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MIÜHEILÜNGEN
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1884.
Im Auftmge des Voi^tandes hemusgegeben
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L. Friederichsen,
crslcm Sekretair.
Mit zwei Karten.
HAMBURG.
L. Friederichsen & Co.
Land- und Seekartenhandlung,
geographische und nautische Verlagshandlung.
1885.
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Inhaltsverzeichniss.
ToeppM, Hugo, Dr.: Hundert Tage in Paraguay. Reise iti's Innere.
I*arflguay im Hinblick auf deutsche KolonisationsBestrebungon.
Mit einer Karte von Paraguay
Beschreibung der Reise Seite 1 — löti
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24- 47
47- 59
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89—102
102—118
118-127
127-144
144—161
161—165
165—166
1. Hinreise. Asuncion
2. Besuch von San Bemardino
3. Paraguary
4. Von Paraguary nach Süden
5. Bis Villa Rica. Die Conlillerc von Villa Rica
6. Von Villa Rica nach Süden. Der Cerro Tatuy,
7. Bis zum Rio Corrieutes
8. Bis Igatimi
9. Zum Panadero
10. Der Fall des Aguaray
11. Yerba
12. Fahrt auf dem Aguaray
13. Schluss der Reise
14. Nachtrag
II. Paraguay mit Kücksicht auf Kolonisation
durch Deutsche
1. Lage und Bodengcstalt
2. Klima und Gesundheitsverhältnisse
3. Thicr- und Pflanzenwelt. Mineralien, Vieh-
zucht und Ackerbau »
4. Verkehrsmittel. Handelsverhältnisse. Absatz
und Enverb. Aussichten und Rathschläge
ITir Einwanderer »
5. Politische Verhältnisse. Oeffentlichc Sicherheit
und Ordnung >
6. Die bisherigen Kolonisations- Unternehmungen
in Paraguay. Stellung der Fremden, besonders
der Deutschen im Lande. Aussichten und
Wünsche für die Zukunll ^
7. Schluss »
III. Anhang. Kolonisationsgcsctz vom 4. Juni
1881 »
Sievers, W., Dr.: Das Erdbeben vom 26. März 1812 an der Nord-
küste Südamerika's
Sievers, W., Dr.: Reisebericht aus Venezuela I
Cordes, Albert: Dscholtuga oder Ncu-Califomien
Bevölkerung der Städte des Amu r-üebiets nach
der Zählung von 1884
Toeppen, Higo, Dr.: Daniel Campos' vorläufiger Bericht über
die bolivianische Expedition nach Paraguay
Kaiserlicher Schutzbrief für die Neu Guinea Kompagnie ...
167—259
167—168
168—193
103—215
215—229
229 -232
232—254
254—259
259—264
265-271
272-287
288—204
294
295—308
804—306
400676
■m^mBmmim
Frieden chsen , L: Flächcniiihalts-Berüchiiun^on des unter
Verwaltung der Neu Guinea Kompagnie gestellten
Deutschen Schutzgebietes im westlichen Theile
der Südsee 307-308
Sitzungsberichte 1884 309—352
Neimayer, 6., Dr.: lieber die durch den Ausbrach des
Vulkans Krakatau am 26. — 27. August 1882 horvor-
gerufenen atmosphärischen Erscheinungen Seite 300
Leichenfeier zu Ehren Kapitain de Longs und seiner neun
Begleiter > 312
Sadebeok, Dr.: üel>er die wichtigsten Ergebnisse der
])ilanzengeographischcn Forschungen während der
letzten 10 Jahre * 314
SIeglersohmidt, Dr.: Ueber den (Tolfstrom und den Weg
über Nordspitzbergen in das innere Polarmeer > 316
Strebe!, Herrn.: Ueber Ziele und Wege archäologischer
Forschung in Mexico » 322
Neumayer, 6., Dr.: Ueber die Resultat« der im Mai 1881
in Wien stattgehabten Verhandlungen der inter-
nationalen Polar-Konferenz > 326
Thomiählen, J.: Mittheilungeu über Land und Leute in
Kamenm > 328
Brohm, W.: Ueber Land und Leute an der Sklavenküstc > 334
Sievers, W., Dr.: 3Iittheilungcn über seine beabsichtigte
Reise nach der Cordillore von Merida in Venezuela ^ 331)
Strebet, Herrn.: ilistorische und archäologische Studien
über die Bewohner der alten Provinz Totonacapan
in Mexico » 345
Mitglieder-Vcrzcichniss Ende 1884 353
Karten.
Toeppen, Hugo: Kartenskizze von Paraguay.
Friederichsen, L: Karte des Westlichen Theilcs der Südsee, zur Ver
anschaulichung des unter Verwaltung der Neu Ciuinea Kompagnie ge-
stellten Deutschen Schutzgebietes (1 : 3,000,000) nebst Si)ecialkarte der
wichtigsten Häfen dos Kaiser Wilhelms-Landcs und des Bismarck-Archi]iels.
Druckfehler-Verzeichniss.
i<«iti> 27» Zeilu 11 vou niiU'U U30 iii Htutt 1167,
*} *JT7 n 1.1 n oben Uiiaro Matt l'uura,
n QuobrHtia« Ktatl Quvbrailo»,
n (?anibur^ Ntatt Cauibar4,
uiiton BiMi«i»iii;;aiilt «tatt R(<UH^illgauU.
n du. n i\o.
ob«>ii Harttiidado Htatt IlacvtifltTi),
uiitvu «lu. «1 ilu.
1» 8iporo htatt 8iparn,
übfii Naointial statt Natioiml,
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Hundert Tage in Paraguay.
Reise ins Innere. Paraguay im Hinblick auf deutsche Kolonisations-
Bestrebungen.
Von Dr. Hugo Toeppen.
Mit einer Kart(\
I. Beschreibung der Reise.
I. Hinreise. Asuncion.
Einen se<-li.snionatlichen Urlaub, der mir von der vorgesetzten
Bchürde zur Kräftigung meiner Augen bewilligt wurde, benutzte ich
zu einer Reise nach und in Paraguay, in der Absidit, dieses zum
Theil Avenig bekannte Land aus eigener Anschauung kennen zu lernen
und dabei gleichzeitig der in jüngster Zeit brennend gewordenen
Kolonisationsfrage Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Geographische
Gesellschaft zu Hamburg gewährte mir bereitwilligst Unterstützung,
wofür ich ihr auth an dieser Stelle den wärmsten Dank ausspreche.
Ich verliess Hamburg am 2. Oktober 1883 an Bord der r> Bahia%
eines nicht schnellen, aber starken und seetüchtigen Schiffes. Die
Fahrt bot mir nicht nur als erste grössere Seereise, sondeni auch
schon mit Hinblick auf das Ziel meiner Reise Interesse, denn zufallig
steuerte HeiT Doktor Mevert, der bekannte Verfasser von »Ein Jahr
zu Pferde. Reisen in Paiaguay- *), an Bord desselben Schiffes seiner
neuen Heimath zu: mit ihm ein Theil seiner Familie und eine Anzahl
von Leuten verschiedener Berufsarten, die auf seine Schildeningen
hin Paraguay als Auswanderungsziel gewählt hatten; es waren folgende:
ein junger Ijandwirth aus Ostpreussen mit Frau und Schw^ager, ein
Hamburger Lehrer mit Frau und Kind, zwei Gärtner aus Altena,
wovon einer mit drei kleinen Söhnen, ein Kaufmann aus Bayern und
ein Maurer aus Schwaben; dazu zwei junge Schweden, der eine Kauf-
mann, der andere Seemann von Beruf Während der Reise vermehrte
sich unsere Zahl um zwei: ein junger Mediziner aus Ostpreussen
und ein ziemlich zwecklos die Welt durchstreifender Landwirth aus
Tliüiingen entschieden sich noch für Paraguay. Kein Wunder, dass
Paraguay den Hauptgegenstand der Unterhaltung, oft auch der nicht
direkt Betheiligten, bildete, und dass Paraguayliteratur unaufhörlich
zirkulirte. Je näher wir unserem Ziele kamen, desto klarer wurden
wohl bei diesem und jenem die Begriffe über das Fabelland!
»,; W.indslKck 1883, A. Mencke .^t Co. Zweite AuHatjc 1884.
Am 1. November landeten wii- in Montevide". wo irh mich mit
der Mehrzahl der Auswanderer nach Abwickelung fiiniger (iescliüfte
schon am dritten auf dem kleinen paraguayschen llanipier lii(;a
(140 Tonnen) für die FUissfalirt cinscliitftü. Einige zogen es voi'.
den beriiieniereii biasillauisclien Dauiiil'eu abzuwarten. Die Fahrt
einer Nacht brachte uns nach Buenos Aires, welches sich auf dem
hohen Ufer tBaiTanca) des La Plata weithin ei-streckt uml einen
auzielicnden Anblick dai'bietet. Leider konnte ich der iiitei'essaiiten
Stadt mit ihrem ungeheuren Netz sich rechtwinklig sclineidender
Strassen, ihren prachtvollen Läden, iliren der etwas kargen Natur
abgemngenen Anlagen, ihi'er so vielfach gemischten Bevülkenmg, dem
lebhaften Hafentreibeii u. s. w. nur einen Tag widmen, wie auch auf
der llückreise. Trotz dieser knrzeu Zeit konnten wir den Warnungen
der Paraguayfeiude nicht entgehen: einer, ein Herr St., fi'üher Ver-
walter einer nun eingegangenen Musterfaini, hielt meinen auswantlern-
den Begleitern auf oö'ener Strasse eine lange Hede, in welcher er
Paraguay schlecht machte lind Argentinien herausstricti ; auf meine
Frage, ob er Paraguay kenne, antwortete er bezeichnend genug: »nein,
aber im argentinischen Chaco bin ich gewesen, nud üa^ ist gan>; das-
selbe! i Ein anderer Herr, der fi-iihere preussische Reserveofiizier H..
tliat sehr bekannt mit allem, was Paraguay betrifft, wusste aber, als
ich genauer auf den Zahn ffllilte, auch nicht in der obertlilchliclisti-u
"Weise Beseheid.
Erst am nächsten Moi'gen (5.) setzten wir unsere Palirt fort.
Buenos Aires verschwand allmählich vom Horizont, und die uruguaysctie
Küste, meist hügelig und zum Tlieil mit Wahl bedeckt, tauchte auf, iler
Ort Colonia, sowie einige kleinere Ansiedlungeu und einzelne Estam-ias
wunlen sichtbar; Avir fuhi-eii hindurch zwischen der Insel Martin
Garcia, wo man argentinische Sträflinge mit Arbeiten in Steinbrütlien
beschäftigt, und der am uriiguayschen Ufer gelegenen Pnuta Martin
übico und liefen danu in den Parami Gruazü ein, dessen niedrige und
zum Tbeil sumpfige Ufer mit Schilf, Weiden und dem knorrigen,
dornigen Gestrüpp der Espiuillos (Aaida Cavnua) bestanden sind.
Der eiste Abend auf dem Riesenstrom war feucht und kühl, einige
Kampbrände leuchteten in der Ferne und scliicueu uns den Weg nach
dem Lande im fenien Nordeu zu zeigen. Am andern Morgen saht-n
wir auf dem hohen i-echteu Ufer des ParanA de los Palmas, der
sich vom Paranä Guazi'i rechts abzweigt, die reiche Kolonie Baradem,
weiterhin das ansehnliche San Pedro und etwas landeinwilrts San
Nicolas. Einige gmsse Bampfer begegueten uns, von Bosario
kommend, welches mit Buenos Aires in sehr regem Verkehr .steht;
3
mehrere Gesellschaften besorgen denselben, sodass man täglich Schiffs-
gelegenlieit hat. Eine Eisenbahn verbindet die beiden Städte noch
nicht. Gegen Abend bot uns der westliche Horizont ein gi'ossiirtiges
Schauspiel: fast den halben Gesichtskreis nahmen dunkle Wolken
ein und fast unauthörliches Wetterleuchten erhellte die einbrechende
Nacht. Die Luft war schwül und die ersten Moskitenschwänne
statteten uns ihren Besuch ab. Bald zogen die Wolken herauf, kurz
vor Mittemacht brach ein heftiger Sturm los, die Dunkelheit war
eine vollständige, und unsei- Schift' nuisste für mehrere Stunden vor
Anker gehen. Der nächste Morgen brachte uns nach Rosario, einer
lebhaften, schnell aufblühenden Handelsstadt von vorzüglicher Lage.
Ein ausgedehntes Steilufer tritt dort an den Fluss heran und bietet
der Stadt eine gesunde Lage und ungemessenen Raum zur Ausdehnung;
der Fluss ist tief und mächtig, sodass grosse Seeschiife jedei-zeit bis
dorthin gelangen können; das Hinterland ist von ausgiebiger Grösse
und ertmgsfähig für Viehzucht, Bergbau und zum Theil auch für
Ackerbau.
AVir nahmen in Rosario nur Post und Lebensmittel ein und
dampften dann weiter. Die lange Stromfahrt war im Ganzen wenig
reizvoll; die Ufer sind zum grossen Theil flach, Ansiedlungen sieht
man selten; nur hier und da zog auf den weiten Kampstrecken eine
weidende Heenle das Auge auf sich; die oft ungeheure Breite des
inselreichen Stromes, die wohl stellenweise bis 8 km erreicht, hinderte
meist, Pflanzen- und Thierwelt der Ufer näher zu betrachten. Eine
angenehme Unterbrechung bildeten die von Norden kommenden Schifte,
theils Dampfer, welche in der regelmässigen Fahrt zwischen Buenos
Aires und Montevideo einerseits und den Häfen von Coirientes, Paranä
und Matto Grosso andererseits begritfen waren, theils Segler für den
langsameren Frachtverkehr. Die Segelschitfahrt auf dem Stromsystem
des Paranä befindet sich zuui grössten Theil in Händen der Italiener,
doch trafen wir auch eine ziemlich gi'osse Anzahl deutscher Fahi-zeuge.
Die Fahrt flussaufwärts ist eine langsame und ziemlich beschwerliche,
und zahlreiche Fahi-zeuge sahen wir unthittig vor Anker liegen, auf
Südwind wartend; andere waren durch ungeschickte Führung auf den
Sand gelaufen und mussten das nächste Hochwasser abwarten, um
wieder freizukonmien. Auch einem Dampfer war dieses Missgeschick
widerfahren, und unser kleines Schifl vemiochte nicht ihn zu befreien.
Er führte, wie viele andere, süsse Ladung mit an Bord, Apfelsinen,
die in grosser Menge von Paraguay nach den La Plata-Häfen aus-
geführt werden. Man versieht die Dächer der Kajüten mit einer
Umfassung von Drahtgeflecht und da werden die Früchte zu
goldenen Bergen aufgeschüttet, oft molireiv liinidertt ansend ;iuf ciiiciii
Dampfer.
Am 8. früh sahen wir im Westen das ^sicmlich iiiiimsinite Siiiitji
F6 liegen und kurz darauf unterbrachen wir die Falirt bei Ptiniiiii.
Das Steilufer, \yelches der Fluss dort bespült, bat eine unsehnlicb.'
Höhe und lässt nnten einen kleinen liawm frei, den eine HalVii
ansiedlung einnimmt- Die nicht ganz unbedentende Stadt liest elwn-i
landeinwärts und kann mit der Pferdebahn in ITi bis '2u Minnten rr-
reicht werden. Tn dem Laden eines deutschen .luden traf ich dast■lb^^l
eine gi-össere Anzahl deutscher Kolonisten, ivelcbe ich miij!.li(bst genau
über ihre Verhültnisse ansfragle. Sie wai-en von der Kolonii' Alvear
(südlich von Paranä), stammten aus den russischen (!)stsecpn>vinzeu
nnd lebten im siebenten Jahre in Argentinien. Tracht und Sprache'
der Heimath hatten sie beibehalten: die lauge knopfreidic "Weste, dei
lange Rock, die kurze Pfeife fehlten nicht: sie waren sanbcr aber ünulich
gekleidet. Die Leute hatten eigentlich melir zu klagen als zn rühmen :
die Beamtenwirthschaft sei eine schlechte und unangeuies:)ene. die Land
loose seien zu klein, Familien von zelin Kiipftn bekamen aui-h nur ein
Loos, man pfände ihnen bisweilen Ackei^erätli nnd Vieh wep: und
verhindere sie so, sich aus den Schulden herauszuarbeiten, die Ein-
geborenen seien rücksichtslos, ritten ihniMi ohne Weiieies ü\»-v die
Ackerfelder, wenn dieselben nicht eingezäunt seien, es sei schwei- \-;\
Gericht Recht zu bekommen u. s. w. Mit dem Klima waren die Leufi-
zufrieden, Heuschrecken hatten sie zweimal gehabt. Hagelschauer iifttiis.
Nördlich von Pavami wurde der Öchilfsverkelir .scliwärher, ilei
Pluss fast noch reizloser. Das linke X't'er war meist steil, das iM\\,-
flach, tlieils sumpfig, theils durch ungeheure Santlflilchen sebildii,
jedenCallszurHochw'asser/eit ein weites l'eberscliweinniung>gel]iel. .[<■(/[
waren die Sandbänke ausgedörrt und der Wind wirbelte ni.icliii:^.'
Staubwolken von ihnen auf. Der Fluss lag bisweilen spiegelgbiil da
und imitonirte dann mächtig mit seiner stattlichen Kläclie: brausi.'
ein heftiger Wind über ihn hin — wie am zehnten, als dei' slaiki
Nordwind fast plötzlich in noch stärkeren Süd umschlug - -. su ^a'iieih
das bräunliche "Wasser in unheimliche Bewegung und sdiaumj^ekirmie
Wellen Hessen fest vergessen, dass die "Wassermasse ein Fluss war.
Unser Schiffchen hatte in Parana eine beträchtliche Jlenge ^\'eizell
mehl in Säcken eingenommen (aus Santa Fe-Kolonien ent.ilaninientl
und ftlr Matto Grosso und Bolina bestimmt), es war ilbenoll. sudas?-
wir in den folgenden Stationen nur wenig Aufenthalt hatten. ^Vir
liefen im ParanA nach einander noch La Paz. Esyuina- liciva.
Bellavista, Erapedrado und Corrientes an. Bellavista ist
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unter diesen Oiten landschaftlich am anziehendsten. Es liegt auf
einem plateiiuartigen hohen Ufer, welches ein fester rother sandiger
Lt^lim bildet: nacli Nordosten hin hat man einen ziemlich weiten
Blick in das Land hinein, welches dort verhältnissmässig baumreich
ist und gerade im schönsten Frühlingsgrün prangte. Weiter nörflich
waren die Ufer zum Theil bewaldet, besonders das rechte, und wenn
wir - was nicht selten der Fall war — ganz nahe am Ufer hin-
fuhren, konnten wir manche hübsche Baumgruppe betrachten und
manche Szene aus dem Thierleben beobachten.
Am 12. trüh waren wir in Corrieutes, einer freundlichen, an-
sehnlichen und auch etwas Fndustrie (Gerberei, Schiffsbau) betreiben-
den Stadt. Im Laufe des Vormittags desselben Tages erreichten wir
den Zusammentluss von Parauji und Paraguay, Avir verliessen den
gewaltigen Paranä. dessen breite Masse hier nach Osten abschwenkt,
und liefen in den zwischen waldigen Ufern tief und ruhig dahin-
tliessenden Paraguay ein. Auch dieser ist noch ein mächtiger Strom,
mit uusern deutschen Flüssen kaum zu vergleichen, denn selbst in
den trockensten Zeiten sinkt seine Breite auf der Strecke bis Asuncion
und sogar noch weit darüber hinaus kaum irgendwo unter 400 w? und
seine Tiefe unter 2 >//. Der Nordamerikaner Page, w^elcher das Strom-
.system des La Plata in den Jahren 1853 — 50 mit dem Kriegsdampfer
Water Witch erforscht und den Paraguay bis Corumbä in
Brasilien (ca. 11>" S. Br.) befahren hat, macht ausführliche Angaben
über die Stiom Verhältnisse des Paraguay *). Als mittlere Breite wii'd
man iiOi) bis SOO m annehmen dürfen, bei hohem Wasserstande und
an einzelnen Stellen steigt sie aber auf 1000, 1500 und mehr Meter.
Bei hohem Wasseistande mass Page unterhalb Asuncion nirgends
unter "JO engl. Fuss (0 m) Tiefe, stellenweise aber bis 72 Fuss (22 w);
mehrmals erreichte sein Loth gar nicht den Grund. Bei Hochwasser
können daher Seeschiffe mit 10 Fuss {5 m) Tiefgang — tiefer gehende
können fiii" gewöhnlich die Bane bei der Insel Martin Gai'cia am
Eingang <les Stromes (s. o.) nicht passiren — bis Asuncion gelangen,
grosse Flussdampfer aber zu allen Jahreszeiten. Die Geschwindigkeit
des l'araguay giebt Page zu 2 bis 2\'i milcs (3 bis Ahn) in der Stunde
an. Wenn der Paraguay Hochwasser führt, überschwemmt er weit-
hin die Ufer, besondeis das meist flache rechte; nicht selten reicht
das Wasser dann bis hoch in die Kronen der Bäume hinauf, und man
kann in Booten zwischen den Fiedei- und Fächerblättern der Palmen
' Thiima:-; J. P;iyc, /,n Plutti , ihc .lrj;cftlific Cofifcdcration , and Paraguay,
I.iiiidtm 1S59. Trülmcr Ov: Co., S. 107, 114, 115, 131.
(laliiiifiilii-eii. Nnr an steilen Ufern tindet ma» daher Ortsrliaften,
wie auch am ParanA. Diese Steilufer (Barmucas) fimleii sich in
beiden Strinneii vorwiegeiid am linken (östliclien) L'fer, was Tage
(». u.) und den englischen lleisendeu Johnston vemnlasst hat '), im
Sti'ouiBjsteni des Paranfl eine hervorragende Bestätigung des Baer-
üchen Gesetzes vun der durch die Rotation der Enle bewirkten Ab-
lenkung der Phisse auf der nüi'dlichen Halbkugel nach rechts, auf
der sudliehen nach links zu tiiulen. Es ist bekannt, dass dieses Gesetz
vielfache Widerlegung gefunden hat; auch bestätigen Paransl und
Pai'agiiay es nur tlieilweise, denn auch das rechte Ufer hat Banancas
und üwar zum Tlieil recht ausgedehnte (z, B. Villa Ponnosa, Cerrito.
Kosario, San Nicolas u. s. w.)-
Die Fahrt auf dem Paraguay war fesselnder als die auf dem
Paranii: wii' fuhren meist an einem der IJt'er entlang und konnten
versuchen, die üppigen, wenn auch nicht hohen Waldungen mit den
Augen zu duichdringen. Untei' den AValdbäumen fesselten die Palmen,
die wir alle hier zum ersten Mal im Freieu sahen , besonders unsere
Aufmerksamkeit. Eine reiche Vogelwelt belebte die Ufer: Euteii-
scliwäime kreuzten den Pluss, Taucher und Beiher hockten auf trocknen
Bäumen und Aesten am Ufer, lauerten auf Beute und Hessen sicli
(»ft durch die vom Schift' aus abgegebenen ächiisse ungeübter Scliützeii
kaum verscheuchen. Von den Ki-okodilen und Tigeni (.laguaren),
von deneu es nach manchen Beiseberichten an den üfeni nur so
wininieln soll, sah icli niclits: doch habe ich von glaub^^'ii^ligeu
Personen erfahren, dass die Krekodile, dort Yacares genannt -
übiigeiis recht unschädliche Thiere — . allerdings bisweilen in gros.ser
Anzahl die Ufer beleben sollen. Auch der historische Reiz fehlte der
Fahrt nicht, denn wir jiassirten nach einander all die Stellen, welche
durch den scheusslichen Loiiezschen Krieg berühmt gewoiilen sind:
bei dem vielgenannten UumaitA ist vom Fluss aus von den Pestuugs-
werken kaum noch etwas zusehen: ein kleiner Ort. um eine Kirdieu-
niine gi-uppirt, ist alles, was man dort am liohen gewundeneu Steil-
ufer bemerkt.
Herrlich war der ei-ste Abend auf dem Paraguay: die Luft war
mild luid still, der Wassei-spiegel unbewegt, der Mund stand fast voll
am Himmel, zahllose Ijeuchtkiil'er schwärmten in Wald und Gras,
das (Quaken der Proschheere klang melodisch vom Ufer heiüber, die
Lamie der Reisenden war die beste. Fieilich hatten wir nun auch
■) l'-igi-, .1. ii, ('. S. ijj. — Kcilli Juliaslun, 1', .; a;/iii^i ./ /*, /'.W OVo-
^r,ifAk.il S.:-u/r. i:<i. NX, S. 49S ff. (i.uriilun 1876).
eingellendere Bekauntscliaft mit den Moskitos zu macheu, welche
mehrere der Reivsenden, die es vei-suchten, mein Nachtlager auf Deck
zu theilen, wieder in die Kajüte trieben. Am folgenden Tage war
das Landscliaftsbild Aveniger freundlich, denn der trübe Himmel sendete
fast unaufliörlich Regen herab.
Nördlich von HumaitA legten wir noch bei Villa del Pilar,
Villafranca, Villa Formosa (am rechten Ufer; argentinische
Chacokolonie , welche vom Flusse aus einen ziemlich kümmerlichen
Eindruck macht) und Villeta an. Am 14. November tauchten mit
der Morgendämmerung die Hügel von Asuncion auf, und um 5 Uhr
warfen wir beim herrlichsten Wetter Anker.
Die Lage von Asuncion ist schön zu nennen und lässt begi-eifen,
warum die Spanier hier die erste Ansiedlung im Stromgebiet des
La Plata gründeten (1530). Ein fruchtbares Plateau, welches zum
grossen Theil fJO bis 80 m über das Niveau des Flusses emporragt,
sich nach Ostsüdosten bis Paraguary *) erstreckt und mit seinen
hügeligen Rändern westlich zum Paraguay, nordöstlich zur Thal furche
Pirayü - Lagune Ypacaray - Rio Salado , südlich zum Sumpfgebiet der
Lagune Ipoä abßillt, tritt bei Asuncion an den Strom heran und
bildet mit seinem rothen Gestein ein schönes Steilufer, bis an dessen
Rand die Gebäude herantreten. Diese Bairanca ist etwa 20 m hoch,
und das Terrain steigt dann noch etwas nach dem Innern der Stadt,
so dass die Hauptstrasse, Galle de las Palmas, rund 25m über dem
mittleren AVasserstande des Paraguay liegt '^). Kurze steile Schluchten
furchen an mehreren Stellen die Barranca, von kleinen Wasserläufen
durchflössen und mit Buscliwerk begrünt. In einer dieser Schluchten
ist das Wasser in einer hölzernen Rinne gesammelt und bildet einen
kleinen Wasserfall, Chorro genannt, welcher als Bad benutzt wird.
') Die Ortsnamen in Paraguay gehören thcils der «spanischen Sprache , theils der
einheimischen Indianerspraclie , dem Giiarani , an. Letzteres unterscheidet sich lautlich,
l>csonders im Vokalismus, wesentlich von den europäischen Sprachen , es würde daher
schwierig — und gleichzeitig zwecklos — sein, die Aussprache der Namen genau durch
die Orthographie anzudeuten. Der schwierigste und dabei sehr häufig vork<.»mmende Laut
im Guaranf ist ein tief gutturales i, welches sich fast einem offenen u mit nachgehauchtem
g nähert; ich werde dasselbe mit y bezeichnen. Vor Vokalen entspricht indessen y (nach
Massgabc der spanischen Orthographie) unserem j ; die eingebonien Paraguayer sprechen
es aber wie dj (vgl. unsern holsteinischen Dialekt}, also z. 15. statt Pirayü Piradjit u. s. w«
— Dxs gutturale i, y, Ixideutet als Worl Wasser, kt)mmt daher in Ortsnamen ungemein
oft vor.
-) Der (mittlere) Wassersjnegel des Paraguay bei Asuncion liegt nach den Be-
obachtungen der Johnstonschen Expedition 321 englische Fuss = 98/// über dem Meeres-
spicgeL S. Johns ton, a. a. O. S. 508.
Ber Fhiss fliesst bei Äsuncioii eine kleine Stiecke nach Westen, so
(lasH die Front der Stiidt ziemlieli nticli Norden sriinut. Oberlialb des
Hafens begleitet ein todter Flus-siirni. Tiagune geiiaiiiU. djis Ifcr.
während der Hauiitstroni nöidlicli bleibt; eine silniialii r,aiidzuiit,^e,
bei etwas steigendem AVassei-stande Insel, bei liolieni Wasser G:anz
ilberschwemint , trennt die Lagune vom Hauiitsinmi: ilire rulit^nden
Gewässer sind ein LieblingSiiufeuthalt der Yatiin'-s, und ibie Olii'i-
fläche ist mit den riesigen Blättern und BUitlien der VU-tfiriu unjailiiHi,
einer nahen Venvaudten der Vicfori» retthi, geseliniüc-kt. Kintni Vor-
trefflichen Blick auf Asuncion und seine Unigefreud liat man von dem
die 8i)itze eines Hügels im Südwesten der StadI einnelinientleii bia-
stlianischen Kirchhofe, welcher aus der Zeit der Besetzung der Stadi
dureh Brasilianer nach dem grossen Kriege stammt : das Auge sdnveil't
weithin über die Stadt und ilire Vorstädte, über die Hügel des oben
erwähnten Plateaus, hinüber in die Flachlandschafteii des Chaco, ver-
folgt weithin den Lauf des Fhisses und ruht iui Nor<leu auf den
Ausläufern der Cordillei-e von Altos, als deren letzte Voviwsteii mau
die wenigen vereinzelten Hügel bei Villa Hayes, früher ^'illa Oceidenial
genannt, auf dem rechten l'fer des Stiiunes betrachten kann.
Der Hafen war bei unseTer Ankunft lebhafter, als es sinist <ier
Fall zu sein pflegt: acht Dampfer lagen daselbst vor Anker, darunter
ein argentinischer, ein brasilianischer und das jetzt einzige [laraguaysdie
KiiegsschifF: dazu eine ziemliche Anzahl von Segelschiffen verschiedener
Grösse. An der Landungsstclle für Passagiei-e. in dem kleinen und
ziemlich elenden Zollhause und auf der Laudungsbrücke lienscbte
reges Leben, sodass der erste Eindruck kein ungünstiger war. Die
Einrichtungen zum Löschen und Laden der Schilfe .«ind übrigens ziem-
lich primitiv und anch für den Hafen scheint nicht viel gethan zu
werden. Derselbe könnte wahrscheinlich \'erbessert werden . wenn
mau es vei-suchte, die sogenannte Lagune zum Hauiitbett des h'lu^ses
zu macheu und so die Stiömung nach dem linken Cfer binzudrängeii.
Ich nahm in Asunciun für einige Tage Aufenthalt, um mich von
der langen "Wasserfall rt etwas zu eiliolen und niii' Stadt und l'mgegeud
anzusehen.
So freundlich Asuucion von aussen, namentlich von den Splizen
der umgebenden Hügel und vom Flusse ber aussieht, su wenig erbau-
lieh zeigt es sich bei Betrachtung des Inneren. Der bewohnte Theil
des Stadtgebiets ist klein, die sich meist rechtwinklig sehneidenden
Strassen sind gänzlich verwahrltjst, von Pflaster findet man nur ver-
schwindende Spuren, im übrigen nimmt tiefer i»ther Saud die nieislen
Strassen eiu, in welchem di-ei Maulthiere eine kleine zweiniderige
9
Karrete oft nur mit Mülie tbrtscliaft'eii können, namentlicli wenn nach
Regen die Strasse tiefdurchweielit ist. Die Fnsswege liaben oft eine
lialsbreclierisclie Hölie und müssen an den Strassenkreuzungen niclit
selten kunstvoll erklettert werden: sie sind nieist aus Ziejjeln gemacht
und stammen aus Lopezschen Zeiten, wo es im Lande allein vierzehn
nur Regierungszwecken dienende Ziegeleien gab. Nur einige Haupt-
strassen werden Abends ein wenig dui'ch Petroleum erleuchtet, sodass
man. wenn Mondschein fehlt, wirklich Vorsicht bei abendlichen
AVanderungen anwenden muss, wenn man nicht ganz genau Bescheid
weiss. Manche Strassen sind dicht mit Gras bewachsen, auf den
Plätzen, namentlich auf dem Marktplatz, ziemlich in der Glitte der
Stadt, wechseln Grasflächen mit Schmutz- und Wasserlachen, aus
denen Abends ein vielstimmiges Frosdikonzeit erschallt. Die Käuser
bestehen meist nur aus einem Erdgeschoss und sind nach maurischer
Art gebaut, mit einem Hof in der Mitte, die Fenstei' sämmtlich stark
vergittert, l'eber das (il(»wirr der kleinen bedeutungslosen Häuser
erheben sich traurige Zeugen vergangener Pracht, verfallene oder un-
vollendet gebliebene Ikuten aus der Zeit der Diktatoren Carlos
Antonio liOpez und Francisco Solano Lopez: nahe dem gegen-
wärtig benutzten elenden Z()llschupi)en die Reste einer grossartig an-
gelegten, von Säulenhallen umgebenen Aduana-, etwas weiter west-
lich am Flussufer die Ruinen eines Arsenals mit Werften; dort wurden
Kriegsschifte gebaut. Kanonen gegossen u. s. w: gleich östlich vom
Hafen der schöne liopezsdie Palast, ein Gebäude im gefälligen
modernen Rundbog(MistiL mit der Haupttront dem Flusse zugekehrt,
mit zwei Flügeln der Stadt, fast ganz aus Eisen und dem vortretf-
lich.sten Sandstein von den Ausläufern der (.'ordillere von Altos ge-
baut, von einem luftigen Tliiirmclien gekrönt. Dt^r J)au trägt noch
Spuren von den Bomben der Brasilianer, aucli liaben die Bewoliner
von Asuncion die Zerstörung langsam fortgesetzt: keine Glasscheibe
sieht man in den Fenstern und allenthalben sind grosse Bausteine
losgehist, welche in den umgebenden Häusern irgend welche Ver-
wendung gefunden haben. Es wäre Avirklich verdienstlich, diesen herr-
lich gelegenen und geselinuukvoll geplanten Bau zu vollenden. Die
Kosten der Herstellung wenbui auf 8i)00() Pataenns CWODOn Mark)
veranschlagt. Xeben dem Markt^datz eihebt sich ein unvollendet
gebliebenes J^mtheon , welches als Kirche un<l vielleicht auch als
Mausolemn dienen s(dlte: nahe dem Bahnhofe nehmen die Reste eines
unvollendet gebliebenen Theaters ein ganzes Strassenviereck (Cuadra)
ein: der Bahnhof selbst ist w^nt grossartiger angelegt, als die jetzigen
Verkehrsverhältnisse es erfordern. Das geschäftliche Leben von
]0
Asniiciou konzeiitni't sicli in der iiäclisteii ITi)ig;ebu]ig des Hafens inul
in einer Hauptstrasse, der Galle de las Palmas, wo alles liegt, was
Asuncion an Läden und Bnieaux von einiger Bedeutung aufzuweisen
liat. Nur in dieser Strasse und am Hafen findet mau auch regel-
mässig einiges Leben, ausser in den durcli keine Tliätigkeit gestörten
Stunden iler Siesta. Zwisclien dieser Strasse und dem Markt liegt
iiucli die Hauptinarktlialle , welche in den tritheu Tagesstunden ein
lebhaftes Bild darbietet. Schon am Abend vorher oder in der Naclit
kommen die Fi-auen der Gegend mit iliren Produkten, die sie ent-
weder selbst auf dem Kopfe tiagen oder in den Packkörben eines
Lasttliieres unterbringen, zur Stadt; sie nächtigen in den Säulengängen
der Halle und sind dann mit dem frühesten zur Stelle. In dei' Markt-
halle findet man alles veranigt, was das Land an Lebensmitteln hervor-
bringt: Fleisch, JCais, Bohnen, Manioca, Reis, Batjiteu, Kartotfeln,
Erdnüsse, Mohrrüben, rothe Rüben, Kolil, Radiesclien, Salat, Melonen,
Kürbisse, Wassennelonen, Tomaten, Zwiebeln, Pfeifer, Apfelsinen,
Zitronen, AVeinti-auben, Guayaveäpfel und zahli'eiche andere Früchte,
Dulces (Sflssigkeiteii). aus Miel (eingedicktem Zuckerroliisaff) und
Erdnüssen oder Maniocamehl gemacht, Ohipä (landesübliches Brot aus
Mais- oder Maniocamehl mit Fett, Eiern und Käse, bisweilen aiicli
mit Fleisch bereitet) u. s. w.. ferner Taback und Zigari-en, Seife,
Licht*, Töi)fei^escliiiT, Hängematten. Stickereien. enropäiseheLulustrie-
produkte schlechtester Sorte, lebende Tliiere, wie Papageien, Atfen,
"Waldhühner. Tukane u. s. w. Die Verkäuferinnen sind fast ausnahms-
los in leichte Gewänder von weissem Baumwullenstoff gekleidet. Durcli-
.■itreift man ihre Reihen, um unter den braunen Schonen solche
lierausKiiflnden, welche diesen Namen wirklich verdienen, so wird man
allenlings oft unvenichteter Sache die Halle wieder verlassen.
Zwei Scliienenstrassen durcliziehen die Stadt, eine für Eisenbahn-
wagen, nahe dem Flusse, vom Hafen zum Bahnhof führend, eine zweite
für Ifenlehahnwagen . ebenfalls den Hafen mit dem Bahnhof ver-
bindend, aber auf einem aTidern Wege, durch die genannte Haujit-
sti'asse und eiTie Parallelstrasse dei-selben. Ein Wagen kann auf die«?!'
Linie meistens den Verkehr bewältigen, und auch dieser würde oft
genug leei' fahren, wenn er von den Bewohnern der Hauptstsidt nicht
auch zu Spazierfalirteu benutzt wünle. Dieser Gewohnheit kommt
der englische Unternehmer dadurch entgegen, dass er in den an-
genehmsten Tagesstunden, wäln-end der Abeudkühle, ein pmn-
Musiker auf den Wagen setÄt, welche unausgesetzt lustige Weisen
spielen.
Das Stadtgebiet uiniasst die ansehnliche Fläche von 5 Quadrat-
11
leguas') oder 88 (//cw/, wovon natürlich nur der kleinste Tlieil durch
die eigentliche Stadt eingenommen wird. Bald lösen sich die Häuser-
reihen in einzelne Häuser auf, die anmuthig zwischen Gärten liegen,
und dann muss man ansehnliche AVegstrecken zurücklegen, bis man
zu den noch auf dem Stadtgebiet gelegenen Orten (Vorstädten)
Trinidad (Nordosten), Recoleta (Osten) und Lambare (Süden)
kommt. Die offizielle Angabe von »nicht unter 1^000 Einwohnern '2="),
sowie andere ähnliche Angaben, beziehen sich auf dieses ganze Gebiet;
auf die eigentliche Stadt mögen vielleicht zwei Drittel der gesammten
Summe kommen. Von diesen etwa 12iX)0 Bewohnern bilden Aus-
länder — Argentiner, Spanier, Franzosen, Deutsche, wenige Engländer
und sehr zahlreiche Italiener — einen ansehnlichen Bruchtheil. Auch
ein Element von nur noch historischem Interesse umschliesst die Be-
völkerung von Asuncion, den Rest des einst mächtigen Stammes der
Payaguä, welche früher weithin an dem linken Ufer des Flusses
wohnten. Vielleicht noch fünfzig Köpfe stark leben sie jetzt in einer
kleinen Ansiedlung zwischen dem Palast des Lopez und dem Flusse;
sie beschäftigen sich mit der Herstellung kleiner hübscher Industrie-
erzeugnisse zum Verkauf namentlich an Fremde. Bogen und Pfeile,
mit Kadirungen vei-zierte Tassen und Töpfe, goldene und silberne
aus drei, fünf, sieben und mehr Theilen bestehende und kunstvoll
zusammenzufügende Fingerringe, Wedel aus Straussfedern, Gewebe,
Spitzen u. s. w. bieten sie zu massigen Preisen an. Ein »Kazike«
steht an der Spitze dieses kleinen Völkeirestes: ich sah ihn sowohl
wie die Frau Kazikin, den Stammhalterund ein jüngeres Schwesterchen,
lauter unvermischte Indianertypen von dunkler bronzener Hautfarbe,
straflFem,reiclilichem Haarwuchs, etwas breiter Gesichtsbildung, hübschem
Körperbau, zierlichen Extremitäten und wenig belebten, etwas stumpf-
sinnigen Mienen.
Wer Asuncion besucht, versäume es nicht, die Umgegend aus-
giebig zu Pferde, in kühler Jahreszeit auch zu Fuss zu durcli streifen;
die Wege der Umgebung sind reizend: reiche Vegetation, stellenweise
schöne Fernsichten, das höchst idyllische Leben der Eingeborenen
geben reichlich Unterhaltung und Belehrung. Ab und zu stösst man
auf einen besser gehaltenen Landsitz, der einem der Wohlhabenden
von Asuncion gehört, oder auf die Anlage eines lleissigen it*alienischen
Gäitners, auf eine der Villen, welche für die Mitglieder der Lopezschen
•) Die paraguaysche Legiia ist 4192,113 m lang.
') Benigno T. Martinez, El Paraguay. Memoria bajo il punlo Je vista in-
Justrial y comercia/, en rclacion con los paises de la Pinta. Buenos Aires 1S82. (Vcrfasst
bei Gelegenheit der Kontinentalen Au.sslellung in Buenos Airc;: 1882.)
Familie erbaut wurden u. s. w. Der (leutsclie Vicekr)iisul . Herr
H. Mangel. s, wird niclj: verfeli^.en, dem T\eiseii:-en. der ihn aufsucht
seinen an der Strasse nach San Lorenzo jielege/.en LiKid.I;z (Quinta")
zu zeigen, welcher in der That eines Hesur-he-: werHi ist. Hevi ilangels
hat dort mit vieler Mühe und avo^= en !\o>ien einen (.a^ten an'^elei»!,
in welchem er mit allen inöj.!ichen uiilir.r- ir.nl Ziei-j'-onzen Versuche
anstellt, und welcher den Beweis lie!ei!, dcss ]\r.a,r:ay ililiig ist,
eine unendliche Mannigfal igVeit von P;odukien ])L'.:'.n:i<:bun. Man
findet da AVein. Orangen, si-sse Zitionen, Birnen. Baniinen. Pftj'siche.
Thee. Kaffee, die afrikanisclie DalLelpalri^e, den Kaninlie. i.auin, Hickory,
Bluteiche, eine vielfach wild vorkommende, liidlgn liefernde Pflanze.
Gummibäume, ein Gras, dessen Wurz^d ein vorziic^li. lies Pa ii m liefen.
den Johannisbrotbaum, mehrere fremde Nade]]io<:/ev. P.ose i n. s. w.
Für den Aufenthalt des Fremden in x\suncion i 4 genügend ge-
sorgt; mehrere Hotels (Hispano-Americano. de Konia, de Europa n. a. ^
befriedigen Ansprüche, die nicht gerade zu hoch geschraubt sind:
freilich muss man es sich oft gefallen las-en. nach Landessitte mit
beliebigen anderen Keisenden zusammen in einem Zimmer untergebracht
zu werden. Mau zahlt gewöhnlich lö Kealen - - (5 Mark Ulglich und
bekommt dafür Wohnung, Katt'ee und zwei ausgiebige Mahlzeiten, die
eine um 10 oder 11 Uhr, die andere gegen Abend. Zur Zeit meiner
Ankunft bestand sogar ein deutsches Hntel in Asuncion, welches
leider — unnöthiger Weise - bald einging. Vergnügungen und Zer-
streuungen bietet die Stadt wenig: das Leben ist einförmig und auf
die Dauer wahrscheinlich langweilig. l)ie Leute besuchen sich in
ihren Geschaftsh)kalen und Abends in ihren Wohnungen, wobei es
nicht Gebrauch ist sich zu bewirthen; sie erwarten mit Ungeduld die
Ankunft jedes Dampfers, tianiren des Abends in der Hauptslrasse
oder hören auf der »Plaza , einer kleinen Anlage bei dem Cabildo
(Kongresshaus), die Militärmusik, welche natürlich nui* recht beschei-
denen Ansia-üchen genügen kann. Zeitweilig werden geringwert hige
Leistungen im Theater geboten. Das eine oder ändert» Fest bringt
eine Abwechselung: so wurde z. B. am 'Jö. November, dem Gedenk-
tage der Beschwörung dei* neuen Konstitution (ISVO), (Mne Regatta
auf dem Paraguay veranstaltet. Jedes ungewrdinliche Ereigniss bietet
wochenlang Unterhaltungsstoff und versetzt die l^evölkerung in eine
gewisse Auflegung. Tn hohem Grade war dies der Fall, als Mitte
November die bolivianische diacoexpedition nach glücklicher Durch-
kreuzung und Erforschung des Ohaco in Asuncion eintraf. Die geistige
Nahrung, welche der Mehrzahl der P»evölkerung zukommt, ist etwas
IT)
kümmerlich und wird dmxli zwin wenig' bodeutende Lok^^ilbliitter
(La Demoeracia und La Ueformn) vermittelt.
Unter den Persiinlichkeiten , welche icli in Asuncion kennen
lernte, nenne ich Herrn v. Giilich, den einen der Experten, welche
A'on lieipzig aus nach Paraguay gesandt wurden. Er war nach Abreise
der beiden andern HeiTen noch im Lande geblieben, hatte umfangreiche
Reisen ausgeführt und ist der einzige von den dreien, welcher wirklich
einen ansehnlichen Theil des Landes aus eigener Anschauung kennt.
Von den in Asuncion ansässigen Deutschen sind mir besonders Herr
A'ice-Konsul Mangels und Herr Metzler, J)irektor des Einwan-
derungswesens, bei den Vorbereitungen zu meiner Reise behülflich
gewesen, wofür ich ihnen viel Dank schulde.
2. Besuch von San Bernardino.
Am 19. verliess ich Asuncion, um der Staatskolonie für Deutsche
San Bernardino einen Besuch abzustatten. Zu diesem Zwecke
muss man sich der einzigen Eisenbalin des Landes anvertrauen, welche
arspiünglich bis Villa Rica führen soUle. aber nur bis Paraguary,
72 hn weit, vollendet wurde. Der Bau dieser Bahn wurde im Jahre
1859 begonnen, und 1863 wurde die erste Strecke (40 /.m) dem Ver-
kehr übergeben. Gegenwärtig ist sie ziemlich verwahrlost, versieht
aber doch ihren Dienst. Der Fahrdamm ist vielfach stark von
Vegetation überwuchert und wird allgemein als Fuss- und Reitweg
benutzt wobei allerdings die vielen Brücken, bei welchen die Zwischen-
räume zwischen den Balken nicht ausgefüllt sind, etwas stören; man
mu.ss stets vom Damm hinunter und dann wieder hinauf reiten. Der
Verkehr auf der Balin ist kein sehr bedeutender und kann dm^ch vier
Züge wöchentlich \) (Sonntag, Montag, Mittwoch, Freitag) bewältigt
werden. Die Züge fi\hren früh um halb sechs Uhr nn der dunkleren
Jahreszeit eine halbe Stunde später) von Asuncion ab und kehren
gegen Abend wieder dahin zuriuk. Geheizt wird mit Holz. Eine
grosse Schnelligkeit entwickeln die Züge nicht, sodass man zu der
kleinen Strecke von 72 hnt gewöhnlich fünf Stunden braucht. Das
rollende Material der Bahn befindet sich in keinem glänzenden Zu-
stahde, da es an Kapital zu Xeuanschaii'ungen fehlt. Nicht weniger
als vier Wagenklassen hat man einzurichten für nöthig befunden; die
Wagen der ersten Klasse sind in Coupes zertheilt, haben Rohrsitze
und Glasfenster; in der zweiten findet man liölzerne Längsbänke und
Glasfenster: in der dritten fehlen die Scheiben und die Bänke sind
'y Neuestens soll die Zahl derselben vermclirt sein.
14
einfaclier: die vierte wird von ganz offenen Wagen gebildet, nnsern
Lastwagen ähnlich, auf welchen man dem Funkenregen der Lokomotive
schutzlos preisgegeben ist. Schon in den anderen Wagenklassen
macht sich derselbe oft unangenehm bemerkbar, wie man auch vor
Regen in denselben nicht völlig geschützt ist. Der Dienst wird nach
unsern Begriffen lässig gehandhabt, und man darf nicht erstaunen,
wenn der Zugführer sich, die amtlichen Papiere lose in der Hand,
auf die Stufen des WagenpeiTons setzt und ein kleines Erholungs-
schläfchen macht. An jeder Station wird reichlich lange gehalten
und alles läuft dann hinaus, um sich durch einen Tnink zu restauriren
oder den eingeborenen Frauen, die sich stets massenhaft einfinden,
etwas Essbares abzukaufen. Namentlich auf der zweiten Station
Luque entwickelt sich immer ein kleiner Marktverkehr. Es werden
gebratene Hühner, Chipä (s. o.), Apfelsinen, Trauben, ferner auch
ZigaiTen, Stickereien u. s. w. zu billigen Preisen feilgeboten. Nicht
selten hält der Zug auch zwischen den Stationen, sei es um Athem
zu schöpfen, sei es um auf besonderen Wunsch Passagiere abzusetzen
oder aufisunehmen.
Die Eisenbahn wendet sich von Asuncion aus zuerst nordöstlich
und geht dann im Thale der Lagune Ypacara^^ und des Flusses
Pirayü entlang, theils über Weideland, theils durch reich bewohnte
und gut angebaute Strecken, wie zwischen Luque und Areguä, wo
man zu beiden Seiten nette kleine Häuser, versteckt zwischen Orangen-
und Bananenhainen und umgeben von sauber gehaltenen kleinen
Pflanzungen, sieht. Die Fahrt hat auch landschaftlichen Reiz: zur
Rechten hat man immer den bewaldeten Abfall des Hochlandes
zwischen Asuncion und Paraguary, zur Linken bald den glänzenden
Wasserspiegel der Lagune und jenseit die sogenannte Cordillere, einen
gleichmässig verlaufenden Höhenzug, von unten bis oben bewaldet,
gegenüber der Station Patiüo-cue von einer Lichtung unterbrochen,
auf der man einige Häuschen unterscheiden kann — den » Stadtplatz '.
der Kolonie.
Ich fuhr bis zur fünften Station Tacuaräl, welche zunächst dem
Südostende der Lagune liegt, und fand dort meine Reisegefährten
von der ^^Bahia* noch vor, obgleich sie drei Tage früher Asuncion
verlassen hatten. Die Karreten zur Beförderung des Gepäcks waren
wegen verspäteter Benachrichtigung des Koloniedirektors noch nicht
angekommen. So hatte ich Gelegenheit, die Schicksale der Leute
noch weiter zu theilen. Eben waren die Karreten eingetroffen, die
Sachen wnirden aufgeladen und dann ging es nordwärts zum lleber-
gang über den Pirayü, wir zu Fuss hinter den beladenen Wagen her.
15
Abseits der Eisenbahn ist die Karrete überall neben Lastthieren das
einzige Beförderungsmittel für Lasten aller Art , von den Strassen
Asuncions angefangen bis in die äussersten Winkel der Yerbawälder
des Ostens. Zwei riesige hölzerne Räder, oft bis 2V'ü m im Dureh-
messer, sind durch eine schwere hölzerne Axe mit einander verbunden;
auf dieser ruht ein bis 4w langer Rahmen, dessen Mittelholz sich
zur sehr massiven Deichsel verlängert und welcher massig hohe Seiten-
wände aus Holz oder mit Strohgeflecht und ein gewölbtes Dach aus
Häuten oder gleichfalls aus Strohgeflecht, trägt. An der echten
paraguayschen Karrete ist keine Spur von Eisen; in neuester Zeit
verwendet man jedoch bisweilen eiserne Radreifen und stellt auch das
Dach und die Wände nicht selten von Blech her. Eine Karrete hat
bis 100 Arroben (1150 kg) Tragkraft und wird gewöhnlich von
sechs Ochsen gezogen. Man legt denselben paarweise ein langes,
starkes hölzernes Joch auf den Nacken und schnürt ihre Hörner durch
Riemen an dasselbe fest. Das hinterste Paar wird mit einer Stange
von der Karrete aus angetrieben; ausserdem ragt, in Schlingen oder
Haken ruhend, eine lange Stange wagerecht bis über das vordei-ste
Paar, zwei senkrecht nach unten angesetzte Stacheln tragend, mit
welchen die beiden vorderen Paare angetrieben werden. Einem
KaiTetenzug pflegt ein »Capataz« (Aufseher) voraufzugehen, welcher
den Weg beachtet, um den Schäden desselben auszuweichen und seine
Vortheile zu benutzen. Man fettet die Achsen der Karreten nur
selten ein, so dass sie meistens ein ohrenzerreissendes und unglaublich
weit hörbares Quietschen ertönen lassen.
Es hatte stark geregnet und das Thal des Pirayü war zum Theil
in Sumpf verwandelt. Bald mussten wir Fussgänger in kurzen
Zwischenräumen hinten auf die Karreten aufsteigen, um uns so über
die Sumpfstrecken schaffen zu lassen; aber auch dieses Mittel liess
uns bald im Stiche, im tiefsten Sumpfloch blieben die KaiTeten stecken,
wir mussten absteigen und sehen, wie wir weiter kamen, während
von der folgenden Karrete ein Paar Ochsen gelöst wurden, um den
voi-deren drei Paaren zu helfen. Wir patschten durch die Sümi)fe,
so gut es gehen wollte und erreichten den Pirayü, der leicht zu durch-
fahren war. Jenseits wurde das flache Thal trockner und wir näherten
uns der Cordillere. Tief eingerissen, bald sandig, bald steinig, durch
wuchernde Vegetation halb gesperrt, manchmal wie in Stufen aufwärts
gehend, wand der Weg sich empor. Mit endloser Mühe schleppten
die Ochsen ihre Last zur Höhe. Zum Glück ist der Anstieg nicht
hoch, und bald zog sich der AVeg wieder in leidlicher Verfassung
dahin. Unmittelbar vor Sonnenuntergang erreichten wii' auf der Höhe
eine Lichtung und genossen eins der sclionsten Landscliattsbililer. die
Paraguay zu bieten vermag: glühend sank die Sonne im Westen, der
weite Wasserspiegel zu den Füssen des Gebirges erglänzte purpurn,
die Hügel in der Gegend von Aregua hoben sich scliarf vom Horizont
ab, tiefe Kühe und AValdeinsanikeit um uns her. nur ab und zu unter-
brochen von dem höchst eigenthümlichen Ton, welchen der »Eisen-
bahuA'Ogel« (eine Zikade) hervorbringt und welcher <las Pfeifen einer
Lokomotive täuschend nachahmt. Schnell sank die Nacht hernieder;
nur der westliche Horizont strahlte noch lange in nordlicht artigem
Schein: es war die bekannte meteorologische Erscheinung des vorigen
Jahres, die ich hier zum ersten IVIale und dann nocli sehr oft beobachtete.
Die Bewohner des ersten deutschen Kolonistenhauses, das wir bahl
darauf antrafen, lächelten ungläubig, als ich ihrer Erklärung, es sei
ein Südlicht, keinen Glauben beimessen wollte.
An dem zweiten Kolonistenhause machten wir längeie Rast und
ich quailirte mich dort ein, während die Auswanderer nach Altos
weiteraogen, wo sie vorläufig untergebraclit wurden.
Die »Cordillere«, auf welcher ich mich nun befand, ist m\ niedriger
Gebirgszug, welcher am Paraguay in der Gegend von Emboscada
beginnt, in südöstlicher Richtung bis Paraguary streicht, sich dort
nach Osten wendet und bald darauf in die nach Süden streichende
sogenannte Cordillerita (kleine Cordillere) übergeht. Vom Thal der
Lagune und des Pirayü aus steigt das Gebirge ziemlich steil empor,
oben dehnt es sich mehr plateauartig aus und nach Nordosten fällt
es ziemlich allmählich nach dem Thal des Pirebebuv hin ab. Die
Höhe der von mir beim Aufstieg überschrittenen höchsten Stelle habe
ich zu 290 ni über dem Meeresspiegel berechnet; über 400 n( wird sich
das Gebirge wohl schwerlich irgendwo erheben. Die Hauptmasse des
Gebirges scheint aus grauen und röthliclien Sandsteinen zu bestehen,
welche auch das Material zu den Palästen des r.oj)oz geliefert haben
(s. 0.); auf dem Rücken der Cordillere ist der Sandstein jedoch von
der sogenannten »rothen Erde* überlagert, einem stark eiseiduiltigen
sandigen Thonboden, dessen Kruchtbaikeit mit Recht gerülimt wird.
Das Gebirge ist zum giMissten Theil bewaldet.
Der Kolonist, bei dem ich Interkunft gefunden hatte, war ein
biederer Oberösterreicher, dei* schon an zwei Stellen in Brasilien
kolonisirt hatte und dann über Argentinien, wo ilim die den Kolo-
nisten gestellten Bedingungen nicht gefielen, nach Paraguay gekommen
war. Seine Behausung und ihre Umgebung hatten ein echt paraguay-
sches Aussehen, denn er hatte das Anwesen einem Eingeborenen
abgekauft, was vielfach von seiten der Kolonisten geschehen ist.
17
Sie zahlen den Eingeborenen eine Summe von 100, 200, 250 Mark
nnd übernehmen dafür die Gebäude, Zäune und die stehende kleine
Enite, ohne indessen den Grund und Boden zu erwerben, der den
Eingeborenen gewölinlich gar niclit gehört. Unter Gebäuden muss
man sich nicht viel vorstellen, denn man braucht dort wenig der Art.
Ein »Banchoc (Hütte), wie ihn mein Oberösterreicher bewohnte, ist
leicht emchtet: sechs Pfosten, zwei längere und vier kürzere, werden
in den Boden gepflanzt und dienen als Träger eines massig spitzen
Daches, das gewöhnlich von paja colorada^ einem hoch wachsenden
starken Kampgi'ase, hergestellt wird; etwa die Hälfte des überdachten
Raumes wird mit Wänden versehen aus Flechtwerk und Latten, mit
Lehm, den die rothe Eixie liefert, vei-schmiert; die andere Hälfte
bleibt als offene Vorhalle. Der geschlossene Raum enthält meist nur
ein oder zwei ganz kleine Fenster. Unter dem Dache der Vorlialle
wird alles aufbewahrt, was vor Nässe geschützt sein muss, Lebens-
mittel aller Art, Sattelzeug, Stricke, Riemen u. s. w. Das ist das
^ Haust; nahe bei demselben findet man dann die »Küche«, ein ein-
faches Dach, auf einigen Pfosten ruhend, auf dem Boden eine Feuer-
stelle. Einen Backofen, aus rothem Lehm oder aus Ziegeln gebaut,
findet man schon nicht bei jedem Rancho, oft fehlt auch die Küclie,
und man kocht unter einem Baum oder bei schlechtem Wetter unter
der Vorhalle. Meist in der Nälie des Hauses, selten eine kleine
Strecke in den Wald hinein, liegen die kleinen Pflanzungen, alle von
starken Zäunen umgeben, denn Niemand braucht für Schaden aufzu-
kommen, den sein Vieh in uneingezäunten Pflanzungen anrichtet, und
»chwache Zäune wissen alte Bursche von Stieren und Ochsen mit dem
grössten Geschick zu zerstören. Das Haus meines Gastfreundes war
von einer ansehnlichen Menge stattlicher Apfelsinenbäume umgeben,
mächtige Stämme von 12 bis 15 m Höhe , mit dichten dunkelgrünen
Kronen, aus denen zahlreiche Früchte in verschiedenen Stadien der
Reife hervorschimmerten. Ganz neu im Walde angelegte Nieder-
lassungen erfreuen sich natürlich nicht dieser Annehmliclikeit.
Das Kolonialgebiet hat die beträchtliche Ausdehnung von
25 Quadratleguas (440 qkm; 8 Quadratmeilen), beginnt unten am
See, zieht sich das Gebirge hinauf und w^eit auf dem plateauaitigen
Rücken desselben hin. Die Kolonisten wohnen auf diesem Gebiet
ziemlich zerstreut, so dass sie wenig Verkehr unter einander haben,
und dass man mehrere Tage braucht, um einigermassen einen Ueber-
blick zu gewinnen. Ich durchstreifte die Kolonie theils in Begleitung
meines Oberösteixeichers , theils in Begleitung des Sekretärs der
Koloniedirektion nach verschiedenen Richtungen, ohne indessen alle
•■»
18
Kolonisten oder auch nur alle Ansiedlungsgruppen aufgesucht zu haben.
Die Kolonie hat gegenwärtig zwei Mittelpunkte, den sogenannten
» Stadtplatz € unten am See oder das eigentliche San Bernardino
und das Oertchen AI tos oben auf dem Gebirge, was bei manchen
die Vorstellung erweckt hat, als seien zwei verschiedene neue deutsche
Kolonien vorhanden. Altos, eine der ältesten Gründungen in Paraguaj"
(1638) Ol unterscheidet sich von den übrigen kleinen Flecken und
Städtchen des Landes nicht wesentlich: eine grosse flache Kirche
mit rohen Säulenhallen an den Seiten steht in der Mitte eines weiten,
dicht mit Graswuchs bedeckten Platzes, welcher allgemein als Pferde-
weide benutzt wird. Denselben umgeben, theils in geschlossener Reihe
mit entlang laufenden Säulengängen , theils einzeln stehend, die
ßanchos der Eingeborenen; die gefttura (Rath- oder Gemeindehaus)
fällt als ansehnlicher auf. Der Gefe (Orts vorstand), der Geistliche
{mra) und ein Paar boUcheros (Kleinkaufleute und Schenkwirthe)
bilden die Intelligenz des Ortes und wissen die Umwohner, die
deutschen Kolonisten eingeschlossen, zu ihrem Vortheil auszubeuten.
Der > Stadtplatz < unten am See ist erst der Anfang zu einem kleinen
Ort; man findet daselbst das bescheidene Direktionsgebäude, einige
Kolonistenhütten und den Rancho eines Schweizer Bolichero; zur
Zeit meiner Anwesenheit wurde ein ziemlich umfangreicher Schuppen
gebaut, in welchem Versuche mit rationeller Behandlung des Tabaks
angestellt werden sollten. Die Lage des Stadtplatzes ist schön und
vollkommen gesund: man übersieht den See und die Httgellandschaft
jenseits desselben, aus welcher sich hier und da Häuser abheben,
namentlich die gegenüber liegende Station Patiüo-cu6; nach Süden
reicht das Auge bis zu den grotesk gestalteten Felsspitzen bei
Paraguary. Gutes Wasser ist in geringer Tiefe vorhanden und man
geniesst sogar den Vorzug, von Moskiten nicht belästigt zu werden.
Neben dem Stadtplatz erhebt sich ein bewaldeter Hügel, der Kolonie-
berg, von dessen Spitze die Aussicht eine viel gi'ossartigere sein soll,
ähnlich der, welche ich von der Höhe des Gebirges genoss. Ich
bestieg den Kolonieberg nicht, da der hinaufführende Weg ver-
wachsen war.
Der erste Eindruck, den ich von der Kolonie empfing, wai* kein
ungünstiger, doch sah ich später manches in anderem Lichte, erkannte
auch, dass ich die Aussagen der Leute immer auf die Waagschale
legen musste, indem sie, aus Furcht bei der Direktion angeschwäi'zt
') S. b. Felix de Azara, Voyagc dans tAmeriquc mcrldionalc. Paris 1809.
Pentu. XI, S. 222.
19
za werfen, fast nur günstig aussagten. Was ich über Zustände und
Aussichten der Kolonie zu sagen habe, will ich im zweiten Abschnitt
dieser Schrift zu einem besonderen Kapitel vereinigen, um hier nicht
zu sehr von der Beschreibung der Reise abzuweichen.
Um wieder nach Asuncion zurückzukehren, wählte ich den Weg
über die Lagune. Unten am Stadtplatz ist ein kleiner Steg ins
Wasser hineingebaut, und dort liegen zwei Segelboote, welche im
Anschluss an die Eisenbahnzüge regelmässige Fahrten machen, und
auf denselben von den Kolonisten unentgeltlich benutzt werden dürfen.
Leider war im Augenblick keine Spur von Wind und es musste die
ganze Strecke gerudert werden, was eine gute Stunde in An-
spruch nahm.
Die Lagune Ypacaray bildet einen grossen sich von Nordwesten
nach Südosten erstreckenden Wasserspiegel von etwa 4 km Breite
und 2üTcm Länge; ihre Tiefe ist unbedeutend und soll nirgends über
C bis 7 w betragen. Der Boden fällt vom Ufer aus ganz sanft ab,
so dass man beim Baden sehr weit hineingehen kann, und selbst die
kleinen Segelboote oft Schwierigkeiten haben, bis an die Landungs-
stege heranzukommen. Beim Stadtplatz ist der Grund sandig und
fest, doch giebt es auch sumpfige Uferstrecken. Das Wasser ist trübe,
schwärzlich, wahrscheinlich infolge starker Beimischung von Pflanzen-
theilen; schon in der Tiefe von kaum einer Spanne kann man eine
eingetauchte Hand nicht mehr sehen. Salzgehalt konnte ich mit dem
Geschmack nicht nachweisen, und das Wasser ist vollkommen trink-
bar. Ueber das Entstehen des Sees haben die Eingeborenen natürlich
eine Sage, die an die Tanganikasage erinnert : man übersetzt Ypacaray
durch i geweihter See des grossen Mannes« und erzählt, dass fiiiher
auf dem Gebiet des jetzigen Seebodens ein Dorf gestanden habe,
dessen Bewohner ein Jesuit vergeblich zu bekehren bestrebt gewesen
sei, als sie ihn zu viel geschmäht und gelästert hätten, sei er zornig
geworden und habe das Dorf und seine Umgebung in einen See ver-
wandelt. Man kann übrigens mit Sicherheit annehmen, dass das
Niveau des Sees im Steigen begriffen ist, denn nahe der Landungs-
stelle — es herrschte nicht etwa besonders hoher Wasserstand —
sah ich einen absterbenden Baum eine Strecke weit im Wasser stehen,
und eben daselbst findet man PMle im Wasser, welche nach Aus-
sage alter Eingeborener noch vor 20 Jahren eine Umzäumung auf dem
Lande bildeten. Ob dieses Steigen des Niveaus eine Folge der Weiter-
bildung des Gebirges oder — was walu-scheinlicher ist — zunehmen-
der Versumpfung des Ausflusses ist, lässt sich wohl schwer ent-
2i)
scheiden. Die Meereslir)lie des Seespiegels bestiiiinite ich zu nur
104 m *), also nur G m über dem Flussspiegel bei Asuncion.
3. Paraguary.
Am 28. November verliess ich Asuncion für längere Zeit und
zwar zunächst in Begleitung meines ostpreussi sehen Landsmannes,
Hen-n H., welcher einige Ländereien ansehen wollte. Wir fuhren mit
der Eisenbahn bis Paraguary und fanden dort bei einem aus der
Naumburger Gegend stammenden Deutschen, der bald nach dem Kriege
ins Land gekommen ist, Unterkunft. Der Mann Avar aim, erschien
mir aber redlich und kannte offenbar das Land aus eigener vieljähriger
und zum Theil recht bittrer und trüber Erfahrung, sodass ich ihm
viel Belehrung verdanke. Er nahm uns gegen geringe Entschädigung
gern in seinem ännlichen Heim auf und that alles Mögliche, um uns
nützlich zu sein. Li seinem dicht an der Strasse belegenen, im Bau
begritt'enen neuen Hause war schon ein Stübchen fertig; dort konnten
wir unsere Hängematten aufspannen und unser Keitzeug u. s. av.
unterbringen. Unsere Wohnung theilte ein lustiger Kolibri, der an
der Decke sein Dach hatte. Aengstlich flog er hin und her, als er zum
ersten Male die Thür geschlossen sah : bald jedoch fand er das Fenster,
stand mehimals Sekunden lang schAvirrend und kaum sichtbar davor,
um sich zu orientiren, dann schoss er hinein und benutzte Avieder mit
Vertrauen den neuen AVeg. Da ich unsern AV'irth im Verlauf des
Folgenden oft zu nennen haben werde — er begleitete mich auf dem
grössten Theil meiner Aveiteren Reise — will ich ihn mit dem An-
fangsbuchstaben seines Namens, G., bezeichnen.
Paraguary ist ein hübsch gelegener Ort, in Avelchem ich zu
wiederholten Malen und immer gem verAveilte. Er liegt am östlicljen
Ende des bis Asuncion reichenden Hochlandes, Avährend gleichzeitig
die Cordillere hier bis dicht an den Bahnhof herantritt, sodass dieser
den ziemlich engen Eintritt in das Pirayutal bezeichnet. Der vor-
geschobene Posten der Cordillere, Avelcher sich unmittelbar nördlich
vom Bahnhof erhebt, heisst Cerro Hü ^), der ScliAvai^e Berg; seine
gi'Otesk geformte, scharf geschnittene Spitze erhebt sich 200 m über
den Bahnhof, also 410 vi über den Meeresspiegel'*). Ostnonlöstlich
') Mittel aus mehreren nicht unwesentlich von einander abweichenden l>cubachtunt;en,
daher nicht besonders zuverlässig.
^) Mit ü will icli das im (luarani ziemlich häulij^ vork<jnimendc nasale u bezeichnen ;
CS klingt etwa wie ein durch die Na'%e ausgestossen,es un.
') Johnstun giebt die Höhe des Cerro IIu über dem J^>ahnhof zu 850 engl. Fuss,
die Höhe dieses über dem Flussspiegcl bei Asuncion zu 177 engl. Fuss an und findet so
21
von ihm, durch einen tiefen Einschnitt last ganz getrennt, erhebt sich
etwas hoher der mit der Cordillere direkt verbundene Cerro Santo
Tomas (der heilige Thomas ist Scliutzpatvon von Paraguary), dessen
«ach der Stadt zu oben fast senkrecht abstürzende Masse nacktes
Gestein zeigt, während den plateauftirmigen Gipfel nocli reicher Baum-
\vx\c\\s krönt. An dem Ostabhang des Berges befindet sich in halber
Höhe eine Grotte, an dem Nordwestabhang giebt es in schöner Wald-
und Felsenumgebung kleine Wasserfälle ') ; beide Punkte Hess icli der
Zeitei-sparniss wegen unbeachtet, dagegen versuchte ich ohne Beglei-
tung auf den Gipfel des Berges vorzudringen, was mir aber misslang,
da ich in dieser Art von Bergbesteigungen noch keine üebung hatte.
Ich arbeitete mich vielleicht 100 m lioch mit einem als Buschmesser
benutzten preussischen Seitengewehr durch den Wald, gerieth aber so
ins Dickicht, dass ich es voi-zog umzukehren, oline auch nur den Fuss
der Felsenwand erreicht zu haben. Nacli Osten, Süden und Westen
hin ist Paraguary von einem ausgedehnten Weidegebiet umgeben,
welches wie ein weiter flacher Kessel von Hölienzügen umgeben ist,
und in welchem sich der zum Sumpfgebiet der Lagune Ipojl abfliessende
Rio Canabe und seine Nebenflüsse sammeln. Den Nordrand dieses
Beckens bildet die Cordillere, den Ostrand die Cordillerita, den Süd-
i*aud die vielgipflige kleine Gebirgsgruppe von Acadi mit den von ihr
auslaufenden Höhenzügen; nach Westen, später nach Süden umwendend,
ergiesst sich der Fluss. Nahe bei Paraguary besteht das Weideland
aus sogenannten Lomas, ganz flachen, rücken- oder wellenartigen
für die Bergspitze unter Vuraussetzung von 253 engl. Fus^ für den Flusssi)iegel bei
Asuncion (nach dem „Sout/i Amcrioui Piloi'') 1280 engl. Fu.s> (1275 auf seiner Karle);
da aber nach seines Begleiters si)äter berechneten Mes>ungen der Fluss bei Asuncit»n
321 engl. Fuss oder 98 rn über dem Meere liegt (und «licse auf /ahlreiche Beobachtungen
l»eruhende Zahl ist die wahrscheinlichere), so ergeben sich 1348 Fuss oder 410 ni für die
absolute llühe des Cerro Ilii. Ich babe denselben nicht bestiegen, glaubte aber seine
relative Höhe nur auf wenig über 200 /// schätzen zu dürfen. Vgl. yV<'tv<«//>/^'j( etc.,
a. a. O. S. 508 und /V/t* Gcoi^^ni/'^iica/ Maj^aiinc (London, Trübner «S: Co.) 1875, ^^iirtti
u. S. 343. — Johnston nennt im Text und auf der Karte den Cerro Hu merkwürdiger-
weise Cerro Costa; das kann nur auf einem sprachlichen Missversländniss beruhen. Costa
bc<ieutet in Paraguay soviel wie Waldrand, daher /. B. mehrere ( »ertlichkeilen Costa
Pucu, langer Waldrand, heissen ; die Deutschen in Paraguay übersetzen dic&es Costa, unserm
Sprachgebrauch nicht entsprechend, mit xKüstc. Nun mag Jolinston, mit ilem Finger
auf den Berg zeigend, nach dem Namen gefragt haben und tue Antwort Cerra Costa
erhalten haben; damit war denn aber der Waldr.iml am Fusse <1 es Berges gemeint, denn
dass man sich auch für Bergspitzen interessiren kann, fallt dem Paraguayer niclil leicht
ein. Der Berg führt durchaus nur den Namen Cerro Hu.
•) Vgl. z. B. Hugo Zoll er, Pampas und Anden. Herlin und Stuttgart 1884.
S. 108.
22
Bodeiianscliwellungen, welche fitr die Bodengestaltung von Paraguay
durchaus charakteristisch sind; weiterhin senkt er sich zu theilweise
sumpfiger Niederung. Mehrei'e weithin sichtbare isolirte Bergkegel
unterbrechen dieses Tiefland, z. B. nahe bei Paraguary der Cerro
Porteno ^), weiter nördlich der grosse und der kleine Cerro Yariguä*).
Auf halbem Wege zwischen dem Bahnhof von Pamguary und dem
Städtchen erhebt sich rechts zu einer relativen Höhe von etwa 100 m
der CerroPelado (der Kahle Berg, sogenannt, weil sein Nordabhang
unbewaldet ist; auf der gi'ossen Wisnerechen Karte von Paraguay^)
als Cerro Perro bezeichnet), von welchem aus man die Umgegend von
Paraguary sowie das Thal des Pirayü vortrefflich übersehen kann;
von dort aus gewahrt man auch deutlich links vom Cerix) Hü, ge-
gesondert von der Cordillere, den phantastisch geformten Cerro von
Batovl.
Paraguar^'^ ist ohne Zweifel die wichtigste Stadt im Innern des
Landes, obgleich die Bevölkerung der ganzen Gemeinde nur zu
3300 Seelen angegeben wird. Es ist einer von den wenigen Plätzen,
an welchen lebhafter Handel und Verkehr herrscht. Die wichtigsten
Strassenzüge des Landes, der von Villa Rica kommende einerseits,
andererseits mehrere Strassen, welche nach dem dicht bevölkerten
Gebiet südlich von Paraguary, nach den Missionen und nach Cor-
rientes führen, treffen hier an der Endstation der Eisenbahn zu-
sammen. Karreten, Herden, Fussgänger und Reiter kommen und
gehen, und neben dem Bahnhof findet man fast beständig ein kleines
Karretenlager. Fünf grössere mit dem Namen »Hotel« bezeichnete
Wirthschaften können bestehen, und namentlich eine derselben, die
östlich dicht am Bahnhof gelegene, gilt für eine Goldgrube. Etwa
fünfzehn Kaufleute, welche Schnittwaaren, Eisenwaaren, Sattelzeug,
Lebensmittel und Getränke, sowie alles was man sonst im Lande
braucht, verkaufen, finden ihi'e Rechnung und werden zum Theil wohl-
habend; die Markthalle bietet immer eine gute Auswahl von Lebens-
mitteln und die wichtigsten Handwerke sind genügend vertreten.
Die Bevölkerung ist, wie in allen verkehrsreichen Plätzen Paraguays,
') So benannt, weil dort der noch königstreue spanische General Manuel Cabahas
am 19. Januar 1811 das von den revolutionären Bewohnern von Buenos Aires, den
Portenos, unter General Belgrano ausgesandte Meer gänzlich schlug.
') Von Johns ton eher zu hoch als zu niedrig auf 600 bis 700 engl. Fuss (180
bis 210 m) angegeben.
•) Frangois W isner de Morgenstern, Carft Topographiquc de la Rcpubliqtu
du Paraguay. 1:355000. Ausgeführt im lithogr.-geogr. Institut von F. Koke in Wien;
jetzt Eigenthum von H. Mangels in Asuncion ; käuflich durch L. Fricderichscn in Hamburg.
23
sehr gennscht; ausser den die Hauptmasse bildenden Eingeborenen
findet man italienische Kaufleute, zahlreiche Correntiner, welche
Kaufleute, Estancieros, Pferdehändler, Gold- und Silberscliiniede sind,
einzelne Spanier, Franzosen u. s. w. Von Deutschen giebt es einen
Tischler und einige Ansiedler in der Umgegend, theils auf der Stelle
der 1871 zwischen Paraguary und Yaguaron angelegten, aber bald
wieder auseinandergelaufenen Kolonie, theils an der »Küste« der Cor-
dillere. Mein Gastfreund und späterer Reisebegleiter G., früher auch
in der genannten Kolonie, dann in der Stadt selbst ansässig, wohnte
jetzt am Fusse des schon erwähnten Cerro Pelado, wo er sich einen
Garten angelegt hat und Gemüse und Früchte für den Bedarf der
Stadt zieht, ohne es indessen dabei auf einen grünen Zweig gebracht
zu haben. Sein Garten enthielt u. a. Feigen, Wein, Tomaten, Wasser-
melonen, Zwdebeln, spanischen Pfeifer, Gurken, Kürbisse, Salat, Kohl
und Luzerne.
Baulich bietet Paraguarj- wenig Bemerken swerthes. Wie in den
meisten etwas grösseren Orten gruppiren sich seine zum Theil recht
ansehnlichen Häuser um zwei begraste Plätze, deren einer die Kirche,
der andere die Markthalle trägt. Fast alle Häuser um den letzteren
Platz sind von Kaufleuten eingenommen. An diese Plätze schliessen
sich noch einige kurze Strassen, dann in geringer Entfernung unge-
ordnete Gruppen kleiner Häuser. Die Lage der Stadt ist eine durch-
aus gesunde: auch macht sich schon ein angenehmer Unterschied in
der Temperatur Asuncion gegenüber bemerkbar.
Das kleine Besitzthum unseres Sachsen war zur Beobachtung des
Lebens und Treibens in Paraguaiy vorzüglich gelegen, auch alle
Schönheiten des Ortes mussten täglich mehrmals, gewöhnlich früh und
abends^ dort vorüberspazieren, denn nahebei liegt die allgemein be-
nutzte Trinkwasserquelle. In ihren hellen losen Gewändern kamen
sie dahergeschritten , die grossen thönernen porösen Wasserkiiige,
welche in dem nahen Itä gefertigt werden, beim Hinwege schräge,
beim Rückwege gerade auf dem Kopf balancirend. Männer verrichten
nur selten das Geschäft des Wassertragens; thun sie es aber, so
tragen sie den Knig auf der Schulter, ihn mit der Hand stützend.
Leider nur ganz flüchtig machte ich in Paraguary die Bekannt-
schaft eines daselbst lebenden französischen Botanikers mit Namen
Balanza, welcher ohne Zweifel einer der besten lebenden Kenner von
Pai-aguay ist. Er kam 1874 als Mitglied einer von der Regierung
zur wissenschaftlichen Untersuchung des Landes berufenen Kommission
nach Paraguay: politische Unruhen veranlassten, dass die Kommission
als solche gar nicht in Thätigkeit trat und die ihr gegebenen Ver-
24
sprecliuiigen nicht gehalten wurden, sondern jedes der Mitglieder
sehen musste, wie es sich weiterhalf oder nach Europa zurückkehrte.
HeiT B. hat seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse zu verwerthen
gewusst, liat einen selir grossen Theil des Landes bereist und be-
schäftigt sich nun, abgesehen vom naturwissenschaftlichen Sammeln,
mit der Fabrikation von Orangenessenz und mit dem Anbau von Indigo.
Paraguary wird mit Unrecht bisweilen als ein unsicherer Ort
bezeichnet, und einen Schrecken könnte man bekommen, wenn mau
bei V. Hellwald, Die Erde und ihre Völker *), liest: »Paraguary
mag etwa 3000 Einwohner zählen , darunter Raubgesindel, Briganten
aller Art«, Worte, die vielleicht auf die Zustände gleich nach dem
Kriege einige Anwendung finden konnten. Unter den CoiTentineru
niederer Klasse findet man allerdings so manchen, dem mau besser
aus dem Wege geht, aber dann hat man auch nichts zu befürchten.
Pferde werden freilich in Paraguary, wenn man sie nicht beaufsichtigt,
leicht gestohlen, auch Stricke, mit denen man sie auf der Weide
befestigt; aber die Gelegenheit ist auch gerade dort, am Ausgangs-
punkte der Strassen nach Corrientes und den Missionen, ganz be-
sonders günstig. Der Fremde thut überhaupt gut, wenn er die Pferde-
diebe nicht dadurch anlockt, dass er mit sehr guten Pferden reist;
er kauft sich mit Vortheil Stuten, welche von Eingeborenen wenig
geritten und sicher von keinem Correntiner gestohlen werden.
4. Von Paraguary nach Süden.
Am 1. Dezember brach ich mit meinem Landsmanue H. auf, um
zunächst eine kleine llundreise nach Süden zu machen. Wir hatten
in Paraguary kleine aber gute Pferdchen gekauft -), auf welchen wii-
') I, 413 ; nach Globus XXVII, S. i ff. (resp. Tour du Monde 1874, S. 369 ff.
Forgues* Reise).
') Es seien hier einige Notizen über Pferde und Reiten in Paraguay eingert<x:hlen.
Eine eigne l*ferdezucht von einiger Bedeutung hat Paraguay nicht (worüber später Näheres),
die Pferde werden viehnehr meistens in Herden, tropas, von Corrientes eingeführt und
an Estancieros verkauft, welche sie dann in kleineren Trupps oder ein/ein weiter verkaufen,
nei weitem die meisten Pferde sind klein oder höchstens mittelgross und zeigen, wie es
scheint, weniger individuelle Unterschiede als bei uns, daher sind auch die Preise ziemlich
gleichmässig und zwar flir Wallache gewöhnlich doppelt so hoch als für Stuten. In Paraguary,
dessen Preise gerade in dieser Beziehung als massgebend gelten können, zahlt man für
einen zugerittenen, zahmen (mamo) Wallach (cavallo) ohne besondere gute oder schlechte
Eigenschaften (regulär) löPatacon = 64 Mark, für eine Stute (yc^tta) 8 Patacon ; Hengste
(cojuäo) sind ziemlich selten. Zeichnen sich Pferde durch schöne Gestalt, Ausdauer, guten
Gang, Gelehrigkeit oder Schnelligkeit aus, so sind die Preise gleich bedeutend höher.
Man verlangt für stattliche und schnelle, gut mit Mais gefütterte Pfcnle 50, 60, 100, 200
25
mit verhältnissmässig schwerem Gepäck nach Südsüd westeii in den
Kamp hineintrabten, auf Carapeguä zu. Der Kamp war nicht selten
von Waldiuseln und Baumgruppen unterbrochen, in deren Scliatten
die zahlreichen stattlichen Pferde- und Rinderheerden Schutz vor der
sengenden Sonne suchten. Wir überschritten dicht bei Paraguaiy
250 und niehr Patacon. Schnelligkeit ist besonders geschätzt, da Rennen (carn'rasj eine
Lieblingsunterhaltung der Wohlhabenden bilden. Die Mehrzahl der Pferde muss sich i>tets
nur auf der Weide ernähren; dazu kommt für die besser zu haltenden Pferde Mais (in
ganzen Körnern) und Luzerne ((tlfalj\t)\ in Gegenden, wo die PindiOpalme (eine Fieder-
palme) zahlreich vorkommt, futtert man auch mit ihren Hlättcrn. Man reitet die Pferde
nur mit einem Zügel und einer Art Kandarrengebiss, bei welchem ein eiserner Ring unsere
Kinnkette vertritt und der durch das Maul gehende Thcil mit einem stumpfen Rade veY-
sehen ist. Beim ersten Zureiten bedient man sich nur eines um den Unterkiefer gebundenen
Riemens, den manche auch für gewöhnlich als Zügel benutzen. Zum Antreiben bedient
man sich mehr der Peitsche als der Sporen. Gut gerittene Pferde sind selten. Die Inriden
hauptsachlich üblichen Gangarten sind ein kurzer Galoj^p, Kami)galopp genannt, und ein
ganz kleiner Trab (trotecito)^ beide leicht und be'piem zu reiten. Einem Pferde einen
ordentlichen Trab beizubringen dauert aber meist nur wenige Tage. Den sogenannten
Passgang findet man selten; manche Pferde verfallen aber sofort in denselben, sobald sie
sumpfigen Boden zu passiren haben. Der landesübliche (auch in Argentinien gebräuchliche)
Sattel heisst recado. Seine Bestandtheile sind folgende : Direkt auf das l*ferd kommt
eine Schabracke aus grobem Gewebe (jcr^^a), darüber eine Schabracke aus starkem Kinds-
Icder (carona)^ welche den Druck des dann folgenden eigentlichen Sattelkörpers sehr
mildert; dieser (lomillo oder hasio) besteht aus zwei elastischen (zuweilen verstellbaren)
Längspau.schen und zwei niedrigen Sattelbögen, sowie zwei über die Pauschen licrab-
faUenden nicht sehr grossen Lederklappen. Nun folgt der Sattelgurt ((huha), welcher
aus zwei sehr breiten Theilen besteht ; er wird nicht zugeschnallt, sondern mit einem langen
Riemen, der wiederholt durch einen grossen eisernen Ring geht, verschnürt. Das nächste
Stück ist eine weiche wollige Decke (cojimlUi), die bisweilen mit grosser Kunst durch
Handarbeit hergestellt wird, meistens aber europäischen Ursprungs ist. Auf sie legt man
noch zur Verzierung und zur Verbesserung des Sitzes ein AfTenfell, ein Tigerkat/enfell,
ein Schaffell oder etwas Aehnliches (sobreptiesto) und dann folgt ein leichter zweiter Gurt
ijobncincha) . Dieser Sattel bietet einen be«iuemen Sitz, kann mit seinen vielen Besiand-
theilen zur Herstellung einer leidlichen Lagerstätte dienen und soll denen, die an ihn ge-
wöhnt sind, auch guten Halt gewähren; ihn aufzulegen ist aber recht umständlich. Gegen-
wärtig kommen englische Sättel immer mehr in Gebrauch; in der Hauptstadt herrschen
>ie schon bei weitem vor. Ich bediente mich eines preussischen Kavalleriesattels, der
zwar für das Reisen manche Vorzüge hat, aber nicht auf jedes Pferd jvisst und manche
in ganz kurzer Zeit wund drückt. Zur Vervollständigung des Reitzeugs geliört ein Halfter
(bouil), ein Strick zum Anbinden auf der Weide (soga) , ein Kiemen zum Binden der
Vorderfüsse (manea) und die Reitpeitsche (rcvcitqiie). Bei reichen Leuten ist alles Reit-
zeug möglichst kostbar mit Metall verziert. Beschlagen wird im ganzen Lande kein Pferd;
selten denkt man au oberflächliche Hufi)flege. Ein Pferdekauf wird fast nie mit der Sorg-
fall abgeschlossen wie bei uns ; man kauft oft «jhne das Pferd gesehen zu halx'U,
indem man sich einfach nach Farbe, Grösse, Alter (ganz allgemein), Gang u. s. w.
erkundigt.
26
den kleinen Fluss Yuquery ') und hielten unsere erste Mittagsi-ast
am Mbaey, wo sich das Kampleben bei uns mit einem kleinen Schreck
einführte, denn kaum hatten wir uns im Schatten des Buschwerks
am Plussufer gelagert, als dicht neben uns etwas in den Aesten
raschelte : es war eine wohl mehrere Meter lange grüne Baumschlange,
die, als wir ihr mit Knütteln zu Leibe gingen, schleunigst verschwand.
Nach der Siesta überschritten wir den Cafiab6 und erreichten dann
das Städtchen Carapeguä, welches am Nordabhange eines von der
Gebirgsgruppe von Acaäi ausgehenden Höhenzuges liegt. Die zweite
kleinere Hälfte unseres Weges führte uns über diesen Hügelrücken,
dann hinab in ein flaches Thal, dann wieder hinauf auf eine nach
Westen vorlaufende Bodenanschwellung, auf deren Höhe Tabapy
(200 m) liegt, das wir gegen Abend erreichten. Auf diesem zweiten
Theil des 'Weges herrschte die fruchtbare »rothe Erde« vor; Wald
wechselte mit Weide und wir trafen viele von sauberen Pflanzungen
umgebene Ansiedlungen. Links hatten wir immer die imposante,
zum Theil nackten Fels zeigende Gebirgsgruppe von Acaäi vor uns.
Während meiner ganzen Reise führte ich zur Orientirung und
zur kontrolirenden Vergleichung mit der Wirklichkeit zwei Karten
mit, die Wisn ersehe im Massstabe von 1:355000 und die John-
ston sehe im Massstabe von (etwa) 1:1200000'^); für den Weg des
ersten Tages erwies sich die letztere als richtig, die erstere als sehr
mangelhaft: die Gebirgsgruppe von Acaäi ist auf ihr ganz unzu-
reichend dargestellt, der Mbaey ist ohne Namen gelassen und ent-
springt in einer ganz falschen Gegend (zu weit nördlich), der Höhen-
zug von Carapeguä ist, wie überhaupt alle Bodenerhebungen auf
dieser Karte, durch eine schematische Raupe dargestellt, Tabapy liegt
am Fuss der Hügelkette statt auf derselben.
In Tabapy fanden wir im Hause eines ohne Zweifel früher
wohlhabend gewesenen Mannes, den wir unterwegs getrotfen hatten,
Aufnahme. Schnell kamen einige angesehene Bewohner des Ortes
zusammen, der Mate ^) kreiste und die Zwecke unserer Reise bildeten
') Der Flussnamc Yuquery kommt sehr häufig in Paraguay vor. Der Name bedeutet
salzhaltiger Fluss ; einige leiteten ihn mir von einer Pflanze, Yuquerf, einer Leguminosen-
art, ab, welche sich häufig an den Ufern der Flüsse, besonders im Weideland, findet.
^) Siehe die Anmerkungen oben.
') Der Mate ist das landesübliche Getränk in Paraguay wie in Argentinien, Uruguay
und Theilen von Brasilien und Chile. Ihn liefert der Yerbabaum (Hex para^uayensis),
welcher zahlreich in Niederwaldbeständen der östlichen Waldgebiete von Paraguay, wie
auch in Theilen Brasiliens und in dem argentinischen Territorium Misiones vorkommt. Die
Blätter und kleinen Zweige dieses Baumes werden geröstet und zerkleinert und geben dann
27
den Stoff des Gespräches. Nach Eintritt der Dunkelheit forderte uns
unser Wiith auf, mit ihm i spazieren« (ü pascar) zu gehen, d. h. er
führte uns in einige der kleinen Kneipen des Ortes, wo wir ihn ein
wenig freihalten durften ! Zurückgekehrt spannten wir unter der Vor-
halle des Hauses unsere mitgebrachten Hängematten auf und schliefen,
so gut es bei dem sich erhebenden starken Nordwinde gehen wollte,
während unsere Pferde auf dem Stadtplatze grasten. Am Morgen
bot man uns, wie üblich, einen Trank frischgemolkener Milch, wir
versahen uns bei einem italienischen Kaufmann mit etwas Mund-
vorrath und trennten uns dann: mein Begleiter ritt weiter nach
Caäpucü, ich erhielt von unserm Gastfreund einen Empfehlungsbrief
an einen correntiner Estanciero, der nahe bei meinem nächsten Ziele,
der Lagune Ipoä, wohnte und machte mich dahin auf den Weg, von
dem freundlichen Paraguayer noch eine Stunde weit begleitet. Wir
ritten vom Höhenzuge hinab in das bis zur Lagune reichende Tief-
land, dann bezeichnete er mir in der Ferne einen langen flachen
Rücken {cucMlla\ an dessen Abhang ich auch richtig das Haus des
Correntiners Don Domingo fand. Er nahm mich freundlich auf und
wollte mir gern zur Ausführung meines Planes behtilflich sein. Den
Werth der Zeit kannte er aber ebenso wenig, wie die meisten andern
Leute in Paraguay, denn obgleich es erst 9V« Uhr Morgens war,
wollte er am liebsten erst am andern Tage, frühestens aber Abends
mit mir zu einem der beiden Leute reiten, welche ein Boot auf der
Lagune besitzen. So hatte ich Müsse, mir sein Besitzthum anzusehen,
welches ich kurz beschreiben will, da es als Beispiel für die Nieder-
lassungen kleiner Estancieros gelten kann. Zwei etwa gleich gi'osse
Häuschen aus Lehm wänden mit Strohdach und Vorhalle stiessen im
i-echten Winkel gegen einander, das eine mit der Front nach Westen,
das andere nach Norden; ersteres enthielt die Küche und ein Zimmer
für Von'äthe und für die wenigen Dienstleute, letzteres das Familien-
zimmer: der durch die Häuser halb umschlossene Kaum war mit einer
Bamada versehen, einem auf vier Pfosten mhenden lichten Latteu-
ein grobes grünliches Pulver, welches yeröa oder auch yerba mate genannt wird. Man
bereitet aus der Verba den Mate, indem man eine Handvoll in einen kleinen gebohlten
Flaschenkürbis (eine besondere Art) schüttet und dann heisres Wasser aufgicsst. Den so
entstandenen Trank saugt man durch eine metallene Röhre (hombilla) ein , welche unten
zum Zurückhalten der Yerba einen siebartigen Kolben hat. Auf dieselbe Yerba kann
lÄicderholt, bis acht oder zehn Mal, aufgegossen werden. Alle Anwesenden bedienen
sich desselben Gefasses — diesem kommt zunächst und eigentlich der Name Mate z« —
und derselben Bombilla. Bisweilen trinkt man den Mate mit Zucker ; auch eine Abkochung
desselben geniesst man mitunter und nennt sie gekochter Mate, viai€ cocido.
28
dache, zum Tleberrankeu mit Pflanzen bestimmt: unter der Vorhalle
des ersten Hauses stand eine riesige Karrete. Das Ganze war von
einer stai'ken Einzäunung umgeben, die auch eine kleine kaum für
den Hausbedarf ausreichende Pflanzung umschloss. Daran schloss
sich eine zweite Umzäunung, der Corral, zur Aufnahme des Rind-
viehes bestimmt: hinter dem Hause fand sich noch ein kleiner Corral
fiü' Schafe. Die Ausstattung des Familienzimmers bestand aus einem
grossen Ehebette, einem Kinderbett, zwei schönen, aus einheimischer
Baumwolle kunstreicli gefertigten, selir bequemen Hängematten, einem
Tisch, einigen Stühlen und einer Kommode. Auf letzter felilte nicht
ein Kruzifix, vor welchem die Kinder des Morgens ohne Sinn und
Verstand einige Gebete herplapperten. An den AVänden hingen
Kleidungsstücke und reich mit Silber verziertes Reitzeug. Das landes-
übliche Bettgestell heisst catre und wird durch einen mit Riemen
kreuzweis überspannten Ralimen gebildet; darauf legt man im Sommer
nichts, im Winter eine Matratze und Decken. Ausserdem sind auch
sogenannte Spannbetten oder »Esel« gebräuchlich. Das Familien-
zimmer musste Nachts auch mich aufnehmen: nachdem die Kinder
zu Bett gegangen waren, wies man mir die eine Hängematte an, ich
legte micli hinein und löschte das Licht aus: dann kamen im Dunkeln
die Eheleute, und als ich früh kurz nach fünf erwachte, waren alle
Nester schon leer. Die Kost war echt paraguaj'sch, es gab zu Mittag
den locro (in einem grossen hölzernen Mörser durch Stampfen ent-
hülste Maiskörner mit Fleischstückchen und Zwiebeln), ein Gericht
Bohnen {porotos) mit frischem Käse und Zwiebeln, dann Mais mit
Milch: Abends wieder das Bohnengericht und hierauf das gebräuch-
lichste (Mce (Süsses), nämlich zerbröckelten, ungesalzenen, frischen
Käse mit reichlich darüber gegossenem miel (Syrup). Einen tüchtigen
Teller davon aufzuessen wird einem anfangs gar nicht leicht.
Don Domingo besass nur 58 Cuadras Land, welclies aber dort
in der Gegend der Lagune für Weidezwecke vortreftlich ist; auch
kann das Vieh jederzeit die angi-enzenden Strecken mit benutzen.
Sein Viehstand lielief sich auf 60 bis 80 Stück Rindvieh (meist Milch-
kühe), etwa 30 Pferde und eine kleine Herde Scliafe. Die Milchkühe,
grosse, stattliche, glatte und gesunde Stücke, wiu'den Abends in den
Corral getrieben und am frühesten Morgen von der Frau des Hauses,
einer nur des Guarani mächtigen Paraguayeiin, und ihrer Magd ge-
molken; aus der Milcli wird Käse bereitet. Die etwas giob wolligen Scliafe
wurden am Tage meiner Weiterreise von Don Domingo selbst geschoren.
') 1 Cuacira = 0,7 ha.
20
Der Nachmittag schaffte mir für die nächsten Tage gutes Wetter:
es legte sich allmählich der über Nacht aufgegangene Nordwind, es
wunle schwül und unzählige Fliegen stellten sich ein, dann zogen
schwarze Wolken im Süden und Südwesten hemuf, ein heftiger Sturm
von Süden brach los, Staubmassen wirbelten daher, blitzschnell ver-
theilten sich die Wolken über den ganzen Himmel, der Luftdruck
stieg in kurzer Zeit um 1,« mm, Blitze flammten, lange Donnerschläge
i-ollten in einiger Ferne, und schliesslich brach ein heftiger Regen
los, der für eine Zeit lang alles ausser den nächstliegenden Gegen-
ständen den Blicken entzog. Nach einer Stunde war alles vorüber;
der Luftdruck war wieder etwas gesunken, die Temperatur war von
29 auf 23 ® C. gefallen, die Sonne schien freundlich und ein massiger
Südwind strich über die feuchten Fluren.
Von Don Domingos Haus aus konnte ich mit dem Feldstecher
den matten Wasserspiegel der Lagune deutlich erkennen, jenseits
desselben einige kleine bewaldete Hügel. Das Auge streifte unge-
hindert weithin über das Tiefland, im fernen Nordwesten bis zu den
Bergen bei Itä, auf dem Hochlande bei Asuncion. Noch umfassender
war die Aussicht von dem Ende des Höhenzuges, welches leicht be-
buscht und mit Blöcken einer Art Breccie von röthlichen und weissen
Bestandtheilen bedeckt ist.
Gegen Abend ritt ich in Begleitung eines Burschen (mozo) wohl
zwei Leguas nach Osten über den durchnässten Kamp und wurde nach
langem Suchen und Warten endlich des Mannes habhaft, der ein Boot
auf der Lagune besitzt. Wir wurden leicht handelseinig, denn für
zwei Tage Fahrt, wobei er und sein Bruder mich begleiten wollten
und sie sich auch noch selbst die Kost mitbrachten, musste ich nur
2 Patacon (8 Mark) bezahlen! In stockdunkler Nacht fand mein Mozo
sicher den langen Weg heim.
Am andern Morgen lag Nebel über der Lagunenniederung, der
jedoch schon gegen 7 Uhr verschwand. Bald darauf kamen meine
beiden Leute angetrabt und wir machten uns nach der Lagune auf
den Weg. Weideflächen, Sumpfstrecken, Bäche, mit Buschwald be-
standene und mit zei-streuten Steinblöcken bedeckte Rücken wechselten
während des zweistündigen Rittes durch die an Vogelwild reiche
Gegend. Die Bäche, welche sich sämmtlich in der sumpfigen Um-
gebung der Lagune verlaufen — der bedeutendste heisst Tacuaiy — ,
waren vom Regen etwas angeschwollen; den einen konnte ich nur so
passiren, dass ich auf dem Rücken meines nur mit einer Decke ver-
sehenen Pferdes kniete, wobei ich doch noch theilweise nass wurde.
Die nur ganz spärlich bewohnte Umgegend der Lagune mit ihrem
30
Wechsel von Wald, Sumpf und Weide bezeichneten mir meine Leute
als einen ganz besonderen Lieblingsaufenthalt der »Tiger« — so nennt
man allgemein den Jaguar; im Guaranl heisst er yaguarete, was unserm
Namen den Ursprung gegeben hat und mit yagud^ Hund, zusammen-
hängt — , welche sich zwar meist von Wild näliren, bisweilen aber
auch dem Jungvieh Schaden zufügen. Wenige Tage vorher hatte ein
Estanciero der Umgegend zwei der Thiere getödtet. Wir gelangten
schliesslich zum Tarumä-ruguä, dem letzten Ausläufer eines bis dicht
an die Lagune herantretenden, zum grössten Theil bewaldeten Höhen-
zuges, welcher gegen Südosten zu streichen schien; dort banden wir
unsere Pferde zum Weiden an, versteckten unser Reitzeug im Gebüsch,
nahmen ein kleines Frühstück von Chipä und Orangen zu uns und
wanden uns dann durch den Wald zum Ufer. Die beiden Paraguayer
kannten dort jeden Fussbreit Landes und fanden das Boot bald, ob-
gleich es nicht in dem »Hafen«, einer kleinen geschützten Stelle im
Gebüsch, lag, sondern von einem Bekannten, dem sie es geborgt
hatten, an einer andern ihnen bezeichneten Stelle liegen gelassen war.
Das Fahrzeug, canoa genannt, etwa öVsm lang, in der Mitte Im
breit, ganz flach aus kaum 2V« cm starken Brettern gebaut — die
beiden Erbauer hatten nie vorher ein ordentliches Boot gesehen — ,
die Ruder aus Brettern geschnitten, war wenig vertrauenerweckend,
zumal da ein frischer Südost über die Lagune strich; doch hatte ich
keine Wahl. Ich und der eine der Leute mussten rudern, der andere
steuerte mit einer Ruderschaufel. So arbeiteten wir uns zuerst, den
Wind halb auf der Breitseite, mit Mühe nach dem südöstlichen Ufer
hinüber, welches niedrig, mit dünnem Wald gesäumt und durch viele
ins Wasser gestürzte alte Bäume schwer zugänglich ist Die Brüder
bezeichneten die Gegend als einen Lieblingsaufenthalt der Hirche und
wollten mit ihrem Karabiner und ihrer alten langen Perkussionsflinte
eine Jagd versuchen. Von einem Baum aus erblickte der ältere eine
Hirschkuh (wahrscheinlich Cervus paludosus), die sie beschlichen.
während ich auf denselben Baum stieg, um den Verlauf der Jagd
durch den Feldstecher zu beobachten. Bald knallte der Schuss des
Karabiners, das Thier ging einige Schritte vorwärts und blieb ruhig
wieder stehen; dann eine Pause: die Flinte hatte versagt; dann noch
ein das Ziel fehlender Karabinerschuss, und die Hirschkuh trollte un-
versehrt in das Dickicht. Missmuthig kamen die Leute zurück, in
dem Flintenlauf des Aelteren — er hatte das Gewehr verborgt ge-
habt — steckte eine Kugel, die ihn am Schiessen verhindert hatte
und die er vergeblich durch Anbrennen von Pulver herauszusprengen
versucht hatte. Aber er verlor den Muth nicht, und als alle Mittel
31
nichts halfen, legte er Nachmittags den Flintenlauf über unser Mate-
feuer, schmolz die Kugel und schaffte so freie Bahn. Das Blei durfte
aber nicht verloren gehen, er fing es in dem stets mitgeführten kleinen
Matekessel auf, vergi'össerte mit dem Messer in einem trocknen Ast
ein Wurmloch und goss mit dieser improvisirten Kugelform eine neue
Kugel. Ich bewunderte seine Findigkeit und zugleich seine Schätzung
eines uns werthlos scheinenden Gegenstandes, die mich an jenen Jakuten
oder Tungusen erinnerte, der drei Tage lang im sibirischen Walde
nach einer Kugel suchte, die ihr Ziel verfehlt hatte und in irgend
einen Baum oder in den Boden eingedrungen war.
Weiter wandten wir uns zur Westküste, wo wir an einem be-
waldeten Vorsprung landeten und eine Strecke weit in den Wald
eindrangen. Durch das ungemein dichte Gewirr von Schlingpflanzen
bahnte das Buschmesser {nmcheton) schnell einen Weg; grosse schwarze
Moskiten belästigten uns, einige schwarzbraune Affen von ziemlich
beträchtlicher Grösse — die Paraguayer nannten den einen macacoy
den andern mono — glitten hoch in den Kronen mit wohlgefälligem
Grunzen von Baum zu Baum, ihrer Nahrung nachgehend. Bald kamen
wir zu einem Ombübaum (Phytolacca dioica) ') von gewaltigen Dimen-
sionen, der seiae Nachbarn überragte und den wir mit Vorsicht —
denn sein weiches und nur zur Bereitung von Asche verwendbares
Holz ist sehr trügerisch — zur Orientirung bestiegen. Der Blick
schweift weit nach Westen über ein nicht begrenztes Sumpfgebiet,
welches dann, nach Aussage meiner Begleiter, in niedriges mit Palmen
bestandenes Land {palmar) übergeht; im Norden sah ich wieder das
Hochland von Asuncion, gegen Süden war die Sumpffläche von ein-
zelnen kleineren Lagunen und von einem bewaldeten Hügel unter-
brochen. Nach langer Siesta und fleissigem Matetrinken umfuhren
wir den bewaldeten Vorsprung und steuerten nördlich zu einem be-
waldeten Hügel, welcher den Namen Monte de Marcelo-cu6 *) führt
und mit dem gegenüber liegenden Hügel Tarumä-ruguä, unserm Aus-
*) Diesen Namen führt der ümbü in dem Katalog der Argentinischen Aus-
stellung, veranstaltet von der Geographischen Gesellschaft in Bremen,
Bremen 1884, G- A. v. Ilalem. Bei Alfred M. du Graty, La Republiqtu du Para-
f^uay, Buxelies j Leipzig, Gand 1862, C. Muquardt, findet man (S. 313) den Bamn als
l'rticacee bezeichnet und Ficus Ombü benannt.
*) Monte bedeutet im südamerikanischen Sprachgebrauch niemals Berg, sondern immer
Wald; Berg heisst cerro. Das Wort cue, welches vielfach zur Bildung von Ortsnamen
und anderen Ausdrücken verwandt wird, bedeutet so viel wie »früher«, > gewesen« oder
dcrgl, ; so heisst z. B. Achar-cue früheres Besitzthum des Achar, Rancho-cuc Stelle, wo
früher ein Rancho stand, lechera-cue Kuh, die früher eine Milchkuh war u, s. w.
32
gangspunktu, die Lagune — deren Gestalt und Grösse ich schon bei
der ersten üeberfahrt als von der Darstellung meiner Karten ab-
weichend erkannt — in zwei ungleiche Hälften theilt. Wir fuliren
eine Strecke an dem schönen, stellenweise durch Affen belebten Wald-
rande entlang und wandten uns dann dem nahen Hafen zu, da es den
Leuten nicht rathsam schien, an den feuchten und moskitenreichen
Ufern der Lagune zu übernachten. Wir fanden Pferde und Reitzeug
unversehrt oben auf dem Hügel und ritten eine Stunde landeinwärts
bis zu einem kleinen verlassenen Estanciahause. Dort genossen wir,
durch ein reichlich qualmendes Feuerchen gegen die zahlreich schwärmen-
den Moskiten geschützt, etwas Käse und Chipii als Abendbrot, dann
wurden von einem der Leute auf der schon stark wackeligen, gegen
4 m hohen luftigen Ramada (Schattendach) die Latten zurecht gelegt,
wir warfen Ponchos und Decken hinauf und erklommen dann gleich-
falls die luftige Höhe, welche uns ein zwar unbequemes, aber vor
etwaigen Raubthierbesuchen und vor den niedrig schwärmenden
Moskiten sicheres Nachtlager gewährte. Der Nachtwind blies uns
etwas frisch um die Ohren und früh, um halb fünf, bei nur 14 ®C.,
war der heisse Mate allen recht erwünscht.
Der zweite Tag der Wasserfahrt war der grösseren nördlichen
Hälfte der Lagune gewidmet. Vom Hafen aus fuhren wir erst hin-
über nach der Nordseite des Monte de Marcelo-cu6, dann nördlich zu
der Halbinsel, welche der vielleicht 20m hohe Cerro V aide z bildet,
den ich deutlich schon vom Hause des Don Domingo aus gesehen
hatte. Dort wurde wieder ein Baum zur Orientirung erklommen.
Unter den glühenden Strahlen der am wolkenlosen Himmel stehenden
Mittagssonne ruderten wir dann nach dem niedrigen und mit lichten
Baumreihen bestandenen Nordufer hinüber, wo in spärlichem Schatten
Siesta gehalten wurde. Dann anderthalbstündiges angestrengtes
Rudern nach dem niedrigen und zum grossen Theil sumpfigen Ostufer,
wo eine einsame Baumgruppe uns als Ziel diente. In wenigen Augen-
blicken hatte der eine der Leute dort wieder einen Baum erstiegen,
um nach Wild auszuschauen; aber auch diesmal gelang es ihm nicht,
den erspähten Hirsch zu erlegen: derselbe entkam in dem hohen
Pflanzenwuchs des sumpfigen Uferlandes. Noch eine reichliche Stunde
Fahrt bei schon sinkender Sonne, zuerst gegen Südwesten, dann am
Rande des Tarumä-ruguä entlang, bis wir den Hafen wieder erreicht
hatten, wo das Boot festgelegt und die Ruder im Walde versteckt
wurden. Die Sonne ging unter, als wir unsem Rückritt antraten,
und es war schon tiefe Nacht, als ich — für die letzte Strecke auf
meine eigene Orientiiiingsfilhigkeit angewiesen, da die Paraguayer
33
in einem andern Hause einkehrten — wieder bei Don Domingo
eintraf.
Durch meine zweitägige XJmfahrung der Lagune Ipoä hatte ich
festgestellt, dass dieselbe noch auf keiner Karte richtig verzeichnet
ist. Auf den mir zugänglich gewesenen Karten von Paraguay (von
Beproduktionen und Kompilationen ohne eignen Werth abgesehen)
findet sich die Lagune besonders auf zwei verschiedene Arten dar-
gestellt: Rengger '), Page *) und Du Graty^) schliessen sich an die
Darstellung Azaras*) mehr oder weniger an und geben der Ijagune
eine Lage von Nordnordost nach Südsüdwest, gleichmässig verlaufende
Ufer und eine Länge von 6 bis 8 bei einer Breite von 2 bis 3 Leguas.
Bei Wisner *) und Johnston ^) hat die Lagune eine ähnliche
Länge, aber ungefähr die doppelte Breite und mehr nordsüdliche
Lage. Keine dieser Darstellungen scheint auf einer Aufnahme zu
beruhen oder auch nur auf Grund eines Besuches der Lagune ent-
worfen zu sein; Johnston hat die Lagune von einem Punkt westlicli
Ton'Tabapy gesehen, aber jedenfalls einen grossen Theil des Sumpf-
gebiets mit als offene Wasserfläche gezeichnet, denn bis über die
Breite von Tabapy hinaus, wie seine Karte zeigt, reicht der Wasser-
spiegel der Lagune sicher nicht. In Wirklichkeit hat die Lagune
nur eine Länge von 2 bis 3 Leguas und ist wohl nirgend mehr als
eine Legua breit. Der Hügel Tarumä-ruguä am östlichen und die
Halbinsel des Monte de Marcelo-cu6 am westlichen Ufer nähern sich
einander bis auf weniger als 1 km und theilen so die Lagune in eine
kleinere südliche und eine grössere nördliche Hälfte ; jede der Hälften
hat am Westufer noch eine bewaldete Halbinsel. Ausser an diesen
vier Stellen sind die Ufer der Lagune zum grössten Theil sumpfig,
streckenweise von einem schmalen Streifen festeren Landes gesäumt,
welcher dünn mit Bäumen bestanden ist. Der Boden der Lagune
ist meist schlammig, nur am Ende der Hügel fest und mit grossen
Blöcken stark verwitterten Gesteins bedeckt. Die Tiefe ist ausser-
ordentlich gleichmässig und beträgt meistens 2 m^ au einzelneu Stellen
etwas mehr, bisweilen nur Im, Das Wasser ist ganz trüb, doch
gut trinkbar; seine Temperatur schwankte je nach Oertlichkeit und
') Dr. J. R. Rengger, Reise nach Paraguay in den Jahren 1818 bis 1826.
Aarau 1835. Sauerländer.
») A. a. O.
*) A. a. O.
*) Azara, a. a. O. Atlas, Tafel III und V.
*) A. a. O.
^ A. a. O.
3
34
Tageszeit zwischen 24 und 29 ^ C. Hciheres Land tritt an die Lagune
nur im Tarumä-rugml heran; die die anderen Halbinseln bedeckenden
Erhöhungen sind isolirt und würden bei etwas höherem Wasserstande
in Inseln verwandelt werden. Im Norden, Westen und Süden um-
giebt ein weites Sumpfgebiet die Lagune; im Osten ist dasselbe von
nur geringer Ausdehnung. Diese Sümpfe sind nocli von isolirten
Hügeln, sowie von mehreren kleineren Lagunen unterbrochen, welche
ihre besonderen Namen haben und von denen ich einige von meinen
Aussichtspunkten auf Baumspitzen aus erblicken konnte; von andern
berichteten meine Leute. So findet man wenig südlich von der Lagune
Tpoä die Laguna de Caaguipoy, noch etwas südlicher die Cerro
Laguna, westlich von dieser die Laguna Ponä; südlich von der
Cen*o Laguna liegt der Cerro Negro (oder Cerro Hü, was dasselbe
bedeutet), nach welchem sie ihren Namen hat; westlich von dem
nördlichen Theil der Lagune Ipoä liegt ein anderer bewaldeter Hügel,
dessen Namen ich nicht in Erfahrung bringen konnte. In den von
mir umfahrenen zusammenhängenden Wasserspiegel mündet direkt
kein Fluss. auch kein direkter Abfiuss ist zu entdecken. Alle 6e-
Wässer verlieren sich im Sumpf und verlassen als sumpfige Wasser-
arme wieder dieses Gebiet. Der Hauptzufluss dieses Sumpfgebiets
ist der Rio Caiiab6 von Norden; Ausflüsse sollen sowohl nach dem
Tebicuary als nach dem Paraguay vorhanden sein; zu ersterem
geht der Rio Negro, während die Karten von W isner und Johnston
vier Verbindungen mit dem Paraguay zeigen. Unter diesen ist nacli
Aussage meiner Leute der Paray (jedenfalls der Piray der genannten
Karten) der bedeutendste. Die Wisnersche Karte zeigt in der Um-
gebung der Lagune Ipoä (wie auch sonst) Namen, die jetzt nicht
mehr bekannt sind und wahrscheinlich im Kriege zerstörte Estancias
bezeichnen (die Karte erschien aber nach dem Kriege) ; so findet man
östlich von der Lagune zwei Oertchen Pefia und Haedo, von deneu
ich nichts finden und über die ich nichts erfahren konnte. Jolinston
zeigt östlich von der Lagune einen Cerro Haedo, über w^elchen ich
auch nichts in Erfahrung bringen konnte, der aber seiner Lage nach
wahrscheinlich mit dem Tarumä-ruguä identisch ist. Dagegen soll
es einen Arroyo (Bach) Haedo geben, westlich von der Lagune,
zwischen den Ausflüssen Rio Sanjita und Rio Saladillo.
Nach meiner mehrere Monate später erfolgten Rückkehr nach
Asuncion zogen einige des Landes ziemlich kundige Leute die Richtig-
keit meiner Aussagen über die Lagune Ipoä in Zweifel, indem sie
behaupteten, die Lagune müsse durchaus grösser sein, ich hätte ent-
weder nicht die richtige gefunden oder der Wasserstand müsse ein
35
besonders niedriger gewesen sein ; einer der Herren wollte sogar wissen,
es gäbe eine gi'osse und eine kleine Lagune Ipoä, letztere nur hätte
ich besucht. Dem gegenüber halte ich meine Angaben vollkommen
aufrecht, zumal da ich später noch in vielen andeni Fällen fand, wie
wenig die scheinbar best orientirten Leute über die geographischen
Verhältnisse von Paraguay wussten. Der Wasserstand der Lagune
war kein niedriger, sondern ein normaler; ihre Ufer sind durch Wald,
Strecken festen Landes, Baumreihen u. s. w. scharf begi^enzt, sodass
von einem fortwährenden Schwanken des Umrisses nicht die Rede
sein kann; in geringer Entfernung vom Ufer fanden wir an mehreren
Stellen Spuren früherer Ansiedlungen, die schwerlich mitten in einem
meist unter Wasser stehenden Gebiet angelegt worden wären; meine
Lente endlich, welche aus Luque (ganz nahe tei der Lagune Ypacaray,
ostnordöstlich von Asuncion) gebürtig waren, sowie andere Leute aus
dem Volke, welche ich befragte und denen ich meine Karten zeigte,
waren durchaus der Ansicht, dass die Lagune Ypacaray gi'össer sei
als die Lagune Ipoä, was der Wirklichkeit entspricht, mit den Dar-
stellungen bei Wisner und Johnston aber nicht stimmt. Der Wasser-
stand der Lagune scheint mir übrigens sogar im Steigen begriffen zu
sein, denn nach mehrfachen Aussagen sind Sumpfstrecken, welche zur
Zeit des Lopezschen Krieges noch gangbar waren, jetzt unzugänglich;
an vielen Stellen findet man absterbende Bäume eine Strecke weit
vom Ufer im Wasser stehen, und verschiedene der angetroffenen Ruinen
sind wahrscheinlich wegen zunehmender Versumpfung der Gegend ver-
lassen worden; auch Reste einer alten Umzäunung fand ich an einer
jetzt nicht mehr zugänglichen Stelle. Die Höhe der Lagune über
dem Meeresspiegel fand ich zu 95 m (Mittel aus zwei Beobachtungen),
sie liegt also nur wenig über dem Wasserspiegel des Paraguay, der
bei Asuncion 98 m Meereshöhe hat. Bis zum Hause des Don Domingo
hat sich das Terrain schon auf etwa 120 m gehoben. Irgend welcher
Verkehr besteht auf der Lagune nicht, und das Boot, welches ich
benutzte, ist das einzige, welches ich gesehen habe. Ein zweites
soll halb zerbrochen irgendwo am Ufer liegen.
Für den Jäger ist die Lagune Ipoä mit ihrer Umgebung ein
Eldomdo: in sumpfigen Buchten hält sich mit Vorliebe das Wasser-
schwein auf (in Paraguay Carpincho genannt : Hydrochoems Capyhara)^
welchem der Tiger (Jaguar) vorzugsweise nachstellt, Hirsche suchen
gerne die trockneren Stellen im Sumpfland auf, Entenschwärme
streichen über den See, einen truthahnähnlichen Vogel sah ich wieder-
holt aus dem hohen Schilfgrase hervortreten, Affen führen in dem
dichten Walde ein selten gestörtes Dasein, sogenannte Rebhühner
3(;
beleben zahlreich die trockneren Weidestrecken, Papageien fliegen früh
und Abends kreischend in Scharen, das schwei'ste Wild Paraguays,
der Tapir, gewöhnlich gran hestia^ in der Landessprache mborevi ge-
nannt, wird auch nicht fehlen. Gern hätte ich noch einige Tage an
der Lagune verweilt, um meine geringe Jagdgeschicklichkeit auf diesem
geeigneten Gebiete zu verbessern, aber ich musste meine Zeit zu
ßathe halten.
Am folgenden Morgen (5. Dezember) folgte ich meinen etwas
früher aufgebrochenen Leuten bis zu ihrem halbwegs zwischen Tabapy
und Quyindy gelegenen Hause, wo ich der Frau des Aelteren all die
AVunderdinge zeigen musste, welche in den Tagen auf der Lagune
die Bewunderung der beiden Schiffer fast noch mehr erregt hatten,
wie meine Erzählungen von europäischen Kultur- und Bevölkerungs-
zuständen, namentlich Feldstecher, Thermometer und Kompass. Nach
kurzer Rast brach ich auf und folgte der Strasse nach Quyindy,
einem Städtchen, das nichts Bemerkenswerthes bietet und mich keinen
Augenblick aufhielt. Der Weg jenseits von Quyindy, nach Ybycul,
wohin ich wollte, ging theils durch Wald mit rothem Boden, theils
über endlose hügelige Weideländereien, die in der Nähe von Ybycul
leicht mit Palmen bestanden waren; links blieb mir dort immer der
Rand des Waldgebiets vor Augen, welches die Gebirgsgruppe von
Acaäi umzieht und von zahlreichen Ansiedlungen gesäumt ist, rechts
hatte ich den Blick auf die ziemlich entfernten kahlen Berge von
Caäpucü; vor mir tauchte bald der majestätische Cerro Tatucuä')
auf, dessen Spitze mein nächstes Ziel war. Die Leute, denen ich
begegnete, schauten mich etwas verwundert an, denn ein allein im
Lande umherreitender Fremder ist eine vollkommen ungewohnte Er-
scheinung; selbst der Eingeborene reitet selten allein, und ein Fremder
muss nach landesüblicher Anschauung durchaus einen vaqueanOf einen
»Kundigen«, einen Führer bei sich haben. Dass man sich auch nach
der Karte orientiren kann, und dass man schon mit einiger Kenntniss
der Landessprache Paraguay betritt, um sich im Nothfalle weiter-
fragen zu können, ist den meisten etwas Neues. Die Gegend war
wasserarm, sodass ich keinen zur Mittagsrast einladenden Platz fand
und es voraog, ohne Aufenthalt bis Ybycul zu reiten, wo ich nicht
in der feinsten Verfassung ankam, da mein Pferd in einer grossen
Pfütze fehlgetreten hatte und auf die Nase gestürzt war, sodass ich
absteigen und knietief durch den schwarzen Tümpel waten musste.
Auch einige Umwege hatte ich gemacht, da man sich oft in den vielen
') Tatucud hcisst Loch (cudj des Gürtelthiers (iaftij.
37
Karretenspuren nicht leicht zurecht finden kann. Der Gefe von Ibycuf,
welchem ich mein empfehlendes Zirkularschreiben vom Minister des
lunem vorlegen wollte, war nicht zu Hause, bei einem Kaufmann
kooDte ich kein Unterkommen finden, ich sprach daher beim ersten
besten Haus an, wo man mich freundlich aufnahm. Zwei ältere Mädchen
and ein junger Bursche, der Rest einer zahlreichen, vor dem Kriege
in den Missionen ansässigen Familie, bildeten die Bewohner des
Häuschens, welches nur aus einem Zimmer, einer die Küche bildenden
grosseren und einer seitlichen kleineren Vorhalle bestand ; einige Riemen-
betten, zwei Kisten anf hohen Füssen (ein Schutz gegen Ameisen
und anderes Ungeziefer), ein Tisch, einige Stühle, Gefässe für Milch
und Wasser bildeten den ganzen Hausrath, eine kleine Pflanzung hinter
dem Hause, ein Pferd und eine Anzahl Kühe den sonstigen Besitz
der Leute.
Ybycul, 1766 gegründet, der Mittelpunkt einer ziemlich viehreichen
Gegend, bietet als Ort nichts Bemerkenswerthes, hat aber eine an-
ziehende und gesunde Lage auf einem Rücken, der durch das Thal
eines zum Mbuyapey, einem Nebenflusse des Tebicuarj , fliessenden
Baches von der Cordillerita getrennt wird; in dieser steigt ostnoi-d-
östUch von der Ortschaft, greifbar nah erscheinend, der Cerro Tatucuä
auf, ein gewaltiger, steiler, oben schräg abgestumpfter Kegel, bis oben
zu bewaldet, die gleichfalls bewaldete Cordillerita mächtig überragend.
Andere niedrigere, zum Theil scharf geschnittene Spitzen des Gebirges
sieht man im Norden; dort durchschneidet der Weg nach Ibitimt
welcher durch romantische Felsparthien gehen soll, die Berge. Süd-
östUch von Ybycul legte der ältere Lopez 1854 eine Eisenhütte,
hauptsächlich für Kriegszwecke, an *), welche unter Benutzung von
Holzkohle und Wasserkraft Eisenerze von den nahen Ortschaften
Caapucu, Quiquiö'') und San Miguel verarbeitete, durch den Krieg
aber eingegangen ist. Ich hatte nicht Gelegenheit die Oertlichkeit
zu besuchen, glaube aber, dass ihre Lage auf den Karten von Page
und Du Graty annähernd richtig, auf der Wisnerschen Karte dagegen
felsch angegeben ist. Sogar den Cerro Tatucuä, welcher dicht bei
Ybycul liegt, zeigt die Wisnersche Karte in ganz falscher Lage,
etwa 7 Leguas zu weit südlich; noch südwestlich von diesem Punkt
findet sich dann bei Wisner die ^Fdbrica de Fierro^.
*) Genaue Angaben Über diese Hütte und die dort verarbeiteten Erze findet man
bei Du Grat y, a. a. Ü. S. 289 ff.
^) Diese Schreibung ist die gewöhnliche; ein seiner vaterländischen C)rlsnamcii gut
kundiger Paraguayer meinte aber, man müsse Quyquyhö schreiben \md sprechen.
Deutsche giebt es in der Gegend von Ybycut soviel ich in Er-
fahrung bringen konnte, nur zwei: der eine, ein deutscher Schweizer,
befasst sich mit der Fabrikation von Cafia (ZuckeiTohrbranntwein).
liat es aber zu nichts gebracht, da er selbst sein bester Kunde ist:
der andere hat tief in der Cordillerita einen Potrero (von Wald um-
gebene Weidestrecke), wo er Viehzucht betreibt. Er ist wohl dei
einzige Deutsche in Paraguay, der das Viehgeschäft nach Art dei
Correntiner betreibt, indem er Pferdeheerden selbst aus Corrientes
holt, sie eine Zeit lang bei sich weiden lässt und sie dann weitei
verkauft. Er war gerade auf Reisen, daher konnte ich ihn nicht
aufsuchen.
Am Morgen nach meiner Ankunft besuchte ich den Gefe, dei
mir auf Grund meines Empfelilungsschreibens sofort einen Sergenteu
zur Begleitung bis an den Fuss des Cerro Tatucuä stellte. Nach
etwa anderthalbstündigem Ritt, erst durch das flache Flussthal, dann
durch ansteigendes Land mit Palmen, gelangten wir zu einer Jsaubei
gehaltenen Maispflanzung, in welcher versteckt ein zweiter Sergent
wohnte'), an den ich nun »abgeliefert« wurde. Der brave Mann
suchte mich vor allen Dingen von meinem Vorhaben, den Cerro zn
besteigen, abzuschrecken; das sei doch zu gefahrlich; der Berg sei
noch nie bestiegen worden, selbst von den Eingeborenen nicht, es
wimmle oben von Schlangen und wilden Thieren, auf der Spitze wehe
immer ein heftiger Sturm, dem man nicht widerstehen könne, ein
gefährlicher See sei auf dem Gipfel, man finde dort grosse, behauene
Steine, die nichts Gutes ahnen Hessen, einem alten Indianer sei ein-
mal eine weisse Jungfrau auf halbei* Höhe des Berges erschienen,
einem andern ein Kreuz u. s. w. Als alles Abreden nichts half,
wurden endlich aus den benaclibarten Ansiedlungen zwei vagtimtioSi
AVald- und Wegkundige, herbeigeschafft, mit denen das Verhandeln
von neuem anging. AVir wurden schliesslich doch einig, sie wollten
es wagen, und ich versprach jedem einen Patacon (4 Mark), wenn wir
die Spitze erreichten, andernfalls die Hälfte. Ein Frühstück besiegelte
das abgeschlossene Geschäft, freilicli keines mit Austern und Cham-
pagner, der Wirth setzte vielmehr eine grosse Schüssel Mais mit
Milch auf eine Bank unter dem Baume, welcher die Küche bildete,
er und ich setzten uns zu reiten auf die Bank, die beiden Vaqueanos
kauerten auf Schemeln, jeder bekam einen Hornlöffel und langte sich
dann aus dem ihm zugewandten Theile der Schüssel so viel er mochte-
*) Die Gemeinden sind in einer mir nicht ganz genau klar gewordenen W-eis<=
militärisch urganisirt.
Xalie dem Hause des Sergeiiteu war ein zweites, zwischen beiden ein
schöner, als gemeinsamer Besitz angesehener Orangenhain, in welchem
die Knaben während der Mittagsnihe bei einem landesüblichen
»iel casita genannt, beobachtete: sie steckten eine Anzahl Kupfer-
münzen in flacher Furche senkrecht in eine Reihe und warfen danach
mit ziemlich schweren kleinen Kugeln.
Tm zwei Uhr machten wir uns auf den Weg, um womöglich vor
Sonnenuntergang den Gipfel des Berges zu erreichen. Erst ging es
eine Stunde lang bei 32 ° C. im Schatten über fast baumlose Wiesen
bis zu einer Stelle im Nordosten des Berges, wo die zu überwindende
Neigung eine geringere ist als von Westen her. Wir traten in den
Wald ein, der anfangs licht und leicht zu durchschreiten war, bald
aber dichter wurde. Reichliches Unterholz von dornigen Akazien-
aiten, zur Grösse von kleinen Bäumen entwickelten nesselartigen
Pflanzen, Farnen, Agaven und Kakteen füllten den Raum zwischen
den durch zahlreiche Schlingpflanzen verbundenen meist mittelgrossen
Bäumen, deren Menge nur hier und da durch einen wirklichen Wald-
riesen unterbrochen wurde. Den Boden bildete theils Pflanzenerde,
theils war er mit Steinblöcken bedeckt, welche trügerisch mit Vegetation
überwuchert waren. Die beiden Leute machten mit ihren Busch-
rae.ssern so schnell und geschickt Bahn, dass ich in meinen hohen
Reitstiefeln ihnen manchmal kaum folgen konnte. Es waren zwei
echt paraguaysche Gestalten, von mittlerer Körpergrösse, schlankem,
elastischem Bau, kräftig brauner Hautfarbe, mit dunkeln, oft träu-
merisch blickenden Augen und dunklem, leichtgelocktem Haar — eine
Folge der Mischung des straffliaarigen Indianers mit dem lockenhaarigen
Europäer; der eine entstellt durch eine gewaltige Hasenscharte, die
seinem sonst gutmüthigen Gesicht beinahe etw^as Furchten-egendes
gab. Sie waren nur mit einer bis ganz oben aufgestreiften weissen
baumwollenen Hose und einem schwarzen Filzhut bekleidet; Hemd
und Poncho hatten sie um den Leib gewunden, daran ein Bündelchen
uüt ein paar Maiskolben und etwas Käse, über der Schulter des einen
^iue Flinte, das war die ganze Ausnistung. So schritten sie barfuss
durch Dornen und Gestmpp, eifrig auslugend nach jedem Wespennest,
uacli jeder Schlange, nach allem Verdächtigen. Von den vielen
bilden Thieren bekamen wir natürlich nichts zu Gesicht, denn alles
grössere Raub\nld hält sich in der Nähe der Flüsse und Waldränder;
'las Innere des Urwaldes ist thierarm. Hier und da summte eine
Biene an uns vorbei, deren Flug die Leute weithin mit den Augen
verfolgten, um das Honignest zu entdecken und es bei Gelegenheit
rinmal auszunehmen; eine einzige Schlange, hellbraun und weiss,
40
etwa 1 V2 m lang, trafen wir lebend an, eine andere todt. Jene wurde
durch ein paar Schläge mit dem Rücken des Buschmessers unschädlich
gemacht: einen scharfen Schlag führt der Paraguayer nicht auf eine
Schlange, da er der Meinung ist, dass die Theile einer zerhackten
Schlange springen können, was seine Richtigkeit haben mag. Das
letzte Bachbett, welches wir überschritten, führte zum Unglück gerade
kein Wasser, sodass wir den mitgenommenen grossen Flaschenkürbis
{porongo) leer weitertragen mussten. An mehreren Stellen, wo
grössere Felsblöcke das Aufkommen von Bäumen hinderten, hatte ich
grossartige Ausblicke nach Osten und Nordosten, weithin über die
flachen, bewaldeten Züge der Cordillerita, die hier und da von Potreix)s
unterbrochen war.
Zur Verwunderung der Vaqueanos erreichten wir um sechs Uhr ohne
jeden Unfall den Gipfel, ein umfangreiches, nach Süden etwas ge-
neigtes, dicht bewaldetes Plateau. Die Sonne war dem Untergange
nahe, so dass wir, da ein Aussichtspunkt nicht zu finden war, daran
gingen, uns einen Lagerplatz zu bereiten. In einem Bestände von
Tacuarilla, einem feinen, sehr zähen und elastischen, dem Bambus
verwandten Rohre, welches so dicht wächst, dass andere Pflanzen
darunter und dazwischen nicht gedeihen, der Boden dort also sehi*
rein ist, wurde mit dem Buschmesser ein Platz gesäubert und auf
demselben ein Feuerchen angezündet. Einige schnell geröstete, saftige
frische Maiskolben und etwas ungesalzener Käse stillten den Hunger,
während eine einzige Orange (fünf hatten wir nur mit) den Durst
kaum für einige Augenblicke löschte. Bald erlosch das Feuerchen,
ich wickelte mich in meine wie einen Militärmantel gerollt mitge-
nommene Pferdedecke und streckte mich auf den Boden, desgleichen
die Paraguayer in ihre Ponchos gehüllt; einige Leuchtkäfer (mit
leuchtenden Augen) schwirrten durch die Büsche, Nachtschmetterlinge
flatterten um uns her, die Sichel des zunehmenden Mondes strahlte
freundlich durch die regungslosen Baumwipfel, und bald sanken wir
alle in Schlaf, aus dem uns nur quälender Durst ab und zu weckte.
Die früheste Morgendämmerung fand uns schon wach, wir assen
wieder etwas Käse, theilten die letzten zwei Orangen und erwarteten
den Aufgang der Sonne. Dann suchte ich mir möglichst hohe und
einzeln stehende Bäume auf, die ich erkletterte, um eine Aussicht
zu gewinnen. Es gelang mir auch. Blicke nach Nordosten, Norden
und AVesten zu erhalten; ich sah in weiter Ferne die Lagune Ipoä,
näher rechts den Cerro von Acaäi, im Nordnordwesten die Berge von
Paraguary, nach Norden hin den ganzen Zug der Cordillerita, jenseits
41
derselben, im Nordosten, eine bis dahin noch nicht erblickte Berg-
kette, die Cordillere von Villa Rica.
Den Abstieg begannen wir nach dem Südostabhange hin, wo sieh
weniger Schwierigkeiten zeigten als beim Anstieg. Die Hitze war
drückend, denn schon bei Sonnenaufgang hatte ich 22^0. abgelesen;
dazu sonderte der durstende Körper nur wenig Seh weiss ab, so dasS
die unangenehme Wirkung der Hitze um so grösser war. Ich war
froh, nach anderthalbstündigem Marsche saure Orangen anzutreffen,
welche fest in ganz Paraguay in einer gewissen Höhenzone verwildert
(oder wild?) in den Wäldern vorkommen und mit ihrem sehr herben
uud stark zusammenziehenden Saft den Durst beschwichtigen können.
Die Paraguayer lachten anfengs und berührten die sonst verachtete
Frucht nicht; bald aber folgten sie, vom Durst bewältigt, meinem
Beispiel. Um 8 Uhr trafen wir einen kleinen Bach, dessen schmutziges
Wasser uns köstlich erschien und uns unglaublich erfrischte. Nach
kurzer Rast ging es weiter, und um 9 Uhr tiuten wir nach Umgehung
des Berges im Osten genau an derselben Stelle aus dem Walde her-
aus, wo wir gestern eingetreten waren.
Beim Abstieg hatte ich noch Ausblicke nach Süden gewonnen,
auf die immer flacher werdenden südlichen Ausläufer des Gebirges
uud auf die Weideländereien gegen Caäpucü hin, so dass meine Rund-
schau vollständig war. Die Höhe des Berges bestimmte ich zu (530 w,
während ich für Ybj^cuf 155 m gefunden hatte. Quarzitische Sand-
steine scheinen die Hauptmasse des Berges zu bilden ') ; ich fand sie
von röthlicher, rosagrauer und weisslicher Farbe. Dazu gesellte sieh
in der Nähe der Spitze ein schwarz und weiss gesprenkelt erscheinen-
des Gestein, welches rfls grobkörniger Olivindiabas bestimmt worden
ist. Aus Sandsteinen scheint die Hauptmasse des ganzen Systems
der Gordillerita und der Cordillera zu bestehen.
Um 10*/« Uhr traf ich wieder bei dem Sergenten ein, wo man
uns mit Neugier und Freude empfing und sehr verwundert war, dass
wir nichts Schreckliches zu berichten und auch kein Gold gefunden
hatten; denn dass ich Gold zu suchen gegangen sei, glaubten die
Leutchen doch wohl, trotz meiner gegeutheiligen Versicherung und
trotz aller Versuche ihnen klar zu machen, dass und wie ich die
Höhe des Berges bestimmen wollte. Welches das Resultat meiner
Beobachtung sei, musste ich trotzdem mittheilen, ohne indessen grossem
') Die nicht zahlreichen von mir mitgebrachten Gesteinsproben hat Herr Dr. Mügge,
Kustos des Mineralogischen Museums zu Hamburg , zu bestimmen die Freundlichkeit
gehabt.
42
Verständniss zu begegnen, denn der Sergent fragte micli naiv, ob
der Berg, wenn er umfiele, Ybycuf wohl noch bedecken würde ! Dazu
wäre mindestens Chimborazoböhe nothwendig gewesen.
Gegen Abend eireichte icli wieder Ybycuf, wo unterdessen auch
Herr H. von Ca^pucü aus wieder eingetroffen war. In der anmuthigen
Abendkühle ei-zählten wir uns im Angesicht des sich dunkel vom
Abendhimmel abhebenden Tatucuä unsere Erlebnisse; in der Frühe
des nächsten Tages machten wir uns dann vereint nach Acaäi auf,
welches wir nach einem angenehmen vierstündigen Ritt durch meist
bewaldete und gut bewohnte Gegend — eine Bodenschwelle zwischen
Cordillerita und Cerro von Acaäi — glücklich erreichten. In einem
Correntinerhause fanden wir freundliche Aufnahme.
Den Gefe fanden wir nicht zu Hause, doch unternahm es der
»Comisario^ der ihm nächststehende Beamte, gern, uns Führer zur
Besteigung des nahen Cerro zu besorgen, natürlich wieder erst für
den folgenden Tag! Der Aufenthalt in Acaäi war uns etwas un-
heimlich, da der an der Hauptstrasse nach Corrientes gelegene Ort
von vielen Correntinern bewohnt ist, zum Theil wenig Vertrauen er-
weckenden Burscheu. Herr H. hielt die Leute für des Schlimmsten
fähig, sodass wir es gerathen fanden, uns Nachts in unsern unter der
Vorhalle aufgespannten Hängematten abwechselnd gegenseitig zu be-
wachen. Es kam aber nichts Verdächtiges vor.
Die Gegend von Acaäi ist reich an Pferden, und wiederholt ver-
suchten die Leute, mit uns Geschäfte zu machen; auch kaufte ich
schliesslich eine Stute, welche mir auf der weiteren Reise die besten
Dienste leistete, da sie ausdauernd, schnell und vorzüglich geritten
war. Die Ansiedlungen um Acaäi erzeugen Unmassen von Orangen,
welche theils nach Paraguary zum Markte gefahren werden, theils
auf Karreten nach Villeta (südlich von Asuncion) gelangen und
von dort nach den La Plata-Häfen verschifft werden.
Noch lange vor der Sonne brachen wir am andern Tage (9. Dezember)
nach den Bergen hin auf; der Comisario begleitete uns in eigner
Person, ausserdem ein anderer, der Waldläuferei kundiger Bewohner
des Ortes. Ueber zum Theil sumpfige Niederung ritten wir eine
starke Legua weit bis in die Nähe des AValdrandes, bis zur Hütte
eines schrecklich hässlichen, rothhaarigen Ehepaares, wo während
kurzer Rast Bresche in einen riesigen Haufen goldiger Apfelsinen,
der unter der Vorhalle lag, geschlagen wurde. Dann nahm der Roth-
haarige seine alte Flinte, holte aus einer Nachbarhütte noch einen
Genossen und führte uns auf vielfach gewundenen Pfaden bis zu einer
dicht am Fusse des Berges gelegenen Waldwiese, wo wir absattelten.
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43
unsere Pferde zum Weiden anbanden und unser Sattelzeug im Walde
aufhingen. Es war erst 6V4 Ulir. Wii* drangen nun in den Wald
ein, anfangs einem Pfade folgend, den Goldsucher geschlagen hatten,
welche in dem bröckligen, etwas Glimmer fülirenden Gestein eines
nahen Bachbettes Gold zu finden gehofft hatten. Nach Ueberschreitung
dieses Baches ging es in den pfadlosen Wald hinein, ziemlich schnell
vomärts, da wir ja genug Kundige mithatten. Nach einiger Zeit
kamen wir au eine Region grosser Felsblöcke, die sich, förmlich
Treppen bildend, bis gegen den Gipfel hinzogen, immer von reicli-
licher Vegetation durchsetzt. Die Paraguayer blickten besorgt empor;
ich lächelte, da ich dachte, sie scheuten die Schwierigkeit des Er-
klimmens, die nur gering sein konnte; auf meine Frage, was es denn
gäbe, antworteten sie »nichts«; ich hatte keine Lust zu unnützem
Aufenthalt, stieg daher munter hinan! Bald aber heftig schmerzende
Stiche auf der linken, dem Berge zugewandten Seite und auf dem
Rucken: schnell flog ich noch zehn oder zwölf Meter empor bis zum
nächsten schützenden Gebüsch, verfolgt von einem kleinen Schwärme
wüthender Wespen. Etwas erschöpft blickte ich zurück, da standen
die Paraguayer und lachten aus vollem Halse, in harmloser Schaden-
freude, wie sie ihrem kindischen Charakter durchaus eigen ist; mein
Freund H. aber war mir, ebenfalls nichts ahnend, gefolgt. Die Leute
umgingen das Wespennest und folgten vorsichtig; wir weiter voran,
in der Hoffnung, nun sei es aus. Bald aber sass uns ein zweiter,
ein dritter Schwärm im Nacken, so dass die Stiche schon nach
Dutzenden zählten. Immer dichter sassen die Nester auf den sonnigen
Pelsabhängen ; sobald man sich einem Neste auf kleine Entfernung
näherte, schwärmten die grossen rothbraunen Wespen aus, um den
Umkreis ihrer Wohnung zu vertheidigen, wich man zurück oder duckte
sich, so schwärmten sie langsam wieder ein. Darnach richteten sich
die Paraguayer, so dass unser Hauptführer mit einem einzigen Stich
durch das Gebiet der so gefürchteten ^avispast kam. Schliesslich
hatten wir uns zwischen den Wespennestern so verstiegen, dass kein
Ausweg mehr da war: vor uns, hinter uns, rechts und links, überall
die ominösen kleinen dunklen Flecke in den Spalten der Felsen. Die
Entfernung zur Spitze war nur noch gering, und Herr H., welcher
wieder Muth gesammelt liatte, wollte die Festung mit Sturm nehmen;
ungeschützt — wir hatten ausser Hosen und Stiefeln nur leichte
WoUtricothemden an — stürmte er aufwärts, bald aber kam er, mit
der Gewandtheit eines Steinbocks von Block zu Block hüpfend, wieder
zuiück, am ganzen Leibe wie in Fieberschauern zitternd von der
Masse der schmerzhaften Stiche. Wir tiberlegten, denn Rath musste
44
geschafft werden. Mit Vorsicht wurden die zunächst liegenden Nester
durch Feuerbrände zei-stört, dann zündeten wir ein grosses Feuer an,
dessen Rauch der Wind zum Glück in der gewünschten Richtung,
aufwärts, trieb. So räucherten wir unsere Feinde aus und erreichten
unser Ziel.
Der Gipfel der von mir erstiegenen Spitze ist zum Theil kahl
und mit grossen Blöcken bedeckt, zwischen denen nur Brombeeren,
Kakteen und dergl. wuchern — eine Ausnahme in Paraguay — so
dass es mir gelang, durch blosse Aufsuchung geeigneter Stellen Aus-
blicke nach allen Seiten zu gewinnen und so meine Kenntniss dieses
Theils von Paraguay zu vervollständigen, wobei mich das schönste
Wetter begünstigte. Der Cerro von Acaäi bildet einen nach Norden
geöffneten Halbmond, hat mehrere Gipfel, von denen ich nicht den
höchsten erstiegen hatte, und ist zum grössten Theil mit Wald be-
deckt; gegen die Spitzen hin tritt überall zwischen der Vegetation
nacktes Gestein hervor, welches nach einer mitgenommenen Probe
(gleich dem in der Nähe der Spitze des Tatucuä) Olivindiabas ist.
In dem vom Gebirge halb umschlossenen Kessel entspringt ein
Flüsschen, welches zum Cafiabö fliesst. Die Aussicht war der vom
Tatucuä ähnlich : ich übersah das ganze Becken von Paraguaiy, sah
fern im Osten die Berge von Villa Rica über die Coixiillerita empor-
ragen, sah nach Süden bis in das Flachland am Tebicuary, westlich
die Lagune Ipoä und die Ausläufer des Gebirges auf dem ich stand;
von Ortschaften namentlich das nahe Acaäi, das vor Kurzem ver-
lassene Ybycuf und im Nordwesten Carapeguä. Die Höhe der von
mir erstiegenen Spitze beträgt 550m; die höchste Spitze, nahezu
westlich von dieser gelegen, mag gegen 50 m höher sein. Acaäi liegt
205 tw hoch. Der Cerro von Acaäi soll schon wiederholentlich be-
stiegen worden sein, z. B. von dem oben erwähnten Franzosen Balanza.
Der Sagenkreis, der sich an seine Gipfel knüpft, ist dalier ein kleinerer
und nicht so »unheimlicher«. Leute aus Carapeguä erzählten be-
sonders von einer grossen Schlange mit einem Schweinskopf, die oben
liege und einen Schatz bewache. Leider fand ich sie nicht.
Wir waren von der Nordseite heraufgestiegen; nach einem zweiten
Wespenkrieg nicht verlangend, nahmen wir den Rückweg nach Westen
und Südwesten, nach dem Kessel hinunter, bis wir den Bach er-
reichten. Derselbe führte wenig Wasser, welches zwischen mächtigen
Blöcken dahinfloss; von Stein zu Stein springend folgten wir zwischen
dichten Pflanzenwänden dem Wasserlauf bis zu einer einladenden
Stelle, wo ein kleiner Imbiss genommen wurde; nach kurzer Rast
weiter bis zu unserer WaWwjese, die wir schon um 1 Uhr erreichten.
r
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Nahe der Wohnung unseres Roth haarigen , der sieh mit zwei oder
drei Realen (0,80 resp. 1,20 Mark) glänzend belohnt fühlte, kehrten
\*ir ftir die Siesta in der Niederlassung eines Italieners ein , welcher
sich in recht guten Verhältnissen zu befinden schien. Sein hübsches
Häuschen stand in einem fruchtreichen Orangenhain, seine Pflanzung
von Maniok, Mais, Bohnen und Zwiebeln war in bestem Stande und
aaf dem Kamp der Umgegend weidete sein zahlreiches Vieh. Die
Zwiebeln schienen ihm besonders ans Herz gewachsen zu sein, denn
anter dem Dach der Vorhalle hingen ihrer wenigstens vierzig oder
fanfeig Zentner. Die Hausfrau war eine Paraguayerin; eine kleine
vier- oder fiinQährige Tochter sah echt italienisch aus — wie über-
haupt der paraguayische Typus mich oft an den italienischen er-
innerte — , aber — sie rauchte ihre Zigarre wie eine echte Para-
guayerin, und spuckte dazwischen wie ein alter Seebär. Der Haus-
herr wollte sich möglichst angelegentlich mit uns unterhalten, nur
war sein Gemisch von neapolitanischem Dialekt und schlechtem
Spanisch kaum verständlich.
Um fünf Uhr waren wir wieder in Acaäi, von einem kleinen
Gewitterschauer, den ausnahmsweise Ostwind gebracht hatte, durch-
nässt. Oben auf der Spitze des Berges stieg noch der Rauch eines
von uns angezündeten Feuers gen Himmel. Unser wegkundiger Be-
gleiter nahm keine Bezahlung an ; dem > Comisario c konnte ich natür-
lich kein Geld bieten, er liess sich aber gerne in der von ihm selbst
geführten Kneipe ein wenig bewirthen und fragte mich, ob ich ihm
nicht einen Theil meines ^reniedio^ gegen Schlangen (Salmiakgeist)
> verkaufen « wollte, worauf ich ihm gern die Hälfte schenkte.
Nach einer wieder — wohl unnöthiger Weise — auf Posten zu-
gebrachten Nacht verliessen wir Acaäi (10. Dezember). Wenig vor
dem Orte überholten wir eine grosse aus Comentes kommende Pferde-
herde, dann gings durch schönes Weideland dem mich schon heimath-
lich anmuthenden Paraguar^'^ zu, das, auf dem Rücken der Loma
weithin sichtbar, gegen Mittag eneicht wurde.
In Paraguary gingen einige Tage mit Reisevorbereitungen hin.
Ich schloss mit dem erwähnten Deutschen G. einen Kontrakt zur
Reisebegleitung ab, vervollständigte meinen Pferdebesitz auf vier
Stück (für jeden ein Reitpferd, dazu ein Packpferd und ein Reserve-
pferd), kaufte für das zweite Pferd Sattelzeug, beschaffte Säcke und
Beutel, versah mich mit Kleinigkeiten, die oft vortheilhafb die Stelle
von Geld vertreten konnten (Kämme, Bombillas, Bleistifte, Gebet-
bücher fiir Kinder, Kampher — beliebtestes Heilmittel — Gewürz-
nelken, Spielkarten u. s. w.) und besorgte einen kleinen Vorrath an
40
landesüblichem Proviant (Reis, Bohnen, kleine, harte, annähernd kugel-
förmige Zwieback, Yejba, Kaffee, Käse, etwas Cana in einer spanischen
Lederflasche — hota — für meinen Begleiter u. s. w.) ; alles zur Be-
reitung und zum Genuss des Mate Erforderliche, insbesondere der
kleine Matekessel, durfte nicht fehlen; ebensowenig Streichhölzer
(wenn man die im Lande fast ausschliesslich benutzten italienischen
und französischen Wachszünder so nennen kann), Seife, Stricke, Bind-
faden und Äehnliches. Für den ersten Theil der geplanten Reise
nach Osten und Norden konnte ich auf regelmässiges Unterkommen
zur Nacht und auf Gelegenheit zur Erlangung von Nahrungsmitteln
rechnen, für den zweiten aber nicht. Ein Zelt, oder wenigstens
Material zum Aufschlagen eines provisorischen Zeltes, mitzunehmen
unterliess ich trotzdem; in Paraguay reist fast niemand mit einem
solchen, und ich rechnete auf günstiges Wetter. Besondere Gefahren
standen keine in Aussicht. Die Bevölkerung der Gebiete, welche ich
aufsuchen wollte, ist durchaus friedlich, soweit überhaupt welche vor-
handen ist, und von wilden Thieren hat man nichts zu befürchten;
es ist eine Seltenheit, dass der Tiger (Jaguar) sich Lagerplätzen
nähert, und gegen Schlangen kann man sich mit einiger Vorsicht
jederzeit leicht schützen. Einen sogenannten Mosquitero — ein mit
Stäben zum Aufstellen versehenes Netz zum Schutz gegen Moskiten — ,
den die Paraguayer gern mit sich führen, nahm ich auch nicht mit;
im Nothfalle konnte ich mich mit dem leichten Sommerponcho be-
decken.
An einem Vormittag fand ich noch Gelegenheit, von Paraguary
aus die nahe erste deutsche Kolonie, an dem Wege nach Yaguaron
gelegen, zu besuchen. Von den ursprünglichen Kolonisten ist nur
noch eine Familie da, die sich besonders mit dem Anbau von Luzerne
befasst, aber in einer andern Ortschaft, die ich auch besuchte (Batovl)
nebenbei Viehzucht betreibt, für welche der Ort dieser Kolonie keine
Gelegenheit bietet. Ausserdem findet sich dort noch ein später ein-
gewanderter deutscher Schw^eizer, der sich mit dem Anbau von Zucker-
rohr und der Bereitung von Branntwein aus demselben (Cana) be-
schäftigt. Die übrigen früher von Deutschen in Angriff genommenen
Plätze sind jetzt von Eingeborenen besetzt oder wieder verwachsen.
In dem Städtchen Paraguarj' war man schon mit Vorbereitungen zu
dem bevorstehenden Feste des Schutzpatrons der Stadt, des heiligen
Thomas (21. Dezember) beschäftigt, welches hauptsächlich durch
Stiergefechte gefeiert wird. Dieselben tragen aber, wie man mir be-
richtete, einen recht friedlichen Charakter, indem es nicht darauf an-
kommt, die Wuth des Stieres durch Verwundungen zu reizen und
47
ihn schliesslich zu tödten^ sondern vielmelir nur darauf, an seiner
Stirn befestigte Geldstücke loszureissen.
5. Bis Villa Rica. Die Cordillere von Villa Rica.
Am 13. Dezember Nachmittags verliesseu wir Paraguary; Herr H.
wollte noch eine Tagereise weit mitgehen. Die Hitze war gross (um
2 Uhr 33,4" C), die Luft bewegungslos und schwül Gewitterwolken
umsäumten fast den ganzen Horizont, nur der Osten war frei. Wir
waren kaum eine Legua gelitten, als der Donner im Norden zu grollen
anfing; schnell kamen die schwarzen Wolken über die Cordillere
herauf, und schon umtobten die Blitze den Felsengipfel des Cerro
Santo Tomas, als wir, eben noch zu rechter Zeit, die Ansiedlung
eines Deutschen, nahe dem Fusse dieses Berges, eiTeichten. Zwischen
den kräftigen jungen Bäumen eines selbstgepflanzten Orangenhaines
kam uns eine riesige Gestalt entgegen, halb nackt, nur mit Hose und
Hut bekleidet, aber trotz dieses urwäldlerischen Aeusseren nicht ganz
fähig, den früheren preussischen Garde-Cuirassier zu verbergen. Der
biedre B. ist Zimmermann von Beruf und seit 20 Jahren in Amerika.
Man hatte ihn einst in Paris in bekannter Weise als argentinischen
Soldaten angeworben, und mit der argentinischen Armee war er nach
Paraguay gekommen, wo er es indessen nicht weit gebracht hat. Mit
einer Paraguayerin verheirathet , hat er sich wohl zu sehr echt para-
?uayscher Bequemlichkeit ergeben ; auch soller, wie so viele Deutsche
drüben und zu Hause, einem Schluck »starken Getränkes« nicht
abhold sein. Jedenfalls gewährte er uns in seinem als Küche benutzten
alten und in seinem selbstgezimmerten, säubern neuen Häuschen gern
Schutz gegen das Unw^etter. Erst am andern Tage kamen wir weiter,
denn einen Versuch, nach dem ersten Unwetter weiter zu reisen,
schlug ein starkes, mit Sturm von Süden heranziehendes Gewitter
erfolgreich zurück. Letzteres ging in eine Art Landregen über,
vielleicht aufgehalten durch den Gebirgszug; dafür brachte es aber
erfrischende Kühlung, so dass wir um 5 Uhr nur noch 22,a ® C. hatten.
Am andern Morgen ritten wir, theils auf, theils neben dem noch
bis einige Leguas östlich von Paraguary fertigen Bahndamm der Cor-
dülerita zu, um sie im Pass von Sapucai zu überschreiten. Sapucai
ist nur Name einer Oertlichkeit; eine Ortschaft des Namens giebt es
nicht, wenn man nicht einige wenige am Waldrande zerstreute An-
siedlungen so bezeichnen will. Sapucai soll »zurufen« bedeuten, w^as
einige auf die engen Stellen des Weges beziehen. Ganz allmählich
stieg der Weg durch Wald zu dem flachen Rücken des Gebirges an,
so dass ich für den höchsten Punkt meines Weges nur 220 m Meeres-
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höhe (also 70 m über dem Bahnhof von Paraguary) fand : sicherlich
ist also dieser Pass für die Anlage einer ordentlichen Strasse oder
Eisenbahn kein bedeutendes Hinderniss. Der oft recht schlechte und
morastige Weg führte oben über drei ausgedehnte Potreros, welche
durch schmale Waldstrecken getrennt sind und unter dem Namen
Potrero Catalan zusammengefasst werden. Dieselben sind noch
gänzlich unbewohnt, obgleich sie ohne Zweifel sich vorzüglich zur
Ansiedlung eignen: das Weideland derselben ist vortrefflich, wenn
auch etwas reich an Insekten, der Waldboden vorzüglich für Acker-
bau, Wasser liefern mehrere nie versiegende Flüsschen, an deren
einem wir eine mehrstündige Mittagsrast unter Baden und Mate-
trinken zubrachten. Gegen Abend stiegen wir zu weiten Weide-
ländereien hinab, in welchen auf einem Hügelrücken das freundliche
Städtchen Ibitimf gelegen ist. Links trat auf diesem Stück des
Weges das Gebirge schon ganz zurück, rechts begleitete uns ein
Ausläufer, der in den Cerros von Ibitimf endigt. In ansehnlicher
Entfernung gerade vor uns hatten wir die Cordillere von Villa Rica,
welche sich bläulich schimmernd vom Horizonte abhob. Ein italieni-
scher Kaufmann gewährte gern Unterkunft und gute Verpflegung.
Längst schon hatten wir uns den Landessitten soweit angepasst, dass
wir nichts mehr daran fanden, für die Nacht das dumpfe Zimmer
mit der luftigen Vorhalle zu vertauschen, wo wir in unsern Spann-
betten herrlich schliefen, nicht gestört durch die zahlreichen harm-
losen Vorübergehenden.
Während Herr H. sich am andern Morgen wieder nach Westen
zurückwandte, brachte mich ein Morgenritt durch vorzügliches Weide-
land nach Achar-cu6, der schönen Besitzung des durch seine Agitation
für deutsche Auswanderung nach Paraguay wohlbekannten Herrn
Mevert (s. o.). Derselbe hat dort 6 oder 7 Quadratleguas Grund-
besitz erworben, worauf er Estanciawirthschaft betreibt. Gleichzeitig
hat er die Absicht, seine Besitzung, die in der vortheilhaftesten Weise
trocknes und feuchtes Weideland mit Waldland vereinigt, zu einem
Mittelpunkt für deutsche Ansiedlung zu machen. Auf seinem Gebiet
wohnten zur Zeit meiner Anwesenheit etwa achtzig eingeborene
^pohladorest^ Ansiedler oder Pächter, welche ihm nach Landessitte
eine geringe Abgabe (einen Real = 40 Pfennige jährlich) für jedes
Stück gehaltenen Viehes bezahlten. Manche von ihnen sind recht
wohlhabend ; so besass zum Beispiel ein alter Einbeiniger (das andere
Bein hatte er im Lopezschen Kriege verloren, was ihn aber nicht
hinderte, noch zu Pferde zu steigen) über hundert Stück Vieh, dazu
zwei hübsche Häuschen und eine ansehnliche Pflanzung. Solche Leute
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Terkaufen ihre geringen Baulichkeiten und ihre Pflanzung sehr gern
und siedeln sieh dann schnell und leicht an einem andern ihnen passend
erscheinenden Punkte an. Einige wenige deutsche Ansiedler waren
in dieser Weise schon an Stelle der Eingeborenen getreten.
Ich brachte im Hause des Herrn Mevert zwei angenehme Tage
zu, die besonders der Besichtigung seines Besitzes gewidmet waren.
Wir nahmen die Herde in Augenschein, besuchten deutsche und ein-
geborene Ansiedler, ritten zu dem Tebicuary-mi (dem kleinen Tebicuary),
einem Nebenflusse des eigentlichen Tebicuary-mi ^), einem wasserreichen
Plässchen, welches zwischen bewaldeten Ufern dahinfliesst. Das massive
und luftige Wohnhaus des Herrn Mevert liegt ganz nahe der nach Villa
Rica führenden Strasse auf einem Hügel und ist weithin im Lande
unter dem Namen casa blanca (weisses Haus) bekannt. Daneben baute
er gerade mit eingebomen Arbeitern und einigen deutschen Handwerkern
(die vor Jahren mit der englischen Kolonie^) nach Paraguay ge-
kommen sind) ein zweites Haus, da das alte ihm und seiner Familie
nicht genügend Platz bietet. Die zum Bau des neuen Hauses nöthigen
grossen Bäume finden sich nur vereinzelt im Walde, müssen daher
mit Sorgfalt aufgesucht und dann durch eigens geschlagene kleine
Pikaden (Waldwege) herausgeschaff*t werden; man lässt dabei ent-
weder die Stämme einfach von Ochsen schleifen oder man legt das
eine Ende derselben auf eine Kairetenachse. Vor dem Hause liegt
ein ganz neu angelegter noch wenig entwickelter Garten, hinter dem
Hanse findet man einige Nebengebäude und Umzäunungen für Rind-
vieh und Pferde; in kuraer Entfernung im Südosten liegt ein niedriger,
bis oben bewaldeter kegelförmiger Hügel, Cerro von Achar-cu6 genannt.
Am zweiten Tage meiner Anwesenheit wollten wir uns ein der Natur
des Landes angemessenes Vergnügen verschaffen , indem wir es ver-
snchten, ein Reh zu Pferde zu jagen; das Thierchen war aber schlau
') Der Tebicuar^, welcher nach ungemein krümmungsreichem Lauf oberhalb Villa
<iel Pilar mündet , der Hauptfluss des Binnenlandes von Paraguay , entsteht in der Nähe
^on Santa Maria da Fe in den Missionen aus dem Grossen und Kleinen Tebicuary,
Tebicuaiy-guazü und Tebicuary-mi ; der Oberlauf des ersteren ist noch wenig bekannt,
doch entspringt er ziemlich fem im Südosten von Villa Rica ; alle Karten zeigen ihn ver-
schieden. Der Tebicuary-mi entspringt östlich von Villa Rica, hinter der nach der Stadt be-
nannten Cordillere, macht erst einen nördlichen Bogen und fliesst dann südlich bis zum
Zosammenfluss mit dem vorigen. In ihn fliessen mehrere Nebenflüsse, die ebenfalls den
^«ncn Tebicuary-mi führen, so z. B. der oben genannte; ein anderer desselben Namens wird
wf dem Wege von Villa Rica nach Caaguazü überschritten. Verwechslungen sind dem-
nach leicht möglich und erklären vielleicht zum Thcil einige später zu erwähnende Ab-
weichungen auf den Karten.
*) üeber diese weiter unten.
4
50
genug, sich aus der Waldinsel, in welche es eingetreten war, ni
heraustreiben zu lassen.
Noch vor der Sonne brachen wir am 17. auf und ritten du
wechselnde Landschaft, an wenigen Ansiedlungen voriiber, rechts
ziemlicher Entfernung von einem Ausläufer der Cordillerita beglei
an dessen Fuss der oben erwähnte Tebicuary-mi hinzufliessen sehe
zum Tebicuary. Bald kamen wir durch einen sich zu beiden Sei
des Weges hinziehenden Sumpf, der gerade den Weg entlang €
flache Lagune von wohl einer Viertelstunde Länge bildet'). IV
findet sehr oft, dass die Wege in den Sümpfen gerade die Stellen
stehenden Wassers aufsuchen, weil dort der Boden fester zu s
pflegt. Jenseits erstreckt sich bis zum Tebicuary eine sehr fla(
bei hohem Wasser jedenfalls tiberschwemmte Niederung. Der Fl
muss dann einem mächtigen Strome gleichen, während er jetzt
mich etwa den Eindruck der Saale oberhalb Halle machte. In Zei
gi'osser Trockenheit nimmt er noch bedeutend ab; zwei Monate sp^
konnte er zum Beispiel an jener Stelle, dem Paso Achar, dui
ritten werden. Die Flussübergänge sind auf Reisen in Paraguay €
Hauptfrage, allerdings je nach dem Wetter mehr oder weniger wich
Brücken habe ich in den bewohnten Landestheilen nirgends gefund
nur fern im Nordosten, in den Yerbales (Yerbawäldern), wo sie
Yerbagewinner (yerhateros) in ihrem eigenen Interesse anlegen,
häufig benutzten Uebergängen ^) findet man wenigstens ein Boot o
mehrere, in abgelegenen Gegenden felilt es aber an allem, sodass n
seilen muss, wie man hinüberkommt. Manche führen dann eii
möglichst wasserdichten Sack mit, der Sattelzeug und Kleider f
nimmt und hinübergezogen wird, während der Keisende und sein PI
hindurchschwimmen. So recht landesüblich ist aber die Beföi-deri
mit der pelota, einer trocknen Rindshaut, deren Ränder emporgebo;
und mit Stangen und Stricken gefestigt werden, sodass ein schwan
Fahrzeug entsteht, welchem Gepäck und nicht des Schwimm
kundige Reisende anvertraut werden. Ich brauchte auch für mein Gepi
zu diesem Mittel nie zu greifen, da wegen der herrschenden Trock
heit alle Flüsse, an welchen kein Boot war, zu Pferde passirt wen
konnten, allerdings oft mit Schwierigkeiten.
Am Paso Achar ist für die Ueberfahrt gesorgt; wir und das (
pack passirten in einem kleinen Boot, die Pferde schwimmend <
') Die Wisnersche Karte zeigt sie sogar 3 Xv;/ lang.
^) Flussübergang, Fürth, heisst auf spanisch />aso (sprich Posso); die Deutsc
drüben sagen auch Pass.
51
Floss. Etwas schwieriger ist es, Karreten über den Fluss zu setzen:
ich sah, wie man die Kan-ete bis nahe an die Achse ins Wasser
liihr, dann auf jeder Seite ein grösseres Boot an sie heranbrachte,
starke Bretter unter die beiden Enden des Wagenkörpers schob, so-
dass das Ganze auf ihnen zwischen den Booten ruhte; sobald die
Räder wieder den Grund berührten, wurden die Ochsen vorgelegt.
Das linke Ufer des Tebicuary ist beim Paso Achar ziemlich hoch
flnd sandig, der Boden des Flusses, den ich bei einem erfrischenden
Bad untersuchte, theils sandig, theils schlammig. Die ziemlich starke
Strömung hielt sich nahe dem rechten Ufer. Eine kurze Strecke vom
Ufer ab wohnt der Engländer (ein früherer Deutscher?) C, welcher
die Fähre betreibt und sich ausserdem eine kleine Seifenfabrik ein-
gerichtet hat. Die Meereshöhe des Flussspiegels beim Paso Achar
bestimmte ich zu 130 m.
Jenseits des Flusses hob sich das Land ziemlich beträchtlich;
vir Hessen rechts die beiden Cerros von Itap6, links das Oertchen selbst
nnd die Stelle der verunglückten englischen Kolonie liegen und ritten
in ostnordöstlicher Richtung meist über fast unbesetztes Weideland,
«las mit zahlreichen Termitenhügeln besät war — ein gutes Mittel,
um die Beschaffenheit des Bodens zu erkennen — auf Villa Eica zu.
Au einem kleinen nach Norden und dann nach Westen fliessenden
Xebenflüsschen des Tebicuary '), welches nur ganz wenig AVasser
fährte, wurde kurze Rast gemacht — ich sammelte dort auf einem
Baum, den ich sitzend mit dem Arm beherrschte, mindestens fünf
Ameisenarten — , dann weiter in der alten Richtung. Der Boden
bob sich mehr und mehr zu einer Art tief gewellter Hochebene, das
dünn besetzte Weideland wich dem Waldlande mit rothem Boden,
welches umfangreiche Spuren früherer Ansiedlungen (aus der Zeit vor
dem Kriege) in alten Umzäunungen, verwildernden Orangenhainen
und der alte Pflanzungen unverkennbar kennzeichnenden Vegetation
(bestimmte Arten von Sträuchern und hochstengligen Kräutern) auf-
wies; dazwischen in spärlicher Zahl noch jetzt bewohnte Ansiedlungen.
Die alte Strasse war stellenweise klaftertief ausgefurcht, eine neue
daneben im Entstehen.
Noch lange vor Abend erreichten wiv Villa Rica, wo ich im
Hause des Herrn Ferdinand Coehler, eines Deutschen aus Pi*ag,
äes angesehensten Kaufmannes im Orte, freundliche Aufnahme und
^e uneigennützigste Unterstützung meiner Pläne fand. HeiT Coehler
ist seit der Zeit des Krieges in Paraguay ansässig; er kam gleichwie
') Auf der Wisncrschen Karte fliesst es n<itürlich nach Süden.
52
Herr Konsul Mangels, mit dem feindlichen Heere als Kaufmann :
Land und konnte die Lage der Dinge benutzen, um sich verhältni
massig schnell zu Wohlstand emporzuschAvingen. Sein Theilhaber, H(
B., welcher schon als Kind aus Deutschland nach Amerika kam, lebt s
vier Jahren in Paraguay. Absatzgebiet des Geschäftes sind ausser d
Stadt selbst und ihrer Umgebung die nordöstlich gelegenen Yerbawäld
Villa Rica ist der Einwohnerzahl nach die zweite Stadt c
Landes, zählt aber, glaube ich, nicht mehr als 5000 Bewohner, währe
fiir die ganze Gemeinde amtlich »mehr als 12000« angegeben werd(
In ihrem Aeussem unterscheidet sich die Stadt ein wenig von d
meisten andern, indem sie ausser den beiden Hauptplätzen, dem Kirche
und Marktplatz, eine beträchtliche Zahl langer, sich rechtwink
schneidender Strassen enthält, welche genau nach den Himme
richtungen weisen ; auch findet man in der Stadt hier und da Grupp
von Orangenbäumen, sowie Zäune von ordentlich geschnittenen Brett^ei
eine Erinnerung an die früher blühende, jetzt aber aus Mangel
Konsum sehr heruntergekommene Thätigkeit Villa Ricas zur V(
werthung der Wälder. Die Einwohnerzahl von Villa Rica mag früh
grösser gewesen sein, denn es fehlt nicht an unbewohnten und seil
verfallenen Häusern, und die bewohnten scheinen nicht übermäss
besetzt zu sein. Die Strassen und Plätze sind, wie überall, die
begrünt, und kaum war ich angekommen, so wurden meine Pfer
auf dem Hauptplatz der zweiten Stadt des Landes neben mehrer
andern zum Grasen angebunden. Das Regenwasser sucht sich na
Belieben seinen Weg in den Strassen, so dass diese vielfach zemss»
und in dunkeln Nächten — von Strassenbeleuchtung ist natürli
nicht die Rede — nur unter kundiger Führung passirbar sind. V'
vielen Punkten der Stadt hat man eine schöne Aussicht auf d
Spitzen der dichtbewaldeten Cordillere im Osten. Die Gesundheil
Verhältnisse von Villa Rica müssen sehr günstige sein, wenn man a
die lichte, luftige Bauart, die Lage ziemlich auf dem höchsten Pun
einer Bodenanschwellung, das gute Trinkwasser und das geringe V(
ständniss für die Thätigkeit und den AVerth eines Arztes einen Schlc
gründen darf. Die Meereshöhe von Villa Rica bestimmte ich dur
fünf Beobachtungen zu 205 m. ')
') Gegen 575 engl. Fiiss oder 17$ m auf Johnstons Karte; Page (S. 212) gi«
an 323 engl. Fuss (98 m) über Asuncion, was sich meiner Beobachtung ziemlich nähe
die Meereshöhe von Asuncion (Flussspiegel) nimmt er aber an dieser Stelle nur zu 257 en
Fuss (78 m) an, indem er sagt, Villa Rica liege 580 engl. Fuss über Buenos Aires. .
anderer Stelle (S. 610) giebt er die Meereshöhe des Flussspiegels zu Asuncion richtiger
J07 Fuss (94 m) an.
53
Gegeuüber dem vielbesuchteu Geschäftshause des Herrn Coehler
liegt die aus Eisen, Holz und Ziegeln erbaute Markthalle, ein freund-
licher und luftiger Bau, das Werk eines in Villa Rica ansässigen
Deutschen. Dort und in der nächsten Umgebung herrschte so ziem-
lich den ganzen Tag über, besonders aber früh von sechs bis neun Uhr
und gegen Abend, reges Treiben. Eben beobachtete ich bei sinkender
Sonne von unserer Veranda aus die schwatzenden, lachenden und
kudelnden weissen Frauengestalten, da erklang von der Kathedrale
das Abendglöcklein, alles verstummte: wie Bildsäulen standen die eben
noch so beweglichen Evatöchter in stillem Gebet oder wenigstens an-
dächtigem Schweigen; dann allgemeine Bekreuzting und vorüber war
der praktische Beweis gründlicher Jesuitendressur.
Die Bedeutung von Villa Rica für den Handel schien mir gering
zu sein; der ganze Verkehr mit Paraguary und Asuncion kann durch
wenige Karreten bewältigt werden, es wird nicht viel verbraucht und
nicht viel zur Versendung erzeugt. Früher trieb Villa Rica einen
namhaften Handel mit Tabak, Zigarren und Zigarretten, welche be-
sonders nach Argentinien gingen; jetzt aber ist dort der Verbrauch
Ton pai-aguayscheu Produkten dieses Zweiges ein geringer geworden,
sodass der Umsatz stark abgenommen hat. Konkurrenz argentinischer
Provinzen (z. B. Tucuman) und Bevorzugung der Fabrikate anderer
Länder (Brasilien, Westindien) von Seiten Argentiniens wurden mir
als Hauptgründe angegeben. Zum Theil mögen die Paraguayer selbst
Schuld haben, da sie den Tabak nur in der rohesten Weise (durch
Trocknen an der Sonne) zubereiten, und derselbe so seine sonst als
vorzüglich anerkannten Eigenschaften nicht entwickeln kann. Herr
Coehler versicherte, dass während des Verfalls des Zigarrenhandels die
Reise des Produktes zu wahrhaft lächerlicher Niedrigkeit gesunken
Jieien; man habe zuletzt im Grossverkauf das Tausend Zigarren ein-
schliesslich der Kistchen für 2V2 Realen (1 Mark) erhalten können.
Hen* Coehler strengt sich sehr an, den Tabaksbau von Villa Rica
wieder zu heben, namentlich ist er bemüht, die Eingeborenen zu ordent-
licher Behandlung des geernteten Blattes zu bewegen. Proben selbst
erzeugten Tabaks, die er nach Bremen geschickt hat, wurden dort
gelobt. Der Verbrauch von Tabak im Lande ist zwar ein bedeutender,
<loch erzeugen so viele Bewohner sich ihren Tabak selbst, dass der.
Welcher zum Verkauf baut, schwer Absatz findet; auch das Herstellen
von Zigarren für den Absatz im Lande würde sich wenig bezahlen,
^enn man macht dort an eine Zigan*e nur wenig Ansprüche: man
üimmt einfach ein oft nur halb trockenes Blatt aus dem Bündel, lollt
^^ auf dem Oberschenkel und zündet es an. Wie und wie lange eine
54
solche Zigarre brennt, daranf kommt es wenig an; will sie nicht mehi
weiter, so wird eine neue gemacht. Männer und Frauen rauchen ohne
Unterschied, ja selbst Kinder, die noch getragen wunlen, sah ich mit
Vergnügen die Zigan e benutzen ; die Köchin des Herrn Coehler liess
sogar beim Holzhacken die Zigarre nicht aus dem Munde.
Die Zahl der in Villa Rica ansässigen Deutschen ist gering;
ausser HeiTU Coehler und seinem Geschäftstheilhaber leben meines
Wissens daselbst nur noch ein deutscher Kaufmann, ein Handwerker —
dessen Tüchtigkeit in der Bearbeitung von Holz und Eisen gerühmt
wird — und ein Arzt. Letzterer hat bei der Praxis keine Rechnung
gefunden, da man ihn entweder nicht bezahlen wollte oder konnte;
er lebt zurückgezogen auf einer chacra (Pflanzung) des Herrn Coehlei
vor der Stadt. Ausserdem lernte ich an Fremden mehrere italienische
Kaufleute, einen spanischen Geistlichen, der sich schon vom »Geschäft«
zurückgezogen hatte und nun zur Freude der Ameisen und Wespen — -
die aber wohl bekämpft werden können — Versuche mit der AVein-
kultur anstellt, und zwei wohlhabende und gebildete Franzosen kennen;
die beiden letzteren haben Frauen aus der Heimath, was in Paraguay
eine Seltenheit ist; der eine von ihnen lebt von der Rente, welche
ihm sein Vieh abwirft, der andere betreibt Anbau von Zuckerrohr
und mit sehr vollkommnen und theuren Maschinen, die er sich aus
England und Nordamerika besorgt hat, Gewinnung von Syrup (niiel)
und Zuckerbranntwein (caüa). Die Maschine zur Zuckergewinnung
wird trapicJ^y die zur Branntwein- (und Spiritus-)Gewinnung alambique
genannt. Mit seiner Alambique kann Herr B. 12001 täglich erzeugen;
selbstverständlich ist die Produktion eine viel geringere, dem be-
schränkten Bedarf entsprechend. Geheizt wird mit Holz, worunter
ich viel Orangenholz bemerkte. Herr B. bewirthete uns mit deutschem
Bier, was in Paraguay das Feinste ist; man verkauft dort die Flasche
(meist. Elberfelder und Aachener Fabrikat) gewöhnlich zu 6 Realen
(2,40 Mark), ohne dass man indess bei der flauen Temperatur des
Getränks einen diesem Preise entsprechenden Genuss hätte. Während
ich mich noch mit Herrn B. zu seinem grossen Vergnügen französisch
und englisch unterhielt, erschollen draussen auf dem Kirchenplatz, an
welchem er wohnt, wie jeden Abend die Klänge der Militärmusik;
misstönend gaben die Instrumente kaum kenntlich den Douauwalzer
von sich! Ich dachte zehn Jahre zurück an die glänzenden Hallen
des Wiener Ausstellungspalastes; Villa Rica und Wien!
WerthvoU war fiir mich die Bekanntschaft mehrerer Heiren, die
im Begiiff waren, nach den Verbales abzureisen, da ich bei ihnen
wichtige Erkundigungen über Wege, Ortschaften und Verhältnisse
OD
einziehen konnte, lieber den Fall des? Aguaray-guazü. eines rechten
Nebenflusses des Jejuf, welchen ich aufzusuchen gedachte, konnten
mir dieselben keine Auskunft geben; auch Herr Coehler wusste nichts
von demselben, zweifelte aber, dass dort ein Fall von einiger Bedeu-
tung sich finden könnte. Nicht ganz so entmuthigend sprach ein
alter HeiT aus Villa Rica selbst, der als Offizier die Flucht des Lopez
nach Norden bis zum Cerro Corti (wo liOpez getödtet wurde) mit-
gemacht hat. Er hatte von dem Fall gehört und schilderte die Gegend
in grossen Zügen richtig.
Hen- Coehler kennt genau einen grossen Theil von Paraguay und
besonders die Umgegend von Villa Rica, es war daher für mich
interessant, mit ihm die Karten zu studiren. Die Johnstonsdie Karte
kannte er ebensowenig wie jemand anders in Paraguay, und sie ist
doch ohne Zweifel die beste der vorhandenen Karten des Landes.
Bei Wisner zeigen sich in der Umgegend von Villa Rica einige ans
Lächerliche grenzende Fehler. Die Cordillere von Villa Rica, die
3 bis 4 Leguas von der Stadt entfernt ist, erscheint auf weniger als
IV« Leguas herangei-ückt und von den übrigen Erhebungen fast los-
gelöst; hinter ihr ist der Ort Dona Juana gezeichnet, welcher in
Wirklichkeit vor ihr liegt; Yataiti und Oviedo, in Wirklichkeit ver-
schiedene Namen für denselben Ort, erscheinen als zwei Ortschaften
mit sorgfältig unterschiedener Signatur, dabei keiner von beiden an
der richtigen Stelle gelegen; der Tebicuary, welcher jenseits von Villa
ßica entspringt, kommt bei Wisner weit von Nordosten her, so dass
er von dem nach Caäguazü führenden Wege gar nicht geschnitten
%ird u. s. w. Herr Coehler bestätigte meine Vermuthung, dass die
AVisnersche Karte für den ganzen Osten und Nordosten des Landes
sowie für viele andre Theile eine völlig irrige Vorstellung über ihre
Oeuauigkeit und Zuverlässigkeit erweckt. Die Gebirge sind gänzlicli
phantastisch gezeichnet, Flussläufe, die auch heute noch unbekannt
oder jedenfalls noch nicht genau aufgenommen sind, erscheinen mit
Sicherheit eingetragen, die Entwickelung der Flussnetze entspricht
oft nicht, der Wirklichkeit, wo vielleicht einmal eine Pikade ge-
schlagen wurde, die in einigen Jahren wieder verwuchs, erscheint ein
Karretenweg eingetragen u. s. w. Die JohnsUjnsche Karte nähert
^ich für die Umgegend von Villa Rica der Richtigkeit, die Cordillere
liegt richtig und die Quelle des Tebicuary ist wahrscheinlich auch an-
nähernd richtig angegeben: dagegen erscheinen Mbocayatf und Duarte,
ebenfalls zwei Namen für einen Ort, als zwei Ortschaften und, gleich
Oviedo, in falsclier Lage; auch muss der Tebicuary zwischen Villa
ßica und Achar-cu6 anders zu liegen kommen, denn man rechnet von
50
Villa Rica bis zum Flussübergang 5 'Ai, von da bis Achar-cu6 2^/4 Leguas
Der Name, welchen Johnston für den höchsten Punkt der Cordillen
von Villa Rica angiebt, war niemandem bekannt; die Spitzen der
selben scheinen keine Einzelnamen zu führen.
Herr Coehler und sein Geschäftstheilhaber Herr B. waren au
Geschäftsreisen weit nach Nordosten gekommen und konnten mir ein(
Menge zuverlässiger Angaben über jene Gegenden und über das Lebei
und Treiben in den Yerbales geben, die ich in der Hauptsache weitei
unten verwerthen werde. Auf dem Kirchplatze der Stadt sah ich dit
ersten Yerbabäumchen , kleine junge Exemplare, in Umzäumungei
sorgfiLltig gehegt. Hen* B. lobte unter anderm sehr die Ehrlichkeil
der in den Yerbales lebenden gänzlich »zahmen« Indianer; er hatte
einmal in ihrem Gebiet für 1000 Patacon (4000 Mark) Waaren fün:
Monate lang in einem offnen Schuppen liegen lassen, und als er die
selben wieder aufsuchte, fehlte nichts. Man kann mit den Leuter
gut umgehen, nur muss man streng sein Wort halten, da sie sonst
Gelegenheit zur Rache suchen.
In den Wäldern östlich und südöstlich von Villa Rica lebt, wie
mir von vielen Seiten mitgetheilt wurde, ein noch fast ganz unbe
kannter Indianerstamm, die Guayaqul, welche noch Steingeräthe und
Steinwaflfen benutzen sollen. Bei Hen-n Konsul Mangels las icl
später einen Brief von einem in den Yerbales von Y^'utl (im Südost
liehen Paraguay) thätigen Deutschen, welcher diese Angaben bestätigte
und zwei Individuen des genannten Stammes gesehen hatte. Es würde
nicht uninteressant sein, diese Leute einmal aufzusuchen. Das Volk
hat dieselben, wie so vieles Unbekannte, mit einem Sagenkreise um
geben: sie sollen andere Menschen fliehen, sollen völlig apathisch sein
sich gegen einen ihnen übergeworfenen Laso (spr. Lasso) nicht ein
mal wehren u. s. w. Auch wusste man viel von einem ebenfalls ii
den Bergen lebenden zwerghaften Indianerstamme zu erzählen, w^elchej
von rother Hautfarbe sei, auf Bäumen lebe u. s. w.: jedenfalls Fabeln
Die Johnstonsche Kai'te zeigt östlich von Villa Rica im Waldgebiel
den Volksuamen Guayanas, welchen ich von niemand gehört habe.
Die Cordillere von Villa Rica konnte ich unmöglich unbe-
sucht lassen, zumal da von früheren Besteigungen derselben nichts
bekannt w^ar. Herr Coehler war zum Mitgehen bereit und nahm noch
einen seiner Leute mit, so dass unsere kleine Kavalkade vier Köpfe
zählte, als wir am 19. Dezember früh durch die an Pflanzungen von
Mais, Reis und Tabak, sowie an Spuren jetzt eingegangener An-
Siedlungen reiche Gegend nach Osten trabten. Je näher wir dem
Gebirgszuge kamen, desto deutlicher zeigte es sich, dass dei-selbe
57
nicht, wie es aus der Ferne scheint, aus einem von Norden nach
Süden streichenden fast ungegliederten Kamme besteht, es wurden viel-
mehr etwa ein halbes Dutzend Thäler erkennbar, die ihn von Nord-
westen nach Südosten furchen, so dass man letztere Eichtung als die
lierrschende in jenem Ausläufer der höheren Landschaften des öst-
lichen Paraguay ansehen kann. Die Spitzen zeigen nur geringe
Höhenunterschiede, so dass ich mit Hen*n A., einem wohlhabenden
Para^ayer, in dessen Hause wir während kurzer Fnihstücksrast aus
reich mit Silber beschlagenem Mate das Nationalgetränk genossen
und ein aus mitgebrachtem Fleisch bereitetes Ragout mit reichlicher
Zuthat der unvermeidlichen Zwiebeln assen, nicht darüber einig
werden konnte, welches eigentlich die höchste derselben sei. Ich be-
hielt trotz seiner abweichenden Meinung die Spitze als Ziel im Auge,
welche mir von Villa Rica aus als höchste erschienen war und nahe-
zu östlich von der Stadt gelegen ist. Ein Vaqueano war nicht auf-
zutreiben, daher machten wir uns allein auf den Weg, von dem freund-
lichen Herrn bis zum einzigen Uebergang über ein baumgesäumtes
Flüsschen begleitet. Dann ritten wir durch eine kurze Pikade und
über eine Waldwiese mit Resten früherer Ansiedlungen bis zu einem
zweiten Bach, der dicht am Fusse des zu besteigenden Berges hin-
floss. Die Besteigung ging verhältnissmässig leicht von statten,
unsere beiden Leute säuberten einen Pfad und zeichneten fleissig die
grossei-en Bäume für den Rückweg. Hier und da mussten wir uns
durch einen dichten Bestand von Tacuarilla (sehr zähem, vielfach
verschlungenem, bambusverwandtem Rohr) durcharbeiten, ab und zu
kam eine kurze nur schwer zu nehmende Strecke dünn mit schlüpfriger
Erde überlagerten Felsens, einige Male mussten zur Kontrolirung der
Richtung Bäume erstiegen werden. So ging es drei Stunden lang
bei diückend schwüler Hitze aufwärts, bis zu einem Punkte, dessen
Höhe ich zu 570 m bestimmte. Dort erklomm ich einen der höchsten
Bäume, um wenigstens etwas Aussicht zu haben; viel war es nicht,
da nach den meisten Seiten der Wald hinderlich und da die Luft
trübe und dunstig war. Verschwommen erscliien im Westen die
Cordillerita, im Südwesten weiter, durch keine Ortschaften unter-
brochener Kamp. Gegen Südosten stieg der Berggrat, auf dem wir
^Jis befanden, noch etwa 50m an, doch bestand ich nicht darauf,
bis dorthin voi'zudringen, da weiter nichts Besonderes zu hotfen war;
^üch plagten Hitze und Durst uns mehr als gewöhnlich. Wir zündeten
ßinen halb trockenen Baum an und wandten uns zur Umkehr. Die
kundigen Augen meiner Begleiter vermochten den für mich oft ganz
unkenntlichen Pfad, den wir aufwärts verfolgt hatten, genau wieder-
58
zufindeu, so dass wir schon nach IV2 Stunden wieder unten an dei
Bache waren, wo wir uns — man könnte fast sagen innen und ausse
— badeten, und dann den unvermeidlichen Mate und einen »Asado
bereiteten. Ein Herr Dr. D., welcher Käfer sammelnd fast gan
Amerika durchstreift hat, und mit welchem ich später bei meinei
zweiten Besuch der Kolonie San Bernardino zusammentraf, stellte
als ei* mich über die Taugliclikeit meines Reisebegleiters befragte
als erste Frage die, ob derselbe einen guten Asado bereiten könne
schon daraus kann man ersehen, welche Wichtigkeit der Asado ir
paraguayschen — und überhaupt südamerikanischen — Reiselebe
spielt. Es giebt kein Fleischgericht, welches man mit weniger Voi
bereitungen und Hülfsmitteln bereiten könnte, und man kann denselbe
nicht nur aus frischem Fleisch, sondern auch aus canic charquend
— in Streifen geschnittenem und an der Sonne getrocknetem Fleisc
— bereiten. Ist das Feuerchen angemacht, so schneidet man vo
irgend einem Busch einen Ast ab, reinigt ihn, spitzt ilm zu un
steckt ihn mehrmals durch das zu bratende Fleisch, so dass diese
auf möglichst kleinen Raum zusammengedrängt wird. Dann steck
man den Spiess ans Feuer und sorgt für möglichst gleichmässige
Durchbraten der einzelnen Theile. Nach kurzer Zeit ist der Brate
fertig, die Hungernden setzen sich auf die Erde, der Spiess wir
mitten zwischen ihnen in den Boden gesteckt, jeder schneidet sie
mit einem Taschen-, Scheiden- oder Buschmesser so viel ab wie e
wünscht; als Gabel dienen die Finger. Etwas Salz wird zum be
liebigen Gebrauch bereit gehalten, oder auch schon vorher ins Fleisc
eingerieben. Ein Stück Asado und zwei oder drei oft steinhart
Zwieback bilden in Paraguay ein lukullisches Reisemahl.
Für diese Mahlzeit hatten wir eigentlich auf frischen Wildbrate
gehotft, aber ein Mytü, ein ansehnlicher hühnerartiger Vogel '), den wi
im Walde angetroffen, hatte mich nicht zum Schuss kommen lassei
Er und ein eulenartiger Vogel waren übrigens die einzigen gi'össere
lebenden Wesen, die wir während der Besteigung angetroffen hatten
von Vierfüsslern sahen wir nur Spuren ; nur das Summen von Insekte
und das lautlose Gaukeln grosser Schmetterlinge belebten die Wald
einsamkeit. In der Vegetation waren grosse Unterschiede zwisclie
dem Fuss und der Spitze des Berges nicht zu bemerken; charakteristisc
ist indess, dass die Pindopalme, eine Fiederpalme von eleganter Er
scheinung und mit glattem, schlankem Stamm, erst in der höherei
') Bei Wappaeus, Die Republik Paraguay, Leipzig 1867, llinrichs, S. 1157, Cra
^rtUata genaiin t .
r
59
Eegiüu auftritt, was rair sclion beim Cerro Tatucuä aufgefallen war.
Grosse Bäume hatten wir nur vereinzelt im Walde angetroffen, unter
ihueu besonders häufig den schon erwähnten Ombii. Die mitgenommenen
Gesteinsproben von verschiedenen Theilen des Berges erwiesen sich
als Diabase von verschiedener Zusammensetzung; ein von dem er-
stiegenen Berg südlich gelegener niedrigerer Berg, der Ceiro Pelado
oder Kahle Berg, schien mir indessen aus Sandstein zu bestehen, wenn
man aus der zerklüfteten burgniinenartigen Gestaltung der röthlichen
Massen auf ihre Zusammensetzung schliessen darf.
Es war Zeit gewesen, dass wir die Spitze des Berges verliessen,
denn kaum hatten wir den Rückritt angetreten, als sich zu dem im
Süden stehenden Gewitter ein zweites gesellte, das uns, aus Ostsüd-
osten kommend, geschwind nacheilte und bald den Gipfel des Berges
in regenschüttende und blitzdurchzuckte Wolken hüllte. Durch Ab-
kühlung der Luft machte es sich in der Ferne angenehm bemerkbar.
Eine kurze Bast im Hause des Herrn A. wurde durch eine Szene
echt paraguayschen Hirtenlebens unterbrochen. Heir Coehler hatte
in dem Weideland der Umgebung ein Pferd bemerkt, das ihm gehörte,
aber schon seit zwei Jahren ein gänzlich ungebundenes Kampleben
führte. Ein halbes Dutzend junger Burschen aus der Nachbarschaft
machten sich beritten und trieben in sausendem Galopp den Ausreisser
nebst anderen Weidepferden in den Corral, dann traten zwei der ge-
schicktesten mit Lasos in die Mitte des Corrals; scheu liefen die
Pferde im Kreise; geschickt wird der Falbe von den übrigen gesondert,
der Laso fliegt durch die Luft , die Schlinge sitzt ihm am Halse ;
wenige Augenblicke später fasst die zweite seine Hinterfüsse, er ist
gefangen und muss sich, halberstickt, die ungewohnte Halfter anlegen
lassen. Mit Widerstreben folgte er bis Villa Rica, wo der (lommlor,
der Pferdebändiger, ihm am andern Morgen mit Muth und Gescliick
Sattel und Zaum anlegte und ihn zu reiten versuchte. Maul und
blanken bedeckten sich mit Blut, ohne dass er geneigt wurde, sich
^eni fremden AVillen zu fügen; er wurde abgeführt, um in den nächsten
Tagen wiederholt »in Arbeit« genommen zu werden.
6. Von Villa Rica nach Süden. Der Cerro Tatuy.
Ein starkes Gewitter, das von Südwesten heraufzog, und reich-
lichen Hegen niedersandte, hinderte mich, am 20. vor o Uhr Nach-
^^ittags zu einem Abstecher nach Süden aufzubrechen. Ueber sich
^^iikendes Land ritten wir südwärts, ohne noch vor Abend Capilla
^öjja zu eiTeichen; ein winziger Rancho, fast nur aus einer Vorhalle
l^estehend, abseits des Weges nahe dem Waldrande gelegen, nahm
«0
uns gastlich auf, und wir verbrachten daselbst in Häugeniatteu zwischen
Kühen, Kälbern, Ferkeln, Hühnern, Hunden und Moskiteu eine
etwas unruhige Nacht. Mit dem Frühesten ging es weiter, dem nocli
1 V'i Stunden entfernten Capilla Borja ') zu, einem kleinen Städtchen,
das, so viel ich beim Durchreiten sah, nur aus einer Strasse und einem
Platz besteht. Die geschlossene Reilie der ausnahmsweise meist weiss
getünchten Häuser mit den kleinen Vorhallen erinneite mich lebhaft
an Dörfer in Mähren und Böhmen, doch schnell wurde die Illusion
durch ein paar leichtgekleidete braune Pai'aguayerinnen und eine
plumpe Karrete gestört. Weiter führte unser Weg meist auf AVeide-
land mit grauem und gelbem Sand- und Lehmboden, durchsetzt von
zahllosen Termitenhaufen, deren ich oft mehrere hundert gleichzeitig
sah, und nur spärlich mit Vieh bejagt; rechts und links sah man
Waldränder, von vielen orangenreichen Ansiedlungen besetzt. Wo
irgend wir ein Stückchen Waldland kreuzten, trat fast ausnahmslos
der rothe Boden auf, eine Erscheinung, die ich in allen von mir be-
suchten Landestheilen beobachtet liabe, ohne dass damit gesagt sein
soll, dass nicht auch Weidestrecken rothen Boden aufweisen. Kurz
vor Capilla Boija hatten wir den Yacä-mi überschritten; IV« oder
zwei Leguas nördlich vom Städtchen trafen wir auf den Yacä-guazü,
ein ansehnliches Flüsschen, das, reich an kleinen Kieseln, von Ost-
nordost herkommt und bei dem augenblicklichen massigen Wasser-
stande durchritten werden konnte. Wie stark es bei Regenwetter
anschwillt, zeigten die weithin verfolgbaren Spuren des letzten Hoch-
wassers. Bald stiegen wir aus der breiten, flachen Niederung der
beiden Flüsse wieder zu welligem Hügellande empor, in welchem eben-
falls Weideland und Waldstrecken mit besiedelten Rändern abwechselten.
Der Tag war ziemlich heiss, sodass wir zu längerer Mittagsrast eine
einsam auf dem Rücken einer Loma gelegene Estancia aufsuchten
(zur Gemeinde San Miguel gehörig; die Wisnersche Karte zeigt
dort einen mächtigen Bergzug, der bis an den Tebicuaiy herantritt!),
wo eine schattige Baumgruppe winkte. Der Besitzer war zur Zeit
des Krieges nach dem argentinischen Staate Entre Rios ausgewandert
und erst seit wenigen Jahren wieder in Paraguay, er befasste sich
hauptsächlich mit Schafzucht, was eine Seltenheit in Paraguay ist,
doch wurden von ihm und anderen die Bedingungen, welche das
Land für Schafzucht bietet, gelobt. Seine kleine Heerde lieferte ein
') Capilla heisst Kapelle; die Stadt wird nach dem benachbarten Flusse auch
Yaca-guazü genannt; in diesem Namen ist das zweite a nasal, man spricht daher fast
Vacanguazü aus. Der Ort ist im Jahre 1785 gegründet.
61
ziemlich gi'obes Produkt, das im Lande zu zwoi Realen (80 Pf.) das
Pfund verkauft und zu ^oben Geweben, namentlich Ponchos und
Satteldecken, verarbeitet wird. Die Aussicht von der Estancia war
ninfassend und bot mir etwas ganz Neues, nämlich in ziemlicher Ent-
fernung im Nordosten einen mächtigen Bergrücken, welcher die eben-
falls sichtbare Cordillere von Villa Rica offenbar überragte, und den
ich auf meinen Karten ebensowenig wie später zu Hause auf irgend
welchen andern verzeichnet fand; es war der Cerro Tatuy, auch Oerro
Gnazü (Grosser Berg) genannt, den ich, wenn möglich, zu besuchen
sofort beschloss. Im Westen sah ich das weite, flache, reizlose, aber
wildreiche Thal des Tebicuary, dahinter die waldige, stellenweise
von hochliegenden Weiden unterbrochene Cordillerita; dieseits des
Tebicuar^ eine sumpfige Lagune, die Laguna Car6 '), von welcher der
Alte natürlich wieder Wunderdinge zu erzählen wusste, namentlich
von einem schwimmenden Stein, der sich darauf befinde und sich oft
mit grossem Geräusch in Bewegung setze.
Durch wechselvolle anmuthige Hügellandschaft, von deren Frucht-
barkeit die zahlreichen neu angelegten Pflanzungen zeugten — kennt-
lich an den in den Rodungen noch stehenden grösseren Bäumen,
welche man allmählich eingehen lässt — setzten wir am späten Nach-
mittag unsern Weg fort, links oft mit dem Blick auf den Cerro Tatuy,
während im fernen Osten ein dunkler Streifen das höhere östliche
Waldland andeutete. In Caäzapä (180 m über Meer), welches wir
mit untergehender Sonne erreichten, verschafften mir meine Empfeh-
lungsschreiben in dem säubern und von Wohlhabenheit zeugenden
Hause des Gefe, eines gebildeten und zuvorkommenden Mannes, die
beste Aufnahme. Das Städtchen, der ziemlich verkehrsreiche Haupt-
ort eines grossen Kreises, beherbergte gerade viele Fremde, die zum
Theil aus weiter Ferne gekommen waren, um den dort alljährlich
um Weihnachten (24. bis 30. Dezember) stattfindenden Wettrennen
beizuwohnen. Solche Rennen bilden eine Hauptunterhaltung des wohl-
habenden Paraguay ei-s und des eingewanderten Correntiners; grosse
Suramen werden dabei verwettet, und die Leidenschaft für solche
Wetten verhindert viele, zur Wohlhabenheit zu gelangen. Von unsern
Rennen unterscheiden sich die »Carreras« wesentlich, indem man auf
ungesatteltem Pferde reitet und nur ganz kurze Strecken, gewöhnlich
nur 300 Varas (250 m), zurücklegt. Was die Wohlliabenden an
') Car^j heisst ktumm ; es wird oft auch canj gesprochen , wie überhaupt höchst
merkwürdiger Weise r und n im Guaranf leicht in einander übergehen und oft verwechselt
werden.
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schönen Pferden und an reicligeschmticktem Sattel- und Zaum
besitzen, kann man bei solchen Rennen sehen und bewundern,
das bevoretehende Rennen war »cl rosillo ') de Ajo$*, der Rothschin
von Ajos, einem 10 oder 12 Leguas nördlich von Villa Rica geleg
Städtchen, der gefürchtetste Gegner. Viele von den angeseh-
Fremden versammelten sich nach dem Abendessen in dem Empfa
Zimmer meines Wirthes; bald erschienen auch zwei Musiker, Wf
Harfe und Harmonika nicht übel beherrschten, mir dagegen mit il
näselnden und eintönigen, schwächlich klingenden Gesänge wen
Bewundening entlockten. Die Paraguayer sind fast alle musikal
und erlernen leicht ein Instrument. Am beliebtesten ist bei il
die Harfe, die sie sich — abgesehen von den Saiten — nicht s€
selbst mit kunstfertiger Hand herstellen; denn wie musikalische
gabung, so ist auch Handgeschicklichkeit ihnen meist eigen. Sc
zählte man mir in Villa Rica von einem Knaben, der sich mit wi
nichts als einem geschärften und zugespitzten Stück Bandeisen
Harfe verfertigt hatte; derselbe zimmerte sich nach blossen Er
lungen eine kleine Postkutsche. Die Tafel bot bei Herrn Ortig
— so hiess der Gefe — ungewohnte Genüsse: da gab es eine ord
liehe Fleischsuppe, Leberwurst, gebratenes Geflügel, trinkbaren V
und sogar chinesischen Thee. Auf dem säubern Hofe erfreute i
eine kleine Sammlung von inländischen Thieren, namentlich in kleii
niederem Käfig eine hübsche Tigerkatze, t/aguaretc-i, kleiner Ti
genannt, auf dem Dache ein stattlicher Adler und frei umherspazii
ein prächtiger rother Ära.
Am andern Morgen ritten wir fort, auf Anordnung des Gefe
gleitet vom Comisario der nördlicher gelegenen Gemeinde Rosai
der zufällig anwesend w^ar. Mit wichtiger Amtsmiene begleitete
der etwas gestörte Alte in der lauen Morgenluft erst über Weidel;
dann durch einen an stattlichen Bäumen reichen Wald zum Pot
San Jos 6; im Nordosten hatten wir meist den Cerro Tatuy
Augen, nahezu nördlich die Cordillere von Villa Rica. In den Wälc
dieser Gegend und um Villa Rica findet sich von den vielen Nutzhöh
Paraguays besonders häufig die Ceder {cedro, Cedrcla hmsiliensls
als rothe und weisse unterschieden, ein prächtiger Waldbaum, weh
ein gut spaltbares und bequem zu verarbeitendes, spezifisch leid
') Man benennt die Pferde fast ausnahmslos nur nach den Farben.
'^) IJci Du Graty, a. a. O. S. 305, als Ccdrclacec, im Katalog der ar<
Ausstellung in Bremen etc. als Meliacce bezeichnet.
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(0.57«) '), etwas wohlriechendes Holz liefert, das in seiner technischen
Verwendbarkeit mit unserm Fichten- nnd Kiefernholz zu vergleichen
ist. Mehrmals hatten wir Karreten mit mächtigen Blöcken dieses
Holzes getroffen. Der Potrero San Jos6, aus mehreren Theilen be-
stehend, deren grössten eine tiefe Schlucht quer durchschneidet, hat,
wie der umliegende Wald, rothen Boden und vorzüglichen Graswuchs,
ist aber noch fast unbewohnt. Bei einem kleinen Häuschen, das von
der vollen Krone eines schattigen Paraiso (Melia azedaracK) geschützt
)^Tirde, machten wir kurze Rast. Vier Generationen bewohnten es,
aber lauter Frauen : eine noch rüstige Alte, eine Frau in mittleren
Jahren, zwei Frauen oder Jungfrauen — in Paraguay nimmt man
es mit der Grenze nicht so genau — in jugendlichem Alter und ein
kleines Kind. Die beiden jungen AVeiber waren die anmuthigsten
weiblichen Erscheinungen, die ich bisher in Paraguay gesehen hatte,
die eine völlig blond und etwas voll, mit ruhigen blauen Augen, die
andere schlank und ebenmässig, tief brünett, mit lebhaften, grossen,
dunkeln Augen und graziösen Bewegungen, fast werth, eine klassische
Schönheit genannt zu werden. Einen Schluck Cana verschmähten die
jungen übrigens ebensowenig wie die alten.
Gegen Mittag erreichten wir die Wohnung des Comisario, der
uns aber in dem benachbarten Hause einer wohlhabenden Witwe unter-
brachte. Sie w^ar zu Zeiten des Lopez aus Encarnacion (am Parantl
IUI südlichen Paraguay) in diese sehr menschenarme Gegend üppigen
Weidelandes eingewandert und eraielte mit ihren schon ältlichen
Töchtern reichliche Ernten an Mais, Tabak, AVassermelonen, Maniok,
Orangen (von selbsgepflanzten Bäumen, was man nicht zu oft trifft),
Baumwolle u. s. w. Sie klagte nur über zahlreiches und häufiges
Auftreten der Ysaü*), einer grossen rothen Ameise, mit dickem Kopf
önd fürchterlichen Fresszangen, deren Scharen bisweilen einen Ürangen-
l^aum in einer oder einigen Nächten seines Blattschrauckes ganz ent-
Weiden. Von der nahen Wohnung des Comisario hatte ich einen
schönen Blick auf den vielleicht von dort noch 5 Leguas entfernten
Cerro Tatuy, dessen imposante Masse nach Südosten zu steil abfällt,
sich zu einem Hochlande von jedenfalls sehr geringer Höhe verflachend,
^Dd von der Cordillere von Villa Rica durch eine ziemlich tiefe Ein-
renkung getrennt ist. Von der durch den Cerro Tatuy bezeichneten
') Vgl. La Plata Monatsschrift (herausgegeben von Richard Napp),
J%. IV. (1876), S. 31.
') Den zoologischen Namen der Vsaü kann ich nicht angeben. Kengger (a. a. (>.
^' 278) sagt in einem sehr interessanten Kapitel über die Ameisen und Termiten Paraguays ;
* »Wahrscheinlich eine Atta, der ce/>halotes ähnlicht. Danach bei Wappaeus a. a. O. S. 1157.
ß4
Erhebung fliegen drei auf den Karten tlieils gar nicht, theils sehr
veix-hieden rlargestellte Flüsse nach Soden, der Tatuy. Capirari ') und
RraiKi. deren Gewässer. Tom letzteren gesammelt, den Tebicuar}-
gnazd vergrössem: nach Westen, zum Tebicuary-mL fliesst der am
Tage vorher von uns überschrittene Yacä-guazü. Ueber die tiefliegende
Landschaft der ersteron konnte ich ziemlich weit nach Osten blicken.
Abends fanden sich noch einige Leute aus der Nachbarschaft,
besonders junge Bui-sche, ein. die Guitarre fehlte nicht und es Winnie
Tieim Schein eines kleinen Lämpchens auf dem gestampften Lehmboden
der Vorhalle getanzt. Wohl oder übel musste ich mit meinen in
langen Reitstiefeln steckenden Beinen neben den barfussigen Paragu-
ayern in die Schranken treten. Es wurde mir aber nicht schwer,
meinen Mann zu stehen, sogar das Lob der ältlichen Schönen zu
ernten, denn man tanzt dort mit einem unglaublichen Phlegma; in
Asuncion, auf den Bällen der besseren Gesellschaft, sind die Böden
sogar mit Teppichen belegt. Ausser unsem europäischen Rundtänzen
wurde in unserm Rancho auch die nationale Palomita (»Täubchen»)
getanzt, eine Art Quadrille mit allerlei netten Touren, die oft von
einzelnen Paaren ausgef&hrt und von den übrigen mit rhythmischem
Fingerschnalzen oder Händeklatschen begleitet werden. Es ruhte sich
herrlich in der frischen Nachtluft nach dieser ungewöhnlichen Leistung.
Begleitet vom Comisario und einem jungen Manne wollten wir
am andern Morgen dem ohne Zweifel noch nicht bestiegenen Cerro
zu Leibe gehen. Ueber Weiden und Sümpfe, in welchen die Pferde
meist bis an den Bauch in Wasser und Schlamm wateten und die
ohne kundige Führung wohl nicht zu passiren wären, ritten wir zu
mehreren zerstreuten Ansiedlungen (in deren einer wir eine frisch
get(3dtete etwa 1 V2 m lange Giftschlange sahen), um Leute zu finden,
die Muth hätten uns zu begleiten; dies gelang aber nicht. Keine
Ueberredung und keine Versprechungen vermochten die Leute zu
einem Entschlüsse zu bringen; unpassirbare Sümpfe und Wälder,
Reichthum an wilden Thieren und andere Gefahren, sagten sie,
machten die Bergspitze unerreichbar; das sei noch unbetretenes Ge-
biet der Indianer. Selbst beherzt erscheinende Leute schüttelten
mit einer Miene den Kopf, aus der ich entnahm, dass alle Bemühungen
aussiclitslos seien. Ich kam zu der Ueberzeugung, dass es zwar nicht
•) So schreibt und spricht man gewöhnlich. Streng genommen wäre Capiyguary
zu schreiben und zu sprechen; capiy^uä ist der Guaran(-Name des Wasserschweins, ge-
wöhnlich bei uns Capibard genannt. Capivari heisst also Fluss der Wasserschweine.
Dieser Flussnamc kommt im ganzen Guaranf-Sprachgebiet sehr oft vor.
f
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unraöglicli sei, die Spitze des Berges zu eiTeiclien, dass es aber durch
Umgehen von Sümpfen, Abbrennen von Grasstrecken, Pikadenscblagen,
Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln u. s. w. mehrere Tage
und umfangreiche Vorbereitungen erfordern würde. Dazu kam noch,
dass Regen und Gewitter in sicherer Aussicht standen, welche die
Schwierigkeiten zu vermehren und zugleich die ganze Unternehmung
anlohnend zn machen drohten. Missmuthig beschloss ich, den CeiTO
fnr dieses Mal zu verschonen, in der Hoffnung, nach meiner Rückkehr
nach Asuncion noch Zeit zu einem zweiten Besuche, dessen besonderes
Ziel er sein sollte, zu behalten, was leider nicht der Fall war. Die
Höhe des CeiTo Tatuy schien mir um gegen 100 m beträchtlicher zu
sein, als die der Cordillere von Villa Rica.
MeinEntschluss reifte im Hause eines Sergenten der Gemeinde
Concepcion, an welchen mich der Comisario abgeliefert hatte, und
welcher die Gegend am genauesten zu kennen schien. Während wii*
ans in seinem Hause mit Essen, Trinken, Plaudern und Schlafen die
Zeit vertrieben, fielen schon einzelne Regengüsse, und als wir Nach-
mittags eben aufbrechen wollten, scheuchte uns ein gewaltiges Un-
wetter wieder zum Hause zuiück. Die Unterhaltung des Abends
drehte sich zum grossen Theil noch um den. Berg und seine Schreck-
nisse, zu denen sich jetzt noch der Bombero, ein sehr geftirchtetes
gespensterhaftes Wesen, gesellte. Auch andere abergläubische An-
schauungen kamen dabei zum Vorschein, z. B. dass Menschen sich
gegenseitig in Tiger verwandeln können, aber in Tiger einer besondern
Art, die nur feinere Nahrung, Geflügel und dergl. zu sich nehmen;
ferner dass man sich, z. B. durch eine dargebotene Zigarrette, Krank-
heiten an wünschen könne; dass an Stellen, auf welchen ein Regen-
bogen zu stehen scheine. Gold und Silber zu finden sei u. s. w. Gold,
Silber, Schätze und Diamanten spielen überhaupt in den Vorstellungen
der Paraguayer eine grosse Rolle. Die erste Frage, wenn ich meine
Absicht, einen Berg zu besteigen, kundgab, war gewöhnlich die, ob
ich dort Gold und Silber suchen wolle; des Schatzsuchens war ich
jederzeit verdächtig und wurde es noch mehr, sobald ich meine Karten
vorholte und betrachtete; darauf sollten durchaus die Stellen ver-
zeichnet sein, w^o Madame Lynch während der Flucht mit Lopez
^ie Schätze vergraben habe, über deren Verbleib ausser ihr Niemand
etwas wissen könne, da alle beim Vergraben thätig Gewesenen er-
schossen seien. Mit scheuer Miene fragte mich der Sohn des Sergenten,
ob ich es verstände, auch Schätze aufzufinden, deren Ort mir unbe-
kannt sei, und ob ich dieselben dann ohne Schaden heben könne;
ihnen, den Paraguayern, sei das unmöglich, die Padres hätten es in
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alten Zeiten verboten, und es könne den Zuwiderhandelnden das
grösste Unglück geschehen. Von der Quelle des Yacä-guazü wusste
der junge Mann , zu erzählen, dass es dort Diamanten gäbe, was
meinen Begleiter veranlasste, am folgenden Tage eifrig in dem Geröll
des genannten Flusses zu suchen, ohne dass er Spuren von edleren
Steinen als Chalcedon, Achat und dergl., die in jenen Ländern häufig
sind, gefunden hätte. Von seinen abergläubischen Schatz- und Geister-
geschichten ging der junge Mann zu Harfe und näselndem Gesang
über, bis die vorgerückte Stunde ihn zur Ruhe rief Die Nacht war
rauh und regnerisch, stürmischer Südwind hatte den am Vormittag
wellenden Nord abgelöst und schaukelte meine Hängematte so, dass
ich wenig Schlaf fand.
Bei fortgesetzt regnerischem Wetter mit Nordwind geleitete uns
am andern Morgen der Sergent zu seinem nächsten Kollegen, dei
uns noch eine Strecke weit auf schlüpfrigen Wegen und durch Snmpl
begleitete, bis wir den richtigen Weg nach Villa Rica nicht mehi
verfehlen konnten. Wir ritten schweigsam von Potrero zu Potrero-
überschritten wieder den Yacä-guazü und Yacä-mi, erreichten zer-
streute Ansiedlungen, welche die kleine Gemeinde Dofia Juana
bilden und näherten uns, zur Rechten das meist von Wolken bedeckte
Gebirge, unserm Ziele. Die Gegend bot wenig Neues und ich hatte
reichlich Zeit, meine Gedanken in die Heimath schweifen zu lassen,
wo meine Angehörigen, während ich regentriefend auf müdem Pferdchen
durch die Sümpfe stolperte, — vier bis fünf Stunden Zeitunterschied
in Betracht gezogen — wahrscheinlich um den glänzenden Weihnachts-
baum versammelt waren. Am frühen Nachmittage trafen wir in Villa
Rica ein.
Von einer Weihnachtsfeier war in Villa Rica nur wenig zu merken.
Die Soldaten veranstalteten auf dem Kirchplatz ein Ringstechen:
in einem mit Kränzen und roth-weiss-blauen paraguayschen Fahnen
verzierten Bogen hing an einer Schnur ein kleiner Ring, die Soldaten
sprengten einzeln oder zu zweien um die Wette unter dem Bogen
hindurch und versuchten den Ring mit dem kleinen Stäbchen herab-
znreissen, was aber nur äusserst selten gelang; dazu spielte die schlechte
Musik. Die Leute waren meist halb betrunken, und es kam ihnen
weniger darauf an, den Ring zu erwischen, als darauf, ihre Pferde
und ihre Reitkunst zu zeigen und von den Zuschauern bewundert zu
werden. Abends trieben Knaben Unfug auf den Strassen, zündeten
Feuer an und schreckten, mit Ochsenköpfen aus Pappe verkleidet
und in dürre Ochsenhäute gehüllt, die Vorübergehenden. Ich durch-
streifte mit mehreren Herren die Strassen, um die in vier oder fünf
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der wohlhabenderen Häuser aufgestellten pesehres^ Krippen, zu be-
uchen, Darstellungen der Geburt Christi: in einer kleinen Grotte
sah man das Christuskind, umgeben von den Seinigen, von den Weisen
aas dem Morgenlande und von allerlei Gethier; rund umher phan-
tastische und mannigfaltige Verzierungen von Blumen, Früchten,
Kerzen. Spiegeln und allerlei Flittertand; dazu Musik und Gesang
als Engel verkleideter kleiner Mädchen. Bald war die Stadt wie
ausgestorben und wir wussten nichts besseres zu thun, als den »heiligen
Abend« mit einer Partie Billard in der Kneipe eines Italieners zu
bescbliessen.
Am folgenden Morgen eine für Paraguay seltene Witterungs-
erscheinung: dichter Nebel bedeckte die Landschaft, so dass ich nicht
einmal über den Marktplatz hinwegsehen konnte. Bald aber zerstreute
die Sonne die feuchten Dünste und am Nachmittag lockte das schönste
Wetter die Bewohner der Stadt hinaus zu einem Landhause, wo die
Militärmusik etwas zum Besten gab; trotz der nur sehr geringen
Entfernung erschien alles zu Pferde. Die Geschäfte erlitten übrigens
dorch den Feiertag kaum eine Störung; der Marktverkehr fand wie
sonst statt und die Läden waren am Vormittag offen.
7. Bis zum Rio Corrientes.
In aller Frühe zog am 26. ein Gewitter heran, welches bis gegen
neun Uhr reichlichen Regen herabsandte. Wie die meisten Gewitter,
welche ich bis dahin in Paraguay erlebt, hatte es nichts besonders
Grossartiges und Schreckliches an sich. Dumpf und langgezogen
rollten die Donnerschläge, einzelne bis 90 Sekunden dauernd ; erst mit
grosser Heftigkeit, dann sanfter aber ziemlich anhaltend ergoss sich
der Regen. Den Nachmittag konnte ich aufbrechen und zwar mit
wesentlich vervollständigtem Reisegepäck, denn ich hatte von einem
alten Eaufmanne zwei noch aus Lopez' Zeiten stammende, jetzt selten
geworfene, sehr feste und völlig wasserdichte, kunstvoll aus Holz und
Leder hergestellte Packkörbe gekauft, die mir die besten Dienste
leisteten. Meist über sich allmählich senkendes Weideland, zur
fiechten das Gebirge, dessen Ansicht sich fortwährend veränderte,
ritten wir ungefähr nach Norduordosten , stellenweise von geflügelten
Ameisen sehr belästigt. Wir erreichten gegen Abend einen nur noch
durch einen schmalen Streifen Weide und Wald vom Tebicuary ge-
trennten Sumpf, welchen wir mit Vorsicht passirten. Mein lose
laufendes Reservepferd fand die Gelegenheit günstig, machte mitten
im Sumpfe Kehrt und spazierte zurück. Da mein Begleiter das Pack-
pferd an seinen Sattel gebunden hatte, musste ich dem Ausreisser
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nacli, den idi erst nach vielem Hin- und Herreiten in dem gefährlichen
Sumpf und langer Hetze auf dem daranstossenden Kamp mit List
und Geschick einfing. Nahe dem Waldrande stand eine elende, sehr
verfallene, unbewohnte Hütte, ein altes Fährhaus, wie Reste von
Rudern bewiesen, wo wir drei junge Bursche trafen, mit denen wir'
unser trauriges Quartier theilen mussten. Sie assen gern von unserm
Asado mit, wir Hessen den Mate kreisen und streckten uns dann auf
Sätteln und Decken nieder, während am westlichen Horizont noch
das räthselliafte Abendroth jener Monate strahlte. Die drei Jüng-
linge waren auf dem Wege nach den Yerbales, wo nun bald die
Arbeit beginnen sollte. Viele ihresgleichen w-anderten um diese Zeit
daliin, nur mit wenig Kleidungsstücken und kärglichem Mundvorrath
versehen; sie sind tüchtige Fussgänger von grosser Ausdauer. Am
nächsten Morgen trafen noch zwei Leute zu Pferde und drei zu Fuss
ein, alle zusammen setzten sich dann vor uns in Bewegung, dem Te-
bicuar\^ zu. Wir folgten bald und trafen am >Pass« noch die Tochter
des Fährmanns, welche nach einigen Bitten uns und unser Gepäck
in einem etwa 7 m langen ausgehöhlten Baumstamme über den dort
auch noch ziemlich ansehnlichen Fluss (er war etwa 15 m breit und
tief genug, um die Pferde zum Schwimmen zu zwingen) setzte; der-
selbe liegt doit etwa 170 m über dem Meeresspiegel. Zwei Stunden
später standen wir am Rande eines Waldes, in welchen die Strasse
mit einem unbedeutenden, vielleicht 10 m hohen Anstieg hineinführte:
das war der Anfang des östlichen Hochlandes, zu welchem der Weg
nun unmerklich emporführte. Angeblich sieben Leguas hatten wir
durch eine ununterbrochene Pikade zu reiten; mächtige Baumstämme
durchsetzen den dichten Wald, daiiinter in besonders grosser Anzahl
der eben blühende Yvyrä-pytä') (Daphnopsis Leguieamoms) , deren
Kronen breite gelbe Schirme bildeten; die sauren Früchte der Orangen-
bäume blickten überall goldig aus dem Dickicht heraus, Bambusgewirr
hinderte oft gänzlich den tieferen Einblick in den Wald, auf grosse
Entfernungen hin sah man überall das leuchtend rothe Innere der in
Paraguay sehr häufigen sogenannten wilden Ananas, einer Bromeliacee,
von den Paraguayern Caraguatä genannt'^); von grösseren Thieren
') Das y in der vorletzten Silbe ist nasal und guttural, jyüi bedeutet roth. Auf
Karten in Kigennamen findet man bisweilen -punta, was dieses Wort darstellen soll, so
z. 13. auf Petermanns Karte von Argentinien u. s. w. (Erganzungsheft 39 zu Peter-
manns Mitthcilungen, Gotha 1875) nahe bei 22' n. B. und 56« w. Gr. Tacunipunta =
Taciirü-pyt.-!, rother Ameisenhaufen.
'») Hei Wappaeus, a. a. O. S. 1154, Jyromelia sp'moui, bei Du Graty, a. a. l).
,S. 324, Cava }^u ata guyanensis genannt.
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nii^endü eine Spur, nur Fliegen und Bremsen umsuniniten uns, und
Schmetterlinge, dai'unter eine sehr häufige, reichlich handgrosse blaue
Art, Sassen in wahren Schwärmen an feuchten und schmutzigen
Stellen des Weges oder gaukelten einzeln zwischen den Aesten umher.
Ab und zu begegneten uns ein paar Weiber, die irgend eine Last
auf dem Kopf nach Villa Rica trugen. Gegen Mittag holten wir am
Arroyo Guazü, einem ansehnlichen Bache — vorher hatten wir
noch einen Tebicuary-mi tiberschritten — , die kleine Karawane ein
und rasteten in ihrer Nähe am andern Ufer des Flusses. Einer von
den jungen Burschen machte uns einen Besuch und bot uns aus
Dankbarkeit für unser gastfreies Benehmen im Nachtcjuartier ein
Stück Maisbrot an. Durch ein Bad gestärkt setzten wir den Weg
fort; der Boden stieg immer noch langsam an, und wir hatten, bevor
wir den Wald verliessen, noch vier Bäche zu überschreiten, deren
bedeutendster, der Arroyo Caüada, in ziemlich tief ausgewaschenem
steiuigem Bette dahinfloss. Ueberall bildete rothe Erde, oft recht
sandig, den Boden. Ich ging grosse Strecken zu Fuss, da sich ein
kleines Geschwür höchst ungünstig den beim Reiten unentbehrlichsten
Theil meines Körpers zur Ausbruchsstelle ausersehen hatte. »Sie
hängen ja wie eine Klammer auf der Leine«, hätte der Reitlehrer mir
wohl zurufen müssen, wenn er mich an jenem Nachmittag zu Pferde
gesehen hätte. Der Wald wurde je weiter desto grossartiger: ein
dichtes GewiiT von Lianen verband die Bäume, wuchernde Farne
bildeten dunkles Dickicht, die Vogelwelt begann sich mit Annäherung
an den Waldrand und mit sinkender Sonne bemerkbar zu machen.
Gegen Abend traten wir hinaus auf eine umfangreiche, stark gewellte
Fläche, von Buschwerk und Waldinseln durchsetzt, welche Scharen
Vüu Papageien und Tauben belebten; einzelne Ansiedlungen wurden
sichtbar, wir überschritten noch einen Bach, den Arroyo Hü, und
um sieben Uhr war Caäguazü erreicht. Ein mit rothen Häuschen
<iingefasster Kirchplatz mit stallaitiger Kirche, der aber der Geist-
liche fehlt, und ein nur von ein paar zerstreuten Hütten umgebener
Marktplatz, das ist der ganze Ort, das Ende der Welt nach dieser
Seite hin, denn weiter östlich findet man in dem ungeheuren Wald-
gebiet bis zum Paranä nur noch Indianeransiedlungen und die zeit-
^veiligen Niederlassungen der Yerbateros.
Caäguazü *), ein Ort von wenigen hundert Bewohnern, liegt
375 wi über dem Meeresspiegel und ist eine der höchst gelegenen
') Cad bedeutet Kraut, auch Wald; i^nazii heisst gross; nui-gnazti ist auch der
^ame des Verbabaumes. Ersteres Wort kommt häufig in Ortsnamen vor, z. B. Caapucii,
70
Ortschaften in Paraguay. Der rothe Boden des umliegenden Hüge]
landes ist fruchtbar, aber nur wenig angebaut; Orangenpflanzunge;
findet man fast gar keine, da angeblich die Ysaü- Ameise dieselbe!
nicht aufkommen lässt, während der wahre Gmnd wohl in der Be
quemlichkeit der Leute zu suchen ist. Auch andere Fruchtbäura
findet man fast gar nicht, obgleich z. B. der Pfirsichbaum vortreflFlicl
gedeiht. Ich sah davon zwei erst drei Jahre alte Exemplare, welch«
wohl 6 m hoch waren, stattliche Kronen und tiberreichen Fruchtsegei
hatten. In der Umgegend giebt es noch vereinzelte PflanzungeD
dann, in etwas grösserer Entfernung kommen Ansiedlungen von Acker
bau treibenden Indianern, welche nicht lange vor meiner Reise eil
gewisser Herr Rode, früher auf der deutschen Kolonie, ich glaub
im Auftrage des Berliner Ethnologischen Museums, besucht hatte
Die etwas wohlhabenderen Bewohner von Caäguazü betreiben da
Geschäft der Yerbagewinnung , mit welcher auch der Erwerb de
meisten übrigen in Verbindung steht. Man beutet hier besonder
die längs des Viranguä gelegenen Wälder aus. Dieser Fluss ent
springt nordwestlich von Caäguazü und fliesst im allgemeinen nacl
Osten. Der erste »Yerbal« findet sich sechs Leguas von der Stad
entfernt. Fünf Leguas östlich von Caäguazü liegt der »Hafen« de
Viranguä^ d. h. der Ort, bis zu welchem jederzeit — seltne Ausnahmei
vielleicht abgerechnet -- »Chatas«, Lastkähne, gelangen können
welche 800 bis 1000 Arroben (zu IIV^ kg) laden. Dieselben gehei
beladen eine Vara (84 cm) tief und fahren in fünf bis sechs Tagei
hinunter bis zu dem Wasserfall, welchen der Viranguä vor seine
Mündung in den Paranä bildet, während sie zur Bergfahrt 15 bi
16 Tage brauchen. Die Yerba von Caäguazü geht besonders nacl
Villa Rica und von dort zum Theil weiter. Die Leute könnten aucl
selbst weiterhin direkte Geschäfte machen, denn der Tebicuarj' is
bis zu der von mir zuletzt überschrittenen Stelle, dem Paso de Caä
guazü, für Lastkähne schiffbar, ganz besonders trockne Zeiten aus
genommen; man braucht von dort bis zur Mündung 17 bis 18 Tage
zur Bergfahrt aber zwei Monate. Die geistige Kultur wird in Caägua
zu durch einen Schulmeister vertreten, der aber selbst nicht einma
richtig spanisch sprechen kann; ein Geistlicher ist nicht vorhanden
und der von Villa Rica, welcher die Seelen von Caäguazü mit hütei
soll, lässt sich manchmal ein Jahr lang nicht sehen. Ich fand ii
Caäguazü durch einen der sehr wirkungsvollen Empfehlungsbriefe de
Herrn Coehler Aufnahme im Hause eines gewissen Don Manne
Frutos, der mit zahlreicher Familie dort in der Einsamkeit eii
glückliches Leben führt nach bewegter Vergangenheit. Er hatte dei
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liopezschen Krieg mitgemacht, war nach dem Falle von Hiiniaitä
gefiamgen genommen worden und hatte dadurch sein Leben gerettet,
während fast seine ganze Familie durch Lopez ihren Untergang fand ;
er verlor seine Eltern, zwei Brüder und fünf Schwestern. Sein Vater
wurde mit 1800 andern in San Fernando, nahe der Tebicuarymünduug,
als verdächtig hingemordet; von ihnen fanden einige durch die Kugel,
andere durch Lanzenstiche, andere unter Peitschenhieben, noch andere
im cepo uniguyano^ dem uruguayschen Bocke, den Tod. Letzteres
Marterwerkzeug war fürchterlich: dem Gefangenen wurden Hände
und Füsse gebunden, erstere über die Knie gestreift, dann unter den
Knien ein Gewehr durchgeschoben, ein zweites über den Nacken ge-
legt und nun der menschliche Klumpen an den Enden der Gewehre
zusammengeschnürt! Später war Hen- Frutos Abgeordneter, musste
mehrmals als verdächtig ins Gefängniss spazieren, entging einigen
Hordanschlägen und zog sich endlich in die ungestörte Einsamkeit
der Urwälder zurück.
Am 29. wollte ich weiter gehen nach Norden, aber früh um vier Uhr
überwand der Südwind den Nordwind des vorigen Tages und anhaltender
Begen stürzte nieder; ich musste zwei Tage länger warten, da ein
solcher Guss die zu passirenden Flüsse so schwellt, dass sie nur mit
Gefahr unter Anwendung der Pelota (s. S. 50) zu überschreiten sind. So
hatte ich reichlich Zeit, die Umgegend des Caäguazü zu durchstreifen
und mit meinem des Landes sehr kundigen Gastfreund die Karte zu
Studiren und meine Beobachtungen zu sichten und zu festigen. Die
Umgegend von Caäguazü bot nichts Besonderes, doch hörte ich, dass
sie an grossem Wild, auch an Tigern (Jaguaren) und Tapiren, reich
ist In der von uns durchrittenen Pikade hatte vor einiger Zeit ein
Tiger sogar di-ei Menschen getödtet, einen Mann und zwei Frauen,
die einzeln vorübergezogen waren : ein Beweis für die allgemeine An-
nahme, dass dieses Raubthier, wenn es sich einmal an den Menschen
gewagt hat, ihn als einen besonderen leckeren Braten betrachtet. Auf
der Rückkehr von einem meiner kleinen Streifzüge erlebte ich eine
praktische Probe von dem »medizinischen« Aberglauben der Paraguayer:
ein junger Bursche schleppte einen am Halse festgehaltenen schwai-zen
Geier, den die Paraguayer Yrybü, auch spanisch ctiervo (Rabe) nennen '),
') Bei Du Graty, a. a. O. S. 243, Vultur Aura genannt; in lirehms Thierlebcn,
^^sA V, S. 52 ff, findet man den Truthahngeier, den Urubü — dieses ist die gewöhnliche,
nicht ganz korrekte Schreibart — und den Rabengeier unterschieden und mit den Namen
CatharUs Aura, CatharUs Jota, Cathartes atratus (abgesehen von mehreren andern) be-
^ichnel, ohne dass ich mit Sicherheit sagen könnte, welcher dieser drei einander ganz
^c !»tehenden Vögel der in Paraguay häufig vorkommende ist.
72
hinter sich her und autwortete auf meine Frage uach dem Zweck
dieses Thuns, dass er sich ein »remedio^y Heilmittel, bereiten wolle;
das Blut, welches man einem lebend gefangenen Geier dicht unter
dem Hinterkopfe abzapfe, sei ein voi-zügliches Remedio gegen Hals-
leiden! Eine andere Behandlung als durch möglichst schnell wirkende
Remedios ist natürlich den Paraguayern so gut wie unbekannt. Auch
sind sie leicht geneigt, Tropfen, Pillen und dergleichen Medikamenten
eine universelle Wirksamkeit zuzuschreiben. Um den Geier lebend zu
bekommen, hatte der Bursche List angewendet: er hatte sich unter
einer frischen Ochsenhaut versteckt und dann den naschenden Geier
bei den Füssen gepackt.
Meine Beobachtungen auf dem Wege von Villa Rica nach Caäguazü
und meine Gespräche mit Herrn Frutos und seinen ebenfalls mit den
Wäldern und Flüssen in w^eitem Umkreise ganz vertrauten Leuten
hatten mir gezeigt, dass unsere Karten auch für diese Gegend sehr
fehlerhaft sind. Wisners Karte für diese Strecke ist lächerlich; bei
ihm überschreitet oder berührt der Weg nur drei unbedeutende Flüsschen,
der Tebicuary bleibt ganz nördlich von demselben, während man in
der That vier stärkere und sechs schwächere Wasserläufe überschreitet,
unter ersteren den Tebicuary: seine Gebirge sind nur schematische
Wasserscheiden phantastischer Fiussgebiete; bei Johns ton, der diese
Gegend nicht besuchte, sind die Flüsse nur angedeutet; Page giebt
w^enigstens die Lage der Wasserscheide annähernd richtig, Du Graty
hat alle Wasserläufe, welche der Weg durchschneidet, verzeichnet,
aber falsch geleitet. Nach meiner Beobachtung gehören alle zu über-
schreitenden Flüsse mit Ausnahme des letzten, des Arroyo Hu, zum
Flusssystem des Tebicuary; dieselben fliessen, wenn man von Villa
Rica kommt, nach links, und der Boden steigt fortgesetzt bis in die
Nähe von Caäguazü, sodass die Wasserscheide nahe 'dieser Stadt und
nicht viel höher als diese selbst liegt. Die Fui't des AiToyo Guazü
liegt z. B. erst etwa 220 m hoch, es ist also nicht gut möglich, dass
derselbe, wie Du Graty und Wisner angeben, zu dem nördlich und
östlich von Caäguazü fliessenden und dort wenig tiefer als diese Stadt
gelegenen Viranguä gehört. In den Tebicuary direkt fliesst nur der
Tebicuary-mi'); dieser nimmt den Arroyo Cafiada und den Arroyo
Guazü auf; letzterer sammelt die Gewässer des Volascuä-guazü.
Volascuä-mi und Arroyo Monotl^). Den Viranguä entwickelt
') Dass der eben Tebicuary genannte Fluss auch Tebicuary-nii heisst, wurde oben
(S. 49) schon angeführt ; liier wird der Name abgekürzt gebraucht, um Verwechslung zu
vermeiden.
*) Oder Moroti; heisbt Weisser Bach. Ueber n und r vergl. oben S. 61.
73
Wisuer auf seiner Karte zu einem umfangreichen, aus vielen Flüssen,
Flüssclien und Bächen bestehenden System, jedenfalls so gut wie ohne
jede Grundlage von Aufnahmen und Beobachtungen. Azara giebt
eiuen einfachen Flusslauf, bei welchem er wohl nur die Lage der
Mündung bestimmt hat; keiner der Rdsenden, deren Schriften mir
bekannt geworden sind, hat den Viranguä befahren, Wisner am aller-
wenigsten; in neuerer Zeit ist der Viranguä zuerst von Herrn Frutos
im Jahre 1879 und seitdem von ihm und anderen oft befahren worden;
bis dahin widersetzten sich die Indianer (Caynguä-Stämme) diesem
Unternehmen. Den Namen Monday oder Munday für den Viranguä
kannten die Leute von Caäguazü gar nicht, während Leute aus
Tacurü-pueü, dem grossen Yerbaetablissement am Paranä, welche ich
später sprach, den Namen allerdings gebrauchten, aber wahrscheinlich
nur auf Grund der Karten. Der Name Miranguil, welchen Wisner
für einen Theil des fraglichen Flusslaufs hat, existirt nicht '). Den
Namen Laborda, welchen Wisner (und nach ilim Johnston) dem
grössten rechten Nebenflusse des Virangnä giebt, hatten die Leute
nie gehört: sie nennen den Fluss Capivarl und sagten, dass er vom
Sordabhange der »Berge von Caäzapä* komme, die ich bei klarem
Wetter von Caäguazü aus sehen konnte und die nichts anders sind
als der Cerro Tatuy. Fast sämmtliche andere Nebenflüsse des
Wisnei'schen Viranguä konnten die Leute mit den in Wirklichkeit
vorhandenen nicht identifiziren, nur den, welcher zunächst unterhalb
<les Laborda-Capivarl mündet; diesen nannten sie Ypyti. Die bei
Wisner als wohlumgrenzter See bezeichnete Laguna Negra, nord-
westlich von Caäguazü, welche bei ilim durch Sumpf mit dem Tobatiri
in Verbindung steht, und aus welcher bei Johnston der Mittelpunkt
eines förmlichen kleinen Binnensystems gemacht ist, scheint nur ein
das rechte Ufer des Tobatiri begleitender Sumpf zu sein. Das Oertchen
t'i'utos, welches Wisner nahe dem Nordufer der Lagune angiebt, soll
«ine meinem gleichnamigen Gastfreunde gehörende Estancia sein, auf
Welcher aber nur ein verfallenes Gebäude steht und welche sich an
einer ganz andern Stelle befindet.
Im Hause des Herrn Frutos waren wir gern gesehene Gäste;
wir wurden gut bewirthet, doch Hess man es sich auch hier bereit-
willig gefallen, dass wir das zu den Mahlzeiten nöthige Fleisch be-
^•liafften. Ich erfreute mich hier sogar des Luxus eines eignen
^Zimmers«, wo man mir zwischen ^rossen Haufen von Säcken mit
') Statt ViraDgua müsäte man .streng genommen Guyraiicua sagen, was bedeutet Ort,
^'^ der Vogel Guyraü häufig vorkommt.
74
Yerba eine der prachtvollen paraguayschen Baumwollhängematten
spannte, während mein Begleiter in einem andeni Nebenraum Uii
kommen fand, wo eine Maschine zur Zerkleinerung der Yerba
gestellt war. Die Beschaffenheit einer solchen Yerbaraühle will
weiter unten in einem der Yerba zu widmenden besondern Kaj
beschreiben.
Ein brasilianischer Yerbatero mit Namen M., den ich schoi
Villa Rica kennen gelernt hatte, war mit vielen Leuten und e
aus über vierzig Köpfen bestehenden Ochsenherde vor dem Re
nach Norden aufgebrochen, nachdem er mir über den bevorstehen
Theil des Weges schätzenswerthe Mittheilungen gemacht hatte.
Weg bis zu unserm nächsten Ziel, Yhü, war weit, wir ritten di
am 30. Abends in Begleitung des Herrn Frutos noch eine Legua ^
durch eine Pikade bis zur letzten Ansiedlung, deren Bewohner
gern Obdach gewährten. Die Bewohnerschaft des ziemlich ans<
liehen Rancho bestand aus etwa fünfzehn Köpfen, welche in e
für die Bevölkerungsverhältnisse von Paraguay charakteristisc
Weise zusammengesetzt waren: ein alter Mann und eine alte F
ein noch nicht ganz erwachsener Bursche, etwa sechs jüngere We
und eine Schar Kinder. Die Leute waren für die dortigen Verl:
nisse wohlhabend, denn mächtige Säcke mit Bohnen, Rindshäute
Syi'up, grosse Bündel Maiskolben und Zwiebeln, Häute und Rien
werk aller Art hingen in der zwischen zwei geräumigen Zimmern
findlichen Vorhalle, eine ansehnliche Herde Milchkühe kam Ab(
in den Corral und die Pflanzung war ausgedehnt. Papageien schie
der letzteren hart zuzusetzen; in einer Karrete stand ein Korb
kleiner schwarzer Thonkugeln, welche, als Geschosse einer Art Schleu
zur Verscheuchung dieser unliebsamen Gäste dienen. Zahlreii
Geflügel, ein leckerer Fang fiir die Tigerkatzen des nahen Wal
tummelte sich um das Haus und suchte Abends auf den näc
stehenden Bäumen Zuflucht. Obwohl mein Gaumen nun schon zi
lieh paraguaysirt war, wollte mir das Abendessen doch nicht r<
schmecken, denn Maisbrei (nmipü) passt nach meinen Begriffen
Zwiebeln doch zu schlecht zusammen und wollte auch mit dem n
folgenden Gericht, dem beliebten Käse mit SjTup, nicht recht stimr
Von dem Mahle waren, wie immer, die Frauen und Kinder au
schlössen; diese assen nachher.
Am andern Tage (31. Dezember) machten wir uns schon
fünf Uhr auf, denn wir hatten bis Yhü einen scharfen Ritt von ge
dreizehn Leguas durch unbewohntes Land, den sogenannten Poti
von Caäguazü. Es war eine weite einförmige Fläche, breite, fla
75
im allgemeinen von Westen nach Osten verlaufende Louias (Boden-
wellen) bildend, überall mit rotliem Boden, den nur in den Fluss-
Üälem mooriger oder sandiger, wohl durch die Flussanschwemmung ent-
standener Boden ersetzte; die ganze Gegend war licht bestanden mit
zahh^ichen Exemplaren der Yatai-Palme ') , einer Art Zwergpalme
mit Fiederblättern, welche ich hier zuerst sah. Anfangs waren diese
Palmen nicht über 2 m hoch, weiter im Norden wurden sie etwas
höher; ihre Stämme waren bis zum Boden herab mit Resten von
Blattstielen besetzt. Nur wenige andere Bäume standen vereinzelt
zwischen diesen aus der Ferne wie Heuhaufen aussehenden Palmen.
In verschiedener Entfernung rechts und links von uns zog sich der
Urwald hin, den wir an einzelnen Stellen streiften ; seine riesigen Be-
stände im Westen von unserm Wege, wohin sich das Terrain all-
mählich und wenig hob, bilden das äusserst ergiebige Quellgebiet zahl-
reicher Flüsse, die sich mit massigem Gefälle ostwärts ergiessen und,
vom Viranguä und Acaray gesammelt, den Paranä vermehren.
Die Wassermassen dieser Flüsse vermögen bei ihrem massigen Gefälle
nicht ihre Betten bis zur Tiefe des Paranäbettes einzu waschen; daher
die Fälle in der Nähe ihrer Mündungen. Unser Weg lag in einer
Meereshöhe von 320 bis 380 m, und sehr viel bedeutender sind die
Höhen der nahen Hauptwasserscheide jedenfalls auch nicht. Die
ganze Gegend war wie ausgestorben, keine einzige Ansiedlung unter-
brach die dunkeln Urwaldränder, nur einmal trafen wir zwei Menschen
zu Pferde, uns entgegenkommend; rechts führten zwei Wege zu den
Yerbales ab, links einer nach San Joaquin. Auch das Thierleben
war arm: ausser Insekten sahen wir nur hier und da einige Feld-
hühner und Raubvögel. Wir hatten auf dem Wege sechs Flüsse zu
tiberschreiten, den Joivy, welcher dort gerade in zwei Arme getheilt
ist, Carabay, Viranguä, Yuquery, Tarumä und Arroyo Hü;
ßiehrere derselben waren durch Sumpf schwer zugänglich und alle
tthrten noch so viel Wasser, dass wir sie sicher einen oder zwei Tage
iniher nicht ohne Weiteres hätten überschreiten können. Als wir den
Yuqueiy passirt hatten, um zur Mittagsrast noch den Tarumä zu er-
reichen, erblickten wir vor uns eine mächtige Rauchsäule, die, wie
^ir bald sahen, ein ansehnlicher Kampbrand hervorbrachte; der Nord-
Ostwind trieb den Brand gerade auf unsern Weg zu. Bald spürten
^ir den Geruch des Brandes, die Luft wurde dick und unrein um
') Bei Du Graty, a. a. O. S. 333, yireca OUracea benannt; dort sind noch zwei
^n Yatai-poni angegeben und Phoenix sUvestris und Nipa fruticans benannt; diese
^'Qd mir nicht bekannt geworden.
76
uns her, wir trateu in die Eauchniasse ein, welche das Athmen
Schwerte, die Sonne wurde vollständig verfinstert, in nur noch gerin:
Entfernung hörten wir das Prasseln des trocknen Grases, unterniis
mit holil rollendem Getöse. Wir spornten unsere etwas ängstlicl
Pferde zu rascherem Trabe und hatten die unangenehme, aber dui
aus noch nicht gefährliche Stelle bald hinter uns. Zurückblicke
sah ich, wie zahlreiche Raubvögel weite Kreise ziehend über d
Brande schwebten, um zu erbeuten, was etwa die Flammen an Tliie
vernichten würden.
Auf dem Kampland, welches wir durchritten, sowie auf al
höher gelegenen Weideflächen des östlichen Paraguay, namentl
auch in der Umgegend von Caäguazü, kommt in grosser Anzahl
bis Im hoher Strauch vor, Guabirä-mi genannt, eine Myrtac
welche Ende Dezember und Anfang Januar in reichlicher Mei
Früchte trägt, die in Gestalt, Grösse und Farbe an die Beeren
Kartoflfel erinnern und sehr wohlschmeckend sind. Das weissli
Innere hat einen aromatischen, etwas säuerlichen Geschmack, i
man kann unglaubliche Mengen davon geniessen, ohne des Genus
überdiüssig zu werden. Die dünne Schale schmeckt säuerlich i
etwas bitter, ist in hohem Grade aromatisch und wii'd zur Bereiti
eines wohlschmeckenden Likörs, sowie in der Form eines Aufgus
als wirksames Heilmittel bei Darmaffektionen, namentlich Dysente
verwendet. In Caäguazü brachten uns Knaben solche Früchte
sauber geflochtenen Binsenkörbchen; unterwegs stiegen wir hier i
da vom Pferde, um uns an denselben nach Herzenslust zu erquick
Unter unsern kartographischen Darstellungen der Gegend
Caäguazü bis Yhü und San Joaciuin nähert sich die von Du Gn
einigermassen der Wirklichkeit, nur sind die Abstände der Flu
theihveise unrichtig, und Caägua/ü liegt an einem Arm des Joi
während dieser in Wirklichkeit etwa zwei Leguas nördlich von
Stadt fliesst. Bei Rengger, der selbst bis Yhü kam, ist die I
Stellung skizzenhaft und unrichtig; Pages Zeichnung ist sehr mani
haft, schon dadurch, dass er alle Flüsse nördlich von Caäguazü c
System des Acaray zurechnet; Johnstou nähert sich mit richtij
Gefühl etwas der Wirklichkeit. W isners Karte ist wieder ganz
fehlerhaft, er legt den Uebergang über den Viranguä zu A\'Bit n<
lieh, lässt den Joivy in den (zum Tebicuary gehörigen, von ihm a
zum Viranguä geführten) Arroyo Guazü und den Cambay selbstäi
münden (während beide sich vereinigen), zeichnet den Yuquery,
ich als wasserreichsten aller dieser Flüsse fan4, als ganz unbedeu
des Bächlein, kennt nahe bei Yhü die Namen Arroyo Caremä
77
Rio Miranguii, die es nicht giebt; die Luftlinie Yliü-San Joaquin
beträgt bei ihm etwa sieben Leguas, in Wirkliclikeit wohl nicht über
zwei; von seinem Arroyo Borda de Canipo, nördlich von Yhü,
wusste mir Niemand etwas zu sagen; die ansehnliche und sorgfältig
umgrenzte Lagune nordöstlich von Yhü ist in Wirklichkeit ein unbe-
deutender Sumpf. Nach meinen Beobachtungen und Erkundigungen
liegt die Wasserscheide zwischen den Systemen des Acaray und
Viranguä zwischen dem Uebergang über den letzteren und dem über
den Yuquery. Tarumä und Yhü vereinigen sich und nehmen dann den
nönllich von Yhü fliessenden Y'^bycui auf; der vereinigte Wasserlauf
heisst Y-guazü, empfängt von rechts den schon genannten Y^'uquery
und erreicht den Acara^'. Dieser kommt als Acaray-guazü ziemlich
weit von Norden, empfängt links den Acaray- mi, dann den Mon-
day-guazü mit dem Monday-mi. Von Yhü führt in starkem nönl-
lichem Bogen über die oben genannten Nebenflüsse des Acaray und
über diesen selbst ein etwa 45 Leguas langer Weg nach Tacurü-pucu
am Paranä.
Bald nach unserer Mittagsrast erblickten wir in der Ferne auf
dem ansteigenden Kamp eine kleine Häusergruppe, die wir gegen
sechs Uhr erreichten; es war Y' hu. An einem ansehnlichen massiven
Hause, das ein wahrhaft riesiger, meilenweit sichtbarer Baum be-
schattete, machten wir Halt, da ich dort ziemlich viel Menschen ver-
sammelt sah. Hier traf Ich auf eigen thümliche Verhältnisse: Nach
dem Kriege war Yhü verödet geblieben, kaum einige Ansiedler
fristeten doil ihr Dasein; da fiel es vor einigen Jahren einem im
westlichen Paraguay (Itaguä und Barrero Grande) begüteiten alten
Kapitän G., einem wunderlichen Kauz von ziemlicher Selbstgefällig-
keit, ein, seine Mittel zur Hebung dieser Gegend zu verwenden, und
es ist ihm gelungen, in Yhü eine Gemeinde von 35 Ansiedlungen —
davon etwa acht bis zehn in nächster Nähe seines den Mittelpunkt
bildenden Hauses — mit etwa 200 Seelen zu vereinigen, die aller-
dings noch zum grössten Theil von ihm abhängig ist. Er giebt den
Leuten Vieh, Sämereien, Waaren u. s. w\, und es ist zu hotfen, dass
seine Schöpfung sich weiter entwickelt. Auch mit den nächsten in
den Wäldern wohnenden Caynguä-Stämmen ist er in Verbindung ge-
treten: er versorgt sie freigebig mit vielem, was sie brauchen, und
macht sie hofl*entlich allmählich für eine etwas höhere Kultur empfiing-
lich; sie betrachten ihn als einen grossen Zauberer.^ Der alte Kapitän
glaubte auch für das Seelenheil seiner Heerde sorgen zu müssen und
hatte hinter seinem Wohnhause auf einer üppigen Weide ein kleines
Gotteshaus (oratorio) erbaut, zu dessen Einweihung eben von Asuncion
78
zwei Geistliche gekommen waren. Diese beiden Lazaristenmission
Lehrer an dem Priesterseminar in Asuncion, der eine Argentiner,
andere Franzose von Geburt, waren seit Jahren die ersten in di
Gegend gesehenen Geistlichen, und hatten gleichzeitig manche an(
in dieser Zeit nöthig gewordene Amtshandlung zu vollziehen,
hatten die Absicht, sich dann auch zu den erwähnten Indianerstämi
zu begeben, um dort Missionsthätigkeit zu üben. Am Morgen
andern Tages wohnte ich dem Abendmahlsgottesdienste in dem ne
Gotteshause bei ; obgleich des Guaranl so gut wie gänzlich unkun
konnte ich doch den Sinn der Ansprache des Geistlichen eini
maassen verstehen , da fast alle auf die Einsetzung des Abendm;
bezüglichen Ausdrücke dem Spanischen haben entnommen wei
müssen.
Kapitän Garcia, der uns freundlich in seiner Behausung au
nommen hatte, vereicherte uns wiederholt, dass wir unter seil
Schutze hier völlig sicher seien und nahm mir das Versprechen
seiner Thätigkeit in meinem Reisebericht zu gedenken; natür
glaubte er in seiner Beschränktheit, dass ich denselben spanisch
fassen und der Regierung von Paraguay einreichen würde. 2
Abendessen gab er uns mein paraguaysches »Leibgericht«, fris(
saftig gekochte Maiskolben, deren ich ein halbes Dutzend in meii
Magen verschwinden Hess. In den beiden Geistlichen fand ich hö(
gebildete Leute, und mit dem jüngeren, welcher ausser dem Spanisc
auch das Französische vollkommen und das Deutsche und Englis
ziemlich beherrschte, dabei in Naturwissenschaften sehr bewanc
war, verplauderte ich angenehm einen Theil des Abends. Er samm
eifrig für Buenos Aires, besonders Schmetterlinge, Käfer, Fliej
Spinnen und Ameisen, und war voll des Lobes über die reiche Na
Der ältere hatte leider unter Fieberanfällen etwas zu leiden.
Patres führten Arzneien aller Art bei sich, darunter ein von eii
brasilianischen Arzt erfundenes Mittel gegen den Biss von G
schlangen, dessen Namen ich vergessen habe; es soll, in der N
der Bissstelle unter die Haut gespritzt, unfehlbar wirken. Am T
vorher waren sie leider zu spät gekommen, um einer von einer Klap]
schlänge gebissenen Frau das Leben zu retten; dieselbe war k
vor ihrer Ankunft gestorben. Die getödtete Schlange sah ich, sc
halb verfault, auf dem Dache eines der Nebengebäude liegen. Sonc
bar nahmen sich. die geistlichen Herren zu Pferde aus, wenn sie
langes Gewand bis zum Gürtel aufgeschürzt hatten.
Auf Grund der Wisnerschen Karte hatte ich gehofft, von 1
aus direkt nördlich über Carimbatay und Curuguat^- nach Igati
F
79
gehen zu können; der früher vorhandene Weg war jedoch nicht melir
gnngbar, die Pikade — aus später anzugebenden Gründen — nicht
offen gehalten. Ich musste daher einen weiten westlichen Umweg
machen, der mich zunächst (am folgenden Tage) nach dem in der
Laftlinie höchstens zwei, längs des Weges etwa drei Leguas ent-
fernten San Joaquin führte. Wir ritten zum Theil durch Wald,
überschritten den Arroyo Hü und mehrere kleinere Bäche, über deren
einen sogar eine kleine hölzerne Brücke führte, und erreichten nocli
früh am Vormittag unser Ziel. Wir hatten uns der Wasserscheide
etwas genähert und befanden uns nun nach meiner Messung 405 m
hoch (gegen 375 in Yhü), jedenfalls in dem höchst gelegenen Ort
von Paraguay. In geringer Entfernung umgeben denselben Höhen-
züge, welche ihn aber wohl höchstens um 100 m üben*agen.
San Joaquin, eine Jesuiteugründung aus dem Jahre 174G, ist
ein elender Ort : etwa zwei Dutzend kleiner Häuser umstehen in lichter
Reihe einen grossen Basen platz, welcher eine verfallende und längst
verwaiste Kirche trägt. Sogar der neben ihr stehende hölzerne Glocken-
stuhl ist halb zertrümmert und nur eine Glocke hing trübselig unter
dem Dach der Kirche. Von Handel und Verkehr kann kaum die Rede
sein, es giebt nicht einmal einen Kaufmann am Ort. Zum Glück hatte
ich von Herrn Coehler in Villa Rica eine Empfehlung an den ein-
zigen wohlhabenden Mann in San Joaquin, einen Correntiner, der uns
gastfrei aufnahm. Er waltete in seinem Hause wie ein Patriarch,
sah nach allem und sorgte für alles; bei Tisch legte er der ganzen
Gesellschaft eigenhändig vor und freute sich, wenn es allen schmeckte.
Er bewirthete uns > fürstlich t, es waren aber Henkersmahlzeiten, denn
wochenlang sollten wir von nun an mit der einfachen Kost der Verbales
vorlieb nehmen. Der Speisezettel von San Joaquin würde sich aller-
dings bei uns etwas sonderbar ausnehmen, auch schon in Bezug auf
seine Reihenfolge: da gab es Mittags zuerst ein stattliches, braun-
gebratenes Spanferkel, dann Fleischsuppe mit Reis und Fleisch, hierauf
Bohnen mit Käse, schliesslich Maniokmehl mit Syrup. Das Maniok-
mehl, kurzweg farifia^ Mehl, genannt, eine in Brasilien einheimische
Speise, wird auch in Paraguay viel und gerne genossen, aber meistens
unnöthigerweise eingeführt. Es hat etwa das Ansehen von feinem
Gries und wird ohne weitere Zubereitung andern Speisen zugesetzt,
namentlich mischt man es mit den schwarzen Bohnen oder geniesst es
Diit Syrup zu einem Brei verrührt. Unser Correntiner stellte dieses
Mehl ausnahmsweise in grösseren Mengen her und verkaufte es nach
Tacuru-pucü. Ausserdem befasste er sich mit dem Bau von Zucker-
rohr, wie eine in seinem Hofe stehende Presse, trapiclhc, bewies.
80
Diese einheimische Prosse ist von einfachem Bau: drei senkrechte
starke Holzcylinder greifen oben mit Zähnen in einander ein, der
mittelste verlängert sich verjüngt bis zur Spitze des kegelförmigen
Daches, das er trägt; aus diesem gehen schräg hinab zwei leichte
Balken, vermittelst deren das ganze Dach und der mittlere Cylinder
durch Maulthiere oder (^clisen in Bewegung gesetzt werden können.
Das Zuckerrohr wird dann von der Seite zwischen die Cylinder ge-
steckt und ausgepresst. Der Saft fliesst durcli zwei Löcher in einem
unter den Cylindern angebrachten Brett in einen Trog und mn\ dann
durch Kochen zu Syrup eingedickt. Neben dem Hause gedieh auch
eine kleine Bananenpflanzung, eine im Innern von Paraguay nicht
sehr häufige Erscheinung. Abends kamen noch die beiden Geistlichen
nach San Joaciuin, sodass wir eine wunderlich gemischte Tischgesell-
schaft bildeten, deren Unterhaltung in vier verschiedenen Sprachen
geführt wurde: Guaranl, Französisch, Spanisch und Deutsch! Nacht-
quartier wäre noch für ein Dutzend Personen dagewesen, denn der
unverheirathete Gefe des Ortes war veneist und die ganze gefetura^
sein Amtsgebäude, stand leer. Wir konnten nach Belieben unsere
Hängematten im Amtszimmer, in dem Privatzimmer oder in dem
Gefängnisszimmer ausspannen. Es war der Neujahi*stag, welchen ich
in San Joaquin verlebte, aber kein Mensch erwähnte auch nur mit
einem Worte dieses bei uns immerhin als wichtig betrachteten Tages;
er verging wie alle andern.
Tn San Joaquin traf ich einen jungen Paraguayer, der von dem
47 Leguas entfernten Tacurü-pucü gekommen war, um Leute zu miethen.
Ich erwähnte im Gespräch, dass ich möglicherweise versuchen wollte,
von Igatiml aus zum grossen Fall des Paranä vorzudringen. Er
schilderte dieses Unternehmen als sehr gefährlich und wollte mich
durchaus bewegen, ihn nach Tacurü-pucü zu begleiten; er einzahlte,
dass kurz vor seiner Abreise von dort eine italienische Expedition,
welche im Auftrage der italienischen Regierung nach dem grossen
Fall gegangen wäre, glücklich nach Erreichung desselben zunickge-
kehrt sei; wenn ich mit ihm nach Tacurü-pucü ginge, wollte er mich
zum Fall begleiten. Für mich konnte es wenig Reiz haben, so, zu
sagen hinter andern herzulaufen, ich blieb daher bei meinen Plänen,
verlor aber stark die Lust, zum grossen Fall vorzudringen, wenn
vielleicht kurz vor mir Reisende dort gewesen wären und ich dann
mit meinem Bericht wie der Senf nach der Mahlzeit käme. An dem
Bericht jenes jungen Mannes scheint übrigens nichts Wahres gewesen
zu sein; es muss irgend ein Irrthum vorgelegen haben.
In Yhü und San Joaquin sagte man mir, dass ich, um nach
«1
Igatiml zu gelangen, erst zum »Pass« des Rio Oorrientes kommen
müsse, eines ansehnlichen nach Norden fliessenden Flusses. Da ich
diesen nicht auf meinen Karten verzeichnet fand — von einem durch-
aus nicht in der angedeuteten Lage befindlichen Bache bei AVisner
abgesehen — war ich über den zu nehmenden Weg im Unklaren,
freute mich daher, dass mein Begleiter einen Mann fand, der am
folgenden Tage denselben Weg reisen wollte und uns mitzunehmen
versprach. Schon um 5V4 Uhr erschienen wii' am andern Morgen
reisefertig vor seinem Hause, aber der Vogel war bereits ausgeflogen:
wir hatten vergessen, ihm eine Geldbelohnung ausdrücklich zu ver-
sprechen! Schnell folgten wir ihm auf dem uns bezeichneten Wege
nach Norden, er blieb aber unerreichbar und wir waren daher völlig
auf uns selbst angewiesen, in einer Gegend, wo die Karten mich als-
bald völlig im Stich Hessen, sodass ich über die Landschaften, welche
wir während der nächsten 1 V2 Tagereisen durchzogen, etwas im Un-
klaren geblieben bin. Wir traten bald in den Wald ein und ritten
bis znm Ende der ersten Wegstunde noch bergan, dann aber senkte
sicli der Weg plötzlich und stark, wir überschritten die AVasserscheide
und traten wieder in das Gebiet des Paraguay ein, wo wir uns nun
lange in fast nordwestlicher Richtung in einer Meereshöhe von 250
bis 300 m fortbewegten. Nach Verlassen der ersten ziemlich langen
Pikade ging es von Potrero zu Potrero, bald über feuchtes und sumpfiges,
bald über trockenes, mit Yataipalmen besetztes Terrain; zahlreiche
muntere Bäche waren zu überschreiten. Hier trat die Gebirgsnatur
des Westabhanges der Wasserscheide ein wenig mehr hervor als bei
Caäguazü, doch waren alle Berge und Hügel bis zur Spitze hinauf
bewaldet, die Landschaftsbilder mehr düster als heiter. Kein mensch-
liches Wesen ausser uns störte diese Einsamkeit; die Thierwelt war,
wie gewöhnlich, fast nur durch Insekten vertreten, höchstens dass
Wer und da ein einsames Waldhuhn aufgescheucht von dannen flog, ein
Raubvogel träge das Weite suchte, ein paar in der Sonne prächtig
glänzende rothe Aras am Walde entlang schwebten oder ein Glocken-
vogel') seinen melodischen Ruf erklingen Hess. Die kleinen Flüsse auf
diesem Wege waren schwierig zu passiren, und der Uebergang des
Wasserlaufs, an welchem wir zu Mittag rasteten, kostete mich ein
Pferd: eine moorige Stelle war durch eine Art Knüppeldamm
(c^jim genannt) gangbar gemacht, mein Packpferd versuchte hinüber-
zukommen, versank mit einem Beine tief in den Schlamm, stüi-zte
'; Chasmarhynchus nttdicoUb ; l)ei \Vapi)acus, .1. a. O. S. I157, Procjiins niuilcollh;
™c l*amguayer nennen ihn pajaro campana.
G
82
und verletzte sicli innerlich demrt, dass es in wenigen Tagen gänz-
lich abmagerte und endlich zuriickgelassen werden musste. Wir mussten
es an der Unfallstelle mitten in der schwaraen Pfiitze abladen, um
meine Sachen zu retten und das arme Thier wieder herauszubringen.
Am Nachmittag stand ein Gewitter am ganzen westlichen Himmel,
ich lud mein Gewehr dem Packpferd auf, um nicht als Blitzableiter
auf den Bodenscliwellen der Potreros dahinzureiten. Bald ergoss
sich reichliclier Regen, wir wurden bis auf die Haut durchnässt, bei
einem sumpfigen Bachübergang stüi-zten gar zwei Pferde, abermals
Abladen, Herumwaten im Schlamm u. s. w. Gern hätten wir nun
eine menschliche Wohnung erschaut, aber damit wai-s nichts, und der
Abend sank schon hernieder; dazu noch die ersten frischen Jaguar-
spuren im Sande des Weges. Kaum hatte ich Lust, den malerischen
Wald- und Bergparthien jenseits des Flussthaies, dessen linkem Rande
wir folgten, einige Aufmerksamkeit zu schenken. Zum Glück fanden
wir links eine kurze Strecke waldeinwärts eine verlassene und
verfallene frühere Yerbaniederlassung ; da stand noch theil weise er-
halten der Maschinenschuppen, in einem kleinen Rancho Theile der
Maschine, seitlich Hütten der Arbeiter, nahebei Spuren eines Ciorrals,
etwas weiter Spuren des Rösthauses; Quellwasser war nahe. Wir
beschlossen zu bleiben, da neue Gewitter von Nordosten und Südostea
drohten. Alles will gelernt sein, auch das Kampiren im Urwald;
was Wunder, dass von schlafen nicht viel die Rede w-ar! Wir rissen
Pfähle des alten Con'als aus, um ein Feuer zu machen und zu unter-
halten, in dessen nächste Nähe sich auch die lose weidenden Pfeitle
drängten, und wollten uns in meinem Militärkochgeschirr Reis mit
Fleisch kochen; aber — es leckte! Also Dörrfleisch, am Spiess ge-
braten — was lebhaft an geröstete Schuhsohlen erinnert — und stein-
harten Zwieback; dann den unvermeidlichen Mate. Das ferne Ge-
witter grollte noch eine Zeitlang und verstummte dann, die mildö
Nacht verging, der Morgen graute, leise zirpten die Zikaden in dem.
Buschwerk, verschlafen kräclizte eine Elster, Lachtauben fingen an
in den Baumkronen zu giiTen, aus weiter Ferne schallte der halb
melancholisch halb spottend klingende, an seufzend ausgestossene ab-
steigende Akkorde erinnernde Gesang des Urutaü herüber, der, wie?
die Paraguayer sagen, sich mit Vorliebe auf die spitzen hohen kahlen.
Bäume setzt, der aufgehenden Sonne entgegenstarrt und sich dann
für den Tag in das Dickicht des AValdes zurückzieht. Ihn in der*
Nähe zu sehen, gelang mir nie und in Büchern finde ich ihn nichts
erwähnt.
Bald zogen wir wieder unsere einsame Strasse: die Landschaft
83
war nicht verändert, das TeiTain senkte sicli allmählich und wr über-
schritten mehrere nach Osten gerichtete kleine Wasserläufe. Nach
mehrstündigem Reiten sahen wir in weiter Ferne im Nordosten einen
sieh langsam ostwärts bewegenden Zug von Karreten und waren froh,
uns wieder belebteren Gegenden zu nähern. Bald erreichten wir eine
von Westen nach Osten ziehende Strasse ; wir folgten ihr in letzterer
Richtung und erreichten etwa nach einer halben Stunde einen ansehn-
lichen Fluss, wo zufällig anwesende Leute uns Auskunft geben konnten :
es war der Tapiracuay, welcher bei Santanf oder San Estanisiao
vorüber nach Westen fliesst, und wir befanden uns vier Leguas östlich
von Santanf, auf der Hauptstrasse, die von dort nach den Yerbales
fuhrt. Die Meereshöhe dieses Punktes war wohl nicht über 200 m.
Wir tiberschritten ohne Mühe den Fluss und eine Viertelstunde nachher
ein sumpfiges Nebenflüsschen, wo ein schattiger Waldrand uns zur
Rast lud.
Nach der Ruhe ritten wir nur noch eine gute Stunde, annähernd
nach Nordosten, in der Richtung einer tief eingerissenen bewachsenen
Schlucht, in welcher der oben erwähnte Bach floss. Mit hohlem
Brausen hoch in der Luft zog ein Gewitter von Südosten heran, das
uns aber milde behandelte, und um fünf Uhr erreichten wir eine kleine
Lichtung, wo ein ganzes Lager sich unsern überraschten Blicken
darbot. Zwölf Karreten waren dort aufgefahren, vielleicht hundert
Ochsen, zahlreiche Pferde und einige Esel weideten auf dem Kamp,
nnd gegen hundert Menschen — Männer, Weiber und Kinder —
Sassen bei den Wagen oder gingen ihren Beschäftigungen nach, die
einen hackten Holz, andere holten Wasser, andere schnitten Fleisch
eines frisch geschlachteten Ochsen in schmale Streifen, andere tranken
Mate, plauderten, kämmten sich, junge Burschen spielten Karten,
Kinder trieben Kinderspiele u. s. w. Es war ein Zug von Arbeitern,
die in die Yerbales zogen; sie waren meist in Itacurubf, einem
Orte zwischen Rosario (Quarepoti) am Paraguay und Santanf, zu
Hause und hatten die Yerbales auf dem Cerro von Maracayü,
nordöstlich von Igatiml, zum Ziele. Andere Karretenzüge und Arbeiter-
schaaren waren schon vor ihnen in die Wälder gezogen. Für mich
^ar es ein grosses Glück, dass ich — ohne es vorher gewusst zu
haben — gerade in diese Wandeiningen hineingerieth ; sonst wäre die
ß^'ise auf diesen, während der übrigen Zeit des Jahres gänzlich ver-
ödeten Strassen, ungleich beschwerlicher und weniger angenehm gewesen,
^nr Wochen war von nun an mein Leben mit dem der Yerbateros
^^i ihrer Arbeiter eng verbunden.
Meine kleine Karawane wurde von den Leuten nach paraguayscher
84
Sitte mit indianermässigem GehcMil bewillkommt. Wir blieben bei
diesem Lager, da ein breiter Waldstreifen vor uns lag und wir von
dem Anschluss an die Leute nur Vortheil haben konnten. Unter der
dichten Krone eines kleinen Baumes, geschätzt durch Kaktus und
Dornen, quartirten wii* uns wie in einem kleinen Stübchen nahe dem
Wasser ein und bereiteten uns von frischem Fleisch, das der » Capataz «
(Aufseher) des ganzen Zuges gern hergab — ich erwiderte sein
Geschenk durch zwei Spiele Karten — , ein Mahl. Neugierige um-
drängten uns, und junge Bursche machten sich ein Vergnügen daraus,
mir ihre Fertigkeit im Ringen, im Fechten — wenn man den Versuch,
sich gegenseitig im Scherz zu ohrfeigen, so nennen darf — u. s. w.
zu zeigen. Der landeskundige Capataz musste mit mir die Karte
betrachten und konnte mir manche werthvoUe Auskunft geben. Abends
herrschte ein wahrer Höllenlärm in dem Lager, Harmonika, Johlen
und Gesang mischten sich durcheinander, ohne aber unsern Schlaf
wesentlich stören zu können.
Am andei n Morgen war erst eine etwa drei Leguas lange Pikade
und jenseits derselben ein kleines Flüsschen zu passiren, dann theilte
sich der Weg, und ich Hess mich verleiten, meinem Begleiter auf den
Nebenweg, den er als »Richtwegt ansah, zu folgen. Bald kamen
wir zum Rio Capivarl, der etwa 15 m breit und offenbar ziemlich
tief zwischen bewachsenen Ufern unheimlich dunkel dahinfloss. Eine
fliegende Brücke führte hinüber, aus leichten Stämmen und Stangen
zusammengesetzt, etwa 4 m über der AVasserfläche, durch eingekerbte
Klötze zugänglich und mit zusammengedrehten Lianen als Geländer.
Auf ihr überschritten wir vorsichtig den Fluss, während die Pferde
schwimmen mussten. Leider war mein Brauner dabei übereifrig,
denn ehe ihm noch die Satteltaschen gelöst waren, spazierte er, seiner
Aufgabe sich bewusst, in das Wasser hinein, so dass u. a. ein grosser
Theil meiner Patronen und auch eins meiner Notizbücher durchnässt
wurde. Glücklicherweise war der Schaden nicht schlimm. Ein Paar
Stunden ging es jenseits weiter durch Wald und über Kamp an
einigen alten Yerbaniederlassungen vorbei bis zum zweiten Neben-
flüsschen des Capivarl; dort holten uns zum Glück während unserer
Rast einige Leute ein, die uns belehrten, dass wir auf einem Pfade
seien, der nur zu einem Rancho ') führe, nicht aber auf dem Haupt-
wege nach dem Uebergang des Rio Corrientes. Nun wieder zuinick!
Wii' passirten einen der Potreros gerade noch bevor ein von
') Rancho nennt man in den Verbales die ganzen zur Yerbagcwinnung errichteten
Ansied lungen.
85
ansern Wegweisem angelegter Kampbrand giössere Dimensionen an-
genommen hatte, vertrauten uns ein zweites Mal der fliegenden Brücke
an und en-eichten wieder das Fltisschen am Ausgange (boca) der
Pikade; zahlreiche Gruppen von Arbeitern bewegten sich auf der
Hauptstrasse. Eine einzige breite Loma trennte uns noch von dem
richtigen Capivarlübergang, wir brauchten aber 1 V« Stunden , um sie
zu tiberschreiten. Ein Unerfahrener würde sich bei der Beurtheilung
der Dimensionen einer solchen Loma ausseroi-dentlich irren: die
Neigung der Abhänge ist eine geringe, die Linie bis zur Kammlinie
des Rückens erscheint aber sehr verkürzt und steiler als in Wirk-
lichkeit, dazu kommt oft eine grosse Durchsichtigkeit der Luft; man
glaubt dann irgend einen Punkt in zehn Minuten erreichen zu können
und braucht dazu die drei- oder vierfache Zeit! Auf dieser Loma
verliessen mein vor zwei Tagen gestürztes Pferd die Kräfte, und es
musste zurückbleiben, um sich womöglich durch Ruhe bei gutem
Futter das Leben zu retten.
Am Capivari fanden wir schon eine ganze Zahl von Passanten
und verbrachten im dichten Gebüsch wie in einer Laube eine sichere
und bequeme Nacht, zumal da die leuchtende Mondsichel — nach
paraguayscher Ansicht — die im Westen und Süden drohenden Ge-
witter nicht heraufkommen Hess. Die Nacht wurde recht frisch, und
um fünf Uhr früh verzeichnete ich nur 13,i°C. (bei etwa 175 w
Meereshöhe), die tiefste Temperatur, welche ich in Paraguay über-
haupt beobachtet habe; man vergesse nicht, dass es Januar, der
heisseste, unserm Juli entsprechende Monat war! Der Rio Capivarf
ist bei diesem Hauptübergange breiter und flacher als bei dem mit
der fliegenden Biiicke; sein rechtes Ufer ist steil und maleriscli,
durch rothen Sandstein, von Buchwerk unterbrochen, gebildet; das
linke ist flach und sandig. Jenseits des Flusses ging es erst in einem
steinigen Hohlwege aufwärts, dann eine Strecke über Kamp, dann
wieder in den Wald hinein, welchen icli zu Fuss passirte, da das
Wetter herrlich war und die Pferde bedenklich zu ermatten anfingen.
Dieser Wald fiel mir durch seinen Reiclitlium an schönen starken
Bäumen ganz besonders auf und birgt jedenfalls Schätze, die mit
Hülfe des nahen, für Lastkähne fahrbaren und jedenfalls aucli flöss-
bareii Capivari ausgebeutet werden könnten. Zahlreich bemerkte ich
dort den Lapacho, eine Bignoniacee, im Guaranl tayj/ genannt 0-
*) Es giebt mehrere, im gewöhnlichen Leben nach der Karbe des Holzes unter-
schiedene Sorten ; in dem Katalog der argentinischen Ausstellung in Bremen wird unter-
^^iedcn Lapacho als lababuia AvclUuiidac und gelber Lapacho x^Lapacho amariUo) als
^^Mu'ia jUivesans.
86
Er wächst mit hellfarbigem Stamme meist zu grosser Höhe empor
und bildet hoch oben eine etwas zerfahrene leichte Krone; sein Holz
ist sehr schwer (spezifisches Gewicht l,oia) ') und wird viel zu Bauten,
auch zu Möbeln verwendet, lässt sich aber wegen seiner Härte nicht
leicht bearbeiten. Am Wege sah ich mehrmals sauber gehaltene
Plätzchen im Dickicht mit einem Grabhügel und einem einfachen
Holzkreuz, Grabstätten, wie man sie in ganz Pamguay, besondei*s
aber an den Wegen der Yerbales häufig findet. Friedhöfe werden
in diesen Einöden natürlich nicht angelegt, und da die Leute sich
den grösseren Theil des Jahres dort auflialten, viele meistens unter-
wegs, so muss mit der Zeit eine grosse Anzahl solcher Gräber ent-
stehen.
Gegen Mittag erreichten wir einen schon zum Rio Corrientes
fliessenden Bach, der in einer tiefen steinigen Rinne dahinströmte und
daher mit einer hölzernen Brücke versehen war, nach welcher die
Leute ihn An*oyo Puente de Tabla (Bach mit der hölzernen Brücke)
nennen, während er eigentlich VacapJ heisst. Jenseits desselben
durchritten wir am späten Nachmittage eine Pikade, in welcher ich
die ersten A^dldwachsenden Yerbabäumchen zu sehen bekam; dann
noch eine leicht bebuschte Loma und das Land senkte sich hinab zum
Rio Corrientes, der gegen Abend erreicht w^ar; kurz vorher musste
noch der kleine aber wasserreiche Nebenfluss Retama durchritten
werden.
Am Paso Real del Rio Corrientes (Hauptübergang über den
Rio Corrientes) begleiten am linken Ufer feuchte Wiesen, am rechten
bewaldete Höhen den Fluss ; dieser ist bei der Uebergangsstelle wohl
30 m breit, kann gewöhnlich nur in Booten überschritten werden und
gilt für bedeutender als der Rio Capivari unter gleicher geographischer
Breite; Lastkähne von 800 bis 1000 Arroben können bei jedem
Wasserstande, bei mittlerem solche von 2000 Arroben dorthin; er ist
sogar noch eine grosse Strecke weiter aufwärts schilfbar. An dieser
günstigen Stelle ist denn auch eine Ortschaft im Entstehen begriffen,
welche indessen noch keinen Namen führt; man findet dort zehn bis
zwölf Ansiedlungen , die theils wohlhabenden Yerbateros gehören,
theils ärmeren Paraguayern und Brasilianern, die aus dem Verkehr
Vortheile ziehen, indem sie den durchreisenden Yerbateros Waaren
und Lebensmittel verkaufen. Hier sind die in den Yerbales gellenden
Preisverhältnisse schon voll in Kraft, und diese Yerbalespreise bilden
*) La Plata Monatsschrift, IV, S. 30. Weiter unten noch zu machende An-
gaben des specifischen Gewichts von Holzarten entstammen derselben Quelle.
f^7
einen recht unangenehmen Gegensatz zu den sonst im Lande heiTschenden.
Ein Käse, der sonst im ganzen Land 1 Real (40 Pfennige) kostet,
wird doi-t für 4 Realen verkauft, ebenso eine Cuarta (O.75 1) Cafia
oder Wein (> Kunstwein«); ein Huhn kostet dort 8 bis 10 Realen^
in PamguaiT 1 V2 bis 3 Realen ; ein Dutzend Eier 4 Realen, wälirend
man in Paraguarj^ für 1 Real zehn bis zwanzig Stück kauft; eine
Stange Zuckerrohr bringt einen Real ein, also etwa fünfzig Mal mehr
als in Paraguaiy ; fi-ischen Mais (den ich brauchte, um mir mit Weizen-
mehl, Fett und Käse Maisbrot — Chipä — als Reisevorrath backen
zu lassen) erhielt ich fünf bis sechs Kolben für 1 Real, während zur
selben Zeit in Paraguary vierzig bis fünfzig Kolben diesen Preis
haben u. s. w. Das Unglück ist nur. dass in jenen Gegenden äusserst
wenig baares Geld umläuft — wie sich weiter unten ergeben wird —
und dass der Verkäufer solcher Produkte meistens gezwungen ist,
Yerba in Tausch anzunehmen, welche er oft schwer und manchmal
nur mit Schaden verkaufen kann.
Vom Flusse Paraguay aus, und zwar von Rosario (Quarepoti),
kann man die entstehende Ortschaft am Rio Corrientes über Santanf
mit sehr guten Pferden und bei gutem Zustand der Wege und Flüsse
allenfalls in zwei Tagen erreichen; Santani selbst ist etwa 15 Leguas
entfernt, liegt ja aber selbst schon weit ab von den verkehrsi^eicheren
Theilen von Paraguay; nur zweimal monatlich kommt dorthin von
Paraguary ein reitender Postbote, der dann auch Briefe mitnimmt,
die vielleicht durch irgend eine Gelegenheit aus den Verbales dorthin
gelangt sind.
Unter den Ansiedlern am Rio Corrientes war auch ein Deutsclier,
der dort viele Tagereisen von seinen nächsten Landsleuten entfernt
lebt, ein Herr v. N., der vor bald zwanzig Jahren mit dem brasilia-
nischen Heer über Land als Kaufmann nach Paraguay gekommen ist
ttud sich nach mancherlei Wechseln dort niedergelassen hat. Anfangs
hatte er sich ganz dicht am Flusse ein Haus gebaut und einen Handel
darin angefangen, aber ein Hochwasser riss die unvernünftige Anlage
Wnweg, er zog sich höher hinauf und erwirbt jetzt seinen Lebens-
ßuterhalt durch seine Pflanzung. Er galt bei den Leuten für wohl-
•iabend, da er seinen Bedarf an Zwieback, Petroleum, Stotfen etc. bei
den Chateros — den Führern der Lastkähne — immer mit blanken
Wunden bezahle; doch wollten sie auch wissen, dass Leidenschaft
ftrs Spiel ihn verhindere, etwas Vermögen zu sammeln. Der biedre
Landsmann wusste manche Tigergeschichte zu erzählen und hatte
selbst drei dieser Bestien erlegt, die ihm in seiner alten Niederlassung
Hunde und Hühner vom Hof stahlen.
SS
Der brasilianisclie Yerbatero M., der schon von Villa Rica an
fast denselben Weg verfolgte wie ich — er war nach Santanl abge-
schwenkt — besass hier am Rio Corrientes ein Haus, das er mir
schon in Villa Rica zur Verfügung gestellt hatte. Ich fand dort ein
reges Leben, denn ein starker Trupp seiner Arbeiter und seine Vieh-
treiber waren eingetroffen; Abends kam auch er selbst. Dutzende in
Ponchos gekleidete Gestalten lagerten Nachts um das Haus herum
auf der Erde, eine ganze Schar Maulthiere wui'de täglich mehrmals
mit dem reichlich vorhandenen Mais gefüttert, alle möglichen für
die weitere Reise nöthigen Arbeiten wurden verrichtet, Buschmesser
geschliffen, Packsättel gemacht, Riemen geschnitten, Kleidungsstücke
ausgebessert u. s. w. An Sachen führen diese Leute gewöhnlich nicht
viel mit, zwei Hosen, zwei Hemden, ein Poncho, ein Hut und ein
Buschmesser, das pflegt die ganze Herrlichkeit zu sein. Was sie an
Kleinigkeiten haben, muss sich meistens mit einem Platz im Hut
begnügen, der namentlich für Kamm, Streichhölzer, Zigarren, Kau-
taback und Spielkarten als Aufbewahrungsort dient. Die Leute hatten
auf die Ankunft ihres Herrn schon sehnlich gewartet, denn es fehlte
ihnen an frischem Fleisch. Gleich am andern Morgen musste ge-
schlachtet werden, ein interessantes aber rohes Schauspiel: die 41 Köpfe
starke Heerde wurde in den Corral getrieben, Herr M. mit einem
Knecht spazierte eine AVeile zwischen den stattlichen jungen Ochsea
umher und bezeichnete dann das Opfer; der Laso schwirrte durch
die Luft, zwei oder drei andere Knechte waren schnell zur Hand.»
um ihn mit zu halten, das Thor ward geöffnet und der Gefangene
sprengte hinaus; dumpf brüllend, als ahnte er sein Schicksal, suchte
er sich der Fessel zu entledigen; es gelingt, der Laso reisst und der
Ochse sprengt querfeldein davon: ein paar Reiter schnell hinter ihm
drein ; nach wilder Jagd kommt er erschöpft mit blass aus dem Munde
hängender Zunge zurück, ein neuer Ijaso fasst sein Gehörn, ein anderer
die Hinterbeine; er stürzt noch nicht; da zischt ein Macheton durch
die Luft, die Sehnen des linken Hinterbeines sind dicht über der
Ferse zerhackt; der Arme hinkt stöhnend weiter, stürat aber noch
nicht; ein wild aussehender Correntiner springt ihm von hinten aufs
Kreuz, er bricht zusammen, die Knechte johlen und schon ist seine
Kehle mit einem scharten Messer durchschnitten, noch halb lebend
wird er in den Hof geschleift und eine Stunde später ist sein Fell
schon in der Sonne zum Trocknen ausgespannt, und das Fleisch hängt
zertheilt unter der Vorhalle des Hauses.
Jeden Abend um Sonnenuntergang ging ich die wenigen Schritte
zur Furt hinab, nahm in dem Fluss ein erfrischendes Bad und genoss
89
deu Reiz der friedlichen Landschaft: über mir wolkenloser Himmel,
Tor mir der glatte Flussspiegel, im Buschwerk des Ufei*s einzelne
Lagerfeuer durchziehender Arbeiter, drüben die Hütten der Ansiedler
und der von bepflanzten Rodungen unterbrochene Waldrand, Pferde
wuixlen zur Tränke geführt, das Blöken von Schafen und das Bellen
von Hunden klang herüber, kleine Frösche quakten munter in den
Wiesen, Zikaden zirpten in den Büschen.
Die Nächte waren frisch am Rio Corrientes und jeden Morgen
deckte bei 15 bis 17" C. dichter Nebel für einige Stunden das Fluss-
gebiet; bald aber zerstreute ihn die Sonne und strahlte dann glühend
den ganzen Tag über hernieder. In den Wintermonaten soll es dort
oft recht kühl sein, und Bananenpflanzungen können der Fröste wegen
nicht leicht erhalten werden. Die Meereshöhe des Flussübergangs ist
übrigens nur 170 m.
8. Bis Igatimi.
Am 8. Januar früh wurde aufgebrochen: wir Hessen die Heerde
voran, damit sie uns in den selten benutzten Pikaden das nachge-
wachsene Buschwerk niederträte. Die Gegend, in welche wir jenseits
des Flusses eintraten, war anfangs von tiefen Schluchten zemssen,
die der Regen in den rothen Boden hineingewaschen hat; bald kamen
wir dann wieder in Wald, in welchem mir nahe dem Wege vor
allem die starke Entwicklung der Kakteen auffiel, von denen einzelne
bis zu 12 m Höhe emporragten. Mitten im Walde holten wir vier
Indianer ein, kleine Leute von dunkel gelbbrauner Hautfarbe und
schwai-zen straffen über der Stirn und im Nacken gerade abgeschnittenen
Haaren. Sie kamen von Santanl, wo sie einige Zeit gearbeitet hatten,
um sich einige Werkzeuge und etwas weisses Baumwollenzeug zu
verdienen, und kehrten nach ihrer in den östlichen Wäldern gelegenen
Heimath zurück. AVir überschritten einige Bäche und eine schmale,
langgestreckte Lagune, ritten wieder eine Strecke neben einer schmalen
und scharfkantig eingeschnitteneu Schlucht hin, deren Grund das
Liegende der rothen Erde noch nicht erreichte, und kamen bald nach
der Mittagsstunde an den wasserreichen aber nicht breiten Fluss
Carimbatay, der, wie auch der Rio Corrientes, bei der Uebergangsstelle
Sparen einer früheren Brücke aufweist. Dort wurde zwischen halb
verbi-anntem Orangengebüsch und im dürftigen Schatten einiger lorbeer-
älinlicber Bäumchen gerastet. Am Nachmittag passirten wir noch
mehrere ausgedehnte sumpfige Niederungen, überschritten drei^Bäche
deren einer den sonderbaren Namen Arroyo Avil-yivil-cu6 (wörtlich
übersetzt Bach Indianer- Arm-geweseu, wahrscheinlich, wie man mir
90
sagte, Erinnerung an einen früher dort geschehenen Mord; doch giebt
es aucli eine Pflanze dieses Namens, Convolvulus hatatas, von welcher der
Name herrühren kann) führt, und deren letzter, der ArroyoCandiy,
in tief eingeschnittenem Thai fliesst, Hessen rechts den Eingang einer
fast ganz verwachsenen, nach Carimbatay (Santa Rosa) führenden
Pikade liegen und näherten uns der Stelle, wo die Karten Curuguaty
(San Isidro) zeigen. Schon lange vorher erschienen zu beiden Seiten
des Weges reichliche Spuren früherer Besiedlung, Reste von Häusern
und Umzäunungen und alte, verwildernde Orangenhaine, deren Früchte
— seit Dona Juana die ersten — uns labten. Was ich schon seit
Villa Rica über Curuguaty erkundigt hatte, bestätigte sieh voll-
kommen: in dem Lopezschen Kriege ist die Stadt, welche früher
Villa Rica an Einwohnerzahl und Verkehr übertroffen haben soll, von
Indianern zerstört worden, und seitdem ist sie gänzlich verlassen
geblieben. Nur zwei verfallende massive Häuser und ein Schuppen
sind übrig: ausserdem erinnern nur einige riesige Holzkreuze, ver-
einzelte Pfosten und gestürzte Balken an die frühere Stadt: hohes
Buschwerk und dichter Graswuchs haben die Oertlichkeit so über-
wuchert, dass man nicht einmal mehr den früheren Plan der Stadt
erkennen kann! Die Lage von Curuguaty war eine sehr günstige,
denn das Land ist rings umher auf ziemliche Entfernung waldfrei,
der Boden fruchtbar, gutes Trinkwasser reichlich in der Nähe, der
für Lastkähne schilfbare Rio Curuguaty fliesst eine Legua nördlich
von der Stadt. Für Viehzucht ist diese Gegend weniger geeignet als
für Ackerbau, da ausgedehntes Weideland fehlt und das vorhandene,
wie alle Weideländereien des östlichen Waldgebiets, nicht gleich den
Weiden des Tieflandes Salzleckstellen (harreros) enthält, das Vieh
daher Salz bekommen muss. Die Stadt war ohne Zweifel ein Mittel-
punkt für das rege Leben und Treiben in den Yerbales dieses Theils von
Paraguay, wie er jetzt gänzlich fehlt. Auch das wenig südlicher gelegene
Carimbatay (Santa Rosa) ist seit dem Kriege gänzlich verlassen;
kaum einige Trümmer sind dort noch vorhanden. Nun begriff ich,
warum von Yhü kein direkter Weg mehr hierher führt, sah auch von
Neuem ein, welch hohen Werth es für mich hatte, gerade in die Zeit
des Anfangs der Yerbaarbeiten hineingerathen zu sein, denn ich hatte
mich nach der Karte natürlich darauf verlassen, hier überall ansässige
Bevölkerung zu finden.
Unsere nun ziemlich ansehnliche Karawane schlug ihr Lager
am Fusse des früher von der Stadt eingenommenen Hügels auf; bald
gingen Vieh, Pferde und Maulthiere frei ihrem Futter nach, sieben
Lagerfeuerchen loderten zerstreut auf dem Felde, jeder bereitete sich
91
erst sein frugales Mahl und dann sein Lager für die Nacht. Meine
Lagerorduung war einfach genug: die beiden Sättel wurden neben
einander gelegt. Decken und leere Säcke auf dem Boden ausgebreite t,
Packsäcke und Packkörbe daneben gestellt, das Gewehr, zum Schutz
gegen den Thau leicht umhüllt, griffbereit hingelegt, der am Tage
gänzlich überflüssige Rock angezogen, der Poncho bereit gehalten,
um das Gesicht zu decken, falls Insekten sich unangenehm bemerk-
bar machten; das war alles. Freilich war am Morgen alles vom
reichlich sich bildenden Thau durchnässt, aber das schadete nichts.
Der Paraguayer hat in der zu seinem Sattel gehörigen Carona (Rinds-
haut, s. S. 25) eine völlig wasserdichte Unterlage fiir das Schlafen auf
dem Erdboden, der ich aber meine Wolldecke durchaus voraog. Er
verkriecht sich ferner gänzlich unter dem Poncho, und zwar, wenn
er über einen solchen verfügt, unter dem »runden« {poiiclio redondo)^
einem schweren, mantelartigen, am Halse zu schliessenden ziemlich
wasserdichten Stück, welches bei Regenwetter den Reiter nebst
seinem ganzen Sattelzeug und Gepäck völlig zu schützen vermag.
Die Stiefel beim Schlafen anzubehalten betrachtet der Paraguayer
als höchst ungesund.
Bei völlig heiterm Himmel leuchtete der Mond im ersten Viertel
so hell auf unser Lager nieder , dass ich bei seinem Scheine bequem
noch einige Bleistiftnotizen in mein Tagebuch eintragen konnte.
Die Gegend von Curuguaty passirte Lopez auf seiner Flucht
nach Norden, und sie ist mit dem Blut, welches seine Grausamkeit
massenhaft vergoss, getränkt; in der Nähe der Stelle, wo wir des
Abends Orangen gepflückt hatten, Hess er z. B. nach Aussage der
Arbeiter achtzehn Geistliche ermorden.
Am andern Morgen erreichten wir nach kurzem Ritt den Rio
Curuguaty, welcher noch oberhalb dieser Uebergangsstelle für Last-
kähne schiffbar ist. Noch weit über ihn hinaus begleiteten uns die
Spuren früherer Besiedelung. Ueber wechselvolles Land, das vielfach
von sumpfigen Niederungen und kleinen Bächen unterbrochen war,
erreichten wir, von dem einen halben Tag nach uns vom Rio Corri-
entes aufgebrochenen Herrn M. unterwegs eingeholt, schon ziemlich
lauge nach Mittag einen kleinen Bach, den die Leute — mit einiger
Unsicherheit — als Arroyo Trapiche-cue bezeichneten. AVährend
der Rast in einem kleinen Hohlwege bemerkte ich die Spuren früherer
Gruben, die, wie ich erfuhr, an ein sonderbares Ereigniss erinnern,
dessen Schauplatz diese Gegend und namentlich das nahe Igatimf
war, nämlich an die Goldsucherei des Obersten Wisner und seiner
Begleiter aus Buenos Aires. In dem Buche von Karl Friedrich,
i)2
Die La Plata-Länder u. s. w. '), findet sich auf S. 142 und 143 folgende
Stelle: »Ein Unternehmen von wahrhaft erhabener Schwindel tendenz
und skandalösem Ausgange, welches alle Gründungen der letzten
deutsclien Gründerei)oche in Schatten stellt, und bei welchem der
> Staudard« -) den traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen kann,
mit Reklamen und Anpreisungen sein Möglichstes gethan zu haben,
waren die Goldminen von Amambay und Maracayü in Paraguay. Als
Gründer dieser Gründung figurirten vor dem Publikum der argentinische
Oberst Lucio Mansilla und ein gewisser Meyer, jeder für sich in
jeder Beziehung das Prädikat >/Äe rigU man in tlhe rigJU place € ver-
dienend. Seit dem Momente, dass diese beiden unübertroffenen Giünder
in Buenos Aires das Dampfschiff bestiegen, stiegen die Aktien in dem
Maasse, in welchem das Dampfschiff sich dem gelobten Lande Paraguay
näherte. Jeden Tag wusste der »Standard« seinen Abonnenten neue
Geschichten von den unermesslicheu Reichthümern in den Amambay-
Minen aufzutischen, und als er gar die Nachricht brachte, dass die
erste Schachtel oder Kiste mit Goldstaub schon unterwegs sein sollte,
notute die Börse diese Glücksaktien mit 420. Ich bezweifle sehr,
dass Mr. Mulhall, der Eigen thümer des »Standard« zu diesem Preise
noch Käufer gewesen ist, denn Mr. Mulhall weiss als smart ftlhw
und gewiegter Börsenmaun nur zu gut, dass den Letzten immer un-
fehlbar die Hunde beissen. Das Endi^esultat dieses Urtypus einer
Gründung war, dass weder Lucio Mansilla noch der Gründer Meyer,
noch Mr. Mulhall überhaupt sagen konnten, wo diese Minen eigent-
lich zu finden seien; dieselben hatten nur in der Phantasie der
Actionäre existirt und sind auch heutigen Tages noch nicht aufg*i-
funden worden!«
So mag der Verlauf der Sache in Buenos Aires gewesen seiii^
aber wenigstens gesucht haben die Leute nach den Goldminen uu^
zwar zunächst dort am Arroyo. Nachdem bis zu einer Tiefe von et\va
sechs Varas gegraben war, soll Jemand ein kleines Stückchen GoW
in die Grube geworfen haben; sofort wurde dieser Fund nach Bueii<^^
Aires gemeldet und die Aktien stiegen riesig. Dann aber zog Wisu^^'
mit Mansilla und Meyer weiter nach Igatimi, wo sich die Exi)edition
1 877 bis 1 879 aufgehalten haben soll, um in dem benachbarten Cei'^
Maracayü doch noch wirklich Gold zu finden; diese Hoffnung wurtl*^
aber getäuscht, Wisner starb und die Sache löste sich auf.
•) Die La Plata-Länder unter besonderer lierücksicliligung ihrer wirthschaflüct"*-"**
Verhältnisse, Viehzucht und Kolonisation und ihrer Bedeutung für deutsche Kapiüih?»«-^'"
uud Auswanderer. Von Karl Friedrich. Hamburg 1S84. L. Fricderichsen & C«-»-
'^') Leitendes Blatt in Bucuotj Aires.
93
Noch eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichten wir den Jejui-
guuzü, den Hauptfluss dieser Gegend, in dessen Gebiet ich mich
seit Ueberschreitung des Tapiracuay befand. Eine kleine Canoa lag
an der Uebergangsstelle und nahm uns mit unseren Sachen auf. Der
Fluss hatte kaum mittleren Wasserstand, war aber doch 25 bis 30 m
breit und so tief, dass die Pferde schon wenige Schritte vom Ufer
schwimmen mussten. Dichtes Gebüsch, namentlich mächtige Bambus-
wedel, beschatteten das ruhig fliessende Gewässer und ein breiter Vor-
sprang rein weissen Sandes lud zu erfrischendem Bade. Schon kam
aber die Heerde, mit wahrem Vergnügen stürzten sich die Thiere
nach dem heissen Marsche in das kühlende Wasser, hinter ihnen her
die Knechte, welche sich in wenigen Sekunden ihrer dürftigen Kleidung
entledigt und dieselbe dem Kahn anvertraut hatten; nachdem der Zug
wieder im Walde verschwunden war, kamen wir an die Eeihe, der
Brasilianer und ich. Es dunkelte schon, als wir weiterritten, hinein
in die halb verwachsene Pikade, auf deren unebenen Boden bald der
Mond phantastisch die Schatten riesiger Bäume warf. Wir Hessen
rechts eine ziemlich umfangreiche Lagune liegen, aus deren trüben
Futhen ein tausendstimmiges Froschkonzert erschallte, traten bald
darauf aus dem Wald hinaus und erreichten dann das Lager der
Vorausgegangenen am Arroyo Tacuara-mboi, wo wiederum eine
thaureiche Nacht auf offenem Kamp verbracht wurde. Ein Glück
War es, dass das Wetter anhaltend vortreflflich war, sonst wären uns
die Nächte wohl weniger angenehm gewesen, und AVege sowie Flüsse
hätten uns zu schaffen gemacht. Am andern Tage (10. Januar) traten
am Wege wieder reichlich Spuren alter Ansiedlungen auf, denn wir
befanden uns schon in unmittelbarer Nähe von Igatimi. Um 7Va Uhr
^unle der Jejui-mi überschritten, ein Fluss, der dem Jejui-guazü
ungefähr an Grösse gleichkommt und einen ganz ähnlichen Anblick
gewährt, den wir aber unter völlig kundiger Führung zu Pferde
Passiren konnten. Noch zwanzig Minuten Wegs, und wir hatten
igatimi erreicht.
Ich hatte gehofft, wenigstens Igatimi ') als ansehnliche Ortschaft
^'Q finden, aber weit gefehlt! nur einige wenige Leute haben sich als
Yerbateros dort niedergelassen, darunter zwei spanische Basken,
Binder, welche mich gastfrei und förmlich heralich bei sich aufnahmen.
^f>n Antonio und Don Juan Menchaca waren aus der Gegend
^on Bilbao zu Hause und hatten ihr Vaterland vor vierzehn und
^ßün Jahi-en wegen der inneren Unruhen verlassen, um nicht ihr
') Von einigen hörte ich auch Vgatimi aussprechen.
94
Leben in den Streitigkeiten von ein Paar Adelsfamilien hergeben za
müssen. Seit vier Jahren waren sie in Igatimi ansässig und ge-
wannen mit Hülfe weniger Arbeiter, besonders Indianer, Yerba. Sie
kannten die Verhältnisse Paraguays, das ganze Yerbageschäft und
besonders die Gegend bis und um Igatimi auf das Genaueste, so dass
ich ihnen viele werthvolle Mittheilungen verdanke. Dazu lernte ich
in ihnen Leute kennen von einem Adel des Charakters und einer
Offenheit des Wesens, wie man sie äusserst selten findet; zu Hause
nur mit geringer Schulbildung versehen, hatten sie sich aus eigner
Kraft emporgearbeitet und sich beide, namentlich aber der ältere,
eine wahrhaft philosophische Lebensanschauung erworben. Die An-
siedlung dieser beiden Leute bestand aus einem massiven Hause mit
daran stossendem Maschinenschuppen und dahinter liegender Küche;
daran schloss sich eine ziemlich grosse Pflanzung von Mais, Maniok,
Melonen, Kürbissen, Bohnen, Bananen und ein kleiner alter Orangen-
hain; Pferde und Maulthiere trieben sich auf der Weide herum, zahl-
reiche Hühner durchstreiften das Buschwerk, legten ihre Eier bald
hierhin, bald dorthin und konnten nur durch Vermittelung der Flinte
erreicht werden, wenn einmal eine in den Topf wandern sollte.
Im Jahre 1877 war Igatimf ebensogut wie Curuguaty und Carim-
batay gänzlich verlassen. Im Hause der Basken verkehrte täglich
ein grosser schwarzhaariger Italiener (aus Genua), welcher in jenem
Jahre nach Igatimf vorgedrungen war und dort das erste neue Haus
gebaut hatte, zu welchem seitdem noch einige hinzugekommen sind,
so dass das neue Igatimi jetzt aus neun bewohnten Häusern besteht,
welche die wenigen Reste des alten zerstreut in weitem Kreise um-
geben. Von dem alten Igatimi war nur die Kirche mit zwei halb
zerstörten Häusern übrig geblieben, deren eines, das frühere Schul-
gebäude, wieder bewohnt ist. Die Kirche bot ein trauriges Bild des
Verfalles dar: das Dach war durchlöchert, die Wände halb eingefallen,
der Altar fast ganz zertört (Wisner und seine Begleiter hatten dort
Ziegel gebrochen, um sich einen Backofen zu bauen), im Mittelschiff
stand eine grosse Pfütze, im Schatten der äusseren Säulenhalle lagen
Kälber, in der Sakristei wälzten Schweine sich im Koth, aussen war
an dieselbe ein Corral angebaut! Ganz nahe bei der Kirche liegt der
Friedhof, mit mächtigen, oben zugespitzten Planken umschlossen.
Tritt man durch das überdachte Thor ein, so sieht man in der Mitte
ein grosses Holzkreuz, rund umher dicht bei dicht Gräber, völlig von
Vegetation überwuchert. Don Juan, mein Begleiter auf diesem Gange,
bog über einem vor Gestrüpp kaum sichtbaren Grabe die Aeste und
Zweige auseinander und zeigte mir ein unscheinbares Kreuz, das
r-
95
Grabdenkmal des Obersten Wisner, welcher 1878 hier starb, während
er vergeblich bemüht war, im CeiTo Maracayü Gold aufzufinden (s. S.92).
Er wohnte damals mit seinen Begleitern in dem ersten von dem ge-
nannten Italiener gebauten Hause und soll schon lange leidend ge-
wesen sein; es wird erzählt, dass er sich zuletzt fast ausschliesslich
von Ochsenzungen ernährt habe, weshalb die Expedition immer einen
sehr grossen Viehstand halten musste. Nur ein Grab auf dem alten
Kirchhofe war wohlgepflegt, das der vor einem Jahr gestorbenen Frau
Don Antonios, einer Paraguayerin, deren vorzügliche Eigenschaften
der Mann nicht genug zu loben wusste.
Um meinen Pferden eine gründliche Erholung zu gönnen und um
die Rückkehr des Brasilianers zu erwarten, welcher zu seinem neuen
Rancho (Yerbaniederlassung) in die Wälder geritten war und mich
gebeten hatte, mit ihm einen in der Nähe der brasilianischen Grenze
gelegenen Rancho zu besuchen, um ihm über dessen Lage (auf
paraguayschem oder brasilianischem Gebiet) entscheiden zu helfen,
blieb ich fünf Tage in Igatimi. Das Wetter war fortdauernd günstig,
nur hier und da einmal ein Regenschauer oder in der Ferne ein Ge-
witter, aber der Hitze wegen (in den heissesten Tagesstunden 30 bis
33 " C.) konnte ich nur früh und Abends die Umgegend durchstreifen,
welche auf einige Entfernung hin aus bebuschtem Kamp, den oft
einzelne Bäume unterbrechen, besteht In den Wäldern, welche dieses
Weideland umgeben, wohnen in nicht bedeutender Zahl »zahme«
Caynguä- Indianer, welche früher in Igatimi ansässig waren. Fast
täglich ging ich zum Flusse hinunter um zu baden, bald nach der
üebergangsstelle, bald nach dem etwas weiter abwärts und näher dem
Orte gelegenen »Hafen«; dort lagen in einer der zahlreichen Win-
dungen des Flusses im Schatten der Uferbäume drei Lastkähne, deren
Bemannung am Ufer ein Lager aufgeschlagen hatte, und warteten
auf die erste frische Yerba, um dann die Reise nach Asuncion anzu-
treten. Das grösste dieser Fahrzeuge fasste 1300 Arroben, doch
können auch bedeutend grössere dahin gelangen, und der Fluss ist
sogar noch weiter hinauf fahrbar. Flussaufwärts müssen diese Schiffe
niit Stangen gestossen werden, da von Segeln bei den zahllosen Krüm-
®unj?en nicht die Rede ist, ebenso wenig kann man daran denken,
sie vom Ufer aus zu ziehen, da die Ufer meist bewaldet und sumpfig
sind. Die Reisen dieser Chatas sind daher sehr langwierig; man
Ij'^iucht zu einer Fahrt von Asuncion nach Igatimi und zurück meist
vierzig bis fünfzig Tage, bisweilen aber auch mehrere Monate. Regel-
n^^sigen Land verkehr nach Igatimi giebt es natürlich nicht, und
ßtwaige Briefe muss man mit Gelegenheit nach Santani befördern.
96
Einen Brief, den icli dort am 13. Januar an meine Angeliörig(
schrieb, liätte ich mit Vortheil selbst nach Deutscliland befördei
können, denn er traf erst Ende April in Hamburg ein, nachdem i(
selbst schon mehr als vierzehn Tage wieder dort war. In Begleitur
Don Juans stellte ich den Feldhühnern auf dem Kamp fleissig nac
allerdings mit geringem Erfolge, da vnr beide zu wenig Uebui
hatten. Nordwestlich von Igatimf zeigte mir der junge Baske d
Stelle, wo die vor fünfzehn Jahren geschlagene Lopezsche Pika(
nach dem nördlich gelegenen Panadero anfing; dieselbe ist aber sei
dem völlig verwachsen, so dass ich hier meinen auf die Wisnei-scl
Karte gegründeten Plan wieder ändern musste: der Panadero konn
nur auf einem gi'ossen östlichen Umwege eneicht werden. Don Jm
erzählte mir, dass die umliegendefa Wälder, in welchen er mit sein«
Indianern die Yerba bereite, reich an Wild seien, namentlich komn
dort auch der Tapir, gran lesHa (im Guaranl mborevi) genannt, vc
den man aber nur mit guten Hunden jagen könne; selbt dann sei <
schwer, seiner habhaft zu werden, da ihm sein dickes Fell gestatt
in das dichteste Gestrüpp einzubrechen, wohin man ihm nicht od«
doch nicht schnell genug folgen könne; derselbe gehe meist bei Nacl
auf Futter aus, am Tage wandere er nur, wenn ihm die Insekten d
Rulie zu sehr verleideten. Einen Tiger (Jaguar) hatte Don Juf
während seines vierjährigen Waldläuferlebeus noch nicht zu Gesicl
bekommen, wohl aber häufig die Tigerkatze {yaffiiaretei oder klein»
Tiger genannt) und bisweilen auch den Puma, welchen man in Par
guay leon^ Löwe, nennt. Derselbe gilt für feige und wird de
Menschen kaum je gefährlich. Schlangen sind nicht selten, auch d
Klapperechlange kommt bisweilen vor. Spuren früherer Ansiedlunge
alte Pfosten, Orangenhaine u. s. w., findet man in der Umgegei
von Igatimf ziemlich zahlreich.
An den herrlichen Abenden, die wir bei Mondschein vor od(
hinter dem Hause zubrachten, führte ich mit dem Italiener und d(
Basken manches Gespräch über Paraguay, seine Bewohner und seil
Zustände. Don Antonio nannte die Rassenmischung des Paraguaye
keine glückliche, das Naturell des unvermischt gebliebenen Indiane
sei ein besseres. Der Paraguayer werde, wenn er auch nur ein wen:
trinke, streitsüchtig und roh, der Indianer sei aber durchaus friedlicl
der Fremde dürfe sich dem Paraguayer nicht unbedingt anvertraue
da derselbe ihn mit schelen Augen ansehe und bei seiner Heralosij
keit sich über dessen Unglück nur freuen würde; die Frauen seie
zuverlässiger und hätten mehr Herz. Die Familienliebe der Paraguays
bezeichnete er als gering, nicht selten Hesse einer eine Frau m
97
Kindern sitzen, die Liebe zu den Kindeni und die Sorge für dieselben
sei nicht gross. Was von Paraguaj-em in den Yerbales arbeitet, ge-
hört im allgemeinen zur schlimmsten Sorte; diese Burschen leben
meist in den Tag hinein, haben verhältnissmässig sehr bedeutende
Schulden (worüber weiter unten die Rede sein wird), werden oft
schlecht behandelt, da dort der Wille des Yerbatero, von welchem sie
gänzlich abhängig sind, Gesetz ist, und meiden die bewohnten Landes-
theUe oft aus sehr triftigen Gründen ; dem Wein und Schnaps sprechen
sie gern zu, wenn sie irgend dazu kommen können, in vielen Yerba-
niederlassungen werden diese Getränke daher gar nicht geduldet.
Kaum waren meines Brasilianers Leute einige Stunden in Igatiml,
so hörten wir drüben in der kleinen Kneipe eines Portugiesen schon
Lärm und Geschrei: die Peone (Arbeiter) wollten dem Dependiente
(Commis, Buchhalter) des Herrn M. mit Messern zu Leibe, weil er
ihnen nicht gestatten wollte, noch mehr Cafia auf ihre Rechnung im
Bache des Arbeitgebers zu trinken. Herr Miranda erhob sich aus
der Hängematte, nahm seine Reitpeitsche und schlenderte in seiner
schläfrigen Weise hinüber; das wirkte schon aus der Ferne und schnell
war aller Streit verstummt.
Fast nur Ungünstiges hörte ich über die wenig zahlreiche Geist-
lichkeit des Landes; die meisten Geistlichen, besonders die in den ab-
gelegeneren Theilen des Landes, denken in erster Linie an ihre Be-
reicherung und drücken die ihnen anvertrauten » Seelen c wo sie nur
können. Von dem Geistlichen in Santanl wurde mir erzählt, dass er
keine Trauung vollziehe, wenn ihm nicht vorher mindestens zwei
Unzen (32 Patacon oder 128 Mark) bezahlt werden, eine für den
gewöhnlichen Paraguayer ungeheure Summe. Dass durch solches Vor-
gehen die in Paraguay so wie so schon bei Weitem vorherrschende
»wilde Ehec nur gefördert wird, liegt auf der Hand. Derselbe Geist-
liche schämte sich nicht, um sich einen kleinen Nebenverdienst zu
verschaffen, eine kirchliche Leichenfeier für Garibaldi zu veranstalten,
obgleich dieser exkommunizirt war!
Im Hause der Basken lernte ich noch mehrere andere Yerbateros
dieser Gegend kennen, darunter den bedeutendsten, einen iranzösischen
Basken, mit Namen Don Vicente N., einen langen hagem Mann mit
Hakennase und kleinem Bart, eine energische und thatkräftige Persön-
lichkeit. Er arbeitet in jener Gegend mit fünfzig oder sechzig Karreten,
600 Stück Vieh und gegen 400 Arbeitern und bereitet jährlich 40000
his 80000 Arroben Yerba (während die beiden Basken mit ihrem
geringeren Kapital und wenigen Arbeitern nur 4000 Arroben schaffen
können). Eine kleine Legua nordcistlich von Igatimf hat er eine
98
grossere Niederlassung, Vaqueria genannt (weil er dort anfangs nur
Viel) hielt; vaca die Kuh), welche ich besuchte; dort fand ich eine
Anzahl dauernd bewohnter Eanchos, Pflanzungen von Mais, Maniok
und andern Nahrungspflanzen, einen deutschen Buchhalter (Sohn des
Direktors der deutschen Kolonie San Bernardino), einen brasilianischen
»Arzt« (dessen Kunst sich aber wohl auf das Verschreiben von Ab-
führungen und Chinin und vielleicht auf das Zunähen von Wunden
und Einrichten gebrochener Knochen beschränkte), gi*osse Maschinen-
schuppen, Vorrathshaus und Waarenlager u. s. w. Don Vicente er-
klärte sich bereit, mich mit einigen seiner Leute nach dem gi-ossen
Fall des Paranä zu begleiten, falls ich einen Monat warten könnte;
jetzt, wo gerade die Arbeiten anfingen, sei es weder ihm möglich mit-
zukommen, noch könne er Leute entbehren. Er glaubte die Reise in
vierzehn Tagen ausführen zu können, in der Weise, dass zu Puss voi-ge-
drungen und der längst verwachsenen Pikade gefolgt würde, welche
die Grenzkommission einst geschlagen habe. Leider war es mir un-
möglich, vier Wochen dort zu warten, da meine Zeit sehr knapp war;
ich musste daher das Anerbieten ablehnen.
Körperlich befand ich mich andauernd wohl, nur hatten sich in
den letzten Wochen am linken Arm und am linken Bein, je zwei
geschwürige Stellen gebildet, die meiner Versuche zur Heilung hart-
näckig spotteten und aus denen ich nichts zu machen wusste; heftig
reissende Schmerzen in ihnen verhinderten mich oft fiir Stunden am
Schlafen. Erst drei Wochen später kam ich über diese Erscheinung
ins Klare und wurde sie los.
In Igatimi hatte ich reichlich Gelegenheit, bei den Yerbateros
und Chateros (Führern der Lastkähne) Erkundigungen über die Geo-
graphie dieser Gegenden und namentlich über das Flusssystem des
Jejui einzuziehen und dieselben mit dem, was ich selbst gesehen hatt«
und mit dem, was die Karten zeigten, zu einem Bilde zu verarbeiten.
Ich glaube daher für meine bezüglichen hier folgenden Mittheilungen
Zuverlässigkeit beanspruchen zu können.
Das Flusssystem des Jejui entwickelt sich in seinen Haupt-
wasserläufen wie folgt: In ziemlich ansehnlicher Entfernung östlich
von Igatimi entspringen der Jejui-guazü und der nördlichere Jejul-
mi; sie sind unter dem Meridian von Igatimi nicht mehr als drei
Leguas von einander entfernt und vereinigen sich drei bis vier
Leguas westlich von Igatimi; der vereinigte Fluss führt den Namen
Jejui, wird aber auch nicht selten Jejui-guazü genannt. Er
empfängt von links zwei Hauptnebenflüsse, den Curuguaty und den
Capivari; ersterer muss östlicli von Curuguaty, letzterer nicht allzu-
99
weit nördlich oder nordnordwestlieli von San Joaquin entspringen; die
Haaptrichtung beider im Unterlauf muss annähernd nordwestlich sein.
Der Cuniguaty empfängt links den Carimbatay und weiter unterhalb
den Rio Corrientes, dessen Quelle von der des Capivarl nicht eben
weit entfernt sein kann. Auf der rechten Seite empfängt der .Tejui
drei Hauptnebenflüsse, den Para^, den Itanarä-mi und den
Aguaraj^-guazü; der Paray' empfängt links den Arroyo Guazü,
der Itanarä-mi rechts den XJpoy; in den Jejul münden beide ober-
halb der Mündung des Curuguaty; über den bei weitem grössten
rechten Nebenfluss, den Aguaray^-guazü, wird weiter unten im Be-
sondem die Rede sein; desgleichen über die Mündung des Jejui.
Von linsem Karten zeigt keine das System des Jejul so, wie es
hier dargestellt ist. Bei Rengger ist die linke Seite des Systems
im ganzen richtig, nur fehlt beim Capivarf der Name und er lässt
den Rio Curuguaty südlich statt nördlich von der gleichnamigen Stadt
Messen; rechts dagegen fehlt der Para;^, und erscheint, wie auch auf
allen andern Karten, ein Rio Sepultura, den Keiner von allen
Leuten, die ich ausgefragt habe, kannte, alle ^aren darin einig, dass
Sepultura nur der Name einer Oertlichkeit sei, nur einer meinte un-
sicher, es gäbe wohl auch einen kleinen Bach des Namens. Es ist
auch äusserst unwahrscheinlich, dass es in jener so sehr selten
begangenen Gegend einen grösseren Fluss mit spanischem Namen
giebt! Wo Rengger den Sepultura münden lässt, zwischen Capivarf
und Aguaray-guazü, mündet kein irgend bedeutender Wasserlauf in
den Jejul. Renggers Gebirgszeichnung giebt eine falsche Vorstellung
von jenen Gegenden; namentlich sind seine Schraffen viel zu weit
nach Westen vorgeschoben. Renggers Zeichnung beruht für diese
Gegenden auf Azaras Karten, auf welchen aber manche Namen
fehlen und auch die Bodenerhebungen (mit Ausnahme der Haupt-
wasserscheide auf dem einen Blatt) garnicht dargestellt sind '). Auf
Pages an Stichfehlem sehr reicher Karte in kleinem Massstabe ist
das System des Jejul nur skizzenhaft angegeben; links fehlt jeden-
falls entweder der Corrientes oder der Carimbata;^', und die Neben-
8üs9e rechts oberhalb des Aguaray sind nur Phantasien; der Cerro
Maracayü (Wasserscheide) ist entschieden zu weit nach Westen
vorgeschoben. Bei Du Graty ist der Capivarl nicht genügend ent-
^ckelt und ohne Namen; der Jejul-mi ist zu einem Nebenflusse des
Itanarämi gemacht, der Name Sepultura fehlt auch nicht; aus den
kleineren Flüssen in der Gegend von Curuguaty und Carimbatay ist
Azara, a. a. O. Atlas, Tafel in und V.
100
schwer klug zu werden. Bei Wisner wieder grosse Verwirrung: d
(nicht zum Jejui gehörige) Tapiracuay, welchen ich als nicht me
unbedeutenden Fluss östlich von Santani überschritt, fehlt dort — d
Name findet sich weiter westlich für einen Theil eines Flusslaufs -
der Capivarf findet sich etwa an der Stelle, wo der Rio Corrient
hingehört, ist mit sehr vielen Nebenflüssen ausgestattet — darunt
weit im Süden ein kleiner Rio Corrientes — , so dass sein System di
Raum einnimmt, auf welchem in Wirklichkeit ausser ihm noch d
Rio Corrientes und der Tapiracuay liegen, nimmt fälschlich noch di
Carimbatay und Curuguaty als Nebenflüsse auf, ja sogar den Jeji
guazü; die Entfernung von Curuguaty bis zum XJebergang der Stras
über ihn beträgt öV« Leguas gegen den dreifachen Betrag der Wir
lichkeit; westlich vom Capivari erscheint in den > Yerbales von Rosan<
(dieser Name ist jetzt unbekannt, wurde wahrscheinlich auch nie g
braucht) ein anderer ziemlich grosser Fluss ohne Namen, dessen La|
und Mündung ungefähr dem wahren Capivarf entspricht, doch reic
er lange nicht weit genug nach Süden; noch weiter unterhalb e
scheinen drei kleine Nebenflüsse, von denen niemand etwas wuss
und die (ausser der Johnstonschen, s. u.) keine andere Karte hat; d
Abstand zwischen Jejui-guazü und Jejul-mi ist viel zu gross. Rech
vom Jejui erscheinen Itanarä und Sepultura, ersterer fälschlich in d(
Jejuf-mi, letzterer fälschlich unterhalb des Curuguat]^ (hier Capivai
mündend; über den Aguaray, wie gesagt, später. Wisners Gebirg
Zeichnung ist auch in diesem Theil des Landes nur als schematiscl
Darstellung der Wasserscheiden zu betrachten. Das Schneiderscl
Werk über den Paraguaykrieg ') enthält eine Uebersichtskarte der I
Plata-Länder und mehrere Spezialkarten von Theilen Paraguays. A
der Uebersichtskarte (»Karte des Kriegsschauplatzes in den La Plat
Ländern 1863 — 1870«) ist das Jejuisystem in einer mir ganz unve
ständlichen Weise dargestellt; auf einer der Spezialkarten (»Kar
des Kriegsschauplatzes in der Republik Paraguay von September 18(
bis zum Schluss des Krieges«; die Tafeln sind nicht numerirt) e
scheint der südliche Theil des Flusssystems im allgemeinen richtij
nur ist der nicht ganz unbedeutende Carimbatay mit keinem di
zwischen Corrientes und Curuguaty gezeichneten Wasserläufe zu idei
tifiziren; rechts haben wir wieder den Sepultura und oberhalb dei
selben einen nicht benannten, jedenfalls zu kurz gezeichneten Flus
*) L. Schneider, Der Krieg der Triple- Allianz (Brasilien, Argentinische Koi
fckleration und Republik Banda Oriental del Uruguay) gegen die Regierung der Republi
Paraguay. Mit Karten und Plänen. Berlin 1872. E. Bchr.
101
Diese Karte ist übrigens reich au Stichfelileru, zum Tlieil sehr souder-
baren, dereu einige sich daraus erklären, dass der Verfasser nicht in
Riraguay gewesen ist; man findet da z. B. nordöstlich von Asuncion
sSumpf Agua rucati«, der Verfasser scheint also den Namen für ganz
öder theilweise spanisch gehalten zu haben, während er in Wirklich-
keit dem Guaranl angehört und Aguarä-caty heisst, was »Gewässer
des stinkenden Fuchses« bedeutet. Johnston hat sich für dieses
Gebiet leider fast gänzlich an Wisner angelehnt, nur hat er einen
Arroya Itä, welchen Wisner zwischen Santani und seinem Rio Capivari,
ohne jeden Zusammenhang mit einem der Flusssysteme, einzeichnet,
als Oberlauf des Tapiracuay angesehen und gezeichnet.
Was die rechten Nebenflüsse anbetrifft, so \^ird es auffallen, dass
ich allen Karten gegenüber behaupte, es gäbe keinen Rio Sepultura;
dagegen weise ich darauf hin, dass keine Karte den Rio Paray
hat, der ganz bestimmt vorhanden, nur fünf Leguas von Igatimi ent-
fernt und Jedermann dort bekannt ist. Es ist mit Sicherheit an-
zunehmen, dass das, was die Karten als Itanarä-mi geben, der Paray,
der Sepultura dagegen der wirkliche Itanarä-mi ist. Diese Annahme
wird noch dadurch gestützt, dass es noch einen zweiten, sehr wenig
bedeutenden Itanarä-mi giebt, welcher in den Jejuf-mi fliesst und leicht
Verwechselungen veranlassen konnte. Ferner mache ich darauf auf-
merksam, dass der Name Sepultura wahrscheinlich einfach von Azaras
Karte (wo aber zufällig Supultura gestochen ist) auf alle andeiii
übergegangen ist, denn weder Rengger, noch Page, noch Du Graty,
Doch Schneider, noch Johnston haben diese Gegend besucht; Wisner
war zwar dort , sowohl mit Lopez , als später (bis Igatimi und zum
CenH) Maracayü) mit der Goldexpedition, ist aber gerade für diese
Gegend durchaus unzuverlässig, wie sich weiter unten noch wieder-
bolt zeigen wii*d. Auch er hat wahrscheinlich Azara noch mitbenutzt.
Die sonderbaren Irrthümer seiner Karte wurden mir zum Theil später
begreiflich: nach meiner Rückkehr nach Asuncion erzählte mir Hen-
Konsul Mangels, dass Wisner im Jahre 1869 gefangen in Villeta
gesessen habe, als die Brasilianer Asuncion nach dem Bombardement
einnahmen; die Soldaten wären damals in sein Haus eingedrungen
ttnd hätten einen grossen Theil seiner Aufzeichnungen entführt, es
sei also wahi-scheinlich, dass er nach dem Gedächtniss ergänzt habe!
Das hätte er nur nicht auf einer Karte in so grossem Maasstab thun
^llen! Ob übrigens Azara den Oberlauf des Jejui und dessen Neben-
Sösse selbst besucht hat, geht aus seinem Werk nicht mit Sicherheit
hervor; auch an andern Stellen ist es zweifelhaft, ob er auf Grund
^^gner Anschauung und eigner Erkundigung an Ort und Stelle be-
102
richtet: ich halte es z. B. iiiclit für unbezweifelbar, dass er den gros»
Fall des Paranä besucht hat.
Andere Irrthümer auf den erwähnten Karten mögen daraus eii
standen sein, dass der Name Jejul-guazü sowohl dem einen Que
fluss, als auch — neben dem einfachen Namen Jejul — dem vereinigt«
Fluss zukommt. Dass übrigens unter den genannten Kartenverfitöse;
Johnston der einzige Geogi-aph von Fach war, zeigt sich in sein
einfachen, aber im ganzen richtigen Darstellung der Bodengestalt.
Zur Beurtheilung des GefiLlles des Jejul diene die Angabe, da
Igatiml 215 m über dem Meeresspiegel liegt; die nächstliegende Stel
des Jejul-mi liegt etwa 45 m tiefer.
9. Zum Panadero.
Am 15. Januar brach ich von Igatim( auf, um zunächst de
Brasilianer nach seinem Grenzrancho zu folgen und mich dann de
Panadero zuzuwenden. Zur Ergänzung meines Proviants war m
Don Antonio in uneigennütziger Weise behülflich, indem er mir v(
seinen Vorräthen an Zwieback, Fett, Käse u. s. w. abtrat was i<
brauchte und mir nur die Preise von Asuncion und Paraguary unt
Zuschlag der Fracht von drei Realen (l,tto Mark) für die Arrol
(11,5 hg) berechnete; beim Portugiesen, der gerade geschlachtet hatt
wurde noch Fleisch gekauft. In der Vaqueria trafen wir mit de
Brasilianer zusammen, dann gings flott vorwärts nach Ostnordoste
zuletzt durch Wald, der hügelige Gegend deckte, bis zum Arroj
Itap6, einem Nebenflusse des Arroyo Guazü, der zum Paray geht '
dann weiter durch Wald und über Potreros auf fast lauter rothe
Boden über den Arroyo Mocoi^) und zwei kleinere Bäche — al
ohne sumpfige Eänder und meist überbrückt mit sogenannten Knütte
brücken — vorüber an dem mir schon bekannten Karretenzuge d(
Don Vicente, welcher in seinen kurzen Tagemärschen erst bis hierh<
gekommen war, zum umfangreichen Potrero Jfandiü-rocäi, den ei
gleichnamiger Bach — ebenfalls zum Arroyo Guazü gehörig — duicl
fliesst. Dort suchten wir uns eine möglichst kurz begraste Stelle au
da wir eben vorher eine kleine Giftschlange im Grase getroffen hatte
und verträumten bei Mondschein und Wetterleuchten die thaufeuchi
Nacht. Am andern Morgen traten wir bald darauf wiedei* in de
Wald ein, überschritten einen kleinen Bach und gleich darauf de
') Bei Wisner findet er sich winzig klein viel weiter im Westen und wird vom We{
gar nicht geschnitten.
') In diesem Worte, welches zwei heisst, ist oi nasal zu sprechen.
103
Ärroyo Guazü '), welcher dort in breitem, steinigem Bett fliesst
und soweit von keinem Fahrzeuge mehr befaliren werden kann. Nun
fing der Boden an, sieh merkliclier zu lieben; wir überschritten nocli
deu Arroyo Vacä und den Arroyo Volascua (oder Bolacuä) '^), und
standen dann plötzlich am »Cerro Maracayü«, denn so nennen die
Leute dort nicht blos den wasserscheidenden Rücken, sondern speziell
die Stelle, wo der Hauptweg ihn ersteigt. Ich stieg vom Pferde, um
den zwar nur etwa 100 m hohen, aber sehr steilen Anstieg — die
stärkste Steigung schätzte ich auf wenigstens 20® — zu überwinden.
Als ich auf dem harten Boden neben dem ausgleitenden Pfeitle auf-
wärts kletterte, dachte ich an den uns nachfolgenden Karretenzug,
dei' auch hier hinauf sollte. Merkwürdigerweise ist es in Paraguay
so gut wie unbekannt, die Steilheit eines Anstieges bei der Weg-
anlage durch Zickzacklinien zu mildern, man arbeitet den Weg mög-
lichst gerade durch den Wald; selbst der neue Weg auf der deutschen
Kolonie San Bernardino von dem Stadtplatz nach Altos wird nicht
anders hergestellt. Beladene Karreten können den Cerro Maracayü
gar nicht passiren, man muss alles auf Menschenschulteni hinauf und
vieles auf dieselbe Art hinab befördern und von den Kanteten sogar
noch die Büder lösen, um sie hinauf- und hinabschleifen zu können;
die Arbeit der Ochsen wird auch dann noch schwer genug sein. Oben
angekommen fand ich links einen Schuppen, in welchem die herunter-
Zttschaffende Yerba gelagert wei-den kann {deposito de yerha): von
dort führt ein kleiner Fusssteig ein Stück abwärts zu einem sogenannten
cajon^ einer schmalen hölzernen Rinne, in welcher die vollen Yerba-
säcke hinuntergelassen werden, eine etwas primitive Einrichtung, bei
welcher die Säcke arg mitgenommen werden mögen. Die schmale
Lichtung, in welcher die Rinne lag, gestattete eine Aussicht weit, weit
nach Südwesten in das Land hinaus über ein unermessliches Wald-
gebiet; tiefgrüner Wald soweit das Auge reichte, nur in nächster
Nähe unterbrochen durch den am Morgen verlassenen Potrero I^andiü-
rocäi- alle andern Lichtungen verschwanden vollständig in der Masse;
den Hoiizont begrenzte eine bewaldete Boden seh welle, der Monte
Pacovä, den ich nahe dem Rio Corrientes passiil hatte.
') Wahrscheinlich mit dem Arroyo Guaua der Wisnerschen Kane identisch.
•) Dieser Name kommt öfters vor, und zwar pflegen die Fremden Volasciui, die
'^^'^guayer Bolacua auszusprechen. Ich habe nicht mit Siclierlicit feststellen können, ob
^^'^Jacua nur eiiie Verunstaltung im Munde des Paraguayers ist i;^b und v werden oft ver-
*'!chsclt, s mit Vorliebe unterdrückt), oder ob es der eigentliche Name ist und, wie einige
•^Wpten (z. B. Du Graty, a. a. O. S. 178), aus dem spanischen />o/(i, Kugel, und dem
S'^^^^iischen ctui, Loch, zusammengesetzt ist, also ^Fluss mit runden Kieselsteinen« be-
«Cötet; ich glaube aber dass das Erstere der Fall ist.
104
Bei dem Yerbaschuppeu nahm ich eine Probe des Gesteins, we
als olivinbaltiger Diabas bestimmt worden ist.
Noch eine Stunde über wenig ansteigendes Terrain und wi
reichten einen kleinen Potrero, auf dem einer der brasilianisch-
guayschen Grenzpfeiler steht, *el nwjon*, wie die Leute kur
sagten. Der Pfeiler hat etwa 5 m Höhe, ist viereckig, aus dem
vorkommenden Gestein aufgemauert und mit einem Kalküberzug
sehen; die Seiten sind genau den Himmelsrichtungen zugewendet
nördliche und östliche tragen die Aufschrift »Imperio do Bn
auf den beiden andern liest man »Kepüblica del Paraguay«,
an sehenswerthen europäischen Bauwerken, Felsen u. s. w. finden
auch dort an dem einsamen Grenzpfeiler Namen von Besuchern
Bwigt, allerdings nur in geringer Zahl und natürlich zum grö
Theil von Engländern; die Namen stammten aus den Jahren
bis 1881. Die nach dem Lopezschen Kriege bestimmte Landgi
zwischen Paraguay und Brasilien, welche an der Mündung des
Apa in den Paraguay beginnt und beim grossen Fall des P^
endigt, ist durch sieben solcher Pfeiler bezeichnet und folgt zwi^
denselben der Wasserscheide, in ihrem letzten, nach Osten gerich
Theil der zwischen dem letzten Nebenfluss des Paranä oberhalb
dem ersten unterhalb des Falles. Die Lage dieser Grenzpfeile
durch die brasilianischen Mitglieder der Grenzkommission astronoi
bestimmt worden; man findet dieselben mit Ausnahme des le
östlichen auf der Johnstonschen Karte verzeichnet, die sämmtl
Aufnahmen der Kommission hat Johnston jedoch noch nicht beni
können *). Ich bin in der Lage gewesen, die in sehr grossem 5
Stabe ausgeführten Originalzeichnungen der Grenzkommissiou
Ministerium des Aeussern in Asuncion einzusehen ; eine Beduktioi
ein Blatt, die vorhanden gewesen ist, und die ich gern abgezei(
hätte, soll verloren gegangen sein. Angenommen dass der vor
besuchte Grenzpfeiler auf Johnstons Karte richtig liegt — und c
ist kaum zu zweifeln — so liegt jedenfalls auf derselben Karte Ig
(und auch Curuguaty) zu weit westlich, denn die Entfernung
Igatimf bis zum Mojon beträgt in Wirklichkeit nur 8 bis 8 Va Le
auf jener Karte aber IV k. Die Höhe des Grenzpfeilers über
Meeresspiegel habe ich zu etwa 440 m bestimmt; die unseres N
lagers am J^andiü-rocäi zu 210 m.
Wir zogen weiter fast nach Osten, durchritten einen sehn
Waldstreifen und kamen dann auf einen erst in sehr weiter I
') S. Gco^aphUal Magazine 1875, ^' 270.
105
•
wieder von Wald begrenzten leicht gewellten Kamp hinaus, der mit
zahllosen krüppeligen Bäumchen dicht bewachsen war; man bezeichnete
mir dieselben als Curupay-itä ') und Quebracho '^) . Die Quebracho-
bäamchen waren knorrig und hatten kleine, längliche, glänzende
Blätter; ^ie andern wuchsen schlanker und hatten fein gefiederte,
mimosenartige Blätter; die Rinde beider Arten ist dick und rissig,
auch sind beide in hohem Grade gerbstoffhaltig und haben ausseiest
hartes Holz. Der Quebracho (richtiger Quebrahacho) verdankt der
Härte seines Holzes den Namen, welcher eigentlich »Axtbrecher«
bedeutet; dasselbe ist ausserdem hervorragend durch sein spezifisches
Gewicht (bei dem nach der Farbe des Holzes sogenannten rothen
Quebracho 1,234, beim Curupay 0,907) und durch seine Widerstands-
^igkeit gegen Fäulniss. Diese vorzüglichen Eigenschaften befähigen
es, in vielen Fällen das Eisen zu ersetzen, und ich habe sogar Anker
Ton Quebrachoholz gesehen.
Etwa 1 V« Leguas von der Grenze gelangten wir zur Mittagsrast
zu einem Arroyo Tacuapyry (etwa 380 m über Meer), der dem mit
seinem ganzen Gebiet schon auf brasilianischem Boden liegenden
Igatim( zufliesst. Dort liess der Brasilianer einen seiner beiden
Peone mit meinem Begleiter zurück und brach dann mit dem andern
Diener und mir nach Osten auf zu dem Rancho Carapä, dessen Lage
er in Augenschein nehmen wollte. Die Beschaffenheit der Gegend
Wieb ziemlich dieselbe, nur war der Kamp oft so dicht mit Bäumen
'>estanden, dass er aus der Ferne einem lichten Walde glich; auf
Weite Strecken hin hatten die Indianer der benachbarten Wälder den
Graswuchs und einen Theil des Baumwuchses durch Feuer zerstört,
ttm besser gehen zu können, wie man mir sagte. Gewitter entluden
') Gewöhnlich Curupaitd geschrieben und gesprochen ; heisst Steincurupay.
■^) Im Katalog der argentinischen Ausstellung in Bremen ist der rothe (Quebracho
*l5i Anacardiacee, der weisse als Apocynacee bezeichnet, dieser Aspidosfcnna Quebracho,
jent;r Quel^rachia Lorentzii benannt; Du Graty (a. a. (J. S. 315) giebt bei Quebracho
(■"uth und weiss) nur den Familiennamen Apocynaccae an. Den Curupay, welchem Curu-
P^y-itä und Curupay-na nahe verwandt sind, nennt Du Graty (S. 306) Acncia adstrht^cns
(F am. Mimoseac). In dem Katalog findet sich auf S. 65 der Cunipay als Sainumart
"'^zeichnet, was wohl ein Irrthum ist, da auf S. 68 und 70 der Cunipi, eine Euphor-
biacee, vielleicht identisch mit der in Paraguay Curupicai genannten Euphorbiacce, ebcn-
>^ls als Sapiumart (S. aUiUpariuni) bezeichnet ist. Dagegen sagt Du Graty (a. a. O.),
<*J^ der Curupay in der argentinischen Provinz Tucuman Sebil genannt werde , und auf
• 69 ^es Katalogs findet sich aus der Provinz Tucuman ein Cebil caspi als Acacia Ccbil
^^Suminosae) bezeichnet, der also wohl ein Curupay ist ; auf S. 22 (und 26) findet sich
^nier ein Cebil colorado als Piptadenia Cebil bezeichnet, bei welchem die Notiz »dient
^^ Gerben» an den Curupay erinnert.
106
sich im Westen, Süden und Norden, Hessen uns aber unbelästigt.
Zwei überbrückte Bäche waren zu überschreiten, der Arroyo
Yaguarä, welcher zum Tacuapyry fliesst, und der Pirayu-y, ein
Nebenfluss des Igatiml; dann wandte sich der Weg südlich, eine bis
zu 500 m ansteigende Bodenschwelle wurde überschritten, eine kleine
sumpfige Niederung erreicht und neben ihr in einer Waldinsel der
Rancho entdeckt; das heimathlich klingende Gekräh der Hähne kündete
seine Lage von ferne an. Obgleich der mit vierzig Peonen, vier Röst-
häusern, einer grossen Maschine und zahlreichem Vieh dort arbeitende
Capataz des Don Vicente wusste, dass wir kamen, um seinem Arbeit-
geber eventuell das Recht, dort zu arbeiten, streitig zu machen, nahm
er uns doch durchaus freundlich auf und zeigte mir alle (später zu
bearbeitenden) Anlagen. Die Yerbabäumchen- der kleinen Waldinsel
waren schon fast alle niedergeschlagen; dann sollte die Yerba aus
den bis eine Legua entfernten umliegenden Wäldern herbeigeschafft
werden. Die Nacht verbrachte ich in einer fast nur in den Yerbales
üblichen Art von Hängematte, einem grossen Stück starken weissen
Baum Wollenzeuges, das an den Enden einfach durch einen Strick ge-
rafft wird. Am Morgen ritten wir durch meist abgebrannten ganz
lichten Wald, in welchem Quebrachos, Yatal-Palmen, Pindö-Palmen
und an den Rändern auch Yerbabäumchen häufig waren, noch eine
starke Legua nach Süden, zu einer grossen sumpfigen Lagune, um
uns zu Orientiren; ein Aussichtspunkt war natürlich nirgends zu ge-
winnen, wohin die Lagune abflösse, wusste niemand mit Sicherheit
zu sagen, und sehen konnte man es nicht: es festzustellen hätte aber
ein- oder zweitägiger Arbeit bedurft. So war mein Urtheil kein ganz
sicheres, docli erklärte ich, dass der Rancho selbst jedenfalls auf
brasilianiscliem Gebiet liege, da der aus der nebenliegenden Niederung
sich entwickelnde Bach zum Pirayü-y fliesst, dass aber wahrscheinlich
die Lagune und ein Theil der zum Rancho gehörigen Wälder i>ara-
guaysch sei. Der Rancho liegt in etwa 470 m Meereshöhe.
Hier im Rancho Cai-apä befand ich mich in gerader Linie nur
noch 15 Leguas vom grossen Fall des Paranä entfernt, auf guter
europäischer Strasse ein starker Tagemarsch ! Aber Wald, nichts als
Wald mit Sümpfen und Lagunen trennte mich von dem Punkte, Weg-
kundige, wenn man in diesem Fall so sagen darf, waren keine da,
meine Zeit ging auf die Neige und mein Rückweg war noch lang.
Nirgends wurde es mir so schwer wie hier, einem nahen Ziele nicht
zuzustreben. Der Igatimf ist vom Rancho nur wenige Leguas entfernt
und soll an der nächstliegenden Stelle etwa 20 w breit und für Last-
kähne fahrbar sein.
107
Die etwa 3 oder 3 Va Leguas bis zum Tacuapyry legten wir sclinell
zurück, wieder von Gewittern umringt, welche schon die Schwüle des
frühen Morgens und der Heichthum an lästigen kleinen Fliegen mit
Sicherheit angezeigt hatten. Wir trafen bei unserm Lager eben recht-
zeitig ein, um in zwei winzigen Hüttchen, die unsere Leute im Gebüsch
gefanden hatten, vor dem Regen Schutz zu suchen.
Am Nachmittag ritten wir zusammen noch bis in die Nähe des
Grenzpfeilers zurück, dann wandte sich der Brasilianer wieder dem
Wege nach Igatimi zu, während ich und mein Begleiter unsere
Bösslein nach Norden wendeten, um dem im allgemeinen auf der
Wasserscheide entlang laufenden, äusserst selten benutzten Wege
folgend den Fanadero zu erreichen. Die Gegend ähnelte der nördlich
TOD Caäguazü : mit Bäumen licht bestandener Kamp mit rother Erde,
links und rechts in bald grösserer, bald geringerer Entfernung Wald,
von Flnssthal zu Flussthal eine breite Bodenschwelle, das TeiTain
im ganzen nach Osten sehr allmählich abfallend, ohne einen »Cerro«
zu bilden, nach Westen in einiger Entfernung mit der am Tage vorher
passirten Stufe, einer im Westen etwas geliobenen Scholle zu ver-
gleichen. Nach der Karte konnte ich mich hier nicht mehr orientiren,
da die Wisnersche für diese Gegenden völlig im Stich lässt, die
Johnstonsche aber bei ihrem kleinen Massstab nicht genügen konnte.
Dabei giebt sie eine solche Fülle kleiner Flüsschen und Bäche ohne
^'le Terraineinzelheiten, dass von einer Identifizirung nicht die Rede
^in konnte. So musste ich eine sehr ansehnliche Strecke von mehreren
Tagereisen zurücklegen, ohne die Namen der Flüsse u. s. w. zu kennen ;
doch bekam ich nachher die vollständigste Auskunft, die ich hier
ffleich im voraus benutzen werde.
Gegen Abend überschritten wir einen kleinen nach Brasilien
l^ineinfliessenden Bach und jenseits desselben bemerkten wir, gerade
^ni rechten Augenblick, am Waldrande eine alte Yerbaniederlassung,
^ie uns für die Nacht aufnahm. Sie musste noch im vorigen Jalire
^^nutzt worden sein, denn der Maschinenschuppen, die Arbeiterhüttchen,
^ie Rösthäuser, die Corrale, alles war noch leidlich im Stande; an
den ümzäumungen rankte massenhaft Kürbis, wir fanden sogar eine
i'eife Fnicht als willkommene Würze des Maliles. Die Tenne des
luftigen Maschinenschuppens gab ein treffliclies Lager in der dunklen
gewitterschwülen Nacht. Wir befanden uns 405 m über dem Meeres
Spiegel
Am nächsten Tage (18. Januar) war die Landschaft kaum ver-
^'idert; stellenweise trat der Wald meilenweit zurück, wir überschritten
^^r umgingen mehrere Lagunen und sumpfige Stellen, die nach Osten
108
Abfluss hatten, und kamen gegen Mittag an eine kleine Lagune,
die sich ein grosser Sumpfstreifen in fast westlicher Richtung ansclih
Die Natur war wie ausgestorben, nur einmal sahen wir zwei seh
Strausse flüchtig von dannen eilen — die ersten, die uns aufstiessen
und an einer anderen Stelle stand ein prächtiger schwarzer Ochse
Sumpf und starrte die auf diesen oft viele Monate, bisweilen sei
Jahre lang nicht begangenen Pfaden seltene Erscheinung zweier Rei
verwundert an. Wir erfuhren nachher, dass er von einer vor mehi-e
Wochen dort durchgetriebenen Heerde zurückgeblieben war. D
Sumpf folgten wir eine Stunde lang, dann eine kleine Schwenkt
nach rechts, die Pferde sanken bauchtief in den schwarzen Schlau
und wir erreichten einen kleinen, munter fliessenden Wasserlauf, <
Itanarä-mi, befanden uns also wieder auf paraguayschem Bod
Das Ufergebüsch gewährte uns schattige Mittagsrast, während welc
ein kurzes, aber heftiges Gewitter nahe vorbei zog. Diese Furt
Itanarä-mi liegt 380 m über dem Meeresspiegel ; unser Weg hatte s
am Vormittag meist in wenig grösserer Höhe gehalten.
Der ItanarA-mi war nicht leicht zu übei-schreiten, denn am rech
Ufer ging es an 25 m ziemlich steil aufwärts. Schon nach auderth
Stunden kamen wir zu einem ähnlich starken Flusse mit bi-eit
saudigem Bett, dem Upoy, einem Nebenfluss des vorigen. Reichli
Lagei-spuren am rechten Ufer, so nahe dem andern wasseiTeicI
Fluss, Hessen mich vermuthen, dass wir nun weit bis zum näclis
Wasserlauf würden zu reiten haben; und so war es auch. E
scheinbar endlose Hochfläche dehnte sich vor uns aus, von einzeli
Waldinseln unterbrochen und später rechts und links von Hüg
begleitet; hier und da floh ein kleines Rudel Rehe oder Hirsche sc
von dannen, wiederholt bekamen wir noch Strausse zu Gesicht,
uns aber nicht näher als auf etwa 200 Schritt herankommen lies
und dann mit riesigen Schritten das Weite suchten. In der N
der Waldinseln flogen gegen Abend Schaaren laut kreischen
Papageien über uns dahin, nach ihrer Art in gi'osser Höhe. Bl
schwai-ze Gewitterwolken bedeckten mit Ausnahme des Südwest
den ganzen Horizont und rückten drohend näher. Kein Yerbaschup
wollte sich zeigen und wir mussten schliesslich mitten auf dem Kai
nahe einem Waldrande unser Lager aufschlagen. Der Brasilia
hatte uns ein Stück Leinwand zum Zeltdach mitgegeben, das wir 1
zum ersten und einzigen Mal benutzten, um mit Hülfe schnell
geschlagener Bäumchen ein winziges Zelt zu errichten, das uns
Sachen aufnahm, dann aber uns selbst kaum noch eine Bewegt
gestattete. Doch der gefürchtete Regeuguss kam nicht; es scli
109
als ob die am Tage von der Sonne durchglühte Hochebene alle Wolken
aufzusaugen vermochte; kaum ein paar Tropfen en*eichten uns.
Am andern Morgen mit dem Mhesten weiter, da Durst uns
plagte; nicht einmal den unvermeidlichen Mate hatten wir kochen
können. Bald fanden wir den äussersten Oberlauf eines in einer
Schlucht fliessenden brasilianischen Baches mit einem winzigen Neben-
flusschen; dort löschten wir unsorn brennenden Durst. Links sahen
wir in einiger Entfernung bald eine ähnliche Schlucht, durch Hügel
weissen Sandes gekennzeichnet; es war der Ursprung des zum Aguaray-
guazü fliessenden Puendy. Unser Weg lief nun in einer Höhe von
420 bis 440 m dahin, die endlose Einöde trug hier (seit dem Upoy)
fest überall nicht den rothen Boden, sondern grauen oder gelbliclien
Sandboden, den sofort ein kümmerlicherer Graswuchs und fast gänz-
liches Fehlen des Baurawuchses kennzeichnete. Eine Neigung nach
Osten oder Westen war nicht zu bemerken; mehrere flache, pfannen-
artige Einsenkungen schienen mir sogar ohne Abfluss zu sein, jeden-
falls führten sie augenblicklich nicht einmal Wasser. Der Theil des
wasserscheidenden Plateaus, in welchem wir uns nun befanden, heisst
-^u-guazü, der Grosse Kamp, und verdient diesen Namen: nirgend so
^e dort kam mir die völlige Verlassenheit dieser Landschaften zum
Bewusstsein ; nur flüchtige Rehe (oder strenggenommen Hirsche) und
Strausse unterbrachen auch hier ab und zu die bewegungslose Natur.
I^er Strauss führt im Guarani den Namen J^andü, gleichwie die Spinne,
*n die er allerdings etwas erinnert, wenn er mit seinen langen Beinen
ausgreifend über den Kamp hineilt. Meine Versuche, den kleinen
Hirschen beizukommen, waren erfolglos und auf eine Hetze konnte
^ch mich mit den müden Pferden, die am liebsten nur noch im Schritt
^Urch den Sand schlichen, nicht einlassen. Eine kleine erfolglose
Sti^ussenjagd diente zur Erheiterung in der Einöde: Mein sehr scharf-
sichtiger Begleiter, der vorausritt, winkte mir Schweigen zu und
^^igte mir in einiger Entfernung im Wege einen sitzenden Strauss;
^ch stieg ab und schlich mich nahe heran, der Strauss schien mich
^Tizusehen, blieb aber sitzen; ich gab Feuer, glaubte sicher getroffen
2U haben, aber nichts rührte sich; ich ging zurück zum Pferde, da ich
^eine Patronen mehr bei mir hatte, lud, ging ganz nahe heran, viel-
leicht auf sechzig Schritte, wurde aber stutzig, als noch nichts sich
^ivegte, ausser dass der Kopf etwas wackelte; ich trat noch näher
J^iid sah — einen Ameisenhaufen mit einem Pflanzenbüschel am Ende:
ich musste aus vollem Halse lachen, aber die Täuschung war eine
^^Hkommene gewesen, der längliche, gewölbte Ameisenhaufen aus
•'^hwärzlicher Erde ahmte den Leib überraschend nach, die Stengel
110
des Pflanzenbüschels den Hals, die Blüthen und Früchte, von meinem
Schrot zerfetzt, den Kopf.
Mittags kamen wir an eine ziemlich grosse, wahrscheinlich nach
Osten abfliessende, flache Lagune, von deren lauwarmem Wasser die
seit dem vorigen Nachmittag nicht getränkten Pferde gierig schlürften.
Mit Hülfe von zwei oder drei winzigen Curupay-Bäumchen schafften
wir uns durch unsere Zeltleinwand etwas Schatten und rasteten mitten
in der völlig schweigenden Ebene, deren Ruhe kaum das Summen
von ein paar Fliegen störte. Den Pferden geflel es in der Lagune
so gut, dass mir, da mein Begleiter seit einigen Tagen einen kranken
Fuss hatte, nichts übrig blieb, als ins Wasser hineinzuwaten und sie
herauszuholen. Wir ritten noch eine kleine Strecke nach Norden,
dann kamen wir auf einen von Osten nach Westen gehenden Weg,
von dessen regelmässiger Benutzung in den letzten Wochen zahlreiche
Pferde- und Ochsenspuren zeugten ; wir folgten ihm nach Westen und
bemerkten zwischen den Spuren der Hausthiere leider auch solche
des Jaguars, der hier den so zahlreichen Hirschen nachstellen mochte.
Noch eine bis etwa 500 m ansteigende Loma rother Erde war zu
überschreiten, dann zeigte uns ein Streifen mit reichem Baumwnchs
in geringer Entfernung einen Flusslauf an, wir eilten ihm zu und
überschritten auf einer starken ganz neuen Brücke den trotz niedrigen
Wasserstandes 10 bis 12 m breiten Fluss, der nach meiner Rechnung
nur der gesuchte Aguaray-guazü sein konnte; und so war es auch.
Jenseits stand am Rande einer Waldinsel ein kleiner, halboffner
Schuppen, der, wie zahlreiche Feuerstellen und andere Spuren zeigten,
oft von den Terbasammlern als Rastplatz benutzt wurde; auch uns
kam er willkommen, zumal wie täglich seit Igatiml drohende Wetter-
wolken den Horizont säumten. Grosse gelbe Bremsen belästigten hier
unsere Thiere ausserordentlich, und auch uns Hessen einige Arten
kleiner Fliegen keine Ruhe. Von der Plage der Moskiten (im Ouai*ani
ücUe) ist das Gebiet der Yerbales so gut wie frei, in den Nächten
hat man daher Ruhe; am Tage aber, namentlich bei Gewitterwetter,
erscheinen ausserordentlich kleine Fliegen, im Guaranf mbaregüi ge-
nannt, welche man zunächst gar nicht merkt, dann fühlt man einen
brennenden Schmerz und das Insekt fliegt auf; ein kleines rundes
mit Blut gefülltes Bläschen, das allmählich schwai'z wird, bleibt
zurück, ein starkes Jucken entsteht und lockt unwiderstehlich zum
Kratzen, man reisst das Bläschen auf und erzeugt eine wunde Stelle,
die leicht durch Anlockung anderer Insekten gefährlich werden kann.
Der Kundige kmtzt die Bläschen nicht auf, sondern reibt die Stelle
mit der flachen Hand, dann ist die Unannehmlichkeit bald vorüber.
111
In den Wintermonaten sollen diese Fliegen in unendlichen Mengen
auftreten, so dass man bald über und über punktirte Hände bekommt.
Einige Tage später sah icli einen Mann, dessen eine Hand durch
Aufkratzen und Vernachlässigung solcher Pliegensaugstellen ganz
schlimm geworden war; er wollte natürlich von mir ein womöglich
in 24 Stunden radikal wirkendes »Remedioc haben. Eine noch kleinere
Art Fliegen, mhigüi genannt, erscheint hauptsächlich in Mondnächten.
Weniger lästig wie diese beiden ist eine dritte Art, welche nur die
Grösse einer starken Stecknadelspitze hat und sich beim Saugen vor
Anstrengung fast senkrecht auf die Hautfläche stellt.
Wir waren an diesem Aguaraj^übergang noch 400 w hoch. Am
andern Morgen hielt sich der Weg wieder westlich, nachher südwest-
lich; wir überschritten eine breite Loma. die stellenweise mit zahl-
losen Termitenhügeln besetzt war, sahen eine kleine Heerde Ochsen,
ein sicheres Zeichen, dass irgend wo in der Nähe eine Yerbanieder-
lassung sei, und erreichten endlich wieder den Rand des Waldgebiets,
das den Westabhang der Wasserscheide bedeckt. Dort stand nahe
einem wasserreichen Bache (Samacuä) wieder ein Schuppen mit
Zeichen frischen Verkehrs; mehrere Wege liefen von dort aus in den
Wald hinein, unter welchen wir mit einiger Mühe den rechten heraus-
fanden. Wenige Minuten später nahm uns der lang entbehrte Waldes-
schatten auf; anfangs begleitete Hochwald den Weg, dann Nieder-
wald mit zahlreichen Yerbabäumen, dann traten wir in einen wahren
Bambuswald ein (tacuardl genannt, von tacuaraj Bambusrohr), eine Form
des Waldes, die ich bis dahin noch nicht gesehen hatte. IV4 Stunden
lang bildete das Bambusrohr fast ausschliesslich die Einfassung des
Weges, bis zu 15 und 20 tn stiegen die mächtigen Stämme (oder Halme!)
^üt unten oft 60 cm im Umfange haltend; die prachtvollen, langen,
schwanken Federkronen wiegten sich leise im Winde, die einzelnen
Stämme lehnten sich an einander, oft knarrend und ächzend, hier
önd da tummelte sich munter ein kleiner Affe auf diesem ächten
Dattirlichen Turnplatz. Auch saure Orangen erschienen nicht selten
am Wege. Diesmal brauchten wir sie nicht, um unsern Durst zu
löschen, wohl aber im volksmedizinischen Sinne, denn mein Begleiter
Verstand vortrefflich aus der äusserst herben Schale noch giiiner
^'lichte, vermischt mit gekautem Tabak, eine Art Salbe zu bereiten,
^ie dem t wurmigen« Schwanz eines der Pferde die besten Dienste
leistete. Man bindet dort zu Lande nicht selten ein Pferd an den
Schwanz des andern; dabei waren nun dem einen etwas mehr Haare
als angenehm ausgerissen worden. Fliegen waren über die wunde
Stelle hergefallen und hatten sie übel zugerichtet.
i
112
Nacli Ueberschreitung d^s Snmacuä stieg der Weg nochmals bis
etwa 450 m an, gegen Mittag aber ging es eine halbe Stunde lanj
ziemlich steil abwärts, meist auf braunrothem, felsigem Boden: es wai
die dem Anstiege bei Igatimi entsprechende Stelle in dieser Pikade
welche in Erinnerung an Lopez' Rückzug Picada de Historia
genannt wird. Unten kamen wir an einen fast stagnirenden Bach
denPiracay, wo wieder ein kleiner Rastschuppen sich fand, der um
Schutz vor den abermals von allen Seiten heranziehenden Gewittern
gewährte. Wir waren noch etwa 280 m hoch; der breite wasser
scheidende Rücken lag hinter uns. Bei sanftem Regen mussten wii
weiter; der Weg senkte sich langsam, Bambus und Yerbabäume be
gleiteten ihn reichlich; wie am Vormittag ging ich meist zu Fuss
da die Pferde todtmüde waren. Schon fiiih kamen wir an einen an
sehnlichen, wohl 15 m breiten Fluss, der etwa nach Südwesten flosg
(unser Weg ging liier fast nach Süd) und von starker Brücke über-
spannt war: es konnte wieder nur der Agu&rarjf sein, und der gesucht€
Wasserfall musste zwischen jenem ersten und diesem zweiten lieber-
gang liegen, ungefähr entsprechend dem heute passirten Abstieg; so
rechnete ich und skizzirte demnach in meinem Notizbuch. Die Ver-
muthung erwies sich als richtig. Zu befahren war der Aguara}^ dorl
jedenfalls nur mit grosser Mühe; er war bald flach, bald tiefer und
zahlreiche Baumstämme versperrten den Weg. Auch hier fehlten eir
paar verfallende Schuppen nicht; wir sperrten die Brücke und der
Eingang zur Pikade, um die Pferde bei dem schlechten Futter nichl
zum Zurückgehen zu verlocken und verbrachten ruhig abermals nocl
eine Nacht in der Einsamkeit; nur das Rufen der Nachtvöge
schallte durch die tiefe Dunkelheit. Der Flussspiegel lag hier noct
etwa 220 m hoch.
Am andern Morgen (21. Januar) ging unser Weg durch mehi^ere
Potreros und yerbareiche Waldstreifen, in denen Tiger und Tiger-
katzen nach den reichlichen Spuren zu urtheilen nicht selten zu sein
schienen. Bald trafen wir eine zerstreute Heerde Ochsen, hörten aueli
zwei Schüsse in geringer Entfernung; Menschen mussten in der Nähe
sein. Mein Begleiter, der in den letzten Tagen, wo ich ihn auf?
blinde Ungeßlhr herumführte in menschenleerer Wildniss, schon etwas
kleinmüthig geworden war und uns längst auf dem Wege ins unwirth-
liche Innere Brasiliens glaubte — die Himmelsrichtungen zu unter-
scheiden wurde ihm oft schwer — schöpfte neuen Muth und vergas.«
kranken Fuss und Erkältung. Gegen 8 Uhr bogen wir um eine Ecke
und sahen plötzlich ein kleines Karretenlager vor uns, sechs Kan-eten
und acht oder zehn Menschen. Man staunte, ft-agte uns aus, bezeigte
113
sdn Interesse ftir woher, woliin, Zweck der Beise, gab alle ge-
wünschte Auskunft und bewirthete uns freigebig gleich nach unserer
Ankunft mit einem Gericht Reis und dem Fleisch eines truthahnähn-
lichen Waldhuhnes, yacü genannt. Drei Karreten gehörten einem
ftiraguayer, der in einem Walde oben auf dem Plateau — nördlich
vom5ru-guazü beginnt daselbst ein grosses Waldgebiet, das derCJrenz-
koramission durch Mangel an Futter viel Schwierigkeiten bereitet
hat — Yerba machte, und eben im Begriff war, fertige Yerba zur
Verschiffung auf dem Aguaray abzuholen; die di'ei andern gehörten
einem auch in der Nähe thätigen brasilianischen Yerbatero, an den
ich Empfehlungen hatte. Wir befanden uns hier im Potrero Lot^
(290 ;w über Meer), einem wichtigen Weide- und Rastplatz der Yerba-
teros jener Gegend. Für meine weiteren Pläne bekam ich hier gün-
stige Auskunft: der Italiener Don Carlos Paoli, der bedeutendste
Yerbatero hier im A guaraygebiet. an den ich einen Empfehlungsbrief
von Herrn Coehler hatte, war in seinem Hauptquartier auf dem
flahenKamp Panadero, 4 Leguas entfemt; eine kleine Legua weiter
lag der Hafen des Panadero; nicht allzuweit von dem Fall des
Agaaray, welchen ich besuchen wollte, Hess er eben einen neuen
Rancho, den Eancho Yaguarundy, bauen, wohin er in diesen Tagen
gehen sollte.
Während wir im Gespräch waren, kam eine Indianerfamilie daher
gewandert, zu Fuss von dem an 50 Leguas entfernten San Pedro,
^'ohin sie bisweilen gehen, um sich ^liefjzo^ (weisses Baumwollenzeug),
I^ilver. Messer u. dergl. zu verdienen. Dann kehren sie wieder in
ibre aus wenigen Familien bestehenden, meist im Walde versteckten
Ansiedlungen zurück, wo sie sich durch Jagd, Fischfang und etwas
Ackerbau primitivster Art ernähren. Wenn sie gerade Lust haben,
arbeiten sie auch einmal für die Yerbateros. Die Familie bestand
^^s einer alten Frau, einem jungen Manne, einer jungen Frau, drei
halbwüchsigen Kindern und einem Säugling; die Erwachsenen waren
^etnlich klein und glichen in Hautfarbe dunklen Paraguayern: sie
giBgen barfuss und barhaupt, waren aber im übrigen wie die Para-
piayer mit weissem Baumwollenstoff bekleidet; die Haare waren
schwarz und straff, über der Stirn und im Nacken geradlinig abge-
^hnitten. Natürlich waren die beiden Frauen mit grossen Packen
'^laden, die sie auf dem Rücken und mit Hülfe eines um die Stirn
S^legten Bandes trugen; die eine hatte noch in einem Tuch den
«*igling, so angebracht, dass er sich nach Belieben der Mutterbnist
"^enen konnte. Der Mann schlenderte mit der Flinte über der
Schulter — Bogen und Pfeil sind durch Schiessgewehr schon vielfach
114
verdrängt — nebenher. Die Leute bekamen etwas zu essen
setzten dann in langsamem aber gleichmässigem und ausgiel
Schritt ihren Marsch fort.
Gewitter standen von Norden über Osten bis Süden, und im
des Nachmittags entlud sich ein heftiger Regen, während dessen
Gastfreund mit seinen Karreten aufbrach. Ich siedelte zu den a
über, in der Absicht, am andern Morgen den Panadero zu errei
Leider hatten sich aber die Pferde auf dem guten Kamp etwas
entfernt, Lust zu warten hatte ich auch nicht, ich machte mich
allein und zu Puss nach Westen auf den Weg, gelockt von der
massig warmen Wetter. Die Flinte unterm Arm ging ich los, 2
durch eine etwa eine Legua lange Pikade. Unter den stattl
Stämmen, die zahlreich den Wald durchsetzten, fielen mir dict
Wege bis 40 und 50 m hohe, schlanke, unten bis SV« m im Ui
haltende Exemplare des Yvyrarö-mi auf, wahrscheinlich eines 1
Verwandten des Lapacho. Wie Säulen strebten die mächtigen, ^
liehen, glatten Stämme empor, erst in einer Höhe von etwa
sich in wenige Aeste zertheilend. Der Yvyrarö-mi liefert ein
zügliches Nutzholz, das unserm Eichenholz verglichen wird und ein 1
fisches Gewicht von nahezu 1 hat. An andern Stellen standen am ^
Pacurlbäume (Pacuria guyanensis; eine Apocynacee) und hatten
reichen Segen ihrer Früchte auf meinen Pfad gestreut; dies
kommen von der Grösse einer Pflaume bis zu der eines kl
Apfels vor, haben zwei, bisweilen drei ziemlich weiche, grosse
einanderschliessende Kerne, eine dünne Schicht Fruchtfleiscli
angenehm säuerlichem Geschmack und eine leicht abzulösende
orangerothe Schale. Die zweite Hälfte des Waldweges wai
etwas unheimlich, da ganz frische Jaguarspuren den Weg en
liefen, nach dem gestrigen Regen eingedrückt; die Bestie m
noch irgendwo im Dickicht liegen, und ihr als schlechter Schütze
ein paar Schrotschüssen im Lauf zu begegnen konnte mir nicl
wünscht sein. Sie liess sich aber nicht blicken, ob verscheucht
meinen fast ununterbrochenen Gesang, w^eiss ich nicht zu s
Bald öffnete sich der Wald und ich trat hinaus auf den Pana
einen mehrere Leguas langen waldumschlossenen Kamp, der
grössten Theil licht mit Bäumen bestanden ist. Hier sah ich a
andern mir schon bekannten Arten zum ersten Mal den besonde
nördlichen Paraguay häufig vorkommenden Mangä-ysy, den Kautsi
bäum (JatropJui oder Siplionia elastica; eine Euphorbiacee) ; er
dichten Schmuck kleiner, länglicher, tiefgrüner Blätter und li
115
an der Kinde verletzt, reichlich Milchsaft, der sich schnell zu einer
elastischen bräunlichen Masse verdickt.
Vom Rücken dieser Loma sah ich in der Ferne ein paar grau-
diimmernde Dächer; sie schienen nahe, und der Boden senkte sich
ununterbrochen ganz allmählich bis dorthin; aber ich brauchte noch
eine gute Stunde; brennender Durst plagte mich, trotzdem die Sonne
meist verschleiert war. Die Natur schwieg, kaum ein paar Vögelchen
Hessen sich sehen, und auf einem frisch gefallenen Maulthier sassen
ein Paar schwarze Geier. Bald nach Mittag traf ich in dem Haupt-
quartier des Herrn Paoli ein und wurde mit Speise und Trank reichlich
gelabt. Das Erstaunen der Leute war nicht gering, denn noch nie
war von der Seite ein Fremder zum Panadero gekommen.
Herr Carlos Paoli, ein Nachkomme des grossen Corsen Paoli,
der die Corsen im letzten Kampfe gegen die Franzosen führte, stammt
aas der Gregend von Trient in Südtirol und verliess sein Vaterland
nach dem Kriege des Jahres 1866. Seit acht Jahren ist er in den
Yerbales thätig, davon den grössten Theil in den sogenannten Verbales
von San Pedro (man benennt die Yerbales nach der administrativen
Eintheilung des Landes). Alle auf paraguayschem Gebiet gelegenen
Yerbales an dem Abhang der Wasserscheide in diesem Bezirk werden
von ihm ausgebeutet; andere Yerbateros dieser Gegend, wie die,
welche ich in Lot6 traf, arbeiten auf brasilianischem Gebiet. Herr
Paoli arbeitet mit 150 bis 300 Leuten und macht jährlich etwa 35 000
bis 40 000 Arroben, die meist direkt nach Buenos Aires gehen. Zum
Transport nach dem Hafen des Aguara]^ bedient er sich weniger der
Karreten als der Maulthiere und Lastochsen, deren erstere zehn,
letztere bis sechszehn Arroben schleppen. Herr Paoli kannte ganz
Paraguay und namentlich das Gebiet des Jejul ganz genau und konnte
niir viele schätzenswerthe Auskünfte ertheilen; ihm verdankten wir
auch die » Bequemlichkeiten « unserer letzten Reisetage, denn er hat
die seit Lopez' Zeit längst wieder verwachsen gewesene Picada de
Historia wieder eröffnet, hat die Brücken geschlagen, die Schuppen
gebaut u. s. w. Er war es auch, der mich über den Weg oben auf
der Wasserscheide bis in die Einzelheiten aufklärte und mir die ei^ste
zuverlässige Auskunft über den Fall des Aguaray geben konnte.
Der Panadero ist, wie gesagt, ein grosser waldumgebener Kamp;
er hat von Westen nach Osten einen Durchmesser von etwa 4 Leguas,
von Süden nach Norden einen solchen bis zu 3 Leguas; Waldinselu
^ud einzelne Bäume unterbrechen ihn ; an Wasser ist er nicht sehr
^ich. Schon in den Zeiten der spanischen Herrschaft wurde vom
Panadero aus Yerba gewonnen; er soll damals dauernd bewohnt
gewesen sein und seinen Namen davon empfangen haben, dass
Brotfrüchte (Maniok und Mais) gebaut wurden. In jenen from
Zeiten hatte man die Seelsorge für Fremde und Eingeborene natüi
nicht vergessen, und noch heute führt die WaldinseL an deren Er
das Kirchlein stand, den Namen Isla Tupä-ö, Gotteshausinsel ^). Zur .
des Lopezschen Krieges hielten sich viele Familien bis zu si
Monaten hier auf und Lopez hatte dort eine Zeit lang sein La:
auf dem Wege zum Hafen findet man noch Reste von Wall
Graben; die Paolische Ansiedlung ist zum Theil aus Resten
damaligen Gebäude eirichtet und Heir Paoli fand noch viele Spi
des Lagers; ein paar Kanonen schickte er nach Asuncion, Fun
laufe, deren Tausende da waren, mauerte er in die Lehmwände se
Hauses ein; ein grosser Haufen derselben liegt noch in der N
theils alte Steinschlossflinten, theils Perkussionsgewehre, theils mod(
Hinterlader; Knochen Verstorbener, zum grossen Theil wahrschein
Verhungerter, fand er in Unmassen ; er Hess mehrere KaiTetenladun
in einer gi'ossen Grube bestatten, errichtete auf dem Hügel ein Ki
und umgab ihn mit einem starken Zaun. Lopez zog von hier
östlich, durch die auch von mir benutzte Pikade, dann auf
Wasserscheide nach Norden.
Herrn Paolis Ansiedlung besteht aus einem Haus mit zwei Zimn
und grossen Hallen, aus mehreren Schuppen für Yerba, Mais u. s.
einer Küche, grossen Corralen und einer kleinen Hütte; zwisc
dieser Anlage und dem Hafen, welcher eine kleine Legua entfernt
liegt noch das Haus des Paraguayers, den ich im Potrero Lote t
weiter giebt es keine Ansiedlungen auf dem Panadero. Das St
Land bis zum Hafen ist meist niedrig, auch zum Theil bewal
daher liegt die Ansiedlung so entfernt. In dem benachbarten W
rande hat Herr Paoli Pflanzungen anlegen lassen, die dort, wo i
sich eine Arrobe Mais mit einem Patacon (4 Mark) und eine St^
Maniok mit einem halben Real (20 Pfennig) berechnen muss, ei
besonders hohen Werth haben, ja unentbehrlicli sind für den I
dass einmal niedriger Wasserstand nicht erlaubt, Fracht, in die
Falle Mais für die Maulthiere, den Pluss heraufzuschaffen ; die M
thiere können bei schwerer Arbeit ohne Körnerfutter nicht beste!
Jene Pflanzungen auf frischer Rodung geben vorzügliche Eitri
') Man schrcil)t auch TupA-og ; das a ist nasal ; das Wort iupa, Gott , soll
standen sein aus dem nur von Männern gebrauchten Ausruf der Verwunderung tu
aus der Partikel pa, welche den Schall eines Schlages nachahmt (ganz wie das französ
pan)\ es verbindet also die ncgriffe der Verwunderung und des ])lötzlich Eintreten
Du Graty übersetzt es mit »O, wer bist Du?« (a. a. U. S. 218; vgl. S. 222).
117
kh sjib Maiskulbeu von 11 Unzen (über 300 i/) Gewicbt mit gegen
W Körnern : etwa 36 solcher Kolben würden eine Arrobe Mais geben,
aaf welche man sonst GO bis 100 Kolben rechnet. Es fehlt im Pana-
dero auch nicht au Milchkühen, was in den Verbales nicht häutig ist.
In Herrn Paolis Ansiedlung bleiben auch in den Monaten, wo nicht
geai'beitet wird, einige Leute zurück zur Arbeit in den Pflanzungen
und zur Beaufsichtigung des Viehs. Ihren Viehvorrath pflegen die
Yerbateros dieser Gegend aus Matto Grosso zu holen , was bequemer
ist als die Herbeischaffuug aus dem südlichen Paraguay oder Corrientes.
Ich blieb im Panadero mehrere Tage, theils um meinen Thiei-en,
welche am nächsten Tage nachkamen, Käst zu gönnen — ich bedurfte
derselben wenig, befand mich vielmehr unterw^egs immer am wohlsten — ,
theils um abzuwarten, bis Herr Paoli mit mir zum Fall des Aguai-ay
gehen könnte. Viel Beschäftigung gab es nicht; ich streifte im
Kamj) umher, holte aus Heirn Paoli und seinen Leuten heraus, was
ii'gend Interesse für mich haben konnte und beobachtete Leben und
Treiben: Arbeiter, KaiTeten, Maulthiere, Waaren kamen und gingen,
früh und Abends kam die ganze Schaar der Maulthiere und Pferde,
um Maisrationen in Empfang zu nehmen — ein mit Schwierigkeiten
verbundenes Geschäft, da die meisten Maulthiere bösartig sind — ,
Sättel wurden gemacht, Mais entkörnt, Säcke genäht u. s. w. Zu
ieu Waaren, welche den Fluss heraufkommen, gehört u. a. das Salz.
welches dem Vieh gegeben werden muss, da Salzlecken dort fehlen.
Au einem Morgen sah ich, wie ein Mann mit einem Sack Salz auf
seinem Maulthier hinausritt, um den Ochsen ihr Theil zu geben ; diese
wussten w^ohl, um was es sich handelte, sammelten sich schnell und
zogen in langer Linie hinter dem Leckerbissen her, der dann auf
öiner feuchten Stelle ausgestreut wurde.
Mehrmals ritt ich zum Hafen um zu baden. Der Fluss war dort
^twa 15 m breit und schon viel wasserreicher als beim Paso de Historia;
sieben Chatas — davon drei Paoli's — lagen dort schon w^ochenlang,
auffrische Yerba wartend. Führer und Leute waren gleich ungeduldig,
ienu der Fleischvorrath fing au ihnen auszugehen, die Langeweile
^rde unerträglich und die Leute, welche nicht nach Zeit, sondern
^jede Fahrt bezahlt werden, erlitten Verluste. Die grösste dieser
Chatas konnte 2000 AiToben fassen ; beladen gehen solche Lastkähne
'^ Cuartas (*/4 Varas, 63 cm) tief.
Im Panadero traf ich einen jungen Lombarden vom Lago Maggiore,
^inen kräftigen Burschen von rein germanischem Aussehen, welcher
^it Herrn Paolis Kapitalien in den Verbales arbeitete; man nennt
'^liJhe Leute luiUläados. — Er hatte eben ein grosses Werk vollendet.
118
indem er den Weg nach Igatiml quer durch das Waldgebiet, meist
der Pikade des Lopez folgend, zuletzt aber — jenseits des Itanarä-mi —
östlicher gehend, im Interesse seiner Arbeiten theils füi- Karreten,
tlieils für Lastthiere wieder eröffnet hatte. Ich hätte also, was aber
in Igatiml noch Niemand wusste, aucli diesen Weg wählen können;
lehrreicher war indessen der andere jedenfalls. Der junge R. berichtete
u. a., dass in den Itanarä-mi bis zur Pikade Chatas von 1500 Arroben
gelangen könnten.
Mit Herrn Paoli kam ich u. a. auch darauf zu sprechen, wie oft
wir unterwegs die Spuren des Jaguars angetroffen hatten, ohne auch
nur einmal des Thieres selbst ansichtig zu werden. Er erzählte, dass
er auf seinen fast unaufhörlichen Ritten durch die Wälder in acht
Jahren auch erst einmal einen Jaguar gesehen habe, der ihm ruhig
aus dem Wege gegangen sei; Vieh habe er noch nie durch den Jaguar
verloren, der sich nur von Wild ernähre. Tapire sind in jener Gegend
nicht selten.
Ebenso wie Don Vicente in Igatiml war auch Herr Paoli begierig,
den grossen Fall des Paranä kennen zu lernen; auch er war bereit
mich zu begleiten, doch sollte ich bis Ende März oder Anfang April
warten, was mir natürlich unmöglich war. Seiner Ansicht nach wäre
der bequemste Weg dorthin der Wasserweg; man müsste in der Nähe
des Rancho Carapä am Igatiml eine Canoa bauen und auf dieser den
Igatiml und dann den Paranä hinabfahren; unterdessen könnten Peone
eine kleine Pikade bis zum Fall schlagen, die zur Rückkehr zu
dienen hätte.
Die Meereshöhe der Paolischen Ansiedlung im Panadero habe icli
durch sechs Beobachtungen zu 210 tn bestimmt; der Hafen des Aguaray
liegt 35 m tiefer. Meiner Ansicht nach wäre der Ort vorzugsweise
geeignet, meteorologische Beobachtungen anzustellen, die wir bis jetzt
nur für Asuncion haben und auch für dieses noch nicht in genügendem
Umfang und wüuschenswerther Genauigkeit. Herr Paoli hat sich
bereit erklärt, Beobachtungen während des ganzen Jahres anzustellen
oder anstellen zu lassen, wenn er Instrumente bekomme. An wissen-
schaftlichem Interesse und Verständniss fehlt es ihm nicht.
iO. Der Fall des Aguaray.
Am 27. brach ich mit Don Carlos (Herrn Paoli; im Volksmuude
heisst er kurzweg Carlitos, seiner schlanken Gestalt wegen) wieder
nach Osten auf; um 3V4 Uhr früh ritten wir bei Wetterleuchten in
die tiefdunkle Nacht hinaus, dem Gebirge zu, das am Tage wie ein
schmaler bläulicher Streifen den Horizont säumte. Bis zum Potrero
119
Lotß folgten wir dem mir schon bi^knnnten Wege, dann hielten wir
uns aber rechts von dem zur Pikade Historia führenden "Weg, sahen
bald deutlich den nur stellenweise zu einzelnen Bergen sich ent-
wickelnden Rand des Plateaus vor uns, überschritten mehrere dui'cli
kleine Bäche getrennte bewaldete Eücken und eiTeichten nach fünf-
stündigem Ritt den Pnss des »Cerro Cajon', eines andern Aufstiegs
zum Plateau, der seinen Namen davon erhalten hat, dass Don Carlos
liier die erste Rinne zum Heninterlasseu der Yerbasäcke (Cajon)
legte, was dann bei Igatimi nachgeahmt wurde. Der Anstieg war
wohl mindestens ebenso steil wie dort, und ich sab, wie Leute unten
angekommener Karreten jedes Stück Sacktuch, jede Scheibe Blech,
jeden Sack Mais u. s. w. einzeln oder zu zweien, an einer Bambus-
stauge, heraufschleppten; oben standen andere Karreten zur "Weiter-
beförderung. Der Cajon war abgenommen und unteu arbeiteten vier
Leute im Schweisse ihres Angesichts um Bretter für einen neuen zu
schneiden. Sie hatten gerade Stämme des palo hlanco ') vor, der ein
gutes, ziemlich dichtes "Werkholz liefert; bekleidet waren sie nur mit
einer Hose, einer Kappe und einem Tirador, d. h. einem kurzen, fast um
den ganzen Körper hemmgehenden Lederschurze, der namentlich beim
Handhaben des Laao zu Fuss unentbehrlich ist, da man den Laso,
nachdem er das zu fangende Thier erfasst hat, an den rechten Ober-
schenkel fest anlegen muss.
Die senkrechte Höhe dieses Ceno, von dem Zimmerplatz unten
bis zu einem Schuppen oben, in welchen -mt uns Mittags wegen
drohenden Gewitters zurückzogen, beträgt 85 r», die LAnge der zu
legenden Rinne etwa 330 m; die Steigung des Bodens beträgt im
oberen Theil wohl 20 " oder mehr. Kaum waren wir oben unter-
gebracht, so brauste ein Südwind heran, wahrhaft tropischer Hegen
ergüss sich »wie in Schnüren« eine kleine halbe Stunde lang und
drang auch durch das dünne Dach des Schuppens, wo die erste fiische
^erba in Säcken lag; dann regnete es noeli unter fortdauernden
dumpfen Donnerschlägen eine Stunde schwächer fort. In dem Schuppen
(aalpon) war, wie in vielen, die ich früher getrotfen hatte, eine aus
?espaltenem Bambus hergestellte mehrere Meter übei' dem Boden
scliwebende Lagerstätte angebracht, welche die reisenden Yerbatei-os
"der Arbeiter gegen alle Angiiö'e wilder Tliiere oder gegen uner-
Wrteten Schlangenbesnch sichert. Am .späten Naclimittag ritten wii'
') Palo blanto fimlel sich im Kalaloj; «Itr argenlinischtii Ausstellung in Utenifn
"^ S. »3, 67 und 70 als Caly.aphylhiin mnlliflorum (Kubiacee) liezoichn.:! ; dani-bcii fimicl
••^ aber auf S. a? Palo blanco als Solanum viibaui/vlium bezeicliiict , w.is v»:nnulhen
luit, dus zwei gani venchiedene Pllanzvn im Volksniunde denselben Namen (lilircn.
120
weiter durch eine bainbiisi-eiclie Pikade, in der sich wieder vereinzelt
kleine Affen bemerkbar machten; einmal kreuzte auch eine Tigerkatze
(ynguaretvi) unsern Weg. die aber scheu im Gebtisclie verschwand,
so dass ich sie kaum noch erblickte. Der Weg schwenkte bald nach
Noixlen um, in yerbareichen Niederwald; an der Biegung ging eine
andei-e halbverwachsene, aber zu Pferde noch passiibare Pikade nach
Osten weiter, welche am Südende des ]^u-guazü in der Nähe der
Quelle des Puendy mündet und uns vor einer Woche den Weg nach,
dem Panadero wesentlich verkürzt hätte. Wir überschritten dea
kleinen Yaguarundy, ein Nebenflüsschen des Aguaray-guazü *) nnfL
erreichten mit der Dunkelheit den nach jenem Bach benannten Ranch(^
Yaguarundy. Die Ansiedlung war noch nicht ganz vollendet, Yerb^
wuitle noch nicht geschlagen und ich konnte am folgenden Tage zu —
sehen, wie die Leute die Dächer n>it Gras und Pindöblättern deckten -
wie sie Vorrath an Feuerholz fällten, Feuerräume ausgraben, Lehm-
boden stampften u. s. w. Der Rancho liegt fast unmittelbar an" .
Aguaray, der uns eine willkommene Badegelegenheit bot. Wenige
Schritte nöixilich vom Rancho ist der Fluss überbrückt: ich überschrit"" .
die Brücke und wanderte eine Strecke in den Kamp hinein: es war -
dei-selbe, den ich nach der ersten Uebei-schreitung des Aguaray passir —
hatte, und wenige Kilometer entfernt sah ich deutlich den Ort den -=
ersten Brücke I
Am Nachmittag kam ein alter in der Nachbai-schaft augesiedelte:: ^
Indianer mit Frau und Kindern zum Rancho: er hatte ausnahmsweise -^
eine etwas untersetzte Figur und war ziemlich prognath. unterschieC^
sich aber sonst höchstens durch die lebhafteren Augen von den anderuÄ
Individuen seiner Race, die ich bisher gesehen hatte. Er Hess siclM
1^ comamiantt € nennen und schien auf diesen Titel, der ihm als deu:^
Angesehensten einer aus drei Hütten bestehenden Ansiedlang ge-^
geben wurde, nicht wenig stolz zu sein. Der Alte kannte den Fair J
des Aguaray und versprach, uns am andern Tage dorthin zu führen:
dann kehrte er in seinen Wald zurück. Gegen Abend ritten >vir zuu
dem mir schon bekannten Schuppen am Samacuä, um für den anderiL^
Tag Weg zu sparen: auf einem Maulthier reitend, kam ich mir iic-
meinem ^"hweren Huscii-ensattel etwas komisch vor. Als Provianfltf
führten wir lediglich etwas Dünfleisch und einen Vorrath von Fleisch —
z\rieback, wenn man so sagen darf t '.7u>?/-r*>), aus Fleisch und Maniok^ —
' AgiLiri hei»t Fuchs: Aj^ujir?y-j;uXi:u Gn.>sicr Fiich.sj!ii^: Vju^:uanm»iy hcLsst Ge —
wäÄ?«:r des VajjuaruniLi . cine^ kleinen Kaubthier^ vvni Gerjchlccht der KaUcn Ffits bni-^
»•» ».■■».••^" / *•"•
121
mehl bereitet), mit uns. Die Naclit war schwül und gewitterschwer:
im Süden und Südwesten beobachtete ich Abends ein wirklich scliönes
Wetterleuchten, das die Räuder dunkel vorlagernder Wolken magisch
^leuchtete.
Der »Comandantec hielt nicht Wort und war am andern Morgen
nicht zur Stelle; wir sandten unsern Peon zu seiner nahen Ansiedhing
und er brachte einen andern, jungen Indianer an, der mit schmutziger
Baumwollhose, eben solchem Hemd und zemssenem Poncho bekleidet
war, eine alte Flinte über der Scliulter trug und in der durchbohrten
Unterlippe den noch vielfach üblichen Lippenschmuck hatte, ein in
diesem Falle 14 cm langes, unten zugespitztes Stäbchen aus dem
glashellen, gelblichen, benisteinähnlicheu Hai-z des Abatl-tymbaby
(einer Leguminose), oben mit einem kleinem Querstück versehen,
znm Schutze gegen das Herausfallen. Man nennt diesen Schmuck
harhote. Am Gürtel hatte der Bursche noch eine kleine Tasche von
Affenfell, welche Feuerzeug, Munition und Aehnliches barg. Miguel
— so hiess der Indianer — war etwa 25 Jahre alt; er wusste die
Zahl seiner Jahre nicht, zeigte uns aber, wie gross er gewesen sei.
»Is Lopez durch diese Gegend zog. Obgleich Regen in sicherer Aus-
*^icht stand, machten wir uns auf den Weg, traten in die Picada de
-Historia ein und schwenkten nach einer Viertelstunde links ab in
^^n feuchten Wald. Anfangs ging es durch reichlichen Yerbal, dann
^her kamen wir in Hochwaldbestände mit ihrem grossen lleichthum
^n Schlingpflanzen und dornigem Gesträuch und untermischt mit den
^tihr schwer zu passirenden Bambusdickichten; der waldgewohnte
Indianer und der im Urwalde fast ebenso heimische Italiener schritten
^ schnell voran und wussten sich so geschickt durch die Ijianen zu
"binden, dass ich kaum folgen konnte, trotzdem jene noch Buschmesser
^u führen hatten. Bald gesellte sich zu den von den Bäumen reich-
lich herabfallenden Tropfen ein ergiebiger Regen, der uns in kurzer
Zeit bis auf den letzten Faden durchnässte. Der Indianer war dabei
besonders um seine Flinte besorgt, deren Schloss er mit einem
81'ossen Blatt und einer dünnen Liane (Lianen nennt man in Paraguay
^po) verband. Nach dem Regen trafen wir im Bambuswald eine
l^leine Schar von neun Atfen, denen der Indianer fast lautlos, aber
doch vergeblich beizukommen suchte; sie huschten blitzgeschwind von
Stamm zu Stamm. An der Quelle eines kleinen Baches stärkten wir
^^s mit einem Stückchen Fleischchipä , während mein Ohr in der
F^rne schon das Geräusch des Falles vernahm. Der Beschattenheit
*^^ Waldes entsprechend wechselte mein Führer stets die Richtung,
^ dass ich nicht mit vollkommener Sicherheit weiss, ob meine An-
122
nähme, dass wir nach Süden bis Südwesten gegangen sind, ri
ist; der Himmel war noch dazu gänzlich bedeckt.
Nach dreistündigem Wandern war der Fluss en^icht, der
starkem Gefälle, flache Stufen bildend über Steine hinbrauste.
Indianer trat einige Schritte in das Wasser hinaus und horchte,
wandte er sich flussabwärts. Noch zehn Minuten und der Fall
erreicht! Sein Brausen übertönte unsere Stimmen. Während Don C
und der Indianer sich daran machten, durch die dichte Uferveget
einen Pfad zum unteren Ende zu bahnen, verweilte ich oben;
trat auf einen flachen Stein unmittelbar am Absturz, den das
Zeit niedrige Wasser frei Hess, und weidete mich an dem Anblicl
schäumend heranschiessenden und dann fast senkrecht, zum The
Stufen niederstürzenden Masse. Unterdess kamen die andein w
herauf; der Indianer hatte Muth genug, zwei oder di*ei Meter
halb durch das flache Wasser zu waten, mit einer Schnur in
Hand; wir massen die Breite des Flusses meiner Schätzung
sprechend zu 20 m. Am rechten Ufer Hess der Fall das Gestein
auch dort auf den feuchten Stufen hinabzusteigen hatte der Bui
den Muth; wir fanden 13 m Fallhöhe, gegen 384 pariser Fuss
125 w, welche Azara angiebt^) und nach ihm zahlreiche andere
fasser von Büchern und Karten! die barometrische Messung stii
genau damit. Nun stiegen wir auf schwierigem Pfad über kan
Gestein am rechten Ufer hinab und gew^annen durch Klettern
gestürzte Bäume und im Wasser liegende Blöcke einen Standp
zur Betrachtung von unten. Die schäumende, in der Mitte ein ^^
zurücktretende Masse war in der Mitte ununterbrochen, am li
Ufer bildete sie eine kleine und eine grössere Stufe, rechts mel
kleinere ; das dunkle Gestein, säulenartig abgesondert, bildete präc
Unterbrechungen des Wassers. Bei hohem Wasserstande ist der Wa
Schleier jedenfalls ein ununterbrochener. Die gewaltige Wass
wegung erzeugte einen starken Luftzug, der an den Rändern
Schlucht alle Pflanzen ei*zittern Hess, w^ährend oben die Baumki
unbewegt dastanden; dichter feiner Regen überzog uns von obe:
unten und erzeugte an den Ufern eine wuchernde Vegetation. L
fehlte dem grossartigen Bilde die helle Sounenbeleuchtung.
stürzende Masse hat sich unten am Fall einen tiefen Kessel a
wühlt; unser Indianer musste oben einen jungen Baum fällen un<
ins Wasser werfen; der Strudel riss ihn in die Tiefe und er ka
fünf Minuten nicht wieder zum Vorschein. Unmittelbar untei
«) A. a. O. S. 75.
123
des Falles macht der Fluss eine Biegung nach links, wodurch der
Dmck des TV assers besonders auf das rechte Ufer gelenkt wird, dieses
ist daher steiler und steiniger als das linke. Das Gestein, über
welches der Fall hinabstürzt und das auch am Ufer blossliegt, be-
trachtete ich genau: es ist fast schwarz, ziemlich dicht, von hoheni
spezifischem Gewicht, schwer zerbrechlich und klingend; die Säulen,
welche es bildet, haben verschieden viel Kanten. Eine Probe, welche
ich mitnahm, ist als Olivindiabas mit dioritartiger Struktur bestimmt
worden.
Schon im Panadero hatte mir Don Carlos erzählt, wie er im
Jahre 1879 den Fall, von dessen Existenz er nichts Sicheres wusste,
auffand. Er wollte die Schiffbarkeit des Aguaray untersuchen, um
ihn, wenn möglich, auch hier oben schon zum Yerbatransport zu be-
nutzen. An meinem ersten Uebergang des Flusses (beim ^u-guazü)
baute er eine Canoa und vertraute sich ihr mit einem Begleiter an.
Zum Theil über heftige Stromschnellen fuhren sie abwärts, wenngleich
mit Verlust der meisten Lebensmittel; dann plötzlich in grosser Nähe
äas Donnern des Falls. Es gelang eben noch , einen Uferbaum zu
erfassen, die Canoa anzubinden und ans Land zu springen ; sie standen
an einem absoluten Schiffahrtshinderniss. Die Canoa war tiberflüssig
geworden und wurde dem Strom überlassen; sie verschwand in der
Tiefe, nur Trümmer kamen nach Minuten empor. Durch den Wald
arbeitete sich Don Carlos mit seinem Begleiter am Flusse entlang
abwärts und fand, dass derselbe weiter unten, doch noch oberhalb des
Paso Historia, einen zweiten kleineren (vielleicht 5 m hohen) Fall
Midet; die Strecke zwischen beiden ist reich an Stromschnellen.
Vielleicht dem Schreck, den Don Carlos hatte, als er fast mit der
Canoa den Fall hinabfuhr, ist es zuzuschreiben, dass er ihn zu gross-
^^tig im Gedächtniss behalten hatte: er hatte mir seine Höhe zu
^ bis 60 Varas angegeben.
Dass Azara nicht am Fall gewesen ist, kann nicht zweifelhaft
^iii; es ist nur merkwürdig, wie er zu einer scheinbar genauen
^lilenangabe gekommen ist. Selbst die roheste Schätzung hätte ein
^^deres Resultat ergeben müssen, denn die Breite des Flusses ist
laicht zu messen und man sieht aucli sofort, dass der Fall breiter als
^oo\i ist. Einen Namen führt der Fall nicht: die Indianer nennen
^^ 5 Ort wo der Aguaray ganz herunterfällt«, also einfach Fall des
aguaray; den Namen Arragua}% welchen Wisner hat, kannte Niemand,
^'^d er scheint mir nur eine Verstümmelung von Aguaray zu sein.
^Vill man dem Fall einen Eigennamen geben, so könnte man ihn
^ach seinem ersten eui'opäischen Besucher Paolifall nennen.
124
Die Meereshöhe des oberen Endes des Falles beträgt etwa
während ich beim Ilancho Yaguanmdy noch gegen 400 m nia^
Der Rückweg zum Schuppen am Samacml ging gut von i
denn unser Führer fand mit bew^undernswerther Sicherheit dei
Pfad wieder. Im Schuppen hatten sich noch zwei andere, ^
Indianer eingefunden, um mit uns vom Fleischzwieback zu esst
freilich kein besonderer Genuss war, denn über denselben liatt
kleine Ameisen in unglaublicher Menge hergemacht. Zwar
wir jedes Stück übers Feuer um sie zu tödten und sie dam
kratzen, aber es blieben noch genug in den Spalten und I
lebendig, sodass ich nur mit einiger Ueberwindung ass; Don
meinte freilich, Ameisen seien gut gegen das Fieber. Auch eii
Mate — man ersetzt in den Yerbales den Matekttrbis oft du
Stück Kuhhorn, das sorgföltig geglättet und mit einem HolzpH
einer Seite verschlossen wird — nahmen die Indianer an, wa:
alle thun: ein Zeichen, dass das Matetrinken vielleicht erst v
Einwanderern eingeführt ist; Azara (I, 122) nimmt allerdii
Gegentheil an. Beide trugen den Lippenschmuck; dereine mit
krummen Nase, seinem freundlichen, runden Gesicht mit sta
wickelten Backenknochen und mit seinen wohlgerundeten G
erinnerte mich lebhaft an die Abbildungen von Indianern des
Amazonenstromgebiets, welche französische Reisende so zaliln
^Toiir du Momh^ veröffentlidit haben. Die beiden Jünglinge
Bogen und Pfeile von gewaltiger Grosse und Stärke; die
waren über 2 in lang, die Pfeile IV3 bis Vkm. Das Holz zu
Bogen liefert in vorzüglicher Haltbarkeit und Elastizität ein Gi
genannter Baum *), zum Spannen dient eine ziemlich dicke aus ?
(h Findöt^ Fasern im Innern der Pindöpalme, geflochtene ^'^
die Pfeile macht man aus Tacuapl, einem dünnen, dem Bamb
wandten Rohre, die Pfeilspitzen aus dem ganz ausserordentlich
Holz des Yvyrä-pep6; man versieht sie mit vielen Widerhakei
nicht mit Spitzen aus Eisen, Knochen oder Gräten, aucli wer
nie vergiftet. Am unteren Ende sind die Pfeile mit Federn dei
einer Art wilden Trutliahns, versehen. Diese sowohl wie dit
spitzen werden an das Rohr mit der ganz ungewöhnlich fest
dabei sehr dünnen Rinde einer Schlingpflanze Guembepi (^oder G
*) Im Katalog der argentinischen Aubstelliing in Bremen hndct »ich S. 24
/\ittti^oßntiti iiiucr'uana^ S. 68 Guayail)i und S. 69 (luayaibi-guazü mit demselben bti
t
Namen (Familie l]oragineen\ was wahrscheinhch mit dem mir aK Guayauvi bcz
Baum identisch ist.
125
PotlMs ptfinafijiffa ; eine Oriontiacee) befestigt, mit der niclit selten ancb
der Bogen umwickelt wird. Mit diesen AVaft'en jagen die Indianer
namentlich kleineres Wild, Affen und Vögel, die sie mit einiger Sicher-
heit auf 15 bis 20 w Entfernung treffen; gute Schützen können auch
in dopjielter Entfernung noch ihr Ziel erreichen. Grosses Wild, wie
Raubthiere und der Tapir, können mit Pfeil und Bogen nur aus
grosser Nähe erlegt werden. Die Chacoindianer , deren Waffen ich
später sah, bedienen sich meist eiserner Pfeilspitzen.
Es gelang mir, den beiden Burschen ihre Bogen und Pfeile abzu-
kaufen gegen je ein buntes baumwoUnes Hemd, welche die Peone im
Rancho Yaguarundy gern hergaben. Geld wissen jene Indianer noch
nicht zu schätzen, höchstens nehmen sie durchbohrte > Bolivianer « (halbe
bolivianische Thaler im urspninglichen Werthe von vier Realen
LfioMark), die sie als Schmuck verwenden. Auch einen Lippenschmuck
erstand ich für zwei Schächtelchen Wachszünder. Auf dem Rückwege
zum Rancho gingen oder liefen die drei Indianer vor uns her und
''^hossen ihre Pfeile hoch in die Ijuft. Unser Führer wollte von Geld-
^ohn nichts wssen, verschmähte auch Glasperlen, bunte Taschen-
Köcher u. s. w., er war praktisch, forderte acht Varas Lienzo (Baum-
^oUenzeug) und musste sie bekommen.
Am 30. brachen wir vom Rancho Yaguarundy auf. Am Cerro
Oajon, wo wir nach dreistündigem Ritt eintrafen, hatten unterdessen
t>on Carlos' Arbeiter einen Zickzackpfad durch den Wald geschlagen,
^Velcher beladenen Maulthieren ermöglichen sollte, Yerba nach dem
F^anadero hinabzuschaffen: ich glaube fast, es ist der erste solche
Weg in Paraguay. Als ich mich oben im Schuppen eben nach voll-
^>i^chter Siesta streckte, hörte ich draussen rufen und laufen: ich
^T^t hinaus und sah, wie mehrere Leute eine grosse Schlange ver-
folgten, die eben ins Gebüsch schlüpfte und sich dort der Länge nack
f^uf einen gestürzten trocknen Baumstamm legte. Ich holte meinen
Revolver und schickte ihr eine Kugel in den Leib, welche den mitt-
leren Theil desselben vom Baumstamm hinunterschob, ohne dass die
S^Wange sich iUhrte; eine zweite Kugel traf weiter vorne und zer-
•"^^hufietterte das Rückgrat, so dass der vordere Theil des Körpei-s
'*^^hlaff herunterhing. Der eine Paraguaj-er fügte noch einen Schrot-
^^'uiss aus seiner alten Flinte hinzu und holte dann das Thier mit
^^^'Jein Ast aus dem Gebüsch heraus. Es war eine 5!^acaninä-hü. wie
*if*r Name sagt ganz schwarz, dabei hornartig glänzend und mit so
**^rter Haut, dass die eine Revolverkugel auf der andern Körperseite
. ^^bt mehr hinausgegangen war; die Länge des Thieres betrug l,7o w?,
*^ ^er Mitte war es etwa vier Pinger dick, am Schwanz peitschen-
126
artig dünn, der kleine aber grossmaulige Kopf hatte die Gestalt eines
länglichen Dreiecks. Gerade diese Giftschlange ftirchten die Para-
guayer sehr, und ein alter Major der Lopezschen Armee, den ich
Abends im Panadero traf — er zog in seine Yerbales — meinte, sie
sei besonders deshalb gefährlich, weil sie nicht nur wie die andern
Sclilangen springen, sondern bei günstigem Winde sogar — fliegen
könne! Auf dem Weiterritte erzählte mir Herr Paoli, dass er den
Giftschlangen mit besonderem Eifer und ohne jede Furcht nachstelle;
er tödtet sie mit dem Buschmesser.
Den ganzen Nachmittag standen im Westen und Süden Gewitter
und als wir Abends durch die sonst fast absolute Finsterniss tibetr
den Panadero ritten, flammte im Westen ein Wetterleuchten, wi^
ich es noch nie gesehen hatte; kaum ein Augenblick blieb währenCZ
mehr als einer Stunde ohne elektrische Beleuchtung, es flammte uncfl
zuckte unaufliörlich in gelblichem Schein; die dicken Wolken, welch-^
den Gewitterwolken vorlagen , waren phantastisch beleuchtet.
Norden leuchtete gleichzeitig düster und ruhig ein Kampbrani
Während unsere Reitthiere dafür sorgten, dass wir den Weg nie
verfehlten, erzälilte mir Don Carlos, dass sich über dem Panader
manchmal wahrhaft furchtbare Gewitter entladen, während welche
es gefährlich sei, ihn zu passiren; er selbst sei einmal in ein solche
Gewitter hinein gerathen und habe nichts Besseres zu thun gewuss
als Steigbügel und Zaumzeug von seinem Pferde zu entfernen ui
sich, in den runden Poncho gehüllt, unter dasselbe zu setzen. Vi
den Bäumen , welche auf dem Kamp vorkommen , sei einer, der Mcn:
resuvö — den ich weder selbst gesehen noch irgendwo angefühlt
gefunden habe—, ganz besonders der Blitzgefahr ausgesetzt; häuflg^^
als alle andern Baumarten finde man ihn vom Blitz zerschmetter '
Die Wahrheit der Schilderung, welche mir Don Carlos von den G^^
wittern jener Gegend gab, wurde schon am andern Morgen bestätigt::::^
die Nacht war schwül gewesen und schon in der Frühe donnerte e:^
am ganzen westlichen Horizont, um OV« Uhr brach heftiger Reger:^
los, die Gewitterwolken zogen herauf und standen lange über de=^
Ansiedlung, Blitz auf Blitz zuckte, polternd, ki-achend und prasseln^
ertönte Schlag auf Schlag, als würden hundertfach verstärkte Pistolen*^
Schüsse um uns abgefeuert; weder in Paraguay noch zu Hause hatt — '-
ich je ein ähnliches Wetter erlebt. Der Aufenthalt in einem Hause^^
dessen Wände mit Tausenden von Flintenläufen gespickt waren, hatt::^^
dabei etwas Unbehagliches, und einen andern starken Anziehungspunl
für die elektrischen Schläge bildete der am Con-al liegende Haufe
127
alter Gre wehre. Nur sehr langsam verzog sich das Gewitter nach
Norden; noch um SV« Uhr grollte es in der Ferne.
Ich beschloss, die Weiterreise vom Panadero zu Wasser zu machen,
mn auch diese Art des Reisens kennen zu lernen und mir über die
Beschaffenheit der Flussläufe in Beziehung zur Schiffahrt ein Urtheil
zu bilden. Der obengenannte Major kaufte wir meine Pferde zum
halben Einkaufspreis ab, und ich ritt Abends mit Don Carlos zum
Hafen, wo wir mit zwei Leuten nach langem Handeln einig wurden:
sie wollten mich mit einer Canoa nach San Pedro bringen. Chatas —
auf denen ich bisAsuncion hätte fahren können — gingen noch nicht.
Die Forderungen der Leute waren unverschämt, jeder wollte für die
etwa viertägige Fahrt ausser der Beköstigung 12 Patacon (48 Mark;
8ie sollten allerdings zu Fuss zurück), doch drückten wir ein wenig.
*Die Leute glauben«, sagte Don Carlos, »dass der Fremde mit Geld
f^laden kommt, oder dass er t^ enlierros *^ (vergrabene Schätze) oder
öoldminen sucht«.
IL Yerba.
An dieser Stelle, wo ich im Begriffe stehe, die Verbales mit
deinem Leser zu verlassen, scheint es mir angemessen, ein zusammen-
ß^ssendes Kapitel über die Yerba einzuschieben.
Der Yerbabaum, Hex paraguayensis^)^ erreicht bei ungestörtem
^achsthum bisweilen eine Höhe von 12 m, ist aber gewöhnlich nur
*^ lis 8 m hoch; seine immergrüne Krone ist ziemlich dicht, sein
W'uchs schlank; die Blätter haben eine längliche Form, sind am Ende
ies zweiten Drittels ihrer Länge am breitesten, haben einen gezälinten
R«nd, eine tiefgrüne Farbe und sind glänzend. Im Ansehen hat der
Baum mit dem Orangenbaum eine gewisse Aehnlichkeit. Der Yerba-
baum blüht im Oktober und November; seine Frucht, die aus einer
Ivlcinen dunkelvioletten Kapsel mit darin enthaltenen Körnern besteht,
ist im April und Mai reif^). Dieser eigentliche, hier nach der An-
scliauung und ohne botanische Fachkenntniss beschriebene Yerbabaum
') So benannt von Lambert und De Candolle ; von A. St.-Hilaire //ex ma/c, von
Linne PsoraUa glandulosa; vgl. Martinez, a. a. O. S. 43. l^ei Wappaeus, a. a.
• S. II 54, sind Bonpland und St.-Hilaire als Urheber des Namens Jlcx faragiiaycnsis
^**'cht parai^nariensis^ wie dort irrig steht) bezeichnet.
') So sagten Verbateros aus, welche ich befragte ; zur Zeit meiner Reise waren die
^l>seln noch nicht reif. Bei Wappaeus, a. a (>. S. 1154, ist gesagt, der Baum
^^e im Juni, was zum mindesten ftir Paraguay wohl falsch ist, auch ist wenige Seiten
*^tter (S. I164) gesagt, er blühe in den Monaten November bis Januar und die Haupt-
pnate des Einsammelns seien April bis Juni, man sammle aber auch zu andern Zeiten,
*^ Ausnahme der BlÜthezeitl
128
wird im Guaranl cad-guazu genaniit, was wörtlich übersetzt gi'osses
Kraut oder gi-osse Pflanze bedeutet. Ausserdem giebt es uocl» melirere
ähnliche Arten, die ich nicht gesehen habe und die von den Ein-
geborenen als cad-nd, cad-chiri und cad-mini unterschieden werden.
Ferner giebt es auch noch eine der Yerba ähnliche Pflanze, welche
cadrö, bitteres Kraut, genannt wird. Wenig gewissenhafte Yerbateros
dulden es, dass die Blätter derselben der ächten Yerba zugesetzt
werden.
In Paraguaj^ scheint der Yerbabaura im ganzen östlichen Wald-
gebiet, besonders aber im nördlichen Theil desselben verbreitet zu
sein. Er findet sich daselbst nicht in geschlossenen Beständen — wie
überhaupt Wälder, die ganz oder theilweise aus einer Baumart be-
stehen in den tropischen und tropennahen Ländern im allgemeinen
nicht vorkommen — , sondern einzeln und in Gruppen von bis etwa
hundert Bäumen, hauptsächlich auf Strecken mit Niederwald; im
eigentlichen Hochwald findet man ihn nur ganz vereinzelt; der zu
starke Schatten desselben lässt ihn ebensowenig aufkommen, wie der
Schattenmangel auf waldlosen Gebieten: im Kamp verkrüppelt er.
Ein reichlich Yerbabäume enthaltendes Stück Niederwald wird speziell
Yerbal genannt, doch fasst man unter dem Namen Yerbales oft auch
das ganze nordöstliche Waldgebiet zusammen. Wie reichlich der
Yerbabaum im südöstlichen Paraguay vorkommt, vermag ich nicht zu
sagen, jedenfalls wird dort viel weniger Yerba gewonnen als im
Norden. Die von Yerbales bedeckte Fläche wird auf Grund von der
Regierung nach dem grossen Kriege angestellter Erhebungen zu
840 Quadratleguas angegeben *). Man benennt die Yerbales nach
den Verwaltungsbezirken, in welchen sie liegen: Yerbales von Con-
cepcion, von San Pedro, von Santanl u. s. w. Die einzelnen Bestände
werden nach Flüssen, Potreros u. s. w. unterschieden. Ausser in
Paraguay findet sich der Yerbabaum noch in den argentinischen Mis-
sionen und in den südlichen Provinzen von Brasilien, seine Verbrei-
tung ist also auf das Flussgebiet des Paranä beschränkt.
Die paraguayschen Yerbales sind Eigenthum der Regierung und
dürfen nach dem Landgesetz vom 14. September 1876, dessen bezüg-
liche Bestimmung von dem neuen Landgesetz vom 2. Oktober 1883
niclit berührt wird, nicht verkauft werden. Die Gewinnung der Yerba
und der Handel mit derselben war früher (seit 184G) Monopol der
Regierung, und zwar bis zum Ende des Lopezschen Krieges. Die
Arbeit in den Yerbales wurde damals theils unter Aufsicht von
•) S. Export, V, S. 394-
129
RegieiHRgsbeamten, tlieils durch Rivatunteineliiner, denen dazn cUe
Erlanliniss ertlieilt war, aiisgefttlirt. Letztere liatten zwei Drittel
der gewonnenen Yerba abzuliefern'). Gegenwärtig werden die Yer-
hales verpachtet; in Zukunft winl wahrscheinlich von dem fertigen
Produkt ein Ausfuhrzoll erlioben werden. Die Pacht geschieht in der
Form der Lösung eines »Patents« (Ciewerbescheins), der halbjährlich
nen bezahlt werden muss; die Höhe der Pachtsumme hängt nicht von
ilera Fiächenraum der betreffenden Wälder ab, sondern von ihrer vor-
aussichtlichen Ergiebigkeit, welche kundige Yerbateros mit ziemlicher
Sicherheit zu schätzen wissen. Wie iioch die Patente bezahlt werden
müssen, habe ich nicht mit Sicherheit erfahren können. In Caä-guazii
»Igte man mir, ein Wald, der 500 Ärroben verspreche, koste 2 Patacon
halbjährlich, einer von 1000 Airoben 3 Patacon, jedes weitere Tausend
einen Patacon mehr; Yerbateros in den Yerbales von Santani und
San Pedro zahlen jährlich 10, 20, 25, 50, 60 Patacon und mehr für
«inen Yerbal an die Regierung. Streng genommen darf ein Yerbatero
nicht mehr als drei Yerbales übernehmen, doch wird diese Vorschrift
auf verschiedene Weise umgangen, was man ohne weiteres geschehen
'iisst, namentlich dann, wenn der Betreffende über genügendes Kapital
Verfügt. Ein solcher Yerbatero nimmt z. B. je drei verschiedene
^'erbales auf jedes Semester, dann noch weitere auf den Namen seines
ßeschättstheilhabers, weitere auf den Namen des Hauses in Buenos
Aires, mit -welchem er etwa arbeitet, auf den Namen seiner hahililaäoit,
'I- h. derer, die mit seinem Kapital arbeiten und ihm die Yerba zu
"lern bestimmten Preise verkaufen, u. s. w. Don Cai'los Paoli
arbeitete z. B. zur Zeit meiner Anwesenheit in den Yerbales von
San Pedro in zehn Yerbales gleichzeitig.
Von Paraguay aus werden auch zahlreiche s«!]ion auf brasilianischem
•^iebiet gelegene Yerbales in der Gegend der Wasserscheide ansge-
beutet, allei-dings nur mit einem Schein von Recht. Die brasilianische
Regienmg gewährt, wie man mir sagte, Kapitalisten eine Quadmt-
legua zum Zwecke der Besiedehmg; solche Konzessionen erwerben
die Yerbateros und arbeiten dann ohne Rücksicht auf das genannte
Fläclienmass, obgleich doch ihre Ranchos nur Ansiedlungen ganz
ephemerer Natur sind. Die beiden Yerbateros, deren Karreten ich
im Potrero Lote traf, arbeitete» auf diese Weise.
Die Gewinnung der Yerba geschieht in den Monaten Januar
bis August, und zwar wechselt der Anfang der Arbeiten je nach
') Vßl. Wnppacus, a. a. O. S. 1164. Karl Friuilricli (Diu I.a l'lala-l.äiultT l-i
. ä} isl im Inthum, wenn er annimmt, die Verlia ^ei iiiich ^^clllo|lfll der Rcßicniiig.
130
Umständen und Witterung, während der Schlusstag regelmässig
31. August ist. Naht das Ende des Jahres heran, so miethet
Unternehmer in dem Ort, wo er die arbeitslosen Monate zugebi
hat, oder in den seinen Yerbales nächstgelegenen Gemeinden L
soviel er zu brauchen gedenkt, kauft sich im südlichen Para
oder in Corrientes oder auch in Matto Grosso eine Ochsenlie
sorgt dafür, dass, woniöglich zu Wasser, andernfalls auf Karr
Proviant in die Arbeitsgegend geschafft wird und setzt dann
Mannschaften in Bewegung. Diese ziehen entweder in gross
Schwärm, oft mit einem Karretenzuge ihres Arbeitgebers odei'
dessen Heerde aus, oder sie gehen in kleinen Trupps nach
Wäldern. Im übrigen Lande stehen sie als lose Gesellen etwa
VeiTuf, aber nur zum Theil mit Recht, denn neben allerlei Schiin
die gute Gründe haben, die bewohnteren Landestheile mögliche
meiden, findet man in den Yerbales auch sehr tüchtige, arbeit
und nüchterne Leute. Der zu Fuss reisende Arbeiter (Peon) br?
fast gar kein Gepäck: ein zweites Hemd und eine zweite Hose
Poncho, etwas Mundvorrath (gewöhnlich frischer Mais, Chipä, e
Fleisch und Yerba) und ein Matekessel {paba) nebst Mate
Bombilla, höchstens noch ein Macheton, das ist alles; Mancher ni
auch seine schwere, meist über und über verrostete Flinte mit,
für Kugel- und Schrotschuss herhalten muss. Reisen viele zusair
im Anschluss an Karreten, so wird ein Kochkessel mitgeführt
kann die Ernährung eine etwas vielseitigere sein. Die meisten P
ziehen ohne Frauen in die Yerbales, da theils die Ernährung
zu theuer ist, theils die Yerbateros das Mitnehmen von Frauen i
gestatten. So kommt es, dass man in der Zeit der Yerbagewin
viele Ortschaften von Männern fast ganz entblösst findet und
von dem Verhältniss der Geschlechter in Paraguay eine besoi
ungünstige Vorstellung bekommt. Die sehr sonderbaren Augi
welche man über das numerische Verhältniss der Geschlechte
Paraguay in den Büchern findet, können aber kaum so ihre Erklä
finden, denn die meisten Berichte, die man über Paraguay zu :
bekommt, beziehen sich nur auf die Asuncion zunächst geleg
Landestheile, welche wenige Arbeiter nach den Yerbales entsei
Ausdrücke wie »Weiberland«, »Weiberstaat«, »das nach der
nichtung eines hochsympathischen Indianerstammes fast nur
von Frauen bewohnte Paraguay« (!) und dgl. findet man nicht se
manche geben das Verhältniss der Weiber zu den Männern ai
zu 1 an, andere auf 7 zu 1, andere wissen, dass die wenigen Mä
förmlich von den Weibern unterhalten werden u. s. w. Das
131
muss für die Gegenwart als stark übeilrieben bezeichnet werden.
Sicher ist, dass die Zahl der Weiber noch heute grösser ist als die
der Männer, und dass das Missverhältniss unmittelbar nach dem
Kiiege noch klaffender war als jetzt. Eine am 1. Januar 1873 ver-
anstaltete Zählung, deren Resultate allerdings nur als annähernde
angesehen werden dürfen, ergab 68253 Männer und 152826 Weiber '),
ein Resultat, das von Kennern des Landes , wie von dem englischen
Reisenden Johnston *), in Beziehung auf das numerische Verhältniss
«1er Geschlechter schon im Jahre 1874 als der Wirklichkeit ungefähr
entsprechend bezeichnet wird; die wirkliche Zahl der Gesammt-
bevölkerung nimmt Johnston allerdings nur zu 100000 an (ohne die
frei lebenden Indianer), gegenüber den 221079, welche die Zählung
ergiebt; er bezweifelt überhaupt, dass letztere Zahl durch einen ordent-
lichen Zensus gewonnen ist. Eine im Jahre 1876 veranstaltete Zählung
soll 293844 Einwohner ergeben haben und für 1882 wurde die Be-
v'Ölkeruug oflSziell auf 350000 geschätzt^), darunter zwei Drittel
W" eiber. Letzteres Verhältniss kommt meiner Ansicht nach der Wahr-
heit nahe, die absolute Bevölkerungszahl erreicht aber, glaube ich,
l^a^um 300000. Die Faulheit der Männer ist auch durchaus nicht
*o gross wie viele Schriftsteller angeben. Die Yerba, bei weitem
ia.s erste Ausfuhrprodukt Paraguays, wird wie gesagt ausschliesslich
iurch Männer gewonnen, die Viehzucht, abgesehen von der Behandlung
ier Milchkühe, liegt natürlich ganz in ihren Händen, beim Ackerbau
sind sie durchaus nicht unthätig und als Arbeiter gegen Tagelohn
^cler auf Akkord verdingen sich die meisten auch bereitwillig, freilich
sind sie als solche (Ausnahmen abgerechnet) weder sehr arbeitslustig
lioch sehr ausdauernd.
Ein nur geringes und wenig beständiges Element bei der Arbeit
^n den Yerbales sind die in den Wäldern wohnenden Indianer; mit
^enigen Ausnahmen arbeiten sie nur so viel wie zur Befriedigung
ihrer Bedürfnisse an Industrieprodukten nöthig ist.
Sind die Arbeiter und ihre Aufseher {capataces) in dem Yerbal,
*^r in Angriff genommen werden soll, angekommen, so wird zunächst
^^^»Rancho« (auch ^o6Zac/on, Ansiedlung, genannt) erbaut, was einige
^^ochen in Anspruch nehmen kann. Man sucht eine Stelle aus, die
'^^ie dem Wasser liegt und genügend Brennholz in der Nachbarschaft
^^ifvveist, säubert einen Platz und erbaut darauf nahe beisammen die
') Behm und Wagner, Bevölkerung der Erde III, 1875, S. 119.
^) Geogr. Mag, 1875, S. 344 Anm.
*) Martinez, a. a. O. S. 13.
132
nöthigen Gebäude: einen gi-össeren Rancho mit Vorhalle, welcher
hacienda oder comisaria lieisst und als Lager für Lebensmittel und
Waaren, sowie als Wohnung der Beamten (Aufseher und Buchhalter
oder Verwalter) dient, eine gi'osse Zahl sehr kleiner Hütten für die
Arbeiter, einen Schuppen für die Maschine (galpon de la mdquina) und
zum Aufbewahren fertiger Yerba und ein oder mehrere Rösthäuser
(harbaaid). Als Pfosten {orgones) der grösseren Gebäude lässt man
oft lebende Bäume stehen, im übrigen bildet das vorzüglich ani¥end-
bare Bambusrohr (tacuara), welches meist in der Nähe zu haben ist,
das Hauptmaterial ; zum Verbinden der einzelnen Theile dienen Schling-
pflanzen, besonders die Rinde des Guembepi. Die Dächer werden, dr
die paja colorada, ein sehr hoch wachsendes, röthliches Eampgras, ir^
den Yerbales nicht vorkommt, mit paja de estero, einem röhrenfonnigea^
etwas buschigen Sumpfgras, gedeckt, die der Rösthäuser, welche nich
so dicht zu sein brauchen, mit den Blättern der Pindöpalme, welch
man dann wagrecht legt, mit den Blattrippen nach oben, alle Fieder
abwärts. Die Gebäude werden sämmtlich ohne irgend welche Mauer —
aufgeführt, die Dächer reichen daher fast bis zur Erde. Der Bode
bleibt, wie er von Natur ist; nur in den Gebäuden, in welchen d^ri
Yerba speziell behandelt wird, muss gestampfter Lehmboden hergestel
werden. Befindet sich der Rancho in einer Gegend, wo noch keil
Yerba gemacht worden ist, so giebt es noch Pikaden zu schlage
Brücken zu bauen u. s. w. Im Ganzen werden diese Ansiedlung^^^
nur leicht hergestellt, da sie immer nur für eine Arbeitsperiode b-
rechnet sein dürfen, denn selbst wenn der Yerbal nicht in einte=^
Jahre vorläufig erschöpft sein wird, muss der Rancho im nächst«
Jahre an einer andern Stelle stehen, weil in der Nachbarschaft d
alten das Brennmaterial zu weit hergeholt werden müsste. In eini
Rancho pflegen dreissig bis vierzig Leute zu arbeiten, unter ein(
oder mehreren Aufsehern. Den Namen erhält der Rancho nach d
Oertlichkeit oder nach irgend einer Zufälligkeit, z. B. Rancho Puend— -
Rancho Laguna, Rancho Yaguarundy, Rancho Sandia-cu6') u. s. ^^
Ist alles Material bei der Hand, so können die Paraguayer ein^^
Schuppen oder dergleichen in unglaublich kui'zer Zeit errichten; d^**
Schuppen am Samacuä, in welchem ich vor dem Besuch des Wasses==
falls mit Herrn Paoli die Nacht zubrachte, und welcher 15 Varas lan_
10 breit und 5 hoch ist, wurde von 25 seiner Leute in einem halbf^^"^
Tage aufgerichtet.
Ist die Ansiedlung fertig, so beginnt die Arbeit. Die Arbeite^=^
') Sandia ist Wassermelone.
133
Welche die Yerba zu schlagen haben {machctcron), ziehen mit iliren
Buschmesseru (maclietonvs), selten auch mit einer Axt (hacha), einzeln
lünaus in den Wald, nachdem sie sich zuvor über das Vorkommen
und die Häufigkeit der Yerbabäume orientirt haben. Selten thun sich
mehrere zusammen oder nimmt einer sich einen Jungen als Handlanger
mit. Der Machetero schlägt mit dem Buschmesser (oder, was selten
üöthig ist, mit der Axt) einen Baum nach dem andern in bequemer
Hi)he um und hackt dann die grossen Aesle ab; hierauf wird ein
starkes Feuer angezündet, durch welches die grossen Aeste hindurch-
gezogen werden, damit die Blätter, halb getrocknet, nicht schwai*z
werden: diese Thätigkeit heisst overear. Hierauf werden mit der Hand
die kleinen Zweige abgerissen und auf ein Riemengeflecht gelegt;
dann schntirt der Arbeiter die Masse mit Riemen zusammen, nimmt
dieses oft zehn bis zwölf Arroben schwere Bündel vorgerösteter Blätter
f7^4)ja overeadä) auf die Schultern und trägt es zum Rösthause; ist die
Entfernung bis zu demselben gi*oss, so wird die vorgeröstete Yerba
nriit KaiTeteu abgeholt, doch lassen manche Yerba teros eine Legua
Weit schleppen. Am Rösthause — deren es bei den meisten Nieder-
l^^'ijsnngen mehrere giebt — wird das Bündel jedes Arbeiters gewogen,
^a. die Bezahlung nach Arroben erfolgt. Das Rösthaus (harhaaid)
l^a^t folgende Konstruktion: unter einem mit Pind^blättern gedeckten
Dache mit oflfenen Giebeln befindet sich ein kuppeiförmiges Geflecht
^•->n Stangen, eine Art Horde, von vielleicht 6 oder 8 m im Durch-
'i^esser; ausserhalb des überdachten Raumes, doch meist mit einem
^^guen Dache versehen, befindet sich eine Grube, der Feuen-aum
^^^orno), von welchem dann ein kurzer Stollen (condudo) bis unter die
"**litte des Kuppelbaus führt, um dort in einer Ait Schornstein
(^'J^mcnea) nach oben auszumünden. Nun werden auf dem Geflecht
^^, 70, 80 und allmählich bis 100 oder 120 Arroben vorgerösteter
^^«rba ausgebreitet, und im Feuerraum grosse Stämme angezündet, die
^^'^nnöglich in den Stollen hineinragen; dann geht die Hitze unter die
*^uppel, der Rauch aber hinten hinaus. Da die am höchsten Punkt
^l^v Kuppel befindliche Yerba zuerst geröstet wird, muss man all-
f^^Hlilich umstauen. Früher war die Röstvorrichtung eine primitivere,
^^^deni man den Barbacuä nidit überdachte und das Feuer direkt
^^iter der Yerba anmachte. Dadurch wurde derselben oft der Rauch-
S'üschmack mitgetheilt, und die Feuergefahr war eine grössere; auch
'*^tte der Regen freien Zutritt. Beim Anlegen des Ofens und des
Stollens ist eine Ausmauerung nidit nöthig, da die in den Yerbales
Meistens vorhandene rothe Erde genügende Festigkeit hat. Ist die
^vba geröstet (yerba toslada), was je nach der Menge sechs, acht
134
oder mehr Stunden dauert, so wird sie in grossen Planen von Sack-
leinen (arpillera) zum Maseliinenscliuppen (galpon de la mdquifid) ge-
schafft, um dort gemahlen zu werden (moler). Die Maschine ist eine
ausserordentlicli einfache: ein kreisrunder Platz von 4 m oder niehi*
Durchmesser (circulo) ist mit Dielen aus hartem Holz belegt und mit
einem Rande umgeben; in der Mitte befindet sich ein senkrecliter,
drehbarer Pfosten (masa), durch welchen ein zum Anspannen der Maul-
thiere bestimmter wagerechter Balken geht; mit den Spitzen am
Pfosten und mit einem vom Mittelpunkt der Grundflächen ausgehenden
Arm an dem wagerechten Balken sind zwei (oder mit einem Hülfs-
balken drei) massive Holzkegel (rolletcs) befestigt, w^elche ziemlich
dicht an der Spitze mit kleineren, nach der Grundfläche hin mit
gi*össeren spatenförmigen eisernen Zähnen besetzt sind; diese haben
eine Länge bis zu 15 cm und an der etwas geschärften Schneide eine
Breite von etwa 7 cm\ an einem Kegel befinden sich mehrere hundert,
z. B. 400. Man schüttet nun die geröstete Yerba auf die runde Tenne
und setzt dann die Maschine in Bewegung, so lange bis die Yerba
(Blätter uud kleine Zweige) zur gewünschten Feinheit zermahleu ist.
Die erste solche Maschine, w^elche ich sah (in Caäguazii), vermochte
täglich 45 bis 50 Arroben zu mahlen ; doch giebt es leistungsfähigere.
Andere Kraft als thierische wrd zum Betriebe dieser Yerbamühlen
meines Wissens in Paraguay noch nirgends angew^endet. In seltenen
Fällen kommt eine Maschine von anderer Bauart zur Verwendung,
bei welcher die Kegel durch ein grosses ebenfalls mit Zähnen besetztes
Bad ersetzt werden, w^elches im Kreise bewegt wird. Eine solche
Maschine soll leistungsfähiger sein, aber auch kostspieliger, schon
wegen des gi'ossen Schuppens, den sie braucht. Die eisernen Zähne
ersetzt man im Nothfall durch hölzerne. Früher war die Zerkleinerung
der Yerba durch Maschinen nicht gebräuchlich, sie geschah vielmehr
mit hölzernen Schwertern von etwa 1 Va m Länge. Ganz verschwunden
ist diese Methode auch jetzt noch nicht, man wendet sie aber nur
bei solchen Ranchos an, welclie nicht mehr als tausend Arroben ver-
sprechen, da in diesem Falle das Hinschaffen der Maschine, das
Füttern der Maulthiere mit Mais u. s. w. Kosten verursachen wtinle,
die nicht im Verhältniss zu dem Gewinn stehen könnten. Nicht alle
Yerbateros haben Maschinen, manche sind daher darauf angewiesen,
ihre Yerba von andern mahlen zu lassen, wofür z. B. in Caäguazü
^/4 Realen (30 Pf.) für eine Arrobe bezahlt werden.
Ist die Yerba gemahlen (yerba moluh)^ so wird sie in einem
neben dem Maschinenraum befindlichen Raum verpackt und zwar ge-
wöhnlich in Säcke ßolsas) von etw^a fünf Arroben. Zum Einstampfen
135
in die Säcke bedient man sicli eines etwa 1 Vi m langen Instruments,
welches aus zwei langen, sclilanken, in der Mitte durch einen dünnen
Griff verbundenen Kegeln besteht und einer ganz kurzen Turnier-
lanze ähnlich sieht. In manchen Gegenden, namentlich in den Yer-
bales von Concepcion, packt man die Yerba in sogenannte tercios,
Säcke aus je einer halben Ochsenhaut, die acht bis neun Arrobeu
halten. In diese Tercios wird die Yerba mit besonders schweren
Instrumenten ganz fest eingestampft, und durch das Trocknen der
Häute wird die Festigkeit der Masse noch vermehrt, so dass das
Ganze zuletzt steinhart ist. In dieser Form hält sich die Yerba
jahrelang unverändert. Auch noch zahlreiche andere Packungen sind
in neuester Zeit Mode geworden, z. B. in Papierumschläge (kleine
Quantitäten), in Kistchen aus Cedernholz, in Fässchen aus Segeltuch
(z. B. in Tacuni-pucü) u. s. w. Yerba in Säcken heisst yerha emholsada^
in Tercios atacada. Sind nicht genug Säcke vorräthig, um die Yerba
sofort zu verpacken, so kommt sie in den perchel, einen von dicht-
verflochtenen Graswänden umgebenen Vorrathsraum , wo sie lagert
wie Mehl im Mehlkasten.
Gegenwärtig ist es Gebrauch, alle zur Herstellung der Yerba
nöthigen Venichtungen möglichst schnell hintereinander vornehmen
zu lassen, so dass die Blätter oft innerhalb 24 Stunden vom Baum
in den Sack gelangen — die Maschine geht meistens auch Nachts,
da von ihr besonders die Leistungsfähigkeit des Gesammtmechanismus
abhängt; finiher trieb man es nicht in dieser Weise, die Arbeiter
schlugen vielmehr oft einen ganzen Tag lang nur Yerba, bereiteten
sie dann am andern Tage zu und schafften sie zum Rösthause u. s. w.
Dadurch soll die Qualität der Yerba wesentlich gelitten haben. Von
der Zubereitung allein scheint übrigens die Qualität der Yerba nicht
abzuhängen, wenigstens macht man in Paraguay Unterschiede nach
dem Ort der Herkunft und stellt die Yerba von Santani den andern
Produkten voran. Besonders bevorzugt ist ?/eria virgen (Jungfernyerba),
d. h. solche, welche aus bis dahin unberührten Wäldern gewonnen
ist. Werden nämlich die Yerbabäume gut behandelt, d. h. so abge-
hackt, dass der übrigbleibende Theil nicht gespalten oder zersplittert
wird, so treibt der Baum, unsern Weiden ähnlich, eine neue Krone
und ist nach drei bis vier Jahren wieder zu einer neuen Ernte tauglich.
Von einer Verwüstung der Wälder durch die Y^'erbagewinnung, wie
in manchen Büchern gesagt wird, ist also nicht die Rede; dem Yer-
batero liegt selbst an der Schonung der Bäume, da er in den meisten
Füllen den betreffenden Wald wieder ausbeuten wird. Yerba virgen
136
ist in Paraguay nur noch wenig zu haben, daher werden viele Säcke
mit dieser Marke versehen, die solche Yerba nicht enthalten.
Ist die Yerba in Säcke gepackt, so wird sie möglichst bald weg-
geschalFt, entweder durch Karreten, die gewöhnlicli 100 AiToben fassen
und von sechs Ochsen gezogen werden, oder von Maulthieren, die bis
zelm Arroben nehmen; selten auch durch die stärkeren aber laug-
sameren Lastochsen und durcli Lastpfeixle. Die schnellste Beförde-
rung ist die durch Maultliiere, auch die vortheilhafteste, obgleich die-
selben neben dem Weidefutter auch Mais bekommen müssen unv\
obgleich dem Maulthierbesitzer oft gi'osser Schaden durch eine Krantei
heit erwächst, welche mal de vadtra genannt wird und die ergiiffenfe: -]
Thiere gewöhnlich tödtet. Dass an steilen Stellen bisweilen hölzerr:»
Rinnen angelegt werden, um die Yerba in Säcken nach unten gleittf^
zu lassen, ist schon erwähnt. Zur Zeit meiner Anwesenheit war e -^
Yerbatero im Begriff, die llinne durch eine Art Seilbalm zu ersßtze=5^ 7
ohne jedoch von der Art der Anlage die nothwendige Kenntniss ^^
haben. Seine Kollegen machten sich über ihn lustig, da die gege=i i
wärtigen Preise der Yerba kostspielige Anlagen nicht zulassen. HZ^i
meisten Yerbales sind so gelegen, dass die Yerba nur eine Strec Xv
weit mit diesen Mitteln befördert werden darf und dann Wasserweg ig:
antrifft. Das Hauptflusssystem der Yerbales ist das des JejuL t».u
welchem ungefähr achtzig Lastschiffe von 500 bis 2500 Airoben (ru^^i<
100 bis GOO Zentner) verkehren. Dieselben können ausser dem HaujL^^
fluss den Jejul-mi, den Paray, den Itanarä-mi nebst Arroyo Guas^ri
den Aguaray-guazü nebst Aguaray-mi und Kio Verde, den Capiva^-^i'*
den Curuguaty nebst Rio Corrientes und Carimbatay befahren. EI>i^
Schiffahrt ist aber, wie auf allen Flüssen Paraguays mit Ausnah:m:ii^
des Paraguay, vom Wasserstande ausserordentlich abhängig, so da^^^^
z. B. die Dauer einer Fahrt bis Igatimi und zurück nach Asunci^>*
zwischen! einem und acht Monaten schwankt; zum Panadero ii>»*^
zurück sind Schifte schon in 22 Tagen gegangen. Viele Chatiis gel* ^^^
aucli direkt bis Buenos Aires. Die nördlich vom Jejuf gelegen. *^^
Flüsse Ypane, Aquidaban und Apa haben vorwiegend st^ini i5
Betten und starkes Gefälle, die letzteren beiden können gar nic"S *^
der Ypane nur etwa vier bis fünf Chatatagereisen aufwärts befahr^^=^
werden, wie mir mitgetheilt wurde. Die Chatas werden fast sämiP-^^
lieh von Ausländern geführt, Italienern. Spaniern, Basken, Portugiesen^ '
Brasilianern, Correntinern, Griechen u. s. w., nur einzelne von Pa^ ^^
guayern. Diese Leute sind gewöhnlich Eigenthümer der Fahrzeu^^'
stellen sich aber in den Dienst bestimmter Chateros und lassen sL ^■
jede Arrobe bei der Berg- und bei der Thalfahrt mit 3 Real
137
(l^iu Mark) bezulileu. Abwärts fühlen sie nur Yerb», aul'wärtä
Lebensmittel uud andere Artikel für den Bedarf in den Verbales,
llireii Leuten, fast ansnaliinslos Paraguayern, geben sie ausser sehr
guter Kost (mit Wein, Kaffee, Zucker, Zwieback etc.) Lohn füi' jede
wnzeloe Fahrt; würden sie nach Woche uder Monat bezahlen, so
«■(irden sie bei der sehr ungleichen Dauer der einzelnen Fahiten
whwevlich bestellen kännen. Die Yerba von Tacnrü-pucii, welche
ßist alle nach Ai^entinien geht, wird auf dem Paranä verschilft.
^uf dem ViraugnÄ findet auch Yerbaschitfahrt statt; ob auf andern
Nebenflüssen des ParanA und auf dem Tebicnary, vermag ich nicht
'i\i «agen.
Die Arbeit in den Yerbales ist, wenn das Wetter es zulässt, eine
lustlose, denu selbst am Sonntag wiM nicht geruht — was sollten die
^«».»te auch an solchen Tagen beginnen? Nur der Donnerstag und
^'"eitag der Osterwoche werden resiiektiit. Unfreiwillige Ruhetage
l"J5»'»men allerdings vor, denn bei Regenwetter wird nicht gearbeitet,
^>^il die Qualität der Yerba darunter leiden würde. Lange andauenide
I'*-iidregen sind zum Glück in Paraguay eine Seltenlieit. Für die
VfJr-ansbestimmuiig des Wetters hat der Yerbaarbeiter natilrlich seine
Kegeln, die er beibehält, wenn sie auch zehnmal nicht eintreffen
iin<l sich dann einmal zulUltig bestätigen — ganz wie bei uns. Man
iii**»mt z. B. an, dass es den ganzen Monat regnen wird, wenn «s
^^i Neumond regnet (in Caäguazii hatte ich liegen bei Neumond und
'1*1111 das herrlichste Wetter); dass es den ganzen Tag schein bleibt,
^■*^iiii man des Morgens beim Hineinrufen in den Wald ein Echo
l'i'i't u. s. w.
Eine trübe Seite im Leben der Yerbales ist das VerhRltniss
^^vijjtiieii Arbeitgeber und Arbeitnehmer, hauptsächlich in Folge des
o*iiz allgemein angenommenen Vorschusssystems. Kein einziger Peun
'^'Uifle sich veniiiigen, wenn ihm nicht vom Yerbateiu Voi-schuss ge-
S«1>en würde, und ein Yerbatei-o, der das System ändern wollte, könnte
="»^li nm' gleich selbst die Yerbabäume umschlagen. Su ein einfacher
A>-lieiter nimmt ni\ 10(), aOO, 300, .ja bis '.MK) uud lOOOPatacon (^UO
"^** AiM) Mark) Vorschuss, den er dann abiiibeiteii soll. Ist dann die
"*'l)eitszeit vorüber, so ist .seine Schuld oft noch nicht abgetragen.
o'^schweige denn etwas gewonnen, und er niuss einen neuen Vorscliuss
"tilimeu. Da nun die Verbaterus soviel wie irgend möglicii den Ar-
iieitern baares Geld vorenthalten und alles in Waareii nmiechuen,
S*^rätU der Arbeiter immer tiefer in die Schuld des Arbeitgebei-s und
*u-d oft fast sein Sklave. Zum grossen Theil ist das seine Schuld, denn
ia»l alle diese Leute leben sorglos in den Tag hinein, streben gar
138
nicht ernstlich danach, ihre Schuld durch Sparsamkeit abzutragen and
sich Reinverdienst zu erwerben, und können dann schliesslich nur
durch Ausreissen oder auf ähnliche Art die Fesseln wieder abschütteln.
Aus dieser Thatsache ergiebt sich daher auch, dass das Geschäft des
Yerbateros ein äusserst schwieriges ist. Er hat grosses Kapital in
den Leuten stecken, hat durch Todesfälle und Durchgehen oft nam-
hafte Verluste und kann sein Kapital nur dann aus dem Geschäft
herausziehen, wenn es ihm gelingt, dasselbe im ganzen zu verkaufen,
einschliesslich der in den Arbeitern steckenden Summen. Zieht man
noch in Betracht, dass es nicht leicht ist, mit den Arbeitern umzu-
gehen, dass das Leben in den Yerbales selbst, das Gewinnen und
Verwerthen des Produktes viele Schwierigkeiten hat, so wird man
einsehen, dass nur ein Erfahrener sich in das Geschäft mischen kann.
Neulinge gehen daher oft zu Grunde oder setzen wenigstens im An-
fang bedeutend zu.
Manche Leute, wie z. B. die Aufseher und Buchhalter, werden
von den Yerbateros gegen Monatslohn gemiethet, die eigentlichen
Arbeiter werden aber in Akkord bezahlt und zwar bekommen die
Macheteros, welche die Hauptmasse bilden, für je eine Arrobe vor-
gerösteter Blätter, die am Barbacuä gewogen wii'd, Vk Realen
(()0 Pfennige). Nach Aussagen erfahrener Yerbateros kann man die
durclischnittliche tägliche Leistung eines Arbeiters während der ganzen
acht Arbeitsmonate nicht höher als zu 7 bis 8 Arroben anschlagen:
zwar kann ein fleissiger Arbeiter auch 14 bis 15 Arroben an einem
Tage schaffen, doch müssen die Regentage in Abzug gebracht werden
und muss darauf Rücksicht genommen werden, dass manchmal wenig
ergiebige Strecken vorkommen, die nur 2, 3, 4 AiToben täglich zu
machen ermöglichen. Manchmal wird erzählt, dass ein Arbeiter 40
oder gar 50 Arroben an einem Tage schafft, das ist aber so zu ver-
stehen, dass er an einem Tage so viele grüne Blätter abschlägt und
dann am zweiten oder auch dritten Tage noch mit der weiteren Be-
handlung und dem Transport der Blätter zu thun hat. Auch lassen
die meisten Yerbateros diese Art zu arbeiten nicht zu. Bei acht
Arroben würde der tägliche Verdienst 12 Realen (4,8o Mark) be-
tragen. Dieser Verdienst erscheint hoch und lockt die Arbeiter an.
Nun giebt es aber in den Yerbales, von den w^enig zahlreichen In-
dianern abgesehen, fast nirgends ansässige Bevölkerung, und wenige
Arbeiter sind in der Lage, sich einen grösseren Vorrath an Lebens-
mitteln und anderem Bedarf auf Packthieren mitzunehmen, sie sind
daher für die Entnahme von Lebensmitteln u. s. w. auf den Yerbatero
angewiesen, der alles in grossen Mengen auf Schiffen in seinen Yerba-
139
bezirk schaffen lässt. Da die Arbeiter natürlich kein baares Gehl
baben, wird alles mit höchstmöglichen Preisen in Rechnung gesetzt
und dadurch der wahre Werth des Lohnes gedrückt, üie gewöhn-
lichen Preise der Lebensmittel und anderer Bedarfsartikel in den
Yerbales sind folgende (verglichen mit den in Klammern gesetzten
Pi'eisen von Asuncion oder Paraguarj'^; 1 Eeal ^-^ 40 Pf., 1 Patacon
= 10 Realen oder 4 Mark): Mais und Bohnen, welche die Haupt-
nahrung bilden, 1 Real das Pfund (Mais in Paraguary oft ebensoviel
die AiTobe von 25 Pfund, Bohnen nie über 1 Patacon die Arrobe) :
Eeis das Pfund zwei Realen (1 R.; Arrobe 2 Pat.); Zwieback ge-
wöhnHch 4 Stück für 1 Real (18 bis 20 R. die AiTobe; auf ein Pfund
gehen gegen 20 Stück); Rinderfett 4 Realen (etwa 2 R.); ein Huhn
1 Pat. (2 bis 3 R.); eine Schnur Tabak 2 Patacon (im Panadero,
gegen 2 Realen in Paraguary; zehn solche Schnüre machen eine Arrobe,
welche der Produzent für 12 Realen verkauft); ein gewöhnlicher
Poncho 10 Patacon (3 Pat.), ein guter 16 bis 20 (5 bis 6); ein
blecherner Trinkbecher (jarro) 5 Realen (1 R.) u. s. w. Die Preise
von Salz und Maniokmehl habe ich nicht notirt; frisches Fleisch
(wenn geschlachtet wird) lassen die Yerbateros glaube ich zu dem
verhältnissmässig niedrigen Preise von 1 Real das Pfund ab. Der
Yerbatero führt auch eine Anzahl der nöthigen Medikamente, wie
Chinin, Kampher, Rizinusöl, englisches Salz u. dgl., für die er natür-
lich vorkommenden Falls enorme Preise ansetzt, z. B. für einen Löffel
englisches Salz 8 Realen. Leute die auf Monatslohn engagirt sind,
ziehen daher oft vor krank zu bleiben; sie sparen dann die Ausgabe
für das Medikament und brauchen nicht zu arbeiten. Dauert es aber
zu lange, so müssen sie gezwungen an die Arbeit, und wäre es mit
ftügeln. Da die Arbeiter in den Yerbales einen starken Appetit
haben und gern gut essen — es ist ja auch fast ihr einziges Ver-
Sötigen — kommt ihnen ihr Unterhalt ziemlich theuer; das steigert
sich noch, wenn der Yerbatero ihnen Schnaps verkauft, w^as aber die
^^isten nicht thun, weniger deshalb, weil sie den Genuss dieses
Getränkes für überflüssig und schädlich halten, als Aveil sie fürchten,
^ könnten im Rausch Schlägereien, Streitigkeiten und Meutereien
vorkommen. Für gewöhnlich hört man von dergleichen nichts, die
Arbeiter sind friedlich, obgleich die Behandlung oft keine gute ist.
^r Yerbatero und seine Aufseher verfahren nicht selten sehr will-
*Sriich, sogar Schläge fehlen nicht; die Polizei ist Tagereisen weit
^ötfernt, und viele von den Arbeitern wünschen alles Andere eher, als
nnt der Polizei in nähere Berühnmg zu kommen. Dass Meutereien,
™taderung der Vorrathshäuser u. s. w. nie vorkommen, ist um so
140
mehr zu bewundern, als die Arbeiter doch sämmtlich mit dem wuchtigei
Buschmesser, viele ausserdem noch mit einem Sclieidenmesser. eine
Axt, einer Flinte bewaffnet sind. Die meisten Arbeiter suchen siel
in den wenigen Freistunden, die sie haben, durch Kartenspiel zi
unterhalten, was auch noch dazu beiträgt, ihre Schuld im Buche dei
Yerbatero zu vergrössern. Sind die acht Arbeitsmonate um, so zieher
die Leute in ihr Dorf oder ihre Stadt zurück, nicht aber um dorl
den Acker zu bauen, was sie sehr wohl könnten, zumal der September
und Oktober die wichtigsten Pflanzmonate sind, sondern um diese
» Ferienzeit t in Saus und Braus nach ihrer Art zu verleben; da wiiti
getanzt, gespielt, bei Rennen gewettet, geliebt u. s. w. An baareia
Gelde fehlt es natürlich und doch ist es angenehm, welches zu habeu ;
da muss man sich denn an den Yerbatero wenden. Der aber hat den
Arbeiter nun in der Hand, rückt mit Baarem nicht heraus, verkauft
ihm aber sehr gern einen Ochsen , vielleicht für 45 Patacon, die iu
Rechnung kommen; den verkauft der Bursche beim Fleischer oder der
Fleischerin vielleicht für 18 bis 20 Patacon und nun hat er baares
Geld gegen 100 bis 150 Prozent Zinsen, wie ersichtlich. So geht die
Sache ihren Gang, ohne Ende. Ein Arbeiter, der so behandelt wird,
sieht natürlich den Vortheil seines Herrn nicht als den seinigen au.
sucht vielmehr Gleiches mit Gleichem zu vergelten und den ^padron^
übers Ohr zu hauen, wo er kann. Dass ein Arbeiter sich etwas er-
spart und es ausbezahlt bekommt, ist eine grosse Seltenheit; auch
wollen die Yerbateros mit solchen nicht gern zu thun haben, da die
verschwendenden Peone ihre beste Einnahmequelle sind. Spai*same
europäische oder gar chinesische Arbeiter wären dem Yerbatero daher
gar nicht erwünscht, und ich habe ausser Paraguayern nur einzelne
Correntiner unter den Arbeitern in den Yerbales getroffen. Für den
europäischen Arbeiter würde es auch nicht leicht sein, sich an das
ausserordentliche einfache Leben der Yerbales zu gewöhnen; er würde
•
mit der fast ausschliesslich vegetabilischen Kost nicht zufrieden sein,
möchte ungern allein im AValde arbeiten, wäre mit der winzigen Iml^'
offenen Hütte nicht zufrieden, brauchte zu viel Kleidung und ScliaU
werk, würde leicht erkranken u. s. av. Gesetzt aber er fände sich !•
alle diese Verhältnisse und fände einen Yerbatero, der ihn bescliii*
tigen und bezahlen will, so könnte er wohl, sobald er die nötlii^
Gewandtheit in der Arbeit erworben hat, einen täglichen Reingewii^
von einem Patacon erzielen.
Es ist selbstverständlich, dass nicht alle Yerbateros ihi'e Leu*^
gleich behandeln, dass der eine habgieriger, der andere uneigennützig^
ist; auch habe ich nur in Villa Rica, Caaguazu und in den Yerbalt^
141
Ton Saiitanf und San Pedro Erfahrungen gemacht und Grkim'ligungpn
Pingezogen, nicht aber in denen von Tacuh'i-pHpU und Concepcion;
wesentlich anders wird es indessen auch dort nicht sein. Als Quellen
habe ich sowohl die Arbeitnehmer als die Arbeitgeber beuiitzt. sodass
ich meine Angaben als richtig bezeiclmen zu dürfen glaube. Ein
Yerbatero, der seine Leute anständig behandelt, ist weit und breit
ruhmlich bekannt, andere, die das Pressen besonders gut vei-stehen,
sind als Raubvögel, "pdjaroat, berüchtigt. Die Yerbateros sind meist
Ausländer, besonders die bedeutenderen; am häufigsten findet man
Italiener, Basken und Brasilianer; deutsche Yerbateros giebt es
meines Wissens nicht.
Die gegenwärtige jährliche Gesammtproduktion Pai-aguays an
Yerba kann man einschliesslich des im Lande verbrauchten Quantums
zu <)00000 Ärroben (rund 7 Millionen Kilogramm) veranschlagen. IMe
Ausfuhr betnig 1880 bis 1882 436886, 455063, 57rt2()7 Arroben, im
Wei-the von 709734, 910126, 9^800 Patacon (pcsos ftieries). Daraus
ergiebt sich, dass der Werth des Produktes ein sehr schwankender
war, denn für eine Arrobe erhält man aus den genannten Zahlen l,n(i,
2, 1,sG Patacon, während der Werth der Arrobe (für den Yerbatero)
zur Zeit meiner Anwesenheit in den Yerbales nur l,a Patacon war;
die Yerbateros klagten daher über schlechte Geschäfte. Der Pieis
soll aber manchmal auf 12 nnd selbst auf 11 Realen sinken'). Wenn
man bedenkt, wie viele Arbeiter erst bezahlt wenlen, wie viel Vieh
ernährt werden, wie viel Material in Stand gesetzt oder erneuert
wenle» muss, dass die Fracht aus den Flüssen des Jejufsystema z. B.
ili-ei Realen für die Arrobe beträgt, so wii-d man einsehen, dass bei
') Bei \Va|)[iaeiis, a. a. U. S. I167, Ul nnge^elun . •\a.<'- ilie ViTb-iaiisfulir im
Jahre 1860 174238 Arrol>en liclnii; umi cün-n Werth von i09_jSf>o Pi^si.s h.itle; danacli
»iinle sich der Wenh tler AmilH.' i-norm Imch, nSnilicli auf 6,ji l'c.«« ri-sH;!!! Iialicn.
Dies* Anßalie ist nnvollstandlK. Nacli ]>ii Graty, a. a. <). S. 381. Iiclni^ (kr Treii der
Arrrilw r,ilic Regierung war damals einxi(>v Verkäuferin nach aus>«ii> im Anfangi; Jos t;r-
nannten Jahres 39,1s Kranken, am Ende deisellien al)Cr nur li,,t Fninken; auf lotzli'rem
Stande hielt er sieh dann lünfere Zeil. An der aiiferührttn Sltllt bei Du üraty liiidct
man auch einige Angaben ül)cr das \'eth,iUniss der Ke!;ierun(; iii lien kim/es^ionirtcn Yerlia-
fjewinncm 11ml Ülier das Verhältniss letilercr lu den Arbeitern. .An iler anjjeftibrieii Sldlc
l«i Wappaciis findet sich weiterhin ein llnicltfehler ; er sajjl nämlich, ilass in den Iclilcii
Jahren (das Ituch Ut 1867 erschienen] die mittlere plirliclie Verbaausfuhr 5 Millionen
I'fund (ßlno ZOOOOO Arroltcn) betragen habe, demnach luich nicht den ilelr.-it; erreicht lialH',
wie am Ende des vorigen Jahrhunderts, »n nach Azara ü!K.r 5000 Quinlales aii^iflidrt
seien. Hier muss es statt -Qber 5000« 'SocoOi heis-sen, nach Azara I, 122. I);tii.ich
wäre die Menge die gleiche gewesen nie in den jetzigen Jahren , wenn nicht bei ,\7ara
der Quintal lu 150 Pfund gerechnet ist.
142
einem Preise von 12 oder 13 Realen nicht viel für den Yerbate
herauskommt. Seinen Ihahüitadosy d. h. Leuten, die mit seinem Kapit
selbständig arbeiten, kauft der Yerbatero die Yerba zu einem feste
vorher vereinbarten Preise (6 bis 8 Realen) ab. Kann die Yerl
nicht zu Wasser verschickt werden, so steigern sich die Transpor
kosten. In Caäguazü z. B. kann man die Arrobe Yerba für 7 Reale
herstellen; aber schon bis Villa Rica kostet sie einen Real Fracli
und von da nach Paraguary wird sie wohl weitere 2 bis 4 Realei
kosten. In Asuncion beschäftigen sich hauptsächlich drei Geschäfts
häuser mit dem Yerbahandel; den Verkehr zwischen ihnen und den an
kommenden Lastschiflen der Yerbateros vermitteln Makler (corredom)
welche vom Verkäufer 1 bis 1 Va Prozent Provision bekommen. Viel
Yerbateros verkaufen direkt nach Buenos Aires und erzielen doi
höhere Preise; namentlich viel Yerba von Concepcion und von Tucum
pucü geht direkt flussabwärts. Leute, die im Gebiet der Yerbah
des Erwerbs halber leben, ohne selbst Yerbateros oder Arbeiter 3
sein, wie z. B. die wenigen Ansiedler am Rio Corrientes, Knei
wirthe etc., können nicht anders, als sich auch am Yerbageschä
betheiligen, da dort baares Geld infolge der geschilderten Verhältnis
zwischen Yerbatero und Arbeiter fast gar nicht vorhanden ist. D
meiste in den Handel gebrachte Yerba ist nach der Aussage ai
richtiger Yerbateros von nur mittelmässiger Qualität, da die Kaufleu
so auf den Preis drücken, dass sorgfältig hergestellte Yerba nie
geliefert werden kann. 15 Realen wurden mir als wünschenswerth
Minimalpreis bezeichnet. Im Einzelverkauf kostet die Yerba üben
1 Real das Pfund. Das ist zwar ein sehr niedriger Preis, man mii
aber nicht vergessen, dass zur Herstellung eines ordentlichen Getränl
immer eine ziemliche Menge Yerba nöthig ist, ein Pfund Yerba dah
vergleichsweise nicht so lange vorhält wie ein Pfund Kaffee (vorav
gesetzt, dass aus letzterem ein unserm Kaffee in nicht wohlhabend'
Familien des Mittelstandes entsprechendes Getränk bereitet wir^
Allerdings ist der Kaffee in Paraguay theuer, obgleich das Land seit
Kaffee hervorbringen kann.
Die Regierung ist an der Yerbagewinnung direkt meines Wiss^^
nur in Tacurü-pucü betheiligt, und zwar hat sie, wie man mir sag'
den dortigen Unternehmern den ganzen Betrieb abgekauft, weil -
einen Ausfuhrzoll auf Yerba zu legen beabsichtigte, in dem Kontra«
mit jenen Unternehmern einen solchen aber ausdrücklich ausgeschlos^
hatte. Zur Zeit wird ein Ausfuhrzoll aber nicht erhoben; das Zo
gesetz vom 23. September 1883 sagt im § 2, dass alle national
Produkte mit Ausnahme frischer und trockner Rindshäute zollfrei a-^i
143
fülirt werden können. Vorher rauss einige Jahre lang ein Ausfulir-
11 bestanden haben, denn der Konsulatsberieht für 1880 ') erwähnt
isdrücklich die Einführung eines Ausfuhrzolls für Yerba und Häute.
Konkurrent Paraguays in der Yerbaproduktion ist Brasilien,
elclies Ungefähr sechsmal so viel hervorbringen mag, wie Paraguay;
öcli gilt die Paraguaysche Yerba allgemein für besser. Haupt-
ousimient ist Argentinien, von welchem der Yerbahandel Paraguays
ollständig abhängt. Wenn Argentinien seine eigenen Yerbales in
eu Missiones — über deren Ausdehnung und Ergiebigkeit allerdings
aum etwas bekannt ist — ausbeuten und die Einfuhr paraguayscher
erba durch hohen Zoll zu Gunsten des eigenen Produkts erschweren
ill so steht dem. nichts entgegen.
Es würde vielleicht ganz vortheilhaft sein und den Ertrag der
erbagewinnung erhöhen, wenn die ganze Produktion in den Händen
uer Gesellschaft vereinigt würde. Eine englische Gesellschaft soll
nraal der Regierung die ganzen Yerbales haben abkaufen wollen,
»ch sei dieselbe nicht darauf eingegangen, da sie gefürchtet habe,
ägen der England geschuldeten Summen keine Bezahlung zu be-
>mmen. Zu einer Generalverpachtung auf längere Zeit Avürde sich
e Regierung aber wohl verstehen, und dass eine Gesellschaft, die
e Sache nach gründlichem Studium und zunächst im Anschluss an
e herrschenden Gebräuche (oder Missbräuche) übernimmt und über
nügendes Kapital verfügt, Geschäfte machen würde, ist kaum zu
zweifeln. Eine Verwendung der gegenwärtig bedeutendsten Yer-
.teros als Beamte würde kaum zu vermeiden sein, lieber die Höhe
s etwa nothwendigen Kapitals kann ich nicht urtheilen, doch glaube
h, dass sich die Sache mit 1 V2 Millionen Mark wohl machen Hesse.
Dass der Yerbabaum der Anpflanzung und Kultur fähig ist, kann
cht bezweifelt werden, denn die Jesuiten hatten in ihren Missionen
instlich angelegte Yerbawälder. Selbstverständlich wird man bei
«er solchen Anlage die Eigenthümlichkeiten des Baumes berück-
clitigen, also die junge Pflanze in den Schatten stellen und ihr einen
1 gemessenen Boden aussuchen. Besonders schädlich scheint dem
^rbabaum Salz zu sein, es ist daher nicht gelungen, Bäumchen im
ieflandboden emporzubringen. Damit stimmt überein, dass das öst-
-he Paraguay, das Gebiet der Yerbales, zum Nachtheil der Viehzucht
*ine Salzleckplätze besitzt. Die Salzarmuth dieses Gebiets ist eine
»llständige, es sollen sogar die dort ansässigen Indianerstämme früher
n Gebrauch des Salzes nicht gekannt haben ; noch jetzt soll es alte
'} Deutsches Handelsarchiv 1882, II, S. 63 ff.
144
Indianer geben, die sich dieses Gewürzes ganz enthalten. Die Empfind-
lichkeit des Yerbabaumes gegen Salz geht so weit, dass man früher
den Peonen verbot, mit dem beim Yerbaschlagen verwendeten Busch-
messer gesalzenes Fleisch zu schneiden, da dann die Yerbabäume
ausgingen. Die Anpflanzungsfähigkeit des Yerbabaumes ist mir von
mehreren Yerbateros auf Grund eigener Versuche bestätigt wonleu,
auffallend ist es daher, dass Decoud, z. Z. Minister des Aeussern in
Paraguay, in einem Aufsatz, der die Vorzüge der Yerba beleuchtet '),
dieselbe in Zweifel zieht, während er allerdings wenige Seiten weiter *)
zugiebt, dass die Jesuiten den Yerbabaum kultivirt haben und durch
deren Arbeit bewiesen sei, dass er noch bis zum 30. Grad s. Br. fort-
komme, da sie in Yapeyü am Uruguay einen Yerbal gehabt hätten.
In den Augen der eingeborenen Paraguayer ist das Anpflanzen von
Yerbabäumen natürlich sehr gefährlich, da der, welcher sie pflanze,
sterben müsse, sobald die Frucht reife.
Ueber Zubereitung und Genuss des Yerbatrankes, Mate genannt
ist schon oben berichtet worden (S. 26) ; hier sei nur noch liinzugefügtH,
dass man neuerdings auch angefangen hat, die Yerba nach Art des
Thees zuzubereiten, indem man die Blätter ganz lässt. Man hofft
auf diese Weise leichter die Einbürgerung der Yerba in Euroim zu
ermöglichen, die sich vielleicht schon wegen der Billigkeit des Pro-
dukts empfehlen Avürde, sofern man überhaupt die Einführung und
Verbreitung solcher Getränke empfehlen kann. Für den eingeborenen
Paraguayer ist der Mate, den er fast stets bitter geniesst, so gut wie
unentbehrlich, und auch die meisten Europäer gewöhnen sich schnell
an ihn. Er hat nach meinen Erfahrungen eine anregende und schweiss-
treibende Wirkung, auch vermag er den Hunger einigermassen wenn
nicht zu stillen, so doch zu betäuben. Im Uebermaass genossen, er-
zeugt er nervöse Aufregung und Schlaflosigkeit, auch kann er, da
man ihn sehr lieiss zu trinken pflegt, dem Magen und den Zähnen
schaden. Wer an Matetrinken geAvöhnt ist, kann <len Genuss nur
schwer entbehren, namentlich des Morgens.
Verlassen wir nun diese Betrachtung über das Gebiet und die
Aibeit des »Bergmanns der Wälder«, wenn man den Yerbatero so
nennen daif und kehren wir zum Panadero an die Ufer des Aguaray zuiück.
12. Fahrt auf dem Aguaray.
Am 1. Februar früh schittte ich mich mit meinem Begleiter und
zwei Ruderern im Hafen des Panadero ein, und untei' fröhlichem Zu-
') JJei Martine/, a. a. O. S. 40.
''^. 44.
145
ruf der andern Schiffer setzte sich unsere kleine Canoa in Bewegung.
Dieselbe war flach gebaut, etwa 6m lang, in der Mitte IVsm breit
und knietief; Bänke waren keine vorhanden, ich behielt mir daher
den Platz in der Spitze vor, während die andern bald auf dem Rande
des Bootes, bald auf den Gepäckstücken sassen: die beiden schaufei-
förmigen Ruder (palas) wurden von den Leuten wie bei uns in Fisclier-
booten ohne Hülfsmittel mit der Hand geführt. Strömung und Ruder-
schläge trieben uns sclmell abwärts, doch wai' die gradlinige Ent-
fernung, die wir zurücklegten, verhältnissmässig gering, da der Fluss
ganz unglaubliche Krümmungen macht. In der ersten Viertelstunde
durchliefen wir nicht weniger als elf Kurven und waren dann am
Paso Real del Tuyutl, dem üebergangspunkt der nach San Pedro
führenden Strasse, nur wenige Minuten Weges vom Hafen entfernt.
Weiterhin durchlief oft die Magnetnadel in einigen Minuten den
ganzen Kompass, nicht selten mehrere Mal dicht hinter einander; es
kamen Stellen vor, wo wir wegen einer trennenden Strecke von 2 oder
3w Breite einen Weg von 500 bis 1000 m zurücklegen mussten.
Der Wasserstand schien ein mittlerer zu sein , denn überall reichte
die Vegetation bis in unmittelbare Nähe des Wasserspiegels; die
Breite war lange Zeit der am Hafen des Panadero entsprecliend,
also etwa 15 w, die Tiefe 1 bis IV^, selten 2 m, Bei Hochwasser
bietet der Fluss oft ein ganz anderes Bild dar, viele schmale trennende
Streifen werden dann überschwemmt und ein Theil des Uferwaldes
steht im Wasser. Treten besonders starke Hochfluthen ein, so werden
nicht selten schmale Trennungsstellen zwischen den Kurven durch-
gerissen, der Fluss verlässt den alten Lauf, dieser versandet und wird
von Vegetation überwuchert , während der neue kürzere sich weitet
nnd zum Hauptwege wird. Mehrmals auf der ganzen Flussfahrt traf
ich Stellen, die diesen Vorgang deutlicli erkennen Hessen.
Bald unterhalb des Tuyutl-Uebergangs passirten wir die beiden
Mündungen des Flüsschens, nach welcliem er benannt ist, später links
die Mündung eines starken Baches, gegen Mittag nach 4V2 stündiger
Fahrt einen alten Yerbarancho (Carino-cu6), den man zu Lande in
einer Stunde erreicht, gegen Abend links die Mündung des nicht
breiten, aber wasserreichen Puendy, Das Fahrwasser war ausser-
<M^lenUich unrein. Bäume aller Art und namentlich Bambus sperrten
den Fluss oft zur Hälfte, ganze Uferstücke mit der darauf stehenden
Vegetation waren vom letzten Hochwasser abgerissen und warteten
des nächsten, um gänzlich weggeschwemmt zu werden. Zweimal an
diesem Tage durchfuhren wir Stellen, wo auf eine Aveitere Strecke
Grund und Ufer felsig, während sonst die Ufer erdig und der Grund
10
146
schlammig waren. Wenig unterhalb des Tuyutl-Ueberganges bemerls
ich Reste gefällter Bäume im Fluss, sowie Spuren von Erdarbeit
an den Ufern: es war eine Barrikade (trinchera)^ die Lopez hatte a
legen lassen (durch den alten Major, den ich in Villa Rica getroff
hatte), damit ihm nicht die Brasilianer auf seinem Rückzuge na
Norden vom Flusse her in die Flanke fallen könnten. Dieselb
machten damals thatsächlich den Versuch, in den Jejuf und Aguar
einzudringen, und ein Kanonenboot gelangte bis zum Paso Tu
einem Uebergange über den Aguaray nahe der Mündung desselb€
Unter der Vegetation, welche beide Ufer ununterbrochen bedecl
herrschte der Bambus bei Weitem vor; seine schönen hellgrünen Wed
neigten sich sanft über die Wasserfläche. So anmuthig der grüi
Bambus ist, so hässlich ist der trockne: ganze Büschel trockni
Bambushalme standen auf halb oder ganz losgelösten Ufertheilen, ui
die dürren weissen Stangen starrten steif in die Luft. Nächst de:
Bambus fielen die kerzengeraden Stämme der Kndöpalme, eines d(
nützlichsten Bäume dieser Gegend, am meisten auf; anfangs wäre
auch die sauren Orangen häufig. Viele Bäume waren mit wahre
Guirlanden von Schlingpflanzen behangen, auf andern schimmerte
prachtvolle Orchideenblüthen aus der dunkeln Laubkrone. Einzek
Bäume, besonders solche, die schräg über das Wasser hinausragtei
waren dicht besetzt mit beutelförmigen Nestern, die von einem kleine
gelb- und schwarzgefkrbten Vogel herrühren sollen; nicht selten sa
ich zwanzig, dreissig, auch vierzig dieser Nester an einem Baun
Das Thierleben war bei weitem reicher, als gewöhnlich auf den Wege
über Land und durch die Wälder; an den Ufern sahen wir zahlreicl
Pfade der Wasserschweine, an der Stelle unserer Mittagsrast wäre
ganz frische Tigerspuren, nach dem kurz vorher gefallenen Regen i
den Sand gedrückt, an einer Stelle tauchten sieben oder acht forc^
Ottern — jedenfalls Ltära paranensis — , vor uns auf, guckten uc
schnaubend und fauchend an, verschwanden unter dem Wasser, tauclite
von Neuem auf und entschwanden dann ganz ; kleine Schaaren muntre
Affen huschten dann und wann durch die Baumwipfel, Abends nac
Dunkelwerden scheuchten wir zahlreiche Wasserschweine auf, die sie
kopfäber in die Fluth stürzten, auch andere grössere Säugethiere, di
im Dunkel nicht zu erkennen waren. Am reichlichsten war d
Vogel weit vertreten: enten- und taucherartige Vögel verschieden
Art flogen aufgescheucht über die Wasserfläche, eine schwarzblau
hässlich krächzende Elster war überall gemein, Martin der Fischi
(nmrtin pescador) flog oft, auf seinem Sitze gestört, wiederholt Strecke
vor uns her bis zum nächsten geeigneten Plätzchen, der Glockenvog
147
liess seine weitliin hörbare Stimme aus dem Grün des Waldes heraus
ersehallen, die kreischenden Papageien fehlten gegen Abend nicht.
Leider stellten sich Abends auch die Moskiten wieder ein.
Mit dem Wetter konnten wir zufrieden sein, obgleich es zweimal
kurze heftige Gewitterregen gab. Einen Gewitterregen nennen die
Paraguayer aguacero und fürchten ihn sehr als Bringer von Krank-
heiten. Da wir beim ersten nicht einmal schützendes Laub hatten,
zogen sich die beiden Schiffer gleich nach demselben um, nicht ohne
dabei ein Bad zu nehmen; so glaubten sie gegen die gefährlichen
Krankheiten — die vielleicht auf Erkältung beruhen werden — ge-
schützt zu sein. An den konkaven Seiten der Flusskrümmungen
findet man nicht selten breite Sandufer, von Schilf gesäumt oder auch
von Bäumen und Gesträuch: an einer solchen rasteten wir gegen
Abend neben einem kleinen Kreuz, das zur Erinnerung an einen
Knaben errichtet war, den dort einst ein Jaguar vom Lagerfeuer weg-
geholt hatte; an einer andern legten wir spät Abends an, die Schiffer
steckten ihr Moskitonetz in den Ufersand und krochen darunter, ich
roit meinem Begleiter zog das Lager auf dem Boden der Canoa vor.
Üeber Nacht stieg das Wasser und riss, meinen Schlaf störend, grosse
Stücke von unserer Sandbank los, so dass sich die beiden Leute unter
<Jem Mosquitero früh dicht am Wasserrande befanden.
Am nächsten Tage setzten wir die Fahrt ohne Unfall fort. Der
^liiss fährte reichlicher Wasser, war schon breiter, weniger ver-
harrikadirt und meist auch tiefer, stellenweise bis über 2V2 w; wir
lÄssirten wieder eine Stelle, wo Felsen grauen bis röthlichen Sand-
steins den Fluss einfassen; sie wird Itä-virä genannt, glänzender Stein,
^ man die Felsen bei einer Biegung ganz plötzlich vor sich liegen
sieht. Vormittags sahen wir rechts die Mündung des schmalen, tiefen,
sehr verwachsenen Arroyo Mboi, am Nachmittage erreichten wir die
^ös bedeutenderen Rio Verde, dessen klares Wasser sich weithin mit
^öm schmutzig-trüben des Aguaray nicht vermischte. Der Fluss ist
^^ der Mündung etwa 10 m breit und 1 m tief; er kann, da seine
''iefe eine sehr gleichmässige ist, von Lastkähnen befahren werden,
^Blche eine halbe Tagereise aufwärts Yerba finden; hat der Fluss
S^r zu wenig Wasser, so bleiben die Schiffe im Aguaray und holen
ö^i^ Fracht mit Canoas. Wenig unterhalb dieser Mündung trafen
^ir zwei mit Yerba beladene Chatas, die eben aus dem Rio Verde
l^ajnen. Ich sah mit welchen Schwierigkeiten diese Schiffer zu kämpfen
^ben: das eine Schiff war festgefahren, man hatte einen Theil der
^[^ung auf Canoas umgepackt und die Leute beider Chatas standen
™ Wasser und versuchten die festgefahrene loszumachen. Die
148
Windungen milderten sich nicht unbedeutend unterhalb des Rio Verde.
Die Natur der Ufer war etwas verändert, stellenweise traten kleine
Stücke Weideland an den Fluss heran und nicht selten bildete der
Uferwald nur einen schmalen Streifen, hinter dem AVeideland lag.
Im Walde trat ziemlich häufig der Yvyrä-pytä auf, den ich schon aus
den Wäldern von Caäguazü kannte; seine Blüthezeit war nun vorbei.
Stellenweise neigte sich einS^andypä {Genipa americana, eine Rubiacee)
mit seinen regelmässig quirlförmig gestellten Aesten und seiner runden,
grossblättrigen Krone über das Wasser, schwer von Früchten. Diese
sind reichlich so gross wie eine ansehnliche Zitrone, liaben eine dünne,
runzlige Schale und etwas breiiges, von vielen Kernen durchsetztes
Fleisch, dessen Geschmack zwischen dem reifer Birnen und kandirten
Ingwers die Mitte hält. Wir nahmen uns einen kleinen Von-ath von
einem Baume mit. Unter den Vögeln eischien jetzt oft ein grosser,
in Gestalt, Farbe und Flug der Möve ähnlicher, stets allein und schon
in grosser Entfernung scheu auffliegend; die Eingeborenen nannten
ihn Santelmo. Auch Tukane waren häufig, hübsche Vögel, vorwiegend
schwarz, mit weisser Brust und orangefarbenem Schnabel. Man hält
sie in Paraguay bisweilen beim Hause, doch sehen sie dumm aus und
haben eine jämmerliche Stimme. Der Reichthum an Vögeln erlaubte
uns, auch für unsere Küche ein wenig zu sorgen.
In den Wäldern, welche den Fluss begleiten, wohnen zei-streut
kleine Stämme der Caynguäindianer, von denen wir hier und da Spuren
sahen. Bald führte ein schmaler Pfad ans Ufer, bald war eine fliegende
Brücke errichtet oder eine Vorrichtung zum Fischen getroffen. Die
fliegenden Brücken sind einfach genug: im Wasser nicht weit von den
Ufern sind starke Stangen in den Grund gebolirt, oben gabelförmig:
auslaufend; über diese Gabeln gehen zusammengedrehte Schlingpflanzen.,^
deren Enden an den nächsten Bäumen befestigt sind; das ist alles^ ^
Der Indianer selbst kann natürlich schwimmen, aber die Frau mi-^
den Kindern und manchmal der ganzen Habe, turnt an diesem Seil
hinüber. Fische locken die Indianer in der Weise an, dass sie einfe-»
oder zwei Maiskolben an einer Schnur ins Wasser hängen lasse«:^:
dort holen sich die Fische, so viel ihnen schmeckt, und w^enn sie dai^ ii
die Scheu vor dem Gegenstande ein wenig verloren haben, kommt Aei
Angler und fängt sich seinen Bedarf. Herrlich war der Abend a.ta
dem Wasser; in der Spitze des Bootes auf dem Rücken liegend "^^
trachtete ich die zahllosen Sterne, fast senkrecht über uns stand A^
Orion; die Luft war unbewegt, in weiter Ferne grollte leise ^^
Donner, die Baumkronen zeichneten sich scharf gegen den Abei^^
himmel ab, Sterne und Mondlicht spiegelten sich in der regun
140
losen Wasserfläche. Erst spät in der Nacht legten wir an einer Sand-
bank an.
Am nächsten Morgen lag wie am Tage vorher leichter Nebel auf
dem Fluss, den die aufgehende Sonne zerstreute. In aller Frühe trafen
wir schon zwei flussauf fahrende Lastkähne, jeder mit etwa fünf Mann
besetzt, die die Fahrzeuge mit langen Bambusstangen fortstiessen-
Der Fluss war etwas wechselvoller als sonst, bald verbreiterte er sich,
bald verengte er sich und floss stärker, stromschnellenartig dahin, bald
traten Stellen mit felsigen Ufern und steinigem Grund auf, bald bildete
er niedrige Inseln ; starke Krümmungen wechselten mit langen geraden
Strecken, an deren Anfang und Ende meist schlanke Mastbäume im
Walde versteckt lagen, um den Chatas wenigstens für kurze Strecken
die Benutzung von Segeln zu ermöglichen. Gleich früh sahen wir links
die Mündung eines starken Baches, welcher den Namen Afiaretä,
d. i. Hölle, führt. Einige Stunden darauf passirten wir den Paso
X'uponä, wo der vom Panadero kommende Weg auf das linke Ufer
hinübergeht; ein kleines Boot lag dort zur Benutzung für Reisende.
Die Bewaldung der Ufer wurde nun immer spärlicher, oft traten grosse
Stücke AVeideland bis ans Ufer, und namentlich rechts war dasselbe
überhaupt nur noch durch einen schmalen Waldrand verkleidet. Das
Bambusrohr wurde nun seltner und dürftiger, saure Orangen traten
nieder auf, dazu häufig der reichen Schatten spendende Inga (eine
I^^guminose) und der Copay (Copaivabaum, Copaifera offidnalis^ eine
Cäsalpiniee). Unter den Vögeln war ein wahrhaft hartnäckiger Be-
okiter des Bootes ein von den Eingeborenen mbiguä genannter
Taucher, etwas grösser als eine Ente; auf einem Baum sitzend liess
^f Uns stets auf 120 oder 150 Schritt herankommen, warf sich dann
^^^ab und flog, anfangs die Wasserfläche mit den Flügeln schlagend,
^ine Strecke weit voran ; das wiederholte sich oft zwanzig Mal. Gegen
^Jttag nässte uns ein kurzer GewitteiTegen, bald daraufhob sich das
'^'ike Ufer ein wenig, der Fluss weitete sich und wir hatten Lima
^^eicht, die einzige Ortschaft am Aguaray. Am »Hafen« war der
^^luss wohl dreissig Meter breit, aber nur wenige halbzerbrochene
^<>ote lagen am Ufer, das beste Zeichen für den ausserordentlich
Seiingen Verkehr der Ortschaft, Unten am Flusse stand nur eine
^l^iine Ansiedlung, dort wohnte in elender Hütte, deren aus Latten-
^^rk gemachte Wände nur zum kleinsten Theil mit Lehm verschmiert
^aren, ein Grieche, mit einer Paraguayerin verheirathet; Hunde,
kühner und Ferkel theilten den kleinen Wohnraum. Der Alte lebte
^lion 35 Jahre in Paraguay, schimpfte auf alles, wonach man ihn
^<^8te, namentlich auf den Gefe und Friedensrichter des Ortes, dui-ch
150
die er sein kleines Veniiögeii verloren haben wollte, rückte sofort mit
ein Paar Brocken Englisch heraus, die aus seinem frühereu Seemanns-
leben noch sitzen geblieben waren, ei*zählte, dass er mehrmals in
Hamburg gewesen sei, beAvirthete uns mit ein Paar Wassermelonen,
und gab uns gern den gewünschten Mais, wofür ich seine Frau mit
einem bunten Taschentuch und etwas Kampher beglückte. Die Ort-
schaft liegt einige Minuten Wegs vom Flusse nach Süd und auf
gutem rothem Ackerboden. Sie ist neueren Ursprungs, so\iel ich
erfuhr erst von Lopez (jedenfalls dem Aelteren) angelegt, der Sträf-
linge herschickte; später befand sich dort eine Pulverfabrik. Zur
Zeit besteht Lima in der Hauptsache aus einem grossen Platz, den
etwa zwanzig saubere Häuschen umgeben; in der Mitte eine stroh-
gedeckte Kirche, die jährlich einmal, am Tage des heiligen Franziskus
(4. Oktober) der Geistliche von San Pedro besucht! Unter den Be-
wohnern heiTschen die Frauen bei weitem vor, und wenn der Nach-
wuchs Limas sich durch besonders helle Hautfarbe auszeichnet, so
darf man es unter diesen Umständen wohl der Thatsache zuschreiben,
dass die Chateros — wie gesagt meist Ausländer — auf der langen
Flussreise in Lima gern rasten. Den Ort umgeben kleine Pflanzungen,
darunter auch solche von Bananen ; für die Anpflanzung von Orangen
hat Lopez Sorge tragen lassen. Ich kaufte in Lima einigen Proviant
ein, Eier, Käse, frischen Mais und Melonen, soAvie in dem kleinen
Laden einer für sehr reich (an Vieh natürlich) geltenden Wittwe
Sclinaps für die dui-stigen Kehlen meiner Leute.
Unten am Flusse nahm ich ein Bad — wenige Schritte davon
hatten kurz vorher ganz ungenirt mehrere der Schönen des Ortes ge-
badet — und befreite mich dabei von einer kleinen Plage, die mich
fast sechs Wochen lang gequält hatte, seit Villa Rica oder Caäguazü.
Ich erwähne das, weil es sich um eine der kleinen Unbequemlich-
keiten handelt, die der Fremde (und auch bisweilen der Einheimische)
in Paraguay gelegentlich ertragen muss und die ich nirgend an-
geführt gefunden habe. Wie oben schon bemerkt, hatte ich am
linken Bein und linken Arm kleine offene Stellen, die immer etwas
absonderten und sich niclit zuheilen Hessen; beim Baden drückte ich
die eine fest zusammen, da erschien ein kleiner brauner Kopf, ich
rief meinen Begleiter, presste aus Leibeskräften und brachte schliess-
lich mit seiner Hülfe — eine gegen 2 cm lange und in der Mitte
mindestens 5 mm dicke gelbliche Made heraus, eine sogenannte Ura;
eine ähnliche kam aus der zAveiten Oeffnung am Bein, kleinere wurden
mit Hülfe der Paraguayer, die die Sache sofort erkannten, aus dem
Arm herausgepresst, mit wiiklicher Ki'aftanstrengung und nicht ohne
151
Schmerz. Das wai'eii also die Peiniger! Was die >Ura« eigentlich
ist, vermag ich nicht zu sagen, wahi*scheinlich aber verdankt sie einer
Breme den Ursprung, während andere, wohl irrthünilich, sie einem
Nachtschmetterling zuschreiben. Leider habe ich die feisten Maden
im Ekel des ersten Augenblicks weggeworfen. Ich glaube, dass man
gut thut, das Entstehen wunder Stellen (durch Kratzen von Insekten-
stichen, unvorsichtiges Abreissen von Garrapatas — einer grossen
Zeckenart — u. s. w.) so viel als möglich zu vermeiden, denn wahr-
scheinlich an solche geht beim Baden oder auch sonst bei Gelegen-
heit das die Ura erzeugende Insekt. Die Paraguayer fürchten die
üra sehr und behaupten, sie habe Widerhaken am Leibe, mit welchen
sie sich beim Herausziehen festhalte. Die Höhlungen, in welchen
die Schmarotzer gesessen hatten, bluteten etwas, heilten dann aber
sehr schnell zu; kleine Narben blieben zurück. Einem Portugiesen,
der später, von Brasilien kommend, mit mir die Rückfahrt nach
Europa machte, zog der Schiffsarzt auch solche Uras aus, und zwai*
aus der Brust.
Unterhalb Lima war der Fluss wieder etwas schmäler als bei
dem Ort, die Ufer meist von Weideland begleitet; auf diesem erschien
DUü neben der Pindöpalme die mehr dem Tieflande angehörige Mbo-
cayäpalme, auch Oelpalme genannt, welche sich von der Pindö äusser-
lich besonders durch den weniger schlanken, etwas über dem Boden
oft — angeblich infolge von Grasbränden — verdickten und gewöhn-
lich mit langen Stacheln besetzten Stamm unterscheidet. Die Mbocayä
ist auch ein äusserst nützlicher Baum, sowohl durch ihre sehr ölhaltigen
Früchte, die natürlich zum weitaus giössten Theil unbenutzt bleiben,
als durch die Fasern ihres Blattes, welche technisch verwendbar sind.
Die Eingeborenen machen zur Zeit wohl kaum mehr daraus als
Schnüre und Hängematten. Auch die groben Fasern der Blattrippen
soUen zu Bürsten und Aehnlichem verwendbar sein. Von Deutschen
auf der Kolonie hörte ich den Baum auch Stechpalme nennen, wegen
der erwähnten Eigenthümlichkeit.
Auf einer grossen Sandbank am rechten Ufer sah ich das erste
der so viel geflirchteten Yacar^s oder Krokodile (Alligator sclerops)^
ßin kleines Ding von kaum mehr als 1 m Länge. Er frass an irgend
einer Thierleiche, kroch aber, als wir uns näherten, ins Schilf und
steckte nur den Kopf heraus. Im Jejuf sollen Yacar6s von mehr als
IV« Varas (1 V4 m) Länge nicht vorkommen, im Paraguay bei Asuncion
^egen sollen sie bis zu 3 Vai*as Länge gesehen worden sein. Von
Ifgend welcher Gefahr für den Menschen höite ich nie sprechen; nur
152
schei-zweise sucliten sich oben in den Yerbales die Peone immer beim
Baden durch den Ruf ^yacar^, yacare^ zu erschrecken *).
In der Nacht erging es uns nicht besonders. Schon in Lima
hatte es unaufhörlich in der Ferne gedonneit, Nachmittags hatte sich
ein starkes Gewitter in unserer Nähe entladen, und während wir
gegen Abend am Ufer unser Mahl bereiteten, zog ein neues herauf.
Kaum hatten wir unsern Reis und unsere Bohnen verzehrt, so brach
das Wetter los, und wir flüchteten in die Canoa, die am niedrigen
Steilufer unter Gebüsch wenigstens etwas geschützt lag. Grelle
Blitze zuckten unaufhörlich am Himmel, sekundenlang flammend, lange
Donner rollten über unsern Häuptern, in wahren Strömen ergoss sich
der Regen. Es wurde stockdunkel, aber an ein Lagern an dem
feuchten Ufer war nicht zu denken, zumal da in solchen Nächten
alles wilde Gethier, aus seinen Lagerplätzen aufgescheucht, ganz be-
sonders munter ist; wir fuhren also weiter. Der Regen Hess etwas
nach, aber bald kam ein anderes Gewitter herauf und raste mit Hef-
tigkeit über uns. Wir flüchteten dicht an das mit hohem Röhricht
bestandene Ufer, aber nur um von wahren Schaaren giosser, feister
schwai-zer Moskiten befallen zu werden. An Aufklären war nicht
zu denken, wir fuhren daher im tiefsten Dunkel die ganze Nacht
über weiter, in ununterbrochenem Regen. Ich barg mich unter meiner
Wolldecke, legte den gi-ossen Strohhut aufs Gesicht und schlief ein,
so munter auch das Wasser auf den Brettern, die mein Bett bildeten,
hinabrieselte und in meinen Stiefeln zusammensickerte. Meine armen
Leute froren in ihren dünnen Baumwollsachen und versuchten ver-
geblich, sich durch den in Lima gekauften Schnaps warm zu halten.
Sie freuten sich, als sie am frühen Morgen beim Feuer auf einer un-
geheuer grossen Sandbank ihre Sachen trocknen und den geliebten
Mate schlürfen konnten. Ich goss das Wasser aus den Stiefeln aus
und befand mich so w^olil wie sonst — Dank Professor Jäger in Stuttgart
und seinem Wollbekleidungssystera. glaube ich sagen zu dürfen.
Mit meinen beiden Schilfern Francisco und Rosario war ich
recht zufrieden, sie verrichteten ihre Arbeit unverdrossen und waren
jederzeit dienstbereit. Allerdings sah besonders der eine wenig ver-
trauenerweckend aus, und wäre es im Anfang meiner Reise gewesen,
so hätte ich mich wohl bedacht, ehe ich mich ihm anvertraute. Er
eraählte auch unerquickliche Sachen aus seiner Vergangenheit, z. B.
') Du Graty (S. 349) sagt, die Yacares würden bis 25 Fuss lang, was mir kaum
glaublich erscheint. Im Paraguay oberhalb Asuncion, namentlich bei den Sümpfen
Bülivias, soll das Thier sehr häufig sein.
153
dass er nach dem Kriege in den unruhigen Zeiten Asuncions dort
Polizist gewesen sei, und dass damals die Polizisten nicht selten auf
Befehl Nachts Morde hätten ausüben müssen. Als mein Begleiter
ihn nun fragte, ob er denn auch einen Menschen erstochen habe, er-
widerte er ganz trocken »Was geht Sie das an?« Anfangs war es
mir ohne Revolver — ich hatte meinen Don Carlos geschenkt — etwas
unheimlich, aber ich gewöhnte mich an den finstern Burschen, Die
Leute waren beide aus den Misiones zu Hause und hatten dieselben
noch vor dem Kriege gekannt; das Gebiet war nach ihren Erzählungen
damals ausserordentlich dicht bewohnt, der Viehreichthum bedeutend,
Nahrungsmittel aller Art im Ueberfluss vorhanden und billig.
Die Weiterfahrt ging ziemlich langsam von statten, da die Leute
müde waren, der Fluss nur schwache Strömung hatte und ein leichter
Sädsüdostwind uns zum Theil aufliielt. Der Fluss war nun völliger
Tieflandfluss, der Wald an den Ufern hörte ganz auf, ungemessene
^%lening umgab uns, ein weites Ueberschwemmungsgebiet für Hoch-
wasser, einzelne Waldinseln unterbrachen dieses AVeideland, will-
kommene Schlupfwinkel für die Jaguare, an denen solche Landschaften
besonders reich sind. Auch einzelne Bäume und kleine Baumgruppen
Qöterbrachen den Kamp, darunter stellenweise zahlreich der imposante
L-^pacho. Das Flussbett war nun meist 30 und mehr Meter breit und
bildete theils gleich massige Kurven, theils ging es lange Strecken
o^i'ade aus. Inseln waren nicht selten. In den Krümmungen war
öl>erall das konkave Ufer durch theilweise ungeheuer grosse Sandbänke
^^ligenommen, während das konvexe ein angenagtes Ufer (harranca)
^^igte. Das Fahrwasser hält sich natürlich immer am konvexen Ufer,
^}^ Schiffahrt ist daher stellenweise sehr schwierig, da beim Hinüber-
fahren von einer Seite zur andern oft flache Stellen zu passiren sind.
I^ie Tiefe des Fahrwassers schwankte zwischen Vk und 2*/a m. Unter
^er Thierwelt wurden jetzt die Vögel des Tieflandes, insbesondere
'^telzvögel, Reiherarten, häufig; einen derselben, mittlerer Grösse,
*^^co genannt, grau mit langen rothbraunen Federn am Halse, erlegte
^H, da die Leute meinten, er sei voi*züglicli zum Essen. Ich war
*^ gläubig und konnte auch Abends — obgleich durchaus kein Kost-
''"^vächter — von dem Eeis, mit welchem er gekocht war, nicht einen
pissen herunterbringen; so etwas ist nur für eine halbindianische
-^UBge. Sehr häufig war ferner ein kleiner, fast schnepfenartiger Vogel,
^^ri die Leute comisario nannten; er hockte meist regungslos auf
f-^ocknen Aesten und Bäumen am Wasserrande, den Schnabel schräg
^^^ die Luft gestreckt: mirasol, Sonnengucker, ist daher sein landes-
üblicher spanischer Name. Ab und m sahen wir immer kleine Yacares,
154
die unsere Fahrt wenig störten ; auch eine Otter schlüpfte bisweilen
von einem gestürzten dürren Baum ins Wasser. An Fröschen und
ähnlichem Gethier schien in den Sümpfen Ueberfluss vorhanden zu sein.
Schon ganz früh hatten wir die Mündung des A guaray-mi passirt,
welcher ziemlich wasserarm ist und nur bei Hochwasser von Chatas
befahren werden kann. Einige Stunden darauf erreichten wir den
Cuna Paso (Mädchenübergang), der nur von einigen Ansiedlern des
nahen Waldrandes benutzt wird; dann bald den Paso Tupi, wo der
vom Panadero kommende Weg wieder auf das rechte Flussufer über-
geht. Bis dort drang 1869 das brasilianische Kanonenboot vor. Nach-
mittags trafen wir die erste flussaufwärts bestimmte Chata, am linken
Ufer rastend. Nach der auf diesen Gewässern herrschenden Sitte rief
der Führer uns an und fragte, ob wir etwas brauchten ; gern nahmen
die Leute etwas Wein, Schnaps und Zigarren an, ohne Bezahlung,
da die aufwärts gehenden Schiffei' immer mit allem reichlich versehen
sind und darauf rechnen, dass ihnen gelegentlich G leiches mit Gleichem
vergolten wird.
Am Nachmittag liefen wir in den mächtigeren Jejuf ein. Nur
eine flache Halbinsel trennt die Flüsse an jener Stelle und die um-
gebende Landschaft ist auch weithin flach, zum Theil sumpfig; links
sieht man in einiger Fntfernung vor sich einen grossen Wald, der
sich gegen Santanf hinziehen soll und an dessen Rande einige An-
siedler wohnen. Der Fluss hatte an der Vereinigungsstelle eine Breite
von wohl 120 m, weiter abwärts betrug sie meist etwa 70 w, oft viel
mehr; doch blieb das Fahrwasser schmal, und an einer ausserordent-
lich breiten Stelle gerieth sogar unsere flachgehende Canoa auf den
Grund, schnell hatten die Leute die Hosen aus, sprangen ins Wasser
und schoben uns in den »Kanal«. Abends rasteten wir auf einer Ufer-
sandbank von wahrhaft enormer Ausdehnung, woselbst ich eine eigen-
thümliche Grasart beobachtete, deren Stauden nach allen Seiten bis
zwanzig Schritt lange Ausläufer entsenden, welche den Sand festigen.
Abends passirten wir noch den Paso Co quer 6, welchen gewöhnlich
die von Süden kommenden, nach San Pedro und Concepcion bestimmten
Viehheerden benutzen; dann Hessen wir uns die ganze Nacht flussab-
wärts treiben.
Die Sonne war noch nicht heraus, als wir am andern Morgen bei
trübfeuchtem Wetter San Pedro erreichten. Ein etwa 6 w hohes
Steilufer unterbrach rechts die sonst weithin sumpfige Gegend, darauf
lagen theils in Gruppen, theils zerstreut vielleicht zwei bis drei Dutzend
kleiner Häuser, der sogenannte » Hafen t von San Pedro. Ich ging zur
»Capitania« und löste für 5 Realen einen Erlaubnissschein, der mich
155
berechtigte, mit meinem »Schiffet ein- und auszulaufen und ging dann
mit dem einen Schiifer zu der eine halbe Stunde Wegs entfernten
Stadt, um einige Lebensmittel zu kaufen. Der sandige Weg ging
durch allmählich etwas ansteigendes Land und bald sahen wir den
aemlich ausgedehnten Ort vor uns. San Pedro liegt auf einem nicht
grossen Gebiet rother Erde, etwa 25 m über dem Flussspiegel beim
Hafen, mehrere Leguas vom Paraguay entfernt. Geht man vom Ort
aus westlich durch das mit Caranday-Palmen bestandene Tiefland, so
erreicht man den Paraguay bei dem sogenannten Potrero Ponä, wo
die zwischen Asuncion und Concepcion resp. auch Matto Grosso ver-
kehrenden Dampfer anlegen; fährt man den Jejui bis zur Mündung
hinab, so erreicht man eine zweite Dampferstation, Barranquerita
genannt, welche auch zu San Pedro gehört. Die Stadt besteht aus
mehreren langen, mit Gras bewachsenen Strassen und einem ebenfalls
begrünten Platz mit verfallender Kirche und kleiner Markthalle; die
Häuser sind fast ausnahmslos massiv gebaut und mit Dachpfannen
gedeckt. Von Handel und Wandel kann in San Pedro kaum die Rede
sein, es ist eine todte Stadt, die auch wenig Aussichten hat sich zu
heben. Der Marktverkehr ist gering, der Fluss liegt entfernt, die
Eingeborenen haben keine Bedürfnisse. In der Markthalle rissen die
Alten hässlichen Weiber mich fast auseinander, um mir eine halbe
Ari'übe Fleisch und sonst einige Kleinigkeiten zu verkaufen, die häss-
Jichste versuchte sogar, mich durch angebliche Bekanntschaft von
-asuncion her zu locken; die wenigen Leute, welche ich sprach, klagten
"l^er Geschäftslosigkeit, eine europäische Bäckerei hatte sich nicht
'^^Iten können, der Compagnon des Don Carlos, welchen ich besuchte,
'**tte das Geschäft geschlossen, da nichts verkauft wurde. Männer
^h man wenige am Ort, alles war nach den Yerbales gezogen. Im
^^gensatz zu San Pedro ist das nördlicher und unmittelbar am
Paraguay gelegene Concepcion im Aufblühen begriffen, namentlich
^ttvch den Verkehr mit Matto Grosso.
Unten am Hafen lagen Nachmittags drei Lastkähne^ daninter
^^i* erste, welcher in diesem Jahre mit Yerba Aussah wärts kam;
^'^Siserdem war dort ein Indianerboot angetrieben, aus einem einzigen
Titjaböstamme gearbeitet, etwa 10 m lang und 1 m breit. Der Timbö,
^|ne Leguminose {Paulinia Timho)^ erreicht ausserordentliche Dimen-
sionen und wird zum Herstellen solcher Canoas fast ausschliesslich
^'^r wendet, da sein Holz leicht aber docli dabei fest ist und keine
Baisse bekommt. Zum ersten Mal sah ich am Hafen einen auf einem
Ochsen reitenden Mann; das Thier wurde vermittelst eines durch die
^^?e gezogenen Ringes gelenkt Die Sitte, Ochsen zu reiten, ist in
i
15(5
Matto Grosso ziemlich verbreitet, da sich das Land zur Aufzucht und
Haltung von Pferden wahrscheinlich noch weniger eignet, wie der
nördliche Theil von Paraguay. Der Wasserstand im Jejui wurde mir
noch als niedrig bezeichnet; bisweilen soll der Pluss noch um zwei
Meter steigen.
Meine Leute hatten nur Auftrag, mich bis San Pedro zu bringen,
da es aber sehr unbequem gewesen wäre, mit Pferden Potrero Ponä
zu erreichen, zumal ich einen Theil meines Sattelzeugs im Panadero
gelassen hatte, und da die Leute am Hafen für eine Bootfahrt unver-
schämte Forderungen stellten, tiberredete ich meine beiden Schiffer,
gegen besondere Bezahlung noch nach Ban^anquerita zu fahren. Am
Nachmittag brachen wir auf, obgleich erst am folgenden Tage der
Dampfer flussabwärts vorbeikommen sollte. Der Fluss war nun von
ansehnlicher Breite, meist mehrere hundert Meter, und floss fest nur
zwischen Sumpfland dahin; nur an einigen Stellen verengerte er sich
zwischen steileren bewaldeten Ufern auf 40 bis 50 w und war dort
von beträchtlicher Tiefe; eine sechs Meter lange Stange erreichte
nicht den Grund. Diese ganze unterste Strecke des Flusses kann
bei guter Kenntniss des Fahrwassers sehr wohl mit kleinen Dampfern
befahren werden, doch geschielit dieses zur Zeit nicht, da das Bedürf-
niss zu gering ist. Am Ufer bemerkte ich an mehreren Stellen einen
sehr seltenen Baum, Carandä genannt, der ein schweres, bräunlich-
scliwarzes, schön geädertes Holz liefert, das von den Indianern im
Chaco und in Matto Grosso namentlich zu Lanzenschäften verwendet
wird. An andern Stellen fanden wir eine Pacurfart, von deren
Früchten ein kleiner Vorrath mitgenommen wurde.
Der Abend auf der breiten Wasserfläche war eigenthümlich:
gerade in der Richtung des Flusses ging feuiig die Sonne unter, ein
strahlendes Abendroth blieb zurück, tief in die beginnende Nacht
hinein verlängert, wie so oft in jenen Monaten; die laue Luft war
unbewegt, aus den weiten Sümpfen ertönten die Stimmen von Tausen-
den von Fröschen und Insekten, ungezählte Schaaren von Wasser-
vögeln aller Art sassen auf den breiten Sandufern und flogen Wolken
gleich auf, wenn ein aus der Ferne abgegebener Schuss sie scheuchte;
Moskitensch wärme stürzten sich auf uns, sobald wir dem Ufer zu
nahe kamen: Fische scliuellten häufig ans dem Wasser, Fischottern
kamen Luft scliöpfend empor; in der Ferne hörten wir wiederholt
das dumpfe knurrende Brüllen des Jaguars, dessen unbestrittenes
Revier diese gewiss noch nie von des Menschen Fuss betretenen
Ufersümpfe sind; es war das Paraguay ^wie es im Buche steht«.
Schon nahe dem Paraguay theilt sich der Jejui iu einen kürzereu
iri7
recliten und einen längeren linken Aim: das flaclie Sumpf land, welches
beide scheidet, wird aber bei grossem Hochwasser ganz überschwemmt.
Hat der Paraguay Hochwasser während der Jejuf auf mittlerem oder
niedrigem Stande verbleibt, so tritt das Paraguay wasser in den
unteren Jejul ein und staut dessen Fluthen. Der rechte Arm des
Jejui ist wasserreicher und wird von den Chatas ausschliesslich be-
nutzt; uns brachte der flache linke schneller in den gewaltigen
Paraguay hinaus, dessen vom ersten Mondviertel bestrahlte Fläche
wir freudig begiüssten. Noch eine kurze Strecke am linken Ufer
entlang, und wir Hessen unser Boot am Fusse der Bairanquerita,
eines ziemlich ausgedehnten, vielleicht acht Meter hohen Steilufers,
anlaufen. Nur einen langen, gänzlich leeren Schuppen fanden wir
oben und etwas weiter eine kleine Hütte mit daneben stehender Küche.
Ein einzelner junger BrasiHaner wohnte dort, die gesammte Be-
völkerung der Station Barranquerita darstellend. Er hatte sich in
der kleinen Hütte fest eingeschlossen und daselbst unter seinem
Mosquitero geschlafen; beide Massregeln nicht übei-flüssig, denn Mos-
titen giebt es dort in wahrhaften Schwärmen und beim Schlafen
Quvorsichtig zu sein hat man auch keinen Grund, da an beiden nahen
Waldrändern der Jaguar ein ganz gev^öhnHcher Gast ist. Unten bei
^^T Hütte lag eine zerbrochene Chata im Wasser; auf deren Deck
versuchte ich zu schlafen, aber die kleinen Blutsauger Hessen mich
^^öig Ruhe finden. Auch erfrischte mich das Bad am andern Morgen
^euig, denn 28,» "C. Wasserwärme vertragen sich nicht mehr recht
"*^t dem Begriff der Ei'frischung! Dazu die ungemein zudringlichen
^'^inen Fische. Zum Glück verschonte mich unter denselben die
P^lometa, ein gefürchteter kleiner Fisch, der Badenden oft böse
Kunden verursachen soll, über dessen Wesen ich aber nichts Näheres
erfahren konnte ')• Oberhalb Concepcion soll er besonders häufig vor-
kommen.
Werfen wir nun noch einen letzten vergleichenden Blick auf die
Karten, besonders um des Grenzgebiets und des Aguaray w-illen. Bei
Azara ist die beim grossen Fall des Paranä beginnende Wasserscheide
zu weit nach Westen verlängert, wodurch ihr nach Norden gericliteter
Theil zu nahe an den Paraguay heranrückt, den Lauf des Aguaray ver-
kürzend. Azara lässt den Aguaray aus Aguaray-guazu und Aguaray-
^W '^) entstehen und giebt ihm einen unbenannten rechten Neben-
*) Du Graty, a. a. (J. S. 351, sagt, dils^ er der Seezunge ahnlich sei, was aber
^"Wahrscheinlich ist, da die Seitenschwinimer doch nur im Meere vorkommen.
'; Klein heisst- im Guarani w/, ;//////, m/r/.- sf)gar viichi findet sich.
158
fluss. Letzterer entspricht der Lage nacli dem wirklichen Aguaray-
mi, während der Quellfluss Aguaray-mi, den er zeichnet, nur der
Puendy (Arroyo Guazü) sein könnte, der aber in Wirklichkeit nicht,
wie bei Azara, oberhalb des Falles mündet. San Pedro (im Guarani
Ycuä-mandiyü, d. h. BaumwoUenstaudenquelle) liegt bei Azara zu
weit flussaufwärts, es müsste wohl in der letzten starken Biegung
des Flusses liegen, denn in einer solchen umzieht der Fluss die
Stadt. Rengger, Page, Du Graty und Schneider haben sich
im Wesentlichen an Azara angeschlossen, doch leitet Page den Untei^
lauf des Jejuf von der Mündung des Aguaray an auffallend stark nach
Südwesten, Du Graty hat die Lage der Wasserscheide ein wenig be-
richtigt, Schneider hat der Flusszeichnung einen Schein von Genauig-
keit gegeben, nennt den bei den andern unbenannten rechten Neben-
fluss fälschlich Rio Verde und hat den Namen Panadero quer über
den Fluss weggeschrieben, während der so benannte Kamp links vom
Flusse liegt. Bei den beiden letzteren Zeichnern ist ausserdem die
Quelle des Aguaray deutlich an den Fuss der Hauptwasserscheide
gelegt, während er gerade auf deren breitem Rücken entspiingt
Wisners Zeichnung ist selbständig, aber sehr fehlerhaft. Die Wege
auf der Wasserscheide sind ganz falsch, die dort zu überschreitenden
Flüsse fehlen, die Gebirgszeichnung ist nach Bedürfniss hergestellt,
die Quelle des Aguara^, welche ganz nahe der des Igatimi liegen
soll, ist weit nach Süden verschoben, die oberhalb des Falles sich
vereinigenden drei Quellbäche sind nur Phantasie, die Höhe des Falls -
des Aguaray ist nach Azara mit 384 Pariser Fuss angegeben, ob-
gleich wer diese Gegend bereist hat auf Grund ihrer Bodenbeschaffen- -
lieit das Vorhandensein eines so hohen Falles bezweifeln wird, dei —
Panadero ist viel zu gross gezeichnet, der Weg nach Igatimf (Pikad^
des Lopez) geht über einen Kampstreifen statt durch Wald, der We,
vom Campamento Lopez nach Osten (Wisner zog ihn mit Lopez)
gänzlich fehlerhaft, da er sich ganz südlich vom Aguaray hält, währen
er ilin in Wirklichkeit zweimal überschreitet (s. S. 110 ff), der Ri'
Ypytä, welcher unterhalb des Panadero rechts in den Aguaray fäll
existirt dort nicht, er ist vielmehr ein Nebenfluss des in den Ricn:
Verde fliessenden Rio Empalado und wird vom Wege nicht über — ■
schritten; rechts vom Rio Aguaray ist auf den Kamp Cambarica ge — -
schrieben; das soll Cambacivä heissen und bezeichnet gerade einer -
Wald und die ihn schneidende Picade. Weiter unterhalb beruh
der Weg Lima, während thatsächlich die Ortschaft weit rechts liege
bleibt, aucli überschreitet er den Aguaray unterhalb Lima in dear
nur wenig benutzten Paso de Estrella, statt im Paso Tupf; di
159
Schlinge, in welcher der Fluss San Pedro umfliesst *), ist nicht zur
Darstellung gebracht. Wie in den andern Theilen der Karte, scheint
die Wisnersche Zeichnung auch hier detaillirt, ohne es zu sein ; wäre
sie es, so müsste der Aguaray ungefähr so aussehen, wie der untere
Tebicuary bei Johns ton. Letzterer hat den Aguaray im ganzen
richtig, namentlich in Bezug auf die allgemeine Lage des Oberlaufs;
doch hat er von Wisner den Rio Ypytä (ohne Namen) und die über-
mässige Ausdehnung des Panadero aufgenommen und hat den Aguaray
oberhalb des Falls mit vielen kleinen Nebenflüssen links ausgestattet,
während ihm gerade von rechts dort zahlreiche Bäche zukommen.
Der Verlauf der Wasserscheide ist im ganzen richtig. Die linke
Seite des Aguara^^ unterhalb des Falles ist auf allen Karten ohne
Nebenflüsse; wenigstens der Puendy verdiente dort eingetragen zu
werden^).
Nun zurück nach Barranquerita, das ich am andern Morgen
näher in Augenschein nahm. Vor dem Kriege war dort ein Wacht-
posten {guardia)^ und jedenfalls aus dieser Zeit stammt noch der ge-
räumige Schuppen, der jetzt bisweilen zum Lagern von Waaren, die
Wer umgeladen werden sollen, benutzt wird; aus der Zeit, wo Lopez-
*) Vgl. Du Graty, a. a. O. S. 167.
') Nachträglich habe ich noch die Karten 5, 6, 7, 18 und 30 in M. de Moussy,
^scription gcographiquc et statistique de la Confederation Argenane (Paris 1873, Firmin
l^idot) verglichen, in welchem Werk ich keine Karten von Paraguay vermuthet hatte.
Diese Blätter weichen sehr von einander ab und enthalten viele P'ehler und, wie es scheint,
»' ^Hkärlichkeiten. U. a. fehlt die Lagune Ypacaray ganz , der I^auf des Tebicuary ist
*™<iers als auf allen andern von mir bisher erwähnten Karten gezeichnet, die Darstellung
"tr Gebirge, namentlich der Cordillera und Cordillcrita , ist gänzlich irrig. Der Jcjui ist
auf Blatt 6 z. B. ganz merkwürdig dargestellt, indem da, wo der Capivari nach Norden
niesst , westliche Wasserläufe zum Tapinacuay führen , der dem Curuguaty etwa ent-
sprechende Flusslauf Rio Corrientes, der dem Paray entsprechende Jcjui-mi (dafür steht
Jesuy-nu)^ der dem Rio Corrientes und unteren Capivari ungefähr entsprechende Kluss-
«ttf Jejui-guazü benannt ist u. s. w. Auch ist die Strecke unterhalb der Einmündung
'*« Aguaray-guazü viel zu lang. — Desgleichen konnte ich auch E. Mouchcz, Carte
^ Ar Republique du Paraguay, Depot des Cartes et Plans de la Marine 1862 (No. 1962)
^'st nachträglich vergleichen. Auf ihr ist der Südwesten des Landes, namentlich die
^^nd um Asuncion und Paraguary gut dargestellt , alles aber , was an meinem Wege
J*^ts Villa Rica liegt, ist ungemein fehlerhaft und dabei von fast allen andern Karten
^^'feichend, insbesondere das System des Jejui; fast alle Wasserläufe haben dort falsche
^c, und die Namen sind verworren ; der Aguaray mündet viel zu weit östlich , Lima
"*ßt rechts von ihm unterhalb der Mündung des Aguaray-mi u. s. w. Die Geliirge des
^tens sind fälschlich als scharf markirte Ketten gezeichnet , den Verbales ist eine viel zu
8*'*^e Ausdehnung gegeben u, s. vv. Auch diese Karte hat einen unberechtigten Schein
*o» Genauigkeit.
160
seile Soldaten hier den Fliiss bewachten — man hat einen weiten
Blick auf- und abwärts stammen auch die Orangenbäume, welche
der kleinen Ansiedlung des Brasilianers Schutz gewährten; ausser
ihnen und einigen wenigen Zucken-ohrpflanzen sah man nichts von
Menschenhand Gepflanztes dort am Ufer. Die Hütte des Einsamen
war aus Stämmen der Carandaypalme, Bambusrohr, Stroh und
schwaraer Erde erbaut. Die Carandaypalme, eine Fächerpalme,
welche als schwarze, rothe und weisse unterschieden wiitl, kommt
hier und weiter nöidlich an den Ufern des Paraguay, besonders am
linken, in grossen Mengen vor; die sogenannte schwarze (Caranday-
hü; Copernicia ctnfvra) wird viel benutzt und sogar ausgeführt, da
ihr Stamm, unähnlich dem anderer Palmen, ein schweres und ausser-
ordentlich dauerhaftes Bauholz bildet. Der Brasilianer ist von einem
portugiesischen Kaufmann dorthin gesetzt und betreibt für dessen
Rechnung etwas Tauschhandel mit den Indianern des gegenüber-
liegenden Chaco. Dieselben kommen ab und zu an das jenseitige
Ufer und winken ihn hinüber; er fährt auf seiner Canoa mit einigen
Waaren zu ihnen und ersteht im Tausch gegen Messer, Taschen-
tücher, Reis, Mais und dergl. Häute, namentlich Hirschliäute. Jaguar-
feile und ähnliche in Asuncion und Buenos-Aires gesuchte Waare
bringen sie selten , da sie fast nur die Thiere jagen , deren Fleisch
sie essen können; haben sie aber einmal ein .Faguarfell, so verkaufen
sie es auch billig; in Asuncion dagegen fordert man dann unver- -
schämte Preise. Der Brasilianer meinte, dass es bei den Chaco- -
indianern mehr Frauen als Männer gäbe und dass jene auch jagen-^
müssten. Bei einer seiner letzten Zusammenkünfte mit den Wildei
hatte er ihnen mehrere Bogen und Pfeile abgetauscht, die er mir zur
Beförderung an Herrn v. Gülich, einen der Leipziger Experten, mit-
gab, der vor einigen Monaten auch dort gewesen war; ein Deutschei
musste doch den andern kennen!
Am Morgen nach meiner Ankunft traten die beiden Schiffei
ihre Rückreise an, mit einigen schönen Goldpfunden in der Tasche^
die sie wohl in San Pedro verjubelt haben werden. In gltihendei
Sonnenhitze, von grossen, grünlich schimmernden Fliegen unglaublich^
belästigt, wartete ich den ganzen Tag in Barranquerita. Der Flus^==
bot wenig Abwechslung, ein einziges Lastschiff fuhr flussabwart^=^
vorüber, ein Portugiese kam im Boot von San Pedro mit Briefenns
das Wasser war im Steigen, denn unaufliörlich trieben abgerissene^^
Stücke sumpfigen Uferlandes vorbei, oft zehn oder fünfzehn zugleich::^
die Wasserfläche war regungslos, selten schnellte hier und da ein*-
Fisch empor oder tauchte der runde Kopf einer Otter aiuf. Abend^^
161
endlich erschien im Norden eine Feuersäiile, der Dampfer »Maria
Elena« nahte, das Boot des Portugiesen trug uns ihm bis in die
Mitte des Stromes entgegen und wir betraten weder den Boden der
Zivilisation. Meinem Begleiter, dem es da draussen in den Wäldern
nicht so recht gefallen hatte, und der oft genug gesagt hatte »ich
glaube noch nicht, dass ich wieder gesund nach Paraguary komme«,
hat gewiss selten eine Mahlzeit so geschmeckt, wie das Abendessen
an Bord des Dampfers.
13. Schluss der Reise.
Mit der Sonne erhob ich mich am nächsten Tage (7. Februar)
von meinem Lager auf Deck, um die Fahrt auf dem majestätischen
Strome noch recht zu gemessen. Wir legten noch bei Villa Hayes,
der entstehenden Kolonie am rechten Stromufer an , Hessen links die
Ausläufer der Cordillere liegen, fuhren an mehreren Inseln vorbei,
sahen mitten im Strome, nahe der Spitze einer Insel, Reste eines
Dampfers, der wahi-scheinlich zur Kriegszeit dort gesunken war, und
erblickten dann, schon aus grosser Entfernung, die Hauptstadt, die
sich von dieser Seite auf dem durch den Abfall des Hochlandes ge-
bildeten Hintergrunde wahrhaft imposant ausnimmt. Bald fiel der
Anker im Hafen von Asuncion! Ich landete und liess meine Sachen
in einem von drei Maulthieren gezogenen Karren vor das Haus
schaffen, wo früher das deutsche Hotel war, als ich aber eintrat,
^h ich in wohlgeordneten Reihen — Schulknaben vor mir sitzen;
der Deutsche war unter Hinterlassung etwas verworrener Verhält-
nisse nach Argentinien gegangen, wo er die Direktion einer Kolonie
Eingenommen haben soll. Das war einer von den vielen Beweisen
fär die geringe Stabilität aller Verhältnisse in Paraguay.
Die wenigen Tage, die ich in Asuncion verweilte, brachte ich
^it dem Lesen und Schreiben von Briefen, dem Besorgen von allerlei
Geschäften und mit kleinen Ausflügen zu. Von letzteren ist mir
i^entlich der nach der Laguna in Erinnerung, wo ich die Victoria
^^^gtrdina einmal aus der Nähe betrachten wollte. In Begleitung
deines liebenswürdigen französischen Gastwirths, des jungen deutschen
Arztes und eines deutschen Kolonisten von San Bernardino ging ich
^ Hafen; das Segelboot eines Italieners führte uns hinaus auf den
^iten Flussspiegel und dann am Fusse der Stadt entlang zu unserm
Sele. Der Abend war prachtvoll, die sinkende Sonne bestrahlte die
^then Felsen der Barranca und die kleinen Hütten oben am Rande
derselben, auf dem rasigen Vorlande und im Wasser tummelten sich
^Mreiche Badende und Badelustige, Pferde wurden zum Wasser
11
162
geritten; mit schwach bewegten Flaggen lagen die Schiffe im Ha
sanft klang vom Lande das Vesperläuten herüber, später die Mi
der Militärkapelle. Mit Mühe brachte unser Bootsmann das Fahrz
bis zu der gesuchten Stelle, wo die riesigen Blätter der Victoria w
hin das Wasser bedeckten. Dieselben haben bis 2 m im Durchmej
und einen handhohen senkrechten Rand, w^elcher aussen mit Stacl
besetzt ist. Die Blattnerven sind auf der unteren Fläche des Bla
hervortretend zu einer Art Balkenwerk ausgebildet, wodurch das B
eine so grosse Tragkraft bekommt, dass man einen Knaben hinj
stellen kann. Blüthen waren leider keine offen, doch fanden wir e
Fülle bis 40 cm im Umfang haltender Knospen, deren Kelchbläi
und Stengel ebenfalls dicht mit Stacheln besetzt waren. Ich na
eine mit und wollte versuchen, sie, nachdem sie sich über Nacht li
geöffnet hatte, mit weissem Wachs zu überziehen und sie so mit
nehmen: doch war kein weisses Wachs aufzutreiben.
Am 10. in aller Frühe sass ich schon wieder in einem der w(
bekannten Eisenbahnwagen und fuhr mit mehreren andern Deutscl
hinaus, um bei Patiüo-cu6 einer Auktion beizuwohnen, die Mr. Hopki
der im Buche des Herrn Mevert oft genannte Nordamerikaner, welc
seit Jahrzehnten in Paraguay ansässig war, veranstaltete, um sei
Familienverhältnisse wegen nach Nordamerika zurückzukehren.
Areguä hielt der Zug so lange, dass ich bequem die dort befindlii
grossartige und mit den neuesten Maschinen ausgestattete Ziegelfab
des Engländers Fogg hätte besichtigen können, doch zauderte d
selbe, uns — ich war in Begleitung des deutschen Vicekonsuls He
Mangels — hineinzuführen. Wie ich nachher erfuhr, fürchtete
ich wollte nur die Maschinen und die Anlage sehen, um ihm d^
später Konkurrenz zu machen! Das war drollig.
Etwas hinter Patiüo-cu6 hielt der Zug, um die Gäste des He
Hopkins — denn als solche betrachtet man dort die Besucher ei:
Auktion auf dem Lande — abzusetzen. Der alte Herr geleitete i
selbst hinauf zu seinem stattlichen Wohnhause, das, auf der Abdacht
des Hochlandes gelegen, einen herrlichen Blick auf den See und
Cordillere gewährt. Das zugehörige Land reicht unten vom See
hinauf in die bewaldete Höhe und ist zum Theil Weideland, z
Theil mit Wald bestanden und zum kleinen Theil bestellt. So
stechend die Lage, so wenig werth schien mir der sandige und stein
Boden zu sein. Ausser mit dem Anbau der zum Leben nöthigen P
dukte, wie Mais und Maniok, und mit etwas Viehzucht, hatte (
Amerikaner sich mit der Pflege von Kaffee, Ananas und Wein \
schäftigt, doch noch nicht mit grossen Erfolgen ; sein Leben in Paragii
163
war auch ein wechselvolles und ruheloses gewesen. Der eigentlichen
Auktion ging ein reichliches Frühstück voran, das die Käufer erst
in die i-echte Stimmung versetzen sollte; ich kam als es fast beendet
war, da ich mir den von Herrn Mevert (S. 107) so poetisch geschilderten
Badeplatz des Henn Hopkins aufgesucht hatte, um mich bei der grossen
Hitze etwas zu erfrischen. Den erwarteten grossartigen Eindruck
machte jenes Wasserbecken auf mich nicht, mag sein, dass die Trocken-
keit der Jahreszeit die Hauptschuld daran trug. Nacli dem Frühstück
fing der überaus redegewandte portugiesische Auktionator sein Werk
an; für Vieh und Wirthschaftsgegenstände erzielte er gute, für Gegen-
stände europäischer oder nordamerikanischer Industrie zum Theil lächer-
lich hohe Preise; das Grundstück konnte zu dem festgesetzten Mindest-
gebot von 1500 Patacon (6000 Mark) nicht verkauft werden. Manche
der Szenen bei der Auktion waren von wirklich ckarakteristischer
Komik, so erstand z. B. der Bibliothekar der ännlichen Stadtbibliothek
von Asuncion, in der man die bekanntesten Werke über Paraguay ver-
geblich sucht, für hohen Preis einen Atlas vom Jahre 1857, der haupt-
sächUch die Einzelstaaten der nordamerikanischen Union zur Dar-
stellung bringt.
Ich fuhr am nächsten Tage weiter nach Paraguar^, um daselbst
ttnter Führung eines kundigen Reisebegleiters einige kleine Einkäufe
^n lebenden Thieren und Produkten paraguayscher Industrie zu machen.
Zu allerlei industrieller Thätigkeit haben die Paraguayer giosses
Greschick, namentlich fertigen die Frauen feine Stickereien, die den
tarnen Iffandü-ti, Spinngewebe, führen. Unter den Männern findet
^nan geschickte Gold- und Silberschmiede, die jedoch mit Ausnahme
Von Ringen und verzierten Mates und Bombillas fast nur Schmuck
^ller Art für Reiter und Reitzeug liefern: Sattel- und Zaurazeugver-
zierungen, Bügel, Sporen, Peitschen u. s. w. Nach Besorgung dieser
Angelegenheiten kaufte ich mir ein billiges Pferd und machte mich
*ni 13. zu einem zweiten Besuch der Kolonie auf. Bei starker Hitze
^ ich den Bahndamm entlang bis Tacuaräl und dann auf dem mir
^on bekannten Wege gegen Altos hin. Das ganze Thal war jetzt
*^ken bis auf eine lange und zum Theil mit Pflanzen überwucherte
I^gune; der Pirayü war zu einem schmalen Wasserfaden zusamraen-
fttrocknet. Der Ritt den Abhang der Cordillere hinauf, der Blick
^^ oben auf den See übte von neuem seinen Zauber auf mich aus,
^d der sinkende Abend sah mich wieder unter den mächtigen Orangen-
j*»inen bei dem Hause des Oberösterreichers. Die zwei Tage, welche
^ anf der Kolonie zubrachte, benutzte ich besonders, um die Kolonisten
*^*ntöuchen, welche mit mir gleichzeitig ins Land gekommen waren,
164
nach ihrem Wohlergehen zu selieu und ilire Urtheile zu hör-
mir besonders werthvoU sein mussten.
Meine Kenntniss in Paraguay wildwachsender Flüchte war
meinen Gastfreund vermehrt, indem er für mich eine Aratici
aufbewahit hatte, die Frucht einer kleiner Staude; sie ist etwf
gross, von grüner Farbe, mit Stacheln besetzt, das Fleisch ist
lieh, sondert sich streifig ab, umschliesst \iele ovale braune
und schmeckt äusserst gewtirzig, an Erdbeere und Ananas eri;
es ist ungemein sättigend.
Die Tage, welche ich auf der Kolonie zubrachte, waren ui
heiss, der 14. Februar, mit 34,a<»C. (27, 4 «R.) im Schatten
mittags zwischen 3 und 4 Uhr) war der heisseste Tag. den
Paraguay überhaupt erlebte. Am 15. machte sich die Hitze
starken Gewittern Luft, die mich fast verhindert hätten, rec
zum Antritt der Rückreise nach Asuncion zu kommen, denn v
eines Gewittersturmes kann man natürlich nicht über die Lagune
Unter mancherlei Geschäften und Besuchen vergingen nocl
Tage in Asuncion, dann, am 20. Februar in der Frühe, schi
mich auf dem »Rio Paranä«, einem schönen Dampfer des Argen ti
Lloyd, zur Heimreise ein, mit mir zwei paraguaymüde Deutsc
dritter Deutscher, der Paraguay mit der festen Absicht verlies
hin zurückzukehren, und ein von gleicher Idee beseelter jungt
länder. Sonst war an Bord reges Leben und Gelegenheit
obachtungen aller Art, an Menschen und auch an Thieren , dei
wahre kleine Menagerie befand sich an Bord; da sah man eine
von Papageien verschiedener Art, ferner Tukane, Elstern, S
einen jungen Strauss, Waldhühner, Affen, Cuatis (Viverra
Hirsche, Hunde, ein Pekari u. s. w. Einige der Schiffsmannschaft, r
lieh der chinesische Koch, schienen ein Geschäft aus dem Tr
lebender Vögel zu machen. Auf den Schiften ist man dort in
auf Mitnahme von Gepäck sehr liberal; jeder kann so viel mitn
als ihm beliebt, nur dürfen es keine Waarenballen und Aeli
sein. Während der Flussfahrt ging ich nur in Rosario an
wo die beiden Paraguaymüden zunächst ihr Heil versuchen \
Die Stadt scheint emporzublühen und ein reges geschäftliches
zu haben, zeigte sich aber sonst von ungünstiger Seite, ind
heftiger Wind, der Vorbote eines nachher losbrechenden Ge^
Staubsäulen durch die Strassen wirbelte. Schon am 24. Von
erreichten wir Buenos Aires, das sich diesmal von einer eige
liehen Seite zeigte: es war Carneval, überall liefen Masken f
Strassen herum, man wurde nach einer lästigen Sitte aus den
165
ihüi'en und von den Fenstern aus mit Wasser bespritzt u. s. w. Abends
gab es einen Festzug, eine Art Corsofalirt, wobei viel Glanz und
Reichthum, aber wenig Geist entwickelt wui'de. Der klimatische
Unterschied zwischen Buenos Aires und Asuncion trat mir schon in
den Einrichtungen des öffentliclien Lebens entgegen : in Asuncion sind
die frühesten Morgenstunden, von fünf und sechs Uhr an, die Haupt-
verkehrsstunden ; in Buenos Aires war das offenbar noch > keine Tages-
zeit*.
Einen beabsichtigten Ausflug in die Pampa musste ich leider
aufgeben , da schon am 25. das letzte mir passende Schiff abging;
es war die »Bahia«, mit der ich auch die Hinreise gemacht hatte.
Im Dunkel des Abends warf ich von dem acht bis zehn Seemeilen
weit draussen liegenden Schifle einen letzten Blick auf das imposante
Lichtermeer von Buenos Aires, dann setzte sich die Schraube in Be-
wegung und wir steuerten ostwärts. San tos, Rio de Janeiro, Bahia,
der Pik von Tenerife, Lissabon reihten sich während der Fahrt als
grossartige Bilder in meiner Vorstellung an einander; dann noch der
stürmische Golf von Biscaya, der interessante aber gefährliche Kanal,
4ie an Fischerflottillen reiche Nordsee, endlich die Elbe — ein Kind
gegen den La Plata — und die Heimath war wieder en'eicht!
Nachtrag.
Der junge Paraguayer, welcher mir (vgl. S. 80) in San Joaquin
^richtete, dass kurz bevor er Tacurü-pucü verliess, eine italienische
Expedition dorthin zurückgekehrt sei, welche den Salto Guayrä, den
grossen Fall des Paranä, besucht habe, hatte Recht: der italienische
Marinelieut^nant G. Bove ist Anfang December dort gewesen; er
l'erichtet über diese interessante Reise, die er in Begleitung der in
jenen Gebieten wohlbekannten Italiener Bosse tti und Lucchesi
*wie einiger Leute ausführte, in dem Bolletiino della Societä Geografica
^atia, Hefte vom November und Dezember 1884. Ich entnehme
seinem Bericht noch einige Zusätze zu meinen Angaben.
Zu S. 56. Auf S. 939 S. handelt Bove von den Guayaciul oder
ßöayaquil (ital. Form Guagiachil), welche er südlich von der Mündung
des Viranguä-Monday (Bove giebt dem Fluss auch letzteren Namen ;
^gl. bei mir S. 73) am rechten Paranäufer traf. Er schildert sie als
^serst scheu und waldmenschenartig , ist auch in der Lage, eine
Abbildung von einem jungen Angehörigen dieses Stammes, sowie
Mehrerer in seinen Besitz gelangter Steinwaften zu geben. Er schil-
dert es als fast unmöglich, mit den Guayaqul in Verkehr zu treten.
*^tt auf Johnstons Kai^te veraeichneten Indianerstamm der Guayanas
166
verzeichnet Bove unterm 26. Breitengrad am rechten Paranäu
(Guaianä, im Text auch Guagianä).
Zu S. 97 und 115. Das Yerbaunternehmen von Tacurü-pi
(Uribe & C'O beschäftigt 500 bis 600 Mann.
Zu S. 102. Auch Bove hält es für zweifelhaft, dass Azara (
Salto Guayrä besucht hat (S. 968). Ob Boves Angabe, dass i
ganze Alto Paranä durch basaltisches Gestein fliesse (S. 950) s
aufi'echt erhalten lassen wird, bezweifle ich.
Zu S. 125. Bove erzählt von der Sacaninä auf S. 959; nach d
was er gehört hat, soll sie erfolgreich einen Reiter verfolgen könn
was nicht wahrscheinlich ist.
Zu S. 127. Exemplare des Yerbabaumes von 20 bis 30 m H(
und 2 bis 3 m Umfang (S. 874) habe ich nie gesehen; mir gab m
zögernd 15 Varas (12Vam) als bisweilen erreichte Höhe au. I
Leben und das Geschäft der Yerbateros am Paranä schildert Bc
in ziemlich trüben Farben.
Zu S. 132. Die in Posadas (am Paranä, gegenüber Encarnacic
gebräuchlichen Verfahren zur Zerkleinerung der Yerba, welche zi
Theil von denen in den nördlicheren Yerbales abweichen, schild(
Bove auf S. 861.
Zu S. 143. Aus Boves Karten und Text geht hervor, dass (
Yerbales in den argentinischen Missionen zum Theil schon in Augi
genommen sind.
Zu S. 150. Auf S. 957 spricht Bove ausführlich von der Ui
Auch er erklärt sich gegen die >Vermuthung der Naturforscher«, ds
die betreffende Larve von einem Nachtschmetterling herrühre, und d
ihn begleitende Bossetti lieferte ihm den experimentellen Beweis, da
die Larve von einer Art Fliege eraeugt werde. Dieselbe ist et^
doppelt so gross wie eine Stubenfliege, hat einen gelblichen Kopf u:
ist an dem schwarzen Körper behaart. Bossettis Versuch bestätigi
dass sie wunde Stellen zum Legen ihrer Eier aufsucht. Nach d
Rückkehr vom Salto Guayrä musste Bove sich allein aus den beid«
Armen 27 Uras ausdrücken lassen; eine hatte sich auch in der linkt
Schläfe eingenistet.
IßT
n. Paraguay mit Rücksicht auf Kolonisation durch Deutsche.
I. Lage und Bodengestalt
Paraguay, weit ab von den Ozeanen gelegen, auf allen Seiten
durch andere Staaten umschlossen, scheint der selbständigen Ent-
wickelung unfähig zu sein und darum wenig geeignet, eine streb-
same fremde Bevölkerung aufzunehmen, so lange es nicht Theil eines
grösseren, den Ozean berührenden Gemeinwesens geworden ist; dieser
Fall wird aber schwerlich so bald eintreten, denn Paraguay hat seine
Unabhängigkeit bisher mit Muth und Kraft vertheidigt, und jeder
Paraguayer sieht noch heute das Eintreten für diese Unabhängigkeit
als erste Pflicht gegen sein Vaterland an. Manches aber lässt sich
doch gegen den ersten ungünstigen Eindruck, den die Lage Paraguays
macht, anführen: Paraguay ist gegen Süden, Osten und Westen durch
Paranä, Paraguay und Pilcomayo vorzüglich umgrenzt, seine dichter
bewohnten Landestheile sind gegen Argentinien, von welchem es auf
den ersten Blick ein Theil zu sein scheint, durch ein breites Gebiet
sömpfreicher Landschaften (im südlichen Paraguay und im nördlichen
Corrientes) geschieden , das Land kann höchst nachdrücklich ver-
theidigt werden, wie der Lopezsche Krieg bewiesen hat, die Be-
völkerung ist in Charakter und Sitten von der argentinischen viel-
&ch verschieden. Andererseits ist der Weg zum Ozean jederzeit
offen; in den Paraguay können zu allen Jahreszeiten Schiffe von
^eben Fuss (über 2 m) Tiefgang bis Asuncion gelangen, während
kleinere bis nahe zu den Quellen des Flusses gehen ; auf dem Paranä
Wlden die Stromschnellen bei Ituzaingö nur zeitweilig ein SchifFahrts-
hinderniss, während man meistens ungehindert bis zu den Mündungen
^^r Flüsse Y-guazü, Viranguä und Acaray vordiingen kann. Die
Schiffahrt auf dem Paranä und Paraguay ist für alle Nationen frei.
Die Entfernung von Paraguay zum Ozean über Land auf nächstem
^Vege ist ziemlich gross; die Strecke von Tucurii-pucü nach Para-
^iaguä beträgt etwa 640 im, d. h. so viel wie die von Hamburg zum
Bodensee; von Encarnacion nach Porto Alegre sind es etwa 550 hn^
soviel wie von Hamburg nach Breslau. Sind das auch für moderne
Eisenbahnunternehmungeu keine unüberwindlichen Strecken, so ist
ioeh kaum anzunehmen, dass in nächster Zukunft ein Versuch ge-
flacht werden wird, auf diesem Wege Verkehr mit Paraguay zu er-
öffnen, denn die Flussläufe weisen dort von der Küste weg nach dem
Innern, den Paranä begrenzen auf beiden Seiten weithin unbewohnte
oder nur ganz dünn bewohnte Strecken , und Paraguay hat mit den
^^uachbarten brasilianischen Küstenprovinzen so viel Verwandtes,
168
dass das Bedürfniss nach lokalem Austausch schwerlich entst
wird. Sollten einmal grössere Umwälzungen in den Staaten
amerikas eintreten, so wäre es vielleicht nicht undenkbar und
in mancher Beziehung vortheilhaft, wenn sich Paraguay und Uru
mit den drei östlichen Theilen Argentiniens und mit den drei
Provinzen Brasiliens zu einem Staatenbunde zusammenschlössen. I
würden viele Fragen in ein neues Stadium treten, so auch die
direkten Verkehrs von Paraguay nach Osten.
Wenn Paraguay schon durch seine Lage vom Weltverkehr
geschlossen sein soll, was mtissten da erst Bolivia und Matto Gi
sagen, von denen letzteres ganz, ersteres zum grossen Theil auch
auf den Verkehr durch Vermittelung des Paraguay - Paranä a
wiesen ist? Bolivia macht seit dem Kriege mit Chile sogar beson
Anstrengungen, auf diesem Wege einen regeren Verkehr anzubal
Die Bodengestalt Paraguays setzt der Ansiedlung kein Hinde;
entgegen, denn die unbewohnbaren Sumpfgebiete nehmen nur €
verhältnissmässig kleinen Theil des Landes ein und Hochgebirge
ebensowenig vorhanden wie Steppen oder Wüsten; Erdbeben
völlig unbekannt.
2. Klima und Gesundheitsverhältnisse.
Ueber das Klima von Paraguay sind wir noch nicht genüj
unterrichtet, denn strengen Anforderungen entsprechende und
zugleich über grössere Zeiträume erstreckende Beobachtungen li
noch gar nicht vor, und alle vorhandenen Beobachtungen bezi
sich auf Asuncion, welches zwar als guter Repräsentant des Kl
an den Ufern des Paraguay gelten, nicht aber auch für die e
höher und namentlich entfernt von dem mächtigen WasseiTesei
des Flusses gelegenen Landestheile maassgebend sein kann. Es '
sehr wünschenswerth, dass in Zukunft noch an drei oder vier an
Stellen des Landes beobachtet würde, z. B. in Encarnacion, Parag
Villa Bica, Panadero.
Ehe ich versuche die einzelnen Faktoren des Klimas nacli
vorhandenen Material dai-zustellen , will ich in Ktii*ze einen Ue
blick über letzteres, sowie zur Beurtheilung von dessen Werth ei
Gesichtspunkte geben.
Azara *) schilderte das Klima im allgemeinen in treffenden Zu
und giebt einige Zahlen für die gewöhnlich zu beobachtenden hoch
und niedrigsten Temperaturen. Rengger") giebt eine vorzügl
') S. 31 bis 39.
^ S. 66 bis 86.
1C9
allgemeine Scbilderung der klimatischen Erscheiuiingeu, auf der fast
alle späteren beruhen, und Zahlenwerthe für die gewöhnliche Maxima
UDd Minima, für Abliängigkeit dei-selben von den Windrichtungen u. s. w.
Page ') giebt ausser einigen vereinzelten Beobachtungen (auf der
Flussfahrt) für Asuncion auf Grund von aclit tägliclien Beobachtungen
den mittleren täglichen Barometerstand das tägliche Maximum und
Minimum der Wärme, Kichtung und Stärke des Windes und Angaben
itber den Zustand des Himmels, und zwar für Oktober 1853, Januar,
Wal und Juni 1854 (einige Tage fehlen), sowie für Theile von November
und Dezember 1853, Juli und September 1854; ausserdem allgemeine
Mittel für Luftdruck und Wärme, ohne Angabe darüber wie sie
gewonnen sind. Du Graty") macht allgemeine Angaben mit Benutzung
von Azara, Rengger und Page, giebt Pages Beobachtungen für Asuncion
mit wenigen Kürzungen wieder, reproduzirt aus der Asuncioner
Zeitung »El Semanario» die Tagesmaxima der AVärme für die Zeit
vom 15. Januar bis zum 35. Mai 1800: schliesslich folgen ziemlieh ausführ-
liche Beobachtungen (doch mit nicht streng eingehaltenen Tageszeiten)
für die Zeit vom 10. Mai bis zum 1. Juli 18G1, eine Zusammenstellung
der Maxima und Minima der Wärme für verschiedene Monate ver-
schiedener Jahre nebst daraus berechneten Mitteln und ein paar auf
die Jahre 1846 und 1847 bezüglichen Zahlen aus D^mersays Histoire
plit/siqne, i'cononiique et slalisliqne du Faraguay'). Wappaeus*) enthält
Angaben nach Azara, Rengger und Page. Johnstou*) hat [nach
Pages Äufeeichnungen die Mittel für die vier vollen Monate, welclie
dieselben umfassen, berechnet, macht Angaben über die AVinde von
Paraguay, beschreibt einige von ihm beobachtete Stüime und giebt
eiue Uebei-sieht über Lieutenant Congrevcs während des ganzen
Jahres 1874 zu Asuncion angestellte Beobachtungen, sowie eine solche
über die Beobachtungen Dr. Perinis von Anfang 1874 bis Juni 1875.
Mevert") begnügt sich mit einer kurzen Schilderung des Klimas, in
welcher er demselben zum Theil Eigenschaften zuspricht, die ihm
ganz und gar nicht zukommen, namentlich einen regelmässigen Turnus
in den Witteningserscheinungen und kunte Dauer der Hitze. Bei
Aveitem die umfangreichsten Beobachtungen über das Klima Paraguays
•) S. 6oS ff.
•) S. 240 !>>» 363.
') Paris, Hachelte 1860. IJicsts Wurk habe ich mir Iruti vielseitiger ISemühutiEtn
nicht verschaffen künnen.
*) S. 1151 und 1153.
*) Proeitdings elc. XX, S. 500 bis 508.
•J S. 123 und 124.
170
hat der deutsche Vicekonsul in Asuncion, HeiT Mangels, genia
Von demselben liegen mir vor: in der Asuncioner Zeitung »La Refon
veröffentlichte ziemlich umfängliche Berichte über die Beobachtun
aus den Jahren 1879 bis 1883, in welchen auch die Beobachtun
der Jahre 1877 und 1878 vergleichend in Betracht gezogen werd
Abschrift der vom 1. November 1883 bis zum 16. Februar 1884
machten Beobachtungen; während der Dauer meiner Reise um 6 1
Morgens (gleichzeitig mit Beobachtungen von mir) angestellte
obachtungen; ein Aufsatz im Jahrgang I, Heft 7 und 8, der Asuncic
Zeitschrift »El Porvenir«, der auch die Beobachtungen , verw^ert
welche HeiT Mangels in den acht letzten Jahren vor 1877 angest
hat, wie es scheint noch ohne bestimmte Grundsätze und ohne syste
tische Aufzeichnung. Die in »La Reformat veröffentlichten Jah
Übersichten enthalten für alle Monate Folgendes: absolutes ther
metrisches Maximum und Minimum; thermometrisches Monatsmit
berechnet aus den Tagesmitteln; absolutes barometrisches Maxin
und Minimum; barometrisches Mittel; absolutes hygrometrisclies Mj
mum und Minimum, sowie hygrometrisches Mittel (seit 1880) ; Reg
menge, Zahl der Regentage , der bewölkten Tage, der klaren Ta
Häufigkeit der Winde (vier Hauptrichtungen und Stille); Häufig!
von Gewitter, Sturm, Nebel, Reif; Zahl der kalten, heissen und
mässigten Tage. Herr Mangels ist so freundlich gewesen, mir darü
Auskunft zu geben, in welcher Weise er die Thermometer- und Bi
meterbeobachtungen anstellt; dieses geschieht nicht zu bestimm
Stunden, beim Thermometer notirt er vielmelir das tägliche Maxim
und Minimum, und zwar dann, wenn er glaubt, dass es eingetre
ist, und berechnet daraus die Mittel; beim Barometer schätzt er
Tagen mit geringen Schwankungen des Luftdrucks das Mit
während er an Tagen mit starken Schwankungen die extremen Stäi
festzuhalten bemüht ist. Diese Art zu beobachten rechtfertigt
dass ich mir erlaubt habe, oben zu sagen, wir besässen strengen 1
forderungen entsprechende Beobachtungen über grössere Zeiträu
noch nicht. Ich bin weit entfernt davon, sagen zu wollen, dass He
Mangels für seine mit grosser Ausdauer und Gewissenhaftigkeit
machten Aufzeichnungen nicht der grösste Dank gebühre, wünst
vielmehr nur für richtige Beurtheilung seines Materials einen Maa
Stab zu geben. Bei der Beobachtungsart des Herrn Mangels ist
fast unvermeidlich, dass die thermometrisclien Mittel, welche d(
neben den Messungen des Regenfalls wohl die Hauptsache sind,
hoch ausfallen. Ergeben schon Mittel aus richtigem Maximum i
Miniraum gewöhnlich ein etwas zu hohes Resultat, wie viel m(
171
ffluss es bei geschätzten Extremen der Fall sein! Es ist zu leicht
möglich, dass sehr oft das Minimum verpasst wii-d, selbst wenn mau,
wie Herr Mangels, ein grosser Frühaufsteher ist. Einen praktischen
Beweis scheinen mir die während meiner Reise gemachten Auf-
zeichnungen zu liefern : die Temperaturen , welche in der auf meinen
Wunsch gemachten Aufzeichnung um G Uhr angegeben sind, figuriren
auch als Minima in Herrn Mangels eigenen Aufeeichnungen; während
der in Frage kommenden Monate trat aber sicher das Minimum fast
jeden Tag früher ein. Zur Beurtheilung der benutzten Instrumente
diene Folgendes: Das Thermometer des Herrn Mangels ist ein ge-
wöhnliches Thermometer mit in ganze Grade getheilter R6aumur-
skala; es hängt in angemessener Höhe an einer Säule (wenn ich
nicht irre aus Ziegeln) in einem nicht sehr geräumigen Hof mitten
in der Stadt; durch Vergleich mit meinem Thermometer, das in
Hamburg genau geprüft war ') und Fünftelgrade abzulesen, Zehntel-
gmde mit voller Sicherheit zu schätzen gestattet, fand ich, dass es
0,45 ^ C. zu hoch steht. Auch diese Umstände lassen annehmen, dass
die Resultate des Herrn Mangels zu hoch sind. Das Barometer ist
ein gewöhnliches Zimmeraneroid ; durch Vergleich mit meinem Taschen-
ftüeroid von Krüss, welches bei der Abreise von Hamburg bei etwa
760 wjm keinen Indexfehler hatte*), fand ich, dass es um 4,5mm zu
hoch steht, doch ist es nicht unmöglich (wenn auch sehr unwahr-
scheinlich, da ich das Barometer sehr in Acht nahm), dass das
Qieinige seit Hamburg seinen Stand geändert hatte. Nach meiner
Rückkehr von der Reise im Innern war die Differenz unserer Baro-
öieter die gleiche wie vorher. Vor wenigen Tagen ^) hat mir Herr
M^angels zwar mitgetheilt, dass der Vergleich seines Barometers mit
dem Aneroid des Herrn Dr. Drake, der zum Zwecke zoologischer
Sammlungen Paraguay bereiste, und eine Kochpunktbeobachtung des
Herrn Dr. van den Steinen, der Asuncion auf dem Wege nach
Cuyabä (Xinguexpedition) passirte, ergeben hätten, dass sein Baro-
ttieter richtig stehe, doch glaube ich, so lange mir die näheren Um-
stände dieser Kontrolen unbekannt sind, meine gegentheilige Annahme
^un so mehr aufrecht erhalten zu dürfen, als die Barometerstände,
Welche Hen* Mangels notirt hat, für einen etwa 125 m hoch gelegenen
Beobachtnngsort im Vergleich mit den Beobachtungen an den nächsten
') Mein Kollege, Herr Prof. Dr. Mate rn , hat es bei verschiedenen Ständen mit einem
^^ ihm selbst nach strengsten Anforderungen gefertigten in Zehntelgrade getheilten
*"«niiometer verglichen.
*) Zertifikat der Deutschen Seewarte.
*) Am II. August 1884 in Hamburg.
172
Küsten und an Orten zwischen diesen und Asuncion etwas hoch <
scheinen. (Mittel aus sieben Jahren 759,« gegen 761,7 in Pelot
761,8 in Buenos Aires, 756,3 in Corrientes ')• (Congreves I
obachtungen (s. o.) geben für 1874 für das Niveau des Flusses 1
Asuncion das Mittel von 754,74 mm). Demnach habe ich auch mein
Höhenberechnungen das oben angegebene Verhältniss unserer beid
Barometer zu Grunde gelegt.
Ein Hygrometer führte ich nicht mit; das des Hen-n Maugi
ist ein Klinkerfuessches. Den von Herrn Mangels benutzten Regt
messer habe ich nicht gesehen; die Regenmengen sind jedenfalls nie
auf die Normaltemperatur reduzirt.
Bei Martinez*) findet sich eine kurae Darstellung des Klin
von Paraguay nach den Mangelsschen Beobachtungen für die Jal
1877 bis 1880. H. Schneider, einer der Leipziger Experten 1
Paraguay, hat vor Kui-zem in der Deutschen Kolonialzeitung
eine längere Darstellung des Klimas gegeben, welche im wesentlich
den Inhalt des oben angeführten Aufsatzes von Mangels in »El P
venire reproduzirt, vermehrt um einige Uebersichtstabellen und i
eine Beurtheilung des Klimas und der Gesundheitsverhältnisse
Bezug auf Kolonisation. Hann giebt in seinem Handbuch d
Klimatologie *) in dem Abschnitt über das Klima des auss<
tropischen Südamerika *) einzelne Daten für Asuncion, deren Urspru
leider nicht ersichtlich ist.
Das ist das gesammte mir vorliegende Material; dazu komm
noch meine eigenen Aufzeichnungen, die bis zu einem gewissen Gra
allgemeine Vergleiche zwischen dem Innern des Landes und Asunci
eimöglichen. Der nachfolgenden kurzen Darstellung des Kliiii
müssen natürlich in der Hauptsache die Mangelsschen Beobachtung
zur Grundlage dienen, die ich zunächst so verwerthe, wie sie in d
Veröffentlichungen enthalten sind, ohne Korrekturen.
Beschäftigen wir uns zunächst mit der Temperatur ^). I)
Wärmemittel der Jahre 1877 bis 1883 für Asuncion waren na«
Mangels folgende:
1877 . . .
25,12
1881..
. 24,17
1878...
24,02
1882..
. 24,21
1879...
24,51
1883 . .
. 23,87
1880. . .
24,0»
') Ilann, Handbuch der Klimatologie. Stuttgart 18S3. Engelhorn. S. 658.
') S. 4 bis 10.
*) Organ des Deutschen Kolonialvcrcins in Frankfurt a. M., Jahrg. I, S. 4 ^
und S. 32 bis 35.
*) S. 656 ff.
*) AUes umgercchuel in Grade der hunderttheiligen Skala.
173
Daraus ergiebt sich eine (liircliscliiiittliche jährliclie Mitteltemperatur
von 24,«27 ". Page giebt als Jahresmittel »nach den Beobachtungen
aas den Jahren 1853, 1854 und 1855« 24,44** an, hat aber nur (s. o.)
während einiger Monate der Jahre 1853 und 1854 beobachten lassen.
Du Graty giebt ohne ausreichende Begründung als Mittel der Jahre
1855 bis 1858 23,33 ^^ an. Die Mitteltemperatur des Jahres 1874 war
nach Congreve und Perini 22,22 *\ Hann nimmt eine Mitteltemperatur
Ton 22,4 ** an ^), an anderer Stelle 22,2^). Vergleicht man diese
Zahlen unter einander und zieht man in Betraclit, dass die Mangels-
schen Beobachtungen aus den oben angeführten Gninden wahrschein-
lich zu hohe Resultate ergeben haben, so wird man mit einiger
Sicherheit 23" als durchschnittliche jährliche Mitteltemperatur für
Asuncion annehmen können. Das ist eine Mitteltemperatur, wie man
sie in Europa nicht findet; sie lässt sich vergleichen^) mit der von
Santa Cruz auf Tenerife (21,6), Kairo (21,3), Buschir am Persischen
Meerbusen (23,i), Hongkong (22,»), Loanda (23), Numea auf Neu-
kaledonien (23,i), Caracas (21,8), Santiago del Estero in Argentinien
(21,6), während die übrigen klimatischen Faktoren von denen dieser
Orte natürlich zum Theil bedeutend abweichen. Eine ähnliche Mittel-
Temperatur wie Asuncion werden alle in der Nähe des Paraguay ge-
legenen Orte haben, doch steigt dieselbe jedenfalls etwas in den nörd-
liclieren Landestheilen. Für die im Inneren des Landes gelegenen
Orte darf man eine niedrigere Mittel temperatur voraussetzen, und
zwar scheint der Unterschied ein grösserer zu sein, als ihn allein die
höhere Lage bewirken könnte; bewiesen kann diese Vermuthung erst
Verden, 'wenn Beobachtungen über längere Zeiträume aus dem Innern
Vorliegen, gestützt wird sie durch zahlreiche vereinzelte Beobachtungen
'^Uhrend meiner Reise; so hatten z. B. die Tage, welche ich am Rio
C^orrientes, in Igatimi und auf dem Panadero verlebte, (annähernde)
^littel, die hinter denen von Asuncion (bei sonst gleichen Witterungs-
verhältnissen) um 3, 4, 5 Grade zurückblieben , obgleich der Höhen-
unterschied beim Rio Corrientes nur 45, bei Igatim{ 90, beim Panadero
^•^ m beträgt, so dass er nicht einmal 0,5 " Temperaturunterschied be-
^^i^gen würde, von der grösseren Aequatornähe der genannten Oite
S^^nz abgesehen.
Die Schwankungen der Jahresmittel von Asuncion sind, wie aus
oben stehenden Tabelle ersieh tlicli ist, nicht sehr gross.
dei
•) S. 663.
') s. 344.
^ Die zum Vergleich herangezogenen Angal)cn hier und im Folgenden nach Ilann,
^^«maimch der Klimatologie.
174
Die Jahreszeiten unterscheidet man in Paraguay nur
Winter und Sommer; jenem kann man im Allgemeinen die Moi
April bis September, diesem die sechs andern zuzählen. Der Un
schied beider Jahreshälften ist nur gering, wie aus folgender
samraenstellung (nach den Mangelsschen Beobachtungen) ersichtlich
Sommerhalbjahr Winterhalbjahr Unterschied
1879 . . .
27,«
21,9
5,3
1880. . .
26,7
21,5
5,«
1881 . . .
27,4
21,«
6,0
1882...
27,.
21,4
5,7
1883 . . .
26,8
20.»
1
5,9
Der mittlere Unterschied zwischen Sommer- und Winterhalbjahr
trägt daher nur 5,6".
Die Temperaturen der extremen Monate Januar und Juli i
der sich in den meisten Ländern der jährlichen Mitteltemperatur
meisten nähernden Monate April und Oktober veranschaulicht folgei
Zusammenstellung :
Januar
April
Juli
Oktober
1879.
. .. 26,1
23,0
24,0
25,1
1880.
. .. 28,8
23,8
20,9
22,1
1881.
. .. 27,9
23,4
17,8
25,4
1882 .
. .. 29,1
23,8
18,1
25,8
1883.
. . 27,9
22,5
19,«
24,9
Mittel
. . 27,9
23,3
20,0
24,7
Die mittlere Differenz der Monate Januar und Juli ergiebt sich hi
nach rund zu 8®. Die genannten Monate repräsentiren aber ni<
immer wirklich die extremen Monatsmittelt emperatureu : 1879 war (
Februar mit 28,o ^ 1881 der Dezember mit 28,6 ° der wärmste Mon
1879 der Juni mit 19,7*^ der kälteste Monat; 1880 war der Juni gi
unbedeutend kälter als der Juli. Nimmt man aus den fünf Jahi
der Tabelle und dem Jahr 1874 (nach Perini; Januar 28,6**, Ji
18,9") das Mittel aus den Differenzen des wirklich kältesten u
wärmsten Monats, so bekommt man 9,4®. Hann giebt 8,8® an.
Zum Vergleich führe ich an, dass der Unterschied der Mitt
temperaturen des kältesten und wännsten Monats beträgt in Bata^
1,1, in Zanzibar 2,9, in Caracas 3, in Loanda 6,4, in Numea 1
in Santa Cruz (Tenerife) 7,8, in Hongkong 13,4, in Santiago (
Estero 15,a, in Kairo 16,9, in Buschir 17,5, in Hamburg 17,7,
Leipzig 19,5, in Wien 22,a, in Milwaukee 27, in Petersburg 27,i
Jakutsk 61,6*.
Die Temperatur des wärmsten Monats von Asuncion (27
i7r>
lässt sich vergleiclien mit der von Syiakiis (26,r.), Alexandria (2ö,«),
Murcia (,2G,i), Tunis (27,a), Beirut (27,8).
Von Wichtigkeit ist es, die mittleren Jahresextreme eines
Ortes zu kenneu, d. h. die äussersteu Grenzen, zwischen denen sich
die Temperatur eines Ortes zu bewegen pflegt; dieselben betragen in
Asuncion nach den Mangelsschen Beobachtungen (filn^ährige Mittel)
6 und 37,4**; der Unterschied zwischen mittlerem Maximum und
mittlerem Minimum demnacli 31,4 **. Man vergleiche damit die
mittleren Jahresextreme folgender Orte: Zanzibar 31,t und 21,7
(li'Dterschied 10"), Caracas 2G,s und 14,3 (12,a), Apia (Samoainseln)
31,1 und 15 (16,i), Funchal (Madeira) Unterschied 18,4, Hongkong
33,1 und 6,1 (26,4), Corrientes 35,3 und 6,* (28,8), Copiapö 33,i und
3,4 (30), Mejico 29,4 und — l,i (30,5), Gibraltar 33,7 und 3,« (30,s),
Buenos Aires 34,4 und 0,i (34,3), Pelotas 3G,4 und l,a (35,fl),
deutsche Kolonien in Rio Grande 39 und (39), Melbourne 41,s
nnd —1,1 (42,*), Paris 33,i und —10 (43,i), Hamburg 31,i und
— 12,4 (43,0, Zürich 30 und — 13,b (43,a), Montpellier 37,3 und
— !f,a (46,0, Labore 47,9 und — 0,i (48), Wien 33,5 und -14,»
(48), Leipzig 32,» and —17,. (50), Newyork 33,» und —17,3 (51,«),
Königsberg 31,8 und — 21,s (53,0, Upsala 30,* und —23,9 (54,3>,
Petersburg 29,3 und —28,* (57,8), Jakutsk 33 und —54,8 (87,8").
Die absoluten Extreme der Temperatur zu Asuncion weichen
"Von den mittleren Jahresextremen nach den Beobachtungen von 1879
lis Ende Febi'Uar 1884 nur ganz unbedeutend ab; sie betragen 38,i"
(jm Februar, November und Dezember 1882; im Jahre 1878 traten
^e höchsten Temperaturen im September und Oktober ein) und 5"
<im August 1879 und 1881). Perini beobachtete als Maximum (im
IFebruar 1875) 39,4 "C; Page als Minimum 7,?; Azara giebt als
xiedrigste Temperatur kalter Wintertage 42*'F, = 7,a'*0. an, er-
wähnt aber, dass ausnahmsweise in den Jahren 1786 und 1789 Wasser
in seinem Hofe zu Asuncion gefroren sei, was einer Temperatur von
30" F. (^ — 1,»"0) entspreche; ßengger sagt, dass die Temperatur
zuweilen auf sinke. Man darf wohl annehmen, dass die Minima
im Innern des Landes tiefer liegen, als in Asuncion, namentlich auf
offenen Weideflächen; wenn in Asuncion im Hofe des Herrn Mangels
4* beobachtet werden, wird man für Paraguary oder Caäzapä wühl
U" annehmen dürfen, was auch Herr Mangels in seinen Jahresberichten
fest stets ausdrücklicli hervorhebt. Während meiner Reise beobachtete
ich als Temperaturextreme 13,i und 34,3 "; an denselben Tagen hatte
man in Asuncion 21,» und 35,i". Während der Dauer meiner Reise
varen die Extreme in Asuncion 18,i und 37 ,t <*. Zum Vei^leich fiihre
ich folgende absolute Temperaturextreine aus andern Ländern an:
Buenos Aires ;>7,8 und —2,3, Montevideo 41 und 0, Cordoba in
Argentinien 41 und — G,8, La Rioja 43,a und 2, Melbourne 44 und
— 2,8, Curitiba 37,8 und 4,4, Lahora 50,9 und — 1,6, Zanzibar 32,«
und 20,4, St. Louis (Senega mbien) 44,8 und 7,9; in Massaua hat man
bis 50 " C, in Rom bis — G, in Modena bis — 14,« " beobachtet.
Die mittlere Monatsschwankuug, also der Abstand zwischen
der durchschnittlichen kältesten und durchschnittlichen wärmsten
Temperatur eines oder mehrerer Monate, ist in Asuncion, und ehei — :
in noch höherem Grade im Innern von Paraguay, sehr bedeutend, si(*^
beträgt im Mittel aller Monate 20,8 **, erreicht ihr Maximum mit 25,5 " ^
im August, ihr Minimum mit 17,3° im Februar. In Buenos Aires^ -
ist die mittlere Monatsschwankung ähnlich; sie beträgt daselbst 19® ^
in Melbourne beträgt sie 23,5".
Die täglichen Schwankungen der Temperatur sind für ge?^
wohnlich massig, bei Windwechsel aber sehr gi'oss, und lassen gan^j
besonders deutlich die Abhängigkeit der Temperatur von der Wind^ffö
richtung erkennen, welch letztere für Paraguay bei weitem de ^^^
wichtigste klimatische Paktor ist. Während der Dauer mein^^*
Reise (Sommermonate) fanden besonders schroffe Witterungswechs* -»=
nicht statt, die stärkste Tagesschwankung während derselben betroEz^H
zu Asuncion nur 12,4°, die geringste l,^®; die der meisten Tage b» ««:
trug 6 bis 10 °. Ich selbst beobachtete als geringste Schwankung
(an einem Regentage mit schwülem Morgen), als grösste 20° (v(
früh um 5 bis Nachmittags um 27» Uhr, von 14 auf 34°, bei 170
Steigung) an einem völlig klaren Tage nach vorangegangener klar
und windstiller Nacht. Schwankungen von 13 bis 17 ° beobachte:
ich wiederholt. Bei plötzlichem Eintritt starken Südwindes h
Rengger das Thennometer in weniger als einer Viertelstum
von 29° R. auf 15° R. (36,3 und 18,9 °C.) fallen sehen; an andei
Stelle giebt er an, dass man öfters in solchem Falle in einer Viei
stunde eine Abnahme der Temperatur um 10 bis 12° R. (12,5
15° C.) beobachtet habe; nach Mangels beträgt die gewöhnlic'
Temperaturemiedrigung bei Eintritt von Südwind 10 bis 12,*°
weht der Südwind andauernd, so erniedrigt sich die Temperatur
um 25° und darüber, wie z. B. im Jahre 1879, wo das Thermometer (-
fünf Tagen (4. bis 9. August) von 31,3 auf 5° fiel. Als den mittler-—*'
Unterschied der Temperatur bei Nordwind und bei Südwind gie5=^ W
Johnston 10° F. -= 5,5° C. an. Weht kein Südwind, so geht aiL ^'
im Winter die Temperatur selten unter 20° herunter und kann, x^^'e
aus dem zuletzt angeführten Beispiel ersichtlich ist, über 30° steige ^-
177
Zur Entiöglicbung von Vergleiclien sei angeführt, dass die mittlere
tägliche Wärmesch wankung in Zanzibar 4,i ° beträgt, in Levuka
(Fidschiinseln) 5, in Parä gewöhnlich 10, in Batavia 5,», in Funchal 4,7,
Inder Kapstadt 5 bis 9 und nicht über 17, in Melbourne 10, in Madrid
oft 20 bis 30, im Innern des Eaplandes ebenfalls oft 30" beträgt.
In seinen Veröffentlichungen unterscheidet Herr Mangels die Tage
als beisse, gemässigte und kalte: heiss nennt er die Tage, deren
iihximum 25" R. (31,3* C.) übersteigt, kalt die, deren Maximum
unter 15« R. (18,8» C.) bleibt. Er giebt ftti- die Jahre 1877 bis 1883
folgende Tabelle:
1877..
1878..
1879..
1880..
1881 . .
1882. .
1883..
Mittel
Kalte Tage.
... 44
... 4Ö
...30
...48
...46
...49
»5
45.:
Ht'issc Tage.
121
72
95
91
92
104
99
(icmässigtc Tage.
200
248
240
227
227
211
211
223,6
Schon aus dem oben über die täglichen Temperaturschwankungen
besagten ergibt sich, dass auch im Winter lieisse Tage vorkommen,
^nd zwar entfielen auf die Monate April bis September im Durchschnitt
[l^r Jahre 1879 bis 1883 im ganzen 10 heisse Tage (im Maximum 15,
^^ Minimum 0); umgekehrt kamen auf die Monate Oktober bis März
^ftlteTage im ganzen durchschnittlich 1,6 (Maximum 6, Minimum 0).
^"ährend der drei Monate von Mitte November 1883 bis Mitte Februar
1^84 hatte man in Asuncion 53 heisse und 41 gemässigte Tage.
Dass Reif in Paraguay keine unbekannte Erscheinung ist, geht
^Us den gemachten Temperaturangaben liervor; sogar in Asuncion ist
^J* fast jedes Jahr zu beobachten. Die Gesammtzahl der Tage mit
^eif giebt folgende Tabelle:
1877 12 1880 3»)
1878 1(> 1881 10
1879 9 1882 7
1883 10
Es kamen demnach durchschnittlich aufs Jahr 9,6 Tage mit Reif.
In den Jahren 1879 bis 1883 kamen auf den April 2 Reiftage, auf
^^n Mai 5, auf den Juni 10, auf den Juli 12, auf den August 8, auf
4en September 2; der Juni war nur 1883 ganz reiffrei.
Zur Eisbildung scheint es nur ganz selten zu kommen; Rengger
^ während eines sechsjährigen Aufenthaltes keines, Azara aus-
") In (1er Veröffentlichung für iSSo sind 3 Rciftaj^'c angej,'cbcn , später figurirt das
J*nT in den Ziisaramenstdlungen niit 4.
11!
178
nahmsweise ein wenig; während der Mangelssclien Beobachtun;
ist in Asuncion keines vorgekommen.
Wenden wir uns nun zu einer kurzen Betrachtung des 1
drucks und der Winde.
Wie schon oben gesagt wurde, ist es unwahrscheinlich, das
von HeiTU Mangels auf Grund siebenjähriger Beobachtungen gewoi
Jahresmittel des Luftdrucks von 759,'i mm richtig ist; ich g
annehmen zu dürfen, dass es (bei 125 m Meereshöhe) nicht
754 mm beträgt. Nach Congreves Beobachtungen war 1877 der mi
Luftdruck im Niveau des Flusses (auf " reducirt) 29,665 engl. Z
753,5 wm, was zu meiner Annahme gut stimmt, da der Luftd
unterschied zwischen dem Niveau des Flusses und dem Mangels
Hause etwas über 2 mm beträgt. Page giebt für das Niveai
Flusses auf Grund der Beobachtungen einiger Monate 29,6? engl
= 753,6 m7n als Mittel an. Der jährliche Gang des Luftdr
ist ein ziemlich regelmässiger: der Druck ist gering im Januar, i
ziemlich gleichmässig bis über die Mitte des Jahres und nimmt
ab bis zum Ende des Jahres; in mehreren der Mangelsschen Beobacht
jähre ist thatsächlich keine Abweichung von der regelmässiger
und Abnahme vorhanden gewesen. Der Monat des geringsten Luftdi
ist Januar oder Dezember, der des höchsten meistens Juli, bisw
August, ausnahmsweise Mai. Der Unterschied zwischen den extr
Monaten beträgt im Mittel von fünf Jahren ll,i twm, was als ziei
hoch zu bezeichnen ist. Man vergleiche: Madeii*a 0,4, Loandj
Zanzibar 4,7, Buenos Aires 5,i, Corrientes 5,2, Adelaide 5,3, Kap
5,9, Madras 5,9, Labore 14,3.
Unter den in Paraguay auftretenden Winden sind der Nord
Süd bei weitem die wichtigsten; Winde mehr oder weniger östl
Richtung kommen nur als Uebergangswinde vor, wehen allen
trotzdem manchmal mehrere Tage hintereinander. In den Mangelss
Beobachtungen sind nur Winde der vier Hauptrichtungen
Windstillen unterschieden, was auch im Wesentlichen genügt,
die Jahre 1877 bis 1883 giebt Mangels folgende Tabelle:
Süd Ost Nord V^est W^iiidstille
1877 82 46 141 4 92
1878 115 59 83 4 104
1879 110 50 95 8 102
1880 141 42 80 2 101
1881 134 25 118 1 87
1882 135 29 113 3 85
1883 118 27 126 1 93
Mittel .... 119,3 39,7 108 3,3 94,9
179
Nach der Häufigkeit ordnen sich demnach die Erscheinungen der
Lnftbewegung wie folgt: Südwind, Nordwind, Windstille, Ostwind,
Westwind. Letzterer tritt in manchen Jahren nur einmal auf, was
flicht zu verwunden! ist, wenn man bedenkt, dass die geographische
Breite von Paraguay westlichen Winden überhaupt nicht günstig ist
dass auf dem Grossen Ozean sich etwa entwickelnde westliche Luft-
strömungen von den Anden aufgehalten werden, und dass schliesslich
diese zu entfernt liegen, um zur Entstehung von Lokalwinden Anlass
zu geben. Windrichtung und Luftdruck stehen in Paraguay fast aus-
nahmslos in direktem Zusammenhang: bei Südwind steigt der Druck,
bei Nordwind föUt er. Demnach würden die Monate mit hohem Luft-
druck mehr Südwind haben, als die mit niedrigem. Das ist auch der
I'all, denn in den Jahren 1879 bis 1883 kamen auf die Monate April
bis September 349 Tage mit Südwind, auf die Monate Oktober bis
Älärz nur 289. Freilich wäi'e dieser Unterschied um jährlich im
Durchschnitt zwölf Tage nicht genügend, die oben andeutungsweise
dargestellten Luftdruckdiflerenzen zu eraeugen, man darf aber nicht
vergessen, dass im Winter die Luftdruckdifferenz zwischen Nord und
Süd eine gi'össere sein wird, als im Sommer, denn die Temperatur der
Gtgenden nördlich von Paraguay ist im Winter und Sommer nicht
S€hr verschieden, während die Flächen Argentiniens und Patagoniens
sich im Winter stark abkühlen. Demnach müssten auch im Winter
die monatlichen Schwankungen des Luftdrucks bedeutender sein als
im Sommer, was durch die Mangelsschen Beobachtungen bestätigt wird:
die durchschnittliche mittlere Monatsschwankung des Winters ist
14,7 mm, die des Sommers 10,a mm; die grösste mittlere Monats-
*chwankung hat der August (18 mm), die geringste der Februar
(7,«»Mw). Damit stimmt genau überein, was oben über die mittlere
Monatsschwankung der Temperatur gesagt ist.
Die Annahme, dass im Sommer die Luftdruckdifferenz der nördlich
^ der südlich von Paraguay gelegenen Länder geringer ist als im
hinter, wird auch durch die Zahl der Tage mit Windstillen bestätigt :
1879 bis 1883 kamen auf die Monate Oktober bis März SOG, auf die
*^dem Monate nur 162 Tage mit Windstillen, d. h. im Sommer hielt
^ßr Luftdruck im Norden dem im Süden häufiger die Wage als im
hinter.
Wenn Schneider *) sagt, in kühlen Jahren herrschen die Südwinde,
^ Mearmen dagegen die Nordwinde vor, so trifft das allerdings meistens,
^W nicht immer zu, denn der erwärmende und abkühlende Werth je
') Deutsche Kolonialzeitung I, 6.
180
eines Tages mit Nord- resp.' Südwind ist nicht immer derselbe. Wälin
der Periode 1877 bis 1883 hatte das wännste Jahr 1877 (Mittel \r<
Mangels 25,ia®) 141 Tage mit Nordwind und 82 mit Südwind,
kühlen Jahre 1878 und 1880 (Mittel bei beiden 24,o««) 115 re
141 Tage mit Südwind und 83 resp. 80 Tage mit Nordwind; da
kommt aber das kühlste aller Jahre 1883 (das Schneider noch ni<
berücksichtigen konnte) mit 23,87® Mitteltemperatur und dabei i
118 Südwinden und 126 Nordwinden.
Nord- und Südwind treten nicht immer rein in diesen Richtung
auf, wären vielmehr oft als Winde aus Nordnordost oder Nordnordwe
Südsüdost oder Südsüdwest zu bezeichnen. In Congreves Beobachtung
(1874) sind die Winde nach 8 Hauptrichtungen unterschieden : da
kommen windstille Tage und Tage mit wechselnden Winden. Die
Beobachtungen umfassen aber für Barometer, Thermometer und Reg«
fall nur ein Jahr, für die Winde nur neun Monate. Für diesen Ze
räum hat Congreve im ganzen nur neun Tage mit Windstillen v
zeichnet, was vermuthen lässt, dass bei Mangels die Tage mit schwaci
und wechselnden Winden den windstillen Tagen zugerechnet sind.
lieber die Windstärke liegen durch Zahlen ausgedrückte Be«
achtungen nur von Page für Theile der Jahre 1853 und 1854 ^
(s. 0.); er unterscheidet die Windstärken nach zehntheiliger Sk;
(1 = very light hreeze^ 10 = most violent hurricane) und hat für
in Asuncion und auf dem Paraguay beobachteten Winde fast nur
Stärken 1 bis 3 notirt, vereinzelt 4, je einmal 5, 6 und 8 {high m
gale, violent gale). Im Allgemeinen wehen die Winde sanft; im Dur^
schnitt der Jahre 1877 bis 1883 kamen nur 14,9 heftige Wir
{ventarrones bei Mangels) oder Stürme jährlich vor (im Minimum
im Maximum 31). Die bis Paraguay vordringenden stürmischen Si
winde sind jedenfalls identisch mit den Pamperos der südlichei
Gegenden, können jedoch nur als Ausläufer derselben betrachtet werd«
die schon einen Theil ihrer Kraft eingebüsst haben. Verheere
treten Stünne in Paraguay nur in vereinzelten Fällen auf.
Es erübrigt noch, über Luftfeuchtigkeit und Niederschlä
zu sprechen. lieber die Luftfeuchtigkeit hat Herr Mangels 5
1880 mit einem Klinkerfuesschen Hygrometer Beobachtungen angestel
er fand für die Jahre 1880 bis 1883 mittlere Feuchtigkeitsgrade V
77,7, 82,4, 79,7, 81,6 Prozent, im Mittel 80,4%. Die beobachtet
Extreme waren 100 und 46 Prozent; die extremen Monatsmit
88,8 Prozent (Mai 1882) und 71,o Prozent (Oktober 1882). Die jäl
liehen Regenmengen zeigt folgende Zusammenstellung:
r
k
i
i
181
1877 1478 1881 1668
1878 2613 1882 1457
1879 1584 1883 1145
1880 1574 Mittel ... 1646
Im Jahre 1874 fielen nach Cougreve 1411, nach Perini 1475 mm
Regen; Hann giebt 2080 an, nach zweijährigen Beobachtungen, ohne
Nennung des Beobachtei-s. Zum Vergleich seien angeführt: Loanda 318
St. Louis (Senegal) 412, Bahia Bianca 490, Labore 545, Jerusalem 550,
Sizilien 600, deutsche Nordseeküste 670, Kapstadt 680, Algier 700, Buenos
Aires 870, Bern 1020, Conientes 1330, Numea 1610, Kalkutta 1667,
Batavia 1868, Zanzibar 2500.
Wichtiger als die Begenmenge ist die V er th eilung über die
Jahreszeiten und Monate, welche folgende Tabellen zeigen:
I
n
in IV
V
VI
VII Vni IX
X
XI XII
1879. .
215
32
232 105
192
144
79 37 29
193
105 221
1880..
126
130
321 37
200
64
109 131 49
168
158 81
1881.
190
161
214 209
175
94
99 39 81
200
128 78
1882.
. 148
77
213 56
157
232
93 12 37
147
77 208
1883.
. 46
127
115 74
155
51
15 5 167
99
202 89
Mittel 145 105,4 219 96,« 175,8 117 79 46,8 72,6 161,4 134 135,4
Es ist ersichtlich, dass die Wintermonate regenänner sind als die
Sommermonate ; noch deutlicher tritt das hervor, wenn man die Summen
der beiden Halbjahre mit einander vergleicht:
Ucberschuss des
Sommerhalbjahr Winterhalbjahr Sommerhalbjahrs
216
793
412
394
274
283
211
1877...
847
631
1878 . . .
1703
910
1879 . . .
998
586
1880...
984
590
1881...
971
697
1882. . .
870
587
1883 . . .
678
467
Mittel. .
1007,3
638
.3
369
Innerhalb der Wintermonate ist trotz gi*osser Scliwankungen in
^^D einzelnen Jahren und Monaten im Allgemeinen die Tendenz der
Abnahme von Anfang gegen das Ende hin zu beobachten, was]erhellt,
^enn man die Summen der Winterhiilften zusammenstellt:
182
April l,.s Jum Juli las beptcn.ber .j^^ ^^^^^„ j^^jf^
1877....
331
300
31
1878....
588
322
2GG
1879...
441
145
291;
1880....
301
289
12
1881....
478
219
259
1882....
445
142
303
1883 ...
280
187
93
Mittel... 400;i 22<),i 180
Für diese Eigentliümliclikeiten der Regenvertlieiliin^
Mangels in seinem angeführten Aufsatz die Erklärung gc^
Nordwind bringt die Feuchtigkeit nach Paraguay, der Siu
densirt sie; nach Norden also niuss man sich wenden, um
auf den Grund zu kommen. Dort in dem tropischen Ma
giebt es nur eine Regenzeit und eine trockne Zeit, dem s
Sonnengange entsprechend; während der Regenzeit welche
guayschen Sommer entspricht, ist die Atmosphäre in Ma
mit Feuchtigkeit übersättigt, die die Luftströmungen zum '
Süden abführen und dann, auf den kühleren Südwind treftend.
der reichlichen Sommerregen absetzen. Während der trockn
Matto Grossos, wenn die Sonne nördlich vom Aequator wei
die Nordwinde wahrscheinlich nichts als tropische Glut nacl:
bringen, w-enn nicht die Regenfülle der nassen Zeit so
wäre, dass sie die flachen Gebiete am oberen Paraguay i
Nebenflüssen auf ungeheure Strecken hin unter Wasser setz
bildend, deren Wasser ganz allmählich durch den Paraguay
wird. Die Feuchtigkeit, welche diese grossen Sumpfgebiet«
kommt hauptsächlich Paraguay ^u Gute, sie giebt ihm die AV:
die natürlich im Ganzen nicht so ergiebig sein können wie di
regen, und die eben mit der Abnahme der Vorräthe in jenem
geringer werden. Dass die Nordwinde im Winter wenige
dampf führen als im Sommer, lehrt oft der Augenschein
kommt im Winter vor, dass Südwind eintritt, ohne Pegen zu
was im Sommer kaum je der Fall ist. Dieser Mangelsschen
der Regenvertheilung wird man hinzufügen dürfen, dass
w^ahrscheinlich selbst noch theilweise tropische Zenithalrege
Nach der oben gegebenen dritten Regentabelle beträgt (
fall des Sommers etwas über (51 Prozent der Gesanimtmei
Vergleich sei angeführt: in den sechs Sommermonaten i
September der nördlichen, Oktober bis März der südlichen Jt
183
6Jleii Prozent der Gesammtregenmenge in Jerusalem 7 (Juni bis
September kein Regen), Californien 13, Algier 21, Sizilien 22, Kap-
balbiusel 23, Buenos Aires 40, Mitteldeutschland 57, Mittelrussland 64,
Tacüman 83, Mejieo 84.
Besonders trockne und besonders nasse Jahre kommen in
Paraguay im Ganzen selten vor; unter den neun hier in Betracht
gezogenen Beobachtungsjahren war eins von jeder Art: 1878 mit
2613 und 1883 mit 1145mm. Letzteres ist immernoch eine ansehn-
liche Menge, 1,7 mal so gross als die Regenmenge von Hamburg; man
muss aber auch die bedeutend grössere Verdunstung Paraguays in
Betracht ziehen. Im Ganzen schaden in Paraguay nasse Jahre mehr
als trockne.
In den Mangelsschen Beobachtungen sind die Tage des Jahres
als Regentage, bewölkte Tage und klare Tage unterschieden; die-
selben vertheilten sich 1877 bis 1879 wie folgt:
Bcgeu
bewölkt
klar
1877...
70
118
177
1878...
93
77
195
1879...
73
51
241
1880. . .
93
61
212
1881...
91
67
207
1882 . . .
67
55
243
1883...
66
75
224
Mittel.. 79 72 214,i
In St. Louis (Senegal) zählt man 35 Regentage jährlich, in
^mibar 120, in London 167. Ein Regentag in Paraguay liefert
^^rdischnittlich nahezu 21 mm Regen. Im Durchschnitt der Jahre 1879
Ws 1883 kommen auf das Sommerhalbjahr 45, auf das Winterhalbjahr
^ Regentage; die Ergiebigkeit eines Regentages in jeder Jahres-
'^iilfte war also annähernd die gleiche, im Sommer 20 mm, im Winter
^st 18. Der stärkste während meiner Anwesenheit in Paraguay zu
-^suncion gemessene Regen lieferte 35 mm, doch kommen ausnahmsweise
^iel heftigere Regenfälle vor; so gingen z. B. in der ungewöhnlich
tosseu Periode von Ende September 1877 bis Ende April 1878 mehrere
Süsse von 170 mm nieder.
Die Regenfillle, welche ich in Paraguay erlebte, verliefen fast
^mmtlich so, dass ein starker Guss von 20 bis 30 Minuten Dauer
^^n Anfang machte (nicht selten in den frühen Morgenstunden) und
^ dann schwächer mehrere Stunden fort regnete: kein Regenfall
^erte ununterbrochen zwölf Stunden lang, und über mehrere Tage
184
ausgedehnte Landregen, wie wir sie in Deutschland haben, kom:
wahrscheinlich in Paraguay sehr selten vor. Wenn ein starker Re
sich über Asuncion ergiesst, so fliessen alsbald breite Bäche
Strassen entlang und richten namentlicli in den zum Flnss hii
führenden Querstrassen grosse Verwüstungen an. Gewitter begle
oft den Regen, wie überhaupt elektrische Erscheinungen ungeu
häufig sind. Auf meiner Reise, besonders im Januar, konnte
wochenlang täglich Gewitter oder Wetterleuchten beobachten,
meisten Gewitter waren durch lange, rollende und infolge der z
reichen Blitze fast ununterbrochen ertönende Donner charakteri
nur einzelne entfalteten gi'osse Heftigkeit und sandten kracht
Blitze zur Erde nieder. Das Wetterleuchten machte bisweilen e:
wahrhaft grossartigen Eindruck. Die Zahl der Gewittertage
Jahre 1877 bis 1883 war 26, 38, 34, 58, 52, 45, 37, im Durchschnitt ^
der Sommer ist bedeutend gcAvitterreicher als der Winter: im Du
schnitt der Jahre 1879 bis 1883 kamen auf die Sommermonate \
auf die Wintermonate 15,8 Gewitter.
In der Form von Schnee tritt der Niederschlag in Para^
niemals auf; zwar sagte mir ein Yerbatero, dass auf dem Cerro Marac
Schneefälle vorkämen, doch ist das — bei einer Meereshöhe von
etwa 500 m — unwahrscheinlich. Hagel ist in Paraguay eine seil
Erscheinung; während der Periode 1877 bis 1883 wurde er in Asun
fünfmal beobachtet, und zwar je einmal 1878 und 1879, dreimal 1
alles im Winter. Von Bedeutung war nur der Hagelschlag
Jahres 1879, über welchen Herr Mangels in seinem Jahresbei
schreibt: »Hier ist über eine grossartige, zum Glück in Paraj
sehr seltene Naturerscheinung zu berichten, nämlich über den fui
baren Hagelschlag in der Nacht vom 22. zum 23. Mai, den stärke
den ich während elf Jahre im Lande beobachtet habe. Es fi
Hagelstücke von 4 cm Durchmesser in aussergewöhnlicher Me
welche im Verein mit dem in derselben Nacht gefallenen Regen
enorme Niederschlagsmenge von 174 tm>^ hervorbrachten, welche bi
noch nie in Paraguay beobachtet ist. Phänomenal wie der Hagelsa
und der Regen war auch der sie begleitende Orkan ■<. Rengger
während eines sechsjährigen Aufenthaltes im Lande nur einen Hti
schlag von einiger Bedeutung beobachtet, im Uebrigen schreibt er,
Theil abweichend von den aus den Beobachtungen der letzten Ji
folgenden Thatsachen: »Es hagelt fast jedes Jahr in irgend ei
Theile von Paraguay und es graupelt überall mehrmals jährl
Besonders häufig fällt der Hagel im Oktober und November i
sehr wannen Tagen t.
185
Auch Nebel ist eine seltene Erscheinung in Asuncion; 1883 gab
es keinen Nebeltag, 1877 und 1881 je einen, 1880 zwei, 1878 drei,
1882 vier, 1879 elf, letztere über fast alle Monate verteilt. Nach
den Beobachtungen während meiner Keise zu schliessen sind Nebel
im Innern des Landes häufiger. Thau fiUlt reichlicli, besonders im
Innern des Landes in klaren Sommernäcliten ; nicht selten erwachte
ich fast völlig durchnässt und der Strohhut hatte des Morgens oft
eine wahrhaft klägliche Gestalt, zumal im Schmucke des von Ameisen
zum grössten Theil verspeisten Hutbandes.
Ueber andere meteorologische Elemente, wie Intensität der Sonnen-
strahlung, Bläue des Himmels u. s. w. liegen ziffermässige Beobach-
tungen nicht vor. Nach meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die
Intensität der Sonnenstrahlung keine übermässige ist; ich war oft in
den heissesten Tagesstunden des Sommers zu Pferde und sogar zu
Fiiss unterwegs, ohne Nachtheil; nur selten empfand ich das Bedürfniss,
ein Nackentuch zu benutzen. Die Bläue des Himmels ist während
der Herrschaft des feuchten Nordwindes oft matt, bei anhaltendem
Südwind dagegen sehr intensiv. Das Sonnenlicht hat fast nie etwas
grelles, vielleicht weil tiberall reichliches Grün dem Auge Ruhepunkte
bietet. Das Licht des Mondes ist oft von grosser Helligkeit, sodass
es zu lesen gestattet. Die Dämmerung ist selbstverständlich von viel
kürzerer Dauer als bei uns, ohne dass man indessen von einem ^ plötz-
lichen t oder >fast plötzlichen« Eintritt der Nacht sprechen könnte.
Selbst in ganz tropischen Ländern ist die Dämmerung nicht so kurz,
^ie übertreibende Reisende gern glauben machen. An der Loango-
'^tiste z. B. kann man nach Pechuel-Luesche im Freien gewöhnlichen
'^i'uck noch 25 bis 28 Minuten nach Sonnenuntergang ohne besondere
-^iistrengung lesen.
Wenn ich in dieser theoretischen Darstellung das Klima von
^^i"aguay etwas austührlicher gewesen bin, als es dem nach praktischen
**esultaten suchenden Leser lieb sein mag und als die Ueberschrift
^^*^ zweiten Abschnittes meiner Mittheilnngen rechtfertigt, so bitte ich
**^^ dadurch zu entschuldigen, dass gerade über das Klima — etwa
!^^t Ausnahme des vor Kurzem erschienenen, mehrmals angeführten
5*^Jiiieiderschen Aufsatzes — noch nichts einigermassen Ausführliches
/^ M'eitere Kreise gedrungen ist, und gerade das Klima muss von
^'^tscheidendem Werth bei Benrtheiluug der Kolonisationsfrage sein.
Welches ist nun der Einfluss des dargestellten Klimas auf
^^ Menschen und seine ThätigkeitV
Das Klima von Paraguay muss als ein wai'mes subtropisches be-
186
zeiclinet werden; sogar zablreiclie Orte der tropisclien Zone haben
bei massiger Meereshöhe keine höliere mittlere Jahrestemperatur. Doch
darf man es durchaus nicht mit dem Klima tropischer Küstenorte in
eine Linie stellen, wie etwa Rio, Zanzibar oder Singapur, denn es
fehlt die ewige Gleichheit der feuchten Wärme, die Nacht bringt
Abkühlung, der Abend und der Morgen sind meistens herrlich, die
Temperatur wechselt oft und schnell, sodass der Organismus nicht
erschlafft. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Europäer
sich ohne Schaden an das Klima von Paraguay gewöhnen kann, und
zwar geschieht das ziemlich schnell. Leichter als dem Deutschen
wird es dem Südeuropäer, theils weil derselbe aus näher verwandtem
Klima kommt, theils weil er mehr als der Deutsche an eine für warmes
Klima passende Lebensweise gewöhnt ist. Unter allen Deutschen,
die ich in Paraguay gesprochen habe, war keiner, der das Klima ge-
tadelt hätte; »gegen das Klima lässt sich gar nichts sagen«, war der
gewöhnlich gehörte Ausdruck. Andere, die sonst schlechte Erfahrungen
gemacht hatten, sagten: »Das Klima ist das Beste an dem Landen _
Nicht einmal über die Hitze klagten die Leute, viele behaupteter^
sogar, dass die Eingewanderten die hohen Hitzegrade besser ertrügei^
als die Eingeborenen. Von extremer Hitze kann übrigens nicht di —
Rede sein, wie das mittlere Jahresmaximum von 37,4*^ (nach de — :
wahrscheinlich zu hohen Mangelsschen Beobachtungen) beweisfczz
31** R. = 38.8** C. kommen schon nur ganz vereinzelt vor. SoIcI^m
Temperaturen werden in mitteleuropäischen Breiten auch beobachte
z. B. 39,5® C. in Paris im Sommer 1881, von Nordamerika ganz
schweigen. Nicht zu vergessen ist, dass der Akklimatisirte sich
solchen Maximaltemperaturen wie auch zu besonders niedrigen Tei
peraturen anders verhält als der Neuankömmling, denn der Körp^es
gewöhnt sich bald an die hohe Mittelwärme der Luft und hat dar^
bis zum oberen Extrem keinen so grossen Abstand wie bei uns. Etws- "«
Aehnliches haben wir bei uns im Sommer, wenn wir die Junihit^^*
schwerer ertragen als die im August. Aehnlich wie mit der Hit^^<
ist es drüben mit der Kälte: + 5 oder 8® werden als strenge Käl^t^
empfunden.
Eine zweite Frage ist die, ob es für den Deutschen möglich i^ ^
bei dem Klima Paraguays die schweren Arbeiten des Ackerbaus a^i*
venichten. Ich glaube dieselbe bejahen zu dürfen, von dem Grun^^'
satze ausgehend, dass es sich um kleinbäuerlichen Betrieb handelt
in welchem der Einzelne fast alle zum Unterhalt einer Familie nöthig^^^
Produkte und einige zum Verkauf anbaut. AVäre von Gross wirtlisch»/^'
die Rede, mit Anlage grosser Felder derselben Pruchtart etc., i^
IST
wäi'e die Sache etwas schwieriger, dann wüi-den aber wahräcbeiiiHcli
Maschinen in grossem Umfange die menschliche Arbeitskraft ersetzen.
Zwölf bis vierzehn Stunden oder mehr mit einer kleinen Mittagspause
auf offnem Felde in glühender Sonnenhitze mit der Sense arbeiten,
das könnte man in Paraguay nicht. Bei der Kleinwirthschaft aber kann
man sich einrichten, zumal da die härteren Arbeiten, wie die Bestellung
des Ackers, in die kühlen Monate fallen. In der heissen Jahreszeit
können nur die Morgen- und Abendstunden zu schwerer Arbeit benutzt
werden, dazwischen ist eine ausgedehnte Ruhepause nothwendig, in
welcher einige Stunden Schlaf zu empfehlen sind. Die Dauer dieser
Ruhepausen kann in den heissesten Monaten nicht gut unter vier
Stunden betragen, doch wird man sechs (vonzehn bis vier) vorziehen.
Die übrig bleibende Zeit reicht hin für die Arbeiten dieser Jahres-
zeit, und im Hause giebt es auch Arbeit genug für den Kolonisten.
Auch der in jenem Klima aufgewachsene Paraguayer hält unter allen
Umständen eine Siesta; die Strassen der Ortschaften sind dann wie
ausgestorben, und auch auf dem Lande ruht alle Arbeit. Eine Mit-
tagspause von einigen Stunden wird aucli an den meisten Winter-
tagen zu empfehlen sein.
In der Kleidung ist Vorsicht anznrathen, namentlich in den
Wintermonaten mit plötzlichen Temperaturwechseln bei Eintritt von
Südwind. Einwanderer thun daher gut, nicht im Vertrauen auf das
liohe Jahresmittel der Temperatur alle warmen Sachen zurückzulassen.
Barfnss gehen ist keine Schande, und viele der älteren Einwanderer
liaben sich fast ganz daran gewöhnt, zumal bei den theuren Preisen
von Fiisszeug. Die Eingeborenen gehen fast nur barfuss, was grosse
Vortheile hat: der Fuss schwitzt nicht, lockt also nicht so sehr das
Ungeziefer an und kann ausserdem beim Uebersch reiten jedes Baches
gereinigt und erfrischt wei-den, was der Eingeborene in ausgiebiger
Weise thut. »Mit einem Deutschen, der barfuss geht, spreche ich
uicht«, sagte ein neuankommender Kolonist, aber er that es bald
selbst.
Die Tliatsache, dass Reife in Paraguay fast jedes Jahr vor-
kommen, ist für die Einwanderung nicht ohne Bedeutung, denn sie
erschwert mehrere Kultnren, namentlich die des KaÖees und des
ZuckeiTohrs. Schädlicher als die niedrigen Temperaturen selbst ist
ilabei das schnelle Aufthauen der gefiwenen Pflanzen theile; sobald
Dämlich die Sonne emporsteigt, entwickelt sie zu allen Jahreszeiten
schnell grosse Kraft. Uebrigens glaube ich, dass man den schädlichen
Einfluss des Frostes ziemlicli erfolgreich bekämpfen kann, namentlich
dnrch passende Auswahl des Ortes für die betreffenden Anpflanzungen.
188
Auf das Wolilbefiuden der Menscheu, wie auch der Tliier- und
Pflanzenwelt, ist die Richtung des Windes in Paraguay vom grössten
Einfluss: weht der Noi^wind anhaltend, so wird alles schlaff, müde
und widei-standsunfähig, die Transspiration steigert sich bedeutend,
die Nächte bringen wenig Erfrischung, die Pflanzen erschlaffen, die
Thiere verkriechen sich, die Insekten w^erden unleidlich; bricht der
Südwind herein, so ist der Wechsel da, und der Mensch fühlt sich
neu belebt.
Die Regenmenge Paraguays, verglichen mit der der regenreichsten^
Theile deutscher Tief- und Hügelländer, erscheint hoch, doch ist si
massig zu nennen, wenn man bedenkt, dass die verdunstende Kraft
der Sonne dort eine gi'osse ist, dass der Regen meistens in Gestal
starker Güsse niederstürzt, also viel AVasser oberflächlich abfliess
und dass auch in grossen Theilen von Paraguay stark durchlässig-^
Bodenarten die Obei*fläche bilden. Einen besonderen Vortheil fücLi
Ackerbau und Viehzucht bietet die Vertheilung des Regens
Paraguay: im Sommer, wo die Verdunstung eine grössere ist unc
die Pflanzen zur Vollendung des Kreislaufs der Vegetation doch d^
Feuchtigkeit bedürfen, regnet es mehr als im Winter; die zwei -
Hälfte des Winters, in welche viele wichtige Arbeiten des Ack
baues fallen, ist ziemlich trocken. Veixlerblich können extrem trockr _
und nasse Jahre werden, die aber nicht oft auftreten und bekanntli ~~.
kaum irgendwo auf der Erde fehlen. Unterschiede, wie sie in Indi i
bisweilen durch Ausbleiben der Monsunregen hervorgerufen wei*d^E£B
kommen nicht vor. Unglücklicherweise waren die beiden ei'sten Jali]^i
des Bestehens der Kolonie San Bernardino (namentlich 1883) zie ^»^
lieh trocken.
Häufigkeit des Hagels Paraguay zum Vorwurf zu machen, a^'i
von einigen Seiten geschehen, ist nach den oben mitgetheilten Ber_^1
achtungen kein Grund vorhanden. HagelscliUlge kommen vereiuz«^:^
fast überall auf der Erde vor, z. B. auch auf Ceylon.
AVill man eine Parallele zwischen dem Klima Paraguays u :» ^
dem unsrigen ziehen, so vergesse man nicht in die Wage des letzter ^^
den langen Winter zu legen, mit seinen übennässig kui-zen Tage:^^
der langen Unterbrechung aller Feldarbeit, den Vorkehrungen geg'
die Kälte in Wohnung, Nahrung und Kleidung.
Ein praktischer Beweis, dass der Deutsche im Klima von Paragii
leben, arbeiten und sicli fortpflanzen kann, ist im Grossen noch nic^'^
geliefert, denn die Zahl der Deutschen, die in Paraguay länger s"»-^
ein Jahrzehnt leben, ist ganz gering; mehr als ein Dutzend könt^*
ich kaum nennen, und rein deutsche Familien, die sich dui^ch mehr^^^
189
Generationen unter sich fortgejfflanzt hatten, kenne ich nicht; ilenfsche
Frauen sind ja ohnehin eine grosse Seltenheit in Paraguay. Mit
grosser Bereclitigung darf man aber Südbrasilien als Beweis heran-
ziehen, welclies in seinen klimatischen Verhältnissen, nach Allem was
mir darübei' bekannt ist, nnrt nach den dort erzeugten Piodukten z«
schliessen, Paraguay ziemlich nahe steht. Dass dort die Deutschen
physisch gut gedeihen, steht aber wohl ausser Zweifel.
Die Gesundheitsverhältnisse des Landes darf ich nicht mit
Stillschweigen übei^ehen, obgleich darüber nicht leicht etwas Zu-
reichendes zu sagen ist, da nur wenige Aufzeichnungen vorliegen und
meine Erfahmng kurz ist. Unter allen Umständen glaube ich behaupten
zu dürfen, dass Paraguay ein sehr gesundes Land ist. Aus Renggers
Reisebeschreibung geht an mehreren Stellen hervor, dass manche
Krankheiten in Paraguay in milderer Foim auftreten wie bei uns.
Page schreibt an einer Stelle ') : >'\Vir machten diese Reise im Februar,
dem letzten Sommermonat, dem heissesteu des Jahres. Im Laufe
jedes Tages kehrten wir in drei oder vier verschiedenen Häusern ein
and noch haben wir von keinem Kranken, von keiner kranken Familie
gehört. Bösartige Fieber sind unbekannt. Mehrmals trafen wir
Männer von über achtzig Jahren, kräftig an Körper und Geist, welche
Tins vei'sicherten , dass sie nie auch nur einen Tag unwohl gewesen
wären«. An anderer Stelle ') sagt derselbe Autor: »Die gewühnliche
Schlafstelle der Offiziere sowohl wie der Mannschaft der »Water Witch«
wai' das mit einem Zeltdach versehene Verdeck ; trotzdem hatten wir
nur einige leiclite Fieberanfälle, welche schnell der gewöhnlichen
medizinischen Behandlung wichen; ganz konnten dieselben vermieden
werden, wenn man sich nicht unnöthig aussetzte und sich dem Genuss
von Früchten nicht zu sehr hingab". Ausführlichere Mittheilungen
habe ich um- bei Du Graty gefunden^), der hauptsächlich anf Grund
von Aussagen Dr. Stewarts, des bei Weitem am längsten in
Paraguay ansäs.sigen europäischen Arztes, belichtet. Er sagt n. A.:
Das Klima des Landes ist sehr gesunil ; viele der Krankheiten, welche
in Europa grosse Verheerungen anrichten, sind unbekannt oder treten
in milder Form auf. Der Typhus ist unbekannt; Rothlauf, Masern
und Scharlach treten nicht epidemisch auf, einzelne Fälle sind selten
und nicht gefiihrlich; Schlagfiüsse und (Jehirnerweichung sind selten
und pflegen nur Alkoholiker zu treffen; das intennittirende Fieber,
•) S. 239.
') S. a66 ff.
190
chuclio genannt, kommt in feuchten Thälern zuweilen vor '), doch
ist es gutartig. Die häufigsten Krankheiten sind Gastralgien und
Koliken, welche meistens durch die Art und Unregelmässigkeit der
Ernährung hervorgebracht werden : diesen Ursachen ist auch das Auf-
treten der Dysenterie zuzuschreiben, namentlich wenn jähe Witterungs-
wechsel sich zu ihnen gesellen und man sich nicht genügend schützt.
Der Tetanus (Starrkrampf), in den La Plata-Ländern unter dem Namen
pasmo real bekannt, kommt manchmal infolge von Verwundungen
mit Knochenbrüchen vor. Halsentzündung ist häufig aber nicht
schwer; die schroffen Temperatur Wechsel bringen nicht selten Schnupfen
hervor. Schwindsucht kommt vor, doch ist das Klima von Paragua}'
im Allgemeinen denen, die diese Krankheit im Keime in sich tragen,
heilsam^). Rheumatismus ist sehr gewöhnlich, Gicht dagegen selten.
Aussatz und Elephantiasis sollen nach Du Gratys Bericht und
dem ihm beigefügten Briefe des Dr. Stewart vorkommen, doch habe
ich von diesen Krankheiten nichts gesehen und gehört. Als häufigste
Krankheiten nennt Dr. Stewart Verdauungsbeschwerden, Diarrhöe
und Dysenterie, nächstdem Lungenentzündung.
Einige Notizen über die Gesundheitsverhältnisse finden sich auch
in dem angeführten Aufsatze Schneiders am Ende. Daselbst ist
z. B, angegeben, dass möglicherweise an dem Auftreten des Fiebers
der Genuss schlechten fliessenden Wassers Schuld sei, was wohl zu
bezweifeln ist; auch habe ich nirgends schlechtes Wasser gefunden,
obgleich ich in einem besonders trocknen Jahre reiste. Einen gerade-
zu komischen Eindruck muss folgender Satz bei Schneider machen -l
»Vor Einführung der obligatorischen Impfung richteten die Blatter xi
in Paraguay grosse Verheerungen an, seitdem sind sie aber seltene^!
geworden«. Ob die Impfung in Paraguay obligatorisch ist, kann iczsl
nicht bestimmt sagen, bezweifle es aber, da in dem Munizipalgesa ^:
nur von der »Verbreitung« {propagacion) der Impfung die Rede is^t
Sollte aber wirklich die Impfung obligatorisch sein, und sollte si^i^l
mit Einführung dieses Zwanges eine Abnahme der Pocken bemerkte sai
gemacht haben, so muss die Schutzpockenimpfung dort noch eine viel
grössere Kraft haben als bei uns, und schon vom Papier aus wirke^iit
denn von der gesammten Bevölkerung Paraguays haben gewiss vi^Ie
Tausende noch nie einen ordentlichen Arzt gesehen, geschweige denn
Impflanzette oder gar Originallymphe.
Ich habe in Paraguay nicht viel Kranke gesehen, kann dalier
•) Diese Ix)kalisirung beruht wohl auf einem Irtthum.
') Dafür habe ich Beweise aus der Erfahrung.
191
hauptsächlich nur Berichte Anderer und Resultate von Erkundigungen
wiedergeben. Einigemal traf ich Kinder, die mit bösem Husten
behaftet waren, wiederholt auch Leute mit Entzündungen der äusseren
Tiieile des Auges; Kinder von etwas rhachitischem Aussehen waren
nicht selten. Das scheinen mir lauter Leiden zu sein, die durch die
Lebensweise Erklärung finden und leicht vermieden werden können.
Häufig hörte ich von gewissen Leiden der Frauen, die auf Erkältungen
zu Zeiten gi*osser Empfindlichkeit zurückzuführen sein werden. In
den Sommermonaten gab es um Altos Dysenterie, doch fast nur unter
den Eingeborenen, was von den Deutschen auf übermässigen Genuss
von Wassermelonen geschoben wird. Die Leiden, welche die
Akklimatisation mit sich bringt, sind nicht bedeutend, auch scheint
es, dass nicht einmal alle dieselben durchzumachen haben. Eigentlich
kann als Akklimatisationskrankheit nur ein häufig erscheinendes
Fussleiden bnzeichnet werden, welches daher oft kurzweg die
»Akklimatisation« genannt wird; es besteht in einem Anschwellen
ier Fasse, meist verbunden mit dem Entstehen von Pusteln und
geschwürigen Stellen. Bei manchen sollen diese auch an andern
Körpertheilen auftreten. Wie ich glaube und wie mehrere Kolonisten
inu" bestätigten, bilden aufgekratzte Stellen den Anfang dieses Leidens,
Dian könnte ihm daher durch sorgfältige Pflege der Ftisse vielleicht
ganz aus dem Wege gehen. Ich persönlich habe es nicht bekommen,
obgleich ich monatelang die Stiefel fast nur beim Baden auszog.
Der Gesundheitszustand auf der Kolonie war ein guter. Alle
Kolonisten äusserten sich lobend in dieser Beziehung, zum Theil
•^nter Namhaftmachung der Leiden, die sie oder ihre Familienmit-
glieder dort los geworden wären, wobei hauptsächlich der Uebergang
^^ einer gezwungenermassen sehr naturgemässen Lebensweise wirksam
ffewesen sein wird. Von Sterblichkeit kann noch nicht die Rede
^^in, denn im Februar dieses Jahres kam der erste natürliche Todes-
*^11 auf der Kolonie vor: ein Kind starb an Dysenterie, gegen welche
^au nicht einmal die allen Paraguayern bekannten landesüblichen
-^tittel angewendet hatte. Aehnlich wie die Kolonisten von San
-^«mardino äusserten sich alle Ausländer, die ich in den verschiedenen
^«ndestheilen antraf. '
Was den vielberufenen chucho betrifft, den manche als eine wahre
öeissel Paraguays hingestellt haben, so ist es damit nicht schlimm.
-^ ist ein Wechselfieber, welches einer gewöhnlichen Chininbehandlung
^^ch allem, was ich erfahren habe, schnell weicht, und welches einen
^icht ohne Grund befällt. In nassen und kühlen Monaten der ersten
^interhälfte tritt es am häufigsten auf; Nordwind scheint das Ein-
192
treten der Anfiille zu begünstigen. In Paraguay lange ansässige
Deutsche meinten, dass diejenigen leicht vom Chucho befallen würden,
die an nassen Wintertagen im Freien arbeiteten und es dann ver-
säumten, sich durch Kleiderwechsel u. s. w. voi'zusehen. Andere
Europäer wurden von der Krankheit befallen, als sie aus irgend
welchem Grunde in die Wälder zogen und dort ein an Entbehrungen
und Unregelmässigkeiten aller Art reiches Leben zu führen begannen.
Don Juan in Igatiml (s. o.) litt, als er sein Yerbateroleben begann,
einmal sechs Monate lang am Chucho, da er kein Mittel dagegen
hatte; natüi'lich brachte ihn die Krankheit ganz herunter. Er schilderte
sie mir in ihren verschiedenen Pliasen, Frost, Hitze, Kopfweh, Er-
brechen u. s. w. Auf der deutschen Kolonie waren bis November 1883
im Ganzen neun Fälle von Chucho vorgekommen, was nicht viel genannt
werden kann, wenn man annimmt, dass bis dahin vielleicht 500 Ein-
wanderer dorthin gekommen (und zum Theil wieder w^eggegangen)
sind. In allen Fällen soll persönliches Verschulden nachweisbar ge-
wesen sein. Ich habe nur zwei Fieberkranke in Paraguay gesehen,
einen Missionär in Yhfl und ein Hötelmädchen in Asuncion; beide
gingen ruhig ihren Geschäften nach. Von einem dritten hörte ich in
Villa Rica. Der junge Arzt, der mit mir gleichzeitig nach Paraguay
gekommen war, hatte in über drei Monaten noch keinen Chucho-
kranken zu sehen bekommen. Fast nirgends hörte ich von der Krankheit
in der Weise sprechen, als sei sie besonders zu fürchten; nur zwei
ältere deutsche Einwanderer machten eine Ausnahme, doch auch sie
meinten: »sterben thut man nicht gleich daran«.
Ich selbst bin während meiner Reise keiner Krankheit unter-
worfen gewesen; nicht einmal dem leisesten Unwohlsein, trotzdem ich
mich weder besonders schonte, noch für meinen lieben Magen irgend
welche luxuriöse Vorbereitungen getroffen hatte. Mein Prinzip war
Anpassung an die landesüblichen Gewohnheiten, soweit sie nicht offen-
bar unhygieinisch sind. Einige Medikamente, die ich mitgenommen
hatte, habe ich sorgfältig wieder zmiick über den Ozean geschleppt.
Irgendwo hatte ich gelesen, dass äussere Verletzungen in Paragua}^
schwer heilen, was mir bei meiner bisweilen zu langsamen Heilpmzessen
geneigten Haut etwas Besorgniss einflösste; ich fand aber gerade das
Gegentheil, nur niuss man natürlich auf die Insekten etwas aufpassen.
Ganz besonders empfehlen würde ich jedem, der in dem Klima
von Paraguay leben will oder muss, sich im Essen und Trinken massig
zu halten, Spirituosen gar nicht oder wenig zu geniessen, dem Mate
sich nicht allzusehr hinzugeben und auch sonst das Nervensystem be-
sonders zu schonen. In gesunder AVohnung und Kleidung wird der
193
Aasländer es dem Eingeborenen leicht zuvorthun können. Unsere
modernen Kulturkrankheiten, Wahnsinn und Selbstmord, wird er
unter jenem Himmel schwerlich verfallen.
3. Thier- und Pflanzenwelt. Mineralien. Viehzucht und Ackerbau.
Es würde gründlicher Fachkenntnisse, langen Studiums und grossen
Raumes bedürfen, wollte ich in Bezug auf diese Gegenstände ausführlich
oder gar erschöpfend sein. Es ist das auch unnöthig, da die Bücher
von Rengger und Du Graty reiches Material bieten '); ich fasse
nur kurz das für den Ansiedler in Betracht Kommende zusammen
im Lichte meiner wenigen Erfahrungen.
Gewöhnlich ist die Furcht vor den Thieren eines fremden
Landes ziemlich proportional der Grösse der einzelnen Thierarten
und dem Rufe, in welchem diese im Allgemeinen, zum Theil nach
Erfahrungen aus anderen Ländern, stehen; für Paraguay ist dieser
Massstab kein passender, denn gerade die kleinsten Thierarten, ins-
besondere die Insekten, sind dort dem Menschen am schädlichsten,
Äie Welt der grösseren Thiere tritt vollständig zurück. Man kennt
die Säugethierwelt Paraguays haut)tsächlich nach den Schildeningen
Azaras und Renggers, die in grossem Umfange in Brehms Thierleben
fibergegangen sind; beide Reisende aber lebten in Paraguay^^zu einer
Zeit, wo die Feuerwaffen noch nicht annähernd die Vollkommenheit
^nid namentlich die Verbreitung hatten wie heute; seitdem ist schon
sehr aufgeräumt worden.
Eine nur geringe Bedeutung für Fragen der Ansiedlung ist den
Äaubthieren beizumessen. Der Jaguar ist aus den dichter bewohnten
'''heilen des Landes fast verschwunden und in den übrigen selten. Er
fiieht den Menschen und findet im Walde reichliche Nahrung, sodass
J^ nur selten ein Stück Jungvieh raubt; an Menschen wagt er sich
^ vereinzelten Fällen in ganz einsamen Gegenden. Gejagt wird er
Jetzt fest gar nicht, sodass z. B. eine Jaguarhaut in Paraguay dui*ch-
^Us nicht leicht zu beschaffen ist. Die wenigen, die in den Handel
kommen, pflegen aus dem Chaco zu stammen. Dass Leute Reihen von
Jahren in den Wäldern gelebt haben, ohne je einen Jaguar zu sehen,
'abe ich schon oben erwähnt. Sehr selten und nicht gefährlich ist
^^r Puma. Noch am meisten gefürchtet oder wenigstens gehasst wird
*) Bei Rengger findet man Kapitel Über Bau und Bcschaüenheit des Bodens, Land-
^*t Jagd, Moskiten, Ameisen und Termiten, den Sandfloh, den ßiss der Giftschlangen.
^^*«eidcm hat er bekanntlich ein werthvolles Werk über die Sfiugethiere von Paraguay
S^^chrieben. Du Gratys Buch enthält ein ziemlich umfangreiches Kapitel über die
*^'<>tote der drei Natarreiche. Kurze Uebersichtcn findet man auch bei Wap paus a. a, O.
^'\
194
die sogenannte Tigerkatze, welche dem Geflügel manchmal viel Schad
thut; doch ist auch sie in bewohnten Gegenden nicht häufig. V
hundeartigen Raubthieren giebt es mehrere Füchse, über die ich al
nur selten klagen hörte, und dann gewöhnlich nur, dass sie hier u
da einen Riemen, mit dem ein Pferd angebunden ist, benagen oc
wegschleppen; selten machen sie sich an Hausgeflügel. Von Naj
thieren giebt es mehrere Arten, die den Pflanzungen manchr
schaden sollen, doch nicht in grossem Umfange; sie werden gelege
lieh gejagt, wie auch das grösste aller Nagethiere, das sogenam
Wasserschwein, welches ein gutes Leder liefert und auch gegess
wird. Ebenfalls fast nur als Gegenstand der Jagd kommen mehn
Arten von Zahnarmen, Gürtel thiere , in Betracht. Von Di(
häutern findet sich der Tapir und in zwei Arten das Peka
beide halten sich fern von bewohnten Gegenden, von Schaden, d
sie Pflanzungen wohl bereiten können, habe ich daher nie etw
gehört. Gejagt werden sie ebenfalls, doch ist der Tapir eine seltei
Jagdbeute, denn es war mir nicht möglich, auf meiner ganzen Kei
eine Tapirhaut — man verwendet sie zu Zaumzeug und Reitpeitschen -
aufzutreiben. Die Ordnung der Wiederkäuer ist durch vlerHirscl
arten vertreten, von denen besonders die eine rehartige eine beliebi
Jagdbeute ist; dieses »Reh« tritt nicht selten in Pflanzungen eii
was den Besitzern derselben aber eher angenehm als unangenehm is
Einer der deutschen Kolonisten hatte sich in seiner Pflanzung ein
besondere Hütte gebaut, von der aus er die ihn häufig besuchende
Thierchen erlegte. Unter den Vögeln sorgen mehrere Geierarte
für die Vertilgung des Aases; Hühner, Enten und Tauben für Jage
zwecke sind in manchen Gegenden zahlreich vorhanden; einige
Schaden richten nur die Papageien an , wenn sie in Schaaren in di
Maisfelder einfallen. Einige haben daran gedacht, ob es nicht vorthei
häft wäre, zur Vertilgung von Ungeziefer unsern Sperling einzc
führen; der würde dort wohl prächtig gedeihen, aber möglicherweis
auch wie in Australien überhand nehmen. Nicht sehr hoch anzi
schlagen ist die Gefahr, welche die Reptilien dem Ansiedler bringei
•
Mit nur sagenhaften Schrecken ist die Boa umkleidet, welche i
Paraguay vorkommt und im Guaranl mhoi-yagud — Hundeschlang<
weil sie angeblich ähnlich wie ein Hund bellt — heisst. Immer bie^
es auf meiner Reise : > wenn Sie da und da hin kommen, werden Si
viele Riesenschlangen sehen«, aber sobald ich den bezeichneten Oi
erreichte, rückte die schlangenreiche Gegend wieder um ein paar Tag*
reisen vor, schliesslich bekam ich keine einzige Boa zu sehen, fei*
nicht einmal einen, der mir Zuverlässiges über sie berichten konnU
195
denn die Erzählungen der Paraguayer waren etwa des Inhalts, dass
die Schlange im Wasser ganze Kaireten mit Ochsen, Ladung etc.
aufhalte, sich zu dem Zweck mit einem Haken am Schwanz im Grund
verankere u. s. w. Beispiele, dass ein Mensch durch eine Boa zu
Schaden gekommen wäre, habe ich weder gehört noch irgendwo an-
geführt gefunden. An Giftschlangen fehlt es nicht, doch sind Unfälle
dnrch dieselben selten, obgleich der Paraguayer nur geringe Vorsicht
beobachtet. Rengger konnte während seiner sechsjährigen Thätigkeit
in Paraguay nur wenige vereinzelte Fälle von Schlangenbiss beobachten.
Alle Schlangen fliehen den Menschen, keine wird ihn ungereizt angreifen.
Am häufigsten scheinen die Schlangen auf dem Kamp und an den
Waldrändern zu sein, am seltensten im dichten Wald. Als an Schlangen
besonders reich wurde mir die Gegend von Caraguatay bezeichnet.
Dass die Klapperschlange vorkommt, unterliegt keinem Zweifel, docli
ist sie wohl nicht häufig ; ob, wie man mir sagte, um Caäzapä häufiger
als sonst, weiss ich nicht, bezweifle es aber. Häufig und gefürchtet ist
die unserer Kreuzotter zu vergleichende Quyryryö, die auch mbora
<fe la Cruz genannt wird ; sie kommt auch in San Bernardino vor, und
ich hörte daselbst von einem Bissfall: eine Frau wurde in den Arm
gebissen, kam jedoch ohne ernsten Schaden davon. Für sehr giftig
gilt die nur einen Fuss lange ^andurü, wie Du Graty sagt. Vieh
kommt bisweilen durch Giftschlangen zu Schaden, denn gerade auf
dem Kamp findet man letztere, wie gesagt, häufig; ich traf manchmal
auf einem Gang über eine kleine Kampstrecke mehrere, z. B. dicht
bei Paraguary. lieber den Alligator, Yacar6, habe ich schon gelegent-
lich gesprochen ; im Paraguay soll er häufig sein und von ansehnlicher
Grösse, in seinen Nebenflüssen kleiner; in den Nebenflüssen des Paranä,
soweit ich über dieselben Erkundigungen eingezogen habe, fehlt er.
Von Schaden, den er etwa anrichtet, habe ich nichts gehört. An ess-
baren Fischen ist der Paraguay reich, doch fängt man sie wenig, wahr-
scheinlich aus Faulheit; auch die Nebenflüsse des Paraguay wimmeln
Von Fischen, während die des Paranä daran arm sind. Gegessen habe
ich Fische nur in Äsuncion.
Die einzige Klasse des ThieiTeichs, welche — von den Haus-
Üüeren natürlich abgesehen — bei der Kolonisationsfrage in Betraclit
kommen kann, sind die Insekten. Sie sind in unglaublicher Mannig-
faltigkeit vorhanden und machen dem Menschen mancherlei zu schaffen,
^h vermag ich in ihnen ein Hinderniss zur Kolonisation durch
Putsche nicht zu sehen. Allen andern voran nenne ich die Ameisen
^öd Termiten, von denen es sehr viele Arten giebt (Rengger spricht
^on etwa 25 Ameisenarten); dieselben sind theils den Pflanzungen
196
und Weiden schädlich, theils den Bauwerken, aufbewahrten Nahrungs-
mitteln und Kleidungsstücken des Menschen*). Am gefiirchtetsten
ist die Ysaü, eine Ameisenart, deren Arbeiter bei ansehnlicher
Grösse — ich sah solche bis 2 cm Länge — einen gewaltigen Kopf
mit ganz unverhältnissmässig starken Fresszangen haben. Sie legen
grosse künstliche Baue an und können Bäumen und Pflanzungen in
kurzer Zeit grossen Schaden zufügen, indem sie sie der Blätter ganz
berauben. Ich sah Orangenbäume, die sie in ein paar Nächten zu
kahlen Besen gemacht hatten. Sie schleppen dabei die Theile der
Blätter fort, indem sie sie zwischen den Zangen so tragen, dass sie,
vom Kopfe gestützt, senkrecht nach oben stehen. Eine andere Ameisen-
art von der Grösse unserer Waldameise, welche nur Nachts in die
Pflanzungen geht, richtet daselbst auch grossen Schaden an und ist
dadurch merkwürdig, dass sie ihr Nest geschickt zu verbergen weiss ;
oft legt sie es in den Häusern unter dem Fussboden an. Die so-
genannte stinkende Ameise kommt nur selten vor, wird dann aber
unangenehm, da sie auch den Menschen angreift, ohne ihm indessen
ernstlich schaden zu können, wenn er aufpasst. Rengger erzählt
aber z. B. von einem Mulatten, der betrunken von stinkenden Ameisen
überfallen wurde und dem sie die Augenbrauen und Augenwimpern
abfrassen sowie das ganze Gesicht benagten. An Pflanzungen gehen
sie nicht. Diese und andere Ameisenarten stellen auch den in den
Wohnräumen aufbewahrten Speisen nach und theilen denselben oft
einen üblen Geruch und Geschmack mit; dabei sind einige Arten
(z. B. die sogenannte Dreckameise) so klein, dass sie selbst durch
die Oeffnungen feiner Drahtgaze kriechen können. In meinem Hotel
in Asuncion hatte man daher den luftigen Speiseschrank mit den
Füssen in Blechnäpfe voll Petroleum gestellt. Auf der deutschen
Kolonie zeigte mir ein Kolonist eine ziemlich kleine Ameisenart, die
er als Wanderameise bezeichnete, und durch deren Erscheinen angeb-
lich andere Ameisenarten vertrieben werden sollen. Von Termiten
giebt es mehrere Arten, deren eine dem AVeidelande besonders schadet,
indem sie Strecken desselben mit zahllosen ihrer Baue bedeckt, so
z. B. in der Gegend von Itap6 und Capilla Borja. Diese sind kegel-
oder zuckerhutfbrmig, selten auch ganz unregelmässig, werden oft bis
zur Höhe mehrerer Meter aufgeführt und sind ganz hart; äusserst
selten kann man die Thiere beschäftigt sehen. Der Schaden dieser
Termite besteht darin, dass sie einen Theil des Weidelandes unbe-
nutzbar macht, und dass in den von ihr besetzten Gegenden die
*J Vgl. den ausführlichen und interessanten Aufsatz bei Rengger, S. 246 ff.
197
Vegetation eine allmähliche Umänderung erfähil, indem die Grasarten
von Pflanzen mit holzigen Stengeln, die vordem nur vereinzelt da
waren, vei-drängt werden. Faulen Leuten gewährt die Termite da-
dorch einen kleinen Nutzen, dass man ihren Bau mit einiger Mühe
in einen Backofen umwandeln kann. Eine zweite Termitenart wird
den Wohnungen schädlich, indem sie ihr Nest an Balken baut und
das Baumaterial diesen selbst entnimmt. Ein solches Nest von der
Grösse eines kleinen Sackes sah ich in einer Kolonistenwohnung bei
AI tos.
Die Abwehr der Ameisen bildet eine der schwersten Arbeiten
des Ansiedlers und erfordert gi-osse Geduld und Zähigkeit, sie ist
aber mit Erfolg ausfahrbar und sehr nutzbringend, da ein einmal ge-
säubertes Gebiet leichter rein zu halten ist. Gefährlich dagegen ist
das Mittel passiven Widerstands, d. h. das Vermeiden der von Ameisen
stark besetzten Gebiete, denn natürlich müssen sich diese bei der
Vermehrung der einzelnen Ameisenvölker ausbreiten. Um die Baue
d^r Ameisen und ihre Bewohner zu zerstören, bedient man sich
meistens des Feuers, bisweilen heissen Wassers, mit gutem Erfolg
anch des Schwefels. Rengger berichtet*): »Eines der sichersten
Mittel, die Bewohner eines Nestes zu tödten, besteht darin, dass man
die Löcher desselben bis auf eins zustopft und durch das offene Loch
vennittelst eines Blasebalges Schwefeldämpfe in das Innere des Nestes
treibt. Dieses Mittel aber haben blos die Jesuiten, wie sie noch in
Paraguay waren, angewandt, t Ich kann hinzufugen, dass die Deutschen
auch darauf gekommen sind; der Oberösterreicher, den ich wiederholt
auf der Kolonie aufsuchte, hatte gute Erfolge mit dieser Metliode er-
reicht, die er in Brasilien schon angewandt hatte. Uebrigens sind
einzelne Stellen auf dem Koloniegebiet so von Ameisen besetzt, dass
niemand dieselben bebauen will.
Die Wanderheuschrecke, welche in Argentinien so oft grosse
Verheerungen anrichten soll, fehlt auch in Paraguay nicht, doch hörte
|ch so wenig über dieselbe klagen, dass der Schaden, den sie bereitet,
im Allgemeinen nicht gross sein kann. Sie scheint nur selten auf-
zutreten und ist, als sie das letzte Mal kam, ich glaube vor acht
Jahren, mit Erfolg bekämpt worden. Dass sie nicht sehr verheerend
auftreten kann, beweist der überall reichliche Baum wuchs. Mit
welchem Recht Karl Friedrich^) Paraguay in spezielle Verbindung
^t dem Auftreten der Heuschrecken in Argentinien bringt, weiss
ich nicht zu sagen.
') s. 255.
*) Die La PUta-Länder etc. Hamburg 1884. L. Friederichsen & Co. S. 73 und 75.
198
Fliegen und Bremsen kommen in sehr vielen Arten vor und er-
schweren in gewissem Grade die Viehzucht. Namentlich auf Potreros
— von Wald und anderen Naturgrenzen umschlossenen AVeideflecken —
sind sie liäufig, weslialb man dieselben lieber nur im Winter mit Vieh
besetzt. Im Sommer sah ich oft, dass die Pferde an solchen Stellen
in der Mittagszeit so belästigt wurden, dass sie nicht frassen, und
während des Reitens hatte ich oft einen Zweig in der Hand, um die
Fliegen von Kopf und Hals des Pferdes zu verscheuchen. Auch dem
Menschen können die Fliegen manchmal lästig werden, besonders die
kleinen Arten der Yerbales^ welche ich weiter oben erwähnt habe.
Häufig ist in den Wäldern auch eine linsengrosse Zecke, garrapaia^)
genannt, die aus Brasilien eingeschleppt worden sein soll; sie wird
für Vieh und Menschen manchmal lästig. Mich haben trotz vielen
Waldlaufens im Ganzen nur sechs solche Thiere belästigt, die ich,
sobald ich sie bemerkte, einfach abriss. Dieselben haften ausnehmend
fest und sind hart wie Holz. Man thut gut sich beim Baden jedes-
mal nach solchen Gästen abzusuchen. Wahrscheinlich auch eine
Milbe ist der sogenannte hicho cohrado (»rothes Ungeziefer«), den man
z. B. in Argentinien reichlich hat. Schon in Buenos Aires wanite
man mich, unter Pflanzen zu sitzen, und that so, als ob ich in Paraguay
erst die rechte Heimath dieser Thiere finden würde; dort sah ich
aber keines derselben.
Die Moskiten sind eine Unannehmlichkeit, die aber in keiner
Weise in die Wagschale fallen kann. Sie sind durchaus nicht über-
all zu finden, sondern nur wo reichlich Vegetation ist, womöglich
verbunden mit Feuchtigkeit, also hauptsächlich an Flussufeni, an
Lagunen u. s. w. Sie treten ferner hauptsächlich nur Abends auf
seltener Morgens; nur ausnahmsweise fliegen sie die ganze Nacht.
Selir hängt ihr Erscheinen vom Wetter ab, indem feuchtschwüles
Wetter ihr Lieblingselement ist; sie sagen daher oft Kegenwetter
voraus. Man sclititzt sich Abends gegen die Moskiten durch Rauchen
oder durch Kauchfeuer, Nachts durch einen Moskitero, d. h. ein über
die Lagerstatt zu spannendes Netz, oder durch Bedeckung. Ich be-
gnügte mich damit, mir die Thiere Abends abzuwehren und Nachts
den Poncho über das Gesicht zu zielien; nur selten konnten sie mich
dann noch stören. Das Innere der Häuser kann man ganz frei von
Moskiten halten, wenn man Drahtgaze in die Fenster spannt (Glas
ist ausserhalb der Hauptstadt kaum zu finden) und die Thüre zur
•) Bei Wappacus (S. 1158) Ixodes amcrkanus und Acartis Ixodes benannt.
199
beti-effenden Zeit scliliesst. Für manclie faule Kolonisten müssen die
Moskiten eine Entschuldigung für spätes Aufstehen abgeben.
In unsaubern Häusern fehlt es nicht an Flöhen, Wanzen und
Kakerlaken, ebenso ist der Sandfloh nur eine Plage in und bei nicht
rein gehaltenen menschlichen Wohnungen, eine Plage für Menschen
und Hausthiere, besonders Hunde. Das konnte ich mit Sicherheit
auf der deutschen Kolonie feststellen: in der säubern Behausung eines
Kolonisten, der Frau und viele Kinder hatte, war kaum ein Sandfloh
zu finden; von den Füssen eines Andern, der aus einer weniger
sauberen Junggesellen wirthschaft kam, konnten wir Dutzende ablesen
(um sie nach Deutschland zu senden, zur Zergliederung) '). Eine
mir bekannte Kolonistenfamilie bezog ein von einem Junggesellen
verlassenes Häuschen und liess daran bauliche Veränderungen vor-
nehmen; in der ersten Zeit nach dem Einzüge wimmelte es von Sand-
flöhen, so dass jedes Familienmitglied hunderte von sich ablesen musste;
nach einiger Zeit aber waren die lästigen Gäste durch Reinlichkeit
fitst ganz vertrieben. In feuchten Jahreszeiten ist der Sandfloh seltner
als in trocknen; gewisse Individuen werden von ihm weit weniger
belästigt als andere. Es sind die befinichteten Weibchen des Sand-
flohes, welche dem Menschen zu Leibe gehen; sie bohren sich in die
Oberhaut und entwickeln dann ein allmählich bis zur Grösse einer
kleinen Erbse anschwellendes Eiersäckchen, welches sich, wenn man
garnicht eingreift, allmählich hebt und loslöst; erst dann kriechen
aus den Eiern Larven, die aber nicht auf dem Menschen leben. Nach
ßengger ist es am sichersten, den einmal eingedningenen Sandfloh
sich ruhig entwickeln zu lassen, da dann keine Gefahr zu befürchten
^ii während nach dem Herausnehmen lialb entwickelter Exemplare
oft Entzündungen und Eiterungen entstehen , die üble Folgen liaben
können, z. B. den in Paraguay überhaupt oft zu beobachtenden Wund-
starrkrampf. In der Praxis ist das von Rengger empfohlene Ver-
ehren aber nicht gebräuchlich. Das Beste ist, die Füsse in Be-
tansungen oder Ortschaften, wo Sandflöhe vorkommen, täglich sorg-
01% nachzusehen und die etwa eingedrungenen Flöhe frisch zu
entfernen. Im Herausziehen der schon weiter vorgeschrittenen Bil-
dungen haben die Paraguayer ein grosses Geschick; die zunickbleibenden
I^her werden gewöhnlich mit Asche eingerieben, oder mit der öligen
^se von Sesamkörnern. In andere Körpertheile als die Füsse
*) Vgl. Dr. Karl Kräpelin , Ucber die systematische Stellung der Puliciden, S. 9.
Un ijgj Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens des Realgymnasiums des Johanneums
^^ ^lamburg. Hamburg 1884.)
200
dringen Sandflöhe selten ein. Die Paraguayer machen sich aus Sand-
flöhen gar nichts, und auch länger im Lande lebende Fremde lachen
über dieselben, womit ich nicht sagen will, dass nicht bei besonderer
Unreinlichkeit, grossem Ungeschick oder schlechter gesundheitlicher
Beschaffenheit des Individuums Sandflohwunden gefährliche Folgen
haben können. Mich hat während meines Aufenthalts im Laude nur
ein Sandfloh mit seinem Besuch beehrt. Ich bemerkte ihn erst, als
das Eiersäckchen sich mit der noch darüberliegenden Oberhaut schon
htihneraugenartig herausgehoben hatte; er wurde von kundiger Hand
herausgenommen und das Loch mit Sesam verschmiert. Da die Stelle
der Reibung durch den Stiefel besonders ausgesetzt war, folgte eine
leichte Entzündung. Durch gutes Fusswerk kommt der Sandfloh nach
meiner Erfahrung nicht durch.
Will man die Insektenplage Paraguays beurtheilen, so muss mau
das Land natürlich nicht mit Mitteleuropa vergleichen, sondern haupt-
sächlich mit den Nachbarländern. Es schreibt z. B. Wappaeus,
bekanntlich ein vorzüglicher Kenner Amerikas und speziell Brasiliens 0:
»Paraguay hat auch viele schädliche und dem Menschen lästige Insekten,
wenn es im Verhältniss zu den benachbarten ganz tropischen Ländern
darin auch noch ziemlich günstig gestellt ist«. Kolonisten, die früher
in Theilen Brasiliens gewesen waren, die unter gleicher Breite mit
dem mittleren und südlichen Paraguay liegen, waren durchaus der
Ansicht, dass sie in Paraguay einen leichteren Stand gegen die
Insekten hätten als dort. Wie es in Argentinien mit den Insekten
aussieht, kann man bei Karl Friedrich^) nachlesen. Bekanntschaft
mit den Moskiten kann mau dort auf der Flussfahit schon in ziemlich
genügender Weise machen, z. B. in San Nicolas oder Rosario.
Die Pflanzenwelt Paraguays kann — abgesehen von den
kleinsten Organismen, die etwa Krankheiten der Kulturpflanzen oder
auch Krankheiten des Menschen ei-zeugen und natüilich für Paraguay
noch nicht speziell erforscht sind — dem Menschen nur dadurch
schädlich sein, dass das schnelle Wachsthum aller Pflanzen, also auch
des sogenannten Unkrauts, ihm die Arbeit des Ackerbaus erschwert;
im übrigen gewährt sie ihm nur Nutzen, und zwar der vielfachsten
Art. Eine auch nur annähernd vollständige Aufzählung der Pflanzen
zu geben, von welchen der Mensch in Paraguay Nutzen hat, kann
nicht meine Aufgabe sein, ich führe nur das Wichtigste an, um
anzudeuten, dass die Behauptung von dem vielseitigen Nutzen der
•) S. 1157.
'») S. 71 ff.
201
Hguayschen Pflauzenwelt keine leere Redensart ist. Für nähere
iskunft verweise ich auf das oft genannte Werk von Du Graty').
Die Wälder Paraguays enthalten eine wahre Fülle von Bau- und
itzhölzern aller Art, das eine mehr für diesen, das andere mehr für
len Zweck geeignet; einige sind sehr schwer, andere leicht, einige
tzen sich wenig ab, andere splittern nicht, andere brennen schwer,
dere faulen nicht, andere werden vom Ungeziefer nicht berühit,
hmen gute Politur an, sind elastisch u. s. w. Der Paraguayer ist
1 sehr genauer Kenner aller der Pflanzen seiner Wälder, welche
m irgend einen Nutzen gewähren und verwendet sie ihren hervor-
gendsten Eigenschaften entsprechend. Die vorzüglichsten mehr oder
eniger hai-ten und schweren Nutzhölzer sind: Curupaj^ mit seinen
harten, Quebracho, Ybyrarö mit Abarten, Lapacho, Petereby, Laurel,
alo Santo, Urunde;f', Caranda^-hü, Ybyrapytä, Ybyrapep6, Orange;
)i7ügliche leichte Hölzer sind: Ceder (in mehreren Abarten), Timbö,
alo Blanco. Zur Tischlerei verwendet man ausser mehreren der
)en genannten namentlich noch Tatan6 (Tatarö), Morosimö, 5fandypä,
araiso, Palo de Rosa. Durch vielseitige Nützlichkeit zeichnet sich
e Pindöpalme aus ; zu Umzäunungen ist der nicht faulende Nanduba^
»rtrefflich; neben ihm der Espinillo. Mehrere der genannten harten
ölzer liefern ganz vorzügliches Brennholz, auch für den Bedarf von
impfschiffen, was Page nach den Erfahnmgen auf der »Water Witch«
nz besonders hervorhebt. Eine zur Seifenbereitung nützliche Asche
fert der Ombü. Einen unschätzbaren Werth hat für viele Zwecke
s Bambusrohr infolge seiner Leichtigkeit, Zähigkeit und leichten
altbarkeit; dazu gesellen sich die zahllosen Schlingpflanzen, die ein
ssei*st brauchbares und billiges Bindematerial abgeben. Das zum
leil sehr hoch wachsende Kampgras liefert Stroh zum Hausbau.
1 FaseiTflanzen fehlt es nicht: zu einigen Nesselarten gesellt sich
j sehr häufige sogenannte Kokospalme, Mbocayä, deren Blattfasern
ir haltbar und dabei leicht zu gewinnen sind, namentlich aber die
grossen Mengen vorkommende Caraguatä oder wilde Ananas, deren
iser der Jute gleichgestellt wird. Unter den Kakteen findet sich
V den Cochenilleläusen zum Aufenthalt dienende Opuntieukaktus.
ärbstolfhaltige Pflanzen sind reichlich vertreten : der Quebracho und
irupay, daneben der Algarrobo, finden in der Beziehung nicht Ihres-
eichen. Farbstoffe liefern zwei Indigopflanzen, die Frucht des
indypä, die Frucht der Algarrobilla, das Holz des Lapacho und
azarö, der Urucii u. a. Durch ihre Blätter nützen der Yerbabaum
*) Seite 302 bis 337.
202
und die wilde Orange; liarzliefenide Bäume sind zahlreich : der Kautsch uk-
bauni ist vorhanden; als Ansneipflanzen werden von den Eingeborenen
ausserordentlich viele benutzt, deren lieilkräftige Eigenschaften zum
Theil auch von urtheilsfähigen Europäern erprobt ist, so z. B. die der
Frucht von Guavirä-mi, welche bei manchen Leiden des Verdauungs-
apparats vorzüglich ist. Von Bäumen, die essbare Früchte tragen^
ist eine wahre Fülle vorhanden, die von den Eingeborenen und
namentlich von den Indianern fleissig ausgenutzt wird. Viele dieser
Bäume habe ich schon bei der Beschreibung meiner Reise genannt.
Selbstverständlich sind die Reichthümer der Vegetation Paraguays
noch nicht annähernd vollständig erforscht, noch viel weniger aber
entsprecliend ausgebeutet. An unverarbeiteten Pi'odukten der natür-
lichen Pflanzenwelt wurden ausgeführt im Jahre 1882 ') 21 232 Varas
(zu 0,84 m) Holz, 13 583 Varas Bretter, 3641 Eisenbahnschwellen,
1513 Palmstämme, 230 Tonnen Quebracho, 21 300 Arroben (zu 11,5 kg)
Gerberrinde, 323 Arroben Schalen von sauren Orangen, 449 Arroben
Jaborandi ^), 40 AiToben Sassaparilla, 14 Arroben Vetiver oder Cuscus-
wui-zel ^), im Gesammtwerth von 86 052 Mark — also noch nicht ein-
mal soviel, wie dem Fürsten Bismarck Friedrichsruh einbringt. Es
steht der Thatkraft und dem Unternehmungsgeiste der Einwanderer
noch ein weites Feld offen, dessen Ausbeutung allerdings nicht in
die ersten Zeiten einer etwaigen Kolonisation in grösserem Massstabe
fallen könnte, schon wegen der ungenügenden Verkehrswege und
Schiffsverbindungen, der schwer zu beschaffenden geeigneten Arbeits-
kräfte u. s. w. Zunächst könnte man eine umfangi'eiche Gewinnung
von Bauholz und Brettern in Angriff nehmen, Avas schon mit massigen
Kapitalien geschehen kann, da man die AVälder nicht zu erwerben
braucht, sondern nur ein »Patent« von der Regierung zu lösen hat,
ähnlich wie bei der Ausbeutung der Yerbawälder.
Pflanzen anderer Erdtheile und Länder scheinen sich in Paraguay
gut zu akklimatisiren, wie Herr Konsul Mangels auf seinem Laudhause
bei Asuncion durch viele Versuche festgestellt hat, sowohl in Bezug
auf Pflanzen der wai^raen wie der gemässigten Zone. Theestrauch,
Kampherbaum, viele fremde Nadelhölzer kommen fort, daneben aber
auch die afrikanische Dattelpalme und die echte Kokospalme. Versuche
im Grossen und namentlicli aus längeren Zeiträumen liegen nicht vor,
^) Siehe Uericht des deutschen Vicekonsulats zu Asuncion im Deutschen Handels-
archiv 1884, I., S. 277 ff.
^) Mir unbekannt.
203
sodass von einer praktischen Bedeutung dieser Thatsachen noch nicht
die Rede sein kann.
Das Mineralreich liefert in Paraguay fast alles, was für eine
Kulturentwickelung des Landes in Betracht kommen kann, insbesondere
in genügender Menge harte Steine zum Hafen-, Häuser- und Strassen-
bau, Aveiche Steine, namentlich verschiedenartige Sandsteine, zu ähn-
lichen Zwecken, Kalkstein (nicht häufig) zur Kalkbereitung, Thon zu
Töpferzwecken, Thon- und Lehmerden zum Ziegelstreichen, Marmor
und Halbedelsteine zu kunstindustriellen Zwecken, zur Glasfabrikation
geeigneten Sand, Ocker zur Farbebereitung, Gyps, Salpeter u. s. w.
Von Metallen findet sich Kupfer und in sehr grosser Menge Eisen.
Zwei der wichtigsten Stoffe fehlen bis jetzt und müssen eingeführt
werden: Salz und Steinkohle. Letztere zu finden hofft man, doch
weiss ich nicht, ob mit Grund. Auch hier verweise ich auf die um-
fangreiche Aufeählung der Produkte des Mineralreiches, welche
Du Graty giebt ').
Erörtern wir nun mit wenigen Worten die Bedingungen, welche
die Natur Paraguays für Viehzucht und Ackerbau bietet.
Man muss Paraguay im Allgemeinen als ein der Viehzucht,
siHiziell der Rindviehzucht, günstiges Land bezeichnen, namentlich
die westliche Hälfte des Landes, wahrecheinlich einschliesslich
grosser Theile des Chaco. Das Land, welches von der Grenze Matto
Grossos bis zum Paranä zwischen SanCosme und Paso de la Patria
(etwa fünf Breitengrade) das linke Ufer des Paraguay in einer Breite
von fiinfzehn bis funfisig Leguas begleitet, ist voraugsweise AVeideland,
zum Theil von bester Beschaffenheit. Nasses und trocknes Land
wechseln überall reichlich ab, sodass für die Bedürfnisse nasser und
trockner Jahreszeiten und Jahre gesorgt ist; gute, nahrhafte Gräser
lierrschen vor. Wälder und AValdinseln unterbrechen in genügender
Menge das Weideland, fliessendes Wasser ist überall reichlich vor-
handen, Salzleckplätze fehlen nicht. Wer behauptet Paraguay sei für
ßindviehzucht ein zu warmes Land, schätzt das Klima falsch und liat
die Rinder Paraguays nicht gesehen. Man denke nicht etwa an ver-
kommene, krtipi)elhafte, magere Individuen von drei Zentnern Gewicht;
die Rinder sind gross und stattlich, oft wahrhafte Prachtexemplare.
Ein Land, in welchem Ochsen ausgiebig zum Arbeiten verwandt
Verden (namentlich Karretenziehen), ist auch fähig, Rinderheerden
zu ernähren und ihn^n Fortpflanzung zu gestatten, und man darf wohl
annehmen, dass das Rind sich in einem gewissen Grade dem Klima
*) S. 273 bis 301.
204
anpasst. Uebrigens gedeiht dasselbe selir gut in noch wärmereu
Ländern, z. B. in Matto Grosso, welches einen nicht unbedeutenden
Viehstand hat und theilweise das jetzt noch vieharme Paraguay mit
seinem Vorrath versorgt. Dass die zahlreich vorhandenen Insekten
die Viehzucht erschweren, ist nicht zu leugnen und schon oben hervor-
gehoben worden: übertrieben ist es aber, wenn Karl Friedrich
sagt'), dass das häufige Vorkommen von Fliegen, Bremsen etc. an
feuchten oder waldreichen Stellen das Halten und die Aufzucht von
Vieh fast zur Unmöglichkeit machen. Gerade feuchte Gegenden,
wenigstens wenn sie an trockene grenzen, sind von Viehzüchtern in
Paraguay sehr gesucht. Ganz besondere Aufmerksamkeit muss der
Viehzüchter auf die neugeborenen Kälber verwenden. Die Kühe
bringen dieselben mit Vorliebe an einem möglichst versteckten Ort
zur Welt, und es ist Aufgabe der beaufsichtigenden Leute, das Kalb
dann so schnell wie möglich aufzufinden. Gelingt dieses nicht, sondern
findet man es erst einen oder mehrere Tage nach der Geburt, so sind
oft der Nabel und andere Theile des Körpers schon mit Maden besetzt,
deren man dann nur noch schwer Herr werden kann. Hieraus ergiebt
sich, dass einem Menschen nicht eine übermässig grosse Anzahl Vieh
zur Aufsicht anvertraut werden darf. Sehr viel andere Arbeit hat
der Viehzüchter nicht; er muss nur dafür sorgen, dass sein Vieh
innerhalb der gewünschten Grenzen bleibt (Umzäumungen für grössere
Flächen findet man nur ganz vereinzelt: ich habe nur eine gesehen),
dass das Jungvieh rechtzeitig mit dem Brandmal versehen wird, dass
etwa durch Fliegen oder Zecken entstandene kranke Stellen recht-
zeitig bemerkt werden und Aehnliches. Dazu kommt das Zähmen der
zur Arbeit bestimmten Thiere, das Heranziehen von Milchkühen zum
Verkauf, eventuell der Betrieb einer primitiven Milch wirthschaft,
zeitweilig das Sclilachten, Behandeln der Häute u. s. w. Gegenüber
Argentinien erscheint mir der wahrscheinlich gi'össere Insektenreich-
thum Paraguays der einzige Nachtheil für die Rindviehzucht; dafür
ist das Weideland meist vorzüglich, es fehlen die häufigen Dürren
Argentiniens, sowie dessen bisweilen verheerende Pamperos, und die
Heuschreckenplage ist wahrscheinlich seltener.
Der Osten von Paraguay ist für die Viehzucht weniger geeignet,
theils wegen der vorherrschenden Waldbedeckung, theils wegen des
Mangels an Salzleckplätzen. Salz fehlt dort vollständig, sodass den
Indianerstämmen dieses Waldgebietes früher der Salzgebrauch ganz
unbekannt gewesen sein soll. Don Manuel Frutos in Oaäguazü (s. o.)
•) S. 8.
r
205
T) mir die Versicherung, dass es noch jetzt alte Indianer gäbe, die
in Salz ässen.
Die VeiTiiehrung des Rindviehs ist in Paraguay eine sehr schnelle,
e mir alle Viehzüchter versicherten, ohne dass ich indessen von
nselben sichere Zahlen hätte ermitteln können ; ich glaube man wird
:iie jährliche Vermehrung von durchschnittlich dreissig Prozent an-
hmen können. Entscheidend ist für die Schnelligkeit der Ver-
:i.chrang in erster Linie die Qualität des Weidelandes; jeder angehende
7" iehzüchter sollte sich daher nur Weideland erster Klasse auswählen;
uTif solchem kommt es bisweilen vor, dass eine Heerde sich in einem
gTinstigen Jahre nahezu verdoppelt.
In der Zeit vor dem Kriege war Paraguay ein an Rinderheerden
reiches Land, wie mir viele Leute bezeugten, die sich jener Zeiten
noch erinnern, wie auch daraus hervorgeht, dass Rindfleisch während
des ganzen Krieges die Hauptnahrung des Heeres und eines grossen
Theils der übrigen Bevölkerung war. Es gab vor dem Kriege z. B.
eine grosse Zahl von Staatsestancias, die den Bedarf für das Heer
Ueferten ; im Jahre 1849 belief sich die Zahl derselben auf G4, daininter
die grösste die Estancia von Surubiy, südlich von Asuncion, in der
Niederung der Lagune Ipoä (einer der nach Karl Friedrich so zu
ftrchtenden feuchten Gegenden), mit 12000 Stück Vieh (einschliess-
lich der Pferde und Maulthiere); dazu kamen noch eine Anzahl
kleinere Viehwirthschaften mit unter 1000 Stück Vieh, die Puestos
genannt wurden. ^) Am Ende des Krieges war das Land von Vieh
&st gänzlich entblösst, und auch heute noch hat sich der Viehstand
Dicht soweit erholt, dass auch nur der Bedarf des Landes gedeckt
Wäre, denn alljährlich kommen noch zahlreiche Heerden (tropas) von
Corrientes und Matto Grosso ins Land.
Man braucht gar nicht interessirt zu sein (etwa durch eignen
Landbesitz oder durch »Freundschaft« für andere), um unter diesen
Umständen den Ankauf von Land zu Zwecken der Rindviehzucht zu
l^färworten, zumal das Land in Paraguay einen so niedrigen Preis
hat, wie es ihn sicher auf die Dauer nicht behalten kann. Man denke
an Rio Grande do Sul, wo das Land vor einem Vierteljahrhundert
^Bliche Preise hatte, wie jetzt in Paraguay, man augenblicklich aber
l^is fanfzehnmal so viel zahlen muss, wenn ich recht unterrichtet bin.
"Weniger als für Rindviehzucht ist Paraguay für Pferdezucht
R^ignet; dieselbe vriixl auch nur in geringem Maasstabe betrieben,
^ wird vielmehr der grösste Theil des Bedarfs aus Corrientes ein-
'} Diese Angaben nach Wappäus, S. 1164.
\
20G
geführt. Im südlichen Theil von Paraguay stehen der Pferdezue
meines Wissens keine Hindemisse entgegen, im nördlichen dageg
und zum Theil schon im mittlem tritt eine verderbliche Krankh^
auf, mal de cadera genannt. Die ersten Symptome derselben si
Fliessen der Nase und leichtes Schleppen der Hinterfüsse, -dann ei
steht Kreuzlahmheit, die unter schneller Abmagerung des Thieres
zunimmt, dass es schliesslich sich gai* nicht erheben kann und er
lieh verendet. Die Krankheit scheint ihren Sitz im Rückgrat
haben, doch ist das Wesen derselben, wie es scheint, noch nicht nälj
bekannt. Sie steckt nicht von Individuum zu Individuum an, au
nicht durch Gebrauchsgegenstände, wie Sattelzeug, Zaumzeug, Siele
sondem scheint vielmehr vom Boden auszugehen, was dadurch bele^
wird, dass stellenweise einzelne, oft eng begrenzte Bezirke zu alle
Zeiten Krankheitsfklle haben, während im Allgemeinen nur einzeln
Jahre verheerend auftreten. Von verschiedenen Seiten sagte man mii
dass Jahre, die warm und zugleich an kui-zen heftigen Gewittern reic
seien, die meiste Gefahr brächten. Meinem Gastfreunde Don Carlo
Paoli im Panadero starben einmal in einem solchen Jahre alle Pferd
und Maulthiere; als südliche Grenze des Gebiets, in welchem die^
Krankheit die Pferdezucht ernstlich gefährdet, bezeichnete derseltP
Santanl (San Estanisiao). Pferde unterliegen der Krankheit nac^
meinen Erkundigungen stets, Maulthiere kommen manchmal mit der
Leben davon, bleiben aber schwächlich und behalten einen Schlepper^
den Gang.
Von Schafen habe ich in Paraguay nur wenige und klein
Heerden gesehen, von denen eine meist ziemlich grobe Wolle gewonnel
wird ; doch meinten mehrere Besitzer solcher Heerden, dass die Schaft
in Paraguay sehr gut gediehen; jedenfalls würde man dafür zu sorgei
haben, dass die Thiere genügenden Schutz vor der Mittagssonne
finden.
Schweine werden in massiger Anzahl fast überall gehalten; man
lässt sie einfach in Wald und Feld laufen, bis sie eine gewisse Grösse
erreicht haben, dann macht man sie bisweilen zum Verkauf etwai
fett oder man schlachtet sie wie sie sind. Viel hält mau sie des
wegen nicht, weil sie bei der freien Lebensweise, die ihnen gegönnt
wird, leicht grossen Schaden anrichten können, sobald es ihnen, ge-
lingt, in die Pflanzungen einzudringen.
Ziegen habe ich wenig gesehen.
Von Geflügel werden Hühner viel gehalten, doch lässt man sie
ziemlich verwildern; sie suchen sich das Futter zum grössten Theil
selbst, nur etwas wird ihnen täglich gegeben, damit sie sich ans Haas
207
gewöhnen. Truthühner und Enten gedeihen, so viel mir bekannt ge-
U'orden ist, gut, namentlich erstere.
Aus allem Gesagten ergiebt sich schon zur Genüge, dass von
iiner Viehzucht in unserm Sinne, die auf Herausbildung und Ver-
quellung von Rassen, auf das Entwickeln besonderer Eigenschaften,
^vie beim Rinde Milchreich thum, Fleischfülle etc., beim Pferde Schön-
heit, Schnelligkeit u. s. w., hinzielt, in Paraguay nicht die Rede ist.
Man überlässt das Vieh im Wesentlichen sich selbst und wartet eine
Vermehrung ab. Einwanderer würden, falls sie nicht über grosses
Kapital verfugen, anfangs der landesüblichen Weise sich anzuscliliessen
tiaben, später aber durch Anwendung rationeller Prinzipien ohne
Zweifel bedeutende Vortheile erzielen. Wollen Europäer, speziell
Deutsche, sich in grösserem Masse an der Wiederentwickelung der
Viehzucht in Paraguay betheiligen, so würden sie gut thun, nicht zu
lange damit zu zögern, denn die Correntiner, welche treffliche Vieh-
züchter (im amerikanischen Sinne) sind, siedeln sich in Masse im
Xiande an und werden über kurz oder lang mit den Paraguayern selbst
die besten Plätze besetzt haben.
Für Ackerbau ist Paraguay seiner Natur nach eigentlich noch
besser geeignet, als für Viehzucht, und die Regierungen haben es seit
langer Zeit hauptsächlich für ein Ackerbauland angesehen und auf
Entwickelung des Ackerbaus hinzuarbeiten gesucht. Das Klima ist
dem Ackerbau günstig, besonders durch die Vertheilung des Regen-
&lls, das Regenmaximum im Sommer, den Nachlass des Regens in
der zweiten Hälfte des Winters. Der Boden muss auch als im All-
gemeinen günstig bezeichnet werden; zwar sind grosse Strecken tiefen
Humusbodens selten, während leichter sandiger Boden nicht fehlt,
doch glaube ich, dass man unter ganz andern klimatischen Verhält-
nissen den Boden nicht blos nach seiner Zusammensetzung auf seine
Ertragsfähigkeit beurtheilen darf. Die Paraguayer ziehen die »rothe
Erde« den andern Bodenarten vor und legen ihre Pflanzungen fast
^tets an Waldrändein an, wo die rothe Erde allerdings meistens noch
Jöit einer Schicht verwitterter Pflanzenstoffe bedeckt ist. Die rothe
Erde kommt in verschiedener Beschaffenheit vor, bald mehr, bald
Weniger reich an Sand oder Lehm oder Thon; ihre Farbe ist auf den
starken Eisengehalt zurückzuführen. Die rothe Erde ist jedenfalls
*Js eine besondere Schicht des tertiären Zeitalters zu betrachten, die
s^ch Sandsteinen jener Periode in verschiedener Mächtigkeit auf-
werte; bei San Lorenzo (nahe Asuncion) grub man 30 m tief, oline
^ Liegende der rothen Erde zu erreichen, bei Yaguaron 35 m tief. Die
Konsistenz der rothen Erde ist so bedeutend, dass man Brunnen u. s. w..
208
die man darin anlegt, nicht auszumauern oder mit Holz zu verkleiden
braucht.
In die Einzelheiten des Landbaues in Paraguay, in Fruchtfolge,
Wahl der Bodenarten, Behandlung der einzelnen Fnichtarten u. s. w.
einzudringen, habe ich nicht Zeit gehabt; auch fehlt mir dafür auf
Vorbildung beruhendes Verständniss. Beim Ackerbau des Einge-
borenen scheint von rationellem Betrieb noch nicht viel die Rede zu
sein ; er nutzt eine Rodung aus, so lange sie etwas hergiebt, und legt
dann eine neue an. Dünger wird fast nicht angewendet. Leicht ist
der Ackerbau in Paraguay nicht; man hat nicht etwa blos den Samen
in die Erde zu werfen und dann eine fünfzig- oder hundertfiLltige
Ernte abzuwarten, womöglich ein paar Mal im Jahre. Man hat mit
dem Klima zu rechnen, hat die Bodenart sorgfältig zu wählen — denn
auf kleinen Strecken finden sich oft grosse Bodenverschiedenheiten — ,
hat fleissig das Unkraut und noch fleissiger das Ungeziefer zu be-
kämpfen, muss dafür sorgen, dass man so angepflanzt hat, dass, &lls
eine Frucht missräth, eine andere um so besser gedeiht u. s. w. Ein
Uebelstand eigner Art ist in Paraguay der, dass man Leute mit
gründliehen Kenntnissen aller Zweige des Ackerbaues selten trifft;
die alten erfahrenen Leute sind im Kriege meist umgekommen. Es ist
daher oft nicht leicht, sich guten, massgebenden Rath zu erholen.
Einen ganz besondem Einfluss auf das Leben der Pflanzen schreibt
der Paraguayer dem Monde zu, er unternimmt nichts auf dem Gebiete
des Ackerbaues ohne sich nach der Mondphase zu richten; auch beim
Schneiden von Gras zu Deckstroh, beim Fällen von Bäumen und
Anderem richtet er sich streng nach dem Monde. Die eingewanderten
Europäer thun das Gleiche, nachdem sie, wie sie angeben, durch Er-
fahrung klug geworden sind. Das Weideland wird kaum irgendwo
in Paraguay zum Ackerbau verwendet, doch wäre es ohne Zweifel
dazu brauchbar, da es oft ähnliche Beschaffenheit wie der Waldboden
hat, und man Stellen mit mangelndem oder erschwertem Abfluss ver-
meiden oder verbessern kann. Der Paraguayer wählt die Waldränder,
da das Waldland Anfangs prachtvolle Ernten giebt, der Wald vor
den Winden schützt und Holz immer bei der Hand ist. Im Grossen
in unserm Sinne wird der Ackerbau in Paraguay meines Wissens
nicht betrieben; wenn einer ein paar Hektar angebaut hat, so ist das
schon viel. Ueber Erträge des Ackerbaues ziffermässig zu berichten,
ist nicht möglich, da dafür keine Angaben zu beschaffen sind. Dem
Paraguayer ist so etwas gleichgültig, ja unverständlich, und der Ackei^
bau durch Einwanderer ist noch so jung, dass derartige Resultate
209
noch nicht vorliegen. Auf der deutschen Kolonie wird, so viel ich
weiss, alljährlich eine statistische Erhebung gemacht.
Die wichtigste Ackerfrucht in Paraguay ist der Mais, wohl auch
eine der ältesten, da er im Guaranl einen Namen hat (avati). Man
baut besonders zwei Spielarten an, den gelben und den weissen. Die
Erträge auf nicht ausgesogenem Land scheinen enorm zu sein und
ich sah nicht selten Stauden mit sieben Kolben, deren jeder mehrere
hundert Kömer enthält. Man kann den Mais als Hauptnahrungs-
mittel der Bevölkerung bezeichnen, von der er in sehr vielfaltiger
Zubereitung genossen wird, bald als frischer Kolben geröstet oder
gekocht, bald enthülst mit Fleisch oder Milch, bald in Fett geröstet,
mit Eiern und Fett als chipd (Maisbrot), mit Fleisch als chijxi-zod
(Fleischzwieback) u. s. w. Ferner dient der Mais wie bei uns der
Hafer als Pferdefutter. Es kostet einige Mühe, die Pferde an dieses
Futter zu gewöhnen — wohl hauptsächlich, weil man ihnen die ganzen
grossen und harten Kömer giebt — , haben sie aber einmal gekostet,
80 ziehen sie Mais anderer Nahrung vor. Ob ein Pferd maizero,
Maisfresser, ist oder nicht, fragt man bei jedem Pferdekauf. Mais-
mühlen fiir grossen Betrieb giebt es in Paraguay meines Wissens
noch nicht, nur ein paar kleine für Handbetrieb. Der Paraguayer
stösst den Mais unter Aufwand von viel Zeit und Arbeit im mortero,
einem grossen hölzernen Mörser mit hölzernem Stampfer. In den
wenigen grösseren Städten würde sich die Aufstellung von kleineren
Mühlen vielleicht lohnen. Der gesammte Maisbau des Landes deckt
noch nicht einmal den Bedarf, wenigstens wird nach den Yerbales
nnd wohl auch nach Asuncion noch Mais aus Argentinien eingeführt!
Der, den ich in den Yerbales sah, war noch dazu von elender Qualität.
Weizen wird, glaube ich, in Paraguay kein Korn gebaut. Früher
80II er in den Missionsgebieten ziemlich reichlich angebaut worden
sein, auch zu Renggers Zeiten noch. IcJi bin der Meinung, dass mau
ach mit dem Weizenbau in Paraguay lieber nicht quälen soll; viel
^ es doch nicht werden, denn fiir Weizen ist das Klima zu warm;
nwui baue in jedem Lande, was seinem Klima am besten entspriclit.
Mt Hafer und Gei*ste hat mau auch Versuche gemacht, doch meistens
^^nr Grünftttter erzeugt.
Neben dem Mais ist als Hauptprodukt der Maniok zu nennen,
^n dem ebenfalls mehrere Spielarten gebaut werden. Die Wurzeln
*^ Maniok, welche eine stock- bis rübenförmige Gestalt haben,
^^rten nicht auf einmal geerntet, sondern je nach Bedarf aus der
^rte genommen, was sehr bequem ist, zumal sie in der Erde immer
^^h besser werden. Der Maniok wird theils gekocht oder geröstet
14
210
als Ersatz unseres Brotes und unserer Kartoffeln gegessen und i
diesen Gestalten wohlschmeckend und nahrhaft, theils verarbeitet
ihn zu Stärkemehl, wobei ebenfalls essbare Rückstände bleiben.
Verarbeitung des Maniok zu dem beliebten, schmackhaften
nährenden Maniokmehl wird in Paraguay zur Zeit wenig betri(
es kommt sogar Maniokmehl (fariM) aus Brasilien in's Land!
Nächst Mais und Maniok sind Bohnen das wichtigste Nahn
mittel des Paraguayers; sie werden in mehreren Arten allge
angebaut, namentlich die sogenannten paraguayschen Bohnen
schwarzen Bohnen Brasiliens ganz ähnlich), die Butterbohnen un(
Buschbohnen; die Ernten sind meist reichlich. In ziemlich gr
Menge wird die Erdnuss {Arachis hypogaea, mani oder mm
genannt) angebaut, deren bohnengrosse, in Schoten steckende Fri
geröstet ein wohlschmeckendes Nahrungsmittel bilden. Ans
ölreichen Früchten könnte auch Oel gewonnen werden. Reis ge(
in Paraguay sehr gut, wird aber zur Zeit nicht sehr viel angel
zur Bewässerung eingerichtete Felder habe icli nirgends gesehen
angebaute Art entspricht daher vielleicht dem, was man in an
Ländern Bergreis nennt.
Ein schon jetzt und mehr wohl noch für die Zukunft wicbi
Produkt ist das Zuckerrohr; dasselbe gedeiht in Paraguay sehr
abgesehen davon, dass es bisweilen durch Reif leidet. Sehr 1
diese Gefahr nicht in die Wagschale fallen, sonst hätte sich
Anbau nicht so lange gehalten, denn zu Renggers Zeit (zwam
Jahre) wurde es schon viel angebaut und wahrscheinlich auch s
zur Zeit der Jesuiten. Uebrigens ist zu bemerken, dass die wärm
und in den tiefen Theilen vielleicht ganz oder fast ganz frostfi
Landschaften des nördlichen Paraguay noch nahezu ohne Acke
sind ; dort werden ohne Zweifel auch für den Anbau des Zucken
viele Gegenden geeignet sein. Als eine demselben nach den Bo
Verhältnissen besonders günstige Gegend wurde mir die von Caraguü
bezeichnet. Die Benutzung des Zuckerrohrs ist gegenwärtig
durchweg eine ganz primitive ; man presst auf einfachen Mü
(s. 0. bei San Joaquin) den Saft aus und dickt ihn zu Syrup
ein, der gewöhnlich in Ledersäcken aufbewahrt wird, oder man m
Branntwein (caüa) daraus, der abgelagert einen guten Rum g
Rohzucker wird wenig oder garnicht im Lande hergestellt, obgl
dieses Geschäft einfach und einträglich sein soll; man bezieht ihn
Brasilien! Raffinirter Zucker wird auch nicht ein Pfund in Paraj
(im Gegensatz zu Renggers Zeit) fabrizirt, obgleich man in Asun(
einigen andern wichtigen Plätzen und auf den nach den Yerb
211
fehrenden Schiffen eine ziemliclie Menge davon verbraucht. Der
raffinirte Zucker ist z. B. zur Herstellung der feineren Dulces (Ein-
geniaclites) nöthig, die man in Paraguay in vortrefflicher Qualität
bereitet. Im Jahre 1882 wurde für 185728 Mark raffinirter Zucker
eingeführt.
Der Kaffee gedeiht in Paraguay gut und giebt ein wohlschmecken-
de Produkt. Auch ihm werden die Fröste bisweilen verderblich,
doch ist die Gefahr von denselben nicht so gross, wenn man zui* An-
pflanzung geschützte Stellen wählt. Auch leiden die Bäumchen ge-
wöhnlich nui' im ei-sten und zweiten Jahr vom Frost, da sie dann
noch sehr zart sind und sich noch zu wenig über die unterste, am
meisten sich abkühlende Luftschicht erhoben haben. Man hat daher
mit Erfolg versucht, die jungen Pflanzen im Schatten des Waldes zu
ziehen; der Kaffeebaum ist ja ursprünglich ein Waldbaum. Der Anbau
des Kaffees ist noch sehr wenig verbreitet in Paraguay, wie auch der
Gebrauch des Pi-oduktes. Icli hatte nur zum Besuch einer etwas aus-
gedehnteren Pflanzung Gelegenheit, welche in Trinidad, einer Vorstadt
von Asuncion, gelegen ist. Die Bäumchen standen meist im vierten
oder fünften Jahre, hatten nie vom Frost gelitten und gaben reichliche
Ernten. Im Hause des Besitzers wurde uns natürlich — Mate vor-
gesetzt.
Die Baumwolle gedeiht ausgezeichnet in Paraguay, wird aber
auch erst in kleinem Massstabe angebaut und im Lande selbst ver-
arbeitet. Die Paraguayerinnen verstehen mit einfachen Werkzeugen
feine Gewebe zu Hemden, Servietten u. s. w. daraus zu machen,
ferner Spitzenarbeiten, Hängematten, Ponchos u. A. Diese Industrien
sind jedoch nicht sehr ausgebreitet, da europäische Fabrikate meist
sehr schlechter Qualität den Markt erobert haben oder erobern. Viele
I^andeskundige und ältere Kolonisten hielten die Baumwolle für die
anssichtsreichste Kulturpflanze in Paraguay, zumal da dieselbe vom
^st nicht leidet; als Schädlichkeit kommt bei ihr die Witterung
^^v in sofern in Betracht, als die Baumwolle gelb wird, wenn Kegen
die geöffneten und noch nicht abgenommenen Kapseln trifft; eine
Gefahr, der man leidlich vorbeugen kann.
Ein uraltes und für den vorhandenen Boden wie wenig andere
geeipetes Produkt Paraguays ist der Tabak. Wird er mit Sorgfalt
^gebaut, geemtet und zubereitet, so kann er, wie mir von vielen
Seiten gesagt wurde, und wie auch nach Europa gesandte Proben
l>eweisen, den besten Produkten anderer Länder an die Seite gestellt
Verden, und wenn er augenblicklich nicht konkuiTenzfähig ist
^lid den Produzenten wenig Gewinn abwirft, so liegt das daran,
212
dass der Paraguayer von seihen alten schlechten Gewohnheiten ni<
abzubringen ist; namentlich hält es schwer, die Leute vondemWei
der Trocknung im Schatten zu tiberzeugen. Man muss dabei ni<
vergessen, dass der Geschmack des Paraguayers für Tabak nach unse-
Anschauung verdorben ist; eine Zigarre, die ein Europäer als >ni<
zu rauchen « wegwirft, ist ihm ein Genuss, und europäisches Fabri ¥
findet er kraftlos. Die Technik der Zigarrenbereitung ist natürl:
eine ganz primitive. Das Rauchen ist unter allen Erlassen \i
Lebensaltem der Bevölkerung beider Geschlechter verbreitet, i?
vielleicht in keinem zweiten Lande der Erde, und ich kam als Nicl
raucher oft in arge Verlegenheit, denn es gilt für eine Unhöflichke
eine angebotene Zigarre abzulehnen. Schliesslich gewöhnte ich mi
daran, sie immer anzunehmen, einzustecken und dann meinem rauc;
lustigen Reisebegleiter eine Freude damit zu machen. Für den Eii
Wanderer hat der Anbau von Tabak u. A. die Schwierigkeit, dass ^
viel Arbeit, auch in der heissen Jahreszeit, verlangt.
Der Wein kommt in Paraguay sehr gut fort und liefert schör^
Trauben, die aber jetzt ausschliesslich zum Essen verwendet werde i
Wollte man Wein keltern, so wäre die Hauptschwierigkeit die, das -
wie mir von mehreren Seiten gesagt wurde, die einzelnen Traube
und die einzelnen Beeren der Trauben nicht gleichzeitig reifen. Ic^
kann mir nicht denken, dass das in genügend hohem Masse der Fa-
ist, um den Anbau von Wein zur Weingewinnung zu hindern. Wen
Azaras Bericht zuverlässig ist, so wurde ums Jahr 1600 Wein vo-
Paraguay nach Buenos Aires ausgeführt; jetzt ist es umgekehrt, den
von dort kommt ein elender Kunstwein den Fluss herauf, der z
Spottpreisen verkauft wird (man trinkt ihn bei Tisch ohne besonder
Bezahlung in beliebiger Menge). Gegenwärtig könnte demnach ei:
Weinbauer gar keine Konkurrenz wagen, ausser etwa dann, wenn e
mit grossen Mitteln anfängt, so dass er eine Reihe von Jahren aus
halten kann, um einem Theil der Landesbewohner einen anständige!
Geschmack für Wein beizubringen. Durch Insekten, speziell durcl
Ameisen und Wespen, hat der Wein viel zu leiden; doch glaube ich
dass diese Plagen zu bekämpfen sind, denn man kann zum Anbai
ein möglichst ameisenfreies Stück wälilen und es dann sorgfältig ver
theidigen; die dem Wein schädlichen Wespen können aber auf einen
bestimmten Raum wahrscheinlich vertilgt werden, da sie ihre Nestei
fast nur an die Häuser bauen und daher strenge kontrolirt werdei
können. In Paraguay gekelterten Wein habe ich nur einmal im Lande
getrunken, bei einem italienischen Kaufmann in Paraguar^', der mit
den Trauben einer umfangreichen Weinlaube einen Versuch gemacht
hiitte. Der Wein War noch jung, etwas sauer und hatte einen erdigen
&€schmack, war jedoch dem Kunstwein nach meinem Geschmack weit
vorzuziehen.
Von Futterkräutem gedeiht die Alfalfa (Luzerne) in Paraguay
S^t, doch bedarf sie der Düngung, weshalb man sie, soweit thunlich,
sÄ-iif den Stellen alter Corrale anpflanzt. Sehr ausgebreitet ist ihr
-^nbau noch nicht, da man sich an ihre Anwendung noch nicht gewöhnt
hat; man giebt neben Weidefutter fast nur Mais, sowie grüne Mais-
l>lätter. Trotzdem wird im Ijande noch nicht einmal so viel gebaut,
"^vie gebraucht wird, es kommt vielmehr noch Alfalfa von Argentinien
liinein.
Dass unsere Kartoffel bei geeigneter Auswahl des Bodens und
d«" Oertlichkeit in Paraguay gedeihen kann, unterliegt keinem Zweifel,
doch werden die Knollen gross und mehlarm; auch ist nicht anzu-
nehmen, dass der Verbrauch jemals ein allgemeiner werden wird, die
Kartoffel wird vielmehr ein Luxusartikel bleiben. Mehr der Natur
des Landes angemessen ist die Batate, welche auch viel angebaut
wird; sie giebt nach meiner Ansicht ein wenig schmackhaftes Essen.
Flachs soll vorzüglich in Paraguay gedeihen, wie Eengger angiebt,
doch habe ich nirgends welchen gesehen. Wahrscheinlich wiid jetzt
überhaupt keiner angebaut, denn ich habe auch nichts gesehen, was
von Flachs heiTühren könnte.
Sehr verbreitet ist der Anbau mehrerer Arten Kürbis, sowie
^oii Melonen und namentlich Wassermelonen. Letztere findet
Dia» im Sommer überall zu billigen Preisen, in verschiedenen Abarten
önd in guter Beschaffenheit. Die Paraguayer essen sie mit Leiden-
^haft, haben sich aber die unsaubere Art sie zu gemessen, welche
^^ngger schildert, nun schon abgewöhnt. Meistens schneidet man
di^ Frucht der Länge nach durch und holt den Inhalt mit dem
^essei-, allenfalls auch mit den Fingern heraus. Bisweilen eiTeichen
di^ Wassermelonen eine sehr beträchtliche Grösse; so theilte mir ein
^ic ich glaube zuverlässiger Mann mit, er habe in San Pedro eine
^Ob 37 Pfund Gewicht angetroffen. Von Flaschenkürbissen werden
"•^ obrere Arten angebaut, deren Schalen — man lässt das Fleisch
^Hsfaulen — dann je nach Grösse und Gestalt als Behälter für
^V^asser und Milch, als Trinkge fasse, Schöpfkellen, Mates (Gelasse
^U.in Genuss des Mate) dienen. Dem Flaschenkürbis lässt man ge-
wöhnlich für den späteren Gebrauch seine nattirliclie Gestalt, manch-
mal aber umschnürt man ihn mit Bändern, so dass ganz phantastisch
geformte Trinkgefässe entstehen.
Von europäischen Gemüsen können die meisten, z. B. Kohl,
214
Salat, Gurken, in Paraguay gezogen werden, doch bedürfen sie
meistens der Düngung und entarten stark, der Kohl bildet z. B. keine
festen Köpfe; auch setzen, ^vie man mir sagte, viele unserer Gemüse
drüben keinen Samen an, man muss denselben daher immer frisch
von auswärts beziehen. Das war bisher recht schwierig; man bekam
miserable Waare zu enoimen Preisen. In der letzten Zeit konnten
aber oft Gelegenheitskäufe gemacht werden, indem Kolonisten, denen
das Land nicht gefiel und die wieder weggingen, ihren Vorrath zurück-
liessen. Nicht oder doch schlecht sollen Blumenkohl und Spargel
gedeihen, und allerdings waren die Spargel, welche ich in Asuncion
ass, miserabel, doch wiini man sich kaum die Mühe genommen haben,
die Spargelbeete nach allen Regeln der Kunst anzulegen. Reichlich
findet man überall Tomaten, mehrere Arten Pfeifer und namentlich
Zwiebeln, welche letzteren zwar einen weit milderen Geschmack
haben als die unsrigen, aber für den Nichtliebhaber in der paraguayschen
Kochkunst doch eine etwas zu grosse Hauptrolle spielen.
Im Bereich der Früchte tritt in Paraguay alles zurück gegen-
über der Apfelsine, welche so zu sagen einen Bestand theil des täg-
lichen Brotes beim Paraguayer bildet. Ein naranjaly Orangenhain,
gehört zu jeder vollständigen Ansiedlung, und Dank dem Fleiss
früherer Zeitalter, namentlich auch des der Jesuiten, findet man
solche naranjales reichlich in den meisten Gegenden des Landes.
Junge Anpflanzungen sind leider selten, obgleich sie sehr wenig Mühe
beanspruchen und schon im vieiten oder fünften Jahre Frucht bringen.
Die paraguaysche Orange ist klein, süss und aromatisch, dabei aber
sehr reich an Kernen. Der Veredlung ist sie ohne Zweifel noch
fähig. In den La Plata-Häfen, wohin grosse Mengen ausgeführt
werden, gilt die Paraguayorange für die beste. Anpflanzungen im
grossen Stil soll es südlich von Asuncion nahe dem Fluss geben, doch
wäre es ohne Zweifel vortheilhaft, mehr anzulegen. Von Verwandten
der Orange findet man uamentlicli eine kleine sehr saftreiche und
aromatische gelbgrüne Zitrone, die zm' Herstellung von refrescos
(Erfrischungen) sehr geschätzt ist. Etwas Syrup, der Saft einer
halben solchen Zitrone und die nöthige Menge Wasser giebt ein Ge-
tränk, das vorzüglich genannt zu werden verdient. Die Apfelsine
sowohl wie diese Zitrone haben den Vorzug, ausserordentlich dankbar
zu sein; die Bäume tragen fost das ganze Jahr. Wenig Geschmack
und Werth hat die süsse Zitrone (lima (hdce)^ die man bisweilen an-
trifft. Sehr gut kommt im Lande der Pfirsich fort, doch pflegt
man die Bäume wenig, so dass das Produkt mittelmässig ist. Die
Banane ist nicht sehr stark verbreitet, vielleicht wegen der schon
215
ttehriacb ei-wälinten Fröste, die auch sie schlecht vertragen kann.
Ananas findet man viel und in guter Qualität; Feigen nicht sehr
oft. Unter den wildwachsenden Früchten, deren einige ich bei Be-
schreibung meiner Reise erwähnt habe, sind zwar viele einer Ver-
edlung fähig, doch giebt sich niemand die Mühe. Unsere Aepfel und
Birnen werden vielleicht noch Frucht tragen, doch darf man schwer-
lich auf besondere Resultate rechnen; auch ist es ein Fehler, sich
mit Kulturen abzuquälen, die den Verhältnissen des Landes nicht
angemessen sind.
4. Verkehrsmittel. Handelsverhältnisse. Absatz und Erwerb.
Aussichten und Rathschläge für Einwanderer.
Bei der Beschreibung meiner Reise habe ich in kurzen Zügen
die von Asundon nach Paraguaiy führende Eisenbahn geschildert.
I^iese 72 Jcm lange Strecke mit ihrem primitiven Verkehr, ein Rest
51. HS der Periode, in welcher Paraguaj' in schnell fortschreitender
innerer Entwickelung begiiften war, ist die einzige im Lande. Die
^Veiterführung der Strecke bis Villa Rica und die Anlage einer Zweig-
Ufiie nach Süden wird wohl noch lange auf sich warten lassen, da
öur dann auf diesen Fortschritt zu rechnen ist, wenn ausländisches
Kapital dazu hergegeben wird. Irgend welche bestimmte Aussichten
darauf sind meines Wissens zur Zeit nicht vorhanden, da die deutschen
Gesellschaften, welche mit bezüglichen Plänen umgingen, von den-
^Iben abgekommen sind. Herr Quistorp berichtete zwar kura vor
'öeiner Abreise von Paraguay brieflich von Gründung gi'osser Gesell-
^liaften in England, die auch den Bahnbau auf ihr Pi-ogi'amm gesetzt
*^ätten, ist auch, wie ich höre, in Paraguay vor kurzem wieder aufge-
sucht *), Bestimmtes aber scheint noch nicht vorzuliegen. Argentinische
Kapitalisten sollen stark ihr Augenmerk auf die paraguaysche Eisen-
bahn gerichtet haben, wahrscheinlich in Hoffnung auf spätere politische
Umwälzungen. Das Telegi*aphennetz — wenn man so sagen darf — be-
^bränkte sich bis vor Kurzem auf eine die Eisenbahn begleitende
Linie; eine zweite, am Paraguay entlang bis zum Paranä, die früher
^hon bestanden hat, aber im Kriege zerstört worden ist, war zur
Zeit meiner Reise im Bau und wird nun fertig geworden sein. Ausser
der Eisenbahn giebt es für Personenverkehr nur noch eine regelmässige
Landverbindung in Paraguay, eine Diligence von Paraguarj' südlich
^is zum Paso Santa Maria des Tebicuaiy (Villa Florida), welche,
glaube ich, zweimal wöchentlich geht. Die Linie von Paraguary nach
^'^illa Rica ist wegen zu geringer Benutzung eingestellt worden. Den
") Soll auch schon wieder fort sein (nachgetragen Februar 18S5).
216
Postverkebr vermitteln, abgesehen von der Eisenbahnlinie und den am
Strom gelegenen Orten, reitende Boten. Das kann für die Bedürfnisse
des Landes als ungeföhr genügend bezeichnet werden. Kunststrassen
für Wagen giebt es keine im Lande, sondern nur einfache Landwege,
die je nach der Beschaffenheit des Bodens mehr oder weniger schlecht
sind und höchstens in der Nähe der Hauptstadt einmal eine kleine
Besserung erfahren. Brücken fehlen, von den Privatanlagen in den
Yerbales abgesehen, so gut wie vollständig. Mit andern Fuhrwerken
als mit den grossen zweirädrigen Karreten zu fahren, ist daher augen-
blicklich kaum möglich; die erwähnte Diligence ist auch eigentlich
weiter nichts, und von europäischen Fuhrwerken habe ich nur das
Kabriolet des deutschen Konsuls gesehen, das aber nur ab und zu
den Weg bis zu dem Landhause und zuiiick zu machen hat. Der
Karretenverkehr ist natürlich in hohem Grade von der Witterung
abhängig und lässt eine lebhafte Handelsentwickelung kaum zu; die
Beförderung ist langsam, die Ladefähigkeit einer Karrete nicht gross
(rund 25 Zentner), die Art des Transportes ist eine höchst unsanfte.
Lastthiere werden verhältnissmässig nicht viel benutzt, von dem Markt-
verkehr nach der Hauptstadt abgesehen.
Die Schiffsverbindungen nach den La Plata-Häfen sind nicht so
schlecht, wie man nach Karl Friedrichs Darstellung') denken
könnte. Dort heisst es: »Die Verbindungen des Landes mit der Aussen-
welt beschränken sich auf monatlich ein Dampfschiff stromaufwärts
bis Cuyabä in der brasilianischen Provinz Matto Grosso einei-seits
und den Paraguay und Paranä stromabwärts bis Rio de Janeiro
andererseits, welche Linie von der brasilianischen Regierung Sub-
vention erhält, und ferner auf monatlich zwei bis drei Flussdampfer,
welche zwischen Buenos Aires und den am Paranä und Paraguay
belegenen Orten bis zum paraguayschen Flecken Concepcion und auch
bis zur Insel und Stromschnelle Apip6 auf dem oberen Paranä eine
Verbindung unterhalten. « Nach meinen Erfahrungen und Erkundigungen
sind die Verbindungen folgende: Zwei brasilianische Dampfer monat-
lich bis nach Matto Grosso hinein; ein paraguayscher Dampfer monat-
lich hin und her zwischen Montevideo und Corumbä in Matto Grosso
(Ausgangspunkt eines viel benutzten Weges nach Bolivia) ; fünftägig
Dampfer von Buenos Aires nach Asuncion; zweimal wöchentlich
Dampfer zwischen Asuncion und Concepcion; femer auf dem soge-
nannten Alto Paranä — dem oberen Paranä, von der Paraguaymündung
aufwärts — alle zehn Tage ein Dampfer bis Ituzaingö, von da Diligence
') A. a. O. S. 8 u. 9.
217
bis Itapua (Posadas), von da alle vierzehn Tage regelmässige Ver-
bindang (ich glaube Dampfer) bis zum grossen Yerbaetablissemeut
racurü-pucü. Dazu kommt noch der Verkehr ziemlich vieler, aber
meist kleiner Segelschiffe. Dass in dem Verkehr der Dampfer Un-
r^ehnässigkeiten oft genug vorkommen, soll nicht geleugnet werden ;
je nachdem die Dampfer Ladung finden, halten sie sich hier oder da
langer auf, auch können Wasserstands- und Wetterverhältnisse manch-
xnal in Frage kommen. Die Preise für Personenbeförderung auf den
X3ampfem sind nicht übermässig: man zahlt von Montevideo bis
.suncion in erster Kajüte 50, in zweiter 25 Patacon (200 und 100 Mark),
Iwärts etwas weniger; dabei ist die Verpflegung eine gute, ebenso
leist die Reinlichkeit. Die von Buenos Aires aus fahrenden Schiffe
des Argentinischen Lloyd sind gross und gut eingerichtet. Die Frachten
sind sehr hoch, von Asuncion bis Montevideo Vk bis 2 Realen die
Arrobe; ein Umstand, der den Handel sehr hemmt. Schwerer
noch fällt für den Handel ins Gewicht, dass die genannten Dampfer-
liBien mit keiner nach Europa gehenden in organischer Verbindung
stehen. Es wäre für die Zukunft Paraguays in der That sehr wünschens-
^w-erth, wenn z. B. eine der deutschen nach den La Plata-Häfen
erehenden Linien zwei bis vier kleinere Dampfer für die Fahrt auf
dem Paranä und Paraguay in Dienst stellte und dadurch direkten
Verkehr mit Europa anbahnte.
Zieht man in Betracht, wie w^enig die Verkehrsmittel im Innern
des Landes noch entwickelt sind, wie sehr theui'e Frachten den
Handel erschweren, dass direkte Verbindungen nach Europa nicht
bestehen und dass Paraguay von seinem natürlichen Absatzgebiet
Argentinien durch Zollschranken getrennt ist, so wird man begreifen,
dass der Aussenhandel noch keine sehr hohen Gesammtwerthe
aufeuweisen hat. Auch ist derselbe noch ausserordentlich jung, denn
ttuter Francias Diktatur (1814 bis 1840) war das Land nach aussen
fast völlig abgeschlossen, und als der Handel unter dem älteren Lopez
^d im Anfange der Diktatur des jüngeren einen Aufschwung ge-
kommen hatte, kam der unglückselige Krieg, welcher wieder Alles
^ber den Haufen warf. Die jüngste Phase der Handelsentwicklung
ist also wenig über zehn Jahre alt. Im Jahre 1851 betrug der Werth
der Ausfuhr nach Du Graty») 341 616, der der Einfuhr 230917 Patacon
(2u 4 Mark) ; unter mancherlei Schwankungen hoben sich diese Summen
W» 1860 auf 1693904 und 885841 Patacon; der Gesammtwerth des
Aussenhandels betrug also 1860 2579 745 Patacon oder 10318 980 Mark.
') s. 389.
218
Für die Jahre 1880 bis 1882 giebt der deutsche Vicekonsul folgende
Werthe (in Patacon) ') :
1882 1881 1880
Einfuhr 1 320 125 1 290302 1 030408
Ausfuhr 1 650679 1 928548 1 163417
O*
Summe 2970804 3218850 2193825.
Der Gesammtwerth des Aussenhandels betrug also im Jahre 18.^2
11883216 Mark, weniger als ein Zehntel dessen von Uruguay. Die
wahren Werthe der Einfuhr ßind übrigens wahrscheinlich bedeutend
höher, als die Aufstellung angiebt, da viel geschmuggelt wird und auch
im Zollhause so mancherlei vorkommen soll. Landeskundige meinten,
man könne bei manchen Artikeln bis 50 Procent mehr annehmen.
Es ist von Interesse und gerade für die Kolonisationsfrage
belehrend, einen Auszug aus der Liste der Ein- und Ausfuhr kennen
zu lernen; es wurden eingeführt im Jahre 1882 (eine Arrobe 11,5 kg.
ein Patacon, peso fuertCj 4 Mark) :
Raffinirter Zucker . . 23026 Arroben, 46432 Patacon,
Rohzucker 5 256 » 8 280 »
Alfalfa 23043 » 7021
Kaffee 2563 » 8770
Weizenmehl 66412 » 53130 >
Salz 93841 » 11261
Stearinlichte 115378 Packete, 11537 ^
Bier 13372 Dtzd. Fl, 30087
Carlonwein 1 090 Pipen, 43 000
Bordeauxwein 1 667 Fässer, 36 674
Feine Weine für 40600
Steingut ^ 6 110 >
Sackleinen 262188 Yards, 18353
Shirting ^ 51032
Gewöhnliches Baumwollenzeug > 140483
desgl. zu Beinkleidern » 16000 »
Kattune » 57 063 »
Schade, dass die Liste nicht vollständig ist, sonst würden sich
zu Zucker, Alfalfa, Kaifee, Wein und Baumwollenstoffen, die das
Land sehr wohl selbst hervorbringen könnte, noch andere Produkte
dieser Art gesellen, z. B. Mais, Rinderfett, Käse, Maniokmehl u. s. w.
Zollfreie Artikel (Maschinen, landwirthscliaftliclie Geräthe, Sämereien^
•) Deutsches Handelsarchiv 1882, II, S. 63 ; 1883,11,8.115; 1884. I» S.277«
i
219
Steinkühle, Stangeneisen, gedruckte Bücher, Bedarf für Druckerei
öüd Lithographie) wurden für 97 355 Patacon eingeführt.
Ausgeführt wurden 1882 u. A.:
Yerba 518207 Arroben,
Tabak 119218 >
Bindshäute 40995 Stück,
Eingemachtes 3 060 Arroben,
Stärke 3455
Zigarren 9870350 Stück,
Orangen 25000000 »
964800 Patacon,
398436
Holz
Bretter
Eisenbahnschwellen . .
Palmstärame
Quebracho
Grerberrinde
Oningenblätteressenz .
Orangenschalen
Jaborandi
Sassaparilla
Vetiver
Pferdehaare
21232 Varas,
13583 t
3641 Stück,
1513 >
230 Tonnen,
21300 Arroben,
1 105 kg,
323 Arroben,
449 »
40
14
143482
4284
2418
11844
25073
10116
2716
3641
604
690
2 662
3315
323
449
200
112
1820
4182
2544
•)
«)
130 »
Straussenfedern für 4 182 » »)
Hirschhäute 2544 Stück,
Diese Liste lässt deutlich erkennen, dass sowohl die Ausbeutung
i«i' Naturschätze Paraguays noch nicht stark entwickelt ist — von
d^r Yerbagewinnung abgesehen — als auch Ackerbau und Viehzucht
^^h nicht sehr viel zur Ausfuhr liefern. Es kann keinem Zweifel
unterliegen, dass der Export Paraguays in allen Punkten einer wesent-
lichen Steigerung fähig ist und noch auf viele andere Artikel aus-
Sedehnt werden kann.
Unter den Flusshäfen Paraguays ist die Hauptstadt bei weitem
*ni bedeutendsten; daneben kommen nur noch Concepcion, Encarnacion
Und Villa del Pilar in Betracht. Der Handel wird voraugsweise durch
italienische Kaufleute vermittelt, daneben durch wenige deutsche,
^öglische und solche anderer Nationen. Den Handel im Innern des
') Im Durchschnitt 200 Stück für eine Mark !
*) Rund 250 Stück für eine Mark.
*) 1881 14'/« Arroben für i 160 Pat., 1880 65 Arroben für 5 200 Pat., also 80 Patacon
*^ Arrobe ; im Bericht für 1882 ist die Zahl der Arroben verdruckt.
220
Landes haben fast ganz die Italiener in Händen^ welche unter
sehr zusammenhalten und Eaufleuten anderer Nationalität das .
kommen erschweren.
Die Industrie ist in Paraguay noch wenig entwickelt, denn
gesehen von der Yerbabereitung werden nur wenige gewerbliche Zw
in grösserem Massstabe betileben. Es bestehen zwei oder drei Se
fabriken, in welchen man die Seife aus den Früchten der paraguay»
Kokospalme (Mbocayä), Bicinussamen, Baumwollensamen und and
ölhaltigen Früchten bereitet; mehrere Likörfabriken, welche
Erzeugnisse liefern; einige Fabriken, die Essenz aus den Blät
der sauren Orange herstellen; Zigarren und Zigarretten wei-dei
geringerer Menge fabrizirt als früher. Nicht bedeutend ist
Brettschneiderei. In Itä verfertigt man, hauptsächlich für den Be
des Landes, Töpfergeschin', wie z. B. die grossen porösen Wasserkr
die man in allen Häusern findet; aus Luque kommen ordinäre H
kämme; die Weiber geben sich in massigem Umfange mit der ]
Stellung von Hängematten, Spitzen, Servietten, Hemden, Pom
u. dergl. ab; in vielen Haushaltungen wird in kleinem, in mam
in etwas grösserem Massstabe aus Zuckerrohr Branntwein und Sy
sowie aus Maniok Stärke verfertigt. Früchte werden in ziemli(
Menge eingemacht. Handwerker giebt es nur wenige im Laude,
der Paraguayer die meisten seiner einfachen Bedürfnisse selbst
friedigt, viele Handwerker daher fast nur auf den Verbrauch
Fremden angewiesen sind; man findet hauptsächlich Sattelmaa
Schmiede, Tischler, Gold- und Silberarbeiter. In der Hauptstadt
vereinzelt sonst im Lande sind natürlich noch andere Handwe
vertreten, wie Schuhmacher, Schneider, Klempner u. s. w. Ein ziem
verfehltes industrielles Unternehmen in grösserem Massstabe ist
in Areguä von einem Engländer angelegte Ziegelei mit Maschii
betrieb. In Paraguay ist der Ziegelbedarf augenblicklich ein äuss<
geringer; der Landbewohner baut sich seine Hütte aus Stämn
Stangen, Lehm und Stroh, oder streicht sich- selbst seine Ziegel, w
er welche haben will, und trocknet sie an der Sonne; in den Stäc
aber ist ein Bedüifniss nach Neubauten fast gar nicht vorhanden,
ja die Bevölkerung so sehr reduzirt ist, dass sogar noch Häuser
stehen. Wie man unter solchen Umständen grosse Kapitalien in (
Ziegelfabrik stecken konnte, ist mir nicht klar. Dazu soll noch
füi' das Fabrikat geforderte Preis ein unangemessen hoher sein,
für andere grössere industrielle Unternehmungen Paraguay im Auj
blick schon ein geeignetes Gebiet ist, kann ich kaum beurthei
Ganz besoudei-s vorsichtig wird man aber jedenfalls in der Arber
221
frdge sein müssen. In kleinem Massstabe für Hilfsarbeiten beim
Ackerbau u. s. w. kann man jederzeit und zu billigen Pi'eisen (z. B.
Essen und 2 Realen, oder 3 Realen ohne Essen: in Asuncion vielleicht
mehr) Arbeiter haben; aber fiir industrielle Anlagen kommen andere
Gesichtspunkte in Betracht. Der paraguaysche Arbeiter ist zwar
geschickt und anstellig, aber seine Lust zur Arbeit und seine Leistungs-
fthigkeit ist nicht gross und noch weniger seine Ausdauer; nimmt
man sich andrerseits europäische Arbeiter mit, so wollen dieselben
flatürlich einen besonders hohen Lohn haben und der Gewinn wird
gedrückt. Am meisten Aussicht hätte vielleicht eine Zuckerfabrik
ond eine Fabrik zur Herstellung von Quebrachoextrakt zum Gerben;
eine Baumwollenspinnerei wäre schon etwas sehr hoch gegriffen.
Dass die Aussichten auf Absatz und Erwerb für den Einwanderer,
»peziell für den Deutschen, in Paraguay zur Zeit nicht gerade die
gränstigsten sind, folgt aus den Angaben dieses und des vorigen Kapitels.
Zunächst ist fast gar kein Bedürfniss da nach Angehörigen aller
Berafsarten mit höherer wissenschaftlicher Vorbildung, wie Lehrer,
Aerzte, Feldmesser, Ingenieure, Chemiker, Geistliche u. s. w. Benutzen
wir die Aerzte als Beispiel. Asuncion hat mit seinen ich glaube
vier Aerzten, von denen noch dazu die meisten einem etwa ankommenden
Kollegen Brotneid entgegenbringen, genug; in dieser Stadt aber ist
fiist alles vereint, was wohlhabend ist und einen Arzt angemessen
bezahlen kann. In Villa Rica kann ein dorthin gegangener Arzt
von der Praxis nicht leben, hat sie daher fast ganz aufgegeben. In
den meisten andern Orten würde es eher schlimmer als besser sein,
vielleicht Paraguary und Concepcion ausgenommen; denn man muss
ticht vergessen, dass der Paraguayer zu den Tränkchen seiner männ-
lichen und weiblichen Heilkundigen viel mehr Vertrauen hat, wie
w einem fremden Arzt, dessen Methoden er nicht versteht; die
Wenigen Ausländer aber, die der einzelne Ort hat, können einen Arzt
Jicht ernähren und würden zum Theil einem Deutschen noch nationale
Antipathie entgegenbringen. Auch ist zu bemerken, dass das Gesetz,
ftr die Praxis in der Hauptstadt wenigstens, ausser dem an einer
Universität erworbenen Doktordiplom, ein in spanischer Sprache in
Asuncion abzulegendes Examen verlangt, bei welchem natürlich die
«nkftnftigen Konkurrenten die Piitfenden sind. Was sollen ferner
*. B. Ingenieure im Lande, solange nicht mit tremdeni Kapital Wege-
^d Brückenbauten , Eisenbahnbauten und Aehnliches in Angriff ge-
Jtoamen werden? Was Feldmesser in einem Lande, wo es auf eine
•JÄlbe Qnadratlegua mehr oder weniger kaum ankommt und niemand
<>rtentliche Arbeit zu würdigen versteht? Ein deutscher Feldmesser,
222
den ich in Asuncion kennen lernte, erwarb sich sein Brot mühsam
mit Klavierstimmen. Kaufleute, die etwa aufs Gerathewohl nach
Paraguay gehen würden, um dort eine Stelle zu finden, w^ürden höchst
wahrscheinlich keine bekommen, denn die deutschen Kaufleute kann
man an den Fingern einer Hand herzählen und die anderer Nationen
finden unter ihren Landsleuten Auswahl genug. Auch kann man nur
Leute mit gründlicher Kenntniss der Orts- und Landesverhältnisse
verwenden, die ausserdem tüchtig Spanisch und womöglich Guarani
können u. s. w. Hat einer sich diese Eigenschaften erworben und
verfügt er über etwas Kapital, so kann er letzteres auf eigne Hand
leicht im Kleinhandelsbetrieb vermehren und vervielfältigen, besonders
mit Landesprodukten, die jedermann braucht, und mit billigen Gegen-
ständen europäischer Industrie.
Handwerker könnten in massiger Zahl noch ihr Auskommen
finden, wenn sie nicht gleich ans Reichwerden denken, sorgfältig und
nach dem Rath Landeskundiger den Ort auswählen, wo sie sich hin-
setzen, und sich in ihrer Arbeit den Landessitten anpassen ; es würde
sich aber kaum um andere Handwerker als Schmiede, Stellmacher,
Tischler, vielleicht einzelne Maurer, Schuster, Schneider und WaflFen-
schmiede handeln. Dass Leute hingehen, die die Absicht haben, als
Tagelöhner oder in ähnlicher Weise ihr Brot zu verdienen, ist kaum
anzunehmen; solche würden auch schwerlich ihr Fortkommen finden,
sie müssten es denn in den Yerbales versuchen (s. o.).
Die Hauptsache ist und bleibt bei allen Fragen der Kolonisation
und Auswanderung der Ackerbau, und gerade dieser hat in Paraguay
einen schweren Stand. Die Zahl derer, die von andern erzeugte
Produkte des Ackerbaus verzehren, ist nui' gering, da die Mehrzahl
der Paraguayer ja auch Ackerbauer sind, mit denen der einwandernde
Ackerbauer konkurriren muss; jene aber haben Alles vor ihm voraus,
sie kennen Boden und Klima, kennen die Aussichten jeder Fruchtart,
sind ausserordentlich bedürfnisslos und können sich die meisten ihrer
Bedürfnisse selbst befriedigen, sie sind an das Klima gewöhnt, sie
haben eine geringe Fähigkeit zu kalkuliren, verkaufen daher oft zu
Preisen, die in keinem Verhältniss zur aufgewandten Arbeit stehen
u. s. w. Setzt sich der einwandernde Ackerbauer irgendwo unter
die Eingeborenen und baut, was sie bauen, verkauft es, wo und wie -
sie es verkaufen, so kann er dabei nur eben bestehen ; er wird kaum -
so viel erübrigen, um sich Kleidung zu kaufen und was er an Haus- -
bedarf nicht selbst erzeugen kann, wie Yerba, Salz und Seife; Geld^ —
um Vieh oder Geräthe zu kaufen wird ihm selten bleiben. DabeL^
ist immer noch vorausgesetzt, dass er sich mit den Eingeborenen gut^:^
223
stellt und diese ihm nicht böswillig schaden. Setzt der Einwanderer
sich in die Nähe der Hauptstadt, um Gartenbau zu treiben und seine
Produkte in der Stadt zu verkaufen, so ist sein Stand deswegen ein
schwerer, weil er ausschliesslich auf den Verkauf in den Markthallen
angewiesen ist, wo durchaus das eingeborgne Element und die Volks-
sprache, das Guarani, herrscht; er wird daher in diesem Falle der
Btilfe einer eingeborenen Frau nicht entbehren können. Einige
Italiener, die, mit eingeborenen Frauen verheirathet, die Gärtnerei
bei Asuncion betreiben, sind schnell wohlhabend geworden. Für den
Deutschen ist dies Geschäft weniger geeignet wie für den Italiener,
denn dieser vei'steht sich besser auf die intensive Gartenkultur mit
künsüicher Bewässerung, sorgfilltiger Düngung u. s. w., als der aus-
wandernde deutsche Ackerbauer, hat auch eine an die paraguaysche
grenzende Bedürfhisslosigkeit.
Selbst wenn man, wie ich eben gethan, die Sache von der un-
günstigsten Seite auffasst, muss man doch immer zugeben, dass der
mittellose oder sehr wenig bemittelte Ackerbauer in Paraguay ein
ganz bescheidenes Fortkommen finden kann. Hat er sich allmählich
ein wenig emporgearbeitet oder stehen ihm ein paar Groschen mehr
von Anfang an zur Verfügung, so kann er, wenn er ei-st einen Ein-
blick in die Landesverhältnisse gewonnen hat, seine Lage wohl ver-
bessern, indem er die wichtigsten der gewöhnlichen Landesprodukte,
namentlich Mais, Maniok, Bohnen und Tabak, nur zum eigenen Be-
^rf baut, im Uebrigen aber darauf ausgeht, etwas Industrie mit dem
Ackerbau zu verbinden und Produkte zu liefern, die in grösserer
Menge verbraucht als im Lande erzeugt werden, oder die schon aus-
geführt werden, wie z. B. Stärke, Maniokmehl, Rohzucker; oder er
arbeitet darauf hin, sich einen kleinen Viehstand zu schaffen, um
Milch und Käse, vielleicht auch Butter — ein Luxusartikel in Pam-
fttay — zu verkaufen, so weit Gelegenheit dazu vorhanden ist, oder
ab und zu ein Stück Vieh zum Schlachten.
Beim Verkauf aller Ackerbauprodukte ist der Ansiedler in Paraguay
öbel daran, namentlich wenn er durch die Umstände gezwungen ist,
"äJe gewöhnlichen Landesprodukte gleich nach der Ernte zu verkaufen,
ßer Händler hat in Paraguay, wie auch in andern südamerikanischen
Ländern, ein noch viel weiteres Gewissen als bei uns und presst den
Ackerbauer so viel er kann; der Paraguayer schlägt seinen Mais,
^ine Bohnen und seinen Taback zu niedrigem Preise los und der
fremde Ansiedler muss es meist auch ; er hat vielleicht so und so viel
^ö seinen Acker hineingesteckt, hat mit einem mittleren Preise seine
^rechnung gemacht und sieht sich arg getäuscht. Namentlich beim
224
Maisbau kommen solche Enttäuschungen fast immer vor; der Preis
einer Arrobe Mais steigert sich vor der Ernte auf 8 bis 10 Realen,
um dann schnell, manchmal bis auf einen Real oder noch darunter,
zu sinken. Wer in der Lage ist, seine Produkte eine Zeitlang liegen
zu lassen, kommt natürlich besser weg, vorausgesetzt, dass sie ihm
nicht verderben. Eine besondere Schlauheit entwickeln die Kaufleute
darin, mit Waaren statt mit Geld zu bezahlen und so doppelt zu
verdienen, unter diesem System leidet freilich der eingeborne Acker-
bauer noch mehr als der Einwanderer.
Mit dem Anbau von Produkten, die des Exports nach Europa
fähig sind, ist für den einzelnen und nur auf sich angewiesenen An-
siedler zur Zeit noch kaum etwas zu machen. AVenn auch zehn oder
zwanzig Ansiedler anfangen Baumwolle zu bauen, wie sollen sie es
anstellen, ihr Produkt zu verwerthen? Wenn sie Kaffee bauen, wer
wird ihnen den Absatz vermitteln? Nur auf ein bestimmtes Ziel
hinarbeitende kapitalkräftige Initiative könnte wahrscheinlich den
Anbau solcher Produkte in Schwung bringen und lohnend machen »).
»Wahrscheinlich« sage ich, denn ob es möglich sein wird, mit andern
Ländern, welche das Gleiche hervorbringen, erfolgi'eich zu konkurriren,
ist schwer zu beurtheilen. Man vergesse nicht, dass unter den Pro-
dukten, die Paraguay erzeugen kann, keines ist, das nicht auch
von andern, Europa näher gelegenen Ländern hervorgebracht würde,
und zwar in grosser Menge und unter dem Schutze alter Handels-
verbindungen und Verkehrseinrichtungen. Das gilt ebensowohl von
Tabak und Baumwolle wie von Kaffee, Reis, Indigo u. s. w. Paraguay
müsste eben seine Konkurrenten in irgend einem Punkte übertreffen,
entweder in Billigkeit des Produkts oder in Güte. Ob das möglich
und wahrscheinlich ist, lässt sich zur Zeit kaum beurtheilen; ich
wenigstens getraue mir dieses nicht, hoffe jenes aber. Wesentlich
günstiger würde sich nach meiner Ansicht die wirthschaftliche Lage
Paraguays gestalten, wenn es von seinem natürlichen Absatzgebiet
Argentinien nicht durch politische Grenzen und Zollschranken getrennt
wäre. Mit andern Worten: ich könnte für Paraguay kein Unglück
darin sehen, in Argentinien aufzugehen. Meine Freunde in Paraguay
werden mich deswegen hoffentlich nicht für einen Feind ihres Vater-
landes halten, dem ich im Gegentheil ausserordentlich zugethan bin.
Ueber die Frage, mit welchen Produkten Paraguay wohl am erfolg-
•) Nach neueren Nachrichten kauft die Bank von Paraguay unentkemte Baumwolle
bis auf Weiteres auf und zahlt 8 und lO Realen für eine Arroba, je nach Qualität. Es
ist zu wünschen, dass das den Anstoss zu lebhafterer Entvvickelung der Baumwollenkultur
gicbt. (Nachgetragen Februar 1885).
225
reichsten auf dem Weltmarkte konkurriren könnte, ist viel nachgedacht
and gesprochen worden ; nach Ansicht landes- und sachkundiger Leute
baben Baumwolle und Tabak die meisten Aussichten. Dass übrigens
Paraguay auch fortschreiten kann, ohne neue Produkte für den Export
hervorzubringen, beweist der schnelle Aufschwung, den es unter dem
Älteren Lopez nahm. Hier ist ja aber nicht speciell von der Ent-
wicklungsfähigkeit des Landes an sich, sondern von den Aussichten
ftr fremde Einwanderung die Rede.
Schneller und leichter als der Ackerbauer kommt in Paraguay
der Viehzüchter vorwärts, und dieser wieder um so leichter, wenn
er mit einem leidlichen Kapital anfangen kann. Wer auch nur kurze
Zeit in Paraguay gelebt hat, sieht das ein und arbeitet auf Erwerbung
eines Viehstandes hin. Der kleine Viehzüchter, der vielleicht nicht
mehr als fünfzig oder hundert Stück Vieh hält, siedelt sich am besten
in der Nähe der wenigen grösseren Ortschaften an, erzieht möglichst
viele Milchkühe, verkauft gute Stücke an die Fleischer, zähmt Ochsen
zum Karretenziehen u. s. w.; daneben baut er natürlich an, was' er
für sich braucht. Wer sich ein paar hundert Stück Vieh halten
l^ann, findet in der nächsten Nähe der grösseren Städte nicht so leicht
eine Stelle, muss daher weiter in den Kamp hinaus. Bei ihm tritt
schon der Gewinn durch Vermehrung der Heerde in den Vordergrund;
Hauptsache wird derselbe beim eigentlichen Estanciero, der sein Vieh
nach Tausenden zählt. Er wird am passendsten weiter abliegende
Gegenden, wie die Misiones, das Departement von Caäzapä oder auch
^ie weiten Gebiete des Nordens aufsuchen und sich, falls er selbst
^i seinen Heerden lebt und nicht vorzieht, dieselben seinen] Leuten
'anzuvertrauen und in der Hauptstadt zu bleiben, auf längere Zeit
niit allem zum Leben Nöthigen, sofern er es nicht selbst bauen kann
^er will, versorgen. Auf Absatz seines Viehes kann der Viehzüchter
^hnen, da, wie schon oben gesagt, alljährlich noch Vieh nach Paraguay
eingeführt wird ; er verkauft dasselbe an den Schlachthof in ' Asuncion,
^ andere angehende Viehzüchter, an die Yerbateros, die einen nicht
?ÄUz unbedeutenden Bedarf haben u. s. w. Diese Art? des J Absatzes
^nn natürlich nur für einige Zeit das Geschäft der Viehzucht sichern,
^eun über kurz oder lang wird der einheimische Bedarf reichlich ge-
^kt werden, dann wird auch die Viehzucht vor die Frage des Exports
gestellt sein. Es ist aber anzunehmen, dass den Produkten Paraguays
^8dann der ausländische Markt ebenso gut offen stehen wird, wie denen
•A.rgentiniens. In Qualität werfen sie denselben ohne Zweifel gleich-
gestellt werden können, und die höhere Fracht — der Unterschied
^ti bis dahin hoffentlich schon vermindert sein — wird durch den
15
226
geringeren Preis und die gute Beschaffenheit des Weidelandes am
geglichen werden. Welche Vortheile dem Viehzüchter jetzt in Paragn;:
daraus erwachsen würden, wenn er sich mit der Veredlung der Bass^<
befassen wollte, lässt sich nicht absehen; für den Anfang wohl ^
geringer, denn es fehlt im Lande noch das Verständniss für solci
Bestrebungen.
Genaue Angaben darüber zu machen, in welcher Weise der Ei
Wanderer es anzustellen hat, um sich in Paraguay dem Ackerba
oder der Viehzucht hinzugeben, was fiir Mittel dazu nöthig ode
wünschenswerth sind u. s. w., fühle ich keinen Beruf. Doch will ici
wenigstens einige Anhaltspunkte geben. Wer's mit dem Ackerbau
ohne Anschluss an die vom Staat angelegte Kolonie San Bemardioo
— deren Aussichten, wie weiter näher gezeigt werden wird, keine
glänzenden sind — versuchen will und nicht fähig ist, Gartenwirth-
schaft in der Nähe der Hauptstadt in Angriff zu nehmen, thut gut,
sich auf möglichst lange Zeit hinaus mit Kleidern, Hausbedarf
Ackergeräthen, Werkzeugen u. s. w. zu versehen, da die Einnahmen
wohl keine glänzenden sein werden. Auf den Ankauf von Land
braucht wenig oder nichts gerechnet zu werden, denn der Staat giebt
jedem Einwanderer, der Ackerbau treiben will, acht Quadratcuadras
(von je 0,7 ha) Land, die sein Eigenthum werden, wenn er fünf Jahre
nacheinander darauf gearbeitet, innerhalb dieser zwei Drittel des
Areals unter Kultur gebracht und mindestens hundert Kaffeebäume
gepflanzt hat '), Ausserdem kann Staatsland für Ackerbauzwecke für
je einen Patacon die Quadratcuadra dazugekauft werden *) ; auch wird
nicht so genau daraufgesehen, wenn man etwas Vieh auf benachbartem
Staatsland weiden lässt. Holz und Gras von Staatsland zu nehmen,
steht auch jedem frei. Ferner bekommt ein solcher Einwanderer
Unterhalt für die ersten fünf Tage nach seiner Ankunft, wird frei
nach dem Orte, den er wählt, befördert und führt seine Kleider,
Geräthe u. s. w. zollfrei ein. Nach der Staatskolonie gehende Ein-
wanderer bekommen daselbst, wenn sie Familie haben, doppelt so
grosse Landparcellen unter ähnlichen Bedingungen, können weiteres
Land unter leichten Bedingungen erwerben, werden von Montevideo
nach der Kolonie frei befördert, bekommen Sämereien, Geräth und
etwas Vieh und werden sechs bis zwölf Monate lang unterhalten; zm
Zeit meiner Reise geschah dieses durch Auszahlung von baarem Geld
(2 Realen = 80 Pfennige täglich auf den Kopf; Kinder halb gerechnet).
*) Artikel 31 des Kolonisationsgesetzes.
') Artikel 3 des Gesetzes über den Verkauf von Staatsland.
227
lie Anschaffung von Vieh muss der Ansiedler auf folgende Preise
eil: eine Stute 8 bis 10 Patacon, eine Milchkuh (mit Kalb;
ikuh ohne Kalb ist in Paraguay gar kein Begriff, denn man
iht die Kühe nicht zu melken, ohne vorher das Kalb ansaugen
ssen) 20 bis 25 Patacon, Schweine 1 bis 4 Patacon, Hühner
3 Realen. Wer Kapital hat und Viehzucht betreiben will, thut
wenn er seine Absicht nicht gleich merken lässt, sondern sich
nöglichst unbefangen im Lande umsieht. Fast jeder hat nämlich
raguay Land zu verkaufen, manche sehr viel, und je grünere
T sie finden, desto lieber ist es ihnen natürlich. Es giebt noch
Utes Regierungsland, welches zu 1500 Patacon die Quadratlegua
uft wird ; zweite Qualität zu 1000, dritte zu 800 Patacon. Man
indessen gutes Privatland meistens billiger kaufen, muss dann
wegen der Besitztitel Vorsicht anwenden. Uebrigens würde ich
rathen, anfangs gar kein Land zu kaufen, sondern Privatland
ichten, was man oft lächerlich billig haben kann, z. B. eine
i (so sagt man gewöhnlich für Quadratlegua), womöglich noch
inigen kleinen Gebäuden, für 10 Patacon jährlich. Gefällt es
im Lande, so kann man, nach reichlich erworbener Erfahrung,
' noch kaufen. Sehr gebräuchlich ist es auch, sein Vieh gegen
iringes Kopfgeld (einen Real jährlich für jedes Stück) auf fremdem
äland weiden zu lassen. Heerdenvieh kauft man in Paraguay
bis 12 Patacon das Stück im Durchschnitt, altes und junges,
n, Kühe und Stiere durcheinander; Stuten für die Leute zu
icon oder billiger; Wallache zum doppelten Preis. Ein Capataz
Ä.uf Seher pflegt bis 12 Patacon monatlich zu bekommen, Peone
;hte) halb so viel oder weniger; dazu die Kost. Auf einer
-atlegua Land kann man mehrere tausend Stück Rindvieh halten.
Ver in Paraguay in einer Stellung leben will, die ihn zwingt,
eine Lebensmittel zu kaufen, kann, wenn er die landesüblichen
mgsmittel geniesst und sich schon einige Erfahrung angeeignet
ülig wegkommen. Für 2 Realen täglich nehmen die Kolonisten
an Bernardino neuankommende Junggesellen sehr gern in Kost.
giebt es natürlich keine Leckerbissen, sondern Mais, Bohnen,
»k, Gemüse, Mate, ab und zu Fleisch u. s. w. Mein Reise-
ter G. in Paraguay hat andere Deutsche bisweilen längere Zeit
x\\ für 2Va Realen (1 Mark) täglich gut beköstigt. Ein Pfund
leisch kann man zu 20 bis 30 Pfennigen ansetzen, eine Arrobe
nind zu 2 Realen (mit starker Steigerung vor der Ernte), ein
Yerba kostet einen Real; eine Arrobe Zwieback 18 bis
alen: Weizenbrot ist durchaus nicht überall zu haben und theuer.
228
Alle Produkte europäischer Industrie muss man in Parag
theuer bezahlen, was seine sehr guten Gründe hat, denn einstens t
fiist Alles von Buenos Aires bezogen, wo es mit hohen Eingai
Zöllen hingekommen ist und die Kaufleute gut verdienen woll
zweitens erhebt Paraguay selbst hohe Eingangszölle und die K;
leute Asuncions nehmen auch lieber 100 Procent Gewinn als
drittens die Geldverhältnisse sind für jeden, der das Seinige zusamn
halten muss, sehr unbequem, indem der Real, d. h. der zehnte T
des Peso oder Patacon, 40 Pfennige werth, die gewöhnliche R(
nungseinheit ist. Einen anderen Preis für Kleinigkeiten kennt i
ausser im Marktverkehr, wo auch der halbe Real und der vie
Real zur Anwendung kommen, fast gar nicht. Jede Lumpeiei ko:
einen Real, z. B. ein kleiner Pinsel, ein einzelner Knopf, ein Bk
löffel u. s. w. Besonders grosse Löcher reisst diese Realenwirthsel
in den Geldbeutel infolge der leidigen Sitte, sich gegenseitig
Getränken zu regaliren; da kostet an den meisten Orten jeder Lil
jeder Refresco (Erfirischungsgetränk), jedes Glas iWein« einen R
und ein Patacon geht durch die Kehle, ehe man sich dessen vei^si^
Bei solchen Ausgaben muss man einen Real im wahren Wer
unserm Zehnpfennigstück gleichsetzen. Uebrigens sind die Indust
Produkte, die man in Paraguay theuer bezahlt, noch dazu meist
ziemlich schlecht, oft nur Ladenhüter von Buenos Aires. Ausnahi
fehlen natürlich nicht.
Wollte man die Aussichten des deutschen Einwanderers nach c
beurtheilen, was die seit längerer Zeit im Lande ansässigen Deutse
erreicht haben, so würde man zu keinem günstigen Schluss koran
Es giebt ein paar wohlhabende Kaufleute, die zur Zeit des Krie
ganz klein anfingen und sich dann unter der Gunst der Verhältn
rasch emporgearbeitet haben, einige wenige, die mit Viehzucht
Industrie etwas erworben haben und eine ziemliche Anzahl
solchen, die nicht eben glänzend voi-wärts gekommen sind. A
gaben mir die meisten zu, selbst Schuld daran zu sein; sie wuss
von Anfiing nicht, wie sie am besten fortkommen würden, Wechsel
fortwährend, probirten hin und her, wurden mittellos und konn
sich schwer wieder emporarbeiten. Manche Handwerker verdier
in der Zeit unmittelbar nach dem Kriege, wo das Pfund Sterl
weniger werth war als jetzt der Patacon, ungeheuer, aber sie spai
nichts, sondern lebten in Saus und Braus ; andere wechselten wie<
holt den Wohnort, versuchten es bald mit dem Zuckerrohr, bald
dem Tabak, bald mit Alfalfa, bald mit Vieh u. s. w. und lernten <
allmählich einsehen, dass man auf solche Art zu nichts kom
r
229
Alanche Avurdeu auch zu Scliwindlern oder Buniralern, manche nahmen
sidi eine Paraguayerin zur Frau und versanken in paraguaysche
Schlaffheit. Zu befürchten ist leider, dass viele der jetzigen Ein-
ivanderer in ähnliche Fehler verfallen, denn leider kommen die meisten
mit grosser Ueberhebung ins Land, kehren sicli nicht an den Rath
derer, die lange dort gelebt haben, glauben, dass man sie überall be-
trügen wolle und wissen selbst Alles am besten. Ehe sie sich dessen
versehen, sind ihre Mittel erschöpft und dann lernen sie allmählich
einsehen, welche Fehler sie gemacht haben. Gegen paraguaysche Frauen
an sich habe ich gar nichts, aber für den deutschen Einwanderer ist
es doch besser sich keine solche zu nehmen; sie steht natürlich auf
einer niedrigen Bildungsstufe, versteht nur aus der Hand in den
Mand zu wirthschaften, hat meist einen grossen, oft lästigen Anhang
und nur selten hervorragende Gemüthseigenschaften. Der rechte
Einwanderer ist der, der sich eine tüchtige Frau und womöglich eine
Schar kräftiger Kinder aus Deutschland mitbringt. Junggesellen als
Ackerbauer taugen nichts, werfen auch regelmässig die Flinte bald
ins Eorn und gehen davon.
5. Politische Verhältnisse. Oeffentliche Sicherheit und Ordnung.
In die politischen Verhältnisse des Landes sich zu mischen,
wird der Einwanderer zunächst unterlassen, doch interessiren ihn die-
selben in sofern, als davon die Sicherheit und Rentabilität seines
Besitzthums zum Theil abhängig ist. Man darf sagen, dass die
politischen Verhältnisse Paraguays jetzt vollkommen ruhige sind. Auf
den Loi)ezschen Kiieg folgte zwar eine Periode mit allerlei kleinen
Revolutionen, Präsidentenmord u. s. w., wie man bei Zöller') nach-
lesen kann, gegenwärtig aber, wo keine argentinische und brasilianische
Besatzung mehr im Lande ist und Argentinien und Brasilien über-
haupt einstweilen die Absichten auf Paraguay aufgegeben zu haben
sclieinen, darf man auf eine ruhige Zukunft rechnen. Und wenn es
einst zu einem neuen Kriege mit Argentinien z. B. kommt, so wird
€r nicht ein Krieg bis auf den letzten Mann sein, wie der grosse
Krieg des Lopez, denn es wird hoffentlich nicht wieder eine Persön-
lichkeit da sein, die Macht und Willen hat, das Wohl und Leben
eines ganzen Volkes für ihre eigene Eitelkeit und Hartnäckigkeit
einzusetzen. Die ungünstige finanzielle Lage des Landes -— die Ein-
nahmen von Ein- und AusfuhraöUen, Patenten, Stempel u. s. w. decken
kaum die noth wendigsten Ausgaben ; die Zinsen der englischen Schuld
') Hugo Zöller, Pampas und Anden. Stuttgart 1884. Spemann. S. 68 bis 76.
(IV'i Mill. Pfund) Averdeii uiclit bezahlt; die enormen von Brasilien,
Argentinien und Uruguay berechneten Kriegskosteu sind g^r nicht c
anerkannt worden, abgesehen von 13 Mill. Patacon als Entschädigung -5
an brasilianische und argentinische Privatleute — hat auf den Ein —
Wanderer wenig Einfluss, da das System indirekter Steuern besteht*
und bestimmte Theile der Staatseinkünfte zur Unterstützung der Ein— j
Wanderung ausgesetzt sind. Sollte aber aus dem finanziellen Unver--j
mögen Paraguays einmal eine Umwälzung der politischen Verhält
nisse erfolgen, so wird daraus dem Eingewanderten kein Nachthei
entstehen, denn man wird seinen Privatbesitz natürlich achten. Es i
allerdings richtig, dass llegierungsland für die englische Anleihe \emr ■
pfändet worden ist, aber deswegen hat die Regierung doch die Macl' __z
behalten, giltige Land verkaufe abzuschliessen. Dass in Bezug au^
den Grundbesitz, namentlich den privaten, viel Unklarheit herrschaK. 1
ist nicht zu leugnen: im Kriege sind viele Urkunden und auch Pe t-
sonen verschwunden, die immer einmal wieder zum Vorschein komm^^o
können; man muss daher bei Landkäufen mit aller Vorsicht zu WerW^e
gehen. Zur Zeit meiner Reise war jemand aufgetaucht, der den Bodfe n,
auf dem sich die Ortschaft Piravü befindet, auf Grund einer ürkuncile
aus Francias Zeit als sein Privateigen thum in Anspruch nahm^ ra=id
man glaubte, dass er Recht bekommen würde.
Die Sicherheit des beweglichen Besitzes ist als eine grosse sin
bezeichnen. Es kommt wohl vor, namentlich an Orten mit vielem
Verkehr, dass ein Pferd gestohlen wird, dass Stricke von weidenA^n
Pferden abgeschnitten werden, dass ein Paraguayer gelegentlich ei:«ie
Kleinigkeit, die ihm gefällt, mitnimmt, aber grössere Diebstähle in
Feld und Haus sind selten. In den Städten hat man zwar meist ver-
gitterte Fenster, auf dem Lande aber schützt man sich wenig od«*
gar nicht. Es scheint übrigens, dass die Paraguayer dem Fremd^o
gegenüber ein etwas weiteres Gewissen haben, wo sie daher mit Ei«-
Avanderern untermischt wohnen, macht die Gelegenheit Diebe, v^'ie
mehrere auf der deutschen Kolonie vorgekommene Fälle beweisen.
Sehr viel zur Sicherung des Eigenthums trägt die allgemein herrschende
und gesetzlich geschützte Achtung vor der Umzäunung von Haus und
Pflanzung bei. Man sagte mir, dass jeder das Recht habe, einen andern,
der ohne Erlaubniss in ein eingehegtes Gebiet eindringe, niederzo-
schiessen: auch ist es allgemein Brauch, sich den Bewohnern einer
Ansiedlung am Eingangsthor durch Klatschen in die Hände oder durd»
ein lautes ^ Ave Maria« vernehmlich zu machen und erst einzutreten,
wenn man von den Bewohnern durch ein yaädantet oder einen ähn-
lichen Ausdruck dazu aufgefordert wird. Die persönliche Sicherheit
231
moss ebenfalls als eine grosse bezeichnet werden; man hört äusserst
selten von Anfällen, blutigem Streit oder dergleichen, so dass es kaum
gewagt genannt werden kann, wenn einer allein und ohne Waffen im
iiande umherreist. In den Gebieten, wo unzuverlässige Viehtreiber
ans Corrientes häufig durchkommen, ist aber etwas Vorsicht immerhin
von Nutzen. Von der deutschen Kolonie sind in letzttjr Zeit einige
IE[lagen über die persönliche Sicherheit gekommen, es soll sogar
vor Kurzem von mehreren Paraguayern daselbst ein deutsches Mädchen
ermordet worden sein. Die Verhältnisse auf der Kolonie sind aber
eigenthümlicher Art, wie aus dem nächsten Kapitel hervorgehen wird.
Um über Polizei und Rechtspflege zu urtheilen, steht mir zu wenig
^Material zur Verfügung; jedenfalls ist festzuhalten, dass bei einer der-
artigen Beurtheilung nicht europäischer Maassstab angelegt werden
darf, man hat vielmehr Paraguay mit seinen südamerikanischen Nach-
barländeni zu vergleichen, und da glaube ich, gestützt auf das Urtheil
solcher Leute, die ausser in Paraguay auch in andern südamerikanischen
liändern gelebt haben, und auf zuverlässige Veröffentlichungen, be-
haupten zu dürfen, dass es in diesen Beziehungen mit Paraguay gut
bestellt ist. Einer meiner Bekannten, der Paraguay aus verschiedenen
Gründen verliess und in einer Pferdediebstahlssache mit allerlei Be-
hörden in Belehrung gekommen war, schrieb mir z. B. von Rio Grande
^0 Sul, wohin er sich gewendet hatte: »Zudem kann ich Ihnen die
Versicherung geben, dass die paraguaysche Polizei im Verhältniss
^üie gute ist, die Bestechlichkeit ausgenommen«; und dann in einem
^ndern Brief: »Die Polizei in Paraguay ist doch noch die beste hier
^Q Südamerika«. Ein Theil der Beamten soll allerdings bestecliT
lieh sein, die meisten neigen zur Bevorzugung der Eingeborenen gegen-
ttber den Fremden, aber die Polizei ist leistungsfähig, wird gegebenen
^alls wirklich und ziemlich schnell in Bewegung gesetzt, und die
liegierung hat den Willen, eine tüchtige Gesetzgebung zu entwickeln
^nd deren Anwendung durchzuführen. Sehr viel kommt für den
fremden darauf an, wie starke Unterstützung er im Nothfalle bei
Einern Konsul findet. Kann der Einwanderer sich so stellen, dass
^^ mit Gericht und Polizei nichts zu thun bekommt, so ist das für
An natürlich am besten; hat er einmal eine Kleinigkeit, die er schnell
S^fördert haben möchte, so wird er mit Vortheil zu dem landesüblichen
^ttel gi-eifen, den betreffenden Theil der Staatsmaschine etwas ein-
^^ölen. Sehr getäuscht werden die sich finden, die etwa glauben, in
^em freien Lande im freien Südamerika bestehe die Freiheit darin^
^ man seiner Rohheit nach Belieben die Zügel schiessen lassen und
^t dem Armen und Schwachen je nach Laune umspringen könn^.
Dem ist nicht so, vielmehr sind für solche Fälle recht empfindliche
Geldstrafen vorgesehen.
6. Die bisherigen Kolonisations- Unternehmungen in Paraguay.
Stellung der Fremden, besonders der Deutschen im Lande.
Aussichten und Wunsche für die Zuicunft
Der erste Versuch, Europäer in grösserer Zahl in Paraguay anzu-
siedeln, um dadurch die Einwohnerzahl des Landes rasch zu vermehren
und den Ackerbau zu fördem, geht auf die Zeit des älteren
(Carlos Antonio Lopez) zurück. Derselbe beschloss, eine Franzosen
kolonie im Chaco anzulegen und Hess durch seinen Sohn, den nachmals
zu so trauriger Berühmtheit gelangten Francisco Solano Lopez, de
1853 eine Reise nach Europa angetreten hatte, in Bordeaux Schritte
thun. Dieser schloss einen Vertrag mit einem Kaufmannshause daselbs t
ab, Kolonisten kamen in beträchtlicher Anzahl und wurden an de .r
Stelle angesiedelt, wo heute Villa Hayes, das frühere Villa Occidental 1,
liegt; die Kolonie wurde Nueva Burdeos (Neu Bordeaux) genann* — t.
An derselben Stelle hatte früher schon eine Indianerrednktion d i j> s
paraguayscheu Geistlichen Don Amauico Gonzales Escobar bestande^^ n.
Die Kolonisten mussten in Uebereinstimmung mit dem in Bezug aiv^ uf
die Gründung der Kolonie erlassenen Dekret einen Vertrag unte^^i-
zeichnen, in welchem sie sich verpflichteten, nach ihrer Ankunft z. in
Paraguay das ihnen zugewiesene Land zu bearbeiten, das ihr Eigeutba.^ram
werden sollte, wenn sie aus dem Ertrage ihrer Ernten der paragua -^y-
sehen Regierung die Kosten ihrer Ueberfahit mit 56 Patacon, sow^-^-^^i^
die Auslagen für Geräthe, Sämereien, Vieh etc. zurückerstattet hab^ -^^^
würden. Die Kolonisten mussten Pass, Moralitätszeugulss, Geburt^" ^^'
schein, etwas Ausrüstung und mindestens 100 Francs baares Ge^^^^^
haben; sie verpflichteten sich, nach ihrer Ankunft in Paraguay keii^ -^^^^'
andere als die paraguaysche Obrigkeit mehr anzuerkennen. D^^^^^
Regierung verpflichtete sich zur Ueberweisuug von Land in fiiichtbar^^-^'^^
und gesunder Gegend, zur Lieferung von Wohnung, Vieh, Sämereie: ^=^"'
Geräth, zum Lebensunterhalt bis zur Dauer von acht Monaten, gegc^^**^^
Abzahlung ohne Zinsen, sicherte ferner zehnjährige Freiheit von Stener^^ '^^^
und Militärdienst zu. Aber kaum begründet, lief diese Kolonie aucs:^ -^^"
wieder auseinander. Das Haus in Bordeaux hatte natürlich aus d^^^^
Sache lediglich ein Geschäft gemacht und nach Paraguay geschick -^=* '
was sich nur immer meldete, ob Ackerbauer oder nicht, moralisc^:::^ ^
oder nicht, gesund oder nicht, das war gleich; der Verdienst »pr^ '^
Stück« blieb ja derselbe. Kein Wunder, dass es mit der Kolonf" -'^
nichts wurde. tDie Kolonisten zerstreuten sich bald nach ihre^^^'
{
r
233
Ankunft«, sagt Du Graty *), »uiclit ohne sich zum grössten Theil
eines in mehrfacher Beziehung höchst tadelnswerthen Betragens
schuldig gemacht zu haben. Die Auflösung der Kolonie Nueva Burdeos
fiihrte von Seiten einiger Kolonisten Reklamationen herbei, welche
der fi-anzösische Konsul anerkannte und unterstützte; da zog die
paraguaysche Regierung es vor, die Auslagen, welche sie für die
Kolonisten gemacht hatte und welche zurückzuzahlen dieselben sich
kontraktlich verpflichtet hatten, aufzugeben, um sich von einem nicht
nur unnützen, sondern sogar schädlichen Bevölkerungszuwachs zu be-
freien.« Das war der erste Versuch! Paraguayer nahmen zum Theil
die Stelle der Franzosen ein; erst später kamen wieder Europäer an
jene Stelle, worüber weiter unten.
Lopez hatte an diesem einen Experiment genug und die europäische
Einwanderung ruhte; dann kam der Krieg und entvölkerte das Land,
man brauchte Menschen und schritt im Jahre 1871 zur Gründung
einer deutschen Kolonie, über deren Vorgeschichte ich leider nichts
Zuverlässiges habe erfahren können. Sie wurde im Jahre 1871 an
•der Strasse zwischen Pai'aguary und Yaguaron, in dem einzigen in
diesem Theile Paraguays noch vorhandenen echten Urwalde, angelegt
und war nur von kurzem Bestand. Schon Johnston, welcher 1874
dort war, schreibt'^): »Bevor man Yaguaron eireicht, führt der Weg
durch einen dichten' Wald auf dem Plateau, mitten in welchem die
unglückliche deutsche Kolonie von 1871 angelegt wurde. Die zahl-
i*eichen Marken am Wege, welche angeben, wie viel Landloose in
Angriff genommen werden sollten, sind fast die einzigen noch übrigen
Spuren der Kolonie; nur zwei oder drei unermüdliche Teutonen haben
^\t bewundernswerthem Fleiss kleine Strecken in der Wildniss geklärt
und leben dort trotz aller Schwierigkeiten. Ein grosser Nachtheil
der Oertlichkeit ist, abgesehen von den mächtigen Bäumen, die dort
nicht verwerthet werden können, der völlige Wassermangel ; auf eine
Legua im Umkreise ist kein Wasser zu finden«. Mevert, welcher
1881 oder 1882 die Beste der Kolonie besuchte, schreibt^): »Einen
zweiten Ausflug machten wir nach der Kolonie bei Yaguaron. Es
Waren nur noch zwei bis drei Kolonistenfamilien da. Die anderen
warenSchatz suchen gegangen. Auch die Zurückgebliebenen interessirten
sich mehr für die edle Goldgräberei als den gemeinen Fruchtbau. Nur
ein sehr kleiner Theil ihres Ackers war bepflanzt. Dass die Leute
') S. 83 und 84. Vgl. daselbst im Anhang S. 27 fif. den Kontrakt der Kolonisten
^ das Dekret der Regierung.
') Gtographical Magazine 1875, S. 270.
=*) S. 125.
L
234
infolge dessen verarmt waren, wunderte mich wenig. Aber dass sie
trotzdem noch die grossen Herren spielten, sich zur Besorgung ihrer
kleinen Maisernte fremde Peone mietheten und sich wie reiche Guts-
besitzer dabei hinstellten und zusahen, das nahm mich einigermassen
Wunder. « Die Berichte dieser beiden Reisenden kennzeichnen zwei
der Hauptfehler in der Anlage der Kolonie Yaguaron, den absoluten
Wassermangel der Oertlichkeit und die grosse Unruhe der Gründungs-
zeit. Ein dritter Mangel fiel mir fast noch mehr auf, das gänzliche
Fehlen von Weideland in der Nähe der Kolonie. Etwas Vieh muss
der Kolonist sich halten, wäre es auch nur eine Milchkuh; mitten im
Urwald ist das aber nicht gut möglich. Wie man einen solchen
Missgiiff thun konnte, ist mir unbegreiflich, und zwar um so mehr,
als, wie man mir sagte, die ersten Ansiedler sich den Platz wählen
durften. Dieselben sollen sich zuerst an die sogenannte »Küste« der
Cordillere, d. h. an den Rand des die Cordillere bedeckenden Waldes
am Fusse des Cerro Santo Tomas gesetzt haben, neben gutes Weide-
land, dann aber umgesiedelt sein! Dazu waren es Leute, die schon
in Brasilien und Uruguay gewesen waren. Ich fand bei meinem
Besuche nur eine Familie von den ursprünglichen Ansiedlem vor,
welche sich im Lauf der Jahre ein ganz hübsches Grundstück ge-
schaffen hat, aber in einem gegen zwei Leguas entfernten andern
Orte ihr Vieh hält. In Yaguaron bauen die Leutö namentlich Luzerne.
Ausserdem ist noch ein deutscher Schweizer da, der Zuckerrohr baut
und aus demselben sowie aus gekauftem Rohr Branntwein brennt.
Mein Reisebegleiter G. war früher auch auf dieser Kolonie gewesen,
ich glaube vier Jahre lang; er hatte fleissig gearbeitet, trotz der
grossen Uebelstände der Oertlichkeit, und war dann nach dem nahen
Paraguaiy gezogen, hauptsächlich weil er in einem Streit mit Ein-
geborenen wegen einer Akkordarbeit und, wenn ich nicht irre, wegen
Lage der Grenze seines Grundstücks Unrecht bekommen hatte. Ausser
den beiden Deutschen wohnen jetzt mehrere Eingeborene auf dem
alten Kolonialgebiet. Von den früheren Kolonisten sind mehrere noch
an andern Stellen des Landes zu finden, theils als Handwerker, theils
als Ansiedler.
Ein dritter Versuch wurde im Jahre 1872 mit Engländern
gemacht; derselbe schlug gänzlich fehl und hat dem Lande statt Nutzen
ungeheuren Schaden gebracht, denn von den Kolonisten wurden haar-
sträubende Schilderungen nach Buenos Ayres gesandt, die meisten
wandten sich später selbst dorthin und verbreiteten in Argentinien
und in der Folge auch in Europa Ansichten über Paraguay, die absolut
nicht der Wirklichkeit entsprechen. Gerade auf dieses Kolonisations-
235
Luternelimen gründet sich das Vorurtlieil von dem mörderischen Klima
'iiraguays, von der Unmöglichkeit für den Europäer, dort zu leben
ud zu arbeiten u. s. w. Die vLa Plata Monatsschrift«*) enthält
usfiihrliche Mittheilungen über diesen »englischen Kolonisations-
ühwindel«; ich entnehme ihr folgende etwas umfangreiche, aber klare
ud deutliche Gesammtschilderung des Verlaufs der Sache*):
»Das gänzliche Fehlschlagen des englischen Kolonisationsunter-
ehmens in Paraguay könnte Femersteheude leicht zu irrigen Urtheilen
ber das Land verleiten, das den Schauplatz dieser Spekulation abgab.
Fir bringen daher im Nachstehenden eine streng wahrheitsgetreue
Darstellung der Sache und hoffen, den Lesern dadurch zu einer richtigen
.nsicht über den beklagenswerthen Vorgang zu verhelfen.«
»Das Unternehmen verdankt seine Entstehung dem spekulativen
Lopfe des Generalkonsuls von Paraguay, Don Mäximo Terrero in
london, der bei der zweiten Anleihe, die er im vorigen Jahre im
famen der Eegierung von Paraguay mit dem Londoner Hause
tobinson, Fleming & Comp, abschloss, mit dieser Firma die
liefemng von einigen Tausend Kolonisten nach Paraguay vereinbarte.
►ie Regierung hatte als Zweck der neuen Anleihe die Verbesserung
är Wege im Lande, die Beförderung der Einwanderung u. a. m.
agegeben. Daraufhin kamen die Kontrahenten der Anleihe in London
it dem Bevollmächtigten der Regierung (Iberein, statt des Geldes
in Wanderer nach Paraguay zu schicken und dieselben auf Staats-
Men mit Lebensmitteln, Sämereien, Werkzeugen, Maschinen etc.
i versehen, bei welchem Geschäft natürlich gute Provisionen verdient
urden. «
>Es wurde nun in London für die in Paraguay zu gi^ündenden
ckerbaukolonien geworben. Der Hauptageut war ein Mann, der
araguay nie gesehen hatte, aber trotzdem keinen Anstand nahm zu
iliaupten, er habe zehn Jahre dort gewohnt und könne die geradezu
beihaften Vortheile, die er dem Lande nachrühmte, garantiren. Es
luerte nicht lange, so war ein Schiff mit abenteuerlustigen Leuten
tfüllt, die das neblige London mit dem sonnigen Paraguay zu ver-
tuschen Willens waren. Eine ergötzlichere Auswahl von Ackerbau-
^loniekandidaten war nicht denkbar. Da gab es Schuster, Schneider,
ürstenmacher , Lithographen, Maurer, Violin Spieler, Steinhauer,
chornsteinfeger, Köche und Köchinnen, Fabrikanten von Papp-
'hachteln, Lakaien, Zigarrenmacher, Maschinisten, Heizer u. s. w,
') Herausgegeben von R. Napp, Jahrgang 1873.
') S. 246 und 247.
236
Die meisten Mäuuer hatten Familien, mitunter sehr zahkeiche: man
sah besonders viele kleine Kinder. Ausser einigen guten arbeitsamen
Familien, die ihre sichere Existenz in London leichtsinnigerweise
gegen ein ungewisses Loos im fremden Lande vertauschten, hatten
die dargebotene Gratisspazierfahrt um die halbe Erde hemm besonders
solche Leute benutzt, die wegen irgend einer Ursache mit den be-
stehenden Verhältnissen in der alten Welt auf gespanntem Fusse
lebten; Leute, denen entweder die unentbehrlichen Spirituosen in
London zu theuer w^aren, oder die überhaupt ein Vorurtheil gegen die
dort zum Lebensunterhalt nöthige Arbeit gefasst hatten. Aber was
kümmerte das die Werber Heiren Robertson, Fleming & Comp.? Das
Geschäft gab ja per Kopf so und so viel Pfund Sterling, und das war
natürlich die Hauptsache!«
> Die ersten Ladungen kamen im Oktober und November vorigen
Jahres (1872) in der Hauptstadt Asuncion an, also gerade in einer
Zeit, wo der heisse Sommer Paraguays anfing, seine Herrschaft fühlbar
zu machen, und wo es zu spät war, Land zu säubern and zu bepflanzen.
Man sah es den Leuten auf den ersten Blick an, dass sie nicht geeignet
waren, Wälder zu lichten und Wildnisse urbar zu machen; und die
Regienmg protestirte gegen die aufgedrungene Einwanderung, rekrutirt
aus dem Bodensatz der Bevölkerung der Weltstadt an der Themse.
Es war von London aus ein vollständiges Direktorium herübergekommen,
und da die Regierung Land zur Verfügung stellte, im üebrigen aber
mit der ganzen Sache nichts zu schaffen haben wollte, so bildeten die
neu angekommenen Engländer einen Staat im Staate und richteten
sich ganz nach Gutdünken ein. Die Einwanderer wurden an der
Endstation der Eisenbahn, in Pai'aguarj% untergebracht, und jetzt erst
ging die Direktion daran, Land für die Ansiedlung auszusuchen. Die
Wahl fiel auf Itap^, dreissig Leguas von der Hauptstadt entfernt,
wohin nur auf schlechten, sumpfigen Wegen zu gelangen ist, da die
Eisenbahn bisher vergeblich der Vollendung harrte. Die Herren hatten
weitgehende Projekte. Sie legten die Kolonie am Oberlauf des Flusses
Tebicuary an, um den Verkehr mit der Welt durch diesen Fluss zu
vermitteln, gingen aber erst später, nachdem die Kolonie schon an-
gelegt war, daran, diesen Fluss zu exploriren, um über seine Schiffbar-
keit ins Klare zu kommen. Das Resultat war ein negatives. Eine
regelmässige Schiffahrt auf dem Flusse erwies sich als unzulässig,
wie das freilich jedermann in Paraguay längst gewusst hatte. Unter
den Ansiedlern brach sogleich Unzufriedenheit aus, als sie sahen,
dass nichts zu ihrem Empfange bereit war. Nach vielem Zeitverlust
wurden sie nun in ihr zukünftiges Eldorado geschafft und in Zelten
237
nnd improvisirten Häusern uiitergebiacht. Es wurde jetzt das Land
Fcrmessen. aber die meisten Kolonisten zogen vor, statt sich auf ihren
Konzessionen mit dem Bau von Hütten abzuplagen, sich mit den
vorhandenen Wohnungen zu begnügen und ihre Lebensmittel in aller
Beschaulichkeit zu verzehren. So lebte denn die Gesellschaft ruhig
in den Tag hinein, ohne sich um die Zukunft zu kümmern. Die Ab-
neigung gegen Landarbeit war allgemein. Die ausgetheilten Rationen
Tvaren sehr reichlich und die meisten verkauften ganz ansehnliche
Quantitäten davon, um für den Ertrag die für sie zum Bedürfniss
gewordenen geistigen Getränke zu erhandeln. Die Hauptdirektion
hatte ihren Wohnsitz in Asuncion genommen; die Kolonie wurde von
Delegirten verwaltet und zur Schlichtung von Streitigkeiten ein
Friedensrichter gewählt.«
»Die Kolonisten wurden wegen ihrer unangemessenen Lebensweise
häufig von Fiebern und andern Krankheiten heimgesucht; es starben
einige Erwachsene und besonders viele Kinder. Viele der Ansiedler,
die ein thätiges Leben gewohnt waren und keine Genugthuung in
dem Schlaraifenleben in Itap6 fanden, suchten aus dem Kolonieverbande
loszukommen, um in den Städten ihr Handwerk auszuüben. Un-
tegreiflicherweise wurden ihnen von der Direktion allerlei Schwierig-
keiten in den Weg gelegt; so z. B. die Rückzahlung des Passagegeldes
verlangt, und manche sahen sich durch solche Bedingungen genöthigt,
Äuf der Kolonie fortzuvegetiren, statt in den Städten nützliche Mit-
glieder der menschlichen Gesellschaft zu werden! Indess gelang es
immerhin einigen Kolonisten, besonders einzelnen Männern, fortzu-
kommen, und nach und nach wurden die Reihen der Ansiedler gelichtet.
Die Angestellten aber lebten in grossem Stile und vergeudeten ein
horrendes Geld. Das ging so fort, dreiviertel Jahr hindurch, bis
plötzlich der Schwindel ein trauriges Ende nahm, und zwar auf folgende
Weise: Die Direktion hatte die nöthigen Lebensmittel am Platze auf
Borg genommen. Als nun die Nachricht nach Paraguaj' gelangte,
der von der Regierung nach London gesandte Minister Benites habe
den Generelkonsul Terrero seines Amtes entsetzt, aber trotzdem
schliesslich die sämmtlichen zu Kolonisationszwecken gemachten Aus-
lagen (ca. 40000 Pfund Sterling) gebilligt und endlich die englischen
Kolonien in Paraguay für Rechnung der Regierung übernommen, da
zogen die Lieferanten sich zurück, zumal da zu gleicher Zeit protestirte
Wechsel, von dem Direktor der Kolonie ausgestellt, von London
J^toumirt wurden. Der Kredit war natürlich mit einem Schlage
geschnitten und die Direktion schuldete am Platze ca. 100000 Patacons
oder 20000 Pfund Sterling.«
»Damit stüiy-te dann das stolze Gebäude der sogenannten Frimera-.^
Colonias IngUsas en el Paraguay zusammen, und wahrlich! es \\i
hohe Zeit.«
» Die Landesregieining ernannte einen neuen Direktor für die
den Engländern überkommenen Reste der Ansiedlungen. (Es
Anfang 1873 noch eine zweite Niederlassung gegründet worden, in A^ ,
Nähe von Itä '): beide befanden sich in gleich trostlosem Zustande.^
> Es war allen, die sich die Mühe genommen hatten, die englische
Kolonien anzusehen, längst klar, dass aus den vorhandenen Element^ —
keine für die Kultur des Landes erspriessliche Niederlassung zu Stan...^«.
zu bringen sei, und dass es nicht kon venire, die Leute länger -
Nichtsthun zu bestärken. Dies sah aucli die Regierung ein; sie schi — i
daher augenblicklicli zur IJiquidation des Unternehmens. Die v ^i
handenen Sägemascliinen , eine gi'osse Anzahl Pflüge, die in Stücl^ej
umherlagen (man hatte sich nicht einmal die Mühe gegeben, ss«
zusammenzusetzen), andere Geräthschaften, Kleidungsstücke u. s. ^r.,
alles wurde verauktionirt, und aus dem Ertrage bestritt der Direk t:.or
die Verproviantirung der Ansiedler (die bereits Noth litten), bis die-
selben allmählich nach Asuncion geschafft werden konnten. Unt^er-
dessen hatten Menschenfreunde in Buenos Aires, von dem trostlosen
Zustande der Kolonien unterrichtet, wo die bitterste Noth auszubreclien
drohte, da die Lieferanten weitere Lebensmittel verweigerten, eine
Summe Geldes zur Unterstützung der Leute von Itap6 und Itä zu-
sammengebracht und Kontrakte mit den Dampfern »Repüblica« und
»Ed. Everett« abgeschlossen, behufs billiger Befördeiniug der Ansiedler
nach Buenos Aires, wo den Ijeuten leichter Arbeit zu verschaffen
war als in Paraguay.«
»Die Regierung, ohne Mittel um die Kolonisten ferner zu unter-
halten und wohl einseliend, dass diese Elemente nur eine Last seien ,
für das Land, das vor Allem Ackerbauer braucht, um sich nach einem
fünfjährigen verheerenden Kriege emporauarbeiten, stellte dem Vor-
haben der Geber in Buenos Aires keinerlei Hinderniss entgegen, be-
günstigte dasselbe vielmehr insofern, als sie den Kolonisten, die nnn
allmählich in der Hauptstadt eintrafen, hier im Eisenbahnstations-
gebäude Wohnung gewährte und denselben Rationen austheilen Hess,
bis einer der genannten Dampfer die inzwischen angekommene Gesell-
schaft aufnahm, um sie nacli Buenos Aires zu bringen. Die Regierang
verlor das ganze Kapital, welches das Experiment der Hennen Robertson,
Fleming & Comp, gekostet hatte; die Kolonisten erhielten fi-eien Lauf-
*) Zwischen I'araguary und Asuncion.
239
f pass, und — fünf deutsche Familien, die auf der Kolonie Ttape, sowie
[ einige Handwerker, die in den Städten des Landes blieben, ausge-
nommen — benutzten alle die dargebotene Gelegenheit, um dem Lande
den Eücken zu kehren, das sie nun fast ein Jahr ernährt hatte. Es
gewährte einen traurigen Anblick, die abgerissenen, herunterge-
kommenen Leute zu sehen. Lebensmittel hatten sie freilich, mit
-Ausnahme der letzten Zeit, reichlich gehabt; da sie aber ihre mit-
gebrachten Kleider auftrugen und das ganze Jahr hindurch nichts
verdienten, so verarmten sie mehr und mehr und waren nahe daran,
liei dem Schlaraffenleben physisch und moralisch zu Grunde zu gehen.
— Von über tausend Köpfen war jetzt nicht mehr ganz die Hälfte
irorhanden, die andern hatten sich schon fortgemacht. Viele Eltern
Hessen Kinder in paraguayscher Erde zuiiick, einige Familien hatten
ilren Vater und Versorger hier begi^aben, manche der üeberlebenden
"Waren noch mit Fieber behaftet, als sie den Eückzug antraten. Die
herzlosen Unternehmer haben nicht weniger als funfeig Menschenleben
auf dem Gewissen, ausserdem das Unglück zahlreicher Familien, die
durch ihre Vorspiegelungen aus den gewohnten Beschäftigungen in
Europa herausgerissen und verleitet wurden, einem Phantome nach-
zujagen; die Vergeudung eines ungeheuren Kapitals an Geld sowohl
^e an Arbeitskräften, deren Inhaber sie dem Schaffen und Wirken
entzogen, um sie in aller Welt herum spazieren zu führen und in
einem fernen Lande ein Jahr lang zwecklos zu unterhalten, von wo
8ie dann mit grossen Unkosten wieder zurückgebracht werden mussten. «
»So erreichte denn kürzlich das vor einem Jahr mit so gi-ossem
Pomp in Szene gesetzte englische Kolonisationsunternehmen sein Ende,
indem es den irregeleiteten Auswanderern nichts als Miserie ein-
gebracht, den Lieferanten aber Verluste, der Regierung von Paraguay
eine grosse Schuldenlast, den Unternehmern Scliande, — hä moneylt
»Schliesslich sei hier noch erwähnt, dass ungefähr 25 Prozent der
Einwanderer Deutsche waren, und dass bei der Auflösung der Kolonie
der Prozentsatz der Deutschen beträchtlich kleiner war als im An-
fenge. Daraus geht hervor, dass die Deutschen mehr bestrebt waren,
^us dem Schlaraffenleben in Itape wegzukommen, als die Engländer,
^e sich theilweise sehr gut darin gefielen. Hält man dazu die That-
^he, dass es gerade deutsche Familien waren, die sich in Itape eigne
Häuser bauten und ihrer Aufgabe, dass Land zu bebauen, nachkamen,
^ ist man zu dem Schlüsse berechtigt, dass das deutsche Element
^ter den Kolonisten im Vergleich zu dem englischen das tüchtigere
^^^ dem Lande nützlichere war. Interessant ist auch die Beobachtung,
d^ diejenigen deutschen Familien, die gleich im Anfange eign<^
I
240
Wolmungen hemcliteten und das Feld bestellten, sich fortwähi-eir
der besten Gesundheit erfreuten, während die Müssiggänger fest ai^
mehr oder minder von Krankheit heimgesucht wurden. Es ist dadur^
bewiesen, dass nicht das herrliche Klima des schönen, ges^
neten Landes Schuld an dem Misslingen des Unternehrafr j
war, sondern die üntauglichkeit und Unlust der Kolonist c
und die gewissenlose Verwaltung.«
Diesem Bericht über die englische Kolonie habe ich nichts hiazü.
zufügen; er stellt nach Allem, was ich gesehen und von den im Lande
Gebliebenen erkundet habe, die Sachlage richtig dar, und wird wohl
jeden tiberzeugen, dass weder das Klima, noch der Boden des Landes,
noch das Verhalten der paraguayschen Regierung an dem Scheiteni
der Unternehmung Schuld war. Von den Leuten, die damals in
Paraguay blieben, habe ich mehrere kennen gelernt, theils Franzosen —
denn auch solche waren in kleiner Zahl dabei — , theils Deutsche;
sie befinden sich jetzt in zum Theil leidlichen, zum Theil guten Ver-
hältnissen.
Nach diesem Schlage war von europäischer Kolonisation in Paraguay
wenig die Rede ; erst unter der Staatsleitung Caballeros, des jetzigen
Präsidenten, kam die Frage wieder in Fluss und führte im Juni 1881
zur Schaffung eines Kolonisationsgesetzes, das den Einwandereni ganz
ausserordentliche Vortheile gewährt. Deutsche Kolonisten aus der
Berliner Gegend kamen, da ihnen auf ihr Rundschreiben an Vertreter
verschiedener Staaten von Paraguay die günstigsten Bedingungen g^
stellt wurden, und so entstand wenige Monate nach Erlass des.Gesetzes
der Anfang der Kolonie San Bernardino, auf welche nur Deutsche
aufgenommen werden. Man gestattete den Kolonisten die Wahl des
Ortes — sicherlich ein Fehler, denn sie waren im fremden Lande
noch urtheilslos — und dieselben wählten das Stück am Nordufer der
Lagune Ypacaray, wie man sagt durch die Schönheit der Gegend be-
stochen. Von den drei Kolonisten, welche das Land wählten, soll
einer ein Schneider, der andre ein Schuster, der dritte ein Acker
knecht gewesen sein. Letzterer soll sich gegen die Oertlichkeit er-
klärt haben, auch später mit Manchem unzufrieden gewesen und dann
entfernt worden sein. Einige behaupten, dass bei Auswahl des Landes
das Privatinteresse des früheren Besitzers eine Rolle gespielt hat
Jedenfalls fand sich dort am See, wo San Bernardino entstand,
nur sandiger leichter Boden, der wenig hergab; das Kolonialgebieti
Anfangs nur eine Quadratlegua gross, wurde daher auf die ganzß
Umgegend des auf der Cordillere gelegenen Fleckens Altos aus-
gedehnt und soll jetzt 25 Quadratleguas umfassen. Weiter hinaui
241
1 die Kolonisten weit bessera Boden und unten am See sind
enige geblieben; die Ländereien daselbst sind in trocknen Jahren
als Weide zu benutzen; sie waren bei meinem Besuch im Februar
vom Sonnenbrand. Ein grosser Theil des Kolonialgebietes ist
ald bestanden, theils mit Hochwald, theils mit liclitem Palmen-
theils mit Nieder- und Buschwald, Letzteres besonders da, wo
früher einmal Ackerbau getrieben worden ist. Aus solchem von
ngeborenen schon einmal ausgenutzten Boden kann der Kolonist
loch gute Ernten ziehen, da die Paraguayer sehr oberflächlich
. Weideland ist nicht viel auf der Kolonie, Salzlecken gar
so dass der Kolonist, welcher gutes Vieh haben will, Salz füttern
dasselbe kostet in Paraguay 3 bis 6 Bealen die Arrobe. An
r ist kein üeberfluss vorhanden; manche Kolonisten müssen es
eit herholen, besonders in trocknen Jahren; solche waren aber
iden ersten des Bestehens der Kolonie. In den Ansiedlungen
tos muss man übrigens überall in geringer Tiefe Wasser finden.
Klima und Gesundheitsverhältnisse der Kolonie hörte ich nur
les, selbst von solchen, die «onst kein gutes Haar an derselben
. Als ein Nachtheil der Kolonie muss es bezeichnet werden,
ieselbe nicht ordentlich vermessen und in Loose eingetheilt ist.
Kolonisten siedeln sich so ziemlich an wo sie wollen, werden
gewiss manchmal Grenzstreitigkeiten haben und wohnen ganz
)rdentlich zerstreut, so dass gegenseitige Unterstützung, nachbar-
Zusammenhalten, im Nothfall Schutz u. s. w. kaum möglich
Ein weiterer Nachtheil der Kolonie ist der Umstand, dass die-
luf Gebiet angelegt ist, das auch von Eingeborenen besetzt ist.
Jen kennen ganz genau ihr Land und haben meistens die besten
i inne; sie suchen fenier aus den Fremden, die sie für wohl-
3lt halten — die Ankommenden thun gewöhnlich noch dick mit
Grelde — so viel Nutzen wie möglich zu ziehen, indem sie ihnen
'reise abverlangen; oft werden sie auch, durch die Gelegenheit
et, zu Dieben. Dazu kommt, dass die Anwesenheit von Ein-
Qen den Kolonisten, so lange er noch bei Kasse ist, verführt,
en, die er selbst machen sollte, von gemietheten Arbeitern
1 zu lassen. Das sind nicht Kolonisten im eigentlichen Sinne
ortes, die die schweren Arbeiten — das Roden, das Herstellen
izäunungen u. s. w. — von gemietheten Arbeitern machen lassen
?nen sie oft nicht einmal richtig umzugehen verstehen) und dann
, dass sie nicht so viel aus den Ernten erlösen, wie sie an
slöhnen bezahlt hätten!
ie geographische Lage der Kolonie kann auch nicht als günstig
16
242
bezeichnet werden, da der Weg nach Asnncion, das doch als Haui^
absatzpunkt anzusehen ist und es namentlich auch dann sein \^ir"
wenn man Produkte für den Export bauen wird, weit und unbequ^
ist. Der natürlichste Weg, der um das Nordwestende der Lagut
ist schlecht, namentlich in feuchten Zeiten, wenn der Abfluss c^
Sees, der Rio Salado, anschwillt und die Niederungen zu seinen Seiti^i
füllt oder doch durchtränkt. Auch ist dieser Weg ungefähr zwc
Leguas (50 km) lang; er wird selten benutzt. Zweitens kann de
Kolonist sich mit dem Segelboot über die Lagune nach der Eisenbalm
Station Patino-cu6 begeben und die Hauptstadt mit der Bahn erreichefl;
das ist aber immer kostspielig und zeitraubend, da nur vier Züge die
Woche gehen (Sonntag, Montag, Mittwoch, Freitag ^) ; man muss also
zwei Nächte in Asuncion bleiben, denn wenn man mit dem Sonntagszug
Abends ankommt, um Montags wieder zui-ückzufahren , kann man
keine Geschäfte besorgen, indem der Zug schon am frühesten Morgen
wieder abgeht. Dazu kommt, dass die Lagune bei schlechtem Wetter
manchmal nicht befahren werden kann; in der ersten Zeit, als man
ungeeignete Bootsleute hatte, sind ihr sogar mehrere Menschenleben
zum Opfer gefallen. Bleibt noch der Weg nach dem Bahnhof Tacaaräl
von Altos aus etwa 4 Leguas. Er ist nach paraguayschen Begriffen
bei trocknem Wetter ziemlich gut. Von Tacuaräl aus kann man
auch Paraguary mit der Eisenbahn leicht erreichen, sogar von dort
zur Noth noch am selben Tage zurückkehren. Aus dieser Darstellnng
der Verbindungen nach der Kolonie erhellt, dass die Lage derselben
dem Kolonisten einen täglichen oder auch nur häufigen Besuch der
Hauptstadt zum Absatz der Produkte nicht gestattet; Gemüse u. drgl.
kann er daher kaum verwerthen. Kommt er aber einmal mit einer
grösseren Menge Produkte irgend einer Art zur Stadt, so wissen die
Käufer, an die er sich wenden muss, nur zu gut, dass er verkaufen
will und muss, schon um seine Waare nicht wieder zurückzunehmen,
bieten daher so wenig sie wollen. Etwas Anderes wäre es natürlichi
wenn die Kolonisten exportföhige Produkte brächten und bestimmte
Abnehmer fänden; dann könnten sie sich leicht zusammenthun und
Karretenfahrten nach der Hauptstadt machen. Aber von Alledem ist
noch nicht die Rede. In Anbetracht dieser Verhältnisse sucht der
Kolonist seine Waare so nahe als möglich vom Produktionsort zö
verwerthen und fällt dann den Kleinhändlern von Altos in die Hände,
unter denen der Ortsvorstand, der Gefe, der, so viel mir bekannt
gegen das Gesetz, einen Handel betreibt, der gefürchtetste ist. Braucht
'J Jüngst soll die Zahl der Züge vermehrt sein.
243
liann der Kolonist zur Zeit der Maisernte Geld, so schlägt er vielleicht
seine paar AiToben zu einem Spottpreis an einen solchen Kunden los,
womöglich um sein eignes Produkt später, wenn der zuinickbehaltene
/orrath nicht reicht oder verdirbt, zum drei- oder vierfachen Preise
riederzukaufen.
Die meisten Kolonisten bauen zur Zeit fast nur die gewöhnlichsten,
ar täglichen Nahrung dienenden Landesprodukte, wie Mais, Bohnen,
laniok, Kürbis, Melonen u. s. w. Einige haben mit Baumwolle
infänge gemacht und setzen Hoffnungen darauf, andere betreiben
leine Industrien, wie Bereitung von Apfelsinen wein, von Maisbier
. s. w.; ein am See angesiedelter Schweizer hat einen grösseren
■iehstand und macht Dauerkäse, den er in Asuncion gut verkauft.
Nun zur Hauptfrage, dem wundesten Punkt der Kolonie San
ieniardino: was für Kolonisten haben sich eingestellt? Etwas besser
teht es damit nun wohl als bei der englischen Kolonie, allzuviel aber
icht, denn auch hier haben sich Angehörige fast aller denkbaren
tände eingefunden und nur wenige eigentliche Ackerbauer. Da kamen
as allen Theilen Deutschlands Studenten, Reserveoffiziere, Zahnärzte,
^aufleute, Bierbrauer, Chemiker, Seeleute, Lehrer, Maler, Klempner,
chuster, Schneider, Maschinenbauer, Forstbeamte, Hafenbeamte,
•fihere Bürgermeister, Reitknechte, berufslose Junker, Zimmermeister,
•ummler aller Art in grosser Zahl u. s. w., dazu noch ein sehr grosser
heil ohne Familie. Nichts natürlicher, als dass die meisten in
Qrzer Zeit einsahen, dass auf San Bernardino »nichts zu machen«
ii (d. h. eigentlich flir sie) und sich wieder entfernten. Was sollten
e mit all den grossen Bäumen machen? Wie sollten die jungen Leute
ich dem ermattenden Versuch schwerer Arbeit Lust haben, sich ihr
ssen zu bereiten, sie, die erst lernen mussten, ein Feuer anzumachen?
•^0 sollten sie eine Erholung finden? Wer und was sollte ihnen die
'Wohnten Genüsse und Abwechselungen bieten? Wer sollte sie lehren
in Acker bebauen? Wer ihre Begriffe vom Werth des Geldes um-
andeln? Was endlich dachten, was wollten diese Leute, als sie nach
araguay gingen? Viele von ihnen, die die Kolonie wieder verlassen
itten, ohne auch nur eine Ernte abzuwarten, ja, die oft kaum Hand
•gelegt hatten, waren wenigstens aufrichtig genug, es mir zu gestehen:
sige Berichte, die sie in Deutschland gelesen, hatten in ihnen die
einung erweckt, in Paraguay brauche man fast nicht zu arbeiten,
'Chstens ein wenige so halb zum Vergnügen, die reichsten Ernten
be man trotzdem; so könne man leicht zu einem friedlichen, an-
nehmen Leben gelangen. Manche hatten thatsächlich geglaubt, in
^igen Jahren aus der Bebauung einer kleinen Fläche von wenigen
244
Hektaren Reich thümer ziehen zu können und grollten, als sie sL,
enttäuscht sahen. Vereinzelt findet man solche Leute wohl in all,
Koloniengegenden, in San Bernardino bildeten sie die Mehrzahl. AVi
es gab noch eine schlimmere Sorte: beschäftigungslose und arbeii
scheue Leute kamen von den La Plata- Häfen herauf, trieben eii
Zeit lang auf der Kolonie ihr Unwesen und zogen dann wieder at
Viele von ihnen hatten ganz und gar nicht die Absicht, dort Innge
zu bleiben. Durch dieses Gesindel war die Ruhe und Sicherheit der
Kolonie eine Zeit lang ernstlich gefiihrdet; die Leute verzehrten die
Sämereien, die sie bekamen, verzehrten oder vertranken die Geld-
unterstützung und strolchten dann umher, um diejenigen zu brand-
schatzen, die noch über Mittel verfügten : sie quälten und versprengten
das Vieh, stahlen Geflügel, ängstigten die Frauen u. s. w. Allraählicli
hat sich die Kolonie von solchen Elementen gereinigt, so dass zur Zeit
meiner Besuche nicht mehr darüber geklagt wurde.
Für diese Erscheinungen muss man zum Theil die zu grosse
Freigebigkeit der Regierung, zum Theil die laxe Handhabung des
Kolonisationsgesetzes verantwortlich machen. Die Regierung bietet
den Einwanderern so viel, wie keine andere Regierung der Welt; die
Einwanderer, namentlich solche, die die betreffenden Einrichtungen
anderer Länder nicht kennen, wissen diese Freigebigkeit nicht zu
schätzen, sondern werden durch dieselbe anspruchsvoll gemacht, glauben.
dass die Regierung für ihr Wohlergehen durchaus aufkommen müsse,
faulenzen und lassen sich pflegen. Geht einmal nicht Alles am
Schnürchen, so wird geschimpft, von nicht gehaltenen Verpflichtungen
gesprochen u. s. w. Wenn ich von laxer Handhabung des Koloni
sationsgesetzes rede, so meine ich hauptsächlich, dass die Bestimmungen
und Vergünstigungen desselben sich nur auf Ackerbauer beziehen:
nur solche sollten dalier aufgenommen werden, denn nicht die Zahl
sondern der Werth der Kolonisten ist für die Bedeutung der Koloni-
sation ausschlaggebend. Eine solche Strenge in der Aufnahme hat
durchaus nicht stattgefunden. Man hätte alle, die nicht Ackerbauer
waren und die nicht die sonstigen Bedingungen des Gesetzes erfulltei^^
auf sich selbst angewiesen lassen, die Kolonie aber, für welche (kr
Staat sich relativ grosse Opfer auferlegt, nur zweckentsprechend be-
setzen sollen. So aber konnte es nicht ausbleiben, dass zahllose Ei'''
Wanderer wieder fortgingen. Ueber fünfhundert sollen im Ganzen ge-
kommen sein, und als ich im November auf die Kolonie kam, g»^
mir der Direktor die Gesammtzahl zu 260 an, die 100 Grappe"
bildeten; davon 30 diesseits, 70 auf und jenseits der Cordillere; i^
Februar sprach der Kolonialsekretär — es ist schon der dritte, den
i
245
)iüe hat — uiir noch von über 200; genaue statistische An-
connte ich nicht erhalten. Hatten die vielen untauglichen
e schon sehr dazu beigetragen, das Verhältniss der Kolonisten
Eingeborenen unangenehm zu gestalten, denen einige unter
Lieh manchen Streich spielten, so mussten sie den Koloni-
iternehmungen Paraguays nach ihrem Ausscheiden aus dem
verbände noch verderblicher werden, indem sie sich nach
lien und andern Ländern begaben und dort das Land, das
t verstanden und in dem sie nicht das gehoffte Schlaraffen-
ünden hatten, schlecht zu machen. Manche blieben sogar in
a und betrieben dort das Geschäft so nachdrücklich, dass
mige einwandernde Familien über Asuncion gar nicht hinaus-
en sind. Nehmen wir an, dass dies bei den meisten kein
für das Land war. Die schlimmsten Feinde des Landes und
)nie wurden natürlich solche, die von der Kolonie hatten
werden müssen,
i sehr manche der nach San Bemardino gekommenen » Kolonisten «
Ansichten und Ansprüchen von dem Kolonisten wie er sein
ichen, wurde mir ganz besonders an einem Hamburger klar,
eicht gehofft hatte, eine wohlgeordnete, wohlhabende und rasch
v'ickelnde Ortschaft in der ganz jungen Kolonie San Bemardino
1. Er war Zimmermeister von Beruf, gebildet und intelligent,
e ebenfalls gebildete Frau, eine frühere Erzieherin, und mehrere
inder. Einem jungen Ehepaar, das mit mir gleichzeitig nach
y gekommen war, schilderten sie die Kolonie in möglichst
m Farben: »Glauben Sie, dass es Butter auf der Kolonie zu
^iebt?« sagte die Frau; »die muss man sich selber machen,
m welche haben will. Glauben Sie, dass man Ihnen Fleisch
5 bringt? Das giebt es nicht einmal alle Tage, und dann
n es sich vom Stadtplatz holen. Und das Essen! Brot kann
von Mais keins backen und Mandioca ist die reine Seife!
n unser Magen nicht verdauen. Die Kinder rein zu halten
cht möglich; wir haben ganze Kisten Wäsche mit und können
nicht so halten, wie zu Hause u. s. w.« Echt Hamburger
lie und Verwöhntheit in einer paraguayschen Waldkolonie!
n man nicht anders als Begriffsverwirrung nennen! Der Mann
Paraguay bald und ging nach Chile, wo es ihm — in seinem
liehen Beruf — gut gehen soll. Viele von seinen übrigen
musste ich als gerecht anerkennen, aber wie er sich eine
olonie denkt, so findet er sie anderwärts auch nicht.
etwa 200 Kolonisten, die ich auf der Kolonie antraf, waren
246
zumeist ehrbare, fleissige und strebsame Leute, doch auch sie nui- zuj^
geringsten Theil frühere Ackerbauer. Mancher findet sich nun thtf^
sächlich mit der Zeit in den neuen Beruf — denn Energie u ^
körperliche Befähigung sind ja sehr verschieden — , viele aber nie
Eine ganze Zahl von Familien war auch, wie mir gesagt wur
entschlossen, nach der Ernte die Kolonie zu verlassen, vierzig
fünfzig Köpfe, zum Theil solche, die am längsten dort waren,
bewies mir nur, dass auch diese mehr als eine bescheidene Bau&rj
existenz dort zu finden gehofft hatten und nicht Lust trugen, Jahrzeb xii
lang an der Besserung ihrer Verhältnisse zu arbeiten. In SüdbrasiLicfl
dessen Geeignetheit für deutsche Kolonisation wohl kaum noch vo/z
jemand bestritten wird, kommen die Kolonisten auch nicht in zwei
Jahren zu etwas, und noch weniger war dieses der Fall, als dort die
Kolonisation begann. Ein Freund von mir, der Paraguay verliess und
nach Rio Grande do Sul ging, schrieb mir von dort: »Eines habe ich
in Rio Grande do Sul einsehen gelernt, dass der Deutsche in sub-
tropischen Klimaten trotz Akklimatisationskrankheiten und anfilnglich
schwieriger Verhältnisse gedeihen kann und seinen Kindern Gut und
Segen zu schaffen vermag. Die Grundlage muss der frühere pommersche
oder preussische Instmann *) bilden; diesen schrecken selbst 38 bis
39® ^), die es alle Sommer (December, Januar) hier geben soll, nicbt.
Die Preise der Früchte sind hier dieselben wie in Paraguay, die Wege
hat man erst geschaffen, und trotzdem dieselben von manchen Kolonien
bis zum Absatzplatz ein bis zwei Tagereisen dauern, oft durch
Schluchten und Sümpfe führen, kommt der Pommer vorwärts und ist
nach IV2 Jahrzehnten wohlhabend. Er ist sehr konservativ und
arbeitet und operirt soviel wie möglich nach heimathlicheni Bitns.
Er verlacht Karreten und Ochsenfuhren, fährt auf seinem starken
Klapperwagen, mit vier bis fünf Pferden bespannt, ist sparsam und
massig u. s. w.« Die Gegend hätte jener Hamburger einmal sieb
ansehen sollen, um sich einen Begriff davon zu bilden, was eine sub-
tropische Waldkolonie ist, was man davon verlangen kann und was
man von sich selbst als Kolonist verlangen muss!
Ein guter Stamm von Kolonisten wird wohl auf San Beniardino
zurückbleiben und dann wird die Kolonie sich trotz aller Schwierig-
keiten langsam fortentwickeln. Als ein günstiges Zeichen betrachte
ich es, dass gerade die Kolonisten, die früher in andern Ländern
gewesen waren (Brasilien und Argentinien), nicht klagten, sondern
ihre Zufriedenheit aussprachen. Ich leinte vier solche kennen; gegen-
') Landwirthschaftliche Tagelöhner.
') Im Brief steht Reaumur, soU aber hoffentlich Cekius heissen.
247
asilien lobten sie das Klima, die geringere Menge Ungeziefer
geringere Herrschaft des Unkrauts. Einer, der in Argentinien
chlicli als Arbeiter auf Schiffen sein Brod gefunden hatte,
im verflossenen Sommer die grösste Maisernte unter allen
ten aufweisen; er war der Meinung, man müsse nur arbeiten
uild können, dann ginge es schon.
ndwerker, die ihren Beruf ausüben, giebt es fast keine auf der
, doch könnten einige, wie ein Schuster, Schneider, Stellmacher,
I, eine bescheidene Einnahme finden. Ein Arzt könnte von den
ten noch nicht bestehen, müsste vielmehr Anfangs von der
ng besoldet werden. Etwas Schuluntemcht wurde zur Zeit
Anwesenheit an einzelne Kinder von früheren Lehrern ertheilt,
ich abreiste, wurden gerade mehrere gebildete Kolonisten, zum
ühere Studenten, auf ihre Kenntniss des Spanischen hin ge-
a zwei Schulen errichtet werden sollten, eine für die dem See
Dhnenden Kolonisten, eine für die um Altos. Bedürfniss nach
Geistlichen ist keins vorhanden.
ber die Direktion der Kolonie zu urtheilen, kann ich mir nicht
1, da ich keine eigne Kolonistenerfahrung habe und die etwaigen
chen Motive von Klagen einzelner Kolonisten nicht kenne,
klagten über ungleichmässige, oft sehr verspätete Auszahlung
ier (woran die Direktion wohl in den meisten Fällen unschuldig
dere über Bevorzugung solcher, die die Direktion bestürmen,
5 Verfahren, öffentliche Arbeiten nicht an die der Unterstützung
igsten, sondern im Wege der Submission zu vergeben, über
ieferung von Vieh (Milchkühe sind aber nicht immer zu haben),
geeignete Rathschläge beim Ackerbau, über Neigung zum Auf-
i u. s. w. An Klagen wird es sicher nie und nirgends fehlen.
)e den Koloniedirektor HeiTU Schaerer, einen Schweizer, als
uhigen, etwas phlegmatischen, wohlwollenden und mit den
Verhältnissen wie es scheint gut vertrauten Mann'kennen gelernt,
die Klage vieler Kolonisten, dass in Paraguay das Brief-
liss wenig gewahrt werde, berechtigt ist, kann ich nicht sagen,
Is wurde die Entschuldigung, die manche Klagende zu hören
en haben wollen, dass man den Brief wahi^scheinlich in Buenos
eöffnet habe, um zu sehen, ob er Geld enthalte, von Keinem
t.
SS die Regierung Paraguays in der Kolonisationsangelegenheit
n besten Willen beseelt ist, insbesondere auch der Minister
usseren, Herr Decoud, welcher der Träger der ganzen Idee
übe ich behaupten zu können. Die zur Verfügung stehenden
248
Mittel sind indessen nicht bedeutend und die Geldquelle wüi-de vt
sagen, wenn die Einwanderung grosse Dimensionen annähme. Da
dieses plötzlich geschieht, ist aber weder zu erwarten noch zu wünscbt
Aus der ganzen bisher gegebenen Darstellung der Verhältnisse
schon ersichtlich, dass eine plötzlich ankommende, \aelleicht \\t^
vielen Tausenden zählende Menge ihr gutes Fortkommen nicht flnc?
könnte. Die Besiedlung des Landes mit Europäern kann nur s*
allmählich vor sich gehen; die Kultur macht ebensowenig Sprüa
wie die Natur. Hinzufügen will ich noch, dass man mir vor Kurz
(September 1884) aus Buenos Aires geschrieben hat, die Regierung h ^
mit dem 1. April 1884 aufgehört, Geldunterstützungen an die Kolonis.
auszuzahlen; noch neuere Mittheilungen (Ende 1884) besagen, l1
jetzt nur Familien, und zwar sechs Monate lang, mit baarem GS-
unterstützt werden. (Vgl. das Kolonisationsgesetz im Anhang.)
Andere neue deutsche Kolonien als San Bernardino giebt
zur Zeit in Paraguay noch nicht. Herr Dr. Förster soll zwar i
der Absicht zur Gründung einer eignen Kolonie dorthin gegangen s€
daraus ist aber nichts geworden, derselbe befand sich vielmehr 5
Zeit meiner Reise als Kolonist in San Bernardino. Er hatte sich dasell
wie viele andere Kolonisten, von Eingeborenen einen Rancho r
kleiner stehender Ernte gekauft, denselben mit Hülfe von Arbeite
ausgebaut und bestellte sein Feld wie jeder andere Kolonist. Sei
Ansiedlung gehört zu den bestgelegenen der ganzen Kolonie,
Wasser und Weide ganz nahe sind und ein hübscher Orangenh^
das Haus umgiebt. Von seinen ursprünglichen Begleitern ha'
Dr. Förster, als ich ihn im November besuchte, noch zwei oder A
junge Leute bei sich, als Pensionäre, glaube ich, die er zui- Arb
und zu brauchbaren Menschen erziehen sollte: eine Aufgabe, dei
Lösung die betreffenden hocliadligen Hen-en dauernd und erfolgrei
passiven Widerstand entgegensetzten. Der eine musste bald dar^
die Kolonie ganz verlassen. Ich sprach mit Dr. Förster sowohl 1
diesem Besuche als bei einem spätem Zusammentrelfen in Asunci
über seine Zukunftspläne und seine Ansichten vom Lande. Er h^
seine Hoffnungen noch immer auf Paraguay gesetzt, ohne die Schatte
selten des Landes zu verkennen. Seine Absicht war, noch ein J^
im Lande zu bleiben, mehrere Reisen in demselben zu machen, ^
für Kolonien sich eignende Stellen zu suchen, dann nach Deutschli?
zurückzukehren, seine Erfahrungen zu veröffentlichen, GleichgesinJ
um sich zu sammeln und mit ihnen sich dauernd eine neue Heimi
in Paraguay zu gründen. Er war zu der Uebei*zeugung gekomiti^
dass der nur auf seine Arbeit angewiesene unbemittelte Ackerb&i
249
zur Zeit uur eine sehr bescheidene Existenz in Paraguay finden kann,
lass man aber mit einem Kapital von etwa 2000 Patacon (8000 Mark)
inf gutes Vorwärtskommen rechnen könne. Dass Dr. Föi-ster der
[eeipiete Mann sei, um dereinst eine Kolonie zu leiten, wurde von
ielen in Zweifel gezogen, die ihn näher als ich kennen, aber >un-
erantwortlichen Leichtsinn« möchte ich ihm doch nicht vorwerfen,
uch nicht ihn beschuldigen, durch denselben »mehrere deutsche Familien
IS Unglück gestürat zu haben«.
Nicht über das Stadium von grossen Vorbereitungen hinaus-
jkommen ist das Quistorpsche Unternehmen. Herr Quist^i-j) begab
eil, wenn ich nicht irre im Auftrage des Stettiner Lloyd, nach
araguay, schloss mit der Regierung einen speciellen Kontrakt ab,
T ilim viele Vortheile sicherte, in welchem er sich aber verpflichtete,
ae lächerlich hohe Zahl von Familien jährlich einzuführen. Zu einer
atsächlichen Kolonisation ist nicht geschritten worden; wie es scheint,
hlte es an den nöthigen Mitteln. Herr Quistorp verschwand aus
suucion, wo er nicht den besten Ruf hinterliess. Dass er neuerdings
Leder in Paraguay aufgetauclit ist, nachdem er in England für das
and agitirt hat, wurde schon oben erwähnt.
Französische und italienische Einwanderer, die jetzt etwa nach
w-aguay kommen, werden in Villa Hayes, dem alten Nueva Burdeos,
»gesiedelt. Diese Kolonie soll sich in leidlichen Verhältnissen be-
iden. Ich sah sie nur im Vorüberfahren vom Strome aus; zu einem
esiich hatte ich nicht Lust, da ich hörte, dass auch Sträflinge dorthin
^schafft werden.
Icli nehme an, dass es für viele Leser von Interesse und auch
i' weiteren Belei\chtung der Kolonisationsfrage dienlich sein wird,
'im ich kurz über die Schicksale der Leute berichte, welche, wie
^ am Eingang der Beschreibung meiner Reise erwähnte, gleichzeitig
t mir Paraguay aufsuchten, um sich dort niederzulassen. Herr Dr.
ivert lebt mit zweien seiner Kinder auf seinem schönen Grundstück
har-cue, wohin ihm seine übrigen Familienmitglieder demnäclist
?en wollen; im Besitze ziemlich reiclier Mittel, wird er dort ein
ttis Fortkommen finden, falls er sich mit den Eingeborenen des
udes stellen und sich sonst in Sitten und Gebräuche finden kann.
r Hamburger Lehrer mit Familie, welcher über einige Mittel
•fügt, befindet sich auf der Kolonie San Bernardino; er war bei
inem letzten Besuch recht zufrieden, soll aber jetzt den Wunsch
^en, fortzugehen und eventuell am La Plata eine Lehrerstellung
zunehmen. Er ist eine für harte Arbeit wenig geeignete^Persön-
Ukeit und hätte besser gethan, sein Geld gleich von vorn herein
nur in Vieli anzulegen. Die beiden Gärtner aus Altena mit den dr .^f
Knaben gingen auf die Kolonie und gefielen sich dort Anfangs wol -^l
doch empfanden sie bald sehr den Mangel weiblicher Hülfe, soU^^n
sich mit den Eingeborenen nicht haben stellen können, von denselb^^n
böswillig geschädigt sein und nun ziemlich die Lust verloren hab^^n.
Der junge Kaufmann aus Bayern und der Weltbummler aus Thüringc" — ^en
thaten sich zusammen, haben aber gar nicht recht mit Arbeit e^a^n-
gefangen; jener, an ziemlich gutes Leben gewöhnt und mit har"^»er
Arbeit ganz unvertraut, ging zum Glück schon nach sechs Wocl^fcen
fort, begab sich nach Buenos Aires und fand dort eine gute Anstellu^Mig.
Mit Feder und Kassenbuch umzugehen und dabei ein gutes 6el^ alt
zu bekommen, das einem gestattet, Abends ein Fläschchen Exporttn^ier
2U trinken, ist natürlich angenehmer, als im Schweisse seines ^an-
gesichts Wasser zu schleppen. Bäume umzuhacken und dann MCTais
und Bohnen zu essen und Matö zu trinken. Der Thüringer ging "^iiit
mir zugleich wieder fort; er hatte sich mehr ?^ der Wissenschaft weg^sn«
nach Paraguay begeben und wollte nun über Land nach Chile, d^3»nn
nach Peru gehen, um dort einen Freund aufzusuchen. Der schwäbische
Maurer wurde in Privatdienste genommen, stahl, wunle entlas^^n,
ging auf die Kolonie, stahl auch doit, trieb sich eine Zeit langf in
Asuncion herum und nahm Dienst auf dem dort liegenden ai-gent i ni-
schen Kriegsschitf. Die beiden (deutschsprechenden) jungen Schweden
gingen auf die Kolonie, thaten sich dort mit einem Bekannten zn-
sammen und waren, als ich sie im Februar besuchte, recht zufrieißu.
Neuerdings aber bekam ich Nachricht, dass sie nach Buenos Ai^^s
hinunter gegangen sind, um dort zu ihren früheren Berufsart^ß
(Kaufmann und Seemann) zurückzukehren. Der junge Mediziner
praktizirte eine Zeit lang in Asuncion als Assistent des engliscli^'*
Vicekonsuls Dr. Stewait, um sich zur Ablegung des Doktoratsexame^^'^
(in Cördoba, Argentinien) voi*zubereiten. Leider starb der lieben^'
würdige und edle Mensch im Frühjahr 1884 am Starrkrampf, ^''^^
man mir sagte infolge grosser Unvorsichtigkeit. Der junge ost-
preussische Landwirth endlich mit seinen beiden Angehörigen hat:'^'^
sich die politischen, sozialen und moralischen Verhältnisse des Land^^*»
wie es scheint, in etwas idealem Lichte vorgestellt. Er war ziemli^***
enttäuscht, machte auch einige recht unangenehme persönliche ß^r-
fahrungen und verliess das Land, um sein Heil in Rio Grande de
zu versuchen. Nach mehrmonatlichem Aufenthalt daselbst wurde
Urtheil über südamerikanische Zustände geklärt (in argentinisch 1'^
Verhältnisse hatte er auf Hin- und Rückreise einige tiefe Blicke ^^
werfen Gelegenheit), und er beschloss, nach Paraguay zurückzakehr^'''
251
nit seinen massigen Mitteln und tüchtigen Fähigkeiten sicher
tkommen. gefunden hätte, oder — sich der Heimath wieder zu-
n\. Anfang December 1884 traf er auch glücklich wieder in
g ein.
5S die oben geschilderten Vorgänge auf der Kolonie und im
SS daran in Asuncion und andern Orten des Landes nicht
; gewesen sind, den Deutschen im Lande eine geachtete
• zu erringen, braucht kaum heiTorgehoben zu werden. Fast
ras an Skandalgeschichten und auch Verbrechen in den letzten
zur öffentlichen Kenntniss kam, hatten die Deutschen auf
I wissen; da gab es Mord, Mordanfölle, Bedrohung mit dem
, Durchgehen mit fremder Frau, Durchbrennen unter Hinter-
von Schulden, Veruntreuungen, Betrug u. s. w. Nimmt man
nzu, dass auch unter den nicht auf der Kolonie lebenden
en so mancher ist, dessen Namen man nur zu nennen braucht,
?m gewissen Lächeln zu begegnen, und dessen wechselvolle
liichte man in Brasilien oder Argentinien leiclit erfahren kann,
man sich vorstellen können, dass der Deutsche in Paraguay
ihr hoch im Ansehen steht. Es wäre daher sehr erwünscht,
?der, der in der Lage dazu ist, darauf hinwirkte, dass nach
y nicht Leute gehen, die der Paraguayhasser etwa als »für
y noch gut genug« oder >^für Paraguay noch zu gut« be-
i würde, dass vielmehr, zur Ermöglichung einer Zukunft deut-
usiedlung in Paraguay, tüchtige und ehrenhafte Leute hin-
die geeignet sind, einen wackern und zuverlässigen Stamm
;n. Unter den auf der Kolonie Zurückgebliebenen sind zum
eine grosse Anzahl solcher. Sehr erwünscht wäre es den
en in Paraguay auch, wenn ihnen einmal ein Zeichen davon
würde, dass sie unter dem kräftigen Schutze ihres Heimath-
tehen, wenn einmal die deutsche Flagge im Hafen von Asuncion
ind wenn ihre Hoffnung genährt würde, in Zukunft ein deut-
erufskonsulat in Asuncion zu sehen. Ein vielbeschäftigter
mischer Vicekonsul kann den Interessen seiner Landsleute
} viel Zeit und Mühe zuwenden, wie diese wünschen. Zur
irde die Zahl der im Laude anwesenden Deutschen die Er-
: eines Berufskonsulats wohl noch nicht rechtfertigen, aber
Zukunft bleibt es ein Wunsch. Hoffentlich bringt die Zukunft
i ersehnte bessere Schiffsverbindung mit Deutschland, kapital-
deutsche Kaufleute, Möglichkeit bequemer Geld Verbindung
Litschland. Wie viel Deutsche jetzt in Paraguay leben, ist
dt Sicherheit anzugeben, da nicht alle beim Vicekonsulat
252
inimatrikiilirt sind. Ich glaube die Zahl auf nicht mehr als 400 v<^=^
anschlagen zu düi'fen; dabei rechne ich reichlich 200 auf San Bi^
nardino, weniger als 100 auf Asuncion (im November 1883 gab
da etwa 25 selbständige Träger von deutschen Familiennamen, aVji
nicht viele hatten deutsche Frauen), höchstens 100 auf das tibi^ig
Land (Itä, Tacuaräl, Paraguary und Umgebung, Yaguaron, Achar-c^s m
Itape, Villa Rica, Ybj^cul, Encarnacion, einzelne Estancias und Puu \iti
in den Yerbales, sowie andere mir nicht bekannt gewordene Orte^ .
Ich glaube , man darf behaui)ten, dass alle andern Fremden dea
Deutschen in Bezug auf öffentliche Achtung voranstehen, so z. B. die
Franzosen, Engländer, Italiener, Spanier, Basken. Die Italiener, voa
denen es wolil einige tausend im Lande giebt (einige meinten 5000),
zeichnen sich durch ganz besonderes Zusammenhalten aus, unterstützen |
sich gegenseitig, gründen Kompagniegeschäfte, stehen für einander
ein, haben reiche Förderer. Die Engländer sind wenig zahh^ich,
w^ohl im Ganzen nicht hundert, zumeist in geachteten Stellungen.
Franzosen mag es einige hundert geben (ich weiss nicht, wie viele
in Villa Hayes sind), in Asuncion und an andern Orten, meist als
Gewerbetreibende und Gastwirthe. Sie sind geachtet und haben trotz
ihrer geringen Zahl einen Berufskonsul. Alle von ihnen, die ich
kennen lernte, zeichneten sich durch Arbeitsfreudigkeit und gesundes
Urtheil aus. Basken giebt es nicht viele; Spanier ziemlich wie,
meist als Kaufleut^; Argentiner und speciell CoiTentiner sehr viele,
ebenso Brasilianer, worunter einzelne Neger; Zahlen vermag ich hier
nicht anzugeben. Vereinzelt traf ich Griechen, Schweden, Portugiesen,
Dalmatier, Bolivianer u. a.
Seit man vor mehreren Jahren angefangen hat, die Frage der
Auswanderung und Kolonisation in Deutschland fort und fort eingehend
theoretisch zu erörtern, sind jederzeit die Erhaltung der deutschen
Nationalität in den Einwanderungsgebieten, die Erhaltung der
Verbindung mit dem Mutterlande, der Konsum heimischer Industrie-
pi'odukte und der dadurch vermehrte Absatz heimischer Industrie,
Abhülfe gegen Uebervölkerung u. s. w., Hauptfragen gewesen, sodass
ich diese Punkte w^enigstens mit zwei Worten berühren muss. Ic»
glaube, dass das Deutsch thum in Paraguay, wenn es vom HeimatJi-
lande reichlich frischen Zuschub erhält, sich gut konserviren kanu,
ohne dass deshalb die Deutschen drüben einen Staat im Staate 2ü
bilden brauchen, wobei ich aber voraussetze, dass wirklich deutsche
Familien einwandern; denn die einzelnen Leute tragen höchstens
dazu bei, dem paraguayschen Typus etwas germanisches Blut bei^ö"
mischen. Nehmen sie sich paraguaysche Frauen (deren es ja geüoff
253
wenn auch wenige verlockende), so sehen die Kinder zwar oft
fiübsch germanisch aus, lernen wohl auch manchmal noch Deutsch
'ater, aber viel besser von der Mutter Guaranf, in der Schule
3ht Spanisch; unter sich sprechen sie sicher Guaranf; von
jliland erfahren sie kaum noch etwas und eine Generation später
ron Deutschthum nicht mehr die Rede sein. Mit dem Mutter-
wei-den alle Kolonisten gern in Verbindung bleiben, und zwar
lieber, je bequemer und sicherer dieselbe ist; deutsche Industrie-
:te werden sie gerne verbrauchen, so weit ihre Kaufkraft reicht
► lange andere Produkte nicht billiger und besser sind. Mein
tismus wenigstens würde nicht so weit reichen, deutsche Fabrikate
?h um ihres Ursprungs willen zu kaufen, wenn ich als armer
st jeden Realzettel dreimal umdrehen müsste, ehe ich ihn
e. An grosse Förderung der heimischen Industrie durch
ng der Auswanderung nach Paraguay darf man für die erste
berhaupt natürlich nicht denken. Ist Paraguay einmal so weit
Besiedelung durch Deutsche vorgeschritten wie Südbrasilien,
vann man mit anderen Faktoren rechnen. Der Uebervölkerung
lan durch Beförderung der Auswanderung nach Paraguay ebenso-
steuern, wie durch Auswanderung überhaupt. Man braucht es
licht, denn wir haben keine Uebervölkeiaing, höchstens eine
e, der wohl noch zu Hause abzuhelfen wäre. Von meinem
mnkt aus, den ich selbstverständlich niemand aufdrängen
.uch nur empfehlen will, sind alle die eben andeutungsweise
ten Fragen bedeutungslos. Für mich handelt es sich bei
uswanderungs- und Kolonisationsfrage in erster Linie darum,
; betreffende Land den arbeitslustigen und arbeitskräftigen Ein-
rern, die ihr Vaterland aus einem beliebigen Grunde verlassen
, die Möglichkeit einer Existenz, einer menschenwürdigen
nz bietet, ob dieselben dort ein neues Zentrum höherer Kultur
esittung schaffen können, ob dieses geschehen kann, ohne die
3 anderer Völker und Menschen zu verletzen und ohne gewaltsam
en Verhältnisse einzugreifen. Diese Fragen sind, unter den
kationen, welche sich aus meinen obigen Auseinandersetzungen
n. mit Bezug auf Paraguay zu bejahen. Sollten einige anderer
ng sein, so wird ihnen dieses Kapitel doch die Ueberzeugung
äfft haben, dass man aus dem negativen oder geringen Erfolg
sherigen Kolonisationsunternehmungen in Paraguay niclit den
s ziehen darf, dass Paraguay ein zur Besiedelung durcli Europäer,
II Deutsche, ungeeignetes Land sei.
254
7. Schluss.
Fassen wir unsere Resultate zusammen: was spricht für, w>a
gegen die Auswanderung, speciell von Deutschen, nach Paraguaj^
Die Lage des Landes ist vortheilhaft, denn der Fluss gestattet einen
unbeschränkten Verkehr; die Bodengestaltung ist günstig, das K\m&
ist warm, oder doch im rechten Sinne des AVortes gemässigt; es ge-
stattet dem Europäer Leben und Arbeit bei angemessener Lebens-
weise; die Gesundheitsverhältnisse sind vorzüglich; die Natur ist in
jeder Beziehung eine reiche, und ihre Schätze harren noch zum
grossen Theil der Ausbeutung; für Viehzucht und Ackerbau sind die
Naturbedingungen fast überall günstig, zum Theil vorzüglich: eine
Vereinigung glücklicher Verhältnisse, wie sie wenige andere Länder
bieten. Dazu kommen ruhige politische Verhältnisse, grosse öffent-
liche Sicherheit, eine eingeborene Bevölkerung, mit welcher, bei
einigem Verständniss für ihre Eigenart, gut auszukommen ist der
man auch, je nach Bedürfniss, fast ganz aus dem "Wege gehen kann,
wenn man abgelegene Landestheile aufsuchen will; femer relativ
günstige Verhältnisse in Bezug auf Polizei- und Kechtszustände.
Schwierigkeiten dagegen setzen dem gedeihlichen und schnellen Fort-
kommen des Einwanderes die Verhältnisse des Handels und Verkehrs
entgegen ; die Verkehrswege im Lande lassen viel zu wünschen übrig,
die Schiffsverbindungen sind noch nicht genügend, der einheimische
Bedarf an dem, was der Ackerbauer prodnzirt, ist gering, der Handel
ruht in Händen von schlauen Italienern, der Export ist unentwickelt
und kann durch die Anstrengungen kapitalloser, nur auf ihre Arbeits-
kraft angewiesener Kolonisten nicht gehoben werden. Er ^ii'd sich
sicher allmählich entwickeln, denn die statistischen Nachweise des
Handels zeigen aufsteigende Tendenz; es wäre aber wünschenswertb,
dass kräftiges Eingreifen ihm etwas nachhülfe und ihn in solche Bahnen
lenkte, die zur Förderung der deutschen Einwanderung beitragen
können. Für Angehörige gelehrter Berufsarten ist kaum auf Fort-
kommen zu rechnen, Handwerker haben vorläufig wenig Aussicht.
Dem Viehzüchter ist für den Augenblick, ja noch für ziemlich lange
hinaus, Gewinn durch den eigenen Bedarf des Landes gesichert; dann
wird auch er auf Ausfuhr seiner Produkte angewiesen sein. Ein
letzter und nicht zu unterschätzender Mangel ist die augenblicklich
wenig angesehene Stellung des Deutsch thums in Paraguay! Hoffen
wir, dass sich in nächster Zukunft dort in Anlehnung an die zum
Theil schon vorhandenen guten Elemente ein tüchtiger Stamm ent-
wickelt, der in dieser Beziehung AVandel schatft.
Als selbstverständlich vorausgesetzt, dass man keinem zur A^
255
derung rathen wird, der in der Heimath sein Auskommen hat
einigemiassen mit seinen Verhältnissen zufrieden ist, indem man
etwa ein Eldorado jenseits des Ozeans, ein Land, wo ohne Arbeit
lithümer auf der Strasse zu holen sind, vorspiegelt, Angesichts
lehr der Thatsache einer starken wirklichen und wohl durch
Mittel, kaum durch eine gründliche Umwandlung der socialen
lältnisse aufeuhaltenden Auswanderung stellen wir nun die Frage:
man unter den oben zusammengefassten Umständen zur Aus-
lerung rathen? und wem? Vor allen Dingen, wer nach Paraguay
Q will, der sei ein Auswanderer im wahren Sinne des Wortes, d. h.
olcher, der sein Vaterland in der Absicht verlässt, sich drüben eine
Heimath zu gründen, wie es viele Tausende unserer Landsleute in
rasilien gethan haben. Für jedermann, einen vorsichtigen und
uen Kaufmann vielleicht ausgenommen, ist es schwer, das, was
ch etwa erwirbt, aus dem Lande herauszuziehen. Es kann also
5 Rede davon sein, etw-a hinzugehen, ein paar Jahre thätig zu
und dann mit gefüllten Taschen zurückzukehren. Selbst wenn
/"erhältnisse Paraguays sich günstig entwickeln, wird dieser Zu-
l noch geraume Zeit fortdauern. Der kleine Ackerbauer, der mit
? oder keinen Mitteln drüben ankommt und nur auf sich und
Arbeitskraft angewiesen ist, überlege sich die Sache reiflich
irwarte jedenfalls nicht mehr, als unter schwerer Arbeit allmählich
bescheidene Existenz zu gewinnen. Ohne Anschluss an irgend
:rösseres Unternehmen, z. B. die Staatskolonie, wird ihm unter
gegenwärtigen Umständen auch dieses schwer werden. Wer mit
em Kapital (ein paar tausend Mark) hinübergeht, um es in
Tbau anzulegen, sehe sich erst das Land und seine Verhältnisse
Uich an und setze nicht übereilt Unternehmungen ins Werk, deren
abilität er nicht übersehen kann; er kaufe sich lieber Vieh und
e Ackerbau nur für seinen Bedarf. Wer über 10 bis 15000 Mark
gt, fasse von vornherein die Viehzucht ins Auge, sei aber vor-
ig in der Anlage seines Kapitals, lerne erst Land und Leute
eu und wäge wohl ab, wem er sich anvertraut. Handwerker
en in den meisten Fällen gut thun, andere, in ihren Bedürfnissen
jr vorgeschrittene Länder aufzusuchen ; wollen sie nach Paraguay
n, so werden sie nicht ganz ohne Kapital ins Land kommen
in, denn sie werden in den meisten Fällen gänzlich auf sich selbst
wiesen sein, und mit dem Kredit ist es eigenthümlich : geben müssen
velchen, sonst bekommen sie keine Arbeit, ihnen aber giebt man
er welchen. Nicht dringend und nicht oft genug zu warnen ist
iem Vorurtheil, als könne man in einem Lande wie Paraguay so
2r)0
ohne Weiteres mit Vortlieil eine in Europa erlernte Berufsart z
Gunsten des Ackerbaus aufgeben. Weitaus in den meisten Fäll^j;
wird nichts Gutes daraus entstellen! Ich will durchaus nicht ab-
streiten, dass manche mit Körper- und Willenskraft begabte Personeß
der verschiedensten Stände auch als Ackerbauer nützliche Mitgheder
der menschlichen Gesellschaft werden, solche bleiben und ihr Aus-
kommen finden können, nur zu oft aber finden sie sich getäuscht mi
wissen dann nicht, wo aus noch ein. Leichter schon kann, wer etwas
Kapital und Intelligenz hat, mit Viehzucht vorwärts kommen. Für
sehr gewagt halte ich daher das Spiel, das HeiT Mevert treibt
indem er sagt ^) : > Weit davon entfernt, Leute, denen es in der Heimath
gut geht, zum Auswandern zu tiberreden, stehe ich nicht an, allen
solchen, denen das Vaterland keine Arbeit und keinen unterhalt
gewährt, zu rathen, nach Paraguay zu gehen ^. Das Vaterland wird
diese Leute allerdings auf diese Weise los, sie aber finden sich oft
bitter getäuscht und bringen so sich und dem Lande ihrer Wahl in
sehr vielen Fällen gar keinen Nutzen, sondern Schaden. Herr
Mevert geht noch weiter, indem er in Anknüpfung an den Mahnruf
»Zurück zum Ackerbau!« ausdrücklich sagt: »Dieser Ruf ergeht
nicht allein an die Arbeiter, auch an unsere jungen Kaufleute, Gelehiten
und Beamten richtet er sich. Sie alle müssen ihre Schreibpulte ver- i
lassen und in den Stand der Ackerbauer zurückkehren, wenn sie nicht !
verkommen und das geistige Proletariat vermehren wollen u. s. w.< i
Da es weiter geht ^ Jener Mahnruf ist ganz schön«... > Aber wo
ist der Boden dazu?« ... »In Europa nicht. Darum bleibt nichts übrif,
als dahin zu gehen, wo ihm eine Heimstätte umsonst geboten oder
für ein Billiges überlassen wird«; da es so weiter geht, sage ich,
bleibt kein Zweifel, dass solche Leute nach Paraguay gehen sollen.
Ich bin anderer Ansicht: die wenigsten von solchen Leuten passen
für das Land, zum Ackerbau gehören Ackerbauer: drüben ei*st recht;
und es wandern ja in grosser Menge Ackerbauer aus Deutschland
aus. Will man aber unbemittelte Einwanderer, speciell Ackerbauer,
in grosser Zahl in das Land werfen, so kann das meiner Ansicht nur
dann geschehen, wenn man gleichzeitig umgestaltend und föi'dernd in
die gesammten Verhältnisse des Landes eingreift, d. h. wenn der
Förderer dieser Einwanderung, sei es nun der Staat oder etwa eine
Privatgesellschaft, über namhafte Mittel verfügt und nicht darauf
rechnet, schnell aus der Sache Gewinn zu ziehen, womöglich mxh
hohen Gewinn. Kolonisation ist kein kaufmännisches Geschäft! In
•) s. 147.
257
gnay würde Kolonisation mit kleinen Ackerbauern sich am besten
in grosses Viehzuchtunternehmen anlehnen, oder es müsste jemand
e Mittel an Versuche mit Produkten für den europäischen Export
en, wie Baumwolle, Zucker, Tabak und Kaffee. Vom Staat
m solche Unternehmungen sicherlich mit allen ihm zu Gebote
Qden Mitteln unterstützt werden. Einzelne Personen, die über
1 namhaftere Kapitalien verfugen, werden, wenn sie nicht zu der
r eine ziemlich sichere Kapitalanlage bietenden Viehzucht greifen
II, nach erst erworbener Landeskenntniss in den meisten Fällen
nehmungen herausfinden, die ihnen Gewinn versprechen; doch
lum anzunehmen, dass solche Kapitalisten in ein fremdes Land
werden, um dort zu experimentiren: möglich ist dagegen,
ihnen von Landeskundigen angemessene Vorschläge gemacht
n.
^icht unterlassen will ich es, mit nochmaligem Hinweis auf
i Meverts »Zurück zum Ackerbau« und die daran geknüpften
riingen, auch an dieser Stelle noch hervorzuheben, dass gerade
fizelne junge Leute das Fortkommen in einem Lande wie Paraguay
amentlich beim Ackerbau am allerschwierigsten ist. Paraguay
olche auch gar nicht gerne haben; für den Ackerbau braucht es
sfähige und arbeitskundige Familien, am erwünschtesten aber
ihm intelligente Kapitalisten, da es von solchen den meisten
n für Entwickelung des Landes erwarten darf.
Velche Theile von Paraguay sich für Ansiedlung am besten
1, ist nicht schwer zu sagen. Ackerbauunternehmungen müssen
die Nähe der Hauptstadt suchen oder sich an die projektirte
ngerung der Eisenbahn, die doch einmal zur Ausführung kommen
halten. Für besonders passend halte ich die beiden Abhänge
!ordilleritÄ am Pass von Sapucai und südwärts davon. Diese
id wäre auch vorzüglich geeignet zur Verbindung grösserer
uchtunternehmungen mit Ackerbaukolonien. Für Viehzucht bietet
land allenthalben Baum genug, z. B. in den Misiones, in der
gend von Caäzapä, in der Umgebung der Lagune Ipoä, nördlich
ler Cordillere, im fernen Norden, im Chaco u. s. w. Für eine
rankte Zahl von Ackerbauern wäre auch die Ansiedlung in den
lies von Vortheil, wo auf sichern Absatz der Produkte an die
iteros zu rechnen wäre; doch glaube ich, dass das nichts für
nge ist, wenn sie nicht einer sehr erfahrenen und starken Leitung
stellt würden; mehr für alte, landeskundige Ansiedler; sonst
en die Yerbateros möglicherweise die Ansiedler ausbeuten. Für
! Ansiedlung wären von den mir bekannt gewordenen Stellen der
17
258
Üebergang über den Rio Corrientes, Curuguaty, Igatiml, der Panadero
geeignet, vielleicht auch Lima.
Obgleich ich hoife, dass die Art und Weise meiner Mittheilungen
selbst den Maassstab zur Beurtheilung derselben an die Hand giebt,
will ich doch nicht unterlassen, zum Schluss noch ausdrücklich hervor-
zuheben, dass ich mich einer möglichst objektiven Auffassung der
Verhältnisse und möglichst objektiver Darstellung befleissigt habe,
dass mir jede Tendenz nach der einen oder andern Seite fern gelegen
hat, und dass ich den Zweck des zweiten Theils meiner Schrift ftlr
erreicht halte, wenn sich der nach Paraguay Einwandernde oder der,
welcher dort grössere Unternehmungen beabsichtigt, nicht getäuscht ;
findet, und wenn ich andrerseits dem schönen Lande Paraguay keinen
Schaden durch Anlockung von überflüssigen oder schädlichen Elementen
bereite. Auf Vergleiche Paraguays mit andern Ländern habe ich
mich nur an wenigen Stellen eingelassen, da ich diese nicht genügend
aus Erfahrung kenne. Diejenigen aber, welche das Paraguay meiner
Schilderung mit andern, ihnen auch nur aus der Literatur bekannten
Ländern vergleichen wollen, möchte ich darauf aufmerksam machen,
dass die meisten Bücher, welche Ziele Auswandernder unter dem
Gesichtspunkte des Werthes derselben für die Auswanderung schildern,
eher zu rosig als zu schwarz gehalten sind.
259
ANHANG.
Kolonisationsgesetz vom 4. Juni 1881.
. Es soll ein Generaldeparteroent der Einwanderung geschaffen
welches direkt dem Ministerium des Innern untei^stellt ist.
. Das Personal dieser Behörde wird vorläufig zusammengesetzt
; einem GeneralkommissMr, einem Sekretär und den Beamten,
sich zur gehörigen Geschäftsführung nöthig erweisen werden.
Die Pflichten und Befugnisse des Departements der Aus-
mg werden durch die Exekutivgewalt in den Ausftihrungs-
lungen zu diesem Gesetz festgesetzt werden.
Die Exekutivgewalt wird ermächtigt, an verschiedenen
i der Republik einige Ackerbaukolonien anzulegen, wobei
zu achten ist, dass die gewählten Landstrecken sich für
lu eignen und vorzugsweise an den Ufern von Flüssen, an der
hn oder in der Richtung ihrer geplanten Verlängerungen liegen.
'. Diese Kolonien sollen auf Staats- oder Privatländereien
b werden, je nachdem, welche Oertlichkeit das Departement
Wanderung als geeignet bezeichnet.
. Ausgenommen sind von dieser Bestimmung die Staats- und
indereien, welche gegenwärtig bewohnt oder angebaut sind.
. Die Privatländereien, welche etwa zur Kolonisation gewählt
können gegen Staatsland umgetauscht werden oder es kann im
e des öffentlichen Wohls Expropriation erfolgen.
I Expropriation geschieht zum Schätzungspreise plus zehn
, unter der Kontrole zweier Sachverständiger, deren einen
kutivgewalt, den andern der Eigenthümer ernennt, und welche
der Uneinigkeit einen dritten zuziehen dürfen.
Sobald die in § 5 erwähnte Bezeichnung stattgefunden hat
Foimalitäten des § 7 erfüllt sind, wird zur Vermessung, Ab-
g und Eintheilung der Kolonie geschritten, unter Aufnahme
iitsprechenden Planes, dessen Original im Ministerium des
bleibt, während eine Kopie das Departement der Einwanderung,
lere die betreffende Kolonie erhält.
•. Die zur Anlage einer Kolonie bestimmten Strecken werden
e von 16 und 8 Quadratcuadras von je 100 Varas Seite, d. h.
id 600 Ai-, zerlegt werden.
0. Für die Anlage der Ortschaft werden so viele Ar reservirt
als das Departement der Einwanderung für wünschen swerth
id zwar in der Regel in der Mitte des Gebiets, wenn nicht
ain Verhältnisse eine andere Lage vortheilhafter erscheinen lassen.
260
Wenn dann die Municipalität so viel abgetrennt hat, wi(
Anlage eines öffentlichen Platzes, einer Kirche, einer Schule
Verwaltungsgebäude u. s. w. nöthig ist, kann sie das Uebiif
kleinen Loosen an Kolonisten oder an Privatleute zur Anlage
Gebäuden aller Art verkaufen und den Erlös zur Unterhaltung
Schulen verwenden.
§ 11. Ferner sollen in jeder Kolonie eine oder mehrere AV
strecken, welche dicht an das eigentliche Kolonialgebiet grei
reservirt werden, um zur gemeinsamen Benutzung als Viehweidi
die Kolonisten zu dienen.
Diese Weideländereien werden Gemeindeeigenthum sein
können nicht veräussert werden.
§ 12. Das Departement der Einwanderung kann Ackerbi
familien von auswärts kommen lassen, um sie auf jenen Koloniei
zusiedeln.
§ 13. Jede Familie soll aus einer Gruppe von drei Erwachs
oder aus fünf Personen einschliesslich der Kinder bestehen und
gute Führung, ihre Arbeitsamkeit und ihre Kenntniss vom Ack(
nachweisen können.
§ 14. Die Familien, welche die Bedingungen des vorstehe
Artikels erfüllen, werden von der Regierung jede umsonst erha
1 . Der Betrag der Beförderung von dem Punkte ihrer Einschiffi
bis zu dem Bestimmungsorte.
2. Beim Niederlassen auf der Kolonie Lebensunterhalt wäl
sechs Monate, welcher Zeitraum im Falle durch höhere G<
eintretender Umstände oder anderer unerwarteter und
ausreichenden Grund gewährender Verhältnisse auf das Doj
erhöht werden kann -) ; ferner AVohnung, Ackergeräth, Same
und Vieh für den eignen Gebrauch.
3. Ein Landloos von 16 Quadratcuadras, d. h. 1200 Ar, we
in ihren definitiven Besitz übergeht, wenn sie es fünf *.
nacheinander bearbeitet haben.
§ 15. Jeder erwachsene Kolonist, welcher sich in einer K(
niederzulassen wünscht, wird die gleichen Vortheile geniessen, w
im vorigen Paragraphen aufgezählt sind, ausser dass er als Eigen
nur ein Loos von acht Quadratcuadras, d. h. 600 Ar, erhält, untei
*) Ist wohl gemeint Einschiffung in einem La Plata-Hafen ; zur Zeil meiner
wurde nur von Montevideo aus die Flussfahrt bezahlt.
') Zur Zeit meiner Reise wurde die Unterstützung in Gestalt von haarem
gewährt, und zwar gab man jeder Person täglich 80 Pfennige (2 Realen); zwei 1
für einen Erwachsenen gerechnet. (Vgl. oben.)
261
im diitteu Abschnitt des genanuten Paragraphen festgesetzten Be-
dingangeii.
§ 16. Jeder Kolonist wird das Recht haben, ein bis drei Loose
m Iß Quadratcaadras oder 1200 Ar zu erwerben, zu zwei Pesos für
iede Quadratcuadra (75 Ar), zahlbar in zehn Jaliresraten.
§ 17. Ungeachtet der Bestimmung des vorigen Paragraphen
können jene Loose in öffentlicher Versteigerung verkauft werden, wenn
indere Interessenten sich finden, wobei der Taxwerth zum Ausgangs-
•nnkt genommen wird.
§ 18. Jeder, welcher solche Loose kauft, muss sie fünf aufein-
fiderfolgende Jahre unter Kultur halten, ohne einen längeren Zwischen-
um als sechs Monate, und kann sein Eigenthumsrecht nicht auf die
)ose übertragen, die er schon vor dieser Besitzergreifung inne hatte.
§ 19. Das gekaufte Land bleibt mit dem Kaufpreise belastet,
eim einer der Kolonisten am Verfalltage nicht zahlungsfähig ist,
lü ihm eine Frist von sechs Monaten bewilligt werden, unter An-
*hnung eines Zinses von ein Procent; nach dieser Frist muss er
5ser dem Zins eine Geldstrafe von ein Procent monatlich bezahlen,
eh Ablauf weiterer sechs Monate wird zum Verkauf des Grundstücks
schritten werden, um das zu decken, was der Fiscus zu fordern
t; etwaiger Ueberschuss fällt dem Kolonisten zu.
§ 20. Jeder Kolonist, der sich schlecht aufführt, unfilhig oder
3eitsscheu ist, kann von der Kolonie entfernt werden, wird aber
" die von ihm etwa ausgeführten Ansiedlungsarbeiten entschädigt
J zum Meistbetrage von 800 Pesos.
In diesem Falle wird ihm der Werth alles dessen abgezogen
irden, was ihm die Regierung bei seiner Niederlassung geliefert hat.
§ 21. Im Falle ein Kolonist stirbt bevor die fünf zum Erwerb
s Eigenthumsrechts nöthigen Jahre verflossen sind, geht das Grund-
Äck auf seine rechtsmässigen Erben über, mit der Bedingung, dass
»ler derselben die Zeit vollendet, welche noch bis zum Ablauf der
-nannten Frist fehlt.
Wenn der Kolonist keine rechtsmässigen Erben hinterlässt, soll
in Grundstück einem Kolonisten überwiesen werden, welcher die
J'ch dieses Gesetz geforderten Eigenschaften besitzt.
§ 22. Jede Streitfrage, die etwa unter den Kolonisten über das
-cht zum Erwerbe irgend eines Landlooses entsteht, bevor dasselbe
definitiven Besitz übergegangen ist, soll durch das Departement
~ Einwanderung entschieden werden, mit Berufung an die Exekutiv-
^^'alt.
§ 23. Die Regierung wird für jede Kolonie unter Berücksichti-
2G2
gung des Vorschlages des Departements der Einwanderung, ei/i
Intendanten ernennen, der die Landessprache und die Sprache d
Ansiedler der Kolonie, welcher er vorstehen soll, beherrscht; seil
Pflichten werden sein:
1. Jeder Familie oder jedem Kolonisten das Landloos zu übe
weisen, welches für dieselben passt.
2. Für die Sicherheit der Kolonie zu sorgen, wozu ihm das et\^
nöthige Personal zur Verfügung gestellt werden wird.
3. Für Ausbesserung und Reinhaltung der Strassen zu sorgen.
4. Eine Liste der Kolonisten zu führen und umfassende statistisel
Daten zu sammeln über den Anbau des Kolonialgebiets ua
den Ertrag der Ackerbauprodukte, zu welchem Zwecke d:
Kolonisten die Angaben machen müssen, um welche sie ersiicl
werden.
5. Den Kolonisten alle Auskünfte zu geben, welche sie verlange
und sie mit seinem Rath zu unterstützen.
§ 24. Sobald fünfzig Kolonisten angesiedelt sind, sollen sie daz
schreiten, aus ihrer Mitte fünf Gemeindebeamte zu ernennen, dere
Befugnisse von der Exekutivgewalt werden festgesetzt werden. Gleicl
zeitig sollen sie drei unbescholtene Männer für das Amt eines Frieden
richters vorschlagen, unter denen die Regierung den wählen vdr
welcher ihr am geeignetsten erscheint.
§ 25. Die Exekutivgewalt darf die Entwickelung des Ackerbani
auf irgend einer der etwa entstehenden Kolonie dadurch fördern, das
sie denjenigen Kolonisten, welche sich durch Eifer und Fähigkeit zi
Arbeit ausgezeichnet haben, neue Landloose unentgeltlich überlässt.
Doch dürfen nicht mehr als zwei Loose jeder Person umson:
übertragen werden.
§ 26. Jeder Kolonist hat innerhalb der ersten sechs Jahre uac
seiner Niederlassung Anrecht auf eine Prämie von zehn Pesos fiir ,
tausend Fruchtbäume, deren Anpflanzung auf seinem Gebiet er nacl
weist.
§ 27. Die Kolonien sollen von direkten Abgaben für die Dau<
von zehn Jahren befreit sein, gerechnet von dem Tage, an welcbe
der betreffende Intendant sich auf der Kolonie niederlässt.
§ 28. Die Ackergeräthe, Sämereien, Möbel, AVaflfen und sonstigt:
Habseligkeiten, welche die Kolonisten zum eignen Gebrauch mitführt^
sollen zollfrei in die Kolonien eingeführt werden.
§ 29. Die Exekutivgewalt darf jeder Gesellschaft oder privaN
Unternehmung zu Kolonisationszwecken eine Landstrecke von zwt
Quadratleguas abtreten, und zwar unter den Bedingungen:
r
263
1. Mindestens 140 Ackerbauerfainilien im Zeiträume von zwei
Jahren anzusiedeln.
2. Jeder Familie ein Stück Land von mindestens 50 Quadrat-
cttadras • (3750 Ar) zu schenken oder zu verkaufen.
3. Den Kolonisten, welche es verlangen, AVohnung, Arbeitsgeräth,
Vieh zur Arbeit und zur Zucht, Sämereien und Lebensunterhalt
auf mindestens ein Jahr zu gewähren, ohne für diese Vorschüsse
mehr als den Selbstkostenpreis nebst einem Aufschlage von
20 Procent und einem Jahreszins von 10 Procent auf die ganze
Summe zu berechnen.
4. Von den Kolonisten die Rückzahlung der Vorschüsse nicht andei-s
zu verlangen, als in Jahresraten oder in entsprechenden Theil-
zahlungen, deren Zahlung mindestens im dritten Jahre nach
der Ansiedlung beginnen soll.
5. Dem Departement der Einwanderung Einsicht zu gewähren in
die mit den Kolonisten abzuschliessenden Kontrakte, damit keine
Verletzung dieses Gesetzes vorkommen kann.
6. Eine Summe von 2000 Pesos zu deponiren oder Bürgschaft für
dieselbe zu stellen, welche als Strafe für den Fall der Nicht-
erfüllung des Abtretungskontraktes festgesetzt wird, mit Vor-
behalt der eventuellen Ungültigkeitserklärung desselben.
§ 30. Die Gesellschaften oder Unternehmungen, auf welche sich
^r vorige Paragraph bezieht, sollen das Recht haben, zu verlangen,
dass die Beförderung der für ihre Kolonien bestimmten Einwanderer
Vom Punkte der Ausschiffung bis zum Bestimmungsort auf Staats-
kosten geschieht.
§ 31. EinwandeiTide Ackerbauer, welche sich auf dem Gebiet
^6r Republik ausserhalb der Kolonien niederzulassen wünschen, haben
^ Recht, von der Regierung die Ueberweisung eines Landlooses von
f<^ht Quadratcuadras (600 Ar) zu verlangen, welches definitiv in
^'»i'en Besitz übergeht, sobald sie fünf aufeinanderfolgende Jahre darauf
s'^^rbeitet, am Ende dieser Periode zwei Drittel unter Kultur gebracht
'^f>en und 100 Kaffeebäume besitzen.
§ 32. Ausserdem geniessen dieselben folgende Vortheile:
1. Sie erhalten auf Staatskosten Wohnung und Unterhalt während
der fünf ersten Tage nach ihrer Ankunft.
5J. Sie werden auf Staatskosten nach dem Punkt des Staatsgebiets
geschafft, wo sie sich niederlassen wollen.
3. Sie dürfen zollfrei einführen Gebrauchsgegenstände, Möbel,
Ackerbaugeräthe, Werkzeuge, Utensilien für die Kunst oder
das Handwerk, welches sie ausüben, und ein Jagdgewehr auf
2G4
jeden Erwachsenen, bis zu einem von der Exekutivgewalt fe
zustellenden Wertlie.
§ 33. Die Exekutivgewalt kann Einwanderungsagenten im Ai
lande ernennen, wenn sie es zur Förderung der Einwanderung i
wünschenswerth hält.
§ 34. Die Bezahlung der durch dieses Gesetz geschaffen
Beamten, sowie die Vermehrung oder Verminderung ihrer Anzahl,
nach den Erfordernissen, werden durch das Budgetgesetz geregelt werd(
§ 35. Es soll ein Generalfonds für die Einwanderung geschatt
werden, und zwar aus folgenden Hülfsquellen :
1. Aus den Summen, welche das Budgetgesetz jährlich zu dies(
Zweck bestimmt.
2. Aus dem Ertrag des Stempelpapiers und der Gewerbescheii
sofern derselbe den Zwecken, für welche er jetzt bestimmt i
genügt hat.
§ 36. Die Exekutivgewalt wird dieses Gesetz mit Ausführui^
bestimmuugen versehen.
§ 37. Dieses Gesetz soll zur Kenntniss der Exekutivgewalt
bracht werden.
2G5
Das Erdbeben vom 26. März 1812 an der Nordküste
Südamerikas.
Von Dr. W. Sievers.
Das grosse Eixibeben vom 26. März 1812, welches der ganzen
Nordküste Südamerikas entlang so gewaltige Verheerungen anrichtete
und zwar in einer Ausdehnung von raelir als sechs Längengraden fast
nur an die aus Gneiss, Glimmerschiefer, Granit, überhaupt aus alten
ki*ystallinischen Gesteinen zusammengesetzte Centralzone des vene-
zolanischen Küstengebirges und der westlichen Cordillere gebunden
ff^^'Vvesen zu sein scheint, ist niemals zum Gegenstand eines genaueren
Studiums gemacht worden, da es theils an geeigneten Kräften im
Lande selbst fehlte, theils aber namentlich die gerade damals hen'schenden
^Virreii des Unabhängigkeitskrieges jede wissenschaftliche Thätigkeit
verliinderteu. Heute ist es natürlich nicht mehr möglich, auch nur
S^na.ueres Material darüber zu sammeln, da die zwar noch immer zahl-
^'^iclien Ruinen über die Richtung und Art des Stosses keinen Auf-
^^^^liliiss mehr geben können und die Tradition gänzlich verwoiren ge-
^^'Oix3en ist.
Die einzigen Spuren des Erdbebens, welche auch jetzt noch sichere
;^^^iiltate zu geben vermöchten, sind die so massenhaft vorkommenden
^^^lisse und Spalten, deren Entstehung zur Zeit des Erdbebens kaum
*^^ §refochten wird. Da ist nun gleich die Thatsache hervorzuheben,
T^sss diese Schluchten, Spalten und Erdrisse sich erstens nur im
^^rden, Nordwesten und Nordosten der Stadt Caracas finden, und
^ Seitens auch hier vorzugsweise nur auf den sogenannten Savannen
"^^ischen den nördlichsten Häusern der Stadt und den kahlen, fast
^^getationslosen Vorbergen der Küsten-Cordillere.
Die Stadt Caracas liegt am südlichen Fusse der nördlichen, aus-
schliesslich aus Gneiss mit Einlagerungen von Granit (am Naignatä),
^Glimmerschiefer, reinen eklogitartigen und endlich serpentinartigen,
Hiigenscheinlich metamorphischen Gesteinen bestehenden Kette der
Küsten-Cordillere, welche hier in der Silla de Caracas im Naignatä bis
5782 m aufsteigt. Im Süden des Thaies erheben sich die nur etwa 200 m
tiber demselben aufragenden Berge des Rincon de El Valle, Vorberge der
südlichen Parallelkette der Küsten-Cordillere und ebenfalls aus Gneiss
>>estehend. Nach W und ist das Thal von Caracas geöffnet und sinkt in
2G(\
einer Ausdelniung von etwa 3 bis 4 Stunden Länge von Antimano ira V
bis Petare im O von 923 bis 840 m. Von irgend welchen jüngeren AI
lagerungen, Versteinerungen oder TeiTassen und Strandbildungen is
gar nichts zu bemerken, so dass die Ansicht Humboldts, das Thal voi
Caracas sei ein See gewesen, durch nichts gestützt wird.
Tn einer Höhe von 922 m (Cathedrale) liegt nun von NW uacl
SO ziemlich stark geneigt die Stadt Caracas, von deren Boden ebens<
wie von dem des ganzen Thaies man annehmen darf, dass er aus den
Detritus gebildet worden ist, welchen die Wasser namentlich von dei
nördlichen Bergen herabführten. Im Osten, Westen und Süden de)
Stadt befinden sich Felder, meist Zuckerrohr, welches seit einige)
Zeit den Kaffee zu verdrängen beginnt. Ira Norden allein fehli
jegliche Anpflanzung. Hier befindet sich das ganze zwischen dei
Stadt (922 m) und der Mitte der Höhe des Küstengebirges (ca 1500 m
Pulperia de Sanchorquiz am alten Wege nach La Guaira = 1533 m'
gelegene Terrain der Vorberge in völliger Auflösung und im Zustand(
hocligradiger Verwitterung. Man findet hier alle Stadien derselben
theils grosse übriggebliebene Quarzblöcke, theils kleinere Massec
theils namentlich gelockerte Schichten, Schnüren und Ränder vo
Quarz, deren einzelne Bestandtheile lose auf einander gelagert sin
und auf die Ausdehnung von bis V^ m und 1 m durch einen Stoss m
dem Stock zur Auflösung gebracht werden können. Ganze schuttkege
artige Haufen einzelner aufeinandergeschichteter Quarafragmente lasse
sich an andern Stellen beobachten ; das Wasser kann sich häufig wege
zu geringen Gefälles derselben nicht bemächtigen; wo aber die Kra
des Wassers ungeschränkt wirken kann, zeigen sich die grossartigste
Erosionserscheinungen. Der Boden ist durch die Wirkung der Hitz
des Thaus, Regens und der im verano (November bis April) häufig sei
kühlen Nächte bis zu ganz kolossaler Tiefe gänzlich zersetzt und unt€
höhlt, sodass in der rothen mit Eisenoxyd durchtränkten Oberfläcl
Bildungen vorkommen, die Lavaströmen von weitem nicht unähuli
sind (z. B. am Reitwege zwischen La Cruz (1170 m) und derPulpei
Campo Alegre (ca. 1400 m) am alten Wege nach La Guaira). V
der dem Laterit, den ich hier vermuthete, eigenen zelligen, maschig«
und porösen Struktur konnte ich dagegen nichts bemerken, vielme
ist der Boden einem fetten rothen Letten nicht unähnlich.
Ganz besonders glänzend ausgeprägt sind die Erosionserscheinung
in den das ganze Terrain nördlich der Stadt massenhaft und in v€
schiedener Richtung durchziehenden, zum Theil bis 60 m tiefen Qu
bradas, Schluchten, deren Entstehung zum Theil nicht dem Wass
allein zugeschrieben werden kann. In denselben ist meist auch nie
267
eine Spur festen Gesteins mehr zu erkennen; ich verwandte mehrere
Tage auf das Studium dieser Quebradas und fand in einem Theil
ei-selben typische Erdpyramiden. Man kann das nördlich von Caracas
efindliche Terrain dui*ch die Erosionsfurche des Rio Catuche, welcher
in nördlichen Theil der Stadt mit sehr gutem, frischem und klarem
''asser vei-sorgt, passend in eine westliche und eine östliche Hälfte
eilen. Die östlichen Quebraden zeigen ganz besonders schön die
rscheinung der Erdpyramiden. In der Mitte zwischen der Quebrada
s Rio Catuche und der Quebrada Coticita befindet sich der kahle,
ir auf der Spitze mit einem einzelnen Baume gekrönte, bis ca. 1400 m
steigende Vorberg Arbolito. Von demselben zieht sich in fast
nau südlicher Richtung ein Wasserlauf herab, welcher unmittelbar
nter dem Kirchhof de los hijos de Dios seine Richtung verändert
id in eine andere fast genau westöstlich streichende mündet. Die
reite dieser Quebrada beträgt an der Sohle etwa 3—5 m, im oberen
tieile 20—30 m; die Tiefe ca. 5 m; im unteren Theile nordöstlich
:s Pantheon führt diese Quebrada den Namen Llorona. Sowohl in
eser von Arbolito herabkommenden wie in der Hauptquebrada,
iraentlich aber an der Einmündungssteile befinden sich Erdpyramiden,
e zum Theil in 2 über einander gelegenen Niveaux vorkommen; im
iteren pfeilerartig, im oberen in Gestalt echter bis 5 m hoher Pyra-
iden, deren Spitzen verwitterte Gneissblöcke tragen. Die Unzugäng-
"likeit des Terrains erlaubt nur Betrachtung von weitem. Eine
harf ausgeprägte, namentlich im unteren Theil der Quebrada Llorona
it sichtbare Schicht von Thoneisenstein trennt beide Niveaux.
Die übrigen Quebraden zeigen diese Erscheinungen weniger gut
sgeprägt, obwohl überall Ansätze zu ähnlichen Bildungen vorhanden
id; dagegen lassen sie besser als die erwähnte grosse Quebrada
kennen, dass ihre Entstehung nicht dem Wasser allein zugeschrieben
i*(len kann, sondern dass die Erdbeben oder, besser gesagt, das Erd-
^en (von 1812) wesentlichen Einfluss auf sie gehabt haben muss.
Namentlich ist dies erkennbar an einer am östlichen Endpunkte
» Cimenterio de los hijos de Dios beginnenden, ganz plötzlich bis
Ui tiefen, unvermuthet und unvermittelt herabstürzenden Quebrada,
Iche weiter abwärts in die grosse Quebrada Llorona mündet.
Auch die grosse Quebrada de la Polvora oder de la puerta de
i'^cas kann hierfür angeführt werden. Dieselbe beginnt ganz plötz-
^ hinter der über sie führenden kleinen Holzbrücke unmittelbar
^serhalb der puerta de Caracas. Sie ist hier sehr schmal, kaum
* m breit und hat nach rückwärts zu eine Oeft'nung; diese ist jedoch
nstlich hergestellt, um einem AVasserlauf den Weg zu bahnen.
26«
Die Quebrada selbst schneidet hier scharf iu ihrem oberen Endpunkte
ab und streicht NNO— SSW, dann SdO" W. und endlich fast W.
Ihre Breite beträgt an der Sohle ira Mittel etwa 4 m, und es scheint,
als ob ursprünglich zwei von einander unabhängige Quebraden existirt
haben, da an dem Punkte, wo sie sich nach W wendet, eine Er-
höhung der Tlialsohle sich findet, die augenscheinlich erst später
dui'cli das Wasser durchschnitten ist. Die Tiefe beti'ägt 5 — 15 m.
Liingsprofil der Qiu^brada de la Polvora.
(Juerprofil der Quehrada de la Tolvura an dein Punkte, wo sie bich nach W wendet.
(iiurprulil der Quehrada de la l'ülvora an allen übrigen Stellen,
sowie im Allgemeinen aller Quebraden.
ir)Om südöstlich dieser Quebrada beginnt auf einem kleine%^>^
wasserscheidenden Terrainrücken inmitten desselben ganz uri>lötzlic'\ ^
<*ine andere kleine Quebrada. die nach wenigen Schritten bereits 3^^,,
tief ist: eine Auswascliung durch Wasser ist hier so gut wie an^^,-.
geschlossen, sondern es ist eine Spaltenbildung in der Erdrinde, fein
plötzlicher ErdfiiU oder dergleichen anzunehmen. Sie streicht S 1^»
W, dann S 45" W, daiauf tiist W parallel der gi'ossen QaebracJa
de la Polvora und mündet wie diese in den neuen Weg nach X^
Guaira. Auch sie scheint ursprünglich aus zwei Quebraden zusammen-
2()0
gesetzt gewesen zu sein, und auch sie liat am Punkte der Riclitungs-
veränderung erhöhte Thalsohle. Eine andere Quebrada westlich der
Qnebrada de la Polvora an der anderen Seite des Pulvermagazins
hat ebenfalls SSW, dann S 60** W Richtung wie die vorgenannte.
Besonders interessant ist die Quebrada de la Pastora, welche ich
so nenne, weil sie unmittelbar westlich der Kirche de la Pastora
in den Nordtheil der Stadt in zunächst SSO, dann SO Richtung
hineinläuft und fast bis ins Centinim derselben zu verfolgen ist. Sie
ist deshalb besonders interessant, weil in ihrer Nähe 1812 die furch t-
bai-st« Wirkung des Erdbebens stattfand, und gerade sie beginnt
ebenso unvermuthet, wie die vorerwähnten etwas ausserhalb der Stadt.
Alle diese letzterwähnten Quebraden haben keine Fortsetzung
nach den Bergen zu; sie können also nicht als Resultat der erodirenden
Kraft des Wassers allein aufgefasst werden. Sie beginnen mitten
in der fast ebenen Savanne, zwischen den nördlichsten Häusern der
Stadt, und den Bergen der Küstenkette in gänzlich zersetztem Gueiss-
terrain, von dessen Bestandtheilen meist nur noch der Quarz zu er-
kennen ist, und zeigen selbst in ihrem tiefsten Lager kaum noch eine
Spur festen Gesteins. Sie scheinen von einem Punkte etwa am Beginn
des alten Weges nach La Guaira, nach Südwesten, Süden, Südosten
auszustrahlen und es ist bemerkenswerth, dass keiner von allen Vor-
bergen der Küstencordilleren so zerschnitten, zerrissen und ausge-
farclit ist, wie gerade dieser Vorberg La Cruz, über welchen in
steilen Windungen die alte, von den Spaniern prachtvoll gepflasterte,
jetzt leider vielfach zerstörte Strasse nach La Guaira führt. Es ist
eine bekannte Thatsache, dass bei dem Erdbeben von 1812 der süd-
liche Theil der Stadt Caracas bei weitem nicht so gelitten hat, wie
der nördliche und dass die Stadt sich seitdem mehr nach Süden liin
ausgedehnt hat, während früher der Norden wegen besserer und ge-
sunderer Lage stärker angebaut war. Wenn nun gerade liier sich be-
sonders viele Erdspalten finden, während im Süden gar keine vor-
"*nden sind, und wenn diese Spalten wegen Fehlens ihrer oberen
Fortsetzung nach den Bergen zu nicht als alleinige Resultate der
^'''osion aufgefasst werden können, so liegt es nahe, dieselben für
Spalten anzusprechen, die durch das Erdbeben gebildet sind. (Niveau-
^^chiebungen einer Seite der Spalte gegen die andere waren nicht
^ bemerken). Vielleicht kann man auch eine gewisse Wechsel-
^^''kung zwischen dem Erdbeben und der tiefgreifenden Zersetzung
JJ^ Bodens annehmen, indem einerseits die Erdbeben durch Spalten-
\*dung und Auflockerung des Erdreiches eine besonders starke Ver-
^^•terung hervorrufen, andererseits das so aufgelockerte und zerrissene
270
TeiTüin eventuell eintretende Erdstösse besonders leicht fäblen lässt
utid durch seine Beschaffenheit dieselben gefährlicher macht, woraus
sich dann die Zerstörung des nördlichen Tlieiles der Stadt gegenüber
den geringeren Wirkungen des Erdbebens im Süden ableiten Hesse.
Bei der Betrachtung der Spalten föllt sofort das Vorherrschen
zweier Richtungen ins Auge, der fast nordsüdlichen und der diese
kreuzenden, fast rein ost westlichen, und zwar wird die ostwestliche
Richtung desto ausgeprägter, je mehr man nach W oder O fort-
schreitet, während in der Mitte des Nordens der Stadt mehr Ter-
mittelnde Richtungen herrschen.
Als einziges Gebäude, an welchem die Wirkung des Erdbebens
noch klar zu erkennen ist, kann die Kirche Alta Gracia im nörd-
lichen Theile der Stadt gelten. An dem viereckigen, etwas höher als
breiten Tliurm derselben lassen sielt Spalten erkennen, welche in
folgender Weise anlaufen:
Thurm der Kirche Alta Gra
1 Süd geeeheE
Der Thurm dieser Kirche zeigt 2 Spalten, welche, da die Kirche
in genau N— S orientirt Ist, in der Richtung W— O verlaufen. Der
zwischen den beiden schwai-zen Linien liegende Theil des Thurmes ist
dem Beschauer zugedreht worden, sodass er mit dem oberen und
unteren stehen gebliebenen Theiien des Thurmes einen ganz geringen
Winkel bildet. Nimmt man an, dass der mittlere Theil des Thurmes
nun seinen Schwerpunkt bewegt, durch die Hervorragungen des Thurmes
aber ausserlialb des Ijothes seines Scliwerpunktea festgehalten worden
ist, und sich wie um eine feste Axe und zwar infolge der Trägheit
271
dem Stosse entgegen, bewegt bat, so nmss dieser letztere in der
Sichtung NO— SW verlaufen sein, womit einestbeils die Ricbtung
der nahe bei Alta Gracia befindlichen Spalte de la Pastora, welche
NW — SO streicht, und andererseits die allgemeine Fortpflanzungs-
richtnng des Erdbebens stimmt, welches von Caracas (La Guaira)
aus in der Richtung NO— SW fortschritt und auf diesem Wege einen
grossen Theil der zwischen den Hauptketten der Küsten -Cordillere
und der Anden liegenden Städte, z. B. Valencia, Barquisimeto, Merida
zerstörte.
Dr. W. Sievers' Reiseberichte aus Venezuela. *)
I.
Am 2,"). November 18S4 brarli irh nach vierwöclieiitlichem
Aufentlialt in Cararas mit meinem Diener, zwei Maiiltliiereu nnd
einem Pferd von dieser Stadt nach Westen auf. AVir befanden iin&
«am Ende der Itegenzeit. welche in Caracas bis in den Novembei^
hinein dauert und gewöhnlich von den »Nortes: gefolgt wird. Nacl«
Beginn der eigentlichen Trockenheit, Ende November, treten stet
starke nr>rdliche bis nord(istliche Winde, »Nortest, auf, welche di«
über dem Karaibischen M(»ere lagernden AVasserdünste über die Küsten.
cordillere hinüber ins Innere führen und daselbst heftige NiedersclilÄg'
(aguaceros) verursachen.
Ein solcher begleitete uns am Nachmittage des 25. November. A
der Strasse von Caracas nach Valencia, welche wir einschlagen musste
bemerkt man jetzt lebhafte Bestrebungen, das Eisenbalinne
Venezuelas in seinen ersten Maschen herzustellen. Der EisenbalM
welche von Canlcas nach La Guaira gelegt ist, sowie deijenigen na.
dem südlich von Cartlcas gelegenen EI Valle soll eine Linie na.
Antimano, dem nächsten Dorfe westlich Caracas, folgen. Die Baut
sieht man zuerst am westlichen Ende der Stadt und dann wieder n
vor Antimano. Augenblicklich sind sie jedoch ins Stocken gerathes^. d.
Kurz vor Antimano (1)2/) m) i»assirt man zur Linken das I>07f
La Vega, in welchem die Kinwohner mit grosser Kunst kleine Tho wi-
figuren. Schildkröten, Frösche, Eidechsen etc., anzufertigen verstehe? ii,
die sie auf den ]\Iai'kr nach Carjicas zu bringen pflegen; ein Uebc*T-
bleibsel altindianisclier Industrie. Hinter Antimano beginnt derW^^g
beträch tlicli zu strigen. <li er dem Kio Guaire aufwärts folgt, um in
die Gebirgslandschaft des Higuei'ote, welcher die Wassei'schei ^^e
zwischen dem Tliale von Caracas und denen des Tuv bildet, hineL »•
zuführen. Dei* Weg ist im Allgemeinen gut: von Zeit zu Zeit wi ^-'^
eine Zuckerrohr-Hacienda sichtbai'. deren hellgrüne Umgebung si^-^'^
mahuisch von dtnn dunkleren Grün der Waldbestilnde an den Berg^^^
* Ikrr l)r. W. Siir.rs aus 1 1:\in luirj:;, Scliiilur «It-r I'rnfessoreu von RichlhofcD n'^^"
Ilcnii. W.ij^iicr, liat im ()cl<»l>er 1SS4 mit liitirr-^tüiziin«^ »ler (icoj^raphisclicn GcsdlschÄ''*
in IlnmliurLj, oliv.' I\c;-c- n:icli W-m/utla iUi;,'«-lrolcn. Ha-J \ orläufij^c Reiseziel ist r * '*^
fa.>t !l;.iii/ iniorforscluc Cnrdillcrc vnn Mi-ri<l;i. Soiiu* l\ci<t'l)LTichle wcnlen fortlanfe *^"
in miS'.Ton Milil oilnnj^oii jnihlicirl wcnU-n.
273
ibhebt. Die Formation des Gebirges ist überall dieselbe wie im
Süstengebirge von Caracas, Gneiss, Glimmerschiefer, nach NW ein-
EiUend; die Bergformen sanft gerundet, lange abgeschliffene Kämme,
mit nur wenigen Erhebungen darüber bildend. Die Berglandschaft
von Higuerote unterscheidet sich vortheilhaft gegenüber deijenigen
von Cai'äcas durch die beträchtlich stärkere Vegetation. Um 5 Uhr
Nachmittags, zwei Stunden nach unserer Abreise von Caracas, er-
reichten wir den Zusammenfluss der Flüsse San Pedro und Macarao
bei dem Hofe Las Ajuntas (949 m). Gegenüber Humboldt's Zeiten
kt man den Vortheil, dass man den Rio Guaire, welcher aus der
Tereinigung beider entsteht, auf dem AVege von Caracas bis Las
Ajnntas nicht mehr siebzehnmal, sondern nur zweimal, natürlich in
hrten, zu kreuzen hat. Längs des ganzen Weges zieht sich in
öemlich beträchtlicher Höhe am nördlichen Bergabhang die Wasser-
Wfcnng Macarao hin, welche das AVasser des Flusses Macarao nach
Caracas leitet und Anfang der 70er Jahi'e durch den General Guzmän
Blanco, Präsidenten der Republik, hergestellt wurde. Sie versorgt
<teii Süden und AVesten der Stadt mit Wasser. Da sie aber oben
>ff€n ist, so fallen häufig Insekten, Vögel etc. hinein, deren Leichname
o<]ann in der Wasserleitung verfaulen, was nicht gerade zur Ver-
esserung des Wassers beiträgt.
Hinter Las Ajuntas wird der Weg wilder: eine in Schlangen-
nien an den Bergabhängen sich hinziehende Gebirgsstrasse, mit
*trjlchtlichen Abgründen, in denen auch Unglücksfiille nicht selten
nd. Das Mcmdlicht gestattete uns aber, diese gefährlichen Stellen
nft Zwischenfall zu passiren und um 8 Uhr nach Kreuzung der Rio
'S Teques den Ort Los Tecjues zu erreichen, welcher infolge seiner
m\ Lage (1107 m) sich einer sehr frischen Temperatur erfreut.
s ist auch der Grund, weshalb der General Guzmän Blanco hierher
Irrenanstalt gelegt hat, welche als erste im Lande als eine
se AVohlthat zu bezeichnen ist.
Barometer: Abends «Uhr: G70; Temperatur: 19,5° C.
am 26./11. früh (5 Uhr: 069,5; . 19« C.
")ie Kühle und Frische, welche hier herrschte, empfand ich trotz
nigermassen warmen Temperatur von 19" C. derartig als Kälte,
eil trotz zweier Wolldecken die ganze Nacht nicht wann werden
•
m 20./11. OV« Uhr brachen wir von Los Teques auf und er-
1 nach einer lialben Stunde Steigung einen Punkt mit gross-
Ueberblick über die gesammte Berglandschaft, welche von
ques aus sich naeli AVesten zum Thale von Aragua, nach
IS
274
Süden zum Tuy erstreckt. Die Formen sind überall dieselben wie
um Caracas, das Gestein des AVeges war Gneiss und Glimmerschiefer
in starker Zersetzung. AVo festes Gestein am AVege anstehend ge-
troffen wurde, war es fast überall ein quarzitischer rother Schiefer,
wie denn überhaupt der Quarzreich th um dieser Gegend ausserordent-
lich gi*oss ist. Im Quarz von Tjos Teques haben die Spanier auch
eine Goldmine gehabt, ebenso bei Antlmano, ohne dass jedoch die
Stelle noch bekannt wäre. Es ist merkwürdig, wie ein solcher Ort
aus dem Gedächtniss der Bevölkerung verschwinden kann, einer Be-
völkerung, die vielleicht melir als manche andere dem Minenfieber
unterliegt. Ueberall findet man heute Goldminen, Kupferminen, meist
elende Löcher, wo ein paar Goldblättchen im Flusssand gewaschen
werden, oder wo einmal vor Jahren ein paar Stücke unreinen Kupfer?
herausgezogen worden sind.
Ein schattenloser in blendend weissen Quarzitschiefer einge-
sprengter Weg, auf welchem dauernd eine Temperatur von 30'/3*C.
herrschte, brachte uns endlich um 1 1 V« Uhr nach dem Hofe Guayas,
an der gleichnamigen Quebrada Guayas, welche ihr weniges Wasser
dem Tuy zusendet.
Kolossale Kaffeeplantagen umsäumten den Weg namentlich bei
Los Teques selbst. Früher benutzte man von Los Teques bis Guayas
den alten Weg über den kleinen Ort San Pedro, im Flussthale des
Rio San Pedro aufwärts steigend. Diesen nahm auch Humboldt.
Seit aber der General Guzmän Blanco diesen neuen Falirweg
(camino carretero) hat herstellen lassen, ist der alte Weg ausser Ge-
brauch gekommen.
Wir begegneten auf dem AVege einer Caravane von einem halben
Dutzend Männern, welche auf langen Stangen jene grünen Papageie«
trugen, welche in Caracas massenhaft verkauft werden; auch dies«
sollten dahin geschafft werden und mit ilmen zwei der langschAvänzigefl
rothen, welche in Gesellschaft zweier Affen auf einem Esel sassen.
Die Leute kamen von den südlichen Abhängen des Gebirges, von
den Tilanos, lier.
Die Quebrada Guayas bildet einen ziemlich tiefen Einschnitt iro
Gebirge, da der Ort selbst nur 459 m hoch liegt. Wir mussten daher
auch am Nachmittage wieder steigen und gelangten an ZuckeiTohr-
plan tagen vorbei, nach Passirung des Hofes Las Tejarias, zwischen
zum Tlieil fast saiger stehenden Quarzitschieferschichten Abends 6 Thr
nach dreistündigem Bitt nach El Conseijo; kurz vor diesem Ort-e
passirten wir den Tuy, welcher hier genau nordsüdlich fliesst, um baM
darauf einen ganz scharfen Bogen zu machen und seine Richtnng i"
275
B westöstliclie zu verändern. Die vielgerühmte Schönheit der Thäler
[ Aragna war sclion bei El Consejo bemerkbar. Eine wundervolle
lee von jenen Schattenbäumen, welche zum Schutze der Kaflfee-
mzungen gepflanzt werden, führte vom Tuyufer zum Orte El Consejo;
Luft war unendlich mild, Leuchtkäfer leuchteten im Grase, und
? den umliegenden Kaffeeplantagen ertönte endlos der vielstimmige
sang der Cicaden. Dieselbe Schönheit des Weges dauert bis La
ctoria an, wohin wir am 27. früh ßV.2 Uhr gelangten; man reitet
ischen natürlichen Gärten, deren Blumenpracht noch jetzt im November
)ss war und den Wunsch erweckte, diese lachenden Gefilde im Mai
bewundern.
Die Stadt La Victoria, am Rio La Victoria gelegen, mit etwa
00 Einwohnern, macht einen wohlhabenden freundlichen, feinen
ndrück und übertrifft namentlich durch die Schönheit ihrer Lage
len grossen Theil der hauptsächlichsten StMte des centralen
^nezuela. Man war dabei beschäftigt, über den Rio La Victoria
le Kettenbrücke heraustellen, welche, wie alle neu errichteten Brücken,
leater, Parkanlagen etc. im Lande, den Namen puente Guzmän
anco führte.
Gleich hinter La Victoria erhebt sich ein kleiner Hügel, an dessen
>tseite die der Wittwe des 1878 verstorbenen Präsidenten Alcäntara
hörige schlossartige Hacienda Belen liegt. Dieser Hügel macht
irchaus den Eindruck einer Insel in dem Thale des Rio Aragua, in
ilches wir hier eintraten. Er ist langgestreckt, etwa 60 m hoch,
hwach bewaldet; gleich darauf folgt ein kurzer höherer Hügel, dessen
nde Formen sich später noch mehrfach wiederholen. Sogleich dahinter
Igt eine schmale langgestreckte Hügelkette, dann ein zweiter runder
her, stark mit Palmen bewaldeter cerro. Darauf folgt endlich eine
^ge Hügelkette von denselben Formen, welche sich an dem Orte
m Mateo vorbei bis Cagua ausdehnt. Die Höhe dieser cerritos
liwankt zwischen 00 und 100 m. Es ist sonderbar, dass keiner meiner
)rgänger die frappante, ins Auge springende Aehnlichkeit dieser
iigelreihe mit einer Inselkette bemerkt hat, auch Humboldt nicht,
'Iclier doch gerade auf derartige Erscheinungen ganz besonders gern
n Augenmerk richtete. Mein Diener, den ich über diese Hügelkette
fragte, erklärte mir, die Formen dieser Hügel entsprächen durchaus
fi Inseln des Sees von Valencia, und ich fand in der Folge diese
JUierkung durchaus bestätigt. Die runden, scharf abgeschliffenen
lernen, der Wechsel zwischen kurzen, höheren und langen, lang-
^treckten Formen, die Art und Weise der Bewaldung, die Höhe etc.
^sprechen so genau den Formen der Inseln des Sees von Valencia
270
und denjenigen der cerros, welclie anerkannternmssen früher Inselr
des Sees waren, dass sicli mir gebieterisch die Vemiuthung auf-
drängt, dass aucli diese Theile des Landes Inseln des frülier bis hierher
sich ausdelmenden Sees gewesen seien. Humboldt sagt: »ich zweifle
nicht, dass in sehr alter Zeit das ganze Thal vom Fusse des Gebirges
Cocuysa (bei Higucrote) bis zum Torito und den Bergen von Nirgua
von der Sierra de ifariara (nördliclie Berge am See) bis zu der Berg-
kette von Guigue (südliches Ufer), zum Guarimo und der Palma unter
Wasser stand. Kleine Helix- und Valva-Arten, die mit den jetzt,
am See stehenden identisch sind, kommen in 3 bis 4 Fuss dicken
Schichten tief im Lande bis Turmero und Concesion bei Victori.-i
vor.« Ich selbst beobachtete am 11. December auf der Fahrt von
Valencia nach den Bergen von Nirgua von hochgelegenen Punkten .
aus, von wo man das ganze Becken des Sees von Valencia übersehe»
kann, dass bei der Betrachtung desselben von einem solchen Stand-
punkte aus einem jeden die Wahrscheinlichkeit der früheren weiteren
Ausdehnung des Sees ins Auge fallen muss. Auch zwischen dem
westlichen Ufer des Sees und den Bergen von Montalban, MiraniU
und Nirgua erheben sich kleine Hügel ganz unveimittelt aus der
Ebene. Auf dem AVege von Nagua-Nagua bei Valencia nach dem
Hofe Barbula, also auf dem Wege nach Puerto Cabello, bemerkt man,
wie es scheint, alte Strandlinien, welche an den östlichen Bergen.
dem Ufer dieser wahrscheinlich früheren Bucht des Sees sich hin-
ziehen. Aehnliche Strandlinien, Terrassenbildungen beobachtet man
auf dem Wege von Cagua nach Villa de Cnra, dort, wo die Sti-as.^
scharf an den Bergabhang herantritt und von wo man die kleine
Lagune von Taguaguay, augenscheinlich einen abgetrennten Theil Jes
Sees, zu Gesicht bekommt. In diesen östlich des genannten Wege?
belegenen Felsen bemerkt man in zwei über einanderliegenden Niveanx
mehrfach Aushöhlungen, welche augenscheinlich auf die Kraft der
den Uferrand bespülenden Wellen des Sees, welcher sich nach im«!
nach zurückgezogen hat, zurückzuführen sind. Dieses alte üfer des
Sees ist .scharf abgeschlossen und fällt in 30—35" gegen den See.
also nach Westen hier ein, die Schichten 20—30" gegen N. Man
reitet von La Victoria bis San ^lateo fast ausschliesslich zwi.^clien
Zuckerrolirpflanzungen, deren Existenz hier auch für das Vorhanden-
sein grosser Quantitäten Wassers spricht, da nur in sehr feuchten Orten
das Zuckerrohr gut fortkommt, wie denri auch die anerkanntermas.*^"
vom See trockengelegtc^n westlichen Ufer mit Zuckerrohrplantajen
ringsherum besetzt sind.
Bei Cagua v<m bindet sich di(^ zuh'tzt beobachtete Hügel- nn^l
• 277
e Inselkette mit den südlichen Bergen des Ceutralgebirges
:uelas. Am 27. Abends langte ich in Villa de Cura an. Die
selbst, auch Ciudad de Cura, gewöhnlich aber von der Bevöl-
g einfacli La Villa genannt, liegt in der Höhe von 621 varas ^^
, zwischen hässlichen, kahlen, niediigen Bergen und bietet selbst
; Anziehendes. Die beiden Hauptplätze der Stadt führen die
n Plaza BoUvar und Plaza Guzniän Blanco, eine Erscheinung,
ich in allen grösseren Städten Venezuelas mit absoluter Sicher-
viederholt. Das Thal von Villa de Cura ist von O nach W
et doch ist das Charakteristische und Wichtige der Lage der
darin zu suchen, dass auch in der Richtung von N nach S
lebirge durchbrochen ist, was auf der ganzen Strecke östlich
'illa de Cura bis nach dem Unaraflusse bei Barcelona sich in
1 Masse nicht wieder findet. Da auch westlich die den See
'alencia südlich begrenzende Kette fast bis nach Tinaquillo hin
Oetfnung darbietet, so ist Villa de Cura der naturgegebene
igangspunkt für den gesammten Handel zwischen Caracas und
ilanos von Calabozo. Dieser Wichtigkeit der Stadt entsprechend
eselbe auch zum Mittelpunkt des Staates Guzmän Blanco ge-
worden. Je weiter man nach Süden kommt, desto geringer
die Bewaldung der Berge und hier bei Villa de Cura hört sie
pinz auf Ob dies einfach daher rührt, dass die von den See-
n über das Land geführte Feuchtigkeit nicht mehr bis hier ge-
1 kann, oder ob der Gesteins- Charakter Einfluss darauf hat,
g idi nicht zu entscheiden. Man gelangt nämlich bei Villa de
in ein Gebiet, welches in seiner Zusammensetzung von der
eben Küstenkette wesentlich abweicht und noch wenig bekannt
Wall *) behauptet, die hier bei Villa de Cura vorkommenden
ine Iiätten Diallag führende Grundmasse, und gingen, je mehr
Süden, desto mehr in solche über, welche augitisch seien und
sen ähnelten. Jedenfalls erstreckt sidi von Villa de Cm*a an
ich der die Llanos begrenzenden granitischen Gabra von Ortiz
*iirai)ära ein Gebiet sogenannter Grünsteine, durch welche sich
io Tucutunemo einen Weg bahnt, um in den Guarico zu fallen
lit diesem an der Stadt Calabozo vorbei dem Orinoco zuzueilen;
efanden uns also hier bereits im Flussgebiete des Orinoco. Die
'ucutunemo im Osten begrenzenden Höhenzüge untersuchte ich
K November und fand dieselben bei der Hacienda Penas Negras
()n the Geolügy of a part uf Vciicvuela aud Trinidad in Quartcriy Journal of
jlügical Society of London 1860. S. 460.
278
eine halbe Stunde südlich der Stadt Cura, aus Serpentin bestehend.
Am 29. November begann ich einen grösseren Ausflug noch weiter
südlich und gelangte Mittags nach San Juan de los Morros. einem
kleinen Orte am Flusse San Juan und am Fusse der Morros, zweier
eigenthümlich geformter dem Urgebirge aufgesetzter Kalksteinklippeu,
welche bis 989 m ansteigen und der Kreideformation angehören sollen.
Dieselben gelten, da sie auch noch Höhlen, in welchen Reste von
Mastodon gefunden worden sind und 31,3" C. haltende Quellen ent-
halten, in der Umgebung für Natursehenswürdigkeiten ersten Eanges;
ich muss jedoch gestehen, dass dieselben bei weitem nicht den grossen
Eindruck auf mich gemacht haben, den ich erwartete. Sie steigen
nämlich nicht unvermittelt aus der Ebene auf, sondern sind dem
vielleicht 600 m hohen Urgebirge aufgesetzt, ragen daher nur mit j
einem Drittel der Gesammthöhe über dieses hinaus und erscheinen
anch garnicht einmal viel höher als ihre Umgebung. Von ve^
schiedenen Seiten gesehen bieten sie so merkwürdig verschiedene
Anblicke dar, dass man sie kaum wiedererkennen kann. Wirklich
interessant und in höchstem Grade eigenartig ist die Form des einen
MoiTos, welcher die eines Zuckerhutes täuschend nachahmt, während
der andere mehr einer gewaltigen AVand gleicht. So erscheinen sie^
von San Juan aus gesehen, während man vom Wege von Villa de
Cura nach San Juan die Zuckerhutform nicht erkennen kann.
Die Schichten des Urgebirges stehen bei Villa de Cura fast
saiger; je mehr man sich jedoch den Llanos nähert, desto mehr fallen
sie nach SO; am Uebergang über den Rio San Juan nahe der Ort-
schaft San Juan lässt sich diese Eichtung gut beobachten. Das Ge-
stein ist hier deutlich geschichtet, erinnert aber in seinem ganzen
Aussehen mehr an Diorit als an ein krystallinisches Schiefergestein,
während auf dem Wege von Villa de Cura nach San Juan das Ge-
stein dem Diabasschiefer gleicht. Die Foimen der Berge sind sehr
einfönnig, meist scharf eingeschnittene Bergabhänge, die Hügel ohne
Vegetation, nur mit gelbem von der Sonne verbranntem Grase be-
deckt; ein trostloser geradezu hässlicher Anblick. Die Morros von
San Juan sind übrigens nicht die einzigen Reste der Ablagerung«?»
eines — wahrscheinlich Kreide — Meeres; mehrfach finden sieh iß
der Umgebung noch kleinere Reste derselben Formation, so z. B.
dort, wo der Rio Tucutunemo sich einen Weg durch die ihm den-
selben vei-sperrenden vorlagernden Höhenzüge gebrochen hat, etwa
eine Stunde vor San Juan und weiter östlich haben wir in den Morros
de San Sebastian ein Gegenstück zu denen von San Juan zu sehe"-
Hinter San Juan selbst beginnt der Malpaso, oder die Piedniö
279
so genannt, weil einestheils der Weg ganz besonders schlecht
schwerlich ist, andererseits, weil das Gestein einen bläulichen
ler aufweist. Icli maclite diesen Weg am 29. November Nach-
und langte nach zweistündigem Ritt in dem Dörfchen Flores
Iches. niu' aus 5 Häusern bestehend, am Fusse des cerro de
liegt.
Barometer (). p. m. 730. Temp. 28 ".
30./11. » r,. a. m. 731,5. ^^ 24 ».
1./12. >> 4. a. m. 730. * 25«.
r Weg von San Juan nach Flores ist wild, spärlicher Wald,
hiebrados, stagnirendes Wasser, da hier die Wasserscheide
n Rio Guarico und Rio Paito, welcher letztere bei Ortiz vorbei
larico geht. Am 30./11. Morgens erkletterten wir zu Pferde
rro de Flores, bis zu einer Stelle, welche freie Umschau nach
len Richtungen besonders aber nach den Llanos gestattete,
iter hier 9. a. m. 688, Temp. 29,5» C. Der Cerro de Flores
Is aus dem hier tiberall vorkommenden, nicht sicher bestimm-
jrünstein bestehend, wird in seiner Mitte durch eine gegen das
'lores geöftnete kolossale BaiTanca in zwei Hälften getheilt;
stürzen die Innenseiten des Berges zur Barranca ab, im Uebrigen
Abfall des Berges langsam und sanft; wie hier überall, sind
eiten stark durchfurcht und der höchste Kamm -erscheint scharf
i Messerrücken. Die Höhe des CeiTO de Flores giebt Codazzi
4 m an, was zu viel zu sein scheint. Wir genossen eine aus-
net ausgedehnte Aussicht. Im Norden die Kette des venezola-
Gebirges, weithin sich erstreckend; im Vordergrunde die morros
n Juan und weiter östlich die von San Sebastian; im Osten
v uns im Süden ein welliges Berg- und Hügelland, langsam an
lach den Llanos zu abnehmend, runde, einzeln an einander ge-
vleine Hügel wie eine Reihe von Buckeln auf einem Schildrand,
cahl, nur mit Gras wuchs bestanden; die Gegend machte den
r.k holien Alters, allmählich tast Vidlige Ausgleichung der
unterschiede, infolge unendlich lange fortgesetzter Abtragung
»lien durch Wasser, sei es erodirende Thätigkeit, sei es der
m des Meeres, welches unzweifelhaft einst über der ganzen
l stand. Im äussersten Süden erhob sich wallförmig, wie eine
gegen die Llanos gezogene Mauer, ziemlich hoch über das
and aufragend die Galera; dahinter in graublaue Dunstmassen
, dehnten sich unabsehbar die Llanos selbst aus. Die Stadt
ra, welche am Rande der Galera liegt, war durch Hügel ver-
ebenso San Juan; ausser Flores sieht man keine menschliche
280
Ansiedelung: kahl, öde, von der Sonne verbrannt erschien alles ein
öder, wüster Anblick: einzig der Rio Guärico zog sich wie ein Silber-
faden weit im östlichen Hintergrund durch die Landschaft. Ich
sammelte eine Anzahl von Gesteinsproben, welche augenblicklich der
Untersuchung des Herrn Dr. C. Kohrbach in Gotha unterliegen.
Am 1./12. früh 4V'i Uhr brachen wir aus unserem primitiven
Nachtlager in Flores auf und nahmen denselben Weg, wie bei unserer
Herreise. Der Mond war bereits untergegangen, der AVeg entsetzlich
schlecht. BrüUaflFen lännten im Walde, Paraulaten, Tui'telinen und
grüne Papageien begleiteten uns. Der Cardinal, einer der schönstea
Vögel Südamerikas, ist hier häufig. Bei Sonnenaufgang fühlte ich
einen glühend heissen Wind aus der Gegend der Llanos heraufkommen,
so intensiv, dass ich im Anfang glaubte, mein Diener, welcher vor
mir ritt, habe sich eine Cigaire angezündet, und der heisse Schwefel-
dampf ziehe mir ins Gesicht. Als wir früh 6V4 Uhr in San Jiiai
einritten, trug man uns in einer Hängematte an einer Stange einen
Todten entgegen , welcher in der Nacht am vomito negro (schwarzes
Erbrechen) gestorben war. Man schaffte ihn auf einen Hügel der
Nachbarschaft, da der Kirchhof voll war. Der Gesundheitszustand
ist nämlich dieses Jahr ausnahmsweise schlecht im Lande. Früher
war San Juan so gesund, dass Familien aus Caracas zur Sommerfrische
dahin gingen; dieses Jahr ist Sumpffieber, gelbes Fieber und vomito
negi'o an der Tagesordnung. Seit August bis Ende November ist die
Hälfte der Bevölkerung des Ortes San Juan gestorben, im Oktober
versicherte man allein 181 Personen. Der Grund dieser Erscheinung
ist nicht klar. Dieselbe ist nicht etwa local, sondern in vielen Orten
im Innern, in Ortiz, Pärapära, Villa de Cura, in den Thäleru von
Aragua und auch in Caracas selbst w-ar noch während meiner An-
wesenheit daselbst das gelbe Fieber in heftiger Form ausgebildet. 55tt
dieser Plage kommt diejenige der Heuschrecken, welche früher ganz
unbekannt, seit 1881 Venezuela heimsuchen; dieselben sind von Nett-
Granada gekommen, bedecken in ungeheuren Schwärmen das Land
und fressen ganz besonders gerade die unentbehrlichsten Nabnuigs-
mittel, die schwarzen Bohnen Caraotas, von welchen das Volk faJ>t
ausschliesslicli lebt, ferner die platanos (Bananen), und auch das Vieh-
futter, nämlich Mais und die unreife Frucht des Mais, den inalojö,
welcher das Hauptfutter für Pferde und Maulthiere bildet, sodass
jetzt auch in ökonomischer Beziehung schwere Noth im Lande heirscht-
Der Hunger ebnet das Feld für die Krankheiten und die Heuschrecken
selbst bilden durch massenhaftes Verwesen und durch Verderben des
281
ink Wassers wesentliclieu Stoff für dieselben. Hunger, Krankheit,
mmer und Noth herrsclit überall im Innern.
Am 1./12. Mittags traf ich wieder in Villa de Cura ein, und setzte
Q 2ten meine Reise nach Valencia foit, welches ich noch am selben
bend zu erreichen hoffte. Indess hat das Volk, und zwar nicht nur
IS niedere, sondern auch die höheren Schichten, die Gewohnheit, alle
Intfernungen zu unterschätzen. Es kommt vor, dass die Leute die
och restirende Entfernung auf 3 bis 4 leguas schätzen ; glaubt man
ber etwa denselben Abend noch anzukommen, so täuscht man sich
od oft muss man noch den ganzen folgenden Morgen dazu nehmen,
Dl endlich anzukommen. Audi sind die leguas, welche zur Angabe
er Entfernungen dienen, sehr verschieden lang, man hat nämlich
iguas, die 3000 varas (Ellen), andere die 6500 und endlich solche,
ie 5000 gelten. Die leguas der Lianeros sind anerkannt länger als die
5s nördlichen Venezuela. So war auch uns von einem in der posada
uariciuena in Villa de Cura, wo ich wohnte, abgestiegenen General
e Entfernung bis Guigue am Ufer des Sees von Valencia zu 7 leguas
igegeben; es stellte sich aber heraus, dass es 10 waren; wir kamen
iher erst Nachmittags 3 Uhr anstatt Morgens 11 Uhr nach Guigue
1(1 fanden mit Mühe ein Quartier, da in dem Orte keine posada war.
Hr eireichten früh 7 Uhr den Ort Guarabata und waren sehr erfreut,
US der öden Landschaft bei Villa de Cura in der Nähe des Sees
änzende und reiche Vegetation anzutreffen. Namentlich Lianen gab
i liier in ungeheurer Menge, aucli Bambus, Bananen und einzelne
alnien; die Pracht der Orchideen und anderer Blumen war gross;
IS Gestein war hier wieder, wie in dem ganzen venezolanischen
itist^ngebirge, Gneiss, Glimmerschiefer, welche stark in Zersetzung
itiudlich sind. Bis zum elenden Dorfe Magdalena hielt diese Vegetation
i, verminderte sich dann aber rapid in Folge Abnahme und schliess-
^•li gänzlichen Verschwindens des Wassers. Von den 22 Zuflüssen,
t^Iclie der See von Valencia empfängt, gehen ilim nur wenige von
Men zu; auf der ganzen Strecke zwischen Magdalena und Guigue
ifft man keinen Fluss, keinen AVasserlauf: nur in der Regenzeit
hren die Quebi'aden Wasser. Dem entsprechend ist aucli die Mensclien-
6re ebenso gross wie zwischen San Juan und Pärapära. Die südliche
<^tte des venezolanischen Gebirges, welche das südliche Ufer des
'«s von Valencia begrenzt, entsendet mehrere Ausläufer gegen den
'^. Drei derselben mussteu wir nach einander kreuzen, was zum
'^eil derart beschwerlich war, dass ich mein Maulthier am Zügel
hren musste. Wir konnten Valencia nicht mehr erreichen und mussten
Guigue übernachten; Abends trat massiger liegen ein, der jedoch
282
iii der Gegend von Valencia wie ich später erfuhr, mit so exceptioneller
Heftigkeit und Stärke gefallen war. dass meine Gastfreunde in Valencia
mein Ausbleiben am Abend des 2. December sich mit dem Anschwellen
der Flüsse erklärt hatten.
Am 3^12. früh setzten wir unsere Reise am Ufer des Sees zwischen
Bananen- und Zuckerrohrpflanzungen hindurch foit. In der Nähe eines
grosses Vielihofes sassen Schaaren von Aasgeiern, w^elche hier im
Lande häufig sind und namentlich zu Hunderten in den mataderos
publicos, den Schlachthäusern der grösseren Städte, sich aufhalten,
dort auch überall, wo ein Aas liegt, sich versammeln, um ihr nützliches
Werk zu verrichten. Von dem Hofe Barbaruta aus hat man eine
unvergleiclilich schöne Aussicht auf die inselbedeckte tiefblaue Lagune,
deren eigentlicher Name Tacaiigua ist. Darauf passirten wir eine
lange Kette von cerros auf altem Seeboden, welche allmählich land-
fest geworden waren, und betraten dann den alten blendend weissen
glitzernden und stechenden Seeboden selbst; am Westufer des Sees
entlang gelangten wir durch die fruchtbarsten Theile Venezuelas, durch
Reihen von Zuckerrohr- und Bananenpflanzungen um 11 Uhr morgens
nach Valencia, wo ich gastliche Aufnahme im Hause des Herrn Jüdell,
dessen Familie in Hamburg ansässig ist, fand; hier gönnte ich mir
am 4./12. Ruhe und benutzte den 5./12. zu einer Untersuchung des
südwestlichen Theiles des Sees von Valencia, wohin ich in Gesellschaft
des Herrn Styrup, Apotheker daselbst, und zweier anderer Herren
aufbrach.
Es handelte sich hier darum, festzustellen, ob der cafton Cambure
oder Camburf, w^elcher im Südw^esten des Sees gelegen ist, aus dem-
selben heraus-, oder in denselben hineinfliesst. Es ist dies eine so
schwierige und, als mit dem angeblichen Austrocknen des Sees in Ver- ;
bindung stehend, eine so vielfach ventilirte und wichtige Frage, dass
es nöthig erscheint, näher darauf einzugehen.
Dass der See von Valencia ganz beträchtlich an Umfang ver-
loren hat, ist allgemein anerkannt. Oviedo berichtet in seiner 17-S
erschienenen »historia de la provincia de Venezuela«, dass die Stadt
Valencia 1555 eine halbe legua vom See entfernt gegründet wuitie.
Heute liegt sie fast 3 leguas entfernt. Der See liegt in 516V4 vai*HS
oder 432 m Seehöhe; die Stadt Valencia selbst in 556 m Höhe. W
See ist von Westen nach Osten D leguas lang, an der breitesten Stelle
bei der Hacienda Yunia, 2 Stunden östlich Guigue, 4 leguas breit; i^ein
Umfang beträgt 25 leguas, seine Oberfläche 22 Uleguas, von denen
5 zum Staate Guzman Blanco, 17 zum Staate Carabobo gehören.
Zu ei-sterem gehören die Inseln Caguire, Zoito, die Klippen Hormig*
283
l Horiniguita und Catiia, sowie die 1796 erschieneueu 3 Inseln
evas Ayarecidas. Zu letzterem gehört die 2 leguas lauge grösste
»el Biirro, sowie die Valencia am nächsten gelegene Culebra, ferner
ama und Caiquire, sowie die 82 varas hohe kleine Insel Cham berge;
ilicli Brujita, Cura, Horno, Caboblanco, Vagre, Araguäta, Pän de
iucar, Fraile, Cucaracha; ferner Cucarachita, die Pefias Vagrecitos
i Vagre, die Penas Monacillos bei Fx'aile, endlich die Klippen bei
ibrera und beim morro Guacara.
Früher Inseln, jetzt Halbinseln oder Festland waren der morro
id die cerros von Guacara, die Halbinsel Cabrera, Cascabel und die
ämn Hügel am Caflon Cambar6, die sogenannten isla de la negra
Corotopona. Der See ist etwa 70 m tief, am tiefsten bei der Insel
iirro, und nimmt im Allgemeinen an Tiefe von NO nach SW zu.
Allmählich hat sich das AVasser des Sees zurückgezogen. Der
lerto de la Negra war zu Oviedo's Zeit eine halbe legua von Valencia
tfernt, der von Arenales ebenso weit von Maracay. Jetzt ist der
Jtere 3 leguas von* Valencia, der letztere noch weiter von Maracay
tfernt. Der morro de la Cabrera war noch 1820 Insel, der Weg
ü Maracay nach Valencia machte einen grossen Bogen am soge-
iinten Auyamal und zog sich an den Abhängen der nördlichen
irge entlang; jetzt geht der Weg am Seeufer in gerader Linie ent-
ig. Früher wurde der über die Halbinsel Cabrera führende Weg
i jedem Nortes, d. h. bei jedem von NO kommenden Winde von
ti durch diese Winde aufgewühlten Wogen überschwemmt, was jetzt
•ht mehr vorkommt. Die Burro-Insel liegt w^eiter von der Küste
tfernt. Humboldt fand auf den Inseln Cura und Cabo Blauco
iiiige Toisen über dem Wasserspiegel feinen Sand mit Helix- und
ilva-Arten, sicherer Beweis für das Fallen des Wassers. Auch seit
amboldt's Zeit ist das AVasser weiter gefallen. Zwar berichtet
mssiugault '), dass 1822 der See in langsamem Steigen begrift'en
Wesen sei, dass die Nuevas Aparecidas zu Klippen geworden seien,
i Flüsse, welche sonst ß Monate kein Wasser gehabt, sich wieder
t solchem füllten; er führt dies auf die in Folge der Unabhängig-
itskiiege erfolgte Zunahme der Wälder und Abnahme der Pflanzungen
ück, ebenso wie Humboldt das Sinken des Wasserspiegels auf die
gekehrten Gründe basirt. Später aber, nach lloussingault's Zeit,
leint der See doch wieder gefallen zn sein; denn Codazzi berichtet
') Viajcs cientificus a los Andcs ecuatoriales. Herausgeg. von Acosta. Paris 1849.
3. Gänzlich vergrifTcn und selbst auf der Bibliulhek von Caracas nur noch in
cm Exemplar vorhaudeu.
284
davon und mir zeigte der Hacendero Alejaudro Llanos, in dessen am
Canon Cambure belegener Zuckerrolir-Hacienda ich Gastfreundschaft
genoss, eine Stelle, wo 1835, als er dorthin kam, der See gewesen
war: diese Stelle war etwa 1 km vom See entfernt und V.i km von
der Haeienda selbst. Bis zum Fuss der Hügel von Casupito bei Villa
de Cura soll derselbe gereicht haben.
Man führte, wie bemerkt, diese Abnahme des Wassei^s auf di^
zunehmende Entwaldung der Berge und Entwässerung der Flüsse
zurück. Doch berichtet Humboldt, dass früher der Rio Pao in de/i
See gegangen und seit Ende des 17ten Jahrhunderts durch einen
Gutsbesitzer daselbst nach den Llanos abgeleitet sei, dass aber noci
damals (18(X)) der Canon Cambure zu Zeiten aus dem See floss. Es
scheint nun , dass dies allmählich zugenommen hat. AVenigstens be-
richtet Dr. Alamo in Caracas in einem Aufsatze vEstudios sobred
lago de Valencia ^< in der »Opinion National« in Caracas, vom 3. Januar
1884, dass 1817 einige Flüchtlinge, die von den Spaniern verfolgt
wurden , auf die Weise der Verfolgung entgingen , dass sie sieb am ,
See von Valencia einschifften und durch den Canon Cambure oder
Bucarito, den Kio Paito, den Rio Pao, Portuguesa, Apure zum Orinoco
gelangten; dass ferner der General Arriento 1853 bei der Befahrung
des Sees von Valencia mittelst eines Dampfers bei Gelegenheit der
Einnahme von Holz constatirt habe, dass der Canon Cambure aus
<lem See herausflösse. Damit hätten wir also das interessante Resultat,
dass der See von Valencia sammt allen Zuflüssen zum Stromgebiet
des Orinoco gehörte, und es unterliegt keinem Zweifel, dass dies Üiat-
sächlich noch bis vor Kurzem der Fall gewesen ist. Der Caüon
Cambure floss nach Aussage meines Wirthes, Don Alejandro Llanos,
Besitzer der Haeienda Siparo, jetzt El Progreso genannt, aus deia
See thatsächlich heraus in den Rio Paito, dieser in den Pao u. s w.
Man hatte also die Wasserscheide zwischen Orinoco und dem Caraibi-
sehen Meer bei La Victoria und bei Nagua Nagua anzusetzen, also
ganz dicht am Meere selbst. Dieses Verhältniss hat sich nun seit
12 Jahren wieder geändert. Der Hacendero Amarado Munoz liatl«
nämlich durch die Ueberschwemmungen, die der Rio Paito alljährlid»
zur Regenzeit in seinen Feldern verursachte, zu leiden und hat daher
etwa im Jahre 1H72 den Rio Paito abgeleitet, so dass heutzutage
der Rio Paito in dem sogenannten Loma de la Sabana de Sau Pabl«
entspringt, bis zu einem Punkte Namens Las Areguatas fliesst, dort
sich theilt. auf der südlichen Seite den Namen Rio Paito beibebielt^
•
in seinem nördlichen Arm Cänes heisst, sich mit diesem Arm bei
Eglita wieder vereinigt und nun als Canon Cambui'e in den See
2ft5
liesst. Seit zwölf Jahren ist also die Existenz eines Binnen-
in Venezuela, welches bis 1872 in den Orinoco abfloss, durch
lie Einflüsse wieder hergestellt wonlen; ich selbst habe person-
ellen, dass der Canon Cambure heute in den See fliesst; indess
Regenzeit immer noch ein Zusammenhang mit dem Rio Pao
i: die früheren Zuflüsse des Rio Paito, der Tocuyito und der
ro gehen jetzt in den Rio Chirgua und dann erst zum Rio Pao.
^hdem ich dieses interessante Verhältniss festgestellt, hörte
u dass seit etwa zwei Jahren der Spiegel des Sees wieder
en anfange; es würde interessant sein zu erfahren, ob etwa
iese Veränderung in dem Laufe des Rio Paito und Canon
t^ das Steigen hervorgerufen wird; weitere Beobachtungen
aber könnten erst im Laufe der Jahre zu einem Resultate
Allgemeinen fand ich überball Humboldt's Beobachtungen richtig;
Schreibart der Namen ist zuweilen unrichtig. Ganz falsch
ber, wenn er Band 3, S. 179 sagt, zu den Zuflüssen des Sees
lencia gehöre auch der Rio Aguas Calientes, welcher aus der
migen heissen Quelle bei Las Trincheras entspringt. Diese
hielle liegt vielmehr, im Gegensatz zu den beiden andern von
und Onoto (44 und 5(5") am Nordabhang des venezolanischen
»ebirges oder doch wenigstens mitten in der Küstenkette. Ich
^ dieselbe am G. und 10. December. Von Valencia aus hat
nächst die nördlich der Stadt gelegene weite sandige Ebene
hsdireiten und gelangt nach etwa 2 Jjeguas an die sogenannte
., wo augenblicklich durch den Eisenbahnbau die unter 30—35**
einftxUenden Glimmerschieferschichten gut entblösst sind,
^pjinnt das Gebirge bei dem Hofe Barbula und mit Ueber-
ng der 194()' betragenden Passhöhe zwischen Valencia und
Cabello sogleich auch die Vegetation, welche um Valencia
iirlich vertreten ist. Dieselbe steigert sich bald in solchem
dass die Reise von Valencia nach »dem Puerto«, wie man
gt, zu den genussreichsten an der Küste gehrnt. Leider wird
ser Genuss durch den entsetzlichen Zustand des Weges be-
tigt, dessen Schlechtigkeit wirklich aller und jeder Beschreibung
Wenn man bedenkt, dass täglich etwa 800 Kan*en zwisclien
•itädten unterwegs sind und nicht nur der ganze Handel nach
a. sondern auch weiter nach San Carlos und den Llanos, nach
. Miranda, Montalban und Nagua diesen Weg benutzen muss.
eift man einen solclien Zustand nicht. Man vertröstet die Be-
ug auf die anzulegende Eisenbahn, allein dieselbe steht bisher
286
erst auf dem Papier. Zwar hat man schon die Strecke von Valenn
bis Nagua-Nagua zu bauen begonnen, aber sie wird, falls nicht bal
der Oberbau hergestellt wird, dasselbe Schicksal erleiden, wie di
Bahn von Puerto-Cabello nach Palito, dem Punkte, wo die Strass
von Valencia ans Meer herantritt. Diese in den (>Oer Jahren bereit«
eröflfnete Eisenbahn ist nach ganz kurzer Zeit wieder eingegangen.
Zwischen Valencia und Puerto Oabello tritt mehrfach Granit im
Gneiss- und Glimmerschiefer auf, so z. B. bei San Esteban und mci
bei Las Trincheras Die heissen Quellen von Aguas Calientes bei
Las Trincheras aber liegen selbst noch im Gneiss, dicht daneben aber,
tritt äusserst grobkörniger Granit auf. Sie brechen auf der linkei^
Seite des Weges von Valencia nach Puerto Cabello aus der südlicbei
Berglehne hervor. Es sind wesentlich vier verschiedene, aber a;
demselben Niveau gelegen, nur die Hauptquelle entspringt wenip
Meter höher als die anderen. Sie liegen in der Höhe von 1070' über
dem Meere und bilden einen Bach, welcher unter dem Namen B»^
Aguas Calientes bei Palito ins Meer mündet; Dampf wölken lagen
über dem Tank, welchen sie unmittelbar nach dem Austritt aus dem '
Gestein bilden. Die Temperatur der Hauptquelle fand ich zu 91,5*0.
die der östlichsten zu 89" und einmal, als das Erdreich frisch auf-
gegraben wurde, stieg auch sie auf 91" C; die beiden mittleren, über
denen Strohhäuser emchtet sind, besitzen 86" C. und 89" C. Ihr
Gehalt an Schwefelwasserstoff maclit sie zum Kurgebrauch fnr
Syphilitisclie geeignet, doch wird die Quelle wenig benutzt, wenngleich
General Guzmän Blanco einige Bade- und Logirhäuser hat errichten
lassen. Humboldt fand 1800 die Temperatur der Quelle zu 90/
Roussingault und Rivero 1872: 92,2 " und 97". Karsten 1852: 97"; i<*
konnte nur 91,5 finden. Die Temperatur der Luft betrug im Schattei,
21,50, in der Sonne 34" C. (2. p. m.), Barom. 727,5. Mit dem Bassift
der lieissen Quelle zusammen fliesst ein kleineres Wasser, welches
östlich entsteht und 55" C. Temperatur besitzt.
Der AVeg von Trincheras nach Puerto Cabello ftihit über <lfe
Ortschaft Cambur, welche gewöhnlich zum Uebemachten benutzt wirtii
da man meist Nachmittags von beiden Endpunkten abfährt oder ab-
reitet, um am nächsten Morgen zum Frühstück das Ziel zu erreichen.
Je weiter man nach dem Meere hinabkommt, desto mehr erscheint die
Küstenvegetation, welche hier ganz besonders durch Cactus aller denk-
baren Arten ausgezeichnet ist, welche längs des Weges von Palit<^
nacli Puerto Oal)ello in der sandigen sterilen Küstenebene undnrch
dringliche Dickirlite bilden, um dann kurz vor Puert/) Cabello durch
einen Wald von Cocuspalmen abgelöst zu wenlen.
287
Ich blieb drei Tage in dem reizend, kühl und schattig gelegenen
(lEsteban bei Puerto Cabello, dessen Vegetation den Hauptanziehungs-
iikt für alle Botaniker und Maler, welche Venezuela besuchen, ge-
det hat. Dieselbe vereinigt in der Tliat alles, was an tropischen
lanzen vorhanden sein mag. Palmen in Fülle, Bananen, der Brot-
um, der Saman sind die Hauptvertreter; dazwischen dehnen sicli
\ Wege Cacaoplantagen aus. Der klare Rio San Esteban giebt den
;nzen Tag über Frische und Kühlung, das Klima ist äusserst gesund.
Dl 10./12. kehrte ich nach Valencia zurück und liatte nun die Ab-
3ht, meine Landreise nach Merida fortzusetzen. Am 11. verfügte
b mich in Gesellschaft der Herren Ingenieur Rudioff, Kaufmann
igenberg aus Cöln und Santiago Gonzalez Guinan nach der dem
tzteren gehörigen HaciendaMontbernon, auf dem Wege nach Montalban,
fe Stunden westlich Valencia, wo sich Goldwäschen befinden, welche
h ansehen wollte. Indess wurde allen meinen Plänen ein plötzliches
nde bereitet, indem mich am 11. Abends das Fieber befiel und bis
im 13. an das Lager fesselte. Obwohl das Fieber nur leicht war,
Jhrte ich doch am 14. nach Valencia zuiück und liess mich durch
nen guten Arzt gründlich kuriren. Auf diese Weise verlor ich aber
at acht Tage, fürchtete erst Mitte Januar nach Merida kommen zu
önnen, und würde auf diese AVeise fast den ganzen mir wegen seiner
i^ckenheit für das Reisen in der Cordillere so wichtigen Monat Januar
erloren haben; ich beschloss daher den Seeweg nach Maracaibo zu
ehmen und schickte meinen Diener mit den Pferden nach Caracas
arück, um sie dort zu verkaufen. Ich selbst fuhr am 19./12. nach
"aerto Cabello hinunter und benutzte nun hier die Zeit zur Herstellung
leines Reiseberichtes. Ich wollte heute mit einem Küstenschooner
ach Maracaibo gehen, allein da Unruhen in der Cordillere ausgebroclien
ind, so kann derselbe kaum Ladung finden und bleibt hier liegen.
Ich werde daher mit dem amerikanischen Steamer » Caracas c am 2G.
ach Curagao gehen, von dort am 30. pr. » Maracaibo « nach Maracaibo,
^0 ich am 31. ds. einzutreflfen gedenke.
Indem ich weitere Nachrichten aus der Cordillere verspreclie (wahr-
■ lieinlich gehe ich nun zuerst nach Cücuta, nicht nach Merida) habe
ih die Ehre zu sein
Ihr ergebener
W. Sievers.
San Esteban bei Puerto Cabello, 22.-24. December 1884.
288
Dscholtuga oder Neu-Californien
von Albert Cordes.
Der Amur wird durch Zusammeufluss der an sich schon bedeuten-
den Flüsse Argun und Schilka gebildet und hat dann noch einen
Weg von 2400 Werst, d. h. circa 340 geogr. Meilen bis zum Meere,
dem Stillen Ocean, zu durchlaufen. Das ca. 1500 Einwohner zählende:^
gros.se Dorf PokroAvka liegt am Zusammeufluss genannter beWei
Flüsse; dann liegt 34-V4 Werst (5 Meilen) Aussah wärts die Kosactai"
Station Amasar und weitere 28 Werst unterhalb derselben toi
Kosackendorf Ignaschina.
Zwischen diesen beiden Dörfern 30 bis 35 AVerst landeinwärts,
auf dem rechten Amurufer, also auf chinesischem Gebiete, da der
Amur hier die Grenze bildet, liegt das neue Goldland, allgemein
Neu-Californien, richtiger jedoch von Russen und Chinesen dort
Dscholtuga genannt. Zwei Kosacken aus Ignaschina hatten schöi
im Sommer 1883 von chinesischen wandernden Eingeborenen gehört,
dass auf der chinesischen Seite — der genaue Plate wo, blieb ihnen
damals noch unbekannt — viel Gold gefunden sei, und dass dasselbe
heimlich bereits von einigen Chinesen ausgebeutet würde. Es gelang
den beiden Kosacken jedoch erst im Winter 1884 auf einem Jagd-
zage, den Platz und einige dort goldwaschende Chinesen zu entdecken.
Natürlich machten die Kosacken ebenfalls sofort Anstalten, sich ihren j
Theil an der Beute zu sichern, doch war die Sache für zwei Personen
schwieriger, als man erwartet hatte. Um vorerst eine EnlhüU«
bauen zu können, musste der gefrorene Boden durch gi'osse Fener
aufgethaut werden, und als der Frühling mit seinem Gefolge, den ö^
birgsbächen kam, mussten alle Arbeiten eingestellt werden. Unsere
beiden Kosacken kehrten in ihr Dorf zurück und suchten zunächst
noch einige Freunde in\s Geheimniss zu ziehen, um mit vereinten
Kräften, sobald die Saison es erlaube, die Goldausbeute zu beginnen.
Die Sache blieb aber nicht lange geheim. Schon im Laufe des Sommers
war es am ganzen Amur bekannt, dass bei Ignaschina viel GoW »^
chinesischer Seite gefunden sei, und so begann denn auch bald nach
dem Zufrieren des Amur eine wahre Völkerwanderung nach d^^w
neuen Eldomdo.
289
Anfang November 1884 arbeiteten bereits ca. 2000 Russen und
\s, 300 Chinesen in Dscholtuga. Die chinesischen Behörfen konnten
n Zuzug von Goldwäschen! nicht hindern, denn der Platz ist von
inesischer Seite fast unzugänglich, da derselbe durch hohe, dicht
iwaldete Gebirgszüge und dahinter liegendes unfruchtbares Land,
elches, weil ohne Wasser, fast unbewohnt ist, vom chinesischen
iinterlande getrennt liegt und demnach, ausser vom Amur aus. mit
'ruppenmacht nicht zu erreichen ist; auch steht den chinesischen Be-
örden überhaupt kein Militär zu Gebote.
Im December sandte der chinesische Gouvemeur (Amban hier
piannt) einen Beamten über russisches Gebiet nach Dscholtuga,
■1 sich über den Stand der Sache zu informiren; derselbe kehrte
■rück und berichtete seinen Vorge.se tzten, dass die ganze Sache für
3iina gar keine Bedeutung habe. Wie Fama sagt, waren die in
Bscholtuga arbeitenden Chinesen während der Anwesenheit des Be-
uten in den Wäldern versteckt gewesen, hatten jedoch für denselben
feige Pfand Gold zurückgelassen, um diesen günstigen Bericht zu
imnlassen.
Zunächst versuchten die Chinesen den russischen Gouverneur in
Bagowestschensk durch einen Bevollmächtigten zu veranlassen, die
lassen aus Dscholtuga zu vertreiben; derselbe antwortete ihnen
edoeli, dass er die Russen nicht dorthin gesandt habe, und möge die
iinesische Behörde auf ihrem Territorium die nöthigen Maassregeln
elbst treffen; was natürlich aus schon erwähnten Gründen (weil die
Mnesen durchaus kein Militär dort haben) unterblieb.
Ich tmf etwa 100 Werst unterhalb Ignaschina einen berittenen
ropp von 20 Mandschuren und 17 Eingeborenen, Minägren. Erstere
aren mit englischen Hinterladern, letztere mit Luntenflinten be-
affnet. Diese Leute waren vom chinesischen Gouverneur nach
«choltuga als eine Art Polizei gesandt, wahrscheinlich um die dort
'beitenden Chinesen zu vertreiben; denn die Russen, welche meist
it bewaffnet sind, werden dieser kleinen Mannschaft nicht weichen.
Im December 1884 und Januar 1885 war der Zuzug von frischen
Uunschaften in Dscholtuga ca. 100 Mann pr. Tag; demgemäss stieg
atfirlich auch die Ausbeute.
Ich besuchte den Platz am 28. Januar (9. Februar) d. J. und
'erde in Nachfolgendem erzählen, was ich dort und wie ich den Platz
eftinden habe.
Es arbeiteten nach den von einem russischen Oberst aufgenommenen
Öziellen Daten am 26. Januar (6. Febniar) in Dscholtuga 732 Artelle
Arbeitervereinigungen) von 8 bis Iß Personen (die Artelle haben
19
290
gewöhnlich 12 bis 15 Arbeiter). Diese Leute arbeiten meistens auf
Theilung; viele Artelle sind jedoch von TTntemehmeni angeworben, in
welchem Falle die Arbeiter einen Tagelohn erhalten, der bei meiner
Anwesenheit etwa 3 bis 4 Rubel betrug. Um eine eigene Grube, hier
Schürf genannt, zu bearbeiten, vereinigen sich ca. 12 bis 15 Arbeiter
unter Eintheilung der Arbeiten; ein Manu, zuweilen auch mehrere,
schleppen oder fahren Holz heran, um Nacht und Tag Feuer zum Auf-
thauen des gefrorenen Bodens zu unterhalten; die üebrigiBn werfen
die obere nicht goldhaltige Erde bei Seite, was unter diesen Umständea j
keine leichte Arbeit, da dieselbe meist 10 bis 12 Fuss dick ist, und legea
so die darunter befindliche 4 bis 6 Fuss dicke goldhaltige Erde, hier Plast
genannt, zu Tage. Um die obere werthlose Erde, Turf genannt, von einep
10 D-Faden gi-ossen Platze zu entfernen, brauchen zehn Arbeiter 81«]
10 Tage. Daher müssen diese selbständigen Arbeiter schon eiaa
gewissen Fond haben, wovon sie während der ersten nicht prodncÜYei
Arbeit leben, und müssen neuangekommene Arbeiter erst so lange
in Tagelohn bei einem Unternehmer arbeiten, bis sie sich so viel zb
Eintritt in ein Arteil erspart haben. Es kommt nun ja auch vor, dastj
man einen Platz zum Schürfen wählt, unter welchem sich überhaupt
keine goldhaltige Erde befindet, das ist eben Glück oder Unglück, ob-!
gleich man dies einigermaassen nach dem Laufe des kleinen Flüsschejis
oder auch nach der Lage der anderen goldhaltigen Gruben beurtheilei
kann ; in solchem Falle gehen die Arbeiter, wenn das Geld zu einem
zweiten Versuche nicht ausreicht, wieder in Tagelohn.
Dscholtuga liegt wie Anfangs erwähnt auf der rechten Seite de»
Amur ca. 30—35 Werst landeinwärts; von Ignaschina aus kann man
mit beladenen Schlitten dorthin fahren, und geht der Weg in säd-i
westlicher Richtung; von Amasar ist der Platz nur auf einem Fuaiq
oder Reitwege zu erreichen, allerdings ist dieser um etwa 5 — 8 Wenl/
näher. Das Dscholtuga-Thal erstreckt sich ca. 30 Werst lang, sanft
aufsteigend von NW. nacli SO.; ein Flüsschen schlängelt sich voi
der einen zur anderen Seite desselben. So viel bis jetzt erforscht,
ist das Thal überall goldhaltig; selbst weiter hinauf, wo sich dasselbe
durch einen dazwischen tretenden Berg in zwei Thäler zweigt, sind
die Ufer der in denselben rinnenden Bergwässer goldhaltig. Ja, ü^
Flüsse oder Bäche, welche ihren Ursprung auf der anderen Seit«
dieses Berges haben und wovon der Bedeutendste der Albasin heisst,
sind goldhaltig, aber noch nicht genügend erforscht. Der Name
Albasin ist ein in den Sibirischen Eroberungskämpfen sehr viel ge-
nannter und bezieht sich auf eine Ortschaft, welche vis-ä-vis der
Mündung des Flusses Albasin auf russischer Seite gelegen ist
291
nd in deren Nähe die ergiebigste Mine des Amurgebietes, dieDscha-
inila genannt, im Besitze der Ober Amur Gold- Wäscherei-Gesellschaft
ttch befindet. Dscholtuga hatt« im Februar circa 600 Holzhäuser
rod etwa ebensoviele Erdhütten, alle unregelmässig gebaut; nur
im oberen Thale wird jetzt eine etwas regelmässigere Strasse angelegt.
Jeder hat sein Haus eben bei seinem Schürf gebaut. Die Zahl der
Arbeiter beläuft sich, wenn man die officiell eruirten 732 Artelle zu
Grande legt, auf ca. 7000; ausserdem halten sich jedoch daselbst
jDch CA. 1500 Menschen, durch andere Interessen an den Platz gefesselt,
HC Die Ordnung und pei-sönliche Sicherlieit unter diesen so bunt
Äsammen gewürfelten Menschen ist bislier eine musterhafte gewesen,
iid ist bereits eine Art Verwaltung und Gerichtspflege eingerichtet,
^rst leitete der in Ignaschina stationirte russische Telegraphenbe-
te Schacheroffmit Hülfe von 6 sogenannten Ael testen diese Menschen-
ge, später wurde demselben bedeutet, dass er als russischer Beamter
e Stellung dieser Art nicht einnehmen dürfe und wählten die
nenarbeiter sodann einen entlassenen Sträfling zum Präsidenten, den
nur unter der Benennung Carl Carlowitsch kennt; ein Ungar, nach
lAnderen ein Italiener von Geburt, wnirde derselbe vor einigen Jahren
jtech Kaiserliche Begnadigung frei. Dieser, ein ganz intelligenter und
iwergischer Mensch, Hess ausserdem noch als Gehülfen 11 Aelteste
irälilen und diese leiten nun die Verwaltung und Justiz dieser neuen
nissischen Republik. Vergehen ge^en das Gemeinwohl werden durch
Stockprügel, Geldstrafen und als liärteste Ahndung, Ausweisung, gerügt,
ockprügel werden natürlich sehr liberal ausgetheilt. Wer zum
ispiel des Morgens betrunken zur Arbeit kommt, erhält 25 Prügel
Wenn ein Trinkhaus oder eine Schnapsboutique nach 10 Ulir
Abends geöff'net ist, so zahlt der Besitzer eine Strafe von 25 Rubel,
fe sich im Wiederholungsfalle bis auf 300 Rubel steigert. Von den
Bftndlern wird eine Abgabe genommen, die für Schnapsläden ca.
50 Rubel und für andere Händler ca. 100 Rubel pr. Monat beträgt;
He Höhe dieser Abgabe zu bestimmen, liegt den Aeltesten ob. Es
bestanden im Februar d. J. 20—30 Branntweinschenken, 26 Läden
md 5 Hotels.
Die gesammelten Abgaben und Strafen werden zur Bezalilung
'er Aeltesten für ihre Mühwaltung verwandt, der Rest soll zu ge-
fieinntitzigen Zweken benutzt werden, und prqjektirt der Präsident
^ erster Linie den Bau zweier Hospitäler; zwei Aerzte (wohl nur
^eldsclieerer) sollen sich hierfür bereits gefunden haben. Diese Arbeit,
owie einen Kanal zum Ableiten des überflüssigen Wassei-s sollen von
•llen Arbeitern im Frühling, wenn das Thauwetter das Goldwäschen
292
verhindert, gemeinschaftlich ausgeführt weixlen. Der Zuzug voi
Arbeitern hat, wohl in Anbetracht des nahen Fiühlings, etwas nach
gelassen und betrug etwa 50 Mann Anfang Februar. — Der Ver-
brauch an Lebensmitteln ist ganz enorm : es wurde mich von Händlern
versicheit, dass ca. 600 Pud Fleisch und Fische und ca. 800 Pud Brot %
lieh verzehrt würden. Fleisch kostete 8 Rbl., Hartbrot 4 Rbl., Heu 2 EbL
pr. Pud, Schnaps von 40 Grad Tralles 18 Rbl. pr. Wedro (16 Flaschen),
Stearinlichte IVe Rbl. pr. ^. Gold wird gegen Waaren zu 4 Rbl.
pr. Solotnick angenommen (1 Sol. -----^ 0.4,25 Gramm), für russisches Geld,
kann man es bereits zu Vk Rbl., selbst billiger haben. Die Goldausbente
wurde Anfang Februar auf etwas mehr als 3 Pud Ülglich geschätzt
Die Arbeit des Auswaschens des Goldes geschieht auf die einfachste
Art. Viele Artelle haben nur einen einfiiclien aus Brettern zusammen-.;
genagelten Trog, wohinein die goldhaltige Erde gethan und der Sani*
dann durch Aufgiessen von Wasser abgespült wird. Andere Laben
eine Art Maschine, hier Amerikanka genannt, noch Andere benatzei
ein Brett mit Stufen, ähnlich einer umgekehrten Treppe; oberlialh
der schräge gestellten Treppe befindet sich ein trichterartiger Kastei
zur Aufnahme der Golderde; durch Aufgiessen von Wasser und Ruh
wird die Erde in einen Brei verwandelt und lässt man densel
dann durch eine, einige Zoll vom Boden des Kastens angebrach
Oeffnung über die Treppe laufen ; das Gold setzt sich dann hinter diflj
einzelnen Stufen und der Sand wird durch Wasser weggespült; der.
im Kasten gebliebene Rest wird nach grösseren Stücken durchsucht
und schliesslich auch über die Treppe gespült. Eine von mir mitgebmchta
kleine Probe von in Dscholtuga gewaschenem Golde im Gewichte v<
39 Solotnick hatte nach Befund der Hamburger Affinerie einen Geh
von 8G0 Theilen Gold und 140 Theilen Silber. Chinesen und name:
lieh Juden kaufen das meiste Gold vom Arbeiter, soweit er dassel
zu seinem Unterhalte verkaufen muss; in letzter Zeit war russische«
Geld jedoch schon sehr rar geworden, so dass sich selbst zu billigei"«!
Gold-Preisen kein baares Geld auftreiben Hess. Es ist nämlich immerhin
eine riskante Sache, Gold zu kaufen, da es im ganzen i-ussischeD
Reiche nicht erlaubt ist, mit ungeprägtem Golde zu handeln, sondert
müssen die grösseren Goldwäscher dasselbe der Münze in Irkuü;k
abliefern. Die russischen Behörden haben sich in diesem Falle
tolerant bewiesen und dies Gesetz stillschweigend bisher nicht ange-
wandt, doch kann man nicht wssen, ob es nicht plötzlich irgend
einem Gouverneur einfällt, seine ganze Strenge walten zu lassen nnd
sämmtliches Gold zu konfisciren. Weiber sind in Dscholtuga nur in
21)3
Begleitung ihrer Ehemänner zugebissen : doch hat sich in Ignaschina
bereits eine ganze Kolonie leichten Gesindels niedergelassen.
Das Goldfieber hat am oberen Amur mancherlei Calamitäten her-
vorgerufen; gute Arbeiter sind fast gar nicht zu haben, selbst die
schlechter bezahlten Commis verlassen ihre Stellen und versuchen ihr
[Heil in Dscholtuga. Der Handel in den grösseren Geschäften leidet
I lUrk, da kein Geld vorhanden ist und dieselben nicht riskiren dürfen
^Gold in Zahlung zu nehmen. Dagegen verdienen die Malakanen
r(russ. religiöse Secte), welche sich mit Viehzucht und Hartbrod-
[ftbrikation und überhaupt mit Zufuhr von Lebensmitteln beschäftigen,
[liel Geld.
Nachtrag.
Einem Privatbrief aus Chabarowka vom 2./ 14. März 1885 ent-
bmeu wir Folgendes:
Nach neuesten offiziellen Nachrichten sind bis gegen 300 Pud
Bold gewaschen worden, 100 Pud liegen augenblicklich zum Verkauf
[und zwar soll man jetzt das Solotnick zu 2,80 Rubel kaufen können.
Ib der Umgegend ist nirgends Geld mehr. Die Zahl der Arbeiter ist
bis auf nahezu 8000 gestiegen. Der Reichthum ist ungeheuer: bei
den primitivsten Waschmitteln liefern 100 Eimer Erde 150 Solotnick
Gold, d. h. natürlich nicht überall. Eine Wäscherei von 5 Solotnick
[;aaf 100 Pud Erde gilt anderswo für sehr reich, ja man arbeitet in
Sibirien stellenweise auf Dole, also weniger als ein Solotnick: hier
ittlirt Keiner solche Erde an, weil er seine Zeit vortheilhafter ver-
werthen kann. Das ganze chinesische Ufer des Amur erweist sicli
"als goldhaltig. Jenseits der AVasserscheide sind noch grössere Reich-
tümer entdeckt worden und alle nahe einer AVasserstrasse wie sie
der Amur bildet. Die Regierung weiss nicht was sie thun soll. Das
gesetzliche Verbot des Goldverkaufs durch Private, worauf scliwere
Strafe, Verbannung nach Sibirien stellt, lässt man unbeachtet. In
ßlagowetschensk kann man auf dem Bazar Gold kaufen. Kürzlich
tnif die Nachricht ein, dass Pojarkowa gegenüber ebenfalls reiche
Goldlager entdeckt worden seien; der General-Gouverneur soll das
Telegramm verzweifelt bei Seite geschoben haben mit den Worten:
* Schon wieder Gold«. Eine offizielle Freigebung des Goldhandels
würde den ganzen Ustaw (Gesetz) umstossen und ein ganz neues Gold-
wäscher-Gesetz erforderlich machen.
In der kleinen Republik Dscholtuga soll eine musterhafte Ordnung
lieri-schen. Der Regierung passt dies durchaus nicht, denn sie wünscht
294
nicht, dass die Welt erfahre, dass die soust ak unbändige Horde
verschrieenen Goldwäscher jetzt in Freiheit gesetzt, sich, ohne von
russischen Beamten beaufsichtigt, bevornuindet, kontroliit und nebeuhei
gesclmnden zu werden, als höchst gesittete, ehrliche und nüchteiüe
Menschen erweisen (Trunkenheit wird streng geahndet). Der Präsident
der Republik, welcher durch einige wenige Gesetze die ganze An- j
siedelung in Ordnung hält, korresjwndirt ordentlich unter fortlaufenden
NuniraeiTi mit russischen und chinesischen Behörden und liefert weg-
gelaufene und sich dort eingeschlichene Spitzbuben aus. Von all den
Eaufereien, wie sie zur Zeit des Goldfiebers in Kalifornien an der
Tagesordnung waren, findet man hier keine Spur. Ein Kommis m
Tschurin, der sich einfallen liess aus einem Revolver zu feuem, er-
hielt 200 Ruthenstreiche. Ein Mann, der einen Chinesen mit falschem.
vermischtem Gold betrügen wollte, wurde sofort mit Schimpf niid
Schande über die Grenze gejagt.
Die chinesische Regierung steht natürlich diesem Treiben von
ca. 8000 energischen, kräftigen und vielfach gut bewaffneten Männein
machtlos gegenüber. Eine Annee von 25,000 Chinesen wüi-de von
ihnen vertrieben werden.
Man ist gespannt, wie sich die Lage der Dinge im Sommer bei
dem enormen Zuzug, selbst aus fernem Westen, gestalten wirf. Mao
fürchtet, dass der Arbeitslohn und die Matrosenheuer unerschwinglich
sein wird und dass die privilegirten Goldwäscher ihre Arbeiter ver
liereu werden, weil letztere es vollziehen werden, fiir eigene Reclmaiig
Gold zu waschen.
Bevölkerung der Städte des Amur-Gebiets nach der Zählung von 1884,
mitgotheilt von Albert Cordes.
Nicolajefsk: Russen 1410 \
Jacutcu 108
Juden 57
Chinesen 50
Deutsehe 35 } 1081 Einwohner,
Japanesen 13
Amerikaner 4
Ocsterreicher 3
Engländer 1
Sophlsk: 1% Einwohner inel. 24 Militairs,
Chabarowka : ea. 5000 Einwohner,
Blagowestschensk : ca. 12000 Einwohner,
Wladiwostock: ca. 7000 Einwohner.
295
miel Cämpos' vorläufiger Bericht über die bolivianisciie
Expedition nacii Paraguay.*)
Eeferat von Dr. Hugo Toeppen.
Daniel Cämpos, der Führer der bolivianischen Chacoexpedition
5 Jalires 1883, war während der Reise in ein gespanntes Verhält-
« mit dem die Expedition begleitenden französischen Forschungs-
senden Thouar gerathen, hatte sich jedoch mit ihm in Asuncion
mell versöhnt, so dass er im höchsten Grade erstaunt war, in
). 688 der Zeitung > El Diario < in Buenos Aires einen Pseudonymen
tikel veröffentlicht zu sehen, von einem Bildniss Thouars begleitet,
11 des Lobes dieses Reisenden, der als die Seele des ganzen Unter-
limens dargestellt wird, während der Verfasser für Cämpos nur
rbe Vorwürfe hat. Dieser Artikel war für Cämpos die Veranlassung
dem »vorläufigen Bericht« an seine Regierung. In dem erwähnten
itikel wird behauptet, Thouar sei, von der französischen Regierung
saudt, mit der Absicht vorgedrungen, entweder am Pilcomayo
tlang den Paraguay zu en^eichen oder bei seinem Unternehmen
iterzugehen. Er habe mit den bolivianischen Offizieren Pareja,
alsa und Estensoro den Plan zur Ausführung gebracht, mit der
nzeu, ursprünglich nur zu einem Marsche in's Gebiet der bolivia-
<clien Tobaindianer (Besetzung von Teyo) und zur Revision
i' Mission unter denselben bestimmten bolivianischen Expedition
'" '/Mm Paraguay vorzudringen. Cämpos habe es versucht, die Unter-
liniimg zu hintertreiben, er habe sich sogar bemüht, die Truppen
terwegs zur Umkehr zu bewegen. Die Szene, welche sich im Lager
i 18. Oktober abspielte, wird in dem Artikel des »Diarioc falsch
schildert.
Zur Widerlegung des wenn nicht von Thouar herrührenden, so
L-Ii mindestens nach seinen Angaben verfassten Artikels im »Diario«
*': Expedicion Boliviana al Paraguay. Informe Incidental quc presenta al Exnio.
^^ierno de Bolivia su Delegado en la Expedicion al Paraguay Daniel CämpOS.
•Qos Aires. Imprenta de La Nacion. San Martin 208. 1884.
296
giebt Cämpos folgende Darstellung der Vorgeschichte uud des Ver-
laufs der Expedition:
Die bolivianische Expedition, welche im Jahre 1882 zur Auf-
klärung des Schicksals von Crevaux und seinen Gefährten, sowie
zur Bestrafung der Tobaindianer ausgesandt wurde, schlug fehl, da
die Toba alle Pferde derselben stahlen. Bald darauf wurde Cämpos
zum Comisaiio Nacional ernannt, um die Missionen im Departement
Tarija zu visitiren. Durch ein Schreiben des Ministers Quijarro
vom 9. Februar 1883 erhielt er den Auftrag, seine Unternehmung zn
erweitern und sie auf Erforschung des Chaco und den Versuch der
Anbahnung direkten Verkehrs mit Paraguay auszudehnen. Uuterm
11. Mai wurde der Auftrag, nach Asuncion vorzudringen, wideiTufeD;
Teyo und Cabayo-repoti im Tobalande sollten also wieder die End-
punkte der Unternehmung sein; dort sollten Niederlassungen mit Forte ]
begründet werden. Nun traf Thouar, von Paris entsandt, von der
bolivianischen Regierung warm empfohlen, in Tarija ein, zunächst
um in Teyo und Cabayo-repoti nach den Bresten der Crevaux'schee
Expedition zu forschen. Er bat Cämpos um eine kleine militärische
Bedeckung, dieser aber, der ja dieselben Oite als Ziel hatte, schlug
gemeinsames Vorgehen vor. Thouar nahm den Vorschlag bereitwillig
an und schlug eine ihm angebotene Remuneration von 500 Pesos
monatlich ab. Thouar sagte bei dieser Unterredung zu Cämpos, dass
er nach Ausführung dieser kleinen Expedition nach Frankreich zurück-
kehren und dann mit grösseren Vorbereitungen wiederkommen würfe.
um am Pilcomayo entlang bis zum Paraguay vorzudringen. Cänipos
berichtete hierüber am 28. Mai in einem offiziellen Schreiben an das
Ministerium. Bis dahin also noch keine Rede von Ankommen mit
dem Gedanken, den Paraguay zu erreichen oder unterzugehen.
Kui-z darauf brach Thouar mit Cämpos von Tarija nach Caiz»
auf Unterwegs arbeitete Thouar so eifrig, dass Cämpos deu Ge-
danken fasste, seine Anwesenheit zu benutzen, um gleich die Pilcomayo-
frage zu lösen und doch noch nach Asuncion zu gehen. In Carapari
berieth er sich mit den Anführern der Truppen, welche sich eiuvei"
standen erklärten. Von Aguairenda, drei Leguas vor Caiza. ^^^
zwei Rasttage gemacht wurden, sandte Cämpos am 19. Juli ein amt-
liches Schreiben an den Minister, worin er ihm seine Absicht mi^'
theilt, Thouar lobt und grosses Vertrauen zu dessen Führung aus-
spricht. In Caiza wurden darauf Vorbereitungen für das grössere
Unternehmen getroffen und namentlich ein ^Escadron Voluntarios A*
Gran Chaco* gebildet. Auf dem Weitermarsche gelangte die Expeditiou
bald an den Pilcomayo, ergriff dort Besitz von der früheren Kolonie
297
ita Barbara im Gebiet von Teyo und begründete an derselben
le eine »Colonia Crevaux«. Aktenstück darüber vom 29. August,
der neuen Kolonie wurden ein Fort und die nöthigcn Admini-
tionsgebäude errichtet und dann weitere Vorbereitungen für die
!omayoexpedition getroffen. Tliouar berechnete, dass man, Umwege
Hindemisse in Rechnung gebracht, 23 bis höchstens 25 Tage
iiclien würde, um den Paraguay zu erreichen. Es sollten demnach
Cämpos Anordnung Lebensmittel auf 40 Tage und 51 Ochsen für
Tage mitgenommen werden. Nun entstanden aber (nicht näher
egebene) Schwierigkeiten und es wurde wieder beschlossen, dem
)rünglichen Regierungsbefehl entsprechend, nur bis Cabayo-repotl
gehen. Am 7. September traf aber ein Schreiben vom Ministerium
welches den grösseren Plan billigte und mittheilte, dass die Mittel
seiner Ausführung bereits von der Regierung bewilligt seien,
mar's Behauptung, dass er mit den Offizieren Balsa, Pareja und
ensoro das Vordringen beschlossen habe, ist also hinfdUig; nach
ler Stellung bei der Expedition hatte Thouar gar kein Recht, Vor-
riften zu machen. Auch Thouar's Behauptung, dass Cämpos be-
it gewesen sei, die Ausführung der Expedition zu verhindern, ist
egiUndet; Beweis: Aktenstück, worin Cämpos den Aufbruch auf
10. September festsetzt, und Antworten der Offiziere auf sein
Qdschreiben, worin er ihnen die Frage vorlegt, ob sie die Ausrüstung
genügend erachteten und alle das Gefühl hätten, freiwillig zu gehen.
1 Antwort Pareja's ist feindselig gehalten und lässt erkennen, dass
an Cämpos' Muth zweifelte. Der Quartienneister Balsa hält die
srüstung für durchaus genügend und betont seine persönliche gi'osse
eitwilligkeit. In ihm sei längst der Gedanke lebendig, Bolivia
eil Eröffnung eines Weges zum Paraguay durch Vermittelung des
2omayo von Chile unabhängig zu machen. In Thouar's Antwort
das Zirkular ist ausdrücklich hervorgehoben, dass Cämpos die
^aerung zur Ausdehnung der Aufgabe der Expedition veranlasst
alle Anstrengungen gemacht habe, damit dieselbe zu Stande käme,
im Cämpos die Expedition nicht hätte durchführen wollen, so hätte
ja umkehren können, da er der Führer derselben war. Die Be-
ptung des Artikels im > Diario «, dass Cämpos die Freiwilligen habe
Umkehr verführen wollen, wird entkräftet durch ein von den
iwilligen in Rosario de Santa Fe aufgesetztes und unterzeichnetes
tenstück, in welchem sie alles, was der Verfasser des Artikels in dieser
5ielinng über sie sagt, für Verläumdung erklären. Die Offiziere Esten-
> und Balsa bestätigen auch in beglaubigten Schreiben, dass sie
ne Spur von beabsichtigter Umkehr der Freiwilligen bemerkt hätten,
298
Esstensoro hebt dabei hervor, dass Thouar schon seit dem 13. Okt
stets behauptet hätte, man müsste schon ganz nahe dem Paraguay :
Cämpos wollte in Buenos Aires durch die Blätter auf
Pseudonymen Artikel antworten, hatte jedoch zunächst eine Zusamn
kunft mit Thouar, der vei*sprach, in einem Vortrage im Lu^ti
Geografico Argentiiio die Felder des Pseudonymen Artikels zu
richtigen. Um sein Schweigen gegenüber diesem Artikel zu erkJä
veröffentlichte Ciimpos in »La Nacion* eine Zuschrift, in der er s
Abkommen mit Thouar bekannt gab. Dies nahm Thouar unerklärlicl
weise schwer übel, er hielt den versprochenen Vortrag nicht, beschuldi'i
Cämpos noch, er habe ihn ermorden wollen und reiste nach Eim.
ab, als Cämpos sich gerade zur Befönlerung seiner Truppeu na
Rosario begeben hatte.
Einige Mittheilungen über den Verlauf der Expedition.
Die Expedition brach von Colonia Crevaux am 10. Septem!
auf. Bis zum 11. Oktober ging die Reise, indem man dem Pilconia
folgte, ganz gut und ohne ernstere Zwischenfälle von statten. \
der Kolonne sah man häufig Brände und Rauchsäulen: die Indiai
verbrannten ihre Niederlassungen, um die übrigen Stämme von i
nahenden Gefalir zu benachrichtigen. Täglich Hessen sich India
mit kriegerischen Absichten blicken, die Gesichter schwarz i
roth bemalt. Der Anblick der starken Streitmacht und dargebote
Tabak stimmten sie aber immer schnell friedlich und sie zeigten s
dann ausserordentlich dienstfertig, indem sie z. B. versprengtes V
mit grosser Sicherheit herbeischafften. Die Nahrung wurde durch <
ergiebigen Fischfang im Pilcomayo immer angenehm bereicln
Am 12. September entlud sich ein grosses Unwetter über der Expediti
am 24. September entfernte man sich ohne Wasservorrath von d
Flusse, erreichte denselben bis Abend nicht wieder und fand nur e
schmutzige Lagune. Leider wurde diese eml)findliche Lelire, <
Fluss womöglich nicht zu verlassen, später nicht behei-zigt. .
3. Oktober früh 5 Uhr wurde die Expedition von einigen hunc
Indianern, meist mit Pfeilen und Bogen bewaffneten Fussgängern. z
kleinen Theil mit Lanzen bewaffneten Reitern, unter ungeheui
Geschrei angegriffen. Nach zweistündigem Kampfe wurden diese dii
die weit überlegenen Waffen der Bolivianer zurückgeschlagen. Tho
kämpfte tapfer und bewies sich als guter Schütze. Nur dieses ei
Gefecht hat während der ganzen Reise stattgefunden. Den Indiau<
gehöriges Vieh folgte hartnäckig der Heerde der Expedition, es wm
209
er mit Gewalt zurückgetrieben, damit die Indianer sähen, dass man
neu durchaus nichts wegnehmen wollte.
Mit dem 11. Oktober begannen die Leiden der Expedition. Man
erliess früh den Fluss und erreichte ihn um 11 Uhr wieder; er war
Dft wasseneich, röthlich und hatte die gewöhnliche Geschwindigkeit,
ibermals wurde der Fluss verlassen und zwar wegen entgegenstehender
^'älder. Einige Stunden später wurde aber der Fluss schon wieder
n^icht, und man fand dort Indianeransiedlungen, deren Bewolmer
iedlichen Verkehr gestatteten. Der Fluss war dort schmal, das
i^asser klar und die Strömung gering, man war daher uneinig, ob
$ wirklich derselbe Fluss sei, den man am Vormittage getroffen habe
ler nur ein Arm desselben. Die Indianer sagten auf Thouars Be-
•agen aus, dass weiter im Norden kein Fluss mehr liege, dass dieser
ier einen grossen Bogen nach Süden mache und rechts sumpfige Ufer
ftbe, man müsse daher übersetzen, auf dem linken Ufer die Biegung
bschneiden, dann wieder auf das rechte Ufer gehen, auf welchem
lan sicher zum Paraguay gelangen könne, nach einigen in fünf, nach
nderen in neun Tagen. Thouar erklärte auf Cämpos Befragen die
eräuderte Beschatfenheit des Flusses aus der grossen Nähe des ihn
ufstauenden Paraguay (11. Oktober!). Trotz des Raths der Indianer
lieb man auf dem rechten Ufer, musste aber bald wegen der Sümpfe
nikehren und setzte mit ihrer Hülfe am folgenden Tage nach links
ber, unter Benutznng zweier schnell hergestellter Fahraeuge. Am
3. wollte man Indianer als Führer engagiren, aber sie waren über
^'acht alle verschwunden. Gegen Mittag wurde der Fluss wieder
rreicht, man fand wieder stärkere Strömung, gegen Abend auch
nieder hohe Ufer. Hier waren die Lebensmittel ausser einem Theil
es Schlachtviehes schon aufgebraucht, und der oberste Offizier Pareja
ief Cämpos so laut, dass die Soldaten es hören konnten, zu, dieselben
ättön nichts mehr zu essen, er mache ihn dafür verantwortlich,
fegen Abend stieg ein Soldat, dann ein Offizier, dann Thouar auf
ineu Baum; sie sahen im Osten eine leuchtende WasseiHäche, eine
ler 1 Va Leguas entfernt, die auch Thouar für den Paraguay erkläite.
|nter vier Augen versicherte er Cämpos sogar, er habe drüben auf
inem Hügel mehrere Pfosten gesehen, die auf ein von Menschen-
änden eirichtetes Werk, vielleicht einen Beobachtungsposten, schliessen
essen. Die Soldaten glaubten das Ende der Mühen gekommen und
ßgltickwünschten sich. Am folgenden Tage sollten Thouar undEstensoro
'it einer Bedeckung vorausgehen und Nachricht senden, wenn es der
'^^i'aguay wäre. Sie gingen. Bald folgten ihnen die andern durch
impfiges Köhricht, statt des erhofften Stromes fand man aber nur
1
300
sclimutzige salzige Lagiinen, ziisanuneii etwa eine Legua lang. Am
14. Mittags wurde der Pilcüiiiayo wieder getrotfen ; dichte Vegetatiün
hemmte dort sichtlich seine Strömung. Der Kapitain Carrazana
meinte, der Fluss sei dort furthbar, auch sähe man drüben Geflechte
von Schilf, die die Indianer w-ahrscheinlich zum Ueberfahren benutzten.
Aber man überschritt ihn nicht (wie doch die Indianer gerathen hatten),
man verliess ihn sogar, da ein AVald das Ufer deckte. Mau lagerte
am 15. Abends an einem von Wasserstreifen durchsetzten Sumpfe.
Thouar schlug nun vor, ihm 20 oder 25 Mann zu geben, mit denen
er in 20 oder 22 Stunden den Paraguay zu eireichen hoffte. Er wollte
dann in sechs bis sieben Tagen mit Lebensmitteln u. s. w. wieder
zurück sein. Cämpos gab seine Zustimmung und die ausgewählten
Soldaten bekamen je drei Fleischrationen für den am folgenden Tage
auszuführenden Parforcemarsch. Abends sah man weit rechts von der
Marschrichtung grosse Feuer der Indianer, wahrscheinlich am Flttss-
laufe entlang. Thouar zog daraus den Schluss, dass die Indianer sie
in die Sümpfe gelockt hatten (diese hatten ja aber gerathen, auf das
rechte Ufer hinüberzugehen), um sie hier durch einen wohlüberlegten
Angriff zu vernichten. Er hielt es daher für gerathen, sich nicht
vom Hauptkorps zu entfernen; und welches wäre auch das Schicksal
der Vorausgehenden, welches das der Zurückbleibenden gewesen, ohne
die.sen Zwischenfall? Denn man war ja noch unendlich weit \m
Paraguay. Cämpos fiel es sehr auf, dass Thouar keine Höhenmessungen
mehr machte. Am 11. Oktober erklärte Thouar die geringe Strömung
des Pilcomayo (oder eines seiner Arme?) durch Stauung vom Paraguay:
am 13. glaubte er 1 V*i Leguas vom Hauptstrome entfernt zu sein, am
18. 22 Marsch stunden; tagelang sah er in jedem AVölkchen am öst-
lichen Himmel den Hügel von Lambare, welcher der Pilcomayo-
mündung gegenüber liegt. Und wann wurde der Paraguay wirklicli
erreicht? am 10. November; an diesem Tage traf man zufällig an
einem Arm des Paraguay den Wasserschwein- und Otternjäger Jose
Gauna, der Thouar, Cämpos und des letzteren Adjutanten nach fünf-
zehn stündiger Fahrt Aussah wärts bei Villa Occidental ans Land setzte.
Man kann nicht annehmen, dass Thouar nur zur Beruhigung (kr
Truppen den Fluss immer als so nahe befindlich angab, denn bis zum
15. zeigte sich bei den Soldaten kein Zeichen sinkenden Muthes.
Am 16. Oktober wurde Aveiter marschirt und zwar nach N. und NO.
Die an Reisen in der Wildniss gewöhnten Offiziere waren erstauiii
über die von dem führenden Thouar eingeschlagene Richtung: Cämiws
setzte keinen Zweifel in dessen Zuverlässigkeit, da er im Süden nur
einen Arm des Flusses verlassen zu haben glaubte, diesen selbst aber
301
ilicli vermuthete. Der Durst inachte sich an diesem Tage schon
ngenehm bemerkbar, doch wurde Abends Wasser gefunden. Gegen
Offiziere Barroso und Gareca behauptete Thouar ganz bestimmt,
s der Fluss sich im Norden befinde. Um 12 Uhr Nachts wurde
der aufgebrochen; es ging durch lichten Palmen wald. Gegen Mittag
rden im Norden Baumreihen sichtbar, die auf das Vorhandensein
es Flusses schliessen Hessen; auch erreichte man um 3 Uhr einen
ren Wasserlauf, aber er war salzig! Menschen und Thiere waren
ter enttäuscht und verbrachten an dem Fluss, der Rio Mal dito
lannt wurde, eine schlaflose Nacht; kaum war es möglich, die Thiere
ammenzuhalten. Um 6 Uhr früh war man 30 Stunden ohne Wasser
l die ersten Anzeichen der grossen Gefahr des Verdurstens stellten
1 in der Gestalt von Fieber ein. In der nun angestellten Berathung
tli Thouar zu dem Sumpf zurückzukehren, an welchem am 15. ge-
eit wurde, das wäre aber noch gefährlicher gewesen als weiter
7.udringen. Die Soldaten wollten muthig vorwärts und so wurde
Weitermarsch beschlossen. Menschen und Thiere ermatteten schnell
1 nach fünfstündigem Marsch fingen die schlimmsten Zeichen sich
zustellen an, einigen schwoll die Kehle, andern wurde die Zunge
k und schwammig, sodass sie nicht mehr sprechen konnten;
ige konnten nicht weiter und wollten getödtet werden. Ein Soldat
:te einen Knaben von 13 Jahren mit, beide blieben zurück, um
lit im Tode von einander getrennt zu werden; mit Mülie gelang
sie weiter zu schaffen. Aehnliche Szenen spielten sicli mehr-
li ab und versetzten den Anführer Cämpos in einen schweren
?lenkampf. Noch wenige Stunden und der Tod würde bei vielen
getreten sein, aber um Mittag wurde ein schwarzes Wasserloch
deckt, dessen schmutziges AVasser allen köstlich erschien; man
»nte es: »Lago de la Providencia «. Dies war der 18. Oktober.
' Ereignisse desselben sind in dem erwähnten Artikel des »Diario«
>: entstellt und übertrieben dargestellt; auf sie ist wahrscheinlich
angebliche Mordanschlag auf Thouar zurückzuführen. Cämpos
^*t an, wie thöricht es gewesen wäre, sich in der Einöde des Mannes
berauben, der die Schaar der Unglücklichen glücklich wieder aus
I Elend herausführen sollte. Hätte aber Thouar unterwegs ein
'T)rechen begangen, so hatte ja Cämpos die Macht, über ilin zu
iieilen, da er als freiwilliger Theilnelimer einer bolivianischen
pedition unter bolivianischen Gesetzen stand. Am Lago de la
^videncia wurde zwei Tage gerastet; reichlicher Regen, der während
selben fiel, versprach AVasservorrath für den Weitermarsch. Auch
bleckten die Soldaten reicliliche Wasseransammlungen in der überall
302
in Menge vorhandenen Caraguatä (einer Bromeliacee): femer fanden
sie, dass gewisse violette Blumen mit Sicherheit in geringer Tieft»
eine grosse geniessbare Wiu'zel finden Hessen. Nach fünf bis sei;bs
Tagen ward wieder der Rio Maldito getroffen. Sein Wasser wurde
durch einen Wind scheinbar rückwärts getrieben; Thouar sah darin
eine Stauung durch den > nahen« Paraguay, den er noch am Abend
zu erreichen hoffte! Tag um Tag verging, ohne dass der Paragoaj
erreicht wurde; man musste meist an und zwischen unangenehmen
Sümpfen nächtigen. Am 28. Oktober wurde der letzte Ochse geschlachtet,
es blieben nur noch die ermatteten Maulthiere zum Vei'zehren übrig;
alle 24 Stunden gab es ein Stück zähes Maulthierfleisch! Dabei waren
die Füsse der Soldaten geschwollen und wund, die Reitthiere konnten
nur noch gefülirt werden. Moskiten Waren überreichlich vorhanden
und die Gegend war so beschaffen, dass ein plötzlich eintretender
starker Regen sie ganz überschwemmen konnte. Da war es doA
eine ganz andere Reise gewesen am Pilcomayo entlang, mit reichlichem
und gutem Wasser, viel Fischen, Bädern, diensteifrigen Indianern,
festem Boden und schönem Wald. Man hielt sich jetzt fem von Cämpos.
in dem man den Urheber alles Unheils sah: aber er hatte ein reines
(Gewissen, da er alles gut vorbereitet zu haben glaubte und unter
Zustimmung aller gegangen war, auf Thouars Führung vertrauend.
Den zweitägigen Aufenthalt an der Lagune de la Providencia
hatte Thouar zu einer Ortsbestimmung benutzt, welche ergab, tos
man sich in der Breite von Asuncion, fünfzehn Leguas davon entfernt
b(»fand (!). In einer vollen Woche wai* diese Entfernung immer noch
nicht überwunden; immer hiess es: =^ heute Abend kommen wir an den
Paraguay*, »morgen kommen wir an den Paraguaj'^ u. s. w. Am
24. oder 2i). fragten Soldaten Cilmpos in spöttisch-drohendem Ton. wie
es komme, dass man heute den Strom wieder nicht eireicht hal)e.
Canipos Hess darauf Thouar durch den bei der Expedition befindlichen
Franzosen Petit, doch so, als ob es von diesem selbst ausginge, sagen,
er UKichte die Soldaten nicht immer auf den folgenden Tag vertrösten,
sondern ihnen höchstens im Allgemeinen sagen, dass man dem Flnss
sdum nahe sei. —
Hierauf folgt ein vor dem bolivianischen Konsul in Rosario de
Santa Fe am IG. Dezember aufgesetztes Aktenstück, unterschrieben
von fünf Offizieren (Barroso, Gareca, Vargas, Zenarruza, Petit), durch
welches die eben berichteten, seit dem 13. Oktober geschehenen
Thatsacheu beglaubigt wenlen. Daraus scheint noch hervoi-zugehen,
dass am 24. resp. 2;"). die Soldaten der EmiHirung nahe waren nnd
vielleicht soj^ar auf Campos und Thouar geschossen haben.
303
Cämpos spricht die Hoffnung aus, Thouar bald wieder in Bolivia
eben, damit er dort die so scbwere gegen ihn ausgesprochene
»huldignng beweise. Hierauf folgt Thouar's Brief an »La Nacion*,
reichem er erklärt, dass er wegen Cämpos Erklärung (s. o.) von
beabsichtigten Vortrage absehen müsse. —
Thouar blieb die einzige Hoffnung der in den Wäldern und
pfen des Chaco verirrten Expedition. Dass man den Pilcomaj^o
Süden verlassen hatte, konnte nicht zweifelhaft sein, denn man
ihn nicht wieder und erreichte endlich den Paraguay wei t (s. o.) im
ilen von seiner Mündung. Höchst wahrscheinlich verliess Thouar
Fluss irrthümlicher Weise, doch hat er nachher versichert, dass
ibsichtlich geschah, da der Unterlauf des Pilcomayo schon von
tana (argentinische Crevaux-Expedition) erforscht sei und da das
e Ufer so sumpfig war. War es aber absichtlich geschehen, so
es zum Mindesten höchst unvorsichtig, denn wer konnte wissen,
lie aus etwa 150 Köpfen bestehende Expedition auf dem mehr als
Leguas langen Marsche Wasser finden würde? Etwa 70 Leguas
r müssen es gewesen sein, wenn man auf die 24 Marschtage vom
Oktober bis zum 10. November auch nur je 3 Leguas rechnet.
' das Nichtwiederbetreteu des rechten Ufers gab Thouar noch an,
s es dort auch sumpfig sei, dass Brennholz fehle, wilde Stämme
seien, Ueberschwemmungen drohten. Cämpos lässt unentschieden,
welchem Recht Thouar diese Bedenken vorschob; jedenfalls aber,
nt er, müsse doch auch festes Land rechts vom Flusse sein, wenn
iölkerung da sei, weist auch auf die geselienen Feuer zurück. Holz
le wolil auch da, denn fast überall säumten Wälder den Fluss;
(lals war, wie sich später zeigte, dort keine Uebersclnvemmung.
E^en die kriegerischen Stämme hätte wohl, wie bis dahin, der Schutz
AV äffen ausgereicht. Dass Fontana jenen Theil des Flusses sclion
ersucht hatte, war kein Grund, nicht doch den Weg reclits zu
lilen, zumal da es sich um praktische Studien im Interesse Boli-
ns liandelte. Sumpfig war der in Wirkliclikeit gewählte Weg
Ii, wenn der andere überhaupt sumpfig war! Man könne aber jeden-
s mit leichterem Gewissen das Leben von zwei bis drei Reisenden
^ Spiel setzen, als das einer Expedition von 150 Mann, wovon ein
sser Tlieil Familienväter.
Zum Schluss veröftentliclit Cämpos noch einen Brief vom Minister
jarro, worin er und seine Begleiter beglückwünscht werden
<ler Versucli der Eröft'nung eines Karretenweges durch den Cliaco
\ussiclit genommen wird.
304
Kaiserlicher Schutzbrief für die Neu Guinea Kompagnie. ^
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Kör-
von Preussen etc. thun kund und fügen hiermit zu wissen:
Nachdem Wir im August 1884 einer Gemeinschaft von ReicS]
angehörigen, welche inzwischen den Namen »Neu Guinea Kompagni
angenommen hat, für ein von derselben eingeleitetes KoloniaMJnte
nehmen auf Inselgebieten im westlichen Theile der Stidsee, welc/u
nicht unter der Oberhoheit einer anderen Macht stehen. Unseren Schütz
verheissen hatten; nachdem diese Kompagnie durch eine von ihr
ausgerüstete Expedition in jenen Gebieten unter Kontrole Unseres
dortigen Kommissars Häfen und Küstenstrecken zum Zwecke dff
Kultur und zur Errichtung von Handelsniederlassungen erworben nnd
in Besitz genommen hat, und demnächst auf Unseren Befelil diese
Gebiete durch Unsere Kriegsschiffe unter Unseren Schutz gestellt
worden sind; nachdem die beiden deutschen Handelshäuser, welchem
einem Tlieile jener Gebiete schon früher Faktoreien errichtet und.
G rundeigen thum erworben hatten, dör Kompagnie beigetreten sind,
und nachdem die Kompagnie, rechtlich vertreten durch Unseren Ge-
heimen Kommei-zienrath Adolph von Hansemann, nunmehr ange-
zeigt hat, dass sie es übernelime, die zur Förderung des Handels und
der wirthschaftlichen Nutzbarmachung des Grund und Bodens, sowie
zur Herstellung und Befestigung eines friedlichen Verkehrs mit den
Eingeborenen und zu deren Civilisirung dienlichen staatlichen Ein-
richtungen in dem Schutzgebiete auf ihre Kosten zu treffen und zu
erhalten, auch damit den Antrag verbunden hat, dass ihr zur Erreichung
dieses Zweckes durch einen Kaiserlichen Schutzbrief das Recht zur
Ausübung landeshoheitlicher Befugnisse unter Unserer Oberhoheit zu-
gleich mit dem ausschliesslichen Recht, unter der Oberaufsicht Unserer
Regierung herrenloses Land in Besitz zu nehmen und darüber zu ver-
fügen und Verträge mit den Eingeborenen über Land und Grand-
berechtigungen abzuschliessen, verliehen werden möchte:
So bewilligen Wir der Neu Guinea Kompagnie diesen
Unseren Schutzbrief und bestätigen hiermit, dass Wir über
die betreffenden Gebiete die Oberhoheit übernommen haben.
Diese Gebiete sind die folgenden:
1. Der Theil des Festlandes von Neu Guinea, welcher niclit
unter englischer oder niederländischer Oberhoheit steht. Dieses
•) Vcrgl. die angehängte Karte des Westlichen Thcilcs der Südsec.
305
Gebiet, welches Wir auf Antrag der Kompagnie »Kaiser
Wilhelms-Land« zu nennen gestattet haben, erstreckt sich an
der Nordostküste der Insel vom 141. Grad östlicher Länge
(Greenwich) bis zu dem Punkte in der Nähe von Mitre Rock,
wo der 8. Grad südlicher Breite die Küste schneidet, und
wird nach Süden und Westen durch eine Linie begrenzt,
welche zunächst dem 8. Breitengrade bis zu dem Punkte folgt,
wo derselbe yom 147. Grade östlicher Länge durchschnitten
wird, dann in einer graden Linie in noi-dwestlicher Richtung
auf dem Schneidepunkt des 6. Grades südlicher Breite und
des 144. Grades östlicher Länge und weiter in west-nord-
westlicher Richtung auf den Schneidepunkt des 5. Grades süd-
licher Breite und des 141. Grades östlicher Länge zuläuft und
von hier ab nach Norden diesem Längengrade folgend wieder
das Meer erreicht.
2. Die vor der Küste dieses Theiles von Neu Guinea liegenden
Inseln, sowie die Inseln des Archipels, welcher bisher als
der von Neu- Britannien bezeichnet worden ist und auf An-
trag der Kompagnie mit Unserer Ermächtigung den Namen
> Bismarck- Archipel « tragen soll, und alle anderen nordöstlich
von Neu Guinea zwischen dem Aequator und dem 8. Grade
südlicher Breite und zwischen dem 141. und 154. Grade öst-
licher Länge liegenden Inseln.
Ingleichen verleihen Wir der besagten Kompagnie, gegen die
rpflichtung. die von ihr übernommenen staatlichen Einrichtungen
treffen und zu erhalten, auch die Kosten für eine ausreichende
shtspflege zu bestreiten, hiermit die entsprechenden Rechte der
ideshoheit, zugleich mit dem ausschliessliclien Recht, in dem Schutz-
iete herrenloses Land in Besitz zu nehmen und darüber zu ver-
ßu und Verträge mit den Eingeborenen über Land und Grund-
echtigungen abzuschliessen, dies Alles unter der Oberaufsicht Unserer
jlerung, welche die zur Wahrung früherer wohlerworbener Eigen-
rasrechte und zum Schutz der Eingeborenen erforderlichen Be-
ttinungen erlassen wird.
Die Oixlnung der Rechtspflege, sowie die Regelung und Leitung
Beziehungen zwischen dem Schutzgebiete und den fremden Regie-
gen bleiben Unserer Regierung vorbehalten.
Wir verheissen und befehlen hiermit, dass Unsere Beamten und
ziere durch Schutz und Unterstützung der Gesellschaft und ihrer
mten in allen gesetzlichen Dingen diesen Unseren Schutzbrief zur
iführung bringen werden.
20
306
Diesen Unseren Kaiserlichen Schutzbrief gewähren Wir der Neo
Guinea Kompagnie unter der Bedingung, dass dieselbe bis spätestens
ein Jahr vom heutigen Tage ab ihre rechtlichen Verhältnisse nach
Massgabe der deutschen Gesetze ordnet, dass die Mitglieder ihres Vor-
standes, oder der sonst mit der Leitung betrauten Personen Angehört
des deutschen Reiches sind und unter dem Vorbehalt späterer Ergän-
zungen dieses Unseres Schutzbriefes und der von Unserer Begiemng
zu seiner Ausführung zu erlassenden Bestimmungen sowie der in
Ausübung Unserer Oberhoheit über das Schutzgebiet femer zu treffenden
Anordnungen, zn deren Befolgung die Kompagnie bei Verlust
Anspruchs auf Unseren Schutz verpflichtet ist.
Zu Urkund dessen haben Wir diesen Unseren Schutzbrief Höcist
eigenhändig vollzogen und mit Unserem Kaiserlichen Insiegel ver-
sehen lassen.
Gegeben, Berlin, den 17. Mai 1885.
tL. S.) (gez.) Wilhelm.
(gez.) V. Bismarck.
/■■v./-V^*x
307
Flächeninhalts-Berechnungen
unter Verwaltung der Neu Guinea Kompagnie gestellten
tschen Schutzgebietes im westlichen Theile der SUdsee
von L Friederichsen.
Auf unserer diesem Bande angeftigten Karte des westlichen
lies der Südsee finden sich auf Neu Guinea folgende Plächeninhalts-
:aben eingetragen:
Kaiser Wilhelms-Land 178200 qkm
Britisches Schutzgebiet 223730 »
Holländisches Gebiet 390560 »
se Werthe basiren auf planimetrischen Messungen und sind für
Auswärtige Amt berechnet woivien, um bei den Grenzverhandlungen
England benutzt zu werden. Wenngleich dieselben seiner Zeit
dem Stande unserer Kenntniss der fraglichen Ländercomplexe
ilich entsprechend betrachtet werden konnten, so haben wir uns doch
mlasst gesehen, nach Fertigstellung unserer auf Basis der neusten
lischen und deutschen Admiralitätskarten und unter bestmöglichster
iicksichtigung der einschlägigen Litteratur entworfenen Karte, eine
} Berechnung des Flächeninhalts des unter Verwaltung der Neu
nea Kompagnie gestellten Deutschen Schutzgebietes vorzunehmen,
haben uns dazu eines erprobten Amsler'schen Planimeters bedient
die Originalzeichnung unserer Karte für die grösseren Flächen
riTinde gelegt, während kleinere Inselgruppen meist auf deutschen
englischen Specialkarten gemessen wurden. Für die Umrechnung
Nonius-Einheiten des Planimeters in Quadratkilometer benutzten
für die einzelnen Gradabtheilungen folgende Werthe:
1 Gradabtheilung in der Breite 0^ == 12305,86 qkm
1 > . f f 1« = 12302,21
1 » »» > 2<'= 12294,91
1 > »» » 30= 12283,97
1 » »> > 4«= 12269,38
1 > * * > b^ = 12251,16
1 t t » > 60 = 12229,30
1 t »> » 70 = 12203,81
1 t > > » 80= 12174,69
1 » > » » 90 = 12141,95
1 > t > » 10 - 12105,61
1 > » » » 110 = 12065,66
In Behm und Wagner's Bevölkerung der Erde VI 1880 finden
selir detaillirte, mit bekannter Sorgfalt geschätzte und planimetrisch
jlmete Arealangaben für das in Frage stehende Gebiet; es erschien
308
uns nnzweckmässig, da wo unsere Berechnnugen oder Schätz
nur geringe Abweichungen ergaben, neue Werthe einzus
Die in folgender Znsammenstellung fett gedruckten Zahlen
Resultate unserer Messungen, alle übrigen sind Behm und W
entlehnt.
I. Kaiser Wilhelns-Und: 1 79250 qkm = S255,5 d. g. QMl. ')
II. Bisnarck-Archipel
1 . Commerson-Insel
2. Anachoreten
3. Hermit-Inseln
4. L'Echiquier-Inseln
5. Tiger-, Matty- und Durour-Insel
G. Boudeuse-Insel
7. Admiralitäts- und Purdy-Inseln 1982,60
(Admiralitäts-Insel. 1718 qkm = 31,2 d. g. nMl.
Jesus Maria-Insel .. 110>=2 »> >)
8. S. Matthiaslnsel 7 90,00
9. Stürmische Insel 1 00,00
10. Neu-Hannover 1 8 7 6,50
1 1 . Inseln in der Byron- und Steffen-Strasse zwischen
Neu-Hannover und Neu-Irland 183,58
12. Neu-Irland 11 690,00
13. Vischer-Insel 82,60
14. Gardner-Insel 24 7,80
15. üerritrDenys-Insel 1 65,20
IG. S. Francisco, S. Joseph, S. Bruno, S. Antonio,
Kaan-Inseln, St. John-Inseln, ca 1 00,00
17. Sandwich-Insel 165,20
18. York-Inseln 7 4,95
(York-Insel 58,40 cikm = 1,06 LßH)
Makada 4,95 > =0,09 »
Ulu 8,80 t =0,15 »
Mioko 1,10 t =0,02 »
die übrigen Inseln. 2,20 » =0,04 » )
19. Neu-Britannien 3217 0,00
20. Willaumez-Insel 236,80
21. Gicquel-Insel 1 26,60
22. Die übrigen vor der Nordküste von Neu-Britan-
nien liegenden Inseln 269,80
23. Rook-InseP) 705,00
24. Long-Insel 544,00
25. Darapier-Insel 2 7 2,00
2G. Die übrigen vor der Küste des Kaiser Wilhelms-
Landes und in der Vitiaz- und Dampier-Strassc
belegenen Inseln, geschätzt zu ca 800,00
1 5,00 qkm =
8,40
11,45
50,00«)
5 5,00
10,00
0,2':
0,06
0,21
o,yo
1,00
0. 2
36,03
r= 14,85
= 1,82
= 25,00
= 2,48
= 212,30
= 1,60
= 4.50
= 3,00
= 1.80
= 3,00
= 1,86
= 584,30
= 4,80
= 2,80
= 4,90
= 12,80
= 9.90
= 4,90
> = 14,50
Bismarc k-Archipel : 5217 7,48 (|km ^947,68
Gesammtes Deutsches Schutzgebiet: 231427,48 qkm = 4203,18 d. g. □Ml.
Für das Britische Schutzgebiet ergaben unsere planimetrischen Berechnungen:
1. Festland incl. der vor dem Fly-Fluss liegenden Inseln 225463 nkm = 4094,86
" ' * " ^ • 7575 > = 137,57
2. Inseln im Südosten
Summa : 233038 gkm = 4 23 2,4 3
") Eine ileuUiclin Roogr. Qiiailnitinfilo ^ .^».'«.OfMikin. -) Di«* ParKtftlliing der L'Kcliiquier-IuMlti
Karte bnairt ntif einer Origiiial-Kmi«nMhixy.ft tleei Kupitain A. IVtcuH ^) Dolmi & Wagn«>rH Me<LSiiiig bJ
Salerio'scheii Kttrten«kiKf.e in Peterniann'8 MiltliPÜnnfcen 184>2; wir erzielten nach unKorer Karte mir (ü'-t
aber der enttereu den VorxuK.
309
Sitzungsberichte."^)
99. Sitzung. 3. Januar 1884.
Voröitzendcr : Herr Bürgermeister Dr. Kircheopauer.
Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Vier neue Mitglieder werden aufgenommen.
Herr Dr. G. A. Fischer hält an der Hand seiner ausgestellten ethno-
raphischen Sammlung den angekündigten Vortrag über Sitten und Gebräuche
2r .Massai (siehe Mittheilungen 1882—83, Seite 60. Seite 275 u. Taf. 4—6).
Herr Geheimrath Neumayer ergreift darauf das Wort, um über eine
issenschaftliche Thatsache zu berichten, welche ftir die Physik unserer
tmosphäre von ganz erheblicher Bedeutung sei. Dieselbe erweise, wie
IS Luftmeer, das unsere Erde umgiebt, wenn an einer Stelle mit hin-
ichendcr Kraft erschüttert, in seiner ganzen Ausdehnung, rund um die
rdc, in Mitleidenschaft gezogen werde. Er fuhrt aus, wie durch heftige
rschütterungen der Erdkruste an einer Stelle das Meer in Bewegung gc-
tzt werde und eine Meereswoge in Folge dieser Erschütterung in diametral
itlegcnc Theile fortgepflanzt werde. Das Erdbeben vom 13. August 1868
Arica (beschrieben von Hochstetter und Peschel) und jenes von Iquique
u 9. Mai 1877 (untersucht von Gcinitz) hätten gezeigt, dass die Fort-
lanzung der Erdbebenwoge im Meere in strengem Einklänge mit den von
iry in seinen >Tides and Wavcs« erörterten Grundsätzen erfolge, und
lüpft daran die Bemerkung, dass es unzweifelhaft sei, es würde die durch
jwaltigc Erschütterungen erzeugte Luftwoge, wenn sorgfältig beobachtet,
Qscrc Einsicht in das Wesen der atmosphärischen Vorgänge in erheblicher
r'^eise fördern. Eine Erschütterung, die geeignet war, Erscheinungen der
igcdcutctcn Art hervorzubringen, ist auf den gewaltigen Ausbruch des
ulkans Krakatau in der Sunda-Strasse am 26. und 27. August 1883 zurück-
iführen. Wie gewaltig die Erschütterungen waren, geht zur Genüge aus
er Thatsache hervor, dass nahezu gleichzeitig Erschütterung und Getöse
3 weit entlegenen Punkten der Erde wahrgenommen wurden und dass auch
1 diesem Falle eine gewaltige Meereswoge, die bei dem Ausgangspunkte
bis 36 Meter Höhe erreichte, erzeugt und rund um die Erde fortge-
flanzt wurde. Die Gewalt der Eruption erhellt ferner aus den bis zu un-
laublichcr Höhe craporgeschlcuderten immensen Massen von Asche, Wasscr-
ampf und Schlamm, die auf Hunderte von Kilometern das Meer mit Bim-
ein und das Land mit Asche überschütteten. Dass solche gewaltige Vor-
ängc auf die umgebende Atmosphäre einen mehr oder minder merkbaren
linfluss äussern müssen, lässt sich nahezu als selbstverständlich bezeichnen,
/ir haben aber auch Berichte aus der unmittelbaren Umgebung des Krakatau
on Schiffen, die sich zur Zeit des Ausbruches an Ort und Stelle befanden
nd wissen daraus, dass das Aneroid-Barometer nach dem Ausbruche in
anz kurzer Zeit um Erhebliches stieg. Diese Beobachtung wurde von dem
Dampfer ^Annesley«, welcher sich 400 km nördlich vom Krakatau befand,
•) Anschliessend an die in den »Mitlhcilungen 1882^—83« gegebenen Berichte.
310
angestellt. Der erste, welcher die Luftwege, durch den Ausbruch erzeug
als von der Ausbruchsstelle ausgehend erkannte, war Dr. Mcldruui in Mauritiv
In einer Entfernung von 3450 Engl. Meilen begannen dort die Störungeo X]
11 Uhr a. m. am 27. August.
Der Vortragende führt sodann aus, dass die barometrischen Kurve
der englischen meteorologischen Stationen in den Tagen vom 27. — 31. Angusi
solche durch die gewöhnlichen Vorgänge in der Atmosphäre nicht zu er
klärende Erscheinungen gezeigt hätten, dass Mr. Scott sich veranlasst sah,
in einer Sitzung der Royal Society am 13. Dezember 1883 Bericht darüber
zu erstatten, wodurch wiederum General Strachey Veranlassung genommen
habe, eine Untersuchung über die Ursache dieser Störungen auszuftihren,
indem er dabei, vielleicht durch die Meldrum'schen Beobachtungen auf-
merksam darauf gemacht, diese Störungen auf einen gemeinsamen Ausgangs-
Moment, den Krakatau-Ausbruch, zurückzuführen suchte. Eine Untersuchung
der sich in den Kurven darstellenden Störungen ergab, dass man es il
einem jeden Falle mit einer Luftwoge zu thun habe, welche die gania
Erde sowohl in östlicher, wie in westlicher Richtung mehrere Male ob-
kreiste , und dass sich aus den beiden Richtungen die Schnelligkeit der
Fortpflanzung der Woge unabhängig von jedem bestimmten Ausgangs-Momentc
ableiten lasse. General Strachey hat die Resultate dieser Untersuchung
in einer Abhandlung niedergelegt, deren Inhalt im Auszuge in der Zeit-
schrift »Nature« in der Nummer 738 pag. 181 — 183 niedergelegt ist. Es
geht aus diesen Untersuchungen ferner hervor, dass die Zeitdauer, welche
zu einem Umlaufe der Luftwoge um die Erde in der Richtung von West nach
Oät, also in der Richtung des Umschwunges der Erde in Anspruch genommen
wird, ungefähr 35 Stunden und 17 Minuten beträgt, in der Richtung von
Ost nach West 36 Stunden und 57 Minuten, d. h. dass also die Ge-
schwindigkeit mit der Drehung der Erde schneller ist als jene gegen die-
selbe.
Die für eine Zeitsekunde daraus abgeleitete Geschwindigkeit ist nahezu
jener gleich, welche der Schall für mittlere atmosphärische Verhältnis^
erreicht, d. i. etwa 757 Statutemeilen in der Stunde. Mit dieser Schnellig-
keit berechnete sodann Strachey, von den Störungen an den einzelnen
Stationen ausgehend und die gegebenen Entfernungen in einem jeden ein-
zelnen Falle in Erwägung ziehend, die Zeit, um welche der erste Impuh
für die Woge gegeben sein musste, d. h. die Zeit des Ausbruches do
Vulkans. Aus den verschiedenen Stationen in England und Schottland un(
überdies Paris, Brüssel und St. Petersburg wurden auf diesem Wege dv
Ausgangs-Momente abgeleitet, die, wenn die Schwankungen auf diesclb
Ursache zurückzuführen waren, sich als identisch ergeben mussten, und v
der That ergab sich mit ganz unbedeutenden Abweichungen aus den sämm^
liehen Stationen ein Mittelwerth der Zeit f\lr den ersten Impuls zur Störun
von 9*» 32™- a. m. am 27. August lokale Krakatau-Zeit. Da die Längei
Differenz gegen Greenwich 105° 22', = 7 Stunden beträgt, so ist J
Augenblick des ersten Impulses 2**- 31'"- a. m. Greenwich-Zeit anzunehmei
Der Vortragende führt sodann aus, dass, sobald diese interessante un
neue Thatsache einmal festgestellt worden war, überall da, wo selb*
registrirende Barometer aufgestellt sich befanden, nach den Spuren d<
KrakataU'Luftwoge gesucht wurde und so seien denn auch jüngst von Pro
311
Anter an dem im Normal- Aichungs-Amtc in Berlin aufgestellten Barographen
«e in Fnge stehenden Störungen aufgefunden und daraus Resultate abgc-
'itet worden, die mit den so eben dargelegten im £inklange sich befänden,
'ioch die an neun Beobachtungs-Stationen der Deutschen Seewartc in den
**geD vom 27. August bis 1. September erhaltenen Barographen-Kurven
^rdcD darauf hin geprüfl und zeigten sich fast in einem jeden einzelnen
'ilie die ersten und zweiten Erdumkreisungen der Luftwoge mit genügender
«li&rfe, um daraus den angeführten Resultaten ähnliche abzuleiten. Für
eate glaubt der Vortragende nur noch auf die Resultate Einer Beobachtungs-
tation eingehen zu sollen. Es sei dies die 7800 Statutemeilen (12560 km)
in dem Krakatau entfernte und auf 54° 31' S. Breite und 36» 6' W. Länge
ßlegene deutsche Polar- Station auf Süd-Georgien. Es sei an dieser Station
£r vortreflflich funktionirende Laufgewichts-Barograph von Dr. Sprung, einem
Kr Assistenten der Seewarte, aufgestellt gewesen. Die durch denselben
ODtinuirlich verzeichnete Luftdruck-Kurve zeige kurz nach Mittag am
7. August eine rasch ansteigende Erhebung, die um 12^' 25'° und dann
shroff abfällt bis um 1 ^' 5 "\ um sich sodann wieder zur normalen Hohe
754,6 mm.), welche sie um 1 *' 40™ erreichte, zu erheben. Es war sonach
ie Dauer der Störung etwa 1^ 40"', während die extreme Schwankung von
l^mm. Amplitude sich in etwa 40 Minuten vollzog. Auch die Rückkehr
ler Woge und dio Umkreisung in entgegengesetzter Richtung sind in den
Kurven zu erkennen, jedoch muss bemerkt werden, dass in Folge der ge-
w^altigen atmosphärischen Störungen, welche jene Gegenden der Erde nament-
Lich in dem Monate August heimsuchen und in der That am 28. August
iucli eintraten, die Bestimmtheit der Aufzeichnungen der Krakatau-Woge
mit dem Barographen erheblich beeinträchtigt werden mussto.
Zum Schlüsse flihrt der Vortragende noch aus, weshalb gerade die
Beobachtung in Süd-Georgien für die Untersuchung des in Frage stehenden
Phänomens von besonderem Werthe sein müsse, indem er darauf hinweist,
^a«8 die Fortpflanzung der Luftwoge auf ihrem südlichen Wege nur über
ozeanischen Flächen geschah^ indem zuerst das Luftuieer in den tropischen
Gegenden und sodann die Temperatur-Verhältnisse der gemässigten Zone
w durchsetzen waren, auf dem anderen Wege aber die Fortpflanzung theil-
veiso längs der grössten Erstreckung kontinentaler Massen der Erde (durch
Nord- und Süd-Amerika) zu geschehen hatte. Es sei zu erwarten, dass
dieser Unterschied sich bei einer genaueren Untersuchung auch in den
^obachtungs-Resultaten zeigen werde, wodurch Gelegenheit geboten sei,
^ie Natur des interessanten Phänomens eingehender zu studiren. —
Herr Direktor Friedländer berichtet, dass Herr Dr. Toeppen am
IJ^. November 1884 wohlbehalten in Asuncion eingetroff'en und sofort nach
dem Innern weitergegangen sei. In Asuncion traf Dr. Toeppen mit einer
'bolivianischen Expedition unter Daniel Cämpos zusammen, welcher der
'i'anzose Arthur Thouar als wissenschaftlicher Forscher angehörte. Die-
JJ^'be kam von Tarija in Bolivien und hatte den ganzen bolivianischen
^haco durchzogen, um denselben auf die Möglichkeit der Anlage einer
'"^kten Handelsstrasse bis nach San Pedro am Paraguay hin zu unter-
'öchen.
Herr Friederichscn rcferirt über das just erschienene Werk: ^A
^'^ctch of thc Modern Languagcs of Africa by Robert Niedham Cust.«
312
Im Anächluss daran crwähut Dr. G. A. Fischer, das8, der ADäicht dcä Herrn
Cu»t eutgegcn, die Galla-Stämme am Tana und Wai>okomo gani demöelben
Stamme angehören wie die Massai.
SchlieHslich berichtet Herr Friedcrichsen über einen au» Wakari
vom 5. November 1883 datirten Brief Ed. llobert Flegel»^ demzufolge der
Reisende im Begriffe stand, von Neuem nach Adamaua aufzubrechen und
von dort gen Bilden zum Congogebiet vorzudringen.
100. Sitzung. T.Februar 1884.
Vorsitzender: Herr Bürgermeister Dr. Kirchenpauer.
Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Fünf neue Mitglieder werden aufgenommen.^
Herr Friederichsen berichtet, dass der Vorstand beschlossen habe,
die Doublctten der ethnographischen, ornithologischen und entomologischca
Sammlungen der Massai-Expedition Herrn Dr. Fischer als Eigenthnm n
überweisen. Was die wissenschaftliche Bearbeitung dieser SammloDg»
anlange, so sei der Vorstand bemüht^ dieselbe thunlichst durch hiesige
Gelehrte zu beschaffen und werde den Herren Bearbeitern hinsichtlich der
Publikation der Kesultatc freie Hand lassen. Den Mittheilungen 1882—83
unserer Gescllschafb solle ein generelles Verzeichniss der Fisoherscheoi
Sammlungen angefllgt werden.
Herr Woermann giebt sodann den Rechnungsbericht pr. 1883 (siebe
Mittheilungen 1882—83 pg. 349).
Der Vorsitzende berichtet darauf über die seitens des Vorstände»
in aller Eile arrangirte Leichenfeier zu Ehren Kapitains de Long, Führen
der »Jeannette«, und seiner 9 Begleiter, deren sterbliche Ueberrcstc an
3. Februar hier eingetroffen waren, um vermittelst der Hamburg-Ameri-
kanischen Packetfahrt-Aktien- Gesellschaft nach New- York befördert u
werden.
Die Feier fand am 5. Februar 1884 Mittags 12 Uhr im Wartesail
der Hamburg- Amerikanischen Packetfahrt- Aktien-Gesellschaft am Jonas statt,
woselbst die Leichen aufgebahrt waren. Einen feierlich wehmüthigen Ein-
druck gewährte der Anblick der zehn neben einander stehenden, mit Krioien
und Sclileifen bedeckten Särge, welche die sterblichen Uebcrrestc der
wackcru Forscher enthielten^ die als Mitglieder der > Jeanncttc-ExpeditioiK
im Dienste der Wissenschaft in den Polarländern den Heldentod crlittefl.
Die Zeichen der Liebe und Pietät, die auf den Särgen niedergelegt waren,
stammten fast ausschliesslich aus den verschiedenen Städten KusslaDdi.
welche die Leichen expedition unter Leitung der amerikanischen Schiffi)-
uiliziere Harber und Schütze zu passiren hatte. Ein besonders prächtiger
Kranz auf einem der Särge trug die Aufschrift: »For Doctor Ambltf»
From the Physicians of Orenburg.« Andere Kränze hatten gelehrte Ge-
sellschaften und Behörden der Städte Jakutsk, Tomsk, Moskau u. A. ■•
gestiftet. Auch die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin hatte, als der
Gondukt die Heichshauptstadt passirte, einen imposanten Kranz beigegeben,
dessen breite Atlasschleifen mit nachstehender Widmung versehen waren:
>Die Gesellschaft Hir Erdkunde in Berlin dem Helden der »JeanoeUef
313
tain de Loug und sciDeu GcfährtcD, den todcäiiiutbigcn Opfern der
scnscbaft. «
Um die anberaumte Stunde fanden sieb die zur ernsten Feier Ein-
dcnen im Leicbensaal ein, darunter Mitglieder des Senats, Vertreter
cnscbaftlicber Vereine, der Bebörden, Mitglieder der Diplomatie, der
ifmannscbaft, sowie einige Damen. Unter lautloser Stille der Versammlung
t Herr Bürgermeister Dr. Petersen ungefäbr folgende Anspracbe: >Mir
der würdige, aber webmütbige Auftrag zu Tbeil geworden, Namens des
its der Stadt Hamburg die letzten Ebren darzubringen den boldenbaften
inern , deren sterblicbe Ueberreste in diesen Särgen ruben. Ehre,
verbliebe Ebre und unauslöscbliebes Andenken sei ibnen dargebraebt.
h unsäglicben Anstrengungen, nacb Leiden und Entbebrungen sind sie
Uen und baben ibr Leben gelassen ftir Wissenscbaft und Mensebenliebe.
den unwirtblicbcn arktiseben Kegionen, unter starren Eismassen im
bringenden Meer sind sie untergegangen in der crbabenen Hoffnung,
verloren geglaubten Nordenskiöld'scben Expedition Hülfe bringen zu
Den. Von den sublimsten Rätbseln der Natur angeloekt strebt die Wissen-
ift rastlos vorwärts, um die verseblossenen Wege zu ergründen und zu
hliessen für den Dienst der Menscbbeit. So fielen auch diese Männer
!m edlen Streben zum Opfer, indem sie der rätbselbaften Spbynx folgten,
war ein trauriges Werk, das jene entschlossenen und energischen
iner auf Gebeiss des Vaterlandes unternommen hatten. Nur ein kleiner
il der Besatzung der :^ Jeannette« konnte das nackte Leben retten,
lere sind verschollen und hier befinden sich die sterblichen Ueberreste
Uebrigen mit ihrem Führer Kapitain de Long. Sie sollen von hier
iie Heimath geleitet und dort ehrenvoll bestattet werden. Der Trauer-
bewegt sieb auch durch unsere Stadt. Und tiefbetrübten Herzens,
frommer Ehrerbietung stehen wir vor den Särgen der hochverdieutcu
iner, die als Opfer der Wissenschaft ihr Leben bergegeben baben liir
schönsten Ideale, für die Menschenliebe. Durch die weiten Gefilde
«lands sind ihre sterblichen Hüllen gebracht worden und überall unter
eher Tbeilnabme aller Kreise der Bevölkerung, welche Verständniss für
hoben Ideale dieser Männer haben, begleitet worden. Ehre, höchste
c den Helden, die in diesen Särgen ruben. Zum Zeichen der ihnen
uns dargebrachten Ehrerbietung lege ich im Namen des Senats der
It Hamburg diesen Kranz auf ihre Särge nieder, möge ihre Asche sanft
cn ! Und wenn wir somit den Todten die letzte Ehre erwiesen, so haben
nun der Gastfreundschaft den Lebenden gegenüber zu gedenken. Ihnen,
T Lieutenant Harber und Ihrem nicht anwesenden Kollegen Lieutenant
ütze spreche ich unsere Bewunderung und unsere Anerkennung aus für
aufopfernde hingebungsvolle Aufgabe, der Sie Sich gewidmet und die
mit Sicherheit und Geschick so glänzend gelöst. Mögen Sie die Ihnen
ertrauten theurcn Bürden glücklich und ohne Unfall binübergeloiten
l überbringen Sie Ihren Landsleuteu den Trauergruss der Stadt Hamburg,
des gesammten gebildeten Deutschlands. <^
Nacb dieser Bede sprach noch Herr Gebeimrath Professor Dr. Ncu-
yer eine herzliche Danksagung an die Herren Lieutenants Harber und
*ütze und legte zu dem vom Bürgermeister Dr. Petersen niedergelegten
314
Kranz des Senats fiinf weitere Kränze folgender Gesellschaften auf die
Särge: der Geographischen Gesellschaft in Hamburg, der k. k. Geographischen
Gesollschaft in Wien, der Geographischen GcsellschaftcD in Dresden und
München und endlich der deutschen bezw. internationalen Polarkommission.
Im Auftrage der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig legte Herr Friedc-
richscn einen Kranz nieder; ferner Herr Kuperti einen solchen Namens
der Hamburg- Amerikan. P.-A. -Gesollschaft. Ferner hatten der Verein Air
Erdkunde in Halle a/S. und die Geogr. Gesellschaft, in Bremen Todt«nkräozc
Ubersandt. Zum Schluss dankten Lieutenant Harber und der amenkanische
Konsul Mr. ßailcy dem Senat, den gelehrten Gesellschaften und allen
Anwesenden für die erwiesenen Ehrenbezeugungen, womit der würdige ood
feierliche Akt der Pietät sein Ende erreichte. —
Hieraufhält Herr Prof. Dr. Sad check einen Vortrag über die wichtigstaa
Ergebnisse der pflanzengeographischen Forschungen während der letzten celu
Jahre und ihre Bedeutung ftir die allgemeine wissenschaftliche Geographie
Redner verbreitet sich über die Fortschritte, welche sowohl die Phyto-
gcographie, wie auch die Geologie in Folge der Vergleichung lebender nit
fossilen Formen gemacht haben, erwähnte die Haupt-Ergebnisse der Forschuogeo
Heer's und geht dann auf eine Besprechung der Ursachen über, welche der
Flora der Färöcr und Islands einen wesentlich europäischen Charakter TC^
liehen haben mögen. Die Polemik des Vortragenden richtet sich dabei
besonders gegen die Anschauung, dass die Winde, die Vögel, das Treibeis
oder die Meeresströme diesen Ursachen beigezählt werden könnten. Die
Möglichkeit einer Mitwirkung der Meeresströmung erachtet Redner u. A.
deshalb für ausgeschlosseo, weil z. B. die Insel Jan Mayen, von einem dieser
Meere umgeben, also jedenfalls von jeher isolirt, so wenige Phanerogamen
aufweise, die Bären-Insel dagegen reich an Phanerogamen sei; ausserdem
seien die Galapogos-Inseln, ferner der Unterschied zwischen Borneo, Java und
Bali einerseits, Celebes und Lombok andererseits als Gegenbelcge anzoführen.
Auf die Ergebnisse der Forschungen von Wallace geht Redner hierbei näher
ein. So bliebe, führt derselbe weiterhin aus, nur die Annahme einer zwischco
den britischen Inseln, den Färöern, Island und Grönland früher vorhanden
gewesenen Landbrücke übrig — eine Vermuthung, welche durch die neueren
norwegischen Messungen unterstützt werde. Ebenso nimmt Redner die ehe-
malige Existenz einer die Davisstrasse abschliessenden Landbrücke an und
begründet auf der hieraus gefolgerten damaligen Konfiguration des Golfstrom'
Weges eine Erklärung der Eiszeit, deren Beendigung einer Senkung in def
Richtung Schottland-Grönland, d. h. dem Verschwinden der Landbrücke, rt
verdanken sei. Weiterhin geht Redner zu einer Besprechung der Hypothek
betreffs früherer Trennung von Nord- und Süd-Amerika über, gegen welche
die Verbreitung des Mahagonibaums, um der ausgezeichneten Flugapparat«
willen, welche der Samen desselben besitzt, nicht als Beweis angcftihrt werden
könne, und führt ferner unter Vorzeigung einiger an den Küsten Argentinien«
und Patagoniens vorkommenden Algenarten einzelne Gründe an^ welche v^
eine rccentere Entstehung dieses südöstlichen Theiles von Süd-Amerik*
sprechen. Nochmals wendet sich Redner alsdann dem Polargebiet zu. Hi«f
findet die Voraussetzung eines ehemaligen Zusammenhangs zwischen Nord*
Europa und Spitzl)ergen auch in der Uebereinstimmung der VegcUtio"
dieser Gebiete Unterstützung. Das alleinige Vorkommen der kastanicnblättrigäi
315
che an zwei so weit von einander liegenden Stellen, wie Atlas und
ankasus sind , bat in neuerer Zeit seine Erklärung gefunden ^ indem die-
Ibc am Südabhange der Alpen als Fossil entdeckt wurde.
An den Vortrag scbliesst sieb eine Reibe von Bemerkungen aus dem
^cise der anwesenden Mitglieder der Gescllscbaft , indem Dr. Koppen
af die Fraglicbkeit einer scbarfzuzicbenden Grenzlinie zwiscben der Vege-
ition der wcstlicben und östlicben Sunda-Inseln aufmerksam macbt,
)f. Siegle rscbmidt auf den gemiscbten Cbarakter der spitzbergiscben
^ancrogamen- Vegetation binweist, die besonders an der Nordküste eine
lieht unbedeutende Uebereinstimmung mit der amerikaniseb- polaren Flora
eige. Da ein frUberer Zusamraenbang zwiscben Grönland und Spitzbergen
er Tiefe des zwiscbenliegenden Meeres wegen nicbt angenommen werden
Qnne, so bleibe die betreffende Uebereinstimmung den AusfÜbrungen des
ürtragenden gemäss unerklärt. Die specifiscb europäiscben Arten der
pitzbergen -Flora kämen vorzugsweise an der Westküste vor — ein Umstand,
Kr vielleicbt in einen von Herrn Professor Sadebeck nicbt angefübrten
[<mient der Uebertragung durcb die Wanderungen der Menseben — seine
rklärung finde Die Pbanerogamen-Vegetation der Bären-Insel, die der
'ortragende auf mebrere bundert Arten angegeben, sei im Gegentbeil eine
erhältnissmässig arme (?) wie denn nicbt einmal die Spitzbergen-Flora die
M von bundert Arten erreiobe. BezUglicb der Eiszeit dürfe bei aller
Fahrscbeinlicbkeit eines früberen Zusammenbangs Europas mit den zu ibm
ebOrigen nordischen Inseln die Tbatsacbe nicbt ausser Augen gelassen
'erden, dass dieselbe nur bei starker Insularität unseres Erdtbeils möglieb
ewesen sei.
Herr Professor von Martens aus Berlin, als Gast anwesend^ ftibrt
io interessanten Ergebnisse seiner an Ort und Stelle gemacbten Studien
liosicbtlicb der Tbierwelt des südostasiatiscben Arcbipels an, denen zufolge
icht einmal in Bezug auf diese Letztere eine so scbarfe Grenzlinie zwiscben
)8t und West gezogen werden könne, wie Wallace sie in der Freude über
eine Entdeckung zu zieben unternommen babe. Der Uebergang zwiscben
^C8t und Ost sei vielmebr ein allmäblicber.
Herr Dr. Koeppen betont bierauf mit Rüeksicbt auf die seit der Eis-
*it stattgebabte Entwiekelung unseres Erdtbeils noeb die Uutersucbungcn
^on Nebring in Wolfenbüttcl , die auf eine der Eiszeit folgende Stcppcn-
^ode des nördlicben Deutseblands bindeute, so dass also der Insularität
•inc weit bedeutendere Kontincntalität gefolgt sein müsse, als unser Erd-
teil sie jetzt besitze.
Herr Kapitän Di nk läge legt sodann im Auftrage der Deutseben See-
^srte die just in Gemeinsebaft mit dem däniseben meteorologiscben Institut
herausgegebenen täglicben synoptiseben Wetterkarten für den Nordatlan-
;'wben Ocean und die anliegenden Tbeile der Kontinente, erstes Quartal
Dez. 1880 — Febr. 1881) vor, welcbe sieb den äbnlicben Publikationen
Kapitän Hoffmeyer's anscbliessen und sieb von diesen besonders dadurcb
•oterscbeiden, dass sie weiter naeb Süden reieben und in Folge des neuer-
'*og8 lebbafler gewordenen Interesses deutseber Scbiffskapitäne f\ir der-
'^ige wissensebaftlicbe Arbeiten, ein erbeblicb grösseres Material an
'^hiffsbeobacbtungen umfassen. — Herr Gebeimratb Neumayer ftigt den
^klärenden Worten des Herrn Diuklage nocb binzu. dass England die
316
Veröffentlichung derartiger Mynoi>tischcr Karten des Nordatlao tischen Ocoans
l'ür den Zeitraum vom August ISS2 bis August 18S3 übernommen habe
und das Material der Deutschen Socwarte zur VcrHigung erhalten werde.
Die deutsehe Polarkommission habe die Veröffentlichung derartiger synop-
tischer Wetterkarten für den Sudatlantischcn Ocean (August 1882 — August
1S83) übernommen und dürfe dabei auf die Hülfe des französischen mete-
orologischen Instituts rechnen.
101. Sitzung. 6. März 1884.
Vorsitzender: Herr Bürgermeister Dr. Kirchenpauer.
i
Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Vier neue Mitglieder werden aufgenommen.
Nach Erledigung einiger geschäftlicher Angelegenheiten sciteiu da
Vorsitzenden berichtet Herr Direktor Friedländer über den Fortgang <lar
seitens unserer Gesellschaft unterstützten Tocppen'schen Reise in Ptnguy
und zwar auf Grund eines von Mitte Dezember 1883 aus Villarica dttirtn
Briefes Toeppen's. Im Anschluss daran referirt Herr Friodländer auf Biai
des Boletin del Instituto Geografico Argentino über die Unteroehmangei
des franz("»sischen Reisenden Thouar^ mit welchem Dr. Toeppen in AsnocioB
zusammengetroffen war. Thouar hatte von Tarija in Bolivien ans mit
140 Mann Bogleitung den Chaco durchreist und den Weg von Tarijft niflh
Asuncion in zwei Monaten zurückgelegt. Thouar's Ansicht nach Bei die
Herstellung eines Verkehrsweges zwischen Bolivien und Paraguay längs
dos sich überall als schiÜhar (?) erwiesenen Pilcomayo eine nicht allsi
schwierige Aufgabe. *)
Herr Dr. Sieglerschmidt hält darauf einen Vortrag über den Golf-
strom und den Weg über Nordspitzbergen in das innere Polarmoer. Redner
giobt zunächsit einen kurzen Ucberblick über die im Bereiche der enropäiw-'li*
arktischen Meere seit 1858 gemachten wichtigeren Unternehmungen nod
der Hauptergebnisse derselben. So sehr nun auch^ führt derselbe sodaon
aus, unsere Kcnntniss bis jetzt bekannter Strecken der im Norden unser«
Erdtheils liegenden Polargegend noch der Vertiefung bedarf, so sollten wir
uns doch nicht auf diese allein beschränken, sondern zugleich auch weiter
gehen in das bisher unbekannte Gebiet hinein und zwar dies nicht alleia
um der topographischen Erkundigung der Erdoberfläche halber, sondcn»
auch um zweier in nächster Beziehung zu einander stehender WissenBcbaftcD
willen: der Hydrographie und der Meteorologie. Die Möglichkeit eiitf
AVeitcrgchens aber liege an zwei Stellen der Europa benachbarten Poltf-
nieere vor: im Süden des Franz-Josefs-Laudes und an der Nordostseite tm
Spitzbergen. Die Existenz eines Armes der grossen atlantischen Ströunogi
welche zwischen Grönland und Sehottland in das norwegische Meer eindriöge»
an der Westseite von Spitzbergen werde seit Kapitain Koldewcy's Temi»erittf*'
messungen von 18r>8 allgemein anerkannt: anders stehe es allerdings b»
jetzt mit der vom Redner in den Mittheilungen der Geographischen GeseB*
Schaft 1878 — 79 und 1880—81 aufgestellten Behauptung, dass der erwähnt«
Arm des sogenannten »Golfstroms« an der Nordwestecke von Spitibcrge»
*) Vcrgl. Tücppcn's Referat Über die Camposschc Expedition auf Seite 295«
317
;b Osten umbiege und an der Nordseite von Spitzbergen weiterströme.
lOQ die Beobaobtungen , welcbc Torrell und Nordenskiöld 1861 an den
ilbinseln der Nordseitc des Nordostlandes maebten, lieferten unverwerfliebe
ugnisse für das Dasein dieser Fortsetzung; aber man babe dieselben
beacbtct gelassen im Hinblick auf die damals als Lebrsatz der Hydrographie
tracbtetc Hypothese, dass Wasser von -f" 4® C. Wärme den am Süsswasscr
tobacbteten Scbwereverbältnisscn zufolge nicbt an der Obcrfläcbc bleiben
inne, vielmehr unter die kälteren Schichten seiner Umgebung geratbcn
usse, um zu der berühmten homothermischen Grundschicht von James
larke Ross hinabzusinken. Als nach Koldewcy's Messungen die Oberflächen-
otherme von -f- 4® C. in die Gegend von Nordwestspitzbergen gelegt
erden konnte, betrachtete man diese als die Stelle, wo die Oberflächen-
KiBtcnz des > Golfstroms c aufhöre. Die Tiefseeforschungen des Ictzt-
ügangencn Jahrzehnts hätten nun mittlerweile konstatirt, dass der Salz-
•balt des Seewassers demselben andere Dichtigkcitsverhältnissc verleihe,
I das Stlsswasser sie besitze, dass die Schwere des Seewassers konstant
iBehme mit der Abnahme der Wärme desselben; trotzdem übe die veraltete
beorie auch beute noch ihre Wirkung aus: unsere hydrographischen Karten
B. Hessen sämmtlich den Spitzbergenarm der atlantischen Strömung an
9* Nordwestecke von Spitzbergen zu Ende gehen. Es sei indessen nicht
Hikbar, dass eine Meeresströmung an irgend einer Stelle ihr Ende erreiche,
Ine dass der in ihr wirkende Bewegungsantrieb in irgend einer Richtung
rtfahre, sein Dasein an den Tag zu legen. Wir hätten uns also nur zu
Igen, in welcher Richtung dies bei der Strömung von Westspitzbcrgen
JT Fall sei. Den Weg nach Norden verlege derselben die gewaltige
lunterbrochcne Eisströmnng, welche in einiger Entfernung von der Nord-
ad Westseite Spitzbergens vorboisetze. Zur Unterströmung könne der
urme Spitzbergen-Strom nicht werden, weil seine Gewässer leichter seien,
i diejenigen des Polarstroms. Er müsse also von Letzteren zurückgewiesen
ttd an die Küste gedrängt werden. Wenn wir nun sähen, dass die Küste
>D Nordspitzbergen in den bei weitem meisten Sommern eisfrei und
efahrbar werde, dass dieselbe mit den Gegenständen bedeckt sei, welche
er »Golfstrom« mit sich zu führen pflege, und wenn wir endlich die
•eobachtungen Nordenskiöld's und Palander's bei der Ueberwinterung von
872 — 73 in Betracht zögen, welche nicht nur einen Wechsel in der Eis-
edeckung der Mossel-Bai, sondern auch ein den ganzen Winter hindurch
iafreies Meer im Norden von Spitzbergen konstatire, so bedürfe es wohl
einer weiteren Beweise daftir, dass dieselbe Strömung, welche sich an der
foBtseite von Spitzbergen nach Norden richte, sich der Nordseite dieser
Dsclgruppe nach Osten fortsetze. Der Weg an dieser Küste entlang bis
^ deren äusserstem Ende (Kap Leigh Smith) sei seit 1803 von einer
'Össeren Anzahl norwegischer Fangschi fFer-Fahrzeuge mit grösster Leichtig-
»it zurückgelegt worden. So seien u. A. die Fahrton von Karlsen 180;^,
obiesen 1864, Leigh Smith und Ulve 1871, Kjelsen und Johanncsen 1876,
^jelsen 1879 und Sörensen 1883 anzuHlbren. Jede dieser Untemehniungen
^ an ihrem Endpunkte die denkbar günstigsten Eisverhältnisse gefunden*
'ie hohen Breiten, welche holländische Fahrzeuge in früheren Jahrhunderten
®i Spitzbergen erreicht haben sollen, seien wohl zum Theil übertrieben;
*ch Hesse sich annehmen, dass wenigstens 82 — 83" N. Br. erreicht
BIS
worden seien. Den Bericht von Roule, den Witsen in seinem berühmtei
Bache anfUhre, dürften wir insoweit für glaubwürdig halten, als der voi
Roule angegebenen Breite (84 Va — 85") vielleicht ein Paar Grade abxuziehei
seien. In Bezug auf diese, wie auf andere Expeditionen aber müssten wii
annehmen^ dass sie von Nordostspitzbergen aus nordöstliche Richtung cia
gehalten, also an die Nordwestseite des Franz-Josefs-Landes geführt hätten
Dass dies aber zugleich der Weg der weiteren Fortsetzung der Spitzber^ge^
Strömung sei, unterliege der grössten Wahrscheinlichkeit. Im Norden ha\^
dieselbe beständig die nach Südwesten setzende Eisströmung des inn^^
Polarmeers, im Süden und Südosten ständen ihr zunächst die Tr^||
eisströmung des Franz-Josefs-Landes, dann dieses selbst entgegen. S/V
müsse sich demzufolge an der Nord Westseite des Letztern entlang ikzcb
Nordosten richten und hier zwischen dem grossen Polarstrome und der
Küste dieselbe Stellung einnehmen, welche sie schon bei Spitibeiigen gehabt
habe. Der Einwurf, dass die Strömung der Einbusse an Wärme ^egeo
jenseits Spitzbergen nicht mehr im Stande sein werde, ihren Weg verhiltsiss-
massig eisfrei zu machen, sei durch einfaches Rechenexempel zu beseitigen,
welches nachweise, dass unter höheren Breiten nicht die Wärmegrade einer
warmen Strömung, sondern vielmehr die mechanische Gewalt des StroDes,
der Fluth und der herrschenden Windrichtungen den Weg derselben vom
Treibeise freihalte. Wenn wir annähmen, dass die arktischen wumen
Strömungen von Treibeis bedeckt sein würden, falls ihre Wärmegrade nicbt
hinreichten, dasselbe zu schmelzen, so müssten wir auch annehmen, dass
sie für je ein Kilogramm der betreffenden Eismasse 80 Wärmeeinheiten
herbeizuführen vermöchten, was z. B. bei der Strömung von Westspitsbergeo
(4 — 5° C. Oberflächenwärme) eine Unmöglichkeit sei. Die anderen an-
geführten Ursachen aber würden ihre Wirkung überall üben, wo die Strömung
überhaupt cxistirc, bis dieselbe durch das Zusammenwirken verschiedener
Umstände zu einer Eisströmung geworden sei — also auch noch auf dem
Wc^e nach Franz-Josefs-Land und an demselben entlang. Zur YersUirkang
dieser Wirkung aber trügen ausser den geringen Wärmegraden des Wasaer»
auch die von den barometrischen Depressionen herbeigefllhrten WärmeMengen
bei. Die barometrischen Minima verfolgten auf der Nordseitc von Spiti-
bergen, wie Wijkandcr auf Grund der Ueberwinterungen von 1872-73
nachgewiesen, den Weg nach Osten, d. h. wie sie im allgemeinen den
Wegen der warmen Strömung folgten, so sei dies auch hier der Fall. Vit
auffällige Milde des spitzbergischcn Winterklimas (welche Redner dnrch
Anführung von Zahlen belegt) zeige, in wie hohem Grade die Inselgmppe
von Depressionen heimgesucht werde. So sei auch das Klima des Frani-
Josefs-Landes, nach dem sie von Spitzbergen aus hinüberziehen, ein ausser
ordentlich feuchtes, und Payer berichte uns von klimatischen Erscheinungen
im nördlichen Theile jenes Landes, welche nur dem Auftreten eine«
Minimums zugeschrieben werden könnten.
Die Eisbildung erfolge innerhalb der Polarmeere unter anderen Um-
ständen, als im Süsswasser. Wir dürften erwarten, dass die Bildung von
Eisfeldern selbst in nächster Nähe des Nordpols, ausser wo Schmclzwaßsef
die Veranlassung gebe, nur von demjenigen Eise ausgehe, welches an den
Küsten, in den Strassen und Fjorden der Polarwelt entstanden sei. ^Veil
aber das polare Treibeis in so massenhafter Weise auftrete, und weil c«
319
Frühjahr so sehr aD Menge zunehme, sei der Schluss erlaubt, dass die
bekannte Polarregion einen führen- und strassenreichen Archipel enthalte,
dem und zwischen dem jeder Winter neue Eismassen ansetze, die in
r besseren Jahreszeit zum Theil losgelöst und den Polarströmen überliefert
irden. Zwischen diesem Archipel, dem Nordende von Grönland^ den
Qsten Spitzbergens und des Franz- Josefs-Landes liege das Meer, in welchem
sh der grosse Polarstrom nach Südwesten bewege und in welchem dem
irmen Spitzbergenstrome die Rollo des Kompensationsstromes zufalle, das
Dere Polarmeer. Nach allem könnten wir annehmen, dass wenn eine
)larexpedition der Richtung des letztangeftihrten Stromes folge, sie die
Qsten des Franz-Josefs-Landes mit verhältnissmUssigcr Leichtigkeit erreichen
erde — mit grösserer Leichtigkeit, als die Expedition von 1869 die Ost-
Iste von Grönland erreicht habe. In Bezug auf die Form der Ausfuhrung
T vorgeschlagenen Unternehmung spräche Redner den Wunsch aus, dass
B mit Ueberwinterungen auf Spitzbergen, Süd-Franz- Josefs-Land, Nowaja-
imlja oder der Bären-Insel verbunden werden könne; reichen Nutzen Air
e Wissenschaft werde sie indessen auch dann bringen, wenn dieser Wunsch
ch nicht realisiren lasse. — An den Vortrag schliesst sich eine längere
iskossion, an welcher sich ausser dem Vortragenden besonders die Herren
apitain Koldewey und Kapitain Schuck betheiligen und welche sich
ssonders auf die Eisbildung und Metamorphosen des Eises in den Polar-
eeren bezieht. Kapitain Koldewey bemerkt u. a., dass er mit der Darstel-
ing, welche der Vortragende von den Strömungsverhältnissen bei Spitzbergen,
)wie von den Ursachen derselben gegeben habe, durchaus einverstanden
ii, andrerseits jedoch der Meinung sei, dass man, statt mit dem Strome
Q gehen, gegen den Strom vorzudringen suchen und lieber einer zusammen-
ängenden Küste Schritt vor Schritt folgen solle. Was Roulc's Polarfahrt
eireffc, so halte er daflir, dass derselbe von Nowaja-Semlja aus die Süd-
Uste des Franz-Josefs-Landes erreicht und sich somit bei seiner Breiten-
estimmung in höherem Maasse geirrt habe, als Dr. Sicglerschmidt annehme,
lerr Schuck bezeichnet Spitzbergen als eine Sackgasse fllr arktische
^ixpeditionen und meint, dass man entweder von der Ostküste Grönlands
•der von Nowaja-Semlja aus via Franz-Josefs-Land oder Neu-Sibirische Inseln
d's freie Polarmeer werde gelangen können. — Herr Dr. Sieglorschmidt
erwidert Herrn Schuck, dass die Weyprecht'schen Erfahrungen gegen ein
/^ordringen von Nowaja-Semlja aus sprächen.
102. Sitzung. S.April 1884.
Vorsitzender: Herr Bürgermeister Dr. Kirchenpauer.
Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Der Vorsitzende verliest die Tagesordnung des fiir die Tage vom
' — 19. April in München anberaumten 4. Deutschen Geographentages
'od fordert zur Betheiligung auf.
Die neu gebildete Soci^tö de Geographie de Tours wird in die Reihe
^rjenigen Gesellschaften eingereicht, welche mit uns in Schriftenaustausch
tehen.
Nach Erledigung einiger geschäftlichen Mitthoilungen nimmt Herr
'iederichsen das Wort:
320
Meine Herren! Threm Vorstande ist am 16. März die Anzeige ron
dem am 15. März erfolgten Tode des Herrn Dr. Ernst Behm^ Redaktenn
der Petermann'schen Mittheilungen aus Justus Perthes' geographischer Anntilt
in Gotha zugegangen. Den Verdiensten des Verstorbenen gemäss hat Ihr
Vorstand es für angezeigt erachtet^ in Ihrem Namen einen Lorbeerkranc
auf den Sarg des Verstorbenen niederlegen zu lassen. Die Wittwe des
Dahingeschiedenen hat mich beauftragt, Ihnen dafür den tiefgefühltesten
Dank abzustatten. Wenn ich diesen geschäftlichen Mitthoilungen cioige
Worte der ehrenden Anerkennung der Verdienste des Dahingegangenen nm
die Förderung der gcograi)hischen Wissenschaft hinzuzufügen mich anschicke,
so geschieht dies, weil ich mich als Freund und früherer langjähriger
Kollege des Verstorbenen dazu besonders berufen fühle. Ich fühle gleich-
zeitig eine gewisse Verpflichtung^ auf die Verdienste Ernst Behm's besonderen
Nachdruck zu legen, weil die ihm angeborene Bescheidenheit ihm zn Leb-
zeiten nicht immer die verdiente Anerkennung eingetragen hat. Ja, er bai
CS vermocht, seine Person so sehr in den Hintergrund treten zu Imkd,
dass selbst dem Herausgeber des Meyer'schen Konversations-LezikoDS der
Name Ernst Behm's bis heute verborgen geblieben ist.
Ernst Bchm war 1830 in Gotha geboren. Ursprünglich dem Stndian
der Medicin zugewandt, ontschloss er sich 1856 in die Dienste der Goihaer
geographischen Anstalt zu treten, um Petermann bei der Herausgabe seiner
<icographischen Mittheilungen zu unterstützen. In dieser wisscnschaftiieh
von Pet^irmann abhängigen Stellung ist er bis September 1878, bis nm
jähen Tode Petermann's geblieben. Von da ab hat er die Ohefredaktion der
Geographischen Mittheilungen geführt und bis zu seinem Ende sorgiMB
verwaltet. Während Petermann es verstand, durch Fleiss, Energie und
Talent nach Aussen zu glänzen und damit Fachmänner des In- und Aus-
landes zu Mitarbeitern heranzuziehen, wirkte Behm im Stillen im Stndir
zimmer. Ebensowenig wie Petermann war Ernst Behm einer jener grossen
Geister, denen die Ergründung neuer bahnbrechender Gesetze oder Prohlcme
vorbehalten geblieben wäre; er war der vielwissendo , schlichte gründliche
Gelehrte, der seine Wissenschaft über Alles liebte und in der Arbeit sein«
höchste Befriedigung fand. Der jähe Tod Petermann's und die Bchm di-
mit zufallende alleinige Sorge für die Aufrechterhaltung des Renommee«
der ersten geographischen Fachzeitschrift der Welt, versetzten der ohnediw
geschwächten Gesundheit Behm's einen gewaltigen Schlag. Er siechte sei^
dem langsam hin, stets aber die Fahne der wissenschaftlichen Oründlichkcrt
hochhaltend. — Ausser seiner Hauptthätigkeit an der Redaktion der Pete^
niaun'schcn Mitthoilungen, verdient die Herausgabe des nach Behm benannten
geographischen Jahrbuchs über die Fortschritte in den geographischen hw-
zelwissenschaften, von denen nunmehr 9 Jahrgänge vorliegen, als besonder^
Verdienst hervorgehoben zu werden. Die 7 Ergänzungshefle zu PetenDtn^l*
Mitthoilungen ferner, welche die Bevölkerung der Erde behandeln, sind eio !
sproehendes Zeugniss für Behm's Bienenfleiss und werden ebenso wie dss ;
]S«>hm'schc geographische Jahrbuch für alle Zeiten ein Quellenwerk bleiben- ;
Die hierzu erforderlich gewesenen statistischen Studien führten Behm naWr- j
gemäss der liedaktion dos Gothaischen Hofkalenders und des Almanach de ■
Gotha in die Arme, der er auch seit 1876 angehört hat.
Ein Leben des rastlosesten und uneigennützigsten Wirkens auf B**'*
321
les ausgebreiteten Winsens, hat mit Ernst Behm's Tode seinen Abschluss
«icht. Wir alle, die wir mehr oder weniger dem Studium und der
*dcrung der geographischen Wissenschaft näher getreten sind, werden
russt oder unbewusst aus seinem Schaffen Nutzen gezogen haben. Darum
en Sic uns Dr. Ernst Behm ein ehrendes Andenken bewahren.
An diesen Nekrolog schliesst sich ein Vortrag des Herrn Bichard
chta aus München: Ueber den Sudan und den Mahdi (Vergleiche:
Sudan und der Mahdi. Das Land, die Bewohner und der Aufstand
falschen Propheten. Stuttgart, J. G. Cotta'sche Buchhandlung 1884.
103. Sitzung, l Mai 1884.
Vorsitzender: Herr Bürgermeister Dr. Kirchenpauer.
Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Zwei neue Mitglieder werden aufgenommen.
Der Vorsitzende widmet dem in S. Paul de Loanda verstorbenen ver-
iten Beisenden Dr. Paul Pogge einige Worte ehrenden Andenkens.
Derselbe macht sodann auf eine Sammlung von Photographien (Moment-
lern) aufmerksam, welche im Februar bis November 1883 an Bord des
ischen Explorationsschiffes Dijmphna in der Karischen See aufgenommen
den sind und unter Anderem auch den Untergang des holländischen
npfschiifes Varna zur Darstellung bringen.
Herr Dr. H. Toeppen hält darauf einen Vortrag über seine mit
:cr8tützung der Geographischen Gesellschaft in Hamburg ausgeführten
8c nach Paraguay (siehe Seite 1 und Folge).
Anknüpfend an einen Bericht über die Unternehmungen der Association
srnationale du Congo am Kuilu im Feuilleton des Hamburgischen Cor-
)ondenten 1884 No. 108 — 110, betitelt die Niadi-Kwilu- Expedition,
Jt Herr Dr. von Danckelman eine kurze, jene Darstellung berichtigende
)ersicht über die Expedition des Kapitän Grant Elliot, welche den Lauf
Kuilu erforschte. Im Januar 1883 brach dieselbe von Vivi auf und
l von Isangila nordwärts. Nach 20tägigem Marsche erreichte dieselbe
Niadi, wie der Oberlauf des Kuilu heisst. Am Zusammenfluss des
di mit dem Ludima wurde die erste Station Stephanieville gegründet.
Juni erreichte Elliot, nachdem er noch eine Beihe Stationen gegründet
te, die Mündung des Kuilu, dem er in seiner ganzen Ausdehnung ge-
lt war. Bedner betoute noch den grossen Unterschied der belgischen
[>edition und der seiner Zeit von deutscher Seite an der Loangokttste ins
rk gesetzten Unternehmungen. Diese letzteren haben gleichsam den Stier
den Hörnern zu fassen versucht und seien der Eifersucht der Handels-
iscr an der Küste und der vom Zwischenhandel mit dem Hinterland
enden schwarzen Küstenbevölkerung unterlegen , während die Untcr-
iiQungen der Association Internationale vom Innern nach der Küste ins
rk gesetzt worden seien, wo jene störenden Piinflüsse sich nicht geltend
2hen konnten. Ausserdem verfüge dieses Unternehmen über eine grosse
d wohl bewaffneter Soldaten aus Sansibar und den Haussaländern, welche
Henry Martiny- und Winchestergewehren jeden Widerstand der Ein-
örenen beim Durchforschen des Landes spielend unterdrücken und sei
durch diese Gewaltmittel sogar möglich, in jedem Dorf unter Hinweis
21
322
auf die Macht, über die man verfüge, die nöthigen Träger sich zu be-
schaffeu, um weiter zu kommen. Solche Machtmittel, die in Africa das
einzig Richtige seien, um den Chikanen jedes beliebigen kleinen Dorf-
httuptlings aus dem Wege zu gehen, haben freilich der deutschen Expedition
unter Güssfeldt nicht zu Gebote gestanden und sei daher der Erfolg der
Association bei den ungeheuren Geld- und Machtmitteln, über die sie ver-
fuge, leicht begreiflich.
104. Sitzung. 12. Juni 1884.
Vorsitzender: Herr Bürgermeister Dr. Kirch enpau er.
Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Fünf neue Mitglieder werden aufgenommen.
Nach Erledigung diverser geschäftlichen Mittheilungen seitens des Vor
sitzenden, legt Herr Friederichsen eine Kollektion werthvoller Karten tot^
W(^lche der Gesellschaft von ihrem Ehrenmitgliede Prof. Dr. Heinr. Kiepert
in Berlin als Geschenk zugegangen sind. Dieselbe umfasst sämmtlich^ bis-
her fertig gestellte Karten des von der Berliner Akademie der Wissenschifi«
herausgegebenen Corpus Inscriptionum latinarum, sowie die von Kiepert
bearbeiteten Ilausknech tischen Routen im Orient und die just publicirte
Nouvelle Carte gdnörale des Provinces Asiatiques de l'Empire Ottomtn
(1 : 1,500,000).
Herr Herm. Strebel hält einen Vortrag: Ueber Ziele und Wege
archäologischer Forschung in Mexico.
Es ist zur Zeit eine von der Wissenschaft anerkannte Thatsache, das?
in Mexico, ebenso wie in Central-Amerika und einem Theile Süd-Amerikas
zur Zeit der Eroberung dieser Länder durch die Spanier, also in der ersten
Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts, Völkerschaften gelebt haben, die in
ihren socialen Institutionen, ihrer Bethätigung an Kunst und Gewerbe,
ihrer auf astronomischen Kenntnissen beruhenden genauen Zeitrechnung u. s. w.
eine Ausbildung erreicht hatten, welche ftir sie die Bezeichnung Kulttt^
Völker gestattet. Mag diese alt-amerikanische Kultur nun auch unsem
Denken und Fühlen im grossen Ganzen fremd, zuweilen sogar unsympathisch
gegenüberstehen, mag sie niinderwcrthig sein als manche der untergegangenen
Kulturvölker der alten Welt, deren Erforschung uns ja im Allgemeinea
mehr interessirt, so steht es doch ausser Frage, dass sie an sich, schon
bei dem jetzigen Stande unserer Erkenntniss derselben, in recht vielseitig«^
Weise unser Interesse anzuregen im Stande ist, ein Interesse, welches vKff
erhöht werden kann durch den Reiz, dass der umfassenden Erkenntflis^
ihres inneren Wesens, ihrer mannigfaltigen Aeusserungen grosse Schwieng-
keiten entgegenstehen, von denen es fraglich bleibt, ob und in welchcnJ
Maasso sie gehoben werden können.
Wenn die der Wissenschaft gestellte Aufgabe hiermit in der Haupt-
sache genannt ist, so mag es doch von Interesse sein, die entgegenstehende«
Schwierigkeiten etwas näher zu prüfen, woraus sich dann von selbst ergeben
wird, welche Wege zu solchem Endziel eingeschlagen werden müssen.
Es soll in der Folge nur Mexico, wie auch im Besonderen die archiolop'
sehe Forschung berücksichtigt worden, wenn auch hier hervorgehoben werden
mag, dass ftlr die übrigen schon erwähnten Gebietstheile Amerikas Gleiche*
323
hnliehes gilt, und dass an der LösuDg der bezeichneteD Aufgabe
oder weniger umfangreicher Weise auch die historischen, anthro-
len, linguistischen und ethnologischen Forschungen betheiligt sind.
Hauptschwierigkeit, mit der wir zu rechnen haben, und der alle
I unterzuordnen sind, ist, dass diese Kultur eine untergegangene
edcm von den ca. 8 Millionen Einwohnern des heutigen Mexico
llionen direkte Nachkommen der damaligen Bewohner sind und sich
Kasscncharaktcren wenig verändert haben dürften,
ist diese alte Kultur dem Vcrnichtungskampfe erlegen, den die
)n Eroberer bis zum unbestrittenen Besitz des Landes geführt
ter in der fast dreihundertjährigen Herrschaft, wenn auch in
} Bahnen fortgesetzt haben. Es würde zu weit vom Thema ab-
diescn Kampf auch nur in seinen Hauptphasen zu schildern und
laher wenige Andeutungen genügen.
ß Schaar von Abenteuerern, echte Kinder ihrer Zeit und ihres
fuhrt Ehrgeiz und Goldgier auf schon bekannten Wegen an die
lexicos. Sic finden daselbst ungeahnte UntertsÜtzung und Erweiterung
ine in der politischen Zerrissenheit des Landes. Eine tyrannische
g, die ihre Machtgrenzen durch Eroberungen immer weiter aus-
hat eine grosse Zahl von Unzufriedenen geschaffen, die in der
n Hoffnung, ihre Unabhängigkeit und alten Machtrechte wieder zu
Bundesgenossen der Spanier werden und ihnen das Vordringen
Hauptstadt und deren Eroberung ermöglichen. Als die Spanier ein-
'n Fuss gefasst haben, zeigt sich bald ein immer rücksichtsloseres
fi der eigenen, sehr materiellen Interessen, wobei den soldatischen
der fanatische Eifer der katholischen Priester, wenn auch zum
s edleren Motiven, ebenbürtig zur Seite steht, ja meist noch ver-
roller wirkt, so dass in kurzer Zeit die Träger der einheimischen
die natürlichen Führer des Volkes, vertreten durch den Priester-
?ger-Adel, vernichtet oder unschädlich gemacht werden. Hand in
mit geht die Zerstörung der Kulturerzeugnisse, ins Besondere der
mit ihren Gottheiten, der Paläste, der Archive, in denen die Ein-
n in sogenannten Bilderschriften ihre Geschichte, Genealogien,
Pributlisten u. s. w. niedergelegt hatten, genug alles Dessen, was
inhciniischen Glauben, an die einstige Macht und Unabhängigkeit
konnte. Der Gier nach Gold und Edelsteinen mussten sich sogar
er öffnen. Das Volk aber wurde zu den schwersten Frohndiensten
n und ohne Anleitung zu rationeller Ausbildung seiner unbestreit-
ihigkeiten, ist es im Laufe der Zeiten in der Kultur zurück-
20, wofür das Bischen halbverstandenes Christenthum, das man
igebracht hat, nicht als Ersatz gelten kann.
;or oft bis zum Vandalismus gesteigerte Vernichtungskampf euro-
Kultur gegen die einheimische hat denn auch dem Archäologen
■?ten Theil des Materials entzogen, an dem sich Umfang und Wesen
ultur veranschaulichen Hesse.
dem Wenigen, was zu diesem Zwecke auf uns gekommen ist, Hesse
allerdings mehr erreichen, als es der Fall ist, wenn uns die aus
it stammenden historischen Daten ein einigermaasscn vollständiges
[>r Kultur gäben. Hier tritt uns aber eine weitere Schwierigkeit
324
entgegen. Wenn auch die kritische Ausnutzung des historischen Materi^
aus jener Zeit gestattet, einen allgemeinen Ueberblick über jene Kult- ^
in einzelnen Fällen auch dankenswerthe Einzelheiten zu gewinnen,
kann doch im grossen Ganzen gesagt werden, dass wir meist das rich^^j
Ycrständniss, die nöthige Objektivität und die unerlässliche Detaillic^uf
entbehren, wo es sich wie hier um eine so eigenartige Kultur handelt. /;.
wäre thöricht, deswegen die Chronisten anzuklagen, denn ihnen stand jene
Kultur noch viel fremdartiger, unverst-ändlicher gegenüber als uns, and sie
waren durch politische wie religiöse llücksichten vielfach behindert. Am
flihlbarsten machen sich diese Mängel bei dem Umstände, dass wir es io
Alt-Mexico keineswegs mit einer einheitlichen Kultur zu thun haben, bei
der etwa nur die natürlichen Entwickelungsphasen nachzuweisen wSreo,
sondern dass Alt-Mexico von mehr oder weniger verschiedenartigen Volb-
Stämmen nach und neben einander bewohnt wurde, deren Sitten und 6e- '
brauche und selbst Sprache sich mehr oder weniger diflferenziren. Schoo im
siebenten Jahrhundert n. Chr. tritt nach den Berichten ein Volksstamm auf-,
der vielleicht die höchst entwickelte Kultur aller ihm folgenden besats^
der dann verdrängt oder aufgerieben wird. Ihm folgen bis zum dreizehnten
Jahrhundert andere in längeren oder kürzeren Pausen mit ebenso nr- ■
schiedenartiger Kultur wie Machtstellung. Genaueres, wenn auch keines-
wegs vollständiges erfahren wir nur von den letzteingewandert«n Stämmen,
besonders von den Azteken, die zur Zeit der Eroberung auch die mächtigsten ,
waren, neben denen dann die in entlegeneren Provinzen wohnenden St&mme
nur oberflächlich behandelt werden, wie denn die Vorgeschichte sämmtlicber
Stämme sich eigentlich schon vom zwölften J ahrhundert rückwärts mehr und
mehr in das Dunkel der Mythen verliert. Ueber die genaue zeitliche
wie räumliche Abgrenzung der Wohnsitze der einzelnen Stämme oder Ab*
theilungeu derselben, wie über den Verlauf ihrer Entwickelung und Schick-
sale sind nur ungenügende, oft gar keine Andeutungen gegeben. Es erhellt
daraus, dass wir für die Bestimmung des archäologischen Materials mit
Bezug auf Urheberschaft, Zeit der Entstehung, Zweck und Bedeutung ^
keinen genügenden Anhalt in den historischen Daten finden, somit daranf
angewiesen sind, aus ihm selbst diejenigen Aufschlüsse zu gewinnen, die j
dann im Verein mit den Resultaten der anderen Zweige wissenschaftlicher <
Forschung zu dem angestrebten Verständniss jener Kultur in ihren ver-
schiedenartigen Erscheinungsformen führen können.
Unter solchem Gesichtspunkte ist es Ilaupt- Bedingung, dass
archäologische Material auch so gesammelt sei und werde, dass es wissen-
schaftlich verwerthct werden kann. Leider ist hier die Thatsachc 8U ver-
zeichnen, dass von dem zur Zeit vorhandenen, meist noch aus älterer Zeit
stammenden, das Wenigste dieser Anforderung entspricht. Man kann fron
sein, wenn eine allgemein angegebene Provenienz zuverlässig ist; nähere
Angaben über die Lokalität wo, und die Art wie es gefunden wurde, fehl^*"
meistentheils. Erst durch systematische Ausgrabungen in bestimmte
Lokalitäten, die sich allmählich über das ganze Land auszubreiten hab<^°?
wird es möglich werden, ein Material zu gewinnen, das rationell klassifis^^?
Abgrenzungen ergeben wird, die in erster Reihe die Verschiedenheit der
Kulturgruppen zur Anschauung bringen werden, wonach dann weitere wissen-
schaftliche Differcnzirungen erleichtert sind. Ich darf nicht unerwähni
325
Msen, das» in den letzten 10 — 20 Jahren mit der besseren Erkeuntniss
€r wissenschaftlichen Anforderungen auch schon befriedigende Sanimel-
Lesultate verzeichnet werden können^ wenn sie auch unter dem vorhandenen
rchäologisohen Material noch die Minderzahl vertreten. Dass Hand in Hand
lit solchem rationellen Sammeln auch die Veröifentlichung der Resultate
eben milsste, braucht nicht hervorgehoben zu werden, denn nur dadurch wird
ie allseitige wissenschaftliche Verwerthung möglich. Leider tritt hierbei meist
inmal der Kostenpunkt^ dann der Mangel bearbeitender Kräfte hindernd
den Weg. Was das Letztere betrifft, so will mir freilich scheinen, als
b dabei nicht der Mangel an sich, sondern oft der Gedanke hinderlich
st, etwas wissenschaftlich Fertiges geben zu wollen, was sich der Natur
er Sache nach kaum geben lässt. Auf genau beschriebenes und gut ab-
;ebildetes Vergleichsmaterial kommt es in erster Reihe an, nicht auf frag-
icbe Deutungen und gewagte Konsequenzen, die vor der Hand immer noch
iel zu einseitig und daher unzuverlässig sein müssen.
Diesen Anschauungen huldigend^ habe auch ich versucht, der arcliäo-
ogischen Forschung Material zuzuführen. Besondere Umstände haben mich
legünstigt, schon jetzt Resultate erzielt zu haben, die wenn auch nicht
[uantitativ, doch qualitativ zu dem Besseren gehören, was sich in Europa
md Amerika befindet, dadurch, dass die es begleitenden Notizen zuverlässig
ibd und für die Lösung der gestellten Aufgaben fruchtbringend sein
rerden.
Das Gebiet, welches ich zu solchem Zwecke durchforschen lasse, ge-
lört zum jetzigen Staate Veracruz und bildet einen Theil der alten Provinz
Fotonacapan, die einstmals unabhängig, zur Zeit der Eroberung, dem Reiche
«butair war. Die Totonaken, über deren Vorgeschichte nur wenig be-
annt ist, scheinen ihren Sagen nach in jener Provinz schon 700 — 800 Jahre
^or der Eroberung ansässig gewesen zu sein^ darnach also zu den ältest
Eingewanderten zu gehören. Sie hatten und haben noch heute eine eigene,
^on der mexikanischen sehr verschiedene Sprache, die gewisse Aehnlichkeiten
Bit der Sprache ihrer nördlichen Nachbarn, den Huasteken, haben soll,
'eiche ihrerseits in die Familie der 3Iaya-Guiche-Sprachen eingereiht wird,
»eiche in Yucatan und Central-Amerika gesprochen wurden und noch werden.
Öic Totonaken waren die ersten Verbündeten der Spanier, doch scheinen
'ic bald aufgehört zu haben, eine Rolle zu spielen. Ihre Hauptstadt
^empoallan existirte schon gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts nicht
*iehr und ihr Gebiet gehört auch noch heute zu denjenigen, welche, weil
^J>gelcgen von der grossen Verkehrsstrasse, eine isolirte und wenig berück-
•ichtigte Stellung sowohl politisch wie kommerziell einnehmen. Aus diesem
Jninde bietet dies Gebiet freilich dem Archäologen wie Ethnologen noch
'^Q reicheres Feld der Thätigkeit, als die vom Verkehr mehr berührten
'ebietstheile Mexicos.
Auch in dem Gebiete der Totonaken haben wir es den beschränkten
^»torischen Daten nach nicht mit Erzeugnissen einer einheitlichen Kultur
^ thun. Mehrere Invasionen anderer Stämme werden einmal eine mehr
^^r weniger starke Beeinflussung zur Folge gehabt, dann auch ein Ein-
'hleppen anders gearteter Erzeugnisse bewirkt haben, worüber das Nähere
J^tzustellen auch hier geboten wird. Eine, wenn auch beschränkte Hülfe
^6tet dabei die Ermittelung der anthropologischen und linguistischen Ver-
326
hältnissu flir diu oiuzelncii Lukalitätcn und die Merkmale, welche sich ^
aus dem Alterthum vererbton Sitten und Gebräuchen erhalten haben könno
Eine Karte, welehe nach den besten Quellen zusammcDgestellt i^ ^
durch Privatinformationen vervollständigt wurde, zeigt den grösseren TY^^
des Totonaken-Gebietes und seine westliche und südliche Abgrenzung. /;
sind darauf alle Lokalitäten verzeichnet, in denen die Funde meiner SiLaj^.
lung gemacht wurden, so wie auch durch farbige Striche unter den Orts-
namen angedeutet, wo die totoiiakische, wo die mexikanische Sprache, oder
beide zusammen gesprochen werden. Wo solche Bezeichnungen in dem
specicllen Sammelgebiete fehlen, ist der Grund meistentheils darin zu suchen,
dass die Lokalität entweder unbewohnt ist, oder dass daselbst scboD die
spanische Sprache vorherrscht, oder dass die Verhältnisse überhaupt nicht
für solche linguistische Ermittelung verwerthbar waren. Man ersiebt schon
aus der Karte, dass gerade derjenige Theil, in dem die ehemalige Haupt-
stadt Cenipoallan lag, zur Zeit nur spärlich bevölkert ist und dass die reii
totonakische Bevölkerung daselbst gar nicht mehr vertreten ist und lich
mehr nach dem Norden zurückgezogen hat.
Die gemachten Mittheilungen sollen nur als vorbereitende angeseheB
werden. Es schien angebrachter, im Vorwege eine Uebersicht über die
Ziele archäologischer Forschung, die Wege zu denselben und die auf diesen
entgegenstehenden Schwierigkeiten zu geben, damit dann dem VorRlhren
gewonnener Besultate und des Materials selbst, das nöthige VcrständDiäs
entgegengebracht werden könne.
Herr Dr. v. Danckelman erläutert darauf eine grössere Aniahl
Gegenden am Congo darstellende Aquarelle, welche Herr Dr. Pechucl-Locsche
an Ort und Stelle gemalt hat.
Herr Geheimrath Neumayer schildert sodann die Besultate der Mitte
Mai in Wien stattgehabten Verhandlungen der internationalen Polar-Konfercni
in Wien. Die von der deutschen Polar-Kommission entworfenen Grund-
züge l\lr die Verarbeitung der gemachten Beobachtungen hätten allgemeine
Billigung gefunden, und zwar so, dass den Beschlüssen der Konferenz 2Q'
folge aus der Bearbeitung ein grosses internationales Werk zu entstehen in»
Begriff sei, welches selbst in Bezug auf Aeusserlichkciten , wie Druck und
Papier, sich als eine gemeinsam in Angriff genommene Arbeit kennzeichnen
werde. Die Herausgabe der auf den Einzelstationen gewonnenen Beobachtungs*
Ergebnisse sollten von fast sämmtlichen betheiligten nationalen Kommissionen
bis zum Ende 1885 erledigt werden. — Die von der deutschen KomniissioD
zu erledigende Aufgabe bestehe in der Herausgabe dreier Bände, welche
nicht allein den Zielen der Wissenschaft Rechnung tragen, sondern anch
vermöge aufzunehmender populärer Darstellungen dem grossen Untcmchmeo
in verstärktem Maasse die Sympathien der Nation gewinnen solle. D»'-'
beiden ersten Bände würden sich ausschliesslich mit den auf deutschen
Stationen gesammelten Wahrnehmungen zu befassen haben. Der erste Band
würde eine allgemeine Schilderung, sowie den beschreibenden Naturwissen-
schaften gewidmete Abhandlungen umfassen. Der erste Theil des zweiten
Bandes würde die der internationalen Vereinbarung gemäss zusammengestellten
Originalbeobachtungen auf den Gebieten der Meteorologie und des Magnetis-
mus , sowie die Diskussion derselben enthalten. Der zweite Theil dieses
Bandes solle die zu Wilhelmshaven und Göttingen gemachten magnetischen
327
:>acbtungCD^ »owie die bezüglich der KrdströmuDgen vcrzeichnctcD Wahr-
uuogcn veröffentlichen. Welch' reiches Material dieser zweite Band
magnetischen Wishtcnschafi zuführen werde i, ergebe sich u. A. daraus,
in Göttingen allein — wo die geringste Anzahl von Ablesungen vor-
mmen wurde — letztere dennoch sich auf 2 Millionen belaufen. Die
terrestrischen Strömungen geltende Arbeit würde durch Zusammen-
ung der auf deutschen Telegraphenlinien gemachten Wahrnehmungen
rstützt werden. Der Diskussion der auf den deutschen Polarstationen
ütragenen Beobachtungen aber würde vermöge der entgegengesetzten
I der beiden Stationen und der verschiedenartigen Bedingungen, unter
heu der Erdmagnetismus an den beiden Stellen auftritt, die Gewinnung
nteressantesten allgemeinen Gesichtspunkte gestattet sein. — Der dritte
i endlich sei der schwierigsten Aufgabe gewidmet: einer zusammen-
nden Besprechung der auf sämmtlichen internationalen Stationen
»nnenen Resultate; doch werde diese Arbeit in der Weise vertheilt
len, dass bestimmten Gelehrten die Bearbeituirg der einzelnen meteoro-
chen und magnetischen Probleme übertragen werde. Die Kosten würden
dabei auf die einzelnen Nationen vertheilen und zwar so, dass jede
cluation ftlr die Beantwortung der einen oder anderen Frage eintrete,
n man in Betracht zöge, welch' eine Summe von Beobachtungen das
rnationalc Gesammtwerk umschliessen werde, wenn man femer die Summe
)ci den Expeditionen aufgewandten Tüchtigkeit und Thatkraft in Rechnung
e , und wenn man endlich die vorzügliche Form würdige , in welcher
Kndergebniss des ganzen Unternehmens auftreten solle, so dürfe man
prcehen, dass eine ähnliche'grossartige Kräften tfaltung in der Geschichte
Wissenschaft bisher nicht verzeichnet stehe.
105. Sitzung. 2. Oktober 1884.
Vorsitzender: Herr Bürgermeister Dr. Kirch enpauer.
Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Fünf neue Mitglieder werden aufgenommen.
Der Vorsitzende bogrüsst mit warmen Worten der Anerkennung das
cspondirende Mitglied, den vor wenigen Tagen vom Benue zurückgekehrten
icnden der Deutschen Afrikanischen Gesellschaft, Herrn Ed. Robert
gel, welcher in Begleitung zweier Haussa-Männer, seiner langjährigen
GD Reisegefährten, an der Sitzung Theil nimmt.
Der Vorsitzende theilt mit, dass Herr John Hertz aus Gesundhoits-
isichten gezwungen sei, sein Amt als Vorstandsmitglied niederzulegen
dcmgemäss in der nächsten Sitzung eine Neuwahl stattzufinden habe.
Von Herrn Herm. v. Holten in Cochabamba in Bolivien ist ein Brief
30. Juni eingegangen. Derselbe lautet:
■'Bezugnehmend auf mein Ergebenes vom 14. April, habe ich heute
Vergnügen, Ihnen den Bericht über die Chaeo-Expedition unter Daniel
pos (Expediciou Boliviaua al Paraguay. Imforme Incidental que presenta
!xmo. Gobierno de Bolivia su delegado en la expediciuu al Paraguay,
iel Cdmpos, Buenos Ayres 1884)*) einzusenden. Sollten Sie von Buenos
• s
) Siehe Dr. H. Toeppen's Referat auf Seite 295.
328
Ayrcö bereits» den Bericht Tlnmars *) empfangen haben, bo wird Ihc^,
da« vorliegende Cäiupos'sche lieft manches Interessante bringen. Thot|.
scheint weder ein wissenschaftlich gebildeter Mann^ noch ein Held zu 80/0
Er, der ganz allein den Rest der Crcvaux'schen Expedition B,ufau(sheii
wollte, hatte aus Furcht vor Indianern nicht einmal so viel Muth, mh
mit bewaffneter Begleitung von der Expedition zu entfernen. Prakti^ci^e
Resultate hat die bolivianische Expedition, die beiläufig über 100,000
Bolivianos (400,000 M.) gekostet^ durchaas nicht gehabt, denn es handelte
sich in erster Linie darum, zu sehen, ob der Pilcomayo schiffbar sei, nnd
den Fluss haben die Leute kaum gesehen. Für Ackerbauer scheint das
Land auch nicht geeignet zu sein, da es beinahe ohne Wasser ist. Thouar's
Bericht ist ohne irgend einen Werth. Dr. Steinmann aus Strassburg, den
wir vor einigen Wochen das Vergnügen hatten, auf einige Tage bei tum
zu haben, erzählte mir schon, dass Thouar fast einen Orad nördlicher ao
den Paraguay gekommen sei, als er sich ausgerechnet hatte, mithin siid
seine astronomischen Observationen ohne Werth.
Herr J. Thormählen hält sodann den angekündigten Vortng: ;
V Mittheilungen über Land und Leute in Kamerun.« Es kann nicht in
meiner Absicht liegen, all den Berichten, welche in jüngster Zeit in der
vaterländischen Presse über das Kamerungebiet geschrieben worden, — so-
weit sie sich auf wissenschaftlichem Felde bewegen, — Neues als Kaufmann
hinzuzufügen, vielmehr erstrecken sich meine Mitthoilungen lediglich auf
Beobachtungen und Wahrnehmungen über Handel und Wandel, sowie Land
und Leute in Kamerun, die ich in meiner Eigenschaft als Vertreter der
Firma C. Woermann während der Jahre 1868 bis 1874 macht«, nach
einem vorausgegangenen mehrjährigen Aufenthalt in Gabun. Diese Be-
obachtungen sind durch regelmässige Berichte des Vertreters meiner Firma,
Herrn J oh. Voss, welcher seit 1875 in dieser Stellung dort ij<t. ver
vollständigt worden, so dass ich glaube über diejenigen Punkte und Wege
gut unterrichtet zu sein, welche geeignet sind, den Handel in dem Kumcrun-
gebiet auszubreiten und dauernd zu heben.
Wie bekannt, war Kamerun in früherer Zeit für die portugiosischcD
Sklavenhändler eine der Ilauptbezugsquellen, und gelangten die vom Innern ^
des Landes herkommenden Sklaven auf dem Wege der zahlreichen Wasser ■
Strassen des Kamerun nach der gleichnamigen Stadt in der Nähe seiner
Mündung. Dies bildete damals den einzigen Handel der dortigen KM
der durch die Kamerun- oder Dualla-Neger mit den Hintervölkern ver
mittelt wurde. Von diesen waren es allein die Freien, in deren Hunden
der Handel lag, da sie sich nur die zur Bedienung nöthigen Sklaven biehen.
weil sie die übrigen leicht mit gutem Verdienst gegen baar und die wenigen
der damals benöthigten Tauschartikel verkaufen konnten. Für diesen Handel
gebrauchten sie überhaupt sehr wenig Kräfte, da sämmtliche Sklaven an
Händen und Füssen gefesselt aus dem Innern kamen und so vcrschiot
wurden. Als aber der Sklavenhandel völlig abgeschafft war, breitete sich
der an seine Stelle tretende Gel- und Elfenbeinhandel immer mehr «^
der anfangs gleichfalls nur von den Freien betrieben wurde. Dadurch
wurden diese, da sie keinen der binnenwohnenden Neger an die Kü»**
*) Vergl. Sitzungsbericht vom 6. März 1884 Seite 311.
329
en licBsen. um den einträglichen Zwischenhande] allein zu behalten,
^ ihre Verhältnisse wohlhabend und legten ihren Keichthunj besonders in
raaeu nnd Sklaven an. Aber auch letztere nahmen, als sie an Zahl immer
cbr zunahmen, weil für den Betrieb immer mehr nöthig wurden, bald
mehr oder minder gn)ssem Maasstabe am Handel Theil, so dass heute
ler Dualla, vom König bis zum Sklaven herab, sich an demselben betheiligt,
dess wurde die gedeihliche Entwickelung dieses legitimen Handels sehr
ODträchtigt durch die in Kamerun herrschende Nebenbuhlerschaft zwischen
>oig Bell und König Aqua, welche zu .unzähligen Malen zu Kriegen
ischen den Völkern dieser beiden und zu einer vollständigen Stockung
) Handels Anlass gegeben hat. Zwar hat der englische Konsul durch
t zeitweilige Errichtung des sogenannten Court of Equity diesem Uebcl-
ndo abzuhelfen versucht, aber mit sehr zweifelhaftem Erfolg, Zeitweilig
;ar hatte dieser Court sich zur Aufgabe gestellt, je nach dem herrschenden
insul, lediglich englische Interessen in der Weise zu vertreten, dass die
itze direkt gegen uns Deutsche gekehrt wurde, einzig, weil wir Deutsche
i nicht Engländer waren. Eine rühmliche Ausnahme davon machte
erdings der verstorbene Konsul Chs. Livingstone, der durch seine grosse
»DDtniss der Sitten, Gebräuche und Charakter der Eingeborenen und durch
ne strenge Unparteilichkeit ohne Ansehen der Person oder Nationalität
gerechter Weise sein Amt verwaltete.
Zur Erklärung jener vorher erwähnten Nebenbuhlerschaft zwischen den
migen Bell und Aqua diene folgendes: Der unter den Duallanegern all-
mein verbreiteten Sage nach, stammen die Beils und Aquas von einem
«igen Vorfahren ab, Namens Bela (daher der Name Bell und durchaus
M aus dem Englischen mit »Olocket zu übersetzen), der mit seinen
aaen und Kindern und mit seinem Anhang von Süd Ost kommend, sieh
den Ufern des Kamerun-Flusses, wo jetzt die Kamerun-Städte liegen,
idergelassen habe. Derselbe soll an den Ufern dieses Flusses au der
jIIc des jetzigen Aquatown ein Fischerdorf vorgefunden und von den
awohnern desselben für seine Ansiedlung den Platz erhalten haben, wo
I heutige Belltown liegt. Im Laufe der Zeit soll sich einer der Söhne
» Bela mit der Tochter eines Fischers der dort angetroffeneu Bevölkerung
•heirathet haben, und aus dieser Ehe sollen die heutigen Aqua-Leute. in
uatowu wohnend, entstanden sein. Der freie Anhang hat sich nun im
ufe der Jahre zu den heutigen Preeso-, Dido- und Joss-Leuten hcran-
nldet, welche ursprünglich ihren gemeinsamen Wohnsitz in König Bells-
idt gehabt. Der erste Fortziehende war Preeso, welcher nach dem
Sonüberliegenden Ufer des Kamerun sich begab, weil bei der Vermehrung
i Stammes und der Ausbreitung des Oelhandels, wozu besonders ein
shcs, passendes Ufer nöthig ist, der Platz nicht mehr genügte.
Der nächste^ der die Stadt verliess, war der Häuptling der Didos,
larley Dido genannt, der sich oberhalb der Aqua am linken Ufer an-
delte und durch Kühnheit seiner Familie und rastlose Thätigkeit seine
ftdt zu schneller Blüthe brachte. Am längsten blieben die Joss Leute
dem von Bela ausgesuchten Platz, bis sie sich wegen eines unbedeutenden
lavers im Jahre 1872 von den Beils trennten, mit Weib und Kind aus-
Dderten und in Aquatown ihren Wohnsitz nahmen, wo sie uuter König
Ua's Schutz waren. Es war dies die Veranlassung des im Jahre 1872
330
zwischen deu Aquat» und Jo8.s einerseits und den Beils, Prcesos und D $^^^
andercrseit.s ausgebrochcnon Krieges. Letztgenannte drei freien Siäwujuc
betrachteten diese Luslüsuug der Joss-Leute als ungesetzlich und als ge-
nügenden Grund, einen Krieg zu beginnen, dessen Ende nach fast fün/.
uionatlicher Dauer war, dass nach und nach die Joss-Leute wieder zu Bell
zurückkehrten.
Diese unter den Dualla-Negern selbst sich von Zeit zu Zeit wieder
holenden Kriege sind aber durchaus nicht blutig und weisen in jedem
einzelnen Falle nur eine ganz geringe Anzahl Verwundeter und Gctödtet<2r
auf. Dies rührt zum Thei! von der angeborenen Feigheit sämnitlicher Dnalla
(njit Ausnahme der Didos) her, zum Theil aber auch von ihrer Bcsorgüiss
um die Gefangenen ihres Stammes^ welche jede Partei schon vor Ausbruch
eines Krieges in irgend einer Weise abfängt, um sich dadurch vor ailiu
heftigen AngriiTen seitens des Feindes zu schützen. Hat z. B. Aqua lelu
freie Bell -Leute aufgegriffen, so ist es vornehmlich den Beils bei eioea
Angriffe von Aquas Seite darum zu thun, keinen der freien Aqua-Leute n
tödten, da sofort die Hinrichtung einer gleichen Anzahl der freien gefangCMB
Beil-Leute erfolgen würde.
Bei einer solchen Kriegsführung wird natürlich die endgültige Ent-
scheidung lange verzögert, da ja bekanntlich bei den Negern »Zeit« gii
keine Rolle spielt.
Der Handel leidet selbstverständlich sehr darunter und damit ist aueh
die einzige Erwerbsquelle der Kamerun-Leute verschlossen. Erst nadidem
alles verzehrt und verbraucht ist, so dass sie ihren Lebensunterhalt nicht
mehr gewinnen können, erst dann drängt die eiserne Noth wendigkeit sie
dazu, Frieden zu schliessen, der dann immer durch Vermittlung der Europäer
zu Stande gebracht werden muss. Das wichtigste bei dem Friedcnsschlan
ist: den Werth der auf beiden Seiten gefallenen Freien festzustellen. Dw
Unterschied muss dann ausgeglichen werden durch Bezahlung von Frauen
und Sklaven, während die noch lebenden Gefangenen einfach ausgewechselt
werden. Der Fricdensschluss bei dem vorerwähnten Kriege wurde ausser
von mir noch von dem Herrn Mersmann, Vertreter einer Liverpooler FinMi
vermittelt und fand statt an Bord der Hulk »Thormählen«, der Firn*
C. Woermann gehörig, welche als neutrales Gebiet betrachtet wurde.
Hier versammelten sich die Häuptlinge der kriegführenden Parteien, einigt«*
sich über die zu zahlende Entschädigung und schritten dann zu der landes-
üblichen Ceremonie, welche darin bestand, dass jeder der Könige das Bist
seines Gegners trankt welches der Medizinmann aus dem Oberarm eis^
jeden nahm und mit Wasser verdünnte. — Damit war der Friede und du
alte Verhältniss wieder hergestellt und der Handel in ganz Kamertf
wieder frei.
Der Ausgleich bei einem Kriege mit den Hintervölkern ist jede»
bedeutend schwieriger, und glaube ich, dass der während meiner Abwesenheit
in Kamerun aus«rebrochcne Krieg der gesammten Dualla mit den Bonwnos,
einem kleinen, aber tapfern Völkchen eines Ausläufers des Kamerun-Gebirg«!
noch nicht endgültig beigelegt ist. Die Veranlassung zu diesem Streits
war die Weigerung der Bomano-Leute, den Dualla das verlangte Maass »
Oel für ihre Tauschartikel zu geben; worauf diese mit kolossaler M^
wahrhaft imposanter 31acht, mit allen Kriegskanoes, mit Hinterladern nw
331
^llen möglichen Scbusswaflfcii ausgestattet, unter persönlieher Führung der
SöDigc Bell und Aqua auszogen. Sic hofften mit so grosser Macht die
Romanos leicht bezwingen zu können, uw dadurch sowohl bei allen andern
Hintervölkern an Macht zu gewinnen, als auch ihren Frauen durch die
FUnricbtung der Gefangenen zu imponiren, dem wir dann natürlich hätton
tiachtlos zusehen müssen. Dies wurde uns aber glücklicherweise erspart^
Icnn ehe die Dualla die Bomano-Stadt erreichen konnten, wurden sie
:»ldtzlich überfallen und total geschlagen und mussten ihren Rückzug ohne
Sefangene, aber mit ihren Todten und Verwundeten eilig antreten. Unter
len letzteren war auch der zweite Sohn des König Bell, sein Lieblingskiud,
1er seinen Wunden einige Tage nachher erlag.
Ich komme jetzt wieder auf die Hegemonie der Beils zurück; ein
ireiterer Beweis, dass kein Stamm sich von derselben loslösen und das
Binmal eingebürgerte Yerhältniss ändern darf, ist der im Jahre 1880 zwischen
Beils, Aquas und Preesos einerseits und Didos andererseits ausgebrochenc
Krieg, als der vorher erwähnte Häuptling Charley Dido, durch das Enipor-
bltthen seiner Stadt ermuthigt, versuchte, sich eine gleiche Stellung wie
Bell und Aqua zu erringen. Das Resultat war, dass er von den vereinigten
Beils, Aquas, Preesos und Joss völlig geschlagen, seine Stadt vernichtet
«nd er selbst gefangen und unter aller Zustimmung hingerichtet wurde,
logesichtä dieser Thatsachen wird jedermann einräumen müssen, dass die
iDumschränkte Herrschaft König Bell und König Aqua nach
Oesetz und Recht gehört. Ich hebe dies gerade deshalb besonders
kcrvor, weil wiederholt in englischen Zeitungen Gewicht darauf gelegt worden
ist, dass der Häuptling Preeso am rechten Ufer des Kamerun ansässig,
den Vertrag mit uns nicht unterschrieben und dadurch seine völlige Freiheit
Qod Unabhängigkeit behalten habe. Die Thatsachc, dass er nichts unter-
schrieben hat^ da er derzeit von Kamerun abwesend war, ist an sich zwar
richtig, hat aber weiter durchaus keine praktische Bedeutung, da Preeso
von jeher unter der Botmässigkeit von König Bell gestanden hat,
^as gewiss jeder, der nur einigermassen mit den Kamerun -Verhältnissen
Vertraut ist, ohne Zögern wird zugeben müssen.
Nach der Einwanderung sahen sich die neuen und stärkeren Ankömmlinge
f'tir das edlere Geschlecht an, und dieser Unterschied wurde so scharf be-
obachtet und festgehalten, dass kein Dualla, welcher etwas von dem Blut
•icr Urbevölkerung in seinen Adern hatte, für ganz frei und edel gehalten
^urde, und dieser Makel konnte durch keine Zeit getilgt werden, und so
^t CS bis auf den heutigen Tag. Irgend welche persönliche Verpflichtung
"5t dies durchaus nicht zur Folge, nur sein Geschlecht ist nicht völlig
^del. So sind z. B. die Kinder des Königs Bell und eines Aquaweibes
p^cr die des Königs Aqua und eines ganz freien Bellweibes sammt allen
'"rcn Nachkommen nicht ganz frei und edel. Dabei sind aber die Aqiia-
'®ttte in ihrer Aqua-Stadt frei und halten Sklaven, wie sie sich auch
*öter den umwohnenden Duallanegern als freie Neger erheben. Und sobald
'f sich um Interessen des gesammten Kamerun-Gebietes handelt, haben
^le dieselbe Stimme und denselben Einfluss wie die Beils, Didos und Joss,
**8weilen durch ihre numerische Ueberlegenheit noch mehr Gewicht. Das-
'<ilbe ist der Fall bei Unterhandlungen mit Europäern oder den Hinter-
^Öltcrn, Aus vorhererwähntem Grunde werden denn auch die Aqualeute
332
als uiclit irunz ircic Kaiiicruii-TiCUto betrachtet, da ja ihre Staiummuttcr zu
der l'rbevOlkerun^' gehörte. Nueh eine fernere Au.szcichi]UDg ihres edlen
Blutes haben die Beils. Preesos, Dido.s und Joms in Anspruch genommen,
denn obgleich die Dualla-Sprachc bei allen Kamerun-Leuten als Umgangs-
sprache in Gebrauch ist. so haben sich doch die ganz Freien Doch eine
besondere bewahrt, welche den Aqua-Leuten, den Ilalbfreien und den Sklaven
unverständlich ist. Diese sprechen sie, wenn sie sich zu einer Versammlang
vereinigen, welche sie Kgbo nennen, wobei sie sich auch noch durch eine
besondere Tracht auszeichnen, indem sie, wenn der Egbo heraus ist, wie
man es dort nennt, sich mit getrockneten Palmblättern bekleiden. Der
Kgbo wird dargestellt, wie es scheint, von einem möglichst gewandten
Manne, der mit allem nur möglichen Tand und Flitter herausgeputzt wird
und irg(;nd eine Stellage auf dem Leibe trägt, durch die er seine GesUlt
ums Doiipeltc vergrössern kann, wie er sich denn auch durch Krieches
möglichst klein macht, wie es ihm gerade gefällt. Alle Freien umgeka
ihn mit einem wahren Höllenlärm und ziehen so durch die ganze SteA
und ihre nächste Umgebung, stets bei vollem Mondschein. Kein WesMi
welches nicht zum Kgbo gehört, darf sich blicken lassen, denn es will
sogleich von dem sinnlosen Haufen in den Wald geschleppt und verschwindet \
dort für immer; es heisst dann: »the Egbo chopped him.« Der Zweek
dieses ganzen Kgbo, der mit einem heiligen Nimbus umgeben ist und der
ausser bei Krieg etc. nur bei Vollmond stattfindet, ist der, auf Frauen und
Sklaven, die in so grosser Ueberzahl vorhanden sind, einen Druck zu üben,
der sie abschrecken soll sich über ihre Herren zu erheben; denn wenn
sie dem Kgbo in die Hände gerathen, verfallen sie ohne jede Bettung
sofort dem angedeuteten SchicksaL welches der Leidenschaftlichkeit des
Kgbo immer neue Nahrung giebt. Passirtc es doch vor Jahren selbal
einem englischen Kapitän, der da glaubte, er könne unbehindert diesem
Schauspiele zusehen, dass er durchbläut in seinem Boote Zuflucht find;
seine Bettung vor weiteren Misshandlungen, konnte er nur dem Umsttfid
zuschreiben, dass die Mitglieder des Egbo jeden Weissen füt
ihres Gleichen ansehen. Pjin ganz ähnliches Verhältniss zwißchea
Sklaven und Nichtsklaven bestand unter den Aqua-Leuten, und da dic^e
ihrer geringeren Herkunft wegen sieh im Egbo nicht sehen lassen durften,
führten sie eine ähnliche Kinrichtung in ihrer Aqua -Stadt ein, welche
sie Mungo nannten und zwar für lange Zeit ebenfalls mit gutem Erfolg.
Wenn heutigen Tags auch King Bell als der bei weitem mächtigste
und am meisten gefürchtete König gilt, so war dies doch in noch grössere«
Maasse der Fall mit dem Grossvater des jetzigen König Aqua. Derselbe
soll ein herkulisch gebauter Neger gewesen sein, einen grossen Sklaven-
handel betrieben und aus blossem lilutdurst seine Kriegskanoes ausgescbieb
haben, um nur Leute für eine Hinrichtung, ein Licblingsschauspiel ^
seine Weiber und seine Unterthanen, zu bekommen. Sogar ins offene
Me(T, bis nach der Tnsel Fernando Po sandte er seine Böte und bolt*
sich von dort Bubi-Leute, nur zu dem oben erwähnten Zweck, so' d**
er weithin gefürchtet war^ wie keiner vor oder nach ihm. So lud et^
Blutdurst eines Tags, unter dem Vorwand, den Fürstiin der Budiman -»*■
in seiner Stadt bewirthen zu wollen, denselben mit einer Anzahl 5|**
ein und Hess bei dem Gastmahl auf ein gegebenes Zeichen alle mit Ai**
333
kabme von 2 bis 3 tödten, die nur geschont wurden, damit sie Nachricht
lavon nach Hause bringen könnten. Wenn diese grausamen Schauspiele
mch bis jetzt noch nicht ganz aufgehört haben (denn ich habe noch oft
infreiwilliger Zeuge der Hinrichtungen Unschuldiger sein müssen, da solche
bei Ebbe auf einer Sandbank im FIuss, in unmittelbarer Nähe unserer
Schiffe stattfinden^) so gebührt doch namentlich der Thätigkeit der Baptist
Missionary Society das Verdienst, die Leute zu humaneren Ansichten be-
kehrt zu haben. In der uneigennützigsten, aufopferndsten Weise hat ohne
Zweifel der verstorbene Kev. Alfred Saker nach dieser Richtung gewirkt,
welcher wohl nahezu 40 Jahre seines Lebens diesem schönen Zweck ge-
widmet hat* Dem Einfluss des alten Bev. Saker ist auch zuzuschreiben,
dttfl heute die Aqua bei weitem humaner gesinnt sind als alle übrigen
'äres Stammes. Durch den Einfluss der Mission und dadurch, dass die
Sklaven sich direkt am Handel mit den Europäern betheiligten, konnte es
sieht ausbleiben, dass die ursprüngliche Heiligkeit des Egbo und Mungo
Mark erschüttert wurde und die Sklaven durch den Verkehr mit den
Swropäern immer mehr nach Unabhängigkeit und Freiheit strebten. Auf
der andern Seite trachteten die Bewohner des Hinterlandes darnach, direkt
pit den Europäern in Handelsverbindung zu treten, und so gericthen die
dla zwischen zwei Feuer. Die Autorität der Häuptlinge begann zu
tken und dies fiihrte zu der von den Kamerun-Häuptlingen im eigenen
jresse nachgesuchten und auch stattgefundenen Abtretung ihrer Hoheits-
f.rähte an das Deutsche Kelch.
Die Beziehungen der Dualla- Neger zu den Hintervölkern Bomano,
Kwngo, Abo, Wourie und Budiman-Lcuten sind nun durch gegenseitige
Beirathcn so eng ausgebildet, dass man alle diese Völker als ein einziges
betrachten darf. So ist z. B. der älteste Sohn des jetzigen Königs Bell
ein Sprössling eines Aboweibes, und der mächtige Aqua-Häuptling Black-
<Äqua der eines Budimanwcibes. Ebenso wie in Kamerun die Sitte herrscht,
ld»S8, wenn sich Bell und Aqua bekriegen, diejenigen Personen, welche
Idiireh ein verwandtschaftliches Band mit dem Feinde verknüpft sind, un-
lyerletzlich sind und ungestört ihren Verkehr fortsetzen dürfen, — ebenso
|»t es in Kriegsfällen der Dualla mit den obenerwähnten Völkern, sodass ein
«riedlicher Verkehr sehr leicht angebahnt und aufrecht erhalten werden kann.
Für die Ausbeutung des noch uncrschlossenen grossen und volkreichen
Hinterlandes ist es von der allergrössten Wichtigkeit, in unmittelbaren Vorkehr
■it den Bewohnern desselben zu treten, um den für beide Theile hindernden
^ kostspieligen Zwischenhandel zu beseitigen, wobei durchaus nicht aus-
tttchlossen ist, dass die Kamerun-Leute in irgend einer Weise Verwendung
Wen können ; sie werden vielmehr bei den nach dem Innern vorgeschobenen
'tktoreien nützliche und nothwendige Dienste leisten können.
Bisher war die Errichtung von Faktoreien in Bomano, Mungo, Abo
Wourie und Budiman seitens der Kamerun-Leute nicht gestattet, und wenn
'Q kommerzieller Beziehung überhaupt jetzt vorgegangen werden soll, so
Weiht nach meinem Dafürhalten den am Handel betheiligten Firmen nichts
••»deres übrig, als ihre Zweigniederlassungen baldmöglichst dorthin vorzu-
■<^Weben, um mit diesen so volkreichen Gegenden in unmittelbaren Verkehr
^'l kommen. Ohne Zweifel muss derselbe eine ganz ungeahnte Ausdehnung
Sinnen, da die Bewohner des Hinterlandes nicht minder darnach streben,
334
den Zwischenhandel zu beseitigen. Dass dicH zugleich ein neues und sehr
grosses Absatzgebiet ftir die Erzeugnisse deutscher Gewerbthätigkeit schafPen
und die schon vorhandenen bedeutend vergrössern wird^ Hegt auf der Hand.
Dass die KuroiȊcr an der KUste verharren und auf ihre Kosten den Bewohnern
derselben den eintrUglichen und bequemen Zwischenhandel mit den Hinter-
völkern auch ferner überlassen sollen, wäre einfach ein Stillstand und damit
ein Rückschritt. Mit diesem Grundsatz kommen wir in Kamerun gani
gewiss nicht viel weiter, sondern hier muss es heissen: »Vorwärts nach
dem Innern.
Herr Walter Brohm hält folgenden Vortrag über Land und Lente
an der Sklavenküste. Unter den in der letzten Zeit mehrfach gcnaDotan
Plätzen an der Westküste Afrikas sind einige, zu denen ich persöDÜcbe
Beziehungen unterhalte. In Atlanten sind diese Orte zum Theil nicht n
finden und auch in Wirklichkeit hat dies mitunter Schwierigkeit. Ist der
Ankerplatz vor Dunkelwerden nicht mehr erreicht worden, so musfl, dt j
keine Leuchtfeuer an dieser Küste, der Kapitän in die See wieder hiuu;
doch mnss er sich Nachts durch die stets stark nach Südost setieade
Strömung nicht vorbeitreiben lassen. Gegen Morgen macht sich die Nike
des Landes bemerkbar durch den regelmässig in den Frühstunden dabe^
wehenden kühlen, muchelich riechenden Wind. Wird es dann Tag, so ist
in jetziger trockener Jahreszeit die Küste zunächst noch in einen dichten
weissen Dunstschleier gehüllt. Wird es klarer, so sieht man nur einen
niedrigen, gelben, sandigen Küstenstrand und in weiterer Ferne Wald, kaum
dass hier und da ein Baum sich höher emporhebt und dem kundigen
Seemann als Landmarke dient. Die Küste ist steil abfallend, so dass die
Schiffe nur in einer Entfernung von etwa 300 bis 400 Schritt vom Strande
ankern. Dieser geringe Zwischenraum aber birgt noch grosse Gefahr in
.sich und die Gewalt der Brandung an diesem Theil der Küste ist nur n
gut bekannt. Ehe wir daher uns dem Surfboot anvertrauen, fragen vir
den hcadman: how is beach to day; derselbe versichert, sie sei all wn«
wonian, d. h. gut und bringt uns dann verhältnissmässig trocken an Lani
Er hat sich eine besonders grosse Welle ausgesucht, mit welcher pfeilsclineD;
das Boot ans Land fUhrt, um dort, ehe die nachfolgende zweite Welle diw
selbe erreicht, von anderen bereitstehenden boys emporgezogen zu werden^"
Selbstredend geschieht es oft genug, dass das Boot umkippt und ist difli
innnerhin gefährlich, ganz abgesehen von den vielen Haifischen.
Das Land, von dem ich jetzt rede, ist Popo. Soviel ich über dei
Ursprung dieses Namens weiss, stammt derselbe aus dem Portugiesischen
und ist, wie viele andere, im Laufe der Zeit verstümmelt und verändeit
worden. J*opo, eigentlich Povo — Volk bedeutend — dürfte ein Beleg
sein fUr die Wichtigkeit, welche die Orte zur Zeit der Sklaven- Ausfnkr
gehabt haben. Die Namen Popo haben sich jetzt auch bei den Eingeborene!
vollständig eingefllhrt und bezeichnen sich dieselben als Popoleate nnd
sprechen von Klein- und (Uross-Popo, obgleich der Volksstamm Anango nw
die Orte anocha und flah heissen. Was nun das Land anbetrifft, so tf*
von Qnitta an, wofür die eigentlich richtige Schreibweise Keta ißt W*
Sandkopf bedeutet, bis hinunter nach Lagos eine Sanddünc. Dahinter »*^
wenigen Unterbrechungen Lagunen, deren Ausdehnung zur Regenzeit ein«
sehr bedeutende; danach kommt hier flaches Land, dicht bewaldet, ^
\
335
zweg als Busch bezeichnet wird. Was im afrikauischen Urwald an
leren Theilen der Küste wächst, gedeiht auch hier, denn der Boden ist
gleich fruchtbarer. Dem mit afrikanischen Verhältnissen Bekannten
t hier in Klein- und Gross-Popo die Verschiedenheit der Bevölkerung
*, sowie auch das Gemisch von Civilisation und Nativismus. Diese Orte
ren in gewissem Sinne ein As3'l ftlr alle, die sich in den Kolonien nicht
hr recht halten konnten und nun hier eine Zuflucht fanden. Man findet
ir Leute von Lagos, Cap Coast, Sierra Leone, dann die bekannten Krooboys,
! in Faktoreien als Arbeiter dienen, Accra-Leute, die die Küfer und
•che liefern und endlich die verschiedenen Stämme der Eingeborenen,
le haben sie ein gewisses Etwas, so dass ein Erkennen nicht schwer für
aand ist, der mit der Küste vertraut. Auf die hiesigen Lebensgewohn-
[ten und Sitten ist ein Zusammenströmen so verschiedener Elemente nicht
ne Einfluss geblieben. Bemerkenswerth ist auch hier die Erscheinung
• steten Völkerwanderung nach Westen. Die Accras drangen durch
i Angloer zu den Anangos und noch wird in Gridschi ein goldener Stuhl
1 Vogel als Zeichen der Königswürde aufbewahrt, die dieselben aus ihrer
timath mitbrachten. Die Togos sind erst in neuerer Zeit durch die Ewc
r Küste gelangt, und auch die Hue-dahs sind erst durch die Dahomeys
rdrängt worden. Es sind solche Aenderungen und Wechsel der Völkcr-
laften noch an mehreren Plätzen der Küste in neuester Zeit nachweisbar.
Beherrscht wird dieser Theil der Küste von verschiedenen, von ein-
4cr unabhängigen Königen. Eine Erbfolge für dieselben von Vater auf
hn existirt nicht. Die Könige werden gewählt aus der Zahl der cinfluss-
iehen Häuptlinge, die ihm dann als Käthe zur Seite stehen und verschiedene
Lüktionen haben. Die angenehmste und lohnendste Stellung ist natürlich
n den Europäern den Zoll zu erheben. Verschiedene Caboceers erheben
Dselben von den verschiedenen Etablissements und beruht er zum Theil
f Privat-Verträgen. Der König erhält seinen Antheil von den gesammten
bgaben. Die Eingeborenen zahlen keine bestimmten Abgaben, doch geben
5 bei Gelegenheit der Ernte, Heirath, Todesfall, dem König Geschenke.
Jm Oberhaupt einer Familie in dem weiten Sinne dieser afrikanischen
Jgriflfe sind die Mitglieder derselben untergeordnet. Bei weiteren Streitig-
sten wird die Angelegenheit vor den Caboceer gebracht und in dem
meren Verlauf der Palaver zusammen berufen. Auf einem Palaver, einer
deutlichen Versammlung der Könige und der Häuptlinge, wird alles be-
then, was eben zur Beurtheilung und Besprechung vorliegt. Mit dem
Bit verbreiteten Ausdruck Palaver wird dann der Begriff eines Streites
>erhaupt verbunden. Mord und Todtschlag kommen nur sehr selten vor,
ßrden dann aber in der Regel an dem Verbrecher in der gleichen Weise
fahndet, wie er die Unthat vollbracht.
Eine hohe einflussreiche Stellung nehmen naturgcmäss die Priester,
Hischeers, ein. Die Eingeborenen glauben zunächst nur an eine Gottheit,
m der sie als »mau eile dschi vo« sprechen, d. h. »Gott, der hoch oben
^*. Dieses hohe Wesen steht so hoch, dass sie selber nicht mit ihm
«•kehren können und sich daher stets der Fetischeers bedienen müssen.
?r Rath dieser Fetischeers wird bei allen wichtigen Angelegenheiten ein-
holt und sie verstehen es wohl, dem abergläubischen Volke zu imponircn.
■ nach Art des verlangten Beistandes giebt es eine Menge verschiedener
336
rercmonien, deren Bcflchrcibung zu weit ftlhren würde» Auch als Vah^
Mager treten die Fetischecrs auf und mit den Verhältnissen, durch ihre
Verbindung untereinander, genau bekannt, sind ihre Orakel mystisch genug.
JlUufig sind diese Leute Bauchredner und wissen den geeigneten graselnden
(jiebraueh davon zu machen. Kleineren Fetisch findet man ttbenll und
grccgree, Zaubermittel, hat jeder. Grosse Opfer erfordert ttbrigeos öd
Fetisch hier nicht, er kriegt ein wenig von den gewöhnlichen Lebensmitteln,
wird mit Palmöl besprengt, und es wird höchstens einmal ein Huhn ihm
zu Ehren geschlachtet, mit dessen Blut er beschmiert wird. Man glanU
eben an Geister, die aber nicht Gottheiten sind. Die Fetischeers sind auek
Medizinmänner, doch haben die Leute schon so viel ausgefunden, daai,:
wenn die ihnen nicht helfen, sie zu dem Europäer kommen, um sich eine
andere atike (Medizin) geben zu lassen. Die Eingeborenen halten den
Weissen fllr ein über ihnen stehendes Wesen, denn wenn auch jufu, weiflMr
Mensch, im Gegensatz zu ame-ibo, schwarzer Mensch heisst, so wird er
doch mau-vi genannt, das ist also Gotteskind, das auch mit man idber '
verkehren darf. Auch hier giebt es eine von den Fetischeers ausgekeah
geheime Egbo-Verbindung, die sogar eine besondere Sprache haben «JL
Männer sowohl wie Frauen gehören derselben an und machen, um alle
Geheimnisse zu erlernen, unter Umständen einen 2jährigen Kursus dunh.
Es finden bei dem Austritt «lus dem Greegreebush allerlei Feierlichkeiten
statt, doch ist über die eigentlichen Mysterien derselben nichts Näherei
bekannt. — Feiertage hat man zweimal im Jahre. Im April vor Anfang
der Regenzeit das kleine Yams-Fest, aikun-te, und im September homowoj
das grosse Erntefest, auch black man 's christmas genannt. Blutige Feier
und Opfer wie bei den benachbarten Dahomeys kennt man hier nicht
Spiel und Tanz allein, je mehr Lärm mit Schiessen, Trommeln und änderet
Musik-Instrumenten gemacht wird, je lauter das Geschrei und der Gcsaiig^
je grösser ist die Lustbarkeit. Diese Festlichkeit dauert in der Regel
Vi Tage, während welcher grosse feierliche Umzüge des Königs mit dei
Caboceers und dem ganzen Tross stattfinden. Die Faktoreien zu besuche!,
vergisst man natürlich dabei nicht. Die Familien und Freunde beschenk«!
sich gegenseitig, der König und die Fetischeers erhalten reichlich ihren Th
und die Tage gehen in Frohsinn vorüber. Bei der Geburt der Kim
wird eine besondere Feier nicht veranstaltet, wohl aber bei der Hein»
und der Beerdigung. Vielweiberei herrscht natürlich unter den Eingeboren«
und richtet sich die Zahl der Frauen nach deren Vermögen. Ein eigenl-
]ich(T Kauf der Frau existirt nicht und würde ein Mädchen einen oi»"
liobigcn Mann wohl ausschlagen können, wenn schon es nicht oft vorkomm«
möchte. Der Familie der Braut werden einige Geschenke gemacht n»
findet dann die Hochzeitsfeier in gewohnter lärmender Weise statt. In d«f
Rogol erhält jede Frau wenigstens ein Zimmer, wenn nicht ein Haus ftirsiA
Eine weitverbreitete Sitte ist auch hier die Beschneidung. An»*
den Krooa ist mir kein Volksstamm an der ganzen Küste bekannt, ■*
welchem diese nicht wäre, obgleich mir ein Religionsakt nicht damit wr-
bundcn zu sein scheint. Zwischen dem 4. bis 5. Jahre wird zu einer M"
stimmten Zeit diese Ceremonie gleich an einer grossen Anzahl J^"»'*
vorgenommen, die dann sofort in die Brandung geführt werden und Viifi^
Zeit in dem Salzwasser bleiben müssen.
<
337
Beerdigungen gehen trotz aller Trauer nicht wenig lärmend vor sich,
laehdcm ein Todter in Staat gekleidet und in einen Sarg gethan, ziehen
ie Familienmitglieder in Prozession durch die Stadt mit heulendem Weh-
igen und unter fortwährendem Schiessen. Der Todte wird dann in dem-
Jben Zimmer, das er zu Lehzeiten bewohnte, beigesetzt. Man giebt ihm
lerlei Schmuck^ Waffen und andere Geräthschaften mit ins Grab und he-
tzt diesen Raum nicht wieder. Der nächste Verwandte des Verstorbenen
t in dieser Todtenkammer je nach dem Range desselben eine bis zwei
Dchen oder länger abgeschlossen zu trauern. Vereinzelte Besuche nimmt
an, doch verlässt er das dunkel gehaltene Zimmer nicht. Als Zeichen
r Trauer rasieren sich Leidtragende den Kopf und Bart. Der Erbe eines
retorbenen ist in der Regel der Schwester Sohn, wenigsten^ erhält der-
be stets das meiste. Die Hinterbliebenen sind aber auch verantwortlich
die Schulden, sobald sie den Todten beerdigt haben; wollen sie die
rpflichtungen nicht erfüllen, dann wird der Todte am Strand auf Pfuhlen
einem Kasten ausgesetzt, ohne sich dann weiter um die Leiche zu be-
tDmern. Zu Lebzeiten ist auch hier die Sitte der panja: das heisst,
die Schuld irgend eines Familienmitgliedes kann ein anderes als Pfand
;riffen und festgehalten werden, bis die Schuld getilgt. Mit dem Tode
I Kreditors dagegen gilt die Forderung als erloschen. Einen wesentlichen
eil des Eigenthums bilden auch hier die Sklaven, deren Werth etwa
)0 ist. Die Behandlung derselben ist meistens eine recht gute, ja es
mmt vor, dass anstellige Sklaven eine Tochter ihres Herrn heirathen,
Br auch eine Sklavin zur Frau genommen wird und dann ganz zur Familie
boren. Eigentliche Familien-Namen giebt es nicht, denn die Almeida,
aza, Lawson , Oomez etc. sind eine angenommene fremde Sitte. Als
unmeszeichen sind dagegen an jeder Schläfe drei kleine Einschnitte zu
trachten; weitere Tättowirung ist nur Schmuck. Sklaven sieht man viel
t den hässlichen drei grossen Schnitten auf jeder Backe, da es meistens
Eus sind.
Die Ortschaften an dieser Küste sind ohne jede Ordnung angelegt,
jr landläufige Ausdruck dafür ist immer town, obgleich vielleicht nur
— 1000 Einwohner. Die Bauart der Häuser ist länglich viereckig und
a Wände von swish, d. i. Flechtwerk, zu beiden Seiten bis zu 2 Fuss
icke mit Lehm bcwoi'fen. Das Dach ist mit Palmblättern bedeckt. Die
auen und Haussklavcn haben ihre eigenen Häuser und alle sind mit
lern Zaun oder einer swish-Mauer umgeben. Ein Haushalt nimmt auf
58e Weise stets viel Platz ein. Der Bau eines Hauses, bei dem die
iize grössere Verwandtschaft mithilft, ist f\ir dieselbe stets ein Vergnügen.
geht dabei mit Tanz und Singen hoch her.
Wie wohl allen Negern, bedeutet auch diesen » Musik <j, alles was Lärm
. Ihre Instrumente sind daher stets grosse Trommeln, Hörner, Rasseln etc.,
} kleinen Harfen sind nur Spielerei. Wie sie dabei nicht im geringsten
isikalisch sind, so ist auch ihr Tanz ohne jede Grazie. Von Charakter
id sie schlau, aber lügnerisch, spitzbübisch und feige, dabei dem Spiel
br ergeben. Faul sind sie eigentlich nur bedingungsweise, da sie eben
r ihre geringen Bedürfnisse schwer zu arbeiten nicht nöthig haben. Ist
er in den Faktoreien einmal viel zu thun, so wird man sie willig genug
den. Mit freundlicher Behandlung und dash, Geschenk, der bei jeder
23
338
Sache und Gelegenheit eine grosse Rolle in Afrika spielt , lässt sieb viel
erreichen. Im übrigen bedarf es viel Geduld und Ruhe im Umgao^ mit {
dem Neger. Als Zeichen seiner Würde dient jedem Manne von einigem i
Ansehen sein Stocks den er bei Auftrügen dem Ueberbringer als Legitimation ;
mitgiebt. Die bekannten grossen Riesenschirme sind auch hier viel vertreten.
Als Kleidung dient meistens ein Stück Zeug von 2 Faden Länge und 1 Faden
Breite. Die Männer tragen es wie eine Toga und lassen den rechten Arm
frei; darunter noch ein kurzes, weites Beinkleid. Die Frauen binden ei
gewöhnlich unter den Armen hindurch auf der Brust zusammen; auch die
Männer tragen sich oft so. Die Haartracht ist ganz nach Belieben und
nach Gefallen des Trügers oft in recht phantastischer Weise geordnet
Bei Trauer wird dasselbe, wie schon erwähnt, rasirt. Bemalen und Einöla;
der Körper, sowie das Tragen von Gold, Perlen und Fetisch -Schmuck ist
auch hier Sitte. König Lawson und die Hauptleute tragen in ilirer
Häuslichkeit sich auch nicht anders und nur wenn sie die Faktoreien be-
suchen, legen sie europäische Kleidung an. King Lawson ist ein jugff ;
Mann von etwa 30 Jahren, ziemlich dunkel aber von ansehnlicher Gertdi'
Er hat etwas gelernt, wie denn die meisten Trader, und das sind sie iDe)
— König, Caboceer sowohl wie Fetischeer — englisch, französisch oder]
portugiesisch sprechen können. Die Eingeborenen besitzen keine Schrift* j
spräche; eine solche kommt nur bei den Yeys vor, welche auBserordeDtlieh-j
gern schreiben und richtige Federfuchser sind. Die Richtung dieser Schrift]
ist von rechts nach links und ähnelt im Aussehen dem Arabischen; die
Buchstaben stehen jeder vereinzelt.
Das Land hat überall seinen Eigenthümer; liegt es auch brach,
so würde sich schnell jemand dazu finden, wollte ein anderer dasselbe n
irgend einem Zwecke benutzen. Durch Heirath, Erbschaft und Kauf hitj
der Besitz viel gewechselt und es giebt Leute in Little Popo, die auch ii
Agwey, Gum Coffee, Porto Scguro Eigenthum haben. Die Arbeit wirl
natürlich von den Sklaven verrichtet, die sich auch meistens auf dei
Plantagen im Busch aufhalten. Gepflanzt werden: Yams, Cassava, Mail,
Erdnüsse, dagegen kein Reis. In dem fruchtbaren Boden giebt aUtf
eine reichliche Ernte, ohne sonderlich harte Mühen. Die Oelpalmen,
den grössten Werth haben, wachsen ohne Pflege wild. Viehzucht wi
nicht betrieben, und auch die einheimische Industrie ist unbedeateni'
Allerdings können die Eingeborenen weben, färben, verfertigen Leder und
Eisenwaaren, treiben auch Töpferei, aber von allem nicht viel. Dageg«^
sind sie alle gewandte und schlaue Händler, doch liegt das Haupt-Gcschlft j
in den Händen der Frauen. Die Leute aus dem Busch kommen nur seltei
au die beach, um selber einzukaufen. Es finden vielmehr an bestimmtdl
Orten, zweimal wöchentlich Märkte statt, in einer Entfernung von 4 bii
8 Stunden von der See. Hier herrscht natürlich dann das regeste, bunteste
Leben, Lebensmittel und Waaren aller Art, wie sie nur ein Negerheif
sich wünschen kann, werden zum Verkauf feilgeboten. Den Lärm und dil
bunte Treiben kann man getrost mit einem Jahrmarktstrubcl veigleichen.
Es ist charakteristisch für die Neger, dass je grösser der Lärm, desto wohkr
sie sich fühlen und so schreit denn die ganze Gesellschaft in den lautesttf
Tönen, alle zu gleicher Zeit. (Massa we talk all one time, white mm t^
one, one.) Die hier herrschende Münze fllr den Detail-Handel sind noA
339
Uurics (Muscheln), von denen je 40 Stück auf einen String gezogen sind.
öStrings = 2000 Stück =^ 1 Sh.; also 20,000 sind 10 Sh. und wiegen
twa 60 9. An der Küste bedient man sieb bauptsäcblich der 2 Sh.-Stücke
od nimmt der Gebraucb des Geldes als Handelsmittel von Jahr zu Jabr zu.
Die Hauptexportartikel sind gegenwärtig Palmöl und Palmkernc.
*a8 Palmöl wird gewonnen während des ganzen Jahres, doch ist die Haupt-
•nte von Anfang April bis August, während der Regenzeit. Die Frucht
tzt wie eine grosse Traube hoch oben unter dem Gipfel der Palme. Die
nzelnen Beeren in der Grösse von Pflaumen sind hellgelb bis braun und
iben ein sehr faseriges Fleisch. Nach Abnahme werden dieselben in
ossen Behältern mit Wasser geknetet und dieser Teig dann gekocht und
IS oben aufschwimmende Oel von dem Satz sorgsam abgeschöpft. Die
ümnüsse, der innere Stein dieser Oelpflaume, haben eine sehr starke,
irte Schaale und werden, vorzüglich nach der Oelzeit, von Frauen, Kindern
id Sklaven jede einzeln aufgeschlagen. Diese Nuss hat etwa die Grösse
Der sizilianischen Haselnuss und enthält den in den Handel kommenden
ibnkern. Da die Nüsse lange Jahre hindurch einem Verderb nicht aus-
setzt sind, werden sie zu jeder Zeit in den Faktoreien zum Kauf an-
boten. Da es schwer ist dem Neger neues zu lehren, so wird es noch
ite Weile haben^ ehe er sich dazu bringen lässt, auch andere Sachen zum
auf anzubieten. Händler, welche mit 20 bis 30 Trägern weitere Reisen
das Innere machen^ sind sehr vereinzelt. Das jetzige Geschäft ist nur
I der Küste und bei Aufschluss des inneren Landes wohl eines ferneren
afschwungs flihig. Es ist eine eigcnthümliche Erscheinung, dass von all
m schwarzen Kaufleuten niemals einer wirklich Vermögen hinterlassen hat,
otzdcm sie gelegentlich ganz gute Geschäfte gemacht haben.
Die klimatischen Verhältnisse an der Küste sind bekannt; aber sie
erden noch schlechter geschildert, als sie es verdienen. Mit gesunder
onstitution und ohne Extravaganzen lässt es sich schon ertragen. Das
alariatieber hat freilich jeder Europäer durchzumachen, aber es ist keine
dtlichc Krankheit, und dass man sich überall in den Tropen leicht etwas
)Ien kann^ ist bekannt. »Man wandelt eben nirgends ungestraft unter
ftlmen.c Jahreszeiten sind die trockene, von September bis April, Mai
nd die Regenzeit. Während der ersteren weht regelmässig in den Morgen-
anden Landwind bis Tagesanbruch, dann von 11 Uhr bis Abends Seewind,
ur im Dezember und Januar weht beständig der Harmattan, ein trockener,
ilter Wind. Alles verdorrt dann, aber diese Zeit gilt doch für die ge-
Indeste. Während dieser Monate herrscht auch der dicke weisse Dunst,
i smoke bekannt, der sich bis zu 10 Meilen seewärts zieht. Eine nicht
I vergessende Plage sind auch hier Moskitos^ Jigos, Centipedes, Skorpione,
meisen und allerlei anderes Gewürm. Trotz aller Widerwärtigkeiten aber
nd die Europäer, welche an der Sklavenküste gewesen sind, mit wenigen
Qsnahmen, gern dort gewesen und wissen von den Schönheiten des dortigen
afenthalts zu erzählen. —
Herr Dr. W. Sievers spricht darauf wie folgt:
Von dem Sekretair dieser Gesellschaft, Herrn Friederichsen, bin ich
ifgefordert worden, einige kurze Mittheilungen über meine beabsichtigte
eise nach der Cordillere von Mcrida in Venezuela zu geben.
340
Indem ich mich dioser Aufgabe entledige, beabsichtige ich in Folgendem
eine kurze T^^ebcrsicht der wissenschaftlichen Erforschung Venezuelas und
dann einen TJoberblick über die bisher gewonnenen Resultate zu bieten,
woraus sich dann zum Theil von selbst meine beabsichtigte Thütigkeit er
kennen lassen wird.
Die wissenschaftliche Erforschung Südamerikas, welche gegenüber der
anderer Kontinente bisher nur spärliche Resultate aufzuweisen hat, berück-
sichtigte der Natur der »Sache gcmUss vor Allem die beiden hervorst^cbondsten
Erscheinungen der Plastik dieses Landes^ das Andensystem im Westen und
die grossen Ströme des Ostens. Letztere wurden befahren und aufgenommeDf ^
ersteres in letzter Zeit mehrfach von bedeutenden Gelehrten besucht and j
untersucht. Ind(^sH würde es sehr verkehrt sein, die Anden unter die aneh
nur einiger maassen bekannten Gebirge zählen zu wollen.
W'^as bisher über die Anden wissenschaftlich geleistet wurde, ist äuserst
sporadisch und unzusammenhängend. Am besten bekannt sind die chilcnisebeB
Theile des Gebirges, dann wohl diejenigen Ecuadors und Colombias, wAmd
die Anden Perus, Boliviens und Venezuelas noch recht unbekannt Bind.
In das letztgenannte Land reichen die Anden mit ihrem nordüstliebBtn
Ausläufer unter dem Namen Cordillere von Merida hinein; dieselbe ist nicbl j
nur sehr selten besucht, sondern von fast allen lleisenden, welche sich in
ni^rdlichen Südamerika aufgehalten haben, geradezu umgangen worden. Seit
Humboldts Aufenthalt in Venezuela ist dieses Land klassisch ftir die Geo-
graphie geworden; den östlichen Theil von Cumand bis Cardcas, die LltnWj
von Cardcas und Calabozo. das Gebiet des oberen Orinoco durchzog Humboldt;
die Cyordillerc von Merida aber berührte er nicht.
Der zweite in Betracht kommende Rois(mde, Boussingault, durchreiflt«
zwar dieses Gebirge, in den 20er Jahren des Jahrhunderts; jedoch hat cf
ausser einigen chemischen Analysen von Mineralien und Thermen nichti
über dasselbe publicirt.
In den 50er Jahren besuchte sodann der Botaniker Dr. Hermann KarBWi.
jetzt Professor in Berlin, das Land und bereiste auch die Cordillere vw
Merida; ausser bcträchtlioh(;n botanischen Berichten, welche sehr geschSti^
sind, hat er auch einiges (lOolo^MSche geliefert, auf welches unten zurflck*
zukommen sein wird.
In den 70or Jahren studirte Herr Anton Goering, jetzt Professor ■
Leipzig, die Fauna und Flora Venezuelas und auch des Gebirges von Merida:
IMiblicirt hat er jedoch darüber nur wenig.
Ein gutes Buch über Venezuela lieferte 1878 Dr. Sachs unter de«
Titel >Aus den Llanos«; sein Hauptfach war Zoologie; die Cordillere tob
Merida berührte er jedoch nicht.
Ebensowenig thaten dies die englischen Geologen Wall und StwkiWr
welche Ende der 50er Jahre die Insel Trinidad geologisch erforschten und
dabei auch das Festland bis zum See von Valencia berücksichtigten.
AVeitere wissenschaftliche Publikationen von Werth existiren kaiHDi
das i)opulär geschriebene Buch des Malers Appun soll nicht ganz zuverto»f
sein; auch das zweibändige Werk des Engländers Spcnce, >the Und «
Bolivar« kann Niemanden befriedigen.
Dagegen müssen wir noch jenes glänzenden Werkes gedenken, welches
der Italiener Agostin Codazzi unter dem Titel: »Resumen de la Geografii de
341
Venezuela v mit dazu gehörigem g^o:^soIl Atla» 1841 zu Paris publicirt hat.
Dieses Werk bildet die Grundlugc unserer jetzigen Kenntniss des Ijandcs
und bietet eine Fülle von Nachrichten über alle Zweige der Geographie
desselben.
So glänzend aber auch dieses Werk f\ir den damaligen Standpunkt der
Geographie war, so wenig ents])richt es doch den heutigen Fortschritten
dieser Wissenschaft. Die heutige Geographie begnügt sich nicht mit der
Zusammenstellung alles Wissenswerthcn über ein Land, sondern sie fragt
uch den Gründen, warum das I^and so verthcilt ist wie es ist, warum
gerade hier diese oder jede Flora, Fauna und Bevölkerung sich befindet,
velche Schlüsse daraus zu ziehen sind auf eventuelle frühere anderweitige
Land- und Wasservertheilung etc.: die heutige Geographie verlangt haar-
Kharfe Positionsbcstiuiuiungen, ganz genaue Spezialkarten, sie verlangt vor
Allem genaue Kenntniss der Zusammensetzung der Oberfläche eines Landes,
lie will wissen, woraus es besteht, auch wie es entstanden ist.
Von allem dem aber findet sich bei Codazzi nichts und bei aller
Würdigung der ausgezeichneten Verdienste dieses Mannes muss das Buch
doch vom Standpunkte der heutigen wissenschaftlichen Geogrui>hie als ver-
altet bezeichnet werden. Denn es fehlen überhaupt gänzlich jene Einzel-
beobachtungen aus den verschiedenen naturwissenschaftlichen Disciplinen,
.»eiche ftir das Verständniss des Aufljaues eines Landes so wichtig geworden
4nd. Von den vier naturwissenschaftlichen Grundlagen zur Kenntniss der
Geographie eines Landes, Bodenbeschaffeuheit, Klima, Flora, Fauna, ist bisher
Bar die Flora Venezuelas eingehender studirt worden; allenfalls auch noch
die Fauna; doch ist man weit entfernt, die modernen Prinzipien der Thier-
Qod Pflanzeugeographie schon auf das Land angewandt zu haben. Auch die
Kenntniss des Klimas des Landes ist noch mangelhaft, da meteorologische
Stationen fehlen ; die von Codazzi für sehr viele Orte angegebenen Temperatur-
Werthe können daher auf Genauigkeit keinen iVnspruch macheu.
Von der Geologie des Landes weiss man ebenfalls nur sehr wenig,
penn als Ilumboldt Venezuela bereiste, lag diese Wissenschaft noch völlig
JQ den Windeln. Von der Eiutheilung der Sedimentärgesteine in Forma-
tionen war noch wenig geschehen und die Grundprinzipien der Geologie
sind seitdem derartig umgestaltet worden, dass jene Beobachtungen nicht
^ehr stichhaltig sind. In Betracht können daher nur die Arbeiten Karstens
Und Walls kommen. Karstens aber war von Haus aus Botaniker, und nur
tiebcnbei Geolog; seine Beobachtungen beruhen auf einem augenscheinlich
Hur geringen Material, seine Anschauungen wurzeln noch so sehr in der
Uten Schule der Geologie, dass seine Untersuchungen theils nicht mehr
brauchbar sind, theils seine Kesultate einer wesentlichen, nach neuen Grund-
(ätzen geleiteten Umgestaltung bedürfen.
Wall undSawkins dagegen hatten bereits die neuern Lehren der Geologie
n sich aufgenommen und so sind ihre Kesultate, wenngleich auf dem Fest-
and nur sporadisch und unzusammenhängend, doch die wichtigste Grund-
agc flir eine künftige bessere Kenntniss des Ijandes, zumal da sie dazu
gelangten, für Trinidad bestimmte Schichtengruppen und -Systeme aufzu-
itelleu, welche sie auf der terra firnia wiederfanden. Leider dehnten auch
^ie ihre Forschungen nur bis zum See von Valencia nach Westen aus.
Weiteres ist von der Geologie Venezuelas nicht bekannt.
342
Fasst man nun diese dürftigen Nachrichten zu einem Ge^:
zusammen, so ergiebt sich^ dass in der ganzen Ausdehnung des
Venezuelas von der Grenze Colombias bis zum Kap von Paria, ;
vom Diluvium, nur zwei Formationen vorhanden zu sein scheinen
die Kreideformation und die Tertiürformation, beide sieh anlehnend
Kern krystallinischer Gesteine. Dieser letztere bildet im Westen d
die Central zonc der Cordillere, das Gebirge, welches nach der Sta
die Sierra Nevada de Merida genannt wird. Es besteht aus Gran
und Gneiss. Daran schliessen sich zu beiden Seiten Ablagcru
Kreidezeit, und zwar, wie die von Karsten mitgetheilten Verste
beweisen, beider Hauptabtheilungen dieser Formation : an diese
sich dann das Tertiär- und Diluvialgebiet der Llanos und des Su
rund um die Lagune von Maracaibo. In der Gegend von ßai
stösst die westliche Cordillere mit den Ausläufern des veuez«
KüstCDgebirges zusammen, über welches zu sprechen die Zeit nicl
Besonders charakteristisch ist für die Anden Venezuelas die At
aller jüngeren vulkanischen Gesteine und aller Vulkane^ wie denn
die vielfach verbreitete Ansicht, dass die Anden ein durchaus vu
Gebirge seien, als gänzlich irrig bezeichnet werden muss ; viele Hn
hindurch giebt es auch nicht eine Spur vulkanischer Thätigkeit in c
Dagegen giebt es an der ganzen Nordküste Südamerikas Anz(
früher vorhandene vulkanische Thätigkeit, insofern eine grosse
heissen Quellen, deren heisseste zwischen Valencia und Porto Cabell
97® C. Temperatur aufweist, über das ganze Gebirge zerstreut
Campano nahe Cumanä giebt es sogar eine Art von Geysirn.*) Wie
so sind auch hier die von Thermalspalten durchzogenen Gebiete vo
und oft wiederkehrenden Erdbeben heimgesucht. Gerade die (r
Cumana ist 1766, 1797, 1812 und 1853 zum Theil auf das Fu
mitgenommen worden. Die Erdbeben von 1797 und 1812, e
Verbindung mit einem heftigen Ausbnich des Vulkans der Ant
San Vincent, letzteres mit einem allgemeinen Zustand der Unru
Umrandungen des amerikanischen Mittelmeeres scheinen darauf hii
dass dieses weite Gebiet Centralamerikas gemeinsamen tektonischen
ausgesetzt ist. Auch die Cordillere von Merida erleidet heftige Erschü
1644 und 1812 wurde die Stadt Merida selbst gleichzeitig mit
beben von Cuenca resp. Caracas zerstört. 1875 erlitt die Stadt
de Cucuta dasselbe Schicksal und im vorigen Jahre 1883 erschüt
dauernd von August bis November währende Stösse den Boden c
Cucuta und San Cristobal.
Die erwähnten Formationen setzen nun im Osten das veno
Küstengebirge zusammen, welches in meist westöstlicher Streichuu
etwa von Barquisimeto an bis zum Golf von Paria sich orstro
Westen dagegen wird durch die Cordillere von Merida cingeuuniu
selbe besteht ebenso wie das östliche Küstengebirge aus zwei IIa
einer nördlichen und einer südlichen, kehrt aber zum Unterschic
genannten Gebirge seinen steilen Absturz nach Süden, wiil
Nordkette zwar auch noch steil, doch aber nicht so schroff wie
•) nach WaU.
: 343
■»ck dem Lago de Maracaibo abPällt. Die nördliche Kette ist auch hier
WC höhere, da sie in mehreren Gipfeln, z. ß. dem Conejos, Culata, Salado
■öd Pan de Azücar 4000 m überschreitet, während der höchste Gipfel der
•Qdlichen Kette^ der Granate nach Codazzi nur 3y41 m erreicht. Der
'i|[eotliche Kulminationspunkt des Ganzen liegt aber in der keilartig in die
klitte beider Ketten eingeschobene«, oder besser gesagt, massivartig empor-
;«qact6chten Sierra Nevada de Merida, deren Hauptgipfel, die beiden
?ieaehos, 4580 und 4560 m erreichen und auch auf ihren Spitzen Gletscher
ngcn. Das Gebirge scheint auch hier den allgemeinen Charakter der
laden, Zusammenziehung mehrerer Parallelketten im Knotenpunkte, dann
rieder Ausstrahlung in mehrere Ketten mit dazwischen liegenden Hooh-
dat^aux zu besitzen. Am Almorzadcro bei Pamplona in Colombia ist ein
olcher Knotenpunkt zu suchen, von welchem aus sich die Östliche Cordillere
>olombias in zwei Aeste theilt, deren östlicher nach Venezuela übertritt,
tm sich daselbst seinerseits in die oben erwähnten zwei Kauptketten der
}ordillere von Merida zu theilen. Diese scheinen sich am Paramo de
Kicuchies östlich von Merida wieder beträchtlich zu nähern, um dann
ibenuals rasch nach mehreren Richtungen auseinanderzutreten und sich
liieils bis zur Provinz Coro, theils bis Barquisimeto fortzusetzen, wo sie
nf die Ausläufer des venezolanischen Küstengebirges treffen. Die Art und
Weise dieser Vereinigung ist noch ununter&ucht.
i Die Pftsshöhen der Cordillere scheinen beträchtlich zu sein; ebenso
fic Gipfelhöhen, wenngleich dieselben bedeutend hinter denjenigen der
Sierra Nevada de Santa Marta und dem Tolima zurückbleiben. Ihre genaue
Höhe bedarf noch sorgfältiger Bestimmung; sicher ist jedoch, dass sie um
etwa 200 m über die Schneegrenze hinausragen, sodass diese also in ca.
4300 — 4400 m liegen würde, üeber etwaige Unterschiede der Schneegrenze
un Norden und Süden des Gebirges ist noch nichts bekannt.
Die Flussthäler sind meist Längenthäler, jedoch von geringer Aus-
lehnung, da die Flüsse meist nach kurzem Lauf mit furchtbarer Strömung
iB scharfer Wendung die Längsketten durchbrechen und zu den Llanos
^pektive dem See von Maracaibo mit sehr beträchtlichem Gefälle hinab-
iilen. Seen scheinen im Gebirge nicht vorhanden zu sein.
Lieber Klima, Flora, Fauna und Bevölkerung gehe ich hinweg, um nur
loch die Vorkommnisse nutzbarer Mineralien zu erwähnen. Die Spanier,
•eiche ungeheure Schätze in der Cordillere zu finden erwarteten, sahen sich
Wd getäuscht; indess mehren sich neuerdings die Anzeichen, als ob bei
genauerem Studium doch mancherlei der Ausbeutung Würdiges im Gebirge
'ich finden Hesse. Gold ist leider nur in geringen Quantitäten nachgewiesen
'Orden. Silber soll bei Bailadores vorkommen. Blei findet sich bei
Pocuyo. Kupfer in der Gegend von Merida, Magneteisen bei Barinas,
3yp8 und Blei weiss überall in der Cordillere, Pech, Asphalt und
Petroleum ebenfalls an manchen Stellen. Kohlen kommen in guter
Qualität bei Lobatera nahe S. Cristobal vor; auf dem 4000 m hohen Paramo
le Mucuchies befindet sich eine beträchtliche Braunkohlenablagerung. Auch
bhren die Zuflüsse des Apure Kohlenbruchstücke, von denen es jedoch
iDgewiss ist, ob sie aus dem Gebirge von Bogota oder aus der Südwest-
ichen Ecke der Cordillere von Merida stammen. Ausgebeutet wird von
llen diesen Stoffen nur Bleiweiss. Zu erwähnen ist endlich noch der äusserst
344
seltene ürao oder Trona, ein aus 1 Vs kohlengaurcm Natron mit 3 Vc
Wasser bestehendes Mineral. Basselbe kommt auf dem Grunde eines Set
bei Lagunlllas nahe Merida vor, wird aber nicht ausgebeutet, ausser dat
die Indianer es sonderbarer Weise unter Taback mischen und kauen.
Aus dem soeben Mitgetheiltcn wird die hochgeehrte Versammlung et
sehen haben, dass unsere Kenntnisse von diesem Gebirge noch nicht gcrad
grosse sind.
Ich beabsichtige nun einen kleinen Beitrag zur Kenntniss der Gcognphi
dieses Gebirges zu versuchen und will mich zu diesem Zwecke im Oktolw
nach La Guaira einschiffen, den November in Caracas bleiben und gege
Ende desselben zu Lande über Valencia und Barquisimet^j nach Trojill
und Merida reisen. In Merida werde ich mein Hauptquartier aufschlage
und im Laufe des Jahres 1885 die Cordillere nach allen Richtungen unt«
suchen, unter ganz specicller Berücksichtigung der Geologie dcrselbei
Zugleich werde ich möglichst viele Höhenmessungen vornehmen, um dani
ein möglichst genaues Bild von der Plastik des Landes zu gewinneD^ i
welchem Zwecke mich der Verein für Erdkunde zu Leipzig mit Instrutneoti
ausgerüstet hat. So weit es möglich ist, werde ich auch die Flora^ Fani
und Ethnologie des Landes berücksichtigen, ohne jedoch meinen Hau]
zweck, Studium der Geologie des Landes, dadurch einzuschränken. Da i
auf eigene Kosten reise, wird es mir wahrscheinlich nicht möglich se
länger als ein Jahr in Venezuela zu bleiben, wenngleich natürlich f^r <
Erzielung besserer und genauerer Resultate ein längerer Aufenthalt wünsche
werth wäre.
Es ist mir gelungen, die amtliche Empfehlung der Kaiserl. Regien
an ihre Vertreter in Venezuela und Colombia zu erhalten, wofür ich d
selben zu grossem Danke verpflichtet bin.
Ich bin aufgefordert worden, meine Berichte den Mittheilungen (
hiesigen Geogr. Gesellschaft einzusenden, welcher Aufforderung ich gi
Folge geben werde. —
Mit lautem Beifall begrüsst, ergreift sodann Herr Flegel das Wi
zu einer kurzen Mittheilung über die Resultate seiner Reise und die Grün
seiner früheren Rückkehr, als ursprünglich von ihm projektirt war. 1
Jahre 1882 erreichte Flegel mit Hülfe seines Freundes Mohamman i
Mohamman, das Quellgebiet des Bcnue. Die Schwierigkeiten, in Adama
vorzudringen, würden ohne die Hülfe des landeskundigen und hochangesehen
Mannes unmöglich zu überwinden gewesen sein. Es war die Absicht d
Reisenden, von Adamaua aus zum Congo vorzudringen, und Erkundigong«
über das Gebiet südlich der Wasserscheide des Bonuö ergaben, daas
möglich sein würde, in südöstlicher Richtung gegen die nördlichste BiegQi
des Congo mit reisenden Karawanen etwa 30 Tagereisen vorzudriDge
Leider war durch einen von Gas'ka aus unternommenen Zug des dortige
Königs , um Elfenbein und Sklaven aus dem Innern zu holen , das gao
Land in Krieg und Aufruhr, wodurch der Weg vollständig gesperrt wi
Es wird jedoch der regen Thätigkeit der mohamedanischen Händler zweif'
los gelingen, Frieden zu stiften, und der Weg wird wieder frei werde
Der Reisende zog es vor^ diesen Zeitpunkt nicht in Afrika selbst zu •
warten, sondern durch eine Reise nach Europa seine vom Fieber hei
345
Bgegriffeoe Gesundheit erst wieder zu kräftigen^ und dann wieder nach
Jrika zurückzukehren^ um seinen grossen Plan ganz zur AusHlhrung zu
riogen. Trotz dieses Zwischenfalles sind die wichtigsten Resultate fiir die
ro- und Hydrographie des Benuö-Quellgehietes durch die letzte Reise er-
elt. und der auf den Karten jetzt noch ganz unausgcAllIte Platz zwischen
!ffl Benue oder Alt-Kalahar und dem Kamerun-Fluss wird viele wesentliche
[gänzungen erfahren . die vielleicht zu der Erkenntniss Alhren ^ dass der
ifflcrun-Fluss eine grössere Bedeutung hat, als der Alt-Kalahar.
Herr Friederichsen beantragt, Herrn Richard Keller in Kufisque
1 Senegal zum korrespondirenden Mitglied zu ernennen. Derselbe habe
rch Schenkung werthvoller Bücher und Einsendung werthvoller Copien
D Originalkarten über die Umgegend von Rufisque und über die Eiscn-
bn von Dakar nach St. Louis sein Interesse Air unsere Gesellschaft zu
Kennen gegeben. Die Abstimmung über diesen Antrag wird, wie die
ituten vorschreiben, auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt.
Herr Friederichsen theilt ferner mit, dass nach Professor Gorstaeckcr's
itersuchungen unter den von Dr. G. A. Fischer aus dem Massai-Lande
imgebrachten Käfern nicht weniger als 55 neue Arten konstatirt worden
en.
Der Vorsitzende zeigt schliesslich an, dass sich in Havrc eine Societe
Geographie Commerciale und in Edinburg eine Scottish Geographica!
cioty gebildet habe.
106. Sitzung. 6. November 1884.
Vorsitzender: Herr Bürgermeister Dr. Kirchcnpauer.
Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Dreizehn neue Mitglieder werden aufgenommen.
An Stelle des aus Gesundheits-Rücksichten aus dem Vorstande aus-
schiedenen Herrn John Hertz wird Herr Generalarzt Dr. R. Cammercr
den Vorstand gewählt und an dessen Stelle Herr Direktor Dr. Pagcn-
>ccher in den Beirath berufen.
Herr Richard Keller in Rufisque am Senegal wird zum korre-
>ondirenden Mitgliede en^'ählt.
Die neu gebildete Mittelschweizcrisclie Geographisch 'Commcrcielle
esellschaft in Aarau wünscht mit unserer Gesellschaft in Schriftenaustuusch
i treten.
Herr Hcrm. Strebel hält den angekündigten Vortrag: Historische
öd archaeologische Studien über die Bewohner der alten Provinz Totonaeapan
1 Mexico und deuionstrirt dazu Gegenstände aus seiner Sammlung.
Der Vortragende giebt eine Zusammenstellung dessen , was in der
itteratur des 16. bis 18. Jahrhunderts in anthropologischer und ethno-
gischer Beziehung über die Totonaken geboten wird.
Sahagun sagt von ihnen: Sie sind gut gewachsen, haben flache Köpfe,
Dge Gesichter mit gutem Ausdruck und weisse Hautfarbe. Sic tragen
ite Kleider, Schambinden, Fusszeug, Halsschmuck und allerlei Feder-
hmuck. Sie bedienen sich der Fächer und der Spiegel und sind gewandte
iozer und Sänger. Die Frauen tragen bunt bemalte Röcke, olegante
346
Hemden und zuweilen noch einen hemdartigen llcbcrwurf aus netsartigcm
Gewebe; die der ärmeren Klassen blau und weiss bemalte Röcke. Sic tragen
die Haare mit Federn und bunten Bändern durehflochten. Sic Bind
geschickte Weberinnen, Stickerinnen und Flechterinnen, auch gute KöchinneD,
so dass manche ihnjr Gerichte weit verbreiteten Ruf haben.
An einer andern Stelle bemerkt Sahagun, dass die Totonakcn wenig
befähigt und geschickt seien, was, wenn es sich auch auf den Intellekt
bezieht, nicht recht mit dorn übereinstimmt, was er von ihren Trachten
und Fertigkeiten sagt, worin Wohlleben einerseits, andererseits Gewandtheit ,
zum Ausdruck kommt ^ wie denn mechanische Fertigkeiten doch auck |
Ueberlegung und Ausnutzen von Erfahrungen bedingen. Da Sahagun nicht
aus eigner Anschauung berichtet, sondern nach Aussagen von Mexikucn,
so ist hier zum Theil vielleicht ein Stammesantagonismus zum Ausdnck
gekommen.
Bemal Diaz del Castillo berichtet noch von den totouakischei Ab-
gesandten, dass sie grosse Scheiben aus blau bemaltem Stein oder nUke
aus Gold in der Unterlippe trugen und ähnliche Gebilde in den OhrUppen.
Dazu muss bemerkt werden, dass die Ohrknöpfe oder Scheiben allgemein
in ganz Alt-Mexico getragen wurden, nur war das Material, aus denen sie ■
gefertigt, je nach der Stellung des Trägers verschieden. Der Lippenschmofik
scheint dagegen auf höhere Würdenträger beschränkt gewesen za sein, mm
findet sie daher auch seltener in den Erzengnissen jener untergegangenen -j
Kultur vertreten.
Herrera schildert die totonakischon Priest<)r wie folgt: Sie tngei
lange schwarze Röcke mit Kragen darüber, ähnlich den Dominikaner-Hönchen,
und langes wirres Haar, vom Blute der Opfer getränkt.
Diese Beschreibung hat eine Reihe merkwürdiger Figuren als Priester
bestimmen lassen, die in Totonacapan gefunden sind.
Uebor Gottheiten, religiöse Anschauungen und Gebräuche lässt »iA
Folgendes besonders aus Motolinia und Toniuemada zusammenstellen.
Auf einem Berge stand inmitten eines Obst- und Blumengartens eis
Tempel, welcher einer Göttin gewidmet war, die Frau der Sonne genannt
wurde; sie hatte auch noch mehrere andere Namen, so Göttin des Getreideii
Menschenopfer verabscheute sie und nur Thieropfer wie Wachteln, TaubcBi
Kaninchen u. s. w. wurden ihr dargebracht. Sie hatte zwei Priester, n
welchen sie oft sprach, was als eine Art Orakel aufgefasst werden kaU'
Diese Priester wurden vom Volke gewählt, waren 60 Jahre oder darüber
alt, kleideten sich in Schakalfelle, assen kein Fleisch, fasteten und lebtet
in Keuschheit.
üieraus ist hervorzuheben:
1) Deutliche Spuren eines früheren Sonnenkultes im Namen d*
Göttin und dem einfacheren Kult, welcher
2) die Menschenopfer ausschloss.
Andere Gottheiten werden nicht angef\ihrt>, nur noch erwähnt, da*
der Tabak l\ir den Körper der Göttin Cihuacoatl angesehen wurde. Trett*
dem werden Figuren vorgezeigt, welche im Herzen von Totonacai«!
gefunden, zweifellos den Tlaloc-Kult bezeugen. Tlaloc, der Regengottf «ü
eine der ältest verehrten Gottheiten in Alt-Mexico sein.
Weiter wird berichtet, dass man den Göttern seine Sünden beichtet^
347
IS8 man zu gcwisBcn Zeiten kleine Statuetten der Götter aäd, die aus
incDi Teige gefertigt waren, welcher aus Sämereien und Kräutern bestand^
ISS beim Abschluss von Ehen die SchicksalsbUchcr zu Käthe gezogen
'ardeu^ ob die Zeichen, in denen die Betreifenden geboren, gut harmonirtcn,
nd endlich, dass wer eine Frau heimftlhrte, eine Zeit lang keinen Beischlaf
lit ihr halten durfte^ sondern fasten und den Göttern dienen niusste.
Von ganz besonderem Interesse ist eine Operation^ welche seitens
incs Priesters an den Kindern am 28. oder 29. Tage nach der Geburt
osgeAihrt wurde. Den Knaben wurde mit einem Steinmesser etwas am
'fenis fortgeschuitten ^ das verbrannt wurde; der Chronist nennt dies
Bnweg Beschneidung. Den Mädchen wurde mit dem Finger das Hymen
nrchstossen, welche Operation im 6. Jahre wiederholt werden musste.
Es ist nocli fraglich^ ob die Operation bei den Knaben wirklich mit
!r Beschneidung bei den Juden identisch war, jedenfalls ist aber die
nAihrung derselben neben andern Beweisen dafilr^ dass die amerikanischen
ulturvölkcr oder ein Theil derselben von den Juden abstammen sollen,
ichtfertig, einmal weil sie aus dem Zusammenhange heraus gerissen^ dann
eil der Ursprung dieses Gebrauches bei beiden Völkern ein sehr verschiedener
lin kann. Dass bei den Totonaken eine Operation an Mädchen und an
nahen vorgenommen wurde, beweist schon einen Unterschied. Der Gebrauch
1188 wohl in die Kategorie der Blutopfer gezählt werden, die in der ver-
ihiedenartigsten Form in ganz Mittelamerika in Gebrauch waren, wobei
18 den verschiedensten Körpertheilen durch Einritzen oder Einbohren
lut entzogen wurde. Oft müssen diese Operationen sehr schmerzhaft
eveseu sein, so an der Zunge, am Penis, wobei in die gemachte Durch-
ohrung ein Tau eingeführt und hin und her gezogen wurde. Die Blut-
pfer als Büssungen werden bis auf Quetzalcoatl dem Kulturheros und
ottc zurUckgefllhrt, der am Anfange unserer Zeitrechnung gelebt haben
Jl. Die schrecklichste Ausschreitung dieser Blutopfer war das Menschen-
)fer.
Ein anderer Gebrauch bestand darin, dass von 3 zu 3 Jahren Kinder
ttödtet wurden, aus deren Herzblut, vermischt mit dem Safte des Gummi-
mmes (Cassidca elastica) und gewissen Kräutern, Erstlingen aus dem
empelgarten, eine Speise hergestellt wurde, die man Speise unseres Lebens
fcnnte, und welche alle 6 Monate von Männern über 25 und Frauen über
5 Jahren genossen wurde. Leider wird nicht bemerkt, zu welchem Zwecke
ies geschah. Hier sehen wir den Gebrauch des Menschenopfers schon
ngeftlhrt.
Die Totonaken hatten den Glauben, dass einst der Gottessohn — die
önne — kommen und ihnen bessere Verhältnisse, so insbesondere bessere
niten, längere Lebensdauer und vor Allem die Befreiung von der schreck-
2hen Pflicht der Menschenopfer bringen würde. Sie gaben diesem Glauben
^rin Auvsdruck, dass sie zu einer bestimmten Jahreszeit 18 Personen
vielerlei Geschlechts opferten, die dann als ihre Gesandten an die Gott-
sit angeschen wurden, um dieselbe zu veranlassen, den Sohn zu schicken,
an muss hier von der Form der Erzählung absehen, welche bei den
eichichtsschreibern jener Zeit der Tendenz Ausdruck giebt, alles Mögliche
id Unmögliche der indianischen Anschauungen, Sagen, Gebräuche u. s. w.
348
auf den cliristliuliCD Oluubcn oder biblische Vorgänge zurUek zuführen. Es
bleibt ein Kern darin^ der auch hier wieder
1 ) Spuren des früheren Souncnkultes«
2) Abscheu und Auflehnung gegen die Menschenopfer^ welche ein
aufgedrängter Kult verlangte
erkennen lässt. Die Zahl 18 der Opfer hat wahrscheinlich Beziehung zu
den 18 Monaten dos Jahres.
Das sind alle Nachrichten^ welche in den hauptsächlichsten Schri/t-
stellern des 10. — IS. Jahrhundert« bekannt sind. Sie lassen der wiHca-
schaftliehen Forschung noch ein weites Arbeitsfeld, um die gegebeoea
einzelnen Züge zu einem umfassenden Bilde zu vereinigen. Hierbei fkllt
der Archaeologie ein wichtiger Thcil der Arbeit zu, doch wird dieselbe
erst dann Erfolge erzielen können, wenn sie über ein umfassendes MiteraJ
verfügt.
Das in (.)riginal und Abbildungen vorgeführte Material lässt immeriUB
schon einige Schlussfolgerungeu zu.
Ks ergiebt sich eine sehr verschiedene Ausbildung mechanischer Fcitig-
keit, welche dadurch bedeutsam wird, dass sie lokalisirt' auftritt. Lauea.j
wir die weiter vorne angeführten Schilderungen über die Totonaken geltea,
so müssen wir die besseren dieser Fabrikate wohl jedenfalls den TotoDaken
zuschreiben und dabei die Chichimoken ausschliesscn , von denen gesagt
wird, dass sie auf einer niedrigeren Kulturstufe standen. Diese besscreo
Fabrikate nun zeigen Folgendes:
1) Die menschlichen Darstellungen zeigen im Allgemeinen einen frcund-
lichen^ lebensfrohen Gesichtsausdruck, der im Gegensatze steht n
dem. was wir an ähnlichen Darstellungen des Hochplateaus, s]>czieD
den aztekischen finden, die ernst und affektlos sind.
2) Die Farben der cheramischen Erzeugnisse sind lebhafter, die Mi
reicher als die vom Hochplateau.
Die äusseren Lebensbedingungen in diesem Küstenstrich, woA]
Tropen ihre volle Pracht an Licht und Farben entfalten^ ihwtJ
unerschöpflichen Ueberfluss an Allem bieten, was der Mensch
die hauptsächlichsten Anforderungen des Lebens bedarf, wcrdei
für diese Erscheinungen von Einfluss gewesen sein. Daneben auel
vielleicht der religiöse Kult, welcher, wie wir gesehen habet.
wenigstens ursprünglich reiner und weniger grausam war ab d*
auf dem Hochplateau herrschende.
;i) Sehen wir an den Erzeugnissen zum Theil eine so vollendele
Technik, wie sie nur reiche, undauernde Erfahrung und ein ruhig»
geregeltes und stabiles Leben gestritten kann. Eiu Volk wie ^
Chichimeken. welche vertrieben von Ort zu Ort wandern, bie^^
dafür geringere Möglichkeit. Die vorgeschrittene Technik wirf
im Besondern an Steingeräthen, cheramischen Produkten, Scbm«»'
geg(»nständen aus Kupfer, Jadeit und Secschncekenschale *"
läutert.
Weitere Aufschlüsse über weitergehende Fragen, so insbesondere^ <*
und wie sich Stammcsuuterschiede in den Erzeugnissen markiren und w«
349
(8 f\lr örtliche und zeitliche Verbreitung der einzelnen Stämme über
j weite Gebiet Alt-MexicoV verwerthet werden kann, können nur von
\em umfassenden Material erwartet werden. Es ist die Arbeit der
'chaeologcn damit vergleichbar, als ob ihnen die Aufgabe gestellt wäre^
8 einer Anzahl einzelner Steine, die durcheinander gemischt und unvoll-
Indig sind, verschiedene Mosaikbildcr wieder herzustellen, über deren
idcutung nur oberflächliche Andeutungen gegeben und die unter sich
rschieden sind. —
Herr Geheimrath Neumayer referirt sodann über das der Gesellschaft
D Herrn Dr. Assmann eingesandte Jahrbuch der Wetterwarte der Magde-
i^ischen Zeitung und über die von Dr. Assmann herausgegebene Zeitschrift
hs Wetter«. Derselbe macht ferner Mittheilungen über den günstigen
jrlauf der von den Herrn Dres. von den Steinen und Clauss von Montevideo
B unternommene Xingü-Expedition. Auch berichtet derselbe, dass Herr
'. Boas, welcher sich am 21. Juni 1883 an Bord der Germania nach
Dgawa Fjord eingeschifft habe, um die Eskimos auf den Inseln des nörd-
hen Nord-Amerikas zu studiren, über St. Johns nach Washington zurück-
kehrt und dort mit der Rekonstruktion der Karten Labradors beschäftigt
. Dr. Boas habe seinen Keiseplan wegen beschränkter pekuniärer Mittel
iht genau durchfilhren können.
107. Sitzung. 4. Dezember 1884.
Vorsitzender: Herr Bürgermeister Dr. Kirch enpauer.
Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.
Vier neue Mitglieder werden aufgenommen.
Auf der diesjährigen 5. Versammlung der schweizerischen geographischen
isellschaflen in Bern ist von Herrn F. Müllhaupt in Bern ein Antrag
stellt worden betr. Bildung einer Central-Kommission , bestehend aus
ilegirten aller geographischen Gesellschaften, welche zur Aufgabe hat,
r die praktische Ausftlhrung der Resolutionen der internationalen geo-
aphischeu Kongresse zu sorgen und fUr die Tagesordnung des nächsten
temationalen Kongresses die ei*forderlichen Vorbereitungen zu treffen.
ie Thatsache, dass seit dem Venediger Kongress 3 volle Jahre verflossen
nd, ohne dass man sich bis jetzt über den Ort und die Zeit des nächsten
itemationalen geographischen Kongresses geeinigt, hat die Veranlassung
i dem Müllhaupt'schen Antrag gegeben. In einem unserer Gesellschaft
^gegangenen Circulair wird die Bitte ausgesprochen, dieser Frage näher
» treten. Der Vorstand wird sich in einer der nächsten Sitzungen damit
K beschäftigen haben.
Behufs Anfertigung eines Lexicons derjenigen Schriftsteller, welche
»»enschaftliche Beiträge zur deutschen Landeskunde geliefert, ist seitens
|P vom deutschen Geographentag eingesetzten Central-Kommission für
ttienschaftliche Landeskunde von Deutschland die Mitwirkung auch unserer
^llschaft erbeten worden. Der Vorstand wird einen Vertrauensmann
ftlen, welcher das erforderliche Material zu beschaffen hat.
Herr Fried erichscn berichtet über die in Glasgow jüngst erfolgte
ründung einer African Lakes Company, welche vis h vis den auf Erbauung
350
einer Fahrstrassc vom Congo an den Tanganika-Scc gerichteten Bcsirtbungen
der internationalen Congo-Gesellschaflt;, einen Transport -Dienst von Quelimtne
auH auf dem Sbire-Fluss und Nyassa-See per Dampfschiff und von Kaurongi
am Nordwest-Ende des Nyassa-See's zu Lande nach Pambetc am Sttdendo
des Tanganika-See's in's Lehen gerufen hat. 8owohI Güter als Passagiere
werden unter gewissen Garantien hefcirdert. Die Reisedauer von Quelimane an
den Tanganika-See wird auf 50 — 55 Tage festgesetzt^ demnach kürzer als auf
dem Wege von Sansibar aus. Die Reise von London nach Qaclimane
dauert 40 Tage. Passagiere haben in Quelimane einen Pass zn Idsen,
woflir von portugiesischen Unterthanen 360 Reis ^= 1 sli. 7 d., von VnUf-
tbanen anderer Nationen tiOO Reis -— 2 sh. 7 d. zu entrichten ist. Der
Transport auf dem Quelimane und Shire wird 2 Mal unterbrochen duck
einen Landtransport und zwar zuerst da. wo der unbedeutende Qoaqot in
den Quelimane mündet bis zum Sambesi bei Maruru und zweitens bei
Katungas am Shire behufs Vermeidung der Katarakte des Shire. Vod
Karanga am Nordwestende des Nyassa-See's bis Pambete am Südende des
Tanganika-See's ist ein Landweg unter dem Namen Stevenson's Rotd ge|M
und zum Theil schon angelegt worden.
Herr Karl Schultze hält darauf einen Vortrag über die LaFlata-
Länder in Berücksichtigung der wirthschafllichen Verhältnisse und Koloni-
sation.^) Redner stellt sich die Aufgabe^ gegenüber den vielfach übertriebenen
Anpreisungen ausländischer Regierungen und spekulirendcr Agenten, ^ovie
einem abenteurlichen von irrthUmlichcn Vorstellungen geleiteten KoloniBitioni-ij
triebe einen berichtigenden Fingerzeig zu geben. Als den hauptsäcUiehflUftl
Grund des kläglichen Verfalls vieler deutschen Kolonien in Südamerib^
und speciell in den La Plata-Ländern bezeichnet der Redner den Unutüii
dass man die Kolonien an abgelegenen, mit den Kommunikatiooswegoi
ausser Verbindung stehenden Orten angelegt habe, und die Unkenntniaiv
oder Nichtberücksichtigung der wirthschaftlichen Verhältnisse des Landau
welche den Ackerbau allein nicht gedeihen lassen, sondern haupt«ächliA *]
Viehzucht oder Ackerbau in Verbindung mit Viehzucht bedingen. Z«
Anbau eignet sich nur Weizen, doch sind die Weizenpreise so billig
(120— 130. W., oft sogar 00 Ä für 1 000 Kilogramm), dass nach Abzug d«rj
ITnkosten namentlich der ausserordentlich hohen Arbeitslöhne für die Bauen
kein Gewinn übrig bleibt. Der Anbau von Roggen, Gerste, Hafer u. d|L
ist zwar nicht unmöglich , aber nicht lohnend wegen der oft Monate nil
Jahre lang anhaltenden Dürre, welche von Norden nach Süden zunimiati
wegen der Nachtfröste und wegen der wenn auch nicht alljährlich so dock
häufig genug wiederkehrenden Wanderheuschrecken.
Der einzige den wirthschaftlichen Verhältnissen des Landes entr
sprechende Krwerbszweig sei die Viehzucht, welche von den Eingeboren^
auch längst geübt wurde. Milde Winter, fruchtbare Weiden, lohocnd«
Futterbau begünstigen hauptsächlich die Viehzucht in den La Plata-L&ndero,
welche, wenn sie mit dem Ackerbau verbunden ist, auch diesem eine
grössere Mannigfaltigkeit der Kultur verleiht und den Raubbau zur Acker
*) Vergleiche : Die La Plata-Länder unter besonderer Berücksichtigung ihrer wiitb-
schafllichen Verhältnisse, Viehzucht und Kohjnisalion und ihrer Bedeutung fiir deutsch«
Kapitalisten und Au.swan«lerer von Karl Friedrich. Hamburg: I*. Friederichsen \ Co. i884.
351
irthschaft veredelt. Die Erträge des Ackerbaus seien umgesetzt in »Butter,
Ise und Mastvieh, viel bequemere und transportabelere Haudelsartikel,
eiche schon jetzt 90% der Landesausfuhr betragen. Zwar seien die Preise
r diese Artikel ungleich geringer als in Europa, daftir seien aber auch
e Kosten unbedeutend, da Klima und Bodenbeschaffenheit die Viehzucht
isserordentlich gedeihen lassen. Der Export von Mastvieh, namentlich
D Hammeln, welche geschlachtet in gefrorenem Zustande nach Europa
bracht werden können, habe, wenn erst geeignetere Transportmittel
schafft seien, eine vielversprechende Zukunft, ebenso könne der Export
bender Pferde noch mehr ausgebeutet werden, als es schon jetzt geschehe. —
enn man die also geschilderten wirth schaftlichen Verhältnisse der La Plata-
Inder berücksichtige, meint Redner, würde eine deutsche Kolonisation
irch fleissige und sparsame Kolonisten, welche über ein Kapital von
Indcstens 2 — 3000 M. zu ihrer Einrichtung verfilgten, gute Aussichten
ben ; ebenso die Handclsuntemchmungen deutscher Kaufleute , zumal,
mn auf die augenblicklich in den La Plata-Ländern in Blüthc stehenden
ründungsschwindel etwa im nächsten Sommer die unausbleibliche Reaktion
folgt sei, und die Preise f\lr Häuser und Ländorcien im richtigen Ver-
Jtnisse zu ihrem Werth stehen würden.
Herr Kapitain Koldewey referirt sodann über den Verlauf der Greely'-
ben Nordpolar-Expedition und tadelt, dass man dem Lieutenant Grecly
ir eine Dampfbarkasse und einige Boote, nicht ein Dampfschiff zur Vcr-
i;ang Hess. Es sei sehr zu rügen, dass man ohne ein Dampfschiff als
Ickhalt die Station an einer Stolle anlegte, welche nicht alljährlich von
le aus zugänglich war. Femer hätte man den Proviant auf Cap Sabine,
eht auf Lyttleton-Insel deponiren sollen. Als fehlerhaft sei ferner zu
leichnen, dass die beiden Aufsuchungsschiffe Proteus und Yantic nicht
richzeitig von Upernivik aufgebrochen seien und dadurch eine Hülfeleistung
8 letzteren bei dem Scheitern des Proteus unmöglich geworden. Was
i wissenschaftlichen Resultate der Greely'schen Expedition anlange, so.
1 vor Allem hervorzuheben, dass die Nordküste Grönlands bis 83® 24'
Br. und 40^46' 0. L. durch Lieutenant Lockwood verfolgt und vermessen
»rden sei. Die anderweitig daran geknüpfte Hypothese von der Existenz
ler Inselreihe, die sich von der Nordküste Grönlands bis PVanz-Josefs-
.nd erstrecke, scheine nicht wahrscheinlich.
Im Anschluss hieran betont Herr Geheim rath Neumayer, dass das
ABgeschick der Greely 'sehen Expedition dem Umstände zuzuschreiben
n dürfte^ dass dieselbe vom Signal OfBce der Vereinigten Staaten, also
fht von sachverständiger nautischer Seite ausgerüstet worden sei. Bestimmte
struktioncn, stramme Disciplin, einheitliche Leitung von Anfang bis zu
ide seien für derartige wissenschaftliche Expeditionen ein absolutes
forderniss.
352
Catta-Bilanz ultimo 1884.
EiDnahme:
An Saldo vom 31. Dezember 1883 M, 2582..-
» Jahres -Beiträge 424 h 12 JH M. 5088.—
» Vajährliche » 1 7 ä G > » 1 02.—
> 5190.-
> ZiDS-VergUtung von der Norddeutschen Bank » 53.1
JÜT 7826.(
Ausgabe:
Per Herrn Dr. G. A. Fischer, Heise-Spesen JK. 100. —
Hotel- » » 01.70
— Jü 161.70
> » Richard Buchta, München, Reise-
Spesen «Mt 192.40
Auslagen » 20.45
» 212.85
Auslagen bei Anwesenheit des Herrn Flegel M, 8.90
:* •;> » » » C. F.
E. Schultze p 10.15
j 19.05
M. 393.6
Strumper & Co., photolithographische Karten . . . . Jlt 457.25
Autotype-Compagnie in München für Cliches » 151.30
, 008.5
Bücher und Drucksachen > 1 250.4
Dr. H. Michow, Honorar für Abhandlungen » 400.-
Th. Engcbrechtscn für 2 Lorbeerkriinze > 50.4
Abonnements etc.:
:> Export« 1884 Jü 12. —
Church Missionary Intclligenccr » 7.20
Mouvemcnt geographique 1884 » G. —
Ravenstcin: Map of Eastern Equatorial Africa ...» 25.50
> 50.'
Aug. Büchner, München, 1 Lorbeerkranz > 25.-
Feuer- Versicherungs-Gesellschafti Gotha > ll.J
Porti > 316.1
Honorare und Gratialo:
Schreiber-Gebühren des Sekretariats. . . «M. 450. —
Remuneration an Castellan Haack,
Johanneum > 45. —
Remuneration an H. Bruns » 1 00. —
» » B. Spilcker » 50. —
» » Schoer fiir Einkassiren » 20. —
?^ /> C Stechniest » 100. —
t 765.-
Saldo auf 1 885 > _ 3954J
•H." 7826.1
353
fr
Mitglieder-Verzeichniss Ende 1884.
Vorstand.
PiSsident: Bürgermeister Dr. G. Kirchenpauer.
Ylee-Präsident: Geheimer Admiralitätsrath und Direktor der Deutschen Seewarte.
Professor Dr. Q. Neumayer
Xnter Sekretair: L. Friederichsen, Kartograph.
Sweiter Sekretair: Direktor der Sternwarte G. Rumker.
lairer: A Woermann.
Generalarzt Dr. R. Cammerer.
Direktor Dr. K. Friedlander.
Revisoren: E. Güssefeld und J. Witt.
Beirath.
Direktor Prof. Dr. H. Qenthe.
E. Qussefeld.
F. J. H. Hansing.
Kapitain C. Koldewey.
Dr. 0. Matsen.
Senator Nopitsch.
Direktor Prof. Dr. Pagenstecher.
W. Westendirp.
Direktor Dr. F. Wibel.
J. Witt
1. Bastian, A., Prof. Dr.
I. Ehrenmitglieder.
Berlin Seit 7.
S. Becker, M. A , Kitter von, Hofrath. Wien
- SL Berghaus, Herrn., Dr. Gotha
4. Correnti, Cesare. Kom
5. Hochstetter, Ferd. von, Prof. Dr., Präsident der K. K. Geogr.
Gesellschaft in Wien
6. Kiepert, Heinr., Prof Dr. Berlin
7. Nachtigal, G., Dr., Generalkonsul. Tunis
. & Negri, Cristoforo, Prof. Dr., Ehrenpräsident der Italienischen
Geogr. Gesellschaft. Turin
9. Neumayer, G., (Jeheimer Admiralitätsrath und Direktor der
Deutschen Seewarte, Prof. Dr
10. Nordenskiöld, Erik, Freiherr von, Prof. Stockholm
11. Payer, Julius. Dr. Frankfurt a. M
ISL Palander, L., Marine-Lieutenant. Stockholm
leit 7. Mai
1874.
> 4. März
1876.
> 4. »
1875.
> 4. >
1876.
> 4. >
1876.
> 4. >
1876.
> 3. Juni
1876.
> 7. Mai
1874.
> 3. Juni
1875.
» 5. Febr.
1880.
> 4. März
1875.
» 5. Febr.
1880.
23
354
18. Richthofen, Ferdinand, Freiherr von, Prof. in Leipzig. . . . Seit 7. Mai Iff
14. Rohlfs, Gerhard, Hofrath, Dr. Weimar >
15. Schweinfurth, G., Dr. Cairo >
10. Stanley, Henry M. Congo >
17. Wilozek. Hans, Graf von, Excellenz, K. K. \virklieher Qq-
heimrath. Wien »
4. Man 18!
4. Febr. IK
7. Febr. IB*
4. Man 18
II. Korrespondirende Mitglieder.
1. Cohen, Emil, Prof. Dr. Strassburg i. B Sei
2. Burmeiater H., Prof. Dr. Buenos Ayres
3. Kubary, Joh., Sudsee
4. Löonce, Richard. Bordeaux
5. Heaae-Wartegg, Ernst von
0. Shillinglaw, John J. Melbourne
7. Holten, Herrn, von. Cochabamba
8. Flegel, Ed. Robert
9. Keller, Richard, Bufisque am Senegal
t 9. Sept U
7. Okt «
9. Sept U
9. Sept \i
4. Dez. l(
1. Aprü II
5. Jan. 11
4. OR l
6. Nov. 1
m. Ordentliohe
1. Ahlers, Jacob. 27.
2. Albers-Schoenberg., A. H. 28.
3. Albrecht, S., Dr., Präsident des Land- 29.
gerichts a. D. 30.
4. Aly, Paul, Dr. med. 31.
5. Amsinck, J., Dr. med. 32.
6. Amsinck, L. E. 33.
7. Amsinck, M. G. 34.
8. Amsinck, Wilh. 35.
9. Anklamm, Alb. 36.
IG. Antoine-Feill, Dr., sen. 37.
11. Aming, J. F., Dr. med. 38.
12. des Arts, Henry. 39.
13. von Bargen, Chr. 40.
14. Barthold, Dr., Oberlehrer, Altona. 41.
15. Bastian, A. 42.
16. Bauch, Heinr., sen. 43.
17. Bechtel, Wm. 44.
18. Behn, Theodor, Dr. 45.
19. Bergner, Philipp. 46.
20. Berkefeld, W. 47.
21. Bieber, Franz, Voguell. 48.
22. Bieber, G. R. 49.
23. Bieling, Adolph. 50.
24. Binder, Herm. > 51.
25. von Bippen, Arnold. 52.
26. Bleckwcdel, C. Tl., Lehrer. 53.
Mitglieder.
Boettger, Ernst.
Bohl, Ludwig.
Bohlen, Ed.
Bochme, Dr., Oberstabsarzt.
Bolten, Aug.
Booth, Arthur.
Booth, Stanley.
Borstelmann, J., Wandsl)ek.
Brach, Rud.
Brackenhoeft, E., Dr.
Brauss, Herm.
Brieger, Carl.
Brock, Gustav.
Brohm, Walter.
Brückmann, Alb.
Bubendey, Gerh., Prof., Dr.
BUlau, G., Dr. med.
Busch, Oscar.
BUsing, Rudolf.
Buhrow, P. G.
Burchard, O. J.
Burchard, Th.
Burchard, Wilh. jr.
Burghardt, Wilh.
Burmeister, H.
Calais, P., Dr.
Cammerer, Rud., Dr., Generalan
355
assini, Arlhur, Graf, wirkl. Stauts-
leneral-Kunsul.
in, Edw.
n, J., Dr., Direktor.
, Fried r.
^ Wilhelm.
, B., Dr.
Carl.
, Hermann.
, Julius.
iniann, Dr. med., Direktor.
1, A., Dr. med.
Max., Dr. med.
haft, Hcrm.
Wulff, Rud.
mann, J. A. C.
mann, II. \V., jr.
1, G. L. F.
l, Arnold, Fr. G., Dr.
Ige , Abthcilungs-Vorstand tler
irte.
ann, Carl, Paul.
i, Premierlieutenant.
Ler, Arthur, Direktor,
t, Carl.
ohr, K., Dr.
, W., Konsul,
en, G. 11., Dr.
G. K.
, Felix, Ingenieur.
, Julius, Amtsriehter.
Gottfried.
!\vald, Eduard.
, Martin.
i, Victor, sen.
^r, A., Dr.
T, Ilauptniann.
r, Johs., Dr.
1, J. H.
lg, II., Dr., Landgerichts-
lur.
>, Aug.
W. II.
:r, Aug.
eitas, A.
^riclisen, Ludwig,
ander, K. , Direktor, Prof., Dr.
Rud.
voltz, P.
loo. Gaiser, G. L.
loi. Genthe, II., Direktor, Prof., Dr.
102. Gilbert, Hugo, Dr.
103. Ciildemeister, F.
104. Ciildemeister, Joh., Dr., med., Gleschen-
dorf.
105. Godeffroy, A.
106. Godeffroy, C, jr.
107. Godeffroy, J. C, sen.
108. Crücdelt, C. M., General-Kon:>ul.
109. Goldenberg, Wm., jr.
110. Goldschmidt, Martin.
111. Güssler, H., Dr.
112. Gosslcr, John Bercnberg.
113. Gossler, Oscar, Dr.
114. Gottsche, C. M., Dr., Altona.
115. Graetz, Aug.
116. Granados, Ricardo, General-Kon:>ul .
117. Grcibe, C.
118. Groencwold, E. li.
119. Gross, G., Dr.
120. Grote, Herm.
121. Grünewald, A.
122. Günter, G. H.
123. Güssefeld, Emil.
124. Güssefeld, Otto, Dr.
125. Gütschow, Anton.
126. Gütschow, C. T., Dr.
127. Haas, Heinr.
128. Hahn, Emcsto.
129. Hahn, L.
130. Halberstadt, J., Dr. med.
131. Hallier, E.
132. von Ilane, Alfred.
133. Ilane, A.
134. Hansing, F. J. H.
135. Hargrcaves, J. W. H.
136. Ilaring, G. H., Dr.
137. Harms, L., Schul rath.
138. Hartmeyer, E., Dr.
139. Hartogh, M. II.
140. Hasche, Oscar, Dr., Referendar.
141. Hastedt, H. D.
142. Haupt, Woldcmar.
143. Hayn, M. Th., Senator.
144. Ilegemann, F. Kapitain.
145. Heimchen, A., Dr.
146. Heise, Carl, Georg.
147. Ileitmann, Thomas.
r
196. Krieg. E., Dr. r
49-
Ik-rLst, I,. F., l>rof., Dt.
197.
Krocptin, Frani, jr.
50-
Ik-niisen, IMedr.
198.
Krogniann, F. G. A., Ur. iKd,
5'-
Ilermsen, Thcid.
199.
Kiogmaim, U.
S3-
Ilernshfim, Frani, Konsul.
200.
Krogmann, J. F.
53-
Ilermonn. M. A., Konsul.
20I.
KrUtli, G. K. A. F.
54.
Herl7, A. F., Scnalut.
302.
Ktlstermann, Frani.
SS-
Hcm, G., l)r.,OU.TlaiKksECTiclilsrath.
203-
S6.
Herti, Joh», K.
204.
KuiihardI, F., Dr., Senalur.
57-
Hertz, Marlin.
205-
Laeisz, C. Ferd.
S8.
HcH);, Wilhelm, l>r. nieil.
206.
I^eisi, C.
59-
Hess, GynmaMitl-DirektDr, Allonn.
207.
LatiLiius, Otto.
60.
Heye, F. C. Tl.., Kommcnienratb.
208.
l.au, H, F. W.
61.
Hinrichwn, M. W.
209.
Lavy, Chs., jr.
6a.
Hinrichser. Siegmunil.
210.
Leffmann, A. M.
03-
Ilinsch, J. I).
211.
Leo, Carl, Dr., Syndika..
64.
Hirsch, C, Dr.
212.
Leti, Geh. Postralh.
65.
Hirsch. Ph., Dr.
213-
Levinsohn, Martin.
66.
214
Lion, Eugen.
67.
Hoehe, R., Direktor, Truf., Dr.
2'5
von der Lippe, Major, AUum.
68.
TOD ILAenlhal, Lieutenant, Graf.
216.
Lipschütz, G.
69.
Hülst, G. F.
217.
Lipsehülz, L.
70.
von Holten, A.
118.
Lissraann.J'r^
7«-
HollMpfel, Ed.
219.
Loescüer,' F.
72-
Hiimanii, D. A.
220.
Lomniti, F., Dr. med.
73-
Hooge, Carl.
221.
Luders, n. A. J., Pastor.
74-
von Hoslmp, Gerh.
322.
Lüders, C. W.
7S-
Ilabbe, Hugo.
223.
1-uis, Vincent.
76.
HUbbe, 0.
224.
Limd, J. G., Konsul, AIwjki-
77-
Hüitner, U. U.
"S-
Lultrop, C. C.
7S.
Jacolracn. W., Din-klor.
226.
Lyon, Alfred.
79-
Jnntiun, C. F. W.
227
Maass, Ernst.
So.
]ent<|uel, G, A,
22S.
Magnus, S., «ergedorf.
Si.
Jmray, James, Frederiek, F. K. Ü. S.
229.
Mahraun, Seminar- Direktor.
London.
230.
82.
Jüaehim, C, Dr.
231.
Maniuardt, L., Dr.
83-
Israel, John, Dr.
132.
Matscn, 0., Dr.
84.
JUrta-us, A. C, Dr.
233-
Maltliiewn, Direktor.
85.
Kiiniht, Carl.
J34-
Meinardus, ütlü W.
86.
235-
Meiniioltr, Aug-
87.
Kellinghusi-n, A. 11., Dr.
236.
Melchior, M.
88.
Kirchenpauer, ü., Dr., BUrBernieiiler.
237-
von Melle, Emil, Senator.
89.
KI.ige, E., Dir. Dr.. Aliona,
238.
von Mengden, Freiherr. E«
90.
Knaucr, G.,
wirkl. Staatsrath.
91.
Knauer. W., Senator, Altona.
239-
Merlens, R.. Dr.
9a.
Koeppen, Vi., Dr.
240.
Meyer, Adolf Aug.
93-
Koldewty, Karl, Kapitam.
241.
Meyer, Emsl.
94.
241.
Meyer, Ferd.
95-
Krause, K., Dr. med.
Hi-
Mcycr, K. A., Dr.
357
II. C. Eduard.
J. Arthur F.
T. F. J.
;l)crg, M.
rlsen, Wilhelm.
V, II., Dr.
i, A., Dr.
lanii, J., Dr.
r, A. E., Marine-Inspektor.
kc])erg, K., Dr.
;, C. V. F., Senator.
E<1. L.
, Clemens.
, II. A.
-IJeeck, F. Cr.
nieyer, A. jr.
nieyer, IL, Konsul.
, J. w.
ut/enl>echer, Job., Freiherr.
C. Ed.
lyer, G. , Direktor, Professor,
Ich. Rath.
ir, Th., Direktor,
yer, E.
^, Emile, General-Konsul.
Val., Dr., Direktor,
eim, Louis.
LS, W., Dr.
hlendorff, Albertus,
heim, Alb.
heim-Gerard, Georg.
•üg, A.
Id, A. P.
Id, Fritz.
Id, Wm., Senator.
, F.
\L, Dr.
. lecher, Direktor, Professor, Dr.
guassii,Viconitc,General-KonsuI.
ohs.
C. Aug.
r, Robert.
Ict-Narbonne , Oberstlieutenant,
n, C., Dr., Bürgermeister,
n, G., Dr.
n, Henry.
, F., Dr. med.
i, Ilcnn.
)ack, Paul.
I
292. Picken pack, Vincent.
293. Pieper, Oscar, Dr.
294. de Pina de Saint-Didier, Graf, General-
Konsul.
295. Plagemann, J. C,
296. Plass, H., Dr.
297. Pontoppidan, E.
298. Pontoppidan, H., General -Konsul.
299. Probst, W., Bank-Direktor.
300. Prochownick, L., Dr. med.
301 . zu Putlitz, Gans Edler Freiherr, Obcrst-
lieutenant.
302. von Quast, Hauptmann.
303. von Radowitz, Generalmajor, Altena.
304. Raecke, Julius.
305. Raeder, Ole Munch, General-Konsul.
306. Rapp, Th., Senator.
307. Ratjen, E. Dr. med.
308. Raynal, A.
309. Rech, J.
310. Redlich, C, Dr., Direktor.
311. Ree, Ph.
312. Refardt, J. F. C.
313. Reich wagen, L.
314. Rennebaum, Adolf.
315. Repsold, J. A.
316. Repsold, J. Georg, Rio de Janeiro.
317. Repsold, Oscar.
318. Riehen», W.
319. Robertson, R. J.
320. Robertson, Wm.
321. Robinow, Carl.
322. Robinow, Herrn.
323. Robinow, J. A.
324. Roepe, Herrn., Dr., Hauptpastor.
325. Rohde, Dietrich, Dr., Oberlehrer.
326. Rohlsen, Gust.
327. Roosen, B. C., Pastor.
328. Roosen, B. Otto.
329. Rosenfeld, Louis.
330. Ross, D.
331. Rossin, Julius.
332. Rümker, G., Direktor.
333. Ruths, Valentin.
334. Sadebeck, R., Professor, Dr.
335. Sauber, Herrn.
336. Schaemack, Edm., Dr., Oberstabs-
arzt.
337. Schayer, Reichsbank-Direktor.
358
338.
Schemman, Gustav.
384.
339.
von Schevcn, Dr., Oberbtabsarzt.
385.
Wandsbek.
386.
340.
Schier, Aug.
387.
341.
Schiffmann, Ludw., General-Konsul.
388.
342.
Schiller, Gust., Frankfurt a. M.
389.
343-
Schlacger, G.
390.
344.
Schlubach, Heinr. Ad.
391.
345.
Schlüter, David, Dr.
392.
346.
Schlüter, Julius D.
393.
347-
von Schmeling, Major.
394.
34».
Schniid, Carl L.
395.
349-
Schmid, E., Direktor.
396.
350.
Schmid, Henry.
397.
351.
Schmidekam, Dr. med., Blankcnese.
398.
352.
Schmidt, F. G.
399.
353.
Schmilinsky, J. F,
400.
354.
Schön, C. A. W., General-Konsul.
401.
355.
Schrader, Joh. Hartwig.
402.
356.
Schrader , Ludw. , Wasserbau - Kon-
403.
dukteur.
404.
357.
Schramm, Adolph.
405.
358.
Schröder, Johs., jr.
406.
359.
Schröder, Julius.
407.
36o.
Schuck, A., Kapitain.
408.
361.
Schultcss, Karl, Dr.
409.
362.
Schultz, Theodor.
410.
363.
Schultz, Wilhelm.
411.
364.
Seebohm, J., Dr.
412.
365.
Seifer, Th., Oberlehrer.
413.
366.
Seligmann, Emil.
414.
367.
Sellin, C. W., Oberlehrer.
415.
368.
Sieben, F. C.
416.
369.
Siemssen, G. T.
417.
370.
Sieveking, Johs.
418.
371.
Sieveking, W., Dr. med.
419.
372.
Sievers, ^V., Dr.
420.
373.
Sieverts, R. C.
421.
374-
Sloman, Rob. M.
422.
375.
von Sluytermann-Langeweyde, Inten-
423.
dantur- und Baurath, Altona.
424.
376.
Sohle, Martin, Dr.
377.
Sohege, C. J., Dr. med.
425.
378.
Sohst, Heinrich.
426.
379.
Spihlmann, A.
427.
380.
Sprick, H.
428.
381.
Stade, C. Theodor.
429.
382.
Stahmer, J. F. T., Senator.
430.
383.
Steinhaus, C. F.
431.
Stephan, E., Lehrer.
Strack, Ad., jr.
Strebel, Herm.
Stürcken, Otto, Dr., Referendar.
Sudeck, J. L.
Suhl, J. F. M.
Tetens. A. F., Wasscrschout.
Thormählen, J.
Tietgens, Gust. W,
Tietgens, H. A.
Timm, A.
Toepj>en, Hugo, Dr., Oberlehrer.
Traun, H., Dr.
Tüngel, Emil, Dr. med.
Udewald, W.
Llex, G. F.
Ulex, H., Dr.
Ulrich, Otto, Kapitain.
Ulrich, W., Dr.
Versmann, E.
Versmann, J., Dr., Senator.
Vett, F. J. E., Pastor.
Vidal, Oscar.
Vogler, C. J. L.
Vorwerk, Ad.
Wagner, Herrn., Dr.
Wappäus, A. H.
Warburg, Ferd.
Warburg, Joh. R.
Warburg, Pius., Altona.
Warburg, S. R.
W^eber, Dr., Bürgenneister.
Weickhmann, IL, Kapitain z. S.
Weissflog, Ad. Wilh.
W^ellig, Th., Dr.
Wencke, Fr.
von W^enden L, Hauptmann.
Wcntzel, A. E.
Wcstendarp, Georg, Ingenieur.
W^estendarp, W^
von Westenholz, Freiherr. Geoei
Konsul.
Westerich, C. A. Eduard.
W^estphal, C. W. L.
Westphal, E., Dr.
Westphal, Otto, E.
Wibel, F., Dr., Direktor.
Wichmann, Ei IL
Wichniann, N. D.
359
,a. Wiebel. K., Professor, Dr.
,3. Wiengreen, Fritz.
4. "Wiengreen, J.
15. Wille, Th.
;6. Winter, Ph.
;7. Witt, J.
)ßm 'Woermann, Ad.
439. Wölber, Francis, Konsul.
440. Wolf, R., Dr. med.
441. Wolff, Otto, G.
442. Wolffson, J., sen., Dr.
443. van Zeller, Francisco, General-Konsul.
444. Ziegenbein, F. IL, Ottensen.
445. Zimmermann, Th. G., Dr.
Innerhalb des Zeitraums vom 1. Jan. 1883 bis Ende Dezember 1884
lud gestorben:
1. Abendroth, £.
2. Bopp, Ernst.
3. Blume, H. J.
4. Dans, Ed.
5. B4e, Julias.
C. Salomon, M. G., Dr.
7. Sieveking, J. U., Dr.
Druck von Ackermann ft Wulff In Hamburg.
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