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Full text of "Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum"

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THE  J.  PAUL  GETTY  MUSEUM  LIBRARY 


Mitteilungen 


AUS  DEM 


Germanischen  Nationalmuseum 


HERAUSGEGEBEN 


VOM  Direktorium. 


JAHRGANG  1907. 

MIT   ABBILDUNGEN. 


A/ 


NÜRNBERG 

VERLAGSEIGENTUM  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS 

1907. 


^ 


THE  J.  PAUL  GETTYCeNTER 
'  LIBRARY 


Die  fränkischen  Epitaphien 
im  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert. 

Von 
Dr.  Edwin  R.ecislot>. 


Vorbemerkung. 


Die  folgenden  Ausführungen  legte  ich,  als  Erweiterung  einer  akademischen 
Preisaufgabe,  im  Jahre  1906  der  hohen  philosophischen  Fakultät  der  Heidelberger 
Universität  zur  Promotion  vor.  Die  seitdem,  zumal  als  Folge  der  histo- 
rischen Ausstellung  der  Stadt  Nürnberg  1906,  erschienene  Literatur  habe  ich  nach- 
träglich noch  zu  benutzen  versucht.  Naturgemäß  konnte  es  sich  dabei  nicht  um 
eine  Verschiebung  meiner  Hauptresultate  handeln,  die  nur  durch  Unterordnen  der 
kunstgeschichtlichen  Entwickelung  unter  den  gegenständlichen  Gesichtspunkt 
meines  Themas  gewonnen  werden  konnten. 

Außer  den  Neuerscheinungen  der  Literatur  habe  ich  der  Hilfe  meiner  verehrten 
Kollegen  am  Germanischen  Nationalmuseum  und  der  Architekten  der  Bauhütten 
von  St.  Sebald  und  St.  Lorenz,  der  Herren  Prof.  Joseph  Schmitz  und  Otto 
Schulz  dankbar  zu  gedenken.  Vor  allem  aber  drängt  es  mich,  an  dieser  Stelle 
meinem  hochverehrten  Lehrer,  dem  Herrn  Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  Henry  Thode 
den  herzlichen  Dank  für  die  Anregung  und  Förderung  meiner  Arbeit  auszusprechen. 


Verzeichnis  der  wichtigsten  Literatur. 

1.  Grabplastik. 

Otto  Buch  n  er:  Die  mittelalterliche  Grabplastik  in  Nord-Thüringen.  Straß- 
burg, Heitz  1902. 

H.  Schweitzer:  Die  mittelalterlichen  Grabdenkmäler  in  den  Neckargegenden, 
Straßburg,  Heitz  1898. 

H.  Bröger:  Grabdenkmäler  im  Maingebiet.   Leipzig,  Hiersemann,  1907- 

Paul   Knoetel:  Die  Figurengräber  Schlesiens.    Jenenser  Diss.  1890. 

2.   Zur  Geschichte  der  fränkischen  Kunst. 

Henry  Thode:  Die  Malerschule  von  Nürnberg  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert. 

Frankfurt  a.  M.,  Keller,  1891. 
Friedrich    Dörnhöffer:    Beiträge  zur  Geschichte   der    älteren    Nürnberger 

Malerei.     Repertorium  XXIX,  1906. 
Janitschek:    Geschichte  der  deutschen  Malerei,  1890. 
Waagen:    Kunstwerke  und  Künstler  I.  1843- 
Schnaase:    Geschichte  der  bildenden  Künste. 
Kugler:    Kleinere  Schriften,  I883. 

Sighart:   Geschichte  der  Kunst  in  Bayern,  München  18^62. 
W.  Bode:    Geschichte  der  deutschen  Plastik,  Berlin  1887. 
Pückler-Limpurg:   Die  Nürnberger  Bildnerkunst  um  die  Wende  des  XIV. 

und  XV.  Jahrhunderts.    Straßburg,  Heitz  1904. 
Dehio:    Handbuch  der  deutschen  Kunstdenkmäler.    Berlin,  Wasmuth  1905- 

3.  Nürnberg. 

M.  M.  Mayer:   Die  Kirche  des  hlg.  Sebaldus,  Nürnberg  1831. 

O.  Schulz:    Geschichte  der  Wiederherstellung  der  Sebalduskirche,  Nürnberg  1905. 

J.  W.  Hilpert:   Die  Kirche  des  hlg.  Laurentius,  Nürnberg  I831. 

P.  R6e:  Die  Bilder  in  der  Sebalduskirche.    Kunstchronik  XXIII.    Nürnberg,  ber. 

Kunststätten  V,  1900. 
Christian   Rauch:  Die  Trauts.    Straßburg,  Heitz,  1907. 
B.  Daun:   P.  Vischer  und  Adam  Krafft,  Künstlermonographien  LXX  1905,  Veit 

Stoß,  LXXX. 
Berg  au:   Veit  Stoß  bei  Dohme:  Kunst  und  Künstler. 
Katalog  der  histor.  Ausstellung  der  Stadt  Nürnberg  1906. 


VERZEICHNIS  DER  WICHTIGSTEN  LITERATUR. 


4.  Heilsbronn. 

Hocker:    Heilsbronner  Antiquitätenschatz,  Onolzbach  1731. 
Muck:    Geschichte  des   Klosters   Heilsbronn-Nördlingen   1879- 
S  t  i  1 1  f  r  i  e  d:    Grabstätten  des  Hauses  Hohenzollern  1874.    Denkmale  des  Hauses 
Hohenzollern  Bd.  I,  Kloster  Heilsbronn  1877. 

5.  Eichstätt. 

S  a  X :    Geschichte  von  Eichstätt. 

F.  H.  Herb:    Eichstätts  Kunst.    München,  Ges.  f.  christl.  Kunst  1901. 
J.  Fischer:   Domkreuzgang  u.  Mortuarium.  Vortrag.    Eichstätt  1 889.    Pastoral- 
blatt des  Bistums  13  u.  15- 
Sammelblatt  des  historischen  Vereins  8  u.  12. 
A.  Hämmerle:  Der  Pappenheimer  Altar,  Eichstätt  1906. 
Felix  Mader:    Loy  Hering,  München,   Ges.  f.  christl.   Kunst  1905. 

6.  Bayern  und  Schwaben, 

Berth.  Riehl:  Zur  bayer.  Kunstgeschichte  I.  Die  ältesten  Denkmale  der 
Malerei.  Studien  zur  Geschichte  der  bayer.  Malerei  des  XV.  Jahrhunderts. 
1895.     Augsburg,  ber.  Kunststätten  XXH,  1903). 

A.  Schröder:  Die  Monumente  des  Augsburger  Domkreuzganges.  Jahrbuch  des 
Hist.  Vereins  Dillingen  1878. 

Walter  Josephi:  Die  gotische  Steinplastik  Augsburgs.   Münchener  Diss.  1902. 

A.   Seyler:   Die   mittelalterliche  Plastik   Regensburgs.    Münchener   Diss.     1905. 

7.  Zur  Ikonographie. 

Otte:    Handbuch  der  kirchlichen  Kunst- Archäologie. 

Bergner:    Handbuch  der  kirchlichen  Kunstaltertümer  in  Deutschland.  1905. 

Lehmann:    Das  Bildnis.   Straßburg,  Heitz. 

8.  Über  Inschriften. 

Klemm:   Über  die  Entwicklung  der  Schriftformen  in  der  Steinschrift  1000— 1600. 

Christi.  Kunstblatt  1884. 
W.Weimar:   Monumental- Schriften   vergangener  Jahrhunderte  1898. 

9.  Abbildungsmaterial. 

M.  G  e  r  1  a  c  h :  Totenschilde  und  Grabsteine.    Wien.  Gerlach  &  Schenk. 


Die  Entstehung  der  Epitaphienform. 

L)ie  Begräbnisstelle  für  die  Vornehmen  war  im  Mittelalter  das  Innere  der  Kirche. 
Die  Grabstätten  wurden  unter  den  Fußboden  eingemauert  und  mit  einer  Steinplatte 
geschlossen.  Absichtlich  den  verwischenden  Schritten  preisgegeben,  trugen  diese 
Platten  anfangs  nur  einfache  Zeichen:  ein  Kreuz  oder  ein  Wappenschild  und  eine 
kurze  Inschrift;  allmählich  verzierte  man  sie  in  flachem  Relief  mit  dem  Bilde  des 
Toten,  für  dessen  Charakteristik  die  allgemeinen  Merkmale  seines  Standes  und  Alters 
genügten. 

Aber  immer  mehr  wuchs  das  Verlangen,  den  Stein  dem  Bilde  des  Aufgebahrten, 
den  er  bedeckte,  ähnlich  zu  gestalten:  am  Ende  des  12.  Jahrhunderts  hatte  sich  eine 
reichere  Form  durchgesetzt,  welche  das  Relief  erhöhte  und  die  Züge  des  Dargestellten 
portraitartig  herausarbeitete.  Dann  verlieh  die  Gotik  den  Grabsteinen^)  größere 
Pracht:  häufig  wurde  die  Gestalt  unterarbeitet  und  mit  reichem  Zierrat  umrahmt. 
Solche  Werke  konnten  nicht  mehr  ein  Teil  des  Fußbodens  sein:  sie  wurden  als 
Tumben  sarkophagartig  untermauert  oder  von  kleinen  Pfeilern,  die  bald  als  Wappen- 
träger plastische  Gestalt  bekamen,  als  Hochgräber^)  über  den  Boden  gehoben. 

So  bekamen  die  Grabsteine  den  Sinn  von  Portraits  und  wurden  daher  oft  schon 
bei  Lebzeiten  gemeißelt;  neben  die  Abbildung  des  Aufgebahrten  trat  die  Wieder- 
gabe des  Lebenden  in  der  Fülle  seiner  Kraft  und  Macht :  der  Brauch,  zu  dem  auch 
räumliche  Gründe  zwangen,  daß  man  die  Steine  aufrecht  an  die  Wand  stellte,  war 
kein  Widersinn  mehr. 

Wurden  anfangs  nur  die  Herrschenden  durch  ein  Denkmal  ausgezeichnet,  so 
drängten  sich  allmählich  immer  mehr  Gemeindemitglieder  zu  der  Ehre,  ihr  Bildnis 
nach  dem  Tod  zu  erhalten.  Der  Raum  der  Kirche  konnte  für  größere  Gemeinden 
nicht  mehr  genügen,  so  daß  auch  der  Kreuzgang  als  Begräbnisstelle  herangezogen 
werden  mußte. 

Die  Anlage  eines  Domkreuzganges  war  aus  dem  Verlangen  entstanden,  den 
Kanonikern  und  Geistlichen,  die  am  Dome  wohnten,  einen  abgeschlossenen  Wandel- 
raum zu  geben.    Dann  wurde  der  Kreuzgang  immer  mehr  als  ein  Teil  der  Kirche 


1)  Vgl.  Lind,   die  Grabdenkmale  während   des  M.  A.  in  d.  Ber.  u.  Mitt.  d.  A.  V.  zu 
Wien  XI  (1870)  S.  163—213.    Schultz,  Höfisches  Leben  II,  S.  410-416. 

2)  Buchner  (S.  65)  erklärt   die  Entwicklung  zum  Hochgrab  aus  »dem  Einfluß  der  im 
Sinne  des  Verticalismus  treibenden  Architektur«. 


DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT  VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.      7 

aufgefaßt,  wie  es  beim  Augsburger  Dom^)  gut  zu  erkennen  ist.  Hier  wurde  er 
durch  Verlegung  der  Kanonikerwohnung  seiner  ursprünglichen  Bestimmung  entfremdet, 
und  bald  trat  er  mit  der  Kirche  in  enge  Verbindung,  indem  er  ihren  einen  Zweck 
teilte  und  zur  Begräbnisstätte  ward.  Die  Verwendung  seiner  drei  Flügel 
war  genau  geregelt:  der  westliche,  dem  ehemaligen  Hauptchor  der  Kirche  zu- 
nächst liegende  Teil  diente  den  Kanonikern  als  Grabstätte  (ambitus  canonicorum), 
der  nördliche  den  Domvicaren  (ambitus  vicariorum),  der  östliche  Flügel  war 
auch  Laien,  Männern  wie  Frauen,  meist  adeligen  Stammes,  die  irgendwie  durch 
Stiftungen  oder  Verwandtschaft  der  Domkirche  nahegestanden,  zum  Begräbnis  über- 
lassen.*) Zunächst  wurden  die  Grabsteine,  nach  der  ältesten  Sitte,  in  das  Estrich 
eingelassen ;  die  Schmalheit  des  Ganges  machte  es  unmöglich,  das  Relief  hoch  heraus- 
zuarbeiten oder  die  Platte  über  den  Boden  zu  heben.  Um  daher  die  Namen  der  Ver- 
ewigten zu  erhalten,  wurden  bald  in  der  Nähe  des  Grabsteins  an  der  Wand  einige 
Zeilen  oder  eine  Inschrift  in  Verbindung  mit  einer  heiligen  Darstellung,  ein  „Epi- 
taphium", angebracht.  Das  älteste  Epitaph  des  Augsburger  Kreuzganges  stammt 
vom  Jahre  1348^). 

Das  Wort  Epitaph  bedeutet  ursprünglich  jede  gesonderte  Gedächtnisin- 
schrift für  einen  Toten,  dann  ist  es  ausschließlich  zur  Bezeichnung  des  mit  einer 
Inschrift  verbundenen  Andachtsbildes  verwendet  worden,  das  an  der  Wand  in  der 
Nähe  der  Begräbnisstelle  angebracht  wurde. 

Die  ältesten  Beispiele  für  Inschriften  befinden  sich  auf  Steinplatten,  die  in 
dem  aus  der  Mitte  des  XI.  Jahrhunderts  stammenden  Teile  der  Krypta  des  Bonner 
Münsters  gefunden  worden  sind.  Ihr  hohes  Alter  ist  daraus  zu  folgern,  daß  sie 
schon  in  so  früher  Zeit  als  Baumaterial  behandelt  wurden.  Sie  entsprechen  in  ihrer 
Form  (ungefähr  ein  zu  einen  halben  Meter  groß)  verkleinerten  Grabsteinen  und  sind 
zur  Aufnahme  der  Inschrift  mit  einem  Kreuz  durchzogen.  Reste  ähnlicher  Stein- 
platten sind  im  Museum  zu  Köln  erhalten,  zwei  weitere  in  Bonn  und  einer  —  zur 
Aufmauerung  des  Hauptaltars  verwendet  —  in  der  Kirche  zu  Dollendorf  bei  Bonn^). 

Neben  diesen  Inschriften  kamen  im  vierzehnten  Jahrhundert  die  Totenschilde 
auf:  erst  schildförmige,  dann  zumeist  runde,  von  einer  Inschrift  umrahmte  Holz- 
tafeln mit  dem  geschnitzten  oder  gemalten  Wappen  des  Verstorbenen^) . 


3)  Die  Augsburger  Bildwerke  behandeln  zwei  eingehende  Schriften :  der  Arbeit  Schröders 
im  X.  und  XI.  Band  des  Dillinger  Jahrbuches  von  1897  und  1898,  und  Walter  Josephis 
Münchener  Dissertation  über  die  gotische  Steinplastik  Augsburgs,  1902,  besonders  S.  35 — 41, 
S.  53-55  und  60  ff.  Mehrere  Abbildungen  und  eine  zusammenfassende  Übersicht  finden  sich 
in  Berthold  Riehls  Augsburg  (Ber.  Kunststätten  22,  1903). 

4)  Hierzu  Schröders  Arbeit. 

5)  Abguß  im  Oerm.  Museum. 

6)  Bonner  Jahrbücher  LVII,  Tafel  XIII  S.  213  XXXII,  Tafel  II  S.  144—220.  Nieder- 
rhein. Annalen  II,  1,  2  u.  X,  91  und  222.  Otte,  I,  5,  S.  344.  Bergner,  S.  300.  Dazu  kommen 
Steininschriften  in  der  Neumünster  Kirche  zu  Würzburg  und  —  in  Verbindung  mit  Wappen 
—  aus  der  Zeit  um  1200  in  der  Kirche  zu  Weinsberg.  Andere  Beispiele  bei  Otte  I  S.  345. 
Quast  veröffentlicht  im  Korresp.-Blatt  d.  Ges.  V.  d.  Gesch.  u.  Altert.  V.  I  (1853)  S.  37  zwei 
Inschriftsteine  vom  Jahre  938  und  1048. 


8  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

Ein  praktischer  Grund,  der  auf  die  Erhaltung  der  Inschrift  Wert  legen  ließ, 
ist  bisweilen  die  Erinnerung  an  eine  Seelenmesse  gewesen''),  mit  der  sich  der 
Stifter  das  Recht  erkauft  hatte,  in  der  Kirche  bestattet  zu  werden "). 

Da  man  bei  Epitaphien  neben  der  Inschrift  eine  kleine  Darstellung  des 
Verstorbenen  anbrachte,  gewöhnte  man  sich  an  diese  Verbindung  von  Heiligenbild 
und  Portrait,  und  auch  bei  der  Schenkung  eines  Andachtsbildes  unterließ  man  nicht, 
den  Stifter  in  kleinem  Maßstab  auf  die  Tafel  zu  malen.  Oft  wurde  dann  wieder  bei 
einem  solchen  Bilde  Raum  gelassen,  um  später  das  Todesdatum  des  Stifters  einzu- 
tragen und  es  so  zu  einem  Epitaph  zu  machen  »o). 

Die  Erklärung  für  diese  Verbindung  von  Frömmigkeit  und  Sorge  für  die  Er- 
haltung seines  Gedächtnisses  liegt  in  dem  Wesen  des  Bürgertums.  Als  es  im  vier- 
zehnten Jahrhundert  —  in  Nürnberg  besonders  durch  die  Einsicht  Karls  des  IV.  ge- 
fördert —  immer  mehr  an  Bedeutung  gewann,  als  das  Empfinden  der  Zeiten,  welche  die 
Reformation  vorbereiteten,  einen  jeden  nach  Gleichstellung  seinem  Gotte  gegenüber 
verlangen  ließ,  drang  diese  Ausprägung  gesellschaftlichen  Bewußtseins  auch  in  die 
Bestattungsbräuche  ein  ^  *).  Freilich  nur  ausnahmsweise  gesellten  sich  die  Bürger  gleich- 
berechtigt zu  den  machtvollen,  steingehauenen  Gestalten  der  Geistlichen,  Fürsten  und 
Ritter  ^2).  Auf  die  Fürbitte  der  Heiligen  angewiesen,  wurden  sie  gruppenweise  in  kleinen 
Maßen  dargestellt,    wie    sie  ihres  Schutzheiligen  Vermittelung  vor  dem  Bilde  der 


7)  Die  Totenschilde  der  Elisabethkirche  zu  Marburg,  die  besten  Beispiele  dieser  Er- 
innerungsform,  wurden  1884  von  Bikell  und  Warneke  publiziert.  Hier  ist  das  älteste  Bei- 
spiel das  Wappen  des  Landgrafen  Heinrich  I.  (f  1308),  das  aus  gestreifter  Leinwand  und 
Schnitzerei  hergestellt  ist.  Abbildung  bei  Hefner,  Trachten  I.  Tafel  82.  Nach  F.  Küch,  der 
in  der  Zeitschrift  für  hessische  Geschichte  (XXVI,  N.  F.  145—225,  Marburg  1902)  über  Toten- 
schilde spricht,  bedeuten  sie  nicht  den  ehemaligen  Kampfschild,  sondern  eine  für  den  se- 
pulchralen  Zweck  bestimmte  Nachbildung  des  Wappens,  das  die  Persönlichkeit  des  Toten 
versinnbildlichen  soll.  Dazu  Gerlach's  Abb.  und  die  Sammlung  im  Germanischen  Museum 
mit  Beispielen  von  1332  ab. 

8)  Als  Vertreter  mehrerer  Beispiele  nenne  ich  an  der  Stadtkirche  zu  Eisfeld  in 
S.-Meiningen  eine  Inschrift  aus  dem  Jahre  1364  und  eine  zweite  aus  dem  Jahre  1436,  die 
Ditzel  Heffners  und  seines  Geschlechts  Begräbnis  bezeichnet,  ,,das  man  ewiglich  des  Jahres 
vierstund  begeen  soll  alle  Quatember  —  darum  das  Geschlecht  ewige  Zinsen  gemacht  haben". 
(Thüringer  Kunstdenkmale  XXX,  S.  133).  Vgl.  A.  Goldschmidt :  Lübecker  Malerei  und  Plastik, 
1890,  S.  2.  Noch  auf  dem  1530  entstandenen  Grabstein  des  Propstes  Petrus  Häckel  in  der 
Klosterkirche  zu  Au,  der  in  Epitaph-Form  oben  Gottvater  und  den  von  Maria  gehaltenen  toten 
Christus,  unten  den  knieenden  Probst  zeigt,  steht  hinter  dem  Namen:  „stiffter  diser  wochen 
mess."    (Bayrische  Kunstdenkmale  I  S.  1931  u.  1932). 

9)  Otte,  1883  S.  334. 

10)  Schröder,  S.  84  sieht  in  dieser  Verbindung  des  bei  Lebzeiten  gestifteten  Bildes 
mit  der  oft  nachträglich  angefügten  Epitaphbestimmung  mit  Recht  den  Grund  für  die  auf- 
fallende Erscheinung,  daß  die  Epitaphien  so  selten  Bezug  auf  den  Tod  oder  das  Leben  nach 
dem  Tode  haben,  sondern  bloße  Andachtsbilder  von  beliebigem  Vorwurf  bedeuten. 

11)  In  der  Kirche  Gedächtnisbilder  anzubringen,  war  in  Nürnberg  nur  den  ratsfähigen 
Geschlechtern  erlaubt:  man  vergleiche  Hilperts  Notiz  über  den  Hornschen  Grabstein,  der  für 
das  Innere  der  Lorenzkirche  aus  mühsam  eingeführtem  Marmor  gearbeitet  war,  aber  wegen 
des  Wappens  der  Frau,  die  keinem  Patrizierhaus  entstammte,  an  der  Außenseite  verwittern 
mußte.    (Hilpert,  St.  Lorenz  S.  12  und  im  Beobachter  an  der  Pegnitz  I.  3.  1807  S.  173.) 

12)  Als  Beispiel  dieser  Denkmalsart  sei  nur  das  in  Pückler-Limpurgs  Buch  über  die 
Nürnberger  Bildhauerkunst  (S.  29)  besprochene  Grabmal  des  Konrad  Groß  in  der  Spitalkirche 


VON  DR.  EÜWIN  REDSLOB. 


Madonna  oder  des  Schmerzensmannes  erflehten,  oder  sie  wurden  ohne  Zusammen- 
hang mit  der  Darstellung  am  Inschriftstreifen  untergebracht.  Man  konnte  die 
winzigen  Gestalten  fast  übersehen,  und  gerne  ließ  es  sich  die  Geistlichkeit  gefallen, 
daß  auf  solche  Weise  ihre  Kirche  mit  Darstellungen  der  heiligen  Geschichte  immer 
reicher  und  bunter  geschmückt  wurde. 

Zur  Herausbildung  dieser  neuen  Denkmalsart  hatte  die  Malerei  höchstens  in 
den  Widmungsblättern  der  Codices  ein  Vorbild;  in  der  Plastik  gab  es  schon  in  früherer 
Zeit  Grabesplatten,  die  statt  der  lebensgroßen  Gestalt  des  Verstorbenen  eine  Dar- 
stellung schmückte.  Schon  im  zwölften  Jahrhundert  zeigt  ein  Hildesheimer  Grab- 
stein^^) des  Presbyters  Bruno,  in  drei  Teile  geteilt,  zu  unterst  die  Beweinung  des 
Leichnams  durch  Arme  und  Geistliche,  darüber  die  zum  Himmel  fliegende  Seele, 
und  oben  Christus,  der  sie  empfängt.  Seit  der  Mitte  des  vierzehnten  Jahrhunderts 
entstanden  häufig  Grabsteine,  die  eine  heilige  Gestalt  mit  der  des  Verstorbenen  ver- 
banden. Für  Franken  vertritt  diese  Art  der  Grabstein  Berthold  Ruckers  an  der 
Pfarrkirche  zu  Schweinfurt  (Todesjahr  1377)  mit  einem  Schmerzensmann  über  dem 
knieenden  Verstorbenen'^). 

So  führt,  als  Konsequenz  der  Aufrechtstellung,  ein  Weg  vom  Grabstein  zum 
Epitaph.  Weil  der  Grabstein  im  Innern  der  Kirche  aufgestellt  werden  sollte,  lag  es 
nahe,  die  Gestalt  des  Verewigten  in  der  knieenden  Haltung  des  Betenden  darzu- 
stellen^-^) und  allmählich  zur  Motivierung  dieser  Stellung  den  verehrten  Heiligen 
beizufügen. 

Also  mehrere  Motive  und  Entwickelungen  auf  verschiedenen  Gebieten  kommen 
zusammen  und  lassen  die  neue  Kunstform  entstehen.  Jedoch  als  entscheidend  für 
die  Herkunft  des  Epitaphs  ist  zu  betonen,  daß  es  sich  aus  den  Formen  des  mittel- 
alterlichen Grabsteines  entwickelte,  und  daß  es  zunächst  im  Dienste  der  herrschenden 
Klasse  stand. 

Den  formalen  Charakter  bekam  das  Epitaph  durch  die  dekorative  Aufgabe, 
die  es  im  Inneren  oder  an  den  Außenwänden  der  Kirche  zu  erfüllen  hatte. 

Dieser  dekorative  Zweck  verursachte  eine  eigentümliche  Verquickung  plastischer 
und  malerischer  Stilelemente,  deren  Verständnis  für  die  richtige  Auffassung  der 
mittelalterlichen  Kunst  in  Deutschland  entscheidend  ist. 

Malerei  und  Plastik  standen  damals  nicht  in  formalem  Gegensatz  zu  einander, 
da  das  deutsche  Mittelalter  fast  keine  Freiplastik  kannte.  Zuerst  war  die  Architektur 
für  die  Plastik  stilbestimmend,  indem  die  Bildwerke  durch  Form  und  Zweck  der 


(t  1356)  genannt  (Abb.  Ree  Nürnbergs.  60),  der  sich  (wohl  noch  bei  Lebzeiten)  ein  Hochgrab 
mit  acht  Trauernden  als  Träger  der  Steinplatte  errichten  ließ,  was  ihm,  in  derselben  Kirche, 
Herdegen  Valzner  nachmachte.  (Vergl.  Buchner  über  Tumben  im  4.  Abschnitt.)  Mit  Pückler- 
Limpurg  an  direkte  Nachahmung  eines  burgundischen  Herrschergrabes  zu  denken,  scheint  mir 
nicht  nötig,  da  sich  viele  Werke  dieser  Anlage  in  Deutschland  finden.  Ich  nenne  nur  für 
die  ältere  Form  das  Hochgrab  Conrad  Wurzbolds  im  Limburger  Dom,  aus  dem  XIII.  Jahr- 
hundert und  die,  gegen  1300  begonnene  Reihe  von  Tumben  in  der  Elisabethkirche  zu 
Marburg. 

13)  Abguß  im  Germanischen  Museum. 

14)  Dehio,  Handbuch  der  Deutschen  Kunstdenkmäler  I,  S.  280. 

15)  Buchner,  S.  54  u.  Taf.  5:  Th.  v.  Lichtenhayn  in  der  Erfurter  Predigerkirche  vom 
Jahre  1366. 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum     1907.  2 


10  DIB  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

Bauteile,  welche  sie  verzierten,  ihre  formalen  Gesetze  erhielten.  Dazu  entwickelte 
sich  am  Tympanon  die  Reliefplastik  und  später  für  den  Schmuck  des  Kircheninnern 
die  Holzskulptur,  aus  der  die  Altarmalerei  ihr  Vorbild  gewann. 

Aber  wegen  dieses  Zusammenhanges  mit  der  unter  den  Gesetzen  der  Architektur 
zu  ornamentaler  Stilisierung  gezwungener  Plastik  erhärtete  sich  in  der  Malerei  die 
Entwickelung:  lange  wirkte  die  strenge  und  gesonderte  Figurenanordnung  der  Skulptur 
nach;  ihrer  dekorativen  Bedeutung  entsprechend  vielfach  als  Ersatz  der  Plastik 
oder  der  Weberei  entstanden,  bewahrte  die  Malerei  im  Widerspruch  zu  ihren  freieren 
Möglichkeiten  einen  starr  gebundenen  Stil. 

Dennoch  brachte  sie  notwendiger  Weise  lebendigere  und  gewandtere  Lösungen 
für  die  dekorativen  Aufgaben,  die  ohne  Bedenken  sofort  auf  die  Plastik  übertragen 
wurden  und  deren  architektonisch  bestimmte  Formgesetze  lockerten. 

Darin  liegt  also  die  Bedeutung,  welche  die  Epitaphienkunst  für  die  Erkenntnis 
der  mittelalterlichen  Formauffassung  hat,  daß  sich  hier  die  Wechselwirkung  der 
beiden  Schwesterkünste  in  ihrer  gegenseitigen  Bedingtheit  erkennen  läßt. 


II. 

Die  Epitaphien  des  vierzehnten  Jahrhunderts  in  Heilsbronn 

und  Nürnberg. 

Der  Nürnberger  Kunstbetätigung  fehlte  der  vereinheitlichende  Einfluß  eines 
Bischofsitzes  oder  einer  alten,  heimischen  Tradition.  Durch  die  Verschiedenartigkeit 
der  von  den  Bestellern  geforderten  Aufgaben  verwirrt,  mußten  die  Ausführenden 
immer  von  neuem  sich  mühsam  die  äußeren  Formbedingungen  suchen,  ein  Zwang 
freilich,  der  sie  zu  den  schöpferischsten  und  eigenartigsten  Meistern  des  späten 
Mittelalters  machte. 

Ein  Gesamtbild  der  fränkischen  Kunst  wird  erst  in  den  fortgeschrittenen  Zeiten 
möglich;  auch  innerhalb  der  Epitaphienkunst  lassen  sich  für  den  Anfang  nur  ver- 
einzelte Werke  aufführen,  deren  früheste  für  die  Heilsbronner  Kloster- 
kirche  entstanden  sind. 

Die  kleine  Reihe  beginnt  mit  dem  frei  aufgestellten  Steinepitaph  des  1390  ver- 
storbenen Abtes    Heinrich    von    Annavarsen. 

Der  oben  durch  einen  kleinen  Giebel  erweiterte  Stein  mißt  etwa  ein  Drittel 
von  der  Größe  einer  Grabplatte.  Auf  beiden  Seiten  in  handwerklicher  Aus- 
führung bearbeitet,  wirkt  er  doch  durch  seine  gedrungene,  maßvolle  Geschlossenheit, 
zumal  bei  dem  einen  Relief, .  dessen  Giebel  geschickt  dazu  benutzt  ist,  die  Darstellung 
des  Gekreuzigten  mit  Maria  und  Johannes  und  dem  knieenden,  nach  vorn 
schauenden  Stifter  einzufügen.  Die  Rückseite  zeigt  die  Krönung  Maria,  die 
mit  dem  Sohne  vor  einem  von  drei  Engeln  gehaltenen  faltenreichen  Vorhang  sitzt; 
Christus  hat  die  Hand  noch  erhoben,  die  der  Mutter  eben  die  Krone  aufs  Haupt  ge- 
setzt hat,  ihm  wendet  sich  der  Bischof  betend  zu. 

Zu  diesem  Relief  gesellen  sich  drei  gemalteEpitaphien,  von  denen 
nur  das  älteste   hinreichend   erhalten   ist:   eine   schmale,   zwei  und  einen  halben 


VON  DR.  EDWIN  RKDSLOB. 


11 


Meter  hohe  Tafel,  die  im  Format  die 
Größe  eines  Grabsteines  übertreffen  will, 
stellt  vor  dem  Kreuze  und  den  Lei- 
denswerkzeugen überlebensgroß  den 
mit  Blut  und  Wunden  bedeckten 
Schmerzensmann  dar.  Seine  Gestalt 
ist  machtvoll  und  wuchtig  im  Sinne  der 
alten  Wandmalereien  aufgefaßt:  die 
Arme  hat  er  starr  übereinandergelegt, 
der  Kopf  neigt  sich  nach  links,  und  aus 
den  zur  Seite  gewandten  Augen  dringt 
ein  erschütternder  Blick  unter  geraden 
Brauen  hervor;  die  linke  Schulter  trägt 
den  Mantel,  der  oben  in  festen  Linien 
fällt,  während  er  unten  reiche,  unruhig 
gebauschte  Falten  bildet, 'deren  grau- 
grüner Ton  mit  dem  Dunkelgrün  des 
Mantels,  dem  gelblich  roten  Futter,  dem 
grünlich  braunen  Fleisch  und  dem 
bräunlich  und  grünlich  goldenen,  reich 
gemusterten  Hintergrund  zu  einer  schwe- 
ren Harmonie  'bronzener  Farbtöne 
zusammenklingt.  ■  Ihre  Einheitlichkeit 
ist  allerdings  zum  Teil  auf  Kosten  der 
späteren  Übermalung  zu  setzen.  Die 
Gestalt  des  verstorbenen  Abtes  ist  klein 
und  läßt  Raum  für  zwei  Spruch- 
bänder, eines  mit  der  Inschrift: 
Apt  Friedrich  von  Hirzlach,*^) 
eines  mit  dem  bei  Epitaphien  oft  an- 
gewandten Spruch :  miserere  mei  deus.  ^  ^) 
Die  Bedeutung  dieses  Werkes  erläutert 
am  besten  ein  Vergleich  mit  der  nur 
wenig  später  entstandenen  Fresko- 
Malerei^'')  eines  Schmerzensmannes  im 


16)  Friedrich  von  Hirzlach   starb  1361. 

17)  Thode  Tafel  I  und  S.  14  Nürn- 
berger Ausstellung  1906  No.  45.  Lehmann: 
das  Bildnis,  S.  149  mit  Abbildung.  Dörn- 
höffer,  S.  446.  Das  Klischee  zu  der  vor- 
liegenden Abbildung  wurde  uns  aus  dem 
Thodeschen  Werke  vom  Kellerschen  Verlag 
zu  Frankfurt  a.  M.  freundlichst  überlassen. 

18)  Bei  den  Schmitz'schen  Wieder- 
herstellungsarbeiten 1905  zu  Tage  gekommen. 
Buchner  (S.  52)  stellt  das  Heilsbronner  Bild 


Abb.  1.     Epitaph    für   den    Abt  Friedrich    von 
Hirzlach    in  der    Klosterlcirche   zu    Heilsbronn 

(um  1361). 


12 


DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


Ostchor  von  St.  Sebald,  dem  ausdruckslosen  und  plumpen  Bild  eines  schwachen 
Nürnberger  Handwerkers.  — 

Vielleicht  waren  zwei  andere  Werke  dem  Hirzlach- Epitaph  ähnlich:  eine  in  zwei 
Teile  zerlegte  Tafel  zeigtoben  die  Halbfigur  der  Madonna  vor  einem  brokatenen 
Muster;  schmal  ansetzend,  steigt  der  Umriß  malerisch  geschlossen  in  die  Höhe,  unten 
kniet  auf  blauem  Grund  (die  gewöhnliche  Farbe  des  Hintergrundes  für  den  getrennt 
dargestellten  Stifter)  vor  einem  Betpult  der  Bischof,  den  Stab  in  der  Mitte  haltend,  den 
Kopf  nach  oben  zur  Madonna  erhoben ;  rechts  ist  ein  Spruchband  angebracht :  Maria 
mater  dei  miserere  mei.  Darunter  steht,  zwischen  dem  Hohenzollern-  und  Bischof- 
Wappen  (der  Verstorbene  war  der  Sohn  des  Burggrafen  Friedrich  IV.  von  Nürnberg),  die 
Inschrift  mit  dem  Namen  Bertholdus  und  dem  Todesjahr  1365 '").  Die  Farben 
der  grabsteingroßen  Tafel  haben  durch  häufige  Übermalung  (die  erste  1497)  so  ge- 
litten, daß  der  ursprüngliche  Charakter  des  Bildes  völlig  verloren  gegangen  ist. 

Daher  läßt  sich  nicht  mehr  bestimmen,  wie  weit  es  Ähnlichkeiten  mit  dem  Stile 
der  Schule  des  Prager  Meisters  Theodorich  hatte,  doch  scheint  eine  Verwandtschaft 
mit  dem  Votivbild  des  Erzbischofs  Johann  Ocko  von  Wlaschim  im  Rudolphinum 
zu  Prag  sich  behaupten  zu  lassen. 

Auch  bei  dem  kleinen  Epitaph  für  den  Arzt  Mengst  (f  1370)  läßt  sich  nur 
noch  von  der  Anordnung  sprechen:  in  der  Mitte  steht  Christus,  auf  die  Wunde  der 
entblößten  Brust  weisend,  rechts  Maria,  und  links  kniet  in  einem  roten,  hermelin- 
gefütterten Mantel  der  graubärtige  Magister;  der  Raum  über  seinem  Kopf  ist  durch 
zwei  Spruchbänder  ausgefüllt,  über  denen'  aus  Wolken  Gott- Vater  erscheint,  der 
mit  der  Hand  auf  seinen  Sohn  zeigt.  Das  Thema  der  Entsündigung  durch  Christus 
und  Maria  entspricht  dem  Zweck  des  Epitaphs,  kommt  aber  seltener  vor,  als  man 
voraussetzen  sollte.  Das  Bild  stimmt  mit  den  bei  Thode  erwähnten  vier  Szenen 
aus  Christi  Leben  überein,  die  so  erhalten  sind,  daß  man  in  ihnen  den  Stil  besser 
erfassen  kann.  ^*') 


Von  gemalten  Epitaphien  im  Stile  des  ausgehenden  vierzehnten  Jahrhundert 
sind  innerhalb  Nürnbergs  nur  Nachzügler  erhalten.  Eine  Schmerzensmanndar- 
stellung in  St.  Lorenz^^),  das  Epitaph  des  Paul  Stromer,  möchte  ich 
trotz  des  frühen  Todesdatums  (1406)  später  besprechen ^ 2).  Die  Kreuzigung  in 
der  Tetzelkapelle  der  Aegidienkirche  für  Anna  Kunz  Mendel  (t  1406) 
ist  derartig  übermalt,  daß  eine  Beurteilung  unmöglich  ist.  Ein  späteres 
Machwerk  im  alten  Stil  ist  das  Epitaph  für  Klara  Holzschuherin  im 
Germanischen  Museum  (Nr. 93),  auf  Goldgrund  in  halblebensgroßen 
Figuren  Maria  mit  dem  Kinde,  die  Heiligen  Dominicus  und  Katharina  von  Siena 

mit  einem  Grabstein   in  Lineartechnik  der  alten  Erfurter  Peterskirche  zusammen.    Abbildung 
bei  F.  Tettau,  Bau-  und  Kunstdenkmäler  der  Provinz  Sachsen,  Erfurt  (S.  283). 

19)  Sighart  II,   40Q  Waagen  I,   311,    Muck  81,    Hocker  S.  5   und   6  Abbild,   pag.  VI 
Thode  S.  13,  Lehmann  S.  150  Dr.  Julius  Meyer:  Hohenzollern-Denkmale  in  Heilsbronn. 

20)  Thode   S.  13  und  14.    Abbildung   im  Katalog  der  Nürnberger  Ausstellung  1906 
S.  390  (Nr.  44). 

21)  Thode  S.  15  Janitschek  S.  206 

22)  Kapitel  IV. 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  13 


darstellend,  vor  deren  Füßen  die  klein  gebildete  Verstorbene  mit  dem  Wappen  der 
Holzschuher  kniet^^).  Die  Inschrift  lautet:  Da  man  zeit  nach  Cris:  geburdt  m.' 
CCCC.  XXVI.  Jar  an  dem  andern  pfingstag  do  verschiet  Schwester  Clara  Holtz- 
schuerin  der  Got  genadt  Am. 


Die  Darstellungen  auf  den  besprochenen  Werken  sind  für  die  Zeit  vor  1400 
bezeichnend,  indem  sie  die  damals  besonders  beliebten  Stoffe  behandeln.  Die  Kreu- 
zigung Vird  vielleicht  am  häufigsten  verwertet,  daneben  erscheint  bereits  die  Gestalt 
der  Maria,  aber  vor  allem  wurde  ein  Bild  des  Schmerzensmannes  von  den  Stiftern 
verlangt.  Für  die  erzählten  Ereignisse  der  Glaubenslehre  noch  nicht  interessiert, 
faßte  man  die  Gestalt  Christi  in  typischer  Erscheinung  auf,  wie  er  als  Erlöser  von 
den  Predigern  geschildert  wurde:  von  Blut  und  Wunden  entstellt,  mit  wehem  Zug 
auf  die  Male  zeigend,  die  dem  Verstorbenen  Errettung  verheißen.  Dabei  begnügte 
man  sich  für  die  Wiedergabe  des  Körpers  mit  einem  sehr  sch#matischen  Typus:  nur 
auf  dem  Epitaph  des  Abtes  von  Hirzlach  ist,  unter  Einfluß  der  Wandmalerei,  eine 
große  Formensprache  innerhalb  der  alten  Stilisierung  erreicht. 

Immer  bedeutet  die  heilige  Gestalt  den  Hauptzweck  des  Epitaphs,  die  Gestalt 
des  Verstorbenen  wird  klein  und  ohne  scharfe  Charakterisierung  gegeben,  die  In- 
schrift ist  anfangs  meist  lateinisch  und  beschränkt  sich  auf  die  kürzesten  Angaben. 
Während  in  anderen  Städten,  zumal  für  die  Plastik,  die  neue  Denkmalsart  schon 
häufig  verwendet  wurde,  bedeutete  die  Bestellung  eines  Epitaphs  für  Nürnberg  und 
seine  Nachbarorte  eine  Ausnahme,  sodaß  sich  noch  keine  bestimmte  Form  für  die 
Epitaphienkunst  herausbilden  konnte. 


III. 

Plastische  Epitaphien  an  der  Wende  des 
XIV.  Jahrhunderts. 

War  die  Nürnberger  Plastik  zur  Zeit  ihrer  ersten  Anfänge  —  vornehmlich 
an  St.  Lorenz  und  an  der  Frauenkirche  —  noch  nicht  zu  eigenkräftiger  Freiheit 
gelangt,  so  traten  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  vierzehnten  Jahrhunderts  bedeutende 
Aufgaben  an  sie  heran  und  brachten  der  jungen  Schule  eine  rasche  Entwicklung. 

Gegen  1360  wurden  die  Reliefs  am  Lx)renzer  Hauptportal  fertiggestellt 2*);  1366 
bis  1379  wurde  der  Sebalder  Chor  gebaut;  kurz  nach  1366  am  Sebalder  Pfarrhof 
das  Chörlein  begonnen;  1 385— 1 396  fällt  die  Arbeit  am  schönen  Brunnen.  Um 
St.  Sebald  und  St.  Moritz  war  ein  Friedhof  entstanden,  und  in  schneller  Folge  wurden 
die  Außenwände  der  beiden  Kirchen  mit  Epitaphien  bedeckt,  die  zeigen,  wie  auch 
auf  handwerklichem  Gebiet  eine  reg  erwachte  Arbeitslust  nach  reicher  Ausgestaltung 
der  Motive  und  freien  Lösungen  der  Kompositionen  verlangte. 


23)  Thode  S.  15.    Lehmann  (S.  130)   erwähnt,  daß   die  Hände   der  Madonna   größer 
sind  als  ihr  Kopf. 

24)  Nach  Pückler-Limpurg. 


14 


DIB  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


I. 

Am  besten  läßt  sich  die  Entwickelung  der  Handwerker- Plastik  an  einer  Reihe 
Ölberg- Reliefs  verfolgen,  als  deren  frühestes  wohl  das  Relief  in  Hoch- 
format am  Westchor  von  St.  S  e  b  a  1  d  zu  nennen  ist,  das  wie  die  ungeschickte 
Vergrößerung  einer  Elfenbeintafel  anmutet,  denn  ohne  plastisches  Gefühl  sind  die 
Figuren  zu  einem  ornamentalen  Gefüge  verteilt,  das  die  Platte  im  Sinne  der  Klein- 
kunst füllt  und  belebt.  Es  lag  weder  in  der  Absicht,  noch  im  Können  des  Meisters, 
die  drei  schlafenden  Jünger  zu  einer  Gruppe  zusammenzuschließen:  rechts  unten 
sitzen,  in  unbegründeter  Symmetrie,  zwei  Jünger  nebeneinander,  darüber  ist  ein  Berg 
gebaut,  um  den  dritten  unterzubringen.  Auch  über  diesem  setzt  sich  der  Höhen- 
zug fort,   sodaß    die   Schlafenden   wie  in   Höhlen   sitzen.      Links  erweitert  sich 


Abb.  2.     Ölbergrelief  am  VVesUliur  vuii  St.   Sebald  zu  Nürnberg. 


die  Berglinie;  unter  ihr  ist  für  die  zwei  winzigen  Figuren  der  betenden  Stifter 
Platz,  über  ihr  kniet  Christus,  in  der  alten  Art  der  Adoranten  die  Gestalt  seit- 
wärts, den  Kopf  halb  nach  vorn  gewandt;  aus  engenden  Faltenzügen  hebt  er  seine 
Hände  empor,  dem  Engel  entgegen,  der  von  oben  rechts  sich  herabschwingt,  ein 
Spruchband  in  der  Hand,  das  in  weitem  Bogen  die  Anordnung  der  linken  Seite 
vollendet.  Ein  Relief  mit  dem  Stromerschen  Wappen  aus  dem  Cyclus  am  Ostchor, 
das  nicht  als  Epitaph  bestimmt  ist,  gestaltet  diese  Gruppe  im  Gegensinne  um;  dem 
weniger  hohen  Format  entsprechend  werden  die  Jünger  zusammengeschoben,  und  der 
Blick  kann  sich  mehr  auf  die  Hauptszene  konzentrieren. 

Die  Stileigentümlichkeiten  sind  an  beiden  Reliefs  gleich :  die  Körper  sind  noch 
unbeholfen,  aber  in  ihren  ausgebogenen  Stellungen  und  intensiven  Bewegungen,  in 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907- 


Taf.  I. 


Epitaph  der  Familie  Pömer  an  St.  Sebald  zu  Nürnberg. 


VON  DB.  EDWIN  REDSLOB.  15 


dem  Gegensatz  zwischen  dem  ruhigen  Schlaf  der  Jünger  und  dem  aufgeregten 
Flattern  des  aus  der  Ecke  herausschießenden  Engels  drängt  eine  dramatische  Lebens- 
kraft zu  kraftvollem  Ausdruck.  Die  Gewandfalten  spannen  sich  röhrenartig  in 
zackigem  Bogen  über  die  Körper,  die  Gelenke  sind  energisch  betont. 

Trotz  der  anders  gearteten  Gruppierung  kommen  bei  der  Frage  nach  der  Her- 
kunft dieser  stilisierten  Motive  die  Reliefs  am  Hauptportale  von  St.  Lorenz ^ 5)  als  ent- 
scheidende Vorbilder  in  Betracht,  doch  sind  die  Fortschritte  naiver  Beobachtungs- 
lust, die  den  Eindruck  des  Sebalder  Pfarrhauschores  bestimmen,  an  beiden  Werken 
erkennbar. 

Im  Gegensatz  zu  den  gotischen  Nachklängen  dieser  beiden  Ölbergszenen  steht 
das  Relief  in  Querformat  an  St.  Moritz,  das  wieder  als  Epitaph  gedacht  ist. 
Die  Stifter  sind  an  einem  Sockel  unter  dem  Relief  angebracht,  der  geschickt  als 
Postament  der  großen  Christusgestalt  benutzt  ist,  über  dem  Heiland  spannt  sich  die 
Linie  des  Zaunes,  links  gewährt  sie  für  die  dicht  zusammengedrängte  Gruppe  von 
Judas  und  drei  Kriegsknechten  Platz,  rechts  unten  geht  sie  bis  an  den  Rahmen  und 
endet  hinter  den  übereinander  hockenden  Jüngern,  oben  ist  der  Himmel  durch  Wolken 
angedeutet,  vor  denen  die  Hand  Gottes  erscheint.  Die  Figuren  sind  in  ihren 
Bewegungen  lebendig  beobachtet,  aber  sie  sind  ohne  jede  Kenntnis  der  menschlichen 
Gestalt  ausgeführt.  Christus  ist  groß  und  schlank,  weil  für  ihn  Platz  war,  die  anderen 
haben  sich  zum  Teil  mit  drei  Kopflängen  für  ihren  Körper  begnügen  müssen.  Die 
Köpfe  sind  rund  und  plump  und  schauen  ausdruckslos  vor  sich  hin. 

Ein  viertes  Relief  —  an  der  Südseite  des  Westchores  —  ist  ähnlich  an- 
geordnet: durch  die  knieenden  Stifter  unterbrochen,  schließt  der  Zaun  das  Relief 
unten  ab,  links  geht  er  bis  zum  Rande,  sodaß  die  Kriegsknechte  ganz  zusammen- 
gedrückt sind,  indeß  Judas  die  Pforte  öffnet;  rechts  biegt  das  Geflecht  weit  aus, 
den  bequemen  Schlaf  der  Jünger  behütend.  In  der  Mitte  ist  viel  Platz  für  Christus, 
der  —  zum  ersten  Mal  mit  scharfem  Profil  —  in  ausdrucksvoller  Konzentration 
sich  nach  oben  wendet.  Das  Symbol  für  die  Erscheinung  Gottes  ist  heraus- 
gebrochen. Unter  diesem  Relief  befindet  sich  —  seltsam  primitiv  —  eine  Dar- 
stellung der  Dreifaltigkeit:  Christus  als  Schmerzensmann  neben  Gott- Vater,  der 
Maria  im  Arme  hält,  zwischen  ihnen  die  Taube,  rechts  und  links  zwei  Heilige,  die 
mit  ihren  bärtigen  Köpfen  und  untersetzten  Körpern  an  die  Thonapostel  des  Ger- 
manischen Museums  erinnern.  Am  untersten  Abschluß  beider  Reliefs,  ohne  Zusam- 
menhang mit  der  Hauptkomposition,  sind  die  betenden  Stifter  angebracht.  (Das 
Werk  wurde  kürzlich  ergänzt.) 

Das  Epitaph  der  Römer  an  der  Südseite  von  St.  Sebald  (Taf.  I)  mit  In- 
schriften vom  Jahre  1331—1395^^)  entspricht  dem  letzten  Werk,  in  dessen  Nähe  es 
eingelassen  ist,  durch  die  Zweiteilung  der  Platte.  Seine  späteste  Jahreszahl  gibt 
für  die  Ansetzung  der  anderen  Epitaphien  an  der  Wende  des  vierzehnten  und 
fünfzehnten  Jahrhunderts  den  Anhaltspunkt.  Die  Gethsemanedarstellung  ist  mehr 
zusammengedrängt,   Judas  ist  schon  durch  die  Pforte  geschritten.    Die  Gruppe  der 


25)  Der  Baugeschichte  nach  muß  das  Relief  am  Ostchor  um  1379  entstanden  sein. 

26)  Die  Zahl  1416  der  Ergänzung  wird  1366  gelautet  haben,  eine  Lesart,   welche  ihre 
Begründung  aus  der  Reihenfolge  der  Zahlen  bekommt. 


16  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

Jünger  ist  mit  sichtlicher  Freude  an  dem  Wechselspiel  der  Motive  gebildet,  wie 
denn  dies  Werk  feineres  Verständnis  für  die  Charakteristik  der  einzelnen  Gestalten 
zeigt.  In  der  unteren  Hälfte  sl^ht  ein  schlanker  Schmerzensmann  zwischen  den 
zierlich  geputzten  Angehörigen  der  Familie  Römer. 

Die  fünfte,  an  der  Nordseite  des  Sebalder  Westchores  eingemauerte 
Ölbergdarstellung  ist  eine  etwas  spätere  Handwerkerarbeit:  in  den  gedrungenen, 
plumpen  Figuren  im  Gegensatz  zur  gotischen  Schlankheit  der  früheren  Werke  auf 
den  Stil  der  im  Verlaufe  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  ausgebildeten  realistischen 
Bürgerkunst  hinweisend,  bringt  sie  die  einfachste  Scenerie:  unten  die  Jünger,  darüber 
Christus,  der  sich  zum  Felsen  wendet,  hinter  dessen  Zacken  in  ungeschickter  Auf- 
fassung Gott- Vaters  Kopf  auftaucht. 


Abb.  3.     Ölbergrelief  am  Westchor  von  St.  Sebald  zu  Nürnberg. 

In  der  Nähe  befindet  sich  die  Kopie  des  letzten  Reliefs  unserer  Reihe:  es 
zeigt  die  kräftigen  Gestalten  des  benachbarten  Werkes,  vermehrt  um  die  Schar  der 
Kriegsknechte.  Die  Figuren  sind  dicht  gruppiert,  nicht  um  den  Raum  zu  gliedern 
und  zu  beleben :  es  kam  dem  etwas  plumpen  Meister  nur  darauf  an,  ihn  recht  voll- 
gefüllt zu  haben,  ihn  auszunutzen. 

Hier  kommt  der  neue  Stil  entscheidend  zum  Ausdruck:  die  feine  dekorative 
Anordnung  der  Gotik  hört  auf,  das  Einzelne  löst  sich  selbständig  los,  wird  ein  Ganzes 
und  muß  nun  sehen,  allein  möglichst  viel  zu  sagen  und  darzubieten. 


Auf  diesem  einen  Darstellungsgebiet  war  es  möglich,  im  Zusammenhang 
die  Wandlung  der  Plastik  um  1400  zu  verfolgen;  außerhalb  Nürnbergs  bleibt,  im 
Stile  der  zuerst  besprochenen  Werke  gehalten,  das  Relief  eines  etwas  manierierten 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  U. 


Epitaph  vom  Jahre  1422  an  der  Moritzkapelle  zu  Nürnberg. 


VON  DR.  BÜWIN  REDSLOB.  17 


gotischen  Handwerkers  an  der  oberen  Pfarrkirche  in  Bamberg  hinzu- 
zufügen, das  dem  von  Buchner  besprochenen  Epitaph  Heinrichs  von  Meiningen  (t  1382) 
an  der  Erfurter  Augustinerkirche^')  ähnlicher  ist,  als  einem  Nürnberger  Werke.  —  Für 
Nürnberg  haben  wir  noch  andere  Darstellungen  zu  nennen,  die  in  der  Zeit  um  1400 
gearbeitet  worden  sind 


Das  früheste  dieser  Epitaphien,  die  am  Äußern  von  St.  Sebald  und  St.  Moritz 
in  Zusammenhang  mit  dem  dortigen  Friedhof  entstanden  sind,  scheint  das 
Epitaph  an  der  Südseite  von  St.  Moritz  zu  sein ;  unten  den  in  Verwesung  über- 
gehenden Leichnam  darstellend,  bringt  es  oben  drei  beziehungslos  nebeneinander  ge- 
reihte lamentierende  Gestalten  mit  geneigten  Köpfen :  zwei  Heilige  und  den  mit  einem 
Mantel  umkleideten  Schmerzensmann.  Die  Darstellung  des  verfaulenden,  von 
Schlangen  umringelten  Leichnams  ist  ein  für  den  drastischen  Naturalismus  des  späten 
Mittelalters  bezeichnendes  Motiv.  Mitunter  liegt  er  auf  dem  Grabstein 2**)  statt  des  in 
Prunkgewändern  Aufgebahrten,  besonders  bei  Hochgrab-Anlagen,  wo  über  diesem  Stein 
eine  zweite  Platte  getragen  wird,  die  dann  die  Gestalt  des  Lebenden  bringt.  Gern 
wird,  wie  in  der  Grabplatte  Hans  Baumgartners  zu  Kufstein^^),  dem  Gleichheits- 
empfinden der  neuen  Zeit  entsprechend,  ein  Spruch  beigefügt.  („Arm  und  reich 
vern  all  dem  pild  geleich.")  In  Nürnberg  ist  dies  Epitaph  das  einzige,  welches 
sich  jenem  Todesallegorien  und  Totentänze  in  sich  schließenden  Vorstellungs- 
bereiche nähert. 

Ein  zweites  Steinbild  an  der  Moritzkirche  zeigt  ähnlich  manieriert  be- 
wegte Figuren.  Die  Konsole  der  Mitte  trägt  die  tänzelnd  bewegte  Maria,  an 
den  Seiten  stehen  zwei  heilige  Frauen;  vor  der  Madonna  knieen  die  kleinen 
Figuren  der  Stifters  und  seiner  Frau,  der  Raum  über  ihnen  gab  Platz  für  zwei 
Engelsköpfe,   die  der  Meister  mit  sichtlicher  Liebe  ausführte. 

Die  übertriebenen  Gebärden  der  Gestalten  hat  ein  drittes  Werk  links  vom 
Westportal  derselben  Kirche  (Taf.  H)  mit  dem  Todesjahr  1422 3°)  mit  den  beiden 
besprochenen  Arbeiten  gemeinsam.  Von  einer  gotischen  Architektur  umrahmt,  zeigt 
es  die  halbe,  nackte  Figur  des  Schmerzensmannes  über  dem  Grabe,  den  Maria  und 
Johannes  in  weichem  Schmerze  betrauern.  An  den  Seiten  stehen  zwei  weibliche 
Heilige,  aus  der  Grabeskiste  hängt  das  Veronicatuch  bis  in  die  untere  Hälfte  herab, 
wo  die  Stifter  hinter  einem  Papst  und  Bischof  knieen.  Dieses  Schmerzensmann- 
Epitaph   hat  große  Ähnlichkeit   mit  dem  Steinbild   links  vom  Tucherportal   an 


27)  Buchner  S.  74  Abbildung  152  (von  Johannes  Gehart).  Dazu  das  Epitaph  der 
Familie  Pfaffenhofer  (Todesjahr  1429)  in  Erfurt.  (Lübke,  Plastik  II  S.  719.)  Über  zwei  Öl- 
bergreliefs  von  Anfang  und  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  Wasserburg,  vgl  Bayr.  Kunst- 
denkm.  I,  2085  und  2086.    Über  eine  Reihe  Ölbergreliefs  in  Regensburg,  vgl.  Seyler,  S.  101  ff 

28)  Peter  von  Schaumberg  (f  1467)  in  Riehl,  Augsburg,  S.  43. 

29)  Abb.  Bergner,  S.  301.  Josephi,  S.  65,  66.  Riehl,  Die  Kunst  an  der  Brennerstrasse. 
S.  5  (mit  anderen  Beispielen). 

30)  Lotz.  Rettberg.  Von  Pückler-Limburg  S.  113  und  114  ohne  Zusammenhang  mit, 
anderen  Nürnberger  Werken  behandelt. 

Mitteilungen  aus  dem  gorman.  Nationalmuseuni.    1907.  3 


18  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

St.  Lorenz.  Hier  fehlen  die  Heiligen  und  Geistlichen;  an  Stelle  des  Veronica- 
tuches  ist  eine  Inschriftrolle  gekommen,  Maria  und  Johannes  sind  in  Halbfiguren 
gegeben. 

Die  Gestalten  dieser  Reliefs  lassen  uns  an  die  Schauspieler  denken,  die  auf  den 
Passionsbühnen  die  Leiden  Christi  darstellten.  Wir  erkennen  in  dem  erregten  Ge- 
bahren  der  Figuren  den  empfindsamen  Ausklang  der  gotischen   Kunst. 

Doch  zeigen  diese  beiden  Werke  die  eigenartigen  Züge  eines  bedeutenden 
Meisters,  der  sich  eine  leicht  zu  erkennende  Formensprache  ausgebildet  hat.    Der 
Christuskörper  hat  spitz  herausgeknickte  Schultern,  über  denen  sich  die  Haut  des 
Halses,  der  den  Kopf  nicht  zu  tragen  vermag,  kraftlos  zusammenzieht.    Der  Brust- 
korb ist  durch  einen  scharfen  Grat  von  den  Rippen  abgesetzt,  die  sich  hart  heraus- 


Abb.  4.     Epitaph  am  Tucherportal  von  St.   Lorenz  zu  Nürnberg. 

zeichnen,  darunter  wird  der  Oberkörper  durch  eine  abnorme  Einziehung  über  den 
Hüften  vom  Bauch  getrennt.  Die  Linien  der  Gestalten  sind  weich  und  ausdrucks- 
voll empfunden,  die  Falten  des  Gewandes  zierlich  und  in  zartem  Flusse  angeordnet. 
Unter  deutlichem  Einfluß  des  Reliefs  an  St.  Moritz  steht  das  Epitaph  eines 
Tetzel  in  der  T  e  t  z  e  1  k  a  p  e  1 1  e  der  Aegidienkirche.  Dargestellt  sind  in  der  großen 
oberen  Abteilung,  unten  durch  konsolenartige  Vorsprünge  vorbereitet,  die  drei 
Figuren  der  Kreuzigungsgruppe.  Christi  Körper  zeigt,  bei  aller  schematischen  Be- 
handlung, besonders  des  Knochenbaues,  dennoch  einige  nach  der  Natur  beobachtete 
Einzelheiten,  an  denen  sich  ein  Fortschritt  im  Vergleich  mit  dem  Körper  des 
Reliefs  vom  Jahre  1422  erkennen  läßt.  Die  reich  übereinandergepreßten  Röhren- 
falten in  den  Gewändern  der  beiden  Trauernden  scheinen  ebenfalls  dafür  zu  sprechen, 
bei  einer  stilistischen  Datierung  nicht  vor  die  Zeit  um  1430  hinauszugehen.    In  der 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  19 


unteren,  etwas  verbreiterten  Steinplatte  kniet  links  vor  seinem  Wappen  der  Stifter, 
rechts  würfeln  zwei  Kritgsknechte  um  den  sorgfältig  ausgearbeiteten  ungenähten 
Rock  Christi. 

Durch  alle  diese  Plastiken,  die  sich  um  die  Schmerzensmann-Darstellungen 
an  St.  Moritz  und  St.  Lorenz  gruppieren,  erhalten  wir  die  deutliche  Vorstellung  von 
einer  bestimmten  Schaffensrichtung,  die  für  den  Stand  der  Nürnberger  Kunst, 
nach  der  Vollendung  der  großen,  in  nachahmenden  Formen  ausgeführten  Aufträge 
des  vierzehnten  Jahrhunderts  charakteristisch  zu  sein  scheint.  Noch  wirkt  die 
dekorative  Formauffassung  der  Gotik  nach,  aber  zugleich  verleiht  ein  fast  sentimental 
zu  nennendes  Eingehen  auf  die  seelischen  Regungen  der  einzelnen  Gestalten  den 
Szenen  verinnerlichten  Gehalt. 

Erst  als  die  Bürgerkunst  im  Laufe  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  mit  ihrer 
realistischen  Kraft  einsetzte,  konnte  in  Nürnberg  ein  eigenartiger  Stil  entstehen. 
Dafür  war  nötig,  daß  die  Malerei  sich  vom  Einfluß  der  Plastik  löstet ')»  die  ihr 
keine  pfadfindenden  Stilgesetze  mehr  geben  konnte,  deren  Weiterleben  vielmehr 
selbst  davon  abhing,  ob  die  neue  malerische  Auffassung  die  Wege  öffnen  könnte, 
nach  denen  die  Plastiker  vergeblich  gesucht  hatten. 


31)  Wie  überwunden  der  Einfluß  der  Plastik  auf  die  Malerei  war,  zeigt  am  besten  das 
Epitaph  des  Hans  Stark  (f  1435)  in  St.  Sebald,  das  neben  dem  Abendmahl  auch  das  Gebet 
in  Gethsemane  darstellt.  Leider  macht  seine  Übermalung  (1627)  jede  über  die  Komposition 
hinausgehende  Beurteilung  unmöglich. 


20  DIE  FRÄNKISCHEN  EPHAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHÜNUERT. 


IV. 

Berthold  Landauer  und  seine  Nachfolger. 

I 
Die  zarte  Auffassungsart,  die  in  der  Plastik  den  Ausklang  der  gotischen  Kunst 
bedeutet,  wurde  für  die  erste  ausgeprägte  Persönlichkeit  der  Nürnberger  Maler- 
schule, für  den  gegenwärtig  gern  Berthold  Landauer^^j  genannten  Meister,  die 
Quelle  eines  neuen  Stiles.  Die  Malerei  war  ein  beweglicheres  Ausdrucksmittel  für 
den  empfindsamen  Sinn  jener  Übergangszeit,  sie  übernahm  in  der  Epitaphienkunst 
bisher  vorwiegend  der  Skulptur  zugewiesene  Aufgaben,  für  die  sie  eine  leichtere  und 
verinnerlichte  Lösung  fand. 

Das  Stromersche  Epitaph  in  St.  Lorenz^^)  erscheint  mir  als  das  bezeich- 
nende Frühwerk  seiner  unter  dem  Einfluß  der  Plastik  entwickelten  Kompositionsart. 
Ähnlich  wie  auf  den  besprochenen  beiden  Reliefs  an  St.  Lorenz  und  St.  Moritz  ist 
eine  Gruppe  des  Schmerzensmannes  mit  Maria  und  Johannes  gebracht.  In  vollstem 
Gegensatz  zu  Malern  des  vierzehnten  Jahrhunderts,  wie  z.  B.  zum  Schöpfer  der 
freskenartig  empfundenen  langgezogenen  Gestalt  der  Hirzlach-Tafel  in  Heils- 
bronn, gibt  Meister  Berthold  seinem  Christus  eine  kleine  Gestalt,  er  malt  ihn  in 
halber  Figur  und  ohne  Wunden,  umgibt  ihn  mit  einem  Strahlenschein,  hinter  dem 
das  grausame  Kreuz  fast  verschwindet,  und  legt  den  Hauptton  auf  die  stille  Klage 
von  Maria  und  Johannes.  Nicht  mehr  mit  der  Brutalität  qualvoller  Drastik  soll  das 
Opfer  Christi  die  Seelen  erschüttern:  die  milde  Trauer  der  zwei  Menschen,  die  ihn 
am  meisten  geliebt  haben,  wird  der  bestimmende  Gehalt  des  Bildes.  Aus  gleichem 
Geiste  entstand  (in  St.  Loren z)  das  Epitaph  für  Kunz  Rymensnyder 
(t  1409)^*),  dessen  Aufnahme  in  die  unter  Bertholds  Namen  zusammengefaßten  Werke 
sich  vielleicht  innerhalb  dieses  Zusammenhanges  rechtfertigt^^).  Dem  Bilde  des 
germanischen  Museums  (Nr.  96)  entsprechend,  das  ursprünglich  die  Rückseite 
der  Imhof sehen  Tafel  in  der  St.  Lorenzkirche  darstellte,  zeigt  es  den  Körper  des 
Schmerzensmannes,  links  von  Maria,  rechts  von  Johannes  erfaßt.  Schon  erscheinen 
die  Eigentümlichkeiten  und  Feinheiten  der  späteren  Zeit  vorgebildet:  der  Typus 
des  Kopfes  mit  seinen  einfachen,  geraden  Linien,  der  Schwung  der  Lider,  und  der 
konzentrierte  Ausdruck  der  Augen,  die  —  in  einer  Bertholds  Gestalten  eigenen  Weise 
—  so  zur  Seite  blicken,  daß  der  weiße  Augapfel  nur  an  einer  Hälfte  sichtbar  ist. 
Schon  läßt  sich  das  für  seine  Figuren  bezeichnende  sensitive  Tasten  seiner  Hände 
empfinden:  sie  wagen  kaum  zu  fassen,  und  bei  der  geringsten  Berührung  durch- 
zittert den  Körper  ein  Schauer. 

Daher  möchteich  in  diesen  beiden  Gemälden,  den  Inschriften  entsprechend,  Werke 
vom  Anfang  des  Jahrhunderts  sehen  und  ihren  Zusammenhang  mit  den  plastischen 


32)  A.  Gümbel :  Meister  Berthold,  ein  Glied  der  Familie  Landauer.     Repertorium  für 
Kunstwissenschaft  XXVI  S.  318. 

33)  Siehe  Kapitel  II  am  Schluß.    Thode  S.  15  Lehmann  S.  15. 

34)  Weltmann  I  S.  405. 

35)  Thode:  Schule  Bertholds. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  HI. 


Epitaph  für  Walburg  Prünstcrin  (gest.  1434)  im  germanischen  Nationalmuseum. 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


21 


Epitaphien  für  die  Entstehung  der  Kunstweise  als  wichtig  betrachten.  In  der  An- 
ordnung zeigt  sich  darin,  daß  die  Stifter  von  der  Hauptgruppe  zwar  getrennt  sind, 
aber  doch  durch  das  Veronicatuch  eine  Beziehung  zwischen  beiden  Hälften  gegeben 
ist,  der  Einfluß  der  beiden  Schmerzensmannreliefs  an  St.  Moritz  und  St.  Lorenz, 


Abb.  5.     Epitaph  für  Kunz  Rymensnyder  (gest.  1409)  in  St.  Lorenz. 

die  als  Beispiele  für  die  Berthold  bestimmenden  Plastiken  einen  für  die  Geschichte 
der  Nürnberger  Malerei  wichtigen  Aufschluß  über  den  Zusammenhang  von  Skulptur 
und  Malerei  geben. 


n. 

Dann  wandte  Berthold  sich  neuen  Stoffen  zu,  deren  Gestaltung  sein  freier 
sich  entwickelndes  Vermögen  ihm  erlaubte,  und  auch  in  seinen  Epitaphien  drückt 
sich  der  Wandel  aus.  Noch  einmal  ist  auf  der  Staffel  der  Prünsterin- Gedenktafel 
im  Germanischen  Museum  (Taf.  HI)  zwischen  zwei  Heiligen  und  den  Stiftern  der 
Schmerzensmann  gebracht.    Aber  oben  in  der  Darstellung  der  Geburt  darf  er  hellere 


22  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

Vorstellungen  verwirklichen,  in  denen  sein  Wesen  sich  besonders  glücklich  äußert. 
Die  Tafel  ist  in  größerem  Format  gehalten:  1,40  m  hoch  und  über  1  Meter  breit; 
da  sie  bestimmt  war,  an  einem  Pfeiler  der  Frauenkirche  zu  hängen,  ist  sie  rund  ge- 
bogen. 

In  diesem  Werke  erkennen  wir  in  Komposition  und  Farbe  den  italienischen 
Einfluß,  der  ihm  offenbar  durch  die  Prager  Richtung  des  Thomas  von  Modena  ver- 
mittelt wurde'*).  Vor  dem  Stalle  kniet  Maria  nach  rechts  gewandt  mit  gefalteten 
Händen  neben  dem  Kind,  das  ein  heller  Lichtglanz  umstrahlt;  ein  Pfosten  sondert 
die  Gestalt  des  heiligen  Joseph,  doch  oben  werden  die  Gruppen  durch  den  Kranz 
dreier  Engel  verbunden,  die  vor  dem  Dache  mit  einem  Glorienband  schweben.  Ähn- 
lich wie  auf  dem  Stromer- Epitaph  trägt  Maria  einen  grünlich-blauen  Mantel  mit 
hellem  Schimmer  auf  den  Faltenhöhen;  Josephs  Gewand  ist  weinrot  mit  blauer 
Kappe,  doch  sind  die  Farben  auffallend  matt,  was  mit  dem  kalkigen  Grund 
des  Bildes  zusammenhängt.  Für  Meister  Berthold  bezeichnend  ist  die  riesige  Scheibe 
des  Heiligenscheins  der  Maria,  für  die  er  durch  Bilder  des  Thomas  von  Modena  eine 
Vorliebe  gefaßt  haben  kann. 

'     III. 

Sein  folgendes  Schaffen  ist  fast  ausschließlich  der  Verherrlichung 
der  Maria  gewidmet.  Von  zwei  einander  sehr  ähnlichen  Werken :  der  Imhoff- 
Madonna  in  St.  Lorenz''^)  und  dem  Epitaph  der  Elisabeth  Tetzel  (f  1437) 
in  der  T  e  t  z  e  1  k  a  p  e  1 1  e  ist  das  erste  noch  trefflich  erhalten,  indeß  das  andere 
durch  Übermalung  völlig  entstellt  ist.  Die  Komposition  ist  auf  beiden  Tafeln  gleich. 
Wie  im  Epitaph  Bertholds  von  Hohenzollern  zu  Heilsbronn  ist  die  Halbfigur  der 
Madonna  dargestellt,  in  der  Art  des  durch  Böhmen  vermittelten  Lieblingsmotives 
der  Sienesen.  Ein  schlichter,  blauer  Mantel  mit  goldenem  Saum  legt  sich  über  den 
Kopf  und  umhüllt  in  weichen  Falten  die  Gestalt.  Auf  der  rechten  Seite  sitzt  Jesus, 
in  seinen  vollen  Formen  dem  Kinde  der  Prünsterin-Tafel  ähnlich,  und  um  einen 
Vorhang  schweben  4  Engel,  deren  lange,  schmale  Flügel  wie  zum  Kranze  sich  um 
die  Madonna  vereinen.  Auf  einem  getrennten  Streifen  unter  der  Hauptdarstellung 
ist  links  der  Stifter  mit  acht  Söhnen,  rechts  dessen  Frau  mit  vier  Töchtern  unter- 
gebracht, ohne  daß  auf  die  Porträtwiedergabe  viel  Wert  gelegt  wäre. 

In  zwei  entwickelteren  Werken,  die  sich  im  National-Museum  zu 
München  befinden,  ist  der  Gestalt  der  Verstorbenen  mehr  Bedeutung  ver- 
liehen. Diesmal  handelt  es  sich  auch  nicht  um  die  Aufreihung  einer  Stifterfamilie: 
beide    Bilder    sind    für    Dominikaner  -  Nonnen    vom   Kloster  zum    heiligen   Grab 


36)  Schon  bei  einem  Werke  des  vierzehnten  Jahrhunderts  (Kap.  II)  ließ  sich  Theodorichs 
Einfluß  behaupten.  Auch  die  beiden  Tafeln  mit  dem  Bethlemitischen  Kindermord  und  der 
Bestattung  Maria  (Thode,  Taf.  5)  im  Germanischen  Museum  (97  u.  98)  zeigen  Prager  Stil- 
eigentümlichkeiten. Man  wollte  deshalb  Thode  die  Berechtigung,  sie  der  fränkischen  Schule 
einzureihen,  abstreiten;  doch  wird  seine  Ansicht  durch  die  neuaufgefundenen  Freskenreste: 
Oerichtsszenen  aus  dem  Leben  des  Apostels  Paulus  in  St.  Sebald  und  die  Geburt  Christi  in 
St.  Moritz,  gerechtfertigt,  die  engsten  Zusammenhang  mit  den  beiden  Bildern  des  Germanischen 
Museums  erkennen  lassen. 

37)  Abbildung :  Thode,  Tafel  4. 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  23 


in  Bamberg  gemalt.  Die  Inschrift  des  einen  drückt  die  Bestimmung  der 
Tafel  aus:  Anno  domini  M".  CCCC  dernoch  im  XLIII  iar  an  unsers  herre  leichnä 
übet  do  vschied  gerhaus  ferin  Klosterfraw  zum  heiligen  Grab  der  Got  genedik  sey.^^) 

Im  Typus  stimmen  beide  Werke  völlig  mit  der  Imhoff -Madonna  überein.'") 
Sie  zeigen  dieselben  gelbblonden  Haare,  die  in  geschmeidiger,  dichter  Masse  den 
seitwärts  gewandten  Kopf  umrahmen  und  denselben  scharf  konzentrierten  Blick 
aus  dunklen,  weit  von  einander  stehenden  Augen,  deren  oberes  Lid  in  einer  markanten 
braunen  Linie  gezogen  ist.  Der  rechte  Winkel  von  Braue  und  Nasenlinie,  die  leichte 
Falte  zwischen  Backe  und  Nasenflügel,  und  die  weit  auslaufende  Linie  des  unten 
gerade  abgeschnittenen  Kinnes  verbreitern  den  Kopf  und  betonen  seine  fest  um- 
rissene,  quadratische  Form,  wodurch  er  den  Ausdruck  feierlicher  Geschlossenheit 
erhält.  Die  Hände  haben  schmale  Finger,  von  denen  meist  nur  zwei  oder  drei  zu  sehen 
sind.  In  gehaltener  Erregung  schieben  sie  sich  aus  den  eng  und  mas  ig  geschlossenen 
Falten  des  Gewandes  hervor,  das  einen  gedrungenen  Körper  umspannt*"). 

Das  Fehrin- Epitaph*^)  ist  offenbar  später  als  das  der  unbekannten  Nonne  ge- 
malt. Bei  diesem  zeigt  die  symmetrische  Kompositionsart  und  die  reiche  Verwendung 
der  Spruchbänder  Anschluß  an  ältere  Vorbilder,  die  sich  wahrscheinlich  am  Bestel- 
lungsort befanden.  In  Querformat  auf  Goldgrund  stellt  es  in  der  Mitte  die  gekrönte 
Maria  dar,  rechts  von  ihr  steht  die  heilige  Elisabeth,  links  kniet,  von  Johannes  dem 
Evangelisten  empfohlen,  die  Stifterin,  nach  der  das  Christuskind  sein  Ärmchen 
ausstreckt. 

Beim  Fehrin- Epitaph  ist  die  Heilige  weggelassen,  das  Kind,  das  Maria  im  an- 
deren Bild  quer  über  ihrem  Schoß  hielt,  so  daß  es  zurückschauend  sich  zur  betenden 
Nonne  wandte,  konnte  hier  ungezwungen  und  frei  auf  die  eine  Seite  gesetzt  werden. 
Auch  nahm  sich  der  Meister  die  Freude,  hinter  der  Madonna  von  zwei  entzückenden 
Engeln  einen  reichen  Brokat  halten  zu  lassen,  der  in  vollen,  perspektivisch  geschickt 
benutzten  Falten  auf  dem  Boden  liegt.  Auch  die  Nonne  schaut  nicht  mehr  starr  wie 
eine  vorgeschobene  Puppe  aus  dem  Bilde  heraus:  ruhig  und  lebendig  hebt  sie  den 
Blick  zum  Kinde  empor.  Auf  dem  früheren  Epitaph  entsprach  dem  Grün  der  Heiligen 
ein  roter  Mantel  des  Johannes:  auf  dem  zweiten  hat  er,  im  Gegensatz  zu  den  weichen, 
malerischen  Falten  der  dunkelgekleideten  Maria  einen  weißen  Überwurf  mit  scharf 
gezeichneten  Linienzügen  *^). 

IV. 

Mit  Bertholds  Schaffen  steht  ein  weiteres  Werk  in  Zusammenhang:  der  Tod 
der   Maria   für  Hans  Glockengießer  (11433)  in    St.    Lorenz  ♦').    Ähnlich 

38)  Waagen,  I,  S.  116.  Sighart  S.  613,  Janitschek  S.  285,  Abb.  Förster,  VII,  S.  15 
und  H.  Waldes-Stich,  Thode  S.  32  und  33.  Was  die  Inschrift  betrifft,  so  wird  seit  dem  Be- 
ginne des  15.  Jahrhunderts  die  deutsche  Sprache  bevorzugt. 

39)  Zur  Entstehungszeit  siehe  Thode  S.  32. 

40)  In  diesem  Werke  erscheint  die  von  Thode  behauptete  Beziehung  zu  dem  süd- 
böhmischen Meister  von  Wittingau  besonders  überzeugend. 

41)  Lehmann  S.  133. 

42)  Ich  glaube,  daß  in  Beziehung  zu  dem  Nonnen-Epitaph  das  Rauchenberger  Votiv- 
bild  in  Freising  (aus  Salzburg  stammend)  zu  nennen  ist;  doch  ist  mir  das  Bild  in  den  Einzel- 
heiten nicht  gegenwärtig. 

43)  Lehmann  S.  153. 


24  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIBN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

wie  schon  in  den  Wandmalereien  in  St.  Sebald  und  in  der  Heiliggeistkirche  aus  der 
Zeit  um  1400**)  ist  das  Bett  quer  gestellt,  doch  wird,  dem  Verlangen  nach  belebter 
Handlung  entsprechend,  Maria  nicht  mehr  als  Verstorbene  aufgebahrt  dargestellt, 
sondern  es  ist  der  Moment  erfaßt,  da  sie  im  Gebete  vor  dem  Pult  zusammen- 
bricht. Die  dichte  Gruppe  der  Apostel  links  ist  auch  hier  nicht  gelockert,  aber  im 
übrigen  ist  die  Darstellung  mit  freiem  Lebensgefühl  und  malerischem  Sinn  aufgefaßt. 
Die  lange  Fläche  des  leeren  Bettes  ist  unterbrochen,  indem  Johannes  seinen  Arm 
darüber  nach  der  Maria  zu  ausstreckt.  Der  auffallend  entwickelte  Wirklichkeitssinn 
des  Meisters  dieser  Tafel  verlangte,  Christus  von  der  Szene  zu  trennen:  mit  der 
Seele  der  Verstorbenen  schwebt  er  zwischen  Engeln  über  den  Versammelten.  Be- 
sonders an  diesen  Engeln  mit  ihren  kraftlosen  Flügeln  erkennt  man,  daß  die  Aus- 
führung von  einem  schwächeren  Meister  herrührt,  dessen  Kunst  bei  allem  Ver- 
ständnis für  die  Auffassung  der  Szene  in  den  einzelnen  Gestalten  einen  phleg- 
matischen, von  dem  zurückhaltenden  Wesen  Berthold  Landauers  weit  entfernten 
Charakter  zeigt.  Formal  unterscheiden  sich  seine  Gestalten  durch  die  geringe  Aus- 
bildung der  Hinterköpfe  und  die  unbeholfene  Bewegung  der  Hände. 

Die  Zeichnung  und  Gruppierung  der  Engel  mit  ihren  schwingenden  Flügeln 
und  die  runden  Formen  des  Christuskindes  berechtigen  vielleicht  dazu,  das  gänzlich 
übermalte  Schutzmantelbild  für  die  1422  gest.  Anna  Tetzel  in  der  Tetzelkapelle 
als  Werk  eines  Berthold- Nachfolgers  hier  anzureihen.  Wie  ein  Relief  an  St.  Sebald 
zeigt  es  die  Stifter  zwischen  den  Vertretern  der  Menschheit  als  Schutzbefohlene  unter 
dem  Gewand  der  Gottesmutter. 

Auch  mag  erwähnt  sein,  daß  ein  schwäbisches  Epitaph  für  den  Pfarrer  Joh. 
Paur  von  Bechthal  (t  1456)  im  München  er  National-Museum,  Saal  8 
ähnlich  angeordnet  ist,  wie  Meister  Bertholds  Bamberger  Epitaphien. 

V. 

Einen  Schüler  Bertholds  hat  Thode  in  dem  Meister  des  Wolfgangs- 
altar es  (St.  Lorenz)  gefunden  und  ihm  das  Epitaph  des  Professors  Friedrich 
Schon  (t  1464)  in  St.  Lorenz,  sowie  die  kleine  Gedächtnistafel  im  Germanischen 
Museum  zugewiesen.  Die  Tafel  des  Germanischen  Museums  stellt,  vermutlich  als 
Staffel  eines  Epitaphes,  den  1449  bei  Fürth  gefallenen  Anton  Imhoff  in  voller 
Rüstung  knieend  dar.  Der  gelehrte  Stifter  der  Lorenzer  Tafel  hat  sich  —  wohl  noch 
bei  seinen  Lebzeiten  und  nach  seinen  Angaben  —  eine  Allegorie  auf  Christi  jungfräuliche 
Geburt  malen  lassen.  Die  in  der  Mitte  befindliche  Szene  der  Geburt,  deutlich  beein- 
flußt von  dem  Prünsterin- Epitaph  Bertholds,  ist  umrahmt  von  einem  auf  der  Spitze 
stehenden  Rhombus  mit  Kreisen  an  den  Ecken,  welche  die  vier  Evangelistensymbole 
enthalten,  in  den  Dreiecken,  die  zwischen  Rhombus  und  Mittelbild  entstehen,  sind 
die  Symbole  der  Reinigung  Pelikan,  Phönix,  Löwe  und  Einhorn  angebracht.  Die 
Dreiecke,  die  der  Rhombus  nach  außen  abschneidet,  enthalten  folgende  Einzel- 
szenen: Moses  vor  dem  feurigen  Busch,  Aaron  mit  dem  blühenden  Stabe,  Ezechiel 


44)  Vergl.   hierzu:    Dr.   Traugott   Schulz   in   der  Süddeutschen  Bauzeitung  VI  (1904) 
mit  Abb.  d.  Freskos  der  Heiliggeistkirche. 


VON  DR.  EÜWIN  REDSLÜB. 


25 


und  endlich  Gideon  vor  dem  Vliess.     Die  einfassenden  Streifen  boten  Raum  für 
eine  Menge  lateinischer  Inschriften/*^) 

Man  muß  dies  gelehrte  Epitaph  für  einen  besonders  guten  Empfehlungsbrief 
an  den  Himmel  gehalten  haben,  denn  zum  Gedächtnis  des  1478  verstorbenen  Ulrich 
Starck  ist  es  von  einem  schwachen  Maler  in   derSebalduskirche  nachge- 


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Abb.  6.     Epitaph  für  Friedrich  Schon  (gest.  1464)  in  St.  Lorenz  zu  Nürnberg. 

macht  worden;  heute  ist  das  Bild  durch  die  Renovierungen  (1591  u.  1658)  seinem 
ursprünglichen  Charakter  entfremdet.  Daran  reiht  sich,  in  quadratischer  Form 
mit  8  Kreisen,  welche  die  Seiten  des  Rhombus  durchschneiden,  eine  gleichfalls  durch 
Übermalung  entstellte  Tafel  der  T  e  t  z  e  1  k  a  p  e  11  e  für  die  Frau  des  Linhart 
Tetzel  (t  1480).— 


45)  Thode  S.  53.  Als  Beispiel  ähnlicher  Darstellungen  nenne  ich  in  Verbindung  mit 
der  Verkündigung  die  Freske  im  Emmauskloster  zu  Prag  (Neuwirths  Publikation  Tafel  VIII) ; 
in  Verbindung  mit  der  Geburt  zwei  Niederrheinische  Bilder,  die  als  No.  88  und  89  in 
Düsseldorf  1904  ausgestellt  waren.  Vergl.  S.  36  von  Clemens  Katalog  und  die  Literatur- 
angaben über  Typologie  der  unbefleckten  Empfängnis  dort  und  in  den  Kunstdenkmälern  der 
Rheinprovinz  V,  S.  198.  (Abbildungen:  Kdm.  d.  Rheinpr.  V  Tafel  XVII  und  Kdm.  des 
Kreises  Gladbach  S.  76,  Tafel  XVIII)  und  Firmenich-Richartz  in  d.  Ztschr.  f.  christl.  Kunst 
VIII  S.  304.  Kunst-Dkm.  Mecklenburg-Schwerins  I,  S.  189  fg.  Hochaltar  in  der  Kirche  zum 
hl.  Kreuz  zu  Rostock  u.  S.  187  Lettner-Altar  in  derselben  Kirche. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


26  DIB  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  OND  XV.  JAHRHUNDERT. 

Interessant  für  unsere  Betrachtung  sind  diese  drei  Werke  vornehmlich  ihres 
Inhaltes  wegen.  Durch  Meister  Bertholds  Schaffen,  der  als  Nachfolger  der  Plastiker 
mit  der  im  vierzehnten  Jahrhundert  beliebten  Darstellung  des  Schmerzensmannes 
begonnen  hatte,  kam  als  entscheidendes  neues  Motiv  für  die  Epitaphien  die  Ver- 
herrlichung der  Madonna  auf  Er  bringt  sie  als  thronende  Gottesmutter,  oder  in  der 
vertrauten  Weihnachtsszene.  Seine  Nachfolger  übernehmen  die  Geburt  Christi  und 
schmücken  sie  allegorisch  aus.  Hierin  zuerst  zeigt  sich  der  Einfluß  der  Besteller  auf 
die  Kunst,  nachdem  die  Zeit  vorbei  war,  in  der  die  vereinheitlichende  Dogmatik  der 
Kirche  die  festen  Bestimmungen  für  die  Wahl  der  Stoffe  gab. 


Die  Weiterbildung  des  Epitaphs  von  den  Malern  um  die 
Mitte  des  XV.  Jahrhunderts. 

Berthold  Landauer  hatte  die  Epitaphienkunst  aus  der  Plastik  in  die  Malerei 
und  damit  von  der  Außenwand  ins  Innere  der  Kirche  übertragen.  Gleichzeitig 
hatte  er  in  seinen  Altären  gezeigt,  wie  auch  bei  größten  Aufgaben  die  Malerei  die 
Plastik  ersetzen  könne. 

Die  Hauptarbeit  der  schöpferischen  Meister  konzentrierte  sich  seitdem  in  erster 
Linie  auf  die  Ausschmückung  der  Altäre,  sodaß  die  bescheidene  Epitaphienkunst 
mehr  und  mehr  an  Bedeutung  verlor. 

Stand  unsere  Betrachtung  am  Anfang  innerhalb  der  lebendigen  Entwickelung 
der  Nürnberger  Kunst,  so  können  wir  jetzt  zumeist  nur  Rückwirkungen  dessen,  was 
im  Schaffen  der  entscheidenden  Meister  neu  entsteht,  an  den  Epitaphien  erkennen, 
denn  diese  werden  zu  Begleiterscheinungen,  die  meist  nachträglich  und  vermindert 
die  Fortschritte  verwerten. 

Dennoch  haben  noch  einige  Epitaphien  große  Bedeutung  innerhalb  des  gesamten 
Nürnberger  Kunstschaffens.  So  sehen  wir  die  rücksichtslos  zupackende  Auffassung, 
die  der  Meister  des  Tucher-Altares  brachte,  im  Epitaph  des  Pfarrers  Joh.  von  Ehen- 
heim  (f  1438)  in  St.  Lorenz  (4.  Kapelle  rechts)*^)  zum  Ausdruck  kommen.  Dar- 
gestellt ist  die  mit  derbem  Wirklichkeitssinn  erschaute  Gestalt  des  Schmerzens- 
mannes, dem  der  Pfarrer  von  den  reichgekleideten  Heiligen  Heinrich,  Kunigunde 
und  Lorenz  empfohlen  wird.  Es  charakterisiert  die  energische  Art  der  neuen 
Generation,  wie  jetzt  die  Einzelerscheinung  herausgearbeitet  wird,  wie  jede  Gestalt, 
von  einem  kraftvollen  Leben  durchglüht,  in  sich  abgeschlossen  dasteht,  und  auch 
das  Bild  des  Stifters  infolge  der  realistischen  Freude  an  der  Porträtwiedergabe 
größere  Bedeutung  erhält. 

Zwischen  der  gehaltenen  Christusgestalt  des  Tucher-Altares  und  der  gewaltsam 
aufgefaßten  des  Ehenheimschen  Bildes  steht  der  Kruzifixus  auf  dem  Epitaph  des 


46)  Von  Thode  als  Werk  dieses  Meisters  S.  79  näher  beschrieben  und  mit  dem 
Altärchen  der  Johanneskirche  (Abbildung  dieses  Altares  im  Burlington-Magazin  von  1906) 
zusammengestellt.    Lehmann  fragt  S.  70  nach  dem  Namen  des  Pfarrers.    Dörrnhöffer  S.  448. 


VON  DR.  EDWIN  REDSLÜB. 


27 


1437   verstorbenen    Ritters   Heinrich   von    Hohen- Rechberg    im   Dom  zu 
Eichstätt/') 

Christus  hängt  mit  weit  ausgespannten  und  doch  stark  heruntergezerrten 
Armen  am  Kreuzesstamm;  sein  mit  festen  Linien  umrissener  Kopf  h"egt  kraftlos  zur 
Seite,  die  Haare  haben  sich  gelöst  und  fallen  auf  die  rechte  Schulter  herab;  der 
Brustkorb  ist  herausgedrückt,  der  Unterleib  ist  schmerzhaft  eingezogen.  Die 
einzelnen  Glieder  sind  straff  und  sehnig,  die  Gelenke  sind  durch  auffallend  kräftige 
Rundung  betont.    Das  Lendentuch  ist  über  einen  Strick  gespannt,  zu  Seiten  flattert 


Abb.  7.     Epitaph  des  Pfarrer  Johann  von  Ehenheim  (gest.   1438)  in  St.  Lorenz  zu  Nürnberg. 


es  in  beweglichen  Windungen  herab.  Die  anderen  Figuren  sind  in  strenger  Sym- 
metrie um  das  Kreuz  gruppiert:  unter  dem  Querbalken  des  Stammes  schweben 
vier  Engel;  links  steht  Maria,  die  Hände  über  der  Brust  zusammengelegt,  den 
Kopf  gesenkt,  von  einem  weißen,  in  reichen  Faltenmassen  gebauschten  Mantel  um- 
hüllt; rechts  steht  Johannes,  den  Kopf  zur  Seite,  die  gefalteten  Hände  kontrastie- 
rend nach  außen  gewandt.  Ganz  vorn  knieen  rechts  und  links  mit  ihren  Wappen 
der  Stifter  und  seine  Frau,  in  dunklem  Gewände  einfach  gegeben,  ähnlich  den 
Adoranten  auf  einigen  der  unter  dem  Namen  Berthold  Landauer  gemeinsam  be- 
sprochenen Bilder. 


47)  Da  ich  das  Bild  unter  ungünstigen  Lichtverhältnissen  sah,  kann  ich  nicht  ent- 
scheiden, wie  weit  es  der  Rückseite  des  Dreikönigsaltares  zu  Heilsbronn  verwandt  ist.  Be- 
sonders das  unterdeß  von  Christian  Rauch  als  Hans  Traut  erkannte  und  Taf.  6  in  seinem 
Buch  reproduzierte  Bild  der  Dreieinigkeit  zwischen  zwei  Heiligen  käme  hierbei   in  Betracht. 


28  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


In  den  Zusammenhang  der  Werke,  welche  die  Neuerungen  des  Tucher- 
Altares  verwerten,  gehört  offenbar  auch  das  Gedächtnisbild  für  Conrad  Zingl 
(f  1447)  und  seine  1462  verstorbene  Frau  in  der  Wolfgangskapelle  der  Aegidien- 
kirche:  doch  läßt  die  völlige  Übermalung  (zum  erstenmal  1531)  über  den  Charakter 
des  Bildes,  einer  Messe  Gregors  mit  den  Verstorbenen  unter  der  Darstellung, 
Bestimmtes  nicht  sagen.  Der  Christus  erinnert  an  das  Staffelbild  vom  Prünsterin- 
Epitaph  Bertholds. 

Zum  Hauptbild  desselben  Werkes  hat  die  Imhoff -Tafel  in  St.  Sebald*") 
mit  der  Geburt  Christi  Beziehung;  der  Fortschritt  der  Nürnberger  Kunst  durch  die 
Entstehung  des  Tucher-Altares  zeigt  sich  hier  in  dem  Versuch,  die  Verkürzung  eines 
schwebenden  Engels  darzustellen.  Auch  die  strenge  Einteilung  des  Bildes  entspricht 
der  Art  des  Tucher-Meisters:  die  Balken  des  Stalles  sind  geschickt  zu  einer  Drei- 
teilungbenutzt; in  der  Mitte  kniet  Maria:  ihr  großer  Kopf  auf  dem  dünnen,  kraft- 
losen Hals  erinnert  an  Bertholds  Frauentypus.  Auf  den  abfallenden  Schultern 
liegt  ein  blauer  Mantel  mit  unruhigen  Falten,  die  unten  den  Boden  weit  bedecken. 
Sie  wendet  sich  zum  Christkind,  das  von  zwei  Engeln  und  den  durchs  Fenster  schauen- 
den Hirten  verehrt  wird.  Links  von  der  Maria  macht  sich  —  ein  abgeschlossenes  Genre- 
Bild  —  Josef  am  Herd  zu  schaffen.  Das  Braun  der  Hütte,  davor  das  Blau  der  Maria, 
ein  wenig  Rötlichbraun  in  den  Töpfen  links,  kräftiges  Rot  bei  der  Madonna,  das  ge- 
dämpft in  den  Engelflügeln  und  der  Kappe  eines  Hirten  wiederklingt,  hierzu  der 
Dreieckaufbau  der  Maria  und  die  Einteilung  durch  die  Pfosten:  diese  strenge  An- 
ordnung von  Farben  und  Linien  bewirkt  eine  für  den  Zweck  des  Bildes  fein  empfun- 
dene Symmetrie  und  charakterisiert  den  Stil  des  Meisters,  der  den  Malereien  des 
Tucher- Altares  nahe  kommt,  aber  noch  durch  Einflüsse  des  Wolfgangsaltares  zu 
Bertholds  Schaffen  in  Beziehung  steht. 

Gleiche  symmetrische  Anordnung  gibt  vielleicht  das  Recht,  ihm  ein  später 
entstandenes  Epitaph  in  St.  S e b  a  1  d  zuzuschreiben :  in  der  Mitte  sitzt  —  im 
Staffelbild  der  beiden  Stifter  durch  eine  Konsole  vorbereitet  —  die  heilige 
Anna  mit  der  kleinen  Maria,  zu  ihren  Seiten  stehen  die  Heiligen  Katharina  und 
Nikolaus.  (Vielleicht  haben  wir  in  diesem  Bild  die  bei  Lotz  S.  336  erwähnte  Tafel 
für  den  1460  gestorbenen  Graßner  zu  erkennen,  wodurch  wir  einen  Anhaltspunkt 
für  die  Datierung  gewännen). 

Altertümlicher  in  der  mehr  zeichnerischen  Behandlung  ist  eine  Verkündi- 
gung im  Chor  von  St.  S e b  a  1  d ,  die  im  Stil  und  nach  ihren  allegorischen  Bei- 
gaben der  Kunst  des  Wolfgang-Meisters  verwandt  ist**). 

Zwei  Bilder  ähnlichen  Charakters,  eine  Dornenkrönung  und  eine  Geißelung 
Christi,  hängen  hoch  oben  an  der  gegenüberiiegenden  Chorwand. ^*')  Wie  die  Ver- 
kündigung durch  die  beiden  unten  in  der  Mitte  ansetzenden  Bogenlinien,  so  bekommt 
die  Dornenkrönung  durch  den  oberen  Bogenabschluß  eine  architektonische  Wirkung, 
das  zweite  Bild  dadurch,  daß  die  Säule  in  die  Mitte  gestellt  ist;  ihr  Postament  unter- 
bricht die  Trennungslinie  zwischen  Darstellung  und  Stiftern,  ähnlich,  wie  beim  Anna- 


48)  Waagen  S.  233. 

49)  Waagen  S.  233. 

50)  Ree,  Kunstchronik  XXIII. 


VON  DB.  EDWIN  REDSLOB.  2Q 


Epitaph,  mit  dem  das  Bild  der  Domenkrönung  das  Wappen  gemeinsam  hat.  Ob 
die  beiden  letzten  Werke  als  Epitaphien  gedient  haben,  ist  nicht  mehr  zu  erkennen, 
da  die  Inschriften  fehlen. 

Für  den  Entwickelungsgang  unserer  Arbeit  vertreten  sie  einen  bestimmten 
Abschnitt:  aus  dem  Typus  des  Gedächtnisbildes,  das  durch  die  Maler  am  Anfang 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts  seinen  monumentalen  Charakter  verlor,  hat  sich  die 
Form  des  Andachtsbildes  entwickelt,  das  in  gleicher  Weise  wie  das  Epitaph  mit  der 
religiösen  Darstellung  das  Stifterbild  verbindet. 

Dieselbe,  vom  Epitaph  nicht  bestimmt  zu  unterscheidende  Form  des  An- 
dachtsbildes, welche  die  Werke  aus  der  Zeit  und  dem  Kreise  des  Tucher-Altares  kenn- 
zeichnet, weist  das  Bild  der  Auferstehung  in  der  Frauenkirche  auf. 
Freilich  macht  der  dunkle  Platz  an  der  Südwand  der  Kirche  es  unmöglich, 
sich  eine  abschließende  Ansicht  darüber  zu  bilden.  In  der  alten  Art  der  Darstellung, 
die  auch  der  Tucher-Altar  gibt,  durchschreitet  Christus  den  Stein.  Durch  die  mit 
sichtlicher  Beobachtungsfreude  gegebene  Landschaft  eilen,  von  Johannes  begleitet, 
die  heiligen  Frauen  mit  zusammengeschlagenen  Händen  und  flatternden  Kopf- 
tüchern. Die  sorgfältige  Abbildung  der  Stadt  Jerusalem  im  Hintergrund  mit 
genauer  Wiedergabe  der  durch  die  Bibel  bekannten  Gebäude  ist  charakteristisch 
für  Werke  um  die  Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  und  erklärt  sich  aus  den 
damals  besonders  häufigen  Wallfahrten  ins  heilige  Land.  In  der  Heiligen- Kreuz- 
kirche, der  Holzschuher-  und  Wolfgangskapelle  finden  wir  solche  Darstellungen 
hinter  den  Steingestalten  der  Grablegung  Christi,  in  St.  Sebald^^)  ist  —  ebenfalls 
zeitlich  noch  vor  den  Städtebildern  der  Schedeischen  Weltchronik  entstanden  — 
eine  Jerusalem  versinnbildlichende  Freske  gemalt,  und  an  einigen  Epitaphien  erinnern 
die  Abzeichen  der  Kreuzritter  an  die  Wallfahrt  des  Verstorbenen^^). 

Von  einem  weniger  begabten  Maler  dieser  Richtung,  ähnlich  schwach  wie  das 
am  Ende  des  vorigen  Abschnittes  erwähnte  Stark- Epitaph,  ist  das  Epitaph  der  Fa- 
milie Stör  (nach  Hilpert)  mit  dem  Todesjahr  1479  in  St.  Lorenz,  „ein  ganz 
rohes  Machwerk,  Christus  in  der  Kelter  darstellend,  dessen  Blut  von 
dem  auf  einem  mit  den  vier  Evangelistensymbolen  bespannten  Wagen  sitzenden 
Papst  aufgefangen  wird."^^)  Das  Thema,  eine  Illustration  zu  Jesaias  63,  2  und  3, 
ist  alt:  schon  Herrad  von  Landsberg  hat  es  im  hortus  deliciarum,  ein  späteres  Beispiel 
ist  das  Wandgemälde  zu  Klein- Komburg^*)  und  noch  im  Beginne  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts gibt  sich  das  Baidung  Grien  zugeschriebene  Ansbacher  Bild  mit  dem  Stoffe 
ab.^^)  So  gesellte  sich  zu  den  Allegorien  der  unbefleckten  Empfängnis,  welche  die 
vorige  Generation  liebte,  eine  neue  allegorische  Vorstellung. 


Damit  sind  wir  am  Ende  einer  Entwicklungsphase  angelangt,  die,  mehr  um  die 
Erscheinung  des  Einzelnen  bekümmert,  mit  lebendiger  Charakteristik  die  alten  Stoffe 


51)  Bei  den  Wiederherstellungsarbeiten  des  Prof.  Joseph  Schmitz  zu  Tage  gekommen. 

52)  Vgl.  das  Ketzel-Epitaph  am  St.  Sebald  und  im  Germanischen  Museum  die  Tafel 
mit  Darstellung  des  Ketzel,  die  zum  hgn.  Grabe  zogen.    (O.  525). 

53)  Thode  S.  78.     Dörnhöffer  S.  449. 

54)  Abgebildet  im  christl.  Kunstblatt  1883,  S.  53. 

55)  Copie  im  Germanischen  Museum. 


30 


DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRH.     VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


belebt  und  mit  natürlichen  Mitteln  neugestaltet,  indem  sie  es,  im  Gegensatz  zu  Meister 
Berthold,  auf  eine  drastisch  sich  einprägende  Wirkung  abgesehen  hat  und  eine  oft 
plumpe,  aber  stets  ausdrucksvolle  Sprache  redet.  Soweit  wir  aus  der  offenbar  geringen 
Zahl  der  erhaltenen  Werke  Schlüsse  ziehen  können,  hört  während  dieser  Phase  die 
gehaltene  Denkmalstimmung  des  Gedächtnisbildes  auf,  die  Lust  am  Charakterisieren 
der  verschiedenen  Gefühle  verlangt  sich  durchzusetzen.  Die  Betonung  der  sepul- 
chralen  Bestimmung  hat  sich  fast  völlig  verloren,  die  Gestalten  der  Stifter  werden 
lebenswahr  aufgefaßt,  bleiben  aber  dem  Andachtsbild  untergeordnet,  da  ihre  Größe 
nur  wenig  über  die  winzigen  Verhältnisse,  die  sie  auf  den  frühesten  Epitaphien 
hatten,  hinausgeht.  Der  Maler  Berthold  hatte  das  Epitaph  von  der  Außenwand 
der  Kirche  in  das  Innere  übertragen,  und  in  den  folgenden  Zeiten  mußte  naturgemäß 
die  Auswahl  des  Stoffes  vor  allem  danach  sich  richten,  daß  es  etwas  anderes  brachte, 
als  die  Darstellungen  der  vorher  gestifteten  Votivbilder,  wodurch  eine  einheitliche 
Weiterentwickelung  der  neuen  Denkmalsform  unmöglich  wurde. 

(Fortsetzung  folgt.) 


BEITRAGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 

VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 
(Mit  6  Tafeln.) 


|-^  ie  Aufgabe,  die  Erscheinung  des  Menschen  in  ihrer  individuellen  Eigenart 
\_J  exakt  darzustellen,  wird  in  der  bildenden  Kunst  erst  spät  vollständig  gelöst. 
Kultur  und  Kunst  eines  Volkes  können  eine  große  Höhe  erreicht  haben,  ohne 
daß  sich  das  Verlangen  geltend  macht,  die  Züge  bestimmter  Personen  im 
Bilde  genau  wiederzugeben.  Man  begnügt  sich  lange  mit  Andeutung  einzelner  äußer- 
licher Merkmale,  einer  gebogenen  oder  geraden  Nase,  eines  vorspringenden  Kinns  oder 
eines  langen  Bartes,  ja  man  ist  noch  bescheidener  und  hat  schon  an  der  einem  Stand 
eigenen  Kleidung  und  Bewaffnung  genug.  Das  sind  Vorstufen,  die  allmählich  zum  Bild- 
nis hinführen,  von  einem  Bildnis  kann  aber  erst  gesprochen  werden,  wenn  die  einzelnen 
Merkmale  zu  einer  homogenen  mit  dem  Urbild  übereinstimmenden  Gesamterscheinung 
vereinigt  sind.  Vorbedingung  hierfür  ist,  daß  Auge  und  Hand  soweit  geschult  sind, 
daß  sie  die  individuelle  Sondererscheinung  eines  Menschen  objektiv  aufzufassen 
und  wiederzugeben  vermögen.  Ist  diese  Stufe  erreicht,  so  gewinnt  die  Bildniskunst 
rasch  die  volle  Sicherheit  erst  in  der  objektiven  Darstellung  der  Formen,  dann  im 
Festhalten  vorübergehender  Regungen  der  Seele.  Aber  das  Interesse  an  der  Er- 
scheinung des  Einzelnen,  wie  die  Fähigkeit,  diese  Erscheinung  künstlerisch  wieder- 
zugeben, hält  nicht  ewig  an,  sie  können  abnehmen,  ja  völlig  erlöschen.  Im  Alter- 
tum besitzt  die  hellenistische  Kunst  die  höchste  Kraft  realistischer  Individualisierung, 
im  Beginne  der  Kaiserzeit  ist  das  Können  noch  sehr  groß ;  aber  in  der  langen  Reihe 
der  römischen  Kaiserbildnisse  können  wir  sein  allmähliches  Abnehmen  Schritt  für 
Schritt  bis  zum  tötlichen  Ermatten  verfolgen.  Die  bildnerische  Kraft  versiegt.  In 
der  abendländischen  Kunst  ist  ein  solches  Nachlassen  des  Könnens  bis  jetzt  nicht 
eingetreten.  Wenn  da  und  dort  ein  Künstler  in  einzelnen  Fällen  auf  die  volle,  ob- 
jektive Bildnistreue  verzichtet  hat,  so  hat  das  seinen  Grund  in  einem  bestimmten 
und  bewußten  Kunstwollen,  nicht  in  künstlerischem  Unvermögen,  und  es  ist  keine 
allgemeine  Erscheinung. 

Im  Folgenden  sollen  einige  Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses,  wie  sie  für 
weitere  Leserkreise  von  Interesse  sein  können,  gegeben  werden.  Ich  beschränke 
mich  dabei  auf  das  Material,  das  die  Sammlungen  des  Germanischen  Museums  bieten. 
Die  Betrachtungen  gehen  mehr  von  künstlerischen,  als  von  streng  wissenschaftlichen 
Gesichtspunkten  aus. 


32  BEITRÄGE  ZUU  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


Bildnisse  römischer  Kaiser  auf  Münzen. 

Die  Quellen  der  Ikonographie  der  römischen  Kaiser  fließen  reichlich.  Die 
Zahl  der  Statuen  und  Büsten  ist  eine  sehr  große;  freilich  hat  sich  Nachahmung  und 
bewußte  Fälschung  schon  früh  dieses  Gebietes  bemächtigt,  aber  auch  die  Zahl  der 
echten  Werke  ist  größer  als  die  irgend  eines  anderen  Zweige.«^  der  antiken  Skulptur. 
Dazu  kommen  die  Bildnisse  auf  Cameen  und  Gemmen  und  die  auf  Münzen.  Die 
Bildnisse  auf  Münzen  sind  selten,  vielleicht  nie  nach  dem  Leben  gearbeitet  worden, 
sie  sind  also  für  die  Anschauung  von  den  dargestellten  Personen  nur  sekundäre  Quellen, 
ihre  große  Bedeutung  beruht  darin,  daß  sie  bezeichnet  sind.  Statuen,  Büsten  und 
Cameen  tragen  nur  selten  den  Namen  des  Dargestellten,  in  den  meisten  Fällen  ist 
die  Bestimmung  nur  auf  Grund  der  Bildnisse  auf  Münzen  möglich.  Auch  auf  ihrer 
Grundlage  bleibt  manche  Bestimmung  unsicher,  die  Übereinstimmung  verschiedene! 
Darstellungen  einer  Person  ist  durchaus  nicht  immer  so  groß,  daß  sie  sofort  unzweifel 
haft  erkannt  werden  kann  und  zuweilen  weist  ein  Münzbild  auf  zwei  Typen,  der 
großen  Plastik,  welche  unmöglich  eine  Person  vorstellen  können. 

Die  Ikonographie  der  römischen  Kaiser  ist  gut  bearbeitet;  es  genügt  hier  auf 
die  grundlegende  Arbeit  Ennio  Quirino  Viscontis,  Iconographie  Romaine,  fortge- 
setzt von  Mongez  und  auf  Bernoullis  römische  Ikonographie  zu  verweisen.  Reiches 
Abbildungsmaterial  bietet  Lenormant  im  Tresor  de  numismatique  et  de  glyptique. 
Abt.    Iconographie  des  empereurs  Romains. 

Es  soll  hier  nicht  Bekanntes  wiederholt  und  mit  dem  lückenhaften  Material 
unserer  Münzensammlung  eine  Ikonographie  der  römischen  Kaiser  zusammengestellt 
werden,  ich  will  vielmehr  versuchen,  die  Entwicklung  des  Bildnisses  auf  Münzen  im 
Verlauf  der  römischen  Kaiserzeit  an  einer  Reihe  von  ausgewählten  Beispielen  zu 
veranschaulichen.  Die  Entwicklung  ist  eine  absteigende,  sie  führt  von  hoher  Voll- 
endung zu  tiefem  Verfall. 

Münzbildnisse  sollen  zuerst  bei  den  Persern  vorkommen,  allein  die  Darstel- 
lungen der  Großkönige  auf  persischen  Münzen  können  schon  aus  dem  Grunde  nicht 
als  Bildnisse  gelten,  weil  die  Könige  in  ganzer  Figur  dargestellt  sind,  wodurch  bei 
der  Kleinheit  des  Maßstabes  eine  treue  Wiedergabe  der  Züge  ausgeschlossen  ist. 
Eine  solche  ist  indes  gar  nicht  beabsichtigt.  Die  Köpfe  persischer  Satrapen  auf 
kleinasiatischen  und  kilikirschen  Münzen  sind  allgemeine  Typen,  keine  Bildnisse. 
Es  sind  Arbeiten  griechischer  Künstler  aus  dem  Anfang  des  vierten  Jahrhunderts, 
aus  der  Zeit,  in  der  die  Kunst  des  Stempelschneidens  bei  den  Griechen  ihren  Höhe- 
punkt erreicht  hat.  Erst  nach  dem  Tode  Alexanders  des  Großen  erscheint  sein 
Bildnis,  wie  das  der  Münzherrn  auf  den  Münzen  der  Diadochen.  Der  erste,  der  sein 
eigenes  Bild  in  porträtmäßiger  Treue  auf  seinen  Münzen  anbringen  ließ,  ist  Ptolemaios 
Soter;  ihm  schlössen  sich  bald  Demetrios  Poliorketes  und   Seleukos  Nikator   an. 

Die  Münzbildnisse  sind  zu  allen  Zeiten  ungleich  in  der  Anführung,  so  schon 
in  ihren  Anfängen,  aber  die  besten  unter  den  Münzen  der  ersten  Diadochen  sind  von 
einer  Größe  des  Stils,  die  später  kaum  wieder  erreicht  und  niemals  übertroffen  worden 
ist.  Es  ist  ein  plastisches  Können,  eine  Fähigkeit,  auch  in  kleinem  Maßstab  einfach 
und  groß  zu  arbeiten,  in  diesen  Köpfen  niedergelegt,  das  die  höchste  Bewunderung 
erregt.   Die  plastische  Kraft  läßt  im  Laufe  der  Zeit  nach  und  die  Arbeit  geht  mehr 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.  1907. 


Taf.  VI. 


Tiberius. 


AuRustus. 


Nero  Drusus. 


Nero. 


Domitian. 


Titus. 


Vespasian. 


Julia. 


Julia. 


Domitian. 


Trajan. 


Hadrian. 


Trajan. 


Hadrian. 


Sabina. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  I. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  VII. 


Antoninus  Pius.  Marc.  Aurel. 

Antoninus  Pius.  '  Faustina  d.  AI. 


Marcus  Aurelius. 


Faustina  d.  J. 


Commodus. 


Septimius 
Severus. 


Caracalla. 


Julia  Domna. 


Alexander  Severus. 


Alexander  Severus. 


Julia  Mamaea. 


Maxitninus. 


Volusian 


Phil.  Arabs. 


Gordianus  III. 


Philippus  Arabs. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  II. 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  33 


ins  Kleine.     Ein  entschiedener  Rückgang  tritt  im  Laufe  des  zweiten  Jahrhunderts 
V.  Chr.  ein.    Die  Köpfe  sind  leer  und  flau  gearbeitet. 

Gegenüber  den  Bildnissen  der  späteren  Ptolemäer,  wie  der  Dynasten  von  Kili- 
kien  und  Kappadokien  bedeuten  die  ersten  Münzbilder  der  römischen  Imperatoren 
einen  Aufschwung.  Sie  sind  nicht  die  ersten  Bildnisse  auf  römischen  Münzen.  In 
der  späteren  Zeit  der  Republik  werden  Denare  mit  den  Bildnissen  der  Könige,  so- 
wie mit  denen  historischer  Persönlichkeiten  geprägt.  Daß  jene  freie  Erfindungen 
sind,  liegt  auf  der  Hand,  aber  auch  diese  sind  alle  erst  nach  dem  Tode  der  Dar- 
gestellten geprägt  und  wir  können  nicht  entscheiden,  wie  weit  ihnen  vorhandene  Bild- 
nisse zu  Grunde  liegen,  wie  weit  sie  Phantasiegebilde  sind ;  denn  die  Fähigkeit,  auch 
solchen  das  Gepräge  scharf  ausgesprochener  Individualität  zu  geben,  nehmen  wir 
auch  an  den  Königsbildern  wahr.  Die  Köpfe  des  Ancus  Marcius,  wie  des  Postu- 
mius  und  des  Lucius  Brutus  sind  mindestens  ebenso  persönlich,  als  die  des  Sulla 
oder  des  Pomponius  Rufus.  Letztere  nebst  einer  größeren  Anzahl  von  Bildnissen 
berühmter  Männer  auf  Denaren  aus  der  Zeit  der  Republik  sind  alle  erst  in  der  ersten 
Hälfte  des  ersten  Jahrhunderts  v.  Chr.  nach  Bildern  oder  älteren  plastischen  Dar- 
stellungen gefertigt.  Sie  machen  den  Eindruck  der  Porträtähnlichkeit,  aber  sie  sind 
trocken  behandelt  und  nicht  sehr  sorgfältig  gearbeitet.  Der  Stil  ist  wie  der  der  ge- 
samten römischen  Kunst  jener  Epoche,  hellenistisch;  sie  stehen  auf  der  Stufe  der 
Münzbilder  der  asiatischen  Dynasten  der  gleichen  Zeit. 

Um  vieles  höher  stehen  die  guten  Münzbilder  der  Kaiser  des  julisch-claudischen. 
des  flavischen  Hauses,  ja  auch  der  folgenden  bis  auf  Hadrian.  Von  den  Schwan- 
kungen, welche  die  römische  Kunst  in  dieser  fast  zweihundertjährigen  Periode  durch- 
macht, wird  die  Stempelschneidekunst  kaum  berührt.  Der  Stil  dieser  Kaisermünzen 
läßt  sich  mit  dem  heroischen  der  frühen  Diadochenmünzen  nicht  entfernt  vergleichen, 
er  ist  lange  nicht  so  plastisch  groß;  aber  die  Bildnisse  sind  gut  charakterisiert  und 
geben  uns  eine  lebendige  Anschauung  von  den  dargestellten  Personen.  Die  Köpfe 
sind  stets  im  Profil  gegeben.  Das  Relief  ist  mäßig  hoch,  malerisch  behandelt  und 
bei  guter  Beleuchtung  von  vortrefflicher  Wirkung.  Die  Anlage  ist  fast  immer  her- 
vorragend gut,  sodaß  noch  stark  abgenützte  Exemplare  den  Eindruck  geistreicher, 
treffender  Skizzen  machen.  Die  Durcharbeitung  geht  ins  Einzelne,  ohne  kleinlich 
zu  werden  und  die  Gesamthaltung  bleibt  gewahrt.  Die  Künstler  haben  ein  scharfes 
Auge,  dem  die  geübte  Hand  willig  folgt  und  sie  beherrschen  die  Form  mit  voller 
Sicherheit.    Ein  sehr  großes  Können  vererbt  sich  von  einer  Generation  auf  die  andere. 

Auf  Tafel  I  sind  einige  Münzen  aus  der  Zeit  von  Augustus  bis  auf  Hadrian   lafei  i. 
zusammengestellt;  sie  umfassen  einen  Zeitraum  von  etwa  140  Jahren.    Für  die  lange 
Periode  ist  die  stilistische  Behandlung  auffallend  gleichartig. 

Augustus,  29  V.  Chr.  bis  14  n.  Chr.  (G.  M.  6511;  Cohen  226).  Mittelbronze 
vom  Jahre  764  d.  St.  11  v.  Chr.  Der  Kopftypus  ist  der  der  reiferen  Jahre 
wie  er  um  das  vierzigste  Lebensjahr  aufgestellt  und  von  da  an  festgehalten 
wurde.  Augustus  war  764  (11)  52  Jahre  alt.  Die  Münze  ist  keine  von  den 
besten,  die  Reliefbehandlung  ist  dürr. 

Nero  Drusus.  (G.  M.  65353;  Cohen  8).  Großbronze  unter  Claudius  ge- 
prägt. Trotz  der  schlechten  Erhaltung  der  Münze  ist  die  vortreffliche  Arbeit 
noch  klar  ersichtlich,  sie  steht  der  vorigen  mindestens  gleich. 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  5 


34  BBirRXGB  ZUK  GBSCHICai'E  DES  BILDNISSES. 

Tiberius,  41—37.  Von  Tiberius  haben  wir  nur  eine  der  falschen  Lyoner 
Bronzen.  Tiberius  erscheint  meist  jugendlich  auf  seinen  Münzen.  Die  schöne 
Goldmünze  (Dilherr  Ae.  8;  Cohen  15)  zeigt  Ihn  in  reiferen  Jahren.  Das  scharfe 
Profil  ist  charakteristisch  gegeben.  Leider  ist  die  Münze  an  der  Schläfe  etwas 
abgenützt,  so  daß  das  Auge  jetzt  zu  iioch  liegt.  ^    , 

Nero,  54—68.  (Dilherr  Ae.  18;  Cohen  278).  Die  Erhaltung  der  schönen 
Münze  ist  kaum  eine  mittlere  zu  nennen,  die  höchsten  Teile  des  Reliefs  sind 
durch  einen  Schlag  abgeplattet,  und  die  Oberfläche  hat  durch  Corrosion  ge- 
litten; aber  die  Trefflichkeit  der  Arbeit  kommt  noch  klar  zur  Erscheinung. 
Die  Ausführung  ist  nicht  mehr  so  lebendig  und  frei,  als  an  den  Münzen  der 
ersten  Claudier.  Die  sinnliche  Fülle  der  Formen,  der  tückische  Blick  Neros 
ist  charakteristisch  wiedergegeben,  legt  man  aber  neben  die  Münze  eine  frühere, 
etwa  die  des  Nero  Drusus,  so  zeigt  sich  der  Abstand.  Die  Münze  ist  etwa  aus 
den  Jahren  65 — 66,  dem  28.  Lebensjahre  des  Kaisers. 

Vespasian,  69-79-  (G.  M.  6541;  Cohen  419)-  Die  sehr  abgenutzte  Münze 
zeigt  doch  noch  die  charakteristischen,  energischen  Züge  des  alternden  Kaisers 
in  voller  Lebendigkeit.  Vespasian  regierte  von  69—79  und  kam  mit  60  Jahren 
zur  Regierung. 

Titus,  79—81.  (Dilherr  Ae.  32;  Cohen  317).  Die  kleine  Münze  ist  im  Stil 
sehr  ähnlich  den  Silbermünzen  der  Claudier.  Die  Ähnlichkeit  des  Titus  mit 
seinem  Vater  ist  groß  und  würde  sich  im  höheren  Alter  wohl  noch  gesteigert 
haben.    Titus  starb  schon  mit  40  Jahren,  81  n.  Chr. 

Domitian,  81—96.  (G.  M.  6546;  Cohen  307).  Münze  von  mittlerer  Erhal- 
tung. Die  Münzen  des  Domitian  stimmen  mehr  zu  der  Beschreibung  des  jüngeren 
Plinius,  als  zu  der  Suetons,  der  sagt:  er  hatte  ein  bescheidenes  Gesicht,  errötet 
oft,  hatte  große  Augen,  war  aber  kurzsichtig.  Plinius  dagegen  charakterisiert 
ihn  als  immanis  belua.  Seine  Begegnung  und  sein  Anblick  flößten  Schrecken 
ein,  Hochmut  auf  der  Stirn,  Jähzorn  in  den  Augen,  weibische  Blässe  am  Körper, 
in  dem  häufig  errötenden  Gesicht  Schamlosigkeit  (Paneg.  48).  Mag  diese  Dar- 
stellung übertrieben  sein,  um  den  Gegensatz  zu  Trajan  stärker  hervorzuheben, 
das  Gesicht  Domitians  widerspricht  ihr  nicht.  Sein  Profil  ist  das  der  Flavier, 
das  Gesicht  ist  schön,  aber  unangenehm;  ein  hochmütiger  Zug  umspielt  den 
Mund.  Die  Münze  ist  85  n.  Chr.  geprägt  als  Domitian  34  Jahre  alt  war;  ihre 
Erhaltung  ist  ziemlich  gut,  die  Arbeit  ist  schön  und  nicht  kleinlich.  Die 
Silbermünze  (Dilherr  Ar.  36,  Cohen  192)  zeigt  die  gleichen  Züge. 

Julia,  die  Tochter  des  Titus  (G.  M.  13995;  Cohen  18),  erst  Geliebte,  dann 
Gemahlin  des  Domitian.  Auf  Münzen  ist  ihr  Bildnis  sehr  verschieden  gegeben. 
Ein  geschnittener  Stein  des  Pariser  Kabinetts  von  Euodos  (Germ.  Museum, 
Pl.-O.  1270,  Zinnabguß  von  geringer  Schärfe :  Lenormant  Tresor,  Iconogr. 
Rom.  Taf.  22.  12)  gilt  als  Bild  der  Judia  und  muß  bei  seiner  hohen 
Vortrefflichkeit  als  die  treffendste  Darstellung  betrachtet  werden.  Unsere 
Münze  stimmt  mit  ihm  nicht  völlig,  doch  ziemlich  überein,  leider  ist  ihre  Er- 
haltung keine  gute,  sie  ist  sehr  abgeschliffen.  Der  Kopf  hat  das  f lavische  Profil, 
und  zur  höchsten  Schönheit  erhoben,  die  sich  ihm  abgewinnen  läßt.  Die  Aus- 
führung war  von  vollendeter  Feinheit. 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  35 


Trajan,  98—117.  (G.  M.  13989;  Cohen  531)-  Trajans  Münzen  haben  einen 
feststehenden,  charakteristischen  Typus  mit  markierten  Zügen,  bezeichnend 
sind  die  schmalen  Lippen  und  der  festgeschlossene  Mund.  Die  Großbronze 
auf  unserer  Tafel  ist  fein  und  sehr  ins  Einzelne  gearbeitet.  Die  kleine  Silber- 
münze (G.  M.  6555;  Cohen  514)  zeigt  die  gleichen  Züge,  ist  aber  in  den  oberen 
Teilen  des  Gesichtes  oberflächlich  behandelt. 

An  dem  letzten  Aufschwung  der  antiken  Plastik  unter  Hadrian  hat  die  Stempel- 
schneidekunst keinen  Anteil;  mit  Hadrian  beginnt  ihr  Verfall.  Erst  leise,  noch 
bleibt  die  formale  Schönheit,  noch  die  äußere  Ähnlichkeit,  aber  die  Durchmodellie- 
rung des  Reliefs  wird  flach  und  leer.  Mit  den  späteren  Antoninen  von  Marcus  Au- 
relius  an,  werden  die  Münzbilder  oberflächlich  und  geistlos.  Die  Haare  werden  sche- 
matisch behandelt ;  ein  erschreckendes  Zeichen  sinkender  Beobachtung  ist  die  Front- 
stellung des  Auges  in  Profilköpfen,  ein  Zurücksinken  auf  eine  primitive  Kunststufe; 
selbst  die  äußere  Ähnlichkeit  wird  vernachlässigt  und  die  Beseelung  fehlt  ganz.  Etwas 
besser  sind  die  Münzen  der  folgenden  Zeit,  der  Severe  und  Gordiane.  Ihre  Münz- 
meister sind  gewissenhafte  Medailleure  von  mäßigem  Können  und  ohne  Geist.  Aber 
es  fragt  sich  auch,  ob  diese  Imperatoren  zur  Entfaltung  von  Geist  bei  Aufnahme 
ihrer  Bildnisse,  Anlaß  gegeben  haben.  Die  Münzbilder  erreichen  die  Ähnlichkeit, 
schön  waren  diese  Kaiser  alle  nicht.  Ab  und  zu  begegnet  uns  ein  Charakterkopf, 
der  zu  besserer  Behandlung  anregt.  Das  technische  Können  hält  sich  durch  Jahre 
auf  ziemlich  gleicher  Höhe.  Das  Profil  ist  meist  gut  gegeben,  auch  der  Mund.  Die 
Zeichnung  der  Augen  ist  schlecht,  obwohl  sie  noch  fast  immer  im  Profil  gegeben 
werden.  Haar  und  Bart  sind  kurz  geschoren  und  durch  kurze  vertiefte  Striche  an- 
gegeben. 

Hadrian,  117—138.  (G.  M.  6567;  Cohen  1364).  Die  Münzen  Hadrians 
weisen  einen  feststehenden  Typus  des  Gesichts  auf,  der  sich  auch  auf 
unserer  findet.  Die  Behandlung  ist  einfach,  etwas  steif.  Kaum  besser 
ist  die  Silbermünze  (G.  M.  6564  Cohen  1147). 

Sabina,  Hadrians  Gemahlin.  (Dilherr  Ae.  38;  Cohen  68).  Die  Münze  ist  in 
der  technischen  Behandlung  der  Hadians  verwandt. 

Äntoninus  Pius,  138—161.  (G.  M.  17110;  Cohen  1115).  Die  Münze  ist  schlecht  lafei  11. 
erhalten,  doch  läßt  sie  eine  sorgsame,  etwas  ängstliche  Formbehandlung  er- 
kennen und  sie  entspricht  in  ihrer  inneren  Charakteristik  dem,  was  wir  über 
den  Charakter  Äntoninus  wissen.  Die  Goldmünze  (Dilherr  Au.  14;  Cohen  312), 
ist  hübsch  modelliert,  aber  ohne  Ausdruck,  einen  Christusbild  des  18.  Jahr- 
hunderts ähnlich. 

Faustina  die  Ältere.  (G.  M.  17143;  Cohen  210).  Die  Münze  ist  von  mittlerer 
Erhaltung,  zeigt  uns  das  Bild  einer  schönen  Frau.  Die  Arbeit  ist  gut,  wenn 
auch  nicht  eindringend.  Die  Münze  ist  nach  dem  Tod  Faustinus  um  145  ge- 
prägt. 

Marcus  Aurelius,  161— 180.  (Dilherr  Ae.  60).  Die  kleine  Silbermünze 
zeigt  einen  jugendlichen,  bartlosen  Mann.  Die  Ausführung  ist  kaum 
mittelgut.  Noch  geringer  ist  die  Kupfermünze  (G.  M.  6590;  Cohen  115),  sie 
ist  ein  charakteristisches  Beispiel  der  schlechten  Münzen  der  Zeit,  das  Relief 


3Ö  BEITRÄGE  ZUB  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 

ist  oberflächlich  und  unsicher  behandelt,  das  Auge  nicht  mehr  ganz  im  Profil, 
die  Haare  schematisch,  das  Beiwerk  hart.    Das  Relief  ist  ziemlich  flach. 

Faustina  die  Jüngere.  (G.  M.  6599)-  Diese  Münze  ist  kaum  besser 
als  die  vorige,  wenn  ihr  auch  das  etwas  stärkere  Relief  eine  vollere  Wir- 
kung gibt.  Die  Ähnlichkeit  Faustinas  mit  ihrer  Mutter,  der  älteren  Faustina, 
ist  auch  auf  dem  mittelmäßigen  Bilde  augenfällig. 

Commodus,  180—192.  (G.  M.  6609),  einer  der  Söhne  des  Marcus  Aurelius 
und  dessen  Nachfolger  war  trotz  des  verschiedenen  Profils  dem  Vater 
ähnlich,  besonders  in  den  stark  vortretenden  Augen.  Unsere  Münze  zeigt 
einen  nicht  unschönen  Kopf  ohne  Energie  und  Geist.  Der  Stil  ist  der  der- 
Münzen  des  Marcus  Aurelius,  die  Arbeit  ist  gering. 

Die  Münzen  des  Annius  Verus,  des  Lucius  Verus  und  der  L  u- 
c  i  1 1  a  sind  nicht  besser  als  die  hier  erwähnten.  Die  der  folgenden  Kaiser 
stehen  etwas  höher,  die  Arbeit  ist  unbeholfen  aber  die  Ähnlichkeit  wird  erreicht. 
Es  genügt  hier,  einige  herauszugreifen. 

Septimius  Severus,  193—211.  (G.  M.  17106),  vergoldete  Silbermünze.  Der 
Vergleich  mit  größeren  Bronzen  zeigt,  daß  diese  Münze,  welche  im  Relief 
ganz  gut  wirkt,  hinsichtlich  der  Ähnlichkeit  zu  den  geringeren  zählt.  Der 
Charakter  des  Septimius  Severus  kommt  in  ihr  so  wenig  als  in  den  besseren 
zum  Ausdruck. 

Julia  Domna.  (G.  M.  6618;  Cohen  72),  die  zweite  Gemahlin  des  Septimius 
Severus,  wird  als  eine  schöne  und  kluge  Frau  gerühmt.  Die  Münzen  geben 
nur  die  äußerlichsten  Merkmale,  vor  allem  ihre  perückenartige  Frisur.  Die 
kleine  auf  Tafel  1 1  abgebildete  Silbermünze  steht  mit  größeren  Bronzen  wenig- 
stens nicht  mehr  in  Widerspruch,  als  in  anderen  Fällen.  Die  Arbeit  ist  hin- 
sichtlich der  Gesamterscheinung  nicht  schlecht. 

Caracalia,  211—217.  (G.  M.  6620;  Cohen  358).  Die  kleine  Silbermünze  ist 
wie  die  meisten  Denare  Caracallas  nicht  charakteristisch. 

Alexander  Severus,  222—235  (G.  M.  6634;  Cohen  106).  Die  Bronze- 
münzen des  Alexander  Severus  zeigen  einen  ziemlich  übereinstimmenden  Typus, 
der  auch  durch  die  Büsten  des  Kaisers  als  zutreffend  erwiesen  wird.  Unsere 
Münze  ist  eine  trockene,  wenig  künstlerische  Arbeit,  aber  sorgfältig  ausgeführt 
und  als  Porträt  nicht  schlecht.  Hier  tritt  die  langweilige  Behandlung  der 
Haare  und  des  Bartes  mit  kurzen,  vertieften  Strichen  auf.  Ganz  oberfläch- 
lich und  geistlos  ist  die  Silbermünze.    (G.  M.  13988;   Cohen  I83). 

Julia  Mamaea.  (G.  M.  6039;  Cohen  10).  Die  Bronzemünze  der  Mutter 
des  Alexander  Severus  gehört  zu  den  besseren  aus  dem  ersten  Drittel  des  dritten 
Jahrhunderts.  Sie  stammt  mit  der  Büste  Mamaeas  im  Vatikan  zwar  nicht 
genau  überein,  doch  aber  soweit,  daß  sie  noch  als  ein  zutreffendes  Bildnis  gelten 
kann.    Auch  ist  das  Gesicht  nicht  ohne  Ausdruck. 

Maximinus,  235—238.  (G.  M.  6642;  Cohen  10).  Die  Münze  steht  stilistisch 
der  oben  besprochenen  Mittelbronze  des  Alexander  Severus  nahe,  ja  der  Stempel 
kann  von  der  gleichen  Hand  geschnitten  sein.  Der  Kopf  dieses  Kaisers  wird 
auf  den  Münzen  verschieden  gegeben.    Mit  der  kapitolinischen  Büste  stimmt 


■Ti». 


Mitteilungen  aus  dem  gerinan.  Nationalmuseum.    1907- 


Taf.  VMI. 


Valerianus. 


Postunius. 


Quintillus. 


Aurelianus. 


Tacitus. 


Probus. 


Diocletian. 


Diodetian. 


Maximianus. 


Constantius  Chlorus. 


Galerius. 


Maximiiius. 


Helena. 


Coiistantin  II. 


Constantin  d.  G 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  III. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907. 


Taf.  IX. 


Magnentius. 


Anastasius. 


Constantin  Pogonatos. 


Gratian. 


Gratian. 


Theoderich.  Athalarich. 


• 


Justinian 


Gunthamund.  -^^n^^^g^  Thrasamund. 

Theodahat. 


Phokas. 


Constantin  X. 


Leon  XI. 


Liuva  ( ?). 


Recared. 


Langobarde. 


Arrigis. 


• 


Egica. 


Grimoald. 


Sighard. 


Unbekannte  Merowingen 


Siegebert  III. 


Ludwig  d.   Fromme. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  IV. 


^^     f,    ;•;■.•-■•    ? 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  37 


das  Profil  in  seiner  Grundzügen,  nicht  aber  in  den  Einzelheiten  überein,  es 
darf  kaum  als  sehr  treffend  bezeichnet  werden. 

Gordianus  III.  Pius,  238—244.  (G.  M.  6654;  Cohen  254).  Die  leider 
durch  Doppelschlag  etwas  entstellte,  sonst  gut  erhaltene  Mittelbronze  zeigt 
abermals  genau  den  gleichen  Stil  wie  die  des  Maximinus  und  des  Alexander 
Severus.  Gordianus  wurde  244  im  Alter  von  19  Jahren  ermordet.  Eine  gute 
Büste  von  ihm  besitzt  das  Louvre,  sie  muß  noch  in  seinen  Knabenjahren  ge- 
fertigt sein.  Das  Bild  unserer  Münze  zeigt  ihn  in  etwas  reiferen  Jahren,  es 
ist  ähnlich,  wenn  auch  äußerlich  und  geistlos  behandelt. 

Philippus  Arabs,  244—249-  (G.  M.  6662;  Cohen  59).  Die  Bronzemünzen 
des  älteren  Philippus  haben  ganz  den  gleichen  Stil  wie  die  vorhergehenden. 
Das  Münzbild  stimmt  mit  der  schönen  Büste  im  Vatikan  gut  überein,  weniger 
die  ziemlich  lebendige  Silbermünze.    (G.  M.  17092;  Cohen  198). 

Volusian,  352—253  (G.  M  .17134;  Cohen  70).  Das  Bild  ist  trocken  und 
oberflächlich,  aber  nicht  ohne  individuelle  Züge. 

Der  Verfall  der  Stempelschneidekunst  schreitet  in  der  zweiten  Hälfte  des 
dritten  Jahrhunderts  fort.  Noch  ist  die  Fähigkeit,  die  Züge  einer  Persönlichkeit 
wiederzugeben,  nicht  erloschen  und  ab  und  zu  begegnen  uns  Münzbilder,  welche 
augenscheinlich  charakteristisch  und  ziemlich  gut  ausgeführt  sind,  aber  die  große 
Menge  ist  schlecht.  Die  Formen  sind  mager,  es  besteht  die  Neigung,  den  Hals  lang 
zu  machen,  den  Kopf  klein  und  oben  abgeplattet. 

Valerianus,  253—260.    (G.  M.  1710I;  Cohen  18,  aber  Silber).    Die  Silber-  Tafei  111. 
münze  zeigt  einen  älteren  Mann   mit  vollem  Gesicht   und  dürfte  ein   ziem- 
lich zutreffendes  Bild  des  Kaisers  geben,  der  von  seinem  63.— 70.  Lebens- 
jahre regierte. 

Posiumus,  258—267.  (G.  M.  6691).  ein  Usurpator  in  Gallien  während  der 
Regierung  des  Galli^nus.  Seine  zahlreichen  Münzen  sind  gut  geschnitten 
und  stimmen  im  Typus  wohl  überein. 

Quintillus,  270.  (Dilherr  Aur.  0.  Nr.;  Cohen  167).  Quintillus  der  Bruder 
des  Kaisers  Claudius  Gothicus  folgte  diesem  270  in  der  Regierung.  Er  soll 
nur  siebzehn  Tage  regiert  haben.  Ist  diese  Angabe  richtig,  so  müssen  seine 
Stempelschneider  Tag  und  Nacht  gearbeitet  haben,  denn  Cohen  führt  von  ihm 
74  Münzen  an.  Die  äußerst  seltene  Goldmünze  ist  technisch  gut  gearbeitet, 
aber  charakterlos  und  stimmt  nicht  zu  den  Großbronzen. 

Aurelianus,  270—275-  (G.  M.  670I;  Cohen  95)-  Das  gleiche  gilt  von  den 
Münzen  dieses  Kaisers.  Sie  zeigen  den  allgemeinen  Kopftypus  des  späteren 
dritten  Jahrhunderts  ohne  jegliche  Sorgfalt  der  Individualisierung. 

Tacitus,  275— 276.  (G.  M.  6715;  Cohen  137)-  Das  fette  Gesicht  mit  dem 
dürftigen  Bart  gab  Anlaß  zu  etwas  besserer  Charakteristik,  doch  sind  auch 
die  Bilder  dieses  Kaisers  flau. 

Probus,  276—282.  (G.  M.  6717;  Cohen  210).  Die  Münzen  des  Probus  sind 
sehr  zahlreich,  aber  sie  begnügen  sich  zum  größten  Teil  mit  einer  sehr  allge- 


38  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 

meinen  Charakteristik.     Am  besten  sind  die  Großbronzen,  deren  wir  keine 

besitzen. 

Mit  dem  Ausgange  des  dritten  Jalirliunderts  schreitet  der  Verfall  rascher 
vor.  Man  sieht,  die  Stempelschneider  suchen  noch  individuelle  Bilder  zu  ge- 
winnen, aber  sie  vermögen  es  nicht  mehr.  Die  Bilder  eines  Kaisers  sind  oft 
unter  sich  verschiedener,  als  die  zweier.  Das  Relief  wird  flach,  an  Stelle  der  Model- 
lierung tritt  eine  Art  Zeichnung  mit  erhabenen  i^inien.  Der  Augenstern  wird  als 
voller  Kreis  angegeben.  Das  Bild  ist  starr  und  leblos.  Nach  der  Mitte  des  vierten 
Jahrhunderts  greift  die  äußerste  Rohheit  um  sich.  Die  Münzen  des  Magnentius 
(350—353)  sind  von  einer  kindischen  Unbeholfenheit.  Es  lohnt  sich  nicht  hierbei 
zu  verweilen,  einige  Beispiele  bis  zum  Schluß  des  vierten  Jahrhunderts  mögen  ge- 
nügen. Ihnen  folgen  von  Münzen  der  byzantinische  Kaiser  und  germanischer  Fürsten 
des  5.  und  6.  Jahrhunderts. 

Diocietianus,  284—305.  (G.  M.  673O;  Cohen  101;  G.  M.  6732;  Cohen  436). 
Die  Münzen  Diolcetians  weichen  so  vielfach  von  einander  ab,  daß  wir  sagen 
können,  sie  geben  alle  kein  zutreffendes  Bild  des  großen  Kaisers.  Vergleichen 
wir  mit  seinem  Bilde  die  seiner  Mitregenten. 

Maximianus,  286— 310.  (G.  M.  6751;  Cohen  179  (?)  und  Galerius,  305— 3H 
(G.  M.  6769;  Cohen  54),  der  sich  auf  seinen  Münzen  gleichfalls  Maximianus 
nennt,  so  sehen  wir,  daß  nun  von  einer  Individualisierung  überhaupt  keine 
Rede  mehr  ist.  Mit  Recht  bemerkt  BernouUi  (III.  2.  205)  von  Galerius:  Seine 
Bildnisse  machen  den  Eindruck,  als  ob  es  bloße  Reproduktionen  von  Typen 
der  unmittelbar  vorhergegangenen  Kaiser  wären,  ohne  allen  individuellen 
Charakter. 

Constantius  Chlorus,  305—306.  (G.  M.  6768;  Cohen  44)  weist  auf  den 
Münzen  einen  ziemlich  gleichbleibenden  Typus  mit  sehr  scharfem  Profil  auf, 
der  Stil  ist  der  gleiche  wie  der  der  Münzen  seiner  Mitregenten. 

Helena.  (G.  M.  6811 ;  Cohen  13).  Es  gibt  von  Helena  auf  Großbronzen 
Bildnisse,  welche  ziemlich  individuell  sind  (Bernoulli  III.  2  Münztafel  VII.  1), 
die  kleinen  Münzen  haben  ähnliche  Typen,  aber  verflacht. 

Constantin  der  Große,  306—337.  (G.  M.  679O;  Cohen  202).  Von  Con- 
stantin  gibt  es  eine  Anzahl  größerer  Medaillons,  welche  zu  den  besseren  Arbeiten 
der  Zeit  gehören,  aber  ein  idealisiertes  Bild  des  Kaisers  geben.  Die  Münzen, 
im  Stil  von  denen  der  Zeitgenossen  nicht  verschieden,  zeigen,  daß  sein  Profil, 
wenn  auch  weniger  scharf,  dem  des  Vaters  ähnlich  war.  Von  Constantin  an 
sind  die  Kaiser  wieder  unbärtig. 

Maximinus  Daza,  305—313.  (G.  M.  6777;  Cohen  96).  Mittelbronze  im 
Stil  des  frühen  4.  Jahrhunderts  ohne  individuelle  Züge. 

Constantin  II.,  337—340.  (G.  M.  6814;  Cohen  38).  Geistlos,  aber  zier- 
lich gearbeitetes  Bildnis  des  jugendlichen  Herrschers. 

Die  Mittelbronzen  Diocletians  und  seiner  Mitregenten  sowie  Constantins  und 
seiner  Söhne  bilden  eine  Gruppe  für  sich,  die  sich  zwar  nicht  wesentlich  von  denen 
der  unmittelbar  vorausgehenden  und  nachfolgenden  Kaiser  unterscheidet,  aber  doch 


VON  GOSTAV  VON  BEZOLD.  39 


ein  einheitliches  Gepräge  zeigt.  Das  Streben  nach  zierlicher  Behandlung  ist  unverkenn- 
bar, allein  das  Können  ist  gering.  Niemals  weder  vorher  noch  nachher  wurde  lang- 
weiliger und  einförmiger  gearbeitet.  Die  Individualisierung  bleibt  am  Äußerlichsten 
haften  und  wird  auch  ihm  nicht  gerecht,  von  irgend  welcher  psychischen  Charakteristik 
ist  überhaupt  keine  Rede.  Der  Tiefstand  des  Könnens  ist  damit  noch  nicht  einge- 
treten, aber  schon  unter  dem  Usurpator. 

Magnentius,  350—353-     (G.  M.  6842;   Cohen   31)  wird  er  erreicht.     Die    tafci  iv. 
Münze,  welcher  andere  um  ein  Geringes  bessere  zur  Seite  stehen,  ist  unglaub- 
lich roh  in  der  Auffassung  des  Bildnisses.     Wir  stehen  in  der  Mitte  des 
vierten  Jahrhunderts.    Von  Julianus   und  von  Theodosius  haben  wir  keine 
Münzen. 

Gratianus,  375—383-  (Dilherr  Au.  17;  Cohen  38;  G.  M.  6847;  Cohen  34). 
Die  Ausführung  dieser  kleinen  Münzen  ist  unsicher  und  weichlich.  Noch  um 
eine  Stufe  tiefer  steht  die  Goldmünze  des  Arcadius,  Kaiser  des  oströmischen 
Reiches,  395—408.  (Dilherr  Au.  18).  Nun  tritt  ein  Stillstand  ein.  Die 
Münze  des  Arcadius  vom  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts  ist  stilistisch 
wenig  verschieden  von  der  des  Anastasius,  491—518.  (G.  M.  7149)  oder  des 
Justinian  527—567  (G.  M.  8215;)  aus  dem  Anfang  des  sechsten.  Auf 
Ähnlichkeit  wird  überhaupt  nicht  mehr  gesehen.  Die  germanischen  Könige 
setzen  auf  ihre  Gold-  und  Silbermünzen  die  Köpfe  der  oströmischen  Kaiser. 
Die  kleine  Silbermünze  Theoderichs,  493—526.  (G.  M.  11862)  trägt  das 
Bild  des  Anastasius.  Der  Stempel  zur  Münze  Theoderichs  mag  von  einem 
Stempelschneider  des  Kaisers  geschnitten  sein.  Die  Silbermünze  von  Theo- 
derichs Nachfolger  Athalarich,  526—534  (G.M.  11850)  hat  das  Bild  des  Kaisers 
Justinian,  527—567  und  zwar  in  besserer  Ausführung  als  auf  der  Goldmünze 
dieses  Kaisers  (G.  M.  8215).  Die  Goldmünze  mit  dem  Kopfe  Justinians  (G. 
M.  12403)  ist  provinziell  oder  barbarisch  (westgotisch?).  Die  Mittelbronze  des 
Ostgothen  Theodahat,  534—536  (G.  M.  1788)  zeigt  in  starren  Formen  doch 
wieder  bildnismäßige  Züge. 

Auf  oströmischen  Münzen  tritt  sofort  nach  der  Teilung  des  Reiches  ein  neuer 
Typus  der  Münzbilder  auf.  Der  Kaiser  erscheint  im  Brustbild  von  vorn,  er  hält  in 
der  rechten  Hand,  über  die  Schulter  gelehnt,  eine  Lanze  oder  ein  Szepter.  Der  Kopf 
ist  mit  einem  Helm  bedeckt  und  gewöhnlich  etwas  nach  links  gewendet.  Der  Typus 
kommt  schon  auf  Münzen  des  Arkadius  vor  (Sabatier,  discription  g^n^rale  des  mon- 
naies  byzanticus  I.  PI.  III.).     Er  bleibt  lange  Zeit  sehr  gleichartig. 

Konstantin  IV.  Pogonatos  668—685.  (Dilherr  Au.  16;  Sabatier  II.  S.  17, 
No.  20).  Goldmünze,  dekorativ  sehr  gut  gearbeitet,  die  Bildnisähnlichkeit 
höchstens  ganz  äußerlich. 

Das  Frontbild  kommt  schon  auf  antiken  Münzen  vor.  Die  Köpfe  der  Gott- 
heiten auf  griechischen  Städtemünzen,  namentlich  aus  dem  vierten  Jahrhundert 
V.  Chr.  sind  oft  so  gegeben.  Die  Darstellungsweise  entspricht  sehr  wohl  dem  hohen 
Reliefstil  der  griechischen  Münzen.  Für  Bildnisse  ist  sie  weniger  geeignet;  auf  den 
Münzen  der  hellenistischen  Dynasten  kommt  sie  nur  ausnahmsweise  vor,  unter  den 
römischen  Kaisermünzen  kenne  ich  nur  solche  von  Postumus,  258—267,  welche  das 


40  BEITRÄOE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 

Frontbildnis  tragen.  Auf  sassanitschen  Münzen  erscheint  es  erst  später  als  in  Byzanz, 
sie  schließen  sich  zuerst  an  achaemenidische  Vorbilder  mit  Profildarstellung  an.  In 
Byzanz  ist  das  Frontbild  vom  6.  Jahrhundert  an  herrschend. 

Phokas,  602—610.  (G.  M.  13882;  Sabatier  I.  PI.  XXVil).  Äußerlich  ähn- 
lich, aber  starr. 

Leo  VI.,  886— 9H.  (G.M.  10439;  Sabatier  II.  PI.  XLV),  und  Constantin  X. 
mit  seinem  Sohn.  (Dilherr  Au.  22;  Sabatier  II.  PI.  46)  mögen  als  Beispiele 
genügen.    Der  Stil  ist  hier  ganz  leblos,  fast  ornamental  geworden 


Bildnisse   auf  Diptychen. 

Neben  die  Münzbilder  treten  vom  fünften  Jahrhundert  an  die  Bildnisse  auf 
Diptychen.  Sie  haben,  wie  die  Münzbilder,  den  Vorzug,  daß  sie  fast  alle  fest  datiert 
sind.  Sie  treten  in  einer  Zeit  auf,  in  welcher  das  Münzbild  schon  ganz  konventionell 
geworden  ist  und  haben,  wie  die  Münzen  des  fünften  und  sechsten  Jahrhunderts, 
keinen  großen  Bildniswert. 

Diptychen  sind  Schreibtafeln,  welche,  aus  zwei  Platten  bestehend,  auf-  und 
zugeklappt  werden  können.  Hier  haben  wir  es  mit  Elfenbeintafeln  zu  tun,  die  auf 
der  Außenseite  mit  Reliefs  geschmückt  sind.  Sie  dienten  als  Geschenke.  Insbe- 
sondere war  es  üblich,  daß  die  Konsuln  beim  Antritt  ihres  Amtes  den  Kaiser  und 
andere  vornehme  Personen  mit  Diptychen  beschenkten.  -Man  nennt  diese  Diptychen 
Konsulardiptychen ;  sie  tragen  gewöhnlich  auf  einer  oder  auf  beiden  Tafeln  das 
Bild  des  Konsuls.  Anordnung  der  Komposition  und  Darstellung  der  Figur  sind  an- 
fangs mannigfach  verschieden,  gegen  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  tritt  eine  fest- 
stehende Kompositionsformel  ein  und  die  Darstellung  der  Person  wird  schematisch. 
Sie  ist  so  allgemein  gehalten,  daß  man  oft  zweifeln  kann,  ob  sie  das  Bildnis  des  Kon- 
suls ist,  dessen  Namen  das  Diptychen  trägt.  Einige  tragen  individuelle  Züge  we- 
nigstens soweit,  daß  man  sie  sofort  als  Bildnisse  anerkennt,  andere  aber  würden 
wir  ohne  die  Beischrift  und  ohne  Kenntnis  ihrer  Bestimmung  nicht  als  Bildnisse 
ansprechen. 

Aber  die  Frage  ist  nicht  so  klar,  daß  sie  sofort  entschieden  werden  könnte. 
Die  Anforderungen,  welche  man  an  die  Ähnlichkeit  eines  Bildnisses  stellt,  sind  zu 
verschiedenen  Zeiten  verschieden  und  waren  im  fünften  und  sechsten  Jahrhundert 
äußerst  gering.  Daß  die  Münzbilder  der  oströmischen  Kaiser  zu  ihren  Lebzeiten 
gefertigt  nicht  einfach  den  Kaiser,  sondern  Honorius,  Anastasius,  Justinian  u.  A. 
darstellen  sollen  und  wollen,  haben  wir  gesehen,  aber  wir  haben  auch  wahrge- 
nommen, mit  welch  bescheidenen  Leistungen  man  sich  begnügte.  Selbst  wenn  wir 
von  den  rohen  Arbeiten  entlegener  Provinzialkunst  und  von  den  Nachahmungen 
der  Barbaren  absehen,  welche  nicht  mehr  als  Bildnisse  gelten  können,  ist  auch 
bei  den  besten  Münzbildern  das  individuelle  Ingrediens  gering-  T  Bei  einigen  Kon- 
sulardiptychen aber  vermisse  ich  es  vollständig.  Anastasius,  517  Konsul  des  Ostens, 
Magnus,  518  Konsul  des  Ostens  sind  Schemen  ohne  alles  individuelle  Leben,  von  einer 
Allgemeinheit  der  Gesichtsbildung,  die  kaum  übertroffen  werden  kann.  Sie  stellen 
einen  Konsul  in  Amtstracht  dar,  keine  bestimmte  Person.     Ich  kann  mich  nicht 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  X. 


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davon  überzeugen,  daß  sie  auf  Bestellung  gemacht  sind  und  das  Bildnis  des  Konsuls 
enthalten,  dessen  Namen  sie  tragen,  ich  glaube  vielmehr,  daß  es  rein  industrielle 
Erzeugnisse  sind,  welche  auf  Vorrat  gearbeitet  und  nur  nach  Bedarf  mit  dem  Namen 
des  Käufers  versehen  wurden.  Man  sehe  aber,  was  E.  Molinier  in  seiner  Historie 
g6n6rale  des  arts  appliqufe  ä  Industrie  I,  S.  5  für  die  gegenteilige  Ansicht  beibringt.  — 
Ich  bespreche  einige  Diptychen,  jedoch  nur  soweit,  als  sie  für  die  Geschichte  des 
Bildnisses  von  Belang  sind. 

Römische  Familie.  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts.  (Molinier  1,  Wilh.  Tafei  v. 
Meyer  47  a  b  ^)  Auf  der  einen  Platte  ist  der  Mann,  auf  der  anderen  die  Frau 
und  ein  Knabe  dargestellt.  Der  Mann  zeigt  indivuelle  Züge,  er  hat  ein 
schmales,  nach  oben  breiter  werdendes  Gesicht,  kleinen  Mund  mit  vollen 
Lippen,  lange,  gerade  Nase,  mäßig  große,  weit  geöffnete  Augen,  kurzen  Bart. 
Die  Darstellung  macht  den  Eindruck  der  Ähnlichkeit,  wenn  sie  auch  ziem- 
lich äußerlich  behandelt  ist.  Die  Gesichter  der  Frau  und  des  Kindes  sind  rund 
und  voll,  weniger  charakteristisch  als  das  des  Mannes,  aber  doch  glaubwürdig 
als  Bildnisse.  Zur  Bestimmung  der  Personen  fehlen  alle  festen  Anhaltspunkte. 
Es  ist  zu  bedauern,  daß  sie  unter  verschiedenen  Namen  kritiklos  als  gesicherte 
Porträts  bestimmter  Personen  des  sinkenden  Reiches  in  illustrierte  Geschichts- 
werke aufgenommen  worden  sind. 

Felix,  428  Konsul  des  Westens.    (Molinier  3;  Meyer  2).    Das  Original  in 
der  Bibliotheque  nationale  zu  Paris.    Auch  diese  Darstellung  ist  als  Bildnis 


Diptychon  des  Konsuls  Asturius. 


1)  Emile  Molinier,  bist.  g6n.  des  arts  appliquds  ä  l'industrie.  —  Wilhelm  Meyer,  Zwei 
antike  Elfenbeintafeln  der  K.  Staatsbibliothek  in  München;  in  den  Abhandlungen  der  K.  b. 
Akademie  d.  W.     Phil.  Cl.   XV.  S.  1  ff. 

Mitteilungen  aus  dem  gemian.  Nationalmuseum.    1907.  '  C 


42  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 

kenntlich;  die  Auffassung  ist  ähnlich  wie  auf  dem  vorigen  Diptychen,  die  Aus- 
führung weniger  sorgfältig,  aber  etwas  lebendiger. 

Asturius,  449  Konsul  des  Westens.  (Molinier  4,  Meyer  3).  Das  Gesicht 
des  sitzenden  Konsuls  bietet  nur  noch  einen  Schatten  von  Ähnlichkeit  und 
die  Ausführung  ist  roh  und  unbeholfen. 

Unbekannter  Konsul,  zweite  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts.  (Molinier 
38,  Meyer  63).  Das  Original  im  Domschatz  zu  Halberstadt.  Abendländische 
Arbeit.  Auf  den  beiden  Platten  sind  drei  Männer  abgebildet,  ihre  Züge  sind 
verschieden  und  man  hat  wenigstens  bei  denen  auf  der  zweiten  Platte  den 
Eindruck,  daß  individuelle  Charakteristik  angestrebt  ist.  Die  Ausführung  ist 
ziemlich  roh,  die  Erhaltung  schlecht.  Die  Datierung  des  Halberstädter  Dip- 
tychons auf  die  zweite  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  scheint  mir  nicht  ganz 
unzweifelhaft  zu  sein,  es  könnte  auch  als  provinzielle  Arbeit  einer  älteren  Zeit 
angehören.  Doch  kenne  ich  das  Vergleichsmaterial  nicht  genug,  um  meine 
Zweifel  begründen  zu  können. 

Philoxenus,  525  Konsul  des  Ostens.  (Molinier  29,  Meyer  26).  Original 
in  der  Bibliotheque  nationale  zu  Paris.  Aus  der  Reihe  der  sehr  gleichförmigen 
Diptychen  des  sechsten  Jahrhunderts  tritt  das  des  Philoxenus  sowohl  durch  die 
Komposition  wie  durch  die  Behandlung  der  Figuren  heraus.  Auf  jeder  Tafel 
sind  drei  Kreise,  im  oberen  das  Brustbild  des  Konsuls  mit  der  Trabea  bekleidet, 
im  mittleren  die  Inschrift,  im  unteren  das  Bild  einer  Frau.  Die  Züge  des  Mannes 
wie  der  Frau  haben  ein  individuelles  Gepräge.  Die  Wangen  und  das  Doppel- 
kinn des  Mannes,  wie  der  Schnitt  des  Mundes  und  die  eigenartige  Behandlung 
der  Haarlocken  sind  entschieden  nach  Beobachtungen  an  der  Natur  gemacht 
und  weichen  von  dem  allgemeinen  Typus  der  Zeit  so  weit  ab,  daß  wir  die  Dar- 
stellung sicher  als  ein  Bildnis  und  zwar  als  ein  nicht  unzutreffendes  bezeichnen 
dürfen.  Auch  das  Bild  der  Frau  hat  namentlich  im  unteren  Teil  des  Gesichts 
etwas  individuelles,  von  dem  herrschenden  Typus  abweichendes.  Gleichwohl 
bleibt  es  fraglich,  ob  wir  eine  bestimmte  Person  oder  eine  Allegorie  vor  uns 
haben. 

Das  Bild  des  Philoxenus  ist  das  letzte,  welches  ich  als  Bildnis  anerkennen  kann. 
Aber  schon  vor  seinem  Konsulat  kommen  Konsulardiptychen  vor,  auf  welchen  das 
Bild  des  Konsuls  aller  individuellen  Züge  bar  ist.  Als  Beispiel  mag  ein  Diptychon 
genügen,  das  ohne  ausreichenden  Grund  dem  Magnus,  518  Konsul  des  Ostens,  zuge- 
schrieben wird.  (Molinier  24,  Meyer  31).  Die  Übereinstimmung  des  Gesichtes  des 
Konsuls  mit  denen  der  hinter  ihm  stehenden  allegorischen  Gestalten  der  Roma  und 
Constantinopolis  zeigt  klar,  daß  hier  nur  ein  Konsul,  nicht  aber  eine  bestimmte 
Person  dargestellt  ist,  soferne  nicht  das  gekräuselte  Haar  als  individualisierendes 
Zeichen  gelten  soll.  Auch  wenn  dies  zutreffen  sollte,  wäre  damit  bewiesen,  daß  die 
Bildniskunst  vom  Wesentlichen  auf  das  Unwesentliche,  auf  äußerliche  Merkmale 
zurückgesunken  ist,  von  welchem  sie  auf  primitiven  Kunststufen  ihren  Ausgang  ge- 
nommen hat. 

Die  antike  Bildniskunst  hat  ihren  Lauf  vollendet.    Werfen  wir  einen  Blick  auf 
den  Weg  zurück,  welchen  sie  seit  dem  Beginn  der  römischen  Kaiserzeit  durchlaufen 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  43 


hat.  Zur  Zeit  des  Augustus  ist  der  Höhepunkt  schon  überschritten,  aber  das  künst- 
lerische Vermögen  ist  noch  sehr  groß  und  die  besten  Kräfte  werden  in  den  Dienst 
des  Kaisers  gezogen. 

Es  waren  Griechen,  und  als  ein  Sproß  der  griechischen  Kunst  muß,  wie  ich 
schon  eingangs  betont  habe,  die  römische  Bildniskunst  betrachtet  werden.  Schon 
im  dritten  Jahrhundert  ist  in  den  Büsten  der  Diadochen  das  Äußerste  an  realistischer 
Bildnistreue  erreicht.  Die  Bildnisse  der  claudischen  Kaiser  zeigen  eher  ein  Zurück- 
greifen auf  typische  Formgebung,  sie  sind  mit  bewußter  Absicht  dem  Bilde  des 
Augustus  genähert.  Wie  weit  dies  mit  allgemeinen  stilistischen  Strömungen  der 
Zeit  in  Zusammenhang  steht,  soll  in  dem  engen  Rahmen  dieser  Arbeit  nicht  unter- 
sucht werden.  Die  Münzbilder  sind  von  einer  reifen  und  vollen  Schönheit,  sie  bleiben 
auch  bei  einer  sehr  ins  Einzelne  gehenden  Durchbildung  frei  und  groß.  Der  Stil 
ändert  sich  bis  auf  Hadrian  kaum.  Dann  tritt  der  Verfall  ein,  und  zwar  im  Münz- 
bilde weit  entschiedener  als  in  der  großen  Plastik.  Während  noch  unter  den  Severen 
Meisterwerke  der  Bildniskunst  wie  die  Büste  des  Caracalla  in  Berlin  geschaffen  werden, 
sind  die  Münzbilder  der  Antonine  schon  durchgehends  erschreckend  geistlos  und 
nachlässig  gearbeitet.  Etwas  besser  sind  die  Münzen  der  Severe,  der  Gordiane  und 
ihrer  nächsten  Nachfolger.  Ihr  Stil  ist  trocken,  ihre  technische  Ausführung  mittel- 
mäßig, aber  sie  erreichen  im  allgemeinen  die  Ähnlichkeit.  Mit  dem  Ausgang  des 
dritten  Jahrhunderts  sinken  die  Anforderungen  an  die  Ähnlichkeit  auf  eine  ganz 
niedrige  Stufe,  der  Stil  schwankt  zwischen  Relief  und  Zeichnung,  die  technische 
Ausführung  ist  unbeholfen.  Das  Gefühl  für  den  organischen  Bau  des  Gesichts 
schwindet,  man  begnügt  sich  mit  einer  mehr  oder  minder  unvollkommenen  Wieder- 
gabe einzelner  Merkmale;  Nebensächliches  wie  die  Tracht  tritt  in  den  Vordergrund. 
Schließlich  werden  nur  noch  die  Standesabzeichen  gegeben,  das  Münzbild  hört  auf 
Bildnis  zu  sein,  es  ist  Symbol  geworden. 

Daß  in  der  Frühzeit  des  sechsten  Jahrhunderts  noch  eine  beschränkte  Fähig- 
keit der  charakteristischen  Darstellung  bestimmter  Personen  vorhanden  war,  zeigen 
einige  Diptychen.  Aber  die  meisten  von  diesen  Erzeugnissen  der  Kleinkunst  lassen 
erkennen,  wie  wenig  Wert  man  auf  die  Bildnistreue  legte. 

Dieser  Verzicht  ist  ein  Symptom  einer  allgemeinen  Erscheinung,  eines  voll- 
ständigen Wandels  des  Kunstgefühls.  Die  lineare  und  plastische  Anschauung,  welche 
die  griechische  Kunst  beherrscht  und  zur  höchsten  Vollendung  der  Form  geführt 
hat,  tritt  zurück,  der  plastische  Formensinn  erlischt,  die  bildende  Kunst  gelangt 
zu  völliger  Vernachlässigung  der  formalen  Durchbildung.  Man  sucht  und  findet 
Ersatz  in  einer  Kunst,  welche  durch  Licht  und  Farbe  wirkt  und  das  psychologische 
Moment  der  Stimmung  einführt,  das  wissenschaftlich  kaum  faßbar  ist.  Wer  in 
Ravenna  die  kleine  Grabkapelle  der  Galla  Placidia  betritt,  wird  inne,  mit  welcher 
Macht  hier  nur  durch  Licht  und  Farbe  ein  sehr  starker  ästhetischer  Eindruck  erzielt 
wird.  Doch  wir  können  nur  ermessen,  wie  der  Raum  auf  uns  wirkt.  Es  ist  ja  anzu- 
nehmen, daß  die  Wirkung  auf  die  Menschen  des  fünften  Jahrhunderts  ähnlich  war, 
aber  wenn  wir  von  dem  Stimmungsgehalt  alter  Kunstwerke  sprechen,  projizieren 
wir  doch  nur  unser  Gefühl  in  frühere  Zeiten. 

Noch  ein  zweites  wirkte  zersetzend  auf  den  Formensinn.  Die  spätantike  Kunst, 
namentlich  die  christliche,  operiert  in  ausgedehntem  Maße  mit  Assoziationsvor- 


44  BEITRAGE  ZUR  GBSCHICHTB  DES  BILDNISSES  VON  GUSTAV  VON  BBZOLD. 

Stellungen,  welche  durch  Symbole  hervorgerufen  werden.  Das  aber  führt  von  der 
Anschauung,  der  einzigen  Grundlage  ästhetischer  Wirkung,  in  Gebiete,  die  der  Kunst 
fernliegen. 

Es  wäre  verlockend,  die  Entwickelung  der  spätantiken  Poesie  zu  der  der  bil- 
denden Kunst  in  Parallele  zu  setzen.  Es  ist  kaum  zufällig,  daß  gleichzeitig  mit  dem 
Schwinden  des  plastischen  Formensinnes  der  quantitierende  Vers  in  Verfall  gerät 
und  daß  der  akzentuierende  rhythmische  mit  dem  Reimschluß  in  Aufnahme  kommt. 
Hier  sei  nur  darauf  hingewiesen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseuni.    1907- 


Taf.  XI. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Alfred  Walcher  Ritter  von  Molthein,  Bunte  Hafnerkeramik  der  Renaissance  in  den  öster- 
reichischen  Ländern  Oesterreich  ob  der  Enns  und  Salzburg  bei  besonderer  Berücksichtigung  ihrer 
Beziehungen  zu  den  gleichzeitigen  Arbeiten  der  Nürnberger  Hafner.     Wien  19O6. 

Die  Geschichte  der  deutschen  Keramik  hat  im  letzten  Jahrzehnt  durch  die  immer  weiter 
greifende  Sammlertätigkeit  auf  diesem  Gebiet  zu  manchen  neuen  und  glücklichen  Ergebnissen 
geführt.  Eines  der  schwierigsten  Kapitel  bildete  von  jeher  die  Provenienz  und  Entwicklung  der 
aus  gewöhnlichem  Töpferton  mit  Buntglasur  hergestellten  Ware,  die  sich  in  zwei  Hauptgebiete, 
die  Gefäß-  und  die  Ofenkeramik  abteilen  läßt.     Nur  sehr  zeit-  und  müheraubende  SpezialStudien 


Abb.  1.     Nürnberger  Hafnerkrug, 
der  Preuningschen  Werkstätte  zugeschrieben. 


für  kleinere  lokalere  Gebiete  können  Aussicht  geben,  in  das  noch  vielfach  herrschende  Chaos  Ord- 
nung zu  bringen.  Alfred  von  Walcher,  der  Kustos  der  berühmten  Sammlungen  des  Grafen  Wilczek 
hat  diese  Aufgabe  bezüglich  Salzburgs  und  Österreichs  für  die  Renaissanceperiode  in  einem  muster- 
haft angelegten  Werke  in  Angriff  genommen,  wie  es  seines  Gleichen  auf  deutschem  Boden  noch  nicht 
gefunden  hat.    Auch  wenn  man  nicht  allen  Schlüssen  des  Verfassers  beistimmen  kann,  so  trägt 


46  UTERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


die  Herbeischaffung  alles  nur  erreichbaren  urlcundlichen  und  Denkmälermateriales  und  seine 
sorgfältige  Prüfung  zur  Aufhellung  des  gerade  in  jenen  Gebieten  glänzend  vertretenen  Kunst- 
zweiges doch  wesentlich  bei. 

Den  Beginn  der  Untersuchungen  macht  v.  Walcher  mit  der  Stadt  Steyr,  deren  Bedeutung 
als  Transitplatz  für  den  deutsch-italienischen  Handel  er  auch  als  ausschlaggebend  für  die  große 
Hafnerindustrie  ansehen  möchte.  Nach  kurzer  Erzählung  der  Geschichte  des  dortigen  Hafner- 
gewerbes und  Aufführung  der  nachweisbaren  Meister  geht  er  mit  Geschick  an  die  Zusammen- 
stellung der  vermutlich  in  Steyr  gefertigten  Gefäße  ein.  Hier  wie  an  anderen  Stellen  des  Werkes 
muß  freilich  bemerkt  werden,  daß  die  Versuche,  unbezeichnete  alte  Gefäße  auf  Meister  zu  beziehen, 
von  denen  nichts  als  der  Namen  überliefert  ist,  zu  gewagt  erscheint.  Die  Blütezeit  der  Steyrer 
Hafnerkeramik  fällt  in  die  Jahrzehnte  um  1600.  Sodann  wendet  er  sich  den  Hafnern  im  Krems- 
tale zu,  die  durch  die  Art  der  Verwendung  von  Reliefauflagen  und  die  Art  der  Zinn-  und  Blei- 


Abb.  2.     Nürnberger  (?)  Krug  mit  Porträtmedaillons  um  1530. 

Sammlung   Figdor.  Wien. 

glasuren  dem  Verfasser  eine  enge  Verbindung  mit  gleichzeitiger  und  vorangehender  Gefäßkeramik 
in  Nürnberg  vermuten  lassen.  Der  Export  nach  dort,  insbesondere  der  Plutzer  genannten  Wein- 
krüge, wovon  Abb.  1  ein  Beispiel  aus  der  Sammlung  Wilczek')  gibt,  ist  sicher  und  ebenso  die  tech- 
nische und  stilistische  nahe  Verwandtschaft  dieser  und  der  Kremstaler  Hafnergeschirre,  so  daß 
außer  dem  Exportgut  selbst,  wohl  auch  die  Ansäßigmachung  eines  oder  mehrerer  Nürnberger 
Hafner,  von  Gesellen,  die  dort  gearbeitet,  sehr  wahrscheinlich  wird.  Daß  der  in  Kremsegg  ge- 
nannte Hafner  Acher,  der  die  neue  „aufgelegte"  Ware  nach  vorhandenen  Akten  einführte,  der 


1)   Die   Klischees    zu    dieser  wie  zu  den  folgenden  Abbildungen  wurden   für  diese  Be 
sprechung  von   Herrn  v.   Walcher  freundlichst  überlassen. 


UTERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  47 

^Überbringer  der  Nürnberger  Tradition  war,  bleibt  zum  mindesten  wahrscheinlich.  Ein  weiterer 
Abschnitt  beschäftigt  sich  mit  den  Welser  und  Ennser  Töpfereien.  Die  Hypothese  über  die  Ge- 
fäße mit  Sandanwurf  und  Porträts  als  Erzeugnisse  der  Nürnberger  Werkstatt  Oswald  Reinhart, 
Nickel  und  Hirsvogel  möchte  ich  in  diesem  Zusammenhang  doch  nicht  für  völlig  begründet  er- 
achten, noch  weniger  den  etwas  phantastisch  konstruierten  Zusammenhang  Reinharts  mit  dem 
angeblichen  Zwinglibecher.  Novellen  sind  in  der  Kunstgeschichte  stets  von  Übel.  Betrachtet 
man  die  Wanderung  der  rheinischen  Steinzeugdekoration  durch  ganz  Deutschland,  so  wird  man 
bei  dem  ja  heute  noch  stattfindenden  Wandervertrieb  keramischer  Erzeug^nisse  das  Vorkommen 
ähnlicher  Formen  und  Techniken  in  jener  Zeit  auch  ohne  spitzfindige  Erörterungen  begreifen. 
Immerhin  mag  Nürnberg  eher  als  Köln  für  die  oben  erwähnte  Hafnerwaren  den  ersten  Ausgangs- 
punkt gebildet  haben  (s.  Abb.  2  u.  3)-  Neben  dem  in  Wels  sehr  viel  vorkommenden  gekörnten 
Grunde,  kommen  auch  gepunzte  Stücke  in  den  in  der  Gegend  gemachten  Funden  vor.    Im  weiteren 


Abb.  3.     Nürnberger  (?)  Hafenkrug  um  1550. 

österreichisches  Museum,   Wien. 

Verlauf  werden  von  einer  Reihe  weiterer  Städte  und  Markte  meist  des  nördlichen  Oberösterreichs 
Notizen  gebracht  und  das  hiezu  gehörige  Denkmälermaterie  abgebildet.  (Proben  in  Abb.  4  u.  5-) 
Dann  wendet  sich  die  Betrachtung  dem  Salzkammergut  zu.  Der  an  erster  Stelle  zu  nennende  Ort 
ist  Gmunden  am  Traunsee,  über  dessen  Hafnergeschichte  wir  allerdings  erst  seit  dem  17.  Jahr- 
hundert Genaueres  wissen.  Von  den  Hafnerorten  ist  Frankenberg  (ursprünglich  Zwispallen  genannt) 
und  Sitz  des  Khevenhüllerschen  Grafengeschlechtes,  weitaus  der  wichtigste.  Eine  interessante 
Hypothese  bezüglich  der  Hinwirkung  Augustin  Hirsvogels  auf  die  Frankenburger  Töpferei  knüpft 
V.  Walcher  an  die  enge  Bekanntschaft  des  Nürnberger  Künstlers  mit  dem  kaiserlichen  Kammer- 
rat Christoph  Khevenhüller.  Ins  Salzkammergut  versetzt  Walcher  auch  den  sehr  frühen,  interes- 
santen Weinkühler  der  Sammlung  Lanna  in  Prag,  auf  Grund  des  Vorkommens  desselben  Modells 


48 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


mit  Josua  und  Kuleb  an  einjm  Halleiner  Ofen.  Bezüglich  der  möglicher  Weise  dem  Salzkammer- 
gut entstammenden  Wasserblase  im  Germanischen  Museum  ist  zu  bemerken,  daß  sie  auf  der  einen 
relifierten  Seite  nicht  eine  Darstellung  der  Ohrenbeichte,  sondern  Adam  und  Eva  in  einer  im  Maß- 
stab der  Figuren  und  Auffassung  von  der  anderen  Seite  völlig  verschiedenen  Auffassung  zeigt, 
ein  weiterer  Beweis,  daß  die  Hafner  ziemlich  wahllos  Model  der  verschiedensten  Provenienz  ver- 
wendeten. 

Den  letzten  Abschnitt  über  Gefäßkeramik  nimmt  Salzburg  ein,  das  in  dieser  Beziehung 
wie  auch  in  der  Ofenkeramik  in  den  behandelten  österreichischen  Kronländern  unbedingt  die  erste 
Stelle  einnimmt.  Die  Zuweisung  des  schönsten  keramischen  Werkes  der  Renaissance  der  deutschen 
Kronländer  Österreichs,  der  Zunftkachel  der  Sammlung  Figdor  nach  Salzburg  dürfte  jedenfalls 
richtig  sein,  ebenso  die  daran  anschließenden  Werke,  wenn  auch  hier,  wie  überall,  der  Verfasser 
geneigt  ist,  eine  ansprechende  Namenshypothese  wie  in  diesem  Falle  des  Thomas  Strobl  als  feste 
Tatsache  anzunehmen. 


Abb.  4.     Buntglasierte,  obcröstcrreichische  Feldflasche  aus  der  2.  Hälfte  des  16.  Jahrh. 

Sammlung   Figdor,   Wien. 


Den  letzten  weitaus  umfangreichsten  Abschnitt  der  geschichtlichen  Untersuchung  bildet 
derjenige  über  die  Ofenkeramik  Oberösterreichs  und  Salzburgs.  Die  Untersuchung  geht  natur- 
gemäß vom  Hohensalzburger  Ofen  aus,  den  v.  Walcher  mit  ausführlichen  Darlegungen  für  eine 
Halleiner  Werkstätte  reklamiert.  Daß  er  heimatlichen  Ursprungs  ist,  wird  heute  wohl  niemand 
mehr  in  Abrede  stellen;  aber  das  nächstliegende  wird  doch  immer  bleiben,  ihn  in  Salzburg  selbst 
entstanden  zu  denken.  Sehr  dankenswert  ist  die  Zusammenstellung  der  einheimischen  Kacheln 
vor  dem  Eindringen  der  alle  Model  der  deutschen  Gaue  nivellierenden  Vorlagen  der  Kleinmeister. 
Material  und  Art  der  Glasur  geben  späterhin  allein  noch  die  Handhaben  zu  richtiger  Bestimmung. 
Beizustimmen  ist  Walcher  wohl  in  der  Zuschreibung  des  kostbaren  Ofens  mit  den  freien  Künsten 
im  Germanischen  Museum  an  einen  österreichischen  Meister,  wogegen  die  Deutung  der  Initialen 
desselben  auf  Andre  Finkh-Wels,  schon  wegen  der  Datierung  unbedingt  abzulehnen  ist.  Der 
Einfluß  der  Nürnberger  Ofenkeramik  auf  die  übrige  deutsche  und  insbesondere  die  österreichische 
wird  meines  Erachtens  von  Walcher  und  anderen  stark  überschätzt.    Die  Vorlagen,  wie  die  Model- 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


49 


abdrücke  der  Durchschnittsware  waren  allerdings  vielfach  die  gleichen,  weiter  aber  von  einer 
führenden  Rolle  Nürnbergs  sprechen  zu  wollen,  geht  nicht  an.  Gerade  die  besten  Arbeiten  Nürn- 
bergs von  1540 — 1640  haben  anderwärts  wenig  Nachahmung  gefunden. 

Neue  wichtige  Aufschlüsse  bringt  v.  Walcher  über  die  von  den  österreichischen  Hafnern 
geschaffenen  Bildplatten,  der,  wenn  ich  so  sagen  darf,  vom  Ofen  losgelösten  großen  Kachel.  Leider 
geht  Walcher  auf  die  möglicher  Weise  bei  dem  engen  Zusammenhang  der  Innstädte  mit  Salzburg 
und  Oberösterreich  wohl  auch  dort  entstandene  größte,  schönste  und  früheste  Arbeit  dieser  Art, 
das  Hellersche  Epitaph  von  1542  aus  Wasserburg,  jetzt  im  Germanischen  Museum,  nicht  näher 
ein  und  verweist  hier,  wie  bei  dem  sicher  auf  einen  Salzburger  Künstler  zurückgehenden  Jakobs- 
berger  Relief  von  1589  (Bez.-A.   Rosenheim,  dem  Bistum  Salzburg  angehörig)  auf  einen  Nürn- 


Abb.  5.     Bunte  Tonschüssel  um  1600,  vermutlich  aus  dem  Satzkammergut,  um  1600. 

Sammlung    Figdor,  Wien. 


berger  Formschneider  Michael  Reinhart,  der  kaum  von  1542 — 1589  gearbeitet  hat.     Der  Stil  bei 
der  Arbeiten  ist  ziemlich  verschieden,  für  Nürnberg  aber  ganz  unmöglich. 

Neben  der  stilkritischen  Arbeit  der  ersten  Abschnitte  hat  v.  Walcher  auch  der  Publikation 
des  einschlägigen  Urkundenmaterials,  soweit  es  bis  dahin  vorliegt,  sein  Augenmerk  gewidmet. 
Weniger  kunst-  als  kulturgeschichtlich,  als  Dokumente  des  Gewerbelebens  sind  die  im  Anhang 
abgedruckten  verschiedenen  Hafnerordnungen  aus  den  beiden  fraglichen  Kronländern  von  hohem 
Wert.  Es  sind  dies  die  Hafnerordnung  für  die  Stadt  Steyr  von  1485,  bezw.  1628,  die  Ordnung 
des  Hafnerhandwerks  der  Stadt  Wels  von  1589,  die  Hafnerordnung  für  die  sieben  landesfürst- 
lichen Städte  Oberösterreichs  von  1651,  die  Hafnerordnung  für  Oberösterreich  von  I669,  die  Hafner- 

Mitteilongen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  ^ 


50 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Ordnung  für  den  Markt  Frankenburg,  erlassen  vom  Grafen  Franz  Christoph  Khevenhüller  von 
1632  und  die  Salzburger  Hafnerordnung  des  Erzbischofs  Johann  Jakob  von  Khuen-Belasy  von 
1578.  Nach  derselben  Richtung  bewegen  sich  die  weiter  abgedruckten  Urkunden,  ein  Welser 
Lehrbrief  von  1535,  ein  Streitentscheid  zwischen  der  Steyrer  Hafnerzunft  und  dem  Kremsegger 
Meister  Acher  durch  den  Steyrer  Bürgermeister  1581  und  ein  Hausierverbot  für  Hafnerwaren 
in  Steyr  1628.  Trotz  der  etwas  ermüdenden  Weitschweifigkeit,  wie  sie  den  Handwerksschriften 
eigen  zu  sein  pflegen,  fällt  doch  mancher  Lichtstrahl  in  das  kleinbürgerliche  süddeutsche  Leben 
der  Zeit. 

Gleichhoch  wie  die  Bedeutung  der  wissenschaftlichen  Forschung  möchte  ich  für  Fach- 
und  Sammlerkreise  den  illustrativen  Teil  des  Werkes  stellen.  Hier  ist  einmal  an  einem  kleinen, 
scheinbar  unbedeutenden  Zweig  des  Kunsthandwerks  gezeigt,  wie  weit  wir  heute  in  der  Wieder- 
gabe farbiger  Vorlagen  gekommen  sind.  Die  farbige  photomechanische  Wiedergabe  der  Tafeln 
ist  eine  so  ausgezeichnete,  daß  diese  Abbildungen  den  höchsten  Anforderungen  für  die  stilkritischen 


Abb.  6.    Grunglasierte  Terrine,  Salzburg,  um  1600. 
Sammlung  Schwarz  in  Wien. 


Vergleichungen  genügen.  Die  ja  hauptsächlich  durch  die  Farbe,  weniger  durch  die  Form  wirkenden, 
hier  in  Betracht  kommenden  Hafnererzeugnisse  sind  auf  den  dreizehn  bunten  Tafeln  in  Mehr- 
farbenautotypie und  farbigem  Lichtdruck  förmlich  lebendig  geworden.  Auch  die  nicht  poly- 
chromen Lichtdrucke  geben  die  farbigen  Wirkungen  trefflich  wieder. 

Im  übrigen  hat  v.  Walcher  mit  dankenswerter  Vollzähligkeit  alles  nur  irgendwie  zur  Frage 
wichtige  Material  in  Abbildungen  gebracht,  in  nicht  weniger  als  fünfundzwanzig  Tafeln  und  140 
Textabbildungen,  so  daß  man  diese  Arbeit  gleichzeitig  als  ein  ziemlich  vollständiges  illustriertes 
Inventar  der  bis  jetzt  bekannten  Oberösterreicher  und  Salzburger  Hafnerkeramik  betrachten  kann. 

Daß  die  mit  peinlichster  Sorgfalt  durchgeführte  Arbeit  auch  typographisch  den  höchsten 
Anforderungen  entspricht,  kann  nach  dem  Gesagten  als  fast  selbstverständlich  gelten,  ebenso  das 
sorgfältige  Register  die  Benutzung  für  den  Museumsfachmann  und  Sammler  wesentlich  erleichtem. 

H.  Stegmann. 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  51 


Gemälde  alter  Meister  im  Besitz  seiner  Majestät  des  Deutschen  Kaisers  und  Königs  von 
Preußen.  Unter  Mitwirkung  von  Wilhelm  Bode  und  Max  Friedländer,  heraus- 
gegeben von  Paul  Seidel. 

Rembrandt  in  Bild  und  Wort,  herausgegeben  von  Geheimrat  Dr.  Wilhelm  Bode  unter 
Mitwirkung  von  Dr.    W.    V  a  1  e  n  t  i  n  e  r.     Berlin,    Rieh.    Bong,    Kunstverlag. 

Von  den  beiden  in  jüngster  Zeit  von  dem  rührigen  Bongschen  Kunstverlage  in  den  Verkehr 
gesetzten  Prachtwerken  über  ältere  Malerei  war  das  erste  über  den  Familienbesitz  der  Hohen- 
zollern  an  älteren  Bildern  bestimmt,  als  Huldigungsgabe  anläßlich  der  silbernen  Hochzeit  des 
Kaiserpaares  zu  dienen.  Der  Gemäldeschatz  der  preußischen  Schlösser  begann  mit  der  Aus- 
stellung einer  wertvollen  Auswahl  der  von  Friedrich  d.  Großen  gesammelten  französischen  Bilder 
auf  der  Pariser  Weltausstellung  1900  die  Aufmerksamkeit  der  ganzen  gebildeten  Welt  auf  sich  zu 
lenken.  Die  vorliegende  Publikation,  welche  dengesamten  Gemäldebesitz  des  preußischen 
Königshauses  an  künstlerisch  wichtigen  Stücke  umfaßt,  läßt  erkennen,  wie  viel  Interessantes 
und  Schönes  bei  der  in  der  ersten  Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts  vorgenommenen  Über- 
führung des  Hauptteiles  des  Gemäldebestandes  in  die  königlichen  Museen  in  den  Schlössern, 
besonders  von  Berlin  und  Potsdam,  zurückgeblieben  und  bisher  der  Forschung  und  dem 
Kunstfreund  so  gut  wie  unbekannt  geblieben  ist.  Neben  der  französischen  Kunst  des  18.  Jahr- 
hunderts, die  nirgends  auf  der  Welt  eine  so  quantitativ  und  qualitativ  großartige,  Vertretung 
aufweisen  kann,  haben  sich  insbesondere  auch  für  die  Kunst  Cranachs  und  Rubens  ungekannte, 
oder  doch  unbeachtete  Schätze  heben  lassen.  Der  Herausgeber,  als  Vorstand  der  Königlichen 
Kunstsammlungen,  macht  den  Leser  zunächst  mit  der  Sammlertätigkeit  des  preußischen  Königs- 
hauses bekannt,  wobei  diejenige  Friedrichs  des  Großen  an  erster  Stelle  steht,  der  nicht  nur 
die  französischen  Maler  seiner  Zeit,  sondern  auch  Correggio  und  andere  Italiener,  die  großen 
Namen,  wie  Rubens  und  van  Dyk  in  den  Kreis  seiner  großzügigen  Kunstleidenschaft  zog.  Die 
altdeutschen  und  altniederländischen  Gemälde  sind  von  Max  Friedländer,  die  Holländer  und 
Italiener  von  W.  Bode,  die  Franzosen  des  XVIII.  Jahrhundert  wieder  von  Seidel  behandelt. 
Die    Namen    dieser   ersten  Autoritäten  ihres  Faches  verbürgen  an  sich  den  Wert  des  Gebotenen. 

Die  bildliche  Ausstattung  des  Werkes  ist  eine  ganz  ausgezeichnete  und  in  den  72  Kupfer- 
drucktafeln hat  der  auf  diesem  Gebiet  ja  schon  rühmlichst  bekannte  Verlag  das  Glänzendste  zu 
so  verhältnismäßig  billigem  Preise  geleistet,  was  bisher  auf  dem  deutschen  Markte  erschienen. 
Das  gleiche  uneingeschränkte  Lob  verdienen  auch  die  noch  zahlreicheren,  zum  Teil  in  größtem 
Maßstabe  gefertigten  Autotypien. 

Das  Werk  über  Rembrandt  hat  einen  etwas  anderen  Charakter.  „Rembrandt  in  Bild 
und  Wort"  will  ein  im  Verhältnis  zu  seiner  Ausstattung  billiges  Prachtwerk  für  den  weiten 
Kreis  deutscher  Kunstfreunde  sein.  Auch  hier  stehen  in  gewissem  Sinne  die  60  Kupfergravüren 
nach  Gemälden  Rembrandts  im  Vordergrund,  wenn  sie  auch  an  Feinheit  und  Tonigkeit  an  die  des 
erstgenannten  Werkes  nicht  ganz  heranreichen.  Daß  ein  auch  in  Illustrationsfragen  so  feinsinniger 
Mann  wie  Bode  an  der  Reproduktion  der  Radierungen  und  Handzeichnungen  in  Autotypie  auf 
stark  glänzendem,  gestrichenem  Papier  Gefallen  gefunden  haben  sollte,  ist  indes  wenig  glaublich. 
Der  Text  mit  wissenschaftlicher  Gründlichkeit  und  doch  in  warmer,  leichtverständlicher  Weise 
geschrieben,  ist  eine  ganz  ausgezeichnete  Einführung  in  das  Wesen  des  dem  deutschen  Volke  so 
nahestehenden  holländischen  Meisters,  wie  sie  bisher  trotz  der  reichhaltigen  Rembrandtliteratur 
nicht  vorhanden  war.  H.  St. 

Münchener  Jahrbuch  der  bildenden  Kunst.  Herausgegeben  von  Lud  a' ig  von 
BuerkeL  Verlag  von  Georg  D.  W.  Gallwey,  München.  Bd.  I  1906  und  1907 
1.    Halbband, 

Ein  seit  vielen  Jahren  gefühltes  Bedürfnis  in  Süddeutschland  war  es,  für  den  gesamten 
kunstwissenschaftlichen  Betrieb  ein  Organ  zu  schaffen,  das  für  Süddeutschland  und  speziell 
für  Bayern  dieselben  Ziele  verfolgen  solle,  wie  dies  in  Österreich  vom  Jahrbuch  der  Kunst- 
sammlungen des  Allerhöchsten  Kaiserhauses,  in  Preußen  durch  das  Jahrbuch  der  Kgl. 
preußischen  Kunstsammlungen  geschieht.  Versuche  und  Anregungen,  eine  ähnliche  Publikation 
durch  die  staatliche  Kunstverwaltung  in  die  Wege  zu  leiten,  sind  bisher  an  der  leidigen  Geld- 
frage gescheitert.     Im  vorigen  Jahre  hat  ein  jüngerer  Münchener  Kunstgelehrter,  Dr.  Ludwig 


52  LITERARISCHE  BBSPRECHDNOEN. 

von  Buerkel,  im  Verein  mit  der  Georg  D.  W.  Callweyschen  Verlajfshandlung  den  aner- 
kennenswerten Mut  gehabt,  die  Lösung  der  wichtigen  und  schwierigen  Aufgabe  durch 
private  Initiative  zu  versuchen.  Die  Pubhkation,  die  zugleich  das  offizielle  Organ  des 
Bayerischen  Vereins  der  Kunstfreunde  und  der  Münchener  Kunstwissenschaftlichen  Gesellschaft 
ist,  liegt  im  ersten  Jahresband  (1906)  und  in  einem  weiteren  Halbjahresband  (1907)  vor. 
Der  Herausgeber  hat  mit  großem  Glück  verstanden,  eine  große  Anzahl  bedeutender  Mit- 
arbeiter zu  gewinnen,  und  war  offenbar  bestrebt,  das  junge  Unternehmen  in  möglichster  Viel- 
seitigkeit erglänzen  zu  lassen.  Auf  Inhalt  und  Wert  der  einzelnen  zahlreichen  Abhandlungen, 
die  bisher  erschienen ,  hier  einzugehen ,  kann  nicht  versucht  werden,  es  mag  genügen, 
auf  das  Wichtigste  der  beiden  ersten  meist  aus  kleineren  Arbeiten  bestehenden  Bände  hin- 
zuweisen. Aus  der  Archäologie  bringt  Adolf  Furtwängler  zwei  bedeutsame  Beiträge  über  die 
Sphinx  des  Athenetempels  von  Aegina  und  einen  von  ihm  festgestellten  vorzüglichen  Bronze- 
kopf des  Kaisers  Maxirain  im  Münchner  Antiquarium.  Heinrich  Bulle,  Georg  Habich  und 
Johannes  Sieveking  behandeln  antike  Monumente  aus  Münchener  Privatbesitz.  Ein  in- 
teressantes orientalisches  Metallbecken  aus  dem  Besitz  der  Münchener  Staatsbibliothek  wird 
von  Friedr.  Sarre  und  Max  van  Berchem  vorgeführt.  Über  den  neuerworbenen  Franz  Hals 
der  Münchener  Pinakothek  und  von  ihm  nachgewiesene  altfranzösische  Bilder  ebendort 
schreibt  Karl  Voll.  Der  Geschichte  der  Malerei  sind  darin  noch  die  Arbeiten  Georg  Gronau 
über  eine  Teilkopie  eines  Freskos  des  Dominico  Ghirlandaio  im  Münchener  Nationalmuseum, 
Wilhelm  Pinders  über  eine  Rubensskizze  in  Würzburg,  August  Goldschmidts  über  den  in- 
teressanten Münchener  Porträtisten  J.  G.  Edlinger  gewidmet.  Mit  der  Geschichte  der  Plastik 
beschäftigt  sich  der  wichtige  Aufsatz  G.  Habich's  über  H.  Leinberger,  den  mutmaßlichen 
Meister  des  Moosburger  Altars,  E.  Bassermann-Jordan  behandelt  den  Zusammenhang  des 
Cellini- Perseus  in  Florenz  mit  dem  Perseusbrunnen  des  Friedr.  Sustris  in  der  Münchener 
Residenz.  In  guter  Weise  orientieren  dann  die  Berichte  von  Habich  und  Bassermann- Jordan 
über  die  Renaissanceausstellung  des  Bayerischen  Museumsvereins  und  von  Otto  Weigmann 
über  die  retrospektive  Ausstellung  bayerischer  Kunst  1906. 

Im  allgemeinen  darf  wohl  gesagt  werden,  daß  der  wissenschaftliche  Wert  der  publi- 
zierten Arbeiten  ein  bemerkenswert  hoher  ist,  wenn  auch  manches  kleinere  Schnitzelwerk, 
das  ebenso  gut  hätte  ungedruckt  bleiben  können,  mituntergelaufen  ist.  Die  typographische 
und  insbesondere  die  illustrative  Ausstattung  des  Jahrbuchs  ist  eine  mustergiltige  und  vornehme. 

Die  Aufgabe,  die  sich  der  Herausgeber  der  neuen  Zeitschrift  gestellt  hat,  ist,  da  auch 
die  moderne  Kunst  und  Kunsttheorie,  sowie  Museumskunde  hereingezogen  wird,  eine  überaus 
vielseitige.  Ob  in  dieser  Weise  mit  Erfolg  weitergearbeitet  werden  kann,  muß  die  Zukunft 
lehren.  Den  außerhalb  der  Münchener  Verhältnisse  stehenden  Beurteiler  möchten  sich  aber 
die  folgenden  Gedanken  aufdrängen.  Einmal,  ob  es  nicht  im  Interesse  einer  großzügigen 
kunstwissenschaftlichen  Publikation  (nicht  „Kunsf'zeitschrift)  läge,  die  ästhetisierende 
und  kritische  Betrachtungen  über  zeitgenössische  Kunstfragen  auszuschalten  —  denn  für  die 
moderne  Kunst  ist  an  anderen  Orten  reichlichster  Raum  zur  Diskussion  geboten  — ,  dann 
ob  Unternehmungen,  die  durchwegs  nichts  mit  München  oder  Süddeutschland  zu  tun  haben, 
wie  Artikel  ohne  neue  Ergebnisse  über  Madonnenreliefs  der  della  Robbia,  den  Florentiner 
Giovanni  di  San  Giovanni,  ein  Ton-Modell  Michelangelos,  Porträtbüsten  Jacopo  della  Qut- 
ricas  in  Amsterdam,  den  jüngst  erworbenen  Cranach- Altar  bei  Stadel,  eine  Studie  über 
Thomas  Couture,  nicht  etwas  stark  den  Eindruck  von  künstlich  als  Lückenbüßer  heran- 
gezogenen Füllseln  machen.  Andererseits  läßt  sich  wohl  erwarten,  daß,  wenn  das 
Münchener  Kunstjahrbuch  wirklich  fruchtbringend  für  Herausgeber,  Verleger  und  einen 
weiteren  Leserkreis  werden  soll,  der  ziemlich  exclusiv  münchnerische  Standpunkt  des  Unter- 
nehmens, der  sich  im  etwas  einseitigen  Kreis  der  Autoren,  wie  in  der  vorwiegenden  Sphäre 
des  Inhalts  kundgibt,  auf  eine  breitere  bayerische,  bezw.  süddeutsche  Bassis  gestellt  wird. 
Sonst  könnte  im  Laufe  der  Zeit  die  innere  Existenzberechtigung  der  vielversprechenden 
Publikation  sich  zu  ihrem  Schaden  mindern.  H.   Stegmann. 


V-  C.  SCIMD,  MDMMM 


Die  fränkischen  Epitaphien 
im  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert. 


Von 
Dr.  Edwin   R,eclslot>. 

( Fortsetzung. ) 


VI. 

Plastische  Epitaphien  um  die  Mitte  des  fünfzehnten 

Jahrhunderts. 

Man  müßte  den  einzelnen  Werken  der  fränkischen  Epitaphienkunst  Gewalt 
antun,  wollte  man  sie  unter  dem  Gesichtspunkt  einer  abgeschlossenen  Entwickelung 
betrachten. 

In  Städten  außerhalb  Frankens,  zumal  für  Kreuzgänge  von  Domkirchen,  hat 
sich  mitunter  eine  gewisse  Tradition  in  der  Form  der  plastischen  Epitaphien  heraus- 
gestellt, die  eine  einheitliche  Behandlung  ermöglichen  würde.  In  Nürnberg  hat 
sich,  wie  es  der  Mannigfaltigkeit  der  Besteller  und  der  Verschiedenheit  der  Ver- 
wendung im  Innern  und  Äußern  der  vielen  Kirchen  entsprach,  keine  feste  Ge- 
staltung des  Epitaphs  ausbilden  können.  Die  auf  diesem  Gebiete  tätigen  Meister 
haben  neben  ihren  anderen  heiligen  Gemälden  und  Skulpturen  auch  solche 
geschaffen,  die  mit  dem  religiösen  Gehalt  den  persönlichen  Zweck  des  Gedächtnis- 
bildes verbanden,  die  aber  den  anderen  Werken  so  ähnlich  sind,  daß  ihre  gesonderte 
Behandlung  nicht  durch  vereinheitlichende  Hypothesen  zu  bequemer  Übersichtlich- 
keit gebracht  werden  kann. 

Immer  wieder  zur  Betrachtung  vereinzelt  stehender  Werke  gezwungen,  sehen 
wir,  wie  auch  für  unbedeutende  Aufgaben,  welche  kleinen  Handwerkern  übertragen 
werden,  diese  eifrigen  Meister  eine  selbständige  Lösung  erstreben.  Niemals  sind  sie  mit 
dem  Überlieferten  zufrieden;  wohl  benutzten  sie  die  erweiterten  Kenntnisse  eines 
vorangehenden  Meisters,  aber  der  nächste  sucht  sofort  seinen  eigenen  Weg  einzuschlagen. 

Daher  diese  verwirrende  Fülle  isolierter  Werke,  daher  der  Mangel  an  Tradition,  da- 
her dieser  Reichtum  lebenskräftiger  Ansätze,  die  ungenutzt  und  ohne  Nachfolge  blieben. 

Die  Unfähigkeit,  sich  einer  Überlieferung  unterzuordnen,  erklärt  aber  auch, 
warum  bei  aller  Intensität  der  Auffassung  das  Niveau  für  die  handwerklichen  Arbeiten 
so  niedrig  ist,  warum  zum  Beispiel  die  Nürnberger  Steinmetzarbeiten  hinter  denen 
der  Augsburger  Handwerker  zurückbleiben,  deren  Skulpturen  infolge  des  traditionell 
geschulten  ornamentalen  Verständnisses  sich  organisch  aneinanderreihen. 


54  1)IK  FKANKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


Aus  solchen  Gründen  ist  zu  verstehen,  daß  sich  nach  den  um  1 380—1420  an 
St.  Sebald  und  St.  Moritz  entstandenen  Werken  die  Bedeutung  der  Epitaphienplastik 
für  die  Kunstentwicklung  so  schnell  verminderte. 

Als  Ausnahmeerscheinungen  sind  zwei  Werke  zu  nennen,  die  durch  ihre 
frei  plastische  Gestaltung  das  Gebiet  der  Epitaphienkunst  verlassen.  Beide  Figuren 
stehen  an  St.  Sebald.  Das  erste,  der  Rietersche  Christus  (Datum 
1437)**),  befand  sich  ursprünglich  an  der  Sakristei  und  hat  jetzt  im  Innern,  rechts 
vom  Peterschor  seinen  Platz  gefunden.  Neben  dem  Rieterschen  Christus  war  ein 
Messingtäfelchen  mit  der  Inschrift  angebracht.  Das  zweite  Werk,  der  Schlüssel- 
felderische Christophorus  vom  Jahre  1442,  steht  rechts  vom  Portal  des 
Sebalder  Westchores *').  Zu  der  eigentlichen  Epitaphienkunst  haben  sie  beide  keine 
Beziehung;  zumal  die  Statue  des  Christophorus  mit  ihrem  Reichtum  plastischer 
Motive  und  der  gedrungenen  Formenbehandlung  zeigt,  wie  wenig  diese  bescheidene 
Kunst  einem  frei  entwickelten  Schaffen  genügen  konnte. 

Da  es  bei  den  anderen  Epitaphien  unmöglich  ist,  sie  nach  ihrer  formalen 
Entwicklung  zu  gruppieren,  wird  sich  eine  Anordnung  nach  den  Stoffen  der  Dar- 
stellung empfehlen. 

I.Darstellungen  der   Kreuzigung. 

Bei  der  Besprechung  der  Gethsemane- Reliefs  hatte  ich  die  letzten  Werke  mit 
ihren  dicht  im  Räume  zusammengeschobenen,  untersetzten  Gestalten  als  charakte- 
ristisch für  den  Stil  der  neuen  Bürgerkunst  hingestellt.  In  ähnlichen  Formen  sind 
zwei  spätere  Reliefs  mit  der  Kreuzigung  an  St.  Sebald  gehalten,  die  eine  (1448)  für 
Hermann  Maurer  von  einem  handwerklichen  Meister,  der  mit  gesunder  Kraft  und 
fester  Faust  den  Stein  bearbeitet;  die  zweite  zur  Erinnerung  an  Burckhart  Semm- 
1  e  r  (t  1463),  die  sich  in  ähnlicher  Weise  durch  kleine  gedrungene  Figuren  von  den 
Arbeiten  der  vorhergehenden  Generation  unterscheidet.  Eine  Beurteilung  des  Stiles 
im  Einzelnen  entzieht  sich  der  Möglichkeit,  da  an  der  Kirche  Kopien  angebracht 
werden  mußten,  und  die  schon  sehr  zerstörten  Sandstein-Originale  —  jetzt  in  der 
Krypta  des  Westchores  aufbewahrt  —  noch  eines  Ausstellungsraumes  harren. 
Indeß  beim  ersten  Relief  die  Stifter  in  die  Gruppe  aufgenommen  waren,  ist  bei  dem 
zweiten  die  Abteilung  für  Stifter  und  Inschrift  über  der  Hauptdarstellung  an- 
gebracht. 

Weiter  ist  die  Kreuzigung  für  Hans  Rebeck  (f  1482)  im  Witteisbacher 
Hof  des  Germanischen  Museum s^")  zu  nennen  und  auf  Werke  in  Bam- 
berg sowie  auf  das  reich  ausgestattete  Relief  in  St.  Burkhard  zu  Würzburg 
hinzuweisen,  das  in  architektonischer  Umrahmung  spätgotischen  Geschmackes 
Christus  am  Kreuze  zeigt,  links  Maria,  von  zwei  Frauen  gehalten,  rechts  Johannes, 
darüber  den  Pelikan,  darunter  den  Löwen.  Ein  anderes,  mehr  handwerkmäßiges 
Kreuzigungsrelief  ist  an  der  Außenseite  des  dortigen  Domes  für  den  1451  ver- 
storbenen Hans  Kraft  gestiftet. 

56)  Pückler-Limpurg  S.  145-149  mit  Angabe  der  deutschen  Inschrift  auf  der  Kon- 
sole, 1757. 

57)  Würffei  Diptycha  ecclesiae  Sebaldianae.  Nürnberg  1757  Seite  11,  Pückler-Limpurg 
S.  157  bis  160. 

58)  Gr.  202  mit  den  Todesdaten  1493  und  1482;  aus  dem  Nürnberger  Augustiner- 
kloster stammend. 


VON  ÜR.  EDWIN  RßDSl.Oß.  55 


II.  Darstellungen   des   Schmerzensmannes. 

Der  alte  Hauptstoff  der  plastischen  Epitaphien  war  die  Darstellung  des 
Schmerzensmannes. 

Gern  wählte  man  ihn  oder  die  Gruppe  der  Dreieinigkeit,  wenn  das  Bild  des 
Verstorbenen  die  Hauptsache  sein  sollte.  Im  Entwurf  zum  Epitaph  Ludwigs  des 
Gebarteten  (f  1447)  im  National-Museum  zu  München^**)  wendet  sich  der  Herzog 
betend  der  Dreinigkeit  zu.  Die  Gestalt  des  Fürsten  ist  eine  der  besten  Porträt- 
darstellungen, die  wir  innerhalb  der  Epitaphienkunst  jener  Zeit  finden :  wie  durch  ein 
Wunder  überrascht  blickt  er  auf  die  von  Engeln  umschwebte  Erscheinung.  Die  aus- 
geführte Tafel  bringt  die  Engel  und  Gott- Vater  ungeschickt  nebeneinander  gereiht 
und  trennt  den  Herzog  von  der  heiligen  Darstellung. 

An  einem  Gedächtnisstein  für  Paul  Truchs  zu  Dachsbach  auf  der 
Alten  bürg  bei  Bamberg  steht  eine  kleine  Christusgestalt  im  Zierrat,  welches 
das  Brustbild  des  Verstorbenen  umrahmt.  In  Schwabach  an  dem  großen 
Aufbau  um  die  Freifiguren  des  Ritters  Hans  von  Waiderot  (f  1473) 
und  seiner  Frau  (f  1459)  ist  der  Schmerzensmann  unter  dem  gotischen  Baldachin 
angebracht. 

Ähnlich  angeordnet  ist  das  Epitaph  für  Joh.  von  Salfeld  in  der  Erfurter  Bar- 
füßerkirche mit  den  Todesdaten  1394  und  1400  (Größe  1,57  :  2,40)*^°),  und  das  nach 
Buchner  zwischen  1410  und  1420  entstandene  Grabmal  des  Grafen  Albert  von  Kirch- 
berg in  Kapellendorf  *'^),  der  mit  seiner  Frau  den  Schmerzensmann  verehrt. 

Als  einige  weitere  Beispiele  dieser  meist  durch  Werke  außerhalb  Frankens  zu 
belegenden  Form  greife  ich  heraus:  mit  den  Todesdaten  1477  und  1461  das 
Epitaph  für  Daniel  von  Muderspach  zu  Limburg  an  der  Lahn:  unter  drei  reich  ver- 
zierten Spitzbogen  knieen  zur  Seite  die  Gatten,  in  der  Mitte  befindet  sich  eine  Pietä 
in  kleinen  Verhältnissen;  im  Museum  zu  Heilbronn  der  Grabstein  des  Bürger- 
meisters Berlein  (t  1472),  an  dem  die  Ornamente  der  Umrahmung  die  heiligen  Figuren 
enthalten,  ein  Typus,  der  vor  allem  an  den  Mainzer  Bischofsdenkmälern  reich  aus- 
gebildet wurde;  im  Wanddenkmal  des  Schenken  Friedrich  III.  von  Limpurg  kniet 
der  1445  Verstorbene  mit  seiner  Frau  unter  dem  von  einem  Engel  gehaltenen 
Veronika-Tuch.**^)  Aus  solchen  Grabsteinen  und  Epitaphienumbildungen  hat  sich 
dann  die  Form  des  in  großer  Architektur  aufgebauten  Renaissancewandgrabmals 
entwickelt,  welches  die  Statuen  der  Fürsten  und  Bischöfe,  meist  vor  dem  Kruzifixus 
knieend,  in  rundplastischer  Arbeit  zeigt. 


Wichtiger  für  unsere  Untersuchung  ist  es,  eine  andere  Umbildung  zu  verfolgen, 
die  sich  vom  Monumentalen  entfernt  und  die  malerische  Auffassung  der  zweiten 
Hälfte  des  vierzehnten  Jahrhunderts    zur  Geltung  bringt:  die  Umgestaltung  der 

59)  Bode  S.  192  Abbildung  des  Entwurfs:  Altertümer  des  bayer.  Herrscher-Hauses. 
1855  Kap.  II  (Tafel  8)  Abb.  d.  ausgeführten  Steines:  Gerlach  Taf.  I,  l.  Rieh),  Abhandhmg 
d.  histor.  Kl.  d.  kgl.  bayer.  Acad.  d.  Wissensch.  XXIII  Bd.  I  Abt.  S  56. 

60)  Buchner  S.  86  Tettau  S.  174. 

61)  Buchner  S.  91  und  Tafel  8.  Lehfeld,  Thüringer  Kunstdenkm.  XVIII.  S.  258  nimmt 
einen  Italiener  als  Steinmetzen  an.    Dehio,  Handbuch  I  S.  154. 

62)  Kunst-  und  Altertums-Denkmale  im  Königr.  Württemberg.  Fortsg.  32—35,  1907, 
S.  632,  633. 


56  DIE  FRÄNKISCHEN  EPtlAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

einfachen  Darstellung  des  Schmerzensmannes  zu  dem  reicheren  Bilde  der  Gregors- 
Messe*^).  Das  gemalte  Zingl-Epitaph  aus  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  ward 
schon  genannt;  bald  danach  ist  das  Wandbild  der  Gregors-Messe  in  St.  Sebald 
entstanden"*). 

Plastisch  finden  wir  diesen  Stoff  im  Riet  er -Epitaph  {Todesdaten  1462  und 
1 476)  imGermanischenMuseum  aus  Sandstein  gebildet.  Streng  symmetrisch 
in  gehaltener  Ruhe  knieen  Gregor  und  der  Kardinal  Bonaventura  vor  dem 
Altare ;  die  zwei  Stifterfiguren  sind  mit  in  die  Gruppe  aufgenommen,  indem 
St.  Franziskus  den  in  Ordenstracht  knieenden  Peter,  St.  Klara  die  gleichfalls  in 


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Abb.  8.     Epitaph  des  Peter  kieter  und  seiner  Frau  Barbara 
(gest.  1462  und  14^6)  im  Germanischen  Nationalmuseum.     Pl.-O.  191- 

Ordenstracht  knieende  Barbara  empfiehlt.  Dieselbe  Darstellung  finden  wir  in 
einem  Relief  an  St.  Sebald.  In  Bamberg  an  der  Pfarrkirche  bringt  ein 
kleines  Relief  für  Heinrich  von  Schaumberg  (f  1501)  überladen  und  unruhig 
bewegt  die  gleiche  Szene "^). 

Die  Kirche  zum  heiligen  Kreuz  in  Nürnberg  enthält  ein  farbiges 
Holzrelief  als  Epitaph  der  Wolkenstein  (vom  Jahre  1496),  das  im  Geiste 
Wolgemuts  komponiert  ist  und,  seiner  Größe  entsprechend,  zugleich  als  Altar- 
aufsatz dient. 

In  der  Plastik  ist  der  Stoff  durch  jene  Reliefs  vorbereitet,  die  den  Schmerzens- 
mann von  den  Leidenswerkzeugen  umgeben  zeigen,  ein  Motiv,  das  schon  im  vier- 
zehnten Jahrhundert  aufkam,  wofür  ein  Grabstein  des  Oberdorfer  Friedhofs*®)  mit 
der  Umschrift:  ,vere  languores  nostros  ipse  tulit  et  dolores  nostros  portavit*  als 


63)  Bischof  Gregor   faßte  zuerst  das  Meßopfer  als  eine  Wiederholung  des  Opfertodes 
Christi  auf. 

64)  Traugott  Schulz  in  der  Denkmalspflege,  VI,  1904  mit  Abb.  S.  43. 

65)  Das  Relief  in  Münnerstadt  (Unter-Franken)  ist  sehr  schlecht  erhalten. 

66)  Thüringer  Kunstdenkmäler  XXVI  S.  8. 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  57 


Beispiel  anzuführen  ist.  Die  Ausbildung  der  Komposition  aber  wurde  von  der  Malerei 
gebracht  und  ist  offenbar  in  den  Niederlanden  erfolgt,  wie  die  von  Tschudi  für 
eine  spätere  Kopie  nach  dem  Meister  von  F16malle  gehaltene  Tafel  der  Galerie  Weber 
zu  Hamburg  mit  der  Inschrift:  „Dees  tafel  was  gemaeckt  int  iaer  0ns  Heeren  MVc. 
XIV"  zu  beweisen  scheint^''). 

In  Nürnberg  tauchen,  wie  wir  sahen,  Darstellungen  der  Gregorsmesse  in  der 
Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  auf.  Weitere  Beispiele  sind  das  Bild  Wolgemuts 
für  Hans  Meyer  und  seine  Frau  (Todesjahre  1473  und  1450)  in  St.  Lorenz,  das 
große  Bild  im  Germanischen  Museum  vom  Jahre  1493,  und  die  Holz- 
schnitzerei aus  Rastatt  im  Germanischen  Museum. 

III.  Madonnenbilder. 

Spät  erst  wird  die  Madonna  auf  Nürnberger  plastischen  Epitaphien  dargestellt: 
Eins  der  schönsten  Madonnenrelief  ist  das  zierliche  Schutzmantelbild'*')  für 
Neidhard-Fugger  (nach  Mayer  gest.  1497)  an  St.  Sebald.  Schlanke  Figuren, 
schlanker  noch  erscheinend  infolge  der  leichten,  langen  Falten  der  weichen  Gewänder, 
die  in  feinem  ornamentalen  Schwung  gezogen  sind,  verleihen  dem  Werke  eine  be- 
wegliche Zartheit,  die  wie  ein  Nachklang  gotischer  Formen  erscheint. 

Aus  Holz  ist  das  Epitaph  des  Friedrich  Gerung  vom  Ende  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  im  Germanischen  Museum  mit  der  in  Dreivierlelrelief  ge- 
arbeiteten Maria  im  Ährenkleid e*'^),  das  ehemals  an  einem  Rundpfeiler 
angebracht  war. 

Ebenfalls  aus  Holz  ist  ein  flach  behandeltes  Relief  in  St.  Sebald,  das  angeblich 
vom  jungen  Michael  Wolgemut  zur  Füllung  des  Bogens  über  der  Südtüre  für  die 
schon  1356  verstorbene  Christina  Ebner  in''")  geschnitzt  wurde  und  sich  durch 
seltene  Feinheit  und  Sorgfalt  der  Arbeit  auszeichnet.  Das  Kind  an  die  Brust 
drückend,  sitzt  Maria  auf  der  Mondsichel,  über  der  sich  der  reich  gefaltete  Mantel 
bauscht.  Über  ihr  schweben  Engel  im  Federkleide  mit  der  Krone,  zur  Seite  kniet 
die  Verstorbene.  Die  ausladende  Form  des  Bogens  ließ  ein  sorgsames  Ausbreiten 
und  Verteilen  der  brüchigen  Falten  zu,  die  dem  Werke  seinen  reichen  Charakter 
verleihen. 


67)  Friedländer:  Rep.  1903  S.  8.  Dazu,  in  der  Wiesenkirche  zu  Soest,  das  dem 
Weberschen  entsprechende  Bild,  und  die  mit  der  Qregorsmesse  verbundene  symbolische  Dar- 
stellung der  Leiden  Christi  im  Utrechter  Museum  vom  Jahre  1486.  Über  ein  Bild  der  Gregors- 
messe im  Museum  zu  Gotha :  Thüringer  Kunstdenkm.  XXVI  S.  75.  Über  den  Holzschuherschen 
Grabteppich  im  Qerman.  Mus.  vom  Jahre  1495:  Mitt.  d.  Germ.  Mus.  1895  S.  99  ff.  und  Taf.  IV. 

68)  Zur  Ikonographie  des  Schutzmantelbildes:  Lehmann  S.  210. 

69)  Zur  Ikonographie:  Thode,  S.  33,  Schulz,  Legende  vom  Leben  der  Jungfrau  Maria, 
Stephan  Beissel  in  der  Zeitschr.  f.  christl.  Kunst,  1904  XVII,  12.  J.  Graus,  Kirchenschmuck, 
XXXV,  11  1904.  Döbner:  Anz.  f.  Kunde  d.  deutsch.  Vorzeit  1870  S.  269.  Otte:  Kirchl. 
Kunst-Arch.  S.  729.  —  Auf  einem  gemalten  Epitaph  in  der  Römhilder  Stadtkirche  (Thür. 
Kunstdenkm.  XXXI,  S.  415.  Erfurter  hist.  Ausstellung  1903  No.  124)  vom  Jahre  1482  steht 
die  Ährenkleidjungfrau  zwischen  4  Heiligen.  Dies  Bild  scheint  vom  Meister  der  Themarer 
Altarwerke  (Stadtkirche)  gemalt  zu  sein;  es  zeigt  dieselbe  Art,  durch  gesuchte  Zierlichkeit 
und  seltsame  Haltung  die  innere  Plumpheit  zu  verbergen. 

70)  Bode:  S.  118. 

Mitteilungen  aus  dem  gernian.  Nationalmuseum.    1907.  8 


58 


DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


Auch  der  Löffelholzaltar  in  derselben  Kirche  mit  Holzschnitzereien  zur 
KatharinenleKende  hat  als  Epitaph  gedient.  Nach  Bode"')  ist  er  von  einem  Vorläufer 
der  Wolgemutschen  Werkstatt  geschnitzt  worden.    (Todesjahr  1453.) 

IV. 

Von  verschiedenen  anderen  Darstellungen  seien  erwähnt:  An  St.  Sebald  das 
Grabmal  des  Heinrich  Ketzel  (f  1438)  „mit  einer  Darstellung,  wie  die  Seelen  aus 
dem  Fegefeuer  errettet  werden"'^)  und  an  St.  Lorenz  das  wenig  bedeutende 
Marmor- Epitaph  mit  der   Dreifaltigkeit   für  Conrad  Hörn."») 

Nur  sehr  vereinzelt  finden  wir  profane  Stoffe  behandelt:  in  Milbertshofen 
zeigt  das  Stein- Epitaph  des  Andreas  Keferlocher  den  Verstorbenen,  wie  er  das 
Feld  mit  einem  vierspännigen  Pflug  bestellt. ^^)  Ein  Grabrelief  auf  dem  Johannis- 
Friedhof  zu  Nürnberg  bringt  die  Darstellung  einer  Buchdruckerei.''") 


Gesondert  von  den  anderen  Werken  muß  der  große  Stein  für  den  1485  verstor- 
benen Dr.  II  art  mann  Schede!  an  der  Sebaldiiskirchesrenannt  werden.   (Abb.  Q). 


Abb.  y.     Epitaph  des  Dr.   Hartmaiin  Schedel  an  St.   Sebald  zu  iNüniberg. 

71)  Bode:  S.  115.    Waagen  K.  in  Deutschland  I.  S.  237. 

72)  Rettberg :  S.  52.  -  Wegen  der  Kreuzritterabzeichen :  Vase,  Kreuz,  Rad  und  Schwert 
ist  cap.  3.  zu  vergleichen.    Abbildung:  Gerlach,  Taf.  39,  2. 

73)  Renov.  1702;  näheres  Hilpert  S.  12. 

74)  Das  Grabmal  des  Theologie-Professors  Johann  Altorf  (f  1505)  in  der  Frauenkirche 
zu  Ingolstadt  stellt  im  Sinne  italienischer  Denkmale  den  Gelehrten  im  Hörsal  dar. 

75)  Abguß  im  Germanischen  Museum. 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  59 


Neben  der  Bronzetafel  mit  der  lateinischen  Inschrift,^*^)  kniet  unten  der  ge- 
lehrte Doktor.  Ein  Engel  schreitet  auf  ihn  zu,  ihn  zum  Reigen  der  Seligen  zu 
rufen,  die  dem  Himmelstor  entgegen  gehen,  während  auf  der  rechten  Seite  die 
Verdammten  die  Qualen  der  Hölle  erdulden.  Über  der  Inschrifttafel  erheben  sich 
drei  Auferstehende,  die  in  der  Zierlichkeit  ihrer  Gestalten  und  Gebärden  an  die 
Auferstehenden  des  Veit  Stoß  zugeschriebenen  Schwabacher  Altars  erinnern.") 
Ist  es  doch  bezeichnend,  daß  am  Ausgange  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  die 
Steinbildnerei  häufig  mit  der  Leichtigkeit  der  Holzschnitzerei  zu  wetteifern  versucht. 
Über  dieser  Gruppe  knieen  Maria  und  Johannes,  die  sich  nach  oben  wenden, 
wo  Christus  thront;  zu  Christi  Seiten  sitzen  die  Apostel  mit  Thomas  in  großen  Ge- 
stalten, auf  mannigfach  gewundenen  Wolkenzügen  mit  reichem  Faltenwurfe  schwerer 
Mäntel  angeordnet,  in  der  Höhe  schweben  vier  Engel. 


VI. 

7.  Die    Reliefs   im    Kreuzgang   der   Stiftskirche   zu   Aschaf- 

f  e  n  b  u  r  g. 

Der  Einfluß  der  Nürnberger  Kunst  an  den  Grenzen  des  fränkischen  Stammes- 
gebietes ist  gering.  Das  große  Relief  der  Kreuzabnahme  und  der  Grabstein  mit  dem 
von  Maria  und  Johannes  beklagten  Schmerzensmann  für  Ren.  von  Weinsperg  in  Ans- 
bach sind  Werke,  die  schon  ihrer  Form  nach  mit  der  eigentlichen  Epitaphienkunst 
keinen  Zusammenhang  haben. 

Interessanter  wird  die  Selbständigkeit  einer  auf  die  örtliche  Tradition  be- 
schränkten Arbeitsart  bei  den  Grabsteinen  im  Kreuzgang  der  Stiftskirche  zu 
Aschaffenburg.'^)  Alle  sind  einander  verwandt  in  der  Enge  und  Fülle  der  zusam- 
mengedrängten Komposition,  welche  die  Figuren,  trotz  der  festen,  charaktervollen 
Köpfe,  trotz  der  energischen  und  gegensetzlich  gespannten  Falten  steif  und  ungelenk 
erscheinen  läßt.  Enge  Falten,  die  nur  an  den  Endigungen  in  runde  Linien  übergehen, 
parallele  Linienführung  in  Haaren  und  Gewandzügen,  gedrungene,  schwer  lastende 
Formen  und  eindrucksvolle  Köpfe  bestimmen  den  Charakter  der  harten  Stein- 
arbeiten. 


76)  Zur  Zeit  der  Humanisten  werden  die  Grabinschriften  zumeist  wieder  lateinisch 
und  in  der  Capitale  geschrieben. 

77)  Bode,  S.  126:  nach  Veit  Stoß. 

78)  Dehio:  Handbuch  d.  Kunstdenkmäler  I,  S.  18.  A.  Amrhein:  Die  Prälaten  und 
Kanoniker  des  St.  Peter-  und  Alexander-Stifts,  1882.  J.  May:  Geschichte  der  Stiftskirche 
1857.  Girstenbrey:  Festschrift  1882.  Während  des  Druckes  dieser  Arbeit  erschien  als  Nr.  V 
der  Hiersemannschen  Monographien:  Hans  Bröger,  Grabdenkmäler  im  Maingebiet.  Hier 
sind  die  Aschaffenburger  Denkmale  S.  38  ff.  behandelt,  das  Kronenbergsche  ist  auf  Tafel  16 
abgebildet. 


60 


DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


Es  ist  für  unsere  Betrachtung  wichtig,  wie  hier  aus  dem  Vermeiden  der  lebens- 
großen Porträtfigur  ein  eigenartiger  Grabsteintypus  sich  entwickelt,  indem  an  Stelle 
der  Figur  eine  religiöse  Komposition  tritt.  Vielleicht  ist  die  Vermutung  berechtigt, 
daß  der  niederen  Geistlichkeit  die  lebensgroße  Porträtwiedergabe  nicht  gestattet  war. 


Abb.  10.     Grabstein  für  Johann  von  Kronenberg  (gest.  1439)  in  der  Stiftsl<irche  zu  Aschaffenburg. 

So  entstanden  die  Mariendarstellungen  vom  Jahre  1424  und  14)7,  der  Christo- 
phorus  aus  rotem  Sandstein  für  Johann  von  Kronenberg  (vom  Jahre  1439),  die 
Kreuzigung  mit  dem  Steinmetzzeichen  «1^  (1456),  der  Tempelgang  Maria  (1463), 
die  Pietä  für  Wiedewed  von  Lammerbach  (1474).  Dann  werden  die  Dimensionen 
allmählich  größer  bis  zum  Epitaph  mit  dem  heiligen  Martin  (Todesjahr  1505),  das  die 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  61 


Grabsteingröße  bei  weitem  überschreitet.     Erst  eine  Pietä  mit  dem  Todesjahre  1536 
bringt  die  kleineren  Verhältnisse  der  Renaissance- Epitaphs. 

Einen  Aufschluß  darüber,  warum  ebenso  wie  in  der  Malerei  auch  in  der 
Plastik  eine  bestimmte  Entwickelung  des  Gegenständlichen  sich  in  der  Epitaphien- 
kunst des  fünfzehnten  Jahrhunderts  nicht  feststellen  läßt,  dürfen  wir  gerade  den 
Grabplatten  des  Aschaffenburger  Kreuzganges  entnehmen :  die  Auftraggeber  trugen 
bei  der  Bestellung  eines  Epitaphs  vor  allem  dafür  Sorge,  daß  eine  neue  Darstel- 
lung gebracht  würde. 


MTL. 

Die  Epitaphien  Wolgemuts  und  seiner  Stilgenossen. 

Als  in  der  zweiten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  Wolgemut  seine  große 
Werkstatt  in  Nürnberg  begründet  hatte,  wurden  die  gemalten  Epitaphien  meist  bei 
ihm  hergestellt.  Schematische  Arbeiten,  die  traditionelle  Typen  weiter  ausbilden, 
sind  sie  fast  alle  von  Schülern  ausgeführt,  woraus  Sich  die  Unterschiede  in  Manier 
und  Tüchtigkeit  erklären.  Charakteristisch  ist,  daß  hauptsächlich  der  Verehrung 
Mariae  gewidmete  Bilder  in  dieser  Zeit  verlangt  wurden. 

I. 

Ein  holzgeschnitztes  frühes  Werk  des  Wolgemutschen  Kreises,  das  Madonnen- 
relief zu  St.  Sebald,  ist  schon  im  vorigen  Abschnitt  besprochen  worden.  Eines  der 
frühesten  Gemälde  aus  Wolgemuts  Schule,  das  Epitaph  des  Hans  Lochner  in 
St.  Lorenz  (zweite  Kapelle  rechts)  mit  dem  Todesjahr  1466,  stellt  den  Tod  der 
Maria  dar:  von  Johannes  gehalten,  bricht  sie  vor  dem  Betpult  zusammen.  Die 
Leblosigkeit  in  der  Handlung,  die  großen  Köpfe  mit  niedriger  Stirn,  die  schwer  auf 
dem  kleinen  Körper  hängen;  die  dunklen  Augen,  unter  deren  scharfgezogenen  Brauen 
ein  glanzloser  Blick  vergebens  sich  Bedeutung  zu  geben  versucht,  die  dicken  Nasen- 
kuppen, die  vollen  Backen  und  die  künstlich  zugespitzten  kleinen  Hände:  alles  sind 
typische  Merkmale  für  die  Figuren  der  Wolgemutschen  Werkstatt,  die  den  Eindruck 
nutzlos  in  krampfhafter  Starrheit  verharrender  Holzpuppen  hervorrufen. 

Dieselbe  Szene,  aber  in  größerem  Stil,  behandelt  das  Hallersche  Epitaph 
(Todesjahr  1487)  im  Germanischen  National-Museum  (s.  Abb.  11),  dessen 
Gruppierung  durch  den  Schongauerschen  Stich  angeregt  worden  ist.")  In  wahlloser 
Buntheit,  ohne  Rücksicht  auf  die  Komposition,  sind  die  vollen  Farben  an  den  dick 
gebauschten  Gewändern  verschwendet.  Die  Stilart  Wolgemuts  erkennt  man  an  dem 
phlegmatischen  Mißmut,  mit  dem  die  Figuren  an  der  Aktion  teilnehmen :  der  zusam- 
mengepreßte Mund  und  die  hochgezogenen,  eingekniffenen  Nasenflügel  sind  charakte- 
ristische Züge,  deren  Vorhandensein  sich  wohl  eher  aus  dem  für  das  Ende  des  fünf- 


79)  Thode  S.  145.  Beschr.  im  Katalog  d.  germ.  Mus.  115.  Schultz:  Deutsches  Leben 
im  14.  und  15.  Jahrhundert  S.  101,  Abbild.  S.  105.  Wölfflin.  Die  Kunst  Albrecht  Dürers 
S.  20.  Die  Abbildung  wurde  uns  aus  Dr.  H.  Schweitzer,  Gesch.  d.  deutschen  Malerei  S.  260, 
Fig.  212  von  Herrn  Verleger  Mayer  zu  Ravensburg  überlassen. 


62 


DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


zehnten  Jahrhunderts  bezeichnenden,  unbeholfenen  Streben  nach  Verfeinerung  und 
Zierlichkeit,  als  aus  Wolgemuts  philiströsem  und  bösartigem  Charakter  erklären  läßt.'®) 
Eine  dritte  Darstellung  in  der  Ägidienkirche  für  Frau  Margaretha  Tetzel 
(t  1496)  zeigt  eine  fein  geschlossene,  symmetrische  Komposition,  wodurch  sie  an 
Werke,  wie  die  Anbetung  der  drei  K()nige  in  der  Wolfgangskapelle,  erinnert.    Das 


Abb.  11.    Epitaph  der  Frau  Margret  Haller  (f  U87)  von  Michel  Wohlgemut 
im  Germanischen  Nationalmuseum.  (G.  115.) 

Bett  ist  diesmal  mit  der  Längsseite  an  die  Wand  gestellt;  die  Mitte  des  Bildes  wird 
durch  die  Gruppe  des  Petrus,  der  zur  Sterbenden  schaut,  und  des  Johannes,  der  sich 
an  Petrus  lehnt,  gut  betont.  Wie  in  fast  allen  Werken  dieser  Zeit  sind  die  Stifter 
des  Epitaphs  vom  Hauptbild  getrennt. 

II. 

Ähnlich  dem  zuletzt  genannten  Epitaph  erscheint  die  Volkamersche  Gedächt- 
nistafel mit  der  Himmelfahrt  Christi  an  der  rechten  Seite  des  Chor- 
umganges in  St.  Lorenz,^^)  und  in  diesem  Zusammenhang  ist  die  Verklärung 

80)  Lehmann,  S.  164. 

81)  Thode  S.  148. 


VON  DR.  EDWIN  REÜSLOB.  63 


Christi  in  der  siebenten  Kapelle  links  zu  nennen  (nach  Hilpert  zum  Gedächtnis 
des  1500  verst.  Hans  Mayer  gestiftet),  dieThode  als  Schulbild  Wilhelm  Pleyden- 
wurffs  bezeichnet  hat.  (Hier  ist  der  Stifter  links  am  Bild  sehr  klein  angebracht.) 
Es  ist  bezeichnend,  wie  sich  nunmehr  das  Verlangen  regte,  auch  dem  Leben 
Christi  neue  Stoffe  für  die  Epitaphien  zu  entlehnen.  So  zeigt  ein  Tuch  er- Epitaph 
(Todesjahr  1485)  in  der  Sebalduskirche  die  Kreuztragung  nach 
dem  Schongauerschen  Stich,  **^)  und  die  Andachtsbilder  aus  dieser  Zeit  suchen 
immer  wieder  durch  selten  behandelte  Szenen  des  neuen  Testamentes  mit  dem  Er- 
findungsreichtum der  Kupferstiche  zu  wetteifern. 

III. 

Andere  Werke  wiederholen  den  älteren  Typus  der  für  Epitaphien  beliebten 
Nebeneinanderordnung  von  Heiligen,  den  schon  das  Ehenheimsche  Epitaph  in 
St.  Lorenz  zur  Entstehungszeit  des  Tucher-Altares  brachte.  An  die  Anordnung  dieses 
Werkes  erinnert  das  Epitaph  des  1488  verst.  Leonhard  Spengler  in  St.  L o- 
renz^^)  mit  Christus  zwischen  den  Heiligen  Philippus  und 
J  acob  us;  ein  Bild,  das  wieder  durchaus  die  harte  und  manierierte  Gespreiztheit 
Wolgemuts  zeigt  und  besonders  an  die  vier  Altarflügel  mit  Helena,  Christoph, 
Elisabeth  und  Anna  selbdritt  in  St.  Jacob  erinnert. 

Der  Anordnung  nach  entspricht  ihm  das  Epitaph  des  Erhard  Schon  (t  1464) 
in  St.  Lorenz  mit  drei  nebeneinander  stehenden  Heiligen  auf  Goldgrund,  hinter 
denen  Engel  einen  blauen  Teppich  halten;  an  der  Staffel  knieen  der  Vater  mit  fünf 
Söhnen  und  gegenüber  fünf  Frauen  in  großen  weißen  Hauben.^*)  (Ähnlich  sind  die 
Heiligengestalten  im  Germanischen  Museum  Nr.  104  u.  105.)  Auch  das  Römhildsche 
Epitaph,  das  ich  im  vorigen  Kapitel  bei  Besprechung  der  Maria  mit  dem  Ährenkleid 
nannte,  muß  in  dieser  Reihe  aufgezählt  werden. 

Endlich  sei  im  L  o  r  e  n  z  e  r  c  h  o  r  das  Rosenkranzbild  für  die  1 502 
verst.  Anna  Nicolaus  Paumgärtnerin^^)  und  Hanns  Trauts^")  heilige 
Sippe  genannt. 

Ein  Altarwerk  mit  dem  Nebenzweck  des  Epitaphs  aus  der  Wolgemutschen 
Schule  am  Ausgang  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  ist  der  V  o  1  k  a  m  e  r  -  A  1 1  a  r 
in  Bamberg  (Museum)  mit  den  großen  Tafeln  der  Kreuzigung,  der 
Krönung  Mariae  und  der  P  i  e  t  ä.  Die  drei  Mitglieder  der  Volkamerschen 
Familie,  deren  Gedächtnis  die  Tafeln  gewidmet  sind,  wurden  getrennt  von  den 
Altarblättern  dargestellt;  ihre  Todesdaten  sind  1483,  1494  und  1521. 

Die  Messe  des  heiligen  Gregor  in  St.  Lorenz  (4.  Kapelle 
links)  für  den  1473  verst.  Hans  Meyer  ist  eine  besonders  figurenreiche  Darstellung 
dieses  schon  besprochenen  Gegenstandes. 


82)  Waagen  K.  i.  D.  I  S.  234,  Thode  193. 

83)  Thode  S.  147,  Rettberg  S.  64,  Lehmann  S.  167. 

84)  Thode  S.  147. 

85)  Erwähnt  bei  Waagen  S.  248  und  Thode  S.  290. 

86)  Nach  Scheibler,  Vischer  Studien  364,  Thode  S.  216.  Besprochen  von  Christian 
Rauch,  Die  Trauts,  I,  S.  33  und  Tafel  8.  Rauch  bringt  auch  die  Inschrift,  ein  lateinisches 
Distichon. 


64  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

Der  Richtung  des  Peringsdörfer  Altares  ist  in  St.  Lorenz  die  für  B.  Kraft 
(t  1475)  gestiftete  handwerkliche  Tafel  mit  dem  Martyrium  des  heiligen 
D  i  0  n  y  s  anzureihen,  an  der  das  naive  Bemühen  um  die  Wiedergabe  der  Land- 
schaft besonders  hervorzuheben  ist. 


Als  Resultat  dieses  Abschnittes  läßt  sich  zusammenfassen:  mit  dem  Einfluß 
der  Wolgemutschen  Arbeitsweise  wird  die  Epitaphienmalerei  ein  Gebiet  für  Hand- 
werker; so  weit  wir  auf  Grund  der  erhaltenen  Tafeln  ihre  Leistungen  überschauen 
können,  gibt  sie,  den  anderen  Andachtsbildern  entsprechend,  die  beliebtesten  Stoffe 
der  Zeit,  die  aus  dem  Verlangen  nach  reicher  Komposition  und  Schilderung  bewegter 
Handlung  entstehen.  Gern  wird  eine  momentane  Situation  erfaßt,  so  daß  die 
Szenen  der  sterbenden  Maria  oder  des  unter  der  Last  des  Kreuzes  zusammen- 
brechenden Christus  besonders  häufig  dargestellt  werden.  Aber  von  all  den  künst- 
lerischen Motiven,  wodurch  diese  Stoffe  für  die  Zeit  vor  Dürers  Schaffen  so  bedeu- 
tungsvoll wurden,  ist  in  diesen  nüchternen  Leistungen  untergeordneter  Maler  wenig 
zu  bemerken:  für  den  flüchtigen  Blick  scheint  kaum  ein  Unterschied  zwischen 
solchen  bewegten  Szenen  und  den  kompositionslos  im  alten  Sinne  nebeneinander 
gereihten  heiligen  Gestalten  zu  sein. 

Die  Figur  des  Stifters  verliert  an  Bedeutung.  Zu  der  verlangten  Ähnlichkeit 
hätte  die  Handwerkerarbeit  nicht  genügt,  und  das  Interesse  daran  war  vermindert, 
weil  seit  dem  entscheidenden  Schritt  Hans  Pleydenwurffs  im  Schönborn- Porträt  die 
Bildniskunst  sich  zu  selbständiger  Bedeutung  loszulösen  begann.  Dazu  kam,  daß 
infolge  der  Sitte,  den  Verstorbenen  mit  seiner  gesamten  Familie  anzubringen,  die 
Figuren  schematisch  nebeneinander  geordnet  wurden.  Es  genügte,  wenn  man  an 
dem  Bilde  abzählen  konnte,  wieviel  Frauen,  wieviel  Söhne  und  Töchter  das  Familien- 
haupt gehabt  habe.  Die  verstorbenen  Familienglieder  wurden  durch  Kreuze  über 
ihrem  Kopf  gekennzeichnet;  die  verheirateten  Töchter  erkannte  man  an  der  weißen 
Haube  einer  Ehefrau. 


VIU. 

Die  plastischen  Epitaphien  im  Dom  zu  Eichstätt. 

Da  die  Nürnberger  Epitaphienkunst  nicht  zur  Ausbildung  eines  bestimmten 
Typus  gekommen  war,  ist  es  begreiflich,  daß  sie  keinen  entscheidenden  Einfluß  auf 
die  Arbeiten  benachbarter  Städte  gewinnen  konnte. 

Der  Lage  des  Ortes  entsprechend  hatte  schon  früher  in  Eichstätt*^) 
schwäbische  Art  neben  fränkischer  und  bayerischer  die  Kunstbetätigung  des  Alt- 


87)  Riehl:  Denkmale  frühmittelalterlicher  Baukunst,  spricht  über  den  Ausdruck  der  drei 
Stammeseigentümlichkeiten  in  der  Architektur,  Pückler-Limpurg,  S.  89  über  den  beginnenden 
Nürnberger  Einfluß.  Dazu:  Josephi,  Augsburger  Steinplastik  S.  96  und  Anmerkung  zu  S.  56. 
Herb:  Eichstätts  Kunst  Joseph  Schlecht:  Zur  Kunstgesch.  d.  Stadt  Eichstätt  (Vortrag  in  der 
Görres- Versammlung  1888).  Riehl:  Kunsthist.  Wanderungen  durch  Bayern  1888  S.  109.  Bode 
S.  192  und  193. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  IV. 


Epitaph  des  Bischofs  Wilhelm  von  Reichenau  im  Dom  zu  Eichstätt. 


TON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  65 


mühltales  bestimmt.  So  erklärt  es  sich,  daß  auch  die  plastischen  Epitaphien, 
die  zum  Schmucke  des  Dommortuariums  am  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
ausgeführt  wurden,  in  Anknüpfung  an  Augsburger  Reliefs  entstanden  sind. 

Dem  neuen  Zwecke  des  Domkreuzganges  entsprechend,  hatte  Bischof 
Wilhelm  von  Reichenau  (1471—1496)  die  eine  Seite  des  Ganges  erweitert, 
und  ein  geräumiges,  zweischiff iges  Mortuarium  geschaffen.  In  kurzer  Zeit  wurde 
für  dessen  Ausschmückung  gesorgt,  —  sogar  Glasfenster  wurden  durch  den  Epitaphien- 
zweck gewonnen  — ,  so  daß  der  Bau  einen  einheitlichen  Eindruck  von  dem  Kunst- 
schaffen am  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  geben  kann. 

I.  Hans  Peuerlin  von  Augsburg. 

Der  Bischof  selbst  hatte  durch  einen  Künstler  des  Ortes,  der  ihm  die  Anregung 
zu  seinem  Baue  gab,  noch  im  Innern  des  Domes,  offenbar  vor  seinem  Tode,  sich  ein 
Grabmal  aus  rotem  Marmor  errichten  lassen  (Taf.  IV).  Völlig  dem  Epitaph  Bischof 
Friedrichs  von  Zollern  (t  1505^^)  im  Augsburger  Dome  entsprechend,  stellt  es  vor  einem 
architektonischen  Hintergrunde  zur  Seite  des  nach  rechts  geschobenen  Kreuzes,  dessen 
Stamm  Maria  Magdalena  umfaßt,  die  Mutter  Christi  mit  Johannes  dar.  Zu  dieser 
Gruppe  tritt  von  links  Jacobus  heran,  den  reich  gekleideten,  knieenden  Bischof  em- 
pfehlend. Ein  erregtes  Empfinden,  das  aber  durch  die  feinberechnete  Geschlossenheit 
der  Komposition  gemildert  wird,  hat  das  Werk  von  innen  heraus  belebt;  es  macht 
sich  bis  in  die  gewundenen  Säulenschafte  geltend  und  bis  in  die  vielen  ornamentalen 
Streifen,  welche  als  Lendentuch,  als  Spruchband,  oder  als  Gewandsäume  die  Grup- 
pierung durchspannen. 

Eine  Inschrift  nennt  uns  den  Künstler:  „Hans  Pewerlin  von  Augsburg  hat  den 
Stein  gemacht."  Wir  wissen  von  Peuerlin®^),  daß  er  bis  gegen  1508  in  Augsburg 
tätig  war,  wo  er  außer  dem  Hohenzollernschen  Grabdenkmal  auch  das  für  den  erst 
1517  verstorbenen  Bischof  Heinrich  von  Lichtenau  mit  der  Ölbergszene^")  schuf. 
Mit  Recht  betont  Riehl  die  Vorzüge  der  Komposition  im  Augsburger  Kreuzigungs- 
relief vor  dem  Eichstätter:  Maria  und  Johannes  sind  dem  Kreuzesstamm  deutlicher 
zugewendet,  der  Heilige,  der  den  Stifter  empfiehlt,  muß  sich  nicht  mehr  so  mühsam 
vor  der  Säule  seinen  Platz  suchen,  und  die  freie  Bewegung  der  Figuren  wird  durch 
eine  perspektivisch  mit  mehr  Geschick  verwendete  Architektur  erleichtert. 

II. 

Im  Gegensatz  zu  den  kraftvollen  Arbeiten  Peuerleins  aus  ihrem  harten  roten 
Marmor  steht  eine  Reihe  von  Epitaphien  im  Mortuarium,  die,  verleitet  von  den  leich- 
teren Möglichkeiten  ihres  Materials,  des  im  Altmühltal  gebrochenen  weichen  Schwamm- 

88)  Nach  Braun  (Geschichte  der  Bischöfe  von  Augsburg  III,  I8i4  Seite  151)  zu  Lebzeiten 
des  Bischofs  entstanden.  Josephi,  Seite  80  fg.  Abbildung  Riehl,  Augsburg  S.  74  und  Gerlach 
48,  3-  Bodes  (S.  193)  Betonung  bayer.  Kunstart  bei  Wilhelms  Epitaph  scheint  infolge  des 
klar  zu  erkennenden  Zusammenhanges  mit  den  Augsburger  Werken  hinfällig  zu  werden.  Mader, 
Loy  Hering  S.  l  u.  2.    Abguß  im  German.  Nationalmuseum. 

89)  Herberger  im  Jahrbuch  d.  bist.  Vereins  f.  Schwaben  und  Neuburg  1855-  Robert  Vischer: 
Studien  zur  Kunstgesch.  1886  (Veröffentlichung  der  Augsburger  Handwerkerbücher). 

90)  Riehl:  Augsburg  S.  74  bis  76  mit  Abb.  Josephi.  Bode.  Abguß  im  German.  National- 
museum. 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  9 


66  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

kalkes,  ihr  formales  Vorbild  der  Holzskulptur  entnehmen.  Ihre  Gestalten  sind  un- 
gelenker und  werden  in  der  Steigerung  des  Empfindens  manieriert.  Dennoch  haben 
diese  Reliefs  einen  selbständigen,  der  oberfränkischen  Kunst  nahekommenden  Cha- 
rakter, so  daß  es  berechtigt  erscheint,  als  Herkunftsort  die  Werkstatt  eines  von  der 
Schnitzerei  ausgehenden  Eichstätter  Handwerkers  zu  vermuten 

Bald  nach  1473  "luß  das  Epitaph  der  Pröbste  von  H  e  1 1  p  u  r  g»i)  entstanden 
sein.  Es  hat  drei  Todesdaten,  aber  nur  die  beiden  ersten  (1464  u.  1473)  haben  gleiche 
Buchstabenstellung  und  gleiche  Zeilenzahl;  die  dritte  Inschrift  für  den  1481  ver- 
storbenen Johannes  hat  weiter  auseinander  stehende  Buchstaben,  ist  also  offenbar 
erst  nach  Aufstellung  des  Werkes  gemeißelt  worden. 

Über  der  unverhältnismäßig  großen  Inschrifttafel  baut  sich  eine  zierliche  Archi- 
tektur auf:  bis  zur  Hälfte  gehen  zwei  Säulen,  die  einen  mit  Krabben  geschmückten 
und  in  einer  Kreuzesblume  endenden  Kielbogen  tragen.  Als  Abschluß  der  Seiten 
stehen  auf  den  Säulen  zwei  Fialen;  der  Platz  zwischen  den  Fialen  und  der  Kreuzes- 
blume ist  durch  eine  Arkatur  ausgenützt.  Da  unten  noch  ein  Streifen  mit  den  drei 
knieenden  Adoranten  abgeschnitten  ist,  nimmt  die  Hauptdarstellung  nur  wenig  Raum 
ein.  In  der  Mitte  steht  Gott- Vater  und  hält  vor  sich  den  leblos  zusammengeknickten 
toten  Christus.  Sein  Kopf  fällt  nach  links,  auf  der  freien  Schulter  sitzt  die  Taube 
des  heiligen  Geistes;  die  Arme  Christi  werden  von  den  zur  Seite  knieenden  Gestalten 
der  Maria  und  des  Johannes  gehalten.  Die  Formen  sind  hart,  die  Umrißlinien  be- 
wegen sich  in  ungeschickt  eckiger  Zuckung;  in  den  Faltenzügen  ist  viel  Reichtum 
erstrebt,  doch  sind  sie  in  unruhig  gegeneinander  stoßenden  Winkeln  gebrochen. 
Trotz  dieses  Zickzackspieles  in  Haltung,  Umriß  und  Faltenlinien  wirkt  das  Relief 
durch  den  strengen  Zusammenhang  der  Gruppe  mit  dem  umrahmenden  Kielbogen. 

Ähnliche  architektonische  Umrahmung,  aber  in  breiterer  Anlage  und  reicherer 
Ausführung  hat  das  Eyb-Epitaph  (letzte  Jahreszahl  1487).  (S.  Abb.  12). 
Die  Inschrift  nimmt  weniger  Platz  ein,  das  Wappen  ist  nur  einmal  und  deshalb  in 
beherrschender  Größe  in  der  Mitte  der  Schrifttafel  gegeben,  die  vier  Adoranten  knieen 
vor  Nischen.  Unter  dem  von  einem  Baldachin  abgeschlossenen  Kielbogen  steht, 
von  zwei  schwebenden  Engeln  gekrönt,  Maria  auf  der  Mondsichel,  rechts  von  ihr 
die  heilige  Barbara,  links  von  ihr,  mit  dem  Schwert,  die  heilige  Katharina. 

Dies  Relief  zeigt  am  deutlichsten,  wie  am  Ausgang  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
der  Stil  der  Schnitzaltäre  Einfluß  auf  die  Steinarbeit  gewann.  So  wirken  die  drei 
Frauengestalten  wie  in  Stein  nachgebildete  Holzfiguren:  die  dicken  Köpfe  sitzen 
plump  und  ohne  Übergang  auf  dem  vollen  Halse;  die  Stirn  zeigt  jene  der  fränkischen 
Kunst  eigene  herausgewölbte  Form;  die  Brauen  sind  in  hohem  Bogen  gezogen;  die 
kleinen  Nasen  haben  klobige  Kuppen,  von  denen  eine  scharfe  Falte  zu  den  vollen, 
zugespitzten  Lippen  geht;  auf  der  Kopf  und  Hals  verbindenden  Masse  sitzt  wie  auf- 
geklebt ein  kleines  Stückchen  Kinn. 

Aus  der  Holzskulptur  ist  auch  die  ausbiegende  Körperbewegung  übertragen, 
aber  durch  die  Fülle  des  schweren  Faltenwurfs  und  des  dicken  Haares,  wie  durch 
den  engen  Zusammenschluß  der  Figuren  ist  dennoch  eine  der  Steinarbeit  entsprechende 
Geschlossenheit  der  einzelnen  Gestalt  und  der  Gruppe  erreicht.  Trotz  all  ihrer  Massig- 


91)  Abb.  Gerlach,  Tafel  39,  l. 


VON  DB.  EDWIN  REDSLOB. 


67 


keit  wirken  die  manieriert  bewegten  Figuren  kraftlos,  zumal  das  schwere  Ornament 
des  Rahmens  sie  niederzudrücken  scheint.  Aber  freilich,  diese  Werke  nach  den 
Einzelheiten  zu  beurteilen,  hieße  dem  Stil  des  Meisters  unrecht  tun,  der  einzig 
auf  einen  architektonisch  geschlossenen  Eindruck  hinarbeitet  und  mit  der  reichen 
Farbwirkung  seiner  kräftigen  Bemalung  rechnet. 


Abb.  12.    Eybsches  Epitaph  im  Mortuarium  des  Domes  zu  Eichstätt. 


Das    dritte  Werk,   das    Seckendorf-Epitaph,    zeigt,   wie  diese   von 

.der   Holzskulptur   bedingte  Stilrichtung  sich   mit  dem  Einfluß  des  unterdeß  von 

Peuerlin  gearbeiteten  Reichenau- Epitaphs  auseinandersetzt.    Da  die  letzte  seiner  vier 


68  DIB  FRiNKISGHEN  EPITAPHIEN  IM  XIY.  ONÜ  X7.  JAHRHUNDERT. 


Inschriften  (1505)  mit  ihren  dickeren  Buchstaben  einen  späteren  Zusatz  erkennen 
läßt,  dürfte  es  nach  dem  Tode  des  Johannes  von  Seckendorff  (1490)  entstanden  sein, 
also  in  der  Zeit  des  Reichenau-Denkmals.  Dargestellt  ist  zwischen  Maria  und 
Johannes  der  Gekreuzigte,  dessen  Blut  drei  kompliziert  bewegte  Engel  auffangen. 
Maria  und  Johannes  zeigen  die  gedrungenen,  schwerfälligen  Formen  und  die 
massige  Gewandbehandlung  mit  den  zackig  geknickten  Faltenmassen,  die  bei  den 
heiligen  Frauen  des  Eyb-Epitaphs  an  Halbreliefs  aus  Holz  denken  ließen.  Doch  sind 
diese  Eigentümlichkeiten  hier  weniger  ausgesprochen,  denn  gleichzeitig  hat  sich  der 
Verfertiger  dieses  Epitaphs  bemüht,  seinen  Gestalten  etwas  von  der  derben  Kraft 
Peuerlins  zu  geben. 

Das  vierte  Werk  dieser  Reihe  hat  Bischof  Wilhelm  von  R  e  i  c  h  e  n  a  u  1493 
dem  Andenken  zweier  geistlicher  Würdenträger  seines  Geschlechts  errichten  lassen. 
Noch  mehr  im  Anschluß  an  die  Holzskulptur  ist  hier  die  feste,  der  Steinplatte  ent- 
sprechende Umrahmung  in  Zierrat  aufgelöst:  zur  Seite  stehen  auf  einer  Säule  und 
unter  einem  Baldachin  die  Heiligen  Richard  und  Wunibald,  oben  ist  zwischen  fein 
durchbrochenem  Rankenwerk  in  drei  Einzelfiguren  das  Martyrium  des  heiligen 
Stephan  gebracht.  Besonders  geschickt  ist  die  Figur  des  linken  Schergen  unter  einen 
den  Aufbau  durchschneidenden  Gewölbeansatz  komponiert:  er  ist  niedergekniet, 
um  seine  Armbrust  zu  spannen.  Als  Hauptfigur  steht  unter  der  altarartigen  Be- 
krönung  zwischen  Willibald  und  Waldburg,  den  Schutzheiligen  des  Hochstifts, 
Maria  mit  dem  Kinde,  über  ihrem  Haupt  halten  zwei  schwebende  Engel  die  Krone. 
Die  Gesamtanordnung  wirkt,  zumal  heute  bei  der  schlechten  Erhaltung  der 
Farben,  weniger  geschlossen,  als  bei  den  anderen  Werken:  es  widerspricht  dem  Stil 
des  Steinreliefs,  den  Grund  der  Platte  aufzugeben  und  Figuren  und  Ornamente  einzeln 
in  die  Wand  zu  fügen,  wie  es  bei  größeren  Holzschnitzwerken  aus  Gründen  des  Ma- 
terials bedingt  ist.  Doch  die  Einzelheiten  sind  in  Anlehnung  an  Augsburger  Reliefs^s) 
feiner  und  gewandter  gegeben,  als  bei  den  anderen  Werken  dieser  Gruppe:  die  Ma- 
donna zeigt  schon  die  etwas  inhaltlose,  aber  zarte  und  ruhige  Gesichtsbildung  und 
den  weich  und  voll  verlaufenden  Faltenwurf  Loy  Heringscher  Figuren. 

Diese  Stiländerung  ist  durch  Einflüsse  bestimmt,  die  wiederum  ein  schwäbischer 
Meister  vermittelte. 

III. 

In  der  Zeit  um  1490  war  im  Inneren  des  Domes  der  Pappenheimer- 
Altar")  (Taf.  V)  entstanden,  der  mit  dem  Kultzweck  die  Epitaph-Bestimmung 
für  drei  Mitglieder  und  einen  Verwandten  des  gräflichen  Geschlechtes  verbindet, 
die  dem  Eichstätter  Kapitel  als  Domherrn  angehört  haben. 

Wenn  schon  die  um  das  Eyb- Epitaph  sich  gruppierenden  Werke  in  ihren  Ge- 
stalten von  dem  Stil  der  Holzskulptur  beeinflußt  waren,  so  will  der  Pappenheimer 
Altar,  ähnlich  dem  Hochaltar  der  Martinskirche  zu  Landshut,  geradezu  einen 
großen  Schnitz-Altar  ersetzen.     Er  mißt   mit   dem   Altartisch   über  zehn  Meter 


92)  Man  vergleiche  etwa  das  Freiberg- Epitaph  (Schröder  Nr.  392)  vom  Jahre  1474. 

93)  Bode,  S.  192.  Herb  mit  Abb.  auf  S.  35.  A.  Hämmerle:  D.  Pappenheimer  Altar,  Wiss. 
Beil.  d.  K.  Gymn.  zu  Eichstätt,  1906  bei  Seitz,  mit  besonders  ikonographisch  eingehender  Be- 
schreibung und  mehreren  Abbildungen.  Über  den  Landshuter  Altar :  Haack,  Gotische  Archi- 
tektur und  Plastik  der  Stadt  Landshut.    Münchener  Diss.   1894  S.  62  bis  64. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  V. 


Der  Pappenheimer  Altar  im  Dom  zu  Eichstätt. 

(Photogr.  Ostermayr,  Eichstätt.) 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  60 


Höhe;  neben  dem  Altarblatt  waren  bewegliche  Flügel  aus  Holz;  als  Bekrönung 
trägt  er  einen  schlanken  Aufbau  von  steinernen  Fialen;  in  diesem  Aufbau  stehen 
elf,  in  den  Laibungen  zehn  Figuren,  an  der  Predella  knieen  vor  Nischen  zu  Seiten  der 
Inschrift  die  vier  geistlichen  Herren.  In  einem  ähnlichen  Sinne,  wie  bei  den  Kraft- 
schen  Sakramentshäuschen,  ist  der  Versuch  gemacht,  die  Härte  des  Steinmaterials 
zu  überwinden  und  die  Zierlichkeit  geschnitzter  Holzornamentik  zu  erreichen. 

Der  feinen  Gliederung  des  Rahmens  entspricht  die  Ausführung  des  Altar- 
blattes. Aus  einer  figurenreich  übereinander  angeordneten  Menschenmenge  ragen  die 
drei  Kreuze  heraus.  Mit  echt  schwäbischer  Eigenart  ist  die  Haupthandlung  durch 
eine  Fülle  freudig  und  gewandt  erzählter  Einzelmotive  übertönt.  Links  raufen  sich 
gelenke  Kriegsknechte  um  die  Kleider  Christi,  hinter  ihnen  sieht  man  Maria  zu- 
sammenbrechen, über  dieser  Gruppe  drängen  sich  Schergengestalten,  zur  Seite  des 
Kreuzes  hält  auf  seinem  Pferde  Longinus,  im  Begriff,  mit  Hilfe  seines  Knechtes  die 
Lanze  in  die  Seite  des  Heilands  zu  stoßen,  um  sich  durch  das  Blut  Heilung  zu  verschaffen. 
Auch  rechts,  unter  dem  Kreuze  des  bösen  Schachers,  herrscht  dichtestes  Gedränge: 
oben  entspricht  der  Gruppe  der  linken  Seite  die  Menge  der  spottenden  Juden  und- 
der  Kriegsknechte,  nur  vorne  staut  sich  die  Bewegung  an  den  in  breitspuriger  Ruhe 
verharrenden  Urteils  Vollstreckern. 

Der  Zusammenfügung  des  Altarblattes  aus  zwei  Teilen  entsprechend,  nimmt  die 
Schar  der  um  das  Kreuz  Versammelten  genau  die  untere  Hälfte  ein.  Hoch  in  die 
obere  Hälfte  hinauf  ragen  die  drei  Kreuze,  hinter  denen  sich  die  Felsen  mit  den  ge- 
wissenhaft zur  Darstellung  gebrachten  Gebäuden  Jerusalems  türmen.  Den  Ab- 
schluß nach  oben  bilden  rhythmisch  bewegte  Fialen,  die  weit  über  das  Altarblatt 
hinausragen. 


Ist  der  Pappenheimer- Altar  seiner  Größe  und  Form  nach  kaum  noch  als  Epitaph 
anzusehen,  so  wird  er  doch  innerhalb  unserer  Betrachtung  wichtig,  weil  sich  ihm 
zwei  andere  Werke  schwäbischer  Stilart  anreihen. 

Gleiches  Verständnis  für  die  Beweglichkeit  der  Körperformen,  gleiche  Vorliebe 
für  enganliegende  Bekleidung  des  ausgehenden  fünfzehnten  Jahrhunderts,  welche 
die  Elastizität  der  Gliedmaßen  besonders  hervorhebt,  gleiche  künstlerische  Kraft, 
die  auch  im  Ornament  Rhythmus  und  Leben  ausdrückt,  und  die  gleiche  taktvolle 
Zurückhaltung,  die  trotz  aller  Fülle  der  Einzelformen  die  geschlossene  Wirkung  nie 
außer  Acht  läßt,  zeichnen  die  Steinigung  des  hlg.  Stephan  für  den 
Chorherren  Karl  von  Wippfeld  (f  1499)  äus.^*)  Zuckendes  Leben  ist  in  allen 
Muskeln  des  Gefesselten  zu  empfinden,  neben  dem  an  jeder  Seite  die  trefflich  zur 
Gruppe  vereinten  Gestalten  der  Richter  und  Henker  stehen;  der  Baldachin  ist  reich 
ornamentiert;  in  der  unteren  Hälfte  ist  in  der  Anordnung  des  Wappens  und  der 
beiden  Betenden  die  Dreiteilung  der  Hauptgruppe  wiederholt.  Ganz  unten  befindet 
sich  die  Inschrift,  welche,  wie  an  allen  Reliefs  des  Mortuariums,  in  lateinischer 
Sprache  verfaßt  ist. 

Freier  und  leichter  in  der  Anordnung  ist  das  W  o  1  f  e  r  s  d  o  r  f  -  Epitaph 
(Todesdatum  1505),    das    in    der  Mitte  einer   dreiteiligen  Rundbogenordnung   die 


94)  Abb.  O.  Gerlach  Tafel  39- 


70  DIK  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDEKl'. 


Madonna  zeigt.  Rechts  schreitet  der  heihge  Christophorus  heran.  Die 
Gruppe  der  Madonna  und  des  in  gleicher  Größe  vor  ihr  knieenden  Stifters  ist  da- 
durch abgesondert,  daß  zwei  Engel  innerhalb  der  beiden  linken  Bogen  einen  Vor- 
hang ausspannen.  Das  Christuskind  ist  stark  verstümmelt,  offenbar  hatte  es  eine 
ähnliche  Stellung,  wie  das  Kind  des  Klieberschen  Epitaphs  der  Anna  selbdritt  vom 
Jahr  1498  im  Augsburger  Domkreuzgang  (Schröder  Nr.  32).  Auch  die  Hand  der 
Mutter  zeigt  dieselbe  Feinheit;  und  die  massige,  in  weiten  runden  Falten  sich  stauende 
Gewandbehandlung  ist  beiden  Reliefs  gemeinsam.  Die  junge  Maria  mit  der  zierlichen 
geraden  Nase  und  den  dicken  Backen,  mit  dem  feinumsäumten  Gewand,  das  einen 
schlanken  Körper  umschmiegt,  und  mit  dem  langen,  in  einzelnen  gewellten  Strähnen 
herabfließenden  Haar  erscheint  auf  beiden  Werken  als  dieselbe  Gestalt.  Da  auch 
das  Gefühl  in  der  Anordnung  entsprechend  ist,  dürfen  wir  wohl  annehmen,  daß  das 
kleine  Wolf ersdorf- Epitaph  von  einem  Augsburger  Künstler  geschaffen  ist,  der 
vorher  das  Kliebersche  Relief  gearbeitet  hat. 

Im  16.  Jahrhundert  hatte  Eichstätt  am  Hofe  seiner  Bischöfe  einen  Künstler, 
der  die  unter  Wilhelm  von  Reichenau  gepflegte  Tradition  fortsetzte:  den  Schüler 
Peuerlins,  Loy  Hering«"^),  dessen  Werke  dem  Stile  nach  bereits  der  Renaissance- 
Kunst  angehören  und  Peuerlins  Absichten  zur  Vollendung  bringen. 


IX. 

Die   Epitaphien- Kunst   am  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  und 
ihre  Überleitung  in  die  Renaissancezeit.***) 

Im  Gegensatz  zur  vereinheitlichenden  Kunstauffassung  der  Gotik  betonte 
die  Renaissance  die  Selbständigkeit  der  verschiedenen  Kunstarten  und  suchte  die 
künstlerischen  Aufgaben  nach  den  Stilbedingungen  zu  lösen,  die  Material  und  Arbeits- 
art mit  sich  brachten.  Auch  innerhalb  der  einzelnen  Kunst  verlangte  man  nach 
Trennung  der  verschiedenen  stofflichen  Gebiete,  so  daß  die  naive  Verbindung  von 
Andachtsbild  und  Porträt,  welche  die  Form  des  Epitaphs  bedingte,  als  wider- 
spruchsvoll erkannt  wurde. 

95)  F.  Mader:  Loy  Herings  Epitaphien  in  Unterknöringen,  Christi.  K.  1904,  69-  Jahrg. 
F.  Mader:  Loy  Hering,  München,  1905.  Henner,  Altfränkische  Bilder,  1899,  1900,  1904.  Über 
Loy  Herings  Beziehungen  zu  Eichstätt  vgl.  in  Maders  Monogr.  S.  2  bis  5-  Danach  hat  Loy  Hering 
von  etwa  1513  bis  nach  1554  in  Eichstätt  gelebt  H.  Graf.  Ztschr.  d.  Münchener  K.-Gew.  V.  1886, 
S.  777-  Repertorium  XI  u.  XXX. 

96)  Auf  handwerkliche  Werke  gehe  ich  in  diesem  Schlußkapitel  nicht  mehr  ein.  Genannt 
sei  in  St.  Jakob  (Lösch  S.  31)  das  jüngste  Gericht  für  Hans  Murr  (t  1512)  schon  1570,  dann  1693 
übermalt;  dazu,  mit  demselben  Todesjahr,  das  Epitaph  für  die  Familie  Gewandtschneider  mit 
der  Auferstehung.  Stofflich  interessiert  hier  die  bei  Epitaphien  damals  noch  ungewöhnliche  Todes- 
allegorie, eine  Anordnung  von  Schädel,  Blumenkranz  und  Inschriftband:  vanitas  vanitatum  et 
omnia  vana.  Auch  ein  1480  entstandenes  Straßburger  Epitaph  hatte  eine  Todesallegorie:  Es 
„bestand  aus  einem  viereckigen  Stein  mit  drei  Totenköpfen.  Darüber  war  ein  Gemälde,  das  auf 
einer  Seite  einen  Engel  mit  einem  Stundenglase,  auf  der  anderen  die  Darstellung  des  Todes  mit 
dem  Schachspiel  zeigte:  Ich  sag  es  dir.  es  ist  daran.  Du  sollt  tötlichen  Schach  matt  han!"  Leit- 
Schuh,  Straßburg  Seite  86. 


VON  DR.  EDWIN  KEDSLOB.  7 1 


I. 

In  S  c  h  ä  uf  el  e  i  ns'»')  Epitaphien  kann  man  diesen  Vorgang  verfolgen. 
Werken  wie  dem  großen  Wolgemutschen  Marientod  verwandt,  geben  sie  den  Stifter- 
bildnissen geringe  Bedeutung.  Ohne  Freude  an  der  Beobachtung  individueller  Züge 
sind  sie  auf  einer  besonderen  Staffel  untergebracht,  oder,  in  Übereinstimmung  mit 
Albrecht  Dürers  Paumgartner-Altar,  klein  und  bedeutungslos  im  vordersten  Grunde 
aufgestellt,  sodaß  der  Blick  über  sie  hinwegsieht,  wie  über  die  Grasbüschel  am  Rande 
eines  Bildes.  Dafür  nimmt  Schäufelein  inhaltlich  gern  auf  die  Bedeutung  als  Grab- 
mal Bezug:  Gruppen,  in  denen  er  ähnliche  Probleme,  wie  sie  Dürer  nach  dem  zweiten 
venezianischen  Aufenthalt  beschäftigten,  mit  der  Geschmeidigkeit  seiner  schwäbischen 
Überlieferung  zu  lösen. scheint,  indem  er  flau  und  weichlich  die  kubischen  Schwierig- 
keiten verwischt,  geben  in  leuchtenden,  breit  über  weite  Flächen  verbreiteten  Farben 
die  Szene  des  Abschieds  Christi  von  der  Mutter  (Epitaph  der  Anna  B  r  i  g  e  1  s  , 
gest.  1515)  oder  die  Beweinung  vor  dem  Kreuz,  oder  (für  Jörg  Brigels, 
gest.  1521)  die  Krönung  der  Maria.  (Alle  in  der  G  e  o  r  g  s  k  i  r  c  h  e  zu  N  ö  r  d- 
1  i  ngen.) 

Bei  Hans  von  K  u  1  m  b  a  c  h  sind  die  Formen  härter  und  sorgsamer 
durchgebildet,  aber  auch  er  will  —  wonach  Dürer  so  mühevoll  rang  —  leicht  und 
elegant  wirken.  Daher  zieht  er  die  Glieder  in  die  Länge,  spielt  mit  den  Endigungen 
der  faltigen  Gewänder  und  sucht  die  scharfe  Einzelarbeit  durch  konzentrierte  Licht- 
wirkung zu  mildern.  Für  die  kleineren  Stifterfiguren  schafft  er  sich  durch  Engel 
die  Verbindung  mit  der  Hauptgruppe.  (Krönung  der  Maria  in  Wien,  Gem.-Gal. 
Nr.  1438.) 

Als  das  vollendete  Beispiel  für  die  andere  Entwicklungsrichtung,  welche  die 
Porträtfigur  als  gleichberechtigt  in  die  Darstellung  aufnimmt,  ist  Hans  Hol- 
beins am  Anfang  der  zwanziger  Jahre  gemalte  Madonna  des  Bürgermeisters  Meyer 
im  Großherzogl.  Schloß  zu  Darmstadt  zu  nennen.  Ihrem  Gehalt  nach  aus  dem  alten 
Schutzmantelbild  entstanden,  bedeutet  sie  in  der  wunderbaren  Vereinigung  der 
Gottesmutter  mit  den  sechs  mittelalterlichen  Gestalten  die  Vollendung  der  Bildform, 
die  von  der  Epitaphienkunst  geschaffen  wurde. 

Als  Allegorie  auf  die  Entsündigung  der  Menschheit  durch  Christi  Opfertod 
steht  Lucas  Cranachs'»«)  Altarbild  der  Stadtkirche  zu  Weimar  in  Be- 
ziehung zu  den  alten  Blutkelterdarstellungen.  Aber  trotz  des  gedanklichen  Auf- 
wandes bekommt  es  seinen  Wert  durch  die  Gestalt  Doktor  Martin  Luthers:  wahrer 
und  zwingender  als  die  gelehrten  Deutungen  bringt  das  einfache  Bildnis  des  Re- 
formators die  Größe  und  den  Sinn  des  Protestantismus  zum  Ausdruck :  in  der  Malerei 
hat  die  Porträtdarstellung  das  Erbe  der  Epitaphienkunst  angetreten. 

97)  Schaffners  Epitaphien  sind  in  der  Monographie  des  Grafen  Pückler-Limpurg  (bei  Heitz, 
1899)  behandelt. 

98)  Als  Werk  Cranachs  des  Älteren  möchte  ich  auch  das  Epitaph  für  Ursula  Meienburg 
(1529),  als  solches  Cranachs  des  Jüngeren  das  für  Michael  Maienburg  (1555)»  die  Auferweckung 
des  Lazarus  in  Gegenwart  der  Reformatoren  und  der  Familie  Meienburg,  beide  Werke  in  der  Bla- 
sien- Kirche  zu  Nordhausen,  nicht  unerwähnt  lassen. 


72  DI£  FRXNKISCREN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

II. 

Aus  den  plastischen  Grabdenkmälern  hat  sich  das  Epitaph  entwickelt.  War 
es  in  der  Malerei,  die  ihrem  Wesen  nach  den  monumentalen  Aufgaben  der  Grabkunst 
widerspricht,  nie  zu  einem  abschließenden  und  aus  sich  heraus  entwicklungsfähigen 
Typus  gelangt,  so  ist  die  plastische  Behandlungsart  einheitlicher  und  darum  auch 
lebensfähiger  gewesen»»).  In  Nürnberg  erlebte  die  Epitaphienkunst  ihre  Vollendung 
in  den  Schöpfungen  von  Adam  Kraft  und  Peter  Vischer. 

Adam  Kraft  hatte  sich  mit  den  sieben  Stationen  der  Kreuztragung  einen 
festen  Stil  erarbeitet,  der  in  seiner  Nebeneinanderreihung  gedrungener  Figuren  die 
einfachste  Komposition  brachte  und  die  bestimmte  Herausbildung  der  Einzelgestalt 
als  entscheidend  betonte. 

Seine  Epitaphien*"^)  sind  später  entstanden,  als  er,  hindurchgegangen  durch 
eine  Zeit,  da  er  brüchige  Falten  und  gebogene  Gebärden  liebte,  den  gedrungenen  Stil 
seiner  Anfangsjahre  mit  reichem,  ornamental  wirkungsvollem  Schwung  zu  beleben  ver- 
mochte und  immer  verinnerlichter  die  Ausdruckskraft  seiner  Köpfe  durch  Einfach- 
heit und  Konzentration  zu  steigern  begann.  So  vereinigen  sie,  wie  es  der  Sinn  des 
Epitaphs  bedingt,  dekorative  Anordnung  und  inneren  Gehalt. 

Die  Pergerstörffersche  Gedächtnistafel  in  der  Frauenkirche 
zu  Nürnberg,  zwischen  1498  und  1499  gestiftet,  bringt  in  reicher,  oben  durch 
einen  Baldachin  zusammengeschlossener  Ornamentik  die  Gnadenmutter,  über  deren 
Haupt  Engel  die  Krone  tragen.  Zwei  andere  halten  schwebend  die  rundgebogenen 
Falten  des  Mantels,  unter  dem  links  die  typischen  Vertreter  der  Christenheit,  rechts 
die  Angehörigen  der  Pergerstörfferschen  Familie  knieen.  Die  Mittellinie  wird  unten 
durch  das  Postament  der  Maria  betont. 

Um  1500  entstand  das  Rebecksche  Epitaph  derselben  Kirche  mit  der  Krönung 
der  Maria,  dessen  Anordnung  der  Veit  Stoßschen  Schnitzerei  im  Germanischen  Museum 
verwandt  ist»oi).  im  Schutzmantelbild  wurde  die  Gliederung  der  Komposition  durch 
den  Unterschied  der  scharf  herausgebildeten  Falten  bei  der  Madonna  und  den  Engeln 
und  der  weicheren  Gewandbehandlung  bei  den  kleinen  Gestalten  unter  dem  Mutter- 
gottesmantel bestimmt:  hier  faßt  die  einheitliche  Durchbildung  die  Kompositions- 
gruppe fest  zusammen,  trotzdem  die  Zacken  und  Spiralen  der  Falten  im  einzelnen 
viel  unruhiger  gegeben  sind. 

99)  Für  Augsburg  gibt  die  Schrödersche  Arbeit  die  Übersicht  über  die  Werke  der  Renaissance. 
Über  die  Fuggergrabdenkmäler  (Abb.  in  Riehls  Augsburg  S.  78  u.  79),  zu  denen  Dürer  das  Dipty- 
chon der  Philisterschlacht  und  Auferstehung  entworfen  hatte  (Berlin  und  Albertina),  vgl.  Vischers 
Studien  S.  583  fg.  Von  Graf  (Ztschr.  d.  Kg.  V.  München,  1886,  S.  77  f)  u.  Mader,  (S.  35  fg.)  werden 
alle  vier  Reliefs  Loy  Hering  zugewiesen.  Über  Hans  Daucher:  neben  Bodes  Aufsatz  1887  im 
VI  11.  Bd.  des  preuß.  Jahrbuchs,  G.  Habich  in  Helbings  Monatsberichten  III,  1903  mit  Abb.  von 
Grabsteinen  u.  Wiegands  Monographie  1903. 

100)  Über  das  Schreyersche  Grabdenkmal  an  St.  Sebald  vergl.  Gümbel,  Rep.  1892  und 
(mit  den  Abbildungen)  die  letzte  eingehende  Untersuchung  in  Dauns  Monographie. 

101)  Dauns  Veit  Stoß-Monographie.  In  großer  Abb.  in  der  Dehio-Bezoldschen  Publikation 
deutscher  Skulpturen  in  Wasmuths  Verlag  1906  II.  Liefg.  Diesem  Relief  entspricht  das  rund- 
gebogene Fichtenholz- Epitaph  für  Konrad  und  Katharina  Imhoff  im  Nationalmuseum  zu  München. 
(Todesdaten  i486  u.  1494  Daun,  Veit  Stoß  1903).  Abb.  im  VI.  Katalog-Band  S.  XXIV.  Be- 
schreibung S.  43  Nr.  679.  S.  42  u.  43  mit  Abb.  Fig.  20. 


VON  DR.  EDWIN  REDSLÜB.  73 


Das  Landauer  Grabmal  der  Ä  g  i  d  i  e  n  k  i  r  c  h  e  (1 503  vollendet) 
bringt  die  drei  Figuren  der  Krönung  als  gesonderte  Gruppe,  indem  die  archi- 
tektonische Anordnung  das  Relief  in  drei  Teile  zerlegt.  Unten  setzt  sich  diese  Glie- 
derung fort:  in  der  Mitte  sind  singende  und  musizierende  Engel,  links  kniet  die 
Christenheit  des  Peterstorff  -  Epitaphs,  rechts  eine  Gruppe  von  Stifterfiguren,  fein 
beobachtet  mit  ihrer  eigentümlich  zurückgeworfenen,  stolzen  und  zuversichtlichen 
Kopfhaltung;  leider  sind  sie  schlecht  erhalten 


In  den  ein  wenig  konventionellen  Erztafeln  Peter  Vischers^"^)  erhielt  die 
Stifterfigur  wieder  größere  Bedeutung.  Am  meisten  im  Zusammenhang  mit  gotischer 
Tradition  steht  noch  das  Relief  auf  der  Vorderseite  des  Grabmals  für  Friedrich 
Casimir  im  Dom  zu  Krakau,  das  den  von  St.  Stanislaus  und  St.  Pie- 
trovin  geleiteten  Cardinal  im  Gebet  vor  der  Madonna  abbildet  (1500),  und  in  der 
Schloßkirche  zu  Wittenberg  das  Gedenkbild  Henning  Godens 
(1521)  mit  der  Krönung  Mariäios).  Die  Rundbogenumrahmung  leitet  perspektivisch 
in  die  Hauptdarstellung  über,  vor  ihr  kniet  der  Stifter,  rechts  drängen  sich  musi- 
zierende Engel  vor. 

In  dem  perspektivischen  Architekturhintergrund  und  den  gewandten  Renais- 
sanceformen zeigt  die  Tuchersche  Tafel  im  Regensburger  Dom  (Todes- 
jahr 1521)  und  die  entsprechenden  Tafeln  im  Münchener  Nationalmuseum 
und  im  Erfurter  Dom,  wie  das  humanistische  Stilideal  sich  immer  reiner  und 
gefälliger  ausbildete.  Nach  Daiins  Darlegung  ist  die  Begegnung  mit  dem  kananitischen 
Weibe  dargestellt.  Der  Stifter  ist  bei  diesen  mehrmals  gegossenen  Tafeln  weg- 
gelassen. Für  die  Person  des  Stifters  ist  die  Erztafel  des  Anton  Kreß(tl513) 
in  St.  Lorenz  zu  Nürnberg  hergestellt,  deren  Gegenstück  Hans  Vischer 
für  H  e  k  t  0  r  P  o  e  m  e  r  (f  1 541 )  arbeitete,  ohne  die  zarte  und  graziöse  Arbeit 
der  Kreß'schen  Platte  erreichen  zu  können.  In  Renaissancenischen  knieen  die 
Prälaten  vor  dem  Altar;  aus  dem  Gekreuzigten,  der  früher  die  Anordnung  des 
Bildes  bestimmt  hätte,  ist  ein  kleines  Kruzifix  geworden;  das  Verhältnis  der  beiden 
Darstellungselemente  hat  sich  zu  Gunsten  der  Bildnisfigur  umgedreht. 

III. 
Damit  ist  das  Renaissance- Epitaph  ausgebildet:  die  Malerei  schafft  nur  noch 
selten  Gedächtnistafeln,  die  Plastik  kehrt  zu  der  Aufgabe  zurück,  der  die  Grabkunst 
ihre  Entstehung  verdankt.  Immer  häufiger  werden  die  Reliefs  mit  dem  Brustbild 
des  Verstorbenen^^*)  und  neben  Werken,  die  büstenartig  die  obere  Hälfte  eines 
Grabsteins  bringen,  entwickelt  sich  als  maßgebender  Typus  die  Vollgestalt  des  vor 
dem  Kruzifix  Knieenden. 


102)  Die  Vischer- Literatur  ist  zusammengefaßt  in  Th.  Hampes  Ausgabe  der  Nürnberger 
Ratsverlässe  B.  I.  Anm.  S.  50  u.  51-  Auf  fragliche  Werke,  wie  das  der  Ellwanger  Stiftskirche 
für  Johann  von  Hirschheim  (f  1460)  und  Albrecht  von  Rechberg  (f  1502)  mit  der  Pietä  bin  ich 
nicht  eingegangen.  Hierzu  Bergau,  Kunstchronik  XIV,  S.  15  und  Paulus,  Württembergische 
Kunstdenkm.  III,  S.  125. 

103)  Wiederholung  im  Dom  zu  Erfurt.     Abguß  im  German.  Museum. 

104)  Im  Augsburger  Domkreuzgang  für  Adolf  Occo  (gest.  1503)-  Riehl,  Augsburg  S.  74 
und  Abb.  S.  73- 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  10 


74 


DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


Diesem  Typiis  hat  für  Franken  Loy  Hering  die  vollendete  Form  gegeben. 
Freilich  erreichte  er  das  nur  dadurch,  daß  er  die  heilige  Darstellung  zurückdrängte 
und  der  Gestalt  des  Stifters  monumentale  Bedeutung  verlieh.  Zu  dieser  Vereinigung 
fast  rundplastisch  herausgearbeiteter  Figuren  brauchte  er  eine  reiche  Umrahmung, 
und  diese  architektonische  Auffassung  des  Epitaphs  bedeutet  die  entscheidende 


Abb.  13.  Epitaph  der  Markgrafen  Friedricli    und   Georg  von   Brandenburg  (gest.   1539   und  1543) 
von  Loy  Hering  in  der   Klosterkirche  zu  Heilsbronn. 

Neuerung  der  Renaissance.  Hierfür  ist  sein  Epitaph  der  Markgrafen  Friedrich 
und  Georg  von  Brandenburg  in  der  Heilsbronn  er  Klosterkirche*"^) 
das  deutlichste  Beispiel.    Der  Kruzifixus,  dessen  Formen  uns  von  Peuerleins  Grab- 

105)  Mader,  S.  86  u.  87  mit  Abbildung.  Die  Abbildung  wurde  uns  aus  Maders  Werk  vom 
Verlag  der  Gesellschaft  für  christliche  Kunst  überlassen.  Als  „unbekannter  Meister  der  Ober- 
deutschen Kunst"  vom  klassischen  Skulpturenschatz,  Nr.  280,  gebracht. 


VON  DR.  EDWIN   REDSLOB. 


75 


stein  des  Bischofs  von  Reichenau  in  Eichstätt  bekannt  sind,  ist  zurückgeschoben; 
streng  symmetrisch  steht  er  in  der  Mitte  und  die  kassetierte  Apsis  trägt  dazu  bei, 
ihn  für  das  Auge  entfernt  erscheinen  zu  lassen.  Ganz  vorn  zu  beiden  Seiten  knieen 
die  Markgrafen,  der  Eindruck  ihrer  Lebendigkeit  und  unmittelbaren  Nähe  wird 
dadurch  verstärkt,  daß  ihre  Füße  über  den  Rahmen  hinausgehen,  der  die  Gruppe 
umspannt.  So  wird  eine  Tiefenwirkung  erreicht,  und  indem  der  verkleinerte  Christus 
aus  der  Nähe  der  knieenden  Ritter  entfernt  wird,  erscheint  er  höher  und  beherrscht 
die  Komposition. 

Solche  architektonische  Denkmale  im  Inneren  der  Kirche  hatten  nur  Sinn 
bei  fürstlichen  Epitaphien.  Das  stetige  Anwachsen  der  Städte  verlangte  an  den 
für  das  fränkische  Kunstschaffen  entscheidenden  Plätzen  das  Verlegen  der  Friedhöfe 
vor  die  Stadt,  sodaß  auch  am  Äußeren  der  Kirche  ein  Anbringen  von  Gedächtnis- 
zeichen sinnlos  wurde '«e).  Nur  in  den  Kreuzgängen  der  Klostergeistlichkeit  blieb 
die  alte  Form,  und  in  kleinen  Städten  erhielt  sie  sich  mitunter  bis  ins  achtzehnte 
Jahrhundert  hinein,  den  Handwerkern  überlassen  und  meist  ohne  künstlerische 
Bedeutung. 

Im  Innern  der  größeren  Kirchen  blieb  nur  das  Prunkgrab  der  Spätrenaissance, 
das  in  reichem  Aufbau  die  ganze  Wand  bedeckt,  und  aus  dem  das  mit  Todesalle- 
gorien überhäufte  Barockgrabmal  entstand:  Vielfach  ein  Wandgrab  mit  Kronos,  der 
den  Sargdeckel  schließt,  oder  eine  ähnliche  allegorische  Gruppierung,  die  Putten 
und  Tugenden  reichliche  Gelegenheit  zu  pathetischen  Schmerzensäußerungen  ge- 
währt. 

Dann  löste  sich  auch  beim  Fürstendenkmal  die  Verbindung  mit  dem  kirchlichen 
Gedanken  immer  mehr:  die  Kirche  ist  nicht  mehr  der  entscheidende  Versammlungs- 
ort der  Gemeinde  und  bildet  die  alten  Formen  der  Grabsteine  und  Epitaphien  nur 
noch  für  die  hohen  Geistlichen  weiter,  der  Held  gehört  unter  die  Augen  der  Menge 
iuf  die  Märkte  und  Plätze,  und  in  einem  völlig  anderen  Sinne  bekommt  nun  das 
Denkmal  von  neuem  seine  Verbindung  mit  der  Architektur. 

IV. 

So  ist  in  der  Renaissancezeit  in  zwei  Gebiete  geteilt  worden,  was  sich  Albrecht 
Dürer  als  doppelte  Aufgabe  der  Malerei  überlegt  hatte:  „die  Kunst  des  Malens  wird 
gebraucht  im  Dienste  der  Kirchen  und  dadurch  angezeigt  das  Leiden  Christi,  behält 
auch  die  Gestalt  des  Menschen  nach  ihrem  Absterben". lO') 

Wie  bedeutungslos  die  kleinen  Stifter  auch  anfangs  am  Rande  der  heiligen 
Bilder  erschienen:  nicht  dem  religiösen  Gehalt,  sondern  der  Verbindung  mit  dem 
Bildnis  verdankt  die  Epitaphienkunst  ihre  Entwicklung.  Denn  die  innere  Einheit 
bekommt  sie  nicht  durch  einen  gleichmäßigen  Ausbildungsgang  des  Stofflichen,  ob- 
wohl der  allgemeine  Wandel  der  Anschauungen  auch  hier  zum  Ausdruck  kommt. 

Wir  können  am  Schlüsse  der  Arbeit  auf  eine  wechselvolle  Reihe  von  Darstellungen 
innerhalb  der  fränkischen  Epitaphienkunst  zurückschauen,  der  die  Entwicklung  in 
anderen  Gegenden  entspricht. 

106)  Hilpert   (St.   Lorenz)  teilt    mit,  daß  1518  das  Begraben  um  diese   Kirche  abgeschafft 
wurde,  wofür  die  Gemeinde  den  St.   Rochus- Gottesacker  anlegte. 

107)  Lange- Fuhse:  Dürers  schriftlicher  Nachlaß  S.  297. 


76     DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT  VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


Zuerst  steht  das  Bild  des  Schmerzensmannes  im  Vordergrund,  dann  verlangt 
man  nach  dramatischer  Belebung  und  bestellt  sich  Szenen  der  Passion,  oder  man 
wandelt  die  Schmerzensmanndarstellung  in  die  figurenreiche  Gregorsmesse  um. 
Gleichzeitig  bekommt  die  Madonna  erhöhte  Bedeutsamkeit:  Berthold  Landauer  findet 
zuerst  die  bestimmte  Form,  unter  seinen  Schülern  werden  die  belebten  Szenen  der 
Geburt  Christi  und  des  Todes  Maria  besonders  beliebt.  Diese  Stoffe  bleiben  für  die 
kommende  Zeit.  Man  sucht  sie  durch  allegorische  Ausdeutung  zu  bereichern,  bis 
endlich,  als  die  Plastik  wieder  Bedeutung  gewinnt,  die  malerische  Auffassungsart 
zurücktritt.  Nun  wird  die  Göttlichkeit  Christi  und  der  Madonna  in  symbolischer 
Erscheinung  erfaßt:  für  Christus  wird  die  Darstellung  des  Gekreuzigten,  für  die 
Madonna  die  Szene  der  Krönung  allgemein  gültig  und  in  schematisch  festgelegter 
Form  wiederholt. 

Damit  hat  die  Plastik  die  Malerei  wieder  verdrängt,  die,  ohne  einen  festen  Stil 
zu  finden,  die  Denkmalskunst  hatte  bestimmen  wollen.  Aber  sogleich  verliert  die  Plastik 
ihre  erfinderische  Quelle  und  verfällt  dem  gedankenlos  wiederholenden  Handwerk. 

Entscheidend  zur  Begründung  dieses  Entwicklungsganges  ist  der  Umstand,  daß 
die  mittelalterliche  Kunst  im  Dienste  der  Auftraggeber  steht:  die  Epitaphienbildnerei 
hat  nicht  die  einheitlich  in  ihrem  Lehrgebäude  geschlossene  Macht  der  Kirche  hinter 
sich,  sondern  die  unübersehbare,  für  uns  Heutige  in  ihren  verschiedenen  Motiven  un- 
erkennbare Menge  der  einzelnen  Besteller.  Sie  ist  das  erste  Betätigungsfeld  für  die 
Kunst  des  Publikums,  welche  die  Kunst  der  Kirche  ablöste. 

Was  wir  für  die  gesellschaftliche  Gesamtheit  als  Inhalt  des  späten  Mittelalters 
erkennen  können:  den  Kampf  des  Einzelnen  um  die  freie  Ausdruckskraft  seiner 
Persönlichkeit,  gibt  ihr  neben  den  vielen,  mit  anderen  Schaffensgebieten  gleichen 
Motiven  den  einheitlichen  Charakter  und  die  auch  für  Probleme  unserer  Zeit 
lebendige  Bedeutung. 


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BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 

(Fortsetzung.) 

(Mit  7  Tafeln.) 

Bildnisse   des  frühen   Mittelalters. 

Als  die  Germanen  das  Erbe  der  Römer  antraten  stand  ihre  Kunst  auf  einer 
Entwicklungsstufe,  welche  eine  genaue  Naturbeobachtung  ausschloß.  Orga- 
nische Wesen  kamen  nur  in  strenger  ornamentaler  Stilisierung  zur  Darstellung.  Auf 
Schmuckgegenständen  und  auf  dekorierten  Geräten  geht  die  Stilisierung  so  weit, 
daß  sogar  der  organische  Zusammenhang  der  Teile  aufgelöst  oder  fast  bis  zur  Un- 
kenntlichkeit umgestaltet  wird.  Die  Textfigur  gibt  einige  Beispiele  ornamental 
umgestalteter  Köpfe  aus  Grabfunden  der  merowingischen  Zeit.  Die  Berührung 
mit  der  spätantiken  Kunst  erfolgte  zu  einer  Zeit,  als  diese  selbst  gealtert  und  in 
Auflösung  begriffen  war.  Auch  hier  war  an  Stelle  der  eigenen  Beobachtung  mehr 
und  mehr  eine  schematische  Stilisierung  getreten.  Es  soll  nicht  verkannt  werden, 
/^ 


Ornamental  stilisierte  Köpfe  aus  merowingischer  Zeit. 

daß  in  den  großen  Mosaikbildern  der  Kirchen  noch  hoher  Ernst  und  Würde  walten, 
aber  das,  worauf  es  uns  hier  ankommt,  die  Fähigkeit  zu  individualisieren,  war  bis 
auf  geringe  Reste  geschwunden.  Die  byzantinische  Kunst,  in  der  sich  die  antike 
Tradition  noch  Jahrhunderte  hindurch  erhält  und  auslebt,  zeigt  in  ihrem  langen 
Verlauf  manche  Schwankungen,  es  wechseln  mit  Epochen  des  Niedergangs  solche 


78  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICniE  DES  BILDNISSES. 


des  Aufschwungs  und  ein  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  vererbtes  technisches  Können 
hält  die  äußerste  Rohheit  fern.  Die  ersten  Kunstregungen  der  Germanen,  sobald 
sie  über  das  rein  Dekorative  des  Kunstgewerbes  hinausgingen,  vollziehen  sich  im 
Anschluß  an  die  byzantinische  Kunst.  Daneben  fanden  direkte  Anleihen  von  der 
klassischen  Antike  statt.  Aber  bei  aller  Abhängigkeit  von  den  Vorbildern  zeigen  sich 
schon  sehr  früh  die  ersten  Ansätze  einer  selbständigen  abendländischen  Kunst. 

Eigene  Beobachtungen  muß  man  im  voraus  beim  Bildnis  erwarten,  aber  die 
Künstler  sind  nicht  rückhaltslos  an  die  Natur  herangetreten,  die  nachzubilden  ihr 
Können  nicht  ausreichte,  sondern  sie  suchten  in  ein  nach  fremdem  Vorbild  ge- 
zeichnetes Gesicht  die  individuellen  Züge  der  Person  hineinzutragen.  Dip  An- 
sprüche waren  Jahrhunderte  lang  bescheiden;  zu  vollem  individuellen  Dasein  durch- 
gebildete Köpfe  sind  vor  dem  13.  Jahrhundert  kaum  entstanden. 

Bei  den  germanischen  Völkern  sind  die  Münzbilder  die  frühesten  Darstellungen, 
welche  zu  bestimmten  Persönlichkeiten  in  Beziehung  stehen.  Wir  haben  schon  ge- 
sehen (S.  39),  daß  die  Ostgoten  einfach  die  Köpfe  römischer  Kaiser  herübernahmen. 
Der  byzantinische  Typus  herrscht  auch  in  den  Münzen  der  anderen  germanischen 
Reiche.  Auf  den  Münzen  der  späteren  Westgoten,  7.  B.  des  Recared  (586—601) 
und  des  Egica  (687—700)  (Taf.  IV),  ist  das  byzantinische  Frontbild  völlig  zum 
ornamentalen  Schema  geworden,  es  ist  nur  Hoheitszeichen  ohne  allen  Porträt- 
charakter. 

Etwas  höher  als  die  westgotischen  Münzen  stehen  die  langobardischen ;  sie 
sind  wenigstens  nicht  ganz  unorganisch,  aber  Bildniswert  kommt  ihnen  nicht  zu. 
Das  Profilbild  eines  unbekannten  Fürsten  aus  der  Mitte  des  siebenten  Jahr- 
hunderts sowie  die  Frontbilder  von  Arrigis  (758—787),  Grimwald  III.  (787  bis  806) 
und  Sighard  (832—839)  tragen  ihre  byzantinische  Abkunft  deutlich  zur  Schau.  Das 
erste  hat  noch  ein  mäßiges  Relief,  die  drei  anderen  sind  im  Grunde  nur  Zeich- 
nungen mit  erhabenen  Linien. 

Bei  den  Franken  herrscht  das  Profilbild  vor.  Die  Arbeit  ist  sehr  roh,  der  byzan- 
tinische Typus  löst  sich  auf;  aber  bei  aller  Rohheit  wird  ein  geringes  Relief  beibe- 
halten, die  Bilder  sind  nicht  so  rein  zeichnerisch,  wie  die  langobardischen.  Als  Bei- 
spiele mögen  zwei  unbekannte  Merowinger,  Sigebert  III.  (645  —  657) 
und  aus  karolingischer  Zeit  Ludwig  der  Fromme  (814—840)  genügen.  Sie  unter- 
scheiden sich  von  den  westgotischen  und  langobardischen  Münzbildern  durch  eine 
weniger  schematische  Stilisierung,  es  sind  wirkliche  Darstellungen  von  Menschen, 
wenn  auch  äußerst  primitive. 

In  der  karolingischen  Zeit  stellt  sich  das  Bestreben,  die  Züge  bestimmter  Per- 
sonen im  Bild  wiederzugeben  ein.  Die  wichtigste  Quelle,  die  monumentale  Malerei 
versagt  vollständig,  das  Bild  Karls  des  Großen  im  Lateran  ist  so  überarbeitet,  daß  es 
nicht  mehr  in  Betracht  kommt.  Dagegen  ist  in  den  Miniaturen  wertvolles  Material 
erhalten.  Kemmerich  hat  in  seiner  eingehenden  Studie  über  die  frühmittelalter- 
liche Porträtmalerei  in  Deutschland  den  ersten  Anfängen  des  Porträts  bei  den  Deut- 
schen nachgespürt  und  den  wichtigen  Nachweis  erbracht,  daß  die  Fähigkeit,  eine 
Person  porträtmäßig  darzustellen  in  karolingischer  Zeit  wenigstens  in  Anfängen 
vorhanden  war.  Er  führt  den  Nachweis  an  den  Bildnissen  Karls  des  Kahlen,  welche 
allerdings  eine  gewisse  Übereinstimmung  zeigen,  aber  eine  feste  Erfassung  des  indi- 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  79 


viduell  Besonderen  fehlt  durchaus.  Was  ich  oben  vom  Hineintragen  individueller 
Züge  in  traditionelle  Typen  gesagt  habe,  gilt  insbesondere  von  diesen  Bildnissen. 
Die  Bilder  sind  nach  Komposition  und  Einzelformen  byzantinisch.  Das  konnte 
nicht  anders  sein.  Der  Übergang  von  der  ornamentalen  Gestaltung  organischer 
Wesen,  wie  sie  in  der  merowingischen  Malerei  herrschend  war,  zu  realistischer  Dar- 
stellung konnte  sich  nur  im  Anschluß  an  eine  überlegene  fremde  Kunstweise  voll- 
ziehen und  das  war  die  byzantinische.  Sie  besaß,  was  man  erstrebte.  Die  byzan- 
tinischen Gestalten,  so  beengend  uns  ihre  stilistische  Gebundenheit  erscheint,  mußten 
dem  erwachenden  Auge  der  Karolinger  als  volle  Darstellungen  der  Wirklichkeit  er- 
scheinen. Man  hatte  das,  was  sie  an  Realismus  enthielten,  übersehen,  solange  das 
Auge  für  die  Erfassung  der  organischen  Form  noch  nicht  reif  war,  und  solange  die 
Hand  ihren  eigenen,  vom  inneren  Schauen  vorgezeichneten  Weg  ging,  nun  nahm 
man  es  wahr  und  schloß  sich  ihm  im  eigenen  Kunstschaffen  rückhaltslos  an.  Der 
Anschluß  ist  ein  sehr  enger,  wir  haben  karolingische  Elfenbeinskulpturen  jahrzehnte- 
lang für  byzantinisch  gehalten  und  noch  vermögen  wir  die  Grenzen  nicht  scharf  zu 
ziehen,  aber  zu  vollem  Aufgehen  in  byzantinischer  Kunstweise  hat  er  doch  nicht 
geführt.  Sobald  man  die  wirkliche  Erscheinung  des  Menschen  künstlerisch  wieder- 
zugeben suchte,  war  man  auf  eigene  Beobachtung  von  Bewegungen  und  Formen 
angewiesen.  Sie  ist  noch  nicht  intensiv  und  auf  dem  Wege  vom  Auge  durch  die 
Hand  auf  das  Bild  geht  vieles  verloren,  aber  sie  führt  notwendig  zu  einer  leichten 
Modifikation  des  Stils.  So  erscheint  die  karolingische  Kunst  dem  rückwärts  ge- 
wandten Blick  als  ein  später  Ausläufer  der  byzantinischen,  dem  vorwärts  gerichteten 
als  Keim  einer  neuen  Kunst,  der  romanischen.  Allein  der  beginnende  Realismus 
bei  den  Franken  stützt  sich  nicht  einzig  auf  die  byzantinische  Kunst,  er  sucht  Hilfe 
wo  er  sie  findet,  auch  bei  der  klassischen  Antike. 

Sehen  wir  genau  zu,  was  auf  den  Bildnissen  Karls  des  Kahlen  porträtmäßig 
ist,  so  bleibt  wenig.  Schon  die  allgemeine  Form  des  Gesichts  ist  nicht  individuell, 
die  einzelnen  Merkmale,  ein  volles,  bartloses  Kinn,  ein  schmaler  Schnurrbart,  ein 
starker  Hals  finden  sich  zwar  auf  mehreren  Bildern,  aber  sie  sind  nur  oberflächlich 
angedeutet  und  stimmen  auf  den  verschiedenen  Bildern  nicht  genau  überein.  Als 
wirkliche  Porträts,  die  eine  objektiv  deutliche  Anschauung  einer  Person  geben, 
können  diese  Bilder  noch  nicht  gelten;  anderseits  beweisen  sie  aber,  daß  nun  doch 
die  Beobachtung  individueller  Form  eingetreten  ist.  Die  Anfänge  des  Porträts  sind 
gegeben.  Mehr  als  zweihundert  Jahre  mußten  vergehen,  bis  sie  zu  voller  Entfaltung 
kamen. 

Das  germanische  Museum  besitzt  keine  karolingischen  Miniaturen,  welche  für 
die  Geschichte  des  Bildnisses  in  Betracht  kämen.  Von  der  bekannten  Reiterfigur 
des  Musee  Carnavalet  in  Paris  haben  wir  einen  Gipsabguß.  Sie  gilt  allgemein  als 
ein  Bild  Karls  des  Großen.  Die  Benennung  stützt  sich  nur  auf  eine  unsichere  Tra- 
dition, sie  läßt  sich  nicht  begründen  und  würde  besser  aufgegeben.  Daß  sie  einen 
karolingischen  Herrscher  darstellt,  steht  fest,  zu  einer  sicheren  Benennung  fehlen 
die  Unterlagen.  Wollte  jemand  in  ihr  Karl  den  Kahlen  erblicken,  so  ließe  sich,  so- 
ferne  man  sich  mit  den  oben  angegebenen  Merkmalen  begnügt,  kaum  sehr  viel  da- 
gegen einwenden,  aber  zwingend  sind^  die  Analogien  keineswegs.  In  der  Bildung  des 
Gesichts  wird  das  Individuelle  von  dem  stilistisch  Bedingten  überwogen.    Das  gilt 


80 


BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


besonders  von  der  Stirne  und  den  Augen,  welche  hoch  liegen  und  froschartig  heraus- 
getrieben sind;  im  Schnitt  des  Mundes,  in  der  Gestaltung  des  Kinns  mag  man  den 
Versuch,  ein  bestimmtes  Vorbild  wiederzugeben,  vermuten,  vergleichen  wir  aber 


Reiterstatue  im  Musee  Carnavalet  zu  Paris. 


andere  karolingische  Skulpturen,  z.  B  den  Elfenbeindeckel  mit  der  Darstellung  eines 
Bischofs  in  der  Bibliothek  zu  Frankfurt,  so  werden  wir  zur  Vorsicht  gemahnt,  denn 
dieser  Kopf,  der  kaum  als  Bildnis  aufzufassen  ist,  ist  weit  sorgfältiger  und  natur- 
wahrer durchgebildet. 

Den  Münzbildern  kommt  in  karolingischer  Zeit,  ja  im  ganzen  Mittelalter  kein 
großer  Bildniswert  zu.  Sie  können  hier  kurz  behandelt  werden.  In  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  ist,  wie  die  Zusammenstellung  auf  Tafel  VII  zeigt,  irgend 
welche  Ähnlichkeit  gar  nicht  angestrebt.  Sie  sind  zum  Teil  Frontbilder,  zum  Teil 
Profilbilder.  Die  Frontbilder  sind  ausnahmslos  schematisch,  selbst  noch  bei  Rudolf  von 
Habsburg  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts.  So  können  sie  als  ikono- 
graphische  Quelle  nicht  anerkannt  werden.  Unter  den  Profilbildern  Heinrich  II. 
ragen  die  einiger  Regensburger  Denare  durch  sorgfältige  Behandlung  des  Kopfes 
hervor.  Vergleicht  man  sie  mit  den  Miniaturen,  namentlich  mit  Fol.  IIa  des 
Münchener  Codex    Gm.  60,  so  wird  man  ihnen   Bildniswert  nicht    absprechen. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907. 


Taf.  XII. 


Heinrich  II 


Philipp. 


Friedrich  II. 


König  Heinrich. 


Richard  von  Cornwallis. 


Rudolf  von  naobburg. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.  Tafel  VII. 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  81 


Etwas  hart,  aber  vortrefflich  geschnitten  sind  die  Augustalen  Friedrich  IL  Sie 
gehen  direkt  auf  antike  Vorbilder  zurück.  Wie  weit  das  Profil  lebenswahr  ist, 
kann  ich  hier  nicht  feststellen.  Auf  der  Silbermünze,  die  nach  den  Augustalen 
gearbeitet  ist,  ist  es  willkürlich  verändert. 

Neben  die  Münzbiider  treten  von  den  Karolingern  an  die  Siegelbilder 
der  Könige  und  Kaiser.  Kaiser  Wilhelm  II.  hat  dem  germanischen  Museum  an 
seinem  fünfzigjährigen  Stiftungsfeste  die  von  Geheimrat  Poße  in  Dresden  gefertigten 
galvanoplastischen  Nachbildungen  der  sämtlichen  deutschen  Kaisersiegel  gestiftet. 
Diese  bedeutende  Quelle  ist  nach  kunstgeschichtlicher  Richtung  noch  wenig  aus- 
gebeutet. Da  die  große  Publikation  von  Poße  noch  aussteht,  muß  ich  mir  bei  der 
Benützung  der  Sammlung  einige  Zurückhaltung  auferlegen.  Es  ist  ja  auch  nicht 
meine  Aufgabe,  eine  Ikonographie  der  deutschen  Kaiser  zu  geben.  Die  Siegelbilder 
haben  den  großen  Vorzug,  daß  sie  zu  Lebzeiten  der  Kaiser  und  in  deren  Nähe  ge- 
fertigt sind.  Das  sagt  nicht  unmittelbar,  daß  sie  als  besonders  ähnliche  Bildnisse 
zu  gelten  haben,  wohl  aber  geben  sie  darüber  Aufschluß,  welche  Anforderungen  an 
die  Ähnlichkeit  man  zu  verschiedenen  Zeiten  stellte.  Ihre  Größe  und  sorgfältige 
Ausführung  verleiht  ihnen  eine  Bedeutung,  welche  weit  über  die  der  Münzbilder 
hinausgeht.  Die  Benützung  der  Siegelbilder  der  Kaiser  wird  dadurch  erschwert, 
daß  die  Abdrücke  großenteils  stumpf  geworden  oder  sonst  beschädigt  sind.  Front- 
bilder haben  unter  der  Abnützung  stärker  gelitten  als  Profilbilder. 

Die  merowingischen  Könige  siegelten  mit  Ringen,  welche  für  sie  geschnitten 
waren.  Der  Ring  Childerich  L  trug  das  Frontbild  des  Königs  mit  gescheiteltem, 
langem,  geflochtenen  Haar  und  mit  der  Lanze.  Der  Typus  ist  byzantinischen  Münzen 
entnommen.  Die  Ausführung  war  roh  und  trug  nur  im  ganzen  der  fränkischen 
Haartracht  Rechnung,  während  das  Gesicht  schematisch  dargestellt  war,  ohne  indi- 
viduelle Züge.  Ein  Ring  in  der  Bibliotheque  nationale  in  Paris  zeigt  einen  bärtigen 
Kopf  mit  langen  Haaren  und  den  Buchstaben  S  R.  (Sigebertus  Rex.^)  Ob  Racne- 
thramnus,  dessen  Ring  ein  ähnliches  Bild  zeigt,  dem  königlichen  Hause  angehörte, 
ist  ungewiß.  Köpfe  in  Frontansicht  mit  langen  Haaren  zeigen  auch  die  Siegel 
anderer  merowingischer  Könige,  wie  Chüdebert  IIL,  Chilperich  IL,  Chlodwig  III., 
welche  bei  Le  Normant,  Tresor  de  numismatique,  Sceaux  des  rois  et  reines  de  France 
P\.  I.  abgebildet  sind.  So  mangelhaft  diese  Köpfe  sind,  die  Könige  siegelten  mit 
ihrem  eigenen  Bilde,  wie  sie  ihr  eigenes  Bild  auf  ihre  Münzen  prägten.  Die  Ringe 
Privater  trugen  bildliche  Darstellungen,  Ornamente  oder  Schriftzeichen,  zuweilen 
waren  antike  Gemmen  eingesetzt.  Der  Gebrauch  antiker  Gemmen  zum  Siegeln 
wurde  unter  den  Karolingern  auch  von  den  Königen  angenommen.  Daneben  tritt 
aber  schon  früh  das  Bild  der  Herrscher  wieder  in  seine  Rechte  und  es  tritt  in  seine 
Rechte  mit  ganz  anderen  Ansprüchen  an  die  Auffassung  und  Wiedergabe  der  Wirk- 
lichkeit. Allein  es  ist  fraglich,  wie  weit  die  Stempel  für  die  Könige  neu  gefertigt, 
wie  weit  antike  Gemmen  mit  den  Köpfen  römischer  Kaiser  verwendet  wurden.  Die 
Frage  wird  für  die  ersten  Karolinger  allgemein  dahin  beantwortet,  daß  antike  Gem- 
men in  Gebrauch  waren.  Sie  bedarf  indes  der  Nachprüfung,  die  Siegel  müssen  genau 
auf  ihre  stilistischen  Merkmale  geprüft  werden.  Die  Stempel  sind  bis  auf  einen, 
die  Gemme  Lothar  IL  im  Lotharkreuz  in  Aachen,  nicht  erhalten,  die  Untersuchung 
kann  nur  noch  an  den  Abdrücken  gemacht  werden,  die  alle  mehr  oder  weniger  ge- 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  11 


82  REITKXGE  zur  OESCHICHTE  I>BS  BILDNISSES. 


litten  haben.  Mir  stehen  nicht  einmal  diese,  sondern  die  galvanoplastischen  Nach- 
bildungen Poßes  zur  Verfügung.  So  sorgfältig  sie  gemacht  sind,  können  sie  doch 
die  Originale  nicht  ganz  ersetzen.  Dagegen  bietet  die  Sammlung  die  Möglichkeit, 
die  ganze  Reihe  unmittelbar  zu  vergleichen.  Die  Frage  der  Echtheit  der  Siegel  zu 
prüfen  liegt  nicht  in  meiner  Aufgabe,  sie  kann  nur  an  den  Originalen  geprüft  werden. 
Das  ist  von  Poße  u.  A.  geschehen,  die  sicher  kompetenter  sind,  als  ich.  Zunächst  fragt 
es  sich,  aus  welchem  Material  die  Stempel  gefertigt  sind.  Soweit  antike,  geschnittene 
Steine  in  Verwendung  waren,  wurden  sie  mit  einer  Metallfassung  versehen,  welche 
die  Inschrift  trug.  Auch  einige  der  Stempel,  deren  Ursprung  näher  zu  untersuchen 
ist,  sind  aus  den  gleichen  Materialien,  Stein  in  Metallfassung,  hergestellt.  Zweifellos 
von  Metall  waren  die  Matrizen  für  Bleibullen.  Viele  Siegel  zeigen  oben  den  Ab- 
druck eines  Ringes  oder  einer  Öse.  Eine  solche  kann  an  dem  Stempel  nur  ange- 
bracht sein,  wenn  er  eine  Metallfassung  hat,  oder  ganz  von  Metall  ist.  Daß  die  Öse 
mit  dem  Stempel  aus  einem  Stein  geschnitten  sei,  ist  unwahrscheinlich;  ist  sie  vor- 
handen, so  ist  anzunehmen,  daß  der  Stempel  von  Metall  ist  oder  eine  Metallfassung 
hat.  Die  Fassung  wird  im  allgemeinen  als  Rand  erscheinen,  aber  es  ist  auch  mög- 
lich, daß  sie  nicht  über  die  Fläche  der  Platte  vortritt.  In  solchen  Fällen  ist  eine 
Entscheidung  über  das  Material  des  Stempels  kaum  möglich,  umsoweniger,  als  die 
Abdrücke  gewöhnlich  stumpf  sind.  Darf  aber  in  karolingischer  Zeit  überhaupt  die 
Fähigkeit,  Bilder  in  Stein  zu  schneiden  vorausgesetzt  werden  ?  Die  Frage  darf  wohl 
bejaht  werden.  Der  technisch  hohe  Stand  der  Elfenbeinskulptur  läßt  mit  Sicherheit 
annehmen,  daß  auch  andere  Zweige  der  Glyptik  nicht  völlig  darniederlagen.  Auch 
gestatten  die  Siegelstempel  der  Ottonen,  von  welchen  wenigstens  einige  aus  Stein 
waren,  den  Rückschluß,  daß  man  auch  in  karolingischer  Zeit  in  Stein  schneiden 
konnte. 

Die  Stempel  der  späteren  Karolinger  sind  mit  einer  oder  zwei  Ausnahmen 
fränkische  Originalarbeiten.  Es  ist  z.  B.  ausgeschlossen,  daß  Karl  der  Dicke  gleich 
drei  ähnliche,  antike  Gemmen  gehabt  habe,  mit  welchen  er  in  den  Jahren  880,  882 
und  887  gesiegelt  hat.  Auch  der  Raum,  welchen  das  Bild  auf  der  Platte  einnimmt, 
beweist  den  fränkischen  Ursprung.  Auf  allen  dreien  ist  die  Inschrift  auf  der  Platte 
selbst  angebracht,  die  Fläche  der  antiken  Gemme  wird  fast  ganz  durch  das  Bild 
ausgefüllt.  Der  Typus  ist  nicht  der  der  antiken  Gemmen,  sondern  der  der  antiken 
Münzen  —  Kopf  mit  Lorbeerkranz  und  Umschrift  oder  Brustbild  mit  Lanze  und 
Schild.  Diese  Stempel  können  nur  für  die  Herrscher,  deren  Namen  sie  tragen  in 
karolingischer  Zeit  gefertigt  sein.  Sie  sind  technisch  nicht  schlechter,  sondern  eher 
besser  gearbeitet,  als  die  antiken  Münzen  vom  vierten  Jahrhundert  an,  aber  sie  ent- 
sprechen stilistisch  keiner  Zeit  der  antiken  Stempelschneidekunst. 

Die  Stempel  Ludwig  des  Frommen,  Lothar  II.  im  Lotharkreuz  zu  Aachen 
und  Ludwig  des  Deutschen  von  831  gelten  als  antike  Gemmen.  Über  die  Siegel 
der  ersten  Karolinger  von  Pippin  bis  zu  Ludwig  des  Frommen  handelt  ausführlich 
Th.  Sickel,  Lehre  von  den  Urkunden  der  ersten  Karolinger  S.  347  ff.  Die  Siegel 
Ludwig  des  Frommen  sind  S.  352—354  besprochen,  die  Siegelplatte  Lothar  II. 
S.  346  Note  13- 

Von  Ludwig  dem  Frommen  gibt  es  zwei  Siegel.  Das  eine  ist  von  814— 833 
und  von  836— 840  in  Gebrauch,  das  zweite  von  833—836;    beide  sind  Gemmen- 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907. 


Taf.  XIII. 


Ludwig  der  Fromme. 


Karlmann. 


Ludwig  der  Deutsche. 


Karl  der  Dicke. 


'.     J 


Arnulf. 


Karl  der  Dicke. 

Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  VI  IL 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1Q07. 


Taf.  XIV. 


/    \\ 


Liiü»;^  ^...3  Kind. 


Konrad  I. 


Heinrich  I. 


Heinrich  I. 


Otto  III. 


Otto  I. 

Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  IX. 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  83 


Siegel  mit  Metallfassung,  beide  zeigen  einen  nach  links  gewandten  Profilkopf  mit 
Lorbeerkranz  und  Ansatz  des  Mantels.  Der  erste  Stempel  ist  weitaus  besser  als 
der  zweite.  Ist  ein  römischer  Kaiser  dargestellt,  so  kann  es  nur  ein  Oströmer  aus 
später  Zeit  sein.  Ich  will  das  nicht  unbedingt  bestreiten,  aber  der  Vergleich  mit 
byzantinischen  und  karolingischen  Elfenbeinskulpturen  weist  doch  viel  mehr  auf 
eine  fränkische  als  auf  eine  byzantinische  Arbeit.  Auch  die  Form  des  Kopfes  und 
die  Barttracht  spricht  für  fränkischen  Ursprung.  Zweifellos  fränkisch  und  eine 
ziemlich  geringe  Arbeit  ist  der  zweite  Stempel.  Ebenso  muß  ich  die  Siegelplatte 
Lothar  II.  für  fränkisch  erklären.  Wäre  es  eine  antike  Arbeit,  so  müßte  sie  aus 
dem  späteren  dritten  Jahrhundert  sein.  Aber  so  gering  man  die  Kunst  dieser  Zeit 
einschätzen  mag,  so  hätte  doch  ein  antiker  Steinschneider  den  Kopf  niemals  so  un- 
geschickt in  den  Raum  gesetzt  und  die  Fläche  mehr  ausgefüllt.  Es  ist  augenschein- 
lich, daß  hier  mit  Absicht  Raum  für  die  Umschrift  gelassen  ist.  Auch  der  Stil  des 
Kopfes  spricht  bestimmt  für  fränkischen  Ursprung.  Die  Platte  erscheint  mir  als 
Nachahmung  der  antiken  Gemme,  mit  welcher  Lothar  II.  am  13.  April  862  ge- 
siegelt hat  und  welche  die  gleiche  ist,  wie  die  Lothar  I.  auf  einer  Urkunde  vom 
21.  Mai  843.  Soweit  die  beiden  stumpfen  Abdrücke  ein  Urteil  gestatten,  ist  es  ein 
Bild  Gordianus  III.  Weniger  bestimmt  ist  mein  Urteil  über  das  Siegel  Ludwig 
des  Deutschen  (18.  August  831).  Auch  hier  sprechen  die  stilistischen  Merkmale 
und  der  Umstand,  daß  die  Umschrift  in  den  Grund  der  Gemme  graviert  ist,  stark  für 
karolingisch-fränkischen  Ursprung,  aber  es  ist  nicht  ganz  ausgeschlossen,  daß  wir  eine 
byzantinische  Arbeit  des  sechsten  Jahrhunderts  vor  uns  haben. 

Wenn  ich  im  folgenden  die  vier  Siegel  als  fränkisch  betrachte,  bin  ich  mir  be- 
wußt, daß  die  Frage  noch  nicht  vollständig  entschieden  ist. 

Bei  der  Prüfung  der  karolingischen  Siegel  auf  ihren  Bildniswert  ist  zu  berück- 
sichtigen, daß  es  die  Anfänge  der  Wirklichkeit  nachstrebender  Darstellungen  mensch- 
licher Köpfe  bei  den  Franken  sind,  welche  sich  notwendig  unter  starker  Anlehnung 
an  fremde  Vorbilder  vollziehen.  Der  Künstler,  der  noch  in  der  Nachahmung  be- 
fangen ist,  kann  nur  wenig  von  eigener  Beobachtung  zugeben.  So  ist  in  den 
Köpfen  Ludwig  des  Frommen,  Ludwig  des  Deutschen  und  Lothar  II.  eine 
unmittelbar  auffallende  Individualisierung  nicht  wahrzunehmen.  Auch  auf  dem 
Wege  der  Vergleichung  mit  anderen  Bildnissen  ist  nicht  weit  zu  kommen. 
Material  liegt  für  Ludwig  den  Frommen  und  Ludwig  den  Deutschen  vor, 
aber  es  ist  unzureichend.  Die  auf  Tafel  IV  abgebildete  Münze  Ludwig  des 
Frommen  ist  so  roh,  daß  sie  zur  Vergleichung  kaum  herangezogen  werden  kann. 
Das  Bild  Ludwig  des  Frommen  in  der  Wiener  Handschrift  des  Hrabanus  Maurus- 
(Jahrbuch  der  k.  k.  Kunstsammlungen  XIII.  S.  9)  stimmt  mit  unserem  Kopfe  nur 
wenig  überein.  Es  ist  ein  Repräsentationsbild  nach  einer  spätantiken  Vorlage,  bei 
welchem  die  Nachahmung  völlig  überwiegt.  Von  Ludwig  dem  Deutschen  ist 
außer  der  Urkunde  von  83 1,  deren  Siegel  den  Typus  der  byzantinischen  Münzen 
des  sechsten  Jahrhunderts  nachahmt,  ein  zweites  Siegel  an  einer  Urkunde  von  874, 
das  ebenfalls  von  einem  Originalstempel  abgedrückt  ist,  es  ist  das  Bild  eines  jugend- 
lichen Herrschers  mit  entblößter  Schulter,  über  welcher  der  Mantel  geschlossen  ist. 
Der  Typus  kommt  zuerst  unter  den  Anton  inen  auf.  Hier  ist  der  Herrscher  mit 
Schild  und  Lanze  dargestellt.     Irgend  welcher  Bildniswert  kommt  dem  Stempel 


84  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DBS  BILDNISSES. 


nicht  zu,  er  stimmt  mit  dem  älteren  nicht  überein  und  kann  noch  weniger  als  Por- 
trät gelten  als  jener.  Bemerkenswert  ist,  daß  der  Reliefstil  in  dem  Siegel  von  874 
weit  freier  geworden  ist  als  in  dem  älteren.  Für  Lothar  11.  fehlt  alles  Vergleichs- 
material. 

Den  Siegeln  der  folgenden  Herrscher  liegen  römische  Münzen  früherer  Epochen, 
des  zweiten  und  dritten  Jahrhunderts  zugrunde,  die  Köpfe  sind  größer  als  bisher, 
die  Behandlung  sicherer. 

An  einer  Urkunde  Karlmanns  vom  3.  Dezember  878  ist  ein  Originalsiegel. 
Leider  ist  der  Abdruck  sehr  stumpf.  Der  Kopf  sieht  sehr  individuell  aus,  das  Profil 
ist  fein  gezeichnet,  die  einzelnen  Teile  sind  bis  auf  das  sehr  tief  sitzende  Ohr  richtig 
gruppiert.  Man  hat  den  Eindruck,  daß  hier  eine  bestimmte  Person  charakteristisch 
dargestellt  ist.  Aber  gerade  hier  ist  große  Vorsicht  angezeigt,  denn  es  läßt  sich  nicht 
ermessen,  wie  weit  der  Eindruck  freier  Formgebung  durch  die  Verwischung  der  Formen 
hervorgerufen  wird.  Und  da  alles  Vergleichsmaterial  fehlt  ist  eine  Prüfung  auf  die 
Ähnlichkeit  nicht  möglich.  Doch  selbst  wenn  sie  ganz  fehlen  sollte,  was  ich  nicht 
glaube,  bleibt  der  Stempel  eine  achtungswerte  Leistung  karolingischer  Glyptik. 

Von  Karl  dem  Dicken  sind  sieben  verschiedene  Siegelbilder  vorhanden, 
alle  Originalarbeiten.  Es  sind  zwei  verschiedene  Typen,  ein  Imperator  mit  Lorbeer- 
kranz und  der  junge  Herrscher  mit  Schild  und  Lanze,  den  wir  zuerst  bei  Ludwig 
dem  Deutschen  gefunden  haben.  Die  Siegel  vom  8.  Februar  880,  vom  23.  April  882 
und  vom  17-  März  887  stimmen  zwar  im  Profil  nicht  völlig  überein,  sind  aber  doch 
unter  sich  so  ähnlich,  daß  man  sie  als  Porträts  ansprechen  darf.  Die  Nase  ist  lang, 
die  Oberlippe  kurz  und  etwas  aufgeworfen,  die  Unterlippe  tritt  zurück,  das  Kinn 
springt  vor.  Die  Stempel  von  880  und  882  sind  vielleicht  von  der  gleichen  Hand 
wie  der  Karlmanns  von  878.  Vorbilder  sind  Münzen  aus  der  Zeit  der  Gordiane. 
Ein  Stempel,  mit  welchem  am  9-  Mai  881  und  am  5-  Mai  883  gesiegelt  wurde,  ist 
nach  einer  römischen  Münze  aus  dem  dritten  Jahrhundert  gearbeitet,  ohne  genaue 
Kopie  zu  sein;  es  ist  nicht  möglich  zu  bestimmen,  welchem  Kaiser  das  Original  an- 
gehörte, vielleicht  Maximinus.  Die  Arbeit  ist  gering.  Zwei  weitere  Siegel  vom 
9.  Juni  886  und  vom  29.  Mai  886  haben  den  Typus  des  jungen  Herrschers  mit 
Schild  und  Fahne.  Das  erste  (Abbildung  bei  Heffner,  die  deutschen  Kaiser-  und 
Königssiegel  Taf.  1  Nr.  6),  ein  jugendlicher  bekränzter  Kopf  in  hohem  Relief  ist 
sehr  hübsch,  obgleich  die  Durchbildung  der  Einzelheiten  zu  wünschen  übrig  läßt. 
Der  zweite  ist  weniger  schön.  Bildniswert  haben  beide  nicht.  Wohl  ist  das  Bild 
auf  dem  ersten  so,  daß  es  als  Jugendbildnis  Karls  aufgefaßt  werden  könnte,  aber 
wir  haben  kein  Recht  zu  der  Annahme,  daß  der  Stempel  schon  so  früh  gefertigt 
worden  sei,  um  so  weniger  als  er  schon  als  Imperator  bezeichnet  ist.  Der  Stil  der 
Siegel,  mit  Ausnahme  dessen  vom  9-  Mai  881,  ist  gut.  Sie  stehen  den  römischen 
Münzen  des  späten  dritten  Jahrhunderts  mindestens  gleich.  Die  Profile  sind  rein 
gezeichnet,  das  Relief  ist  kräftig  und  gut  abgestuft.  Die  Profilstellung  der  Augen 
ist  nicht  ganz  gelungen,  auch  besteht  ein  Widerspruch  zwischen  der  Frontstellung 
des  Rumpfes  und  der  Profilstellung  des  Kopfes.  Ganz  abweichend  im  Stil  ist  eine 
Bleibulle  vom  30.  Mai  887,  von  deren  Echtheit  ich  nicht  überzeugt  bin. 

Von  Arnulf  sind  sechs  verschiedene  Siegelbilder  vorhanden.  Das  vom  5-  Oktober 
889  ist  so  stumpf,  daß  sich  nichts  aus  ihm  entnehmen  läßt.   Drei  andere  haben  unter 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  85 


sich  wohl  im  Profil  einige  Ähnlichkeit,  stimmen  aber  im  einzelnen  wenig  überein. 
Das  beste  ist  das  vom  20.  Juni  889,  Profilkopf  mit  Lorbeerkranz,  Fahne  und  Schild. 
Leider  ist  der  Mund  verwischt.  Die  Arbeit  ist  gut  und  erinnert  an  die  Siegel  Karl 
des  Dicken.  Das  Siegel  vom  6.  Januar  893  ist  roh  gearbeitet  und  der  Abdruck 
stumpf.  Der  Typus  ist  der  gleiche  wie  der  des  vorigen.  Das  dritte  vom  7.  Februar 
893  ist  besser  gearbeitet,  aber  auch  gerade  am  Profil  etwas  verdrückt.  Am  ehesten 
darf  das  erste  als  Bildnis  Arnulfs  gelten.  Sehr  befangen  in  Zeichnung  und  Ausführung 
ist  ein  Stempel,  mit  welchem  am  30.  1.897  und  am  13.  XII.  898  gesiegelt  wurde. 
Profilkopf  mit  Diadem,  Schild  und  Lanze.  Das  Profil  weicht  von  dem  vorigen  sehr 
ab  und  kann  nicht  als  porträtmäßig  gelten.  Endlich  ist  eine  sehr  roh  gearbeitete 
Bleibulle  vom  1.  V.  896  vorhanden.    Sie  zeigt  wieder  völlig  andere  Formen. 

Mit  Ludwig  dem  Kind  (IV.)  tritt  ein  neuer  Typus  ein,  der  Herrscher  erscheint  laf.  ix. 
als  nach  links  gewandte  Halbfigur  mit  Lanze  und  Schild.  Dabei  ist  der  Schild  in 
perspektivischer  Ansicht  gegeben.  Die  technische  Ausführung  ist  geringer  als  in 
der  unmittelbar  vorhergehenden  Periode,  die  Reliefbehandlung  trocken.  Die  Siegel 
zweier  Urkunden  vom  24.  VI.903  und  vom  16.  VI.  911  gehören  diesem  Typus  an, 
sie  zeigen  den  König  mit  sehr  ausgeprägten  Zügen.  Die  Nase  ist  kräftig,  die  Flügel 
senken  sich  gegen  die  Spitze,  die  Oberlippe  ist  gerade,  die  Mundwinkel  nach  abwärts 
gezogen.  Vom  Nasenflügel  geht  eine  Falte  um  den  Mundwinkel,  die  Unterlippe  tritt 
zurück,  das  Kinn  springt  scharf  vor.  Die  Augen  sind  auf  beiden  Bildern  oberfläch- 
lich behandelt.  Stimmen  die  Bilder  leidlich  überein,  so  erregt  es  Bedenken,  daß  sie 
einen  Mann  von  etwa  vierzig  Jahren  darstellen,  während  Ludwig  91 1  im  Alter  von 
18  Jahren  gestorben  ist.  Heffner  gibt  a.  a.  O.  Taf.  I,  8  ein  Siegel  Ludwigs,  Brust- 
bild mit  Schild  und  Lanze,  das  jugendlichere  Züge  aufweist  und  mit  den  beiden  anderen 
einige  Ähnlichkeit  im  unteren  Teil  des  Gesichtes  hat.  Geben  wir  zu,  daß  die  Siegel 
eine  wenn  auch  beschränkte  Bildnistreue  haben,  so  zeigt  die  Unfähigkeit  das  Lebens- 
alter anzudeuten,  daß  das  künstlerische  Vermögen  im  Rückgang  ist. 

Das  bestätigen  auch  die  Siegel  Konrad  I.  Sie  weisen  alle  den  Typus  der  nach 
links  gewandten  Halbfigur  mit  Fahne  und  perspektivisch  gezeichnetem  Schild  auf. 
Ein  Siegelbild  vom  10.  XI.  911  ist  ganz  steif  und  leblos.  Höher  stehen  die  Siegel 
vom  11.  I.  und  vom  8.  VI  1 1.  912.  Sie  sind  nicht  ganz  gleich.  Das  Profil,  kurze  gerade 
Nase,  gerade  Oberlippe,  schmale  Lippen  und  etwas  vortretendes  Kinn  ist  auf  beiden 
verwandt.  Die  gleiche  Form  des  Mundes  und  der  Oberlippe  zeigt  das  bei  Heffner 
a.  a.  O.  Taf.  I.  9  abgebildete  Siegel,  das  in  der  Gesamtfigur  wieder  etwas  verschieden 
ist.  Wieder  unter  sich  fast  gleich  sind  das  Siegel  einer  Urkunde  vom  13.  IX.  91.8 
und  ein  Abdruck  in  Zürich,  die  in  den  Maßen  übereinstimmen,  aber  in  der  Form  der 
Umschrift  kleine  Unterschiede  aufweisen.  Hier  ist  das  Profil  bewegter,  die  Nase 
tritt  mehr  hervor,  Lippen  und  Kinn  sind  stärker  geschwungen.  Drei  weitere  Siegel 
sind  so  schlecht  erhalten,  daß  sie  kaum  mehr  zu  beurteilen  sind.  Das  vom  18.  X.  927 
hat  im  Profil  mit  den  beiden  zuletzt  besprochenen  Ähnlichkeit.  Eine  Entscheidung 
über  den  Grad  der  Bildnistreue  ist  umso  weniger  zu  treffen,  als  durch  die  diesem  Typus 
angehörenden  Siegel  Ludwig  IV.,  Konrads  und  Heinrich  I.  ein  Zug  von  Ähnlichkeit 
geht,  der  starke  Zweifel  der  Individualität  der  Formen  erregt.  Es  ist  wahrscheinlich, 
daß  hier  überhaupt  keine  Bildnisse  vorliegen,  sondern  Kopien,  welche  von  einem 
Original  Ludwig  IV.  ausgehen  und  immer  wiederholt  werden. 


36  BBtTRXßB  ZUR  GBSCfllCäTB  DBS  BlLDNlSSBS. 


Der  Typus  der  nach  links  gewandten  Halbfigur  mit  Fahne  und  Schild  dauert 
auch  unter  den  sächsischen  Kaisern  neben  anderen  Typen  noch  fort.  Die  Ausführung 
ist  lässiger.  Das  Siegel  Heinrich  I.  vom  18.  X.  927 ist  als  Kopienach  einem  Konrad  I. 
zu  betrachten.  Das  Otto  I.  vom  29.  V.  940  ist  oberflächlicher  gearbeitet  als  die 
meisten  früheren;  aus  dem  gleichen  Stempel  scheint  das  fast  ganz  verwischte  Otto  II. 
vom  24.  VII.  961  abgedruckt  zu  sein.  Das  letzte  Beispiel  bieten  die  Rückseiten 
zweier  Bullen  Otto  III.  vom  3.  I.  und  vom  13.  IV.  999-  Der  überaus  flau  gearbeitete 
Stempel  enthält  eine  ganz  schematische  Halbfigur  (vgl.  Heffner  Taf.  1. 18  b) 

Auch  der  Profilkopf,  wie  er  vor  Ludwig  IV.  üblich  war,  findet  sich  unter  den 
Siegeln  der  sächsischen  Kaiser  noch  in  einigen  Beispielen  vor.  Heinrich  I.,  30.  IV.  925. 
Bartloses  Gesicht  mit  gerader,  ziemlich  scharf  vorspringender  Nase,  kleinem  Munde 
und  Kinn,  Augen  unrichtig  gezeichnet.  Vergleichsmaterial  zur  Feststellung  des 
Porträtwertes  fehlt;  auf  keinen  Fall  ist  die  Ausführung  eindringlich.  Weitere  Profil- 
köpfe finden  sich  auf  Bleibullen.  Otto  III.,  3.  I.  und  11.  IV.  999  und  30.  VI.  1000, 
das  Motiv  des  spätrömischen  Imperatorenkopfes  mit  Krone.  Porträtähnlichkeit 
ist  gar  nicht  angestrebt  (Heffner  Taf.  1.  18  a).  Konrad  II.  Bulle  einer  Urkunde 
vom  23.  VIII.  1028.  Heinrich  IIl.  22.  VII.  1040.  Ich  komme  auf  diese  beiden 
Köpfe  zurück. 

Die  Profilköpfe  verschwinden  von  da  an  aus  den  Siegelbildern.  Ihr  Stil  ist 
in  der  ersten  Hälfte  des  9-  Jahrhunderts  streng  und  befangen;  noch  ist  die  Abhängig- 
keit von  byzantinischen  Vorbildern  groß.  Sie  haben  die  Eigenheiten  des  fränkischen 
Stils,  die  wir  aus  Elfenbeinreliefs  und  der  Reiterfigur,  die  für  Karl  den  Großen  gilt, 
kennen,  aber  sie  geben  wenig  Individuelles.  Unter  den  späteren  Karolingern  hebt 
sich  das  technische  und  künstlerische  Können.  Die  Abhängigkeit  von  Vorbildern 
wird  geringer,  sie  schließen  sich  ihnen  wohl  noch  im  Motiv  an,  aber  die  Ausführung 
ist  ziemlich  selbständig.  Die  Profile  sind  sorgfältig  gezeichnet  und  geben  individuelle 
Züge  wieder,  wenn  sie  ihnen  auch  nicht  in  die  letzten  Feinheiten  folgen.  Das  Relief 
ist  kräftig  und  gut  abgestuft.  Im  Beginn  des  10.  Jahrhunderts  wird  die  Behandlung 
einförmiger.  Die  Halbfigur  bringt  einen  kleineren  Maßstab  des  Kopfes  mit  sich, 
welcher  eine  einfachere  Formgebung  bedingt.  Man  legte  weniger  Wert  auf  die  Bildnis- 
treue als  früher,  ganz  scheint  sie  aber  doch  nicht  zu  fehlen.  Die  Bleibullen  Kon- 
rad II.  von  1028  und  Heinrich  III.  von  1040  geben  in  groben  Zügen  einige  Ähn- 
lichkeit ohne  auf  Richtigkeit  im  Einzelnen  auszugehen. 

Von  Otto  I.  an  treten  Frontbilder  neben  die  Profilbilder  und  verdrängen  sie 
bald  vollständig.  Das  Frontbild  ist  für  eine  Reliefbehandlung  nicht  günstig,  erst 
späte  Zeiten  haben  es  völlig  bewältigt  und  eine  leichte  Wendung  des  Kopfes  der 
strengen  Frontansicht  vorgezogen.  Der  erste  T3^us  ist  die  frontale  Halbfigur  mit 
Szepter  und  Reichsapfel  (Weltkugel  vom  Kreuz  bekrönt),  Krone  und  Mantel.  Er 
kommt  auf  byzantinischen  Münzen  schon  im  8.  Jahrhundert  vor.  Die  Siegel  vom 
21.  11. 962  und  vom  5-  IV.  965  zeigen  ein  volles  Gesicht  mit  Schnurrbart  und  breitem 
Vollbart.  Die  Augen  sind  rund  und  glotzend.  Auf  diesen  Siegeln  sind  höchstens 
die  äußeren  Merkmale  des  breiten  Gesichts  und  des  großen  Bartes  bildnismäßig. 
Das  bestätigt  der  Vergleich  mit  dem  Elfenbeinrelief  in  der  Sammlung  der  Marchese 
Trivulzi  in  Mailand,  das  den  Kopf  im  Profil  gibt.  Es  ist  weit  besser  gearbeitet  als 
die  Siegelstempel,  aber  es  geht  in  der  Wiedergabe  der  individuellen  Formen  auch  nicht 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalinuseum.     1907. 


Taf.  XV. 


Konrad  II. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  X. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907. 


Taf.  XVI. 


Heinrich  III. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  XI. 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLÜ.  87 


Über  das  Allgemeine  hinaus.  Dss  spätere  Majestätssiegel  Otto  I.  ist  ganz  schematisch 
und  leblos;  der  schmale  magere  Kopf  mit  spitzem  Kinn  und  Bart,  die  gezierte  Haltung 
der  Arme,  all'  das  ist  undeutsch. 

Fast  identisch  mit  dem  vorigen  ist  das  Siegel  Otto  II.  (13.  V.  974  und  3.  III.  98O; 
Abb.  bei  Heffner  Taf.  II.  5).  Otto  II.  Königssiegel  vom  27.  VII.  934  zeigt  einen 
jugendlichen  Kopf,  ist  aber  sehr  undeutlich,  ebenso  die  Siegel  vom  3.  X.  968  und 
vom  18.  X.  972,  die  unter  sich  sehr  ähnlich  sind.  Otto  erscheint  auch  auf  ihnen 
noch  jugendlich,  mit  schmalem  Gesicht,  auf  dem  ersten  bartlos,  auf  dem  zweiten 
mit  kurzem  Bart  {?).  Die  Darstellung  ist  unbeholfen,  am  ehesten  kann  das  Siegel 
von  968  als  leiser  Versuch  zu  bildnismäßiger  Darstellung  angesehen  werden. 

Von  Otto  in.  gibt  es  zwei  Siegel  (27.  X.  984  und  12.  XII.  993),  vvelche  die 
frontale  Halbfigur  haben.  Ein  Vergleich  mit  den  viel  besseren  Miniaturen  (Kemmerich 
S.  64ff.)  zeigt,  daß  ihnen  kein  Bildniswert  zukommt. 

Otto  III.  hat  noch  zwei  andere  Siegeltypen,  den  stehenden  und  den  thronenden 
Imperator.  Der  stehende  findet  sich  auf  zwei  wenig  verschiedenen  Siegeln  vom 
15.  IX.  996  und  einem  undatierten  in  der  Sammlung  Sara  in  Wien;  ein  gekrönter 
Kaiser  in  langem  Leibrock  (der  byzantinischen  Tunica),  Mantel,  mit  langem  Szepter 
in  der  Rechten  und  der  Weltkugel  (Reichsapfel)  in  der  Linken,  auch  das  ist  ein 
byzantinisches  Motiv.  Der  Umriß  des  Kopfes  stimmt  ziemlich  zu  den  Miniaturen, 
weniger  die  Zeichnung  innerhalb  dos  Umrisses. 

Dann  tritt  unter  Otto  III.  der  Typus  auf,  welcher  von  nun  an  bis  ins  18.  Jahr- 
hundert für  die  Kaiserbilder  der  Majestätssiegel  herrschend  bleibt,  der  auf  dem  Thron 
sitzende  Kaiser  in  frontaler  Haltung.  Es  ist  das  Repräsentationsbild,  das  schon 
unter  den  römischen  Kaisern  vorkam.  Typisch  ist  es  für  die  Consulardiptychen. 
Der  Kaiser  hat  in  der  Rechten  das  Szepter,  in  der  Linken  den  Reichsapfel,  zuweilen 
auch  umgekehrt.  Die  Arme  sind  fast  symmetrisch  erhoben.  Der  Kaiser  ist  mit 
langem  Rock,  Mantel  und  Krone  bekleidet.  Die  Stellung  der  Beine  ist  symmetrisch, 
die  Knie  sind  etwas  auseinander  gerückt,  die  Füße  nach  auswärts  gerichtet.  Die 
Durchbildung  des  Gesichts  ist  nicht  sorgfältig.  Das  hängt  damit  zusammen,  daß 
der  Kaiser  nun  in  ganzer  Figur  dargestellt  wird.  Doch  wenn  auch  die  Vorstellung, 
welche  uns  diese  Siegelbilder  bieten,  ungenügend  bleibt,  sind  sie  doch  eine 
wichtige,  ja  für  die  Frühzeit  vielleicht  die  wichtigste,  ikonographische  Quelle.  Der 
Porträtstil  hält  sich  unter  den  fränkischen  Kaisern  und  ihren  nächsten  Nachfolgern 
noch  an  die  äußerlichsten  Merkmale.  Die  Fähigkeit  andeutend  zu  charakterisieren, 
zu  skizzieren,  steht  noch  in  den  ersten  Stadien.  Sie  tritt  erst  im  14.  Jahrhundert 
sicher  hervor.  Die  größte  Zeit  der  deutschen  Plastik  hat  einzelne  sehr  schöne  Siegel- 
bilder aufzuweisen,  aber  als  Bildnisse  stehen  diese  Arbeiten  nicht  hoch.  Unter  den 
Luxemburgern  beginnt  eine  neue  Epoche  für  das  Siegelbild,  die  Fähigkeit,  ein  Ge- 
sicht in  wenigen  Zügen  charakteristisch  wiederzugeben  ist  gewonnen. 

Es  ist  für  unsere  mehr  auf  das  Stilistische,  als  auf  das  Ikonographische  ge- 
richtete Betrachtung  nicht  nötig,  die  Siegelbilder  sämtlicher  deutscher  Kaiser  zu 
besprechen. 

Die  zahlreichen  Siegel  Konrad  II.  stimmen  mit  einer  Ausnahme  (12.  1. 1025)   Taf.  x. 
in  der  schmalen  Gesichtsform,  dem  langen  spitzen  Bart  und  dem  großen  Schnurrbart 
überein.    Es  sind  äußerliche  Merkmale,  die  Individualisierung  fehlt.    Ich  gebe  auf 


88  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 

Tafel  X  ein  Siegel  vom  1.  V.  1039.  Nun  stimmt  das  oben  erwähnte  Profilbild 
(23.  VIII.  1028)  wohl  in  den  allgemeinen  Grundzügen  mit  den  Frontbildern  überein. 
Aber  es  gibt  wesentlich  mehr  und  besseres. 

Wie  gering  der  Wert  der  Frontbilder  Konrads  anzuschlagen  ist,  zeigt  der  Ver- 
Tafei  XI.  gleich  mit  denen  Heinrich  III.  Die  Gesichter  auf  beiden  sind  fast  identisch.  Auch 
sie  finden  in  dem  Profilkopf  einer  Bulle  (22.  VII.  1040)  eine  Ergänzung.  Dieses  Bild 
ist  weniger  gut  als  das  Konrads,  verdient  aber  trotz  seiner  ziemlich  unbeholfenen 
Ausführung  einiges  Vertrauen.  Das  Profil  ist  stark  bewegt,  die  Stirn  gewölbt,  die 
kräftige  Nase  etwas  gebogen,  die  Oberlippe  kurz,  die  Unterlippe  wulstig,  der  Bart 
ist  in  runde  Knollen  und  längliche  Zotten  stilisiert.  Das  Auge  liegt  tief  unter  dem 
gegen  die  Nase  gesenkten  Augenbogen.  Auffallender  Weise  ist  hier  der  obere  Teil 
des  Gesichts  besser  gezeichnet  als  der  untere. 

Die  Majestätssiegel  der  späteren  fränkischen  Kaiser  und  Lothar  III.  sind  formal 
gering,  besonders  dürftig  sind  die  Beine,  welche  vom  Knöchel  gegen  das  Knie  keulen- 
förmig anschwellen.  Als  Bildnisse  bieten  sie  fast  nichts.  Zu  bedauern  ist,  daß  der 
Kopf  des  Siegels  Rudolfs  von  Schwaben  (25- III.  1079)  ganz  verwischt  ist.  Hier 
hätte  man  zum  Vergleich  das  Grabmal  im  Dom  zu  Merseburg. 

Nun  möchte  man  gerne  von  den  großen  Hohenstaufen  genaue  Bildnisse  haben. 
Die  bieten  uns  die  Siegel  nicht,  aber  einen  Fortschritt  gegenüber  den  Siegeln  der 
Salier  bekunden  sie  doch.  Schon  die  Stilisierung  ist  fester,  das  Relief,  wenigstens 
bei  den  guten  Siegeln,  schön  und  kräftig,  aber  die  Beobachtung  der  Körperformen 
und  der  Bewegungen  ist  noch  mangelhaft.  Merkwürdig  ungleich  ist  die  Behandlung 
der  Gesichter,  neben  solchen,  welche  den  organischen  Bau  des  Kopfes  gut  erfassen, 
stehen  noch  im  13.  Jahrhundert  völlig  befangene  schematische  Bildungen  ohne  alles 
Leben.  Einige  Köpfe  sind  wirklich  schön.  Aber  gerade  sie  müssen,  wenn  es  sich 
um  den  Bildniswert  handelt,  mit  Mißtrauen  betrachtet  werden.  Sie  stammen  aus 
der  Blütezeit  der  mittelalterlichen  Plastik,  in  der  man  auch  Idealköpfe  zu  vollem 
Leben  durchzubilden  vermochte.  Die  Frage,  ob  die  Stempel  deutsche  oder  italienische 
Arbeiten  sind,  ist  schwierig  und  kann  mit  dem  Vergleichsmaterial,  welches  mir  hier 
zur  Hand  ist,  nicht  gelöst  werden.  Man  wird  geneigt  sein,  die  besseren  für  italienisch 
zu  halten.  Es  muß  aber  darauf  hingewiesen  werden,  daß  im  13.  Jahrhundert  die 
deutsche  Plastik  weit  höher  steht,  als  die  italienische. 
Tafel  XII.  Die  Siegel  Friedrich  I.  Barbarossa  stimmen  mit  Ausnahme  einer  Goldbulle 

von  1154  in  Wolfenbüttel  so  weit  überein,  daß  ihnen  trotz  der  Stilisierung  des  Kopfes 
Bildniswert  zugemessen  werden  darf.  Die  Form  des  Kopfes  ist  oval,  Schnurrbart 
und  Vollbart  sind  kräftig,  doch  nicht  lang,  die  Unterlippe  tritt  deutlich  hervor,  die 
Nase  ist  ziemlich  lang.  Eine  richtige  Darstellung  der  Augen  ist  noch  nicht  gelungen. 
Unter  den  Siegeln  ist  das  vom  26.  11.1162  das  beste.  Das  Stadtsiegel  von  Geln- 
hausen mit  den  Halbfiguren  Friedrichs  und  Beatrices  hat  keinen  Bildniswert.  Zieht 
man  andere  Darstellungen  heran,  welche  teils  mit  Sicherheit,  teils  vermutungsweise 
auf  Friedrich  bezogen  werden,  so  haben  sie  zwar  alle  einige  Ähnlichkeit  mit  den 
Siegeln,  stimmen  aber  keineswegs  soweit  mit  ihnen  überein,  daß  man  sofort  von  der 
Identität  der  dargestellten  Person  überzeugt  ist.  Eine  kolorierte  Zeichnung,  welche 
Propst  Heinrich  von  Schäftlarn  1180  gefertigt  hat,  jetzt  in  der  Vatikanischen 
Bibliothek  (Cod.  Vat.  2001.    Abb.  in  O.  Jägers  Weltgeschichte  IL  S.  264),  zeigt  den 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalniuseum.     1Q07. 


Taf.  XVII. 


^i 


^ 


f^ 


Friedrich  I. 


Friei-iiKii  ii. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  XII. 


Mitteilungen  aus  dem  gennan.  Nationalmuseum.     1907. 


Taf.  XVIII. 


König  Heinrich  {VU.). 


Richard  von  Cornwallis. 
Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  XIII. 


VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  89 


Kaiser  in  ganzer  Figur,  die  Form  des  Bartes  ist  ähnlich  wie  auf  den  Siegeln,  weiter 
erstreckt  sich  die  Ähnlichkeit  nicht.  Das  Gleiche  gilt  von  dem  Relief  im  Kreuzgang 
von  S.  Zeno  in  Reichenhall  (Abb.  in  Kunstdenkmale  des  Königreichs  Bayern  I. 
S.  2911)  und  dem  am  Portal  des  Domes  zu  Freising  (Sammelblatt  des  Hist.  Vereins 
Freising  V.  Taf.  1).  Sie  sind  alle  nicht  nach  dem  Leben  gefertigt.  Das  Kopfreliquiar 
in  Cappenberg  in  Westfalen,  welches  vor  1171  gefertigt,  wird  in  der  Schenkungs- 
urkunde als  „ad  imperatoris  formatum  effigiem''  bezeichnet.  Daß  dieser  Kaiser 
Friedrich  I.  ist,  ergibt  sich  aus  einer  anderen  Stelle  der  Urkunde.  Der  Kopf  ist  in 
Erz  gegossen  und  äußerst  streng  stilisiert,  so  daß  man  ihn  ohne  die  Notiz  nicht  als 
Bildnis  ansehen  würde.  Ich  kann  mich  auch,  trotz  der  sehr  lebendigen  Behandlung 
des  unteren  Teils  des  Gesichts  und  der  Ähnlichkeit  des  Bartes  mit  den  anderen  Bildern 
Friedrichs  nicht  überzeugen,  daß  wir  hier  ein  nach  dem  Leben  gearbeitetes  Porträt 
vor  uns  haben.  (Über  das  Reliquiar  vgl.  Philippi  in  den  Mitteilungen  des  Vereins 
für  Altertumskunde  Westfalens  Bd.  44.  1886  mit  2  Abbildungen  und  Ludorff,  Die 
Bau-  und  Kunstdenkmäler  von  Westfalen,  Kreis  Lüdinghausen,  Taf.  24.) 

Die  Siegel  Friedrich  II.  sind  sehr  verschieden,  während  einige  ein  rundes  Ge- 
sicht ohne  alle  Individualisierung  geben  und  andere  (zwischen  1224  und  1276)  einen 
jungen  Mann  mit  hübschem,  aber  ausdruckslosem  Gesicht  zeigen,  hat  ein  Siegel 
vom  2.  VI.  1213  einen  schönen,  durch  die  tiefe  Lage  der  Augen  ausdrucksvollen  Kopf,  Taf.  xiii. 
der  mit  dem  eben  erwähnten  wenigstens  eine  allgemeine  Ähnlichkeit  hat.  Man  möchte 
hier  ein  im  großen  Sinn  des  13.  Jahrhunderts  stilisiertes  Bildnis  vermuten.  Das 
Gleiche  gilt  von  dem  Siegelbild  König  Heinrich  (VII). 

Der  außerordentlich  schöne  Kopf  Richards  von  Cornwallis  (1257—1272)  auf 
dem  Siegel  vom  16.  VIII.  1268  kann  wohl  nur  als  Idealbild  aufgefaßt  werden. 

In  den  Siegeln  des  ausgehenden  13.  und  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts 
finden  wir  manche  individuelle  Züge,  aber  ein  wesentlicher  Fortschritt  in  der  Er- 
fassung und  Wiedergabe  der  Wirklichkeit  tritt  nicht  ein. 


Mitteilungen  aus  dem  german,  Nationalmuseum.  1907.  12 


SILBERVERGOLDETES  MONILE. 

Von  DR,  EDWIPl  REDSLOB. 

(Neuerwerbung  des  Jahres  1907.) 
(Mit  1  Tafel) 

Während  die  Geschichte  der  deutschen  Spätrenaissance  innerhalb  der  freien 
bildenden  Künste  eine  schnelle  Verarmung  an  Gedanken  und  Formen  zu  ver- 
zeichnen hat,  läßt  sich  beim  Kunstgewerbe  noch  ein  Jahrhundert  über  die  Blüte- 
zeit hinaus  eine  lebendige  Weiterentvvickelung  erkennen.  Vor  allem  die  Gold- 
schmiedekunst bewahrte  sich  infolge  der  zunehmenden  Freiheit,  die  sie  in  der  tech- 
nischen Behandlung  des  Materials  gewann,  noch  bis  in  das  siebzehnte  Jahrhundert 
hinein  ihre  hervorragende  Stellung. 

Ein  bezeichnendes  Beispiel  ihrer  Leistungsfähigkeit  wurde  im  Jahre  1907  im 
Münchener  Kunsthandel  für  die  Abteilung  der  kirchlichen  Geräte  unserer  Samm- 
lungen erworben.  Es  handelt  sich  um  eine  silbervergoldete  Agraffe,  ein  sogenanntes 
Monile,  das  im  liturgischen  Gebrauch  als  Zierstück  eines  Pluviale-Mantels  be- 
stimmt war. 

Unser  Stück  hat  die  Form  eines  aus  Halbkreisen  gebildeten,  durch  die  hervor- 
stehenden Ecken  eines  Quadrates  erweiterten  Vierpasses,  der  15,5  cm  im  Durchmesser 
aufweist.  Auf  der  zwei  lange  Haken  tragenden  silbernen  Rückseite  ist  eine  zweite 
Platte  angeschraubt,  vor  der,  innerhalb  einer  aufgelöteten  Profilumrahmung,  die 
Zierformen  aufgesetzt  sind.  Die  Mitte  der  Komposition  wird  durch  die  Madonna 
gewonnen.  Mit  dem  Flammenkranz  umgeben  thront  sie  vor  einer  Renaissancenische, 
auf  einem  bankartigen,  mit  schwerem  Stoff  bedeckten  Sitz.  Im  Sinne  der  Spät- 
renaissance ist  sie  als  jugendliche  Himmelskönigin  charakterisiert.  Auf  dem  Haupt, 
von  dem  das  gelöste  Haar  in  langen  Wellen  herabfällt,  trägt  sie  eine  kleine  Krone, 
in  der  rechten  Hand  hält  sie  das  Scepter,  indeß  das  auf  ihrer  linken  sitzende,  in  ein 
kurzes  Hemd  gekleidete  Kind  den  Reichsapfel  hält  und  die  rechte  Hand  segnend  er- 
hebt. Marias  Gewandung  besteht  aus  reich  gemusterten  Stoffen.  Sie  trägt  ein  ge- 
gürtetes, enganliegendes  Kleid,  über  dem  der  Mantel  in  feinen  Falten  liegt. 

Mutter  und  Kind  wenden  sich  dem  Stifter  zu,  dessen  kleine  Figur  etwas  un- 
geschickt links  vom  Thron  die  sonst  streng  regelmäßige  Anordnung  unterbricht.  Er 
kniet  in  Profilstellung  vor  dem  Betpult.  Seine  Kleidung  ist  die  weltliche  Tracht  der 
Zeit  um  1600,  nur  das  auf  dem  Pulte  liegende  Barett  deutet  auf  seine  geistlichen 
Würden  hin  und  läßt  wohl  am  ehesten  auf  einen  Domherrn  schließen. 

Die  vier  Pässe  sind  ornamental  gefüllt.  Im  oberen  ist  zur  Bekrönung  der  Nische 
ein  Baldachin  untergebracht,  dessen  von  zwei  schwebenden  Putten  zur  Seite  geraffte 
Vorhänge  die  Hauptgruppe  nach  rechts  und  links  abschließen.  Der  Rundung  der 
zwei. seitlichen  Halbkreise  paßt  sich  das  einfach  und  klar  geordnete  Schweifwerk 


SILBERVERÜOLDETES  MÜNILE.    VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  91 


an,  mit  dem  die  Flügel  von  zwei  zur  Madonna  emporschauenden  Cherubimköpfen 
endigen.  Im  unteren  Paß  liegt  ein  Lorbeerkranz,  dessen  Oval  nach  oben  zwei  ge- 
flügelte Engelsköpfe  erweitern.  Der  Kranz  umrahmt  eine  mit  geperlter  offener 
Krone  bedeckte  Kartusche,  auf  der  das  Wappen  aufliegt.  Es  zeigt  einen  quadrierten 
Schild  und  enthält  im  ersten  und  vierten  Feld  einen  doppelten  Hausanker,  im  zweiten 
und  dritten  drei  als  Mispelblüten  zu  deutende  fünfblättrige  Blüten  in  der  Anordnung 
2  über  1.  Zwischen  Schild  und  Kranz  sind  sechs  Buchstaben  eingraviert : 
S  V  H  H  Z  W,  die  auf  Grund  des  Wappens  aufzulösen  sind  in :  S.  von  Hatzfeld, 
Herr  zu  Wildenburg. 

Die  technische  Ausführung  der  montierten  Arbeit  verrät  eine  außerordentliche 
Sorgfalt.  Die  Teile  sind  einzeln  in  Silber  gegossen  und  mit  Stiften  oder  Muttern 
an  der  Rückplatte  angezogen,  nur  die  Vorhänge  des  Baldachins  und  die  Ornamente 
des  Wappens  sind  getrieben  und  angelötet.  Auch  der  mit  der  Madonnenfigur  an- 
geschraubte Strahlenkranz  ist  aus  dem  Stück  geschnitten. 

Der  Vergoldung  sind  durch  verschiedene  Materialbehandlung  farbige  Unter- 
schiede abgewonnen.  Die  am  stärksten  modellierten  Teile,  also  besonders  alle  Fleisch- 
partien, das  Rankenwerk  in  den  seitlichen  Pässen  und  die  Pfosten  des  Thrones  haben 
den  gewöhnlichen  Glanz.  Die  Vergoldung  der  durch  einfache  Rauten  verzierten 
Hintergrundplatte  mit  der  Nische  ist  poliert,  so  daß  sie  mit  den  vielen  Reflexlichtern 
der  vorgeschraubten  Zierstücke  von  hinten  hell  hervorleuchtet.  Als  dritter  Ton 
kommt  die  mattgeschlagene  Vergoldung  des  Ornamentstreifens  unter  dem  Thron 
in  Betracht.  Am  mühsamsten  sind  die  stofflichen  Teile  behandelt.  Kleid  und 
Mantel  der  Maria  sind  durch  sorgfältig  mit  dem  Punzen  eingeschlagene  Gewebe- 
ornamente unterschieden.  Auch  die  Tracht  des  Stifters,  die  getriebenen  Baldachin- 
streifen, die  Decke  des  Thrones  sowie  die  kleinen  Tücher  am  Halse  der  zwei  seitlichen 
Cherubim  sind  durch  Ziselierung  als  Stoffteile  charakterisiert.  Wichtig  und  be- 
sonders bewundernswert  erscheint,  daß  also  nur  durch  die  Materialbehandlung  die 
einzelnen  Unterschiede  gewonnen  sind;  die  Farbe  der  Vergoldung  selbst  ist  für 
alle  Teile  die  gleiche;  einige  Unterschiede  in  der  Färbung,  durch  die  besonders  die 
Pfosten  und  die  Decke  des  Thrones  nebst  Teilen  des  unteren  Paßrundes  auffallen, 
erklären  sich  durch  eine  vor  Aufnahme  des  Stückes  in  unsere  Sammlungen  vorge- 
nommene Reparatur. 

Für  die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Arbeit  kommen,  außer  dem  Hinweis  durch 
das  Wappen  des  in  den  Rheinlanden  ansässigen  Hatzfeldischen  Geschlechtes,  die  auf 
der  Rückseite  des  Stückes  oberhalb  seiner  Haken  angebrachten  Beschauzeichen  in 
Betracht.   Zu  unterst  befindet  sich  das  2,7  cm  lange,  in  Form  der  sogenannten  Säge 


Abb.  1.     Beschauzeichen  von  der  RUckplatte  des  Monile. 

eingeschnittene  Vollwertzeichen,  mit  dem  die  Geschworenen  der  Zunft  den  Feingehalt 
des  Materiales  garantiert  haben.    Darüber  sind  zwei  Wappen,  jedes   von   3  mm 


Q2  SILBEHVERGOLDETES  MONILB. 


Höhe,  die  unsere  Abbildung  in  sechsfacher  Größe  wiedergibt.  Das  rechte  Wappen 
mit  dem  Pentagramm  bedeutet  das  Meisterzeichen,  das  hnke  ist,  wie  uns  auch  eine 
freundUche  Mitteiking  des  Herrn  Professor  Marc  Rosenberg  zu  Karlsruhe  zusichert, 
als  Beschauzeichen  der  Stadt  Köln  zu  deuten.  Im  oberen  Felde  haben  wir  die  heiligen 
drei  Könige,  die  Schutzheiligen  der  Stadt,  zu  erkennen,  das  untere  Feld,  wo  im  Stadt- 
wappen elf  Flammen  als  Symbol  der  elftausend  heiligen  Jungfrauen  erscheinen,  ist 
durch  ein  Gitter^^'erk  gefüllt. 

Die  Entstehung  der  Arbeit  in  den  Rheinlanden  ergibt  sich  auch  aus  formalen 
Gründen.  Stilistische  Vergleichung  führte  uns  dazu,  an  einem  in  altem  west- 
fälischen Privatbesitze  befindlichen  Werke  dieselbe  Arbeitsart  zu  erkennen. 
In  dem  der  Familie  von  Twickel  gehörigen,  im  Kreise  Lüdinghausen  gelegenen 
Rittergut  Ermelinghof  wird  ein  kleiner  Hausaltar  bewahrt,  der  in  einer  späteren, 
mit  Beschlägen  verzierten  Ebenholzumrahmung  die  silberne  Figur  der  Madonna 
enthält.  (Abgebildet:  Bau-  und  Kunstdenkmäler  von  Westfalen,  Kreis  Lüding- 
hausen, Tafel  45.)  Über  Wolken  auf  dem  Halbmond  stehend,  ist  sie  ähnlich  der 
Figur  des  Monile  charakterisiert.  Ihr  gegürtetes  Untergewand  ist  ungemustert, 
aber  der  in  feingewellte  Falten  gelegte  Mantel  zeigt  ähnliche  Ornamente  wie 
das  Gewand  unserer  Madonna,  und  die  Ziselierung  seiner  Innenseite  entspricht 
ganz  der  Behandlung  der  getriebenen,  von  den  schwebenden  Engeln  gehaltenen 
Vorhänge  an  der  Agraffe.  Diese  Engel  lassen  sich  am  besten  mit  dem  in  Ermelinghof 
unbekleidet  gegebenen  Christuskind  vergleichen,  da  sie,  ihrer  Größe  entsprechend, 
sorgfältiger  durchmodelliert  werden  konnten,  während  sich  bei  einer  Gegenüber- 
stellung der  Madonnen  die  freiere  und  weichere  Behandlung  an  der  Standfigur  be- 
merken läßt,  die  ja  auch  in  annähernd  doppelter  Größe  gebildet  wurde. 

Die  Kenntnis  dieses  Werkes  ist  für  die  Datierung  wichtig,  weil  wir  diese  vor 
allem  aus  stilistischen  Gründen  gewinnen  müssen.  Wie  das  Monile  zeigt  es  Formen 
der  Spätrenaissance.  Da  wir  Arbeiten  der  Kölner  Kunst  vor  uns  haben,  kann 
eine  zeitliche  Ansetzung  nicht  hoch  in  das  siebzehnte  Jahrhundert  hinaufgehen.  Die 
Übersichtlichkeit  und  Ruhe,  die  besonders  das  Monile  in  Figuren  und  Ornamentik  aus- 
zeichnet, veränderte  sich  schon  in  den  zwanziger  und  dreißiger  Jahren  des  siebzehnten 
Jahrhunderts,  und  zwar  vornehmlich  unter  dem  Einfluß  der  frühzeitig  mit  Elementen 
des  Barockes  durchsetzten  Augsburger  Goldschmiedekunst.  Ein  Werk  wie  der  I633 
entstandene  Engelbertschrein  des  Kölner  Domschatzes  zeigt  diesen  Wandel.  Hier 
sind,  trotz  der  noch  einfachen  Gesamtkomposition,  die  Figuren  in  ihren  Stellungen 
und  Bewegungen  leidenschaftlich  und  aufgeregt,  die  Zierformen  zeigen  gewundene 
Übergänge  und  mannigfach  ausgebuchtete  Umrisse,  die  einzelnen  Ornamentmotive 
werden  bis  in  ihre  letzte  Konsequenz  zu  immer  neuen  Verzweigungen  ausgenutzt. 
(Abbildung:   Berühmte  Kunststätten  38:    E.  Renard,  Köln,  Fig.  168.) 

Unser  Bemühen,  die  Datierung  auch  auf  Grund  von  Anhaltspunkten  aus  der 
Hatzf eidischen  Familiengeschichte  zu  bestimmen,  fand  das  bereitwilligste,  dankbar 
an  dieser  Stelle  zu  nennende  Entgegenkommen  von  Seiten  des  herzoglich  Hatz- 
f  eidischen  Archives  zu  Trachenberg,  des  fürstlich  Hatzf  eidischen  zu  Crottorf  und 
der  bischöflichen  Archive  zu  Münster*  und  Osnabrück.  Leider  konnte  sich  aber 
nicht  bestimmt  ergeben,  auf  wessen  Person  der  Name  S.  von  Hatzfeld  zu  deuten  sei. 
In  Betracht  kommt  erstens  der  Osnabrücker  Domherr  Stephan  von  Hatzfeld.    Als 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  XIX. 


Silbervergoldetes  Monile.    (K.  G  817.) 

Kölner  Arbeit  vom  Anfang  des  siebzehnten  Jahrliunderts. 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  93 


vierter  Sohn  aus  der  152}  geschlossenen  Ehe  zwischen  Hermann  Hatzfeld  aus  der 
Wildenburgischen  Linie  und  Anna  Droste  von  dem  Schweckhaus  könnte  er  noch  im 
Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts  Stifter  der  SchHeße  gewesen  sein.  Allerdings 
müßte  dann  das  Datum  seiner  Geburt  sehr  spät  anzusetzen  sein,  da  die  Darstellung 
im  äußersten  Falle  auf  einen  Mann  in  der  Mitte  der  fünfziger  Jahre  schließen  läßt. 
Eine  zweite,  ursprünglich  von  uns  gehegte  Vermutung,  der  auch  die  Meinung 
Sr.  Durchlaucht  des  Herzogs  zu  Trachenberg  entspricht,  geht  dahin,  den  Namen 
S.  von  Hatzfeld  auf  Sebastian  von  Hatzfeld  zu  deuten,  der  sie  seinem  Sohne  Franz 
geschenkt  haben  könne.  Dieser  Franz  wurde  I630  Fürstbischof  von  Würzburg; 
die  Schließe  müßte  vorher  gestiftet  worden  sein,  denn  es  wäre  anzunehmen,  daß 
man  sonst  die  bischöflichen  Insignien  angebracht  hätte.  Auch  waren  nicht  die  Bischöfe, 
sondern  die  Domherren  zur  Stiftung  eines  Pluviale  mit  der  zugehörigen  Schließe 
verpflichtet.  Als  Resultat  bleibt  immerhin,  daß  wir  auch  auf  Grund  der  Hatzf eidischen 
Familiengeschichte  Anhaltspunkte  für  die  Entstehungszeit  der  Arbeit  am  Anfang 
des  siebzehnten  Jahrhunderts  gewinnen. 


Die  Form  des  Monile  hatte  bis  zu  dieser  Zeit  schon  eine  lange,  durch  die  Aus- 
bildung des  Pluvialemantels  bestimmte  Tradition.  Das  Pluviale  hatte  sich  ziemlich 
schnell  zum  Prunkgewand  entwickelt.  Ursprünglich  hatte  es  bloß  den  Zweck  ge- 
habt, als  Regenmantel  bei  Prozessionen  die  reiche  Festtracht  vor  den  Einflüssen 
der  Witterung  zu  schützen.  Als  allmählich  die  einzelnen  Gewebeornamente  immer 
größer  und  verzweigter  sich  über  die  Bahnen  der  Stoffe  erstreckten,  schien 
der  umfangreiche  Mantel  besser  als  die  schmale  und  glatte  Casula  geeignet, 
die  golddurchwebten  Brokate  in  schweren,  auf  den  Höhen  erglänzenden  Falten- 
massen zur  Geltung  zu  bringen.  So  wurde  das  Pluviale,  das  schon  seit  dem  vier- 
zehnten Jahrhundert  vereinzelt  als  Amtstracht  der  Bischöfe  im  Inneren  der  Kirche 
verwendet  wurde,  im  Verlaufe  des  sechszehnten  fast  allgemein  von  Bischöfen  und 
Domherren  an  Stelle  der  Kasel  getragen.  Vorn  geöffnet  und  mit  breiten,  meist  ver- 
schwenderisch bestickten  Borten  umsäumt,  wurde  es  über  der  Brust  durch  eine 
Spange  gehalten.  Damit  das  Gewicht  des  Mantels  diese  Spange  nicht  hinaufzöge, 
mußte  man  sie  beschweren.  Auch  Gründe  der  Schönheit  verlangten,  das  Zusammen- 
halten des  Mantels  über  der  Brust  klar  zu  veranschaulichen,  und  hierzu  konnte  inner- 
halb der  reichen  Säume  ein  schmales  Stück  Stoff  kaum  geeignet  erscheinen. 

Infolge  dieser  Anforderungen  entwickelten  sich  verschiedene  Formen  für  die 
Verzierung  der  Spange.  Man  besetzte  den  Streifen  mit  Perlen  und  schweren,  großen 
Steinen.  (Gute  Beispiele  dieser  Form  sind  auf  Bildern  der  Cranachschule  enthalten.) 
Oder  man  ließ  ihn  ganz  fallen,  richtete  den  Schnitt  so  ein,  daß  die  beiden  Mantel- 
hälften sich  in  Brusthöhe  trafen  und  steckte  sie  mit  einer  Agraffe  zusammen. 
(Beispiel:  Grabmal  des  Erzbischofs  Uriel  von  Gemmingen,  Kurfürsten  von  Mainz, 
gest.  1514,  im  Dom  zu  Mainz;    Gipsabguß  im  Germanischen  Museum.) 

Die  erste  Form  hatte  den  Nachteil,  daß  sie  als  Gegengewicht  zu  der  Rückseite 
nicht  schwer  genug  war,  und  daß  die  Steine,  sobald  die  Spange  nicht  mehr  auf  der 


94 


SILBEKVERGOLDETES  MONILE. 


Brust  ruhte,   den  ZeujG:streifen  übermäßig  belasteten.     Die  zweite  Form  zog  den 
Mantel  in  unschön  geknitterten  Falten  über  der  Brust  zusammen. 

Die  beste,    vor  allem    auch   für  die  Zeremonie    des   Umkleidens  am  Altare 
ijeeignetste   Lösung  war  die,  daß  man  auf  der  Spange  mittels  zweier  Krampen 


Abb.  2.     Teilstück  der  Bischofsfigur  von  einem  schwäbischen  Holzrelief 
des  Germanischen  Museums.     (PI.  O.  131.) 


das  Metallschild  in  zwei  Laschen  aufsteckte.  Diese  Form  veranschaulicht  unsere 
Abbildung,  die  einen  Bischof  vom  Anfang  des  sechzehnten  Jahrhunderts  darstellt. 
(Da  B  r  a  u  n  —  Liturgische  Gewandung,  S.  321  bis  329  —  die  Bedeutung  des  Monile 
als  Gewicht  nicht  berücksichtigt,  sieht  er  im  Aufstecken  der  Scheibe  auf  den  Quer- 
riegel ein  Zeichen  dafür,  daß  die  Pluvialschließe  nach  Aufgabe  der  Spangenform  zum 
bloßen  Schmuckstück  ohne  praktischen  Wert  geworden  sei.  Vgl.  auch  0 1 1  e, 
Kunstarchäologie,  1885,  I,  212  u.  276;  Bergner,  Kirchliche  Kunstaltertümer, 
1905,  S.  357  und  375.) 

Diesen  aus  Anforderungen  der  Schönheit  und  Verwendbarkeit  sich  ergebenden 
Grundbedingungen  entspricht  die  Entwickelung,  die  sich  ganz  im  allgemein  für 
die  Pluvialschließe  erkennen  läßt.  Im  dreizehnten  Jahrhundert  trug  man  meist  ge- 
stickte Agraffen,  wie  auf  dem  Rauchmantel,  so  auch,  als  broschenartiges  Zierstück, 
auf  der  Kasel.  (Beispiel:  Gestickte  Agraffe  in  Vierpaßform  von  der  Braunfelser 
Kasel  des  Fürsten  Solms,  Abb.,  Zeitschrift  f.  christliche  Kunst,  1903,  207.  Englische 
Arbeit  aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts.) 


VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  95 


Solche  paranientischen  Entwürfe  wurden  dann  von  den  Goldschmieden  über- 
nommen und  vielfach  mit  Emailmalerei  und  Edelsteinschmuck  ausgestattet.  (Vgl. 
Viollet-le-Duc :  Dictionnaire  raisonne,  II,  PI.  XLVIII.  Joseph  Braun:  Pluvial- 
schließen  der  Stiftskirche  zu  Tongern,  Zeitschrift  f.  christliche  Kunst,  1904,  245  fg.) 

Allmählich,  besonders  im  Verlaufe  des  fünfzehnten  Jahrhunderts,  gab  man 
die  farbige  Belebung  der  Scheiben  auf,  der  figürlichen  Arbeit  aus  vergoldetem  Kupfer 
oder  Silber  wurde  die  Hauptbedeutung  beigemessen.  Durch  Fialen  und  Baldachin- 
überdachungen vertikal  gegliedert,  bekamen  die  Schließen  einen  architektonischen 
Charakter.  (Beispiele:  Hirth's  Formenschatz,  1905,  15  und  123,  zwei  Aachener 
Schließen,  Abguß  der  ersten  (K.  G.  663)  im  Germanischen  Museum.  Katalog 
der  Sammlung  Felix,  1886.  Heideloff:  Stilformen  des  Mittelalters,  H.  IX,  PI.  III. 
Bock:  Das  heilige  Köln,  1858,  VIII,  S.  32.  Braun:  Liturgische  Gewandung,  332 fg. 
Bau-  und  Kunstdenkmäler  in  Westfalen:  Agraffe  von  1487  im  Mindener  Dom.  Das 
Germanische  Museum  besitzt  aus  der  Spätzeit  der  Gotik  ein  kupfervergoldetes 
Monile  (K.  G.  611),  das  in  kreisrunder  Umrahmung  unter  Baldachinen  die  Madonna 
zwischen  Katharina  und  Barbara  enthält.) 

Im  Verlaufe  des  sechzehnten  Jahrhunderts  trat  die  vertikale  Einteilung 
und  Überhöhung  wieder  zurück :  eine  runde,  rosenförmig  um  die  Mitte  konzentrierte 
Anordnung  entsprach  dem  beruhigten  Formensinn  der  Renaissance.  Aber  die  go- 
tische Tradition  wirkte  noch  immer  nach  und  arbeitete  sich  im  Verlaufe  der  Zeit 
immer  wieder  durch.  Auch  unsere  Neuerwerbung  ist  ein  Beispiel  für  das  lange 
Nachleben  mittelalterlicher  Formen  innerhalb  der  kirchlichen   Kunst. 


EIN   BILDNIS  GEORG   PHILIPP   HARSDORFERS 
VON  GEORG  STRAUCH. 

VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 

(Mit  2  Tafeln). 

Die  300.  Wiederkehr  des  Geburtstages  des  Begründers  des  Pegnesischen 
Blumenordens  Georg  Philipp  Harsdörfer  am  1.  November  1907  gab  uns 
Veranlassung,  zur  Erinnerung  an  diesen  vielseitigen,  ungemein  tätigen  und  seiner  Zeit 
einflußreichen  Literaten  eine  Ausstellung  zu  veranstalten.  Wir  kamen  damit  zu- 
gleich einem  Wunsch  des  jetzigen  1.  Vorstandes  des  Pegnesischen  Blumenordens, 
des  Herrn  Hofrats  Dr.  Wilhelm  B  e  c  k  h,  entgegen.  Unser  Bestreben  war  da- 
hin gerichtet,  ein  zusammenfassendes  Bild  des  Wirkens  und  der  Persönlichkeit  des 
Dichters  zu  geben,  unter  Berücksichtigung  der  Zeit,  in  der  er  gelebt,  und  nicht  zum 
mindesten  des  Ordens,  den  er  gestiftet.  Wir  konnten  aus  verschiedenen  Besitz- 
ständen ein  reichhaltiges  Material  zusammentragen.  Zum  größten  Teil  wurde  es 
unserem  Kupferstichkabinett  und  unserer  Bibliothek  entnommen.  Nicht  gering 
war  auch  die  Stoffülle,  welche  uns  die  Nürnberger  Stadtbibliothek  bot.  Hinzu 
kamen  Gegenstände  verschiedener  Art  aus  dem  Besitz  des  Pegnesischen  Blumen- 
ordens selbst,  aus  der  bei  uns  verwahrten  Bibliothek  der  Paul  Wolfgang  Merkei- 
schen Familienstiftung  und  aus  der  Kupferstichsammlung  der  Stadt  Nürnberg. 
Über  die  Ausstellung  ist  im  Zusammenhang  an  anderer  Stelle  berichtet  worden^). 
Auch  wurde  ein  handschriftliches  Verzeichnis  aller  ausgestellt  gewesenen  Gegen- 
stände angelegt.  Ich  kann  darum  davon  absehen,  Näheres  über  die  Ausstellung 
zu  bringen,  und  mich  unmittelbar  meiner  vorliegenden  Aufgabe  zuwenden. 

Selbstverständlich  mußte  unser  Ziel  neben  anderem  darauf  gerichtet  sein,  so- 
weit es  möglich  war,  alles  zu  vereinigen,  was  eine  porträtmäßige  Vorstellung  des 
Dichters  gibt.  A  priori  schien  zu  erwarten  zu  sein,  daß  hierbei  die  längst  bekannten 
und  wiederholt  reproduzierten  Bildnisse  wieder  ans  Tageslicht  kommen  würden, 
und  daß  sich  nach  dieser  Richtung  etwas  Neues  nicht  finden  lassen  würde.  Doch 
dem  war  nicht  so;  denn  bei  der  Durchsuchung  der  umfangreichen  Porträtsamm- 
lung der  Bibliothek  der  Paul  Wolfgang  Merkel'schen  Familienstiftung  stießen  wir 
unvermutet  auf  ein  bisher  gänzlich  unbekanntes  und,  was  das  Wichtigste  war,  originales 
Porträt.  Es  ist  eine  getuschte  Federzeichnung,  in  der  Mitte  unten  bezeichnet: 
„G.  Strauch,  fec:  1651."  Damals  war  der  Dichter  44  Jahre  alt  und  stand  also  in  der 
Vollkraft  seines  Lebens.  Sieben  Jahre  später  raffte  ihn  der  Tod  dahin.  Wir  haben 
also  eine  Darstellung  vor  uns,  welche  uns  Georg  Philipp  Harsdörfer  mit  voll  ausge- 
prägten Gesichtszügen,  die  späterhin   wenig  Veränderungen  mehr   erfahren  haben 


1)  Frank.   Kurier,  Abendausgabe  vom  6.  November  1907  (Nr.  569)- 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907. 


Taf.  XX. 


Bildnis  Georg  Philipp  Harsdörfers  von  Georg  Strauch  v.  J.  1651. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1Q07. 


Taf.  XXI. 


W^Lus^maainem  m  USla.mjTvuun  offe/rvciniLceßxci  (^a^ljc/A.caijq^crt.  j^  er' 

Bildnis  Georg  Philipp  Harsdörfers.     Kupferstich  von  Andr.  Khol 
nach  Georg  Strauch. 


EIN  BILDNIS  GEORG  PHIL.  HARSDÖRFERS  VON  GEORG  STRAUCH.  VON  FR.  TR.  SCHULZ.        97 

werden,  zeigt.  (Taf.  XX).  Er  ist  als  Brustbild  gegeben,  das  von  einem  breiten  acht- 
eckigen Rahmen  umschlossen  wird.  Das  Antlitz  ist  dem  Beschauer  fast  en  face  zuge- 
wandt, während  der  Oberkörper  nach  links  (vom  Dargestellten  aus)  gedreht  ist.  Das 
Gesicht  ist  rund  und  fleischig,  die  Nase  wenig  gekrümmt  und  energisch  ausgebildet. 
Die  unteren  Augenlider  treten  mäßig  schwer  hervor.  Die  Augenbrauen  sind  im 
Bogen  hinaufgeschwungen,  so  daß  die  darunter  liegende  Partie  als  breite  Fläche 
erscheint.  Alles  das  deutet  auf  einen  stark  entwickelten  Körper  hin.  Ein  kleiner 
Schnurrbart  deckt  die  Oberlippe.  Ein  kurzer  Knebelbart  umzieht  das  Kinn.  Der 
Hals  tritt  unter  den  Kinnbacken  fleischig  heraus.  Die  vollen  Gesichtszüge  deuten, 
wenn  dies  erlaubt  ist  zu  sagen,  auf  Wohlhabenheit  und  Gesundheit  hin.  Das 
Haupthaar  ist  in  der  Mitte  gescheitelt  und  wallt  beiderseits  in  welligem  Lockenfluß 
bis  auf  die  Schultern  herab.  Ein  breites,  beiderseits  gefranstes  Band  geht  von  der 
rechten  Schulter  nach  der  linken  Hüfte  herab.  Unterhalb  der  Schnalle  hängt, 
scheinbar  an  einem  besonderen,  um  den  Hals  getragenen  Bande,  ein  ovales  Medaillon 
mit  dem  Symbol  der  fruchtbringenden  Gesellschaft,  dem  Palmbaum.  Der  Unter- 
grund ist  licht  getuscht  und  durch  quergelegte  Parallelschraffuren  gegliedert.  Der 
Oberkörper  endet  nicht  unmittelbar  an  dem  Rahmen,  sondern  wird  von  diesem  durch 
einen  leeren  Streifen  getrennt,  auf  dem  ebenso  wie  auf  dem  Rahmenband,  welches 
das  Bildnis  als  Achteck  umschließt,  Schrift  angebracht  werden  sollte.  Der  Künstler 
hat  jedoch  hiervon  abgesehen.  Seine  Aufgabe  bestand  lediglich  in  der  getreuen 
Darstellung  und  dem  Arrangement  im  Ganzen;  alles  übrige  war  Sache  des  Stechers. 
Als  äußerer  Abschluß  dient  ein  rechteckiger  Rahmen,  den  eine  dünne  Federlinie 
umgrenzt.  In  den  oberen  Eckzwickeln  hat  der  Künstler  rechts  das  Wappen,  links 
die  Helmzier  Harsdörfers  angebracht,  beide  mit  flatternden  Bändern  verziert.  Das 
untere  Stück  des  Bildes  wird  von  einer  perspektivisch  gestellten  Tischplatte  ein- 
genommen. Auf  dieser  bemerken  wir  links  ein  Buch  mit  geöffnet  darauf  liegender 
Uhr,  rechts  auf  einem  vorn  umgebogenen  Stück  Papier  einen  dreischenkligen,  auf- 
recht gestellten  Zirkel.  Rechts  von  diesem  wird  das  Ende  einer  Papierrolle,  links 
der  untere  Teil  eines  scheinbar  zylindrischen  Gefäßes  bemerkt.  Oberhalb  der  er- 
wähnten Inschrift  endlich  liegen  ein  Messerchen  und  eine  Feder. 

Die  Darstellungsart  ist  eine  flotte.  Die  Konturen  sitzen  fest  und  sicher.  Das 
Gesicht  ist  sprechend  im  Ausdruck.  Entschieden  darf  dieses  Porträt  den  besseren 
Bildniszeichnungen  der  Zeit  beigezählt  werden.  Das  Arrangement  im  Ganzen  ist 
ein  glückliches  und  ansprechendes. 

Als  Verfertiger  dieses  Bildnisses  hat  sich,  wie  schon  bemerkt,  Georg  Strauch 
genannt,  ein  Künstler,  der  sich  als  Maler,  Kupferstecher  und  Emailmaler  betätigte^). 


2)  An  Literatur  über  diesen  ist  zu  verweisen  auf:  Andreas  Gulden's  Fortsetzung 
der  Johann  Neudörf  er  ischen  Nachrichten  von  berühmten  Künstlern  und  Handwerkern  im 
17.  Jahrhundert  in  der  Ausgabe  von  Lochner,  S.  203  u.  231.  —  Joh.  Gabriel  Doppel- 
mayr,  historische  Nachricht  von  den  Nürnbergischen  Mathematicis  und  Künstlern,  Nürnberg 
1730,  S.  233  u.  234,  unter  Berücksichtigung  der  Zusätze  in  seinem  Handexemplar,  das  unsere 
Bibliothek  besitzt.  —  Nagler,  neues  allgemeines  Künstler- Lexikon,  XVII,  S.  465  u.  467-  — 
N agier,  Monogrammisten  III,  Nr.  370,  384  u.  2913-  —  Andresen,  der  deutsche  Peintre- 
Graveur  V,  S.  140  ff.  —  Allgemeine  deutsche  Biographie,  Bd.  XXXVI,  S.  527  u.  f.  —  Hans 
Bosch,  die  Nürnberger  Maler,  ihre  Lehrlinge,  Probestücke,  Vorgeher  u.  s.w.  von  1596—1659, 
in  den  Mitteilungen  des  Germanischen  Nationalmuseums  1899- 

Mitteilungen  aus  dem  gei-man.  Nationalmuseum.    1907.  13 


98  EIN  BILDNIS  GEORG  PHILIPP  HARSUÖRKERS  VON  GEORG  SIRAÜCH. 

Er  wurde  am  17-  September  1613  in  Nürnberg  geboren,  wo  er  wirkte  und  am 
i}.  Juli  1675  starb.  R6e  irrt  wohl  nur,  wenn  er  in  seinem  Artikel  über  Georg 
Strauch  in^der  Allgemeinen  deutschen  Biographie  1673  als  Todesjahr  angibt.  Ge- 
rade das  Bildnis  des  Meisters  von  unbekannter  Hand,  das  er  im  Auge  hat,  nennt 
1675  als  Todesjahr.  Übrigens  ist  dieses  Bildnis  recht  herzlich  schlecht.  In  jeder 
Hinsicht  steht  es  als  eine  mindere  Leistung  da,  vollkommen  abfallend  gegen  das 
reizende  kleine  Porträt  mit  der  Pelzmütze,  das  der  Künstler  im  Jahre  1655  eigen- 
händig radierte,  und  das  er  mit  folgender  Devise  versah:  „Gott  ist  meines  Lebens 
Krafft,  Sein  Wort  meiner  Seelen  Safft".  Eines  der  Exemplare  dieses  Selbstbild- 
nisses, welche  sich  in  der  Porträtsammlung  der  Bibliothek  der  Paul  Wolfgang  Mer- 
kel'schen  Familienstiftung  befinden,  trägt  folgenden  handschriftlichen  Vermerk: 
„Georg  Strauch  fecit  1655.  0hl  und  Schmeltz  Mahler  in  Nürenberg  raddierte  auch 
1675".  Der  Drang  zur  Kunst  soll  sich  frühzeitig  in  ihm  geregt  haben.  Wie  Doppel- 
mayr  berichtet,  illuminierte  er  „die  mehreste  biblische  Figuren  schon  in  dem  10. 
Jahr  seines  Alters,  ohne  daß  er  die  geringste  Anweisung  zuvor  darinnen  gehabt, 
so  fein,  daß  sich  viele  darüber  verwundert".  Sein  Lehrmeister  wurde  Johann 
Hauer,  zu  dem  er  1626  (1628)  „zur  Beförderung  seines  guten  Intents"  ging.  Weil 
er  kein  Lehrgeld  gab,  mußte  er  sich  auf  sechs  Jahre  zu  diesem  verdingen.  Unter- 
richtet wurde  er  im  Malen  und  Radieren.  Er  machte  so  gute  Fortschritte,  daß  er 
schon  im  Jahre  I635  sein  Probestück  fertigen  konnte,  bestehend  in  der  Darstel- 
lung des  heiligen  Sebastian,  wie  selbiger  an  einen  Baum  angebunden.  Meister  wurde 
er  am  8.  September  dieses  Jahres.  1647/51  und  1654/58  war  er  Vorgeher  der  Maler- 
zunft. 1651  wurde  er  zum  Genannten  des  größeren  Rats  gewählt.  1667  wurde 
er  Kirchner  bei  St.  Sebald.  Er  war  also  angeschrieben:  „Der  erbar  und  fürnehm 
Georg  Strauch  Mahler  u.  Contrefeyer,  auch  diese  Zeit  verordneter  Kirchner  bey 
S.  Sebald  auf  der  vordem  Füll".  Seine  Frau  war  den  28.  Mai  1682  folgendermaßen 
angeschrieben :  „Die  erbar  und  ehrntugendsame  frau  Magdalena  des  erb :  und  für- 
nehm Georg  Sträuchen  Mahlers  u.  Contrefeyers  auch  verordneten  Kirchners  bey 
S.  Sebald  hinterlassne  wittib,  unterhalb  St.  Lorenzen".  Georg  Strauch  war  ein 
Sohn  des  Hans  Strauch,  der  als  Visierer  bezeichnet  wird^). 

Was  seine  künstlerische  Wirksamkeit  betrifft,  so  genügt  es  für  den  vorliegen- 
den Zweck,  wenn  ich  mich  auf  einige  allgemeine  Angaben  beschränke.  Zunächst 
war  er  als  Radierer  tätig.  Als  solcher  wird  er  geschätzt.  Seine  Blätter  sind  zum 
Teil  selten.  Andresen  zählt  deren  33  auf,  darunter  16  Porträts.  Als  Maler  fertigte 
er  historische  Darstellungen  und  Bildnisse.  Für  die  letztgenannte  Seite  seiner 
Tätigkeit  besitzen  wir  ein  hübsches  Beispiel  in  dem  auf  Holz  gemalten  Kniebild 
einer  unbekannten  Nürnbergerin  mit  einer  Flitterhaube  vom  Jahre  1664,  das  außer- 
ordentlich zierlich  durchgeführt  ist  und  fast  einer  Miniature  gleicht.  Es  mißt 
nur  23  cm  in  der  Höhe  und  18  cm  in  der  Breite*).  Einen  besonderen  Ruf  genoß 
er  als  Emailmaler.  Es  heißt  von  ihm:  „Malte  gar  klein  Ding  von  Schmelzglas  auf 
Gold".    Bei  Doppelmayr  lesen  wir:  „absonderlich  aber  war  er  in  der  Mahlerey  mit 

3)  Siehe  Th.  Hampe,  Nürnberger  Ratsverlässe  über  Kunst  und  Künstler  im  Zeitalter  der 
Spätgotik  und  Renaissance,  II,  Nr.  2615-  Dort  heißt  es  zum  1.  Nov.  1613:  „An  statt  Christoff 
Reingrubers  soll  man   Hansen  Sträuchen  zu  einem  geschwornen  visierer  annemen". 

4)  Katalog  der  im  Germanischen  Museum  befindlichen  Gemälde,  3-   Aufl.,  Nr.  834. 


VON  DR.  FRITZ  TRAUGÜIT  SCHULZ.  99 


Gummi- Farben  und  im  Schmeltz-Wercke  oder  in  dem  so  genannten  Emailliren  treff- 
lich geübt,  und  bemühet  viel  schönes  davon  zum  Andencken  zu  hinterlassen,  welche 
man  noch  bis  dato  als  treffliche  Kunst-Stücke  in  hohen  Werth  hält".  Andresen 
und  R^e  führen  Proben  seines  Wirkens  auf  diesem  Gebiet  an,  die  sich  damals  in  der 
Kunstkammer  in  Berlin  und  im  Belvedere  zu  Wien  befanden.  Ganz  besonders  groß 
aber  ist  die  Zahl  seiner  Zeichnungen,  die  er  für  den  Stich  im  Einzelblatt  und  in  Büchern 
schuf.  Sie  bestehen  in  Historien,  Landschaften,  Grotesken,  Emblemen,  auch  In- 
schriften und  Sentenzen.  Neben  anderem  war  er  als  Illustrator  für  verschiedene 
geistliche  Schriften  des  bekannten  Predigers  Joh.  Mich.  Dilherr  tätig,  was  zu  be- 
merken deshalb  nicht  unwichtig  ist,  weil  er  bei  einer  dieser  Gelegenheiten  auch  mit 
Georg  Philipp  Harsdörfer  in  Berührung  kam,  was  für  diesen  Veranlassung  geworden 
sein  mag,  gerade  durch  ihn  sein  Bildnis  als  Vorlagezeichnung  für  den  Kupferstich 
fertigen  zu  lassen.  Zu  Joh.  Mich.  Dilherr's  evangelischer  Sonntags-,  Fest-  und 
Epistelpostill  nämlich,  welche  dieser  die  Sabbaths-Ruhe  benannte,  hat  Georg  Philipp 
Harsdörfer  die  Sinnbilder  erfunden  und  diese  dann  unser  Georg  Strauch  gezeichnet. 
Ich  entnehme  diese  Notiz  unserem  mit  zahlreichen  handschriftlichen  Zusätzen  ver- 
sehenen Handexemplar  von  Doppelmayr,  bei  der  mir  jedoch  die  Angabe  des  Jahres 
der  Herausgabe  dieses  Buches  (1674)  etwas  zweifelhafter  Natur  zu  sein  scheint.  Die 
Zahl  der  religiösen  Embleme  dieses  Werkes  wird  auf  182  angegeben.  Der  Stich 
zu  ihnen  rührt  von  Melchior  Küsseil  her.  Weiter  zeichnete  Strauch  viele  Bildnisse, 
die  von  Sebastian  Furck,  Bartholomeus  Kilian,  Andreas  Khol,  J.  F.  Leonhart, 
Jak.  Sandrart,  Jak.  Schollenberger,  Corn.  Nie.  Schurz,  Matthaeus  Küsseil  u.  a.  m. 
in  Kupfer  gestochen  wurden.  Zu  diesen  gehört  auch  das  vorliegende  Porträt  Georg 
Philipp  Harsdörfers,  das  in  allem  deutlich  darauf  hinweist,  daß  es  eine  nach  dem 
Leben  gezeichnete  Vorlage  für  einen  Stich  ist.  Dieser  wurde  von  Andreas  Khol 
in  Kupfer  gebracht. 

Wie  verhält  sich  nun  der  Khol'sche  Stich  unseres  Harsdörfer- Porträts  zu  der 
Strauch'schen  Originalzeichnung?  Wir  müssen  uns  näher  mit  dieser  Frage  be- 
schäftigen, weil  es  von  Wichtigkeit  ist  festzustellen,  ob  uns  in  den  verschiedenen 
allgemein  bekannten  und  oft  reproduzierten  Bildnissen  Georg  Philipp  Harsdörfers 
sein  charakteristisch  physiognomischer  Gesichtsausdruck  getreu  und  wahr  über- 
liefert worden  ist.  Vorweg  ist  noch  zu  bemerken,  daß  der  Stich  des  Andreas  Khol, 
wie  aus  der  Unterschrift  geschlossen  werden  darf,  eine  Widmung  des  bekannten 
Nürnberger  Kupferstechers,  Kunsthändlers  und  Verlegers  Paul  Fürst  an  den  Dichter 
ist;  denn  nur  auf  diesen  können  die  beiden  Initialen  P.  F.  gedeutet  werden.  Bei 
der  Vergleichung  der  Zeichnung  und  des  Stiches  sehe  ich  von  äußerlichen  Ab- 
weichungen wie  auch  von  einer  Erklärung  des  Beiwerks  in  den  Zwickeln  links  und 
rechts  unten  ab  und  beschränke  mich  lediglich  auf  das,  worauf  es  mir  hier  ankommt, 
auf  das  Antlitz  des  Dichters,  wie  es  hier  und  dort  wiedergegeben  erscheint.  Zug  um 
Zug  läßt  sich  konstatieren,  daß  der  Stecher  die  feinen  Gesichtszüge  vergröbert,  entstellt 
und  verdorben  hat.  Die  hohe  Stirn  des  Originals  ist  im  Stich  (Taf.  XXI)  niedriger 
gegeben,  sie  ist  in  die  Breite  gezogen  und  mehr  nach  vorn  herausgedrückt.  Die 
Folge  davon  ist,  daß  das  volle  lockige  Haupthaar  nicht  mehr  in  seiner  bezeichnen- 
den Weise  herabflutet.  Der  Scheitel  sitzt  verkehrt,  wodurch  bewirkt  ist,  daß  die 
Natürlichkeit  des,  wenn  ich  so  sagen  darf,  künstlerischen  Haararrangements  in  eine 


100  EIN  BILDNIS  GEORG  PHILIPP  HARSDÖRFERS  VON  GEORG  STRAUCH. 


steife  Symmetrie  vericehrt  ist.  Durch  diese  Veränderung  ist  dem  Antlitz,  wie  wir 
es  in  der  Zeichnung  dargestellt  finden,  eines  seiner  wichtigsten  Merkmale  genommen 
worden.  Ganz  anders  wirkt  ferner  die  Behandlung  der  Augen  hier  und  dort.  Zwar 
treten  die  Augen  auch  in  der  Zeichnung  etwas  schwer  markiert  aus  den  Höhlen 
heraus.  Doch  ist  der  Schwung  der  Lider  hier  weit  mehr  gerundet.  Das  obere  Lid 
ist  auch  nicht  so  breit  und  lastet  darum  nicht  so  schwer.  Das  untere  Lid  liegt  nicht 
so  plastisch  auf,  wie  wir  es  auf  dem  Stich  sehen.  Hinzu  kommt,  daß  die  Augen- 
brauen viel  freier  hinaufgezogen  sind.  So  ist  der  Effekt  in  der  Kupferstich  wieder- 
gäbe ein  ganz  anderer.  Die  Verzeichnung,  die  Verschiebung  der  charakteristischen 
Lagen  der  Linien  in  den  Augenpartien,  die  übertriebene  Herausarbeitung  ins  Pla- 
stische hat  dem  geistreichen  Zug,  den  das  Antlitz  des  Dichters  in  der  originalen 
Zeichnung  zur  Schau  trägt,  in  ganz  bedenklicher  Weise  Abbruch  getan.  Der  Stecher 
hat  etwas  ganz  anderes  daraus  gemacht.  Auch  die  Form  der  Nase  hat  er  verändert. 
Der  Rücken  ist  in  Wirklichkeit  höher  und  im  oberen  Teil  energischer  ausgeprägt. 
Die  Partie  zwischen  Nase  und  Mund  wirkt  dadurch,  daß  die  Haare  des  kleinen 
Schnurrbarts  aufwärts  gekämmt  und  die  neben  den  Nasenlöchern  beginnenden 
Wangenfalten  stärker  hervorgekehrt  sind,  im  Stich  ebenfalls  anders  als  im  Original. 
Überhaupt  hat  das  ganze  Antlitz  eine  mehr  länglich-ovale  Form  bekommen,  wäh- 
rend es  auf  der  Zeichnung  mehr  in  die  Breite  geht.  Das  Fleisch  der  Gesichtsteile 
ist  ferner  bei  weitem  nicht  so  straff  gespannt;  es  ist  weicher  und  voller.  Die  offen- 
sichtliche Unfähigkeit  des  Stechers  gegenüber  seiner  Vorlage,  die  sich  in  allem  als 
künstlerisch  bedeutsam  erweist,  hat  so  ein  Bild  zuwege  gebracht,  das  nicht  im 
Entferntesten  den  Feinheiten  der  Zeichnung  gerecht  geworden  ist.  Es  ist  eine 
Wiedergabe,  die  sich  nur  in  dem  allgemeinen  Gesamteindruck  dem  Original  nähert, 
aber  in  den  wirklich  charakteristischen  Einzelheiten  auf  Treue  der  Durchführung 
nicht  den  geringsten  Anspruch  erheben  darf.  Der  Stich  ging  in  zahlreichen  Exem- 
plaren in  die  Welt  hinaus  und  bestimmte  für  die  Folgezeit  die  Vorstellung  von  der 
äußeren  Persönlichkeit  des  Dichters.  Die  originale  Zeichnung  aber,  die  allein  das 
richtige  Abbild  bringt,  war  nur  einmal  vorhanden.  Sie  blieb  verschollen,  um  erst 
vor  kurzem  durch  einen  Zufall  wieder  ans  Tageslicht  zu  kommen.  Beide  sind  zu- 
gleich ein  Beweis  für  die  Richtigkeit  des  allgemeinen  Satzes  in  Naglers  Monogram- 
misten:  „G.  Strauch  lieferte  auch  Zeichnungen  zum  Kupferstiche,  welche  aber  nicht 
gut  übertragen  wurden". 

Der  Porträtstich  des  Andreas  Khol,  welcher  Künstler  im  Jahre  1656  starb, 
wurde  die  Quelle  weiterer  Übel,  denn  es  dürfte  kaum  einem  Zweifel  unterliegen, 
daß  auf  ihn  der  erst  nach  dem  Tode  des  Dichters  geschaffene  Stich  des  Jakob  von 
Sandrart  zurückgeht.  Zwar  heißt  es  links  unten  auf  dem  letzteren  „G.  Strauch 
delin:",  aber  ein  Vergleich  der  drei  Blätter  lehrt,  daß  diese  Notiz  nur  insofern  Be- 
rechtigung hat,  als  Sandrart  nur  indirekt,  nämlich  durch  das  Porträt  des  Andreas 
Khol  auf  die  originale  Darstellung  zurückging.  Eine  neue  Zeichnung  des  Georg 
Strauch  scheint  mir  hier  nicht  vorzuliegen.  Die  Veränderungen,  welche  Sandrart 
vornahm,  sind  nämlich  nur  äußerlicher  Natur.  Er  kleidete  den  Dichter  in  die  Tracht 
eines  Nürnberger  Senators,  welche  Würde  er  ja  einnahm,  und  umschloß  sein  Bild 
mit  einem  ovalen  Rahmen,  der  in  einer  Pilasterstellung  mit  größeren  allegorischen 
Figuren  und  kleinen  Darstellungen  ruht.    Die  Gesichtszüge  behielt  er  bei,  sie  je- 


VON  DR.  FRlTZ  TRAUGüTT  SCHULZ.  101 

doch  noch  weiterhin  verflachend  und  vergröbernd.  Hierdurch  entfernte  sich  das 
von  ihm  geschaffene  Bildnis  noch  weiter  von  der  gezeichneten  Vorlage.  Der  Cha- 
rakter des  Urbildes  wurde  in  fortschreitender  Skala  entstellt,  verwischt  und  ver- 
dorben. So  darf  der  Sandrartsche  Porträtstich,  zu  dem  sich  die  originale  Kupfer- 
platte jetzt  als  Depositum  des  Pegnesischen  Blumenordens  bei  uns  befindet,  auf  Treue 
und  Zuverlässigkeit  der  Wiedergabe  im  Grunde  genommen  noch  weniger  Anspruch 
erheben  als  das  Blatt  des  Andreas  Khol.  In  weit  geringerem  Maße  aber  gilt  dies 
noch  von  dem  auf  den  ersten  Blick  täuschend  ähnlichen  Nachstich,  den  der  Nürn- 
berger Kupferstecher  Augustin  Christian  Fleischmann  zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
nach  dem  Sandrart'schen  Porträt  schuf.  Auch  er  fand  nichts  Verwerfliches  darin, 
wenn  er  seinem  Blatt  ein  „G.  Strauch  delin."  beifügte  und  dabei  in  Wirklichkeit 
nicht  auf  die  Zeichnung,  sondern  auf  den  bereits  sekundären  Stich  Sandrarts  zurück- 
ging. Die  damalige  Zeit  war  in  derlei  Dingen  nicht  so  ängstlich,  wie  man  es  heute 
zu  sein  gewöhnt  ist;  auch  der  Nachstich  hatte  damals  noch  nicht,  oder  wenigstens 
nicht  immer,  den  Beigeschmack  des  Unerlaubten  und  Verbotenen. 


DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

VON  DR.  HANS  STEGMANN. 

(^Fortsetzung.) 


Verbleiben  wir  bei  der  Betrachtung  der  Renaissanceschränke  gleich  bei  dem 
zuletzt  behandelten  Stollenschränken  aus  dem  Rheinland  und  Westfalen,  so  ist  eine 
konstruktive  Weiterbildung  kaum  zu  bemerken.  Der  Schrankkasten  steht  je  nach- 
dem auf  vier  oder  sechs  Stollen,  die  sich  um  die  Hälfte  verringern,  wenn  die  Rück- 
wand des  Kastens  bis  zum  Boden  oder  dem  unteren  Querbrett  heruntergezogen  ist. 
Der  Schrank  ist  ganz  regelmäßig  als  rechteckiger  Kasten  gebildet,  die  Vorderfläche 
zwei-  oder  dreigeteilt  mit  zwei  Türen  im  ersteren,  mit  einer  mittleren  oder  zwei 
seitlichen  im  letzteren  Falle. 

Das  Museum  besitzt  von  rheinischen  und  westfälischen  Stollenschränken  eine 
schöne  Reihe  meist  in  guter  originaler  Erhaltung.  Die  rheinischen  Schränke,  die 
wie  ihre  spätmittelalterlichen  Vorfahren,  mit  ihren  flandrischen  und  französischen 
Genossen  in  naher  verwandtschaftlicher  Beziehung  stehen,  sind  durchaus  in  Eichen- 
holz gearbeitet;  die  allein  gezierten  Vorderflächen,  gelegentlich  auch  die  Vorder- 
stollen sind  mit  reicher  omamentaler  und  figürlicher  Schnitzerei  bedeckt. 

Beginnen  wir  mit  dem  schönsten  Exemplar  (Abb.  121  u.  122).  Es  wurde 
von  dem  bekannten  Möbelhändler  und  Restaurator  Most  in  Köln  bei  einem  Bauern 
in  Wanne  aufgefunden  und  von  A.  v.  Essenwein  I883  in  unrestauriertem  Zustand 
für  das  Museum  erworben.  Es  wurde  dann  von  Most  in  verhältnismäßig  schonen- 
der Weise  wiederhergestellt.  Wenn  Essenwein  (Mittig.  d.  Germ.  Mus.  Bd.  I  S.  182  f.  u. 
Tafel  XIII)  in  seiner  Besprechung  des  Stückes  dasselbe  um  die  Wende  des  16.  und 
17.  Jahrhunderts  ansetzt,  so  dürfte  nach  dem  echten  Frührenaissancecharakter  des 
Ornaments,  auch  wegen  der  Kostüme  der  Medaillonköpte  diese  Entstehungszeit 
um  einige  Jahrzehnte  zu  spät  gegriffen  sein.  Ich  möchte  diesen  Stollenschrank 
und  seine  beiden  Genossen  im  Museum  eher  um  1560  datieren.  Mit  Recht  betont 
aber  Essenwein  den  gotischen  Grundcharakter  des  Schrankes,  der  auch  in  den 
scharfen,  feinen  Profilierungen  des  Schreinerwerks,  nicht  nur  in  dem  ganz  nach  außen 
gelegten  Beschläge  nachklingt.  Ganz  renaissancemäßig  dagegen  ist  die  in  Entwurf 
und  Ausführung  gleich  ausgezeichnete,  geschnitzte  Dekoration  der  Vorderstollen, 
der  drei  obern  Schrank-  und  der  beiden  Schubladenfelder.  Das  feine  künstlerisch 
Verständnis  in  der  Behandlung  der  Verhältnisse  und  des  Details  geht  weit  über  die 
oft  übliche  ungeschickte  Übernahme  von  Ornamentstichvorbildern  hinaus.  Man 
beachte  beispielsweise  die  verständnisvolle  Verwendung  des  Akanthusblattwerks  an 


DIE  HOLZMüBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS.    VON  DR.  HANS  STEGMANN.  103 


den  Vorderstollen,  die  frisch  er-  und  empfundene  Art  der  Flächenfüllung  mit  von 
Maskarons,  Panisken  und  Vögeln  durchsetzten  Blattwerks,  oder  die  ausgezeichnete 
aufsteigende    Kandelaberfüllung    mit   Putten  des  Mittelteils.     Charakteristisch  für 


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Jim 


Abb.  121.     Westfälisch-rheinischer  Stollenschrank.     Mitte  des  16.  Jahrhunderts. 


die  rheinischen  Stollenschränke  ist  die  Verwendung  frei  aus  der  Fläche  heraus- 
tretender Brustbilder  aus  den  Türfüllungen,  die  zugleich  die  Funktion  der  Türknäufe 
versehen    sollten.    Ob    für   diese   eigenartige    Büstenverwendung   Frankreich   oder 


104 


DIB  HOLZHÖBBL  DES  GERIIANISCHEN  MÜSKUMS. 


Deutschland  die  Priorität  gebührt,  läßt  sich  bei  dem  angeführten  gleichzeitigen  Auf- 
treten des  Motivs  in  beiden  Ländern  schwer  entscheiden. 

Die  Einteilung  des  Schrankes  mit  zwei  Türen  und  einem  unbeweglichen  Mittel- 
teil, darunter  zwei  Schubladen,  ist  die  übliche.    Ebenso   die   typische  Verzierung 


Abb.  122.     Seitenansicht  des  Schranices  Abb.  121. 


der  Seiten  mit  Pergamentrollen,  die  nur  durch  Anbringung  strickförmig  gedrehter 
Rundstäbe  in  den  Knickungen  der  Rolle  etwas  antikisiert  erscheinen.  Die  Maße  des 
Schrankes  sind  Höhe:  1,55,  Breite  1,2  und  Tiefe  0,58  m. 


VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


105 


Dem  eben  besprochenen  und  abgebildeten  rheinisch-westfälischen  Stollenschrank 
steht  ein  weiterer  der  Sammlung  sehr  nahe.  Der  Schrankaufbau  (zum  großen  Teil 
modern  ergänzt)  ist  genau  derselbe.  Er  hat  dieselben  (drei)  Vorderfelder  mit  zwei  Türen 
im  eigentlichen  Schrankkasten,  darunter  ebenso  zwei  Schubladen.  Nur  ist  er  breiter 
auseinandergezogen.  Die  Stollen  und  der  gesamte  Unterbau  sind  schwerer,  nicht 
geschnitzt  und  kaum  profiliert.    Die  Teilungsfüllung  zwischen  den  Schubladen  ist 


Abb.  123.     Vorderansicht  eines  rheinisclien  Stolienschranlies. 

auch  hier  als  eine  Art  „Hängestollen"  mit  Kropf  gebildet.  Die  Profilierungen  des 
bekrönenden  Gesimses  und  der  Umrahmungen  nähern  sich  mehr  der  gotischen 
Formensprache,  als  derjenigen  der  Renaissance.  Die  Flachschnitzereien  der  Schub- 
ladenvorderseiten weisen  Mascarons  mit  Blattwerk,  die  drei  eigentlichen  Schrank- 
füllungen, von  denen  die  mittlere  wesentlich  schmäler  als  die  beiden  äußeren  sind, 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  14 


106 


DIE  HULZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


in  der  Mitte  sämtlich  frei  heraustretende  Köpfe,  links  (vom  Beschauer)  den  einer 
Frau,  rechts  und  in  der  Mitte  von  Männern.  Die  Umrahmung  bildet  das  übliche 
Blattwerk.  Die  Seitenteile  haben  in  3  Feldern  Pergamentrollenverzierung.  Die 
Ausführung  ist  eine  sorgfältige,  wenn  auch  nicht  so  meisterhaft,  als  beim  vorher- 
gehenden Stück. 


Abb.  124.     Seitenansicht  des  Schranl<es  Abb.  123. 


Die  Schlösser  fehlen,  die  wiederum,  wie  bei  diesen  Möbeln  üblich,  außen- 
liegenden Türbänder  sind  in  ähnlichen  gotischen  Formen  gehalten,  wie  bei  dem  vorigen. 

Derselben  Gruppe  und  Zeit  gehört  ein  kleinerer,  von  A.  v.  Essenwein  schon 
Ende  der  sechziger  Jahre  in  Köln  bei  einem  kleinen  Händler  erworbener  und  nach 
dem  Ankauf  maßvoll  restaurierter  Stollenschrank  (besprochen  und  abgebildet  Mittig. 
d.  Germ.  Mus.  Bd.  1  S.  193  f-  u.  Tafel  XIV)  an,  den  die  Abbildungen  123  und  124  in 


VON  DR.  HANS  STEGMANN.  107 


Vorder-  und  Seitenansicht  wiedergeben  Er  ist  wesentlich  kleiner  (die  Höhe  be- 
trägt 1,4,  die  Breite  0,88,  die  Tiefe  0,45  m).  Die  Dreiteilung  des  Schrankkastens 
ist  hier  so  getroffen,  daß  auf  ein  breites  Mittelfeld  mit  der  Tür  zwei  schmale  Seiten- 
felder treffen.  Der  seitlichen  Pergamentrollenfüllungen  sind  es  auch  nur  zwei,  eine 
mit  senkrechter  und  eine  mit  wagrechter  Anordnung  des  Pergaments.  Die  geschnitzte 
Dekoration  bewegt  sich  in  den  üblichen  Formen  mit  den  heraustretenden  Medaillon- 
büsten in  den  Rahmenfüllungen  und  dem  schon  etwas  flau  und  oberflächlich  be- 
handelten Blattwerk. 

Einen  sehr  nahe  verwandten,  aber  doch  nicht  gleichen  Typus  der  Stollen- 
schränke lernen  wir  in  zwei  Exemplaren  aus  Westfalen  kennen,  die  ebenfalls  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  entstammen  dürften.  Gleich  ist  bei  ihnen 
und  den  rheinischen  Schränken  das  Material  und  die  reiche  Verwendung  von  Relief- 
schnitzerei; dieselbe  erstreckt  sich  hier  sogar  auf  alle  gliedernden  und  tragenden 
Teile.  Dies  ergibt  bei  den  in  verhältnismäßiger  Kleinheit  durchgeführten  über- 
reichen Motiven  ein  etwas  unruhiges,  zum  Teil  sogar  unklares  Bild. 

Das  erste  Exemplar  ruht  auf  vier  brettförmigen  Stollen  (die  untere  Querplatte 
mit  den  kurzen  glatten  Stollen  darunter  ist  moderne  Ergänzung),  von  denen  die 
beiden  vorderen  in  Reliefschnitzerei  (nur  auf  der  Vorderseite)  als  Säulen  auf  über- 
hohen, mehrfach  gegliederten  Postamenten  behandelt  sind.  Der  Schrankkasten 
ist  an  der  Vorderseite  in  drei  Felder  gegliedert,  von  denen  das  breitere  mittlere  die 
Türe  mit  originellem,  gotisierendem  Schloß  enthält.  Die  schmalen  Seitenfüllungen, 
durch  breitere  äußere  und  schmälere  innere  Pilaster  abgegrenzt,  haben  aufsteigende 
kandelaberartige  Kompositionen,  von  vielen  kleinen  Putten  umspielt.  Auf  der  Mitte 
des  Kandelaberschafts  hängt  je  ein  Wappen  (links  vom  Beschauer  mit  Schachbrett- 
muster, rechts  mit  drei  ins  Dreieck  gestellten  Rosen).  Ähnliche,  auf  Ornament- 
stiche als  Vorbilder  deutlich  hinweisende,  aufsteigende  Füllungen  haben  die  in  der 
Axe  der  Stollen  laufenden  Pilaster.  Der  Einfluß  der  in  Technik  und  Geschmack 
weit  durchgebildeteren  Handwerksgenossen  am  Rhein  läßt  sich  leicht  erkennen. 
Eigenartig  ist  bei  diesem  Stück  die  Behandlung  der  Rundstäbe,  die  wo  immer  an- 
gängig ein  strickartig  gedrehtes,  abwechselnd  aus  glattem  Band  und  Perlstab  zu- 
sammengesetztes Muster  zeigen.  (Abb.  125).  Die  Maaße  betragen:  1,48  m  Höhe, 
1,01  m  Breite,  0,55  m  Tiefe. 

Das  zweite  Exemplar,  etwas  kleiner,  die  Höhe  beträgt  1,44,  die  Breite  1,03, 
die  Tiefe  0,51  m,  entfernt  sich  vom  landläufigen  Typus  des  Stollenschrankes  etwas 
dadurch,  daß  der  Schrankkasten  sich  ohne  Trennung,  ja  sogar  ohne  Schlagleisten  in 
zwei  fast  die  ganze  Breite  einnehmende  Türen  öffnet.  Das  stark  restaurierte  Stück  — 
Deckplatte  mit  Sims,  Untergestell  bis  auf  die  skulptierten  Vorderpfosten,  und  Seiten- 
wände sind  erneuert  —  zeigt  in  Anordnung  und  Ausführung  mit  seinem  vorbe- 
schriebenen Genossen  sehr  viel  Ähnlichkeit.  Besonders  gut  sind  hier  die  stämmigen, 
mehrfach  abgesetzten  Vorderpfosten  mit  ihrer  Akanthustabverzierung,  dann  die 
vielleicht  ursprünglich  gar  nicht  zu  diesem  Schrank  gehörende  Arabeskenfüllung 
der  unteren  Schublade.  Die  Arabeskenfüllungen  der  Türen,  deren  Mittelpunkt  hier 
zwei  aufgehängte,  offenbar  bürgerliche  Wappen  bilden,  sind  wesentlich  schwächer. 
Das  Schloßwerk  ist  demjenigen  des  in  Abb.  125  wiedergegebenen  ganz  gleich. 


108 


DIB  BOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Der  lokalen  und  auch  der  stilistischen  Verwandtschaft  halber,  sei  ein  weiterer 
Schrank  aus  den  Rheinlanden  angeschlossen,  der  den  Stollenschränken  fern  steht. 
Er  dürfte  seiner  ganzen  Außenbehandlung  nach  im  ursprünglichen  Zustand  ein 
eingebauter  Wandschrank  in  Verbindung  mit  einer  vielleicht  gleichartig  anschließen- 
den Wandvertäfelung  gewesen  sein,  wenn  er  nicht  etwa  gar  in  späterer  Zeit  (wohl 


Abb    125-     Westfälischer  Stollenschrank.     Ende  des  16.  Jahrh. 


iber  nach  dem  Befund  der  einfachen  Seiten-  und  Rückwand  zu  schließen  vor  dem 
19.  Jahrhundert)  aus  Teilen  einer  Vertäfelung  zusammengefügt  wurde.  (Abb.  126.) 
Die  Vorderseite  ist  dreigeschossig  und  im  Ganzen  in  zwölf  Felder  geteilt,  so  symme- 
trisch, daß  von  einem  ausgesprochenen  Möbelcharakter  eigentlich  nicht  die  Rede 
sein  kann.  Die  Entstehung  des  Schrankes  dürfte  in  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
fallen.    Das  Hauptdekorationsmotiv  des  durch  seitliche    und  mittlere  Pilaster  ge- 


VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


109 


gliederten  Schrankes  sind  in  den  umrahmten  Füllungen  der  beiden  Untergeschosse 
Spitzrauten,  deren  Inneres  sechsmal  eine  in  Blattwerk  auslaufende  Maske,  einmal 
eine  Schere  und  einmal  eine  Hausmarke  in  Verbindung  mit  der  Zahl  4  aufweist. 
Die  oberen  vier  Felder  dagegen  zeigen  in  reichen  Laubwerkfüllungen  die  rheinischen 
Büstenmedaillon  sin  leider  ziemlich  beschädigtem  Zustand.  Der  Schrank  ist  1,88  m 
hoch,  1,85  m  breit  und  0,63  m  tief. 

Von  weiteren  norddeutschen  Schränken  wären  nur  noch  zwei  der  Frührenais- 
sance zuzuzählende  Stücke  der  norddeutschen  Tiefebene  an  dieser  Stelle  zu  be- 
trachten.   Wirklich   gotische    Schränke,  wie   sie   insbesondere   im  Lüneburgischen 


Abb.  126.     Rheinischer  Schrank.    Ende  des  16.  Jahrh. 


sich  erhalten  haben,  besitzt  das  Museum  nicht.  Der  Aufbau  besteht  bei  diesen  aus 
dem  eingebauten  Schrank  entstandenen  System  aus  einem  in  der  Regel  dreigeschos- 
sigem Gefach,  wobei  mindestens  sechs  einzelne  durch  eigene  Türen  verschlossene 
Fächer  sich  ergeben.  Charakteristisch  ist,  daß  bei  dem  im  Mittelpunkt  des  Schrankes 
liegenden  Fach,  die  Drehungsaxe  der  Tür  nicht  vertikal,  sondern  horizontal  ist,  so 
daß  die  geöffnete  Tür  eine  zum  Schreiben  und  dergl.  geöffnete,  oft  noch  durch  ein 


110 


DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Abb.   127.     Niederdeutscher  Schrank  von  1550. 


VON  ÜK.  HANS  STEGMANN.  111 


originelles  eisernes  Gestänge  gestützte  horizontale  Platte  bildet.  Ein  merkwürdig, 
reich,  wenn  auch  etwas  derb  geziertes  Stück  dieser  Art,  das  den  mittelalterlichen 
Aufbau  noch  beibehält  —  andere  werden  wir  bei  der  späteren  Besprechung  der  bäuerlichen 
Möbel  vorfinden  — ,  hat  das  Museum  in  einem  mit  der  Jahreszahl  1 550  versehenen  großen 
Schrank  aufzuweisen,  der  vielleicht  in  Schleswig- Holsteins  eine  Heimat  hat.  Der 
Schrank  (Abb.  127)  ist  3,12  m  hoch,  1,62  m  breit  und  0,72  m  tief.  Der  Schrank 
ist,  wenn  man  ein  schmales  Schubladengeschoß  hinzurechnet,  viergeschossig.  Das 
Untergeschoß  mit  zwei  Gefachen,  ist  durch  zwei  größere  Türen  geschlossen,  welche 
ebenso  wie  der  trennende  Rahmenstreifen  mit  Arabeskenfüllungen,  die  Türen  außer- 
dem mit  männlichen  Brustbildmedaillons  in  Flachrelief  geziert  sind.  Darüber  zwei 
Schubladen,  deren  Vorderseiten  einen  Spruch  enthalten:  JS(T) .  CODT .  MIT. 
VNS  .  WOL  (soll  heißen  Wer)  KAN  .  GEGEN  .  VNS.  Das  nächste  Geschoß  ent- 
hält zwischen  zwei  rein  vegetabilischen  Arabesken  eine  breite,  nach  unten  aufklapp- 
bare Tür  mit  zwei  geschnitzten  Füllungen,  dem  Sündenfall  und  der  Vertreibung 
aus  dem  Paradiese.  Das  oberste  Geschoß  enthält  drei  je  mit  einer  Tür  verschlossene 
Fächer,  die  durch  schmale  Pilaster  getrennt  sind;  die  Reliefs  der  Türen  behandeln 
die  Geschichte  Simsons.  Den  oberen  Abschluß  bildet  ein  hohes,  gebälkartiges  Ge- 
sims, durch  das  die  Pilaster  des  obersten  Geschosses  durchgekröpft  sind.  Über  dem 
Gesims  ein  Aufbau  mit  einer  Wappentafel,  welche  auch  die  Jahrzahl  trägt  und  oben 
und  an  den  Seiten  mit  Muschelhalbkreisen  begrenzt  wird,  in  deren  Zentrum  frei 
heraustretende  männliche  Büsten  sich  befinden.  Die  dekorativen  Teile  stimmen 
wohl  in  der  etwas  derben  Durchführung,  nicht  aber  stilistisch  überein,  so  daß  schon 
Zweifel  an  der  Ursprünglichkeit  des  Schrankes  in  dieser  Form  und  an  der  frühen 
Datierung  aufgetaucht  sind.  Doch  dürfte  sich  für  die  auffallende  Verschiedenheit 
des  figürlichen  und  des  ornamentalen  Schmuckes  wohl  die  Erklärung  finden  lassen, 
daß  an  einer  wahrscheinlich  kunstarmen  Stätte  der  Verfertiger  für  die  ornamentalen 
Stücke  verhältnismäßig  gute  graphische  oder  andere  Vorlagen  benutzen, 
während  eine  mehr  handwerklich-bäuerliche  Kunst  mit  den  Köpfen  und  Figuren 
—  vielleicht  rohen  Holzschnitten  entnommen  —  nicht  recht  fertig  werden  konnte. 
Die  zwischen  Gotik  und  Renaissance  schwankenden,  reichen,  verzinnten  Beschläge, 
die  Verwendung  von  breitköpfigen  ebenfalls  verzinnten  Nägel  an  Stelle  der  üblicheren 
Holzzapfen,  die  Unterlassung  jeglicher  Verzierung  an  den  trennenden  Horizontal- 
gliedern lassen  nicht  auf  ein  Kulturzentrum,  etwa  eine  größere  Stadt  als  Entstehungs- 
ort schließen. 

Gleichen  Kreisen  dürfte  der  zweite  in  der  eigentlichen  Möbelsammlung  des 
Museums  sich  befindende  norddeutsche  Schrank  entstammen,  den  wir  in  Abb.  128 
dargestellt  sehen.  Er  ist  sechsteilig  mit  vertikaler  Mittelteilung,  die  durch  sämtliche 
drei  Geschosse  hindurchgeht.  Die  einfache,  aber  sehr  wirkungsvolle  Dekoration 
wird  einmal  durch  das  sehr  reichlich  verwendete,  gotisierende,  durchbrochene  und 
verzinnte  Eisenbeschläg,  das  das  dunkle  Eichenholz  merkwürdig  belebt,  dann  durch 
die  Schnitzerei  der  zahlreichen  Füllungen  gebildet.  Der  Aufbau  ist  sonst  sehr  ein- 
fach. In  einem  von  einem  unteren  glatten  Querbrett,  zwei  schmalen  Pilasterfül- 
lungen  an  den  Seiten  und  einem  kräftig  profilierten  oberen  Abschlußgesims  gebildeten 
Rahmen  besteht  die  Vorderseite.  Zwei  für  Niederdeutschland  charakteristische 
aus  der  Schrankfläche  vorspringenden  Kufenbretter,  in  die  die  Seitenwände  einge- 


112 


DIE  HULZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


zapft  sind,  kommen  hinzu.  Die  Horizontal-  und  Querverbindungen  sind  leicht 
ausgekehlt  und  mit  einem  abgesetzten  Stab  verziert.  Die  eingerahmten  Tür- 
füllungen, an  den  beiden  Untergeschossen,  je  vier  im  oberen,  je  zwei  für  jede  Tür, 


Abb.   128.     Niederdeutscher  Schrank  von  1566. 


zeigt   gefälteltes   Pergament    in  der  für   die  Spätzeit    und    die    niederdeutschen 
Gegenden  bezeichnenden  vielfach  gebrochenen  und  sinnwidrig  auch  durchbrochenen 


VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


113 


und  an  den  Säumen  ausgeschnittener  Art.  Die  beiden  Seitenpilaster  haben  auf- 
steigende Fülkingen  mit  dem  üblichen  Ornamentenapparat  in  leidlich  guter  Aus- 
führung. Am  oberen  Ende  der  PilasterfüUungen  befindet  sich  die  Datierung: 
Anm.  1566.  Die  Maße  betragen:  Höhe  2,42  m,  Breite  1,75  m,  Tiefe  0,65  m. 
Die  Gesamtwirkung  ist  eine  ganz  vorzügliche,  wenn  auch  bei  der  Einzelbetrachtung 
diese  norddeutschen  Möbel  an  Sauberkeit  des  Entwurfs  und  der  Ausführung  den 
oberdeutschen  ziemlich  nachstehen. 

Die  Hauptgattung  der  oberdeutschen  Schränke  in  der  Frührenaissance,  deren 
Blüte  wir  bis  ins  späte  16.  Jahrhundert  annehmen  können,  bleibt  der  doppel- 
geschossige  Schrank.  Die  Geschosse  sind  oft  lose  aufeinandergesetzt,  Sockel  und  Ge- 
sims leicht  abnehmbar.  Bei  den  engen  Ausmaßen  der  Treppen  und  Türen  der  Bürger- 
häuser jener  Zeit  war  dies  geboten,  um  die  Aufstellung  und  den  Transport  zu  er- 
leichtern, zumal  da  die  Dimensionen  der  Schränke  dieser  Art,  in  der  Regel  zur  Auf- 
nahme der  mit  dem  zunehmenden  Luxus  immer  ansehnlicher  werdenden  Vorräte 
der  Leinenwäsche,  ziemlich  große  waren.  Im  Gegensatz  zu  den  oben  betrachteten 
rheinischen  und  niederdeutschen  Schränken  ist  der  Aufbau  im  wesentlichen  archi- 
tektonisch. Wie  im  Mittelalter  läßt  der  oberdeutsche  Schrank  das  Vorbild  des  Hauses 
mit  reich  geschmückter  Fassade  durchklingen.  Die  Architektur  der  Schränke  wird 
dabei  immer  reicher.  Dieser  Umstand  geht  Hand  in  Hand  mit  dem  offenbaren  Be- 
wußtsein, daß  der  Inhalt  den  kostbarsten  oder  doch  gepflegtesten  Teil  des  hausfrau- 
lichen Besitzes  enthält.  So  wird  der  oberdeutsche  Schrank  im  Verlauf  des  16.  und 
auch  noch  des  17.  Jahrhunderts  das  prunkvollste  und  repräsentativste  Möbel  des 
ganzen  Hausrats.  Es  entsteht  der  Typus  des  Prunkschrankes,  der  dann  auch  außer- 
halb der  bürgerlichen  Familie  in  Amtszimmern  und  dergleichen  Orten  seinen  Platz 
findet.  Bekannt  ist,  daß  die  ganze  deutsche  Renaissance  in  ihrem  späteren  Ver- 
laufe auch  in  anderen  Zweigen  —  es  sei  nur  auf  die  eigentliche  Architektur,  die 
dekorative  Plastik,  die  Ofenkeramik  hingewiesen  —  einen  charakteristischen,  schreiner- 
mäßigen Zug  hat.  Daß  dieses  üppige  Wuchern  der  Holzarchitektur  auf  ihrem 
eigensten  Gebiet,  der  Möbelkunst,  und  ihrem  damaligen  vornehmsten  Repräsentanten, 
dem  Schrank,  in  spitzfindig  gekünstelten  Ausdrucksformen  noch  vor  Eindringen 
des  eigentlichen  Barockos  besondere  Triumphe  feierte,  kann  daher  nicht  überraschen. 

Von  solchen  erstaunlichen  Schreinerkunststücken,  wie  sie  manche  Samm- 
lungen aus  dem  Ende  des  16.  und  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  besitzen,  hat  das 
Germanische  Museum  zwar  keine  Exemplar  aufzuweisen,  dafür  beginnt  die  Reihe 
der  Entwicklung  mit  sehr  seltenen  frühen  Exemplaren  und  läßt  sich  bis  um  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  ziemlich  lückenlos  an  meist  aus  Nürnberg  oder  dessen  Um- 
gebung stammenden  Stücken  verfolgen 

Der  schönste  und  zugleich  auch  früheste  Nürnberger  Renaissanceschrank 
stammt  aus  dem  Jahre  1541  (Abb.  129).  Zugleich  gehört  er  zu  dem  frühesten  Be- 
sitz des  Germanischen  Museums,  nämlich  zu  der  Sammlung  des  Begründers  der 
Anstalt,  Freiherrn  H.  v.  Aufseß.  Der  spätmittelalterliche  Grundtypus  ist  völlig 
beibehalten.  Zwei  völlig  gleiche  Geschosse  werden  durch  eine  Mittelabteilung  mit 
zwei  Schubladen  getrennt ;  die  Gesamtheit  der  Behälter  steht  auf  ziemlich  hohem 
Untersatz  und  wird  von  einem  ebensolchen  Aufsatz  bekrönt.  Beide  Teile  sind  im 
Gegensatz  zu  den  meist  durchbrochenen  gotischen  Untersätzen   und  Galerien   ge- 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907  15 


114 


Dlfi  HOLZMÖBEL  DBS  GERICANISCHEN  MUSEUMS. 


schlössen  gehalten.  Die  Übertragung  der  Renaissanceformen  auf  den  gotischen 
Kern  ist  in  vollkommener  Weise  gelöst.  Die  ungemein  sichere  Behandlung  aller 
Verhältnisse,  die  vollkommene  Beherrschung  aller  Zierformen,  wie  der  Profilierung 
im  neuen  Stil,  die  vornehme  und  phantasievolle  Zeichnung  der  geschnitzten  Fül- 
lungen und  der  umrahmenden  Teile  verraten  den  Entwurf  eines  hervorragenden 
Künstlers,  dem  auch  die  saubere  Ausführung  entspricht.    Es  lag  in  Berücksichtigung 


Abb.  129.     Nürnberger  doppeltgeschossiger  Schrank  um   1540. 


dieser  Umstände  nahe,  an  Peter  Flettner  zu  denken,  doch  dürfte  bei  der  gegen- 
wärtigen Sucht,  jede  nur  irgendwie  bedeutende  Leistung  der  deutschen  Frührenais- 
sance mit  diesem  Namen  in  Beziehung  zu  bringen,  einige  Vorsicht  geboten  sein.  Die 
Dekoration  schwelgt  förmlich  in  den  neuen  von  Italien  herübergekommenen  Formen. 


VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


115 


Man  beachte  den  klassizistischen  Zug,  der  dieser  frühesten  Zeit  deutscher  Renais- 
sance eignet,  in  der  Verwendung  von  Zahnschnitten,  Eierstäben  und  Blattkränzen, 
dann  von  dorischen  Triglyphen  und  Metopen  mit  Stierköpfen.  Im  geschnitzten 
Relief  wiegen  aus  Vasen  aufsteigende  Pflanzenkompositionen  vor.  Aber  auch  die 
ganz  quattrozentistischen  gekreuzten  Wappenschilder,  die  Behandlung  des  Blatt- 
werks in  der  spätrömischen  Formengebung  verrät  genaue  Kenntnis  der  italienischen 


Abb.  130.     Nürnberger  Renaissanceschrank;  Mitte  des  16.  Jaiirli. 


Kunst.  Der  Kern  des  Schrankes  ist  nach  oberdeutscher  Sitte  in  weichem  Holz  aus- 
geführt. Die  Schnitzereien  sind  in  Eichenholz,  die  noch  gotisch  breitflächigen  Rahmen 
der  Türen  mit  hellerem  Eschenholz  fourniert.  Mit  Recht  hat  A.  v.  Essenwein,  der 
diesen  und  den  folgenden  Schrank  in  den  Mitteilungen  des  Germanischen  Museums 
Bd.   I    S.  238  ff.  Tafel  XVI  beschrieb  und  abbildete,  auch  auf  die  seltene  Stilein- 


116  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

heitlichkeit  sogar  in  den  ausnahmsweise  in  reiner  Renaissance'  ausgeführten  Be- 
schlägen —  nur  die  Schlüsselbleche  und  Zuggriffe  liegen  auf  der  Außenseite  —  hin- 
gewiesen. 

Die  Höhe  des  Schrankes  beträgt  2,35,  die  Breite  1,75,  die  Tiefe  0,58  m.  Die 
Jahreszahl  der  Entstehung  (1541)  ist  auf  einem  Täf eichen  im  Mittelpilaster  des 
oberen  Stockwerkes  angebracht. 

Sehr  ähnlich  ist  diesem  ein  weiterer  Schrank  (Abb.  13O).  Man  könnte  fast 
glauben,  er  sei  in  derselben  Werkstatt  entstanden,  nur  daß  die  feine  künstlerische 
Empfindung  doch  etwas  geringer  ist.  Der  Aufbau  gleicht  dem  vorigen  vollkommen. 
Einfacher  ist  er  nur  darin,  daß  eine  Vertikalteilung  der  Schrankgeschosse  nicht  mehr 
stattfindet.  An  Stelle  des  trennenden  Pilasters  mit  Füllungen  ist  eine  einfache  Tür- 
schlagleiste mit  Querpfeifen  und  Rauten  getreten.  Auch  die  Füllungen  der  Türen  mit 
einer  architektonischen,  nicht  ganz  organischen  Bogenstellung  harmonieren  nicht 
ganz  mit  dem  reichen  Kandelaber  und  Blattfüllungen  der  umrahmenden  und  trennen- 
den Teile,  die  wieder  von  trefflichem  Entwurf  sind.  Ein  noch  antikisierenderes  Ge- 
präge erhält  der  Schrank  durch  das  Aufsetzen  eines  flachen  tempelartigen  Giebels 
mit  geschnitzter  Giebelfüllung.  Aber  z.  B.  die  ganz  schreinermäßige  Behandlung  des 
Hauptgesimses  verrät  das  Fehlen  eines  einheitlichen  künstlerischen  Entwurfes,  ebenso 
wie  die  Türfüllungen.  Es  ist  offenbar  alles  aus  zweiter  Hand.  Der  Schrank  ist  wie 
sein  vorherbeschriebener  Genosse,  als  dessen  wenig  jüngerer  Bruder  er  wohl  ange- 
sprochen werden  kann.  Nürnberger  Ursprungs  und  wurde  vor  etwa  vierzig  Jahren 
von  dem  bekannten  Erforscher  der  deutschen  Renaissance  Professor  A.  Ortwein  bei 
einem  kleinen  Antiquar  gefunden  und  von  Essenwein  für  den  für  heutige  Verhältnisse 
fast  lächerlich  geringen  Preis  von  80  Gulden  s.  W.  für  das  Museum  erworben.  Er 
ist  2,6  m  hoch,  1,75  m  breit  und  0,60  m  tief. 

Der  dritte  Schrank  dieser  Art  ist  nach  seiner  künstlerischen  Wirkung  der 
geringwertigste.  Als  Ausgangspunkt  einer  neuen  nun  anbrechenden  Entwicklung  aber 
ist  er  wichtig.  Er  besteht  aus  zwei  gleichen  Stockwerken  mit  je  zwei  annähernd 
quadratischen  Türen,  deren  Rahmenwerk  wie  bei  den  vorangehenden  in  Gehrung 
geschnitten  ist  (Eschenholzfournier),  während  die  hochrechteckigen  Füllungen  in 
in  Eichenholz  geschnitzt  eine  über  einem  architektonischen  Sockel  sich  aufbauende 
Blattwerkfüllung  in  breiten  krautartigen  Formen  zeigen.  Der  niedrige  nicht  über 
den  gesamten  Schrankaufbau  heraustretende  Sockel  enthält,  durch  ein  kleines  ge- 
schnitztes Mittelstück  getrennt,  zwei  einfache  Schubladen.  Die  Türen,  nur  durch 
eine  verhältnismäßig  einfache  Schlagleiste  getrennt,  werden  in  beiden  Geschossen 
von  verhältnismäßig  breiten  pfeilerförmigen  Feldern  begrenzt,  vor  denen  dünne, 
nicht  gerade  schön  gebildete  toskanische  Säulen  auf  vor  dem  Unterbau  herausge- 
kröpften Sockeln  stehen.  Das  schwere,  den  Schrank  abschließende  Gebälk  ruht, 
vor  die  Fläche  der  Vorderseite  vorgezogen,  auf  diesen  Säulen.  Das  Gebälk  mit  ge- 
schnitztem Fries  (abwechselnd  schlecht  gebildete,  flaschenförmige  Vasen  mit  Blät- 
tern und  eine  Blattwerkkomposition)  ist  durch  einen  geschweiften  Aufsatz  (Vasein 
der  Mitte  mit  addosiertem,  in  Laubwerk  auslaufendem  Delphinenpaar)  abgeschlossen. 
Der  Vorsprung  des  Aufsatzes  zeigt  in  der  Untersicht  gedrechselte  Scheiben.  Als 
oberer  Aufsatz  dient  ein  geschweift  ausgesägtes   Brett. 


VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


117 


Der  Schrank,  geschickt  im  Entwurf,  zeigt  den  ersten  Versuch,  den  doppelgeschos- 
sigen  Schrank  durch  eine  einzige  Säulenordnung  —  wir  haben  hier  sozusagen  den 
Vater  aller  der  vielen  nachfolgenden  Säulenschränke  vor  uns  —  zu  einem  eingeschos- 
sigen zusammenzufassen.  Deswegen  ist  auch  die  Trennung  der  beiden  Geschosse 
mit  Weglassung  des  üblichen  Zwischengeschosses  durch  ein  paar  nichtssagende 
Gliederungen  sehr  schwach  hervorgehoben.  Die  Maße  des  Schrankes  sind:  Höhe 
2,36,  Breite  2,11,  Tiefe  0,8  m. 


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Abb.  131.     Hälfte  eines  doppelgeschossigen  Renaissanceschrankes  um  1600. 


Das  ansehnlichste  Stück  der  zweigeschossigen  Schränke  des  Museums  gehört 
schon  dem  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  an.  Die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
hatte  aber  in  Nürnberg  den  Möbelgeschmack  völlig  geändert.  Die  geleimte  Arbeit, 
vielfache  Kehlungen,  Kröpfungen,    Fournierung  in  den  verschiedenen  Hölzern,  ein 


118  DIE  BOLZMÖBEL  DES  OERBIANISCUEN  MUSEUMS. 

Überreichtum  von  Auflagen  mit  der  Laubsäge  hergestellter  Ornamente  und  von 
architektonischen  Gliederungen  waren  an  die  Stelle  der  einfacheren ,  noch  mehr  Reliet- 
schnitzereien  bevorzugenden  Art  getreten.  Wie  Ossenwein  in  einer  kurzen  Beschrei- 
bung dieses  größten  Renaissanceschrankes  unserer  Sammlungen  (Mitt.  d.  G.M.  Bd.  I, 
S.  265)  richtig  bemerkt,  beeinflußte  die  wachsende  Wohlhabenheit  des  Bürgerstandes 
die  Vermehrung  der  Haushaltungsvorräte  und  damit  den  Umfang  der  Schränke. 
Die  Täfelung  ganzer  Wände  und  Zimmer,  hinter  denen  die  Schränke  massenhaft  an- 
gebracht wurden,  führte  ebenfalls  dazu,  auf  Fluren  und  Hallen  wahre  Riesenexemplare 
freistehender  Schränke  aufzustellen.  Aus  einem  alten  jetzt  abgebrochenen  Patrizier- 
hause am  Hauptmarkt  zu  Nürnberg,  erst  im  Besitz  der  Volckamer,  dann  der  Forster, 
stammt  unser  Exemplar,  dessen  Höhe  2,58,  Länge  3,40  und  Tiefe  0,8  Meter  beträgi. 
Die  Abbildung  131  bringt  die  Hälfte  desselben  nebst  der  vorderen  Profilierung  zur 
Anschauung.  Man  könnte  den  Schrank,  der  allerdings  vom  Alter  sehr  gebräunt,  aber 
ohne  irgend  welche  andere  Überarbeitung  geblieben  ist,  wohl  auch  richtig  als  Doppel- 
schrank bezeichnen.  Der  Aufbau  der  Schrankfassade  ist  streng  architektonisch. 
Fünf  Säulen  gliedern  jedes  Stockwerk.  Als  Sockel  dient  ein  auf  dem  Boden  auf- 
ruhendes Postament,  das  ebenso  wie  die  Friese  der  beiden  Stockwerksimse  mit  aus- 
gesägtem Ornament  bedeckt  ist.  Schubladen  sind  keine  vorhanden.  Die  Schrank- 
türen sind  zweiflügelig,  die  in  der  Mitte  jeder  Schrankabteilung  liegende  Säule  dient 
als  Schlagleiste,  eine  im  17.  und  18.  Jahrhundert  häufige,  aber  nicht  gerade  stilgerechte 
und  bequeme  Einrichtung.  Die  Säulen  stehen  auf  hohen  Sockeln  vor  einer  flachen, 
entsprechend  in  Felder  geteilten  Wand.  Charakteristisch  für  viele  Schränke  ist,  daß 
der  hier  kannelierte  Säulenschaft  vor  einer  runden  Scheibe  steht.  Zwischen  den 
Säulen  in  der  Wand  je  eine  reich  umrahmte  Muschelnische;  diejenigen  des  Ober- 
geschosses mit  kräftig  vorspringenden  Konsolen  etwas  reicher  als  die  unteren.  Die 
großen,  geblauten  und  teilweise  vergoldeten  Bänder  liegen  innen.  Der  ganze  Schrank 
ist  ohne  überreich  zu  sein,  ein  sehr  gutes  Beispiel  geschmackvoller  Nürnberger 
Schreinerkunst.  Der  Aufbau  ist  wie  üblich  aus  weichem  Holz,  die  aufgeleimten 
Profile  aus  Eichenholz,  die  Einlagen  aus  verschiedenen  helleren  und  dunkleren 
Hölzern  zusammengesetzt. 

Noch  tiefer  ins  17-  Jahrhundert  dürfte  nach  seiner  schon  etwas  weniger  feinen 
Formenbehandlung  ein  doppelgeschossiger  Schrank  gehören,  der  die  Unabhängig- 
keit der  beiden  Schrankgeschosse  von  einander  aufs  Deutlichste  dokumentiert  (Abb. 
132).  Der  Oberteil  des  Schrankes  ist  auf  den  untern  auf  dessen  Deckplatte  inner- 
halb einer  umlaufenden  Leiste  lose  aufgesetzt.  Wie  die  Abbildung  zeigt,  ist  die 
Breite  von  Unter-  und  Oberteil  völlig  verschieden,  das  Untergeschoß  hat  zwei,  das 
Obergeschoß  nur  eine  Tür.  Im  übrigen  gehört  diese  Schrankkombination  zu  den 
sogenannten  Säulenschränken,  hat  keinen  besonderen  Sockel,  sondern  nur  ein  vor- 
springendes Brett  auf  flachen  Kugelfüßen.  Die  toskanischen  Säulen,  deren  glatte 
Schäfte  teilweise  mit  ausgesägten  Ornamenten  bedeckt  sind,  stehen  auf  Konsolen,  eine 
Anordnung,  die  sich  in  Oberdeutschland  besonders  in  Franken  und  Schwaben  in  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  einbürgerte.  Der  in  verschiedenfarbigen,  meist 
helleren  Hölzern  eingelegte  Schrank  zeigt  innerhalb  der  Säulenordnung  das  beliebte 
Rahmen-  und  Füllwerk.    Die  herausgekröpften  Ohren,  das  Fräsen  der  Leisten,  die 


VON  DR.  HANS  Sl'EGMANN. 


119 


mageren  Profilierungen  und  die  schon  etwas  verwilderten,  ausgesägten  Ornamente 
verweisen  das  ebenfalls  aus  Nürnberg  stammende  Stück  mindestens  in  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts.    Der  Schrank  ist  1,98  m  hoch,   2,52  m  breit  und  0,6  ni  tief. 


Abb.  132.     Doppelgeschossiger  Renaissanceschrank.     2.  Hälfte  des  17.  Jahrh. 

Gegen  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts  verschwindet  allmählich  die  symme- 
trische doppelgeschossige  Anordnung.  Bequemlichkeitsrücksichten  mochten  die  eine 
Veranlassung  davon  sein.    Bei  einem  größeren  einheitlichen  Schrankkasten  gewann 


120 


DIE  flULZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


naturgemäß  die  Übersichtlichkeit  des  Inhalts.  Aber  auch  künstlerische  Momente 
taten  das  ihrige.  Die  Schrankfassade  wurde  bei  weitem  einheitlicher  bei  der  be- 
liebten Verwendung  der  antiken  Säulenordnung,  wenn  sie  in  einer,  statt  bisher 
in  zwei  Ordnungen  zusammengefaßt  wurde.  Der  in  diesem  Falle  stark  in  die  Er- 
scheinung tretende  Sockel  gab  wiederum  willkommene  Gelegenheit  zur  Anbringung 
der  mehr  und  mehr  beliebten  Schubladen. 


Abb.  133-     Nürnberger  Pilasterschrank.     2.  Hälfte  des  17.  Jahrh. 


Das  zeitlich  früheste  Exemplar  dieser  Gattung  im  Museum  ist  gleichzeitig  das 
schönste,  geradezu  ein  Meisterwerk  der  Intarsierung  (Taf.  XXII).  Auf  einem  auf  dem 
Boden  aufruhenden  dreiteiligen  Sockel  mit  drei  nebeneinander  liegenden  Schubladen 
erhebt  sich  der  zweiflügelige  Schrankkasten.  Die  Gliederung  bilden  drei  flache,  kanne- 
lierte Pilaster  toskanischer  Ordnung  auf  hohen  Sockeln.    Zwischen  den  Pilastern  ist 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN, 


121 


je  eine  Rundbogennische  angeordnet  über  einem  unteren  Feld  mit  Rahmen-  und 
Füllwerk.  Alle  Flächen  sind  mit  reicher  Intarsienarbeit  geschmückt.  Am  reichsten 
das  obere  halbrunde  Türfeld,  das  eine  hervorragend  gezeichnete,  aufsteigende  Kompo- 
sition enthält.  Diese  ist  im  Gegensatz  zu  den  übrigen  nur  zweifarbigen  Intarsien  im 
reichsten  Farbenschmuck  gehalten.  Der  ganze  Schrank  wirkt  freudig  und  reich; 
bedauerlich  ist,  daß  der  obere  Aufsatz  nicht  mehr  der  ursprüngliche  ist,  sondern 
eine  spätere  farblose  und  auch  in  der  Profilierung  nüchterne  Ergänzung.  Die  Maße 
des  jedenfalls  kurz  nach  1600  entstandenen  Möbels  sind  2,4  m  Höhe,  2,24  m  Breite, 
0,82  m  Tiefe. 


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Abb.  134.     Nürnberger  Säulenschrank.     2.  Hälfte  des  17.  Jahrh. 

Im  genannten  Aufbau  dem  vorgenannten  ähnlich  ist  ein  weiterer  Schrank  dieser 
Art  (Abb.  133;  beschrieben  und  abgebildet  von  Essenwein,  Mittig.  d.  G.  M.,  I891, 
S.  80).  Nur  daß  die  Zeit  der  Entstehung  wenigstens  fünfzig  Jahre  später  fällt. 
Das  drückt  sich  nicht  nur  in  der  Umwandlung  der  Stilformen,  sondern  auch  in  dem 
ärmlicheren  Charakter  nach  dem  dreißigjährigen  Kriege  aus;  man  möchte  für  Werke 
vor  und  nach  diesem  Deutschlands  künstlerische  Kultur  so  schwer  treffenden  Kampf 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalm  iseum.    1907. 


IG 


122  DIE  HOIiZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


das  freudige  Rokoko  und  die  Biedermeierzeit  zum  Vergleich  heranziehen.  Die  Prove- 
nienz auch  dieses  Möbels  ist  nürnbergisch.  Drei  Pilaster,  von  denen  der  mittlere  auch 
hier  als  Schlagleiste  der  Doppeltüre  verwendet  ist,  bilden  die  Fassadengliederung  des 
Schrankkastens.  Die  Türflügel  sind  in  zwei  Felder  geteilt,  ein  niedrigeres  unteres  und 
ein  höheres  oberes  in  Rahmen  und  Füllwerk,  die  mit  den  für  den  Barockstil  charakteri- 
stischen „Ohren"  versehen  sind.  Der  Unterbau  des  eigentlichen  Schrankkastens  ist  etwas 
stärker  betont.  Er  enthält  in  zwei  Geschossen  vier  Schubladen.  Der  ganze  Schrank 
steht  auf  Kugelfüßen,  den  oberen  Abschluß  über  den  Türen  und  Pilastern  bildet  ein 
etwas  kümmerlich  ausgefallenes  Gesims.  Für  die  etwas  ärmliche  Art  der  Form  ent- 
schädigt die  reiche  dekorative  Behandlung  einigermaßen.  Die  Intarsierung  in  meist 
hellen  und  braunen  Hölzern  (Eiche,  Esche  und  Nußbaum)  in  guter,  wenn  auch  etwas 
schematischer  Zeichnung  wird  unterstützt  durch  reichliche  Verwendung  ausgesägten 
und  aufgelegten  Ornaments  in  recht  hübsch  gezeichneten  Mustern.  Der  Schrank 
ist  2,25  m  hoch,  1,94  m  breit  und  0,75  m  tief. 

Für  die  Bewertung  von  Altertümern  ist  die  Notiz  Essenweins  interessant, 
daß  der  heute  als  ein  recht  gutes  Museumsstück  zu  betrachtende  Schrank 
1863  vom  damaligen  I.  Direktor  des  Museums,  Dr.  Michelsen,  auf  dem  Trödel- 
markt in  Nürnberg,  der  freilich  manchen  Kapitalstücken  in-  und  ausländischer 
Sammlungen  früher  zeitweise  Unterkunft  bot,  als  Bureaumöbel  erstanden  wurde. 
Die  Eignung  dazu  hatte  er,  da  er  bis  auf  die  geringste  Einzelheit  tadellos  er- 
halten war. 

Etwas  früher,  wohl  um  die  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts  dürfte  der  letzte  Schrank 
dieser  Reihe  (Abb.  134)  sein,  der  den  überaus  häufigen  oberdeutschen  Typus  des 
eingeschossigen  Säulenschrankes  in  einer  etwas  späteren  Fassung  vor  Augen  führt. 
Er  gehört  zu  den  reich,  aber  nur  in  zwei  Farben,  hell  und  dunkel,  intarsierten 
Schränken.  Zugleich  aber  ist  auch  die  Wirkung  des  lebhaft  und  kräftig  gegliederten 
Schreinerwerkes  eine  bessere  als  beim  vorhergehenden  Stück.  Der  Sockel,  wieder 
auf  flachen  Kugelfüßen  ruhend,  und  einfach  eingelegt,  hat  nur  eine  mittlere  Schub- 
lade. Den  Schrankkasten  zieren  an  der  Vorderseite  drei  Ringsäulen  toskanischer 
Ordnung  mit  vasenförmigen  Basen  auf  hohen  Sockeln.  Die  Doppeltüre,  für  welche 
die  mittlere  Säule  wieder  als  Schlagleiste  dient,  hat  beiderseitig  ^zwei  gekröpfte 
Felder,  das  obere  höherund  mit  Giebelarchitektur.  Die  inneren,  intarsierten  Füllungen 
zeigen  Ornamentranken.  Außen  an  dem  Rahmenwerk  findet  sich  wieder  ausgesägtes 
Ornament.  Solches  ziert  auch  die  zwei  langen,  schmalen  Füllungen  des  oberen  Auf- 
satzes, der  der  Architektur  der  Schrankvorderseite  sich  anschließt.  Wie  sämtliche 
vorgenannten  ist  auch  dieser  Schrank  in  weichem  Holz  gearbeitet ;  die  Profile  sind 
in  Eiche,  die  Intarsien  in  Ahorn,  Linde  und  Esche  gehalten.  Sehr  hübsch  sind  die 
türklopferartig  ausgebildeten  Griffe.  Die  Türbänder  liegen,  teilweise  geblaut  und 
mit  eingehauenen  Ornament  versehen,  innen.  Die  Höhe  beträgt  2,22,  die  Breite  1,9 
und  die  Tiefe  0,78  Meter. 

Von  oberdeutschen  Schränken  der  Spätrenaissance  wäre  schließlich  noch  ein 
sogenannter  Ulmer  „Fußnetschrank"  zu  erwähnen.  Es  ist  dies  eine  niedrige,  auch 
in  Augsburg  und  Nürnberg  vorkommende  Art  von  Kasten,  der  am  Fußende  des 
Bettes  Aufstellung  fand  und  dessen  Höhe  natürlich  nicht  übersteigen  durfte.   Unser 


VON  PR.  HANS  STEGMANN.  123 


Exemplar  besteht  aus  einem  Schrank  mit  zweiflügeliger  Türe,  der  ohne  beson- 
deren Sockel  und  Aufsatz  gearbeitet  ist.  Er  ruht  auf  Kugelfüßen.  Die  Vorder- 
seite ist  durch  drei  dünne,  auf  kleinen  Konsolen  stehende  gewellte  Säulen 
gegliedert.  Die  Türflügel  sind  in  Füll-  und  Rahmenwerk  mit  einfacher,  einge- 
legter und  ausgesägter  Arbeit  geschmückt.  Die  Höhe  ist  1,14,  die  Breite  1,41,  die 
Tiefe  0,58  Meter. 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Der  deutsche  Volks-  und  Stammescharakfer  im  Lichte  der  Vergangenheit.  Reise-  und  Kuitur- 
bilder  von  Georg  Grupp.  Stuttgart.  Verlegt  bei  Strecker  &  Schröder.  1906. 
205  S.     8". 

„Die  Schwaben  reisen  sehr  gerne,  und  wie  der  Deutsche  überhaupt,  so  schwankt  der  Schwabe 
zwischen  dem  Drang  in  die  Feme  und  der  Heimatliebe."  Der  diesen  durch  die  Erfahrung  be- 
gründeten und  im  Volksmunde  längst  gefestigten  Satz  niederschrieb,  hat  auch  keine  Ausnahme 
von  der  Regel  sein  wollen:  Selbst  ein  Sohn  der  schwäbischen  Erde  hat  er  nicht  allzufern  von  den 
schwarz-roten  Grenzpfählen,  noch  auf  gut  schwäbischem  Boden,  in  dem  stillen  Maihingen  als 
Bibliothekar  des  Fürsten  v.  öttingen- Wallerstein  eine  Stätte  befriedigendster  Wirksamkeit  ge- 
funden. Allein  aus  dem  weltentlegenen  schwäbischen  Schlosse,  aus  dem  Bereich  seiner  kostbaren 
Bücher-  und  Altertumssammlungen  zog  es  den  Verfasser  doch  zeitweise  wieder  hinaus  ins  Leben  des 
Tages,  in  die  „grüne  Wirklichkeit"  und  nach  Scheffels  Rezept  hat  auch  er  „je  zuweilen  seine 
Bücherei  abgeschlossen,  bestrebt,  seine  Gedanken  wandernd  und  schauend  auszudenken". 

Für  den  Verfasser  gibt  es  mit  Recht  keine  Frage,  daß  für  den  ernsthaften  Erforscher  der 
Kulturgeschichte  die  schriftliche  Überlieferung  der  Ergänzung  durch  lebendige  Anschauung  des 
Gewordenen  nicht  entbehren  darf.  Grupp  hat  nicht  nur  den  größten  Teil  Deutschlands  und 
Österreichs  im  Geiste  Riehls  sich  selbst  entdeckt,  sondern  auch  weitere  Reisen  nach  Italien  und 
Frankreich,  England  und  Holland,  selbst  nach  Skandinavien  und  Rußland  unternommen.  Aus 
Reiseeindrücken,  die  teilweise  schon  ehedem  zu  Zeitschriftenbeiträgen  und  Vorträgen  sich  ver- 
dichtet hatten,  reifte  der  Gedanke  zu  diesem  Buch,  das  nun  auch  das  schon  Veröffentlichte  in 
gänzlich  erneutem  Gewände  und  um  das  Doppelte  vermehrt  vorträgt. 

Die  aufgenommenen  Arbeiten  bemühen  sich  um  die  Lösung  der  alten  Aufgabe,  das  Deutsch- 
tum und  die  einzelnen  deutschen  Stämme  in  ihrer  Sonderart  zu  erfassen  und  Vorzüge  und  Schatten- 
seiten gleichsam  abzuwägen. 

Die  Schwierigkeiten,  die  der  Durchführung  einer  reinlichen  Scheidung  nach  ethnographischen 
Gesichtspunkten  sich  entgegenstellen,  sind  Grupp  klar  vor  Augen.  Es  selbst  stellt  wiederholt 
mit  Bedauern  fest,  daß  die  Unterschiede  zwischen  den  Stämmen,  ja  selbst  zwischen  Rassen  und 
Völkern  sich  mehr  und  mehr  verwischen,  daß  namentlich  der  Süden  das  Bewußtsein  seiner  Eigen- 
art allmählich  hintansetze  und  farblose  Übergänge  die  Erkenntnis  des  ursprünglichen  Volks- 
charakters erschweren.  Vielleicht  daß  der  Verfasser  hier  manchmal  zu  schwarz  sieht.  Schließlich 
ist  auch  solch  ein  Ausgleich  —  rein  sachlich  betrachtet  —  nicht  immer  und  nicht  überall  ein 
Unglück  zu  nennen! 

Andererseits  scheint  der  Umstand  der  Erwähnung  wert,  daß  die  wirtschaftliche  und  poli- 
tische Vergangenheit  neue,  eher  noch  mächtigere,  bestimmendere  Unterschiede  innerhalb  der 
Stammesgrenzen  geschaffen  hat.  Dies  gilt  namentlich  für  den  von  Grupp  fast  gänzlich  beiseite 
geschobenen  Stamm  der  „Franken",  deren  heutiger  Bestand  sich  aus  doch  recht  heterogenen 
Gruppen  zusammensetzt.  Das  bedächtigere,  schwerfälligere  Geschlecht  am  Obermain  und  das 
leichtlebige  Völklein  in  der  Rheinpfalz  z.  B.  eint  schließlich  nur  das  Band  einer  an  sich  schon  ziem- 
lich weitläufigen  Verwandtschaft  der  Mundarten.  So  wäre  es  gewiß  auch  dem  gelehrten  Verfasser 
schwer  gefallen,  hier  die  erwünschte  allgemeine  Formel  zu  finden. 

Bedauerlich  ist,  daß  die  Gruppierung  nach  Stämmen,  wie  sie  der  Leser  nach  der  Fassung 
des  Titels  erwarten  muß,  im  Buche  selbst  nicht  festgehalten,  ja  so  gut  wie  außer  acht  gelassen  ist. 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  125 

Bei  näherem  Zusehen  zeigt  sich  denn,  daß  unter  der  Überschrift  „Württemberg"  nur  vom  schwäbi- 
schen Württemberg,  unter  „Bayern"  nur  vom  Stamme  der  Bayern  die  Rede  ist.  Die  fränkischen 
Landesteile  der  beiden  süddeutschen  Königreiche  (mit  der  Rheinpfalz)  werden,  wie  gesagt,  merk- 
würdiger Weise  kaum  berührt. 

Der  Verfasser  hat  an  einen  weiteren  Leserkreis  gedacht,  den  gelehrten  Apparat  möglichst 
in  die  übrigens  recht  lesenswerten  Anmerkungen  am  Ende  des  Bandes  verwiesen  und  ohne  Zweifel 
ist  auch  der  rechte  Ton  getroffen.  Man  liest  gleichwohl  in  einem  nachdenklichen  Buch,  das  ab 
und  zu  schon  zum  Widerspruch  auffordert,  immer  wieder  aber  auch  zu  eigener  Beobachtung 
und  eigenem  Nachprüfen  anregt  und  zwischen  hübschen  Reiseerinnerungen  und  den  Abschnitten, 
die  der  historischen  Ergründung  des  Landschafts-  und  Volkscharakters  gelten,  beschäftigen  uns  die 
freimütigen  Äußerungen  des  Autors  über  seine  persönliche  Auffassung  der  religiösen  und  poli- 
tischen Fragen  der  Gegenwart. 

Im  Anhang  bringt  Grupp  einen  uns  naturgemäß  besonders  interessierenden  Abschnitt 
über  das  Germanische  Nationalmuseum,  dem  der  Maihinger  Bibliothekar  seit  1891  als  Pfleger 
schätzbare  Dienste  erwiesen  hat.  Hier  wird  der  mehrfachen  Beziehungen  des  Fürstlichen  Hauses 
Öttingen- Wallerstein  und  der  Maihinger  Sammlungen  zu  der  Schöpfung  des  Freiherrn  von  Auf- 
seß  gedacht  und  so  manche  persönliche  Erinnerung  und  Begegnung  in  der  liebenswürdig-beschei- 
denen Art  des  Erzählers  überliefert. 

Friedrich  der  Große  und  der  Netzedistrikt.  Von  Dr.  Christian  Meyer.  Zweite 
vermehrte  und  verbesserte  Auflage.  München  1906.    Verlag  von  Max  Steinebach.  118  S.  8°. 

Dr.  Christian  Meyer,  der  Geschichtschreiber  der  Provinz  Posen,  zeigt  hier  die 
hervorragende,  an  den  verschiedensten  Punkten  einsetzende  Kulturarbeit  des  großen  Königs  auf, 
die  dieser,  unterstützt  von  tüchtigen  Helfern  (Kammerpräsident  v.  Domhardt,  Geh.  Finanz- 
rat v.  B  r  e  n  c  k  e  n  h  o  f  f  u.  a.)  dem  unter  polnischer  Verwaltung,  namentlich  nach  der  wirt- 
schaftlichen Seite  hin,  unglaublich  vernachlässigten  Lande  zugewendet  hat.  Die  archivalischen 
Unterlagen  für  diese  Studie  ergaben  sich  für  den  Verfasser  aus  den  reichen  Materialien  des  Posener 
Staatsarchivs.  Die  interessante  Folge  einschlägiger  Cabinets-Ordres  Friedrichs  d.  Gr.  findet  sich 
auf  S.  67  ff.  anhangsweise  vollständig  wiedergegeben. 

Altreichsstädtische  Kulturstudien  von  Dr.  Christian  Meyer,  Staats-Archivar  a.  D. 
München.     Verlag  von   Max    Steinebach.     1906.    257  S.    8°. 

In  einem  handlichen  Bande  hat  der  Verfasser  eine  ansehnliche  Folge  seiner  kleinen  Ab- 
handlungen zur  Geschichte  alter  Reichsstädte  auf  dem  Boden  des  rechtsrheinischen  Bayern  ver- 
einigt. Anspruchslose  Bilder  aus  deutscher  Vergangenheit  sind  es,  die  uns  hier  entgegentreten. 
Viel  Bekanntes  für  den,  dem  die  autobiographische  Literatur  des  Mittelalters  und  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  einigermaßen  vertraut  ist,  anderseits  Anschauung  und  Belehrung  in  reicher  Fülle 
für  die  vielen,  denen  es  nicht  möglich  ist,  aus  unmittelbaren  Quellen  zu  schöpfen,  und  doch  der 
Wunsch  rege  bleibt,  die  Welt  unserer  Vorfahren  nicht  bloß  im  Rahmen  des  geschichtlichen  Romans 
zu  sehen. 

Dem  Verfasser  hat  es  Augsburg  vor  allem  angetan.  Dieser  Stadt  sind  vierzehn  seiner- 
Essays  und  allein  vier  Fünftel  des  Ganzen  eingeräumt  worden.  Franken  ist  durch  Nürnberg  und 
Rothenburg  o.  T.  vertreten.  Den  Schluß  macht  eine  Studie  über  Memmingen  im  Reformations- 
zeitalter. 

Nicht  wenige  Besitzer  und  dankbare  Leser  werden  bedauern,  daß  sein  Inhalt  mit  diesen 
vier  Städtebildern  erschöpft  ist  und  daneben  die  große  Vergangenheit  anderer  ober-,  mittel-  und 
niederdeutscher  Reichsstädte  so  ganz  leer  hat  ausgehen  müssen.  HH. 

Die  Zenten  des  Hochstifts  Würzburg.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  süddeutschen 
Gerichtswesens  und  Strafrechts.  Mit  Unterstützung  der  Savignystiftung  herausgegeben  von 
Dr.  Hermann  Knapp.  I.  Band.  Die  Weistümer  und  Ordnungen  der  Würzburger  Zenten. 
I-  und  II.  Abteilung.  Berlin  1907.  J.  Guttentag,  Verlagsbuchhandlung,  G-  m.  b-  H- 
XII,    IV,    1405    S.   in   8". 


126 


UTKRARISOHS  BESPKECHUNGBN. 


Des  Verfassers  Name  ist  kein  unbekannter  auf  dem  Arbeitsfelde  der  deutschen  Rechts-, 
insonderheit  der  Strafrechtsgeschichte.  Wir  danken  dem  früheren  Würzburger  Privat- 
dozenten, jetzigen  Reichsarchivassessor  in  München  bereits  zwei  vortreffUche  Arbeiten  über  das 
Nürnberger  Kriminalrecht-  Neuerdings  nun  hat  er  den  Fachgenossen  den  reichen  Ertrag  seiner 
fast  10jährigen  andauernden  Beschäftigung  mit  den  entsprechenden  Verhältnissen  auf  unterfrän- 
kischem Boden  vor  Augen  gestellt. 

War  Planck  in  seinem  grundlegenden  Werke  über  das  deutsche  Gerichtsverfahren  im 
Mittelalter  (1878—79)  wesentlich  von  niederdeutschem  Ouellenmaterial  ausgegangen,  so  sucht 
nun  Knapp  seinerseits  die  Grundlagen  und  treibenden  Kräfte  innerhalb  des  süddeutschen  Straf- 
rechts aufzudecken,  um  den  Unterbau  zu  schaffen  für  eine  künftige  durchgreifende  und  möglichst 
abschließende  historisch-dogmatsche  Verarbeitung  des  gewaltigen  Stoffes.  Nicht  den  leich- 
testeten  Teil  hat  der  Verfasser  gleich  zum  ersten  sich  herausgeholt  und  in  Angriff  genommen: 
die  Ergründung  des  Wesens  und  der  Entwicklung  der  Würzburger  Zenten. 

Die  Ergebnisse  einer  bewundernswerten  Durchdringung  dieses  zumeist  noch  recht  unan- 
gebauten  und  doch  so  reizvollen  Gebietes,  ir  das  Rockingers  bedeutsame  Arbeiten  über  Lorenz 
Fries  locken  mußten,  liegen  nun  in  zwei  starken  Halbbänden  vor. 

Da  gerade  im  Würzburger  Territorium,  dessen  Verfassung  aufs  engste  mit  seiner  Gliede- 
rung in  etwa  70  Zenten  und  Halsgerichte  verwachsen  erscheint,  an  der  Hand  sorgsam  erwogener 
„Fragen"  die  „herbrachten"  Rechtsbräuche  mit  peinlicher  Sorgfalt  ergründet  wurden  und  Auf- 
zeichnung fanden,  so  tjibt  uns  das  gesammelte  und  gesichtete  Material  den  erwünschten  Einblick 
in  das  Gefüge  des  kriminellen  Rechtslebens  jener  Zeiten. 

Der  erste  Band  reproduziert  die  Quellen  selbst,  für  jede  Zent  erst  deren  alte  Weistümer 
und  Halsgerichtsformulare,  dann  den  Kern  des  Ganzen,  den  Text  des  Würzburger  Zentbuchs 
aus  der  Epoche  des  M.  L.  Fries  und  die  so  bedeutsame  Modifikation  des  großen  Bischofs  Julius 
nach  dem  leider  nur  als  Torso  überlieferten  Zentwerke  (Beginn  der  Kodifikation  1576),  zuletzt 
die  vier  nachjulianischen  Ordnungen.  Die  Anordnung  des  gewaltigen  Stoffes,  der  die  chrono- 
logische Folge  fallen  läßt,  um  durch  „Zerreißung"  der  Echter'schen  Sammlung  den  Überblick 
über  die  historische  Entwicklung  der  einzelnen  Zentverfa'?sung  und  den  inneren  Zusammenhang 
zwischen  den  verschieden  zeitlichen  Ordnungen  nicht  zu  verlieren,  sondern  besser  herauszu- 
arbeiten, erscheint  freilich  zunächst  nur  als  eine  philologische  Ungeheuerlichkeit,  aber  für  den 
geschichtlich  und  praktisch  an  die  Sache  Herantretenden  war  das  unbedingt  eine  Forderung  der 
Notwendigkeit.  Dem  historischen  Nacheinander  wird  immerhin  der  Überblick  in  der  Ein- 
leitung (S.  11  ff.)  einigermaßen  gerecht. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  daß  Knapps  Werk  in  erster  Linie  dem  Rechtshistoriker, 
dem  sich  hier  eine  Fundgrube  allerersten  Ranges  erschließt,  zu  gute  kommt,  doch  ist  damit  der 
Wert  der  Edition  in  keiner  Weise  erschöpft.  Der  Herausgeber  selbst  hat  mit  Bedacht  den  be- 
sonderen Ansprüchen  der  Wirtschaftshistoriker  bezüglich  der  Textwiedergabe  nach  Möglichkeit 
Rechnung  getragen.  Die  jedem  einzelnen  Abschnitt  vorausgeschickten  Übersichtstabellen 
bringen  neben  anderen  willkommenen  Angaben  die  Namen  der  Orte  des  betreffenden  Zent- 
bezirks,  einschließlich  der  Wüstungen,  die  Feststellung  der  Zugehörigkeit  zu  diesem  oder 
Jenem  Gau,  zu  Würzburgischen  und  zu  heutigen  Ämtern,  die  kurzgefaßte  Geschichte  jeder 
Zent,  kurzum  Stoff  genug  für  weitere  Forschungen  (Würzburger  Ämterorganisation,  Bedeutung 
der  Leibzeichen  u.  s.  w.),  zugleich  sichere  Ausgangs-  und  Stützpunkte  für  orts-  und  provinzial- 
geschichtliche  Arbeiten.  In  dieser  Hinsicht  sei  auf  die  rasch  orientierende  Übersicht  über  die 
an  das  Hochstift  angrenzenden  Territorien  und  die  innerhalb  des  Würzburger  Landes  von 
geistlichen  und  weltlichen  Herren  ausgeübten  Gerechtsame  (1,2 — 10)  noch  besonders  hingewiesen. 

Auch  einiger  Bilderschmuck  blieb  dem  Werke,  dessen  materielle  Gestaltung  durch  die  Unter- 
stützung der  Savignystiftung  und  das  Verständnis  eines  opferfreudigen  Verlegers  gewährleistet 
war,  nicht  vorenthalten.  Die  beigegebenen  drei  Farbendrucke  sind  nach  Originalen  im  alten 
Zentgrafen-  und  im  Julianischen  Zentbuche  (dessen  Titel  übrigens  I,  19  zum  Abdruck  gelangt  ist) 
hergestellt. 

Möge  dem  Verfasser  bald  die  Zeit  kommen,  da  er  auch  den  darstellenden  Teil  seiner  „Würz- 
burger Zenten"  hinausgehen    lassen  kann.     Nicht   minder  sehen  wir  der  in  Aussicht   gestellten 


LITEKAHÜSCHE  BESPRECUUNGEN.  127 


VeröffentlichunR  der  Ergebnisse  seiner  Beschäftigung  mit  den  Denkmalen  des  bayerischen,   in- 
sonderheit Regensburgischen  Rechtslebens  mit  Spannung  entgegen.  HH. 

Joseph  Braun  S.  J.,  Die  belgischen  Jesuitenkirchen.  Ergänzungshefte  zu  den  Stimmen 
aus  Maria-Laach.      95-     Freiburg  i.  B.      Herdersche  Verlagsbuchhandlung  1907.    XII.    208  S. 

Die  sehr  sorgfältige  Arbeit  Brauns  ist  ein  wichtiger  Beitrag  zur  Geschichte  des  Über- 
ganges von  der  Gotik  zur  Renaissance.  Die  Meinung,  daß  die  Jesuiten  die  eifrigsten  Vor- 
kämpfer des  neuen  Stils  in  den  nordischen  Ländern  gewesen  seien,  ist  noch  immer  verbreitet 
und  noch  immer  wird  eine  auf  das  Große  und  Ernste  gerichtete  Art  des  Barocks  als  Jesuiten- 
stil bezeichnet.  Mit  diesen  Anschauungen  räumt  Braun  gründlich  auf,  denn  was  für  Belgien 
gilt,  gilt  auch  für  andere  Länder.  Es  ist  ausgeschlossen,  daß  der  Orden  gerade  in  Belgien 
andere  Grundsätze  für  seine  Bauten  gehabt  habe  als  anderwärts. 

Die  erste  Kirche  des  Ordens  in  Belgien,  die  Kollegskirche  zu  Douai  (1583 — 1591)  ist 
allerdings  ein  Barockbau  vom  Grundrißtypus  des  Gesü,  ihr  Plan  war  aus  Rom  gekommen. 
Als  aber  einheimische  Ordensmitglieder  die  Kirchen  und  Kollegien  entwarfen  und  ausführten, 
schlössen  sie  sich  den  heimischen  Bauformen  an.  Lange  hielten  sie  an  der  Gotik  fest  und  als 
sie  im  Beginn  des  17-  Jahrhunderts  zum  Barock  übergingen,  folgten  sie  dem  Zuge  der  Zeit, 
der  in  der  kirchlichen  und  profanen  Architektur  des  Landes  den  Übergang  zum  neuen  Stil 
schon  herbeigeführt  hatte.  Braun  weist  sogar  nach,  daß  in  vielen  Jesuitenkirchen  Belgiens 
das  struktive  System  unter  der  Hülle  barocker  Formen  das  gotische  geblieben  ist.  Die  Behand- 
lung des  Barocks,  welche  die  Jesuitenkirchen  zeigen,  ist  prinzipiell  durchaus  die  gleiche  wie 
die,  welche  es  in  der  profanen  Architektur  des  damaligen  Belgiens  erfuhr;  denn  auch  in  ihr 
war  die  Auffassung  des  Stiles  kaum  etwas  mehr  als  eine  bloß  formale.  Neben  den  Jesuiten- 
kirchen entstanden  gleichzeitig  auch  andere,  welche  den  gleichen  Stil  haben. 

Die  allgemeinen  Ergebnisse  gewinnt  Braun  aus  der  sorgfältigen  Untersuchung  aller 
Monumente,  so  daß  der   Leser  Schritt  für  Schritt  die  Probe  auf  die   Richtigkeit  machen  kann. 

Bezold. 

Dr.  Martin  von  Deatinger,  Beiträge  zur  Geschichte,  Topographie  und  Statistik  des 
Erzbistums  München  und  Freising.  Fortgesetzt  von  Dr.  Franz  Anton  Specht,  Domkapitular. 
X.   Band.     N.  J.  4.  Bd.     München  1907.     Lindauer'sche  Buchhandlung  (Schöpping). 

Deutingers  Beiträge  sind  von  ihren  Anfängen  an  eines  der  gediegensten  und  wichtigsten 
Sammelwerke  zur  Geschichte  des  Erzbistums  München- Freising,  und  es  war  ein  dankenswertes 
Unternehmen,  daß  sie  nach  längerer  Unterbrechung  unter  Spechts  Leitung  wieder  aufgenommen 
und  fortgesetzt  wurden.  Heute  liegt  schon  der  vierte  Band  dei  neuen  Folge  vor,  der  sich 
den  früheren  würdig  anschließt.  Er  wird  eröffnet  durch  eine  gehaltvolle  Arbeit  von  Dr.  Doli 
über  die  Anfänge  der  bayerischen  Domkapitel.  Es  wird  damit  für  Süddeutschland  ein  Gebiet 
urbar  gemacht,  das  im  Norden  unseres  Vaterlandes  schon  vielfach  kultiviert  ist.  Nach  einer 
vortrefflichen  Einleitung  über  die  Entstehung  und  die  rechtlichen  Verhältnisse  der  Domkapitel 
werden  die  Anfänge  der  bayerischen  Domkapitel  Salzburg,  Freising,  Regensburg,  Brixen  und 
Passau  dargestellt.  Dr.  Franz  Xaver  Zahnbrecher  behandelt  in  einer  namentlich  wirtschafts- 
geschichtlich interessanten  Studie  die  Kolonisationstätigkeit  des  Hochstifts  Freising  in  den 
Ostalpen.  Dr.  Max  Fastlinger  untersucht  in  einer  von  guter  Kritik  getragenen  Abhandlung 
die  Bedeutung  der  Erblichkeit  der  Vogtei  des  Freisinger  Hochstifts  für  die  Genealogie  dei 
Ahnherrn  der  Witteisbacher.  Dr.  Richard  Hoffmann  gibt  eine  ausführliche  Geschichte  und 
Beschreibung,  sowie  eine  baugeschichtliche  Analyse  der  ehemaligen  Dominikanerkirche  St.  Blasius 
in  Landshut.  Die  schöne  Kirche  ist  einer  der  frühesten  gotischen  Becksteinbauten  in  Bayern; 
ihr  Chor  gehört  wahrscheinlich  noch  dem  13.  Jahrhundert  an.  In  ihrer  gesamten  Anlage  ist 
der  Dominikanerkirche  in  Regensburg  nahe  verwandt.  Von  dem  gleichen  Verfasser  erhalten 
wir  noch  einen  sehr  fleißig  gearbeiteten  Katalog  der  Kunstaltertümer  im  erzbischöflichen 
Klerikalseminar  zu  Freising,  der  auch  als  Separatdruck  erschienen  ist  (Preis  .K  2,50).  Friedrich 
H.  Hofmann  gibt  den  Anfang  einer  Statistik  der  Glocken  der  Erzdiöcese. 

So  reiht  sich  dieser  neue  Band  seinen  Vorgängern  würdig  an  und  sei  der  Beachtung 
aller,  die  sich  mit  bayerischer  Geschichte  beschäftigen,  bestens  empfohlen. 

B  ezold- 


128  LITERARISCHE  BESPRECQUKßEN. 

Die  Ortsnamen  der  Fränkischen  Schweiz.  Von  Gymnasiallehrer  Dr.  Christoph  Beck. 
Erlangen.    B.  Hof-  und  Universitätsbuchdruckerei  von  Junge  &Sohn.    1907.    8.    132  S. 

Zu  den  bewährten  Ortsnamenbüchern  von  Gradl,  Hartmann,  Heilig,  Miedel  u.  a.  gesellt 
sich  ein  neues  Werkchen,  das  jene  anmutige  fränkische  Landschaft  zum  erstenmale  der  wissen- 
schaftlichen Namenkunde  erschließt.  Sein  Verfasser,  ein  sprachenkundiger  Sohn  dieser  in  mehr- 
facher Beziehung  hochinteressanten  Gegend,  ist  mit  ernstem  Eifer  daran  gegangen,  das  quellen- 
mäßige Material  für  die  frühere  Geschichte  der  heimatlichen  Berge  und  Täler,  wie  es  ihm  vor- 
nehmlich das  Münchener  Allgemeine  Reichsarchiv  und  das  Bamberger  Kreisarchiv,  dann  die  ge- 
druckten Urkundenwerke  und  ähnliche  Sammlungen  darboten,  zu  befragen  und  zu  verwerten. 

Der  Ortsnamenkunde  ist  zweifellos  neben  dem  Studium  der  Flurverfassung,  der  Dorfanlage, 
des  Hausbaues,  neben  archäologischen,  folkloristischen  und  somatischen  Untersuchungen,  die 
Bedeutung  einer  wichtigen,  wenn  auch  wohl  eher  über-  als  unterschätzten  Hilfskunde  der 
Siedelungsgeschichte  einzuräumen.  Insbesondere  ist  für  ein  Näherherankommen  an  die  Lösung 
der  „Slavenfrage"  und  die  Feststellung  des  Bereichs  der  alten  „terra  Slavorum"  die  Würdigung 
der  namenetymologischen  Ergebnisse  unerläßlich. 

Die  vorausgeschickten  zwei  Abhandlungen  über  die  „Geschichte  der  Besiedelung"  und 
„Die  Ortsnamen  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Siedelungsgeschichte"  dürfen  jedenfalls  das  Lob  für 
sich  in  Anspruch  nehmen,  daß  sie  mit  Bedacht  an  das  gesammelte  Material  herantreten,  das  vor- 
und  umsichtige  Verwendung  findet,  und  dermaßen  im  wohltuenden  Gegensatze  stehen  zu  den 
phantastischen  Ungeheuerlichkeiten,  denen  man  in  diesen  Dingen  täglich  begegnen  kann. 

Der  Verfasser  folgt  den  sehr  geringen  Spuren  der  Kelten,  auf  die  allenfalls  noch  einzelne 
schwererklärbare  Gewässernamen  hindeuten,  und  sucht  das  Völkergemenge  zu  entwirren,  das 
weiterhin,  bis  zum  Auftreten  der  Franken,  jene  Berge  und  Täler  berührt  oder  besiedelt  haben 
mag.  Neben  den  fränkischen  Eroberern  erkennen  wir  den  wendischen  Einschlag,  den  das  An- 
sässigmachen erst  eingewanderter,  dann  auch  kriegsgefangener  slavischer  Elemente  hereinbrachte, 
und  die  von  der  Sprache  festgehaltene  Erinnerung  an  die  offenbar  auch  in  diesen  Gegenden  er- 
folgte Verpflanzung  der  Sachsen.  Etwas  kühn  erscheint  die  Auffassung  Becks,  wonach  ein  nord- 
albingischer  Stamm,   der  der  Stürmer,   dem  Dorfe  Tiefenstürmig  seinen  Namen  gegeben   hätte. 

Auffallend  groß  ist  die  Zahl  der  Wüstungen  des  Gebiets,  die  in  Urkunden  des  13-  bis  15- 
Jahrhunderts  häufig  auftauchen.  Wertvoll  ist  die  Auseinandersetzung  über  die  Ortsnamen  in  ihrer 
kulturgeschichtlichen  Bedeutung,  bei  deren  Abfassung  des  zu  früh  verstorbenen  Köberlin  ge- 
diegene Arbeit  „Zur  historischen  Gestaltung  des  Landschaftsbildes  um  Bamberg"  (1893)  über- 
sehen zu  sein  scheint.  Der  Abschnitt  „Die  Ortsnamen  in  ihrer  Überlieferung"  dient  speziell 
philologischen  Interessen,  er  gliedert  sich  in  die  besonders  wertvolle  Untersuchung  über  die  mund- 
artliche Aussprache  der  Namen  und  eine  Betrachtung  über  deren  Schreibung. 

Der  größere  Teil  des  Buches  tritt  uns  als  Wörterbuch  entgegen,  das  Name  um  Name  in 
alphabetischer  Folge  bringt  und  unter  Voranstellung  der  jetzigen  offiziellen  Schreibweise,  die 
heutige  volkstümliche  Aussprache  feststellt,  die  historische  Gestaltung  des  Namens  verfolgt  und 
mit  einer  derart  kontrollierbaren  Deutung  jeden  Artikel  beschließt.  Hier  ist  der  Bescheid  auf 
viele  wißbegierige  Fragen  der  Besucher  und  Freunde  der  Fränkischen  Schweiz.  Daß  überall  die 
letzte  Antwort  gegeben  wird,  ist  natürlich  ausgeschlossen  und  zu  den  Fragezeichen,  die  der  Ver- 
fasser selbst  setzt,  wird  die  Forschung  noch  andere  bringen.  Aber  ein  sehr  bedeutendes  Stück 
Arbeit  ist  hier  einmal  geleistet  und  durch  die  sorgsam  ermöglichte  Überschau  über  das  erreichbare 
Material  die  Hauptsache  gewonnen. 

Zu  den  S.  63  unter  „Glashütten"  angezogenen  St.  Nikolaus- Kapellen  gehörte  vor  allem 
die  dort  und  auch  bei  K  nicht  genannte  Klaussteinkapelle  bei  Rabenstein.  Für  den,  der  sich  für 
die  Patronate  der  Heiligen  interessiert,  mögen  neben  den  genannten  Kapellen  zu  Reifenberg  und 
Ebermannstadt  noch  die  Pfarrkirchen  von  Pinzberg  und  Baiersdorf  namhaft  gemacht  werden.  — 
Ob  es  notwendig  war,  den  Namen  der  Pegnitz  wiederum  mit  slavisch  bagenc  (Sumpf)  zusammen- 
zubringen ?  Dem  wirklichen  Landschaftsbilde  entspricht  diese  Erklärung  doch  eigentlich  nicht.  — 
In  dem  gelegentlich  (S.  102)  erwähnten  Breemberga  von  805  (MGLL  I,  I,  133)  ist  keinesfalls  eine 
frühe  Nennung  von  Nürnberg  zu  sehen  (der  Verfasser  bringt  mit  Recht  hier  ein  Fragezeichen  an), 
es  handelt  sich  da  vielmehr  zweifellos  um  das  heutige  Kirchdorf  Premberg,  nordöstlich  von  Burg- 
lengenfeld  in  der  Oberpfalz,  unweit  der  Naab. 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  129 


Zur  Erklärung  einer  großen  Schicht  von  Ortsnamen  sind  Personen- Namen  herangezogen 
worden,  deren  Formen  wohl  zuweilen  erst  zu  erschließen,  häufig  genug  aber  gerade  für  unsere 
Gegend  belegbar  waren.  Den  Laienetymologen  verstimmen  zumeist  solche  einfach-wahrschein- 
liche Erklärungen  und  so  werden  die  Slavomanen  unter  ihnen  beispielsweise  bei  Poppendorf  ihre 
vielgeliebten  „Popen"  schmerzlich  vermissen.  Aber  gerade  in  diesem  Sichlosmachen  von  der 
bisher  beliebten  vorurteilsvollen  schematischen  Behandlung  (zu  der  auch  die  immer  wieder  nach- 
gesprochene generelle  Aufstellung  der  Endung  -itz  als  eines  slavischen  Charakteristikums  zu 
rechnen),  liegt  der  bleibende  Wert  des  Beck'schen  Buches. 

Den  Historiker  interessiert  natürlich  vor  allem  die  Stellungnahme  des  Sprachforschers  zu 
jener  Hauptfrage,  wie  weit  nach  Westen  man  die  wendischen  Siedelungen  und  Zwangskolonien 
sich  vorgeschoben  zu  denken  hat.  Schon  eine  oberflächliche  Betrachtung  des  Namenbestandes 
lehrt,  daß  da  und  dort  der  Germane  (Franke,  Bayer)  als  ein  fremdes  Element  erscheint,  der  um- 
liegende Bezirk  also  vermutlich  in  fremden  Händen  war.  Umgekehrt  spricht  die  Bezeichnung 
windisch-  (W.-Gailenreut,  Windischendorf,  heute  Wünschendorf)  für  insulares  Vorkommen  wen- 
discher Ansiedler.  Wenn  Beck  auch  in  Windhof  und  Herzogwind  den  Wendennamen  enthalten 
sieht,  so  wird  man  die  Möglichkeit  zugeben,  die  Frage  aber  zur  weiteren  Diskussion  stellen  müssen. 

Der  naturgegebene  Grundsatz  muß  lauten:  Keine  slavische  Deutung,  solange  die  ältesten 
vorliegenden  Namenformen  ungezwungen  eine  Erklärung  in  unserer  Sprache  zulassen.  Ihm  folgend 
gelangen  wir  mit  Beck  dazu,  die  von  Dilettanten  mit  mehr  Eifer  wie  Sachkenntnis  festgehaltene 
wendische  Provenienz  für  eine  stattliche  Zahl  von  Ortsnamen  abzuweisen. 

Verbinden  wir  die  äußersten  Punkte  im  Westen  des  Untersuchungsgebietes  (des  Fluß- 
gebietes der  Wiesent),  deren  Namen  nach  Beck  für  kürzere  oder  längere  Anwesenheit  der  Slaven 
sprechen,  so  kommen  wir  auf  folgende,  in  merkwürdig  weitem  Abstand  vom  Regnitzgrund  ver- 
laufende Linie:  Treunitz  (nordwestlich  von  Hollfeld),  Leiberös,  Tiefen-  und  Hohen-Pölz,  Teuchatz, 
Traindorf,  Draisendorf,  Kolmreut  (zwischen  Kirchehrenbach  und  Pretzfeld),  Birkenreut  ( .''),  Train- 
meusel,  Moggast,  Windischgailenreut,  Nemsgor-Leimersberg,  Herzogwind.  Die  Angabe  der  Süd- 
grenze, die  von  Herzogwind  über  Graisch,  Trägweis  (?  vgl.  Beck  132),  Kühlenfels,  Körbeldorf 
auf  Nemschenreut  südlich  von  Pegnitz  zu  laufen  würde,  hat  solange  nur  problematischen  Wert,  als 
das  Pegnitzflußgebiet  (die   Hersbrucker  Gegend)  noch  außerhalb  des   Forschungsbereichs  steht. 

Alles  in  allem,  tritt  die  Zahl  der  mehr  oder  weniger  sicheren  wendischen  bezw.  an  die  Wenden 
gemahnenden  Bezeichnungen  doch  auffallend  zurück  gegen  das  ungeheuer  überwiegende  ger- 
manische Namengut.  Freilich  wird  man  gut  tun,  sich  der  Grenzen  der  Beweiskraft  des  sprachlichen 
Materials,  das  eben  nur  einen  Teil  der  frühgeschichtlichen  Geschehnisse  überliefert  oder,  besser, 
durchblicken  läßt,  zu  erinnern  und  beileibe  keine  abschließende  Antwort  auf  die  Frage  nach  der 
Verteilung  der  beiden  Rassen  zu  erwarten.  Auch  Becks  fleißige  Arbeit  wird  nur  aufs  neue  die 
Erkenntnis  festigen,  daß  hier  einzig  und  allein  ein  Zusammenarbeiten  der  verschiedenen  beteiligten 
Wissenszweige  zu  endgültigen  Resultaten  führen  wird.  HH. 

Die  Trauts,  Studien  und  Beiträge  zur  Geschichte  der  Nürnberger  Malerei.  Von  Chri- 
stian Rauch.  Heft  79  der  Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte.  Straßburg,  J. 
H.  Ed.    Heitz  (Heitz    &  Mündel)   1907.     VI II   u.   114  S.  mit  31   Tafeln. 

Der  Verfasser  beabsichtigte  uranfänglich,  nur  die  Ergebnisse  seiner  Forschungen  über 
den  Dürer-Schüler  Wolf  Traut  an  die  Öffentlichkeit  zu  bringen.  Doch  hatte  er  eben  bei  dieser 
Arbeit  so  viel  Material  auch  über  den  Vater  Hanns  Traut  gewonnen,  daß  er  glaubte,  mit  diesem 
ebenfalls  nicht  zurückhalten  zu  dürfen.  So  liefert  er  uns  einerseits  einen  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Werkstatt  Wolgemuts,  andererseits  einen  solchen  zur  Schule   Dürers. 

Bei  beiden  Meistern  stellt  er  das  Urkundliche  und  Biographische  voran,  um  sich  alsdann 
mit  den  ihnen  zuzuschreibenden   Werken  in  chronologischer  Aufeinanderfolge  zu  beschäftigen. 

Hanns  Traut  begegnet  urkundlich  zum  ersten  Mal  1477-  Er  dürfte  demnach  etwa 
ums  Jahr  1453  geboren  sein.  In  den  Rechnungsbüchern  des  Klosters  Heilsbronn  wird  er  Hanns 
Speyer  von  Nürnberg,  Hanns  von  Speyer  und  Johannes  de  Spira  genannt.  Er  war  also  von 
Speyer  eingewandert.  Rauch  tritt  der  Annahme  Gümbels,  der  auf  Grund  urkundlicher  Nach- 
richten an  zwei  Künstler  des  Namens  „Hanns  Traut"  denken  zu  müssen  glaubt,  entgegen.  In 
der  entsprechenden  Anmerkung  dazu  erörtert  er  in  vorsichtiger  Weise,  wie  etwa  zu  kombinieren 

ilitteilmiireii  ans  dem  s'ermaii.  Natiunalmiiseiini.    1907  17 


130 


LITERARISCHE  BESPRECUUNQEN. 


wäre,  wenn  sich  die  Hypothese  Gümbels,  die  mir  allerdings  nicht  l-.inreichend  begründet  er- 
scheint, durch  Auffindung  weiterer  Belege  dennoch  bewahrheiten  sollte.  Ob  sich  für  diesen 
Fall  die  a  priori  von  Rauch  vorgenommene  Teilung  der  jetzt  seinem  Hanns  Traut  zugeschrie- 
benen Werke  halten  lassen  wird,  müssen  wir  der  Zukunft  überlassen.  Einstweilen  kommen  wir 
ganz  gut  mit  einem  Hanns  Traut  aus.  Rauch  bringt  alsdann  teils  bekannte,  teils  unbekannte 
archivalische  Belege  für  eine  Tätigkeit  des  Hanns  Traut  für  das  Kloster  Heilsbronn,  für  Fried- 
rich den  Weisen  und  für  den  Eichstätter  Bürger  Diebold  Zeller.  Der  Meister  starb  1516.  Der 
Vollständigkeit  halber  sei  erwähnt,  daß  die  Wandmalereien  im  Kreuzgang  des  Augustinerklosters 
zwar  mit  dem  Abbruch  desselben  zu  Grunde  gegangen  sind,  daß  sich  aber  noch  Kopien  da- 
nach, allerdings  etwas  fragwürdiger  Natur,  in  der  bei  uns  aufbewahrten  Kupferstichsammlung 
der  Stadt  Nürnberg  befinden,  worauf  vielleicht  in  Kürze  hätte  eingegangen  werden  können. 
Siehe  darüber  Mitteilungen  aus  dem  Germanischen  Nationalmuseum  1906,.  S.  155  u.  f. 

In  seiner  Betrachtung  der  Werke  Hanns  Trauts  geht  Rauch  von  der  einzig  beglaubigten 
Handzeichnung  desselben,  dem  Sebastian  in  Erlangen,  aus.  Er  sieht  in  dieser  eine  Vorstudie 
zu  der  entsprechenden  Darstellung  auf  dem  Peringsdörfferschen  Altar  aus  der  Augustinerkirche 
im  Germanischen  Museum.  Bekanntlich  sagt  Neudörfer  in  seinem  Abschnitt  über  Wolgemut: 
„sein  Gemäld  aber  ist  die  Tafel  in  der  Augustiner  Kirche  gegen  die  Schustergasse,  welches  der 
Peringsdorffer  hat  machen  lassen".  Weiterfußend  auf  den  Einzelheiten  in  der  Verwandtschaft, 
kommt  Rauch  zu  dem  Schluß,  daß  Hanns  Traut  derjenige  war,  der  unter  Wolgemuts  Leitung 
die  Hauptarbeit  am  Peringsdörfferschen  Altar  ausführte.  Seine  diesbezüglichen  Darlegungen 
überschreiten  den  Rahmen  bloßer  Hypothesen,  ohne  daß  aber  damit  gesagt  sein  soll,  daß  seine 
Schlüsse  direkt  zwingend  sind.  Es  ist  ein  wenig  gewagt,  von  einer  Zeichnung  auf  ein 
solch  gewaltiges  Altarwerk  unmittelbar  zu  schließen.  Rauch  führt  dann  weitere  Werke  an,  in 
denen  er  die  Hand  Trauts  erkennen  zu  dürfen  glaubt.  Hier  bewegt  er  sich  auf  posi- 
tiverem Boden,  nur  tut  er  in  diesem  Zusammenhang  dem  kleinen  Führer  durch  die  Lorenz- 
kirche m.  E.  zu  viel  Ehre  an.  Hanns  Traut  zuzuweisen  sind  Rauch  zufolge  Teile  des  Katha- 
rinenaltares  in  S.  Lorenz,  die  Gemälde  des  Rochusaltares  ebendort,  die  Geburt  der  Maria  im 
bayerischen  Nationalmuseum  zu  München,  das  Schutzmantelbild  in  Schleißheim,  der  Drei- 
königsaltar in  Heilsbronn  (doch  wäre  hier  ein  „vielleicht"  nicht  ganz  unangebracht),  zwei  fälsch- 
lich dem  Schwarz  von  Rothenburg  zugeschriebene  Bilder  der  Bamberger  Galerie  (Apostelteilung 
und  die  Madonna  mit  sieben  Heiligen),  das  für  einen  am  20.  Juli  1504  verstorbenen  Johannes 
Löffelholz  gemalte  Tafelbild  der  heiligen  Sippe  in  S.  Lorenz  und  vielleicht  auch  das  Bild  der 
Kreuzauffindung  im  Germanischen  Museum.  Stammt  der  Rochusaltar  in  S.  Lorenz  von  Hanns 
Traut,  dann  könnten  auch  wohl  die  Altarflügel  von  Neunkirchen  am  Brand  möglicherweise  von 
ihm  herrühren,  die  ich  auf  der  historischen  Ausstellung  1906  in  Nürnberg  zur  Darbietung  ge- 
bracht habe.  Siehe  den  Katalog  derselben  Nr.  60  und  61.  Zu  berichtigen  ist,  daß  das  kleine 
Porträt  des  Conrad  Imhof  mit  der  Jahreszahl  i486  in  der  Rochuskapelle  nicht  von  Wolgemut 
herrührt,  sondern  eine  spätere  Kopie  nach  demjenigen  auf  dem  Altärchen  im  Nationalmuseum 
zu  München  ist. 

Reich  war  also  die  Ausbeute,  welche  Hanns  Traut  bot,  nicht.  Zudem  läßt  sich  hier, 
wie  ich  zu  Anfang  andeutete,  nicht  immer  mit  voller  Sicherheit  operieren.  So  ganz  festgefügt 
ist  darum  das  Gebäude,  das  sich  Rauch  auf  Grund  gewissenhafter  Erwägungen  konstruiert, 
nicht.     Immerhin  sind  wir  durch  seine  Untersuchungen  um  ein  gut  Stück  weitergekommen. 

Dankenswerter  war  und  ist  die  Beschäftigung  mit  Wolf  Traut.  Dieser  wurde  um 
1478  geboren  und  starb  im  Jahre  1520.  Er  war  zunächst  als  Gehilfe  seines  Vaters,  dann  in 
der  Werkstatt  Dürers  als  Geselle  tätig.  Eine  seiner  letzten  Arbeiten  in  Dürers  Werkstatt  war 
die  Vorzeichnung  zu  einem  Glasgemälde  für  Sebald  Schreyer  vom  Jahre  1505  in  Schwäbisch- 
Gmünd.  Die  früheste  Spur  der  Betätigung  Trauts  in  Dürers  Werkstatt  findet  Rauch  in  dem 
1502  herausgegebenen  Werk  des  Conrad  Celtes  „quatuor  libri  amorum".  Als  das  früheste  Malerei- 
werk des  Künstlers  betrachtet  er  die  Gemälde  eines  Flügelaltars  in  der  Karlsruher  Galerie,  die 
er  gemeinsam  mit  Hans  von  Kulmbach  (um  1505)  herstellte.  Auch  diese  denkt  er  sich  noch 
in  Dürers  Werkstatt  entstanden.  Rauch  stellt  den  Anteil  beider  Künstler  an  ihnen  im  einzelnen 
fest.  Auch  der  Holzschnitt  der  Stigmatisation  des  Franziskus  von  Assisi  ist  nach  seinem  Dafür- 
halten in   Dürers  Werkstatt  und    zwar  unter  Dürers  Augen,    unter  seinem  Vorbild  und  seiner 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  131 


Korrektur  entstanden.  Der  Übergang  aus  Dürers  Werkstatt  zu  selbständiger  Tätigkeit  bezeichnet, 
wie  an  einer  Reihe  von  Belegen  dargetan  wird,  ein  Sinken  in  der  Qualität  der  Leistungen  Trauts. 
Eine  Ausnahme  bilden  die  Illustrationen  zur  Bambergischen  Halsgerichtsordnung.  Im  5.  Ab- 
schnitt werden  weitere  für  des  Künstlers  Art  und  Entwicklung  charakteristische  Holzschnitte 
aufgeführt.  Von  einer  vollständigen  Aufzählung  der  mehr  handwerkUchen  Arbeiten  wird  abgesehen. 
Im  Jahre  1510  schuf  Traut  eine  Passionsfolge,  die  unter  seinen  Werken  einen  relativ  hohen  Rang 
einnimmt.  Die  Originalität  ist  eine  verhältnismäßig  große.  Daran  schloß  sich  im  folgenden 
Jahr  der  imposante  Hochaltar  der  Johanniskirche,  der  durch  die  Vielseitigkeit  seiner  Darstel- 
lungen weitgehende  Schlüsse  auf  die  künstlerischen  Fähigkeiten  Trauts  erlaubt.  Die  Landschaft 
ist  zuweilen  stimmungsvoll,  der  Kolorismus  oft  recht  wirksam,  die  Komposition  meist  klar. 
Auch  die  vier  Flügelbilder  des  nördlichen  Seitenaltares  in  S.  Johannis  mit  der  vermeintlich 
echten  Altdorfer- Kreuzigung  im  Mittelteil  weist  Rauch  dem  Wolf  Traut  zu,  und  dürfte  damit 
wohl  auch  Recht  haben.  Die  Geburtsdarstellung  des  Johannisaltares  gibt  Rauch  Veranlassung, 
Traut  ein  großes  Holzschnittblatt  mit  Geburt,  Passionsdarstellungen  u.  a.  m.  zuzuteilen.  Als 
zweites  Hauptwerk  des  Meisters  hat  dann  die  Folge  der  Holzschnittillustrationen  (51  Bll.)  zu 
dem  1512  von  Hölzel  gedruckten  Buche  Bonaventuras  „die  Legende  des  heiligen  Vaters  Fran- 
zisci"  zu  gelten.  Ungefähr  mit  dem  Jahre  1512  beginnt  eine  regere  Betätigung  Trauts  in  der 
Malerei.  Etwa  dieser  Zeit  dürften  die  beiden  Bilder  des  Johannes  und  der  Barbara  im  Germa- 
nischen Museum  angehören.  Einen  wesentlichen  Teil  seiner  Wirksamkeit  in  diesem  Zeitraum 
beanspruchen  die  Arbeiten  für  das  Kloster  Heilsbronn  (Ursulaaltar  1513)-  Ganz  ruhte  in  dieser 
Epoche  auch  seine  Tätigkeit  für  die  Holzschnittillustration  nicht.  Was  aber  jetzt  entstand, 
steht  künstlerisch  höher  als  das  zuvor  zutage  geförderte.  Eingehend  beschäftigt  sich  Rauch 
alsdann  mit  dem  Artelshofer  Altar  vom  Jahre  1514  im  bayerischen  Nationalmuseum  in  München. 
Interessant  ist  der  den  Fortschritt  zeigende  Vergleich  der  Hauptdarstellung  mit  dem  Löffelholz- 
bilde von  Hanns  Traut  in  S.  Lorenz.  Traut  erhebt  sich  hier  zu  einer  Höhe,  der  er  nicht  oft 
wieder  nahegekommen  ist.  Was  das  Londoner  Bild  der  Kranzbinderin  betrifft,  so  hat  es  stets 
etwas  mißliches  an  sich,  lediglich  auf  Grund  einer  Photographie  ein  Urteil  zu  fällen.  Ich  möchte 
lieber  die  Akten  über  dieses  Bild  noch  ungeschlossen  lassen.  Das  gefälschte  Dürer-Monogramm 
könnte  auch  an  einen  der  bekannten  Kopisten  (Jörg  Gärtner,  Hans  Hofmann)  denken  lassen. 
In  das  Jahr  1514  fällt  auch  eine  tüchtige  graphische  Arbeit,  der  Titelholzschnitt  für  das  1514 
von  Gutknecht  gedruckte  Passauer  Missale,  der  innerhalb  des  Werkes  Trauts  von  erfreulich 
reicher  und  charakteristischer  Wirkung  ist.  Bei  dem  Heilsbronner  Jungfrauenaltar,  dem  Artels- 
hofener  Altar  und  dem  Titelholzschnitt  zum  Passauer  Missale  liegt  Dürers  Einfluß  klar  zutage. 
Ihren  direkten  Ausdruck  findet  diese  Zugehörigkeit  Trauts  zum  Dürerkreis  in  seiner  Beteiligung 
an  der  unter  des  Meisters  Leitung  hergestellten  Ehrenpforte  Maximilians.  Von  ihm  rühren  die 
Zeichnungen  zu  12  Schnitten  her.  Zwischen  1516  und  1518  arbeitet  Traut  an  den  Bildern  des 
Heilsbronner  Mauritiusaltares,  die  für  seine  Art  sehr  bezeichnend  sind.  In  engem  Zusammen- 
hang mit  diesem  steht  das  Katharinenaltärchen  in  Bamberg.  In  die  gleiche  Zeit  fällt  die  Taufe 
Christi  im  Jordan  im  Germanischen  Museum,  wie  Stegmann  nachgewiesen  hat,  das  Hauptbild 
eines  Altares  aus  Heilsbronn,  an  dem  Traut  in  den  Jahren  1516 — 1517  arbeitete.  Auch  zur 
Illustrierung  des  Teuerdank  wurde  Traut  herangezogen.  Es  rühren  die  Zeichnungen  zu  drei 
Blättern  von  ihm  her.  Das  künstlerisch  hochstehendste  Blatt  in  Trauts  Holzschnittwerk  ist 
nach  Rauchs  Ansicht  der  Abschied  Christi  von  seiner  Mutter  (1516).  Im  allgemeinen  gab  Dürer 
(Marienleben)  die  Anregung.  Die  Einzelheiten  aber  sind  durchaus  frei  und  Trautisch  ausgearbeitet. 
Ein  weiteres  größeres  Werk  von  Traut  aus  dieser  Zeit  ist  die  Malerei  des  Peter- Pauls- Altares  in 
Heilsbronn,  der  allerdings  durch  eine  spätere  Restauration  stark  gelitten  hat.  Entschieden 
stimme  ich  Rauch  zu,  wenn  er  auch  das  Porträt  des  Abtes  Bamberger,  das  er  erst  als 
solches  erkannt  hat,  Wolf  Traut  zuschreibt.  Es  zeigt,  abgesehen  von  den  übermalten  Teilen, 
des  Künstlers  bezeichnende  Art.  Höher  noch  als  dieses  steht  das  monogrammierte  Porträt  aus 
Freiherrlich  von  Behaimschem  Besitz,  das  ich  auf  der  historischen  Ausstellung  1906  gebracht 
hatte.  Als  Trautisch  bekannt  war  bereits  der  Holzschnitt  Augustin  und  das  Kind.  Er  gehört 
dem  Jahre  1518  an.  Die  Zeichnung  ist  sicher  und  kräftig.  Die  Bäume  sind  gut  charakterisiert. 
In  die  letzten  Lebensjahre  des  Künstlers  fällt  seine  Tätigkeit  für  die  Illustrierung  des  Halleschen 
Heiligtumbuches,  über  welcher  Arbeit  ihn  der  Tod  ereilte. 


132 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Resümieren  wir  kurz,  so  liegt  vor  uns  eine  fleißige,  ungemein  folgerichtig  aufgebaute  und 
verdienstvolle  Arbeit,  voll  guter  Beobachtungen  und  neuer  Anregungen.  Sie  verzichtet  auf  eine 
rhetorisch  ausgeschmückte  Sprache  und  beschränkt  sich  darauf,  mehr  in  knapper,  inventarisa- 
torischer  Art,  aber  bei  entsprechender  Begründung,  die  Forscliungsresultate  des  Verfassers  zu- 
sammenzufassen. Dr.   Fritz    Traugott    Schulz. 

Franz   Zell,    Volkstümliche    Bauweise    in    der  Au  bei    München.    —    Altmünchener    Tanzplätze. 

75  Aufnahmen  mit  Vorwort.    Verlag  von  Heinrich   Keller  in   Frankfurt  a.  M. 

Wer  München  vor  fünfzig,  ja  noch  vor  vierzig  Jahren  gekannt  hat,  weiß,  daß  um  die 
stille  Großstadt  herum  eine  sehr  kleinbürgerliche,  zum  Teil  halb  bäuerliche  Bevölkerung  gewohnt 
hat,  die  in  beschränkten  Verhältnissen  mit  Behagen  dahinlebte.  Ihre  kleinen  Häuser  reichten 
bis  unmittelbar  an  die  großen  Hauptstraßen  heran;  mit  wenigen  Schritten  gelangte  man  von  der 
Maximilianstraße  in  die  Sterngasse,  die  voll  war  von  malerischen  Holzhäusern,  im  Süden  der 
Stadt  war  es  ebenso  und  nördlich  hat  der  lange  Türkengraben  dem  Umbau  bis  vor  einigen  Jahren 
Stand  gehalten,  eine  kleine  Insel  solcher  Häuschen  war  auch  die  Grube  in  Haidhausen.  Heute 
ist  das  Meiste  verschwunden,  nur  in  der  Au  haben  sich  diese  altmünchener  Häuschen  noch  in 
größerer  Zahl  erhalten,  ihre  künstlerische  Bedeutung  liegt  auf  der  malerischen  Seite  und  ist 
auch  nach  ihr  nicht  groß,  aber  sie  haben  doch  ihre  bescheidenen  Reize  und  sind  individuell  ge- 
staltet.    Vor  allem  aber  sind  sie  frei  von  künstlerischer  Absichtlichkeit  an  unrechter  Stelle. 

Auch  ihre  Tage  werden  gezählt  sein,  so  war  es  ein  gutes  und  dankenswertes  Unternehmen, 
daß  Franz  Zell,  dem  wir  schon  so  manchen  Beitrag  zur  Kenntnis  altbayerischer  Volkskunst  ver- 
danken, eine  Auswahl  solcher  Bauwerke  in  photographischen  Aufnahmen  herausgegeben  hat. 
Die  Beispiele  sind  gut  gewählt,  von  richtigen  Standpunkten  aus  aufgenommen  und  in  guten 
Autotypien  wiedergegeben. 

Als  Anhang  sind  einige  Tanzplätze  und-  andere  Vergnügungsorte  beigegeben. 

B  e  z  0  1  d. 

F.  Baltzer,   Regierungs-  und  Baurat,    Das  japanische  Haus,  eine  bautechnische  Studie.   Mit  japa- 
nischem Titelbild,  150  Textabbildungen  und  9  Tafeln  in   Folio.     Sonderdruck  aus  Zeit- 
schrift für  Bauwesen.     Berlin  1903.     Verlag  von  Wilhelm  Ernst    &Sohn. 
F.  Baltzer,     Regierungs-  und  Baurat,     Die  Architektur    der  Kultbauten  Japans.    Mit  329  Ab- 
bildungen im  Text.     Berlin  1907-     Verlag  von  Wilhelm  Ernst    &  Sohn. 
Der  Verfasser,  welcher  lange  Zeit  in  Japan  als  Ingenieur  tätig  war,  gibt  in  diesen  beiden 
Werken  einen  Ueberblick  über  die  japanische  Baukunst,  aus  dem  wir  sie  sowohl  nach  ihrer  tech- 
nischen, als  nach  ihrer  ästhetischen  Seite  kennen  lernen.     Er  beschränkt  sich  auf  Beschreibung 
und  Abbildung  der  verschiedenen  Gebäudegattungen  und  verzichtet  auf  historische  und  archäo- 
logische  Ausführungen.     Seine  Arbeiten  sind  deshalb   als    reine   Quellenpublikationen,   die   nur 
Tatsächliches  bieten,  besonders  wertvoll. 

Das  japanische  Haus  ist  stets  nur  für  eine  Familie  bestimmt,  es  ist  reiner  Holzbau  und 
macht  einen  unscheinbaren  Eindruck.  Der  Typus  ist  trotz  vielfacher  Unterschiede  in  der  Zahl 
und  Anordnung  der  Räume  ein  ziemlich  gleichförmiger.  Im  Grunde  ist  das  Haus  ein  von  Pfosten 
getragenes  Schutzdach.  Die  inneren  Wände  sind  beweglich  und  können  herausgenommen  werden, 
so  daß  aus  mehreren  kleinen  ein  größerer  Raum  geschaffen  werden  kann.  Aber  auch  die  Außen- 
wände sind  nur  zum  Teil  fest,  große  Schiebetüren  und  Schiebefenster  gestatten  eine  weitgehende 
Öffnung  der  Wände.  Das  Haus  bietet  mehr  Schutz  gegen  Feuchtigkeit  und  Hitze  als  gegen  Kälte. 
Bei  äußerst  sorgfältiger  Ausführung  ist  die  Holzkonstruktion  des  Hauses  nicht  sehr  rationell; 
das  für  die  Stabilität  so  wichtige  Prinzip  der  Dreiecksverbindungen  ist  nicht  ausgebildet,  es  wird 
viel  mehr  Material  verwendet,  als  konstruktiv  notwendig  ist  und  oft  sind  die  Hölzer  an  stark 
beanspruchten  Stellen  geschwächt. 

Als  Material  für  die  Dachdeckung  kommen  Holz,  Rinde,  Stroh  und  Ziegel  in  Verwendung. 
Die  Rahmen  für  die  Zwischenwände  werden  mit  Papier  bespannt,  das  oft  mit  schönen  Malereien 
geziert  ist.  Der  Fußboden  besteht  aus  Brettern,  welche  mit  Matten  aus  Reisstroh  oder  Binsen 
belegt  werden.  Die  Matten  haben  eine  Fläche  von  3  :  6  Fuß  und  weil  sie  den  ganzen  Boden 
zu  bedecken,  haben  geben  sie  die  Flächeneinheit,  nach  der  die  Größe  der  Räume  bemessen  wird. 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  133 

Für  die  Verteilung  der  Räume  ist  die  innere,  der  Straße  abgewandte  Seite  des  Hauses 
die  bevorzugte,  die  Wohnräume  liegen  nach  dem  Garten.  Aus  dem  im  ganzen  rechteckigen 
Grundriß  treten  verschiedene  Anbauten  vor.  Symmetrie  wird  nicht  angestrebt.  Bei  großer 
Einfachheit  des  Aufbaues  erhält  nur  das  Dach  eine  etwas  reichere,  gefällige  Ausstattung. 

In  dem  zweiten  Werk,  das  die  Architektur  der  Kultbauten  behandelt,  ist  das  im  ersten 
über  die  Konstruktion  Gesagte  nicht  wiederholt,  dagegen  wird  es  durch  einen  ausführlichen  Ab- 
schnitt über  die  architektonischen  Elemente  und  Zierformen  eingeleitet.  Dann  werden  die  ver- 
schiedenen Gebäude,  welche  in  den  Tempelanlagen  vereinigt  sind,  besprochen.  Die  beiden 
Religionen  der  Japaner,  der  Shintoismus  und  der  Buddhismus,  haben  verschiedene  Tempelformen. 
Der  shintoistische  Tempel  ist  eine  einschiffige  Zelle  mit  umlaufender  Veranda,  der  buddhistische 
eine  dreischiff  ige  Halle  mit  erhöhtem  Mittelschiff,  das  aber  in  zwei  Geschoße  geteilt  ist.  Der 
Shintotempel  ist  die  alte  heimische  Tempelform,  der  Buddhatempel  ist  mit  der  buddhistischen 
Religion  von  China  eingeführt  worden,  hat  aber  in  Japan  eine  selbständige  Weiterbildung  er- 
fahren und  auch  auf  die  Shintoarchitektur  eingewirkt.  Der  Entwicklungsgang  der  japanischen 
Tempelarchitektur  läßt  sich  ziemlich  sicher  verfolgen.  Es  zeigt  sich  nämlich  die  sehr  eigentüm- 
liche Erscheinung,  daß  die  Tempel,  welchen  infolge  ihres  Baumaterials  eine  lange  Dauer  nicht 
beschieden  ist,  in  verhältnismäßig  kurzen  Zwischenräumen  ganz  in  ihrer  früheren  Form  erneuert 
werden.  Der  Unterschied  der  verschiedenen  Bauweisen  kommt  hauptsächlich  in  der  Anlage 
und  Form  der  Dächer  zum  Ausdruck.  Drei  Hauptepochen  lassen  sich  unterscheiden.  Die  erste 
geht  von  den  vorgeschichtlichen  Zeiten  bis  etwa  780  nach  Christo,  die  zweite  bis  1500,  die  dritte 
bis  1868.  Von  da  an  kommt  Japan  unter  den  Einfluß  der  europäischen  Kultur  und  Kunst. 
Innerhalb  der  Gruppen  sind  wieder  verschiedene  Stilarten  zu  unterscheiden.  In  der  Besprechung 
dieser  Stilarten  tritt  nun  doch  die  historische  Anordnung  in  Geltung.  Es  folgen  noch  drei  weitere 
Kapitel  über  die  No-Bühne,  über  die  mehrgeschossigen  Turmbauten  und  über  die  Schatztürme. 

Beide  Werke  sind  durch  ein  reiches  Material  an  zeichnerischen  und  photographischen  Auf- 
nahmen illustriert.  Wir  gewinnen  durch  sie  einen  klaren  Einblick  in  ein  Gebiet  der  Kunst- 
geschichte, das  uns  bisher  nahezu  fremd  war. 

Die  Baukunst  der  Japaner  ist  nicht  Architektur  im  höchsten  Sinne,  die  Dimensionen  und 
das  Material  schließen  die  Monumentalität  aus;  nicht  die  Raumgestaltung,  nicht  die  Konstruktion 
stehen  im  Mittelpunkt  des  künstlerischen  Schaffens,  sondern  die  dekorative  Ausgestaltung.  Noch 
eines:  die  Bauformen,  welche  sich  am  Holzbau  entwickelt  haben,  werden  ohne  Rücksicht  auf 
die  Bedingungen  der  Baustoffe  auch  angewandt,  wenn  ausnahmsweise  in  anderem  Material  ge- 
baut wird.  Nimmt  man  diese  Einschränkungen  hin,  so  bleibt  noch  genug  des  künstlerisch  bedeut- 
samen. Die  Wahrnehmung,  daß  die  japanische  Kunst  auf  einer  Entwicklungsstufe  beharrt, 
welche  die  europäische  längst  hinter  sich  hat,  daß  sie  aber  die  auf  ihrer  Stufe  gegebenen  Mög- 
lichkeiten in  selbständiger,  höchst  eigenmächtiger  Weise  zu  höchster  Vollendung  steigert,  machen 
wir  auch  in  der  Baukunst.  Die  japanischen  Bauten  machen  in  der  energischen  Profilierung  ihres 
Umrisses  und  in  dem  reichen  Wechsel  von  Licht  und  Schatten  einen  bedeutenden  malerischen 
Eindruck  und  erfreuen  durch  die  vollendete,  geschmackvolle  Ausführung  der  einzelnen  Formen. 

B  e  z  o  1  d. 

Meyers  großes  Konversations- Lexikon.  Sechste  gänzlich  neubearbeitete  und  vermehrte 
Auflage.  Bd.  XII— XVII.  Leipzig  und  Wien.  Bibliographisches  Institut. 
1905—1907.      Lex    8°. 

Herders  Konversations- Lexikon.  Dritte  Auflage.  Freiburg  im  Breisgau.  H  e  r  d  e  r'sche 
Verlagshandlung.     1902—1907.     Lex.  8".     (8  Bände). 

Die  Bände  I — XI  der  neuen  Auflage  von  Meyers  Konversations-  Lexikon  sind  bereits 
früher  an  dieser  Stelle  Besprechungen  unterzogen  worden.  Die  inzwischen  neu  erschienenen 
Bände  zeigen  sowohl  was  den  Text  als  auch  was  die  reichlich  beigegebenen  Abbildungen  betrifft, 
die  gleichen  Vorzüge.  Bei  der  Umgestaltung  und  Erweiterung,  die  insbesondere  der  Text  erfahren 
hat,  macht  sich  das  sehr  berechtigte  Bestreben  geltend,  Worterklärungen,  namentlich  wenn  es  sich 
um  Fachausdrücke  handelt,  hinter  den  Sacherklärungen,  wie  sie  unsere  Zeit  des  sich  fortgesetzt 
steigernden  Weltverkehrs  von  Jahr  zu  Jahr  in  immer  größerer  Zahl  fordert,  zurücktreten  zu 
lassen.     So  sind  auch  manche  exotische  Ortsnamen    und  sonstige  speziellere  geographische  Be- 


134  LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Zeichnungen  in  Wegfall  gekommen,  während  z.  B.  Artikel  über  Japan  und  seine  Kultur  der 
seit  dem  russisch- japanischen  Kriege  so  mächtig  gewachsenen  Bedeutung  des  Landes  und 
Volkes  entsprechend  außerordentlich  an  Umfang  zugenommen  haben,  zum  nicht  geringen  Teil 
überhaupt,  wie  auch  so  mancher  Abschnitt  über  die  Erfindungen  und  Entdeckungen  der 
jüngsten  Vergangenheit,  neu  hinzugekommen  sind.  Ein  solcher  Versuch,  das  allgemein  Wissens- 
werte vom  rein  fachlichen  Wissen  kräftiger  und  klarer  abzuheben,  für  dieses  gewissermaßen 
stillschweigends  auf  die  verschiedenen  Fachlexika  zu  verweisen,  kann  bei  einem  „Nachschlage- 
werk des  allgemeinen  (nicht  des  gesamten!)  Wissens",  wie  gesagt,  nur  mit  Anerkennung  be- 
grüßt werden.  Würde  doch  ohne  solche  weise  Beschränkung  die  Gefahr  nahe  liegen,  den  Stoff 
ins  Ungemessene,  Unübersehbare  anschwellen  zu  lassen. 

Wesentlich  die  gleichen  Gebiete,  wie  die  Umgestaltungen  des  Textes,  betreffen  auch  die 
Wandlungen  die  mit  dem  Abbildungsmaterial  in  der  neuen  Auflage  vorgenommen  wurden. 
Dabei  ist  es  erstaunlich,  aus  einem  Vergleich  der  beiden  Auflagen  zu  ersehen,  wie  tiefgreifend 
auch  hier  die  Veränderungen  sind.  So  zähle  ich  in  dem  beliebig  herausgegriffenen  halben 
Bande  von  „Russisches  Reich  (Geschichte)"  bis  „Schönebeck"  an  Tafeln  in  der  alten  (5.) 
Auflage  57,  in  der  neuen  (6.)  Auflage  79,  von  denen  nur  22  —  zumeist  Landkarten  —  genau 
die  gleichen  geblieben  sind  ;  12  Tafeln  (Länder  des  Gelben  Meeres  und  der  südlichen  Mand- 
schurei" zum  Artikel:  Russisch-japanischer  Krieg,  „Sägemaschinen",  „Körperteile  der  Säuge- 
tiere", „Schädel  des  Menschen",  „Schlacht-  und  Viehhöfe",  „Schokoladenfabrikation"  u.  s.  w.) 
sind  in  der  6.  Auflage  völlig  neu  hinzugekommen,  3  dagegen  („Salanganen",  „Salzkammer- 
gut", ,,  Sanitätskorps")  fortgefallen,  die  übrigen  wesentlichen  Verbesserungen,  die  zum  größten 
Teil  natürlich  gleichfalls  nur  durch  den  Ersatz  alter  Tafeln  durch  neue  möglich  waren,  unter- 
zogen worden.  Schon  dieser  Vergleich  zeigt  deutlich,  daß  die  6.  Auflage  von  Meyers  großem 
Konversations- Lexikon  sich  mit  größtem  Fug  und  Recht  eine  „gänzlich  neubearbeitete  und 
vermehrte  Auflage"  nennen  kann. 

Gleichzeitig  mit  dem  17.  Bande  des  Meyerschen  Lexikons  ist  der  8.  Band  der  dritten 
Auflage  von  „Herders  Konversationslexikon"  zur  Ausgabe  gelangt,  und  damit  hat  ein 
Werk  seinen  Abschluß  gefunden,  das  bereits  anläßlich  der  früheren  Auflagen  —  die  erste  erschien 
1854 — 57  in  5  nicht  allzu  starken  Bänden  —  als  ein  Meisterwerk  der  Präzision  anerkannt 
worden  ist.  Dieser  Ruhmestitel  vor  allem  muß  auch  der  neuen  Auflage  wiederum  zuerkannt 
werden;  und  da  die  Gedrungenheit,  die  sich  wesentlich  auf  Form  und  Ausdruck  der  einzelnen 
Artikel  bezieht,  mit  einer  außerordentlichen  Reichhaltigkeit  des  Inhalts  und,  soweit  Stich- 
proben ein  Urteil  zulassen,  mit  einer  ungemeinen  Zuverlässigkeit  und  Gründlichkeit  auch  in 
der  Benutzung  der  neuesten  Literatur  Hand  in  Hand  geht,  so  darf  man  wohl  sagen,  daß  nur 
schwer  ein  Buch  gefunden  werden  wird,  in  dem  bei  gleichem  Umfange  eine  gleiche  Fülle 
gediegenen  Wissens  vereinigt  und  zu  bequemer  Aneignung  bereitet  ist.  Als  ein  Beispiel  für 
die  Reichhaltigkeit  des  Buches  mag  hier  nur  bemerkt  sein,  daß,  wie  es  bei  einem  Werke  des 
Herderschen  Verlages  nicht  anders  zu  erwarten,  der  katholischen  Kultur  und  ihren  Erschei- 
nungen ein  reges  Interesse  und  weitgehende  Beachtung  geschenkt  wird,  während  wir  in  unseren 
übrigen  großen  Konversationslexika  diese  Kultur  meist  gegenüber  der  nichtkatholischen  ver- 
nachlässigt finden;  man  vergl.  z.  B.  die  Artikel;  Franz  Renz,  Ryan,  Joh.  Frdr.  Schannat, 
Anton  von  Scholz  etc.  etc.  Daß  dagegen  im  Herderschen  Konversationslexikon  sich  etwa  eine 
ähnlicher  Mangel  an  Beachtung  hinsichtlich  der  Hervorbringungen  der  nichtkatholischen  Kultur 
geltend  mache,  dafür  habe  ich  bei  daraufhin  vorgenommenen  Stichproben  keinerlei  Anhalts- 
punkte gefunden.  Erwähnen  wir  noch,  daß  auch  durch  eine  vortreffliche  Bezeichnung  der  Aus- 
sprache und  Betonung  fremder  Namen  und  Worte  dem  Bildungsbedürfnis  und  der  Wißbegierde 
weitester  Kreise  Rechnung  getragen  ist  und  daß  die  Vermittlung  der  Kenntnis  aller  wichtigeren 
Sachen  durch  ein  ausgezeichnetes  Abbildungsmaterial  unterstützt  wird,  so  ist  der  Wunsch  wohl 
berechtigt,  daß  auch  das  handliche  Herdersche  Lexikon  sich  fortgesetzt  zunehmender  Beliebtheit 
und  einer  immer  weiteren  Verbreitung  zu  erfreuen  haben  möchte.  Kann  es  doch  in  gewissem 
Sinne,  wie  angedeutet,  geradezu  als  eine  Art  Ergänzung  der  wichtigsten  anderen  deutschen 
Konversationslexika  betrachtet  werden  Th.   H. 


Inhaltsverzeichnis  zum  Jahrgang  1907 

der 

Mitteiliin^en  aus  dem  germanischen  Nationalmuseum. 


Seite 
Die  fränkischen  Epitaphien  im  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert.    Von  Dr.  Edwin 

Redslob.     Mit  5  Tafeln 3,   53 

Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.     Von  Gustav  von   Bezold.    Mit  13  Tafeln     .  31,  77 
Silbervergoldetes  Monile.     Von   Dr.  Edwin    Redslob.     Mit  1  Tafel    .......         90 

Ein  Bildnis  Georg  Philipp    Harsdörfers  von  Georg  Strauch.    Von  Dr.   Fritz  Traugott 

Schulz.     Mit  2  Tafeln 96 

Die  Holzmöbel  des  Germanischen  Museums.   X.    Von  Dr.  H  ans  Stegmann.    Mit  1  Tafel.       102 
Literarische  Besprechungen 45, 124 


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