Entred  for 


Sechstes  Kapitel.  283 

•Seite 

his  Copie  unJer  the  band  oi  Mr.  Pullejii  warden  a  booke  called  a 
Treatise  of  Civil  Power  in  Ecclesiastical  causes  by  John  Milton." 

211  1)  S.  die  Ordonnanz  Old  pari,  history  XIX.  323—326,  vgl.  Burton's 
Diary  I.  392  und  Reg.,  s.  v.  „Blasphemy". 

211  2)Hanbury  III.  516  nach  C.  J.  VII.  575. 

212  ^)  Wall's  Brief,  dat.  Causham,  May  26,  1659,  in  Milton's  W.  ed.lBirch 

I.  in  der  Vorrede  R.  Barou's  zum  Eikonoklastes. 
^)  Considerations  [  Touching  |  Tbe  likeliest  means  to  remove  |  Hirelings  1 
out  of  the  church.  |  Wherein  is  also  discourc'd  ,  Of  iTithes,  Church- 
fees,  I  Church- revenues ;  |  And  whether  any  maintenance  |  of  mini- 
sters  can  be  settl'd  by  law.  |  The  author  J.  M.  I  London:  |  Printed 
by  T.  N.  for  L.  Chap-  [  man  at  the  Crown  in  Popes-  |  head  Alley. 
1659.  Br.M.  E.  2110.  153  S.  12".  Ms.  Vermerk  Thomason's  „Aug." 
W.  V.  337—388.  Uebersetzung  bei  Bernhard!  III.  128  ff. 
215  ^)  Eine  Reihe  von  Schriften  über  die  Frage  der  Zehnten  aus  der  Zeit 
noch  vor  Errichtung  der  Republik  konnte  ich  in  einem  Sammel- 
bande der  göttinger  Bibliothek  bist.  ]M.  B.  63  b  einsehn.  Schriften 
aus  den  Jahren  1652,  1653  im  Br.  M.  E.  656,  683,  687.  Die  Stelle 
aus  W.  Pr  y  nne'  s  The  Sword  of  Christian  magistrate  supported  etc. 

4105  c 
1653.   B  r.  M.  — ^^-^  p,  144 :  „Hereticks  and  schismaticks  seduced  to 

blind  obedience  by  blind  leaders",  könnte  immerhin  auf  !Milton 
gehen.  Milton  spielt  an  auf  Prynne's  Ten  considerable  queries  con- 
cerning  tythes  1659. 
218  ^)  Ganz  ähnlich  in  der  Schrift:  Christs'  order  and  the  disciples  prac- 
tice  concerning  the  ministers  maintenance  etc.,  s.  a.  (Sammelband 
der  [göttinger  Bibl.  h.  M.  B.  63  b)  .  .  „it  were  farre  more  apostoli- 
call  and  christianlike  to  labour  as  Paule  did  with  his  owne  hands 
than  to  force  or  require  a  subsistence  in  such  a  manner  as  being 
never  appointed". 

221  ^)  Vgl.    die  betr.  Abschnitte  bei  Weingarten,   daselbst  242  über 

Vane,  und  R.  Barclay:  The  inner  life  of  the  religious  societies 
of  the  Commonwealth,  London  1876;  'namentlich  197,  272,  Appen- 
dix zu  Ch.  XVI:  Petition  from  friends  to  the  coimcil  of  the  Lord 
Protector  1658. 

222  ')  Clarendon  St,  P.  IIL  527:    „Vane  now  believes  the  king  will  at 

one  time  or  other  obtain  the  crown ,  the  nation  being  dissatisfied 
•with  any  other  government"  (16.  Juli  1659). 

224  ^)  A  letter  to  a  friend  concerning  the  ruptures  of  the  Commonwealth. 

Publish'd  from  the  Manuscript  (zuerst  vonToland  veröflfentlicht), 
dat.  20.  Oct.  1659.    W.  V.  400  —  405. 

225  1)  H.  Oldenbm-go,  20.  Dec.  1659.    W.  VIL  408. 

231  ^)  The    Readie&Easie  1  Way  :  ToEstablish  !  A  1  Free  Commonwealth.  ' 
And  1  The  Excellence  therof  |  Compar'd  with  |  The  iuconveniences 


284  Anmerkungen. 

Seite 

and  dangers  of  |  readmitting  kingship  in  this  nation.  |  The  author 
J.  M.  (Ms.  Ergänzung  „ilton")  London,  (Ms.  Note  Thomason's  „March  3. 
1659)  Printed  by  T.  N.  and  are  to  be  sold  by  Livewell  Chapman  | 

at  the  Crown  in  Popes-Head  AUey  1660.   18  S.  4".   Br.  M.  ^^^^. 

Ein  Originalexemplar  der  sehr  erweiterten  zweiten  Auflage  dieser 
Schrift,  wie  sie  sich  in  3Iilton's  Werken  (W.  V.  420  —  455)  abge- 
druckt findet,  ist  heute  nicht  mehr  bekannt.  Uebersetzung  bei 
Bernhardi  IH.  165  ff. 

231  ^)  „Ich  habe  einst  dem  Sulla  meinen  Rath  gegeben  und  will  ihn  nun 
dem  Volke  geben".  Es  scheint  mir  unmöglich,  dies  Motto,  wie 
einige  es  haben  thim  wollen,  auf  Monk  zu  beziehen.  Denn  der 
Brief  an  Monk,  mit  dem  Milton  seine  Schrift  an  Monk  übersandte, 
und  auf  den  er  einzig  mit  jenem  Motto  hätte  anspielen  können, 
blieb  dem  grossen  Publikum  ganz  unbekannt,  da  Milton  ihn  nicht 
veröffentlichte.  Sein  Motto  wäre  also  auf  Monk  bezüglich  ganz  un- 
verständlich gewesen. 

238  ^)  „The  populär  State  is  the  government  of  a  State  by  the  choicer  sort 
of  people,  tendiiig  to  the  public  good  of  all  sorts  viz.  with  due 
respect  of  the  better,  nobler  and  richer  sort  .  .  A  Commonwealth 
is  the  swerving  or  deprivation  of  a  free  or  populär  State  or  the 
government  of  the  whole  multitude  of  the  base  and  poorer  sort 
without  respect  of  the  Orders."  Raleigh:  Maxims  of  State  (Works 
VIII.  8,  4). 

241  ^)  Dass   dies   Milton's  Meinung  war ,    ergiebt  sich  erst  recht  deutlich 

aus  dem  noch  zu  erwähnenden  Briefe  an  Monk. 

242  ^)  W.  455 — 457.    Auch  dies  Aktenstück  kam  auf  die  gleiche  Weise 

wie  das  oben  S.  224  besprochene  in  Toland's  Hände  und  wurde  zu- 
erst von  ihm  Iveröffentlicht ,   „from  the  Ms."     Symmons,    Keightley 
u.  a.  versetzen  diesen  Brief  irrig  in's  Jahr  1659. 
*)  Einige  solcher  Briefe  an  Monk  enthält  z.  B.  der  Sammelband  E.  1016 
im  Br.  M. 

243  ^)  Dahin  mag  z.  B.  gehören  „Englands  Monarchy  Asserted"  etc.  (1660, 

March  8,)  Br.  M.  E.  1016  p.  2. :  „These  subtle  men  know  well 
enough,  that  there  is  no  easier  way  to  cheat  us  of  our  best 
condition  than  by  the  hope  of  enjojing  it  in  a  better  manner". 
Man  kann  anch  dahin  rechnen  die  Schrift  von  Gauden:  „y.ay.ovQyot 
sive  Medicastri  etc.  set  forth  in  a  sermon  preached  in  S.  Paul's  1659, 
Febr.  28."  Br.  M.  E.  1019.  p.  97:  „It  is  but  the  capricious  and 
ridiculous  conceit  of  some  fine  men  who  want  employment  to  send 
this  now  languishing  State  of  Englaijd  and  the  other  two  adjacent 
antient  and  united  Kingdomes  to  Mars  his  hill  in  Athens  or  to 
the  Lacedemonian  Sparta  or  to  the  Pioman  Capitol  or  to  the  Ve- 
netian  Arsenal"  etc. 


Sechstes  Kapitel.  285 

Seite 

244  ^)  The  Oceana  and  other  works  of  James  Harrington  collected  by  John 
Toland  3  Ed.  1747. 
*)  The  Censure  of  the  Rota  upon  Mr.  Miltons  Book,  intitled  The 
readj'  and  easy  Way  to  establish  a  free  Commonwealth.  Die  Lunae 
26  Martii  1660.  Ordered  by  the  Rota,  that  Mr.  Harrington  be  desi- 
red  to  draw  up  a  Narrative  of  this  Day's  Proceeding  upon  Mr. 
Milton's  Book,  called  The  ready  and  easy  Way  etc.  And  to  cause 
the  same  to  be  forthwith  printed  and  published  and  a  Copy  thereof 
to  be  sent  to  ]Mr.  Milton.  Trundle  Wheeler,  Clerk  to  the  Rota. 
Pr.  at  London  by  Paul  Giddy,  Printer  to  the  Rota  .  .  1660.  4". 
16  S.  Br.  M.  E.  1019.  Ms.  Vermerk  Thomason's  „MarchSO";  ab- 
gedruckt in  Harleian  Mise.   4".    IV.  179  —  186  Br.  M. 

246  1)  The  |  Bignity  Of  l  Kingship  |  Asserted :  |  In  Answer  to  Mr.  :\rilton's  ' 

Ready  and  Easie  way  to  establish  a  Free  Common  Wealth.  |  Pro- 
ving  that  Kingship  is  both  in  it  |  seif,  and  in  reference  to  these 
Nations,  |  fan-e  the  most  Excellent  Government,  and  the  ;  retuming 
to  our  former  Loyalty,  or  Obedi-  |  ence  thereto  is  the  only  way  under 
God  to  restore  \  and  settle  these  there  once  flourishing,  now  |  lan- 
guishing,  broken  &  almost  ruined  Nations.  |  By  G.  S,  a  Lover  of 
Loyalty.  '  Humbly  Dedicated  and  Presented  to  bis  most  |  Excellent 
Majesty  Charles  the  Second,  of  England  |  Scotland,  France  and  Ire- 
land,  True  Hereditary  King.  !  London,  Printed  by  E.  C.  for  H.  Seile 
over  against  |  St.  Dunstans  Church  in  Fleet-street  and  for  "W.  Pal- 
mer at  the  I  Palm-tree  over  against  Fetter-laue-end  in  Fleet-street, 
1660.  12  '.  179  S.,  am  Schlüsse  des  Druckfehlerverzeichnisses  „From 
my  Study  Mar.  29.  1660".  Br.  M.  E.  1915  (auf  dem  Titel  hand- 
schriftlich „May").  Eintrag  in  den  Stationers'  Registers  „31  March 
1660".  Am  Ende  der  Dedikation  steht:  „Your  majesties  unworthy 
most  humble  orator  G.  S."  Der  Schrift  ist  eine  „Peroration  to  bis 
Excellencie  the  L.  G.  Monck  and  both  houses  of  parliament"  an- 
gehängt. 

247  ^)  T  0  d  d.    Dagegen  könnte  sprechen,  dass  der  Verfasser  erklärt,  kein 

Politiker  von  Beruf  zu  sein,  p.  6:  „The  afifairs  of  politick  forms 
are  besides  my  practice". 

249  1)  The  Fear  of  |  God  \  And  The  |  King.  I  Press'd  in  a  Sermon,  |  Preach'd 

at  Mercers  1  Chappell,  on  the  25th  of  ]  March,  1600.  j  Together 
With  A  brief  Historical  account  of  the  Causes  of  ',  our  unhappy 
Distractions,  and  the  onely  |  way  to  Heal  them.  '  By  Matthew  Grif- 
fith,  D.D.  I  and  Chaplain  to  the  late  King.  ,  London,  |  Printed  for 
Tho.  Johnson  at  the  Golden  |  Key  in  St.  Pauls  Church-yard,  1660. 
12^  Im  ganzen  106  S.  Br.  M.  E.  1918.  Eintrag  in  den  Statio- 
ners' Registers  „31  March  1660";  s.  über  Griffith:  Wood. 

250  *)  Brief  Notes   upon   a  late  sermon,   titl'd  The  feai-  of  God  and  the 

King.     Preach'd  and  since  publish'd  by  ISlatthew   Griffith ,    D.  D. 


286  Anmerkungen.    Sechstes  Kapitel. 

Seite 

and  chaplain  to  the  late  King.  Wherin  many  notorious  wrestings 
of  scripture  and  other  falsities  are  observ'd.  W.  V.  389—399.  Im 
Br.  M.  ist  kein  Originalexemplar  dieser  Sctrift  vorhanden. 
250  *)S.  über  R.  l'Estrange  Wood  etc.  Wichtig  füi-  l'Estrange's  Bio- 
graphie ist  die  Schrift :  To  the  right  honorable,  Edward  earl  of  Cla- 
rendon, the  humble  apology  of  R.  l'Estrange  .  .  3.  Dec.  1661.  ßr. 
,,     E.  1956 

^)  No  I  Blinde  Guides,  '  In  Answer  To  a  seditious  Pamphlet  of  1  J. 
Milton's  Intituled  Brief  Notes  upon  a  late  Sermon  Titl'd,  the 
fear  of  God  |  and  the  King ;  1  Preachd,  and  since  Publishd,  By  1  Mat- 
thew Griffith,  D.  D.  And  Chaplain  to  the  |  late  King  etc.  1  Addressed 
to  the  Author.  ]  If  the  Blinde  lead  the  Blinde ,  Both  shaU  fall  into 
the  Ditch.  |  London    Printed  for  Henry  Browne  April  20.  1660.   4". 

•p    1021 
14  S.    Br.  M.     •  -.,       (handschriftUch  aux  dem  Titelblatt  April  25). 


Anhang   L 


Ueber  eine  bisher  unbekannt  gebliebene  Korrespondenz 

Milton's. 

Die  Anzahl  der  bekannten  Privatbriefe  Milton's  ist,  wie  jeder  Kenner 
seiner  Werke  weiss,  eine  sehr  geringe.  Auch  von  den  Briefen,  welche  an 
seine  Adresse  gerichtet  waren,  so  gross  ihre  Masse  gewesen  sein  muss, 
haben  sich  leider  nur  wenige  erhalten.  Es  ist  daher  als  ein  besonderer 
Glücksfall  zu  betrachten ,  wenn  bisher  unbekannte  Stücke  dieser  Privat- 
korrespondenz des  Dichters  an's  Licht  kommen.  Man  wird  sie  vielleicht 
überall  eher  suchen,  als  in  einem  deutschen  Archive,  und  doch  gewährt 
eines  derselben  na'ch  dieser  Richtung  hin  eine  interessante  Ausbeute.  Es 
ist  das  grossherzogliche  Haus-  und  Centralarchiv  in  Oldenburg,  woselbst 
sich  nebst  einer  Anzahl  von  Briefen  das  Tagebuch  des  Landrichters  Her- 
mann Mylius  befindet,  den  der  Graf  Anton  Günther  von  Oldenbiu-g  im 
Sommer  1651  als  ausserordentlichen  Gesandten  nach  London  schickte. 
Seine  Aufgabe  war,  vom  englischen  Parlamente  für  die  Territorien  seines 
Herrn  eine  „Salva-Guardia"  zu  erwirken,  die  während  des  englisch-nieder- 
ländischen Krieges  von  Wichtigkeit  sein  musste.  Durch  G.  A.  von  Ha- 
ie m's  Geschichte  des  Herzogthums  Oldenburg  II.  439  (daselbst  II.  491 
Näheres  über  Mylius)  auf  das  .,Diarium  des  Landrichters  H.  Mylius,  seine 
Reise  nach  England  betreffend",  aufmerksam  gemacht,  schien  es  mir  um 
so  wichtiger,  Einblick  in  dies  Schriftstück  zu  erhalten,  da  Mylius  als  einer 
der  Korrespondenten  Milton's  bekannt  war.  Der  Vermittlung  des  H.  Dr. 
M  0  s  e  n  und  der  Gefälligkeit  des  H.  Ministerialrathes  R  o  m  e  r  in  Oldenburg 
habe  ich  es  zu  danken,  |dass  ich  Mylius'  Tagebuch  durchlesen  und  aus- 
ziehen konnte.  Leider  ist  es  grossen  Theils  sehr  schlecht  geschrieben, 
auch  lückenhaft,  imd  die  erkennbare  Absicht,  die  Kladde  in  eine  Rein- 
schrift umzuwandeln,  ist  nur  unvollständig  dAchgeführt.  Dennoch  fügt 
es  einer  Biographie  Milton's  sehr  schätzbare  neue  Materialien  hinzu.  Es 
enthält  nicht  nur  abschriftlich  |einige  bisher  unbekannt  gebliebene  Briefe 
des  Dichters,  die  ich  zur  besseren  Verbreitung  in  England  in  der  Aca- 

I 


288  Anhang  I. 

demy  vom  13.  Oktober  1877  und  vom  6.  Juli  1878  bereits  veröffentlicht  habe, 
sondern  es  ist  reich  an  Mittheilungen  über  ihn,  welche  man  ungern  missen 
würde.  Mylius  stand,  wie  sich  aus  seinen  Aufzeichnungen  ergiebt,  mit 
Milton  persönlich  auf  einem  ebenso  vertrauten  Fusse  wie  mit  Fleming, 
W'eckherlin,  Durie,  Hartlib,  Haak,  deren  er  an  vielen  Stellen 
seines  Tagebuchs  gedenkt.  Er  war  von  hoher  Achtung  gegen  den  Mann 
erfüllt,  den  er  einmal  „magnum  Miltonium"  nennt,  „der  des  Salmasii  de- 
fensionem  regis  anglice  refutirct",  und  Milton  seinerseits  erwies  ihm  Ge- 
fälligkeiten, die  ihm  sein  Amt  beinahe  nicht  erlaubt  hätte.  Eben  seine 
amtliche  Thätigkeit  in  den  ersten  Jahren  der  Republik  wird  an  einem 
greifbaren  Beispiele  durch  die  Blätter  von  Mylius'  Tagebuch  unserer  An- 
schauung klar  gemacht.  Aber  auch  seine  persönlichen  Verhältnisse,  die 
Art  und  "V^'eise  seines  Gesprächs  und  Umgangs  werden  hier  in  dankens- 
werther  Weise  beleuchtet.  Ich  habe  daher  Mylius  meistens  selbst  sprechen 
lassen,  ohne  seine  Schreibung  und  Interpunktion  streng  beizubehalten. 

Von  Interesse  ist  schon  die  Schilderung  der  Audienz,  welche  ein  Aus- 
schuss  des  Staatsraths  Mylius  am  20.  Oktober  1651  ertheilte.  Er  erzählt, 
wie  er  mit  Fleming  nach  Whitehall  gefahren,  wie  sie  „endlich  in  eine  mit 
schönen  tapetten  behangene  kammer  gangen,  der  herr  Fleming  aber  etwas 
abgetretten,  bald  widerkomen  und  hat  mich  mit  in  die  audience  geführt, 
da  die  harren  commissari,  als  herren  "Whitlock,  magni  sigilli  custos,  Henry 
Fene  [Vane],  Henry  Mildmay,  John  Trever  [Trevor]  an  einem  langen  tisch 
auf  einer  seite  gesessen(*),  hen-Miltonius  ad  dextram  primi  gestanden; 
auf  der  anderen  seite  . .  ist  ein  lediger  stul  gestanden,  da  nach  abgelegter 
reverentz  ich  mich  niedergesetzt  und  mit  folgenden  praeambulibus  meine 
person  legitimirt  und  das  creditiv  in  autographo  et  copia  latina  et  angli- 
cana  überreichet  .  .  "Wie  dieses  angenommen,  habe  ich  mich  gesetzet,  der 
herr  Fleming  aber  ist  mir  zur  linken  stehend  gepliben  und  habe  ich  meine 
proposition  in  substantialibus  und  auch  mehrentheils  in  formalibus  .  .  ab- 
gelegt, da  dan  eine  sonderbare  aufmerkung  auch  verzeichnus  meiner  gar 
langsam  ausgesprochenen  phrasium,  wobei  auch  der  herr  Miltonius 
sehr  attent  sich  bezeiget,  zweifelsohne  aus  denen  Ursachen,  ob  ich  auch 
meine  petita  andersten  als  mündlich  vorgebracht  einrichten  würde,  ver- 
spüret und  wargenommen.  Inseratur  (hierauf  folgt  die  petitio  parlamento 
reip.  Angliae  nomine  .  .  comitis  in  Oldenburg  .  .  exhibita).  Nach  ge- 
endigter  .  .  proposition  haben  die  herren  commissarii  unter  einander  ge- 
redet und  bald  der  mittelst  unter  ihnen,  herr  "\Miitlock  custos  magni  sigilli, 
auf  englisch,  welches  der  herr  Miltonius  lateinisch  wiederholen  müssen, 


1)  Dagegen  heisst  es  C.  S.  P.  1651  Oct.15  (p.  477):  „Sir  H.  Vane,  Sir  H.  Mildmay,  Lords 
Commissioners  ^Vhitelocke  and  Litle,  Mr.  Bond  and  colonel  Pnrefoy  to  give  andiene«  to  the 
agent  of  the  duke  of  Oldenl'urg  and  appoint  a  time  for  it  and  give  Mm  notice  by  Sir  0_ 
Fleming".  „Alylias"  auf  derselben  Seite  steht  irriger  Weise  für  „Mylius".  Nach  einem  Briefe 
des  Mylius  an  den  oldenburgischen  Rath  Wolzogen  vom  17.  Okt.  hatte  er  Milton  bis  dahin 
noch  nicht  gesprochen. 


Ueber  eine  bisher  unbekannt  gebliebene  Kon'espondenz  Milton's.    289 

also  geantwortet  (folgt  die  Antwort),  dem  ich  hac  replica  begegnet  (folgt 
die  Replik).  Damit  ich  aufgestanden,  mit  .  .  complimenten  und  solenni- 
teten  wieder  aus  dem  schloss  per  aream  an  die  kutsche  und  von  dem  herrn 
Fleming  in  mein  quartier  begleitet." 

Es  geht  aus  dem  Tagebuch  weiter  hervor,  dass  von  Mylius  ein  Formular 
der  Salva - Guardia ,  wie  er  sie  stilisirt  zu  sehn  wünschte,  an  Milton  ge- 
schickt wurde,  und  dass  Durie  darüber  mit  Milton  verhandelte  (^).  Auch 
wandte  sich  Mylius  mit  verschiedenen  Briefen  an  Milton  zum  Zwecke  der 
Beschleunigung  seiner  Angelegenheit.  Sie  zeichnen  sich  durch  eine  äusserst 
gesuchte  Form  aus,  von  der  die  Einfachheit  der  Milton'schen  Latinität 
wohlthuend  absticht.  Einer  von  diesen  Briefen  trägt  das  Datum  des 
6.  November  1651  und  lautet  folgendermassen : 
„Virorum  optime 

Invitus  obstrepo  tuis  arduis,  sed  nosti  quo  amore  tribus  jam  men- 
sibus  hie  ex  spe  et  desiderio  morer  et  langueam. 

Ut  nox  longii  ijuibus  nientitur  amica  diesque 

Longa  videtur  opus  debentibus  —  — 

Sic  mihi  tarda  fluunt  et  longa  haec  tenipora  quae  spein 

ConsiliuiiKiue  morantur  etc. 

Vello  saltem  memoriam  mei  et  meae  expeditionis  quae  quidem  ex  volun- 
tate  gravissimi  senatus  vestri  dependet,  si  autem  vis  flexauima  suadae  tuae 
stimulum  addiderit,  non  dubito  de  celeri  successu.  Hoc  summopere  saltem 
rogo ,  ut  ante  ultimam  manum  meae  expeditionis  mihi  intueri  liceat  pro- 
jecta  diplomatum ,  sicubi  forte  ratione  domini  et  patriae  quicquam  occur- 
reret,  quod  monere,  ex  usu  et  re  nostra  nee  contra  mentem  celebratissimi 
parlamenti  foret,  possim.  Patiere" ,  ut  prorsus  confido  ,  me  in  eo  esse  im- 
petrabilem  et  tibi  me  vicissim. 

0  et  praesidium  et  dulce  decus  meum  nuncupabo 

Totum  tuum.'" 

„Hat  mir  sagen  lassen,  dass  wegen  der  vielen  arbeit  er  dato  noch 
nicht  an  meine  abfertigung  konte  komen,  wolte  heute  oder  morgen  mit 
mir  reden." 

Als  Antwort  Milton's  liegt  ausserdem  der  folgende  Brief  vom  7.  No- 
vember vor: 

,,Acceptis  a  te,  vir  nobilissime,  trinis  jam  literis  omni  hunianitate  nee 
non  benevolentia  erga  me  summa  refertissimis ,  quarum  prioribus  conven- 
tum  me  velle  peramice  significabas,  equidem  et-"doleo  sane  partim  per  oc- 
cupationes  meas ,  quibus  in  presentia  distriugor ,  partim  per  valetudinem 
nondum  mihi  licuisse  virum  eximium  et  hospitem  mei  tarn  cupientem  con- 
venire,  et  diutius  certe  non  potui,  quin,  si  adesse  non  queam,  per  literas 
saltem    tam  praeclaris  in  me  studiis  tuis  aliqua  ex  parte  responderem. 


1)  Zur  Ergänzung  dient  ein  Krief  des  Mylius  an  Wolzogen  vom  31.  Okt.  1651;  „H.  Miltonius 
hat  zweimal  zu  mir  geschickot  in  meinung  mich  zu  besuchen,  quem  etiam  desiderio  desidera- 
tissimo  passis  brachiis  expectavi,  ist  aber  verhindert  und  hat  sich  entschuldigen  lassen". 
Stern,    Nilton  u.  s.  Z.    11.  3.  ]9 


290  Anhang  I. 

Projecta  illa  quae  vocas,  ad  me  missa,  pro  meo  otio  satis  diligenter  per- 
curri,  quorum  ad  exemplum,  quid  sis  a  nostris  comiti  tuo  impetraturus, 
haud  facile  divinarim,  hoc  possum  dicere,  nihil  in  hoc  negotio  praetermis- 
sum  a  te  esse,  quod  apposite  ad  persuadendum  dici  potuerit.  Et  spero 
equidem  responsum  tibi  brevi  datum  iri,  nam  quibus  commissa  ea  res  est, 
id  agere  scio.  Projecta  interim  illa  perlecta,  ut  dixi,  ad  te  remitto  mea- 
que  omnia  officia  vel  hie  vel  alias  qiianta  possum  fide  et  observantia 
tibi  defero. 

Tai  studiosissimus  atque  observantissimus 

Johann.  Miltonius." 

Am  selben  Tage  erfolgte  eine  Antwort  des  Mylius: 

„Manum  et  ex  ea  mentem  tuara  ad  pectus  appressi,  quod  amore  et 
candore  erga  te  exuberantissimum  dudum  tibi  obligatum  denuo  hac  dextra 
consigno.  Humanitas  tua  et  inclinatio ,  ut  spero ,  in  maturandis  et  pro- 
movendis  meis  desideriis  porro  non  deerit  nee  exigua  haec  optimae  apud 
exteros  famae  tuae  pars  erit ,  si  etiam  exteris  frui  tua  comitate  et  bene- 
volentia  patieris,  qua  nisi  abutar,  remitto  mea  projecta  futurae  expeditioni 
si  placuerit  reservanda  et  me  nuncupo  ex  asse  tuum." 

Demselben  Datum  gehört  ein  Eintrag  im  C.  S.  P.  1651  an:  „The  busi- 
ness  of  the  count  of  Oldenburg  to  be  again  considered,  before  it  be  re- 
ported  to  the  house".  Die  Agelegenheit  erlitt  nämlich  neue  Verzögerungen, 
u.  a.  auch  deshalb,  weil  der  entfernt  mit  dem  Hause  Stuart  verwandte 
Graf  royalistischerSympathieen  bezichtigt,  und  weil  von  Seite  Bremen's  wegen 
des  Weserzolls  gegen  ihn  intriguirt  wurde.  Am  17.  Dec.  wandte  sich  da- 
her Mylius  wiederum  an  Milton,  dessen  Antwort  vom  2.  Januar  1652  sich 
in  .  seinen  Werken  VII.  387  (s.  d.)  abgedruckt  findet(i).  (Vgl.  C.  S.  P. 
1651.  Dec.  31,  p.  85.  Ansetzung  eines  Termins  für  eine  Audienz  des  ol- 
denburgischen Gesandten  auf  „next  friday".) 

Von  da  an  kann  man  dem  Zusammenhang  des  Tagebuches  folgen. 

„3.  Jan.  1052.  Bey  herrn  Miltonio  gewesen  und  nebenst  gethaner 
congi'atulation  zum  neuen  jähr  und  anwünschung  völliger  restitution,  cum 
cephalalgia  et  suffusione  oculorum  laboret(-),  die  beschaffenheit  in  meinen 
affairen  ein   wenig   erkundiget    ;Sie  reden   dann   über  die  oldenburgische 


1)  Wenn  in  diesem  Briete  Milton's  von  einer  „subita  in  aedes  alias  migratio"  die  Rede 
:st ,  so  erhalt  man  dadurch  zugleich  eine  genauere  Bestimmung  der  Zeit,  in  welcher  Milton  aus 
Whitehall  nach  Petty-France  übersiedelte,  s.  o.  S.  23,  181.  Die  Datirung  des  Briefes  ergiebt  sich 
aus  einer  unter  den  Papieren  des  Mylius  befindlichen  Kopie.  Daselbst  erscheinen  folgende 
Varianten  von  dem  Abdruck  in  Milton's  Werken:  Es  fehlt  mihi  hinter  adversatrix,  es 
eo  qne  statt  ex  que  eo,  expectabas  st.  exp  eteb  a  s,  hinter  Co  ncil  io  eingeschoben 
Dominum  Withlochiura,  hinter  deliberatio  est  e.  Eamque  brevem  adniodum 
ausim  dicere  futuram,  nisi  tu  istam  brevem  voculam  quasi  ad  calculos 
accurate  nimium  exegisses,  prius  st.  primus,  quodcunque  st.  aliquod 
Der  Schluss  lautet:  Datae  in  Parva  Francia  Westmonasterii  2.  Jan.  1652  Tuarum  rerum  tui- 
que  honoris  studiosissimus  Joannes  Miltonius. 

2)  Es  ist  ein  Mal  davon  die  Rede,  dass  „haupt-  und  augenweh"  Milton  verhindert,  den 
Mylius  zu  besuchen. 


Ueber  eine  bisher  unbekannt  gebliebene  Korrespondenz  Milton's.    291 

Angelegenheit)  .  .  haben  viele  andere  discursus  insonderheit  de  constitu- 
tione hujus  et  imperii  Romani  gepflogen,  endlich  auf  seine  defensionem 
populi  ad  Salmasii  sugillationem  kommen,  da  er  mir  ein  büchlein,  welches 
Joannis  Philippi  responsio  ad  apologiam  anonymi  cujusdam  tenebrionis 
pro  rege  et  populo  Anglicano  infantissimam  rubriciret,  verehret  und  be- 
gehret mein  Judicium  davon  zu  geben,  hat  sich  gar  höflich  erboten."  Es 
findet  sich  ein  schmeichelhaftes'iUrtheil  des  ^lylius  über  das  Buch  in  Form 
eines  sorgsam  vorbereiteten  Briefes  an  Milton. 

„6.  Jan.  16  52"  berichtet  Mylius  von  einem  neuen  Besuch  bei  Mil- 
ton. Dieser  verspricht,  „ob  er  es  wol  absque  praevia  permissione  prae 
sidis  nicht  thun  solte",  ihm  seinen  Aufsatz  vorher  zur  Einsicht  zugehn 
lassen  zu  wollen  „und  begehret,  ich  amanuensem  meum  morgen  frue  zu 
ihm  schicken  solte". 

„7.  Jan.  1652.     Schreibe  herrn  Miltonio: 
Flos  et  ocelle  virorum 

Praevio  amplexu  matutino,  memor  hesterni  promissi  amanuensem  ad 
impetrandum  meae  expeditionis  projecta  mitto,  lecta  remittam  et  censurae 
vestrae  denuo  submittam  veluti  me  charitati  vestrae  sine  fuco  et  feile 

totum  etc. 

Eodem  schickte  mir  h.  ^Milton  das  projectum  salvae  guardiae  hisce 
literis  ad  revidendum: 

Concinnatum,  ut  potui,  salvam  guardiam  hanc,  vir  carissime,  tuis  plerum- 
que  verbis  usus,  perlegendam  tibi  mitto.  Quaedam  inserere  necesse  habui- 
alia  feci  contractiora,  prolixiorem  vix  credo  concilium  velle,  succinctiorem 
non  potui,  quandoquidem  per  omnia  :tibi  satisfactum  esse  cupio.  Exem- 
plar tibi  ipsum  mitto  quod  hodie  vesperi  in  concilio  obtensurus  sum,  ita- 
que  nisi  ante  horam  secundam  postmeridianam  mihi  remittatur,  vereor  ut 
possim  hodie  effectam  rem  dare. 

Tuae  claritatis^studiosissimus 

Johannes  Miltonius. 

Darauf  ich  es  durchgelesen  und  einige  defecten  darinnen  zu  suppliren, 
auch  meine  marginalia  zu  observiren  gebeten,  damitjllustrissimus  sich  so 
viel  mehr  bedienen  muge.    Antworte  ihm  sequentibus: 
Nobilissime  Miltoni. 

Compendiaria  via  ad  gloriam  incedis,  qui  talis  es,  qualis  vis  haberi 
et  videri ,  nee  fingis ,  sed  probas  te  amieum ,  et  dicta  tua  facta  experior. 
Perlegi  projectum,  et  illa  quae  adjeci  inseri  et  quae  interlineari  tractu  no- 
tavi,  omitti  quaeso,  caetera  limae  et  lineae  tuae  denuo  expedienda  sub- 
jicio.  Rescriptum  ad  legatos  aliosque  publicos  reipublicae  ministros  extra 
rempublicam  constitutos  et  in  futurum  constitueudos  penes  augustum  se- 
natum Status  monebis  et  pro  dexteritate  promovebis,  tanto  major  domini 
mei  obligatio  et  mens  in  te  amor,  quo  te  amplexatur 

Tuus. 

Bald   darauf  bin  ich  noch  ante   secundam  zu  !ihm  gefahren ,   damit 

19* 


292  Anhang  1. 

nichts  von  ihm  übersehen  werde  und  hat  in  mea  praesentia  die  notata  ad 
marginem  selbst  gesetzt 

E  0  d  e  m :  Herr  M  i  1 1  o  n  i  u  s  selbst  zu  mir  kommen  und  das  andere 
projectimi  rescripti  mitgebracht  und  mir  durchzulesen  auch  vergönnet  und 
gelassen ,  ist  in  die  statt  gefahren ,  wolte  es  bey  seiner  ruckkunft  wieder 
abfodern.  Gestern  hette  es  im  rath  wichtiger  affairen  halber  nicht  vorge- 
bracht werden  können,  wolte  es  heute  nachmittag  versuchen 

2  0.  Jan.  Schreibet  mir  heiT  Miltonius  nachfolgendes: 

Heri  aderam  pro  more  in  consilio,  vir  clarissime.  cum  chartis  vestris, 
cumque  nactus  occasionera  domino  praesidi  rem  repraesentassem,  is  statim 
de  iis  utraque  lingua  legendis,  ad  consilium  retulit,  nihilque  videbatur  non 
concedendum ,  si  Bremensibus  sociis  nostris  et  amicis  duntaxat  caveretiu*, 
in  quos  moliri  aliquid  dominum  comitem  nonnuUi  nescio  qua  de  causa 
visi  sunt  suspicari.  Res  itaque  certis  ex  consilio  coramissa  est,  qui  con- 
silium de  eo  certius  faciant. 

Tuis  rationibus  addictissimus 
Parva  Franciae  Westmonasterii 

20™"  Januarii  16-51.  Johannes  Miltonius. 

Darauf  bin  ich  alsobald  zu  herrn  M  i  1 1  o  n  i  o  gefahren ,  der  mir  im 
höchsten  vertrauen  eröfinet,  gestalt  alles  gestern  placitiret  gewesen,  aus- 
genommen weren  einige,  die  er  nicht  nennen  wolte,  welche  die  Bremer 
auch  ihre  affection  zu  diesem  ort  hochlich  geruhmet,  auch  ihre  merita  in 
hanc  nationem  sehr  ausgestrichen  und  weitleuftige  motus  in  consilio  ge- 
machet, dass  man  wider  dieselbe  dem  hen'n  graffen  zu  assistiren  befelchlig 
ertheilete.  Weren  einer  religion,  von  undenklichen  Jaliren  alliirte  socii, 
und  viele  commercia  zwischen  beydeu,  die  per  teloneum,  wo  nicht  gar  auf- 
gehoben, doch  gesperret  und  gemindert  würden.  [Caeteri  et  maxime  Tho- 
mas Challenor  /•)  hetten  repliciret,  dass  es  causa  forensis,  die  ihre  decision 
vom  reich  durch  den  friedensschluss  vom  ganzen  reich  erhalten,  musten 
sich  nicht  damit  bemengen.  Das  haus  Oldenburg  hette  Igrossen  anhang 
und  das  parlament  keine  ursach  selbiges  zu  oiFendiren.  Endlich  weren  a 
consilio  abermal  etzliche  denominiret,  die  nochmals  dies  dubium  pro  et 
contra  erwegen  und  ein  conclusum  darinnen  machen  und  ad  consilium 
wieder  davon  referiren  solten.  Ego :  musten  grosse  patroni ,  die  non  ro- 
gati  für  Bremen  sich  also  einliessen,  und  vielleicht  nicht  absque  stipendio 
sein,  und  wie  ich  de  statu  causae  grundlich  informiretj,  habe  ich  abscheid 
genommen,  und  ist  in  discessu  meo  einer  von  den  hollandischen  zu  ihm 
kommen.  (Es  folgen  Briefe  von  Mylius  zur  Aufklärung  an  Challoner  und 
Nevill,  welche  Weckherlin  auf  seine  Bittep  unterstützt.) 

22.  Jan.     Schreibe  ich  herrn  Miltonio: 
Pelagus  sum  inquietum  —  hujus  dum  vitae  Ijachesis  sua  fila  move- 
bit  vester  ex  asse  H.  M. 

1)  Challoner. 


Ueber  eine  bisher  unbekannt  gebliebene  Korrespondenz  Milton's.    293 

(Der  Brief  setzte  die  Sachlage  auseinander:  „Controversia  cum  Bre- 
manis  imperium  Romanum  tangit ,  non  hanc  rempublicam"  etc.  und  that, 
nach  einer  Mittheilung  Pleming's  an  Mylius,  gute  Wirkung.) 

27.  Jan.  Hey  herrn  Miltonio  und  Fleming  gewesen,  erfahre 
nichts  weiter,  als  dass  die  occupationes  mit  den  hollendischen  Sachen,  dar- 
auf eine  antwort  praeliminariter  an  die  herren  statten  generalen  soll  ab- 
gehen, meine  expedition  verhinderte,  dabey  dann  einige  Bremische  ad- 
fectionii'te  widrige  impressiones  und  operas  erwieseten 

6.  Febr.  Bin  ich  zu  h.  Miltonio  gefahren,  der  berichtet  mir,  dass 
gestern  circa  undecimam  das  rescriptum  ad  legatos  aliosque  ministros  in 
englisch  ihm  zugeschicket,  die  andere  papieren  der  salva-guardi  und  latei- 
nische versiones  zui'uckplieben  sein,  hette  seinen  Schreiber  hingeschicket, 
umb  selbige  abzuholen  und  wolte  soviel  muglich  damit  maturiren. 

9.  Febr.  Bey  h.  Mi  1  ton  gewesen  und  gefraget,  wie  es  doch  mit 
meiner  expedition  beschaffen.  Ille  zeigete  mir  das  rescriptum  ad  legatos 
et  publicos  ministros  und  referirte  sich  darinnen  ad  salvam-guardiam,  die 
sie  nicht  geben  wollen,  solte  diesen  nachmittag  in  consilio  verlesen  und 
weiter  nichts  ertheilet  werden.  Ego :  das  relatum  were  ja  nicht  dabey,  als 
konte  ich's  nicht  acceptiren,  muchte  doch  in  consilio  solches  remonstriren, 
Tcaput  negotiatiouis  meae  esse  salvam-guardiam  .  .  betten  mich  largis  et 
lautis  promessis  ein  halb  jähr  aufgehalten  .  .  jezige  abfertigung  were  eine 
tacita  elusio  indigna  et  plane  inhumaua  repulsa  .  .  gebeten  solches  diesen 
nachmittag  cordate  und  favorabiliter  vorzupringen  und  enderung  zu  be- 
gehren ,  wo  nicht  muste  ich's  der  zeit  befehlen  und  mich  auf  die  ruckreise 
machen  .  .  Ille  er  sehe  gar  wol  die  faute,  qui  [sie]  ex  imperitia  et  malitia 
eorum,  qui  pku-alitate  votorum  gauderent,  heiTuhrte,  weren  homines  me- 
chanici ,  milites ,  domestici ,  fortes  satis  et  acres ,  at  rerum  politicarum 
maxime  forensium  imperiti,  darinnen  potior  pars  reipublicae  bestünde, 
trudentiores  durften  auch  ihre  meinung  nicht  recht  eröffnen.  Muchte  es 
reipublicae  nicht  imputiren  noch  den  sanioribus  unter  den  40  personen, 
die  in  consilio  Status,  weren  über  drey  oder  vier  nicht,  qui  extra  Angliam 
gewesen,  aber  darunter  de  Mercurii  et  Martis  prole  gnung.  Unterdessen 
versprochen  dextre  dem  consilio  es  nochmals  vorzutragen  und  selben  abendt, 
finito  consilio  mir  von  endlicher  erklerung  part  zu  geben  (M- 


1)  Mit  Milton's  scharfen  Aeusserungeu  stimmt  überein,  was  an  einer  anderen  Stelle  von 
Mylius'  Tagebuch  zu  lesen  ist:  „T.Jan.  1652  herrn  Wecherling  (W  eck  h  erl  i  n),  der  otio 
niolesto  pedibus  podagra  laborantibus  hereinkommen ,  besuchet ,  redete  von  denen  alhier  vor- 
gehenden tunniltuariis  negotiis,  einer  traute  dem  anderen  nicht,  und  der  numerus  consultan- 
tium  wer  zu  gross,  die  Teutsche  affaires  niemand  bekannt,  dahero  keine  expedi- 
tion, zudem  wolte  der  prolecutor  alle  minuta  wissen  und  darvon  inforniirt  sein,  ehe  er,  was  im 
consilio  status  concludiret,  zur  volligen  ausfertigung  gelangen  liesse,  der  aber  tanti  moli  nicht 
gewachsen,  mangelte  ihm  am  verstand  und  experionce,  insonderheit  halte  er  de  exteris  rebus 
et  forensibus  die  geringste  Wissenschaft  nicht,  were  nie  über  see  gewesen"  etc.  Ebenso  spricht 
der  florentinische  Gesandte  Salvetti  von  „gente  nuova  e  che  nonhanno  ancora  beneimparato 
11  mestiere  delle  cose  di  stato  e  per  quello  che  io  credo  poco  si  curano  delle  cose  di  fuori". 
(Transscripts  from  the  public  archives  at  Florence  1)  r.  M.  Add.  Mss.  27962  seq.  18.  VIII   1651. 


294  Anhang  I. 

10.  Febr.  Schreibet  mir  herr  Mi  1  ton  sequentibus: 
Quod  heri  pollicitus  tibi  sum,  \-ir  nobilissime ,  id  serio  egi,  cum 
singulis  de  tuo  negotio  locutus  sum,  quibus  id  commissum  esse  noram, 
plerique  mihi  videbantur  'non  satis  advertisse  potius,  quam  noluisse  con- 
cedere.  quod  petis,  nam  et  concessisse  se  putabant  in  illo  scripto  quicquid 
volebas.  venim  ut  res  in  consilio  heri  rursus  agitaretur,  efficere  non  potui 
neque  quo  die  id  efficiam  certo  scio.  Eeliquiun  est  itaque,  ut  ipse  tibi 
ne  desis,  deque  ista  dilatione  ad  consilium  scribas.  ego  enim.  quod  in  nie 
situm  est.  nihil  praetermisi.  Tui  honoris,  tuarumque  rationum  studio- 
sissimus. 
10.  Febr.  1651.  Joannes  Miltonius^). 

Antworte  herm  INIiltonio  sequentibus: 
P.  P.  Mentem  tuam  amicam  ex  manu  intellexi  et  gratias  ago  re 
ipsa  eas  ante  abitum  contestaturus.  Monitorium  postmeridiem  denuo 
augusto  consilio  Status  exhibebo,  si  adfueris.  mi  Miltoni,  assistas  pon'O 
tuo  consilio  et  eos,  qui  intentionem  domini  mei  hactenus  non  intellexerunt, 
plenius  informes,  ut  tandem  expediri  et  aequo  animo  hinc  migrare  queam. 
Si  poterit  diploma  vel  rescriptum  desideratum  saltem  in  apposita  forma- 
litate,  una  cum  recredentialibus  Uteris  ut  styli  et  moris  est,  concedi  ac- 
quiescam  et  me  totum,  donec  vixero  obaeratum  fatebor  et  nuncupabo  do- 
mini Miltonii 

observantissimum  et  addictissimum  H.  M. 

Bald  hernach  bin  ich  selbst  zu  ihm  gefahren  und  habe  obgedachtes 
project  .  .  mitgenommen. 

12.  Febr.  (Nach  einem  Besuch  bei  0.  Fleming.)  Alsobald  zu 
herm  Milton  gefahren,  der  meine  projecten  vorgestern  und  gestern  ad 
consilium  cum  translata  copia  gegeben,  empfangen  und  die  verba  „succes- 
sores  et  heredes"  durchgesti-ichen  funden.  Ego  remonstrirt  .  .  ihm  auch 
dabei  umbstendlich  conditionem  et  diversitatem  successorum  vermeldet. 
Weilen  ich  aber  leichtlich  gemerket,  dass  die  suspiciones  wegen  des  konigs 
in  Dennemarck,  so  konte  ich  leiden,  dass  hinzugesetzet  wurde  ,.dummodo 
nihil  iniqui  contra  rempublicam  hanc  moliantur".  Ille:  durfte  es  nicht 
absque  expresso  consilii  jussu  dabey  setzen,  hette  [bereits  oft  zimbliche" 
harte  reden  gedulden  und  über  sich  gehen  lassen  müssen,  dass  er  mir  die 
concepta  zeigete  und  heimbliche  con'espondence  mit  mir  hette,  wolte  aber 
herren  Challenor  von  diesem  Vorschlag  advertiren  und  pitten,  weilen  es 
heute  dem  parlament  solte  vorgetragen  werden,  dass  er's  in  pleno  erinneren 
und  dahin  einrichten  muchte. 

Eodem.  Darauf  zu  herrn  Fleming  gefahren  und  obiges  wieder- 
holet, vermeinet,  es  wurde  am  besten  gerathen  sein,  dass  es  heute  wieder 
ad   consilium   gebracht  und   proponiret  wurde.     Er  wolte  alsobald  zum 


1)  Vgl.  C.  S.  P.   1652  Febr.  10.  11,  p.  139.  140. 


Ueber  eine  bisher  unbekannt  gebliebene  Korrespondenz  Milton's.    295 

general(^)  und  anderen  gehen  und  versuchen,  ob  es  dergestalt  konte  ein- 
gerichtet werden.  Habe  darauf  herrn  Miltonio  geschrieben : 
Nobilissime  M  i  1 1  o  n  i. 
Adfui  domino  Flemingio,  qui  cum  domino  generali  et  aliis  membris 
consilii  potioribus  de  verbis  omissis  (heredibus  et  successoribus)  communi- 
cabit.  Malo  itaque  differri  et  suspendi  hodie  negotium,  ut  post  meridiem 
in  senatu  reproduci  et  domino  meo  satisfieri  possit.  Apponant  quae  dixi 
vei  alia  ejusdem  sensus  „si  heredes  nihil  adversi  vel  iniqui  contra  rem- 
publicam  attentent  vel  machinentur".  Sinceram  enim  amicitiam  et  bene- 
volentiam  parlamenti  reipublicae  quaerit  dominus  comes  eamque  a  se 
suisque  successoribus  reddi  cupit  et  optat  ut  ego  tuam.  Mi  Miltoni,  mutuo 
in  adfectu  et  eflfectu  tuus  M. 

'   Eodem  komt  b.  Duraeus  bey  mir  (berichtet  über  die  Machinatio- 
nen der  Bremer,  die  auch  „den  General"  gewonnen  hätten)  .  .  . 
13.  Febr.    Herren  Milton  geschrieben: 
Amicissime  Miltoni. 
Si  placet  verbo  rescribas,  quid  heri  actum  sit  aut  porro  agi  debeat 
circa  negotium  domini  mei,  quo  meminisse  ejus  saltem  in  hodiernis  literis 
queam.    Nunquam  immemor  futurus  tui  Miltonii 

H.  M. 

Darauf  antwortet  mir  hen*  Miltonius  alsobald  in  sequentibus: 
Heri,  mi  spectatissime  Hermanne,  postquam  discesseras,  pervenit  ad 
me  concilii(")  mandatum,  quo  jubebar.  exemplar  latinum  cum  anglico  con- 
ferre,  operamque  dare,  ut  inter  se  congruerent,  deinde  domino  Whitlockio 
et  Nevillo  utrumque  mittere  percurrendum,  quod  et  feci,  et  simul  domino 
Whitlockio  ampliter  scripsi,  de  illo  quod  inseri  cupiebas,  nimirum  ut  suc- 
cessoribus et  posteris  etiam  domini  comitis,  caveretur,  eadem  formula(*) 
quam  et  ipse  suggerebas :  addidi  insuper  quas  et  ipse  attulisti  rationes, 
quamobrem  id  nisi  fieret,  nihil  agi  videretur,  quid  deinceps  in  concilio  (•'^) 
actum  sit,  certe  nescio  hesterna  enim  pluvia  detentus  non  interfui.  Tu 
si  ad  concilii(ß)  scribas,  vel  potius  ad  dominum  Frostium  quemquam 
ex  tuis  mittas,  ex  iis  credo  audies,  vel  saltem  vespere  (')  ex  me  scies 

Tibi  addictissimo  » 

.     Febr.  13mo  1651  [1652].  Johanne  Miltonio(*). 

(16.  Febr.    Besuch  bei  Milton.) 


1)  Cromwell. 

2)  Dieser  Urief  ist  noch  im  Original  in  der  Antographensammlung  des  Kardinaler2- 
bischofs  Fürsten  Scliwarzenherg  erhalten.  Ich  verdanke  der  Gefälligkeit  meines  Freundes,  des 
H.  Dr.  GoU  in  Prag,  eine  Kopie  und  folge  dieser  in  der  Wiedergabe,  indem  ich  die  Abwei- 
chungen des  Mylius'schen  Tagebuches  bemerke. 

3)  consilii  Mylius'  Tagebuch. 

4)  forma  M.  T. 

5)  consilio  M.  T. 

6)  consilii  M.  T. 

7)  vesperi  M.  T. 


296  Anhang  I. 

18.  Febr.  Schicket  herr  Miltonius  seinen  cognatuni(^)  spät  zu 
mir  und  lesset  mir  sagen,  dass  die  acta  salvae  guardiae  voUenzogen  und 
von  dem  clerico  parlamenti  Scobel  ihm  .  .  ins  lateinische  überzusetzen 
zugeschicket  .  . 

21.  Febr.  Schreibe  ich  herrn  Miltonio  (Bitte  ihm  die  Salva- 
Guardia  zur  Einsicht  zu  senden).  Hat  mir  darauf,  wie  folget,  geantwortet. 
Inseratur.     (Der  Brief  fehlt.) 

23.  Febr.  Schreibe  ich  herrn  Miltonio  .  .  lesset  mir  wissen,  es 
solte  heute  zesamen  (Salva-Guardia  und  Rekreditiv)  fertig  sein  .  , 

24.  Febr.  Begegnet  mir  herr  Milton  .  .  und  saget  das  parlament 
und  consilium  status  betten  die  successores  et  heredes  nicht  inseriren 
wollen  .  .  Ego :  „muste  in  voluntate  parliamenti  acquiesciren"  (Mylius  war 
mit  dem  Wortlaut  des  Aktenstückes  noch  immer  nicht  recht  zufrieden  und 
fürchtete  zudem  neue  Intriguen  von  L.  v.  Aitzema.  Unter  anderem  war 
Fleming  vorgeworfen,  er  habe  sich  der  Sache  des  Mylius  deshalb  so  sehr 
angenommen,  weil  er  von  ihm  ein  Kleinod  im  Werthe  von  200  £  em- 
pfangen hätte.  Auch  Milton  war  sein  vertrauliches  Verhältnis  zu  Mylius 
verdacht  worden.)  .  . 

2.  März.  Bericht  über  die  Abschiedsaudienz,  bei  welcher  „herr 
3Iilton'-  wieder  fungirt;  vgl.  C.  S.  P.  1652  p.  164.  165. 

3.  März.  Samuel  Hartlib  von  mir  abscheid  genomen,  den  sie 
nennen  agentem  rei  literariae  in  Anglia. 

4.  März.  Dem  herrn  Miltonio  omni  gratia,  factis  et  verbis,  valedi- 
cieret.  (Er  rühmt  die  von  Milton  bewiesene  „adfection"  und  bemerkt, 
dass  er  ihm  das  englische  Originaldiplom  und  die  lateinische  Uebersetzung 
mit  seiner  Namensunterschrift  habe  zustellen  lassen,  „unangesehen  er 
gantz  Seins  gesiebtes  anno  quadragesimo  secundo  [ein  Irrthum,  da  ]\Iilton 
1608  geboren  war]  et  ita  in  ipso  tiore  et  vigore  aetatis  beraubet.  Quidam 
discurrendo  uuper  ajebat:  Lycurgus  Driantis  filius,  qui  quoniam  cum  diis, 
Baccho  praesertim  pugnare  consuluerit  caecitate  perpetua,  a  Jove  Saturnio 
affectus  est"  etc.) 

Die  „Salva-Guardia"  findet  man  abgedruckt  bei  Thurloe  I.  385  und 
bei  J.  J.  Winkelmann:  Oldenburgische  Friedens  und  der  benachbarten 
Oerter  lüiegs-Handlungen  1671  mit  der  Unterschrift: 
Guilelmus  Lenthal 
Prolocutor  Parlamenti  Reipubl.  Angliae 
Hoc  Diploma  ex  Anglico  originali  in  latinum"verbatim  versum  est. 

Westmonasterii ,  17.  Feb.  165ö-. 

Joannes  Miltonius. 
Das    von    „Scobell    der.  pari."    unterzeichnete    Aktenstück    (]Milton 
Works  VII.  227)  Ist  offenbar  der  Begleitbrief  der  Salva-Guardia.  —  Es 


1)  Ohne  Zweifel  John  Phillips,  s.  o.  S.  80. 


Anhang  IL     Aktenstücke  betreffend  Alexander  Monis.  297 

ist  bekannt,  dass  der  Graf  von  Oldenburg  einige  Jahre  später  zu  Crom- 
well  in  ein  nahes  Verhältnis  trat.  Er  machte  ihm  damals  ein  Geschenk 
von  feurigen  Pferden,  die  Cromwell  bei  Gelegenheit  einer  Spazierfahrt  bei- 
nahe das  Leben  gekostet  hätten  (vgl.  Carlyle  III.  272  und  die  beiden  Briefe 
in  Milton's  Werken  VII.  238,  239). 


Anhang  IL 
Aktenstücke  betreff'end  Alexander  Monis. 

Man  muss  sich  darüber  verwundem,  dass  die  bisherigen  Biographen 
Milton's  es  versäumt  haben,  der  Geschichte  eines  Mannes,  mit  dem  er  in 
die  heftigste  literarische  Fehde  gerieth,  an  der  Hand  von  urkundlichem 
Material  nachzugehn.  Denn  dadurch  allein  kann  es  möglich  gemacht  wer- 
den, sich  über  die  Richtigkeit  oder  Unrichtigkeit  der  Milton'schen  An- 
schuldigungen ein  sicheres  Urtheil  zu  bilden.  Indem  ich  mich  bemühte, 
diese  Lücke  auszufüllen ,  bin  ich  von  Genf  aus  durch  die  Herren  Pro- 
fessoren P.  Vaucher  und  E.  Ritter,  sowie  durch  H.  Ph.  Plan,  Kon 
servator  der  Bibliothek,  von  Amsterdam  aus  durch  H.  Professor  de  Hoop_ 
Scheffer  auf's  dankenswertheste  unterstützt  worden. 

Was  die  genfer  Epoche  des  Morus  betrifft,  so  sind  die  vorhandenen 
urkundlichen  Materialien  viel  zu  umfangreich,  als  dass  an  ihre  wörtliche 
Mittheilung  zu  denken  wäre.  Sie  befinden  sich  theils  im  Archiv  der  ve- 
nerable  Compagnie,  theils  im  Archiv  der  Stadt,  theils  in  der  öffentlichen 
Bibliothek  daselbst.  Die  Register  der  venerable  Compagnie  wie  des  Con- 
seil,  Briefe  der  Geistlichen  und  Behörden  von  Middelburg,  sowie  der  Kö- 
nigin von  Böhmen,  Liriefe  des  älteren  Spanheim  und  des  Salmasius  an  die 
V.  C,  ein  Schreiben  des  Salmasius  an  den  Rath  von  Genf  („Lettre  de 
Claude  Saumaise,  professeur  ä  Leyde  au  sujet  des  accusations  d'heresie 
et  d'heterodoxie  contre  Alexandre  Morus  appele  depuis  peu  pour  desservir 
l'eglise  frangaise  de  ]\Iiddelbourg  Leide  8.  Juin  1648'',  Archives  de  Geneve 
No.  3194)  etc.  kommen  hier  in  Betracht.  Ergiebt  sich  aus  diesen  Akten- 
stücken auch  nicht  unwiderleglich  {die  Richtigkeit  der  Milton'schen  Be- 
hauptungen, so  machen  sie  im  ganzen  und  grossen  doch  nicht  den  Ein- 
druck, als  sei  die  Sache  des  Morus  ganz  rein  gewesen.  Dass  ihm  nicht 
nur  Abweichungen  von  der  orthodoxen  Lehre,  sondern  auch  von  Anstand 
und  guten  Sitten  vorgeworfen  wurden,  steht  fest.  Salmasius  spricht  in 
seinem  Briefe  von  den  „vi ces  enormes",  die  man  ihm  imputirt  habe, 
und  erwähnt,  „que  le  dit  sieur  Morus  a  estö  represente  pour  un  monstre 
d'homme  ,  .  ä  l'esgard  de  la  doctrine  que  de  ses  moeurs". 

Damit  stimmt  der  folgende  Auszug  aus  den  Registres  de  la  v.  C. 
25.  Juli  1648  überein,  den  ich,  wie  die  meisten  der  übrigen,  einer  Kopie 
des  H.  Plan  verdanke: 


298  Anhang  II. 

Monis  demande  un  conge  temporaire  pour  aller  se  justifier  devant 
un  Synode  des  Pays-Bas  des  accusations  portees  contre  lui.  II  est  re- 
presente  ä  ce  sujet  qu'il  y  avait  de  grandes  difficultes  de  part  et  d'autre : 

1."  La  volonte  de  M.  Morus  .,pere"  qui  par  lettre  lui  dit  qu'il  ne  le 
reconnaitra  plus  poui'  fils  en  cas  qu'il  n'aille  se  justifier, 

2."  Que  las  temoignages  donnes  n'ont  pu  produire  l'eclaircissement 
requis  et  dissiper  le  brouiUard  des  sinistres  impressions  qu'on  a  eues  tou- 
chant  Morus. 

3."  Quil  etait  encore  de  nouveau  accuse  de  diverses  choses,  non 
seulement  en  la  doctrine  mais  aussi  en  la  vie;  partant  qu'il  semblait 
expedient  de  lui  accorder  le  conge  qu'il  demande.  Mais  d'autre  part  qu'il 
y  a  du  danger  soit  que  les  choses  ne  s'arrangent  pas  aussi  bien  qu'il 
l'espere,  soit  que  l'eglise  de  Geneve  ne  le  revoie  pas  une  fois  qu'il  l'aura 
quittee.  —  Pendant  que  la  Compagnie  discute  ainsi,  Morus  se  rend  ä 
l'hotel  de  ville  et  obtient  de  la  Seigneurie  un  conge  de  trois  mois.  La 
Compagnie  ne  peut  qu'y  souscrire. 

Einige  Zeit  nachher  bemerkt  die  venerable  Compagnie,  mit  den  bür- 
gerlichen Behörden  wegen  der  Angelegenheit  des  Morus  in  Konflikt  ge- 
rathen,  „que  Messieurs  avoyent  cidevant  trouve  ä  propos  qu'on  dit  tou- 
chant  M.  Morus  tout  ce  qu'ou  avoit  ä  dire  et  sur  sa  doctrine  et  sur  sa 
vie  et  qu'on  ne  reservast  rien  pour  nettover  une  fois  tous  ombrages  et 
soupgons,  que  quoique  la  Compagnie  y  trouvast  de  grandes  difficultez, 
neantmoins  leurs  Seigneuries  avoyent  impose  ceste  necessite  ä  la  Com- 
pagnie, laquelle  avoyt  tenu  ceste  procedure,  scavoir  qu'ayant  este  proposez 
divers  poincts  soit  sur  la  doctrine  soit  sur  la  vie,  on  avoit  choisi  les 
poincts  que  la  Compagnie  avoit  juge  ä  propos ,  sur  lesquels  le  dit  Sieur 
Monis  avoit  respondu  ...  et  sa  response  escrite  et  leue  les  uns  la 
trouvoyent  satisf actoire  les  autres  non."  (Reg.  de  la  v.  C. 
24.  Nov.  1648.)  Verdächtig  erscheint  auch  die  Weigerung  der  v.  C.  (Re- 
gistres  16.  Fevrier  1649  p.  208),  sich  nochmals  auf  die  Sache  des  Morus 
einzulassen  mit  der  Motivirung ,  dass  er  längst  seinen  Abschied  erhalten 
und  dass  die  v.  C.  beschlossen  habe,  ,.que  toutes  les  procedures  tenues 
contre  M.  Morus  furent  esteintes  et  assoupies  et  qu'on  n'en  parlast  plus" 
etc.  Als  die  v.  C.  sich  aber  doch  nicht  weigern  kann,  auf  die  Sache  zu- 
rückzuliommen,  heisst  es  1.  c:  .,Et  en  outre  ayant  la  Compagnie  veu  et 
releu  tous  les  articles  s'est  arreste  ä  ce  qu'elle  a  dit  et  juge  sur  un  chacun 
d'iceux  en  particulier  et  en  suite  declare  que  le  ministere  du  sus- 
dit  sieur  Morus  ne  peut  estre  en  edification  en  ceste  eglise 
et  academie."  Nichtsdestominder  fand,  auf  Betreiben  der  weltlichen 
Obrigkeit,  ein  versöhnlicher  Abschied  des  Monis  von  der  v.  C.  statt  (Re- 
gistres  2.  Juillet  1649  ,  und  auch  später  noch  stand  sie  mit  ihm  in  freund- 
schaftlicher Verbindung  (Registres  7.  Juin  1667).  Man  sieht,  wie  manches 
in  dieser  Angelegenheit  dunkel  bleibt,  und  es  wäre  zu  vmnschen,  dass 
einer  der   genfer  Gelehrten   sich   der  Mühe  unterzöge,    das    urkundliche 


Aktenstücke  betreffend  Alexander  Morus.  29P 

Material   an  Ort  und  Stelle  noch  'genauer  zu  durchforschen ,    als  es  mir 
möglich  war. 

Was  die  niederländisch^  Epoche  des  Morus  betrifft,  so  bin  ich  im 
Stande,  ein  Aktenstück  zum  Abdruck  zu  bringen,  welches  die  Angaben 
Milton's  wesentlich  ergänzen  wird.  Es  ist  eine  Kopie  nach  dem  Original, 
enthalten  in  einem  „Recueil  des  articles  des  synodes  Walions  des  Pro- 
vinces  Unies  t.  II.  1652-16911"  (Ms.  der  Bibliothek  des  Dr.  P.  J.  J. 
Mounier  in  Amsterdam)  und  lautet  folgendermassen : 

A.  1659.    Recit  des  principaux  chefs  des  accusations  qui  ont  ete  faites 
au  sjTiode  des   eglises  Walonnes   des  provinces  unies,   as- 
semble  ä  ter  Goude  le  23,  24,  25,  26,  27  &  28  d'A\Til  1659 
par  les   deputes  de  plusieurs    eglises  contre  la  personne  du 
sieur  Alexandre  Morus,   ministre  de  la  parole  de  Dieu, 
professeur   en   l'histoire  ecclesiastique  &  membre  de  Teglise 
d'Amsterdam.  — 
Les  deputez  de  noc  eglises  en  ce  synode  convoque  ä  ter  Goude  ayants 
(seien   la   louable  coustume  que  j'observe  parmi  nous)  estö  requis  par 
monsieur  le  president  de  faire  lecture  &  proposer  ä  la  compagnie  les  In- 
structions dont  leurs  eglises  respectivement  les  avayent  chargees.  il  a  ap- 
paru  que  plusieurs  desdits  deputes  avoyeut  ordre  de  leurs  consistoires  de 
se  plaindre  de  la  conduite  du    s.  Alexandre  Morus,   &de  demander 
d'estre  ouis   en  la  deduction  qu'ils   desiroient  de  faire  de  plusieurs  mau- 
vaises  actions,  par  lesquelles  il  avoit  donne  un  tres  grand  scandale  ä  tous 
les   fidäles   de   ces  provinces   &  particulierement  a  ceux  des  eglises  de 
nostre  langue,  le  synode  de^ant  de  remedier  autant  qu'il  luy  seroit  pos- 
sible  ä  tous  les   desordres    qui  peuvent  troubler  le  repos  &  l'edification 
des   eglises   qui   sont  sous  son  inspection  spirituelle,   a  premierement  fait 
citer  par  ses  lettres  &  par  ses  de])utL'z  ledit  s""  Morus  qu'il  est  ä  compa- 
roitre   en    cette    assemblöe  pour  se   purger   dont   il    seroit  accusö,   mais 
s'estant  contente  de  repondre  par    une  lettre  ä  lad,  citation  par  laqu'elle 
il  refusoit  de  se  soumettre  au  jugement  de  ce  sj'node:  La  compagnie  ayant 
pes^  les   raisons   que   led.  Morus  allfegue  en  lad.  lettre  &  ne  les  ayant 
trouvees  d'aucun  poids  pour  empescher  qu'elle  ne  dust  ouir  les  plaintes 
que  les-d.  Eglises   demandoyent  de  faire   de   sa   conversation   afin  qu'elle 
pouvoit  Selon  sa  prudence  d'un  bon  remede(V)  pour  arracher  le  scandale 
qui    en   estoit   arrive  &  pour  y  procöder ,    eile  a  resolu  qu'on  feroit  un 
sommaire  des  principales  accusations  qui  seroyent  faites  contre  led.  s''  Mo- 
rus, ainsi  qu'on  les  recueilleroit  des  instructions   des  deputez  des  eglises, 
&  des  temoignages  qu'ils  produiroyent  pour  les  confirmer. 

I,  A  este  rapporte  ä  cette  compagnie  qu'en  l'an  1651  lorsqu'il  demeuroit 
a  Middelburg  il  fut  accuse  par  une  jeune  fille  nommee  Marie  de  l'avoir 
sollicitee  ä  paillardise  &  luy  avoir  dit  qu'en  la  considerant  au  temple  un 
jour  qu'il  preschoit  de  la  passion,  il  sentoit  les  mesmes  mouvemens  que 
sentoit   la  vierge   au  pied  de  la  croix  en  voyant  son  fils,   que  cette  fille 


300  Anhang  II. 

ayant  fait  esclatter  cette  acticn  impudique  &  impie,  il  l'en  fit  dedire  de- 
vant  un  ancien  de  l'eglise,  la  menagant  de  la  faire  chatier  par  la  justice 
mais  cette  fiUe  s'etant  retiree  depuis  ä  Flissingue,  d'oü  eile  vint  pour  de- 
mander  son  temoignage  au  s»  Jean  le  Long  coUegue  dudit  Morus,  il  le 
luy  refusa  disant,  que  quoyque  s'en  soji;  eile  ne  valoit  rien  puisqu'elle 
avoit  calomnie  son  coUegue,  ä  quoy  eile  repondit  en  levant  les  mains 
au  ciel,  qu'aussi  vray  qu'il  y  avait  un  Dieu  ce  quelle  avoit  dit  estoit  veri- 
table  &  qu'elle  avait  este  obligee  de  s'en  dedii-e,  ä  quoy  qu'on  1' avoit 
menacee  de  la  faire  punir  par  les  mains  du  bourreau.  Led.  sieur  le 
Long  ayant  en  suite  averty  le  sr  Morus  que  lad.  fiUe  ayant  demande  son 
temoignage  il  le  lui  avoit  refuse  pour  la  raison  susdite,  il  dit  en  palissant 
qu'il  le  luy  donnerait,  ce  qu'il  fit  depuis  ä  l'inscu  du  consistoire,  &  sans 
l'obliger  ä  retraiter  ce  dont  eile  l'avait  accuse.  — 

II.  On  l'accusa  en  suite  qu'en  Fan  1653  estant  venu  ä  Leyden  en- 
viron  le  temps  de  la  pentecoste  &  s'estant  retire  en  une  petite  maison 
derriere  le  logis  de  mons.  de  Saumaise,  son  bon  amy,  pour  lors,  il  y 
avoit  attire  la  damoiselle  servante  de  madame  de  Saumaise,  nommeeEli- 
sabet  Gueret  &  qu'il  y  eut  diverses  Conferences  avec  eile  &  que  la 
veille  de  la  pentecoste  led.  Morus  ayant  feint  de  s'en  reto urner  en  Ze- 
lande  il  estoit  venu  jusques  ä  Delft  &  que  de  lä  siu*  la  nuit  il  s'en  seroit 
retourne  sur  ses  brisees  k  Leyden  oii  estant  arrive  sur  les  dix  heures  du 
soir ,  il  se  seroit  rendu  en  la  mesme  petite  maison  oü  il  passa  la  nuit 
avec  la  susdite  Guerette,  laquelle  voulant  le  matin  aller  au  presche  il 
l'en  auroit  empeschee  quoyque  ce  fut  le  jour  de  la  pentecoste  afin  de 
l'obliger  h  demeurer  tout  le  jour  avec  luy,  comme  eile  fit.  Ledit  Morus 
a  este  aussi  accuse  d'avoir  commis  plusieurs  autres  actions  scandaleuses 
avec  lad.  Guerette  qui  cy  devant  ont  este  produites  en  divers  synodes  & 
qui  n'ont  pas  este  approfondies.  Et  encore  que  led.  Morus  ait  excuse 
toutes  les  privautes  qu'il  avoit  eues  avec  cette  fille  sous  pretexte  d'une 
recherche  honneste  &  que  la  promesse  de  mariage  pour  laqu'elle  lad. 
Guerette  l'avait  tire  en  cause  devant  la  cour  de  Hollande  ait  este  annuUee 
par  lad.  cour,  le  scandale  de  tant  de  privautes  qu'il  avoit  eues  avec  eile 
fit  des  lois  une  si  forte  Impression  dans  l'eglise  dudit  lieu,  que  par 
l'ordi'e  de  son  consistoire  il  fut  arreste  qu'on  ne  luy  presenteroit  plus 
la  chaire,  ce  qui  a  este  punctuellement  execute.  — 

III.  II  a  aussi  este  dit  que  ledit  Morus  demeurant  ä  Middelbourg 
avoit  souvent  converse  familierement  au  grand  scandale  de  l'eglise  avec 
une  femme  mariee  de  tres  mauvaise  reputation  &  qu'il  avait  commis 
plusieurs  legeretes  de  mesme  nature  pendant  le  sejour  qu'il  avoit  en 
lad.  ville. 

IV.  II  a  encore  este  accuse  qu'estant  appelle  ä  Amsterdam,  il  auroit 
eu  diverses  correspoudances  avec  une  certaine  femme  de  mauvaise  vie 
nommee  Marie  Cresson,  qu'il  auroit  este  vu  entrer  deux  ou  trois  fois 
en  sa  maison ,  ce  qu'un  membre  de  l'eglise  auroit  depose  avoir  remarque 


Aktenstücke  betreffend  Alexander  Monis.  301 

&  de  plus  qu'il  auroit  vu  ledit  Morus  prenant  conge  d'elle  &  luy  disaiit 
qua  puisqu'elle  devoit  aller  demeurer  comme  eile  luy  signifioit  en  la  rue 
des  juifs  il  se  donnerait  l'honneur  de  la  visiter,  ce  qui  paroit  par  le  tt- 
moignage  dudit  membre,  qui  a  depose  par  escrit  qu'il  avoit  vu  &  oui  ce 
qua  dessus.  Et  pour  preuve  que  lad.  Cresson  estoit  de  mauvaise  vie, 
«Ue  a  este  depuis  enferraee  dans  le  spinliuys  ä  l'instance  de  sa  propre 
möra  &  da  son  fröre 

V.  II  a  apparu  pleinement  ä  tout  le  synode  par  une  lettre  que  led. 
Morus  a  escrite  qu'il  avoit  ete  en  un  bordel  ä  Amsterdam  &  que  pour 
y  aller  plus  librement  il  avoit  suppose  un  homme  qui  vint  trouver  le 
sr  Soler.  Tun  des  ministres  de  Delft,  pour  tirer  une  lettre  de  sa  main,  en 
vartu  de  laquelle  il  put  estre  ä  couvert  en  cas  qu'il  y  fut  surpris  comme 
ceia  arriva  &  pour  venir  ä  bout  de  ce  dessein  il  persuada  audit  homme 
suppose,  qui  se  disoit  son  cousin  germain  &  prenait  le  nom  de  Jean 
Dalmas  natif  de  Monpelier,  de  dire  en  parlant  audit  s""  Soler  tous  les 
outrages  dudit  IMorus  qui  luy  viendroyent  en  la  bouche,  en  quoy  il  reussit 
d'une  teile  sorte  qu'il  obligea  ledit  sr  Soler  k  escrire  audit  Morus  la 
lettre  par  laquelle  il  a  platre  sa  salete  avec  serment  en  plein  consistoire 
de  l'eglise  d'Amsterdam  assemble  pour  cet  effet  dans  la  maison  d'un  des 
ministres,  ce  qui  arriva  en  l'an  1656,  dont  le  verbal  se  trouve  dans  les 
memoires  dudit  consistoire. 

VI.  On  dit  aussi  que  peu  de  jours  aprez  cet  affaire  estant  retourne 
d'un  voyage  qu'il  avait  fait  ä  Anvers,  il  fut  accuse  en  presence  des 
temoins  dignas  de  foy  par  une  hostesse  d'avoir  voulu  faire  un  bordel  de 
sa  maison. 

VII.  En  la  mesme  annee  ledit  Morus  a  estö  accuse  dans  la  viile 
d'Amsterdam  d'avoir  attente  de  commettre  Sodomie  avec  un  gar^on  aage 
d'environ  19  ans,  nomme  Herman  Hendric  de  Doesburg,  comme  il 
appert  par  le  verbal  qui  an  fut  dresse  devant  un  notaire,  ce  qui  causa 
un  tres  grand  scandale,  vu  notamment  qu'il  avoit  dejä  este  sou^onne  d'un 
masma  crime  estant  k  Middelbourg  lequel  sou^on  fut  confirme  par  les 
plaintes  des  parens  du  jeune  gargon  &  aggrave  par  la  derniere  accusation 
qui  a  este  instituee  contre  ledit  Morus  ä  Flissingue  oü  sur  les  plaintes 
d'une  femme  qui  disoit  l'avoir  vu  dans  une  posture  indecente  avec  un 
gar^on  dans  une  cliambre  de  sa  maison  oü  il  avoit  dine  le  13.  Sept. 
1658.  Et  c'est  en  suite  de  cette  plainte  qui  esclatta  tellement  par  toute 
lad.  ville  que  le  Substitut  du  baillif  l'arresta  comme  un  criminel,  &  en- 
cora  qu'il  fut  bientot  apres  mis  en  liberte,  neanmoins  les  circonstances 
qui  accompagnerent  ou  suivirent  cette  detention  sont  tellas  qu'elles  ont 
laisse  un  grand  sujet  de  scandale  dans  l'esprit  de  tous  qui  en  ont  eu 
cognoissanca,  cas  circonstances :  qu'estant  arrelö  &  conduit  dans  une  mai- 
son qui  a  pour  enseigna  le  eigne  blanc  il  essaya  de  se  sauver  et  de 
sauter  par  la  fenestre  de  la  chambre,  ce  qui  obligea  ceux  qui  l'avoyent 
an  garda  ä  le  faire  passer  en  une  autre,  comme  il  appert  pai"  la  decla- 


302  Anhang  II. 

ration  que  la  maitresse  de  lad.  niaison  en  a  faite  li  trois  pasteurs  &  par 
un  escrit  qu'elle  en  a  donne,  mai-que  de  sa  propre  main.  2e  L'autre  se 
recueille  de  la  lettre  qu'il  escrivit  au  sr  Spang  ministre  anglois  ä  Mid- 
delburg  aussitost  qu'il  se  vit  arreste,  par  laquelle  il  le  prioit  de  venir  ä 
luy  promptement  s'il  vouloit  voir  son  amy  en  vie.  3e  La  troisieme  est  sa 
retraite  de  INIiddelburg  faite  furtivement  apres  y  avoii-  demem'e  cache 
l'espace  de  9  jours  sans  avoir  ose  paroitre  ni  audit  Middelburg  ni  ä  Flis- 
singue  pour  se  justincier  comme  il  devoit.  4^  la  quatrieme  est  l'evanouis- 
sement  du  gar^on  qui  n'a  plus  comparu  5<^  qu'il  n'a  point  intente  action 
contra  le  Substitut  qui  l'avoit  arreste,  ni  conti-e  la  femme  qui  l'avoit  accuse, 
toutes  lesquelles  circonstances  ont  apporte  un  si  grand  scandale  en  la 
Zelande,  que  nos  eglises  se  virent  obligees  de  lui  defendre  la  chaire  en  la 
province  jusques  a  ce  que  le  sj-node  en  eut  pris  cognoissance  comme  il 
le  fait  ä  present. 

VIII.  Ledit  Morus  est  aussi  charge  de  ce  que  quelques  jours  avant 
le  13.  de  Sept.  en  la  mesme  annee  1658,  estant  pour  lors  ä  Middelburg  oii 
il  attendait  le  vent  favorable  pour  passer  en  France,  des  personnes  dignes 
de  foy  le  virent  entrer  ä  diverses  fois  en  une  petite  maison  joignant  un 
jardin,  en  laquelle  il  n'y  avait  qu'une  vieille  femme  de  mauvais  renom  & 
une  putain  publique. 

IX.  II  a  este  aussi  accuse  de  ce  qu'  ayant  este  adverty  par  plusieurs 
fois  de  ne  point  frequenter  un  certain  lieu  infame  de  la  ville  de  Delf  qui 
avoit  pour  enseigne  S.  P.  Q.  R.  un  jour  de  dimancbe  apres  avoir  presche 
en  l'egUse  de  lad.  ville  il  y  fut  vu  entrer  ayant  retuse  l'oflcre  reiteree  que 
le  pasteur  du  lieu  luy  avoit  faite  de  diner  en  sa  maison ,  de  sorte  qu'il 
fiit  tire  avec  beaucoup  de  peine  de  ce  lieu  infame  par  des  personnes 
d'honneur  qui  craignoyent  le  scandale  que  l'eglise  recevroit  si  on  le  voyoit 
sortir  apres  une  longue  demeure. 

X.  De  plus  les  lettres  escrites  de  sa  propre  main  &  quelques  autres 
qui  sont  de  personnes  dignes  de  foy  &  de  ses  amis,  lesqueUes  ont  toutes 
este  receues  en  ce  synode  jle  convainquent  clairement  de  mensonges  en 
matieres  tres  importantes,  de  faussete's,  de  calomnies,  de  fourbes,  de  mes- 
disances  atroces  qu'il  a  proferees  contre  toutes  sortes  de  personnes  tant 
politiques  qu'ecclesiastiques  &  notamment  contre  des  consistoires  entiers 
&  contre  des  pasteurs  qui  servent  avec  gi-ande  edification   en  leurs  eglises. 

XI.  Enfin  en  toutes  accusations  qui  ont  este  faites  contre  luy  on  a 
remarque  que  toute  sa  conduite  depuis  qu'il  est  parmi  nous  il  a  tous- 
jours  fait  paroitre  un  esprit  inconstant  et  leger,  des  inclinations  sales  & 
impudiques  &  une  vanite  insupportable.  Nous  sousignez  certifions  que 
toutes  les  accusations  susdites  ont  este  faites  contre  Alexandre  Morus  en 
presence  de  tout  le  ejTiode  pendant  plusieurs  sessions  qui  ont  este  em- 
ployees  en  cette  affaire  &  que  ce  verbal  qui  en  a  este  dresse  pour  y  avoir 
recours  au  besoin  a  este  recueilly  des  Instructions  des  desputez  de  nos 
eglises  &  des  temoignages  donnes  par  escrit  &  de  vive  voix  en  confirma- 


Aktenstücke  betreffend  Alexander  Morus.  303 

tion  desdites  instructions  &  depositions.  Nous  certifions  aussi  que  tous 
les  articles  contenus  dans  ce  verbal  ont  este  lus  &  relus  en  presence 
de  la  compagnie  &  reconnu  contenir  un  recit  veritable  desdites  accusations 
en  foy  de  quoy  &  par  l'ordre  de  lad.  compagnie  nous  avons  appose  nos 
seins  au  present  escrit 

Charles  Everwyn  president. 

Charles  de  Rochefort  scribe. 
lieber  einzelne  dieser  Anklagepunkte  finden  sich  nähere  Angaben  in 
den  Synodalakten  und  in  den  „Actes  du  consistoire  de  l'eglise  d' Amster- 
dam", ebenso  über  die  Verhandlungen  mit  den  reformirten  Earchenbehör- 
den  von  Frankreich.  Dass  Monis  auch  hier  zu  neuen  Anklagen  Anlass  gab, 
ersieht  man  aus  Haag.  Er  wurde  1664  ermahnt,  zu  verfahren  „avec  plus 
de  circonspection  et  de  prudence,  de  s'abstenir  de  toutes  ses  courses  dans 
les  rues  qui  ont  donne  du  soupQon*'.  Weitere  sehr  ungünstige  Nach- 
richten über  Morus  finden  sich  in  Burmanni,  Syllog.  III.  380,  386. 
V.  19,  48. 


Druckfehler  und  Berichtigimgen. 

S.    25  letzte  Zeile  ist  um  zu  streichen. 

S.    35  Z.  20  ist  als  zu  streichen. 

S.    36  Z.  24  lies  hartes  statt  drakonisches. 

S.  110  Z.  18  lies  wie  statt  wei. 

S.  187  Z.    8  ist  das  Anmerkungszeichen  ^)  ausgefallen. 


Pierer'sche  Hofbuchdrnckerei.    Stephan  Geibel  &  Co.  in  Altenburg. 


MILTON 

UND   SEINE   ZEIT. 


ZWEITER  THEIL. 

1649—1674. 


MILTON 


UND  SEINE  ZEIT. 


Von 

ALFRED  STERN, 

Professor  der  Geschichte  an  der  Universität  Bern. 


ZWEITER  THEIL. 

1649-1674. 
Viertes  Buch.    Unter  der  Restauration. 


LEIPZIG. 
VERLAG  VON  DUNCKER  &  HTOIBLOT. 

1879. 


MILTON 

UND  SEINE  ZEIT. 

Von 

ALFEED  STERN. 


Viertes  Buch. 

Unter   der  Restauration. 

1660—1674. 


LEIPZIG. 

VERLAG  VON  DUNCKER  &  HUMBLOT. 

1879. 


Das  EecM  der  Uebersetzung  wie  alle  anderen  ßeclite  vorbehalten  von  der 

Verlagsbuchhandlun  g. 


Viertes    Buch. 

Unter  der  Restanration  1660  —  1674. 
Inhalts  -  Verzeicliniss. 


Erstes  Kapitel. 

Gefahr  und  Rettung S.  3  -  24. 

Rückkehr  der  Stuarts  3.  Indemnitätsakte  4.  Hinrichtungen  5.  Schick- 
sal von  Lambert  und  Vane  6.  Gefahr  Milton's  7,  S.  Proklamation 
gegen  ihn  und  Goodwin.  Milton  in  der  Indemnitätsakte  übergangen  9. 
Frage  nach  seinen  Fürsprechern  10.  Anekdote  seines  Scheinbegräb- 
nisses 11.  In  zeitweiliger  Haft  des  Parlamentes  1 2.  Verschwinden  vom 
öffentlichen  Schauplatze  12.  Wohnungen,  Vermögensverhältnisse,  dritte 
Ehe  13.  Wohnung  im  Artillerie- Weg.  Häusliches  Leben  14.  Die  drei 
Töchter  15,  16.  Edward  Phillips.  Christoph  Milton  17.  Thomas  Ell- 
wood 18,  19.  Tod  von  Lawes  und  Hartlib  20.  Comenius.  Durie.  Pell 
21,  22.     Die  Royal  Society  23.     Barrow  und  Marvell  24. 

Zweites  Kapitel. 

Die  Reaktion  geg-en  den  Puritanismus S.  25  —  47. 

Reaktion  gegen  den  puritanischen  Rigorismus  25,  26.  Der  König  und 
der  Hof  27.  Ton  der  höfischen  Gesellschaft  28.  Reaktion  in  der  Lite- 
ratur. Butlcr's  Hudibras  29,  3l).  Rochester  31.  Dorset.  Sedley  32. 
Die  Bühne.  Das  Lustspiel  33.  Die  Tragödie  34.  Einfluss  Frankreichs  35. 
Heroische  Schauspiele  36.  John  Dryden  37.  Reaktion  in  der  Kirche, 
Wiederherstellung  der  bischöflichen  Kirche  38  —  40.  Verhandlungen  mit 
den  Presbyterianern  41,  Savoy- Konferenz.  Konvokation  42.  Korpo- 
rationsakte. Uniformitätsakte  43.  Der  Bartholomäustag  1 662  44.  lu- 
dulgenzerklärung  des  Königs  45.  Konventikelakte.  Fünfmeilenakte  46. 
Auswärtige   Politik  47. 


VI  Inhalts -Verzeichniss. 

Drittes  Kapitel. 
Das  verlorene  Paradies    .     .     .  * S.  48  — 103, 

Frühe  Beschäftigung  mit  dem  Gegenstande  48,  49.  Zeit  der  Abfassung  50. 
Die  Pest  1665.  Milton  in  Chalfont  51.  Ellwood  liest  das  Gedicht  52. 
Brand  von  London  1666  53.  Englisch -niederländischer  Krieg  54,  55. 
Erscheinen  des  verlorenen  Paradieses  56,  57.  Quellen:  Caedmon.  Du- 
Bartas.  Die  Fletcher  etc.  5S,  59.  Andreini's  Adamo  60.  H.  Grotius' 
Adamus  exul  6U.  Vondel's  Lucifer  61.  Der  Gegenstand  62  —  65.  Dra- 
matischer Charakter  des  Gedichtes  66.  Inhaltsangabe  66  —  76.  Die 
Charaktere:  Satan  und  die  Teufel  76 — 80.  Gott,  Gottes  Sohn  und  die 
Engel  81  —  83.  Adam  und  Eva  83  —  87.  Das  epische  Element  88. 
Kopernikanisches  oder  ptolemäisches  System  89 — 91.  Das  lyrische  Ele- 
ment 92,  93.  Puritanische  Teudenz  94.  Das  didaktische  Element.  Die 
Weltanschauung  des  Dichters  95  —  97.  —  Milton  und  Bunyan  97,  98. 
Milton  und  Klopstock  99,   100.     Milton  uud  Dante  101—103. 

Viertes  Kapitel. 

Das  wiedej'geivonnene  Paradies.  Simson  der  Athlet  S,  104  —  128. 
Entstehung  des  wiedergewonnenen  Paradieses  104,  105.  Verhältnis  zum 
verlorenen  Paradiese  lu6.  Inhaltsangabe  107  — 114.  Renaissance  und 
Puritanismus  115.  Milton's  Latinismen  116.  Der  reimlose  Jambus  117, 
118.  Behandlung  dieser  Versform  119.  —  Entstehung  des  Simson  120, 
121.  Antike  Form  des  Dramas  122,  123.  Inhalt  124—126.  Kritik  126. 
Autobiographische  Andeutungen   127.     Politische   Tendenz    128. 

Fünftes  Kapitel. 

Abschluss  der  g-elehrteu  Arbeiten S.   129  — 165. 

Lateinisches  Wörterbuch  130.  Lateinische  Grammatik  131. 
Geschichte  Britanniens  132  — 145.  Milton's  historische  Befähi- 
gung 133.  Benutzte  Quellen  134.  Seine  Quellenkritik  135.  Populärer 
Charakter  seines  Werkes  136.  Sein  historischer  Stil  137,  138.  Anspie- 
lungen auf  die  Zeitgeschichte  134.  Die  unterdrückte  Stelle  bezüglich 
der  Revolution  140 — 145.  Lehrbuch  derLogik  146.  System  der 
Theologie  147.  Entstehung  und  Handschrift  des  Werkes  147,  148. 
Allgemeiner  Charakter  des  Werkes  149,  150.  Sein  Zweck  151.  Anleh- 
nung an  die  Bibel  152.  Benutzung  früherer  Lehrbücher  153.  Verbin- 
dung von  Glaubens-  und  Sittenlehre  154.  Vergleichung  mit  dem  ver- 
lorenen Paradiese  155,  156.  Milton  und  der  Calvinismus  157,  158. 
Milton  und  die  Dreieinigkeitslehre  759,  760.  Milton  und  der  Pantheis- 
mus 161,  162.  Ansichten  über  Taufe  und  Ehe  163,  164.  Schlussbe- 
trachtimg  164,   165. 


Inhalts  -  Verzeichniss.  Vn 

Sechstes  Kapitel. 
Des  Lebens  Ende S.  166  —  192. 

Ereignisse  in  Staat  und  Kirche  166  —  168.  Test-Akte  169.  Milton's 
Schrift  „Von  wahrer  Religion,  Schisma,  Toleranz"  17 U  — 
175.  lieber  den  Katholicismus  171.  Ueber  die  protestantischen  Sekten 
172.  Grenze  der  Toleranz  gegenüber  dem  Katholicismus  173,  174.  Ver- 
theidigung  Milton's  durch  Marvell  gegen  Samuel  Parker  und  Genossen 
175,  176.  Milton's  „Beschreibung  des  russischen  Reiches'' 
777,  178.  Uebersetzung  der  D  eklaration  betreffend  die  Kö- 
nigswahl Sobieski's.  Zweite  Auflage  der  Gedichte  179. 
Die  Privatbriefe  und  College-Reden.  Die  Staatsbriefe 
180.  Mitwirkung  an  E.  Phillips'  Theatrum  poetarum  181.  Zweite 
Auflage  des  verlorenen  Paradieses  182.  Milton  und  Dryden 
183.  Undankbarkeit  von  Milton's  Töchtern  184,  185.  Letzte  Willens- 
erklärung 186,  187.  Zeugenaussagen  über  das  Verhalten  der  Töchter 
188.  Schicksale  Christoph  Milton's  und  der  beiden  Phillips  189,  190  . 
Milton's  Nachkommenschaft  190,   191.     Schluss  191,   192. 

Aiimerkung-eu S-  193  —  210. 

Personenresrister S.  211  —  217. 


Viertes  Buch. 

Unter  der  Restauration. 
1660-1674. 


Stern,   Milton  n.  s.  Z.    II.  4. 


Erstes  Kapitel. 
Gefahr  und  Rettung. 


Am  29.  Mai  1660  hielt  Karl  II.  unter  dem  brausenden 
Jubel  der  dichtgedrängten  Volksmassen  seinen  Einzug  in  den 
väterlichen  Palast.  Es  war  ein  Tag,  von  dem  eine  neue  Aera 
in  der  Geschichte  Englands  datirte,  und  mit  dem  auch  im 
Leben  Milton's  ein  neuer  Abschnitt  begann.  Was  er  mit 
Bangen  hatte  herannahen  sehen,  war  eingetreten.  Seine 
Rathschläge ,  seine  Warnungen,  seine  Beschwörungen  waren 
vergeblich  gewesen.  Ihm  blieb  nur  die  späte  Erkenntnis 
Unmögliches  erstrebt,  und  das  bittere  Bewusstsein  die  Hoff- 
nungen der  Mannesjahre  verloren  zu  haben.  Vereinsamt 
stand  er  unter  einem  Geschlecht,  dem  er  sich  fremd  fühlte, 
und  jeder  Tag  brachte  ihm  Kunde  davon ,  wie  rasch  sich  die 
Restauration  befestigte.  Es  zeigte  sich,  dass  dieses  Volk, 
dem  die  Republik  nur  in  Form  einer  drückenden  Älilitärherr- 
schaft  erschienen  war,  die  Monarchie  als  rettende  und  er- 
lösende  Macht  begrüsste.  Es  zeigte  sich  nicht  minder  deut- 
lich, dass  der  Gedanke  einer  legislativen  Union  der  drei  Reiche 
verfrüht  gewesen  war. 

Der  junge  Fürst,  dem  man  seine  Fehler  um  seiner  Schick- 
sale willen  nachsah,  bezauberte  alle  Herzen.  Im  Staatsrath 
fanden  sich  Vertreter  aller  derjenigen  Parteien  friedlich  zu- 
sammen, deren  vereinte  Kraft  die  Wiederherstellung  des 
Königthums  bewirkt  hatte.    Im  kleineren  Kreise  des  Kabinets 


4  Indemnitätsakte. 

entfaltete  der  alsbald  zum  Grafen  von  Clarendon  ei-hobene 
Lordkanzler  Edward  Hyde  mit  den  engsten  Vertrauten  eine 
stetige  und  eingreifende  Thätigkeit.  Die  tapferen  Veteranen, 
in  denen  der  Engländer  die  Institution  des  stehenden 
Heeres  hassen  und  fürchten  gelernt  hatte,  legten  ohne 
Murren  die  Waffen  nieder  und  kehrten  ohne  Zögern  zum 
bürgerlichen  Leben  zurück.  Das  Konventionsparlament,  von 
Karl  IL  als  gesetzmässig  anerkannt,  nahm  keinen  Anstand 
das  Tonnen-  und  Pfundgeld  auf  die  Zeit  seines  Lebens  zu 
bewilligen  und  dem  König  ein  Jahreseinkommen  zu  sichern, 
das  zwar  für  seine  Bedürfnisse  nicht  genügte,  aber  reicher 
ausfiel  als  es  jemals  vorher  der  Fall  gewesen  war.  Die  Frage 
der  Rückerstattung  eingezogener  Güter  der  Krone,  der  Kirche 
und  von  Privaten  gieng  einer  Lösung  entgegen,  die,  wenn  sie 
auch  zahlreiche  Ansprüche  unbefriedigt  liess,  einen  gesicherten 
Rechtszustand  schuf  und  besser  als  irgend  etwas  sonst  die 
Stärke  der  neuen  Regierung  bezeugte. 

Indessen  die  wichtigste  Angelegenheit  war  die  der 
Indemnität,  des  Vergebens  und  Vergessens,  mit  Rücksicht 
auf  alle  die,  welche  sich  persönlich  an  der  Revolution  be- 
theiligt hatten.  In  der  Erklärung  von  Breda  vom  14.  April 
1660  hatte  Karl  IL  eine  allgemeine  Verzeihung  für  alle,  die 
binnen  vierzig  Tagen  ihre  Loyalität  bekunden  würden,  ver- 
sprochen, mit  alleinigem  Ausschluss  derjenigen,  die  das  Parla- 
ment davon  ausnehmen  werde.  Bald  nach  seiner  Rückkehr 
hatte  er  durch  eine  Proklamation  die  Richter  seines  Vaters 
aufgefordert,  sich  binnen  vierzehn  Tagen  zu  stellen,  bei  Strafe 
der  Wohlthat  der  Amnestie  verlustig  zu  gehn.  Eine  Anzahl 
hatte  sich  im  Vertrauen  auf  das  königliche  Wort  ausgeliefert. 
Einige  wurden  auf  der  Flucht  ergriffen.  Anderen  gelang  es 
auf  das  Festland  zu  entkommen.  Das  Unterhaus  legte  zuerst 
wenig  Neigung  an  den  Tag,  die  Politik  der  Rache  über  einen 
sehr  beschränkten  Kreis  von  Personen  hinaus  zu  erstrecken. 
Seiner  Masse  nach  aus  Männern  von  presbyterianischen 
Sympathieen  zusammengesetzt,  schien  es  gewillt,  einige  wenige 
Opfer  von  besonders  verhasstem  Namen  auszuwählen  und 
durch  ihren  Tod  die  Schuld  aller  übrigen  sühnen  zu  lassen. 


Indemnitätsakte,  —  Hinrichtungen.  5 

Selbst  von  den  Regiciden  hatte  es  ursprünglich  nur  sieben 
von  der  Zusicherung  des  Lebens  ausgeschlossen  zu  sehn  ge- 
wünscht. Allein  bald  wuchs  schon  bei  den  Gemeinen  das 
Register  der  zum  Tode  Bestimmten  an,  und  eine  zweite  Liste 
umfasste  die  Namen  derjenigen,  denen  eine  geringere  Strafe 
zugedacht  war.  Das  Htius  der  Lords,  das  sich  seit  dem  ]\Iai 
wieder  gefüllt  hatte,  war  bei  weitem  mehr  von  den  Gefühlen 
des  Hasses  und  der  Rache  beseelt.  Jede  Veränderung,  die 
es  an  der  Indemnitätsbill  vornahm,  war  eine  Verschärfung. 
Es  forderte  den  Tod  für  alle  diejenigen,  welche  das  Urtheil 
über  den  König  gesprochen  hatten,  und  fügte  fünf  Namen, 
unter  denen  die  von  Vane  und  Lambert,  hinzu. 

Das  Ergebnis  der  langen  Verhandlungen  war  ein  Kom- 
promiss,  bei  dessen  Herstellung  der  erste  Berather  des 
Monarchen  es  sich  wenig  angelegen  sein  liess,  die  Ehre  des 
königlichen  Wortes  zu  wahren.  Unter  den  zehn  Männei'n, 
an  welchen  das  Todesurtheil  vollstreckt  wurde,  war  einer  de 
Königsrichter,  der  sich  im  Vertrauen  auf  die  Proklamation 
Karls  n.  gestellt  hatte.  Fünf,  die  wie  er  den  ,, blutigen  Voll- 
zugsbefehl" vom  29.  Januar  1649  unterzeichnet  hatten,  theilten 
sein  Schicksal.  John  Cook,  der  einstige  Vertreter  der  An- 
klage gegen  den  „Tyrannen  und  Feind  des  Gemeinwesens", 
Hacker  und  Axteil,  welche  während  des  Processes  und  während 
der  Hinrichtung  die  Wachen  kommandirt  hatten,  Hugli  Peters, 
der  leidenschaftliche  Prediger,  den  ein  besonderer  Hass  ver- 
folgte, bestiegen  gleichfalls  unweit  der  Richtstätte  von  White- 
hall  das  SchaÖbt.  Mit  Ausnahme  des  zuletzt  Genannten  legten 
sie  sämmtlich  die  grösste  Standhaftigkeit  und  Zuversicht  in 
die  Gerechtigkeit  ihrer  Sache  an  den  Tag.  Drei  weitere 
Regiciden  wurden  einige  Zeit  nachher  -von  den  Niederlanden 
ausgeliefert  und  giengen  mit  dem  Gefühl  von  Märtyrern  in 
den  Tod.  Die  Flüchtlinge,  welche  unter  dem  Schutz  des 
Freistaates  von  Bern  an  den  Ufern  des  genfer  Sees  ein  Asyl 
gefunden  hatten,  sahen  sich  noch  in  dieser  Entfernung  von 
der  Heimat  beständig  durch  meuchlerische  Nachstellungen 
bedi-oht,  und  einen  von  ihnen  traf  die  Kugel  des  gedungenen 
Mörders (^).     Auch   blieben    diejenigen    Königsrichter,    deren 


6  Hinrichtungen.  —  Schicksal  von  Lambert  und  Vane. 

man  habhaft  geworden  war  und  deren  Leben  geschont  wurde, 
der  Freiheit  beraubt.  Henry  Märten  hat  zwanzig  Jahre  ge- 
duldet, und  erst  der  Tod  hat  den  Achtundsiebzigjährigen  er- 
löst. — 

Lambert  und  Vane  hatten  nicht  zu  den  Richtern  Karls  L 
gehört,  aber  die  fanatischen  Royalisten  setzten  es  durch,  dass 
auch  sie  von  jeder  Amnestie  ausgenommen  sein  sollten.  Das 
Konveiitions-Parlament  zeigte  immerhin  noch  so  viel  Mässigung 
darauf  zu  dringen,  dass  falls  sie  des  Todes  schuldig  befunden 
würden,  die  Ausführung  des  Urtheils  unterbleiben  sollte. 
Das  neue  Parlament,  welches  aus  den  Wahlen  von  1661  her- 
vorgleng,  kannte  keine  Schonung.  Lambert  M'usste  durch  die 
demüthige  Haltung,  die  er  vor  seinen  Richtern  einnahm,  wie 
durch  Anrufung  der  königlichen  Gnade  sein  Leben  zu  retten 
und  blieb  dreissig  Jahre  lang  ein  Gefangener  auf  der  Lisel 
Guernsey.  Vane  erwartete  ein  anderes  Geschick.  Von  Ge- 
fängnis zu  Gefängnis  geschleppt  und  zuletzt  auf  Scilly  in  ein- 
samer Haft  gehalten,  hatte  er  weder  die  Spannkraft  noch  die 
Ruhe  seines  Geistes  verloren.  In  den  Todesbetrachtungen, 
die  er  niederschrieb,  in  dem  rührenden  Briefe,  durch  den  er 
sein  Weib  über  ihr  Schicksal  zu  trösten  suchte,  athmet  das 
Gefühl  einer  allen  irdischen  Kämpfen  entrückten,  durch  nichts 
mehr  zu  erschütternden  Seele.  Seine  Vertheidigung  vor  dem 
Tribunal  gegen  eine  Anklage,  die  tausend  andere  ebenso  gut 
hätte  treft'en  können  wie  ihn,  kann  noch  heute  als  ein  Muster 
muthiger  und  würdiger  Beredtsamkeit  gelten.  Aber  sein 
Loos  war  entschieden.  Der  König  selbst,  der  doppelt  und 
dreifach  gebunden  war,  dem  stolzen  Republikaner  Gnade  zu 
erweisen,  so  sehr  er  sich  sonst  bemühte  die  Rachegefühle 
seiner  Anhänger  zu  zügeln ,  gab  ihn  auf.  „Er  ist  ein  zu  ge- 
fährlicher Mann,  schrieb  er  dem  Lordkanzler,  um  ihn  am 
Leben  zu  lassen,  wenn  wir  ihn  auf  gute  Art  bei  Seite  schaffen 
können".  Indem  sich  Vane  auf  den  Tod  vorbereitete  und 
die  Seinigen  zu  einem  letzten  Gebete  um  sich  versammelte, 
sprach  er  die  Ueberzeugung  aus,  dass  die  „ruhmreiche  Sache'\ 
für  die  er  gelebt,  aus  seinem  Blute  wieder  emporspriessen 
werde.     Am  14.  Juni  1662  endete  der  Mann,  der  einst  von 


Schicksal  vou  Lambert  und  Vane.  —  Gefahr  Milton's.  7 

Milton  mit  begeisterten  Worten  gepriesen  worden  war,  au 
derselben  Stätte,  welche  die  letzten  Momente  Strafford's  ge- 
sehn  hatte,  unter  dem  Richtschwert (^).  Ein  Jahr  vorher 
war,  um  auch  in  Schottland  den  Umschwung  der  Dinge  mit 
Blut  zu  bezeichnen,  das  Haupt  Argyle's  auf  dem  Schaffot 
gefallen.  Es  wurde  auf  demselben  Pfahl  aufgesteckt,  der  den 
Kopf  seines  Gegners  Montrose  getragen  hatte.  Zwei  weitere 
Opfer,  ein  Kapitän,  der  einst  zu  Cromwell  übergegangen  war, 
und  ein  einflussreiches  Mitglied  des  Klerus  folgten  ihm  nach.  — 
Man  wollte  nicht  dabei  stehn  bleiben  der  "Welt  das  Schau- 
spiel von  Hinrichtungen  zu  geben,  auch  die  Todten  sollten 
von  der  Rache  der  Restauration  getroffen  werden.  Die  Ge- 
beine von  Cromwell's  Mutter  und  Tochter,  von  Pym  und 
Blake  wurden  aus  der  Kapelle  Heinrich's  VH.  und  aus  der 
Westminsterabtei  entfernt  um  in  den  anstossenden  Kirchhof 
versetzt  zu  werden.  Die  Leichname  CromwelFs,  Bradshaw's, 
Ireton's  wurden  aus  ihren  Gräbern  gerissen  und  an  dem 
Galgen  von  Tyburn  aufgehängt.  Man  schnitt  ihnen  die  Köpfe 
ab  und  machte  sie  zum  grässlichen  Schmuck  derselben  Halle 
von  Westminster,  in  der  das  Urtheil  über  Karl  I.  gefällt 
worden  war. 


Die  Frage  drängt  sich  auf,  welches  Schicksal  Milton  er- 
eilte. Von  allen  denen,  deren  Feder  der  Republik  gedient 
hatte,  gab  es  keinen  Berühmteren  als  ihn.  Hatte  er  keine 
Gelegenheit  gehabt,,  an  der  Verurtheilung  des  Königs  Theil 
zu  nehmen,  so  hatte  er  sie  doch  für  vollkommen  gerechtfertigt 
erklärt.  Er  hatte  die  Zertrümmerung  des  „königlichen  Bildes" 
übernommen.  Er  hatte  im  Kampfe  mit  Salmasius  und  seinen 
Geistesverwandten  die  grosse  politische  Frage  vor  dem  Forum 
der  öffentlichen  Meinung  Europas  behandelt.  Ein  Jahrzehnt 
hindurch  hatte  er  einen  wichtigen  amtlichen  Posten  bekleidet. 
Bis  zuletzt  war  seine  Stimme  gegen  die  Herstellung  der 
Monarchie  laut  geworden,  und  unmittelbar  vor  der  Rückkehr 
des  Königs  hatte  man  seinen  Namen  wiederholt  in  den  £;chrift- 
stellerischen    Kämpfen   des    Tages    genannt    hören    können. 


8  Gefahr  Miltou's. 

Karl  II.  hätte  noch  seine  besonderen  Gründe  gehabt,  den 
Mann  seine  strafende  Hand  fühlen  zu  lassen,  der  im  sieben- 
undzwanzigsten Kapitel  des  Bilderstürmers  ein  wenig  schmeichel- 
haftes Bild  von  seiner  Person  entworfen  hatte.  Wenn  Vane 
zum  Richtplatz  geführt  werden  konnte,  so  durfte  sich  sein 
blinder  Gesinnungsgenosse  nicht  sicher  fühlen,  und  theilnehmende 
Freunde  im  Ausland  hatten  Grund  genug  sich  ängstlich  nach 
seinem  Loose  zu  erkundigen.  Auch  fehlte  es  keineswegs  an 
Denunciationen,  wie  sie  in  Zeiten  eines  plötzlichen  Umschlags 
der  öffentlichen  Angelegenheiten  mit  widerlicher  Geschäftig- 
keit vorgebracht  zu  werden  pflegen.  Möglicher  Weise  war 
auch  Milton's  politischer  Phantasieen  gedacht  worden,  wenn 
schon  am  20.  April  ein  anonymer  Pamphletist  die  Frage  auf- 
gewoifen  hatte,  „ob  Erhängen  oder  Ertränken  die  beste  Art 
sei  unsere  vormaligen  Piepublikaner  in  die  Gemeinwesen 
Utopia  oder  Oeeana  zu  befördern'* (^).  Roger  L'Estrange 
versäumte  nicht  in  einer  neuen  Schrift,  die  von  seinem  er- 
probten Royalismus  Zeugnis  ablegen  sollte,  darauf  hinzuweisen, 
dass  Milton  „gegen  Dr.  Griffith  geschrieen",  von  ihm  selbst 
aber  die  gebührende  Antwort  empfangen  habe(-).  Ein  ge- 
reimtes Libell  nannte  unter  der  Zahl  derer,  die  „im  schwarzen 
Hofe  Plutos"  gleichsam  die  Leibwache  des  Protektors  gebildet 
hätten,  neben  den  Harrison,  Hewson,  Cook,  Vane  u.  s.  w. 
ausdrücklich  auch  Milton (^),  Die  nachgelassene  Schrift  des, 
Salmasius,  die  einige  Monate  nach  der  Rückkehr  des  Königs 
in  London  herauskam,  ein  Neudruck  des  „unzerbrochenen 
Bildes"  (s.  o.  III.  48),  rief  aufs  neue  die  Erinnerung  an  die  über- 
lebende Partei  jener  denkwürdigen  literarischen  Kämpfe  wach.  — 
Je  stärker  unmittelbar  nach  der  Restauration  diejenige  Art 
historischer  Literatur  anwuchs,  welche  die  Vergangenheit  vom 
einseitigen  Parteistandpunkt  aus  beurtheilte,  je  lebhafter  die 
Neigung  war,  das  Andenken  des  Königs-Märtyrers  in  glänzen- 
den Farben  aufzufrischen,  desto  häufiger  bot  sich  auch  der 
Anlass  dar,  den  ehemaligen  Sekretär  der  Republik  recht  ein- 
dringlich der  Beachtung  derer  zu  empfehlen,  gegen  die  er  so 
empfindliche  Streiche  geführt  hatte. 

In   der   That  zeigte   sich   sehr  bald,  dass  man  Milton's 


Prokl.  geg.  ihn  u.  Goodwiu.  —  Milton  i.  d.  Indeninitätsakte  überg.      9 

nicht  vergessen  habe.  Am  16.  Juni  beschloss  das  Haus  der 
Gemeinen  den  König  zu  bitten,  zwei  Bücher  Milton's  —  man 
dachte  an  den  Bilderstürmer  und  die  erste  Vertheidigung  des 
englischen  Volkes  —  und  eine  Schrift  John  Goodwin's  (The 
obstructors  of  justice),  in  denen  der  Mord  Karls  I.  gerecht- 
fertigt worden  sei,  konfisciren  und  verbrennen  zu  lassen,  so- 
wie durch  den  Attorney-General  gegen  die  Verfasser  einzu- 
schreiten. Auch  sollte  der  Sergeant-at-Arms  des  Hauses  beide 
in  Haft  nehmen.  Am  13.  August  erschien  die  gewünschte 
königliche  Proklamation.  Sie  nannte  die  Titel  der  betreften- 
den  Schriften  Milton's  und  Goodwin's,  forderte  ihre  Ausliefe- 
rung, „auf  dass  die  guten  Unterthanen  von  ihren  schlechten 
und  verrätherischen  Grundsätzen  nicht  angesteckt  würden", 
und  ermächtigte  die  Sheriffs  die  konfiscirten  Exemplare  durch 
die  Hand  des  Henkers  verbrennen  zu  lassen.  Von  den  Autoren 
hiess  es,  sie  seien  „entweder  geflohen  oder  hielten  sich  so  ver- 
borgen, dass  alle  Bemühungen  ihrer  habhaft  zu  werden,  um 
sie  vor  Gericht  zu  stellen  und  der  gerechten  Strafe  für  ihren 
Verrath  und  ihre  Verbrechen  zu  überliefern,  bisher  vergeblich 
gewesen  seien".  Schon  hieraus  geht  hervor,  dass  das  Gerücht 
falsch  war,  welches  IMilton  bereits  am  15.  Juli  verhaftet  sein 
liess(^).  Am  27.  August  wurden,  wie  die  Zeitung  verkündigte, 
„verschiedene  Exemplare  dieser  infamen  Bücher  John  Good- 
win's  und  John  Milton's,  geschrieben  zur  Rechtfertigung  des 
grässlichen  jNIordes  des  verewigten  ruhmvollen  Herrschers, 
Königs  Karl  I. ,  vor  dem  Gerichtshaus  in  Old  Bailey  durch 
Henkershand  verbrannt"  (-).  Zwei  Tage  später  kam  die 
Indemnitäts-Akte  heraus.  John  Goodwin  war  unter  denen 
aufgeführt,  die  für  unfähig  erklärt  wurden,  ein  kirchliches, 
bürgerliches  oder  militärisches  Amt  zu  bekleiden.  Milton's 
Name  war  übergangen  ('). 

^lan  hat  sich  Mühe  gegeben  an's  Licht  zu  bringen,  wessen 
\'ermittelung  es  Milton  verdankte,  dass  er  um  so  viel  besser 
behandelt  wurde  als  Goodwin,  während  dieser  doch  zur  Zeit 
des  Interregnums  eine  viel  geringere  Rolle  gespielt  hatte. 
E.  Phillips  spricht  nur  von  „einigen  im  Geheimrath  und 
Parlament"  und  gedenkt  besonders  der  Bemühungen  „Andrew 


10  Frage  nach  seinen  Fürsprechern. 

Marvell's,  des  Mitgliedes  für  Hüll,  der  sich  ^lilton's  tapfer  im 
Unterhause  annahm  und  eine  starke  Partei  für  ihn  zusammen- 
brachte''. Marvell.  der  schon  in  dem  Parlamente  Richard 
Cromwell's  gesessen  hatte,  ^Yar  allerdings  nicht  der  Mann, 
seinen  einstigen  Kollegen  in  der  Xoth  zu  verlassen .  wie  er 
denn  noch  später  muthig  eine  Lanze  für  den  alten  Freund 
gebrochen  hat.  Von  anderer  Seite  werden  die  Namen  des 
Staatssekretärs  William  INIorris  und  des  Sir  Thomas  Clarges 
genannt.  Beide  standen  Monk  sehr  nahe,  und  nach  derVer- 
muthung  einiger  wäre  Monk  selbst  für  den  Dichter  eingetreten. 
Endlich  soll  ihm  ein  Genosse  seiner  Kunst,  ohne  Rücksicht 
auf  die  Verschiedenartigkeit  ihrer  politischen  Stellung,  einen 
Dienst  vergolten  haben,  den  INIilton  ihm  seinerseits  früher  ge- 
leistet habe. 

Der  Dichter  William  Davenant  war,  im  Begriff  sich  nach 
Virginien  zu  begeben,  im  Anfang  des  Jahres  1650  mit  seinem 
Schiff  in  die  Hände  der  Republikaner  gefallen.  Davenant, 
der  ehemals  nicht  nur  mit  der  Feder  sondern  auch  mit  dem 
Schwerte  für  die  königliche  Sache  gefochten  hatte,  war  eine 
zu  bekannte  Persönlichkeit,  als  dass  man  ihm  nicht  staats- 
gefährliche Absichten  hätte  Schuld  geben  sollen.  Er  wurde 
im  Schloss  von  Cowes  auf  der  Insel  Wight  gefangen  gehalten 
und  beförderte  von  hier  aus  sein  Heldengedicht  „Gondibert", 
unvollendet  wie  es  war.  zum  Druck.  Vermochten  sich  selbst 
Davenanfs  Gesinnungsgenossen  nicht  dazu  aufzuschwingen, 
dies  Gedicht  mit  Hobbes  der  Iliade  und  Aeneide  an  die  Seite 
zu  stellen,  so  forderte  doch  das  persönliche  Schicksal  des 
Dichters  zu  ausserordentlicher  Theilnahme  auf.  Man  ver- 
brachte ihn  nach  dem  Tower  und  war  im  Begriff  ihm  den 
Process  auf  Leben  und  Tod  zu  machen,  als  er  sich  auf  eine 
nicht  hinlänglich  aufgeklärte  Weise  in  Freiheit  gesetzt  und 
weiteren  Verfolgungen  entzogen  sah.  Zwei  Aldermen  von 
York,  gegen  die  er  sich  während  des  Bürgerkrieges  sehr 
freundlich  erwiesen  hatte,  sollen  sich  für  ihn  verwandt  haben. 
Von  anderer  Seite  taucht  die  Nachricht  auf,  die  Fürbitte 
Milton's  sei  ihm  gleichzeitig  zu  gute  gekommen.  Indessen 
ist  diese  Ueb erlief erung  zu  unsicher,   als  dass   mau  sie  ohne 


Anekdote  s.  Scheinbegräbnisses.  —  In  zeitweiliger  Haft  d.  Parlam.   \\ 

weiteres  gelten  lassen  dürfte.  Mit  ihr  steht  und  fällt  a])er 
die  andere,  dass  Davenant,  der  die  Gunst  der  herrschenden 
Kreise  in  hohem  Masse  genoss,  sich  jenes  Liebesdienstes  er- 
innert und  für  Milton  verwandt  habe(*). 

Kaum  besser  begründet  erscheint  die  Anekdote,  die  zu 
berichten  weiss,  auf  welche  Weise  es  gelungen  sei,  bis  zum 
Erlass  der  Indemnitätsakte  die  Wachsamkeit  der  Späher, 
welche  Milton  auflauerten,  zu  täuschen.  Die  Freunde  des 
Dichters  —  so  heisst  es  —  feierten,  um  Zeit  zu  gewinnen, 
zum  Sehein  sein  Leichenbegängnis,  ein  Komödiantenstreich, 
über  den  der  König  selbst  später  herzlich  gelacht  haben  soll  {^). 
In  jedem  Fall  kann  die  Mitwissenschaft  Milton's  nicht  voraus- 
gesetzt werden.  Auch  sein  Neffe  giebt  keine  Andeutung  irgend 
eines  Vorganges  dieser  Art.  Er  berichtet  nur,  dass  diejenigen, 
die  sich  für  das  Wohl  seines  Oheims  interessirten ,  ihm  ge- 
rathen  hatten  sich  eine  Zeit  lang  verborgen  zu  halten.  Ohne 
Zweifel  fiel  das  noch  in  die  Zeit  vor  der  Rückkehr  des  Königs. 
Man  kennt  eine  Urkunde,  aus  der  hervorgeht,  dass  am  7.  Mai 
1660  Cyriack  Skinner  seinem  Freunde  iMilton  400  £.  vor- 
streckte. Offenbar  brauchte  der  Dichter  damals  rasch  eine 
bedeutende  Geldsumme  für  alle  Fälle.  Er  verliess  seine 
Kinder  und  hielt  sich  im  Hause  eines  Freundes  in  Bartholomew- 
Close   bis  zum  Erscheinen   der  Indemnitätsakte  versteckt  (^). 

Allein  auch  danach  war  die  Zeit  der  Gefahr  für  ihn  noch 
nicht  vorüber.  Wir  wissen  nicht,  was  ihm  die  nächsten 
Monate  gebracht  haben.  Es  wird  erzählt,  er  habe  in  schlaf- 
losen Nächten  die  Tücke  fanatischer  Royalisten  gefürchtet. 
Sicher  ist,  dass  ihn  das  Haus  der  Gemeinen  in  den  Gewahr- 
sam seines  Sergeant-at-Arms  abführen  liess.  Zwar  fehlt  sein 
Name  in  einer  am  12.  Sept.  verlesenen  Liste  derjenigen,  die 
sich  unter  Aufsicht  dieses  Beamten  befanden.  Abei-  vom 
15.  Dec.  1660  datirt  die  Vollmacht,  ihn  nach  Zahlung  der 
Gebühren  zu  entlassen.  Am  siebzehnten  wurde  berichtet, 
dass  der  Sergeant  übermässige  Gebühren  für  die  Haft  Milton's 
„verlangt"  habe,  und  der  Beschluss  gefasst,  beide  vorzufordern, 
um  das  richtige  iNIass  der  zu  zahlenden  Summe  festzusetzen. 
Vermuthlich  hatte  Milton  selbst  auf  diese  Genugthuung   zu 


12  In  zeitweiliger  Haft  d.  Parlam.  —  Verschw.  v,  öffentl.  Schauplatz. 

dringen  den  Muth  gefunden,  nachdem  ihm  auch  die  ausdrück- 
liche Verzeihung  des  Königs  zu  Theil  geworden  war(^). 

Eine  grosse  Gefahr  war  glücklich  am  Haupte  des  Dichters 
vorübergezogen.  Sein  Leben  und  seine  Freiheit  waren  gerettet, 
aber  er  war  ein  abgethaner  Mann.  Nichts  kann  verkehrter 
sein  als  der  Erzählung  Glauben  zu  schenken,  der  König  habe 
ihm,  der  die  Hinrichtung  seines  Vaters  vertheidigt  hatte,  bald 
nach  seiner  Rückkehr  wiederum  eine  Stelle  im  Staatsdienst, 
den  Posten  eines  „lateinischen  Sekretärs"  angeboten,  und 
Milton  habe  dem  Zureden  seines  Weibes  mit  den  Worten  ent- 
gegentreten müssen:  ,,Du  hast  ganz  Recht,  du  möchtest  wie 
andere  Frauen  in  deiner  eigenen  Kutsche  fahren,  mein  Wunsch 
aber  ist  als  ein  ehrlicher  Mann  zu  leben  und  zu  sterben". 
Für  die  herrschenden  Kreise  war  er  nicht  mehr  vorhanden. 
Nur  ein  einziges  Mal,  als  Alexander  Morus  unter  dem  Zu- 
drang  der  vornehmen  Welt  in  der  Kapelle  von  St.  James  als 
Prediger  auftrat,  erinnerte  man  sich  vielleicht  daran,  dass 
ein  gewisser  John  Milton,  der  schwerlich  unter  den  Zuhörern 
war,  dem  erborgten  Heiligenschein  dieses  Schauspielers  im 
Priestergewande  vor  Jahren  wenig  Achtung  erzeigt  hatte  (-). 
Er  selbst  sah  sich  in  einem  Brief  an  Heimbach  zu  dem  bitteren 
Geständnis  gezwungen,  dass  „seine  Liebe  zum  Vaterlande  ihn 
beinahe  des  Vaterlandes  beraubt  hätte".  Presbyterianische 
Feinde,  die  ihre  herzliche  Freude  über  die  Hinrichtung  der 
Regiciden  nicht  verbargen,  jubelten  auch  darüber,  dass  der 
„blinde  ]\Iilton"  wie  „andere  aus  der  verfluchten  Rotte",  für 
immer  in  Ungnade  gefallen  sei"(').  Von  einer  Ausnahme 
abgesehn,  hat  er  nie  wieder  als  Schriftsteller  vor  der  Oeffent- 
lichkeit  Fragen  von  politischem  Interesse  berührt.  Um  so 
entschiedener  wandte  er  sich  in  den  folgenden  Jahren  zu  der- 
jenigen Art  des  Schaffens  zurück,  zu  der  ihn,  wie  er  einst 
erklärt  hatte,  „der  Genius  seiner  Natur  gewaltig  hintrieb". 
Seine  ganze  publicistische  Thätigkeit  war  ihm  immer  nur  als 
eine  Ablenkung  von  der  Erfüllung  seiner  Lieblingspläne  er- 
schienen. Die  Restauration  gab  ihm  Müsse  sie  wieder  auf- 
zunehmen. 

Sobald  er  es  ohne  Gefahr  wagen   konnte,   hatte  er   eine 


Wohnungen.   —   Vermögensverhältnisse,  —  Dritte  Ehe.  13 

Wohnung  ,.in  Holborn  nahebei  Red-Lion-Fields" genommen,  diese 
indessen  wenig  später  mit  einer  anderen  in  Jewin-Street  ver- 
tauscht. Seine  Vermögensverhältnisse  hatten  inzwischen 
schwer  gelitten.  Zweitausend  i^. ,  die  er  von  seinem  Gehalt 
als  Sekretär  erspart  hatte,  soll  er  bei  der  Accise- Verwaltung 
angelegt,  aber  durch  die  Weigerung  der  Regierung,  die  Ver- 
pflichtungen der  Republik  anzuerkennen,  nach  der  Restauration 
verloren  haben.  Auch  von  einer  anderen  grösseren  Summe 
ist  die  Rede,  vielleicht  dem  Jahresertrag  erkauften  Kirchen- 
gutes, die  ihm  entzogen  wurde.  Das  väterliche  Haus  in 
Br'ead-street  mag  seinen  Hauptbesitz  gebildet  haben  (^).  Doch 
blieb  es  ihm  möglich  ganz  unabhängig,  wenn  auch  höchst  ein- 
fach und  eingeschränkt  zu  leben.  Allein  der  Blinde  war  hilfs- 
bedürftiger als  jeder  andere.  Seine  drei  Töchter,  deren  jüngste 
noch  ein  Kind  war,  hatten  eine  mütterliche  Aufsicht  nöthig. 
Da  hielt  es  „ein  alter  Freund"  für  gerathen,  ihn  zu  bewegen 
zum  dritten  Mal  zur  Ehe  zu  schreiten.  Es  war  der  Dr.  Paget, 
ein  in  Coleman-Street  ansässiger  Arzt,  der  nach  ülierein- 
stimmenden  Berichten  in  sehr  vertrautem  Verhältnis  zum 
Dichter  gestanden  haben  muss(-).  Die  Gattin,  die  er  ihm  zu- 
führte, war  vermuthlich  eine  entfernte  Vei-wandte,  Elisabeth 
Minshul,  aus  einer  Familie,  welche  seit  geraumer  Zeit  ein 
kleines  Besitztimm  in  Wistaston  nahe  bei  Kantwich  (Cheshire), 
in  Händen  hatte.  Als  die  Fünfundzwanzigjährige  im  Februar 
1663  sich  mit  Milton  verband,  konnte  von  gegenseitiger  tieferer 
Neigung  schwerlich  die  Rede  sein,  aber  da  sie  „sanft,  von 
verträglicher  und  angenehmer  Art''  war,  so  schien  sich  sein 
Lebensabend  doch  etwas  heiterer  zu  gestalten  (^).  Nicht 
lange  nach  seiner  Verheii-atung  bezog  er  wiederum  eine  neue 
Wohnung,  die  ihm  von  einer  kurzen  Unterbrechung  abgesehn, 
für  den  Rest  seiner  Tage  diente.  Sie  wird  bezeichnet  als  ge- 
legen im  „Artillerie-Weg,  der  zu  den  Feldern  von  Bunhill" 
führt,  und  man  vermuthet,  dass  sie  sich  auf  der  linken  Seite 
des  heutigen  Bunhill-Row  befand,  wenn  man  durch  diese 
Strasse  nordwärts  den  Weg  gegen  das  St.  Lukas  -  Hospital 
nimmt.  Damals  stand  nur  eine  Reihe  von  Häusern,  und  ihr 
gegenüber   breitete    sich  jener   „Artillerie-Grund"    aus,    auf 


14  Wohnung  im  Artillerie-Weg.  —  Häusliches  Leben. 

welchem   die   ehrbare  Bürgerschaft  ihre  Waffenübungen   ab- 
gehalten hatte.(i) 

Wir  sind  im  Stande,  uns  ein  Bild  davon  zu  machen,  wie 
Milton  in  diesen  neuen  Umgebungen,  unter  diesen  neuen  Ver- 
hältnissen sein  äusseres  Leben  einrichtete.  Hatte  er  in 
besseren  Zeiten  viel  auf  Massigkeit  und  Fleiss  gehalten,  so 
blieb  er  diesen  Tugenden  nach  dem  Wechsel  der  Dinge,  den 
er  erfahren  hatte,  erst  recht  getreu.  Seitdem  sein  Augenlicht 
abgenommen,  hatte  er  die  Gewohnheit,  bis  tief  in  die  Nacht 
hinein  zu  arbeiten,  aufgegeben  und  sich  statt  dessen  dazu 
bequemt,  den  Tag  frühe  zu  beginnen.  Er  pflegte  um  vier 
Uhr  aufzustehen,  und  das  erste,  was  seinen  Geist  beschäftigte, 
war  nach  puritanischer  Sitte  die  Bibel,  aus  der  ihm  ein  Diener 
einen  Abschnitt  vorlesen  musste.  Hierauf  überliess  er  sich 
einige  Zeit  seinen  Gedanken.  Um  sieben  kam  sein  Diener 
wieder,  um  ihm  bis  gegen  Mittag  vorzulesen  oder  sein  Diktat 
nachzuschreiben.  Während  der  einfachen  Mahlzeit  fehlte  es 
nicht  an  Unterhaltung.  Die  Anmuth,  aber  auch  der  stark 
satirische  Zug  dieser  Tischgespräche,  wie  der  Milton'schen 
Konversation  überhaupt,  bei  der  die  scharfe  Aussprache  des 
Buchstabens  R  noch  besonders  auffiel,  wird  von  Urtheils- 
fähigen  ausdrücklich  hervorgehoben.  Er  war  nach  dem,  was 
Richardson  viele  Jahre  später  von  seiner  jüngsten  Tochter 
hörte,  ein  „liebenswürdiger  Gesellschafter,  die  Seele  der 
Unterhaltung  wegen  des  überfliessenden  Reichthums  an  Ge- 
sprächsstoff und  in  Folge  seiner  natürlichen  Heiterkeit  und 
Artigkeit".  Den  Körper  frisch  zu  erhalten,  ergieng  er  sich 
gerne  ein  paar  Stunden  in  freier  Luft,  und  da  mit  seiner 
ländlichen  Wohnung  ein  Garten  verbunden  war,  so  war  es  ihm 
leicht  gemacht,  sich  diese  Erholung  zu  gönnen.  Musik  war 
ihm  von  jeher  eine  Quelle  des  Genusses  gewesen,  sie  wurde 
nun  dem  Blinden  zur  Trösterin.  Er  hatte  eine  Orgel  in 
seinem  Hause,  auf  der  er  häufig  spielte,  oder  sich  zum  Ge- 
sang begleitete.  Auch  an  seiner  Frau  soll  er  eine  gute 
Stimme  zu  rühmen  gehabt,  ihr  aber  musikalisches  Gehör  ab- 
gesprochen haben.  Der  Besuch  von  Freunden  verkürzte  den 
Nachmittag,    sie    blieben    wohl   manchmal  bei  ihm,    bis    das 


Die«  drei  Töchter.  15 

frugale  Nachtessen  aufgetragen  wurde.  Danach  rauchte  er 
zu  einem  Glase  "Wasser  seine  Pfeife  und  legte  sich,  selten 
später  als  neun  Uhr,  zur  Ruhe.  —  So  war  der' Tag  regel- 
mässig eingetheilt,  und  in  einfachen,  festen  Formen  bewegte 
sich  ein  innerlich  reiches  und  arbeitsvolles  Dasein ('). 

Eine  wesentliche  Frage  war,  ob  sich  für  die  geistige 
Thätigkeit  und  den  Schaffensdrang  des  seines  Augenlichtes  Be- 
raubten immer  die  nöthige  Hilfe  finden  werde.  Wie  übel  es 
häufig  damit  bestellt  war,  ersieht  man  aus  einem  Briefe  Mil- 
ton's  an  Heimbach,  dem  einzigen  Schreiben  aus  der  Zeit  seines 
Alters,  das  auf  uns  gekommen  ist.  Er  klagt  seinem  Korre- 
spondenten ,  wie  er  genöthigt  sei ,  „einem  Knaben ,  der  des 
Lateinischen  ganz  unkundig,  beinahe  die  einzelnen  Buchstaben 
vorzusprechen"  und  bittet  etwa  vorkommende  Fehler  ent- 
schuldigen zu  wollen.  Es  ist  dann  allerdings  von  einem  Diener 
die  Rede,  der  regelmässig  zu  ihm  kam.  Allein  wir  dürfen 
voraussetzen,  dass  dieser  nur  eben  noth  dürftig  Englisch  lesen 
und  schreiben  konnte,  während  Milton's  Studien  von  jeher 
einen  weiten  Umkreis  todter  und  lebender  Sprachen  umfasst 
hatten.  Da  war  er  denn,  ohne  Zweifel  schon  vor  seiner 
dritten  Verheiratung,  auf  das  Auskuuftsmittel  verfallen,  zwei 
seiner  Töchter  anzulernen.  Anna,  die  älteste,  war  freilich  für 
seine  Zwecke  sehr  unbrauchbar.  Sie  war  schwächlich  und 
hatte  zudem  einen  Fehler  an  der  Zunge,  der  ihr  eine  deut- 
liche Aussprache  unmöglich  machte.  Auch  wissen  wir,  dass 
sie  des  Schreibens  nicht  kundig  war.  Die  beiden  anderen  da- 
gegen, Mary  und  Deborah,  so  jung  sie  noch  waren,  machten 
sich  dem  Vater  durch  Vorlesen  wie  durch  Nachschreibea 
nützlich.  Die  jüngste,  welche  am  besten  dazu  fähig  gewesen 
zu  ^ein  scheint,  wird  insbesondere  als  „sein  Amanuensis'"  be- 
zeichnet. Er  pflegte,  so  Hess  sich  der  Maler  Richardsoii  später 
berichten ,  gewöhnlich  in  einem  bequemen  Stuhl  sitzend ,  ein 
Bein  über  die  Lehne  geschlagen ,  zu  diktiren.  Oft  aber,  na- 
mentlich an  kalten  Wintermorgen .  und  ebenso  in  schlaflosen 
Nächten  habe  er  im  Bette  liegend  gedichtet  und,  wenn  er 
die  passende  Form  gefunden,  ohne  Rücksicht  auf  die  Stunde, 
seine  Töchter  herbeigeschellt,  um   das   Erdachte   durch   die 


IQ  Die  drei  Töchter. 

Schrift  fixiren  zu  lassen.  So  viel  es  für  sich  hat,,  diese  letzte 
Bemerkung  nur  für  eine  spätere  Ausschmückung  der  wirk- 
lichen Yerliältnisse  zu  halten,  so  scheint  doch  so  viel  gewiss, 
dass  die  beiden  jüngeren  Töchter  die  geistlose  Arbeit,  die  sie 
vielfach  zu  leisten  hatten,  nur  ungern  auf  sich  nahmen.  Sie 
^vurden  dazu  angehalten.  ,.ihm  Bücher  aller  Art  vorzulesen, 
ohne  ein  Wort  vom  Inhalt  zu  verstehn",  und  auf's  ,. ge- 
naueste alle  die  Sprachen  auszusprechen,  deren  mechanische 
Wiedergabe  er  ihnen .  auf  welche  Weise  auch  immer ,  beige- 
bracht hatte.  Unter  diesen  waren  aber  nicht  nur  Französisch, 
Italienisch  und  Spanisch,  sondern  selbst  Lateinisch,  Griechisch, 
Hebräisch,  wenn  nicht  auch  Syrisch  einbegriffen.  Lange  Zeit 
nach  dem  Tode  ihres  Vaters  erzählte  Deborah,  dass  die  Ge- 
schwister ihm  „in  acht  Sprachen  vorgelesen"  hätten,  obgleich 
sie  nur  die  englische  verstanden.  Er  habe  oft  gesagt:  „eine 
Zunge  sei  für  ein  Weib  genug".  Auch  habe  er  sie  nie  eine 
Schule  besuchen,  sondern  durch  eine  Lehrerin  zu  Hause  unter- 
richten lassen  (\).  Soweit  ihre  Fähigkeiten  es  erlaubten,  leistete 
selbstverständlich  auch  die  junge  Frau  dem  Hilflosen  ihre  Dienste. 
Aber  ^lilton  war  schon  früher  nicht  allein  auf  die  Ge- 
nannten angewiesen  gewesen.  In  dem  kostbaren  Ms.  Bande, 
der  im  Trinity  College  zu  Cambridge  aufbewahrt  wird,  kann 
man  ausser  den  Original-Entwürfen  von  ]\Iilton's  eigener  Hand, 
mindestens  sechs  verschiedene  andere  Hände  nachweisen,  deren 
'kerne  seiner  dritten  Frau  oder  den  Töchtern  zugesehrieben 
werden  darf,  selbst  wenn  die  betreffenden  Stücke  erst  später 
niedergeschrieben  sein  sollten,  als  das  Datum  der  Abfassung 
zulassen  würde.  Der  Neflfe  Milton's  lässt  uns  denn  auch 
hören,  dass  sein  Oheim,  wenn  nicht  regelmässig,  so  doch  ab 
und  zu  die  Hilfe  wissenschaftlich  gebildeter  Freunde  in  An- 
spruch nehmen  konnte.  Es  waren  darunter  , .Männer,  die  sich 
mit  Eifer  dazu  drängten,  ihm  vorzulesen,  sowohl  um  an  den 
Früchten  dieser  Lektüre  selbst  Theil  zu  nehmen,  wie  auch 
imi  sich  ihm  durch  diese  Gefälligkeit  zu  Dank  zu  verpflichten". 
„Jüngere  wurden  von  ihren  Eltern  aus  demselben  Grunde  zu 
ihm  geschickt."  Man  denkt  in  erster  Linie  an  die  beiden 
Phillips  selbst,  die  ihrem  Oheim  so  viel  zu  verdanken  hatten. 


Edward  Phillii^s.     Christoph  Milton.  17 

Dass  der  Zweite,  John,  dessen  literarische  Thätigkeit  Milton 
nur  wenig  gefallen  konnte,  den  Verkehr  mit  ihm  fortgesetzt 
haben  sollte,  ist  kaum  glaublich.  Vom  Aelteren,  Edward,  ist 
es  bezeugt.  Doch  wurde  er  ohne  Zweifel  durch  seine  eigenen 
Angelegenheiten  stark  in  Anspruch  genommen,  als  er  im  Ok- 
tober 1663  die  Stelle  des  Erziehers  eines  der  Söhne  John 
Evelyn's  antrat,  die  er  1665  mit  einer  entsprechenden  im 
Hause  des  Grafen  von  Pembroke  vertauschte.  Der  Bruder 
des  Dichters,  Christoph,  war  zwar  nach  wie  vor  durch  seine 
politische  Gesinnung  von  ihm  getrennt,  allein  da  er  nach 
Phillips'  Zeugnis  ein  Mann  von  ruhigem  Temperament  war,  so 
that  dieser  Gegensatz  dem  nahen  Verhältnis  der  Geschwister 
keinen  Abbruch.  Ein  eifriger  Verkehr  fand  indessen  schwer- 
lich statt,  zumal  dem  Juristen,  der  nach  der  Restauration  eine 
Stelle  am  Kanzleihof  gefunden  hatte,  seine  Amtsgeschäfte  voll- 
auf zu  thun  gaben  (^). 

Dagegen  hatte  sich  bereits  vor  dieser  Zeit  Milton's  Be- 
kanntschaft mit  einem  jungen  Quäker  angeknüpft,  welche  für 
beide  Theile  sehr  gewinnbringend  wurde.  Es  war  Thomas 
Ellwood,  dessen  höchst  anziehende  Autobiographie  uns  er- 
wünschte Auskunft  über  sein  Verhältnis  zu  Milton  giebt.  Ell- 
wood stammte  aus  einem  vermöglichen  Hause  in  Oxfordshire. 
Er  war  als  Kind  nach  London  gekommen  und  mit  der  Fa- 
milie jenes  Isaac  Pennington  vertraut  geworden,  der  während 
der  Revolution  eine  so  bedeutende  Rolle  gespielt  hatte.  Der 
ehemalige  Lordmayor  von  London  und  Königsrichter  hatte 
seine  Vergangenheit  mit  dem  Tode  im  Tower  gebüsst.  Sein 
gleichnamiger  Sohn  nahm  sich  Ellwood's  an(=').  Ellwood  war 
der  Spielgenosse  der  schönen  Stieftochter  Pennington's ,  Guli 
Springett,  gewesen,  die  später  als  Gemahlin  William  Penn's 
weiteren  Kreisen  bekannt  wurde.  Das  Beispiel  dieser  Familie. 
die  auf  ihrem  Landgut  bei  Chalfont  in  Buckinghamshire  zum 
Quäkerthum  übergegangen  war,  wurde  für  den  jungen  Ellwood 
bestimmend.  Er  sah  ein,  dass  „der  Geist  der  Welt  bisher 
über  ihn  geherrscht  hatte"  und  wurde  in  seiner  Gesinnung 
wie  in  den  äusserlichen  Lebensformen  ein  Mitglied  der  Sekte. 
Auch   konnten   ihn    weder   der    Unwille    seines  Vaters    noch 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    U.  4.  2 


18  Thomas  Ellwood. 

Verfolgungen  der  Behörden  der  Macht  des  ,, inneren  Lichtes", 
das  ihn  erleuchtete,  entziehen.  Erfüllt  von  Abscheu  vor  „der 
grässlichen  Schuld  der  trügerischen  Priester  der  verschiedenen 
Religionsgesellschaften,  die  ein  Gewerbe  aus  dem  Predigen 
machten  und  um  schmutzigen  Gewinnes  willen  das  Volk  immer 
wie  Schulknaben  behandelten",  hatte  er  bereits  1660  seine 
erste  Schrift,  ,,Ein  Alarmruf  an  die  Priester/'  ausgehn  lassen, 
ein  Druckwerk,  dem  während  eines  langen  thaten-  und  leiden- 
reichen Lebens  viele  andere,  u.  a.  auch  speciell  gegen  das 
Institut  der  Zehnten,  nachfolgten. 

Nicht  lange  darauf,  1662,  als  Milton  noch  in  Jewin-Street 
wohnte,  hatte  er  diesen  kennen  lernen.  Er  erstattet  uns  über 
den  Hergang  in  seiner  Lebensgeschichte  ausführlich  Bericht. 
Ellwood  hatte  während  seiner  Jünglingsjahre  dasjenige,  was 
er  als  Kind  erlernt  hatte,  so  ziemlich  wieder  vergessen.  Erst, 
nachdem  jene  geistige  Wandlung  mit  ihm  vorgegangen  war, 
empfand-  er  den  Mangel  an  nützlichen  Kenntnissen.  Er 
suchte  ihm  abzuhelfen  und  sehnte  sich  nach  dem  Unter- 
richt eines  tüchtigen  Lehrers.  In  dieser  Lage  klagte  er 
seinem  Freunde  Isaac  Pennington  sein  Leid.  Dieser  ver- 
fiel auf  den  Gedanken,  ilm  durch  Dr.  Paget,  jenen  Arzt,  der 
ihm  wie  ^lilton  befreundet  war,  bei  dem  letzten  einführen  zu 
lassen.  Ellwood  erfuhr,  dass  Milton  damals  „regelmässig 
einen  Vorleser  hielt,  gewöhnlich  den  Sohn  eines  Gentleman 
seiner  Bekanntschaft,  den  er  aus  Güte  annahm,  um  seine 
Kenntnisse  zu  vermehren".  Auf  solche  Weise  durch  den 
Dr.  Paget  empfohlen,  fand  der  damals  dreiundzwanzigj ährige 
Quäker  bei  dem  Dichter  Zutritt  „nicht  als  ein  Diener",  auch 
nicht  als  ein  „Genosse  seines  Hauses",  sondern  nur  mit  der 
Erlaubnis,  „zu  gewissen  Stunden,  wann  er  wollte,  zu  kommen 
und  ihm  aus  den  Büchern,  die  er  ihm  bezeichnete,  vorzu- 
lesen". Milton  scheint  an  dem  jungen  Mann,  der,  wie  die 
Quäker  überhaupt,  so  manche  Idee  mit  ihm  theilte,  sonder- 
liches Gefallen  gefunden  zu  haben.  Nach  einem  ersten  kurzen 
Besuch,  während  dessen  Ellwood  Rechenschaft  über  den  Stand 
seines  Wissens  ablegen  musste,  miethete  er  sich  eine  Woh- 
nung in  der  Nähe  seines  künftigen  Lehrers.    Er  gieng  „von 


Thomas  Ellwood.  19 

da  an  jeden  Nachmittag,  den  ersten  Tag-  in  der  Woche  aus- 
genommen, zu  ihm,  sass  bei  ihm  in  seinem  Speisezimmer  und 
las  ihm  aus  denjenigen  Büchern  in  lateinischer  Sprache  vor, 
die  er  eben  vorgelesen  zu  hören  wünschte".  In  seiner  Schrift 
über  die  Erziehung  (s.  o.  II.  291)  hatte  Milton  schon  einer 
reinen  Aussprache  des  Lateinischen  das  Wort  geredet.  Gleich 
das  ei-ste  Mal,  als  Elwood  kam,  um  ihm  vorzulesen,  bemerkte 
der  Lehrer  seinem  Schüler,  dass  er,  schon  um  mit  Fremden 
in  lateinischer  Sprache  sich  unterhalten  zu  können,  die  eng- 
lische Aussprache  ablegen  müsse.  Er  machte  ihn  mit  vieler 
Geduld  auf  den  Unterschied  im  Klange  der  Vokale  und 
einiger  Konsonanten  aufmerksam,  und  nun  erschien  dem  ge- 
lehrigen Schüler  das  Lateinische,  so  schwer  ihm  diese  neue 
Angewöhnung  auch  wurde,  als  eine  ganz  andere  Sprache.  ,,Der 
blinde  Lehrer  andrerseits,  berichtet  Ellwood,  lieh  mir,  als  er 
meinen  Eifer  erkannte,  nicht  nur  jede  Art  von  Ermuthigung, 
sondern  auch  von  Hilfe.  Denn  da  er  ein  feines  Ohr  hatte, 
so  merkte  er  an  meinem  Ton,  ob  ich  das  Gelesene  begreife 
oder  nicht,  Hess  mich  demnach  anhalten,  befragte  mich  und 
machte  mir  die  schwersten  Stellen  verständlich." 

Nach  kurzer  Zeit  wurden  Ellwood's  Studien  allerdings  in 
Folge  seiner  schlechten  Gesundheit  unterbrochen.  Er  zog 
sich  auf  das  Land  zurück  und  machte  hier  im  Hause  eines 
befreundeten  Arztes  eine  schwere  Krankheit  durch.  Nicht  so- 
bald fühlte  er  sich  dazu  im  Stande,  als  er  nach  London  zu- 
rückkehrte. „Ich  wurde",  erzählt  er,  „von  meinem  Lehrer 
sehr  gütig  aufgenommen.  Er  hatte  eine  so  gute  Meinung  von 
mir  gefasst ,  dass  ihm ,  wie  ich  fand ,  meine  Unterhaltung  an- 
genehm war  und  er  schien  über  meine  Wiederherstellung  und 
Rückkehr  herzlich  erfreut  zu  sein.  Wir  nahmen  unsere  alte 
Methode  zu  studiren  wieder  auf.  Ich  las  ihm  vor,  und  er  gab 
mir,  wo  es  die  Gelegenheit  erforderte,  Erläuterungen,"  Allein 
auch  dies  INIal  war  Ellwood's  Glück  nur  von  kurzer  Dauer. 
Am  26.  Oktober  1662  wurde  eine  Quäkerversammlung  in 
London,  in  der  er  sich  befand,  gewaltsam  aufgehoben.  Er 
selbst  wurde  mit  seinen  Gesinnungsgenossen  von  einem  Ge- 
fängnis zum   anderen   geschleppt.     Nach  erfolgter  Freilassung 

2* 


20  Tod  von  Lawes  und  Hartlib. 

suchte  er  Milton  wieder  auf,  Aber  er  begab  sich  darauf  wieder 
nach  Buckinghamshire ,  um  die  Familie  Pennington,  die  ihm 
während  der  Haft  aus  der  bittersten  Noth  geholfen  hatte,  zu 
besuchen.  Da  ihm  Pennington  eine  Stelle  als  Lehrer  des 
Lateinischen  für  seine  Kinder  antrug,  so  blieb  er  bei  ihm, 
ohne  indessen  Milton's  zu  vergessen  (^). 

Mit  Ellwood  erweiterte  sich  der  Freundeskreis  Milton's 
nach  der  Restauration.  Aber  es  blieben  ihm  doch  auch 
manche  vertraute  Genossen  früherer  Tage,  die  stolz  darauf 
waren,  selbst  bei  abweichender  politischer  Gesinnung,  den 
Umgang  mit  dem  vom  öffentlichen  Schauplatz  abgetretenen 
Zeugen  einer  grossen  Zeit  fortzusetzen.  Zwar  der  jNIusiker 
Henry  Lawes  überlebte  die  Restauration  nur  um  zwei  Jahre, 
nachdem  ihm  noch  die  Ehre  zu  Theil  geworden  war,  die  Ode 
zum  Krönungsfest  Karls  H.  zu  komponiren  und  seine  frühere 
Stellung  am  Hofe  zurückzugewinnen.  Auch  der  interessante 
Deutsche,  dem  Milton  einst  seine  Schrift  über  die  Erziehung 
gewidmet,  und  der  seinen  Idealismus  wärmer  als  irgend  ein 
anderer  getheilt  hatte ,  war  nicht  mehr.  Samuel  Hartlib 
hatte,  während  die  politische  Umkehr  sich  vorbereitete  und 
nach  der  Wiederherstellung  des  Königthums,  eine  trübe  Zeit 
durchlebt,  ohne  sich  dadurch  die  Elasticität  des  Geistes,  die 
ruhelose  Theilnahme  an  allen  Ereignissen  der  wissenschaft- 
lichen Welt  und  die  sanguinische  Hoffnung  auf  die  Verwirk- 
lichung seiner  eigenen  Lieblingspläne  rauben  zu  lassen.  In 
dem  Process  gegen  die  Regiciden  wurde  er  als  Zeuge  auf- 
gerufen. Er  selbst,  obwohl  er  der  Regierung  Cromwell's 
seine  Dienste  geleistet  hatte,  gieng  frei  aus.  Aber  der  Brief- 
wechsel seiner  letzten  Jahre  gewährt  von  seinem  elenden  Zu- 
stande ein  deutliches  Bild.  Seine  körperlichen  Leiden,  na- 
mentlich in  Folge  von  Steinbildung,  wurden  unerträglich. 
Seine  Geldnoth  und  seine  Schuldenlast  wurden  so  gross,  dass 
er  genöthigt  war,  die  Wohlthätigkeit  von  Freunden  in  An- 
spruch zu  nehmen.  Eine  Pension,  die  ihm  das  letzte  Parla- 
ment Oliver  Cromweirs  bewilligt  hatte,  war  schon  seit  längerer 
Zeit  nicht  ausbezahlt  worden,  und  seine  Bemühungen,  sie 
vom  Konventions  -  Parlament  erneuern  zu  lassen,   waren  ver- 


Comeuius  und  Durie.  21 

geblich.  Umsonst  berief  er  sich  in  einer  an  das  Unterhaus 
gerichteten  Petition  darauf,  dass  er  seit  dreissig  Jahren  für 
die  Fördemng  des  Jugendunterrichts,  die  Erhaltung  einer  ge- 
meinnützigen Korrespondenz  mit  dem  Auslande,  die  Linderung 
der  Noth  vertriebener  Protestanten  so  viel  gethan  habe  und 
nun  „in  seinen  alten  und  kranken  Tagen  sich  und  seine  Fa- 
milie nicht  erhalten  könne".  Für  die  Unterstützung  eines 
unpraktischen  Idealisten  hatte  man  keine  ]\Iittel.  Er  musste 
selbst  die  harten  Folgen  seiner  Gutmiithigkeit  und  Uneigen- 
nützigkeit  tragen.  Sogar  der  Schmerz,  einen  Theil  seiner 
Bücher  und  Manuskripte  durch  ein  Feuer  zu  verlieren,  blieb 
ihm  nicht  erspart.  Das  letzte  Lebenszeichen  Harthb's,  das 
man  kennt,  ist  ein  Aktenstück,  welches  vom  9.  April  1662 
datiit ,  und  es  ist  wahrscheinlich ,  dass  er  bald  darauf  ge- 
storben ist(^). 

^lit  Hartlib's  Tode  werden  auch  die  beiden  berühmten 
Männer  so  gut  wie  ganz  ausMilton's  Gesichtskreis  geschwun- 
den sein,  für  deren  Bestrebungen  der  Deutsche  seinen  eng- 
lischen Freund  zu  interessiren  gewusst,  und  deren  einer  ihm 
persönlich  nahe  gestanden  hatte.  Comenius  weilte  seit  1656 
in  Amsterdam  in  Verhältnissen,  die  ihm  erlaubten,  sich  ganz 
und  gar  seiner  unermüdlichen  schriftstellerischen  Thätigkeit 
zu  widmen.  Dort  erschienen  seine  gesammelten  didaktischen 
Werke.  Unter  den  übrigen  Schriften  seines  Alters  machten 
namentlich  diejenigen  nicht  geringes  Aufsehen,  in  denen  sich 
der  grosse  Pädagog  zum  Glauben  an  gewisse  Visionen  be- 
kannte. Er  sah  sich  auf's  heftigste  wegen  dieser  Ansichten 
angegriffen,  ohne  sich  dadurch  die  Ruhe  seiner  Seele  rauben 
zu  lassen.  ]\Iilton  hat  noch  von  seinem  Tode  hören  können, 
der  im  Jahre  1670  in  Naarden  erfolgte. 

Eine  längere  Laufbahn  stand  John  Durie  offen.  Der 
vielgeschäftige  Theologe  hatte  eine  Zeit  lang  von  der  Re- 
gierung Karls  II.  etwas  für  seine  Pläne  gehofft  und  seinen 
Freunden  in  Zürich,  mit  denen  er  in  Verbindung  blieb,  sogar 
gerathen,  wegen  des  Unionswerkes  sich  an  den  Erzbischof  von 
Canterbury  und  den  Bischof  von  London  zu  wenden.  Allein 
so  sehr  er  sich  auch  bemühte,  seine  Vergangenheit  vergessen 


22  Comenius  uud  Durie. 

ZU  lassen,  und  so  leicht  es  seinem  geschmeidigen  Wesen  wurde, 
die  Restauration  als  ein  „glückliches  Mirakel"  zu  preisen,  so 
war  doch  unter  den  verändei'ten  Verhältnissen  in  England 
nichts  mehr  für  ihn  zu  erwarten.  Er  verlor  seine  Stelle  als 
Bibliothekar  von  St.  James  und  begab  sich  schon  im  Anfang 
des  Jahres  1661  auf  das  Festland.  Aufs  neue  mühte  er  sich 
unverdrossen  ab,  die  Versöhnung  der  Lutheraner  mit  den  Re- 
formirten  durchzusetzen,  bis  in  seinem  fünfundachtzigsten 
Jahre  der  Tod  allen  seinen  Bestrebungen  in  Kassel,  wo  er 
eine  Zuflucht  gefunden  hatte,  ein  Ende  machte  (^). 

Durie's  einstiger  Reisegefährte,  der  ^Mathematiker  John 
Pell,  wurde  von  den  neuen  Machthabern  nicht  belästigt.  Man 
fand ,  dass  er  durch  seine  diplomatische  Thätigkeit  unter 
Cromwell  „nichts  gegen  das  Interesse  der  englischen  Kirche 
gethan  habe".  Er  trat  sogar  in  den  Kirchendienst  ein,  aber 
seine  Hoffnung,  in  diesem  rasch  emporzusteigen,  um  sich 
durch  eine  gute  Pfründe  erhalten  zu  können,  verwirklichte 
sich  nur  in  sehr  geringem  j\Iasse.  Im  Jahre  1670  taucht  er 
in  Amerika  auf,  auch  dort  aber  kann  sein  Weizen  nicht  ge- 
blüht haben.  In  die  Heimat  zuilickgekehrt ,  hatte  er,  eine 
Zierde  der  Wissenschaft,  aber  gleichfalls  eine  vergessene 
Grösse  der  republikanischen  Epoche,  mit  der  bittersten  Xoth 
zu  kämpfen.  Seine  Schulden  führten  ihn  in's  Gefängnis,  sein 
Begräbnis  (1685)  wurde  durch  die  jNIildthätigkeit  von  Freunden 
bestritten  (-)• 

John  Pell  erlebte  noch,  dass  ein  Gedanke,  für  den  sieh  ausser 
ihm  selbst  so  viele  Milton  nahestehende  Personen  erwärmt  hatten, 
in  glänzender  Weise  verwirklicht  ward.  Die  Anregungen,  welche 
einst  der  Pfälzer  Theodor  Haak  gegeben  hatte,  die  Träume 
Hartlib"s  von  einer  grossen  geistigen  Genossenschaft  „Makaria", 
die  Zusammenkünfte  des  „unsichtbaren  College"  und  ihre 
Fortsetzungen  im  Hause  Robert  Boyle's  und  im  Gresham 
College:  alles  dies  blieb  nicht  verloren.  In  einem  Zeitalter, 
welches  den  naturwissenschaftlichen  Bestrebungen  eine  ausser- 
ordentliche Gunst  entgegenbrachte,  unter  einem  Fürsten,  der 
selbst  ein  Vergnügen  daran  fand,  auf  diesem  Gebiet  zu  di- 
lettiren,  nahmen  frühere  schwärmerische  Ideen  eine  Forai  an. 


Die  Royal  Society.  23 

die  zwar  bescliränkter  war  als  sie  sich  in  manchem  Kopfe 
gemalt  hatte,  dafür  aber  glücklicher  Weise  auf  einer  solideren 
Grundlage  beruhte.  Jene  Gelehrtenzusammenkünfte,  welche 
seit  anderthalb  Jahrzehnten  mit  grösseren  oder  geringeren 
Unterbrechungen  bestanden  hatten,  wurden  nach  der  Restau- 
ration mit  erneutem  Eifer  wieder  aufgenommen.  Die  Zahl 
ihrer  Theilnehmer  wuchs,  und  man  hielt  sich  an  ein  regel- 
mässiges Verfahren.  Am  15.  Juli  1G62  verlieh  ein  könig- 
licher Freibrief  der  Gesellschaft  unter  dem  Namen  der  „Royal 
Society"  Korporationsrechte.  Es  war  ein  grosser  Akt  in  der 
Geschichte  der  Wissenschaften ,  der  Milton  nicht  ohne  Theil- 
nahme  lassen  konnte.  Die  rhetorischen  Essays  seiner  Uni- 
versitätszeit hatten  im  Sinne  Bacon's  den  Fortschritten  der 
Empirie  das  Wort  geredet.  Seine  Schrift  über  die  Erziehung 
hatte  nachdi-ücklich  auf  den  Mangel  naturwissenschaftlicher 
Bildung  hingewiesen.  Durch  Hartlib  musste  er  mit  der 
ganzen  Vorgeschichte  des  neuen  Instituts  vertraut  geworden 
sein,  und  dieses  selbst  zählte  Männer  zu  seineu  Mitgliedern, 
die  ihm  schon  damals  nicht  nur  dem  Namen  nach,  sondern 
persönlich  bekannt  waren.  Unter  jenen  glänzten  auch  zwei 
der  berühmtesten  Dichter,  AYaller  und  Dryden,  über  denen 
man  den  einstigen  blinden  Sekretär  der  Republik  und  des 
Protektorats  sehr  leicht  vergass.  Zu  diesen  gehörte  der 
Antiquar  John  Aubrey,  der  älteste  Biograph  ]\Iilton's, 
Theodor  Haak,  Abraham  Hill.  Robert  Boyle,  der  1668  zu 
seiner  Schwester,  Lady  Ranelagh,  nach  London  zog,  war  eine 
der  Hauptzierden  der  Societät.  Sein  Neflfe,  Richard  Jones, 
Milton's  ehemaliger  Zögling,  wurde  unter  ihre  Mitglieder  auf- 
genommen. Heinrich  Oldenburg  war  der  Sekretär  der  Ge- 
sellschaft, dem  man  die  ersten  Veröffentlichungen  ihrer  Ver- 
handlungen verdankt.  Bei  den  innigen  Beziehungen,  die 
zwischen  Oldenlnirg  und  INIilton  in  früheren  Jahren  geherrscht 
hatten,  darf  man  annehmen,  dass  ihr  Umgang  auch  nach  der 
Restauration  fortdauerte.  Wenn  irgend  einer,  so  konnte 
Oldenburg  am  besten  dem  alten  Freunde  mittheilen,  was  die 
wissenschaftlichen  Kreise  London's  bewegte  (^). 

Diesen  Jüngern  der  Naturwissenschaft  mag  sich  auch  da- 


24  Barrow  und  Marvell. 

mals  schon  der  Älediciner  Samuel  Barrow  angeschlossen  haben, 
dessen  freundschaftliches  Verhältnis  zu  ]\Iilton  durch  die  latei- 
nischen Lobverse,  die  er  der  zweiten  Ausgabe  des  verlorenen 
Paradieses  Vordrucken  Hess,  hinlänglich  bezeugt  wird.  Barrow 
war  Oberarzt  im  Heere  Monks  gewesen.  Er  wurde  später 
Generalauditor  der  Armee  und  Leibarzt  Karls  IL,  allein  dies 
that  seiner  Verehrung  für  den  ehemaligen  Sekretär  der  Re- 
publik keinen  Abbruch  {^).  Man  wird  bezweifeln  dürfen,  ob  der 
windige  Zeitungsschreiber  Marchmont  Xeedham  sich  ihm 
gleichfalls  noch  zu  nähern  wagte.  Charakterlos,  wie  er  war, 
erkaufte  er  von  der  Restauration  dadurch  Verzeihung,  dass  er 
seine  republikanische  Vergangenheit  selbst  verspottete.  Ver- 
muthlich  Hess  er  sich  an  den  Gegner  des  Salmasius  und  des 
Morus  nur  ungern  erinnern.  Hingegen  der  Dichter  Andrew 
Marvell,  Mitglied  des  Parlamentes  für  Hüll,  der  junge  Law- 
rence. Cyriack  Skinner  werden  ihren  intimen  Verkehr  mit 
Milton   nicht  abgebrochen  haben. 

Man  sieht,  es  war  dafür  gesorgt,  dass  er  nicht  verein- 
samte. Er  wurde  namentlich  von  Gelehrten  häufig  besucht, 
ja  sogar,  seinem  ältesten  Biographen  zu  Folge,  „mehr  als  ihm 
lieb  war".  In  jedem  FaH  konnte  er,  unterstützt  durch  das 
ausgezeichnete  Gedächtnis,  das  man  an  ihm  rühmte,  mit  Zu- 
hilfenahme anderer  Augen,  die  für  ihn  sahen,  und  anderer 
Hände,  die  für  ihn  schrieben,  der  Ausführung  seiner  mannich- 
faltigen  literarischen  Pläne  nachhängen. 

Zunächst  freilich  war  noch  nichts  von  allem,  was  ihn  im 
stiHea  beschäftigte,  hinlänglich  reif,  um  aus  seiner  Werk- 
statt entlassen  zu  werden.  Die  Stimme,  auf  welche  England 
und  selbst  Europa  eine  Zeit  lang  gelauscht  hatte,  schien  ver- 
stummt zu  sein,  wie  untergegangen  in  dem  wilden,  bacchan- 
tischen Chor,  der  seine  Lieder  des  Triumphs  über  den  ge- 
fallenen Puritanismus  erschallen  Hess. 


Zweites  Kapitel. 
Die  Reaktion  gegen  den  Puritanismus. 


Xliin  Zeitraum  von  beinahe  zwei  Jahrzehnten  war  ver- 
gangen, in  welchem  das  englische  Volk  unter  der  Herrschaft 
des  Puritanismus  gestanden  hatte.  Erstarkt  unter  Verfol- 
gungen und  Leiden,  zum  Siege  gelangt  durch  eine  unwider- 
stehliche Revolution,  hatten  die  puritanischen  Ideen  die 
schärfste  Form  gewonnen  und  der  inneren  und  äusseren  Poli- 
tik, der  Gesetzgebung  und  den  Sitten,  der  Tracht  und  dem 
Gespräch  der  Menschen  ihren  Stempel  aufgeprägt.  Der  Staat 
schien  dazu  bestimmt  zu  sein,  seine  Bürger  zu  einem  heiligen 
Wandel  zu  erziehen  und  für  „die  Ausbreitung  des  Reiches 
Gottes"  nach  aussen  zu  wirken.  Die  Kirche  sollte  eine  Reform 
erleben,  ohne  welche  sie  als  unfähig  betrachtet  w^urde,  ihre 
Aufgabe  zu  erfüllen.  Der  Einzelne  wurde  dazu  angehalten, 
im  täglichen  Leben  sich  in  den  Schranken  zu  bewegen, 
welche  unerbittliche  Vorschi'ift  seiner  Arbeit  wie  seiner  Er- 
holung zu  ziehen  wusste.  Mit  dem  Zusammenbruch  des  Inter- 
regnums brach  auch  die  Obmacht  der  puritanischen  Ideen. 
Sie  blieben  für  immer  ein  mächtiges  Element  des  englischen 
Volkscharakters  und  der  englischen  Geschichte.  Sie  erhoben 
sich  in  späteren  Zeiten  nicht  selten  wiederum  zu  ausser- 
ordentlicher Bedeutung.  Aber  zunächst  erfolgte  ein  natür- 
licher Rückschlag  gegen  alle  die  Satzungen  und  Bräuche, 
die   von    dem    harten  Druck    beständiger  Zwangsmassregeln 


26  Reaktion  gegen  den  puritanischen  Rigorismus. 

unzertrennlich  gewesen  waren  und  die  der  Heuchelei  und 
Scheinheiligkeit  nur  zu  oft  als  Deckmantel  gedient  hatten. 

Es  hatte  Zeiten  gegeben,  in  denen  der  Sabbathbrecher 
mit  schwerer  Geldstrafe  oder  körperlicher  Züchtigung  bedroht 
gewesen  war.  Wer  am  Tage  des  Herrn  ein  Boot,  ein  Pferd, 
einen  Wagen,  eine  Sänfte  benutzte,  es  sei  denn,  um  sich 
zur  Kirche  zu  begeben,  hatte  10  Schillinge  Busse  zu  erlegen 
oder  sechs  Stunden  im  Stock  zu  liegen.  Die  gleiche  Strafe 
galt  dem  Besuch  von  Schenken,  Tanzen  und  „profanem  Ge- 
sang". Urkunden,  die  an  kirchlichen  Feiertagen  ausgestellt 
w^aren,  hatten  keine  Rechtskraft.  Andere  Akte  der  purita- 
nischen Gesetzgebung  hatten  den  moralischen  Zustand  durch 
übertriebenen  Zwang  zu  bessern  gesucht.  Schwören  und 
Fluchen  wurden  gerichtlich  verfolgt.  Leichtfertigem  Lebens- 
wandel drohten  drei  Monate  Gefängnis.  Kuppler  und  Kupp- 
lerinnen wurden  ausgepeitscht  und  gebrandmarkt,  ehe  sie 
eine  langdauernde  Haft  antraten  und  büssten  im  Wieder- 
holungsfall mit  dem  Leben.  Auf  Ehebruch  stand  der  Tod.  — 
Drakonische  Bestimmungen  dieser  Art  hatten  gerade  das 
Gegen th eil  von  demjenigen  errreicht,  w^as  sie  hatten  erreichen 
sollen.  Unter  ihrer  Herrschaft  war  ein  Geschlecht  gross  ge- 
worden, das  es  gelernt  hatte,  im  geheimen  erst  recht  zu 
sündigen,  da  auch  Unschuldiges  öffentlich  als  Sünde  galt. 
Dies  Geschlecht  Hess  nach  der  Restauration,  der  Fesseln 
ledig,  allen  Begierden  die  Zügel  schiessen.  Nicht  dass  die 
grosse  Masse  der  englischen  Nation  der  alten  Zucht  und  Sitte 
vergessen  hätte.  Aber  die  höheren  Stände  gefielen  sich 
darin,  die  lange  entbehrte  Freiheit  in  einer  Weise  zu  miss- 
brauchen ,  welche  der  sittlichen  Gesundheit  der  übrigen  Volks- 
schichten gefährlich  zu  werden  drohte. 

Der  Hof  gieng  mit  dem  schlimmsten  Beispiel  voran. 
Karl  II.  gehörte  zu  den  Naturen,  welche  durch  den  Wechsel 
des  Geschicks  nicht  geläutert,  sondern  verschlechtert  werden. 
Die  vornehmste  Lehre,  die  er  aus  den  langen  Jahren  des 
Elends  und  der  Verbannung  zog,  war,  sich  über  die  Achtung 
der  Menschen  hinwegzusetzen,  weil  er  selbst  oft  genug  Ge- 
legenheit gehabt  hatte,    sie   zu   verachten.     Die  vornehmste 


Der  König  und  der  Hot.  27 

Absicht,  mit  der  er  auf  den  väterlichen  Thron  zurückkehrte, 
war,  sein  königliches  Dasein  zu  geniessen,  weil  ihm  sinnlicher 
Genuss  als  Zweck  des  Lebens  galt.  Von  Haus  aus  viel  zu 
gutmüthig,  um  irgend  eine  Persönlichkeit  leidenschaftlich  zu 
hassen  und  viel  zu  faul,  um  irgend  ein  Geschäft  ernsthaft 
zu  betreiben,  hatte  er  nichts  von  dem  Stoff  in  sich,  aus  dem 
Tyrannen  gemacht  werden,  aber  genug  von  den  Eigenschaften, 
aus  denen  sich  das  Muster  eines  pflichtvergessenen  Fürsten 
zusammensetzt.  Von  ihm  hatte  man  nicht  zu  fürchten,  dass 
er  ein  ganzes  Volk  in  Fesseln  zu  schlagen  versuchen  werde, 
um  seinem  Ehrgeiz  zu  fröhnen  oder  um  die  Probe  auf  das 
göttliche  Recht  des  Königthums  zu  machen.  Aber  er  war  so 
geartet,  dass  selbst  die  liebenswürdigen  Eigenschaften  seines 
Wesens  nur  zu  häufig  eine  Entehrung  seiner  Stellung  mit 
sich  brachten.  Das  geistreiche  Geplauder,  in  dem  er  Meister 
war,  wurde  ihm  ein  Älittel,  um  die  Oberflächlichkeit  seiner 
Kenntnisse  und  den  Widerwillen  gegen  Arbeit  geschickt  zu 
verdecken.  Die  Freigebigkeit,  mit  der  er  Aemter  und  Summen 
verschenkte,  kam  ausschliesslich  denen  zu  gut,  die  mit  dem 
geringsten  ^'erdienst  die  grösste  Keckheit  verbanden,  seine 
schwachen  Seiten  auszubeuten. 

Ein  Fürst  vom  Schlage  Karl's  IL  war  dazu  angelegt,  der 
Sklave  weiblicher  Reize  zu  werden.  Schon  während  seines 
Exils  hatten  galante  Abenteuer  einen  grossen  Theil  seiner 
Zeit  in  Anspruch  genommen.  Nach  seiner  Rückkehr  gab 
seine  Zügellosigkeit  für  das  sittliche  Verhalten  der  höheren 
Gesellschaftskreise  den  Ton  an.  Whitehall,  das  als  Residenz 
des  Protektors  das  Bild  eines  musterhaften  Familienlebens 
geboten  hatte,  glich  nunmehr  einem  Serail,  in  dem  sich  die 
Intriguen  der  königlichen  Favoritinnen  bekämpften.  Die  leicht- 
fertigen und  verführerischen  Geschöpfe  mit  allen  den  Reizen 
von  Natur  und  Kunst,  wie  sie  in  den  s.  g.  Memoiren  des 
Chevalier  de  Grammont  und  in  den  Bildern  Peter  Lely's 
erscheinen,  geboten  über  den  Willen  wie  über  die  Kasse  des 
gekrönten  Seladon.  Nur  eine  Frau  am  Hofe  sah  sich  nicht 
selten  durch  eine  gesuchte  Zurücksetzung  ausgezeichnet:  die 
junge  portugiesische  Infantin,    welche  Königin   von  England 


28  Ton  der  höfischen  Gesellschaft. 

hiess.  In  Bälde  bei'eicherte  sich  der  englische  Adel  durch 
die  Bastarde  des  Monarchen.  Ihre  genaue  Zahl  festzustellen, 
bot  nicht  geringere  Schwierigkeiten  wie  diejenige  der  könig- 
lichen Maitressen.  Die  vornehme  Welt  wollte  hinter  einem 
Beispiel  nicht  zurückbleiben ,  das  der  Herzog  von  York,  wenn 
auch  mit  etwas  weniger  Cynismus,  unterstützte.  Nicht  selten 
lag  ein  besonderer  Reiz  darin,  einige  Stufen  hinabzusteigen 
und  sich  auf  der  Strasse  oder  hinter  den  Kulissen  die  käuf- 
lichen Gegenstände  der  Lust  zu  suchen.  Wurden  die  Männer 
durch  die  freien  Bewegungen  und  die  kecke  Sprache  einer 
üppigen  Subrette  gefangen,  so  fand  bei  den  Damen  die 
Kraft  und  die  Gewandtheit  kühner  Akrobaten  mitunter  eine 
mehr  als  ästhetische  Bewunderung.  Man  hatte  so  lange  die 
Maske  der  Ehrbarkeit  und  Sittenstrenge  getragen,  dass  man 
sich  nicht  bedachte,  mit  der  Maske  auch  die  Scham  abzu- 
werfen. 

Der  ganze  gesellschaftliche  Ton  der  höheren  Klassen 
wurde  gleichzeitig  ein  anderer.  Mit  den  zierlichen  Mode- 
waaren, die  man  aus  der  Hauptstadt  Frankreichs  bezog, 
empfieng  man  nicht  immer  jene  Grazie,  die  am  Hofe  Lud- 
wig's  XIV.  auch  das  Verfängliche  mit  einem  anmuthigen 
Schleier  zu  umwehen  wusste.  Phrasen  und  Bilder  von  sehr 
zweifelhaftem  Geschmack  drangen  in  die  Sprache  des  Umgangs 
ein.  Ein  kräftiger  Fluch  gab  jedem  Ausspruch  die  beste 
Würze.  Wetten,  Duelle,  Verkleidungen  brachten  Abwechse- 
lung in  den  Gang  des  täglichen  Lebens.  Es  wurde  Sitte  hoch 
zu  spielen,  und  auch  diese  Leidenschaft  fand  nirgends  bereit- 
willigere Opfer  als  am  Hofe.  Es  war  nichts  aussergewöhn- 
liehes,  dass  der  König  an  einem  Abend  „seine  hundert  Pfund 
verlor",  oder  dass  ein  anderer  der  Spieler  ..über  tausend 
Pfund"  gewann.  Mit  Abscheu  wandten  sich  gute  Royalisten 
von  diesem  Bilde  ab.  Mit  Bitterkeit  sprachen  sie  von  der 
„wilden  und  ausgelassenen  Bande",  die  „dem  übrigen  Volke 
ein  Beispiel  der  Tugend  hätte  geben  sollen"  (i).  Um  wie 
viel  herber  musste  das  Urtheil  eines  Mannes  wie  Andrew 
Marvell  lauten,  der  in  seinen  Satiren  dem  ganzen  puritani- 
schen Groll  über   den   Zustand  der  herrschenden  Kreise  Luft 


Keaktion  in  der  Literatur.  29 

machte.  Er  hielt  sich  für  berechtigt  zu  sagen,  dass  „Un- 
zucht noch  das  geringste  Laster  am  Hofe  sei"  und  Hess  den 
„Geist  CromweH's"  mit  „dem  Lachen  der  Verachtung"  empor- 
steigen. Freilich  durften  diese  poetischen  Aeusserungen  eines 
bekannten  Mitgliedes  der  besiegten  Partei  damals  das  Licht 
der  Oeffentlichkeit  nicht  erblicken.  Auch  wären  sie  ohne 
Zweifel  unter  der  Masse  entgegengesetzter  Stimmen  verhallt. 
Denn  die  schöne  Literatur  durchdrang  sich  gleichfalls  immer 
mehr  mit  jenem  Geiste,  der  den  Ideen  der  jüngst  durch- 
lebten Epoche  entschieden  zuwiderlief. 


Auf  doppelte  Weise  kam  diese  antipuritanische  Strömung 
der  englischen  Poesie  zum  Ausdruck.  Bald  sah  sich  der 
Puritanismus  durch  die  Dichter  des  Tages  dem  allgemeinen 
Gelächter  Preis  gegeben.  Bald  stellten  sie  seinen  Idealen 
Bilder  eigener  Erfindung  gegenüber,  von  denen  er  sich  mit 
Abscheu  wegwenden  musste.  Aus  jener  Reihe  seiner  "Wider- 
sacher, die  sich  der  scharfen  Waffe  der  Satire  bedienten, 
ward  ihm  niemand  so  gefährlich  wie  Samuel  Butler.  Der 
Hudibras  wurde  das  poetische  Hilfs-  und  Handbuch  aller  der- 
jenigen, die  sich  unter  einem  Puritaner  nichts  anderes  zu 
denken  wussten  als  einen  scheinheiligen  Bramarbas  mit 
kurzgeschnittenen  Haaren,  näselnder  Stimme  und  frommem 
Augenaufschlag.  Diese  kecken,  burlesken  Reime,  in  denen 
die  lächerlichen  Aeusserlichkeiten  der  Heiligen  mit  ebenso  viel 
Witz  wie  Behagen  verspottet  waren,  prägten  sich  ganz  von 
selbst  dem  Gedächtnis  ein.  Der  König  trug  das  Gedicht  in 
der  Tasche  bei  sich,  die  Höflinge  mischten  ihrer  Unterhaltung 
einzelne  seiner  muthwilligen  Kraftstellen  bei,  auf  der  Strasse 
und  in  den  Tavernen  sprach  man  von  dem  neuen  Don 
Quixote,  Sir  Hudibras,  dem  polternden  Kavalier  der  „Dame 
Religion", 

dem  Musterexemplar 
Und  Spiegel  aller  Ritterschaar, 
Der  jedem  Kanon  gab  das  Siegel 
Sehr  salbungsvoll  mit  Faust  und  Prüsrel 


30  Butlers  Hudibras. 

und  von  seinem  Knappen  Ralph,    dem   neuen  Sancho  Pansa, 
dem  Schneiderssohn ,  der  seinem  Herrn 

im  Witze  hielt  die  Waage, 
Ob  er  gleich  war  von  anderm  Sehlage, 
So  man  heisst  „Gabe",  „inner  Licht'', 
Die  ohne  Müh  vom  Zaun  man  bricht. 

Es  war  recht  leichte  poetische  Waare,  was  Butler 
seinen  Zeitgenossen  bot:  eine  lose  aneinander  gefügte  Reihe 
komischer  Situationen,  in  denen  selbstverständlich  die  frommen 
Verfechter  der  „guten,  alten  Sache'*  regelmässig  den  Kürzeren 
ziehen,  unterbrochen  durch  polemische  Betrachtungen,  ohne 
tieferen  Hintergrund.  Aber  er  traf  damit  vollkommen  den 
Ton  der  lebenslustigen,  höheren  Gesellschaft.  Auch  war  das 
dünne  Gewebe  seiner  regsamen  Phantasie  durchsichtig  genug, 
um  zahllose  Anspielungen  auf  Ereignisse  und  Personen,  die 
der  Vergangenheit  angehörten,  erkennen  zu  lassen.  Das 
lange  Parlament  und  die  ^Vestminster  -  Synode ,  Liga  und 
Covenant,  wie  die  grosse  Remonstranz,  Staatsmänner  und 
Feldherrn  der  Republik  und  des  Protektorats,  Presbyterianer 
und  Independenten :  für  alles  fand  sich  in  den  zwanglosen 
Knittelversen  Butler's  ein  breiter  Raum.  Die  Verfasser  des 
Smectymnuus,  deren  Sache  Milton  ehemals  zur  seinigen  ge- 
macht hatte ,  wurden  an  mehr  als  einer  Stelle  verspottet. 
Ihm  selbst  war  wenigstens  in  einem  der  Entwürfe  des  Ge- 
dichts ein  scharfer  Hieb  zugedacht  gewesen  (i). 

Butler  war  für  die  Reaktion  gegen  den  Puritanismus  eine 
unschätzbare  Kraft,  wie  wenig  auch  die  IMachthaber  des 
Tages  es  sich  angelegen  sein  Hessen,  seine  Dienste  zu  be- 
lohnen. Aber  bei  aller  Derbheit  seiner  Satire  hütete  er  sich 
doch,  die  puritanischen  Ideen  dadurch  zu  bekämpfen,  dass 
er  sich  zum  Lobredner  einer  möglichst  laxen  Moral  gemacht 
hätte.  Er  selbst  hatte  ein  deutliches  Bewusstsein  von  der 
„Fäulnis"  des  Zeitalters,  in  dem  er  lebte (2).  Er  brauchte 
in  der  That  sein  Auge  nur  auf  einige  Genossen  seiner  Kunst 
zu  werfen,  um  zu  bemerken,  wie  giftige  Blüthen  sie  unter 
der  Herrschaft  der  Restauration  zu  treiben  begann. 


Rochester.  31 

Vielleicht  p^iebt  nichts  einen  deutlicheren  Begriff  von  der 
sittlichen  Verwilderung,  die  nach  der  Wiederherstellung  des 
Königthums  in  der  höfischen  Gesellschaft  zum  Vorschein  kam» 
als  die  Lebensgeschichte  des  Grafen  von  Rochester.  Sein 
Vater  hatte  die  Schicksale  Karls  11.  nach  der  Schlacht  von 
Worcester  getheilt  und  dem  Sohn  ein  Anrecht  auf  die  könig- 
liche Dankbarkeit  hinterlassen,  das  zu  einem  Erbtheil  von 
sehr  zweifelhaftem  Werthe  wurde.  Jung  und  leichtsinnig,  von 
angenehmem  Aeusseren  und  natürlicher  Lebhaftigkeit,  kam 
er  an  diesen  Hof,  in  dessen  unreinem  Dunstkreis  nichts 
Gesundes  athmen  konnte.  Bald  war  er  der  erklärte  Günst- 
ling des  Monarchen,  der  erste  in  allen  Lastern,  die  zum 
guten  Ton  gehörten ,  gefürchtet  wegen  seiner  schaifen  Zunge, 
die  auch  die  höchsten  Persönlichkeiten  nicht  verschonte.  Es 
kam  wohl  vor,  dass  er  die  Gnade  seines  Herrn  zeitweise 
verwirkte,  weil  er  sich  über  dessen  öffentliche  und  heimliche 
Sünden  in  satirischen  Gedichten  von  unaussprechlicher  Natur- 
wahrheit lustig  machte.  AYährend  einer  solchen  vorüber- 
gehenden Vei-bannung  vom  Hofe  legte  er  die  Verkleidung 
eines  herumziehenden  Quacksalbers  an.  Die  Rede,  mit  der 
er  damals  vor  einem  gaffenden  Volkshaufen  seine  Künste  an- 
pries, die  Abenteuer,  die  ihm  in  dieser  Rolle  begegneten, 
boten  der  Skandalchronik  einen  unerschöpflichen  Stoft".  Seine 
Theilnahme  an  dem  Seekrieg  gegen  die  Niederlande  unter- 
brach nur  auf  kurze  Zeit  ein  Wüstlingsleben,  das 
seinen  Körper  ebenso  entnervte,  wie  es  seiner  Talente  un- 
würdig war.  Wie  bedeutend  diese  auch  waren:  Schöpfungen 
von  dauerndem  poetischen  Werthe  hervorzubringen,  war 
Rochester  nicht  im  Stande.  Ich  wage  nicht  zu  entscheiden, 
ob  ihm  diese  oder  jene  schmutzigen  Gedichte  zuzuschreiben 
sind,  die,  ohne  in  seine  Werke  aufgenommen  zu  sein,  unter 
seinem  Namen  gehn.  Wer  immer  ihr  Verfasser  gewesen  ist, 
er  scheint  aus  dem  wüsten  Rausche  eines  tollen  Bacchanals 
nur  auf  Stunden  erwacht  zu  sein ,  um  sich  mit  thierischer 
Lust  in  Ausschweifungen  anderer  Art  zu  stürzen.  Von  einigen 
dieser  Bastarde  der  Poesie  lassen  sich  selbst  die  Namen  nicht 
nennen.     Es  dürfte  schwer  sein,  ihres  gleichen  in  der  Lite- 


32  Dorset.    Sedley. 

ratur  irgend  eines  noch  so  verkommenen  Volkes  irgend  einer 
noch  so  verkommenen  Zeit  zu  finden  (^). 

Rochester  war  nur  einer  aus  der  Schaar  der  zuchtlosen 
Jugend,  deren  Ruhm  darin  bestand,  die  Schamlosigkeit  ihres 
Lebens  über  der  Keckheit  ihres  Witzes  vergessen  zu  lassen. 
Auch  hatten  die  beliebten  Schöngeister  des  Hofes  denn  doch 
auf  einen  feineren  Geschmack  zu  rechnen  als  den  Geschmack 
der  Insassen  und  Stammgäste  gemeiner  Häuser.  Lord  Buck- 
hurst, bekannter  unter  dem  Kamen  des  Grafen  von  Do)-set, 
wurde  freilich  einmal  mit  anderen  wilden  Genossen  vor  Ge- 
rieht gefordert,  um  sich  wegen  der  Anklage  auf  Raub  und 
Mord  zu  rechtfertigen.  Aber  die  Kinder  seiner  Muse  lassen 
nicht  ahnen,  wie  tief  der  Dichter  zeitweise  sinken  konnte. 
Charles  Sedley,  der  „Vicekönig  Apollo's,  wie  der  bewundernde 
Monarch  ihn  nannte,  betrug  sich  eines  Tages  öffentlich  in 
einer  so  gröblich  unanständigen  Weise,  dass  ein  Auflauf  des 
empörten  Volkes  entstand  und  ein  ärgerlicher  Process  erfolgte. 
Aber  von  seinen  einschmeichelnden  Versen  sagte  ein  genauer 
Kenner  des  Fachs,  dass  sie  mit  unwiderstehlichem  Zauber 
auch  dem  keuschesten  Herzen  die  lockersten  Wünsche  ein- 
flössen könnten,  weil  der  Dichter  sich  trefflich  darauf  ver- 
stehe „manierlich  ob&cön"  zu  sein  (2).  —  Es  ist  klar,  zu 
welchem  Dienste  im  besten  Fall  die  Kunst  von  solchen  Hän- 
den herabgewürdigt  wurde.  Man  war  einig  darüber,  dass 
„jedes  Mädchen  mit  vierzehn  Jahren  besiegbar",  und  dass  die 
Ehe  „nur  ein  erlaubter  Weg  zur  Sünde  sei"  (3).  Man  prägte 
sich  diese  Lehren  um  so  viel  leichter  ein,  wenn  sie  im  ver- 
führerischen Gewände  gebundener  Rede  erschienen.  Und  der 
erste  Lorbeer  winkte  dem,  welchem  es  glückte,  dem  Tropfen 
Gift  möglichst  viel  Süssigkeit  beizumischen. 

In  keiner  Form  der  schönen  Literatur  trat  der  Rück- 
schlag gegen  die  puritanische  Epoche  so  deutlich  zu  Tage 
wie  in  der  des  Dramas.  Die  Bühne  war  das  günstigste  Feld, 
auf  dem  die  Sieger  ihren  Triumph  zur  öffentlichen  Geltung 
bringen  konnten.  Der  Puritanismus  hatte  die  Theater  als 
Werkzeuge  des  Teufels  bekämpft  und  unterdrückt.  Nur  mit 
]\Iühe  war  es  Davenant  Gelungen,  unter  dem  Protektorat  der 


Die  Bühne.  —  Das  Lustspiel.  33 

dramatischen  Kunst  eine  stillschweigende  Duldung  zu  erwirken. 
Durch  die  Restauration  ihrer  vollen  Freiheit  zurückgegeben, 
rächte  sie  sich  für  den  frommen  Zwang  der  letzten  zwei 
Jahrzehnte,  indem  sie  mit  ausgesuchtem  Raffinement  eben 
nach  jener  Seite  hin  sündigte,  die  schon  während  der  grossen 
Zeit  des  englischen  Dramas  das  strenge  Gefühl  des  Puritaners 
verletzt  hatte.  Das  Lustspiel  war  wie  immer  der  Spiegel  des 
wirklichen  Lebens.  Geistreich,  witzig,  voll  feiner  psycholo- 
gischer Züge,  erhob  es  sich  doch  nur  selten  zu  reiner,  künst- 
lerischer Höhe.  Berechnet  auf  den  Beifall  der  höheren  Ge- 
sellschaftskreise, unter  deren  Schutz  die  Bühne  wieder  erstand, 
entlehnte  es  diesen  Kreisen  die  Lebensanschauung  und  die 
Sprache,  die  in  ihnen  gang  und  gebe  waren.  Die  lange  unter- 
drückte Sinnlichkeit,  welche  auch  an  dieser  Stelle  wieder 
zum  Durchbruch  kam,  erschien  nicht  als  die  naive  Aeusserung 
lebensfroher  Gesundheit,  sondern  als  ekles  Reizmittel  geiler 
Genuss-Sucht.  Je  frecher  der  Inhalt,  je  lasciver  die  Form, 
desto  grösser  war  der  Erfolg,  der  dem  Dichter  zu  Theil 
wurde.  Man  wusste  aus  eigener  Praxis ,  dass  Verführung  und 
Ehebruch  zum  guten  Ton  gehörten.  Man  haschte  in  der 
Unterhaltung  nach  Flüchen  und  Zoten,  Um  so  stärker  war 
die  Empfänglichkeit  dafür,  sich  im  Theater  am  Anblick  be- 
denklicher Situationen  aufzuregen  und  sich  durch  eine  Fülle 
schamloser  Phrasen  das  Ohr  kitzeln  zu  lassen.  Die  Ueber- 
tragung  der  Frauenrollen  auf  Personen  weiblichen  Geschlechts 
trug  nicht  wenig  dazu  bei,  diesen  Reiz  zu  steigern.  Die 
unanständigsten  Worte  klangen  am  schönsten  aus  dem  ]\Iunde 
eines  jungen  Mädchens,  und  wenn  es  Anmuth  mit  der  Jugend 
verband,  so  war  eine  Unschuld,  die  es  bis  dahin  gerettet 
haben  mochte,  sicher  verloren. 

Diesen  allgemeinen  Charakter  hat  die  englische  Komödie 
Jahrzehnte  lang  behalten.  Man  kann  nicht  einmal  sagen,  dass 
sie  während  Milton's  Leben  den  Höhepunkt  der  Gemeinheit 
erreicht  hätte.  Eine  besondere  Richtung  des  englischen  Lust- 
spiels dagegen,  die  sich  noch  unmittelbarer  gegen  den  Puri- 
tanismus  wandte,  kam  begreiflicher  Weise  am  stärksten  sofort 

Stern.  Milton  u.  s.  Z.    H.  4.  3 


34  Die  Tragödie. 

im  Beginn  der  Restauration  zur  Erscheinung.  Wenn  Butler 
die  besiegte  Partei  in  den  Knittelversen  eines  komisehen  Epos 
verhöhnt  hatte,  so  war  die  Versuchung  sehr  lockend,  sie  auch 
in  karrikirten  Typen  auf  die  Bühne  zu  bringen.  Es  hatte  so 
viele  Tartuffes  unter  den  einflussreichen  Persönlichkeiten  der 
revolutionären  Epoche  gegeben,  dass  die  englischen  Rivalen 
Moliere's  um  Urbilder  für  ihre  Charakterzeichnung  keineswegs 
in  Verlegenheit  waren.  Nicht  alle  bewahrten  sich  die  Un- 
parteilichkeit eines  Cowley,  dessen  Lustspiel  ..Cutter  von  Cole- 
man-Street",  die  zeitgemässe  Umarbeitung  seines  ..Guardian", 
doch  auch  die  schlechten  Auswüchse  der  royalistischen  Faktion 
zur  Anschauung  brachte.  In  den  meisten  Fällen  war  die  ko- 
mische Muse  einseitig  tendentiös.  Stücke  wie  der  .,Rump", 
das  „Committee",  die  ..Betrügereien"  stellten  sehr  wenig 
schmeichelhafte  Bilder  der  letzten  Jahre  vor  Augen,  und  die 
Habsucht  des  revolutionären  Politikers  wurde  von  den  höfischen 
Besuchern  der  hauptstädtischen  Theater  ebenso  herzlich  be- 
lacht wie  der  biblische  Jargon  des  scheinheiligen  Sektirers. 

Nicht  weniger  deutlich  trat  in  der  wiedererweckten  Tra- 
gödie, als  ein  bedenkliches  Element  der  Poesie,  die  politische 
Tendenz  hervor.  Die  Tragödiendichter  der  Restauration  Hessen 
keine  Gelegenheit  vorübergehn,  die  beschränkte  Monarchie 
anzugreifen  und  die  absolute  Monarchie  zu  preisen.  „Könige 
können  irren,  —  heisst  es  in  Dryden's  indischem  Kaiser  — 
aber  sollte  sich  der  Unterthan  herausnehmen,  ihre  Schand- 
thaten  zu  richten,  so  würde  er  ihnen  ihr  Bestes  streitig 
machen."  „Die  Rechte  der  Unterthanen  und  der  Regenten  — 
lässt  derselbe  Dichter  eine  seiner  Königinnen  sagen  —  sind 
ihrer  Natur  nach  grundverschieden.  Jene  haben  nur  ein 
Recht  darauf,  ihr  Hab  und  Gut  zu  geniessen,  diese  haben  das 
alleinige  Recht  zu  herrschen"  (^).  Derartige  Sentenzen  klangen 
dem  Ohr  des  niedrig  denkenden  Fürstendieuers  sehr  ange- 
nehm, aber  sie  fanden  keinen  Widerhall  im  Herzen  der  Nation, 
die  ihre  besten  Kräfte  an  die  Erkämpfung  einer  verfassungs- 
mässigen Regierung  gesetzt  hatte.  — 

Etwas  anderes  kam  hinzu,  um  dem  Drama  der  Restau- 
ration jenen  innigen  Zusammenhang  mit  dem  nationalen  Leben 


Einfiuss  Frankreichs.  35 

abzuschneiden,  den  es  einst  während  der  Herrschaft  Elisa- 
beth's  und  in  den  nächsten  Jahrzehnten  nach  ihrem  Tode  ge- 
habt hatte.  Es  gab  allerdings  hervorragende  Geister,  welche 
die  Meisterschaft  Shakespeare's  willig  anerkannten  und  auch 
für  die  Bedeutung  der  übrigen  grossen  Dramatiker  der  Ver- 
gangenheit ein  offenes  Auge  hatten.  Aber  im  ganzen  fühlte 
sich  das  „verfeinerte  Zeitalter"  den  mächtigen  poetischen  Ge- 
bilden des  Genies  nicht  mehr  gewachsen  (^j.  Wenn  man  diese 
Gebilde  dem  Publikum  wieder  vorführte,  hielt  man  es  nicht 
selten  für  nöthig,  eine  gründliche  Umänderung  mit  ihnen  vor- 
zunehmen, um  sie  dem  herrschenden  Geschmack  anzupassen. 
In  dieser  Weise  wurden  einzelne  der  berühmten  Werke  von 
Shakespeare,  Beaumont  und  Fletcher,  Webster  u.  a.  ver- 
arbeitet. Sie  wurden  glänzend  ausgestattet,  durch  die  Künste 
des  Maschinisten  und  Decorateurs  geziert,  mit  den  unerläss- 
lichen  Zuthaten  von  Musik  und  Ballet  versehen,  aber  zugleich 
von  rohen  Händen  der  Art  verunstaltet,  dass  Miranda  eine 
Schwester  erhielt,  mit  der  sie  unter  der  Maske  der  Unschuld 
die  schlüpfrigsten  Zwiegespräche  führen  konnte,  und  dass  dem 
Mädchen,  welches  niemals  einen  Mann  gesehn  hatte,  ein  Jüng- 
ling gegenübertrat,  der  naiv  genug  war,  nicht  zu  wissen,  was 
ein  weibliches  W^esen  sei.  Mächtiger  indessen  als  die  grossen 
Muster  des  eigenen  Volkes  wirkten  fremde  Vorbilder  auf  die 
Dichter  des  Tages  ein.  Fand  das  spanische  Theater  nach 
wie  vor  begeisterte  Nachahmer,  so  war  der  Einfluss  der  dra- 
matischen Autoren  Frankreichs  noch  bei  weitem  grösser.  Die 
Hauptstadt  Frankreichs  war  eine  Zeit  lang  der  Mittelpunkt 
der  royalistischen  Emigration  gewesen.  Französische  Sprache, 
französische  Sitte  waren  mit  der  Rückkehr  des  Königthums  in 
die  höheren  Schichten  der  Gesellschaft  eingedrungen.  Für 
viele  ihrer  Glieder  waren  das  Ideal  eines  Staates  der  Staat 
Ludwig's  XIV.,  das  Ideal  eines  Hofes  der  Hof  von  Versailles, 
das  Ideal  der  Dichtkunst  ein  Roman  von  Mademoiselle  de 
Scudöry  oder  ein  Drama  von  Pierre  Corneille.  In  den  Er- 
zeugnissen der  gleichzeitigen  Poesie  des  Nachbarlandes  fanden 
sich  der  Stoff  und  die  Form ,  welche  der  vornehmen  Welt 
allein    als   klassisch    erschienen :    die  Anhäufung    abenteuer- 

3* 


36  Heroische  Schauspiele. 

lieber  Zufälle,  die  Darstellung  überspannter  Gefüble  in  den 
Scbrajiken  akademischer  Vorscbrift  und  in  der  Spracbe  ab- 
gemessener Etikette.  Die  Dramatiker  der  Restauration  kamen 
den  Wünschen  ihrer  Gönner  nur  entgegen,  wenn  sie  sich  be- 
mühten, die  Liebe,  die  Grossmuth,  die  Kühnheit,  die  Eifer- 
sucht christlicher  und  heidnischer,  moderner  und  antiker, 
afrikanischer  und  asiatischer  Grossen  beiderlei  Geschlechts 
in  volltönenden  Reimen  auszudrücken.  Aber  sie  theilten  das 
Schicksal  fast  aller  Nachahmer:  der  Form  ihrer  Vorbilder 
Gewalt  anzuthun  und  den  Geist  ihrer  Vorbilder  nicht  in  sei- 
ner Tiefe  zu  erfassen.  Ihre  erzwungenen  Reimpaare  können 
sich  den  flüssigen  Alexandrinern  ebenso  wenig  vergleichen  wie 
ihre  marionettenhaften  Helden  und  Heldinnen  den  stolzen  Ge- 
stalten der  grossen  Franzosen.  „Wie  diese  besingen  sie  he- 
roische Tapferkeit  und  heroische  Liebe,  aber  ungleich  diesen 
haben  sie  wenig  daran  gedacht,  die  eine  mit  höfischer  Würde 
zu  umkleiden  und  die  andere  in  ihrer  Zartheit  und  Reinheit 
zu  schildern.  Sie  erniedrigen  die  Leidenschaft,  und  um  ihren 
Bildern  mehr  Kraft  zu  verleihen,  nehmen  sie  ihre  Zuflucht 
zum  Bombast"  (^)-  Und  so  entstanden  jene  „heroischen  Schau- 
spiele", in  denen,  mit  Walter  Scott  zu  reden,  jeder  König 
nach  angestammtem  Recht  ein  Held  war,  jedes  Frauenzimmer 
eine  Göttin,  jeder  Tyrann  eine  feuerschnaubende  Chimära, 
jeder  Soldat  ein  unwiderstehlicher  Amadis.  So  kam  es  zu 
jenen  Missbildungen  der  tragischen  Muse,  in  denen  verkün- 
stelte Begrifi'e  ritterlicher  Ehre  und  Galanterie  das  natürliche 
Gefühl,  und  ein  hohles  Pathos  die  Sprache  des  Herzens  er- 
setzen sollten.  Für  lange  Zeit  beherrschte  diese  Manier  die 
englische  Bühne,  bis  ihr  Buckingham's  berühmte  Satire  „die 
Probe"  drei  Jahre  vor  Milton's  Ende  den  Todesstoss  versetzte. 
Wie  mächtig  auch  Männer,  wie  Davenant,  Crowne,  der 
Graf  von  Orrery  u.  a.,  nach  dieser  Richtung  hin  gewirkt  haben, 
zum  höchsten  iVnsehn  verhalf  ihr  die  Autorität  John  Dryden's. 
Man  thäte  ihm  Unrecht,  wenn  man  ihn  mit  demselben  Mass- 
stab messen  wollte  wie  die  übrigen  Dichter  der  Restaura- 
tionszeit. Die  Vielseitigkeit  seines  Talents,  der  Reichthum 
seiner  Einbildungskraft,  die  Geschmeidigkeit  seiner  Rede  in 


Joliii  Drydea.  37 

Vers  und  Prosa  würden  ihn  allein  schon  über  ihre  Reihe  hin- 
ausheben, selbst  wenn  der  Sinn  für  Kritik  nicht  dermassen 
in  ihm  ausgebildet  gewesen  wäre,  dass  ihm  alsbald  die  grosse 
Ueberlegenheit  der  heimischen  über  die  fremden  Muster  zum 
Bewusstsein  kam,  und  dass  es  ihn  keine  Mühe  kostete,  in 
einer  späteren  Zeit  Irrthümer  einzugestehn ,  zu  deren  Ver- 
breitung sein  Beispiel  und  seine  Lehre  nicht  am  wenigsten  bei- 
getragen hatten.  Aber  mit  allen  seinen  Stärken  und  Schwächen 
wurzelte  er  in  dem  Zeitalter  der  Restauration  und  konnte 
als  der  vornehmste  Vertreter  ihrer  schöngeistigen  Bestrebun- 
gen gelten.  Mit  derselben  Geschicklichkeit  wie  Edmund 
Waller  machte  er  seine  Muse  zur  Anbeterin  des  Erfolges. 
Er  hatte  einst  das  Andenken  Oliver  CromweH's  besungen.  Er 
wurde  nun  der  poeta  laureatus  Karl's  IL  Milton  lebte  un- 
beachtet in  dunkler  Zurückgezogenheit,  Dryden  sonnte  sich 
in  der  Gunst  des  Hofes.  Vor  diesem  ästhetischen  Tribunal 
bestanden  die  servilen  Schmeicheleien,  die  schwülstigen  De- 
klamationen, die  frivolen  Zweideutigkeiten,  welche  so  viele  der 
werthvollsten  Schöpfungen  Dryden's  entstellen.  Und  doch  hat 
vielleicht  niemals  ein  puritanischer  Schriftsteller  schärfer  über 
die  poetischen  Sünden  der  Restaurationszeit  geurtheilt  als 
derjenige,  den  sie  ihren  ersten  Dichter  nannte.  „Wir  haben  — 
ruft  Dryden  bei  einem  Rückblick  auf  die  Vergangenheit  kla- 
gend aus  —  die  himmlische  Gabe  der  Poesie  profanirt.  Wir 
haben  die  Muse  zur  feilen  Dirne  gemacht  und  zum  Dienst 
der  Unzucht  erniedrigt  .  .  Oh,  wir  Elenden,  was  können  wir 
sagen,  um  diesen  unseren  zweiten  Sündenfall  zu  entschul- 
digen?"('). 


Wenn  im  Leben  der  höheren  Gesellschaftskreise  ein  Rück- 
schlag gegen  den  Puritanismus  erfolgte,  wenn  die  schöne  Lite- 
ratur sich  auf  mannichfache  Weise  in  Widerspruch  mit  dem 
puritanischen  Geiste  setzte ,  der  im  englischen  Bürgerthum 
unausrottbare  Wurzeln  geschlagen  hatte,  so  erlitt  er  auf  einem 
anderen  Gebiete,  das  er  als  seine  eigentliche  Domäne  betrach- 
tete, gleichfalls  eine  Niederlage  nach  der  anderen.    Die  an- 


38  Reaktion  in  der  Kirche. 

gestrebte  Reform  der  Kirche  wurde  abgelöst  durch  eine  un- 
barmherzige Reaktion.  Die  puritanische  Umwälzung  hatte 
den  Bau  des  Anglikanismus  von  Grund  aus  zu  zerstören  ge- 
sucht. Die  Verfassung  der  bischöflichen  Kirche  war  vernichtet, 
ihre  höchsten  Würdenträger  hatten  mit  ihrer  geistlichen  Ge- 
walt ihre  politischen  Vorrechte  eingebüsst,  ihre  ehemals  ge- 
fürchteten Tribunale  verhassten  Angedenkens  waren  aufgehoben. 
Der  Familienvater,  der  sich  in  seinen  vier  Wänden  der  über- 
kommenen Formeln  des  Common-Prayer-Book  bediente,  hatte 
sich  schwerer  Strafe  ausgesetzt.  Gegen  Orgeln,  Bilder  und 
bunte  Fenster  in  den  Kirchen  war  von  den  Helden  von  Mar- 
ston-Moor  und  Worcester  ein  unerbittlicher  Krieg  geführt 
worden.  Alte  Festtage,  deren  blosser  Name  theuere  Erinne- 
rungen weckte,  waren  in  Wegfall  gekommen.  An  Gebet  und 
Fasten  war  Ueberfluss  gewesen,  aber  die  grünen  Maibäume 
waren  umgerissen  und  die  lustigen  Kirchweihen  hatten  auf- 
gehört. .  Auch  auf  diesem  Gebiete  hatte  der  Eifer  der  Neuerer 
neben  drückenden  Härten  und  ISIissbräuchen  eine  Reihe  von 
harmlosen  Gewohnheiten  und  Formen  zu  beseitigen  gesucht, 
die  zu  enge  mit  dem  allgemeinen  Volksbewusstsein  verwach- 
sen waren,  als  dass  ein  einfaches  Dekret  die  von  den  Vätern 
ererbten  Gewohnheiten  hätte  vergessen  lassen  können. 

Bei  dem  Versuche  eines  kirchlichen  Neubaues  waren  die 
verschiedenen  Richtungen  des  Puritanistnus  auseinanderge- 
gangen. Der  Presbyterianismus  hatte  dem  äusseren  Anscheine 
nach  den  Sieg  gewonnen.  Die  Presbyterialverfassung  war  in 
aller  Form  als  die  der  nationalen  Kirche  eingeführt  worden, 
und  die  durchgreifenden  Personalveränderungen  in  den  Pfar- 
reien wie  in  den  Universitäten  waren  in  erster  Linie  den 
Verehrern  des  schottischen  Ideals  zu  gute  gekommen.  Aber 
die  Presbyterialverfassung  war  auf  englischem  Boden  immer 
ein  fremdes  Gewächs  geblieben.  Sie  stand  zwar  auf  dem 
Papier,  allein  sie  konnte,  von  London  abgesehen,  nur  in  einem 
kleinen  Theile  des  Landes  durchgeführt  werden.  Im  Kongre- 
gationalisnms ,  im  Anwachsen  independentischer  Gemeinden 
erhob  sich  eine  furchtbare  Macht,  die  den  Rahmen  der  neuen 
Kirchen  Verfassung  beständig  durchbrach.     Je  entschiedenere 


Wiederherstellung  der  bischöflichen  Kirche.  39 

Siege  der  Independeiitismus  auf  politischem  Gebiet  erfocht, 
desto  zahlreicher  drangen  seine  Anhänger  auch  in  die  er- 
ledigten kirchlichen  Stellen  ein.  In  beiden  Fällen  nahm  der 
Staat,  unter  dessen  Schutz  und  mit  dessen  Beihilfe  sich  die 
Umwandlung  vollzog,  ein  Recht  der  Prüfung  und  Beaufsich- 
tigung in  Anspruch.  Daneben  gewannen  aber  auch  jene  Ideen 
fortwährend  an  Boden,  die  im  Gemeinwesen  Roger  Williams' 
in  ihrer  Reinheit  verwirklicht  waren,  und  zu  denen  sich,  trotz 
einzelner  Unklarheiten,  ebenfalls  Milton's  letzte  Schriften  be- 
kannt hatten.  Eine  Anzahl  von  Sekten  breitete  sich  aus,  die 
dem  Grundsatz  der  Freiwilligkeit  in  seiner  ganzen  Strenge 
huldigten.  Sie  verzichteten  auf  jede  Unterstützung  des  Staa- 
tes, aber  sie  sprachen  ihm  auch  das  Recht  ab,  ihnen  das 
Dasein  zu  verwehren  oder  sie  in  Dogma,  Ritus,  Veiiassung 
durch  obrigkeitliche  Vorschriften  zu  binden. 

Der  Gegensatz  dieser  sich  einander  befehdenden  Parteien 
beförderte  den  Sieg  der  alten  Episkopalkirche.  Nach  der 
Rückkehr  des  Stuart'schen  Königsgeschlechts  erstand  sie  aus 
den  Ruinen  und  nahm  eine  unbarmherzige  Rache  für  die  Akte 
der  puritanischen  Epoche.  Die  Presbyterianer,  die  mit  allen 
Kräften  auf  die  Restauration  hingewirkt  hatten,  hofften,  wenn 
nicht  auf  völlige  Anerkennung  ihres  Systems,  so  doch  auf  einen 
billigen  Vergleich.  Die  Independenten,  Quäker,  Baptisten  und 
andere  Sektirer  forderten  Toleranz.  Aber  die  so  lange  unter- 
drückten Episkopalisten  verlangten  mit  Ungestüm  die  Wie- 
derherstellung jener  ausschliesslichen  Kirche,  für  welche  Karl  I. 
den  Märtyrertod  auf  sich  genommen  haben  sollte.  Nach  ihnen 
bestand  keine  andere  kirchliche  Form  für  ihr  Vaterland  zu 
Recht  als  die  bischöfliche,  und  Abweichungen  von  deren  Ver- 
fassung, Ceremonieen  und  Dogma  waren  nicht  zu  dulden. 
Die  beraubten  Prälaten ,  welche  den  Sturm  der  Zeiten  über- 
lebt hatten,  die  zahlreichen  aus  ihren  Pfründen  vertriebenen 
Kleriker  traten  mit  ihren  Ansprüchen  auf  Genugthuung  her- 
vor. Die  Masse  der  Kavaliere  erwartete  mit  Ungeduld  den 
Augenblick  der  Rache  für  die  Uebergriffe  der  puritanischen 
Neuerer.  Dem  eintiussreichen  Lordkanzler  erschien  das  p]pis- 
kopalsystem  als  das  vornehmste  Bollwerk  des  Protestantismus. 


^Q  Wiederherstellung  der  bischöflichen  Kirche. 

Der  König  hätte  allerdings  den  Gang  der  Reaktion  zu  hem- 
men gewünscht,  nicht  als  ob  seine  skeptische  Natur  einer 
ernsten  Behandlung  religiöser  Fragen  überhaupt  geneigt  ge- 
wesen wäre,  sondern  weil  ihn  wichtige  Beweggründe  anderer 
Art  leiteten.  Er  hatte  durch  seine  Deklaration  von  Breda 
Gewissensfreiheit  in  Aussicht  gestellt  und  versprochen,  „dass 
niemand  wegen  der  Unterschiede  rehgiöser  Ansichten,  die  den 
Frieden  des  Reiches  nicht  stören,  beunruhigt  oder  zur  Ver- 
antwortung gezogen  werden  sollte".  Er  w^isste,  dass  die  Pres- 
byterianer  zu  schonen  waren,  solange  sie  im  Konventions- 
parlament eine  Macht  bedeuteten.  Endlich  war  zu  hoffen, 
dass  eine  Politik  religiöser  Duldsamkeit  auch  den  Katholiken 
zu  gute  kommen  werde,  deren  treue  Dienste  nicht  besser 
belohnt  werden  konnten  als  durch  Aufhebung  der  harten 
Strafgesetze,  und  deren  allein  selig  machende  Gemeinschaft  den 
königlichen  Sünder  halb  und  halb  zu  den  ihrigen  rechnen 
duifte. 

Aber  schon  im  ersten  Jahre  nach  der  Restauration  kam 
die  Strömung,  die  der  Wiederherstellung  der  bischöflichen 
Verfassung  günstig  war,  immer  entschiedener  zum  Durch- 
bruch. Wohl  leisteten  die  Parteigänger  des  Furitanismus  im 
Konventionsparlament  allen  Schritten,  die  darauf  abzielten, 
heftigen  Widerstand.  Indessen  die  Zahl  der  Episkopalisten 
gewann  durch  Nachwahlen  an  Stärke  und  Kühnheit.  Die  ehe- 
maligen Innehaber  von  Pfründen  durften  ihre  puritanischen 
Nachfolger  zum  Weichen  bringen.  Mit  ihnen  kehrten  zur 
Freude  der  einen,  zum  Abscheu  der  anderen  Chorrock  und 
Liturgie  an  die  Altäre  zurück.  In  den  Universitäten  traten 
vertriebene  Anhänger  der  bischöflichen  Kirche  wieder  in 
ihre  Stellen  ein,  und  die  alten  Formen  der  Gottesverehrung 
suchten  auch  hier  die  während  der  Umwälzung  eingeführten 
zu  verdrängen.  Die  überlebenden  Bischöfe  nahmen  ihre  Amts- 
thätigkeit  wieder  auf,  und  bald  waren  die  Lücken,  welche 
während  der  Revolution  in  ihre  Reihen  gerissen  waren,  aus- 
gefüllt. Nicht  lange  währte  es,  so  sah  man  auch  in  Irland 
und  Schottland  das  Bisthum  wieder  hergestellt.  Immer  un- 
gestümer drangen   die  Klagen  und  Anklagen   von  Klerikern, 


Vorhaudlungen  mit  den  Presbyterianern.  41 

die  wegen  ihrer  loyalen  Gesinnungen  Jahre  lang  gelitten  hatten, 
an  den  königlichen  Thron.  Immer  häufiger  wurden  die  An- 
fechtungen der  „Leute  von  gefährlichen  Grundsätzen",  die 
allen  Drohungen  zum  Trotz  religiöse  Zusammenkünfte  hielten 
und  sich  weigerten,  den  königlichen  Supremat  in  geistlichen 
Dingen  anzuerkennen.  Ein  tollkühnes  Unternehmen,  wie  das 
des  fanatischen  Küfers  Thomas  Venner,  der  mit  wenigen  Mit- 
verschworenen das  Reich  des  Königs  Karl  hatte  umstürzen  und 
das  Reich  „des  Königs  Jesu"  hatte  aufrichten  wollen,  gab  den 
Verfolgungen  neue  Nahrung  und  schlug  tausenden  von  Un- 
schuldigen zum  Unheil  aus.  Die  Gefängnisse  füllten  sich  mit 
Verdächtigen,  die  sich  vergeblich  gegen  den  ^'orwurf  ver- 
wahrten, den  Männern  der  „fünften  Monarchie)-'  anzuhangen. 
Friedliche  Bürger  wurden  mit  Steinwürfen  iasultirt.  weil  sie 
Mitglieder  der  verhassten  Sekten  waren.  Die  Häuser  wurden 
nach  Waffen  durchsucht,  die  Post  mit  Verletzung  des  Brief- 
geheimnisses streng  überwacht. 

Inzwischen  war  der  Versuch  gemacht  worden,  ein  Ab- 
kommen mit  den  Presbyterianern  zu  treffen.  Mehrere  ihrer 
vornehmsten  Geistlichen  waren  zu  Hofkaplänen  ernannt  wor- 
den, darunter  die  drei  Smectymnianer,  Calamy,  Spurstow,  New- 
comen(^).  Ihre  Namen  spielen  neben  demjenigen  des  be- 
rühmten Richard  Baxter  eine  Hauptrolle  in  den  wichtigen 
Verhandlungen,  welche  eine  Aussöhnung  zwischen  Presbyte- 
rianern und  Episkopalisten  l)ewirken  sollten.  Alle  jene  kir- 
chengeschichtlichen und  kirchenpolitischen  Fragen,  die  in  den 
ersten  prosaischen  Schriften  Milton's  eine  so  grosse  Rolle  ge- 
spielt hatten,  tauchten  hier  wieder  auf.  Aber  damals  so  wenig 
wie  früher  war  es  möglich  eine  Ausgleichung  der  Gegensätze 
zu  erzielen.  Indem  der  König  durch  die  Vorlage  einer  mass- 
vollen Deklaration  zwischen  ihnen  zu  vermitteln  suchte,  hoffte 
er  eine  Klausel  einschieben  zu  können,  die  allein  auf  die  in- 
dependentischen  Sekten  berechnet  zu  sein  schien,  aus  der 
aber  auch  die  gedrückten  Katholiken  Nutzen  ziehn  mochten. 
Presbyterianer  wie  Episkopalisten,  gleich  unduldsam,  wenn  es 
sich  um  ihre  papistischen  Mitbürger  handelte,  schöpften  Arg- 
wohn.   Die  Deklaration  musste  ohne  jenen  Zusatz  erscheinen. 


42  Savoy  -  Konferenz.     Konvokation. 

Ohne  Zweifel  hatte  sie  eben  daher  ihren  Werth  für  den  König- 
verloren. Als  es  sich  darum  handelte,  ihr  Gesetzeskraft  zu 
geben,  wurde  die  ßill,  auf  deren  Annahme  die  Presbyterianer 
gerechnet  hatten,  von  Seiten  des  Hofes  Preis  gegeben  und 
vom  Hause  verworfen. 

Von  Feinden  umgeben,  ohne  auch  nur  zu  einem  Theile 
gesetzlichen  Schutz  errungen  zu  haben,  sah  sich  nunmehr 
alles,  was  während  des  Interregnums  im  Gegensatz  zur  angli- 
kanischen Kirche  emporgekommen  war,  dem  Sturme  ausge- 
setzt, dessen  Losbrach  nach  dem  Zusammentritt  des  neuen 
Parlaments  zu  erwarten  war.  In  dieser  Versammlung  war 
der  Puritanismus  nur  in  sehr  ungenügender  Weise  veitreten. 
Der  Einfluss  der  Krone,  der  Eifer  des  Adels  und  die  Thätig- 
keit  des  bischöflichen  Klerus  verhalfen  vielen  der  alten  Ka- 
valiere zum  Siege,  und  die  Männer,  die  unter  dem  Banner 
Karl's  I  gefochten  oder  für  seine  Sache  geduldet  hatten,  waren 
entschlossen ,  durch  die  Erneuerung  kirchlicher  Uniformität 
im  alten  Sinne  eine  unbarmherzige  Vergeltung  zu  üben.  Xoch 
eben  hatten  sich  in  dem  Savoy -Palast  am  Strand  in  Folge 
königlichen  Auftrags  Episkopalisten  und  Presbyterianer  zu 
neuen  Ausgleichsverhandlungen  zusammengefunden.  Allein 
auch  hier  zeigte  sich  die  ünversöhnlichkeit  der  beiden  An- 
schauungen. Der  schriftlich  und  mündlich  geführte  Kampf 
diente  nur  dazu,  sie  zu  verschärfen.  Die  kirchliche  Konvo- 
kation, welche  gleichzeitig  mit  dem  Parlament  seit  1640  zum 
ersten  Male  wieder  tagte,  machte  alle  Hoffnungen  zu  Schan- 
den, die  etwa  noch  in  puritanischen  Kreisen  geherrscht  hatten. 

Die  Beschlüsse  des  Parlaments  beschleunigten  einer  nach 
dem  anderen  den  Lauf  der  Reaktion.  Man  wandte  sich  zunächst 
gegen  jene  Urkunde,  die  so  lange  als  das  Panier  der  purita- 
nischen Partei  gegolten  hatte.  Liga  und  Covenant,  worauf 
einst  Alt  und  Jung  einen  feierlichen  Eid  geleistet  hatten, 
wurde  an  drei  Plätzen  in  London  durch  Henkershand  ver- 
brannt, und  das  Schauspiel,  das  die  Hauptstadt  gegeben  hatte, 
ward  hier  und  dort  im  Lande  unter  festlicliem  Gepränge  nach- 
geahmt. Demnächst  war  es  von  unermesslicher  Bedeutung, 
dass  die  Prälaten  ihre  weltlichen  Gerechtsame  zurückerhielten. 


Korporatiousakte.     Unifoimitätsakte.  43 

Am  20.  November  1661  sah  man  sie  zum  ersten  Mal  seit 
zwanzig  Jahren  in  ihren  rothen  Gewiindern  als  Pairs  des 
Reiches  ihre  alten  Sitze  einnehmen.  Einige  Wochen  später 
bestätigte  der  König  eine  Akte,  welche  darauf  abzielte,  die 
Puritaner  aus  den  Gemeindeverwaltungen,  woselbst  sie  ihre 
Stärke  hatten,  zu  vertreiben.  Alle  Mitglieder  städtischer 
Korporationen  hatten ,  abgesehen  vom  Suprematseid ,  die  Un- 
gesetzlichkeit von  Liga  und  Covenant  wie  des  Tragens  von 
Waffen  gegen  den  König  zu  beschwören.  Niemand  sollte  in 
Zukunft  für  ein  Gemeindeamt  wählbar  sein,  der  nicht  binnen 
des  Jahres  vorher  das  Abendmahl  nach  anglikanischem  Ritus 
empfangen  hatte.  Die  Korporationsakte  verdrängte  die  An- 
hänger des  Puritanismus  aus  den  wichtigsten  ihrer  Stellungen 
im  Staate.  Die  Uniformitätsakte  schnitt  ihnen  die  Möglich- 
keit des  Verbleibens  in  der  Kirche  ab.  Von  allen  Schlägen, 
die  gegen  die  besiegte  Partei  geführt  wurden,  traf  keiner  so 
schwer  wie  dieser.  Das  Common-Prayer-Book ,  in  der  revi- 
dirten  Form,  wie  es  aus  den  Berathuugen  der  Konvokation 
hervorgegangen  war,  mit  allen  seinen  rituellen  Vorschriften 
war  das  allein  giltige  gottesdienstliche  Muster,  und  jeder  Pfarrer, 
Vikar  oder  sonst  mit  kirchlichen  Einkünften  bedachte  Geist- 
liche hatte  vor  seiner  Gemeinde  zu  erklären,  dass  er  den 
ganzen  Inhalt  des  Buches  „billige"  und  mit  ihm  ., überein- 
stimme". Von  nun  an  sollte  niemand,  nicht  nur  zum  Genuss 
einer  kirchlichen  Pfründe,  sondern  zur  Ausübung  der  Seel- 
sorge zugelassen  werden,  der  nicht  die  bischöfliche  Ordination 
oder  Licenz  erhalten  hätte.  Der  gesammte  Klerus,  die  Inne- 
haber  von  Universitätsämtern,  Schulmeister  und  selbst  Pri- 
vatlehrer hatten  bei  Strafe  des  Verlustes  ihrer  Einkünfte  oder 
bei  Strafe  von  Gefängnishaft  durch  ihre  Namensunterschrift 
eine  Erklärung  auszustellen,  die  ihre  Billigung  der  vorge- 
schriebenen Liturgie  verbürgte  und  den  (jesinnungen  der 
Loyalität  einen  noch  schärferen  Ausdruck  gab,  als  in  dem  Eide 
der  Gemeindebeamten  vorgesehn  worden  war. 

So  Hess  man  sich  dazu  fortreissen,  die  bitteren  Erfahrungen 
eines  Jahrhunderts  zu  missachten.  Die  kirchliche  Gesetzgebung 
Elisabetir.s,  wurzelnd  in  einem  Zeitalter,  in  welchem  die  reli- 


44  Der  Bartholomäustag  1662. 

giösen  Gegensätze  Europa  in  z^yei  feindliche  Lager  spalteten, 
hatte  einst  durch  staatlichen  Zwang  etwas  Dauerndes  zu  schaffen 
gesucht,  und  das  Werk  war  misslungen.  Nichtsdestoniinder  gieng 
man  auf  das  Vorbild  dieser  Gesetzgebung  zurück,  ohne  sich  dar- 
ü1)er  Rechenschaft  zu  geben,  um  wie  viel  schwerer  jener  Zwang 
in  der  zweiten  Hälfte  des  siebzehnten  Jahrhunderts  sich  fühl- 
bar machen  werde  als  in  der  zweiten  Hälfte  des  sechzehnten. 

Der  24.  August  1662,  der  Bartholomäustag,  war  der  Ter- 
min, bis  zu  welchem  Unterwerfung  unter  die  neue  Uniformitäts- 
akte  gefordert  wurde.  Es  war  ein  Tag  der  Trauer  für  den 
Puritanisuius ,  dessen  sämmtliche  Glieder  fortan  wieder  ein 
Loos  theilten :  zu  dulden ,  wo  Widerstand  unmöglich  war. 
Wie  mancher  hatte  den  harten  Kampf  in  sich  auszufechten, 
ob  er  zum  Heuchler  oder  zum  Märtyrer  werden  sollte.  WMe 
schwer  wurde  den  meisten  der  Abschied  von  dem  gewohnten 
Heim  und  der  trauernden  Gemeinde,  wie  ungewiss  war  die 
Zukunft  so  vieler  Familien!  Aber  in  dieser  Krisis  zeigte  der 
Puritanismus  aufs  neue  seine  moralische  Stärke,  und  mancher 
garstige  Makel,  der  seine  Erscheinung  in  den  Tagen  des 
Glücks  befleckt  hatte,  verwischte  sich  in  den  Tagen  der  Noth. 
Die  Zahl  der  Verjagten  kann  nicht  festgestellt  werden. 
Es  ist  ohne  Zweifel  eine  übertriebene  Annahme,  dass  ihrer 
über  zweitausend  waren,  aber  in  die  Hunderte  belief  sich  die 
Masse  der  Ausgestossenen  sicherlich  (').  Auch  von  Milton's 
alten  Bekannten  wurden  nicht  wenige,  darunter  die  drei  über- 
lebenden Verfasser  des  Smectymnuus,  durch  den  Racheakt 
der  Restauration  betroffen. 

Der  König  war  noch  immer  gewillt,  die  Härten  der  Ge- 
setzgebung zu  mildern,  nicht  so  sehr  um  das  Schicksal  der 
Konkonformisten  zu  erleichtern ,  als  vielmehr  aus  Theilnahme 
mit  der  traurigen  Lage  der  Katholiken.  Gegen  Ende  dessel- 
ben Jahres,  in  welchem  die  Uniformitätsakte  in  Kraft  getreten 
war,  erliess  er  eine  Deklaration,  in  der  er  sich  gegen  den 
Vorwurf  vertheidigte ,  ein  Beförderer  des  Papismus  zu  sein, 
zugleich  aber  seine  Absicht  kundgab ,  zu  Gunsten  religiöser 
Toleranz  von  bestehenden  Gesetzen  zu  dispensiren.  Es  war 
ein  erster  Versuch,  jener  verhängnisvollen  Theorie   Geltung 


Indulgenzerklärung  des  Königs.  45 

ZU  verschafifen ,  welche  mehr  als  alles  sonst  das  Misstrauen 
des  Parlamentes  weckte  und  für  Jahrzehnte  seine  Vertheidi- 
gung  verfassungsmässiger  Rechte  mit  den  Forderungen  der 
Toleranz  in  einen  unheilvollen  "Widerspruch  setzte.  Auch 
wurde  die  Bill,  die  auf  Grund  jener  Indulgenzerklärung  den 
Häusern  vorgelegt  ward,  mit  Entschiedenheit  zunickgewiesen. 
Ihre  Wirkung  war  nur  gewesen,  den  alten  Hass  gegen  die  Mit- 
glieder ^ler  katholischen  Kirche  aufzureizen  und  die  Verfol- 
gungen, denen  sie  ausgesetzt  waren,  zu  verschärfen.  Inzwi- 
schen wurde  von  Tag  zu  Tage  klarer,  dass  die  Uniformitäts- 
akte  ihren  Zweck  nicht  erreichte.  Trotz  der  angedrohten 
Strafen,  trotz  des  Eifers  bezahlter  Spione  und  der  Wachsam- 
keit misstrauischer  Behörden  dauerten  die  religiösen  Zusam- 
menkünfte der  Nonkonformisten  jeder  Schattirung  fort.  Wohl 
wurden  nicht  wenige,  wie  einst  die  Pilgerväter,  dazu  getrie- 
ben, nach  den  Kolonieen  jenseits  des  Oceans  auszuwandern, 
wo  man  der  hochkirchlichen  Unduldsamkeit  zu  entfliehen 
hoffte,  die  in  dem  Mutterlande  ihre  Triumphe  feierte.  Aber 
tausende  blieben  zurück,  die  den  Kampf  mit  den  heimischen 
Gewalten  aufnahmen.  Ihre  Häuser  wurden  überwacht,  ihre 
Konventikel  zersprengt.  Viele  wurden  beschuldigt,  Aufstände 
vorzubereiten,  und  die  Gefängnisse  wurden  nicht  leer  von  ver- 
folgten Sektirern.  Allein  die  Gefahren,  die  ihren  gottesdienst- 
lichen Vereinigungen  drohten,  steigerten  ihre  Standhaftigkeit 
und  ihre  A'orsicht.  Wo  sie  nicht  wagen  konnten ,  bei  Licht 
zusammenzukommen,  stärkten  sie  sich  durch  Gebet  und  Pre- 
digt im  Dunkeln.  Noch  lange  nachher  bezeichnete  die  Ueber- 
lieferung  des  Volkes  in  den  Wäldern  bei  Norwich,  Hitchin 
und  Duckinfield  die  Plätze,  wo  der  geächtete  Geistliche  unter 
den  Wipfeln  ehrwürdiger  Eichen  und  unter  dem  Dach  des 
Himmels  eine  kleine  Gemeinde  getreuer  Anhänger  um  sich 
geschaart  hatte. 

Die  Konventikelakte  vom  ]Mai  1664  sollte  unmöglich  machen, 
was  durch  die  Uniformitätsakte  nicht  hatte  vei-hindert  werden 
können.  Hatte  diese  in  erster  Linie  den  Geistlichen  gegolten, 
so  war  das  neue  Gesetz  auf  die  ketzerischen  Laien  gemünzt. 
Sobald  über  fünf  Personen  von  mehr  als  sechzehn  Jahren  sich 


46  Kouventikelakte.    Fimfmeilenakte. 

bei  religiösen  Zusammenkünften  betreffen  Hessen,  die  von  den 
vorgeschriebenen  Formen  abwichen,  verfielen  sie  in  Strafe. 
Auf  das  erste  I\Ial  stand  Gefängnis  bis  zu  drei  Monaten 
oder  eine  Busse  von  5  £.  Im  Wiederholungsfall  trat  eine 
Steigerung  auf  10  £  oder  Gefängnis  bis  zu  sechs  Monaten 
ein.  Nach  dreimaliger  Verletzung  der  Akte  erfolgte  Ver- 
urtheilung  auf  Zahlung  von  100  ^  oder  Deportation  auf  sieben 
Jahre.  Wer  vor  der  Deportation  einen  Fluchtversuch  machte, 
war  des  Todes  schuldig.  Die  Kouventikelakte  hatte  nur  eine 
vorläufige  Wirksamkeit  auf  drei  Jahre,  aber  dieser  Zeitraum 
war  lang  genug,  um  zahllose  neue  Opfer  der  kirchlichen  Ty- 
rannei zu  fordern.  Bald  reichten  die  Räume  der  Gefängnisse 
nicht  mehr  aus,  bis  ansteckende  Krankheiten  hier  und  da  die 
Masse  der  zusammengepressten  Sträflinge  lichteten.  —  Aber 
noch  waren  die  Mittel  des  antipuritanischen  Zelotismus  nicht 
erschöpft.  Den  Schluss- Stein  seines  Systems  bildete  die  Akte 
des  Jahres  1665,  nach  der  es  den  nonkonformistisehen  Geist- 
liehen bei  schwerer  Strafe  verboten  wurde,  im  Bezirk  der  näch- 
sten fünf  Meilen  in  der  Umgebung  eines  parlamentarischen  Wahl- 
fleckens oder  irgend  eines  Ortes,  in  dem  sie  seit  Erlass  der  In- 
demnitätsakte Seelsorge  geübt  hatten,  sich  dauernd  aufzuhalten. 

Die  ganze  Stufenleiter,  die  sich  erdenken  Hess,  war  von 
der  reaktionären  Gesetzgebung  durchlaufen  worden.  „Die 
Uniformitätsakte  hatte  die  nonkonformistischen  Geistlichen 
von  den  Kanzeln  der  Pfarrkirchen  verbannt.  Die  Kouven- 
tikelakte hatte  die  Kongregationen  zersprengt,  welche  diese 
Geistlichen  seit  dem  Bartholomäustage  heimlich  um  sich  ge- 
sammelt hatten.  Die  Fünfmeilenakte  trieb  sie  in  die  Verban- 
nung und  überlieferte  sie  vielleicht  dem  Hungertode"  (^). 

In  dem  allgemeinen  Zusammenhang  der  Dinge  erlitt  denn 
auch  die  auswärtige  Politik  des  englischen  Reiches  eine  gründ- 
liehe Aenderung,  welche  gleichfalls  als  eine  Wendung  gegen 
die  Tendenzen  des  Puritanismus  zu  betrachten  war.  Sie  hatte 
unter  der  Einwirkung  puritanischer  Ideen  gewissermassen  einen 
religiösen  Charakter  erhalten.  Den  Einfluss  Englands  auf 
dem  Festland  zu  stärken,  um  unter  englischer  Führung  die 
Gesammtinteressen  der  reformirten  Welt  zu  fördei-n,  galt  als 


Auswärtige  Politik.  •  47 

ein  Ziel ,  für  dessen  Erreichung  alle  Kräfte  anzuspannen 
wären.  Allerdings  war  es  unerlässlich  gewesen,  hei  der 
Einmischung  in  die  Angelegenheiten  des  Kontinents  ein  Ein- 
verständnis mit  Frankreich  zu  suchen.  Aber  eine  Verbindung 
mit  dieser  Macht  sollte  keine  Unterordnung  unter  sie  bedeu- 
ten, und  die  Erwerbung  Dünkirchens  schien  dafür  zu  bürgen, 
dass  die  französische  Eroberungslust  an  dem  festen  Willen 
des  englischen  Bundesgenossen  eine  Grenze  finde.  Karl  II. 
schlug  andere  Bahnen  ein.  Von  einer  Erweckung  des  prote- 
stantischen Gemeingefühls  durch  England  war  nicht  mehr  die 
Rede.  Von  Eingriffen  in  die  politischen  Verwicklungen  des 
Festlandes  wurde  für  lange  Zeit  Abstand  genommen.  Der 
Bundesgenosse  Frankreichs  verwandelte  sich  in  seinen  Va- 
sallen, und  Dünkirchen,  die  Eroberung  Oliver  CromwelFs. 
wurde  für  gutes  französisches  Gold  an  Ludwig  XIV.  ver- 
handelt. 

Wohin  man  sah:  die  Reaktion  gegen  den  Puritanismus 
ergrift"  alle  Gel)iete,  die  gesellschaftlichen  Gewohnheiten,  die 
schöne  Literatur,  das  kirchliche  Leben,  die  auswärtige  Politik. 
Und  doch  war  die  geistige  Macht  des  Puritanismus  nicht  er- 
storben. In  eben  dieser  Zeit  setzte  ihm  sein  nmthigster  Wort- 
führer ein  unvergängliches  Denkmal.  Sieben  Jahre  nach  der 
Rückkehr  der  Stuarts  erschien  das  verlorene  Paradies. 


Drittes  Kapitel. 
Das  verlorene  Paradies. 


In  seiner  Jugend,  als  das  Leben  noch  wie  eine  Land- 
schaft im  Glanz  der  Morgensonne  vor  ihm  lag,  hatte  der 
Dichter  sich  gleichsam  durch  sein  Ehrenwort  gebunden,  die 
Welt  mit  einem  erhabenen  Werke  seiner  Muse  zu  beschenken. 
Aus  den  „wenigen  Jahren",  die  er  als  „Frist  zur  Entrichtung 
jener  Schuld'^  erbeten  hatte,  war  fast  ein  Menschenalter  ge- 
worden, und  der  Abend  warf  lange  Schatten  auf  seinen  Weg. 
Aber  niemals  hatte  Milton  jenes  stolzen  Gelöbnisses  vergessen. 
Auch  über  den  Gegenstand  und  die  Art  seiner  Behandlung 
war  er  seit  Jahren  zu  voller  Klarheit  gelangt.  Wir  wissen, 
wie  tief  ihn  früher  der  Gedanke  ergriffen  hatte,  ein  Stück 
aus  der  vaterländischen  Sage  oder  Geschichte  für  ein  grosses 
Heldengedicht  auszuwählen.  Noch  war  er  zu  keinem  festen 
Entschluss  gekommen,  als  sich  ihm  in  der  Bibel  ein  nicht 
weniger  reiches  Feld  dichterischer  Vorwürfe  darzubieten  schien. 
Und  schon  damals  hatte  von  diesen  letzten  einer  vor  allen 
seine  Aufmerksamkeit  gefesselt.  Nicht  weniger  als  vier  jener 
dramatischen  Skizzen  aus  der  Jugendzeit  sind  ihm  gewidmet, 
lieber  einem  von  ihnen  findet  sich  ausdrücklich  als  Titel 
„Das  verlorene  Paradies".  Sucht  man  nach  weiteren  Spuren 
einer  Beschäftigung  mit  diesem  Thema ,  so  wird  man  sie  an 
zahlreichen  Stellen  der  prosaischen  Schriften  unschwer  be- 
merken (i).     Aber  es  dauerte  lange,  bis  der  Dichter,  inmitten 


Frühe  Beschäftigung  mit  dem  Gegenstande.  49 

der  Anforderungen  des  täglichen  Lebens,  „seine  Lippen  von 
dem  heiligen  Feuer  berührt  fühlte",  bis  es  ihm  gelang  die 
schwankenden  Gestalten  festzuhalten,  und  auch  so  vergieng 
manches  Jahr  vom  ersten  Ansetzen  bis  zum  Niederlegen  der  Feder. 

Edward  Phillips  erinnert  sich,  dass  die  Phantasie  seines 
Oheims  sich  „ernstlich  und  vornehmlich  mit  dem  verlorenen 
Paradiese  beschäftigte",  als  er  in  dem  Hause  von  Petty 
France  wohnte.  Aubrey  verlegt  mit  Bezug  auf  denselben 
Gewährsmann  den  Anfang  der  Abfassung  auf  „ungefähr 
zwei  Jahre,  ehe  der  König  zurückkam",  das  Ende  auf 
„ungefähr  drei  Jahre  nach  der  Restauration".  Das  schliesst 
nicht  aus,  dass  dieses  und  jenes  Bruchstück  schon  früher  vor- 
handen war.  Derselbe  Phillips,  und  er  nicht  allein,  will 
mehrere  Jahre,  (nach  Aubrey  „fünfzehn  oder  sechszehn")  ehe 
die  Ausarbeitung  des  Gedichtes  begann,  einige  Verse  gesehn 
haben,  die  ihm  damals  noch  als  Einleitung  zu  einem  Drama 
bezeichnet  wurden.  Es  ist  jene  grandiose  Ansprache  Satan's 
an  die  Sonne,  die  man  im  Anfange  des  vierten  Buches  findet. 
Sie  würde  in  der  That  die  Exposition  eines  in  antikem 
Geiste  gedachten  Bühnenstückes  höchst  würdig  eröffnet  haben. 
Allein  so  bedeutungsvoll  für  den  Aufbau  des  Gedichtes  es 
auch  blieb,  dass  seinem  Stoffe  ursprünglich  die  Form  des 
Dramas  bestimmt  gewesen  war,  so  Hess  doch  ein  richtiger  Takt 
Milton  zu  dem  alten  Lieblingsgedanken  eines  Epos  zurückkehren. 
In  diesem  konnte  er  weit  eher  hoffen  jenem  poetischen  Ideale 
nahe  zu  kommen,  das  er  einst  mit  einer  beinahe  religiösen 
Inbrunst  gepriesen  hatte. 

Alles  in  allem  währte  die  Zeit,  in  der  das  Werk  ernst- 
lich in  Angriff  genommen  und  zum  Abschluss  gebracht  wurde, 
fünf  bis  sechs  Jahre.  An  eine  ununterbrochene  Arbeit  in 
diesem  Zeiträume  ist  aber  nicht  zu  denken.  In  seinen  Anfang 
fallen  noch  diejenigen  prosaischen  Schriften,  durch  welche 
Milton  die  sinkende  Republik  zu  vertheidigen  suchte.  Die 
Rückkehr  des  Königthums  und  die  Gefahren,  die  sich  mit 
ihm  einstellten,  störten  seine  Müsse  auf's  neue.  Erst  als  er 
sich  einigermassen  geborgen  und  vergessen  wusste,  konnte  er 
das  Begonnene  in  Ruhe  zu  Ende  führen. 

Stern,  Milton  n.  s.  Z.    II.  4.  4 


50  Zeit  der  Abfassung. 

Von  den  angegebenen  Unterbrechungen  abgesehn,  war 
indess  noch  eine  Eigenthümlichkeit  seiner  Muse  dem  stetigen 
Fortsehritt  der  Produktion  hinderlich.  Milton  gehörte  nicht 
zu  den  glücklichen  Geistern,  die,  fortgerissen  durch  einen 
rastlosen  inneren  Drang,  ohne,  Rücksicht  auf  äusserliche  Um- 
stände den  einmal  gefassten  künstlerischen  Gedanken  wie  in 
einem  Guss  ausgestalten.  Es  gab  Monate,  in  denen  er  so 
gut  wie  gar  nichts  vor  sich  brachte.  Sein  Neffe  versichert, 
dass  ihm  von  Anfang  an  bei  seinen  Besuchen  das  Gedicht, 
wie  es  allmähüch  entstand  und  wuchs,  mitgetheilt  worden  sei, 
je  nachdem  zehn,  zwanzig,  dreissig  Verse.  Der  Dichter  musste 
sie  so  lange  im  Kopfe  behalten,  „bis  jemand  zur  Hand  war", 
der  sie  niederschreiben  konnte.  Eines  Tages  —  es  war  beim 
Herannahen  des  Sommers  —  frug  Phillips  den  Oheim,  warum 
er  so  lange  nichts  von  dem  Gedichte  zu  sehn  bekommen  habe. 
Milton  erwiderte  ihm,  „dass  seine  poetische  Ader  nur  von 
der  Herbst-  bis  zur  Frühlings-Nachtgleiche  glücklich  fliesse. 
Nichts  falle  zu  seiner  Befriedigung  aus,  was  er  ausserdem 
versuche,  wie  sehr  er  seine  Phantasie  auch  anstrenge".  Auch 
Milton's  Frau  Elisabeth  bestätigt  dies.  „Ihr  Mann  —  er- 
zählte sie  später  —  pflegte  besonders  im  Winter  zu  dichten 
und  diktirte  ihr,  wenn  er  Morgens  erwacht  war,  mitunter 
zwanzig,  dreissig  Verse".  Es  wäre  nicht  zu  verwundern, 
wenn  bei  dieser  langsamen  und  unbehilflichen  Art  der 
Komposition  die  erste  Handschrift  des  verlorenen  Paradieses 
ein  sehr  unordentliches  Ansehn  gewonnen  hätte.  Aus- 
streichungen, Zusätze,  Veränderungen  bis  herab  zur  Recht- 
schreibung und  Interpunktion  nach  der  Anweisung  des  Blinden 
waren  unvermeidlich.  Selbst  als  das  Werk  vollendet  war, 
mag  noch  längere  Zeit  darüber  verstrichen  sein,  bis  es  in 
einem  reinlichen  Manuskript  diesem  und  jenem  Freunde  vor- 
gelegt werden  konnte (^).  Mit  der  Veröffentlichung  wurde  selbst 
dann  noch,  aus  welchem  Grunde  auch  immer,  zurückgehalten. 
Eine  erste  verlässliche  Angabe  über  das  Dasein  des  Ge- 
dichtes stammt  aus  dem  Jahre  1665.  Dieses  Jahr  war  für  die 
Stadt  London  von  verhängnisvoller  Bedeutung.  Seit  kurzem 
war  der  Krieg  zwischen  England  und  Holland,  den  Cromwell 


Die  Pest  1665.  —  iMilton  iu  Chalfont.  51 

einst  zu  einem  glücklichen  Ende  gebracht  hatte,  mit  erneuter 
Gewalt  wieder  ausgebrochen.  Mit  Spannung  lauschte  die 
englische  Hauptstadt  den  Siegesnachrichten,  die  von  der  Flotte 
anlangten,  aber  der  Jubel  über  die  Erfolge,  deren  man  sich 
rühmen  konnte,  gieng  unter  in  den  angstvollen  Klagen,  die 
sich  am  eigenen  Heerde  erhoben.  Die  Pest,  die  während 
Milton's  Jugend  mehr  als  ein  Mal  gewüthet  hatte,  trat  da- 
mals mit  einer  Gew^alt  auf,  welche  alles  früher  Erlebte  hinter 
sich  Hess.  Es  gab  Wochen,  in  denen  die  Todtenlisten  an 
10000  Opfer  zählten,  und  man  rechnete,  dass  im  ganzen  gegen 
100000  Menschen  der  furchtbaren  Krankheit  erlagen.  Ihret- 
wegen kam  im  Herbst  das  Parlament  nicht  in  London  sondern 
in  Oxford  zusammen.  Eine  allgemeine  Panik  ergriif  die  Be- 
völkerung. Wer  dazu  im  Stande  war,  suchte  das  Weite. 
Die  Nachbarschaft  von  Milton's  Wohnung  musste  als  besonders 
gefährdet  erscheinen.  Damals  begann  man  die  Felder  von 
Bunhill  als  einen  öffentlichen  Begräbnisplatz  zu  benutzen  und 
die  Opfer  der  Krankheit  haufenweise  in  ihnen  zu  betten  (^). 

Milton  hielt  es  für  rathsam,  der  verpesteten  Luft  der 
Hauptstadt  für  einige  Zeit  zu  entfliehen  und  sich  auf  dem 
Lande  einzumietheu.  Er  \yandte  sich  zu  dem  Ende  an  jenen 
jungen  Quäker  Thomas  Ellwood,  der  zu  seinen  gelehrigsten 
Schülern  gehört  hatte  und  damals  im  Hause  der  Familie 
Pennington  lebte.  Es  war  die  Zeit,  da  die  Sekte  durch  die 
neuen  Strafgesetze  am  schwersten  betroffen  wurde.  Ellwood 
selbst  w-ard  am  1.  Juli  1665  mit  mehreren  Genossen,  im  Be- 
griff einem  der  Freunde  das  letzte  Geleit  zu  geben,  auf  Be- 
fehl eines  Friedensrichters  verhaftet  und  in  das  Gefängnis  von 
Aylesbury  abgeführt.  Indess  noch  vorher  hatte  er  für  Milton 
ein  „hübsches  Häuschen"  miethen  können,  etwa  eine  englische 
Meile  von  der  Wohnung  der  Penningtons  entfernt,  in  Chal- 
font St.  Giles.  Als  Milton  mit  seiner  Familie  vor  der  furcht- 
baren Krankheit  in  diesem  ländlichen  Asyl  Zuflucht  suchte. 
Sassen  Pennington  und  Ellwood  noch  in  Haft.  Ueber  einen 
Monat  wurden  sie  festgehalten.  Nicht  sobald  waren  sie  in 
Freiheit  gesetzt,  als  Ellwood  seinen  alten  Lehrer  aufsuchte. 
Er  war  es  dann,  der  damals,  als  einer  der  ersten,  von  dem 

4* 


52  Milton  in  Chalfont.  —  Ellwood  liest  das  Gedicht. 

Kunstwerk  Kenntnis  nahm,  das  nach  ihm  tausende  zur  Be- 
wunderung hingerissen  hat.  „Nachdem  wir  uns  eine  Zeit 
lang  unterhalten  hatten  —  so  schildert  Ellwood  jenen  Besuch 
bei  Milton  —  Hess  er  ein  Manuskript  herbeiholen.  Er  über- 
gab QS  mir  und  gestattete  mir,  es  mit  mir  zu  nehmen  und  in 
Müsse  durchzulesen,  damit  ich  ihm  bei  der  Rückgabe  mein 
Urtheil  sagen  könnte.  Als  ich  nach  Hause  kam  und  zu  lesen 
begann,  fand  ich,  dass  es  jenes  herrliche  Gedicht  sei,  welches 
er  das  verlorene  Paradies  betitelt  hatte.  Ich  las  es  mit 
grösster  Aufmerksamkeit  durch  und  gab  ihm  bei  meinem 
nächsten  Besuche  mit  bestem  Dank  für  die  Gunst,  die  er  mir 
durch  die  Mittheilung  erzeigt  hatte,  sein  Buch  zurück.  Er 
frug  mich,  wie  es  mir  gefiele  und  was  ich  davon  hielte,  und 
ich  sprach  mich  mit  Bescheidenheit  aber  Freimuth  darüber  aus". 
Es  ist  schwer  denkbar,  dass  das  Gedicht,  mit  dem  sich 
Ellwood  vertraut  machen  durfte,  seinen  Gönnern,  den  Penning- 
tons,  unbekannt  hätte  bleiben,  dass  der  Dichter  selbst  nicht 
auch  dieser  Familie,  mit  der  ihn  so  manches  geistige  Band 
verknüpfte,  sehr  nahe  hätte  treten  sollen.  Und  so  mag  man 
sich  sein  Still -Leben  im  reizendsten  Lichte  ausmalen.  Er 
selbst  im  Gefühle  der  Befriedigung  über  ein  lange  vorbereitetes, 
endlich  zum  Abschluss  gebrachtes  Werk,  in  seiner  unmittel- 
baren Nähe  ein  junger  Freund,  der  mit  Begeisterung  an  seinen 
Lippen  hieng,  ausser  ihm  jene  religiös  gestimmte  Genossen- 
schaft charakterfester  Männer  und  anmuthiger  Frauen,  deren 
Gesinnung  und  Schicksale  ihn  zur  Theilnahme  aufforderten, 
ein  Kreis,  dem  bald  nachher  die  Verbindung  mit  William 
Penn  eine  noch  höhere  Bedeutung  gab.  Der  kleine  Fleck 
englischer  Erde,  auf  dem  sich  diese  Persönlichkeiten  zusammen- 
fanden, ist  durch  die  Erinnerung  an  jene  Tage  gleichsam  für 
immer  geheiligt  worden.  Freilich  bheb  der  Genuss  dieses 
vertraulichen  Daseins  nicht  lange  ungetrübt.  Die  Pest  forderte 
auch  in  Chalfont  ihre  Opfer.  Isaac  Pennington  wurde  schon 
einen  Monat  nach  seiner  Rückkehr  wieder  gefänglich  ein- 
gezogen. Dreiviertel  Jahre  lang  lag  er  im  Kerker  von 
Aylesbury,  wo  gleichfalls  die  Krankheit  wüthete.  Seine 
Familie  wurde  aus  dem  Hause  vertrieben,  seine  Frau  mit  den 


Ellwood  und  Peuuiugtoa  verhaftet.  —  Brand  von  London  1666.  53 

jüngeren  Kindern  beiiab  sich  zu  dem  Gefangenen,  bis  sie  in 
einer  kleinen  Farm  in  Chalfont  ein  Obdach  gefunden  hatte. 
Dorthin  kehrte  auch  ihre  Tochter  Guli  zurück,  die  nach 
Bristol  zu  Bekannten  geflüchtet  war,  von  Ellwood  geleitet. 
Dieser  selbst  blieb  nur  kurze  Zeit  im  Besitz  seiner  Freiheit. 
Derselbe  Friedensrichter,  der  erst  kurz  zuvor  so  entschieden 
gegen  die  Quäker  dieser  Gegend  aufgetreten  war,  löste  eine 
jener  Versammlungen  auf,  bei  der  sich  Ellwood  eingefunden 
hatte,  und  nahm  ihn  mit  einigen  anderen  im  März  1666  ge- 
fangen. 

-  Milton  hat  einen  Theil  dieser  Verfolgungen  seiner  Freunde 
noch  an  Ort  und  Stelle  erlebt.  Alle  die  Fragen,  die  er  so 
oft  durchdacht,  für  die  er  so  oft  die  Feder  ergriffen  hatte, 
traten  ihm  hier,  da  es  sich  um  den  Kampf  des  Staates  mit 
einer  neuen  religiösen  Gemeinschaft  handelte,  noch  einmal 
lebendig  entgegen.  Hätte  er  irgend  einer  Bestärkung  seiner 
früheren  freien  Ansichten  bedurft,  die  Erfahrungen,  die  er 
damals  machte,  hätten  sie  ihm  gewährt.  Es  bleibt  ungewiss, 
wie  lange  er  in  Chalfont  verweilte.  Nach  Ellwood's  Zeugnis 
kehrte  er  erst  dann  nach  London  zurück,  „als  die  Krankheit 
vorüber,  die  Stadt  gereinigt  und  wieder  sicher  bewohnbar 
war''(^).  Sein  Aufenthalt  in  Chalfont  könnte  daher  noch  den 
Winter  über  gedauert  und  sich  bis  in's  Jahr  1665  hineiu- 
erstreckt  haben.  Jedenfalls  hat  er  das  neue  grössere  Unheil, 
von  dem  London  in  diesem  „annus  mirabilis"  betroffen  wurde, 
daselbst  durchmachen  müssen. 

Es  war  der  grosse  Brand,  der  am  2.  September  in 
Pudding-Lane,  einem  der  bevölkertsten  Quartiere,  ausbrach, 
mit  rasender  Schnelligkeit  die  Holzhäuser  und  Magazine  der 
Nachbarschaft  ergriff  und  durch  einen  starken  Ostwind  als- 
bald über  die  engen  und  winkeligen  Strassen  verbreitet  wurde. 
Die  Unschlüssigkeit  des  Lordmayor ,  der  es  nicht  über  sich « 
gewinnen  konnte  rechtzeitig  eine  Anzahl  von  Häusern  nieder- 
reissen  zu  lassen,  und  die  Verzweiflung  der  Bürger,  die  nur 
auf  Rettung  ihres  Lebens  und  ihrer  Habe  bedacht  waren, 
gestatteten  dem  rasenden  Element  immer  weiter  um  sich  zu 
greifen.     Fünf  Tage  und  fünf  Nächte  lang  glich  die  City  einem 


54     Brand  von  London  1666.  —  Englisch-niederländischer  Krieg. 

gewaltigen  Flammenmeer.  Die  Thürme'der  Kirchen,  unter  ihnen 
derjenige  der  Kathedrale  von  St.  Paul,  stürzten  zertrümmert 
in  die  Gluthen.  Die  Themse,  bedeckt  mit  Schiften  und  Booten, 
wurde  durch  einen  sprühenden  Funkenregen  überschüttet. 
Meilenweit  sah  man  die  dichtgeballte  schwarze  Rauchwolke, 
die  über  der  zerstörten  Hauptstadt  lagerte.  Ein  blinder  Arg- 
wohn, der  Fremde  und  Katholiken  als  Brandstifter  bezeichnete, 
trug  dazu  bei,  die  Aufregung  der  Masse  zu  steigern,  die 
obdachlos  und  zusammengewürfelt  auf  den  Feldern  kampirte. 
Als  man  dazu  kam,  den  Schaden  zu  überschlagen,  fand  sich, 
dass  der  ungeheure  Halbkreis  vom  Tempel  über  Cripplegate 
bis  gegen  den  Tower  hin,  mehr  als  13000  Häuser,  89  Kirchen 
und  die  meisten  der  übrigen  öff'entlichen  Gebäude,  einem 
einzigen  Schutthaufen  glich.  An  Eigenthum  waren  gegen  eilf 
Millionen  '£.  zu  Grunde  gegangen,  während  man  glücklich 
genug  war  nur  wenig  Menschenleben  beklagen  zu  müssen. 
Auch  die  Strasse,  in  der  Milton  das  Licht  der  Welt  erblickt, 
in  der  er  seine  Jugend  verbracht  hatte,  war  ein  Opfer  der 
Flammen  geworden,  und  mit  ihr  das  väterliche  Haus  „zum 
fliegenden  Adler"  (^). 

Zu  diesem  Ruin  der  Hauptstadt  gesellte  sich  der  be- 
denkliche Verlauf  des  Krieges.  Dryden  glaubte  in  seinem 
grossen  Gedicht  über  das  „wundersame  Jahr"  noch  prophe- 
zeien zu  dürfen,  dass  man  einen  zweiten  punischen  Krieg 
erleben  würde.  Aber  seine  Voraussagung  wurde  nur  zu  bald 
durch  die  Thatsachen  Lügen  gestraft.  England  sah  sich  in 
dem  schweren  Kampfe,  den  es  unternommen  hatte,  völlig  ver- 
einzelt, während  sein  Gegner  an  Frankreich  und  Dänemark 
einen  Rückhalt  fand.  Die  gewaltigen  Rüstungen  und  See- 
schlachten des  Sommers  1666  hatten  die  Kraft  des  Reiches 
schon  beinahe  errchöpft,  als  jenes  plötzliche  Unheil  eine  all- 
gemeine Verwirrung  aller  Geschäfte  hervorrief.  Man  war  zu 
stolz  um  sogleich  auf  die  Fortsetzung  des  Krieges  zu  ver- 
zichten, aber  es  Hess  sich  voraussehn,  dass  die  Mittel  des 
Staates  auf  die  Dauer  sich  unzureichend  erweisen  würden. 
Die  Flotte  war  denen  der  Gegner  nicht  gewachsen.  Die 
Festungswerke  an  der  Küste  waren  nicht  im  besten  Stande. 
Im  Lande  regten   sich   die  unterdrückten  Parteien.     Ausser- 


Englisch-niederländischer  Krieg.  55 

liall)  der  Grenzen  wiesen  die  verjagten  Königsrichter  und 
Republikaner  schadenfroh  auf  die  sichtbaren  Strafen  des 
Himmels  hin  oder  traten  wohl  gar  mit  den  Feinden  ihres 
Vaterlandes  in  Verbindung.  Die  Holländer  machten  sich  die 
ausserordentliche  Gunst  der  Umstände  zu  Nutze,  um  einen  Schlag 
gegen  ihren  Feind  zu  führen,  der  seine  ganze  Schwäche  ent- 
hüllte und  ihn  vor  den  Augen  der  Welt  aufs  tiefste  demüthigte. 
Schon  war  zwischen  Ludwig  XIV.  und  Karl  H.  das  beste  Ein- 
vernehmen hergestellt,  seit  dem  Mai  1667  tagte  der  Friedens- 
kongress  in  Breda,  man  durfte  hoffen,  dass  hier  eine  Ver- 
ständigung zwischen  den  Niederlanden  und  England  erreicht 
werden  würde.  Als  indessen  die  holländischen  Forderungen 
Widerstand  fanden,  und  der  Republik  selbst  durch  die 
Wendung  der  europäischen  Angelegenheiten  Gefahr  drohte, 
entschloss  sie  sich  unter  Leitung  Johann's  de  Witt  zu  einer 
Ueberraschung  des  Feindes,  die  ihn  zum  Frieden  zwingen 
sollte.  Den  8.  Juni  erschien  eine  starke  holländische  Flotte 
an  der  Themsemündung.  Eine  Abtheilung  nahm  Sheerness, 
erzwang  sich  den  Eingang  in  den  Medway,  warf  in  drei 
Kriegsschiffe,  die  hier  vor  Anker  lagen,  Feuer  und  kehrte  un- 
gestraft zu  der  Hauptmacht  unter  de  Ruyter  zurück.  Einige 
Wochen  lang  konnte  der  feindliche  Admiral  triumphirend  als 
Herrscher  des  Kanals  die  englische  Küste  unsicher  machen. 
Damals,  als  der  Donner  der  holländischen  Kanonen  in  London 
gehört  wurde,  erwachte  selbst  in  loyalen  Kreisen  die  Erinne- 
rung an  den  Heros  der  puritanischen  Revolution.  „Jeder- 
mann —  erzählt  der  gute  Royalist  Samuel  Pepys  —  denkt 
an  Oliver  und  spricht  von  seinen  tapferen  Thaten,  und  wie 
alle  Nachbarfürsten  ihn  fürchteten''  {^).  Wie  sollte  Milton 
dies  Gefühl  nicht  getheilt  haben,  der  Cromwell  so  viel  näher 
gestanden  hatte  als  tausend  andere! 

In  dieser  Zeit,  als  man  eben  anlieng  nach  den  Eindrücken 
so  vieler  erschütternder  Ereignisse  aufzuathmen,  erschien  das 
verlorene  Paradies.  Der  Vertheidiger  der  Pressfreiheit  musste 
sich  wohl  oder  übel  bequemen  sein  Manuskript  dem  Censor 
einzureichen.  Durch  eine  Akte  von  1662  waren  die  Censur- 
behörden  erneuert.    Milton's   Werk  fiel  in  die  Domäne  des 


5ß  Erscheinen  des  verlorenen  Paradieses. 

damaligen  Erzbischofs  von  Canterbury,  Dr.  Gilbert  Sheldon,  der 
durch  seine  Kapläne  das  Censoren-Amt  verwalten  Hess.  Das 
verlorene  Paradies  wurde  dem  erzbischöflichen  Hauskaplan 
Thomas  Tomkyns,  zur  Beurtheilung  überwiesen,  einem  jungen 
Manne,  der  sich  indessen  l^ereits  durch  ein  paar  Schriften  als 
Streiter  für  Thron  und  Altar  bekannt  gemacht  hatte.  Später 
hat  er  ein  Werk  über  „die  Unzuträglichkeiten  der  Toleranz" 
verfasst,  und  seine  Grabschrift  weiss  von  ihm  zu  rühmen, 
dass  er  die  anglikanische  Kirche  wacker  „gegen  die  Schis- 
matiker" vertheidigt  habe(^j.  Milton's  Name  war  bekannt 
genug,  als  dass  ein  Censor  von  Tomkyns'  Gesinnungen  sich 
nicht  versucht  haben  sollte  ihm  schart  auf  die  Finger  zu  sehn. 
Auch  wird  versichert,  dass  er  gezögert  habe  die  Druck- 
erlaubnis zu  ertheilen.  Unter  den  Stellen  die  ihm  Anstoss 
erregten,  war  namentlich  (I.  594  ff.)  ein  Vergleich  des  ver- 
dunkelten Glanzes  Satan's  mit  dem  der  Sonne,  die  durch  den 
Mond  verfinstert,  ein  verhängnisvolles  Zwielicht  auf  die  Erde 
wirft,  sodass  Könige 

Aus  Furcht  vor  einem  Schieksalsweehsel  zittern. 
Schliesslich  Ijeruhigte  sich  indessen  der  Eifer  des  loyalen 
Kaplans.  Man  besitzt  noch  das  erste  Buch  des  Gedichtes  in 
der  Handschrift,  welche  ihm  zur  Durchsicht  eingeliefert  wurde, 
mit  seiner  Bescheinigung,  dass  dem  Drucke  nichts  entgegen- 
stehe. Die  übrigen  Bücher  haben  sich  nicht  vorgefunden. 
Nachdem  dieser  Akt  vorüber  war,  galt  es  sich  mit  einem 
Verleger  zu  einigen.  Unter  den  Buchhändlern,  mit  denen  Milton 
bisher  zu  thun  gehabt  hatte,  war  Matthew  Simmons  gewesen, 
derselbe,  bei  dem  „das  Urtheil  Butzer's"  „das  Recht  der 
Könige",  der  „Bilderstürmer"  erschienen  war.  Dessen  Sohn 
war  vermuthlich  jener  Samuel  Simmons  „in  Aldersgate-Street, 
die  nächste  Thür  beim  goldenen  Löwen",  welcher  den  Dnick 
und  Verlag  des  verlorenen  Paradieses  übernahm.  Der  Vertrag 
zwischen  ihm  und  dem  Dichter  vom  27.  April  1667  mit  Milton's 
Siegel  und  mit  einer  Namensunterschrift,  die  nicht  von  seiner 
Hand  heiTühren  kann,  zählt  heute  zu  den  am  meisten  an- 
gestaunten Reliquien  des  britischen  Museums.  Er  gehört  zu 
den  schlagendsten   Beweisen   dafür,   in   einem    wie    geringen 


Erscheinen  des  verlorenen  Paradieses.  —  Quellen.  57 

Verhältnis  der  irdische  Gewinn  des  Genies  zu  seinem  Ruhme 
bei  der  Nachwelt  stehn  kann.  Fünf  Pfund  zahlte  der  Buch- 
händler dem  Dichter  für  Ueberlassung  seines  Werkes  aus. 
Dieselbe  Summe  versprach  er  ihm  zu  geben,  sobald  die  erste 
Auflage  erschöpft  sei,  und  ebensoviel  für  eine  zweite  und 
dritte.  Mit  dem  Verkauf  von  dreizehnhundert  Exemplaren 
sollte  die  erste  Auflage  für  erschöpft  gelten,  doch  war  es, 
wohl  mit  Rücksicht  auf  die  Vergabung  von  Widmungs- 
e.xemplaren,  dem  Verleger  gestattet,  fünfzehnhundert  zu 
drucken.  Noch  dauerte  es  beinahe  vier  Monate,  bis  der 
übliche  Eintrag  in  die  Register  der  Stationers  erfolgte.  Man 
ersieht  aus  ihm,  dass  das  Gedicht  bei  seinem  ersten  Er- 
scheinen nur  zehn  Gesänge  enthielt.  Erst  später  hat  sich 
Milton  entschlossen,  das,  was  ursprünglich  den  siebenten  und 
zehnten  Gesang  bildete,  noch  einmal  zu  theilen.  In  einigen 
Abzügen  war  der  Verfasser  mit  vollem  Namen  genannt,  in 
anderen  waren  nur  die  Anfangsbuchstaben  desselben  zu  sehn, 
wie  denn  in  den  Titeln,  und  selbst  über  diese  hinaus,  manche 
Abweichungen  der  Exemplare  jener  ersten  Ausgal)e  zu  be- 
merken sind(^). 

Seit  Voltaire  in  seinem  Essay  über  die  epische  Poesie 
seine  Vermuthung  über  den  Ursprung  des  verlorenen  Paradieses 
in  die  Welt  geworfen,  hat  man  nicht  aufgehört  den  Quellen 
nachzuforschen,  aus  denen  der  Dichter  habe  schöpfen  können, 
und  auf  frühere  poetische  Erzeugnisse  hinzuweisen,  die  ihm 
die  erste  Idee  seines  eigenen  Werkes  sollen  eingegeben  haben. 
Der  Vorwurf  masslosen  Plagiats,  den  um  die  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderts  ein  gewissenloser  Fälscher  gegen  Milton  erhob, 
diente  nur  dazu,  der  Frage  eine  noch  grössere  Anziehungs- 
kraft zu  verleihen.  Im  Laufe  der  Zeit  sind  ein  paar  dutzend 
von  Schriftstellern  genannt  worden,  bei  denen  der  Dichter 
des  verlorenen  Paradieses  zu  Gaste  gegangen  sein  soll.  Heute, 
nachdem  man  die  gesammte  Literatur  der  Völker  Europas 
darauf  hin  durchsucht  hat,  dürfte  es  schwer  sein,  diese  Liste 
noch  zu  bereichern.  Einen  unläugbaren  Vortheil  hat  diese 
Durchmusterung  gehabt.  Sie  hat  demjenigen,  der  es  vorher 
noch  nicht  gewusst  hatte,   die  Augen  darüber  geöffnet,   dass 


58  Quellen.  —  Caedmon. 

der  tiefsinnigste  Mythus  des  alten  Testaments  in  Verbindung 
mit  der  ausgebildeten  Engellehre  ein  uralter  und  oft  benutzter 
poetischer  Vorwurf  war.  Sie  hat  aufs  deutlichste  erkennen 
lassen,  dass  das  verlorene  Paradies  mit  den  frühesten  Offen- 
barungen des  germanisch-christlichen  Dichtergeistes  durch  eine 
lange,  unzerreissbare  Kette  verbunden  ist. 

Als  Michelangelo  die  eine  Schmalwand  der  Sixtina  mit 
der  Darstellung  des  jüngsten  Gerichtes  schmückte,  behandelte 
er  einen  Gegenstand,  an  dem  sich  hunderte  vor  ihm  ver- 
sucht hatten.  Die  Idee  des  Ganzen  war  niemandem  fremd. 
Die  Anordnung  im  grossen  war  durch  eine  geheiligte  Ueber- 
lieferung  gegeben.  Und  doch  denkt  sich  heute  unwillkürlich 
jeder  unter  dem  Bilde  des  jüngsten  Gerichts  jenes  einzig- 
artige Erzeugnis  einer  gigantischen  Phantasie,  welches  selbst 
in  dem  traurigen  Zustande  seiner  Verdunkelung  zeigt,  dass 
der  Künstler  aus  einem  sattsam  ausgenutzten  Stoff  etwas  bis 
dahin  Ungeahntes  geformt  habe.  Milton,  auf  den  die  Wand- 
und  Deckengemälde  eben  dieser  sixtinischen  Kapelle  einst 
Eindruck  gemacht  haben  mögen,  befand  sich  in  einer  ähn- 
lichen Lage  wie  ihr  Schöpfer.  Der  alte  angelsächsische  Dichter, 
der  unter  Caedmon's  Namen  gieng,  hatte  von  den  Geschlechtern 
der  Engel,  dem  Falle  des  obersten  derselben  und  seiner  Ge- 
nossen, der  Erschaffung  der  Erde,  der  Versuchung  des  ersten 
Menschenpaares  gesungen.  In  den  geistlichen  Spielen  des 
Mittelalters  war  dieses  Thema,  selbst  in  dramatischer  Form, 
lebendig  im  Volksbewusstsein  geblieben.  In  lateinischer, 
italienischer,  spanischer,  portugiesischer,  französischer,  holländi- 
scher und  englischer  Sprache  gab  es  eine  Reihe  von  Dich- 
tungen, die  es  in  seiner  Allgemeinheit  oder  doch  von  einer 
bestimmten  Seite  behandelten.  Milton  gehörte  zu  den  am 
meisten  belesenen  Menschen  seiner  Zeit.  Auch  abgelegene 
Werke  der  Literatur ,  wie  das  alte  lateinische  Epos  des 
Alcimus  Ecdicius  Avitus  über  den  Ursprung  der  Welt,  den 
Sündenfall,  das  Gericht  Gottes,  die  Sarcotis  des  Jesuiten 
Jakob  Masenius  u.  a.  m.  mögen  ihm  bekannt  gewesen  sein. 
Sein  gutes  Gedächtnis  musste  ihm  namentlich  nach  der  Er- 
blindung  unschätzbar   werden.     Was  liegt  näher  als  die  An- 


Caednion.     Du  Bartas.     Die  Fletcher.  59 

nähme,  er  habe  diesen  und  jenen  Zug  einem  seiner  Vorgänger 
entlehnt,  wohl  selbst  zu  einigen  bedeutenden  Wendungen  von 
ihnen  sich  leiten  lassen.  Man  hat  es  im  einzelnen  nachzu- 
weisen gesucht,  ohne  immer  die  richtige  Grenze  innezuhalten, 
völlig  abzuläugnen  wird  es  nicht  sein.  Namentlich  ein  Blick 
auf  das  Werk  des  du  Bartas  wird  die  Ueberzeugung  erwecken, 
dass  in  Milton  die  Jugenderinnerung  an  dies  hochangesehene 
Lehrgedicht  mit  seinen  eingetlochtenen  Schilderungen,  astrono- 
mischen Betrachtungen,  Anrufungen  der  Gottheit  keineswegs 
erstorben  war  (s.  o.  I.  38).  Ebenso  ist  der  geistigen  Ein- 
wirkung der  beiden  Fletcher  auf  den  Schöpfer  des  verlorenen 
Paradieses  schon  gedacht  worden  (s,  o.  I.  172).  In  Abraham 
Cowley's  Davideis  war  ihm  die  Gestalt  des  Lucifer  ent- 
gegengetreten, als  „des  mächtijaen  Gefangenen,  stolz  in  seinem 
W^eh  und  Tyrann  in  seinen  Ketten",  Aehnlich  erschien  sie 
in  der  jüngeren  Genesis,  welche  eine  Lücke  der  sog. 
Caedmon'schen  Genesis  ausfüllte,  und  von  diesen  Gedichten 
hatte  Milton  vielleicht  durch  seinen  Freund  F.  Junius  gelegent- 
liche Kunde  erhalten.  Diese  und  jene  Episode,  die  als  originell 
zu  bewundern  man  bei  flüchtiger  Betrachtung  besonders 
geneigt  sein  könnte,  wie  .  z.  B.  die  Erfindung  von  Pulver 
und  die  Herstellung  von  Artillerie  durch  Satan  während 
des  Himmelskampfes,  erscheint  bei  genauerem  Studium  auch 
nur  als  Nachahmung  fremder  Vorlagen. 

Allein  was  beweist  alles  dies  für  den  Ursprung  des  Ge- 
dichtes? Hier  kann  nicht,  wie  beim  Comus,  eine  Summe  von 
einzelnen  Momenten  der  Aehnlichkeit  geltend  gemacht  werden, 
da  Handlung,  Charaktere,  Tendenz  gleichsam  eine  grosse  Erb- 
schaft ausmachen,  die  ein  Geschlecht  dem  anderen  überliefert 
hatte.  Es  müssen  sehr  viel  stärkere  Gründe  in's  Feld  geführt 
werden,  um  uns  mit  dem  Glauben  an  eine  erste  äussere  Anregung 
zu  erfüllen.  Betrachtet  man  aber  die  hauptsächlichsten  Werke, 
die  sich  hier  anführen  lassen,  so  wird  man  sehr  misstrauisch 
gegen  voreilig  gemachte  Schlüsse  werden.  Der  Adamo 
Andreini's,  auf  den  Voltaire  hingewiesen  hat,  ist  seitdem  einer 
gründlichen  Kritik  unterzogen  worden.  Dafür,  dass  Milton 
das  biblische  Drama  dieses  Dichters  in  Italien  habe  aufführen 


60  Andreini's  Adamo.  —  H.  Grotius.    Adamus  exul. 

sehn,  liegt  auch  nicht  die  Spur  eines  Beweises  vor.  Auch 
bleibt  es  nur  eine  geistreiche  Vermuthung,  dass  er  es  in  einer 
der  beiden  Ausgaben,  die  damals  vorhanden  waren  (von  1613 
und  1617),  mit  sich  nach  England  genommen  habe.  Seine 
eigenen  dramatischen  Entwürfe  zeigen  allerdings  in  ihrem 
Personenregister  eine  gewisse  Uebereinstimmung  mit  dem- 
jenigen Andreini's.  Aber  wenn  sie  neben  den  Gestalten 
Adam's  und  Eva's,  des  Erzengels  Michael  und  Lucifer's  u.  a. 
gleichfalls  dem  Neide,  dem  Hunger,  der  Arbeit,  der  Krank- 
heit u.  s.  w.  eine  Stelle  einräumen,  so  folgen  sie  darin  nur 
der  allgemeinen  Ueberlieferung ,  wie  sie  z.  B.  auch  bei  du 
Bartas  hervortritt.  Sie  kommen  damit  ausserdem  nur  der  auf 
das  Allegorische  gerichteten  Neigung  des  Zeitalters  entgegen. 
Die  Chöre  bei  Andreini  dienen  nicht  unwesentlich  selbst- 
ständigen musikalischen  und  ballettmässigen  Aufführungen, 
bei  Milton  sind  sie  offenbar  mehr  als  recitirende  Kommentatoren 
der  Handlung  gedacht,  in  der  Art,  wie  sie  ihm  in  den  antiken 
Tragödien  erscheinen  mochten.  Die  Handlung  selbst  endlich 
hätte  nach  Milton's  Skizze  einen  würdigeren,  einfacheren  Ver- 
lauf genommen  als  bei  seinem  italienischen  Vorgänger,  der 
sich  in  einer  bunten  Fülle  schnörkelhafter  Zuthaten  gefiel. 
Bezeichnend  ist,  dass  dieser  sich  nichts  daraus  macht,  Gott 
Vater  auf  die  Bühne  zu  bringen,  während  Milton  höchstens 
an  die  Darstellung  des  Begriffes  der  „himmlischen  Liebe"  zu 
denken  wagte  und  auch  davon  in  dem  ausführlichsten  Ent- 
wurf abgekommen  zu  sein  scheint. 

Blieb  der  Adamo  Andreini's  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
Milton  vollkommen  fremd,  so  lag  es  ihm  um  so  näher,  von 
dem  „vertiiebenen  Adam"  des  Hugo  Grotius  Kenntnis  zu 
nehmen,  je  lebhafter  er  sich  seines  persönlichen  Zusammen- 
treffens mit  dem  grossen  Gelehrten  in  Paris  erinnern  musste. 
Das  genannte  lateinische  Drama  war  1601  von  dem  jungen 
Grotius  vei'öffentlicht  worden  und  konnte  Milton  leicht  zu- 
gänglich sein.  Auch  mag  man  annehmen,  dass  einzelne  Züge 
sich  seinem  Gedächtnis  der  Art  eingeprägt  hatten,  dass  sie 
ihm  bei  Beginn  seines  eigenen  Werkes  vorschwebten,  so  das 
Gespräch  Adam's  und  des  Engels  im  zweiten  Akt,   die  Be- 


Vondels  Lucifer.  61 

Schreibung  der  Schlange  ii.  a.  m.  Indessen  daraus  schliessen 
zu  wollen,  dass  der  Plan  des  verlorenen  Paradieses  auf  Grotius 
Einwirkung  zurückzuführen  sei,  wäre  um  so  mehr  gewagt,  da 
bei  Grotius  der  Kampf  um  den  Himmel  gar  nicht  zur  Geltung 
kommt. 

Nicht  anders  verhält  es  sich  mit  Vonders  Lucifer.  Das 
grossartige  Drama  des  l)erühmten  holländischen  Dichters  war 
dreizehn  Jahre  vor  dem  verlorenen  Paradies  im  Druck  er- 
schienen. Es  konnte  Milton  um  so  leichter  bekannt  werden, 
da  er  vielfache  Beziehungen  zu  den  Niederlanden  hatte  und 
durch  Roger  Williams  in  die  holländische  Literatur  eingeführt 
wurde.  Auch  stellt  sich  nicht  selten  eine  überraschende  Aehn- 
lichkeit  zwischen  beiden  Werken  heraus.  Das  Motiv  der 
Rebellion  Satan's  ist  zwar  bei  Vondel  ein  anderes.  Auch  hat 
sein  Satan  noch  die  Wahl  Rebell  zu  werden  oder  nicht,  und 
es  fehlt  ihm  die  titanenhafte  Grösse  und  Sicherheit  der 
Schöpfung  Milton's.  Aber  unverkennbar  sind  die  Ansätze  zu 
der  Charakteristik  des  Milton'schen  Satan  schon  bei  Vondel 
vorhanden.  Unverkennbar  ist  auch  die  gleiche,  von  der  Ueber- 
lieferung  so  sehr  abweichende  Auffassung  der  übrigen  Engels- 
gestalten. Und  dazu  kommen  so  manche  auffallende  Anklänge 
im  einzelnen  wie  z.  B.  in  der  Schilderung  der  Empörung  und 
der  Himmelsschlacht,  in  epigrammatisch  zugespitzten  Aus- 
sprüchen, dass  man  sich  der  Ueberzeugung  nicht  wohl  er- 
wehren kann,  Milton  habe  Vondel  hie  und  da  geradezu  als 
Vorbild  benutzt.  Allein  an  eine  Ein^Yirkung  auf  die  Konception 
ist  auch  hier  nicht  zu  denken,  da  die  dramatischen  Ent- 
würfe Milton's  viel  älter  sind  als  Vondel's  Tragödie.  Und 
was  sich  von  Vondel'schen  Zügen  im  verlorenen  Paradies  vor- 
findet, ist  wieder  so  eigenthümlich  verarbeitet,  dass  sich  ein 
mögliches  Plagiat  in  eine  Neuschöpfung  verwandelt  (0- 

Ueberblickt  man  alles,  was  Sammelfleiss  und  Scharfsinn 
zur  Aufhellung  der  Frage  versucht  haben,  so  wird  man  in 
das  Urtheil  Chateaubriand's  einstimmen:  „Ein  originaler 
Schriftsteller  ist  nicht  der,  welcher  niemanden  nachahmt, 
sondern  der,  welchen  niemand  nachzuahmen  im  Stande  ist"(^). 


Q2  Der  Gegenstand. 

Milton  selbst  scheint  denn  auch  in  der  Einleitung  seines 
Gedichtes  die  Ursprünglichkeit  der  Erfindung  für  sich  in  An- 
spruch zu  nehmen.  Doch  will  es  noch  etwas  mehr  bedeuten, 
wenn  er  hier  äussert,  er  wolle  Dinge  singen,  „an  die  sich 
Vers  und  Prosa  nie  gewagt".  Auch  Ariost  hatte  sich  einst 
vorgesetzt,  zu  künden  ,,Cosa  non  detta  in  prosa  mai,  ue  in 
rima".  Aber  Milton,  der  die  Worte  von  ihm  entlehnt,  fühlt, 
dass  er  sich  in  ganz  anderen  Bahnen  bewegen  wird  wie  seine 
grossen  Vorgänger.  Was  waren  ihm  der  Zorn  des  Peliden. 
die  Irrfahrten  des  Dulders  Odysseus,  die  Thaten  des  frommen 
Aeneas  odev  des  frommen  Gottfried  von  Bouillon,  die  viel- 
gerühmten Kämpfe  und  Liebesgeschichten  tapferer  Ritter  und 
schöner  Damen,  verglichen  mit  dem  erhabenen  Gegenstande, 
den  er  sich  erwählt  hatte: 

Vom  Fall  des  ersten  Menschen,  dem  Geuuss 
Von  des  verbotneu  Baumes  Fi-ucht,  die  Tod 
Und  alles  Weh  gebracht  hat  in  die  Welt, 
Uns  Eden  raubte,  b'is  ein  grössrer  Mensch 
Den  Sitz  des  Heils  uns  wiederum  errang, 
Sing"  Himmelsmuse,  die  du  auf  des  Horeb. 
Auf  Sinai's  verborgnem  Gipfel  einst 
Den  Hirten  hast  begeistert,  der  zueilst 
Dem  auserwählten  Volke  kundgethan, 
Wie  Erd  und  Himmel  aus  dem  Chaos  stiegen. 

So  ist  es  denn,  wie  er  an  anderer  Stelle  sagt  „keine  der 
neun  Musen",  die  er  anruft,  keine  von  denen,  „die  auf  der 
Höhe  des  alten  Olymp  wohnen".  Es  ist  „die  Sionitin" ,  die 
Muse  dei-  religiösen  Poesie,  die  „Nachts  seinem  Schlummer 
naht  und  ihn  besucht,  wenn  den  Ost  der  Morgen  purpurn 
färbt".  Sie  ist  ihm  gleichbedeutend  mit  dem  heiligen  Geiste, 
„der  von  Anbeginn  war  und  einer  Taube  gleich  mit  mächtig 
ausgespreiztem  Flügelpaar  über  dem  ungeheuren  Abgrund 
brütete".  Der  Dichter  selbst,  den  sie  inspirirt,  fühlt  sich  ein 
höheres  Wesen  werden.  Er  nähert  sich  jenem  Ideale  des 
Poeten,  das  er  vor  Jahren  den  Dichterlingen  des  Tages  in 
leuchtender   Erhabenheit  vorgeführt  hatte  (s.  o.  I.  257).    Er 


Der   Gegenstand.  63 

wird   zum  Lehrer,  zum  Prediger,  denn  er  will  sich  nicht  frei 
dem  Spiele  seiner  Phantasie  überlassen,  sondern 
Kechtfertigen  die  ew'ge  Vorsehung 
Und  Gottes  Wege  vor  den  Menschen  preisen. 

Die  ganze  eigenthümliche  Grösse,  aber  auch  die  ganze 
unvermeidliche  Schwäche,  welche  die  Wahl  des  Gegenstandes 
mit  sich  brachte,  war  in  diesen  Worten  gegeben.  Die  er- 
habensten, furchtbarsten  und  lieblichsten  Schilderungen,  zu 
denen  Himmel,  Hölle  und  Erde  den  Anlass  boten,  drohten 
abzuwechseln  mit  den  trockensten,  nüchternsten  und  schwer- 
fälligsten Auseinandersetzungen  über  die  Prädestination,  die 
Verwerfung  und  Erwählung.  Der  Fortschritt  der  Handlung 
konnte  beständig  unterbrochen  werden  durch  lehrhafte  Vor- 
träge. Die  Freiheit  der  Erfindung  musste  sich  nicht  selten 
gehemmt  sehn  durch  die  Rücksicht  auf  die  kirchliche  Ueber- 
lieferung.  Der  Dichter  wurde  zum  Theologen,  das  Epos  wurde 
zur  Theodicee. 

Man  hat  mitunter  das  lebhafteste  Bedauern  darüber  aus- 
gesprochen, dass  Milton  einen  solchen  Stoff  gewählt  habe, 
einen  Stoff,  den  Goethe  keinen  Anstand  nimmt  als  „abscheu- 
lich, äusserlich  scheinbar  und  innerlich  wurmstichig  und  hohl"^ 
zu  bezeichnen (0-  Man  hat  bemerkt,  dass  sich  die  Artussage, 
die  Milton  in  seiner  Jugend  gefesselt  hatte,  aus  rein  poetischen 
Gründen  weit  eher  empfohlen  haben  würde.  So  hoch  das 
verlorene  Paradies  auch  stehe,  er  habe,  wenn  er  seiner  ersten 
Neigung  treu  geblieben  wäre,  noch  Höheres  schaffen  können. 
Hypothetische  Betrachtungen  der  Art  fallen  nicht  unter  die 
Aufgabe  des  Biographen.  Für  diesen  muss  es  genügen  darauf 
hinzuweisen,  dass  Milton  so  gewählt  hat  und  warum  er  so  gewählt 
hat,  wie  es  geschehn  ist.  Die  Jahrzehnte  gewaltigster  Er- 
schütterungen, welche  sein  Vaterland  erlebt,  die  Kämpfe  und 
Sorgen,  die  er  selbst  auszuhalten  gehabt  hatte,  waren  auch 
an  seinem  dichterischen  Genius  nicht  spurlos  vorübergegangen. 
Von  jeher  hatte  dieser  einen  puritanischen  Anhauch  gehabt. 
Von  jeher  war  ihm  eine  didaktische  Neigung  eigen  gewesen. 
Aber  die  unbefangene  Freude  am  Schönen,  auf  welcher  Seite 
es  sich  finden  mochte,  die  mächtige  Einwirkung  der  Antike, 


(54  Der  Gegenstand. 

das  Strahlende  Vorbild  Edmund  Spenser's:  alles  dies  hatte  in 
Milton's  Seele  ein  glückliches  Gegengewicht  gegen  Einseitig- 
keit und  Tendenz  gebildet.  In  seiner  Jugend  erschien  er  als 
begeisterter  Herold  der  Renaissance,  wenn  auch  von  einer 
religiösen  Grundstimmung  beherrscht.  In  seinem  Alter 
erscheint  er  als  der  grosse  Dichter  des  Puritanismus, 
wenn  auch  durch  die  Vorstellungen  der  Renaissance  be- 
reichert. Er  war  zum  Manne  geworden  während  einer  Um- 
wälzung, welche  dem  religiösen  Gefühl  einen  mächtigen  Im- 
puls gab.  Er  selbst  hatte  sich,  an  den  Ereignissen  lebhaft 
betheiligt,  in  eine  Stimmung  versetzt,  die  an  den  höchsten 
Fragen  der  Spekulation  viel  mehr  Gefallen  fand  als  an  den 
bunten  Bildern  ritterlicher  Romantik.  Die  umfassenden  Kennt- 
nisse, die  er  sich  aneignete,  hiengen  sich  wie  schwere  Fesseln 
an  seine  ursprüngliche  Dichterkraft.  Die  theologischen  Studien, 
denen  er  sich  hingab,  lenkten  ihn  auf  natürliche  Weise  bibli- 
schen Stoffen  zu.  Trübe  häusliche  Erfahrungen,  ein  schweres 
körperliches  Gebrechen,  bittere  Enttäuschungen  jeder  Art 
mussten  nothwendig  den  Ernst  und  die  Strenge  des  Dichters 
steigern.  Seine  Muse  bedurfte  eines  „grossen  Gegenstandes", 
d.  h.  eines  solchen,  der  sich  von  selbst  „zur  Höhe  des  Helden- 
gedichtes erhöbe",  auch  ohne  von  Helden  im  üblichen  Sinne 
zu  handeln.  Und  so  fiel  „nach  langer  Wahl"  die  Entschei- 
dung. Einst  im  Allegro  hatte  sich  der  Dichter  mit  Wonne 
„unter  das  geschäftige  Summen  der  Menge"  versetzt,  zum 
glänzenden  Turnier,  wo  voi'  schönen  Damen  die  Ritter  und 
Barone  um  die  Ehre  kämpfen ,  „zu  Pomp  und  Fest  und 
Schmauserei".  Diese  Zeiten  waren  vorüber.  Nun  hielt  er  es 
recht  im  Gegensatze  zum  Geschmack  der  herrschenden  Kreise 
für  unwürdig,  sogenannte  „heroische"  Thaten  zu  besingen, 
„mythische  Schlachten  .  .  fabelhafte  Ritter", 

Wettlauf  und  Turnier 
Das  Kampfgeräth,  der  Schilde  Wappenprank, 
Mit  närrischen  Enablemen,  das  Getrab 
Der  goldbefransten  Rosse,  Ritters  Schmuck 
Beim  Ring-  und  Lanzenstechen  und  das  Mahl, 
Von  Seneschall  und  Truchsess  aufgetischt. 


Der  Gegenstand.  65 

Das  alte  Testament  hatte  die  Heldensage  verdrängt.  Die 
Frage  nach  dem  Fall  Adam's  und  Eva's  war  wichtiger  als 
die  Frage  nach  dem  Verrath  Mordred's.  Die  Kämpfe  zwischen 
den  himmlischen  Heerschaaren  und  den  rebellischen  Engeln 
bedeuteten  mehr  als  die  Kämpfe  sämmtlicher  Ritter  der 
Tafelrunde  gegen  Riesen  und  Ungeheuer.  Die  unschuldigen 
Wonnen  des  Paradieses  überstrahlten  alle  Wunder  des  Zauber- 
waldes von  Breceliand. 

Es  war  kein  schmerzliches  Opfer,  das  der  Dichter  brachte, 
wenn  er  den  spröderen  Stoff  wählte.  Er  fühlte  sich  vielmehr 
durch  eine  immer  stärker  werdende  Neigung  zu  ihm  hin- 
gezogen. In  diesem  Stoff  war  eingeschlossen,  was  ihn  und 
tausende  seiner  Zeitgenossen  mit  ihm  bewegte:  die  grosse 
Streitfrage  über  den  Ursprung  des  Uebels,  die  Vorherbestim- 
mung des  Schöpfers  und  den  freien  Willen  der  nach  seinem 
Bilde  Geschaffenen,  eine  Streitfrage,  welche  ebenso  sehr  an 
die  ersten  Anfänge  des  Menschengeschlechts  anknüpfte,  wie 
sie  zu  Ausblicken  auf  den  Verlauf  seiner  ganzen  Geschichte 
nöthigte.  Der  Kampf  des  bösen  und  des  guten  Princips,  die 
schreckensvollen  Gebilde  von  Sünde  und  Tod,  die  verneinen- 
den und  zerstörenden  Kräfte  in  der  Gestalt  Satan's:  alles 
das  lebte  mehr  oder  weniger  klar  in  den  Vorstellungen  grosser 
Volksmassen  und  wartete  nur  auf  die  Hand  des  Künstlers, 
um  feste  Formen  zu  gewinnen. 


Der  Gegenstand  des  verlorenen  Paradieses  ist  als  ge- 
geben zu  betrachten.  Statt  ^lilton  einen  Vorwurf  daraus  zu 
machen,  dass  er  ihn  gewählt,  wird  man  fragen  müssen,  wie 
er  ihn  verwerthet  hat.  Sucht  man  sich  hierüber  Rechenschaft 
abzulegen,  so  wird  nichts  so  bald  auffallen  wie  die  vielfachen 
Anklänge  des  Milton'schen  Epos  an  die  Form  des  Dramas. 
Man  erinnert  sich,  dass  der  Dichter  den  Stoff  ursprünglich 
für  diese  bestimmt  hatte.  Indem  er  noch  unter  dem  Banne 
dieser  früheren   Idee   stand ,   gewann  er  den  unschätzbaren 

Stern,  Jlilton  vi.  s.  Z.    II.  4.  5 


(56  Dramatischer  Charakter  des  Gedichtes. 

Vortheil,  der  Handlung  einen  straffen,  energischen  Zug  ver- 
leihen und  der  psychologischen  Entwicklung  der  Charaktere 
eine  vornehme  Stelle  einräumen  zu  müssen.  Eine  grosse  Ge- 
fahr, welche  sein  Thema  mit  sich  führte,  die  Versuchung,  sich 
lehrhafte  Abschweifungen  zu  gestatten,  wurde  damit  zwar 
durchaus  nicht  abgewandt,  aber  doch  in  etwas  gemindert. 
Andrerseits  wurde  der  natürlichste  Anlass  gegeben,  die  drei 
Anfangskapitel  der  Genesis,  um  die  es  sich  in  erster  Linie 
handelte,  ohne  Anstoss  poetisch  auszufüllen.  —  Ein  kurzer 
Ueberblick  über  den  Gang  der  Fabel  wird  ihren  dramatischen 
Aufbau  in's  Licht  stellen. 

Hält  man  sich  an  die  Eintheilung  in  zwölf  Bücher,  zu 
der  Milton  selbst  sich  in  der  zweiten  Auflage  entschloss,  so 
wird  man  diese  unschwer  in  drei  gleich  starke  Gruppen 
theilen  können.  Die  ersten  vier  Bücher  eröffnen  Hölle,  Him- 
mel und  Erde  vor  unseren  Blicken  und  zeigen  uns  das  erste 
Mensehenpaar ,  ahnungslos  zwischen  die  streitenden  Mächte 
von  Gut  und  Uebel  gestellt.  Der  Sturz  der  rebellischen 
Engel  wird  im  Beginne  des  Gedichtes  als  eben  geschehen  ge- 
dacht. Satan's  Erwachen  aus  dem  Flammenpfuhl  des  boden- 
losen Abgrunds,  seine  trotzige  Unterredung  mit  Beelzebub, 
dem  Genossen  seiner  Qual,  bilden  gleichsam  die  erste  Scene. 
Die  Besitzergreifung  des  höllischen  Reiches  schliesst  sich 
daran.  Eine  IMusterung  der  teuflischen  Heerschaaren  führt 
kriegerische  Massen  auf  die  Bühne,  die  der  heroischen  An- 
sprache des  Führers  mit  geschwungenen  Waffen  zujubeln. 
Die  Versammlung  des  Teufelsparlamentes,  des  grossen  Rathes 
der  Hölle,  im  kunstvollen  Pandämonium  entrollt  ein  anderes 
jener  Bilder,  die  dem  historischen  Drama  geläufig  waren. 
Eine  pomphafte  Ansprache  des  Fürsten,  wechselnde  Rath- 
schläge  seiner  Paladine,  der  Beschluss,  sieh  an  Gott  zu  rächen 
durch  einen  Angriff  „auf  jene  andere  Welt,  den  seligen  Sitz 
des  neuerschaffenen  Volkes,  Mensch  genannt" :  das  alles  reiht 
sich  in  lebendigem  Foitschritt  an  einander.  Die  grosse  Staats- 
aktion ist  vorbereitet.  Satan  selbst  nimmt  es  auf  sich,  den 
erwählten  Angriffspunkt  zu  rekognosciren.  Sünde  und  Tod, 
phantastische    Gebilde    von   unfassbarem  Graus,    öffnen    die 


Inhaltsangabe.  Buch  1—4.  67 

Höllenpforten.  Er  gelangt  emporfliegend  in's  Reich  des  Chaos 
und  der  alten  Nacht  und  erfragt  von  ihnen  den  Weg  nach 
jener  neuen  Welt,  die  vom  Himmel  heral)hängt  „an  goldner 
Kette  schwebend,  an  Umfang  gleich  einem  Stern  von  letzter 
Grösse   dicht  am  Mond". 

Die  Scene  wechselt,  indem  wir  dem  Gegenbilde  der  Hölle,  der 
hohen  himmlischen  Wohnung,  angenähert  werden.  Auch  hier 
entwickelt  sich  das  Gedicht  in  dialogischer  Form.  Gott  Vater, 
„der  das  Einst  und  Jetzt  undKünft'ge  sieht",  weist  seinen  Sohn 
auf  das  Unternehmen  Satan's  hin  und  sagt  den  Fall  der  Menschen 
voraus.  Gott  der  Sohn  legt  Fürbitte  für  das  Menschengeschlecht 
ein  und  erbietet  sich  als  INIittler.  Das  Opfer  des  himmlischen 
„Vicekönigs"  wird  angenommen,  und  wie  der  Chor  der  Teufel 
den  Rathschluss  ihres  Hauptes  mit  Jubel  begrüsst,  so  erschallt 
der  pui-purglänzende  Himmel  von  den  heiligen  Gesängen  und 
den  goldenen  Harfen  der  Engel.  Währenddess  ist  Satan,  mit 
Mühe  durch  das  Chaos  sich  durcharbeitend,  an  die  Grenze 
des  Weltsystems,  zu  dem  die  Erde  gehört,  gekommen.  Es 
ist  die  „erste  Wölbung",  welche  die  „leuchtenden  kleineren 
Sphären"  in  sich  einschliesst.  Sie  hat  an  ihrem  oberen  Pol 
eine  Oeftnung,  dieselbe,  durch  die  ein  Weg  zum  Thor  des 
Himmels  führt.  Durch  diese  erblickt  Satan  die  ganze  neue 
Welt.  Er  nimmt  durch  unzählbare  Sterne,  ,,um  deren 
glückliche  Bewohner  er  sich  nicht  kümmert",  den  Weg  zur 
Sonne,  deren  Glanz  ihn  am  meisten  anzieht.  Dort  findet  er 
Uriel,  einen  der  sieben  Erzengel.  In  der  Verkleidung  eines 
Cherub  weiss  er  ihm  die  Kunde  zu  entlocken,  w^elches  unter 
den  Sternen  die  Erde  ist,  und  wo  auf  der  Erde  das  Paradies. 
Beim  Anblick  desselben  verhärtet  er  sich,  seiner  Leidenschaft 
Luft  machend,  in  seinem  Vorsatz,  überspringt  die  bewaldete 
Gebirgsmauer  und  lässt  sich  als  ein  Rabe  auf  den  Baum  des 
Lebens  nieder.  Von  dort  aus  „sieht  er  voll  Grimm  die  ganze 
Pracht  Eden's,  die  Ueppigkeit  der  Pflanzen,  die  Fülle  der 
friedlich  bei  einander  wohnenden  Thiere.  das  erste  Paar  der 
Menschen,  von  allen  Reizen  der  Jugend  und  Unschuld  um- 
spielt. Er  verwandelt  sich  in  dies  und  jenes  der  Thiere,  um 
das  holde  Geplauder  Adam's  und  Eva's  besser  belauschen  zu 

5* 


QQ  Buch  1—4.  —  Buch  5—8. 

können.  Jener  spricht  von  dem  Verbote  Gottes,  die  Früchte 
des  Baumes  der  Erkenntnis  zu  kosten.  Diese  gedenkt  ihres 
ersten  Erwachens  unter  Blumenschatten,  ihres  ersten  Be- 
gegnisses  mit  dem  Geliebten.  Mit  Neid  sieht  Satan  seitwärts 
auf  ihre  Küsse,  auf  das  „glücklichere  Eden,  eins  in  des  an- 
deren Arm",  Er  beschliesst,  sie  zu  verderben,  indem  er  jene 
Lust  der  Erkenntnis  in  ihnen  wecken  will,  die  Gott  ihnen  versagt. 

Während  er  im  Hintergrund  verschwindet,  und  die  Sonne 
sinkt,  gleitet  Uriel  auf  einem  ihrer  Strahlen  hernieder.  Er 
hat  die  Maske  des  Erzfeindes  durchschaut,  sein  Beginnen 
verfolgt  und  warnt  die  Wächter  des  Paradieses.  Die  Abend- 
dämmerung bricht  an.  Adam  und  Eva  suchen  nach  ein- 
fachem, formlosem  Gebet  in  duftender  Laube  ihr  weiches 
Lager  auf  und  entschlummern  nach  sündlosem  Liebesgenuss 
„von  Nachtigallen  eingesungen,  von  Rosen  überstreut".  Zu 
Eva's  Ohr  schleicht  Satan,  als  Kröte  hingestreckt,  um  ihre 
Phantasie  durch  lockende  Träume  zu  reizen.  Ihn  finden  zwei 
der  Engels-Wächter.  Vom  Speer  des  einen  berührt,  schnellt 
er  in  seiner  wirklichen  Gestalt  empor  und  lässt  sich  vor 
Gabriel  führen,  den  Obersten  der  paradiesischen  Hut,  um  ihn 
und  seine  Schaar  zum  Kampfe  herauszufordern.  Aber  der 
Ewige  hängt  seine  „Wage",  in  der  er  jegliches  Erschaffene 
wog,  am  Himmel  aus.  Satan's  Schale  steigt,  er  flieht,  „und 
mit  ihm  flieht  die  Dunkelheit  der  Nacht". 

In  den  nächsten  vier  Büchern  kommt  die  Handlung  so 
gut  wie  zum  Stehen.  Als  der  Morgen  naht,  schlägt  Adam 
die  Augen  auf  und  sieht  Eva  mit  wirren  Locken  und  glühen- 
der Wange  noch  unruhig  schlafen.  Von  ihm  geweckt,  erzählt 
sie  ihren  Traum,  in  dem  sie,  durch  eine  Engelserscheinung 
verführt,  von  der  verbotenen  Frucht  gekostet  hat.  Adam 
tröstet  sie  und  küsst  ihr  die  Thränen  aus  den  Augen.  Sie 
sprechen  ihr  Morgengebet,  wiederum  ein  reiner  Ausdruck 
der  Naturreligion  und  wiederum  „unvorbedacht",  wie  es 
ihnen  ihr  Herz  eben  eingiebt.  Dann  eilen  sie  zu  ihrem  ge- 
wöhnlichen Tagewerk,  der  einzigen  „Arbeit",  die  das  Para- 
dies kennt,  schwankende  Blumenstengel  zu  stützen,  den  üppigen 
Trieb  früchtebeladener  Bäume  zu  hemmen,  die  Ulme  mit  der 


Buch  5—8.  69 

Rebe  zu  umranken.  Es  sind  harmlose  Gegenstände  tändeln- 
der Geschäftigkeit,  wenig  ernster,  als  diejenige  der  Elfen  im 
Sommernachtstraum.  Mitleidig  sieht  sie  Gott  und  beauftragt 
den  Engel  Raphael,  als  Warner  zu  Adam  zu  eilen,  „auf  dass 
er  nicht  mit  Wissen  sündigend  als  Vorwand  Ueberraschung 
nennen  kann".  —  Es  ist  schwüler  Mittag,  als  der  Engel  im 
Paradiese  anlangt.  Adam  sieht  ihn  von  weitem  vor  seiner 
Laube,  während  Eva  drinnen  das  Mahl  aus  „schmackhaften 
Früchten"  bereitet.  Man  wird  einig,  den  hohen  Gast  einzu- 
laden, und  Eva  beeilt  sich  hausmütterlich,  noch  für  einige 
ausserordentliche  Gänge  zu  sorgen,  selbstverständlich  streng 
nach  vegetarianischer  Vorschrift.  Bei  Tische  spricht  der 
himmlische  Bote  Speise  und  Trank  ganz  menschlich  zu,  gleich 
als  wäre  es  „Engelskost".  Adam,  wissbegierig,  schon  ohne  vom 
Baume  der  Erkenntnis  gegessen  zu  haben,  nimmt  daher  Gelegen- 
heit, dem  herablassenden  Fremden  mit  einer  harmlosen  Wen- 
dung Kunde  „von  den  Dingen  über  seiner  Welt"  zu  entlocken. 
Und  nun  folgt  nach  geschickter  Ueberleitung  ein  aus- 
führlicher Bericht  von  dem,  was  vor  dem  Beginne  des  Ge- 
dichtes und  vor  der  Schöpfung  „dieser  Welt"  als  geschehen 
zu  denken  ist:  von  der  Proklamation  des  einzigen,  einge- 
borenen Gottessohnes  als  „Vicekönigs''  des  Reiches,  von  der 
Empörung  eines  der  ersten  Erzengel  —  ,, jetzt  heisst  er 
Satan,  sein  früh'rer  Name  ward  getilgt  im  Himmel"  —  und 
seiner  Genossen  gegen  diesen  Herrscherspruch,  von  dem  ge- 
waltigen Kampf  um  den  Himmel  und  den  Thaten  ewigen 
Ruhmes,  die  der  Erzähler  mit  erlebt  hat,  von  der  Besiegung 
der  Rebellen  durch  den  Gottessohn,  der  sie  mit  seinen  „zehn- 
tausend Donnern,  von  glänzendem  Streitwagen  herabgeschleu- 
dert, niederschmettert  zum  schwarzen  Schlund  der  Hölle.  Die 
Moral  der  Geschichte  ist  eine  ernstliche  Warnung  vor  dem 
Ungehorsam,  vor  den  Lockungen  des  Versuchers.  Adam  ver- 
spricht für  sich  und  „seine  schwächere  Gefährtin"  Gottes  Ge- 
bote zu  halten.  Aber  „wie  einer,  der  den  Durst  sich  kaum 
gelöscht,  zum  Strom  hinabblickt,  dessen  Rauschen  ihm  aufs 
neue  Durst  erweckt",  so  wünscht  Adam  weitere  Kunde  über 
das  ihm  näher  Liegende,   über  die  Entstehung  von  Himmel. 


70  Buch  5—8. 

Luft  und  Erde  zu  hören.  Der  Engel  giebt  einen  kurzen  Ab- 
riss  der  Schöpfungsgeschichte,  nach  welcher  Gott  der  Sohn 
im  Auftrag  Gott  des  Vaters  die  Welt  in's  Leben  gerufen  hat. 
Adam  würde  vollkommen  dadurch  befriedigt  sein,  wenn  ihm 
jene  astronomischen  Zweifel  benommen  würden,  über  die  sich 
Raphael  in  sehr  bemerkenswerthen,  früher  angeführten  Worten 
ausspricht  (s.  B.  L  279).  Schon  beim  Beginne  dieses  wissen- 
schaftlichen Gesprächs  zieht  Eva  es  vor,  sich  zu  entfernen. 
Adam  aber  erzählt,  nachdem  sein  Wissensdrang  vorläufig  be- 
friedigt ist,  dem  Gaste  seinerseits  von  seines  Daseins  Anfang, 
von  seiner  Sehnsucht  nach  einem  gleichartigen  Geschöpf,  von 
der  Erfüllung  seines  Wunsches,  als  Gott  ihm  Eva  geschenkt 
hatte : 

Ich  sah  sie 
Ganz  wie  ich  sie  im  Traum  erblickt,  geschmückt 
Mit  allem,  was  sie  liebenswerth  zu  machen 
Nur  Erd  und  Himmel  spenden  kann.    Sie  kam, 
Von  ihres  unsichtbaren  Bildners  Euf 
Geleitet,  näher,  eingeweiht  durch  ihn 
In  Heiligkeit  und  Brauch  des  Ehebunds, 
Anmuth  in  jedem  Schritt,  in  ihrem  Auge 
Der  ganze  Himmel,  voller  Huld  und  Würde. 
Und  wonnetrunken  rief  ich  jubelnd  aus : 
,,Xun  ist  mein  Wunsch  vollendet,  ia  du  hast 
Erfüllt,  Allgüt'ger,  was  du  mir  versprachst, 
Neidloser  Geber  alles  Schönen,  dies 
Ist  deiner  Gaben  schönste"  ....... 

Sie  hörte  mich  ;  geführt  von  Gott  empfand 
Sie  doch  jungfräulich  Beben,  holde  Scham, 
Des  reinen  Fraueuwerthes  sich  bewusst, 
Der  ungeworben  nicht,  nicht  ungesucht 
"Von  selbst  sich  hiugiebt,  lieblich  widerstrebt, 
Damit  Gewährung  doppelt  köstlich  sei. 
Unwissend,  was  sie  that,  gehorchte  sie 
Der  Stimme  der  Natur  und  wandte  sich 
Bei  meinem  Anblick  ab.     Ich  folgte  ihr; 
Mit  keuscher  Würde,  stolzer  Fügsamkeit 
Gab  sie  mir  nach.     Zur  hochzeitlichen  Laube 
Führt"  ich  die  morgengleich  Erröthende. 
Der  Himmel  und  die  Sterne  gössen  Licht 
Des  Glücks  auf  diese  Stunde  aus,  die  Erde 


Buch  9—12.  71 

Rief  unserm  Bund  von  jedem  Hügel  Heil, 
Die  Vögel  jauchzten,  sanfter  Lüftchen  Hauch 
Durch  flüsterte  den  Hain,  von  ihren  Schwingen 
Streuten  sie  Rosenduft  und  würz'gen  Balsam, 
Bis  uns  die  Nachtigall  das  Brautlied  sang 
Und  eilen  hiess  den  nahen  Abendstern, 
Damit  er  uns  die  Hochzeitsfackel  zünde. 

Mit  solchem  Entzücken  schildert  unser  Urahn  sein  ehe- 
liches Glück,  tlass  der  Engel  ihm  sehr  puritanisch  vorhält, 
nicht  „Liebe"  und  „Leidenschaft"  zu  verwechseln  und  mit 
einer  nochmaligen  ernsten  Verwarnung,  „festzustehn"  von  dem 
gastfreundlichen  Heim  des  ersten  Menschenpaares  Abschied 
nimmt. 

In  den  letzten  vier  Büchern  schreitet  die  Handlung  wie- 
der fort.  Sieben  Tage  und  Nächte  hat  Satan  die  Erde  um- 
kreist. In  der  achten  Nacht  weiss  er  auf's  neue  in  das  Paradies 
einzudringen  und  schlüpft,  den  Zwang  dieser  Selbsterniedrigung 
verfluchend,  in  eine  schlafende  Schlange,  als  das  geeignetste 
Werkzeug  seiner  Anschläge.  Beim  Anbi'uch  des  Morgens, 
des  letzten  der  paradiesischen  Unschuld,  schlägt  Eva  dem 
Gefährten  eine  kurze  Trennung  vor,  da  die  „Arbeit"  beiden 
besser  von  der  Hand  gehn  werde,  wenn  Geplauder  und  Ge- 
kose sie  nicht  unterbreche.  Adam  ist  nicht  sehr  erbaut  von 
diesem  Vorschlag.  Er  erlaubt  sich ,  Eva  daran  zu  erinnern, 
dass  ihr  allein  leicht  Gefahr  und  Verführung  drohen,  Sie 
schmollt  ein  wenig,  beide  werden  in  Rede  und  Gegenrede 
etwas  gereizt,  zuletzt  behält  sie  ihren  Willen.  Sie  geht  mit 
ihrem  „Gartengeräth",  lieblich  wie  „Pomona"  oder  die  „jung- 
fräuliche Ceres",  um  hängende  Blumenkronen  mit  Myrthen- 
reisern  emporzurichten,  „sie  selbst,  der  Blumen  schönste, 
stützelos,  so  fern  dem  besten  Halt,  so  nah  dem  Sturm". 
Sogar  Satan,  als  Schlange  näher  kriechend,  wird  einen  Augen- 
blick  zur  Bewunderung  hingerissen  und  bleibt  eine  Weile 
„dummgut  entwaffnet,  seiner  eigenen  Bosheit  entfremdet". 
Dann  aber  erwacht  die  „heisse  Hölle"  wieder  in  seiner  Brust. 
Emporgeringelt  mit  erhobenem  Kopf  —  so  wie  die  Schlange 
auf  so  manchen  der  altdeutschen  und  italienischen  Bilder  er- 
scheint —   umtanzt    das    Thier    Eva,    küsst  die   Spur  ihrer 


72  Buch  9—12. 

Füsse  und  redet  sie  schmeichelnd  an.  Dass  es  reden  kann, 
erklärt  es  selbst  der  Verwunderten  als  Folge  des  Genusses 
der  verbotenen  Frucht  und  reizt  dadurch  ihre  Neugier  nur 
noch  mehr.  Der  Zug  gehört  Milton  an  und  nicht  der  Bibel, 
aber  wie  er  wenige  Verse  derselben  zu  verwerthen,  psycho- 
logisch zu  vertiefen  und  rhetorisch  auszuschmücken  weiss, 
zeigt  vielleicht  keine  Stelle  seines  Gedichtes  so  deutlich  wie 
die  Ausmalung  dieser  ganzen  Scene. 

Die  That  ist  geschehen.  „Die  Erde  fühlte  die  Wunde, 
tief  seufzte  die  Natur  in  ihrem  ganzen  Bau  vor  Schmerz,  dass 
alles  nun  verloren  war."  Eva  aber,  erhitzt  und  berauscht,, 
segnet  den  Baum ,  ja  erweist  ihm  Götzendienst.  Sie  denkt 
einen  Augenblick  daran ,  „die  Ueberlegenheit  der  Kenntnis 
für  sich  zu  behalten, '^  dadurch  die  Schwäche  ihres  Geschlechts 
auszugleichen  und  Adam's  Liebe  zu  steigern.  Wie  aber, 
wenn  Gott  sie  mit  dem  Tode  strafte,  wenn  Adam,  „mit  einer 
anderen  Eva  verbunden",  leben  bliebe?  Lieber  soll  er  Wohl 
oder  Wehe  mit  ihr  tragen.  Sehnsüchtig  kommt  er  ihr  schon 
entgegen  mit  einem  Kranze,  den  er  für  sie  gewunden  hat. 
Seinem  Entsetzen,  nachdem  er  ihr  Bekenntnis  gehört,  folgt 
sein  Entschluss,  ihr  Loos  zu  theilen.  Er  nimmt  aus  ihrer 
Hand  die  Frucht  und  isst,  „von  Frauenreize  sanft  besiegt". 
Und  wieder  „erbebt  der  Erde  Schoos,  stöhnt  die  Natur  ein 
zweites  Mal;  der  Himmel  verdunkelt  sich  und  weint  dumpf- 
donnernd  schwere  Tropfen".  —  Die  erste  Folge  des  Sünden- 
falles ist  das  Entbrennen  „fleischlicher  Begierden".  Die  Un- 
schuld ist  dahin,  beide  sind  wie  „von  neuem  Weine 
trunken",  und  zum  ersten  Male  dient  ihr  schattiges  Blumen- 
bett der  wilden  Lust  der  Sinne.  Sie  erwachen,  anders  wie 
sonst,  aus  wüstem  Schlafe,  dunklen  Sinnes,  beschämt  über  ihre 
Nacktheit.  Der  Schurz  aus  Feigenblättern,  die  sie  sich 
pflücken,  kann  ihre  Schuld  nicht  verdecken,  mit  W^einen, 
Klagen  und  Vorwürfen  verbringen  sie  die  Stunden. 

Indessen  hat  der  Himmel  von  Gott  Vater  erfahren,  was  dieser 
„längst  vorausgesagt"  hatte,  wird  Gott  der  Sohn  entsandt,  die 
Gefallenen  zu  richten.  Dieser  spielt  demnach  die  Rolle,  die 
nach    der  Genesis    dem  einigen   Gotte  zukommt.    Er  spricht 


Buch  V)— 12.  73 

den  Fluch  über  die  Schlange,  das  Urtheil  über  die  Menschen 
aus  und  kleidet  sie  mitleidig  in  Thierfelle.  Satan  war  vor 
dem  Anblick  des  Göttlichen  aus  Furcht  vor  augenblicklicher 
Strafe  geflohen.  Nachts  kehrt  er  zurück,  belauscht  Adanfs 
und  Eva's  traurige  Gespräche  und  entnimmt  aus  ihnen,  dass 
sein  Urtheil  —  gemäss  dem  mystischen,  über  die  Schlange 
ausgesprochenen  Fluche  —  erst  in  Zukunft  vollzogen  werden 
soll.  Beruhigt  und  triumphirend  eilt  er  seinem  Reiche  zu 
und  trifft  unterwegs  auf  seine  Kinder,  Sünde  und  Tod.  die 
gleich  nach  dem  Falle  des  Menschen,  „den  Hauch  der  Sterb- 
lichkeit witternd'",  eine  kunstvolle  und  bequeme  Brücke  von 
der  Hölle  über  das  Chaos  zur  neuen  Welt  geschlagen  haben. 
Er  eilt  zu  seinem  Herrschersitz  und  verkündet  seinen  Ge- 
treuen den  Sieg,  aber  statt  des  erwarteten  Beifalls  muss  er 
ein  misstöniges  Zischen  hören.  Die  Teufel  sind  sämmtlich  in 
Schlangen  verwandelt,  er  selbst  sträubt  sich  vergeblich  gegen 
diese  ^Metamorphose.  Zugleich  erwächst  vor  ihren  Augen  ein 
Hain  mit  lockenden  Früchten,  aber  diese  werden,  als  sie  sich 
gierig  darauf  stürzen,  zu  bitterer  Asche.  Satan  und  seine  Ge- 
nossen erhalten,  wenn  die  Qual  lange  genug  gedauert  hat, 
zwar  ihre  wahre  Gestalt  wieder,  aber,  „wie  einige  sagen'-, 
müssen  sie  in  jedem  Jahre  gewisse  Tage  diese  Demüthigung 
erdulden.  Man  bemerke,  wie  dem  alttestamentarischen  Stoff 
romantische  Züge  beigemischt  werden,  gleich  diesem,  deren 
richtige  Stelle  in  den  Märchen  von  Hexen  und  Zauberern 
oder  bei  Ariost  und  Spenser  zu  suchen  wäre. 

Weit  besser  fügt  sich  dem  Ganzen  jene  durchgeführte 
Allegorie  von  Sünde  und  Tod  ein,  deren  Ankunft  im  Para- 
diese mit  grellen  Farben  geschildert  wird.  Sie  beginnen  ihr 
Zerstörungswerk  bei  Pflanzen  und  Thieren.  Die  Zwietracht, 
der  Sünde  Tochter,  verhetzt  die  Geschöpfe  zum  Kampf  um's 
Dasein.  Gott  sieht  der  Verwüstung  seiner  „schönen  Weif" 
nicht  nur  gelassen  zu,  da  er  des  endlichen  Sieges  seines 
Sohnes  über  Sünde  und  Tod  gewiss  sein  kann,  sondern  thut 
noch  das  Seinige,  um  seine  Schöpfung  zum  Schlechteren  zu 
„verändern".  So  wenigstens  erscheint  in  diesem  Zusammen- 
hange alles  das,  was  wenig  mehr  denn  ein  Jahrhundert  später 


74  B"ch  9—12. 

Herder's  „Ideen"  als  Zeichen  der  „Harmonie,  Güte  und  Weis- 
heit" zu  preisen  nicht  müde  wurden:  die  Schiefe  der  Ekliptik, 
die  Verschiedenheit  der  Zonen,  der  Wechsel  der  Jahreszeiten, 
der  Widerstreit  der  Winde.  Mit  Schrecken  sieht  Adam,  wie 
die  Thiere  ihn  iiiehen  oder  grimmig  nach  ihm  blicken.  Er 
fühlt  das  „Elend  nach  der  Seligkeit",  den  Fluch  des  Todes, 
in  den  sich  der  Segen  Gottes  „seid  fruchtbar  und  mehret 
euch"  verwandelt  hat.  Er  sehnt  die  Sterbestunde  herbei,  um 
nicht  die  Verwünschungen  der  Enkel  hören  zu  müssen.  Aber 
wird  der  Tod  ihm  die  Wohlthat  völliger  Vernichtung  bringen, 
wird  er  sich  nicht  verewigen  in  dem  „endlosen  Jammer" 
seines  ganzen  Geschlechts,  das  er  nicht  zu  entsühnen  ver- 
mag? Seine  Gedanken  finden  keinen  Ausweg  aus  diesen  Ge- 
heimnissen. Die  dunkle  Nacht  hört  seine  Klagen.  Eva  naht 
sich  ihm,  um  ihn  zu  trösten,  er  stösst  mit  Zornesworten  die 
„Schlange  hinweg  aus  seinem  Angesichte".  Sie  wirft  sich 
ihm  zu  Füssen,  und  er  kann  ihren  Thränen ,  ihren  flehenden 
Worten  nicht  widerstehn.  Es  folgt  die  Versöhnungsscene, 
in  deren  Schilderung  der  Dichter  vielleicht  das  selbst  Erlebte 
verarbeitet  hat  (s.  o.  B.  IL  337).  Eva's  exaltirter  Vorschlag, 
durch  Selbstmord  alle  Qualen  zu  enden  und  dem  göttlichen 
Urtheil  die  Spitze  abzubrechen,  weist  der  kühler  gewordene 
Adam  zurück.  Er  sinnt  schon  auf  Mittel,  das  menschliche 
Dasein  erträglich  zu  machen.  Er  hofft  „durch  Reibung  von 
zwei  Körpern"  Feuer  zu  gewinnen  und  entwickelt  vorahnend 
eine  Art  Geschichte  primitiver  Kultur.  Beide  finden  Trost 
im  reuigen  Gebet.  Der  Messias  legt  es  am  Thron  des  Vaters 
nieder,  und  dieser  gewährt  die  Bitte,  dem  ]\Ienschen  eine 
Frist  des  Lebens  zu  gönnen.  Aber  ihn  länger  im  Paradiese 
zu  belassen,  verbietet  das  Gesetz  der  Natur.  Eine  Thronrede 
macht  den  versammelten  Engeln  hiervon  officielle  Mittheilung. 
Der  Erzengel  Michael  erhält  den  Befehl,  mit  einer  Kohorte 
von  Cherubim  das  Beschlossene  auszuführen. 

Noch  ahnen  die  Menschen  nicht,  was  ihnen  bevorsteht, 
aber  böse  Vorzeichen  künden  ihnen  Unheil  an.  Sie  vernehmen 
MichaeFs  Botschaft.  Eva  jammert,  dass  sie  ihre  „Blumen", 
ihre  ., hochzeitliche  Laube"  lassen  soll,  Adam  bangt  vor  dem 
Gedanken,  dass  eine  Verbannung  aus  dem  Paradies  eineVer- 


Buch  9—12.  75 

bannung  aus  der  Nähe  Gottes  sein  werde.  Der  Erzengel 
tröstet  ihn  mit  dem  Hinweis  auf  die  göttliche  Allgegenwart. 
Zur  Bestätigung  dessen  verspricht  er  ihm,  seinem  Auftrag 
gemäss,  ein  Bild  „zukünftigei-  Tage"  zu  zeigen,  den  „Kampf 
der  göttlichen  Gnade  mit  menschlicher  Sünde",  daraus  Geduld 
zu  lernen,  zu  lernen  „durch  fromme  Furcht  die  Freude  massi- 
gen, Günst'ges  und  Widriges  mit  Gleichmuth  tragen".  Wäh- 
rend Eva  in  Schlaf  versinkt,  folgt  Adam  dem  Engel  auf  einen 
hohen  Hügel.  Er  überblickt  von  dort  die  ganze  Bühne  der 
künftigen  Thaten  und  Leiden  seines  Geschlechts.  Eine  Vision 
fortlaufender  Bilder,  an  die  sich  die  Belehrung  seines  Führers 
anreiht,  zeigt  ihm  die  Geschichte  der  Menschen  von  Abel's 
Tod  bis  zur  Sindfluth,  von  der  Sindfluth  bis  zur  Erlösung 
durch  den  Messias,  und  selbst  die  Ausbreitung  des  Christen- 
thums  und  sein  Verfall  nach  dem  Eindringen  priesterlicher 
„Wölfe"  wird  mit  ein  paar  flüchtigen  Strichen  angedeutet. 
Zuletzt  prophezeit  der  Erzengel  einen  „Weltbrand",  in  dem 
Satan  zu  Grunde  gehn,  eine  neue  Erde  und  ein  neuer  Himmel 
entstehn  wird.  Beim  Entrollen  dieses  Abrisses  der  Geschichte, 
soweit  sie  sich  dem  Rahmen  der  Bibel  einfügen  lässt,  einem 
mit  Recht  bewunderten  „Meisterstück  poetischer  Oekonomie", 
lösen  sich  Rede  und  Gegenrede  des  staunenden  Zuschauers 
und  des  kundigen  Erklärers  beständig  ab.  Scenen  des  Krieges 
und  des  Friedens  —  wie  auf  dem  homerischen  Schilde  des 
Achilleus  —  Darstellungen  von  Lebenslust,  Arbeit,  Kunst- 
übung, von  Krankheit,  Verzweiflung,  Tod  wechseln  mit  ein- 
ander und  regen  sich  widersprechende  Gefühle  auf.  Das 
ganze  vielverschlungene  Gewebe  des  menschlichen  Daseins 
breitet  sich  aus,  und  die  Erött'nung  einer  unendlichen  Per- 
spektive hebt  den  Geist  über  den  Schmerz  des  Augenblicks 
empor.  Adam  bezweifelt  nicht  mehr,  dass  der  Mensch,  wenn 
er  mit  „dem  Wissen"  die  gute  „That"  verbindet,  „ein  schö- 
neres Paradies"  in  sich  selbst  tragen  wird.  Und  so  findet  er 
Eva  wieder,  schon  erwacht  und  durch  heilverkündenden 
Traum  getröstet,  Sie  folgt  ihm  gerne:  „du  bist  mein  alles 
unterm  Himmelszelt,  mit  dir  gehn,  heisst  im  Paradiese  bleiben". 
Schon  ziehen  die  Cherubim  näher,  .,vor  ihnen  Gottes  Flam- 


76  Die   Charaktere. 

menschwert  wie  ein  Komet".  Au  der  Hand  des  Engels  ge- 
langt das  Menschenpaar  zum  Thore.  Koch  einmal  schauen 
sie  sich  um  nach  den  Schreckgestalten  und  weinen.  Aber 
bald  trocknen  sie  ihre  Thränen. 

Vor  ihuen  lag  die  weite  "Welt  zur  Wahl 
Der  ueueu  Kuhestatt,  ihr  Führer :  Gott. 
Sie  nahmen  Hand  in  Hand  mit  zagem  Schritt 
Durch  Eden  lancrsam  ihren  stillen  Wec;. 


Es  wird  nicht  mehr  auffallend  erscheinen,  warum  das  ver- 
lorene Paradies  das  am  meisten  dramatische  aller  epischen 
Gedichte  genannt  worden  ist.  In  der  That,  wenn  man  von 
dem  Stillstand  der  mittleren  vier  Bücher  und  von  der  Di- 
gression  in  den  zwei  letzten  einmal  absieht,  so  fällt  es  nicht 
schwer,  sich  den  Rest  zu  einer  bühnenmässigen  Handlung 
umgestaltet  zu  denken.  Die  Form ,  in  der  sich  die  Dichtung 
bewegt,  ist  vorwiegend  die  des  Dialogs  oder  des  Selbstge- 
sprächs Der  Schauplatz  wechselt  mit  einer  Leichtigkeit,  die 
für  die  grossen  dramatischen  Dichter  England's  zur  Mode  ge- 
worden war.  Hie  und  da  glaubt  man  auf  Effekte  der  Be- 
leuchtung und  Dekoration  zu  stossen ,  die  wie  dem  Theater 
entlehnt  erscheinen.  Fasst  man  aber  die  Charaktere  in's 
Auge,  durch  deren  Spiel  und  Widerspiel  Milton  die  Handlung 
sich  entwickeln  lässt,  so  wird  man  alsbald  seine  Schwäche 
gegenüber  den  grossen  Meistern  der  dramatischen  Poesie  seines 
Landes  gewahr  werden.  Für  ihn  giebt  es  nicht  jenen  ge- 
heinmisvolleu  seelischen  Hintergrund,  auf  dem  die  Gedanken 
sich  haschen  und  fliehen  wie  die  verschwommenen  Bilder 
eines  hin-  und  herschwankenden  Spiegels,  jenes  Gemisch  von 
Neigung  und  Abneigung,  Erinnerung  und  Ahnung,  Stärke  und 
Schwäche,  aus  dem  die  Entschlüsse  sich  bilden  und  die  Thaten 
hervorgehn.  Seine  Charaktere  sind  fast  niemals  verwickelt,  son- 
dern in  der  Regel  einfach,  durchsichtig,  ja  mitunter  ohne  indi- 
viduelles Leben,  in  blosse  Schemen  aufgelöst,  eben  gut  genug, 
dem  Dichter  als  Maske  zu  dienen,  durch  deren  "Shmd  er  nach 
Gefallen   rhetorisch,    polemisch,   dialektisch  seine  eigene  Mei- 


Satan  und  die  Teufel.  77 

niing  an  den  Mann  zu  brinfjen  sucht.  Eben  damit  hängt 
sein  auffallender  Mangel  an  Humor  zusammen.  Es  giebt  viel- 
leicht keinen  zweiten  englischen  Dichter,  dem  diese  glückliche 
echt  englische  Gabe  in  dem  Grade  abgienge  wie  ihm.  Er 
kann  sich  das  Leben  nicht  als  ein  buntes,  leicht  bewegliches 
Kaleidoskop  denken,  in  welchem  Scherz  und  Ernst,  Lachen  und 
Weinen  in  raschem  Wechsel  sich  ablösen  und  in  einander  über- 
gehn,  weil  er  selbst  einer  solchen  Beweglichkeit  der  Stimmung 
nicht  fähig  ist.  Versucht  er  es  je  einmal ,  das  Gebiet  des 
Komischen  zu  streifen,  so  geräth  er  in  Gefahr,  gi'otesk  zu 
werden  oder  sich  mit  geschmacklosen  Wortspielen  abzufinden. 
Immer  ist  es  seine  Subjektivität,  welche  durchbricht,  seine 
sittliche  Hoheit,  sein  Pathos,  sein  Idealismus,  und  selbst  die 
Verkörperung  des  bösen  Princips  lässt  uns  den  Schöpfer  nicht 
über  seiner  Schöpfung  vergessen. 

Es  wird  wenig  Leser  des  verlorenen  Paradieses  geben, 
auf  welche  die  Figur  des  Satan  nicht  die  grösste  Anziehungs- 
kraft unter  allen  den  Charakteren  ausübt,  die  überhaupt  in 
dem  Gedichte  vorgeführt  werden.  Seine  Gestalt  drängt  sich 
so  sehr  hervor,  dass  Addison  keinen  Anstand  genommen  hat, 
ihn  den  „Heros"  des  Epos  zu  nennen.  Und  ohne  Zweifel 
lässt  dieses  Wort  sich  rechtfertigen.  Es  ist  freilich  unbe- 
streitbar, dass  INIilton,  der  „den  Fall  des  ersten  Menschen" 
besingen  wollte,  von  einem  epischen  Helden  im  üblichen  Sinne 
mit  vollem  Bewusstsein  absah.  Allein  unvermerkt  wächst  die 
Figur  des  Satan  in  diese  Piolle  hinein.  Er  ist  der  Führer  im 
Kampf  und  der  erste  im  Rath,  gleich  den  Völkerhirten  der 
nationalen  und  romantischen  Epen.  Er  erdenkt  die  listigsten 
Anschläge  und  besteht  die  gefährlichsten  Abenteuer  gleich 
Odysseus  und  Orlando.  Seine  Kraft  ist  selbst  nach  seinem 
Sturz  mit  menschlichen  BegritTen  nicht  zu  messen.  Sein 
Körper  bedeckt,  auf  dem  Flammenpfuhl  schwimmend,  „Aveit 
ausgestreckt,  viele  Hufen".  Gegen  seinen  Speer  gehalten,  ist 
die  grösste  norwegische  Fichte,  die  einem  Admiralschitf  als 
Mastbaum  dienen  soll,  „nur  eine  dünne  Gerte".  —  Gigantisch 
wie  alles,  was  mit  seiner  äusseren  Erscheinung  zusammen- 
hängt,  stellt  sein   geistiges  Wesen  sich   dar.    Wir  verlieren 


78  Satan  und  die  Teufel. 

niemals  aus  dem  Auge,  dass  dieser  Teufel  ein  gefallener 
Engel  ist,  „einer  der  Erzengel,  wenn  nicht  der  Erzengel 
ei'ster",  von  Haus  aus  mit  allen  grössten  Anlagen  ausgerüstet. 
Nur  eine  Eigenschaft  beraubt  sie  sämmtlich  ihres  Werthes: 
unbezähmbarer  Ehrgeiz,  der  ihn,  den  Prometheus  der  christ- 
lichen Mythologie,  den  Vorläufer  des  Byron'schen  Lucifer,  zur 
Empörung  treibt.  Aber  eben  diesen  Grundzug  seines  Cha- 
rakters sind  wir  am  leichtesten  geneigt  zu  verzeihen.  Es 
fehlt  nicht  viel,  dass  wir  für  den  stolzen  Revolutionär  Partei 
nehmen,  der  sich  einem  verletzenden  Ceremonialgebot  nicht 
fügen  will.  Es  wird  uns  schwer,  das  Rachegefühl  des  Be- 
siegten zu  tadeln,  der  nur  dem  ,.üonner",  der  physischen 
Gewalt,  erlegen  ist.  Ein  Satan,  der  ungebrochenen  Muthes, 
glühenden  Hasses  voll,  den  Schmerz  besiegend,  in  die  eines 
Cäsar's  würdigen  Worte  ausbricht  ., Besser  in  der  Hölle 
herrschen,  als  Knecht  im  Himmel  sein",  stellt  sich  als  ein 
Wesen  .dar,  aus  nicht  gemeinem  Stoff  gemacht.  Und  wie- 
derum ein  Satan ,  der  fast  zu  Thränen  gerührt  wird ,  als  er 
zum  ersten  Male  des  unschuldigen  Menschenpaares  ansichtig 
wird,  beweist  deutlich  genug,  dass  er  kein  „wissentlicher 
Feind"  ist,  dass  er  das  Böse  nicht  aus  Lust  am  Bösen  sucht. 
Mit  einem  Worte:  diese  Gestalt  entlockt  uns  eben  diejenige 
Empfindung,  welche  nach  Lessing  dem  „Helden  der  Epopöe" 
zukommt.  Wir  „bewundern"  diesen,  während  wir  den  Helden 
des  Trauerspiels  „bemitleiden"  (^). 

Es  ist  klar,  dass  mit  dieser  Zeichnung  des  Satan  ein 
ungeheurer  Fortschritt  über  die  volksthümliche  Auffassung 
hinaus  gemacht  wurde.  Freilich  der  jMilton'sche  Teufel  ist 
noch  nicht  zu  dem  spöttischen  Mephistopheles ,  dem  bösen 
Geist  der  modernen  Gesellschaft ,  zusammengeschrumpft .  der 
im  grossen  nichts  vernichten  kann  und  es  nun  im  kleinen 
anfängt.  Aber  er  ist  auch  nicht  mehr  das  nordische  Phantom 
mit  Hörnern,  Schweif  und  Klauen.  Man  hat  wohl  Recht  ge- 
habt, zu  behaupten,  dass  Milton  zuerst  den  Satan  und  seine 
Wohnstätte  der  noch  obwaltenden  populären  Verzerrung  mit 
Erfolg  entrissen  habe.  Eine  solche  Umwandlung  gieng  freilich 
nicht  ganz  ohne  Schaden  für  die  plastische  Greifbarkeit  ab. 


Satan  uud  die  Teufel.  79 

Kolossal,  wie  die  ]\Iilton"sche  Hölle  und  der  Milton'sche 
Teufel  ersclieiuen,  fehlen  ihnen  doch  die  bestimmten  Umrisse 
und  Farben,  welche  der  angstvollen  Phantasie  des  gemeinen 
Mannes  unentbehrlich  waren.  Aber  der  Eindruck  des  Grausi- 
gen und  Unheimlichen  wird  dadurch  verstärkt,  dass  die  kör- 
perliche Erscheinung  der  höllischen  Mächte,  eines  mannich- 
fachen  Wechsels  fähig,  in  geheimnisvollem  Helldunkel  auf- 
und  absch wankt  (^). 

Mitunter  ist  die  Frage  aufgeworfen  worden,  ob  zu  INIilton's 
Satan  nicht  eine  der  grossen  Persönlichkeiten  Modell  gesessen 
habe,  die  in  den  gewaltigen  Kämpfen  seiner  Zeit  auf  den 
Schauplatz  getreten  waren.  Die  Frage  liegt  um  so  näher,  für 
je  wahrscheinlicher  man  es  hält,  dass  Vondel's  Lucifer  dem 
englischen  Dichter  bekannt  war.  Auch  in  Vondel's  Drama 
hat  man  Anspielungen  auf  die  Geschichte  seines  Vaterlandes 
gefunden,  und  die  Holliinder  erblicken  im  Lucifer  den  rebel- 
lischen „Statthalter",  Wilhelm  von  Oranien.  Dem  würde  es 
am  besten  entsprechen,  das  Urbild  zu  Milton's  Satan  in  Crom- 
well  zu  suchen.  In  der  That  ist  dieser  Gedanke  aufgetaucht, 
und  er  hat  unläugbar  viel  Bestechendes.  Das  überaus  Kraft- 
volle,  Beherrschende,  Selbstbewusste ,  das  titanenhafte  sich 
Aufbäumen  dessen,  der  sich  gegen  den  „gesalbten"  Himmels- 
könig empört  hat ,  um  Tyrann  in  der  Hölle  zu  werden :  das 
I  alles  waren  Züge,  die  sich  in  Oliver  Cromwell  vorfanden. 
Wenn  Satan  sich  auf  die  „W^ahl"  seiner  Genossen  beruft,  die 
ihn  um  seiner  Verdienste  willen  an  die  Spitze  gestellt  haben, 
wenn  er  beständig  mit  Freiheit  athmenden  Reden  seine  dik- 
tatorische Gewalt  rechtfertigt,  wenn  er  sich  zur  Entschuldigung 
seines  Thuns  auf  den  Staatszweck  beruft,  auf  die  „Nothwen- 
digkeit",  „den  Rechtsgrund  der  Tyrannen",  wie  Milton  hinzu- 
fügt, so  glaubt  man  den  gewaltigen  Protektor  selbst,  sogar 
nach  dem  W' ortlaute  seiner  Reden,  wiederzuerkennen.  Allein 
wie  viel  auch  immer  von  Cromwell's  Helden-  und  Herrscher- 
natur  auf  die  Gestalt  des  Satan  übertragen  worden  sein  mag, 
dass  mit  diesem  eine  Satire  des  Protektors  gegeben  werden 
sollte,  ist  nicht  zu  erweisen.  Es  ist  wahr:  Milton  hatte  keinen 
Grund  dazu,   Cromwell  als  seinen  Abgott  zu  verehren,  aber 


gQ  Satan  und  die  Teufel. 

er  brauchte  ihn  darum  noch  nicht  als  den  obersten  der  Teufel 
zu  hassen.  Und  er  hätte  ein  gutes  Stück  seiner  eigenen 
Vergangenheit  verurtheilt,  wenn  er  damals  unter  den  Augen 
der  übermüthigen  Sieger  den  Heros  des  Puritanismus  in  teuf- 
lischer Maske  dargestellt  und  dem  Spotte  preisgegeben  hätte. 
Auch  gab  es  noch  andere  Grössen  seiner  Zeit,  deren  An- 
denken neben  dem  Andenken  Cromweirs  sich  wie  von  selbst 
der  Einbildungskraft  des  Poeten  aufdrängen  mochte.  Wer 
hatte  eine  unbeugsamere  Willenskraft,  eine  stolzere  Haltung 
zur  Schau  getragen  als  Sti-afford  ?  Wo  war  ein  besseres  Ur- 
bild des  Despoten,  des  Listigen,  des  noch  im  Unglück  Vor- 
nehmen und  Fesselnden  zu  finden  als  in  Karl  I.  ?  Wer  hiess 
dem  Dichter  mit  mehr  Piecht  ein  schlauer  Heuchler,  ein  Ver- 
räther der  Freiheit,  der  „um  schändlicher  Dinge  willen  nach 
Ehre  strebt"  als  ]\IonkV  Man  wird  eben  nur  dies  sagen 
dürfen,  dass  eine  Reihe  politischer  Charaktere,  die  vor  Milton's 
Augen  ihre  Rolle  gespielt  hatten,  ihm  für  die  Zeichnung  der 
Centralfigur  seines  Epos  brauchbare  Züge  lieferte,  ohne  dass 
man  seiner  frei  schaffenden  Phantasie  irgendwie  Gewalt  an- 
thun  dürfte  (1). 

Nicht  weniger  gemahnen  die  Genossen  Satan's  in  ihrer 
scharf  ausgesprochenen  Individualität  an  diese  und  jene  Ge- 
stalt des  wirklichen  Lebens.  In  Whitehall  oder  in  West- 
minster  ist  der  Dichter  ihnen  schon  begegnet.  Er  hat  sie 
alle  gelegentlich  kennen  gelernt:  jenen  Moloch,  den  wilden 
Kriegsteufel,  dessen  Sinn  nur  auf  Mord  und  Zerstörung  steht, 
jenen  Belial,  den  „graciösesten  Kavalier  der  Hölle',  von 
aussen  „erhaben  und  würdig,  aber  innen  falsch  und  hohl, 
dessen  Zunge  von  Lianna  überfliesst" ,  jenen  Mammon,  den 
gemeinen  Geldteufel,  der  am  Himmel  nichts  mehr  bewundert 
als  den  Schmuck  von  Gold  und  Edelsteinen,  jenen  Beelzebub, 
den  Senator  von  gedankenschwerer  ]Miene,  der  als  ein  „Pfeiler 
des  Staates",  als  ein  „Weiser  mit  Atlantenschultern"  sich 
darstellt.  Die  grosse  Meisterschaft,  mit  der  die  ganze  höllische 
Rathsversammlung  geschildert  wird,  lässt  die  Vertrautheit  des 
Dichters  mit  dem  Gange  lebhafter  parlamentarischer  Debatten 
erkennen.     Und  in   dem    wilden   Sturm   der  gefallenen  Engel 


Gott,  Gottes  Sohn  und  die  Engel.  81 

gegen  die  „geschlossene  Phalanx"  der  himmlischen  Heer- 
schaaren  erbraust  aufs  neue  der  kecke  Angi-iff  von  Ruperts 
Reiterschaaren  gegen  die  eiserne  Schlachtreihe  der  gottbe- 
geisterten Heiligen. 

Gegenüber  der  Hölle  und  ihren  Geschöpfen  ist  der  Himmel 
mit  seinen  Bewohnern  entschieden  zu  kurz  gekommen.  Hier 
ist  die  Stelle,  an  der  ein  Poet  am  ehesten  scheitern  musste, 
den  seine  Aufgabe  dazu  verlockte,  die  höchsten  Gegenstände 
der  Theologie  sinnlich  vorzustellen,  und  in  dem  doch  der 
Theologe  zu  stark  war,  als  dass  er  hätte  wagen  können, 
seiher  anthropomorphischen  Neigung  die  Zügel  schiessen  zu 
lassen.  Das  Ergebnis  war  ein  Kompromiss,  das  die  Frommen 
nicht  befriedigen  kann  und  die  Dichtung  nicht  rettet.  Wir 
fühlen  uns  in  dem  Milton'schen  Himmel  unbehaglich  wie  auf 
dem  glatten  Parkett  eines  grossen  Palastes  und  bei  jedem 
Schritt  stossen  wir  auf  die  steife  Grandezza  einer  vornehmen 
Hofhaltung.  In  diesem  durchdufteten,  blumengeschmückten 
Räume,  in  dem  es  auch  an  reichbesetzten  Tafeln  mit  Perlen- 
glanz und  Goldgefässen  nicht  fehlt,  glaubt  man  sich  in  der 
That,  mit  einem  geistreichen  Franzosen  zu  reden,  wie  nach 
Whitehall  versetzt (^j.  Die  Hofkapelle  der  Engel  musicirt, 
und  das  sogar  „eine  ganze  Nacht  lang",  Tänze  werden  auf- 
geführt, bei  Gelegenheit  des  grossen  Staatsaktes  wird  ein 
ausserordentlicher  militärischer  Pomp  entfaltet,  alles  mit  ge- 
höriger Abstufung  von  „Hierarchieen,  Ordnungen  und  Graden". 
Gott  selbst  erscheint  nicht  in  der  lebendigen  Hoheit  der 
grossen  nationalen  Epen  oder  des  alten  Testaments,  so  manche 
einzelne  Züge  ihnen  auch  abgeborgt  worden  sind.  Er  re- 
präsentirt  wie  ein  Monarch.  Die  Etikette  Karls  I.  umgiebt 
ihn,  und  sein  Mund  tliesst  von  der  theologischen  Weisheit 
Jakob's  I.  über.  Er  ist  allmächtig  und  bespricht  sich  doch 
mit  seinem  Sohne  über  die  drohende  Gefahr,  das  Reich  zu  ver- 
lieren. Er  ist  allgütig  und  lässt  es  doch  zu,  dass  sich  seiner 
Allgüte  zum  Trotz  die  Sünde  in  seine  neue  Schöpfung  einschleicht. 
Wir  werden  noch  Gelegenheit  haben,  zu  bemerken,  in- 
wiefern Milton  bei  der  Erläuterung  des  göttlichen  Willens 
von  den  Satzungen  des  strengen  Calvinismus  abwich.    So  viel 

Stern,  Milton  u.  >.  Z.   II.   4.  6 


82  Gott,  Gottes  Sohn  und  die  Engel. 

ist  gewiss:  auch  seine  Erklärung  des  Centraldogmas  der  re- 
formirten  Kirche  kann  der  poetischen  Gestaltung  des  Gött- 
Hchen  nicht  zu  statten  kommen.  Ein  Kampf  der  höheren 
Gewalten,  über  dessen  Ausgang  man  ernstlich  zweifelhaft 
wäre,  oder  das  Walten  einer  dunklen,  selbst  vom  göttlichen 
Willen  nicht  schlechthin  abhängigen  Schicksalsmacht  ist  für 
den  Dichter  von  christlich-reformirter  Anschauung  unmöglich 
geworden.  Der  Wille  seines  Gottes  ist  das  „Fatum".  Bleibt 
auch  dem  menschlichen  Willen  gegenüber  diesem  noch  ein 
weiter  Spielraum,  der  ihm  die  Wahl  zwischen  Gut  und  Böse 
gestattet,  so  hat  doch  das  göttliche  Wesen  wenigstens  mit 
aller  Sicherheit  „vorhergewusst",  wohin  sich  diese  Wahl  neigen 
werde.  Die  ganze  himmlische  Maschinerie  kann  daher  wohl 
als  eine  Art  von  Observatorium  für  die  menschlichen  Hand- 
lungen gelten,  aber  sie  greift  recht  wirksam  in  dem  Augen- 
blick erst  in  das  irdische  Dasein  ein,  nachdem  die  entschei- 
dende That  geschehen  ist  und  die  Strafe  herausfordert. 

Man  könnte  glauben,  dieser  so  fühlbar  lückenhafte  poe- 
tische Zusammenhang  zwischen  Makrokosmos  und  Mikrokos- 
mos würde  durch  die  Gestalt  des  Messias  hergestellt,  der  sich 
als  die  schöpferische  erscheinende  Gottheit  enthüllt.  Allein 
auch  hier  wieder  sah  sich  Milton  genöthigt,  den  Anforde- 
rungen der  religiösen  Formel  die  dichterische  Wirkung  auf- 
zuopfern. Seine  Auffassung  des  göttlichen  Sohnes  entfernt 
sich  zwar  nicht  weniger  weit  vom  Standpunkt  der  Recht- 
gläubigkeit wie  seine  Auffassung  des  göttlichen  Willens,  aber 
gleichfalls  ohne  sonderlichen  Nutzen  für  die  Bedürfnisse  seiner 
Dichtung.  Man  fühlt  es,  welchen  Schaden  diese  durch  jene 
Theilung  der  Gewalten  leiden  musste.  Der  eine  väterlich 
ehrwürdige  Gott  der  Genesis  ist  verschwunden.  Für  den 
Messias,  den  „Vicekönig  des  Himmels",  muss  erst  mit  aller 
Anstrengung  ein  Feld  der  Thätigkeit  gesucht  werden.  Seine 
Gestalt  Hesse  sich  mit  Leichtigkeit  aus  dem  Gedicht  heraus- 
nehmen. Selbst  zu  der  Empörung  Satan's  und  seiner  Genossen 
hätte  sich  unschwer  ein  Motiv  erfinden  lassen,  für  das  die 
Figur  des  zu  einem  höheren  Range  erhobenen  Gottessohnes 
entbehrlich  gewesen  wäre.    Wie  einfach,  erhaben  und  doch 


Gott,  Gottes  Sohn  und  die  Engel.  —  Adam  und  Eva.  83 

persönlich  greif])ar  wirkt  nach  dem  Vorbilde  des  Buches 
Hiob  „der  Herr'-  im  Prolog  zum  Faust,  so  wenig  Worte  er 
auch  spricht.  Wie  kalt,  ceremoniell  und  abgeblasst  bleiben 
Gott  Vater  und  Gott  Sohn  bei  Milton  mit  allen  den  theolo- 
gischen Dissertationen,  die  sie  uns  zum  besten  geben.  — 
Man  wird  sich  ebenso  wenig  durch  die  verschiedenen  Engels- 
gestalten befriedigt  fühlen,  die  er  kommen  und  gehen  lässt. 
Sie  sehen  sich  alle  zum  Verwechseln  ähnlich,  kaum  dass  sich 
hie  und  da  der  Ansatz  zu  einer  individuellen  Charakteristik 
findet.  Will  der  Dichter  die  Vorgänge  und  die  Gestalten  des 
Himmels  unserem  Verständnisse  näher  bringen,  so  weiss  er 
wenig  besseres  zu  thun,  als  auf  antike  Vorbilder  zurückzu- 
greifen. Die  Himmelsspeise  ist  Nektar  und  Ambrosia,  der 
Kampf  mit  den  rebellischen  Engeln  nimmt  die  Formen  des 
Titanenkampfes  an,  und  Raphael,  im  Begriff,  zum  Paradiese 
hinabzufliegen,  sieht  sich  herrlich  an  „wie  Maja's  Sohn". 

Milton  täuscht  sich  nicht  darüber,  welches  sein  „Heimat- 
element" sei,  weder  die  Hölle  noch  der  Himmel,  sondern  die 
Erde.  Hier  fühlt  man  sieh,  nachdem  man  die  unteren  und 
oberen  Regionen  an  seiner  Hand  durchwandelt  hat,  mit  ihm 
zu  Hause.  In  den  sprachbegabten  Bewohnern  dieser  kleinen 
Welt  erkennt  man  mit  Freude  seines  gleichen.  Wenn  alle 
übrigen  Theile  des  Milton'schen  Epos  veralten  sollten,  das 
anmuthige  Idyll  des  paradiesischen  Lebens,  das  durch  den 
Gegensatz  zu  den  beiden  anderen  Schauplätzen  der  Handlung 
noch  mehr  gehoben  wird,  würde  immer  im  frischen  Glänze 
ewiger  Jugend  strahlen.  Der  Dichter  kann  es  bei  dieser 
Schilderung  des  seligen,  unschuldigen  Daseins  mit  den  grossen 
Meistern  anderer  Künste  dreist  aufnehmen,  mag  er  nun  ein 
wundervolles  Bild  üppiger  Landschaft  entwerfen  oder  das  erste 
Menschenpaar  inmitten  dieser  Schönheit  und  Frieden  athmen- 
den  Umgebung  uns  vor  Augen  führen.  Man  glaubt  die  un- 
sterblichen, reinen  Klänge  der  Haydn'schen  Schöpfung  zu 
hören,  wenn  Adam  und  Eva,  vom  Satan  belauscht,  zuerst  in 
die  Erscheinung  treten,  die  beiden  „edlen  Gestalten,  aufrecht, 
schlank,  mit  angeborner  Würde  angethan,  in  nackter  Ma- 
jestät". 


84  Adam  und  Eva. 

Sein  Wesen  ernstes  Denken,  tapfre  That, 

Ihr  Wesen  milde  Anmuth,  süsser  Reiz, 

Er  nur  für  Gott,  und  sie  für  Gott  in  ihm. 

Sein  kühner  Blick,  die  schöne  hohe  Stirn 

Verkündeten  den  Herrscher.     Kraus  und  dicht 

Hieng  von  dem  Scheitel  ihm  das  dunkle  Haar 

Bis  auf  der  Schultern  breiten  Bau  herab. 

Ihr  flössen  goldne  Locken,  luftig,  frei 

In  losen  Ringeln  ohne  fremden  Schmuck, 

Gleich  einem  Schleier  um  die  schlanke  Hüfte  .  .  . 

Sie  giengen  Hand  in  Hand;  ein  hold'res  Paar 

Hat  nie  seitdem  in  Liebe  sich  umarmt. 

Adam,  der  schönste  seiner  Menschensöhne, 

Und  Eva  ihrer  Töchter  lieblichste. 

Es  sind  ein  paar  Naturkinder,  Ideale  von  Schönheit, 
Gesundheit  und  Naivetät,  etwa  so,  wie  sich  das  achtzehnte 
Jahrhundert  die  ßlücklichen  Bewohner  der  Südseeinseln  aus- 
zumalen liebte.  Oder  vielmehr  sie  sollten  es  sein,  wenn  nicht 
der  Dichter  selbst  allzu  häufig  einen  Strich  durch  die  Rech- 
nung machte  und  die  Anschauungen,  welche  ihm  und  seinem 
Zeitalter  eigen  sind,  auf  das  Paradies  zu  übertragen  sich  ge- 
drungen fühlte. 

Allerdings  wird  es  immer  bewundernswerth  bleiben,  mit 
welcher  Feinheit  er  gewisse  allgemein  menschliche  Züge,  und 
eben  solche,  die  zur  unterscheidenden  Charakteristik  des 
Seelenlebens  der  beiden  Geschlechter  dienen,  zu  treffen  ge- 
wusst  hat.  Es  ist  .ihm  vorzüglich  gelungen ,  den  Forschungs- 
trieb, den  Thatendrang  und  die  Selbstbeherrschung  des  Mannes 
in  Gegensatz  zu  der  grösseren  Genügsamkeit,  Empfänglichkeit 
und  Nervosität  des  Weibes  zu  stellen.  Adam's  erstes  Ge- 
schäft, nachdem  er  zum  Dasein  erwacht,  ist,  den  Himmel  zu 
betrachten,  aufzuspringen  und  Land  und  Thiere  ringsum  in 
Augenschein  zu  nehmen.  Eva  blickt  zuerst  in  den  Spiegel 
eines  klaren  Teiches  und  freut  sich  ihres  reizenden  Bildes. 
Adam  kann  sich  nicht  satt  hören  an  dem  Bericht  von  fremden 
Dingen,  den  ihm  der  Erzengel  Raphael  ertheilt.  Eva  „spart 
sich  den  Genuss,  bis  Adam  Erzähler  sei,  sie  einz'ge  Hörerin; 
sein  Wort  zog  sie  des  Engels  Worten  vor".  Adam  verstummt 
vor  Schmerz,  als  er  vernimmt,  dass  die  Verbannung  aus  dem 


Adam  und  Eva.  85 

Paradiese  unabwendbar  sei.  Eva  verrath  durch  lautes  Jam- 
mern das  Versteck,  in  dem  sie  die  Botschaft  gehört  hat. 
Diese  Züge  werden  wegen  ihrer  psychologischen  Wahrheit 
zu  allen  Zeiten  ansprechen,  andere  indessen,  die  dem  Bilde 
des  ersten  Menschenpaares  angehören,  werden  den  modernen 
Leser  abstossen.  Mit  so  lebhaften  Farben  IMilton  das  Glück 
ihres  Zusammenseins  schildert,  so  lässt  er  doch  darüber  keinen 
Zweifel  aufkommen,  dass  er  das  Weib  für  ein  Wesen  von 
untergeordnetem  Range  hält.  Er  sagt  es  ausdrücklich:  die 
beiden  Geschöpfe  stehen  sich  „nicht  gleich".  Er  versäumt 
keine  Gelegenheit,  diesen  Gedanken  eindringlich  zu  wieder- 
holen. Eva  äussert  sich  gegenüber  Adam  mit  einer  Unter- 
würfigkeit, die  freilich  so  ernst  nicht  gemeint  ist,  von  ihm 
aber  doch  als  baare  Münze  angenommen  wird.  Die  himm- 
lischen Besucher  des  Paradieses  behandeln  sie  sämmtlich  mit 
ausgesuchter  ünhöflichkeit.  Alles,  was  sie  reizend  und  un- 
widerstehlich macht,  die  Schönheit  ihrer  Erscheinung,  die 
Schmeichelkunst  ihrer  Rede,  bildet  nur  die  Folie  zu  ihrer 
Schwäche,  welche  die  beständige  Führung  des  Mannes  erfor- 
dert. Der  puritanische  Republikaner  Milton  begegnet  sich 
in  diesem  Punkte  mit  dem  ultramontanen  Legitimisten  Bonald. 
Man  wird  nicht  irre  gehn,  wenn  man  in  der  herben  Beur- 
theilung  des  weiblichen  Geschlechts  eine  Nachwirkung  eigener 
Lebenserfahrungen  des  Dichters  erblickt.  Seitdem  er  die 
erste  Schrift  über  die  Ehescheidung  geschrieben  hatte,  stand 
seine  Meinung  hierüber  fest.  In  seinem  theologischen  Traktate, 
mit  dem  er  sich  bis  gegen  das  Ende  seines  Lebens  beschäf- 
tigte, nahm  er  keinen  Anstand,  sie  in  aller  Schärfe  zu  wieder- 
holen. Aber  man  muss  zu  gleicher  Zeit  bedenken,  wie  sehr 
sein  Thema  dieser  Auffassung  entgegen  kam.  Nach  der  Bibel 
war  das  Weib  geschaffen,  um  eine  „Gehülfin"  des  Mannes  zu 
sein.  Es  war  das  Weib,  welches  der  Versuchung  der  Schlange 
erlag.  Des  Weibes  Wille  wurde  ausdrücklich  von  Gott  dem 
Willen  des  Mannes  „unterworfen".  Kein  Wunder,  wenn 
Milton  hierin  eine  Bestätigung  seiner  eigenen  Lleen  fand  und 
gleichsam  gezwungen  wurde,  sich  in  ihnen  zu  bestärken. 

Es  wird  noch  etwas  anderes  zu  erwägen  sein ,  um  der 


gß  Adam  und  Eva. 

Zeichnung  der  ersten  Menschen,  wie  sie  Milton  gefallen  hat, 
vollkommen  gerecht  zu  werden.  Er  unternahm  es,  mensch- 
liche Wesen  zu  schildern,  deren  Vergangenheit  beinahe  einem 
unbeschriebenen  Blatte  glich,  deren  Blicke  nie  über  die  Gren- 
zen ihres  schönen  Gartens  hinausgeschweift  waren,  deren  Er- 
innerungen beschränkter  waren  als  die  eines  Kindes.  Mit 
ihnen  fieng  die  Geschichte  der  Menschheit  an.  Sie  zuerst 
hatten  die  Erfahrungen  der  einfachsten  Vorgänge  ihres 
eigenen  Lebens  und  der  sie  umgebenden  Natur  zu  machen. 
Wie  schwierig  musste  es  sein,  nur  ihrem  Ges'präche  die  rich- 
tige Färbung  zu  geben,  nur  für  ihre  tägliche  Beschäftigung 
von  allen  Voraussetzungen  abzusehn,  die  für  den  paradiesi- 
schen Bildungszustand,  wenn  das  Wort  erlaubt  ist,  zu  hoch 
gegriffen  gewesen  wären.  Hier  hätte  ein  Homer  bei  jedem 
Schritte  straucheln  müssen,  man  darf  einem  Milton  nicht  übel 
nehmen,  wenn  sein  Gang  unsicher  wird.  Er  war  sich  dieser 
bedenklichen  Seite  seiner  Aufgabe  wohl  bewusst,  bei  keiner 
Stelle  mehr,  als  wo  der  Erzengel  seinen  Gastfreunden  vom 
Kampf  um  den  Himmel  erzählt.  Er  lässt  ihn  sagen,  dass  er 
versuchen  müsse,  „Himmlisches  mit  irdischem  Masse  zu  mes- 
sen", aber  was  konnte  diese  Herablassung  seinen  Zuhörern 
nützen,  für  welche  die  Begriffe  Standarte  und  Streitwagen 
wie  so  viele  andere  erst  einer  weitläuftigen  Erklärung  bedurft 
hätten,  da  sie  auch  mit  „irdischem  Masse"  für  sie  nicht  mess- 
bar waren.  ]\Ian  wird  einen  ähnlichen  Einwand  machen,  wenn 
Adam  sich  danach  sehnt,  in  der  Erde  zu  ruhn,  wie  ,,in  seiner 
Mutter  Schooss",  er,  der  keine  Mutter  gehabt  hat,  oder  wenn 
Eva  vorschlägt,  die  üppigen  Gebüsche  ,,zu  beschneiden'",  sie, 
deren  Hausrat  so  geringfügig  ist,  dass  sie  sich  die  Thränen 
mit  ihren  blonden  Locken  trocknen  muss.  Beständig  drängt 
sich  die  Unmöglichkeit  auf,  vom  historischen  Menschen  zu  ab- 
strahiren  und  sich  in  einen  reinen  Naturzustand  zu  versetzen. 
Allein  es  wäre  eben  so  pedantisch,  Milton  deshalb  einen 
Vorwurf  zu  machen,  wie  sich  darüber  aufzuhalten,  dass  er  das 
Problem  der  Entstehung  der  Sprache  in  derselben  naiven 
Weise  gelöst  sein  lässt  wie  die  Bibel.  Die  ästhetische  Wir- 
kung wird  dadurch  nicht  berührt.    Sobald  aber  dies  in  Folge 


Adam  und  Eva.  87 

des  Hineintragens  fremder  Begriffe  der  Fall  ist,  werden  wir 
den  Dichter  verantwortlich  machen.  Es  geht  nun  freilich  zu 
weit,  wenn  man  in  Adam  den  ehrenfesten  Wähler  seiner  Graf- 
schaft, das  whigistische  Mitglied  des  Hauses  der  Gemeinen, 
in  Eva  das  Muster  der  wackeren,  auf  Haus  und  Hof  bedach- 
ten Landlady  hat  finden  wollen,  obw^ohl  dem  Bilde  der  ersten 
Menschen  von  dem  englischen  Dichter  einige  nationale  Züge 
ganz  natürlich  beigemischt  worden  sind.  Hätte  er  es  indessen 
nur  bei  diesen  bewenden  lassen,  w^ürfe  er  den  nackten  Ge- 
stalten der  unschuldigen  Kinder  nicht  dann  und  wann  den 
faltigen,  schwarzen  Talar  um  die  Schultern,  drückte  er  ihnen 
nicht  von  Zeit  zu  Zeit  die  viereckige  Kappe  aufs  lockige 
Haupt,  so  dass  sie  sich  in  dieser  Verkleidung  wie  Baccalaurei 
von  Oxford  und  Cambridge  geriren,  um  mit  einer  Weisheit 
und  mit  einem  Eifer,  die  auf  das  Katheder  passen  würden, 
diese  und  jene  These  zu  verfechten!  Vor  allem  Adam  leistet 
in  dieser  Verkleidung  das  Stärkste.  Er  docirt  gegenüber 
Gott  über  die  Un Vollkommenheit  des  Junggesellenlebens,  ge- 
genüber dem  Erzengel  Raphael  über  die  Freiheit  des  Willens, 
gegenüber  Eva  über  die  Unwürdigkeit  des  Müssigganges,  über 
die  Vortrefflichkeit  eines  haushälterischen  Weibes,  über  die 
gefährlichen  Wirkungen  der  Phantasie,  über  die  höheren 
Zwecke  der  Liebe  und  über  was  sonst  nicht. 

Alles  zusammengefasst :  die  Charakteristik  der  handelnden 
Personen  des  verlorenen  Paradieses  bleibt  hinter  dem  Aufbau 
der  Handlung  an  Reichthum  und  Folgerichtigkeit  bedeutend 
zurück.  Die  Gestalten  der  Hölle  werden  am  besten,  diejenigen 
des  Himmels  am  wenigsten  gelungen  erscheinen.  Die  Men- 
schen stehn  auch  hier  in  der  Mitte,  sie  werden  das  Auge  oft 
im  höchsten  Grade  entzücken,  oft  im  höchsten  Grade  er- 
müden. — 

Von  der  Fabel  wie  von  den  Charakteren  des  Gedichtes 
mag  eine  wenn  auch  leichthingewoifene  Skizze  einigermassen 
einen  Begriff  geben.  Diejenigen  seiner  Schönheiten,  welche 
ihm  recht  eigentlich  sein  episches  Gepräge  verleihen,  können 
nur  gewürdigt  werden,  wenn  man  sich  die  lohnende  Mühe 
nimmt,  das  Werk  in  der  Ursprache  zu  studiren.    So  mächtig 


38  Das  epische  Element. 

das  dramatische  Element  in  ihm  hervortritt,  so  kommt  doch 
auch,  wie  man  bemerkt  haben  wird,  das  deskriptive  durch- 
aus zu  seiner  Geltung.  In  den  grandiosen  und  lieblichen 
Schilderungen,  in  Bildern  und  Vergleichen  von  unerhörter 
Grossartigkeit  und  Mannichfaltigkeit,  in  der  Erfindung  der 
kühnsten  und  wirksamsten  Allegorieen  feiert  die  Phantasie 
des  Dichters  ihre  höchsten  Triumphe.  Das  Alter  hat  ihr 
nichts  an  Kraft  entzogen,  die  Blindheit  hat  ihr  nichts  an 
Feuer  genommen.  Ja  man  darf  vielleicht  sagen,  dass,  was 
das  Unglück  des  Menschen  war,  dem  Dichter  hie  und  da  zu 
statten  gekommen  ist.  Wenn  sich  so  auffallend  viele  Stellen 
in  dem  verlorenen  Paradiese  vorfinden,  in  denen  Lichtwirkun- 
gen der  verschiedensten  Art  und  Abstufung  mit  ausserordent- 
lichem Glück  aufs  feinste  ausgemalt  und  poetisch  verwendet 
werden,  so  wird  man  zu  der  Frage  gedrängt,  ob  nicht  manche 
dieser  berühmten  Verse  eben  der  Blindheit  ihres  Autors  zu 
verdanken  sein  mögen.  Er  schilderte  den  Glanz  der  Sonne, 
den  Schiinmer  des  Mondes,  die  Gluth  emporlohender  Flammen 
und  das  Farbenspiel  bunter  Blumen  nicht  mit  dem  Behagen 
dessen,  dem  jeder  Tag  diesen  Anblick  gewähren  kann,  son- 
dern mit  der  Sehnsucht  dessen,  dem  dieser  Anblick  auf  immer 
geraubt  ist.  Umgeben  von  undurchdringlicher  Nacht ,  suchte 
er  sich  in  einer  Art  schmerzlicher  Lust  gerade  diejenigen 
Bilder  zurückzurufen,  welche  den  grössten  Gegensatz  zu  diesem 
Dunkel  ausmachten.  Allein  diese  gezwungene  Abgeschieden- 
heit von  der  Aussenwelt  hatte  noch  einen  anderen  Vortheil. 
Ungestört  durch  den  zerstreuenden  Eindruck  der  Gegenstände 
des  täglichen  Lebens,  erhob  sich  der  Dichter  zu  den  unge- 
wohntesten und  umfassendsten  Vorstellungen.  Der  übliche 
Mass-Stab  war  ihm  abhanden  gekommen.  Ein  grenzenloses 
Gebiet  that  sich  vor  seinem  geistigen  Auge  auf,  um  sich  jeder 
beliebigen  Eintheilung  und  Füllung  zu  fügen.  So  baut  er 
über  dem  unermesslichen  Chaos  den  unermesslichen  Himmel 
auf.  So  lässt  er  nach  Niederwerfung  der  Empörung  Sa- 
tan's  ein  Stück  des  Chaos  als  Sitz  der  Hölle  ausscheiden,  ein 
anderes  durch  den  göttlichen  Schöpfungsakt  zu  dem  gebildet 
werden,  was  uns  das  Weltall  ist.     Und  doch  erscheint  dieses 


Kopernikanisches  oder  ptolemäisches  System?  89 

Universum  mit  allen  seinen  unzählbaren  Gestirnen  dem  Satan 
von  ferne  nicht  grösser  als  uns  einer  der  kleinsten  Sterne. 
Selten  hat  die  Einbildungskraft  eines  Dichters  der  sinnlichen 
Anschauung  etwas  ähnliches  zugemuthet. 

Hier  entsteht  nun  die  Frage,  zu  welchem  astronomischen 
Systeme  sich  Milton  bekannt  habe,  und  ob  es  dasselbe  sei, 
welches  er  der  Maschinerie  seines  Gedichtes  zu  Grunde  ge- 
legt hat.  Darüber,  dass  dieses  das  ptolemäisch-alphonsinische 
war,  kann  für  den  aufmerksamen  Leser  des  Werkes  kein 
Zweifel  übrig  bleiben.  Eine  Anzahl  von  Stellen  beweist  es, 
und  es  sind  eben  solche,  in  denen  der  Dichter  nicht  etwa 
andere  sprechen  lässt,  sondern  selbst  das  Wort  nimmt  (\). 
Aber  es  wäre  ebenso  voreilig,  daraus  schliessen  zu  wollen, 
dass  er  von  der  Richtigkeit  dieses  Systems  überzeugt  gewesen 
wäre,  wie  gelegentliche  poetische  Phrasen  vom  guten  und 
bösen  Einfluss  der  Gestirne  zu  benutzen,  um  ihn  zu  einem 
Anhänger  der  Astrologie  zu  stempeln.  i\Ian  ]>edenke,  welcher 
Aufgabe  er  sich  gegenüber  befand.  Seine  nächste  Vorlage 
war  auch  hier  das  alte  Testament.  Von  dessen  Schöpfungs- 
geschichte durfte  er  so  wenig  wie  möglich  abweichen,  wenn 
er  die  theologische  Grundlage  seines  Werkes  nicht  überhaupt 
zertrümmern,  das  Auge  seiner  bibelkundigen  Leser  nicht  aufs 
schwerste  beleidigen  wollte.  Mit  welchem  Systeme  Hess  sich 
aber  die  biblische  Kosmologie  besser  verbinden:  mit  dem- 
jenigen, das  erst  eben  im  Begriife  war,  dem  kopernikanischen 
den  Platz  zu  räumen  oder  mit  diesem,  das  noch  keineswegs 
zu  den  Schätzen  des  allgemeinen  Bewusstseins  gehörte?  Ln 
verlorenen  Paradiese  mussten  nothwendig  Sonne,  Mond  und 
Sterne  zum  Nutzen  der  Erde  gemacht  sein,  musste  die  Erde 
nothwendig  als  jMittelpunkt  der  ., neuen  Schöpfung"  gedacht 
werden,  da  sie  und  ihre  menschlichen  Bewohner  auch  im 
Mittelpunkte  des  gesammten  Interesses  standen.  Auf  diese 
Weise  liess  sich  durch  die  sinnlichsten  Mittel  ein  leichtfass- 
licher  und  greifbarer  Zusammenhang  zwischen  den  einzelnen 
Theilen  des  poetischen  Universums,  Hölle,  Chaos,  Welt  und 
Himmel,  herstellen.  Auf  diese  Weise  wurde  ferner  am  besten 
Raum  gewonnen  für  die  Anlage  jenes  „Narrenparadieses",  mit 


9Q  Kopernikanisches  oder  ptolemäisches  System? 

dessen  luftigen  Gestalten  sich  im  Verlaufe  der  Menschheitsge- 
schichte die  äussere  Oberfläche  der  letzten  Sphäre  füllen 
sollte.  Auch  dieses  war  nur  eine  Ausgeburt  der  Phantasie, 
auch  hierauf  Hesse  sich  das  Goethe'sche  „Willst  du  Dichter 
ganz  verstehn,  musst  in  Dichters  Lande  gehn"  mit  vollem 
Rechte  anwenden.  Aber  mit  demselben  Rechte  gilt  es  für  die 
ganze  Kosmologie,  zu  der  sich  Milton  aus  poetischen  Gründen 
verstand. 

Er  lässt  es  indess  an  deutlichen  Fingerzeigen  in  Betreff  sei- 
ner wahren  Ansicht  nicht  fehlen.  Es  ist  doch  sehr  bemerkens- 
werth,  wie  fast  an  jeder  Stelle  des  Gedichtes,  wo  ein  natur- 
wissenschaftlicher Zweifel  sich  vordrängen  kann,  gleichsam  zur 
Beschwichtigung  desselben,  ein  abschwächender  oder  erläu- 
ternder Zusatz  gemacht  wird.  Als  von  den  klimatischen 
Veränderungen  die  Rede  ist,  die  nach  dem  Sündenfall  in  Folge 
der  eintretenden  Schiefe  der  Ekliptik  fühlbar  werden,  heisst 
es  ausdrücklich,  dass  diese  Neuerungen  nicht  plötzlich,  son- 
dern „langsam"  erfolgt  seien.  Als  Satan  durch  unzählbare 
Sterne  auf  die  Sonne  zufliegt,  sind  diese  Sterne  nicht  einfach 
am  Firmament  aufgehängte  Lampen,  sondern  „andere  Welten", 
von  deren  Bewohnen!  indessen  nichts  Näheres  gesagt  wird,  da 
Satan  die  Glücklichen  nicht  heimsucht.  Adam  „scheint  es" 
nur  so,  als  ob  die  Leuchten  des  Himmels  ausschliesslich  für 
die  Bedürfnisse  der  Erde  bestimmt  seien ,  aber  er  ist  nicht 
ganz  gewiss  darüber.  Und  in  derselben  zweifelnden  Weise  wer- 
den das  alte  und  das  neue  astronomische  System  nebeneinander 
gestellt,  als  Uriel's  Reise  auf  einem  Strahl  der  Sonne  zu  er- 
wähnen ist.  Am  stärksten  drängt  sich  indessen  jenes  Ge- 
spräch zwischen  Raphael  und  Adam  der  Beachtung  auf,  in 
welchem  die  Grundzüge  der  beiden  Systeme  entwickelt  werden 
(s.  0.  B.  L  279).  Es  ist  im  höchsten  Grade  bewundernswerth, 
wie  der  Dichter  durch  ungezwungene  Einflechtung  dieser 
Stelle  die  grosse  Schwierigkeit  überwunden  hat,  die  darin  ge- 
legen war,  jene  ihm  unentbehrliche  Maschinerie  beizubehalten 
und  doch  durchschimmern  zu  lassen,  dass  auch  sie  in  späterer 
Zeit,  wenn  Zweifel  und  Forschen  unwiderruflich  an  Stelle  des 
gläubigen  Vertrauens  treten  werde,  mit  dem  „verlorenen  Pa- 


Kopernikanisches  oder  ptolemäisches  System?  91 

radies"  ferloren  gehen  müsse.  Zu  gleicher  Zeit  aber  gab  er 
seiner  eigenen  Meinung  einen  ziemlich  unverblümten  Ausdruck. 
Es  wäre  höchst  unpassend  gewesen,  sich  durch  den  Mund 
des  Erzengels  etwa  mit  der  Bestimmtheit  zu  äussern,  die  sich 
Davenant  in  seinem  Gondibert  gestatten  durfte  (0.  Aber  der 
Spott,  mit  dem  alle  jene  vergeblichen  Anstrengungen  verlacht 
werden,  die  Schäden  der  alten  Lehre  auszuflicken,  ist  zu 
bitter,  als  dass  es  ferner  erlaubt  wäre,  ]\Iilton  unter  ihre  auf- 
richtigen Verehrer  zu  zählen.  Ja  eine  Wendung  kommt  in 
dieser  Auseinandersetzung  des  Erzengels  Raphael  vor,  die  mir 
zu  beweisen  scheint,  dass  Milton  viel  tiefer  in  die  naturwis- 
senschaftlichen Forschungen  seiner  Zeit  eingedrungen  war  als 
man  gewöhnlich  annimmt.  Er  begnügt  sich  nämlich  nicht, 
von  einer  ,,dreifachen  Bewegung"  der  Erde  zu  sprechen  (^). 
Er  wirft  YIII.  122  ff",  die  Frage  auf,  denn  anders  lassen  sich 
seine  Worte  nicht  verstehn,  ob  nicht  eine  gegenseitige 
Anziehung  der  Sonne,  als  des  Mittelpunktes  der  Welt,  und 
der  anderen  Gestirne  stattlinde. 

AYhat  if  the  suu 

Be  eentre  to  the  world  aud  other  stars, 
By  his  attractive  virtue  and  their  own 
Incited,  dance  about  him  various  rounds. 

So  schreibt  er  zwei  Jahrzehnte  vor  dem  Erscheinen  von  Xew- 
ton's  „Principia". 

Man  sieht:  es  war  nicht  allein  die  Erinnerung  an  Ga- 
lilei, die  in  Milton  nachwirkte.  Er  hatte  auch  nicht  ohne 
Gewinn  den  Umgang  so  mancher  der  Männer  genossen,  die 
zu  den  Mitgliedern  der  Royal  Society  gehörten.  Mögen  sich 
in  seinen  Jugendgedichten  Ausdrücke  vorfinden,  welche  be- 
weisen, dass  er  damals  noch  in  den  mittelalterlichen  An- 
schauungen der  Sternkunde  befangen  war,  in  seinen  späteren 
Jahren  hatte  er  sich  nicht  nur  aus  diesen  herausgearbeitet, 
sondern  er  hatte  auch,  soweit  das  einem  theilnehmenden  Laien 
möglich  war,  für  die  grösste  naturwissenschaftliche  Idee  seiner 
Epoche  Verständnis  gewonnen.  Ueber  die  blosse  Skeptik 
Bacon's,  dessen  Anregung  er  sonst  so  viel  verdankte,  war  er 
weit  hinausgeschritten,   und  dennoch  durfte  er  es  wagen,  an 


92  Das  lyrische  Element. 

einer  poetischen  Illusion  festzuhalten,  an  der  vielleitht  selbst 
Bacon  Anstoss  genommen  haben  würde  (^).  Er  durfte  es,  weil 
sein  Zeitalter  doch  nur  eine  geringe  Anzahl  von  Köpfen  be- 
sass,  in  denen  hinlängliche  Klarheit  herrschte,  um  durch  den 
frommen  Betrug  des  Dichters  verletzt  werden  zu  können.  Die 
grosse  Masse  war  den  Fortschritten  der  Forschung  noch  nicht 
gefolgt,  die  allgemeinen  Vorstellungen  bewegten  sich  höchstens 
in  einem  unsicheren  Dämmerlicht,  und  zwischen  Theologie 
und  Wissenschaft  eine  Grenze  zu  ziehn,  mochte  den  wenigsten 
möglich  werden.  Aber  man  wird  sagen  dürfen,  dass  für  einen 
Versuch  der  Art,  wie  ihn  Milton  unternahm,  nie  wieder  die 
Möglichkeit  gegeben  worden  ist.  Jeder  spätere  Dichter  hatte 
in  einem  ähnlichen  Fall  mit  dem  wissenschaftlichen  Gemein- 
gefühl seiner  Zeit  zu  rechnen,  und  es  war  ihm  nicht  erlaubt, 
sich  ungestraft  in  AYiderspruch  mit  ihm  zu  versetzen. 


Ein  geistreicher  Bewunderer  des  Milton'schen  Gedichtes 
hat  die  Bemerkung  gemacht,  dass  es  gleichsam  die  vier  para- 
diesischen Ströme  der  Poesie  in  sich  aufnehme,  die  man  den 
vier  Almen  des  Stromes  von  Eden  vergleichen  kann.  Haben 
wir  auf  die  starken  dramatischen  Züge  hingewiesen,  die  trotz 
der  epischen  Grundform  sich  vordrängen,  so  dürfen  wir  über 
die  vorwiegend  lyrischen  und  didaktischen  Elemente,  die  das 
verlorene  Paradies  enthält,  nicht  hinwegsehn.  Es  giebt  in  der 
That  keinen  Gesang  dieses  Buches,  der  dem  Leser  nicht  die 
ehrwürdige  Gestalt,  den  edlen  Charakter  des  Dichters  vor 
Augen  führte.  Was  er  jemals  genossen  und  gelitten,  was  er 
ersehnt  und  entbehrt  hatte,  die  Ideale  des  Jünglings,  die 
Kämpfe  des  Mannes,  die  Enttäuschungen  des  Greises,  Ur- 
theile  über  Menschen  und  Dinge,  Erfahrungen  des  häuslichen 
und  politischen  Lebens,  Worte  bitterer  Satire  und  Sprüche 
ruhiger  Weisheit:  das  alles,  für  jeden  theilnehmenden  Leser 
unvergesslich ,  war  in  die  Verse  seines  Gedichtes  verwoben. 
Auch  er  konnte  in  mehr  als  einem  Sinne  sagen,  dass  er  sein 
Paradies  verloren  habe,  und  Trauer  bildet  den  Grundton  sei- 
ner Leier.    Er   ruft  das  „heilige  Licht''  au,    die  „Erstgeburt 


Das  lyrische  Element.  93 

des  Himrfiels,  gleich  ewig  mit  dem  Ewigen",  aber  nur  um 
sich  zu  erinnern,  dass  es  ihm  nicht  mehr  leuchtet : 

Wohl  wiederkehrt 
Der  Jahreszeiten  Lauf;  mir  kehrt  kein  Tag 
Zurück,  kein  Morgen-  und  kein  Abendroth, 
Nicht  süsse  Frühlingsblüthcn,  nicht  die  Rose 
Des  Sommers  und  der  Heerden  muntres  Spiel, 
Mir  lacht  der  Menschen  göttlich  Antlitz  nicht. 

Er  weiss,  dass  er  nicht  auf  den  Beifall  der  Menschen  zu 
rechnen  hat,  er,  das  Mitglied  der  besiegten  Partei,  im  Wider- 
streit mit  den  herrschenden  Mächten  und  mit  dem  herrschen- 
den Geschmack: 

In  bösen  Tagen,  unter  bösen  Zungen, 
Von  Finsternis,  Gefahr  und  Einsamkeit 
Umringt. 

Mitunter  beschleichen  ihn  rührende  Zweifel  an  der  Kraft  sei- 
nes Genius: 

üb  nicht 
Die  stumpfgeword'ne  Zeit,  das  kalte  Land, 
Des  Alters  schwerer  Druck  die  Schwingen  lähmt. 

Aber  immer  wieder  erhebt  ihn  eine  heldenmüthige  An- 
strengimg über  die  melancholischen  Gedanken  und  den  Schmerz 
herber  Enttäuschungen  empor.  Er  fühlt  „das  schönere  Para- 
dies" in  sieh  selbst.  Je  dunklere  Nacht  ihn  umfängt,  desto 
heller  strahlt  ihm  „das  himmlische  Licht  im  Inneren".  Je 
weniger  Hörer  er  für  sein  Lied  zu  finden  erwartet,  desto 
stolzer  ist  er  darauf,  dass  sie  würdig  seien,  es  zu  vernehmen. 
Mit  den  grossen  blinden  Sängern  und  Sehern  der  Vorzeit  will 
er  wetteifern  : 

Begeistert  von  Gedanken,  die  sich  selbst 
Zu  Mass  und  Wohllaut  fügen,  wie  versteckt 
Aus  dichtestem  Gebüsch,  im  Dunkel  wach, 
Die  Nachtigall  ihr  Lied  erschallen  lässt.  — 

Der  Vergleich  war  schön,  aber  er  war  nicht  erschöpfend. 
Die  Muse  Milton's  war  zu  feurig  und  zu  streitbar,  um  sich  dabei 
zu  begnügen,  das  schmachtende  Lied  der  Nachtigall  nachzu- 
ahmen, Sie  stimmte  eben  so  oft  den  alten  Schlachtgesang 
an,   der   die   zersprengten  Kampfgenossen   um   die   zerfetzte 


g^  Puritanische  Tendenz. 

Fahne  sammeln  und  zum  Trotz  der  übermüthigeu  Sieger  weit- 
hin erschallen  sollte.  Man  brauchte  nicht  lange  zu  suchen, 
um  die  „frechen  :\Iiethlinge  der  Kirche"  zu  finden,  die  „jedes 
Gewissen  mit  weltlichem  Zwang  binden  wollten".  Man  hatte 
nur  nach  Whitehall  zu  gehn,  um  ,.das  erkaufte  Lächeln  feiler 
Dirnen*'  zu  erblicken  oder  den  „rohen  Lärm"  der  tobenden 
Bacchanten  zu  hören. 

Die  Zelte,  die  so  reizend  schienen,  sind 

Der  Bösen  Wohnungen,  in  ihnen  haust 

Des  Brudermörders  Stamm.     Wohl  sind  sie  klug, 

Bedacht  auf  Künste,  die  das  Leben  schmücken, 

Doch  ihres  Schöpfers,  der  sie  klug  gemacht 

Vergessen  sie,  verachten  seine  Gaben . . . 

Du  sähest  jene  schöne  Frauenschaar, 

Göttinnen  gleich,  so  schmeichelnd,  fröhlich,  hold. 

Doch  jeder  Ehre  baar,  mit  der  geschmückt 

Das  Weib  des  Hauses  edle  Zierde  wird, 

Erzogen  nui"  für  Sinuenlust  und  Tand 

Zu  fi-echem  Tanz  und  lüsternem  Gesang, 

Zum  Zungendreschen  und  zum  Augeuspiel. 

Für  sie  wird  jener  ernste  Männerstamm, 

So  fromm,  dass  man  sie  Gottes  Söhne  hiess. 

Die  Tugend  schmählich  opfern  und  den  Euhm. 

Besiegt  vom  buhlerischen,  süssen  Reiz 

Gottloser  Schönen,  schwimmen  sie  in  Lust. 

Jetzt  lachen  sie  —  bald  schwemmt  die  Fluth  sie  weg, 

Und  einen  Strom  von  Thränen  weint  die  Welt. 

Es  ist  der  Erzengel  Michael,  der  diese  Worte  an  Adam  rich- 
tet, indem  er  ihm  die  Verbindung  derer,  welche  als  „Söhne 
Gottes"  erschienen  waren,  mit  den  Töchtern  Kain's  vorführt. 
Aber  jeder  fühlt,  dass  der  Dichter  auch  seine  eigene  Zeit  im 
Auge  hat,  die  Lockerung  von  Zucht  und  Sitte,  für  welche  die 
höheren  Stände  das  Beispiel  gaben,  die  Herrschaft  leichtfer- 
tiger Schönen,  die  mitunter  erst  aus  dem  Ausland  eingedrun- 
gen waren,  die  Verweichlichung  englischer  Männer,  die  erst 
wenige  Jahre  vorher  unter  dem  Scepter  puritanischer  Strenge 
gestanden  hatten.  Und  so  bricht  au  zahlreichen  Stellen  des 
Gedichtes  die  religiöse,  politische  oder  ethische  Tendenz  der 
besiegten  Partei  durch,  sei  es  im  Lobe  des  improvisirten  Ge- 


Das  didaktische  Element.    Die  Weltanschauung.  95 

betes  der  ersten  Menschen  oder  in  der  Verweisung  des  mön- 
chischen „Plunders"  in's  Narrenparadies,  in  der  Anempfehlung 
des  Masshaltens  beim  Genuss  oder  in  den  Ausfällen  gegen 
„fürstlichen  Pomp  und  goldbetresste  Schranzen",  So  oft  die 
Fragen  von  Befehl  und  Gehorsam,  Herrschen  und  Dienen  be- 
rührt werden,  erkennt  man  den  Verfasser  des  Bilderstürmers 
und  der  Vertheidigung  des  englischen  Volkes  wieder.  Er 
hält  die  Grundsätze  aufrecht,  die  er  damals  verfochten  hat, 
und  wenn  einer  der  gefallenen  Engel  seine  Genossen  auffor- 
dert, „die  harte  Freiheit  dem  leichten  Joch  glänzenden  Dien- 
stes vorzuziehen",  so  scheint  der  Gegner  des  Salmasius 
wieder  wie  vor  Jahren  mahnend  zu  seinen  Landsleuten  zu 
sprechen.  Aber  er  täuscht  sich  auch  nicht  darüber,  dass 
jene  „äussere  Freiheit"  ohne  Bändigung  der  „inneren  unwür- 
digen Mächte"  nicht  zu  erringen  ist.  Er  kennt  keine  poli- 
tische Reform  ohne  sittliche  Grundlage,  Und  so  lange  es  an 
dieser  fehlt,  erscheint  ihm  die  Herrschaft  eines  „starken  Herrn" 
als  ein  Ausfluss  der  göttlichen  Gerechtigkeit.  Es  war  eine 
grosse  Summe  schmerzlicher  Erfahrungen  in  den  wenigen 
Worten  zusammengepresst : 

•     Tyrannei  muss  sein, 
Doch  mindert  dies  nicht  des  Tyrannen  Schuld. 

So  entsagungsvoll  dieser  Ausspruch  auch  klingt,  so  ist  es 
doch  nicht  der  Eindruck  verzweifelnder  Resignation,  mit  dem 
der  Dichter  uns  entlässt.  Die  Weltanschauung,  welche  aus 
seinen  Versen  hervorleuchtet,  die  Moral,  die  er  aus  seinem 
Gegenstande  zu  ziehen  weiss,  lässt  der  Hoffnung  Raum  und 
fordert  zu  muthigem  Handeln  auf.  Didaktisch  wie  sein  Werk 
nach  seinen  ersten  Zeilen  sich  einführte,  gipfelte  es  in  einer 
Lehre,  die  beiläufig  schon  oft  genug  in  den  früheren  Schriften 
Milton's  aufgetaucht  war,  hier  aber  den  philosophischen  Hin- 
tergrund für  das  ganze  Gedicht  bildete.  Die  Weltgeschichte 
ist  dem  Dichter  ein  beständiger  Kampf  zwischen  Licht  und 
Finsternis,  zwischen  Gott  und  dem  Teufel.  Für  das  böse 
Prineip  wird  die  Älöglichkeit  des  Eingriffs  gegeben  durch  die 
Willensfreiheit  des  Menschen.    Denn  gleich  seinem  hingerich- 


9ß  Das  didaktische  Element.    Die  Weltanschauung. 

teten  Freunde  Henry  Vane  kann  Milton  sich  nicht  dazu  ent- 
schliessen,  die  menschliche  „Fähigkeit  des  Urtheilens  und 
Wählens"  zu  Gunsten  einer  starren  höheren  ^Nlacht  abdanken 
zu  lassen  (^).  Er  lässt  vielmehr  Gott  vom  Menschen  wie  von 
den  Engeln  sagen  (III.  98  ff.): 

Ich  schixf  ihn  gut  und  recht, 
Kräftig  zum  Stehen,  doch  fähig  auch  des  Falls. 
So  schuf  ich  auch  des  Himmels  Geisterschaar, 
Die  treu  Geblieb'nen,  die  Gefairnen  frei. 
Denn  wären  sie  nicht  frei,  was  spräche  mir 
Für  ihre  Liebe  und  Beständigkeit? 
Wenn  sie  nur  thäten,  was  sie  thun  gemusst, 
Nicht,  was  sie  wollten?    AYelches  Lob  für  sie, 
Und  am  Gehorsam    welche  Lust  für  mich?  .  .  . 
Sie  klagen  fälschlich  ihren  Schöpfer  an, 
Ihr  Dasein,  ihr  Geschick,  als  hätt'  ein  Schluss 
Von  unbedingter  Kraft,  Vorherbestimmung, 
Voraussicht  ihren  Willen  übermannt. 
■     Sie  selbst  beschlossen  ihren  Fall,  nicht  ich. 
Dass  ich  die  Sünde  schon  vorher  gewusst, 
Macht  sie  nicht  minder  schuldig.     Sicherlich, 
Auch  unvorhergewusst,  trat  Sünde  ein. 

Eben  dieser  Gedanke  von  der  Möglichkeit  zwischen  Gutem 
und  Bösem  zu  wählen,  von  der  Freiheit  „zu  stehn  oder  zu 
fallen"  wird  in  den  mannichfaltigsten  Wendungen  variirt. 
Gieng  nach  der  W^ahl  der  ersten  Mensehen  das  Paradies  auch 
verloren,  so  verbleibt  ihrem  Stamm  doch  die  Fähigkeit,  gleichfalls 
durch  Bethätigung  der  Willensfreiheit  seine  Zurückeroberung 
zu  versuchen.  Die  Idee  der  allmählichen  Entwicklung  der 
Menschheit  durch  ihre  eigene  Arbeit  war  erst  damit  gegeben. 
Und  Milton's  Optimismus  hält  an  dem  Glauben  fest,  dass  diese 
Entwicklung  eine  „Erhebung  nach  Stufen  des  Verdienstes" 
zum  Göttlichen  sein  •  wird.  Auch  der  Teufel  ist  ihm  nur  ein 
Theil  von  jener  Kraft,  die  stets  das  Böse  will  und  stets  das 
Gute  schafft.  Die  ganze  neue  Welt  war  hervorgerufen,  um 
einen  Ersatz  für  die  Empörung  Satan's  zu  bieten.  Der  Sün- 
denfall selbst  bildete  „einen  Riesenschritt  in  der  Geschichte 
der  Menschheit".  Die  beiden  idealsten  Naturen,  welche  der 
englische  und  der  deutsche  Boden  hervorgebracht  hat,  begeg- 


Milton  und  Bunyan.  97 

nen  sich  in  demselben  erhabenen  Gedanken.  —  Die  Engel 
singen  von  Gott: 

Wer  sich  vermisst 
Dich  zu  verkleinern,  wider  Willen  dient 
Er  deiner  Macht,  und  was  er  Uebles  will, 
Weiss  deine  Hand  zu  gi'össrem  Gut  zu  nutzen. 

Und  Adam  giebt,  nachdem  er  von  den  Schicksalen  seines 
Geschlechtes  Kunde  erhalten  hat,  seiner  feurigen  Bewun- 
derung Ausdruck : 

0  ew'ge  Güte,  Güte  ohne  Mass 
Die  all  dies  Gute  selbst  aus  Bösem  schafft 
Und  selbst  das  Böse  noch  in  Gutes  wendet: 
Weit  wunderbarer  als  die  Schöpfung  war, 
Die  Licht  zuerst  aus  Finternis  erschuf. 


Es  wird  kein  Zweifel  darüber  bestehn :  das  Epos  Milton's 
ist  das  grossartigste  Denkmal  des  Puritanismus.  Er  würde 
an  idealem  Schimmer  unendlich  in  der  Geschichte  verlieren, 
wenn  er  dieser  poetischen  Urkunde  beraubt  wäre.  Man  stellt 
ihr  mitunter  eine  zweite  an  die  Seite,  auf  die  er  unbestreitbar 
gleichfalls  ein  Recht  hat,  stolz  zu  sein,  die  Pilgerreise  John 
Bunyan's.  Zu  der  Zeit,  als  das  verlorene  Paradies  erschien, 
hatte  der  arme  Kesselflicker  von  Elstow,  der  während  des 
Protektorats  zum  feurigen  Baptisten  -  Prediger  geworden  war, 
erst  einen  Theil  seiner  fast  zwölfjährigen  Haft  hinter  sich.  In 
der  Gefangenschaft  begann  er  das  Werk,  das  seinen  Namen 
einige  Jahre  nach  Milton's  Tode  berühmt  gemacht  hat.  Und 
mit  gutem  Grunde  hat  es  bis  zum  heutigen  Tage  seine  ausser- 
ordentliche Volksthümlichkeit  bewahrt.  Die  Ungezwungenheit 
der  Allegorie,  die  Lebhaftigkeit  des  Dialogs,  die  Sicherheit 
der  Charakterzeichnung,  die  eigenthümliche  Verbindung  kind- 
lichen Humors  mit  pathetischem  Ernst,  endlich  eine  Sprache, 
die  jeder  Bauersmann  und  Handwerker  fassen  konnte,  haben 
die  Pilgerreise  nächst  der  Bibel  vielleicht  zum  verbreitetsten 
Buche  englischer  Zunge  gemacht.    Die  Gespräche  Adam's  und 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  4.  7 


9g  Milton  und  Bunyan. 

Eva's  erschienen  gekünstelt,   verglichen  mit  den  Gesprächen 
des  christlichen  Pilgers   und  der  Herren  Biegsam,  Weltklug 
und  Hoffnungsvoll.    Wer  die  Milton'sche  Hölle  und  den  Mil- 
ton'schen  Himmel  vollständig  würdigen  wollte,  bedurfte  eines 
wissenschaftlichen  Kommentars.    Das  Thal  des  Todesschattens, 
die  Burg  des  Zweifels  und  die  Stadt  Sion's  waren  jedem  ver- 
ständlich,   auch    wenn   er  nie   etwas   von  Mulciber  oder  von 
Ambrosiaduft  gehört  hatte.    Und  dennoch  wäre  es  eine  un- 
verzeihliche Verkennung  der  künstlerischen  und  der  allgemein- 
geschichtlichen Bedeutung  beider  Werke    ihnen  den  gleichen 
Rang  anzuweisen  oder  gar  Bunyan  als  poetisches  Genie  und  als 
poetischen  Vertreter  des  Puritanismus  über  Milton  zu  erheben. 
In   jenem    erschien    der  Puritanismus    der  Heiligen,  er- 
füllt von  Visionen,  aber  ohne  höhere  Kultur,  ein  laut  reden- 
des Zeugnis  für  die  schwärmerischen  Ideen,   welche  gewisse 
Schichten  einer  Nation  in  einer  kurzen  Epoche  bewegt  hatten. 
Mit   diesem   suchte   der  Puritanismus  an  alle  Elemente   der 
Bildung    anzuknüpfen,    die    während    der   Jahrtausende    der 
Menschheitsgeschichte   wie  zu   einem  grossen   Gemeingut  an- 
gesammeft  waren.    Die  Sagen  und  Erzählungen  des  Orients, 
die  Mythologie  der  Griechen  und  Römer,  rabbinische  und  pa- 
tristische  Ueberlieferung,   antike  und  moderne  Poesie,   Philo- 
sophie und  Theologie,  Geographie,  Geschichte  und  Astronomie: 
alles   dies   war   dem  Dichter   geläufig,    aus   allem   suchte  er 
Steine  für  den  Rohbau   oder  für  die  Ausschmückung  seines 
Werkes  zu  brechen.     Je  schwerer  er  an  der  Masse  des  über- 
kommenen Bildungsstoffes  zu  tragen  hatte,  desto  bewunderns- 
werther  erscheint  es,   dass  sich  seine  Phantasie,   wenn  nicht 
immer,  so  doch  vielfach  über  das  Hindernis  lastender  Gelehr- 
samkeit emporzuschwingen  wusste.    Je  weiter  sein  geistiger 
Horizont  sich   ausdehnte,   desto  mehr  Gestaltungskraft  erfor- 
derte es,  ihn  mit  poetischen  Gebilden  anzufüllen,  stark  genug, 
um  die  Träger  seiner  Gedanken   zu   werden.    Für  den  ehr- 
lichen Kesselflicker,    der  nur  die  Bibel,   das  Buch  der  Mär- 
tyrer und  die  Geschichte  des  Sir  Bevis  von  Southampton  ge- 
lesen hatte,  waren  freilich  Schwierigkeiten,  wie  sie  sich  dem 
Genius  Milton's  entgegenstellten,  nicht  zu  überwinden.    Dafür 


Milton  und  Klopstock.  99 

wusste  er  auch  nicht  Bilder  vorzuführen,  deren  Erhabenheit 
oder  Lieblichkeit  ihres  gleichen  sucht,  Jamben  zu  dichten, 
deren  Kraft  und  Anniuth  sich  für  immer  dem  Gedächtnis  ein- 
prägt und  dem  Rahmen  einer  uralten  morgenländischen  Mythe 
eine  ganze  "Weltanschauung  einzufügen. 

Mit  anderen  berühmten  Dichtungen  hat  man  das  ver- 
lorene Paradies  zu  vergleichen,  um  ihm  den  verdienten  Platz 
in  der  Weltliteratur  anzuweisen.  Ein  Epos  von  religiösem 
Inhalt,  wie  es  nun  ein  Mal  ist,  stellt  es  sich  neben  die  grössten 
epischen  Werke  desselben  Charakters  in  deutscher  und  ita- 
lienischer Sprache (^).  Es  wäre  eine  Aufgabe  für  sich,  zu 
zeigen,  welchen  Einfluss  Milton  auf  die  Entwicklung  der  deut- 
schen Dichtung  im  achtzehnten  Jahrhundert  gehabt  hat.  So 
viel  steht  ausser  allem  Zweifel,  dass  einer  der  ersten  Geister, 
dem  wir  die  Wiederbelebung  unserer  schönen  Literatur  ver% 
danken,  die  nachhaltigsten  Einwirkungen  von  seinem  engli- 
schen Vorgänger  empfangen  hat.  Zwischen  Klopstock  und  Mil- 
ton, so  verschieden  übrigens  ihre  Naturen  waren,  bestand  eine 
Art  von  Wahlverwandtschaft,  und  die  Messiade,  wie  sie  vor- 
liegt, ist  kaum  zu  denken  ohne  das  verlorene  Paradies.  Auch 
die  Entstehungsgeschichte  beider  Werke  bietet  mehr  als  eine 
Analogie.  Klopstock  wie  Milton  suchte  zuerst  nach  einem 
vaterländischen  Helden,  als  Gegenstand  für  ein  Epos.  Hein- 
rich der  Vogler  war  dem  Deutschen,  was  König  Arthur  dem 
Engländer.  Als  der  eine  wie  der  andere  Dichter  den  bibli- 
schen Vorwurf  wählte,  geschah  es  nicht  so  sehr  aus  ästheti- 
schen Gründen  als  aus  innerem  religiösem  Drang.  Beide 
bereiteten  sich  durch  sorgfältige  Studien  für  ihre  Aufgabe 
vor,  beide  gebrauchten  Jahre,  sie  zu  lösen. 

Wer  wollte  indessen  den  gewaltigen  Unterschied  verken- 
nen, der  zwischen  dem  einen  und  dem  anderen  Werke  be- 
steht. Ich  wage  es  auszusprechen:  Die  Messiade  überragt  an 
literaturgeschichtlicher  Bedeutung  das  verlorene  Paradies 
um  eben  so  viel,  als  sie  an  dauerndem  künstlerischem  Werth 
hinter  ihm  zurückbleibt.  Klopstock  kam  mit  freudiger  Be- 
geisterung den  Erwai'tungen  und  Anforderungen  des  Zeit- 
alters entgegen  und  erregte  daher   einen  Enthusiasmus  der 

7* 


10()  Milton  uud  Klopstock. 

Nation,  der  ohne  gleichen  war.  Milton  wandte  sich  stolz 
und  eiTist  von  den  Idolen  des  heiTSchenden  Geschmacks  hin- 
weg und  blieb  Jahre  lang  der  Liebling  einer  auserwählten, 
nur  langsam  wachsenden  Gemeinde.  Auf  Klopstock  sah  eine 
schwärmerische  Genossenschaft  nachstrebender  Jünger  als  auf 
den  bahnbrechenden  Meister.  Milton  verharrte  in  einsamer 
Grösse  für  sich,  ohne  einen  Bund  gleichgesinnter  Barden  um 
sich  zu  sammeln.  Klopstock  war  schöpferisch  nicht  nur  im 
Stoff,  sondern  auch  als  Erneuerer  und  Vorbildner  der  Form. 
Milton  brauchte  das  übliche  poetische  Handwerkszeug  nur  zu 
ergreifen  und  blieb  bei  der  "Wahl  seiner  Versform  ohne  nen- 
nenswerthe  Nachahmer.  Und  dennoch  droht  der  eine  Dichter 
für  sein  Volk  ein  blosser  Name  zu  werden,  während  der  an- 
dere für  das  seinige  noch  immer  eine  lebendig  wirkende  Kraft 
ist.  Heutzutage  ist  man  fast  versucht,  das  bekannte  Lessing- 
sche  Epigi'amm  noch  für  zu  milde  zu  halten.  Klopstock  wird 
in  "Wahrheit  von  jedem  gelobt,  aber  fast  von  niemandem  ge- 
lesen. Milton  dagegen  gehört  nicht  nur  noch  immer  zu  den 
Lieblingsdichtern  der  Gebildeten  englischer  Zunge,  sondern 
ist  auch  bei  uns  in  zahlreichen  Uebersetzungen  verbreitet. 
Der  Grund  davon  ist  nicht  schwer  zu  erkennen.  Die  theolo- 
gischen Vorträge  und  die  lehrhaften  Abschweifungen  bei  Milton 
kann  man  überschlagen,  und  man  wird  dennoch  übergenug 
von  reiner,  erquickender  Poesie  zurückbehalten.  Bei  Klop- 
stock hingegen  geht  es  nicht  an,  einzelnes  unseren  Geschmack 
Abstossendes  auszuscheiden,  man  hat  sich  durch  das  ganze, 
unergründliche  Meer  von  Gefühlsweichheit  und  Ueberschwäng- 
lichkeit  hindurchzuarbeiten.  An  ^Milton's  Hand  fühlt  man  sich 
sicher  geführt ,  man  wird  genöthigt ,  der  dramatischen  Ent- 
wickelung  zu  folgen,  man  findet  sich  immer  bestimmten  Cha- 
rakteren gegenüber,  wenn  sie  auch  mitunter  an  Folgerichtig- 
keit und  Lebenswahrheit  etwas  zu  wünschen  übrig  lassen. 
Den  Faden  des  Klopstock'schen  Epos  verliert  man  über  den 
lyrischen  Ergüssen  und  rhetorischen  "VN^eitschweifigkeiten  hun- 
dert ^lal  aus  dem  Gesicht,  und  die  Theilnahme  erlahmt,  da 
dem  Dichter  die  Fähigkeit  plastischer  Gestaltung  so  gut  wie 
ganz   abgeht.     Die   Hexameter    der   Messiade   fallen   immer 


Miltou  und  Daute.  101 

gleich  volltönend  in"s  Ohr,  aber  mau  vergisst  auch  leicht,  bei 
ihnen  etwas  anderes  als  die  musikalische  Wirkung  zu  empfin- 
den ,  weil  man  nicht  mehr  fähig  ist ,  mit  dem  Dichter  in 
„Thränen  der  Wonne"  oder  in  ,, Entzückungen  stammelnder 
Freude  zu  zerfliessen".  Die  Jamben  Milton's  wollen  anschau- 
liche Bilder  vor  das  Auge  stellen,  welche  ihren  Reiz  behalten, 
so  lange  ihre  Gegenstände  den  Menschen  noch  anziehen  und 
das  menschliche  Auge  dasselbe  bleibt.  — 

Klopstock  wird  je  länger  je  mehr  gegen  IMilton  verlieren. 
Dante  hält  ihm  vollkommen  das  Gegengewicht.  Wie  oft  man 
auch  eine  Parallele  zwischen  dem  italienischen  und  dem  eng- 
lischen Sänger  gezogen  hat,  man  wird  immer  aufs  neue  durch 
die  Aehnlichkeit  ihrer  Schicksale  und  ihrer  Individualitäten 
überrascht.  Beide  sind  verflochten  in  die  gewaltigen  Kämpfe 
ihrer. Zeit.  Beide  sind  erfüllt  von  hohen  Idealen  einer  Um- 
gestaltung des  kirchlichen  und  staatlichen  Lebens.  Beiden 
raubt  der  Gang  der  Ereignisse  ihre  theuersten  Hoffnungen. 
Beiden  bleibt  der  Trost  stolzen  Selbstgefühls  und  melancho- 
lischer Betrachtung.  Und  so  sammeln  sie  beide  in  Jahre 
langer  Arbeit  ihre  beste  Kraft  zur  Ausführung  zweier  Kunst- 
werke, die  auf  ihre  ganze  Laufbahn  einen  unauslöschlichen 
Glanz  zurückwerfen.  Sie  zeigen  erst  hier  ihren  Genius  in 
voller  Entfaltung.  Sie  erscheinen  ausgerüstet  mit  allen  Schätzen 
des  Wissens  ihrer  Zeit.  Sie  umspannen  Irdisches  und  Ueber- 
irdisches  in  einem  weiten  Rahmen.  Nicht  weniger  als  Milton 
weiss  Dante  alles,  was  er  jemals  empfunden  und  erfahren  hat, 
seine  Freuden  und  Schmerzen,  seine  Hoifnungen  und  Befürch- 
tungen in  sein  Gedicht  zu  legen  und  es  in  erhabenem  Zorne 
zu  einem  Spiegel  seines  Zeitalters  zu  machen.  Nicht  weniger 
als  bei  Milton  löst  sich  bei  Dante  der  spröde,  lehrhafte  Stoft" 
nicht  immer  in  die  reine  poetische  Form  auf,  ohne  dass  die 
Kraft  des  Dichters  in  den  ermüdenden,  scholastischen  Spitz- 
findigkeiten völlig  verloren  gienge. 

Allein  bei  aller  Aehnlichkeit  doch  auch  welche  Verschie- 
denheit! Schon  dadurch  büsst  der  Vergleich  sehr  viel  an  Rich- 
tigkeit ein,  dass  Dante  Italien  erst  eine  volksthümliche  Schrift- 
sprache geschaffen  hat,  während  Milton  eine  fein  ausgebildete 


102  Milton  und  Dante. 

Schriftsprache  vorfand,  deren  Vergangenheit  nach  Jahrhun- 
derten zählte.  Der  eine  wird  der  Vater  der  Poesie  seines 
Volkes,  der  andere  steht  am  Ende  der  grössten  poetischen 
Penode  des  seinigen.  Sodann  bedingt  der  Aufbau  beider 
Kunstwerke  ihre  Ungleichartigkeit.  Dort  eine  Reihe  sich  ab- 
lösender Bilder,  die  langsam  am  Auge  des  Dichters  vorüber- 
ziehen, aber  er  selbst  immer  die  Hauptperson,  dessen  wun- 
derbare Wanderung,  dessen  Fragen  und  Betrachtungen  sie 
mit  einander  verknüpfen.  Hier  eine  dramatisch  bewegte  Er- 
zählung, ein  Kampf  zwischen  den  himmlischen  und  höllischen 
Mächten,  über  dessen  Schilderung  der  Dichter  zwar  sich  selbst 
nicht  vergisst,  in  den  er  aber  keinen  Anlass  hat,  sich  einzudrän- 
gen. Bei  der  Ausmalung  im  einzelnen  dort  eine  Kraft  und  oft 
bizarre  Naivetät  der  Zeichnung,  der  man  es  anmerkt,  dass  der 
Zeichner  mit  scharfen  Augen  seine  Studien  nach  der  Natur 
gemacht  hat,  hier  eine  Fülle  gewaltiger  aber  schwankender 
Vorstellungen  und  Gleichnisse,  die  dem  Stubengelehrten  grossen 
Theils  aus  seinen  Büchern  bekannt  geworden  waren.  Bei 
Dante  blickt  einer  der  Verdammten  die  Wanderer  an  „mit 
dem  Augenblinzeln  eines  Schneiders,  der  eine  Nadel  einfädelt". 
Bei  Milton  schlagen  Tod  und  Sünde  eine  Brücke  zur  neuen 
Welt,  „gleich  der  des  Xerxes,  durch  die  er  Asien  an  Europa 
band".  Die  Dante'sche  Hölle,  der  Trichter  im  Schooss  der 
Erde,  in  eine  bestimmte  Anzahl  von  Ringen  getheilt,  erscheint 
messbar  und  darstellbar.  Die  Milton'sche  Hölle,  der  boden- 
lose Abgrund  unterhalb  des  Chaos,  der  als  ein  „ewigbrennen- 
des Schw^efelmeer"  in  „äusserster  Finsternis"  ruht,  entzieht 
sich  jeder  bildlichen  Wiedergabe.  Der  Dante'sche  Lucifer 
steht  dank  den  genauen  Angaben  des  Dichters  in  festen, 
schauerlichen  Zügen  vor  uns.  Es  ist  ein  dreiköpfiges  Mon- 
strum, mit  einem  rothen,  einem  schwarzen  und  einem  gelblich- 
weissen  Gesicht.  Er  hat  sechs  Flügel,  grösser  als  irgend  ein 
Segel,  das  Dante  jemals  gesehen  hat,  ohne  Federn,  wie  die 
der  Fledermaus.  Aus  seinen  sechs  Augen  strömen  Thränen 
und  blutiger  Geifer  auf  seine  drei  Kinne.  Mit  seinen  drei 
Mäulern  zermalmt  er  drei  Verdammte  „wie  in  einer  Hanf- 
breche".    Der   Milton'sche   Satan    wechselt   beständig    seine 


Milton  und  Dante.  103 

Gestalt.  Bald  gleicht  er  dem  Meerthier  Leviatlian,  in  dessen 
Schuppenhallt  der  Schiffer,  im  Glauben,  es  sei  eine  Insel,  sei- 
nen Anker  wirft.  Bald  ragt  sein  Wuchs  in  die  Wolken  „wie 
der  Atlas  oder  Teneriffa".  Bald  schreitet  er  „gleich  einem 
gemeinen  Soldaten  letzten  Ranges"  durch  die  teuflischen 
Schaaren. 

Und  doch ,  obwohl  die  ehernen  Terzinen  der  göttlichen 
Komödie  unzählige  Bilder  von  unvergesslicher  Lebenswahrheit 
und  Anschaulichkeit  vorführen :  der  Sinn  des  Ganzen  und  der 
Sinn  des  Einzelnen  ist  geheimnisvoll  -  dunkel ,  während  das 
verlorene  Paradies  dem  Leser  keine  Räthsel  aufgeben  will. 
Milton  erzählt,  als  sei  alles,  was  er  meldet,  wirklich  geschehen, 
seine  Worte  sind  buchstäblich  und  lediglich  buchstäblich  auf- 
zufassen. Dante  bewegt  sich  in  beständigen  Allegorieen,  seine 
Rede  ist  beladen  mit  „Sphinx-  und  Themis  -  Sprüchen"  wie 
die  seiner  Beatrice  und  fordert  eine  mehrfache  Deutung  her- 
aus. Der  eine  ist  eben  ein  Kind  des  Mittelalters,  der  andere 
ist  ein  Kind  der  Neuzeit.  Wenn  jener  das  ptolemäische  Sy- 
stem mit  gläubigem  Vertrauen  annimmt,  so  überhäuft  dieser 
es,  obwohl  es  ihm  für  seine  poetische  Maschinerie  unentbehr- 
lich ist,  mit  bitterem  Spott.  Wenn  jener  sich  für  eine  Welt- 
monarchie und  für  ein  gereinigtes  Pabstthum  begeistert,  so 
findet  dieser  sein  Ideal  in  einem  freien,  nationalen  Gemein- 
wesen und  in  der  Trennung  von  Kirche  und  Staat.  Die  gött- 
liche Komödie  mündet  aus  in  eine  traumhafte  Vision ,  für 
deren  Schilderung  „die  Sprache  nicht  mehr  genügt",  in  das 
selige  Anschauen  des  Göttlichen,  vor  dessen  Strahlen  alles 
menschhche  Wollen  zerschmilzt.  Das  verlorene  Paradies  endigt 
mit  dem  Ausblick  auf  die  arbeitsvolle  Geschichte  des  mensch- 
lichen Geschlechts,  dessen  energischer  Wille  dazu  berufen  wird, 
sich  ein  neues  Eden  in  sich  selbst  zu  erobern. 

Erhabene  Denkmale  zweier  Weltanschauungen  in  gross- 
artiger künstlerischer  Fassung  überdauern  beide  Dichtungen 
die  Jahrhunderte,  während  der  Strom  der  Zeit  die  schwach 
gezimmerten  Götzen  des  Tages  erbarmungslos  wegschwemmt. 


Viertes  Kapitel. 


Das  wiedergewonnene  Paradies.      Simson 
der  Athlet. 


-Das  verlorene  Paradies  war  ein  in  sich  abgeschlossenes 
Kunstwerk.  Die  poetische  Aufgabe  war,  so  weit  der  Gegen- 
stand es'  zuliess,  vollständig  gelöst.  Wer  sich  durch  diese 
Lösung  nicht  befriedigt  fühlte ,  wer  eine  Fortsetzung  forderte, 
konnte  wohl  aus  theologischen,  aber  nicht  aus  ästhetischen 
Gründen  dazu  bestimmt  werden.  Dies  war  der  Fall  des 
jungen  Quäkers  Thomas  Ellwood,  dem  Milton  zuerst  in  Chal- 
font  Einsicht  in  das  Manuskript  gegönnt  hatte.  Ellwood 
selbst  theilt  uns  mit,  wie  er  bei  der  Rückgabe  der  Hand- 
schrift Milton  gegenüber  diesen  Gedanken  geäussert,  und  wie 
der  Dichter  seine  Worte  aufgenommen  habe.  „Nach  einigem 
weiterem  Gespräch  über  sein  Werk  sagte  ich  im  Scherz  zu 
ihm :  Du  hast  uns  viel  vom  verlorenen  Paradies  erzählt,  aber 
was  hast  du  uns  vom  gefundenen  zu  berichten?  Er  antwortete 
mir  nicht,  sondern  blieb  eine  Zeit  lang  in  Nachdenken  ver- 
sunken. Dann  brach  er  das  Gespräch  ab  und  verfiel  auf 
einen  anderen  Gegenstand.  Als  die  Pest  vorüber,  die  Stadt 
gereinigt  und  wieder  sicher  bewohnbar  war,  kehrte  er  dorthin 
zurück.  Und  als  ich  ihn  hierauf  dort  besuchte,  was  ich  selten 
zu  thun  versäumte,  so  oft  ich  gelegentlich  nach  London  kam, 
zeigte  er  mir  ein  zweites  Gedicht,  das  wiedergewonnene 
Paradies,    und   sagte  scherzend  zu  mir:    Dies  verdankt  man 


Entstehung  des  wiedergewonnenen  Paradieses.  105 

dir,  denn  die  Frage,  die  du  in  Chalfont  an  mich  gericlitet 
hast,  hat  mich  dazu  geführt,  während  ich  vorher  nicht  daran 
gedacht  hatte"  (M. 

Gebührt  somit  Ellwood  das  Verdienst,  die  erste  An- 
regung zu  dem  Plane  des  zweiten  Epos  gegeben  zu  haben, 
so  hatte  dieser  Plan  an  sich  für  Milton  einen  grossen  Reiz. 
Und  kam  in  den  Worten  des  Quäkers,  dessen  eigene  Poesieen 
wenig  Talent  verrathen,  nur  ein  i-eligiöser  "Wunsch  zum  Aus- 
dmck,  so  suchte  der  Dichter  ihm,  unbeschadet  seiner  früheren 
Schöpfung,  so  gut  es  angieng,  künstlerisch  gerecht  zu  werden. 
Im,  verlorenen  Paradies  hatte  er  einen  Weheruf  erhoben 
über  den  Lauf  der  Welt,  die  dahin  geht  „den  Guten  feind- 
lich und  den  Schlechten  hold,  erseufzend  unter  ihrer 
eignen  Last".  Er  hatte  den  Sieg  der  teuflischen  Gewalten 
an  dem  ersten  grossen  Beispiel  gezeigt,  das  er  an  der 
Schwelle  der  Menschheitsgeschichte  vorfand.  Aber  dies  war 
nicht  der  Weisheit  letzter  Schluss.  Niemand  sollte  damber 
in  Zweifel  sein ,  dass  das  Licht  zuletzt  doch  über  die  Finster- 
nis triumphiren  werde.  Da  sich  dieser  Triumph  für  i\Iilton 
nothwendig  in  die  Formen  des  christlichen  Glaubens  kleiden 
musste,  so  wurde  der  Mythus  des  alten  Testamentes  mit  be- 
ständigen Hinweisungen  auf  die  Gestalt  des  Messias  erfüllt. 
Durch  seine  Erscheinung  wurde  das  verlorene  Paradies  wieder- 
gewonnen, und  den  dunklen  Mächten  der  sicher  geglaubte 
Sieg  wieder  entrissen.  Eine  Messiade  zu  schreiben,  das  ganze 
Wirken  und  Leiden  des  Erlösers  zu  schildern,  würde  dennoch 
dem  Zwecke  Milton's  wenig  entsprochen  haben.  Für  ihn  kam 
es  darauf  an,  einen  Moment  aus  diesem  Leben  herauszu- 
greifen, in  dem  der  Gegensatz  des  verlockenden  Bösen  und 
des  unerschütterten  Tugendhaften  dramatisch  hervortrat.  Er 
konnte  die  Figur  des  Satan ,  die  im  verlorenen  Paradies  fast 
die  Rolle  des  Heros  gespielt  hatte,  nicht  entbehren.  Er  suchte 
nach  einer  Situation,  die  eben  diesen  Satan  im  Ringen  mit 
Jesus  zeigte.  Da  bot  sich  ihm  jener  sinnige  Mythus  von  der 
Versuchung  Christi  in  der  Wüste  dar.  Man  weiss,  dass  auch 
dieser  Stoff  schon  mehrfach  dichterisch  behandelt  war,  u.  a. 
in  dem  „Sieg  und  Triumph  Christi"  von  Giles  Fletcher.  Aber 


1Q5  Verhältnis  zum  verloreiien  Paradies. 

es  wäre  unbillig,  dies  zu  Ungunsten  der  Ursprünglichkeit 
Milton"s  geltend  zu  machen,  der  seinen  Vorgängern  höchstens 
einzelne  Züge  zu  entlehnen  hatte.  Indem  er  den  biblischen 
Mythus  mit  anderen  Stellen  der  Evangelisten  verknüpfte  und 
das  einfache  Gerüst  der  Handlung  mit  den  Schätzen  seiner 
Eilindung  und  Gelehrsamkeit  ausschmückte,  wusste  er  dem 
verlorenen  Paradies  ein  Gegenbild  zu  schallen ,  das  man  ganz 
falsch  beurtheilt.  wenn  man  es  für  ein  Bruchstück  hält(^). 
Freilich  an  Reichthum  und  Farbenglanz  kann  es  nicht  mit 
dem  gi-ossen  Epos  verglichen  werden.  Es  fehlt  der  in  über- 
wältigenden und  lieblichen  Bildern  wechselnde  Schauplatz, 
die  Masse  der  handelnden  Personen,  die  Steigemng  der 
Handlung,  das  Pathos  der  Sprache,  der  Schmelz  der  Schil- 
derung. Die  vier  kurzen  Bücher,  in  die  der  Stoff  getheilt 
ist,  sind  kaum  ein  Epos  zu  nennen,  sondern  etwa  eine  didak- 
tische Erzählung  in  Versen  ;2).  Allerdings  hat  Milton  dafür 
gesorgt  j  dass  der  Leser  immer  an  sein  fiiiheres  Werk  erinnert 
wird.     Gleich  die  ersten  Zeilen  weisen  darauf  zuriick: 

Der  ich  gesungen,  wie  das  Paradies 
Verloren  ward  durch  eines  Menschen  Schuld, 
Besinge  nun,  wie  eines  Menschen  Treu 
Der  ganzen  Menschheit  es  zurückgewann. 

Auch  hier  wird  ein  Höllenparlament  gehalten,  in  dem 
Satan  sich  mit  seinen  „mächtigen  Pairs*"  berathschlagt.  Auch 
hier  erklingt  der  Himmel  vom  Worte  des  Höchsten  und  von 
den  Chören  der  Engel,  Aber  die  übersinnliche  Maschinerie 
spielt  eine  sehr  nebensächliche  Rolle.  Das  Interesse  koncen- 
trirt  sich  auf  die  Gespräche  zwischen  Satan  und  Jesus,  und 
diese  selbst  sind  möglichst  auf  ein  irdisches  Niveau  herab- 
gedrückt. Satan  hat  nur  wenige  Augenblicke,  in  denen  er 
als  der  trotzige  Rebell,  prometheisch  und  titanenhaft,  ei-scheint, 
wie  wir  ihn  von  früher  her  kennen.  Er  hat  sein  heroisches 
Zeitalter  gehabt,  die  Jahrtausende  der  Thätigkeit,  die  er 
unserem  Planeten  gewidmet  hat,  haben  ihn  civilisirt,  wenn- 
schon er  noch  nicht  in  dem  Grade  von  der  Kultur  beleckt 
worden  ist  wie  Goethe's  Mephistopheles.    Nicht    minder  ver- 


Inhaltsangabe.  107 

ändert  ist  die  Gestalt  Christi.  Es  ist  nicht  der  Yicekönig 
des  Himmels,  der  siegreich  auf  glänzendem  Streitwagen  ein- 
herfahrende Gottessohn,  der  uns  entgegentritt,  sondern  der 
„vollkommene  Mensch",  der  Mann  von  unerschütterlichen 
Grundsätzen,  das  Ideal  eines  Puritaners.  Aus  puritanischem 
Geiste  sind  beide  Werke  hervorgegangen.  Das  wiedergewonnene 
Paradies  ist  ebenso  von  einer  bestimmten  Tendenz  durchzogen 
wie  das  verlorene  Paradies.  Es  richtet  gleichfalls  strafende 
Worte  an  das  entartete  Zeitalter  und  stellt  ihm  die  Möglich- 
keit des  Sieges  über  verführerische  Mächte  an  dem  edelsten 
Muster  vor  Augen.  Es  ist  daher  erklärlich,  das  dem  Dichter 
dieses  Kind  seiner  Muse  nicht  weniger  lieb  war  als  jenes  und 
wohl  glaublich,  dass  er  mit  Unmuth  hörte,  wenn  man  das 
eine  nicht  gleich  günstig  beurtheilte  wie  das  andere.  Die 
„Thaten",  die  er  neuerdings  pries,  erschienen  ihm  „mehr  als 
heldenhaft,  wenn  auch  still  vollführt,  ungerühmt  Jahrhunderte 
lang,  obwohl  wie  keine  des  Besingens  werth". 

Vergleicht  man  das  Gedicht  mit  den  beiden  kurzen 
Stellen  des  Evangeliums  Matthaei  und  Lucae,  so  bemerkt 
man,  wie  viel  Spielraum  der  ergänzenden  Phantasie  Milton's 
gelassen  war.  Er  hütet  sich,  sofort  mit  der  eigentlichen 
Handlung  zu  beginnen,  sondern  schickt  ihr  eine  Einleitung 
voraus,  die  den  grössten  Theil  des  ersten  Buches  füllt.  Bei 
der  Taufe  „dessen,  der  für  den  Sohn  Joseph's  galt",  bei  der 
Verkündigung,  dass  der  Getaufte  der  Sohn  Gottes  sei,  lässt 
er  Satan  zugegen  sein.  Der  böse  Feind  ahnt,  dass  die  Stunde 
nahe,  da  der  Fall  Adam's  gesühnt  und  seine  Herrschaft  über 
den  Menschen  gebrochen  werden  soll.  Wie  ehemals  erbietet 
er  sich  vor  seinen  Genossen,  um  Gottes  Absichten  zu  kreuzen, 
die  Expedition  auf  die  P'.rde  zu  unternehmen.  Wie  ehemals 
sieht  Gott  herab  auf  sein  Unterfangen ,  dies  Mal  gewiss,  dass 
„des  Weibes  Same  allen  Versuchungen  wiederstehn  werde". 
Ein  langes  Selbstgespräch,  das  Jesus  in  der  Wüste  führt, 
giebt  Gelegenheit  seinen  Charakter  zu  entfalten.  Man  hat 
wohl  nicht  Unrecht,  zu  vermuthen,  dass  Milton  bei  der 
warmen  Schilderung'  des  frühreifen  Lerneifers  und  des  idea- 
listischen Strebens  seiner  eigenen  glücklichen  Jugend  gedacht 


IQg  Inhaltsangabe. 

habe.  Erst  hierauf  nimmt  der  erste  Akt  der  Versuchung 
seinen  Anfang,  mit  dem  vierzigsten  Tage  jenes  Aufenthaltes 
Jesu  in  der  Wüste,  als  der  Hunger  den  Wanderer  zu  quälen  be- 
ginnt. Satan  naht  sich  in  der  Verkleidung  eines  alten  Land- 
mannes, der  jene  Offenbarung  nach  der  Taufe  mitangehört 
haben  will.  Er  fordert  Jesus  auf,  wenn  er  wirklich  der  Sohn 
Gottes  sei,  ein  Wunder  zu  thun  und  die  Steine  in  Brot  zu 
verwandeln.  Erst  als  er  sich  zurückgewiesen  und  durchschaut 
sieht,  lässt  er  die  Maske  fallen,  aber  nur  um  schmeichlerisch- 
beredt  die  Vorurtheile  zu  zerstreuen,  die  über  ihn,  den 
Teufel,  im  Schwange  seien.  Er  läugnet,  ein  ,, Feind  des 
Menschengeschlechts"  zu  sein,  durch  das  er  nichts  verloren, 
sondern  etwas  gewonnen  hat.  Vielmehr  suche  er  den  Men- 
schen in  Zeichen  und  Träumen  guten  Rath  zu  geben,  be- 
wundere alles  Schöne  und  Herrliche  und  wünsche  daher  auch 
durch  die  Weisheit  dessen  gefördert  zu  werden,  zu  dem  er 
spricht.  Dieser  zerreisst  das  Gewebe  seiner  Sophistik,  nennt 
ihn  einen  Geist,  der  es  trefflich  verstehe,  der  Lüge  etwas 
Wahrheit  beizumischen  und  führt,  acht  christlich,  den  INIiss- 
brauch  der  heidnischen  Orakel  auf  teuflischen  Trug  zurück. 
Satan  behält  seine  unterwürfige  Haltung  bei  und  sucht  die 
Anwendung  gelegentlicher  Nothlügen  zu  rechtfertigen,  zu  der 
der  „Unglückliche"  so  leicht  gedrängt  werde.  Aber  er  bittet 
wenigstens  um  die  Gunst,  sich  demjenigen  ferner  nahen  und 
Worte  der  Wahrheit  aus  dessen  Munde  hören  zu  dürfen, 
dessen  Vater  ja  auch  den  „heuchlerischen  und  gottesläug- 
nerischen  Priester"  an  seinem  Altar  dulde.  Jesus  stellt  es 
in  sein  Belieben.  Da  die  Nacht  anbricht,  nimmt  der  Ver- 
sucher mit  der  Verbeugung  eines  höflichen  Kavaliers  von 
ihm  Abschied. 

Der  Anfang  des  zweiten  Buches ,  Klagen  der  Jünger  und 
Maria's  über  das  räthselhafte  Verschwinden  ihres  Sohnes,  ist 
sichtlich  nur,  um  den  Rahmen  der  dürftigen  Handlung  zu 
füllen,  gedichtet  worden.  Die  neue  Berufung  des  höllischen 
Parlaments  steht  dagegen  mit  dem  Gegenstande  der  Fabel  in 
natürlichem  Zusammenhang,  Satan  berichtet  von  seinem  Miss- 
erfolge.    Er  hat  sich  überzeugt,  dass  es  diesmal  ganz  anderer 


Inhaltsangabe.  109 

Anstrengungen  bedürfen  werde  als  gegenüber  Adam  und  fordert 
guten  Rath  von  den  Genossen,  Belial,  seiner  alten  Natur 
getreu,  ist  der  Meinung,  man  solle  dem  Messias  Weiber  vor 
Augen  und  in  den  Weg  stellen.  Durch  das  Weib  war  der 
Mann  schon  einmal  zu  Fall  gebracht  worden,  was  lag  näher, 
als  ihn  aufs  neue  durch  „die  schönsten  Töchter  der  Men- 
schen" zu  verführen.  Aber  Satan  weist  diesen  Rath  zurück. 
Er  wirft  Belial  vor,  dass  er  andere  mit  eigenem  Mass- Stab 
messe.  Er  führt  ihm  schulmeisterlich  die  Beispiele  eines 
Alexander  und  Scipio  Africanus  vor  Augen,  die  mit  geringerer 
Widerstandskraft  Frauenreizen  nicht  erlegen  seien.  Mit  „männ- 
licheren Dingen"  will  er  Jesus  verblenden,  mit  „Ehre,  Ruhm 
und  Yolksgunst,  Klippen,  woran  die  grössten  Menschen 
scheiterten",  und  eine  Schaar  dienstbarer  Geister  soll  ihm 
seinen  neuen  Plan  ausführen  helfen.  Währenddess  ist  Jesus 
hungrig  eingeschlafen  und  hat  von  Speise  und  Trank  geträumt. 
Dem  Erwachenden  naht  Satan  dies  Mal  in  zierlicher  Höflings- 
tracht. Er  zeigt  ihm  von  weitem  einen  Tisch,  auf  dem  auf- 
gehäuft ist,  was  immer  alle  Welttheile  hervorbringen,  den 
Gaumen  zu  reizen.  Schöne  Jünglinge,  liebliche  Mädchen 
stehen  bereit  den  Gast  zu  bedienen,  die  Luft  ist  von  Wohl- 
gerüchen geschwängert,  süsse  Musik  erschallt;  „wie  schlicht 
war  gegen  diese  Leckerbissen  der  Apfel,  der  einst  Eva's 
Sinn  verlockt".  Und  „diese  Früchte,  bemerkt  Satan,  sind 
nicht  verboten".  Aber  Jesus  wehrt  sich  gegen  die  Ver- 
suchung um  „des  Gebers"  willen.  Wie  in  so  manchen  Epi- 
soden der  romantischen  Epen  verschwindet  mit  einem  Schlage 
der  ganze  Zauber.  Nur  der  Versucher  bleibt  zurück,  unwillig 
aber  nicht  entmuthigt. 

Er  macht  Anstalten,  sich  seinem  Ziele  von  einer  anderen 
Seite  zu  nahen.  Ich  merke,  ruft  er  dem  ^Messias  zu,  dass 
nicht  gemeiner  Hunger  dich  verzehrt,  sondern  der  Hunger 
nach  grossen  Thaten.  Aber  sie  können  nicht  vollführt  werden 
ohne  grosse  Mittel,  und  Reichthum,  den  auszuspenden  in 
meiner  Hand  liegt,  ist  eines  der  mächtigsten.  —  Es  war  ein 
Stück  eigener  Lebenserfahrung,  wenn  der  Dichter  den  Erz- 
feind sagen  Hess: 


\IQ  Inhaltsangabe. 

Das  Geld  bringt.  Ehre,  Freunde,  Herrschaft,  Sieg, 
Indessen  Tugend,  Muth  und  Weisheit  darben. 

Mit  Überlegener  Ruhe  entzieht  sich  Jesus  dieser  neuen 
Schlinge.  Auch  er  entfaltet  wunderbarer  Weise  überraschende 
historische  Kenntnisse,  wie  er  denn  seinen  Widerpart  an  die 
Uneigennützigkeit  und  Unbestechlichkeit  eines  Cincinnatus, 
Fabritius,  Curius  Dentatus,  Regulus  erinnert.  Nicht  minder 
erscheint  ihm  die  Krone  des  Herrschers  verächtlich,  die  ihm 
Reichthümer  verschaffen  sollen.  Ganz  puritanisch,  als  sollte 
der  Hof  Karl's  H.  ihn  hören,  ruft  er  aus: 

Die  Krone, 
Von  aussen  Gold,  ist  nur  ein  Dornenkranz, 
Und  seinem  Träger  bringt  das  Diadem 
Gefahr  und  Sorgen,  Nächte  ohne  Schlaf, 
Die  Bürde  aller  ruht  auf  seinen  Schultern. 
Darin  besteht  ja  eines  Königs  Amt, 
.  Sein  Ruhm,  Verdienst  und  Werth,  sein  höchstes  Lob, 
Dass  er  für's  Ganze  solche  Lasten  trägt. 
Doch  wahrer  König  ist,  wer  sich  beherrscht, 
Wer  meistern  kann  Begierde,  Wunsch  und  Furcht, 
Und  jeden  Edlen  ziert  dies  Köuigthum. 

Einen  Augenblick  steht  Satan  beschämt  und  sprachlos 
da.  Dann  macht  er  seiner  Bewunderung  über  so  viel  Weis- 
heit Luft,  aber  auch  seinem  Bedauern,  dass  sie  in  der  Wüste 
begraben  sein  soll.  Er  sucht  seinen  Hörer  dazu  aufzureizen, 
sich  Ruhm  zu  gewinnen  und  hält  ihm  eine  kleine  Vorlesung 
über  die  Heroen  des  Alterthums,  die  auf  dieser  Bahn  voran- 
gegangen sind.     Jesus  erwidert: 

Was  ist  der  Ruhm  als  leerer  Zungen  Hauch, 
Des  Volkes  Lob  und  selten  reines  Lob? 
Und  was  ist  Volk  als  eine  wirre  Heerde, 
Ein  bunter  Haufe,  der  Gemeines  preist, 
Das,  wohl  erwogen,  keinen  Preis  verdient. 
Es  lobt,  bewundert  und  es  weiss  nicht  was. 
Nicht  wen,  der  eine  spricht  dem  andren  nach. 
Ist  es  ein  Glück,  der  Menge  zu  gefallen, 
In  deren  Mund  als  ihr  Geschwätz  zu  leben. 
Die  den  am  höchsten  ehren,  den  sie  schmähnV 


Inhaltsangabe.  111 

Mit  gleicher  Bitterkeit  hatte  sich  der  Verfasser  des 
„Bilderstürmers"  üher  die  „grosse  INIasse"  ausgesprochen. 
Sein  eigenes  zürnendes  Urtheil  vernimmt  man  auch  in  den 
folgenden  Worten,  mit  denen  Jesus  den  herkömmlichen  Ruhm 
der  kriegerischen  Eroberer  brandmarkt.  Es  war  nur  eine 
Variation  des  Spruches,  den  der  Erzengel  Michael,  selbst  ein 
tapferer  Krieger,  im  verlorenen  Paradiese  während  der  Vision 
Adam's  über  die  „Menschenschlächterei"  gefällt  hatte. 

Im  Irrthum  lebt,  wer  es  für  rühmlich  hält, 

Ein  weites  Reich  gewinnen  mit  Gewalt, 

Das  Land  verheeren,  grosse  Schlachten  schlagen 

Und  Städte  stürmen.     Ist  es  heldenhaft 

Zu  rauben,  brennen,  morden,  friedliche 

Nationen,  die  der  Freiheit  würd'ger  sind 

Als  ihre  Dräuger,  nah  und  fern  zu  knechten, 

Nichts  hinter  sich  zu  lassen  weit  umher 

Als  Schutt-  und  Trümmerhaufen  und  durch  Krieg 

Des  Friedens  blüh'nde  Werke  zu  zerstören  V 

Und  dann,  von  Stolz  geschwellt,  sich  Götter  nennen, 

Wohlthüter  für  die  Menschheit  und  Befieier, 

Mit  Tempeln,  Priestern,  Opferdienst  verehrt? 

Der  nennt  sich  Sohn  des  Zeus  und  der  des  Mars, 

Bis  der  Erobrer  Tod  die  lasterhaft 

Entwiu-digten  für  Menschen  kaum  erkennt. 

Nicht  die  Vertheidigungskriege  zur  ,, Befreiung  des  Vater- 
landes" trifft  diese  herbe  Anklage.  Es  wäre  auch  ein  selt- 
samer Widerspruch  gewesen,  wenn  derselbe  Milton  durch  den 
Mund  des  Weisesten  tapferen  Waffenthaten  schlechthin  ihren 
Ruhm  abgesprochen  hätte,  der  einst  zum  Ruhmesherold  des 
independentischen  Heeres  geworden  war.  Aber  am  höchsten 
stehen  ihm  doch  die  unblutigen  Siege  des  Geistes,  die  an- 
spruchslosen Thaten  dessen,  der  für  die  Wahrheit  kämpft  und 
duldet.  Hiob  und  Sokrates  —  der  Messias  nennt  sie  in 
einem  Athem  —  sind  seine  Ideale.  Ihr  Ruhm  bleibt  hinter 
dem  der  stolzesten  Eroberer  nicht  zurück. 

Satan  giebt  seine  Stellung  noch  nicht  verloren,  aber  er 
sucht  einen  würdigeren  Gegenstand  des  Ruhmes  vor  Augen 
zu  führen.    Sein  Volk  zu  befreien,   sich  als  Retter  an  seine 


\\2  Inhaltsangabe. 

Spitze  zu  stellen ,  zeigt  er  als  ein  Ziel ,  der  edelsten  Anstren- 
gung werth.  Aber  er  giebt  zu,  dass  ein  Eingreifen  in  die 
gi-osse  Politik  ohne  vorangegangene  Schulung  und  Einsicht  in 
die  Weltlage  nicht  möglich  sei.  Hier  wurde  der  biblische  Mythus 
nach  der  Anordnung  des  Evangeliums  Lucae  wieder  brauch- 
bar. Mit  grosser  Kunst  wird  jener  Scene  des  Ausblicks  von 
dem  hohen  Berge  über  alle  Reiche  der  Welt  eine  Schilderung 
der  politischen  Verhältnisse  der  ersten  Jahrzehnte  unserer 
Zeitrechnung  eingeflochten.  Kleine  geschichtliche  Versehen 
laufen  mit  unter.  Aber  im  ganzen  und  grossen  ist  die  histo- 
risch-politische Auseinandersetzung  geistvoll  und  richtig.  Der 
Vorschlag,  zunächst  eine  Anlehnung  bei  den  Parthern  gegen 
die  Römer  zu  suchen,  um  alsdann  nach  Befreiung  der  „zehn 
Stämme"  ein  selbstständiges  Reich  zwischen  den  rivalisirenden 
Mächten  zu  bilden,  macht  der  satanischen  Staatskunst  alle 
Ehre.  Diese  ..politischen  Maximen"  finden  aber  bei  dem 
Hörer  keinen  Anklang,  Kriegsgeräth  ist  ihm  „ein  Beweis 
der  Schwäche,  nicht  der  Stärke  der  ISIenschen".  Die  „tiefen 
Pläne  von  Feinden,  Beistand,  Schlachten,  Bündnissen"  dünken 
ihn  werthlos.  Seine  abgefallenen  Brüder,  die  zehn  Stämme, 
hält  er  seines  Befreiungswerkes  nicht  für  würdig.  Er  giebt 
zu  verstehn,  dass  seine  Aufgabe  eine  höhere  sei.  Satan  geht 
auch  auf  diesen  Gedanken  ein,  in  der  ^leinung,  es  handle 
sich  nicht  um  die  Gründung  eines  nationalen  Reiches,  sondern 
um  die  Erwerbung  der  Weltherrschaft.  Er  lässt  daher  das 
Bild  der  gebietenden  Siebenhügelstadt  auftauchen  mit  allem, 
was  sie  Grossartiges  enthält.  Es  ist  ein  glänzendes  Gemälde, 
das  der  Blinde  nach  seinen  liebsten  jugendlichen  Erinnerungen 
und  seinen  umfassenden  antiquarischen  Kenntnissen  sich 
rekonstruiren  konnte.  Zuletzt  erscheint  die  Gestalt  des  Tibe- 
rius  auf  Capri  in  seine  Lüste  versunken,  und  der  Verführer 
schliesst  mit  der  Aufforderung,  mit  seiner  Hilfe  ,,dies  Unge- 
heuer vom  Thron  zu  stossen".  Jesus  bleibt  auch  durch  diese 
„sogenannte  Herrlichkeit"  ungerührt.  Er  entwirft  das  finstere 
Gegenbild  der  faulen  römischen  Kultur,  die  alle  Laster  er- 
zeugt habe: 


Inhaltsangabe.  113 

Welch  Weiser,  Tapfrer  möchte  wohl  sich  mühn, 
Sie,  durch  sich  selbst  geknechtet,  zu  befrein? 
Wer  schafft  ein  freies  Volk  aus  Sklaveuseelen? 
Kommt  meine  Zeit,  besteig'  ich  David's  Thron, 
Und  meines  Reiches  wird  kein  Ende  sein. 

Durch  diese  neue  Ablehnung  gereizt,  vergisst  Satan  seine 
Rolle.  Er  zeigt  sich  als  der  Teufel,  der  er  ist,  indem  er  als 
Bedingung  für  seine  Geschenke  fordert,  dass  Jesus  nieder- 
falle und  ihn  anbete.  Alsbald,  gehörig  zurechtgewiesen, 
nimmt  er  seinen  höflichen  Ton  wieder  an  und  geht  zu  dem 
letzten  Appell  an  den  Ehrgeiz  über,  der  noch  möglich  war. 
Wer  Kriegsruhm  und  irdische  Herrschaft  versehmähte,  mochte 
dafür  empfänglich  sein,  mit  den  Lorbeeren  von  Kunst  und 
Wissenschaft  geschmückt,  ein  Herrscher  im  Reiche  der  Geister 
genannt  zu  werden.  Nicht  glücklicher  liess  sich  dies  Motiv 
ausführen  als  durch  eine  blendende  Schilderung  griechischer 
Bildung.  War  Rom  der  eine  Brennpunkt  antiker  Kultur,  so 
war  Athen  der  andere.  Die  „Mutter  der  Künste  und  Beredt- 
samkeit"  stellt  sich  von  weitem  den  Blicken  dar,  der  „Oliven- 
hain der  Akademie" ,  die  „Schulen  der  alten  Weisen" ,  die 
geheime  Macht  „der  Harmonie"  in  den  Gesängen  der  lyrischen 
und  epischen  Dichter,  die  Chöre  und  Jamben  der  „erhabenen 
Tragiker",  die  unwiderstehliche  Gewalt  der  „berühmten 
Redner".  W^as  Milton  jemals  bei  zunehmender  Bekanntschaft 
mit  den  Schätzen  des  griechischen  Genius  an  Entzücken  ge- 
fühlt hatte,  findet  hier  in  den  Worten  des  Satan  ein  voll- 
tönendes Echo.  Aber  dem  Messias  erscheint  auch  dies  alles 
als  teuflische  Lockung.  -VY^j.  Li(.jj|. 

Von  oben,  aus  dem   Quell  des  Lichts,  empfangt, 
Braucht  andre  Lehren,  wiir's  auch  Wahrheit,  nicht. 
Doch  falsch  sind  jene,  wenig  mehr  als  Träume, 
Vermuthung,  Phantasien  auf  Sand  gebaut. 

Die  Ueberlegenheit  des  reineren  Gottesbegriffes,  die  der 
Spross  des  auserwählten  Volkes  sich  eigen  weiss,  reisst  ihn 
zu  einer  höchst  parteiischen  Vergleichung  der  beiden  Kultur- 
elemente fort,  aus  deren  Verbindung  erst  eine  neue  Epoche 
für  die  Geschichte  der  j\Ienschheit  beginnen  konnte.  Die 
Systeme  der  griechischen  Philosophen  finden  keine  Gnade  vor 

Stern,  Milton  n.  s.  Z.    II.  4.  8 


W^  Inhaltsangabe. 

seinen  Augen,  „denn  auch  der  Weiseste  bekannte  nur  das  zu 
wissen,  dass  er  nichts  wisse".  Die  Poesie  der  Hellenen  kann 
sich  nicht  messen  mit  den  Gedichten  der  „Muttersprache", 
mit  ihren  Hymnen  und  Psalmen.  Die  griechischen  Rhetoren 
stehen  weit  zurück  hinter  den  von  Gott  begeisterten  Propheten. 
Hier  ist  „Einfachheit  und  Majestät",  „wahrer  Preis  des  Heilig- 
sten", „gediegene  Regierungsweisheit",  dort  nur  ein  „Trugbild 
der  Wahrheit" ,  gotteslästerlicher  und  schamloser  Fabelwust. 
„Schwulst  von  Beiwörtern,  dick  aufgelegt  wie  Schminke  auf 
einer  Buhlin  Wangen".  —  Wie  viel  oder  wie  wenig  Milton 
selbst  von  diesem  Urtheil  angehören  mag,  das  wird  man  sagen 
dürfen,  dass  er  es  in  seiner  Jugend  schwerlich,  selbst  durch 
den  Mund  eines  anderen,  ausgesprochen  haben  würde.  Auch 
dazu  hatte  er  durch  die  Sturm-  und  Drangperiode  des 
Puritanismus  hindurchgehen  müssen,  um  den  Teufel  zum  Ver- 
herrlicher der  antiken  Bildung  zu  machen  und  die  specifisch 
christliche,  aus  dem  Schoosse  des  Judenthums  erwachsene  Idee 
ihr  feindselig  und  triumphirend  gegenül)erzustellen. 

Der  zweite  Tag  der  Versuchung,  dessen  Schilderung  sich 
tief  bis  in  das  vierte  Buch  des  Gedichtes  hinein  erstreckt, 
ist  damit  zu  Ende.  Der  letzte  Akt  des  Mythus  nach  der 
Anordnung  des  Evangeliums  Lucae  blieb  noch  übrig,  die 
Versuchung  auf  der  Zinne  des  Tempels  von  Jerusalem,  welche 
der  Dichter  auf  den  dritten  Tag  verlegt.  Auch  diesen  Schluss- 
akt hat  er  mit  dem  schönsten  Schmuck  seiner  Phantasie  ver- 
schwenderisch bedacht.  Die  Schilderung  der  vorangehenden 
Gewitternacht,  des  anbrechenden  Morgens  ist  reich  an  frischen, 
gesättigten  Farben.  Das  Gespräch,  welches  dem  Zauberfluge 
zum  Tempel  vorausgeht,  erinnert  mitunter  an  das  grossartige 
Pathos  des  verlorenen  Paradieses.  Das  Ende  hinterlässt  einen 
erhebenden  und  beruhigenden  Eindruck.  Jesus  kehrt  „unbe- 
merkt",  als  Mann,  der  seinen  Lohn  in  sich  selbst  trägt,  in 
das  einfache  Haus  seiner  Mutter  zurück.  Aber  der  Chor  der 
triumphirenden  Engel  lässt  einen  Freudengesang  erschallen, 
in  welchem  noch  einmal  die  Erinnerung  an  das  grosse  Epos 
nachklingt : 


Renaissance  und  Puritanismus.  115 

Jetzt  ward  durch  deinen  reiueu  Sieg  gerächt 
Die  Ueberlistung  Adam's,  und  zurück 
Gewonnen  das  verlorne  Paradies; 
Vereitelt  ist,  was  einst  Betrug  geraubt. 

Bleibt  der  innige'  Ziisammenhanof  der  beiden  Gedichte 
somit  bis  zum  Schluss  erhalten,  so  gemalint  das  wiederge\vonnene 
Paradiel  zugleich  beständig  an  das  erste  gi'össere  poetische 
Erzeugnis  der  Milton'schen  Jugend,  Einem  unbefangenen 
Leser  wird  sich  der  Vergleich  mit  dem  Comus  sofort  auf- 
drängen. Wie  dort  so  ist  hier  die  leitende  Idee  der  Tiiumph 
der  Tugend  über  die  Verführang.  AYie  dort  so  kleidet  sich 
hier  der  Kampf  zwischen  dem  guten  und  zwischen  dem  l)ösen 
Prineip  in  pomphafte  Rhetorik.  In  beiden  Fällen  tritt  die 
dramatische  Gestaltungskraft  hinter  dem  ausgesprochenen 
Lehrzweck  zurück.  Aber  weit  entschiedener  als  das  Jugend- 
gedicht trägt  diese  Schöpfung  des  Alters  den  Stempel  ernster, 
fast  finsterer  Lebensanschauung.  Der  Schmelz  der  heiteren 
Renaissance  ist  beinahe  verflogen,  die  sorglose  Freude  an 
der  Antike  hat  der  religiösen  Beschaulichkeit  Platz  gemacht. 

In  einer  anderen  Beziehung  hingegen  hat  die  Antike 
sichtlich,  je  älter  Milton  wurde,  einen  immer  stärkeren  Ein- 
fluss  auf  ihn  gewonnen.  Es  wii'd  kaum  einen  grossen  engli- 
schen Schriftsteller  geben,  dessen  Latinismen  einen  solchen 
Umfang  erreichen,  als  es  bei  Milton  nachweisbar  erscheint. 
Die  beständige  Beschäftigung  mit  den  Autoren  des  römischen 
Alterthums,  die  frühe  Angewöhnung  ihrer  Sprache  zum 
poetischen  und  prosaischen  Gebrauche,  die  Nothwendigkeit  l)ei 
den  wichtigsten  Gelegenheiten  im  Amt  und  ausser  dem  Amt. 
zum  Angriff,  wie  zur  Abwehr  sich  des  Lateinischen  zu  be- 
dienen: alles  dies  hatte  auf  die  Ausbildung  des  ]\rilton*schen 
Englisch  einen  wesentlichen  Eintiuss  ausgeübt  und  ihm  ein 
bestimmtes,  im  Laufe  der  Zeit  immer  schärfer  werdendes 
Gepräge  gegeben.  Es  ist  hier  nicht  nur  von  dem  Milton'schen 
Sprachschatz  die  Rede  und  von  dem  Verhältnis,  in  welchem 
sich  die  angelsächsischen  und  romanischen  Bestandtheile  seines 
Vokabulai-s  befinden.  Allerdings  schon  eine  Betrachtung  dieses 
Gegenstandes  hat  zu  interessanten  Ergebnissen  geführt.    Man 


11(3  Milton's  Latinismen. 

hat  die  poetischen  Werke  Milton's  einer  genaueren  Unter- 
suchung auf  diese  Frage  hin  gewürdigt  und  gefunden,  dass 
von  den  etwa  8000  verschiedenen  "Worten,  die  in  ihnen  vor- 
kommen, ungefähr  5300  nicht-germanischen  Ursprungs  sind. 
Was  Shakespeare  betrifft,  so  hält  man  sich  zu  der  Annahme 
berechtigt,  dass  von  der  Summe  der  15000  Worte,  die  seinen 
poetischen  Sprachschatz  ausmachen  mögen,  etwa  600b  nicht 
dem  angelsächsischen  Stamm  angehören.  Milton's  Zurück- 
greifen auf  nicht  germanische  Formen  in  seinen  Gedichten 
würde  demnach  zwar  nicht  absolut  aber  relativ  bei  weitem 
bedeutender  erscheinen,  als  es  bei  Shakespeare  der  Fall  ist. 
Unter  diesen  nicht  germanischen  Wortformen  sind  viele,  die 
erst  Milton  in  die  englische  Sprache  eingeführt  hat,  wenn- 
gleich es  über  jedes  erlaubte  Mass  hinausgehen  wird,  mit 
Tocqueville  ihre  Zahl  auf  sechshundert  anzusetzen.  Unläug- 
bar  aber  ist,  dass  die  Jugendgedichte  einen  geringeren  Procent- 
satz niclit-sächsischer  Worte  enthalten  als  die  Gedichte  des  Alters. 
Und  zugleich  legen  diese  beim  ersten  Blick  voll- 
giltiges  Zeugnis  für  das  Vorherrschen  von  Latinismen  nach 
anderer  Richtung  hin  ab.  Die  Syntax  Milton's  zeigt  eine 
entschiedene  Hinneigung  zu  der  der  lateinischen  Sprache  und 
dies  je  mehr,  je  älter  er  wurde,  je  häufiger  er  selbst  Veran- 
lassung gehabt  hatte  die  lateinische  Sprache  anzuwenden. 
In  seinen  Jugendgedichten  herrscht  noch  der  leichte  natür- 
liche Satzbau  des  elisabethanischen  Zeitalters  vor,  doch 
drängen  sich  bereits  Wendungen  ein,  die  wie  ungeschickt  aus 
dem  Lateinischen  übersetzt  erscheinen.  In  den  früheren  seiner 
englischen  Prosaschriften  tritt  die  Einwirkung  antiker  Vor- 
bilder schon  deutlicher  hervor.  Im  späteren  "Mannesalter,  als 
er  jene  fein  ausgearbeiteten  Streitschriften  verfasst  hatte,  die 
alsbald  einen  europäischen  Ruf  erlangten,  dachte  er,  auch 
wenn  er  englisch  schrieb,  mit  Vorliebe  in  lateinischen  Formen. 
Konstruktionen,  welche  dem  Genius  der  englischen  Sprache 
von  Haus  aus  fremd  waren,  Participialverbindungen .  Ver- 
kürzungen durch  die  Anwendung  des  absoluten  Casus,  Aus- 
lassungen, Verschränkungen,  Vertauschungen  einzelner  Rede- 
theile  werden  immer  häufiger.    Das  wiedergewonnene  Paradies 


Der  reimlose  Jambus.  117 

nicht  minder  wie  das  verlorene  Paradies  sind  von  Latinismen 
der  Art  erfüllt,  und  der  moderne  Leser  wird  sich  nicht  selten 
an  einzelnen  Härten  der  Diktion  stossen,  welche  auf  diesen 
Ursprung  zurückzuführen  sind(^). 

Die  Form  des  wiedergewonnenen  wie  des  verlorenen  Para- 
dieses zeigt  aber  noch  nach  einer  anderen  Richtung  hin  eine  Ab- 
weichung von  den  heimischen  Gewohnheiten.  Alle  bedeutenden 
epischen  Dichtungen  Englands  waren  in  das  Gewand  gereimter 
Verse  gekleidet.  Milton  wagte  es  für  die  beiden  Epen,  die  seinem 
Alter  angehörten,  den  fünffüssigen,  reimlosen  Jambus  zu  wählen. 
Diese  Verwendung  des  üblichen  Versmasses  des  Dramas  für 
die  erzählende  Poesie  konnte  als  eine  kühne  Neuerung  gelten. 
Sie  erschien  um  so  kühner,  da  der  Reim  in  jener  Zeit  sich 
der  höchsten  Gunst  erfreute  und  selbst  Gebiete  zu  er- 
obern drohte,  die  ihm  bis  dahin  verschlossen  gewesen  waren. 
In  Butler's  Hudibras  waren  eben  durch  die  gewagtesten, 
kecksten  Reime  höchst  komische  Wirkungen  hervorgebracht 
worden.  Dryden  feierte  durch  die  geschickte  Handhabung 
der  heroischen  Stanze  die  grössten  Triumphe.  Mit  ihm  vor 
allem  drang  der  Reim,  nach  dem  verführerischen,  französischen 
Muster,  zeitweise  sogar  in"s  Drama  ein.  Erst  wenige  Jahre 
zuvor  hatte  Dryden  selbst  für  die  Zwecke  der  Bühne  den 
Reim  gerechtfertigt,  weil  „er  die  Phantasie  am  besten  regele". 
In  seinem  Essay  „über  die  dramatische  Poesie"  (1667)  hatte 
er  diese  Ansicht  näher  ausgeführt.  Von  Robert  Howard  des- 
halb angegriffen,  hatte  er  in  der  Vertheidigung  seines  Essays 
(1668)  die  Sache  des  Reimes  im  Drama  nochmals  verfochten. 
In  seinem  Aufsatz  über  „heroische  Schauspiele"  (1672)  kam 
er  auf  die  Frage  zurück  und  erst  sechs  Jahre  später  l:)equemte 
er  sich  dazu  eine  Manier  aufzugeben,  die  dem  Genius  seines 
Volkes  widerstrebte  (^).  Hatte  sich  nun  aber  der  Reim  gegen 
Ende  von  Milton's  Leben  selbst  der  Bühne  zu  bemächtigen  gewusst, 
so  schaltete  er  in  der  epischen  Dichtung  als  legitimer  Herrscher. 
Allein  auch  dieser  Legitimität  gegenüber  erhob  sich  in  Milton 
der  Revolutionär.  Der  übertriebene  Kultus  des  Reimes,  zu 
dem  man  sich  herabliess,  reizte  ihn  erst  recht  zum  Wider- 
spmch.     Er  bekannte  sich   ohne  Zweifel   mit   Wycherley   zu 


WQ  Der  reimlose  Jambus. 

der  Ansicht,  „dass  in  Folge  des  Reimes  mystischer  Nonsens 
von  den  Kritikern  oft  für  witzig,  und  Doppelsinnigkeiten  von 
den  Damen  für  zart  und  rührend  gehalten  würden''.  Dieses 
ürtheil  schimmert  sichtlich  durch  die  Worte  hindurch,  mit 
denen  er  genöthigt  ward  seine  unerhörte  Neuerung  in  Schutz 
zu  nehmen  (^). 

Denn  kaum  war  das  verlorene  Paradies  erschienen, 
als  nach  der  Versicherung  des  Verlegers  viele  Leser  an 
der  Reimlosigkeit  des  Gedichtes  „Anstoss  nahmen".  Er 
brachte  daher  1668  eine  Reihe  von  Exemplaren  auf  den  Markt, 
denen  nicht  nur ,  nach  lebhaft  geäussertem  Wunsche,  ein  In- 
haltsverzeichnis der  einzelnen  Gesänge  vorgedruckt  war, 
sondern  die  auch  eine  kurze  Vorbemerkung  Milton's  über 
„den  Vers"  enthielten.  In  dieser  nannte  er  den  Reim  ge- 
radezu „die  Erhndung  eines  barbarischen  Zeitalters"  und, 
namentlich  wenn  es  sich  um  „längere  Werke"  handle,  nur 
dazu  dienlich,  „schlechten  Inhalt  und  lahmes  Metrum  zu  ver- 
brämen". Er  gab  zu,  „dass  einige  berühmte  moderne  Dichter" 
sich  der  Mode  des  „trivialen  Reimgeklingels"  anbequemt 
hätten.  Aber  er  hielt  sich  davon  überzeugt,  dass  dieser 
„Zwang"  der  Güte  ihrer  Leistungen  nur  Eintrag  gethan  habe. 
Für  sein  Unterfangen,  diese  „Fesseln  abzuschütteln",  „als  der 
erste  in  England  dem  Epos  seine  Freiheit  zurückzuerobern", 
berief  er  sich  auf  das  Beispiel  Homers  und  Virgil's,  der  „besten 
englischen  Tragiker"  und  „einiger  italienischer  und  spanischer 
Dichter  ersten  Ranges"  (^).  Immerhin  war  diese  Methode  der 
Vertheidigung  eine  sehr  bedenkliche.  Denn  darüber  konnte 
kein  Zw'eifel  obwalten,  dass  die  vorzüglichsten  epischen  Werke 
der  Neuzeit  bei  allen  Völkern  die  Form  des  Reimes  zur  Ver- 
wendung gebracht  und  eben  durch  sie  einen  nicht  geringen 
Theil  ihrer  Volksthümlichkeit  erworben  hatten.  Auch  hat 
der  Vorgang  Milton's  auf  die  Dichter  seines  Vaterlandes 
wenig  Eindruck  gemacht.  Allein  er  gieng  auch  hier  stolz 
und  unbekümmert  den  Weg,  den  er  für  den  richtigen  hielt. 
Indem  er  für  das  wiedergewonnene  Paradies  dieselbe  Form 
wählte,  die  einige  Jahre  vorher  in  seinem  grossen  Epos  An- 
stoss erregt  hatte,  zeigte  er,  dass  er  nicht  gesonnen  sei,  dem 
Geschmack  des  Tages  das  kleinste  Zugeständnis  zu  machen (^). 


BehaudluDg  dieser  Versform.  119 

Es  wild  dem  Biographen  eines  grossen  Künstlers  erlaubt 
sein,  über  die  eigenthümliche  Technik,  deren  sich  derselbe 
bediente,  noch  ein  Wort  zu  sagen.  Sucht  man  sich  darüber 
klai"  zu  werden,  welcher  Art  Milton  mit  der  erwählten  Form 
zu  schalten  gewusst  hat,  so  wird  man  seinem  poetischen  Takt 
vollkommen  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen.  Im  Drama  er- 
hält der  reimlose  Jambus  schon  durch  den  Austausch  von 
Rede  und  Gegenrede,  der  mitten  in  einem  Verse  einsetzen 
kann,  diejenige  Abwechselung,  ohne  welche  er  von  unerträg- 
licher Eintönigkeit  werden  würde.  Im  gleichmässig  einher- 
wallenden  Fluss  des  Epos  müssen  andere  Mittel  zur  An- 
wendung kommen,  um  das  Ohr  nicht  zu  ermüden.  Das  Ge- 
heimnis des  Milton'schen  Versbaues  liegt  nun  darin,  dass  er 
sich  von  dem  Ideal  des  strengen  zehnsilbigen  Jambus  mög- 
lichst weit  entfernt.  Jeder  seiner  Verse  trägt  zwar  die  ihm 
zukommende  Bürde  fünfmaliger,  hervorgehobener  Betonung, 
aber  diese  Bürde  ist  in  den  verschiedenen  Versen  sehr  ver- 
schieden vertheilt.  Mitunter  nehmen  zwei  Silben  die  Stelle 
von  einer  ein,  mitunter  genügt  eine  Silbe,  wo  die  Regel  deren 
zwei  erfordern  würde.  Dadurch  wird  die  Möglichkeit  gegeben, 
den  Sinn  dem  Rhythmus  anzupassen  und  bald  den  Eindruck 
einer  spielenden  Beschleunigung  bald  den  einer  bedeutungs- 
vollen Zurückhaltung  hervorzubringen.  Zu  diesen  Mitteln  der 
Tonmalerei  kommen  andere,  die  der  Dichter  mit  nicht  weniger 
feinem  Gefühl  angewandt  hat,  vor  allem  der  weise  Gebrauch 
der  Alliteration  und  der  Assonanz.  —  Es  lässt  sich  allerdings 
nicht  läugnen,  dass  die  Behandlung  des  reimlosen  Jambus  im 
wiedergewonnenen  Paradies  hinter  derjenigen  im  verlorenen 
Paradies  zurücksteht.  Hier  erreicht  die  Milton'sche  Verskunst 
ihre  Höhe.  Sie  erhebt  sich  über  die  weichere,  glättere  Manier 
des  Comus  zu  männlicher  Kraft  und  Würde,  ohne  deshalb 
rauh  und  unmelodisch  zu  werden.  In  dem  zweiten  Epos  da- 
gegen scheint  dem  Dichter  die  Empfindung  für  die  Wirkung 
des  Metrums  sehr  wesentlich  abhanden  gekommen  zu  sein. 
Die  eilfsilbigen  Verse  häufen  sich  im  Uebermass,  die 
Alliterationen  und  Assonanzen  nehmen  ab.  Es  ist,  als  wenn 
auch  in  diesem  Punkte  das  Alter  sich  fühlbar  machte,  welches 


120      '  Entstehung  des  Sitnson. 

stark  sinnliche  Mittel  verschmähte.  In  noch  höherem  Masse 
gilt  dies  von  der  Versifikation  des  Dramas,  mit  dem  die 
künstlerische  Thätigkeit  Milton's  abschhesst(^). 


Seiner  poetischen  Individualität  würde  ein  unentbehrlicher 
Zug  fehlen,  wenn  das  wiedergewonnene  Paradies  das  letzte 
Wort  des  Dichters  geblieben  wäre.  Man  erkennt  allerdings 
in  dieser  Aeusserung  seines  Geistes  die  fromme  Ergebenheit, 
die  sittliche  Hoheit  und  den  Glauben  an  den  Sieg  des  Guten, 
die  sein  Alter  vor  Verbitterang  und  Verzweiflung  bewahrten. 
Aber  man  fühlt,  dass  noch  etwas  Unausgesprochenes  in  seiner 
Seele  schlummert.  Er  konnte  sich  wohl  über  den  Lauf  der 
Welt  zur  Hoffnung  auf  bessere  Zeiten  erheben,  aber  er  konnte 
sich  nicht  mit  ihm  versöhnen.  Er  durfte  sich  nicht  damit 
begnügen  die  leidende  Tugend  zu  preisen,  deren  Grösse  in 
der  Abwehr  und  Verneinung  bestand ,  er  lechzte  nach  einer 
befreienden,  männlichen  That.  Der  ..sanfte  Heiland"  mochte 
das  Werk  der  Vergeltung  dem  göttlichen  Vater  überlassen, 
er  war  ein  Mensch,  ein  Parteimann,  mit  Hass  und  Groll  gegen 
die  freudetrunkenen  Sieger  erfüllt ,  welche  seine  Ideale  ver- 
höhnten und  auf  dem  Grabe  seiner  Hoffnungen  ihre  triumphiren- 
den  Tänze  aufführten.  Sein  Schwanengesang  wurde  zum 
Fluch  über  ihre  Herrschaft,   zur  Prophezeiung  ihres  Falles. 

Die  christliche  Sanftmuth  der  evangelischen  Erzählungen 
vertrug  sich  freilich  sehr  wenig  mit  einer  solchen  Stimmung. 
Der  Dichter  wandte  sich  daher  zurück  zum  alten  Testament, 
der  unversieglichen  Quelle  puritanischer  Leidenschaft,  und 
fand  in  „der  Geschichte  Simson's,  des  Athleten",  den  ge- 
waltigen Stoff,  aus  dem  er  mit  der  Kraft  eines  Älichel  Angelo 
ein  reckenhaftes  Denkmal  seines  eigenen  Schmerzes  und  Zornes 
herausschlug.  Und  so  erschienen  1671  die  l^eiden  einander 
ergänzenden  poetischen  Zeugnisse  des  Puritanismus  gemein- 
sam :  das  wiedergewonnene  Paradies,  ein  Lobgesang  des  sieg- 
reichen Duldens,  Simson,  eine  Verherrlichung  der  rächenden 
That.    Vielleicht   hatte   der   Dichter,   um   diese   Zusammen- 


Entstehung  des  Simson.  121 

Stellung  ZU  ermöglichen,  darauf  verzichtet,  sein  zweites  Epos 
früher  zum  Abdruck  zu  bringen.  Denn  so  viel  daii  man  aus 
den  Worten  des  Quäkers  Ellwood  entnehmen,  dass  es,  wenn 
nicht  früher,  so  doch  jedenfalls  vollendet  wurde,  als  Milton 
nach  der  Pestzeit  vom  Lande  in  die  Stadt  zurückgekehrt  war, 
und  ohne  Zweifel  vollendet  war,  als  das  verlorene  Paradies 
bekannt  wurde.  In  den  nächsten  vier  Jahren  muss  der  Simson 
entstanden  sein.  Auch  dieser  Gegenstand  hatte  unter  den 
dramatischen  Entwürfen  von  Milton's  Jugend  eine  Stelle  ge- 
funden, so  zwar  dass  für  ihn  zwei  verschiedene  Tragödien  in 
Aussicht  genommen  waren,  deren  eine  das  vierzehnte  und 
fünfzehnte,  die  andere  das  sechzehnte  Kapitel  des  Buches  der 
Richter  umfassen  sollte.  Aber  nichts  spricht  dafür,  dass  an 
die  Ausführung  dieser  Idee  schon  in  früherer  Zeit  Hand  ge- 
legt worden  wäre.  Gelegentlich  wird  einmal  die  Sage  von 
Simson  zu  einem  Vergleich  in  einer  dei'  kirchenpolitischen 
Schriften  benutzt  (s  o.  II.  102j.  Besonderes  Interesse  für 
den  Stoff  tritt  nicht  hervoi".  Erst  im  Alter  erweckte  er  eine 
natürliche  Theilnahme.  und  die  Dichtung  erschien  nun.  als 
Anhang  zu  dem  wiedergewonnenen  Paradiese,  wie  ein  Werk 
aus  einem  Gusse.  Dies  Mal  scheint  Milton  selbst  die  Druck- 
kosten übernommen  und  in  einem  Buchhändler,  mit  dem  er 
sonst  noch  nicht  in  Verbindung  getreten  war,  nur  einen 
Agenten  für  den  Vertrieb  gewonnen  zu  haben  (^). 

Lassen  wir  zunächst  den  Inhalt  des  Werkes  bei  Seite, 
um  seiner  Form  unsere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Nach 
langen  Jahren  wagte  sich  Milton  wieder  an  eine  dramatische 
Dichtung ,  von  der  er  erst  einmal ,  in  dem  Maskenspiele  des 
Comus,  eine  Probe  gegeben  hatte.  Seit  dieser  Zeit  hatte, 
wenn  nicht  alles  trügt,  seine  Beiirtheilung  der  dramatischen 
Poesie  eine  Veränderung  erlitten,  die  wie  so  vieles  in  der 
Entwicklungsgeschichte  seiner  Ideen  auf  Rechnung  des  mächtig 
erstarkenden  Puritanisnms  zu  setzen  ist.  Zwar  gieng  er 
keineswegs  so  weit,  das  Theater  als  solches  zu  verwerfen. 
Aber  vergeblich  sucht  man  in  seinen  Schriften  eine  Wieder- 
holung der  Ausdrücke,  mit  denen  er  einst  die  nationale  Bühne 
gepriesen  hatte.    In  seiner  Schrift  über  das  Wesen  der  Kirchen- 


122  Antike  Form  des  Dramas. 

Verfassung  hatte  er  Gelegenheit  genommen,  sieh  über  drama- 
tische Dichtung  auszusprechen.  Aber  es  waren  nicht  mehr 
„der  süsseste  Shakespeare"  und  „der  gelehrte  Ben  Jonson", 
die  er  als  Muster  aufführte,  sondern  die  Tragödien  des 
Sophokles  und  Euripides,  wo  nicht  gar  das  „Pastoraldrama", 
des  hohen  Liedes  oder  die  „Scenen  und  Chöre"  der  Apokalypse. 
Es  kam  die  Zeit,  in  der  das  Theater  ganz  unterdrückt  war, 
hierauf  die  Epoche  des  Rückschlags,  in  der  es  sich  für  den 
angethanen  Zwang  rächte  und  zum  brauchbaren  Hilfsmittel 
der  zügellosen  Reaktion  herabsank.  Für  Milton  war  das  ein 
Grund  mehr,  sich  von  der  allgemein  angenommenen  Form 
abzuwenden. 

Wieder  stellte  er  sich  in  den  schärfsten  Gegensatz  zu 
dem  angesehensten  Dichter  des  Tages,  zu  John  Dryden.  In 
seinem  Essay  über  die  dramatische  Poesie  (1668)  hatte  dieser 
u.  a.  die  Ueberlegenheit  des  modernen  über  das  antike  Drama 
behauptet.  Er  hielt  immer  daran  fest,  dass  das  „Muster  der 
Alten  zu  klein  für  die  englische  Tragödie"  sei.  Milton  im 
Gegentheile  bestärkte  sich  immer  mehr  in  der  Ueberzeugung, 
dass  die  Form  des  antiken  Dramas  am  höchsten  stehe.  Dieser 
Ueberzeugung  gab  er  in  einem  kurzen  Vorwort  zum  Simson 
„über  diejenige  Art  dramatischer  Poesie,  die  man  Tragödie 
nennt,"  einen  unverhohlenen  Ausdruck.  Er  beginnt  mit  einer 
Vertheidigung  der  dramatischen  Poesie  überhaupt  und  bemft 
sich,  wie  schon  in  dem  Motto  seines  Werkes,  auf  Aristoteles. 
Wenn  er  dann  weiter  eine  Anzahl  von  Gewährsmännern  her- 
beizieht, unter  denen  selbst  der  Apostel  Paulus  und  Gregor 
von  Nazianz  nicht  fehlen,  so  gemahnt  das  fast  an  eine  der  alten 
Vertheidigungen  des  Schauspiels  aus  den  Tagen  Elisabeth's. 
Er  hält  indess  eine  solche  Vertheidigung  für  nöthig,  weil  die 
Tragödie  zu  seiner  Zeit  „bei  vielen  in  Missachtung  und  sogar 
in  Verruf  gekommen  sei".  Diese  puritanische  Verurtheilung 
erklärt  er  aus  dem  Verschulden  der  Dichter  selbst,  da  sie 
„dem  Ernst  und  der  Würde  der  Tragödie  komischen  Stoff 
beimischen  oder  niedere  und  gemeine  Personen  in  ihr  auf- 
treten lassen".  Ein  derartiges  Verfahren  gilt  „allen  Ver- 
ständigen als  absurd  und  taktlos''.    Es  dient  nur  dazu,   „auf 


Antike  Form  des  Dramas.  123 

unerlaubte  Weise  die  Gunst  der  grossen  Masse  zu  gewinnen*'. 
Hingegen  giebt  es  ein  anderes  Ideal  der  Tragödie,  das  nicht 
der  leiseste  Vorwurf  treffen  kann.  Es  ist  dasjenige  der  Alten, 
das  Ideal,  welches  Aeschylus,  Sophokles,  Euripides  zu  ver- 
wirklichen gesucht  haben,  „die  drei  tragischen  Dichter,  die 
noch  niemand  sonst  erreicht  hat".  Es  giebt  „kein  besseres 
Muster  für  irgend  jemanden,  der  eine  Tragödie  zu  schreiben 
unternimmt".  Ihnen  will,  nach  dem  Vorgang  italienischer 
Dichter,  auch  Milton  folgen.  Er  führt  den  alten  Chor  wieder 
ein,  ohne  diese  Neuerung  mit  der  Ausführlichkeit  zu  recht- 
fertigen, wie  Schiller  es  im  Vorwort  zur  Braut  von  Messina  ver- 
sucht hat.  Die  Zahl  der  handelnden  Personen  ist  wie  im 
griechischen  Trauerspiel  äusserst  beschränkt.  Wie  hier  ist 
dem  „Boten"  die  Aufgabe  zugewiesen,  über  die  Katastrophe, 
die  sich  dem  Auge  des  Zuschauers  entzieht,  ausführlich  Be- 
richt zu  erstatten.  Der  Schauplatz  bleibt  von  Anfang  bis  zu 
Ende  derselbe.  Die  Handlung  spielt  sich  „nach  alter  Regel 
und  den  besten  Mustern"  in  vierundzwanzig  Stunden  ab.  Un- 
willkürlich fühlt  man  sich  mitunter  an  den  gefesselten  Prome- 
theus, mitunter  an  den  Oedipus  oder  Philoktetes  gemahnt.  — 
]\Ian  braucht  nicht  zu  sagen,  dass  Milton  einen  Weg  be- 
trat, auf  dem  er  vereinsamt  bleiben  musste.  Empört  über 
die  theatralischen  Erscheinungen  des  Tages,  sprach  er  ein  Ver- 
dammungsurtheil  aus,  das  zwischen  der  eingebürgerten  Kunst- 
form  und  ihren  Auswüchsen  keinen  Unterschied  machte,  und 
vor  welchem  Shakespeare  so  wenig  bestehn  konnte  wie  irgend 
einer  der  Dramatiker  der  Restauration.  Auch  hat  er  selbst 
sich  nicht  darüber  getäuscht,  dass  seine  Stimme  kein  Echo 
finden  werde.  Er  hatte,  wie  er  sagt,  sein  Werk  „niemals  für 
die  Bühne  bestimmt"  und  daher  auch  jede  Eintheilung  in 
Akte  oder  Scenen  unterlassen.  Bei  alledem  war  es  ein  glück- 
licher Griff,  dem  biblischen  Stoffe  die  Form  des  antiken  Dramas 
zu  geben.  Wurde  er  damit  auch  der  Bühne  entzogen,  so  blieb 
ihm  jene  religiöse  Weihe  bewahrt,  die  sich  auf  keine  bessere 
Weise  erhalten  Hess.  Und  unverloren  ist  das  Werk  auch  in 
dieser  Gestalt  der  Nachwelt  nicht  gewesen.  Der  Mund  des 
Schauspielers  hat  Milton's  Dichtung  freilich  nicht  zum  Gemeingut 


124  Inhalt. 

gemacht.  Aber  in  Händers  majestätischen  Tönen  hat  sie  ein 
unvergängliches  Dasein  gewonnen. 

Fasst  man  den  Inhalt  des  Simson  in"s  Auge,  so  hat  man 
ausser  den  vier  bezüglichen  Kapiteln  des  Buches  der  Richter 
kaum  eine  andere  Stelle  des  alten  Testamentes  als  Quelle  des 
Trauerspiels  heranzuziehn.  Mit  demselben  poetischen  Takt 
wie  in  den  beiden  Epen  sucht  Milton  den  biblischen  Stoff 
auszunutzen  und  durch  glücklich  angebrachte  Motive  zu  be- 
leben. Der  letzte  Tag  Simson's  schliesst  die  ganze  Handlung 
ein.  Nur  durch  Rückblicke  wird  seine  grosse  Vergangenheit 
beleuchtet,  und  der  historische  Hintergrund  erhellt.  Es  ist 
der  Tag,  an  dem  die  Philister  ihrem  Götzen  Dagon  ein  Fest 
feiern  und  dem  blinden,  zu  niederer  Sklavenarbeit  verurtheilten 
Helden  gestatten  in  frischer  Luft  zu  rasten.  Er  wird  zu 
einer  Ruhebank  geleitet  und  bejammert  sein  schweres  Loos, 
dessen  gedenkend,   „was   er  einst  war  und  was  ei-  nun  ist''. 

Am  lautesten  erschallt  seine  Klage  über  die  Blindheit: 

Blind  unter  Feinden  —  ach  ein  härter  Weh 

Als  Ketten,  Kerker,  Armuth,  Alters  Druck. 

Das  Licht,  das  erste  Gotteswerk,  erlosch 

Für  mich,  mir  bleibt  kein  Quell  des  Trostes  mehr  .  .  . 

Oh  Dunkel,  Dunkel,  Dunkel  bei  dem  Glanz 

Des  Mittags,  ew'ge  dichte  Nacht  und  nie 

Die  Hoffnung  neuen  Tag's! 

Du  erstgeschatiTner  Strahl,  du  grosses  Wort: 

„Es  werde  Licht,  und  Licht  ward  überall" 

Wie  bin  ich  deines  Segens  so  beraubt? 

Schwarz  ist  die  Sonne  mir 

Und  schweigend  wie  der  Mond, 

Wenn  er  die  Nacht  verlässt, 

In  seiner  finstren  Höhle  still  versteckt. 

Da  Licht  dem  Leben  so  nothwendig  ist. 

Das  Leben  selbst  ist,  wenn  es  wahr,  dass  Licht 

Auch  in  der  Seele  wohnt, 

Und  diese  allen  Theilen  gleich  gehört, 

Warum  ward  auf  des  Auges  zarten  Ball, 

So  leicht  getroffen  und  so  schnell  zerstört. 

Von  der  Natur  die  Kraft  des  Sehns  beschränkt? 

Warum  lässt  sie  es  nicht  wie  das  Gefühl 

Durch  alle  Poren  gleicher  Weise  strömen?  .  .  . 


Inhalt.  125 

Der  Chor  tritt  auf,  eine  Schaar  der  Landsleute  und  Freunde 
Simson's,  um  ihn  zu  trösten.  Sein  alter  Vater  Manoa  er- 
scheint zu  gleichem  Zweck.  Er  will  versuchen  ilin  durch 
Zahlung  eines  Lösegeldes  zu  befreien  und  entfernt  sich  um 
seine  Bemühungen  fortzusetzen.  Nach  einem  tiefsinnigen  Chor- 
gesang über  den  Wechsel  des  menschlichen  Schicksals  naht 
Delila,  Simson's  Weib,  um  seine  Verzeihung  zu  ei-flehn.  Ein 
Zwiegespräch  voll  Schärfe  und  Leidenschaft  führt  keine  Ver- 
söhnung herbei.  Nach  dem  Abgang  Delila's  spricht  sich  der 
Chor  in  einer  Weise  über  die  Ehe  und  das  Verhältnis  von 
Mann  und  Frau  aus,  die  Milton's  eigene  Meinung  wieder- 
spiegelt (^j: 

Gottes  heilige  Gesetzesrollen 
Geben  dem  Maune  Herrscbermaclit 
lieber  die  Frau.    Drum  halte  er  Wacht, 
Dass  er  sie  zügle  durch  strenges  Wollen, 
Möge  sie  schmeicheln,  möge  sie  schmollen ; 
Sonst  bezwingt  sie  ihn,  eh'  er's  gedacht. 

Der  Riese  Harapha  von  Gath,  der  hierauf  vor  Simson 
tritt,  ist  eine  Zuthat  iMilton's,  dem  zweiten  Buche  Samuelis 
(Kap.  21)  entlehnt.  Der  Riese  hat  grosse  Worte,  aber  er 
wagt  nicht  den  angebotenen  Kampf  anzunehmen.  Seine 
spöttischen  Reden  haben  nur  dazu  gedient,  das  alte  Kraft- 
gefühl in  dem  blinden  Helden  zu  wecken,  und  die  Zu- 
stimmung des  Chores  hebt  ihn  noch  mehr.  Ein  Bote  fordert 
von  ihm  im  Namen  seiner  „Lords",  zu  Ehren  Dagon's  auf  dem 
Festplatz  eine  Probe  seiner  Kraft  zu  geben,  ein  Anschlag, 
den  ohne  Zweifel  dei-  beleidigte  Riese  eingegeben  hatte. 
Simson  weigert  sich  unter  „Athleten,  Kunstreitern,  Taschen- 
spielern, Tänzern  und  Komödianten"  aufzutreten.  Es  bedarf 
des  Zuredens  des  Chores  und  neuer  energischer  Mahnung  des 
Boten,  um  ihn  zum  Gehen  zu  bewegen.  Er  geht,  das  Herz 
von  heroischen  Entschlüssen  erfüllt.  Eine  Ahnung  sagt  ihm, 
dass  dieser  Tag  durch  eine  grosse  That  bezeichnet  oder  der 
letzte  seines  Lebens  sein  werde.  Manoa  kehrt  zurück  und 
macht  den  Chor  zum  Vertrauten  seiner  frohen  Hoffnungen. 
Während  ihres  Gespräches  erschallt  ein  brausender  Lärm,  es 
ist   der  Beifall   des  Volkes,   das  Simson's  Kraftentfaltung  zu- 


]26  Inhalt.  —  Kritik. 

jauchzt.  Sie  sprechen  weiter,  da  lässt  sich  ein  neues,  furclit- 
bareres  Getöse  hören,  „ein  allgemeiner  Seufzer,  als  war  ein 
ganzes  Volk  dahingestorben".  Vei-stört  und  athemlos  kommt 
ein  Hebräer  gelaufen,  welcher  dem  Ruin  entronnen  ist.  Er 
sagt  das  Schlimmste  zuerst:  Simson  ist  todt,  durch  eigene 
Hand  gefällt,  aber  in  seinem  Sturze  hat  er  seine  Feinde  be- 
graben. Erst  darauf  sammelt  er  sich  zu  einer  gedrängten 
Schilderung  des  Herganges,  die  es  mit  jedem  antiken  Muster- 
stück der  Art  aufnehmen  kann(i).  Die  Hörer  geben  ihren 
Gefühlen  lebhaften  Ausdruck,  Manoa,  gefasst  und  erhoben, 
fordert  zu  einer  grossartigen  Leichenfeier  auf,  und  der  Chor 
mit  seiner  Hindeutung  auf  die  Weisheit  des  Höchsten  schliesst 
das  Ganze  würdig  ab. 

Auch  in  dieser  Dichtung  springen  einige  Mängel  sofort 
in  die  Augen.  Man  hat  nicht  ohne  Grund  in  den  einzelnen 
aneinandergereihten  Scenen  jede  dramatische  Steigerung  ver- 
misst.  Man  hat  auch  hier  die  Yordringlichkeit  der  Milton'- 
schen  Gelehrsamkeit  bemerkt.  Simson  spricht  von  „ver- 
zauberten Bechern  und  lockendem  Gesang" ,  als  wären  ihm 
die  Mythen  von  Circe  und  den  Sirenen  bekannt.  Der  Chor 
der  Hebräer  vergleicht  die  Tugend  mit  dem  „Vogel,  der  aus 
seiner  Asche  ersteht",  als  wäre  ihm  die  Sage  vom  Phönix 
gegenwärtig.  Wortspiele  und  Bilder,  welche  an  die  Künste- 
leien der  Donne'schen  Schule  erinnern,  drängen  sich  ein. 
Aber  nicht  leicht  wird  jemand  Milton's  Tragödie  aus  der 
Hand  legen,  ohne  von  ihrer  einfachen  Grösse  ergriffen  worden 
zu  sein.  Die  Charaktere  werden  klar  und  bestimmt  durch- 
geführt. Die  Sprache  ist  von  natürlicher  Würde  und  Hoheit. 
In  den  Chorgesängen  zeigt  sich  zwar  ein  bedenklicher  Mangel 
des  fi-eien,  lyrischen  Schwunges,  desto  besser  wird  der  Ton 
reflektirender  Theilnahme  getroffen,  die  sich  zu  allgemeinen 
Betrachtungen  erhebt.  Die  Verflechtung  des  Chores  in  den 
Dialog  erscheint  keineswegs,  wie  man  befürchten  sollte,  als 
ein  trauriger  Nothbehelf.  Allerdings  hat  Milton  die  lyrische 
Bedeutung  des  Chores  noch  auf  andere  Weise  abgeschwächt. 
Er  verzichtete  auf  die  Theilung  in  Strophe,  Antistrophe  und 
Epode.  weil,  wie  er  im  Vorworte  zu  seiner  Tragödie  sagt,  seine 


Autobiographische  Andeutungen.  127 

Chöre  gar  nicht  auf  den  Gesang  berechnet  waren.  Dafür 
entschloss  er,  sich  hie  und  da  den  Reim  anzubringen,  dem  er 
noch  kurz  zuvor  auf  einem  anderen  Felde  den  Krieg  erklärt 
hatte. 

Den  grössten  Reiz  erhält  das  Werk  durch  seine  beständig 
merklichen  Beziehungen  auf  die  Schicksale  und  auf  die  Persön- 
lichkeit des  Dichters.  Man  fühlt  es,  dass  er  mit  dem  Blute 
seines  Herzens  und  mit  dem  Safte  seiner  Nerven  schreilit. 
Wie  Simson,  so  war  auch  er  ein  starker  Held  gewesen  im 
Kampfe  für  eine  verlorene  Sache.  Wie  Simson,  so  war  auch 
er  zum  Spott  seiner  Feinde  geworden,  der  Philister  der 
Revolution.  Auch  er  hatte  immer  wie  ein  „Verlobter  Gottes" 
Enthaltsamkeit  geübt  und  den  Wahn  der  anderen  nicht  ge- 
theilt,  dass  „Wein  und  starkes  Getränke"  besondere  Kraft 
gebe.  Auch  ihn  hatte  einst  ein  Weib  aus  feindlichem  Lager 
umstrickt,  und  der  Missgriff  hatte  ihm  die  schönsten  Jahre 
des  Lebens  verbittert.  Endlich  die  elende  Nacht  der  Blind- 
heit war  ihm  gemein  mit  dem  alttestamentarischen  Heroen. 
Simson  spricht  es  aus,  aber  es  gab  Momente,  in  denen  Milton 
es  ihm  nachempfand: 

Ich  fühl'  es,  wie  das  Leben  in  mir  sinkt, 
Verwelkt  ist  all  mein  Hoffen,  die  Natur 
Erschlafft  in  mir,  wie  müde  ihrer  selbst. 
Die  Balin  des  Kuhms,  der  Schande  lief  ich  durch, 
Bei  denen  bin  ich  bald,  die  friedlich  rulm. 

Und  nicht  bloss  die  Betrachtung  seines  persönlichen  Schick- 
sals legte  dem  Dichter  einen  Vergleich  nahe.  Der  allgemeine 
historisch-politische  Hintergrund,  von  dem  sich  die  Gestalt 
seines  Helden  abhob,  machte  sein  Werk  zu  einem  ernsten 
Denkmal  seiner  eigenen  Zeit.  Wenn  Simson  die  Häupter 
Israels  schilt,  welche  „die  grossen  Thaten  der  Befreiung  miss- 
achteten ,  die  Gott  durch  ihn  vollführt  hatte" ,  wem  sollten 
nicht  die  Mahnungen  einfallen,  die  der  Gegner  des  Salmasius 
ehemals  an  seine  Landsleute  gerichtet  hatte?  Schmerzbewegt 
ruft  er  aus: 

Wie  oft  geschieht's,  dass  ein  entai'tet  Volk 
Durch  seine  Laster  bald  zum  Sklaven  wird. 


128  Politische  Tendenz. 

Die  Fesseln  höher  als  die  Freiheit  schätzt, 

Höher  als  schlichte  Freiheit  goldne  Fesselo. 

Dann  schleudern  sie  Verleumdung,  Argwohn,  Neid 

Auf  ihn,  den  Gottes  hohe  Gunst  erweckt, 

Sie  zu  befrei'n.     Bleibt  er  der  Fahne  treu, 

So  lassen  sie  den  Muthigen  im  Stich 

Und  häufen  Undank  auf  die  \Yackre  That. 

Er  gedenkt  der  „ungerechten  Tribunale",  des  feindlichen 
Schwertes  der  Abgöttischen,  das  die  „Leichen  der  Erwählten 
den  Hunden  und  Vögeln  zum  Frass  giebt" ,  und  man  hört 
den  trauernden  Freund  der  Cromwell,  Bradshaw  und  Vane 
reden.  Er  schildert  die  verschiedenen  Klassen  der  Sieger, 
die  „stolzen  und  racheschnaubenden  Verehrer  Dagon's  und 
seiner  Priesterschaft'' ,  die  Gewinnsüchtigen,  welche  für  ihren 
Privatvortheil  „Gott  und  den  Staat  zu  verschachern  bereit 
sind" ,  die  Milderen ,  die  sich  mit  einem  Lösegeld  begnügen 
wollen,  und  man  fühlt  durch,  dass  er  die  Männer  der  Hoch- 
kirche und  der  Kavalierpartei  nach  dem  Leben  abzeichnet. 
Diese  Erinnerungen  an"  Selbsterlebtes  verstärken  den  melan- 
cholischen Hauch,  der  über  das  ganze  Drama  ausgebreitet 
ist.  Aber  sie  erscheinen  verbunden  mit  dem  stolzen  Gefühle 
siegesfreudiger  Zuversicht.  „Der  ganze  Kampf  ist  zwischen 
Gott  und  Dagon"  ruft  Simson  aus,  und  Milton  ruft  es  mit 
ihm.  Er  weiss,  dass  der  Sieg  bei  Gott  verbleiben  wird,  bei 
dem  Gotte,  in  dessen  Namen  die  edelsten  Söhne  des  Puritanis- 
mus  ihr  Banner  erhoben  hatten.  —  Er  hat  die  zweite  glor- 
reiche Revolution  nicht  mehr  erlebt,  aber  weissagend  schildert 
er,  wie  sie  gleich  dem^  erstarkten  Helden  an  den  Säulen  der 
stuartischen  Herrschaft  rütteln  und  den  gleissenden  Bau  der 
Restauration  in  Trümmer  legen  werde. 

In  dieser  Gestalt  des  zürnenden  Propheten  sollten  die 
folgenden  Geschlechter  das  Bild  des  blinden  Dichters  festhalten. 


Fünftes  Kapitel. 
Abschluss  der  gelehrten  Arbeiten. 


Im  Gedächtnis  der  Nachwelt  wird  Milton  immer  vor- 
zugsweise als  Schöpfer  jener  drei  grossartigen  Dichtungen 
fortleben,  deren  Hervorl)ringung  ihm  eine  unfreiwillige  Müsse 
nach  der  Wiederherstellung  des  Königthums  ermöglichte.  Ihm 
selbst  galt  die  Arbeit  des  Lebens  damit  nur  als  zur  Hälfte 
gethan.  Mit  dem  Dichter  Milton  hatte,  nicht  eben  zu  dessen 
Vortheil,  der  Gelehrte  Milton  von  jeher  gewetteifert.  Als 
er  sich  einst,  um  den  Tageskämpfen  nicht  vom  sicheren 
Ufer  aus  zuzuschauen,  „auf  der  stürmischen  See  lärmenden 
und  groben  Gezänkes  eingeschifft  hatte",  waren  es  doch  nicht 
bloss  poetische  Träume  seiner  „ruhigen  und  lieblichen  Ein- 
samkeit" gewesen,  aus  denen  er  sich  hatte  losreissen  müssen. 
Er  hatte  zugleich  jene  ernsten  und  nüchternen  Studien  ein- 
zuschränken gehabt,  die,  ohne  Rücksicht  auf  obwaltende 
Streitigkeiten  betrieben,  ihren  Lohn  lediglich  in  sich  selbst 
trugen.  Doch  waren  diese  rein  wissenschaftlichen  Bestre- 
bungen deshalb  keineswegs  ganz  in  Vergessenheit  gerathen. 
Drei  grosse  Arbeiten  gelehrten  Charakters  waren  in  Angriff 
genommen  worden  und  zum  Theil  schon  ziemlich  weit  vor- 
gerückt, als  der  Eintritt  in  den  Staatsdienst  eine  neue  Unter- 
brechung herbeiführte.  Der  Verlust  des  Augenlichtes  musste 
die  Vollendung  jener  Aufgaben  noch  mehr  verzögern.  Erst 
nach  langen  Jahren  ward  es  möglich,  wenigstens  einige  jener 

Stern,  Milton   u.   s.  Z.  II.   4.  9 


]^30  Lateinisches  Wörterbuch. 

Werke  zu  einem  gewissen  Abschluss  zu  bringen  und  ihnen 
ein  paar  kleinere  Erzeugnisse  des  Gel  ehrt  enfleisses  hinzu- 
zufügen. 

Unter  jenen  schon  längst  begonnenen  wissenschaftlichen 
Arbeiten  hatten  sich  die  Vorbereitungen  zur  Herstellung  eines 
lateinischen  Wörterbuches  befunden.  Es  gehört  zu  den  schein- 
baren Widersprüchen  im  Genius  Milton's,  dass  er,  dessen 
Phantasie  Himmel,  Hölle  und  Erde  zu  umspannen  wagte,  sich 
in  der  peinlichen  Sorgfalt  des  Excerpirens  und  Kompilirens 
gefiel.  "Wie  er  sich  mehrere  wohlgeordnete  Sammlungen  von 
Lesefrüchten  in  besonderen  Heften  anlegte,  deren  eines  erst 
kürzlich  zum  Vorschein  gekommen  ist,  so  wünschte  er  seine 
umfassende  Kenntnis  der  römischen  Literatur  in  einer  prak- 
tischen Weise,  die  den  höchsten  Beifall  Hartlib's  und  Co- 
menius'  gefunden  haben  würde ,  weiter  zu  verwerthen.  Be- 
mühungen dieser  Art  mussten,  nachdem  er  erblindet  war,  eine 
schwer  -zu  überwindende  Schranke  finden.  So  begreift  man  es, 
dass  die  Vollendung  jenes  lexikalischen  Unternehmens  am 
ehesten  unmöglich  wurde.  Nach  Phillip's  Bericht  fuhr  er 
zwar  „fast  bis  zu  seinem  Todestage  mit  den  Sammlungen  aus 
seiner  Lektüre  fort",  die  zur  Herausgabe  eines  „neuen  the- 
saurus  linguae  latinae  nach  der  Art  des  Stephanus"  dienen 
sollten.  Allein  die  bezüglichen  Papiere  fanden  sich  nach 
seinem  Tode  „in  einem  so  verwirrten  und  mangelhaften  Zu- 
stande vor,  dass  sie  als  unbrauchbar  für  den  Druck  er- 
schienen". Sie  sind  indessen  doch  nicht  ganz  werthlos  ge- 
blieben. „Was  von  ihnen  vorhanden  war",  fährt  Phillips  fort, 
„wurde  für  ein  anderes  Wörterbuch  benutzt",  und  in  der 
That  erklären  die  Herausgeber  des  sg.  Cambridge  -  Wörter- 
buchs von  1693,  die  sich  enge  an  Adam  Littleton's  Wörter- 
buch von  1678  anschlössen,  wie  dieser  selbst,  in  der  Vorrede., 
dass  sie  „drei  grosse  Manuskriptbände  in  Folio,  alphabetisch 
geordnet  und  von  dem  gelehrten  John  Milton  angefertigt", 
hätten  ausbeuten  können (^).  Es  ist  vermuthet  worden,  dass 
Edward  Phillips  selbst  diese  Papiere  aus  dem  Nachlasse  seines 
Oheims  bereitwillig  zur  Verfügung  gestellt  habe.  Jedenfalls 
scheinen  sie  sich  eine  Zeit  lang  in  seiner  Hand  befunden  zu 


Lateinische  Grrammatik.  131 

haben.  Auch  mögen  sie  ihm  für  eigene  Veröffentlichungen, 
ein  „Enchiridion"  und  ein  „speculum  linguae  latinae"  (1684), 
zu  gute  gekommen  sein(^). 

Ein  genügendes  Wörterbuch  war  nicht  das  einzige  Hilfs- 
mittel zur  Erleichtei-ung  der  lateinischen  Studien,  auf  dessen 
Zurüstung  Milton  Mühe  und  Zeit  verwandt  hat, 

Seit  lange  hatte  ihn  die  Frage ,  auf  welche  Weise  die 
lateinische  Sprache  am  leichtesten  erlernt  werden  könnte, 
lebhaft  beschäftigt.  In  seiner  Jugend  mit  Lily's  veralteter 
Grammatik  aufgezogen,  musste  er  das  Bedürfnis  eines  neueren 
Lehrmittels  bei  seiner  eigenen  pädagogischen  Thätigkeit  häufig 
empfinden.  Durch  die  Bestrebungen  des  Comenius  wurde  er 
angelegt,  sich  mit  diesem  Thema  weiter  zu  beschäftigen. 
Während  er  auf  Hartlib's  Wunsch  seine  Ideen  über  die  Er- 
ziehung entwickelte,  tauchte  es  auf's  neue  vor  ihm  auf,  und 
Hartlib  selbst  hatte  es  ein  Jahrzehnt  danach  auf  seine  Art 
behandelt.  Im  Jahre  1669  fasste  Milton  die  Ergebnisse 
seines  Nachdenkens  in  einer  kurzen  englisch  geschriebenen 
Grammatik  zusammen  (-).  In  einem  Vorwort  an  den  Leser 
bemerkt  er,  wie  seit  lange,  nicht  ohne  Ui'sache,  darüber 
geklM  worden  sei,  „dassmit  einer  noch  dazu  sehr  mittel- 
mäsöfgeu  Erlernung  dei"  lateinischen  Sprache  der  zehnte  Theil 
eines  Menschenlebens  daraufgehe".  Eine  Hauptursache  davon 
scheint  ihm  darin  zu  liegen ,  dass  die  Anfangsgründe,  wie  die 
höhere  Grammatik ,  gesondert  und  gleich  in  lateinischer 
Sprache  gelehrt  werden,  noch  ehe  die  Schüler  diese  verstehn. 
Milton's  Reform,  und  er  schmeichelt  sich  in  der  That,  wie 
er  sie  einführt,  der  erste  zu  sein,  besteht  also  darin,  dass 
er  die  elementaren  und  höheren  Theile  der  Grammatik  ver- 
bindet und  zwar  in  englischer  Sprache.  „Was  Buchstaben 
und  Silben  betrifft",  so  ist  das  darüber  zu  Sagende  weg- 
geblieben, da  es  „vorher  und  mit  geringen  Abweichungen  aus  der 
englischen  Fibel  gelernt  sein  wird,  und  da  sich  doch  nur 
wenige  werden  übereden  lassen,  das  Lateinische  anders 
auszusprechen  wie  ihr  eigenes  Englisch."  Anderes,  wie  Un- 
regelmässigkeiten von  Deklination,  Geschlecht,  Konstruktion 
ist  absichtlich  ausgelassen,    um    nicht   das  Büchlein  ,, durch 


232  Geschichte  Britanniens. 

Kataloge  zu  überbürden"  und  .,die  Reihenfolge  der  Regeln  zu 
oft  zu  unterbrechen".  Ein  „Wörterbuch  mit  guten  Beleg- 
stellen" scheint  IMilton  für  diesen  Zweck  besser  zu  dienen. 
Er  tadelt  trotz  aller  sonstigen  Anerkennung  an  seinem  Vor- 
gänger Linacre,  der  eine  lateinische  Elementargrammatik  in 
englischer  Sprache  für  die  Prinzessin  Maria,  Heinrichs  VIII. 
Tochter,  geschrieben  hatte,  dass  er  anderer  ]\Ieinung  gewesen 
sei.  —  Man  sieht,  das  vornehmste  Bestreben  Milton's  war 
darauf  gerichtet,  einen  möglichst  praktischen  Leitfaden  her- 
zustellen, nicht  nur  für  den  Unterricht  Jüngerer,  sondern 
auch  zur  Selbstbelehrung  Aelterer.  Es  hat  wiederum  etwas 
Rührendes,  zu  bemerken,  wie  er  dem  nützlichen  Zweck  zu  Ge- 
fallen minder  bedeutenden  Aufgaben  seine  Kraft  zuwandte. 

Ein  "Werk  von  bei  weitem  grösserer  Wichtigkeit,  ja  ohne 
Zweifel  eines  der  interessantesten,  das  der  Reihe  seiner  pro- 
saischen Schriften  angehört,  liess  er  ein  Jahr  darauf  er- 
scheinen. Es  ist  die  „Geschichte  Britanniens,  vorzüglich  des- 
jenigen Theiles,  der  heute  England  genannt  wird,  von  den  ersten 
sagenhaften  Anfängen  bis  zur  normannischen  Eroberung"  (\), 
Das  Buch  war  von  einem  Bilde  des  zweiundsechzigjährigen 
Autors  begleitet,  welches  der  berühmte  Kupferstecher  William 
Faithorne  nach  dem  Leben  angefertigt  hatte.  Dies  war  die 
zweite  jener  gi'ossen  Arbeiten,  die  schon  seit  Jahren  begonnen, 
in  ihrer  Fortführung  aber  oft  genug  unterbrochen  worden 
waren.  Vier  Bücher  waren  vollendet  gewesen,  als  Milton  dem 
Rufe  des  republikanischen  Staatsrathes  folgte.  Zwei  weitere 
Bücher  traten  im  Laufe  der  Zeit  hinzu,  und  der  Aufschub  der 
Veröffentlichung  konnte  der  Ausfeilung  des  Ganzen  nur  zu 
statten  kommen.  Ursprünglich  war  der  Plan  des  Werkes 
noch  grossartiger  gewesen.  Es  sollte  die  vaterländische  Ge- 
schichte von  den  ältesten  Zeiten  an  „bis  auf  die  Gegenwart" 
umfassen.  Allein  der  Erblindete  war  der  Lösung  einer 
solchen  Riesenaufgabe  nicht  mehr  gewachsen.  Auch  so  indess 
ist  seine  Leistung,  beschränkt  auf  einen  kleineren  Umfang, 
aller  Achtung  werth. 

Während  der  Revolution  war  in  politischen  Schriften 
häufig  eine  entschiedene  Hinneigung  zu  den  vornormannischen 


Miltons  historische  Befähigung.  133 

Zeiten  hervorgetreten.  Die  bekämpften  Zustände  waren  nicht 
selten  in  künstlicher  Weise  auf  die  Feudalmonarchie,  als  ihre 
hauptsächlichste  Ursache,  zurückgeführt  worden (^).  Milton, 
der  geistige  Vorfechter  jener  Revolution,  war  der  erste, 
welcher  eine  ausführliche  und  wohlgeordnete  Geschichte  der 
früheren  überlaut  gepriesenen  Epoche  in  der  Muttersprache 
zu  schreiben  den  Muth  fand.  Freilich  hat  erst  anderthall) 
Jahrhunderte  später  das  Zusammenwirken  von  Alterthums-  * 
künde,  Sprachforschung  und  Rechtswissenschaft  ein  richtigeres 
Verständnis  jener  dunklen  Zeiten  erschlossen.  Allein  schon 
die  Kühnheit,  mit  der  sich  Milton  nach  seiner  Art  einen  Weg 
durch  das  Dickicht  der  Ueberlieferung  zu  brechen  suchte, 
würde  ihm  für  immer  einen  ehrenvollen  Platz  in  der  Ge- 
schichte der  englischen  Historiographie  sichern,  auch  wenn 
seine  Arbeit  nicht  noch  durch  andere  Vorzüge  ausgezeichnet  wäre. 
Allerdings  wird  man  zunächst  einen  leisen  Zweifel  an 
der  Befähigung  des  Schriftstellers  für  die  Lösung  seiner  Auf- 
gabe nicht  unterdrücken  können.  Man  hat  Milton  mitunter 
den  historischen  Sinn  ganz  abgesprochen.  Niemand  wird 
läugnen,  dass  die  Art  seines  literarischen  Eingreifens  in  die 
bewegenden  Fragen  des  Tages  Gründe  genug  für  die  Abgabe 
dieses  Urtheils  liefert.  Mit  schonungslosem  Radikalismus 
hatte  er  mehr  als  einmal  für  einen  vollständigen  Bruch  mit 
der  Vergangenheit  gesprochen.  Der  abstrakten  Idee,  nach 
der  er  die  Dinge  in  Kirche  und  Staat  umgestaltet  wissen 
wollte,  sollte  sich  der  vorhandene  spröde  Stoff  wohl  oder  übel 
fügen.  Oft  schien  er  dem  Baumeister  zu  gleichen,  der  sich 
daran  genügen  lässt,  einen  kühnen  Riss  zu  entwerfen,  ohne 
sich  zu  fragen,  ob  er  Hände  und  Steine  zu  seiner  Ausführung 
finden  werde.  Allein  er  hatte  doch  auch  niemals  das  Be- 
dürfnis verläugnet,  seine  Theorieen  durch  den  Hinweis  auf 
geschichtliche  Vorgänge  zu  stützen.  Er  hatte,  wenn  auch  oft 
genug  gewaltsam,  den  Zustand,  den  die  Revolution  geschaffen, 
an  einen  früheren  Zustand  der  Nation  anzuknüpfen  gesucht. 
Seine  Kenntnis  ihrer  historischen  und  rechtshistorischen  Denk- 
mäler war  beinahe  auf  jeder  Seite  seiner  Schriften  hervor- 
getreten.   Dazu  kam,  dass  das  Studium  der  heimischen  Vor- 


134  Benutzte  Quellen. 

zeit  für  ihn  noch  einen  besonderen  Zweck  hatte.  Lange  Zeit 
von  dem  Gedanken  erfüllt,  den  sagenhaften  und  geschicht- 
lichen Schatz  der  nationalen  Vergangenheit  in  epischer  oder 
dramatischer  Form  poetisch  zu  verwerthen,  hatte  er  sich  die 
Mühe  nicht  verdriessen  lassen,  sich  mit  den  Quellen  der 
älteren  englischen  Geschichte  genau  bekannt  zu  machen.  In 
jener  Liste  dichterischer  Entwürfe,  die  er  bald  nach  der 
Rückkehr  aus  Italien  angelegt  zu  haben  scheint,  war  eine 
ganze  Anzahl  ihm  wohlbekannter  Autoritäten  angeführt.  Die 
grossen  Sammlungen  der  englischen  Chronisten  von  Parker, 
Savile  und  vor  allem  von  William  Camden  waren  ihm  zu- 
gänglich. Ein  erster  Abdruck  der  angelsächsischen  Chronik, 
der  ihm  sehr  zu  statten  kommen  musste,  war  wenige  Jahre, 
ehe  er  ernstlich  Hand  an  sein  Werk  legte,  erfolgt.  Die  Be- 
kanntschaft mit  Franz  Junius  konnte  dazu  dienen,  ihn  über 
die  Zustände  der  angelsächsischen  Epoche  mannichfach  zu 
belehren.  Von  Arbeiten  über  die  schottische  und  dänische 
Geschichte  waren  ihm  wenigstens  solche  allgemeinen  Cha- 
rakters, wie  diejenigen  von  Buchanan  und  Pontanus  nicht 
fremd.  Mit  den  Autoren  des  klassischen  Alterthums  endlich, 
von  denen  namentlich  Cäsar  und  Tacitus  für  ihn  in  Betracht 
kamen,  war  er  seit  seiner  Jugend  vertraut.  Es  war  mit  einem 
Worte  kein  kleines  Material,  dessen  er  sich  zu  bemächtigen 
gewusst  hatte,  und  die  genaue  Angabe  der  Belegstellen  konnte 
die  Zuverlässigkeit  des  Geschichtsschreibers  verbürgen. 

Indessen  ohne  kritische  Sichtung  wäre  für  den  Erzähler 
die  Fülle  des  Stoffes  eher  vom  Uebel  als  vom  Guten  gewesen. 
Heutige  Leser  von  billigem  Urtheil,  die  sich  hüten,  den  Mass- 
stab der  Gegenwart  an  Milton's  Leistung  zu  legen,  werden 
finden,  dass  er  auch  in  dieser  Beziehung  sich  seiner  Aufgabe 
wohl  gewachsen  zeigte.  Man  darf  sagen ,  dass  ihm  der  erste 
Grundsatz  historischer  Forschung,  möglichst  auf  die  gleich- 
zeitigen Quellen  zurück zugehn ,  unwiderruflich  feststeht.  Er 
scheidet  ohne  Schonung  vieles  aus  der  beglaubigten  üeber- 
lieferung  aus,  was  er  als  „absurde  Erfindung",  als  „grossartige 
Fabel"  kennzeichnet,  ohne  deshalb  läugnen  zu  wollen,  dass 
man    „oft    in   Erzählungen,   die  als  fabelhaft   gegolten  haben, 


Seine  Quellenkritik.  135 

später  Spuren  und  Reste  von  etwas  Wahrem  erkannt  hat". 
Ueber  den  sehr  verschiedenen  Werth  der  Quellen  giebt  er 
sich  keiner  Täuschung  hin.  Mehr  als  einmal  äussert  sich  sein 
Urtheil  in  harten  Worten.  So  wohl  ihm  ist,  wenn  er  sich 
auf  Gewährsmänner  der  griechisch-römischen  Kultur  berufen 
kann,  so  gerne  er  sieh  der  Führung  eines  Baeda  anvertraut, 
so  heftig  sträubt  sich  sein  kritischer  und  protestantischer 
Sinn  gegen  eine  gewisse  „Sorte"  von  mittelalterlichen  Autoren. 
Sie  stehen  zwar  oft  „den  Dingen,  die  sie  beschreiben,  nahe 
genug,  da  sie  sich  in  ihrem  Vaterlande  ereignen.  Der  Zeit 
nach  sind  sie  von  den  Ereignissen  nicht  gar  weit  entfernt, 
einige  gehören  sogar  derselben  Epoche  an.  Aber  sie  sind 
barbarisch  in  ihrer  Sprache,  unzuverlässig,  wenn  es  sich  um 
politische  Angelegenheiten  handelt,  Lobredner  dessen,  was  sie 
die  heilige  Kirche  nennen,  womit  sie  in  Wahrheit  sich  selbst 
meinen,  in  Betrefif  der  meisten  anderen  Fragen  der  Religion 
blind,  dumm  und  abergläubisch:  mit  einem  Worte  Mönche". 
Es  widersteht  ihm,  „ihre  Legenden  für  gute  Geschichte  an- 
zunehmen". Er  erklärt,  dass,  „um  einen  Band  schnell  mit 
solchem  Bettel  zu  füllen,  nur  zwei  Dinge,  Müsse  und  Glauben, 
beim  Schreiber  wie  beim  Leser  vorauszusetzen  wären".  Die 
angelsächsischen  Annalen  schätzt  er  hoch  als  „Hauptquelle" 
der  nationalen  Geschichte,  als  „Grundlage,  die  den  späteren 
Mönchen  für  ihre  Glossen  und  Kommentare  gedient  hat" 
(S.  202).  Allein  ,,der  Gedanke  erscheint  ihm  qualvoll",  alle 
die  „Bände  eines  Florenz  von  Worcester,  Roger  von  Hoveden, 
Matthäus  von  Westminster  und  vieler  anderer  von  geringerem 
Ruf  mit  allen  ihren  Mönchereien  durchlesen  zu  müssen". 
Findet  Wilhelm  von  Malmesbury,  „was  den  Stil  und  das  Ur- 
theil anbetrißt",  noch  eher  Gnade  vor  seinen  Augen,  so  kennt 
sein  Spott  und  sein  Unwille  keine  Grenzen,  Avenn  er  auf  die 
„Fabeleien"  Gottfried's  von  ]\Ionmouth  zu  sprechen  kommt. 
Aber  auch  modernen  Geschichtsschreibern  weist  er  einzelne 
Irrthümer  nach.  Buchanan  muss  sieh  von  ihm  sagen  lassen, 
dass  „die  angeborene  Eitelkeit  von  solchen,  die  ohne  Recht 
Historiker  genannt  werden,  oder  das  Bestreben,  die  eigene 
Nation    wahrheitswidrig   zu    preisen",   oft  dazu  führe,  „ohne 


jgg  Populärer  Charakter   seines  Werkes. 

weiteres  zu  erfinden,  was  dazu  dienlich  scheine,  das  Geschichts- 
werk zu  schmücken  oder  den  vaterländischen  Ruhm  zu  er- 
höhen" (S.  104). 

Man  sollte   wünschen,    dass  die  Kritik  Milton's  sich  hie 
und  da   nicht  bloss  auf  eine  bequeme  Negative  beschränkt 
hätte.      Nicht    selten     kehren    Bemerkungen    wieder,    wie 
die,   „er  wolle  über  Ungewissheiten    nicht   länger    streiten", 
es  „habe  keinen  Zweck,  die  verschiedenen  Königsgenealogieen 
abzuschreiben   und  sein  Buch  mit  barbarischen  Namen  anzu- 
füllen".   Er  überlässt  es"  häufig  dem  Leser,  sich  selbst  ein 
Urtheil  zu   bilden  und  begnügt  sich,   die  verschiedenen  ein- 
ander widersprechenden  Ueb erlief erungen   neben   einander  zu 
stellen.     Noch  öfter  hält  er  es  für  erlaubt,  einzelne  Ereignisse 
ganz  zu   übergehen,    deren    wirkliches   Geschehen  ihm  nicht 
hinlänglich  begründet  erscheint.    Es  ist  indessen  zu  bedenken, 
von  welchem  Gesichtspunkt  aus  er  seine  Arbeit  unternommen 
und  auf  welchen  Leserkreis  er  sie  berechnet  hatte.  An  mehr 
als    einer  Stelle   betont   er    den  populären  Charakter  seines 
Werkes.  Es  sollte  nicht  Untersuchungen  bieten,  sondern  die  Er- 
gebnisse der  Untersuchung  zusammenfassen.  Mochten  immerhin 
streitige   Fragen    den    „Erforschern    der    Antiquitäten"    vor- 
behalten   bleiben,    ihm  kam  es   auf   eine  „kurze  und  glatte"- 
Darstellung   an,    die  man  „bis    dahin  am  meisten    entbehrt 
habe".     Eben  deshalb   gönnt  er,   immer  mit  kritischen  Vor- 
behalten,   auch    den    „verrufenen    Fabeln",    die  nun  einmal 
Eigenthum  des  Volksbewusstseins  geworden  waren,  Aufnahme. 
Er  gönnt  sie  ihnen,  „wäre  es  auch  nur  zu  Gunsten  der  eng- 
lischen Poeten  und  Rhetoren,   die  ihrer  Kunst  gemäss  wohl 
wissen  werden,  sie  mit  Verstand  auszunutzen" (^).    So  wird 
vor  allem  die  Artussage,  die  ihn  schon  früher  als   poetischer 
Gegenstand  gefesselt  hatte,   in  ihren  Grundzügen  mitgetheilt, 
wennschon  es  ungewiss  bleibt,  „wer  Arthur  war,  und  ob  über- 
haupt jemals  ein  solcher  in  Britannien  regiert  hat".   Von  den 
bedeutenden  historischen  Persönlichkeiten  steht  ihm,  wie  man 
denken  kann,  keine  höher  als  die  Alfred's  des  Grossen.   Auch 
mit  diesem  hatte  sich  seine   dichterische  Phantasie  einst  leb- 
haft   beschäftigt.     In    den  Blättern  seines    Geschichtswerkes 


Historischer  Stil.  137 

setzte  er  ihm  uun  ein  Denkmal.  Er  fjalt  ihm  offenbar  als 
der  edelste  ^'e)•treter  des  rein  germanischen  Staatsgedankens, 
während  er  die  normannische  Feudalmonarchie  als  das  „Joch 
des  fremden  Eroberers"  betrachtete. 

Das  bisher  Gesagte  bezieht  sich  ausschliesslich  auf  den 
Inhalt  der  „Geschichte  Englands",  allein  um  ihre  Bedeutung 
vollkommen  zu  würdigen,  wird  man  auch  ihre  Form  in's  Auge 
fassen  müssen.  Milton  hatte  einst  in  einem  Privatbriefe  seine 
Gedanken  über  historischen  Stil  in  Kürze  ausgesprochen.  Er 
setzte  beim  Geschichtsschreiber  Gesinnungen  und  Kenntnisse 
voraus,  die  der  Bedeutung  seines  Gegenstandes  angemessen 
wären.  Er  forderte  eine  „reine  und  ungeschminkte,  klare 
und  würdige  Darstellung".  Auf  besonderen  Schmuck  der- 
selben legte  er  weniger  Gewicht.  „Denn",  dies  hatte  er  hinzu- 
gefügt, ich  frage  einem  Historiker  nach,  nicht  einem  Redner. 
Ich  bin  kein  Freund  häufiger  Betrachtungen  und  weitläuftiger 
Urtheile  über  das  Geschehene,  weil  der  Faden  der  Erzählung 
dadurch  unterbrochen  wird,  und  der  Historiker  damit  dem 
Politiker  in's  Amt  greift."  Von  allen  Geschichtsschreibern 
lateinischer  Sprache  erkannte  er  dem  Salust  den  Preis  zu, 
und  selbst  Tacitus  schien  ihm  keines  höheren  Lobes  würdig 
zu  sein,  als  dass  er  sich  bestrebt  habe,-  „mit  allen  Kräften 
den  Salust  nachzuahmen".  Bei  diesem  fand  er  alle  seine  An- 
forderungen erfüllt,  vorzüglich  jene  Fähigkeit,  „mit  wenig 
Worten  viel  zu  sagen",  die  sich  niemand  „ohne  den  feinsten 
Takt  und  ein^  gewisse  Mässigung"  zu  eigen  machen  könne (^\ 
Dieses  historiographische  Ideal  vor  Augen,  befleissigte  er  sich, 
ihm  nachzueifern,  ohne  deshalb  zum  sklavischen  Kopisten  zu 
werden.  Seine  Sprache  ist  einfach  und  nüchtern.  Die  Sätze 
sind  gedankenreich,  mitunter  gedrungen.  Bilder  und  Ver- 
gleiche werden  verschmäht,  ebenso  „wohlgesetzte  Reden,  wie 
sie  einige  Historiker,  um  die  Nachwelt  zu  täuschen,  erfunden 
haben".  Nur  selten  erhebt  sich  die  Darstellung  zu  höherem 
Schwünge,  wie  in  der  Einleitung  zum  zweiten  Buche,  die  dem 
Preise  der  griechisch-römischen  Kultur  gilt. 

Mit  den  bezeichneten  stilistischen  Eigenthüralichkeiten 
verbinden  sich  andere,  welche  in  diesem  prosaischen  Werke 


138  Historischer  Stil. 

Milton's  nicht  zuerst,  aber  nur  in  wenigen  der  frühereu  mit 
gleicher  Stärke  auftreten. 

Es  ist  schon  von  den  Latinismen  die  Rede  gewesen,  die 
mit  immer  steigendem  umfange  in  die  Gedichte  Milton's  ein- 
drangen. Seine  englischen  Schriften  in  ungebundener  Rede 
haben  dasselbe  Schicksal  gehabt.  Auch  sie  erscheinen  von  den 
Eigenthümlichkeiten  des  lateinischen  Idioms  durchtränkt,  und 
die  gi'osse  geschichtliche  Arbeit  nimmt  an  dieser  Manier 
einen  stärkeren  Antheil  als  irgend  eine  andere.  Noch  hatte 
sich  eine  gleichmässige  englische  Prosa  nicht  gebildet,  aber 
dass  man  ein  durchsichtiges,  ja  sogar  ein  anmuthiges  Eng- 
lisch schreiben  könne,  wurde  der  Nachwelt  durch  manches 
Memoirenwerk,  durch  Cowley  und  selbst  durch  Clarendon 
hinlänglich  bewiesen.  Dagegen  die  vaterländische  Geschichte 
Milton's  obwohl  für  einen  weiten  Leserkreis  bestimmt,  glänzte 
nicht  in  dem  leichten,  gefälligen  Gewände,  das  die  ^Massen 
entzückt  und  einem  Schriftsteller  die  grösste  Yolksthümlich- 
keit  sichert.  Sie  Hess  auf  jeder  Seite  den  genauen  Kenner 
des  antiken  Stiles  durchblicken  und  stellte  Forderungen  an 
die  Denkweise  der  Leser,  welche  nur  in  einem  beschränkten 
Kreise  derselben  erfüllt  werden  konnten. 

Es  wäre  möglich,  die  Bemerkungen  über  Milton's  eng- 
lische Geschichte  hiermit  abzuschliessen,  wenn  sie  der  Kritik 
nicht  noch  eine  sehr  beachtensweithe  Seite  darböte.  Er  hatte 
allerdings  seine  Abneigung  gegen  „häufige  Betrachtungen  und 
weitläuftige  Urtheile"  in  einer  histonschen  Arbeit  ausge- 
sprochen, allein  man  darf  nicht  glauben,  dass  deshalb  seine 
Persönlichkeit  hinter  der  reinen  Erzählung  ganz  zurücktrete. 
Im  Gegentheile  hat  er  sich  keineswegs  enthalten,  kurze  An- 
spielungen auf  neuere  Ereignisse,  gelegentliche  Parallelen  und 
moralische  Aussprüche  anzubringen,  Von  einem  Manne,  der 
einen  so  regen  Antheil  an  der  Politik  genommen  hatte,  war 
es  kaum  anders  zu  erwarten,  als  dass  er  die  Vergangenheit 
wie  einen  Spiegel  für  die  Gegenwart  betrachtete.  Die  Ab- 
sicht, aus  den  früheren  Schicksalen  der  Nation  eine  patrio- 
tische Nutzanwendung  für  das  lebende  Geschlecht  zu  ziehen, 
bricht  oft  genug  durch.  In  diesem  Sinne  mag  man  das  Wissenschaft- 


Anspielungen  auf  die  Zeitgeschichte.  139 

liehe  Unternehmen  Milton's  nicht  völlig  von  dem  Vorwurfe  der 
Tendenz  freisprechen.  —  Er  leitete  sein  fünftes  Buch  mit  der 
Bemerkung  ein:  „Wenn  Gottes  Rathschlüsse  einem  sündigen 
Volke  die  Knechtschaft  zugedacht  haben,  als  den  einzigen 
Zustand,  der  seinen  Lastern  angemessen  ist,  so  sind  alle  Ver- 
fassungsformen gleich  unfähig,  dies  zu  vermeiden".  Er  knüpfte 
an  eine  Schilderung  König  Cnut's  die  Sentenz  an:  ,,Es  ist 
eine  Lieblingsgewohnheit  vieler  Grossen,  erst  dann  ihre  Ge- 
waltsamkeiten aufzugeben ,  wenn  sie  das  Ziel  ihres  Ehrgeizes 
erreicht  haben,  und  zu  glauben,  Gott  versöhnen  zu  können, 
indem  sie  ihn  mit  einem  Stück  der  Beute  abfinden''.  Noch 
deutlicheren  Bezug  auf  zeitgenössische  Vorgänge  hatte  es, 
wenn  er  die  frühere  „Harmlosigkeit''  der  Irländer  mit  dem 
Charakter  ihrer  Nachkommenschaft  „heutigen  Tages"  in  Ge- 
gensatz stellte,  oder  wenn  er  dem  „Heiden  Penda",  der  „das 
Anhören  des  Evangeliums  in  seinem  Reich  nicht  verhindert 
habe",  vor  ., vielen  angeblichen  Christen  seiner  und  der  mo- 
dernen Zeit"  den  Vorzug  gab.  Gänzlich  Hess  er  sodann  die 
Maske  fallen,  indem  er  gelegentlich  den  „Presbyterianern 
unseres  Zeitalters"  einen  Hieb  versetzte,  die  sehr  verschieden 
von  gewissen  Geistlichen  des  vierten  Jahrhunderts  „mit  grossem 
Vergnügen  auf  öifentliche  Kosten  in  einer  Synode  sitzen", 
ohne  deshalb  Freunde  „der  Armuth"  zu  sein(M. 

Alle  diese  Anzüglichkeiten  werden  indess  übertroffen 
durch  eine  sehr  wichtige  Ausführung,  die  Milton  selbst  als 
eine  „Digression"  bezeichnet,  und  an  welcher  der  Censor  so 
viel  Anstoss  nahm,  dass  er  es  für  seine  Pflicht  hielt,  sie  zu 
streichen.  Sie  ist  nur  dadurch  gerettet  worden,  dass  Milton 
einem  Bekannten  eine  Abschrift  zum  Geschenk  machte.  Es 
war  der  Graf  von  Anglesey,  der  schon  als  Mr.  Arthur  Annes- 
ley  zur  Zeit  des  Interregnums  keine  unbedeutende  Rolle  ge- 
spielt hatte.  Man  darf  sich  billig  wundern,  einen  Mann  unter 
der  Zahl  von  Milton's  Freunden  zu  finden,  dessen  Verdienste 
um  die  Restauration  mit  der  Grafenwürde  belohnt  wurden, 
und  dem  ein  Zeitgenosse  nachsagt,  dass  ihm  keine  Partei 
mehr  traute,  weil  er  ^ich  selbst  nur  zu  oft  an  den  meist 
Bietenden  verkauft  hatte.     Allein  abgesehen  von   der  Unzu- 


140  Die  unterdrückte  Stelle  bezüglich  der  Revolution. 

verlässigkeit  dieses  Zeugen ,  hat  der  Graf  von  Anglesey  als 
ein  Freund  religiöser  Toleranz  und  ein  Gönner  der  Wissen- 
schaften sich  einen  Namen  gemacht.  So  trug  er  denn  auch 
kein  Bedenken,  Milton  „häufig  zu  besuchen,  liebte  seine 
Unterhaltung"  und  empfieng  aus  seiner  Hand  jene  Blätter, 
die  vor  dem  Censor  keine  Gnade  gefunden  hatten.  Im  Jahre 
1681  wurde  diese  unterdrückte  Stelle  mit  einer  Vorrede  be- 
sonders veröffentlicht  (^).  Man  findet  sie  in  den  gesammelten 
Werken  des  Dichters  nach  den  ersten  Sätzen  des  dritten 
Buches  der  englischen  Geschichte  vollständig  abgedruckt.  Er 
bemerkt  zur  Einleitung  dieses  Buches,  dass  es  eine  „mehr  als 
gewöhnliche  Aufmerksamkeit  verdiene".  Er  findet  nämlich 
eine  auffallende  Aehnlichkeit  zwischen  der  Lage  der  alten 
Briten  nach  dem  Aufhören  der  römischen  Herrschaft  und  der 
Lage  der  neuen  Briten  im  Verlaufe  der  „letzten  Revolution". 
In  beiden  Fällen  war  eine  Art  von  „Interregnum"  eingetreten. 
Beide  Male  war  dem  A'olke  seine  volle,  „lange  ersehnte  Frei- 
heit" zurückgegeben.  Beide  Male  wusste  es  dieselbe  „nicht 
richtig  zu  benutzen".  Eine  solche  Parallele  zu  ziehn,  scheint  ihm, 
als  Geschichtsschreiber,  nicht  nur  erlaubt,  sondern  geboten. 
Die  Nation  erhält  dadurch  ein  Mittel  zur  „Selbsterkenntnis", 
das  ihr  mehr  nützen  wird  als  die  „gewöhnlichen  Schmeiche- 
leien und  Lobhudeleien".  Sie  kann  aus  ihrer  eigenen  Ver- 
gangenheit für  ihre  Zukunft  lernen.  Und  nun  folgt  ein  Rück- 
blick auf  jene  Ereignisse,  die  er  mithandelnd  erlebt  hatte,  in 
dem  man  den  tiefen  Schmerz  eines  um  seine  schönsten  Hoff- 
nungen betrogenen  Patrioten  erkennen  wird. 

Er  läugnet,  dass  zu  seiner  Zeit  wie  damals  vor  mehr  als 
einem  Jahrtausend  „]\Iangel  an  Kraft  oder  kriegerischem 
Muth"  das  Versäumnis  der  „guten  Gelegenheit"  verschuldet 
habe.  Es  waren  ,. andere  Ursachen",  ehedem  wie  neuerdings 
gleicher  Weise,  die  ,,so  viel  Arbeit,  Blutvergiessen  und  Ver- 
luste an  Hab  und  Gut"  als  nutzlose  Opfer  erscheinen  Hessen. 
Unter  diesen  „anderen  Ursachen'-  stellt  er  das  Verhalten  des 
langen  Parlaments  an  die  Spitze.  Ein  grosser  Theil  von 
dessen  Mitghedern  verdankte  nach  seiner  Ansicht  Sitz  und 
Stimme  nicht  sowohl  wirklichen  -Verdiensten",  als  vielmehr 


Die  unterdrückte  Stelle  bezüglich  der  Revolution.  141 

„Reichthümern"  und  „ehrgeizigen  Umtrieben'-.  Sobald  sich 
ihr  „oberflächlicher  Eifer"  für  die  Sache  des  Volkes  abgekühlt 
hatte,  „zog  jeder  seine  Privatzwecke  dem  öffentlichen  Wohle 
vor  und  handelte  je  nach  seinem  Vortheil  und  Interesse". 
„Da  wurde  das  Recht  verzögert  und  bald  ganz  geweigert, 
Gunst  und  Hass  entschied  alles.  Daher  kam  das  Faktions- 
wesen und  Verrath  im  Inneren  und  gegenüber  dem  Feinde. 
Ueberall  war  Unrecht  und  Unterdrückung.  Schändliche  und 
verabscheuungswürdige  Thaten  wurden  täglich  begangen  und 
im  geheimen  oder  öffentlich  geschützt.  Manche,  die  ohne 
irgend  ein  Verdienst  aus  dem  Laden  oder  Magazin  weggeholt 
waren,  um  im  höchsten  Rathe  der  Nation  und  in  den  Com- 
mittees  zu  sitzen,  trieben  ihrem  gewohnten  Gewerbe  gemäss 
Schacher  mit  dem  Gemeinwohl.  Es  gab  Leute,  die  es  vor- 
trefflich verstanden,  ihnen  zu  schmeicheln  und  sich  in  ihre 
Launen  zu  schicken.  Wer  am  meisten  zahlen,  wer  sich  unter 
dem  Schein  eines  heuchlerischen  Eifers  einzuschmeicheln 
wusste,  der  empfieng,  mochte  er  noch  so  unwürdig  sein,  den 
Lohn  der  Gelehrsamkeit  und  Treue  oder  entgieng  der  Strafe 
seiner  Verbrechen  und  Missethaten.  Ihre  Beschlüsse  und 
Ordonnanzen,  die  der  Erwartung  des  Volkes  gemäss  schlechte 
Gesetze  aufheben  und  bessere  einführen  sollten,  enthielten 
nichts  als  neue  Auflagen,  Zölle  und  Steuern,  jährliche,  monat- 
liche, wöchentliche."  Er  fügte,  gewiss  nicht  ohne  in  seinem 
Kreise  Erfahrungen  der  Art  gemacht  zu  haben,  hinzu:  „Den 
treuesten  Anhängern  der  guten  Sache,  die  ihre  Person  oder 
ihr  Vermögen  eingesetzt  hatten,  wurden  ihre  gerechten  An- 
sprüche durch  habgierige  Sequestratoren  abgestritten.  Mit 
der  Bittschrift  in  der  Hand  wurden  sie  nach  langem  Warten 
von  einem  Committee  zum  anderen  geschickt,  ohne  irgendwo 
etwas  auszurichten.  Wenn  man  ihnen  je  einmal  aus  Scham 
und  Klugheit  wenigstens  einen  Schein  von  Recht  zugestand, 
so  weigerten  sich  die  Mitglieder  der  Unterausschüsse  in  den 
Provinzen,  meistens  Leute  von  unersättlicher  Habgier  und 
notorischer  Schlechtigkeit,  die  Befehle  auszuführen,  was  sie 
nimmer  gewagt  haben  würden,  ohne  mit  einigen  einflussreichen 
Männern  der  oberen  Behörden  im  Einverständnis  zu  sein"'. 


142  Die  unterdrückte  Stelle  bezüglich  der  Revolution. 

Es  ist,  als  könnte  er  dieses  Thema,  dem  er  einst  in 
seinem  Sonett  an  Fairfax  den  kräftigsten  x\usdruck  gegeben 
hatte,  gar  nicht  erschöpfen.  Immer  wieder  kommt  er  auf  die 
., unzähligen  Diebe  im  Amt",  auf  die  Entheiliger  des  ., öffent- 
lichen Vertrauens"  zurück,  die  „ungeheure  Summen  ver- 
braucht", das  Kirchengut  zu  ihrem  Privatvortheil  „ver- 
schlungen", Malignanten  und  Gutgesinnte  in  gleicher  Weise 
bedrückt  und  den  Staat  dem  „Bankerott"  entgegen  geführt 
hätten.  Er  giebt  zu  verstehen,  dass  die  „Süssigkeit  betrüge- 
rischen Gewinns,  die  Lust  zu  herrschen,  das  Gefühl  der 
eigenen  Schuld  und  die  Furcht  vor  dem  Tage  der  Rechen- 
schaft" einzelne  selbst  dazu  vermocht  habe,  „heimlich  die 
Unruhen  des  Staates  zu  nähren,  die  sie  heilen  sollten". 
„Immer  waren  sie  auf  neue  Arbeit,  auf  neuen  Aufschub  be- 
dacht, damit  ja  der  schreckliche  Moment  nicht  käme,  in  dem 
sie  aus  Mangel  an  Geschäften  ihre  Macht  niederlegen  müssten. 
und  das  zum  Verderben  des  ganzen  Volkes."  Es  hätte  nur 
noch  gefehlt,  dass  er  dem  Gewaltstreiche  Cromwell's,  der  die 
Versammlung  auseinandersprengte,  seinen  ausdrücklichen  Bei- 
fall geschenkt  hätte.  Allein  soweit  lässt  er  sich  nicht  fort- 
reissen.  Die  Zeit  des  Protektorates  bleibt  überhaupt  von 
diesem  Rückblick  ausgeschlossen,  der  sich  nunmehr  den  kirch- 
lichen Zuständen  zuwendet. 

Schon  bis  hierher  waren  doch  vornehmlich,  "wenn  auch 
nicht  ausschliesslich,  die  Presbyterianer  bedacht  worden.  Auf 
sie  allein  ist  gemünzt ,  was  über  die  religiösen  Verhältnisse 
gesagt  wird.  Vorzüglich  der  Westminster- Synode  gilt  der 
Zorn  des  Autoi-s.  Zunächst  wird  die  Art  ihrer  Zusammen- 
setzung durch  Wahl  des  Parlaments  von  ihm  getadelt.  Er 
behauptet,  dass  man  „durch  Frömmigkeit  und  Kenntnisse 
hervorragende  Männer  ausgelassen  habe".  .,Der  grösste  Theil 
der  Synode  bestand  aus  Männern,  die  mit  dem  Anschein 
grossen  Eifers  von  der  Kanzel  herab  gegen  die  Habsucht  und 
Pfründenhäufung  der  Bischöfe  und  Prälaten  gedonnert  hatten. 
Aber  diese  gewissenhaften  Leute  waren  kühn  genug,  ehe 
irgend  etwas  von  ihren  Aufgaben  erfüllt  war,  zur  Schande 
ihres  geistlichen  Berufs  und  ihrer  oft  gerühmten  Reformbestre- 


Die  unterdrückte  Stelle  bezüglich  der  Revolution.  143 

bungen,  mit  wahrer  Gier  oder  doch  mit  grossem  Vergnügen 
Masterstellen  in  den  Colleges  der  Universitäten  und  wohl 
dotiile  Lecturerstellen  in  den  Städten  anzunehmen  .  .  .  Auf 
diese  Weise  wurden  sie,  die  heftigsten  Gegner  der  Non- 
Residenz, der  Abwesenheit  des  Geistlichen  von  seinem  Amts- 
sitz, ihrerseits  sehr  raseh  zu  Pfründenhäufern  und  Non- 
Residenten  umgewandelt  .  .  .  Und  doch  lief  die  Hauptlehre, 
für  die  sie  so  schnöden  Sold  nahmen  und  die  sie  für  heiliger 
hielten  als  das  Evangelium  darauf  hinaus,  dass  die  geistliche 
Macht  ihres  Amtes  nichts  werth  sei,  im  Vergleich  mit  dem 
körperlichen  Zwange.  Diesen  anzuwenden  ermuthigten  sie  die 
Obrigkeit  auf  alle  Weise.  Sie  erachteten  ihn  für  ein  besseres 
Mittel,  die  Gewissen  zu  gewinnen  als  evangelische  Ueber- 
redung.  Sie  sprachen  für  Zwang  ohne  Ueberzeugung ,  wäh- 
rend sie  sich  noch  kurz  zuvor  beklagt  hatten,  dass  man  gegen 
sie  unchristUcher  Weise  Gewalt  gebrauche.  Damit  enthüllten 
sie,  dass  ihre  Absichten  selbst  antichristliche  waren.  Sie 
wollten  eine  geistliche  Tyrannei  durch  die  Staatsmacht  auf- 
richten lassen,  um  ihre  eigene  Autorität  über  die  der  Obrig- 
keit zu  erheben.  Sie  wollten  diese  zu  ihrem  Executor  machen, 
um  kirchliche  Vergehen  zu  strafen,  die  für  das  bürgerliche 
Recht  nicht  vorhanden  sind".  Wie  die  Lehrer,  so  die  Schüler. 
Diejenigen,  welche  sie  als  „eifrige  und  gottselige  Männer" 
empfohlen  hatten,  füllten  ihre  Stellen  aus,  ,,wie  die  Kinder 
des  Teufels",  ungläubig,  ungerecht,  sittlich  verderbt,  so  dass 
dem  Werke  der  Reform  ein  Schlag  versetzt,  den  Feinden 
Gottes  und  der  Wahrheit  eine  Gelegenheit  zum  Lästern  ge- 
geben wurde,  stärker  „als  jemals  seit  der  ersten  Predigt  der 
Reformation". 

So  war  der  Zustand  in  Staat  und  Kirche.  Die  Politiker 
sah  das  Volk  „ohne  Charakter  und  Beständigkeit,  in  Kleinig- 
keiten sehr  geschäftig,  in  der  Hauptsache  müssig".  Es  fieng 
an,  „diejenigen  zu  verachten,  die  es  einst  geehrt  hatte,  sie 
zu  verlassen,  sie  zu  bekämpfen  oder  gegen  sie  zu  konspiriren". 
Die  Männer  der  Kirche  erschienen  ihm  als  „schlaue  Heuchler, 
als  habgiei-ige  und  unwissende  Verfolger,  ganz  ähnlich  ihren 
Vorgängern,  gegen  die  sie  ihre  Anklagen  geschleudert  hatten". 


144  Die  unterdrückte  Stelle  bezüglich  der  Revolution. 

Nach  einer  erkünstelten  Hitze  von  Scheinheiligkeit  wurde  es 
daher  „kälter  und  verstockter  als  zuvor ,  lüderlich  oder  ge- 
radezu atheistisch'".  Mit  einem  Worte:  dem  begeisterten  Auf- 
schwünge folgte  eine  allgemeine  Ermattung.  „Die,  welche  wir 
noch  vor  kurzem  als  unsere  glorreichen  Befreier  priesen,  denen 
das  Volk  verehrungsvoll  anhieng,  sie  haben  nicht  nur  ihre 
eigene  Unfähigkeit  verrathen,  die  versprochene  Freiheit  zu 
geben,  sie  haben  auch  die  Nation  untauglich  gemacht,  über- 
haupt irgend  eine  Freiheit  zu  empfangen  oder  zu  ertragen  .  . 
Denn  die  Freiheit  hat  ein  scharfes,  zweischneidiges  Schwert, 
das  nur  gerechte  und  tugendhafte  ]\Iänner  führen  können. 
Für  die  Schlechten  und  Sittenlosen  wird  es  in  ihrer  eigenen 
Hand  gefährlich  und  unlenksam."  — 

Wie  oft  hatte  er  früher  hervorgehoben,  dass  es  zwar 
Sache  der  Staatsweisheit  sei,  durch  die  Gesetze  „den  Ver- 
brechern den  nöthigen  Zaum  anzulegen",  aber  ohne  damit  die 
Rechte,  der  „Guten"  zu  verletzen.  Wie  häufig  hatte  er  auf 
die  erste  politische  Pflicht  hingewiesen,  rechtzeitig  zu  suchen, 
die  „Beschwerden  des  Volkes  zu  erkennen  und  ihnen  Abhilfe 
zu  verschaffen."'  Hier  kommt  er  darauf  zurück,  allein  er 
findet,  dass,  was  er  voraussetzt,  über  den  Gesichtskreis  jener 
„beschränkten  Staatsmänner"  weit  hinausgieng.  Ihm,  der 
früher  mit  solchem  Stolz  von  seinem  gottbegnadeten  England 
gesprochen  hatte ,  scheint  nun,  nachdem  er  so  bittere  Er- 
fahrungen gemacht  hat,  das  selbstgenügsame  Engländerthum, 
die  insulare  Abgeschlossenheit  eine  hauptsächliche  Ursache 
jener  Enttäuschungen  zu  sein.  Auch  wurde  die  politische 
Korruption,  wie  sie  unter  dem  Scepter  Karls  H.  in  üppigster 
Blüthe  stand,  unzweifelhaft  in  dem  folgenden  harten  Urtheil 
mit  betroffen :  „Britannien,  um  eine  Wahrheit  auszusprechen, 
die  nicht  oft  gesagt  wird,  ist  zwar  ein  Land,  fruchtbar 
an  starken  und  muthigen  Männern  für  den  Krieg,  aber  durch- 
aus von  Natur  nicht  überreich  an  Männern,  die  im  Frieden 
rechtschaffen  und  weise  zu  herrschen  vermöchten.  Man  ver- 
traut bei  uns  zu  viel  auf  seinen  Mutterwitz  und  vergisst,  dass 
Bildung,  Einsicht,  selbstlose  Hingabe  an  das  Gemeinwesen 
ohne  Rücksicht  auf  Geld  oder  eitle  Ehren  auf  diesem  Boden 


Die  unterdrückte  Stelle  bezüglich  der  Revolution.  145 

ge Wissermassen  fremde  Früchte  sind.  Sie  gedeihen  hier  nur 
in  solchen  Geistern,  die  eine  sehr  sorgsame  und  gründliche 
Erziehung  erhalten  haben.  Wie  Wein  und  Oel  von  auswärts 
bei  uns  eingeführt  werden,  so  brauchen  wir  auch  eine  Ein- 
fuhr gereiften  Verständnisses  und  vieler  bürgerlicher  Tugenden 
aus  fremden  Schriften  und  aus  den  Beispielen  der  besten 
Jahrhunderte.  Andernfalls  werden  wir  immer  seheitern  und 
niemals  eine  grosse  Unternehmung  glücklich  zu  Ende  führen." 
Es  liegt  auf  der  Hand,  warum  diese  Stelle  dem  Censor 
verdächtig  vorkam.  Mochte  sie  immerhin  zunächst  gegen 
eine  Partei  gerichtet  sein,  deren  Schonung  den  herrschenden 
Gewalten  gar  nicht  am  Herzen  lag,  sie  enthielt  doch  auch 
vieles,  was  diese  selbst  sehr  unangenehm  berühren  musste. 
Xur  das  bleibt  auffällig,  dass  andere  Aeusserungen  Milton's 
der  officiellen  Spürkraft  entgiengen.  Wenn  bei  der  Aus- 
führung der  Parallele  davon  die  Rede  war,  dass  „Lüge  und 
Falschheit  in  Ansehn  standen" ,  dass  „Schurkerei  geehrt  und 
als  Tugend  belohnt  wurde" ,  dass  Frivolität  und  „Trunken- 
heit" vorherrschten,  so  passte  alles  dies,  obwohl  es  von  den 
alten  Briten  gesagt  war,  ebensowohl  auf  das  erneute  Stuart'- 
sche  Königthum.  Und  so  wandte  sich  der  Schluss  des  ganzen 
Werkes,  das  bei  der  höchst  einseitigen  Schilderung  der  nor- 
mannischen Eroberung  und  des  ihr  voraufgehenden  bedenk- 
lichen Zustandes  abbrach,  mit  einer  mahnenden  Frage  an  die 
Mitwelt:  „Sind  dies  die  Ursachen  des  Elends  und  der  Knecht- 
schaft unserer  Ahnen  gewesen,  womit  kann  ich  besser  endigen, 
als  hier  das  lebende  Geschlecht  inmitten  seiner  Sicherheit 
zeitig  daran  zu  erinnern,  von  denselben  unverbesserlichen 
Lastern  die  Wiederkehr  gleichen  Unheils  zu   fürchten?"  (*). 


Als  Geschichtsschreiber  mochte  Milton  immerhin  den 
Ruhm  einer  gewissen  Selbstständigkeit  behaupten,  als  Philosoph 
musste  er  auf  einen  solchen  Anspruch  verzichten.  Auch  war 
es  nicht  seine  Absicht  diesen  zu  erheben  als  er  der  „Ge- 
schichte Britanniens"  zwei  Jahre  später  eine  „Logik"  folgen 

Stern,  Jlilton    u.    s.    Z.   II.   4.  10 


146  Lehrbuch  der  Logik. 

Hess.  Er  wählte  absichtlich  diesen  Ausdruck  für  die  ., Kunst 
gut  zu  räsonniren"'  statt  des  noch  von  Petrus  Kamus  ge- 
brauchten ..Dialektik".  Uebrigens  schloss  er  sich  durchaus 
an  die  Methode  dieses  Philosophen  au,  für  den  er  eine  hohe 
Verehrung  äusserte  und  dem  er  nur  eine  allzugrosse  Kürze 
vorwarf.  Als  Student  hatte  er  die  Qualen  der  üblichen 
scholastischen  Abrichtung  empfunden  und  sich  bitter  über 
die  Misshandlungen  der  Logik,  „der  Königin  der  Wissen- 
schaften", geäussert.  Vielleicht  waren  ihm  schon  damals  die 
Schriften  des  Ramus  als  rettende  Thaten  erschienen.  In  jedem 
Falle  widmete  er  ihnen  später  ein  genaues  Studium.  Auch 
die  Lebensgeschichte  des'^kühnen  Bekämpfers  der  aristotelischen 
Logik,  welcher  der  Bartholomäusnacht  zum  Opfer  gefallen  war. 
hatte  für  Milton  ein  leicht  begreifliches  Interesse.  Er  hielt 
es  für  angemessen,  eine  kurze  Biographie  des  berühmten 
Franzosen  nach  J.  T.  Freigius  seinem  Lehrbuch  anzufügen  (^). 
Man  erkennt  in  diesem  auf  Schritt  und  Tritt  das  fremde 
Vorbild  wieder.  Das  Widerstreben  gegen  „gehäufte,  lästige 
Regeln",  die  Erhebung  der  „Natur"  gegenüber  der  ,. Kunst-', 
die  Verwahrung  gegen  die  ..Einmischung  von  Physik,  Ethik. 
Theologie  in  die  Logik" :  alles  dies  war  im  Geiste  des  Ramus 
gedacht.  Seine  Eintheilung  der  Logik  wird  im  Grunde  bei- 
behalten, obwohl  sich  Milton  die  j\Iiene  giebt,  hiebei  von  seinem 
Vorbild  etwas  abzuweichen.  Auch  er  unterscheidet  die  Lehre 
von  der  Auffindung  und  von  der  Anordnung  der  Gmnde  und 
vergleicht  diese  Eintheilung  mit  der  der  Grammatik  in  die 
..Lehre  von  den  einzelnen  Worten  und  SjTitax".  Desgleichen 
folgt  er  dem  Ramus  in  der  Herbeiziehung  zahlreicher  Stellen 
klassischer  Autoren,  als  erläuternder  Beispiele,  ohne  bei 
seinem  guten  Gedächtnis  zu  sklavischer  Nachahmung  genöthigt 
zu  sein.  Ich  finde  nicht,  dass  sich  in  Milton's  Schrift  ein 
Fortschritt  über  die  Tradition  der  ramistischen  Schule  kund- 
gäbe. Das  Wesentliche  ist,  dass  auch  er  die  Vorstellungen 
ausser  aller  Beziehung  zu  den  Sachen  setzt  und  lediglich  die 
Form  des  Denkens  und  Redens  in's  Auge  zu  fassen  sucht. 
Uebrigens  stellte  er,  den  prosaischen  Versuchen  seiner  Jugend 
getreu,  den  gesunden  Menschenverstand  über  „alle  Kunst". 


System  der  Theologie.  147 

„Wendet  man  diese  zu  ängstlich,  zu  subtil  und  unnöthiger 
Weise  an,  so  dient  sie  nur  dazu  einen  an  sich  scharfen  Geist, 
statt  ihn  noch  mehr  zu  schärfen,  vielmehr  abzustumpfen,  wie 
der  übei-flüssige  oder  unnöthige  Gebrauch  von  Arzneimitteln 
die  Gesundheit  untergräbt,  statt  sie  zu  stärken".  Die  blosse 
Spekulation  galt  ihm  einem  Umherirren  auf  dürrer  Heide 
gleich. 


Milton  hatte  sich  in  seiner  Logik  gegen  jede  Einmischung 
theologischer  Begriffe  verwahrt,  aber  er  hatte  sich  doch  nicht 
enthalten,  seinerseits  bei  der  Auswahl  erläuternder  Beispiele 
an  mehr  als  einer  Stelle  auf  das  theologische  Gebiet  zuräck- 
zugreifen.  Es  war  nicht  schwer,  schon  aus  solchen  Stellen  zu 
erkennen,  wie  er  über  gewisse  dogmatische  Grundfragen,  das 
Wesen  des  göttlichen  Willens,  die  göttliche  Vorsehung,  das 
Verhältnis  von  Gott  dem  Vater  zu  Gott  dem  Sohne,  u.  a.  m. 
dachte.  Indessen  hat  er  auf  andere  Weise  noch  viel  gründ- 
licher dafür  gesorgt,  die  Nachwelt  über  die  Gesammtheit 
seiner  religiösen  Anschauungen  aufzuklären.  Zu  den  längst 
begonnenen  gelehrten  Arbeiten  hatte  die  Abfassung  eines 
„vollkommenen  Systems  der  Theologie"  gehört.  Mehrere 
Jahre  vor  Uebernahme  des  Staatsamts  hatte  er  angefangen, 
seinen  Schülern  von  Zeit  zu  Zeit  aus  brauchbaren  Hand- 
büchern zu  diktiren,  was  für  die  Vorbereitung  eines  solchen 
Werkes  passend  erschien  (s.  o.  H.  398).  Es  lässt  sich  nicht 
mit  Sicherheit  sagen,  wie  weit  diese  Vorarbeit  in  den  folgen- 
den Jahren  gefördert  wurde.  Mit  dem  Eintritt  der  völligen 
Erblindung  wurde  die  Herstellung  der  endgiltigen  Redaktion 
begreiflicher  Weise  sehr  erschwert.  Es  mag  sein,  dass  im 
Jahre  1655  mit  dieser  der  Anfang  gemacht  worden  war.  und 
man  darf  vielleicht  aus  einigen  früher  angeführten  Worten 
Milton's  folgern,  dass  er  1659  sein  Diktat  noch  keineswegs  ab- 
geschlossen hatte  (s.  0.  III.  219).  Wie  der  reife  Inhalt  des  ganzen 
Werkes,  so  sprechen  auch  äussere  Gründe  für  die  Annahme, 
dass  es  erst  im  Alter  des  Dichters  vollendet  worden  ist. 
Prüft  man  das  noch  vorhandene  Manuskript   des  Buches,   so 

10* 


248  Entstehuug  und  Handschrift  des  Werkes. 

erkennt  man  auf  den  ersten  Blick,  dass  von  den  735  Seiten, 
die  es  enthält,  die  letzten  539  einer  in  Absätzen  diktirten 
Kladde  gleichen,  in  welcher  zahlreiche  Verbesserangen  und 
Zusätze,  mitunter  auf  eingeklebten  Blättern,  von  verschiedeneu 
Händen  erscheinen.  Dass  der  Schreiber  dieses  grösseren 
Theiles  des  Werkes  die  griechischen  und  hebräischen  Buch- 
staben nur  sehr  steif  und  mühsam  auf's  Papier  brachte,  ist 
klar.  Ueber  seine  Persönlichkeit  lässt  sich  aber  nichts  weiter 
feststellen,  als  dass  er  ein  Amanuensis  gewesen  ist,  dessen 
Dienste  Milton  vom  Jahre  1658  an  mehrfach  in  Anspruch 
nahm.  Die  ersten  196  Seiten  dagegen  machen  durchaus  den 
Eindruck  einer  für  die  Veröffentlichung  berechneten  Reinschrift. 
Sie  weisen  eine  schöne,  gewandte  Hand  auf,  und  eben  diese  hat 
guten  Theils  den  Rest  des  Manuskripts  durchkorrigirt ,  ver- 
muthlich  auch  die  durchgehende  Paginirung  und  Ueberschriften 
über  den  einzelnen  Kapiteln  angebracht.  Es  i^t  dieselbe 
Hand,  von  welcher  eine  vollständige  Abschrift  der  Milton'- 
schen  Staatsbriefe  vorhegt,  gleichfalls  sichtlich  zu  dem  Zwecke 
angefertigt  als  Vorlage  für  den  Druck  zu  dienen. 

Es  haben  sich  Mittel  gefunden,  die  Indeutität  dieses 
Schreibers  vollkommen  festzustellen.  Es  war  Daniel  Skinner, 
der  Sohn  eines  londoner  Kaufmannes,  ohne  Zweifel  ein  Ver- 
wandter, vielleicht  der  Xeffe  jenes  Cyriack  Skinner,  der 
Milton  so  nahe  stand.  Vermuthlich  durch  eben  jenen  wurde 
er  dem  Dichter  empfohlen.  Er  kann  nur  gegen  das  Ende 
von  dessen  Leben  genauer  mit  ihm  bekannt  geworden  sein, 
denn  er  hatte  erst  1673  in  Cambridge  den  Grad  des  Bacca- 
laureus  erworben.  Später  hat  er  sich  gegen  den  Verdacht 
verth eidigen  zu  müssen  geglaubt,  als  ob  er  „im  mindesten 
von  irgend  einem  der  Grundsätze  Milton's  angesteckt  worden 
sei".  Es  war  „lediglich  die  Liebe  zur  Wissenschaft",  ,,der 
Wunsch  etwas  von  Milton  zu  lernen",  was  ihn  öfter  zu  ihm 
in's  Haus  führte.  Sehr  bald  indessen  wurde  er,  wie  erwähnt, 
einer  der  nützlichsten  Gehilfen  für  seine  Arbeiten.  In  seinen 
Händen  verblieb  beim  Tode  des  Dichters  sowohl  jene  Kopie 
der  Staatsbriefe  wie  das  ^lanuskript  des  theologischen  Trak- 
tates. Er  wandte  sich  zum  Zwecke  der  Veröffentlichung  beider 


Allgemeiner  Charakter  des  Werkes  149 

Stücke  an  die  Elzevir'sche  Buchhandlung  in  Amsterdam,  ohne 
etwas  Böses  dabei  zu  denken.  Zu  seinem  Glücke  zögerte 
Elzevir  mit  der  Herausgabe.  Als  1676  in  England  eine  un- 
rechtmässig erworbene  und  verstümmelte  Ausgabe  der  Staats- 
briefe erschien,  bat  Daniel  Skinner,  ihm  zu  gestatten  seine 
vollständigere  Kopie  drucken  lassen  zu  dürfen  oder  die  un- 
rechtmässige Edition  seines  Nebenbuhlers. zu  verfolgen.  Allein 
nun  wurden  die  Behörden  auf  die  nachgelassenen  Papiere  eines 
Schriftstellers,  den  sie  noch  im  Tode  fürchteten,  erst  recht 
aufmerksam  gemacht.  Skinner,  der  als  ein  „kecker"  und 
„wilder  junger  Mann"  bezeichnet  wurde,  gerieth  in  die  grössteu 
Ungelegenheiten ,  obgleich  sowohl  er  selbst  wie  Elzevir  die 
feierliche  Versicherung  gaben,  dass  nichts  von  Milton's  Manu- 
skripten veröffentlicht  werden  sollte.  Skinner  nahm  sie 
darauf  aus  den  Händen  des  Buchhändlers  wieder  in  Empfang 
und  nach  einigen  Zwisclienfällen  erhielt  er  in  einer  fetten 
Stelle  seines  College  reichlichen  Lohn,  ohne  Zweifel  nicht  nur 
für  die  loyale  Gesinnung,  die  er  zur  Schau  getragen  hatte, 
sondern  auch  für  die  Auslieferung  jener  verdächtigen  Papiere, 
welche  in's  Staatsarchiv  wanderten.  Hier  hat  man  sie  im 
Jahre  1823  entdeckt.  Zwei  Jahre  später  wurde  das  theolo- 
gische Werk  bekannt  gemacht,  und  im  Anschluss  an  diese 
Veröffentlichung  erschien  der  berühmte  Essay  des  jungen 
Macaulay  (i). 

Das  freudige  Erstaunen,  mit  dem  man  in  England  die 
unvermuthet  zum  Vorschein  gekommene  Eeliquie  Milton's  be- 
grüsste,  wai-  durchaus  berechtigt.  Man  lernte  ein  Werk 
kennen,  in  welchem  sich  die  Fortschritte  seiner  religiösen  An- 
schauungen deutlich  verfolgen  liessen,  und  aus  welchem  seine 
umfassende  Gelehrsamkeit,  sein  rastloser  Forschungstrieb, 
seine  erstaunliche  Kühnheit  glänzend  hervorleuchteten.  Was 
andere  Schöpfungen  seines  Geistes  bereits  hatten  durchblicken 
lassen,  erhielt  hier  eine  vollkommene  Bestätigung.  Er  hatte 
als  Independent  nicht  nur  in  P'ragen  der  kirchlichen  Ver- 
fassung und  des  kirchlichen  Ritus  mit  dem  Programm  des 
strengen  Calvinismus  gebrochen,  das  für  seine  Jugend  be- 
stimmend gewesen  war,   auch  im  Dogmatischen  war  er  über 


1^50  Allgemeiner  Charakter  des  Werkes. 

die  geheiligte  Tradition  mit  einer  Unerschrockenheit  hinaus- 
geschritten,  welche  die  grosse  Masse  der  Rechtgläubigen 
schaudern  lassen  musste.  Freilich  fanden  sich  auch  in  dieser 
Arbeit  alle  jene  Eigenthümlichkeiten  wieder,  welche  die 
Schwächen  mancher  seiner  früheren  Schriften  ausgemacht 
hatten:  ein  ängstliches  Anklammern  an  den  Buchstaben  der 
Bibel,  währender  die  starre  Wortgläubigkeit  seinerseits  ver- 
urtheilt,  eine  sophistische  Auslegung  einzelner  biblischer 
Stellen,  während  er  gegen  die  Sophistereien  früherer  Theo- 
logen eifert,  eine  häufige  Vermischung  alttestamentarischer 
und  neutestamentarischer  XJeberlieferuDg ,  während  er  doch 
nicht  weniger  häufig  den  Unterschied  in  der  Anwendbarkeit 
von  Gesetz  und  Evangelium  festzuhalten  sucht.  Man  erhält 
auch  hier  das  Bild  eines  freien  und  reichen  Geistes,  der  sich 
über  den  engen  Gesichtskreis  der  Mitlebenden  zu  erheben 
strebt,  ohne  sich  von  dem  Grund  und  Boden  der  Bildung,  auf 
dem  er. mit  ihnen  erwachsen  ist,  loslösen  zu  können. 

Ein  wesentlicher  Unterschied  zwischen  dieser  grossen 
theologischen  Arbeit  und  früheren  kleineren  desselben  Autors 
tritt  sofort  hervor.  Sie  ist  frei  von  dem  heftigen,  polemischen 
Tone,  den  er  so  häufig  angewandt  hatte.  Allerdings  enthält 
sie  gelegentliche  Ausfälle  gegen  katholische  wie  protestan- 
tische Lehrsätze  und  Schriftsteller,  gegen  akademische  Insti- 
tute und  kirchliche  Privilegien.  Sie  erklärt  an  einer  Stelle 
sogar  ganz  puritanisch  den  „Hass  gegen  die  Feinde  Gottes 
und  der  Kirche  für  eine  religiöse  Pflicht"  (V.  101).  Aber 
niemals  werden  wir  an  jene  rohen  Sitten  literarischer  Klopf- 
fechterei  erinnert,  welche  so  manche  theologische  Ausführung 
in  anderen  Werken  Milton's  entstellen.  Hier  befleissigt  er 
sich  einer  ruhigen,  leidenschaftslosen  Sprache.  Auch  dich- 
terische Bilder  und  Vergleiche  werden  vermieden.  Nur  eine 
einzige  Anspielung  auf  die  Zeitverhältnisse  kommt  vor,  durch 
die,  wie  einst  im  Lycidas,  die  pflichtvergessene,  „beutelustige" 
Geistlichkeit  getroffen  wird  (IV.  460).  Nur  eine  einzige  Be- 
ziehung auf  eigene  Arbeiten  lässt  sich  nachweisen,  welche 
durch  die  erneute  Behandlung  der  Ehescheidungsfrage  nahe 
gelegt  wurde  (IV.  249). 


Sein  Zweck.  15| 

Der  Zweck  des  Werkes  erklärt  seinen  eigenartigen  Cha- 
rakter. In  der  Vorrede,  die  sieh  an  „alle  Kirchen  Christi 
und  an  alle  Bekenner  des  christlichen  Glaubens  in  der  Welt" 
richtet,  spricht  sich  der  Verfasser  mit  einer  eigenthümlichen 
Mischung  von  Stolz  und  Bescheidenheit  über  seine  Absicht 
aus.  Er  gesteht,  dass  die  Arbeiten  seiner  Vorgänger  ihn 
nicht  befriedigt  haben,  und  dass  er  das  Ergebnis  seiner  For- 
schungen für  seinen  „besten  und  reichsten  Schatz"  halte. 
Aber  indem  er  „der  ganzen  Welt"  mittheilen  will,  was  zu- 
nächst nur  ,,für  ihn  selbst"  zu  eigener  Aufklärung  und  Er- 
innerung bestimmt  gewesen  war,  fordert  er  die  Kritik  ge- 
lehrter und  verständiger  Richter  heraus  und  verwahrt  sich 
gegen  den  möglichen  Einwand,  als  wolle  er  seine  Ansichten 
dem  Leser  aufdringen.  Er  hofft  vielmehr,  dass  sein  Beispiel 
Nachahmung  finde.  Er  wünscht,  dass  „andere  durch  ihn  be- 
wogen werden,  sich  nach  derselben  Art  zu  belehren  wie  er". 
Denn  von  diesem  protestantischen  Ursatz,  der  ihn  sein  ganzes 
Leben  hindurch  leitete,  geht  er  auch  hier  wieder  aus:  „In 
den  göttlichen  Dingen  darf  man  sich  nicht  auf  den  Glauben 
oder  das  Urtheil  anderer  verlassen".  „Wer  erlöst  werden 
will,  der  muss  seinen  eigenen  persönlichen  Glauben  haben  .  . 
Alle  Verheissungen  Gottes  gelten  nicht  einer  trägen  Recht- 
gläubigkeit, sondern  einem  beständigen  Fleiss,  einem  imer- 
müdlichen  Suchen  nach  Wahrheit."  „Die  Autorität  der  ganzen 
Körperschaft  der  Theologen  und  des  ehrwürdigen  Namens  der 
Mutter  Kirche"  darf  das  Recht  „der  freien  Forschung  und 
Erörterung"  nicht  einschränken  und  sich  dem  „individuellen 
Glauben  und  der  individuellen  Ueberzeugung"  nicht  entgegen- 
stellen. ,,Ohne  diese  Freiheit  giebt  es  keine  Religion  und 
kein  Evangelium,  sondern  nur  noch  Gewalt,  deren  Unter- 
stützung die  christliche  Religion  schändet.  Ohne  diese  Frei- 
heit sind  wir  noch  immer  Sklaven,  nicht  mehr  wie  früher  des 
Gesetzes  Gottes,  sondern  eines  Gesetzes  der  Menschen, 
oder  richtiger  einer  barbarischen  Tyrannei."  Daher  der  An- 
spruch, selbstständig  „über  jedes  Dogma  denken  und  schreiben 
zu  dürfen",  die  vorbeugende  Bitte  „an  alle  Parteien",  es 
freundlich   aufzunehmen,  wenn  er  etwas  vorbringe,  „was  von 


152  Anlehnung  an  die  Bibel. 

gewissen  recipirten  Ansichten  abweiche",  der  Wunsch,  „nicht 
mit  dem  gehässigen  Namen  eines  Ketzers  gebrandmarkt  zu 
werden,  ohne  dass  seine  Lehre  an  dem  Zeugnis  der  Schrift 
geprüft  worden  sei". 

Es  ist  etwas  Lessing'sehes  in  dieser  kraftvollen  Ver- 
theidigung  des  Rechtes  individueller  Kritik.  Nur  die  letzten 
Worte  dieser  Yertheidigung  deuten  au,  worin  Milton  w^esent- 
lich  hinter  den  kühnen  Bahnbrechern  der  folgenden  Zeiten 
zurückbleiben  musste.  Das  Zeugnis  der  Schrift  ist  das  einzige. 
das  ihm  verbindlich  erscheint.  Die  christliche  Religion  „steht 
und  fällt  —  ihm  wie  dem  Pastor  Goeze  —  mit  der  Bibel". 
Nur  dass  er  nicht  müde  wird,  wie  sonst,  so  auch  hier,  als 
ächter  Indepeudent  die  „äussere  Autorität  des  Glaubens  in 
der  Schrift"  der  „inneren  des  Geistes"  unterzuordnen ,  des 
jedem  Einzelnen  innewohnenden  „heiligen  Geistes",  unter 
dessen  „.Führung"  allein  ein  richtiges  Verständnis  der  bibli- 
schen Urkunden  zu  erlangen  sei  Er  hatte  sich  genau  ebenso 
in  einer  Stelle  des  verlorenen  Paradieses  geäussert  (XII.  511  ff,). 
Ihm  galt 

die  Wahrheit 
Allein  in  jenen  Schriften  rein  erhalten, 
Jedoch  nur  zu  verstehen  durch  den  Geist  ... 

Diesem  Grundsatz  zufolge  verschmäht  er  auch  hier  die 
blosse  „Spekulation".  Er  will  nicht  nach  der  Art  seiner 
meisten  Vorgänger  „ganze  Seiten  mit  der  Erläuterung  seiner 
eigenen  Ansichten  anfüllen  und  nur  am  Rande  auf  Kapitel 
und  Verse  der  Bibel  verweisen".  Er  will  ,,im  Gegentheil  seine 
Blätter  selbst  zum  Ueberfluss  mit  Stellen  aus  der  Schrift  an- 
füllen und  seinen  eigenen  Worten  so  wenig  Raum  als  möglich 
gönnen''.  Indem  er  sich  an  das  herkömmliche  dogmatische 
Schema  anschliesst,  trägt  er  die  sämmtlichen  einschlagenden 
Stellen  des  alten  und  neuen  Testamentes  zusammen  und  sucht 
„aus  der  so  gewonnenen,  rein  biblischen  Terminologie  das 
Dogma  darzustellen  und  zu  erklären".  Er  bietet  mit  einem 
Worte,  wie  man  ganz  richtig  gesagt  hat,  einen  der  ersten 
Versuche  zu  einer  rein  biblischen  Theologie.  Und  hierin 
liegt  ein  um  so  grösseres  Verdienst,  da  in  seinem  Jahrhundert 


Benutzung  früherer  Lehrbücher.  153 

„die  exegetischen  Vorlesungen  von  den  Universitäten  fast 
verschwinden,  und  der  Scholasticismus  der  Dogmatik  nur  nach 
traditionellen  Autoritäten  sucht".  Dass  Milton  zur  Durch- 
führung der  erwählten  Methode  besonders  befähigt  war,  wird 
niemand  läugnen  wollen.  Er  war  seit  seiner  frühesten  Jugend 
mit  den  biblischen  Schriften  aufs  innigste  vertraut.  Er  kannte 
sie  ohne  Zweifel  guten  Theils  auswendig.  Er  befand  sich  im 
vollen  Besitz  der  nöthigen  philologischen  Kenntnisse,  soweit 
sie  im  siebzehnten  Jahrhundert  zu  erwerben  waren.  Er  hand- 
habte mit  Geschick  und  Unerschrockenheit  die  biblische 
Kritik,  soweit  sich  sein  Zeitalter  überhaupt  zu  ihr  erhoben 
hatte.  Häufig  geht  er  auf  die  Lesarten  der  verschiedenen 
alten  Handschriften  und  Versionen  zurück  (z.  B.  IV.  94,  112. 
371).  Einmal  erklärt  er,  dass  „Moses  das  Buch  der  Genesis 
viel  später  geschrieben  zu  haben  scheine  als  die  Verkün- 
digung des  Gesetzes"  (IV.  223). 

Indessen,  wenn  er  sich  zunächst  an  die  Worte  der  Bibel 
hält,  so  lässt  er  deshalb  nicht  unberücksichtigt,  was  die  Ge- 
lehrsamkeit so  vieler  Jahrhunderte  bei  der  Verarbeitung  dieses 
Stotfes  zusammengetragen  hatte.  Das  Studium  älterer  Kom- 
pendien hatte  ihn  zur  Abfassung  seines  eigenen  Werkes  an- 
geregt. Diktate  aus  den  weit  verbreiteten  Büchern  des 
Niederländers  Wilhelm  Ames  und  des  Schweizers  Johannes 
Wolleb  hatten  seine  Zusammenstellung  vorbereitet.  An  beide 
schloss  er  sich  nicht  nur  in  der  Eintheilung,  sondern  auch  in 
der  Auswahl  der  Gitate  und  in  einzelnen  Ausdrücken  sichtlich 
an,  wennschon  er  im  sachlichen  Urtheil  nicht  selten  von 
ihnen  abwich.  Aber  daneben  waren  ihm  die  Werke  Calvin's, 
Beza's,  Polanus',  Episcopius*,  Curcellaeus'  u.  a.  sicherlich  zur 
Hand.  In  der  patristischen  Literatur  zeigte  er  sich  wohl  be- 
wandert. Mit  den  Klassikern  war  er  zu  gut  bekannt,  als  dass 
es  ihn  nicht  hätte  gelüsten  sollen,  hie  und  da  inmitten  der 
Bibelverse  einen  heidnischen  Ausspruch  des  Thucydides  und 
Euripides,  Virgil's  und  Ovid's  gelegentlich  anzubringen  (IV.  259, 
278.  etc.). 

Wenn  das  Milton'sche  Werk  darin  originell  erscheint, 
dass   es  eine  rein  biblische  Theologie  herzustellen  versucht. 


154  Verbindung  von  Glaubens-  und  Sittenlehre. 

SO  ist  es  nicht  weniger  beaclitenswerth  wegen  der  engen  Ver- 
bindung von  Dogmatik  und  Ethik ,  die  in  ihm  durchgeführt 
wird.  Allerdings  fand  jMilton  hierfür  in  Arnes  und  Wolleb 
ein  Vorbild.  Aber  im  allgemeinen  war  man  im  siebzehnten 
Jahrhundert  auch  in  der  reformirten  Kirche  daran  gewöhnt, 
wenn  nicht  Glaubenslehre  und  Sittenlehre  zu  trennen,  so  doch 
der  letzten  häufig  nur  eine  oberflächliche  Betrachtung  zu 
widmen.  Hier  dagegen  werden  beide  ganz  gleichwerthig  be- 
handelt. Beschäftigt  sich  das  erste  umfangreichere  Buch  mit 
der  „Kenntnis  Gottes",  so  nimmt  das  zweite,  das  „vom  Kultus 
Gottes"  betitelt  ist,  auf  die  Pflichten  des  Menschen  gegen  sich 
selbst  und  gegen  seinen  Nächsten  besondere  Rücksicht,  weil 
„wir  in  der  Erfüllung  dieser  Pflichten  Gott  dienen ,  so  lange 
wir  uns  dabei  den  göttlichen  Vorschriften  unterordnen".  Man 
hat  also  den  Vortheil,  Milton,  als  Systematiker  einer  christ- 
lichen Tugendlehre,  mitunter  als  Meister  einer  überfeinen 
Kasuistik,  über  eine  Masse  praktischer  Fragen  des  täglichen 
Lebens,  allerdings  unter  beständiger  Beziehung  auf  die  Bibel, 
sich  aussprechen  zu  hören.  Handelt  er  über  die  Stellung 
des  Weibes  zum  Manne,  über  die  Pflichten  der  Kinder  gegen 
die  Eltern,  über  die  würdigste  Art  des  Benehmens  und  der 
Unterhaltung,  über  das  Gebot,  Leid  und  Unrecht  männlich 
zu  tragen,  so  glaubt  man  darin  einen  Kommentar  zu  seinem 
eigenen  Leben,  einen  Niederschlag  seiner  persönlichen  Er- 
fahrungen zu  finden.  Erklärt  er  es  mit  dem  Worte  Gottes 
für  vollkommen  verträglich,  einen  religiösen  Eid  zu  leisten 
oder  Kriegsdienste  zu  thun,  billigt  er  ausdrücklich  die  Sitte, 
dass  „die  Weiber  unter  der  Gemeine  schweigen'^,  so  scheint 
darin  eine  Abwehr  gegen  die  Lehren  gewisser  Sekten  seiner 
Zeit,  und  namentlich  der  Quäker,  zu  liegen.  Auch  sonst  be- 
merkt man  beständig  den  mächtigen  Einfluss  der  ganzen 
Epoche,  zu  deren  begeistertem  Dolmetscher  er  sich  früher  so 
oft  gemacht  hatte.  Die  Lehre  vom  Widerstandsrechte  des 
Volkes  gegen  den  Tyrannen,  von  dem  allgemeinen  Verhältnis 
des  Staates  zu  den  kirchlichen  Genossenschaften,  insbesondere 
von  der  Uugehörigkeit ,  Kultussteuern  auf  die  Gesammtheit 
der  Staatsbürger  zu  legen  und  das  Institut  der  Zehnten  auf- 


Vergleichuug  mit  dem  verlorenen  Paradiese.  155 

recht  zu  erhalten,  von  dem  „rein  bürgerlichen"  Charakter  der 
Ehe  und  des  Begräbnisses:  alle  diese  bedeutenden  Gegen- 
stände, die  seine  Feder  in  früheren  Jahren  so  vielfach  in  Be- 
wegung gesetzt  hatten,  finden  hier  in  einem  grösseren  Rahmen 
ihren  Platz.  Mitunter  drückt  er  sich  etwas  vorsichtiger  aus 
als  es  ehemals  nöthig  gewesen  war,  wie  wenn  er  zugiebt, 
„aus  Gründen  des  öffentlichen  Friedens  und  der  persönlichen 
Sicherheit"  erscheine  es  hie  und  da  geboten,  „auch  den  Be- 
fehlen eines  Tyrannen  in  gesetzlichen  Dingen  Gehorsam  zu 
leisten"  (V.  156).  Mitunter  äussert  er  seinen  Gegensatz  zu 
dem  kirchlichen  Formalismus  noch  entschiedener  als  jemals 
sonst,  wie  wenn  er  die  ein  für  alle  Mal  „festgesetzte"  Uebung 
zwingender  Ritualien  für  „überflüssig"  erklärt  oder  die 
„Heilighaltung  eines  bestimmten  Sabbathtages"  als  eine  Folge 
lediglich  menschlicher  Auswahl  betrachtet  (Y.  31,  74). 

Wer  an  der  Hand  Milton's  das  ganze  ungeheure  Gebiet 
durchwandelt,  das  er  in  diesem  Werke  umspannt,  wird  auf 
Schritt  und  Tritt  an  die  grossen  Gedichte  seines  Alters  er- 
innert werden.  Vor  allem  zu  dem  verlorenen  Paradiese  be- 
merkt man  fast  auf  jeder  Seite  Parallelstellen.  Oft  stimmen 
einzelne  Wendungen  bis  .  auf  den  Buchstaben  überein,  aus 
keinem  anderen  Grunde,  als  weil  für  das  poetische  wie  für 
das  prosaische  Werk  der  gleiche  Satz  aus  der  Bibel  herüber- 
genommen ist.  Eine  solche  Vergleichuug  lässt  erst  in  voller 
Klarheit  erkennen,  wie  viel  Theologie  in  das  verlorene  Para- 
dies hineinverarbeitet  worden  ist,  und  wie  sehr  die  Gewissen- 
haftigkeit und  Belesenheit  des  Gottesgelehrten  Milton  der 
Naivetät  und  Ursprünglichkeit  des  Dichters  Milton  nothwendig 
den  schwersten  Eintrag  thun  musste.  Andrerseits  wird  man 
nicht  länger  bezweifeln  dürfen,  dass  vieles,  was  als  freies  Ge- 
bilde dichterischer  Phantasie  Bewunderung  erregen  mochte, 
im  Grunde  nichts  ist,  als  der  wirkliche  Ausdruck  ernstester 
religiöser  TJeberzeugung.  Vom  Glauben  an  Hexerei  und  Astro- 
logie, dem  sein  Zeitalter  noch  sehr  ergeben  war,  scheint  Mil- 
ton, der  Verehrer  der  Naturwissenschaft,  sich  frei  gemacht  zu 
haben  (^).  Den  Glauben  an  Engel  und  Teufel,  die  ihm  in  der 
Bibel  leibhaftig  entgegentraten,  hielt  er  um  so  entschiedener 


156  Vergleicliuug  mit  dem  verlorenen  Paradiese. 

fest.  Er  weiss,  dass  die  guten  Engel  um  den  Thron  Gottes 
stehn,  dass  Christus  ihr  Haupt  ist,  und  dass  ihrer  sieben  das 
besondere  Geschäft  haben,  Gottes  Aufträge  zur  Erde  zu  über- 
bringen. Er  zweifelt  nicht  daran,  dass  auch  die  Teufel  ihren 
Fürsten  haben,  dass  sie  sich  in  verschiedene  Rangklassen 
theilen,  und  dass  die  Hölle  „an  einem  Orte  äusserster  Finster- 
nis, aber  nicht  in  den  Eingeweiden  der  Erde"  gelegen  sei. 
Er  ist  des  Eintreffens  des  jüngsten  Tages  versichert,  an  dem 
die  bösen  Engel  und  die  ganze  Menschheit  gerichtet  werden, 
die  sündige  "Welt  verbrennt ,  und  nach  welchem  ein  neuer 
Himmel  und  eine  neue  Erde  entsteht,  der  Wohnort  eines  ver- 
jüngten Geschlechtes,  der  „Gerechten",  wie  er  gesungen 
hatte,  denen  „goldene  Tage  ewigen  Glückes"  beschieden  sind, 
Dass  er  nicht  etwa  nur  poetisch  schwärmte,  sondern  sehr 
nüchtern  räsonnirte,  beweist  die  Wichtigkeit,  mit  der  er 
einzelne  Fragen  behandelte,  wie  z.  B.  ob  der  jüngste  Tag 
wirklich  nur  vierundzwanzig  Stunden  dauern  werde,  oder  ob 
das  Wort  „Tag"  nicht  in  einem  weiteren  Sinne  zu  nehmen 
sei,  „da  es  sich  um  das  Urtheil  über  so  viele  Myriaden  von 
Menschen  und  Engeln  handle"  (IV.  484).  Bedenkt  man,  dass 
Hartlib  sehr  ernsthaft  mit  einem  Freunde  darüber  korrespon- 
dirte,  ob  die  Engel  Barte  haben  oder  nicht,  dass  Robert 
Boyle  sich  sehr  ausführlich  über  die  Eigenschaften  der  Engel 
verbreitet  (^);  so  wird  man  nicht  erstaunt  sein,  Milton  an  ge- 
wissen mythologischen  Vorstellungen  festhalten  zu  sehn,  die 
seine  poetische  Einbildungskraft  nur  im  einzelnen  auszumalen 
nöthig  hatte. 

Ein  anderes  Ergebnis  der  Vergleichung  zwischen  dem 
verlorenen  Paradiese  und  dem  theologischen  Traktate  wird  noch 
wichtiger  erscheinen.  Für  das  grosse  Gedicht  bildete  gleich- 
sam den  philosophischen  Hintergrund  die  Frage  vom  Ursprünge 
des  Uebels.  Es  war  nicht  möglich  sie  nur  zu  streifen  ohne 
zu  dem  Centraldogma  des  Calvinismus,  dem  Dogma  der  Prä- 
destination, entschieden  Stellung  zu  nehmen.  Wir  wissen, 
wie  Milton  in  früheren  Jahren  hierüber  gedacht  hat.  Er 
hatte  sich  einst  wiederholt  als  Gegner  des  Arminianismus 
erklärt.     Er  hatte    den  Arminius    selbst  einen  ,. Verführten" 


Milton  und  der  Calvinismus.  157 

genannt,  freilich  oline  sich  einzugestehn ,  dass  er  seinerseits 
schon  halb  und  halb  derselben  „Verführung"  erlegen  sei. 
(S.  0.  II.  185,  313.)  Im  Verlauf  der  Jahre  entfernte  er  sich 
immer  weiter  vom  Standpunkte  der  calvinistischen  Orthodoxie. 
Derselbe  Freiheitsdrang,  der  ihn  an  so  vielen  anderen  Stellen 
die  Schranken  des  genfer  Systems  durchbrechen  Hess,  machte 
ihm  auch  das  harte  Dogma  unerträglich ,  welches  das  ganze 
Lehrgebäude  des  genfer  Reformators  beherrscht.  Das  dritte 
Kapitel  des  ersten  Buches  seiner  umfassenden  theologischen 
Arbeit  handelt  „von  den  göttlichen  Dekreten",  das  vierte 
„von  der  Prädestination",  das  achte  „von  der  Vorsehung", 
das  eilfte  „vom  Falle  der  ersten  Menschen  und  von  der  Sünde"'. 
Durchliest  man  diese  Kapitel,  zieht  man  die  zahlreichen 
Stellen  des  verlorenen  Paradieses,  welche  eben  diese  Gegen- 
stände behandeln,  zur  Vergleichung  herbei,  so  bemerkt  man 
hier  wie  dort  völlig  dieselbe  Anschauung,  deren  entschiedene 
Abweichung  von  den  recipirten  Glaubenssätzen  in  die  Augen 
springt.  Diese  Anschauung  steht  mit  dem  independentischen 
Glaubensbekenntnis  der  Savoy- Synode  von  1650  in  Wider- 
spruch, während  sie  hie  und  da  an  die  verschiedenen  Glau- 
bensbekenntnisse der  Baptisten  erinnert  (^). 

Als  Grundlage  der  ganzen  Beweisführung  sucht  Milton 
aus  zahlreichen  Bibelstellen  darzuthun,  dass  Gott  nicht  alle 
Dinge  absolut  beschlossen  hat.  Den  Gegnern  dieser  Ansicht, 
den  Verfechtern  der  unerbittlichen  Prädestinationslehre,  wird 
der  Vorwurf  gemacht,  dass  nach  ihrer  Ansicht  „alle  Freiheit 
des  Handelns  in  menschlichen  Dingen  aufhören  würde,  so  wie 
jedes  Bestreben  und  jeder  Wunsch,  das  Rechte  zu  thun. 
Denn  wir  könnten  so  argumentiren :  Wenn  Gott  für  alle  Fälle 
meine  Erlösung  beschlossen  hat,  so  werde  ich,  ich  mag  han- 
deln, wie  immer  ich  will,  nicht  untergehn.  Aber  Gott  hat 
auch  beschlossen,  als  Mittel  zur  Erlösung,  dass  du  recht  han- 
deln sollst.  Ich  muss  also  nothwendig  ein  oder  das  andere 
Mal  recht  handeln,  da  Gott  es  so  beschlossen  hat ;  inzwischen 
will  ich  nach  meinem  Gefallen  handeln.  Wenn  ich  niemals 
recht  handle,  so  wird  sich  zeigen,  dass  ich  niemals  für  die 
Erlösung   vorherbestimmt    gewesen  bin,    und   dass,   was  für 


]^58  Milton  und  der  Calvinismus, 

Gutes  ich  auch  immer  hätte  thun  mögen,  es  vergeblich  ge- 
wesen sein  würde"  (IV.  33).  Kein  Zweifel ,  dass  Milton  hier 
bewusst  den  Finger  in  die  grosse  Wunde  des  calvinistischen 
Dogmas  legt.  Er  bezeichnet  als  nothwendige  Folge  desselben 
jenen  sittlichen  Fatalismus,  eine  Folge,  der  Calvin  selbst  nur 
durch  ein  inkonsequentes  Verlassen  seiner  Theorie  vorzubeu- 
gen gewusst  hatte  (^).  Milton  im  Gegentheil  will  den  Glauben 
an  den  freien  Willen  des  Menschen  nicht  aufgeben.  Und  so 
beurtheilt  er  den  Sündenfall  in  den  prosaischen  Sätzen  seiner 
Dogmatik  nicht  anders  wie  in  den  kunstvoll  gefügten  Jamben 
seines  Epos.  „Was  immer  dem  freien  Willen  der  ersten  Men- 
schen überlassen  war,  konnte  nicht  unabänderlich  oder  abso- 
lut von  aller  Ewigkeit  vorherbestimmt  sein  .  .  Gott  wusste 
vorher,  dass  Adam  in  Folge  seines  eigenen  freien  Willens  fallen 
würde,  sein  Fall  war  also  gewiss,  aber  nicht  nothwendig,  da  er 
von  seinem  eigenen  freien  Willen  abhieng,  der  mit  der  Nothwen- 
digkeit  unvereinbar  ist."  Dies  Verhältnis  des  göttlichen  Vor- 
herwissens und  der  Willensfreiheit  der  geschaffenen  Wesen 
wird  noch  einmal  in  den  unzweideutigen  Worten  zusammen- 
gefasst:  „Gott  beschloss  in  seiner  Weisheit,  Menschen  und 
Engel  als  vernünftige  Wesen  zu  schaffen,  d.  h.  als  solche,  die 
frei  handeln.  Aber  er  sah  zugleich  voraus,  wohin  sich  in 
der  Benutzung  ihrer  ungehemmten  Freiheit  der  Antrieb  ihres 
Willens  neigen  würde.  Wie  also,  werden  wir  sagen,  dass 
diese  Voraussicht  oder  dies  Vorherwissen  auf  Seiten  Gottes 
ihnen  die  Xothwendigkeit  auferlegte,  in  irgend  einer  be- 
stimmten Weise  zu  handeln?  Nicht  mehr,  als  wenn  der 
künftige  Erfolg  von  irgend  einem  menschlichen  Wesen 
vorhergesehn  gewesen  wäre"  (IV.  38  —  41).  Es  ist  nur  nöthig, 
einen  Rückblick  auf  die  klassische  Stelle  aus  dem  verlorenen 
Paradiese  (s.  o.  S.  96)  zu  werfen,  um  genau  dieselbe  dogma- 
tische Auseinandersetzung  in  Versen  zu  gemessen  (^).  Eben 
diesem  Gedankengange  entsprach  es,  wenn  Milton  gegen  „die 
Uebung  der  Schulen"  ankämpfte,  „das  Wort  Prädestination 
nicht  allein  im  Sinne  der  Wahl,  sondern  auch  im  Sinne  der 
Verwerfung  zu  gebrauchen".  Für  ihn,  der  „keine  Verwer- 
fung Einzelner  von  aller  Ewigkeit  her  kennt",  ist  Prädesti- 


Milton  und  die  Dreieinigkeitslehre.  159 

nation  gleichbedeutend  mit  dem  uranfänglichen  göttlichen  \oy- 
satz,  ,,aus  Mitleid  für  das  Menschengeschlecht  diejenigen  zu 
erretten,  welche  glaul)en  und  im  Glauben  verharren  würden". 

Man  sieht,  wie  Verstand  und  Gefühl  des  poetischen  Theo- 
logen und  des  theologischen  Poeten  sich  abmühen,  das  Myste- 
rium des  Glaubens  aufzuhellen.  Aber  man  bemerkt  auch, 
dass  es  ihm  so  wenig  wie  tausend  anderen  gelingt,  unverein- 
bare Widersprüche  zu  beseitigen.  Es  geht  ihm  nicht  besser 
als  seinen  gefallenen  Engeln,  von  denen  ein  Theil,  um  sich 
die  Zeit  zu  vertreiben,  über  eben  dies  Thema  disputirt  „und 
findet  aus  dem  Irrsal  keinen  Weg".  Das  Wollen  und  das 
Wissen  Gottes  sind  nicht  im  Einklang.  Die  freie  Entschei- 
dung des  Geschöpfs  läuft  der  absoluten  Vorsehung  des  Schöpfers 
entgegen.  Das  Böse  war  nicht  im  Weltplan  gelegen,  und  doch 
weiss  es  sich  in  die  Welt  einzudrängen.  Ein  Dualismus  der 
Anschauung  bleibt  bestehen,  aber  mit  ihm  wird  wenigstens  der 
Gedanke  der  Selbstbestimmung  gerettet,  auf  dem  das  höchste 
menschliche  Streben  beruht. 

Milton's  Abweichung  von  der  strengen  Doktrin  des  Cal- 
vinismus wird  allgemein  zugegeben.  Seine  ketzerische  Auf- 
fassung der  Dreieinigkeitslehre  hat  man  mitunter  zu  verdecken 
gesucht.  Zwar  erscheint  er  in  seiner  Jugend  und  im  früheren 
Manuesalter,  auch  was  diesen  Punkt  betrifft,  noch  durchaus 
orthodox.  Zahlreiche  Aeusserungen  in  gebundener  und  un- 
gebundener Rede  liegen  vor,  welche  dies  zur  Genüge  bewei- 
sen (i).  Aber  wie  er  allmählich  vom  strengen  Calvinisten  zum 
Arminianer  wurde,  so  konnte  er  sich  der  „Ansteckung  der 
Arianer"  nicht  erwehren ,  vor-  der  er  ehemals  gewarnt  hatte. 
Wiederum  war  es  in  erster  Linie  das  verlorene  Paradies,  aus 
dem  sich  diese  Umwandlung  erkennen  liess.  Schon  De  Foe 
hat  sie  herausgefühlt  und  unter  anderen  scharfen  Anmerkun- 
gen hervorgehoben,  dass  „Milton  in  diesem  Punkte  nicht 
rechtgläubig  sei"  (2).  Als  man  in  Italien  1758  das  Gedicht 
auf  den  Index  der  verbotenen  Bücher  setzte,  wurde  unter 
den  Ketzereien,  die  es  enthalte,  namentlich  angeführt,  „dass 
die  Menschwerdung  Christi  seine  Trennung  vom  Vater  erfor- 
dert habe,  dass  Jesus  Christus  nicht  der  natürliche,   sondern 


](30  Milton  und  die  Dieieinigkcitslehre. 

der  Adoptivsohn  des  Ewigen  sei,  nicht  ihm  gleich,  sondern 
ihm  ähnlich"  (^).  Ein  Theil  dieser  Worte  erscheint  zu  stark, 
ein  Theil  trifft  das  Richtige.  Allerdings  ist  es  so  gut  wie 
unmöglich,  einzelne  "Widersprüche  aufzuheben,  die  sich  in  der 
poetischen  Behandlung  dieses  Gegenstandes  voi-finden.  Auch 
ist  unschwer  zu  bemerken,  dass  der  Dichtei-  sich  eine  gewisse 
Zurückhaltung  auflegt,  wie  sie  durch  die  Natur  seiner  Auf- 
gabe geboten  war.  Er  hält  sich  wie  gewöhnlich  an  die  Sprache 
der  Bibel  und  überlässt  es  dem  Leser,  sich  aus  ihren  poetisch 
verwertheten  Aeusserungen  ein  Gesammtbild  herzustellen. 
Aber  die  Nothwendigkeit,  „selbst  am  Throne  des  Allerhöchsten 
dramatisches  Leben  zu  entfalten",  in  Rede  und  Gegenrede 
einen  bestimmten  Gedankenaustausch  zwischen  Gott  Vater 
und  Gott  Sohn  stattfinden  zu  lassen,  begünstigt  seinen  Abfall 
vom  strengen  Dogma  der  Trinität.  Während  der  heilige  Geist 
überhaupt  nur  als  die  inspirirende  Muse  auftritt,  ohne  in  die 
Handlung  einzugreifen,  erscheint  Gott  der  Sohn,  der  „Vice- 
könig"  des  Höchsten  im  Himmel  und  sein  Vermittler  auf 
Erden,  als  „Erstling  der  Schöpfung",  durch  den,  „als  durch 
sein  Wort,  der  Vater  alle  Wesen  schuf.  Er  ist  zwar  .,der 
Abglanz  seines  Ruhmes",  eins  mit  ihm  im  Wollen  und  Voll- 
bringen, aber  er  stellt  sich  doch  dar  als  ihm  untergeordnet, 
und  einmal  ist  von  seiner  .,Aehnlichkeit"  statt  von  seiner 
Gleichheit  mit  Gott  die  Rede.  Das  wiedergewonnene 
Paradies,  das  dazu  bestimmt  war,  in  Christus  einzig 
den  „vollkommenen  ^lenschen"  zu  verherrlichen ,  bot 
keinen  Anlass  dar,  den  Eindruck  dieser  heterodoxen  An- 
schauungen Milton's  abzuschwächen.  Man  durfte  ihn  dreist 
den  Arianem  zuzählen,  auch  ehe  sein  theologisches  Werk 
bekannt  war. 

Aus  diesem  ergiebt  sich  nun  mit  voller  Klarheit,  dass 
auch  hiebei  zwischen  dem  Dichter  und  dem.  Gottesgelehrten 
Milton  die  entschiedenste  Uebereinstimmung  herrscht.  Die 
Einleitung  zu  dem  Kapitel  „vom  Sohne  Gottes"  macht  kein 
Hehl  daraus,  dass  hier  etwas  vorgebracht  werden  soll,  was 
dem  Autor  „glaubwürdiger^'  erscheint  als  das  „allgemein  an- 
erkannte Dogma".    Er  hält  es  für  nötliig,  die  „Freiheit",  die 


Milton  und  der  Pantheismus.  1(31 

er  sich  nehmen  will,  zu  entschuldigen  und  er  thut  es,  indem 
er  wiederum  das  Recht  ungehinderter  Forschung  auf  Grund- 
lage der  Schrift  für  sich,  als  Glied  der  reformirten  Kirche,  in 
Anspruch  nimmt.  In  der  Bibel  findet  er  aber  „nur  einen 
wahren  absoluten  und  höchsten  Gott".  Wenn  der  Sohn  nichts- 
destoweniger auch  Gott  genannt  wird,  so  muss  er  „den  gött- 
lichen Namen  und  die  göttliche  Natur  von  Gott  dem  Vater 
nach  dessen  Willen  empfangen  haben",  seine  Einheit  mit  dem 
Vater  ist  „keine  Einheit  des  Wesens",  er  hat  zwar  existirt 
„ehe  die  Welt  erschaffen  war",  aber  „nicht  von  aller  Ewigkeit 
an".  Ganz  gegen  seine  Gewohnheit  ruft  er  sich  bei  diesem 
Thema  neben  den  biblischen  Citaten  auch  die  „Vernunft"  zu 
Hilfe,  und  heftiger  als  er  es  sonst  in  diesem  Werke  zu  thun 
pflegt,  eifert  er  gegen  „gewisse  Individuen,  die  durch  betrü- 
gerische Kunststücke  den  klaren  Sinn  der  Schriftstellen  zu 
verdunkeln  .  .  und  sophistischer  Weise  absurde  Paradoxen 
aufrechtzuhalten  suchen".  Es  lässt  sieh  denken,  dass  dieser 
Widerstreit  mit  der  herrschenden  Dreieinigkeitslehre  noch 
eine  Verschärfung  erfahren  musste  in  dem  Kapitel  „vom  hei- 
ligen Geiste",  der  seinerseits  sowohl  „dem  Vater  wie  dem 
Sohne  untergeordnet"  erscheint. 

Wenn  diese  Ideen  an  theologische  Begriffe  anknüpfen  und 
in  der  theologischen  Schulsprache  auftreten,  so  enthält  das 
grosse  Werk  Milton's  einige  andere  beachtenswerthe  Aeusse- 
rungen  einer  kühnen  Kritik,  die  man  ausschliesslich  dem 
philosophischen  Gebiete  zuweisen  wird.  Wir  haben  keine  Nach- 
richt darüber,  ob  der  Dichter  die  Schriften  Giordano  Bruno's 
gelesen  hatte,  dessen  Schicksal  ihm  schwerlich  verborgen  ge- 
blieben war.  Wir  wissen  auch  nicht,  ob  er  von  dem  Genius 
Spinoza's  Kunde  hatte,  von  dessen  Leben  und  Lehre  Robert 
Boyle  wie  Heinrich  Oldenburg  ihm  mit  Leichtigkeit  etwas 
hätten  berichten  können (^).  Aber  so  wenig  Gemeinsamkeit 
Milton  mit  den  Verkündigern  des  Pantheismus  sonst  zu  haben 
scheint,  so  legen  gewisse  Sätze  seines  theologischen  Traktates 
die  Vermuthung  nahe,  dass  doch  eine  geistige  Berührung 
zwischen  ihm  und  jenen  stattgefunden  habe.  Indem  er  in 
gewohnter  Weise   die  Lehre  „von  der  Schöpfung"  entwickelt, 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    IT,  4.  '  11 


152  Milton  und  der  Pantheismus. 

streitet  er  lebhaft  gegen  den  Gedanken,  „dass  die  Welt  aus 
nichts  geschaffen  sei".  „Es  ist  klar,  —  zu  diesem  Schlüsse 
gelangt  er  —  dass  die  Welt  aus  Materie  gebildet  ward. 
Denn  da  Thätigkeit  und  Leiden  Begriffe  sind,  die  einander 
bedingen,  so  kann  keine  Thätigkeit  wirken,  ohne  dass  ein 
Leidendes  (wie  die  Materie)  vorhanden  ist".  Auch  hier  wie- 
der drängt  sich  neben  der  „Schrift"  die  „Vernunft"  ein,  und 
diese  führt  ihn  noch  einen  Schritt  weiter.  Die  Materie  muss 
„von  Ewigkeit  her"  bestanden  haben,  weil  es  unbegreiflich 
wäre,  „von  welchem  Zeitpunkt  an  sie  entstanden  sein  sollte". 
Ist  sie  aber  ewig,  so  kann  sie  nicht  neben  Gott  bestanden 
haben,  „es  bleibt  nur  das  eine  übrig",  dass  sie  Gott  immanent 
war,  dass  Gott  sie  aus  sich  entwickelte.  „Es  ist  ein  Beweis 
der  höchsten  Macht  und  Güte,  dass  eine  solche  verschieden- 
artige, vielförmige  und  unerschöpfliche  Anlage  substantiell  in 
Gott  gelegen  war  und  nicht  in  ihm  schlummern  blieb,  sondern 
sich  so  weit  und  der  Art  ergoss,  fortpflanzte  und  ausdehnte, 
wie  es  sein  Wille  war."  Wie  die  Materie  von  Ewigkeit  an 
war,  so  ist  sie  auch  in  Ewigkeit  unzerstörbar.  „Wenn  alle 
Dinge  nicht  nur  von  Gott,  sondern  auch  aus  Gott  sind,  so 
kann  kein  erschaffenes  Ding  jemals  aufhören  zu  sein  .  .  Gott 
ist  nicht  Willens,  oder,  besser  gesagt,  nicht  fähig,  irgend  ein 
Ding  zu  vernichten."  Selbst  bei  dem  Hinweis  auf  den  „Welt- 
brand" wird  „nur  eine  Umwandlung  der  Substanz"  als  mög- 
lich vorausgesetztem  (IV.  177  —  181,  488). 

In  engem  Zusammenhange  mit  diesen  Betrachtungen  stehen 
diejenigen,  die  sich  auf  das  Wesen  der  menschHchen  Seele 
und  des  menschlichen  Körpers  beziehen.  ,,Der  Mensch,  ein 
Theil  der  sichtbaren  Schöpfung,  ist  ein  individuelles  Gan- 
zes, nicht  zusammengesetzt  oder  trennbar,  nicht,  wie  man  ge- 
wöhnlich annimmt,  aus  zwei  verschiedenen  Naturen,  Seele 
und  Leib,  zusammengefügt,  vielmehr  der  ganze  Mensch  ist 
Seele,  und  die  Seele  ist  die  individuelle,  belebte,  empfindende 
und  vernünftige  Substanz".  Undenkbar,  „gegen  die  Schrift, 
Natur  und  Vernunft",  ist  „das  Dasein  der  menschlichen  Seele, 
abgesondert  vom  Körper".  Auch  wird  die  „menschliche  Seele 
nicht  täglich  durch  unmittelbares  Eingreifen  Gottes  geschaffen. 


Ansichten  über  Taufe  und  Ehe.  163 

sondern  auf  natürlichem  Wege,  wie  der  Leib ,  vom  Vater  auf 
den  Sohn  fortgepflanzt."  Gleicher  Weise  „kann  auch  der 
Tod  keine  Trennung  von  Seele  und  Leib  genannt  werden''. 
Der  ganze  Mensch  stirbt.  „Jeder  Theil  seines  Wesens  kehrt 
zu  den  Elementen  zurück"  (^). 

Unvermittelt  stehen  diese  Aussprüche  neben  früher  er- 
wähnten desselben  Autors.  Er  fühlt  wohl,  dass  es  nach  die- 
sem philosophischen  Bekenntnis  noch  schwerer  wird,  den  Ui'- 
sprung  des  Uebels  zu  erklären,  da  die  ,, Materie  wesentlich 
gut  war,  da  sie  unverdorben  von  Gott  ausgieng",  und  so  „die 
Seele,  die  individuelle,  belebte,  empfindende  und  vernünf- 
tige Substanz,  rein  von  ihm  empfangen  werden  musste". 
Aber  er  zerreisst  die  geschlossene  Kette  der  Ideen  mit  der- 
selben gläubigen  Sorglosigkeit,  mit  der  er  die  „ausser- 
ordentliche Vorsehung  Gottes"  durch  ein  Wunder  in  die  ge- 
setzliche „Ordnung  der  Natur"  willkürlich  eingreifen  lässt 
(IV.  212). 

Es  wird  nun  nicht  mehr  auffallend  erscheinen,  warum 
Milton  im  Vorwort  seines  Buches  so  sehr  darauf  bedacht  war. 
sieh  im  voraus  gegen  den  Vorwurf  der  Ketzerei  zu  verthei- 
digen.  Allein  noch  einige  andere  Stellen  seines  Traktates  neben 
jenen  von  dogmatisch -philosophischem  Charakter  waren  vor- 
handen, an  die  sich  Anklage  und  Verleumdung  der  aufge- 
schreckten Zionswächter  mit  Leichtigkeit  hängen  konnten.  Die 
freie  Auffassung  des  Scheidungsrechtes,  wie  sie  sich  der  Ver- 
fasser des  Tetrachordon  gebildet  hatte,  wird,  wie  bemerkt, 
wiederum  mit  alter  Unerschrockenheit  vorgetragen.  Unerwar- 
tet ist  es,  ihn  auch  über  die  Taufe  eine  Meinung  äussern  zu 
hören,  die  sich  mit  der  herrschenden  Uebung  in  Widerspruch 
setzt.  Die  Sitte  der  Kindertaufe  fand  er  nur  durch  „hohle  Ar- 
gumente" gestützt.  Mit  den  angeblichen  Beweisen  aus  der 
Bibel  wurde  es  ihm  nicht  schwer  fertig  zu  werden,  und  die 
Vernunft  sagte  ihm,  dass  Unmündige  ebenso  wenig  Gewinn  aus 
dem  an  ihnen  vorgenommenen  Akte  ziehen  könnten  wie  „Er- 
wachsene aus  dem  Anhören  einer  ihnen  unbekannten  Sprache". 
Geht  er  auch  nicht  so  weit,  eine  Wiedertaufe  zu  fordern,  so 
setzt  er  doch  bei  den  Täuflingen  ein  Alter  voraus,  in  dem  sie  „der 

11* 


1(34        Ansichten  über  Taufe  und  Ehe.  —   Sclilussbetrachtung. 

Erkenntnis  und  des  Glaubens"  fähig  seien.  Auch  scheint  ihm, 
wie  er  bereits  im  verlorenen  Paradiese  XII.  442  angedeutet 
hatte,  das  Eintauchen  in  fliessendes  Wasser  die  unerlässliche 
Form  zu  sein  (IV.  404  ff.)-  Am  meisten  muss  es  indessen  über- 
raschen, in  Milton  einen  Vertheidiger  der  Polygamie  zu  entdecken. 
Hier  ist  einer  der  Punkte,  wo  ihm  seine  mangelnde  Kritik  in 
der  richtigen  Schätzung  alttestamentarischer  Ueberlieferungen 
und  Institute,  seine  Beurtheilung  der  Schrift,  als  eines  voll- 
ständigen Codex  der  Moral,  einen  Streich  gespielt  hat,  den  ihm 
auch  ein  grosser  Theil  der  Nachwelt  nicht  leicht  vergeben  wird. 
Er  fand,  dass  die  „heiligen  Patriarchen,  die  Grundpfeiler  un- 
seres Glaubens",  mit  voller  Billigung  Gottes  mehrere  Weiber 
zu  gleicher  Zeit  gehabt  hatten.  Er  war  sich  nicht  bewusst, 
dass  das  neue  Testament  die  Vielweiberei  ausdrücklich  ver- 
boten habe.  Alle  Bibelstellen,  die  man  ihm  entgegenhalten 
konnte,  suchte  er  zu  widerlegen,  und  mitunter  mag  ihm  auch 
das  abfällige  Urtheil,  dem  er  überhaupt  das  schöne  Ge- 
schlecht im  Gegensatz  zum  starken  unterwarf,  die  Feder 
geführt  haben.  Immerhin  wird  man  anerkennen,  wie  er 
selbst  in  dieser  Frage,  unbekümmert  um  die  Meinung  ande- 
rer, mit  Freimuth  seine  Behauptung  zu  begi'ünden  versucht 
(IV.  225). 

Ueberblickt  man  die  ganze  Masse  von  Ideen,  die  in  dem 
theologischen  System  verarbeitet  worden  ist,  so  wird  man  die 
Richtigkeit  des  Ausspruches  Milton's,  „dass  er  keiner  Sekte 
angehören  wolle",  vollkommen  würdigen (^).  Seine  Kinder 
scheinen  die  Kirche  regelmässig  besucht  zn  haben.  Von  ihm 
selbst  wird  berichtet,  dass  er  gegen  Ende  seines  Lebens  kein 
erklärtes  Mitglied  irgend  einer  Religionsgenossenschaft  gewe- 
sen sei,  an  keiner  ihrer  Versammlungen  Antheil  genommen 
oder  in  seiner  Familie  von  ihrem  besonderen  Ritus  Gebrauch 
gemacht  habe.  Man  hat  es  durch  seine  Blindheit  einiger- 
massen  erklären  wollen,  dass  er  es  vorzog,  dem  sonntäglichen 
Gottesdienst  seiner  Pfarrkirche  fern  zu  bleiben.  Aber  man 
wird  beachten  müssen,  dass  er  die  Religionsübung  des  Ein- 
zelnen, von  der  Gemeinschaft  mit  anderen  Getrennten,  aus- 
drücklich in  Schutz  nahm,  woferne  „das  Gewissen  dabei  seine 


Schlussbetrachtung.  165 

Befriedigung  findet"  (^).  Jene  stillen  und  ernsten  „Kontem- 
plationen" über  ein  ihm  vorgelesenes  Stück  der  Bibel,  mit 
denen  er  den  Tag  begann,  machten  seinen  Gottesdienst 
aus.  Uebrigens  war  er  weit  entfernt  davon,  anderen  seine 
Art  aufzudrängen.  Er  handelte  auch  hierin  als  ein  freier 
Mensch, 


Sechstes  Kapitel. 
Des  Lebens    Ende. 


Das  Tagewerk  Milton's  war  seinem  Abschlüsse  nahe.  Die 
grossen  Vorsätze,  mit  denen  er  sich  seit  Jahren  getragen, 
waren  erfüllt.  Dem  müden  Arbeiter  gleich  konnte  er  die 
Hand  sinken  lassen.  Mochte  so  mancher  der  stolzen  Träume, 
in  denen  der  schwärmerische  Jüngling  Vaterland  und  Mensch- 
heit umfasst  hatte,  zerronnen  sein,  mochten  sich  in  den 
Stürmen,  durch  die  er  hindurchgegangen,  seiner  Stirn  und 
seinem  Denken  die  scharfen  Linien  sorgenvoller  Strenge  ein- 
gegraben haben,  in  einem  war  der  Milton  des  Alters  dem 
Milton  der  Jugend  gleich  geblieben:  in  dem  Streben  nach 
Wahrheit,  in  der  Begeisterung  für  das  Schöne,  in  dem  Ge- 
fühle sich  „immer  wie  unter  dem  Auge  seines  grossen  Werk- 
meisters" zu  befinden. 

Nur  von  ferne  drangen  die  Nachrichten  aus  der  grossen 
Welt  an  sein  Ohr.  Er  konnte  es  mit  stiller  Genugthuung 
begrüssen,  als  Clarendon  von  seiner  stolzen  Höhe  stürzte. 
Er  mochte  die  allgemeine  Freude  theilen,  als  Englands 
Bündnis  mit  Holland  und  Schweden  bekannt  wurde.  Aber 
solche  Momente  der  Zufriedenheit  mit  dem  Laufe  der  öffent- 
lichen Angelegenheiten  dauerten  nur  kurze  Zeit  an.  Lange 
genug  hatte  er  an  der  Politik  thätigen  Antheil  genommen, 
um  aus  den  Berichten  der  Freunde  erkennen  zu  können,  dass 


Ereignisse  in  Staat  und  Kirche.  1(37 

Europa  schweren  Kämpfen  entgegengehe,  und  dass  England 
in  ihnen  eine  sehr  unwürdige  Stellung  einzunehmen  im  Begriff 
sei.  In  seiner  Jugend  hatte  beständig  das  Schreckbild  einer 
habsburgischen  Universalmonarchie  gedroht.  In  seinen  alten 
Tagen  warf  das  Schreckbild  einer  bourbonischen  Universal- 
monarchie schon  düstere  Schatten  voraus.  Ludwig  Xl\.  be- 
gann das  Zeitalter  zu  beherrschen,  und  Karl  IL  hatte  seine 
Gründe,  aufs  neue  die  schmähliche  Rolle  seines  Vasallen  auf 
sich  zu  nehmen.  Die  Triple  -  Allianz ,  auf  englische  Anregung 
gegen  Frankreichs  erobernde  Uebermacht  abgeschlossen,  hatte 
keinen  gefährlicheren  Gegner  als  den  englischen  König.  Er 
arbeitete  im  geheimen  an  ihrer  Auflösung.  Er  erschien  als 
Bundesgenosse  Frankreichs  gegen  die  Niederlande.  Mit  wel- 
chem Wechsel  der  Empfindungen  musste  der  aufhorchende 
Blinde  von  den  erschütternden  Ereignissen  erzählen  hören, 
deren  Kunde  den  Welttheil  bewegte,  von  dem  jähen  Ruin 
der  niederländischen  Macht,  von  dem  furchtbaren  Schicksale 
der  Brüder  de  Witt,  von  dem  heldenmüthigen  Widerstände 
des  Oraniers,  von  den  gewaltigen  Kämpfen  zu  Land  und 
zur  See! 

Es  waren  nicht  bloss  ernste  Betrachtungen  politischer 
Natur,  zu  denen  diese  Vorgänge  den  denkenden  Engländer 
anregten.  Seit  einigen  Jahren  war  in  der  Nation  eine  religiöse 
Bewegung  wieder  mächtig  geworden,  die  sich  von  Tag-  zu 
Tage  lebhafter  äusserte.  Auch  hier  wiederholten  sich  für 
Milton  die  Eindrücke  früherer  Zeiten.  Er  war  aufgewachsen 
mit  dem  puritanischen  Gefühle  der  Angst  vor  einer  gewalt- 
samen Zurückführung  zum  Katholicismus  und  mit  dem  puri- 
tanischen Gefühle  des  Hasses  gegen  alles,  was  mit  dem  Katho- 
licismus in  Verbindung  stand.  Er  erlebte,  dass  diese  Ge- 
sinnungen in  der  Brust  seiner  Mitbürger  mit  verstärkter 
Gewalt  wieder  aufwachten  und  im  Parlamente  den  Ausdruck 
der  heftigsten  Opposition  fanden.  Alles,  was  in  einer  fridieren 
Epoche  den  finstersten  Argwohn  gegen  die  Regierung  Jakob's  I. 
und  Karl's  I.  geweckt  hatte,  weckte  ihn  nun  gegen  die  Re- 
gierung Karl's  IL,  nur  dass  die  Rolle,  die  ehemals  von  Spanien 
gespielt  worden  zu  sein  schien,    neuerdings   auf  Frankreich 


jgg  Ereignisse  in  Staat  und  Kirche. 

übevgegaugeu  war.  Zwar  blieben  die  Verhandlungen  mit 
Ludwig  XIV.,  welche  dazu  bestimmt  waren,  die  Wiederher- 
stellung des  Katholicismus  anzubahnen,  in  ein  tiefes  Geheim- 
nis gehüllt.  Allein  das  Land  hatte  eine  dunkle  Ahnung  von 
den  Gefahren,  welche  die  französische  Allianz  sowohl  für  die 
parlamentarische  Verfassung  wie  für  die  anglikanische  Kirche 
in  sich  berge.  Auch  damals  wieder  war  es  das  Loos  der 
englischen  Katholiken,  dass  ihrer  Sache  durch  ihre  Verthei- 
diger  am  meisten  geschadet  wurde.  Auch  damals  wieder 
musste  die  Idee  der  Toleranz  den  Massen  in  dem  bedenk- 
lichen Licht  einer  Gefährdung  der  Landesfreiheiten  und  der 
Landeskirche  erscheinen.  Noch  war  die  Erinnerung  an  die 
Pulververschwörung  und  an  den  irischen  Aufstand  in  den 
Gemüthern  lebendig.  Man  glaubte  die  ganze  bewaffnete 
Macht  des  Reiches  papistischen  Händen  ausgeliefert.  Der 
Herzog  von  York,  dessen  Ueberti-itt  zum  Kathohcismus  bald 
offenkundig  wurde,  kommandirte  die  Flotte.  Katholische 
Officiere  standen  in  den  Regimentern,  die  zum  Zweck  einer 
Invasion  Holland"s  zusammengebracht  waren.  Den  Gesetzen 
gegen  die  Rekusanteu  zum  Trotz  wuchs  die  Anzahl  der 
katholischen  Kapellen  und  Bethäuser,  der  Priester  und 
Jesuiten,  der  Brüderschaften  und  Klöster,  und  der  König 
selbst  schien  diese  Fortschritte  mit  günstigen  Augen  an- 
zusehn. 

Seine  Indulgenz-Erklärung,  unmittelbar  vor  dem  Ausbruch 
des  holländischen  Krieges  erlassen,  gab  den  populären  Be- 
fürchtungen neue  Nahrung.  Dass  sie  den  protestantischen 
Dissenters  Freiheit  des  Kultus  in  Aussicht  stellte,  erschien 
nur  als  Deckung  jener  anderen  Klausel,  welche  die  Straf- 
gesetze gegen  die  Katholiken  aufhob,  woferne  sie  sich  auf 
den  häuslichen  Gottesdienst  beschränkten  (15.  März  1672). 
Das  Parlament  weigerte  sich  anzuerkennen,  dass  die  Präro- 
gative der  Krone  auf  kirchlichem  Gebiet  bis  zu  einer  Auf- 
hebung bestehender  Gesetze  ausgedehnt  werden  dürfe  und 
machte  die  Bewilligung  von  Geldmitteln  für  den  Krieg  von 
der  Zurückziehung  der  königlichen  Deklaration  abhängig. 
Karl  IL.  ohne  Hoffnung,  diesen  ^Yiderstand  mit  Gewalt  brechen 


Test-Akte.  169 

ZU  können,  entschloss  sich  nachzugeben.  Aber  mit  diesem 
Siege  war  das  Gefühl  der  allgemeinen  Unruhe  nicht  befrie- 
digt. Man  glaubte  der  drohenden  Gefahr  durch  Annahme 
der  Test- Akte  begegnen  zu  müssen,  durch  welche  sich  jeder 
von  der  Bekleidung  eines  öffentlichen  Amtes  ausgeschlossen 
sah,  dem  sein  Gewissen  verbot,  das  Dogma  von  der  Transsub- 
stantiation  abzuschwören  und  das  Abendmahl  nach  anglika- 
nischem Ritus  zu  nehmen  (1G78).  Der  Herzog  von  York 
legte  seine  Admiralswürde  nieder.  Thomas  Cliftbrd,  dessen 
Name  den  Anfangsbuchstaben  zur  Bezeichnung  jenes  schmach- 
vollen Cabal -  Ministeriums  gebildet  hatte,  schied  aus  dem 
Schatzamt  aus.  Nicht  wenige  Inhaber  militärischer  und  civiler 
Posten  waren  genöthigt ,  ihrem  Beispiel  zu  folgen.  Die  Nach- 
richt, dass  der  Bruder  des  Königs  im  Begriff"  stehe,  den  In- 
teressen Frankreichs  und  des  Katholicismus  gemäss,  eine 
modenesische  Prinzessin  heimzuführen,  erweckte  neue  Besorg- 
nisse für  die  Zukunft  des  Landes  und  steigerte  die  Erregung 
gegen  die  Mitglieder  einer  Kirche,  deren  Eroberungspläne 
man  durch  die  königliche  Familie  selbst  befördert  zu  sehn 
fürchten  musste.  —  p]s  erschien  wünschenswerth  in  demselben 
Augenblicke,  da  man  das  Verhältnis  zum  Katholicismus  in 
einem  eben  so  argwöhnischen  wie  unduldsamen  Geiste  ordnete, 
die  protestantischen  Nonkonformisten  um  so  entschiedener  mit 
der  herrschenden  Landeskirche  zu  versöhnen.  Allein  die  Ver- 
handlungen, deren  Zweck  es  war,  die  harten  Bestimmungen 
der  letzten  Jahre  zu  mildern,  endeten,  ohne  durch  Erlass 
eines  Gesetzes  den  erwünschten  Abschluss  zu  erhalten. 


Man  muss  sich  diese  Vorgänge  vergegenwärtigen,  um  es 
richtig  zu  würdigen,  dass  Milton  ein  Jahr  vor  seinem  Tode 
noch  einmal  mit  einer  Schiift  hervortrat,  welche  die  öffent- 
lichen Angelegenheiten  berührte (').  Nach  langer  Pause  erhob 
er  wieder  seine  Stimme  in  den  Kämpfen  des  Tages,  durch 
innere  Neigung  unwiderstehlich  dazu  gedrängt,  wenn  auch 
vielleicht  von  wenigen  nur  beachtet.    „Von  wahrer  Religion, 


170  Miltou's  Schrift:  „Von  wahrer  Religion". 

Ketzerei,  Schisma,  Toleranz"  unternahm  er  zu  sprechen. 
Die  Untersuchung,  „welche  jNIittel  am  besten  gegen  das  Wachs- 
thum  des  Papismus  anzuwenden  seien",  sollte  ihn  besonders 
beschäftigen.  Er  kehrte  damit  zu  Gegenständen  zurück,  denen 
die  Kraft  seiner  Mannesjahre  gehört  hatte,  und  jede  Seite 
seiner  Schrift  legte  Zeugnis  dafür  ab,  dass  er  in  seinen 
Stärken  wie  in  seinen  Schwächen  der  Alte  geblieben  war.  Er 
erklärt  es  nur  für  eine  einfache  Pflichterfüllung,  dem  guten 
Zweck  „der  Warnung  des  Volkes  vor  dem  Wachsthum  des 
römischen  Unkrauts"  auch  seine  Hand  zu  leihen.  Aber  seine 
Methode  sollte  sich  von  derjenigen  anderer  Schriftsteller,  die 
neuerdings  in  dieser  Frage  das  Wort  genommen  hatten, 
unterscheiden.  Er  will  nicht  ,,in  das  Labyrinth  der  Koncilien 
und  Kirchenväter  eindringen",  jenen  „Urwald,  in  dem  der 
Papist  zu  kämpfen  liebt,  nicht  aus  Hoffnung  auf  den  Sieg, 
sondern-  um  die  Schande  seiner  Niederlage  verdecken  zu 
können".  Er  will  sich  vielmehr  an  „die  gewönliche  Fassungs- 
kraft" wenden  und  die  Entscheidung  aus  allgemeinen  Grund- 
sätzen ableiten.  Eine  Erläuterung  dessen,  was  er  unter 
„wahrer  Eeligion"  begreift,  macht  daher  billig  den  Anfang. 
Der  bekannten  Formel  gemäss  besteht  sie  nur  in  derjenigen 
Art  der  Gottesverehrung,  die  aus  dem  Worte  Gottes  selbst, 
d.  h.  aus  der  Bibel  gelernt  wird.  Aber  das  Recht  der  freien 
Auslegung  bleibt  dabei  gewahrt.  Allerdings  darf  „allein  das 
Wort  Gottes  die  Norm  wahrer  Religion  bilden",  aber  niemand 
soll  gezwungen  sein,  „zu  glauben  gegen  oder  ohne  Autorität 
der  Schrift",  nur  weil  „die  Kirche  so  glaubt".  Diese  beiden 
Grundsätze  scheinen  Milton  Gemeingut  des  gesammten  Pro- 
testantismus zu  sein.  Er  bezweifelt  nicht,  dass,  wenn  sie 
aufmerksam  befolgt  worden  wären,  „viele  Debatten  und 
Streitigkeiten,  viele  Spaltungen  und  Verfolgungen"  in  der 
protestantischen  Welt  sich  hätten  vermeiden,  und  dafür  alle 
Kräfte  „gegen  den  gemeinsamen  Feind"  vereinigen  lassen. 
Aus  dem  Begriff  der  , .wahren  Religion"  ergiebt  sich  der 
Begriff  der  „Ketzerei".  Ketzerei  besteht  in  einer  Religion, 
„welche  aus  menschlicher  Tradition  und  aus  Zusätzen  zum 
Worte  Gottes  geschöpft  und  danach  geglaubt  wird".     „Daraus 


lieber  den  Katholicismus.  171 

folgt  mit  voller  Klarheit,  dass  von  allen  bekannten  Sekten 
oder  vorgeblichen  Religionen  in  der  Christenheit  der  Papis- 
nius  heutigen  Tages  die  einzige  oder  grösste  Ketzerei  ist, 
und  der  halsstarrige  Papist,  der  so  schnell  bei  der  Hand  ist 
alle  anderen  als  Ketzer  zu  brandmarken,  selbst  der  einzige 
Ketzer." 

Von  diesen  theoretischen  Vordersätzen  aus  gilt  es  die 
Anwendung  aufs  praktische  Leben  zu  machen.  Was  zunächst 
den  Protestantismus  beti'ifft,  so  hiesse  es  von  seinem  wichtig- 
sten Princip  abfallen,  wenn  man  sich  durch  die  schreckenden 
Worte  Schisma  und  Sekten  dazu  verführen  lassen  wollte, 
den  Begriff  der  Ketzerei  auf  die  verschiedenen  Denominationen 
anzuwenden,  die  sich  auf  Grund  der  Reformation  gebildet 
haben.  Denn  darin  sind  sie  sich  alle  gleich,  dass  sie  „einzig 
das  Wort  Gottes  als  Glaubensregel  anerkennen  und  sich  mit 
allem  Eifer  und  aller  Aufrichtigkeit  des  Herzens  bemühen, 
sie  durch  Lesen  und  Studium  und  Gebet  um  Erleuchtung 
des  heiligen  Geistes  zu  verstehn".  Sie  können  darin  irren, 
aber  „Irrthum  ist  eine  menschliche  Schwäche,  und  niemand 
ist  hier  auf  Erden  unfehlbar''.  Von  einem  höheren  Gesichts- 
punkt aus  erscheinen  daher  alle  die  Unterschiede  zwischen 
den  Anhängern  der  reformirten  Lehre  als  geringfügig. 
„Der  Lutheraner  glaubt  an  die  Konsubstantiation;  es  ist  in 
der  That  ein  Irrthum,  aber  kein  tödtlicher.  Dem  Calvinisten 
legt  man  den  Prädestinationsglauben  zur  Last,  und  dass  er 
Gott  zum  Urheber  der  Sünde  mache,  allein  er  thut  es  ohne 
irgendwie  uuehrerbietig  von  Gott  au  denken,  indem  er  mög- 
licher W^eise  seine  absolute  Gewalt  übereifrig  betont  und 
nicht  ohne  sich  auf  die  Schrift  zu  berufen.  Den  Anabaptisten 
klagt  man  an,  dass  er  den  unmündigen  Kindern  das  Recht 
auf  die  Taufe  abspreche,  auch  er  behauptet,  ihnen  nichts  zu 
verweigern,  als  was  ihnen  gleichfalls  durch  die  Schrift  ver- 
weigert wird.  Der  Arianer  und  Socinianer  wird  beschuldigt, 
die  Lehre  von  der  Dreieinigkeit  zu  läugnen,  indess  sie  ver- 
sichern nach  der  Schrift  und  dem  apostolischen  Bekenntnis 
an  den  Vater,  den  Sohn  und  den  heiligen  Geist  zu  glauben, 
während    sie    allerdings    die   Ausdrücke   Trinität,     Triunität, 


]^72  Ueber  die  protestantischen  Sekten. 

Koessentialität,  Tripersonalität  und  dergleiehen  als  scholasti- 
sche Begriffe,  die  sich  in  der  Schrift  nicht  vorfinden,  ver- 
werfen. Der  Arminiäner  endlich  wird  deshalb  verdammt,  weil 
er  den  freien  Willen  gegen  die  freie  Gnade  behauptet,  aber 
er  weist  diese  Beschuldigung  in  allen  seinen  Schriften  zurück 
und  gründet  sich  ausführlich  nur  auf  die  Schrift''.  Man  er- 
kennt in  diesen  Sätzen  den  Autor  des  grossen  theologischen 
Systems  wieder.  Er  hat  sich  sein  eigenes  Haus  nach  reif- 
licher Ueberlegung  gegründet,  aber  er  ist  tolerant  gegen  die 
Nachbarn,  die  auf  demselben  Boden  mit  ihm,  wennschon 
nach  einem  anderen  Stil,  gebaut  haben. 

,, Fragt  man  nun,  wie  weit  sie  geduldet  werden  sollen,  so 
antworte  ich:  zweifellos  in  gleicher  Weise,  da  sie  alle  Pro- 
testanten sind."  Man  gebe  ihnen  daher  vollkommene  Freiheit 
des  Kultus  und  der  Rede,  Freiheit  „durch  Disputationen, 
Predigen  in  ihren  Gemeinden,  Veröffentlichung  von  Druck- 
schriften von  ihrem  Glauben  Rechenschaft  abzulegen".  Es 
war  die  ausgesprochene  Verurtheilung  der  Politik,  welche 
seit  der  Restauration  die  Gesetzgebung  gegenüber  den  Dis- 
senters  beherrscht  hatte ,  die  Forderung  der  Toleranz  für  alle 
Bekenner  des  Protestantismus  in  einem  weiteren  Umfang,  als 
sie  Cromwell  jemals  gewährt,  als  sie  Milton  selbst  in  einer 
Zeit  zu  verlangen  gewagt  hatte,  da  die  besiegte  bischöf- 
liche Kirche  dem  strengen  Puritaner  als  „abgöttisch"  er- 
schienen war. 

Ganz  anders  stellt  er  sich  zum  Katholicismus,  „die  ein- 
zige und  gi'össte  Ketzerei",  wie  er  ihn  definirt  hatte.  Wir 
wissen  bereits,  dass  er  weit  davon  entfernt  war,  eine  Gleich- 
giltigkeit  der  staatlichen  Gewalten  gegenüber  Ketzerei,  dies 
Wort  in  seinem  Sinne  aufgefasst,  in  Schutz  zu  nehmen. 
Schon  aus  diesem  Grunde  hat  er  sich  niemals  dazu  verstehn 
können,  den  Grundsatz  der  Toleranz  in  gleicher  Weite  auf 
Protestanten  und  Katholiken  anzuwenden.  Immer  aber,  und 
in  der  damaligen  erregten  Zeit  mit  doppeltem  Gewicht,  war 
noch  etwas  anderes  hinzugetreten.  ,.Beim  Pabstthum  hat  man 
es  mit  einem  Zwiefachen  zu  thun.  Es  beansprucht  eine  doppelte 
Macht,   eine  kirchliehe  und  politische,  beide  usurpirt,   aber 


Grenze  der  Toleranz  gegenüber  dem  Katholicismus.  173 

sich  gegenseitig  stützend.  .  .  In  diesem  gemischten  Charakter 
giebt  der  Pabst  vor,  ein  Recht  auf  Königreiche  und  Staaten 
und  insbesondere  auf  dies  englische  Reich  zu  haben.  Er  setzt 
Könige  ein  und  ab  und  entbindet  das  Volk  des  Gehorsams 
gegen  sie  .  .  Auch  jetzt  hat  er,  obgleich  wir  sein  babyloni- 
sches Joch  abgeschüttelt  haben,  nicht  aufgehört,  durch  seine 
Spione  und  Agenten,  seine  Bullen  und  Emissäre  auf  die  Ver- 
nichtung von  König  und  Parlament  hinzuwirken  und  so  viele 
als  möglich  aus  dem  Volke  zu  verführen,  zu  korrumpiren 
und  zum  Abfall  zu  bringen*'.  —  Es  ist  nicht  anders:  Milton 
bleibt  auch  darin  ein  beschränktes  Kind  seiner  Zeit,  dass  er 
den  Katholiken  schlechtweg  als  Staatsfeind,  die  blosse  Zuge- 
hörigkeit zur  katholischen  Kirche  als  Zeichen  einer  Gesinnung 
auffasst,  die  als  solche  Strafe  verdiene.  Auf  die  Erage,  ob 
„Leute  von  diesen  religiösen  Grundsätzen  gegenüber  dem 
Staate"  überhaupt  in  der  bürgerlichen  Gesellschaft  zu  dulden 
seien,  "will  er  sich  indess  nicht  einlassen.  Dies  ist  Sache 
„der  Obrigkeit,  die  am  besten  fähig  ist,  für  ihre  eigene  und 
die  öffentliche  Sicherheit  zu  sorgen".  Für  ihn  handelt  es 
sich,  das  Dasein  von  Katholiken  im  Staatsverbande  einmal 
als  ungefährlich  zugegeben,  um  jene  andere  Frage,  „in  wie 
weit  die  Ausübung  ihrer  Religion  zu  dulden  sei".  Und  in 
diesem  Punkte  ist  er  unerbittlich.  Jeder  Kultus  kann  entweder 
„öffentlich  oder  privat"  sein,  aber  der  Kultus  der  katholischen 
Religion,  „insoferne  er  abgöttisch  ist,  darf  weder  auf  die  eine 
noch  auf  die  andere  Weise  geduldet  werden,  weder  öffentlich, 
ohne  damit  allen  gewissenhaften  Zuschauern  den  stärksten  und 
unerträglichsten  Anstoss  zu  geben,  noch  privatim  ohne  eine 
schwere  Beleidigung  Gottes ,  der  sich  gegen  alle  Art  Idolatrie, 
auch  die  geheime,  erklärt  hat".  Der  katholische  „Bilderdienst 
und  seine  gesammte  Zubehör"  darf  nach  seiner  Ansicht  selbst 
mit  Verletzung  katholischer  Gewissen  entfernt  werden.  Wer 
sich  zum  Katholicismus  bekennt,  soll  wenigstens  nicht  das 
Recht  haben,  es  vor  der  W^elt  zu  zeigen.  Ausgenommen 
bleiben  selbstverständlich  „Fremde  (Gesandte),  die  durch  das 
Völkerrecht  privilegirt  sind". 

Man  sollte  hienach  erwarten,  dass  die  harten  Pönalgesetze 


174  Grenze  der  Toleranz  gegenüber  dem  Katholicismus. 

den  vollen  Beifall  Milton's  finden  würden,  allein  so  weit  lässt  ihn 
sein  independentisches  Gefühl  wieder  nicht  gehn.  Den  Katho- 
liken „um  ihrer  Religion  willen  körperliche  Strafe  oder  Geld- 
busse aufzulegen"  scheint  ihm  weder  die  Milde  des  Evange- 
liums zu  gestatten,  noch  die  Sicherheit  des  Staates  zu  er- 
fordern. Disputationen  mit  den  Katholiken  hält  er  nur  dann 
für  wünschenswerth ,  wenn  sie  die  Schrift  allein  als  Norm 
anerkennen  wollen.  Das  Hauptmittel  „um  dem  Wachsthum 
des  Papismus  entgegenzuarbeiten"  sieht  er  indessen  in  einer 
eifrigen  Lektüre  der  biblischen  Urkunden,  die  in  englischer 
Uebersetzung  „jedem  Stande"  zugänglich  gemacht  worden 
sind,  und  in  einer  „Besserung  der  Sitten",  ohne  die  man  es 
immer  sehr  bequem  finden  wird,  sich  der  römischen  Kirche 
mit  ihrer  „leichten  Beichte  und  Absolution,  mit  ihren  Indul- 
genzen  und  Messen,  Agnus  Dei  und  Reliquien"  in  die  Arme 
zu  werfen.  In  einer  Zeit,  die  nicht  müde  wurde,  über  den 
biblischen  Jargon  der  Heiligen  zn  spotten,  wollte  er  es  nicht 
gelten  lassen,  dass  sieh  „der  Landmann,  der  Kaufmann,  der 
Jurist,  der  Arzt,  der  Staatsmann  durch  seine  Geschäfte  für 
entschuldigt  halten  dürfe  kein  eifriges  Studium  der  Bibel  zu 
treiben".  Unter  einem  Geschlecht,  in  welchem  „in  den  letzten 
Jahren  Stolz,  Luxus,  Trunkenheit,  Unzucht,  Schwören  und 
Fluchen  .  .  immer  mehr  zugenommen  hatten",  wagte  er  es, 
dem  Grabe  nahe,  noch  einmal  den  Warnruf  des  puritanischen 
Moralpredigers  erschallen  zu  lassen. 

Es  wäre  ein  vergebliches  Bemühen,  bemänteln  zu  wollen, 
dass  eben  die  puritanische  Denkungsart  dem  Toleranzbegrifi' 
Milton's  bis  zu  seinem  letzten  Athemzuge  eine  unübersteigliche 
Schranke  gesetzt  hat.  Nur  ein  gänzliches  Verkennen  der 
thatsächlichen  Verhältnisse  konnte  einen  ehrlosen  Schwindler 
veranlassen,  Milton  einige  Jahre  nach  seinem  Tode  als  Mit- 
glied eines  „papistischen  Klubs"  zu  bezeichnen  (^).  Er  hatte 
einst  den  Worten  Roger  Williams'  gelauscht.  Aber  er  ist 
niemals  zu  jener  Freiheit  der  Anschauung  vorgedrungen  wie 
der  Gründer  von  Rhode -Island,  der  hochbetagt  aber  unge- 
brochen  auf  dem  zukimftreichen  Boden  jenseits  des  Oceans 


Vertheidigung  Miltoa's  durch  Marvell.  175 

noch  immer  das  glänzende  Banner  aufrecht  hielt,  das  er  zu- 
erst den  Muth  gehabt  hatte  zu  entfalten  (^). 


Zu  eben  der  Zeit  als  Milton's  Schrift  „von  wahrer 
Religion"  erschien,  wurde  die  öffentliche  Aufmerksamkeit  noch 
in  anderer  Weise  wiederum  auf  seinen  Namen  hingelenkt. 
Milton  war  nur  einer  von  vielen  gewesen,  die  sich  durch  die 
Tagesereignisse  veranlasst  gesehen  hatten,  das  unerschöpfliche 
Thema  von  der  Zuständigkeit  der  Staatsgewalt  in  Fragen  des 
kirchlichen  Lebens  aufs  neue  zu  behandeln.  Aus  der  grossen 
Literatur,  die  sich  damals  um  diesen  Gegenstand  drehte, 
hatte  das  Werk  Samuel  Parker's  über  die  „Kirchenpolitik'- 
nicht  das  geringste  Aufsehn  gemacht,  theils  wegen  des  Inhaltes 
des  Buches,  das  allen  puritanischen  Geistern  höchst  anstössig 
sein  musste,  theils  wegen  der  Persönlichkeit  des  Autors,  den 
sie  als  einen  Abtrünnigen  zu  betrachten  Grund  genug  hatten. 
Denn  Parker  war  in  jungen  Jahren  eine  Säule  der  indepen- 
dentischen  Partei  gewesen,  um  nicht  lange  nach  der  Restau- 
ration seinen  Frieden  mit  den  herrschenden  Mächten  in  Staat 
und  Kirche  zu  machen  und  unter  Jakob  IL,  vielfach  für  einen 
Proselyten  des  Katholicismus  gehalten,  als  Bischof  von  Oxford 
zu  enden.  Sein  kirchenpolitisches  Werk  verwickelte  ihn  in 
heftige  literarische  Streitigkeiten.  Anfangs  nicht  ohne  gewisse 
Erfolge,  hatte  er  das  Unglück,  dass  auch  Milton's  Freund, 
der  geistreiche  Andrew  Marvell,  gegen  ihn  auftrat.  Dieser 
setzte  ihm  mit  so  viel  Witz  und  Derbheit  zu,  dass  er  nach 
Burnet's  Urtheil  alle  Freunde  des  Humors  auf  seine  Seite 
l)rachte  und  „vom  König  bis  zum  Krämer"  eifrige  Leser 
fand.  Parker  blieb  indessen  die  Antwort  nicht  schuldig. 
Auch  nahmen  zahlreiche  Vertheidiger  seine  Partei.  Und 
einer  von  ihnen  benutzte,  wie  Parker  selbst,  die  Gelegen- 
heit, nicht  nur  IMarvell  alles  Böse  nachzusagen,  sondern 
auch  seinen  Freund  I^Iilton,  gleich  als  wäre  dieser  sein  heim- 
liche'K  Mitarbeiter  gewesen ,  an  den  Pranger  zu  stellen.  Es 
ist  als  hätte  man  es  darauf  abgesehn  gehabt,  ihn  mit  Ge- 
walt   in    eine    Fehde     hineinzuziehn,     die    ihm    von    Haus 


\~Q  Vertheidigung  Miltou's  durch  Marvell. 

aus  ganz  fremd  war.  Seine  politische  Thätigkeit  wird  in  Er- 
innerung gebracht,  die  wichtigsten  seiner  Schriften  werden 
durchgenommen.  Er  ist.  wie  er  es  schon  für  frühere  Gegner 
gewesen  w^r,  der  „blinde  Schulmeister",  er  hat  durch  seine 
Schriften  über  die  Ehescheidung  „die  Unzucht  geheiligt",  selbst 
daraus  wird  ihm  ein  Verbrechen  gemacht,  dass  er  sich  im  ver- 
lorenen Paradies  für  den  reimlosen  Jambus  entschieden  hat. 

Marvell  hielt  es  für  seine  Pflicht,  den  alten  Genossen 
zu  vertheidigen.  Milton  ist,  in  dieser  Weise  lässt  er  sich 
vernehmen,  ein  jNfann  von  so  grosser  Gelehrsamkeit  und  von 
so  grossem  Verstände  wie  irgend  einer.  Es  war  sein  Unglück 
in  einer  stürmischen  Zeit  zu  leben  und  auf  die  unterliegende 
Seite  geschleudert  zu  werden,  und  er  hat  inmitten  des 
Kampfes  gewisse  gefährliche  Traktate  geschrieben.  .  .  Bei 
der  Rückkehr  des  Königs  hat  er,  wie  du  selbst,  vor  diesem 
Gnade  gefunden  und  seitdem  in  stiller  Zurückgezogenheit 
seine  Vergangenheit  abgebüsst.  Ich  habe  dich  einige  Zeit 
danach  in  Milton's  Hause  zufällig  getroffen.  .  .  Damals  wan- 
dertest du  Moorfields  auf  und  ab  und  suchtest  in  den  Sternen 
zu  lesen,  wie  lange  wohl  die  Herrschaft  des  Königs  dauern 
könnte.  Das  war  die  Zeit,  in  der  du  Milton  unablässig 
besuchtest  und  Tag  für  Tag  in  seinem  Hause  zu  finden 
wärest."  —  Wie  man  hieraus  ersieht,  hatte  Samuel  Parker 
selbst  in  fi-üheren  Jahren  zu  ]Milton"s  Bekanntenkreise  gehört. 
Um  so  grösser  war  Marvell's  Erbitterang,  als  er  die  Verleum- 
dungen seines  Freundes  gewahr  wurde.  Doch  that  er  Parker 
darin  ohne  Zweifel  Unrecht ,  dass  er  sie  sämmtlich  auf  dessen 
Rechnung  schrieb.  Sie  scheinen  gTössten  Theils  aus  der 
Feder  eines  gewissen  Richard  Leigh  geflossen  zu  sein,  der, 
ohne  seinen  Namen  zu  nennen,  gegen  Marvell  in  die  Schranken 
getreten  war(i).  Vielleicht  war  es  dieser  ungenannte  Denun- 
ciant,  dem  Milton  noch  selbst  das  Handwerk  zu  legen  gewillt 
war.  Wenigstens  will  sich  sein  Xeffe  erinneni,  „dass  er  eine 
Erwiderung  auf  ein  possenhaftes  Libell  eines  kleinen  markt- 
schreierischen Skribenten  in  London  für  den  Druck  vorbe- 
reitet hatte".  Doch  fügt  er  hinzu,  dass  „diese  Erwiderung 
niemals   herausgekommen    sei,    entweder    auf   das  Abrathen 


Milton's  Beschreibung  des  russischen  fieiches.  177 

von  Freunden,  welche  den  Burschen  seiner  Beachtung  nicht 
werth  fanden  oder  aus  irgend  einem  anderen  unbekannten 
Grunde"(^). 

Eine  andere  Schrift,  ein  kurzer  Abriss  einer  geographisch- 
historischen Beschreibung  des  russischen  Reiches  und  der  an- 
grenzenden östlichen  Länder  ist  erst  acht  Jahre  nach  Milton's 
Tode  erschienen (2),     Das  Werkchen  war,   wie    der  Heraus- 
geber in  einer  Vorbemerkung  versicherte,    „von   der  eigenen 
Hand  des  Autors  geschrieben,  ehe  er  sein  Augenlicht  verlor, 
und  er  hatte  kurz  vor  seinem  Tode  den  Druck  verfügt".  Der 
Buchhändler  hatte   indess  gehofft,   noch   „irgend   ein  andei-es 
passendes  Stück  von  der  Hand  desselben  Autors"  zur  Ergän- 
zung dieser  Kleinigkeit  zu   erhalten  und  aus   diesem  Grunde 
die  Edition   verschoben.     Auf  eine  genaue  Beschäftigung  mit 
der  Geographie  Russland's   hatten     bereits     mehrere   Stellen 
des  verlorenen  Paradieses  schliessen  lassen.     Dass  die  Arbeit 
schon  „vor  vielen  Jahren"   vollendet  war,  bestätigt  auch  die 
kurze  Vorrede,  welche  Milton  gegen  Ende  seines  Lebens  im 
Hinblick  auf  die  Veröffentlichung  abgefasst  hatte.    Zugleich 
spricht  er  sich  hier  über  den  Zweck  seiner  Studie  aus.    Sie 
sollte,   wie  es  scheint,  nur-  den  ersten  Theil  eines  grösseren 
Ganzen  bilden ,    einei*   Sammlung  von  Traktaten ,    welche  die 
politische  Geographie  einzelner  Länder  mit  besonderer  Rück- 
sicht auf  die  Sitten,    die  Religion,    die  Regierung  ihrer  Be- 
wohner   darzustellen    bestimmt    waren.      Der    Mangel    einer 
solchen  Sammlung  war  Milton   vermuthlich  beim  Unterricht 
aufgefallen.     Was  er  vorfand,    erschien  ihm  wenig  genügend, 
„entweder  zu  kurz  und  lückenhaft"  oder  „zu  umfangreich  und 
ermüdend"  sowie  auch  „angefüllt  mit  langen  Geschichten  von 
lächerlichen,  abergläubischen  Vorstellungen,  Ceremonieen,  wun- 
derlichen   Gewohnheiten    und     anderen    unbedeutenden    und 
gleichgiltigen Dingen".  Ein nachahmenswerthes  Vorbild  erblickte 
er  in  Paolo  Giovio's   „Descriptio   Britanniae,    Scotiae,  Hiber- 
niae  et  Orcadum  nee  non  Moscoviae"  (1571),  auch  geht  man 
wohl  nicht  irre,  wenn  man  annimmt,  dass  ihm  Tacitus'  Ger- 
mania als  höchstes  Muster  vorgeschwebt  habe.     Das  ganze 
Unternehmen  gehörte  so  recht   in   den  Kreis  der  encyklopä- 

Stern,  Milton  n.  s.  Z.    II.  4.  12 


178  Uebersetzung  der  Deklaration  betreflfend  Sobieski. 

distischen  Bestrebungen,  welche  sich,  wenn  auch  vorzüglich 
nach  anderer  Richtung  hin,  in  Comenius  und  Hartlib  geäussert 
hatten  (0-  Es  galt  auch  hier  das  vorhandene  Material  zu 
sammeln  und  in  allgemein  verständlicher  Form  einem  grösseren 
Leserkreis  zugänglich  zu  machen.  Erste,  entschiedene  Ver- 
suche einer  Popularisirung  der  Wissenschaft,  die  im  folgenden 
Jahrhundert  eine  ungeahnte  Ausdehnung  erlangten.  Wie  sehr 
die  Stimmung  der  Zeit  der  Ausführung  eines  solchen  Planes 
entgegenkam,  bewies  der  gi'osse  Absatz,  den  die  berühmte 
Sammlung  der  Elzevier'schen  Republiken  fand. 

Nach  dem  Gesagten  wäre  es  unbillig,  an  Milton's  Arbeit 
den  Anspmeh  selbstständiger  Forschung  zu  stellen.  Er  war 
darauf  angewiesen,  aus  zweiter  Hand  zu  schöpfen  und  ver- 
zichtete auf  eine  einlässliche  Kritik.  Unter  den  von  ihm 
benutzten  Reisebeschreibungen,  mit  deren  Register  er  seine 
Skizze  beschliesst,  sind  ihm  vorzüglich  diejenigen  zu  Statten 
gekommen,  die  er  in  den  Sammelwerken  von  Richard  Hakluyt 
und  Samuel  Purchas  vorfand.  Einige  Notizen  verdankte  er 
vielleicht  auch  seinem  Freunde  Marvell,  der  1663  als  Sekretär 
Lord  ,Carlisle's  eine  Reise  nach  dem  Norden  unternommen 
hatte.  Was  ihm  die  verschiedenen  Berichte  darboten,  hat 
er  nicht  ohne  Geschick,  in  knapper  aber  ansprechender  Form 
verarbeitet.  Irre  ich  nicht,  so  zeigt  sogar  das  Englische 
dieses  Büchleins  einen  leichteren  Fluss,  als  man  ihn  sonst  in 
Milton"s  Schriften  zu  finden  gewohnt  ist.  Man  wird  es  be- 
greiflich finden,  dass  die  Geschichte  des  Demetrius  den 
Dichter  besonders  angezogen  zu  haben  scheint.  Wenn  er 
an  einer  Stelle  hervorhebt,  dass  das  russische  Gesetz  dem 
Manne  im  Falle  ,,äussersten  Widerwillens"  die  Scheidung 
erlaube,  so  hat  er  sich  dabei  ohne  Zweifel  seiner  eigenen 
Beschäftigung  mit  eben  dieser  Frage  erinnert. 

Es  mag  sein,  dass  Milton  durch  diese  erneute  Beschäftigung 
mit  den  Angelegenheiten  der  östlichen  Völker  und  durch  eine 
Aufforderung  des  Buchhändlers  dazu  bewogen  wurde,  eine  Ar- 
beit zu  veröffentlichen,  für  die  man  vergeblich  nach  einem 
tieferen  Grunde  sucht.  Es  war  eine  englische  Uebersetzung  der 
lateinischen  Deklaration,   welche  die  Wahl  Johann  Sobieski's 


Zweite  Auflage  der  Gedichte.  179 

zum  König  von  Polen  verkündigte.  Immerhin  war  sowohl 
die  Heldengestalt  des  neuen  Königs  wie  auch  der  staatsrecht- 
liche Akt,  dem  er  seine  Würde  verdankte,  wohl  fähig  die 
Theilnahme  eines  Mannes  zu  erregen,  welcher  sich  noch  der 
Zeiten  erinnern  konnte,  da  einem  Cromwell  von  einem  eng- 
lischen „Reichstag"  die  Krone  angeboten  worden  war.  Auch 
konnte  das  Aktenstück  in  gewissem  Sinn  zur  Bekräftigung 
der  politischen  Theorie  dienen,  die  Milton  einst  im  Kampfe 
für  den  Begriff  der  Volkssouveränetät  mit  offenem  Visier 
verfochten  hatte,  nun  aber  unter  veränderten  Verhältnissen 
nur  durch  den  Hinweis  auf  auswärtige  Ereignisse  seinen 
Landsleuten  nahe  legen  durfte  (^). 

Von  grössei-em  Werthe  für  die  Freunde  des  Dichters  war 
es,  dass  ein  Jahr  vor  seinem  Tode  eine  neue  Ausgabe  seiner 
vermischten  Gedichte  nöthig  wurde,  der  er  einen  Abdruck 
des  Traktates  „über  die  Erziehung"  beifügte  (-).  Achtzehn 
Jahre  waren  verflossen,  seit  diese  Gedichtsammlung  zuerst 
erschienen  war,  doch  war  die  Vermehrung,  welche  sie  nach 
einem  so  langen  Zeitraum  erfuhr,  nicht  sehr  bedeutend. 
Ausser  demjenigen,  was  nach  dem  Jahre  1645  entstanden 
war,  fanden  auch  zwei  poetische  Jugendversuche,  welche 
früher  gefehlt  hatten,  hier  Aufnahme.  Dagegen  erschien  es 
bedenklich,  vier  der  Sonette  zum  Abdruck  zu  bringen,  in 
denen  die  antiroyalistische  Gesinnung  des  Autors  unverhüllt 
hervortrat,  die  Sonette  auf  Fairfax,  Vane,  Cromwell  und  das 
zweite,  welches  Cyriack  Skinner  gewidmet  war.  Auch  das 
Widmungsschreiben  Lawes'  zum  Comus  und  der  schmeichel- 
hafte Brief  Henry  Wotton's  blieben  fort.  —  Wurde  die  Auf- 
merksamkeit des  lesenden  Publikums  in  dieser  Weise  wieder 
auf  Milton  gelenkt,  so  war  es  begreiflich,  dass  ein  unter- 
nehmungslustiger Buchhändler  sich  noch  anderer  Schöpfungen 
seines  Geistes  zu  bemächtigen  suchte.  Derselbe  Verleger,  bei 
dem  die  Deklaration  der  Polen  und  nach  Milton's  Tode  der 
Abriss  der  russischen  Geschichte  erschien,  Brabazon  Aylmer, 
wusste  aus  dieser  beinahe  erschöpften  Mine  noch  einen  Ge- 
winn zu  ziehn.  B.  Aylmer  war  nach  der  Schilderung  eines 
Zeitgenossen    nicht    nur    ,.ein    sehr   gerechter   und    frommer 

12* 


180    Seine  Privatbriefe  und  Collegereden.  —  Seine  Staatsbriefe. 

Mann",  sondern  „mit  den  Erfordernissen  seines  Geschäftes  wohl 
vertraut  und  so  gut  wie  irgend  ein  anderer  seiner  Berufsgenossen 
mit  höchst  nützlichen  Unternehmungen  beschäftigt".  Seiner 
Gewandtheit  ist  es  später  sogar  gelungen,  vorübergehend  den 
Verlag  des  „verlorenen  Paradieses"  zu  erwerben.  Was  er 
damals  erlangte,  war  von  anderer  Art.  Dank  der  ausser- 
ordentlichen Sorgfalt  Milton's  waren  Abschriften  von  einund- 
dreissig  seiner  lateinischen  Privatbriefe  vorhanden,  die  er  des 
Abdruckes  nicht  für  unwerth  hielt.  Da  diese  aber  nicht  ein- 
mal ein  massiges  Bändchen  füllten,  so  liess  ilm  der  Verleger 
„durch  einen  gemeinschaftlichen  Freund"  ersuchen,  auf  irgend 
eine  Ergänzung  bedacht  zu  sein.  Das  einzige,  was  sicfi  ihm 
darbot,  waren  jene  sieben  rhetorischen  Essays,  die  der  Cam- 
bridger Studienzeit  angehörten,  und  er  glaubte  nach  Brabazon 
Aylmer's  Versicherung  sich  ihrer  „nicht  schämen  zu  müssen". 
Auf  diese  Weise  sind  uns  diese  anziehenden  Dokumente  einer 
früheren  Epoche  des  Dichters,  wenn  auch  in  nachlässiger 
Wiedergabe,  erhalten  worden  (^).  Dagegen  wurde  die  Absicht 
des  Verlegers  vereitelt,  auch  die  Staatsbriefe  Milton's,  die 
aus  der  Zeit  seines  Sekretariats  stammten,  an's  Licht  zu 
bringen.  Die  Machthaber  des  Tages,  welche  die  „Erlaubnis 
dazu  hätten  geben  müssen",  waren,  wie  er  bemerkt,  „aus 
gewissen  Gründen  dagegen".  Sie  sind  zuerst  1676  von  einem 
fanatischen  Royalisten  edirt  worden,  der  seiner  Vorrede  zu- 
folge einige  Zeit  schwankte,  ,,ob  er  sie  der  Presse  oder  den 
Flammen"  überliefern  sollte.  Im  Jahre  1690  erschien  eine 
Ausgabe  in  Deutschland,  und  1694  hat  sodann  Edward  Phil- 
lips eine  englische  Uebersetzung  dieser  politischen  Akten- 
stücke veröffentlicht,  der  er  die  Biographie  seines  Oheims 
und  jene  vier  früher  ausgelassenen  Sonette  hinzufügte.  Die 
Stuarts  waren  verjagt,  und  unter  Wilhelm  III.  war  es  kein 
Verbrechen  mehr  ein  Gedicht  zum  Preise  Oliver  Cromwell's 
oder  Henry  Vane's  der  Vergessenheit  zu  entreissen  (^). 

In  einer  anderen  Publikation  Edward  Phillips',  die  nur 
ein  .Jahr  nach  dem  Tode  Milton's  erschien,  aber  schon  zwei 
Monate  vor  seinem  Ende  die  Censur  passirt  hatte,  fällt  es 
nicht  schwer,  wenn  nicht   seine  Hand,   so  doch  seinen  Geist 


Mitwiikuug  au  E.  Phillips'  Theatrum  poetarum.  181 

ZU  entdecken.  Es  war  ein  kritisch -biographisches  Sammel- 
werk, in  welchem  berühmte  Dichter  des  Alterthums  und  der 
Neuzeit  behandelt  wurden.  Schon  die  Vorrede  ist  reich  an 
Aeusserungen,  wie  sie  Phillips  oft  genug  aus  dem  Munde  des 
Oheims  vernommen  haben  mochte.  Die  ideale  Auffassung  des 
Dichterberufs,  die  Polemik  gegen  die  Nachahmung  der  Fran- 
zosen, die  Erhebung  des  „heroischen  Gedichtes",  des  Epos, 
auf  die  höchste  Stufe  unter  den  verschiedenen  Gattungen  der 
Poesie:  alles  dies  deutet  auf  den  Einfluss  Milton'scher  Lehren 
hin.  Man  glaubt,  ihn  selbst  zu  hören,  wenn  die  ,, Grösse  des 
Dichters"  lediglich  nach  der  „Grösse  der  Erfindung"  bemessen, 
wenn  die  Kunst  des  Versificirens,  das  „leere  Wortgeklingel", 
dem  „erhabenen  Gegenstande",  „der  Majestät  des  Vorwurfs" 
nachgesetzt,  wenn  von  dem  Dichter  verlangt  wird,  dass  er 
nicht  versäume,  sich  unablässigen,  selbst  gelehrten  Studiums 
zu  befleissigen,  um  bei  seinen  Schilderungen  von  Menschen 
und  Dingen  keine  Fehler  zu  begehn.  Was  zum  Nachtheil  des 
Reimes  gegenüber  dem  reimlosen  Verse,  zum  Vortheil  der  an- 
tiken Tragödie  gegenüber  der  modernen  gesagt  wird,  klingt 
wie  eine  Erinnerung  an  die  Vorreden  zum  verlorenen  Para- 
diese und  zum  Samson.  ^-  Bei  der  Beurtheilung  der  einzelnen 
Dichter  kommt  wiederum  Milton's  Einfluss  zur  Geltung.  Euri- 
pides,  den  er  so  hoch  verehrte,  ist  der  „Fürst  und  Koryphäe 
der  griechischen  Tragödie".  Shakespeare  und  Ben  Jonson  wer- 
den in  einer  Weise  charakterisirt ,  welche  sehr  an  Milton's 
eigene  Worte  erinnert  (s.  o.  I.  253).  Wenn  unter  den  Italie- 
nern „Giacopo  Gaddi"  genannt  wird,  der  „unter  den  Dichtern 
seines  Volkes  berühmt  sei",  so  ist  darin  vielleicht  eine  schmei- 
chelhafte Erinnerung  Milton's  an  den  florentiner  Jugendfreund 
zu  finden.  Wenn  Hugo  Grotius'  lateinische  Gedichte  beson- 
ders hervorgehoben  werden,  so  sollte  der  „vertriebene  Adam" 
unter  ihnen  sicherlich  nicht  die  letzte  Stelle  einnehmen.  Und 
so  darf  man  vielleicht  auch  Milton'sche  Einwirkung  in  dem 
Urtheile  erkennen,  das  ül)er  Corneille  und  Dryden  ausgesprochen 
wird.  In  beiden  Fällen  fehlt  es  nicht  an  Worten  der  An- 
erkennung, aber  zu  gleicher  Zeit  findet  der  Tadel  der  „heroi- 
schen Schauspiele",  ihrer  Unart  „beständiger  Reime",  ihrer 


2g2  Zweite  Auflage  des  verlorenen  Paradieses. 

Ueberladung  mit  „aftektirter  Liebe  und  Ehre",  mit  einem 
Worte  .Jener  Korruption  der  englischen  Bühne"  durch  das 
Eindringen  französischen  Geschmacks  einen  so  energischen 
Ausdruck,  wie  er  dem  Dichter  des  verlorenen  Paradieses  wohl 
angestanden  hätte.  Dies  Epos  selbst  und  sein  Verfasser  wer- 
den mehrfach  in  einer  Weise  hervorgehoben,  die  der  Pietät 
wie  dem  Taktgefühl  von  Edward  Phillips  alle  Ehre  macht  (i). 

Milton  war  noch  die  Freude  zu  Theil  geworden,  eine 
zweite  Auflage  seines  grössten  Werkes  vorbereiten  zu  können. 
Das  Gedicht  hatte  denn  doch  trotz  der  Ungunst  der  Zeiten 
so  viel  Beifall  gefunden,  dass  etwa  anderthalb  Jahre  nach 
seinem  Erscheinen  dreizehnhundert  Exemplare  verkauft  worden 
waren.  Man  kennt  eine  Urkunde  (vom  26,  April  1669), 
durch  welche  der  Empfang  jener  weiteren  5  Pfund  quittirt  wurde, 
deren  Auszahlung  der  Buchhändler  vom  Absatz  der  erwähnten 
Anzahl  von  Exemplaren  abhängig  gemacht  hatte.  Es  bleibt 
unklar,  warum  fünf  Jahre  verstrichen,  ehe  Hand  an  eine 
zweite  Auflage  gelegt  wurde.  Allein  Thatsache  ist,  dass  eine 
solche  erst  im  Todesjahre  Milton"s  erschien.  Hier  hatte  er, 
von  kleinen  Verbesserungen  abgesehen,  als  wichtigste  Aende- 
rung  die  Theilung  des  Ganzen  in  zwölf  Bücher  vorgenommen, 
welche  die  Zufüguug  einiger  überleitender  Verse  im  Anfang 
des  achten  und  zwölften  Buches  nach  sich  zog.  Auch  fehlte 
es  dieser  zweiten  Ausgabe  nicht  an  vorgedruckten  Lobversen, 
die  zwei  Freunde,  der  Arzt  Samuel  Barrow  und  der  Dichter 
Andrew  Marvell ,  beigesteuert  hatten.  Sie  machen  beide  kein 
Hehl  daraus,  wie  tief  sie  von  der  Grossartigkeit  des  Milton- 
schen  Gedichtes  durchdrungen  sind,  und  der  erste  glaubt  es 
sogar  über  die  epischen  Meisterwerke  der  römischen  und  grie- 
chischen Literatur  erheben  zu  dürfen  (2), 

Noch  weit  besser  beweist  indess  eine  andere  Thatsache, 
dass  sich  die  Aufmerksamkeit  auf  den  blinden  Sänger  und 
seine  grösste  Schöpfung  hinlenkte.  Der  angesehenste  Dichter 
des  Tages  war  ohne  Zweifel  John  Dryden.  Er  hatte  1670, 
zwei  Jahre  nach  dem  Tode  Daveuanfs,  auch  die  Würde 
des  poeta  laureatus  erlangt.  Nach  Milton's  Urtheil  war  sein 
Ruhm    allerdings   wenig  verdient,    wenn   anders  das   scharfe 


Milton  und  Drydeu.  183 

Wort  „Mr.  Dryden  ist  ein  Reimer,  aber  kein  Dichter"'  wirk- 
lich von  ihm  gesprochen  worden  ist.  Immerhin  ward  ihm 
der  Triumph,  den  gefeierten  und  verwöhnten  Liebling  der 
vornehmen  Welt  als  Bittenden  in  seiner  ärmlichen  Wohnung 
zu  empfangen.  Dryden  gieng  zu  ihm  und  bat  ihn  um  Er- 
laubnis, aus  dem  „verlorenen  Paradiese"  ein  „gereimtes  Drama" 
machen  zu  dürfen.  Milton  erwiderte  ihm  nicht  ohne  Ironie,  er 
gestatte  ihm  „seine  Verse  zuzuspitzen",  indem  er  auf  die  herr- 
schende Mode  anspielte,  die  bunten  Bänder,  mit  denen  man 
sich  schmückte,  noch  in  Metallspitzen  auslaufen  zu  lassen (^), 
Es  war  indessen  nicht  bloss  auf  ein  „gereimtes  Drama"  ab- 
gesehen, sondern  auf  ein  ähnliches  Experiment,  wie  es  sich 
in  unseren  Tagen  Faust  und  Wilhelm  Meister  und  Hamlet 
haben  gefallen  lassen  müssen.  Dryden  wünschte  aus  dem 
verlorenen  Paradiese  ein  Libretto  zu  machen,  obwohl  er  eine 
theatralische  Aufführung  gar  nicht  ernstlich  in's  Auge  gefasst 
hatte.  Und  so  erschien  kurze  Zeit  nach  Milton's  Tode  „der 
Stand  der  Unschuld  oder  der  Fall  des  Menschen,  eine  Oper". 
Die  Freunde  Milton's  werden  über  diese  Entheiligung  empört 
gewesen  sein.  Man  sieht  ganz  deutlich,  wie  Andrew  Marvell 
in  seinem  Lobgedichte  vor  der  zweiten  Ausgabe  des  „verlore- 
nen Paradieses"  sich  heftig  gegen  Dryden  wendet.  Eben  die- 
ser ist  es,  der  es  „gewagt  hat,  die  ganze  Schöpfung  in  Scenen 
zu  verwandeln  und  als  Theaterstück  vorzuführen",  der  das 
„Reimgeklingel"  nicht  unterlassen  konnte,  während  Milton  es 
verschmäht  hatte. 

Dryden  selbst  war  sich  der  Grösse  seines  Vorbildes  und 
seiner  eigenen  Schwäche  sehr  wohl  bewusst.  Er  soll  nach 
der  ersten  Lektüre  des  verlorenen  Paradieses  gesagt  haben: 
„Dieser  Mann  sticht  uns  alle  aus  und  die  Alten  dazu",  und 
diese  Ansicht  tindet  sich  in  den  berühmten  Versen  wieder, 
die  Dryden  1688  der  vierten  Ausgabe  des  verlorenen  Para- 
dieses beizufügen  erlaubte.  Aber  er  zögerte  auch  nicht,  un- 
mittelbar nach  Milton's  Tode  in  jener  „Apologie  für  heroische 
Poesie  und  poetische  Licenz",  die  er  der  Veröfifentlichung 
seines  Operntextes  vorausgehen  liess,  seiner  ^Meinung  öffentlich 
Ausdruck  zu  geben.    Mit  vollem  Freimuth  gesteht  er  ein,  dass 


184  Undankbarkeit  der  Töcbter. 

sein  Werk  „seine  ganze  Grundlage,  einen  Theil  seines  Planes 
und  viele  seiner  schönsten  Stellen  dem  verstorbenen  Autor 
des  verlorenen  Paradieses  verdanke".  Er  hofft  zu  seinem 
eigenen  Vortheil,  dass  niemand  sich  die  Mühe  nehmen  werde, 
die  beiden  Werke  mit  einander  zu  vergleichen,  da  das  Urbild  des 
seinigen ,, unzweifelhaft  eines  der  grössten,  edelsten  und  erhaben- 
sten Gedichte"  sei,  die  „das  Zeitalter  oder  die  Nation"  hervor- 
gebracht habe.  Ein  solches  Urtheil,  von  einem  Manne  in  der 
Stellung  Dryden's  ausgesprochen,  durfte  wohl  als  der  Ausdruck 
eines  grösseren  Kreises  von  Lesern  gelten  (i).  Freilich  erst 
eine  spätere  Zeit  hat  dem  Dichter  des  verlorenen  Paradieses 
die  zweite  Stelle  auf  dem  englischen  Parnass  angewiesen, 
aber  der  Abend  seines  Lebens  wurde  doch  noch  durch  einige 
Strahlen   der   öffentlichen  Gunst  vergoldet. 

Man  sollte  wünschen,  dass  sich  auch  das  Bild  seines  Fami- 
lienlebens in  dieser  letzten  Zeit  mit  heiteren  Farben  ausmalen 
Hesse,  allein  wir  wissen  nur  zu  gut,  dass  das  Verhältnis  der 
Kinder  zu  ihrem  Vater  diesem  sein  Alter  verbitterte.  Mitunter 
sieht  man  Bilder,  welche  den  blinden  Dichter  darstellen,  wie  er 
in  theatralischer  Haltung  den  verzückt  aufhorchenden  Töchtern 
die  Aussprüche  seiner  Muse  in  die  Feder  diktirt.  Der  Phantasie 
des  Künstlers  mag  eine  derartige  fromme  Täuschung  gestattet 
werden.  In  Wahrheit  Hess  sich  von  kindlichem  Gefühl  dieser 
Töchter  kaum  reden,  und  keine  von  ihnen  wurde  dem  Oedi- 
pus  zur  Antigene.  Es  mag  sein,  dass  sie  sämmtlich  die  Herr- 
schaft der  Stiefmutter,  so  milde  diese  auch  war,  von  Anfang 
an  drückend  fanden.  Die  beiden  jüngeren  waren  des  Nach- 
schreibens und  Vorlesens  in  Sprachen,  die  sie  nicht  verstan- 
den, schon  längst  überdrüssig  geworden.  „Sie  konnten,  nach 
Phillips'  Worten,  den  Aerger  wegen  dieser  Art  von  Beschäf- 
tigung nicht  immer  verbergen,  und  er  brach  je  mehr  und 
mehr  in  Ausdrücken  des  Unwillens  hervor.  Zuletzt  wurden 
sie  sämmtlich,  die  älteste  mit  eingeschlossen,  aus  dem  Hause 
gethan,  um  das  Anfertigen  von  künstlichen  und  feinen  Hand- 
arbeiten zu  erlernen,  namentlich  Stickereien  in  Gold  oder 
Silber."  Auch  hatte  die  älteste  zur  Zeit,  da  ihr  Vater  starb, 
ein  Posamentir- Geschäft,   „von  dem  sie,    nach  der  gericht- 


Undankbarkeit  der  Töchter.  185 

liehen  Aussage  eines  Zeugen,  leben  konnte".  Ob  diese  Ent- 
fernung vom  väterlichen  Hause  wirklich  auf  den  Willen 
Milton's  zurückzuführen  ist,  machen  gewisse  Worte,  die  er 
selbst  hat  fallen  lassen,  einigermassen  zweifelhaft,  das  aber 
wird  auch  sonst  bezeugt,  dass  alle  drei  Töchter  die  letzten 
„vier  oder  fünf  Jahre"  seines  Lebens  mit  ihm  nicht  unter 
einem  Dache  wohnten.  Als  Pflegerin  und  Genossin  blieb  ihm 
sein  Weib,  seine  „Betty",  wie  er  sie  zu  nennen  liebte.  Sie 
soll  ihn  wegen  seiner  Sorglosigkeit  in  Geldsachen  mitunter 
geneckt  haben  (^),  übrigens  lebten  beide  in  bestem  Einver- 
nehmen. In  einfach -häuslicher  Weise  ei-füllte  sie  ihre  Pflich- 
ten, wie  sie  denn  auch  als  Wittwe  das  Andenken  des  ver- 
storbenen Gatten  immer  geehrt  hat  und  einige  kostbare  Re- 
liquien ,  die  an  ihn  erinnerten ,  bis  zu  ihrem  Tode  sorgfältig 
aufbewahrte. 

Noch  schien  nichts  auf  das  nahe  Ende  Milton's  hinzu- 
deuten. Er  war  gesund,  selten  gebrauchte  er  irgend  eine 
Medicin,  nur  hie  und  da  nahm  er  etwas  Manna.  Das  Brust- 
bild des  Zweiundsechzigjährigen ,  jener  Stich  Faithorne's, 
welcher  der  „Geschichte  Englands"  hinzugefügt  worden  ist. 
nach  Aubrey's  Versicherung  freilich  ebenso  unähnlich  wie  die 
übrigen  Bilder  vor  Miltons  Büchern,  giebt  denjenigen  Begritt' 
von  dem  Aeusseren  des  Dichters,  wie  es  sich  der  Vorstellung 
der  Nachwelt  eingeprägt  hat.  Ernst  und  einfach  erscheint 
die  Tracht:  der  faltenreiche,  dunkle  Mantel,  der  sich  um  die 
Schultern  schlingt,  der  weisse,  herabfallende  Kragen,  unter 
dem  nur  eben  eine  Quaste  sichtbar  wird.  Das  Haar,  anschei- 
nend noch  wenig  grau,  in  der  Mitte  gescheitelt  und  auf  bei- 
den Seiten  lose  niederwallend,  umschliesst  ein  schmales, 
hageres  Gesicht,  in  dem  man  wohl  noch  die  Züge  des  Jüng- 
lings herausfinden  kann,  dem  aber  die  Spuren  Jahrzehnte 
langer  äusserer  und  innerer  Kämpfe  eingeprägt  worden  sind. 
Der  weiche,  mädchenhafte  Ausdruck  ist  verschwunden,  scharfe 
Linien  umspielen  die  festgeschlossenen  Lippen,  die  Augen 
blicken  starr,  doch  ohne  deutliche  Anzeichen,  dass  ihre  Seh- 
kraft erloschen  ist.  Der  äusseren  Erscheinung  entsprach  das 
Wesen  des  ^Mannes.     Ein  nicht  geringer  Grad  von  Selbstge- 


185  Letzte  Willenserklärung. 

fühl,  verbunden  mit  puritanischer  Strenge,  verliehen  der  Per- 
sönlichkeit des  alternden  Milton  etwas  Imponirendes  und  Ehr- 
furcht Gebietendes,  ohne  dass  er  deshalb  die  Gabe  anmuthiger 
Unterhaltung  verloren  hätte.  „Sein  Temperament  war  ernst, 
aber  nicht  melancholisch  oder  wenigstens  nicht  bis  gegen 
Ende  seines  Lebens.  Er  war  nicht  mürrisch,  gTämlich  oder 
zänkisch,  sein  Geist  war  über  kleinliche  Dinge  erhaben." 
So  fanden  ihn  die  Freunde,  die  ihm  geblieben  waren,  und 
auch  andere,  „Männer  von  Adel,  viele  Leute  von  ausgezeich- 
neten Eigenschaften'"  und  selbst  „Fremde",  die  ihn  ,.fast  bis 
zu  seinem  Todestage"  aufsuchten.  An  warmen,  sonnigen  Ta- 
gen trafen  sie  ihn  „in  einem  grauen  groben  Rock",  die  frische 
Luft  geniessend,  vor  der  Hausthüre  sitzen.  Ein  gewisser  Dr. 
Wright,  Geistlicher  in  Dorsetshire,  sah  ihn  in  seinem  Hause 
„eine  Treppe  hoch"  in  einem  einfachen  Zimmer,  das  „mit 
einer  schmutzig  grünen  Tapete  behangen  war".  Der  Dichter 
sass  „in  einem  Armstuhl,  schwarz  und  sauber  gekleidet,  blass, 
aber  nicht  leichenhaft,  seine  Hände  und  Finger  geschwollen 
und  mit  Gichtknoten  bedeckt.  Er  sagte  unter  anderem,  wenn 
er  von  diesen  Schmerzen  frei  wäre,  würde  seine  Blindheit 
schon  erträglich  sein"(i). 

Es  ist  das  letzte  Bild,  das  wir  uns  vom  verlöschenden 
Dasein  Milton's  machen  können.  Leidend  wie  er  war,  suchte 
er  sich  doch  nicht  niederbeugen  zu  lassen.  Unter  den  Schmer- 
zen seiner  Gichtanfälle  hörte  man  ihn  scherzen  und  singen. 
Aber  seine  Qualen  nahmen  zu,  und  er  täuschte  sich  nicht 
darüber,  dass  er  bald  ausgeduldet  haben  werde.  Eines  Vor- 
mittags gegen  Ende  des  Juli  1674  besuchte  ihn  sein  Bruder 
Christoph,  wie  er  es  gewöhnlich  zu  thun  pflegte,  wenn  er  beim 
Beginne  der  Gerichtsferien  London  verliess,  um  sich  zum  Land- 
aufenthalt nach  Ipswich  zu  begeben.  Ihm ,  dem  Juristen ,  er- 
klärte der  Kranke  mündlich  seinen  letzten  ^Yillen,  formlos 
und  ohne  dass  seine  Frau  und  eine  Magd,  Elisabeth  Fisher, 
die  sich  im  Zimmer  befanden,  zur  Bezeugung  herbeigemfen 
worden  wären.  Auch  wurde  diese  Willenserklämng,  von 
Christoph  Milton  später  zu  Papier  gebracht,  in  einem  Processe, 
den  die  drei  Töchter  gegen  ihre  Stiefmutter  anstrengten,  nicht 


Letzte  Willenserklärung.  187 

als  Testament  anerkannt,  und  sie  hatte  sich  mit  ihnen  wegen 
der  Erbschaft  auseinanderzusetzen.  Immerhin  wird  durch  die 
Aeusserungen  des  Vaters,  der  sein  Ende  herannahen  fühlte, 
und  durch  Zeugenaussagen,  die  nach  seinem  Tode  vor  dem 
Richter  abgelegt  wurden,  die  schwere  Verschuldung  der  Töchter 
klargestellt.  „Das  Erbtheil  —  sagte  der  Dichter  seinem 
Bruder — ,  welches  mir  von  H.  Powell,  dem  Vater  meiner 
ersten  Gattin,  zukommt,  hinterlasse  ich  den  lieblosen  Kindern 
(to  the  unkind  children),  die  ich  von  ihr  hatte ;  aber  ich  habe 
nichts  davon  empfangen.  Meine  Meinung  ist,  dass  sie  keinen 
anderen  Genuss  von  meinem  Vermögen  haben  sollen  als  jenes 
Erbtheil  und  was  ich  ausserdem  noch  für  sie  aufgewandt  habe, 
da  sie  sehr  pflichtvergessen  mir  gegenüber  gewesen  sind. 
Mein  ganzes  übriges  Vermögen  überlasse  ich  der  Verfügung 
meiner  lieben  Frau  Elisabeth."  Sie  hatte,  wie  er  hervorhob, 
immer  „sehr  liebevoll  für  ihn  gesorgt".  Den  Kindern  ver- 
blieb also  der  Anspruch  auf  die  niemals  ausgezahlte  Mitgift 
ihrer  Mutter,  1000  Pfund  nebst  den  Zinsen  von  etwa  zwanzig 
Jahren,  und  Milton  mochte  glauben,  dass  die  Familie  Powell 
ebenso  fähig  sein  würde,  die  Summe  auszuzahlen,  wie  sie 
dazu  verpflichtet  war.  Auch  hatte  er  wiederliolt  erklärt,  dass 
er  ,,zu  seinen  Lebzeiten  für  seine  Kinder  gesorgt"  und  „den 
grössten  Theil  seines  Vermögens"  darauf  verwandt  habe. 
Ausserdem  hatte  er  noch  später  gegenüber  seiner  Frau  den 
Wunsch  ausgesprochen,  dass,  falls  sein  Nachlass  1000  Pfund 
übersteige,  auch  dieser  Ueberschuss  seinen  Kindern  zu  gute 
kommen  solle.  Doch  fanden  sich  nach  seinem  Tode  nur  etwa 
900  Pfund  vor,  welche,  wenn  es  nach  seinen  Bestimmungen  ge- 
gangen wäre,  die  Wittwe  ohne  Abzug  erhalten  haben  würde  (^). 
So  viel  sieht  man  deutlich:  Milton  wünschte  seinen  Kin- 
dern zu  zeigen,  dass  sie  durch  ihr  Benehmen  wenig  Dank  von  ihm 
verdient  hätten.  Er  sprach  sich  seinem  Bruder  gegenüber 
,,in  voller  Ruhe,  leidenschaftslos''  darüber  aus,  ohne  sich  ,,auf 
Einzelheiten  einzulassen".  Doch  erinnerte  sich  Christoph  Milton, 
ihn  früher  darüber  haben  klagen  zu  hören,  dass  seine  Kinder 
,,sich  um  ihn  in  seiner  Blindheit  nicht  kümmerten  und  sich 
nichts  daraus  machten,  ihn  zu  verlassen'-.    Nicht  genug  damit, 


188  Zeugenaussagen  über  das  Verhalten  der  Töchter. 

die  Aussage  jenes  Dienstmädchens,  der  Elisabeth  Fishei-,  be- 
lastete die  Töchter  noch  schwerer.  ^Yas  sie  zu  Protokoll  gab, 
stützte  sich  auf  eine  £:chmerzliche  Mittheilung  Milton's  selbst. 
Kurz  vor  seiner  dritten  Heirat  habe  eine  j\Iagd  seiner  zweiten 
Tochter  Mary  gesagt,  sie  höre,  der  Vater  wolle  sich  wieder 
verehelichen,  worauf  Mary  geantwortet:  das  sei  nichts  Neues, 
„aber  wenn  sie  von  seinem  Tode  hören  könnte,  das  wäre 
etwas".  Und  er  habe  hinzugefügt,  „dass  alle  seine  Kinder  sich 
gegen  ihn  verschworen  und  die  Magd  angestachelt  hätten, 
ihn  bei  ihren  Markteinkäufen  zu  betrügen,  dass  sie  auch 
einige  seiner  Bücher  weggenommen  hätten  und  den  Rest  den 
Kehrichtweibern  verkaufen  wollten".  Es  ist  möglich,  dass 
einiges  in  dieser  Aussage  auf  einem  Missverständnis  beruht, 
da  Milton  nach  anderen  Nachrichten  einen  Theil  seiner  Biblio- 
thek gegen  Ende  seines  Lebens  selbst  zu  Geld  gemacht  haben 
soll(^).  Es  ist  auch  nicht  schwer,  mildernde  Umstände  für 
die  Töchter  geltend  zu  machen,  die  zu  jener  Zeit  noch  jung, 
ohne  rechte  Aufsicht  sich  selbst  überlassen  heranwuchsen. 
Namentlich  die  jüngste,  Deborah,  möchte  man  für  schuldfrei  er- 
klären, da  sie  damals  noch  nicht  eilf  Jahre  alt  war  und  noch 
als  alte  Frau  mit  Liebe  von  ihrem  Vater  gesprochen  hat. 
Aber  alles  in  allem  erhält  man  den  Eindruck,  dass  schon  von 
frühe  an  der  Charakter  der  Töchter  sich  nicht  aufs  beste 
entwickelte.  Man  begreift  nun  erst  recht,  warum  iMilton  sich 
auf  Zureden  eines  wohlmeinenden  Freundes  hatte  entschliessen 
können,  in  einer  dritten  Gattin  sich  eine  Stütze  seines  Alters 
zu  suchen.  Vorher  musste  er  sich  vorkommen,  wie  sein  Sam- 
son  Agonistes,  in  dessen  rührenden  Versen  (75  —  79)  etwas 
von  seinem  eigenen  Weh  nachklingt: 

.  .  Bei'm  I.icht  im  Dunkeln,  täglichem  Betrug, 
Schmach,  Spott,  Verachtung,  Unrecht  ausgesetzt, 
Daheim  wie  draussen  immer  wie  ein  Narr, 
Schein  ich  kaum  halb  zu  leben,  mehr  als  halb 
Schon  todt  zu  sein.  .  . 

Die  jüngste  Tochter  Deborah  war  kurz  vor  dem  Ende  Milton's 
mit  einer  Lady  Merian,  vielleicht  einer  Freundin  der  Lady 
Ranelagh,   nach    Irland   gegangen,     Ihre   Schwestern    waren 


Tod  und  Begräbnis.  —  Schicksale  C.  Milton's  und  der  Phillips.     j[89 

verniuthlicli  in  London  geblieben,  aber  es  ist  zweifelhaft,  ob 
die  Kinder  am  Bette  ihres  Vaters  standen,  als  seine  Todes- 
stunde herannahte.  Er  überlebte  jenes  ernste  Gespräch,  das 
er  mit  seinem  Bmder  geführt  hatte,  nur  um  wenige  Monate. 
Doch  schien  er  noch  Anfang  Oktober  1674  „sehr  munter  und 
in  guter  Gesundheit  zu  sein''  und  plauderte  über  Tisch  in 
gewohnter  heiterer  Weise  mit  seiner  Frau.  Danach  nahmen 
unter  erneuten  Gichtanfällen  seine  Kräfte  rasch  ab.  Nach 
einer  wohl  zulässigen  Annahme  hauchte  er  am  Sonntag,  den 
8.  November,  seinen  letzten  Athem  aus,  und  sein  Todeskampf 
war  so  leicht,  dass  sein  Ende  von  denen,  die  sich  im  Zimmer 
befanden,  nicht  gleich  bemerkt  wurde.  Am  12.  November 
wurde  die  Leiche  Miltons  am  oberen  Ende  des  Chores 
der  kleinen  Kirche  St.  Giles,  Cripplegate,  beigesetzt.  In  dieser 
Kirche  waren  vierundfünfzig  Jahre  vorher  Oliver  Cromwell 
und  Elisabeth  Bourchier  getraut  worden.  In  demselben  Baume 
ruhten  die  Gebeine  von  Milton"s  Vater.  Die  Freunde  und 
„Bewunderer"  des  Dichters,  die  sich  in  der  Stadt  befanden, 
gaben  dem  Sarge  das  Geleite,  und  es  fehlte  nicht  an  „theil- 
nehmendem  Zulauf  des  Volkes". 


Man  darf  vermuthen,  dass  sich  unter  dem  Trauergefolge, 
wenn  nicht  der  Bruder,  der  vielleicht  noch  auf  dem  Lande 
verweilte,  so  doch  der  ältere  Netfe  des  Verstorbenen  befunden 
hat.  Jener  hatte  noch  eine  Laufbahn  vor  sich,  auf  der  man 
einen  Milton  anzutreffen  nicht  hätte  glauben  sollen.  Er  wurde 
als  ein  ergebener  Anhänger  Jakob's  IL  bei  Gelegenheit  einer 
parteiischen  Erneuerung  des  Tribunals  unter  die  Richter  der 
Schatzkammer  aufgenommen  und  in  Whitehall  zum  Kitter  ge- 
schlagen. Ein  Werkzeug  der  Stuart'schen  Tyrannei,  soll  er 
sogar  dem  königlichen  Beispiele  zu  Gefallen  zum  Katholicis- 
mus  übergegangen  sein.  Es  starb  1692  im  siebenundsiebzig- 
sten Jahr  mit  Hinterlassung  eines  Sohnes  und  mehrerer  Töchter. 
Der  ältere  Phillips  überlebte  den  Bruder  des  Dichters  nur 
um  zwei  Jahre  und  machte  sich  noch  kurz  vor  seinem  Tode 


29.0  Miltoü's  Nachkommenschaft. 

um  das  Andenken  seines  grossen  Oheims  durch  die  Veröffent- 
lichung seiner  Biographie  verdient.  Der  jüngere  Phillips  da- 
gegen, der  bis  in  den  Anfang  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
hinein  seiner  gewandten  Feder  freien  Lauf  liess,  gewann  es 
über  sich,  ein  royalistisches  Geschichtswerk  fortzusetzen,  wel- 
ches Milton  als  einen  „unverschämten  und  gotteslästerlichen" 
Schriftsteller  bezeichnete  (^).  —  Milton's  Wittwe  kehrte  nach 
einigen  Jahren  in  ihre  Heimat  zurück,  wo  sie,  möglicher 
Weise  als  Mitglied  einer  Baptistengemeinde,  ein  einfaches, 
bescheidenes  Leben  führte.  Nur  wenige  nahmen  sich  die 
Mühe,  bei  ihr  Erkundigungen  über  den  Dichter  des  verlorenen 
Paradieses  einzuziehn.  Als  sie  neunundachtzig  Jahre  alt  1727 
starb,  fanden  sich  in  ihrem  Nachlasse  die  beiden  Bilder  vor, 
die  ihn  als  Knalien  und  Jüngling  darstellten.  Was  aus  der 
„grossen  Masse  von  Briefen  seiner  gelehrten  Bekannten  in 
England'  und  jenseits  des  Kanals"  geworden  ist,  die  sie  nach 
Aubrey's  Versicherung  besass,  ist  leider  nicht  festzustellen. 
Die  sonstigen  hinterlassenen  Papiere  des  Dichters  hatte  sie 
seinem  Neffen  Edward  Phillips  gegeben  (2). 

Von  den  drei  Töchtern  hatte  nur  die  jüngste  lebens- 
kräftige Nachkommenschaft.  Die  älteste ,  Anna ,  welche  einen 
„Baumeister"  geheiratet  hatte,  starb  mit  dem  Kinde  im  ersten 
Wochenbett.  Die  zweite,  Mary,  war  nie  verheiratet  und  muss 
wie  ihre  ältere  Schwester  schon  vor  1694  nicht  mehr  am  Le- 
ben gewesen  sein.  Deborah  dagegen,  die  dem  Vater  am 
ähnlichsten  war,  hatte  aus  einer  Ehe  mit  Abraham  Clarke 
aus  Dublin,  einem  Seidenverkäufer,  eine  zahlreiche  Familie. 
Unter  der  Regierung  Jakob's  IL  kehrte  sie  nach  London 
zurück,  woselbst  ihr  Mann  als  ein  „Weber  in  Spitalfields" 
sich  niederliess.  Sie  starb  daselbst  in  dem  gleichen  Jahre  wie 
ihre  Stiefmutter.  In  ihrem  Alter,  zu  einer  Zeit,  da  Milton's 
Ruhm  schon  weit  verbreitet  war,  empfieng  sie  häufig  Besuche 
von  Männern,  denen  sie  über  das  Leben  ihres  Vaters  bereit- 
willig Aufschluss  gab.  Man  bemerkte  mit  Erstaunen,  dass 
ihr  von  früher  her  noch  Stellen  aus  Homer  und  Euripides 
wie  auch  aus  Ovid's  Metamorphosen  im  Gedächtnis  geblieben 
waren.    Addison    wirkte   ihr  bei   der  Prinzessin  von  Wales, 


Schluss.  191 

der  späteren  Köni^n  Karoline,  ein  Geschenk  von  50  Pfund  aus. 
Sie  hatte  verschiedene  Andenken  an  ihren  Vater  gerettet,  und 
als  sie  bei  einem  Besuche  des  Kupferstechers  Vertue  eines 
mitgebrachten  Bildes  Milton's  ansichtig  wurde,  äusserte  sie 
ihre  lebhafte  Theilnahme.  Sechs  Söhne  und  zwei  Töchter 
Deborah's  waren  jung  gestorben,  aber  eine  Tochter,  Elisabeth, 
und  ein  Sohn,  Caleb,  versprachen  das  Geschlecht  fortzusetzen. 
Die  Tochter,  mit  einem  Mr.  Foster  verheiratet,  der  gleich- 
falls als  „ein  Spitalfields-Weber"  bezeichnet  wird,  gerieth  in 
sehr  bedrängte  Umstände  und  suchte  durch  Eröffnung  eines 
kleinen  Spezereiladens  etwas  zum  Erwerbe  beizutragen.  Man 
veranstaltete,  um  dieser  Enkelin  Milton's  aus  der  Noth  zu 
helfen,  1750  eine  Benefizvorstellung  des  Comus,  zu  der  Dr. 
Johnson  einen  Prolog  schrieb.  Ihre  sieben  Kinder  waren 
sämmtlich  frühe  gestorben,  und  sie  glaubte,  dass  ausser  ilir 
keine  Descendenz  des  Dichters  vorhanden  sei,  wenn  nicht  in 
Ostindien.  Dorthin  war  ihr  Bruder  in  jungen  Jahren  aus- 
gewandert, hatte  sich  in  Madras  einen  Hausstand  gegründet 
und  hinterliess  zwei  Söhne,  deren  ältester  gleichfalls  in  Ma- 
dras angesessen  war  und  1727  die  Geburt  einer  Tochter  ein- 
tragen liess(^).  Damit  hört  jede  Spur  der  direkten  Nachkom- 
menschaft Milton's  auf. 

Aber  sein  Name  ist  über  die  heimatliche  Insel  hinaus 
nach  Osten  und  Westen  überall  dahin  gedrungen,  wohin  die 
Söhne  seines  Volkes  als  Pioniere  der  Kultur  die  siegreichen 
Schritte  gewandt  haben.  Im  üppigen  Landsitz  des  englischen 
Kaufherrn  an  den  Fluthen  des  Ganges  wie  im  einfachen 
Blockhaus  des  englischen  Kolonisten  an  den  Fluthen  des  Mis- 
sissipi  hat  neben  der  Bibel  das  verlorene  Paradies  eine  Stelle 
erhalten ,  und  die  beredten  Worte,  die  sein  Schöpfer  in  Sachen 
der  Freiheit  gesprochen  hat,  sind  zu  einer  fort  und  fort  spru- 
delnden Quelle  sittlicher  und  politischer  Kraft  geworden, 
welche   der  gesammten  Menschheit  zu  gute   kommt. 

Ein  echtes  Kind  seiner  Nation  und  doch  von  so  mancher 
nationalen  Einseitigkeit  frei,  der  erste  Vorkämpfer  des  Puri- 
tanismus  und  doch  über  so  manches  puritanische  Vorurtheil 
erhaben,  ein  grosser  Dichter  und  zugleich  ein  Mann  von  um- 


\Q2  Schluss. 

fassender  Gelehrsamkeit,  ebenso  hochstehend  als  Genius  wie 
als  Charakter,  hat  Milton  Aufnahme  in  jene  Ruhmeshalle  geisti- 
ger Heroen  gefunden ,  die  wir  mit  den  Grössten  unseres  Ge- 
schlechtes bevölkern.  Er  hatte  ein  Recht  darauf,  sieh  „zu 
jenen  Helden"  zählen  zu  lassen.  Er  konnte  „Rühmliches  von 
sich  vermelden"  und  seine  „Wunden  anzeigen"  so  gut  wie 
jeder  von  ihnen  — 

„Denn  ich  bin  ein  Mensch  gewesen 
Un(J  das  heisst  ein  Kämpfer  sein." 


A  n  m  e  r  k  u  n  g  e  n. 


Stern,  ililton  u.  s.  Z.    IL  4.  13 


ÄDinerkungen. 


Erstes  Kapitel. 

Seite 

5  ^)  S.  Näheres  zur  Ergänzung  von  Ludlow's  Memoiren  in  den 
von  mir  herausgegebenen  „Bi-iefen  Englischer  Flüchtlinge  in  der 
Schweiz",  Göttingen,  Peppmüller  1874.  Zwei  später  im  Staats- 
archiv von  Bern  aufgefundene  Briefe  Ludlow's  habe  ich  in  der 
Academy  Sept.  2,  1876  zum  Abdruck  gebracht. 

7  *)  S.  Näheres  in  F  o  r  s  t  e  r :  Statesmen  of  the  Commonwealth. 

8  *)  „Free  Parliaments  Quaeres  .  .  .  Printed  in  the  year  of  redemption 

1660"  (Ms.  Note  „April  20").  Qu.  6  p.  2:  „Whether  hanging  or 
drowning  be  the  best  waies  of  transportation  of  our  late  republicans 
to  the  commonwealths  of  Utopia  or  Oceana".     Br.  M.  E.  1019. 

2)L'Estrange  His  Apology  etc.  1660  (Ms.  Note  „June  6").  4'.  Br. 
M.  E  187.  p.  157:  „Particularly  Milton  put  forth  a  bawling  piece 
against  Dr.  Griffith  and  somebody  eise  another  scurrilous  libel 
entitled  Eye-Salve.  I  did  not  think  it  much  material  to  reply  upon 
these,  the  people  being  already  convinc'd  of  the  right,  but  however 
being  excited  to  it  by  a  private  friend,  I  return'd  these  following 
answers"  (darauf  folgt:  „No  blinde  guides"  etc.,  s.  o.  III.  250). 

■•')  The  Blazing-Star  or  Noll's  Nose.  Br.  M.  E.  1040  (17.  Aug.  1660), 
s.  Catalogue  of  prints  and  drawings  in  the  Br.  M.  Div.  1.  Political 
and  personal  satires  1870  I.  No.  957. 

9  0  Lettres  de  Gui  Patin  (Ed.  1846)  III.  238. 

2)  Kennet,  Register  (1728)  p.  180.  189.  230.  239. 
•'')  E.  Phillips  sagt  daher  mit  Unrecht:  „so  that  together  with  John 
Goodwin  of  Coleman-Street  he  was  only  so  far  excepted  as  not  to 
bear  any  office  in  the  Commonwealth". 
11  1)  C.  S.  P.  1650  May  17.  Juli  2.  K.  Elze:  Davenant  (Jahrbuch  der 
Deutschen  Shakespeare  -  Geseilschaft  IV.  127).  Nach  Wood  hat 
Milton  mit  den  beiden  aldermen  zusammengewirkt,  Richardson: 

13* 


\QQ  Anmerkungen. 

Seite 

Life  of  Milton  LXXXIX  nennt  nur  Milton.  Er  beruft  sich  auf 
Pope,  der  seine  Kunde  von  dem  Schauspieler  Betterton  hat.  Aubrey 
erwähnt  die  Sache  nicht. 

11  2)  Vor  Warton   in   seiner   zweiten  Ausgabe^der  kleineren  Gedichte 

Milton's  p.  358  findet  sich  die  Erzählung  bei  Cunningham:  Hist. 
of  great  Britain  I.  14.  In  S 1  o  a  n  e  M  s  s.  649  findet  sich  ein  Brief 
an  Hartlib  (?),  unterzeichnet  „Amstelodami  10.  Aug.  1660  a  tuo  Q, 
N.  B.",  in  dem  es  heisst  (f.  42  a):  „De  Miltono  et  captivis  quid 
actum  fuerit  aut  agetur  proximis  tuis  mihi  rescribes". 
^)  Sotheby  p.  129  und  die  Tafel  nach  p.  124.     Phillips. 

12  1)  C.  J.  12  Sept.    15,  17  Dec.  1660.    Hamilton  61.    Hier  wird  irrig 

eine  „sechsmonatliche  Haft"  Milton's  angenommen. 

•^)  Evelyn 's  Diary  ed.  W  Bray  I.  360  (12.  Januar  1662):  „At  St. 
James's  chapel  preached  or  rather  harangued  the  famous  orator 
M.  Morus  in  French.  There  were  present  the  King,  Duke,  French 
ambassador,  Lord  Aubigny,  Earl  of  Bristol  and  a  world  of  Roman 
Catholics  drawn  thither  to  hear  this  eloquent  Protestant." 

^)Baillie  (1661.  31  Januar)  III.  443.  Die  Anekdote  bei  Richard- 
son  p.  c  widerlegt  sich  schon  dadurch,  dass  sie  von  einem  ,,latin 
secretary"  und  von  einer  Frau  Milton's  zu  einer  Zeit  spricht ,  da 
er  Wittwer  war. 

13  1)  Wood,  Phillips,  Todd  255.    Keightley  75. 

■^)  Paget  wird  C.  S.  P.  1650,  Febr.  5  (p.  506)  als  „physician  to  the 
tower"  genannt,  vgl.  C.  S.  P.  1651  p.  189. 

•■')  Aubrey:  „a  gentle  person,  a  peacefuU  and  agreeable  humour". 
[Näheres  bei  Hunter  36 — 41  und  Marsh,  daselbst  46  der  Tauf- 
eintrag Elisabeth's  „80.  Dec.  1638".  Als  Datum  der  Ehe  giebt 
Masson  P.  W.  I.  62,  66  den  Februar  1663  an,  ohne  Zweifel  auf 
urkundliches  Material  gestützt.  Aubrey  nimmt  an  „the  yeare  be- 
fore  the  sicknesse",  also  1664. 

14  ^)  Phillips.    Näheres  über  die  Lage  der  Wohnung  nach  Watts  in 

W.  I.  p.  CLXXIV.  P.  W.  L  53.  Bei  Hunter  43  findet  man  den 
Abdruck  eines  „account  of  the  hearth-money  of  thecounty  ofMiddle- 
sex  for  the  year  ending  at  Lady  Day  1674"  und  darin  den  Eintrag: 
.,John  Melton  4  hearths".  Hiernach  heisst  die  Strasse  „Artillery- 
Wall",  nicht  wie  bei  Phillips  „Artillery-Walk".  Nach  Richard- 
son  III.  und  XCIII.  hätte  Milton  eine  Zeit  lang  bei  dem  Buch- 
händler Millington  in  „Little  Britain"  gewohnt,  doch  findet  sich 
diese  Nachricht  nirgend  sonst  bestätigt. 

15  ^)  Aubrey  in  Verbindung  mit  Newton' s  Life  of  Milton  vor  seiner 

Ausgabe  von  MiUon's  poetical  works  Ed.  1761  p.  LXVL  LXVII., 
woselbst  sich,  nach  mündlicher  Tradition,  einzelne  kleine  Züge  fin- 
den, die  bei  Aubrey  und  Phillips  fehlen.  Nach  Aubrey  begann  der 
Tag  mit  Vorlesung  eines  Stückes  aus  „the  Hebrew  bible",  allein 


Erstes  Kapitel.  197 

Seite 

es  ist  doch  nicht  glaublich,  dass  ein  Diener  („his  man";  dazu 
fähig  war.   Oder  heisst  „Hebrew  bible"  etwa  „das  alte  lestament"  ? 

16  ^)  S.    die    Zusammenstellung    in    1'.  W.    I.    65  ff.    nach    Phillips, 

Aubrey  (der  in  der  Bezeichnung  „his  second  daughter  Deborah" 
irrt),  Richardson:  Explanatory  notes  and  remarks  on  Milton's 
Paradise  lost  by  J.  R.  father  and  son  London  1734.  Life  by  J. 
R.  senior  p.  C'XIV.  Mary  Milton  unterschreibt  ihren  Namen  „Mill- 
ton",  s.  Marsh  und  Sotheby  177,  ebenda  179  die  Unterschrift 
von  Deborah  (Deboroh).  Die  Notiz  hei  Newton,  die  auf  l\Irs. 
Fester,  eine  Tochter  Deborah  Milton's,  zurückgeht,  der  Dichter 
habe  alle  seine  Kinder  nicht  schreiben  lehren  lassen,  wird  dadurch 
widerlegt.  Nur  die  älteste  konnte  nicht  schreiben,  vermuthlich 
wegen  eines  körperlichen  Gebrechens ,  das  sie  freilich  später  nicht 
verhinderte,  Handarbeiten  anzufertigen;  vgl.  Marsh  und  So- 
theby 176. 

17  ^)  S.    den   Stammbaum    in  Milton's   Works   ed.   Pickering,    über   die 

Phillips :  Wood,  G  o  d  w  i  n ,  Diary  and  C'orrespondence  of  J  o  h  n 
Evelyn. 
*)  Ich  verbessere  bei  dieser  Gelegenheit  ein  Versehen  des  zweiten 
Buches  S.  152  Zeile  20.  Es  sollte  dort  heissen :  „Die  Thatsache, 
dass  der  Dichter  mit  der  Familie  jenes  Isaac  Pennington  .  .  be- 
kannt war"  u.  s.  w. ,  s.  Rose:  New  general  biogr.  Dictionary. 

20  *)  Histoi'y  of  the  life  of  Thomas  Ellwood.     Ich  benutze  die  vierte 

Ausgabe  London  1791  p.  143  ff.  185.  Unter  den  nachgelassenen 
Mss.  Ellwood's  werden  auch  angeführt:  „Several  Decades  of  Letters 
to  particular  Persons  about  35  Sheets",  über  deren  Verbleib  leider 
nichts  bekannt  ist.  Ein  Facsimile  von  Ellwood's  (wie  auch  von 
Marvell's  und  der  beiden  Phillips')  Unterschrift  bei  Sotheby 
T.  XXIV. 

21  ')Dircks,  woselbst  Wo  r  thingtou's  Correspondence  und  P  epys' 

Diary  and  Correspondence,  wenn  auch  nicht  erschöpfend  benutzt 
worden  sind;  vgl.  Evelyn' s  Diary  und  die  Korrespondenz  Hart- 
lib's  mit  Boyle  in  Boyle's  Works  Ed.  Birch.  Die  Thatsache, 
dass  Hartlib  gegen  Jones  als  Zeuge  aufgerufen  ward,  wurde  mir 
bekannt  aus  „An  exact  and  most  impartial  account  of  the  judgment 
of  29  regicides,  London  1660"  p.  97. 

22  ^)  So  die  zu  II.  269  citirte  Literatur,    Kennet:  Register  s.  v.  Durie, 

dazu  eine  Druckschrift  Durie's:  ,.Copie  d'une  lettre  escrite  ä  un 
prince  de  l'Empire  etc.  de  Zürich  19.  Nov.  1662  Jean  Dure",  ent- 
halten im  Züricher  staatsarchiv,  Duraeana,  ebenda  die  reich- 
haltige Korrespondenz  zwischen  Durie  und  Ulrich  etc.  nach  dem 
Jahre  1660.  In  einem  Brief  vom  28.  Jan.  1661  räth  Durie  ausdrück- 
lich: „Et  si  vous  voulez  toucher  un  mot  de  ma  negotiation  avec 
vous  .  .  il  ne  faut  nuUenient  nommer  le  Protecteur  ny  de  prös  ny 


J98  Anmerkungen. 

Seite 

de  loin,  aussi  ne  faut  il  pas  mentionner  avec  aucun  tiltre  odieux 
le  Pape  ny  les  Papistes".  Briefe  für  ihn  soll  man  adressiren,  für 
den  Fall,  dass  er  schon  abgereist  wäre:  ,.To  be  left  with  Mr.  Sam. 
Hartlib  dwelling  in  Axeyard  in  Kingstreet  in  Westminster".  Der 
nächste  Brief  an  Ulrich,  vom  Anfang  Februar  1661,  datirt  schon 
aus  Amsterdam. 

22  ^)  Kurze   Biographie   Pell's    in  Wort  hington 's   Diarj-  I.   57   nach 

Wood;  vgl.  I.  230.  Die  Thatsache,  dass  Pell  in  Amerika  war, 
wurde  mir  bekannt  aus  Boyle's  Works  V.  596. 

23  ^)Birch:  History  of  the  royal  society. 

24  1)  P.  W.  m.  107,  108. 

Zweites  Kapitel. 

28  ^)  Evelyn:  Diarj-  and  Correspondence  I.  359.  n.  32. 
30  ')  Der  erste  Theil  des  Hudibras  erschien  1663,  der  zweite  1664  (beide 
zusammen  1674^,  der  dritte  1678.  Ich  benutze  die  [Ausgabe  von 
E.  Bell  und  die  Uebersetzung  von  Eiselein.  Die  auf  Milton 
bezügliche  Stelle  in  den  Fragmenten,  welche  Thyer  veröffentlicht 
hat,  a.  a,  0.  I.  168:  ,.As  he  who  fought  at  barriers  with  Salma- 
sius  Engaged  with  nothing  but  his  Stiles  and  phrases  1  Waved  to 
assert  the  murder  of  a  prince''  etc.  Man  wäre  in  Versuchung,  die 
Stelle  I.  50,  in  der  vom  Paradiese,  Adam,  der  Schlange  die  Rede 
ist,  auf  Milton's  Gedicht  zu  beziehen,  wenn  dies  1663  schon  be- 
kannt gewesen  wäre. 

*)  „T'is  a  Strange  age  we've  lived   in   and  a  lewd".    Satire  upon  the 
licentious  age  of  Charles  II. 
32  ^)  Ich  beziehe  mich  auf  einen  Sammelband  englischer  Dichtungen  des 
siebzehnten  Jahrhunderts  im  Besitz  der  Bibliothek  zu  Göttingen. 

*)  Rochester:  Horace's  tenth  satire  of  the  first  book  imitated,  vgl^ 
Jesse:  Memoirs  of  the  court  of  England  during  the  reign  of  the 
Stuarts  IV.  266. 

^)„Marriage!  T'is  but  a  licens'd  way  to  sin"  Rochester:  A  satire 
against  marriage. —  „All  maidens  are  mortal  at  fourteen"  Dorset: 
Song  to  Chloris. 

34  ^)  ,,iMonarchs  may  err,   but   should  each  private  breast  |  Judge  their 

iU  acts,  they  would  dispute  their  best  .  .  Whate'er  faults  in  prin- 
ces  time  reveal  |  None  can  be  judge,  where  can  be  no  appeal". 
Aehnlich  in  Beeret  love  or  the  maiden  queen:  „The  rights  of  sub- 
jects  and  of  sovereigns  are  things  distinct  in  nature;  theirs  is  to 
enjoy  propriety  not  empire". 

35  ^)  .,1  saw  Hamlet  prince   of  Denmark  played ,  but  now  the  old  plays 

began  to  disgust  this  refined  age,  since  his  Majesty's  being  so  long 
abroad".    Evelyn' s  Diary  1661  Nov.  26. 


Zweites  und  drittes  Kapitel.  199 

Seite 

36  ')  Ward:    A  history   of  English  dramatic  literature  II.  476,   s.  über 

das  Verhältnis  Dryden's  zu  Shakespeare  den  Aufsatz  von  Delius 
im  Jahrbuch  der  deutschen  Shakespeare  -  Gesellschaft  IV. 

37  *)  Ode  to  the  pious  memory  of  Mrs.  Anne  Killigrew  (1686):  „Oh  gra- 

cious  God !  how  far  have  we  |  Profaned  the  heavenly  gift  of  poesy" 
etc.  Man  wird  es  nicht  unbillig  finden,  dass  in  dieser  Skizze  auf 
eine  umfassende  Charakteristik  Dryden's  verzichtet  wird,  und  dass 
literarische  Erscheinungen  wie  Lee,  Otway  u.  a.,  deren  hauptsäch- 
liche Wirksamkeit  nicht  mehr  in  die  Lebenszeit  Milton's  fällt,  ausser 
Betraclit  geblieben  sind. 

41  *)Stoughton:  Ecclesiastical  history  of  England.   The  church  of  the 
restoration,  London  1870  I.  100.    Newcomen  lehnte  ab. 
'  44  1)  Stoughton  IL  5.38  —  542. 

46  ')  Stoughton  L  .346. 

Drittes  Kapitel. 

48  n  S.  oben  IL  21,  67,  183,  189,  312,  442. 

50  ^)  Phillips,  Aubrey,  Newton:  Life  of  :Milton  p.  LXXV. 

51  ^)Lingard  nach   Hodges  und  de  Foe:   History    of  the   plague. 

(Works  Ed.  1840  Vol.  IX.) 

53  1)  Ellwood  205  ff.    Es   ist  klar,    dass  Ellwood  das  Jahr  mit  dem 

2.5.  März  beginnt.  T'eber  die  Lage  von  Milton's  Haus  in  Chalfont 
s.  Todd  L  272.  Mitford  I.  p.  CX,  daselbst  hinter  CLVII  eine 
Abbildung.  Aus  ,, London  Aug.  15 ,  1666'"  datirt  ^lilton's  Brief  an 
Heimbach,  Works  VII.  409. 

54  ^)  Lappenberg:   Der  grosse  Brand  von  London,   1842,   namentlich 

nach  Evelyn  und  Pepys,  vgl.  Worthington's  Diaries  H.  1, 
206  ff. 

55  1)  Pepys;  Diary,  13.  July  1667. 

56  ')  P.  W.  I.  1.    Ueber  die  Erneuerung  der  Censurbehörde  |s.  Haies 

in  der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  der  Areopagitica.  Eine  Zeit 
lang  war  ^Milton's  Gegner  R.  rEstrangegeiner  der  Licensers. 

57  *)  S.  die  genauen  Angaben  V.  V/,  I.  8  ff.,  wie  denn  die  hier  gegebene 

Einleitung  überhaupt  grundlegend  für  die  Darstellung  ist.  Das 
Exemplar  des  Br.  M.  C.  14.  a.  9  führt  den  Titel:  Paradise  lost.  | 
A  I  Poem  I  Written  in  Ten  Books  |  ßy  John  Milton  Licensed  and 
Entred  according  |  to  Order.  London  1  Printed,  and  are  to  be  sold 
by  Peter  Parker  under  Creed  Church  neer  Aldgate;  And  by  |  Ro- 
bert Boulter  at  the  Turks  Head  in  Bishopsgate-street ;  And  Mat- 
thias Walker,  under  St.  Dunstons  Church  1  in  Fleet-street,  1667.  4", 
nicht  paginirt,  ohne  Prosa  -  Einleitung,  ohne  Inhaltsangabe  der  Bü- 
cher. Genaue  Reproduktion  dieser  Ausgabe  von  Masson,  1877, 
London.     Man  sieht,  dass  Simmons'  Name  hier  verschwindet,  viel- 


200  Anmerkungen. 

Seite 

leicht  weil  in  Folge  des  Brandes  eine  zeitweilige  Störung  seines 
Geschäftsbetriebes  eingetreten  war.  In  anderen  Abzügen  tritt  er. 
auf.  Der  Eintrag  in  den  Registers  der  Stationers:  „August  20. 
1667.  Mr  Sam.  Symons:  Enterd  for  his  Copie  under  the  hands  of 
Mr  Thomas  Tomkyns  and  Mr.  Warden  Royston  A  Booke  Or  Copie 
Intituled  Paradise  lost  A  Poem  in  Tenne  bookes  by  J.  M."  Was 
die  deutschen  Uebersetzungen  betrifft,  so  verweise  ich  mit  Ueber- 
gehung  der  zahlreichen  älteren  nur  auf  diejenigen  von  Böttger, 
4.  Aufl.  Leipzig  1869,  und  Schuh  mann.  2.  Aufl.  Stuttgart  1877. 
61  ^)  lieber  die  Quellen  zu  Milton's  verlorenem  Paradies  handeln  aus- 
führlich T  0  d  d :  An  inquiry  into  the  origin  of  paradise  lost,  P.  W. 
Introduction,  J.  Moers:  De  fontibus  paradisi  amissi  (Bonner  Dis- 
sertation 1865  P.  1).  Ich  habe  mich  auf  das  Wichtigste  beschrän- 
ken müssen.  Der  sehr  seltene  Adarao  von  Andreini  hat  mir  in 
der  Ausgabe  von  1617  vorgelegen,  (lieber  ihn  findet  sich  in  Phil- 
lips' theatrum  poetarum,  einm  Werke,  auf  dessen  Abfassung  Milton 
doch  anscheinend  nicht  ohne  Einfluss  -war,  nur  die  Bemerkung: 
„Giovanni  Andreini  another  Italian  author  of  a  fantastick  poem  as 
he  himself  calls  it  entitled  Olivastro,  which  was  printed  at  Bo- 
logna a.  1642".)  Der  Adamus  exul  von  Grotius  findet  sich  ab- 
gedruckt in  Delectus  auctorum  sacrorum  Miltono  facem  praelucen- 
tium  T.  2.  Adcurante  G.  Laudero  1752,  englische  Uebersetzung 
von  F.  Barham  1839.  V  o  n  d  e  1 '  s  Lucifer  steht  in  V.  Werken  ed. 
van  Lennep  VI.  201 — 310,  deutsche  Uebersetzung  von  G.  H.  de 
Wilde  1869,  Leipzig,  Brockhaus;  vgl  Jonckbloet:  Geschiedenis 
der  Nederlandsche  Letterkunde,  2.  Ed.  1874,  IL  65  ff.  R.  Bud- 
densieg:  Der  Fall  der  Engel  bei  John  Milton  und  J.  v.  d.  Vondel 
(Grenzboten  1877  No.  33  S.  241  —  258)  nennt  Milton  irrig  „den 
Dichter  von  Christ- C'hurch  Cambridge"  und  meint,  die  drama- 
tischen Entwürfe  des  verlorenen  Paradieses  seien  noch  nicht  ver- 
öffentlicht; s.  auch  E.W.  G.  A  Dutch  Milton  in  Cornhill  Magazine, 
May  1877,  Vol.  35  p.  596  —  615.  Unbedeutend  ist  Glaser:  J.  v. 
Vondel  und  sein  Lucifer  in  Herrig's  Archiv  für  das  Studium  der  neue- 
ren Sprachen  XII. 

^)  Genie  du  Christianisme ,  Anhang ,  ti-agments  sur  la  poesie  Ch.  VII. 
63  1)  Goethe  an  Schiller  31.  Juli  1799. 

78  ^)  Lessing  an  Nicolai  November  1756,  Werke  herausgegeben  von  Lach- 

mann -  Maltzahn  XII.  64. 

79  ^)  Vgl.  Massen:    The  three  devils:   Luther's,  Milton's  and  Goethe's 

(Essays  1856).  Elze:  Milton  im  Jahrbuch  der  deutschen  Shake- 
speare-Gesellschaft XIT.,  namentlich  p.  84.  In  Roskoff's  Ge- 
schichte des  Teufels,  1869,  hätte  auf  Milton  Rücksicht  genommen 
werden  sollen. 


Drittes  und  viertes  Kapitel.  .       201 

Seite 

80  ')Liebert331  — 339.    P  auli:  Aufsätze  383.    Carrifere:  Die  Kunst 

im  Zusammenhang  der  Kulturentwicklung  IV.  664. 

81  ^)  Taine:  Histoire  de  la  litterature  anglaise  II.  418. 

89  ')  S.  III.  74,  418,  481  ff.,  562  und  die  Bemerkungen  in  P.  W.  dazu, 
sowie  die  Introduction;  vgl.  Keightley  217  ff.,  45^  ff.,  der  mir 
indess  die  wahre  Ansicht  Milton's  zu  verkennen  scheint 

91  ^)  „Man's  pride ,  grown  to  religion .   he  abates  j  By  moving  our  loved 

earth,  w'hich  we  think  tix'd,  |  Think  all  to  it,  and  it  to  none  rela- 
tes,  I  With  other's  raotions  scorn  to  have  it  mix'd;  1  As  if  it  were 
great  and  stately  to  stand  still  j  Whilst  other  orbs  dance  on,  or 
eise  think  all  1  Those  vast  bright  globes,  to  show  God's  needless 
skill,  i  Were  made  but  to  attendour  little  ball."  Davenant:  Gon- 
dibert  B.  II.  Canto  V,  19.  20. 
*)  S,  über  die  dritte  von  Copernicus  angenommene  Bewegung,  den 
Parallelismus  der  Erdaxe:  Lalande,  Astronomie  I.  546. 

92  ^)  Eine  bezeichnende  Stelle  aus  ßaco:  De  Augmentis  (1623)  nach  Ed. 

Spedding  IV.  .347,  s.  in  P.  W.  III.  222,  223.  Milton's  Freunde,  die 
Smectymnianer ,  verwarfen  noch  aufs  entschiedenste  das  koperni- 
kanische  System,  s.  o.  B.  II.  83.  Dass  ^Nlilton  ein  Werk  vne  J.  a 
Sacrobosco's  de  sphaera  dem  Unterricht  zu  Grunde  legte  (s.  o.  IL 
398)  beweist  nur,  dass  ihm  kein  besseres  zu  Gebote  stand.  Eben 
dies  mag  ihm  den  nächsten  Anlass  gegeben  haben,  das  alte  System 
zu  verspotten.  In  du  Bartas  wird  es  noch  in  seiner  ganzen  Strenge 
aufrecht  erhalten. 

96  ')  S.  Vane's  Sätze  aus  „The  retired  man's  meditations"  bei  Forster: 
Statesmen  of  the  Commonwealth  ?87,  '288. 

99  ')  C.  Hill  ebr and:  De  sacro  apud  Christianos  carmine  epico  .  . 
Parisiis  ISGl. 

Viertes  Kapitel. 

105  0  Ellwood  213.    S.  220  spricht  Ellwood  von  seiner  Anwesenheit  bei 

einem  meeting  in  London,  das  „einige  Zeit"  nach  dem  Juni  1665 
gehalten  worden  sei. 

106  ^)  In  Deutschland  ist  dies    geschehn  von  Löbell:  Vorlesungen  über 

die  Entwicklung  der  deutschen  Poesie  I.  185;  s  die  Gegenbemer- 
kungen vonllettner,  Wiese:  Milton's  verlorenes  Pai'adies,  1863, 
Treitschke. 
*)P.  W.  IL  1—81,  IIL  279  —  319.  Ich  besitze  eine  alte  deutsche 
prosaische  Uebersetzung :  „Das  wiedereroberte  Paradies  des  Johann 
Milton,  nebst  seiner  Lebensbeschreibung,  einigen  dramatischen  und 
verschiedenen  kleinern  Gedichten.  [Simson.  Komus,  Lycidas,  l'AUe- 
gro,  il  Penseroso,  An  die  Zeit,  Bey  einer  feyerlichen  Musik.]  Mit 
allerhöchstem   kaiserlichen   Privilegio.     Mannheim,   im  Verlage  der 


202  Anmerkungen. 

Seite 

Herausgeber  der  ausländischen  schönen  Geister,  1781.  302  S.  Poe- 
tische Uebersetzungen  des  wiedergewonnenen  Paradieses  bei  Bött- 
ger  und  Schuhmann. 

117  1}  Das  Gesagte,  das  sich  auf  den  Samson  bezieht,  stützt  sich  auf  die 

feinen  Bemerkungen  in  P.  W.  I.  p.  IX  — XI,  LXXV—  C,  woselbst 
namentlich  auf  Marsh:  Lectui-es  on  English  Language  Rücksicht 
genommen  wird.  Tocqueville:  De  la  democratie  en  Amerique, 
III.  107  sagt,  ohne  den  Beweis  zu  erbringen:  „Le  seul  Milton  a 
intraduit  dans  la  langue  anglaise  plus  de  six  Cents  mots  presque 
tous  tires  du  latin,  du  grec  et  de  l'hebreu''. 
2)  W  a  r  d :  A  history  of  english  dramatic  literature  1875  11.  475,  497  ff. 

118  1)  P.  W.  I.  p.  CVII,  8,  131.    m.  110  —  113. 

*)  Es  hätte  ihm  doch  schwer  werden  sollen,  ausser  etwa  Tasso's  Sette 
giomate  noch  andere  "Werke  von  Dichtem  „ersten  Ranges"  anzu- 
führen. Merkwürdiger  Weise  nimmt  er  auf  Surrey's  reimlose  Ueber- 
setzung  eines  Stückes  der  Aeneide  keine  Rücksicht. 

^)  Schon  einige  Jahre  nach  Milton's  Tode  beklagte  sich  einer  seiner 
begeisterten  Verehrer  darüber,  dass  er  den  Reim  verschmäht  habe, 
s.  das  Citat  aus  Woodford's  Paraphrase  on  the  Canticles  1679 
in  Worthington's  Diaries  II.  P.  1,  192. 

120  ^)  Vgl.  die  feinen  Bemerkungen  von  J.  A.  Symonds:  The  blank  versa 

of  ^lilton  (Fortnightly  Review  1874  July  —  December  p.  767  ff.). 

121  0  Br-  ^J-   ^-  14.   a.  12,  S".    Paradise  ]  Regain'd:  \  A  Poem:  1  In  IV 

Books.  1  To  which  is  added  1  Samson  Agonistes.  \  The  Author  '  John 
Milton.  !  London,  |  Printed  by  J.  M.  foi  John  Starkey  at  the  1  Mitre 
in  Fleetstreet,  near  Temple-Bar.  |  :\IDCXXI.  ;  111  S.,  auf  der  Rück- 
seite des  Blattes  vor  dem  Titel:  Licensed,  ■  July  2.  1670,  angebun- 
den Samson  Agonistes,  |  A  |  Dramatic  Poem.  '  The  Author  |  John 
Milton.  '  Aristot.  Poet.  Cap.  6.  TqayojSiu  /m'uriai?  Tr^ä^aios 
anovöaiag  etc.  Tragoedia  est  imitatio  actionis  seriae  etc.  Per 
misericordiam  et  metum  perticiens  talium  effectuum  lustrationem.  1 
London,  j  Printed  by  J.  M.  for  John  Starkey  at  the  |  Mitre  in  Fleet- 
street near  Temple-Bar  MDCLXXI.  |  101  S.  Dies  Exemplar  ent- 
hält alte  handschriftliche  Bemerkungen.  Der  Eintrag  in  den  Re- 
gisters der  Stationers  Company  lautet:  „Sept.  10.  1670.  Mr.  John 
Starkey.  Entred  for  bis  Copie  under  the  hands  of  IMr.  Tho.  Tom- 
kyns  and  Mr.  Warden  Roper  A  Copie  or  Booke  Intituled  Paradice 
regaj-n'd  A  Poem  in  4  Bookes.  The  Author  John  Milton.  To  which 
is  added  Samson  Agonistes  A  dramatic  Poem  by  the  same  Author." 
S.  über  Samson  Ag.  P.  W.  11.85  —  153.  lU.  323  —  328.  Deutsche 
Uebersetzung  von  Böttger,  Eine  gelegentliche  Hindeutung  (auf 
die  Geschichte  Simson's  s.  in  Def.  Jprima  Cap.  IV,  im  Anfang. 
Ueber  die  Simsonsage  nach  ihrer  Entstehung,  Form  und  Bedeutung 
handelt  Roskoff,  Leipzig  1860. 


Viertes  und  fünftes  Kapitel.  203 

Seite 

125  ^)  Ich  folge  Liebert's  Uebersetzung  391. 

126  ')  Bei    (lieser  Stelle    könnte   man   an   eine  Einwirkung   des  „Samson, 

Treurspiel  v.  Vondel",  (1660)  denken,  zumal  dieser  Dichter, 
wie  oben  S.  61  bemerkt,  Milton  nicht  ft-emd  war. 

Fünftes  Kapitel. 

130  ^)  „That   they  likewise  used  a  ^NIs.   collection  in  three  large  folios, 

digested  into  an  alphabetical  order  made  by  Mr.  John  ISIilton  out 
of  all  the  best  and  purest  Roman  authors".  S.  Rob.  Ainsworth 
in  der  Vorrede  zum  thesaurus  linguae  latinae  1752  p.  VI. 

131  ^)Aubrey,    Wood,    Phillips,     dessen    Ausdrücke    der    Angabe 

Aubrey's ,  das  Wörterbuch  sei  erst  nach  der  Erblindung  Milton's 
ausgearbeitet  worden,  widersprechen;  vgl.  Todd  I.  171  und  So- 
theby  127,  daselbst  auch  ein  Auszug  aus  der  Vorrede  von  „Dr. 
Adam  Littleton's  Latin  Dictionary",  Ed.  4,  1715.  Die  Notiz  bei 
Aubrey:  „He  wrote  a  Dictionary  called  Idioma  Linguae  Latinae 
from  Mr.  Packer,  who  was  bis  scholar"  (nicht  „for  Mr.  Packer", 
wie  bei  Godwin  349  steht),  soll  wohl  nur  heissen,  dass  Aubrey 
diese  Nachricht  von  Packer  empfangen  hatte.  Nach  Aubrey  hat 
Milton's  Wittwe  „all  bis  papers ,  among  which  this  dictionary  im- 
perfect"  an  E.  Phillips  gegeben,  allein  am  Rande  steht,  vermuth- 
lich  auf  das  Wörterbuch  allein  bezüglich:  „In  the  hands  of  Moyses 
Pitt'',  d.  h.  zur  Zeit  als  Aubrey  schrieb.  Ein  Buchhändler  Moses 
Pitt  wird  erwähnt  in  „Letters  of  H.  Prideaux  to  J.  Ellis  ed.  J.  M. 
Thompson,  Camden-Society  1875  p.  76,  147;  s.  einen  Brief  von  J. 
Pell  an  „Mr.  Moses  Pitt,  a  stationer  at  the  White  Hart  in  Little 
Britaine"  vom  3.  Juni  1663  in  „A  collection  of  letters  illustrative 
of  the  progress  of  science  in  England  etc.  ed.  J.  0.  Halliwell,  Lon- 
don pr.  for  the  historical  society  ot  science''  1841  p.  103,  vgl.  p.  97 
und  einen  Brief  Oldenburg's  an  Boyle  vom  19.  Sept.  1676  in  Boyle's 
Works  V.  .396.  Pitt  war  also  in  dem  Bekanntenkreise  Milton's 
kein  Fremder  und  es  ist  ohne  Zweifel  derselbe,  welcher  zwei  Jahre 
nach  dem  Tode  des  Dichters  erklärte,  er  habe  ., einige  seiner  Pa- 
piere gekauft"  und  eine  gestohlene  und  unvollkommene  Ausgabe 
der  Milton'schen  Staatsbriefe  veröffentlichte;  s.  Hamilton  30,  36 
(hier  heifest  er:  „Mr.  Pitts,  bookseller  in  Paul's  Churchyard").  — 
Neuerdings  hat  J.  P.  Collier  behauptet,  ein  in  seinem  Besitz  be- 
findliches Exemplar  von  Cooper's  „Thesaurus  linguae  Romanae  et 
Britannicae  1-573"  enthalte  Notizen  von  iMilton's  Hand,  sowie  seinen 
Namen  (Athenaeum  1875,  23.  Okt.,  p.  540).  Der  Herausgeber 
von  Milton's  Commonplacebook  (p.  VIII)  scheint  indessen  die  Hand- 
schrift nicht  für  die  Milton's  zu  halten. 
^)  Accedence    Commenc't  [  Grammar,  |  Supply'd   with   sufficient  1  Ru- 


204  Anmerkungen. 

Seite 

les ,  For  the  use  of  such  (Younger  or  Eider  i  as  are  desirous, 
\nth-  \  out  more  trouble  than  nee'ds  to  attain  the  Latin  Tongue  | 
The  Eider  sort  especialk,  with  little  Teaching.  and  their  i  own 
Industry.  ;  ßy  John  Milton.  London,  Printed  for  S.  S.  and  are  to 
be  sold  by  John  Starkey  at  the  Miter  in  Fleet-  street,  near  Temple- 
bar.  1669.  8  .  65  S.,  am  Schluss  ein  Druckfehlerverzeichnis.  Br. 
M.  624.  a.  34,  W.  VI.  431— 48S.  Fast  alle  Biographen,  offenbar 
einer  dem  anderen  blindlings  folgend,  setzen  diese  Schrift  fälschlich 
in  das  Jahr  1661. 

132  ^)  The  :  History    Of    Britain    That  part  especially  now  call'd    Eng- 

land. !  From  the  first  Traditional  Beginning,  continu'd  to  the  Nor- 
man Conquest  !  CoUected  out  of  the  antientest  and  best  Authours  [ 
thereof  by  ]  John  ^lilton.  London,  |  Printed  by  j  J.  M.  for  James 
Allestry,  at  the  Rose  |  and  Crown  in  St.  Paul's  Church-Yard,  | 
MDCLXX.  j  4'.  308.  S.,  danach  „An  Index  of  all  the  Chief  Per- 
sons  &  material  passages"  etc.  auf  27  Bl.  und  auf  Bl.  28  „Errata". 
Vor  dem  Titel  Milton's  Bild,  rechts  und  links  in  der  Ecke  „Gul. 
Faithorne  ad  Vivum  Delin.  et  sculpsit",  darunter  „Joannis  ^liltoni 
Effigies  Aetat.  62.  1670".     Br.  M.  598.  e.  1.    W.  V.  1—302. 

133  ^)  Dies  tritt  z.  B.  her\or  in  „Englands  proper  and  onely  way  to  an 

establishment  in  honour.  freedonie ,  peace  and  happinesse  or  the 
Norman  yoke  once  more  uncased  .  .  by  the  author  of  Antinorma- 
nisme  .  .  .  1648"  idie  Von-ede  unterzeichnet:  Jo.  Hare),  Derselbe 
Gedankengang  findet  sich  in  H.  Vane's  „healing  question"  (For- 
ster 343). 

136  ^)  „Seeing  that   oftimes   relations   heretefore  accounted  fabulous  have 

been  after  found  to  contain  in  them  many  footsteps  and  reliques 
of  something  true  ...  I  have  therefore  determined  to  bestow  the 
telling  over  even  of  these  reputed  talec=;  be  it  for  nothing  eise  bat 
in  favour  of  our  English  poets  and  rhetoricians ,  who  by  their  art 
will  know  how  to  use  them  judiciously".  (In  der  Einleitung.)  "Wenn 
Milton  auch  von  Wuuderzeichen  spricht,  so  folgt  er  nur  seinen 
Quellen  und  lässt  vz.  B.  S.  293)  keinen  Zweifel  daran  aufkommen, 
wie  er  über  s.  g.  Vorzeichen  in  Gestalt  von  Kometen  etc.  denkt. 

137  1)  Ep.  fam.  23.    111.  Domino  Henrico  de  Brass  Idib.  Quintil.  1657  (W. 

VII.  401—403),  s.  0.  III.   185. 

139  1   S.  die  betreffenden  Stellen  S.  190,  267,  1hl,  158,  66. 

140  \  ^Ir.  John  Miltons     Character    Of  the    Long  Parliament    And    As- 

sembly  of  Divines.  In  MDCXLI.  |  Omitted  in  his  other  "Works,  and 
never  before  Printed,  \  And  very  seasonable  for  these  times.  1  Lon- 
don: I  Printed  for  Henry  ßromeat,  the  Gun  at  the  West-  |  end  of 
St.  Pauls  1681.  11  S.  8  .  B  r.  M.  8122.  d.  Im  Vorwort  heisst 
es,  die  Stelle  sei  unterdrückt  worden,  „out  of  tenderness  to  a  party, 
whom   neither    this    nor   much    more    lenitv   has   had  the   luck  to 


Fünftes  Kapitel.  205 

Seite 

oblige".  Es  ist  auffallend,  dass  diese  VeröfFentlichung  E.  Phillips 
und  Toland  entgangen  zu  sein  scheint.  Nach  Toland  wären  auch 
noch  einige  andere  Stellen  in  Milton's  Buche  unterdrückt  worden, 
„wherin  he  expos'd  the  superstition,  pride  and  cunning  of  the  po- 
pish  nionks  in  the  Saxon  times,  apply'd  by  the  sagacious  licensers 
to  Charles  the  second  bishops",  woferne  hier  keine  Verwechselung 
vorliegt.  S.  über  den  Grafen  von  An'4lesey  (1614  —  1680)  Burnet 
(Ed.  1833)  I.  177  und  Wood. 

145  0  S.  allgemeine  ürtheile  über  Milton's  englische  Geschichte  bei  Wach - 

1er:  Geschichte  der  historischen  Forschung  und  Kunst  I.  847  — 849: 
Lappen  berg:  Geschichte  von  England  I.  p.  LXXII,  LXXIII  (vgl 
daselbst  p.  LX),  Pauli:  Aufsätze  zur  englischen  Geschichte  365. 
Den  harten  Bemerkungen  von  Keightley  378  ist  im  Text  ent- 
gegengetreten. 

146  ')  Joannis    Miltoni  |  Angli,  \  Artis   Logicac     Plenior   Institutio,  '  Ad  1 

Petri  Kami  [  Methodum  concinnata,  Adjecta  est  Praxis  Annalytica 
(sie)  &  Petri  [  Rami  vita.  Libris  duobus  Londini,  Impensis  Spencer 
Hickman,  So-  |  ciotatis  Regalis  Typographi,  ad  |  insigne  Rosae  in 
Coemeterio  1  D.  Pauli.  1672  12  .  223  S.  Br.M.  1134.  a.  5.  W. 
VII.  1  —  185.  Vor  dem  Titel  Milton's  Bild,  darunter  „W.  Dolle 
sculpsit"  und  „Joannis  Miltoni  Effigies  aetat  63.  1671".  Es  ist 
eine  Kopie  des  Bildes  von  Faithorne;  s.  F.  Marsh  1.  c.  No.  28. 
Ich  weiss  nicht,  wie  Geffroy  S.  241  dazu  kommt,  das  Leben  des 
Ramus  als  eine^  besondere  Schritt  mit  dem  Datum  1674  anzuführen. 

149  *)  Ich  habe  zusammeugefasst,  was  sich  mir  aus  Aubtey,  Wood, 
Toland,  Hamilton,  der  Vorrede  zur  englischen  Ueber- 
setzung  des  Milton'schen  Traktats  (Prose- Works,  Ed.  St.  John 
1861.  IV),  Sotheby  155  —  166,  dem  Report  of  the  R.  Com- 
missi o  n  0  n  H  i  s  t.  M  s  s.  IV.  P.  1  p.  227  und  vor  allem  der 
eigenen  Einsicht  in  das  Original  Ms.  im  Reco  rd-Office  ergeben 
hat.  In  den  Korrekturen  des  Ms.  glaube  ich  neben  D.  Skinner's 
Hand  zwei  weitere  Hände  zu  erkennen  (z.  B.  S.  513  und  531  am 
Rande).  Mit  T  o  d  d  299  bin  ich  der  Ansicht,  dass  die  Hand,  welche 
das  Stück  von  S.  197  an  geschrieben  hat,  die  gleiche  ist,  welche 
im  Cambridge  Ms.  in  dem  Sonett:  „.Methought  I  saw"  etc.  auftritt, 
ohne  dass  es  mir  möglich  wäre,  diese  Hand  zu  identificiren ;  vgl. 
auch  P.  W.  II.  305  —  307.  —  Für  die  Citate  benutze  ich  nicht  die 
lateinisrhe  Ausgabe:  Joannis  Miltoni  Angli  de  doctrina  christiana 
libri  duo  posthumi  ed.  C.  K.  Sumner  Cambridge  1825,  sondern  die 
zugänglichere  Uebersetzung  in  der  Ed.  St.  John  1861,  68.  Vol.  IV.  V. 

155  ^)  V.  57.  Im  verlorenen  Paradies  sind  allerdings  Stellen  enthalten,  in 
welchen  der  Jargon  der  Astrologie  angewendet  wird,  namentlich  X. 
658  ff.,  aber  es  wäre  doch  bedenklich,  daraus  Schlüsse  auf  die  wirkliche 
Meinung  Milton's  zu  ziehn.     Anderer  Meinung  ist  Keightley  219. 


206  Anmerkungen. 

Seite 

156  *)  Worthington's  Diary  und  Correspondence  I.  360  ff.    II.  1,  6  ff. 

Boyle's  Works  IV.  347;  vgl.  im  Register  „Angels". 

157  ^jHanbury  III.   533  ff.    Confessions   of  faith  and  other  documents 

illustrative  of  the  history  of  the  Baptist  churches  of  England  ed. 
for  the  Hanserd-Knollvs-Society  by  E.  B.  Underhill  1854. 

158  ')  Kampschulte:  Calvin  I.  265. 

2)  Von  anderen  Stellen  des  P.  1.  kommen  besonders  in  Betracht: 
III.  171  ff.  V.  235  ff  524  ff.  VIII.  635  ff  IX.  350  ff  1171  ff- 
X.  45. 

159  ')  S.  die  Zusammenstellung  von  Todd  I.  313  und  Sumner  W.  1.  c. 

rV.  p.  XXX.    Doch  scheint  mir  die  Stelle  aus  „The  ready  and  easy 
"way"  nicht  entscheidend  zu  sein. 
'-)  D  e  F  0  e :  Political  history  of  the  devil  (Works  Ed.  1840,  X.  68). 

160  ')Todd  I.  315  nach  Saggio  di  critica  sul  paradiso  perduto  etc.    Vita 

di  Milton,  scritta  da  Alessandro  Pepoli.  Eine  Zusammenstellung 
der  wichtigsten  auf  die  Frage  bezüglichen  Stellen  aus  P.  1.  von 
Sumner  1.  c.  IV.  p.  XXIX.-,  vgl.  die  Bemerkungen  P.W.  m.  197. 

161  ^)  Ueber  einen  bisher  unbeachtet  gebliebenen  Brief  Spinoza's,  von  dem 

Oldenburg  seinem  Freunde  Boyle  eine  Mittheilung  macht,  habe  ich 
in  den  „Nachrichten  der  K.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften zu  Göttingen"  1872  S.  523  —  537  gehandelt.  Vielleicht 
sollte  es  daselbst  statt  „profecto"  heissen  „pro  ficto". 

162  ']  Freilich  zeigt  die  „Ungewissheit"  Milton's,  ob  nicht  doch  eine  „Zer- 

störung der  Substanz"  anzunehmen  sei,  dass  er  früher  Gesagtes 
vergessen  hatte. 

163  1)  rV.  188,  189,  270,  279;  vgl.  Paradise  lost  X.  790  ff. 

164  ^)  „De   me,    libris    tantummodo    sacris    adhaeresco,    haeresin    aliam, 

sectam  aliam  sequor  nullam"  (Widmung  .  Ueber  die  Doctrina  chri- 
stiana  haben  u.  a.  ausführlicher  gehandelt:  Sumner  in  der  Ein- 
leitung, Todd  I.  293  —  364,  Keightley  159  —  214,  Mitford: 
W.  I.  p.  CXL  —  CLIV,  Lelie  vre  und  E.  deGuerlein  der  Revue 
chretienne  1863,  1869,  Weingarten  80  —  82  (ich  weiss  nicht, 
wieso  dieser  dazu  kommt,  das  Autograph  der  D.  c.  in  Cambridge 
gefunden  sein  zu  lassen),  Liebert  276  —  284,  dem  ich  hier,  wie 
schon  früher  in  meinem  Aufsatze  :  John  Milton  und  der  Calvinismus, 
Jahrbücher  für  deutsche  Theologie  XYll,  mehrfach  wört- 
lich gefolgt  bin. 

165  1)  Works    Ed.  St.  John   IV.  430;   vgl.   Toland  (Ed.  1761)  p.  140. 

Todd  I.  268. 

Sechstes  Kapitel. 

169  ^)  Of    True  Religion.    Haeresie,     Schism,     Toleratiou,  ;  And  what  best 
means  may  be  us'd  against  the  growth  of    Popery    The  Author  J. 


Sechstes  Kapitel.  207 

Seite 

M.  !  London  1  Printed  in  the  Year,  1673.  16  S.  4  .  Br.  M.  E.  1958. 
W.  Y.  406  —  420. 

174  *)  S.  die  Aussage  von  Titus  Gates,  abgedruckt  in  Milton's  Works  ed. 

St.  John  IV.  p.  XXVII. 

175  *)  Ich  benutze  diese  Gelegenheit ,  um  nachzuholen ,   dass  Buch  2  Ka- 

pitel 5  die  Vorgänge  in  Maryland  neben  denen  von  Neu -England 
noch  eine  Erwähnung  verdient  hätten. 

176  ')üeber  Parker   s.  Wood  Ed    Bliss  IV.  225.     Seine  Schrift:    „A 

reproof  to  the  rehearsal  transpos'd  in  a  discourse  to  its  author, 
London  1673",  in  den  Stationers'  Registers  eingetragen  unter  dem 
15  März  1673,  befindet  sich  nach  AYood  IV.  2.30  in  der  Bodleiana 
A.  41  Line.  Das  andere,  an  Angriifen  auf  Milton  reiche  Pamphlet 
„The  transproser  rehears'd  or  the  fifth  act  of  Mr.  Bayes's  Play. 
Oxford  1673",  ist  mir  im  Br.  M.  bekannt  geworden.  Dies  Pam- 
phlet stammt  nach  Wood  1.  c.  von  „Rieh.  Leigh  sometime  com- 
moner  of  Queen's  coUege"  (s.  über  ihn  Wood  IV.  .534).  Marveli 
hält  Parker  für  den  Autor  auch  dieser  Schrift,  wie  sich  aus  seinen 
Worten  im  zweiten  Theile  seines  „Rehearsal  transprosed"  ergiebt- 
Beide  Theile  dieses  Werkes  (1672  und  1673),  dessen  Titel  sich  aus 
Buckingham's  Rehearsal  erklärt,  sind  neuerdings  musterhaft  heraus- 
gegeben von  A.  B.  Grosart  in  Marvell's  Works  III.;  daselbst 
498  —  500  die  auf  Milton  bezügliche  Stelle. 

177  ')  „He  had,  as  I  remember,  prepared  for  the  press  an  answer  to  some 

little  scribing  quack  in  London  [freilich  war  „the  transposer  re- 
hears'd" in  Oxford  erschienen] ,  who  had  written  a  scurrilous  libel 
against  him ;  but  whether  by  the  diswasion  of  friends ,  as  thinking 
bim  a  fellew  not  worth  bis  notice,  or  for  what  other  cause  I  know 
not  this  answer  was  never  publisht".  E.  Phillips. 
^)  A  Brief  ]  History  |  Of  1  Moscovia  |  And  i  Of  other  less  known  Coun  | 
tries  lying  eastward  of  Russia  as  ;  far  as  Cathay.  |  Gather'd  from 
the  Writings  of  se-  |  veral  Eye-witnesses.  ßy  John  Milton.  1  Lon- 
don, I  Printed  by  M.  Flesher,  for  Brabazon  Ayl-  |  mer,  at  the  Three 
Pigeons  against  the  i  Royal  Exchange.  1682.  |  12'.  109  S.,  vorher 
auf  3  Bl.  „The  Authors  Preface"  und  „Advertisement".  Br.  M. 
1049.  c.  2.  W.  VIII.  469  —  519,  hier  fehlt  indess  das  „Advertise- 
ment". Es  geht  zu  weit,  wenn  Wach  1er:  Geschichte  der  histori- 
schen Forschung  und  Kunst  I.  847,  das  Werk  „eine  jugendliche 
Compilation"  nennt. 
178  *)  Hartlib's  Interesse  an  ähnlichen  Arbeiten  ersieht  man  z.  B.  aus 
Worthington's  Correspondence  I.  147.  I.  139.  Hier  werden  er- 
wähnt: „The  travels  and  voyages  of  Olearius  and  Mandeslo  into 
Musca%-ia,  Persia  and  the  dominions  of  the  great  Mogul,  much  aug- 
mented   and   translated   by  Mons.   Viqueford   into   French",     Eine 


208  Anmerkungen. 

Seite 

englische  Uebersetzung  von  John  Davies,  die  Milton  leicht  bekannt 
werden  mochte,  erschien  London  1662. 

179  ^)  A    Declaxation,  ]  Or  j  Letters  Patents  of  the  Election  '  of  this  pre- 

sent  i  King  of  Poland  1  John  the  Third,  I  Elected  on  the  22'i  of  May 
last  past,  I  Anno  Dom.  1674.  |  Containing  the  Reason  of  this  Elec- 
tion, the  I  great  Vertues  and  Merits  of  the  said  Se-  |  rene  Elect, 
His  eminent  Services  in  War,  e-  |  specially  in  his  last  great  Victory 
against  the  Turks  and  Tartars,  whereof  many  Particulars  are  here 
related,  not  published  before.  |  Now  faithfuUy  translated  from  the 
Latin  Copy.  (Darunter  mit  Tinte:  „By  John  Milton".)  London, 
Printed  for  Brabazon  Aylmer,   at   the  three  Pigeons  in  |  Comhil, 

1674.  I  4".    12  S.   Br.  M.        ^      .    W.  VIH.  458  —  468;  über  die 

o 

Frage  der  Aechtheit  der'Milton'schen  Uebersetzung  s  Todd  I.  216, 
217. 
*)  Poems,  etc.  Upon  Several  Occasions.  j  By  ,  Mr.  John  Mlton :  |  Both 
English  and  Latin,  etc.  ;  Composed  at  several  tiraes.  With  a  small 
Tractate  of  Education  1  To  ]\Ir.  Hartlib.  j  London,  [  Printed  forTho. 
Dring  at  the  White  Lion  |  next  Chancery  Lane  End,  in  |  Fleet- 
street.  1673.  Br.  M.  684.  d.  34.  8".  Nach  S.  165  ein  neuer  Titel: 
Joannis  Miltoni  '.  Londinensis  |  Poemata.  1  Quorum  pleraque  intra 
Annum  '  aetatis  Vigesimum  Conscripsit.  Nunc  primum  Edita.  |  Lon- 
dini,  Excudebat  W.  R.  Anno  1673;  danach  117  S.  Ueber  die  Ab- 
weichungen der  ersten  und  der  zweiten  Ausgabe  der  Gedichte  s. 
P.  W.  II.  173. 

180  ')  Joannis  Miltonii  Angli,  |  Epistolarum  Familiarium  |  Liber   ünus :  | 

Quibus  I  Accesserunt,  Ejusdem,  jam  olim  in  Col-  |  legio  Adolescen- 
tis,  1  Prolusiones  !  Quaedam  .  Oratoriae,  \  Londini,  |  Impensis  Braba- 
zoni  Aylmeri  sub  Signo  |  Trium  Columbarum  Via  vulgo  |  Cornhill 
dicta,  1  An.  Dom.  1674.  155  S.  12  .  Der  Eintrag  in  den  Statio- 
ners' Registers  lautet:  „1.  July  1674  Mr.  Brabazon  Aylmer  Entred 
then  for  his  Copy  (under  the  hands  of  Mr.  Roger  L'estrange  and 
^Ir.  Warden  Mearne  A  Book  or  Copy  intituled  Joannis  Miltonii 
Angli  Epistolarum  familiarium  Liber  unus  quibus  accesserunt  ejus- 
dem jam  olim  in  CoUegio  Adolescentis  Prolusiones  quaedam  orato- 
riae." Ueber  B.  Aylmer  s.  P.  W.  I.  17.  18. 
*)  Ueber  die  Ergänzung  der  Staatsbriefe  durch  W.  D.  Hamilton  nach 
dem  im  Record-Office  befindlichen  Ms.  s.  o.  Anm.  2  zu  III.  28.  Nicht 
zu  verwechseln  mit  den  Staatsbriefen  sind  die  „Original"  letters  and 
papers  of  State  addressed  to  Oliver  Cromwell,  concerning  the  aflfairs 
of  Great  Britain  .  .  found  among  the  political  coUections  of  John 
Milton  . .  published  by  John  Nickolls,  London  1743.  Diese  Sammlung 
von  interessanten  Aktenstücken  soU  sich  nach  den  Bemerkungen 
des  Herausgebers  p.  IV.  im  Nachlass  Th.  Ellwood's  befunden  haben. 


Sechstes  Kapitel.  209 

Seite 

Innere  Gründe  dafür,  dass  sie  einst  in  den  Händen  Milton's  gewesen 

seien,  liegen  nicht  vor. 

182  *)  Edward  Phillips:   Theatrum  poetarum,   1675.    Br.  M,  1088.  d.  7; 

vgl.  Godwin  158  ff. 

2)  Paradise  Lost.  |  A  |  Poem  |  In  |  Twelve  Books.  1  The  Author  |  John 
Milton.  I  The  Second  Edition  |  Revised  and  Augmented  by  the  1  same 
Author.  I  London,  |  Printed  by  S.  Simmons  next  door  to  the  |  Gol- 
den Lion  in  Aldersgate-street ,  1674.  333  S.  Br.  M.  1076.  f.  20. 
12',  Marvell's  und  Barrow's  Verse  in  P.  W.  l.  127  —  129.  In 
einigen  Exemplaren  der  zweiten  Ausgabe  findet  sich  Milton's  Bild 
mit  der  Unterschrift:   „W.  Dolle  sculpsit:  Johannis  Miltoni  effigies 

.  aetat.  63,  1671".  Facsimile  der  Quittung  vom  26.  April  1669,  deren 
Unterschrift  möglicher  Weise  von  der  Hand  der  Frau  Milton's 
stammt,  bei  Sotheby  PI.  XVIII.;  vgl.  P.  W.  I.  12. 

183  ^)llichardson  CXX.    Hat  man  vielleicht   die  Verse   in  Marvell's 

Gedicht  On  paradise  lost:  „Their  Fancies  like  our  Bushy-points 
appear  |  The  Poets  tag  them,  we  for  fashion  wear"  mit  Milton's 
Worten:  „he  would  give  him  leave  to  tagge  his  verses"  (s.  Aubrey) 
in  Verbindung  zu  bringen? 

184  *)  Aubrey,  Richardson  CXX.    The  dramatick  works  of  Dryden 

IV.  (1735),  daselbst  das  Gedicht  von  N.  Lee:  „To  Mr.  Dryden  on 
his  poem  of  paradise",  von  Interesse  wegen  der  Geringschätzung 
des  Milton'schen  Epos;  s.  auch  Dryden's  Verse  unter  dem  Bilde 
Milton's  in  Tonson's  Folio  -  Ausgabe  des  verlorenen  Paradieses  1688 
(Dryden:  Poetical  Works  1874  p.  652). 

185  ^)  Mehr  wird  man  aus  den  Worten  bei  Richardson  nicht  entnehmen 

dürfen,  am  wenigsten  passt  der  Ausdruck  „termagant"  auf  eine 
Frau,  die  Aubrey  nach  eigener  Bekanntschaft  als  „a  gentle  person, 
a  peacefuU  and  agreeable  humoui'"  schildert.  Ich  weiss  nicht,  wieso 
Todd  I,  287,  Keightley  93  dazu  kommen,  auf  Phillips  Auto- 
rität hin  von  der  dritten  Frau  Milton's  zu  behaupten:  „she  perse- 
cuted  his  children  in    his  lifetime  and  cheated  them  at  his  death". 

186  ^)  Phillips.    Richardson  nach  mündlichen  Berichten. 

187  ')  Dass  Milton  nicht  mehr  als  etwa  900  ^  hinterlassen  hat,  ist  dar- 

aus zu  schliessen,  dass  die  Wittwe,  gezwungen,  den  Töchtern  ein 
Drittel  herauszugeben ,  jeder  100  £  überliess ;  s.  Todd  I.  290.  P. 
W.  L  70.  Phillips'  Notiz:  „He  is  said  to  have  dyed  1500  £ 
in  money  .  .  besides  household  goods",  wird  damit  hinfällig;  vgl, 
Marsh  13. 

188  *)  Toland,  der  einzelne  Nachrichten,  die  sich  sonst  nicht  vorfinden, 

von  Bekannten  Milton's,  welche  er  befragte,  erhalten  konnte. 

189  ')  Aubrey,    Wood,    Phillips,    Toland.     Die   Akten    des  Pro- 

cesses  der  drei  Töchter  gegen  ihre  Stiefmutter,  zuerst  herausgegeben 
von  Warton,  sind  abgedruckt  bei  Todd  I.  203—290,  Keightley 

Stern,  Milton  u.  s.  Z.    II.  4.  14 


210  Anmerkungen.     Sechstes  Kapitel. 

Seite 

138  — 149;  Tgl.  Marsh.    Der  Eintrag  in   dem  PfaiT- Register  von 

St.  Giles ,  Cripplegate  „L.  John  Melton,  gentleman  Consumption. 
Chancell.  12.  Nov.  1674"  bei  Todd  I.  217  (.,Melton"  später  ver- 
ändert in  ,,]\Iilton").  üeber  das  Schicksal  des  Grabes  ebenda  218 — 
220.  Im  Jahre  1793  wurde  eine  Marmorbüste  Milton's  in  der  Kirche 
aufgestellt,  nachdem  schon  1737  eine  solche  im  Poeten'wankel  der 
Westminster- Abtei  einen  Platz  gefunden  hatte. 

190  ')Heath:  Chronicle  of  the  civil  wars;  s.  Godwin  178. 

^)S.  Aubrey.  Toland  i.  f.  bemerkt,  er  erwarte  noch  Miltoniana 
„from  James  Tm-el,  wbo  has  the  manuscripts  copies  in  his  band, 
and,  I  dare  affirm,  will  not  envy  such  a  blessing  to  the  nation'". 

191  ^)  S.    die  Zusammenstellung  P.  "SV.  I.  69  —  74   und  bei  Keightley, 

den  Stammbaum  in  W.  Band  I.;  über  Christoph  ^lilton  daselbst  I. 
p.  CLXXXIV.  und  Macaula y.  H.  of  E.  Register,  über  die  Phil- 
Ups  s.  Godwin. 


Druckfehler  und  Berichtigan^en. 

S.     54  Z.    8  V.  u.  lies  erschöpft  statt  errschöpft. 
S.     56  Z.  12  lies  versucht  gefühlt  haben  statt  versucht  h. 
S.  189  Z.  20  fehlt  hinter  Volkes  das  Anmerkungszeichen  ^). 
S.  189  Z.    4  V.  u.  lies  Er  statt  Es. 


Personenregister. 


Agar,  Thomas,  II.  24. 
Aitzema,  Leo  von,  III.  185. 
Alphry,  II.  26,  115. 
Arnes,  Wilhelm,  IV.  153. 
Andreini,  Giovanni,  Battista,  IV. 

59,  60. 
Andrews,    Lancelot,   Bischof    von 

Winchester,  I.  62.    II.  97. 
Anglese  y,  Arthur,  Graf  von,  IV.  139. 
«       Applet ree,  Matthew,  IL  386. 
Appletree,  Thomas,  IL  386. 
Argyle,  Graf  von,  IL  5,  84,  258, 

371.   IV.  7. 
Arnold,  Christoph,  IIL  184. 
Aubrey,  John,  L  336  ff.   IIL  244. 

IV.  23. 
Au  gier,  Rene,  IIL  256,  266. 
Avitus,  Alcimus,  Ecdicius,  IV.  58. 
Aylmer,  Brabazon,  IV.  179. 

Bacon,   Franz,   L  44,    117  —  119. 

IV.  91. 
Baillie,  Robert,  IL  38,  343. 
Bainbrigge,  Thomas,    I.   54,  78. 

IL  225. 
Barbe rini,    Francesco,    Kardinal, 

I.  282.   III.  86. 
Barebone,  Preise -Gott,  III.  133. 
Baroni,  Leonora,  I.  284  —  86. 
Barrimore,  Richard,  IL  395. 


Barrow,  Samuel,  IV.  24,  182. 
Bartas,     Guillaume    de    Saluste, 

seigneur  du,  I.  38.   IV.  59. 
Bastwick,  John,  L  244.   II,  30. 
Baxter,  Richard,  IV.  41. 
Biddle,  John,  IIL  166. 
Bigot,  Emery,  IIL  196. 
B  lackbor  ough,  IIL  336. 
Blake,  Robert,  III.  18,    133,  175, 

177.    IV.  7. 
Bolde,  William,  L  22 
Bourdelot,  IIL  85. 
Bower,  Thomas,  L  22. 
B  0  y  1  e ,  Robert,  IL  395,  399,  UI.  194. 

IV.  22,  23.  161. 
Brackley,  Viscount,  L  217,  240. 
Bradshaw,  John,  L  345.    IL  430. 

IIL  94,  104,  105,  131,  152,  154, 

203,  224,  255.  IV.  7. 
Bradshaw,  Sarah,  s.  Milton. 
Br  am  hall,  Bischof  von  Derrv,  IL 

157.    IIL  81,  88. 
Brantswait,  Michael,  I.  264. 
Brass,  Henri  de,  III.  185. 
Bridge,  William,  IL  220. 
Bridgewater,  Graf  von,  I.  216. 
Bridge  water,  Alice,  I.  217. 
Browne,  Robert,  L  8.    IL  206. 
Bruno  Giordano,  IV.  161. 
Buchanan,  III.  70. 
14* 


212 


Personenregister. 


Buckingham,  George  Villiers, Her- 
zog von,  I.  76  —  79. 

Buckingham,  John  Sheffield,  Her- 
zog von,  IV.  36. 

Bunyan,  John,  IV.  97  flf. 

Buommattei,  Benedetto ,  1.269, 
270,  274. 

Burroughs,  Jeremias,  IL  220. 

Burton,  Henry,  I.  244.   II.  30,  220. 

Butler,  Samuel,  IV   29,  30,  117. 

Caedmon  IV.  58,  59. 

Calamy,  Edmund,  II.  50,  205,  241, 

436.    m.  249.  IV.  41. 
Carew,  Thomas,  I.  182—84. 
Cartwright,  I.  166,  193.    II.  149. 
Caryl   H.  332,  383.   EL  27. 
Gas  ton,  Sarah,  s.  Milton. 
Cats,  Jakob,  III.  20,  86. 
Chapman  I.  165. 
Chappell,    William,    I.    56,    82. 

m.  88. 
Cherubini,  Alexander,  I.  283. 
Chidley,  Katharine,  II.  222. 
Chillingworth,    WiUiam,    I.   80. 

n.  232. 
Ghimentelli,  Valerio,  I.  269,  271. 

m.  86. 
Christine  von  Schweden,  III.  83  ff. 

106,  146. 
Clarendon,  Graf,  s.  Hyde. 
Clarges,  Thomas,  IV.  10. 
Clarke,  Abraham,  IV.  190. 
Clarke,  Caleb,  IV.  191. 
Clarke,  Elisabeth,  IV.  191., 
Cleveland,  John,   I.  70,  88,  113, 

181.    II.  56,  149.    III.  158. 
Clifford,  Thomas,  IV.  169. 
Colbron,  James,  I.  17. 
Colet,  John,  I.  30,  34. 
Coltellini,  Agostino,  I.  269. 
Comenius,  Johann,  Amos,  H.  275— 

283,  401.    III.  192.  278.  IV.  21. 
Cook,  John,  II.  430.   III.  57.    IV.  5. 


Cooper,   Anton  Ashley,    HI.  133, 

149,  160. 
Cowley,  Abraham,  I.  181.  IH.  158, 

201.    IV.  34,  59,  138. 
Crantz.  Georg,  EI.  107. 
Crashaw,  Eichard,  I.  185. 
Crequi,  Herzog  von,  IE.  178. 
Crom  well,  Elisabeth,  III.  200. 
I  Crom  well,  Frances,  IE.  163. 
Cromwell,  Henry,  EI.  146,  205. 
Cromwell,  Marj-,  IE.  163. 
Cromwell,  Oliver,  E.  28,  147,  159, 

246-49,  254 ff.,  356—58.  IE.  10  ff 

118  ff,  200.    IV.  7. 
!  Cromwell,  Richard,  EI.  202,  205. 
I  Crown e,  John,  IV.  36. 

Dante  IV.  101  ff 

Dati,  Carlo,   I.  268.   II.  392,   403. 

EI.  86.  109.  281. 
Davenant,  William,  I.  167.  II.  149, 

378.    IE.  158.   IV.  10,  32,  36,  91. 
Davis  II.  336. 
Dekker,  Thomas,  I.  165. 
Derby,  Alice,  Gräfin  von,  I.  212— 

214. 
Desborough,  IE.  136,   161,  200, 

205,  223. 
Diodati,    Giovanni,    I.   33,    294. 

IE.  109. 
Diodati,  John,  II.  18. 
Diodati,  Karl,  I.  32,  41,  66 ff.,  85, 

240.    E.  18. 
Diodati,  Philadelphia,  II.  18. 
Diodati,  Theodor,  I.  33.   E.  25. 
Doni,  Giovanni  Battista,  I.  286. 
Donne,  John,  I.  179. 
Dorislaus,   Isaac,  1.96.    E.  430. 

IE.  16. 
Dorset,  Graf  von,  IV.  32. 
Drayton  I.  171. 
Drummond  I.  171. 
Dryden,    John,    IE.  301.    IV.  23, 

36  ff.,  54,  117,  122,  181  —  183. 


Personenregister. 


213 


Durie,  John,  II.  268  ff.,  279  ff 
m.  27,  99,  115,  171,  192,  195,  271. 
278.  288.    IV.  21. 

Earle,  Dr.,  m.  48. 
Earle,  Richard,  I.  57. 
Edwards  II.  221,  238  ff.,  343. 
Egerton,  Thomas,  I.  217.   III.  265. 
EIlwoo  d,  Thomas,  IV.  17  ff,  51  ff. 

104. 
Elze  vir  III.  85.    IV.  149. 
Essex,  Graf  von,  II.  147,  205,  255. 

Fair  fax,  Thomas,  I.  177.    II.  249, 

257,  430.    III.  13,  104,  153,  169, 

227. 
Faithorne,  William,  IV.  132. 
Falkland,  Lord,  U.  29,  129,  134, 

231. 
Fauconberg,  Lord,  IIL  163,  177. 
Featley  II.  263,  362. 
Fei  ton,  Nicholas,  Bischof  von  Ely, 

I.  62. 
^     Film  er,  Robert,  IIL  62. 
Fish  er,  Elisabeth,  IV.  186.  ' 
Fleet  wo  od,  Charles,  IIL  23,  105, 

146,  161,  200,  203. 
Fleming,  Oliver,  IIL  26.  288. 
Fletcher,  Giles,  L  172.    IV.  59. 
Fletcher,  John,  1.  232  ff. 
Fletcher,  Phineas,  I.  172.    IV.  59. 
Ford,  John,  L  165. 
F oster,  Elisabeth,  IV.  191. 
Fox,  George,  III.  200,  220. 
Francini,  I.  269,  271,  272. 
Frescobaldi  I.  268,  271. 
Freshwater,  Edward,  I.  57. 
Frost,  Gualter  sen.,  IIL  25,  30. 
Frost,  Gualter  jun.,  III.  25. 
Füller,  Thomas,  L  58. 

Gaddi,  Jacopo,  L  269.   IV.  181. 
Galilei,  Galileo,  I.  275  ff. 
Gardiner,  Thomas,  IL  395. 


Gataker,  Thomas,  I.  19. 

Gau  den  IL  4:35.    IIL  45. 

Geer  de  IL  281.    IIL  193. 

Gell,  Robert,  L  57. 

Gill,  Alexander,  der  Aeltere,  I.  31, 

34,  206,  239. 
Gill,  Alexander,  der  Jüngere,  I.  32, 

42,  45,  70,  80,  205,  239.    IL  18. 
Glam Organ,  Graf  von,  U.  353  ff. 
Godefroy,  J.,  IIL  109. 
Goodal,  Edward,  L  201. 
Goodwin,  John,  II.  219,  236.   IIL 

47,  169,  271.    IV.  9. 
Goodwin,   Thomas,  IL  220,  283. 

m.  27,  30,  271. 
Gostlin  L  63. 
Griffith,  Matthew,  IIL  249. 
Gronovius  III.  84. 
Grotius,    Hugo,    L    284.    IL   190. 

III.  68.    IV.  60,  181. 
Güntzer,  Christoph,  III.  265. 

Haak,   Theodor,    IL  280.    IIL  26. 

194.  278.  288.    IV.  22,  23. 
Habington,  William,  L  187. 
Hakewill,  George,  L  72. 
Haies,  John,  IL  231. 
Hall,  Georg,  IL  115. 
Hall,  Joseph,  Bischof  von  Exeter, 

H.  34,  72  ff.,  94,  114  ff. 
Hall,  Robert,  IL  115. 
Hamilton,  Marquis  von,  IL  4  ff., 

371,  420,  422.    IIL  6. 
Hammond  IL  435.    lU.  47. 
Hampden,    John,    L  246.    IL  28, 

45,  92,  160. 
Harrington,  James,  III.  243  ff. 
Harris  IH.  47. 
Harrison,   Thomas,   IL  347.    III. 

15,  129,  137,  140,  198. 
Hartlib,  Samuel,  IL  266  ff.,  278  ff., 

399  ff.    IIL  27,  28,  98,  164,  191  ff 

278.  282.  288.  29b.     IV.  20,  131. 


214 


Personenregister. 


Haselrig,  Arthur,  H.  2S.    lU.  154, 

203,  227. 
Haughton,  Sarah,  s.  Milton. 
Heimbach,    Peter  von.    III.   184. 

IV.  12. 
Heimbach,  Winand  von,  III.  184. 
Heinsius,  Daniel,  HI.  84  flf. 
Heinsius,  Nikolaus,  III.  84 ff.,  114. 
Henderson,  Alexander ,  II.  5,  38, 

193,  198. 
Herbert,  George.  I.  58,  184. 
Herr  ick,  Robert,  I.  187. 
Heth,  Richard,  II.  395. 
Heywood,  Thomas,  I.  165. 
Hill,  Abraham,  III.  269.    IV.  23. 
Hobbes,  Thomas,  III.  74,  79. 
Hobson,  Kapitän,  II,  190. 
Hobson,  Thomas,  I.  90. 
Holland",  Graf  von,  II.  421.    HI.  6. 
Holstenius,    Lukas,    I.  282.    III. 

86,  109. 
Hotman,  Franz,  III.  69. 
Howard,  Robert,  IV.  117. 
Hutchinson,  Mrs.,  11.216.  III.  55. 
Hutton,  John,  I.  22. 
Hyde,  Edward,  II.  29,  86,  129,  134. 

m.  248.    IV.  4,  138,  166. 

Jansen,  Cornelius,  I.  28. 

Jane  III.  81. 

Je  an  es  III.  48. 

Jefferys  (Jeffray),  Ellen,  I.  19.346, 

348. 
Jeffray,  Margarethe,  I.  347. 
Jeffray,  Paul,  I.  347. 
Jessop,  William,  HI.  147.  , 

Jones,  Inigo,  I.  25,  219. 
Jones,  Michael,  HI.  10. 
Jones,   Richard ,    später   Graf  von 

Ranelagh,  U.  395.  III.  195.  IV.  23. 
Jonson,  Ben,  I.  163.  205,  232. 
Ir et on  n.  350,407.   III.  105.   IV. 7. 
Junius,   Franz,    IH.   85.    IV    59, 

134. 


Karl  I.,    I.  56.    II.  132  ff.,  366  ff., 

430. 
Karl  II.,  III.  10  ff    IV.  26  ff. 
Karl  X.,  König  von  Schweden,  III. 

178. 
Kieffer,  Erhard,  III.  264. 
King,  Edward,  I.  71,  241. 
King,  John,  I.  71. 
King,  Roger,  I.  71. 
Kinner  II.  400. 
Klopstock  IV.  99  ff. 

Labadie,  Jean,  III.  196. 
Lambert,  John,  III.  15,  129,  136, 

143,   154,   161,  203,  205,  222  ff., 

248.   IV.  6. 
Lane,  John,  I.  21. 
Languet,  Hubert,  III.  69. 
Land,  William,  Erzbischof  von  Can- 

terbury,  I.  133,  243.    II.  259. 
Lawes,   Henry,    I.  203,   216,   240. 

II.  17,  341.    IV.  20. 
Lawes,  William,  I.  203.    IL  341. 
Lawrence,  Henry,  III.  105,  169. 
Lawrence,  Henry,    Sohn  des  vori- 
gen, IL  395.    HI.  187. 
Lee,  Isaac,  III.  29. 
Leigh,  Richard,  IV  176. 
Leighton,  Alexander,  1. 150.  II.  30. 
Lenthall,   WiUiam,   IL   29,    131, 

224,  227. 
L  e  s  1  i  e ,  Alexander,  H.  7. 
Leslie,  David,  IL  250.    HL  13. 
L' E Strange, Roger,  m.  250.  IV. 8. 
Ley,  James,  H.  190. 
Le'y,  Margarethe,  IL  190.  264. 
Lilburne,  John,  IL  30,  220,  322. 

m.  8,  30. 
Lilly,  William,  IIL  48. 
Lock  hart,  William.  IH.  177. 
Longus,  Johannes,  III.  114. 
Lovelace,  Richard,  L  188.  IL  149. 
Lownes,  Humphrey,  I.  22. 


Personenregister. 


21; 


Ludwig  XIV,,  III.  178.    IV.  167. 
Lunsford  III.  95. 

Malatesti,  Antonio,  I.  273. 
Manchester,    Graf  von,   IL    205, 

253  ff. 
Manso,  Giambattista,  I.  287  ff. 
Marshall,    Stephen,    II.    50,    151, 

198,  203,  205,  220,  241,  259,  864, 

383,  436. 
Marshall,  William,  II.  340. 
Mars  ton,  John,  I.  165. 
Märten,  Henry,  II.  28. 
Marvell,    Andrew,    III.    94,    111, 

188  ff.,  201,  244.    IV.  10,  24,  28, 

175  ff.,  178,  182. 
Masenius,  Jakob,  IV.  58. 
Massinger,  Philipp,  I.  165. 
May,  Thomas,  I.  166.    III.  256. 
Mazarin,  Kardinal,  III.  174. 
Meade,  Joseph,  I.  54  ff,  90. 
Meadows,   Philipp,  III.  147,   148, 

188. 
Mermillot,  J.  F.,  IIL  112. 
Miller  II.  26,  115. 
Milton, 

Agnes    (des    Dichters    Urgross- 

miitter),  I.  15. 
Alice,  I.  15. 

Anna    (des   Dichters  Schwester, 
verheiratete  Phillips  und  Agar), 

I.  18,  43,  61,  201. 

Anna    (des    Dichters    Tochter), 

II.  387.    IV.  15,  184,  190. 
Anna  (des  Dichters  Nichte),  II. 

161. 
Christoph  (des  Dichters  Bruder), 

I.  18,  42,    92,   201,  259.    II. 

161,  389  ff    III.  183.    IV.  17, 

186,  189. 
Deborah  (des  Dichters  Tochter), 

III.  183.    IV.  15,  16,  184,  188, 
190. 

Elisabeth,    geb.    Minshul    (des 


Dichters  dritte  Frau),  IV.  13, 
185. 
Henry    (des    Dichters   Urgross- 

vater),  I.  15. 
Isabelle    (des    Dichters    Gross- 
tante), I.  15. 
John  (des  Dichters   Vater) ,    I. 
16  ff,  159,  201.    II.  101,  162, 
338,  391. 
John   (des  Dichters   Sohn),    III. 

181,  183. 
Katharine,  geb.  Woodcock  (des 
Dichters  zweite  Frau),  III.  197. 
Katharine    (des  Dichters  Toch- 
ter), III.  197.      • 
Mary,  geb.  Powell  (des  Dichters 
erste  Frau),  II.  166  ff.,  385  ff. 
III.  183. 
Mary  (des  Dichters  Tochter^  II. 

404.    IV.  15,  184,  188,  190. 
Rowland,  I.  15. 

Sarah  (des  Dichters  Mutter),  geb. 

Bradshaw  ?     C'aston  ?    Haugh- 

ton?   Jefferys?   I.   17  ff,  239, 

845  ff 

Sarah  (des  Dichters  Nichte),  II. 

161. 
Thomasine  (des  Dichters  Schwä- 
gerin, geb.  Webber),  I.  259. 
Minshul,  Elisabeth,  s.  Milton. 
Monk,  George.  III.  15,  146,  226 ff., 

242  ff.    IV.  10. 
Montague,  Edward,  III.  105. 
Montrose,    Graf  von,    II.  15,    84, 

196,  258,  348,  353,  355,  369. 
Morris,  William,  IV.  10. 
Moritz  von  der  Pfalz  III.  31. 
Morus,  Alexander,  III.  97  ff.,  196. 

IV.  12. 
Moseley,  Humphrey,  II.  838. 
Moulton,  Anna,  s.  Powell. 
Munday,  Anthony,  I.  165. 
Mylius,  Hermann,  III.  26. 


216 


Personenregister. 


Naylor,  Jakob,  III.  166,  221. 
Needham,  Marchmont,   III.  31  fif., 

98.    IV.  24. 
Newcomen,  Matthew,  11.  51,  241. 

IV.  41. 
Newton,  Isaac,  IV.  91. 
Kieuport,  Wilhelm,  m.  99. 
Kye,  Philipp,  H.  220,  222,  283. 

Oldenburg,  Graf  von,  III.  80. 
Oldenburg,  Heinrich,  EI.  111,  195. 

IV.  23,  161. 
Ormond,    Graf,    II.  201.    IIL   10, 

199. 
Orrery,  Graf  von,  IV.  36. 
0 verton,  Robert,  m.  105,  153,  156, 

223,  231. 
Owen,  John,  III.  27,  169,  271. 
Oxenbridge,  John,  IH.  280. 

Packer  E.  396. 

Paget,  Dr.,  IV.  13 

Palm  er,  Herbert,  II.  302,  326,  330. 

Parker,  Samuel,  IV.  175,  176. 

Pauw,  Adrian,  III.  20,  89. 

Peele,  George,  I.  232. 

Pell,  John,  II.  280.   IE.  164,  171  ff., 

192,  244.    IV.  22.  203. 
Penn,  WilHam,  IV.  17,  52. 
Pennington,    Isaac,   der   Aeltere, 

II.  28,  154,  430.    IV.  17. 
Pennington,    Isaac,  der  Jüngere, 

IV.  17,  51,  52. 
Peters,    Hugh,    II.    415.     IE.   27. 

IV.  5. 
Petty,  William,  II.  399. 
Philaras,  Leonard,  IE.  89  ff. 
Phillips,  Edward,  I.  43. 
Phillips,    Edward,    Sohn  des  vo- 
rigen, IL  24,  338,  395.    EL  80,  188. 

IV.  16,   17,  130,  180,  189. 
Phillips,    John,    IL  24,  338,  395. 

IE.  80,  188.    IV.  16,  17,  190.  296. 
Pictet,  J.,  IE.  112. 
Pitt,  Moses,  IV.  203. 


Plato  L  115  ff. 

Pory,  Robert,  L  57. 

Powell,  Anna,  IL  163  ff.,  387.   EL 

181  ff 
Powell,  Jakob,  E.  166. 
Powell,  Mary,  s.  Milton. 
Powell,  Richard,  IL  163  ff.,  384  ff. 
Powell,  Richard,  IL  166. 
Power,  William,  L  57, 
Prynne,  William,  I.  192,  244.    E. 

30,  238,  326,  427,  435.    EI.  215. 
Puteanus,  Erjcius,  I.  229. 
Pym,  John,  IL  21,  45,  129  ff.,  148, 

203.    IV.  7. 

Quarles,  Francis,  I.  185,  193.    E. 
149. 

Eainolds  E.  68. 
Raleigh,  Walter,  L  44. 
Ramus,  Peter,  L  115.    IV.  146. 
Randolph,  Thomas,  I.  58,  166. 
Ranelagh,  Katharina,  E.  395.   EI. 

194.    IV.  23. 
Ranelagh,  Richard,  s.  Jones. 
Ridding,  Richard,  I.  63. 
Rivers  L  105. 
Robinson,  John,  IL  206. 
Rochester,  Graf  von,  IV.  31. 
Rons,  John,  IL  342. 
Rowland,  John,  IE.  81. 
R  u  p  e  r  t  von  der  Pfalz,  Prinz,  E.  249, 

350.    EJ.  17. 
Ryley,  William,  IIL  281. 

Salmasius,    Claudius,    EI.  51  ff., 

83  ff. 
Salsillus,  Johannes,  I.  286. 
Saltmarsh  II.  243. 
Sandelands,  Andrew,  IE.  196. 
Sartoris  IIL  109. 
Saumaise  s.  Salmasius. 
Scultetus  IL  74. 
Searle,  George,  IIL  247. 
Sedley,  Charles,  IV.  32. 


Personenregister. 


217 


Seiden,  John,  11.28,  205.   III.  215. 
Selvaggi  I.   287. 

Shakespeare  I.  209,  252.   IV.  181. 
Sheldon,   Gilbert,   Erzbischof  von 

Canterbury,  IV.  56. 
Shirley,  James  I.  160.    IL  14!). 
Sidney,  Philipp,  I.  54. 
S i mm ons,  Matthew,  IV.  56. 
S  i  m  m  0  n  s ,  Samuel,  IV.  56. 
Simpson,  Sidrach,  II.  220. 
Skinner,  Cyriack,  II.  395    111.187, 

.244.    IV.  11,  24,  148. 
Skinner,  Daniel,  IV.  148,  149. 
Sobieski,  Johann,  IV.  178. 
Sophia  von  der  Pfalz  III.  31. 
Spanheini,  Ezechiel,  III.  113. 
Spanheim,  Friedrich,  der  Aeltex'e, 

m.  113. 
Span  heim,  Friedrich,  der  Jüngere, 

III.  113. 
Spens er,  Edmund,  1.169 ff.,  193, 254. 
Spinoza  IV.  161. 
Springett,  Guli,  IV.  17. 
Spurstow,  William,  I.  58.    II.  51, 

151,  160,  225,  436.    IV.  41. 
Sterry,  Peter,  III.  27,  30. 
Stocke,  Richard,  I.  19. 
Strafford  s.  Wentworth. 
Suckling,  John,  I.  187.    II.  149. 
Sylvester,  Josua,  I.  38. 

Taylor,  Jeremy,  II.  233. 
Thevenin,  Franz,  III.  91. 
Thomas on,  George,  II.  342,  497  ff. 
Thomson,  Katharine,  II.  342. 
Thurloe,  John,  III.  26,  94,  99,148, 

193. 
Tomkyns,  Thomas,  IV.  56. 
Tovey,  Nathanael.  I.  57,  90. 
Tronchin,  Theodor,  III.  112. 

Ussher,  Jakob,  Erzbischof  von  Ar- 
magh,  II.  36,  68,  97. 


Vane,  Henry,  11.28,  197.  264.  III. 
16,  18,  21  ff.,  25,  30,  127,  131, 132, 
159,  186,  203,  205,  223,  231.    IV.  6. 

Vane,  Karl,  III    17,  30. 

Venner,  Thomas,  IV.  41. 

Vlac,  Adrian,  III.  95,  98  ff. 

Vlitius,  Janus,  III.  86. 

Vondel,  Joost  van  den,  IV.  61. 

Vossius,  Isaac,  III.  84,  114. 

Waller,  Edmund,  I   58,  188.    III. 

158,  301.    IV.  23,  37. 
Webster,  John,  I.  165. 
Weckherlin,  Rudolf,  IIL  21,  26, 94. 

288.  293. 
Wentworth,  Thomas,  später  Graf 

von  Straflbrd,  I.  246  ff.    II.  11,  32. 
Whitelocke,  Bulstrode,  1.201.  II. 

29.    III.  87. 
Williams,    Bischof   von    Lincoln, 

später  Erzbischof  von  York,  I.  245. 

II.  36,  94,  95,  280. 
Williams,  Roger,  II.  215  Ö'.,  234  ff 

III.  71,  185  ö'.,  221.    ly.  61. 
Wither,  George,  I.  194—98.  IL  309. 

III.  191. 
Wolleb,  Johannes,  IV.  153. 
Woodcock,  Katharine,  s.  Milton. 
Wo  od  ward,  Hezekiah,  II.  283,  325. 
Wotton,  Henry,  L  259-61.  IL  17. 
Wright,  Dr.,  IV.  186. 

Tat  es,  Jane,  IL  25. 
York,  Herzog  von,  IV.  28,  168,  169. 
Young,  Patrick,  IL  342.    III.  27. 
Young,  Thomas,  I.  27     30,  41,  45, 

69.    n.  17,  49,  205,  225. 
Young,  William,  I.  27. 

Zesen,  Philipp  von.  III.  83. 
Ziegler,  Kaspar,  III.  82. 
Zollikofer,  Johann,  lU.  278. 


14^ 


Pierer'sche  Hofbucbdrackerei.    Stephan  Geibol  &  Co.  in  Altenburg. 


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