THE J. PAUL GETTY MUSEUM LIBRARY
Mitteilungen
AUS DEM
Germanischen Nationalmuseum
HERAUSGEGEBEN
VOM Direktorium.
JAHRGANG 1907.
MIT ABBILDUNGEN.
A/
NÜRNBERG
VERLAGSEIGENTUM DES GERMANISCHEN MUSEUMS
1907.
^
THE J. PAUL GETTYCeNTER
' LIBRARY
Die fränkischen Epitaphien
im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert.
Von
Dr. Edwin R.ecislot>.
Vorbemerkung.
Die folgenden Ausführungen legte ich, als Erweiterung einer akademischen
Preisaufgabe, im Jahre 1906 der hohen philosophischen Fakultät der Heidelberger
Universität zur Promotion vor. Die seitdem, zumal als Folge der histo-
rischen Ausstellung der Stadt Nürnberg 1906, erschienene Literatur habe ich nach-
träglich noch zu benutzen versucht. Naturgemäß konnte es sich dabei nicht um
eine Verschiebung meiner Hauptresultate handeln, die nur durch Unterordnen der
kunstgeschichtlichen Entwickelung unter den gegenständlichen Gesichtspunkt
meines Themas gewonnen werden konnten.
Außer den Neuerscheinungen der Literatur habe ich der Hilfe meiner verehrten
Kollegen am Germanischen Nationalmuseum und der Architekten der Bauhütten
von St. Sebald und St. Lorenz, der Herren Prof. Joseph Schmitz und Otto
Schulz dankbar zu gedenken. Vor allem aber drängt es mich, an dieser Stelle
meinem hochverehrten Lehrer, dem Herrn Geh. Hofrat Prof. Dr. Henry Thode
den herzlichen Dank für die Anregung und Förderung meiner Arbeit auszusprechen.
Verzeichnis der wichtigsten Literatur.
1. Grabplastik.
Otto Buch n er: Die mittelalterliche Grabplastik in Nord-Thüringen. Straß-
burg, Heitz 1902.
H. Schweitzer: Die mittelalterlichen Grabdenkmäler in den Neckargegenden,
Straßburg, Heitz 1898.
H. Bröger: Grabdenkmäler im Maingebiet. Leipzig, Hiersemann, 1907-
Paul Knoetel: Die Figurengräber Schlesiens. Jenenser Diss. 1890.
2. Zur Geschichte der fränkischen Kunst.
Henry Thode: Die Malerschule von Nürnberg im XIV. und XV. Jahrhundert.
Frankfurt a. M., Keller, 1891.
Friedrich Dörnhöffer: Beiträge zur Geschichte der älteren Nürnberger
Malerei. Repertorium XXIX, 1906.
Janitschek: Geschichte der deutschen Malerei, 1890.
Waagen: Kunstwerke und Künstler I. 1843-
Schnaase: Geschichte der bildenden Künste.
Kugler: Kleinere Schriften, I883.
Sighart: Geschichte der Kunst in Bayern, München 18^62.
W. Bode: Geschichte der deutschen Plastik, Berlin 1887.
Pückler-Limpurg: Die Nürnberger Bildnerkunst um die Wende des XIV.
und XV. Jahrhunderts. Straßburg, Heitz 1904.
Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Berlin, Wasmuth 1905-
3. Nürnberg.
M. M. Mayer: Die Kirche des hlg. Sebaldus, Nürnberg 1831.
O. Schulz: Geschichte der Wiederherstellung der Sebalduskirche, Nürnberg 1905.
J. W. Hilpert: Die Kirche des hlg. Laurentius, Nürnberg I831.
P. R6e: Die Bilder in der Sebalduskirche. Kunstchronik XXIII. Nürnberg, ber.
Kunststätten V, 1900.
Christian Rauch: Die Trauts. Straßburg, Heitz, 1907.
B. Daun: P. Vischer und Adam Krafft, Künstlermonographien LXX 1905, Veit
Stoß, LXXX.
Berg au: Veit Stoß bei Dohme: Kunst und Künstler.
Katalog der histor. Ausstellung der Stadt Nürnberg 1906.
VERZEICHNIS DER WICHTIGSTEN LITERATUR.
4. Heilsbronn.
Hocker: Heilsbronner Antiquitätenschatz, Onolzbach 1731.
Muck: Geschichte des Klosters Heilsbronn-Nördlingen 1879-
S t i 1 1 f r i e d: Grabstätten des Hauses Hohenzollern 1874. Denkmale des Hauses
Hohenzollern Bd. I, Kloster Heilsbronn 1877.
5. Eichstätt.
S a X : Geschichte von Eichstätt.
F. H. Herb: Eichstätts Kunst. München, Ges. f. christl. Kunst 1901.
J. Fischer: Domkreuzgang u. Mortuarium. Vortrag. Eichstätt 1 889. Pastoral-
blatt des Bistums 13 u. 15-
Sammelblatt des historischen Vereins 8 u. 12.
A. Hämmerle: Der Pappenheimer Altar, Eichstätt 1906.
Felix Mader: Loy Hering, München, Ges. f. christl. Kunst 1905.
6. Bayern und Schwaben,
Berth. Riehl: Zur bayer. Kunstgeschichte I. Die ältesten Denkmale der
Malerei. Studien zur Geschichte der bayer. Malerei des XV. Jahrhunderts.
1895. Augsburg, ber. Kunststätten XXH, 1903).
A. Schröder: Die Monumente des Augsburger Domkreuzganges. Jahrbuch des
Hist. Vereins Dillingen 1878.
Walter Josephi: Die gotische Steinplastik Augsburgs. Münchener Diss. 1902.
A. Seyler: Die mittelalterliche Plastik Regensburgs. Münchener Diss. 1905.
7. Zur Ikonographie.
Otte: Handbuch der kirchlichen Kunst- Archäologie.
Bergner: Handbuch der kirchlichen Kunstaltertümer in Deutschland. 1905.
Lehmann: Das Bildnis. Straßburg, Heitz.
8. Über Inschriften.
Klemm: Über die Entwicklung der Schriftformen in der Steinschrift 1000— 1600.
Christi. Kunstblatt 1884.
W.Weimar: Monumental- Schriften vergangener Jahrhunderte 1898.
9. Abbildungsmaterial.
M. G e r 1 a c h : Totenschilde und Grabsteine. Wien. Gerlach & Schenk.
Die Entstehung der Epitaphienform.
L)ie Begräbnisstelle für die Vornehmen war im Mittelalter das Innere der Kirche.
Die Grabstätten wurden unter den Fußboden eingemauert und mit einer Steinplatte
geschlossen. Absichtlich den verwischenden Schritten preisgegeben, trugen diese
Platten anfangs nur einfache Zeichen: ein Kreuz oder ein Wappenschild und eine
kurze Inschrift; allmählich verzierte man sie in flachem Relief mit dem Bilde des
Toten, für dessen Charakteristik die allgemeinen Merkmale seines Standes und Alters
genügten.
Aber immer mehr wuchs das Verlangen, den Stein dem Bilde des Aufgebahrten,
den er bedeckte, ähnlich zu gestalten: am Ende des 12. Jahrhunderts hatte sich eine
reichere Form durchgesetzt, welche das Relief erhöhte und die Züge des Dargestellten
portraitartig herausarbeitete. Dann verlieh die Gotik den Grabsteinen^) größere
Pracht: häufig wurde die Gestalt unterarbeitet und mit reichem Zierrat umrahmt.
Solche Werke konnten nicht mehr ein Teil des Fußbodens sein: sie wurden als
Tumben sarkophagartig untermauert oder von kleinen Pfeilern, die bald als Wappen-
träger plastische Gestalt bekamen, als Hochgräber^) über den Boden gehoben.
So bekamen die Grabsteine den Sinn von Portraits und wurden daher oft schon
bei Lebzeiten gemeißelt; neben die Abbildung des Aufgebahrten trat die Wieder-
gabe des Lebenden in der Fülle seiner Kraft und Macht : der Brauch, zu dem auch
räumliche Gründe zwangen, daß man die Steine aufrecht an die Wand stellte, war
kein Widersinn mehr.
Wurden anfangs nur die Herrschenden durch ein Denkmal ausgezeichnet, so
drängten sich allmählich immer mehr Gemeindemitglieder zu der Ehre, ihr Bildnis
nach dem Tod zu erhalten. Der Raum der Kirche konnte für größere Gemeinden
nicht mehr genügen, so daß auch der Kreuzgang als Begräbnisstelle herangezogen
werden mußte.
Die Anlage eines Domkreuzganges war aus dem Verlangen entstanden, den
Kanonikern und Geistlichen, die am Dome wohnten, einen abgeschlossenen Wandel-
raum zu geben. Dann wurde der Kreuzgang immer mehr als ein Teil der Kirche
1) Vgl. Lind, die Grabdenkmale während des M. A. in d. Ber. u. Mitt. d. A. V. zu
Wien XI (1870) S. 163—213. Schultz, Höfisches Leben II, S. 410-416.
2) Buchner (S. 65) erklärt die Entwicklung zum Hochgrab aus »dem Einfluß der im
Sinne des Verticalismus treibenden Architektur«.
DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT VON DR. EDWIN REDSLOB. 7
aufgefaßt, wie es beim Augsburger Dom^) gut zu erkennen ist. Hier wurde er
durch Verlegung der Kanonikerwohnung seiner ursprünglichen Bestimmung entfremdet,
und bald trat er mit der Kirche in enge Verbindung, indem er ihren einen Zweck
teilte und zur Begräbnisstätte ward. Die Verwendung seiner drei Flügel
war genau geregelt: der westliche, dem ehemaligen Hauptchor der Kirche zu-
nächst liegende Teil diente den Kanonikern als Grabstätte (ambitus canonicorum),
der nördliche den Domvicaren (ambitus vicariorum), der östliche Flügel war
auch Laien, Männern wie Frauen, meist adeligen Stammes, die irgendwie durch
Stiftungen oder Verwandtschaft der Domkirche nahegestanden, zum Begräbnis über-
lassen.*) Zunächst wurden die Grabsteine, nach der ältesten Sitte, in das Estrich
eingelassen ; die Schmalheit des Ganges machte es unmöglich, das Relief hoch heraus-
zuarbeiten oder die Platte über den Boden zu heben. Um daher die Namen der Ver-
ewigten zu erhalten, wurden bald in der Nähe des Grabsteins an der Wand einige
Zeilen oder eine Inschrift in Verbindung mit einer heiligen Darstellung, ein „Epi-
taphium", angebracht. Das älteste Epitaph des Augsburger Kreuzganges stammt
vom Jahre 1348^).
Das Wort Epitaph bedeutet ursprünglich jede gesonderte Gedächtnisin-
schrift für einen Toten, dann ist es ausschließlich zur Bezeichnung des mit einer
Inschrift verbundenen Andachtsbildes verwendet worden, das an der Wand in der
Nähe der Begräbnisstelle angebracht wurde.
Die ältesten Beispiele für Inschriften befinden sich auf Steinplatten, die in
dem aus der Mitte des XI. Jahrhunderts stammenden Teile der Krypta des Bonner
Münsters gefunden worden sind. Ihr hohes Alter ist daraus zu folgern, daß sie
schon in so früher Zeit als Baumaterial behandelt wurden. Sie entsprechen in ihrer
Form (ungefähr ein zu einen halben Meter groß) verkleinerten Grabsteinen und sind
zur Aufnahme der Inschrift mit einem Kreuz durchzogen. Reste ähnlicher Stein-
platten sind im Museum zu Köln erhalten, zwei weitere in Bonn und einer — zur
Aufmauerung des Hauptaltars verwendet — in der Kirche zu Dollendorf bei Bonn^).
Neben diesen Inschriften kamen im vierzehnten Jahrhundert die Totenschilde
auf: erst schildförmige, dann zumeist runde, von einer Inschrift umrahmte Holz-
tafeln mit dem geschnitzten oder gemalten Wappen des Verstorbenen^) .
3) Die Augsburger Bildwerke behandeln zwei eingehende Schriften : der Arbeit Schröders
im X. und XI. Band des Dillinger Jahrbuches von 1897 und 1898, und Walter Josephis
Münchener Dissertation über die gotische Steinplastik Augsburgs, 1902, besonders S. 35 — 41,
S. 53-55 und 60 ff. Mehrere Abbildungen und eine zusammenfassende Übersicht finden sich
in Berthold Riehls Augsburg (Ber. Kunststätten 22, 1903).
4) Hierzu Schröders Arbeit.
5) Abguß im Oerm. Museum.
6) Bonner Jahrbücher LVII, Tafel XIII S. 213 XXXII, Tafel II S. 144—220. Nieder-
rhein. Annalen II, 1, 2 u. X, 91 und 222. Otte, I, 5, S. 344. Bergner, S. 300. Dazu kommen
Steininschriften in der Neumünster Kirche zu Würzburg und — in Verbindung mit Wappen
— aus der Zeit um 1200 in der Kirche zu Weinsberg. Andere Beispiele bei Otte I S. 345.
Quast veröffentlicht im Korresp.-Blatt d. Ges. V. d. Gesch. u. Altert. V. I (1853) S. 37 zwei
Inschriftsteine vom Jahre 938 und 1048.
8 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Ein praktischer Grund, der auf die Erhaltung der Inschrift Wert legen ließ,
ist bisweilen die Erinnerung an eine Seelenmesse gewesen''), mit der sich der
Stifter das Recht erkauft hatte, in der Kirche bestattet zu werden ").
Da man bei Epitaphien neben der Inschrift eine kleine Darstellung des
Verstorbenen anbrachte, gewöhnte man sich an diese Verbindung von Heiligenbild
und Portrait, und auch bei der Schenkung eines Andachtsbildes unterließ man nicht,
den Stifter in kleinem Maßstab auf die Tafel zu malen. Oft wurde dann wieder bei
einem solchen Bilde Raum gelassen, um später das Todesdatum des Stifters einzu-
tragen und es so zu einem Epitaph zu machen »o).
Die Erklärung für diese Verbindung von Frömmigkeit und Sorge für die Er-
haltung seines Gedächtnisses liegt in dem Wesen des Bürgertums. Als es im vier-
zehnten Jahrhundert — in Nürnberg besonders durch die Einsicht Karls des IV. ge-
fördert — immer mehr an Bedeutung gewann, als das Empfinden der Zeiten, welche die
Reformation vorbereiteten, einen jeden nach Gleichstellung seinem Gotte gegenüber
verlangen ließ, drang diese Ausprägung gesellschaftlichen Bewußtseins auch in die
Bestattungsbräuche ein ^ *). Freilich nur ausnahmsweise gesellten sich die Bürger gleich-
berechtigt zu den machtvollen, steingehauenen Gestalten der Geistlichen, Fürsten und
Ritter ^2). Auf die Fürbitte der Heiligen angewiesen, wurden sie gruppenweise in kleinen
Maßen dargestellt, wie sie ihres Schutzheiligen Vermittelung vor dem Bilde der
7) Die Totenschilde der Elisabethkirche zu Marburg, die besten Beispiele dieser Er-
innerungsform, wurden 1884 von Bikell und Warneke publiziert. Hier ist das älteste Bei-
spiel das Wappen des Landgrafen Heinrich I. (f 1308), das aus gestreifter Leinwand und
Schnitzerei hergestellt ist. Abbildung bei Hefner, Trachten I. Tafel 82. Nach F. Küch, der
in der Zeitschrift für hessische Geschichte (XXVI, N. F. 145—225, Marburg 1902) über Toten-
schilde spricht, bedeuten sie nicht den ehemaligen Kampfschild, sondern eine für den se-
pulchralen Zweck bestimmte Nachbildung des Wappens, das die Persönlichkeit des Toten
versinnbildlichen soll. Dazu Gerlach's Abb. und die Sammlung im Germanischen Museum
mit Beispielen von 1332 ab.
8) Als Vertreter mehrerer Beispiele nenne ich an der Stadtkirche zu Eisfeld in
S.-Meiningen eine Inschrift aus dem Jahre 1364 und eine zweite aus dem Jahre 1436, die
Ditzel Heffners und seines Geschlechts Begräbnis bezeichnet, ,,das man ewiglich des Jahres
vierstund begeen soll alle Quatember — darum das Geschlecht ewige Zinsen gemacht haben".
(Thüringer Kunstdenkmale XXX, S. 133). Vgl. A. Goldschmidt : Lübecker Malerei und Plastik,
1890, S. 2. Noch auf dem 1530 entstandenen Grabstein des Propstes Petrus Häckel in der
Klosterkirche zu Au, der in Epitaph-Form oben Gottvater und den von Maria gehaltenen toten
Christus, unten den knieenden Probst zeigt, steht hinter dem Namen: „stiffter diser wochen
mess." (Bayrische Kunstdenkmale I S. 1931 u. 1932).
9) Otte, 1883 S. 334.
10) Schröder, S. 84 sieht in dieser Verbindung des bei Lebzeiten gestifteten Bildes
mit der oft nachträglich angefügten Epitaphbestimmung mit Recht den Grund für die auf-
fallende Erscheinung, daß die Epitaphien so selten Bezug auf den Tod oder das Leben nach
dem Tode haben, sondern bloße Andachtsbilder von beliebigem Vorwurf bedeuten.
11) In der Kirche Gedächtnisbilder anzubringen, war in Nürnberg nur den ratsfähigen
Geschlechtern erlaubt: man vergleiche Hilperts Notiz über den Hornschen Grabstein, der für
das Innere der Lorenzkirche aus mühsam eingeführtem Marmor gearbeitet war, aber wegen
des Wappens der Frau, die keinem Patrizierhaus entstammte, an der Außenseite verwittern
mußte. (Hilpert, St. Lorenz S. 12 und im Beobachter an der Pegnitz I. 3. 1807 S. 173.)
12) Als Beispiel dieser Denkmalsart sei nur das in Pückler-Limpurgs Buch über die
Nürnberger Bildhauerkunst (S. 29) besprochene Grabmal des Konrad Groß in der Spitalkirche
VON DR. EÜWIN REDSLOB.
Madonna oder des Schmerzensmannes erflehten, oder sie wurden ohne Zusammen-
hang mit der Darstellung am Inschriftstreifen untergebracht. Man konnte die
winzigen Gestalten fast übersehen, und gerne ließ es sich die Geistlichkeit gefallen,
daß auf solche Weise ihre Kirche mit Darstellungen der heiligen Geschichte immer
reicher und bunter geschmückt wurde.
Zur Herausbildung dieser neuen Denkmalsart hatte die Malerei höchstens in
den Widmungsblättern der Codices ein Vorbild; in der Plastik gab es schon in früherer
Zeit Grabesplatten, die statt der lebensgroßen Gestalt des Verstorbenen eine Dar-
stellung schmückte. Schon im zwölften Jahrhundert zeigt ein Hildesheimer Grab-
stein^^) des Presbyters Bruno, in drei Teile geteilt, zu unterst die Beweinung des
Leichnams durch Arme und Geistliche, darüber die zum Himmel fliegende Seele,
und oben Christus, der sie empfängt. Seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts
entstanden häufig Grabsteine, die eine heilige Gestalt mit der des Verstorbenen ver-
banden. Für Franken vertritt diese Art der Grabstein Berthold Ruckers an der
Pfarrkirche zu Schweinfurt (Todesjahr 1377) mit einem Schmerzensmann über dem
knieenden Verstorbenen'^).
So führt, als Konsequenz der Aufrechtstellung, ein Weg vom Grabstein zum
Epitaph. Weil der Grabstein im Innern der Kirche aufgestellt werden sollte, lag es
nahe, die Gestalt des Verewigten in der knieenden Haltung des Betenden darzu-
stellen^-^) und allmählich zur Motivierung dieser Stellung den verehrten Heiligen
beizufügen.
Also mehrere Motive und Entwickelungen auf verschiedenen Gebieten kommen
zusammen und lassen die neue Kunstform entstehen. Jedoch als entscheidend für
die Herkunft des Epitaphs ist zu betonen, daß es sich aus den Formen des mittel-
alterlichen Grabsteines entwickelte, und daß es zunächst im Dienste der herrschenden
Klasse stand.
Den formalen Charakter bekam das Epitaph durch die dekorative Aufgabe,
die es im Inneren oder an den Außenwänden der Kirche zu erfüllen hatte.
Dieser dekorative Zweck verursachte eine eigentümliche Verquickung plastischer
und malerischer Stilelemente, deren Verständnis für die richtige Auffassung der
mittelalterlichen Kunst in Deutschland entscheidend ist.
Malerei und Plastik standen damals nicht in formalem Gegensatz zu einander,
da das deutsche Mittelalter fast keine Freiplastik kannte. Zuerst war die Architektur
für die Plastik stilbestimmend, indem die Bildwerke durch Form und Zweck der
(t 1356) genannt (Abb. Ree Nürnbergs. 60), der sich (wohl noch bei Lebzeiten) ein Hochgrab
mit acht Trauernden als Träger der Steinplatte errichten ließ, was ihm, in derselben Kirche,
Herdegen Valzner nachmachte. (Vergl. Buchner über Tumben im 4. Abschnitt.) Mit Pückler-
Limpurg an direkte Nachahmung eines burgundischen Herrschergrabes zu denken, scheint mir
nicht nötig, da sich viele Werke dieser Anlage in Deutschland finden. Ich nenne nur für
die ältere Form das Hochgrab Conrad Wurzbolds im Limburger Dom, aus dem XIII. Jahr-
hundert und die, gegen 1300 begonnene Reihe von Tumben in der Elisabethkirche zu
Marburg.
13) Abguß im Germanischen Museum.
14) Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler I, S. 280.
15) Buchner, S. 54 u. Taf. 5: Th. v. Lichtenhayn in der Erfurter Predigerkirche vom
Jahre 1366.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum 1907. 2
10 DIB FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Bauteile, welche sie verzierten, ihre formalen Gesetze erhielten. Dazu entwickelte
sich am Tympanon die Reliefplastik und später für den Schmuck des Kircheninnern
die Holzskulptur, aus der die Altarmalerei ihr Vorbild gewann.
Aber wegen dieses Zusammenhanges mit der unter den Gesetzen der Architektur
zu ornamentaler Stilisierung gezwungener Plastik erhärtete sich in der Malerei die
Entwickelung: lange wirkte die strenge und gesonderte Figurenanordnung der Skulptur
nach; ihrer dekorativen Bedeutung entsprechend vielfach als Ersatz der Plastik
oder der Weberei entstanden, bewahrte die Malerei im Widerspruch zu ihren freieren
Möglichkeiten einen starr gebundenen Stil.
Dennoch brachte sie notwendiger Weise lebendigere und gewandtere Lösungen
für die dekorativen Aufgaben, die ohne Bedenken sofort auf die Plastik übertragen
wurden und deren architektonisch bestimmte Formgesetze lockerten.
Darin liegt also die Bedeutung, welche die Epitaphienkunst für die Erkenntnis
der mittelalterlichen Formauffassung hat, daß sich hier die Wechselwirkung der
beiden Schwesterkünste in ihrer gegenseitigen Bedingtheit erkennen läßt.
II.
Die Epitaphien des vierzehnten Jahrhunderts in Heilsbronn
und Nürnberg.
Der Nürnberger Kunstbetätigung fehlte der vereinheitlichende Einfluß eines
Bischofsitzes oder einer alten, heimischen Tradition. Durch die Verschiedenartigkeit
der von den Bestellern geforderten Aufgaben verwirrt, mußten die Ausführenden
immer von neuem sich mühsam die äußeren Formbedingungen suchen, ein Zwang
freilich, der sie zu den schöpferischsten und eigenartigsten Meistern des späten
Mittelalters machte.
Ein Gesamtbild der fränkischen Kunst wird erst in den fortgeschrittenen Zeiten
möglich; auch innerhalb der Epitaphienkunst lassen sich für den Anfang nur ver-
einzelte Werke aufführen, deren früheste für die Heilsbronner Kloster-
kirche entstanden sind.
Die kleine Reihe beginnt mit dem frei aufgestellten Steinepitaph des 1390 ver-
storbenen Abtes Heinrich von Annavarsen.
Der oben durch einen kleinen Giebel erweiterte Stein mißt etwa ein Drittel
von der Größe einer Grabplatte. Auf beiden Seiten in handwerklicher Aus-
führung bearbeitet, wirkt er doch durch seine gedrungene, maßvolle Geschlossenheit,
zumal bei dem einen Relief, . dessen Giebel geschickt dazu benutzt ist, die Darstellung
des Gekreuzigten mit Maria und Johannes und dem knieenden, nach vorn
schauenden Stifter einzufügen. Die Rückseite zeigt die Krönung Maria, die
mit dem Sohne vor einem von drei Engeln gehaltenen faltenreichen Vorhang sitzt;
Christus hat die Hand noch erhoben, die der Mutter eben die Krone aufs Haupt ge-
setzt hat, ihm wendet sich der Bischof betend zu.
Zu diesem Relief gesellen sich drei gemalteEpitaphien, von denen
nur das älteste hinreichend erhalten ist: eine schmale, zwei und einen halben
VON DR. EDWIN RKDSLOB.
11
Meter hohe Tafel, die im Format die
Größe eines Grabsteines übertreffen will,
stellt vor dem Kreuze und den Lei-
denswerkzeugen überlebensgroß den
mit Blut und Wunden bedeckten
Schmerzensmann dar. Seine Gestalt
ist machtvoll und wuchtig im Sinne der
alten Wandmalereien aufgefaßt: die
Arme hat er starr übereinandergelegt,
der Kopf neigt sich nach links, und aus
den zur Seite gewandten Augen dringt
ein erschütternder Blick unter geraden
Brauen hervor; die linke Schulter trägt
den Mantel, der oben in festen Linien
fällt, während er unten reiche, unruhig
gebauschte Falten bildet, 'deren grau-
grüner Ton mit dem Dunkelgrün des
Mantels, dem gelblich roten Futter, dem
grünlich braunen Fleisch und dem
bräunlich und grünlich goldenen, reich
gemusterten Hintergrund zu einer schwe-
ren Harmonie 'bronzener Farbtöne
zusammenklingt. ■ Ihre Einheitlichkeit
ist allerdings zum Teil auf Kosten der
späteren Übermalung zu setzen. Die
Gestalt des verstorbenen Abtes ist klein
und läßt Raum für zwei Spruch-
bänder, eines mit der Inschrift:
Apt Friedrich von Hirzlach,*^)
eines mit dem bei Epitaphien oft an-
gewandten Spruch : miserere mei deus. ^ ^)
Die Bedeutung dieses Werkes erläutert
am besten ein Vergleich mit der nur
wenig später entstandenen Fresko-
Malerei^'') eines Schmerzensmannes im
16) Friedrich von Hirzlach starb 1361.
17) Thode Tafel I und S. 14 Nürn-
berger Ausstellung 1906 No. 45. Lehmann:
das Bildnis, S. 149 mit Abbildung. Dörn-
höffer, S. 446. Das Klischee zu der vor-
liegenden Abbildung wurde uns aus dem
Thodeschen Werke vom Kellerschen Verlag
zu Frankfurt a. M. freundlichst überlassen.
18) Bei den Schmitz'schen Wieder-
herstellungsarbeiten 1905 zu Tage gekommen.
Buchner (S. 52) stellt das Heilsbronner Bild
Abb. 1. Epitaph für den Abt Friedrich von
Hirzlach in der Klosterlcirche zu Heilsbronn
(um 1361).
12
DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Ostchor von St. Sebald, dem ausdruckslosen und plumpen Bild eines schwachen
Nürnberger Handwerkers. —
Vielleicht waren zwei andere Werke dem Hirzlach- Epitaph ähnlich: eine in zwei
Teile zerlegte Tafel zeigtoben die Halbfigur der Madonna vor einem brokatenen
Muster; schmal ansetzend, steigt der Umriß malerisch geschlossen in die Höhe, unten
kniet auf blauem Grund (die gewöhnliche Farbe des Hintergrundes für den getrennt
dargestellten Stifter) vor einem Betpult der Bischof, den Stab in der Mitte haltend, den
Kopf nach oben zur Madonna erhoben ; rechts ist ein Spruchband angebracht : Maria
mater dei miserere mei. Darunter steht, zwischen dem Hohenzollern- und Bischof-
Wappen (der Verstorbene war der Sohn des Burggrafen Friedrich IV. von Nürnberg), die
Inschrift mit dem Namen Bertholdus und dem Todesjahr 1365 '"). Die Farben
der grabsteingroßen Tafel haben durch häufige Übermalung (die erste 1497) so ge-
litten, daß der ursprüngliche Charakter des Bildes völlig verloren gegangen ist.
Daher läßt sich nicht mehr bestimmen, wie weit es Ähnlichkeiten mit dem Stile
der Schule des Prager Meisters Theodorich hatte, doch scheint eine Verwandtschaft
mit dem Votivbild des Erzbischofs Johann Ocko von Wlaschim im Rudolphinum
zu Prag sich behaupten zu lassen.
Auch bei dem kleinen Epitaph für den Arzt Mengst (f 1370) läßt sich nur
noch von der Anordnung sprechen: in der Mitte steht Christus, auf die Wunde der
entblößten Brust weisend, rechts Maria, und links kniet in einem roten, hermelin-
gefütterten Mantel der graubärtige Magister; der Raum über seinem Kopf ist durch
zwei Spruchbänder ausgefüllt, über denen' aus Wolken Gott- Vater erscheint, der
mit der Hand auf seinen Sohn zeigt. Das Thema der Entsündigung durch Christus
und Maria entspricht dem Zweck des Epitaphs, kommt aber seltener vor, als man
voraussetzen sollte. Das Bild stimmt mit den bei Thode erwähnten vier Szenen
aus Christi Leben überein, die so erhalten sind, daß man in ihnen den Stil besser
erfassen kann. ^*')
Von gemalten Epitaphien im Stile des ausgehenden vierzehnten Jahrhundert
sind innerhalb Nürnbergs nur Nachzügler erhalten. Eine Schmerzensmanndar-
stellung in St. Lorenz^^), das Epitaph des Paul Stromer, möchte ich
trotz des frühen Todesdatums (1406) später besprechen ^ 2). Die Kreuzigung in
der Tetzelkapelle der Aegidienkirche für Anna Kunz Mendel (t 1406)
ist derartig übermalt, daß eine Beurteilung unmöglich ist. Ein späteres
Machwerk im alten Stil ist das Epitaph für Klara Holzschuherin im
Germanischen Museum (Nr. 93), auf Goldgrund in halblebensgroßen
Figuren Maria mit dem Kinde, die Heiligen Dominicus und Katharina von Siena
mit einem Grabstein in Lineartechnik der alten Erfurter Peterskirche zusammen. Abbildung
bei F. Tettau, Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, Erfurt (S. 283).
19) Sighart II, 40Q Waagen I, 311, Muck 81, Hocker S. 5 und 6 Abbild, pag. VI
Thode S. 13, Lehmann S. 150 Dr. Julius Meyer: Hohenzollern-Denkmale in Heilsbronn.
20) Thode S. 13 und 14. Abbildung im Katalog der Nürnberger Ausstellung 1906
S. 390 (Nr. 44).
21) Thode S. 15 Janitschek S. 206
22) Kapitel IV.
VON DR. EDWIN REDSLOB. 13
darstellend, vor deren Füßen die klein gebildete Verstorbene mit dem Wappen der
Holzschuher kniet^^). Die Inschrift lautet: Da man zeit nach Cris: geburdt m.'
CCCC. XXVI. Jar an dem andern pfingstag do verschiet Schwester Clara Holtz-
schuerin der Got genadt Am.
Die Darstellungen auf den besprochenen Werken sind für die Zeit vor 1400
bezeichnend, indem sie die damals besonders beliebten Stoffe behandeln. Die Kreu-
zigung Vird vielleicht am häufigsten verwertet, daneben erscheint bereits die Gestalt
der Maria, aber vor allem wurde ein Bild des Schmerzensmannes von den Stiftern
verlangt. Für die erzählten Ereignisse der Glaubenslehre noch nicht interessiert,
faßte man die Gestalt Christi in typischer Erscheinung auf, wie er als Erlöser von
den Predigern geschildert wurde: von Blut und Wunden entstellt, mit wehem Zug
auf die Male zeigend, die dem Verstorbenen Errettung verheißen. Dabei begnügte
man sich für die Wiedergabe des Körpers mit einem sehr sch#matischen Typus: nur
auf dem Epitaph des Abtes von Hirzlach ist, unter Einfluß der Wandmalerei, eine
große Formensprache innerhalb der alten Stilisierung erreicht.
Immer bedeutet die heilige Gestalt den Hauptzweck des Epitaphs, die Gestalt
des Verstorbenen wird klein und ohne scharfe Charakterisierung gegeben, die In-
schrift ist anfangs meist lateinisch und beschränkt sich auf die kürzesten Angaben.
Während in anderen Städten, zumal für die Plastik, die neue Denkmalsart schon
häufig verwendet wurde, bedeutete die Bestellung eines Epitaphs für Nürnberg und
seine Nachbarorte eine Ausnahme, sodaß sich noch keine bestimmte Form für die
Epitaphienkunst herausbilden konnte.
III.
Plastische Epitaphien an der Wende des
XIV. Jahrhunderts.
War die Nürnberger Plastik zur Zeit ihrer ersten Anfänge — vornehmlich
an St. Lorenz und an der Frauenkirche — noch nicht zu eigenkräftiger Freiheit
gelangt, so traten in den letzten Jahrzehnten des vierzehnten Jahrhunderts bedeutende
Aufgaben an sie heran und brachten der jungen Schule eine rasche Entwicklung.
Gegen 1360 wurden die Reliefs am Lx)renzer Hauptportal fertiggestellt 2*); 1366
bis 1379 wurde der Sebalder Chor gebaut; kurz nach 1366 am Sebalder Pfarrhof
das Chörlein begonnen; 1 385— 1 396 fällt die Arbeit am schönen Brunnen. Um
St. Sebald und St. Moritz war ein Friedhof entstanden, und in schneller Folge wurden
die Außenwände der beiden Kirchen mit Epitaphien bedeckt, die zeigen, wie auch
auf handwerklichem Gebiet eine reg erwachte Arbeitslust nach reicher Ausgestaltung
der Motive und freien Lösungen der Kompositionen verlangte.
23) Thode S. 15. Lehmann (S. 130) erwähnt, daß die Hände der Madonna größer
sind als ihr Kopf.
24) Nach Pückler-Limpurg.
14
DIB FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
I.
Am besten läßt sich die Entwickelung der Handwerker- Plastik an einer Reihe
Ölberg- Reliefs verfolgen, als deren frühestes wohl das Relief in Hoch-
format am Westchor von St. S e b a 1 d zu nennen ist, das wie die ungeschickte
Vergrößerung einer Elfenbeintafel anmutet, denn ohne plastisches Gefühl sind die
Figuren zu einem ornamentalen Gefüge verteilt, das die Platte im Sinne der Klein-
kunst füllt und belebt. Es lag weder in der Absicht, noch im Können des Meisters,
die drei schlafenden Jünger zu einer Gruppe zusammenzuschließen: rechts unten
sitzen, in unbegründeter Symmetrie, zwei Jünger nebeneinander, darüber ist ein Berg
gebaut, um den dritten unterzubringen. Auch über diesem setzt sich der Höhen-
zug fort, sodaß die Schlafenden wie in Höhlen sitzen. Links erweitert sich
Abb. 2. Ölbergrelief am VVesUliur vuii St. Sebald zu Nürnberg.
die Berglinie; unter ihr ist für die zwei winzigen Figuren der betenden Stifter
Platz, über ihr kniet Christus, in der alten Art der Adoranten die Gestalt seit-
wärts, den Kopf halb nach vorn gewandt; aus engenden Faltenzügen hebt er seine
Hände empor, dem Engel entgegen, der von oben rechts sich herabschwingt, ein
Spruchband in der Hand, das in weitem Bogen die Anordnung der linken Seite
vollendet. Ein Relief mit dem Stromerschen Wappen aus dem Cyclus am Ostchor,
das nicht als Epitaph bestimmt ist, gestaltet diese Gruppe im Gegensinne um; dem
weniger hohen Format entsprechend werden die Jünger zusammengeschoben, und der
Blick kann sich mehr auf die Hauptszene konzentrieren.
Die Stileigentümlichkeiten sind an beiden Reliefs gleich : die Körper sind noch
unbeholfen, aber in ihren ausgebogenen Stellungen und intensiven Bewegungen, in
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907-
Taf. I.
Epitaph der Familie Pömer an St. Sebald zu Nürnberg.
VON DB. EDWIN REDSLOB. 15
dem Gegensatz zwischen dem ruhigen Schlaf der Jünger und dem aufgeregten
Flattern des aus der Ecke herausschießenden Engels drängt eine dramatische Lebens-
kraft zu kraftvollem Ausdruck. Die Gewandfalten spannen sich röhrenartig in
zackigem Bogen über die Körper, die Gelenke sind energisch betont.
Trotz der anders gearteten Gruppierung kommen bei der Frage nach der Her-
kunft dieser stilisierten Motive die Reliefs am Hauptportale von St. Lorenz ^ 5) als ent-
scheidende Vorbilder in Betracht, doch sind die Fortschritte naiver Beobachtungs-
lust, die den Eindruck des Sebalder Pfarrhauschores bestimmen, an beiden Werken
erkennbar.
Im Gegensatz zu den gotischen Nachklängen dieser beiden Ölbergszenen steht
das Relief in Querformat an St. Moritz, das wieder als Epitaph gedacht ist.
Die Stifter sind an einem Sockel unter dem Relief angebracht, der geschickt als
Postament der großen Christusgestalt benutzt ist, über dem Heiland spannt sich die
Linie des Zaunes, links gewährt sie für die dicht zusammengedrängte Gruppe von
Judas und drei Kriegsknechten Platz, rechts unten geht sie bis an den Rahmen und
endet hinter den übereinander hockenden Jüngern, oben ist der Himmel durch Wolken
angedeutet, vor denen die Hand Gottes erscheint. Die Figuren sind in ihren
Bewegungen lebendig beobachtet, aber sie sind ohne jede Kenntnis der menschlichen
Gestalt ausgeführt. Christus ist groß und schlank, weil für ihn Platz war, die anderen
haben sich zum Teil mit drei Kopflängen für ihren Körper begnügen müssen. Die
Köpfe sind rund und plump und schauen ausdruckslos vor sich hin.
Ein viertes Relief — an der Südseite des Westchores — ist ähnlich an-
geordnet: durch die knieenden Stifter unterbrochen, schließt der Zaun das Relief
unten ab, links geht er bis zum Rande, sodaß die Kriegsknechte ganz zusammen-
gedrückt sind, indeß Judas die Pforte öffnet; rechts biegt das Geflecht weit aus,
den bequemen Schlaf der Jünger behütend. In der Mitte ist viel Platz für Christus,
der — zum ersten Mal mit scharfem Profil — in ausdrucksvoller Konzentration
sich nach oben wendet. Das Symbol für die Erscheinung Gottes ist heraus-
gebrochen. Unter diesem Relief befindet sich — seltsam primitiv — eine Dar-
stellung der Dreifaltigkeit: Christus als Schmerzensmann neben Gott- Vater, der
Maria im Arme hält, zwischen ihnen die Taube, rechts und links zwei Heilige, die
mit ihren bärtigen Köpfen und untersetzten Körpern an die Thonapostel des Ger-
manischen Museums erinnern. Am untersten Abschluß beider Reliefs, ohne Zusam-
menhang mit der Hauptkomposition, sind die betenden Stifter angebracht. (Das
Werk wurde kürzlich ergänzt.)
Das Epitaph der Römer an der Südseite von St. Sebald (Taf. I) mit In-
schriften vom Jahre 1331—1395^^) entspricht dem letzten Werk, in dessen Nähe es
eingelassen ist, durch die Zweiteilung der Platte. Seine späteste Jahreszahl gibt
für die Ansetzung der anderen Epitaphien an der Wende des vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhunderts den Anhaltspunkt. Die Gethsemanedarstellung ist mehr
zusammengedrängt, Judas ist schon durch die Pforte geschritten. Die Gruppe der
25) Der Baugeschichte nach muß das Relief am Ostchor um 1379 entstanden sein.
26) Die Zahl 1416 der Ergänzung wird 1366 gelautet haben, eine Lesart, welche ihre
Begründung aus der Reihenfolge der Zahlen bekommt.
16 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Jünger ist mit sichtlicher Freude an dem Wechselspiel der Motive gebildet, wie
denn dies Werk feineres Verständnis für die Charakteristik der einzelnen Gestalten
zeigt. In der unteren Hälfte sl^ht ein schlanker Schmerzensmann zwischen den
zierlich geputzten Angehörigen der Familie Römer.
Die fünfte, an der Nordseite des Sebalder Westchores eingemauerte
Ölbergdarstellung ist eine etwas spätere Handwerkerarbeit: in den gedrungenen,
plumpen Figuren im Gegensatz zur gotischen Schlankheit der früheren Werke auf
den Stil der im Verlaufe des fünfzehnten Jahrhunderts ausgebildeten realistischen
Bürgerkunst hinweisend, bringt sie die einfachste Scenerie: unten die Jünger, darüber
Christus, der sich zum Felsen wendet, hinter dessen Zacken in ungeschickter Auf-
fassung Gott- Vaters Kopf auftaucht.
Abb. 3. Ölbergrelief am Westchor von St. Sebald zu Nürnberg.
In der Nähe befindet sich die Kopie des letzten Reliefs unserer Reihe: es
zeigt die kräftigen Gestalten des benachbarten Werkes, vermehrt um die Schar der
Kriegsknechte. Die Figuren sind dicht gruppiert, nicht um den Raum zu gliedern
und zu beleben : es kam dem etwas plumpen Meister nur darauf an, ihn recht voll-
gefüllt zu haben, ihn auszunutzen.
Hier kommt der neue Stil entscheidend zum Ausdruck: die feine dekorative
Anordnung der Gotik hört auf, das Einzelne löst sich selbständig los, wird ein Ganzes
und muß nun sehen, allein möglichst viel zu sagen und darzubieten.
Auf diesem einen Darstellungsgebiet war es möglich, im Zusammenhang
die Wandlung der Plastik um 1400 zu verfolgen; außerhalb Nürnbergs bleibt, im
Stile der zuerst besprochenen Werke gehalten, das Relief eines etwas manierierten
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. U.
Epitaph vom Jahre 1422 an der Moritzkapelle zu Nürnberg.
VON DR. BÜWIN REDSLOB. 17
gotischen Handwerkers an der oberen Pfarrkirche in Bamberg hinzu-
zufügen, das dem von Buchner besprochenen Epitaph Heinrichs von Meiningen (t 1382)
an der Erfurter Augustinerkirche^') ähnlicher ist, als einem Nürnberger Werke. — Für
Nürnberg haben wir noch andere Darstellungen zu nennen, die in der Zeit um 1400
gearbeitet worden sind
Das früheste dieser Epitaphien, die am Äußern von St. Sebald und St. Moritz
in Zusammenhang mit dem dortigen Friedhof entstanden sind, scheint das
Epitaph an der Südseite von St. Moritz zu sein ; unten den in Verwesung über-
gehenden Leichnam darstellend, bringt es oben drei beziehungslos nebeneinander ge-
reihte lamentierende Gestalten mit geneigten Köpfen : zwei Heilige und den mit einem
Mantel umkleideten Schmerzensmann. Die Darstellung des verfaulenden, von
Schlangen umringelten Leichnams ist ein für den drastischen Naturalismus des späten
Mittelalters bezeichnendes Motiv. Mitunter liegt er auf dem Grabstein 2**) statt des in
Prunkgewändern Aufgebahrten, besonders bei Hochgrab-Anlagen, wo über diesem Stein
eine zweite Platte getragen wird, die dann die Gestalt des Lebenden bringt. Gern
wird, wie in der Grabplatte Hans Baumgartners zu Kufstein^^), dem Gleichheits-
empfinden der neuen Zeit entsprechend, ein Spruch beigefügt. („Arm und reich
vern all dem pild geleich.") In Nürnberg ist dies Epitaph das einzige, welches
sich jenem Todesallegorien und Totentänze in sich schließenden Vorstellungs-
bereiche nähert.
Ein zweites Steinbild an der Moritzkirche zeigt ähnlich manieriert be-
wegte Figuren. Die Konsole der Mitte trägt die tänzelnd bewegte Maria, an
den Seiten stehen zwei heilige Frauen; vor der Madonna knieen die kleinen
Figuren der Stifters und seiner Frau, der Raum über ihnen gab Platz für zwei
Engelsköpfe, die der Meister mit sichtlicher Liebe ausführte.
Die übertriebenen Gebärden der Gestalten hat ein drittes Werk links vom
Westportal derselben Kirche (Taf. H) mit dem Todesjahr 1422 3°) mit den beiden
besprochenen Arbeiten gemeinsam. Von einer gotischen Architektur umrahmt, zeigt
es die halbe, nackte Figur des Schmerzensmannes über dem Grabe, den Maria und
Johannes in weichem Schmerze betrauern. An den Seiten stehen zwei weibliche
Heilige, aus der Grabeskiste hängt das Veronicatuch bis in die untere Hälfte herab,
wo die Stifter hinter einem Papst und Bischof knieen. Dieses Schmerzensmann-
Epitaph hat große Ähnlichkeit mit dem Steinbild links vom Tucherportal an
27) Buchner S. 74 Abbildung 152 (von Johannes Gehart). Dazu das Epitaph der
Familie Pfaffenhofer (Todesjahr 1429) in Erfurt. (Lübke, Plastik II S. 719.) Über zwei Öl-
bergreliefs von Anfang und Mitte des 15. Jahrhunderts in Wasserburg, vgl Bayr. Kunst-
denkm. I, 2085 und 2086. Über eine Reihe Ölbergreliefs in Regensburg, vgl. Seyler, S. 101 ff
28) Peter von Schaumberg (f 1467) in Riehl, Augsburg, S. 43.
29) Abb. Bergner, S. 301. Josephi, S. 65, 66. Riehl, Die Kunst an der Brennerstrasse.
S. 5 (mit anderen Beispielen).
30) Lotz. Rettberg. Von Pückler-Limburg S. 113 und 114 ohne Zusammenhang mit,
anderen Nürnberger Werken behandelt.
Mitteilungen aus dem gorman. Nationalmuseuni. 1907. 3
18 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
St. Lorenz. Hier fehlen die Heiligen und Geistlichen; an Stelle des Veronica-
tuches ist eine Inschriftrolle gekommen, Maria und Johannes sind in Halbfiguren
gegeben.
Die Gestalten dieser Reliefs lassen uns an die Schauspieler denken, die auf den
Passionsbühnen die Leiden Christi darstellten. Wir erkennen in dem erregten Ge-
bahren der Figuren den empfindsamen Ausklang der gotischen Kunst.
Doch zeigen diese beiden Werke die eigenartigen Züge eines bedeutenden
Meisters, der sich eine leicht zu erkennende Formensprache ausgebildet hat. Der
Christuskörper hat spitz herausgeknickte Schultern, über denen sich die Haut des
Halses, der den Kopf nicht zu tragen vermag, kraftlos zusammenzieht. Der Brust-
korb ist durch einen scharfen Grat von den Rippen abgesetzt, die sich hart heraus-
Abb. 4. Epitaph am Tucherportal von St. Lorenz zu Nürnberg.
zeichnen, darunter wird der Oberkörper durch eine abnorme Einziehung über den
Hüften vom Bauch getrennt. Die Linien der Gestalten sind weich und ausdrucks-
voll empfunden, die Falten des Gewandes zierlich und in zartem Flusse angeordnet.
Unter deutlichem Einfluß des Reliefs an St. Moritz steht das Epitaph eines
Tetzel in der T e t z e 1 k a p e 1 1 e der Aegidienkirche. Dargestellt sind in der großen
oberen Abteilung, unten durch konsolenartige Vorsprünge vorbereitet, die drei
Figuren der Kreuzigungsgruppe. Christi Körper zeigt, bei aller schematischen Be-
handlung, besonders des Knochenbaues, dennoch einige nach der Natur beobachtete
Einzelheiten, an denen sich ein Fortschritt im Vergleich mit dem Körper des
Reliefs vom Jahre 1422 erkennen läßt. Die reich übereinandergepreßten Röhren-
falten in den Gewändern der beiden Trauernden scheinen ebenfalls dafür zu sprechen,
bei einer stilistischen Datierung nicht vor die Zeit um 1430 hinauszugehen. In der
VON DR. EDWIN REDSLOB. 19
unteren, etwas verbreiterten Steinplatte kniet links vor seinem Wappen der Stifter,
rechts würfeln zwei Kritgsknechte um den sorgfältig ausgearbeiteten ungenähten
Rock Christi.
Durch alle diese Plastiken, die sich um die Schmerzensmann-Darstellungen
an St. Moritz und St. Lorenz gruppieren, erhalten wir die deutliche Vorstellung von
einer bestimmten Schaffensrichtung, die für den Stand der Nürnberger Kunst,
nach der Vollendung der großen, in nachahmenden Formen ausgeführten Aufträge
des vierzehnten Jahrhunderts charakteristisch zu sein scheint. Noch wirkt die
dekorative Formauffassung der Gotik nach, aber zugleich verleiht ein fast sentimental
zu nennendes Eingehen auf die seelischen Regungen der einzelnen Gestalten den
Szenen verinnerlichten Gehalt.
Erst als die Bürgerkunst im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts mit ihrer
realistischen Kraft einsetzte, konnte in Nürnberg ein eigenartiger Stil entstehen.
Dafür war nötig, daß die Malerei sich vom Einfluß der Plastik löstet ')» die ihr
keine pfadfindenden Stilgesetze mehr geben konnte, deren Weiterleben vielmehr
selbst davon abhing, ob die neue malerische Auffassung die Wege öffnen könnte,
nach denen die Plastiker vergeblich gesucht hatten.
31) Wie überwunden der Einfluß der Plastik auf die Malerei war, zeigt am besten das
Epitaph des Hans Stark (f 1435) in St. Sebald, das neben dem Abendmahl auch das Gebet
in Gethsemane darstellt. Leider macht seine Übermalung (1627) jede über die Komposition
hinausgehende Beurteilung unmöglich.
20 DIE FRÄNKISCHEN EPHAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHÜNUERT.
IV.
Berthold Landauer und seine Nachfolger.
I
Die zarte Auffassungsart, die in der Plastik den Ausklang der gotischen Kunst
bedeutet, wurde für die erste ausgeprägte Persönlichkeit der Nürnberger Maler-
schule, für den gegenwärtig gern Berthold Landauer^^j genannten Meister, die
Quelle eines neuen Stiles. Die Malerei war ein beweglicheres Ausdrucksmittel für
den empfindsamen Sinn jener Übergangszeit, sie übernahm in der Epitaphienkunst
bisher vorwiegend der Skulptur zugewiesene Aufgaben, für die sie eine leichtere und
verinnerlichte Lösung fand.
Das Stromersche Epitaph in St. Lorenz^^) erscheint mir als das bezeich-
nende Frühwerk seiner unter dem Einfluß der Plastik entwickelten Kompositionsart.
Ähnlich wie auf den besprochenen beiden Reliefs an St. Lorenz und St. Moritz ist
eine Gruppe des Schmerzensmannes mit Maria und Johannes gebracht. In vollstem
Gegensatz zu Malern des vierzehnten Jahrhunderts, wie z. B. zum Schöpfer der
freskenartig empfundenen langgezogenen Gestalt der Hirzlach-Tafel in Heils-
bronn, gibt Meister Berthold seinem Christus eine kleine Gestalt, er malt ihn in
halber Figur und ohne Wunden, umgibt ihn mit einem Strahlenschein, hinter dem
das grausame Kreuz fast verschwindet, und legt den Hauptton auf die stille Klage
von Maria und Johannes. Nicht mehr mit der Brutalität qualvoller Drastik soll das
Opfer Christi die Seelen erschüttern: die milde Trauer der zwei Menschen, die ihn
am meisten geliebt haben, wird der bestimmende Gehalt des Bildes. Aus gleichem
Geiste entstand (in St. Loren z) das Epitaph für Kunz Rymensnyder
(t 1409)^*), dessen Aufnahme in die unter Bertholds Namen zusammengefaßten Werke
sich vielleicht innerhalb dieses Zusammenhanges rechtfertigt^^). Dem Bilde des
germanischen Museums (Nr. 96) entsprechend, das ursprünglich die Rückseite
der Imhof sehen Tafel in der St. Lorenzkirche darstellte, zeigt es den Körper des
Schmerzensmannes, links von Maria, rechts von Johannes erfaßt. Schon erscheinen
die Eigentümlichkeiten und Feinheiten der späteren Zeit vorgebildet: der Typus
des Kopfes mit seinen einfachen, geraden Linien, der Schwung der Lider, und der
konzentrierte Ausdruck der Augen, die — in einer Bertholds Gestalten eigenen Weise
— so zur Seite blicken, daß der weiße Augapfel nur an einer Hälfte sichtbar ist.
Schon läßt sich das für seine Figuren bezeichnende sensitive Tasten seiner Hände
empfinden: sie wagen kaum zu fassen, und bei der geringsten Berührung durch-
zittert den Körper ein Schauer.
Daher möchteich in diesen beiden Gemälden, den Inschriften entsprechend, Werke
vom Anfang des Jahrhunderts sehen und ihren Zusammenhang mit den plastischen
32) A. Gümbel : Meister Berthold, ein Glied der Familie Landauer. Repertorium für
Kunstwissenschaft XXVI S. 318.
33) Siehe Kapitel II am Schluß. Thode S. 15 Lehmann S. 15.
34) Weltmann I S. 405.
35) Thode: Schule Bertholds.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. HI.
Epitaph für Walburg Prünstcrin (gest. 1434) im germanischen Nationalmuseum.
VON DR. EDWIN REDSLOB.
21
Epitaphien für die Entstehung der Kunstweise als wichtig betrachten. In der An-
ordnung zeigt sich darin, daß die Stifter von der Hauptgruppe zwar getrennt sind,
aber doch durch das Veronicatuch eine Beziehung zwischen beiden Hälften gegeben
ist, der Einfluß der beiden Schmerzensmannreliefs an St. Moritz und St. Lorenz,
Abb. 5. Epitaph für Kunz Rymensnyder (gest. 1409) in St. Lorenz.
die als Beispiele für die Berthold bestimmenden Plastiken einen für die Geschichte
der Nürnberger Malerei wichtigen Aufschluß über den Zusammenhang von Skulptur
und Malerei geben.
n.
Dann wandte Berthold sich neuen Stoffen zu, deren Gestaltung sein freier
sich entwickelndes Vermögen ihm erlaubte, und auch in seinen Epitaphien drückt
sich der Wandel aus. Noch einmal ist auf der Staffel der Prünsterin- Gedenktafel
im Germanischen Museum (Taf. HI) zwischen zwei Heiligen und den Stiftern der
Schmerzensmann gebracht. Aber oben in der Darstellung der Geburt darf er hellere
22 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Vorstellungen verwirklichen, in denen sein Wesen sich besonders glücklich äußert.
Die Tafel ist in größerem Format gehalten: 1,40 m hoch und über 1 Meter breit;
da sie bestimmt war, an einem Pfeiler der Frauenkirche zu hängen, ist sie rund ge-
bogen.
In diesem Werke erkennen wir in Komposition und Farbe den italienischen
Einfluß, der ihm offenbar durch die Prager Richtung des Thomas von Modena ver-
mittelt wurde'*). Vor dem Stalle kniet Maria nach rechts gewandt mit gefalteten
Händen neben dem Kind, das ein heller Lichtglanz umstrahlt; ein Pfosten sondert
die Gestalt des heiligen Joseph, doch oben werden die Gruppen durch den Kranz
dreier Engel verbunden, die vor dem Dache mit einem Glorienband schweben. Ähn-
lich wie auf dem Stromer- Epitaph trägt Maria einen grünlich-blauen Mantel mit
hellem Schimmer auf den Faltenhöhen; Josephs Gewand ist weinrot mit blauer
Kappe, doch sind die Farben auffallend matt, was mit dem kalkigen Grund
des Bildes zusammenhängt. Für Meister Berthold bezeichnend ist die riesige Scheibe
des Heiligenscheins der Maria, für die er durch Bilder des Thomas von Modena eine
Vorliebe gefaßt haben kann.
' III.
Sein folgendes Schaffen ist fast ausschließlich der Verherrlichung
der Maria gewidmet. Von zwei einander sehr ähnlichen Werken : der Imhoff-
Madonna in St. Lorenz''^) und dem Epitaph der Elisabeth Tetzel (f 1437)
in der T e t z e 1 k a p e 1 1 e ist das erste noch trefflich erhalten, indeß das andere
durch Übermalung völlig entstellt ist. Die Komposition ist auf beiden Tafeln gleich.
Wie im Epitaph Bertholds von Hohenzollern zu Heilsbronn ist die Halbfigur der
Madonna dargestellt, in der Art des durch Böhmen vermittelten Lieblingsmotives
der Sienesen. Ein schlichter, blauer Mantel mit goldenem Saum legt sich über den
Kopf und umhüllt in weichen Falten die Gestalt. Auf der rechten Seite sitzt Jesus,
in seinen vollen Formen dem Kinde der Prünsterin-Tafel ähnlich, und um einen
Vorhang schweben 4 Engel, deren lange, schmale Flügel wie zum Kranze sich um
die Madonna vereinen. Auf einem getrennten Streifen unter der Hauptdarstellung
ist links der Stifter mit acht Söhnen, rechts dessen Frau mit vier Töchtern unter-
gebracht, ohne daß auf die Porträtwiedergabe viel Wert gelegt wäre.
In zwei entwickelteren Werken, die sich im National-Museum zu
München befinden, ist der Gestalt der Verstorbenen mehr Bedeutung ver-
liehen. Diesmal handelt es sich auch nicht um die Aufreihung einer Stifterfamilie:
beide Bilder sind für Dominikaner - Nonnen vom Kloster zum heiligen Grab
36) Schon bei einem Werke des vierzehnten Jahrhunderts (Kap. II) ließ sich Theodorichs
Einfluß behaupten. Auch die beiden Tafeln mit dem Bethlemitischen Kindermord und der
Bestattung Maria (Thode, Taf. 5) im Germanischen Museum (97 u. 98) zeigen Prager Stil-
eigentümlichkeiten. Man wollte deshalb Thode die Berechtigung, sie der fränkischen Schule
einzureihen, abstreiten; doch wird seine Ansicht durch die neuaufgefundenen Freskenreste:
Oerichtsszenen aus dem Leben des Apostels Paulus in St. Sebald und die Geburt Christi in
St. Moritz, gerechtfertigt, die engsten Zusammenhang mit den beiden Bildern des Germanischen
Museums erkennen lassen.
37) Abbildung : Thode, Tafel 4.
VON DR. EDWIN REDSLOB. 23
in Bamberg gemalt. Die Inschrift des einen drückt die Bestimmung der
Tafel aus: Anno domini M". CCCC dernoch im XLIII iar an unsers herre leichnä
übet do vschied gerhaus ferin Klosterfraw zum heiligen Grab der Got genedik sey.^^)
Im Typus stimmen beide Werke völlig mit der Imhoff -Madonna überein.'")
Sie zeigen dieselben gelbblonden Haare, die in geschmeidiger, dichter Masse den
seitwärts gewandten Kopf umrahmen und denselben scharf konzentrierten Blick
aus dunklen, weit von einander stehenden Augen, deren oberes Lid in einer markanten
braunen Linie gezogen ist. Der rechte Winkel von Braue und Nasenlinie, die leichte
Falte zwischen Backe und Nasenflügel, und die weit auslaufende Linie des unten
gerade abgeschnittenen Kinnes verbreitern den Kopf und betonen seine fest um-
rissene, quadratische Form, wodurch er den Ausdruck feierlicher Geschlossenheit
erhält. Die Hände haben schmale Finger, von denen meist nur zwei oder drei zu sehen
sind. In gehaltener Erregung schieben sie sich aus den eng und mas ig geschlossenen
Falten des Gewandes hervor, das einen gedrungenen Körper umspannt*").
Das Fehrin- Epitaph*^) ist offenbar später als das der unbekannten Nonne ge-
malt. Bei diesem zeigt die symmetrische Kompositionsart und die reiche Verwendung
der Spruchbänder Anschluß an ältere Vorbilder, die sich wahrscheinlich am Bestel-
lungsort befanden. In Querformat auf Goldgrund stellt es in der Mitte die gekrönte
Maria dar, rechts von ihr steht die heilige Elisabeth, links kniet, von Johannes dem
Evangelisten empfohlen, die Stifterin, nach der das Christuskind sein Ärmchen
ausstreckt.
Beim Fehrin- Epitaph ist die Heilige weggelassen, das Kind, das Maria im an-
deren Bild quer über ihrem Schoß hielt, so daß es zurückschauend sich zur betenden
Nonne wandte, konnte hier ungezwungen und frei auf die eine Seite gesetzt werden.
Auch nahm sich der Meister die Freude, hinter der Madonna von zwei entzückenden
Engeln einen reichen Brokat halten zu lassen, der in vollen, perspektivisch geschickt
benutzten Falten auf dem Boden liegt. Auch die Nonne schaut nicht mehr starr wie
eine vorgeschobene Puppe aus dem Bilde heraus: ruhig und lebendig hebt sie den
Blick zum Kinde empor. Auf dem früheren Epitaph entsprach dem Grün der Heiligen
ein roter Mantel des Johannes: auf dem zweiten hat er, im Gegensatz zu den weichen,
malerischen Falten der dunkelgekleideten Maria einen weißen Überwurf mit scharf
gezeichneten Linienzügen *^).
IV.
Mit Bertholds Schaffen steht ein weiteres Werk in Zusammenhang: der Tod
der Maria für Hans Glockengießer (11433) in St. Lorenz ♦'). Ähnlich
38) Waagen, I, S. 116. Sighart S. 613, Janitschek S. 285, Abb. Förster, VII, S. 15
und H. Waldes-Stich, Thode S. 32 und 33. Was die Inschrift betrifft, so wird seit dem Be-
ginne des 15. Jahrhunderts die deutsche Sprache bevorzugt.
39) Zur Entstehungszeit siehe Thode S. 32.
40) In diesem Werke erscheint die von Thode behauptete Beziehung zu dem süd-
böhmischen Meister von Wittingau besonders überzeugend.
41) Lehmann S. 133.
42) Ich glaube, daß in Beziehung zu dem Nonnen-Epitaph das Rauchenberger Votiv-
bild in Freising (aus Salzburg stammend) zu nennen ist; doch ist mir das Bild in den Einzel-
heiten nicht gegenwärtig.
43) Lehmann S. 153.
24 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIBN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
wie schon in den Wandmalereien in St. Sebald und in der Heiliggeistkirche aus der
Zeit um 1400**) ist das Bett quer gestellt, doch wird, dem Verlangen nach belebter
Handlung entsprechend, Maria nicht mehr als Verstorbene aufgebahrt dargestellt,
sondern es ist der Moment erfaßt, da sie im Gebete vor dem Pult zusammen-
bricht. Die dichte Gruppe der Apostel links ist auch hier nicht gelockert, aber im
übrigen ist die Darstellung mit freiem Lebensgefühl und malerischem Sinn aufgefaßt.
Die lange Fläche des leeren Bettes ist unterbrochen, indem Johannes seinen Arm
darüber nach der Maria zu ausstreckt. Der auffallend entwickelte Wirklichkeitssinn
des Meisters dieser Tafel verlangte, Christus von der Szene zu trennen: mit der
Seele der Verstorbenen schwebt er zwischen Engeln über den Versammelten. Be-
sonders an diesen Engeln mit ihren kraftlosen Flügeln erkennt man, daß die Aus-
führung von einem schwächeren Meister herrührt, dessen Kunst bei allem Ver-
ständnis für die Auffassung der Szene in den einzelnen Gestalten einen phleg-
matischen, von dem zurückhaltenden Wesen Berthold Landauers weit entfernten
Charakter zeigt. Formal unterscheiden sich seine Gestalten durch die geringe Aus-
bildung der Hinterköpfe und die unbeholfene Bewegung der Hände.
Die Zeichnung und Gruppierung der Engel mit ihren schwingenden Flügeln
und die runden Formen des Christuskindes berechtigen vielleicht dazu, das gänzlich
übermalte Schutzmantelbild für die 1422 gest. Anna Tetzel in der Tetzelkapelle
als Werk eines Berthold- Nachfolgers hier anzureihen. Wie ein Relief an St. Sebald
zeigt es die Stifter zwischen den Vertretern der Menschheit als Schutzbefohlene unter
dem Gewand der Gottesmutter.
Auch mag erwähnt sein, daß ein schwäbisches Epitaph für den Pfarrer Joh.
Paur von Bechthal (t 1456) im München er National-Museum, Saal 8
ähnlich angeordnet ist, wie Meister Bertholds Bamberger Epitaphien.
V.
Einen Schüler Bertholds hat Thode in dem Meister des Wolfgangs-
altar es (St. Lorenz) gefunden und ihm das Epitaph des Professors Friedrich
Schon (t 1464) in St. Lorenz, sowie die kleine Gedächtnistafel im Germanischen
Museum zugewiesen. Die Tafel des Germanischen Museums stellt, vermutlich als
Staffel eines Epitaphes, den 1449 bei Fürth gefallenen Anton Imhoff in voller
Rüstung knieend dar. Der gelehrte Stifter der Lorenzer Tafel hat sich — wohl noch
bei seinen Lebzeiten und nach seinen Angaben — eine Allegorie auf Christi jungfräuliche
Geburt malen lassen. Die in der Mitte befindliche Szene der Geburt, deutlich beein-
flußt von dem Prünsterin- Epitaph Bertholds, ist umrahmt von einem auf der Spitze
stehenden Rhombus mit Kreisen an den Ecken, welche die vier Evangelistensymbole
enthalten, in den Dreiecken, die zwischen Rhombus und Mittelbild entstehen, sind
die Symbole der Reinigung Pelikan, Phönix, Löwe und Einhorn angebracht. Die
Dreiecke, die der Rhombus nach außen abschneidet, enthalten folgende Einzel-
szenen: Moses vor dem feurigen Busch, Aaron mit dem blühenden Stabe, Ezechiel
44) Vergl. hierzu: Dr. Traugott Schulz in der Süddeutschen Bauzeitung VI (1904)
mit Abb. d. Freskos der Heiliggeistkirche.
VON DR. EÜWIN REDSLÜB.
25
und endlich Gideon vor dem Vliess. Die einfassenden Streifen boten Raum für
eine Menge lateinischer Inschriften/*^)
Man muß dies gelehrte Epitaph für einen besonders guten Empfehlungsbrief
an den Himmel gehalten haben, denn zum Gedächtnis des 1478 verstorbenen Ulrich
Starck ist es von einem schwachen Maler in derSebalduskirche nachge-
— ü— «»»M-i»« i» Uli IUI« «1 Im— ——«■—■»— 1* IUI i'i t
Abb. 6. Epitaph für Friedrich Schon (gest. 1464) in St. Lorenz zu Nürnberg.
macht worden; heute ist das Bild durch die Renovierungen (1591 u. 1658) seinem
ursprünglichen Charakter entfremdet. Daran reiht sich, in quadratischer Form
mit 8 Kreisen, welche die Seiten des Rhombus durchschneiden, eine gleichfalls durch
Übermalung entstellte Tafel der T e t z e 1 k a p e 11 e für die Frau des Linhart
Tetzel (t 1480).—
45) Thode S. 53. Als Beispiel ähnlicher Darstellungen nenne ich in Verbindung mit
der Verkündigung die Freske im Emmauskloster zu Prag (Neuwirths Publikation Tafel VIII) ;
in Verbindung mit der Geburt zwei Niederrheinische Bilder, die als No. 88 und 89 in
Düsseldorf 1904 ausgestellt waren. Vergl. S. 36 von Clemens Katalog und die Literatur-
angaben über Typologie der unbefleckten Empfängnis dort und in den Kunstdenkmälern der
Rheinprovinz V, S. 198. (Abbildungen: Kdm. d. Rheinpr. V Tafel XVII und Kdm. des
Kreises Gladbach S. 76, Tafel XVIII) und Firmenich-Richartz in d. Ztschr. f. christl. Kunst
VIII S. 304. Kunst-Dkm. Mecklenburg-Schwerins I, S. 189 fg. Hochaltar in der Kirche zum
hl. Kreuz zu Rostock u. S. 187 Lettner-Altar in derselben Kirche.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
26 DIB FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. OND XV. JAHRHUNDERT.
Interessant für unsere Betrachtung sind diese drei Werke vornehmlich ihres
Inhaltes wegen. Durch Meister Bertholds Schaffen, der als Nachfolger der Plastiker
mit der im vierzehnten Jahrhundert beliebten Darstellung des Schmerzensmannes
begonnen hatte, kam als entscheidendes neues Motiv für die Epitaphien die Ver-
herrlichung der Madonna auf Er bringt sie als thronende Gottesmutter, oder in der
vertrauten Weihnachtsszene. Seine Nachfolger übernehmen die Geburt Christi und
schmücken sie allegorisch aus. Hierin zuerst zeigt sich der Einfluß der Besteller auf
die Kunst, nachdem die Zeit vorbei war, in der die vereinheitlichende Dogmatik der
Kirche die festen Bestimmungen für die Wahl der Stoffe gab.
Die Weiterbildung des Epitaphs von den Malern um die
Mitte des XV. Jahrhunderts.
Berthold Landauer hatte die Epitaphienkunst aus der Plastik in die Malerei
und damit von der Außenwand ins Innere der Kirche übertragen. Gleichzeitig
hatte er in seinen Altären gezeigt, wie auch bei größten Aufgaben die Malerei die
Plastik ersetzen könne.
Die Hauptarbeit der schöpferischen Meister konzentrierte sich seitdem in erster
Linie auf die Ausschmückung der Altäre, sodaß die bescheidene Epitaphienkunst
mehr und mehr an Bedeutung verlor.
Stand unsere Betrachtung am Anfang innerhalb der lebendigen Entwickelung
der Nürnberger Kunst, so können wir jetzt zumeist nur Rückwirkungen dessen, was
im Schaffen der entscheidenden Meister neu entsteht, an den Epitaphien erkennen,
denn diese werden zu Begleiterscheinungen, die meist nachträglich und vermindert
die Fortschritte verwerten.
Dennoch haben noch einige Epitaphien große Bedeutung innerhalb des gesamten
Nürnberger Kunstschaffens. So sehen wir die rücksichtslos zupackende Auffassung,
die der Meister des Tucher-Altares brachte, im Epitaph des Pfarrers Joh. von Ehen-
heim (f 1438) in St. Lorenz (4. Kapelle rechts)*^) zum Ausdruck kommen. Dar-
gestellt ist die mit derbem Wirklichkeitssinn erschaute Gestalt des Schmerzens-
mannes, dem der Pfarrer von den reichgekleideten Heiligen Heinrich, Kunigunde
und Lorenz empfohlen wird. Es charakterisiert die energische Art der neuen
Generation, wie jetzt die Einzelerscheinung herausgearbeitet wird, wie jede Gestalt,
von einem kraftvollen Leben durchglüht, in sich abgeschlossen dasteht, und auch
das Bild des Stifters infolge der realistischen Freude an der Porträtwiedergabe
größere Bedeutung erhält.
Zwischen der gehaltenen Christusgestalt des Tucher-Altares und der gewaltsam
aufgefaßten des Ehenheimschen Bildes steht der Kruzifixus auf dem Epitaph des
46) Von Thode als Werk dieses Meisters S. 79 näher beschrieben und mit dem
Altärchen der Johanneskirche (Abbildung dieses Altares im Burlington-Magazin von 1906)
zusammengestellt. Lehmann fragt S. 70 nach dem Namen des Pfarrers. Dörrnhöffer S. 448.
VON DR. EDWIN REDSLÜB.
27
1437 verstorbenen Ritters Heinrich von Hohen- Rechberg im Dom zu
Eichstätt/')
Christus hängt mit weit ausgespannten und doch stark heruntergezerrten
Armen am Kreuzesstamm; sein mit festen Linien umrissener Kopf h"egt kraftlos zur
Seite, die Haare haben sich gelöst und fallen auf die rechte Schulter herab; der
Brustkorb ist herausgedrückt, der Unterleib ist schmerzhaft eingezogen. Die
einzelnen Glieder sind straff und sehnig, die Gelenke sind durch auffallend kräftige
Rundung betont. Das Lendentuch ist über einen Strick gespannt, zu Seiten flattert
Abb. 7. Epitaph des Pfarrer Johann von Ehenheim (gest. 1438) in St. Lorenz zu Nürnberg.
es in beweglichen Windungen herab. Die anderen Figuren sind in strenger Sym-
metrie um das Kreuz gruppiert: unter dem Querbalken des Stammes schweben
vier Engel; links steht Maria, die Hände über der Brust zusammengelegt, den
Kopf gesenkt, von einem weißen, in reichen Faltenmassen gebauschten Mantel um-
hüllt; rechts steht Johannes, den Kopf zur Seite, die gefalteten Hände kontrastie-
rend nach außen gewandt. Ganz vorn knieen rechts und links mit ihren Wappen
der Stifter und seine Frau, in dunklem Gewände einfach gegeben, ähnlich den
Adoranten auf einigen der unter dem Namen Berthold Landauer gemeinsam be-
sprochenen Bilder.
47) Da ich das Bild unter ungünstigen Lichtverhältnissen sah, kann ich nicht ent-
scheiden, wie weit es der Rückseite des Dreikönigsaltares zu Heilsbronn verwandt ist. Be-
sonders das unterdeß von Christian Rauch als Hans Traut erkannte und Taf. 6 in seinem
Buch reproduzierte Bild der Dreieinigkeit zwischen zwei Heiligen käme hierbei in Betracht.
28 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
In den Zusammenhang der Werke, welche die Neuerungen des Tucher-
Altares verwerten, gehört offenbar auch das Gedächtnisbild für Conrad Zingl
(f 1447) und seine 1462 verstorbene Frau in der Wolfgangskapelle der Aegidien-
kirche: doch läßt die völlige Übermalung (zum erstenmal 1531) über den Charakter
des Bildes, einer Messe Gregors mit den Verstorbenen unter der Darstellung,
Bestimmtes nicht sagen. Der Christus erinnert an das Staffelbild vom Prünsterin-
Epitaph Bertholds.
Zum Hauptbild desselben Werkes hat die Imhoff -Tafel in St. Sebald*")
mit der Geburt Christi Beziehung; der Fortschritt der Nürnberger Kunst durch die
Entstehung des Tucher-Altares zeigt sich hier in dem Versuch, die Verkürzung eines
schwebenden Engels darzustellen. Auch die strenge Einteilung des Bildes entspricht
der Art des Tucher-Meisters: die Balken des Stalles sind geschickt zu einer Drei-
teilungbenutzt; in der Mitte kniet Maria: ihr großer Kopf auf dem dünnen, kraft-
losen Hals erinnert an Bertholds Frauentypus. Auf den abfallenden Schultern
liegt ein blauer Mantel mit unruhigen Falten, die unten den Boden weit bedecken.
Sie wendet sich zum Christkind, das von zwei Engeln und den durchs Fenster schauen-
den Hirten verehrt wird. Links von der Maria macht sich — ein abgeschlossenes Genre-
Bild — Josef am Herd zu schaffen. Das Braun der Hütte, davor das Blau der Maria,
ein wenig Rötlichbraun in den Töpfen links, kräftiges Rot bei der Madonna, das ge-
dämpft in den Engelflügeln und der Kappe eines Hirten wiederklingt, hierzu der
Dreieckaufbau der Maria und die Einteilung durch die Pfosten: diese strenge An-
ordnung von Farben und Linien bewirkt eine für den Zweck des Bildes fein empfun-
dene Symmetrie und charakterisiert den Stil des Meisters, der den Malereien des
Tucher- Altares nahe kommt, aber noch durch Einflüsse des Wolfgangsaltares zu
Bertholds Schaffen in Beziehung steht.
Gleiche symmetrische Anordnung gibt vielleicht das Recht, ihm ein später
entstandenes Epitaph in St. S e b a 1 d zuzuschreiben : in der Mitte sitzt — im
Staffelbild der beiden Stifter durch eine Konsole vorbereitet — die heilige
Anna mit der kleinen Maria, zu ihren Seiten stehen die Heiligen Katharina und
Nikolaus. (Vielleicht haben wir in diesem Bild die bei Lotz S. 336 erwähnte Tafel
für den 1460 gestorbenen Graßner zu erkennen, wodurch wir einen Anhaltspunkt
für die Datierung gewännen).
Altertümlicher in der mehr zeichnerischen Behandlung ist eine Verkündi-
gung im Chor von St. S e b a 1 d , die im Stil und nach ihren allegorischen Bei-
gaben der Kunst des Wolfgang-Meisters verwandt ist**).
Zwei Bilder ähnlichen Charakters, eine Dornenkrönung und eine Geißelung
Christi, hängen hoch oben an der gegenüberiiegenden Chorwand. ^*') Wie die Ver-
kündigung durch die beiden unten in der Mitte ansetzenden Bogenlinien, so bekommt
die Dornenkrönung durch den oberen Bogenabschluß eine architektonische Wirkung,
das zweite Bild dadurch, daß die Säule in die Mitte gestellt ist; ihr Postament unter-
bricht die Trennungslinie zwischen Darstellung und Stiftern, ähnlich, wie beim Anna-
48) Waagen S. 233.
49) Waagen S. 233.
50) Ree, Kunstchronik XXIII.
VON DB. EDWIN REDSLOB. 2Q
Epitaph, mit dem das Bild der Domenkrönung das Wappen gemeinsam hat. Ob
die beiden letzten Werke als Epitaphien gedient haben, ist nicht mehr zu erkennen,
da die Inschriften fehlen.
Für den Entwickelungsgang unserer Arbeit vertreten sie einen bestimmten
Abschnitt: aus dem Typus des Gedächtnisbildes, das durch die Maler am Anfang
des fünfzehnten Jahrhunderts seinen monumentalen Charakter verlor, hat sich die
Form des Andachtsbildes entwickelt, das in gleicher Weise wie das Epitaph mit der
religiösen Darstellung das Stifterbild verbindet.
Dieselbe, vom Epitaph nicht bestimmt zu unterscheidende Form des An-
dachtsbildes, welche die Werke aus der Zeit und dem Kreise des Tucher-Altares kenn-
zeichnet, weist das Bild der Auferstehung in der Frauenkirche auf.
Freilich macht der dunkle Platz an der Südwand der Kirche es unmöglich,
sich eine abschließende Ansicht darüber zu bilden. In der alten Art der Darstellung,
die auch der Tucher-Altar gibt, durchschreitet Christus den Stein. Durch die mit
sichtlicher Beobachtungsfreude gegebene Landschaft eilen, von Johannes begleitet,
die heiligen Frauen mit zusammengeschlagenen Händen und flatternden Kopf-
tüchern. Die sorgfältige Abbildung der Stadt Jerusalem im Hintergrund mit
genauer Wiedergabe der durch die Bibel bekannten Gebäude ist charakteristisch
für Werke um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts und erklärt sich aus den
damals besonders häufigen Wallfahrten ins heilige Land. In der Heiligen- Kreuz-
kirche, der Holzschuher- und Wolfgangskapelle finden wir solche Darstellungen
hinter den Steingestalten der Grablegung Christi, in St. Sebald^^) ist — ebenfalls
zeitlich noch vor den Städtebildern der Schedeischen Weltchronik entstanden —
eine Jerusalem versinnbildlichende Freske gemalt, und an einigen Epitaphien erinnern
die Abzeichen der Kreuzritter an die Wallfahrt des Verstorbenen^^).
Von einem weniger begabten Maler dieser Richtung, ähnlich schwach wie das
am Ende des vorigen Abschnittes erwähnte Stark- Epitaph, ist das Epitaph der Fa-
milie Stör (nach Hilpert) mit dem Todesjahr 1479 in St. Lorenz, „ein ganz
rohes Machwerk, Christus in der Kelter darstellend, dessen Blut von
dem auf einem mit den vier Evangelistensymbolen bespannten Wagen sitzenden
Papst aufgefangen wird."^^) Das Thema, eine Illustration zu Jesaias 63, 2 und 3,
ist alt: schon Herrad von Landsberg hat es im hortus deliciarum, ein späteres Beispiel
ist das Wandgemälde zu Klein- Komburg^*) und noch im Beginne des sechzehnten Jahr-
hunderts gibt sich das Baidung Grien zugeschriebene Ansbacher Bild mit dem Stoffe
ab.^^) So gesellte sich zu den Allegorien der unbefleckten Empfängnis, welche die
vorige Generation liebte, eine neue allegorische Vorstellung.
Damit sind wir am Ende einer Entwicklungsphase angelangt, die, mehr um die
Erscheinung des Einzelnen bekümmert, mit lebendiger Charakteristik die alten Stoffe
51) Bei den Wiederherstellungsarbeiten des Prof. Joseph Schmitz zu Tage gekommen.
52) Vgl. das Ketzel-Epitaph am St. Sebald und im Germanischen Museum die Tafel
mit Darstellung des Ketzel, die zum hgn. Grabe zogen. (O. 525).
53) Thode S. 78. Dörnhöffer S. 449.
54) Abgebildet im christl. Kunstblatt 1883, S. 53.
55) Copie im Germanischen Museum.
30
DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRH. VON DR. EDWIN REDSLOB.
belebt und mit natürlichen Mitteln neugestaltet, indem sie es, im Gegensatz zu Meister
Berthold, auf eine drastisch sich einprägende Wirkung abgesehen hat und eine oft
plumpe, aber stets ausdrucksvolle Sprache redet. Soweit wir aus der offenbar geringen
Zahl der erhaltenen Werke Schlüsse ziehen können, hört während dieser Phase die
gehaltene Denkmalstimmung des Gedächtnisbildes auf, die Lust am Charakterisieren
der verschiedenen Gefühle verlangt sich durchzusetzen. Die Betonung der sepul-
chralen Bestimmung hat sich fast völlig verloren, die Gestalten der Stifter werden
lebenswahr aufgefaßt, bleiben aber dem Andachtsbild untergeordnet, da ihre Größe
nur wenig über die winzigen Verhältnisse, die sie auf den frühesten Epitaphien
hatten, hinausgeht. Der Maler Berthold hatte das Epitaph von der Außenwand
der Kirche in das Innere übertragen, und in den folgenden Zeiten mußte naturgemäß
die Auswahl des Stoffes vor allem danach sich richten, daß es etwas anderes brachte,
als die Darstellungen der vorher gestifteten Votivbilder, wodurch eine einheitliche
Weiterentwickelung der neuen Denkmalsform unmöglich wurde.
(Fortsetzung folgt.)
BEITRAGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
VON GUSTAV VON BEZOLD.
(Mit 6 Tafeln.)
|-^ ie Aufgabe, die Erscheinung des Menschen in ihrer individuellen Eigenart
\_J exakt darzustellen, wird in der bildenden Kunst erst spät vollständig gelöst.
Kultur und Kunst eines Volkes können eine große Höhe erreicht haben, ohne
daß sich das Verlangen geltend macht, die Züge bestimmter Personen im
Bilde genau wiederzugeben. Man begnügt sich lange mit Andeutung einzelner äußer-
licher Merkmale, einer gebogenen oder geraden Nase, eines vorspringenden Kinns oder
eines langen Bartes, ja man ist noch bescheidener und hat schon an der einem Stand
eigenen Kleidung und Bewaffnung genug. Das sind Vorstufen, die allmählich zum Bild-
nis hinführen, von einem Bildnis kann aber erst gesprochen werden, wenn die einzelnen
Merkmale zu einer homogenen mit dem Urbild übereinstimmenden Gesamterscheinung
vereinigt sind. Vorbedingung hierfür ist, daß Auge und Hand soweit geschult sind,
daß sie die individuelle Sondererscheinung eines Menschen objektiv aufzufassen
und wiederzugeben vermögen. Ist diese Stufe erreicht, so gewinnt die Bildniskunst
rasch die volle Sicherheit erst in der objektiven Darstellung der Formen, dann im
Festhalten vorübergehender Regungen der Seele. Aber das Interesse an der Er-
scheinung des Einzelnen, wie die Fähigkeit, diese Erscheinung künstlerisch wieder-
zugeben, hält nicht ewig an, sie können abnehmen, ja völlig erlöschen. Im Alter-
tum besitzt die hellenistische Kunst die höchste Kraft realistischer Individualisierung,
im Beginne der Kaiserzeit ist das Können noch sehr groß ; aber in der langen Reihe
der römischen Kaiserbildnisse können wir sein allmähliches Abnehmen Schritt für
Schritt bis zum tötlichen Ermatten verfolgen. Die bildnerische Kraft versiegt. In
der abendländischen Kunst ist ein solches Nachlassen des Könnens bis jetzt nicht
eingetreten. Wenn da und dort ein Künstler in einzelnen Fällen auf die volle, ob-
jektive Bildnistreue verzichtet hat, so hat das seinen Grund in einem bestimmten
und bewußten Kunstwollen, nicht in künstlerischem Unvermögen, und es ist keine
allgemeine Erscheinung.
Im Folgenden sollen einige Beiträge zur Geschichte des Bildnisses, wie sie für
weitere Leserkreise von Interesse sein können, gegeben werden. Ich beschränke
mich dabei auf das Material, das die Sammlungen des Germanischen Museums bieten.
Die Betrachtungen gehen mehr von künstlerischen, als von streng wissenschaftlichen
Gesichtspunkten aus.
32 BEITRÄGE ZUU GESCHICHTE DES BILDNISSES.
Bildnisse römischer Kaiser auf Münzen.
Die Quellen der Ikonographie der römischen Kaiser fließen reichlich. Die
Zahl der Statuen und Büsten ist eine sehr große; freilich hat sich Nachahmung und
bewußte Fälschung schon früh dieses Gebietes bemächtigt, aber auch die Zahl der
echten Werke ist größer als die irgend eines anderen Zweige.«^ der antiken Skulptur.
Dazu kommen die Bildnisse auf Cameen und Gemmen und die auf Münzen. Die
Bildnisse auf Münzen sind selten, vielleicht nie nach dem Leben gearbeitet worden,
sie sind also für die Anschauung von den dargestellten Personen nur sekundäre Quellen,
ihre große Bedeutung beruht darin, daß sie bezeichnet sind. Statuen, Büsten und
Cameen tragen nur selten den Namen des Dargestellten, in den meisten Fällen ist
die Bestimmung nur auf Grund der Bildnisse auf Münzen möglich. Auch auf ihrer
Grundlage bleibt manche Bestimmung unsicher, die Übereinstimmung verschiedene!
Darstellungen einer Person ist durchaus nicht immer so groß, daß sie sofort unzweifel
haft erkannt werden kann und zuweilen weist ein Münzbild auf zwei Typen, der
großen Plastik, welche unmöglich eine Person vorstellen können.
Die Ikonographie der römischen Kaiser ist gut bearbeitet; es genügt hier auf
die grundlegende Arbeit Ennio Quirino Viscontis, Iconographie Romaine, fortge-
setzt von Mongez und auf Bernoullis römische Ikonographie zu verweisen. Reiches
Abbildungsmaterial bietet Lenormant im Tresor de numismatique et de glyptique.
Abt. Iconographie des empereurs Romains.
Es soll hier nicht Bekanntes wiederholt und mit dem lückenhaften Material
unserer Münzensammlung eine Ikonographie der römischen Kaiser zusammengestellt
werden, ich will vielmehr versuchen, die Entwicklung des Bildnisses auf Münzen im
Verlauf der römischen Kaiserzeit an einer Reihe von ausgewählten Beispielen zu
veranschaulichen. Die Entwicklung ist eine absteigende, sie führt von hoher Voll-
endung zu tiefem Verfall.
Münzbildnisse sollen zuerst bei den Persern vorkommen, allein die Darstel-
lungen der Großkönige auf persischen Münzen können schon aus dem Grunde nicht
als Bildnisse gelten, weil die Könige in ganzer Figur dargestellt sind, wodurch bei
der Kleinheit des Maßstabes eine treue Wiedergabe der Züge ausgeschlossen ist.
Eine solche ist indes gar nicht beabsichtigt. Die Köpfe persischer Satrapen auf
kleinasiatischen und kilikirschen Münzen sind allgemeine Typen, keine Bildnisse.
Es sind Arbeiten griechischer Künstler aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts,
aus der Zeit, in der die Kunst des Stempelschneidens bei den Griechen ihren Höhe-
punkt erreicht hat. Erst nach dem Tode Alexanders des Großen erscheint sein
Bildnis, wie das der Münzherrn auf den Münzen der Diadochen. Der erste, der sein
eigenes Bild in porträtmäßiger Treue auf seinen Münzen anbringen ließ, ist Ptolemaios
Soter; ihm schlössen sich bald Demetrios Poliorketes und Seleukos Nikator an.
Die Münzbildnisse sind zu allen Zeiten ungleich in der Anführung, so schon
in ihren Anfängen, aber die besten unter den Münzen der ersten Diadochen sind von
einer Größe des Stils, die später kaum wieder erreicht und niemals übertroffen worden
ist. Es ist ein plastisches Können, eine Fähigkeit, auch in kleinem Maßstab einfach
und groß zu arbeiten, in diesen Köpfen niedergelegt, das die höchste Bewunderung
erregt. Die plastische Kraft läßt im Laufe der Zeit nach und die Arbeit geht mehr
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. VI.
Tiberius.
AuRustus.
Nero Drusus.
Nero.
Domitian.
Titus.
Vespasian.
Julia.
Julia.
Domitian.
Trajan.
Hadrian.
Trajan.
Hadrian.
Sabina.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel I.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. VII.
Antoninus Pius. Marc. Aurel.
Antoninus Pius. ' Faustina d. AI.
Marcus Aurelius.
Faustina d. J.
Commodus.
Septimius
Severus.
Caracalla.
Julia Domna.
Alexander Severus.
Alexander Severus.
Julia Mamaea.
Maxitninus.
Volusian
Phil. Arabs.
Gordianus III.
Philippus Arabs.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel II.
VON GUSTAV VON BEZOLD. 33
ins Kleine. Ein entschiedener Rückgang tritt im Laufe des zweiten Jahrhunderts
V. Chr. ein. Die Köpfe sind leer und flau gearbeitet.
Gegenüber den Bildnissen der späteren Ptolemäer, wie der Dynasten von Kili-
kien und Kappadokien bedeuten die ersten Münzbilder der römischen Imperatoren
einen Aufschwung. Sie sind nicht die ersten Bildnisse auf römischen Münzen. In
der späteren Zeit der Republik werden Denare mit den Bildnissen der Könige, so-
wie mit denen historischer Persönlichkeiten geprägt. Daß jene freie Erfindungen
sind, liegt auf der Hand, aber auch diese sind alle erst nach dem Tode der Dar-
gestellten geprägt und wir können nicht entscheiden, wie weit ihnen vorhandene Bild-
nisse zu Grunde liegen, wie weit sie Phantasiegebilde sind ; denn die Fähigkeit, auch
solchen das Gepräge scharf ausgesprochener Individualität zu geben, nehmen wir
auch an den Königsbildern wahr. Die Köpfe des Ancus Marcius, wie des Postu-
mius und des Lucius Brutus sind mindestens ebenso persönlich, als die des Sulla
oder des Pomponius Rufus. Letztere nebst einer größeren Anzahl von Bildnissen
berühmter Männer auf Denaren aus der Zeit der Republik sind alle erst in der ersten
Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. nach Bildern oder älteren plastischen Dar-
stellungen gefertigt. Sie machen den Eindruck der Porträtähnlichkeit, aber sie sind
trocken behandelt und nicht sehr sorgfältig gearbeitet. Der Stil ist wie der der ge-
samten römischen Kunst jener Epoche, hellenistisch; sie stehen auf der Stufe der
Münzbilder der asiatischen Dynasten der gleichen Zeit.
Um vieles höher stehen die guten Münzbilder der Kaiser des julisch-claudischen.
des flavischen Hauses, ja auch der folgenden bis auf Hadrian. Von den Schwan-
kungen, welche die römische Kunst in dieser fast zweihundertjährigen Periode durch-
macht, wird die Stempelschneidekunst kaum berührt. Der Stil dieser Kaisermünzen
läßt sich mit dem heroischen der frühen Diadochenmünzen nicht entfernt vergleichen,
er ist lange nicht so plastisch groß; aber die Bildnisse sind gut charakterisiert und
geben uns eine lebendige Anschauung von den dargestellten Personen. Die Köpfe
sind stets im Profil gegeben. Das Relief ist mäßig hoch, malerisch behandelt und
bei guter Beleuchtung von vortrefflicher Wirkung. Die Anlage ist fast immer her-
vorragend gut, sodaß noch stark abgenützte Exemplare den Eindruck geistreicher,
treffender Skizzen machen. Die Durcharbeitung geht ins Einzelne, ohne kleinlich
zu werden und die Gesamthaltung bleibt gewahrt. Die Künstler haben ein scharfes
Auge, dem die geübte Hand willig folgt und sie beherrschen die Form mit voller
Sicherheit. Ein sehr großes Können vererbt sich von einer Generation auf die andere.
Auf Tafel I sind einige Münzen aus der Zeit von Augustus bis auf Hadrian lafei i.
zusammengestellt; sie umfassen einen Zeitraum von etwa 140 Jahren. Für die lange
Periode ist die stilistische Behandlung auffallend gleichartig.
Augustus, 29 V. Chr. bis 14 n. Chr. (G. M. 6511; Cohen 226). Mittelbronze
vom Jahre 764 d. St. 11 v. Chr. Der Kopftypus ist der der reiferen Jahre
wie er um das vierzigste Lebensjahr aufgestellt und von da an festgehalten
wurde. Augustus war 764 (11) 52 Jahre alt. Die Münze ist keine von den
besten, die Reliefbehandlung ist dürr.
Nero Drusus. (G. M. 65353; Cohen 8). Großbronze unter Claudius ge-
prägt. Trotz der schlechten Erhaltung der Münze ist die vortreffliche Arbeit
noch klar ersichtlich, sie steht der vorigen mindestens gleich.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. 5
34 BBirRXGB ZUK GBSCHICai'E DES BILDNISSES.
Tiberius, 41—37. Von Tiberius haben wir nur eine der falschen Lyoner
Bronzen. Tiberius erscheint meist jugendlich auf seinen Münzen. Die schöne
Goldmünze (Dilherr Ae. 8; Cohen 15) zeigt Ihn in reiferen Jahren. Das scharfe
Profil ist charakteristisch gegeben. Leider ist die Münze an der Schläfe etwas
abgenützt, so daß das Auge jetzt zu iioch liegt. ^ ,
Nero, 54—68. (Dilherr Ae. 18; Cohen 278). Die Erhaltung der schönen
Münze ist kaum eine mittlere zu nennen, die höchsten Teile des Reliefs sind
durch einen Schlag abgeplattet, und die Oberfläche hat durch Corrosion ge-
litten; aber die Trefflichkeit der Arbeit kommt noch klar zur Erscheinung.
Die Ausführung ist nicht mehr so lebendig und frei, als an den Münzen der
ersten Claudier. Die sinnliche Fülle der Formen, der tückische Blick Neros
ist charakteristisch wiedergegeben, legt man aber neben die Münze eine frühere,
etwa die des Nero Drusus, so zeigt sich der Abstand. Die Münze ist etwa aus
den Jahren 65 — 66, dem 28. Lebensjahre des Kaisers.
Vespasian, 69-79- (G. M. 6541; Cohen 419)- Die sehr abgenutzte Münze
zeigt doch noch die charakteristischen, energischen Züge des alternden Kaisers
in voller Lebendigkeit. Vespasian regierte von 69—79 und kam mit 60 Jahren
zur Regierung.
Titus, 79—81. (Dilherr Ae. 32; Cohen 317). Die kleine Münze ist im Stil
sehr ähnlich den Silbermünzen der Claudier. Die Ähnlichkeit des Titus mit
seinem Vater ist groß und würde sich im höheren Alter wohl noch gesteigert
haben. Titus starb schon mit 40 Jahren, 81 n. Chr.
Domitian, 81—96. (G. M. 6546; Cohen 307). Münze von mittlerer Erhal-
tung. Die Münzen des Domitian stimmen mehr zu der Beschreibung des jüngeren
Plinius, als zu der Suetons, der sagt: er hatte ein bescheidenes Gesicht, errötet
oft, hatte große Augen, war aber kurzsichtig. Plinius dagegen charakterisiert
ihn als immanis belua. Seine Begegnung und sein Anblick flößten Schrecken
ein, Hochmut auf der Stirn, Jähzorn in den Augen, weibische Blässe am Körper,
in dem häufig errötenden Gesicht Schamlosigkeit (Paneg. 48). Mag diese Dar-
stellung übertrieben sein, um den Gegensatz zu Trajan stärker hervorzuheben,
das Gesicht Domitians widerspricht ihr nicht. Sein Profil ist das der Flavier,
das Gesicht ist schön, aber unangenehm; ein hochmütiger Zug umspielt den
Mund. Die Münze ist 85 n. Chr. geprägt als Domitian 34 Jahre alt war; ihre
Erhaltung ist ziemlich gut, die Arbeit ist schön und nicht kleinlich. Die
Silbermünze (Dilherr Ar. 36, Cohen 192) zeigt die gleichen Züge.
Julia, die Tochter des Titus (G. M. 13995; Cohen 18), erst Geliebte, dann
Gemahlin des Domitian. Auf Münzen ist ihr Bildnis sehr verschieden gegeben.
Ein geschnittener Stein des Pariser Kabinetts von Euodos (Germ. Museum,
Pl.-O. 1270, Zinnabguß von geringer Schärfe : Lenormant Tresor, Iconogr.
Rom. Taf. 22. 12) gilt als Bild der Judia und muß bei seiner hohen
Vortrefflichkeit als die treffendste Darstellung betrachtet werden. Unsere
Münze stimmt mit ihm nicht völlig, doch ziemlich überein, leider ist ihre Er-
haltung keine gute, sie ist sehr abgeschliffen. Der Kopf hat das f lavische Profil,
und zur höchsten Schönheit erhoben, die sich ihm abgewinnen läßt. Die Aus-
führung war von vollendeter Feinheit.
VON GUSTAV VON BEZOLD. 35
Trajan, 98—117. (G. M. 13989; Cohen 531)- Trajans Münzen haben einen
feststehenden, charakteristischen Typus mit markierten Zügen, bezeichnend
sind die schmalen Lippen und der festgeschlossene Mund. Die Großbronze
auf unserer Tafel ist fein und sehr ins Einzelne gearbeitet. Die kleine Silber-
münze (G. M. 6555; Cohen 514) zeigt die gleichen Züge, ist aber in den oberen
Teilen des Gesichtes oberflächlich behandelt.
An dem letzten Aufschwung der antiken Plastik unter Hadrian hat die Stempel-
schneidekunst keinen Anteil; mit Hadrian beginnt ihr Verfall. Erst leise, noch
bleibt die formale Schönheit, noch die äußere Ähnlichkeit, aber die Durchmodellie-
rung des Reliefs wird flach und leer. Mit den späteren Antoninen von Marcus Au-
relius an, werden die Münzbilder oberflächlich und geistlos. Die Haare werden sche-
matisch behandelt ; ein erschreckendes Zeichen sinkender Beobachtung ist die Front-
stellung des Auges in Profilköpfen, ein Zurücksinken auf eine primitive Kunststufe;
selbst die äußere Ähnlichkeit wird vernachlässigt und die Beseelung fehlt ganz. Etwas
besser sind die Münzen der folgenden Zeit, der Severe und Gordiane. Ihre Münz-
meister sind gewissenhafte Medailleure von mäßigem Können und ohne Geist. Aber
es fragt sich auch, ob diese Imperatoren zur Entfaltung von Geist bei Aufnahme
ihrer Bildnisse, Anlaß gegeben haben. Die Münzbilder erreichen die Ähnlichkeit,
schön waren diese Kaiser alle nicht. Ab und zu begegnet uns ein Charakterkopf,
der zu besserer Behandlung anregt. Das technische Können hält sich durch Jahre
auf ziemlich gleicher Höhe. Das Profil ist meist gut gegeben, auch der Mund. Die
Zeichnung der Augen ist schlecht, obwohl sie noch fast immer im Profil gegeben
werden. Haar und Bart sind kurz geschoren und durch kurze vertiefte Striche an-
gegeben.
Hadrian, 117—138. (G. M. 6567; Cohen 1364). Die Münzen Hadrians
weisen einen feststehenden Typus des Gesichts auf, der sich auch auf
unserer findet. Die Behandlung ist einfach, etwas steif. Kaum besser
ist die Silbermünze (G. M. 6564 Cohen 1147).
Sabina, Hadrians Gemahlin. (Dilherr Ae. 38; Cohen 68). Die Münze ist in
der technischen Behandlung der Hadians verwandt.
Äntoninus Pius, 138—161. (G. M. 17110; Cohen 1115). Die Münze ist schlecht lafei 11.
erhalten, doch läßt sie eine sorgsame, etwas ängstliche Formbehandlung er-
kennen und sie entspricht in ihrer inneren Charakteristik dem, was wir über
den Charakter Äntoninus wissen. Die Goldmünze (Dilherr Au. 14; Cohen 312),
ist hübsch modelliert, aber ohne Ausdruck, einen Christusbild des 18. Jahr-
hunderts ähnlich.
Faustina die Ältere. (G. M. 17143; Cohen 210). Die Münze ist von mittlerer
Erhaltung, zeigt uns das Bild einer schönen Frau. Die Arbeit ist gut, wenn
auch nicht eindringend. Die Münze ist nach dem Tod Faustinus um 145 ge-
prägt.
Marcus Aurelius, 161— 180. (Dilherr Ae. 60). Die kleine Silbermünze
zeigt einen jugendlichen, bartlosen Mann. Die Ausführung ist kaum
mittelgut. Noch geringer ist die Kupfermünze (G. M. 6590; Cohen 115), sie
ist ein charakteristisches Beispiel der schlechten Münzen der Zeit, das Relief
3Ö BEITRÄGE ZUB GESCHICHTE DES BILDNISSES.
ist oberflächlich und unsicher behandelt, das Auge nicht mehr ganz im Profil,
die Haare schematisch, das Beiwerk hart. Das Relief ist ziemlich flach.
Faustina die Jüngere. (G. M. 6599)- Diese Münze ist kaum besser
als die vorige, wenn ihr auch das etwas stärkere Relief eine vollere Wir-
kung gibt. Die Ähnlichkeit Faustinas mit ihrer Mutter, der älteren Faustina,
ist auch auf dem mittelmäßigen Bilde augenfällig.
Commodus, 180—192. (G. M. 6609), einer der Söhne des Marcus Aurelius
und dessen Nachfolger war trotz des verschiedenen Profils dem Vater
ähnlich, besonders in den stark vortretenden Augen. Unsere Münze zeigt
einen nicht unschönen Kopf ohne Energie und Geist. Der Stil ist der der-
Münzen des Marcus Aurelius, die Arbeit ist gering.
Die Münzen des Annius Verus, des Lucius Verus und der L u-
c i 1 1 a sind nicht besser als die hier erwähnten. Die der folgenden Kaiser
stehen etwas höher, die Arbeit ist unbeholfen aber die Ähnlichkeit wird erreicht.
Es genügt hier, einige herauszugreifen.
Septimius Severus, 193—211. (G. M. 17106), vergoldete Silbermünze. Der
Vergleich mit größeren Bronzen zeigt, daß diese Münze, welche im Relief
ganz gut wirkt, hinsichtlich der Ähnlichkeit zu den geringeren zählt. Der
Charakter des Septimius Severus kommt in ihr so wenig als in den besseren
zum Ausdruck.
Julia Domna. (G. M. 6618; Cohen 72), die zweite Gemahlin des Septimius
Severus, wird als eine schöne und kluge Frau gerühmt. Die Münzen geben
nur die äußerlichsten Merkmale, vor allem ihre perückenartige Frisur. Die
kleine auf Tafel 1 1 abgebildete Silbermünze steht mit größeren Bronzen wenig-
stens nicht mehr in Widerspruch, als in anderen Fällen. Die Arbeit ist hin-
sichtlich der Gesamterscheinung nicht schlecht.
Caracalia, 211—217. (G. M. 6620; Cohen 358). Die kleine Silbermünze ist
wie die meisten Denare Caracallas nicht charakteristisch.
Alexander Severus, 222—235 (G. M. 6634; Cohen 106). Die Bronze-
münzen des Alexander Severus zeigen einen ziemlich übereinstimmenden Typus,
der auch durch die Büsten des Kaisers als zutreffend erwiesen wird. Unsere
Münze ist eine trockene, wenig künstlerische Arbeit, aber sorgfältig ausgeführt
und als Porträt nicht schlecht. Hier tritt die langweilige Behandlung der
Haare und des Bartes mit kurzen, vertieften Strichen auf. Ganz oberfläch-
lich und geistlos ist die Silbermünze. (G. M. 13988; Cohen I83).
Julia Mamaea. (G. M. 6039; Cohen 10). Die Bronzemünze der Mutter
des Alexander Severus gehört zu den besseren aus dem ersten Drittel des dritten
Jahrhunderts. Sie stammt mit der Büste Mamaeas im Vatikan zwar nicht
genau überein, doch aber soweit, daß sie noch als ein zutreffendes Bildnis gelten
kann. Auch ist das Gesicht nicht ohne Ausdruck.
Maximinus, 235—238. (G. M. 6642; Cohen 10). Die Münze steht stilistisch
der oben besprochenen Mittelbronze des Alexander Severus nahe, ja der Stempel
kann von der gleichen Hand geschnitten sein. Der Kopf dieses Kaisers wird
auf den Münzen verschieden gegeben. Mit der kapitolinischen Büste stimmt
■Ti».
Mitteilungen aus dem gerinan. Nationalmuseum. 1907-
Taf. VMI.
Valerianus.
Postunius.
Quintillus.
Aurelianus.
Tacitus.
Probus.
Diocletian.
Diodetian.
Maximianus.
Constantius Chlorus.
Galerius.
Maximiiius.
Helena.
Coiistantin II.
Constantin d. G
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel III.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. IX.
Magnentius.
Anastasius.
Constantin Pogonatos.
Gratian.
Gratian.
Theoderich. Athalarich.
•
Justinian
Gunthamund. -^^n^^^g^ Thrasamund.
Theodahat.
Phokas.
Constantin X.
Leon XI.
Liuva ( ?).
Recared.
Langobarde.
Arrigis.
•
Egica.
Grimoald.
Sighard.
Unbekannte Merowingen
Siegebert III.
Ludwig d. Fromme.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel IV.
^^ f, ;•;■.•-■• ?
VON GUSTAV VON BEZOLD. 37
das Profil in seiner Grundzügen, nicht aber in den Einzelheiten überein, es
darf kaum als sehr treffend bezeichnet werden.
Gordianus III. Pius, 238—244. (G. M. 6654; Cohen 254). Die leider
durch Doppelschlag etwas entstellte, sonst gut erhaltene Mittelbronze zeigt
abermals genau den gleichen Stil wie die des Maximinus und des Alexander
Severus. Gordianus wurde 244 im Alter von 19 Jahren ermordet. Eine gute
Büste von ihm besitzt das Louvre, sie muß noch in seinen Knabenjahren ge-
fertigt sein. Das Bild unserer Münze zeigt ihn in etwas reiferen Jahren, es
ist ähnlich, wenn auch äußerlich und geistlos behandelt.
Philippus Arabs, 244—249- (G. M. 6662; Cohen 59). Die Bronzemünzen
des älteren Philippus haben ganz den gleichen Stil wie die vorhergehenden.
Das Münzbild stimmt mit der schönen Büste im Vatikan gut überein, weniger
die ziemlich lebendige Silbermünze. (G. M. 17092; Cohen 198).
Volusian, 352—253 (G. M .17134; Cohen 70). Das Bild ist trocken und
oberflächlich, aber nicht ohne individuelle Züge.
Der Verfall der Stempelschneidekunst schreitet in der zweiten Hälfte des
dritten Jahrhunderts fort. Noch ist die Fähigkeit, die Züge einer Persönlichkeit
wiederzugeben, nicht erloschen und ab und zu begegnen uns Münzbilder, welche
augenscheinlich charakteristisch und ziemlich gut ausgeführt sind, aber die große
Menge ist schlecht. Die Formen sind mager, es besteht die Neigung, den Hals lang
zu machen, den Kopf klein und oben abgeplattet.
Valerianus, 253—260. (G. M. 1710I; Cohen 18, aber Silber). Die Silber- Tafei 111.
münze zeigt einen älteren Mann mit vollem Gesicht und dürfte ein ziem-
lich zutreffendes Bild des Kaisers geben, der von seinem 63.— 70. Lebens-
jahre regierte.
Posiumus, 258—267. (G. M. 6691). ein Usurpator in Gallien während der
Regierung des Galli^nus. Seine zahlreichen Münzen sind gut geschnitten
und stimmen im Typus wohl überein.
Quintillus, 270. (Dilherr Aur. 0. Nr.; Cohen 167). Quintillus der Bruder
des Kaisers Claudius Gothicus folgte diesem 270 in der Regierung. Er soll
nur siebzehn Tage regiert haben. Ist diese Angabe richtig, so müssen seine
Stempelschneider Tag und Nacht gearbeitet haben, denn Cohen führt von ihm
74 Münzen an. Die äußerst seltene Goldmünze ist technisch gut gearbeitet,
aber charakterlos und stimmt nicht zu den Großbronzen.
Aurelianus, 270—275- (G. M. 670I; Cohen 95)- Das gleiche gilt von den
Münzen dieses Kaisers. Sie zeigen den allgemeinen Kopftypus des späteren
dritten Jahrhunderts ohne jegliche Sorgfalt der Individualisierung.
Tacitus, 275— 276. (G. M. 6715; Cohen 137)- Das fette Gesicht mit dem
dürftigen Bart gab Anlaß zu etwas besserer Charakteristik, doch sind auch
die Bilder dieses Kaisers flau.
Probus, 276—282. (G. M. 6717; Cohen 210). Die Münzen des Probus sind
sehr zahlreich, aber sie begnügen sich zum größten Teil mit einer sehr allge-
38 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
meinen Charakteristik. Am besten sind die Großbronzen, deren wir keine
besitzen.
Mit dem Ausgange des dritten Jalirliunderts schreitet der Verfall rascher
vor. Man sieht, die Stempelschneider suchen noch individuelle Bilder zu ge-
winnen, aber sie vermögen es nicht mehr. Die Bilder eines Kaisers sind oft
unter sich verschiedener, als die zweier. Das Relief wird flach, an Stelle der Model-
lierung tritt eine Art Zeichnung mit erhabenen i^inien. Der Augenstern wird als
voller Kreis angegeben. Das Bild ist starr und leblos. Nach der Mitte des vierten
Jahrhunderts greift die äußerste Rohheit um sich. Die Münzen des Magnentius
(350—353) sind von einer kindischen Unbeholfenheit. Es lohnt sich nicht hierbei
zu verweilen, einige Beispiele bis zum Schluß des vierten Jahrhunderts mögen ge-
nügen. Ihnen folgen von Münzen der byzantinische Kaiser und germanischer Fürsten
des 5. und 6. Jahrhunderts.
Diocietianus, 284—305. (G. M. 673O; Cohen 101; G. M. 6732; Cohen 436).
Die Münzen Diolcetians weichen so vielfach von einander ab, daß wir sagen
können, sie geben alle kein zutreffendes Bild des großen Kaisers. Vergleichen
wir mit seinem Bilde die seiner Mitregenten.
Maximianus, 286— 310. (G. M. 6751; Cohen 179 (?) und Galerius, 305— 3H
(G. M. 6769; Cohen 54), der sich auf seinen Münzen gleichfalls Maximianus
nennt, so sehen wir, daß nun von einer Individualisierung überhaupt keine
Rede mehr ist. Mit Recht bemerkt BernouUi (III. 2. 205) von Galerius: Seine
Bildnisse machen den Eindruck, als ob es bloße Reproduktionen von Typen
der unmittelbar vorhergegangenen Kaiser wären, ohne allen individuellen
Charakter.
Constantius Chlorus, 305—306. (G. M. 6768; Cohen 44) weist auf den
Münzen einen ziemlich gleichbleibenden Typus mit sehr scharfem Profil auf,
der Stil ist der gleiche wie der der Münzen seiner Mitregenten.
Helena. (G. M. 6811 ; Cohen 13). Es gibt von Helena auf Großbronzen
Bildnisse, welche ziemlich individuell sind (Bernoulli III. 2 Münztafel VII. 1),
die kleinen Münzen haben ähnliche Typen, aber verflacht.
Constantin der Große, 306—337. (G. M. 679O; Cohen 202). Von Con-
stantin gibt es eine Anzahl größerer Medaillons, welche zu den besseren Arbeiten
der Zeit gehören, aber ein idealisiertes Bild des Kaisers geben. Die Münzen,
im Stil von denen der Zeitgenossen nicht verschieden, zeigen, daß sein Profil,
wenn auch weniger scharf, dem des Vaters ähnlich war. Von Constantin an
sind die Kaiser wieder unbärtig.
Maximinus Daza, 305—313. (G. M. 6777; Cohen 96). Mittelbronze im
Stil des frühen 4. Jahrhunderts ohne individuelle Züge.
Constantin II., 337—340. (G. M. 6814; Cohen 38). Geistlos, aber zier-
lich gearbeitetes Bildnis des jugendlichen Herrschers.
Die Mittelbronzen Diocletians und seiner Mitregenten sowie Constantins und
seiner Söhne bilden eine Gruppe für sich, die sich zwar nicht wesentlich von denen
der unmittelbar vorausgehenden und nachfolgenden Kaiser unterscheidet, aber doch
VON GOSTAV VON BEZOLD. 39
ein einheitliches Gepräge zeigt. Das Streben nach zierlicher Behandlung ist unverkenn-
bar, allein das Können ist gering. Niemals weder vorher noch nachher wurde lang-
weiliger und einförmiger gearbeitet. Die Individualisierung bleibt am Äußerlichsten
haften und wird auch ihm nicht gerecht, von irgend welcher psychischen Charakteristik
ist überhaupt keine Rede. Der Tiefstand des Könnens ist damit noch nicht einge-
treten, aber schon unter dem Usurpator.
Magnentius, 350—353- (G. M. 6842; Cohen 31) wird er erreicht. Die tafci iv.
Münze, welcher andere um ein Geringes bessere zur Seite stehen, ist unglaub-
lich roh in der Auffassung des Bildnisses. Wir stehen in der Mitte des
vierten Jahrhunderts. Von Julianus und von Theodosius haben wir keine
Münzen.
Gratianus, 375—383- (Dilherr Au. 17; Cohen 38; G. M. 6847; Cohen 34).
Die Ausführung dieser kleinen Münzen ist unsicher und weichlich. Noch um
eine Stufe tiefer steht die Goldmünze des Arcadius, Kaiser des oströmischen
Reiches, 395—408. (Dilherr Au. 18). Nun tritt ein Stillstand ein. Die
Münze des Arcadius vom Anfang des fünften Jahrhunderts ist stilistisch
wenig verschieden von der des Anastasius, 491—518. (G. M. 7149) oder des
Justinian 527—567 (G. M. 8215;) aus dem Anfang des sechsten. Auf
Ähnlichkeit wird überhaupt nicht mehr gesehen. Die germanischen Könige
setzen auf ihre Gold- und Silbermünzen die Köpfe der oströmischen Kaiser.
Die kleine Silbermünze Theoderichs, 493—526. (G. M. 11862) trägt das
Bild des Anastasius. Der Stempel zur Münze Theoderichs mag von einem
Stempelschneider des Kaisers geschnitten sein. Die Silbermünze von Theo-
derichs Nachfolger Athalarich, 526—534 (G.M. 11850) hat das Bild des Kaisers
Justinian, 527—567 und zwar in besserer Ausführung als auf der Goldmünze
dieses Kaisers (G. M. 8215). Die Goldmünze mit dem Kopfe Justinians (G.
M. 12403) ist provinziell oder barbarisch (westgotisch?). Die Mittelbronze des
Ostgothen Theodahat, 534—536 (G. M. 1788) zeigt in starren Formen doch
wieder bildnismäßige Züge.
Auf oströmischen Münzen tritt sofort nach der Teilung des Reiches ein neuer
Typus der Münzbilder auf. Der Kaiser erscheint im Brustbild von vorn, er hält in
der rechten Hand, über die Schulter gelehnt, eine Lanze oder ein Szepter. Der Kopf
ist mit einem Helm bedeckt und gewöhnlich etwas nach links gewendet. Der Typus
kommt schon auf Münzen des Arkadius vor (Sabatier, discription g^n^rale des mon-
naies byzanticus I. PI. III.). Er bleibt lange Zeit sehr gleichartig.
Konstantin IV. Pogonatos 668—685. (Dilherr Au. 16; Sabatier II. S. 17,
No. 20). Goldmünze, dekorativ sehr gut gearbeitet, die Bildnisähnlichkeit
höchstens ganz äußerlich.
Das Frontbild kommt schon auf antiken Münzen vor. Die Köpfe der Gott-
heiten auf griechischen Städtemünzen, namentlich aus dem vierten Jahrhundert
V. Chr. sind oft so gegeben. Die Darstellungsweise entspricht sehr wohl dem hohen
Reliefstil der griechischen Münzen. Für Bildnisse ist sie weniger geeignet; auf den
Münzen der hellenistischen Dynasten kommt sie nur ausnahmsweise vor, unter den
römischen Kaisermünzen kenne ich nur solche von Postumus, 258—267, welche das
40 BEITRÄOE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
Frontbildnis tragen. Auf sassanitschen Münzen erscheint es erst später als in Byzanz,
sie schließen sich zuerst an achaemenidische Vorbilder mit Profildarstellung an. In
Byzanz ist das Frontbild vom 6. Jahrhundert an herrschend.
Phokas, 602—610. (G. M. 13882; Sabatier I. PI. XXVil). Äußerlich ähn-
lich, aber starr.
Leo VI., 886— 9H. (G.M. 10439; Sabatier II. PI. XLV), und Constantin X.
mit seinem Sohn. (Dilherr Au. 22; Sabatier II. PI. 46) mögen als Beispiele
genügen. Der Stil ist hier ganz leblos, fast ornamental geworden
Bildnisse auf Diptychen.
Neben die Münzbilder treten vom fünften Jahrhundert an die Bildnisse auf
Diptychen. Sie haben, wie die Münzbilder, den Vorzug, daß sie fast alle fest datiert
sind. Sie treten in einer Zeit auf, in welcher das Münzbild schon ganz konventionell
geworden ist und haben, wie die Münzen des fünften und sechsten Jahrhunderts,
keinen großen Bildniswert.
Diptychen sind Schreibtafeln, welche, aus zwei Platten bestehend, auf- und
zugeklappt werden können. Hier haben wir es mit Elfenbeintafeln zu tun, die auf
der Außenseite mit Reliefs geschmückt sind. Sie dienten als Geschenke. Insbe-
sondere war es üblich, daß die Konsuln beim Antritt ihres Amtes den Kaiser und
andere vornehme Personen mit Diptychen beschenkten. -Man nennt diese Diptychen
Konsulardiptychen ; sie tragen gewöhnlich auf einer oder auf beiden Tafeln das
Bild des Konsuls. Anordnung der Komposition und Darstellung der Figur sind an-
fangs mannigfach verschieden, gegen Ende des fünften Jahrhunderts tritt eine fest-
stehende Kompositionsformel ein und die Darstellung der Person wird schematisch.
Sie ist so allgemein gehalten, daß man oft zweifeln kann, ob sie das Bildnis des Kon-
suls ist, dessen Namen das Diptychen trägt. Einige tragen individuelle Züge we-
nigstens soweit, daß man sie sofort als Bildnisse anerkennt, andere aber würden
wir ohne die Beischrift und ohne Kenntnis ihrer Bestimmung nicht als Bildnisse
ansprechen.
Aber die Frage ist nicht so klar, daß sie sofort entschieden werden könnte.
Die Anforderungen, welche man an die Ähnlichkeit eines Bildnisses stellt, sind zu
verschiedenen Zeiten verschieden und waren im fünften und sechsten Jahrhundert
äußerst gering. Daß die Münzbilder der oströmischen Kaiser zu ihren Lebzeiten
gefertigt nicht einfach den Kaiser, sondern Honorius, Anastasius, Justinian u. A.
darstellen sollen und wollen, haben wir gesehen, aber wir haben auch wahrge-
nommen, mit welch bescheidenen Leistungen man sich begnügte. Selbst wenn wir
von den rohen Arbeiten entlegener Provinzialkunst und von den Nachahmungen
der Barbaren absehen, welche nicht mehr als Bildnisse gelten können, ist auch
bei den besten Münzbildern das individuelle Ingrediens gering- T Bei einigen Kon-
sulardiptychen aber vermisse ich es vollständig. Anastasius, 517 Konsul des Ostens,
Magnus, 518 Konsul des Ostens sind Schemen ohne alles individuelle Leben, von einer
Allgemeinheit der Gesichtsbildung, die kaum übertroffen werden kann. Sie stellen
einen Konsul in Amtstracht dar, keine bestimmte Person. Ich kann mich nicht
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. X.
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"VON GUSTAV VON BEZOLD.
41
davon überzeugen, daß sie auf Bestellung gemacht sind und das Bildnis des Konsuls
enthalten, dessen Namen sie tragen, ich glaube vielmehr, daß es rein industrielle
Erzeugnisse sind, welche auf Vorrat gearbeitet und nur nach Bedarf mit dem Namen
des Käufers versehen wurden. Man sehe aber, was E. Molinier in seiner Historie
g6n6rale des arts appliqufe ä Industrie I, S. 5 für die gegenteilige Ansicht beibringt. —
Ich bespreche einige Diptychen, jedoch nur soweit, als sie für die Geschichte des
Bildnisses von Belang sind.
Römische Familie. Anfang des fünften Jahrhunderts. (Molinier 1, Wilh. Tafei v.
Meyer 47 a b ^) Auf der einen Platte ist der Mann, auf der anderen die Frau
und ein Knabe dargestellt. Der Mann zeigt indivuelle Züge, er hat ein
schmales, nach oben breiter werdendes Gesicht, kleinen Mund mit vollen
Lippen, lange, gerade Nase, mäßig große, weit geöffnete Augen, kurzen Bart.
Die Darstellung macht den Eindruck der Ähnlichkeit, wenn sie auch ziem-
lich äußerlich behandelt ist. Die Gesichter der Frau und des Kindes sind rund
und voll, weniger charakteristisch als das des Mannes, aber doch glaubwürdig
als Bildnisse. Zur Bestimmung der Personen fehlen alle festen Anhaltspunkte.
Es ist zu bedauern, daß sie unter verschiedenen Namen kritiklos als gesicherte
Porträts bestimmter Personen des sinkenden Reiches in illustrierte Geschichts-
werke aufgenommen worden sind.
Felix, 428 Konsul des Westens. (Molinier 3; Meyer 2). Das Original in
der Bibliotheque nationale zu Paris. Auch diese Darstellung ist als Bildnis
Diptychon des Konsuls Asturius.
1) Emile Molinier, bist. g6n. des arts appliquds ä l'industrie. — Wilhelm Meyer, Zwei
antike Elfenbeintafeln der K. Staatsbibliothek in München; in den Abhandlungen der K. b.
Akademie d. W. Phil. Cl. XV. S. 1 ff.
Mitteilungen aus dem gemian. Nationalmuseum. 1907. ' C
42 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
kenntlich; die Auffassung ist ähnlich wie auf dem vorigen Diptychen, die Aus-
führung weniger sorgfältig, aber etwas lebendiger.
Asturius, 449 Konsul des Westens. (Molinier 4, Meyer 3). Das Gesicht
des sitzenden Konsuls bietet nur noch einen Schatten von Ähnlichkeit und
die Ausführung ist roh und unbeholfen.
Unbekannter Konsul, zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts. (Molinier
38, Meyer 63). Das Original im Domschatz zu Halberstadt. Abendländische
Arbeit. Auf den beiden Platten sind drei Männer abgebildet, ihre Züge sind
verschieden und man hat wenigstens bei denen auf der zweiten Platte den
Eindruck, daß individuelle Charakteristik angestrebt ist. Die Ausführung ist
ziemlich roh, die Erhaltung schlecht. Die Datierung des Halberstädter Dip-
tychons auf die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts scheint mir nicht ganz
unzweifelhaft zu sein, es könnte auch als provinzielle Arbeit einer älteren Zeit
angehören. Doch kenne ich das Vergleichsmaterial nicht genug, um meine
Zweifel begründen zu können.
Philoxenus, 525 Konsul des Ostens. (Molinier 29, Meyer 26). Original
in der Bibliotheque nationale zu Paris. Aus der Reihe der sehr gleichförmigen
Diptychen des sechsten Jahrhunderts tritt das des Philoxenus sowohl durch die
Komposition wie durch die Behandlung der Figuren heraus. Auf jeder Tafel
sind drei Kreise, im oberen das Brustbild des Konsuls mit der Trabea bekleidet,
im mittleren die Inschrift, im unteren das Bild einer Frau. Die Züge des Mannes
wie der Frau haben ein individuelles Gepräge. Die Wangen und das Doppel-
kinn des Mannes, wie der Schnitt des Mundes und die eigenartige Behandlung
der Haarlocken sind entschieden nach Beobachtungen an der Natur gemacht
und weichen von dem allgemeinen Typus der Zeit so weit ab, daß wir die Dar-
stellung sicher als ein Bildnis und zwar als ein nicht unzutreffendes bezeichnen
dürfen. Auch das Bild der Frau hat namentlich im unteren Teil des Gesichts
etwas individuelles, von dem herrschenden Typus abweichendes. Gleichwohl
bleibt es fraglich, ob wir eine bestimmte Person oder eine Allegorie vor uns
haben.
Das Bild des Philoxenus ist das letzte, welches ich als Bildnis anerkennen kann.
Aber schon vor seinem Konsulat kommen Konsulardiptychen vor, auf welchen das
Bild des Konsuls aller individuellen Züge bar ist. Als Beispiel mag ein Diptychon
genügen, das ohne ausreichenden Grund dem Magnus, 518 Konsul des Ostens, zuge-
schrieben wird. (Molinier 24, Meyer 31). Die Übereinstimmung des Gesichtes des
Konsuls mit denen der hinter ihm stehenden allegorischen Gestalten der Roma und
Constantinopolis zeigt klar, daß hier nur ein Konsul, nicht aber eine bestimmte
Person dargestellt ist, soferne nicht das gekräuselte Haar als individualisierendes
Zeichen gelten soll. Auch wenn dies zutreffen sollte, wäre damit bewiesen, daß die
Bildniskunst vom Wesentlichen auf das Unwesentliche, auf äußerliche Merkmale
zurückgesunken ist, von welchem sie auf primitiven Kunststufen ihren Ausgang ge-
nommen hat.
Die antike Bildniskunst hat ihren Lauf vollendet. Werfen wir einen Blick auf
den Weg zurück, welchen sie seit dem Beginn der römischen Kaiserzeit durchlaufen
VON GUSTAV VON BEZOLD. 43
hat. Zur Zeit des Augustus ist der Höhepunkt schon überschritten, aber das künst-
lerische Vermögen ist noch sehr groß und die besten Kräfte werden in den Dienst
des Kaisers gezogen.
Es waren Griechen, und als ein Sproß der griechischen Kunst muß, wie ich
schon eingangs betont habe, die römische Bildniskunst betrachtet werden. Schon
im dritten Jahrhundert ist in den Büsten der Diadochen das Äußerste an realistischer
Bildnistreue erreicht. Die Bildnisse der claudischen Kaiser zeigen eher ein Zurück-
greifen auf typische Formgebung, sie sind mit bewußter Absicht dem Bilde des
Augustus genähert. Wie weit dies mit allgemeinen stilistischen Strömungen der
Zeit in Zusammenhang steht, soll in dem engen Rahmen dieser Arbeit nicht unter-
sucht werden. Die Münzbilder sind von einer reifen und vollen Schönheit, sie bleiben
auch bei einer sehr ins Einzelne gehenden Durchbildung frei und groß. Der Stil
ändert sich bis auf Hadrian kaum. Dann tritt der Verfall ein, und zwar im Münz-
bilde weit entschiedener als in der großen Plastik. Während noch unter den Severen
Meisterwerke der Bildniskunst wie die Büste des Caracalla in Berlin geschaffen werden,
sind die Münzbilder der Antonine schon durchgehends erschreckend geistlos und
nachlässig gearbeitet. Etwas besser sind die Münzen der Severe, der Gordiane und
ihrer nächsten Nachfolger. Ihr Stil ist trocken, ihre technische Ausführung mittel-
mäßig, aber sie erreichen im allgemeinen die Ähnlichkeit. Mit dem Ausgang des
dritten Jahrhunderts sinken die Anforderungen an die Ähnlichkeit auf eine ganz
niedrige Stufe, der Stil schwankt zwischen Relief und Zeichnung, die technische
Ausführung ist unbeholfen. Das Gefühl für den organischen Bau des Gesichts
schwindet, man begnügt sich mit einer mehr oder minder unvollkommenen Wieder-
gabe einzelner Merkmale; Nebensächliches wie die Tracht tritt in den Vordergrund.
Schließlich werden nur noch die Standesabzeichen gegeben, das Münzbild hört auf
Bildnis zu sein, es ist Symbol geworden.
Daß in der Frühzeit des sechsten Jahrhunderts noch eine beschränkte Fähig-
keit der charakteristischen Darstellung bestimmter Personen vorhanden war, zeigen
einige Diptychen. Aber die meisten von diesen Erzeugnissen der Kleinkunst lassen
erkennen, wie wenig Wert man auf die Bildnistreue legte.
Dieser Verzicht ist ein Symptom einer allgemeinen Erscheinung, eines voll-
ständigen Wandels des Kunstgefühls. Die lineare und plastische Anschauung, welche
die griechische Kunst beherrscht und zur höchsten Vollendung der Form geführt
hat, tritt zurück, der plastische Formensinn erlischt, die bildende Kunst gelangt
zu völliger Vernachlässigung der formalen Durchbildung. Man sucht und findet
Ersatz in einer Kunst, welche durch Licht und Farbe wirkt und das psychologische
Moment der Stimmung einführt, das wissenschaftlich kaum faßbar ist. Wer in
Ravenna die kleine Grabkapelle der Galla Placidia betritt, wird inne, mit welcher
Macht hier nur durch Licht und Farbe ein sehr starker ästhetischer Eindruck erzielt
wird. Doch wir können nur ermessen, wie der Raum auf uns wirkt. Es ist ja anzu-
nehmen, daß die Wirkung auf die Menschen des fünften Jahrhunderts ähnlich war,
aber wenn wir von dem Stimmungsgehalt alter Kunstwerke sprechen, projizieren
wir doch nur unser Gefühl in frühere Zeiten.
Noch ein zweites wirkte zersetzend auf den Formensinn. Die spätantike Kunst,
namentlich die christliche, operiert in ausgedehntem Maße mit Assoziationsvor-
44 BEITRAGE ZUR GBSCHICHTB DES BILDNISSES VON GUSTAV VON BBZOLD.
Stellungen, welche durch Symbole hervorgerufen werden. Das aber führt von der
Anschauung, der einzigen Grundlage ästhetischer Wirkung, in Gebiete, die der Kunst
fernliegen.
Es wäre verlockend, die Entwickelung der spätantiken Poesie zu der der bil-
denden Kunst in Parallele zu setzen. Es ist kaum zufällig, daß gleichzeitig mit dem
Schwinden des plastischen Formensinnes der quantitierende Vers in Verfall gerät
und daß der akzentuierende rhythmische mit dem Reimschluß in Aufnahme kommt.
Hier sei nur darauf hingewiesen.
(Fortsetzung folgt.)
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseuni. 1907-
Taf. XI.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Alfred Walcher Ritter von Molthein, Bunte Hafnerkeramik der Renaissance in den öster-
reichischen Ländern Oesterreich ob der Enns und Salzburg bei besonderer Berücksichtigung ihrer
Beziehungen zu den gleichzeitigen Arbeiten der Nürnberger Hafner. Wien 19O6.
Die Geschichte der deutschen Keramik hat im letzten Jahrzehnt durch die immer weiter
greifende Sammlertätigkeit auf diesem Gebiet zu manchen neuen und glücklichen Ergebnissen
geführt. Eines der schwierigsten Kapitel bildete von jeher die Provenienz und Entwicklung der
aus gewöhnlichem Töpferton mit Buntglasur hergestellten Ware, die sich in zwei Hauptgebiete,
die Gefäß- und die Ofenkeramik abteilen läßt. Nur sehr zeit- und müheraubende SpezialStudien
Abb. 1. Nürnberger Hafnerkrug,
der Preuningschen Werkstätte zugeschrieben.
für kleinere lokalere Gebiete können Aussicht geben, in das noch vielfach herrschende Chaos Ord-
nung zu bringen. Alfred von Walcher, der Kustos der berühmten Sammlungen des Grafen Wilczek
hat diese Aufgabe bezüglich Salzburgs und Österreichs für die Renaissanceperiode in einem muster-
haft angelegten Werke in Angriff genommen, wie es seines Gleichen auf deutschem Boden noch nicht
gefunden hat. Auch wenn man nicht allen Schlüssen des Verfassers beistimmen kann, so trägt
46 UTERARISCHE BESPRECHUNGEN.
die Herbeischaffung alles nur erreichbaren urlcundlichen und Denkmälermateriales und seine
sorgfältige Prüfung zur Aufhellung des gerade in jenen Gebieten glänzend vertretenen Kunst-
zweiges doch wesentlich bei.
Den Beginn der Untersuchungen macht v. Walcher mit der Stadt Steyr, deren Bedeutung
als Transitplatz für den deutsch-italienischen Handel er auch als ausschlaggebend für die große
Hafnerindustrie ansehen möchte. Nach kurzer Erzählung der Geschichte des dortigen Hafner-
gewerbes und Aufführung der nachweisbaren Meister geht er mit Geschick an die Zusammen-
stellung der vermutlich in Steyr gefertigten Gefäße ein. Hier wie an anderen Stellen des Werkes
muß freilich bemerkt werden, daß die Versuche, unbezeichnete alte Gefäße auf Meister zu beziehen,
von denen nichts als der Namen überliefert ist, zu gewagt erscheint. Die Blütezeit der Steyrer
Hafnerkeramik fällt in die Jahrzehnte um 1600. Sodann wendet er sich den Hafnern im Krems-
tale zu, die durch die Art der Verwendung von Reliefauflagen und die Art der Zinn- und Blei-
Abb. 2. Nürnberger (?) Krug mit Porträtmedaillons um 1530.
Sammlung Figdor. Wien.
glasuren dem Verfasser eine enge Verbindung mit gleichzeitiger und vorangehender Gefäßkeramik
in Nürnberg vermuten lassen. Der Export nach dort, insbesondere der Plutzer genannten Wein-
krüge, wovon Abb. 1 ein Beispiel aus der Sammlung Wilczek') gibt, ist sicher und ebenso die tech-
nische und stilistische nahe Verwandtschaft dieser und der Kremstaler Hafnergeschirre, so daß
außer dem Exportgut selbst, wohl auch die Ansäßigmachung eines oder mehrerer Nürnberger
Hafner, von Gesellen, die dort gearbeitet, sehr wahrscheinlich wird. Daß der in Kremsegg ge-
nannte Hafner Acher, der die neue „aufgelegte" Ware nach vorhandenen Akten einführte, der
1) Die Klischees zu dieser wie zu den folgenden Abbildungen wurden für diese Be
sprechung von Herrn v. Walcher freundlichst überlassen.
UTERARISCHE BESPRECHUNGEN. 47
^Überbringer der Nürnberger Tradition war, bleibt zum mindesten wahrscheinlich. Ein weiterer
Abschnitt beschäftigt sich mit den Welser und Ennser Töpfereien. Die Hypothese über die Ge-
fäße mit Sandanwurf und Porträts als Erzeugnisse der Nürnberger Werkstatt Oswald Reinhart,
Nickel und Hirsvogel möchte ich in diesem Zusammenhang doch nicht für völlig begründet er-
achten, noch weniger den etwas phantastisch konstruierten Zusammenhang Reinharts mit dem
angeblichen Zwinglibecher. Novellen sind in der Kunstgeschichte stets von Übel. Betrachtet
man die Wanderung der rheinischen Steinzeugdekoration durch ganz Deutschland, so wird man
bei dem ja heute noch stattfindenden Wandervertrieb keramischer Erzeug^nisse das Vorkommen
ähnlicher Formen und Techniken in jener Zeit auch ohne spitzfindige Erörterungen begreifen.
Immerhin mag Nürnberg eher als Köln für die oben erwähnte Hafnerwaren den ersten Ausgangs-
punkt gebildet haben (s. Abb. 2 u. 3)- Neben dem in Wels sehr viel vorkommenden gekörnten
Grunde, kommen auch gepunzte Stücke in den in der Gegend gemachten Funden vor. Im weiteren
Abb. 3. Nürnberger (?) Hafenkrug um 1550.
österreichisches Museum, Wien.
Verlauf werden von einer Reihe weiterer Städte und Markte meist des nördlichen Oberösterreichs
Notizen gebracht und das hiezu gehörige Denkmälermaterie abgebildet. (Proben in Abb. 4 u. 5-)
Dann wendet sich die Betrachtung dem Salzkammergut zu. Der an erster Stelle zu nennende Ort
ist Gmunden am Traunsee, über dessen Hafnergeschichte wir allerdings erst seit dem 17. Jahr-
hundert Genaueres wissen. Von den Hafnerorten ist Frankenberg (ursprünglich Zwispallen genannt)
und Sitz des Khevenhüllerschen Grafengeschlechtes, weitaus der wichtigste. Eine interessante
Hypothese bezüglich der Hinwirkung Augustin Hirsvogels auf die Frankenburger Töpferei knüpft
V. Walcher an die enge Bekanntschaft des Nürnberger Künstlers mit dem kaiserlichen Kammer-
rat Christoph Khevenhüller. Ins Salzkammergut versetzt Walcher auch den sehr frühen, interes-
santen Weinkühler der Sammlung Lanna in Prag, auf Grund des Vorkommens desselben Modells
48
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
mit Josua und Kuleb an einjm Halleiner Ofen. Bezüglich der möglicher Weise dem Salzkammer-
gut entstammenden Wasserblase im Germanischen Museum ist zu bemerken, daß sie auf der einen
relifierten Seite nicht eine Darstellung der Ohrenbeichte, sondern Adam und Eva in einer im Maß-
stab der Figuren und Auffassung von der anderen Seite völlig verschiedenen Auffassung zeigt,
ein weiterer Beweis, daß die Hafner ziemlich wahllos Model der verschiedensten Provenienz ver-
wendeten.
Den letzten Abschnitt über Gefäßkeramik nimmt Salzburg ein, das in dieser Beziehung
wie auch in der Ofenkeramik in den behandelten österreichischen Kronländern unbedingt die erste
Stelle einnimmt. Die Zuweisung des schönsten keramischen Werkes der Renaissance der deutschen
Kronländer Österreichs, der Zunftkachel der Sammlung Figdor nach Salzburg dürfte jedenfalls
richtig sein, ebenso die daran anschließenden Werke, wenn auch hier, wie überall, der Verfasser
geneigt ist, eine ansprechende Namenshypothese wie in diesem Falle des Thomas Strobl als feste
Tatsache anzunehmen.
Abb. 4. Buntglasierte, obcröstcrreichische Feldflasche aus der 2. Hälfte des 16. Jahrh.
Sammlung Figdor, Wien.
Den letzten weitaus umfangreichsten Abschnitt der geschichtlichen Untersuchung bildet
derjenige über die Ofenkeramik Oberösterreichs und Salzburgs. Die Untersuchung geht natur-
gemäß vom Hohensalzburger Ofen aus, den v. Walcher mit ausführlichen Darlegungen für eine
Halleiner Werkstätte reklamiert. Daß er heimatlichen Ursprungs ist, wird heute wohl niemand
mehr in Abrede stellen; aber das nächstliegende wird doch immer bleiben, ihn in Salzburg selbst
entstanden zu denken. Sehr dankenswert ist die Zusammenstellung der einheimischen Kacheln
vor dem Eindringen der alle Model der deutschen Gaue nivellierenden Vorlagen der Kleinmeister.
Material und Art der Glasur geben späterhin allein noch die Handhaben zu richtiger Bestimmung.
Beizustimmen ist Walcher wohl in der Zuschreibung des kostbaren Ofens mit den freien Künsten
im Germanischen Museum an einen österreichischen Meister, wogegen die Deutung der Initialen
desselben auf Andre Finkh-Wels, schon wegen der Datierung unbedingt abzulehnen ist. Der
Einfluß der Nürnberger Ofenkeramik auf die übrige deutsche und insbesondere die österreichische
wird meines Erachtens von Walcher und anderen stark überschätzt. Die Vorlagen, wie die Model-
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
49
abdrücke der Durchschnittsware waren allerdings vielfach die gleichen, weiter aber von einer
führenden Rolle Nürnbergs sprechen zu wollen, geht nicht an. Gerade die besten Arbeiten Nürn-
bergs von 1540 — 1640 haben anderwärts wenig Nachahmung gefunden.
Neue wichtige Aufschlüsse bringt v. Walcher über die von den österreichischen Hafnern
geschaffenen Bildplatten, der, wenn ich so sagen darf, vom Ofen losgelösten großen Kachel. Leider
geht Walcher auf die möglicher Weise bei dem engen Zusammenhang der Innstädte mit Salzburg
und Oberösterreich wohl auch dort entstandene größte, schönste und früheste Arbeit dieser Art,
das Hellersche Epitaph von 1542 aus Wasserburg, jetzt im Germanischen Museum, nicht näher
ein und verweist hier, wie bei dem sicher auf einen Salzburger Künstler zurückgehenden Jakobs-
berger Relief von 1589 (Bez.-A. Rosenheim, dem Bistum Salzburg angehörig) auf einen Nürn-
Abb. 5. Bunte Tonschüssel um 1600, vermutlich aus dem Satzkammergut, um 1600.
Sammlung Figdor, Wien.
berger Formschneider Michael Reinhart, der kaum von 1542 — 1589 gearbeitet hat. Der Stil bei
der Arbeiten ist ziemlich verschieden, für Nürnberg aber ganz unmöglich.
Neben der stilkritischen Arbeit der ersten Abschnitte hat v. Walcher auch der Publikation
des einschlägigen Urkundenmaterials, soweit es bis dahin vorliegt, sein Augenmerk gewidmet.
Weniger kunst- als kulturgeschichtlich, als Dokumente des Gewerbelebens sind die im Anhang
abgedruckten verschiedenen Hafnerordnungen aus den beiden fraglichen Kronländern von hohem
Wert. Es sind dies die Hafnerordnung für die Stadt Steyr von 1485, bezw. 1628, die Ordnung
des Hafnerhandwerks der Stadt Wels von 1589, die Hafnerordnung für die sieben landesfürst-
lichen Städte Oberösterreichs von 1651, die Hafnerordnung für Oberösterreich von I669, die Hafner-
Mitteilongen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. ^
50
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Ordnung für den Markt Frankenburg, erlassen vom Grafen Franz Christoph Khevenhüller von
1632 und die Salzburger Hafnerordnung des Erzbischofs Johann Jakob von Khuen-Belasy von
1578. Nach derselben Richtung bewegen sich die weiter abgedruckten Urkunden, ein Welser
Lehrbrief von 1535, ein Streitentscheid zwischen der Steyrer Hafnerzunft und dem Kremsegger
Meister Acher durch den Steyrer Bürgermeister 1581 und ein Hausierverbot für Hafnerwaren
in Steyr 1628. Trotz der etwas ermüdenden Weitschweifigkeit, wie sie den Handwerksschriften
eigen zu sein pflegen, fällt doch mancher Lichtstrahl in das kleinbürgerliche süddeutsche Leben
der Zeit.
Gleichhoch wie die Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung möchte ich für Fach-
und Sammlerkreise den illustrativen Teil des Werkes stellen. Hier ist einmal an einem kleinen,
scheinbar unbedeutenden Zweig des Kunsthandwerks gezeigt, wie weit wir heute in der Wieder-
gabe farbiger Vorlagen gekommen sind. Die farbige photomechanische Wiedergabe der Tafeln
ist eine so ausgezeichnete, daß diese Abbildungen den höchsten Anforderungen für die stilkritischen
Abb. 6. Grunglasierte Terrine, Salzburg, um 1600.
Sammlung Schwarz in Wien.
Vergleichungen genügen. Die ja hauptsächlich durch die Farbe, weniger durch die Form wirkenden,
hier in Betracht kommenden Hafnererzeugnisse sind auf den dreizehn bunten Tafeln in Mehr-
farbenautotypie und farbigem Lichtdruck förmlich lebendig geworden. Auch die nicht poly-
chromen Lichtdrucke geben die farbigen Wirkungen trefflich wieder.
Im übrigen hat v. Walcher mit dankenswerter Vollzähligkeit alles nur irgendwie zur Frage
wichtige Material in Abbildungen gebracht, in nicht weniger als fünfundzwanzig Tafeln und 140
Textabbildungen, so daß man diese Arbeit gleichzeitig als ein ziemlich vollständiges illustriertes
Inventar der bis jetzt bekannten Oberösterreicher und Salzburger Hafnerkeramik betrachten kann.
Daß die mit peinlichster Sorgfalt durchgeführte Arbeit auch typographisch den höchsten
Anforderungen entspricht, kann nach dem Gesagten als fast selbstverständlich gelten, ebenso das
sorgfältige Register die Benutzung für den Museumsfachmann und Sammler wesentlich erleichtem.
H. Stegmann.
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 51
Gemälde alter Meister im Besitz seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von
Preußen. Unter Mitwirkung von Wilhelm Bode und Max Friedländer, heraus-
gegeben von Paul Seidel.
Rembrandt in Bild und Wort, herausgegeben von Geheimrat Dr. Wilhelm Bode unter
Mitwirkung von Dr. W. V a 1 e n t i n e r. Berlin, Rieh. Bong, Kunstverlag.
Von den beiden in jüngster Zeit von dem rührigen Bongschen Kunstverlage in den Verkehr
gesetzten Prachtwerken über ältere Malerei war das erste über den Familienbesitz der Hohen-
zollern an älteren Bildern bestimmt, als Huldigungsgabe anläßlich der silbernen Hochzeit des
Kaiserpaares zu dienen. Der Gemäldeschatz der preußischen Schlösser begann mit der Aus-
stellung einer wertvollen Auswahl der von Friedrich d. Großen gesammelten französischen Bilder
auf der Pariser Weltausstellung 1900 die Aufmerksamkeit der ganzen gebildeten Welt auf sich zu
lenken. Die vorliegende Publikation, welche dengesamten Gemäldebesitz des preußischen
Königshauses an künstlerisch wichtigen Stücke umfaßt, läßt erkennen, wie viel Interessantes
und Schönes bei der in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts vorgenommenen Über-
führung des Hauptteiles des Gemäldebestandes in die königlichen Museen in den Schlössern,
besonders von Berlin und Potsdam, zurückgeblieben und bisher der Forschung und dem
Kunstfreund so gut wie unbekannt geblieben ist. Neben der französischen Kunst des 18. Jahr-
hunderts, die nirgends auf der Welt eine so quantitativ und qualitativ großartige, Vertretung
aufweisen kann, haben sich insbesondere auch für die Kunst Cranachs und Rubens ungekannte,
oder doch unbeachtete Schätze heben lassen. Der Herausgeber, als Vorstand der Königlichen
Kunstsammlungen, macht den Leser zunächst mit der Sammlertätigkeit des preußischen Königs-
hauses bekannt, wobei diejenige Friedrichs des Großen an erster Stelle steht, der nicht nur
die französischen Maler seiner Zeit, sondern auch Correggio und andere Italiener, die großen
Namen, wie Rubens und van Dyk in den Kreis seiner großzügigen Kunstleidenschaft zog. Die
altdeutschen und altniederländischen Gemälde sind von Max Friedländer, die Holländer und
Italiener von W. Bode, die Franzosen des XVIII. Jahrhundert wieder von Seidel behandelt.
Die Namen dieser ersten Autoritäten ihres Faches verbürgen an sich den Wert des Gebotenen.
Die bildliche Ausstattung des Werkes ist eine ganz ausgezeichnete und in den 72 Kupfer-
drucktafeln hat der auf diesem Gebiet ja schon rühmlichst bekannte Verlag das Glänzendste zu
so verhältnismäßig billigem Preise geleistet, was bisher auf dem deutschen Markte erschienen.
Das gleiche uneingeschränkte Lob verdienen auch die noch zahlreicheren, zum Teil in größtem
Maßstabe gefertigten Autotypien.
Das Werk über Rembrandt hat einen etwas anderen Charakter. „Rembrandt in Bild
und Wort" will ein im Verhältnis zu seiner Ausstattung billiges Prachtwerk für den weiten
Kreis deutscher Kunstfreunde sein. Auch hier stehen in gewissem Sinne die 60 Kupfergravüren
nach Gemälden Rembrandts im Vordergrund, wenn sie auch an Feinheit und Tonigkeit an die des
erstgenannten Werkes nicht ganz heranreichen. Daß ein auch in Illustrationsfragen so feinsinniger
Mann wie Bode an der Reproduktion der Radierungen und Handzeichnungen in Autotypie auf
stark glänzendem, gestrichenem Papier Gefallen gefunden haben sollte, ist indes wenig glaublich.
Der Text mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und doch in warmer, leichtverständlicher Weise
geschrieben, ist eine ganz ausgezeichnete Einführung in das Wesen des dem deutschen Volke so
nahestehenden holländischen Meisters, wie sie bisher trotz der reichhaltigen Rembrandtliteratur
nicht vorhanden war. H. St.
Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst. Herausgegeben von Lud a' ig von
BuerkeL Verlag von Georg D. W. Gallwey, München. Bd. I 1906 und 1907
1. Halbband,
Ein seit vielen Jahren gefühltes Bedürfnis in Süddeutschland war es, für den gesamten
kunstwissenschaftlichen Betrieb ein Organ zu schaffen, das für Süddeutschland und speziell
für Bayern dieselben Ziele verfolgen solle, wie dies in Österreich vom Jahrbuch der Kunst-
sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, in Preußen durch das Jahrbuch der Kgl.
preußischen Kunstsammlungen geschieht. Versuche und Anregungen, eine ähnliche Publikation
durch die staatliche Kunstverwaltung in die Wege zu leiten, sind bisher an der leidigen Geld-
frage gescheitert. Im vorigen Jahre hat ein jüngerer Münchener Kunstgelehrter, Dr. Ludwig
52 LITERARISCHE BBSPRECHDNOEN.
von Buerkel, im Verein mit der Georg D. W. Callweyschen Verlajfshandlung den aner-
kennenswerten Mut gehabt, die Lösung der wichtigen und schwierigen Aufgabe durch
private Initiative zu versuchen. Die Pubhkation, die zugleich das offizielle Organ des
Bayerischen Vereins der Kunstfreunde und der Münchener Kunstwissenschaftlichen Gesellschaft
ist, liegt im ersten Jahresband (1906) und in einem weiteren Halbjahresband (1907) vor.
Der Herausgeber hat mit großem Glück verstanden, eine große Anzahl bedeutender Mit-
arbeiter zu gewinnen, und war offenbar bestrebt, das junge Unternehmen in möglichster Viel-
seitigkeit erglänzen zu lassen. Auf Inhalt und Wert der einzelnen zahlreichen Abhandlungen,
die bisher erschienen , hier einzugehen , kann nicht versucht werden, es mag genügen,
auf das Wichtigste der beiden ersten meist aus kleineren Arbeiten bestehenden Bände hin-
zuweisen. Aus der Archäologie bringt Adolf Furtwängler zwei bedeutsame Beiträge über die
Sphinx des Athenetempels von Aegina und einen von ihm festgestellten vorzüglichen Bronze-
kopf des Kaisers Maxirain im Münchner Antiquarium. Heinrich Bulle, Georg Habich und
Johannes Sieveking behandeln antike Monumente aus Münchener Privatbesitz. Ein in-
teressantes orientalisches Metallbecken aus dem Besitz der Münchener Staatsbibliothek wird
von Friedr. Sarre und Max van Berchem vorgeführt. Über den neuerworbenen Franz Hals
der Münchener Pinakothek und von ihm nachgewiesene altfranzösische Bilder ebendort
schreibt Karl Voll. Der Geschichte der Malerei sind darin noch die Arbeiten Georg Gronau
über eine Teilkopie eines Freskos des Dominico Ghirlandaio im Münchener Nationalmuseum,
Wilhelm Pinders über eine Rubensskizze in Würzburg, August Goldschmidts über den in-
teressanten Münchener Porträtisten J. G. Edlinger gewidmet. Mit der Geschichte der Plastik
beschäftigt sich der wichtige Aufsatz G. Habich's über H. Leinberger, den mutmaßlichen
Meister des Moosburger Altars, E. Bassermann-Jordan behandelt den Zusammenhang des
Cellini- Perseus in Florenz mit dem Perseusbrunnen des Friedr. Sustris in der Münchener
Residenz. In guter Weise orientieren dann die Berichte von Habich und Bassermann- Jordan
über die Renaissanceausstellung des Bayerischen Museumsvereins und von Otto Weigmann
über die retrospektive Ausstellung bayerischer Kunst 1906.
Im allgemeinen darf wohl gesagt werden, daß der wissenschaftliche Wert der publi-
zierten Arbeiten ein bemerkenswert hoher ist, wenn auch manches kleinere Schnitzelwerk,
das ebenso gut hätte ungedruckt bleiben können, mituntergelaufen ist. Die typographische
und insbesondere die illustrative Ausstattung des Jahrbuchs ist eine mustergiltige und vornehme.
Die Aufgabe, die sich der Herausgeber der neuen Zeitschrift gestellt hat, ist, da auch
die moderne Kunst und Kunsttheorie, sowie Museumskunde hereingezogen wird, eine überaus
vielseitige. Ob in dieser Weise mit Erfolg weitergearbeitet werden kann, muß die Zukunft
lehren. Den außerhalb der Münchener Verhältnisse stehenden Beurteiler möchten sich aber
die folgenden Gedanken aufdrängen. Einmal, ob es nicht im Interesse einer großzügigen
kunstwissenschaftlichen Publikation (nicht „Kunsf'zeitschrift) läge, die ästhetisierende
und kritische Betrachtungen über zeitgenössische Kunstfragen auszuschalten — denn für die
moderne Kunst ist an anderen Orten reichlichster Raum zur Diskussion geboten — , dann
ob Unternehmungen, die durchwegs nichts mit München oder Süddeutschland zu tun haben,
wie Artikel ohne neue Ergebnisse über Madonnenreliefs der della Robbia, den Florentiner
Giovanni di San Giovanni, ein Ton-Modell Michelangelos, Porträtbüsten Jacopo della Qut-
ricas in Amsterdam, den jüngst erworbenen Cranach- Altar bei Stadel, eine Studie über
Thomas Couture, nicht etwas stark den Eindruck von künstlich als Lückenbüßer heran-
gezogenen Füllseln machen. Andererseits läßt sich wohl erwarten, daß, wenn das
Münchener Kunstjahrbuch wirklich fruchtbringend für Herausgeber, Verleger und einen
weiteren Leserkreis werden soll, der ziemlich exclusiv münchnerische Standpunkt des Unter-
nehmens, der sich im etwas einseitigen Kreis der Autoren, wie in der vorwiegenden Sphäre
des Inhalts kundgibt, auf eine breitere bayerische, bezw. süddeutsche Bassis gestellt wird.
Sonst könnte im Laufe der Zeit die innere Existenzberechtigung der vielversprechenden
Publikation sich zu ihrem Schaden mindern. H. Stegmann.
V- C. SCIMD, MDMMM
Die fränkischen Epitaphien
im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert.
Von
Dr. Edwin R,eclslot>.
( Fortsetzung. )
VI.
Plastische Epitaphien um die Mitte des fünfzehnten
Jahrhunderts.
Man müßte den einzelnen Werken der fränkischen Epitaphienkunst Gewalt
antun, wollte man sie unter dem Gesichtspunkt einer abgeschlossenen Entwickelung
betrachten.
In Städten außerhalb Frankens, zumal für Kreuzgänge von Domkirchen, hat
sich mitunter eine gewisse Tradition in der Form der plastischen Epitaphien heraus-
gestellt, die eine einheitliche Behandlung ermöglichen würde. In Nürnberg hat
sich, wie es der Mannigfaltigkeit der Besteller und der Verschiedenheit der Ver-
wendung im Innern und Äußern der vielen Kirchen entsprach, keine feste Ge-
staltung des Epitaphs ausbilden können. Die auf diesem Gebiete tätigen Meister
haben neben ihren anderen heiligen Gemälden und Skulpturen auch solche
geschaffen, die mit dem religiösen Gehalt den persönlichen Zweck des Gedächtnis-
bildes verbanden, die aber den anderen Werken so ähnlich sind, daß ihre gesonderte
Behandlung nicht durch vereinheitlichende Hypothesen zu bequemer Übersichtlich-
keit gebracht werden kann.
Immer wieder zur Betrachtung vereinzelt stehender Werke gezwungen, sehen
wir, wie auch für unbedeutende Aufgaben, welche kleinen Handwerkern übertragen
werden, diese eifrigen Meister eine selbständige Lösung erstreben. Niemals sind sie mit
dem Überlieferten zufrieden; wohl benutzten sie die erweiterten Kenntnisse eines
vorangehenden Meisters, aber der nächste sucht sofort seinen eigenen Weg einzuschlagen.
Daher diese verwirrende Fülle isolierter Werke, daher der Mangel an Tradition, da-
her dieser Reichtum lebenskräftiger Ansätze, die ungenutzt und ohne Nachfolge blieben.
Die Unfähigkeit, sich einer Überlieferung unterzuordnen, erklärt aber auch,
warum bei aller Intensität der Auffassung das Niveau für die handwerklichen Arbeiten
so niedrig ist, warum zum Beispiel die Nürnberger Steinmetzarbeiten hinter denen
der Augsburger Handwerker zurückbleiben, deren Skulpturen infolge des traditionell
geschulten ornamentalen Verständnisses sich organisch aneinanderreihen.
54 1)IK FKANKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Aus solchen Gründen ist zu verstehen, daß sich nach den um 1 380—1420 an
St. Sebald und St. Moritz entstandenen Werken die Bedeutung der Epitaphienplastik
für die Kunstentwicklung so schnell verminderte.
Als Ausnahmeerscheinungen sind zwei Werke zu nennen, die durch ihre
frei plastische Gestaltung das Gebiet der Epitaphienkunst verlassen. Beide Figuren
stehen an St. Sebald. Das erste, der Rietersche Christus (Datum
1437)**), befand sich ursprünglich an der Sakristei und hat jetzt im Innern, rechts
vom Peterschor seinen Platz gefunden. Neben dem Rieterschen Christus war ein
Messingtäfelchen mit der Inschrift angebracht. Das zweite Werk, der Schlüssel-
felderische Christophorus vom Jahre 1442, steht rechts vom Portal des
Sebalder Westchores *'). Zu der eigentlichen Epitaphienkunst haben sie beide keine
Beziehung; zumal die Statue des Christophorus mit ihrem Reichtum plastischer
Motive und der gedrungenen Formenbehandlung zeigt, wie wenig diese bescheidene
Kunst einem frei entwickelten Schaffen genügen konnte.
Da es bei den anderen Epitaphien unmöglich ist, sie nach ihrer formalen
Entwicklung zu gruppieren, wird sich eine Anordnung nach den Stoffen der Dar-
stellung empfehlen.
I.Darstellungen der Kreuzigung.
Bei der Besprechung der Gethsemane- Reliefs hatte ich die letzten Werke mit
ihren dicht im Räume zusammengeschobenen, untersetzten Gestalten als charakte-
ristisch für den Stil der neuen Bürgerkunst hingestellt. In ähnlichen Formen sind
zwei spätere Reliefs mit der Kreuzigung an St. Sebald gehalten, die eine (1448) für
Hermann Maurer von einem handwerklichen Meister, der mit gesunder Kraft und
fester Faust den Stein bearbeitet; die zweite zur Erinnerung an Burckhart Semm-
1 e r (t 1463), die sich in ähnlicher Weise durch kleine gedrungene Figuren von den
Arbeiten der vorhergehenden Generation unterscheidet. Eine Beurteilung des Stiles
im Einzelnen entzieht sich der Möglichkeit, da an der Kirche Kopien angebracht
werden mußten, und die schon sehr zerstörten Sandstein-Originale — jetzt in der
Krypta des Westchores aufbewahrt — noch eines Ausstellungsraumes harren.
Indeß beim ersten Relief die Stifter in die Gruppe aufgenommen waren, ist bei dem
zweiten die Abteilung für Stifter und Inschrift über der Hauptdarstellung an-
gebracht.
Weiter ist die Kreuzigung für Hans Rebeck (f 1482) im Witteisbacher
Hof des Germanischen Museum s^") zu nennen und auf Werke in Bam-
berg sowie auf das reich ausgestattete Relief in St. Burkhard zu Würzburg
hinzuweisen, das in architektonischer Umrahmung spätgotischen Geschmackes
Christus am Kreuze zeigt, links Maria, von zwei Frauen gehalten, rechts Johannes,
darüber den Pelikan, darunter den Löwen. Ein anderes, mehr handwerkmäßiges
Kreuzigungsrelief ist an der Außenseite des dortigen Domes für den 1451 ver-
storbenen Hans Kraft gestiftet.
56) Pückler-Limpurg S. 145-149 mit Angabe der deutschen Inschrift auf der Kon-
sole, 1757.
57) Würffei Diptycha ecclesiae Sebaldianae. Nürnberg 1757 Seite 11, Pückler-Limpurg
S. 157 bis 160.
58) Gr. 202 mit den Todesdaten 1493 und 1482; aus dem Nürnberger Augustiner-
kloster stammend.
VON ÜR. EDWIN RßDSl.Oß. 55
II. Darstellungen des Schmerzensmannes.
Der alte Hauptstoff der plastischen Epitaphien war die Darstellung des
Schmerzensmannes.
Gern wählte man ihn oder die Gruppe der Dreieinigkeit, wenn das Bild des
Verstorbenen die Hauptsache sein sollte. Im Entwurf zum Epitaph Ludwigs des
Gebarteten (f 1447) im National-Museum zu München^**) wendet sich der Herzog
betend der Dreinigkeit zu. Die Gestalt des Fürsten ist eine der besten Porträt-
darstellungen, die wir innerhalb der Epitaphienkunst jener Zeit finden : wie durch ein
Wunder überrascht blickt er auf die von Engeln umschwebte Erscheinung. Die aus-
geführte Tafel bringt die Engel und Gott- Vater ungeschickt nebeneinander gereiht
und trennt den Herzog von der heiligen Darstellung.
An einem Gedächtnisstein für Paul Truchs zu Dachsbach auf der
Alten bürg bei Bamberg steht eine kleine Christusgestalt im Zierrat, welches
das Brustbild des Verstorbenen umrahmt. In Schwabach an dem großen
Aufbau um die Freifiguren des Ritters Hans von Waiderot (f 1473)
und seiner Frau (f 1459) ist der Schmerzensmann unter dem gotischen Baldachin
angebracht.
Ähnlich angeordnet ist das Epitaph für Joh. von Salfeld in der Erfurter Bar-
füßerkirche mit den Todesdaten 1394 und 1400 (Größe 1,57 : 2,40)*^°), und das nach
Buchner zwischen 1410 und 1420 entstandene Grabmal des Grafen Albert von Kirch-
berg in Kapellendorf *'^), der mit seiner Frau den Schmerzensmann verehrt.
Als einige weitere Beispiele dieser meist durch Werke außerhalb Frankens zu
belegenden Form greife ich heraus: mit den Todesdaten 1477 und 1461 das
Epitaph für Daniel von Muderspach zu Limburg an der Lahn: unter drei reich ver-
zierten Spitzbogen knieen zur Seite die Gatten, in der Mitte befindet sich eine Pietä
in kleinen Verhältnissen; im Museum zu Heilbronn der Grabstein des Bürger-
meisters Berlein (t 1472), an dem die Ornamente der Umrahmung die heiligen Figuren
enthalten, ein Typus, der vor allem an den Mainzer Bischofsdenkmälern reich aus-
gebildet wurde; im Wanddenkmal des Schenken Friedrich III. von Limpurg kniet
der 1445 Verstorbene mit seiner Frau unter dem von einem Engel gehaltenen
Veronika-Tuch.**^) Aus solchen Grabsteinen und Epitaphienumbildungen hat sich
dann die Form des in großer Architektur aufgebauten Renaissancewandgrabmals
entwickelt, welches die Statuen der Fürsten und Bischöfe, meist vor dem Kruzifixus
knieend, in rundplastischer Arbeit zeigt.
Wichtiger für unsere Untersuchung ist es, eine andere Umbildung zu verfolgen,
die sich vom Monumentalen entfernt und die malerische Auffassung der zweiten
Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts zur Geltung bringt: die Umgestaltung der
59) Bode S. 192 Abbildung des Entwurfs: Altertümer des bayer. Herrscher-Hauses.
1855 Kap. II (Tafel 8) Abb. d. ausgeführten Steines: Gerlach Taf. I, l. Rieh), Abhandhmg
d. histor. Kl. d. kgl. bayer. Acad. d. Wissensch. XXIII Bd. I Abt. S 56.
60) Buchner S. 86 Tettau S. 174.
61) Buchner S. 91 und Tafel 8. Lehfeld, Thüringer Kunstdenkm. XVIII. S. 258 nimmt
einen Italiener als Steinmetzen an. Dehio, Handbuch I S. 154.
62) Kunst- und Altertums-Denkmale im Königr. Württemberg. Fortsg. 32—35, 1907,
S. 632, 633.
56 DIE FRÄNKISCHEN EPtlAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
einfachen Darstellung des Schmerzensmannes zu dem reicheren Bilde der Gregors-
Messe*^). Das gemalte Zingl-Epitaph aus der Mitte des XV. Jahrhunderts ward
schon genannt; bald danach ist das Wandbild der Gregors-Messe in St. Sebald
entstanden"*).
Plastisch finden wir diesen Stoff im Riet er -Epitaph {Todesdaten 1462 und
1 476) imGermanischenMuseum aus Sandstein gebildet. Streng symmetrisch
in gehaltener Ruhe knieen Gregor und der Kardinal Bonaventura vor dem
Altare ; die zwei Stifterfiguren sind mit in die Gruppe aufgenommen, indem
St. Franziskus den in Ordenstracht knieenden Peter, St. Klara die gleichfalls in
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Abb. 8. Epitaph des Peter kieter und seiner Frau Barbara
(gest. 1462 und 14^6) im Germanischen Nationalmuseum. Pl.-O. 191-
Ordenstracht knieende Barbara empfiehlt. Dieselbe Darstellung finden wir in
einem Relief an St. Sebald. In Bamberg an der Pfarrkirche bringt ein
kleines Relief für Heinrich von Schaumberg (f 1501) überladen und unruhig
bewegt die gleiche Szene "^).
Die Kirche zum heiligen Kreuz in Nürnberg enthält ein farbiges
Holzrelief als Epitaph der Wolkenstein (vom Jahre 1496), das im Geiste
Wolgemuts komponiert ist und, seiner Größe entsprechend, zugleich als Altar-
aufsatz dient.
In der Plastik ist der Stoff durch jene Reliefs vorbereitet, die den Schmerzens-
mann von den Leidenswerkzeugen umgeben zeigen, ein Motiv, das schon im vier-
zehnten Jahrhundert aufkam, wofür ein Grabstein des Oberdorfer Friedhofs*®) mit
der Umschrift: ,vere languores nostros ipse tulit et dolores nostros portavit* als
63) Bischof Gregor faßte zuerst das Meßopfer als eine Wiederholung des Opfertodes
Christi auf.
64) Traugott Schulz in der Denkmalspflege, VI, 1904 mit Abb. S. 43.
65) Das Relief in Münnerstadt (Unter-Franken) ist sehr schlecht erhalten.
66) Thüringer Kunstdenkmäler XXVI S. 8.
VON DR. EDWIN REDSLOB. 57
Beispiel anzuführen ist. Die Ausbildung der Komposition aber wurde von der Malerei
gebracht und ist offenbar in den Niederlanden erfolgt, wie die von Tschudi für
eine spätere Kopie nach dem Meister von F16malle gehaltene Tafel der Galerie Weber
zu Hamburg mit der Inschrift: „Dees tafel was gemaeckt int iaer 0ns Heeren MVc.
XIV" zu beweisen scheint^'').
In Nürnberg tauchen, wie wir sahen, Darstellungen der Gregorsmesse in der
Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts auf. Weitere Beispiele sind das Bild Wolgemuts
für Hans Meyer und seine Frau (Todesjahre 1473 und 1450) in St. Lorenz, das
große Bild im Germanischen Museum vom Jahre 1493, und die Holz-
schnitzerei aus Rastatt im Germanischen Museum.
III. Madonnenbilder.
Spät erst wird die Madonna auf Nürnberger plastischen Epitaphien dargestellt:
Eins der schönsten Madonnenrelief ist das zierliche Schutzmantelbild'*') für
Neidhard-Fugger (nach Mayer gest. 1497) an St. Sebald. Schlanke Figuren,
schlanker noch erscheinend infolge der leichten, langen Falten der weichen Gewänder,
die in feinem ornamentalen Schwung gezogen sind, verleihen dem Werke eine be-
wegliche Zartheit, die wie ein Nachklang gotischer Formen erscheint.
Aus Holz ist das Epitaph des Friedrich Gerung vom Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts im Germanischen Museum mit der in Dreivierlelrelief ge-
arbeiteten Maria im Ährenkleid e*'^), das ehemals an einem Rundpfeiler
angebracht war.
Ebenfalls aus Holz ist ein flach behandeltes Relief in St. Sebald, das angeblich
vom jungen Michael Wolgemut zur Füllung des Bogens über der Südtüre für die
schon 1356 verstorbene Christina Ebner in''") geschnitzt wurde und sich durch
seltene Feinheit und Sorgfalt der Arbeit auszeichnet. Das Kind an die Brust
drückend, sitzt Maria auf der Mondsichel, über der sich der reich gefaltete Mantel
bauscht. Über ihr schweben Engel im Federkleide mit der Krone, zur Seite kniet
die Verstorbene. Die ausladende Form des Bogens ließ ein sorgsames Ausbreiten
und Verteilen der brüchigen Falten zu, die dem Werke seinen reichen Charakter
verleihen.
67) Friedländer: Rep. 1903 S. 8. Dazu, in der Wiesenkirche zu Soest, das dem
Weberschen entsprechende Bild, und die mit der Qregorsmesse verbundene symbolische Dar-
stellung der Leiden Christi im Utrechter Museum vom Jahre 1486. Über ein Bild der Gregors-
messe im Museum zu Gotha : Thüringer Kunstdenkm. XXVI S. 75. Über den Holzschuherschen
Grabteppich im Qerman. Mus. vom Jahre 1495: Mitt. d. Germ. Mus. 1895 S. 99 ff. und Taf. IV.
68) Zur Ikonographie des Schutzmantelbildes: Lehmann S. 210.
69) Zur Ikonographie: Thode, S. 33, Schulz, Legende vom Leben der Jungfrau Maria,
Stephan Beissel in der Zeitschr. f. christl. Kunst, 1904 XVII, 12. J. Graus, Kirchenschmuck,
XXXV, 11 1904. Döbner: Anz. f. Kunde d. deutsch. Vorzeit 1870 S. 269. Otte: Kirchl.
Kunst-Arch. S. 729. — Auf einem gemalten Epitaph in der Römhilder Stadtkirche (Thür.
Kunstdenkm. XXXI, S. 415. Erfurter hist. Ausstellung 1903 No. 124) vom Jahre 1482 steht
die Ährenkleidjungfrau zwischen 4 Heiligen. Dies Bild scheint vom Meister der Themarer
Altarwerke (Stadtkirche) gemalt zu sein; es zeigt dieselbe Art, durch gesuchte Zierlichkeit
und seltsame Haltung die innere Plumpheit zu verbergen.
70) Bode: S. 118.
Mitteilungen aus dem gernian. Nationalmuseum. 1907. 8
58
DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Auch der Löffelholzaltar in derselben Kirche mit Holzschnitzereien zur
KatharinenleKende hat als Epitaph gedient. Nach Bode"') ist er von einem Vorläufer
der Wolgemutschen Werkstatt geschnitzt worden. (Todesjahr 1453.)
IV.
Von verschiedenen anderen Darstellungen seien erwähnt: An St. Sebald das
Grabmal des Heinrich Ketzel (f 1438) „mit einer Darstellung, wie die Seelen aus
dem Fegefeuer errettet werden"'^) und an St. Lorenz das wenig bedeutende
Marmor- Epitaph mit der Dreifaltigkeit für Conrad Hörn."»)
Nur sehr vereinzelt finden wir profane Stoffe behandelt: in Milbertshofen
zeigt das Stein- Epitaph des Andreas Keferlocher den Verstorbenen, wie er das
Feld mit einem vierspännigen Pflug bestellt. ^^) Ein Grabrelief auf dem Johannis-
Friedhof zu Nürnberg bringt die Darstellung einer Buchdruckerei.''")
Gesondert von den anderen Werken muß der große Stein für den 1485 verstor-
benen Dr. II art mann Schede! an der Sebaldiiskirchesrenannt werden. (Abb. Q).
Abb. y. Epitaph des Dr. Hartmaiin Schedel an St. Sebald zu iNüniberg.
71) Bode: S. 115. Waagen K. in Deutschland I. S. 237.
72) Rettberg : S. 52. - Wegen der Kreuzritterabzeichen : Vase, Kreuz, Rad und Schwert
ist cap. 3. zu vergleichen. Abbildung: Gerlach, Taf. 39, 2.
73) Renov. 1702; näheres Hilpert S. 12.
74) Das Grabmal des Theologie-Professors Johann Altorf (f 1505) in der Frauenkirche
zu Ingolstadt stellt im Sinne italienischer Denkmale den Gelehrten im Hörsal dar.
75) Abguß im Germanischen Museum.
VON DR. EDWIN REDSLOB. 59
Neben der Bronzetafel mit der lateinischen Inschrift,^*^) kniet unten der ge-
lehrte Doktor. Ein Engel schreitet auf ihn zu, ihn zum Reigen der Seligen zu
rufen, die dem Himmelstor entgegen gehen, während auf der rechten Seite die
Verdammten die Qualen der Hölle erdulden. Über der Inschrifttafel erheben sich
drei Auferstehende, die in der Zierlichkeit ihrer Gestalten und Gebärden an die
Auferstehenden des Veit Stoß zugeschriebenen Schwabacher Altars erinnern.")
Ist es doch bezeichnend, daß am Ausgange des fünfzehnten Jahrhunderts die
Steinbildnerei häufig mit der Leichtigkeit der Holzschnitzerei zu wetteifern versucht.
Über dieser Gruppe knieen Maria und Johannes, die sich nach oben wenden,
wo Christus thront; zu Christi Seiten sitzen die Apostel mit Thomas in großen Ge-
stalten, auf mannigfach gewundenen Wolkenzügen mit reichem Faltenwurfe schwerer
Mäntel angeordnet, in der Höhe schweben vier Engel.
VI.
7. Die Reliefs im Kreuzgang der Stiftskirche zu Aschaf-
f e n b u r g.
Der Einfluß der Nürnberger Kunst an den Grenzen des fränkischen Stammes-
gebietes ist gering. Das große Relief der Kreuzabnahme und der Grabstein mit dem
von Maria und Johannes beklagten Schmerzensmann für Ren. von Weinsperg in Ans-
bach sind Werke, die schon ihrer Form nach mit der eigentlichen Epitaphienkunst
keinen Zusammenhang haben.
Interessanter wird die Selbständigkeit einer auf die örtliche Tradition be-
schränkten Arbeitsart bei den Grabsteinen im Kreuzgang der Stiftskirche zu
Aschaffenburg.'^) Alle sind einander verwandt in der Enge und Fülle der zusam-
mengedrängten Komposition, welche die Figuren, trotz der festen, charaktervollen
Köpfe, trotz der energischen und gegensetzlich gespannten Falten steif und ungelenk
erscheinen läßt. Enge Falten, die nur an den Endigungen in runde Linien übergehen,
parallele Linienführung in Haaren und Gewandzügen, gedrungene, schwer lastende
Formen und eindrucksvolle Köpfe bestimmen den Charakter der harten Stein-
arbeiten.
76) Zur Zeit der Humanisten werden die Grabinschriften zumeist wieder lateinisch
und in der Capitale geschrieben.
77) Bode, S. 126: nach Veit Stoß.
78) Dehio: Handbuch d. Kunstdenkmäler I, S. 18. A. Amrhein: Die Prälaten und
Kanoniker des St. Peter- und Alexander-Stifts, 1882. J. May: Geschichte der Stiftskirche
1857. Girstenbrey: Festschrift 1882. Während des Druckes dieser Arbeit erschien als Nr. V
der Hiersemannschen Monographien: Hans Bröger, Grabdenkmäler im Maingebiet. Hier
sind die Aschaffenburger Denkmale S. 38 ff. behandelt, das Kronenbergsche ist auf Tafel 16
abgebildet.
60
DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Es ist für unsere Betrachtung wichtig, wie hier aus dem Vermeiden der lebens-
großen Porträtfigur ein eigenartiger Grabsteintypus sich entwickelt, indem an Stelle
der Figur eine religiöse Komposition tritt. Vielleicht ist die Vermutung berechtigt,
daß der niederen Geistlichkeit die lebensgroße Porträtwiedergabe nicht gestattet war.
Abb. 10. Grabstein für Johann von Kronenberg (gest. 1439) in der Stiftsl<irche zu Aschaffenburg.
So entstanden die Mariendarstellungen vom Jahre 1424 und 14)7, der Christo-
phorus aus rotem Sandstein für Johann von Kronenberg (vom Jahre 1439), die
Kreuzigung mit dem Steinmetzzeichen «1^ (1456), der Tempelgang Maria (1463),
die Pietä für Wiedewed von Lammerbach (1474). Dann werden die Dimensionen
allmählich größer bis zum Epitaph mit dem heiligen Martin (Todesjahr 1505), das die
VON DR. EDWIN REDSLOB. 61
Grabsteingröße bei weitem überschreitet. Erst eine Pietä mit dem Todesjahre 1536
bringt die kleineren Verhältnisse der Renaissance- Epitaphs.
Einen Aufschluß darüber, warum ebenso wie in der Malerei auch in der
Plastik eine bestimmte Entwickelung des Gegenständlichen sich in der Epitaphien-
kunst des fünfzehnten Jahrhunderts nicht feststellen läßt, dürfen wir gerade den
Grabplatten des Aschaffenburger Kreuzganges entnehmen : die Auftraggeber trugen
bei der Bestellung eines Epitaphs vor allem dafür Sorge, daß eine neue Darstel-
lung gebracht würde.
MTL.
Die Epitaphien Wolgemuts und seiner Stilgenossen.
Als in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts Wolgemut seine große
Werkstatt in Nürnberg begründet hatte, wurden die gemalten Epitaphien meist bei
ihm hergestellt. Schematische Arbeiten, die traditionelle Typen weiter ausbilden,
sind sie fast alle von Schülern ausgeführt, woraus Sich die Unterschiede in Manier
und Tüchtigkeit erklären. Charakteristisch ist, daß hauptsächlich der Verehrung
Mariae gewidmete Bilder in dieser Zeit verlangt wurden.
I.
Ein holzgeschnitztes frühes Werk des Wolgemutschen Kreises, das Madonnen-
relief zu St. Sebald, ist schon im vorigen Abschnitt besprochen worden. Eines der
frühesten Gemälde aus Wolgemuts Schule, das Epitaph des Hans Lochner in
St. Lorenz (zweite Kapelle rechts) mit dem Todesjahr 1466, stellt den Tod der
Maria dar: von Johannes gehalten, bricht sie vor dem Betpult zusammen. Die
Leblosigkeit in der Handlung, die großen Köpfe mit niedriger Stirn, die schwer auf
dem kleinen Körper hängen; die dunklen Augen, unter deren scharfgezogenen Brauen
ein glanzloser Blick vergebens sich Bedeutung zu geben versucht, die dicken Nasen-
kuppen, die vollen Backen und die künstlich zugespitzten kleinen Hände: alles sind
typische Merkmale für die Figuren der Wolgemutschen Werkstatt, die den Eindruck
nutzlos in krampfhafter Starrheit verharrender Holzpuppen hervorrufen.
Dieselbe Szene, aber in größerem Stil, behandelt das Hallersche Epitaph
(Todesjahr 1487) im Germanischen National-Museum (s. Abb. 11), dessen
Gruppierung durch den Schongauerschen Stich angeregt worden ist.") In wahlloser
Buntheit, ohne Rücksicht auf die Komposition, sind die vollen Farben an den dick
gebauschten Gewändern verschwendet. Die Stilart Wolgemuts erkennt man an dem
phlegmatischen Mißmut, mit dem die Figuren an der Aktion teilnehmen : der zusam-
mengepreßte Mund und die hochgezogenen, eingekniffenen Nasenflügel sind charakte-
ristische Züge, deren Vorhandensein sich wohl eher aus dem für das Ende des fünf-
79) Thode S. 145. Beschr. im Katalog d. germ. Mus. 115. Schultz: Deutsches Leben
im 14. und 15. Jahrhundert S. 101, Abbild. S. 105. Wölfflin. Die Kunst Albrecht Dürers
S. 20. Die Abbildung wurde uns aus Dr. H. Schweitzer, Gesch. d. deutschen Malerei S. 260,
Fig. 212 von Herrn Verleger Mayer zu Ravensburg überlassen.
62
DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
zehnten Jahrhunderts bezeichnenden, unbeholfenen Streben nach Verfeinerung und
Zierlichkeit, als aus Wolgemuts philiströsem und bösartigem Charakter erklären läßt.'®)
Eine dritte Darstellung in der Ägidienkirche für Frau Margaretha Tetzel
(t 1496) zeigt eine fein geschlossene, symmetrische Komposition, wodurch sie an
Werke, wie die Anbetung der drei K()nige in der Wolfgangskapelle, erinnert. Das
Abb. 11. Epitaph der Frau Margret Haller (f U87) von Michel Wohlgemut
im Germanischen Nationalmuseum. (G. 115.)
Bett ist diesmal mit der Längsseite an die Wand gestellt; die Mitte des Bildes wird
durch die Gruppe des Petrus, der zur Sterbenden schaut, und des Johannes, der sich
an Petrus lehnt, gut betont. Wie in fast allen Werken dieser Zeit sind die Stifter
des Epitaphs vom Hauptbild getrennt.
II.
Ähnlich dem zuletzt genannten Epitaph erscheint die Volkamersche Gedächt-
nistafel mit der Himmelfahrt Christi an der rechten Seite des Chor-
umganges in St. Lorenz,^^) und in diesem Zusammenhang ist die Verklärung
80) Lehmann, S. 164.
81) Thode S. 148.
VON DR. EDWIN REÜSLOB. 63
Christi in der siebenten Kapelle links zu nennen (nach Hilpert zum Gedächtnis
des 1500 verst. Hans Mayer gestiftet), dieThode als Schulbild Wilhelm Pleyden-
wurffs bezeichnet hat. (Hier ist der Stifter links am Bild sehr klein angebracht.)
Es ist bezeichnend, wie sich nunmehr das Verlangen regte, auch dem Leben
Christi neue Stoffe für die Epitaphien zu entlehnen. So zeigt ein Tuch er- Epitaph
(Todesjahr 1485) in der Sebalduskirche die Kreuztragung nach
dem Schongauerschen Stich, **^) und die Andachtsbilder aus dieser Zeit suchen
immer wieder durch selten behandelte Szenen des neuen Testamentes mit dem Er-
findungsreichtum der Kupferstiche zu wetteifern.
III.
Andere Werke wiederholen den älteren Typus der für Epitaphien beliebten
Nebeneinanderordnung von Heiligen, den schon das Ehenheimsche Epitaph in
St. Lorenz zur Entstehungszeit des Tucher-Altares brachte. An die Anordnung dieses
Werkes erinnert das Epitaph des 1488 verst. Leonhard Spengler in St. L o-
renz^^) mit Christus zwischen den Heiligen Philippus und
J acob us; ein Bild, das wieder durchaus die harte und manierierte Gespreiztheit
Wolgemuts zeigt und besonders an die vier Altarflügel mit Helena, Christoph,
Elisabeth und Anna selbdritt in St. Jacob erinnert.
Der Anordnung nach entspricht ihm das Epitaph des Erhard Schon (t 1464)
in St. Lorenz mit drei nebeneinander stehenden Heiligen auf Goldgrund, hinter
denen Engel einen blauen Teppich halten; an der Staffel knieen der Vater mit fünf
Söhnen und gegenüber fünf Frauen in großen weißen Hauben.^*) (Ähnlich sind die
Heiligengestalten im Germanischen Museum Nr. 104 u. 105.) Auch das Römhildsche
Epitaph, das ich im vorigen Kapitel bei Besprechung der Maria mit dem Ährenkleid
nannte, muß in dieser Reihe aufgezählt werden.
Endlich sei im L o r e n z e r c h o r das Rosenkranzbild für die 1 502
verst. Anna Nicolaus Paumgärtnerin^^) und Hanns Trauts^") heilige
Sippe genannt.
Ein Altarwerk mit dem Nebenzweck des Epitaphs aus der Wolgemutschen
Schule am Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts ist der V o 1 k a m e r - A 1 1 a r
in Bamberg (Museum) mit den großen Tafeln der Kreuzigung, der
Krönung Mariae und der P i e t ä. Die drei Mitglieder der Volkamerschen
Familie, deren Gedächtnis die Tafeln gewidmet sind, wurden getrennt von den
Altarblättern dargestellt; ihre Todesdaten sind 1483, 1494 und 1521.
Die Messe des heiligen Gregor in St. Lorenz (4. Kapelle
links) für den 1473 verst. Hans Meyer ist eine besonders figurenreiche Darstellung
dieses schon besprochenen Gegenstandes.
82) Waagen K. i. D. I S. 234, Thode 193.
83) Thode S. 147, Rettberg S. 64, Lehmann S. 167.
84) Thode S. 147.
85) Erwähnt bei Waagen S. 248 und Thode S. 290.
86) Nach Scheibler, Vischer Studien 364, Thode S. 216. Besprochen von Christian
Rauch, Die Trauts, I, S. 33 und Tafel 8. Rauch bringt auch die Inschrift, ein lateinisches
Distichon.
64 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Der Richtung des Peringsdörfer Altares ist in St. Lorenz die für B. Kraft
(t 1475) gestiftete handwerkliche Tafel mit dem Martyrium des heiligen
D i 0 n y s anzureihen, an der das naive Bemühen um die Wiedergabe der Land-
schaft besonders hervorzuheben ist.
Als Resultat dieses Abschnittes läßt sich zusammenfassen: mit dem Einfluß
der Wolgemutschen Arbeitsweise wird die Epitaphienmalerei ein Gebiet für Hand-
werker; so weit wir auf Grund der erhaltenen Tafeln ihre Leistungen überschauen
können, gibt sie, den anderen Andachtsbildern entsprechend, die beliebtesten Stoffe
der Zeit, die aus dem Verlangen nach reicher Komposition und Schilderung bewegter
Handlung entstehen. Gern wird eine momentane Situation erfaßt, so daß die
Szenen der sterbenden Maria oder des unter der Last des Kreuzes zusammen-
brechenden Christus besonders häufig dargestellt werden. Aber von all den künst-
lerischen Motiven, wodurch diese Stoffe für die Zeit vor Dürers Schaffen so bedeu-
tungsvoll wurden, ist in diesen nüchternen Leistungen untergeordneter Maler wenig
zu bemerken: für den flüchtigen Blick scheint kaum ein Unterschied zwischen
solchen bewegten Szenen und den kompositionslos im alten Sinne nebeneinander
gereihten heiligen Gestalten zu sein.
Die Figur des Stifters verliert an Bedeutung. Zu der verlangten Ähnlichkeit
hätte die Handwerkerarbeit nicht genügt, und das Interesse daran war vermindert,
weil seit dem entscheidenden Schritt Hans Pleydenwurffs im Schönborn- Porträt die
Bildniskunst sich zu selbständiger Bedeutung loszulösen begann. Dazu kam, daß
infolge der Sitte, den Verstorbenen mit seiner gesamten Familie anzubringen, die
Figuren schematisch nebeneinander geordnet wurden. Es genügte, wenn man an
dem Bilde abzählen konnte, wieviel Frauen, wieviel Söhne und Töchter das Familien-
haupt gehabt habe. Die verstorbenen Familienglieder wurden durch Kreuze über
ihrem Kopf gekennzeichnet; die verheirateten Töchter erkannte man an der weißen
Haube einer Ehefrau.
VIU.
Die plastischen Epitaphien im Dom zu Eichstätt.
Da die Nürnberger Epitaphienkunst nicht zur Ausbildung eines bestimmten
Typus gekommen war, ist es begreiflich, daß sie keinen entscheidenden Einfluß auf
die Arbeiten benachbarter Städte gewinnen konnte.
Der Lage des Ortes entsprechend hatte schon früher in Eichstätt*^)
schwäbische Art neben fränkischer und bayerischer die Kunstbetätigung des Alt-
87) Riehl: Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst, spricht über den Ausdruck der drei
Stammeseigentümlichkeiten in der Architektur, Pückler-Limpurg, S. 89 über den beginnenden
Nürnberger Einfluß. Dazu: Josephi, Augsburger Steinplastik S. 96 und Anmerkung zu S. 56.
Herb: Eichstätts Kunst Joseph Schlecht: Zur Kunstgesch. d. Stadt Eichstätt (Vortrag in der
Görres- Versammlung 1888). Riehl: Kunsthist. Wanderungen durch Bayern 1888 S. 109. Bode
S. 192 und 193.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. IV.
Epitaph des Bischofs Wilhelm von Reichenau im Dom zu Eichstätt.
TON DR. EDWIN REDSLOB. 65
mühltales bestimmt. So erklärt es sich, daß auch die plastischen Epitaphien,
die zum Schmucke des Dommortuariums am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
ausgeführt wurden, in Anknüpfung an Augsburger Reliefs entstanden sind.
Dem neuen Zwecke des Domkreuzganges entsprechend, hatte Bischof
Wilhelm von Reichenau (1471—1496) die eine Seite des Ganges erweitert,
und ein geräumiges, zweischiff iges Mortuarium geschaffen. In kurzer Zeit wurde
für dessen Ausschmückung gesorgt, — sogar Glasfenster wurden durch den Epitaphien-
zweck gewonnen — , so daß der Bau einen einheitlichen Eindruck von dem Kunst-
schaffen am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts geben kann.
I. Hans Peuerlin von Augsburg.
Der Bischof selbst hatte durch einen Künstler des Ortes, der ihm die Anregung
zu seinem Baue gab, noch im Innern des Domes, offenbar vor seinem Tode, sich ein
Grabmal aus rotem Marmor errichten lassen (Taf. IV). Völlig dem Epitaph Bischof
Friedrichs von Zollern (t 1505^^) im Augsburger Dome entsprechend, stellt es vor einem
architektonischen Hintergrunde zur Seite des nach rechts geschobenen Kreuzes, dessen
Stamm Maria Magdalena umfaßt, die Mutter Christi mit Johannes dar. Zu dieser
Gruppe tritt von links Jacobus heran, den reich gekleideten, knieenden Bischof em-
pfehlend. Ein erregtes Empfinden, das aber durch die feinberechnete Geschlossenheit
der Komposition gemildert wird, hat das Werk von innen heraus belebt; es macht
sich bis in die gewundenen Säulenschafte geltend und bis in die vielen ornamentalen
Streifen, welche als Lendentuch, als Spruchband, oder als Gewandsäume die Grup-
pierung durchspannen.
Eine Inschrift nennt uns den Künstler: „Hans Pewerlin von Augsburg hat den
Stein gemacht." Wir wissen von Peuerlin®^), daß er bis gegen 1508 in Augsburg
tätig war, wo er außer dem Hohenzollernschen Grabdenkmal auch das für den erst
1517 verstorbenen Bischof Heinrich von Lichtenau mit der Ölbergszene^") schuf.
Mit Recht betont Riehl die Vorzüge der Komposition im Augsburger Kreuzigungs-
relief vor dem Eichstätter: Maria und Johannes sind dem Kreuzesstamm deutlicher
zugewendet, der Heilige, der den Stifter empfiehlt, muß sich nicht mehr so mühsam
vor der Säule seinen Platz suchen, und die freie Bewegung der Figuren wird durch
eine perspektivisch mit mehr Geschick verwendete Architektur erleichtert.
II.
Im Gegensatz zu den kraftvollen Arbeiten Peuerleins aus ihrem harten roten
Marmor steht eine Reihe von Epitaphien im Mortuarium, die, verleitet von den leich-
teren Möglichkeiten ihres Materials, des im Altmühltal gebrochenen weichen Schwamm-
88) Nach Braun (Geschichte der Bischöfe von Augsburg III, I8i4 Seite 151) zu Lebzeiten
des Bischofs entstanden. Josephi, Seite 80 fg. Abbildung Riehl, Augsburg S. 74 und Gerlach
48, 3- Bodes (S. 193) Betonung bayer. Kunstart bei Wilhelms Epitaph scheint infolge des
klar zu erkennenden Zusammenhanges mit den Augsburger Werken hinfällig zu werden. Mader,
Loy Hering S. l u. 2. Abguß im German. Nationalmuseum.
89) Herberger im Jahrbuch d. bist. Vereins f. Schwaben und Neuburg 1855- Robert Vischer:
Studien zur Kunstgesch. 1886 (Veröffentlichung der Augsburger Handwerkerbücher).
90) Riehl: Augsburg S. 74 bis 76 mit Abb. Josephi. Bode. Abguß im German. National-
museum.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. 9
66 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
kalkes, ihr formales Vorbild der Holzskulptur entnehmen. Ihre Gestalten sind un-
gelenker und werden in der Steigerung des Empfindens manieriert. Dennoch haben
diese Reliefs einen selbständigen, der oberfränkischen Kunst nahekommenden Cha-
rakter, so daß es berechtigt erscheint, als Herkunftsort die Werkstatt eines von der
Schnitzerei ausgehenden Eichstätter Handwerkers zu vermuten
Bald nach 1473 "luß das Epitaph der Pröbste von H e 1 1 p u r g»i) entstanden
sein. Es hat drei Todesdaten, aber nur die beiden ersten (1464 u. 1473) haben gleiche
Buchstabenstellung und gleiche Zeilenzahl; die dritte Inschrift für den 1481 ver-
storbenen Johannes hat weiter auseinander stehende Buchstaben, ist also offenbar
erst nach Aufstellung des Werkes gemeißelt worden.
Über der unverhältnismäßig großen Inschrifttafel baut sich eine zierliche Archi-
tektur auf: bis zur Hälfte gehen zwei Säulen, die einen mit Krabben geschmückten
und in einer Kreuzesblume endenden Kielbogen tragen. Als Abschluß der Seiten
stehen auf den Säulen zwei Fialen; der Platz zwischen den Fialen und der Kreuzes-
blume ist durch eine Arkatur ausgenützt. Da unten noch ein Streifen mit den drei
knieenden Adoranten abgeschnitten ist, nimmt die Hauptdarstellung nur wenig Raum
ein. In der Mitte steht Gott- Vater und hält vor sich den leblos zusammengeknickten
toten Christus. Sein Kopf fällt nach links, auf der freien Schulter sitzt die Taube
des heiligen Geistes; die Arme Christi werden von den zur Seite knieenden Gestalten
der Maria und des Johannes gehalten. Die Formen sind hart, die Umrißlinien be-
wegen sich in ungeschickt eckiger Zuckung; in den Faltenzügen ist viel Reichtum
erstrebt, doch sind sie in unruhig gegeneinander stoßenden Winkeln gebrochen.
Trotz dieses Zickzackspieles in Haltung, Umriß und Faltenlinien wirkt das Relief
durch den strengen Zusammenhang der Gruppe mit dem umrahmenden Kielbogen.
Ähnliche architektonische Umrahmung, aber in breiterer Anlage und reicherer
Ausführung hat das Eyb-Epitaph (letzte Jahreszahl 1487). (S. Abb. 12).
Die Inschrift nimmt weniger Platz ein, das Wappen ist nur einmal und deshalb in
beherrschender Größe in der Mitte der Schrifttafel gegeben, die vier Adoranten knieen
vor Nischen. Unter dem von einem Baldachin abgeschlossenen Kielbogen steht,
von zwei schwebenden Engeln gekrönt, Maria auf der Mondsichel, rechts von ihr
die heilige Barbara, links von ihr, mit dem Schwert, die heilige Katharina.
Dies Relief zeigt am deutlichsten, wie am Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts
der Stil der Schnitzaltäre Einfluß auf die Steinarbeit gewann. So wirken die drei
Frauengestalten wie in Stein nachgebildete Holzfiguren: die dicken Köpfe sitzen
plump und ohne Übergang auf dem vollen Halse; die Stirn zeigt jene der fränkischen
Kunst eigene herausgewölbte Form; die Brauen sind in hohem Bogen gezogen; die
kleinen Nasen haben klobige Kuppen, von denen eine scharfe Falte zu den vollen,
zugespitzten Lippen geht; auf der Kopf und Hals verbindenden Masse sitzt wie auf-
geklebt ein kleines Stückchen Kinn.
Aus der Holzskulptur ist auch die ausbiegende Körperbewegung übertragen,
aber durch die Fülle des schweren Faltenwurfs und des dicken Haares, wie durch
den engen Zusammenschluß der Figuren ist dennoch eine der Steinarbeit entsprechende
Geschlossenheit der einzelnen Gestalt und der Gruppe erreicht. Trotz all ihrer Massig-
91) Abb. Gerlach, Tafel 39, l.
VON DB. EDWIN REDSLOB.
67
keit wirken die manieriert bewegten Figuren kraftlos, zumal das schwere Ornament
des Rahmens sie niederzudrücken scheint. Aber freilich, diese Werke nach den
Einzelheiten zu beurteilen, hieße dem Stil des Meisters unrecht tun, der einzig
auf einen architektonisch geschlossenen Eindruck hinarbeitet und mit der reichen
Farbwirkung seiner kräftigen Bemalung rechnet.
Abb. 12. Eybsches Epitaph im Mortuarium des Domes zu Eichstätt.
Das dritte Werk, das Seckendorf-Epitaph, zeigt, wie diese von
.der Holzskulptur bedingte Stilrichtung sich mit dem Einfluß des unterdeß von
Peuerlin gearbeiteten Reichenau- Epitaphs auseinandersetzt. Da die letzte seiner vier
68 DIB FRiNKISGHEN EPITAPHIEN IM XIY. ONÜ X7. JAHRHUNDERT.
Inschriften (1505) mit ihren dickeren Buchstaben einen späteren Zusatz erkennen
läßt, dürfte es nach dem Tode des Johannes von Seckendorff (1490) entstanden sein,
also in der Zeit des Reichenau-Denkmals. Dargestellt ist zwischen Maria und
Johannes der Gekreuzigte, dessen Blut drei kompliziert bewegte Engel auffangen.
Maria und Johannes zeigen die gedrungenen, schwerfälligen Formen und die
massige Gewandbehandlung mit den zackig geknickten Faltenmassen, die bei den
heiligen Frauen des Eyb-Epitaphs an Halbreliefs aus Holz denken ließen. Doch sind
diese Eigentümlichkeiten hier weniger ausgesprochen, denn gleichzeitig hat sich der
Verfertiger dieses Epitaphs bemüht, seinen Gestalten etwas von der derben Kraft
Peuerlins zu geben.
Das vierte Werk dieser Reihe hat Bischof Wilhelm von R e i c h e n a u 1493
dem Andenken zweier geistlicher Würdenträger seines Geschlechts errichten lassen.
Noch mehr im Anschluß an die Holzskulptur ist hier die feste, der Steinplatte ent-
sprechende Umrahmung in Zierrat aufgelöst: zur Seite stehen auf einer Säule und
unter einem Baldachin die Heiligen Richard und Wunibald, oben ist zwischen fein
durchbrochenem Rankenwerk in drei Einzelfiguren das Martyrium des heiligen
Stephan gebracht. Besonders geschickt ist die Figur des linken Schergen unter einen
den Aufbau durchschneidenden Gewölbeansatz komponiert: er ist niedergekniet,
um seine Armbrust zu spannen. Als Hauptfigur steht unter der altarartigen Be-
krönung zwischen Willibald und Waldburg, den Schutzheiligen des Hochstifts,
Maria mit dem Kinde, über ihrem Haupt halten zwei schwebende Engel die Krone.
Die Gesamtanordnung wirkt, zumal heute bei der schlechten Erhaltung der
Farben, weniger geschlossen, als bei den anderen Werken: es widerspricht dem Stil
des Steinreliefs, den Grund der Platte aufzugeben und Figuren und Ornamente einzeln
in die Wand zu fügen, wie es bei größeren Holzschnitzwerken aus Gründen des Ma-
terials bedingt ist. Doch die Einzelheiten sind in Anlehnung an Augsburger Reliefs^s)
feiner und gewandter gegeben, als bei den anderen Werken dieser Gruppe: die Ma-
donna zeigt schon die etwas inhaltlose, aber zarte und ruhige Gesichtsbildung und
den weich und voll verlaufenden Faltenwurf Loy Heringscher Figuren.
Diese Stiländerung ist durch Einflüsse bestimmt, die wiederum ein schwäbischer
Meister vermittelte.
III.
In der Zeit um 1490 war im Inneren des Domes der Pappenheimer-
Altar") (Taf. V) entstanden, der mit dem Kultzweck die Epitaph-Bestimmung
für drei Mitglieder und einen Verwandten des gräflichen Geschlechtes verbindet,
die dem Eichstätter Kapitel als Domherrn angehört haben.
Wenn schon die um das Eyb- Epitaph sich gruppierenden Werke in ihren Ge-
stalten von dem Stil der Holzskulptur beeinflußt waren, so will der Pappenheimer
Altar, ähnlich dem Hochaltar der Martinskirche zu Landshut, geradezu einen
großen Schnitz-Altar ersetzen. Er mißt mit dem Altartisch über zehn Meter
92) Man vergleiche etwa das Freiberg- Epitaph (Schröder Nr. 392) vom Jahre 1474.
93) Bode, S. 192. Herb mit Abb. auf S. 35. A. Hämmerle: D. Pappenheimer Altar, Wiss.
Beil. d. K. Gymn. zu Eichstätt, 1906 bei Seitz, mit besonders ikonographisch eingehender Be-
schreibung und mehreren Abbildungen. Über den Landshuter Altar : Haack, Gotische Archi-
tektur und Plastik der Stadt Landshut. Münchener Diss. 1894 S. 62 bis 64.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. V.
Der Pappenheimer Altar im Dom zu Eichstätt.
(Photogr. Ostermayr, Eichstätt.)
VON DR. EDWIN REDSLOB. 60
Höhe; neben dem Altarblatt waren bewegliche Flügel aus Holz; als Bekrönung
trägt er einen schlanken Aufbau von steinernen Fialen; in diesem Aufbau stehen
elf, in den Laibungen zehn Figuren, an der Predella knieen vor Nischen zu Seiten der
Inschrift die vier geistlichen Herren. In einem ähnlichen Sinne, wie bei den Kraft-
schen Sakramentshäuschen, ist der Versuch gemacht, die Härte des Steinmaterials
zu überwinden und die Zierlichkeit geschnitzter Holzornamentik zu erreichen.
Der feinen Gliederung des Rahmens entspricht die Ausführung des Altar-
blattes. Aus einer figurenreich übereinander angeordneten Menschenmenge ragen die
drei Kreuze heraus. Mit echt schwäbischer Eigenart ist die Haupthandlung durch
eine Fülle freudig und gewandt erzählter Einzelmotive übertönt. Links raufen sich
gelenke Kriegsknechte um die Kleider Christi, hinter ihnen sieht man Maria zu-
sammenbrechen, über dieser Gruppe drängen sich Schergengestalten, zur Seite des
Kreuzes hält auf seinem Pferde Longinus, im Begriff, mit Hilfe seines Knechtes die
Lanze in die Seite des Heilands zu stoßen, um sich durch das Blut Heilung zu verschaffen.
Auch rechts, unter dem Kreuze des bösen Schachers, herrscht dichtestes Gedränge:
oben entspricht der Gruppe der linken Seite die Menge der spottenden Juden und-
der Kriegsknechte, nur vorne staut sich die Bewegung an den in breitspuriger Ruhe
verharrenden Urteils Vollstreckern.
Der Zusammenfügung des Altarblattes aus zwei Teilen entsprechend, nimmt die
Schar der um das Kreuz Versammelten genau die untere Hälfte ein. Hoch in die
obere Hälfte hinauf ragen die drei Kreuze, hinter denen sich die Felsen mit den ge-
wissenhaft zur Darstellung gebrachten Gebäuden Jerusalems türmen. Den Ab-
schluß nach oben bilden rhythmisch bewegte Fialen, die weit über das Altarblatt
hinausragen.
Ist der Pappenheimer- Altar seiner Größe und Form nach kaum noch als Epitaph
anzusehen, so wird er doch innerhalb unserer Betrachtung wichtig, weil sich ihm
zwei andere Werke schwäbischer Stilart anreihen.
Gleiches Verständnis für die Beweglichkeit der Körperformen, gleiche Vorliebe
für enganliegende Bekleidung des ausgehenden fünfzehnten Jahrhunderts, welche
die Elastizität der Gliedmaßen besonders hervorhebt, gleiche künstlerische Kraft,
die auch im Ornament Rhythmus und Leben ausdrückt, und die gleiche taktvolle
Zurückhaltung, die trotz aller Fülle der Einzelformen die geschlossene Wirkung nie
außer Acht läßt, zeichnen die Steinigung des hlg. Stephan für den
Chorherren Karl von Wippfeld (f 1499) äus.^*) Zuckendes Leben ist in allen
Muskeln des Gefesselten zu empfinden, neben dem an jeder Seite die trefflich zur
Gruppe vereinten Gestalten der Richter und Henker stehen; der Baldachin ist reich
ornamentiert; in der unteren Hälfte ist in der Anordnung des Wappens und der
beiden Betenden die Dreiteilung der Hauptgruppe wiederholt. Ganz unten befindet
sich die Inschrift, welche, wie an allen Reliefs des Mortuariums, in lateinischer
Sprache verfaßt ist.
Freier und leichter in der Anordnung ist das W o 1 f e r s d o r f - Epitaph
(Todesdatum 1505), das in der Mitte einer dreiteiligen Rundbogenordnung die
94) Abb. O. Gerlach Tafel 39-
70 DIK FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDEKl'.
Madonna zeigt. Rechts schreitet der heihge Christophorus heran. Die
Gruppe der Madonna und des in gleicher Größe vor ihr knieenden Stifters ist da-
durch abgesondert, daß zwei Engel innerhalb der beiden linken Bogen einen Vor-
hang ausspannen. Das Christuskind ist stark verstümmelt, offenbar hatte es eine
ähnliche Stellung, wie das Kind des Klieberschen Epitaphs der Anna selbdritt vom
Jahr 1498 im Augsburger Domkreuzgang (Schröder Nr. 32). Auch die Hand der
Mutter zeigt dieselbe Feinheit; und die massige, in weiten runden Falten sich stauende
Gewandbehandlung ist beiden Reliefs gemeinsam. Die junge Maria mit der zierlichen
geraden Nase und den dicken Backen, mit dem feinumsäumten Gewand, das einen
schlanken Körper umschmiegt, und mit dem langen, in einzelnen gewellten Strähnen
herabfließenden Haar erscheint auf beiden Werken als dieselbe Gestalt. Da auch
das Gefühl in der Anordnung entsprechend ist, dürfen wir wohl annehmen, daß das
kleine Wolf ersdorf- Epitaph von einem Augsburger Künstler geschaffen ist, der
vorher das Kliebersche Relief gearbeitet hat.
Im 16. Jahrhundert hatte Eichstätt am Hofe seiner Bischöfe einen Künstler,
der die unter Wilhelm von Reichenau gepflegte Tradition fortsetzte: den Schüler
Peuerlins, Loy Hering«"^), dessen Werke dem Stile nach bereits der Renaissance-
Kunst angehören und Peuerlins Absichten zur Vollendung bringen.
IX.
Die Epitaphien- Kunst am Ende des XV. Jahrhunderts und
ihre Überleitung in die Renaissancezeit.***)
Im Gegensatz zur vereinheitlichenden Kunstauffassung der Gotik betonte
die Renaissance die Selbständigkeit der verschiedenen Kunstarten und suchte die
künstlerischen Aufgaben nach den Stilbedingungen zu lösen, die Material und Arbeits-
art mit sich brachten. Auch innerhalb der einzelnen Kunst verlangte man nach
Trennung der verschiedenen stofflichen Gebiete, so daß die naive Verbindung von
Andachtsbild und Porträt, welche die Form des Epitaphs bedingte, als wider-
spruchsvoll erkannt wurde.
95) F. Mader: Loy Herings Epitaphien in Unterknöringen, Christi. K. 1904, 69- Jahrg.
F. Mader: Loy Hering, München, 1905. Henner, Altfränkische Bilder, 1899, 1900, 1904. Über
Loy Herings Beziehungen zu Eichstätt vgl. in Maders Monogr. S. 2 bis 5- Danach hat Loy Hering
von etwa 1513 bis nach 1554 in Eichstätt gelebt H. Graf. Ztschr. d. Münchener K.-Gew. V. 1886,
S. 777- Repertorium XI u. XXX.
96) Auf handwerkliche Werke gehe ich in diesem Schlußkapitel nicht mehr ein. Genannt
sei in St. Jakob (Lösch S. 31) das jüngste Gericht für Hans Murr (t 1512) schon 1570, dann 1693
übermalt; dazu, mit demselben Todesjahr, das Epitaph für die Familie Gewandtschneider mit
der Auferstehung. Stofflich interessiert hier die bei Epitaphien damals noch ungewöhnliche Todes-
allegorie, eine Anordnung von Schädel, Blumenkranz und Inschriftband: vanitas vanitatum et
omnia vana. Auch ein 1480 entstandenes Straßburger Epitaph hatte eine Todesallegorie: Es
„bestand aus einem viereckigen Stein mit drei Totenköpfen. Darüber war ein Gemälde, das auf
einer Seite einen Engel mit einem Stundenglase, auf der anderen die Darstellung des Todes mit
dem Schachspiel zeigte: Ich sag es dir. es ist daran. Du sollt tötlichen Schach matt han!" Leit-
Schuh, Straßburg Seite 86.
VON DR. EDWIN KEDSLOB. 7 1
I.
In S c h ä uf el e i ns'»') Epitaphien kann man diesen Vorgang verfolgen.
Werken wie dem großen Wolgemutschen Marientod verwandt, geben sie den Stifter-
bildnissen geringe Bedeutung. Ohne Freude an der Beobachtung individueller Züge
sind sie auf einer besonderen Staffel untergebracht, oder, in Übereinstimmung mit
Albrecht Dürers Paumgartner-Altar, klein und bedeutungslos im vordersten Grunde
aufgestellt, sodaß der Blick über sie hinwegsieht, wie über die Grasbüschel am Rande
eines Bildes. Dafür nimmt Schäufelein inhaltlich gern auf die Bedeutung als Grab-
mal Bezug: Gruppen, in denen er ähnliche Probleme, wie sie Dürer nach dem zweiten
venezianischen Aufenthalt beschäftigten, mit der Geschmeidigkeit seiner schwäbischen
Überlieferung zu lösen. scheint, indem er flau und weichlich die kubischen Schwierig-
keiten verwischt, geben in leuchtenden, breit über weite Flächen verbreiteten Farben
die Szene des Abschieds Christi von der Mutter (Epitaph der Anna B r i g e 1 s ,
gest. 1515) oder die Beweinung vor dem Kreuz, oder (für Jörg Brigels,
gest. 1521) die Krönung der Maria. (Alle in der G e o r g s k i r c h e zu N ö r d-
1 i ngen.)
Bei Hans von K u 1 m b a c h sind die Formen härter und sorgsamer
durchgebildet, aber auch er will — wonach Dürer so mühevoll rang — leicht und
elegant wirken. Daher zieht er die Glieder in die Länge, spielt mit den Endigungen
der faltigen Gewänder und sucht die scharfe Einzelarbeit durch konzentrierte Licht-
wirkung zu mildern. Für die kleineren Stifterfiguren schafft er sich durch Engel
die Verbindung mit der Hauptgruppe. (Krönung der Maria in Wien, Gem.-Gal.
Nr. 1438.)
Als das vollendete Beispiel für die andere Entwicklungsrichtung, welche die
Porträtfigur als gleichberechtigt in die Darstellung aufnimmt, ist Hans Hol-
beins am Anfang der zwanziger Jahre gemalte Madonna des Bürgermeisters Meyer
im Großherzogl. Schloß zu Darmstadt zu nennen. Ihrem Gehalt nach aus dem alten
Schutzmantelbild entstanden, bedeutet sie in der wunderbaren Vereinigung der
Gottesmutter mit den sechs mittelalterlichen Gestalten die Vollendung der Bildform,
die von der Epitaphienkunst geschaffen wurde.
Als Allegorie auf die Entsündigung der Menschheit durch Christi Opfertod
steht Lucas Cranachs'»«) Altarbild der Stadtkirche zu Weimar in Be-
ziehung zu den alten Blutkelterdarstellungen. Aber trotz des gedanklichen Auf-
wandes bekommt es seinen Wert durch die Gestalt Doktor Martin Luthers: wahrer
und zwingender als die gelehrten Deutungen bringt das einfache Bildnis des Re-
formators die Größe und den Sinn des Protestantismus zum Ausdruck : in der Malerei
hat die Porträtdarstellung das Erbe der Epitaphienkunst angetreten.
97) Schaffners Epitaphien sind in der Monographie des Grafen Pückler-Limpurg (bei Heitz,
1899) behandelt.
98) Als Werk Cranachs des Älteren möchte ich auch das Epitaph für Ursula Meienburg
(1529), als solches Cranachs des Jüngeren das für Michael Maienburg (1555)» die Auferweckung
des Lazarus in Gegenwart der Reformatoren und der Familie Meienburg, beide Werke in der Bla-
sien- Kirche zu Nordhausen, nicht unerwähnt lassen.
72 DI£ FRXNKISCREN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
II.
Aus den plastischen Grabdenkmälern hat sich das Epitaph entwickelt. War
es in der Malerei, die ihrem Wesen nach den monumentalen Aufgaben der Grabkunst
widerspricht, nie zu einem abschließenden und aus sich heraus entwicklungsfähigen
Typus gelangt, so ist die plastische Behandlungsart einheitlicher und darum auch
lebensfähiger gewesen»»). In Nürnberg erlebte die Epitaphienkunst ihre Vollendung
in den Schöpfungen von Adam Kraft und Peter Vischer.
Adam Kraft hatte sich mit den sieben Stationen der Kreuztragung einen
festen Stil erarbeitet, der in seiner Nebeneinanderreihung gedrungener Figuren die
einfachste Komposition brachte und die bestimmte Herausbildung der Einzelgestalt
als entscheidend betonte.
Seine Epitaphien*"^) sind später entstanden, als er, hindurchgegangen durch
eine Zeit, da er brüchige Falten und gebogene Gebärden liebte, den gedrungenen Stil
seiner Anfangsjahre mit reichem, ornamental wirkungsvollem Schwung zu beleben ver-
mochte und immer verinnerlichter die Ausdruckskraft seiner Köpfe durch Einfach-
heit und Konzentration zu steigern begann. So vereinigen sie, wie es der Sinn des
Epitaphs bedingt, dekorative Anordnung und inneren Gehalt.
Die Pergerstörffersche Gedächtnistafel in der Frauenkirche
zu Nürnberg, zwischen 1498 und 1499 gestiftet, bringt in reicher, oben durch
einen Baldachin zusammengeschlossener Ornamentik die Gnadenmutter, über deren
Haupt Engel die Krone tragen. Zwei andere halten schwebend die rundgebogenen
Falten des Mantels, unter dem links die typischen Vertreter der Christenheit, rechts
die Angehörigen der Pergerstörfferschen Familie knieen. Die Mittellinie wird unten
durch das Postament der Maria betont.
Um 1500 entstand das Rebecksche Epitaph derselben Kirche mit der Krönung
der Maria, dessen Anordnung der Veit Stoßschen Schnitzerei im Germanischen Museum
verwandt ist»oi). im Schutzmantelbild wurde die Gliederung der Komposition durch
den Unterschied der scharf herausgebildeten Falten bei der Madonna und den Engeln
und der weicheren Gewandbehandlung bei den kleinen Gestalten unter dem Mutter-
gottesmantel bestimmt: hier faßt die einheitliche Durchbildung die Kompositions-
gruppe fest zusammen, trotzdem die Zacken und Spiralen der Falten im einzelnen
viel unruhiger gegeben sind.
99) Für Augsburg gibt die Schrödersche Arbeit die Übersicht über die Werke der Renaissance.
Über die Fuggergrabdenkmäler (Abb. in Riehls Augsburg S. 78 u. 79), zu denen Dürer das Dipty-
chon der Philisterschlacht und Auferstehung entworfen hatte (Berlin und Albertina), vgl. Vischers
Studien S. 583 fg. Von Graf (Ztschr. d. Kg. V. München, 1886, S. 77 f) u. Mader, (S. 35 fg.) werden
alle vier Reliefs Loy Hering zugewiesen. Über Hans Daucher: neben Bodes Aufsatz 1887 im
VI 11. Bd. des preuß. Jahrbuchs, G. Habich in Helbings Monatsberichten III, 1903 mit Abb. von
Grabsteinen u. Wiegands Monographie 1903.
100) Über das Schreyersche Grabdenkmal an St. Sebald vergl. Gümbel, Rep. 1892 und
(mit den Abbildungen) die letzte eingehende Untersuchung in Dauns Monographie.
101) Dauns Veit Stoß-Monographie. In großer Abb. in der Dehio-Bezoldschen Publikation
deutscher Skulpturen in Wasmuths Verlag 1906 II. Liefg. Diesem Relief entspricht das rund-
gebogene Fichtenholz- Epitaph für Konrad und Katharina Imhoff im Nationalmuseum zu München.
(Todesdaten i486 u. 1494 Daun, Veit Stoß 1903). Abb. im VI. Katalog-Band S. XXIV. Be-
schreibung S. 43 Nr. 679. S. 42 u. 43 mit Abb. Fig. 20.
VON DR. EDWIN REDSLÜB. 73
Das Landauer Grabmal der Ä g i d i e n k i r c h e (1 503 vollendet)
bringt die drei Figuren der Krönung als gesonderte Gruppe, indem die archi-
tektonische Anordnung das Relief in drei Teile zerlegt. Unten setzt sich diese Glie-
derung fort: in der Mitte sind singende und musizierende Engel, links kniet die
Christenheit des Peterstorff - Epitaphs, rechts eine Gruppe von Stifterfiguren, fein
beobachtet mit ihrer eigentümlich zurückgeworfenen, stolzen und zuversichtlichen
Kopfhaltung; leider sind sie schlecht erhalten
In den ein wenig konventionellen Erztafeln Peter Vischers^"^) erhielt die
Stifterfigur wieder größere Bedeutung. Am meisten im Zusammenhang mit gotischer
Tradition steht noch das Relief auf der Vorderseite des Grabmals für Friedrich
Casimir im Dom zu Krakau, das den von St. Stanislaus und St. Pie-
trovin geleiteten Cardinal im Gebet vor der Madonna abbildet (1500), und in der
Schloßkirche zu Wittenberg das Gedenkbild Henning Godens
(1521) mit der Krönung Mariäios). Die Rundbogenumrahmung leitet perspektivisch
in die Hauptdarstellung über, vor ihr kniet der Stifter, rechts drängen sich musi-
zierende Engel vor.
In dem perspektivischen Architekturhintergrund und den gewandten Renais-
sanceformen zeigt die Tuchersche Tafel im Regensburger Dom (Todes-
jahr 1521) und die entsprechenden Tafeln im Münchener Nationalmuseum
und im Erfurter Dom, wie das humanistische Stilideal sich immer reiner und
gefälliger ausbildete. Nach Daiins Darlegung ist die Begegnung mit dem kananitischen
Weibe dargestellt. Der Stifter ist bei diesen mehrmals gegossenen Tafeln weg-
gelassen. Für die Person des Stifters ist die Erztafel des Anton Kreß(tl513)
in St. Lorenz zu Nürnberg hergestellt, deren Gegenstück Hans Vischer
für H e k t 0 r P o e m e r (f 1 541 ) arbeitete, ohne die zarte und graziöse Arbeit
der Kreß'schen Platte erreichen zu können. In Renaissancenischen knieen die
Prälaten vor dem Altar; aus dem Gekreuzigten, der früher die Anordnung des
Bildes bestimmt hätte, ist ein kleines Kruzifix geworden; das Verhältnis der beiden
Darstellungselemente hat sich zu Gunsten der Bildnisfigur umgedreht.
III.
Damit ist das Renaissance- Epitaph ausgebildet: die Malerei schafft nur noch
selten Gedächtnistafeln, die Plastik kehrt zu der Aufgabe zurück, der die Grabkunst
ihre Entstehung verdankt. Immer häufiger werden die Reliefs mit dem Brustbild
des Verstorbenen^^*) und neben Werken, die büstenartig die obere Hälfte eines
Grabsteins bringen, entwickelt sich als maßgebender Typus die Vollgestalt des vor
dem Kruzifix Knieenden.
102) Die Vischer- Literatur ist zusammengefaßt in Th. Hampes Ausgabe der Nürnberger
Ratsverlässe B. I. Anm. S. 50 u. 51- Auf fragliche Werke, wie das der Ellwanger Stiftskirche
für Johann von Hirschheim (f 1460) und Albrecht von Rechberg (f 1502) mit der Pietä bin ich
nicht eingegangen. Hierzu Bergau, Kunstchronik XIV, S. 15 und Paulus, Württembergische
Kunstdenkm. III, S. 125.
103) Wiederholung im Dom zu Erfurt. Abguß im German. Museum.
104) Im Augsburger Domkreuzgang für Adolf Occo (gest. 1503)- Riehl, Augsburg S. 74
und Abb. S. 73-
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. 10
74
DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Diesem Typiis hat für Franken Loy Hering die vollendete Form gegeben.
Freilich erreichte er das nur dadurch, daß er die heilige Darstellung zurückdrängte
und der Gestalt des Stifters monumentale Bedeutung verlieh. Zu dieser Vereinigung
fast rundplastisch herausgearbeiteter Figuren brauchte er eine reiche Umrahmung,
und diese architektonische Auffassung des Epitaphs bedeutet die entscheidende
Abb. 13. Epitaph der Markgrafen Friedricli und Georg von Brandenburg (gest. 1539 und 1543)
von Loy Hering in der Klosterkirche zu Heilsbronn.
Neuerung der Renaissance. Hierfür ist sein Epitaph der Markgrafen Friedrich
und Georg von Brandenburg in der Heilsbronn er Klosterkirche*"^)
das deutlichste Beispiel. Der Kruzifixus, dessen Formen uns von Peuerleins Grab-
105) Mader, S. 86 u. 87 mit Abbildung. Die Abbildung wurde uns aus Maders Werk vom
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst überlassen. Als „unbekannter Meister der Ober-
deutschen Kunst" vom klassischen Skulpturenschatz, Nr. 280, gebracht.
VON DR. EDWIN REDSLOB.
75
stein des Bischofs von Reichenau in Eichstätt bekannt sind, ist zurückgeschoben;
streng symmetrisch steht er in der Mitte und die kassetierte Apsis trägt dazu bei,
ihn für das Auge entfernt erscheinen zu lassen. Ganz vorn zu beiden Seiten knieen
die Markgrafen, der Eindruck ihrer Lebendigkeit und unmittelbaren Nähe wird
dadurch verstärkt, daß ihre Füße über den Rahmen hinausgehen, der die Gruppe
umspannt. So wird eine Tiefenwirkung erreicht, und indem der verkleinerte Christus
aus der Nähe der knieenden Ritter entfernt wird, erscheint er höher und beherrscht
die Komposition.
Solche architektonische Denkmale im Inneren der Kirche hatten nur Sinn
bei fürstlichen Epitaphien. Das stetige Anwachsen der Städte verlangte an den
für das fränkische Kunstschaffen entscheidenden Plätzen das Verlegen der Friedhöfe
vor die Stadt, sodaß auch am Äußeren der Kirche ein Anbringen von Gedächtnis-
zeichen sinnlos wurde '«e). Nur in den Kreuzgängen der Klostergeistlichkeit blieb
die alte Form, und in kleinen Städten erhielt sie sich mitunter bis ins achtzehnte
Jahrhundert hinein, den Handwerkern überlassen und meist ohne künstlerische
Bedeutung.
Im Innern der größeren Kirchen blieb nur das Prunkgrab der Spätrenaissance,
das in reichem Aufbau die ganze Wand bedeckt, und aus dem das mit Todesalle-
gorien überhäufte Barockgrabmal entstand: Vielfach ein Wandgrab mit Kronos, der
den Sargdeckel schließt, oder eine ähnliche allegorische Gruppierung, die Putten
und Tugenden reichliche Gelegenheit zu pathetischen Schmerzensäußerungen ge-
währt.
Dann löste sich auch beim Fürstendenkmal die Verbindung mit dem kirchlichen
Gedanken immer mehr: die Kirche ist nicht mehr der entscheidende Versammlungs-
ort der Gemeinde und bildet die alten Formen der Grabsteine und Epitaphien nur
noch für die hohen Geistlichen weiter, der Held gehört unter die Augen der Menge
iuf die Märkte und Plätze, und in einem völlig anderen Sinne bekommt nun das
Denkmal von neuem seine Verbindung mit der Architektur.
IV.
So ist in der Renaissancezeit in zwei Gebiete geteilt worden, was sich Albrecht
Dürer als doppelte Aufgabe der Malerei überlegt hatte: „die Kunst des Malens wird
gebraucht im Dienste der Kirchen und dadurch angezeigt das Leiden Christi, behält
auch die Gestalt des Menschen nach ihrem Absterben". lO')
Wie bedeutungslos die kleinen Stifter auch anfangs am Rande der heiligen
Bilder erschienen: nicht dem religiösen Gehalt, sondern der Verbindung mit dem
Bildnis verdankt die Epitaphienkunst ihre Entwicklung. Denn die innere Einheit
bekommt sie nicht durch einen gleichmäßigen Ausbildungsgang des Stofflichen, ob-
wohl der allgemeine Wandel der Anschauungen auch hier zum Ausdruck kommt.
Wir können am Schlüsse der Arbeit auf eine wechselvolle Reihe von Darstellungen
innerhalb der fränkischen Epitaphienkunst zurückschauen, der die Entwicklung in
anderen Gegenden entspricht.
106) Hilpert (St. Lorenz) teilt mit, daß 1518 das Begraben um diese Kirche abgeschafft
wurde, wofür die Gemeinde den St. Rochus- Gottesacker anlegte.
107) Lange- Fuhse: Dürers schriftlicher Nachlaß S. 297.
76 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT VON DR. EDWIN REDSLOB.
Zuerst steht das Bild des Schmerzensmannes im Vordergrund, dann verlangt
man nach dramatischer Belebung und bestellt sich Szenen der Passion, oder man
wandelt die Schmerzensmanndarstellung in die figurenreiche Gregorsmesse um.
Gleichzeitig bekommt die Madonna erhöhte Bedeutsamkeit: Berthold Landauer findet
zuerst die bestimmte Form, unter seinen Schülern werden die belebten Szenen der
Geburt Christi und des Todes Maria besonders beliebt. Diese Stoffe bleiben für die
kommende Zeit. Man sucht sie durch allegorische Ausdeutung zu bereichern, bis
endlich, als die Plastik wieder Bedeutung gewinnt, die malerische Auffassungsart
zurücktritt. Nun wird die Göttlichkeit Christi und der Madonna in symbolischer
Erscheinung erfaßt: für Christus wird die Darstellung des Gekreuzigten, für die
Madonna die Szene der Krönung allgemein gültig und in schematisch festgelegter
Form wiederholt.
Damit hat die Plastik die Malerei wieder verdrängt, die, ohne einen festen Stil
zu finden, die Denkmalskunst hatte bestimmen wollen. Aber sogleich verliert die Plastik
ihre erfinderische Quelle und verfällt dem gedankenlos wiederholenden Handwerk.
Entscheidend zur Begründung dieses Entwicklungsganges ist der Umstand, daß
die mittelalterliche Kunst im Dienste der Auftraggeber steht: die Epitaphienbildnerei
hat nicht die einheitlich in ihrem Lehrgebäude geschlossene Macht der Kirche hinter
sich, sondern die unübersehbare, für uns Heutige in ihren verschiedenen Motiven un-
erkennbare Menge der einzelnen Besteller. Sie ist das erste Betätigungsfeld für die
Kunst des Publikums, welche die Kunst der Kirche ablöste.
Was wir für die gesellschaftliche Gesamtheit als Inhalt des späten Mittelalters
erkennen können: den Kampf des Einzelnen um die freie Ausdruckskraft seiner
Persönlichkeit, gibt ihr neben den vielen, mit anderen Schaffensgebieten gleichen
Motiven den einheitlichen Charakter und die auch für Probleme unserer Zeit
lebendige Bedeutung.
=C3(]C3=
BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
VON GUSTAV VON BEZOLD.
(Fortsetzung.)
(Mit 7 Tafeln.)
Bildnisse des frühen Mittelalters.
Als die Germanen das Erbe der Römer antraten stand ihre Kunst auf einer
Entwicklungsstufe, welche eine genaue Naturbeobachtung ausschloß. Orga-
nische Wesen kamen nur in strenger ornamentaler Stilisierung zur Darstellung. Auf
Schmuckgegenständen und auf dekorierten Geräten geht die Stilisierung so weit,
daß sogar der organische Zusammenhang der Teile aufgelöst oder fast bis zur Un-
kenntlichkeit umgestaltet wird. Die Textfigur gibt einige Beispiele ornamental
umgestalteter Köpfe aus Grabfunden der merowingischen Zeit. Die Berührung
mit der spätantiken Kunst erfolgte zu einer Zeit, als diese selbst gealtert und in
Auflösung begriffen war. Auch hier war an Stelle der eigenen Beobachtung mehr
und mehr eine schematische Stilisierung getreten. Es soll nicht verkannt werden,
/^
Ornamental stilisierte Köpfe aus merowingischer Zeit.
daß in den großen Mosaikbildern der Kirchen noch hoher Ernst und Würde walten,
aber das, worauf es uns hier ankommt, die Fähigkeit zu individualisieren, war bis
auf geringe Reste geschwunden. Die byzantinische Kunst, in der sich die antike
Tradition noch Jahrhunderte hindurch erhält und auslebt, zeigt in ihrem langen
Verlauf manche Schwankungen, es wechseln mit Epochen des Niedergangs solche
78 BEITRÄGE ZUR GESCHICniE DES BILDNISSES.
des Aufschwungs und ein von Geschlecht zu Geschlecht vererbtes technisches Können
hält die äußerste Rohheit fern. Die ersten Kunstregungen der Germanen, sobald
sie über das rein Dekorative des Kunstgewerbes hinausgingen, vollziehen sich im
Anschluß an die byzantinische Kunst. Daneben fanden direkte Anleihen von der
klassischen Antike statt. Aber bei aller Abhängigkeit von den Vorbildern zeigen sich
schon sehr früh die ersten Ansätze einer selbständigen abendländischen Kunst.
Eigene Beobachtungen muß man im voraus beim Bildnis erwarten, aber die
Künstler sind nicht rückhaltslos an die Natur herangetreten, die nachzubilden ihr
Können nicht ausreichte, sondern sie suchten in ein nach fremdem Vorbild ge-
zeichnetes Gesicht die individuellen Züge der Person hineinzutragen. Dip An-
sprüche waren Jahrhunderte lang bescheiden; zu vollem individuellen Dasein durch-
gebildete Köpfe sind vor dem 13. Jahrhundert kaum entstanden.
Bei den germanischen Völkern sind die Münzbilder die frühesten Darstellungen,
welche zu bestimmten Persönlichkeiten in Beziehung stehen. Wir haben schon ge-
sehen (S. 39), daß die Ostgoten einfach die Köpfe römischer Kaiser herübernahmen.
Der byzantinische Typus herrscht auch in den Münzen der anderen germanischen
Reiche. Auf den Münzen der späteren Westgoten, 7. B. des Recared (586—601)
und des Egica (687—700) (Taf. IV), ist das byzantinische Frontbild völlig zum
ornamentalen Schema geworden, es ist nur Hoheitszeichen ohne allen Porträt-
charakter.
Etwas höher als die westgotischen Münzen stehen die langobardischen ; sie
sind wenigstens nicht ganz unorganisch, aber Bildniswert kommt ihnen nicht zu.
Das Profilbild eines unbekannten Fürsten aus der Mitte des siebenten Jahr-
hunderts sowie die Frontbilder von Arrigis (758—787), Grimwald III. (787 bis 806)
und Sighard (832—839) tragen ihre byzantinische Abkunft deutlich zur Schau. Das
erste hat noch ein mäßiges Relief, die drei anderen sind im Grunde nur Zeich-
nungen mit erhabenen Linien.
Bei den Franken herrscht das Profilbild vor. Die Arbeit ist sehr roh, der byzan-
tinische Typus löst sich auf; aber bei aller Rohheit wird ein geringes Relief beibe-
halten, die Bilder sind nicht so rein zeichnerisch, wie die langobardischen. Als Bei-
spiele mögen zwei unbekannte Merowinger, Sigebert III. (645 — 657)
und aus karolingischer Zeit Ludwig der Fromme (814—840) genügen. Sie unter-
scheiden sich von den westgotischen und langobardischen Münzbildern durch eine
weniger schematische Stilisierung, es sind wirkliche Darstellungen von Menschen,
wenn auch äußerst primitive.
In der karolingischen Zeit stellt sich das Bestreben, die Züge bestimmter Per-
sonen im Bild wiederzugeben ein. Die wichtigste Quelle, die monumentale Malerei
versagt vollständig, das Bild Karls des Großen im Lateran ist so überarbeitet, daß es
nicht mehr in Betracht kommt. Dagegen ist in den Miniaturen wertvolles Material
erhalten. Kemmerich hat in seiner eingehenden Studie über die frühmittelalter-
liche Porträtmalerei in Deutschland den ersten Anfängen des Porträts bei den Deut-
schen nachgespürt und den wichtigen Nachweis erbracht, daß die Fähigkeit, eine
Person porträtmäßig darzustellen in karolingischer Zeit wenigstens in Anfängen
vorhanden war. Er führt den Nachweis an den Bildnissen Karls des Kahlen, welche
allerdings eine gewisse Übereinstimmung zeigen, aber eine feste Erfassung des indi-
VON GUSTAV VON BEZOLD. 79
viduell Besonderen fehlt durchaus. Was ich oben vom Hineintragen individueller
Züge in traditionelle Typen gesagt habe, gilt insbesondere von diesen Bildnissen.
Die Bilder sind nach Komposition und Einzelformen byzantinisch. Das konnte
nicht anders sein. Der Übergang von der ornamentalen Gestaltung organischer
Wesen, wie sie in der merowingischen Malerei herrschend war, zu realistischer Dar-
stellung konnte sich nur im Anschluß an eine überlegene fremde Kunstweise voll-
ziehen und das war die byzantinische. Sie besaß, was man erstrebte. Die byzan-
tinischen Gestalten, so beengend uns ihre stilistische Gebundenheit erscheint, mußten
dem erwachenden Auge der Karolinger als volle Darstellungen der Wirklichkeit er-
scheinen. Man hatte das, was sie an Realismus enthielten, übersehen, solange das
Auge für die Erfassung der organischen Form noch nicht reif war, und solange die
Hand ihren eigenen, vom inneren Schauen vorgezeichneten Weg ging, nun nahm
man es wahr und schloß sich ihm im eigenen Kunstschaffen rückhaltslos an. Der
Anschluß ist ein sehr enger, wir haben karolingische Elfenbeinskulpturen jahrzehnte-
lang für byzantinisch gehalten und noch vermögen wir die Grenzen nicht scharf zu
ziehen, aber zu vollem Aufgehen in byzantinischer Kunstweise hat er doch nicht
geführt. Sobald man die wirkliche Erscheinung des Menschen künstlerisch wieder-
zugeben suchte, war man auf eigene Beobachtung von Bewegungen und Formen
angewiesen. Sie ist noch nicht intensiv und auf dem Wege vom Auge durch die
Hand auf das Bild geht vieles verloren, aber sie führt notwendig zu einer leichten
Modifikation des Stils. So erscheint die karolingische Kunst dem rückwärts ge-
wandten Blick als ein später Ausläufer der byzantinischen, dem vorwärts gerichteten
als Keim einer neuen Kunst, der romanischen. Allein der beginnende Realismus
bei den Franken stützt sich nicht einzig auf die byzantinische Kunst, er sucht Hilfe
wo er sie findet, auch bei der klassischen Antike.
Sehen wir genau zu, was auf den Bildnissen Karls des Kahlen porträtmäßig
ist, so bleibt wenig. Schon die allgemeine Form des Gesichts ist nicht individuell,
die einzelnen Merkmale, ein volles, bartloses Kinn, ein schmaler Schnurrbart, ein
starker Hals finden sich zwar auf mehreren Bildern, aber sie sind nur oberflächlich
angedeutet und stimmen auf den verschiedenen Bildern nicht genau überein. Als
wirkliche Porträts, die eine objektiv deutliche Anschauung einer Person geben,
können diese Bilder noch nicht gelten; anderseits beweisen sie aber, daß nun doch
die Beobachtung individueller Form eingetreten ist. Die Anfänge des Porträts sind
gegeben. Mehr als zweihundert Jahre mußten vergehen, bis sie zu voller Entfaltung
kamen.
Das germanische Museum besitzt keine karolingischen Miniaturen, welche für
die Geschichte des Bildnisses in Betracht kämen. Von der bekannten Reiterfigur
des Musee Carnavalet in Paris haben wir einen Gipsabguß. Sie gilt allgemein als
ein Bild Karls des Großen. Die Benennung stützt sich nur auf eine unsichere Tra-
dition, sie läßt sich nicht begründen und würde besser aufgegeben. Daß sie einen
karolingischen Herrscher darstellt, steht fest, zu einer sicheren Benennung fehlen
die Unterlagen. Wollte jemand in ihr Karl den Kahlen erblicken, so ließe sich, so-
ferne man sich mit den oben angegebenen Merkmalen begnügt, kaum sehr viel da-
gegen einwenden, aber zwingend sind^ die Analogien keineswegs. In der Bildung des
Gesichts wird das Individuelle von dem stilistisch Bedingten überwogen. Das gilt
80
BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
besonders von der Stirne und den Augen, welche hoch liegen und froschartig heraus-
getrieben sind; im Schnitt des Mundes, in der Gestaltung des Kinns mag man den
Versuch, ein bestimmtes Vorbild wiederzugeben, vermuten, vergleichen wir aber
Reiterstatue im Musee Carnavalet zu Paris.
andere karolingische Skulpturen, z. B den Elfenbeindeckel mit der Darstellung eines
Bischofs in der Bibliothek zu Frankfurt, so werden wir zur Vorsicht gemahnt, denn
dieser Kopf, der kaum als Bildnis aufzufassen ist, ist weit sorgfältiger und natur-
wahrer durchgebildet.
Den Münzbildern kommt in karolingischer Zeit, ja im ganzen Mittelalter kein
großer Bildniswert zu. Sie können hier kurz behandelt werden. In der über-
wiegenden Mehrzahl ist, wie die Zusammenstellung auf Tafel VII zeigt, irgend
welche Ähnlichkeit gar nicht angestrebt. Sie sind zum Teil Frontbilder, zum Teil
Profilbilder. Die Frontbilder sind ausnahmslos schematisch, selbst noch bei Rudolf von
Habsburg in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. So können sie als ikono-
graphische Quelle nicht anerkannt werden. Unter den Profilbildern Heinrich II.
ragen die einiger Regensburger Denare durch sorgfältige Behandlung des Kopfes
hervor. Vergleicht man sie mit den Miniaturen, namentlich mit Fol. IIa des
Münchener Codex Gm. 60, so wird man ihnen Bildniswert nicht absprechen.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. XII.
Heinrich II
Philipp.
Friedrich II.
König Heinrich.
Richard von Cornwallis.
Rudolf von naobburg.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel VII.
VON GUSTAV VON BEZOLD. 81
Etwas hart, aber vortrefflich geschnitten sind die Augustalen Friedrich IL Sie
gehen direkt auf antike Vorbilder zurück. Wie weit das Profil lebenswahr ist,
kann ich hier nicht feststellen. Auf der Silbermünze, die nach den Augustalen
gearbeitet ist, ist es willkürlich verändert.
Neben die Münzbiider treten von den Karolingern an die Siegelbilder
der Könige und Kaiser. Kaiser Wilhelm II. hat dem germanischen Museum an
seinem fünfzigjährigen Stiftungsfeste die von Geheimrat Poße in Dresden gefertigten
galvanoplastischen Nachbildungen der sämtlichen deutschen Kaisersiegel gestiftet.
Diese bedeutende Quelle ist nach kunstgeschichtlicher Richtung noch wenig aus-
gebeutet. Da die große Publikation von Poße noch aussteht, muß ich mir bei der
Benützung der Sammlung einige Zurückhaltung auferlegen. Es ist ja auch nicht
meine Aufgabe, eine Ikonographie der deutschen Kaiser zu geben. Die Siegelbilder
haben den großen Vorzug, daß sie zu Lebzeiten der Kaiser und in deren Nähe ge-
fertigt sind. Das sagt nicht unmittelbar, daß sie als besonders ähnliche Bildnisse
zu gelten haben, wohl aber geben sie darüber Aufschluß, welche Anforderungen an
die Ähnlichkeit man zu verschiedenen Zeiten stellte. Ihre Größe und sorgfältige
Ausführung verleiht ihnen eine Bedeutung, welche weit über die der Münzbilder
hinausgeht. Die Benützung der Siegelbilder der Kaiser wird dadurch erschwert,
daß die Abdrücke großenteils stumpf geworden oder sonst beschädigt sind. Front-
bilder haben unter der Abnützung stärker gelitten als Profilbilder.
Die merowingischen Könige siegelten mit Ringen, welche für sie geschnitten
waren. Der Ring Childerich L trug das Frontbild des Königs mit gescheiteltem,
langem, geflochtenen Haar und mit der Lanze. Der Typus ist byzantinischen Münzen
entnommen. Die Ausführung war roh und trug nur im ganzen der fränkischen
Haartracht Rechnung, während das Gesicht schematisch dargestellt war, ohne indi-
viduelle Züge. Ein Ring in der Bibliotheque nationale in Paris zeigt einen bärtigen
Kopf mit langen Haaren und den Buchstaben S R. (Sigebertus Rex.^) Ob Racne-
thramnus, dessen Ring ein ähnliches Bild zeigt, dem königlichen Hause angehörte,
ist ungewiß. Köpfe in Frontansicht mit langen Haaren zeigen auch die Siegel
anderer merowingischer Könige, wie Chüdebert IIL, Chilperich IL, Chlodwig III.,
welche bei Le Normant, Tresor de numismatique, Sceaux des rois et reines de France
P\. I. abgebildet sind. So mangelhaft diese Köpfe sind, die Könige siegelten mit
ihrem eigenen Bilde, wie sie ihr eigenes Bild auf ihre Münzen prägten. Die Ringe
Privater trugen bildliche Darstellungen, Ornamente oder Schriftzeichen, zuweilen
waren antike Gemmen eingesetzt. Der Gebrauch antiker Gemmen zum Siegeln
wurde unter den Karolingern auch von den Königen angenommen. Daneben tritt
aber schon früh das Bild der Herrscher wieder in seine Rechte und es tritt in seine
Rechte mit ganz anderen Ansprüchen an die Auffassung und Wiedergabe der Wirk-
lichkeit. Allein es ist fraglich, wie weit die Stempel für die Könige neu gefertigt,
wie weit antike Gemmen mit den Köpfen römischer Kaiser verwendet wurden. Die
Frage wird für die ersten Karolinger allgemein dahin beantwortet, daß antike Gem-
men in Gebrauch waren. Sie bedarf indes der Nachprüfung, die Siegel müssen genau
auf ihre stilistischen Merkmale geprüft werden. Die Stempel sind bis auf einen,
die Gemme Lothar IL im Lotharkreuz in Aachen, nicht erhalten, die Untersuchung
kann nur noch an den Abdrücken gemacht werden, die alle mehr oder weniger ge-
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. 11
82 REITKXGE zur OESCHICHTE I>BS BILDNISSES.
litten haben. Mir stehen nicht einmal diese, sondern die galvanoplastischen Nach-
bildungen Poßes zur Verfügung. So sorgfältig sie gemacht sind, können sie doch
die Originale nicht ganz ersetzen. Dagegen bietet die Sammlung die Möglichkeit,
die ganze Reihe unmittelbar zu vergleichen. Die Frage der Echtheit der Siegel zu
prüfen liegt nicht in meiner Aufgabe, sie kann nur an den Originalen geprüft werden.
Das ist von Poße u. A. geschehen, die sicher kompetenter sind, als ich. Zunächst fragt
es sich, aus welchem Material die Stempel gefertigt sind. Soweit antike, geschnittene
Steine in Verwendung waren, wurden sie mit einer Metallfassung versehen, welche
die Inschrift trug. Auch einige der Stempel, deren Ursprung näher zu untersuchen
ist, sind aus den gleichen Materialien, Stein in Metallfassung, hergestellt. Zweifellos
von Metall waren die Matrizen für Bleibullen. Viele Siegel zeigen oben den Ab-
druck eines Ringes oder einer Öse. Eine solche kann an dem Stempel nur ange-
bracht sein, wenn er eine Metallfassung hat, oder ganz von Metall ist. Daß die Öse
mit dem Stempel aus einem Stein geschnitten sei, ist unwahrscheinlich; ist sie vor-
handen, so ist anzunehmen, daß der Stempel von Metall ist oder eine Metallfassung
hat. Die Fassung wird im allgemeinen als Rand erscheinen, aber es ist auch mög-
lich, daß sie nicht über die Fläche der Platte vortritt. In solchen Fällen ist eine
Entscheidung über das Material des Stempels kaum möglich, umsoweniger, als die
Abdrücke gewöhnlich stumpf sind. Darf aber in karolingischer Zeit überhaupt die
Fähigkeit, Bilder in Stein zu schneiden vorausgesetzt werden ? Die Frage darf wohl
bejaht werden. Der technisch hohe Stand der Elfenbeinskulptur läßt mit Sicherheit
annehmen, daß auch andere Zweige der Glyptik nicht völlig darniederlagen. Auch
gestatten die Siegelstempel der Ottonen, von welchen wenigstens einige aus Stein
waren, den Rückschluß, daß man auch in karolingischer Zeit in Stein schneiden
konnte.
Die Stempel der späteren Karolinger sind mit einer oder zwei Ausnahmen
fränkische Originalarbeiten. Es ist z. B. ausgeschlossen, daß Karl der Dicke gleich
drei ähnliche, antike Gemmen gehabt habe, mit welchen er in den Jahren 880, 882
und 887 gesiegelt hat. Auch der Raum, welchen das Bild auf der Platte einnimmt,
beweist den fränkischen Ursprung. Auf allen dreien ist die Inschrift auf der Platte
selbst angebracht, die Fläche der antiken Gemme wird fast ganz durch das Bild
ausgefüllt. Der Typus ist nicht der der antiken Gemmen, sondern der der antiken
Münzen — Kopf mit Lorbeerkranz und Umschrift oder Brustbild mit Lanze und
Schild. Diese Stempel können nur für die Herrscher, deren Namen sie tragen in
karolingischer Zeit gefertigt sein. Sie sind technisch nicht schlechter, sondern eher
besser gearbeitet, als die antiken Münzen vom vierten Jahrhundert an, aber sie ent-
sprechen stilistisch keiner Zeit der antiken Stempelschneidekunst.
Die Stempel Ludwig des Frommen, Lothar II. im Lotharkreuz zu Aachen
und Ludwig des Deutschen von 831 gelten als antike Gemmen. Über die Siegel
der ersten Karolinger von Pippin bis zu Ludwig des Frommen handelt ausführlich
Th. Sickel, Lehre von den Urkunden der ersten Karolinger S. 347 ff. Die Siegel
Ludwig des Frommen sind S. 352—354 besprochen, die Siegelplatte Lothar II.
S. 346 Note 13-
Von Ludwig dem Frommen gibt es zwei Siegel. Das eine ist von 814— 833
und von 836— 840 in Gebrauch, das zweite von 833—836; beide sind Gemmen-
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. XIII.
Ludwig der Fromme.
Karlmann.
Ludwig der Deutsche.
Karl der Dicke.
'. J
Arnulf.
Karl der Dicke.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel VI IL
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1Q07.
Taf. XIV.
/ \\
Liiü»;^ ^...3 Kind.
Konrad I.
Heinrich I.
Heinrich I.
Otto III.
Otto I.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel IX.
VON GUSTAV VON BEZOLD. 83
Siegel mit Metallfassung, beide zeigen einen nach links gewandten Profilkopf mit
Lorbeerkranz und Ansatz des Mantels. Der erste Stempel ist weitaus besser als
der zweite. Ist ein römischer Kaiser dargestellt, so kann es nur ein Oströmer aus
später Zeit sein. Ich will das nicht unbedingt bestreiten, aber der Vergleich mit
byzantinischen und karolingischen Elfenbeinskulpturen weist doch viel mehr auf
eine fränkische als auf eine byzantinische Arbeit. Auch die Form des Kopfes und
die Barttracht spricht für fränkischen Ursprung. Zweifellos fränkisch und eine
ziemlich geringe Arbeit ist der zweite Stempel. Ebenso muß ich die Siegelplatte
Lothar II. für fränkisch erklären. Wäre es eine antike Arbeit, so müßte sie aus
dem späteren dritten Jahrhundert sein. Aber so gering man die Kunst dieser Zeit
einschätzen mag, so hätte doch ein antiker Steinschneider den Kopf niemals so un-
geschickt in den Raum gesetzt und die Fläche mehr ausgefüllt. Es ist augenschein-
lich, daß hier mit Absicht Raum für die Umschrift gelassen ist. Auch der Stil des
Kopfes spricht bestimmt für fränkischen Ursprung. Die Platte erscheint mir als
Nachahmung der antiken Gemme, mit welcher Lothar II. am 13. April 862 ge-
siegelt hat und welche die gleiche ist, wie die Lothar I. auf einer Urkunde vom
21. Mai 843. Soweit die beiden stumpfen Abdrücke ein Urteil gestatten, ist es ein
Bild Gordianus III. Weniger bestimmt ist mein Urteil über das Siegel Ludwig
des Deutschen (18. August 831). Auch hier sprechen die stilistischen Merkmale
und der Umstand, daß die Umschrift in den Grund der Gemme graviert ist, stark für
karolingisch-fränkischen Ursprung, aber es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß wir eine
byzantinische Arbeit des sechsten Jahrhunderts vor uns haben.
Wenn ich im folgenden die vier Siegel als fränkisch betrachte, bin ich mir be-
wußt, daß die Frage noch nicht vollständig entschieden ist.
Bei der Prüfung der karolingischen Siegel auf ihren Bildniswert ist zu berück-
sichtigen, daß es die Anfänge der Wirklichkeit nachstrebender Darstellungen mensch-
licher Köpfe bei den Franken sind, welche sich notwendig unter starker Anlehnung
an fremde Vorbilder vollziehen. Der Künstler, der noch in der Nachahmung be-
fangen ist, kann nur wenig von eigener Beobachtung zugeben. So ist in den
Köpfen Ludwig des Frommen, Ludwig des Deutschen und Lothar II. eine
unmittelbar auffallende Individualisierung nicht wahrzunehmen. Auch auf dem
Wege der Vergleichung mit anderen Bildnissen ist nicht weit zu kommen.
Material liegt für Ludwig den Frommen und Ludwig den Deutschen vor,
aber es ist unzureichend. Die auf Tafel IV abgebildete Münze Ludwig des
Frommen ist so roh, daß sie zur Vergleichung kaum herangezogen werden kann.
Das Bild Ludwig des Frommen in der Wiener Handschrift des Hrabanus Maurus-
(Jahrbuch der k. k. Kunstsammlungen XIII. S. 9) stimmt mit unserem Kopfe nur
wenig überein. Es ist ein Repräsentationsbild nach einer spätantiken Vorlage, bei
welchem die Nachahmung völlig überwiegt. Von Ludwig dem Deutschen ist
außer der Urkunde von 83 1, deren Siegel den Typus der byzantinischen Münzen
des sechsten Jahrhunderts nachahmt, ein zweites Siegel an einer Urkunde von 874,
das ebenfalls von einem Originalstempel abgedrückt ist, es ist das Bild eines jugend-
lichen Herrschers mit entblößter Schulter, über welcher der Mantel geschlossen ist.
Der Typus kommt zuerst unter den Anton inen auf. Hier ist der Herrscher mit
Schild und Lanze dargestellt. Irgend welcher Bildniswert kommt dem Stempel
84 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DBS BILDNISSES.
nicht zu, er stimmt mit dem älteren nicht überein und kann noch weniger als Por-
trät gelten als jener. Bemerkenswert ist, daß der Reliefstil in dem Siegel von 874
weit freier geworden ist als in dem älteren. Für Lothar 11. fehlt alles Vergleichs-
material.
Den Siegeln der folgenden Herrscher liegen römische Münzen früherer Epochen,
des zweiten und dritten Jahrhunderts zugrunde, die Köpfe sind größer als bisher,
die Behandlung sicherer.
An einer Urkunde Karlmanns vom 3. Dezember 878 ist ein Originalsiegel.
Leider ist der Abdruck sehr stumpf. Der Kopf sieht sehr individuell aus, das Profil
ist fein gezeichnet, die einzelnen Teile sind bis auf das sehr tief sitzende Ohr richtig
gruppiert. Man hat den Eindruck, daß hier eine bestimmte Person charakteristisch
dargestellt ist. Aber gerade hier ist große Vorsicht angezeigt, denn es läßt sich nicht
ermessen, wie weit der Eindruck freier Formgebung durch die Verwischung der Formen
hervorgerufen wird. Und da alles Vergleichsmaterial fehlt ist eine Prüfung auf die
Ähnlichkeit nicht möglich. Doch selbst wenn sie ganz fehlen sollte, was ich nicht
glaube, bleibt der Stempel eine achtungswerte Leistung karolingischer Glyptik.
Von Karl dem Dicken sind sieben verschiedene Siegelbilder vorhanden,
alle Originalarbeiten. Es sind zwei verschiedene Typen, ein Imperator mit Lorbeer-
kranz und der junge Herrscher mit Schild und Lanze, den wir zuerst bei Ludwig
dem Deutschen gefunden haben. Die Siegel vom 8. Februar 880, vom 23. April 882
und vom 17- März 887 stimmen zwar im Profil nicht völlig überein, sind aber doch
unter sich so ähnlich, daß man sie als Porträts ansprechen darf. Die Nase ist lang,
die Oberlippe kurz und etwas aufgeworfen, die Unterlippe tritt zurück, das Kinn
springt vor. Die Stempel von 880 und 882 sind vielleicht von der gleichen Hand
wie der Karlmanns von 878. Vorbilder sind Münzen aus der Zeit der Gordiane.
Ein Stempel, mit welchem am 9- Mai 881 und am 5- Mai 883 gesiegelt wurde, ist
nach einer römischen Münze aus dem dritten Jahrhundert gearbeitet, ohne genaue
Kopie zu sein; es ist nicht möglich zu bestimmen, welchem Kaiser das Original an-
gehörte, vielleicht Maximinus. Die Arbeit ist gering. Zwei weitere Siegel vom
9. Juni 886 und vom 29. Mai 886 haben den Typus des jungen Herrschers mit
Schild und Fahne. Das erste (Abbildung bei Heffner, die deutschen Kaiser- und
Königssiegel Taf. 1 Nr. 6), ein jugendlicher bekränzter Kopf in hohem Relief ist
sehr hübsch, obgleich die Durchbildung der Einzelheiten zu wünschen übrig läßt.
Der zweite ist weniger schön. Bildniswert haben beide nicht. Wohl ist das Bild
auf dem ersten so, daß es als Jugendbildnis Karls aufgefaßt werden könnte, aber
wir haben kein Recht zu der Annahme, daß der Stempel schon so früh gefertigt
worden sei, um so weniger als er schon als Imperator bezeichnet ist. Der Stil der
Siegel, mit Ausnahme dessen vom 9- Mai 881, ist gut. Sie stehen den römischen
Münzen des späten dritten Jahrhunderts mindestens gleich. Die Profile sind rein
gezeichnet, das Relief ist kräftig und gut abgestuft. Die Profilstellung der Augen
ist nicht ganz gelungen, auch besteht ein Widerspruch zwischen der Frontstellung
des Rumpfes und der Profilstellung des Kopfes. Ganz abweichend im Stil ist eine
Bleibulle vom 30. Mai 887, von deren Echtheit ich nicht überzeugt bin.
Von Arnulf sind sechs verschiedene Siegelbilder vorhanden. Das vom 5- Oktober
889 ist so stumpf, daß sich nichts aus ihm entnehmen läßt. Drei andere haben unter
VON GUSTAV VON BEZOLD. 85
sich wohl im Profil einige Ähnlichkeit, stimmen aber im einzelnen wenig überein.
Das beste ist das vom 20. Juni 889, Profilkopf mit Lorbeerkranz, Fahne und Schild.
Leider ist der Mund verwischt. Die Arbeit ist gut und erinnert an die Siegel Karl
des Dicken. Das Siegel vom 6. Januar 893 ist roh gearbeitet und der Abdruck
stumpf. Der Typus ist der gleiche wie der des vorigen. Das dritte vom 7. Februar
893 ist besser gearbeitet, aber auch gerade am Profil etwas verdrückt. Am ehesten
darf das erste als Bildnis Arnulfs gelten. Sehr befangen in Zeichnung und Ausführung
ist ein Stempel, mit welchem am 30. 1.897 und am 13. XII. 898 gesiegelt wurde.
Profilkopf mit Diadem, Schild und Lanze. Das Profil weicht von dem vorigen sehr
ab und kann nicht als porträtmäßig gelten. Endlich ist eine sehr roh gearbeitete
Bleibulle vom 1. V. 896 vorhanden. Sie zeigt wieder völlig andere Formen.
Mit Ludwig dem Kind (IV.) tritt ein neuer Typus ein, der Herrscher erscheint laf. ix.
als nach links gewandte Halbfigur mit Lanze und Schild. Dabei ist der Schild in
perspektivischer Ansicht gegeben. Die technische Ausführung ist geringer als in
der unmittelbar vorhergehenden Periode, die Reliefbehandlung trocken. Die Siegel
zweier Urkunden vom 24. VI.903 und vom 16. VI. 911 gehören diesem Typus an,
sie zeigen den König mit sehr ausgeprägten Zügen. Die Nase ist kräftig, die Flügel
senken sich gegen die Spitze, die Oberlippe ist gerade, die Mundwinkel nach abwärts
gezogen. Vom Nasenflügel geht eine Falte um den Mundwinkel, die Unterlippe tritt
zurück, das Kinn springt scharf vor. Die Augen sind auf beiden Bildern oberfläch-
lich behandelt. Stimmen die Bilder leidlich überein, so erregt es Bedenken, daß sie
einen Mann von etwa vierzig Jahren darstellen, während Ludwig 91 1 im Alter von
18 Jahren gestorben ist. Heffner gibt a. a. O. Taf. I, 8 ein Siegel Ludwigs, Brust-
bild mit Schild und Lanze, das jugendlichere Züge aufweist und mit den beiden anderen
einige Ähnlichkeit im unteren Teil des Gesichtes hat. Geben wir zu, daß die Siegel
eine wenn auch beschränkte Bildnistreue haben, so zeigt die Unfähigkeit das Lebens-
alter anzudeuten, daß das künstlerische Vermögen im Rückgang ist.
Das bestätigen auch die Siegel Konrad I. Sie weisen alle den Typus der nach
links gewandten Halbfigur mit Fahne und perspektivisch gezeichnetem Schild auf.
Ein Siegelbild vom 10. XI. 911 ist ganz steif und leblos. Höher stehen die Siegel
vom 11. I. und vom 8. VI 1 1. 912. Sie sind nicht ganz gleich. Das Profil, kurze gerade
Nase, gerade Oberlippe, schmale Lippen und etwas vortretendes Kinn ist auf beiden
verwandt. Die gleiche Form des Mundes und der Oberlippe zeigt das bei Heffner
a. a. O. Taf. I. 9 abgebildete Siegel, das in der Gesamtfigur wieder etwas verschieden
ist. Wieder unter sich fast gleich sind das Siegel einer Urkunde vom 13. IX. 91.8
und ein Abdruck in Zürich, die in den Maßen übereinstimmen, aber in der Form der
Umschrift kleine Unterschiede aufweisen. Hier ist das Profil bewegter, die Nase
tritt mehr hervor, Lippen und Kinn sind stärker geschwungen. Drei weitere Siegel
sind so schlecht erhalten, daß sie kaum mehr zu beurteilen sind. Das vom 18. X. 927
hat im Profil mit den beiden zuletzt besprochenen Ähnlichkeit. Eine Entscheidung
über den Grad der Bildnistreue ist umso weniger zu treffen, als durch die diesem Typus
angehörenden Siegel Ludwig IV., Konrads und Heinrich I. ein Zug von Ähnlichkeit
geht, der starke Zweifel der Individualität der Formen erregt. Es ist wahrscheinlich,
daß hier überhaupt keine Bildnisse vorliegen, sondern Kopien, welche von einem
Original Ludwig IV. ausgehen und immer wiederholt werden.
36 BBtTRXßB ZUR GBSCfllCäTB DBS BlLDNlSSBS.
Der Typus der nach links gewandten Halbfigur mit Fahne und Schild dauert
auch unter den sächsischen Kaisern neben anderen Typen noch fort. Die Ausführung
ist lässiger. Das Siegel Heinrich I. vom 18. X. 927 ist als Kopienach einem Konrad I.
zu betrachten. Das Otto I. vom 29. V. 940 ist oberflächlicher gearbeitet als die
meisten früheren; aus dem gleichen Stempel scheint das fast ganz verwischte Otto II.
vom 24. VII. 961 abgedruckt zu sein. Das letzte Beispiel bieten die Rückseiten
zweier Bullen Otto III. vom 3. I. und vom 13. IV. 999- Der überaus flau gearbeitete
Stempel enthält eine ganz schematische Halbfigur (vgl. Heffner Taf. 1. 18 b)
Auch der Profilkopf, wie er vor Ludwig IV. üblich war, findet sich unter den
Siegeln der sächsischen Kaiser noch in einigen Beispielen vor. Heinrich I., 30. IV. 925.
Bartloses Gesicht mit gerader, ziemlich scharf vorspringender Nase, kleinem Munde
und Kinn, Augen unrichtig gezeichnet. Vergleichsmaterial zur Feststellung des
Porträtwertes fehlt; auf keinen Fall ist die Ausführung eindringlich. Weitere Profil-
köpfe finden sich auf Bleibullen. Otto III., 3. I. und 11. IV. 999 und 30. VI. 1000,
das Motiv des spätrömischen Imperatorenkopfes mit Krone. Porträtähnlichkeit
ist gar nicht angestrebt (Heffner Taf. 1. 18 a). Konrad II. Bulle einer Urkunde
vom 23. VIII. 1028. Heinrich IIl. 22. VII. 1040. Ich komme auf diese beiden
Köpfe zurück.
Die Profilköpfe verschwinden von da an aus den Siegelbildern. Ihr Stil ist
in der ersten Hälfte des 9- Jahrhunderts streng und befangen; noch ist die Abhängig-
keit von byzantinischen Vorbildern groß. Sie haben die Eigenheiten des fränkischen
Stils, die wir aus Elfenbeinreliefs und der Reiterfigur, die für Karl den Großen gilt,
kennen, aber sie geben wenig Individuelles. Unter den späteren Karolingern hebt
sich das technische und künstlerische Können. Die Abhängigkeit von Vorbildern
wird geringer, sie schließen sich ihnen wohl noch im Motiv an, aber die Ausführung
ist ziemlich selbständig. Die Profile sind sorgfältig gezeichnet und geben individuelle
Züge wieder, wenn sie ihnen auch nicht in die letzten Feinheiten folgen. Das Relief
ist kräftig und gut abgestuft. Im Beginn des 10. Jahrhunderts wird die Behandlung
einförmiger. Die Halbfigur bringt einen kleineren Maßstab des Kopfes mit sich,
welcher eine einfachere Formgebung bedingt. Man legte weniger Wert auf die Bildnis-
treue als früher, ganz scheint sie aber doch nicht zu fehlen. Die Bleibullen Kon-
rad II. von 1028 und Heinrich III. von 1040 geben in groben Zügen einige Ähn-
lichkeit ohne auf Richtigkeit im Einzelnen auszugehen.
Von Otto I. an treten Frontbilder neben die Profilbilder und verdrängen sie
bald vollständig. Das Frontbild ist für eine Reliefbehandlung nicht günstig, erst
späte Zeiten haben es völlig bewältigt und eine leichte Wendung des Kopfes der
strengen Frontansicht vorgezogen. Der erste T3^us ist die frontale Halbfigur mit
Szepter und Reichsapfel (Weltkugel vom Kreuz bekrönt), Krone und Mantel. Er
kommt auf byzantinischen Münzen schon im 8. Jahrhundert vor. Die Siegel vom
21. 11. 962 und vom 5- IV. 965 zeigen ein volles Gesicht mit Schnurrbart und breitem
Vollbart. Die Augen sind rund und glotzend. Auf diesen Siegeln sind höchstens
die äußeren Merkmale des breiten Gesichts und des großen Bartes bildnismäßig.
Das bestätigt der Vergleich mit dem Elfenbeinrelief in der Sammlung der Marchese
Trivulzi in Mailand, das den Kopf im Profil gibt. Es ist weit besser gearbeitet als
die Siegelstempel, aber es geht in der Wiedergabe der individuellen Formen auch nicht
Mitteilungen aus dem german. Nationalinuseum. 1907.
Taf. XV.
Konrad II.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel X.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. XVI.
Heinrich III.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel XI.
VON GUSTAV VON BEZOLÜ. 87
Über das Allgemeine hinaus. Dss spätere Majestätssiegel Otto I. ist ganz schematisch
und leblos; der schmale magere Kopf mit spitzem Kinn und Bart, die gezierte Haltung
der Arme, all' das ist undeutsch.
Fast identisch mit dem vorigen ist das Siegel Otto II. (13. V. 974 und 3. III. 98O;
Abb. bei Heffner Taf. II. 5). Otto II. Königssiegel vom 27. VII. 934 zeigt einen
jugendlichen Kopf, ist aber sehr undeutlich, ebenso die Siegel vom 3. X. 968 und
vom 18. X. 972, die unter sich sehr ähnlich sind. Otto erscheint auch auf ihnen
noch jugendlich, mit schmalem Gesicht, auf dem ersten bartlos, auf dem zweiten
mit kurzem Bart {?). Die Darstellung ist unbeholfen, am ehesten kann das Siegel
von 968 als leiser Versuch zu bildnismäßiger Darstellung angesehen werden.
Von Otto in. gibt es zwei Siegel (27. X. 984 und 12. XII. 993), vvelche die
frontale Halbfigur haben. Ein Vergleich mit den viel besseren Miniaturen (Kemmerich
S. 64ff.) zeigt, daß ihnen kein Bildniswert zukommt.
Otto III. hat noch zwei andere Siegeltypen, den stehenden und den thronenden
Imperator. Der stehende findet sich auf zwei wenig verschiedenen Siegeln vom
15. IX. 996 und einem undatierten in der Sammlung Sara in Wien; ein gekrönter
Kaiser in langem Leibrock (der byzantinischen Tunica), Mantel, mit langem Szepter
in der Rechten und der Weltkugel (Reichsapfel) in der Linken, auch das ist ein
byzantinisches Motiv. Der Umriß des Kopfes stimmt ziemlich zu den Miniaturen,
weniger die Zeichnung innerhalb dos Umrisses.
Dann tritt unter Otto III. der Typus auf, welcher von nun an bis ins 18. Jahr-
hundert für die Kaiserbilder der Majestätssiegel herrschend bleibt, der auf dem Thron
sitzende Kaiser in frontaler Haltung. Es ist das Repräsentationsbild, das schon
unter den römischen Kaisern vorkam. Typisch ist es für die Consulardiptychen.
Der Kaiser hat in der Rechten das Szepter, in der Linken den Reichsapfel, zuweilen
auch umgekehrt. Die Arme sind fast symmetrisch erhoben. Der Kaiser ist mit
langem Rock, Mantel und Krone bekleidet. Die Stellung der Beine ist symmetrisch,
die Knie sind etwas auseinander gerückt, die Füße nach auswärts gerichtet. Die
Durchbildung des Gesichts ist nicht sorgfältig. Das hängt damit zusammen, daß
der Kaiser nun in ganzer Figur dargestellt wird. Doch wenn auch die Vorstellung,
welche uns diese Siegelbilder bieten, ungenügend bleibt, sind sie doch eine
wichtige, ja für die Frühzeit vielleicht die wichtigste, ikonographische Quelle. Der
Porträtstil hält sich unter den fränkischen Kaisern und ihren nächsten Nachfolgern
noch an die äußerlichsten Merkmale. Die Fähigkeit andeutend zu charakterisieren,
zu skizzieren, steht noch in den ersten Stadien. Sie tritt erst im 14. Jahrhundert
sicher hervor. Die größte Zeit der deutschen Plastik hat einzelne sehr schöne Siegel-
bilder aufzuweisen, aber als Bildnisse stehen diese Arbeiten nicht hoch. Unter den
Luxemburgern beginnt eine neue Epoche für das Siegelbild, die Fähigkeit, ein Ge-
sicht in wenigen Zügen charakteristisch wiederzugeben ist gewonnen.
Es ist für unsere mehr auf das Stilistische, als auf das Ikonographische ge-
richtete Betrachtung nicht nötig, die Siegelbilder sämtlicher deutscher Kaiser zu
besprechen.
Die zahlreichen Siegel Konrad II. stimmen mit einer Ausnahme (12. 1. 1025) Taf. x.
in der schmalen Gesichtsform, dem langen spitzen Bart und dem großen Schnurrbart
überein. Es sind äußerliche Merkmale, die Individualisierung fehlt. Ich gebe auf
88 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
Tafel X ein Siegel vom 1. V. 1039. Nun stimmt das oben erwähnte Profilbild
(23. VIII. 1028) wohl in den allgemeinen Grundzügen mit den Frontbildern überein.
Aber es gibt wesentlich mehr und besseres.
Wie gering der Wert der Frontbilder Konrads anzuschlagen ist, zeigt der Ver-
Tafei XI. gleich mit denen Heinrich III. Die Gesichter auf beiden sind fast identisch. Auch
sie finden in dem Profilkopf einer Bulle (22. VII. 1040) eine Ergänzung. Dieses Bild
ist weniger gut als das Konrads, verdient aber trotz seiner ziemlich unbeholfenen
Ausführung einiges Vertrauen. Das Profil ist stark bewegt, die Stirn gewölbt, die
kräftige Nase etwas gebogen, die Oberlippe kurz, die Unterlippe wulstig, der Bart
ist in runde Knollen und längliche Zotten stilisiert. Das Auge liegt tief unter dem
gegen die Nase gesenkten Augenbogen. Auffallender Weise ist hier der obere Teil
des Gesichts besser gezeichnet als der untere.
Die Majestätssiegel der späteren fränkischen Kaiser und Lothar III. sind formal
gering, besonders dürftig sind die Beine, welche vom Knöchel gegen das Knie keulen-
förmig anschwellen. Als Bildnisse bieten sie fast nichts. Zu bedauern ist, daß der
Kopf des Siegels Rudolfs von Schwaben (25- III. 1079) ganz verwischt ist. Hier
hätte man zum Vergleich das Grabmal im Dom zu Merseburg.
Nun möchte man gerne von den großen Hohenstaufen genaue Bildnisse haben.
Die bieten uns die Siegel nicht, aber einen Fortschritt gegenüber den Siegeln der
Salier bekunden sie doch. Schon die Stilisierung ist fester, das Relief, wenigstens
bei den guten Siegeln, schön und kräftig, aber die Beobachtung der Körperformen
und der Bewegungen ist noch mangelhaft. Merkwürdig ungleich ist die Behandlung
der Gesichter, neben solchen, welche den organischen Bau des Kopfes gut erfassen,
stehen noch im 13. Jahrhundert völlig befangene schematische Bildungen ohne alles
Leben. Einige Köpfe sind wirklich schön. Aber gerade sie müssen, wenn es sich
um den Bildniswert handelt, mit Mißtrauen betrachtet werden. Sie stammen aus
der Blütezeit der mittelalterlichen Plastik, in der man auch Idealköpfe zu vollem
Leben durchzubilden vermochte. Die Frage, ob die Stempel deutsche oder italienische
Arbeiten sind, ist schwierig und kann mit dem Vergleichsmaterial, welches mir hier
zur Hand ist, nicht gelöst werden. Man wird geneigt sein, die besseren für italienisch
zu halten. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß im 13. Jahrhundert die
deutsche Plastik weit höher steht, als die italienische.
Tafel XII. Die Siegel Friedrich I. Barbarossa stimmen mit Ausnahme einer Goldbulle
von 1154 in Wolfenbüttel so weit überein, daß ihnen trotz der Stilisierung des Kopfes
Bildniswert zugemessen werden darf. Die Form des Kopfes ist oval, Schnurrbart
und Vollbart sind kräftig, doch nicht lang, die Unterlippe tritt deutlich hervor, die
Nase ist ziemlich lang. Eine richtige Darstellung der Augen ist noch nicht gelungen.
Unter den Siegeln ist das vom 26. 11.1162 das beste. Das Stadtsiegel von Geln-
hausen mit den Halbfiguren Friedrichs und Beatrices hat keinen Bildniswert. Zieht
man andere Darstellungen heran, welche teils mit Sicherheit, teils vermutungsweise
auf Friedrich bezogen werden, so haben sie zwar alle einige Ähnlichkeit mit den
Siegeln, stimmen aber keineswegs soweit mit ihnen überein, daß man sofort von der
Identität der dargestellten Person überzeugt ist. Eine kolorierte Zeichnung, welche
Propst Heinrich von Schäftlarn 1180 gefertigt hat, jetzt in der Vatikanischen
Bibliothek (Cod. Vat. 2001. Abb. in O. Jägers Weltgeschichte IL S. 264), zeigt den
Mitteilungen aus dem german. Nationalniuseum. 1Q07.
Taf. XVII.
^i
^
f^
Friedrich I.
Friei-iiKii ii.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel XII.
Mitteilungen aus dem gennan. Nationalmuseum. 1907.
Taf. XVIII.
König Heinrich {VU.).
Richard von Cornwallis.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel XIII.
VON GUSTAV VON BEZOLD. 89
Kaiser in ganzer Figur, die Form des Bartes ist ähnlich wie auf den Siegeln, weiter
erstreckt sich die Ähnlichkeit nicht. Das Gleiche gilt von dem Relief im Kreuzgang
von S. Zeno in Reichenhall (Abb. in Kunstdenkmale des Königreichs Bayern I.
S. 2911) und dem am Portal des Domes zu Freising (Sammelblatt des Hist. Vereins
Freising V. Taf. 1). Sie sind alle nicht nach dem Leben gefertigt. Das Kopfreliquiar
in Cappenberg in Westfalen, welches vor 1171 gefertigt, wird in der Schenkungs-
urkunde als „ad imperatoris formatum effigiem'' bezeichnet. Daß dieser Kaiser
Friedrich I. ist, ergibt sich aus einer anderen Stelle der Urkunde. Der Kopf ist in
Erz gegossen und äußerst streng stilisiert, so daß man ihn ohne die Notiz nicht als
Bildnis ansehen würde. Ich kann mich auch, trotz der sehr lebendigen Behandlung
des unteren Teils des Gesichts und der Ähnlichkeit des Bartes mit den anderen Bildern
Friedrichs nicht überzeugen, daß wir hier ein nach dem Leben gearbeitetes Porträt
vor uns haben. (Über das Reliquiar vgl. Philippi in den Mitteilungen des Vereins
für Altertumskunde Westfalens Bd. 44. 1886 mit 2 Abbildungen und Ludorff, Die
Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Kreis Lüdinghausen, Taf. 24.)
Die Siegel Friedrich II. sind sehr verschieden, während einige ein rundes Ge-
sicht ohne alle Individualisierung geben und andere (zwischen 1224 und 1276) einen
jungen Mann mit hübschem, aber ausdruckslosem Gesicht zeigen, hat ein Siegel
vom 2. VI. 1213 einen schönen, durch die tiefe Lage der Augen ausdrucksvollen Kopf, Taf. xiii.
der mit dem eben erwähnten wenigstens eine allgemeine Ähnlichkeit hat. Man möchte
hier ein im großen Sinn des 13. Jahrhunderts stilisiertes Bildnis vermuten. Das
Gleiche gilt von dem Siegelbild König Heinrich (VII).
Der außerordentlich schöne Kopf Richards von Cornwallis (1257—1272) auf
dem Siegel vom 16. VIII. 1268 kann wohl nur als Idealbild aufgefaßt werden.
In den Siegeln des ausgehenden 13. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
finden wir manche individuelle Züge, aber ein wesentlicher Fortschritt in der Er-
fassung und Wiedergabe der Wirklichkeit tritt nicht ein.
Mitteilungen aus dem german, Nationalmuseum. 1907. 12
SILBERVERGOLDETES MONILE.
Von DR, EDWIPl REDSLOB.
(Neuerwerbung des Jahres 1907.)
(Mit 1 Tafel)
Während die Geschichte der deutschen Spätrenaissance innerhalb der freien
bildenden Künste eine schnelle Verarmung an Gedanken und Formen zu ver-
zeichnen hat, läßt sich beim Kunstgewerbe noch ein Jahrhundert über die Blüte-
zeit hinaus eine lebendige Weiterentvvickelung erkennen. Vor allem die Gold-
schmiedekunst bewahrte sich infolge der zunehmenden Freiheit, die sie in der tech-
nischen Behandlung des Materials gewann, noch bis in das siebzehnte Jahrhundert
hinein ihre hervorragende Stellung.
Ein bezeichnendes Beispiel ihrer Leistungsfähigkeit wurde im Jahre 1907 im
Münchener Kunsthandel für die Abteilung der kirchlichen Geräte unserer Samm-
lungen erworben. Es handelt sich um eine silbervergoldete Agraffe, ein sogenanntes
Monile, das im liturgischen Gebrauch als Zierstück eines Pluviale-Mantels be-
stimmt war.
Unser Stück hat die Form eines aus Halbkreisen gebildeten, durch die hervor-
stehenden Ecken eines Quadrates erweiterten Vierpasses, der 15,5 cm im Durchmesser
aufweist. Auf der zwei lange Haken tragenden silbernen Rückseite ist eine zweite
Platte angeschraubt, vor der, innerhalb einer aufgelöteten Profilumrahmung, die
Zierformen aufgesetzt sind. Die Mitte der Komposition wird durch die Madonna
gewonnen. Mit dem Flammenkranz umgeben thront sie vor einer Renaissancenische,
auf einem bankartigen, mit schwerem Stoff bedeckten Sitz. Im Sinne der Spät-
renaissance ist sie als jugendliche Himmelskönigin charakterisiert. Auf dem Haupt,
von dem das gelöste Haar in langen Wellen herabfällt, trägt sie eine kleine Krone,
in der rechten Hand hält sie das Scepter, indeß das auf ihrer linken sitzende, in ein
kurzes Hemd gekleidete Kind den Reichsapfel hält und die rechte Hand segnend er-
hebt. Marias Gewandung besteht aus reich gemusterten Stoffen. Sie trägt ein ge-
gürtetes, enganliegendes Kleid, über dem der Mantel in feinen Falten liegt.
Mutter und Kind wenden sich dem Stifter zu, dessen kleine Figur etwas un-
geschickt links vom Thron die sonst streng regelmäßige Anordnung unterbricht. Er
kniet in Profilstellung vor dem Betpult. Seine Kleidung ist die weltliche Tracht der
Zeit um 1600, nur das auf dem Pulte liegende Barett deutet auf seine geistlichen
Würden hin und läßt wohl am ehesten auf einen Domherrn schließen.
Die vier Pässe sind ornamental gefüllt. Im oberen ist zur Bekrönung der Nische
ein Baldachin untergebracht, dessen von zwei schwebenden Putten zur Seite geraffte
Vorhänge die Hauptgruppe nach rechts und links abschließen. Der Rundung der
zwei. seitlichen Halbkreise paßt sich das einfach und klar geordnete Schweifwerk
SILBERVERÜOLDETES MÜNILE. VON DR. EDWIN REDSLOB. 91
an, mit dem die Flügel von zwei zur Madonna emporschauenden Cherubimköpfen
endigen. Im unteren Paß liegt ein Lorbeerkranz, dessen Oval nach oben zwei ge-
flügelte Engelsköpfe erweitern. Der Kranz umrahmt eine mit geperlter offener
Krone bedeckte Kartusche, auf der das Wappen aufliegt. Es zeigt einen quadrierten
Schild und enthält im ersten und vierten Feld einen doppelten Hausanker, im zweiten
und dritten drei als Mispelblüten zu deutende fünfblättrige Blüten in der Anordnung
2 über 1. Zwischen Schild und Kranz sind sechs Buchstaben eingraviert :
S V H H Z W, die auf Grund des Wappens aufzulösen sind in : S. von Hatzfeld,
Herr zu Wildenburg.
Die technische Ausführung der montierten Arbeit verrät eine außerordentliche
Sorgfalt. Die Teile sind einzeln in Silber gegossen und mit Stiften oder Muttern
an der Rückplatte angezogen, nur die Vorhänge des Baldachins und die Ornamente
des Wappens sind getrieben und angelötet. Auch der mit der Madonnenfigur an-
geschraubte Strahlenkranz ist aus dem Stück geschnitten.
Der Vergoldung sind durch verschiedene Materialbehandlung farbige Unter-
schiede abgewonnen. Die am stärksten modellierten Teile, also besonders alle Fleisch-
partien, das Rankenwerk in den seitlichen Pässen und die Pfosten des Thrones haben
den gewöhnlichen Glanz. Die Vergoldung der durch einfache Rauten verzierten
Hintergrundplatte mit der Nische ist poliert, so daß sie mit den vielen Reflexlichtern
der vorgeschraubten Zierstücke von hinten hell hervorleuchtet. Als dritter Ton
kommt die mattgeschlagene Vergoldung des Ornamentstreifens unter dem Thron
in Betracht. Am mühsamsten sind die stofflichen Teile behandelt. Kleid und
Mantel der Maria sind durch sorgfältig mit dem Punzen eingeschlagene Gewebe-
ornamente unterschieden. Auch die Tracht des Stifters, die getriebenen Baldachin-
streifen, die Decke des Thrones sowie die kleinen Tücher am Halse der zwei seitlichen
Cherubim sind durch Ziselierung als Stoffteile charakterisiert. Wichtig und be-
sonders bewundernswert erscheint, daß also nur durch die Materialbehandlung die
einzelnen Unterschiede gewonnen sind; die Farbe der Vergoldung selbst ist für
alle Teile die gleiche; einige Unterschiede in der Färbung, durch die besonders die
Pfosten und die Decke des Thrones nebst Teilen des unteren Paßrundes auffallen,
erklären sich durch eine vor Aufnahme des Stückes in unsere Sammlungen vorge-
nommene Reparatur.
Für die Frage nach der Herkunft der Arbeit kommen, außer dem Hinweis durch
das Wappen des in den Rheinlanden ansässigen Hatzfeldischen Geschlechtes, die auf
der Rückseite des Stückes oberhalb seiner Haken angebrachten Beschauzeichen in
Betracht. Zu unterst befindet sich das 2,7 cm lange, in Form der sogenannten Säge
Abb. 1. Beschauzeichen von der RUckplatte des Monile.
eingeschnittene Vollwertzeichen, mit dem die Geschworenen der Zunft den Feingehalt
des Materiales garantiert haben. Darüber sind zwei Wappen, jedes von 3 mm
Q2 SILBEHVERGOLDETES MONILB.
Höhe, die unsere Abbildung in sechsfacher Größe wiedergibt. Das rechte Wappen
mit dem Pentagramm bedeutet das Meisterzeichen, das hnke ist, wie uns auch eine
freundUche Mitteiking des Herrn Professor Marc Rosenberg zu Karlsruhe zusichert,
als Beschauzeichen der Stadt Köln zu deuten. Im oberen Felde haben wir die heiligen
drei Könige, die Schutzheiligen der Stadt, zu erkennen, das untere Feld, wo im Stadt-
wappen elf Flammen als Symbol der elftausend heiligen Jungfrauen erscheinen, ist
durch ein Gitter^^'erk gefüllt.
Die Entstehung der Arbeit in den Rheinlanden ergibt sich auch aus formalen
Gründen. Stilistische Vergleichung führte uns dazu, an einem in altem west-
fälischen Privatbesitze befindlichen Werke dieselbe Arbeitsart zu erkennen.
In dem der Familie von Twickel gehörigen, im Kreise Lüdinghausen gelegenen
Rittergut Ermelinghof wird ein kleiner Hausaltar bewahrt, der in einer späteren,
mit Beschlägen verzierten Ebenholzumrahmung die silberne Figur der Madonna
enthält. (Abgebildet: Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Kreis Lüding-
hausen, Tafel 45.) Über Wolken auf dem Halbmond stehend, ist sie ähnlich der
Figur des Monile charakterisiert. Ihr gegürtetes Untergewand ist ungemustert,
aber der in feingewellte Falten gelegte Mantel zeigt ähnliche Ornamente wie
das Gewand unserer Madonna, und die Ziselierung seiner Innenseite entspricht
ganz der Behandlung der getriebenen, von den schwebenden Engeln gehaltenen
Vorhänge an der Agraffe. Diese Engel lassen sich am besten mit dem in Ermelinghof
unbekleidet gegebenen Christuskind vergleichen, da sie, ihrer Größe entsprechend,
sorgfältiger durchmodelliert werden konnten, während sich bei einer Gegenüber-
stellung der Madonnen die freiere und weichere Behandlung an der Standfigur be-
merken läßt, die ja auch in annähernd doppelter Größe gebildet wurde.
Die Kenntnis dieses Werkes ist für die Datierung wichtig, weil wir diese vor
allem aus stilistischen Gründen gewinnen müssen. Wie das Monile zeigt es Formen
der Spätrenaissance. Da wir Arbeiten der Kölner Kunst vor uns haben, kann
eine zeitliche Ansetzung nicht hoch in das siebzehnte Jahrhundert hinaufgehen. Die
Übersichtlichkeit und Ruhe, die besonders das Monile in Figuren und Ornamentik aus-
zeichnet, veränderte sich schon in den zwanziger und dreißiger Jahren des siebzehnten
Jahrhunderts, und zwar vornehmlich unter dem Einfluß der frühzeitig mit Elementen
des Barockes durchsetzten Augsburger Goldschmiedekunst. Ein Werk wie der I633
entstandene Engelbertschrein des Kölner Domschatzes zeigt diesen Wandel. Hier
sind, trotz der noch einfachen Gesamtkomposition, die Figuren in ihren Stellungen
und Bewegungen leidenschaftlich und aufgeregt, die Zierformen zeigen gewundene
Übergänge und mannigfach ausgebuchtete Umrisse, die einzelnen Ornamentmotive
werden bis in ihre letzte Konsequenz zu immer neuen Verzweigungen ausgenutzt.
(Abbildung: Berühmte Kunststätten 38: E. Renard, Köln, Fig. 168.)
Unser Bemühen, die Datierung auch auf Grund von Anhaltspunkten aus der
Hatzf eidischen Familiengeschichte zu bestimmen, fand das bereitwilligste, dankbar
an dieser Stelle zu nennende Entgegenkommen von Seiten des herzoglich Hatz-
f eidischen Archives zu Trachenberg, des fürstlich Hatzf eidischen zu Crottorf und
der bischöflichen Archive zu Münster* und Osnabrück. Leider konnte sich aber
nicht bestimmt ergeben, auf wessen Person der Name S. von Hatzfeld zu deuten sei.
In Betracht kommt erstens der Osnabrücker Domherr Stephan von Hatzfeld. Als
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. XIX.
Silbervergoldetes Monile. (K. G 817.)
Kölner Arbeit vom Anfang des siebzehnten Jahrliunderts.
VON DR. EDWIN REDSLOB. 93
vierter Sohn aus der 152} geschlossenen Ehe zwischen Hermann Hatzfeld aus der
Wildenburgischen Linie und Anna Droste von dem Schweckhaus könnte er noch im
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts Stifter der SchHeße gewesen sein. Allerdings
müßte dann das Datum seiner Geburt sehr spät anzusetzen sein, da die Darstellung
im äußersten Falle auf einen Mann in der Mitte der fünfziger Jahre schließen läßt.
Eine zweite, ursprünglich von uns gehegte Vermutung, der auch die Meinung
Sr. Durchlaucht des Herzogs zu Trachenberg entspricht, geht dahin, den Namen
S. von Hatzfeld auf Sebastian von Hatzfeld zu deuten, der sie seinem Sohne Franz
geschenkt haben könne. Dieser Franz wurde I630 Fürstbischof von Würzburg;
die Schließe müßte vorher gestiftet worden sein, denn es wäre anzunehmen, daß
man sonst die bischöflichen Insignien angebracht hätte. Auch waren nicht die Bischöfe,
sondern die Domherren zur Stiftung eines Pluviale mit der zugehörigen Schließe
verpflichtet. Als Resultat bleibt immerhin, daß wir auch auf Grund der Hatzf eidischen
Familiengeschichte Anhaltspunkte für die Entstehungszeit der Arbeit am Anfang
des siebzehnten Jahrhunderts gewinnen.
Die Form des Monile hatte bis zu dieser Zeit schon eine lange, durch die Aus-
bildung des Pluvialemantels bestimmte Tradition. Das Pluviale hatte sich ziemlich
schnell zum Prunkgewand entwickelt. Ursprünglich hatte es bloß den Zweck ge-
habt, als Regenmantel bei Prozessionen die reiche Festtracht vor den Einflüssen
der Witterung zu schützen. Als allmählich die einzelnen Gewebeornamente immer
größer und verzweigter sich über die Bahnen der Stoffe erstreckten, schien
der umfangreiche Mantel besser als die schmale und glatte Casula geeignet,
die golddurchwebten Brokate in schweren, auf den Höhen erglänzenden Falten-
massen zur Geltung zu bringen. So wurde das Pluviale, das schon seit dem vier-
zehnten Jahrhundert vereinzelt als Amtstracht der Bischöfe im Inneren der Kirche
verwendet wurde, im Verlaufe des sechszehnten fast allgemein von Bischöfen und
Domherren an Stelle der Kasel getragen. Vorn geöffnet und mit breiten, meist ver-
schwenderisch bestickten Borten umsäumt, wurde es über der Brust durch eine
Spange gehalten. Damit das Gewicht des Mantels diese Spange nicht hinaufzöge,
mußte man sie beschweren. Auch Gründe der Schönheit verlangten, das Zusammen-
halten des Mantels über der Brust klar zu veranschaulichen, und hierzu konnte inner-
halb der reichen Säume ein schmales Stück Stoff kaum geeignet erscheinen.
Infolge dieser Anforderungen entwickelten sich verschiedene Formen für die
Verzierung der Spange. Man besetzte den Streifen mit Perlen und schweren, großen
Steinen. (Gute Beispiele dieser Form sind auf Bildern der Cranachschule enthalten.)
Oder man ließ ihn ganz fallen, richtete den Schnitt so ein, daß die beiden Mantel-
hälften sich in Brusthöhe trafen und steckte sie mit einer Agraffe zusammen.
(Beispiel: Grabmal des Erzbischofs Uriel von Gemmingen, Kurfürsten von Mainz,
gest. 1514, im Dom zu Mainz; Gipsabguß im Germanischen Museum.)
Die erste Form hatte den Nachteil, daß sie als Gegengewicht zu der Rückseite
nicht schwer genug war, und daß die Steine, sobald die Spange nicht mehr auf der
94
SILBEKVERGOLDETES MONILE.
Brust ruhte, den ZeujG:streifen übermäßig belasteten. Die zweite Form zog den
Mantel in unschön geknitterten Falten über der Brust zusammen.
Die beste, vor allem auch für die Zeremonie des Umkleidens am Altare
ijeeignetste Lösung war die, daß man auf der Spange mittels zweier Krampen
Abb. 2. Teilstück der Bischofsfigur von einem schwäbischen Holzrelief
des Germanischen Museums. (PI. O. 131.)
das Metallschild in zwei Laschen aufsteckte. Diese Form veranschaulicht unsere
Abbildung, die einen Bischof vom Anfang des sechzehnten Jahrhunderts darstellt.
(Da B r a u n — Liturgische Gewandung, S. 321 bis 329 — die Bedeutung des Monile
als Gewicht nicht berücksichtigt, sieht er im Aufstecken der Scheibe auf den Quer-
riegel ein Zeichen dafür, daß die Pluvialschließe nach Aufgabe der Spangenform zum
bloßen Schmuckstück ohne praktischen Wert geworden sei. Vgl. auch 0 1 1 e,
Kunstarchäologie, 1885, I, 212 u. 276; Bergner, Kirchliche Kunstaltertümer,
1905, S. 357 und 375.)
Diesen aus Anforderungen der Schönheit und Verwendbarkeit sich ergebenden
Grundbedingungen entspricht die Entwickelung, die sich ganz im allgemein für
die Pluvialschließe erkennen läßt. Im dreizehnten Jahrhundert trug man meist ge-
stickte Agraffen, wie auf dem Rauchmantel, so auch, als broschenartiges Zierstück,
auf der Kasel. (Beispiel: Gestickte Agraffe in Vierpaßform von der Braunfelser
Kasel des Fürsten Solms, Abb., Zeitschrift f. christliche Kunst, 1903, 207. Englische
Arbeit aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.)
VON DR. EDWIN REDSLOB. 95
Solche paranientischen Entwürfe wurden dann von den Goldschmieden über-
nommen und vielfach mit Emailmalerei und Edelsteinschmuck ausgestattet. (Vgl.
Viollet-le-Duc : Dictionnaire raisonne, II, PI. XLVIII. Joseph Braun: Pluvial-
schließen der Stiftskirche zu Tongern, Zeitschrift f. christliche Kunst, 1904, 245 fg.)
Allmählich, besonders im Verlaufe des fünfzehnten Jahrhunderts, gab man
die farbige Belebung der Scheiben auf, der figürlichen Arbeit aus vergoldetem Kupfer
oder Silber wurde die Hauptbedeutung beigemessen. Durch Fialen und Baldachin-
überdachungen vertikal gegliedert, bekamen die Schließen einen architektonischen
Charakter. (Beispiele: Hirth's Formenschatz, 1905, 15 und 123, zwei Aachener
Schließen, Abguß der ersten (K. G. 663) im Germanischen Museum. Katalog
der Sammlung Felix, 1886. Heideloff: Stilformen des Mittelalters, H. IX, PI. III.
Bock: Das heilige Köln, 1858, VIII, S. 32. Braun: Liturgische Gewandung, 332 fg.
Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen: Agraffe von 1487 im Mindener Dom. Das
Germanische Museum besitzt aus der Spätzeit der Gotik ein kupfervergoldetes
Monile (K. G. 611), das in kreisrunder Umrahmung unter Baldachinen die Madonna
zwischen Katharina und Barbara enthält.)
Im Verlaufe des sechzehnten Jahrhunderts trat die vertikale Einteilung
und Überhöhung wieder zurück : eine runde, rosenförmig um die Mitte konzentrierte
Anordnung entsprach dem beruhigten Formensinn der Renaissance. Aber die go-
tische Tradition wirkte noch immer nach und arbeitete sich im Verlaufe der Zeit
immer wieder durch. Auch unsere Neuerwerbung ist ein Beispiel für das lange
Nachleben mittelalterlicher Formen innerhalb der kirchlichen Kunst.
EIN BILDNIS GEORG PHILIPP HARSDORFERS
VON GEORG STRAUCH.
VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
(Mit 2 Tafeln).
Die 300. Wiederkehr des Geburtstages des Begründers des Pegnesischen
Blumenordens Georg Philipp Harsdörfer am 1. November 1907 gab uns
Veranlassung, zur Erinnerung an diesen vielseitigen, ungemein tätigen und seiner Zeit
einflußreichen Literaten eine Ausstellung zu veranstalten. Wir kamen damit zu-
gleich einem Wunsch des jetzigen 1. Vorstandes des Pegnesischen Blumenordens,
des Herrn Hofrats Dr. Wilhelm B e c k h, entgegen. Unser Bestreben war da-
hin gerichtet, ein zusammenfassendes Bild des Wirkens und der Persönlichkeit des
Dichters zu geben, unter Berücksichtigung der Zeit, in der er gelebt, und nicht zum
mindesten des Ordens, den er gestiftet. Wir konnten aus verschiedenen Besitz-
ständen ein reichhaltiges Material zusammentragen. Zum größten Teil wurde es
unserem Kupferstichkabinett und unserer Bibliothek entnommen. Nicht gering
war auch die Stoffülle, welche uns die Nürnberger Stadtbibliothek bot. Hinzu
kamen Gegenstände verschiedener Art aus dem Besitz des Pegnesischen Blumen-
ordens selbst, aus der bei uns verwahrten Bibliothek der Paul Wolfgang Merkei-
schen Familienstiftung und aus der Kupferstichsammlung der Stadt Nürnberg.
Über die Ausstellung ist im Zusammenhang an anderer Stelle berichtet worden^).
Auch wurde ein handschriftliches Verzeichnis aller ausgestellt gewesenen Gegen-
stände angelegt. Ich kann darum davon absehen, Näheres über die Ausstellung
zu bringen, und mich unmittelbar meiner vorliegenden Aufgabe zuwenden.
Selbstverständlich mußte unser Ziel neben anderem darauf gerichtet sein, so-
weit es möglich war, alles zu vereinigen, was eine porträtmäßige Vorstellung des
Dichters gibt. A priori schien zu erwarten zu sein, daß hierbei die längst bekannten
und wiederholt reproduzierten Bildnisse wieder ans Tageslicht kommen würden,
und daß sich nach dieser Richtung etwas Neues nicht finden lassen würde. Doch
dem war nicht so; denn bei der Durchsuchung der umfangreichen Porträtsamm-
lung der Bibliothek der Paul Wolfgang Merkel'schen Familienstiftung stießen wir
unvermutet auf ein bisher gänzlich unbekanntes und, was das Wichtigste war, originales
Porträt. Es ist eine getuschte Federzeichnung, in der Mitte unten bezeichnet:
„G. Strauch, fec: 1651." Damals war der Dichter 44 Jahre alt und stand also in der
Vollkraft seines Lebens. Sieben Jahre später raffte ihn der Tod dahin. Wir haben
also eine Darstellung vor uns, welche uns Georg Philipp Harsdörfer mit voll ausge-
prägten Gesichtszügen, die späterhin wenig Veränderungen mehr erfahren haben
1) Frank. Kurier, Abendausgabe vom 6. November 1907 (Nr. 569)-
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. XX.
Bildnis Georg Philipp Harsdörfers von Georg Strauch v. J. 1651.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1Q07.
Taf. XXI.
W^Lus^maainem m USla.mjTvuun offe/rvciniLceßxci (^a^ljc/A.caijq^crt. j^ er'
Bildnis Georg Philipp Harsdörfers. Kupferstich von Andr. Khol
nach Georg Strauch.
EIN BILDNIS GEORG PHIL. HARSDÖRFERS VON GEORG STRAUCH. VON FR. TR. SCHULZ. 97
werden, zeigt. (Taf. XX). Er ist als Brustbild gegeben, das von einem breiten acht-
eckigen Rahmen umschlossen wird. Das Antlitz ist dem Beschauer fast en face zuge-
wandt, während der Oberkörper nach links (vom Dargestellten aus) gedreht ist. Das
Gesicht ist rund und fleischig, die Nase wenig gekrümmt und energisch ausgebildet.
Die unteren Augenlider treten mäßig schwer hervor. Die Augenbrauen sind im
Bogen hinaufgeschwungen, so daß die darunter liegende Partie als breite Fläche
erscheint. Alles das deutet auf einen stark entwickelten Körper hin. Ein kleiner
Schnurrbart deckt die Oberlippe. Ein kurzer Knebelbart umzieht das Kinn. Der
Hals tritt unter den Kinnbacken fleischig heraus. Die vollen Gesichtszüge deuten,
wenn dies erlaubt ist zu sagen, auf Wohlhabenheit und Gesundheit hin. Das
Haupthaar ist in der Mitte gescheitelt und wallt beiderseits in welligem Lockenfluß
bis auf die Schultern herab. Ein breites, beiderseits gefranstes Band geht von der
rechten Schulter nach der linken Hüfte herab. Unterhalb der Schnalle hängt,
scheinbar an einem besonderen, um den Hals getragenen Bande, ein ovales Medaillon
mit dem Symbol der fruchtbringenden Gesellschaft, dem Palmbaum. Der Unter-
grund ist licht getuscht und durch quergelegte Parallelschraffuren gegliedert. Der
Oberkörper endet nicht unmittelbar an dem Rahmen, sondern wird von diesem durch
einen leeren Streifen getrennt, auf dem ebenso wie auf dem Rahmenband, welches
das Bildnis als Achteck umschließt, Schrift angebracht werden sollte. Der Künstler
hat jedoch hiervon abgesehen. Seine Aufgabe bestand lediglich in der getreuen
Darstellung und dem Arrangement im Ganzen; alles übrige war Sache des Stechers.
Als äußerer Abschluß dient ein rechteckiger Rahmen, den eine dünne Federlinie
umgrenzt. In den oberen Eckzwickeln hat der Künstler rechts das Wappen, links
die Helmzier Harsdörfers angebracht, beide mit flatternden Bändern verziert. Das
untere Stück des Bildes wird von einer perspektivisch gestellten Tischplatte ein-
genommen. Auf dieser bemerken wir links ein Buch mit geöffnet darauf liegender
Uhr, rechts auf einem vorn umgebogenen Stück Papier einen dreischenkligen, auf-
recht gestellten Zirkel. Rechts von diesem wird das Ende einer Papierrolle, links
der untere Teil eines scheinbar zylindrischen Gefäßes bemerkt. Oberhalb der er-
wähnten Inschrift endlich liegen ein Messerchen und eine Feder.
Die Darstellungsart ist eine flotte. Die Konturen sitzen fest und sicher. Das
Gesicht ist sprechend im Ausdruck. Entschieden darf dieses Porträt den besseren
Bildniszeichnungen der Zeit beigezählt werden. Das Arrangement im Ganzen ist
ein glückliches und ansprechendes.
Als Verfertiger dieses Bildnisses hat sich, wie schon bemerkt, Georg Strauch
genannt, ein Künstler, der sich als Maler, Kupferstecher und Emailmaler betätigte^).
2) An Literatur über diesen ist zu verweisen auf: Andreas Gulden's Fortsetzung
der Johann Neudörf er ischen Nachrichten von berühmten Künstlern und Handwerkern im
17. Jahrhundert in der Ausgabe von Lochner, S. 203 u. 231. — Joh. Gabriel Doppel-
mayr, historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, Nürnberg
1730, S. 233 u. 234, unter Berücksichtigung der Zusätze in seinem Handexemplar, das unsere
Bibliothek besitzt. — Nagler, neues allgemeines Künstler- Lexikon, XVII, S. 465 u. 467- —
N agier, Monogrammisten III, Nr. 370, 384 u. 2913- — Andresen, der deutsche Peintre-
Graveur V, S. 140 ff. — Allgemeine deutsche Biographie, Bd. XXXVI, S. 527 u. f. — Hans
Bosch, die Nürnberger Maler, ihre Lehrlinge, Probestücke, Vorgeher u. s.w. von 1596—1659,
in den Mitteilungen des Germanischen Nationalmuseums 1899-
Mitteilungen aus dem gei-man. Nationalmuseum. 1907. 13
98 EIN BILDNIS GEORG PHILIPP HARSUÖRKERS VON GEORG SIRAÜCH.
Er wurde am 17- September 1613 in Nürnberg geboren, wo er wirkte und am
i}. Juli 1675 starb. R6e irrt wohl nur, wenn er in seinem Artikel über Georg
Strauch in^der Allgemeinen deutschen Biographie 1673 als Todesjahr angibt. Ge-
rade das Bildnis des Meisters von unbekannter Hand, das er im Auge hat, nennt
1675 als Todesjahr. Übrigens ist dieses Bildnis recht herzlich schlecht. In jeder
Hinsicht steht es als eine mindere Leistung da, vollkommen abfallend gegen das
reizende kleine Porträt mit der Pelzmütze, das der Künstler im Jahre 1655 eigen-
händig radierte, und das er mit folgender Devise versah: „Gott ist meines Lebens
Krafft, Sein Wort meiner Seelen Safft". Eines der Exemplare dieses Selbstbild-
nisses, welche sich in der Porträtsammlung der Bibliothek der Paul Wolfgang Mer-
kel'schen Familienstiftung befinden, trägt folgenden handschriftlichen Vermerk:
„Georg Strauch fecit 1655. 0hl und Schmeltz Mahler in Nürenberg raddierte auch
1675". Der Drang zur Kunst soll sich frühzeitig in ihm geregt haben. Wie Doppel-
mayr berichtet, illuminierte er „die mehreste biblische Figuren schon in dem 10.
Jahr seines Alters, ohne daß er die geringste Anweisung zuvor darinnen gehabt,
so fein, daß sich viele darüber verwundert". Sein Lehrmeister wurde Johann
Hauer, zu dem er 1626 (1628) „zur Beförderung seines guten Intents" ging. Weil
er kein Lehrgeld gab, mußte er sich auf sechs Jahre zu diesem verdingen. Unter-
richtet wurde er im Malen und Radieren. Er machte so gute Fortschritte, daß er
schon im Jahre I635 sein Probestück fertigen konnte, bestehend in der Darstel-
lung des heiligen Sebastian, wie selbiger an einen Baum angebunden. Meister wurde
er am 8. September dieses Jahres. 1647/51 und 1654/58 war er Vorgeher der Maler-
zunft. 1651 wurde er zum Genannten des größeren Rats gewählt. 1667 wurde
er Kirchner bei St. Sebald. Er war also angeschrieben: „Der erbar und fürnehm
Georg Strauch Mahler u. Contrefeyer, auch diese Zeit verordneter Kirchner bey
S. Sebald auf der vordem Füll". Seine Frau war den 28. Mai 1682 folgendermaßen
angeschrieben : „Die erbar und ehrntugendsame frau Magdalena des erb : und für-
nehm Georg Sträuchen Mahlers u. Contrefeyers auch verordneten Kirchners bey
S. Sebald hinterlassne wittib, unterhalb St. Lorenzen". Georg Strauch war ein
Sohn des Hans Strauch, der als Visierer bezeichnet wird^).
Was seine künstlerische Wirksamkeit betrifft, so genügt es für den vorliegen-
den Zweck, wenn ich mich auf einige allgemeine Angaben beschränke. Zunächst
war er als Radierer tätig. Als solcher wird er geschätzt. Seine Blätter sind zum
Teil selten. Andresen zählt deren 33 auf, darunter 16 Porträts. Als Maler fertigte
er historische Darstellungen und Bildnisse. Für die letztgenannte Seite seiner
Tätigkeit besitzen wir ein hübsches Beispiel in dem auf Holz gemalten Kniebild
einer unbekannten Nürnbergerin mit einer Flitterhaube vom Jahre 1664, das außer-
ordentlich zierlich durchgeführt ist und fast einer Miniature gleicht. Es mißt
nur 23 cm in der Höhe und 18 cm in der Breite*). Einen besonderen Ruf genoß
er als Emailmaler. Es heißt von ihm: „Malte gar klein Ding von Schmelzglas auf
Gold". Bei Doppelmayr lesen wir: „absonderlich aber war er in der Mahlerey mit
3) Siehe Th. Hampe, Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler im Zeitalter der
Spätgotik und Renaissance, II, Nr. 2615- Dort heißt es zum 1. Nov. 1613: „An statt Christoff
Reingrubers soll man Hansen Sträuchen zu einem geschwornen visierer annemen".
4) Katalog der im Germanischen Museum befindlichen Gemälde, 3- Aufl., Nr. 834.
VON DR. FRITZ TRAUGÜIT SCHULZ. 99
Gummi- Farben und im Schmeltz-Wercke oder in dem so genannten Emailliren treff-
lich geübt, und bemühet viel schönes davon zum Andencken zu hinterlassen, welche
man noch bis dato als treffliche Kunst-Stücke in hohen Werth hält". Andresen
und R^e führen Proben seines Wirkens auf diesem Gebiet an, die sich damals in der
Kunstkammer in Berlin und im Belvedere zu Wien befanden. Ganz besonders groß
aber ist die Zahl seiner Zeichnungen, die er für den Stich im Einzelblatt und in Büchern
schuf. Sie bestehen in Historien, Landschaften, Grotesken, Emblemen, auch In-
schriften und Sentenzen. Neben anderem war er als Illustrator für verschiedene
geistliche Schriften des bekannten Predigers Joh. Mich. Dilherr tätig, was zu be-
merken deshalb nicht unwichtig ist, weil er bei einer dieser Gelegenheiten auch mit
Georg Philipp Harsdörfer in Berührung kam, was für diesen Veranlassung geworden
sein mag, gerade durch ihn sein Bildnis als Vorlagezeichnung für den Kupferstich
fertigen zu lassen. Zu Joh. Mich. Dilherr's evangelischer Sonntags-, Fest- und
Epistelpostill nämlich, welche dieser die Sabbaths-Ruhe benannte, hat Georg Philipp
Harsdörfer die Sinnbilder erfunden und diese dann unser Georg Strauch gezeichnet.
Ich entnehme diese Notiz unserem mit zahlreichen handschriftlichen Zusätzen ver-
sehenen Handexemplar von Doppelmayr, bei der mir jedoch die Angabe des Jahres
der Herausgabe dieses Buches (1674) etwas zweifelhafter Natur zu sein scheint. Die
Zahl der religiösen Embleme dieses Werkes wird auf 182 angegeben. Der Stich
zu ihnen rührt von Melchior Küsseil her. Weiter zeichnete Strauch viele Bildnisse,
die von Sebastian Furck, Bartholomeus Kilian, Andreas Khol, J. F. Leonhart,
Jak. Sandrart, Jak. Schollenberger, Corn. Nie. Schurz, Matthaeus Küsseil u. a. m.
in Kupfer gestochen wurden. Zu diesen gehört auch das vorliegende Porträt Georg
Philipp Harsdörfers, das in allem deutlich darauf hinweist, daß es eine nach dem
Leben gezeichnete Vorlage für einen Stich ist. Dieser wurde von Andreas Khol
in Kupfer gebracht.
Wie verhält sich nun der Khol'sche Stich unseres Harsdörfer- Porträts zu der
Strauch'schen Originalzeichnung? Wir müssen uns näher mit dieser Frage be-
schäftigen, weil es von Wichtigkeit ist festzustellen, ob uns in den verschiedenen
allgemein bekannten und oft reproduzierten Bildnissen Georg Philipp Harsdörfers
sein charakteristisch physiognomischer Gesichtsausdruck getreu und wahr über-
liefert worden ist. Vorweg ist noch zu bemerken, daß der Stich des Andreas Khol,
wie aus der Unterschrift geschlossen werden darf, eine Widmung des bekannten
Nürnberger Kupferstechers, Kunsthändlers und Verlegers Paul Fürst an den Dichter
ist; denn nur auf diesen können die beiden Initialen P. F. gedeutet werden. Bei
der Vergleichung der Zeichnung und des Stiches sehe ich von äußerlichen Ab-
weichungen wie auch von einer Erklärung des Beiwerks in den Zwickeln links und
rechts unten ab und beschränke mich lediglich auf das, worauf es mir hier ankommt,
auf das Antlitz des Dichters, wie es hier und dort wiedergegeben erscheint. Zug um
Zug läßt sich konstatieren, daß der Stecher die feinen Gesichtszüge vergröbert, entstellt
und verdorben hat. Die hohe Stirn des Originals ist im Stich (Taf. XXI) niedriger
gegeben, sie ist in die Breite gezogen und mehr nach vorn herausgedrückt. Die
Folge davon ist, daß das volle lockige Haupthaar nicht mehr in seiner bezeichnen-
den Weise herabflutet. Der Scheitel sitzt verkehrt, wodurch bewirkt ist, daß die
Natürlichkeit des, wenn ich so sagen darf, künstlerischen Haararrangements in eine
100 EIN BILDNIS GEORG PHILIPP HARSDÖRFERS VON GEORG STRAUCH.
steife Symmetrie vericehrt ist. Durch diese Veränderung ist dem Antlitz, wie wir
es in der Zeichnung dargestellt finden, eines seiner wichtigsten Merkmale genommen
worden. Ganz anders wirkt ferner die Behandlung der Augen hier und dort. Zwar
treten die Augen auch in der Zeichnung etwas schwer markiert aus den Höhlen
heraus. Doch ist der Schwung der Lider hier weit mehr gerundet. Das obere Lid
ist auch nicht so breit und lastet darum nicht so schwer. Das untere Lid liegt nicht
so plastisch auf, wie wir es auf dem Stich sehen. Hinzu kommt, daß die Augen-
brauen viel freier hinaufgezogen sind. So ist der Effekt in der Kupferstich wieder-
gäbe ein ganz anderer. Die Verzeichnung, die Verschiebung der charakteristischen
Lagen der Linien in den Augenpartien, die übertriebene Herausarbeitung ins Pla-
stische hat dem geistreichen Zug, den das Antlitz des Dichters in der originalen
Zeichnung zur Schau trägt, in ganz bedenklicher Weise Abbruch getan. Der Stecher
hat etwas ganz anderes daraus gemacht. Auch die Form der Nase hat er verändert.
Der Rücken ist in Wirklichkeit höher und im oberen Teil energischer ausgeprägt.
Die Partie zwischen Nase und Mund wirkt dadurch, daß die Haare des kleinen
Schnurrbarts aufwärts gekämmt und die neben den Nasenlöchern beginnenden
Wangenfalten stärker hervorgekehrt sind, im Stich ebenfalls anders als im Original.
Überhaupt hat das ganze Antlitz eine mehr länglich-ovale Form bekommen, wäh-
rend es auf der Zeichnung mehr in die Breite geht. Das Fleisch der Gesichtsteile
ist ferner bei weitem nicht so straff gespannt; es ist weicher und voller. Die offen-
sichtliche Unfähigkeit des Stechers gegenüber seiner Vorlage, die sich in allem als
künstlerisch bedeutsam erweist, hat so ein Bild zuwege gebracht, das nicht im
Entferntesten den Feinheiten der Zeichnung gerecht geworden ist. Es ist eine
Wiedergabe, die sich nur in dem allgemeinen Gesamteindruck dem Original nähert,
aber in den wirklich charakteristischen Einzelheiten auf Treue der Durchführung
nicht den geringsten Anspruch erheben darf. Der Stich ging in zahlreichen Exem-
plaren in die Welt hinaus und bestimmte für die Folgezeit die Vorstellung von der
äußeren Persönlichkeit des Dichters. Die originale Zeichnung aber, die allein das
richtige Abbild bringt, war nur einmal vorhanden. Sie blieb verschollen, um erst
vor kurzem durch einen Zufall wieder ans Tageslicht zu kommen. Beide sind zu-
gleich ein Beweis für die Richtigkeit des allgemeinen Satzes in Naglers Monogram-
misten: „G. Strauch lieferte auch Zeichnungen zum Kupferstiche, welche aber nicht
gut übertragen wurden".
Der Porträtstich des Andreas Khol, welcher Künstler im Jahre 1656 starb,
wurde die Quelle weiterer Übel, denn es dürfte kaum einem Zweifel unterliegen,
daß auf ihn der erst nach dem Tode des Dichters geschaffene Stich des Jakob von
Sandrart zurückgeht. Zwar heißt es links unten auf dem letzteren „G. Strauch
delin:", aber ein Vergleich der drei Blätter lehrt, daß diese Notiz nur insofern Be-
rechtigung hat, als Sandrart nur indirekt, nämlich durch das Porträt des Andreas
Khol auf die originale Darstellung zurückging. Eine neue Zeichnung des Georg
Strauch scheint mir hier nicht vorzuliegen. Die Veränderungen, welche Sandrart
vornahm, sind nämlich nur äußerlicher Natur. Er kleidete den Dichter in die Tracht
eines Nürnberger Senators, welche Würde er ja einnahm, und umschloß sein Bild
mit einem ovalen Rahmen, der in einer Pilasterstellung mit größeren allegorischen
Figuren und kleinen Darstellungen ruht. Die Gesichtszüge behielt er bei, sie je-
VON DR. FRlTZ TRAUGüTT SCHULZ. 101
doch noch weiterhin verflachend und vergröbernd. Hierdurch entfernte sich das
von ihm geschaffene Bildnis noch weiter von der gezeichneten Vorlage. Der Cha-
rakter des Urbildes wurde in fortschreitender Skala entstellt, verwischt und ver-
dorben. So darf der Sandrartsche Porträtstich, zu dem sich die originale Kupfer-
platte jetzt als Depositum des Pegnesischen Blumenordens bei uns befindet, auf Treue
und Zuverlässigkeit der Wiedergabe im Grunde genommen noch weniger Anspruch
erheben als das Blatt des Andreas Khol. In weit geringerem Maße aber gilt dies
noch von dem auf den ersten Blick täuschend ähnlichen Nachstich, den der Nürn-
berger Kupferstecher Augustin Christian Fleischmann zu Ende des 17. Jahrhunderts
nach dem Sandrart'schen Porträt schuf. Auch er fand nichts Verwerfliches darin,
wenn er seinem Blatt ein „G. Strauch delin." beifügte und dabei in Wirklichkeit
nicht auf die Zeichnung, sondern auf den bereits sekundären Stich Sandrarts zurück-
ging. Die damalige Zeit war in derlei Dingen nicht so ängstlich, wie man es heute
zu sein gewöhnt ist; auch der Nachstich hatte damals noch nicht, oder wenigstens
nicht immer, den Beigeschmack des Unerlaubten und Verbotenen.
DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
VON DR. HANS STEGMANN.
(^Fortsetzung.)
Verbleiben wir bei der Betrachtung der Renaissanceschränke gleich bei dem
zuletzt behandelten Stollenschränken aus dem Rheinland und Westfalen, so ist eine
konstruktive Weiterbildung kaum zu bemerken. Der Schrankkasten steht je nach-
dem auf vier oder sechs Stollen, die sich um die Hälfte verringern, wenn die Rück-
wand des Kastens bis zum Boden oder dem unteren Querbrett heruntergezogen ist.
Der Schrank ist ganz regelmäßig als rechteckiger Kasten gebildet, die Vorderfläche
zwei- oder dreigeteilt mit zwei Türen im ersteren, mit einer mittleren oder zwei
seitlichen im letzteren Falle.
Das Museum besitzt von rheinischen und westfälischen Stollenschränken eine
schöne Reihe meist in guter originaler Erhaltung. Die rheinischen Schränke, die
wie ihre spätmittelalterlichen Vorfahren, mit ihren flandrischen und französischen
Genossen in naher verwandtschaftlicher Beziehung stehen, sind durchaus in Eichen-
holz gearbeitet; die allein gezierten Vorderflächen, gelegentlich auch die Vorder-
stollen sind mit reicher omamentaler und figürlicher Schnitzerei bedeckt.
Beginnen wir mit dem schönsten Exemplar (Abb. 121 u. 122). Es wurde
von dem bekannten Möbelhändler und Restaurator Most in Köln bei einem Bauern
in Wanne aufgefunden und von A. v. Essenwein I883 in unrestauriertem Zustand
für das Museum erworben. Es wurde dann von Most in verhältnismäßig schonen-
der Weise wiederhergestellt. Wenn Essenwein (Mittig. d. Germ. Mus. Bd. I S. 182 f. u.
Tafel XIII) in seiner Besprechung des Stückes dasselbe um die Wende des 16. und
17. Jahrhunderts ansetzt, so dürfte nach dem echten Frührenaissancecharakter des
Ornaments, auch wegen der Kostüme der Medaillonköpte diese Entstehungszeit
um einige Jahrzehnte zu spät gegriffen sein. Ich möchte diesen Stollenschrank
und seine beiden Genossen im Museum eher um 1560 datieren. Mit Recht betont
aber Essenwein den gotischen Grundcharakter des Schrankes, der auch in den
scharfen, feinen Profilierungen des Schreinerwerks, nicht nur in dem ganz nach außen
gelegten Beschläge nachklingt. Ganz renaissancemäßig dagegen ist die in Entwurf
und Ausführung gleich ausgezeichnete, geschnitzte Dekoration der Vorderstollen,
der drei obern Schrank- und der beiden Schubladenfelder. Das feine künstlerisch
Verständnis in der Behandlung der Verhältnisse und des Details geht weit über die
oft übliche ungeschickte Übernahme von Ornamentstichvorbildern hinaus. Man
beachte beispielsweise die verständnisvolle Verwendung des Akanthusblattwerks an
DIE HOLZMüBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS. VON DR. HANS STEGMANN. 103
den Vorderstollen, die frisch er- und empfundene Art der Flächenfüllung mit von
Maskarons, Panisken und Vögeln durchsetzten Blattwerks, oder die ausgezeichnete
aufsteigende Kandelaberfüllung mit Putten des Mittelteils. Charakteristisch für
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Abb. 121. Westfälisch-rheinischer Stollenschrank. Mitte des 16. Jahrhunderts.
die rheinischen Stollenschränke ist die Verwendung frei aus der Fläche heraus-
tretender Brustbilder aus den Türfüllungen, die zugleich die Funktion der Türknäufe
versehen sollten. Ob für diese eigenartige Büstenverwendung Frankreich oder
104
DIB HOLZHÖBBL DES GERIIANISCHEN MÜSKUMS.
Deutschland die Priorität gebührt, läßt sich bei dem angeführten gleichzeitigen Auf-
treten des Motivs in beiden Ländern schwer entscheiden.
Die Einteilung des Schrankes mit zwei Türen und einem unbeweglichen Mittel-
teil, darunter zwei Schubladen, ist die übliche. Ebenso die typische Verzierung
Abb. 122. Seitenansicht des Schranices Abb. 121.
der Seiten mit Pergamentrollen, die nur durch Anbringung strickförmig gedrehter
Rundstäbe in den Knickungen der Rolle etwas antikisiert erscheinen. Die Maße des
Schrankes sind Höhe: 1,55, Breite 1,2 und Tiefe 0,58 m.
VON DR. HANS STEGMANN.
105
Dem eben besprochenen und abgebildeten rheinisch-westfälischen Stollenschrank
steht ein weiterer der Sammlung sehr nahe. Der Schrankaufbau (zum großen Teil
modern ergänzt) ist genau derselbe. Er hat dieselben (drei) Vorderfelder mit zwei Türen
im eigentlichen Schrankkasten, darunter ebenso zwei Schubladen. Nur ist er breiter
auseinandergezogen. Die Stollen und der gesamte Unterbau sind schwerer, nicht
geschnitzt und kaum profiliert. Die Teilungsfüllung zwischen den Schubladen ist
Abb. 123. Vorderansicht eines rheinisclien Stolienschranlies.
auch hier als eine Art „Hängestollen" mit Kropf gebildet. Die Profilierungen des
bekrönenden Gesimses und der Umrahmungen nähern sich mehr der gotischen
Formensprache, als derjenigen der Renaissance. Die Flachschnitzereien der Schub-
ladenvorderseiten weisen Mascarons mit Blattwerk, die drei eigentlichen Schrank-
füllungen, von denen die mittlere wesentlich schmäler als die beiden äußeren sind,
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. 14
106
DIE HULZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
in der Mitte sämtlich frei heraustretende Köpfe, links (vom Beschauer) den einer
Frau, rechts und in der Mitte von Männern. Die Umrahmung bildet das übliche
Blattwerk. Die Seitenteile haben in 3 Feldern Pergamentrollenverzierung. Die
Ausführung ist eine sorgfältige, wenn auch nicht so meisterhaft, als beim vorher-
gehenden Stück.
Abb. 124. Seitenansicht des Schranl<es Abb. 123.
Die Schlösser fehlen, die wiederum, wie bei diesen Möbeln üblich, außen-
liegenden Türbänder sind in ähnlichen gotischen Formen gehalten, wie bei dem vorigen.
Derselben Gruppe und Zeit gehört ein kleinerer, von A. v. Essenwein schon
Ende der sechziger Jahre in Köln bei einem kleinen Händler erworbener und nach
dem Ankauf maßvoll restaurierter Stollenschrank (besprochen und abgebildet Mittig.
d. Germ. Mus. Bd. 1 S. 193 f- u. Tafel XIV) an, den die Abbildungen 123 und 124 in
VON DR. HANS STEGMANN. 107
Vorder- und Seitenansicht wiedergeben Er ist wesentlich kleiner (die Höhe be-
trägt 1,4, die Breite 0,88, die Tiefe 0,45 m). Die Dreiteilung des Schrankkastens
ist hier so getroffen, daß auf ein breites Mittelfeld mit der Tür zwei schmale Seiten-
felder treffen. Der seitlichen Pergamentrollenfüllungen sind es auch nur zwei, eine
mit senkrechter und eine mit wagrechter Anordnung des Pergaments. Die geschnitzte
Dekoration bewegt sich in den üblichen Formen mit den heraustretenden Medaillon-
büsten in den Rahmenfüllungen und dem schon etwas flau und oberflächlich be-
handelten Blattwerk.
Einen sehr nahe verwandten, aber doch nicht gleichen Typus der Stollen-
schränke lernen wir in zwei Exemplaren aus Westfalen kennen, die ebenfalls der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstammen dürften. Gleich ist bei ihnen
und den rheinischen Schränken das Material und die reiche Verwendung von Relief-
schnitzerei; dieselbe erstreckt sich hier sogar auf alle gliedernden und tragenden
Teile. Dies ergibt bei den in verhältnismäßiger Kleinheit durchgeführten über-
reichen Motiven ein etwas unruhiges, zum Teil sogar unklares Bild.
Das erste Exemplar ruht auf vier brettförmigen Stollen (die untere Querplatte
mit den kurzen glatten Stollen darunter ist moderne Ergänzung), von denen die
beiden vorderen in Reliefschnitzerei (nur auf der Vorderseite) als Säulen auf über-
hohen, mehrfach gegliederten Postamenten behandelt sind. Der Schrankkasten
ist an der Vorderseite in drei Felder gegliedert, von denen das breitere mittlere die
Türe mit originellem, gotisierendem Schloß enthält. Die schmalen Seitenfüllungen,
durch breitere äußere und schmälere innere Pilaster abgegrenzt, haben aufsteigende
kandelaberartige Kompositionen, von vielen kleinen Putten umspielt. Auf der Mitte
des Kandelaberschafts hängt je ein Wappen (links vom Beschauer mit Schachbrett-
muster, rechts mit drei ins Dreieck gestellten Rosen). Ähnliche, auf Ornament-
stiche als Vorbilder deutlich hinweisende, aufsteigende Füllungen haben die in der
Axe der Stollen laufenden Pilaster. Der Einfluß der in Technik und Geschmack
weit durchgebildeteren Handwerksgenossen am Rhein läßt sich leicht erkennen.
Eigenartig ist bei diesem Stück die Behandlung der Rundstäbe, die wo immer an-
gängig ein strickartig gedrehtes, abwechselnd aus glattem Band und Perlstab zu-
sammengesetztes Muster zeigen. (Abb. 125). Die Maaße betragen: 1,48 m Höhe,
1,01 m Breite, 0,55 m Tiefe.
Das zweite Exemplar, etwas kleiner, die Höhe beträgt 1,44, die Breite 1,03,
die Tiefe 0,51 m, entfernt sich vom landläufigen Typus des Stollenschrankes etwas
dadurch, daß der Schrankkasten sich ohne Trennung, ja sogar ohne Schlagleisten in
zwei fast die ganze Breite einnehmende Türen öffnet. Das stark restaurierte Stück —
Deckplatte mit Sims, Untergestell bis auf die skulptierten Vorderpfosten, und Seiten-
wände sind erneuert — zeigt in Anordnung und Ausführung mit seinem vorbe-
schriebenen Genossen sehr viel Ähnlichkeit. Besonders gut sind hier die stämmigen,
mehrfach abgesetzten Vorderpfosten mit ihrer Akanthustabverzierung, dann die
vielleicht ursprünglich gar nicht zu diesem Schrank gehörende Arabeskenfüllung
der unteren Schublade. Die Arabeskenfüllungen der Türen, deren Mittelpunkt hier
zwei aufgehängte, offenbar bürgerliche Wappen bilden, sind wesentlich schwächer.
Das Schloßwerk ist demjenigen des in Abb. 125 wiedergegebenen ganz gleich.
108
DIB BOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Der lokalen und auch der stilistischen Verwandtschaft halber, sei ein weiterer
Schrank aus den Rheinlanden angeschlossen, der den Stollenschränken fern steht.
Er dürfte seiner ganzen Außenbehandlung nach im ursprünglichen Zustand ein
eingebauter Wandschrank in Verbindung mit einer vielleicht gleichartig anschließen-
den Wandvertäfelung gewesen sein, wenn er nicht etwa gar in späterer Zeit (wohl
Abb 125- Westfälischer Stollenschrank. Ende des 16. Jahrh.
iber nach dem Befund der einfachen Seiten- und Rückwand zu schließen vor dem
19. Jahrhundert) aus Teilen einer Vertäfelung zusammengefügt wurde. (Abb. 126.)
Die Vorderseite ist dreigeschossig und im Ganzen in zwölf Felder geteilt, so symme-
trisch, daß von einem ausgesprochenen Möbelcharakter eigentlich nicht die Rede
sein kann. Die Entstehung des Schrankes dürfte in das Ende des 16. Jahrhunderts
fallen. Das Hauptdekorationsmotiv des durch seitliche und mittlere Pilaster ge-
VON DR. HANS STEGMANN.
109
gliederten Schrankes sind in den umrahmten Füllungen der beiden Untergeschosse
Spitzrauten, deren Inneres sechsmal eine in Blattwerk auslaufende Maske, einmal
eine Schere und einmal eine Hausmarke in Verbindung mit der Zahl 4 aufweist.
Die oberen vier Felder dagegen zeigen in reichen Laubwerkfüllungen die rheinischen
Büstenmedaillon sin leider ziemlich beschädigtem Zustand. Der Schrank ist 1,88 m
hoch, 1,85 m breit und 0,63 m tief.
Von weiteren norddeutschen Schränken wären nur noch zwei der Frührenais-
sance zuzuzählende Stücke der norddeutschen Tiefebene an dieser Stelle zu be-
trachten. Wirklich gotische Schränke, wie sie insbesondere im Lüneburgischen
Abb. 126. Rheinischer Schrank. Ende des 16. Jahrh.
sich erhalten haben, besitzt das Museum nicht. Der Aufbau besteht bei diesen aus
dem eingebauten Schrank entstandenen System aus einem in der Regel dreigeschos-
sigem Gefach, wobei mindestens sechs einzelne durch eigene Türen verschlossene
Fächer sich ergeben. Charakteristisch ist, daß bei dem im Mittelpunkt des Schrankes
liegenden Fach, die Drehungsaxe der Tür nicht vertikal, sondern horizontal ist, so
daß die geöffnete Tür eine zum Schreiben und dergl. geöffnete, oft noch durch ein
110
DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Abb. 127. Niederdeutscher Schrank von 1550.
VON ÜK. HANS STEGMANN. 111
originelles eisernes Gestänge gestützte horizontale Platte bildet. Ein merkwürdig,
reich, wenn auch etwas derb geziertes Stück dieser Art, das den mittelalterlichen
Aufbau noch beibehält — andere werden wir bei der späteren Besprechung der bäuerlichen
Möbel vorfinden — , hat das Museum in einem mit der Jahreszahl 1 550 versehenen großen
Schrank aufzuweisen, der vielleicht in Schleswig- Holsteins eine Heimat hat. Der
Schrank (Abb. 127) ist 3,12 m hoch, 1,62 m breit und 0,72 m tief. Der Schrank
ist, wenn man ein schmales Schubladengeschoß hinzurechnet, viergeschossig. Das
Untergeschoß mit zwei Gefachen, ist durch zwei größere Türen geschlossen, welche
ebenso wie der trennende Rahmenstreifen mit Arabeskenfüllungen, die Türen außer-
dem mit männlichen Brustbildmedaillons in Flachrelief geziert sind. Darüber zwei
Schubladen, deren Vorderseiten einen Spruch enthalten: JS(T) . CODT . MIT.
VNS . WOL (soll heißen Wer) KAN . GEGEN . VNS. Das nächste Geschoß ent-
hält zwischen zwei rein vegetabilischen Arabesken eine breite, nach unten aufklapp-
bare Tür mit zwei geschnitzten Füllungen, dem Sündenfall und der Vertreibung
aus dem Paradiese. Das oberste Geschoß enthält drei je mit einer Tür verschlossene
Fächer, die durch schmale Pilaster getrennt sind; die Reliefs der Türen behandeln
die Geschichte Simsons. Den oberen Abschluß bildet ein hohes, gebälkartiges Ge-
sims, durch das die Pilaster des obersten Geschosses durchgekröpft sind. Über dem
Gesims ein Aufbau mit einer Wappentafel, welche auch die Jahrzahl trägt und oben
und an den Seiten mit Muschelhalbkreisen begrenzt wird, in deren Zentrum frei
heraustretende männliche Büsten sich befinden. Die dekorativen Teile stimmen
wohl in der etwas derben Durchführung, nicht aber stilistisch überein, so daß schon
Zweifel an der Ursprünglichkeit des Schrankes in dieser Form und an der frühen
Datierung aufgetaucht sind. Doch dürfte sich für die auffallende Verschiedenheit
des figürlichen und des ornamentalen Schmuckes wohl die Erklärung finden lassen,
daß an einer wahrscheinlich kunstarmen Stätte der Verfertiger für die ornamentalen
Stücke verhältnismäßig gute graphische oder andere Vorlagen benutzen,
während eine mehr handwerklich-bäuerliche Kunst mit den Köpfen und Figuren
— vielleicht rohen Holzschnitten entnommen — nicht recht fertig werden konnte.
Die zwischen Gotik und Renaissance schwankenden, reichen, verzinnten Beschläge,
die Verwendung von breitköpfigen ebenfalls verzinnten Nägel an Stelle der üblicheren
Holzzapfen, die Unterlassung jeglicher Verzierung an den trennenden Horizontal-
gliedern lassen nicht auf ein Kulturzentrum, etwa eine größere Stadt als Entstehungs-
ort schließen.
Gleichen Kreisen dürfte der zweite in der eigentlichen Möbelsammlung des
Museums sich befindende norddeutsche Schrank entstammen, den wir in Abb. 128
dargestellt sehen. Er ist sechsteilig mit vertikaler Mittelteilung, die durch sämtliche
drei Geschosse hindurchgeht. Die einfache, aber sehr wirkungsvolle Dekoration
wird einmal durch das sehr reichlich verwendete, gotisierende, durchbrochene und
verzinnte Eisenbeschläg, das das dunkle Eichenholz merkwürdig belebt, dann durch
die Schnitzerei der zahlreichen Füllungen gebildet. Der Aufbau ist sonst sehr ein-
fach. In einem von einem unteren glatten Querbrett, zwei schmalen Pilasterfül-
lungen an den Seiten und einem kräftig profilierten oberen Abschlußgesims gebildeten
Rahmen besteht die Vorderseite. Zwei für Niederdeutschland charakteristische
aus der Schrankfläche vorspringenden Kufenbretter, in die die Seitenwände einge-
112
DIE HULZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
zapft sind, kommen hinzu. Die Horizontal- und Querverbindungen sind leicht
ausgekehlt und mit einem abgesetzten Stab verziert. Die eingerahmten Tür-
füllungen, an den beiden Untergeschossen, je vier im oberen, je zwei für jede Tür,
Abb. 128. Niederdeutscher Schrank von 1566.
zeigt gefälteltes Pergament in der für die Spätzeit und die niederdeutschen
Gegenden bezeichnenden vielfach gebrochenen und sinnwidrig auch durchbrochenen
VON DR. HANS STEGMANN.
113
und an den Säumen ausgeschnittener Art. Die beiden Seitenpilaster haben auf-
steigende Fülkingen mit dem üblichen Ornamentenapparat in leidlich guter Aus-
führung. Am oberen Ende der PilasterfüUungen befindet sich die Datierung:
Anm. 1566. Die Maße betragen: Höhe 2,42 m, Breite 1,75 m, Tiefe 0,65 m.
Die Gesamtwirkung ist eine ganz vorzügliche, wenn auch bei der Einzelbetrachtung
diese norddeutschen Möbel an Sauberkeit des Entwurfs und der Ausführung den
oberdeutschen ziemlich nachstehen.
Die Hauptgattung der oberdeutschen Schränke in der Frührenaissance, deren
Blüte wir bis ins späte 16. Jahrhundert annehmen können, bleibt der doppel-
geschossige Schrank. Die Geschosse sind oft lose aufeinandergesetzt, Sockel und Ge-
sims leicht abnehmbar. Bei den engen Ausmaßen der Treppen und Türen der Bürger-
häuser jener Zeit war dies geboten, um die Aufstellung und den Transport zu er-
leichtern, zumal da die Dimensionen der Schränke dieser Art, in der Regel zur Auf-
nahme der mit dem zunehmenden Luxus immer ansehnlicher werdenden Vorräte
der Leinenwäsche, ziemlich große waren. Im Gegensatz zu den oben betrachteten
rheinischen und niederdeutschen Schränken ist der Aufbau im wesentlichen archi-
tektonisch. Wie im Mittelalter läßt der oberdeutsche Schrank das Vorbild des Hauses
mit reich geschmückter Fassade durchklingen. Die Architektur der Schränke wird
dabei immer reicher. Dieser Umstand geht Hand in Hand mit dem offenbaren Be-
wußtsein, daß der Inhalt den kostbarsten oder doch gepflegtesten Teil des hausfrau-
lichen Besitzes enthält. So wird der oberdeutsche Schrank im Verlauf des 16. und
auch noch des 17. Jahrhunderts das prunkvollste und repräsentativste Möbel des
ganzen Hausrats. Es entsteht der Typus des Prunkschrankes, der dann auch außer-
halb der bürgerlichen Familie in Amtszimmern und dergleichen Orten seinen Platz
findet. Bekannt ist, daß die ganze deutsche Renaissance in ihrem späteren Ver-
laufe auch in anderen Zweigen — es sei nur auf die eigentliche Architektur, die
dekorative Plastik, die Ofenkeramik hingewiesen — einen charakteristischen, schreiner-
mäßigen Zug hat. Daß dieses üppige Wuchern der Holzarchitektur auf ihrem
eigensten Gebiet, der Möbelkunst, und ihrem damaligen vornehmsten Repräsentanten,
dem Schrank, in spitzfindig gekünstelten Ausdrucksformen noch vor Eindringen
des eigentlichen Barockos besondere Triumphe feierte, kann daher nicht überraschen.
Von solchen erstaunlichen Schreinerkunststücken, wie sie manche Samm-
lungen aus dem Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts besitzen, hat das
Germanische Museum zwar keine Exemplar aufzuweisen, dafür beginnt die Reihe
der Entwicklung mit sehr seltenen frühen Exemplaren und läßt sich bis um die Mitte
des 17. Jahrhunderts ziemlich lückenlos an meist aus Nürnberg oder dessen Um-
gebung stammenden Stücken verfolgen
Der schönste und zugleich auch früheste Nürnberger Renaissanceschrank
stammt aus dem Jahre 1541 (Abb. 129). Zugleich gehört er zu dem frühesten Be-
sitz des Germanischen Museums, nämlich zu der Sammlung des Begründers der
Anstalt, Freiherrn H. v. Aufseß. Der spätmittelalterliche Grundtypus ist völlig
beibehalten. Zwei völlig gleiche Geschosse werden durch eine Mittelabteilung mit
zwei Schubladen getrennt ; die Gesamtheit der Behälter steht auf ziemlich hohem
Untersatz und wird von einem ebensolchen Aufsatz bekrönt. Beide Teile sind im
Gegensatz zu den meist durchbrochenen gotischen Untersätzen und Galerien ge-
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907 15
114
Dlfi HOLZMÖBEL DBS GERICANISCHEN MUSEUMS.
schlössen gehalten. Die Übertragung der Renaissanceformen auf den gotischen
Kern ist in vollkommener Weise gelöst. Die ungemein sichere Behandlung aller
Verhältnisse, die vollkommene Beherrschung aller Zierformen, wie der Profilierung
im neuen Stil, die vornehme und phantasievolle Zeichnung der geschnitzten Fül-
lungen und der umrahmenden Teile verraten den Entwurf eines hervorragenden
Künstlers, dem auch die saubere Ausführung entspricht. Es lag in Berücksichtigung
Abb. 129. Nürnberger doppeltgeschossiger Schrank um 1540.
dieser Umstände nahe, an Peter Flettner zu denken, doch dürfte bei der gegen-
wärtigen Sucht, jede nur irgendwie bedeutende Leistung der deutschen Frührenais-
sance mit diesem Namen in Beziehung zu bringen, einige Vorsicht geboten sein. Die
Dekoration schwelgt förmlich in den neuen von Italien herübergekommenen Formen.
VON DR. HANS STEGMANN.
115
Man beachte den klassizistischen Zug, der dieser frühesten Zeit deutscher Renais-
sance eignet, in der Verwendung von Zahnschnitten, Eierstäben und Blattkränzen,
dann von dorischen Triglyphen und Metopen mit Stierköpfen. Im geschnitzten
Relief wiegen aus Vasen aufsteigende Pflanzenkompositionen vor. Aber auch die
ganz quattrozentistischen gekreuzten Wappenschilder, die Behandlung des Blatt-
werks in der spätrömischen Formengebung verrät genaue Kenntnis der italienischen
Abb. 130. Nürnberger Renaissanceschrank; Mitte des 16. Jaiirli.
Kunst. Der Kern des Schrankes ist nach oberdeutscher Sitte in weichem Holz aus-
geführt. Die Schnitzereien sind in Eichenholz, die noch gotisch breitflächigen Rahmen
der Türen mit hellerem Eschenholz fourniert. Mit Recht hat A. v. Essenwein, der
diesen und den folgenden Schrank in den Mitteilungen des Germanischen Museums
Bd. I S. 238 ff. Tafel XVI beschrieb und abbildete, auch auf die seltene Stilein-
116 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
heitlichkeit sogar in den ausnahmsweise in reiner Renaissance' ausgeführten Be-
schlägen — nur die Schlüsselbleche und Zuggriffe liegen auf der Außenseite — hin-
gewiesen.
Die Höhe des Schrankes beträgt 2,35, die Breite 1,75, die Tiefe 0,58 m. Die
Jahreszahl der Entstehung (1541) ist auf einem Täf eichen im Mittelpilaster des
oberen Stockwerkes angebracht.
Sehr ähnlich ist diesem ein weiterer Schrank (Abb. 13O). Man könnte fast
glauben, er sei in derselben Werkstatt entstanden, nur daß die feine künstlerische
Empfindung doch etwas geringer ist. Der Aufbau gleicht dem vorigen vollkommen.
Einfacher ist er nur darin, daß eine Vertikalteilung der Schrankgeschosse nicht mehr
stattfindet. An Stelle des trennenden Pilasters mit Füllungen ist eine einfache Tür-
schlagleiste mit Querpfeifen und Rauten getreten. Auch die Füllungen der Türen mit
einer architektonischen, nicht ganz organischen Bogenstellung harmonieren nicht
ganz mit dem reichen Kandelaber und Blattfüllungen der umrahmenden und trennen-
den Teile, die wieder von trefflichem Entwurf sind. Ein noch antikisierenderes Ge-
präge erhält der Schrank durch das Aufsetzen eines flachen tempelartigen Giebels
mit geschnitzter Giebelfüllung. Aber z. B. die ganz schreinermäßige Behandlung des
Hauptgesimses verrät das Fehlen eines einheitlichen künstlerischen Entwurfes, ebenso
wie die Türfüllungen. Es ist offenbar alles aus zweiter Hand. Der Schrank ist wie
sein vorherbeschriebener Genosse, als dessen wenig jüngerer Bruder er wohl ange-
sprochen werden kann. Nürnberger Ursprungs und wurde vor etwa vierzig Jahren
von dem bekannten Erforscher der deutschen Renaissance Professor A. Ortwein bei
einem kleinen Antiquar gefunden und von Essenwein für den für heutige Verhältnisse
fast lächerlich geringen Preis von 80 Gulden s. W. für das Museum erworben. Er
ist 2,6 m hoch, 1,75 m breit und 0,60 m tief.
Der dritte Schrank dieser Art ist nach seiner künstlerischen Wirkung der
geringwertigste. Als Ausgangspunkt einer neuen nun anbrechenden Entwicklung aber
ist er wichtig. Er besteht aus zwei gleichen Stockwerken mit je zwei annähernd
quadratischen Türen, deren Rahmenwerk wie bei den vorangehenden in Gehrung
geschnitten ist (Eschenholzfournier), während die hochrechteckigen Füllungen in
in Eichenholz geschnitzt eine über einem architektonischen Sockel sich aufbauende
Blattwerkfüllung in breiten krautartigen Formen zeigen. Der niedrige nicht über
den gesamten Schrankaufbau heraustretende Sockel enthält, durch ein kleines ge-
schnitztes Mittelstück getrennt, zwei einfache Schubladen. Die Türen, nur durch
eine verhältnismäßig einfache Schlagleiste getrennt, werden in beiden Geschossen
von verhältnismäßig breiten pfeilerförmigen Feldern begrenzt, vor denen dünne,
nicht gerade schön gebildete toskanische Säulen auf vor dem Unterbau herausge-
kröpften Sockeln stehen. Das schwere, den Schrank abschließende Gebälk ruht,
vor die Fläche der Vorderseite vorgezogen, auf diesen Säulen. Das Gebälk mit ge-
schnitztem Fries (abwechselnd schlecht gebildete, flaschenförmige Vasen mit Blät-
tern und eine Blattwerkkomposition) ist durch einen geschweiften Aufsatz (Vasein
der Mitte mit addosiertem, in Laubwerk auslaufendem Delphinenpaar) abgeschlossen.
Der Vorsprung des Aufsatzes zeigt in der Untersicht gedrechselte Scheiben. Als
oberer Aufsatz dient ein geschweift ausgesägtes Brett.
VON DR. HANS STEGMANN.
117
Der Schrank, geschickt im Entwurf, zeigt den ersten Versuch, den doppelgeschos-
sigen Schrank durch eine einzige Säulenordnung — wir haben hier sozusagen den
Vater aller der vielen nachfolgenden Säulenschränke vor uns — zu einem eingeschos-
sigen zusammenzufassen. Deswegen ist auch die Trennung der beiden Geschosse
mit Weglassung des üblichen Zwischengeschosses durch ein paar nichtssagende
Gliederungen sehr schwach hervorgehoben. Die Maße des Schrankes sind: Höhe
2,36, Breite 2,11, Tiefe 0,8 m.
^evsE.n'ü'a^.
Abb. 131. Hälfte eines doppelgeschossigen Renaissanceschrankes um 1600.
Das ansehnlichste Stück der zweigeschossigen Schränke des Museums gehört
schon dem Beginn des 17. Jahrhunderts an. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts
hatte aber in Nürnberg den Möbelgeschmack völlig geändert. Die geleimte Arbeit,
vielfache Kehlungen, Kröpfungen, Fournierung in den verschiedenen Hölzern, ein
118 DIE BOLZMÖBEL DES OERBIANISCUEN MUSEUMS.
Überreichtum von Auflagen mit der Laubsäge hergestellter Ornamente und von
architektonischen Gliederungen waren an die Stelle der einfacheren , noch mehr Reliet-
schnitzereien bevorzugenden Art getreten. Wie Ossenwein in einer kurzen Beschrei-
bung dieses größten Renaissanceschrankes unserer Sammlungen (Mitt. d. G.M. Bd. I,
S. 265) richtig bemerkt, beeinflußte die wachsende Wohlhabenheit des Bürgerstandes
die Vermehrung der Haushaltungsvorräte und damit den Umfang der Schränke.
Die Täfelung ganzer Wände und Zimmer, hinter denen die Schränke massenhaft an-
gebracht wurden, führte ebenfalls dazu, auf Fluren und Hallen wahre Riesenexemplare
freistehender Schränke aufzustellen. Aus einem alten jetzt abgebrochenen Patrizier-
hause am Hauptmarkt zu Nürnberg, erst im Besitz der Volckamer, dann der Forster,
stammt unser Exemplar, dessen Höhe 2,58, Länge 3,40 und Tiefe 0,8 Meter beträgi.
Die Abbildung 131 bringt die Hälfte desselben nebst der vorderen Profilierung zur
Anschauung. Man könnte den Schrank, der allerdings vom Alter sehr gebräunt, aber
ohne irgend welche andere Überarbeitung geblieben ist, wohl auch richtig als Doppel-
schrank bezeichnen. Der Aufbau der Schrankfassade ist streng architektonisch.
Fünf Säulen gliedern jedes Stockwerk. Als Sockel dient ein auf dem Boden auf-
ruhendes Postament, das ebenso wie die Friese der beiden Stockwerksimse mit aus-
gesägtem Ornament bedeckt ist. Schubladen sind keine vorhanden. Die Schrank-
türen sind zweiflügelig, die in der Mitte jeder Schrankabteilung liegende Säule dient
als Schlagleiste, eine im 17. und 18. Jahrhundert häufige, aber nicht gerade stilgerechte
und bequeme Einrichtung. Die Säulen stehen auf hohen Sockeln vor einer flachen,
entsprechend in Felder geteilten Wand. Charakteristisch für viele Schränke ist, daß
der hier kannelierte Säulenschaft vor einer runden Scheibe steht. Zwischen den
Säulen in der Wand je eine reich umrahmte Muschelnische; diejenigen des Ober-
geschosses mit kräftig vorspringenden Konsolen etwas reicher als die unteren. Die
großen, geblauten und teilweise vergoldeten Bänder liegen innen. Der ganze Schrank
ist ohne überreich zu sein, ein sehr gutes Beispiel geschmackvoller Nürnberger
Schreinerkunst. Der Aufbau ist wie üblich aus weichem Holz, die aufgeleimten
Profile aus Eichenholz, die Einlagen aus verschiedenen helleren und dunkleren
Hölzern zusammengesetzt.
Noch tiefer ins 17- Jahrhundert dürfte nach seiner schon etwas weniger feinen
Formenbehandlung ein doppelgeschossiger Schrank gehören, der die Unabhängig-
keit der beiden Schrankgeschosse von einander aufs Deutlichste dokumentiert (Abb.
132). Der Oberteil des Schrankes ist auf den untern auf dessen Deckplatte inner-
halb einer umlaufenden Leiste lose aufgesetzt. Wie die Abbildung zeigt, ist die
Breite von Unter- und Oberteil völlig verschieden, das Untergeschoß hat zwei, das
Obergeschoß nur eine Tür. Im übrigen gehört diese Schrankkombination zu den
sogenannten Säulenschränken, hat keinen besonderen Sockel, sondern nur ein vor-
springendes Brett auf flachen Kugelfüßen. Die toskanischen Säulen, deren glatte
Schäfte teilweise mit ausgesägten Ornamenten bedeckt sind, stehen auf Konsolen, eine
Anordnung, die sich in Oberdeutschland besonders in Franken und Schwaben in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einbürgerte. Der in verschiedenfarbigen, meist
helleren Hölzern eingelegte Schrank zeigt innerhalb der Säulenordnung das beliebte
Rahmen- und Füllwerk. Die herausgekröpften Ohren, das Fräsen der Leisten, die
VON DR. HANS Sl'EGMANN.
119
mageren Profilierungen und die schon etwas verwilderten, ausgesägten Ornamente
verweisen das ebenfalls aus Nürnberg stammende Stück mindestens in die Mitte
des 17. Jahrhunderts. Der Schrank ist 1,98 m hoch, 2,52 m breit und 0,6 ni tief.
Abb. 132. Doppelgeschossiger Renaissanceschrank. 2. Hälfte des 17. Jahrh.
Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts verschwindet allmählich die symme-
trische doppelgeschossige Anordnung. Bequemlichkeitsrücksichten mochten die eine
Veranlassung davon sein. Bei einem größeren einheitlichen Schrankkasten gewann
120
DIE flULZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
naturgemäß die Übersichtlichkeit des Inhalts. Aber auch künstlerische Momente
taten das ihrige. Die Schrankfassade wurde bei weitem einheitlicher bei der be-
liebten Verwendung der antiken Säulenordnung, wenn sie in einer, statt bisher
in zwei Ordnungen zusammengefaßt wurde. Der in diesem Falle stark in die Er-
scheinung tretende Sockel gab wiederum willkommene Gelegenheit zur Anbringung
der mehr und mehr beliebten Schubladen.
Abb. 133- Nürnberger Pilasterschrank. 2. Hälfte des 17. Jahrh.
Das zeitlich früheste Exemplar dieser Gattung im Museum ist gleichzeitig das
schönste, geradezu ein Meisterwerk der Intarsierung (Taf. XXII). Auf einem auf dem
Boden aufruhenden dreiteiligen Sockel mit drei nebeneinander liegenden Schubladen
erhebt sich der zweiflügelige Schrankkasten. Die Gliederung bilden drei flache, kanne-
lierte Pilaster toskanischer Ordnung auf hohen Sockeln. Zwischen den Pilastern ist
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VON DR. HANS STEGMANN,
121
je eine Rundbogennische angeordnet über einem unteren Feld mit Rahmen- und
Füllwerk. Alle Flächen sind mit reicher Intarsienarbeit geschmückt. Am reichsten
das obere halbrunde Türfeld, das eine hervorragend gezeichnete, aufsteigende Kompo-
sition enthält. Diese ist im Gegensatz zu den übrigen nur zweifarbigen Intarsien im
reichsten Farbenschmuck gehalten. Der ganze Schrank wirkt freudig und reich;
bedauerlich ist, daß der obere Aufsatz nicht mehr der ursprüngliche ist, sondern
eine spätere farblose und auch in der Profilierung nüchterne Ergänzung. Die Maße
des jedenfalls kurz nach 1600 entstandenen Möbels sind 2,4 m Höhe, 2,24 m Breite,
0,82 m Tiefe.
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Abb. 134. Nürnberger Säulenschrank. 2. Hälfte des 17. Jahrh.
Im genannten Aufbau dem vorgenannten ähnlich ist ein weiterer Schrank dieser
Art (Abb. 133; beschrieben und abgebildet von Essenwein, Mittig. d. G. M., I891,
S. 80). Nur daß die Zeit der Entstehung wenigstens fünfzig Jahre später fällt.
Das drückt sich nicht nur in der Umwandlung der Stilformen, sondern auch in dem
ärmlicheren Charakter nach dem dreißigjährigen Kriege aus; man möchte für Werke
vor und nach diesem Deutschlands künstlerische Kultur so schwer treffenden Kampf
Mitteilungen aus dem german. Nationalm iseum. 1907.
IG
122 DIE HOIiZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
das freudige Rokoko und die Biedermeierzeit zum Vergleich heranziehen. Die Prove-
nienz auch dieses Möbels ist nürnbergisch. Drei Pilaster, von denen der mittlere auch
hier als Schlagleiste der Doppeltüre verwendet ist, bilden die Fassadengliederung des
Schrankkastens. Die Türflügel sind in zwei Felder geteilt, ein niedrigeres unteres und
ein höheres oberes in Rahmen und Füllwerk, die mit den für den Barockstil charakteri-
stischen „Ohren" versehen sind. Der Unterbau des eigentlichen Schrankkastens ist etwas
stärker betont. Er enthält in zwei Geschossen vier Schubladen. Der ganze Schrank
steht auf Kugelfüßen, den oberen Abschluß über den Türen und Pilastern bildet ein
etwas kümmerlich ausgefallenes Gesims. Für die etwas ärmliche Art der Form ent-
schädigt die reiche dekorative Behandlung einigermaßen. Die Intarsierung in meist
hellen und braunen Hölzern (Eiche, Esche und Nußbaum) in guter, wenn auch etwas
schematischer Zeichnung wird unterstützt durch reichliche Verwendung ausgesägten
und aufgelegten Ornaments in recht hübsch gezeichneten Mustern. Der Schrank
ist 2,25 m hoch, 1,94 m breit und 0,75 m tief.
Für die Bewertung von Altertümern ist die Notiz Essenweins interessant,
daß der heute als ein recht gutes Museumsstück zu betrachtende Schrank
1863 vom damaligen I. Direktor des Museums, Dr. Michelsen, auf dem Trödel-
markt in Nürnberg, der freilich manchen Kapitalstücken in- und ausländischer
Sammlungen früher zeitweise Unterkunft bot, als Bureaumöbel erstanden wurde.
Die Eignung dazu hatte er, da er bis auf die geringste Einzelheit tadellos er-
halten war.
Etwas früher, wohl um die Mitte des 1 7. Jahrhunderts dürfte der letzte Schrank
dieser Reihe (Abb. 134) sein, der den überaus häufigen oberdeutschen Typus des
eingeschossigen Säulenschrankes in einer etwas späteren Fassung vor Augen führt.
Er gehört zu den reich, aber nur in zwei Farben, hell und dunkel, intarsierten
Schränken. Zugleich aber ist auch die Wirkung des lebhaft und kräftig gegliederten
Schreinerwerkes eine bessere als beim vorhergehenden Stück. Der Sockel, wieder
auf flachen Kugelfüßen ruhend, und einfach eingelegt, hat nur eine mittlere Schub-
lade. Den Schrankkasten zieren an der Vorderseite drei Ringsäulen toskanischer
Ordnung mit vasenförmigen Basen auf hohen Sockeln. Die Doppeltüre, für welche
die mittlere Säule wieder als Schlagleiste dient, hat beiderseitig ^zwei gekröpfte
Felder, das obere höherund mit Giebelarchitektur. Die inneren, intarsierten Füllungen
zeigen Ornamentranken. Außen an dem Rahmenwerk findet sich wieder ausgesägtes
Ornament. Solches ziert auch die zwei langen, schmalen Füllungen des oberen Auf-
satzes, der der Architektur der Schrankvorderseite sich anschließt. Wie sämtliche
vorgenannten ist auch dieser Schrank in weichem Holz gearbeitet ; die Profile sind
in Eiche, die Intarsien in Ahorn, Linde und Esche gehalten. Sehr hübsch sind die
türklopferartig ausgebildeten Griffe. Die Türbänder liegen, teilweise geblaut und
mit eingehauenen Ornament versehen, innen. Die Höhe beträgt 2,22, die Breite 1,9
und die Tiefe 0,78 Meter.
Von oberdeutschen Schränken der Spätrenaissance wäre schließlich noch ein
sogenannter Ulmer „Fußnetschrank" zu erwähnen. Es ist dies eine niedrige, auch
in Augsburg und Nürnberg vorkommende Art von Kasten, der am Fußende des
Bettes Aufstellung fand und dessen Höhe natürlich nicht übersteigen durfte. Unser
VON PR. HANS STEGMANN. 123
Exemplar besteht aus einem Schrank mit zweiflügeliger Türe, der ohne beson-
deren Sockel und Aufsatz gearbeitet ist. Er ruht auf Kugelfüßen. Die Vorder-
seite ist durch drei dünne, auf kleinen Konsolen stehende gewellte Säulen
gegliedert. Die Türflügel sind in Füll- und Rahmenwerk mit einfacher, einge-
legter und ausgesägter Arbeit geschmückt. Die Höhe ist 1,14, die Breite 1,41, die
Tiefe 0,58 Meter.
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Der deutsche Volks- und Stammescharakfer im Lichte der Vergangenheit. Reise- und Kuitur-
bilder von Georg Grupp. Stuttgart. Verlegt bei Strecker & Schröder. 1906.
205 S. 8".
„Die Schwaben reisen sehr gerne, und wie der Deutsche überhaupt, so schwankt der Schwabe
zwischen dem Drang in die Feme und der Heimatliebe." Der diesen durch die Erfahrung be-
gründeten und im Volksmunde längst gefestigten Satz niederschrieb, hat auch keine Ausnahme
von der Regel sein wollen: Selbst ein Sohn der schwäbischen Erde hat er nicht allzufern von den
schwarz-roten Grenzpfählen, noch auf gut schwäbischem Boden, in dem stillen Maihingen als
Bibliothekar des Fürsten v. öttingen- Wallerstein eine Stätte befriedigendster Wirksamkeit ge-
funden. Allein aus dem weltentlegenen schwäbischen Schlosse, aus dem Bereich seiner kostbaren
Bücher- und Altertumssammlungen zog es den Verfasser doch zeitweise wieder hinaus ins Leben des
Tages, in die „grüne Wirklichkeit" und nach Scheffels Rezept hat auch er „je zuweilen seine
Bücherei abgeschlossen, bestrebt, seine Gedanken wandernd und schauend auszudenken".
Für den Verfasser gibt es mit Recht keine Frage, daß für den ernsthaften Erforscher der
Kulturgeschichte die schriftliche Überlieferung der Ergänzung durch lebendige Anschauung des
Gewordenen nicht entbehren darf. Grupp hat nicht nur den größten Teil Deutschlands und
Österreichs im Geiste Riehls sich selbst entdeckt, sondern auch weitere Reisen nach Italien und
Frankreich, England und Holland, selbst nach Skandinavien und Rußland unternommen. Aus
Reiseeindrücken, die teilweise schon ehedem zu Zeitschriftenbeiträgen und Vorträgen sich ver-
dichtet hatten, reifte der Gedanke zu diesem Buch, das nun auch das schon Veröffentlichte in
gänzlich erneutem Gewände und um das Doppelte vermehrt vorträgt.
Die aufgenommenen Arbeiten bemühen sich um die Lösung der alten Aufgabe, das Deutsch-
tum und die einzelnen deutschen Stämme in ihrer Sonderart zu erfassen und Vorzüge und Schatten-
seiten gleichsam abzuwägen.
Die Schwierigkeiten, die der Durchführung einer reinlichen Scheidung nach ethnographischen
Gesichtspunkten sich entgegenstellen, sind Grupp klar vor Augen. Es selbst stellt wiederholt
mit Bedauern fest, daß die Unterschiede zwischen den Stämmen, ja selbst zwischen Rassen und
Völkern sich mehr und mehr verwischen, daß namentlich der Süden das Bewußtsein seiner Eigen-
art allmählich hintansetze und farblose Übergänge die Erkenntnis des ursprünglichen Volks-
charakters erschweren. Vielleicht daß der Verfasser hier manchmal zu schwarz sieht. Schließlich
ist auch solch ein Ausgleich — rein sachlich betrachtet — nicht immer und nicht überall ein
Unglück zu nennen!
Andererseits scheint der Umstand der Erwähnung wert, daß die wirtschaftliche und poli-
tische Vergangenheit neue, eher noch mächtigere, bestimmendere Unterschiede innerhalb der
Stammesgrenzen geschaffen hat. Dies gilt namentlich für den von Grupp fast gänzlich beiseite
geschobenen Stamm der „Franken", deren heutiger Bestand sich aus doch recht heterogenen
Gruppen zusammensetzt. Das bedächtigere, schwerfälligere Geschlecht am Obermain und das
leichtlebige Völklein in der Rheinpfalz z. B. eint schließlich nur das Band einer an sich schon ziem-
lich weitläufigen Verwandtschaft der Mundarten. So wäre es gewiß auch dem gelehrten Verfasser
schwer gefallen, hier die erwünschte allgemeine Formel zu finden.
Bedauerlich ist, daß die Gruppierung nach Stämmen, wie sie der Leser nach der Fassung
des Titels erwarten muß, im Buche selbst nicht festgehalten, ja so gut wie außer acht gelassen ist.
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 125
Bei näherem Zusehen zeigt sich denn, daß unter der Überschrift „Württemberg" nur vom schwäbi-
schen Württemberg, unter „Bayern" nur vom Stamme der Bayern die Rede ist. Die fränkischen
Landesteile der beiden süddeutschen Königreiche (mit der Rheinpfalz) werden, wie gesagt, merk-
würdiger Weise kaum berührt.
Der Verfasser hat an einen weiteren Leserkreis gedacht, den gelehrten Apparat möglichst
in die übrigens recht lesenswerten Anmerkungen am Ende des Bandes verwiesen und ohne Zweifel
ist auch der rechte Ton getroffen. Man liest gleichwohl in einem nachdenklichen Buch, das ab
und zu schon zum Widerspruch auffordert, immer wieder aber auch zu eigener Beobachtung
und eigenem Nachprüfen anregt und zwischen hübschen Reiseerinnerungen und den Abschnitten,
die der historischen Ergründung des Landschafts- und Volkscharakters gelten, beschäftigen uns die
freimütigen Äußerungen des Autors über seine persönliche Auffassung der religiösen und poli-
tischen Fragen der Gegenwart.
Im Anhang bringt Grupp einen uns naturgemäß besonders interessierenden Abschnitt
über das Germanische Nationalmuseum, dem der Maihinger Bibliothekar seit 1891 als Pfleger
schätzbare Dienste erwiesen hat. Hier wird der mehrfachen Beziehungen des Fürstlichen Hauses
Öttingen- Wallerstein und der Maihinger Sammlungen zu der Schöpfung des Freiherrn von Auf-
seß gedacht und so manche persönliche Erinnerung und Begegnung in der liebenswürdig-beschei-
denen Art des Erzählers überliefert.
Friedrich der Große und der Netzedistrikt. Von Dr. Christian Meyer. Zweite
vermehrte und verbesserte Auflage. München 1906. Verlag von Max Steinebach. 118 S. 8°.
Dr. Christian Meyer, der Geschichtschreiber der Provinz Posen, zeigt hier die
hervorragende, an den verschiedensten Punkten einsetzende Kulturarbeit des großen Königs auf,
die dieser, unterstützt von tüchtigen Helfern (Kammerpräsident v. Domhardt, Geh. Finanz-
rat v. B r e n c k e n h o f f u. a.) dem unter polnischer Verwaltung, namentlich nach der wirt-
schaftlichen Seite hin, unglaublich vernachlässigten Lande zugewendet hat. Die archivalischen
Unterlagen für diese Studie ergaben sich für den Verfasser aus den reichen Materialien des Posener
Staatsarchivs. Die interessante Folge einschlägiger Cabinets-Ordres Friedrichs d. Gr. findet sich
auf S. 67 ff. anhangsweise vollständig wiedergegeben.
Altreichsstädtische Kulturstudien von Dr. Christian Meyer, Staats-Archivar a. D.
München. Verlag von Max Steinebach. 1906. 257 S. 8°.
In einem handlichen Bande hat der Verfasser eine ansehnliche Folge seiner kleinen Ab-
handlungen zur Geschichte alter Reichsstädte auf dem Boden des rechtsrheinischen Bayern ver-
einigt. Anspruchslose Bilder aus deutscher Vergangenheit sind es, die uns hier entgegentreten.
Viel Bekanntes für den, dem die autobiographische Literatur des Mittelalters und des sechzehnten
Jahrhunderts einigermaßen vertraut ist, anderseits Anschauung und Belehrung in reicher Fülle
für die vielen, denen es nicht möglich ist, aus unmittelbaren Quellen zu schöpfen, und doch der
Wunsch rege bleibt, die Welt unserer Vorfahren nicht bloß im Rahmen des geschichtlichen Romans
zu sehen.
Dem Verfasser hat es Augsburg vor allem angetan. Dieser Stadt sind vierzehn seiner-
Essays und allein vier Fünftel des Ganzen eingeräumt worden. Franken ist durch Nürnberg und
Rothenburg o. T. vertreten. Den Schluß macht eine Studie über Memmingen im Reformations-
zeitalter.
Nicht wenige Besitzer und dankbare Leser werden bedauern, daß sein Inhalt mit diesen
vier Städtebildern erschöpft ist und daneben die große Vergangenheit anderer ober-, mittel- und
niederdeutscher Reichsstädte so ganz leer hat ausgehen müssen. HH.
Die Zenten des Hochstifts Würzburg. Ein Beitrag zur Geschichte des süddeutschen
Gerichtswesens und Strafrechts. Mit Unterstützung der Savignystiftung herausgegeben von
Dr. Hermann Knapp. I. Band. Die Weistümer und Ordnungen der Würzburger Zenten.
I- und II. Abteilung. Berlin 1907. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G- m. b- H-
XII, IV, 1405 S. in 8".
126
UTKRARISOHS BESPKECHUNGBN.
Des Verfassers Name ist kein unbekannter auf dem Arbeitsfelde der deutschen Rechts-,
insonderheit der Strafrechtsgeschichte. Wir danken dem früheren Würzburger Privat-
dozenten, jetzigen Reichsarchivassessor in München bereits zwei vortreffUche Arbeiten über das
Nürnberger Kriminalrecht- Neuerdings nun hat er den Fachgenossen den reichen Ertrag seiner
fast 10jährigen andauernden Beschäftigung mit den entsprechenden Verhältnissen auf unterfrän-
kischem Boden vor Augen gestellt.
War Planck in seinem grundlegenden Werke über das deutsche Gerichtsverfahren im
Mittelalter (1878—79) wesentlich von niederdeutschem Ouellenmaterial ausgegangen, so sucht
nun Knapp seinerseits die Grundlagen und treibenden Kräfte innerhalb des süddeutschen Straf-
rechts aufzudecken, um den Unterbau zu schaffen für eine künftige durchgreifende und möglichst
abschließende historisch-dogmatsche Verarbeitung des gewaltigen Stoffes. Nicht den leich-
testeten Teil hat der Verfasser gleich zum ersten sich herausgeholt und in Angriff genommen:
die Ergründung des Wesens und der Entwicklung der Würzburger Zenten.
Die Ergebnisse einer bewundernswerten Durchdringung dieses zumeist noch recht unan-
gebauten und doch so reizvollen Gebietes, ir das Rockingers bedeutsame Arbeiten über Lorenz
Fries locken mußten, liegen nun in zwei starken Halbbänden vor.
Da gerade im Würzburger Territorium, dessen Verfassung aufs engste mit seiner Gliede-
rung in etwa 70 Zenten und Halsgerichte verwachsen erscheint, an der Hand sorgsam erwogener
„Fragen" die „herbrachten" Rechtsbräuche mit peinlicher Sorgfalt ergründet wurden und Auf-
zeichnung fanden, so tjibt uns das gesammelte und gesichtete Material den erwünschten Einblick
in das Gefüge des kriminellen Rechtslebens jener Zeiten.
Der erste Band reproduziert die Quellen selbst, für jede Zent erst deren alte Weistümer
und Halsgerichtsformulare, dann den Kern des Ganzen, den Text des Würzburger Zentbuchs
aus der Epoche des M. L. Fries und die so bedeutsame Modifikation des großen Bischofs Julius
nach dem leider nur als Torso überlieferten Zentwerke (Beginn der Kodifikation 1576), zuletzt
die vier nachjulianischen Ordnungen. Die Anordnung des gewaltigen Stoffes, der die chrono-
logische Folge fallen läßt, um durch „Zerreißung" der Echter'schen Sammlung den Überblick
über die historische Entwicklung der einzelnen Zentverfa'?sung und den inneren Zusammenhang
zwischen den verschieden zeitlichen Ordnungen nicht zu verlieren, sondern besser herauszu-
arbeiten, erscheint freilich zunächst nur als eine philologische Ungeheuerlichkeit, aber für den
geschichtlich und praktisch an die Sache Herantretenden war das unbedingt eine Forderung der
Notwendigkeit. Dem historischen Nacheinander wird immerhin der Überblick in der Ein-
leitung (S. 11 ff.) einigermaßen gerecht.
Es liegt in der Natur der Sache, daß Knapps Werk in erster Linie dem Rechtshistoriker,
dem sich hier eine Fundgrube allerersten Ranges erschließt, zu gute kommt, doch ist damit der
Wert der Edition in keiner Weise erschöpft. Der Herausgeber selbst hat mit Bedacht den be-
sonderen Ansprüchen der Wirtschaftshistoriker bezüglich der Textwiedergabe nach Möglichkeit
Rechnung getragen. Die jedem einzelnen Abschnitt vorausgeschickten Übersichtstabellen
bringen neben anderen willkommenen Angaben die Namen der Orte des betreffenden Zent-
bezirks, einschließlich der Wüstungen, die Feststellung der Zugehörigkeit zu diesem oder
Jenem Gau, zu Würzburgischen und zu heutigen Ämtern, die kurzgefaßte Geschichte jeder
Zent, kurzum Stoff genug für weitere Forschungen (Würzburger Ämterorganisation, Bedeutung
der Leibzeichen u. s. w.), zugleich sichere Ausgangs- und Stützpunkte für orts- und provinzial-
geschichtliche Arbeiten. In dieser Hinsicht sei auf die rasch orientierende Übersicht über die
an das Hochstift angrenzenden Territorien und die innerhalb des Würzburger Landes von
geistlichen und weltlichen Herren ausgeübten Gerechtsame (1,2 — 10) noch besonders hingewiesen.
Auch einiger Bilderschmuck blieb dem Werke, dessen materielle Gestaltung durch die Unter-
stützung der Savignystiftung und das Verständnis eines opferfreudigen Verlegers gewährleistet
war, nicht vorenthalten. Die beigegebenen drei Farbendrucke sind nach Originalen im alten
Zentgrafen- und im Julianischen Zentbuche (dessen Titel übrigens I, 19 zum Abdruck gelangt ist)
hergestellt.
Möge dem Verfasser bald die Zeit kommen, da er auch den darstellenden Teil seiner „Würz-
burger Zenten" hinausgehen lassen kann. Nicht minder sehen wir der in Aussicht gestellten
LITEKAHÜSCHE BESPRECUUNGEN. 127
VeröffentlichunR der Ergebnisse seiner Beschäftigung mit den Denkmalen des bayerischen, in-
sonderheit Regensburgischen Rechtslebens mit Spannung entgegen. HH.
Joseph Braun S. J., Die belgischen Jesuitenkirchen. Ergänzungshefte zu den Stimmen
aus Maria-Laach. 95- Freiburg i. B. Herdersche Verlagsbuchhandlung 1907. XII. 208 S.
Die sehr sorgfältige Arbeit Brauns ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des Über-
ganges von der Gotik zur Renaissance. Die Meinung, daß die Jesuiten die eifrigsten Vor-
kämpfer des neuen Stils in den nordischen Ländern gewesen seien, ist noch immer verbreitet
und noch immer wird eine auf das Große und Ernste gerichtete Art des Barocks als Jesuiten-
stil bezeichnet. Mit diesen Anschauungen räumt Braun gründlich auf, denn was für Belgien
gilt, gilt auch für andere Länder. Es ist ausgeschlossen, daß der Orden gerade in Belgien
andere Grundsätze für seine Bauten gehabt habe als anderwärts.
Die erste Kirche des Ordens in Belgien, die Kollegskirche zu Douai (1583 — 1591) ist
allerdings ein Barockbau vom Grundrißtypus des Gesü, ihr Plan war aus Rom gekommen.
Als aber einheimische Ordensmitglieder die Kirchen und Kollegien entwarfen und ausführten,
schlössen sie sich den heimischen Bauformen an. Lange hielten sie an der Gotik fest und als
sie im Beginn des 17- Jahrhunderts zum Barock übergingen, folgten sie dem Zuge der Zeit,
der in der kirchlichen und profanen Architektur des Landes den Übergang zum neuen Stil
schon herbeigeführt hatte. Braun weist sogar nach, daß in vielen Jesuitenkirchen Belgiens
das struktive System unter der Hülle barocker Formen das gotische geblieben ist. Die Behand-
lung des Barocks, welche die Jesuitenkirchen zeigen, ist prinzipiell durchaus die gleiche wie
die, welche es in der profanen Architektur des damaligen Belgiens erfuhr; denn auch in ihr
war die Auffassung des Stiles kaum etwas mehr als eine bloß formale. Neben den Jesuiten-
kirchen entstanden gleichzeitig auch andere, welche den gleichen Stil haben.
Die allgemeinen Ergebnisse gewinnt Braun aus der sorgfältigen Untersuchung aller
Monumente, so daß der Leser Schritt für Schritt die Probe auf die Richtigkeit machen kann.
Bezold.
Dr. Martin von Deatinger, Beiträge zur Geschichte, Topographie und Statistik des
Erzbistums München und Freising. Fortgesetzt von Dr. Franz Anton Specht, Domkapitular.
X. Band. N. J. 4. Bd. München 1907. Lindauer'sche Buchhandlung (Schöpping).
Deutingers Beiträge sind von ihren Anfängen an eines der gediegensten und wichtigsten
Sammelwerke zur Geschichte des Erzbistums München- Freising, und es war ein dankenswertes
Unternehmen, daß sie nach längerer Unterbrechung unter Spechts Leitung wieder aufgenommen
und fortgesetzt wurden. Heute liegt schon der vierte Band dei neuen Folge vor, der sich
den früheren würdig anschließt. Er wird eröffnet durch eine gehaltvolle Arbeit von Dr. Doli
über die Anfänge der bayerischen Domkapitel. Es wird damit für Süddeutschland ein Gebiet
urbar gemacht, das im Norden unseres Vaterlandes schon vielfach kultiviert ist. Nach einer
vortrefflichen Einleitung über die Entstehung und die rechtlichen Verhältnisse der Domkapitel
werden die Anfänge der bayerischen Domkapitel Salzburg, Freising, Regensburg, Brixen und
Passau dargestellt. Dr. Franz Xaver Zahnbrecher behandelt in einer namentlich wirtschafts-
geschichtlich interessanten Studie die Kolonisationstätigkeit des Hochstifts Freising in den
Ostalpen. Dr. Max Fastlinger untersucht in einer von guter Kritik getragenen Abhandlung
die Bedeutung der Erblichkeit der Vogtei des Freisinger Hochstifts für die Genealogie dei
Ahnherrn der Witteisbacher. Dr. Richard Hoffmann gibt eine ausführliche Geschichte und
Beschreibung, sowie eine baugeschichtliche Analyse der ehemaligen Dominikanerkirche St. Blasius
in Landshut. Die schöne Kirche ist einer der frühesten gotischen Becksteinbauten in Bayern;
ihr Chor gehört wahrscheinlich noch dem 13. Jahrhundert an. In ihrer gesamten Anlage ist
der Dominikanerkirche in Regensburg nahe verwandt. Von dem gleichen Verfasser erhalten
wir noch einen sehr fleißig gearbeiteten Katalog der Kunstaltertümer im erzbischöflichen
Klerikalseminar zu Freising, der auch als Separatdruck erschienen ist (Preis .K 2,50). Friedrich
H. Hofmann gibt den Anfang einer Statistik der Glocken der Erzdiöcese.
So reiht sich dieser neue Band seinen Vorgängern würdig an und sei der Beachtung
aller, die sich mit bayerischer Geschichte beschäftigen, bestens empfohlen.
B ezold-
128 LITERARISCHE BESPRECQUKßEN.
Die Ortsnamen der Fränkischen Schweiz. Von Gymnasiallehrer Dr. Christoph Beck.
Erlangen. B. Hof- und Universitätsbuchdruckerei von Junge &Sohn. 1907. 8. 132 S.
Zu den bewährten Ortsnamenbüchern von Gradl, Hartmann, Heilig, Miedel u. a. gesellt
sich ein neues Werkchen, das jene anmutige fränkische Landschaft zum erstenmale der wissen-
schaftlichen Namenkunde erschließt. Sein Verfasser, ein sprachenkundiger Sohn dieser in mehr-
facher Beziehung hochinteressanten Gegend, ist mit ernstem Eifer daran gegangen, das quellen-
mäßige Material für die frühere Geschichte der heimatlichen Berge und Täler, wie es ihm vor-
nehmlich das Münchener Allgemeine Reichsarchiv und das Bamberger Kreisarchiv, dann die ge-
druckten Urkundenwerke und ähnliche Sammlungen darboten, zu befragen und zu verwerten.
Der Ortsnamenkunde ist zweifellos neben dem Studium der Flurverfassung, der Dorfanlage,
des Hausbaues, neben archäologischen, folkloristischen und somatischen Untersuchungen, die
Bedeutung einer wichtigen, wenn auch wohl eher über- als unterschätzten Hilfskunde der
Siedelungsgeschichte einzuräumen. Insbesondere ist für ein Näherherankommen an die Lösung
der „Slavenfrage" und die Feststellung des Bereichs der alten „terra Slavorum" die Würdigung
der namenetymologischen Ergebnisse unerläßlich.
Die vorausgeschickten zwei Abhandlungen über die „Geschichte der Besiedelung" und
„Die Ortsnamen in ihrer Bedeutung für die Siedelungsgeschichte" dürfen jedenfalls das Lob für
sich in Anspruch nehmen, daß sie mit Bedacht an das gesammelte Material herantreten, das vor-
und umsichtige Verwendung findet, und dermaßen im wohltuenden Gegensatze stehen zu den
phantastischen Ungeheuerlichkeiten, denen man in diesen Dingen täglich begegnen kann.
Der Verfasser folgt den sehr geringen Spuren der Kelten, auf die allenfalls noch einzelne
schwererklärbare Gewässernamen hindeuten, und sucht das Völkergemenge zu entwirren, das
weiterhin, bis zum Auftreten der Franken, jene Berge und Täler berührt oder besiedelt haben
mag. Neben den fränkischen Eroberern erkennen wir den wendischen Einschlag, den das An-
sässigmachen erst eingewanderter, dann auch kriegsgefangener slavischer Elemente hereinbrachte,
und die von der Sprache festgehaltene Erinnerung an die offenbar auch in diesen Gegenden er-
folgte Verpflanzung der Sachsen. Etwas kühn erscheint die Auffassung Becks, wonach ein nord-
albingischer Stamm, der der Stürmer, dem Dorfe Tiefenstürmig seinen Namen gegeben hätte.
Auffallend groß ist die Zahl der Wüstungen des Gebiets, die in Urkunden des 13- bis 15-
Jahrhunderts häufig auftauchen. Wertvoll ist die Auseinandersetzung über die Ortsnamen in ihrer
kulturgeschichtlichen Bedeutung, bei deren Abfassung des zu früh verstorbenen Köberlin ge-
diegene Arbeit „Zur historischen Gestaltung des Landschaftsbildes um Bamberg" (1893) über-
sehen zu sein scheint. Der Abschnitt „Die Ortsnamen in ihrer Überlieferung" dient speziell
philologischen Interessen, er gliedert sich in die besonders wertvolle Untersuchung über die mund-
artliche Aussprache der Namen und eine Betrachtung über deren Schreibung.
Der größere Teil des Buches tritt uns als Wörterbuch entgegen, das Name um Name in
alphabetischer Folge bringt und unter Voranstellung der jetzigen offiziellen Schreibweise, die
heutige volkstümliche Aussprache feststellt, die historische Gestaltung des Namens verfolgt und
mit einer derart kontrollierbaren Deutung jeden Artikel beschließt. Hier ist der Bescheid auf
viele wißbegierige Fragen der Besucher und Freunde der Fränkischen Schweiz. Daß überall die
letzte Antwort gegeben wird, ist natürlich ausgeschlossen und zu den Fragezeichen, die der Ver-
fasser selbst setzt, wird die Forschung noch andere bringen. Aber ein sehr bedeutendes Stück
Arbeit ist hier einmal geleistet und durch die sorgsam ermöglichte Überschau über das erreichbare
Material die Hauptsache gewonnen.
Zu den S. 63 unter „Glashütten" angezogenen St. Nikolaus- Kapellen gehörte vor allem
die dort und auch bei K nicht genannte Klaussteinkapelle bei Rabenstein. Für den, der sich für
die Patronate der Heiligen interessiert, mögen neben den genannten Kapellen zu Reifenberg und
Ebermannstadt noch die Pfarrkirchen von Pinzberg und Baiersdorf namhaft gemacht werden. —
Ob es notwendig war, den Namen der Pegnitz wiederum mit slavisch bagenc (Sumpf) zusammen-
zubringen ? Dem wirklichen Landschaftsbilde entspricht diese Erklärung doch eigentlich nicht. —
In dem gelegentlich (S. 102) erwähnten Breemberga von 805 (MGLL I, I, 133) ist keinesfalls eine
frühe Nennung von Nürnberg zu sehen (der Verfasser bringt mit Recht hier ein Fragezeichen an),
es handelt sich da vielmehr zweifellos um das heutige Kirchdorf Premberg, nordöstlich von Burg-
lengenfeld in der Oberpfalz, unweit der Naab.
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 129
Zur Erklärung einer großen Schicht von Ortsnamen sind Personen- Namen herangezogen
worden, deren Formen wohl zuweilen erst zu erschließen, häufig genug aber gerade für unsere
Gegend belegbar waren. Den Laienetymologen verstimmen zumeist solche einfach-wahrschein-
liche Erklärungen und so werden die Slavomanen unter ihnen beispielsweise bei Poppendorf ihre
vielgeliebten „Popen" schmerzlich vermissen. Aber gerade in diesem Sichlosmachen von der
bisher beliebten vorurteilsvollen schematischen Behandlung (zu der auch die immer wieder nach-
gesprochene generelle Aufstellung der Endung -itz als eines slavischen Charakteristikums zu
rechnen), liegt der bleibende Wert des Beck'schen Buches.
Den Historiker interessiert natürlich vor allem die Stellungnahme des Sprachforschers zu
jener Hauptfrage, wie weit nach Westen man die wendischen Siedelungen und Zwangskolonien
sich vorgeschoben zu denken hat. Schon eine oberflächliche Betrachtung des Namenbestandes
lehrt, daß da und dort der Germane (Franke, Bayer) als ein fremdes Element erscheint, der um-
liegende Bezirk also vermutlich in fremden Händen war. Umgekehrt spricht die Bezeichnung
windisch- (W.-Gailenreut, Windischendorf, heute Wünschendorf) für insulares Vorkommen wen-
discher Ansiedler. Wenn Beck auch in Windhof und Herzogwind den Wendennamen enthalten
sieht, so wird man die Möglichkeit zugeben, die Frage aber zur weiteren Diskussion stellen müssen.
Der naturgegebene Grundsatz muß lauten: Keine slavische Deutung, solange die ältesten
vorliegenden Namenformen ungezwungen eine Erklärung in unserer Sprache zulassen. Ihm folgend
gelangen wir mit Beck dazu, die von Dilettanten mit mehr Eifer wie Sachkenntnis festgehaltene
wendische Provenienz für eine stattliche Zahl von Ortsnamen abzuweisen.
Verbinden wir die äußersten Punkte im Westen des Untersuchungsgebietes (des Fluß-
gebietes der Wiesent), deren Namen nach Beck für kürzere oder längere Anwesenheit der Slaven
sprechen, so kommen wir auf folgende, in merkwürdig weitem Abstand vom Regnitzgrund ver-
laufende Linie: Treunitz (nordwestlich von Hollfeld), Leiberös, Tiefen- und Hohen-Pölz, Teuchatz,
Traindorf, Draisendorf, Kolmreut (zwischen Kirchehrenbach und Pretzfeld), Birkenreut ( .''), Train-
meusel, Moggast, Windischgailenreut, Nemsgor-Leimersberg, Herzogwind. Die Angabe der Süd-
grenze, die von Herzogwind über Graisch, Trägweis (? vgl. Beck 132), Kühlenfels, Körbeldorf
auf Nemschenreut südlich von Pegnitz zu laufen würde, hat solange nur problematischen Wert, als
das Pegnitzflußgebiet (die Hersbrucker Gegend) noch außerhalb des Forschungsbereichs steht.
Alles in allem, tritt die Zahl der mehr oder weniger sicheren wendischen bezw. an die Wenden
gemahnenden Bezeichnungen doch auffallend zurück gegen das ungeheuer überwiegende ger-
manische Namengut. Freilich wird man gut tun, sich der Grenzen der Beweiskraft des sprachlichen
Materials, das eben nur einen Teil der frühgeschichtlichen Geschehnisse überliefert oder, besser,
durchblicken läßt, zu erinnern und beileibe keine abschließende Antwort auf die Frage nach der
Verteilung der beiden Rassen zu erwarten. Auch Becks fleißige Arbeit wird nur aufs neue die
Erkenntnis festigen, daß hier einzig und allein ein Zusammenarbeiten der verschiedenen beteiligten
Wissenszweige zu endgültigen Resultaten führen wird. HH.
Die Trauts, Studien und Beiträge zur Geschichte der Nürnberger Malerei. Von Chri-
stian Rauch. Heft 79 der Studien zur deutschen Kunstgeschichte. Straßburg, J.
H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1907. VI II u. 114 S. mit 31 Tafeln.
Der Verfasser beabsichtigte uranfänglich, nur die Ergebnisse seiner Forschungen über
den Dürer-Schüler Wolf Traut an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch hatte er eben bei dieser
Arbeit so viel Material auch über den Vater Hanns Traut gewonnen, daß er glaubte, mit diesem
ebenfalls nicht zurückhalten zu dürfen. So liefert er uns einerseits einen Beitrag zur Geschichte
der Werkstatt Wolgemuts, andererseits einen solchen zur Schule Dürers.
Bei beiden Meistern stellt er das Urkundliche und Biographische voran, um sich alsdann
mit den ihnen zuzuschreibenden Werken in chronologischer Aufeinanderfolge zu beschäftigen.
Hanns Traut begegnet urkundlich zum ersten Mal 1477- Er dürfte demnach etwa
ums Jahr 1453 geboren sein. In den Rechnungsbüchern des Klosters Heilsbronn wird er Hanns
Speyer von Nürnberg, Hanns von Speyer und Johannes de Spira genannt. Er war also von
Speyer eingewandert. Rauch tritt der Annahme Gümbels, der auf Grund urkundlicher Nach-
richten an zwei Künstler des Namens „Hanns Traut" denken zu müssen glaubt, entgegen. In
der entsprechenden Anmerkung dazu erörtert er in vorsichtiger Weise, wie etwa zu kombinieren
ilitteilmiireii ans dem s'ermaii. Natiunalmiiseiini. 1907 17
130
LITERARISCHE BESPRECUUNQEN.
wäre, wenn sich die Hypothese Gümbels, die mir allerdings nicht l-.inreichend begründet er-
scheint, durch Auffindung weiterer Belege dennoch bewahrheiten sollte. Ob sich für diesen
Fall die a priori von Rauch vorgenommene Teilung der jetzt seinem Hanns Traut zugeschrie-
benen Werke halten lassen wird, müssen wir der Zukunft überlassen. Einstweilen kommen wir
ganz gut mit einem Hanns Traut aus. Rauch bringt alsdann teils bekannte, teils unbekannte
archivalische Belege für eine Tätigkeit des Hanns Traut für das Kloster Heilsbronn, für Fried-
rich den Weisen und für den Eichstätter Bürger Diebold Zeller. Der Meister starb 1516. Der
Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die Wandmalereien im Kreuzgang des Augustinerklosters
zwar mit dem Abbruch desselben zu Grunde gegangen sind, daß sich aber noch Kopien da-
nach, allerdings etwas fragwürdiger Natur, in der bei uns aufbewahrten Kupferstichsammlung
der Stadt Nürnberg befinden, worauf vielleicht in Kürze hätte eingegangen werden können.
Siehe darüber Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1906,. S. 155 u. f.
In seiner Betrachtung der Werke Hanns Trauts geht Rauch von der einzig beglaubigten
Handzeichnung desselben, dem Sebastian in Erlangen, aus. Er sieht in dieser eine Vorstudie
zu der entsprechenden Darstellung auf dem Peringsdörfferschen Altar aus der Augustinerkirche
im Germanischen Museum. Bekanntlich sagt Neudörfer in seinem Abschnitt über Wolgemut:
„sein Gemäld aber ist die Tafel in der Augustiner Kirche gegen die Schustergasse, welches der
Peringsdorffer hat machen lassen". Weiterfußend auf den Einzelheiten in der Verwandtschaft,
kommt Rauch zu dem Schluß, daß Hanns Traut derjenige war, der unter Wolgemuts Leitung
die Hauptarbeit am Peringsdörfferschen Altar ausführte. Seine diesbezüglichen Darlegungen
überschreiten den Rahmen bloßer Hypothesen, ohne daß aber damit gesagt sein soll, daß seine
Schlüsse direkt zwingend sind. Es ist ein wenig gewagt, von einer Zeichnung auf ein
solch gewaltiges Altarwerk unmittelbar zu schließen. Rauch führt dann weitere Werke an, in
denen er die Hand Trauts erkennen zu dürfen glaubt. Hier bewegt er sich auf posi-
tiverem Boden, nur tut er in diesem Zusammenhang dem kleinen Führer durch die Lorenz-
kirche m. E. zu viel Ehre an. Hanns Traut zuzuweisen sind Rauch zufolge Teile des Katha-
rinenaltares in S. Lorenz, die Gemälde des Rochusaltares ebendort, die Geburt der Maria im
bayerischen Nationalmuseum zu München, das Schutzmantelbild in Schleißheim, der Drei-
königsaltar in Heilsbronn (doch wäre hier ein „vielleicht" nicht ganz unangebracht), zwei fälsch-
lich dem Schwarz von Rothenburg zugeschriebene Bilder der Bamberger Galerie (Apostelteilung
und die Madonna mit sieben Heiligen), das für einen am 20. Juli 1504 verstorbenen Johannes
Löffelholz gemalte Tafelbild der heiligen Sippe in S. Lorenz und vielleicht auch das Bild der
Kreuzauffindung im Germanischen Museum. Stammt der Rochusaltar in S. Lorenz von Hanns
Traut, dann könnten auch wohl die Altarflügel von Neunkirchen am Brand möglicherweise von
ihm herrühren, die ich auf der historischen Ausstellung 1906 in Nürnberg zur Darbietung ge-
bracht habe. Siehe den Katalog derselben Nr. 60 und 61. Zu berichtigen ist, daß das kleine
Porträt des Conrad Imhof mit der Jahreszahl i486 in der Rochuskapelle nicht von Wolgemut
herrührt, sondern eine spätere Kopie nach demjenigen auf dem Altärchen im Nationalmuseum
zu München ist.
Reich war also die Ausbeute, welche Hanns Traut bot, nicht. Zudem läßt sich hier,
wie ich zu Anfang andeutete, nicht immer mit voller Sicherheit operieren. So ganz festgefügt
ist darum das Gebäude, das sich Rauch auf Grund gewissenhafter Erwägungen konstruiert,
nicht. Immerhin sind wir durch seine Untersuchungen um ein gut Stück weitergekommen.
Dankenswerter war und ist die Beschäftigung mit Wolf Traut. Dieser wurde um
1478 geboren und starb im Jahre 1520. Er war zunächst als Gehilfe seines Vaters, dann in
der Werkstatt Dürers als Geselle tätig. Eine seiner letzten Arbeiten in Dürers Werkstatt war
die Vorzeichnung zu einem Glasgemälde für Sebald Schreyer vom Jahre 1505 in Schwäbisch-
Gmünd. Die früheste Spur der Betätigung Trauts in Dürers Werkstatt findet Rauch in dem
1502 herausgegebenen Werk des Conrad Celtes „quatuor libri amorum". Als das früheste Malerei-
werk des Künstlers betrachtet er die Gemälde eines Flügelaltars in der Karlsruher Galerie, die
er gemeinsam mit Hans von Kulmbach (um 1505) herstellte. Auch diese denkt er sich noch
in Dürers Werkstatt entstanden. Rauch stellt den Anteil beider Künstler an ihnen im einzelnen
fest. Auch der Holzschnitt der Stigmatisation des Franziskus von Assisi ist nach seinem Dafür-
halten in Dürers Werkstatt und zwar unter Dürers Augen, unter seinem Vorbild und seiner
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 131
Korrektur entstanden. Der Übergang aus Dürers Werkstatt zu selbständiger Tätigkeit bezeichnet,
wie an einer Reihe von Belegen dargetan wird, ein Sinken in der Qualität der Leistungen Trauts.
Eine Ausnahme bilden die Illustrationen zur Bambergischen Halsgerichtsordnung. Im 5. Ab-
schnitt werden weitere für des Künstlers Art und Entwicklung charakteristische Holzschnitte
aufgeführt. Von einer vollständigen Aufzählung der mehr handwerkUchen Arbeiten wird abgesehen.
Im Jahre 1510 schuf Traut eine Passionsfolge, die unter seinen Werken einen relativ hohen Rang
einnimmt. Die Originalität ist eine verhältnismäßig große. Daran schloß sich im folgenden
Jahr der imposante Hochaltar der Johanniskirche, der durch die Vielseitigkeit seiner Darstel-
lungen weitgehende Schlüsse auf die künstlerischen Fähigkeiten Trauts erlaubt. Die Landschaft
ist zuweilen stimmungsvoll, der Kolorismus oft recht wirksam, die Komposition meist klar.
Auch die vier Flügelbilder des nördlichen Seitenaltares in S. Johannis mit der vermeintlich
echten Altdorfer- Kreuzigung im Mittelteil weist Rauch dem Wolf Traut zu, und dürfte damit
wohl auch Recht haben. Die Geburtsdarstellung des Johannisaltares gibt Rauch Veranlassung,
Traut ein großes Holzschnittblatt mit Geburt, Passionsdarstellungen u. a. m. zuzuteilen. Als
zweites Hauptwerk des Meisters hat dann die Folge der Holzschnittillustrationen (51 Bll.) zu
dem 1512 von Hölzel gedruckten Buche Bonaventuras „die Legende des heiligen Vaters Fran-
zisci" zu gelten. Ungefähr mit dem Jahre 1512 beginnt eine regere Betätigung Trauts in der
Malerei. Etwa dieser Zeit dürften die beiden Bilder des Johannes und der Barbara im Germa-
nischen Museum angehören. Einen wesentlichen Teil seiner Wirksamkeit in diesem Zeitraum
beanspruchen die Arbeiten für das Kloster Heilsbronn (Ursulaaltar 1513)- Ganz ruhte in dieser
Epoche auch seine Tätigkeit für die Holzschnittillustration nicht. Was aber jetzt entstand,
steht künstlerisch höher als das zuvor zutage geförderte. Eingehend beschäftigt sich Rauch
alsdann mit dem Artelshofer Altar vom Jahre 1514 im bayerischen Nationalmuseum in München.
Interessant ist der den Fortschritt zeigende Vergleich der Hauptdarstellung mit dem Löffelholz-
bilde von Hanns Traut in S. Lorenz. Traut erhebt sich hier zu einer Höhe, der er nicht oft
wieder nahegekommen ist. Was das Londoner Bild der Kranzbinderin betrifft, so hat es stets
etwas mißliches an sich, lediglich auf Grund einer Photographie ein Urteil zu fällen. Ich möchte
lieber die Akten über dieses Bild noch ungeschlossen lassen. Das gefälschte Dürer-Monogramm
könnte auch an einen der bekannten Kopisten (Jörg Gärtner, Hans Hofmann) denken lassen.
In das Jahr 1514 fällt auch eine tüchtige graphische Arbeit, der Titelholzschnitt für das 1514
von Gutknecht gedruckte Passauer Missale, der innerhalb des Werkes Trauts von erfreulich
reicher und charakteristischer Wirkung ist. Bei dem Heilsbronner Jungfrauenaltar, dem Artels-
hofener Altar und dem Titelholzschnitt zum Passauer Missale liegt Dürers Einfluß klar zutage.
Ihren direkten Ausdruck findet diese Zugehörigkeit Trauts zum Dürerkreis in seiner Beteiligung
an der unter des Meisters Leitung hergestellten Ehrenpforte Maximilians. Von ihm rühren die
Zeichnungen zu 12 Schnitten her. Zwischen 1516 und 1518 arbeitet Traut an den Bildern des
Heilsbronner Mauritiusaltares, die für seine Art sehr bezeichnend sind. In engem Zusammen-
hang mit diesem steht das Katharinenaltärchen in Bamberg. In die gleiche Zeit fällt die Taufe
Christi im Jordan im Germanischen Museum, wie Stegmann nachgewiesen hat, das Hauptbild
eines Altares aus Heilsbronn, an dem Traut in den Jahren 1516 — 1517 arbeitete. Auch zur
Illustrierung des Teuerdank wurde Traut herangezogen. Es rühren die Zeichnungen zu drei
Blättern von ihm her. Das künstlerisch hochstehendste Blatt in Trauts Holzschnittwerk ist
nach Rauchs Ansicht der Abschied Christi von seiner Mutter (1516). Im allgemeinen gab Dürer
(Marienleben) die Anregung. Die Einzelheiten aber sind durchaus frei und Trautisch ausgearbeitet.
Ein weiteres größeres Werk von Traut aus dieser Zeit ist die Malerei des Peter- Pauls- Altares in
Heilsbronn, der allerdings durch eine spätere Restauration stark gelitten hat. Entschieden
stimme ich Rauch zu, wenn er auch das Porträt des Abtes Bamberger, das er erst als
solches erkannt hat, Wolf Traut zuschreibt. Es zeigt, abgesehen von den übermalten Teilen,
des Künstlers bezeichnende Art. Höher noch als dieses steht das monogrammierte Porträt aus
Freiherrlich von Behaimschem Besitz, das ich auf der historischen Ausstellung 1906 gebracht
hatte. Als Trautisch bekannt war bereits der Holzschnitt Augustin und das Kind. Er gehört
dem Jahre 1518 an. Die Zeichnung ist sicher und kräftig. Die Bäume sind gut charakterisiert.
In die letzten Lebensjahre des Künstlers fällt seine Tätigkeit für die Illustrierung des Halleschen
Heiligtumbuches, über welcher Arbeit ihn der Tod ereilte.
132
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Resümieren wir kurz, so liegt vor uns eine fleißige, ungemein folgerichtig aufgebaute und
verdienstvolle Arbeit, voll guter Beobachtungen und neuer Anregungen. Sie verzichtet auf eine
rhetorisch ausgeschmückte Sprache und beschränkt sich darauf, mehr in knapper, inventarisa-
torischer Art, aber bei entsprechender Begründung, die Forscliungsresultate des Verfassers zu-
sammenzufassen. Dr. Fritz Traugott Schulz.
Franz Zell, Volkstümliche Bauweise in der Au bei München. — Altmünchener Tanzplätze.
75 Aufnahmen mit Vorwort. Verlag von Heinrich Keller in Frankfurt a. M.
Wer München vor fünfzig, ja noch vor vierzig Jahren gekannt hat, weiß, daß um die
stille Großstadt herum eine sehr kleinbürgerliche, zum Teil halb bäuerliche Bevölkerung gewohnt
hat, die in beschränkten Verhältnissen mit Behagen dahinlebte. Ihre kleinen Häuser reichten
bis unmittelbar an die großen Hauptstraßen heran; mit wenigen Schritten gelangte man von der
Maximilianstraße in die Sterngasse, die voll war von malerischen Holzhäusern, im Süden der
Stadt war es ebenso und nördlich hat der lange Türkengraben dem Umbau bis vor einigen Jahren
Stand gehalten, eine kleine Insel solcher Häuschen war auch die Grube in Haidhausen. Heute
ist das Meiste verschwunden, nur in der Au haben sich diese altmünchener Häuschen noch in
größerer Zahl erhalten, ihre künstlerische Bedeutung liegt auf der malerischen Seite und ist
auch nach ihr nicht groß, aber sie haben doch ihre bescheidenen Reize und sind individuell ge-
staltet. Vor allem aber sind sie frei von künstlerischer Absichtlichkeit an unrechter Stelle.
Auch ihre Tage werden gezählt sein, so war es ein gutes und dankenswertes Unternehmen,
daß Franz Zell, dem wir schon so manchen Beitrag zur Kenntnis altbayerischer Volkskunst ver-
danken, eine Auswahl solcher Bauwerke in photographischen Aufnahmen herausgegeben hat.
Die Beispiele sind gut gewählt, von richtigen Standpunkten aus aufgenommen und in guten
Autotypien wiedergegeben.
Als Anhang sind einige Tanzplätze und- andere Vergnügungsorte beigegeben.
B e z 0 1 d.
F. Baltzer, Regierungs- und Baurat, Das japanische Haus, eine bautechnische Studie. Mit japa-
nischem Titelbild, 150 Textabbildungen und 9 Tafeln in Folio. Sonderdruck aus Zeit-
schrift für Bauwesen. Berlin 1903. Verlag von Wilhelm Ernst &Sohn.
F. Baltzer, Regierungs- und Baurat, Die Architektur der Kultbauten Japans. Mit 329 Ab-
bildungen im Text. Berlin 1907- Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn.
Der Verfasser, welcher lange Zeit in Japan als Ingenieur tätig war, gibt in diesen beiden
Werken einen Ueberblick über die japanische Baukunst, aus dem wir sie sowohl nach ihrer tech-
nischen, als nach ihrer ästhetischen Seite kennen lernen. Er beschränkt sich auf Beschreibung
und Abbildung der verschiedenen Gebäudegattungen und verzichtet auf historische und archäo-
logische Ausführungen. Seine Arbeiten sind deshalb als reine Quellenpublikationen, die nur
Tatsächliches bieten, besonders wertvoll.
Das japanische Haus ist stets nur für eine Familie bestimmt, es ist reiner Holzbau und
macht einen unscheinbaren Eindruck. Der Typus ist trotz vielfacher Unterschiede in der Zahl
und Anordnung der Räume ein ziemlich gleichförmiger. Im Grunde ist das Haus ein von Pfosten
getragenes Schutzdach. Die inneren Wände sind beweglich und können herausgenommen werden,
so daß aus mehreren kleinen ein größerer Raum geschaffen werden kann. Aber auch die Außen-
wände sind nur zum Teil fest, große Schiebetüren und Schiebefenster gestatten eine weitgehende
Öffnung der Wände. Das Haus bietet mehr Schutz gegen Feuchtigkeit und Hitze als gegen Kälte.
Bei äußerst sorgfältiger Ausführung ist die Holzkonstruktion des Hauses nicht sehr rationell;
das für die Stabilität so wichtige Prinzip der Dreiecksverbindungen ist nicht ausgebildet, es wird
viel mehr Material verwendet, als konstruktiv notwendig ist und oft sind die Hölzer an stark
beanspruchten Stellen geschwächt.
Als Material für die Dachdeckung kommen Holz, Rinde, Stroh und Ziegel in Verwendung.
Die Rahmen für die Zwischenwände werden mit Papier bespannt, das oft mit schönen Malereien
geziert ist. Der Fußboden besteht aus Brettern, welche mit Matten aus Reisstroh oder Binsen
belegt werden. Die Matten haben eine Fläche von 3 : 6 Fuß und weil sie den ganzen Boden
zu bedecken, haben geben sie die Flächeneinheit, nach der die Größe der Räume bemessen wird.
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 133
Für die Verteilung der Räume ist die innere, der Straße abgewandte Seite des Hauses
die bevorzugte, die Wohnräume liegen nach dem Garten. Aus dem im ganzen rechteckigen
Grundriß treten verschiedene Anbauten vor. Symmetrie wird nicht angestrebt. Bei großer
Einfachheit des Aufbaues erhält nur das Dach eine etwas reichere, gefällige Ausstattung.
In dem zweiten Werk, das die Architektur der Kultbauten behandelt, ist das im ersten
über die Konstruktion Gesagte nicht wiederholt, dagegen wird es durch einen ausführlichen Ab-
schnitt über die architektonischen Elemente und Zierformen eingeleitet. Dann werden die ver-
schiedenen Gebäude, welche in den Tempelanlagen vereinigt sind, besprochen. Die beiden
Religionen der Japaner, der Shintoismus und der Buddhismus, haben verschiedene Tempelformen.
Der shintoistische Tempel ist eine einschiffige Zelle mit umlaufender Veranda, der buddhistische
eine dreischiff ige Halle mit erhöhtem Mittelschiff, das aber in zwei Geschoße geteilt ist. Der
Shintotempel ist die alte heimische Tempelform, der Buddhatempel ist mit der buddhistischen
Religion von China eingeführt worden, hat aber in Japan eine selbständige Weiterbildung er-
fahren und auch auf die Shintoarchitektur eingewirkt. Der Entwicklungsgang der japanischen
Tempelarchitektur läßt sich ziemlich sicher verfolgen. Es zeigt sich nämlich die sehr eigentüm-
liche Erscheinung, daß die Tempel, welchen infolge ihres Baumaterials eine lange Dauer nicht
beschieden ist, in verhältnismäßig kurzen Zwischenräumen ganz in ihrer früheren Form erneuert
werden. Der Unterschied der verschiedenen Bauweisen kommt hauptsächlich in der Anlage
und Form der Dächer zum Ausdruck. Drei Hauptepochen lassen sich unterscheiden. Die erste
geht von den vorgeschichtlichen Zeiten bis etwa 780 nach Christo, die zweite bis 1500, die dritte
bis 1868. Von da an kommt Japan unter den Einfluß der europäischen Kultur und Kunst.
Innerhalb der Gruppen sind wieder verschiedene Stilarten zu unterscheiden. In der Besprechung
dieser Stilarten tritt nun doch die historische Anordnung in Geltung. Es folgen noch drei weitere
Kapitel über die No-Bühne, über die mehrgeschossigen Turmbauten und über die Schatztürme.
Beide Werke sind durch ein reiches Material an zeichnerischen und photographischen Auf-
nahmen illustriert. Wir gewinnen durch sie einen klaren Einblick in ein Gebiet der Kunst-
geschichte, das uns bisher nahezu fremd war.
Die Baukunst der Japaner ist nicht Architektur im höchsten Sinne, die Dimensionen und
das Material schließen die Monumentalität aus; nicht die Raumgestaltung, nicht die Konstruktion
stehen im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens, sondern die dekorative Ausgestaltung. Noch
eines: die Bauformen, welche sich am Holzbau entwickelt haben, werden ohne Rücksicht auf
die Bedingungen der Baustoffe auch angewandt, wenn ausnahmsweise in anderem Material ge-
baut wird. Nimmt man diese Einschränkungen hin, so bleibt noch genug des künstlerisch bedeut-
samen. Die Wahrnehmung, daß die japanische Kunst auf einer Entwicklungsstufe beharrt,
welche die europäische längst hinter sich hat, daß sie aber die auf ihrer Stufe gegebenen Mög-
lichkeiten in selbständiger, höchst eigenmächtiger Weise zu höchster Vollendung steigert, machen
wir auch in der Baukunst. Die japanischen Bauten machen in der energischen Profilierung ihres
Umrisses und in dem reichen Wechsel von Licht und Schatten einen bedeutenden malerischen
Eindruck und erfreuen durch die vollendete, geschmackvolle Ausführung der einzelnen Formen.
B e z o 1 d.
Meyers großes Konversations- Lexikon. Sechste gänzlich neubearbeitete und vermehrte
Auflage. Bd. XII— XVII. Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut.
1905—1907. Lex 8°.
Herders Konversations- Lexikon. Dritte Auflage. Freiburg im Breisgau. H e r d e r'sche
Verlagshandlung. 1902—1907. Lex. 8". (8 Bände).
Die Bände I — XI der neuen Auflage von Meyers Konversations- Lexikon sind bereits
früher an dieser Stelle Besprechungen unterzogen worden. Die inzwischen neu erschienenen
Bände zeigen sowohl was den Text als auch was die reichlich beigegebenen Abbildungen betrifft,
die gleichen Vorzüge. Bei der Umgestaltung und Erweiterung, die insbesondere der Text erfahren
hat, macht sich das sehr berechtigte Bestreben geltend, Worterklärungen, namentlich wenn es sich
um Fachausdrücke handelt, hinter den Sacherklärungen, wie sie unsere Zeit des sich fortgesetzt
steigernden Weltverkehrs von Jahr zu Jahr in immer größerer Zahl fordert, zurücktreten zu
lassen. So sind auch manche exotische Ortsnamen und sonstige speziellere geographische Be-
134 LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Zeichnungen in Wegfall gekommen, während z. B. Artikel über Japan und seine Kultur der
seit dem russisch- japanischen Kriege so mächtig gewachsenen Bedeutung des Landes und
Volkes entsprechend außerordentlich an Umfang zugenommen haben, zum nicht geringen Teil
überhaupt, wie auch so mancher Abschnitt über die Erfindungen und Entdeckungen der
jüngsten Vergangenheit, neu hinzugekommen sind. Ein solcher Versuch, das allgemein Wissens-
werte vom rein fachlichen Wissen kräftiger und klarer abzuheben, für dieses gewissermaßen
stillschweigends auf die verschiedenen Fachlexika zu verweisen, kann bei einem „Nachschlage-
werk des allgemeinen (nicht des gesamten!) Wissens", wie gesagt, nur mit Anerkennung be-
grüßt werden. Würde doch ohne solche weise Beschränkung die Gefahr nahe liegen, den Stoff
ins Ungemessene, Unübersehbare anschwellen zu lassen.
Wesentlich die gleichen Gebiete, wie die Umgestaltungen des Textes, betreffen auch die
Wandlungen die mit dem Abbildungsmaterial in der neuen Auflage vorgenommen wurden.
Dabei ist es erstaunlich, aus einem Vergleich der beiden Auflagen zu ersehen, wie tiefgreifend
auch hier die Veränderungen sind. So zähle ich in dem beliebig herausgegriffenen halben
Bande von „Russisches Reich (Geschichte)" bis „Schönebeck" an Tafeln in der alten (5.)
Auflage 57, in der neuen (6.) Auflage 79, von denen nur 22 — zumeist Landkarten — genau
die gleichen geblieben sind ; 12 Tafeln (Länder des Gelben Meeres und der südlichen Mand-
schurei" zum Artikel: Russisch-japanischer Krieg, „Sägemaschinen", „Körperteile der Säuge-
tiere", „Schädel des Menschen", „Schlacht- und Viehhöfe", „Schokoladenfabrikation" u. s. w.)
sind in der 6. Auflage völlig neu hinzugekommen, 3 dagegen („Salanganen", „Salzkammer-
gut", ,, Sanitätskorps") fortgefallen, die übrigen wesentlichen Verbesserungen, die zum größten
Teil natürlich gleichfalls nur durch den Ersatz alter Tafeln durch neue möglich waren, unter-
zogen worden. Schon dieser Vergleich zeigt deutlich, daß die 6. Auflage von Meyers großem
Konversations- Lexikon sich mit größtem Fug und Recht eine „gänzlich neubearbeitete und
vermehrte Auflage" nennen kann.
Gleichzeitig mit dem 17. Bande des Meyerschen Lexikons ist der 8. Band der dritten
Auflage von „Herders Konversationslexikon" zur Ausgabe gelangt, und damit hat ein
Werk seinen Abschluß gefunden, das bereits anläßlich der früheren Auflagen — die erste erschien
1854 — 57 in 5 nicht allzu starken Bänden — als ein Meisterwerk der Präzision anerkannt
worden ist. Dieser Ruhmestitel vor allem muß auch der neuen Auflage wiederum zuerkannt
werden; und da die Gedrungenheit, die sich wesentlich auf Form und Ausdruck der einzelnen
Artikel bezieht, mit einer außerordentlichen Reichhaltigkeit des Inhalts und, soweit Stich-
proben ein Urteil zulassen, mit einer ungemeinen Zuverlässigkeit und Gründlichkeit auch in
der Benutzung der neuesten Literatur Hand in Hand geht, so darf man wohl sagen, daß nur
schwer ein Buch gefunden werden wird, in dem bei gleichem Umfange eine gleiche Fülle
gediegenen Wissens vereinigt und zu bequemer Aneignung bereitet ist. Als ein Beispiel für
die Reichhaltigkeit des Buches mag hier nur bemerkt sein, daß, wie es bei einem Werke des
Herderschen Verlages nicht anders zu erwarten, der katholischen Kultur und ihren Erschei-
nungen ein reges Interesse und weitgehende Beachtung geschenkt wird, während wir in unseren
übrigen großen Konversationslexika diese Kultur meist gegenüber der nichtkatholischen ver-
nachlässigt finden; man vergl. z. B. die Artikel; Franz Renz, Ryan, Joh. Frdr. Schannat,
Anton von Scholz etc. etc. Daß dagegen im Herderschen Konversationslexikon sich etwa eine
ähnlicher Mangel an Beachtung hinsichtlich der Hervorbringungen der nichtkatholischen Kultur
geltend mache, dafür habe ich bei daraufhin vorgenommenen Stichproben keinerlei Anhalts-
punkte gefunden. Erwähnen wir noch, daß auch durch eine vortreffliche Bezeichnung der Aus-
sprache und Betonung fremder Namen und Worte dem Bildungsbedürfnis und der Wißbegierde
weitester Kreise Rechnung getragen ist und daß die Vermittlung der Kenntnis aller wichtigeren
Sachen durch ein ausgezeichnetes Abbildungsmaterial unterstützt wird, so ist der Wunsch wohl
berechtigt, daß auch das handliche Herdersche Lexikon sich fortgesetzt zunehmender Beliebtheit
und einer immer weiteren Verbreitung zu erfreuen haben möchte. Kann es doch in gewissem
Sinne, wie angedeutet, geradezu als eine Art Ergänzung der wichtigsten anderen deutschen
Konversationslexika betrachtet werden Th. H.
Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1907
der
Mitteiliin^en aus dem germanischen Nationalmuseum.
Seite
Die fränkischen Epitaphien im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Von Dr. Edwin
Redslob. Mit 5 Tafeln 3, 53
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Von Gustav von Bezold. Mit 13 Tafeln . 31, 77
Silbervergoldetes Monile. Von Dr. Edwin Redslob. Mit 1 Tafel ....... 90
Ein Bildnis Georg Philipp Harsdörfers von Georg Strauch. Von Dr. Fritz Traugott
Schulz. Mit 2 Tafeln 96
Die Holzmöbel des Germanischen Museums. X. Von Dr. H ans Stegmann. Mit 1 Tafel. 102
Literarische Besprechungen 45, 124
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