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Full text of "Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung"

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MinHEILUNGEN  DES  INSTITUTS 

l'ÜB 

OESTEßREICHISCHE 

GESCHICHTSFORSCHUNG. 

UNTER  MITWIRKUNG  VON 

TH.  RITTER  v.  SICKEL  und  H.  RITTER  v.  ZEISSBERG 


HEDIQmX  VON 


K  l^ÜHLBAGHER. 
XXL  BAND. 


INNSBRUCK. 

VERLAG  DER  VITA  G  N  E  R '  SCHEN  UNIVERSITÄTS-BUCHHANDLUNG 
1891. 


I 

1/5- 


DRUCK  DER  WAGNER'SCHEN  UNIVERSITÄTS-BUCHDRUCKEREI. 


y 


Inhalt  des  XII.  Bandes. 


Seite 
Studien  zu  den  Traditionsbücliem  von  S.  Emmeram  in  Regensburg.     Von 

Berthold  Bretholz       1 

Die    älteren    Immunitäten    für    Werden    und    Corvei.      Von    Wilhelm 

Erben 46 

Wien  in  den  Jaliren  1276  bis  1278  und  K.  Rudolfs  Stadtrechts-Privilegien. 

Von  OswaldRedlich 55 

Karl  rV.  und  die  Witteisbacher.  Von  TheodorLindner  .  .  .  64 
Das  Gefecht  bei  St.  Michael  und  die  Operationen  des  Erzherzogs  Johann 

in  Steiermark  1809.  Von  H.  v.  Z wiedineck-Südenhor st  .  101 
Erläuterungen   zu   den   Diplomen   Otto  III.     Von  Th.   v.  Sickel.     Erster 

Theil 209 

Die    sogenannte    Brevis   nota   über   das   Lyoner    Concil   von    1245.     Von 

M.  Tangl 246 

Ueber    die   Beziehungen   zwischen   englischen   und  böhmischen  Wicüfiten 

in    den    beiden    ersten    Jahrzehnten    des    15.    Jahrhunderts.      Von 

J.  Loserth 254 

Aus   dem  Berichte  eines  Franzosen   über   den  Wiener  Hof  in    den  Jahren 

1671  und  1672.     Von  A.  F.  Pribram 270 

Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.     Von  Th.  v.  Sickel.     Zweiter 

Theil 369 

Amalrich    L,    König    von    Jerusalem    (1162  —  1174).      Von    Reinhold 

Röhricht  . 432 

Vier   Post-Stundenpässe   aus   den   Jahren    1496   bis    1500.     Von   Oswald 

Redlich 494 

Thierstrafen  und  Thieriirocesse.  Von  Karlv.  Amira  .  .  .  .  545 
Die  Schenkung  von  Kemnade  und  Fischbeck  an  Corve^-^  i.  J.  1147  und  die 

Purpururkunden  Coi-veys  von  1147  und  1152.  Von  Th.  Ilgen  .  602 
Das  Gerichtsprotokoll  der  kön.  Freistadt  Kaschau  in  Ober-Ungarn  aus  den 

Jahren  1556—1608.     Von  Dr.  F.  v.  Krones 618 

Die    Einführung    des    gregorianischen    Kalenders    in    Wien.      Von    Karl 

Uhlirz 639 


VI 

Seite 
Kleine  Mittheilungen: 

Eine  ungedruckte  Urkunde  Friedrichs  I.  und  ein  bisher  unbekannter 

Zug    desselben   ins    Königreich   Burgund.     Von  P.  Scheffer- 

Boichorst 149 

Drei  Briefe  des  Johannes  Bugenhagen.  Von  R.  Thommen  .  .  154 
Die  sphragistische  Sammlung  des  A.  H.  Kaiserhauses.   Von  Julius 

V.  Schlosser 297 

Wo  fand  der  erste  Zusammenstoss  zwischen  Hunnen  und  Westgothen 

statt?     Von  Raimund  F.  Kaindl 304 

Zur  Datirung  von  St.  4061.     Von  Loersch 311 

Die   Reste   des  Archivs   des  Klosters  S.  Cristina   bei  Olonna.     Von 

Sickel 505 

Zwei  Notizen  aus  der  Trierer  Stadtbibliothek.  Von  H.  V.  Sauerland  507 
Zur   erbköniglichen  Politik   der   ersten  Habsburger.     Von  S.  Herz- 

berg-Fränkel 647 

Aus  dem  Wiener  Stadtarchiv.    Von  KarlUhlirz  .        .        .       652 

Zwei  Initialen  eines  Wiener  Grundbuchs  aus  dem  Jahre  1389.    Von 

Karl  Schalk 655 

Literatur: 

Das  Wettiner-Jubiläum  in  der  histor.  Literatur  (Woldemar  Lippert).       160 

Annalen  der  deutschen  Geschichte  im  Mittelalter.  HL  Abth. :  An- 
nalen  des  deutschen  Reiches  im  Zeitalter  der  Ottonen  und  Salier. 
I.  Bd.,  Von  der  Begründung  des  deutschen  Reichs  durch  Hein- 
rich L  bis  zur  höchsten  Machtentfaltung  des  Kaiserthums  unter 
Heinrich  lU.  von  G.  Richter  und  H.  Kohl  (E.  v.  Ottenthai)        .       181 

M.  Manitius,  Deutsche  Geschichte  unter  den  sächsischen  und  salischen 

Kaisem  (911  —  1125)  (E.  v.  Ottenthai) 181 

Die  Statuten  des  Deutschen  Ordens  nach  den  ältesten  Handschriften 

herausgegeben  von  Max  Perlbach  (Dietrich  Schäfer)    .        .         .       185 

H.  Simonsfeld,  Beiträge  zum  päpstlichen  Kanzleiwesen  im  Mittel- 
alter  und  zur  deutschen  Geschichte   im  14.  Jahrh.  (M.  Tangl)     .       187 

Dr.  Johannes  Bugenhagens  Briefwechsel.    Im  Auftr.  der  Gesellsch.  f. 

pommer.  Alterihumsk.  ges.  u.  hrsg.  durch  Lic.  0.  Vogt  (R.  Thommen)       191 

Rikskansleren  Axel  Oxenstiemas  Skrifter  och  Brefvexling.  Utgifna  at 
Kongl.  Vitterhets-,  Historie-  och  Antiqvitets-Akademien  11  (Senare 
Afdelningen)  (Dietrich  Schäfer) 193 

Zu  Hefele  -  Knöpfler's  Conciliengeschichte  V.  und  VL     Eine  Replik. 

(P.  Scheffer-Boichorst) 201 

Oesterreichische  Kunst-Topographie.  I.  Bd. :  Herzogthum  Kärnten. 
Herausgegeben  von  der  k.  k.  Central-Commission  für  Erforschung 
und  Erhaltung  von  Kunst-  und  historischen  Denkmalen  (S.  La- 
schitzer) 314 

The  Musical  Notation  of  the  Middle  Ages  exemplified  by  Facsimiles 
of  Manuscripts  written  between  the  tenth  and  sexteenth  centuries 
inclusive.  Prepared  for  the  merabers  of  ,the  plainsong  and 
mediaeval  music  society*  (Guido  Adler) 342 


vn 

Seite 

Dr.  Georg  Wolfram,   Die  Reiterstatuette  Karls  des  Grossen  aus  der 

Kathedrale  zu  Metz  (J.  v.  Schlosser) 343 

Aktenstücke  zur  Geschichte  des  deutschen  Reiches  unter  den  Königen 
Rudolf  I.  und  Albrecht  I.  Gesammelt  von  A.  Fanta,  F.  Kalten- 
brunner,  E.  v.  Ottenthai.  Mitgetheilt  von  F.  Kaltenbrunner. 
(Mittheilungen  aus  dem  vaticanischen  Archive,  hg.  von  der  k. 
Akademie  der  Wissenschaften  1.  Bd.)  (Arnold  Busson)         .        .       345 

Lindner  Theodor,  Deutsche  Geschichte  unter  den  Habsburgern  und 
Luxemburgern  (1273—1437).  1.  Bd.  Von  Rudolf  von  Habsburg 
bis  zu  Ludwig  dem  Baiern  (A.  Huber) 350 

Wilhelm   Heyd,    Beiträge   zur   Geschichte   des   deutschen   Handels. 

Die  grosse  Ravensburger  Gesellschaft  (Ed.  Heyck)        .        .        .351 

Archivlehre.    Grundzüge  der  Geschichte,  Aufgaben  und  Einrichtung 

unserer  Archive  von  Franz  von  Löher  (A.  Budinszky)  .         .       354 

Die  historischen  Programme   der   österreichischen  Mittelschulen  für 

1890  (S.  M.  Prem) 355 

Urkundenbuch  der  Stadt  und  Landschaft  Zürich.  Herausg.  von  einer 
Commission  der  antiquarischen  Gesellschaft  in  Zürich,  bearbeitet 
von  Dr.  J.  Escher  und  Dr.  P.  Schweizer.  1.  Bd.  (741—1234) 
(Oswald  RedHch) 509 

Urkundenbuch  der  Stadt  Basel.  Herausg.  von  der  historischen  und 
antiquarischen  Gesellschaft  zu  Basel.  1.  Bd.  (751  —  1267)  be- 
arbeitet durch  Rudolf  Wackemagel  und  Rudolf  Thommen  (Oswald 
Redlich) 509 

Eduard  Rosenthal,  Geschichte  des  Gerichtswesens  und  der  Verwal- 
tungsorganisation Baiems.  1.  Bd.  Vom  Ende  des  12.  bis  zum 
Ende  des  16.  Jahrhunderts  (Luschin  v.  Ebengreuth)     .         .        .       519 

Heüigkreuz   und   Pfalzel,    Beiträge    zur    Baugeschichte   Triers   von 

W.  Effmann  (A.  Riegl) 527 

F.   V.   Pichl,    Kritische  Abhandlungen   über   die    älteste   Geschichte 

Salzburgs  (J.  Jung) 658 

Cesare  Paoli,  II  libro  di  Montaperti  (An.  MCCLX).  Documenti  di 
Storia  Italiana  pubblicati  a  cura  della  r.  Deputazione  sugli  Studi 
di  Storia  Patria  per  le  provincie  di  Toscana,  deirUmbria  e  delle 
Marche.   Tomo  IX.  (H.  v.  Voltelini) 658 

Dr.  Camillo  Henner,   Beiträge  zur  Organisation  und  Competenz  der 

päpstlichen  Ketzergerichte  (J.  Loserth) 661 

Der  Bilderkreis  zum  wälschen  Gaste  des  Thomasin  von  Zerclaere, 
nach  den  vorhandenen  Handschriften  untersucht  und  beschrieben 
von  Adolf  von  Oechelhaeuser  (Alois  Riegl) 664 

Neuwirth  Josef,    Peter  Parier  von  Gmünd,   Dombaumeister  in  Prag 

und  seine  Familie  (Dr.  Ad.  Horcicka) 665 

Mensi  Freiherr  von.   Die  Finanzen  Oesterreichs  von  1701   bis  1740. 

Nach  archivalischen  Quellen   dargestellt  (K.  Schalk)     .        .        .       669 

Krones  Fr.  R.  v.,  Tirol  1812  —  1816  und  Erzherzog  Johann 
von  Oesterreich,  zumeist  aus  seinem  Nachlasse  dargestellt 
(S.   M.   Prem) 670 

Notizen 363 


vm 


Seite 


Bericht  über  die  31.  Plenarversamlung  der  bist.  Kommission  bei  der 

kgl.  bayer,  Akad.  der  Wissenschaften 194 

Bericht  Ober  die  neunte  Plenarsitzung  d.  badischen  histor.  Kommission  197 
Das  Istituto  Austriaco  di  studii  storici  in  Rom          ....  200 
Bericht  der  Centraldirection  der  Monumenta  Germaniae  .         .         .  672 
Bericht  über  die  zweiunddreissigste  Plenarversammlung  der  histori- 
schen  Kommission   bei    der   kgl.    bayer.    Akademie   der  Wissen- 
schaften      676 

Bericht  über  die  wis8enschaft;lichen  Unternehmungen  der  Gesellschaft; 

ftir  Rheinische  Geschichtskunde 679 

Bericht  der  historischen  Kommission  der  Provinz  Sachsen         .         .  683 

Personalien 208 


Studien  zu  denTraditionsbücliern  YonS.Emmeram 

in  Eegensburg. 

Berthold   Bretholz. 

I.  Die  Reihe  der  S.  Emmeramer  Traditionsbücher. 

Wenn  auch  Traditionsbücher  in  den  bairisch-österreichischen  Klö- 
stern in  der  Zeit  vom  9.  bis  zum  ausgehenden  13.  Jahrhundert  vor- 
kommen, so  hat  sich  doch  noch  nirgends,  auch  nicht  in  den  bedeu- 
tendsten Stiftern,  eine  Fortführung  dieser  Bücher  während  des  ganzen 
Zeitraums,  also  durch  fünf  Jahrhunderte  hindurch  nachweisen  lassen. 
Vielmehr  ist  bei  den  einzelnen  Gruppen  einerseits  der  Zeitpunkt  des 
Beginnes  und  Abschlusses,  andererseits  die  Dauer  der  Unterbrechungen 
innerhalb  der  äussersten  Grenzen  sehr  verschieden.  So  hört  beispiels- 
weise die  Reihe  der  Freisinger  Traditionscodices,  welche  mit  der  ältesten 
derartigen  Sammlung,  dem  Codex  des  Kozroh,  aus  dem  Anfang  des 
9.  Jahrhunderts  beginnt,  verhältnissmässig  früh  auf,  während  wiederum 
die  beiden  Brixener  Traditionsbücher,  die  den  vereinzelten  Fall  einer 
Fortführung  bis  ins  14.  Jahrhundert  zeigen,  eigentlich  erst  mit  dem 
Ende  des  10.  Jahrhunderts  einsetzen.  Die  Gruppen  der  Salzburger 
und  Passauer  Traditionen  sind  noch  kürzer  und  zeigen  vor  allem  be- 
träch thche  Lücken.  Für  Jahrzehnte,  ganze  Regierungen  und  noch 
längere  Abschnitte  ist  der  Strom  der  Traditionen  unterbrochen.  Red- 
lich hat  bereits  in  seiner  Untersuchung  über  „Bairische  Traditions- 
bücher und  Traditionen"!)  diese  auffallende  Erscheinung  aus  der  Ent- 
stehungsweise der  Bücher  selbst  erklärt.  Indem  nämlich  die  Traditions- 
codices  zum  gi-osseren  Theile  sich  als  von  Zeit  zu  Zeit  vorgenommene 
summarische  Abschriften  nach  gesammelten  Einzelaufzeichnungen  dar- 
stellen, konnten  bei  solcher  Zusammenstellung  leicht  Lücken  entstehen, 


')  La  Mittheil.  d.  Instituts  f.  österr.  Geschichtsforschung  5,  41. 
MittheUungen  XU.  1 


2  B  r  e  t  li  0  1  z. 

wofern  in  gewissen  Perioden  die  Uebertragung  der  Vorlagen  in  das 
Traditionsheft  vernachlässigt  wurde;  und  dies  ereignete  sich  nur  zu 
Ott,  da  in  Wirklichkeit  nicht  überall  und  zu  jeder  Zeit  die  für  die 
Entstehung  solcher  Sammlungen  noth wendigen  Bedingungen  vorhanden 
waren.  Nur  bei  einer  Gruppe  trifft  dieser  Grund  nicht  zu,  bei  der 
der  Regensburger  Traditionsbücher;  ihre  lückenhafte  U eberlief erung 
ist  zum  kleinsten  Theil  auf  mangelhafte  Anlage  und  unvollständige 
Sammlung,  sondern  in  erster  Linie  auf  die  trümmerhafte  Erhaltung 
der  Bücher  zurückzuführen.  Der  heutige  Bestand  deckt  sich  nicht  mit 
dem  einstmaligen  und  wie  bei  anderen  Quellen  dürfte  auch  hier  der 
Versuch  einer  Reconstructiou  der  Reihe  nicht  ohne  Werth  sein. 

Die  Reihe  der  Traditionsbücher  aus  dem  Kloster  S.  Emmeram  zu 
Regensburg  besteht  aus  fünf  Gliedern ,  von  denen  jedes  ein  selbstän- 
diges Ganzes  bildet  oder  wenigstens  einst  bildete,  denn  zwei  derselben 
sind  bis  auf  einen  minimalen  Rest  zu  Grunde  gegangen,  so  gleich  der 
erste  Theil. 

1.  Das  Fragment  der  ältesten  Sammlung. 
In  dem  Codex  des  k,  1).  Reichsarchivs  in  München  (S.  Emmer.  5  Va)» 
den  wir  als  viertes  Glied  später  zu  besprechen  haben  werden,  findet 
sich  als  fol.  9  — 14  ein  Ternio  beigebunden,  der  uns  ein  Bruchstück 
der  ersten  im  Kloster  angelegten  Traditionen  Sammlung  darstellt.  Er 
enthält  blos  zwölf  Urkunden  ^).  Die  älteste  Nr.  1  gehört  der  Zeit  des 
ersten  Bischofs  von  Regensburg  und  Abtes  von  S.  Emmeram  (das  bis 
Ende  des  10.  Jahrhunderts  Kathedralkloster  gewesen),  Gawibald,  an, 
der  739 — 7G1  regierte,  die  jüngste,  Nr.  6,  ist  genau  datirt:  822  April  22; 
damals  stand  Bischof  Baturich  (817 — 848)  dem  Kloster  vor:  also 
frühestens  während  dessen  Regierung  könnte  die  Sammlung  entstanden 
sein.  Von  den  übrigen  zehn  Urkunden,  die  nicht  in  chronologi- 
scher Ordnung  aufeinanderfolgen,  gehören  sieben  dem  8.  und  drei  dem 
9.  Jahrhundert  au-).  Die  letzte  Eintragung  ist  unvollständig;  der 
Schluss  stand  auf  dem  ersten  Blatte  der  nächsten  Lage,  die  uus  aber 
mit  allen  etwa  nachfolgenden  spurlos  verloren  gegangen  ist.  Das  ganze 
Heft  ist  von  eiuer  Hand  geschrieben  ^) ;  wir  haben  hier  Abschriften 
nach  den  Uriginalaufzeichnungen  vor  uns. 

')  Die  ersten  zehn  sind  {j^edruckt  in  Pez,  Thesaurus  anecdotovum  novissimus 
13,  81—87;  besser  in  K.  Roth,  Beiträge  zur  Sprach-,  üeschichts-  und  (Jrtsfor- 
Bchung  3,  97  tt'.,  wo  auch  n.  11  und  12  abgedruckt  sind.  -)  Bis  auf  drei  und 
die  unvollendet«  letzte  sind  alle  Urkunden  genau,  datirt:  Der  Zeit  Bischof  Sind- 
berts (7.5Ü— 791)  gehören  an:  Nr.  8  (77G  Juli  10),  Nr.  5  (778),  Nr.  4  (791  Sep- 
tember 1),  Nr.  7  (77(j— 788)  und  Nr.  II;  —  Bischof  Adalwins  (792-817):  Nr.  2 
und  3  (792  Juli  22),  Nr.  9  (8{)H  September  14)  und  Nr.  10  (814  März  10).      «)  Die 


IStndieu  zu  den  Traditionsbüclieni  von  S.  Emmerai.i  in  Regensburg.  3 

Ueber  den  einstmaligen  Umfang  dieser  ersten  Sammlung  lassen 
sich  aus  den  erhaltenen  Blättern  keinerlei  Folgerungen  ziehen;  dass 
wir  den  Anfang  des  Codex  vor  uns  haben,  ergibt  sich  auch  daraus, 
dass  die  einzelnen  Urkunden  die  Nummern  I — XII  tragen,  die  ur- 
sprünglich sind.  Einen  Anhaltspunkt  für  die  Existenz  eines  selbstän- 
digen Codex,  von  dem  diese  Blätter  die  letzten  Trümmer  bilden,  glaube 
ich  zunächst  iu  dem  ältesten  Bücherverzeichnis  von  S.  Emmeram  zu 
finden;  es  ist  ein  einzelnes  Blatt,  das  als  fol.  17  dem  Evangeliencodex 
der  Hof-  und  Staatsbibliothek  iu  München  (Cod.  lat.  n.  14222)  bei- 
gebunden wurde;  es  stammt  aus  dem  10.  Jahrhundert.  Unter  anderen 
Büchern  ist  hier  auch  ein  ,  liber  kartularum "  verzeichnet,  womit  unser 
Traditionsbucli  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt  gemeint  sein  dürfte  1) 
Die  vielen  Nadelstiche  am  Buge  der  erhalteneu  Blätter  zeigen  nur, 
dass  dieses  Heft  schon  mehrmals  seinen  Platz  gewechselt  hat.  Mit 
dem  Codex,  dem  es  nunmehr  beigefügt  ist,  steht  es  aber  doch  schon 
länger  im  Zusammenhang,  als  seit  dem  Anfang  des  16.  Jahrhun- 
derts, da  dieser,  wie  Koth  meint,  in  seinen  jetzigen  Einband  ge- 
bracht wurde.  Auf  der  Kückseite  des  letzten  Blattes,  fol.  14  nämlich, 
ist  am  Eande  eine  Liste  von  Namen  einer  grossen  Censualenfamilie 
von  einer  Hand  des  12.  Jahrhunderts  notirt,  die  sich  in  einer  uuge- 
druckten  Urkunde  Nr.  581  des  Codex  5V2  ^^^^  ^ol.  113'  aus  der  Zeit 
des  Abtes  Engilfrid  (1132 — 1143)  wiederfinden.  Damit  ist  für  die 
Zertrümmerung  des  Buches  ein  terminus  ad  quem  gegeben.  In  der 
ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  war  bereits  der  Codex  zerfallen, 
die  einzelnen  Lagen  waren  lose,  und  auf  die  Blätter  wurden  beliebige 
Notizen  und  Eintragungen  gemacht,  denn  ausser  jenen  Namen  findet 
sich  noch  am  unteren  Eande  des  genannten  Blattes  von  einer  zweiten 
Hand  gleichfalls  des  12.  eTahrhunderts  ein  kurzer  Traditionsakt  ver- 
zeichnet. Dass  aber  damals  dieses  Heftchen  nicht  wie  jetzt  zu  Beginn 
des  Codex,  sondern  ziemlich  weit  rückwärts  lag,  erkennt  man  aus  einer 
Ziffer,  die  sich  auf  fol.  13  am  unteren  Eande  vorfindet  (es  ist  wohl  138) 
und  die  ich  mit  einer  alten  Foliiruug  des  Codex  5V2  in  Zusammen- 
hang bringe,  und  dass  es  etwa  eine  Zeitlang  sogar  eine  letzte  Lage  bil- 
dete, dafür  spräche  das  schlechte  Aussehen  der  Schlussseite,  die  ganz 
abgewetzt  ist.     Soviel  wird  aber  sicher  sein,  dass  dieses  älteste  S.  Em- 


von  Roth  98  und  127  gemaclite  Unterscheidung  von  i,zwei  oder  drei  Händen'"  ist 
ganz  unbegründet ;  der  Wechsel  der  Tintenfarbe  allein  ist  hier,  wie  bei  so  vielen 
Fällen  in  Uikundenbüchem  unwesentlich  und  unverwerthbar. 

1)  Dieses  Bücherverzeichnis  ist  gedruckt  und  mit  anderen  späteren  derselben 
Klosterbibliothek  besprochen  von  Schm eller,  Ueber  Bücherkataloge  des  15.  und 
früherer  Jahrh.  Serapeum  1841. 


4  Bretholz. 

meramer  Traditionsbuch  im  Kloster  selbst  und  spätestens  zu  Beginn 
des  12.  Jahrhunderts  zerstört  wurde;  diese  zunächst  vielleicht  noch 
überraschende  Thatsache  wird  durch  weitere  Analogien  gesichert.  Ver- 
schieben wir  vorläufig  die  Untersuchung  über  den  eiustmaligen  Um- 
fang dieses  Codex  und  wenden  wir  uns  der  wichtigen  Frage  zu,  wann 
dieser  Codex  wohl  angelegt  wurde  und  welchem  Bischöfe  er  seine 
Entstehung  verdankt.  Viele  Umstände  weisen  auf  die  Zeit  Baturichs 
hin,  der  als  Abtbisehof  von  817  —  848  Bisthuiu  und  Kloster  leitete. 
Dass  die  sechste  Urkunde  das  Jahr  822  als  terminus  a  quo  angibt, 
wurde  schon  erwähnt.  Leider  lässt  sich  der  weitere  Beweis  nicht  auf 
so  nüchterner  Grundlage,  wie  sie  Zahlen  bieten,  aufbauen ;  wir  müssen 
uns  auf  das  Gebiet  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  begeben ,  indem 
wir  mit  inneren  Gründen  operiren.  Kedlich  hat  den  allgemeinen  Satz 
ausgesprochen,  dass  der  Aufschwung  eines  Klosters,  die  Eegierung 
tüchtiger  Bischöfe  auch  gewöhnlich  durch  die  Anlage  von  Traditions- 
büchern gekennzeichnet  sei  (S.  41). 

Ohne  deswegen  etwa  jedem  tüchtigen  Klostervorsteher  die  Anlage 
eines  Traditionscodex  zumutheu  zu  wollen,  dürfen  wir  auf  den  Zustand 
S.  Emmerams  zur  Zeit  Baturichs  doch  hinweisen.  Er  selber  ein  Schüler 
der  Klosterschule  von  Fuld  vielleicht  in  der  Zeit,  als  sie  unter  Hra- 
bans  Leitung  stand ,  hat  in  Kegensburg  zu  litterarischer  Thätigkeit 
allenthalben  angeregt.  Unter  ihm  erst  erhielt  die  dortige  Schreibschule 
eine  grössere  Bedeutung,  indem  er  die  Mönche  zu  grösseren  Arbeiten 
dieser  Art  veraulasste ;  wir  haben  noch  jetzt  eine  Anzahl  von  Codices, 
die  er  anlegen  oder  abschreiben  Hess.  Reger  Sinn  und  gutes  Ver- 
ständnis für  Schriftwerke  müssen  aber  vorausgesetzt  werden,  um  die 
Führung  eines  Traditionsbuches  in  verhältnismässig  so  früher  Zeit 
und  in  so  vollkommener  Weise,  wie  es  in  S.  Emmeram  gleich  von 
Anfang  der  Fall  war,  annehmen  zu  dürfen.  Sodann  stimmt  der  rein 
praktische  Zweck,  der  der  Anlage  eiues  Traditionsbuches  immer  zu 
Grunde  liegt,  sehr  wohl  zu  dem  Eifer  dieses  Bischofs,  Güter  und  Rechte, 
die  dem  Kloster  in  der  letzten  Zeit  eutfremdet  worden  waren,  wieder 
zu  gewinnen  M-  Soweit  ist  der  Beweis  aus  dem  Fragment  selbst  und 
auf  Grund  allgemeiner  Gesichtapunkte  zu  führen ;  ins  rechte  Licht  wird 
aber  unsere  doppelte  Hypothese,  dass  der  Codex  inhaltsreicher  war  und 
unter  15.  Baturich  entstanden  ist,  erst  durch  die  Betrachtung  und 
Prüfung  des  nächstfolgenden  Gliedes  der  Reihe,  das  uns  unversehrt 
überkommen  ist,  gestellt. 

')  Y^].  über  die  Regierung  B.  Baturichs  und  über  die  litterarischen  Ar- 
beiten im  Kloster  in  dieser  Zeit:  Jänners  Geschichte  der  Bischöfe  von  Regena- 
biug  I,   \i)U  H'. 


Studien  zu  den  Ti-aditionsbüchern  von  S.  Emmeram  in  Regensburg.  5 

2.   Der  Traditionscodex  des  Diacons  Anamot. 

Es  ist  eine  Arbeit  wohl  derjenigen  vergleichbar,  die  um  einige  Jahr- 
zehnte früher  und  allerdings  mit  noch  reichhaltigerem  Material  im 
nahen  Freising  der  Diacon  Kozroh  ausgeführt  hatte  —  dieses  „  Col- 
lectariolum  traditionum  atque  concambiorum",  wie  es  sein  Autor  ge- 
nannt hat.  Anamots  Werk  bildet  den  zweiten  Theil  eines  Codex  des 
Münchner  Keichsarchivs  (S.  Emmer.  5V3)  und  ist  eine  in  Schrift  und 
Ausstattung,  in  der  ganzen  Anlage  einheitliche  prächtige  Sammlung 
von  Urkunden  in  zwei  Büchern;  das  erste  enthält  108,  das  zweite 
45  Nummern  1).  Mit  Recht  wurde  gesagt,  dass  der  Grund  dieser  Schei- 
dung nicht  leicht  ersichtlich  sei ;  denn  die  Urkunden  sind  weder  chrono- 
logisch, noch  local,  noch  nach  einem  irgend  erkennbaren  sachlichen 
Gesichtspunkt  geordnet,  es  erübrigt  daher  bloss,  an  ein  rein  äusser- 
liches,  ganz  zufälliges  Moment  zu  denken,  das  sich  uns  im  weiteren 
Verlaufe  auch  als  naheliegend  ergeben  wird.  Ich  biete  im  Folgenden 
keine  eigentliche  eingehende  Codexbeschreibung,  sondern  erwähne 
nur,  was  für  die  allgemeinen  Fragen  der  Entstehung  und  Anlage  von 
Belang  ist. 

Der  Sammlung  der  Traditionen  des  ersten  Buches  geht  ein  Re- 
gister voran  und  sodann  die  bekannte  Widmung,  in  der  Anamot  auch 
Zweck  und  Plan  der  Arbeit  mit  wenigen  bezeichnenden  Worten  an- 
gibt und  die  überschrieben  ist :  Excellentissimo  domino  A  episcopo  Ana- 
motus  humillimus  famulus.  Der  Name  des  Bischofs,  von  dem  jetzt 
nur  der  Anfangsbuchstabe  „A*  zu  lesen  ist,  war  einst  ausgeschrieben, 
wurde  aber  später  radirt;  der  palaeographische  Befund  jedoch,  will 
sagen,  die  ganz  unbedeutenden  Spuren  von  Schäften,  die  sich  allen- 
falls noch  erkennen  lassen,  und  die  Grösse  der  radirten  Stelle  ergeben 
mit  absoluter  Sicherheit,  dass  ursprünglich  hier  nur  „  Ambrichoni "  und 
nicht  „  Asperto "  —  zwischen  diesen  beiden  Namen  ist  zu  entscheiden 
—  gestanden  haben  kann,  und  zwar  wie  alles  übrige  in  Majuskel- 
buchstaben mit  Minium.  Heute  heisst  es  allgemein,  Anamots  Werk 
sei  dem  Bischof  Aspert  gewidmet  gewesen,  also  auch  unter  ihm  ent- 
standen'^). Mabillon,  der  erste,  der  diesen  Codex  zu  wisseu  schaftlichen 
Zwecken  beschreibt,  sagte  dagegen:  „praeclarus  est  codex  traditionum 
scriptus    ab  Anamoto    dicatusque   Ambriconi    episcopo  "3).      Daran    hat 


1)  Gedruckt  in  Pez ,  Thesaurus  anecd.  nov.  I  3,  193  und  Migne  Patrol.  lat. 
129,  900.  2)  So  nicht  nur  in  Wattenbachs  G.  Qu.  1,271  und  Dümmler,  Ostfr. 

Reich  2,  480,  sondern  auch  in  specielleren  Werken,  Janner,  Gesch.  d.  Bisch,  v. 
Regensb.  1,  252,  Redlich,  Ueber  bair.  Trad.  9,  der  aber  das  Werk  doch  schon 
um  890  begonnen  sein  lässt.         ")  Iter  Germ,  in  Veterum  analect.  Ed.  11  (1723)  10. 


ß  B  r  e  t  h  o  1  z. 

sich  Pez  allerdings  in  bescheidenster  Form,  aber  auch  ohne  irgend 
welchen  positiven  Grund,  zu  rütteln  erlaubt,  indem  er  den  Worten 
Mabillons,  die  er  wörtlich  anführt,  „vcl  ut  nobis  videtur  Asperto  epis- 
copo"  als  persönliche  Ansicht  anfügt,  sofort  aber  seine  Unsicherheit 
eingesteht  mit  der  Clausel:  certe  „A.  epo."  cui  Anamodus  hoc  illustre 
monumcntum  dicavit,  utramque  admittit^).  Gleichwohl  hat  Pez'  Ver- 
muthung  mehr  Anklang  gefunden  als  Mabillons  Behauptung,  wie  in 
allgemeinen  Geschichtswerken,  so  in  specielleren  Arbeiten,  und  ob- 
gleich Koth,  wie  es  schien,  einen  ganz  unzweifelhaften  Beweis  dafür 
brachte,  dass  A.  in  Ambricho  aufzulösen  sei,  musste  er  sich,  ohne 
dass  sein  Grund  zurückgewiesen  wurde,  also  lediglich  wegen  seiner 
Abtrünnigkeit,  jüngst  von  Janner  einen  Verweis  gefallen  lassen 2).  — 
Unserer  Deutung  des  Buchstaben  ,,A"  entsprechend  war  Anamot  doch 
schon  unter  der  Kegierung  B.  Ambrichos  (864 — 891)  mit  diesem  Werke 
beschäftigt,  denn  ihm  war  es  gewidmet.  Da  trat,  bevor  noch  die 
Arbeit  beendet  war,  im  Jahre  891  der  Tod  des  B.  Ambricho  ein. 
Aspert  wurde  als  Nachfolger  gewählt.  Bis  zu  Nr.  145  war  die  Samm- 
lung gediehen,  als  dies  geschah.  Deshalb  aber  das  Werk  unvollendet 
zu  lassen  hatte  keinen  Sinn,  der  Diacon  setzte  es  also  fort;  aber  wie 
bis  nun  Anamot  seinem  B.  Ambricho  zu  Willen  dasselbe  ausführte,  so 
sollte  das  Folgende  dem  Nachfolger,  dem  nunmehrigen  Bischof  Aspert 
gewidmet  sein.  Dies  wurde  durch  den  Beginn  eines  zweiten  Buches 
srekeunzeichnet.  Schliesslich  schien  es  dem  Autor  doch  einfacher,  dem 
Bischof  Aspert  das  ganze  Werk  zu  widmen,  und  so  erklärt  sich  die 
Tilgung  des  Namens  Ambricho  in  der  Widmungszeile  bis  auf  den  mit 
dem  Worte  Aspert  gemeinsamen  Buchstaben  „A".  Dass  aber  „As- 
perto" statt  dessen  doch  nicht  eingesetzt  wurde,  hat  seinen  guten 
Grund  in  der  völlig  missglückten  Rasur  der  Stelle,  auf  der  sich  neue 
Buchstaben  kaum  schön  ausgenommen  hätten. 

Nicht  minder  deutlich  spricht  der  Inhalt  der  beiden  Bücher  für 
die  Ansicht,  dass  das  Werk  unter  Ambricho  begonnen  und  fortge- 
führt, unter  Aspert  nur  fortgesetzt  wurde.  Die  Hauptmasse  in  beiden 
Büchern  bilden  Urkunden  aus  der  Zeit  B.  Ambrichos.  die  im  ersten 
nur  stellenweise  durch  Stücke  aus  noch  früherer  Zeit  unterbrochen 
werden.  Traditionen  des  B.  Aspert  finden  sich  überhaupt  erst  am 
Schlüsse  des  zweiten  Buches ;  es  sind  die  Nummern  37 — 40  und  42 — 45, 
während  Nr.  41  wieder  ein  Nachtrag  aus  der  Zeit  des  Vorgängers  ist. 


')  In  den  Observationes  praeviae  zum  Thesaurus  pag.  LXXXIT.  ^)  Roth 

188  wollte  auf  dem  Blatte  71^  unter  den  drei  zwar  radirten  aber  doch  entziffer- 
baren Zeilen:  In  nomine  etc.  AB  gesehen  haben,  das  in  Ambricho  aufzulösen 
wäre;  thatsächlich  sind  diese  zwei  Buchstal)en  nicht  zu  erkennen. 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Enimeram  in  Kegensburg.  7 

Xebeu  der  Zeit  haben  wir  auch  die  Art  der  Anlage  dieses  Col- 
lectariolum  zu  prüfen  und  wollen  hiebei  besonders  jenen  Nachtragungen 
aus  der  Zeit  der  Vorgänger  B.  Ambrichos,  die  sieh  im  ersten  Buche 
finden,  Beachtung  schenken.  Unter  ihnen  begegnen  uns  nämlich  Ur- 
kunden, die  den  drei  unmittelbar  vorangegangenen  Bischöfen,  also 
Adahvin,  Baturich  und  Erchaufrid  angehören  i).  Wir  fragen,  was  wohl 
die  Veranlassung  zu  diesen  Einschiebseln,  der  Grund  ihrer  Aufnahme 
in  die  Traditionssamraluug  B.  Ambrichos  gewesen  sei. 

Zunächst  wird  man  constatiren,  dass  sie  hier  nachgetragen  wur- 
den, weil  sie  wohl  bei  einer  früheren  Zusammenstellung  zufällig  oder 
absichtlich  übergangen  worden  waren;  eine  genauere  Prüfung  ergibt 
nun  aber  auch,  dass  ein  grosser  Theil  dieser  Nachtragungen  sich  für 
ein  Traditionsbuch  des  Klosters  S.  Emmeram  eigentlich  nicht  eignet. 
Sie  haben  entweder  keine  Beziehung  auf  dieses  Stift,  oder  sind  keine  eigent- 
lichen Traditionen  im  weitesten  Sinne  des  Wortes.  Sehen  wir  zwei  der  Nach- 
träge von  B.  Adalwin  an :  Nr.  2  und  45  betreffen  Traditionen,  die  an 
das  Kloster  S.  Salvator  an  der  Eezat  im  Schwalfeldgau ,  dessen  Abt 
eben  auch  der  jeweilige  Kegensburger  Bischof  war,  gemacht  worden 
waren.  Nicht  anders  verhält  es  sich  mit  Nr.  69  aus  der  Zeit  Batu- 
richs,  einer  Urkunde,  die  das  Kloster  Schönau,  eine  Commende  des 
Bisthums  Kegensburg,  berührt;  und  so  finden  wir  auch  weiter  zwei 
Urkunden  Nr.  7  und  39  aufgenommen,  die  Schenkungen  an  das  Kloster 
Mondsee  enthalten,  das  eine  Zeit  lang  gleichfalls  im  Abhängigkeits- 
verhältnis von  Kegensburg  stand-).  Wenn  ferner  in  einem  Tausch- 
vertrag aus  der  Zeit  B.  Erchanfrids  in  Nr.  14  als  gebender  und  em- 
pfangender Theil  lediglich  S.  Petrus  und  nicht  auch  S.  Emmeramus, 
wie  sonst,  genannt  erscheint,  so  muss  man  sagen,  dass  eben  dieses 
Geschäft  nur  der  einen,  nicht  aiich  der  anderen  Kathedralkirche  zu- 
gute kam  3).  Nr.  76  sodann  ist  ein  Concambium  zwischen  den  Bi- 
schöfen Erchanfrid  von  Kegensburg  und  Hartwich  von  Passau,  aber 
hier  tauscht  Erchanfrid  Güter  „proprietatis  suae"  und  erhält  als  Com- 
pensation    solche    „ad   suum   proprium    tenendum".     Man   ersieht   aus 


1)  Von  B.  Adalwin  (792—816)  finden  sich  darunter:  Nr.  2  (vom  J.  810), 
Nr.  45  und  70  (vom  J.  814);  von  B.  Baturich  (817—848):  Nr.  3  (vom  J.  819), 
Nr.  67,  77,  80  und  81  (vom  J.  822),  Nr.  7  und  Nr.  12  (vom  J.  829),  Nr.  72  (vom 
J.  833),  Nr.  69  und  71  (vom  J.  834)  und  Nr.  73  (vom  J.  837);  schliesslich  ohne 
genaue  Datirung  von  B.  Erchanfrid  (848—864):  Nr.  14,  39,  60,  74,  76,  83;  beim 
letzten  Stücke  steht  in  der  Ueberschrift  zwar  Ambricho,  Erchanfrid  im  Texte  der 
Urkunde   ist  wohl  massgebender.  «)    Nur  das  eine  Stück   Nr.  7   findet  sich 

auch  im  Mondseer  Traditionsbuch,  aber  erst  von  einer  Hand  des  12.  Jahrh.  ein- 
getragen, vgl.  Hauthaler,  Der  Mondseer  Codex  traditionum  in  Mittheil.  d.  Inst. 
7,  238^9.  ■'')  Ueber  das  Verhältnis  der  beiden  Kirchen  vgl.  Janner  1,  122. 


g  B  r  e  t  h  0  1  z. 

diesen  Fällen,    dass  Anamot,    von   dem   auch  behauptet  wird,    dass  er 
gar  nicht  Mönch  zu  S.  Emmeram  gewesen  i),  mit  seiner  Sammlung  den 
Zweck  verfolgte,    die  Urkunden   des  Bisthums    respective  der  Bischöfe 
und  nicht  allein  die  der  Abtei  8.  Emmeram  zusammenzustellen.    Dem 
gegenüber    erscheint   der  Charakter    des  ältesten  Codex,    von  dem  wir 
das  Fraoroent  von  zwölf  Urkunden  besitzen,  als  der  eines  ausschliess- 
liehen   S.  Emmeramer  Traditionsbuches.      Die   Schenkungen,    die   hier 
verzeichnet  sind,  gelten  alle  ausnahmslos  der  „ara  S.  Emmerami",    sie 
ist  meistens  allein  genannt    —   nur   einmal   findet  sich  auch  S.  Peter 
miterwähut  —  und  dürften  lediglich  dem  Archiv  des  Klosters  entnommen 
sein,    wogegen  Anamot  für  sein  Collectariolum   noch  aus  anderen  Ar- 
chiven,   besonders    dem    in  S.  Peter   verwahrten,    geschöpft   zu   haben 
scheint.     Allerdings   lassen    sich    nicht   alle  nachgetragenen  Urkunden 
unter   diesen    Ausnahmstitel    subsummiren ;     es    ist    eine    Reihe    von 
Stücken  darunter,    die    sich  auf  S.  Emmeram  beziehen,    dann  sind  sie 
aber  in  anderer  Beziehung  ungewöhnlich.    Die  dritte  Urkunde  aus  der 
Zeit  B.  Adalwins  Nr.  70  „Traditio  Eihpaldi  abbatis  ad  Sezpah''  ist  bei- 
spielsweise durch  die  Fassung   auflTällig^').     Die  subjectiv  gefasste  Ver- 
mächtnisurkunde  des   Abtes  Eihpald    ist   zweimal    unterbrochen  durch 
die  Erzählung  der  nach  Eihpalds  Tode  erfolgten  Investitur,  dann  folgt 
ein  Zusatz ,    in  dem  mitgetheilt  wird,  dass  der  Traditor  noch  bei  Leb- 
zeiten vom  Bischof  um  ein  Zugeständnis  gebeten  worden  war,  schliess- 
lich  eine   dreifache  Zeugenreihe    je   mit  Bezug    auf   die   verschiedenen 
Stadien  und  eine  doppelte  Datirung,  einmal  mit  Bezug  auf  die  Ueber- 
ffabe,  dann  auf  die  Investitur.    Wir  haben  bei  Anamot  nicht  mehr  die 
ursprüngliche  Originalurkunde,    sondern    eine    Compilation    des    ersten 
Textes   mit   einer  Reihe    von   nachträglichen  Zusätzen.     Einige  andere 
dieser  Nachtragungen  sind  wiederum  keine  eigentlichen  Geschäftsurkun- 
den im  Sinne  einer  Tradition  oder  eines  Concambium,  sondern  darauf 
bezügrliche  Akte   und    ProtocoUe.     So  ist  Xr.  3   betitelt:    de  marca  ad 
Champa,  ein  Instrument  über  die  am  14.  Dezember  819  durch  B.  Ba- 
turich  amtlich  d.  h.  in  Anwesenheit   des  gräflichen  Missus   vorgenom- 
mene Rückeinziehung  eines  S.  Emmeram  gehörigen  und  ihm  unrecht- 
mässig entfremdeten  Gebietes;  so  berichtet  Nr.  12  über  den  Vorgang, 
wie  ein  ehemals  zwischen  B.  Baturich   und  einem  Abt  Sigismund  ge- 
schlossenes Concambium  wieder  rückgängig   gemacht   werden   konnte; 
Nr.  ß7  ist  zwar  überschrieben:    „Traditio    Rihpaldi   abbatis'^,    ist  aber 
in  Wirklichkeit  die  Darstellung    des   langwierigen   Prozesses   zwischen 


')  Janner  1,  252  Anm.  6.  ")  Deshalb  auch  von  Ficker,  Urkundenlehre 

1,  278  besprochen. 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emmeram  in  Regensburg.  9 

dem  Klorfter  und  den  Verwandten  des  Traditors,  und  endlich  ist  Nr.  81 
„Traditio  Andarbodi  archipresbyteri",  die  urkundliche  Aufzeichnung  über 
die  im  Placitum  erwiesene  Kechtsgiltigkeit  einer  Schenkung.  Es  bleiben 
dann  nur  wenige  Stücke  übrig,  bei  denen  nicht  eine  Absonderlichkeit 
in  dieser  oder  jener  Kichtung  die  Ausschliessung  aus  dem  ersten  Tra- 
ditionscodex von  S.  Emmeram  erklären  würde,  und  für  die  dann  die 
allgemeine  schon  von  Redlich  angeführte  Thatsache  herhalten  muss, 
dass  ,  oft  spätere  Traditionssammlungen  Nachträge  aus  früheren  Zeiten 
bringen,  aus  denen  doch  selbst  schon  eine  Sammlung  vorlag*^  (S. 56.). 
Wenn  nicht  gleichsam  als  Nachträge  zum  ersten  Bande,  dann 
wäre  diese  Auswahl  von  Urkunden  aus  der  Zeit  vor  Ambricho  im  Co- 
dex Anamots  kaum  zu  erklären.  Und  diese  Wahrnehmungen  veran- 
lassen eben  die  Vorstellung,  dass  der  Codex  des  Anamot  nur  als  eine 
unmittelbare,  wenn  auch  nach  anderem  Plane  und  anderen  Gesichts- 
punkten augelegte  Fortsetzung  des  ältesten  Traditionsbuches  von  S.  Em- 
meram anzusehen  ist,  das  heute  nur  als  ein  Fragment  vorliegt,  ehe- 
mals aber  die  imposante  Urkundenmasse  von  der  Zeit  des  ersten 
Regensburger  Bischofs  Gawibald  bis  auf  Erchanfrid,  in  Zahlen  ausge- 
drückt von  739 — 864,  enthalten  haben  dürfte. 

3.    Die  Reste    eines   Traditionsbuches    des   Bischofs  Tuto 

(894—930). 

Es  mag  wie  gesagt  zunächst  auffallend  erscheinen,  dass  im  Kloster 
S.  Emmeram,  wo  doch  nachweislich  für  die  Bibliothek  grosse  Sorge 
getragen  wurde,  ein  so  bedeutender  Verlust,  wie  der  des  ältesten  Tra- 
ditionscodex, entstehen  konnte.  Nun,  wir  werden  noch  andere  Be- 
obachtungen machen,  die  uns  zur  Genüge  darin  bestärken,  dass  sich 
diese  Fürsorge  auf  die  Traditionsbücher  des  Klosters  nicht  erstreckt 
hat.  Der  Grund  hievon  scheint  darin  zu  liegen ,  dass  diese  Bücher 
überhaupt  nicht  in  der  Bibliothek  aufbewahrt  wurden;  in  den  zwei 
grossen  Bücherkatalogen,  von  denen  der  eine  1347,  der  andere  1501 
ausgearbeitet  wurde  i) ,  wird  keines  angeführt ,  wie  ihnen  auch  ein 
Kennzeichen  der  eigentlichen  Bibliotheksbücher  abgeht,  nämhch  der 
Haken  am  Einband  zum  Durchziehen  der  Kette .  }nit  der  der  Codex 
am  Pulte  festhing;  es  waren  also  keine  „libri  catenati",  wie  der  Bib- 
liotheksausdruck lautete. 

Die  Traditionsbücher  waren  eben  keine  Bibliotheksbücher;  ihrer 
rechtlichen  Natur  nach  gehörten  und  gehören  sie  ins  Archiv,  das  wir 
uns  aber   in  der  alten  Zeit   nur   als   einen    unselbständigen  Theil    der 


0  Vgl.  S.  3  Anm.  1. 


10  B  r  c  t  h  0  1  z. 

Kanzlei  vorstellen  können.  Hier  in  der  Schreibstube  oder  sonstwo 
werden  sie  ihren  Platz  gefunden  haben,  so  lange  sie  für  die  laufen- 
den Geschäfte  noch  werth  und  wichtig  waren;  aber  uacli  einer  ge- 
wissen Zeit  war  deren  Aufbewahrung  zwecklos  gewordeu,  für  das  gute 
alte  Pergament  fand  man  leicht  Verwendung.  So  ist  denn  ein  zweites 
Traditionsbuch,  das  des  Bischofs  Tuto,  zertrümmert  worden  und  zwar 
so  vollkommen,  dass  nur  durch  einen  glücklichen  Zufall  einige  Blätter 
desselben  wieder  zum  Vorschein  gekommen  sind. 

Von  den  Einbänden  werthloser  „Chartekeu"  löste  Bibliothekar  Ge- 
meiner nach  seinem  eigenen  Berichte  im  Jahre  1811  zwei  Blätter  mit 
Ti-aditionsnotizen  des  Bischofs  Tuto  ab^).  Nachher  fand  man  noch 
eines  und  so  besitzen  wir  nun  im  ganzen  drei  Doppelblätter,  die  in 
München  im  Archiv  des  „historischen  Vereins  von  und  für  Oberbaiern" 
unter  „Archivalien  6086^"  aufbewahrt  werden,  woselbst  ich  dieselben 
dank  der  freundlichen  Vermittlung  mehrerer  Mitglieder  gesehen  habe. 
Die  drei  Doppelblätter  gehörten  zwei  aufeinander  folgenden  Lagen  au 
und  zwar  so,  dass  das  eine  als  drittes  Doppelblatt  des  einen,  die  an- 
deren beiden  als  zweites  und  viertes  des  nächsten  Quaternio  anzu- 
sehen sind.  Demgemäss  ist  die  ßeihe  der  auf  diesen  sechs  Blättern 
niedergeschriebenen  Urkunden  oft  unterbrochen.  Ihr  Aussehen  ent- 
spricht ganz  der  Jahrhunderte  langen  Verwendung  derselben  als 
ßücherumschlag.  Die  Blätter  tragen  keinerlei  Foliirung,  dagegen  die 
einzelnen  Urkunden  Nummern,  und  hiebei  überrascht  uns  die  hohe 
Zalil  derselben.  Das  erste  Stück  ist  bereits  Nr.  100  und  kann  docli 
spätestens  dem  Jahre  900  angehören,  denn  die  Urkunden  auf  den  fol- 
genden Blättern  sind  zum  Theil  datirt  und  zeigen  genaue  chrono- 
logische Anordnung.  Es  ist  nicht  denkbar,  dass  aus  den  ersten  sechs 
Jahren  der  Regierung  B.  Tutos  (894—930)  sich  bereits  eine  so  grosse 
Zahl  von  Urkunden  angesammelt  habe. 

Da  müssen  wir  auf  den  Codex  des  Anamot  zurückkommen.  Es 
wurde  früher  erwähnt,  dass  im  zweiten  Buche  desselben  mit  den 
Nr.  37 — 40  und  42 — 45  eine  Sammlung  der  Traditionen  unter  Bischof 
Aspert  begonnen  wurde.  Aber  diese  Sammlung  ist  nicht  abgeschlos- 
sen ;    nicht   etwa   deshall) ,    weil  uns  acht  Urkunden  für  die  fast  drei- 


')  »Ueber  ein  gefundenes  Frapfinent.  eines  alten  unedirten  S.  Emmeramer 
Traditionscodex*  in  Aretins  »Beiträge  zur  Geschichte  und  Litteratur^  9,  1052. 
üebcr  das  etwas  raysteriöse  Vcrscliwinden  und  Wiederauf'fiuden  derselben  und 
das  plötzliche  Auftauchen  eines  dritten  zugehörigen  Blattes  berichtet  ausführlich 
Roth  in  seinen  Beiträgen  Heft  4,  97,  wo  er  zugleich  die  Urkunden  in  sehr  guten 
Drucken  veröffentlicht  hat,  Rieds  Abdrücke  derselben  im  Codex  dipl.  Ratisbon. 
vervollständigend  und  verbessernd. 


Sfndien  zu  don  Traditionsliüchevn  von  S.  Emmeram  in  Kesfensburg.  \  \ 

jährige  Kegieruugsdauer  eine  zu  geringe  Zahl  scheinen,  sondern  weil  die 
letzte  Nr.  45  am  Schluss  der  Rückseite  des  165.  Blattes  mitten  im 
Text  abbricht.  Pez'  Behauptimg,  dass  ein  letztes  Blatt  ausgeschnitten 
sei,  ist  ganz  unbegründet i).  Ich  bemerke  dagegen,  dass  mit  diesem 
165.  Blatte  zugleich  der  12.  Quaternio  — aus  so  vielen  Lagen  besteht 
das  ganze  Werk  Auamots  —  abschliesst.  Der  Schluss  der  Urkunde 
Nr.  45  dürfte  vielmehr  auf  dem  ersten  Blatte  einer  neuen  Lage  ge- 
standen haben,  in  der  zugleich  die  ürkundenabschriften  aus  der  Zeit 
Tutos  begannen,  so  also,  dass  der  Codex  des  Tuto  sich  unmittelbar  au 
das  Werk  Anamots  anschloss  und  die  Urkunden  weiter  gezählt  wur- 
den. Ob  diese  Fortsetzung  zunächst  auch  von  Anamot  geführt  wurde, 
kann  man  nicht  sagen.  Der  spätere  Theil,  aus  dem  wir  die  Blätter 
haben,  zeigt  vielmehr  eine  wesentlich  andere  Anlage.  Wir  haben 
schon  erwähnt,  dass,  soweit  sich  dies  aus  den  spärlichen  Ueberresten 
ersehen  lässt,  die  Urkunden  chronologisch  geordnet  waren.  Sodann 
sind  mehrere  Schreiber  mit  der  Eintragung  betraut.  Besonders  bei  den 
Stücken  des  ersten  Blattes  Nr.  109^ — 112  und  wiederum  Nr.  116  und  117 
wechseln  die  Hände  mehrfach,  während  die  Stücke  auf  den  beiden 
weiteren  Blättern  Nr.  126—128,  131  —  135,  Schluss  von  136  —  139 
höchstens  drei  verschiedene  Schriften  aufweisen.  Jede  Urkunde  hatte 
eine  üeberschrift  und  eine  Nummer,  beides  oft  nachträglich  dazu- 
geschrieben.  Die  Ausstattung  nun,  die  Grösse  und  das  Format  der 
Blätter  erinnern  gleichfalls  an  den  Codex  des  Anamot.  Nach  unserer 
Annahme  über  das  Verhältnis  der  beiden  Sammlungen  wäre  die  Ent- 
stehungszeit der  letzteren,  Avelche  die  Urkunden  Tutos  enthielt,  vollkom- 
menbestimmt. Der  Codex  müsste  zu  Beginn  derEegierung  des  Bischofs 
begonnen  und  von  Zeit  zu  Zeit  von  verschiedenen  Schreibern  fortgeführt 
worden  sein.  Auch  hier  werden  wir  blos  Abschriften  nach  den  Ori- 
ginalakten und  nicht  etwa  unmittelbare  Eintragungen  annehmen  dürfen, 
mögen  auch  ziemlich  häufig  Correcturen  und  Nachtragungen  einzelner 
Buchstaben,  und  in  einem  Falle  sogar  in  Nr.  134  eine  Nachtragung 
der  Mancipiennamen  am  unteren  Rande  mit  Leerlassuug  einer  Zeile 
im  Texte  sich  zeigen.  Wir  haben  für  diplomatische  Untersuchung  zu 
o;erinffes  Material. 

Die  letzte  Urkunde  auf  diesen  Blättern  ist  Nr.  139  und  trägt  die 
•Ldireszahl  901;  dass  der  Codex  gerade  mit  diesem  Blatte  abgeschlossen 
habe,  ist  allerdings  unwahrscheinlich ;  wie  weit  aber  die  Sammlung  ge- 
reicht hat,  ob  etwa  die  Urkundenmasse  aus  der  Zeit  des  Bischofs  Tuto  allein 


')  286:  »Desunt  seqnentes  paiiculi  versus  oh  folium  ultimum    c  codice  ex- 
cisum". 


\2  Biet  holz. 

bis  930,  oder  gar  auch  die  seiner  unmittelbaren  Nachfolger  aus  der 
Zeit  930 — 975  einstens  zusammengestellt  war,  ist  nicht  zu  entscheiden. 
Eoth  hat  übrigens  einmal  die  Vermuthung  ausgesprochen,  es  könnten 
andere  Trümmer  des  Codex  auf  Einbänden  der  bischöflichen  Bibliothek 
zu  Regeusburg  sich  entdecken  lassen;  meines  Wissens  ist  dieser  An- 
regung noch  nicht  Folge  geleistet  worden  ^). 

4.  Der  Liber  traditionum  saec.  X — XIII. 

Liber  traditionum,  dies  ist  die  ursprüngliche  Bezeichnung  des 
Quartbandes  im  k.  b.  Reichsarchiv  in  München  (S.  Emmer.  57^  ^It 
Z.  32),  wie  sie  in  Majuskelbuchstaben  auf  dem  oberen  Deckel  zur  Zeit 
des  Einbindens,  etwa  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  geschrieben  wurde. 
Er  stimmt  in  seiner  äusseren  Erscheinung  vollkommen  mit  dem  Codex, 
der  den  Anamot  enthält,  überein.  Dieser  Band,  dem  das  Fragment 
des  ältesten  Traditionsbuches  als  fol.  0 — 14  beigebunden  ist,  zählt, 
einige  miteingeheftete  Blättchen  nicht  mitgerechnet,  195  durchaus  be- 
schriebene Blätter,  die  ungefähr  900  Traditionen  vom  Jahre  975,  dem 
•Regierungsantritt  des  Abtes  Ramwold,  bis  1235,  dem  Todesjahre  des 
Abtes  Berthold  IL  enthalten.  Es  sind  fast  durch geheuds  nur  Urkunden 
und  Aktaufzeichnungen  über  Rechtsgeschäfte  der  genannten  Art,  die 
das  Kloster  S.  Emmeram  betreffen  -). 

Von  dieser  ürkundenmasse  ist  bis  nun  nur  ein  Theil  edirt.  Zuerst 
brachte  B.  Pez  3)  eine  Auslese ,  zusammen  206  Stücke ,  von  der  be- 
gründeten Ansicht  ausgehend,  man  müsse  zuerst  die  Urkunden  be- 
kannt machen,  ,,quae  lucem  aliquara  rebus  historicis  afferre  possint" 
(Praef.  pag.  LXXXII).  Nach  einem  andern  Princip  traf  dann  ein  zweiter 
Bearbeiter  dieses  Codex,  der  ehemalige  k.  b.  Archivrath  Wittmann,  eine 
Auswahl^);  er  druckte  280  weitere  Urkunden  ab,  die  wichtige  Orts- 
und Personennamen  enthielten  oder  ,, unsere  Kenntnisse  von  den  da- 
maligen Volkszuständen  zu  vervollständigen  oder  zu  berichtigen  ge- 
eignet sein  könnten".  So  vollkommen  ist  übrigens  die  Auswahl  weder 
von  Pez  noch  von  Wittniann  getroffen  worden,  dass  man  nicht  noch 
viele  Akte  fände,  die  in  der  einen  oder  anderen  Hinsicht  für  die  For- 
schuug  vonintere&se  wären:  sind  doch  von  den  etwas  mehr  als  900  Ur- 


')  Vgl.  die  Nachricht  über  die  Verschleppung  bair.  Archivalien  in  neuester 
Zeit,  Verh.  des  hist.  Vereins  f.  N. -Baiera  19,  178  und  N.  Arch.  f.  d.  Gesch.  K. 
2,  440.  -)  Ausnahmen  bilden  bloss  Cod.  ^'r.  5!)4  Abschrift  einer  Littera  Papst 

Innocenz  II.  (1137  März  26)  J.  L.  7832  und  Nr.  765    einer  Urkunde  B.  Leos  von 
Regennburg  (t  1265).  ')  Thes.  anecd.  noviss.  I  3,  81  flF.  *)  Quellen  und 

Erörterungen  zur  bairischen  und  deutschen  Geschichte  1,  l  ff. 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emmeram  in  Regensburg.  J^ß 

künden  fast  die  Hälfte  unbekannt !  Stellt  man  sich  aber  auf  den  Stand- 
punkt des  Diplomatikers  und  will  man  dieses  Traditionsbuch  für  die 
Lehre  der  Privaturkundeu  verwerthen,  dann  ist  an  und  für  sich  mit 
diesen  fragmentarischen  Editionen  nicht  gedient,  die  übrigens  mit  zu 
denen  gehören  dürften,  von  denen  Redlich  —  allerdings  ohne  Namen 
zu  nennen  —  bemerkt,  dass  sie  fast  alles  zu  wünschen  übrig  lassen. 
Es  stellen  sich  aber  auch  dem  Versuch,  diesen  Traditionscodex  zu  be- 
arbeiten, mannigfache  Schwierigkeiten  entgegen,  wie  schon  aus  einer 
kurzen  Charakteristik  —  denn  eine  genaue  Beschreibung  hätte  an 
diesem  Orte  keine  Berechtigung  —  erhellen  wird.  Der  Codex  ist  näm- 
lich, wie  er  sich  uns  heute  darstellt,  ein  völliges  Durcheinander  ein 
gi'ossartiges  Beispiel  von  Verwirrung,  und  man  begreift  es,  dass 
ßoth,  der  auch  diesem  Theil  einige  Aufmerksamkeit  geschenkt  hat^) 
und  sich  eingehender  damit  beschäftigen  wollte,  unwillio-  die  Arbeit 
abbricht  .  ,  .  „konnte  ich  doch  selbst  bei  längerer  Durchforschuug 
der  Handschrift  keinen  leitenden  Eadeu  durch  die  greuliche  Unord- 
nung finden". 

Die  Ursache  dieses  heutigen  Zustandes  ist  eigenthümlich  genuo-. 
Nicht,  dass  etwa  unregelmässige  Eintragung,  Mangel  au  chrouoloo-ischer 
Folge  die  Hauptschwierigkeit  bilden ;  diesem,  fast  möchte  man  sao-en, 
selbstverständlichen  Uebel,  sowie  dem  Umstand,  dass  die  Lagen  und 
Blätter  stark  verbunden  sind,  lässt  sich  schliesslich  bis  zu  einem  o-e- 
wissen  Grade  abhelfen;  aber  eine  unheilbare  Beschädigung  hat  der 
Codex  dadurch  erlitten,  dass  viele  Blätter  älterer  Lae-en  verloren  o-e- 
gangen  sind,  indem  man  sie  aus  ihrem  früheren  Zusammenhang  heraus- 
riss ,  dann  durch  Waschen  oder  Radiren  die  erste  Schrift  entfernte 
und  die  mit  neuen  Eintragungen  beschriebenen  Blätter  in  anderen  Zu- 
sammenhang brachte,  ohne  dass  die  dadurch  entstandenen  Lücken  irgend- 
wie ersetzt  worden  wären.  Das  geschah  aber  nicht  nur  mit  einzelnen 
Blättern,  sondern  mit  ganzen  Lagen,  und  man  kann  sich  nun  vor- 
stellen ,  welch  ungemein  grosse  Zerstörung  und  Verwirrung  hiedurch 
geschaffen  wurde.  Man  hat  augenscheinlich  durch  einen  längeren  Zeit- 
raum im  Kloster  S.  Emmeram  für  die  Aufzeichnungen  von  Traditionen 
fast  nie  mehr  neues  Pergament  verwendet,  sondern  Blätter  älterer  Hefte 
durch  Tilgung  der  ursprünglichen  Schrift  hiefür  präparirt.  So  sind 
auch  manche  Blätter  palaeogTaphisch  ganz  interessant,  denn  die  Tilgung, 
die  theils  durch  Waschen,   theils'   durch   Radiren,    vielleicht  auch  hie 


')  3,  97;  übrigens  hat  er  aus  demselben  das  werthvolle  Verzeichnis  der  Bi- 
schöfe von  Regensburg  und  Aebte  von  ö.  Emmeram,  das  sich  im  Codex  tbl.  5 
und  7  befindet,  zuerst  abgedruckt  4,  42—50. 


14  Bretholz. 

und  da  durch  Behandlung  mit  Säuren  (wenigstens  möchte  die  dunkel- 
braune Färbung  mancher  Seite  diesen  Gedanken  nahe  legen)  erreicht 
wurde,  ist  sehr  ungleich ;  in  der  Mehr/ahl  der  Fälle  ist  sie  so  vollkommen, 
dass  man  kaum  eine  Spur  der  ursprünglichen  Schrift  entdecken  kann, 
oft  genug  sind  aber  mehrere  Worte  der  alten  Urkunde  leicht  zu  lesen, 
Uebrigens  bleibt  als  untrügliches  Kennzeichen  für  rescribirtes  Perga- 
ment die  Rauhheit  desselben  oder  auch  eine  ungleiche  Färbung,  deut- 
licher gesagt,  ein  schmutziges  Aussehen  des  Blattes  i).  Unter  den  ver- 
schiedenartigen Beschädigungen,  die  das  Buch  erlitten  hat,  ist  diese, 
da  dadurch  viele  ältere  Urkunden  vei-loren  gegangen  sind,  für  uns  am 
bedauerlichsten.  Die  Menge  der  verlorenen  Blätter  lässt  sich  zum  Theile 
Avenigstens  durch  Yergleichung  der  moderneu  Foliirung  (es  sind  deren 
zwei:  eine  aus  dem  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  in  der  Mitte  des 
oberen  Blattrandes  und  die  andere  in  der  Ecke  daselbst,  vielleicht  erst 
von  llath  Wittmann  angebracht)  mit  einer  viel  älteren,  die  sich  aller- 
dings nur  fragmentarisch  auf  manchen  Blättern  am  unteren  Bande  in 
der  rechten  Ecke  erhalten  hat,  coustatiren;  die  meisten  Ziffern  der- 
selben sind  aber  durch  eine  weitere  Art  der  Beschädigung  dieses  Codex, 
durch  das  Beschneiden  der  Blattränder,  verloren  gegangen;  man  ersieht 
jedoch  aus  den  Ueberresten ,  dass  diese  Foliirung  zweifellos  einer  an- 
deren und  älteren  Anordnung  der  Lagen  und  Blätter  ihre  Entstehung 
verdankt.  Wir  bemerken  schliesslich  auch  noch  Ziffern  in  der  Mitte 
des  unteren  Randes  mancher  Blätter,  die  eine  Zählung  der  Lagen  an- 
deuten. Die  höchste  Ziffer  ist  26  uud  in  Wirklichkeit  constatireu  wir 
heute  eben  so  viele  Lagen  im  Codex,  aber  dieselben  sind  so  ungleich 
au  Umfang  und  so  künstlich  uud  äusserlich  zusammengestellt,  dass 
man  in  dieser  Zählung  gar  kein  System  ünden  kann. 

Unsere  Handschrift  beginnt  eigentlich  erst  mit  der  dritten  Lage 
f<»l.  15 — 22,  denn  die  zweite  fol.  IJ — 14  ist  das  Fragment  des  ältesten 
Traditionscodt'X  und  die  erste  fol.  1 — 8  gehört  in  ihrer  jetzigen  Form 
nicht  der  ursprünglichen  Anlage  au,  sondern  ist  zur  Zeit  des  Einbin- 
dens,  etwa  zu  Beginn  des  16.  Jahrhunderts,  mit  Benützung  von  Per- 
gamentblättem  anderer  Lagen   entstanden.     Das    äusserste  Doppelblatt 


')  Kur  in  einem  Ti-aditionsbuch  einer  anderen  Gruppe  ist  mir  eine  ebenso 
behandelte  Lage  vorgekommen;  der  Salzburger  Codex  des  Erzbischofs  Friedrich 
(Cod.  Nr.  339  des  H.  H.  u.  St.-Arch.  in  "Wien)  zeigt  gleichfalls  von  fol.  5—10 
durchaus  radirtes  Pergament,  und  die  Urkunden  Nr.  11  —  20-  stehen  also  auf 
Hasur,  was  hiemit  zur  Beschreibung  des  Codex  bei  Hauthaler  »Die  Salzburger 
Traditionacodices  des  10.  und  11.  Jahrhunderts'  in  Mittheil.  d.  Instit.  3,  71—73 
nachgetragen  wird;  dass  darunter  auch  nur  Traditionen  standen,  scheint  aus  ein- 
zelnen noch  erkenubai'en  Worten  duixhaus  wahrscheinlich. 


Studien  zu  den  Tvaditionsbüchern  von  S.  Erameram  in  Regensburg.  15 

l'ol.  1/8,    das  aus  der  siebenten  Lage  entnommen  ist,    bildet  den  Um- 
schlag  für  den  Ternio  fol.  2 — 7 ,    der,    durchaus   von  einer  Hand  des 
beginnenden    16.  Jahrhunderts    geschrieben,    folgende  Theile   entljält: 
fol.  2 — 4    ein   theihveises  Verzeichnis    über  die  im  Codex    enthaltenen 
Urkunden,  fol.  5  den  Katalog  der  Aebte  von  S.  Emmeram,  fol.  6  Ur- 
kundenabschriften Nr.  6 — 14  und  fol.  7   den  Katalog  der  Bischöfe  von 
Kegensburg.     Diese  Blätter    zeigen   durchaus   aufgerauhtes  Pergament, 
an  mehreren  Stellen   lässt  sich  auch  deutlich  noch  die  frühere  Schrift 
erkennen.     Schon  K.oth,    der   wenigstens   diese   erste  Lage   untersucht 
hat,    sagt:    ,es   standen   Schenkungen   aus   dem    12.  Jahrhundert   da** 
(4,  4G).     Doch  das  ist  nicht  ganz  richtig   und  bedarf  einer  präciseren 
Bestimmung.     Die  Blätter  stammen  nicht  aus  einer  und  derselben  Lage, 
sondern  es  gehörten  fol.  4  und  wahrscheinlich  auch  5  ursprünglich  der 
fünften  an,    also   dem  ältesten  Theile  des  Codex,    der  noch  Urkunden 
aus  dem  Ende  des  10.  Jahrhunderts  enthält,  was,  wie  es  sich  aus  inneren 
Gründen  ergibt,    so  auch  durch  die  Uebereinstimmung  in  Schrift  imd 
Linienschema   äusserlich    erwiesen    wird.      Auf  dem   Doppelblatte  3/6 
lässt  sich  auf  der  Kückseite  von  fol.  6  eine  Urkunde  fast  noch  vollkom- 
men entziffern,  die  der  Zeit  des  Abtes  Engilfrid  1132 — 1143  angehört. 
So  bieten   uns  gleich   die  ersten  Blätter    ein  Bild  der  regellosen  Ver- 
bindung der  Lagen  und  Blätter,  die  den  Codex  im  gauzen  charakterisirt. 
Die  Frage,  die  uns  nun  zu  beschäftigen  hat,  ist  die  nach  der  Ent- 
stehungszeit.     Zu   diesem  Behufe  müssen  wir   den  Beginn   des  Codex 
näher  betrachten.    Die  vierte,  fünfte  und  sechste  Lage  euthalten  durch- 
aus nur  Urkunden    aus    der  Zeit    des   ersten   selbständigen  Abtes   von 
S.  Emmeram,  Eamwold,    der  vom  Jahre  975—1001  dem  Kloster  vor- 
stand.   Wir  nehmen  hiebei  eine  Arbeitstheilung  der  Art  wahr,  dass  im 
wesentlichen  drei  Schreiber  selbständig  und  jeder  in  seiner  Weise  mit 
einer  gewissen  Sorgfalt  ein  Heftchen  anlegte  und  zu  Ende  führte ;  erst 
der  letzte  von  ihnen  liess  sich  gegen  Schluss  seines  Heftes  von  anderen 
Schreibern  unterstützen.    Dabei  sind  alle  drei  Lagen  sehr  verschieden  in 
ihrem  Aussehen.    Der  erste  Quaternio  fol.  15—22  mit  den  Nr.  32 — 49  (Pez 
Nr.  1 1 — 28)  bildet  in  Schrift  (nur  das  letzte  Stück  ist  von  einer  zweiten 
Hand),    Liniament  und  Ausstattung  ein  einheitliches  Ganzes,    es  stellt 
sich  als  eine  Keiuschrift  dar,    wofür  denn  auch   die  schön  geformten, 
grossen,    die  Breite  von  4  Zeilen   umfassenden    und   mit  rother  Farbe 
ausgefüllten  Initialbuchstaben   bei  jeder   einzelnen  Urkunde    sprechen. 
Die  folgende  Lage   ist   ein  Ternio   fol.   23—28    mit   den   Nr.  50—79 
(Pez  Nr.  29 — 36  und  Wittmann  1—17,  einige  sind  ungedruckt).    Von 
der  vorhergehenden   unterscheidet    sie  sich  in  mehreren  Punkten;    die 
Sclirift  —    durchaus  eine   und  dieselbe  Hand    —    zeigt  diesmal  einen 


16  B  retholz. 

schwerftilligen  Charakter,  ist  aber  mit  der  des  vorigen  Theiles  gleich- 
zeitig; sodann  fehlt  die  Einheitlichkeit  im  Liniament;  jedes  Doppelblatt 
hat  andere  Zeilenzahl.  Dagegen  bleibt,  wie  die  Schrift,  so  auch  die 
Ausstattung  durch  die  ganze  Lage  gleich.  Die  üeberschriften  dieser 
dreissig  Stücke,  der  Anfang  derselben,  die  Ankündigungsformel  für  die 
Zeugen,  gelegentlich  auch  noch  andere  Stellen  sind  mit  Minium  ge- 
schrieben und  mit  grüner  Farbe  breit  belegi;  also  eine  verhältnis- 
mässig seltene  und  auffallende  Ausstattung,  die  auch  auf  diese  Lage 
beschränkt  geblieben  ist.  Dass  in  der  nächsten,  fünften  Lage  mit  den 
Codexnummern  80 — 102  ^)  vor  allem  die  Schrift  häufiger  wechselt, 
wurde  schon  gesagt;  dass  iu  diesen  Quaternio  zwei  Blätter,  fol.  32 
und  33,  nicht  hineingeboren  und  schliesslich  auch  nicht  zu  einander 
passen,  also  aus  verschiedenen  Lagen  zufälhg  hier  eingebunden  wurden, 
macht  uns  nur  aufmerksam,  dass  hier  wieder  eine  Lücke  ist,  die  wir 
durch  Einfügung  der  schon  erwähnten  fol.  4  und  5  richtig  auszufüllen 
glauben ;  nicht  immer  ist  die  Reconstruction  so  schnell  hergestellt.  In 
seiner  Ausstattung  zeigt  der  Ternio  nichts  auffallendes ;  es  ist  die  ein- 
fachste von  den  drei  Lagen. 

Trotz  der  Verschiedenheit  der  Hände  zeigen  sich  bei  diesen  kalli- 
graphischen Zügen  durchaus  die  Merkmale  der  Schrift  des  späten 
10.  Jahrhunderts,  so  in  den  Formen  der  Mittelschäfte,  die  im  allge- 
meinen noch  immer  spitzig  und  nach  liuks  abgebogen  auslaufen,  ferner 
darin,  dass  die  Oberlängen  noch  merkhche  Verdickung  und  ebenso 
wie  die  Unterlängen  nur  gauz  unbedeutende  Spuren  von  Ansatzstrichen 
zeigen;  das  noch  spärliche  Vorkommen  von  „e"  mit  der  Schlinge  und 
das  nur  vereinzelte  Erscheinen  von  rundem  „s"  am  Ende  der  Worte 
macht  gleichfalls  eine  spätere  Zeitgrenze  unwahrscheinlich.  Eine  der- 
artige Reinschrift  setzt  natürlich  eine  gewisse  Fähigkeit  und  regen  Sinn 
für  Anlage  von  Schriftwerken  voraus;  nun  ist  aber  S.  Emmeram  zur 
Genüge  als  eine  Stätte  bekannt,  wo  die  Sckreibekunst  seit  den  Zeiten 
Karlrf  des  Grossen  geübt  wurde,  wo  Copiren  und  Abfassen  von  Büchern 
zu  den  hauptsächlichsten  Beschäftigungen  der  Mönche  gehörte.  Gerade 
aus  der  Zeit  des  Abtes  Ramwold  und  seines  Gönners  und  Freundes, 
des  Bischofs  Wolfgaug,  sind  uus  mehrere  Belege  für  die  schriftstelle- 
rische und  wissenschaftliche  Bethätigung  im  Kloster  erhalten-).  Neben 
diesem  allerdings  wichtigsten  Moment  der  Zeitbestimmung  aus  der 
Schrift  kommt  noch  eine  Reihe  innerer  Gründe  in  Betracht,  die  eben- 


')  Die  davon  bei  Pez   oder  Witt  manu  gedruckten  Stücke   sind   aus  chrono- 
logi.schen  Gründen  an  verschiedenen  Orten  eingereiht.  «)  Vgl.  hierüber  .lanner 

1,  373  ff. 


Stnclien  zn  den  Traditionshücliem  von  8.  Emmeram  in  Kegensburg.  "[7 

falls  für  diese  Entstehungszeit  sprechen.  Fragen  wir  zunächst  nach 
der  möglichen  Yeraulassung  für  die  Anlage  eines  solchen  Werkes.  Es 
ist  bekannt,  dass  S.  Emmeram  ursprünglich  ein  Kathedralkloster  war, 
und  vollständig  unter  der  Leitung  des  jeweiligen  Bischofs  von  Eegens- 
burg  stand,  der  zugleich  Abt  von  S.  Emmeram  war.  Diesem  Zu- 
stande, der  mancherlei  Mishelligkeiten  zur  Folge  hatte  und  durch  den 
das  Mönchwesen  besonders  litt,  machte  der  Bischof  Wolfgang  (972 — 
994)  ein  Ende.  Er  berief  seinen  Freund  Kamwold  aus  S.  Maximin  in 
Trier,  machte  ihn  zuerst  zum  Probst,  bald  aber  975  zum  selbständigen 
Abte  des  Klosters  S.  Emmeram.  Gleichzeitig  mit  der  Nominirung  eines 
eigenen  Abtes  und  der  Loslösung  des  Klosters  vom  Bisthum  wurde 
nothwendigerweise  auch  eine  Abrennung  der  Güter  vorgenommen  ^).  War 
nun  auch  anfangs  das  Verhältnis  zwischen  Bisthum  und  Kloster  oder 
sagen  wir  richtiger  zwischen  Bischof  Wolfgang  und  Abt  Ramwold  ein 
durchaus  friedliches,  ja  freundschaftliches,  so  lag  es  doch  im  Interesse 
der  Mönche,  gegenüber  den  Kanonikern,  die  von  Haus  aus  mit  dieser 
That  ihres  Bischofs  nicht  zufrieden  waren,  fortan  ihren  Besitz  und  die 
ihnen  zu  Theil  werdenden  Schenkungen  an  Land  und  Leuten  in  Evi- 
denz zu  halten.  Aus  der  Persönlichkeit  des  Bischofs  sowohl  als  des 
Abtes,  aus  den  historischen  Ereignissen,  mit  einem  Worte  aus  der  Lage 
der  Verhältnisse  lässt  es  sich  begreifen,  dass  gerade  schon  unter  Ram- 
wold der  Gedanke  gefasst  wurde,  ein  Traditionsbuch,  das  ausschliess- 
lich für  den  Besitz  des  Klosters  bestimmt  war,  anzulegen  und  fortzu- 
führen 2).  Kommen  wir  nun  auch  noch  auf  einen  ganz  äusserlichen 
Umstand,  der  aber  doch  sehr  in  die  Wagschale  fällt;  ich  habe  schon 
von  der  Ausstattung  gesprochen  und  kann  noch  hinzufügen,  dass  kein 
Theil  des  ganzen  Codex  je  wieder  mit  soviel  äusserem  Schmuck  aus- 
gefühi't  würde,  wie  gerade  die  ersten  drei  Hefte,  die  die  Urkunden 
des  ersten  Abtes  Ramwold  enthalten.  Während  der  Regierungszeit  des 
Abtes  ist  die  Ausführung  einer  solchen  Arbeit  viel  wahrscheinlicher, 
als  in  späterer  Zeit,  so  und  so  viele  Jahre  nach  seiuem  Tode,  wo 
man  mit  den  Nachtragungen  lediglich  einen  praktischen  Zweck  ver- 
folgte. 


')  Wir  sind  über  diese  Verhältnisse  quellenmässig  nicht  genügend  unter- 
richtet vgl.  Janner  1,  358  fF.  -)  Es  scheint,  dass  wir  nicht  oft  in  der  Lage 
sind  die  unmittelbare  Veranlassung  für  die  Entstehung  dieser  Bücher  nachzu- 
weisen; beim  Mondseer  Traditionscodex  hat  Hauthaler  (»Der  Mondseer  Codex  tra- 
ditionum'^  in  den  Mittheil.  d.  Instit.  7,  225)  den  Grund  für  die  Entstehung  der 
Sammlung  unter  Abt  Hitto  (878 — 894)  darin  gefunden,  dass  ihm  durch  Ueber- 
weisung  der  Aljtei  im  Jahre  883  als  Abt  eine  bestimmtere  und  festere  Stellung 
zuerkannt  wurde. 

MittheiluDgen  XII.  2 


18 


B  r  e  t  h  0  1  z. 


Was  Kedlich  schon  über  die  Anlage  dieses  Theiles  gesagt  hat, 
dass  nämlich  die  von  c.  970—1050  erhaltenen  Traditionen  alle  erst 
nachträglich  in  den  Codex  abgeschrieben  sind  (p.  27),  in  dem  Sinne 
nämlich  der  Gegenüberstellung  von  nachträglicher  Zusammenstellung 
und  unmittelbarer  Eintragung,  dafür  ergibt  sich  ein  untrügliches,  wenn 
auch  absonderliches  Kennzeichen.  Es  wurde  schon  bemerkt,  dass  die 
achtzehn  Urkunden  des  ersten  Heftes  mit  prächtigen  Initialen  beginnen ; 
hiebei  hat  sich  der  Schreiber,  wenn  ich  so  sagen  darf,  einen  Scherz 
erlaubt :  Ab  initio  enim  .  .  .  beginnt  die  erste  Urkunde  Nr.  32  (Pez 
Nr.  11  ff.),  Bona  ex  autiquis  .  .  .  die  zweite,  Cognoscat  igitur  ...  die 
dritte,  und  so  geht  es  in  alphabetischer  Ordnung  ohne  jeden  Sprung 
fort,  selbst  die  littera  K  erscheint  mit  fraglicher  Berechtig-ung  in  dem 
Incipit :  Karta  pandente  .  .  . ,  bis  die  achtzehnte  Urkunde  mit  dem  An- 
fange :  Sapienti  usi  .  .  .  die  Lage  abschliesst.  Die  anfangs  naheliegende 
Erwartung,  irgendwo  im  Codex  die  Fortsetzung  zu  finden,  bestätigte 
sich  nicht  und  das  Blatt  34,  wo  allerdings  eine  Urkunde  Nr.  96  mit 
ähnlich  ausgeführter  Initiale  ,¥"  erscheint,  gehört  gewiss  nicht  zu 
dieser  Anlage.  Schliesslich  braucht  man  deshalb  nicht  an  einen  Ver- 
lust mehrerer  Blätter  zu  denken,  die  schöne  Arbeit  gedieh  eben  nicht 
weiter. 

Ich  glaube  nicht,  dass  jemand  in  dieser  Eigenthümlichkeit  ii-gend 
welchen  besonderen  Sinn  und  Zweck,  etwa  eine  Controlle  wird  erblicken 
wollen;  es  ist  nichts  mehr  und  nichts  weniger  als  ein  geistloses  Spiel 
des  Schreibers,  das  uns  aber  recht  zu  Statten  kommt.  Denn  es  ist 
wohl  ganz  ausgeschlossen,  dass  man  sich  im  Kloster  bei  der  Ausstel- 
lung der  Einzelurkunden  von  einem  derartigen  Gedanken  leiten  Hess; 
der  Scherz  ist  doch  überhaupt  nur  bei  einer  Zusammenstellung  in  einem 
Buche  bemerkbar.  Damit  ist  aber  von  vornherein  die  Annahme  einer 
nachträglichen  Eintragung  sicher;  was  sich  über  das  Verhältnis  der 
Vorlagen  und  Abschriften  zu  einander  daraas  ergibt,  darüber  später. 
Also  einerseits  Anfertigung  des  Codex  zu  Lebzeiten  des  Bischofs,  anderer- 
seits nicht  unraittell)are  Eintragung,  sondern  planmässige  Zusammen- 
stellung von  Zeit  zu  Zeit. 

Verfolgen  wir  den  weiteren  Verlauf  der  Eintragungen,  so  nehmen 
wir  wahr,  dass  dieselben  zunächst  in  chronologisch  genauer  Folge  fort- 
geführt sind.  An  die  Aktaufzeichuungen  aus  der  Zeit  Kamwolds  reihen 
sich  die  seiner  Nachfolger.  Von  Abt  Wolfram,  der  1001  die  Leitung 
des  Klosters  übernahm,  aber  schon  1006  abgesetzt  vnirde,  sind  nur  zwei 
kurze  Eintragungen,   Nr.  103   und  104,    vorhanden^).     Die  sicherlich 


')  M.  G.  öö.   1,04.     Die  Annaleu  von  8.  Emmeram  zum  Jahre  1006 :  »Wolf- 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emmeram  in  Regensburg.  \  9 

unruhige  Kegierung,  hervorgerufen  durch  den  Gegensatz  zwischen  den 
Bestrebungen  der  Mönche  die  erlangte  Selhstäudiglceit  zu  wahren,  und 
dem  Wunsch  der  Kanoniker  und  des  Bischofs  —  es  war  damals  Geb- 
hard  I.  (995 — 1023)  —  den  ehemaligen  Einfluss  auf  das  Kloster  wiec'er 
zu  erlangen,  war  der  Vermehrung  des  Klostergutes  nicht  förderlich. 
Sehr  reichhaltig  ist  dagegen  das  Material  unter  Abt  Eicholf  oder  Ki- 
chold  (beide  Schreibweisen  finden  sich  im  Codex),  der  von  1006  —  1028 
das  Kloster  leitete.  Eine  genaue  Grenze  aber  zwischen  den  Eintra- 
gungen der  Akte  zweier  aufeinander  folgender  Aebte  anzugeben,  ist 
man  bei  diesem  Codex  nur  sehr  selten  in  der  Lage.  Es  wird  mit  den 
Stücken  des  neuen  Abtes  keine  neue  Lage  begonnen,  kein  Abschnitt, 
nicht  einmal  der  üebergang  durch  eine  üeberschrift  kenntlich  ge- 
macht. Wo  wir  plannitässige  nachträgliche  Sammlung  der  Akte  vor- 
aussetzen können,  stützt  man  sich  am  besten  auf  den  Wechsel  der 
Hände.  Leider  constatirt  man  gerade  bei  diesem  Codex,  wie  auch 
Redlich  ^)  schon  hervorgehoben  hat ,  bei  den  Traditionen  der  ersten 
Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  fortwährenden  Wechsel  von  Hand,  Tinte 
und  Zug,  wo  gleichwohl  wegen  anderer  Umstände  spätere  Nachtragung 
stattgefunden  haben  muss.  Somit  bleibt  uur  übrig,  aus  dem  Inhalt 
der  Urkunde  auf  die  Zugehörigkeit  zu  schliessen;  bei  den  kurzen  in- 
haltsarmen Kotizen  ist  eine  genaue  Bestimmung  überhaupt  nicht  mög- 
lich, und  man  muss  sich  bescheiden  anzugeben,  in  welchem  Stücke  der 
eine  Abt  zum  letzten  Male  und  in  welchem  sein  Nachfolger  zum  ersten 
Male  genannt  wird.  Eicholfs  Traditionen  beginnen  also  in  der  sechsten 
Lage  und  reichen  noch  in  die  achte  hinein,  wahrscheinlich  bis  Nr.  188 
auf  fol.  56.  Die  einzelnen  Hefte  und  Blätter  zeigen  aber  nicht  mehr 
die  Einheitlichkeit  in  der  Anlage,  wie  der  frühere  Theil  unter  Ram- 
wold.  Vor  allem  fehlt  eine  auffälligere  gleichmässige  Ausstattung, 
höchstens  haben  die  meisten  Stücke  kleine  rothe  Anfangsbuchstaben. 
Eine  grössere  Zahl  von  Schreibern  theilt  sich  in  die  Arbeit,  mit  einan- 
der abwechselnd  und  sehr  ungleich  stark  beschäftig-t ;  wir  beobachten, 
dass  von  mancher  Hand  viele,  von  einer  andern  nur  wenige  Akte  ge- 
schrieben sind;  auch  im  Liniament  zeigt  sich  keine  Kegelmässigkeit. 
Die  verschiedenen  Hände  schreiben  aber  durchaus  eine  feste  schöne 
Minuskel.     Sprächen  allerdings  solche  Momente    sehr  für  unmittelbare 


rammus  iniuste  deponitur  et  Richotfus  substituitur*.  —  Hier,  wo  Wittmann  Cod. 
n.  104  Ed.  n.  82  als  einen  Nachtrag  aus  der  Zeit  des  Abtes  Rupert  (1070—1095) 
bezeichnet,  und  in  anderen  Fällen,  wo  ich  mit  der  Einreihung  der  einzelnen  un- 
datirten  Stücke  bei  Pez  oder  Wittmann  mich  nicht  einverstanden  erkläre,  bin  ich 
gleichwohl  nicht  in  der  Lage,  meine  Gründe  in  diesem  Aufsatz  zu  detailliren. 
»)  29  Anra.  3. 

2' 


20  B  r  e  t  h  0  l  z. 

Eintragung,  so  ersieht  man  schon  aus  dem  Zusätze  „bonae  memoriae" 
bei  den  Abtnamen  in  einzelnen  Urkunden,  dass  wir  es  wohl  nur  mit 
späteren  Zusammenstellungen  zu  thun  haben. 

Eigentlich  sind  die  ersten  zehn  Lagen  bis  fol.  75  verhältnismässig 
gut  erhalten,  aus  den  einzelnen  Quaternionen  fehlen  allerdings  Blätter, 
doch  die  Schichtung  der  Lagen  ist  die  ursprüngliche  und  manche  Lücke 
lässt  sich  leicht  ausfüllen.  Aber  hier  beginnt  das  eigentliche  Chaos 
und  umfasst  die  folgenden  sieben  Lagen.  Sie  vollkommen  zu  recon- 
struii-en  wird  wohl  kaum  je  möghch  werden.  Es  kann  nun  nicht 
blosser  Zufall  sein,  dass  gerade  in  der  Zeit,  in  der  die  an  und  für  sich 
schlecht  überlieferte  Abtreihe  ^)  dieses  Klosters  gleichsam  ganz  im  Sande 
verläuft,  auch  der  Traditionscodex  die  grösste  ünordnimg  aufweist.  Es 
ist  die  Zeit  der  Eegierung  der  Aebte  Pabo,  Eeginhard  und  Engilfrid 
von  1095 — 1143,  in  welcher  Pabo  dreimal  nach  langwierigen  Pro- 
cessen gegen  seine  Gegenäbte  zur  Regierung  gelangt.  Dieser  Theil 
des  Codex  ist  in  seiner  äusseren  Erscheinung  das  wahrhaftige  Spiegel- 
bild der  Zeitperiode,  der  er  seine  Entstehung  verdankt:  alles  in  Ver- 
wirruno-, eine  Menge  von  Urkunden  auf  radirtem  oder  gewaschenem 
Pergament,  daher  ältere  Stücke  getilgt,  für  ungiltig  erklärt,  oifenbar 
auch  ganze  Blätter  eliminirt.  Hier  wechseln  auch  protokollarische 
Notizen  mit  nachträghchen  Abschriften  und  der  Grundsatz,  in  chrono- 
logischer Folge  einzutragen,  wird  und  muss  unter  solchen  Umständen 
ganz  ausser  Acht  gelassen  worden  sein. 

Mit  dem  Tode  Pabo's  und  dem  Regierungsantritt  seines  Nachfol- 
gers, des  Abtes  Berthold  L  (1143—1149),  herrscht  in  S.  Emmeram 
wieder  vollkommene  Ruhe  und  Ordnung.  Die  Hefte,  die  die  Urkun- 
den dieses  Abtes  enthalten,  ül)erraschen  uns  durch  Einheitlichkeit  und 
Sauberkeit;  die  Schrift  ist  durchaus  gleichmässig  und  sorgfältig;  die 
Anfangsbuchstaben  sind  wiederum  grosse  mit  Minium  ausgefüllte  Ini- 
tialen. Nach  fast  fünfzigjähriger  Unterbrechung  durch  die  inneren 
Wirren  fand  man  jetzt  auch  wieder  in  der  Schreibstube  Müsse  zum 
Arbeiten.  Von  nun  an  haben  wir  ausschliessUch  nur  nachträgliche 
Sammlungen.  Der  Schlusstheil  des  Codex  von  fol.  139  angefangen, 
ist  auch  wieder  weniger  lückenhaft,  nur  hat  hier  eine  leicht  zu  ver- 
bessernde Verschiebung  der  Lagen  unter  einander  stattgefunden.  Die 
richtige  Folge  wäre  nämlich  die,  dass  sich  au  fol.  154 — 104  fol.  139 
— 153  als  Schluss  anreihten.     Die  Lagen  befanden  sich  auch  wirklich 


')  Den  letzten  Versuch,  dieselbe  wieder  herzustellen,  danken  wir  P.  Bened. 
Braunmüller:  .Die  Reihe  der  Aebte  von  Ö.  Emmeram  in  Regensburg*  in  Studien 
u.  Mittheil.  a.  d.  Bened.-Orden  4,  118. 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emmeram  in  Regensburg:.  21 

einmal  in  dieser  Ordnung,  wie  sich  aus  der  unteren  Foliirung  zeigt. 
Der  Grund  dieser  Verschiebung  ist  unwesentlich,  die  sechs  Lagen 
fol.  154 — 194  haben  kleineres  Format,  während  fol.  139 — 153  dieselbe 
Grösse  hat,  wie  der  ganze  vorhergehen  de  Theil  des  Codex. 

In  diesen  letzten  Lagen  haben  wir,  von  einzelnen  Nachträgen  aus 
früherer  Zeit  und  falsch  eingefügten  Blättern  abgesehen,  zunächst  die 
Sammluug  der  Urkunden  der  Aebte  Adalbert  I.  (1149 — 1177)  und  Be- 
rengar  II.  (1177  —  1201),  die  sehr  umfangreich  ist  und  daher  auf  ziem- 
licher Vollständigkeit  beruhen  wird,  in  den  Blättern  160 — 194.  Dieser 
Theil  ist  auch  in  palaeographischer  Hinsicht  sehr  interessant ;  es  wech- 
seln nämlich  mehrmals  cursive  und  feste  Bücherschrift,  jede  von  ganz 
ausgesprochenem  Charakter  und  doch  von  demselben  Schreiber  ge- 
schrieben. Denn  der  Uebergang  von  der  einen  Schriftart  in  die  an- 
dere ist  ganz  allmählich  und  mitten  in  einer  Urkunde  vorgenommen, 
so  bei  Nr.  788  (Wittmann  n.  186)  auf  fol.  165;  da  sieht  man,  wie 
die  kleinen  Buchstaben  sich  dehnen,  die  runden  Formen  gerader,  da- 
gegen die  spitz  auslaufenden  Schäfte  gleichmässig  und  unten  stumpf 
werden  und  durch  Ansatzlinien  eine  Abgrenzung  erhalten.  Einige 
Worte  hindurch  dauert  dieses  Schwanken,  dieser  Uebergang  und  in 
der  folgenden  Zeile  haben  wir  die  ganz  andere  Schriftform  in  ihrer 
Vollkommenheit  ausgebildet;  einige  Zeilen  lang  hält  dieser  Charakter 
an  und  wandelt  sich  dann  in  der  umgekehrten  Weise  wieder  in  die 
Cursive  um. 

Weniffer  Einheitlichkeit  zeigt  dann  der  Schlusstheil  fol.  139 — 153 
wie  in  Schrift,  so  auch  im  Inhalt.  Waren  nämlich  ursprünglich  diese 
Lagen  für  den  Schluss  der  Urkundenabschriften  des  genannten  Abtes 
Berengar  IL  und  solche  seines  Nachfolgers  Eberhard  IL  (1201 — 1217) 
bestimmt,  so  hat  man  hierin  keine  genaue  h^cheidung  gemacht  und 
auch  noch  Stücke  Bertholds  IL  (1219  —  1235)  eingeschoben,  dessen 
Traditionsheft  wir  sofort  in  dem  nächsten  Codex  kennen  lernen  werden. 
Es  fehlt  uns  mithin  nur  noch  der  zwischen  Eberhard  und  Berthold 
von  1217  bis  1219  regierende  Abt  Udalrich  IL  Auch  dessen  Urkun- 
den begann  man  abzuschreiben ;  auf  der  Kückseite  des  letzten  Blattes 
fol.  153  hat  man  den  Anfang  in  sehr  kenntlicher  Weise  gemacht, 
denn  die  Urkunde  Nr.  756  (Wittmann  Nr.  280)  daselbst  ist  mit  einer 
auffallend  schönen  Initiale  „I"  begonnen;  die  beiden  folgenden  Num- 
mern 757  und  758  (ungedruckt)  gehören  auch  noch  ihm  an  und  dann 
haben  wir  noch  die  ersten  Worte  eines  weiteren  Stückes,  das  aber  der 
Schreiber  nicht  mehr  vollendet  hat.  Schliesslich  best  man  auf  diesem 
Schlussblatte  quer  über  die  Seite  geschrieben  die  Notiz:  „Et  ego  Ul- 
ricus  Scolaris  Schirliugarii  (Lücke)  diligenter  manda[vi]",  doch  könnte 


22  B  r  e  t  h  0  1  z. 

ich  nicht  feststellen,  wer  dieser  Ulricus  war.  Das  ganze  Aussehen 
dieser  Seite  zeigt,  dass  sie  längere  Zeit  ohne  Schutz  die  letzte  gewesen 
ist,  und  wir  werden  daher  in  dieser  Lage  den  wirklichen  Abschluss 
dieses  Codex  zu  erkennen  haben. 

5.    Der  Codex  traditionum  saec.  XIII  et  XIV. 

Unter  diesem  Titel  befindet  sich  in  der  Hof-  und  Staatsbibliothek 
zu  München  (Cod.  14992  alt  Z.  19)  das  letzte  Glied  der  Gruppe.  In- 
soweit mir  die  Litteratur  bekannt  ist,  warZirngibl,  als  er  im  Jahre  1800 
seine  ,  Abhandlung  über  den  Exemptionsprozess  des  Gotteshauses  S.  Em- 
meram  mit  dem  Hochstift  Eegensburg  994  — 1325  ■'  verfasste^),  der 
letzte,  der  diesen  Codex  beachtete;  seither  scheint  dieses  reichhaltige 
Buch,  das  für  die  Geschichte  des  Klosters,  für  dessen  wirthschaftliche 
Verhältnisse  viel  wichtiges  ürkundenmaterial  enthält,  unbeachtet  ge- 
blieben zu  sein.  Es  ist  ein  in  Pergamentblätter  eingeschlagener  Folio- 
band mit  87  Blättern,  in  dem  Pergament-  und  Papierlagen  bereits 
wechseln.  Vorgeheftet  sind  dem  eigentlichen  Codex  zwei  selbständig 
entstandene  Lagen ;  die  eine ,  ein  Quaternio ,  dem  aber  zwei  Blätter 
fehlen,  erinnert  in  der  Grösse  seiner  Pergamentblätter  durchaus  an  den 
Codex  5  V2 1  dessen  Fortsetzung  er  auch  inhaltlich  bildet.  Die  zweite 
Lage,  die  aus  fünf  kleinen  Octavblättchen  besteht,  ist  das  Fragment 
einer  eigenen  Sammlung  von  Urkunden,  die  durch  die  Aufschi'ift:  Qua- 
ternus  rescripti  privilegiorum  infirmarie  sub  Haertwico  infirmario,  näher 
bestimmt  wird. 

Die  folgenden  neun  Lagen  von  fol.  12—64  bilden  den  eigent- 
lichen Codex,  doch  kommen  als  Schluss  noch  zwei  Quaternionen  hinzu, 
die  wieder  verschiedenes  Format  haben.  Immer  und  immer  wieder 
zeigen  sich  auch  in  diesem  Buche  grössere  und  kleinere  Lücken  und 
aus  einer  älteren  li'oliirung  der  Blätter  lässt  sich  schon  ersehen,  dass 
derselbe  einst  statt  87  folia  deren  130  enthalten  hat. 

Die  im  Codex  sich  vorfindenden  Urkunden  umfassen  die  Eegie- 
rungszeit  der  Aebte  von  Berthold  II.  (1219 — 1235)  bis  auf  Adalbert  IL 
(1324 — 1358).  Von  letzterem  finden  sich  allerdings  nur  Stücke  aus 
den  ersten  Jahren  bis  1329,  aber  dieser  Abschluss  ist  bezeichnend, 
denn  er  flillt  zusammen  mit  der  Beendigung  des  mehr  als  drei  Jahr- 
hunderte dauernden  Processes  des  Klosters  gegen  die  Ansprüche  des 
bischöflichen  Stuhles,  der  durch  das  päpstliche  Breve  Johanns  XXII. 
vom  12.  Januar  1327  entschieden  wurde^).  Mit  ihrem  Beginne  schliesst 
sich  dagegen  die  Sammlung  unmittelbar  an  die  des  vorigen  Codex  an. 

')  Erschieuea  in  deu  .Verhandlungen  der  bair.  Akad.  der  Wissenschaften* 
1,  1803.  ■')  Janner  3,  170. 


Studien  zu  den  Traditionsbücliern  von  S.  Emroeram  in  Regensburg.  23 

Nun  zeigt  sich  aber  sehr  bald,  dass  dieses  als  Codex  traditionum 
bezeichnete  Werk  eigentlich  einen  falschen  Namen  trägt.  Die  Haupt- 
masse der  in  diesem  Buche  verzeichneten  Urkunden  sind  eigentlich 
förmliche  Abschriften,  wobei  man  sich  gelegentlich  mit  Kegesten  auch 
begnügte,  somit  haben  wir  es  der  Anlage  nach  mit  einem  Copialbuche 
zu  thun,  in  das  aber  nicht  die  bunte  Menge  der  Urkunden  eingetragen 
wird,  sondern  nur  eine  bestimmte  Art.  Von  einzelnen  Ausnahmen 
abgesehen,  betreffen  sie  nämlich  Vergabungen  von  Klostergut  gegen  jähr- 
liche Zinsleistung  an  verschiedene  Personen,  und  somit  würde  nach 
unserer  Terminologie  die  Bezeichnung  eines  „  liber  ceusualis "  für  diese 
Sammlung  eher  passen  i).  Der  Aussteller  dieser  Urkunden  ist  der  je- 
weilige Abt  des  Klosters,  so  dass  wir  hier  die  Copien  der  im  Kloster 
ausgestellten  und  ausgegebenen  Urkunden  vor  uns  haben,  also  ein 
Copialbuch  des  Auslaufs. 

Die  Benennung  Codex  traditionum,  die  sich  auf  dem  Umschlag 
selber  vorfindet,  ist  aber  trotzdem  nicht  ganz  willkürlich;  im  ersten 
Quaternio  finden  sich  in  der  That  noch  mehrere  Stücke,  die  reine 
Traditionen  sind ,  so  Nr.  1  eine  donatio ,  Nr.  2  eine  traditio  von 
Censualenfamilien.  Die  ganze  grosse  Veränderung  in  den  Kechts- 
anschauungen  und  Eechtsformen ,  die  im  Verlaufe  der  letzten  zwei 
Jahrhunderte  eingetreten ,  lässt  sich-  darin  erkennen ,  wenn  man  be- 
obachtet, dass  im  11.  und  12.  Jahrhundert  für  die  Uebergabe  von  Per- 
sonen zur  Zinsleistung  kurze  Notizen  im  Traditionsbuch  als  das  ein- 
zige Zeugnis  genügten,  während  im  13-  über  dieselbe  Handlung  förm- 
liche Urkunden  mit  Siegel  und  Zeugen  ausgefertigt  werden. 

Neben  den  Traditionen  treten  aber  sehr  bald  Aufzeichnungen  an- 
derer  Art  heiTor;  so  treffen  wir  ein  Verzeichnis  von  Lehen  und  Ein- 
künften des  Klosters,  bei  einer  Urkunde  haben  wir  den  Fall,  dass  die 
Tradition  eines  Gutes  an  das  Kloster  und  die  Vergabung  desselben  von 
Seiten  des  Klosters  vereinigt  sind ;  hierin  eben  liegt  die  Verwandtschaft 
des  Traditionsbuches  mit  dieser  Sammlung;  ohne  dass  es  ausdrücklich 
gesagt  wird,  mag  es  sich  oft  so  verhalten,  dass  die  Güter,  die  den 
Personen  als  Zinsgut  überlassen  werden,  zugleich  von  ihnen  an  das 
Kloster  tradii-ter  Besitz  sind.  Je  weiter  wir  im  Codex  aber  vorrücken, 
desto  ausschliesslicher  erscheinen  diese  reinen  Vergabungsurkuuden. 
So  bildet  zeitlich  und  inhaltlich  dieser  Codex  die  Fortsetzung  und  den 


')  Daher  dürfte  auch  dieser  Codex  in  dem  Katalog  des  Fnrstabtes  Kraus,  der 
als  »Bibliotheca  principalis  et  mon.  ord.  s.  Bened.  ad  s.  Emmer.*  1748  zusammen- 
gestellt ist,  gemeint  sein,  wenn  daselbst  II.  pag.  2  Nr.  534  citirt  wird :  Liber 
censualis  mon.  s.  Emmer.  Ratisb.  continens  redditus  et  proventus  ac  jura  om- 
nium  ac  singulorum  praediorum  et  possessionum  monasterii  antea  dicti.* 


24  B  r  e  t  li  o  1  z. 

Abschluss  der  Traditionsbücher  von  S.  Emmeram.  Es  ist,  als  sollte  der  An- 
fang dieses  Codex  uns  noch  den  Kampf,  der  zwischen  Traditionsbuch  und 
Copialbuch  entstand  und  zum  Nachtheil  des  ersteren  ausging,  vorführen. 


II.   rel)er  doppelte  Fassungen   und  Aiisfertiffiniffen   ans  dem 
S.  Emnieramer  Traditionscodex. 

In  diesen  Büchern  ist  nun  ein  massenhaftes  Material  au  urkund- 
lichen Aufzeichnungen  überliefert;  es  dürfte  in  einer  Gesammtedition 
die  Zahl  von  1400  Xunimern  fast  erreicht  werden.  Allerdings  ist  das- 
selbe sehr  ungleich  vertheilt,  und  auf  die  älteste  Zeit  ungefähr  von 
der  Mitte  des  achten  bis  zur  Mitte  des  neunten  Jahrhunderts  entfällt 
nur  ein  kleiner  Bruchtheil.  Ln  wesentlichen  ist  es  jenes  Dutzend  Ur- 
kunden aus  dem  ältesten  Traditionsbuch  —  darunter  zwei  Drittheile 
noch  dem  8.  Jahrhundert  augehörig  —  wozu  dann  noch  Stücke  aus 
der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  kommen,  die  sich  theils  imKe- 
gensburger  Copialbuch  i)  oder  als  von  uns  schon  hervorgehobene  Nachträge 
im  Codex  des  Anamot  vorfinden.  Bietet  sodann  der  Codex  des  Auamot 
•  für  drei  Jahrzehnte  der  zweiten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  eine  ür- 
kundenmasse  von  fast  ein  und  einem  halben  hundert  Stück,  so  haben 
wir  im  1 0.  Jahrhundert  mit  Ausnahme  der  wenigen  Urkunden  aus  der 
ersten  Kegierungszeit  Bischof  Tutos  nichts.  Erst  mit  dem  letzten  Viertel 
desselben  erhalten  wir  im  S.  Emmeramer  Traditionsbuch  eine  durch 
lange  Zeit  gleichmässig  reichlich  fliessende  Quelle. 

Für  die  diplomatische  Forschung  ist  dieses  Material  noch  wenig 
benützt  worden.  Redlich  hat  ihm  selbstverständlich  die  Berücksichti- 
gung angedeihen  lassen,  die  in  seiner  das  ganze  bairische  Urkunden- 
gebiet umfassenden  Arbeit  einem  Theile  gewährt  werden  konnte  uud 
hat  dadurch  zu  Specialuntersuchungen  angeregt.  Eine  eingehende 
Untersuchung  des  Urkundenmaterials  des  Klosters  S.  Emmeram  müsste 
nun  freilich  am  geeignetsten  im  Anschluss  an  eine  Gesammtedition  ge- 
schehen ;  da  könnteu  denn  auch  bekannte  Grundsätze  au  neuem  Mate- 
riale  geprüft  werden,  da  könnte  mau  in  Folge  der  Aehnhchkeit  und 
Verwandtschaft  des  Stoffes  zu  schon  bekannten  Folgerungen  und 
Schlüssen  gelangen  und  diese  hiemit  bekräftigen.  In  diesen  kurzen 
Beiträgen  aber  wollen  wir  nur  einige  Beobachtungen  wiedergeben,  die, 
wie  uns  scheint,  allgemein  interessant  und  verwerthbar  sind.  Ich  gehe 
von  jenem  Theile  des  Codex  traditionum  saec.  X — XIV  aus,  dem  wir 
wegen  seiner  mehrfachen  Eigenthünilichkeiten  schon  früher  besondere 
Aufmerksamkeit  schenken  mussten,  also  von  der  Gruppe  der  Ramwold- 

')  Cod.  S.  Emmer.  ö'/s  im  Münchner  R.  Arch.  fol.  1—70, 


»Studien  zu  den  Traditionsbücheni  von  8,  Emmeram  in  Regensburg.  25 

Urkunden.  Es  fiel  uns  in  den  drei  Heftcheu  einmal  die  .prächtige  im 
f^anzen  Codex  nie  mehr  wiederkehrende  Ausstattung  auf,  sodann  im 
ersten  noch,  um  es  hier  kurz  zu  sagen,  die  alphabetisch  geordneten 
Anfänge.  Daraus  muss  man  aber  nothwendig  schliessen,  dass  diese  Ab- 
schriften unmöghch  genau  mit  den  Origiualaufzeichnuugen  überein- 
gestimmt haben;  mindestens  diese  Eingänge  müssen  Zuthaten  des 
Codexschreibers  sein.  Die  Frage  nach  der  Grenze  dieser  Verschieden- 
heit zwischen  Vorlage  und  Abschrift,  nach  dem  Verhältnis  zwischen 
beiden  liegt  somit  nahe  genug.  Es  ist  ganz  zufällig,  dass  wir  hier 
den  Nachweis  führen  können,  dass  vollkommene  Umarbeitung  stattge- 
funden hat.  Bei  Vergleichung  der  Urkunden  der  Kamwoldhefte  unter 
einander  zeigt  sich  nämlich,  dass  fünf  Stücke  des  ersten  Heftes  im 
zweiten  wieder  vorkommen,  sie  decken  sich  inhaltlich,  aber  sind  im 
Wortlaut  verschieden,  es  sind  dies: 

Cod.  Nr.  40  und  65  Traditio  Gozperti       (Beil.   I) 

„       „    41     „     54         „        Perehtoldi        „    II) 
„    42     „     53         „        Gotascalchi      „  III) 

„       „    43     „     50         V        Adalhardi         „  IV) 
„    44     „     51         „        eiusdem  „    V). 

Es  sind  bis  zu  gewissem  Grade  Duplicate,  aber  vergebens  würde 
man  versuchen,  die  verschiedenen  Erklärungen,  die  für  mehrfache 
Ausfertigungen  oder  Doppelurkunden  bis  nun  gegeben  wurden,  auf 
diese  Fälle  anzuwenden.  Ficker  hat  uns  an  einer  Keihe  von  Beispielen 
die  verschiedenartigen  Veranlassungen  für  Ausstellung  neuer  Urkun- 
den vorgeführt  1) ;  später  hat  noch  v.  Buchwald  ausgeführt  2)  dass  ge- 
legentlich zu  unlauteren  Zwecken  ungleiche  Doppelurkunden  —  denn 
von  den  mehrfachen  gleichlautenden  Verbriefungen  können  wir  hier 
ganz  absehen  —  ausgefertigt  wurden.  Aber  wir  bemerken,  dass  in 
allen  diesen  Fällen  die  Verschiedenheit  der  beiden  Fassungen  auf 
ein  Plus  oder  Minus  in  dem  neuen  Stücke  besclu'änkt  ist;  von  dieser 
bestimmten  Zuthat  oder  Auslassung  abgesehen,  bleibt  der  Haupttheil 
des  Stückes  im  übrigen  identisch.  Dagegen  zeigen  die  fünf  Urkunden- 
paare aus  S.  Emmeram  durchaus  abweichenden  Text  bei  gleichem  In- 
halt ;  es  sind  im  wesentlichen  die  nämlichen  Gedanken  in  verschiedene 
Worte  und  Sätze  gekleidet.  Dies  liesse  etwa  noch  die  Vermuthung 
auflvommen,  dass  eben  in  der  formellen  Gestaltung  der  beiden  Fassun- 
gen der  Grund   der   doppelten   Ausfertigung    liege ;    Brunner  '^)  hat  ja 


1)  Zusammenfassend  Urkundenlehre  I.  157— 159.  ")  Bischofs-  und  Fürsten- 
urkunden 430.  3)  2ur  Rechtsgeschichte  der  romanischen  und  germanischen 
Urkunde  213. 


op;  Br  et  bolz. 

aus  dem  fränkischen  Urkundengebiet  Beispiele  gebracht,  dass  über  ein 
und  dasselbe  Rechtsgeschäft  Charta  und  ^S'otitia  ausgestellt  wurden. 
Da  wir  aber  nur  Notitiae  in  dieser  Zeit  haben,  so  könnten  die  bei- 
den Fassungen  etwa  zw  ä  verschiedenen  Stadien  der  Handlung  ent- 
sprechen. Abgesehen  davon,  dass  Fertigung  von  Doppelakten  von 
diesem  Gesichtspunkt  aus  im  Stadium  der  Xotitia  fast  widersinnig 
wäre,  lässt  sich  auch  bei  noch  so  genauer  Prüfung  aus  dem  Wortlaut 
keinerlei  Beziehunsr  auf  eine  bestimmte  Phase  des  Geschäftsverlaufes 
erkennen,  auch  nicht  bei  Xr.  41  und  54,  wo  allerdings  Janner  zwischen 
Delegation sbrief  und  Uebergabsbrief  geschieden  hat^). 

Schon  das  muss  bei  den  Doppelurkunden  des  Emmeramer  Codex 
auffallen,  dass  sie  nicht  zerstreut  vorkommen,  dass  nicht  zufällig  hier 
der  eine,  dort  ein  anderer  Fall  sich  findet,  sondern  dass  wir  gleich 
einer  geschlossenen  Gruppe  begegnen. 

Ich  sehe  nun  dieselben  an  als  gleichwerthige  doppelte  Akte,  die 
durch  zweimalige  selbständige  Bearbeitung  einer  und  derselben  Vorlage 
von  zwei  verschiedeneu  Schreibern  entstanden  sind.  Es  sind  eigentlich 
-nicht  Doppelurkunden,  sondern  doppelte  Ueberarbeitungen.  Versuchen 
wir  daher  durch  Vergleichung  der  einander  entsprechenden  Stücke 
uns  die  gemeinsame  Vorlage  in  ihrer  ursprünglichen  Form  zu  recon- 
struiren,  so  nehmen  wir  bald  wahr,  dass  diese  von  den  uns  über- 
kommenen Fassungen  wesentlich  verschieden  gewesen  sein  muss.  Denn 
die  Texte  zeigen  keinen  gemeinsamen  Kern  an  Worten,  keinen  gleichen 
Bau  und  entsprechende  Disposition  und  diese  Ungleichheit  erstreckt  sich 
auf  die  ganze  Urkunde  ausgenommen  die  Zeugenreihe;  in  dieser,  und 
auch  dies  ist  ein  Beweis,  dass  die  Fassungen  sich  auf  ein  und  dasselbe 
Stadium  beziehen,  sind  aber  nicht  allein  die  Namen  vollkommen  gleich, 
sondern  sie  folgen  auch  in  der  nämlichen  Ordnung  auf  einander;  be- 
zeichnenderweise ist  aber  nur  in  einem  Falle  die  Formel  für  die  Zeugen- 
einführung in  den  parallelen  Stücken  identisch.  Nicht  so  klar  und 
einfach  steht  es  mit  den  in  einigen  dieser  Traditionen  vorkommenden 
Maneipieunamen ;  eigentlich  hätte  man  auch  hierin  vollkommene  Ueber- 


')  I,  343.  Man  braucht  aber  blos  den  Hauptsatz  aller  formelhaften  Wen- 
dungen entkleidet  aus  jedem  der  beiden  Stücke  herauszuziehen,  um  die  Gleich- 
werthigkeit  beider  Fassungen  klar  zu  sehen: 

Nr.  41.  ...  Perahtolt  .  .  .  tiadidit  in  j  Nr.  54.  Perehtold  .  .  .  tradidit  ad  s.E. 
inanum  Arponi.s  .  .  .  proprietatis  ...  ut  |  in  manum  Ariponis  .  .  .  predium  .  .  .  ut 
idem  Arpo  ...  in  ius  et  vestituram  s.  E.  i  ii.em  Aripo  traderet  et  vestiret  ad  aram 
presentare  .  .  .  non  differret.  Tunc  .  .  .  \  ».  patronis,  quod  ita  factum  est  cum 
Arpo  cum  manu  prenotate  domne  ...  1  manu  predicte  matrone  et  filii  eius  Hein- 
et filii  illius  Heinrici  tradidit.  ]  rici. 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emmeram  in  Regensburg. 


27 


einstimmung  erwarten  dürfen;  diese  constatiren  wir  aber  nur  in  einem 
Falle,  bei  Kr.  40  und  65.  In  Nr.  41  und  54  werden  beiderseits  die 
vier  „servi  cum  uxoribus  ac  liberis"  nicht  namentlich  angeführt.  Bei 
dem  vierten  Paar  Nr.  43  und  50  sind  die  zehn  Mancipieu  zwar  in 
der  ersten,  nicht  aber  in  der  zweiten  Fassung  genannt,  wo  es  nur  all- 
gemein heisst:  mancipia  decem  probabilia.  Das  scheint  mir  nun  im 
Zusammenhang  zu  stehen  mit  dem  eigenthümlichen  Verhältnis,  das  in 
den  correspondirenden  Stücken  Nr.  44  und  51  bei  den  Mancipien- 
nanien  obwaltet.  Sowohl  43/50  als  44/51  betreffen  Schenkungen  des- 
selben Adalhard.  Die  gleiche  Zeugenreihe  in  ^ir.  44  und  51  macht 
uns  zunächst  sicher,  dass  auch  diesmal  nur  eine  und  dieselbe  Hand- 
lung gemeint  sein  kann.  Die  Texte  selber  zeigen  zwar  keinerlei  Wider  - 
Spruch,  aber  sie  sind  doch  in  ihrer  Ausführlichkeit  mehr  als  sonst  von 
einander  verschieden ;  das  ist  unwesentlich,  wie  sich  noch  zeigen  wird ; 
auffallend  und  einer  Erklärung  bedürftig  ist  hingegen,  dass  die  Na- 
men der  Mancipien  sich  nicht  decken.  Diese  Namen  in  Nr.  51  sind 
überdies  in  den  leergebliebenen  Eaum  von  anderer  Hand  oder  in 
anderem  Ductus  erst  später  nachgetragen.  Eben  weil  dieselben  nicht 
gleichzeitig  mit  dem  Text  geschrieben  sind,  kann  man  in  der  Verän- 
derung der  Mancipien  auch  nicht  den  etwaigen  Grund  der  Neuausfer- 
tigung sehen ;  aber  folgender  Vorgang  dürfte  das  Verhältnis  erklären  i). 
Wir  haben  für  die  beiden  Traditionen  zwei  Vorlagen  anzunehmen,  in 
denen  ganz  entsprechend  der  erstmaligen  Verfügung  des  Traditors  auch 
jene  Mancipiennamen  enthalten  waren,  die  uns  in  Nr.  43  und  44  über- 
liefert sind;  auf  Grund  dieser  Vorlagen  wurden  die  beiden  Akte 
Nr.  43  und  44  im  ersten  Heft  vom  Schreiber  A  ausgearbeitet.  Nach- 
her erfolgte  durch  Adalhard  eine  Veränderung  in  den  zugehörigen  Un- 
freien und  zwar  derart,  dass  acht  der  zu  Eegiupoldinchova  (Nr.  43) 
gehörenden  Mancipien  dem  Gute  Skiri  (Nr.  44)  zugewiesen  wurden.  In  den 
Vorlagen  selbst  war  es  keineswegs  corrigirt,  als  ein  zweiter  Schreiber 


1)  Der  leichteren 

Uebersi 

cht   1 

b  alber 

stell 

e   ich    die  Namen 

der   Maucipioi 

zusammen : 

Nr.  43:   Adalpreht 

Nr. 

50 

.    ß 

Nr. 

44: 

Uuillipato 

Nr. 

51 

:  Adalpreht 

Alpiz 

•rH 

Alpheri 

Linpili 

Eiigilfrit 

■1 

Alauuich 

Diotprcht 

Uspirn 

a 

Folchsuind 

Pernhart 

Uuaupui'c 

M 

Lantolt 

Perehtolt 

Perahtolt 

Alpheri 

Alpi^ 

Tiorprelit 

'o 

i 

n 

Dietrih 

Engilfrid 

Liutker 

Engiluuar 

Kuodlouhe 

Pernhart 

Adalpreht 

Trutmuot 

Trutmuot 

Euotpiriü 

Uuaupurc 

28  B  r  e  t  h  0  1  z. 

B  sich  daran  maclite ,  dieselben  neuerdings  zu  bearbeiten :  ibm  war 
aber  die  Thatsache  des  Umtausches  bekannt,  als  er  das  Stück  Nr.  50 
schrieb  —  wie  meines  Erachtens  diese  Leute  weit  mehr  gewusst  haben, 
als  wir  ihnen  zuzumuthen  wagen.  B.  war  es  also  bekannt,  dass  die 
Namen  der  Vorlagen  nicht  mehr  die  richtigen  waren;  das  erste 
Mal  half  er  sich  damit,  dass  er  statt  der  Namen  die  allgemeine  An- 
gabe ,,mancipia  x  probabilia"  machte;  bei  Nr.  51  aber,  wo  er  der  Vor- 
lage gegenüber  in  derselben  Lage  war,  liess  er  zunächst  Eaum  frei, 
um  sie  nach  eingezogener  Erkundigung  nachzutragen. 

Kommen  wir  nun  wieder  auf  die  Hauptfrage,  das  Verhältnis  der 
Texte  unserer  Akte  zu  der  Vorlage  zurück.  Wir  haben  bisher  gesehen, 
dass  Zeugennamen  immer,  Mancipiennamen  nicht  mehr  so  consequent, 
aber  im  Falle  der  Aufzählung  genau  und  ausführlich  abgeschrieben  wurden. 
In  den  Titeln,  Attributen  und  Epitheta  der  Personen,  in  den  Bezeich- 
nungen der  Ortschaften  besteht  nun  eine  Ungleichheit,  die  beweist, 
dass  die  Schreiber  sich  nicht  nach  Vorlagen  richteten,  sondern  nach 
eigenem  Wissen  diese  Zuthaten  machten.  Adalhard  wird  in  Nr.  43 
als  „  liber  et  predives  urbis  Eegie  negotiator ",  in  der  zweiten  Fassung 
Nr.  50  lediglich  als  ,quidam  ingenuus  vir"  vorgeführt  und  in  der 
Ueberschrift  daselbst  als  „centurio"  bezeichnet.  Berthold  der  Traditor  in 
Nr.  41/54  heisst  hier  „  marchio  comes " ,  dort  „  de  Orientah  Francia 
comes " ;  es  lohnt  kaum,  alle  Varianten  aufzuzählen,  nur  mit  Rücksicht 
auf  Ortsnamen  sei  beispielsweise  hervorgehoben,  dass  der  Zusatz  zu 
Ezzinga  ,prope  fluvium  Alchmona"  nur  in  der  einen  Fassung  Nr.  40 
steht,  oder  dass  nur  in  Nr.  43  Reginpoldinchova  als  „  in  pago  Tuonah- 
gouue  in  comitatu  Paponis "  gelegen  bezeichnet  wird.  Diese  Verschie- 
denheiten sind  begreiflich  und  übrigens  nicht  sehr  bedeutend.  Auffal- 
lender ist,  dass  meistens  die  an  der  Handlung  mitbetheiligten  Vögte 
nicht  nur  nicht  gleichmässig  aufgezählt  werden,  sondern  in  der  einen 
Fassung  genannt,  in  der  andern  übergangen  werden  i).    Die  Erklärung 


')  Nr.  41 :  in  manum  videlicet  abb. 
Ramuuoldi  et  advocati  sui  Hauuarti 

^i^.  42  :  in  manum  .  .  .  Eamuoldi  abb. 
et  adv.  sui  faramunti  in  presentia  totius 
congi-egatioiiis  monachorum. 

Nr.  43 :  in  manum  ven.  episcopi  Uuolf- 
kangi  et  Kamnnoldi  abbatis  eorumque 
advocatoruni  liuerinharti  et  Faramunti. 


Nr.  44:  in  manum  seil.  Ramuoldi 
abb.  et  advocatoruni  suorum  Ymmonis 
et  Hauuarti  presentibus  etiam  fratribus. 


Nr.  54:   accipiente  Ramuuoldo   abb. 

Nr.  53 :  presente  abbate  Hamuoldo 
cum  omni  congregatione. 

Nr.  50 :  .  .  .  tradidit  in  manus  eius- 
dem  episcopi  et  abbatis  et  Uuerinharti 
advocati  ... 

.  .  .  e  contra  .  .  .  accepit  retradente 
episcopo   et  abbate  advocati  manu  .  .  . 

Nr.  51:   — 


Studien  zu  den  Traditionsbücliern  von  S.  Emmeram  in  Regensburo'.  29 

durch  ungenaue  Wiedergabe   ist  in  diesen  Fällen,    wo  es  sich  um  ein 
Wort,  respective  einen  Namen  handelt,  ganz  unwahrscheinlich  und  es 
zwingt   uns   diese  Wahrnehmung    zur  Behauptung,    dass  die  Vorlagen 
diese  Formel    nicht   enthalten   haben    und   dass  das,   was  in  den  Ur- 
kunden steht,  nur  aus  der  Erinnerung  der  Schreiber  geschöpft  sein  kann. 
Erwähnt  wurde  bereits,   dass  die  Formel  der  Zeugeneinführung  eben- 
falls  verschieden   lautet,    mithin   in   der  Vorlage  gefehlt    hat.     Grehen 
wir  nun  über  auf  die  Hauptformeln,    aus  denen  sich  der  Context  zu- 
sammensetzt.     Die   Urkunden   beginnen   mit   einer   Publicationsformel 
und  zwar  pflegt  der  Schreiber  der  zweiten  Keihe  mit  „Notum  sit"  oder 
„noverint"  anzufangen,  während  der  erste,   dessen  Urkunden  mit  ver- 
schiedenen Buchstaben   beginnen    müssen,    absonderliche  Anfänge  sti- 
lisirt;    aber   auch   hier   constatirt   man  leicht,    dass  nur  mit  verschie- 
denen Worten  dasselbe  gesagt  sein  soll;    so  hebe  ich  hervor,  dass  bei 
Nr.  40    als   Zeitpunkt   der   geschehenen  Tradition    des  Gozpert    beige- 
fügt wird,  priusquam  monachus  fieret,  was  in  Nr.  65  lautet:   tempore 
monachice  conversationis ;    oder   wir   linden    in   einer  Fassung  Bemer- 
kungen  hinzugefügt,    die    auf  zufällige   Kenntnis    der  Umstände   und 
Verhältnisse  schliessen  lassen,  so  in  Nr.  41:   „eo  quod  magna  detine- 
retur   infirmitate,    qua   füngitur",    dem   in   Nr.  54    nichts    entspricht. 
Gewöhnlich  wird  nun  vermittelst  des  Verbums  „tradidit"  derUebergang 
zur  Dispositio  gemacht,  woran  der  Name  des  Heiligen,  dem  die  Schen- 
kung vermacht  wird,  sich  anschliesst,   aber  auch  dieser  Ausdruck  „ad 
s.  Emmeramum"  erscheint  in  allen  möglichen  Spielarten.     Die  Privat- 
urkunde hat  eben  keinen  so  festen  Bau  und  keine  so  bestimmte  Dis- 
position und  Anordnung  ihrer  Theile,    wie  die  Königsurkunde  und  so 
zeig-t  sich  z.  B.  in  der  Anwendung  der  Pertinenzformel,  die  sich  an  den 
Namen  des  geschenkten  Gutes  anschliesst,  auch  wieder  die  möglichste 
Unregelmässigkeit.    Die  Formel  findet  sich  überhaupt  nur  in  wenigen 
Stücken,    was   als   Beweis    dienen  könnte,    dass  sie  den  Vorlagen    im 
allgemeinen  abging  oder  höchstens  in  ganz  kurzer  Fassung  darin  er- 
wähnt war,  etwa  so,  wie  sie  sich  in  Nr.  41  und  54  fast  gleichlautend 
findet:    cum   mancipiis   et   omnibus   rebus   ad   hoc   iuste  respicientibus 
(Nr.  41)    cum   mancipiis   omnibusque  rebus  (Nr.  54).     Den  Fall,   dass 
sich  nur  in  einem  der  Parallelstücke  eine  Pertinenzformel  findet,  nicht 
aber   in   dem   andern,    zeigt  Nr.  44   gegenüber  Nr.  51.     Andererseits 
ist  wohl  beachtenswerth,    dass  sich  bei  Nr.  40  und  65  in  den  beider- 
seitigen Pertinenzformeln   fast   ganz   die  nämlichen  Ausdrücke    finden, 
aber   in  verschiedener  Verbindung    und   darunter   Bezeichnungen,    die 
nicht  gewöhnlich  sind,  wie  sagina  oder  niarca  silve,  woraus  allerdings 
in  Nr.  65  marca,    silvis  entstanden  ist.     Hier  scheint  doch  wieder  die 


30  B  r  e  t  h  0  1  7.. 

Vorlage  das  eine  und  andere  Wort  enthalten  zu  haben.  In  derselben 
Urkunde  findet  sich  sodann  die  Bestimmung,  dass  die  fünf  Mancipien 
erst  nach  Gozperts,  des  Traditors,  Tode  einen  Zins  zu  zahlen  haben 
und  zwar  5  Denare  entweder  in  Münze  oder  in  Wachs;  man  könnte 
sicher  sein,  dass  eine  derartige  Bedingung  auch  schon  in  der  Vorlage 
enthalten  war,  und  doch  stimmt  der  Wortlaut  in  beiden  Fassungen 
nicht  vollkommen.  An  eventuellen  anderen  noch  auftretenden  Formeln, 
wie  etwa  die  Poenformel,  liesse  sich  nur  dasselbe  wahrnehmen.  Fassen 
wir  nunmehr  die  einzeluen  Beobachtungen  zusammen,  so  ist  das  Er- 
gebnis, dass  wir  als  Vorlage  ganz  kurze  auf  das  wesentliche  beschränkte 
Notizen  anzunehmen  haben,  nach  denen  unsere  doppelten  Urkunden 
völlig  fi'ei  ausgearbeitet  sind.  Wir  haben  aber  auch  eine  solche  Ori- 
ginalnotitia  in  getreuer  Abschrift  erhalten;  Nr.  56  und  80  nämlich 
(Beil.  VI)  decken  sich  vollkommen  im  Wortlaut,  können  daher  nach 
unserer  Erklärung  nur  doppelte  Copien  der  Vorlagen  ohne  weitere 
Ueberarbeitung  vorstellen.  Wie  ist  nun  die  Fassung  dieses  Stückes? 
Es  beginnt  mit  einer  geläufigen  Publication:  „Cognitum  sit  dei  fide- 
libus",  woran  sich  mit  quod  eingeleitet  die  Widmung  reiht;  der  Tra- 
ditor  hat  allerdings  Attribute,  er  ist  religiosus  nobilisque,  dagegen 
finden  sich  beim  Namen  des  Gutes  keinerlei  Ortsbestimmungen :  La- 
gadeoödorf  cum  omnibus  inibi  maneutibus ;  weder  Pertinenz-  noch 
Poenformel,  sondern  nur  noch  die  Zeugennamen,  die  eingeleitet  sind 
lediglich  mit  dem  Schlagwort:  festes.  Das  ist  also  ein  Beispiel,  wie 
wir  uns  diese  Vorlagen  vorzustellen  haben,  wobei  natürlich  auch  in 
der  beschränkteren  oder  ausführlicheren  Fassung  eine  Verschieden- 
heit bestanden  haben  kann.  Derartige  Vorlagen  haben  wir  walrr- 
scheinlich  für  alle  in  den  drei  Kamwoldheften  überlieferten  Urkunden 
anzunehmen ;  es  sind  eben  die  Notitiae  testium  ebenso  hier  in  Eegens- 
burg  im  allgemeinen  Gebrauch,  wie  an  anderen  Orten  und  bei  anderen 
Gruppen.  Und  wenn  Redlich  ganz  richtig  beobachtet  hat,  dass  gerade 
unter  Abt  Eamwold  neben  den  „gewöhnlichen  Formen  des  Aktes  ein- 
zelne Stücke  erscheinen,  die  man  wohl  als  Urkunden  (notitiae)  be- 
zeichnen kann"  .  .  .  ,.niit  Arengeu ,  die  an  alte  vor  hundert  Jahren 
viel  gebrauchte  Formeln  anklingen"  .  .  . ,  so  glaube  ich  gezeigt  zu 
haben,  dass  nicht  nur  die  Arengeu,  sondern  die  ganzen  Fassungen  bloss 
für  das  Traditionsheft  bestimmt  waren,  den  Originalaufzeichuungen 
aber  nicht  zu  theil  wurden;  aber  es  war  keineswegs  Regel,  den  Akt 
umzuarbeiten,  wenn  man  ihn  ins  Traditionsbuch  eintrug,  sondern 
mehr  eine  Art  Stilübung  und  Stilprube;  es  bleibt  ja  gauz  interessant, 
dass  man  in  S.  Emmeram  eine  so  gute  Kenntnis  der  alten  Urkunden- 
formeln   noch  besass.     Uebrigeus   als   blossen    Schulzweck   wollen  wir 


Studien  zu  den  Traditionsbücliern  von  S.  Emmevam  in  Regensburg.  31 

die  Sache  auch  nicht  hinstellen ;  die  Umbildung  geschah  aus  gutem 
Grunde.  Denn  gleichwie  man  zur  Verschönerung  des  Codex  Initialen 
zeichnete,  Buchstaben,  Worte,  ja  ganze  Zeilen  mit  rothen  und  grünen 
Farben  belegte,  Eigenthümlichkeiten,  die  doch  der  Vorlage  gewiss  nicht 
zukamen ,  ebenso  konnte  ein  Mönch  in  alterthümlichen ,  sinnigen 
Arengen,  in  Formelkram  und  Wortschwall  ein  würdiges  Verzierungs- 
mittel sehen.     Mehr  bedeutet  es  aber  nicht. 

Eine  andere  eigenthümliclie  Erscheinung  an  diesen  Stücken  Ijietet 
uns  vielleicht  die  Möglichkeit,  über  die  Entstehungsart  dieser  Heftchen 
eine  Ansicht  zu  gewinnen  und  gleichzeitig  einen  ungefähren  Einblick 
in  das  Archiv wesen  des  Klosters.  Es  muss  nämlich  aufiällen,  dass  die 
einander  entsprechenden  Urkunden  in  beiden  Heften  sich  in  umge- 
kehrter Keihenfolge  an  einander  schliessen,  man  könnte  sagen,  in  dem 
einen  Heft  in  aufsteigender,  im  anderen  in  abfallender  Reihe,  also  die 
Stücke  Nr.  40,  41,  42,  43,  44  entsprechen 

„  65,  54,  53,  bO,  51.  Das  mag  vielleicht  Zufall  sein,  aber 
es  liesse  sich  andererseits  nicht  unschwer  eine  Erklärung  dafür  geben. 
Waren  die  Vorlagen  als  einzelne  Pergamentblättchen  in  irgend  einem 
Behältnis  übereinander  liegend  gesammelt,  so  mussten  sie  in  Folge  der 
Benutzung  durch  den  ersten  Schreiber  in  der  der  ursprünglichen  Auf- 
einanderfolge entgegengesetzten  weggelegt  werden,  wie  das  jedermann 
aus  eigener  Uebung  kennt;  das  oberste  Stück  Nr.  40,  das  der  Be- 
arbeiter A  zuerst  von  dem  UrkundenstoaS  in  die  Hand  nahm,  kam  nun 
zu  Unterst  zu  liegen,  darüber  Blatt  Nr.  41  und  so  fort,  und  der 
Schreiber  B  hatte  die  Vorlagen  natürlich  in  der  umgekehrten  Ordnung; 
eine  kleine  Unregelmässigkeit  ist  hiebei  vorgekommen,  Nr.  50  und  51 
haben  ihren  Platz  gewechselt;  ich  erinnere  aber  daran,  dass  dies  die 
zwei  Stücke  sind,  in  denen  der  zweite  Bearbeiter  die  neuen  Mancipien- 
namen  einzusetzen  hatte;  die  Urkunde,  in  der  er  die  Namen  auslässt 
resp.  durch  das  ,,mancipia  decemprobabilia"  ersetzt,  fasste  er  früher  ab, 
als  die,  wo  er  wirklich  die  veränderten  Namen  nachgetragen  hat. 

Mit  dieser  verkehrten  Folge  hängt  noch  zweierlei  zusammen.  Wir 
bemerken,  dass  in  dem  einen  Heftchen  die  Gruppe  geschlossen  er- 
scheint, Nr.  40 — 44,  in  dem  anderen  aber  zwischen  50  und  51  eine 
Urkunde  und  zwischen  54  und  65  mehrere  Urkunden  erscheinen,  die 
der  erste  Bearbeiter  nicht  aufgenommen  hat;  und  wir  müssen  uns 
weiter  auch  fragen,  warum  die  übrigen  dreizehn  Urkunden  des  ersten 
Heftes,  das  ja  Nr.  32—49  umfasst,  nicht  auch  im  zweiten  Heft  vor- 
kommen und  umgekehrt  viele  des  zweiten  im  ersten  fehlen ;  mit  einem 
Worte,  warum  die  Coincidenz  nicht  vollkommen  ist.  Dass  zunächst 
vom  ersten  Bearbeiter  nicht  alle  Vorlagen  berücksichtigt  wurden,  lässt 


Oj2  B  r  e  t  h  0  1  z. 

sich  schon  daraus  ersehen,  dass  er  Nr.  40  mit  den  Worten  anfängt: 
Isdem  vero  nobilis  Gozpertus",  während  wir  weder  einer  Urkunde 
dieses  Mannes  noch  seinem  Namen  vorher  begegnen.  Der  Grund  aber, 
dass  im  zweiten  Heft  neue  Traditionen  hinzugekommen  sind,  scheint 
ziemlich  einftich ;  neu  ist  z.  B.  Nr.  ,52,  das  ist  aber  eine  Traditio  einer 
ancilla  Teotpurc;  neu  sind  Nr.  54 — 64  und  66—79  (damit  schliesst 
das  zweite  Heft)  und  auch  diese  sind,  Nr.  55  und  56  ausgenommen, 
durchaus  Traditionen  von  Personen  und  nicht  von  Gütern,  Wir  sehen, 
dass  die  beiden  Schreiber  einen  verschiedenen  Plan  gehabt  haben:  der 
erste  wählte  sich  lediglich  die  Schenkungen  von  Grundstücken  und 
legte  solche,  welche  Personenübergabe  betrafen,  bei  Seite;  die  durch 
ihn  bearbeiteten  Vorlagen  scheint  er,  da  ihre  Erhaltung  nunmehr  un- 
nütz war,  überhaupt  aus  der  Sammlung  ausgeschieden  zu  haben;  nur 
einige  wenige  hat  er  vielleicht  zufällig  aus  Versehen,  vielleicht  aus 
Absicht  in  die  Gruppe  der  noch  aufzubewahrenden  Vorlagen  gelegt; 
so  wurden  sie  mit  den  übrigen  erhalten.  Nach  Verlauf  einer  ge- 
wissen Zeit,  aber  sicher  noch  unter  der  Kegierung  Kamwolds,  wurden 
wiederum  die  vorhandenen  Akte,  deren  Zahl  sich  doch  auch  wieder 
vermehrt  hatte,  in  ein  neues  Heftchen  zusammengeschrieben.  Diesmal 
machte  der  Schreiber  keine  Unterscheidung  in  dem  ihm  vorliegenden 
Material,  sondern  überarbeitete  oder  copirte,  wie  wir  mit  Kücksicht 
auf  Nr.  46  =  Nr.  80  sagen  müssen,  sämmtliche  Vorlagen  i).  Aber  auch 
diese  Zusammenstellung  umfasste  nur  das  Material  bis  zu  einem  ge- 
wissen Zeitpunkt  und  so  kam  es  noch  ein  drittes  Mal  unter  Eamwold 
zu  einer  Uebertragung  der  Einzelakte  in  ein  gemeinsames  drittes  Heft, 
das  uns  aber  nicht  mehr  in  seinem  m-sprünglichen  Bestand  erhalten 
ist,  sondern  zu  dem  nur  die  Codex  Nr.  80—86,  96 — 100  und  102  ge- 
hören. Wiederum  hat  man  sich  auf  Schenkungen  von  liegendem  Be- 
sitz beschränkt,  Traditionen  von  Personen  kommen  nicht  vor.  Ihrer 
ganzen  Fassung  nach  müssen  auch  diese  als  Bearbeitungen  der  ur- 
sprünglichen Vorlagen  im  Gegensatz  zu  wörtlichen  Abschriften  ange- 
sehen werden. 

Darunter    findet    sich  nun  auch    eine  Urkunde,    die  vielleicht  die 


')  Die  Annahme,  dass  wie  Nr.  56  auch  die  übrigen  Stücke  des  zweiten 
Heftes  getreue  Abschriften  der  Vorlagen  seien ,  ist  unwahrscheinlich ,  denn  die 
zweiten  Fassungen  jener  Doppelstücke  sind  keineswegs  immer  kürzer  und  ein- 
facher als  die  ersten,  z.  B.  Nr.  65 ;  auch  spricht  dagegen,  dass  Angaben,  deren 
Andeutung  wenigstens  in  der  Vorlage  vorauszusetzen  ist,  hie  und  da  in  der 
zweiten  Fassung  ganz  fehlen,  schliesslich  raüsste  man  dann  eine  Fassung  und 
iStilisirung  der  Uriginalakte  annehmen,  die  bald  weitläufig,  bald  möglichst  präg- 
nant, also  ganz  imgleichmässig  war,  was  ganz  unwahrscheinlich  ist. 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emmerani  in  Regensburg.  33 

wichtigste  der  in  diesem  Traditionsbuch  enthaltenen  noch  unedirten 
Urkunden  ist,  ebensowohl  historisch  beachtenswerth,  wie  nicht  minder 
für  den  Diplomatiker  von  Interesse,  und  die  dennoch  von  Pez  und 
Wittmann  übergangen  wurde;  es  ist  die  , Traditio  Heinrici  ducis  et 
Judithe  matris  eins'  (Beil.  VII).  Pez  wäre  zu  entschuldigen,  denn 
er  mochte  sich  erinnert  haben ,  aus  dem  S.  Emmeramer  Copialbuche, 
das  den  ersten  Theil  jenes  Codex  öVa  des  k.  b.  Reichsarchivs  bildet, 
der  aucli  das  Werk  Anamots  enthält,  eine  sachlich  fast  gleich werthige 
Urkunde  als  „Traditio  venerandae  ac  sanctimoniaKs  faeminae  Juditae" 
abgedruckt  zu  haben.  Uns  erscheint  es  aber  gerade  wichtig,  von 
einer  Urkunde  zwei  verwandte  Fassungen  zu  besitzen^). 

Das  Verhältnis  zwischen  den  beiden  Fassungen  und  der  Grund 
der  doppelten  Ausfertigung  ist  in  diesem  Fall  ganz  anders,  als  in 
den  vorhergegangenen.  In  der  ersten  Urkunde  gibt  Judith  das  Gut 
Eiterhofen  dem  Kloster  unter  Vorbehalt  eines  lebenslänglichen  Nutz- 
genusses für  ihren  Bruder  Ludwig  und  sich.  Nach  dem  Text  der 
zweiten  Urkunde  des  Traditionsbuehes  ist  Ludwig  bereits  als  verstorben 
anzunehmen.  Judith  wiederholt  darin  die  Schenkung,  überlässt  aber 
das  Gut  sofort  an  S.  Emmeram,  verzichtet  also  jetzt  auf  den  ihr  bei 
der  früheren  Abmachung  bedungenen  Nutzgenuss;  daher  die  neuer- 
liche Beurkundung.  Nicht  in  dem  thatsächlichen  Verhältnisse,  sondern 
in  der  formalen  Verschiedenheit  der  beiden  Urkunden  liegt  aber  sodann 
eine  Eigenthümlichkeit  dieser  Doppelurkunde.  Die  erste  Fassung  ist 
nämlich  objectiv,  die  zweite  dagegen  subjectiv,  eine  in  dieser  Periode 
an  und  für  sich  seltene  Erscheinung,  erklärlich  allenfalls  dadurch,  dass 


')  Aus  der  Fassung  des  Traditionsbuches  ergibt  sich  zugleich  unzweifelhaft, 
dass  Ludwig  Judiths  Bruder  und  nicht  ihr  Sohn  gewesen  i&t.  Wir  müssen  selbst- 
verständlich die  Urkunde  als  besseren  Zeugen  anerkennen,  als  den  einheimischen 
und  fast  gleichzeitigen  Schriftsteller  Arnold ,  der  von  diesem  Akte  spricht  und 
die  Worte  gebraucht:  Judita  .  .  .  pro  se  suisque  filiis  Hludowico  atque  Hein- 
rico  (MG.  SS.  4.  571).  Wenn  also  Braunmüller  (Verh.  des  bist.  Vereins  f.  Nieder- 
baiern  17.  135  Anm.  1)  und  Janner  (1.  361  Anm.  1)  den  Wortlaut  der  bisher 
allein  bekannten  Urkunden  mit  Rücksicht  auf  die  Stelle  bei  Arnold  in  dem  Sinne 
auszulegen  suchten,  dass  Ludwig  als  Bruder  Heinrichs  genannt  sei,  so  geschah 
es  nicht  ganz  ohne  Grund.  Unrichtig  und  missverstanden  scheint  mir  aber,  wenn 
sie  Arnold  als  Zeugen  auch  dafür  anführen,  dass  die  Schenkungsurkunde  der 
Herzogin  Judith  von  B.  Gebhard  von  Regensburg  gefälscht  sei.  Der  Satz,  auf 
welchen  sie  sich  berufen,  ,,hanc  quoque  sententiam  preposuerunt  judices  atque 
optimates,  affirmantes  traditionis  conplacitationem  hujusce  a  Gebehardo  Imbri 
politano  antistite  violatam  esse",  soll  nicht  bedeuten,  dass  Gebhard  die  „Ur- 
kunde gefälscht"  hat,  sondern  nur,  dass  er  das  Rechtsgeschäft,  die 
Bedingungen  desselben  verletzt  habe;  vgl.  auch  Hirsch,  Jahrbb.  unter 
Heinrich  IL  2,  21 G. 

Mittheiluugen  XII.  3 


^^  ß  r  e  t  h  0  1  z. 

ja  Judith  keine  Privatperson  ist  und  für  Urkunden  fürstlicher  Per- 
sönlichkeiten die  Analogie  der  Form  der  König.surkunde  gesucht  wurde. 
Aber  für  den  Diplomatiker  ist  es  wichtig  wahrzunehmen,  dass  es  hiefür 
kein  Gesetz  gibt,  dass  rechtlich  die  Notitia  der  Carta  vollkommen 
gleich  steht. 

In  textlicher  Hinsicht  scheint  hier  doch  nur  eine  sehr  geringe 
Anlehnung  zu  bestehen ;  die  Pertinenzformel  ausgenommen  sind  allen- 
falls einzelne  Worte  identisch,  aber  eine  durchgehende  Benützung  der 
ersten  Fassung  ist  nicht  ersichtlich;  nur  die  fast  vollkommene  Iden- 
tität der  Zeugennamen  in  beiden  Stücken  ist  noch  aujBFallend.  Dass 
man  nämlich  bei  der  Wiederholung  der  Schenkung  dieselben  Zeugen 
zuzog,  lässt  sich  wohl  auch  sonst  finden,  aber  die  Einhaltung  derselben 
Keihenfolge  scheint  mir  doch  für  Benützung  der  Vor  Urkunde  zu  spre- 
chen, wobei  es  danu  allerdings  zweifelhaft  wird,  ob  bei  der  zweiten 
Handlung  die  Zeugen  überhaupt  anwesend  waren.  Gerade  in  dieser 
Beziehung  bietet  uns  ein  dritter  Fall  aus  unserem  Traditionsbuch,  der 
auch  seine  besonderen  Eigenthümlichkeiten  hat,  einigen  Aufschluss. 

Als  Nr.  132  und  135  (Beil.  VIII)  begegnen  uns  im  Codex  zwei 
Traditionen  einer  Matrone  Pilifrida,  d.  h.  wieder  doppelte  Fassung  und 
doch  in  anderer  Art.  Die  beiden  Urkunden  sind  inhaltlich  nicht  ganz 
o-leich;  durch  die  erste  Entschliessung,  der  Nr.  132  seine  Abftissung 
verdankt,  tradirte  Pilifrida  ihren  Besitz  zu  Oriliheim  und  Pietunprunna 
mit  einer  Anzahl  dazu  gehöriger  Mancipien.  Darnach  ,,post  haec" 
übergab  sie  noch  eine  Mühle  „in  loco  Alaraspah"  und  fügte  schliess- 
lich noch  eine  Schiffswerfte  in  „Smidimuliu"  dazu.  Dass  dies  alles 
durch  eine  einzige  Handlung  und  nicht  getrennt  zu  verschiedenen 
Zeiten  tradirt  wurde,  dafür  möchte  die  Einheitlichkeit  der  Zeugenreihe 
sprechen ;  ganz  sicher  ist  es  deshalb  nicht,  wie  sich  noch  zeigen  wird. 
Die  zweite  Urkunde  ist  nun  sachlich  bedeutend  erweitert;  zwar  der 
Beginn,  die  Formel  der  Publication,  die  der  Schenkung  ist  vollkommen 
gleich  und  diese  Uebereinstimmung  dauert  bis  zur  Anführung  der  zu 
den  beiden  erstgenannten  Orten  gehörigen  Unfi-eien ;  es  werden  in  der 
zweiten  Fassung  mehr  genannt  und  dieselben  genauer  mit  den  Familien- 
mitgliedern namentlich  augeführt  i). 

Der  in  der  ersten  Fassung  noch  vor  der  Aufzählung  der  Namen 
eingeschaltete  Satz  über  die  Zmsleistung  der  Mancipien  findet  sich  in 


')  Hiebei  ist  zu  bemerken,  dass  manche  Worte,  besonders  die  Verwandt- 
schaftsbezeichnung, den  Namen  in  starken  Kürzungen  gleichzeitig  übergeschrieben 
sind,  und  ausserdem  am  Rande  Nachtragungen  sich  finden;  im  Druck  sind  diese 
in  runden  Klammern  eingeschlossen. 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emmerom  in  Ee^ensburg.  35 

der  zweiten  Fassung  an  einer  anderen  Stelle,  zugleich  mit  einer  kleinen 
aber  bezeichnenden  Variante  im  Ausdruck  ^).  Sodann  wird  aber  an 
der  Disposition  und  dem  Wortlaute  der  ersten  Fassung  festgehalten, 
nur  bei  der  Schenkung  der  Mühle  drei,  bei  der  der  Schiffsladestätte 
ein  unfreier  hinzugefügt.  Nunmehr  folgt  aber  ein  bedeutendes  Plus 
in  der  zweiten  Urkunde;  erstlich  kommt  eine  neue  Tradition  von 
Gütern  in  loco  .  .  .  Suuant  hinzu  mit  einer  Anzahl  von  Hörigen, 
zweitens  ein  allgemeiner  Passus  betreffs  der  Sicherung  des  Besitzes 
gegen  jede  Usurpation  und  nun  die  Zeugenreihe.  Diese  enthält  24  Na- 
men; hievon  sind  die  ersten  13  neu.  die  übrigeu  aber  decken  sich 
bis  auf  einen ,  der  wahrscheinlich  überseheu  wurde ,  mit  den  Namen 
der  Zeugenreihe  der  ersten  Fassung  ganz  vollkommen.  Soviel  über 
das  thatsächliche  Yerhältniss  der  beiden  Texte;  wir  wollen  nun  ver- 
suchen, deren  Entstehung  aus  dem  Verlaufe  der  Handlung  zu  veran- 
schaulichen. Die  Gleicliheit  der  Disposition,  die  gi'ossentheils  wörtliche 
üeberednstimmung  beweist  hier,  dass  wir  im  Codex  Abschriften  haben ; 
dass  diese  erst  geraume  Zeit  nach  der  Handlung  entstanden  sind,  er- 
gibt sich  daraus,  dass  in  beiden  Stücken  Pilifrida  mit  dem  Zu- 
satz „bonae  memoriae"  genannt  erscheint.  Somit  sehen  wir  von 
den  Abschriften  ab  und  prüfen  die  Entstehung  ihrer  Vorlagen,  der 
Einzelakte. 

Aus  der  Vergleichung  der  beiden  Zeugenreihen  erhellt,  dass  die 
von  Nr.  135  eigentlich  eine  Compilation  aus  zwei  Gruppen  von  Zeugen 
ist,  die  bei  zwei  verschiedenen  Handlungen  zugegen  waren,  daher  denn 
auch  die  gauze  Fassung  von  Nr.  135  zwei  zeitlich  auseinanderliegende 
Handlungen  zusammenfassen  muss.  Die  erste  Handlung  war  die,  durch 
welche  die  Matrone  Pilifrid  jene  Güter  schenkt,  die  uns  in  Nr.  132 
aufgezählt  sind,  in  der  zweiten  um  eine  unbestimmbare  Zeit  späteren 
Handlung  tradirte  dieselbe  Pilifrida  das  Gut  im  Orte  Suuant.  Aber 
gelegentlich  dieser  zweiten  Tradition  nahm  sie  auch  eine  Veränderung, 
Richtigstellung  und  theilweise  Vermehrung  der  zur  ersten  Schenkung 
gehörenden  Mancipien  vor.  Das  ereignete  sich  häufig  und  daraus  er- 
klären   sich    die    Correcturen    in    den   Urkunden  =^);    anstatt   aber  auch 


')  Die  Mancipien   sollen  das  debitum  servitutis   in  derselben  Weise   leisten, 
wie  es  gescbehen  ist : 

(1.  Fassung)  usque  ad  illam  diem,  qua  haec  eadem  traditio  facta  est 
(2.  Fassung)       „       „        „        „        „      tradita  sunt  (sc.  mancipia). 
Die  Aenderung   war  nothwendig,    weil   der  Zeitpunkt   der   Uebergabe   des 
Gutes  und  der  in  der  zweiten  Fassung  genannten  zugehörigen  Mancipien,  die 
ja  von  denen   der  ersten  verschieden  sind,    sich   nicht  deckten.  ^)  Redlich 

S.  18  f.  gibt  ein  interessantes  Beispiel  dieser  Art  aus  Freising. 

3* 


56  B  r  e  t  h  0  1  z. 

diesmal  die  erste  Aufzeichnung  zu  verbessern,  machte  man  lieher  mit 
möglichster  Beibehaltung  des  Wortlautes  der  ersten  Urkunde  eine  neue 
verbesserte  Abschrift  derselben,  fügte  aber  unmittelbar  an  den  Context 
(also  vor  dem  Schlussprotocoll)  den  Akt  über  die  zweite  Handlung 
gleich  an,  die  allein  in  jenem  Zeitpunkte  vorgenommen  worden  war, 
samt  den  hiebei  fiingirenden  Zeugen  Tagini  —  Petto;  erst  jetzt  schrieb 
mau  die  Zeugen ,  die  der  ersten  Handlung  beigewohnt  hatten,  nach 
der  Vorlage  dazu:  Odalscalh  —  Etih^). 

Würden  wir  nur  die  Aufzeichnung  Nr.  135  kennen,  so  müssten 
wir  nach  dieser  Fassung  annehmen,  dass  Pilifrida  alle  diese  Güter  in 
einem  Male  tradirt  habe  und  dass  alle  diese  24  Personen  gleichzeitig 
Zeugen  dieser  umfassenden  Handlung  waren.  Nach  der  Auffassung 
jenes  Urkundenschreibers  ist  also  blos  von  Wichtigkeit,  den  Gegen- 
stand der  Schenkung,  die  Bedingungen,  die  Zeugen  genau  zu  ver- 
zeichnen, die  Form,  in  der  dies  geschieht,  ist  dagegen  gleichgiltig  und 
selbst  eine  Cumulirung  verschiedener  Handlungen  in  einen  Akt  hat 
nichts  aufTälliges.  Zeitbestimmungen  fehlen  ja  bekanntlich  meistens 
in  diesen  kurzen  Aufzeichnungen  und  dieser  Fall  scheint  zu  beweisen, 
dass  es  gar  nicht  mehr  darauf  ankommt,  den  Zeitpunkt  einer  oder 
das  zeitliche  Verhältniss  mehrerer  Handlungen  zu  einander  zu  be- 
rücksichtigen. 

Wir  haben  aus  unseren  Betrachtungen  nicht  allein  ersehen  können, 
wie  die  Privaturkunde  im  10.  und  11.  Jahrhundert  gleichsam  auf  das 
tiefste  Niveau  einer  urkundlichen  Aufzeichnung  herabfällt,  sondern 
auch,  dass  sich  damals  bei  den  Zeitgenossen  mit  diesem  Worte  kein 
fester  Begriif  verbindet.  Das  Pergamentblättchen,  auf  das  die  Notitia 
zum  ersten  Mal  geschrieben  wurde,  hat  keineswegs  einen  grösse- 
ren Werth,  als  ein  anderes,  auf  dem  nach  beliebiger  Zeit  eventuell 
mit  anders  lautenden  Worten,  genau  derselbe  Sachverhalt  niederge- 
schrieben wurde.  Unter  solchen  Verhältnissen  und  Anschauungen 
konnte  die  Selbständigkeit  der  Notitia  nicht  lange  währen  und  so 
bildet  sich  ein  summarisches  Verfahren  aus,  indem  im  Traditionsbuch 
unmittelbar  die  Aufzeichnungen  gemacht  werden.  Es  ist  aber  ganz 
merkwürdig,  wie  auf  der  anderen  Seite  neben  dieser  vollständigen  Ver- 
nachlässigung der  Form  die  genaue  Kenntnis  derselben  doch  nie 
schwindet.  Abgesehen  davon,  dass  in  anderen  Gruppen  die  Urkunde 
nie  bis  zum  protokollarischen  Akt  gesunken  zu  sein  scheint,  auch  im 


')  Dass  sie  nur  abgeschrieben  sind  und  nicht  etwa  auch  diesmal  zugezogen 
wurden  und  anwesend  waren,  ergibt  sieb  wohl  daraus  mit  Sicherbeit,  dass  die 
Zeugen  wieder  in  derselben  Reilienfolge  wie  in  Nr,  132  aufoezäblt  werden. 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emmeram  in  Regensbnrg.  37 

Kegeusburger  Traditionsbuch  stösst  mau  mitten  iiuter  Äktaufzeichnuugen 
doch  wieder  auf  Abschriften  zweifellos  ausgefertigter  Exemplare.  Eine 
solche  begegnet  uns  im  Traditionsbuch  als  Nr.  238  fol.  62'';  es  ist 
wie  sie  sich  selber  bezeichnet,  eine  ,,Complacitatio"  des  Abtes  Burchard 
von  S.  Emmeram  mit  den  Leiiten  von  Keut,  dem  vierten  Jahrzehnt 
des  11.  Jahrhunderts  angehörend.  Zunächst  fällt  sie  durch  die  Schrift 
auf;  es  ist  nämlich  die  erste  Zeile  in  verlängerter  Schrift,  der  übrige 
Text  mit  deutlicher  Nachbildung  von  Urkundenschrift  geschrieben ;  da 
diese  Art  graphischer  Darstellung  der  Stücke  in  diesem  Codex  nur 
ganz  vereinzelt  vorkommt,  so  darf  vielleicht  angenommen  werdeu,  dass 
der  Abschreiber  in  Nachbildung  der  Vorlage  zu  dieser  Schriftform  ge- 
kommen ist;  denn  dass  überhaupt  ein  wörtlich  gleichlautendes  Ori- 
ginal vorhanden  gewesen,  dafür  spricht  der  Umstand,  dass  dieselbe 
Urkunde  auch  in  dem  schon  genannten  Copialbuch  als  Nr.  26  fol.  25 
in  gleicher  Fassung  sich  findet^).  Dieses  Stück  zeigt  wieder  eine  reich- 
haltigere Stilisirung  und  Anwendung  der  üblichen  Formeln,  beginnt 
sogar  mit  einer  Invocation.  Daraus  muss  mau  denn  schliessen,  dass 
eine  eigentliche  Verdrängung  der  Notitia  nicht  stattgefunden  hat, 
dass  selbst  in  der  Zeit,  da  die  Traditionsbücher  bereits  die  Form  des 
reinen  Aktes,  der  protokollarischen  Buchung  zeigen,  gleichwohl  Ur- 
kundenfertigung im  Gebiete  der  Privaturkunde  bestand.  Es  ist  ein 
Nebeneinandergehen  verschiedener  Formen,  wobei  es  fraglich  bleibt, 
ob  innnere  Gründe  für  die  Wahl  dieser  oder  jener  Form  bei  den  ein- 
zelnen Eechtsgeschäften  massgebend  waren.  Uebrigens  nicht  erst  jetzt, 
schon  ein  und  ein  halbes  Jahrhundert  früher  können  wir  in  den  Ur- 
kunden aus  Kegensburg  diese  Thatsache  constatiren.  In  der  Urkunden- 
sammlung Anamots  aus  der  zweiten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  be- 
gegnen wir  Fassungen  sehr  verschiedener  Art,  wenn  man  will,  Cartae 
und  Notitiae  bunt  untermischt.  Es  ist  damals,  wie  anderwärts  auch, 
im  Kloster  S.  Emmeram  das  Tauschgeschäft  uoch  immer  wie  in  alter 
Zeit  die  „fructuosa  ac  nimium  utilis  consuetudo  inter  homines"  und 
Tauschurkunden  (commutationes)  die  häufigsten.  Wie  die  Sache  selbst, 
so  hat  sich  auch  die  Form  aus  früherer  Zeit  erhalten ;  es  war  die  Aus- 
fertigung zweier  gleichlautender  Urkunden,  von  denen  jeder  Partei  ein 
Exemplar  gebührte,  üblich;  das  sind  daher  auch  Cartae.  In  Freising 
nun  hat  man  ausnahmslos  diese  Form  bis  in  das  dritte  Decennium 
des  10.  Jahrhunderts  zu  wahren  verstanden,  viel  länger  als  im  übrigen 
Baiern-).     Nicht  so  in  S. Emmeram;  da  unterscheiden  wir  nach  dieser 


')  Damach  gedruckt  von  Pez,  Thes.  anecd.  I  3,  Cod.  dipl.  Ratisponense  77. 
2)  Redlich  p.  14,  15, 


38 


B  r  p  t  h  0  1  z. 


Richtung  —  obgleicli  es  durchaus  Urkunden  über  Rechtsgeschäfte  zur  Zeit 
des  Bischofs  Ambricho  sind  —  schon  vier  Gruppen,  und  die  mindest 
zahlreichste  ist  die,  bei  welcher  lediglich  die  Doppelausfertigung  behufs 
Sicherung  angewendet  wird;  immerhin  sehen  wir,  dass  dieser  Modus 
noch  in  Uebung  ist  und  so  lautet  auch  die  betreffende  Formel  ziem- 
lich constant:  „ut  stabile  perraaneat  in  futuro  a  posterisque  melius 
credatur,  placuit  duas  cartulas  pari  teuore  conscripfcas  exhibere".  Häufiger 
tritt  zu  dieser  Formel  noch  die  firmatio  durch  die  Zeugen ;  einen  Unter- 
schied im  Zwecke  beider,  wie  er  etwa  in  der  einen  und  anderen  Ur- 
kunde angedeutet  zu  sein  scheint,  finden  zu  wollen,  wäre  wohl  ver- 
fehlt i).  IDie  reichhaltigste  Gruppe  ist  aber  die,  in  der  Zeugen  allein 
vorkommen  und  viertens  gibt  es  eine  nicht  unbedeutende  Zahl  von 
Stücken,  bei  denen  weder  das  eine  noch  das  andere  ei-wähnt  wird. 

Diese  Wandlungen  sind  um  so  auffallender,  als  wir  in  denselben 
Urkunden  Anamots  einmal  in  Nr.  96  den  Satz  finden,  dass  derartige 
Rechtsgeschäfte  „cum  cartulis  et  testibus"  geschlossen  werden  sollen^). 
Schon  in  der  Zeit  zwischen  864  und  891  erscheint  die  Zeugenurkuude 
gesetzhch  normirt.  Also  um  hundert  Jahre  früher  als  in  Freising  voll- 
zieht sich,  nach  unseren  Quellen  zu  schliessen,  der  gleiche  Vorgang, 
die  Verdrängung  der  Carta  durch  die  Notitia,  in  S.  Emmeram. 

1)  So  heisst  es  in  Nr.  21  vom  Jahre  879:  Denique  ut  insolubilior  esset 
haec  traditio,  placuit  ex  utraque  parte  testibus  norico  more  auribus  tractis  affir- 
mare,  quorum  etiam  uomina,  ne  quis  error  posteros  invaderet  congruum  duximus 
asscribi",  und  später  nach  der  Namenreihe  :  „et  ut  nullum  omnino  ioret  ab  utris- 
que  partibus  impedimentum,  placuit  duas  assignari  cartulas".  -)  ,,Quoniam 

nimium  fructuosa  inter  mortales  iam  olim  consuetudo  inoleverat  commutandi 
videlicet  quasdam  res  pro  utrarum  utilitate  partium,  praecellentissima  regum 
sanxit  dementia  inter  ecclesiasticarum  rerum  facultates  licenter  idem  fieri  et 
usque  ad  quinque  hobarum  supplementum  cum  cartulis  actes- 
tibus  ita  constare.'*  Diese  Bestimmung  erhalt  übrigens  aus  einer  anderen 
Urkunde  Nr.  13  in  folgender  Weise  eine  Vervollständigung:  „haec  autem  numero 
expleto  si  quaelibet  commutatio  desideretur  perficienda  haud  aliter  quam  prae- 
cepto  anuloque  praefatae  magnitudinis  firmetur". 


Beilagen. 


I.  Traditio  G-ozperti  adhuc  ca- 
nonici^). 
Isdem  vero  nobilis  Gozpertus  una 
cum  manu  fratris  et  advocati  sui 
Vualdchuon  nominati  priusquara  mo- 
nachus  fieret  tradidit  Christi  martyri 
Emmerammo  et  usui  fratrum  in  loco 


Traditio . .  .  M 


Notum  sit  Omnibus  ^)  hec  compe- 
rientibus  '^),  quod  qaidam  nobilis  cle- 
ricus  Gozpertus  tempore  mouachice^) 
conversationis  '^),  quando  se  commen- 

')  Cod.  trad.  fol.  26  n.  05  (Pez  n.  30) ; 
der   übrijje   Theil    der   Ueberschriffc   ist 


')  Cod.  trad.  fol.  18  u.  40.    (Pez  n.  lü.)  |  weggeschnitten.    «)  Auf  Rasur. 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emraeram  in  Regensburg. 


39 


Ezzinga  prope  fluvium  Alchmona: 
hobam  •  1  •  cum  omnibus  utilitatibus 
ad  eandem  hobam  rite  attinentibus  id 
est  curtilibus,  piscationibus,  marca 
silv^,  sagina,  aquis  aquarumve  decur- 
sibus,  pascuis,  exitibus  et  reditibus, 
mancipiis  quoque  -V-  ita  nominatis: 
Liohtuni  cum  uxore  Vuirdiga  eorum- 
que  filiis  Heriprant,  Perahtrat,  Vuola- 
purc;  eo  tarnen  teiiore,  ut  quamdiu 
prelatus  Gozpertus  vivat,  sine  censu 
fratribus  deserviant;  postobitumautem 
eius  tarn  ipsi  quam  sequens  poste- 
ritas  eorum  singuli  quot  annis  per- 
solvant  ad  altare  s.  Emmerammi^) 
denarios  -V",  sive  totidem  denario- 
rum  c^re  precium.  Et  isti  sunt  tes- 
tes:  Dietrih,  Puolo,  Gotapold,  Pur- 
chart, Diethart,  Aamalpreht,  Altraan, 
item  Altman. 


IL  Traditio  Perehtoldi  marchi 
comitis  2). 
Karta  pandente  breviter  si  placet 
denuntiamus ,  qualiter  Perahtolt  de 
Orientali  Francia  comes  unacum  con- 
iuge  sua  Helicsuinda  eo  quod  magna 
detineretur  infirmitate  quafungitur^), 
tradidit  in  manum  Arponis  vassali 
sui  quicquid  proprietatis  habere  di- 
noscebatur  in  loco  Tsininga  dicto  cum 
mancipiis  et  omnibus  rebus  ad  hoc 
iuste  respicientibus,  sed  et  servos  '  IUI ' 
de  Amartal  cum  uxoribus  ac  libei'is 
eorumque  substantiis,  ut  idem  Arpo 
h^c  sine  aliqua  dilatione  in  ius  et 
vestituram  s.  Emmerammi  presentare 
ac  firmiter  roborare  non  diflförret. 
Tunc  memoratus  Arpo  pariter  cum 
manu  prenotat^  domn^  su§  et  filii 
illius  Heinrici  tradidit  eandem  pro- 
prietatem  Ysininga    ad    s.  dei   athle- 


dav[it]  ^)  mancipari,  tradidit  ad  altare 
s.  Emmerammi  fratrumque  usui  cum 
m[a]nu  ^)  Vualdchuonis  fratris  sui  et 
adhuc  advocati  hobam  unam  ad  Ez- 
zinga sitam  cum  curtile,  exitibus  et 
reditibus,  piscatio[nibus]  i),  marca, 
silvis,  pascuis,  sagina,  aquis  aqua- 
rumve decursibus,  omnibus  rebus  iure 
et  legitime  ad  h^c  pertinentibus  et 
mancipia  -V*  nulli-)  hoc  contradicente, 
id  est  Liehtuni  cum  uxore  sua  Vuir- 
diga, tribusque  filiis:  Heriprant,  Pe- 
i'ahtrat,  Vuolapurc  nominatis  hac  com- 
placitatione,  ipso  vivente  sine  censu 
ut  alii  officiales  fratribus  serviendum, 
post  eius  vero  obitum  tarn  illos  quam 
posteritatis  eorum  progenies  "V"  de- 
narios vel  eorum  in  c^ra  precium  ad 
aram  huius  sancti  presignatam  an- 
nuatim  persolvendos.  Huius  tradi- 
tionis  testes  sunt:  Dietrih,  Puolo, 
Gotepolt,  Purchart,  Dietrat,  Amapreht, 
Altman,  item  Altman. 

Traditio  Perehtoldi  comiti^). 
Notum  sit  dei  fidelibus,  qualiter 
Perehtold  marchio  comes  cum  manu 
Heilisuind^  coniugis  sue  tradidit  ad 
s.  Emmerammum  in  manum  Ariponis 
vasallis  sui  accipiente  Kamuoldo  ab- 
bate,  fratribus  serviendum  tale  pre- 
dium,  quicquid  habuit  ad  Ysaninga 
cum  mancipiis  omnibusque  rebus,  in- 
super  et  quattuor  servos  de  Amar- 
tala  cum  uxoribus  et  liberis  omni- 
que  eorum  substancia  potestative  et 
pei-petualiter  monachis  habendum,  nee 
quisquam  vel  eius  heredum  aut  prin- 
cipum  sive  presulum  ius  et  licitum 
habeat  illis  subripiendum ;  ea  vero 
ratione,  ut  idem  Aripo  traderet  et 
vestiret  ad  aram  sancti  supradicti  pa- 
tronis ;  quod  ita  factum  est  cum  manu 
predicte  matron^  et  filii  eius  Hein- 
rici comitis:  id  quoque  expetivit,  ut 


')  Folgt  kleine  Rasur,  darunter  stand 
früher  -V-.  »)  Cod.  trad.  fol.  ISi'  n.41. 
(Pezn.  20.)  »)  ^^  Rande  von  gleicher 
Hand  nachgetragen. 


')  Durch  Beschneidung  des  Randes  sind 
die  ergänzten  Buchstaben  verloren  ge- 
gangen. -)  Hs.  3)  Cod.  trad.  fol.  23*' 
n.  54.  (Pez  n.  33.) 


40 


B  r  e  t  h  0  1  z. 


tarn  Emmerammum  et  ad  servitmm 
monachorum  cleo  inibi  famulantium, 
et  ut  inde  pauperes  ac  peregrini  victu 
et  vestitu  consolarentur  vel  recrea- 
rentur,  in  manum  videlicet  abbatis 
Kamuuoldi  et  advocati  sui  Hauuarti 
ea  tarnen  firmitate,  ut  nulli  deinceps 
licitum  sit  cob^redum  suorum  aut 
pontificum  seu  reliquorum  sibi  invi- 
dentium  hanc  eandem  traditionem  in- 
fringere  sive  aliqua  direptione  vio- 
lare.  Et  isti  sunt  testes:  Noppo, 
Uualdcliuon,  Dietrih,  Gozpreht.  Ymmo, 
Hauuart,  Eupo,  Amalprebt,  Engildeo, 
Isrel,  Engilpold,  ödalpreht,  Erchan- 
frid,  Eatpot,  Eparliart,  Nithart. 

III.  Traditio  Got  as  calchi  i). 
Legitimus  igitur  et  christianissimus 
Gotschalcb  nomine  tradidit  s.  Emrae- 
vammo  suisque  servitoribus  videlicet 
monachis  ibidem  conversantibus  talem 
locum  unius  patell^,  qualem  de  suis 
coh^redibus  sibimet  in  partem  habere 
dinoscebatur,  infra  salinamBauuarien- 
sem,  quam  vulgo  conprovinciales  Hai 
solentnuncupare  pro  remedio  sui  suae- 
que  coniugis  et  filiorum  ceterorum- 
que  karissimorum  suorum  absque 
ullius  personaeretardatione  in  manum 
sine  dubio  Eamuoldi  abbatis  et  ad- 
vocati sui  Faramunti  in  presentia  totius 
congregationis  monachorum.  Isti  sunt 
testes:  Papo,  Maganus,  Odalscalch, 
Hiltarich,  Eupo,  Erchanpold,  Eihpolt. 

IV.  Complatitatio  Adalhardi  et 
uxoris  eius  ac  Heistolfi  filii 
eorum^). 
Monet  divina  pietas  omnes  scire 
desiderantes  presentes  atque  futuros, 
qualiter  quidam  über  et  predives 
urbis  Eegi^  negotiator  nomine  Adal- 
hart  tradidit  s.  athlet^  dei  Emme- 
rammo    suisque  monachis  ibidem  fa- 

>)  Cod.  trad.  fol.  19  n.  42.  (Pezn.  21.) 
2)  que  über  der  Zeile  von  gleicher  Hand 
nachgetragen.  ^)  Cod.  trad.  fol.  19 

n.  43.  (Pez  n.  22.) 


de  reditu  eius  loci  pauperes  et  pe- 
regrini victu  et  vestitu  procurentur. 
Isti  sunt  testes:  Noppo,  Vualdchuon, 
Dietrih,  Gozpreht,  Ymmo,  Hauuart, 
Eupo ,  Amalpreht ,  Engildeo  ,  Isrel, 
Enginpold,  Ödalpreht,  Erchanfrid,  Eat- 
pot, Eparhart,  Nidhart. 


[Tra]ditio  Ko[tasc]alhi  [et  f]ili 
sui '). 

Noverit  fidelitas  piorum.  quomodo 
quidam  vir  religiosus  -)  nomine  Ko- 
tascalt  tradidit  talem  portionem  3), 
sicut  ille  habuit  unius  sartaginis  in 
torritorio*),  quod  est  nuncupatum  Hai, 
ad  altare  s.  Emmerammi  et  servito- 
ribus altaris  illius  presente  abbate 
Eamuoldo  cum  omni  congregatlone 
sine  contradictione  ullius  cum  pote- 
stativa  manu  pro  remedio  anim^  su^ 
et  ipsius  mulieris  et  istorum,  quo- 
rum  noiiiina  hie  sunt  recitata :  Eegi- 
nolt,  Ellanpurc,  G-otascalc,  Eeginhilt, 
Ödalscalc,  item  Gotascalc.  Et  isti  sunt 
testes  per  aures  tracti:  Papo,  Maga- 
nus, f^dalscal,  Hiltrih,  Eupo,  Erchan- 
polt,  Eihpolt. 

Traditio  Adalhardi  cuiusdam 
centurionis^). 
Noverint  sane  dei  fideles  presentes 
et  futuri,  qualiter  quidam  ingenuus 
vir  Adalhart  pactionem  fecit  cum 
TJuolfgango  presule  venerando  et  ab- 
bate Eamuoldo  aliis  fratribus  in  mo- 


«)  Cod.  trad.  fol.  23»»  n.  531  (Pezn. 32); 
die  Ueberschrift,  die  am  Rande  in  drei 
kurzen  Zeilen  steht,  ist  zum  Theil  weg- 
geschnitten. *)  li  auf  Rasur.  ^)  Die 
drei  letzten  Worte  auf  Rasur.  ■•)  Hs. 
'-)  Cod.  trad.  fol.  23  n.  50.  (Pez  n.  29.) 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  S.  Emmeram  in  Regensbuvg. 


41 


luulantibus  tale  predium  quäle  in 
loco  Eeginpoldinchoua  in  pago  Tuo- 
iiolicouue  in  comitatu  Paponis  vide- 
batur  habere  cum  Omnibus  ad  hoc 
iu.3te  pertinentibus  nemine  contra- 
dicente  cum  mancipiis  "X*  quorum 
nomina  hoc  in  loco  videntur  inserta: 
Adalpreht  et  uxor  eins  Alpiz  (cum 
filiabus  tribus)  ^),  filius  Engilfrit,  Ös- 
pirn,  Uuanpurc,  Perahtolt,  Tiorpreht, 
Liutker,  Pernhavt.  Trutmuot,  ea  vide- 
licet  stabilitate,  ut  eins  uxoi-  Liup- 
uuar  eorumque  filius  Heistolf  po- 
testative  hoc  habeant  in  usura  fruc- 
tuarium  usque  dum  vivant;  et  post 
amborum  vitam  in  ius  predicti  sancti 
et  sicut  ante  notatum  est  monachis 
in  servitium.  Econtra  accepit  iam 
dictus  Adalhai't  de  deputata  prebenda 
eorundem  monachorum  locum  unum 
Skiri  habens  vocabulum  cum  omni 
consueta  Servitute  ipsi  Adalhardo  fine- 
tenus  tantummodo  deserviendum  ac 
deinceps  in  pristinum  redigendum. 
Haec  tali  stabilitate  roborata  in  ma- 
num  venerabilis  episcopi  TJuolfkangi 
et  Eamuuoldi  abbatis  eorumque  ad- 
vocatorum  Uuerinliarti  et  Faramunti, 
annuentibus  etiam  fratribus  et  con- 
laudantibus  testimonio  confirmabant. 
Et  isti  sunt  testes:  Papo  urbis  pre- 
fectus,  Ymmo,  Lioparto,  Aripo,  Pazrih, 
Ouuaman ,  Ilualtheri ,  Oto ,  Penzo, 
üuoluold, 

V.     Traditio     eiusdem    Adal- 
har  di  ^). 

Noverint  etiam  omnes  christianae 
religionis  amatores  tarn  presentes  quam 
et  futuri,  qualiter  idem  Adalhart  pru- 
denter  venturam  ac  perennem  pro- 
spiciens  remunerationem  tradidit  b. 
dei  martyri  Emmerammo  suisque  fa- 
mulis  ibidem  degentibus  pro  requi^ 
ipsius  anime  et  filii  sui  Lantperti 
caeterorumve    karissimorum    suorum 

-J  Die  eingeklammerten  Worte  stehen 
über  der  Zeile  cf.  n.  135  p.  44  n.  1.  ^)  Cod. 
trad.  fol.  19«>  n.  44,   (Fez  n.  23.) 


nasterio  s.  Emmerammi:  id  est  pre- 
dium quicquid  habuit  ad  Reginpol- 
dinchouun  et  mancipia  "X*  probabilia 
tradidit  in  raanus  eiusdem  episcopi 
et  abbatis  et  Vuerinharti  advocati,  ea 
scilicet  ratione  post  obitum  suum  et 
LiHpun  uxoris  auq  et  Heistolfi  filii 
sui  vitam  nemine  contradicente  per- 
petualiter  ad  s.  Emmerammum  fra- 
tribusque  in  commune.  Econtra  in 
recompensationem  accepit  retradente 
episcopo  et  abbate  advocati  manu  quic- 
quid fratres  habuerunt  ad  Scirin  omni 
integritate  rerum,  hoc  pacto  ad  finem 
solius  vit§  su^  et  se  defuncto  mox 
fratribus  revertendum.  Huius  pac- 
tionis  testes  sunt:  Papo  urbis  pre- 
fectus,  Ymmo,  Lioparto,  Aripo,  Pazrih, 
Ouuiiaman,  Uualtheri,  Oto,  Penzo, 
Vuoluold. 


Traditio   eiusdem  ^). 

Notum  sit  dei  fidelibus,  quod  idem 
Adalhart  supradictus  pro  remedio  anim^ 
su^  et  Lantperti  filii  sui  ceterorumve 
sibi  coherentium  tradidit  ad  s.  Em- 
merammum fratribu.s  ad  usum  tres 
hobas  ad  Scirin  dicta  et  mancipia,  id 
est:  Adalpreht,  Liupili,  Dietpreht, 
Pernhart,  Perehtolt,  Alpiz,  Engilfrid, 
Ruodlouhe,     Trutmuot,     Vuanpurc^) 

')  Cod.  trad.  fol.  23  n.  .51.  (Pez  n.  .30.) 
'-')  Von  id  est  an  wahrscheinlich  von  an- 
derer Hand  in  den  ursprünglich  leer  ge- 
bliebenen Raum  später  eingetragen. 


42 


B  r  e  t  h  0  ]  z. 


potestative  possidendum.  Huius  tra- 
tionis  vestituram  filius  eius  supra- 
dictus  Heistolf  presentavit  ad  aram. 
Testes  traditionis:  Ymmo.  Uuerin- 
hart,  Erchanprebt,  Hauuart,  Hiltrih, 
Nithart,  Uuiso,  Eazi,  Liuthart,  Rihholt, 
Sintcoz. 


talem  pioprietafein  qualem  eorundem 
dei  famulorum  rebus  contiguam  ha- 
bere videbatur  in  loco  Skiri  cum  omni 
Integritate  id  est  curtilibus  et  aedi- 
ficiis,  agris  pratis  mancipüs  decem 
ita  nominatis :  Uuillipato ,  Alpheri, 
Alauuih,  Folclisuind ,  Lantolt ,  item 
Alpheri,  Dietrih,  Engiluiiar,  Adal- 
preht,  Ruotpirin  in  manum  scilicet 
Eamuoldi  abbatis  et  advocatorum  suo- 
rum  Ymmonis  et  Hauuarti  presenti- 
bus  etiam  fratribus  perpetualiter  sibi 
deserviendum.  Et  isti  sunt  testes: 
Ymmo,  Vuerinhart,  Erchanprebt,  Ha- 
uuai't,  Hiltrih,  Nithart,  Vuiso,  Razi, 
Liutliart,  Eihholt,   Sintcoz.  | 

VI.   Traditio   Rihholf'i  cuiusdam   secularis  viri^). 

Cognitum  sit  dei  tidelibus,  quod  quidam  Rihholf  religiosus  nobilisque 
homo  tradidit  s.  martyri  Emmerammo  in  perpetuam  proprietatem  Laga- 
deosdorf  cum  Omnibus  inibi  manentibus.  Testes :  Solomon  ^) ,  Gundhart, 
Liutfrid^),  Ödalpreht,  Gruntpreht,  Conzo,  Polo,  Isrel,  Leoparto,  Raffolt. 

1)  Cod.  trad.  fol.  24^  n.  56  und  fol.  29  n.  80.  (Pez  n.  35.)  Die  Ueberschrift 
hat  nur  Nr.  56.  -')  in  Nr.  80 :  Salamon.  ■'')  In  Nr.  80 :  Liutft-it. 


YJl.  Traditio  vener  an  de  ac 
sanctemonialis  femine  Ju- 
ditei). 
Agnoscat  igitur  omnium  fidelium 
industria,  qualiter  venerabilis  patrona 
ac  sanctimonialis  faemina  Judita  nun- 
cupata  memor  inmarescibilis  remune- 
rationis  et  eterne  beatitudiuis,  tra- 
didit una  cum  manu  filii  sui  Hein- 
rici  ducis  ad  s.  Emmerammum  et  ad 
servitium  monachorum  talem  pro- 
prietatem, qualem  frater  eius  Hludu- 
vicus  in  loco  Eitarahoue  sibi  ser- 
viendo  in  potestate  habuit  cum  Om- 
nibus rebus  ad  eundem  locum  iuste 
et  legitime  pertinentibus ;  hoc  est: 
curtem  cum  edificiis  et  reliquis  cur- 
tilibus, villis  et  casis,  veneis  ac  vini- 
toribus  et  aureariis ,  agris,  pascuis, 
silvis,  aquis,  piscationibus,  molendi- 
nis  mobilibiis  etimmobilibus,  exitibus 


')  Pez,   Thes.  anecd.  I.  3   (Jod.   dipl. 
Ratisp.  62, 


Traditio  Heinrici  ducis  et  Ju- 
dith^ matris  eius^). 
Noverit  omnium  fidelium  pr^- 
sentium  videlicet  et futurorum  indu- 
stria qualiter  ego  J u d i t a  pro  re- 
medio  anim^  me^  et  parentum  meorum 
cogitans  tradidi  ad  dei  servitium 
et  s.  Emmerammi  martyins  tale 
predium,  quäle  visa  sum  habere  in 
loco  qui  dicitur  Eitarhoua  cum 
manu  filii  mei  Heinrici  ducis 
Bauuariorum  cum  omnibus  ad  ean- 
d  e  m  curtem  iure  et  legitime 
pertinentibus,  agris,  pascuis, 
villis  et  casis,  vineis  acvini- 
toribus  et  aurariis,  silvis, 
aquis,  piscationibus,  molen- 
dinis,  mobil ib US  et  inmobil i- 
bus,  quesitis  et  inquirendis, 
exitibus  et  reditibus,  manci- 
püs quoque  utriusque  sexus  et 
omnino  omnibus  ut  dixi  ad  eun- 


1)  Cod.  trad.  fol.  35  n.  100  xmgedruckt. 


Studien  zu  den  Traditionslnichern  von  S.  Emraerani  in  T>egensbui-( 


et  reditibus,  quesitis  et  inquireu- 
dis  omnique  legitima  cautione  man- 
cipiis  utriusque  sexus  et  reliqua  om- 
nia  ut  supra  dictum  est,  tradidit 
memorata  domna  ad  altare  s.  Emme- 
ranimi  et  ad  commune  servitium  mo- 
nachorum  in  manus  Uuolfgangi  epis- 
copi  et  advocati  sui  Faramundi,  ea 
quoque  tenore ,  ut  ipsa  domna  et 
frater  eius  Hluduuicus  in  servitium 
habuerint  et  utantur  usque  ad  finem 
vite  sue.  Post  amborum  vero  obi- 
tum  provenerit  et  redierit  ipse  locus 
in  ius  et  servitium  ecclesie  et  fra- 
trum  cum  omni  integritate  sine  om- 
nium  contradictione.  Huius  tradi- 
tionis  testes  sunt  per  aures  tracti : 
Sarhilo  comes,  Tlieomar,  Tagini,  Anno, 
Uualtheri,  Timo,  Papo,  Ködperlit,  En- 
gilmar,  Egilolf,  Tuoto,  Orendil,  Tsan- 
rib,  Uuirunt,  Leoparto,  Uuicbram, 
Ogo,  Odalrih,  Heinprebt,  Gotedieo, 
Eeginprebt ,  Purcbart.  Vestituram 
huius  rei  Timo  presentaverat  ad  aram 
s.  Emmerammi  et  fratribus;  presen- 
tes  quoque  tunc  aderant:  Eihherus 
prepositus,  Uualtherus  decanus,  Job, 
Amanoldus,  Adalpertus  et  ceteri  omnes. 


dem  locum  iuste  pertinentibus,  et  sicui 
frater  mens  Hludouuicus  in  ul- 
timis  vit^  suae  temporibus  ad  usus  pro- 
prios  possedit  venerabilis  viri  Uuolf- 
gengi  episcopi  et  Faramundi 
advocati  sui;  ea  scilicet  ratione, 
ut  monachi  ibidem  deo  et  s.  mar- 
tyri  eius  Emmerammo  servientes  ad 
communem  utilitatem  perpetualiter 
eandem  curtem  possideant.  Si  vero 
aliquis  episcoporum  per  futura  tem- 
pora  succedentium  ad  suum,  quod  fieri 
non  credo,  privatum  servitium  redi- 
gere vel  vassallis  suis  ad  beneficium 
dare  temptaverit,  heres  meus  sicut 
reliqua  sibi  derelicta  h^reditario  iure 
et  banc  curtem  possideat.  Et  ut 
haec  traditio  in  perpetuum  semper 
firma  permaneat  bos  testes  qui  ea 
viderunt  fieri  et  audierunt  subscribere 
fecimus  more  legali  per  aures  at- 
tracti  Sarhilo  comes,  Teomar, 
Tagani,  Anno,  Uualtheri,  Timo, 
Papo,  Rödpreht,  Engilmar, 
Egilolf,  Tuoto,  Orendil,  Ysan- 
rih,  Uuiront,  Licoparto,  Ögo, 
ödalrich,  Heinpreht,  Gotidieo, 
ßeginpreht,  Purachart,  Uuiram^). 


I        1)  Wiram  entspricht  wohl  dem  Wich- 
1  ram  der  Vorurkunde. 

VIIL   Die  beiden  Fassungen  der  traditio   Pilifride^). 

Notum  sit  vobis  tam  presentibus  quam  futuris,  qui  huiusmodi  rem 
scire  debetis,  qualiter  quedam  bon§  memorie  matrona  nomine  Piliurida'^) 
tradidit  ad  s.  Emmerammum  cum  manibus  advocatorum  suorum  Gotopoldi 
et  Diemonis  in  manus  domni  abbatis  Ribholdi  et  advocati  sui  Magononis 
quicquid  proprietatis  habebat  in  locis  Oriliheim  et  Pietunprunna  nuncu- 
patis,  addita  et  una  cuiusdam  Ironis  hoba  cum  omnibus  ad  ipsa  loca  iuste 
pertinentibus 

Nr.   132  I  Nr.    135 

ad  haec  tradiderat  super  altare  eius-  I  et  cum  mancipiis  utriusque  se- 
dem  predicti  s.  martyris  Enunerammi  xus  quorum  nominahictcnen- 
utriusque  sexus  mancipia,  quorum  tur^);  Iro  et  uxor  eius  Hiltigunt 
nomina  hie  infrascripta  tenentur ;  ea  |  e  t  filius  eius  Iro  et  frater  eius  Diet- 

1)  Cod.  trad.  n.  132  (Fez  n.  65)  und  n.  135  (ungedmckt).  -')  rida  auf  Rasur ; 

Nr.  135  hatPilifrid;  anderweitige  beachtenswerthe  Varianten  im  gemeinEamen  Text 
finden  sich  nicht,  auch  die  Ueberschrift  Traditio  PiHfride  lautet  in  beidtMi  gleich. 
3)  Hieher  gehören  wohl  zwei  Nachträge ,  die  am  rechten  und  linken  Rande  in 
gleicher  Höhe  mit  dem  Text  geschrieben  sind  :  hec  mancipia  pertinent  ad  Pietun- 
prunna I  Hizelam  et  filiam  eius  Liuzwib  cum  omni  posteritate  earum. 


44 


B  r  e  t  h  0  1  z. 


videlicet  ratione,  ut  eisdem  mancipüs   hart,  Kihhart  et  filia  eins  Hilti- 


et  Posterität!  eorum  sub  eodem  equi- 

tatis  tenore  quo  usque  ad  illam  diem 

qua  hec  eadem  traditio  facta  est,  de- 

bitum    servitutis    solverant    fratribus 

huius    monasterii    post   liinc    solvere 

liceret.     Hec  sunt  nomina  mancipio- 

rum :    Iro    cum    uxore    et  cum  filiis, 

Enci  cum  uxore  et  cum  filiis,  Adal- 

hart  cum  uxore  et  cum  filiis,    Uual- 

trat  cum  filiis,    Perolt  cum  filiis    et 

uxore  Fridagart,  Lantprelit  filius  Adal- 

pero,  Uuolfmar  cum  uxore,  Perhgart, 

Hiltipurc,  Ratpurc,  Uuasmöt,  Uuisunt 

cum  una  filia,    Amaluuib  cum  filiis, 

Helmpreht  cum  sorore,  Odalburc,  Liu- 

busta  cum  filiis,    Rihhart  soror  sua, 

Uuerda    et    filias    suas    Hiltamerga, 

Uuerda,  Razo. 

Post  h^c  tradidit  ad  usum  fratrum  unum  molendinum,  quod  est  situm 

iuxta  fluviolum  Luttaraha  nominatum  in  loco  Alaraspah  dicto 

cum  tribus  mancipüs  :Peroltetuxor 
eius  Hiltigart  et  filia  eius  Ribhilt. 
Huic  siquidem  traditioni  adiunxit  unam,  qua  nobis  tradidit  locum  ad 

onerandas    naves    aptum   teutonice  Ladastat    dictum  flumini  scilicet  conti- 

guum,  quod  dicitur  Vilisa  in  vico  Smidimulni  nuncupato, 

cum  ujio  servo  Ratkero.  —  Item  eadem 
matrona  tradidit  ad  s.  Emmerammum 


m  e  r  i  a ,  Uuerda  (f.)  ^),  Engilpreht, 
Adalmot  (fil.  eius),  Engilmot  (et  f.), 
Rihbil  fc  (et  f.),  Ysanrih  (et  f.),  Hunger  (et 
f.),  A  dal  hart  (uxor  eius),  Per- 
draht, Hiltigunt  (fil.  eius),  Uuolfkart 
(fil.  eius),  Pero  (fil.  eius),  Uuasamot, 
Uuisunt,  üuilligart  (fil.  eius).  H(^c 
mancipia  pertinent  ad  Orilinheim: 
Amalfrid  et  uxor  eius  Fridigart  et 
filius  eius  Amalfrit  et  frater  eius 
Uuirunt  et  filia  eius  Rihtrut,  Diet- 
pirc,  Heripolt,  Uuolfmar,  Pero,  Erin- 
hilt,  Folcrat,  Uualtrat,  Peromot,  Go- 
tafrid,  Uualtpreht,  Dietpolt.  Hilta- 
purc,  Uuisunt,  Uuerda,  Regin- 
preht,   Uuezala. 


Huius  rei  festes  sunt  hi:  Ödal- 
scach,  Hartuuic,  Aribo,  Diemo,  Röd- 
preht,  Peranhart,  Odalpreht,  Aribo, 
Pecili,  Durinchart,  Tagini,  Etih. 


tale  predium  quäle  habuit  in  loco, 
qui  nominatus  est  Suuant  cum  -IIII' 
servis  cidallariis  et  uxoribus  eorum 
et  filiis,  quorum  nomina  hie  tenen- 
tur;  Peranhai-f  et  uxor  eius  Vicihha 
et  filia  eius  Vicihha  et  Adalpurc  filius 
eius,  Hai-tnit  et  Uuisunt  et  Manolt 
et  Turine  et  Trumuot  et  Erchanpreht, 
Diotpolt,  Gumpolt  et  uxor  eius  Perh- 
gart et  filius  eius  Ceizpreht  et  filia 
eius  Liutpurc  et  Geza,  Uuolfmar  et 
uxor  eius  Liutpurc  et  filia  eius  Diot- 
rat,  Adalpero.  Isti  sunt  qui  singuli 
debent  solvere  decem  nummos :  Uuol- 
uolt  et  uxor  eius  Rötgart  et  fil.  eius 
Hiltigart  et  Gerhilt  et  Helmpurc  et 
Rihpurc  et  fil.  eius  Engilpero  et 
EllinrihetPerhtmunt,Muotuni,Uuerda, 


')  Die  eingeklammerten  Buchstaben 
und  Worte  stehen  in  der  Handschrift  über 
dem  unmittelbar  vorhergehenden  Namen, 


Studien  zu  den  Traditionsbüchern  von  s.  Emmeram  in  Regeusburg.  45 


Alarun  et  fil.  eius  Dietmar  et  Chuon- 
rat  et  Erclianpreht ,  Liupista  et  fil. 
eius  Perlitolt  et  Sigipreht  et  fil.  eius 
Heiza  et  Alarun,  Albrih,  Uualtrat  et 
fil.  eius  Hirzpurc,  Hiltipurc,  Frida- 
gart et  fil.  eius  Euodolf  et  fil.  eius 
Gerpurc  et  Eilipurc,  Adalpret,  Folc- 
rat,  Perlitrat,  Sigipreht  et  uxor  eius 
Uuentilmut  et  fil.  eius  Eatkart  et 
Hiltipurc  et  üuiba,  Sigipolt  et  uxor 
eius  Trutpirc  et  fil.  eius  Eahbilt  et 
Kerunc  et  Arndt  et  Teganheri  et 
Starcbolf,  Teganlieri  et  uxor  Hada- 
purc,  Uuillirat  et  uxor  Gepabilt  et 
fil.  Prunuuart  et  Sahbo ,  Hiltuni  et 
uxor,  Uuatila  et  fil.  Ysanpirin,  Folc- 
mar,  TJualtpreht,  Pezala,  Hizala,  Gunt- 
preht  et  fil.  eius  Inima,  Liubisit  et 
uxor  eius  Suuza  et  fil.  eius  Chuuiza 
et  Liuza.  H^c  autem  traditio  ita 
facta  est,  ut  prenomiuatis  mauci- 
cipiis  et  posteritati  eoruni 
sub  eodem  equitatis  tenore 
quo  usque  adillanidiem,  qua 
tradita  sunt  ad  s.  Emmerammuni  d  e  - 
bitum  servitutis  solverant  fra- 
tribus  huius  nionasterii  post- 
hinc  solvere  liceret.  Etuthocpro 
cautela  subnectamus,  si  episcopus  aut 
aliqua  potens  persona  de  supradictis 
prediis  et  mancipiis  servitio  fratruni 
subtraliere  conetur,  proximus  heres 
prenominat^  matron^  hoc  in  suam  po- 
testatem  recipiat,  usque  in  illum  diem, 
quo  id  s.  Emmerammo  proprium  ius 
restituere  possit.  Isti  sunt  testes: 
Tagini,  Lanzo,  Hadamar,  Einuuic  Ta- 
gini, Uuerinhart,  ödalrih,  Gotti,  Voccho, 
Uuinicho ,  Gariheri ,  Hauuart ,  Petto, 
Odalscalhc,  Hartuuic,  Aribo, 
Diemo,  Eötpreht,  Per  an  hart, 
Ödalpreht,  Aribo,  Pecili,  Du- 
rinchart,  Etih. 


Die  älteren  Immiinitäten  für  Werden  nnd  Corvei. 

Von 

Wilhelm  Erben. 

Das  Kloster  Werden  hat  eine  Reihe  von  Schutz-  und  Immuni- 
tätsverleihungen aus  der  Zeit  der  Karolinger  und  Ottonen  aufzu- 
weisen. Aber  nur  eine  von  diesen  Urkunden,  die  von  Ludwig  III.  er- 
theilte  (Mühlbacher,  Eegesten  der  Karolinger  Nr.  1512),  liegt  im  Original 
vori);  dagegen  sind  jene  Karl  des  Grosseu,  Arnolfs,  Heinrich  I.  und 
Otto  III.  (Reg.  380,  1753  und  Mon.  Germ.  DH.  26,  DO.  III.  17)  in 
Nachzeichnungen  erhalten,  welche  zur  Zeit  Heinrich  IL  im  Kloster 
angefertigt  wurden,  jene  Zwentibolds  und  Otto  I.  endUch  durch  den 
im  12.  Jahi'h.  geschriebenen  liber  privilegiorum.  Aus  dieser  Zahl 
können  wir  vor  allem  das  Karl  dem  Grossen  zugeschriebene  Diplom 
ausscheiden;  im  Widerspruch  mit  dem,  was  wir  über  die  älteste  Ge- 
schichte des  Klosters  wissen,  zeigt  sich  dasselbe  in  i'ormeln  und  Pro- 
tokoll durchaus  als  werthlose,  ohne  echte  Vorlage  hergestellte  Fälschung. 
Die  Schenkung  von  Lothusa  mag,  da  sie  auch  in  der  vita  Liudgeri 
erwähnt  wird ^),  auf  Wahrheit  beruhen.  Dagegen  ist  das  Kloster  keines- 
falls schon  unter  Karl  dem  königlichen  Schutz  übergeben  worden; 
vielmehr  behielt  dasselbe  zunächst  den  Character  der  Familienstiftung, 
welcher  nach  einander  die  Verwandten  des  Stifters,  die  Bischöfe  Hil- 
degi-im  von  Chälons,  Gerfi'id  und  Altfrid  von  Münster  und  Hildegrim 
von  Halberstadt  als  Aebte  vorstanden  3).  Erst  der  zuletzt  geuannte 
Hildegrim  IL  machte  diesem  Verhältnis  ein  Ende,  indem  er  das  Kloster 

')  Wenn  Diekamp,  Suppl.  zum  Westf.  ÜB.  44  u.  290,  auch  dieses  Diplom 
zu  den  Nachzeichnungen  rechnet,  so  ist  er  hiezu  durch  den  Irrthum  von  Stumpf 
(Wirzb.  Immunitäten  1,  .31  n.  55)  verleitet  worden,  den  schon  Sickel  (KU.  in 
Abb.,  Text  169)  berichtigt  hat.  —  Mühlbachers  Regesten  der  Karolinger  citiere 
ich  fernerhin  nach   den  Nummern   mit   der  Sigle  Reg.  -)  Mon.  Germ.  SS. 

2,  411.  8)  Vgl.  Diekamp  Vitae  s.  Liudgeri,  Geschichtsqu.  des  Bistums  Münster 

4,  XI-XIV. 


t)ie  älteren  Immunitäten  für  Werden  und  Coi-vel.  47 

dem  König  comineudirte.  Infolge  dessen  ertlieilte  nun  Ludwig  III.  im 
J,  877  dem  Kloster  Königsschutz  und  Immunität,  befreite  es  von  dem 
in  Neuss  zu  entrichtenden  Zoll  und  verlieh  den  Mönchen  das  Kecht, 
nach  dem  Tode  Hildegrims  den  Abt  aus  ihrer  Mitte  zu  erwählen. 

Soweit  lassen  die  Worte  der  Originalurkunde  Ludwig  III.  keinen 
Zweifel  über  den  Vorgang,  schliessen  somit  auch  die  Echtheit  des  Karl 
dem  Grossen  zugeschriebenen  Diploms  aus.  Aber  in  einem  Punkte 
muss  doch  auch  das  Präcept  Ludwigs  genauer  geprüft  werden.  Durch 
die  Worte  „coram  advocato  quem  abbas  constituerit"  wäre  dem  Abt  das 
Kecht  der  Vogtwahl  zugesprochen  worden,  eine  Begünstigung,  die  sich 
zwar  vereinzelt  auch  in  karoliugischen  Urkunden  findet  i),  gerade  in 
unserem  Fall  aber  kaum  Glauben  verdient.  Denn  die  Worte  „quem 
abbas  constituerit,  si  quid  est"  sind,  ebenso  wie  in  der  Narratio  die 
Stelle  „et  nostrae  defensionis  tuitioni"  nicht  nur  aufKasar  geschrieben^), 
sondern  rühren  offenbar  von  anderer  Hand  her,  als  der  übrige  Con- 
text  und  trotz  der  gi-ossen  Sorgfalt,  welche  auf  Nachahmung  der  ur- 
sprünglichen Schrift  verwandt  ist,  verrathen  doch  die  geraden  Schäfte 
der  t,  m  und  n,  die  ümbieguug  der  Schäfte  nach  rechts,  sowie  die 
stark  unter  die  Zeile  sinkenden  s  und  f  den  dem  10.  Jahrh.  ange- 
hörenden Schreiber.  Wahrscheinlich  wurde  also  auch  in  Werden  das 
Kecht  der  Vogtwahl  nicht  dem  Abte  zugestanden,  sondern  dem  König 
vorbehalten,  sowie  in  Neuenheerse,  welches  wenige  Jahre  vorher  durch 
Liuthard  von  Paderborn  dem  Schutz  des  Königs  übergeben  worden 
war3).  In  den  Immunitäten  der  folgenden  Herrscher  bis  auf  Otto  I. 
findet  sich  zwar  keine  Erwähnung  von  der  Ernennung  des  Vogtes  durch 
den  König,  aber  auch,  dass  die  Wahl  des  Vogtes  dem  Abte  zustände, 
ist  nirgends  ausgesprochen^).  Dagegen  beginut  mit  dem  D.  Otto  II. 
vom  J.  983  eine  Keihe  von  Urkunden,  welche  in  ganz  ungewöhnlicher 
Weise  das  Kecht  der  Vogtsernennung  durch  den  Abt,  das  sonst  als 
Anhängsel  anderweitiger  Bestimmungen  erscheint,  zum  ausschliesslichen 
Inhalt  habenä);  demgemäss  hat  auch  in  der  im  J.  985  ertheilten  Im- 
munitätsbestäticmng  Otto  III.,  die  sich  sonst  wörtlich  an  die  unter 
Arnolf  festgestellte  Fassung  anschliesst,  der  Satz  quem  abbas  consti- 
tuerit Aufnahme  gefunden.  Vor  dem  J.  985  also,  vielleicht  schon  983 
werden  an  dem  Original  Ludwig  III.  jene  Interpolationen  vorgenommen 

»)  Vgl.  Waitz,  VG.  2.  Aufl.  4,  469  n.  4.  -')  Vgl.  KU.  in  Abb.,  Text  164. 

3)  Vgl.  das  D.  Ludwig  des  Deutschen  (Reg.  1444)  mit  den  Worten  coram  advo- 
cato a  nobis  constituto.  ■*)  coram  advocato  eorum,  si  quid  ad  inquirendum 
est  aut  corrigendum,  inquiratur  aut  comgatur  in  den  DD.  Arnolfs,  Heinrich  I. 
und  Otto  I.,  advocatus  eorum  super  eis  iustitias  agat  in  jenem  Zwentibolds. 
»)  DO.  n.  290,  DO.  III.  151  und  DH.  II.     Stumpf,  Reg.  1315. 


4jSi  Er  b  e  11. 

worden  sein,  deren  Zweck  es  war,  die  Ernennung  des  Vogts  durch 
den  Abt  als  ein  altes  Eecht  des  Klosters  erscheinen  zu  lassen, 

Dass  das  D.  Ludwig  III.  der  Kanzlei  Arnolfs  vorgelegt  worden 
ist,  unterliegt  keinem  Zweifel,  denn  die  über  Gerichtsbarkeit  des  Vogtes 
und  Befreiung  vom  Zoll  handelnden  Sätze  sind,  wenn  auch  in  etwas 
verbesserter  Fassung  i) ,  doch  fast  wörtlich  in  das  D.  Arnolfs  über- 
gegaugen.  Im  übrigen  aber  erweist  sich  die  Fassung  des  Amolf- 
diploms,  der  sich  dann  die  Inimuuitätsbestätigungen  Heini-ich  I.,  Otto  I. 
und  Otto  III.  anschliessen ,  als  unabhängig.  Sie  enthält  eine  Reihe 
von  Bestimmungen  über  den  Genuss  von  Zehnten,  über  Befreiung  vom 
Kriegsdienst  und  Einschränkung  der  Gewalt  des  Diöcesaubischofs,  welche 
sich  in  dem  D.  Ludwig  III.  nicht  finden  und  welche  im  Verein  mit 
den  im  Eingang  erwähnten  Umständen  der  üelierlieferung  den  Ver- 
daclit  der  Fälschung  wachrufen.  Da  jedoch  alle  diese  Urkunden  mit 
tadellosem  Protokoll  versehen  sind,  so  kann  kein  Zweifel  sein,  dass 
ihnen  echte  Diplome  der  betreffenden  Hen-scher  zu  Grunde  liegen,  die 
wie  die  Nachzeichnungen  erweisen,  auch  als  Schreibmuster  für  die 
Fälschungen  verwendet  worden  sind. 

Stimme  ich  soweit  mit  der  bisherigen  Auffassung  dieser  Diplome 
iiberein  -),  so  möchte  ich  im  folgenden  versuchen,  die  echten  Bestand- 
theile  derselben  von  den  falschen  zu  scheiden.  Als  Handhabe  hiefür 
bietet  sich  einerseits  das  nicht  durch  Nachzeichnung,  sondern  durch 
Copialbuch  überlieferte  DO.  I.  5,  andrerseits  die  Immunitätsverleihung 
Arnolfs  für  Corvei  und  Herford  (Reg.  1720),  auf  deren  Zusammen- 
liang  mit  jener  für  Werden  schon  Mühlbacher  aufmerksam  gemacht  hat. 

DO.  I.  5  unterscheidet  sich  zunächst  durch  die  einfache  Fassung 
des  über  die  Zehnten  handelnden  Satzes  „ubicumque  dominicatos  mansos 
habuerint,  ex  rebus  que  ibidem  adquiruntur,  decimas  dent  ad  portam 
mouasterii  nee  alibi  eas  dare  cogantur"  von  den  übrigen  Diplomen 
der  Reihe,  die  denselljen  Passus  durch  mannigfaltige  Zusätze  erweitert 
und  stärker  betont  haben  ■^) ;  noch  mehr  aber  zeichnet  sich  DO.  I.  5 
aus  durch  das  Fehlen  der  Stelle  „abbas  iUius  —  plane  possidere",  die 
nicht  nur  die  anstössigsten  Bestimmungen   in  sich  vereinigt,   sondern 


')  Vgl.  Sickel,  KU.  in  Abb.,  Text  169  f.  ")  Vgl.  die  Bemerkungen  von 

Sickel  zu  DH.  26  und  DO.  II.  290  und  jene  voi'  Mühlbacher  zu  Reg.  1753. 
•'')  Nach  nee  schieben  alle  drei  Nachzeichnungen  die  Worte  ein:  a  nemine  pe- 
nitus ;  ex  rebus  que  ibidem  adquiruntur  ersetzen  sie  durch :  in  quocümque  sint 
episcopio  seu  prefectui'a  ...  in  omni  regno  a  deo  nobis  coUato ;  das  D.  Hein- 
richs lässt  ausserdem  nacli  decimas  folgen :  quas  alii  episcopis  solvunt,  jenes  Ar- 
nolfs statt  dessen :  quas  alias  episcopi  toUunt  und  nach  cogantur  den  Satz :  sed 
sub  nutu  abbatis  eiusdem  monasterii  in  perpetuura  permansura  conaistant. 


Die  älteren  humnnitäten  für  Werden  nnd   Corvei.  .  49 

auch  den  natürlicheu  Zusam  menhang  der  Sätze  „  ad  elegendum  abbatein 
inter  se  potestatem  eoncedimus,  quatinus  eos  melius  delectet  .  .  .  exorare " 
in  gewaltsamer  Weise  unterbricht  i).  Bei  so  gro.ssen  Differenzen  ist 
es  nicht  zulässig,  DO.  I.  5  ebenso  zu  beurtheilen,  wie  die  durch  Nach- 
zeichnungen überlieferten  Immunitäten;  vielmehr  drängt  sich  sofort 
die  Vermnthuug  auf,  dass  DO.  I.  5  von  der  Verunechtung,  welche  die 
anderen  Diplome  dieser  Keihe  erfahren  haben,  verschont  geblieben  und 
dass  uns  hi^r  auch  die  ursprüngliche  Fassung  der  anderen  Immuni- 
täten für  Werden  erhalten  geblieben  ist.  Diese  Annahme  bestätigt 
der  Umstand,  dass  die  durch  DO.  L  5  repräsentirte  Fassung,  soweit 
sie  nicht  aus  dem  oben  besprochenen  D.  Ludwig  III.  genommen  ist, 
wörtlich  mit  dem  D.  Arnolfs  für  Corvei  und  Herford  übereinstimmt. 
Bevor  ich  jedoch  diese  Immunitätsurkunde  mit  jenen  für  Werden 
vergleiche,  wird  es  nothwendig  sein,  in  kurzem  die  früheren  Corveier 
Immunitäten  zu  besprechen.  Schon  im  J.  823  hatte  Corvei  von  Lud- 
wig dem  Frommen  Schutz  und  Immunität  erhalten  (lieg.  755);  die 
Fassung  dieses  D.  ist  ziemlich  genau  in  dem  Ludwig  des  Deutscheu 
(Reg.  1328),  ganz  wörtlich  in  jenem  Karl  III.  (Reg.  1599)  wiederholt 
worden.  Die  genannteu  Diplome  verleihen  dem  Kloster  ausser  den 
wesentlichen  Bestandtheilen  der  Immunität  auch  das  Recht,  mit  fi-eien 
Leuten  Gut  und  Hörige  zu  tauschen.  Auf  diesen  Punkt  scheint  man 
—  wenn  nicht  etwa  ein  Versehen  der  Kanzleibeamten  vorliegt  ■ —  in 
Corvei  besonderen  Werth  gelegt  zu  haben;  denn  dasselbe  Recht  wird 
mit  den  gleichen  Worten  auch  in  der  von  Ludwig  dem  Frommen  er- 
theilten  Gründungsurkunde  (Reg.  754)  und  der  ihr  nachgebildeten  Be- 
stätigung Ludwig  des  Deutschen  (Reg.  1327)  ausgesprochen;  hier  wird 
auch  das  Recht  der  Abtswahl  ertheilt,  das  in  den  Immunitätsurkuuden 
fehlt.  Strittig  ist,  ob  neben  diesen  beiden  dem  Kloster  von  Ludwig 
dem  Frommen  ertheilten  imd  von  den  Nachfolgern  bestätigten  Di- 
plomen noch  ein'  drittes  anzunehmen  ist,  welches  die  ausdrückliche 
Befreiung  vom  Kriegsdieust  zum  Inhalt  hatte.  Die  Gründe,  welche 
Roth  für  diese  Annahme  geltend  gemacht  hat,  scheinen  mir  nicht 
zwingend  -) ;    trotzdem    kann  es    keinem  Zweifel    unterliegen,    dass  die 


')  Vgl.  Formulae  imp.    n.  4    (Mon.  Germ.    Formulae  291).  -)   Der  Be- 

weisführung von  Roth  (Beueficiahveseu  405 ,  Feudalitilt  23<)')  hat  sich  Wilmans 
(Westf.  KU.  1,  18G)  angeschlossen;  aber  die  Worte  der  ti-auslatio  s.  Viti  (SS.  2, 
579)  »Eodem  die  remisit  d.  imp.  eidem  abbati  omne  servitium"  lassen  noch  nicht 
auf  ein  im  J.  815  ertheiltes  Privileg  schliesseu,  das  wohl  imter  den  damaligen 
Umständen,  da  kaum  der  Entschluss  zur  Klostergründung  gefasst  war,  kaum  er- 
lassen werden  konnte,  auf  jeden  Fall  aber  in  den  Diplomen  des  J.  823  erwähnt 
worden  wäre.  Vgl.  Wailz.  Y(\.  2.  Aufl.  4,  nn2  n.  2  und  ^liilillnicher  Heg.  5(17''. 
Mittbeiluiigfii  XII.  4 


50  E  r  b  0  n. 

Befreiung  vom  Kriegsdieust.  auf  -welchem  Wege  immer  dieselbe  auch 
erworben  sein  mag,  dem  Kloster  Corvei  schon  seit  den  Zeiten  Ludwig 
des  Frommen  zukam.  In  einem  an  den  Bischof  von  Paderborn  ge- 
richteten Mandat  (Reg.  89ö)  erklärt  Ludwig  d.  Fr.,  dass  es  gegen 
seinen  Willen  geschehe,  wenn  die  Corveischen  Unterthaneu,  freie  oder 
unfreie,  von  den  Grafen  zum  Kriegsdienst  gezwungen  würden.  In 
dem  dieser  Sache  gewidmeten  D.  Karl  III.  (Reg.  1 702)  wird  berichtet. 
Ludwig  d.  Fr.  habe  gleich  bei  Begi'üudnug  des  Klosters  gestattet,  „  ut 
neque  abbates  illius  loci  neque  homines  eorrnn  cuiuscumque  conditionis 
in  expeditionem  umquam  ire  deberent,  sed  liceret  eis  .  .  .  utilitates  eccle- 
siae  providere  ...  et  regiis  interdum  legationibus  exequendis  .  .  .  ope- 
ram  dare".  Karl  schränkt  diese  Begünstigung  in  Anbetracht  der 
drohenden  Gefahren  ein,  indem  er  blos  zwanzig  vornehme  unter- 
thaneu des  Klosters  vom  Kriegsdienst  befreit,  und  nur  falls  der  Abt 
eine  Gesandtschaft  ausser  Landes  zu  führen  habe,  eine  grössere  Anzahl 
derselben;  demnach  sind  die  übrigen  Stiftsleute,  wenigstens  soweit  sie 
nicht  zum  Gefolge  (populus)  jener  nobiles  gehörten,  unter  Karl  III. 
zum  Kriegsdienst  verpflichtet  gewesen.  Für  friedlichere  Zeiten  abei- 
versprach  der  Kaiser  schon  jetzt  die  Rückkehr  des  alten  Zustandes. 

Es  passt  sehr  gut  in  diesen  Zusammenhang,  wenn  in  dem  D. 
Arnolfs ,  auf  das  wir  nunmehr  zurückkommen  können ,  wieder  allen 
Vornehmen  die  Befreiung  zugestanden  wird,  von  den  homines  infe- 
rioris  conditionis  aber  nur  jenen ,  die  zu  Gesandtschaften  im  Auftrag 
des  Königs  oder  zum  Nutzen  des  Klosters  gebraucht  würden.  Die  Ver- 
fügungen Karls  waren  also  wesentlich  gemildert  worden,  und  doch 
waren  die  alten  Rechte  des  Klosters  nicht  völlig  hergestellt,  nicht 
jeder  Anspruch  des  Königs  auf  Heranziehung  der  Stiftsleute  zur  Heeres- 
folge aufgegeben.  Diesem  Zustande  entspricht  wohl  auch  das  Mandat 
Arnolfs  (Reg.  1881),  obwohl  dasselbe  vielleicht  mit  Absicht  in  ziem- 
lieh unklaren  Ausdrücken  gehalten  ist^).  Ich  sehe  somit  keinen  Grund, 
an  der  Echtheit  des  diesbezüglichen  in  dem  D.  Arnolfs  enthalteneu 
Satzes  (sed  nee  prefatus  —  peragendam)  zu  zweifeln ,  umsoweniger  als 
in  der  folgenden  Immunität,  dem  I).  Ludwig  IV.  (Reg.  1938)  au  der- 
selben Stelle  wie  in  jener  Arnolfs  wieder  die  volle  Befreiung  vom 
Kriegsdienst  ausgesprochen  ist  2), 

')  Aus  den  Worten  plus  iusto  echliesst  Mülilbacher,  dass  keine  allgemeiue 
Befreiung  beabsirbtigt  war;  die  Stelle  jue  quisquam  . . .  milites  quöque  modo  ini- 
qua  districtione  ...  in  expeditionem  .  . .  coai-tari  praesumat*  könnte  auf  das  Ciegeu- 
theil  gedeutet  werden ;  die  Berufinig  auf  die  Bestimmungen  und  Präcepte  der 
Vorgänger  gibt  keine  Entscbeidung,  da  nicbt  gesagt  ist,  welche  Hen-scher  biemit 
gemeint  sind.  )  Da  sieb  eine  Scheidung  zwischen  den  homines  nobiles  und 


Die  älteren  Immunitäten  für  Werden  unrl  Corvei.  5| 

Icli  habe  diesen  Punkt  klarzustellen  gesucht,  weil  er  einer  von 
jenen  ist,  in  welchen  das  J).  für  Corvei-Herford  von  dem  für  Werden 
abweicht,  ohne  dass  hieraus  ein  Verdachtsgrund  geschöpft  werden 
könnte.  Es  ist  bezeichnend  tür  das  Verhältniss  der  beiden  Urkunden, 
dass  in  der  letztgenannten  statt  der  besprochenen  Stelle,  die  auf  Wer- 
den keine  Anwendung  finden  konnte,  jene  aus  der  VU.  entnommenen 
Sätze  über  Gerichtsbarkeit  des  Vocrtes  und  Zollfreiheit  einffeschaltet 
worden  sind.  Sehen  wir  von  diesen  Differenzen,  sowie  von  einigen 
anderen  Stellen,  namentlich  den  auf  das  Nonnenkloster  Herford  be- 
züglichen ab,  welche  ebenfalls  in  ein  D.  für  Werden  nicht  aufgenom- 
men werden  konnten  i),  so  ist  die  Uebereinstimmung  des  D.  für  Corvei- 
Herford  mit  der  in  DO.  I.  5  erhaltenen  Fassung  des  D.  Arnolfs  für 
Werden  so  gross,  dass  sie  nur  durch  die  Annahme  eines  für  beide 
Diplome  benützten  Conceptes  erklärt  werden  kann^).  Diese  Thatsache 
bildet  nicht  nur  eine  Bestätigung  dessen,  was  ich  über  die  ursprüng- 
liche Fassung  der  Werdener  Immunitäten  gesagt  habe,  sie  ermöglicht 
zugleich  jene  Theile  des  Corveier  Diploms  auszuscheiden,  welche  durch 
Fälschung  in  dieselbe  eingefügt  worden  sind.  Als  solche  ergeben  sich 
die  Sätze  „  Deiude  supradicta  —  scriptum  habetur " ;  ,  sicut  in  regia  — 
concedi  coenobüs "  und  „  Ad  extremum  —  beneficium  pertinebant ".  Be- 
trachten wir  dieselben  als  interpolirt,  dann  entfallen  die  bedenklichen, 
gegen  den  Bischof  von  Paderborn  gerichteten  Bestimmungen ,  die 
wiederholten  Berufungen  auf  Capitularien  und  Synodaldeerete,  endlieh 
die  Schenkung  der  Fischzucht  in  Methriki,  die  auch  in  der  nächsten 
Nachurkunde,  dem  D.  Ludwig  IV.,  nicht  erwähnt  wird.  Dagegen  zeigt 
die  Uebereinstimmung  mit  DU.  I.  5,  dass  der  Satz  über  die  Zehnten, 
»Preterea  quod  —  serviatur"  hier  wie  in  den  Werdener  Inuuunitäteu 
zu  den  echten  Bestandtheilen  zu  zählen  ist. 


•len  übrigen  Stit'tsuuterthanen,  wie  ich  glaube,  auch  aus  dem  D.  Karl  lll.  ergilit, 
ferner  die  vassalli  auch  in  dem  Mandat  Aniolfs  genannt  werden,  so  erscheint 
mir  die  von  Mühlbacher  beanstandete  Gegenüberstellung  von  vassalli  nobiles  und 
inferioris  conditionis  ganz  unbedenklich. 

')  Dies  sind  die  Sätze  ,nec  non  et  mouasterium  puellaruni  —  Hathuwi^  und 
»et  sauctimonialibus  —  liceat« ;  ebensogut  wie  diese  Sätze  hätte  auch  das,  was  über 
Präcepte  der  Vorgänger  in  dem  D.  für  Corvei  und  Herford  gesagt  ist,  in  dem 
D.  für  Werden  wegbleiben  oder  doch  geändert  werden  sollen :  denn  Werden  be- 
sass  kein  älteres  D.  als  jenes  von  Ludwig  III.  '^)  Die  Daten  der  beiden  Di- 

plome (887  Dezember  11  und  888  August  23)  liegen  einander  nahe  genug,  um 
die  Annahme  zu  rechtfertigen,  dass  das  Concept  von  Reg.  1720  noch  vorhanden 
war,  als  die  Kanzlei  den  Auftrag  erhielt,  Reg.  1753  auszufertigen.  Da  übrigens 
Corvei  im  Jiuii  888  ein  zweites  D.  erhalten  hat  (Reg.  1745),  so  könnte  mög- 
licherweise auch  Reg.  1720  erst  damals  ausgefolgt  sein.  Ueber  ähnliche  Fälle 
vgl.  jetzt  Bres.slau  UL.  fUO  fl". 

4* 


Diesem  Uml'auge  des  königlielieu  Priiceptes  für  Corvei  und  Her- 
ford entspricht  vollkommen  die  Bestätigiing,  welche  das  Mainzer  Concil 
im  folo-enden  Jahre  den  Klöstern  erfcheilte:  die  Bischöfe  sichern  nicht 
nur  den  Besitzstand  der  Klöster,  sie  bestimmen  auch  .  ut  nullus  epi- 
scopus  Padrabrunnensis  aliquam  ex  eis  vel  accipiat  vel  exposcat  por- 
tionem ",  und  sie  nennen  unter  ihren  Gütern  und  Einkünften  ausdrück- 
lich die  Zehnten :  „  qu^eunque ...  vel  in  agris,  vel  in  familiis,  vel  in  decimis 
eis  constant  esse  collata "  ^).  Meine  Ansicht  wird  nicht  erschüttert  durch 
den  Umstand,  dass  die  von  Ludwig  IV.  ertheilte  Immunität  für  Corvei 
(Keg.  1038)  den  Satz  über  die  Zehnten  wieder  auslässt.  Liegt  hier 
eine  offenbare  Absieht  vor,  so  wird  eine  neuerliche  Einsprache  des 
Paderborner  Bischofs  die  Veranlassung  hiezu  gegeben  haben;  wol  als 
Entschädigung  für  diesen  Verlust  ist  in  derselben  Urkunde  den  Mön- 
chen Markt-  und  Münzrecht  in  der  villa  Horohusun  verliehen  worden. 
Aber  schon  unter  Konrad  I.  hat  Corvei  seinen  alten  Anspruch  auf  die 
Zehnten  wieder  durchgesetzt.  Das  von  diesem  König  ertheilte  Diplom 
DK.  14  zeigt,  obwohl  von  Simon  D.  in  seiner  bündigen  Weise  abge- 
fasst,  doch  deutliche  Spuren  von  der  Benützung  der  Immunität  Ar- 
nolfs  und  hat  dieser  auch  die  Bestimmung  über  die  Zehnten  ent- 
nommen, die  fortan  in  einer  Keihe  von  Nachurkunden  wiederholt 
worden  ist-). 

Ausserdem  scheint  aber  SD.  noch  eine  zweite  Corveier  Urkunde 
vor  sich  gehabt  zu  haben.  Es  ist  kaum  Zufall,  dass  die  Anfangs wortc 
der  Arenga:  „Convenit  nostrae  regali  celsitudini"  jenen  in  einer  Ur- 
kunde Ludwig  des  Deutscheu  für  Corvei :  „  Conveuit  regiae  dignitati "  so 
nahe  kommen,  die  Corroboratio  beider  Stücke  aber  fast  wörtlich  über- 
einstimmt. Mühlbacher  hat  auch  dieses  Diplom  (Reg.  1456)  als  Fäl- 
schung bezeichnet ;  nur  das  Protokoll  desselben,  das  sich  mit  Ausnahme 
des  unter  Ludwig  dem  Deutschen  noch  nicht  ü])lichen  Incarmitions- 
jahres  als  unbedenklich  erweist,  führt  er  auf  echte  Grundlage  zurück. 
Der  eine  für  diese  Beurtheilung  massgebende  Grund,  nämlicli  der,  dass 
der  Bezug  der  Zehnten  erst  unter  Konrad  I.  verliehen  worden  sei,  wird 
einigermassen  abgeschwächt,  wenn,  wie  ich  erwiesen  zu  haben  glaube, 
die  Zehntrechte  schon  zu  dem  ursprünglichen  Inhalt  des  Arnolfdiploms 
gehört  haben;  ssind  dieselben  schon  im  J.  887  anerkannt  worden,  so 
verringern  sich  auch  die  Bedenken  gegen  die  Zuerkennung  der  Zehnten 
durch  ein  Diplom  des  J.  873,  zumal  sich  Arnolf  auch  in  diesem  Punkte 
auf  die  Verfügungen   seiner   Vorgänger   beruft'').     Was  aber   die  nn- 


«)  Erhard  CD.  Westfaliae  1,  28.  s)   Die   Fassung    von  DK.  14    kehrt 

wieder  in  DH.  3,  DO.  I,  3,  DO.  II,  81  und  DU.  III.    169.         s)  Dass  der  Satz  .quod 


Die  iiltorPii   Immmiitäteii   i'iir  W'tnili'ii   im<I   Corvoi.  53 

IvHUzleiinässige  Ftissimg  uubeluugt,  so  liesse  sie  sich  einerseits  durch 
direkte  Benutzung  einer  Pa])sturkunde,  des  im  J.  S82  dem  Kloster 
Corvei  ertheilten  Privilegs  Hadrian  IL  i),  erklären,  andrerseits  vielleicht 
durch  die  besonderen  Umstände,  unter  denen  das  Diplom  zu  Stande 
o-ekommen  ist.  Der  ö-anze  Inhalt  und  insbesondere  der  Schlusssatz 
zeigen,  da^s  der  Ausfertigung  der  ürkinide  ein  Rechtsstreit  zwischen 
dem  Kloster  und  den  betheiligten  Bisehöfen  vorausgegangen  war;  ist 
dem  so,  dann  darf  an  das  hierüber  ertheilte  Diplom  nicht  der  strengste 
Massstab  angelegt  werden,  denn  wir  haben  es  nicht  mit  einer  könig- 
lichen Verleihung,  sondern  mit  einer  Urkunde  über  einen  vor  dem  König 
ü-eführten  Process  zu  thun.  Ziehen  wir  in  Betracht,  dass  zu  Aachen 
eine  grössere  Zusammenkunft  zur  Berathung  geistlicher  und  weltHcher 
Angelegenheiten  stattgefunden  hat,  bei  welcher  wahrscheinlich  auch  eine 
päpstliche  Gesandtschaft  zugegen  war '•^),  duss  ebenda  für  Lamspringe 
eine  Urkunde  ertheilt  worden  ist,  die  auch  diesem  Kl;  ster  einen  An- 
theil  an  den  Zehnten  sichert,  und  überdies  noch  andere  Unregelmässig- 
keiten mit  dem  D.  für  Corvei  gemein  hat  (Reg.  1455)=^),  so  erscheint 
doch  die  Möglichkeit,  dass  auch  der  Context  von  Reg.  1456  auf  echter 
Grundlage  beruht,  nicht  ausgeschlossen. 

Die  Zehntrechte  des  Klosters  Corvei  sind  also  vielleicht  schon  von 
Ludwig  d.  D.,  sicher  gleichzeitig  mit  jenen  Herfords  von  Arnolf  an- 
erkannt worden.  Aber  es  ist  wohl  zu  beachten,  dass  hier  und  in  den 
folgenden  Immunitäten  nur  die  Zehnten  von  dem  Erträgnis  der  Eigen- 
güter  erwähnt   werden,    nicht  aber  jene  von  incorporirten  Kirchen^). 

ab  exordio  constrnctionis  eornndem  nionasteriorum  a  nostris  antecessoributi  consti- 
tutum est*  oder  docli  ein  ähnlich  lautender  in  dem  echten  Arnolfdiplome  ge- 
standen, schliesse  ich  daraus,  dass  auch  die  Werdener  Immunitäten  eine  ent- 
sprechende Wendung  enthalten:  quod  aliis  quoque  monachorum  coenobiis  con- 
cessum  constat. 

'1  Jafte-Löwenfeld  Keg.  2947;  über  die  Echtheit  vgl.  Diekamp ,  Suppl.  43 
n.  --'82.  -)  Die  Instruction  für  den  päpstlichen  Gesandten  Paulus  von  Ancona 

(Jaife-L.  Reg.  2976)  ist  im  J.  873  ausgestellt  worden  und  zwar  bevor  die  Kunde 
vom  Tod  des  Erzbischofs  Adalwin  von  Salzburg  (gest.  873  Mai  14,  M.  G.  Necr. 
2,  135  u.  SS.  9,  505)  nach  Rom  gelangte ;  Paulus  wird  also  wol  noch  im  Sommer 
an  den  Hof  Ludwigs  gekommen  sein,  der  im  Juni  zu  Aachen  weilte.  ^)  Auch 
hier  findet  sich  das  lucarnationsjahr  und  im  Text  die  Erwähnung  des  Papstes. 
*)  »decimae  de  dominicatis  eiusdem  monasterii  mansis*  und  weiterhin  »de  domi- 
nicatis  mansis  vel  nunc  habitis  vel  post  adquireudis*  in  Reg.  1456  für  Corvei; 
»de  dominicalibus  mansis  eiiisdem.  monasterii  decimae*  in  den  Corveier  Immuni- 
täten des  lO.Jahrh. ;  »ubicumque  casas  vel  cortes  habuerint,  ex  rebus  quas  ibidem 
suis  laboribus  adquirunt,  decimas  dent  ad  portam  monasterii*  in  Reg.  1720. 
Erst  in  dem  D.  Heinrich  II.  St.  1318,  dessen  Fassung  von  den  ottonischen  Im- 
munitäten unabhängig,  dagegen  von  jener  Ludwig  des  Fr.  beeinflusst  ist,  werden 
neben  den  decimae  auch  die  decimales  ecclesiae  genannt . 


54  1'^  !■  1'  p  n- 

Dies  wird  iiainentlicli  für  die  Kritik  des  D.  Ludwig  des  D.  vom  J,  85o 
(Reg.  1465)  und  des  demselben  nachgebildeten  von  Otto  1.  (DO.  1. 153) 
zu  beachten  sein,  auf  deren  Besprechung  ich  hier  nicht  eingehen  kann, 
obwohl  sie  sich  auch  in  anderer  Hinsicht  mit  Reg.  1720  und  zwar 
mit  den  interpolirten  Stellen  dieses  Diploms  berühren  ') ;  denn  erst, 
sobald  die  einschlägigen  Diplome  des  11.  und  12.  Jahrh.  entsprechend 
geprüft  sein  werden,  wird  sich  ein  sicheres  Urtheil  über  alle  die  Zehnten 
betreffenden  Diplome  für  Corvei  und  Herford  fälleu  lassen  ^). 


')  ad  eorum  (episcoporum)  mansionatica  daretur,  quod  in  capitularibus  ante- 
cessorum  nostrorum  prescriptum  habetur  in  Reg.  1365,  episcopi  .  .  .  nou  exigant 
maiores  sumptus  ad  sua  mansionatica  quam  primnin  statutum  fuerat  et  in  capi- 
tulari  libro    scriptum   habetur   in  Reg.  1720.  '■')  Vgl.  besonders   die  Bemer- 

kungen von  iSickel  zu  DO.  1.  153. 


Wien  in  den  Jahren  1276  bis  1278  und  K.  Rudolfs 
Stadtrechts-Privilegien. 

Von 

Oswald  Redlich. 

Die  vielfacheu  Erörterungen,  die  sich  an  die  beiden  bekannten 
Wiener  Stadtrechts-Privilegien  K.  Kudolfs  I.  vom  Jahre  1278  knüpften, 
sind  durch  die  Untersuchung  Riegers  zu  einem  gewissen  Abschluss 
geführt  worden!).  Rieger  stellte  die  üeberlieferungsverhältnisse  beider 
Urkunden  so  weit  als  möglich  fest,  zeigte,  dass  der  Inhalt  des  aus 
allen  Copien  kritisch  herzustellenden  Textes  wirklich  und  genau  in 
dem  erhaltenen  Umfang  den  Originalen  angehören  konnte  und  ange- 
hört hat ;  er  legte  dar,  dass  die  Zeugenreihe  der  Urkunde  vom  24.  Juni 
1278,  welche  zu  diesem  Zeitpunkt  unmöghch  ist,  einer  früheren  Hand- 
lung, etwa  aus  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1277  entspricht,  während 
erst  nach  der  Verui-theilung  Paltrams  im  Mai  1278  die  Zufügning  der 
Artikel  29  bis  33  im  reichsstädtischen  Privileg  erfolgte.  Rieger  machte 
es  endlich  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  Bestätigung  des  Leopoldinums 
von  1221,    so  wie  sie  inhaltlich  das  Reichstadt- Privileg  vom  24.  Juni 


»)  Beiträge  zur  Kritik  der  Wiener  StadtrecMs- Privilegien,  Programm  des 
Wiener  Franz  Josef- Gymnasiums  1879.  Den  Ergebnissen  Riegers  haben  z.  B. 
Winter  in  Mitth.  des  Instituts  1,  318  und  Huber,  Gesch.  Oesterreichs  1, 610  Anm.  1 
vollkommen  beigestimmt.  —  Die  Urkunden  sind  zuletzt  gedruckt  von  Tomaschek 
in  Geschichtsquellen  d.  Stadt  Wien  I  1,  42  flf.  Es  ist  vielleicht  für  eine  künf- 
tige Ausgabe  der  Wiener  l'rivilegien  nicht  ohne  Nutzen  darauf  hinzuweisen,  dass 
im  Archiv  des  Schlosses  Aistersheim  westl.  Wels  das  Fragment  eiues  Privilegien- 
codex der  Stadt  Wien  aus  dem  14.  Jahrhundert  sich  befindet  (vgl.  Böhm  in 
Oesterr.  Notizenblatt  1851  S.  92)  und  dass  die  fUrstl.  Dietrichstein' sehe  Bibliothek 
in  Nikolsburg  eine  Handschrift  des  14.  Jahrh.  mit  Wiener  Stadtrechtsurkunden 
besitzt,  welche  Dudik  in  Oesterr.  Archiv  39,  504  in  freilich  ungenügender  Weise 
beschrieben  hat.  Ich  wurde  durch  Burckhardts  verdienstliches  Handbuch  der 
deutschen  Archive  auf  diese  Handschriften  aufmerksam. 


F,ß  K  (•  il  i  1  l'  ll. 

voraussetzt,  iu  der  Tliat  auch  später,  am  2ö.  Juni  1278,  gegeben 
ward.  Nach  all  dem  Avar  jedenfalls  die  Echtheit  und  ünY(^rfälschtheit 
der  beiden  Urkunden  wol  endgiltig  festgestellt. 

Nach  zwei  Seiten  jedoch  blieb  noch  Anlass  zu  weiterer  Forschung. 

Zunächst  galt  es,  noch  bestimmtere  Klarheit  über  jenes  fi*ühere 
Stadium  zu  gewinnen,  auf  das  wir  durch  besagte  Zeugenreihe  geführt 
werden.  Tomaschek  war  iu  seinen  Untersuchungen  über  die  Privi- 
legien i)  zur  Ansicht  gelanget,  Kudolf  habe  im  Jahre  1277  deu  Wienern 
ihre  Freiheiten  bestätigt,  doch  in  einer  nicht  recht  genügenden  Form, 
nicht  in  förmlichen  und  feierlichen  Urkunden;  erst  1278  seien  -for- 
mell beglaubigte  und  von  der  königlichen  Kanzlei  regelmässig  ausge- 
fertigte, mit  dem  königlichen  Siegel  versehene  Urkunden "  ausgestellt 
worden.  Ficker,  der  durch  seine  Beiträge  zur  Urkundenlehre  eine  be- 
friedigende Deutung  der  Zeugenreihe  erst  möglich  gemacht,  dachte  au 
eine  erste  Ausfertigung,  also  eine  förmliche  Bestätigung  im  .T.  1277 -). 
Kieger  nahm  dann  wieder  einen  Entwurf,  eine  .  vorläufio-e  Puncta- 
tion"  an,  während  die  förmliche  und  feierliche  Beurkundung  erst  1278 
stattgefimden  habe,  wobei  dann  die  Handlungszeugen  einfach  zugefügt 
worden  seien  ^). 

Um  hier  zu  einem  bestimmteren  Ergebniss  zu  gelangen,  muss  uns 
diese  Zeugenreihe  selbst  die  nächste  Auskunft  geben.  Es  erscheint  in 
ihr  Bischof  Leo  von  Kegensburg,  der  am  12.  Juli  1277  starb.  Irgend 
eine  auf  Wiens  Stadtrec-hte  bezügliche  Handlung  unter  ^litthätigkeit 
oder  doch  Anwesenheit  Bischof  Leos  muss  also  vor  diesem  Zeitpunkt 
geschehen  sein,  möchte  auch  ihre  Beurkundung,  was  ja  an  sich  mög- 
lich wäre,  erst  später  erfolgt  sein.  Andrerseits  wird  unter  den  Zeugen 
der  Graf  Heinrich  von  Fürsteuberg  genannt,  der  frühestens  im  Jänner 
1277  nach  Wien  kam  ^).  Noch  mehr,  Albrecht  und  Hartmanu,  des 
Königs  Söhne,  trafen  erst  im  Juni  1277  in  Wien  ein.  mit  ilmen 
Bischof  Heinrich  von  Basel  •^).  Ebenso  kam  jetzt  zum  erstenmal  Herzog 
Albrecht  von  Sachsen'^),  und  luu  dieselbe  Zeit  erschienen  auch  wieder 
in  Wien  Pfalzijraf  Ludwio;^)  und  Bischof  Heinrich  von  Trient,  der  aus 


')  Zuletzt  in  Geschic-litsiiu.  der  Staclt  ^\'ion  l   1   Kinloitung  XLVill  H'.       -)  Boi- 
triigo  1,  253  und  2,  490  f.  •'')  Beiträge    /.ur  Kritik   der  Wiener  Stadtrechts- 

Privilegien  24.  Daselbst  if-t  übrigens  der  richtige  Text  der  Zeugenreihe  herge- 
stellt, wonach  auch  der  Druck  Tomascheks  zu  verbessern  ist.  ■*) .  Wie  Riezler 
im  Fürstenb.  ÜB.  1,  253  im  Hinblick  auf  diesen  Fall  bemerkte.  ^)  Vgl. 
Koi)p,  Keichsgesch.  1,  182  W.  Kübel  im  Histor.  Jahrbuch  9,  4()7.  •■•)  Er  ist 
wol  am  23.  Juni  schon  in  Wien,  vgl.  Hasse,  Schleawig-Holstein-Lauenburg.  Reg. 
2,  211.  ')  Zuerst  am  8.  Juli  unter  den  Zeugen  der  Urkunde  Rudolfs  fiir 
Laa,    Winter,  L'rkiindl.  Beiträge  zur  Kechtsgcsch.  ober-  und  niederösterr.  Städte 


Wien  in  di'u  J.  \27H     127S  u.  K.  Kmlolf's  tStadtveclits-rriviletrien.  Ö7 

Rom  zurückgekehrt  war^).  Diese  Reilie  von  Zeugenscliaften  schiebt  somit 
jene  Handhmg  oder  die  Beurkundung  unzweifelhaft  in  den  Juni  oder 
in  die  erste  Hälfte  Juli  des  Jahres  1277.  Es  stimmt  damit  überein, 
wenn  wir  eben  im  Juni  und  Juli  von  den  39  Zeugen  24  mit  Sicher- 
heit in  Wien  nachweisen  können,  Meinhard  von  Tirol  mit  einiger 
Wahrscheinhchkeit^^).  Von  den  übrigen  Persönlichkeiten  würde  die 
Anwesenheit  einiger  österreichischer  und  steirischer  Herren,  die  zwar 
sonst  nicht  bezeugt  ist,  an  sich  keineswegs  auffallen.  Aber  es  bleiben 
noch  ein  paar  Zeugen,  bei  denen  eine  derartige  Annahme  doch  nicht 
mehr  zulässig  ist.  Graf  Friedrich  von  Leiningen  erscheint  zuletzt  am 
22.  Mai  in  "Wien  und  ist  jedenfalls  Ende  Juli  am  Rhein»).  Graf  Al- 
bei-t  von  Görz  ist  nm-  bis  Ende  Jänner  bei  Hofe  nachweisbar^).  Und 
sind  nun  diese  beiden,  wie  es  allen  Anschein  hat,  im  Juni  und  Juli 
nicht  in  Wien  gewesen,  so  zeigt  es  sich  damit  im  Zusammenhang  auch 
nicht  mehr  bedeutungslos,  wenn  jene  österreichischen  und  steirischen 
Herren  auch  alle  längstens  nur  bis  in  den  Mai  am  Hofe  weilen  und 
dann  verschwinden,  ohne  wieder  bei  den  vielfachen  Gelegenheiten,  die 
sich  ergäben,  genannt  zu  werden  5).  Legt  das  nicht  die  Verrauthung 
ungemein  nahe,  dass  dieser  Theil  der  Zeugenreihe  einem  früheren  Sta- 
dium in  der  Entstehungsgeschichte  der  Urkunden  angehört,  als  die 
übrige  Mehrzahl?     Ist  dies  der  Fall,    dann  können  wir  in  diesen  den 


■29,  wonach  Reg.  der  Pfalzgr.  am  Khein  Ö.  58  zu  ergänzen.  Ludwig  war  Vtis  m 
die  zweite  Hälfte  Jänner  in  Wien  gewesen. 

1)  Böhmer,  Keg.  Rudolf  386  vom  12.  Juli;  Heinrirh  war  bis  gegen  Ende 
Jänner  in  Wien  gewesen,  vgl.  Egger,  Bischof  Heinrich  11.  vonTrient.  Innsbrucker 
Gymnasialprogr.  1885   S.  7.  ^)  Meinhard   urkundet   nach   freundlicher    Mit- 

theilung von  Prof.  Ludwig  Schönach  am  27.  Mai  1277  in  Bozen  und  am  15.  Juli 
zu  Sterzing,  dazwischen  fällt  Rudolfs  Auftrag  an  ihn  vom  1.  Juli,  das  Kloster 
Neustift  zu  schützen  (Böhmer,  Reg.  Rud.  1177);  man  könnte  darnach  immerhin 
Meinhards  Anwesenheit  in  Wien  zu  Ende  Juni,  Anfang  Juli  annehmen.  Sollte 
dies  infolge  neuen  Materials  sich  als  unmöglich  herausstellen,  so  würde  dann 
auch  Meinhard,  der  im  Jänner  1277  in  AVien  war,  der  folgenden  Kategorie  von 
Zeugen  angehören.  ^)  Fürstenberg.  ÜB.    5,  171».     Am  11.  Aug.  1277   erlässt 

Friedrich  von  Leiningen  eine  Aufforderung  zum  Städtetag  in  Mainz,  Strassb.  l'B. 
2,  38,  früher  schon  hatte  König  Rudolf  den  Grafen  mit  seiner  Vertretung  in 
Uezug  auf  die  Landft-iedensbestrebungen  betraut  und  darüber  an  Erzbischoi'  Werner 
von  Mainz  geschrieben,  Bodmann,  Cod.  epist.  3H,  vgl.  dazu  v.  d.  Ropp,  Werner 
von  Mainz   119.  '>)  Nach  Urkunde   vom    24.  Jan.  1277,    Schumi,  Archiv  fiir 

Heimatkunde  (Krains)  1,  239.  ^)  Es  sind  dies  die  Grafen  von  Pfannberg  und 

Ortenburg,  die  Herren  von  Pettau,  Stubenberg,  Hertnid  und  Herrand  von  Wil- 
ilonie,  Leutold  und  Albero  von  Kuenring,  der  von  Meissau,  Konrad  Landschreiber 
von  Oesterreich.  —  Der  Markgraf  von  Burgau  und  der  jüngere  Markgraf  von 
Baden  lassen  sich  ausser  durch  unsere  Urkunde  überhaupt  nicht  in  Wien  nach- 
weisen. 


5S  Redlich. 

ersten  Monaten  von  1277  angehörenden  Zeugen  nur  die  Zeugen  einer 
Handlung  erblicken,  die  wir  uns  etwa  als  vorläufigen  Abschluss  der 
Berathungen  über  Inhalt  und  Form  der  Wiener  Stadtrechts-Privilegien 
vorzustellen  haben.  Für  die  Zeugen  aber,  welche  dem  Juni  oder  Juli 
1277  zugehören,  bleibt  dann  wol  nur  die  Zeugschaft  bei  der  Beur- 
kundung übrig.  Jedenfalls  hat  es  die  Betrachtung  der  Zeugenreihe 
sehr  wahrscheinlich  gemacht,  dass  nach  dem  Vorausgehen  vorbereiten- 
der Schritte  um  die  Mitte  des  Jahres  1277  ein  abschliessenderes  Sta- 
dium in  der  Vorgeschichte  der  beiden  Privilegien  eingetreten  ist^). 

Die  unzweifelhafte  Sicherheit,  dass  dieses  letzte  Stadium  in  der 
That  die  förmliche  Beurkundung  der  Stadtrechts-Privilegien  gewesen 
ist,  gibt  uns  König  Rudolf  selbst  in  einer  Urkunde  vom  lo.  August  1277. 
Hier  verleiht  Eudolf  der  Stadt  Eggenburg  alle  Rechte  und  Freiheiten, 
quibus  civitas  Wiennensis  a  Romanis  imperatoribus  et  regibus  nostris 
predecessoribus  et  a  nobis  ac  Austi-ie  ducibus  dinoscitur  libertata -). 
Diese  Stelle  beweist  wol  ohne  weiteres,  dass  Rudolf  bereits  vor  dem 
18.  August  1277  die  Freiheiten  Wiens  urkundlich  und  förmlich  be- 
stätigt hat.  Und  wenn  dem  so  war,  so  haben  wir  mit  dieser  Confir- 
mation  jedenfalls  die  besprochene  Zeugenreihe  in  Zusammenhang  zu 
bringen,  mit  ihr  fällt  dann  auch  die  Bestätigung  in  den  Juni  oder 
Anfang  Juli  1277. 

Inhaltlich  wird  diese  erste  Ausfertigung  ganz  den  Urkunden  vom 
24.  und  25.  Juni  1278  entsprochen  haben,  mit  der  Ausnahme,  dass 
natürlich  gegenüber  der  erstem  der  Artikel  29  über  Paltram  und  die 
folgenden  ja  offenbar  nachträglich  zugefügten  Bestimmungen  über 
Marktrecht  fehlten  und  dass  gegenüber  der  Bestätigung  des  Leopoldi- 
num  noch  nicht  jene  Arenga  vorhanden  war,  welche  in  unverkenn- 
barer Weise  die  im  allgemeinen  erprobte  Treue  der  Wiener  im  Gegen- 
satz zum  Verrate  Paltrams  preist^).  Dafür,  dass  im  übrigen  aber  der  In- 
halt dieser  ersten  Bestätigung  von  1277  der  Erneuerung  von  1278 
entsprochen  hat,  spricht  wol  ausser  der  inneren  Wahrscheinlichkeit 
auch^noch  folgendes.  Man  hätte  doch  kaum  die  Zeugenreihe  des  reichs- 
städtischen Privilegs  so  ohne  weiteres  einfach  herüber  genommen,  wenn 
es  eben  doch  nicht  im  ganzen  die  gleiche  Urkunde  geblieben  wäre. 
AVeiter  beruft  sich  Rudolf  in  der  Bestätigung  der  Privilegien  für  Wiener 
Neustadt  vom  22.  Noveml)er  1277  auf  die  forma  iuris  civitatis  Wien- 
nensis.   nach    der    die    Wiener  Neustädter    ihren    Gerichtsstand    haben 

')  Für  difsou  ganzen  Fall  vj^l.  die  Erörterungen  Fickers  über  nicliteinheit- 
liclie  Zengenreihon  und  Datirungen  in  Mittheil,  des  Instituts  1,  21  ff.  -')  Winter, 

Urkundl.  Beiträge  zur  Rechtsgesch.  ober- und  niederösterr.  Städte  31.  ')  Aehn- 
lich  schon  Tomaschek  a.  a.  0.  XLIX. 


Wien  in  den  J,  1276—1278  u.  K.  Rudolfs  Ötadtrechts-Privilegien.  59 

sollen,  eine  Wendung,  die  ebenso  in  den  folgenden  Bestätigungen  von 
1281  und  1285  wiederkehrt,  also  wol  zeigt,  dass  diese  forma  vor  und 
nach  dem  22.  November  1277  dieselbe  geblieben  war. 

Im  Juni  oder  Juli  1277  hatte  also  König  Kudolf  der  Stadt  Wien 
Privilegien  von  wesentlich  demselben  Umfang  ertheilt,  wie  dieser  uns' 
in  den  Urkunden  von  1278  überliefert  ist. 

Es  ist  ein  Ergebniss,  deshalb  von  Bedeutung,  weil  es  für  das  Ver- 
hältniss  Eudolfs  und  Wiens  erst  die  richtige  Grundlage  der  Beurthei- 
kmg  bietet,  Obwol  ja  schon  lange  feststand,  dass  irgendwie  eine 
Handlung  im  Jahre  1277  den  Urkunden  von  1278  vorausgieng,  so 
sind  die  historischen  Folgerungen  daraus  noch  nie  gezogen 
worden  1).  Nur  Lorenz,  der,  wie  man  weiss,  die  Urkunden  so  wie  sie 
uns  überliefert  sind,  für  spätere  Entwürfe  der  Wiener  Rathspartei  unter 
Herzog  Albrecht  ansah,  hat  der  Consequenzen  Erwähnung  gethan,  die 
sich  aus  der  Annahme  der  Echtheit  der  Urkunden  ergeben,  freilich  nur, 
um  dadurch  diese  Annahme  selbst  gewissermassen  ad  absurdum  zu 
führen:  „bekanntlich  empörten  sich  Paltram  und  seine  Söhne,  weil 
Rudolf  die  Reichsfreiheit  und  Rathsrechte  nicht  bestätigt  hatte;  weil 
sie  sich  empörten,  wurden  sie  verurtheilt  und  weil  ihre  Verurtheilung 
zu  einer  Bedingung  der  Ertheilung  des  reichsstädtischen  Privilegiums 
gemacht  wurde,  darum  konnte  auch  das  Privilegium  nicht  vor  der  Zeit 
der  Verurtheilung  vorhanden  gewesen  sein."  Wäre  dies  letzte  der  Fall, 
„so  brauchten  sich  offenbar  die  Wiener  nicht  zu  empören  und  Paltrara 
nicht  verurtheilt  zu  werden".  Also  kann  natürlich  das  Auskunftsmittel 
der  Rückdatirung  der  Handlung  nicht  gebraucht  werden,  also  sind  die 
Urkunden  in  dieser  Gestalt  nicht  echt^).  Nun  sind  sie  aber  doch  eben 
in  dieser  Gestalt  als  echt  erwiesen  worden.  Es  wird  demnach  noth- 
wendig  sein,  unter  diesem  neuen  Gesichtspunkt  das  Verhältniss  der 
Stadt  Wien  zu  Rudolf  auch  einer  neuen  Beurtheilung  zu  unterziehen 
und  es  dürfte  sich  zeigen,  dass  sich  so  doch  alles  noch  besser  in- 
einanderfügt. 


')  Man  nahm  einfach  die  Echtheit  der  Urkunden  an,  beachtete  ihre  Vor- 
geschichte nicht  weiter  und  konnte  dann  in  ihnen  allerdings  nichts  anderes  er- 
blicken, als  einen  Versuch  Rudolfs,  das  wichtige  Wien  unmittelbar  vor  dem 
Kriege  mit  Ottokar  sich  geneigt  zu  machen.  Diese  Annahme  wird  unmöglich, 
wenn  Rudolf  eben  schon  ein  Jahr  früher  wesentlich  diesellH>n  Urkunden  ausge- 
stellt hat;  und  jener  Artikel  über  Paltram,  den  die  Neuausfertigung  von  1278 
mehr  hat,  muss  nunmehr  gerade  als  die  eigentliche  Veranlassung  derselben  her- 
vortreten. Dies  soll  die  folgende  Darstellung  erweisen,  '^)  Lorenz,  Ueber 
den  Unterschied  von  Reichsstädten   und  von  Landstädten  in  Wiener  SB.  89.  b'D. 


60  K  e  (1 1  i  <•  h. 

Rudolf  war  im  October  1276  imauflialtsain  bis  vor  Wieu  vorge- 
druugen.  Die  kleiueren  Städte  Ober-  und  Uuterösterreichs  hatteu  sieli 
ohue  Gegenwehr  dem  römischen  König  unterworfen.  Wieu  aber  leistete 
tapferen  und  hartnäckigen  Widerstand.  Vom  18.  October  an  lag  Ku- 
dolf  mehr  als  fünf  Wochen  vor  der  Stadt,  ohne  sie  mit  Waffengewalt 
bezwingen  zu  können.  Wien  war  durch  König  Ottokar  von  Böhmen 
von  jeher  begünstigt,  in  seiner  inneren  Entwicklung  nie  gehemmt 
worden,  Ottokar  hatte  die  Stadt  neu  befestigt  und  hatte  ihr  el)en 
noch  im  selben  Jahre  nach  grossen  Bränden  sein  besonders  hilfi-eiches 
Wolwollen  bewiesen  ^).  Andrerseits  hatte  Ottokar  von  den  Bürgern 
Wiens  sich  zwar  huldigen  lassen,  so  dass  damit  ihre  Reichsunmittel- 
barkeit  verloren  gegangen,  hatte  aber  im  übrigen  in  keiner  Weise  in 
die  durch  die  Privilegien  Kaiser  Friedrichs  II.  von  1237  und  1247 
gewährte  freiere  und  selbständige  Stellung  des  Eathes  eingegriffen^). 
So  waren  die  herrschenden  Bürger  in  ihrem  Streben  nach  politischer 
Selbständigheit  nicht  gestört  worden,  und  auch  die  unteren  Klassen 
fanden  sich  unter  dem  Regimente  Ottokars  wol  zufrieden.  Zudem  w^ar 
die  Geistlichkeit,  wie  grösserntheils  in  Oesterreich,  dm"ch  zahlreiche 
Begünstigungen  für  Ottokar  sehr  eingenommen.  Nun  kam  der  römi- 
sche König.  Was  hatte  Wien  von  ihm  zu  gewärtigen?  Wol  das, 
was  er  am  oO.  October  der  Stadt  Tuln,  die  sich  ihm  schnell  und 
freudig  ergeben  hatte,  verbriefte:  da  die  Stadt  unmittelbar  an  das 
Reich  gehört,  soll  sie,  wen  immer  wir  dem  Lande  Oesterreich  vor- 
setzen werden,  nur  diesem  unterstehen,  ganz  so,  wie  sie  dem  Reiche 
verbunden  ist.  Das  heisst,  solaus'e  der  König  im  Lande  ist.  steht  die 
Stadt  unmittelbar  unter  dem  König,  ist  reichsunniittelbar ;  kommt  ein 
Laudesfürst,  so  wird  sie  ebenso  landesfürstlich^). 

Dagegen  wehrte  sich  Wien  oder  doch  vor  allem  die  herrsehenden 
Männer  der  Stadt,  an  ihrer  Spitze  der  mächtige  und  einflussreiche 
Paltram  vor  dem  Friedhofe.  Sie  kämpften  weniger  für  Ottokar  als 
für  sich  selbst.  Neben  ihnen  war  eine  reichsfreundliche  Partei,  die 
nach  dem  steierischen  Reimchrouisten  bestand^),  anfangs  wol  unbedeu- 

»)  Vgl.  Contin.  Vindobon.  SS.  fl,  706,  707.  -')  Vgl.  Lorenz  a.  a.  0.  65  ft'. 

•'•)  Die  höchst  beraerkenswerthe  Stelle  des  Tulner  Privilegiums  lautet :  Item  cum 
oivitas  sepedicta  immediate  vespiciat  impcrium,  volumub  et  in  specialis  gratie  ar- 
gumentum ijisis  concedimus,  ut  quonicumque  terro  Austrie  prefecerimus,  oidem 
et  nulli  eius  sutfraganeo  pareat  ipsa  oivitas  eo  ordiue  et  forma  quibus  ipsi  im- 
perio  est  astrieta.  Winter,  Urkundl.  Beiträge  27.  Die  Stelle  ist  jedenfalls  auch 
bezeichnend  für  das,  was  den  Geist  Rudolfs  noch  vor  Ausgang  des  Krieges  von 
J276  erfüllte.  Unausgesprochen  liegt  in  diesen  Worten  doch  schon  der  (iedanke, 
der  sechs  Jahre  später  zur  Wirklichkeit  ward.  *)  Ed.  Seemüller   in  Mon, 

Germ.  Deutsche  Chron.  5.  188. 


^\'ien  hl  den  J.  1276—1278  n.  K.  Rurlolfs  Stacltrechts-Pnvilt^gieu.  ßj 

tend.  Als  sich  aber  im  Laufe  der  iJelageruug  Mangel  an  Lebens- 
mitteln zeigte,  die  Bedrängnisse  des  Krieges  sich  mehrten  und  Unzu- 
friedenheit und  Widersetzlichkeit  um  sich  griff,  fand  sie  einen  Bundes- 
o-enossen  an  dem  „povel",  wie  der  ritterliche  Sänger  die  Handwerker 
und  gemeinen  Leute  verächtlich  nennt.  Zwar  war  diese  Strömung 
nicht  mächtig  genug,  um  die  Uebergabe  der  Stadt  zu  erzwingen,  doch 
aber  scheint  sie  die  Anknüpfung  von  Verhandlungen  mit  Eudolf  be- 
wirkt zu  haben.  Denn  solche  setzt  doch  der  neunte  Artikel  des  mit 
Ottokar  geschlossenen  Friedens  vom  21.  November  1276  voraus:  Ru- 
dolf nimmt  Paltram  und  den  Stadtschreiber  Konrad,  sowie  die  ganze 
Stadt  Wien  zu  Gnaden  an,  alle  gegen  die  Stadt  ergangenen  Sentenzen 
werden  widerrufen,  dagegen  sollen  der  Stadt  Freiheiten,  Privilegien 
und  Vorrechte  vollständig  gewahrt  bleiben  i).  Das  waren  die  Bedin- 
gungen, unter  denen  sich  Wien  ergab,  nachdem  die  Unterwerfung 
Ottokars  einen  weiteren  Widerstand  doch  nicht  mehr  räthlich  machte. 
In  den  letzten  Tagen  des  Novembers  zog  Rudolf  in  Wien  ein 2). 

Die  Währung:  der  Freiheiten  und  Privileo-ien  Wiens  bedeutete  na- 
türlich  ihre  ausdrückliche  Bestätigung  durch  Rudolf.  Was  der  steierische 
Reimchronist  in  die  Tage  vor  der  Uebergabe  der  Stadt  zusammen- 
drängt, das  wird  in  der  That  in  den  nächsten  Monaten  geschehen  sein: 
do  wurden  üz  gelesen  die  besten  die  man  häte  an  der  Wien^er  rate,  daz 
die  kgemeu  überein  umbe  groz  und  umbe  chlain,  swaz  man  in  solde  machen 
sieht  an  ir  gewonheit  und  ii-  reht  bessern  und  iteiiiweu.  Der  kunic 
in  daz  bi  sinen  triwen  von  dem  ersten  hinz  dem  lesten  müest  verhant- 
vesten  vergewissen  und  bestatten,  e  si  immer  iht  getreten  daz  sin  wille 
waere.  Aus  diesen  Vorlagen  der  Bürgerschaft  und  den  Besprechungen  im 
königlichen  Rate  ^)  giengen  endlich  die  Stadtrechts-Privilegien  hervor, 


I)  Mon.  (ievra.  LL.  2,  408.  —  Auch  die  steier.  Reiuudironili  meldet  ;nis- 
drikklich  die  Bestätigung  der  Privilegien  als  Bedingung  der  Uebergabe.  -)  Dass 
Wien  erst  nach  dem  Friedensschluss  vom  21.  November  die  Thore  öttnete,  zeigte 
schon  Huber,  (jesch.  UesteiTeichs  1,  602  Aniu.  1 ;  seine  Gründe  —  die  ausdrück- 
liche Angabe  der  besten  Quellen  und  die  Thatsache,  dass  Kudolf  noch  am  28.  Nov. 
in  castris  ante  Wiennam  uvkiindet,  können  noch  besonders  durch  den  Hin- 
weis auf  Artikel  9  des  Friedens  vermehrt  werden.  Die  gegentheilige  Ansicht  von 
Lorenz,  Deutsche  Gesch.  2,145,  beruht  auf  der  Reimchronik  188  f.,  die  ihrerseits 
durch  die  Erzählung  des  Chron.  Colmar.  S8.  17,  248  beinttiisst  war.  Diese  schiefe 
Auflassung  bedingt  denn  auch  des  Reimchronisten  übrige  Darstellung  der  Wiener 
Vorgänge ,  die  eben  nur  darnach  beurtheilt  und  vcvweithct  werden  kann. 
3)  Zu  der  Annahme  eines  allmäligen  Zustandekommens  der  Urkunden  —  schon 
in  der  Natur  der  Sache  liegend  —  bringt  die  frühere  Ausführung  über  die  Zeugen- 
reihe einen  weiteren  Beweis. 


ßo  R  e  d  1  i  c  h. 

wie   sie  König  Kudolf   um   die   Mitte    des   Jahres  1277    förmlich   und 
Jeierlich  bestätigte  und  verbriefte. 

Wiens  Wünsche  wareu  erfüllt,  eine  weitere  Entwicklung  der  Stadt 
im  Sinne  eines  reichsunraittelbaren  Gemeinwesens  von  politischer  Be- 
deutuuo-  schien  durch  die  Urkunden  gesichert.  Und  doch  war  es  in 
kurzer  Zeit  wieder  Paltram  vor  dem  Friedhof,  der  mit  Ottokar  ge- 
heime Verbiudungen  anknüpfte,  mit  allen  Unzufriedenen  in  Oester- 
reich  und  Steier  in  Beziehung  trat  und  ein  Mittelpunkt  jener  gefähr- 
lichen Verschwörung  ward,  die  im  Sommer  1278  im  Verein  mit  einem 
AngTiff  des  Böhmenkönigs  Rudolf  verderben  sollte.  Für  Paltram  und 
seine  Mitverschwornen  in  Wieu  konnte  es  sich  nur  darum  handeln, 
das  schon  Errungene  festzuhalten  für  alle  Zeiten.  Und  da  schien  ihnen 
Kudolf  jedenfalls  viel  gefährlicher ,  als  nach  ihrer  Erfahrung  Ottokar. 
Denn  die  Absicht  Rudolfs,  Oesterreich  seinen  Söhnen  zuzuwenden,  Hess 
sich  nunmehr  schon  recht  gi-eifbar  merken:  im  Lauf  des  Jahres  1277 
waren  die  ausgedehnten  Kirchenlehen  von  Salzburg,  Freising  und  Passau, 
welche  die  babenbergischen  Herzoge  innegehabt,  den  Söhnen  des  Kö- 
uio-s  übertragen  worden.  Und  ein  Herzog  im  Lande  war  eben  nach 
den  Erinnerungen  aus  des  streitbaren  Friedrich  Zeit  so  viel  wie  der 
Kampf  gegen  die  Keichsunraittelbarkeit  der  Stadt.  Dazu  gesellte  sich 
die  Unzufriedenheit  mit  dem  neuen  Regiment,  dessen  Steuerdruck  be- 
sonders auch  die  Städte  traf  und  die  Sehnsucht  nach  den  guten  Zeiten 
König  Ottokars  wachrief.  Es  wii-d  nicht  zum  kleinsten  Theile  gerade 
dies  letztere  Motiv  gewesen  sein,  welches  Paltram  aus  den  Reihen  der 
Wiener  Biirger  seine  Anhänger  verschaffte. 

Ein  Gelingen  dieser  verrätherischen  Pläne  hätte  für  Rudolf  höchst 
gefährlich,  ja  verderl)lich  werden  können.  Allein  die  Verschwörung  wurde 
Ende  April  oder  Anfangs  Mai  1278  entdeckt ' ).  Die  Hauptschuldigen,  Hein- 
rich von  Kueuring,  dann  Paltram,  sein  Bruder  und  seine  Söline  wurden 
des  Hochverrathes  schuldig  erkläi-t,  ilire  Güter  eingezogen ;  sie  entkamen 
nur  durch  die  Fkicht  der  Strafe.  Auch  manche  andre  angesehene 
Wiener  Bürger  waren  in  die  Sache  verwickelt-).    Im  ganzen  und  grossen 

')  Durch  eine  mir  erst  kürzlich  bekannt  gewordene  Urkunde  K.  Rudolfs 
vom  ly.  Mai  1278  (Copie  im  Landesarchiv  zu  Graz,  aus  Orig.  im  Consistorial- 
arch.  zu  Salzburg)  wird  der  bisher  zwischen  Ifi.  April  und  IG.  Juni  begrenzte 
Zeitraum  für  die  Entdeckung  beträchtlich  verengert.  Kudolf  schenkt  nemlich  am 
19.  Mai  dem  Chunrad  von  Himberg,  Landscbreiber  von  Steiermark,  ob  seiner 
Verdienste  einen  Weinberg  gen.  Gannzz  und  einen  andern  in  ürinzing,  quas  Bal- 
Irammo  «luondam  civi  Wiennensi  cum  ceteris  bonis  suis  propter  indevocionis 
aue  proterviam  sentencialiter    abiudicavimns    iic    nobis    attraximuH. 

")  Die  Bürger,  welche  1281  an  Rudolfs  Sohn  Albrecht  als  Reichsverweser 
die  HnldigungHbriefe  mit  der  ausdrücklichen  Krklfirinig  ausstellon,  jede  Bezit^hung 


Wien  in  den  J.  1276— 1278  u.  K.  Rudolfs  Stadtrechts-Privilegien.  63 

freilicli  war  die  Stadt  doch  wol  Kiidolf  treu  geblieben  und  von  einer 
allgemeinen  Verschwörung  und  Empörung  Wiens  darf  man  nicht  spre- 
chen 1).  Aber  eine  Saat  von  Misstraueu  zwischen  dem  König  und  der 
Stadt  war  ausgestreut,  und  demgemäss  handelte  Rudolf,  vorsichtig  und 
drohend.  Er  that  es  in  dem  für  die  Stadt  empfindlichsten  Punkte. 
Als  er  vor  einem  Jahre  Wien  die  Stadtrechtsprivilegien  verliehen  hatte, 
war  dies  geschehen  ohne  Einschränkung.  Jetzt  traf  er  im  Hinblick  auf 
die  jüngsten  Vorgänge  eine  Bestimmung,  wie  sie  vielleicht  beispiellos 
dasteht  bei  derartigen  Urkunden,  wenn  auch  ihr  Gedanke  unausge- 
sprochen wol  jeder  Verleihung  zu  Grunde  liegt.  Die  Gültigkeit  und 
Dauer  der  von  dem  Reiche  der  Stadt  Wien  gewährten  Rechte,  also 
vor  allem  die  Reichsunmittelbarkeit  und  die  damit  zusammenhängende 
innere  Selbständigkeit,  sollte  abhängen  von  dem  Wohl  verhalten  der 
Büro-er:  würden  sie  in  irgend  eine  Verbindung  mit  dem  geächteten 
Paltram  und  seinem  Geschlechte  treten,  so  sollen  dadurch  allein  schon, 
ipso  fiicto,  diese  Rechte  verfallen  und  verloren  sein.  Es  wurden  die 
Urkunden  in  neuer  Ausfertigung  hergestellt  und  diese  Bestimmung 
einfach  au  den  letzten  Artikel  des  früheren  Textes  angehängt,  mit  ihr 
zugleich  noch  einige  inarktrechtliche  Verfügungen,  zu  deren  nachträg- 
licher Aufnahme  sich  da  eine  willkommene  Gelegenheit  fand.  Die  Ein- 
leitung des  einen  Privilegs  wurde  benützt,  um  die  in  Gefahi-  und  Em- 
pörung bewährte  Treue  der  Wiener  zu  preisen,  welche  belohnt  werden 
soll.  Konute  dies  immerhin  mit  Rücksicht  auf  die  im  ganzen  ja  ruhige 
Haltung  der  Stadt  gesagt  werden,  so  waren  es  im  Grunde  doch  nur 
schöne  Worte  und  nahmen  in  Wesenheit  dem  neuen  Artikel  21*  nichts 
von  seiner  drohenden  Schärfe,  mit  der  er  eines  Tages  Sehuldige  und 
Unschuldige,  die  ganze  Stadt,  treffen  und  ihre  Freiheit  und  selbstän- 
dige  Bedeutung;  vernichten  konnte. 

Dies  war  die  Bedeutung  der  uns  allein  erhaltenen  Neuausfertigung 
der  Wiener  Stadtrechtsurkunden  vom  24.  und  25.  Jnni  1278.  Zehn  Jahre 
später  ging  das  Schicksal  Wiens  in  Erfüllung.  Die  Drohung  des 
Artikels  29  ward  unter  der  eisernen  Hand  des  neuen  Laudesfürsteu, 
des  Herzogs  Albrecht,  zur  That  und  Wirklichkeit,  die  Empörung  der 
Wiener  uearen  den  Heizou',  der  von  ihrer  Reichsunmittelbarkeit  nichts 
wissen  wollte,  endete  mit  dem  vollständigen  Verzicht  der  Stadt  auf 
alle  und  jede  ihr  von  König  Rudolf  verlieheneu  Privilegien. 

zu  Paltram  vermeiden  zu  wollen  (GQ.  der  Stadt  Wien  1  1,  i>'.}),  dürfen  sicherlich 
als  bei  der  A'erschwörung  Paltrams  betheiligt  nugenommen  werden,  wie  dies 
schon  Lorenz  in  Wiener  SB.  4(',  77  that.  ')  Dies  verbietet  denn  doch  der  Eingang 
der  Urkunde  vom  2."j.  .luni  1278;  auch  Weiss,  Gesch.  d.  Stndt  Wien  I,  lo7  ist 
dieser  Ansicht. 


Karl  W.  und  die  Witteisbacher. 

Von 

Theodor  Lindner. 

^  Frauduleutus  eteuiiu  caesax  Babariain  dolosis  uequitiis  seinper 
impugnavit*.  so  zeichuet  der  Verfasser  der  Jahrbücher  von  Matsee  das 
Verlialten  Karls  IV.  gegen  die  Baiernfürsten,  Und  wie  der  Zeitge- 
nosse haben  viele  Geschichtsschreiber  bis  auf  den  heutigen  Tag  ge- 
nrtheilt,  auch  ihnen  galt  Karls  Handlungsweise  als  ein  schändliches 
Gewebe  von  List,  Bosheit  und  Betrug,  Natürlich,  dass  es  dem  Kaiser 
nicht  an  Vertheidigern  gefehlt  liat,  aber  diese,  wie  der  vortreffliche 
Pelzel  und  Palacky,  konnten  als  parteiisch  gelten,  und  obgleich  sich 
in  neuerer  Zeit  eine  günstigere  Auffassung  des  grossen  Luxemburgers 
Bahn  bricht,  wird  doch  gerade  sein  Vorgehen  gegen  die  Baiern  noch 
immer  als  Ausfluss  grandsätzlicher  Feindschaft  und  persönlicher  Ge- 
hässigkeit angesehen. 

Vielleicht  wii'd  eine  Betrachtung  ohne  Voreingenommenheit  mit 
ruhiger  Erwägung  des  thatsächlichen  und  aeteumässigen  Ganges  der 
Dinge  zu  einem  andern  Ergebniss  führen  und  zeigen,  dass  die  Schuld 
auf  beiden  Seiten  mindestens  gleich  vertheilt  lag,  ja  dass  tue  Baiern 
seliger  die  Ursache  waren,  wenn  .sie  von  einem  Verlust  nach  dem  an- 
dern betroffen  wurden,  dass  üie  selber  den  Kaiser  veranlassten,  ilmen 
das  Schicksal  zu  bereiten,  welches  sie  trat.  Es  liegt  mir  wahrlich  die 
Absicht  fern,  eine  Bettung  Karls  IV.  zu  schreiben;  was  sollte  mich 
auch  dazu  bewegen?  Ein  unmittelbar  persönliches  Interesse  an  jeuen 
Vorgängen  kann  heutzutage  nur  ein  liaier  empfinden,  welcher  es  mit 
Beeilt  beklagen  darf,  dass  der  Luxemburger  seinem  Fürstenhause  den 
Bang  abhef  und  die  Aussicht  auf  eine  grosse  Zukunft  abschnitt,  aber 
es  ist  anzuerkennen,  dass  sich  der  neueste  Geschichtsschreiber  Baierus 
von  solchen   Empfindungen    nicht   zur    Ungerechtigkeit    verleiten  Hess. 


Karl  IV.  unrl  die  Wittelsbacher.  65 

obschon  Eiezler  die  Beziehungen  Karls  zu  den  Witteisbachern  auch 
etwas  einseitig  beurtlieili 

Ich  will  nicht  noch  einmal  Alles  im  Einzelnen  erzählen,  denn 
das  hiesse  fast  die  gesamte  Geschichte  Karls  IV.  schreiben.  Ich  be- 
schränke mich  darauf,  einen  üeberblick  über  die  Entwicklung  zu  geben ; 
nur  an  einzelnen  Stellen,  wo  es  mir  nöthig  erscheint,  verweile  ich 
etwas  länger,  so  namentlich  bei  dem  Schlussabschuitt,  dem  Streite  um 
Brandenburg.  Da  ich  auf  die  allbekannten  Darstellungen  von  We- 
runsky,  Kiezler,  Huber  u.  s.  w.  verweisen  kann,  enthalte  ich  mich 
meist  einzelner  Quellennachweise,  um  eine  flüchtige  Skizze  nicht  mit 
zu  viel  Ballast  zu  beschweren. 

Dem  Kaiser  gerecht  zu  werden  ist  deswegen  schwer,  weil  das 
Auge,  seine  ganze  Kegierung  überschauend,  naturgemäss  an  dem  End- 
ergebniss  haften  bleibt,  und  so  entsteht  leicht  die  Vorstellung,  es 
sei  von  Anfang  an  gewollt,  vorbereitet  und  mit  zäher  Geschicklichkeit 
festgehalten  schliesslich  erreicht  worden.  Die  Erwerbung  der  Mark 
Brandenburg  gilt  in  der  Regel  als  das  Ziel,  welches  sich  Karl  schon 
in  den  ersten  Jahren  seiner  HeiTschaft  stellte  und  in  seinem  Geiste 
nie  aufgab.  Wäre  das  richtig,  dann  müsste  allerdings  der  Stab 
über  ihn  o-ebrochen  werden.  Aber  berechtigt  zu  solcher  Annahme 
etwas  anderes  als  die  Thatsache,  dass  er  das  Land  schliesslich  an  sicli 
brachte?  Es  lässt  sicli  fi'eilich  nicht  urkundlich  widerlegen,  dass  er 
eine  solche  Absicht  stets  gehegt  habe,  aber  ebensowenig  ist  sie  zu  be- 
weisen; für  beides  fehlen  uns  sichere  Zeugnisse.  Man  wird  daher  besser 
thun,  nicht  zu  viel  vorauszusetzen,  sondern  einfach  den  Lauf  der  Er- 
eignisse zu  verfolgen  und  jedes  für  sich  in  seinem  eigenen  Zusammen- 
hange zu  begreifen. 

Das  Königthum  Karls  ist  aus  der  Feindscliaft  gegen  die  Witteis- 
bacher hervorgegangen  und  unzweifelhaft  lud  er  durch  die  Art,  in 
welcher  er  es  erwarb,  eine  schwere  Schuld  an  dem  Deutschen  Reiche 
auf  sich.  Aber  er  konnte  sich  mit  dem  Rechte  der  Selbstvertheidigung 
entschuldigen,  sicli  beklagen,  wie  das  luxemburgische  Haus  durch 
Kaiser  Ludwig,  der  ihm  die  Krone  und  den  Sieg  über  Habsburg  ver- 
dankte, nur  Undank,  Beeinträchtigung  und  mit  dem  schnöden  Raube 
Tirols  noch  Verunehrung  erlitt;  er  hatte  nicht  Unrecht,  wenn  er  von 
einer  weiteren  Regierung  Ludwigs  Schlimmeres  befürchtete  i).  Doch 
mag  man  darüber  denken,  wie  man  will;  dass  Karl,  sobald  er  ein- 
mal als  Gegeukönig  aufgetreten  war,    Ludwig   zu  stürzen  suchte,  war 


')  Vgl.   lueiue   Deutsche   Geschichte   uuter   den   Habsburgem   und    Luxem- 
burgern I,  468  ff. 

Mittheilungen  XII.  5 


(^^  L  i  n  fl  n  e  i*. 

uatürlicli.  JDeösen  i)lötzliclier  Tod  verscliaflte  ihm  unerwartet  schnell 
die  allgemeine  Anerkennung,  aber  nur  deswegen,  weil  die  Söhne  des 
Gestorbenen  nicht  sofort  den  Kampf  gegen  ihn  aufnahmen,  ihm  kost- 
bare Zeit  liessen,  sich  im  Reiche  festzusetzen. 

Karl  bekriegte  sie  zunächst  nicht  weiter  und  täuschte  damit  die 
Hoffnungen  der  Kurie,  welche  erwartete,  dass  er  an  ihnen  die  Eache 
der  Kirche  vollziehen,  sie  von  Land  und  Leuten  treiben  werde.  Seine 
Stellung  war  dadurch  eine  sehr  schwierige,  weil  er  die  Gunst  des 
Papstes  noch  nicht  entbehren  konnte,  aber  keineswegs  beabsichtigte, 
sich  zum  Vorkämpfer  päpstlicher  Ansprüche  aufzuwerfen.  Er  blieb 
sonach  in  selbständiger  zuwartender  Haltung. 

Es  o-ab  für  die  Witteisbacher  zwei  Wege:  entweder  schleunigst 
eine  Verständigning  mit  dem  Gegner  zu  suchen  oder  ihn  mit  allem 
Nachdruck  zu  bekämpfen.  Sie  wählten  das  letztere,  und  dass  sie  Karls 
KöniD"thum  als  nicht  zu  Recht  bestehend  betrachteten,  wird  ihnen  Nie- 
mand verargen.  Fassten  sie  ihre  ganze  Macht  zusammen,  so  konnten 
sie  schon  dem  Böhmen  die  Spitze  bieten,  denn  ihre  Besitzungen  um- 
klammerten das  Reich  au  allen  vier  Ecken.  Wollten  sie  Karl  nicht 
anerkennen,  so  mussten  sie  ihm  einen  andern  König  entgegenwerfen, 
und  da  ihnen  vier  Kurstimmen,  die  pfälzische,  die  brandenburgische, 
die  mainzische  des  Erzbischofs  Heinrich,  die  Theilstirnme  Sachsen- 
Lauenburgs  zur  Verfügung  standen,  war  eine  Neuwahl,  die  als  recht- 
mässig gelten  konnte,  zu  macheu.  Das  richtigste  wäre  gewesen,  wenn 
der  älteste  Sohn  des  Kaisers,  Ludwig  von  Brandenburg,  selbst  als 
König  auftrat;  deun  obgleich  er  sich  dann  selber  wählen'  musste, 
—  er  konnte  übrigens  auch  seinen  Bruder  als  Kurfürsten  von  Branden- 
buro-  vorschieben  —  kam  doch  alles  nur  auf  die  Macht  an.  Selbst 
wenn  man  einen  andern  deutschen  Fürsten  erhob  —  hätten  die  Baiern 
nur  damals  schnell  gehandelt!  Aber  der  abenteuerliche  Plan,  König- 
Eduard  IIL  von  England  heranzuziehen,  kostete  neue  Zeit,  verstärkte 
schliesslich  nur  Karls  Stellung,  nährte  dessen  Feindschaft  und  raubti^ 
die  Möglichkeit,  luit  ihm  rechtzeitig  vortheilhaite  Verliandlnug(>ii  an- 
zuknüpfen. 

Erst  jetzt,  wo  es  schon  zu  spät  war,  suchten  die  Baiern  ihren 
Schwager  ^Tarkgraf  Friedrich  von  Meisseu  zur  Annahme  des  König- 
thums  zu  bewegen.  Karl  erweckte  ihnen,  da  sie  ihm  Trotz  boten,  in- 
zwischen aller  Orten  Schwierigkeiten,  aber  er  war  auch  bereit,  ein 
Abkommen  zu  treffen,  welches  zu  vermitteln  Herzog  Albreeht  von 
Oesterreich  übernahm.  Nach  den  Gelübden,  welche  der  König  in  Avignon 
abgelegt,  durfte  er  eigentlich  nicht  mit  den  Baiem  verhandeln,  und  als 
er  daher  dem  Papste    vorher  Mittheilnng   machte,    that  er  es   in    der 


Karl  IV.  nnd  die  Wittelsbacher. 


ß7 


Absicht,  sein  Eutgegeiikomnien  zu  begründeu  uud  bei  der  Kurie  einen 
Ausgleich  vorzubereiten  i).  Indessen  die  Zusammenkunft  in  Passau 
nahm  den  übelsten  Verlauf:  leideu schaftlich  trat  Ludwig  gegen  den 
Widersacher  auf,  weil  dieser  die  englischen  Umtriebe  durch  Anschläge  auf 
Holland  abgewaudt  hatte.  Doch  fuhr  Karl  fort,  in  Avignon  in  seinem 
Sinne  zu  wirken;  er  erreichte  gegen  Ende  des  Jahres,  dass  die  Ehe 
seines  Bruders  Johann  Heinrich  mit  Margaretha  Maultasch  von  Tirol 
kirchlich  getrennt  werden  sollte,  und  erleichterte  dadurch  einen  künftigen 
Ausgleich  mit  Ludwig,  da  die  Scheidung  auch  die  Ansprüche  des 
böhmischen  Prinzen  auf  Tirol  aufhob-). 

Vorläufig  war  jedoch  Kampf  die  nächste  Losung.  Ein  merkwür- 
diges Zwischenspiel  brachte  das  Auftreten  des  falschen  Waldemar  in 
der  Mark.  Dass  Karl  an  der  Aufstellung  des  Betrügers  betheiligt  war, 
ist  nicht  wahrscheinlich,  aber  er  zauderte  nicht,  sie  auszunützen  und 
ging  selbst  in  die  Mark,  um  die  Empörung  mit  seiuem  königlichen 
Namen  zu  rechtfertigen.  Vor  dem  von  Ludwig  vertheidigten  Frank- 
furt vollzog  er  feierlich  die  Belehnung  Waidemars,  deren  Urkunde  zu 
Heinersdorf  ausgestellt  wurde,  und  gebot  allen  Landesbewohnern  Ge- 
horsam und  LTnterwerfung.  Doch  auch  jetzt  scheint  er  Verhandlungen 
nicht  verschmäht  zuhaben,  denn  da  er  und  Ludwig  im  December  1348 
zu  gleicher  Zeit  in  Dresden  anwesend  waren  an  dem  Hofe  des  Meissner 
Markgrafeu,  der  sich  inzwischen  das  ihm  angebotene  Gegenkönigthum 
durch  Kar]  liatte  abkaufen  lassen,  so  lieg-t  nahe,  eine  Verabreduno-  an- 
zunehmen. Als  eine  Aussöhnung  nicht  erfolgte,  wusste  der  Markgraf 
keinen  andern  Ausweg,  als  den  schon  abgenützten  Gedanken,  einen 
Gegenkönig  aufzustellen.  Die  Auswahl  war  nicht  mehr-  gi-oss  und 
Ludwig  musste  nehmen,  wen  er  fand;  seine  mit  Günther  abo-eschlos- 
senen  Verträge  machen  durchaus  den  Eindruck,  dass  ihm  der  Pl.m. 
den  Schwarzburger  autzuwerfen,  schnell  durch  den  Kopf  fuhr  und  er 
nur  in  der  Verlegenheit  nach  ihm  griff.  Er  wollte  auf  jeden  Fall 
Karl  Hindernisse  in  den  Weg  werfen:  das  weitere  mochte  die  Zeit 
bringen. 

Es  ist  bekannt  genug,  Avie  nun  die  Wahl  Günthers  erfolgte,  der 
zwar  in  Frankfurt  seinen  Sitz  nahm,  aber,  weil  er  die  Hilfe  seiner 
Förderer  abwartete,  die  schönste  Zeit  ungenützt  verstreichen  Hess.  Karl 
dagegen   sicherte  sich   durch  Verträge    seine  Freundschaften    uud  ver- 

■  legte  Günther  den  Weg  nach  Aachen,  zog  durch  die  Heii'at  mit  Anna 

■  deren  Vater,  Pfalzgraf  Iludolf,  auf  seine  Seite  und  griff  endlich  seinen 


')  Vgl.  Riedel  II,  2,  260.         '■)  Als  Bittsteller   wird  zwar  Jolianu  allein  oe- 
iinnnt,  al.er  der  KTiniiT  innss  ducli  weniosfens  claruin  «r^wusst  haVieii. 


5* 


gg  L  i  n  d  n  e  1'. 

Gegner  an,  nachdem  er  ihn  vergeblich  zu  Friedensverhandlungen  zu 
bewegen  gesucht.  Die  folgenden  Einzelheiten  sind  nicht  recht  klar.  Karl 
selbst  meldete  seinen  Freunden,  dass  Günther,  Ludwig  von  Brandenburg, 
■Heinrich  von  Mainz  und  Pfalzgi'af  Kuprecht  nach  Eltville  geflohen  seien, 
wo  er  sie  belagert  und  bezwungen  habe,  während  nach  anderen  Nach- 
richten Ludwig  erst,  als  Karl  schon  vor  der  Feste  lagerte,  herbeikam, 
doch  nicht  um  zu  kämpfen,  sondern  um  Frieden  zu  schliessen.  Jeden- 
falls führte  nicht  der  kriegerische  Erfolg  Karls  allein  die  Entscheidung 
herbei,  denn  er  kam  seinen  Feinden  in  jeder  Weise  entgegen.  Na- 
mentlich gegen  Günther  handelte  er  sehr  anständig,  während  dessen 
Wähler  des  Verrathes  an  ihrem  Opfer  beschuldigt  wurden. 

Doch  uns  können  hier  nur  die  mit  den  Baiern  vereinbarten  Ver- 
träge beschäftigen!).  Karl  schloss  in  allgemein  gehaltenen  Urkunden 
mit  sämmtlichen  baierischen  Herzögen  Frieden  und  bestätigte  ihnen 
alle  ihre  Länder  und  Rechte,  ohne  sie  im  Einzelnen  zu  bezeichnen. 
Die  Hauptsache  war  natürlich  die  brandenbm'gische  Frage.  Nach  allem 
Vorangegangenen  und  den  übernommenen  VerbindKchkeiten  gegen  die 
Freunde  Waidemars  konnte  Karl  vorläufig  den  falschen  Markgrafen 
nicht  sofort  und  vollständig  aufgeben,  auch  nicht  den  Baiern  den 
markgräflichen  Titel  ertheilen.  Bestimmte  Versprechen,  die  Mark  ihnen 
zurückzustellen,  hat  er  auch  gewiss  nicht  gegeben,  aber  er  bereitete 
schon  die  Möglichkeit  vor,  vielleicht  verwies  er  sie  bereits  auf  den 
einzuschlagenden  Rechtsweg.  Er  verhiess,  dem  „  hochgebornen  Wälde- 
rn ar,  Markgrafen  von  BrandenlDurg,  seinem  lieben  Schwager  und  Für- 
sten" keinen  Beistand  zu  leihen,  wenn  Ludwig  gegen  ihn  Krieg  führen 
wolle.  Er  gestattete  also  Ludwig,  sieh  die  Mark  zu  erobern,  hielt  ihn 
aber  in  Abhängigkeit,  wie  er  es  noch  tbun  musste;  doch  duldete  er 
daneben,  dass  dieser  sich  nach  wie  vor  Markgraf  von  Brandenburg 
nannte.  Dagegen  legte  Karl  den  Streit  um  Tirol  alsbald  bei,  indem 
er  für  sich  und  seine  Erben  die  Rechte  auf  Kärnthen,  Tirol  und  Görz 
aufgab  und  den  Titel  dieser  Länder  Ludwig  ertheilte.  Zugleich 
versprach  er  seine  guten  Dienste  zur  Lösung  des  Kii'chenbannes ,  zu 
welchem  Zwecke  er  selbst  mit  Ludwig  nach  Aviguon  gehen  wollte. 
Ludwig  im  Namen  seiner  Familie  erkannte  dafür  den  Luxemburger  als 
König  an  und  versprach,  die  Reichskleinodien  nach  der  Befi-eiung  von 
den  Kirchenstrafen  ihm  auszuliefern. 

Karl,  welcher  der  Ansicht  sein  durfte,  dass  die  Witteisbacher  ihm  den 
Krieg  aufgezwungen,  den  Thronstreit  zwecklos  verlängert  hätten,  zeigte 
sich  gleichwohl  zur  Nachgiebigkeit  bereit,    soweit  er  für  den  Augen- 


')  Vgl.  Steinherz  und  Weizsäcker  in  den  Mitth.  VIEI,  105  ff. 


Karl  IV.  nml  die  Wittelsbaclicr.  fiQ 

blick  geheu  konnte.  Er  vermied  einen  weiteren  Kampf  und  machte 
seinen  Gegnern  grössere  Zugeständnisse,  als  sie  ihm.  Denn  er  ver- 
laugte von  ihnen  nur  die  Anerkennung,  welche  sie  ihm  kaum  noch 
versagen  konnten,  und  wagte  es  wiederum,  dem  Papste  gegenüber, 
obschon  mit  Vorsicht,  selbständig  aufzutreten.  Clemens  war  tief  ver- 
stimmt ;  als  ihm  Karl  sofort  seine  baldige  Ankunft  zusammen  mit  dem 
Baiern  meldete,  schrieb  er  ilim  zurück,  die  gegenwärtigen  Zustände  im 
Reiche  machten  rathsam,  dort  zu  bleiben. 

Es  besteht  nun  die  Meinung,  Karl  habe  durchaus  nicht  die  Ab- 
sicht gehabt,  die  märkische  Sache  ehrlich  zu  erledigen;  Ludwig  habe 
sich  bald  veranlasst  gefühlt,  wegen  Beeinträchtigung  seiner  Rechte 
durch  den  Köqig  die  Kurfürsten  anzurufen,  aber  Karl  durch  den  erfolg- 
ten Spruch  sich  nicht  abhalten  lassen,  in  der  Mark  von  neuem  feind- 
lich gegen  Witteisbach  aufzutreten.  ,  Während  er  die  eine  Hand  dem 
versöhnten  Gegner  ans  Herz  drückte,  winkte  er  mit  der  andern  schon 
hinter  seinem  Rücken  wieder  einen  Feind  herbei "  i).  Ich  denke,  da- 
mit wird  dem  König  Unrecht  gethan.  Die  Neueren  sehen  der  Lösung 
einer  so  schwierigen  Frage  ungeduldiger  entgegen,  als  es  damals  Ludwig 
that,  und  würdigen  nicht  genug  Karls  Lage,  der  doch  nicht  Hals  über 
Kopf  zu  den  Baiern  übergehen  und  allein  ihre  Interessen  zur  Richt- 
schnur nehmen  konnte.  Er  bahnte  vielmehr  die  Wendung,  welche  er 
nehmen  wollte,  allmählich  an.  Es  handelte  sich  um  einen  Rechts- 
streit, der  bereits  einmal  entschieden  worden,  und  daher  war  es  nicht  so 
leicht,  ihn  nun  im  entgegengesetzten  Sinne  durchzuführen;  am  wenig- 
sten konnte  das  Karl  mit  einem  blossen  Wort  thun. 

In  der  Mark  hatte  die  allgemeine  Lage  inzwischen  keine  wesent- 
liche Aenderung  erlitten;  die  gegen  die  Witteisbacher  Verbündeten 
hielten  weiter  zusammen  und  schlössen  Verträge  über  Ausnützung  und 
Theilung  der  Beute.  Die  Nachrichten  über  den  Friedensschluss  zwischen 
Karl  und  Markgraf  Ludwig,  unerwartet  vde  sie  waren,  riefen  gewaltige 
Aufregung  hervor,  da  Niemand  Avusste,  was  dabei  über  die  Mark  be- 
stimmt worden  sei.  Ludwig  der  Römer,  welcher  den  abwesenden 
Bruder  vertrat,  machte  daher  Städten  und  Ständen  den  Vorschlag, 
beim  Könige  selbst  anzufragen ,  ob  die  Mark  den  Baiern  verbleiben 
solle  ■'^).     Es  scheint,  dass  er  schon  auf  guten  Bescheid  rechnete. 

Karl  ging  jetzt  noch  über  seine  den  Baiem  an  sich  schon  gün- 
stige Haltung  hinaus.  Am  11.  August  in  Köln  verkündigte  nämhch 
Pfalzgi-af  Rudolf  den  mit  seinen  kurfürstlichen  Genossen  gefundenen 
Spruch:   Kaiser  Ludwig   habe  dem  Markgrafen  Ludwig  von  Branden- 


')  So  Riezler  lU,  17;  ähnlich  Werunsky  II,  198  ti'.  ■')  Riedel  11,2,258. 


70  L  i  n  il  n  e  r. 

bürg  alle  seine  Freiheiten  bestätigt  und  Karl  sie  ihm  auch  versehrieben ; 
der  K()nig  solle  seine  Zusagen  nicht  üljertreten,  und  thäte  er  das,  solle 
es  Ludwig  keinen  Schaden  bringen i).  Der  Sinn  war  also  der:  es 
wurde  die  Thatsache  festgestellt,  dass  Kaiser  Ludwig  seinem  Sohne  die 
Mark  verliehen  und  dass  Karl  letzterem  alle  seine  Kechte  bestätigt 
habe,  also  auch  die  Mark.  Wenn  aber  Waldemar  damals  wirklich  noch 
lebte,  so  war  Ludwigs  Verleihung  eine  ungiltige  und  die  neue  Ver- 
briefung durch  Karl  konnte  sie  auch  nicht  bekräftigen,  während  im 
entgegengesetzten  Falle  sie  es  that.  Des  Markgrafen  Schicksal  hing 
also  daran,  ob  Waldemar  echt  war  oder  nicht;  erkannte  nun  der 
König  diesen  weiter  fälschlich  an,  so  that  das  dem  Rechte  des  Witteis- 
bachers an  sich  keinen  Abbrach.  Der  Spruch  war  also  Ludwig  durch- 
aus günstig  und  wahrte  gerade  alle  seine  Rechte.  Mehr  konnte  Karl 
vor  der  Hand  nicht  thun,  —  denn  dass  Pfalzgraf  Rudolf  nach  und 
mit  seinem  Willen  handelte,  beweisen  zur  Genüge  Person,  Ort  und 
Zeit  —  und  wenn  er  selbst  gleich  darauf  den  Märkern  schrieb:  „er 
erkenne  nur  Waldemar  an  und  nach  dessen  Tode  die  Sachsen  und  An- 
haltiner:  wer  ihnen  etwas  anderes  sage,  thue  Unrecht  an  ihm  2),  so  war 
das  nur  der  Ausdruck  der  vorläufig  unveränderten  Rechtslage,  mit  welchem 
auch  Kurfürst  Rudolf  zufrieden  war,  da  er  dauernd  im  besten  Ein- 
vernehmen mit  dem  Köniofe  blieb.  Aber  wohlbemerkt:  Karl  füffte 
diesem  Schreiben  keine  Aufmunterung  für  Waldemar  gegen  Ludwig 
bei,  dem  freie  Hand  blieb,  sein  Glück  zu  versuchen.  An  die  Märker 
erging  auch  die  Aufforderung,  zusammen  mit  Herzog  Rudolf  und  den 
anderen  Fürsten  Machtboten  au  den  Hof  nach  Böhmen  zu  schicken, 
also  ein  weiterer  Schritt  vorwärts. 

Mittlerweile  hatten  die  Baiern  einen  Bundesgenossen  gefunden  in 
dem  thatenlustigen  Könige  Waldemar  IV.  von  Dänemark  und  LudAvig 
errang  in  der  Mark  manche  Erfolge,  schon  begannen  Herren  und 
Städte  sich  ihm  wieder  zuzuwenden.  Den  Feinden,  deren  Mittel  er- 
schöpft waren,  sank  darob  der  Muth  und  sie  neigten  zu  einem  Schied- 
sprache, den  König  Magnus  von  Schweden  fällen  sollte.  Wahrschein- 
lich schlug  ihn  die  askanische  Partei  vor,  da  er  ihr  alter  Freund  war 
and  sie  sich  vom  deutschen  Könige  nichts  gutes  mehr  versprach;  sie 
machte  damit  den  Versuch,  dem  von  Karl  zu  erwartenden  Entscheide 
zuvorzukommen.  Ludwig  seinerseits  schloss  den  Vertrag  wohl  nur 
zum  Scheiu ;  er  wie  seine  Gegner  mussten  bereits  wissen ,  dass  der 
König  für  die  nächsten  Tage  eine  Versammlaug  nach  Bautzen  ange- 
setzt hatte;  denn  am  2.  Februar  wardejene  Verabredung  getroffen,  am  7. 


')  Riedel  II,  2,  261;  nur  ein  Auszug  ist  erhalten.  ^  Riedel  U,  2,  261. 


Karl  IV.  iinil  ilie  Wittelsliacher.  7| 

sind  die  Verliaudlungeu  in  Bautzen  bereits  im  vollen  Gange.  Ludwig 
war  also  jedenfalls  unteri'ichtet,  da.ss  für  ihn  die  günstigste  Wendung 
eincretreten ,  Kaid  nun  entschlossen  war,  die  einst  in  der  Notli  er- 
«mflFene  Politik  aufzAigeben.  Einige  Tage  später,  Anfang  Februar 
1350,  trafen  zu  Bautzen  Karl  und  die  Witteisbacher  nebst  Freund- 
schaft und  Anhang  zusammen,  und  der  König  legte  seinen  Streit  mit 
den  Baiern  einem  Fürstengericht  vor,  welches  Pfalzgi-af  Kudolf  leitete. 
Er  verfuhr  ganz  so,  wie  zu  Anfang:  wie  er  auf  Grund  eines  Rechts- 
spruches Waldemar  anerkannt,  wollte  er  jetzt  auch  auf  dem  Rechts- 
wege von  seinen  Verpflichtungen  gegen  die  früheren  Bundesgenossen 
loskommen,  sie  ins  Unrecht  setzen.  Er  handelte  also  äusserlich  dem 
Rechte  gemäss  und  fand  so  persönliche  Deckung:  ein  solches  Gericht 
konnte  er  nicht  gut  früher  im  Reiche  einsetzen,  sondern  alter  Ge- 
wohnheit folgend  verlegte  er  es  an  einen  Ort,  der  seiner  Lage  nach 
als  zuständig  gelten  durfte. 

Auf  Grund  des  bekannten  Spruches  belehnte  der  Kernig  Ludwig 
und  seine  beiden  Brüder  mit  den  Marken  zu  Brandenburg  und  Lau- 
sitz und  dem  Kurrechte,  ebenso  ertheilte  er  dem  Markgrafen  Kärnten 
und  Tirol  nebst  Zubehör.  Zugleich  versprach  er,  sich  zu  bemühen, 
,als  ob  es  sein  eigen  Ding  wäre",  dass  die  Brüder  bis  Michaelis  aus 
dem  Banne  kämen,  sollte  es  nicht  glücken,  doch  seine  Anstrengungen 
fortzusetzen.  Acht  Tage  nach  Ostern  wollte  Karl  in  Nürnberg  des 
Reiches  Füi-sten  urtheilen  lassen,  ob  der  zu  diesem  Zwecke  vorzuladende 
Waldemar  wirklich  der  todtgeglaubte  sei;  kämen  die  Fürsten  und 
Waldemar  nicht,  so  würde  Ludwig  dennoch  all  seines  Rechtes  theil- 
haftig. 

Ludwig  beeilte  sich  nun ,  den  Boten  Karls  die  Reich skleinodieu 
auszuliefern;  der  Nürnberger  Tag  fand  wirklich  statt,  und  da  weder 
Waldemar  noch  von  dessen  Partei  Jemand  erschien,  wurde  die  Sache 
endgiltig  zu  Ludwigs  Gunsten  erledigt.  Karl  ging  also  ganz  untadel- 
haft  zu  Werke;  er  verzichtete  sogar  auf  die  Niederlausitz,  welche  ihm 
Waldemar  abgetreten  hatte.  Das  Zugeständniss  Tirols  mochte  ihm 
schwer  genug  fallen  und  Johann  Heinrich  hat  es  seinem  königlichen 
Bruder  sehr  übel  genommen.  Obgleich  Karl  den  Baiern  zur  Erobe- 
rung der  Mark  nicht  mit  den  Waffen  half,  fuhr  er  fort,  sie  mit  seinen 
Briefen  und  Befehlen  zu  unterstützen^). 

Gleichwohl  hat  Karl  weder  bei  Markgraf  Ludwig  noch  bei  der 
Nachwelt  Dank  gefunden,  was  freilich  bei  ersterem  menschlich  zu  ver- 


0  Weninskv  II,  338   legi;  sich  KarlB   späteres  Verhalten  nach  seiner  vorge- 
fassten  Meinung  sehr  sonderbar  zurecht. 


r.t  L  j  n  fl  n  e  r. 

stehen  ist.  Neuer  Streit  zwischen  ihnen  erhob  sich,  aber  man  mus.s 
erwägen,  dass  die  verquickten  Rechtsverhältnisse  jener  Zeit  immer  Stoff' 
zur  Unzufriedenheit  gaben  und  nicht  so  einfach  zu  schlichten  waren. 
Karl  fühlte  sich  freilich  nicht  veranlasst,  fortan  lediglich  und  allein 
den  Baiern  dienstwillig  zu  sein,  aber  er  konnte  vielfach  auch  für  sie 
nicht  mehr  thun,  als  er  that,  ohne  sich  seinen  sonstigen  Aufgaben 
und  Zwecken  zu  entziehen  und  sich  selber  Feindschaften  zu  erwecken. 
Jedenfalls  hatten  Rudolf  von  Sachsen  und  die  anderen  Herren  von  der 
Waidemarschen  Partei  viel  mehr  Grund,  über  den  König  zu  klagen, 
als  die  Baiern.  Ludwig  hat  sich  nachher  beschwert,  dass  Karl  ihn 
nicht  vom  Banne  freimachte.  Aber  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass 
Karl  nach  den  Bautzener  Verträgen  deswegen  den  Papst  anging  i), 
aber  vergeblich,  da  man  in  Avignon  den  alten  Hass  bewahrte;  er- 
neuerte man  doch  nochmals  den  Bann  gegen  Ludwig.  Ueberdies  war 
Papst  Clemens  mit  seinem  ehemaligen  SchützHng  aufs  höchste  unzu- 
frieden und  schlug  ihm  sogar  die  Romfahrt  ab.  Später,  als  Ludwig 
selbst  immer  neue  Schwierigkeiten  verursachte,  mag  Karl  allerdings 
seine  Bemühungen  für  ihn  eingestellt  haben,  doch  Hess  er  es  die 
Witteisbacher  nie  empfindeu,  dass  sie  im  Kirchenbann  standen,  suchte 
davon,  wie  er  wohl  gekonnt  hätte,  nie  Nutzen  zu  ziehen. 

Die  Zwistigkeiten  hörten  nicht  auf,  durch  verschiedene  Verhält- 
nisse veranlasst,  nicht  allein  durch  Karls  bösen  Willen.  In  Tirol  hatte 
Ludwig  viel  Unfrieden  mit  dem  Bisthum  Trient  und  dem  Patriarchat  von 
Aquileja,  welchem  seit  October  1350  Karls  unehelicher  Bruder  Nico- 
laus vorstand,  auf  den  er  auch  Rücksichten  zu  nehmen  hatte,  dann 
hielt  Karl  vormals  in  Oberitalien  erworbene  Rechte  fest.  Einen  an- 
dern Streitpunkt  bildeten  Reichspfandschaften,  dann  die  Stadt  Donau- 
wörth, in  deren  Besitz  sich  Ludwig  vom  Könige  gehemmt  meinte  und 
wohl  auch  mit  Recht,  aber  Karl  war  ihr  gegenüber  durch  frühere  Ver- 
heissungen  gebunden.  Ueber  die  Einzelheiten  sind  wir  nicht  genau 
unterrichtet,  aber  sollte  Ludwig  immer  das  schuldlose  0]iferlamm  ge- 
wesen sein  und  in  allen  diesen  Fragen  ganz  allein  Recht  gehabt  haben  V 
Der  hauptsächlichste  Streit  aber  folgte  aas  den  inneren  Verhältnissen 
der  wittelsbachischen  Familie. 

Entgegen  den  Bestimmungen  des  Vaters  zerlegten  die  Söhne  zu 
wiederholten  Malen  ihre  Lande,  so  dass  sie  schliesshch  1353  vier  re- 
gierende Familien  bildeten.  Ludwig  der  ältere  überliess.  die  Mark 
Brandenburg  seinen  Brüdern  Ludwig  dem  Römer  und  Otto,  wogegen 
er  Oberbaiern  erhielt.     Während  Albrecht    und   im  Allgemeinen    auch 

<)  Vgl.  Werunsky,  Excerpta  76  n.  255. 


Karl  IV,  und  die  Witt  eil  »acher.  73 

Stephan  zn  Karl  liielteu,  wurde  Ludwig  der  ältere  immer  feindseliger 
zu  ihm.  Ausser  früherem  Groll  bewirkten  das  die  pfälzischen  Ange- 
legenheiten. 

Nach  dem  Tode  Kudolfs  leitete  sein  kraftvoller  aber  selbstsüchtiger 
Bruder  Euprecht  I.  das  pfälzische  Haus.  Sein  Neffe  und  künftiger  Erbe 
Ruprecht  IL  hatte  für  die  Absicht,  den  baierischen  Vettern  in  Branden- 
burg Hilfe  zu  leisten,  durch  lange  Gefangenschaft  büsseu  müssen  und 
erst  nach  fünf  Jahren  bewirkte  König  Karl  seine  Freilassung.  Es 
scheint,  dass  die  Baiern  weniger  eifrig  waren  und  so  das  schlechte 
Verhältniss  zu  den  Pfälzern  noch  verschlimmerten. 

Nun  beanspruchte  Ludwig  auf  Grund  früherer  Verträge  Antheil 
an  Kudolfs  Erbschaft,  obgleich  er  vorher  Karl  und  dessen  Gemahlin 
Anna  gegenüber  verzichtet  hatte  i).  Annas  Heimsteuer  war  auf  Be- 
sitzungen in  der  Oberpfalz  angewiesen,  Karl  hatte  für  die  Befreiung 
Ruprechts  dem  sächsischen  Herzoge  eine  beträchtliche  Summe  auf 
böhmische  Herrschaften  zugesagt,  auch  sonst  dem  verstorbenen  Pfalz- 
grafen Geld  geliehen.  Dafür  trat  ihm  Ruprecht  einen  grossen  Theil 
der  nördlichen  Oberpfalz  ab,  welchen  Karl  dann  mit  Böhmen  vereinigte. 
Gewiss  ein  schöner  Erwerb,  der  Ludwigs  Eifersucht  erregen  konnte. 
Indem  Karl  dem  ihm  auf  engste  verbündeten  Pfalzgrafeu  auch  das 
alleinige  Kurrrecht  zusprach,  erlitten  die  Witteisbacher  Hausverträge 
eine  weitere  Beeinträchtigung.  Ganz  richtig:  Karl  ging  eben  den 
Gang,  welchen  ihm  sein  Interesse  vorschrieb,  und  kreuzte  dabei  den 
Ludwigs,  Ihn  leitete  Eigennutz,  aber  sollte  er  um  Ludwigs  willen,  dem 
er  wahrhaftig  in  keiner  Weise  zu  Dank  verpflichtet  war,  nicht  auch 
seinen  Vortheil  suchen  und  seine  Rechtstitel  geltend  machen?  Ohnehin 
stand  jener  mit  seinem  bittern  Hass  gegen  Karl  allein  in  der  Fa- 
milie. Schon  dachte  er  gegen  den  König,  den  er  als  abgefeimten, 
treulosen  Lügner  betrachtete,  weil  er  ihm  nicht  die  Versprechen  ge- 
halten, das  Schwert  zu  ziehen,  aber  für  einige  Zugeständnisse  gab  er 
nach  und  versprach  Karl  den  ungehinderten  Durchzug  durch  seine 
Lande  nach  Italien.  Am  1.  August  1354  erfolgte  zu  Sulzbach  der 
Friedensschluss ,  der  freilich  nicht  das  gegenseitige  Misstrauen  hob? 
vermied  doch  Karl  bei  seiner  Romfahrt  auf  dem  Hin-  und  Rückwege, 
Ludwigs  Lande  zu  berühren.  Daher  mag  auch  die  Rücksicht  auf  die 
Alpenpässe,  welche  er  gar  nicht  benützte,  nicht  der  alleinige  Grund 
gewesen  sein,  welcher  den  König  zur  Friedfertigkeit  bewog. 

Als   Kaiser   war   es  Karls   erste  Sorge,    die  AVahl   des    deutschen 


0  Huber,   Regesten   Reichssachen  144;  es  ist  das  ein  allgemeiner  Verzicht, 
bezüglich  auf  Rudolfs  Erbeinsetzung  vom  4.  März  1349. 


74  L  i  n  d  n  e  r. 

Königs  durch  flic  Goldene  Bulle  zu  regeln.  Durch  sie  wurde  endgiltig 
dem  buierischen  Zweige  der  Witteisbacher  das  Kurrecht  abgesprochen, 
und  auch  darin  ist  ein  Zeichen  von  Karls  Todfeindschaft  gegen  jenen 
erblickt  worden.  Das  dürfte  ebenfalls  nicht  ganz  zutreffen  ').  Ur- 
sprünglich hatten  Baieru  und  Pfälzer  gleichmässig  das  Wahlrecht  in 
Anspruch  genommen:  unter  dem  Einfluss  der  Siebenei-theorie  Hess  sich 
jedoch  für  das  Gesamthaus  nur  Eine  Stimme  behaupten,  über  deren 
jedesmalige  Abgabe  zwischen  Baieru  und  Pfalz  mancherlei  Streit  ge- 
pflogen und  mancherlei  Verträge  geschlossen  wurden.  Für  das  Reich, 
für  eine  stetige  Regelung  der  Königswahl  lag  unzweifelhaft  das  Be- 
dürfuiss  vor,  feste,  nicht  dem  Familienbelieben  und  dem  unausbleib- 
lichen Familienzwiste  ausgesetzte  Bestimmungen  zu  haben.  Ein  AVechsel 
der  Stimmen  zwischen  beiden  Häusern  hätte  solche  nicht  ergeben,  — 
man  braucht  nur  an  so  zweifelhafte  Vorgänge  denken,  wie  es  eben 
die  Wahlen  Eduards  von  England  und  Günthers  gewesen  waren  — 
ging  auch  bei  der  Spaltung  der  Baiern  in  mehrere  Linien  kaum  an. 
Dass  Karl  sich  für  die  Pfälzer  entschied,  lag  nicht  allein  an  seiner 
Freundschaft  zu  ihuen,  sondern  entsjirach  auch  den  Verhältnissen. 
Wenn  fortan  nur  ein  Herzog  von  Baiern  oder  ein  Pfalzgraf  wählen 
sollte,  so  erlaubte  die  Stellung,  welche  der  letztere  in  Folge  seiner 
Würde  im  Reich  einnahm,  durchaus  nicht,  ihn  der  Kur  zu  entkleiden, 
und  überhaupt  Avar  ein  Zustandekommen  des  wichtigen  Gesetzes  nur 
denkbar ,  wenn  Ruprecht  Kurfürst  wurde.  Der  baierischen  Familie 
verblieb  zudem  die  brandenburgische  Kurwürde,  und  deren  augen- 
blickliche Inhaber  hatten  <^egen  die  Ordnung  der  Dinge  nichts  ein- 
zuwenden. Was  konnten  demnacli  die  Baiern  von  Karl  Anderes 
verlangen  ? 

Dass  es  manchen  wackem  Baiem  gab,  den  der  Umschwung  im 
Reiche  mit  Zorn  erfüllte,  der  mit  Schmerz  sah,  wie  der  wittelsbachische 
Löwe  von  dem  böhmischen  zurückgedräng*t  wurde,  ist  trotzdem  leicht 
zu  verstehen  und  die  Anschauungen  des  Annalisten  von  Matsee  wur- 
den sicherlich  von  Anderen  getheilt  2).  Ein  Kampf  mit  dem  Kaiser 
mochte  daher  Vielen  willkommen  sein,  und  ein  solcher  brach  auch 
aus.  Karl  hatte  von  dem  Regensburger  Bischof  Burg  und  Herrschaft 
Donaustauf  an  sich  gebracht,  zum  Schrecken  der  baierischen  Herzöge 
und  der  ganzen  Umgegend.  Bekanntlich  war  Karl  stetig  bemüht, 
innerhalb  des  Reiches  und  namentlich  in  der  Nachbarschaft  von  Böhmen 
Erwerbuni>en    zu  machen .    und   er   erbitterte   damit   die  Fürsten ,   wie 


')  Das  giebt  auch  Riezler  III,  47  f.  zu.  2)  Das  sieht  man  auch  aus  Hein- 

rich von  Rebdorf  544. 


Karl  IV.  unrl  die  Witfelsl>acber.  75 

später  hesouders  die  Wettiuer.  Dass  er  dabei  die  sclilechte  Absiclii 
hatte,  alle  die  Fürsten  zu  verderben,  wird  sich  wohl  nicht  behaupten 
lassen;  er  wollte  möglichst  allenthalben  im  Keiche  Fuss  fassen,  av;is 
für  die  Erstarkung-  der  königlichen  Gewalt  nur  vortheilhaft  sein  konnte, 
zugleich  —  und  vielleicht  stand  ihm  das  in  erster  Stelle  —  traf  er  so 
nutzbare  Geldanlagen.  Dass  er  dazu  berechtigt  war,  dürfte  unbestreit- 
bar sein.  Eine  absonderliche  Bosheit  oder  tief  angidi^gte  listige  Pläne 
üfegen  die  Baiernfürsten  schloss  also  der  Kauf  Uouaustaufs  kaum  in 
sich;  der  gute  Wirthschafter  kam  ihnen  in  einem  vorzüglichen  Ge- 
schäft zuvor,  doch  war  ihre  Aufregung  darüler  auch  gerecltfertigt, 
Herzog  Albrecht  wollte  den  Vermittler  des  Kaufes,  seinen  ehemaligen 
Vitzthum  Peter  Ecker  dafür  züchtigen,  und  diesem  kam  Karl  zu  Hilfe, 
jedenfalls,  um  sich  zugleich  Donanstauf  zu  sichern.  Doch  ein  friedlicher 
Vergleich,  welcher  dem  Herzoge  Allirecht  von  Oesterreich  den  Schieds- 
spruch übertrug,  erstickte  die  Kriegsflamme,  uud  obgleich  dann  die 
Fehde  wirklich  ausbrach,  machte  Albrecht  l)ald  mit  Karl  Frieden.  Die 
Witteisbacher  kamen  eben  durch  eigene  Schuld,  durch  Uneinigkeit 
und  planloses  Handeln  nicht  vorwärts.  Der  ältere  Ludwig  klammerte 
sich  in  seinen  fortwährenden  Verlegenheiten  an  Oesterreich,  Stephan 
verschluss  seinen  Groll  in  sich,  Albrecht  wurde  bald  durch  die  hollän- 
dischen Verhältnisse  vorwiegend  in  Anspruch  genommen,  während  der 
Kömer  und  Otto  im  Fahrwasser  der  kaiserlichen  Freundschaft  ver- 
harrten. 

Der  Tod  Ludwigs  des  altern  im  September  1361  und  der  seines 
Sohnes  Meiuhard  im  Januar  1363  wurde  für  die  Baiern  Ursache  zu 
neuem  Zwiste.  Herzog  Rudolf  bemächtigte  sich  mit  kühnem  Angriff 
Tirols  ij,  auf  welches  die  gesammten  Witteisbacher  Ansprüche  machten, 


')  Ich  benütze  die  Gelegenheit,  hier  einige  kurze  Bemerkungen  einzulegen. 
Ich  kann  mich  nicht  überzeugen,  dass  die  Urkunde  vom  2.  Sept.  1359,  mittelst 
welcher  Margaretha  Tirol  den  österreichischen  Herzögen  vermachte,  wirklich  an 
diesem  Tage  ausgestellt  ist.  Meiner  Ansicht  nach  ist  sie  erst  nach  Meinha,rds 
Tode  geschrieben;  Rudolf  hatte  ja  Siegel  und  Kanzlei  der  Margaretha  sofort  zu 
seiner  Verfügung.  Ich  will  alle  die  vortrefflichen  (Jründe,  welche  für  die  frühere 
Ausfertigung  vorgebracht  worden  sind,  nicht  noch  einmal  eriirtern;  mich  be- 
stimmt hauptsächlich  der  Umstand,  dass  der  Inhalt  so  ganz  genau  auf  die  durch 
Meinhards  Tod  geschaffene  Lage  passt,  welche  sich  vorher  nicht  berechnen  Hess. 
Die  von  Rudolf  am  21.  Mai  1360  abgegebene  Erklärung,  aufweiche  Riezler  III,  r,R 
be.sonderes  Gewicht  legt,  scheint  mir  keinen  zwingenden  Beweis  zu  erbringen, 
da  sie  dasselbe  über  die  Grafschaft  ßurgund  besagt.  —  Viele  Schwierigkeiten 
hat  die  Bündnissurkunde  vom  31.  December  1361  gemacht,  welche  neuerdings 
Steinherz  604  ff.  auf  den  31.  März  1362  verlegen  will.  Ich  denke,  die  Sache  ist 
recht  einfach :  vnr  haben  in  ihr  eine  Neuausfertigung  des  früher  geschlossenen 
Bündnisses,  in  welcher  Meinhard  und  Kasimir  von  Polen  hinzugefügt  sind.     Die 


76  L  i  n  fl  n  e  r. 

■während  Herzog  Stephan  entgegen  den  bestehenden  Hausverträgeu 
Oberbaiern  in  Besitz  nahm  und  so  tlie  Einheit  der  Familie  sprengte. 
Er  handelte  im  Einverständniss  mit  den  Pfalzgrafen,  welche  des  Kaisers 
Feindschaft  gegen  Herzog  Rudolf  auszunützen  gedachten,  doch  lag 
ihnen  wohl  hauptsächlich  nur  daran,  sich  die  Forderungen,  welche  sie 
noch  an  den  gestorbenen  Ludwig  hatten ,  sicher  zu  stellen.  Stephan 
traten  jedoch  die  eigenen  Brüder  entgegen,  nämlich  Ludwig  der  Römer, 
welcher  aus  Brandenburg  herbeieilte,  und  Otto;  entzog  ihnen  jener 
Meiuhards  Erbschaft,  so  wollten  sie  ihm  mit  gleicher  Münze  vergelten. 
Am  18.  März  nahmen  Ludwig  und  Otto  den  erstgebornen  Sohn  des 
Kaisers,  Wenzel,  und  sonstige  Erben  in  ihre  Brüderschaft  und  Erb- 
schaft auf,  so  dass  diese,  wenn  sie  selbst  ohne  männliche  Erben  stür- 
ben, die  Mark  und  die  Lausitz  erhalten  sollten.  Die  Wahrscheinlich- 
keit, dass  beide  ohne  männliche  Erben  dahinscheiden  würden,  war 
freilich  nicht  gross,  da  der  Römer  zwar  noch  kinderlos,  aber  seit 
wenigen  Jahren  in  zweiter  Ehe  vermählt  und  erst  33  Jahre  alt  war, 
Otto  wenig  mehr  als  zwanzig  Jahre  zählte.  Er  wurde  gleichzeitig  ver- 
lobt mit  des  Kaisers  fünfjähriger  Tochter  Elisabeth,  der  einzigen,  über 
deren  Hand  Karl  verfügen  konnte.  Die  beiden  Brüder  brachten,  ab- 
gesehen von  der  Schädigung  der  Familie,  kein  persönliches  Opfer;  Otto 
gewann  die  Aussicht  auf  eine  reiche,  vornehme  Frau  und  auf  einige 
weitere  Vortheile :  ob  auch  Ludwig  eine  Belohnung  erhielt,  geht  aus 
den  Verträgen  nicht  hervor.  Er  befand  sich  in  sehr  schlechten  Geld- 
verhältnissen;  die  Mark  war  so  gründlich  abgewirthschaftet,  dass  er 
schon  vorher  üire  Verwaltung  auf  drei  Jahre  dem  klugen  Magdeburger 
Erzbischof  Dietrich  übertragen  hatte i). 


Theilnahme  Meinhards  hat  von  jeher  besondem  Anstoss  erregt  (vgl.  auch  Riez- 
1er  III,  61);  seit  seiner  im  October  1362  erfolgten  Flucht  aus  Baiern  hatte  er 
freie  Hand  und  es  ist  nicht  zu  verwundem,  dass  er  nun  bei  Rudolf  und  Ungarn 
durch  engsten  Anschluss  Unterstützung  suchte.  Im  November  steht  Rudolf  mit 
ihm  in  Verbindung  (vgl.  Huber,  Vereinigung  Tirols  215  n.  260);  um  diese  Zeit 
mag  die  Neuausfertigung  auf  alter  Grundlage  erfolgt  sein.  Der  ursprüngliche 
Text  ist  enthalten  in  König  Ludwigs  Erklärung  von  1367  bei  Du  Mont  Corps 
dipl.  2a,  67;  nur  fehlen  hier  Datum  und  Zeugen.  Obgleich  das  Original  ver- 
loren war,  so  hat  doch  die  ungarische  Kanzlei  eine  Abschrift  besessen,  \vie  na- 
türlich. Die  neu  ausgestellte  Urkunde  trägt  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  das 
alte,  echte  Datum;  ob  auch  die  Zeugen  einfach  herüber  genommen  sind,  lässt 
sich  kaum  entscheiden.  Da  Herzog  Friedrich  am  10.  December  1362  starb,  wird 
dies  Schrittstück  vor  diesem  Tage  ausgestellt  sein.  —  Uebrigens  bestätigt  auch 
der  Wortlaut  des  Briefes,  mit  welchem  Margaretha  am  3.  Februar  1363  in  das 
Bündniss  an  Stelle  ihres  gestorbenen  Sohnes  trat,  durchaus  meine  Auffassung. 

3)  Tlieuner,  Der  Uebergang  der  Mark  Br.  etc.,  Diss.  Berlin  1887,  hat  diese 
Verhältnisse  sehr  klar  und  verständig  behandelt. 


Karl  IV.  \mA  die  Wittelsbaclier.  77 

Die   grosse   Frage   ist   nur,    ob   Karl    damals    den    Brüdern   ver- 
sprochen hat,  ihnen  für  die  Gewinnung  Oberbaierns  Beistand  zu  leisten. 
Eine  Urkunde    ist    darüber   nicht   vorhanden.     Die  beiden  Brüder  ge- 
lobten dem  Kaiser  als  König  von  Böhmen  Beistand  gegen  Jeden,  der 
ihn  in  seinen  Fürstenthümerii  und  Kechten  schädigen  werde,    und  es 
ist  nach  dem  damaligen  Brauche  zuverlässig  anzunehmen,  dass  er  ihnen 
eine  entsprechende  Gegenurkuude  gab.     Auf  sie  spielt  offenbar  später 
Markgraf  Otto  an,  wenn  er  behauptete,  der  Kaiser  habe  ihnen  in  be- 
siegelter Urkunde    den  Schutz    ihrer   Lande    in   Brandenburg,    Lausitz 
und  Baiern  zugesagt.     Gemeiniglich  hat  man  das  so  gedeutet,  dass  er 
ihnen  eine  gewisse  Zusage  gegeben,  zur  Erlangung  ihres  oberbaierischeu 
Erbes  behilflich    zu  sein').     Sicherlich    erkannte   er    mit   den  Worten, 
dass  er  sie   in  ihren  Besitzungen    in  B  a i e r n    schirmen    wollte ,    ihre 
Erbschaftsrechte  an,    da  sie  dort  sonst  nichts  besassen ,    aber  er  über- 
nahm nicht  die  Verpflichtung,    ihnen  den  Besitz  zu  erkämpfen,  sonst 
würde  Otto    mehr   davon    zu    sagen    wissen.     Vermuthlich  wurden  die 
Brüder    auf  den  Rechtsweg   gewieseu,    wie  auch  spätere  Aeusserungeu 
Karls  schliessen  lassen,    denn    ob    die  anderen  Familienmitglieder  den 
einst  von  Ludwig  dem  altern  mit  dem  Römer  und  Otto  geschlossenen 
Erbvertrag  anerkannten,    ist  sehr  zweifelhaft,    da  die  Vermehrung  der 
Erbschaf tsraasse  durch  Tirol  ohnehin  die  Sache  weitschichtiger  machte. 
Ludwig  der  ältere  hatte  seinen  Verwandten   nie  ein  Anrecht    an  letz- 
teres Land  eingeräumt,  gleichwohl  beanspruchten  sie  es  jetzt.    "Wahr- 
scheinlich liess  der  Kaiser   auch    die  Tiroler  Frage    offen,    den  Erfolg 
des  bevorstehenden  Waffeuganges  abwartend.    Es  ist  zu  beachten,  dass 
Pfalzgraf  Ruprecht,    Herzog  Stephan  und  sein  Sohn  Friedrich    alsbald 
die  kaiserliche  Urkunde,    welche  den  über  Brandenburg  geschlossenen 
Vertrag  genehmigte,  mit  ihrer  Zeugenschaft  bekräftigten-);    sie  waren 
also   einverstanden    und   müssen   demnach   l)eruhigende  Zusi(  herungei» 
erhalten    haben,    oder   wetteiferten    mit   den  anderen    im    Buhlen    um 
Karls  Gunst.     Für   gehoffte   Entschädigung    in   Oberbaiern    und   Tirol 
gaben  sie  selber  die  unsichere  Aussicht    auf  Brandenburg   auf.     Unter 
allen  Umständen   errang  Karl   einen  schönen  Erfolg,    den   aus  purem 
Edelmuth    abzuweisen  er  sicherlich  nicht  verpflichtet  war.     Es  konnte 
nicht  seine  Sache  sein ,    die  Wittelsbaclier    über    ihre  Thorheit    aufzu- 
klären   und  abzulehnen,    was  sie  ihm  fi'eiwillig    darbrachten.     Sie  er- 
11  löglichten  ihm  durchaus  eine  Politik  freier  Hand. 

Herzog  Stephan,  verbündet  mit  seinem  Bruder  Albreclit,  der  auch 
nicht  leer  ausgehen  wollte,    und    unterstützt    von    PfalzgTaf    Ruprecht 


1)  So  auch  Riezlev  III,  73.  »)  Riedel  II,  6,  95. 


Yg  1;  in  einer 

und  Jinro-gnif  l^Viedrich  von  Kürnljerg,  versuchte'  im  Herbste  Tirol  zu 
erobern,  doch  trotz  einiger  glücklichen  Wuifcnthaten  v^urde  der  Haupt- 
zweck nicht  erreicht.  Wieder  wandte  er  sich  an  den  Kaiser,  der  wohl 
versprach,  Ludwig  und  Otto  abzuhalten,  während  des  Streites  um  Tirol 
Oberbaiern  zu  beanspruchen,  doch  Tirols  wegen  keine  Zusage  machte. 
Denn  er  trug  Anderes  im  Sin]i.  Bald  darauf,  im  Februar  1364,  er- 
folgte der  berühmte  Friedensschluss  zu  Brunn,  Karl  belehnte  Herzog 
Rudolf  mit  Tirol  „  in  Rücksicht  auf  die  nahe  A'erwandtschaft  mit  Mar- 
»aretha  und  dgren  Bestimmung-.  Die  Baiern  waren  gewiss  arg  ent- 
täuscht und  sahen  sich  in  ihrer  Rechnung  betrogen.  Aber  bestimmte 
Zusicherungen  hatten  sie  nicht  erhalten,  und  man  muss  sagen,  dass 
die  Entscheidung,  welche  der  Kaiser  über  Tirol  traf,  das  Recht  nicht 
verletzte,  so  sehr  sie  seinem  persönlichen  Vortheil  diente.  Wie  heillos 
zerrüttet  die  wittelsbachischen  Familienzustände  waren,  zeigte  sich  bald 
darauf,  indem  Ludwig  und  Otto  unter  A'erzichtleistung  auf  Tirol  mit 
dem  Oesterreicher  einen  Kriegsbund  gegen  Stephan  schlössen.  Karl 
hat  dazu  seine  Genehmigung  gegeben,  denn  kurz  \orher  theilten  unter 
seinem  Beirath  die  Brüder  ihre  braudenljurgisehen  Lande  und  später- 
hin bestimmte  er,  was  Markgi-af  Otto  von  dem  väterlichen  Erl)e  in 
Oberbaiern  gewinne,  solle  auch  dem  Bruder  zu  gute  kommen.  Ks 
scheint  demnach,  als  ob  auch  diese  Brüder  nicht  recht  einig  waren, 
aber  dass  Karl  ihre  Zwietracht  künstlich  hervorgerufen  oder  genährt, 
wie  manche  Forscher  wissen  wollen,  ist  <lurch  nichts  erwiesen;  die 
letztere  Verfügung  spricht  sogar  dagegen. 

Am  17.  Mai  1365  starb  Ludwig  der  Römer.  Da  Otto  thatenlos 
verharrte,  behielt  Stephan  Oberbaiern  unangefochten.  Karl  mischte 
sich  in  diese  Dinge  nicht  weiter,  ebensowenig  in  den  nachfolgenden 
Krieo-  um  Tirol,  wie  er  in  ähulichen  Fällen  bei  fürstlichen  Streitig- 
keiten eine  abwartende  Stellung  einnahm.  Uui  Otto  zu  seinem  Rechte 
zu  verhelfen,  hätte  er  selber  die  Waffen  ergreifen  müssen,  da  Stephau 
Oberbaiern  mit  Einwilligung  der  dortigen  Stände  vollkommen  in  Be- 
sitz hatte.  Da-s  er  damit  dem  Baiernlande  am  übelsten  gedient  hätte, 
ist  klar,  aber  wir  wissen  auch  nicht,  dass  er  nachher  irgendwie  ver- 
sucht hat,  Otto  voi-zuschieben,  um  die  Herzöge  zu  beunruhigen,  was 
er  kaum  unterlassen  hätte,  wenn  wirklich  sein  eigentlicher  und  einziger 
Zweck  war,  die  Baiern  fortwährend  zu  bedrängen  oder  sie  unter  einan- 
der zu  verhetzen. 

Otto  stand  damals  in  bester  Freundschaft  zur  kaiserlichen  Familie, 
bei  welcher  er  sich  oft  und  lange  aulhielt.  Der  erblose  Tod  l^udwigs  ver- 
mehrte allerdings  die  Aussicht,  dass  die  Mark  dereinst  an  das  luxem- 
buro-ische  Haus  fallen  köune.   und   seitdem  ihm  endlieh  1361  in  Weu/el 


I 


Kart  IV.  und  die  Witfelsbacher.  7q 

ein  tSolm  geboren  werden,  trachtete  Karl  mit  noch  grötiserem  Eifer 
danach,  seine  Hausmacht  zu  vermehren.  Trotzdem  nöthigen  die  Ab- 
machungen, welche  er  mit  Otto  traf,  in  keiner  Weise  zu  der  Annahme, 
dass  er  beabsichtigte,  durch  sie  die  künftige  Erwerbung  der  Mark  noch 
bei  Lebzeiten  Ottos  vorzubereiten.  Das  Land  befand  sich  ncch  immer 
in  trostlosen  Verhältnissen  und  die  krieo-erischeu  ünternehmuno-en  in 
Baiern  mochten  das  fürstliche  Vermögen  noch  mehr  angegriffen  haben- 
Ob  es  dem  jungen  Fürsten  gelingen  würde,  die  ßegierung  des  ihm 
nun  ganz  anheimgefallenen  Landes  mit  Erfolg  zu  führen,  war  erst  ab- 
zuwarten, und  er  scheint  sich  selbst  nicht  die  Kraft  zugetraut  zu  haben. 
Wie  er  und  Ludwig  es  schon  drei  Jahre  vorher  in  ihrem  Abkommen 
mit  dem  Magdeburger  Erzbischofe  gehalten ,  so  üljertrug  Ot.o  im 
October  13(35  auf  sechs  Jahre  das  Landesregiment  dem  Kaiser,  der 
einen  Rath  aus  Fremden  ernannte.  Otto  war  mit  Karl  befreundet, 
dessen  künftiger  Schwiegersohn;  nichts  war  demnach  natürlicher,  als 
dass  er  sich  in  seiner  Verlegenheit  ihm  anvertraute,  und  ebenso,  dass 
Karl  dem  künftigen  Manne  seiner  Tochter  Beistand  und  Beirath  leistete. 
Hatte  doch  auch  seiner  Zeit  Ludwig  der  ältere  in  schwierigen  Ver- 
hältnissen dem  Herzoge  Albrecht  von  Oesterreich  die  Verwaltung  Ober- 
baierns  auf  drei  Jahre  anvertraut  und  Niemand  hat  daraus  den  Schluss 
gezogen,  dass  Albrecht  das  Land  an  sich  reissen  wollte. 

Durch  den  vorzeitigen  Tod  des  Herzogs  Rudolf  war  die  älteste 
Tochter  Karls,  Katharina,  zur  Wittwe  geworden.  Karl,  der  wie  die 
anderen  Fürsten  seiner  Zeit  die  Verlobungen  seiner  Kinder  zu  einem 
politischen  Geschäft  machte  und  einen  förmlichen  Schacher  damit  trieb, 
wünschte  den  ältesten  Bruder  des  Verstorbenen  in  gleicher  Weise  an 
sich  zu  fesseln.  Da  aber  Herzog  Albrecht  nicht  gut  seine  verwittwete 
Schwägerin  heii-atheu  konnte,  so  wurde  ihm  die  junge  Elisabeth,  die 
Braut  Ottos,  bestimmt,  denn  dieser  konnte  nun  durch  Katharina  des 
Kaisers  Schwiegersohn  werden.  Wie  Karl  erklärt,  hat  Otto  selbst  diesen 
Wunsch  ausgesprochen,  und  es  lässt  sich  leicht  denken,  dass  der  Mark- 
gi-af  es  vorzog,  die  junge  schöne  Frau,  welche  ihm  gleichalterig  war  und 
mit  der  er  die  Ehe  sofort  vollziehen  k(jnnte,  heimzuführen,  statt  des 
ihm  zugesagten  achtjährigen  Kindes.  Zu  bedauern  war  bei  diesem 
Handel  vielleicht  Katharina,  denn  nach  einem  Rudolf  war  dieser  Otto, 
an  den  sie  gekettet  wurde,  kaum  ein  ihr  zusagender  Ehemann.  Aber 
Karl  war  ein  listiger  Rechner :  da  Katharina  in  der  ersten  Ehe  kinder- 
los geblieben,  so  erwartete  er,  dass  sie,  das  vierimdzwanzigjährige  Weib, 
in  der  zweiten  Ehe  ebenso  unfruchtbar  sein  würde!  D.is  ist  in  der 
That  von  neueren  Geschichtsschi-eibern  behauptet  worden. 

hn  folgenden  Jahre  verkaufte  Ottr»  die  Niederlausitz  an  Karl.    Das 


gQ  fj  1  n  d  n  e  r. 

Laud  war  Klngst  verpfändet,  an  eine  Auslösung  durch  brandenbur- 
gisches Geld  nicht  zu  denken,  und  Karl  bezahlte  sehr  anständig  auf 
Heller  und  Pfennig,  so  dass  dem  Markgrafen  ein  hübscher,  barer  üeber- 
schuss  blieb.  Eines  sonderlichen  Zwanges  wird  es  für  Otto  demnach 
kaum  bedurft  haben  ^) :  auch  seine  niederländischen  Besitzungen  ver- 
kaufte er  damals  an  den  Bruder  Albrecht-). 

Als  Karl  seine  zweite  Romfahrt  antrat,  gebar  seine  Gemahlin 
Elisabeth  einen  Sohn,  Sigmund,  1370  kam  noch  ein  dritter  Knabe, 
Johann,  also  ein  neuer  Antrieb  für  ihn,  seinen  Besitz  zu  mehren. 
Der  lange  gehegte  Plan,  Otto  die  Mark  zu  entreissen,  soll  demnach 
iu  ihm  nun  erst  recht  Stärke  und  Kraft  gewonnen  haben.  Wir  kommen 
damit  zu  dem  Schluss  des  langen  Schauspiels.  Mehr  noch  als  h-gend 
ein  anderes  Werk  Karls  gegenüber  den  Baiern  ist  die  Erwerbung  der 
Mark  als  Ausfluss  bösartiger  Treulosigkeit,  verbunden  mit  roher  Gewalt, 
betrachtet  worden.  Sie  bietet  die  meisten  Schwierigkeiten  für  Erkennt- 
uiss  und  Urtheil,  denn  die  Nachrichten  sind  —  abgesehen  von  einem 
kurzen  Zwischenspiel  —  dürftig  und  unzusammenhängend.  Die  Haupt- 
person, Markgraf  Otto  selbst,  ist  mehr  die  leidende  als  die  handelnde, 
er  steht  weit  zurück  im  Hintergründe  und  von  seineu  Absichten  und 
Gedanken  erfahren  wir  wenig  genug.  Der  Streit  um  die  Mark  ist 
zugleich  eingehüllt  in  eine  weitverzweigte  politische  Verflechtung,  welclie 
grosse  liäthsel  birgt. 

Die  wesentliche  Frage  ist  die :  vod  welcher  Seite  wurde  der  Bruch 
zwischen  Markgi-af  und  Kaiser  veranlasst,  wer  von  beiden  trug  die 
Schuld  daran  oder  wirkten  andere  Einflüsse  ein? 

Wir  erinnern  uns,  dass  Otto  im  October  13G5  dem  Kaiser  die 
Verwaltung  der  ]\lark  aul'  sechs  Jahre  übertrug.  Karl  setzte  einen 
Kath  ein,  an  dessen  Spitze  Graf  Heinrich  von  Schwarzburg  stand,  und 
des  Grafen  wie  der  anderen  Bevollmächtigten  Namen  finden  sich  in  den 
meisten  Urkunden,  welche  der  Markgraf  iu  der  Folgezeit  erlassen  hat. 
Doch  ergingen  sie  unter  seinem  Namen  und  Siegel,  er  selbst  nahm 
seit  1367  seinen  ständigen  Sitz  in  der  Mark  und  blieb  also  wenig- 
stens äusserlich  der  Kegent  des  Landes,  und  es  ist  kaum  auzuuehmen, 
dass  er  ganz  willenlos  jenem  Beirathe  unterworfen  war.  Im  Herbste 
1368,  also  ehe  die  sechs  Jalire  abgelaufen  Avaren  und  während  der 
Kaiser  in  Italien  verweilte,    tritt  eine  Aeuderuug   ein;   jene  von  Karl 


I)  Hcholz,  Erwerbung  der  Mark  Brandenburg  (lurch  Karl  IV.,  Diss.,  Breslau 
1874  y.  IJt  will  freilich  die  spätere  Aussage  Uttos,  der  Kaiser  habe  sich  mit  Ge- 
walt seines  Landes  untei-wundeii  und  darauf  eine  Brücke  bauen  lassen,  mit  diesem 
Kauf  in  Verbindung  bringen.    Vgl.  darüber  unten.  -)  Allgemeine  Deutsche 

Biogi-aphie  XXIV,  665. 


Itarl  IV.  and  die  Witteisbacher.  gj[ 

ernannten  Männer  verscliwinden  aus  den  markgräfiichen  Urkunden,  an 
ihrer  Stelle  stehen  andere  Käthe,  unter  ihnen  der  Hofmeister  Klaus 
von  Bismarck.  Zugleich  beginnt  der  Markgraf  eine  grössere  politische 
Thätigkeit  zu  entfalten  zu  Gunsten  des  Dänenköuigs  Waldemar  und 
des  Braun  Schweiger  Herzogs  Magnus;  er  tritt  in  Gegnerschaft  zu  den 
Herzögen  von  Mecklenburg  und  Pommern  i).  In  einem  Vertrage  dieser 
Zeit  verpflichtet  er  sich  für  „  seine  rechten  Erben ",  aber  er  nennt  sie 
nicht-). 

Ende  13G8  also  geht  mit  Otto  eine  Veränderung  vor  sich,  und 
nichts  wäre  wichtiger,  als  ihre  Gründe  zu  erkennen.  Gab  ihm  die 
Abwesenheit  des  Kaisers  dazu  Antrieb  und  Muth?  Ohnehin  wirkte 
damals  auf  ihn  nicht  der  dem  Kaiser  dienstwillige  Einfluss  eines  Maffde- 
burger  Erzbischofs,  denn  der  dortige  Stuhl  war  erledigt  und  der  vom 
Papste  auf  Karls  Wunsch  ernannte  neue  Erzbischof  Albrecht  IL  von 
Sternberg  hielt  erst  im  Dezember  1368  seinen  Einzug  ^).  Doch  ein 
Mann  von  so  geringer  Begabung  und  Leistungsfähigkeit,  wie  Otto  war, 
handelte  kaum,  wenn  ihn  nicht  Andere  vorwärts  drängten. 

Zu  der  Zeit,  als  Otto  sein  Kegiment  umgestaltete,  oder  kurz  vor- 
her gab  es  in  der  Mark  Unruhen.  Am  18.  November  1368  schrieb 
ihm  nämlich  Papst  Urban  V.  einen  zärtlichen  Brief,  sein  Beileid  aus- 
sprechend „de  suscitatis  in  tuo  marchionatu  adversitatibus " ;  es  sei  an- 
zunehmen, dass  „die  gegen  ihn  Rebellirenden  ihren  Aufruhr  erhoben 
hätten  wegen  des  Krieges,  welchen  Ottos  eigene  Verwandten  gegen 
die  geliebten  Söhne,  die  Herzöge  von  Oesterreich,  führten"^).  Das 
heisst  doch  nichts  anders,  als  dass  der  Kaiser,  der  damals  mit  dem 
Papste  zusammen  in  Rom  war  und  ganz  auf  des  Markgrafen  Ergeben- 
heit rechnete  wie  er  auch  den  Habsburgern  hold  gesinnt  war,  ver- 
muthete,  die  Störungen  in  der  Mark  seien  durch  die  Baiern  hervor- 
gerufen. Der  Schiuss  ist  kaum  zu  kühn,  dass  diese  „Rebellen"  den 
Umschwuug  in  der  Landesverwaltung  bewirkten,  die  Abwesenheit  des 
Kaisers  benützend.  Die  Märker  sahen  die  fremde  Herrschaft  uns-ern, 
und  so  werden  sie  dem  Markgrafen  die  neuen  Räthe  aufgedrungen 
haben.  Schon  Ludwig  der  Römer  wurde  von  dem  märkischen  Adel 
gezwungen,  die  Landesregierung  nach  dessen  Willen  zu  gestalten  &). 

Als  der  Kaiser  im  August  1369  aus  Italien  zurückkehrte,  fand  er 
sehr  bedenkliche  Zustände  vor.  König  Kasimir  von  Polen,  besorgt, 
weil  durch  den  im  Juli  1368   erfolgten  Tod    des   Herzogs   Bolko   von 


')  Scholz    21  fF.                2)    Am    10.  November    1368;    Sudendorf  III   n.  393. 

'■')  Städtechroniken  VII.  Magdebnrcr  258.  ")  Steinherz  a.  a.  0.  624.         ^)  Thenner 
24  ff. 

AUttheilungeu  XII.  6 


§^  L  i  n  d  n  e  r. 

Schweidnitz  -  Jauer  dessen  schlesisclie  Herzogtliüiner  und  die  Nieder- 
lausitz an  die  Luxemburger  gefallen  waren ,  hatte  im  Februar  1369 
mit  Ludwig  von  Ungarn  ein  Bündniss  gegen  Karl  gemacht.  Dieser 
erfuhr  in  Italien  die  böse  Nachricht  und  suchte  die  beiden  Gegner  zu 
trennen,  indem  er  für  seinen  Sohn  Wenzel  eine  der  unehelichen  Töchter 
Kasimirs,  welche  der  Papst  legitimiren  sollte,  begehrte ! ')  Wenzel  war 
verlobt  mit  Elisabeth,  der  Nichte  Ludwigs,  welche  bisher  als  die  Erbin 
Ungarns  angesehen  wurde.  Wahrscheinlich  hatte  jedoch  inzwischen 
Ludwig  seine  erste  Tochter  erhalten-),  so  dass  Elisabeths  Hand  nicht 
mehr  so  viel  bedeutete,  wie  früher,  und  Karl  ganz  gern  seinen  Erst- 
gebornen fruchtbringender  verheiratet  hätte.  In  Ungarn  nahm  man  die 
Sache  sehr  übel  und  verlangte  die  Aufhebung  der  frühereu  Verlobung, 
welche  auch  Anfang  1370  erfolgte^).  In  diesem  Zerwürfniss  mit  Un- 
garn kam  Karl  über  die  Alpen,  und  gleich  darauf  fuhren  die  beiden 
Pfalzgrafen  und  die  Herzöge  Friedrich  und  Stephan  die  Donau  hinab 
nach  Pressburg,  wo  sie  am  13.  September  13()9  mit  König  Ludwig 
Bündnisse  schlössen.  Bekannt  ist  von  den  auf  Witteisbacher  Seite  ge- 
gebenen Urkunden  nur  die  der  Pfalzgrafen.  Sie  schliessen  den  Ver- 
trag zum  Schutz  ihres  gegenwärtigen  und  künftigen  Besitzes  und 
wollen  dem  Könige  und  dessen  Bruder  beistehen  gegen  jedweden  Au- 
greifer, doch  nur  innerhalb  der  Nachbarschaft  ihrer  Gebiete.  Sie 
nehmen  aus  Kaiser  Karl,  „dominum  nostrum  gratiosum",  das  Eeich 
und  alle  baierischen  Herzoge,  Entsprechend  lautet  der  Gegenbrief  Lud- 
wigs, von  welchem  auch  eine  gleiche  für  Herzog  Albrecht  von  Baiern- 
Holland  ausgestellte  Versicherung  vorliegt;  er  nimmt  dabei  nur  König 
Kasimir  von  Polen  aus^).  Gewiss  gab  es  noch  Urkunden  für  die  an- 
deren Baiern. 

Die  räumliche  Bestimmung  und  Begrenzung  der  zu  leistenden  Hilfe 
zeigt,  dass  die  Verbündeten  nur  an  Gegner  dachten,  welche  sowohl  mit 
Ungarn,  wie  mit  Baiern  grenzten.  Das  thaten  nur  der  Kaiser  und 
die  Oesterreicher.  Gegen  letztere  hatten  sich  ja  auch  Ludwig  und  die 
Baiern  schon  einmal,  1367,  vereinigt,  aber  jetzt  schlössen  die  Baiern 
bei  ihrer  Rückkehr  aus  Ungarn  mit  den  Habsburgern  Tirols  wegen 
einen  ohnehin  schon  vorbereiteteu  Frieden  ab,  in  welchem  sie  das 
Land  gegen  eine  grosse  Entschädigung  aufgaben. 

Trotz  des  Vorbehalts  über  den  Kaiser  kann  demnach  nur  an  Karl 
als  Gegner  gedacht  sein,    und   es   ist  vielleicht   nicht  allzu  spitzfindig. 


*)  Steinherz  574  ft'.  -')    Da   Ende    1371    Ludwig    bereits    zwei   Töcliter 

hatte,  mu88  die  ältere  spätestens  1369  geboren  sein.  In  den  über  diese  Sache  ge- 
wechselten Schriftstücken  findet  sich  keine  Andeutung  davon.  ^)  Steinherz  577. 
■•)  Huber,  Reg.  RS.  500,  Suppl.  RS.  738,  73!i. 


Karl  IV.  lind  die  Witteisbacher.  p,^ 

zu  bemerken,  dass  nicht  auch  seine  Söhne  und  das  Königreich  Böhmen 
ausgenommen  werden.  Hat  nun  Ludwig  die  Witteisbacher  oder  haben 
diese  den  König  gesucht?  Ich  denke,  das  letztere  war  der  Fall,  da 
sonst  wohl  die  Ptalzgrafen  nicht  die  weite  Fahrt  gemacht  hätten.  Was 
bestimmte  sie  nun,  einen  Schritt  zu  unternehmen,  der  Karl  nicht  ver- 
borgen bleiben  konnte ,  und  selbst  wenn  ihm  der  gemachte  Vorbe- 
halt gezeigt  wurde,  seinen  Verdacht  erregen  musste?  Mau  sagt  ge- 
wöhnlich: sie  wollten  Brandenburg  ihrem  Hause  retten.  Aber  in  den 
Urkunden  steht  kein  Wort  weder  von  der  Mark  noch  von  Otto,  von 
dem  auch  sonst  nirgends  verlautet,  dass  er  schon  damals  dem  Bunde 
beitrat.  Und  sollte  König  Ludwig  ein  besonderes  Verlangen  verspüren, 
um  dieses  weit  entfernte  Land  mit  dem  Kaiser  zu  kriegen?  Hm  lockte 
vielmehr  die  Aussicht,  den  mächtigen  Kachbar,  mit  welchem  er  zer- 
fallen war,  zu  beschäftigen,  um  seine  Absichten  in  Italien  ungestört 
verfolgen  zu  können. 

Eäthselhaft  ist  vor  allem  die  Theilnahme  des  Pfalzgrafen  Kuprecht 
und  —  fügen  wir  gleich  hinzu  —  sein  ganzes  Verhalten  in  der  Folge- 
zeit. Gerade  auf  ihn  gibt  König  Ludwig  fortwährend  besonders  viel 
und  auf  ihn  nimmt  er  bei  den  späteren  Verhandlungen  mit  Karl  sorg- 
liche Kücksicht.  Dass  den  thatkräftigen  Pfalzgrafen  nicht  die  Inter- 
essen des  Gesamthauses  Witteisbach  bestimmten,  ist  mehr  als  wahr- 
scheinlich, denn  früher  hatte  er  sich  um  solche  wenig  genug  gekümmert. 
Wenn  er  sich  an  dem  Streit  um  Tirol  und  Oberbaiern  betheiligte,  so 
geschah  das,  weil  er  auf  die  Hinterlassenschaft  des  älteren  Ludwig  An- 
sprüche hatte,  doch  das  Schicksal  Brandenburgs,  von  dem  er  für  sich 
und  seine  Nachkommen  nichts  zu  erhoffen  hatte,  beunruhio-te  ihn 
kaum.  Es  war  ja  auch  keineswegs  als  schon  verloren  zu  betrachten, 
da  Otto  noch  Kinder  erzeugen  konnte.  Zu  dem  Bündniss  trieb  ihn 
vielmehr  die  eifersüchtige  Gegnerschaft  gegen  den  Kaiser,  welche  er 
seit  mehreren  Jahren  hegte.  Nicht  gerade,  dass  er  den  Thron  be- 
gehrte oder  Karl  von  ihm  herunterstossen  wollte;  seine  Politik  stellte 
sich  nicht  einen  scharf  umrissenen  Plan,  sondern  den  Kern  noch  nebel- 
hafter Entwürfe  bildete  die  Begierde,  seiue  eigene  Macht  um  jeden 
Preis  zu  mehren  und  den  Kaiser  dazu  willfährig  zu  machen.  Mit  ihm 
machte  auch  Erzbischof  Gerlach  von  Mainz  Partei,  und  was  s'ms  diesen 
die  augenblickliche  Lage  Brandenburgs  an?  Es  ist  gesagt  worden, 
sie  wollten  dem  luxemburgischen  Hause  nicht  zwei  Kurstimmen  über- 
lassen. Da  sie  jedoch  den  Vertrag  von  1363  ohne  Vorbehalt  bestätigt 
hatten,  müsste  ihnen  diese  Sorge  erst  später  gekommen  sein.  Nach- 
her   hat    man    allerdings    dieses    Verhältuiss    im    Reiche    übel    ver- 

6' 


g4  L  i  n  d  n  e  r. 

merkt  ^),  aber  es  ist  nicht  anzunehmen,  dass  es  schon  damals,  wo  noch 
alles  in  weiter  Ferne  lag,  besonders  erwogen  wurde.  Eben  weil  dem 
Bunde  mehr  ein  allgemeines  Unbehagen  über  Karl,  als  ganz  bestimmte 
Pläne  zu  Grunde  lagen,  erwies  er  sich  nachher  so  wenig  haltbar. 

Anders  steht  es  mit  den  Baieru ;  sie  mögen  von  vornherein  haupt- 
sächlich an  die  Mark  gt  dacht  haben.  Unter  ihnen  trat  seit  einiger 
Zeit  als  thatkräftige,  an  Entwürfen  reiche  Persönlichkeit  der  Herzog 
Friedrich  hervor,  der  zweite  Sohn  Stephans  II,,  viel  bedeutender  als 
seine  Oheime,  seine  Brüder  und  Vettern.  Im  Sommer  1368  hatte  er 
auf  Seite  der  Visconti,  seiner  Verwandten,  den  Kaiser  in  Italien  be- 
kämpft, schliesslich  Ende  August  den  Frieden  vermittelt,  nachher  an 
dem  Angriffe  gegen  Tirol  theilgeuommen. 

Es  ist  nicht  undenkbar,  dass  Friedrich  im  stillen  Einvernehmen 
mit  Bernabo  Visconti  handelte  und  Karl  hat  das  späterhin  geradezu 
dem  Papste  augedeutet.  War  der  Kaiser  in  Deutschland  beschäftigt, 
so  konnte  er  in  Italien  nicht  eingreifen,  aber  der  kluge  Gewalthaber 
von  Mailand  mochte  auch  weiter  denken.  Gefährlicher  als  der  Kaiser 
war  König  Ludwig  von  Ungarn,  dem  Italien  nicht  weniger  am  Herzen 
lag,  als  die  slavischen  Länder,  und  der  sich  allzeit  erbot,  dem  Papste 
gegen  die  Visconti  zu  helfen.  Gelang  es,  Ludwig  gründlich  mit  Karl 
zu  verfeinden,  seine  Thätigkeit  von  der  Lombardei  ab  nach  Deutsch- 
land zu  lenken,  dann  konnte  Mailand  sich  ungetrübter  Euhe  erfi-euen. 
So  waren  die  Fäden  des  Netzes,  welches  den  Kaiser  fangen  sollte, 
mannigfach  und  wunderbar  zusammengetragen. 

Wollte  man  Karl  in  Verlegenheit  setzen,  lag  es  ohnehin  nahe 
genug,  ihn  mit  Markgraf  Otto  oder  dessen  Lande  zu  verfeinden,  und 
weiteres  konnte  sich  dann  ergeben.  Die  Unruhen  in  der  Mark  kamen 
zur  rechten  Zeit,  aber  es  bleibt  ungewiss,  ob  sie  selbständigen  Ur- 
sprunges oder  von  den  Baiern  angestiftet  waren. 

Zurückgekehrt  fand  der  Kaiser  die  Aenderungen  in  der  Mark  vor, 
welche  er  seinerseits  den  baierischen  Umtrieben  zuschrieb.  Er  machte 
dafür  jedenfalls  den  Markgrafen  verantwortlich,  der  zwischen  Scylla 
und  Charybdis  sass,  zwischen  dem  zürnenden  Schwiegervater  und  dem 
unbotmässigen  Adel  seines  J^andes.  Leider  fehlt  uns  jede  Kenntniss,  wie 
es  in  dieser  Zeit  zwischen  Karl  und  Otto  stand  und  jede  Spur  von 
etwaigen  Verhandlungen  zwischen  ihnen.  Die  neuen  l^äthe  blieben  in 
Aemtern  und  Thätigkeit,  und  Karl  hatte  daher  Grund  zu  zürnen  uud 
sich  vorzusehen. 


')  Loserth  in  Mittheü.  d.  V.  f.  Gesch.  d.  Deutschen  in  Böhmen,  IG.  Jahrg. 
S.  172. 


Karl  IV.  und  die  Wittelsljacher.  85 

ImFehruar  1370  eilte  er  in  die  Lausitz,  kaufte  dort  das  an  der  Oder 
oberhalb  von  Frankfurt  gelegene  Städtchen  Fürstenberg,  befestig-te  es 
und  baute  eine  durch  ein  Kastell  wohlverwahrte  Brücke  über  den 
Strom.  Als  Landesherr  der  Lausitz  hatte  er  zum  Kaufe  und  zur  Be- 
festigung das  Eecht;  die  Brücke  berührte  indessen  am  jenseitigen  Ufer 
Ottos  Land,  doch  konnte  sich  der  Kaiser  auf  das  ihm  übertragene 
Recht  der  Verwaltung  berufen^).  Der  Brückenbau  war  im  Augenblick 
vielleicht  mehr  gegen  Polen  berechnet,  als  gegen  die  Mark,  doch  war 
er  auch  für  diese  bedrohlich,  wenn  es  mit  dem  Kaiser  zu  Feindschaft 
kam.  Daher  erregte  die  Massregel  gewaltiges  Aufsehen,  ein  Zeichen, 
dass  bereits  Schlimmes  befürchtet  wurde ^). 

Karl  traf  noch  andere  Vorkehrungen,  welche  au  sich  gerecht- 
fertigt waren.  Am  14.  Mai  zu  Guben  Hess  er  sich  von  den  pommer- 
schen  Herzogen  Bogislaw  und  Kasimir  gegen  zugestandene  Vortheile 
Beistand  geloben  für  den  Fall,  dass  Otto  über  seine  Lande  anders  ver- 
fügen wolle,  als  er  zu  Gunsten  der  kaiserlichen  Kinder  getlian^). 

Dorthin  nach  Guben  kam  auch  auf  Aufforderung  des  Kaisers 
Herzog  Magnus  von  Braunschweig.  Karl  hatte  schon  vor  längerer 
Zeit  den  Kurfürsten  von  Sachsen  zugesichert,  das  Herzogthum  Lüne- 
burg solle  nach  dem  Tode  des  Herzogs  Wilhelm  als  erledigtes  Lehen 
an  sie  fallen.  Wilhelm  erklärte  jedoch  1367  Herzog  Magnus  mit  der 
Kette  von  Braunschweig  zu  seinem  Erben,  der  auch  nach  Wilhelms 
Tode  im  November  1369  das  Land  in  Besitz  nahm,  ohne  die  erneuten 
Verfügungen  Karls  zu  Gunsten  der  Wittenberger  zu  beachten.  Mit 
Magnus  hatte  Markgraf  Otto  noch  zu  Lebzeiten  Wilhelms  Verträge 
geschlossen,  den  letzten  am  8.  April  1369,  in  welchem  er  ihm  — 
ausser  anderen  Dingen  —  auf  drei  Jahre  Beistand  zum  Schutze  seiner 
Lande  zusicherte,  wofür  der  Lüneburger  das  Gleiche  versprach^).  Jetzt 
nun  in  Guben  wurden  —  sicherlich  mit  Wissen  des  Kaisers  —  mehrere 
Urkunden  für  Magnus  ausgestellt  und  ihm  übergeben.  In  der  einen 
erklären  die  Söhne  Karls,  Wenzel  und  Sigmund :  da  „  ihr  lieber  Schwager 
und  Bruder"  Otto  sich  vormals  mit  der  Mark  Brandenburg  und  mit 
ihnen  als  seinen  rechten  Erben,  falls  er  ohne  Erben  stürbe,  mit  Magnus 
verbündet  hätte,  so  verpflichten  auch  sie  sich,  Magnus  zur  Behauptung 
seiner  Herrschaften  zu  Braunschweig  und  Lüneburg  behilflich  zu  sein 


0  Otto  hat  später  darin  einen  Eingriff  gefunden:  so  hat  er  sich  mit  ge- 
wald  underwunden  unser  lande  —  und  buwet  daruf  eyne  brücken  wider  unczer 
und  unczer  lande  willen;  Riedel  11,  2,509.  Ueber  die  Deutung,  welche  Scholz  19 
dem  ersten  Satze  giebt,  siehe  oben  S.  80.  Auf  die  finanzielle  Seite,  welche 
Scholz  30  stark  betont,  möchte  ich  weniger  Gewicht  legen.  -)  Beness  405. 

3)  Riedel  II,  2,  503  f.         ^)  Sudendorf  III  n.  410. 


Qg  L  i  n  d  11  e  r. 

und  zwar  gleich  mit  der  Lausitz  und  nach  Erfordern  auch  mit  dem 
Königreich  Böhmen,  und  wenn  Brandenburg  an  sie  fällt,  auch  mit  der 
Mark.  Entsprechend  gelobt  Magnus,  sie  in  der  Lausitz,  in  den  ])öhmi- 
schen  Landen  und  gegebenen  Falles  auch  in  Brandenburg  zu  unter- 
stützen ^).  Er  verhiess  aber  auch,  wenn  Otto  seinen  mit  den  kaiser- 
lichen Kindern  geschlosseneu  Erbvertrag  bräche  oder  änderte,  das  nicht 
zu  gestatten,  vielmehr  zu  verhindern. 

Gleichzeitig  erklärten  Markgraf  Johann  Heinrich  von  Mähren  und 
Erzbischof  Johann  von  Prag:  da  der  Kaiser  sie  für  den  Fall  vorzeitigen 
Todes  seinen  Söhnen  zu  Vormündern  gesetzt,  würden  sie  als  solche 
die  Verträge  erfüllen. 

In  diesem  Vorgange  hat  man  eine  besonders  arge  List  des  Kaisers 
erblickt,  er  habe  damit,  um  Magnus  von  Otto  abzuziehen,  sein  Kecht 
auf  Lüneburg  durch  eine  Hinterthür  anerkannt.  Doch  vom  Kaiser 
steht  in  den  Urkunden  kein  Wort,  und  Karl  ist  bald  darauf,  Ende  Juni, 
wie  in  der  Folge  nachdrücklich  gegen  den  Herzog  für  die  Sachsen 
eingetreten.  Die  Sache  liegt  wohl  vielmehr  so :  der  entgegenkommende 
Theil  ist  Magnus,  welcher  Wenzel  uud  Sigmund  als  Eechtsnach folger 
Ottos  anerkannte,  allerdings  in  der  Hoffnung,  sich  den  Kaiser  geneigt 
zu  machen.  Da  jene  unmündig  waren,  hatten  die  Verträge  augenblick- 
lich gar  keine  Bedeutung  und  auch  an  sich  wurde  die  Rechtsfrage  um 
Lüneburg  dadurch  nicht  berührt,  ob  Wenzel  oder  ein  anderer  Reichs- 
fürst Magnus  als  rechtmässigen  Landesherrn  betrachtete,  da  das  Ur- 
theil  allein  dem  Kaiser  zukam.  Xur  wenn  Karl  starl)  und  eigentlich 
auch  erst,  nachdem  Otto  ohne  Erben  abgegangen,  erlangten  die  Ver- 
einbarungen Bedeutung  und  auch  vielleicht  für  Magnus  Werth,  und 
dieseii  kleinen  Vortheil  hat  ihm  Karl  allerdings  zugestanden,  ohne 
sich  von  seinem  bisherigen  Verhalten  ablenken  zu  lasseu.  Für  die 
Gegenwart  war  Magnus  mehr  der  Gebende,  als  der  Empfangende. 
Ganz  ähnlich  hat  Karl  später  gehandelt,  als  er  AVenzel  dem  Mainzer 
Erzbischofe  Adolf  versprechen  liess,  ihn  nie  zu  bekriegen-).  Immer- 
hin mag  Magnus  die  üeberzeugung  gewonnen  haben,  der  Kaiser  werde 
nicht  selber  die  Waffen  gegen  ihn  führen;  Karl  hat  sich  auch  meist 
besrnüfft.  die  Rechtssätze  festzustellen,  aber  sie  durchzufechten  überliess 
er  den  Betheiligten. 

Damals  in  Guben  vermittelte  der  Kaiser  auch  eine  Süline  zwischen 


')  Sudendorf  III  n.  25  ft".  Ein  solcher  Vertrag  zwischen  Magnus  und  Otto 
ist  übrigens  nicht  bekannt ;  wahrscheinlich  wurde  diese  Form  jetzt  nur  gewählt, 
um  trotz  Otto  einen  Vertrag  über  die  Mark  von  Seiten  der  kaiserlichen  Kinder 
zu  ermöglichen.  '-)  Meine  Geschichte  des  Königs  Wenzel  I,  37. 


Karl   [V.  und  die  Witfelsbacber.  g7 

Erzbischof  Albrecht  von  Magdeburg  und  dem  einflussreichen  Hofmeister 
Klaus  von  Bismarck^).  Wie  es  scheint,  wurden  dort  sehr  weitschich- 
tige Berathungen  gepflogen. 

Jedenfalls  überwarf  sich  Karl  noch  nicht  völlig  mit  seinem  Schwie- 
gersohne, denn  dieser  kam  darauf  nach  Prag,  wo  er  am  23.  Juni  eine 
Verfügung  Karls  bezeugte  und  seineu  Ehepact  mit  Katharina  näher 
feststellen  liess:  auch  unter  dem  Diplom,  welches  am  1.  August  die 
Einverleibung   der  Lausitz  in  Böhmen  l:)ekräftigte,    steht  sein  Name 2). 

Inzwischen  setzte  das  l>randenburgische  Landesregiment  daheim 
seine  Thätigkeit  fort;  entweder  konnte  also  Otto  nicht  des  Kaisers 
Willen  durchsetzen  oder  er  war  noch  nicht  recht  entschlossen,  sich 
von  ihm  loszusagen,  oder  er  wollte  ihn  täuschen. 

Karl  hatte  mittlerweile  auch  im  Keiche  Schritte  zu  seiner  Siche- 
runo-  o'ethan.  Durch  seinen  Kauzler,  den  er  mit  dem  kaiserlichen 
Siegel  nach  Nürnberg  schickte,  liess  er  dort  am  23.  April  LS70  mit 
Augsburg,  Ulm  und  anderen  schwäbischen  Städten  ein  gegenseitiges 
Schutzbündniss  für  seine  Lebenszeit,  auch  darüber  hinaus  im  Namen 
seines  Sohnes  Wenzel  bis  zur  Wahl  eines  neuen  Königs  abschliessend). 
Um  den  Baiern  einen  Bundesgenossen  abspenstig  und  sich  zum  Freunde 
zu  machen,  warb  er  bei  Herzog  Albrecht  von  Baiem-Holland,  der  an 
dem  Bunde  mit  Ungarn  betheiligt  war,  um  dessen  Tochter  Johanna 
für  seinen  Sohn  Wenzel  und  fand  bereitwilligstes  Entgegenkommen. 
Wahrscheinlich  bestimmten  ihn  dazu  nicht  allein  die  baierischen  Ver- 
wickelungen ;  Albrecht  konnte  auch  gute  Dienste  leisten  in  dem  Streite, 
welcher  damals  im  Westen  des  Kelches  Karls  Bruder  Wenzel  in  An- 
spruch nahm.  Auf  persönlichen  Zusammenkünften  und  durch  ge- 
leistete Vermittlungen  suchte  Karl  nachher  ein  besseres  Einverstäud- 
niss  mit  dem  Pfalzgrafen  und  dem  Erzbischofe  von  Mainz  zu  schafi'en^), 
Kuprecht  lag  eben  in  einem  grossen,  laugdauernden  Kriege  mit  Graf 
Walram  von  Sponheim,  welchen  der  Kaiser  begünstigte'^).  Ueberhaupt 
standen  die  Dinge  am  Khein  so  uufriedlich,  dass  der  Pfalzgraf  vor- 
läufig dort  genug  zu  thun  hatte.  Es  gelang  wohl  nicht,  alle  Spannung 
zu  beseitigen,  wie  daraus  zu  schliessen  ist,  dass  die  beiden  Kurfürsten 
der  Hochzeit  Wenzels  fern  blieben,  aber  ganz  feindlich  können  sie 
sich  auch  nicht  gestellt  haben.  Es  blieb  das  halbe,  unklare,  unehr- 
liche Verhältniss. 


')  Mark.  Forsch.  XI,  215.  ^)  Huber,  Reg.  4853,  4854,  4863.  3)  Vgl. 

mein  Buch  über  das  Urkundenwesen  Karls  IV.  u.  s.  w.  194.  ^)  Huber,  Reg. 

4877,  4880,  4881.  ^)  Regesten  der  Pfalzgrafen  am  Rhein  3914,  3918  fiF.;  Chron. 

Mog.  20—24;  ferner  Huber,  Reg.  6346  ff.,  4884. 


88 


L  i  inl  u  e  r. 


Bei  Gelegenheit  der  Hochzeit,  welche  am  29-  September  in  Nürn- 
berg stattfand,  soll  nun  zwiscben  Karl  und  seinem  Schwiegersöhne  der 
verhängnissvolle  Zusammenstoss  erfolgt  sein.  Leider  berichtet  nur  Otto 
darüber,  verworren  und  halb  welimüthig.  In  der  öffentliclieu  Erklärung, 
welche  er  am  10.  Juni  des  folgenden  Jahres  gegen  Karl  erliess,  er- 
zählt er:  ,Er  hat  uns  freundlich  zu  sich  geladen  in  die  Reichsstadt 
Nürnberg  mit  seinen  Briefen  und  sandte  uns  Graf  Heinrich  von  Schwarz- 
buro-  entgegen  als  Geleitsmann;  wir  kamen  dort  zu  ihm  ganz  bereit- 
willig und  liessen  alle  unsere  anderen  Geschäfte  unterwegs,  da  wir 
sein  Gebot  ungern  unbeachtet  lassen  wollten.  Als  wir  zu  ihm  kamen 
und  dachten,  dass  wir  mit  ihm  fröhlich  sein  sollten,  da  Avollte  er  uns 
enterbt  haben  bei  unserem  Leben ;  da  wir  das  nicht  zugestehen  wollten, 
sandte  er  seineu  Rath  in  unsere  Herberge  und  liess  uns  von  seinet- 
wegen entsagen,  was  wir  gegen  das  Reich  und  gegen  ihn  von  des 
Reiches  wegen  nicht  verschuldet  haben  oder  ungern  verschulden 
wollten,  und  wir  wären  ihm  gerne  gerecht  geworden  sofort  vor  des 
Reiches  Kurfürsten  um  seiner  Ansprache  willen  "i). 

Er  kam,  „um  fröhlich  zu  sein",  aber  plötzlich  aus  heiterer  Luft 
soll  den  Armen  der  Donnerschlag  getroffen  haben,  während  er  doch 
selbst  zugiebt,  dass  er  schon  vorher  mit  dem  Kaiser  Späne  hatte.  Sollte 
Karl  nicht  vielleicht  beabsichtigt  haben,  in  Nürnberg  die  Sache  aus- 
zutragen? Zu  diesem  Zwecke  wird  Herzog  Friedi-ich  geladen  sein, 
dessen  Anwesenheit  recht  auffallend  ist.  Warum  sollte  sonst  der  Kaiser 
Otto  gegenüber  erst  in  Nürnberg  offene  Karte  bekannt  haben?  Man 
kann  sagen :  er  war  erst  jetzt  Herzog  Albrechts  sicher,  aber  abgesehen 
davon,  dass  er  wohl  schon  vorher  auf  diesen  rechnen  durfte,  war  Al- 
brechts Beistand  doch  nicht  von  so  entscheidender  Wichtigkeit.  Ich 
denke  daher,  Karl  wollte  in  Gemeinschaft  mit  der  ganzen  Familie  oder 
eines  massgebenden  Theiles  derselben  sich  mit  Otto  auseinandersetzen. 
Wie  der  Markgi-af  erzählt,  stellte  Karl  seine  Forderungen  auf:  er 
wollte  Otto  bei  seinem  Leben  enterben.  Was  ist  damit  gemeint  ?  Un- 
klar ist  der  Ausdruck  jedenfalls.  Immer  ist  darunter  verstanden  wor- 
den: Karl  forderte  sofortige  und  l)edingungslose  Abtretung  der  Mark. 
Ich  weiss  doch  nicht,  ob  das  so  sicher  ist.  That  er  es  wirkhch,  so  wird  er 
Entschädigung  geboten  haben,  wie  er  sie  dann  selbst  als  Sieger  reich- 
lichst gewährte,  also  etwa  Kauf  vorgeschlagen  haben,  wie  er  es  vorher 
mit  der  Lausitz   gehalten-').     Doch   sollte   er  nicht  vorher  nochmalige 


')  Riedel  II,  2,  510.  *)  Das  Chron.  Mogunt.  28  erzählt  zu  1371,  Karl  habe 
Otto  ein  anderes  Land  als  Entschädigung  angeboten.  Doch  ist  es  fraglich,  ob 
der  Verf.  wirklich  Genaueres  erfuhr  und  nicht  die  Zeiten  durcheinander  wirft. 


Karl  [V.  uud  die  Witteisbacher.  89 

Auerkennimg  des  Erbvertrages  und  weitereu  Bestand  der  Uebereinkunft, 
welche  ihm  die  Regierung  der  Mark  noch  für  längere  Zeit  zugestand, 
beo-ehrt  haben?  Wäre  es  undenkbar,  dass  Otto  schon  das  als  eine 
„Enterbung  bei  seinem  Leben"  bezeichnete,  als  er  später  seine  Be- 
schwerde über  Karl  begründen  wollte  ?  Wenn  der  Kaiser  in  der  That 
die  alsbaldige  Uebergabe  der  Mark  heischte,  was  hielt  den  Markgrafen 
davon  ab,  das  später  mit  klaren  Worten  zu  sagen  ?  Er  beklag-te  sich 
nachher  in  demselben  Schriftstück:  er  könne  nicht  wissen,  was  der 
Kaiser  meine  uud  wessen  er  sich  zu  ihm  versehen  habe ;  nun,  klarerer 
Wein  hätte  ihm  doch  nicht  eingeschenkt  werden  können! 

Da  Otto  des  Kaisers  Willen  nicht  that,  liess  ihm  dieser  „ent- 
sagen"! Eine  Kriegserklärung  ist  damals  sicherlich  nicht  erfolgt,  wie 
der  weitere  Verlauf  zeigt,  also  über  eine  scharfe  Drohung,  über  eine 
Aufkündigung  der  persönHchen  Freundschaft  kam  es  kaum  hinaus.  Er 
will  sich  dann  erboten  haben,  vor  den  Kurfürsten  zu  Recht  zu  stehen ; 
wir  werden  später  sehen,  wie  Karl  selbst  vergeblich  diese  Forderung 
stellte.  Aber  er  macht  einen  Vorbehalt:  er  habe  nichts  gegen  den 
Kaiser  von  Reichswegen  gethan.  Ganz  richtig,  denn  den  Erbver- 
trag, der  allerdings  Reichssache  war,  hatte  er  noch  nicht  umgestossen, 
und  die  Vereinbarung,  welche  Karl  die  Regierung  der  Mark  zusprach, 
war  nur  eine  Privatsache,  betraf  also  Karl  nicht  in  seiner  Eigenschaft 
als  Kaiser.  Deswegen  lehnte  vielleicht  Karl  das  Ansinnen  ab,  die 
Sache  vor  die  Kurfürsten  zu  bringen  — ,  weun  er  wirklich  ablehnte. 
Denn  Ottos  unklare  Worte  lassen  auch  die  Deutuug  zu:  er  wäre 
bereit  gewesen,  die  Kurfürsten  anzurufen,  aber  sie  enthalten  nicht  mit 
zwingender  Gewissheit,  dass  er  sich  zum  wirklichen  Antrag  erhob  und 
noch  weniger,  dass  der  Kaiser  ihn  abschlug. 

Vielleicht  wird  mir  vorgehalten  werden:  willkürliche,  Worte  zer- 
pflückende Kritik !  Ich  muss  mir  das  gefallen  lassen,  aber  was  bleil)t 
übrig,  wenn  ein  in  Dunkel  gehüllter  Vorgang  erklärt  werden  soll! 
Ich  denke  mir  den  Gang  so:  Karl  begehrte  genauere  Einhaltung  der 
Verträge,  Zurücknahme  der  erfolgten  Veränderungen  und  Herstellung 
des  früheren  Standes,  vielleicht  mit  einiger  Verschärfung  desselben. 
Was  Otto  bewog,  darauf  nicht  einzugehen,  ist  allerdings  ungewiss  9,  aber 
sein  Neffe  Friedrich  mag  ihn  aufgestachelt,  für  sich  gewonnen  haben. 
Er  mag  ihn  in  die  grosse  gegen  das  luxemburgische  Haus  bestehende 


1)  Man  könnte  denken,  dass  er  auch  mit  seiner  Gattin  Katharina  schon  in 
das  Missverhältniss  getreten  war,  welches  später  bestand  fRiezlcr  I[[,  108),  und 
die  vorhergegangene  Sicherung  ihrer  Leibzucht  (oben  S.  87)  liesse  sich  damit  in 
Verbindung  bringen,  aber  das  hiesse  vielleicht,  das  Gras  wachsen  hören. 


90  L  i  11  d  n  e  r. 

Verschwörung  eingeweiht,  ihm  die  Hilfe  der  ganzen  wittelsbachischen 
Familie  und  Ungarns  in  Aussicht  gestellt  haben.  Und  Otto  mochte 
an  seinen  märkischen  Adel  denken,  der  auch  dem  Kaiser  feind  wai-. 
Das  stimmte  Alles  so  schön,  dass  der  schwache  Gesell  sich  Mutli  ein- 
blasen liess. 

Gewiss  ist,  dass  erst  die  Nürnberger  Tage  Kaiser  und  MarkgTaf 
entzweiten,  und  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  Otto  erst  jetzt  sich  in 
die  Arme  seiner  Verwandten  warf,  die  ihn  vorher  so  schmählich  be- 
handelt hatten.  Die  bisher  unbestimmte  Gegnerschaft  zwischen  den 
Häusern  Witteisbach  und  Luxemburg  gewann  nun  feste  Gestalt  und 
die  ßaiern  erhielten  für  ihre  Wünsche  und  Bestrebungen  einen  greif- 
baren Gegenstand. 

Noch  vergeht  einige  Zeit,  ehe  weitere  Schritte  aus  beiden  Lagern 
kund  werden.  Neuere  Forscher  betrachten  allerdings  das  grosse  Bünd- 
niss,  welches  zu  Bamberg  am  28.  November  geschlossen  wurde  ^),  als 
ein  Zeichen  der  sich  erweiternden  Verschwörung.  Nämlich  die  Pfalz- 
gTafen,  die  baierischen  Herzöge,  die  Markgrafen  von  Meissen,  Burg- 
graf Friedrich  von  Nürnberg,  die  Bischöfe  von  Bamberg  und  Eichstedt 
vereinten  sich  auf  vier  Jahre  zum  Schutz  ihrer  Lande  gegen  Eaub, 
Brand  und  unrecht  Widersagen.  Doch  liegt  nichts  weiter  vor  als  ein 
gewöhnliches  Bündniss  ohne  politischen  Hintergrund,  dem  Friedens- 
bedürfniss  entsprechend.  Dass  es  nicht  gegen  den  Kaiser  gerichtet 
war ,  verbürgen  nicht  nur  seine  Bestimmungen ,  sondern  auch  die 
Theilnahme  des  Burggrafen  Friedrich  von  Nürnberg.  Warum  hätte 
man  nicht  auch  Markgraf  Otto  aufgenommen ,  wenn  die  Einigung 
seinem  Schutze  galt?  Es  ist  sogar'  nicht  unmöglich,  dass  die  Verein- 
barung mit  Willen  und  Wissen  Karls  geschah,  denn  am  2.  Februar 
des  folgenden  Jahres  trat  er  selbst  in  diesen  Landfrieden  ein  und 
verknüpfte  mit  ihm  die  Städte  Nürnberg,  Weissenburg,  Rotenburg, 
Windsheim,  mit  denen  er  selbst  verbündet  war,  und  seine  eigene  Stadt 
Eger-).  Eher  liesse  sich  verrauthen,  dass  die  Einung  vom  28.  No- 
vember ursprünglich  einen  Gegenzug  gegen  Karls  Bündniss  mit  den 
schwäbischen  Städten  vom  23.  April  bedeutete,  da  Karl  letzteres  in 
eben  diesen  Tagen,  am  6.  December,  in  einen  Landfrieden  umwandelte, 
an  dessen  Spitze  er  Graf  Ulrich  von  Helfenstein  stellte  ^).  Aber  da- 
gegen spricht,  dass  manche  der  Theilnehmer  der  Verbindung  vom 
28.  November  mit  dem  schwäbischen  Bunde  nichts  zu  thun  hatten. 
Mit  den  Meissner  Markgrafen   stand  ohnehin  Karl   damals  noch  nicht 


0  Huber,   Reg.  R.-S.  507.  ')  Huber,   Reg,  4933.  ^)  Huber,   Reg. 

R.-S.  518. 


I\arl  LV.  un<l  die  Witfelsbai-her.  91 

schlecht;  Friedricli  war  Hoclizeitsgast  und  ihm  und  seinen  Brüdern 
Balthasar  und  Wilhelm  zeigte  sich  Karl  damals  hold^). 

Die  schwierige  Lage  des  Kaisers  wurde  durch  einige  Todesfälle 
erleichtert.  Am  5.  November  starb  König  Kasimir  von  Polen,  mit 
dem  nie  eine  dauernde  Freundschaft  bestanden  hatte.  Sein  Reich  ging 
über  an  Ludwig  von  Ungarn,  der  freilich  auch  des  Kaisers  Feind  war, 
aber  für  den  Augenblick  war  es  vorth eilhafter,  statt  zwei  bedeutender 
Feinde  nur  Einen  zu  haben.  Foleu  unter  der  Herrschaft  Ludwigs, 
dessen  grosse  Politik  ihre  Ziele  in  ganz  anderer  Richtung  suchte, 
drohte  mit  geringeren  Gefahren,  als  unter  dem  einheimischen,  unter- 
nehmungslustigen Kasimir,  der  wahrscheinlich  in  Brandenburg  unmittel- 
bar eingegiifPen  und  dem  Kaiser  die  Kriegsführuug  gewaltig  erschwert 
hätte-).  Es  starb  ferner  am  19.  December  Papst  Urban  V.,  welcher  mit 
dem  Kaiser  zuletzt  sehr  wenig  zufrieden  gewesen  war,  während  sein 
Nachfolger  Gregor  XL  die  freundlichsten  Gesinnungen  hegte.  Endlich 
erlag  am  12.  Februar  1371  Erzbischof  Gerlach  seinem  Leiden  und 
Karl  benutzte  die  Freundschaft  mit  dem  Papste,  um  das  wichtige  Erz- 
bisthum  an  einen  ihm  ergebenen  und  verwandten  Mann,  Johann  von 
Luxemburg,  zu  bringen.  Der  böhmische  Chronist  Beness  erblickte  in 
dem  Hinscheiden  dieser  drei  Männer  geradezu  einen  Eingriff  des  Him- 
mels zu  Gunsten  seines  geliebten  Herrschers. 

Noch  ein  anderer  Todesfall  war  für  die  brandenburgische  Ange- 
legenheit von  einiger  Bedeutung,  der  des  Herzogs  Rudolf  IL  von 
Sachsen  am  6.  December  1370.  Die  Herrschaft  ging  über  an  seinen 
Bruder  Wenzel  und  seinen  Neffen  Albrecht,  und  Markgraf  Otto  be- 
nutzte den  wohl  unvermuthet  eingetretenen  Wechsel  und  die  dadurch 
entstehende  Verwirrung,  um  mit  ihnen  anzuknüpfen.  Denn  seine  Räthe, 
unter  ihnen  Klaus  von  Bismarck,  vereinbarten  mit  den  beiden  Her- 
zögen am  10.  Januar  1371  einen  Vertrag  über  gemeinsames  Verhalten 
bei  einer  Königswahl ,  der  sehr  bedenklichen  Inhalt  hatte  ^) ,  dessen 
Urkunde  sich  in  München  befindet,  also  später  von  Otto  nicht  mit 
dem  Brandenburger  Landesarchiv  ausgeliefert,  vielleicht  sogar  schon 
damals  dorthin  geschickt  wurde.  Auffallender  Weise  nennen  sich 
die  beiden  Herzöge  nicht  von  Lüneburg,  wozu  sie  gutes  Recht  hatten, 
und  erwähnen  ihre  Ansprüche  auf  dieses  Herzogthum  gar  nicht.  Merk- 
würdig stark  werden  Verwandtschaft  und  Nachbarschaft  hervorgehoben. 
Irgend  ein  absonderliches  Spiel  steckt  dahinter,  doch  an  jenem  Tage 
waren  bereits  die  kaiserlichen  Befehle  unterwegs,  welche  Lüneburg  an 


»)  Huber,    Reg.  4884,    4892,   öuppl.  731-2.  -)    öteinherz  588   fasst   die 

Lage  anders  auf.  ^)  Huber,    Reg.  R. -ö.  519. 


92  L  i  n  d  n  e  r. 

Wenzel  wiesen  i),  und  fortan  hielten  die  Wittenberger  und  die  Luxem- 
burger zusammen.  Am  31.  März  schlössen  dann  Wenzel  und  Albrecht 
einen  Kriegsbund  gegen  Magnus  mit  Erzbischof  Albrecht  von  Magde- 
burg; den  dritten  Theil  der  Kriegsbeute  soll  ,  unser  Oheim,  der  Mark- 
graf von  Brandenburg,"  erhalten-).  Was  -wollte  Otto  mit  diesem 
Kriege  gegen  seinen  bisherigen  Freund?  Denn  dass  die  Sachsen  und 
der  Erzbisehof  sich  von  Karl  ab  zu  ihm  gewendet  hätten,  folgt  aus 
dem  Vertrage  keineswegs :  im  Gegentheil,  am  17.  April  erkannte  zu  Prag 
Herzog  Albrecht  von  Sachsen  Wenzel  als  rechtmässigen  Erben  Ottos 
an  und  die  Herzöge  verkauften  dem  Kaiser  das  wichtige  Mühlberg  an 
der  Elbe  ^).  Machte  Otto  einen  letzten  verunglückten  Versuch,  Karl 
zu  begütigen? 

Herzog  Friedrich  von  Baiern  begann  nun  ernstliche  Rüstungen. 
Am  I.Januar  1371  gewann  er  Erzbischof  Piligi'im  von  Salzburg,  welchen 
Verdruss  über  die  Oesterreicher  ihm  als  Bundesgenossen  zuführte; 
später  verliess  er  Baiern,  um  über  Oesterreich,  Ungarn  und  Krakau 
nach  der  Mark  zu  eilen^). 

Wahrscheinlich  sind  mehrere  Verträge  sein  Werk^).  Am  6.  März 
bekundete  Erzbischof  Piligrim  in  Laufen  ein  Kriegsbündniss  mit  Ste- 
phan und  dessen  Söhnen  Friedrich  und  Johann.  Da  der  Gegenbrief 
denselben  Tag  und  Ort  zeigt,  so  dürfte  der  Vertrag  früher  vereinbart 
sein.  König  Ludwig  war  bis  gegen  Ende  März  in  Ofen^),  und  auch 
ihn  wird  Friedrich  aufgesucht  haben.  Denn  Ludwig  hat  mit  Stephan, 
Friedrich  und  Johann  ein  besonderes  Bündniss  abgeschlossen,  in  welchem 
er  ihnen  für  ihren  Krieg  um  Brandenburg  Hilfe  zusagte  7).  Ausser- 
dem besass  Karl  später  die  Abschrift  eines  Buudbriefes  Ludwigs  mit 
mit  den  Baiern,  in  welchem  er  nicht  ausgenommen  war«),  wie  doch 
die  Erstlingsurkunde  vom  13.  September  1369  bedingte.  Gewiss  ver- 
mittelte Friedrich  auch  das  Bündniss  PiligTims  mit  Ludwig,  welches 
bald  darauf  am  13.  April  zu  Noua  in  Dalmatien,  wohin  Ludwig  ge- 
zogen war,  zum  Abschluss  kam 9).    Dagegen  scheint  zwischen  Otto  von 


•)  Vom  24.  December,  Huber,  Eeg.  4924.  -')  Riedel  U,  2,  507 ;  vgl.  Suden- 
dorf IV  n.  144,  150.  Uebrigens  schloas  Albreclit  scbon  am  11.  Mai  mit  Magnus 
Frieden,  Sudendorf  IV  n.  165.  '')  Pelzel  II,  837.  ^)  Für  das  folgende  Stein- 
herz 586  S.  ^)  Am  3.  Februar  war  er  noch  in  Baiern,  wo  er  für  seine  bevor- 
stehende Abwesenheit  einen  Verweser  ernannte;  Reg.  Bo.  IX,  255;  er  ist  also 
später  abgereist.  «)  Fejer  IX,  4,  330  tf. ;  Ludwigs  Brief  vom  9.  März  für  Re- 
gensburg (Reg.  Bo.  a.  a.  0.)  hängt  wohl  kaum  mit  diesen  Dingen  zusammen. 
7)  Das  folgt  aus  seiner  Urkunde  vom  2.  Juli  1371,  Huber,  Reg.  R.-S.  534,  Mon. 
Hung.  bist.  Acta  ext.  HI,  10.  «)  Riedel  II,  2,  527  f.  »)  Steinherz  627; 
Piligrims  Gegenbrief  hat  gleichen  Tag  und  Ort.  Ludwig  nahm  darin  Ruprecht 
und  sämmtliche  baierische  Herzüge  aus. 


Karl  IV.  und  die  Wittelsbacliei-.  C)^ 

Brandenburg  und  Ludwig  kein  Vertrag  bestandeu  zw  haben  ^),  was 
dem  üngarukönige  später  den  Eückzug  erleichterte;  vielleicht  be- 
absichtigte Friedrich  gar  nicht,  seinem  Oheim  den  Besitz  der  Mark  zu 
garantiren. 

Am  15.  April  fasste  endlich  Otto  sich  das  Herz,  seine  Absichten 
offen  und  unzweideutig  auszusprechen,  indem  er  den  Ständen  der  Neu- 
mark erklärte,  nach  seinem  Tode  sollten  sie  Herzog  Friedrich  als  ihren 
reciiten  Erbherrn  anerkennen^).  Geraume  Zeit  verging  wieder,  ehe  er 
sein  offeues  Manifest  gegen  den  Kaiser  erliess;  das  geschah  erst  am 
10.  Juni  von  Stendal  aus.  Als  Rechtsgrund,  welcher  den  Erbvertrao- 
mit  Luxemburg  ungiltig  mache,  stellte  er  hin :  der  Kaiser  habe  nicht, 
wie  er  mündlich  verheissen ,  den  Herzog  Stephan  dazu  bewogen ,  die 
Briefe  über  die  Huldigung  der  Märker  herauszugeben.  Noch  manche 
Klagen  fügte  er  hinzu:  der  Kaiser  habe  die  Schutzversprechen,  welche 
er  einst  Ludwig  dem  Römer  und  ihm  gegeben,  nicht  gehalten,  dann 
in  seinem  Lande  eine  Brücke  gebaut.  Nachdem  er  den  in  Nürnbero- 
entstandenen  Zwist  geschildert,  wie  oben  bereits  erwähnt,  fährt  er 
fort :  ,  Solche  L'rung  und  Ungnade  hat  uns  der  Kaiser  oft  und  mannig- 
faltig erzeigt,  obgleich  wir  ihm  treu  waren,  so  dass  wir  nicht  wissen 
können,  wie  er  es  meint  und  wessen  wir  uns  zu  ihm  zu  versehen 
haben,  da  er  uns  später  durch  unsern  eigenen  Rath,  den  wir  zu  ihm 
sandten,  zum  zweiten  Male  hat  entsagen  lassen,  so  dass  wir  seine  Ge- 
walt und  Ungnade  fürchten  müssen".  Daher  erkennt  er  Herzog  Fried- 
rich als  seinen  rechten  Erbfolger  an.  „Sollte  der  Kaiser  Briefe  vor- 
bringen, welche  ihm  von  uns  gegeben  sein  sollen  und  gegen  die 
gegenwärtige  Anordnung  sind,  so  sollen  sie  machtlos  sein,  da  der 
Kaiser  die  Briefe,  die  er  uns  gegeben  hat,  und  die  Worte,  die  er  uns 
gelobt  hat,  nicht  vollzogen  und  gehalten  hat  "3). 

Dass  Ottos  Gründe  nichts  verfangen,  dass  er  einen  Rechtsbruch 
beging,  bedarf  keiner  Erörterung.  Wunderlich  genug  macht  er  Karl 
zum  Vorwurf,  worauf  er  doch  allein  die  Berechtigung  seiner  neuen 
Ordnung  begründete,  dass  dieser  Stephan  nicht  zur  Herausgabe  der 
Briefe  bewogen.  Bezeichnend  ist  dann,  wie  er  über  den  Inhalt  seines 
Erbvertrages    mit    den   Luxemburgern    hinwegschlüpft.     Lidesseu    ein 


*)  Meines  Wissens  sagt  nur  Beness,  dass  Otto  sich  mit  Ludwig  verbündete, 
was  ja  mittelbar  aucb  richtig  ist..  In  den  späteren  Verhandlungen  Ludwigs  mit 
Karl  wird  nie  von  Otto  geredet,  auch  dem  Papste  gegenüber  spricht  Karl  immer 
von  den  Baiem.  Der  Markgraf  war  eben  nichts,  als  ein  Werkzeug  seiner  Ver- 
wandten. 3)  Riedel  II,  2,  508.  Ob  Friedrich  schon  damals  da  war,  ist  mir 
nicht  ganz  gewiss ;  zuerst  nrkundet  er  in  der  Mark  am  7.  Mai,  Riedel  I,  9,  382. 
3)  Riedel  II,  2,  509. 


94 


L  i  n  cl  n  e  r. 


Eeclitsbrucli  kauu  ausreicheud  eutschuldigt  sein :  ob  der  Uttos  es  war, 
Avill  icli  uach  dem  Gesagten  uiclit  weiter  erörtern.  Er  sagt,  er  habe 
nach  den  Xiirnberger  Voigäugen  noch  mit  Karl  verhandelt;  leider 
wissen  wir  darüber  sonst  nichts.  Aber  Krieg  hat  der  Kaiser  erst  an- 
gesagt, nachdem  der  Markgraf  alle  Brücken  hinter  sich  abgebrochen; 
am  21.  Juni  erliess  Karl  von  Prag  aus  seine  kurzgefasste  Kriegs- 
erklärung des  Vertragsbruches  wegen.  Er  lag  zur  selben  Zeit  an 
schwerer  Krankheit  darnieder,  so  dass  man  im  Reiche  seinen  Tod  er- 
wartete. Er  fürchtete,  seine  Feinde  möchten  nun  auf  der  ganzen  Linie 
losschlao-en,  und  suchte  daher  sofort  dem  Pfalzgrafen  Ruprecht  als 
seinem  „offenbaren  Feinde-  Gegner  zu  erwecken.  Es  lässt  sich  recht 
deutlich  erkennen,  wann  Karl  die  aufregenden  Xachrichten  zukamen: 
am  12.  Mai  schickte  er  nach  dem  Elsass  den  Befehl,  die  schädlichen 
Leute  zu  fassen ;  am  23.  Juni,  zwei  Tage  nach  der  Kriegserklärung  an 
Otto,  beo-reift  er  in  die  gleiche  Weisung  Ruprecht  mit  ein,  am  30.  October 
ist  in  ähnlichen  Briefen  von  ihm  nicht  mehr  die  Rede  i).  Ruprecht 
trieb  noch  immer  seinen  Sponheimer  Krieg  weiter  und  nahm  auch 
andere  Fehden  in  Angriff:  um  die  Mark  kümmerte  er  sich  nicLt. 

Im  Juh  erschien  Karl  mit  einem  Heere  in  der  Mark,  doch  kam 
es  nicht  zu  grossen  Kriegsthaten  und  er  zog  bald  wieder  ab,  weil 
Könio-  Ludwig  in  Mähren  rüsten  liess  und  Erzbischof  Piligrim  in  die 
böhmische  Oberpfalz  einbrach-).  Am  16.  October  kam  zu  Pirna  ein 
Waffenstillstand  bis  Pfingsten  1373  zu  Stande.  Ihn  bekundeten  Otto, 
Stephan  und  dessen  drei  Söhne ;  sie  nahmen  in  ihn  auch  den  üngarn- 
könio-  und  den  Salzburger  auf,  doch  thaten  sie  das  wohl  auf  eigene 
Hand-).  Bischof  Ludwig  von  Bamberg  und  die  W^ettiner  waren  auch  des 
Kaisers  Gegner  geworden,  weil  letztere  sich  durch  dessen  grosse  Erwer- 
bungen in  ihren  Landen  beschwert  fühlten,  vielleicht  auch  den  Lockungen 
ihres  Vetters  Friedrich  folgend,  doch  gingen  auch  sie  den  Stillstand 
ein.  Des  Pfalzgi-afen  Ruprecht  gedenken  die  Urkunden  nicht;  er  war 
also  ganz  unbetheiligt  geblieben. 

Ob  der  Kaiser  oder  die  Baiern  der  AVaffenruhe  bedürftiger  waren, 
lässt  sich  bei  den  dürftigen  ^S'achrichten  nicht  übersehen;  wenn  es 
aber  richtig  ist,  dass  die  Baiern  Ludwig  und  Piligrim  hineinzogen,  ohne 


')  Huber,    Reg.  4965,  4976,  5002.  -)  Steiuherz  588.     Die    Beziehungen 

Karls  und  Ottos  zu  Pommern  und  Mecklenburg  sind  hier  und  im  Folgenden  über- 
gangen, da  sie  für  die  Hauptfrage  wenig  bedeuten  und  von  Scholz  ausführlich 
besprochen  sind.  ^)  Vgl.  Steinherz  590;  auch  die  Aeusserungen  des  Kaisers 

bei  Riedel  11,  2,  528  lassen  erkennen,  dass  der  Stillstand  nur  zwischen  ihm  -.ind 
den  Baiem  vereinbart  worden.  Leber  den  Bericht  des  Chron.  Mog.  28  siehe 
oben  ."<.  88. 


Karl  IV..  und  die  Wittelsbachel\  95 

dazu  bevoUmäclitigt  zu  sein,  so  spriclit  das  uiclit  für  die  Stärke  ihrer  Sache, 
da  sie  dauu.  um*  dem  Verlangen  Karls  folgten.  Jedenfalls  hing  ihre 
ganze  Hoffnung  an  Ludwig,  und  daher  bemühte  sich  Karl  mit  be- 
währter Meisterschaft,  den  König  von  ihnen  zu  trennen.  Zustatten  kam 
ihm,  dass  Papst  Gregor  XL,  um  Hilfe  gegen  Bernabo  zu  erlangen, 
aufs  eifrigste  für  deu  Frieden  wirkte  und  deswegen  den  Patriarchen 
Johann  von  Alexandrien  au  Kaiser  und  König  absandte 3). 

Im  Winter  begann  Karl  Werbuugen  au  dem  ungarischen  Hof, 
unterstützt  von  der  ihm  günstigen  Partei,  deren  Haupt  Herzog  Wla- 
dislaw  von  Oppeln  war.  Er  Hess  dem  Könige  den  Vorsehlag  eines 
Ehebündnisses  zwischen  ihren  Kindern  unterbreiten,  der  bei  Ludwig- 
geneigtes  Gehör  fand,  doch  verlangte  er,  Karl  möge  die  ßaiern,  die 
ihm  dafür  sein  Kecht  leisten  sollten,  in  Freundschaft  annehmen.  Der 
Kaiser  betonte  sofort  sein  Recht  auf  Brandenburg,  aber  erbot  sich, 
darüber  mit  den  Baiern  vor  den  Kurfürsten  oder  ihrer  Mehrheit  recht- 
lich zu  verhandeln 2).  üeber  die  Eheschliessung  zwischen  Maria,  der 
zweiten  Tochter  Ludwigs ,  und  Sigmund ,  dem  zweiten  Sohne  Karls, 
kam  man  Mitte  März  in  Breslau  leicht  ins  Eeine,  obgleich  sich  Lud- 
wig Bedenkzeit  bis  zum  24.  Juni  vorbehielt ;  die  einzige  Schwierigkeit 
bildete  der  Streit  mit  den  Witteisbachern,  denen  sich  Ludwig  für  ver- 
pflichtet erachtete.  Der  Kaiser  verabredete  mit  den  ungarischen  Ge- 
sandten, am  15.  August  solle  zwischen  ihm  und  den  Baiern  in  einer 
persönlichen  Zusammenkunft  der  Handel  geschlichtet  werden,  bis  dahin 
gegenwärtige  Stand  bleiben ;  er  beschwor  feierlich ,  Ludwigs  Reiche 
und  Herrschaften  nicht  anzutasten,  und  forderte  von  dem  Könige  das 
gleiche^).  Froh  meldete  er  dem  Papste,  Alles  sei  glücklich  erledigt^). 
Doch  so  schnell  ging  die  Sache  nicht.  König  Ludwig,  unter  dem 
Einflüsse  Herzog  Stej^han  des  jüngeren  von  Baiern,  welcher  an  seinem 
Hofe  weilte,  und  der  Karl  abgeneigien  ungarischen  Partei,  begehrte 
erst  eine  persönliche  Besprechung.  Karl  lehnte  den  Wunsch  nicht  ab 
und  stellte  die  Ansetzung  der  Zeit  in  des  Königs  Ermessen,  der  Pfing- 
sten, den  16.  Mai  vorschlugt).  Ehe  jedoch  diese  letzte  Botschaft  an- 
kam, hatte  Karl  Prag  bereits  verlassen  und  den  päpstlichen  Legaten 
ersucht,  die  Angelegenheit  zu  erledigen.  Patriarch  Johann,  der  vor- 
her in  Dresden  die  Wettiner  zu  beschwichtigen  suchte"),  brachte  nach 
Ofen  die  Vorschläge :  Karl  sei  zur  Zusammenkunft  bereit,  sobald  Lud- 
wig die  Tractate    über   die  Ehe    und   den   gegenseitigen  Friedensstand 


')  Huber,   Reg.  P.  130;    wahrsclieinlich   war    der   Legat   schon  in    Bautzen 

bei  Karl.         -')  Dobner,  Mon.  bist.  Bo.  11.  382  ff. ;  vgl.  Steinherz  6151}'.  •')  Dobner 

386  f.,  393  f.             *)  Huber,   Reg.  P.   131.             ■')  Dobner  388,  393.  «)  Lo- 
serth  a.  a.  U.    180  1'. 


( )(;  L  i  n  d  n  e  r. 

bestätigt  habe,  was  vor  dem  15.  August  geschehen  sollte.  Doch  möchte 
der  König  geloben,  den  Baiern  nicht  zu  helfen,  sobald  sie  sich  einem 
Eechtsspruche  nicht  unterwerfen  wollten.  Wenn  nämlich,  wie  zu  er- 
warten, eine  frenndschat^liche  Vermittlung  Ludwigs  nichts  erreichte  ^j, 
so  würde  ein  Kechtsspruch  der  Kurfürsten  oder  ihrer  Mehrheit  ent- 
scheiden; für  den  Fall,  dass  dies  die  Baiern  ablehnten,  sollte  jede 
Partei  zwei  Schiedsrichter  ernennen,  wenn  auch  diese  sich  nicht  einig- 
ten, der  Papst  darüber  sprechen. 

Dem  Kaiser  mochte  die  Zusammenkunft  wenig  erwünscht  sein; 
ausserdem  hatte  er  bereits  den  Pfalzgrafen  Kuprecht,  auf  welchen  ihm 
am  meisten  ankam,  zur  persöulicheu  Besprechung  eingeladen;  einigte 
er  sich  mit  ihm  friedlich,  wollte  er  gleich  nach  Brandenburg  gehen, 
sonst  dem  Kardinal  sofort  Nachricht  geben-). 

Der  Ausbruch  des  Kampfes  zwischen  den  Städten  und  dem  Grafen 
Eberhard  von  Wirtemberg  nöthig*te  Karl  nicht  minder  zur  schnellen 
Fahrt  ins  Reich,  als  seine  persönlichen  Angelegenheiten,  namentlich 
die  Nothlage  seines  Bruders,  des  Herzogs  Wenzel  von  Brabant.  In 
Würzburg  und  Mainz  pflog  er  weitschichtige  Berathungen ;  Euprecht, 
welcher  dorthin  mit  den  drei  kurfürstlichen  Erzbischöfen  kam,  nahm 
jedenfalls  gegen  den  Kaiser  keine  ausgesprochen  feindselige  Haltung 
ein  und  verweilte  mehrere  Wochen  bei  Hof  •^),  über  Brandenburg  wurde 
jedoch  offenbar  keine  Einigung  erzielt;  die  Regelung  der  Brabanter 
Verhältnisse  nahm  lange  Zeit  in  Anspruch  und  erst  Ende  Juli  kehrte 
Karl  nach  Böhmen  zurück. 

Der  Legat  Johann  verlebte  inzwischen  sorgenvolle  Tage  in  Ofen, 
denn  König  Ludwig  bestand  bei  aller  Geneigtheit  zum  Kaiser,  welche 
er  sonst  an  den  Tag  legte,  auf  der  persönlichen  Besprechung.  Die 
Entfernung  Karls  erschwerte  den  brieflichen  Verkehr  und  die  dring- 
lichen Schreiben  des  Legaten  blieben  lange  Zeit  ohne  Autwort.  Der 
König  legte  noch  immer  grosses  Gewicht  auf  Pfalzgi-af  Ruprecht,  von 
dem  man  auch  bei  Hofe  eine  hohe  Meinung  hatte.  Der  Herzog  von 
Teschen,  av elcher  von  Ofen  aus  Karl  nachgeeilt  war,  holte  ihn  erst  in 
Mainz  ein  und  brachte  Ende  Mai  seinen  Bescheid  zurück,  er  wolle  am 
24.  Juni  in  Trentschiu  Ludwig  treffen.  Da  der  Kaiser  diesen  Plan 
nicht  ausführen  konnte,  sandte  er  den  Prager  Erzbischof  nach  Ungarn, 
wo  mittlerweile  Herzog  Stephan   die  Absicht   der  Baiern   kundgethan, 


»)  Steiiiherz  5SI4  bezweifelt,  dass  Karl  Ludwig  als  Scliiedsrichter  vorge- 
schlagen habe.  Das  ist  auch  nicht  geschehen,  denn  Karl  spricht  an  der  be- 
treffenden Stelle  (Riedel  II,  2,  528)  nur  von  „tractare  amicabiliter",  was  in  der 
Stellung  Ludwigs  zu  beiden  Parteien  begründet  war.  -)  Dobner395.  3)  jjuber, 
Reg.  5042a  (dazu  Chron.  Mog.  30),  5054,  5103. 


Karl  IV.  und  die  Wittelsbachev.  97 

vor  dem  Legaten  in  Wien  darzuthun.  Ludwig  setzte  dafür  den  15.  Juli 
an,  viel  zu  früh,  da  der  Kaiser  trotz  der  Beschleunigung  seiner  Rück- 
kehr bis  dahin  nicht  eintreffen  konnte.  Dazu  trat  eine  neue  ungün- 
stige Verwicklung,  indem  Ludwig  der  veuetianischen  Verhältnisse  wegen 
mit  den  0 esterreichern  zerfiel  und  sogar  Krieg  drohte  i). 

Erzbischof  Johann  lirachte  den  Vorschlag,  auf  einem  Reichstage 
in  Nürnlierg  den  Streit  zu  schlichten,  wo  der  Kaiser  zugleich  den  drin- 
genden Forderungen  des  Papstes  gegen  Bernabo  genügen  wollte.  Er 
erbot  sich  auch  zu  einer  persönlichen  Zusammenkunft  mit  Ludwig, 
welche  jedoch  bis  Anfang  Oktober  hinausgeschoben  wurde,  da  der 
Ungar  anderweitig  in  Anspruch  genommen  war.  Die  Baiern  schlugen 
nunmehr  den  Rechtsweg  ab,  weshalb  dann  auch  der  dem  Papste  be- 
reits angekündigte  Reichstag  in  Nürnberg  unterblieb;  Ludwig  ver- 
harrte jedoch  dabei,  er  könne  vor  einem  Friedensschluss  mit  Baiern 
die  Verträge  mit  Karl  nicht  zum  Vollzug  kommen  lassen 2). 

Die  Baiern  hatten  ihren  Zweck  erreicht  und  glücklich  die  Eini- 
gung der  beiden  Herrscher,  welche  schon  fast  vollendet  war,  vereitelt, 
gegenseitige  Mssstimmung  erzeugt.  Sie  verfolgten  diese  Politik  auch, 
als  am  4.  October  an  der  böhmisch-ungarischen  Grenz?  wirklich  der 
Kongress  stattfand,  zu  welchem  Karl,  Ludwig,  die  Meissner  Markgrafen, 
Pfalzgraf  Ruprecht,  die  baierischen  Herzöge,  der  Patriarch  Johann  und 
wohl  auch  die  Oesterreicher  zusammentraten-^).  Der  Kaiser  schlug  vor, 
den  Waffenstillstand  auf  zwei  Jahre  zu  verlängern,  verlangte  aber  von 
Ludwig  das  Versprechen,  den  Baiern,  wenn  sie  ihn  brächen,  nicht  zu 
helfen.  Der  König  machte  seine  Zusage  von  der  gleichen  Erklärung 
des  Pfalzgrafen  abhängig,  welcher  sie  jedoch  ablehnte.  Der  einzige 
Erfolg  war,  dass  der  gefährdete  Frieden  zwischen  Oesterreich  und  Un- 
garn bewahrt  blieb. 

Karl  wandte  sich  sofort  an  den  Papst  und  trug  ihm  den  Gang 
der  Dinge  vor^).  Der  seiner  sonstigen  Politik  nicht  entsprechende  Schritt 
zeigt,  wie  besorgt  er  der  Zukunft  entgegensah.  Er  mach  re  Gregor  darauf  auf- 
merksam, wie  das  Verhalten  Ludwigs,  welcher  Reichsfürsten  vom  Reiche  ab 
und  an  sich  ziehe,  nothwendig  zum  Kriege  führen  müsse,  einem  Kriege,  der 
nur  den  Feinden  Ungarns  und  denen  der  gesammten  Christenheit  förderlich 
sein  werde.  Da  Otto  durch  seinen  Eidbruch  und  durch  seine  Untreue  ffeoren 
den  Lehnsherrn  ohnehin  jedes  Recht  auf  die  Mark  verwirkt  habe,  möge 
der  Papst  die  Kurfürsten  anweisen,  durch  ihren  Rechtsspruch  den  Streit 
um  die  Mark    zu  erledigen,    damit   nicht   nach  dem  Tode  des  Kaisers 


')  Dobner  ,396  ff.         ^)  Dobuer  400  ff.         »)  Steinherz  595.    Für  Ruprechts 
Anwesenheit  lassen  seinp  Eegosfon  K;inm.         *)  Riedel  II,  2,  527  ff. 

Mittheilungeu  XI.  7 


Qg  L  i  n  d  n  e  r. 

oder  Ottos  das  braiidenburgisclie  Kurrecht  fraglich  sei  und  so  das  Reich 
in  Verwirrung  gerathe.  Der  Papst  möge  femer  dem  Markgrafen  und 
den  Märkern  befehlen,  die  früher  eingegangenen  Verpflichtungen  zu 
halten,  auch  den  Erzbischof  von  Salzburg  zum  Gehorsam  gegen  den 
Kaiser  zwingen.  Doch  er  richtete  an  Gregor  auch  das  Verlangeu, 
die  an  Reiehsfürsten  (in  anderen  Angelegenheiten)  ergangenen  Vor- 
ladungen vor  die  Kurie  zurückzunehmen;  selbst  unter  diesen  Verhält- 
nissen suchte  er  soweit  möglich  ein  unmittelbares  Eingreifen  des  Papstes 
zu  vermeiden. 

Gregor  hatte  zu  derselben  Zeit,  in  welcher  der  Congress  statt- 
fand, bereits  den  Erzbischof  von  Salzburg  mtt  Strafe  bedroht  und  unter 
der  Einwirkung  seiner  Weisungen  wird  es  geschehen  sein,  wenn  Herzog 
Friedrich  und  seine  Familie  zugleich  im  Namen  Ottos  sich  am  4.  No- 
vember bereit  erklärten,  die  vom  Kaiser  angebotene  Verlängerung  des 
Waffenstillstandes  anzunehmen,  doch  wies  sie  Karl  jetzt  zurück  i). 

Es  glückte  dem  Kaiser,    sich   mit   den   Wettinern    zu   versöhneu, 
Erzbischof  Piligrim  fügte  sich  den  päpstlichen  Weisungen,  König  Lud- 
wig  stürzte   sich   in   einen  Krieg    mit   den  Venetianeru    und  Hess  die 
Baiern  fallen,   Pfalzgraf  Ruprecht  hatte  am  Rhein  alle  Hände  voll  zu 
thun,    der  Papst   beharrte   in  seiner  Zuneigung   zu  Karl,    so  dass  die 
früher   drohenden  Gefahren    mit  Beginn    des   neuen  Jahres  1373  sich 
zerstreuten.     Otto   und  Friedrich   blieben    allein    auf  sich   angewiesen, 
und    wenn  letzterer  sich   von  seinem  Vetter    die  Altmark    verpfänden 
Hess,  so  drohte  Otto  die  Gefahr  der  Enterbung  bei  lebendigem  Leibe, 
die  er  vom  Kaiser  gefüi'chtet  hatte,  nun  von  seinen  Verwandten.    Als 
Karl  im  Juni  mit  Heeresmacht  in  die  Mark  einbrach,  leisteten  Fried- 
rich und  Otto  zwar  Widerstand,    aber  Mitte  August  schlössen  sie  den 
Frieden,    durch  welchen  die  Mark    in   den  unmittelbaren  Besitz  Karls 
kam.     Dass  der  Preis,    welchen  Karl   zahlte,    ein  sehr  hoher  war,   ist 
allsemeiu   anerkannt,    und   die  Baiern    machten   schliesslich    noch   ein 
gutes  Geschäft,    da  sie  bei  der  Zerfahrenheit    ihrer   Familie    kaum   in) 
Stande  gewesen  wären,    die  Mark   zu  behaupten    oder  wenigstens  aus 
ihr  rechten  Nutzen   zu  ziehen.     Sie  verloren  allerdings  so  den  letzten 
grossen  Erwerb    aus  der  Zeit,    in  welcher  ihr  Geschlecht   den  Kaiser- 
thron einnahm,  aber  für  Tirol,  für  die  Lausitz  und  für  die  ^lark  trugen 
sie  reiche  Entschädigungen    an  Geld    davon.     Wäre   nur  ihi-  Haushalt 
nicht  das  Fass  der  Danaiden  gewesen ! 


*)  Am  8.  Nov.  war  der  Legat  in  Bamberg,  Steiuherz  633,  Herzog  Friedrich 
damals  in  Baiern,  Reg.  Bo.  IX,  286.  Dass  Karl  die  Urkunde  zurückwies,  schliesse 
ich  daraus,  dass  das  Original  in  München  liegt.  Auch  die  sonstigen  bekannten 
Verhilltniase  beweisen  es. 


Karl  IV.  und  die  Wittelsbacher.  99 

Karl  hat  den  Wittelsbachern  keinen  Groll  nachgetragen,  sondern 
gerade  den,  welcher  ihm  die  meisten  Schwierigkeiten  gemacht  hatte, 
den  Herzog  Friedrich  reichlichst  mit  seiner  Gunst  bedacht.  Allerdings 
verband  er  damit  den  Zweck,  ihren  Widerstand  gegen  die  Wahl  Wen- 
zels zu  beseitigen,  aber  er  that  an  ihuen  fast  mehr,  als  dazu  erfor- 
derlich war.  So  blieb  bis  zu  seinem  Tode  das  Einvernehmen  der  beiden 
Häuser  ein  gutes. 

Uebersieht  man  noch  einmal  den  Gang  der  Dinge,  so  wird  man, 
so  schwer  es  ist,  die  Einzelheiten  zu  erkennen,  doch  zugeben  müssen, 
dass  die  er&te  Ursache  des  Zerwürfnisses  von  Otto  ausging,  oboleich 
nicht  er  persönlich,  sondern  die  Märker  sie  herbeiführten.  Er  Hess 
sich  nachher  von  seineu  Verwandten  ins  Schlepptau  nehmen,  wurde 
vielleicht  wider  Willeu  ein  Werkzeug  ihrer  ursprünglich  auf  eine  Aen- 
derung  des  ganzen  Reichsstandes  gemünzten  Pläne.  Karl  traf  wie 
ihm  das  zukam,  rechtzeitig  Vorkehrungen,  und  selbst  wenn  er  wirk- 
lich von  Otto  die  sofortige  Ueberlassung  der  Mark  forderte,  so  ist 
dieser  Schritt  erklärlich  aus  seiner  ganzen  bedrohten  Lage.  Immer  ist 
er  bereit,  die  Sache  rechtlich  zum  Austrage  zu  bringen,  aber  die  Baiern 
entzogen  sich  seinen  Vorschlägen,  weil  die  Rechtsfrage  durchaus  gegen 
sie  sprach.  Es  ist  wohl  die  Meinung  ausgesprochen  wordeji,  sie  hätten 
sich  einem  Spruch  der  Kurfürsten  nicht  fügen  können,  weil  Karl  die 
Mehrheit  auf  seiner  Seite  hatte.  Aber  welches  Schiedsgericht  sollte  er 
ihnen  anbieten,  als  das  der  Kurfürsten  ?  und  er  ist  sogar  darüber  hinaus 
gegangen,  denn  er  konnte  auf  die  Gerechtigkeit  seiner  Sache  vor  jedem 
Schiedsrichter  rechnen.  Aber  so  standen  auch  die  Kurfürsten  nicht, 
dass  sie  unter  allen  Umständen,  mochten  die  Sachen  liegen,  wie  sie 
wollten,  sich  für  den  Kaiser  ausgesprochen  hätten.  Böhmen  und  Bran- 
denburg wären  natürlich  ausser  Betracht  geblieben.  Von  den  welt- 
lichen Kurfürsten  war  Ruprecht  auf  baierischer  Seite  und  woo-  also 
den  Sachsen  auf.  Alles  hing  demnach  au  den  geistlichen  Kurfürsten, 
von  denen  Mainz  allerdings  als  unbedingt  kaiserlich  zu  betrachten  ist, 
aber  Kuno  von  Trier  und  Friedrich  von  Köln  waren  mit  nichten 
blinde  Anhänger  des  Kaisers,  so  dass  von  ihnen  Gerechtigkeit  zu  er- 
warten war. 

Soll  ein  Sündenbock  für  die  Fehler,  welche  Otto  und  seiue  Fa- 
milie machten,  gefunden  werden,  so  ist  es  nicht  Karl,  sondern  Ru- 
precht. Er  erscheint  als  derjenige,  welcher  aus  eigenem  Interesse  die 
Baiern  in  das  Abenteuer  hineiulockte ,  sie  darin  festhielt  und  dann 
sitzen  Hess;  ihn  trifft  noch  grössere  Verantwortlichkeit,  als  Ludwig  von 
Ungarn. 


100  L  i  n  d  n  e  1-. 

Karls  Politik  gegen  die  Baiern  ist  demnach  in  ihrer  Gesamtheit 
keine  grundsätzlich  feindliche.  Sie  selbst  zwangen  ihn  oft  genug, 
gegen  sie  einzuschreiten,  und  es  wäre  übermenschliches  von  ihm  ver- 
langt gewesen,  ihr  Auftreten  ruhig  hinzunehmen.  Er  geht  sicher  seiner 
Wege,  benützt,  wie  das  jeder  Staatsmann  thuu  muss  und  wird,  die 
sich  ihm  darbietenden  Mittel  zur  Vertheidigung  und  sucht  gelegentlich 
die  Abwehr  auch  im  Angriff.  Immer  das  Wesentliche  berechnend  und 
kalt  erwägend,  trifft  er  die  erforderlichen  Massnahmen  und  benutzt 
geschickt  die  Fehler  und  Schwächen  der  sich  über  ihr  Vermögen 
täuschenden  Gegner. 

Trotzdem  hat  der  Brandenburger  Handel  schlimme  Früchte  ein- 
getracfen:  indem  der  Kaiser  die  erforderlichen  Geldsuramen  von  den 
Reichsstädten  erpresste,  rief  er  den  grossen  Städtebund  hervor,  welcher 
die  Herrschaft  seines  Sohnes  so  ausserordentlich  erschwerte. 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  und  die  Operationen 
des  Erzherzogs  Johann  in  Steiermark  1809. 

Von 

H.  V.  Zwiedineck-Südenhorst. 

Man  entbehrt  noch  immer  einer  gründlichen,  auf  umfassender 
Detailkenntnis  beruhenden  Geschichte  des  Krieges  von  1809;  weder 
den  Ansprüchen  des  Militärs,  noch  denen  des  Geschichtsschreibers, 
die  sich  vielfach  berühren  und  decken,  ist  bis  jetzt  genüge  geleistet 
worden.  Es  ist  das  um  so  auffallender,  da  sowohl  das  technische 
Moment  der  Organisation  und  Vei-wendung  der  Kriegsmittel  ,  wie 
auch  das  psychologische  des  Charakters  der  Führer  und  der  sich  im 
Kampfe  messenden  Völker  in  diesem  Kriege  ganz  ungewöhnliche 
und  ausserordentlich  belehrende  Erscheinungen  bietet.  Mehr  als  ein- 
mal war  die  Entscheidung  zweifelhaft,  der  augenblicklich  siegreiche 
Theil  in  Gefahr,  seine  Erfolge  mit  einem  Schlag  wieder  zu  verlieren; 
daher  gewährt  die  genaue  Untersuchung  der  Umstände,  durch  welche 
die  bekannten  und  feststehenden  Ereignisse  hervorgerufen  worden  sind, 
das  höchste  Interesse,  und  werden  die  Fragen  nach  der  Möglichkeit 
dieser  oder  jener  anderen  Wendung,  welche  hätte  eintreten  und  den 
Verlauf  der  ganzen  Handlung  dieses  kriegerischen  Dramas  hätte  um- 
gestalten können,  immer  von  Neuem  aufgeworfen  und  mit  Eifer  be- 
sprochen werden. 

Es  ist  möglich,  dass  sich  einst  die  Ueberzeugung  befestigen  wird, 
dass  die  Schicksale  der  sogenannten  Armee  von  Innerösterreich,  welche 
Erzherzog  Johann  befehligte,  keinen  wesentlichen  Einfluss  auf  die  end- 
liche Niederlage  Oesterreichs  genommen  haben;  heute  wird  dies  kaum 
mit  Bestimmtheit  behauptet  werden  können :  die  Beziehungen  der  beiden 
Obercommanden  zu  einander  und  zum  kaiserlichen  Kabinet,  die  Mis- 
verständnisse ,   welche   zwischen  den  beiden  leitenden  Persönlichkeiten 


102 


Z  w  i  e  d  i  n  e  c  k  -  !S  ü  rl  e  11  h  0  r  s  t. 


eingetreten  sind,  enfbehren  noch  der  völligen  Aufklärung.  Es  wird 
deshalb  vielleicht  gerechtfertigt  erscheinen,  wenn  in  dem  vorliegenden 
Aufsatze  der  Versuch  gemacht  wird,  an  einem  einzelnen  Falle,  an  einer 
bisher  wenig  beachteten  Episode  des  Krieges  den  Nachweis  zu  liefern, 
dass  es  bei  Vermeidung  einer  einzigen  groben  Ungeschicklichkeit  höchst 
wahrscheinhch  zu  einer  selbständigen  und  nicht  bedeutungslosen  Action 
der  Armee  des  Erzherzogs  Johann  in  der  Zeit  zwischen  den  Schlachten 
von  Aspem  und  Wagram  hätte  kommen  können. 

Als  die  Armee  des  Erzherzog.^  Johaun  sich  bereits  auf  dem  Kück- 
zuge  aus  Italien  befand,  zu  welchem  sie  durch  die  Durchbrechung  der 
österreichischen  Stellung  in  Baiern  und  die  Zurückdrängung  des  Ge- 
neralissimus Erzherzog  Carl  von  der  Donau  nach  Böhmen  veranlasst 
worden  war^),  erhielt  der  Erzherzog  die  Nachricht,  dass  ihm  die  Di- 
vision des  F.-M.-L.  Eranz  Ereiherrn  v.  Jellacic  zugetheilt  worden  sei, 
die  —  ursprünglich  in  losem  A^erbande  mit  dem  VI.  Armeecorps  des 
F.-M.-L.  v.Hiller  —  seit  dem  Ausbi-uche  der  Feindseligkeiten  die  Be- 
stimmung gehabt  hatte,  den  Zusammenhang  zwischen  der  Hauptarmee 
und  der  Armee  von  Inner  Österreich  aufrecht  zu  erhalten.  Jellacic  hatte 
schon  im  Eeldzuge  von  1805  das  Unglück  gehabt,  mit  4000  Mann  in 
Vorarlberg  die  Waffen  strecken  zu  müssen;  er  war  dann  in  denKuhe- 
stand  versetzt  worden,  man  nahm  jedoch,  als  er  1809  sich  wieder  zur 
aktiven  Dienstleistung  erbot,  keinen  Anstand,  ihm  ein  Commando,  ja 
sogar  ein  sehr  wichtiges  anzuvertrauen,  das  voraussichtlich  zu  selb- 
ständigen Entschlüssen  genötigt  sein  musste. 

Von  der  Hauptarmee  des  Erzherzogs  Carl  sowie  vom  Corps  Hiller 
durch  das  rasche  Vorgehen    der  Franzosen   getrennt,    musste  sich  die 
Division  Jellacic  über  Rosenheim  nach  Salzburg  zurückziehen,    wo  sie 
am  29.  April  anlangte.     Sie  bestand  damals  noch  aus  3  Brigaden: 
Brigade  General  Legisfeld:  Warasdiner  Kreuzer  2  Bat. 

Landsvehr  Salzburger  2  Bat. 
,  Judenburger  1  Bat. 

,  General  Ettingshausen :    Eszterhazy  3  Bat. 

De  Vaux  2  Bat.  ^) 

1  6  pf.  Batterie. 
General  Provencheres'«):  Freiwillige  Österr.  Landwehr  3  Bat. 

O'Eeilly  Chevauxlegers    8  Escadrons. 

1   6  pf  Batterie. 


')  Von  einer  Erörterung   der  Nothwendigkeit    dieses   Rückzuges   muss  hier 
abgesehen  werden.  '•')  In  der  Ordre  de  bataille,  welche  Stutterheira  mittheilt, 

sind  die  Regimenter  Eszterhazy  und  De  Vaux  mit  3  Bataillons  verzeichnet,   1  Bat. 
De  Vaux  stand  in  Tirol.  '')  Carl  Dollmayer  v.  Provencheres. 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         103 

Salzburg  war  nicht  zu  lialten ;  Jellacic  musste  die  Stadt,  während 
seine  Arrieregarde  mit  Truppen  der,  französisch-bairischen  Division  Deroi 
in  ein  Gefecht  geriet,  verlassen  und  schlug  sein  Hauptquartier  am 
30.  April  zu  Golling  auf.  Hier  fasste  er  den  für  ihn  verhängnissvollen 
Entschluss,  die  ganze  Brigade  Provencheres  bis  auf  3  Züge  O'Reilly- 
Chevauxlegers  zu  entlassen  und  zur  Hauptarmee  abzucommandiren.  Er 
hatte  keinen  Auftrag  dazu,  glaubte  jedoch  dadurch  einen  besonderen 
Beweis  von  kluger  Voraussicht  und  Opferwilligkeit  zu  geben.  Er  hat 
die  Gründe,  die  ihn  zu  diesem  Schritte  bewogen,  einige  Tage  darnach 
dem  General  Ettingshausen  auseinandergesetzt,  aus  dessen  Lebenserinne- 
rungen ich  im  Anhange  I  jenen  Abschnitt  mitzutheilen  in  der  Lage 
bin,  der  sich  auf  die  Schicksale  der  Division  Jellacic  vom  30.  April 
bis  zum  26.  Mai  bezieht  i). 

Am  7.  Mai  erhielt  Jellacic  die  Zutheilung  zur  Armee  des  Erzher- 
zogs Johann.  In  dem  Berichte,  welchen  der  Hauptmann  de  Lort  des 
Generalquartiermeisterstabes  an  diesem  Tage  an  den  Chef  des  General- 
stabes der  Armee  von  Innerösterreich  Oberst  Graf  Nugent  abgehen 
liess,  wird  die  Stellung  der  Division  durch  die  Punkte  St.  Gilgen,  Lueg, 
Abtenau,   Filzensattel,   Dienten  fixirt^).     De  Lort   ei-wähnt   der  Deta- 


1)  Konstantin  Ettinghausen,  geb.  22.  Sept.  1760  zu  Bingen  am  Rhein,  Sohn 
eines  kurmainzischen  Beamten,  war  für  den  geistlichen  Stand  bestimmt,  folgte 
jedoch  seinem  sehnlichen  "Wunsche,  in  die  kaiserliche  Armee  einzutreten,  indem 
er  sich  1778  in  Wien  freiwillig  zum  Regimente  Kaiser-Hussaren  assentiren  liess, 
in  welchem  er  vom  Gemeinen  an  alle  Chargen  durchmachte,  bis  er  am  1.  No- 
vember 1786  auf  Befehl  des  Kaisers  Josef  zum  Lieutenant  ernannt  wurde.  Am 
I.Februar  1789  erhielt  er  den  Rang  eines  Oberlieutenauts,  wurde  Adjutant  Wurm- 
sers,  1792  Rittmeister,  1793  Major,  k.  k.  österreichischer  und  Reichs  -  Flügel- 
adjutant. In  Folge  besonderer  Auszeichnung  vor  dem  Feinde  wurde  er  am 
26.  Juni  1797  ausser  der  Tour  zum  Oberstlieutenant,  am  26.  November  1800  zum 
Obersten  bei  Erdödv-Hussaren  befördert;  im  Jänner  1808  wurde  er  Generalmajor 
und  Brigadier.  Nach  dem  Feldzuge  von  1809,  in  welchem  er  wegen  eines  schweren 
rheumatischen  Leidens  kriegsuntauglich  geworden  ist,  musste  er  in  den  Pen- 
sionsstand treten,  liess  sich  aber  noch  mehrmals  zu  besonderen  theils  militärischen, 
theils  politischen  Geschäften  verwenden.  Am  25.  Februar  1812  war  ihm  der  erb- 
ländische,  1815  der  ungarische  Adel  verliehen  worden.  Er  starb  am  11.  März  1826 
in  Wien  und  hinterliess  6  Kinder,  darunter  3  Söhne :  Andreas,  den  nachmals  zu 
grosser  Berühmtheit  gelangten  Professor  der  Mathematik  und  Physik,  Sigismund 
der  1856  als  General  starb,  und  Karl,  der  noch  gegenwärtig  als  Hofrath  in  Pen- 
sion zu  Graz  lebt  und  dessen  Güte  ich  die  Benützung  der  Memoiren  seines  Vaters 
verdanke,  die  als  ein  wichtiger  Beitrag  zur  Kriegsgeschichte  und  zur  Kenntnis 
der  militärischen  Zustände  Oesterreichs  von  1778  bis  1810  der  Veröffentlichung 
in  ihrer  Gesammtheit  in  hohem  Grade  werth  wären.  '^)  Der  Bericht  befindet 

sich  im  Original  unter  den  Beilagen,   welche  Erzherzog  Johann   seiner  bis  1816 
reichenden  Lebensbeschreibung  angeschlossen  hat.     Se.  Excellenz  Herr  Graf  von 


J()4  Z  w  i  e  d  i  u  e  c  Iv  - 1>  ü  d  e  ii  li  o  r  a  i. 

chiniug  der  Brigade  Provenclieres  wegen  der  in  den  Gebii-gen  sieh  er- 
gebenden Schwierigkeit  der  Verpflegung,  setzt  jedoch  hinzu,  dass  der 
Divisions-Commandant  ihr  sofort  Contreordre  nachgesendet  habe  und 
dass  dem  Cavallerie-Eegimente  und  der  Batterie  aufgetragen  worden 
sei,  sich  nach  Rottenmann  zu  dirigiren.  Von  der  österreichischen  Land- 
wehr nahm  er  an,  dass  dieselbe  sich  auf  dem  Boden  ihrer  Heimat  auf- 
gelöst haben  dürfte,  da  Napoleon  bereits  die  Absicht  geäussert  hatte, 
die  Landwehren  nicht  als  reguläre  Truppen  behandeln  zu  wollen.  Am 
Tage  nach  der  Capitulation  von  Wien  hat  Napoleon  bekanntlich  die 
Auflösung  der  gesammten  österreichischen  Landwehr  befohlen  und  den- 
jenigen Wehrraännern,  welche  unter  den  Waffen  bleiben  und  in  frau- 
zösche  Hände  fallen  sollten,  schwere  Strafen  angedroht.  —  Die  Contre- 
ordre für  die  Brigade  Provencheres  kam  zu  spät,  hat  dieselbe  offenbar 
nicht  mehr  erreichen  können,  da  der  Vormarsch  einzelner  französischer 
Abtheilungen  gegen  die  Grenzen  von  Steiermark  die  Möglichkeit  einer 
Verbindung  zwischen  Jellacic  und  Hiller  aufhob.  Vom  7.  Mai  ist 
auch  ein  Schreiben  des  Kaisers  Franz  an  Erzherzog  Johann  aus  Bud- 
weis  datirt  ^) ,  in  welchem  die  Hoff'nung  ausgedrückt  wird ,  dass  sich 
Wien  so  lange  werde  halten  können,  bis  die  Hauptarraee  wieder  an 
das  rechte  Donauufer  übergehen  werde.  Ob  dies  bei  Krems  oder 
anderswo  zu  bewerkstelligen  sei,  könne  man  noch  nicht  beurtheilen. 
Die  Division  Jellacic,  deren  Stärke  im  grossen  Hauptquartier  mit 
10.000  Mann  angenommen  wurde,  während  de  Lort  sie  auf  7000  be- 
rechnete, habe  gegenwärtig  die  Eingänge  nach  Tirol  zu  vertheidigen, 
sei  jedoch  im  Weiteren  auf  die  Befehle  des  Erzherzogs  angewiesen. 

Durch  Feldzeugmeister  Fr.  v.  Kerpen,  General-Commandanten  von 
Innerösterreich,  erfuhr  der  Erzherzog  aus  einem  Berichte  d.  d.  Graz 
9.  Ma'  2),  dass  Jellacic  in  Radstat  angelangt  sei.  Hiller  habe  sich  bis 
St.  Polten  zurückgezogen.  Wenn  er  weiter  zurückgehe,  werde  Steier- 
mark von  Maria  Zell  aus  offen  dastehen.  Kassen,  Hauptquartiere, 
Bagage,  Spitäler  und  Depots  des  V.  und  VL  österreichischen  Armee- 
Corps  seien  nebst  2400  Kriegsgefangenen  unvermuthet  in  grösster  Un- 
ordnung über  Altenmarkt  hereingebrochen.  Die  an  dieselben  ange- 
schlossenen Versprengten  verbreiten  Schrecken  in  der  Bevölkerung, 
die  willkürlichen  Vorspanns-Erpressungen  seien  der  guten  Stimmung 
der  Gebirgsbewohner,  welche  Kerpen  zur  Formirung  des  Landsturmes 


Meran  hat  mir  die  Einsicht  in  den  handschriftlichen  Xachhiss  seines  durchlauch- 
tigsten Vaters,  soweit  sich  derselbe  auf  dessen  Operationen  in  Innerösterreich  be- 
zieht, gestattet,  wofür  ich  nicht  unterlassen  kann,  auch  an  dieser  Stelle  meinen 
aufrichtigsten  und  ergebensten  Dank  auszusprechen. 

')  Oräfl.  Meran'sches  Archiv.  '-')  Ebendaselbst. 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  n.  d.  Opevat.  cl.  Erzh.  Johann  in  Steieiui.         105 

aneifern  sollte,  nicht  wenig  naehtheilig ;  er  könne  sich  von  dem  Land- 
stürme nicht  den  gewünschten  Erfolg  versprechen. 

Erzherzog  Johann  hatte  einen  Augenblick  daran  gedacht,  seine 
Armee  zu  theilen,  dem  Banus  Graf  Ignaz  Gyulay  mit  21  Bataillonen, 
35  Escadronen  und  der  innerösterreichischen  Landwehr  die  Vertheidi- 
gung  von  Kärnten  und  Krain  zu  überlassen  und  sich  selbst  mit 
17  Bataillons  und  18  Escadi'ons  nach  Tirol  zu  ziehen;  dann  hätte 
Chasteler  mit  Jellacic  Nord -Tirol  und  Salzburg  zu  decken  gehabt, 
während  der  Erzherzog  eine  Centralstellung  eingenommen  haben  würde, 
von  welcher  aus  er  sowohl  nach  Norden,  als  nach  Süden  hätte  aus- 
brechen und  entweder  Napoleon  oder  dem  Vicekönig  von  Italien  in 
den  Rücken  fallen  können.  Hormayr^)  begeistert  sich  für  diesen  Plan 
und  bedauert,  dass  er  sehr  bald  wieder  fallen  gelassen  wurde.  Es  ge- 
hört nicht  zur  Aufgabe  dieser  Abhandlung,  denselben  näher  zu  unter- 
suchen, nur  die  Bemerkung  möge  gestattet  sein,  dass  der  Erzherzog» 
als  er  ihn  erwog,  den  Berichten  des  Generalissimus  zufolge  noch  au 
den  Zusammenhang  zwischen  Hiller  und  Jellacic  glauben  musste,  dass 
anderseits  Hormayr  in  der  Aufstellung  der  günstigen  Wirkimgen,  welche 
die  Theilung  der  Armee  von  Innerösterreich  hervorgebracht  haben 
würde,  auf  Marmonts  Vormarsch  gegen  Kroatien  und  Krain  vergisst. 
Die  erste  Anordnung,  welche  Erzherzog  Johann  am  3.  Mai  an  Jellacic 
ergehen  liess,  verlangte  von  diesem  noch  die  Behauptung  der  salz- 
burgischen Gebirge  und  des  Ennsthales.  Sie  musste  jedoch  eiueAen- 
derung  erfahren,  als  die  unter  des  Erzherzogs  Commando  stehenden 
Truppen,  von  der  Armee  des  Vicekönigs  heftig  gedräDgt,  unter  ver- 
lustvollen Gefechten  bis  Tarvis  zurückgegangen  waren  und  das  Gefecht 
bei  Wörgel  (13.  Mai)  das  Zusammenwirken  der  Division  Jellacic  und 
Chastelers  vereitelt  hatte.  General  Ettingshausen  war  am  12.  Mai  bis 
St.  Johann  im  Pongau,  am  13.  nach  Saalfelden  vorgerückt,  hatte  den 
Hochfilzen,  die  Pässe  Lufteustein  und  Hirschbühel  besetzt,  durfte  sieh 
jedoch  nicht  weiter  von  dem  Gros  der  Division  entfernen,  weil  ihm 
Jellacic  mit  Beziehung  auf  einen  ausdrücklichen  Befehl  Erzherzogs 
Johann,  seine  Kräfte  zusammenzuhalten,  die  Weisuug  gegeben  hatte, 
, seine  Vertheidigung  nicht  zu  weit  auszudehnen".  Von  einer  Opera- 
tion Ettiugshausens  gegen  den  Eücken  der  im  Unterinnthal  vorgehen- 
den Baiern  war  dabei  nicht  die  Rede  gewesen.  Chasteler  hatte  den 
verfehlten  Zug  nach  Wörgel  unternommen,  ohne  von  der  Stellung  der 
Division  Jellacic  genauere  Kenntnis»  und  ohne  sich  von  der  Möglich- 
keit eines  Eingreifens  derselben  überzeua-t  zu  haben. 


')  Geschichte  Andreas  Hofeis  2.  Aufi.  1845. 


106  Z  w  i  e  d  i  n  e  c  k  -  S  y  (.1  e  n  h  0  r  s  t. 

Erzherzog  Johann  war  schon  am  16.  Mai  von  dem  Unfälle  bei 
Wörgl  unterrichtet  und  entschlossen,  von  der  Vertheidigung  der  weit 
auseinanderliegenden  Gebirgsstrassen  und  Pässe  abzusehen  und  sich  in 
Steiermark  durch  Heranziehuno;  aller  vereinzelten  Heeresabtheilungfem 
die  ihm  unterstanden ,  eine  neue  actionsfähige  Armee  zu  bilden.  Er 
berichtete  in  diesem  Sinne  an  den  Kaiser  i).  Indem  er  den  Zustand 
der  Armee  schilderte,  hob  er  hervor,  dass  dieselbe  namentlich  an  Offi- 
zieren grosse  Verluste  erlitten  habe.  Die  Mannschaft  sei  ermüdet,  die 
Bespannung  elend.  Alles  in  Allem  habe  er  26.000  Mann,  in  viele 
, Parteien"  getheilt,  und  dürfe  sich  daher  in  kein  ernstliches  Gefecht 
einlassen.  Er  nehme  seinen  Kückzug  längs  der  Drau  nach  Marburg; 
Banus  Gyulay  gehe  nach  Laibach.  Jellacic  sei  nach  Graz  beordert. 
Von  letzterem  langte  am  17.  Mai  die  Meldung  von  dem  Gefechte  bei 
Wörgl  und  dem  dadurch  notwendig  gewordenen  weiteren  Bückzug 
seiner  Division  auf  steirischen  Boden  an  2),  Ettingshausen  war  am 
18.  Mai  wieder  in  St.  Johann.  Er  hatte  von  den  Tirolern  mehrfache 
Aufforderungen  erhalten,  ihnen  zu  Hilfe  zu  kommen,  konnte  denselben 
jedoch,  ohne  sich  einer  unzweifelhaften  Insubordination  schuldig  zu 
machen,  unmöglich  nachkommen. 

Der  Erzherzog  gab  Jellacic  von  Villach  aus  den  Befehl ,  seinen 
Eückzug  fortzusetzen  und  die  Eichtung  „  auf  der  kürzesten  Linie  *  nach 
Graz  zu  nehmen,  indem  er  ihm  zugleich  seine  eigenen  Absichten  deut- 
lich erkennen  Hess  und  seine  Ankunft  für  den  25.  Mai  in  Pettau  an- 
zeigte^). Er  hatte  vom  Generalissimus  Erzherzog  Carl  ein  vom  13.  Mai 
datirtes  Schreiben  erhalten,  welches  ihm  anzeigte,  dass  sein  Bruder  am 
15.  d.  M.  bei  Korneuburg  über  die  Douau  gehen  wolle,  die  Höhen  des 
Kahlenberges  zu  gewinnen,  den  Feind  anzugreifen  und  Wien  zu  ent- 
setzen.    In  Wien   sei   F.-M.-L.  Dedovich    mit  5000  Mann   gestanden, 


')  Entwurf  des  Schreibens  im  Gräfl.  Meran'schen  Archiv.  -)  Ueber  diesen 

Rückzug  hat  Hormayr  in  seinem  »Andreas  Hofer*  eine  lange  Tirade  voll  von 
Vorwürfen  gegen  Jellacic  losgelassen.  Sie  sind  gänzlich  unbegründet.  JellaoiÖ 
durfte  den  Weisungen  des  Erzherzogs  zufolge  und  seiner  eigenen  Sicherung  wegen 
nicht  an  der  Verbindung  mit  Chasteler  festhalten.  Seine  Bestimmung  war  eine 
andere  und  ausserdem  die  Gefahr  sehr  nahe ,  dass  er  schliesslich  im  mittleren 
Pinzgau  eingespeiTt  oder  zur  Flucht  ins  Zillerthal  genöthigt  worden  wäre.  Frei- 
lich, wenn  man  glaubt,  dass  die  Vereinigung  möglichst  vieler  Truppen  in  Tirol 
dem  Feldzug  eine  andere  Wendung  hätte  geben  können,  wäre  für  Jellaöic  der 
Zug  nach  Westen  wichtiger  gewesen,  als  die  Rücksicht  auf  die  Bewegungen  der 
Armee  des  Erzherzogs  Johann.  General  Ettingshausen  hat  nach  dem  Erscheinen 
des  Hormayr'schen  Buches  in  einem  besonderen ,  von  seiner  Lebensgeschichte 
unabhängigen  Aufsatze  die  von  Hormajr  aufgeworfenen  Fragen  behandelt  und 
dessen  Angritte  zurückgewiesen.  ^)  Gräfl.  Meran'sches  Archiv,   siehe  Anh.  II. 


Das  Gefeclit  bei  ^t.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzli.  Johann  in  Steierm.         107 

wozu  noch  6  Wiener  Freibataillone,  die  Brigaden  Nordmann  und  Mesko 
gekommen  seien.  Ausser  diesen  sei  Hiller  nebst  dem  noch  übrigen 
Theil  des  Corps  Erzherzog  Ludwig  und  dem  II.  ßeservecorps  nach  dem 
Spitz  dirignrt  gewesen.  Die  Auen  und  Donauinseln  waren  von  2  Ba- 
taillonen Gradiskauer  und  10  Bataillonen  Landwehr  besetzt.  Er  hatte 
gehofft,  dass  sich  die  Stadt  4  Tage  bis  zu  seiuer  Aukunft  werde  halten 
können.  Die  Käumung,  die  am  12.  erfolgt  sein  soll,  sei  ihm  unbe- 
greiflich. Er  könne  dem  Erzherzog  nur  diese  Verhältnisse  mittheileu 
„und  müsse  es  seiner  Einsicht  und  Klugheit  überlassen,  für  das  ge- 
meinschaftliche Beste  die  zweckmässigsten  Massregeln  zu  ergreifen"  i). 
Erzherzog  Johann  war  bereits  im  Begriffe,  dies  zu  thuu.  Er  kannte 
die  Thatsache  der  Capitulation  von  Wien  und  konnte  aunehmen,  dass 
der  Uebergang  der  Hauptarmee  auf  das  rechte  Donauufer  zum  min- 
desten verschoben  worden  sei.  Er  war  sich  weiter  bewusst,  dass  es 
ihm  mit  den  Mitteln,  welche  ihm  augenblicklich  zur  Verfügung  stan- 
den, nicht  gelingen  könne,  den  Marsch  des  Vizeköuigs  in  der  Rich- 
tung nach  Wien  aufzuhalten.  Er  konnte  jedoch  hoffen,  wenn  er  sich 
gesammelt  und  verstärkt  habe,  wieder  die  Initiative  ergreifen  und  einen 
nicht  unbeträchtlichen  Theil  der  französischen  Streitkraft  auf  sich  ziehen 
zu  können.  Es  musste  dies  um  so  wichtiger  werden,  wenn  es  seinem 
Bruder  gelang,  mittlerweile  einen  glücklichen  Schlag  gegen  Napoleon 
auszuführen. 

Er  hielt  an  diesen  Erwägungen  fest,  auch  als  er  durch  das  merk- 
würdige Handschreiben  des  Kaisers  vom  15.  Mai,  Nieder-Hollabrunn, 
überrascht  wurde  -).  Dies  trug  ihm  nämlich  ohne  irgendwelche  Be- 
ziehung auf  die  Willensmeinuug  des  Generalissimus ,  dem  doch  die 
Disposition  über  die  gesammte  österreichische  Armee  übergeben  war, 
auf,  sich  sofort  über  Salzburg  an  den  Inn  und  an  die  Donau  zu  wen- 
den und  in  Verbindung  mit  dem  II.  Armeecorps  des  F.-Z.-M.  Graf 
Kollowrath,  der  die  Richtung  von  Budweis  nach  Linz  zu  nehmen  habe, 
die  Verbindung  Napoleons  mit  „  dem  deutschen  Reiche "  abzuschneiden. 
Der  Erzherzog  vermochte  der  optimistischen  Darstellung  der  bedrängten 
Lage  der  Napoleon'schen  Armee  geringen  Glauben  zu  schenken,  hatte 
jedoch  eine  nur  zu  bestimmte  Kenntnis  seiner  eigenen  Schwäche.  In 
den  beiden  Schreiben,    welche   er   auf  dem  Marsche  von  Völkermarkt 


')  Ebendaselbst.  ^)  Original  im  gräfl.  Meran'schen  Archive.     Siehe  An- 

hang III.  Es  lässt  sich  nicht  feststellen ,  an  welchem  Tage  das  Handschreiben 
dem  Erzherzoge  zugekommen  ist.  In  seinen  späteren  Aufzeichnungen  nimmt  er 
den  18.  Mai  an ;  dem  Schreiben  an  Erzherzog  Carl  vom  24.  zufolge  wäre  es  erst 
zwei  Tage  vorher  (22.)  an  ihn  gelangt.  Das  Schriftstück  selbst  trägt  die  Signatur : 
Fräs.  21. 


108 


Z  w  i  e  d  i  u  e  c  k  -  S  ü  d  0  n  ho  r  H  t. 


und  Lavamünd  aus  an  Jellacic  sandte  i),  wird  die  Vereinigung  mit  ihm 
als  das  Wichtigste  bezeichnet,  was  er  jetzt  anzustreben  habe. 
Jellacic  sollte  an  den  Gebirgspässen  Beobachtungsposten  aufstellen, 
welche  ihn  über  alle  Vorgänge  beim  Feinde  in  Kenntnis  setzen  könn- 
ten, bei  dessen  Annäherung  sich  aber  sofort  zurückzuziehen  hätten. 
Die  Besetzung  der  Pässe  würde  auch  dazu  beitragen,  den  Feind  über 
die  Absicht  des  Erzherzogs,  alle  seine  Kräfte  zu  vereinigen,  so  lange 
als  möglich  zu  täuschen.  Der  Wortlaut  der  Anordnungen  ging  aber 
mit  voller  Klarheit  dahin,  dass  Jellacic  die  Verbindung  mit  diesen  Be- 
obachtuugsposten  nicht  gänzlich  aufzugeben,  sondern  dieselben  all- 
mählig  an  seine  Arrieregarde  heranzuziehen  habe.  Der  Erzherzog  nimmt 
auch  an,  dass  die  aus  zwei  Infanterie-  und  einem  Cavallerieregimente 
bestehende  französische  Abtheilung,  welche  über  Maria-Zeil  hereinge- 
brochen und  bis  Wegscheid  gekommen  sei,  sich  ihm  bei  Brück  in  den 
Weg  stellen  könne.  Sollte  ihm  dieselbe  so  stark  vorkommen,  dass  er 
sie  nicht  werfen  könne,  so  schlug  er  ihm  den  Weg  von  Leoben  über 
den  Diebsweg  nach  Frohnleiten  vor.  Auf  das  mögliche  Vorgehen  einer 
Colonne  des  Vizekönigs  von  Klagenfurt  über  .Judenburg  wird  eben- 
falls aufmerksam  gemacht.  „Zeit  ist  nicht  zu  verlieren"  sind 
die  inhaltsschweren  Worte,  welche  an  diese  Bemerkung  geknüpft 
werden. 

Das  Schreiben  aus  Völkermarkt  enthält  den  Satz,  dass  der  Erz- 
herzog -  eine  Abtheilung  von  Klagenfurt  nach  St.  Veit  abgesendet  habe, 
um  jede  Bewegung  de.^  Feindes  auf  dieser  Strasse  zu  beobachten".  Diese 
Vorkehrung  war  gewiss  von  grösster  Bedeutung.  Die  Rückzugslinie 
dieser  Abtheilung  konnte,  wenn  sie  sich  mit  Jellacic  in  Beziehung 
setzen  sollte ,  nur  die  Eeichsstrasse  sein ,  welche  von  St.  Veit  über 
Friesach,  Unzmarkt,  Judenburg,  Knittelfeld  nach  St.  Michael  führt. 
Der  Erzherzog  konnte  keine  andere  im  Auge  haben.  Von  dieser  Ab- 
theilung ist  jedoch  nirgends  mehr  die  Rede.  Es  lässt  sich  kaimi  etwas 
Anderes  aunehmeu,  als  dass  die  Anordnung  des  Erzherzogs  aus  Maugel 
an  Verständnis  nicht  ausgeführt  wurde,  dass  die  Abtheilung,  wenn  sie 
überhaupt  nach  St.  A^eit  gekommen  ist,  sich  von  dort  wieder  auf  die 
Hauptmacht  zurückgezogen  hat.  Da  von  der  Armee  des  Vizekönigs 
am  20.  Mai  erst  zwei  Cavallerie  -  Regimenter  und  einige  Infanterie- 
Abtheilungen,  am  21.  vier  Divisionen  in  Klageufurt  eingerückt  waren 2), 
so  muss  die  Strasse  von  St.  Veit  nach  Friesach  am  19.  und  20.  noch 
vollkommen  frei  gewesen  sein,  es  gab  also  kein  militärisches  Hindernis 


•)  Die  Entwürfe   von   des  Erzherzogd   eigeuer  Hand   im    gräfl.  Meran'schen 
Archive.     Siebe  Anhang  IV,  V.  -)  Aelschker,  Geschichte  Kärntens  II. 


t)as  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         1()9 

für  jenes  Detacliement,  seinen  Weg  auf  demselben  zu  nehmen.  Seine 
Anwesenheit  hätte  wahrscheinlich  zur  Verlangsamung  des  französischen 
Vormarsches  beigetragen,  denn  der  Vizekönig  konnte  nicht  wissen, 
wen  er  vor  sich  habe. 

lieber  die  Stärke  der  Macht,  welche  Jellacic  in  das  Murthal  bringen 
konnte,  durfte  Erzherzog  Johann  selu'  günstige  Vorstellungen  haben. 
F.-Z.-M.  V.  Kerpeu  hatte  ihm  am  18.  Mai  aus  Graz  i)  gemeldet,  dass 
sich  an  den  Grenzen  von  Steiermark  und  Oberösterreich  5  Bataillone 
Landwehr  und  1  Bataillon  Eeuss-Greitz -)  in  Stellung  befanden,  dass 
er  das  Commando  über  dieselben  „auf  Vorschlag  des  FML.  Jellacic" 
dem  Oberstlieutenaut  Graf  Plunquet  vom  4.  österr.  Landwehr-Bataillon 
0.  W.  W.  verliehen  und  „  denselben  au  gewiesen  habe,  die  Verbindung 
mit  dem  FML.  Jellacic  und  Lippa  (in  Brück)  zu  unterhalten".  Diese 
combinirte  Brigade  musste  von  Jellacic,  wenn  er  die  Sachlage  und 
die  Absichten  des  Erzherzogs  auffasste,  nach  Graz  mitgebracht  wer- 
den. Leider  hat  sie  ein  ganz  anderes,  klägliches  Schicksal  gehabt. 
Es  bestand  allerdings  die  Absicht,  die  Landwehr,  sobald  sich  Jellacic 
ziu'ückgezogen  haben  würde,  aufzulösen  und  den  Landsturm  nach 
Hause  zu  entlassen 3);  doch  sollte  vorher  noch  der  Versuch  gemacht 
werden,  aus  den  Landwehrmännern,  welche  sich  dazu  willig  zeigten, 
Freibataillone  zu  formiren.  Der  Erzherzog  behielt  sich  vor,  über 
den  Landsturm  in  Graz  persönlich  zu  verfügen ;  die  flüchtigen  nieder- 
östen-eichiscben  Landwehrmänner,  über  deren  Exzesse  und  Strassen- 
räubereien  Freiherr  v.  Hingenau  geklagt  hatte,  Hess  er  zusammenfangen 
und  in  Kasernen  sperren,  um  sie  der  verdienten  Strafe  zuzuführen. 

Für  die  Verpflegung  der  Division  Jellacic  gab  der  Erzherzog  strenge 
Aufträge,  namentlich  lag  ihm  die  Herbeischafi'ung  der  Schuhe  sehr  am 
Herzen,  welche  Jellacic  am  26.  Mai  in  Graz  vorzufinden  gewünscht 
hatte  ^).  Für  diesen  Tag  hatte  er  dem  FZM.  v.  Kerpen  seine  Ankunft 
daselbst  angekündigt.  Der  Erzherzog  hatte  die  Richtung  nach  Pettau 
aufgegeben  und  sich  direkt  über  den  Eadl  nach  Graz  gewendet,  um 
Jellacic  näher  zu  sein  und  seine  Vereinigung  mit  ihm  früher  bewerk- 
stelligen zu  können.  Es  ist  daher  begreiflich,  dass  er  nach  seiner  An- 
kunft in  der  steirischen  Hauptstadt  mit  voller  Beruhigung  dem  An- 
märsche dieses  Heereskörpers  entgegensah  und  seine  strategischen  Be- 
rechnungen darauf  stützte.     Er  sprach  sich  am  24.  Mai   einem  Abge- 


')  Original  im  gi-äfl.  Meran'schen  Archiv.     Siehe   Anhang  VI.  ^)   Das- 

selbe hatte  zur  Division  Dedovich   des  IV.  Armee-Corps  Fürst  Rosenberg   gehört 
und  war  auf  dem  Rückzi.ige   nach  Steiermark  versprengt  worden.  ^)  Freih. 

V.  Hingenau  an  Erzh.  Johann  Graz  21.  Mai.    Gräti.Meran'sches  Archiv.         '')  Erzh. 
Johann  an  FZM.  v.  Kerpen  Eibiswald  22.  Mai.     Gräfl.  Meran'sches  Archiv. 


•[  j^f)  Z  M-  i  e  d  i  11  e  c  k  -  S  li  d  e  n  h  0  r  s  t. 

sandten  des  Kaisers  gegenüber^),  der  ihn  mündlich  von  der  Lage  der 
Hauptarmee  unterrichtete,  dahin  aus,  dass  er  gesonnen  sei,  wenn  er 
stark  gedrückt  werde,  sich  nacli  der  Vereinigung  mit  Jellacic.  ,  was  er 
nicht  zweifle-',  nach  Ungarn  zurückzuziehen,  die  Insurrection  aufzu- 
nehmen und  wieder  vorzugehen.  Sehr  ausführlich  berichtet  er  an  den 
Generalissimus  über  seinen  Kückzug-),  indem  er  zugleich  begründet, 
warum  er  den  Befehl  des  Kaisers  vom  15.  Mai  nicht  habe  befolgen 
können.  Ueber  den  Marsch  des  Vizekönigs  war  er  nicht  vollständig 
aufgeklärt,  er  vermutete  wohl,  dass  eine  Colonne  desselben  durch  das 
Murthal  über  Judeuburg  ziehen  werde,  aber  nicht,  dass  sich  dort  be- 
reits die  Hauptmacht  auf  dem  Marsche  nach  Wien  befand.  Nach  einer 
genauen  Aufzählung  der  Streitkräfte,  die  er  noch  zur  Verfügung  habe, 
besprach  er  die  Aufgaben,  welche  er  sich  zur  Lösung  stellen  könne. 
Er  nahm  an,  dass  der  Banus  Gyulay,  der  mit  10  Bataillonen  Linie, 
13  Bataillonen  Landwehr  und  8  Escadronen  in  Laibach  stand,  in  Ver- 
bindung mit  der  kroatischen  Insurrection  und  dem  General  Stoichevich 
gegen  Marmont  ausreichen  werde;  er  selbst  hoffte  mit  Jellacic  und 
Albert  Gyulay,  der  10  Bataillone  Linie,  2  Bataillone  Landwehr  und 
2  Escadrons  in  Pettau  sammelte  und  wiederherstellte,  17  — 18.000  Mann 
zusammenzubringen,  die  endlich  noch  durch  10.000  Mauu  des  FML. 
Chasteler  verstärkt  werden  konnten,  wenn  dieser  den  Auftrag  des  Erz- 
herzoo-s,  vom  Pusterthale  aus  nach  In u erÖsterreich  vorzubrechen,  zur 
Ausführuno-  zu  bringen  vermochte.  Mit  Allem,  was  er  zusammenraffen 
konnte,  wollte  er  von  Fürstenfeld  oder  sogar  noch  von  Graz  aus  die 
Bichtung  nach  Oesterreich  nehmen.  Er  hat  die  Strassen  über  Aspang 
nach  Neustadt,  über  denSemmeriug  und  über  Maria-Zeil  nach  St.  Polten 
im  Aucre.  Wenn  er  auf  diesem  Wege  Alles  angreife,  was  vor  ihm 
stehe,  so  werde  Napoleon  gezwungen  sein,  gegen  ihn  zu  detachiren 
und  die  gegen  den  Generalissimus  in  Verwendung  kommende  Macht 
einigermassen  zu  schwächen.  Als  Grundbedingung  für  das  Gelingen 
seiner  Operationen  sieht  er  die  volle  Uebereinstimmung  derselben  mit 
den  Vorgängen  der  Hauptarmee  an.  An  Chasteler  ging  ebenfalls  am 
24.  Mai  von  Graz  aus  folgende  Weisung  des  Erzherzogs  ab :  „  Ich  ver- 
einige mich  den  27.  bei  Graz  mit  Jellacic,  was  gegen  ihn  steht,  ist 
mir  unbekannt,  sammeln  sie  Alles  auf  ein<'n  Klumpen  und  brechen  sie 
durch,  am  besten  wäre  es  durch  das  Puöterthal  nach  Spital,  von  da 
über  den  Katschberg  nach  St.  Michael,  dann  über  Murau  nach  Juden- 
burg und  die  Stub-  oder  Kleinalpe  in  die  Gebirge  des  Grazer  Kreises, 
wo  sie  dann  zu  mir  stossen  können  "3) 

')  Der  Erzherzog  nennt  ihn  in  einem  Schreiben  an  den  Kaiser  von  demselben 
Tage  .Lenrs'.         -)  Siehe  Anh.  ^'II.         ")  Entwurf  im  gräfl.Meran'schen  Archiv. 


l)as Gefecht  bei  St. Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         W'l 

Indessen  war  die  Division  Jellacic  am  21.  Mai  in  Schladming 
angelangt.  Sie  marschirte  am  22.  bis  Staiuach,  am  23.  bis  Rotten- 
mann, am  24.  bis  Mautern.  Die  Marschleistungen  der  ersten  3  Tage 
entsprechen  den  Anforderungen,  welche  durchschnittlieh  bei  nor- 
malen Verhältnissen  gestellt  werden,  nur  die  40  km  des  24.  können  als 
Ergebnis  grösserer  Anstrengung  bezeichnet  werden.  Wenn  Jellacic 
begriffen  hätte,  dass  es  für  ihn  darauf  ankam,  unter  allen  Umstäudeu 
vor  der  im  Murthal  zu  erwartenden  französischen  Colonne  in  St.  Mi- 
chael und  Leoben  anzulangen,  so  musste  er  am  22.  Liezen,  am  23. 
Wald  zu  erreichen  trachten,  dann  wäre  er  am  24.  mit  Leichtigkeit  in 
Leoben  eingetroffen.  Es  war  ganz  gleichgiltig,  ob  er  dabei  eine  grössere 
Anzahl  Marodeurs  und  einige  Bagagewagen  zurückliess ,  wenn  er  nur 
die  Hauptmassen  seiner  Bataillone  vorwärts  brachte.  Gewalt-  und 
Nachtmärsche  waren  ihm  damit  immer  noch  nicht  zugemutet.  Auch 
musste  es  ihm  klar  sein,  dass  alle  Detachirungen  keinen  Zweck  mehr 
hatten,  dass  er  vielmehr  an  sich  zu  ziehen  hatte,  was  nur  immer  im 
Bereiche  seines  Commandos  stand.  Aus  der  Erzählung  Ettingshausens 
entnehmen  wir,  dass  ihn  das  Schreiben  des  Erzherzogs  Johann  vom 
19.  aus  Völkermarkt,  welches  von  der  Aufstellung  von  Beobachtungs- 
posten an  den  Pässen  sprach,  in  Verlegenheit  gesetzt  und  endlich  ver- 
anlasst hat,  seine  2  besten  Landwehr-Bataillone  nach  Mandling  und 
Aussee  zurück  zu  schicken.  Dies  beweist,  dass  er  die  Auseinander- 
setzungen des  Erzherzogs,  welche  ein  ganz  deutliches  Bild  der  Situation 
gaben,  nicht  verstanden  hat.  Von  den  Truppen  Plunquets  hat  er  nur 
das  Bataillon  Reuss-Greiz  an  sich  gezogen.  Die  anderen  überliess  er 
sammt  seiner  eigenen  Landwehr  ihrem  Schicksale,  über  welches  er  nicht 
im  Unklaren  sein  konnte,  da  er  vom  Erzherzoge  selbst  auf  die  Wahr- 
scheinlichkeit des  Erscheinens  einer  französischen  Colonne  auf  der 
Strasse  von  Judenburg  nach  Brück  aufmerksam  gemacht  war. 

Am  24.  war  Jellacic  von  der  Ankunft  von  6000  Franzosen  m 
Kuittelfeld  liereits  unterrichtet.  Er  hatte  nunmehr  die  Gewissheifc,  dass 
er  schon  zu  viel  Zeit  auf  dem  Marsche  versäumt,  die  Landwehr  in 
seinem  Rücken  unnütz  zerstreut  hatte.  Letztere  musste  den  Weisungen 
des  Erzherzogs  entsprechend,  da  sie  sich  nicht  mehr  mit  ihm  ver- 
einigen konnte,  beordert  werden,  sich  bei  Annäherung  des  Feindes  in 
die  Hochthäler  zurückzuziehen  und  dort  den  Augenblick  abzuwarten, 
wo  sie  irgendwo  freie  Bahn  finden  würde.  Plunquet  hätte  seine  Kräfte 
zusammenziehen  und  die  Strasse  über  den  Rottenmanner  Tauern  ein- 
schlagen, sich  mit  7  Bataillonen,  die  er  zusammenbrachte,  bei  Juden- 
burg   durch    die  jedenfalls    schwachen    französischen    Etappen    durch- 


tl2 


Z  w  i  e  d  i  n  e  c  k  -  iS  ü  d  e  )i  h  0  r  s t. 


sclilagen  und  die  Stubalpe  erreichen  können.    Er  hat  jedoch  gar  keine 
A^erhaltungsmassregel  bekommen. 

Statt  die  Truppen ,  wie  sie  am  24.  Nachmittags  standen,  rasten 
zu  lassen  und  mit  ihnen  noch  in  der  Nacht  aufzubrechen,  Hess  Jellacic 
die  Arrieregarde  an  diesem  Tage  noch  au  die  Tete  rücken  —  eine 
/wecklose  Ermüdung  —  und  bezog  Cantonuemeuts,  durch  welche  das 
rechtzeitige  Antreten  am  nächsten  Morgen  voraussichtlich  in  Frage 
gestellt  sein  musste.  Aus  Ettingshausens  Bericht  geht  hervor,  dass 
noch  eine  Reihe  von  Ungenauigkeiten  in  der  Befehlsertheilung  und 
Missverständnisse  dazu  beigetragen  haben,  dass  die  Division  statt  um 
p,  Uhr  erst  um  14  ^  ühr  morgens  in  Bewegung  kam.    Für  den  Marsch 


von  Mautern  nach  Leoben  standen  zwei  Wege  offen:  der  weitere,  in 
die  Nähe  der  von  Knittelfeld  anrückenden  Franzosen  fuhrende,  auf 
der  Reichsstrasse  (sogenannten  Salzstrasse)  über  St.  Michael,  der  nähere 
auf  einer  ganz  guten  „  Kohlstrasse "  von  Traboch  über  Edling  und 
Trofajach,  oder  direct  ül^er  St.  Peter.  Die  Infanterie  konnte  auf  dem 
letzteren  um  9  oder  10  Uhr  Vormittag  in  Leoben  anlangen,  Geschütz 
und  Fuhrwerk  über  Edling  und  Trofajach  jedenfalls  im  Laufe  des 
Nachmittags.  Möglich,  dass  dieses  verloren  gegangen  wäre.  7000  Manu 
Linieutruppen,  die  noch  fast  gar  nicht  im  Feuer  gestunden  waren, 
hätten  aber  ohne  Verlust  am  25.  Abends  in  Brück  eintreffen  oder  den 
Diebsweg  nach  Frohnleiten  einschlagen  können.  Jellacic  wurde  auf 
die    Abzweigung   der   StraSbC   von    Traboch    aufmerksam   gemacht,    er 


Das  Gefecht  bei  St.  Micliael  n.  ct.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         \\^^ 

öchhig  sie  trotzdem  nicht  ein.  Seine  Erwägungen  sind  von  Ettings- 
liausen  aufgezeichnet  worden. 

So  kam  es,  dass  die  Patrouillen  der  Division  Jellacic  und  der  fran- 
zösischen Division  Serras  um  9  Uhr  Vormittag  au  der  StrassenkreuzuDg 
von  St.  Michael  mit  einer  Pünktlichkeit  zusammentrafen ,  die  nicht 
besser  hätte  verabredet  werden  können. 

Der  Vizekönig  hatte  (wahrscheinlich  in  Judenburg)  in  Erfahrung 
gebracht,  dass  Jellacic  noch  auf  dem  Marsche  narh  Leoben  begriifen 
sei,  und  sich  entschlossen,  ihn  anzugreifen i).  Das  am  weitesten  vor- 
geschobene Corps  Grenier^)  wurde  beauftragt,  sich  so  rasch  als  mög- 
lich des  Knotenpunktes  von  St.  Michael  zu  bemächtigen. 

Die  Division  Serras  (11  Bat.,  4  Esc.)  brach  am  frühen  Morgen 
des  25.  Mai  von  Knittelfeld  auf,  ihr  folgte  die  Division  Dirutti  (Du- 
rutte),  von  welcher  etwa  7 — 8  Bataillons  an  diesem  Tage  in  Verwen- 
dung kamen,  und  eine  Cavallerie-Brigade :  die  Kegimenter  Friaire  und 
Delacroix. 

Als  Jellacic  sich  von  der  Ankunft  des  Feindes  überzeugt  hatte, 
Hess  er  die  Brigade  Ettingshausen  auf  einer  am  rechten  Ufer  der  Liesing 
bis  zur  Mur  sich  erstreckenden  Platte,  welche  mit  einer  ziemlich  steilen 
Böschung  gegen  Westen  abfällt,  Stellung  nehmen,  indem  er  nament- 
lich auf  die  Deckung  der  rechten  Flanke  gegen  das  Gebirge  (die  öst- 
lichen Abhänge  der  Sekkauer  Alpen,  deren  höchste  Erhebung  der 
Zinken  bildet)  bedacht  war*^).    Ettingshausen  vertritt  die  Ansicht,  dass 


*)  Als  Quelle  für  die  Vorgiinge  auf  fi-anzösischer  Seite  dienen  die  »Memoirea 
et  coiTespondance  politique  et  militaire  du  Prince  Eugene,  publies,  annotis  et 
mis  an  ordre  par  A.  du  Cassc*  Paris  1859.  Tome  cinquieme.  Die  Darstellung 
der  Gefechte  von  St.  Michael  stimmt  fast  durchaus  wörtlich  mit  dem  betreffen- 
den Abschnitte  in  De  Laborde's:  »Precis  historique  de  la  guerre  en  1809«. 
■')  In  den  Memoiren  des  Vizekönigs  findet  sich  (T.  V.  p.  124)  die  Bemerkung, 
Grenier  sei  am  23.  bei  Judenburg  auf  eine  österreichische  Colonne  (,se  com- 
posent  de  pajsans  et  de  chasseurs  du  loup.  de  3  bataillons  de  Lusignan  venus 
du  Tyrol  avec  6  pieces  de  cauon,  precedes  de  300  chevaux*)  gestossen.  ,Ce  petit 
corps  86  rejeta  dans  la  montagne,  et  opera  sa  jonction  avec  le  corps  du  g^neral 
Jellachich*.  Nach  unseren  Quellen  lässt  sich  nicht  bestimmen ,  was  Grenier 
eigentlich  gesehen  hat,  jedenfalls  nicht  3  Bat.  Lusignan,  da  2  Bat.  dieses  Regi- 
mentes  noch  im  Juni  unter  General  Buol  auf  dem  Brenner  standen,  wahrschein- 
lich auch  nicht  G  Geschütze  oder  gar  300  Reiter.  »)  Für  den  Verlauf  des 
Gefechtes  war  bis  jetzt  ausser  der  früher  erwähnten  französischen  Quelle  die 
Darstellung  in  dem  Werke:  »Das  Heer  von  Innerösterreich*  (l.Aufl.  1817)  mass- 
gebend. Dieselbe  deckt  sich  bis  auf  wenige  Worte  mit  der  vom  Erzherzog  Jo- 
hann 1810  verfassten  »Besf^hreibung  des  Feldzuges  1809*,  deren  im  gräfl.  Meran- 
schen  Archive  befindliche  Handschrift  ich,  soweit  meine  Aufgabe  reicht,  mit  dem 
Texte  Hormayrs  im  »Heer  von  Innerösterreich*  verglichen  habe.  Es  vnrd  seiner- 
MittheiluDgen  XII.  a 


W^  X  w  i  e  d  i  n  e  c  k  -  S  ü  d  e  n  ii  o  r  s  f. 

dem  Kampfe  bei  St.  Michael  nicht  mehr  auszuweichen  war,  dass  der- 
selbe jedoch  nur  als  Deckung  des  Abmarsches  nach  Leoben  geführt 
werden  konnte.  Der  erste  Angidff  der  Franzosen  war  nämlich  bald 
zurückgewiesen,  das  Gefecht  wurde  nur  durch  eine  Kanonade  hinge- 
halten. General  Serras  war  zur  Erkenntnis;?  gekommen,  dass  er  allein 
nicht  stark  genug  sei,  um  die  zur  Vertheidigung  sehr  geeignete  Po- 
sition Jellacie's  zu  nehmen,  und  wartete  das  Herankommen  der  Divi- 
sion Durutte  ab. 

Um  11  Uhr  (nicht  „apres  cette  heure",  wie  er  an  Napoleon  be- 
richtet), erschien  der  Vizekönig  auf  dem  Kampfplätze  und  übernahm 
das  Commando. 

Mittlerweile  hatte  Jellacic  aber  auch  die  Brigade  Legisfeld  auf  die 
Platte  vor  St.  Michael  gezogen,  so  dass  er  die  Liesing,  über  welche 
nur  eine  einzige  Brücke  in  das  Dorf  führte,  im  Kücken  hatte.  Durch 
das  Dorf  und  auf  der  Strasse  durch  das  sich  bis  zu  einem  Engpasse 
verkleinernde  Murthal  ging  der  einzige  Weg  nach  Leoben  am  linken 
Ufer  der  Mur.  Ein  anderer  von  geringer  Breite,  der  am  rechten  Ufer 
nach  Göss  und  zum  Eingänge  in  den  Diebsweg  führt,  war  auf  einer 
südlich  von  der  Michaeler  Platte  befindlichen  Brücke  zu  erreichen. 

Aus  Ettingshausens  Eizählung  geht  hervor,  dass  während  der 
Gefechtspause,  welche  nach  dem  ersten  französischen  Angriff  einge- 
treten ist,  die  Zurücknahme  einzelner  Bataillons  über  die  Brücke  nach 
St.  Michael  möglich  gewesen  wäre  ^),     Thatsächlich  hat  Ettingshausen 

zeit  notwendig  werden ,  diese  Vergleichung  auf  das  ganze  Werk  auszudehnen. 
Mir  ist  es  klar  geworden ,  dass  die  Arbeit  des  Erzherzogs  dem  Verfasser  des 
»Heer  von  Inneröstereich*  (Hormayr)  vorgelegen  hat,  dass  sie  von  letzterem  jedoch 
nicht  in  allen  ihren  Theileu  benützt  wurde.  Grössere  Partien  der  Handschrift 
fehlen  im  gedruckten  Texte,  doch  nicht  in  dem  hier  zu  berücksichtigenden  Ka- 
pitel. Als  eine  neue  Quelle  tritt  nunmehr  Ettingshausens  Bericht  hinzu.  Zur 
weiteren  Ergänzung  dienen  die  Bemerkungen  des  Erzherzogs  Johann  in  seinen 
späteren  Memoiren  (Anhang  X).  Die  Notizen  des  Pfarrers  von  St.  Michael  P.Leon- 
hard  Lachmayr,  welche  Wichner  in  seinem  Aufsatze  „Eine  obersteirische  Pfarre 
zur  Zeit  der  französischen  Invasion"  (Mitth.  des  bist.  Ver.  f.  Steiermark  XXHI) 
veröffentlichte,  enthalten  manche  Unrichtigkeiten,  so  die  Behauptung,  dass  bei 
Maidstein  (zwischen  St.  Michael  und  Traboch)  der  erste  Zusammenstoss  stattge- 
funden habe,  dass  Jellaöic  am  Tage  des  Gefechtes  noch  um  8  Uhr  im  Bette  ge- 
legen sei,  oder  gar,  dass  er  von  der  Kavallerie  keinen  hinreichenden  Gebrauch 
gemacht  habe.  Mit  3  Zügen  konnte  er  wohl  keine  grossen  Unternehmungen 
ausführen.  Wertvoll  ist  die  Bemerkung,  dass  erst  um  4'/o  ühr  Nachm.  der  Feind 
überlegen  war,  sowie  dass  nach  dem  ersten  Ziisammenstoss  am  ^Morgen  der  Rück- 
zug nach  Leoben  hätte  angetreten  werden  können. 

•)  Laborde  meint  sogar,  Jellaöic  hätte  den  grösseren  Theil  seines  Coi-ps 
noch  über  Traboch  retten  können,  wenn  er  sich  darauf  beschränkt  hätte,  die 
französische  Avantgarde  durch  Ettingshausen  aufzuhalten. 


t)as  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         \  15 

die  Bagage  auf  diesem  Wege  nach  Leoben  vorausgeschickt.  DerKück- 
zug  war  zwar  nicht  ohne  bedeutende  Verluste,  aber  immerhin  in  guter 
Ordnung  ausführbar,  denn  die  Murenge  hinter  St.  Michael  entzog  die 
Truppen,  welche  dieselbe  erreicht  hatten,  dem  Feinde,  der  wohl  nach- 
drängen, aber  die  Marsch-Colonne  nicht  von  den  Seiten  beunruhigen 
konnte.  Es  hat  nämlich  mehrere  Stunden  gedauert,  bis  der  Vize- 
könig seine  Vorbereitungen  zu  dem  allgemeinen  Angriffe  auf  die  Platte, 
auf  welcher  Jeilacic  seine  ganze  Division  ohne  jegliche  Keserve  aus- 
einandergezogen hatte,  zum  Abschluss  bringen  konnte.  Er  dirigirte 
die  Brigade  Roussel  mit  5  Bataillonen  an  seinen  linken  Flügel,  der  auf 
den  Höhen    beim  „Dolmayer"    den   rechten   Flügel   Jellacic's    zu  um- 


VorderLcuisacli/ 


gehen  hatte.  Nach  Ankunft  der  Division  Durutte  wurde  noch  ein  Bataillon 
des  23.  Regimentes  der  Brigade  Eoussel  zur  Unterstützung  geschickt. 
Serras  blieb  mit  6  Bataillonen  im  Centram  vor  der  Platte,  hinter  ihm 
bildeten  3  Bataillone  2?>^^  eine  zweite  Angriffslinie.  General  Desaix 
hielt  mit  dem  ganzen  102.  Regiment  in  der  Reserve.  Die  beiden 
Cavallerie-Regimenter  füllten  die  Lücke  zwischen  den  Divisionen  Serras, 
Durutte  und  der  Reserve.  2  Bataillone  62^1'  waren  bei  St.  Stefan  über 
die  Mur  gegangen  und  konnten  auf  schlechtem  aber  kurzem  Wege  die 
Brücke  beim  Anderlbauer  eiTeicheu.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass 
diese  bei  dem  letzten  Sturme  auf  die  Platte  mitgewirkt  und  dazu  bei- 
getragen haben,  die  zurückweichenden  Oesterieicher  an  der  Liesing- 
brücke  abzufangen. 

8" 


W^  2  w  i  e  tt  i  n  e  c  k  -  S  ü  d  e  n  ii  o  v  s  t. 

Ettingsliauseii  machte  Jellacic  auf  die  Gefahr  aufmerksam,  iu 
welche  die  Division  bei  einer  Rückwärtsbewegung  geraten  müsse,  so- 
lange sie  die  Liesing  im  Rücken  habe.  Jellacic  behauptete,  eben  aus 
diesem  Grunde  dürfe  er  nicht  zurückgehen,  sondern  müsse  den  Ein- 
bruch der  Nacht  dazu  abwarten.  Er  mutete  sich  also  zu,  das  Gefecht 
mindestens  7  —  8  Stunden  ohne  grossen  Nachtheil  fortsetzen  zu  können. 
Aus  seinem  Centrum  wollte  er  nichts  herausnehmen,  dagegen  2  Ba- 
taillone vom  rechten  Flügel  über  die  Liesing  zurückgehen  und  die 
hinter  derselben  liegenden  Höhen  besetzen  lassen.  Dies  war  offenbar 
nicht  melir  ausführbar,  weil  Roussel's  Bataillone  sie  bereits  festhielten. 
Ettingshausen  war  eben  im  Begriffe,  mit  einer  noch  nicht  zur  Ver- 
wendung gelangten  Compagnie  ein  Rideau  hinter  St.  Michael  zu  be- 
setzen, von  dem  aus  das  Debouche  gesichert  werden  konnte,  als  der 
französische  Angriff  begann.  Der  Vizekönig  hatte  Zeit  genug  gehabt, 
sich  von  der  Schwäche  der  vor  ihm  stehenden  lang  gestreckten  In- 
fanterie-Linie zu  überzeugen,  seine  eigenen  Kräfte  reichten  dagegen 
vollständig  aus,  um  gleichzeitig  mit  der  Ueberflügelung  bei  Brunn  auch 
einen  Frontalangriff  gegen  die  Platte  auszuführen.  Er  gelang  augen- 
blicklich. Ein  einziger  Sturm,  von  einer Cavallerie-Attaque  begleitet'), 
warf  die  ganze  Division  und  zwang  sie,  da  sie  keinen  Rückhalt  hatte, 
zur  Flucht.  Diese  gelang  jedoch  nur  einem  kleinen  Theile,  höchstens 
2000  Manu,  die  sich  in  der  grössten  Unordnung  und  Auflösung  aller 
Verbände  nach  Leoben  und  Brück  retteten.  Ettingshausen,  der  mit 
Recht  um  das  von  Jellacic  aus  der  Division  entlassene  Cheva-ixlegers- 
Re^iment  klagt,  mit  welchem  man  dem  feindlichen  Stosse  hätte  wirk- 
sam  beoecjnen  können,  hat  die  Einzelheiten  dieser  Flucht  anschaulich 
sreschildert  Jellacic  wollte  auch  keinen  Versuch  des  Widerstandes  bei 
Ijeoben  mehr  machen,  sondern  gab  nur  die  Direction  nach  Graz. 

Der  grösste  Theil  der  Division  wurde  gefangeu,  offenbar  bevor  er 
noch  die  Brücke  über  die  Liesing,  die  ja  auch  bald  durch  ineinander- 
gefahrene  Wagen  gesperrt  gewesen  sein  mochte,  passirt  hatte. 
Die  Verlustliste  im  „Heer  von  InnerösteiTeich "  zählt 
an  Todten:  Oberoffiziere     5,  Gemeine     421,  Pferde     7, 

„    Verwundeten:  „  23  „         1114         „       11 

„    Gefangenen:  „  72  „         4891        „       — 

„    Vermissten:  „  —  ,.  50        „       — 


Summa:  Oberoffiziere  100,  Gemeine  6476,   Pferde  18. 


')  Bei  dem  Umstände,  dass  die  Böschung  zur  Platte  genommen  werden 
muss+e,  eine  schöne  Reiterleistuug,  welche  es  rechtfertigt,  dass  der  Vizekönig  in 
einem    Brief   an    .seine    Fraii    vom  2b".  Mai    (0"  Ihr  Morgens   in  8t.  Michael)    der 


Das  Gefecht  Ijei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  iu  Steienu.         |  j^  7 

Die  französische  Quelle  zählt  800Todte,  1200  Verwundete,  4270  Ge- 
i'Hugene  (darunter  70  Offiziere),  2  Geschütze,  1  Fahne. 

Die  Division  Serras  war  um  7  Uhr  Abends  in  Leoben.  Durutte 
biwakirte  auf  dem  Schlachtfelde. 

Eine  unausbleibliche  Folge  des  Vorrückens  der  Franzosen  nach 
Brack  war  die  Waffeustreckung  der  Landwehr-Bataillone,  welche  Oberst- 
lieutenant Plunquet  comuiandirte.  Sie  wäre  wohl  auch  dann  einge- 
treten, wenn  die  Division  Jellacic  entkommen  wäre.  Denn  die  Frage, 
ob  es  möglich  gewesen  wäre,  die  ganze  Truppe  in  die  höheren  Ge- 
birgsthäler  zurückzuziehen  und  den  Moment  abzuwarten,  in  welchem 
sich  nach  dem  Abmarsch  des  Vizekönigs  nach  Wien  die  Gelegenheit 
zu  einem  Durchbruche  quer  über  das  Mur-  oder  Mürzthal  ergeben 
hätte,  lässt  sich  nicht  beantworten.  Einer  halben  Compagnie  Cillicr 
ist  es  gelungen,  sich  bis  nach  Kroatien  durchzuschlagen.  Für  mehrere 
hundert,  vielleicht  tausend  Mann,  die  sich  zuletzt  in  Rottenmaun  ge- 
sammelt hatten,  dürfte  die  Verpflegung  in  der  Tauern-  oder  Schwaben- 
gruppe unmöglich  geworden  sein.  Dazu  kam,  dass  die  Landwehr, 
wenn  sie  endlich  doch  gefangen  worden  wäre,  in  der  Gefahr  stand 
dezimirt  zu  werden.  Die  Schmähungen,  welche  Hormayr  gegen  Plun- 
quet schleudert,  sind  daher  jedenfalls  ungerechtfertigt. 

Erzherzog  Johann  erfuhr  am  26.  Mai  gleichzeitig  mit  der  Nachricht 
des  Sieges  von  Aspern  auch  das  Schicksal  der  Division  Jellacic.  Seine 
Hoffnung,  wieder  zu  selbständigen  Operationen  schreiten  und  dadurch 
auf  den  Gang  der  Ereignisse  an  der  Donau  einwirken  zu  können,  war 
vernichtet.  Er  sprach  zwar  in  dem  Schreiben  an  Erzherzog  Carl  1)  die 
Erwartung  aus,  er  werde  sein  Corps  bis  auf  20.000  Mann  bringen 
können,  es  waren  jedoch  nur  wenige  gesclilossene  Verbände,  sondern 
grösstenteils  neu  formirte  schwache  Bataillone  zu  seiner  Verfügung. 
Die  Division  Jellacic  wäre  der  Kern  seiner  Macht  geworden,  im  Be- 
sitze derselben  hätte  er  seine  Absicht,  unabhängig  von  der  Haupt- 
armee in  der  Richtung  nach  Neustadt  zu  operiren,  mit  Nachdruck 
vertreten  und  wäre  dadurch  dem  Befehle  des  Generalissimus,  das  Vor- 
dringen des  Vizekönigs  und  dessen  Verbindung  mit  Napoleon  zu  hin- 
dern, möglichst  nahe  gekommen^). 

Am  Jclarsten  spricht  sich  die  traurige  Konsequenz  der  Niederlage 

»süperbes  charges-«  der  beiden  Regimenter   besondere  Erwähnung  thut.     (Corre- 
spondance  p.  233.) 

')  Entwurf  im  grätl.  Meran'schen  Archiv ,  undatirt,  dem  Texte  nach  aus 
St..  Gotthard    1.   oder  2.  Juni.     Anhang  VIIF.  ")   Nach   Wertheimer,    »Ge- 

schichte  Oesterreichs    und  Ungarns   im   ersten  Jahrzehnt   des  19.  Jahrhundert/* 
n.  Barrel  wurde  dieser  Befehl  am  25.  Mai  ausgefertigt. 


WQ  Z  w  i  e  <1  i  n  e  c  k  -  S  ü  d  e  n  h  u  r  s  t. 

bei  St.  Michael  in  dem  Schreiben  des  Erzherzogs  Johann  an  den 
Palatin  Erzherzog  Joseph  aus^),  das  unter  dem  ersten  Eindrucke  der 
Unglücksnachricht  geschrieben  zu  sein  scheint.  Hier  wird  ausdrücklich 
erklärt,  dass  der  Verlust  der  Division  Jellacic  den  Abmarsch  von  Graz 
nothwendig  gemacht  und  den  Erzherzog  gezwungen  habe,  sich  mit 
anderen  Kräften  zu  verbinden. 

Als  der  Erzherzog  in  den  fünfziger  Jahren  mit  Zugrundelegung 
seiner  zahlreichen  Tagebücher  und  der  von  ihm  aufbewahrten  Akten- 
stücke und  Concepte  zu  der  Ausarbeitung  seiner  Memoiren  schritt,  die 
bis  zum  Jahre  1816  abgeschlossen  vorliegen,  beschäftigte  er  sich  ein- 
'gehend  mit  dem  Ereignisse  von  St.  Michael 2).  Wir  erfahren  aus  seinen 
Bemerkungen,  dass  Jellacic  den  Hauptmann  De  Lort,  seinen  General- 
stabs-Chef,  nach  Graz  gesendet  hatte,  wo  er  sich  am  25.  Mai,  also  am 
Tage  des  verhängnissvollen  Zusammentreffens,  beim  Armee-Comman- 
danten  meldete.  Dem  Erzherzog  war  dies  sehr  unangenehm,  da  er 
wusste,  dass  Jellaßic  einer  energischen  und  sachverständigen  Leitung 
bedurfte.  Die  Ausweichung  von  Traboch  über  St.  Peter  nach  Leobeu 
hielt  der  Erzherzog  noch  am  25.  für  ganz  gut  ausführbar,  die  Auf- 
stellung vor  St.  Michael  für  gänzlich  fehlerhaft.  Wenn  Jellacic  hin- 
gegen so  rasch  als  möglich  die  Liesing  zwischen  sich  und  den  Feind 
gebracht,  die  Brücke  bei  St.  Michael  abgebrochen  und  den  Ort  ver- 
rammelt hätte,  konnte  er  auch  nach  dem  Zusammentreffen  mit  der 
Avantgarde  der  Division  Serras  den  Rückzug  nach  Leoben  sichern. 
Nur  eine  Truppe,  welche  stark  genug  gewesen  wäre,  den  Marsch  des 
Vizekönigs  nach  Wien  aufzuhalten,  durfte  sich  ihm  entgegenstellen. 
Diese  Voraussetzung  konnte  jedoch  bei  Jellacic  unmöglich  zutreffen. 
Die  Folge  des  ohne  Ueberlegung  angenommenen  Gefechtes  musste  eine 
Niederlage  sein,  welche  für  die  Absichten  des  Erzherzogs,  wie  er  noch- 
mals betont,  grossen  Einfluss  hatte. 

Zur  Vertheidigung  der  Haltung  des  FML.  Jellacic  scheinen  sich 
nicht  viele  Federn  in  Bewegung  gesetzt  zu  haben.  Er  selbst  hat,  so 
viel  mir  bekannt  geworden,  keinen  Schritt  zu  seiner  Rechtfertigung 
gethan,  sondern  sich  damit  begnügt,  den  offiziellen  Bericht  zu  beein- 
flussen, den  Hauptmann  De  Lort  über  die  selbständige  Thätigkeit  der 
Division  vom  1.  bis  26.  Mai  abstattete^).  Wir  wissen,  dass  dieser, 
der  als  Generalstabs-Chef  der  Division  fungirt  hatte,  am  Tage  des  Ge- 
fechtes von  St.  Michael  sich  in  Graz  befand,  dass  er  sich  bei  seiner 
Darstellung    nur   auf  die  Mittheiluugen  Anderer    gestützt  haben  kann. 


')  Entwurf  im   gräfl.  Merau'sclien  Archiv.     Anhang  IX.  ")  Die  darauf 

Bezug  nehmende  Stelle  gibt  Anhang  X.  ■>)  Anhang  XL 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  Üperat.  d.  Krzh.  J  ohanu  iu  Steierm.         1 19 

Es  wird  keine  gewagte  Annalime  sein,  wenn  wir  den  FML.  Jellaeic 
selbst  als  die  Quelle  ansehen,  aus  welcher  er  dabei  geschöpft  hat. 
Auffallend  sind  die  Unrichtigkeiten,  welche  De  Lort's  Bericht  aufweist. 
Zunächst  die  Behauptung,  dass  Jellaeic  bis  zu  dem  Augenblicke,  als 
er  mit  den  Vortruppen  des  Vizeköuigs  zusammenstiess,  keine  Meldung 
von  dem  Anmärsche  der  Franzosen  auf  der  Strasse  von  Knittelfeld 
erhalten  habe.  Aus  der  Erzählung  Ettingshausens  geht  das  Gegentheil 
hervor.  Unrichtig  ist  es,  dass  die  feindliche  Avantgarde  bei  St.  Michael 
„aufgestellt"  gewesen  sei,  als  Jellaeic  herankam,  unrichtig  auch  die 
Angabe  der  Tageszeit  des  Zusammentreffens.  Es  ist  ganz  unmöglich, 
dass  die  Truppen,  die  um  5  Uhr  von  Mautern  aufgebrochen  sein  sollen, 
erst  um  „Mittag"  in  St.  Michael  angelangt  waren.  Was  soll  man  erst 
zu  der  Behauptung  sagen,  dass  die  geschlagene  französische  Avant- 
garde „eine  Stunde  weit"  verfolgt  wurde?  Dann  hätte  doch  minde- 
stens eine  weitere  Stunde  vergangen  sein  müssen,  bis  die  Spitzen  der 
französischen  Kolonnen  wieder  an  der  Liesing  anlangten.  Während 
dieser  zwei  Stunden  hätte  das  Gros  der  Division  doch  die  Brücke 
über  die  Liesing  passirt  haben  und  gegen  Leoben  abmarschirt  sein 
können.  Auch  das  Verhältnis  zwischen  den  im  Kampfe  Getödteten 
und  Vei-wundeten  und  den  Gefangenen  stimmt  durchaus  nicht  mit 
den  genaueren  Angaben  auf  französischer  und  österreichischer  Seite. 
Neu  ist  auch  die  Behauptung,  dass  ein  unter  dem  Kommando  des 
Majors  Verner  stehendes  Bataillon  (Judenburger  Landwehr?)  die 
Aufgabe  gehabt  habe,  die  Flanke  der  Division  gegen  Westen  zu 
decken.  Es  ist  immerhin  möglich,  dass  dieser  Major,  der  am  25. 
über  die  Stubalpe  nach  Graz  zog,  in  der  Lage  gewesen  wäre,  eine 
Meldung  an  Jellaeic  gelangen  zu  lassen;  dass  er  dazu  beauftragt  ge- 
wesen, ist  unwahrscheinlich.  Er  hat  jedenfalls  im  Sinne  des  Ober- 
kommandos gehandelt,  wenn  er  —  jede  Berührung  mit  dem  Feind 
vermeidend  —  den  nächsten  Weg  nach  Graz  einschlug.  Er  konnte 
sehr  gut  der  Meinung  sein,  dass  Jellaeic  schon  auf  dem  Wege  nach 
Brück  war,  als  er  die  Reichsstrasse  bei  Judenburg  kreuzte.  Zur  Ent- 
lastung des  FML.  Jellaeic  trägt  der  Bericht  von  de  Lort  gewiss  nicht 
bei,  aber  er  gibt  den  Beweis,  dass  dieser  unglückliche  Truppenführer 
auch  nach  den  traurigen  Erfahrungen,  die  er  gemacht  hatte,  über  den 
Zusammenhang  der  Ereignisse,  denen  seine  Division  zum  Opfer  ge- 
fallen ist,  sich  keine  klare  Eechenschaft  zu  geben  vermochte. 

Es  erübrigt  noch  eine  Frage  zu  beantworten:  Ob  es  dem  Erz- 
herzog  möglich  gewesen  wäre,  Jellaeic  im  Murthale  aufzunehmen,  oder 
sogar  mit  ihm  vereint  sich  dem  Vormarsche  des  Vizekönigs  zu  wider- 
setzen ?     Sie  kann  mit  Entschiedenheit  verneint  werden.    Die  Truppen, 


120 


Z  w  i  e  d  i  n  e  c  k  -  iS  ü  d  e  n  h  o  r  ö  t. 


die  nach  starken  und  beschwerlichen  Märschen  am  23.  in  Preding. 
am  24.  in  Graz  angelangt  waren,  konnten  am  25.  nicht  bei  St.  Michael, 
nicht  einmal  in  Brück  stehen.  Sie  waren  auch  nicht  in  der  Ver- 
fassung, sich  sofort  gegen  einen  übermächtigen  Feind,  der  im  sieg- 
reichen Vordringen  begriffen  war,  zu  schlagen.  Somit  wai-  es  auch 
gänzlich  ausgeschlossen,  dass  der  Erzherzog  die  Vereinigung  der  Armee 
des  Vizekönigs  mit  der  französischen  Hauptarmee  bei  Wien  verhindern 
konnte.  Sein  Plan,  erst  nach  der  Vereinigung  mit  Jellacic  und  mit 
den  Truppen  der  ungarischen  lusurrection  die  Initiative  wieder  «zu  er- 
greifen, war  der  allein  richtige.  Dieser  wurde  daher  auch  im  weitereu 
Verlaufe  des  Feldzuges  vom  Erzherzoge  wiederholt  befürwortet,  leider 
ohne  die  Billigung  des  Generalissimus  zu  erhalten  i). 


Von  militärischen  Fachmännern  wurde  auf  Grund  der  vorstehen- 
den Darstellung  und  •  nach  genauen  eigenen  Studien  im  Terrain  die 
Ansicht  aufgestellt,  dass  es  für  Jellacic  schwer  geworden  wäre,  das 
ZusammentreflFen  mit  dem  Feinde  bei  St.  Michael  gänzlich  zu  ver- 
meiden. Die  Marschleistungen  seiner  Division  am  22.,  23.  und  24.  Mai 
seien  im  Ganzen  genügend  gewesen,  bei  dem  Umstände  also,  dass  die 
Entfernung  von  Schladming  bis  St.  Michael  110  Kilom.  und  die  von 
Klagenfurt  bis  dahin  115  Kilom,  betrug,  beide  Heereskörper  also  in 
den  bezeichneten  3  Tagen  eine  nahezu  gleichgrosse  Strecke  zurückzu- 
legen hatten,  sei  das  Zusammentreffen  an  dem  Kreuzungspunkte  mit 
Notwendigkeit  eingetreten,  Dasss  durch  ausserordentliche  Marsch- 
leistungen, welche  von  allen  bedeutenden  Feldherren  gefordert  wurden 
und  häufig  gefordert  werden  müssen  —  die  Feldzüge  des  Prinzen 
Eugen  geben  davon  viele  Beispiele  —  das  traurige  Schicksal  der  Di- 
vision Jellacic  abgewendet  werden  konnte,  ist  aber  kaum  zu  leugnen, 
—  Selbst  in  dem  Falle  jedoch,  als  letztere  am  24.  Abends  nicht  weiter 
als  bis  Mautern  gelangt  sein  konnte,  war  sie  nach  der  Anschauung 
der  Sachverständigen  noch  zu  retten.  Dazu  war  einerseits  ein  mög- 
lichst zeitlicher  Aufbruch  am  Morgen  des  25.,  sowie  eine  Theilung  der 
Truppen  erforderlich.  Das  Gros  musste  sofort  den  Weg  über  Trofaiach 
nach  Leoben  einschlagen,  während  ein  Detachemeut,  etwa  eine  schwache 
combinirte  Brigade  bei  St,  Michael  Stellung  zu  nehmen  und  ein  hin- 
haltendes Gefecht   zu  liefern  hatte,    welches    noch   vor  dem.  Eintreffen 


')  Ich  werde  Gelegenheit  haben,  in  einer  besonderen  Arbeit  über  den  Feld - 
z  u  g  d  e  s  E  r  z  h  e  r  z  0  g  s  .1  0  h  a  n  n  i  n  U  n  g  a  r  n  die  betreffenden  Unterhandhmgeu 
eingehend  zu  besprechen. 


Das  Cieferlif  l»ei  St.  Michael  u.  d.  Openit.  d.  Erzh.  Johann  in  8teierm.         \ 2 1 

der  Division  Durutte  abgebroclien  werden  konnte.  Jedenfalls  wäre 
dann  das  Gros  völlig  unangefochten  nach  Leoben  und  weiter  nach 
Bruck  und  Graz  gelaugt.  Wenn  Jellacic  es  der  „Waffenehre"  der 
österreichischen  Armee  schuldig  zu  sein  glaubte,  den  Kampf  mit  dem 
überlegenen  Gegner  aufzunehmen  und  bis  zur  sinkenden  Nacht  fort- 
zuführen, so  war  seine  Auffassung  jedenfalls  eine  sehr  irrige  und  sein 
Verhalten  im  offenen  Widerspruche  mit  den  Weisungen,  welche  er 
vom  Erzherzog  Johann  erhalten  hatte.  Aus  den  vorliegenden  Be- 
richten lässt  sich  aber  überhaupt  uicht  nachweisen ,  welche  Beweg- 
gi-ünde  ihn  bei  seinen  Massnahmen  geleitet  haben,  man  wird  sich  doch 
genötigt  finden,  das  Urteil  des  Erzherzogs  anzuerkennen,  welcher  den 
Eeldmarschall-Lieutenaut  als  tapfereu  Soldaten,  jedoch  als  ungeeignet 
zur  Leitung  selbständiger  Unternehmungen  bezeichnete. 


Anhang. 


I. 

Aus  der  Selbstbiographie  des  Generalmajors  Konstantin  ton  Ettingshausen. 


Am  29.  April  vor  Anbruch  des  Tags  langten  wir  nach  neuern  Rück- 
zugs-Ordres  vor  Salzburg  an  —  hier  war  der  Feldinarschallieutenant  Jel- 
lachich,  der  wegen  dem  Andringen  des  Feindes  nach  der  bestandenen  In- 
struction des  6ten  Armee  Coi-ps  den  Befehl  zum  weitern  Rückzug  gab  — 
die  Arriöre  garde  focht  noch  in  der  Stadt,  ich  hatte  mich  jenseits  der 
Stadt  mit  dem  Regiment  Devaux  aufgestellt,  um  die  Arrieregarde  nothigen 
falls  zu  unterstützen,  wenn  sie  der  Feind  auf  dem  Wege  nach  Golling  ver- 
folgen sollte. 

Am  30ten  April  zu  Golling  lautete  der  Divisions  Befehl  des  Fml  Jellachich 
folgender  Massen:  Der  Umstand,  dass  die  Cavallerie  und  die  österreichi- 
schen Landwehren  zum  Dienst  der  Armee  in  das  Ennsthal  abgeschickt 
werde,  erfordert  eine  andere  Brigade  Eintheilung:  deren  zu  folge  erhält 
Herr  General  Baron  Legisfeld  (der  sich  in  Salzburg  an  die  Division  an- 
geschlossen hatte)  die  Warasdiner  Kreuzer,  die  Landwehr  und  die  3  Züge 
Cavallerie,  die  noch  hier  bleiben,  und  commandirt  in  gegenwärtigen  Um- 
ständen die  Arrieregarde. 

Herr  General  Ettingshausen  behält  wie  bisher  Eszterhazy  und  Devaux 
und  die  Batterie  nebst  Reserve  Munition  zur  Brigade  —  das  Regiment 
Eszterhazy  giebt  eine  Division  nach  Abtenau,  welche  gleich  nach  dem  Ab- 
kochen sich  hier  wegen  weiterer  Instruction  anmeldet,  und  noch  heute 
dahin  marschirt ;  es  wird  um  3  Uhr  heute  Nachmittag  bis  Werfen  marschirt. 


122  Z  w i  e d i  11  e  c k  - S  ü de  11  li  0  r  s t. 

Am  l^^en  May  machte  der  Fml  Jellachich  seine  weitere  Haupt  Dispo- 
sition zu  Werfen  bekannt  —  dies  war  die  erste  in  ein  nahes  Detail  der 
A'^ertheidigruig  eingegangene  Belehrung  —  schon  der  Eingang  sprach  dafür 
—  es  hiess :  In  der  dermaligen  Lage  der  Sachen  beschränkt  sich  unsere 
Defension  auf  die  hartnäckigste  Vertheidigung  der  Gebirgs  Gegenden  von 
Salzburg  —  diese  kann  nur  durch  muthvolle  Behauptung  der  verschiedenen 
Pässe  erzielt  werden,  denn  der  Verlust  von  einem  dieser  Pässe  zieht  mehr 
oder  weniger  jenen  aller  anderen  nach  sich,  und  versetzt  uns  in  die  grösste 
Gefahr,  umg-ancren  zu  werden.     Nach  der  angegebenen  Besetzungs  Art  der 

O  O  O      CD  CD 

Pässe  hiess  es :  auf  diese  Weisse  ist  der  Haupt  Zugang  nämlich  das  Salza 
Thal   so  zu  sagen  hermetrisch  gesperrt. 

Herr  Oberst  von  Siegenfeld  besorgt  den  Vorposten  Dienst,  alle  Eapporte 
gehen  an  ihn,  der  sie  dann  weiters  an  Herrn  Generain  v.  Legisfeld  be- 
fördern wird. 

Zur  Besetzung  des  4ten  Zugangs,  wie  auch  des  5^^^  wird  eine  Di- 
vision Devaux  nach  Bischofshofen ,  eine  nach  St.  Johann,  und  eine  nach 
Lendt  detachirt.  —  Von  Bischofshofen  detachirt  die  dortige  Division  eine 
Compagnie  nach  Mühlbach,  welche  die  Posten  gegen  die  Dienten  zu  be- 
sorgen hat  —  die  nach  Lendt  kommende  Division  detachii-t  eine  Com- 
pagnie zur  Besetzung  und  Verrammlung  der  Enge  zwischen  Embach  und 
Eschenau,  und  besetzt  gleichfalls  den  sogenannten  Filzensattel. 

Von  dem  andern  Bataillon  von  Devaux  kommen  3  Compagnien  nach 
Wagrain,  und  3  Compagnien  nach  Hüttau  en  Eeserve  zu  stehen.  Am 
Schluss  heisst  es: 

Mein  Quartier  werde  ich  morgen  in  Eadstatt  nehmen,  wohin  HeiT 
General  Ettingshausen ,  das  Eegiment  Eszterhazy,  der  Eest  der  Artillene 
und  Cavallerie  verlegt  werden  —  Eszterhazy  wird  morgen  von  Gasthaus 
aus  auf  dem  Wege  von  Hüttau  nach  Eadstatt  eine  Compagnie  über  St.  Martin 
nach  Annaberg  detachiren,  welche  dort  als  Soutien  der  in  der  Abtenau 
stehenden  Division  bleiben  wird  —  ...  und  endlich:  Im  Gebirgs  Kriege 
kommt  alles  darauf  an,  jede  feindlichen  Bewegungen  oder  Ereignisse  bei 
Zeiten  zu  erfaln-en,  damit  man  schnelle  Gegen  Massregeln  zu  ergreifen  Zeit 
habe.  Nirgends  hat  ein  Officier  mehr  Gelegenheit  als  im  Gebirgs  Kriege 
von  seinem  Muth,  Einsicht  und  Gegenwart  des  Geistes  Beweisse  zu  geben, 
und  sich  auszuzeichnen  —  ül>erall  bietet  die  Beschaffenheit  des  Terrains 
Aufstellung  und  Eesourcen  dar,  die  ein  geschickter  Anführer  zu  benutzen 
weiss  —  um  mit  geiinger  Macht  eine  feindliche  Ueberzahl  auf  zu  halten. 
Der  Ausdruck  »Umgangen,  Tourniren«  hat  im  Gebirge  keinen  Sinn  — 
weil  der  Umgehende  selbst  umgangen  ist,  wenn  man  ihm  nur  mit  Ent- 
schlossenheit entgegen  geht. 

Ich  erfuhr  nun  vom  Feldmarschallieutenant  Jellachich  die  Ursache, 
wamm  er  das  Chevauxlegers  Eegiment  Orellyi  mit  dem  General  Proven- 
cheres  zur  Armee  zurückgeschickt  habe.  Er  sagte  mir,  dieser  General 
habe  ihm  den  Antrag  dazu  gemacht  und  sich  auf  die  Gründe  gestützet, 
dass  in  den  engen  Pässen  von  Cavallerie  kein  Vortheil  zu  ziehen,  diese 
wegen  Mangel  an  Fourage  darin  schwer,  ja  wohl  in  die  Länge  gar  nicht 
subsistiren  zu  machen  sey,  das  Eegiment  hingegen  der  Armee,  die  wie  man 
hörte,  sehr  viel  gelitten  hätte,    einen  ei-wünschten  Zuwachs    bringen,    ihr 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  yteienu.         123 

wesentliche  Dienste  leisten,  mithin  zum  besten  des  Staats  dort  weit  mehr 
beitragen  könne,  als  hier  —  dass  der  Feldmarschallieutenant  sich  aber  ein 
unverkennbares  grosses  Verdienst  um  den  Staat  erwerben  würde,  wenn 
er,  ohne  Befehl  dazu  zu  haben,  aus  eigener  Ueberzeugung  der  Armee 
dieses  Eegiment  abgeben,  seinen  Biedersinn  und  seine  Uneigennützigkeit 
dadurch  öffentlich  beweisen,  und  ein  seltenes  Beyspiel  von  Patriotismus 
und  Entsagung  jeder  Eigenliebe  darstellen  würde.  ---  Der  Feldmarschal- 
lieutenant bemerkte,  dass  er  zwar  mehrere  Gründe  gefunden  habe,  welche 
ihm  diesen  Schritt,  so  viel  Schönes  und  Gutes  er  auch  immer  auf  seiner 
Seite  haben  möge,  wiederrathen  hätten,  z :  B :  dass  er  zwar  seine  Stellung 
dermalen  in  den  Gebirgs  Pässen  habe,  es  aber  zu  hoffen  und  zu  erwarten 
sei ,  dass  unsere  Armee  so  bald  als  möglich  wieder  die  Offensive  ergreifen, 
\\är  sohin  aus  den  Pässen  wieder  in  die  Ebene  rücken  würden,  wo  er 
dann  das  Eegiment  wieder  selbst  nöthig  hätte  —  dass  es  ihm  für  die 
Verpflegung  des  Eegiments  nicht  bang  sei;  dass  er  weder  wisse,  wohin 
er  das  Eegiment  zu  instradiren  habe,  um  ohne  Zeitverlust  zur  Armee  zu 
stossen,  weder  sicher  sei,  ob  dieser  eigenmächtige  Schritt  den  Gesinnungen 
des  Generalissimus  entspreche,  und  ob  er  mit  unvorhergesehenen  Dispo- 
sitionen sich  nicht  kreutzen  würde  —  dass  er  sich  aber  au  die  Geschichte 
erinnert  habe,  die  er  schon  einmal  mit  der  Cavallerie  erlebt,  und  für  den 
gegenwärtigen  Fall  blos  den  Endzweck  vor  Auge  gehabt  habe,  das  beste 
und  nüzlichste  zu  wählen,  und  den  General  Provencheres  daher  mit  dem 
Chevauxlegers  Eegiment  zur  Armee  abgeschickt,  und  hier  nur  die  einige 
Züge  behalten  hätte.  —  Weder  Er  noch  ich  hatten  uns  damals,  ohnge- 
achtet  wir  das  Unglück  der  Armee  bey  Eegensburg  bereits  erfahren  hatten, 
vorgestellt,  dass  der  Feind  Wien  schon  beschossen,  und  am  l  iten  May 
in  Besitz  genommen  habe.  —  Wie  wunderbar  das  Geschick  sich  fügte, 
meine  Frau  und  Kinder,  die  ich  recht  gut  in  Wien  zu  placieren  dachte, 
und  die  in  Erlau  recht  ruhig  geblieben  wären,  wenn  ich  sie  dort  belassen 
hätte,  waren  in  einer  grössern  Gefahr,  als  ich,  der  ich  vor  den  Feind 
ausgerückt  war  —  sie  mussten  das  Bombardement  in  Wien  aushalten,  und 
im  Keller  sich  vor  den  Bomben  ihr  Leben  sichern. 

Am  12ten  May  erlaubte  mir  der  Fml.  Jellachich,  gegen  Tyrol  eine 
Diversion  zu  machen  —  ich  war  in  St.  Johann  im  Ponggau,  als  ich  von 
demselben  am  I4ten  folgenden  Auftrag  erhielt  .  .  .  Eadstatt  am  13  May  809 
Nachts  um  12  Uhr.  Diesen  Augenblick  erhalte  ich  durch  einen  mir  zu- 
geschickten Courier  aus  Tyrol  die  Nachricht,  dass  es  den  Tyrolem  gelungen 
hat,  den  Pass  Strub  wieder  zu  erobern  —  und  den  General  Deroi,  welcher, 
und  nicht  Wrede,  in  Tyrol  einfiel,  empfindlich  zu  schlagen,  welches  dem 
Herrn  Generain  aus  der  Ursache  berichte,  um  das  Gros  der  Truppen  nicht 
weiter  vorzubringen,  mit  Patrouillen  aber  und  respective  Streifzügen  sich 
von  dem  geschehenen  noch  mehr  zu  überführen,  und  Nachrichten  ein- 
zuholen. 

Das  Judenburger  Bataillon  ist  demnach  sogleich  nach  Schladming, 
die  übrigen  Truppen  aber  nach  erfolgter  Bestäftigung  und  Eückkehr  der 
ausgesendeten  Patrouillen  einrücken  zu  machen.  Nur  wird  1  Division 
von  Devaux  in  St.  Johann  verbleiben,  wovon  V^  Compagnie  nach  Bischofs- 
heim    zu    schicken    sein    wird.      Das   Landwehr  Bataillon  Salzburger    aber 


i24  Z  wieil  i  iie  ck-  Sil  d  •'  ii  li  or  st. 

bleibt  noch  weiter  zur  Deckung  ihres  Landes  dort,  und  wird  zweckmässig 
vertheilet.  Jellachich  Fml. 

Ich  bin  indessen  nach  Saalfelden  vorgerückt,  um  auch  mit  wenigem 
wo  möglich  den  Endzwek  zu  befördern  —  aber  noch  den  nämlichen  Tag 
erhielt  ich  dort  nachstehende  Ordre: 

Nach  Eröffiiung  Sr  kaiserlichen  Hoheit  des  E:  H:  Johann,  welcher 
schon  ziemlich  in  unserer  Nähe  ist,  solle  ich  mein  Coi-ps  nicht  vereinzeln, 
sondern  die  Kräfte  beisammen  halten ,  weil  es  geschehen  könne,  dass  Er 
sich  an  mich  anschliesse,  oder  mich  an  sich  ziehe  —  auch  hätte  ich  ihm 
fleissig  Nachrichten  nach  Villach  zu  ertheilen. 

Diesem  Befehle  und  meinem  bisherigen  Grundsatze  getreu  gedenke  ich 
auch  dies  zu  thun,  und  dahero  muss  ich  dem  Gros  die  Schranken  bis 
Taxenbach  und  Saalfelden,  das  ist,  denen  Spitzen  desselben  setzen  und 
finden  der  Herr  General  was  zu  avanturiren,  so  kann  dies  lediglich  mit 
einer  Compagnie,  oder  mit  weniger  vne  verabredet  geschehen,  das  Juden- 
burger  Bataillon,  so  in  St.  Johann  heute  geblieben,  wünsche  ich,  wenn 
es  nicht  höchst  vonnöthen,  morgen  schon  hieher  zu  haben,  weil  ich  mit 
denen  Bataillons  die  Besetzung  von  Ischl  erzielen,  und  unsere  3  Kreutzer 
Compagnien  an  mich  ziehen  möchte. 

Ich  bin  ganz  Begierde,  etwas  von  Tyi'ol  zu  erfahi-en,  und  wünsche 
gleich  den  eingefleischtesten  Tyrolern,  dass  die  Bayern  Schläge  abgeholet 
haben,  und  zurück  gewiesen  werden.  —  Unsere  Operation  möchte  ich 
doch  auch  nicht  über  3  Tage  erstrecken,  d:  i:  Von  morgen  angefangen 
—  darum  brav  marschirt;  ich  wünsche  gute  Verrichtung. 

Jellachich  Fml. 

Den  Tag  darauf  erhielt  ich  schon  wieder  folgendes  Schreiben:  Rad- 
statt am  15  May  809.  Ich  muss  Euer  Hochwohlgebohrn  mit  dem  be- 
kannt machen,  was  mir  des  E:  H:  Johann  k.  Hoheit  von  Daniele  unterm 
1  iten  dieses  schreiben.  —  Ich  möchte  nemlich  meine  Vertheidigung  nicht 
zu  weit  ausdehnen,  und  mich  blos  auf  das  Salzburger  Gebirgsland,  die 
Communication  mit  Tyrol  und  Deckung  Kärntens  nämlich  des  Thauren 
beschränken. 

In  dieser  Hinsicht  sehen  wohl  der  Herr  General,  dass  ich  mich  mit  dem 
grösten  Theil  meines  Coi-ps  nicht  nach  Tyi'ol  begeben  kann,  weil  Se  k.  Hoheit 
ausdrücklich  befehlen,  mich  beisammen  zu  halten,  weil  es  sein  kann,  dass 
er  sich  an  mich  schliessen  oder  mich  an  sich  ziehen  werde,  um  mit  ver- 
sammelten Kräften  dem  Feinde  zu  begegnen. 

So  heiss  als  ich  auch  wünschte,  Theil  an  der  Operation  ausser  der 
Flanke  der  Deckung  zu  nehmen,  so  fürchte  ich  doch,  indem  ich  Theil  an 
der  nachbarlichen  Geschichte  nehme,  mich  von  den  ersten  Pflichten  und  Auf- 
trägen zu  entfernen,  um  so  mehr,  da  der  Feind  eine  Patrouille,  wobei 
auch  1  Officier  seyn  soll,  zwischen  Abtenau  und  Schutt  herein  geschickt, 
die  uns  belauschet,  und  ohnfehlbar  uns  von  der  Seite  was  auf  den  Hals 
schicken  möchte.  —  Ich  glaube  also,  dass  damit,  was  Euer  hoch  Wohl- 
gebohren   bishero  gethan  haben,    alles  gethan  ist,    was  man  thun  konnte 

wobei  es  auch  zu  verbleiben  hat,    mit  dem  alleinigen  Bemerken,  dass 

zu  unserer  eigenen  Sicherheit  und  zur  Aufmunterung  der  Landes  Vertheidiger 
eine  Division  von  Devaux   in  Luftcnstein  aufzustellen  wäre,  die  den  Feind 


t)as  Gedeckt  tei St.  Michael  u.  rl.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  »Steierm .         j[ 25 

bedi'oht,  ihn  harcellirt,  durch  vorpoussirte  Patrouillen  beunruhigt,  dabei 
aber  auf  ihre  eigenen  Flanken  sehen  muss,  um  nicht  aufgehoben  zu  wer- 
den. Nur  der  Fall,  den  die  Umstände  Ihnen  in  Ihrer  gegenwärtigen  Stel- 
lung auf  eine  kurze  Zeit  herbeiführeten,  dass  Sie  was  wesentlich  und 
sicher  gutes  leisten  könnten,  darf  Ausnahme  bringen. 

Ich  befehlige  unter  einem  noch  ein  Salzburger  Landwehr  Bataillon 
nach  Bischofshofen  um  im  Falle,  dass  die  vorgeschikten  Truppen  rükkehren, 
jene  Gegend  nicht  unbesezt  zu  lassen,  welche  Besetzung,  wie  schon  vorhin 
bestimmt  worden,  aus  einer  Division  Devaux  und  denen  2  Landwehr  Ba- 
taillons, dann  den  Schützen  des  Landes  und  im  schlimmsten  Fall  aus  dem 
Landsturm  bestehen  wird.  Jellachich  Fml. 

Ich  hatte  die  Hochfilzen,  den  Pass  Luftenstein  und  den  Pass  Hirsch- 
bühel besezt,  und  schickte  häufige  Patruillen  aus.  —  Meine  Tendenz  ging 
nur  dahin,  feindlichen  Streifereien  vorzubeugen  und  ernsthafteren  Be- 
wegungen des  Feindes  Besorgnisse  zu  geben,  es  hielt  mich  aber  die  be- 
stimmte Beschränkung  obiger  Befehle  ab,  selbst  etwas  ernsthaftes  zu  unter- 
nehmen, was  ohne  weitere  Entfernung  von  unserm  eigenen  Corps  nicht 
unternommen  werden  konnte  —  indessen  war  aber  auch  das  Corps  des 
Feldmarschallieutenants  Chasteler  bereits  zerstört. 

Die  Kachricht  davon  kam  mir  durch  meine  Patrouillen  und  durch 
das  Aviso  des  H.  Fml:  Jellachich  zu,  welcher  mir  am  16.  May  schrieb: 
Wenn  Ihnen  nicht  eher  die  Zerstörung  des  Fml:  Chasteleri sehen  Corps 
bewusst  gewesen  wäre,  als  mir,  so  würde  Sie  die  Nachricht  davon  eben  so  er- 
schüttern, als  mich  diesen  Augenblik  der  Eintritt  der  zersprengten  H.  Staabs 
Officiers  von  Lusignan  und  mehrern  andern  erschüttert  hat  —  hieraus  sehen  der 
Herr  General,  dass  von  dem  Augenblick  an  alles  Detachiren  nichts  mehr  helfe, 
dahero  werden  Euer  Hochwohlgebohni  die  exponirten  und  vorpoussirten  Posten 
blos  durch  Landwehrn  mit  kleiner  Mischung  des  regulairen  Militärs  ob- 
serviren  lassen,  sich  hingegen  mit  der  Brigade  einstweilen  auf  die  Eng 
Pässe  Eschenau  und  Dienten  beschränken,  das  Gros  aber  in  die  Aufstel- 
lung gegen  St.  Johann  und  Bischofshofen  zurückziehen.  —  Kurz  wir  wer- 
den uns  nach  den  bisher  beobachteten  Grund,:ätzen  bis  auf  1  Bataillon 
Devaux,  was  ich  dort  belassen  werde,  gar  bald  concentriren. 

Jellachich  Fml. 

Ich  musste  nun  diesen  Befehl  in  Vollzug  setzen  und  trat  am  1  'jten  May 
meinen  Eükmarsch  nach  St.  Johann  an.  —  Es  war  mir  hart,  dass  ich  den 
Bitten,  Wünschen  und  Zudringlichkeiten  der  Tyroler,  mit  Macht  vorzu- 
rücken, nicht  entsprechen  konnte  —  ich  musste  das  nemliche  Verlangen 
des  H.  Generalcommissairs  Hofrath  Joseph  Fr.  Pichel  einer  Diversion 
über  Luftenstein  durch  den  Pass  Strub  in  Rüken  des  Feindes,  welches 
er  von  Mittersill  am  1 7*^"  May  5  Uhr  Morgens  an  mich  machte,  unerfüllt 
lassen. 

Zu  St.  Johann  traf  ich  am  IS^e»  folgende  Zuschrift  an:  Eine Estaffeite 
bringt  mir  in  diesem  Augenblik  folgende  Nachricht  aus  Brixen  von  Baron 
Hormayer  vom  lö^en  —  »es  zeigt  sich  nunmehr  ziemlich  klar,  dass  die 
Vorgänge  im  Unter  Innthal  nicht  auf  Insbruk  gemeint ,  sondern  vielmehr 
ein  Versuch  sind,  die  T}Toler  durch  Mordbrennerei  zurük  zu  schrecken, 
vorzüglich  aber  eine  Demonstration,  damit  Marchall  Lefebre  und  der  Krön- 


\2Q  Z  w  i  e  (1  i  n  e  c  k  -  S  ü  d  0  II  h  0  r  s  t. 

prinz  mit  besserem  Erfolge  gegen  Euer  Excellenz  zu  agiren  in  den  Stand 
gesezt  werden  etc. 

Uebrigens  hat  es  bei  dem  Itereits  anbefohlenen  sein  Verbleiben. 

Jellachich  Fml. 

P :  S :  In  diesem  Augenblik  komt  Euer  hoch  und  Wohlgebohrn  Ad- 
jutant mit  der  officiellen  Nachricht  von  Seiten  des  Feldmarschallieuten. 
Lippa,  dass  der  Feind  Maria  Zell  foreirt  habe,  und  sich  hei'v\^äi'ts  befinde. 
Eadstatt  am   17  May  809  um  9  Uhr  Abends. 

Fe] dmarschallieutenant  Jellachich  schrieb  mir  den  19tenMay  um  1  Uhr 
nach  Mittemacht  wie  folgt:  Euer  Hochwohlgebohren  werden  mit  Empfang 
dieses  alle  Ihre  Ti*uppen  dergestalt  an  sich  ziehen,  dass  Sie  dieselben  um  9  Uhr 
Abends  am  2üten  d:  in  Marsch  setzen  können,  um  sodann  mit  dem  ganzen 
ohne  Zeitverlust  sich  hieher  zu  begeben,  wo  zur  nämlichen  Zeit  alle  Truppen 
meiner  Division  samt  der  Landwehre  sich  versammeln  werden. 

Der  Befehl  Sr  k.  Hoheit  des  E.  H.  Johann  ist,  dass  alle  nur  mögliche 
Aerarischen  Civil  Gassen  nemlich  bei  Wegmauth,  Kreis  Aemtern,  Pfleg- 
gerichten, herrschaftlichen  Domänen  die  bei  solchen  vorhandenen  Aerarischen 
Gelder  gegen  einzulegende  Quittung,  welches  Euer  Hochwohlgebohrn  soweit 
es  thunlich  ist,  in  Ihrer  Gegend  veranlassen  wollen. 

Ihre  entferntesten  Posten  müssen  mittelst  Courier  einberufen  werden 
—  die  lezte  Abtheilung  Ihi'er  Truppen  muss  den  Weg  an  den  tauglichen 
Stellen  verrammeln,  ruiniren,  alle  Brücken  zu  grund  richten,  mit  einem 
Worte  dem  Feinde    alle    nur    erdenkliche  Hindernisse   in   den  Weg   legen. 

Jellachich  Fml. 

Wenn  ich  mir  die  Mühe  gab,  alle  die  obersichtlichen  officiellen  Piecen 
auf  zu  zeichnen,  so  geschah  es  theils,  um  mich  vor  etwaigem  Voinvurf  zu 
sichern,  als  wäre  ich  etwa  aus  eigenem  Willen  nicht  tiefer  in  Tyrol  ein- 
gedrungen —  theils  um  das  Andenken  des  verstorbenen  Feldmarschall- 
lieutenants Baron  Jellachich  gegen  so  viele  beleidigende  und  verläumde- 
rische  Ausfälle,  die  sich  einige  Schriften,  woranter  sich  jene  der  Geschichte 
des  Andreas  Hofer  Leipzig  und  Altenburg  F:  A:  Brockhaus  1817  am 
meisten  auszeichnet,  gegen  ihn  erlaubten,  da,  wo  er  keinen  Vorwnirf  ver- 
dient, zu  rechtfertigen.  Wir  marschirten  den  21  May  nach  Schlacbiing. 
22  nach  Steinach.  23  nach  Rottenmann.  24  nach  Mautern,  unterwegs, 
den  Ort,  wo,  weiss  ich  mich  nicht  mehr  zu  erinnern,  hatte  der  Fml.  Jellachich 
die  Depesche  erhalten,  dass  Se  k.  Hoheit  der  E.  H.  Johann  nicht  zweifeln, 
dass  der  Feldmarschallieutenant  die  wichtigen  Salzburger  Pässe  nicht  werde 
unbesezt  gelassen  haben  ! ! !  Jellachich  fand  sich  in  der  grössten  Verlegen- 
heit —  er  ergriff  den  Entschluss,  den  Versuch  zu  machen,  wenn  der  Feind 
die  Pässe  etwa  noch  nicht  in  Besitz  genommen  hätte,  sie  wieder  besetzen 
zu  lassen.  Er  beorderte  daher  seine  2  besten  und  stärksten  Landwehr- 
Bataillons  (wenn  ich  nicht  irre,  so  waren  es  die  Cillier  und  Judenburger) 
nach  Mandling  und  Aussee,  \xm  dies  zu  versuchen  —  ich  lese  in  einer 
Brochure,  dass  er  den  Oberstlieutenant  Plunkett  mit  1  Bataillon  Linien- 
Truppen  400  Mann  stark  und  Landwehr  an  den  Pässen  im  Ennsthale 
zurückgelassen  habe.  Die  Landwehre  muss  wohl  die  nämliche  gewesen 
sein,  die  ich  eben  genannt  habe.  Von  Plunkett  und  den  400  Mann  Linien- 
Truppen  ist  mir  nichts  bekannt,  indessen  stelle  ich  es  nicht  in  Abrede, 
weil  es  ohne  mein  Wissen  hätte  geschehen  können  —  eben  so  wenig  ist 


Das  Gefeciit  bei  St.  MicLael  u.  d.  Opevai.  d.  Evzh.  Johann  in  Steiemi.         \2l 

mir  bekannt,  dass  diese  zurückgeschickten  Landwehren  je  wieder  zu  uns 
gekommen  wären,  und  oh  sie  die  Pässe  noch  zur  rechten  Zeit  erreicht 
haben,  oder  vom  Feinde  entwafihet  wurden.  —  Ich  hätte  diesen  Umstand 
abermals  nicht  berührt,  wenn  er  nicht  auch  einen  Bejtrag  zur  Verminde- 
rung der  Stärke  der  Division  bei  St.  Michael  geliefert  hätte. 

Am  24^^611  erfuhr  ich  Abends  vom  Peldmarschallieutenant  Jellachich, 
dass  er  Nachricht  habe,  der  Feind  sei  6000  Mann  stai'k  zu  Knittelfeld 
angekommen,  habe  400  Mann  Cavallerie  bei  sich,  und  vor  Knittelfeld  seine 
Vorposten.  Er  erwarte  den  25ten  noch  6000  Mann  Verstärkung  nach 
Knittelfeld,  weswegen  der  Feldmarschallieutenant  seine  Avantgarde  bis 
St.  Michael  vorpoussire,  um  hinter  derselben,  den  2  5^^"  durch  St.  Michael 
nach  Leoben  marschiren  zu  können. 

Es  traf  sich,  dass  gerade  an  diesem  Abend  (24ten)  Major  Zsemsey 
von  den  Warasdiner  Creuzer  reconvalescirt,  und  sich  in  meiner  Gegenwart 
beim  Fml.  persönlich  mit  der  Bitte  meldete,  dass  ihm  als  ältester  Major 
das  Bataillons  Commando  der  Creuzer  gegeben  werden  wolle,  welches  in 
der  Avantgarde  des  Csorich  vom  nemlichen  Regiment  war,  und  dass  Zsemsey 
auch  dadurch  statt  Czorich  der  Commandant  der  Avantgarde  werde. 

Jellachich  bewilligte  dies,  und  befahl,  dass  Zsemsey  den  25^^"  in 
der  fi'üh  um  3  Uhr  sich  mit  der  Avantgarde  nach  St.  Michael  in  Marsch 
setzen  und  dort  Position  fassen  solle. 

Kaum  war  Zsemsey  nach  Kammern  fort,  wo  die  Avantgarde  aufge- 
stellt war,  als  ihm  der  Befehl  nachgeschickt  wurde,  nicht  zu  St.  Michael 
sondern  vor  St.  Michael  auf  der  Strasse  gegen  Knittelfeld  Posto  zu  fassen. 
—  Auf  meine  Bemerkung,  dass  die  Avantgarde  früher  aufbrechen  sollte, 
erwiderte  der  Feldmarschallieutenant ,  dass  es  bei  der  sehr  ermüdeten 
Truppe  deswegen  nicht  möglich  sei,  weil  er  die  Arrieregarde  diesen  Abend 
als  Avantgarde  vorgeschoben  habe,  und  die  anderen  Truppen,  wie  ich 
wisse,  auch  erst  um  3  Uhr  Nachmittag  sehr  ermüdet  eingerukt  seien.  — 
Wäre  die  Avantgarde  aber  von  den  andern  Truppen  der  Division  beordert 
worden,  so  wären  sie  doch  immer  weniger  ermüdet  gewesen,  als  die 
Arrieregarde,  die  wenigstens  eine  Stunde  weiter  zu  marschiren  hatte,  und 
auf  diese  Art  hätte  die  Avantgarde  eher  aufbrechen  können.  —  Wären 
wir  aber  alle,  sobald  die  Nachricht,  dass  der  Feind  zu  Knittelfeld  sei, 
gleich  aufgebrochen,  so  wären  wir  wohl  dem  Unglück  bei  St.  Michael 
entgangen.  Aber  es  scheint,  dass  Jellachich  seinen  Feind  zu  gering  schätzte, 
und  in  dem  augenblicklichen  Aufbrechen  an  dem  nemlichen  Abend  keine 
Art  Furcht  vermuthen  lassen  wollte. 

Ein  anderer  Zufall  machte,  dass  gerade  am  24^^^  ein  der  Truppe 
besonders  wohlwollender  Herr  dieselbe  in  die  umliegenden  Oerter  einbe- 
quartirt,  was  Jellachich  aus  Schonung  zuliess,  weil  die  Truppen  auf  dem 
bisherigen  Marsch  immer  gelagert  waren.  —  Aus  dieser  Dislocirung  er- 
folgte am  25ten  der  Aufbruch  später  als  sonst  —  er  war  um  YgS  Uhr 
anbefohlen  —  so  viel  ich  weiss  und  mich  noch  erinnere,  war  die  Arriere- 
garde und  das  Bataillon  Eeuss  G-reitz  in  Kahlwang  —  die  Truppe  in 
Mautern,  und  die  Avantgarde  samt  Eszterhazy  in  Kammern  und  Seitz.  — 
Die  Ausrükung  geschah  sohin  am  25'ten  ungleicli  —  und  als  das  Bataillon 
ßeuss  Greitz  nicht  zur  gehörigen  Zeit  bei  Ehrenau  ankam,  so  schickte  ich 
auf  Befehl  des  Fml.  den  Lieutenant  Graf  Eumpf  von  Devaux,  der  als  Or- 


I  <>g  y,  VC  1  0  (1  i  n  e  c  !<  -  f>  ü  i1  o  n  1i  o  r  s  t. 

donanz  Officier  da  war,  zu  Eszterhazy,  dass  die  2  Bataillons  nicht  eher 
aufbrechen  sollen,  bis  Devaux  von  Mautern  bei  ihnen  anlange,  damit  die 
Haupt  Truppe  ordentlich  forrairt  werde.  —  Eumpf  vollzog  diesen  Auftrag, 
hatte  aber  aus  irriger  Meinung  den  nemlichen  Befehl  der  Avantgarde  ge- 
bracht, die  er  mehr  als  eine  Stunde  herwärts  St.  Michael  einholte,  halten 
machte,  und  er  dann  wieder  zurück  ritt.  Jellachich  und  ich  waren  früher 
fortgeritten  —  beim  Durchreiten  durch  das  Regiment  Eszterhazy  befahl 
Jellachich  dem  Obersten  Ekart,  einen  berittenen  Officier  nach  Trofajach  zu 
schicken,  wohin  der  Major  D'Assante  mit  dem  iten  Bataillon  des  Regiments 
schon  einige  Tage  vorher  detachirt  war,  um  demselben  zu  sagen,  dass  er 
gleich  mit  seinem  Bataillon  nach  Leoben  marschiren  und  zur  Division  ein- 
rücken solle.  87  Pferde,  die  er  von  Vorderberg  nach  Leoben  su  bringen 
beauftragt  war,  solle  er,  wenn  er  sie  etwa  noch  nicht  beisammen  hätte, 
durch  die  nach  Vorderberg  detachirte  Compagnie  seines  Bataillons  besorgen 
und  nach  Leoben  nachbringen  lassen.  Ich  bemerke  diesen  Umstand  des- 
wegen, damit  daraus  deutlich  hervorgehe,  dass  Jellachich  wusste,  dass  man 
über  Trofajach  nach  Leoben  marschiren  konnte,  wenn  er  dies  mit  seiner 
Division,  um  dem  Feinde  auszuweichen,  hätte  thun  wollen. 

Wir  ritten  weiter  fort,  um  früher  zur  Avantgarde  zu  gelangen,  denn 
wir  hatten  bei  Eszterhazy  erfahren,  der  Major  Zsemsey  sei  anstatt  um 
3  Uhr  erst  um  VgS  Uhr  aufgebrochen,  also  damals,  als  Jellachich  und 
ich  von  Ehrenau  aufgebrochen  waren.  Natürlicher  Weisse  war  Jellachich 
darüber  sehr  aufgebracht,  diese  unerwartete  Verspätung  musste  denselben 
auf  die  Besorgnis  führen,  dass  daraus  unangenehme  Folgen  entstehen 
könnten  —  eine  Strecke  weiter  trafen  wir  mit  dem  Lieutenant  Graf  Rumpf 
zusammen,  der  ohnehin  schon  erzürnte  Feldmarschallieutenant  wurde  es 
noch  mehr,  als  er  den  Fehler  vernahm,  dass  Rumpf  die  ohnehin  um  1  Vo  Stun- 
den zu  spät  aufgebrochene  Avantgarde  halten  machte.  Wir  setzten  uns 
nun  in  Galopp,  um  so  schleunig  als  möglich  diesen  neuen  Aufenthalt  zu 
redressiren.  Wir  kamen  sehr  bald  bei:  der  Avantgarde  an,  und  der  Feld- 
marschallieutenant sezte  sie  gleich  wieder  in  Marsch. 

Mithin  ergaben  sich  an  diesem  Morgen  schon  einige  Vorfälle,  welche 
zu  einer  ßedenklichkeit  Stoff  darboten  —  es  scheint,  als  wollte  alles  dazu 
beitragen,  den  Feldmarschallieutenant  zu  dem  Entschluss  zu  bewegen,  es 
nicht  mehr  darauf  ankommen  zu  lassen,  sich  unnöthiger  Weisse  in  eine 
Gefahr  zu  begeben  —  aber  es  scheint  auch,  dass  eine  solche  Marsch  Ver- 
änderung gar  nicht  in  seinen  Willen  lag.  Das  durch  Rumpf  veranlasste 
Halten  der  Avantgarde  fiel  dem  Major  Zsemsey  nicht  zur  Last;  der  Zeit- 
Verlust  hievon  mag  keine  halbe  Stunde  ausgemacht  haben  —  wohl  aber 
fiel  ihm  das  spätere  Aufbrechen  zur  Last  —  wäre  er  um  3  Uhr  aufge- 
brochen, so  hätte  ihn  Graf  Rumpf  schon  bei  St.  Michael  angetroffen.  Dass 
ich  dem  Major  Zsemsey  den  Abend  vorher,  wie  ihm  Jellachich  befahl,  um 
3  Uhr  aufzubrechen,  in  dessen  Gegenwart  den  Eath  gab,  lieber  noch  fi-üher 
aufzubrechen,  will  ich  nur  nebenbei  bemerken. 

Der  Major  entschuldigte  sich  damit,  dass  die  Mannschaft  des  zur 
Avantgarde  beorderten  Bataillons  gegen  300  Mann  erst  zur  Mittemacht 
ermüdet  eingetroffen  sei,  wodurch  er  gezwungen  worden  wäre,  ihnen  ein 
Paar  Stunden  Ruhe  zu  gönnen,  weil  er  ohne  sie  zu  schwach  gewesen 
sein  würde. 


Das  Gefecht  1)pi  St.  Michael  n.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         l29 

Jellachich  verwies  ihm  dieses  ernstlich,  indem  er  dies  hätte  zeitlich 
melden  sollen,  damit  er  ihm  von  Etzterhazy  die  nöthige  Verstärkung  an- 
gewiessen  hätte  —  ich  erinnere  mich  noch  der  Worte:  Sie  werden  un- 
glücklich sein,  wenn  diese  Verspätung  üble  Folgen  haben  sollte,  die  der 
Feldmarschallieut :  dem  Major  sagte,  Jellachich  und  ich  eilten  abermals 
weiter  —  den  Orellyischen  Jägern  befahl  er,  schneller  zu  marschiren,  eine 
Patrouille  aber  gleich  nach  St.  Michael  und  weiter  gegen  den  Feind  vor- 
zuschicken, denn  auch  dies  hatte  der  Major  Zsemsey  zu  thun  unterlassen 
—  abermals  ein  Umstand  mehr  von  Bedeutung,  der  zum  Nachdenken  An- 
lass  gab. 

Zwei  Gemeine  von  der  Orellyischen  Patrouille  waren  eher  an  den 
ersten  Häussern  von  St.  Michael  angelangt,  als  Jellachich  und  ich  —  und 
von  diesen  2  Mann  kam  nach  einem  gegebenen  Schuss  auf  den  Feind  einer 
uns  entgegen  gesprengt.,  mit  der  Meldung,  dass  der  Feind  da  sei  —  ein 
Bauer,  der  eben  vorbei  ging,  sagte,  der  Feind  habe  bereits  mit  einem 
Theil  die  Strasse  von  Leoben  eingeschlagen.  —  Der  Feldmarschallieutenant 
bezweifelte  dies ,  weil  unsere  Lager-Ausstecker  mit  Oberlieutenant  Eoth- 
kirch  vom  General  Quartier  Meister  Stab  kurz  vorher  diesen  Weg  nach  Leoben 
vorausgeritten  sein  mussten  (was  gar  kein  Grund  war)  besonders  aber, 
weil  noch  vor  weniger  Zeit  eine  Estaffette  vom  Bruker  Kreis  Secretaire 
Azula  bei  dem  Fml.  angekommen,  und  diesen  Weg  passirt  war,  vom  Feind 
aber  gar  nichts  wahrnahm.  Der  Fml.  nahm  daher  an,  dass  eine  Patrouille 
des  Feindes  ebenfalls  in  dem  nemlichen  Augenblick  ankomme,  wie  wir  — 
indem  der  Feind  wohl  nicht  gleich  mit  der  Truppe,  ohne  uns  vorher  eine 
Patrouille  entgegen  zu  schicken,  anrüken  würde.  Aber  eine  kleine  Strecke 
weiter  sahen  wir,  dass  es  keine  Patrouille,  sondern  wenigstens  ein  De- 
tachement  vom  Feinde  war. 

Ehe  ich  weiter  fortfahre,  will  ich  die  Depeche  des  Kreis  Secretairs 
Azula  wörtlich  anführen,  denn  da  ich  sie  zu  Pferd  dem  Fml.  vorlas, 
steckte  ich  sie  ein,  und  habe  sie  in  originali  behalten,  weil  keine  Eede 
mehr  davon  war. 

An  Se  Excellenz  den  k.  k.  H.  Fml.  Freiherm  v.  Jellachich  in  Mautern. 
Nach  verlässlichen  Nachrichten  sind  heute  um  IOV2  ^^'  400  Chasseurs 
und  5000  Mann  Infanterie  in  Knittelfeld  eingeruckt,  mit  der  Bemerkung, 
dass  noch  5000  gleich  nachfolgen. 

Die  Vorposten  des  Feindes  reichen  bis  St.  Lorenzen  und  noch  weiter 
herab  bis  an  die  Lorenzer  Brücke  —  der  Bot,  der  diese  Nachricht  brachte, 
passirte  die  feindlichen  Vorposten. 

In  Leoben  fürchtet  man  heute  Nachts   noch  die  Feinde  zu  erwarten. 

Verpflegung  für  das  Corps  Euer  Excellenz  ist  hier  gesorgt. 

Ich  eile  dieses  Euer  Excellenz  in  Ehrfurcht  zu  berichten,  und  geharre 
in  tiefster  Ehrfurcht  Euer  Excellenz  gehorsamster  Diener  Joseph  v.  Azula 
k.  k.  Kreis  Secretair  von  Brück,     vertatur. 

Im  Falle  einer  Gefahr,  wenn  der  Feind  wirklich  mit  einer  Ueber- 
macht  drohen  sollte,  kann  nach  der  hohen  Einsicht  Euer  Excellenz  die 
Route  über  Trofajach,  Vordernberg,  Tragöss,  Katharein  in  das  Mürzthal,  in 
die  Stanz  über  Weitz  nach  Gratz  eingeschlagen  werden  •). 

•)  Ein  sehr  beschwerlicher  Umweg,  auf  welchem  die  Division  keinesfalls  vor 
der  Armee  des  Vizekönigs  in  das  Mürzthal  (1)pi  Kn]ifenberg)  gelangt  wäre, 
Mittheilungen  XII.  9 


1 30  /i  w  i  e  d  i  n  e  c  k  -  S  y  d  e  n  h  o  r  s  t. 

Datirt  war  das  Schreiben  Leobeu  am  23^^eii  May  1809  um  loVg  Uhr 
Abend.  Ich  muss  hier  die  Bemerkung  machen,  dass  der  23^^  wohl  ei}i 
Schreibfehler  sein  mochte,  den  die  Eile  veranlassen  konnte,  denn  sonst 
wäre  es  nicht  zu  begreifen,  wie  die  Estaffette  zu  erst  den  25ten  in  der 
Früh  zwischen  6  und  7  auf  dem  Weg  zwischen  St.  Michel  und  Mautern 
in  des  Fml.  Hände  gelangte,  da  sie  von  Leoben,  wenn  sie  am  24^^en  um 
IOV2  ^^^  Abend  expedirt  wurde,  noch  zeitlicher  hätte  anlangen  sollen, 
als  sie  anlangte. 

Wäre  ich  nicht  gegenwärtig  gewesen,  wie  die  Estaffette  ankam,  ?o 
würde  ich  die  Nachricht,  welche  sie  enthielt,  für  die  nemliche  gehalten 
haben,  welche  der  Eml.  mir  am  24*6^1  Abends  mittheilte;  sie  war  bis  auf 
einige   1000  Mann  mit  jener  übereinstimmend. 

Auch  diese  Bestätigung  der  ersten  Nachricht  vermochte  den  Fml. 
nicht,  eine  andere,  oder  die  von  Azula  vorgezeichnete  Route  einzuschlagen. 
Er  sagte  vielmehr,  er  habe  ja  schon  zu  Ehrenau  über  die  Sache  nach- 
gedacht und  die  Gründe  gegen  einander  abgewogen  —  das  Resultat  sei, 
wenn  der  Feind  uns  in  Weg  kommen  würde,  ihn  ohne  weiters  zurück  zu 
werfen,  dazu  sei  er  stark  genug  —  und  es  könnte  höchstens  nach  seiner 
Meinung  ein  Scharmützel  zwischen  den  Avant  oder  Arriere  Garden  ab- 
setzen —  und  wäre  der  Feind  früher  als  wir  auf  der  Strasse  von  Leoben, 
was  nicht  denkbar  sei,  so  käme  er  zwischen  2  Feuer.  Uebrigens  habe  er 
Canonen  und  fahrende  Bagage  bei  sich,  die  vielleicht  in  den  Gebirgs- 
Wegen  nicht  allenthalben  durchkommen  könnten,  und  wolle  dem  Feind 
nicht  etwa  Muth  machen,  ihn  gerade  in  den  engen  Gebirgen  auf  eine  oder 
die  andere  Art  zu  benaehtheiligen  oder  daran  zu  hindern,  dass  er  nach 
dem  bestehenden  Befehl  Sr  k.  Hoheit  des  E.  H.  Johann  zeitlich  genug  in 
Grätz  ankomme  —  endlich  wisse  er  auch  nicht,  ob  der  Feind,  der  nach 
der  Eröffnung  des  Fml.  Lippa  Herr  von  Maria  Zell  war,  um  sich  etwa 
mit  den  Truppen  der  Italienischen  Armee  zu  vereinigen,  mit  ihm  in  den 
Gebirgen  zusammen  treffen  könnte,  wo  man  dann  doch  mit  ihm  sieh  schlagen 
müsste. 

Auf  den  obbesagten  Schuss  eilten  wir  eine  kleine  Strecke  näher  und 
sahen,  dass  der  Feind  herauf  marschire.  Fast  zur  nämlichen  Zeit  langten 
die  Orellyi  Chevauxlegers  an,  die  sich  vorläufig  mit  dem  Feind  engagirten, 
bis  die  Avantgarde  des  Majors  Zsemsey  —  1  Bataillon  Creuzer  —  auch 
Theil  daran  nahm.  Zum  Glück  kam  meine  Brigade  an.  Nun  war  es  ent- 
schieden, dass  man,  ohne  sich  förmlich  zu  schlagen,  hier  nicht  vorüber 
marschiren  konnte  —  sich  wieder  gegen  Mautern  zurück  zu  ziehen,  wenn 
es  auch  ohne  Gefahr  und  Nachtheil  noch  thunlich  gewesen  wäre,  würde 
gegen  des  Fml.  Ehrgeiz  gewesen  seyn.  Der  Feind  war  stärker,  als  ihn 
der  Fml.  vermuthete  —  wir  waren  augenscheinlich  schwächer.  Die  Arriere- 
garde  war  weit  zurück  —  und  1  Bataillon  Eszterhazy  in  Trofajach.  Der 
Fml.  schickte  eine  Abtheilung  Creuzer  und  Tyroler  Jäger  i)  auf  eine  uns 
rechts  gelegene  Anhöhe,  um  von  selber  während  dem  Gefechte,  und  wenn 
der  Terrain  vor  uns  behauptet  wurde,  bis  zur  Ankunft  der  Arrieregaixle 
zur  Sicherheit  unserer  rechten  Flanke  Herr  zu  sein  —  dann  auch,  um 
von  dieser  Anhöhe  die  feindliche  linke  Flanke  beschiessen  zu  können.    Bis 


')  AN'ann  diese  zur  Division  JellacJic  gekommen  sind,  ist  nicht  aufgeklärt. 


i 


i">as  Gefecbt  bei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Jobann  in  Steierm.         \^{ 

unsere  Abtheilung  hinauf  kam,  fielen  mehrere  Schüsse  bereits  von  selber 
herab  —  aber  der  Feind  wurde  von  da  vertrieben,  und  einige  Franzosen 
wurden  als  Gefangene  von  da  herabgebracht.  Der  Fral.  fand  nöthig,  später 
dieses  Detachement  zu  verstärken,  so  dass  es  bis  zu  einem,  und  endlich 
gar  zu  2  Bataillons  angewachsen  war.  So  viel  von  dieser  Anhöhe.  Von 
meiner  Brigade  musste  1  Bataillon  von  Eszterhazy  mit  dem  Obersten 
B.  Ekard  und  ]  Bataillon  von  Devaux  auf  den  linken  Flügel  vor  St.  Michael 
■ —  mit  diesen  ging  der  Feldmarschallieutenant  selbst,  mir  gab  er  den 
rechten  Flügel  zu  besorgen.  Ich  Hess  das  Oberstlieutenants  Bataillon  von 
Eszterhazy  mit  Oberstlieut.  Hirsch  und  1  Bataillon  Devaux  so  aufmarschiren, 
dass  sie  auf  der  rechten  Flanke  obiger  2  Bataillons  einen  Haken  bildeten 
—  aber  der  Fml. ,  der  mit  seinen  2  Bataillons  in  ein  starkes  Feuer  ge- 
rieth,  Hess  gleich  das  Bataillon  von  Devaux  noch  von  mir  abrufen,  und 
zog  es  in  seine  Linie,  so  dass  mir  nur  das  Oberstlieut.  Bataillon  von  Eszter- 
hazy verblieb.  Die  Bataillons  des  linken  Flügels  fingen  nun  eben  an,  vor 
dem  feindlichen  heftigen  Andringen  und  Feuer  zu  weichen,  als  ich  mit 
dem  3^^^  Bataillon  von  Eszterhazy  augenblicklich  auf  die  feindliche  linke 
Flanke  los  stürmte  und  den  Feind  sogleich  in  die  tiefer  liegende  Gegend 
hinab  warf  —  wodurch  das  gefahrvolle  Gefecht  entschieden  und  für  izt 
beendigt  war.  Wir  waren  nun  Meister  von  der  Platte,  die  eine  Art  von 
Amphitheater  bildete.  —  Auf  dieser  Platte  Hess  der  Fml.  die  Bataillons 
aufmarschiren,  und  theilte  sein  Geschütz  am  Kande  derselben  ein. 

Noch  ehe  ich  obbesagten  Angrifi"  begann,  meldete  mir  mein  Adjutant, 
dass  der  Feind  sich  auf  der  obigen  rechten  Anhöhe  links  ziehe,  wodurch 
er,  wenn  er  herabkäme,  mir  im  Eüken  sein  würde.  Ich  schickte  daher 
den  Adjutanten  zu  dem  eben  auch  angekommenen  General  Legisfeld,  und 
Hess  ihn  davon  verständigen,  der  dann  mit  dem  ,3fen  Bataillon  vonUeuss 
Greitz  und  400  Mann  von  E.  Carl  i)  die  Eeserve  bildete. 

Nachdem  ich  das  Gefecht  entschieden  hatte,  verfügte  ich  mich  auf 
den  linken  Flügel  zum  Feldmarschallieutenant,  um  seine  weiteren  Gesin- 
nungen zu  erfahren. Wir  hatten  das  Dorf  St.  Michael  und  die  Strasse 

unseres  Marsches  nach  Leoben  nun  im  Rücken ,  der  durch  St.  Michael 
laufende  Bach  Liesing  ist  nicht  anders  als  blos  über  die  Brücke  zu  pas- 
siren  —  links  hatten  wir  die  Muhr  —  auf  allen  Seiten  Gebirg  und  An- 
höhen —  durch  das  Defilee  der  hinter  uns  liegenden  mussten  wir  passiren, 
wenn  wir  nach  Leoben  wollten.  Zuvor  aber  durch  das  enge  Dorf  und 
die  Brücke  der  Liesing,  die  hinter  uns  flose.  Ueber  die  Muhr  hatten  wir 
links  ebenfalls  eine  Brücke,  die  auf  den  Weg  nach  Göss  führt,  worauf 
man  den  Diebsweg  eher  erreicht,  als  auf  unserer  Hauptstrasse. 

Der  Feldmarschallieutenant  behielt  durch  die  Couronnirung  der  Platte 
mit  seinen  Truppen  nur  eine  kleine  Eeserve  - —  die  Canonen  spielten  noch 
fort.  Ich  untersuchte  auf  Geheiss  des  Feldmarschallt.  unsem  rückwärtigen 
Terrain,  weil  wir  keine  genaue  Kenntniss  davon  hatten  —  unser  linker 
Flügel  musste,  da  er  ohnehin  das  meiste  gelitten  hatte,  und  der  Feld- 
marschallieutenant nicht  eher  abrücken  wollte,  bis  die  Arriöregarde  ange- 
kommen sein  würde,  verstärkt  werden.  3  schwache  Compagnien  bekamen 
den  Befehl,  sich  über  der  Muhr  aufzustellen;  mir  vertraute  Jellachich  nun 


'J   \'orher  nicht  erwähnt. 

9* 


1 32  Z  w  i  e  r1  i  11  e  c  k  -  8  ü  fl  e  n  li  0  !•  s  t. 

den  linken  Flügel  an,  und  den  rechten  dem  General  B.  Legisfeld.  Icli 
konnte  mir  nicht  vorstellen,  dass  man  das  3^6  Bataillon  von  Eszterhazy 
auch  noch  auf  die  rechte  Anhöhe  schicken  würde,  wodurch  der  Abmarsch 
der  Division  natürlicher  Weisse  erschweret  wurde. 

Der  Feind  hatte  unsere  Position,  so  wie  wir  die  seinige,  ganz  vor 
Augen.  Er  konnte  unsere  indessen  doch  noch  hesser  einsehen ,  wie  wir 
seine,  weil  selbe  sich  bald  rückwärts  einbog. 

Ich  veranlasste  gleich  nach  der  eingenommenen  Position,  dass  die 
Bagage  hinter  uns  ihren  Marsch  nach  Leoben  fortsezte,  der  Feind  gab 
einige  Canonen  Schüsse  auf  sie,  machte  aber  keinen  Schaden. 

Als  nun  die  Arrierengarde  ankam,  Hess  Jellachich  auch  diese  in  die 
Front  einrüken,  ohne  von  den  andern  Truppen  einige  heraus  zu  ziehen. 
Dies  war  eigentlich  der  erste  Hauptfehler  —  alle  vorhergegangenen  Schritte, 
welche  vortheilhafter  hätten  gemacht  werden  können,  rechne  ich  demFeld- 
marschallieutenant  nicht  als  absolute  Fehler  an  —  denn  sie  haben  ihre 
gute  und  ihre  schlimme  Seite  —  der  jetzige  war  aber  gegen  den  Zweck, 
und  zog  das  gefolgte  Unglück  nach  sich. 

Ich  hatte  den  Feldmarschallieutenant  darauf  aufmerksam  gemacht,  und 
ihm  zweimal  bemerkt,  dass  wir  hinter  uns  die  Brücke  hätten,  die  wir 
passiren  müssten,  wie  dies  bei  einem  mächtigen  schnellen  Angriffe  des 
Feindes  möglich  sein  würde,  ohne  Gefahr  oder  Deroute?  —  Er  entgegnete, 
eben  aus  dieser  Betrachtung  sehe  er  sich  bemüssigt ,  seine  ganze  Stärke 
hier  auf  zu  stellen,  um  dem  Feind  bis  zur  eingebrochenen  Nacht  imponiren 
zu  können,  wo  er  dann  gleich  den  Eückzug  antreten  würde,  —  würde  er 
ilm  aber  gleich  jezt  antreten,  so  würde  der  Feind  alles  anwenden  können, 
um  ihm  den  grösstmogiichen  Abbruch  zu  thun  —  ausserdem  könne  er 
die  2  Bataillons  auf  der  rechten  Anhöhe,  die  er  schon  2  mal  zum  Herab- 
kommen beordert  habe,  die  aber  unbegreiflicher  Weisse  nicht  herabkämen, 
nicht  abandonniren.  —  Ich  machte  ihm  die  Einwendung,  dass  wenn  er 
schon  die  Nacht  hier  abwarten  wollte,  so  sollte  er  doch  wenigstens  die 
hinter  uns  liegenden  Anhöhen  besetzen,  um  unter  dem  Schutze  der  dort 
aufgestellten  Truppen  und  Canonen  den  Eükzug  über  die  Brücke  zu 
sichern,  —  er  entschuldigte  sich  mit  der  Unthunlichkeit ,  etwas  aus  der 
Front  heraus  zu  ziehen,  er  werde  die  rtikwärtigen  Hügel  mit  den  2  Ba- 
taillons besetzen,  wenn  sie  von  dem  rechten  Flügel  herabkommen  wüi'den. 

Es  war  hart,  diesem  Commandanten  seine  eigenen  Ideen  zu  rectifi- 
ciren  —  man  risquirte,  dass  er  die  reinste  Ansicht  über  eine  militärische 
Nothwendigkeit  durch  eine  übel  placirte  Geringschätzung,  so  als  wenn  er 
sagen  wollte,  das  weiss  ich  besser,  wir  haben  nichts  zu  fürchten,  von  sicli 
stiess.  —  Da  aber  die  Truppen  von  der  rechten  Anhöhe  immer  noch  nicht 
herabkamen,  die  Plänklerei  vom  Feinde  fortgesezt  wurde,  Bewegungen  auf 
dessen  Seite  im  Gebirge  zu  bemerken  waren,  drang  ich  noch  einmal  in 
den  Feldmarschallieutenant,  er  möge  doch  das  hinter  uns  gelegene  rechte 
Eideau  (die  Ansicht  gegen  den  Feind  angenommen),  was  uns  so  vor- 
theilhaft  ansprach,  nicht  unbesezt  lassen.  Er  trug  mir  endlich  auf,  eine 
seitwärts  rükwärts  gestandene  Abtheilung,  die  er  für  eine  Division  hielt, 
am  Eingang  des  Defilees  auf  das  Eideau  zu  placiren,  er  werde  noch  mehrere 
Truppen  zu  diesem  Ende  nachschicken  —  ich  schickte  meinen  Adjutanten, 
diese  Division  abzuholen,  es  war  aber  nur  eine  Compagnie,  weswegen  ich 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  n.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         |3;-J 

dies  dem  Fml.  sogleich  melden  liess,  und  dem  Hauptmann  Schikengraber, 
der  diese  Compagnie  commandirte,  selbst  dem  Ort  seiner  Aufstellung  an- 
deutete. Aber  selbst  diese  Compagnie  bestand  nur  aus  3  Zügen,  womit 
der  Hauptmann  die  Absicht  zu  erfüllen  unvermögend  war  —  indessen 
konnte  er  wenigstens  figuriren,  bis  die  Üebrigen  ankommen  würden.  — 
War  nun  der  Feind  gerade  in  diesem  Momente  mit  seiner  Disposition  zum 
Angi'ifife  fertig  geworden,  oder  sah  er,  dass  man  endlich  ein  Mittel  er- 
greifen wolle,  die  Passage  durch  das  Debouchee  zu  sichern,  und  dass  er, 
wenn  er  den  Vortheil  in  der  Hand  behalten  wolle,  keine  Zeit  zur  Voll- 
ziehung dieser  unserer  Disposition  lassen  dürfe,  hat  ihn  nur  die  Aufstel- 
lung, die  ich  auf  dem  Rideau  angefangen  hatte,  allein  zur  schleunigen  Attaque 
bewogen,  oder  hat  Jellachich  auch  schon  eine  Abtheilung  aus  der  Front 
herausgezogen,  um  sie  auf  das  Rideau  zu  schicken  —  alles  dies  ist  mir 
unbewusst  —  genug,  der  Feind  griff  an,  und  in  einem  Augenblik  war 
die  Aufstellung  auf  der  Platte  durchbrochen,  flankirt,  in  Rücken  genommen, 
und  die  ganze  Division  geworfen. 

Bei  meinem  Herabkommen  von  dem  Rideau  traf  ich,  was  sich  ge- 
rettet hatte,  zu  meinem  grössten  Erstaunen  auf  einer  Flucht  an,  wie  sie 
im  ersten  Entstehen  in  ihrer  Grässlichkeit  zu  sein  pflegt.  Kaum  war  ich 
imstande,  zu  meinem  am  Fusse  des  Hügels  belassenen  Pferde  zu  gelangen, 
und  vor  dem  reissenden  Schwalle  aufzusitzen  —  ich  hätte  letzteres  wegen 
meinen  Schmerzen  in  den  Hüften  gar  nicht  zu  thun  vermögt,  wenn  ich 
nicht  einen  vorübereilenden  gemeinen  Mann  gezwungen  hätte,  anzuhalten, 
und  mir  aufs  Pferd  zu  helfen,  was  meine  Ordonanz  nicht  allein  erschwingen 
konnte.  —  So  wie  ich  aufgesessen  war,  musste  ich  mich  in  dem  Schwalle 
fortreissen  lassen  —  ich  kam  gerade  dem  General  Legisfeld,  und  seinem 
Adjutanten  dem  Oberlieutenant  Schindling  von  Devaux,  dann  dem  Oberst 
B.  Ekard  und  Major  Tichy  von  Eszterhazy  zur  Seite,  ohnweit  hinter  uns 
folgte  der  Feldmarschallieutenant  Jellachich  mit  seiner  Suite  —  ich  erfuhr 
nun  während  dem  Forttrappiren,  dass  die  gesammte  Truppe  plötzlich  ge- 
worfen worden  und  dass  meistens  das  anprellen  der  feindlichen  Cavallerie 
an  der  augenblicklichen  Deroute  schuld  war  —  indessen  schilderte  jeder 
den  Anfall  des  Feiiides  auf  eine  andere  Art.  Die  Tendenz  des  Feindes 
stürmte  nur  gegen  die  Brücke;  daher  eilte  jeder  von  der  Division  um  so 
mehr,  um  vor  dem  Feinde  dahin  zu  gelangen  —  wer  später  kam,  war 
abgeschnitten.  —  Leider  geschah  das,  was  ich  zu  vermeiden  angerathen 
hatte  —  und  was  unfehlbar  zur  rechten  Zeit  zu  vermeiden  war.  Hier 
bestätigte  es  sich,  wie  schädlich  es  war,  das  Orellyische  Chevauxlegers 
Regiment  von  der  Division  zur  Armee  geschickt  zu  haben.  Wäre  diese 
Cavallerie  da  gewesen,  so  wäre  die  Division  einigen  100  Pferden  nicht 
das  schnöde  Opfer  geworden,  selbst  wenn  die  nemlichen  Fehler  begangen 
worden  wären,  die  begangen  wurden. 

Was  ich  hier  beschrieben  habe,  von  dem  Augenblik  angefangen,  wo 
ich  die  Compagnie  auf  den  Rideau  führte,  bis  zu  jenem,  wo  ich  zu  meinem 
Pferde  zurückgelangt  bin,  war  alles  das  Werk  von  höchstens   10  Minuten. 

Während  der  Flucht  gab  ich  mir  mehrmals  Mühe,  die  Truppe  zum 
Halten  und  Herstellen  zu  bringen  —  ich  rief  dazu  besonders  den  Major 
Tichy  auf,  ob  er  es  mit  seiner  Manschaft,  über  die  er  sonst  alles  ver- 
mochte, zu  vollziehen  imstande  sei  —  ich  befahl  es  —  aber  es  war  noch 


Jg4  Z  Av  i  e  (1  i  n  e  c  "k  -  S  ü  <1  <;  n  li  o  r  s  i. 

nicht  möglich,  dieser  Unordnung  zu  steuern,  weil  jeder  die  Cavallerie  des 
Feindes  zu  nahe  in  seinen  Fussstapfen  befürchtete. 

Selbst  der  Feldmarschallieutenant  rief  von  rükwärts  her,  dass  man 
es  doch  einmal  zum  halten  und  herstellen  bringen  möge.  Endlich  kam 
ein  Zug  von  Frimont-Hussarn  von  Leoben  uns  entgegen  —  diesen  stellte 
ich  auf  einem  kleinen  Neben  Platze  an  der  Strasse  auf,  um  den  etwa  an- 
prellenden Feind  zu  harceliren,  denn  die  wenigen  Orellyische  Chevaux- 
legers  waren  meistens  aus  einander  und  von  voraus  fort  nach  Leoben, 
oder  ohne  Zusammenhang  in  der  laufenden  Truppe.  Sobald  dieser  Zug 
Hussarn  sich  gezeigt  hatte,  trat  neue  Besinnung  und  Erhohlung  in  die 
fliehenden  —  und  nun  fing  zu  erst  der  besonnene  Rückzug  an  —  man 
suchte  wenigstens  den  Körper,  wozu  man  gehörte,  und  dachte  wieder  an 
höhere  Pflicht. 

Bei  dieser  Gelegenheit  ereignete  sich  der  bekannte  heldenmüthige 
Zug  des  Corporaln  Ladislaus  Janos  von  Frimont  Hussarn,  der  den  Ent- 
schluss  fasste,  mit  seiner  eigenen  Aufopferung  in  das  bei  einem  Defilee  aus 
umgeworfenen  Pulverkarrn  zerstreut  gelegene  Pulver  seine  Pistole  abzu- 
feuern ,  um  der  andringenden  feindlichen  Cavallerie  das  Wegräumen  des 
Pulverkarrns  zu  verwehren,  und  sich  mit  ihnen  lieber  in  die  Luft  zu 
sprengen,  als  sie  zum  Nachtheil  der  Jellachichschen  Retraite  durch  zu 
lassen,  wodurch  auch  über  30  Mann  blieben  —  er  selbst  kam  zwar  ganz 
gesengt  und  stark  verbrennt  mit  dem  Leben  davon. 

Bis  Leoben  war  ich  imstand  mit  den  heftigsten  Schmerzen  diesen 
forcirten  Eitt  auszuhalten.  Denn  sobald  ich  den  Zug  Hussarn  aufgestellt 
hatte,  war  es  möglich,  neben  der  Truppe  vorwärts  zu  kommen  —  ich 
eilte  daher  auf  Verlangen  des  Fml.  so  viel  ich  konnte  nach  Leoben,  um 
dort  an  der  Bi'ücke  Vertheidigungs  Anstalten  zu  treff'en  —  ich  trug  dort 
dem  Obersten  B.  Ekardt  auf,  seine  übrig  gebliebene  Mannschaft  theils 
gleich  bei  Leoben  aufzustellen,  theils  dem  Diebsweg  zu  zu  eilen,  um  vor 
dem  Feind  in  selben  zu  gelangen.  —  Der  Oberst  benöthigte  aber,  wie  er 
sagte,  einiger  Erhohlung,  weil  er  durch  eine  kleine  Kugel,  die  durch  seinen 
Hut  gegangen  war,  eine  Kopferschütterung  erhalten  habe  —  ich  trug  es 
also  dem  Major  Tichy  auf,  der  dann  die  Mannschaft  auch  gleich  zu  rangiren 
anfing.  Dem  Rittmeister  von  Orellyi  Chevauxlegers,  so  wie  dem  Obersten 
Siegenfeld  von  dem  Creutzer  Regiment  trug  ich  anf  sich  hintei-  Leoben 
aufzustellen,  eben  so  dem  Obersten  Bach  von  Devaux.  Dieser  sagte  aber 
dass  von  seinem  Regimente  nichts  übrig  sei  —  mithin  war  meine  Bri- 
gade bis  auf  etwa  60  Mann  von  Eszterhazy  verlohrn.  Das  Bataillon  zu 
Trofajach  war  damals  noch  nicht  angekommen,  und  schien  der  Gefangen- 
schaft nicht  zu  entgehen  —  erst  später  als  wir  uns  schon  von  Leoben 
nach  Brück  zurükgezogen  hatten,  kam  dasselbe  bei  Leoben  an  —  wo  es 
sich  unter  einem  heftigen  feindlichen  Feuer  den  Weg  über  die  schon  durch 
unsere  Anstalt  grossen  Theils  abgetragene  Brücke  mit  ansehnlichem  Ver- 
luste erzwingen  musste. 

Diese  Brücke  war  schwer  zu  deraoliren.  Die  Zeit  war  kurz,  kein 
Werkzeug  dazu  bei  Händen  —  zu  dem  führte  ein  Seiten  Weg  an  derMuhr 
auf  noch  kürzerer  Route  nach  Brück.  —  .Teilachich  hatte  meine  Disposition 
geändert,  die  ich  dem  Major  Tihy  gab,  und  die  2  Canonen,  die  ich  an  der 
Brücke    liatte    aufliahren    lassen ,    so  wie  den  übrigen  Rest    nur  weiter  zu 


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Das  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         J35 

marschiren  angewiesen,  indem  er  keinen  Widerstand  mehr  leisten  könne. 
Major  Tichy  und  der  Zug  Frimont  Hussarn  hatten  den  Befehl,  nur  so  lang 
anzuhalten,  bis  die  Brücke  etwas  abgebrochen  sei  —  die  alsdann  auch 
ihren  Rückmarsch  antraten. 

Oberst  Siegenfeld  und  Major  Tichy  machten  mit  ihren  kleinen  Resten 
die  Arrieregarde  —  alles  war  nach  Grätz  angewiesen.  Von  Leoben  ritt 
ich  mit  Jellachich  gegen  Brück.  Unterwegs  waren  meine  Schmerzen  nicht 
mehr  zu  Pferd  zu  ertragen,  ich  musste  zu  Fuss  gehen.  Dadurch  marschirte 
alles  schneller  an  mir  vorbei,  so  dass  ich  endlich  der  lezte  wurde,  und 
wenn  der  Feind  die  Brücke  herstellte,  der  nächste  zur  Gefangenschaft. 
Oberlieutenant  Schindling  entschloss  sich  aus  Freundschaft,  mich  nicht  zu 
verlassen  —  er  blieb  bei  mir  —  es  war  schon  Abend  —  endlich  kam 
noch  ein  einspänniger  Officiers  Bagage  Wagen,  der  sich  in  Leoben  verspätet 
hatte,  der  nahm  mich  auf  und  so  langte  ich  in  wahrhaft  elendem  Zustande 
zu  Brück  an.  Dieser  Wagen  kam  mir  recht  im  Augenblick  der  höchsten 
Noth  zu  Hülfe,  denn  ich  war  damals  so  abgemartert,  dass  ich  auch  nicht 
mehr  zu  Fuss  weiter  konnte.  Aber  diese  Hülfe  dauerte  nur  bis  Brück  — 
ich  konnte  länger  nicht  zur  Last  fallen,  denn  das  Wagen  Pferd  hatte  schon  an 
der  Officiers  Bagage  genug  zu  ziehen  —  ich  traf  in  Brück  in  der  Dämme- 
rung auf  den  Obersten  Bach,  der  mir  sagte,  der  Feldmarschallieutenant 
Jellachich  sei  auf  der  Post  —  ich  fand  ihn  aber  dort  nicht,  und  mein 
Adjutant,  den  ich  blessirter  mit  noch  3  andern  blessirten  Officiers  antraf, 
sagte  mir,  der  Feldmarschallieutenant  sei  bereits  wieder  weiter.  —  Diese 
4  Officiers  Hessen  sich  eben  zu  ihrem  weiteren  Fortkommen  die  Post  ein- 
spannen —  ich  wollte  bis  Fronleithen  von  der  Parthie  sein,  es  war  aber 
kein  Plaz  mehr  frei,  und  keine  andere  Gelegenheit  mehr  da,  da  alles  von 
Brück  weiter  zurük  zog,  und  ich  befürchten  musste,  bei  längerer  Verzöge- 
rung dem  Feinde  endlich  noch  in  die  Hände  zu  fallen,  so  musste  ich  es 
abermals  versuchen  zu  Fuss  weiter  zu  gehen,  denn  auf  mein  Pferd  konnte 
ich  diesmal  nicht  mehr  hinauf  —  seit  dem  ich  auf  dem  Wagen  gesessen 
hatte,  musste  mich  auch  Schindling  wieder  verlassen,  da  er  zu  seinem 
Generain  musste  —  ich  blieb  sohin  mit  meiner  Ordonnanz  und  meinem 
Reitknecht  allein  —  umsonst  versuchte  ich  wiederhohlt,  mich  auf  mein 
Pferd  hinauf  heben  zu  lassen  —  ich  konnte  die  Spaltung  nicht  mehr  so 
weit  erweitern,  als  es  die  Breite  des  Pferds  erforderte,  denn  ich  war  in 
den  Hüften  wie  steif,  um  eine  seitwärtige  Bewegung  zu  machen  —  dies 
war  immer  der  Fall,  wenn  ich  nach  einander  einige  mal  auf  und  absitzen 
musste  —  aber  eine  so  anhaltende  Strapatze  wie  an  diesem  Tage  war  ich 
noch  nie  aus  zu  halten  bemüssigt  —  zudem  hatte  ich  den  ganzen  Tag  noch 
nichts  genossen,  als  das  Frühstück,  und  etwas  Brod  und  Branntewein.  — 
Vor  Brück  höhlten  mich  mein  Adjutant  und  die  Salzburger  Landwehr- 
Officiers  Lasser  und  Hofmann,  so  wie  der  blessirte  Lieutenant  Graf  Rumpf 
von  Devaux  mit  der  Post  Caleche  ein ,  man  machte  mir  Anerbietungen, 
dass  einer  von  ihnen  auf  meinem  Pferde  reiten  wolle,  damit  ich  statt  seiner 
fahi'en  könne,  und  am  Ende  zwängten  sich  die  .3  schmälsten  zusammen,  so 
dass  ich  in  der  Post  Caleche  einen  Sitz  bekam.  —  Unterwegs  sezte  sich 
einer  neben  den  Postilion,  was  doch  noch  erträglicher  war  —  ich  war 
diesen  Officiers  unendlichen  Dank  schuldig.  —  Als  wir  zu  Fronleithen  an- 
langten,   wusste  man  nichts  vom  Fml.  Jellachich    —    es  blieb  mir  nichts 


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übrig,  als  mit  den  Officiers  weiter  bis  Pekau  zu  fahren.  Auf  der  ganzen 
Eoute  trafen  wir  kleine  Häuflein  unserer  Divisions  Eeste  an,  die  sich  nach 
und  nach  unserer  Arriöre  garde  anschlössen.  —  Da  ich  keine  Brigade  mehr 
hatte,  so  suchte  ich  nur  etwas  Vorsprung  zu  gewinnen,  um  mich  durch 
eine  kurze  Ruhe  wieder  soweit  zu  Kräften  zu  bringen,  dass  ich  wieder  zu 
Pferd  sitzen  könne.  Da  ich  nun  auch  zu  Pekau  den  Fml.  nicht  fand, 
meine  Pferde  noch  zurük  waren,  ich  durch  das  Fahren  auf  eine  andere 
Art  noch  müder  wurde,  wenn  ich  auf  meine  Pferde  warten  wollte,  es  auch 
in  der  Nacht  hätte  möglich  sein  können,  dass  wir  einander  verfehlt  hätten, 
wenn  ich  diese  Ofticiers  Gelegenheit  auslasse,  einer  neuen  Verlegenheit  mich 
aussetzen  könnte,  und  doch  auch  sonst  keine  Dienste  wenigstens  vor 
12  Stunden  Euhe  zu  leisten  imstand  gewesen  wäre,  so  war  ich  Willens 
bis  Grrätz  mitzufahren,  um  den  Erzherzog  Johann  von  unserm  Unglücke  in 
die  frühere  Kenntniss  zu  setzen.  Da  aber  der  Oberlieutenant  Szekuliz  von 
Eszterhazy  als  Courier  vorbei  fuhr,  von  dem  ich  erfuhr,  dass  Jellachich 
ihn  von  Brück  an  Se  k.  Hoheit  abgefertigt  habe,  dann  selbst  auch  gleich 
wieder  von  Brück  aufgebrochen  sei,  und  bald  in  Pekau  ankommen  müsse, 
so  fasste  ich  einen  anderen  Entschluss,  und  blieb  bei  den  Vorposten  des 
Erzherzogs,  um  da  aus  zu  ruhen,  und  unsere  Mannschaft,  wie  sie  einzeln 
ankommen  würde,  zu  sammeln,  und  die  gewehrlose  mit  den  Gewehren  der 
Blessirten  wieder  dienstbar  zu  machen,  was  ich  durch  den  Commandanten 
der  Vorposten  veranlasste.  Hier  wartete  ich  den  Feldmarschallieutenant, 
dem  ich  auf  den  Posten,  die  ich  passirte,  von  mir  Nachricht  hinterliess, 
und  meine  Pferde  ab.  Es  war  am  26*en  May  früh  um  5  Uhr,  als  ich  bey 
den  Vorposten  des  E.  H.  Johann,  welcher  bereits  zu  Grätz  sein  Haupt- 
quartier hatte,  an  der  Weinzirler  Brücke  anlangte.  Ein  Officier  von  Lu- 
signan  Infanterie  stand  auf  dem  Piquet.  Die  ankommenden  Versprengten 
wurden  hier  gesammelt,  bis  ein  Commando  von  Grätz  kam,  welches  auf 
Befehl  des  Erzherzogs  dieses  fortsezte. 

Von  dem  ebenfalls  mit  der  Post  angekommenen  General  Legisfeld  und 
Obersten  Bach  vernahm  ich,  der  Fml.  Jellachich  habe  zu  Pekau  die  Arriere- 
garde  abgewartet.  Der  mit  dem  Reste  von  Eszterhazy,  wozu  das  ite  Ba- 
taillon in  der  Nacht  gestossen  war,  angekommene  Oberst  B.  Ekardt  hatte 
zu  Pekau  von  Jellachich  die  Weisung  erhalten,  nach  Grätz  zu  marschiren. 
Dies  war  nun  meine  Brigade  —  sie  waren  alle  in  hohem  Grade  abge- 
mattet, und  ich  hiess  sie  ihren  Marsch  in  die  Stadt  fortzusetzen;  selbst 
wartete  ich  noch  auf  meine  Pferde,  die  noch  nicht  angekommen  waren. 
Gegen  Abend  kamen  diese  an  und  ich  hatte  mich  in  so  Aveit  erhohlt,  dass 
ich  in  das  Lager  reiten  konnte,  welches  zwischen  dem  Burg-  und  Paulus- 
Thor  auf  dem  Glacis  geschlagen  war  —  wo  auch  zur  nemlichen  Zeit  der 
Fml.  mit  der  Arrieregarde  ankam. 

Wir  verfügten  uns  alle  zu  Sr  k.  Hoheit,  höchstweiche  unser  Schicksal 
bedauerten.  Diess  ist  die  Geschichte  dieser  2  Tage,  —  getreu  und  wört- 
lich wahr  geschildert. 

n. 

Erzherzoij  Johann  an  FML.  Barnn  Jellachich. 

Villach   17.  Mai  Abends    1809. 
Ich  kann  nichts  als  die  getroffenen  Anstalten  des  Herrn  F.  M.L.  bil- 
ligen.    Die  Ereignisse  in  Tyrol  waren  mir  schon  bekannt.     Vermög  meiner 


Das  «irfccht  bei  St.  Michael  u.  d.  Operai.  d.  Er/h.  Johnnn  inSteierm.         |37 

lezt  erhaltenen  Nachrichten  soll  Wien  am  13.  capitulirt  haben,  von  der 
Aufstellung  der  Armee  S.  Kais.  H.  des  Generalissimus  ist  mir  nichts  be- 
kannt, so  viel  weis  ich  nur,  dass  F.  M.  L.  Hiller  sich  von  Wien  über  die 
Brücke  zurückgezogen.  Durch  den  Fall  von  Wien  ist  Ungarn  offen,  keine 
Brücke  über  die  Donau  besteht  bis  Comorn,  unsere  Aufstellung  wird  itzo 
so  vorgeschoben,  dass  wir  für  unsere  rückwärtige  Verbindung  besorgt 
sein  müssen. 

Diese  Betrachtungen  und  die  gelingen  Kräfte  die  uns  hier  auf  mehre- 
ren Punkten  vertheilt  zu  Gebote  stehn,  die  Ueberzeugung  nur  durch  Ver- 
einigung aller  derselben  etwas  Nützliches  für  den  Staat  wirken  zu  können, 
haben  mich  zu  dem  Entschluss  bewogen,  die  itzige  Aufstellung  zu  ver- 
lassen und  auf  einen  Punkt  mich  mit  allen  zu  vereinigen,  ich  trete  Morgen 
mit  Tages  Anbruch  meinen  Eückmarsch  durch  das  Drauthal  an,  werde  den 
grössten  Theil  der  in  Krain  stehenden  Truppe  und  die  Croatische  Insui'- 
rection  in  der  Gegend  von  Pettau  an  mich  ziehen. 

Der  Herr  F.  M.  L.  werden  daher  ebenfalls  ihren  Rückzug  gleich  nach 
Empfang  dessen  antreten,  und  ihre  Richtung  auf  der  kürzesten  Linie  nach 
Graz  nehmen,  alle  im  Ensthal  und  gegen  Oesterreich  aufgestellten  Ab- 
theilungen an  sich  ziehen  worunter  auch  General  Nordmann  begriffen  ist. 
In  Gratz  werden  sie  meine  weiteren  Befehle  erhalfen,  bis  dahin  die  nöthigen 
Vorkehrungen  treffen,  damit,  im  Fall  der  Feind  von  Seite  Oesterreichs 
eine  Bewegung  gegen  Gratz  machte,  sie  bei  Zeiten  davon  Unterricht  seien, 
um  dann  ihre  Massregeln  treffen  zu  können  und  sich  mir  zu  nähern. 

Bis   23.  dieses  glaube  ich  Pettau  erreichen  zu  können. 

Der  F.  M.  L.  Chasteler  bleibt  sich  selbst  überlassen  in  Tyrol  zurück, 
da  es  nicht  mehr  an  der  Zeit  ist,  ihn  herauszuziehen,  auch,  was  zu  ver- 
muthen  ist,  dass  ihn  das  Volk  nicht  heraus  Hess. 

Für  ihre  Verpflegung  während  ihren  Marsch  werden  sie  Sorge  tragen, 
80  wie  auch  dass  die  in  denen  verschiedenen  Oertern  liegende  Vorrathe 
aufgezehrt,  oder  wenigstens  dem  Landmann  Preiss  gegeben  werden. 

in. 

Kaiser  Franz  an  Erzherzog  Johann. 

Nieder-Hollabrunn  d.    15.  May   1809. 

Lieber  Herr  Bruder  Erzherzog  Johann!  Napoleon  steht  mit  seiner 
Hauptmacht  in  der  Gegend  von  Wien.  Mein  Herr  Bruder  Karl  mit  der 
Unsrigen  bei  Stammersdorf  und  hält  das  linke  Donau-Ufer.  Die  französische 
Armee  hat  durch  forcirte  Märsche  und  Gefechte  viel  gelitten,  ihre  einzige 
Kommunikazionslinie  mit  dem  deutschen  Reiche  und  Frankreich  ist  bis  nun 
das  rechte  Donau-Ufer.  Sperrt  man  ihr  diese,  so  befindet  sie  sich  in  der 
verderblichsten  Lage,  und  ist  für  ihre  Verwegenheit,  ohne  Rücksicht  auf 
Flanken  und  Rücken  in  das  Herz  Meiner  Staaten  gedrungen  zu  sein, 
bestraft. 

Ich  befehle  Euer  Liebden  daher  die  Richtung  Hires  Marsches  mit 
Ihren  Hauptkräften  nicht  nach  Innerösterreich,  sondern  über  Salzburg  an 
den  Inn  gegen  die  Donau,  aber  auch  nach  Bayern  zu  nehmen,  alle  nach- 
rückenden Verstärkungen  anzugreifen  und  zu  zerstreuen.  Feldzeugmeister 
Kollowrath  steht  mit  24000  Mann  in  Böhmen,    und  mit  seinem  Gros  bei 


138  Zwiedineck-Süflen  hörst. 

lluflweis,  von  wo  er  bereits  gegen  Linz  vorgerückt  sein,  und  auf  das  rechte 
Donau-Ufer  eine  Diversion  machen  wird.  Geben  sie  ihm  durch  Vertraute 
die  Richtung  Ihres  Marsches  bekannt,  damit  er,  wo  nicht  die  Vereinigung 
mit  Ihnen  auf  der  Kommunikazionslinie  des  Feindes  erzielen,  doch  nach 
eben  der  Richtung  gegen  ihn  wirken  könne.  Den  F.  M.  L.  Chasteler  können 
Sie  auch  zu  obigem  Zweck  vei-wenden.  Wird  dieser  erreicht,  so  ist  in 
kurzer  Zeit  die  französische  Armee  so  geschwächt,  dass  sie  nichts  wesent- 
liches zu  unternehmen  im  Stande  sein  wird.  Unterdessen  hält  Mein  Herr 
Bruder  Karl  die  Haupt-Armee  des  Feindes  bei  Wien  fest,  detaschirt  sie 
gegen  irgend  eine  Seite,  oder  giebt  sie  irgend  eine  Blosse,  so  ist  er  fest 
entschlossen  die  Donau  zu  passiren  und  sie  anzugreifen. 

Franz  m.  p. 

IV. 

Erzh.  Jolninn  an  FML.  Jelluchich. 

Völkermarkt  Ut.  Mai  18UV». 
Nachträglich  zu  meinem  gegebenen  Befehle  wegen  den  von  ihnen  an- 
zutretenden Rückzuge  muss  ich  noch  folgendes  bemerken.  Die  Höhle  am 
Pass  Lueg  werden  sie  gewiss  besezt  gelassen  haben,  schwache  Posten,  blos 
um  von  den  Bewegungen  des  Feindes  benachrichtiget  zu  werden,  wäre  gut 
an  dem  Passe  zu  haben,  die  sich  sogleich  zurückziehen,  als  etwas  vom 
Gegner  anrticket,  die  Strasse  über  den  Tauern  werden  sie  hoffentlich  ver- 
dorben haben,  so  wie  auch  den  in  Mauterndorf"  gewesenen  Obristen  Ring 
befehligt  haben,  durch  das  Muhrthal  zu  ihnen  zu  stossen.  Da  sich  kein 
Feind  an  allen  Eingängen  Steyermarks  von  Oesterreich  aus  blicken  lässt, 
so  wäre  es  gut  dieselben  durch  kleine  Abtheilungen  jener  Truppen,  Land- 
wehren und  dann  durch  den  dort  befindlichen  Landsturm  beobachtet  und 
besezt  zu  lassen,  und  dieses  um  den  Gegner  nicht  zu  frühe  unsern  Ent- 
schluss  zu  verrathen,  und  um  bei  vielleicht  nunmehr  geschenden  glück- 
lichen Schlag  an  der  Donau  im  Besitze  des  Gebirges  zu  bleiben;  ich  bin 
seit  Tarvis  ruhig  bis  hieher  gelanget,  der  Feind  hat  um  diese  Stunde 
Villach  erreichet  und  wird  nicht  säumen  nach  allen  Richtungen,  folglich 
auch  gegen  Spital  und  den  Katschberg,  dann  gegen  Judenburg  vorzusen- 
den, es  wäre  also  nothwendig,  den  Commandanten  bei  diesen  Pässen  und 
jenen  des  Landsturmes  die  Weisung  zu  geben,  dass  im  Falle  der  Feind 
gegen  sie  mit  Uebermacht  vorrückte,  sich  in  die  hohen  Bergthäler  und  in 
den  Waldungen  zurückzuziehen ,  wo  sie  gewiss  am  sichersten  sind  und 
immer  den  Feind  zwingen,  überall  Abtheilungen  zurückzulassen  um  seine 
Verbindung  zu  sichern.  Iliren  Marsch  müssen  sie  Gratz  zu  richten ,  ich 
habe  von  Clagenfurth  eine  Abtheilung  nach  St.  Veit  abgesendet,  um  jede 
Bewegung  des  Feindes  auf  dieser  Strasse  zu  beobachten,  diese  wird  sie 
immer  von  allem  benachrichtigen:  den  \Z^^^  hatte  Wien  capitulii't,  den 
1 5^6"  stand  der  Generalissimus  zu  Korneuburg ,  Napoleon  soll  über  die 
Donau  unterhalb  Wien  bei  dem  Lusthause  im  Prater  gesezt  sein,  auf  diese 
Art  stehet  er  zwischen  Ungarn  und  der  grossen  Oesterreichischen  Armee, 
alle  gegen  den  Semmering  und  Neustadt  vorgestandenen  feindlichen  Ab- 
theilungen waren  abgezogen  vermuthlich  zur  Schlacht  gegen  Wien,  täg- 
lich   erwarte    ich    über    ihren  Ausgang    Nachrichten,    diese  werden  unsere 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  rl.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         l  ,S9 

Entschlüsse  bestimmen  müssen,  auf  jedem  Falle  ist  eine  Vereinigung  das 
wichtigste,  und  dieses  mit  allem  dem  was  wir  zusammenbringen  können. 
Lassen  sie  ihrer  Truppe  auf  dem  Marsche  an  nichts  fehlen. 

V. 

Erzh.  Johann  an  FML.  Jellachich. 

Lavamund    19.  Mai   180".). 

Der  Herr  F.  M.  L.  werden  meinen  gestrigen  Courier  hoffentlich  er- 
halten haben.  Auf  meiner  Seite  hat  sich  nichts  geändert,  ich  bin  hier  in 
Lavamund  eingelangt,  erst  gestern  Abend  Hessen  sich  die  ersten  feind- 
lichen Posten  in  Clagenfurth  sehen.  F.  M.  L.  Giulay  hat  Laybach  besezt 
und  sich  gegen  Neustädtl  gezogen,  um  sich  mit  der  Croatischen  Insurrection 
zu  vereinigen,  F.  M.  L.  Zach  stehet  auf  der  Strasse  gegen  Fiume,  der 
Feind  bis  Oberlaybach  vorgerückt. 

Ein  Courier  aus  Gratz  bringet  mir  eben  die  Nachricht,  dass  der  Feind 
2  Regimenter  Infanterie  und  1  Cavallerie  über  Mariazell  vordringe  und 
liereits  den  14.  die  Wegscheide  erreichet  hatte.  F.  M.  L.  Lippa  befand 
sich  mit  dem  wenigen  was  er  bei  sich  hatte  zu  Brück. 

Das  wichtigste  ist  jezt  unsere  Vereinigung  zu  bewerkstelligen;  unbe- 
kannt ist  mir  ob  sie  den  Weg  des  Ennsthales  oder  jenen  des  Muhrthales 
eingeschlagen  haben,  ersterer  führt  sie  auf  Leoben,  letzterer  nach  Juden- 
burg, ihnen  bleiben  die  Wege  über  Brück  und  Rettelstein  nach  Gratz, 
wo  sie  gewiss  auf  den  über  Mariazell  vorgerückten  Feind  stossen  müssen, 
dann  jener  von  Knittelfeld  über  die  Kleinalpe  nach  Feistriz,  endlich  jener 
über  die  Stubalpe  offen.  Ich  rücke  morgen  den  20.  nach  Mahrenberg, 
übermorgen  den  21.  über  den  Radi  nach  Eibeswald;  unser  Vereinigungs- 
punkt ist  Gratz.  Sollte  der  Feind  im  Besitz  von  Brück  sein  und  solche 
Kräfte  haben  dass  sie  ihn  nicht  werfen  können,  so  müssten  sie  die  an- 
deren Wege,  vielleicht  auf  den  näheren  von  Leoben  aus,  der  Diebsweeg 
genannt,  einschlagen;  allein  das  Fuhrwerk  und  Geschütz  kann  nur  auf  der 
Hauptstrasse  oder  über  die  Stubalpe  gebracht  werden.  Zeit  ist  nicht  zu 
verlieren  es  könnte  sonst  der  Feind  sie  einhohlen,  oder  auch  eine  Colonne 
von  Clagenfurth  über  Judenburg  sich  ihnen  nähern.  Lassen  sie  mir  so 
oft  wie  möglich  ihre  Lage  und  was  sie  um  unseren  gemeinsamen  Zweck 
zu  erreichen  zu  unternehmen  gedenken  wissen,  damit  ich  dann  von  meiner 
Seite  zu  unserer  Vereinigung  mitwirken  könne.  In  Abschickung  der  Couriere 
beobachten  sie  alle  Vorsicht  damit  sie  nicht  dem  Feinde  in  die  Hände  ge- 
rathen  oder  zu  grossen  Umwegen  gezwungen  werden. 

VI. 

FZM.  Kerpen  an  Erzherzog  Johann. 

Gratz,   18.  Mai  1809- 

Die  Gränzen  von  Obersteyer  sind  durch  aufgestellte  Truppen  von 
Ischl  bis  Semering  besetzt,  welche  mit  dem  Herm  F.  M.  L.  Jellachich  in 
Verbindung  stehen. 

Da  nun  gedachter  Herr  F.  M.  L.  bei  seiner  Aufstellung  zur  Be- 
hauptung des  Tauern    und  Erhaltung    der  Communication    mit  Tyi'ol    sich 


1 40  Z  w  i  e  d  i  n  0  e  k  -  >S  ü  d  e  n  h  0  r  s  t . 

ausser  seinen  ihm  dermalen  zugewiesenen  Truppen  und  Aufstellungen  nicht 
mit  denen  von  Ischel  gegen  Rottenmann  stehenden  befasset,  F.  M.  L.  Lippa 
aber  zu  Brück  zu  weit  entfernt  ist,  um  die  ganze  Strecke  zu  übersehen, 
so  ist  es  nothwendig,  dass  die  von  Ischel  bis  Altenmarkt  stehenden  Truppen 
einen  Commandanten  erhalten  um  so  mehr,  als  bei  einem  erfolgenden 
feindlichen  Einfall  der  grösste  Theil  von  hier  getrennt  wird.  —  Ich  habe 
demnach  auf  den  Vorschlag  des  Hr.  F.  M.  L.  Jellachich  die  von  Ischel  bis 
Rottenmann  aufgestellte  Truppen,  als  2  Baon  Judenburger  Landwehr  mit 
ihren  Depots,  1  Baon  Reuss  Greitz,  welches  seit  dem  Rückzug  aus  Oester- 
reich  am  Pirn  stund,  und  nicht  zu  dem  Corps  des  H.  F.  M.  L.  Jellachich 
gehören  soll,  2  Cillier  Landwehr  Baons,  4  Comp.  Oesterr.  Landwehr,  an 
dem  H.  Oberstlieutenant  Graf  Plunquet,  Commandanten  des  4.  österr.  Land- 
wehr Bons  0:  W:  W:  übertragen  und  denselben  angewiesen,  die  Verbin- 
dung mit  dem  H.  F.  M.  L.  Jellachich  und  Lissa  (Lipa)  zu  unterhalten. 

Da  nun  diese  in  Verbindung  mit  dem  Herrn  F.  M.  L.  Jellachich 
stehende  Truppen,  an  denen  sich  auch  im  Nothfalle  die  aus  5  Compagnien 
Oesterr.  Landwehr,  dem  Frei-Baon,  und  den  2  Depots  der  Brucker  Land- 
wehr-Baons  bestehende  Besatzung  von  Altenmarkt  anschliessen,  bei  einem 
Rückzug  in  die  Verbindung  der  Armee  oder  des  Corps  des  F.  M.  L. 
Jellachich  aufgenommen  werden  müsste,  indem  sie  sonst  ohne  weitere  Ver- 
haltungsbefehle bliebe,  so  ermangle  ich  nicht  Euer  Kaiserliche  Hoheit  hie- 
von  die  schuldigste  Anzeige  mit  dem  ehrfurchtsvollen  Ersuchen  zu  erstatten, 
womit  für  diesen  Fall  dem  Oberstlieutenant  Plunquet  die  weitern  Ver- 
haltungsbefehle gnädigst  ertheilt  werden  wollen,  indem  ich  ihn  indessen 
für  diesen  Fall  mit  seinen  Truppen  an  den  H.  F.  M.  L.  Jellachich  ange- 
wiesen habe  .... 

VIL 

Erzh.  Johann  an  Erzh.  Carl, 

Gratz,  24.  Mai  18(»9. 
Euer  Liebden  werden  gewiss  meinen  letzten  Bericht  bekommen  haben 
—  alle  mir  erlassene  Befehle  sind  mir  richtig  zugekommen.  Erst  vor 
zwei  Tage  erhielt  ich  ein  Handbillet  von  Seiner  Majestät  dem  Kaiser, 
worin  er  mir  befiehlt,  auf  die  Vertheidigung  von  Innerösterreich  keine  Rück- 
sicht zu  nehmen,  sondern  nach  Salzburg  und  weiter  zu  operiren,  und  mich 
mit  Herrn  Feldzeugmeister  Kollowrath  einzuvernelunen ,  der  gegen  Linz 
rückt  —  das  Handbillet  lege  ich  hier  in  Abschrift  bei.  Euer  Liebden 
mögen  selbst  nach  ihrer  Einsicht  urtheilen ,  ob  so  ein  Unternehmen  aus- 
führbar seie;  ich  soll  Innerösterreich  biosgeben  und  nach  Salzlnirg  ope- 
riren, dazu  sind  vorläufige  Anstalten,  wegen  den  Unterhalt  der  Truppen 
nothwendig ;  der  Zuschub  kann  nur  von  Ungarn  aus  auf  der  Strasse  durch 
Kärnten  oder  jener  durch  Brück  und  Rottenmax^n  geschehen,  da  nun  der 
Feind  Posten  zu  Aspang,  am  Semmering,  zu  Mariazeil  land  allen  anderen 
nördlichen  Engpässen  einerseits,  andererseits  zu  Loitsch  und  Klagenfurth 
stehet,  so  müsste  ich  erst  durch  hinlänglich  starke  Abtheilungen  meine 
Comunication  decken,  was  würde  dann  mit  der  feindlichen  aus  Italien  rüken- 
den  Armee,  die  wenigstens  jetzt  35  bis  40000  Mann  stark  ist,  geschehen, 
ihr  bliebe  Ungarn  völlig  offen;  Croatien  von  Seite  Dalmatiens  und  Krains 
angegriffen,  vrtlrde  schwer  mit  seinen  eigenen  Kräften  lange  halten  kömien. 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  rl.  Operat.  ä.  Rrzli.  .loliann  m  Steierm.         \ji^{ 

Mir  würde  der  Feind  bald  folgen,  und  ich  dann  zwischen  zwei  Feuer 
kommen.  Folgende  ist  die  Lage  des  Feindes.  Marschall  Lefevre  stehet 
mit  15000  Bayern  bei  Salzburg,  10000  davon  haben  unter  seiner  Führung 
und  jene  des  General  Wrede  Tyrol  angegriffen ,  während  De  Eoi  mit 
1500  M.  gegen  die  Scharnitz  rückte,  ersterer  drang  bis  vor  den  Thoren 
von  Iimspruck.  Yon  Seite  Italiens  rückt  Fontaneila  mit  einigen  tausend 
Mann  über  Trient  Bozen  zu,  Eusca  mit  2  bis  3000  Mann  über  Cadore 
Doblach  zu.  Die  Hauptmacht  des  Feindes  ist  über  die  Ponteba  und  den 
Predil  nach  Kärnten  eingedrungen;  die  Sperrpunkte,  welche  sich  20  Tage 
halten  können,  hinderten,  dass  er  Geschütz  und  viel  Cavallerie  mit  sich 
bringen  konte,  daher  rückt  er  langsam  vor,  auch  muss  er  nach  allen  Seiten- 
wegen als  nach  Judenburg,  nach  Spithal,  gegen  Mahrburg,  gegen  Krain- 
burg  poussiren  um  unsere  Aufstellung  zu  entdecken,  daher  ist  seit  meinem 
Rückzug  von  Villach  kein  Schuss  gefallen.  Gegen  Prewald  ist  General 
Broussier  gerichtet,  dieser  Posten  hält  noch,  nach  Triest  bereits  ein  feind- 
liches Detachement  gerückt.  Vor  Laibach  stand  noch  nichtS;  nur  bei  Krain- 
burg,  Bischoffiack  und  Oberlaybach  waren  Patrouillen  desselben  gekommen. 
In  Dalmatien  scheint  Stoichevich  zurückgedrängt  zu  sein;  die  Türken  in 
Bosnien  spuken  gewaltig,  und  bedrohen  die  ganze  Gränze  des  Liccaner 
und  Ottochaner  Eegiments.  Gegen  Oesterreich  stehet  eine  Abtheilung 
Eeichstruppen,  Baadener  bei  Stadt  Steyer,  sind  aber  schwach  —  ein  gleiches 
ist  bei  Mariazell,  Semmering  und  Aspang.  Vor  einigen  Tagen  streiften 
sie  bis  Wegscheide  und  Mürzzuschlag,  in  Neustadt  sollten  2000  M.  sein, 
eine  Patrouille  von  6  Mann  war  gegen  Oedenburg  vorgerückt,  allenthalben 
streuen  sie  Proclamen  Ungarn  betreffend  aus,  wirklich  empörende,  ver- 
führerische jedoch  aber  trügerischen  Inhalts  —  Aufrufe  an  den  Landsturm 
und  die  Landwehren,  an  die  Lande  etc.  kurz  es  werden  alle  Triebfedern 
in  Bewegung  gesetzt,  um  durch  Ueberredung  und  Furcht  unsere  Völker 
kleinmüthig  zu  machen,  und  unsere  Kräfte  zu  vermindern.  Meine  Lage 
ist  folgende. 

F.  M.  L.  Ignatz  Giulay  stehet  bei  Laibach,  unter  ihm  F.  M.  L.  Zach, 
(i.  M.  Gavasini,  Marziani,  Spleny,  Mungatsy;  er  hat^)    10  B.  8  E.   13  LW. 

Diess  sind  aber  meistens  geschwächte  Truppen  .  .  .  Die  Landwehrn 
haben  bei  Prewald  sehr  gut  gethan,  gehen  aber,  da  sie  sehen,  dass  ihre 
Anstrengungen  den  Feind  nicht  abschrecken,  einzeln  nach  Hause.  Die 
Croatische  Insurrection  ist  dem  F.  M.  L.  Banus  ganz  angewiesen.  Einige 
Theile  stehen  schon  —  icli  sähe  in  Mahrburg  1200  M.  Infanterie  unter 
Grafen  Erdödy,  die  sehr  gut  aussahen. 

General  Stoichevich  hat:   7  B.    1    E.   200   Pf. 

Dazu  die  Massa  des  Gränzvolkes  —  die  3*^  Bataillons  sind  aber  nidit 
viel  besser  als  die  Massa  selbst. 

F.  M,  L.  Chasteler  stehet  in  Tyrol  —  er  hat  bey  Wörgl  empfindlich 
verlohren,  da  er  den  General  Wrede,  der  10000  Mann  hatte,  mit  1  Ba- 
taillon Lusignan,  etwas  Jägern  Tind  2  Klagenfurter  Landwehi-bataillons  an- 
griff. Diese  Truppen  wurden  grösstentheils  versprengt,  und  verlohren  viel 
—  er  hat  aber  noch   1 1    B.   5  Comp.  7  Esc.   3  L.  B. 


1)  Die  detailirte  Aufzählung  der  einzelnen  Bataillous  uud  Escadrons,  welche 
das  Schreiben  enthält,  wird  liier  weggelassen. 


-^^  Z  w  i  e  cli n e c  k  -  S ü  f I  e n h  o r  s f . 

Diese  werden  bei  10000  Mann  ausmachen  —  dazu  kommen  noch 
einige  brauchbare  Schützen-Compagnien  als  z.  B.  700  Mann  unter  dem  Sand- 
wirth.  Er  hat  unter  sich  General  Marschall,  Schmidt  und  Jenner.  Er 
hatte  alle  seine  Truppen  von  Kut'stein  bis  Koveredo  an  die  Pässe  ver- 
theilt,  nun  ziehet  er  sie  zusammen,  und  stehet  auf  dem  Brenner,  zu  Brixen 
und  Botzen.  Da  er  von  mir  getrennt  ist,  so  sandte  ich  ihm  den  Befehl, 
alles  auf  einem  Punkte  zu  sammeln,  dann  schnell  gegen  Lienz  vorzurücken, 
durchzubrechen,  da  der  Feind  daselbst  nicht  viel  hat,  Spithal  zu  gewinnen, 
sich  dann  über  den  Katschberg  nach  St.  Michael  in  Lungau  zu  werfen, 
längst  dem  Muhrthal  Unzmarkt  zu  gewinnen,  und  von  da  über  die  Stub- 
alpen oder  Leoben  und  Brück  gegen  Gratz  und  weiter,  wo  ich  stünde,  zu 
mir  zu  stossen,  ich  hoffe,  dass  er  heraus  konamen  wird  —  es  ist  die  einzig 
mögliche  Art, 

F.  M.  L.  Albert  Giulay  mit  jenen  Bataillons,  die  am  meisten  litten, 
10  B.  2  E.  2  Lw.  —  Er  wird  in  allem  3000  Mann  stark  seyn  —  ist  aus 
der  Stellung  von  Tar\'is  über  Krainburg,  Cilly  nach  Pettau  gerückt,  wo  er 
die  Eegimenter  Jellachich,  ßeisky,  Oguliner  wieder  in  Ordnung  bringen 
und  ergänzen,    dann  zu  mir  stossen  wird. 

Strassoldo  rückt  zu  mir,  weil  ich  die  Depots  und  1  Bataillon  habe 
und  es  ergänzen  kann. 

Die  Mahrburger  Landwehren  sind  grösstentheils,  als  sie  durch  ihre 
Heimath  zogen,  einzeln  nach  Hause  gegangen. 

Bei  mir  stehen  13  B.  26  E.  3  Lw.  Depots  von  Strassoldo,  Hohen- 
lohe  -  Bartenstein,  Lusignan,  St.  Julien,  die  Reserve  Escadrons.  Ich  rechne 
mein  Corps  auf  8600  M.  ohne  die  Ergänzungen.  Noch  erhalte  ich  1  Bon 
Lusignan,  welche  sich  ins  Tyrol  gerettet,  2  Comp.  Jäger  mit  dem  Oberstl. 
Poldling,  mehrere  österr.  Landwehrbatons,  1  Bon  Reuss  Greitz,  1  Brucker 
2   Judenlturger  Landwehr.    Diese  ergänzeich  und  ordne  ich  Bataillons  weis. 

Bis   26ten  wird  F.  M.  L.  Jellachich  mit  mir  geeinigt  sein,  er  bringt 
Estherhazy  3  B. 
Warasdiner  2 
De  Vaux      2  Vg 
Oreilly  3   Züge      7^2   ^-   3   Züge. 

So  hoffe  ich  doch   17   bis   18000  Mann   zu  sammeln    und  zu  ordnen. 

(Folgt  eine  Aufzählung  der  Verluste  an  Generalen  und  Offizieren,  Be- 
dauern des  Mangels  an  Cavallerie,  es  sind  4  Regimenter  mit  nur  16  bis 
1800  Köpfen,  Absicht,  die  Landwehren  in  Freibataillons  umzuwandeln.) 

Euer  Liebden  Ermessen  stelle  ich  es  anheim  beschliessen  zu  wollen, 
was  ich  unternehmen  soll,  um  zur  Begünstigung  des  Ganzen  beizutragen; 
zwar  habe  ich  den  Feind,  der  mir  auf  dem  Fusse  folgt,  vor  mir,  doch 
soll  mich  dies  nicht  abhalten  zu  handeln.  Die  Aufstellung  Euer  Liebden 
ist  mir  bekannt,  ebenfalls  jene  der  hungarischen  Lisurrection.  Ich  hoffe 
hier  bis  26  oder  28*6^  dieses  bereit  zu  sein,  und  vom  Feinde  nicht  be- 
unruhigt zu  werden.  Auf  Salzburg  jetzt  zu  rücken  ist  mir  nicht  möglich, 
68  würde  zu  gewagt,  und  nur  mich  in  dem  Gebirge  einer  Niederlage  aus- 
setzen, indem  ich  von  allen  Seiten  mit  dem  Feinde  zu  thun  bekommen 
würde.     Folgendes  kann  ich  unternehmen :    entweder  ziehe  ich  mich  über 


IJas  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  »Steierm.         1^4;i 

Fürstenfeld  zur  Ungarischen  Insurrection  zurück,  und  sehe  mit  dieser  vor- 
zurücken, oder  ich  gewinne  ein  paar  Märsche  und  breche  schnell  nach. 
Oesterreich  vor,  dieses  entweder  über  Aspang  nach  Neustadt,  oder  über 
den  Semmering  oder  endlich  über  Mariazell  nach  St.  Polten  —  in  diesem 
Falle  müsste  ich  alles  angreifen,  was  vor  mir  stehet,  stets  im  Gebirge 
bleiben,  da  meine  geringe  Cavallerie  mich  in  die  Ebene  zu  wagen  nicht 
erlaubt,  um  sicher  dadurch  Napoleon  zu  zwingen  gegen  mich  zu  detachiren, 
es  ist  ein  gewagtes  Unternehmen,  der  Feind  wird  gewiss  mir  von  hier 
folgen ,  die  Lande  werden  hier  preissgegeben,  Ungarn  geöfihet ,  doch  ich 
denke,  dass  wenn  Napoleon  durch  Euer  Liebden  geschlagen  wird,  und 
durch  unser  Zusammenwirken  sein  Eückzug  erschwert  wird,  alles  das 
übrige  dann  sieh  von  selbsten  ergiebt  und  die  besezten  Provinzen  uns 
wieder  ohne  Mühe  zufallen  werden. 

Euer  Liebden  Einsicht  kann  es  nicht  entgehen,  dass  hier  eine  ge- 
naue Uebereinstimmung  erfordert  wird.  Ich  sende  daher  dieses  mittels 
Courier  auf  dem  nächsten  Wege,  und  bitte  mir  den  Tag  bestimmen  zu 
wollen,  wo  ich  mitwirken  soll,  alles  werde  ich  wagen  um  zu  dem  Ganzen 
der  Unternehmung  beizutragen. 

VIII. 

Erzh.  Johann  an  Erzh.   Carl. 
Entwurf.  Undatirt. 

In  mehreren  Berichten  habe  ich  Euer  Liebden  die  Schilderung  meiner 
Lage  gemacht.  Ich  muss  glauben,  dass  einige  derselben  Ihnen  nicht  zu- 
gekommen sind,  und  die  hohe  Wichtigkeit  Ihrer  Beschäftigung  eidaubt 
wohl  nicht,  dass  Euer  Liebden  die  verschiedenen  Berichte  zusammen- 
nehmen um  ein  Urtheil  über  dasjenige  zu  fällen,  was  ich  dermahlen  zu 
leisten  vermag. 

Um  die  Lage  besser  darstellen  zu  können,  glaube  ich  diese  Uebersicht 
von  weitem  hernehmen  zu  müssen. 

(Folgt  eine  gedrängte  Wiederholung  der  Ereignisse  in  Italien.  Man 
hat  die  italienische  Armee  des  Feindes  von  vornherein  zu  gering  veran- 
schlagt. Beim  Rückzuge  war  die  Stärke  des  Feindes  die  doppelte  der 
österreichischen  Armee.  Die  Detachirung  einer  Brigade  gegen  Dalmatien 
war  unbedingt  notwendig.  Es  bedurfte  der  Gewalt  um  die  croatische  In- 
surrection zusammenzubringen.  Noch  sei  Macdonald  und  Marmont  ge- 
trennt.) 

Ich  hofite  durch  die  Vereinigung  mit  dem  F.  M.  L.  Jellachich  mich 
hinlänglich  zu  verstärken  um  die  Offensive  zu  ei'greifen.  Dieser  litt  aber 
während  seines  Marsches  durch  ein  hartnäckiges  Gefecht  bei  Leoben  einen 
sehr  beträchtlichen  Verlust.  Heute  wo  ich  alles  bei  St.  Gotthardt  ver- 
einige, werde  ich  folgende  Regimenter  und  Battons  haben 

Strassoldo  3  Baons        Hohenlohe         8  Escadrons 

Lusignan  1  0  Reilly  1 

Franz  Jellachich  ;i  Ott  8 

Szluiner  1  E.  H.  Joseph  8 

Oguliner  2 


j^44  Z  w  i  e  rl  i  n  e  c  k  -  8  ü  <i  p  n  h  0  r  s  t. 


St.  Julien 

3 

Alvintzy 

3 

Grenadiers 

4 

1.  Banat 

2 

Esterhazy 

3 

De  Vaux 

1 

Wai-asdiner 

1 

27  Bataillons  23  Escadrons 

wozu  ich  auch   1 6   Escadrons  von  der  Insurrection  erwarte. 

Diese  Truppen  sind  gut  gestimmt.  Sie  haben  in  jeder  Gelegenheit 
heldenmüthig  gefochten  und  werden  es  wieder  thun.  Auch  diese  Infanterie 
weiss,  wie  man  sich  gegen  Kavallerie  benehmen  muss.  Denn  an  der  Piave, 
wo  der  Feind  8000  Pferde  zum  Gefecht  brachte,  unsere  schwächere  Kaval- 
lerie warf,  bis  Conegliano  verfolgte  und  die  Infanterie  im  Rücken  nahm, 
hielte  diese  standhaft,  griff  die  feindliche  Cavallerie  mit  dem  Bajonett  und 
Plänklers  an,  und  zwang  sie  wieder  durch  die  Oeffnung  zu  fliehen,  die  sie 
gemacht  hatten.  Unsere  Kavallerie  hat  auch  immer  die  IJeberlegenheit, 
wenn  sie  nur  halb  so  stark  wie  der  Feind  ist. 

Allein  durch  zwei  rühmliche  Schlachten  und  mehrere  blutige  Ge- 
fechte sind  meine  Battons  und  Escadr.  sehr  geschmolzen.  Euer  Liebden 
wissen,  was  selbst  die  glücklichsten  Gefechte  gegen  einen  Ueberlegenen 
für  Folgen  haben.  Unsere  Regimenter  haben  gegen  40  todte  und  blessirte 
Offiziers.  Ich  werde  also  mit  Inbegriff  einiger  kleiner  Landwehr  Batt.  und 
der  2  Insurrections  -  Regimenter  nur  ungefähr  20000  Mann  zusammen- 
Ijringen.  Ich  hoffte  durch  Behauptung  der  Gegend  von  Gratz  und  Brück 
die  Kommunikation  des  Feindes  mit  seiner  Italienischen  Armee  zu  ver- 
hindern. Zugleich  als  3  Divisionen  desselben  durch  das  Muhrthal  herab- 
giengen,  und  eine  4^^^  über  Mahrenberg  kam,  detachirte  Xapoleon  ein  be- 
deutendes Korps  durch  das  Mürzthal  gegen  meinen  Rücken  und  machte 
einige  Demonstrationen  gegen  Hungarn. 

IX. 

Erzh.  Johunn  an  den  Fulatin  Erzh.  Joseph. 

Entwurf.     Gräfl.  Meran'sclies  Archiv  1344. 

Graz  26.  Mai   1809. 

Ich  bin  mit  meinen  Truppen  vorgestern  hier  eingetroffen.  Meine  Ab- 
sicht war,  meinen  ermatteten  Soldaten  einige  Erhohlung  durch  paar  Rast- 
tage zu  gewähren  und  zugleich  die  Ankunft  des  F.  M.  L.  Baron  Jellachich 
zu  erwarten,  um  mich  mit  demselben  den  27.  d.  zu  vereinigen  und  dann 
nach  Umständen  zu  handeln.  Meine  Truppen  sind  wirklich  bis  zur  Stunde 
nicht  beunruhigt  worden,  allein  soeben  erhalte  ich  mittels  Courrier  von 
F.  M.  L.  Jellachich  die  unangenehme  Kaohricht,  dass  er  gestera  bei  St.  Mi- 
chael angegriffen,  und  durch  die  Uebermacht  des  Feindes,  welcher  sein 
Centrum  durchbrach,  zu  einem  Rückzug  gezwungen  wurde,  der  durch  das 
zu  rasche  Vordringen  der  feindlichen  Cavallerie,  welcher  er  keine  entgegen- 
zustellen hatte,  den  Verlust  von  mehr  als  zweidrittel  seiner  beigehabten 
Truppen  nach  sich  brachte.  Dieser  unerwartete  Fall  versetzt  mich  in  die 
unabänderlifhe  Lage   mit   meinem   schwachen   und  sich  kaum  auf  ToOOMann 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  Operat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         ^45 

belaufenden  Corps,  sammt  den  Eesten  des  F.  M.  JellacMch,  welche  nach 
seinem  Bericht  kaum  2000  betragen,  meinen  Rückzug  über  Fürstenfeld 
nach  Körmend  anzutreten  um  mich  an  die  Insurrection  anzuschliessen. 
Hätte  das  Corps  des  F.  M.  L.  Jellachich  die  Vereinigung  bewirkt,  so  würde 
ich  im  Stande  gewesen  sein  etwas  zu  unternehmen  —  nun  muss  ich 
trachten  Zeit  und  die  Vereinigung  mit  anderen  Kräften  zu  gewinnen.  Ich 
entstehe  nicht  von  diesem  meinem  Entschluss  E.  L.  in  die  Kenntniss  zu 
setzen  mit  der  Bitte  mich  von  Ihren  ferneren  Dispositionen  verständigen 
zu  wollen.  Ich  glaube,  dass  meine  Vereinigung  mit  der  Insurrection 
grössere  Vortheile  bringen  wird,  als  wenn  ich  unnütz  Zeit  verliere  und 
vielleicht  zu  sehr  vom  Feinde  gedruckt  meine  Truppen  in  ein  neues  Ge- 
fecht bringen  müsste.  E.  L.  wollen  hievon  Seiner  Majestät  dem  Kaiser  die 
Mittheilung  machen  mit  dem  Bemerken,  dass  ich  so  eben  in  Erfahrung 
bringe,  dass  jene  französische  Colonne,  beiläufig  15000  Mann  stark,  welche 
dem  F.  M.  L.  Jellachich  begegnete,  und  schlug,  in  eilenden  Märschen  über 
Brück  in  die  Richtung  von  Wien  fortzurücken  bestimmt  sei. 

X. 

Aus  Erzherzog  Johann's  Memoirtn  (geschrieben  1853  oder  1854). 
Gräflich  Meran'sches  Archiv. 

Die  Richtung  meines  Marsches  nach  Gratz  hatte  zur  Absicht,  mich 
daselbst  mit  F.  M.  L.  Jellachich  zu  vereinigen  und  dadurch  den  Stand 
meiner  Streitkräfte  zu  vermehren.  Welche  Wichtigkeit  ich  darauf  sezte, 
beweisen  meine  wiederholten  Befehle  an  gedachten  F.  M.  L.  zu  eilen  und 
sich  in  nichts  einzulassen,  ich  hatte  am  24.  an  Chasteler  beiliegenden 
Befehl  (1341,  1342^)  gesendet.  Die  Disposition  von  eben  diesem  Tage 
bestätigt  das  Gesagte.  Am  25.  war  M.  Delort  von  F.  M.  L.  Jellachich  in 
Gratz  eingetrofi^n,  welcher  mir  den  Stand  des  Corps  (über  9000  M.  guter 
Truppen)  brachte,  mir  war  seine  Anwesenheit  luiangenehm ,  als  Vorstand 
des  dortigen  G.  Stabes  war  seine  Bestimmung  seinen  Generalen  nicht  zu 
verlassen  um  so  mehr  als  ich  Jellachich  und  seine  Unentschlossenheit  und 
Langsamkeit  kannte.  Ein  braver  Soldat  vor  dem  Feinde,  allein  nicht  ge- 
eignet selbständig  zu  handeln,  ersteres  hatte  er  bei  Feldkh-ch  1799  — 
letzteres  1805  bewiesen.  Es  war  ein  tüchtiger  Offizier  bei  ihm  notliwen- 
dig,  um  ihn  zu  leiten  und  seinen  starken  Eigensinn  zu  überwinden.  Ich 
gab  dem  gedachten  H.  Delort,  nachdem  ich  ihm  meine  Verwunderung  über 
seine  Ankunft  bezeigte,  den  Befehl  gleich  zu  Jellachich  zurückzukehren, 
damit  derselbe  seinen  Marsch  beschleunige  und  sich  in  nichts  einlasse, 
allein  zu  spät,  am  25.  fiel  das  Gefecht  bei  Michael  vor,  wo  Jellachich 
gesprenget  am  26.  mit  den  Trümmern  seines  Corps  zu  Gratz  ankam.  Zu 
meiner  Erzählung  dieses  Gefechtes  bedarf  es  noch  folgender  Ergänzung: 
Jellachich  zog  laugsam  in  einer  Colonne  auf  der  Salzstrasse  von  Mautern 
auf  Traboch  heran,  ihm  folgte  wie  gar  oft  der  Fall  ist  eine  ansehnliche 
Abtheilung  an  Gepäcke,  General  Bach,  welcher  lange  als  Oberst  des  in 
Leoben  gelegenen  Regimentes  Lattermann  die  Gegend  genau  kannte,  ver- 
eint mit  den  Bewohnern  machte  Jellachich  auf  den  Umweg  bekannt,  welcher 


•)  Diese  Zahlen  verweisen   auf  die  den  Memoiren  beigelegten  Schriftstücke. 
MittheiluDgen  XJl.  10 


\^Q  Zwiedineck-Südenhorst. 

ihn,  wenn  er  die  Strasse  über  Michael  folgte,  nach  Leoben  führte,  er  schlug 
ihm  die  Kohlstrasse  über  Edling  liey  Trofayach  vorüber  nach  Leolien  vor, 
auf  dieser  konnte  ohne  Hindernisse  das  Gepäck,  die  Wägen  fortgeschaflPet, 
während  die  Truppe  über  die  Einn  nach  St.  Peter  und  Leoben  noch  einen 
kürzeren  Weg  einschlug,  es  konnte  in  jedem  Falle  eine  Abtheilung  auf 
der  Strasse  nach  Michael  rücken ,  deren  Aufstellung  aber  nicht  auf  dem 
Felde  vor,  sondern  nach  Abbrechung  der  Brücke  und  Verrammlung  des 
Ortes  hinter  derselben  war  und  sich  durch  die  Michaeler  Au  nach  dem 
Häuselberg  und  Leoben  zurückzog,  wo  dann  die  Brücke  abgebrochen  wer- 
den konnte  um  so  mehr  als  bis  dahin  die  über  S.  Peter  und  der  Vorder- 
berger  Strasse  kommende  Colonne  längst  angekommen  sein  konnte.  Jellachich 
gab  kein  Gehör  dem  besseren  Eath  landeskundiger  Männer  und  folgte  dem 
längeren  Weg.  Von  Morgens  und  Mittags  1 1  Uhr  bis  Abends  5  LTir  6  Stun- 
den mehr  als  nothwendig  um  Leoben  zu  erreichen.  Um  5  Uhr  geschah 
der  feindliche  Angriff.  Noch  war  es  möglich  das  Versäumte  einzubringen 
—  allein  da  wäre  freilich  ein  Theil  des  Gepäckes  (welches  doch  späther 
verloren  gieng)  aufgeopfert  worden,  unaufgehalten  durch  Michael  musste 
er  Leoben  zu  gewinnen  suchen  —  statt  diesem  raarschirte  er  Michael  im 
Rücken  und  Hess  sich  in  ein  Gefecht  ein.  Die  Folge  war  seine  Nieder- 
lage —  aber  für  meine  Absicht  hatte  es  einen  grossen  Einfluss. 

Es  fragt  sich,  war  man  im  Stande,  sich  dem  nach  Oesterreich  ziehenden 
Vicekönig  entgegenzustellen  und  die  Wahrscheinlichkeit  da  seinen  Marsch 
zu  verhindern,  dann  musste  es  geschehen,  wenn  nicht  und  diess  war  der 
damalige  Fall,  ihm  auszuweichen  und  den  Zugang  gegen  Gratz  zu  sichern, 
einmal  voiäibergezogen  und  durch  das  Mürzthal  gegen  den  Semmering  auf 
dem  Marsch  seinen  Nachtrab  beständig  zu  necken. 

(l343ab)  Am  20.  erstattete  ich  meinen  Bericht  an  den  Generalissimus 
und  theilte  ihm  die  Bewegungen  Marmonts  mit  —  ich  hatte  darüber  vom 
H.  M.  L.  Baillet  die  Mittheilung  erhalten.  An  diesem  Tage  rückte  Jellachich 
mit  den  Trümmern  seines  Corps  in  Gratz  ein,  Frohnleiten  blieb  besetzt. 

XI. 

Journal  aber  die  Operationen  der  von  dem  f>.  Arme-Corps  defachirten  Division 
des  Herrn  Feldtuarschcdl-Lientenant  Baron  Jellachich  de  Biixiin  vom  1.  Mai  bis  26ten 
als  den  Tag,  wo  die  Division  mit  der  Armee  S.  K.  Hoheit  des  E.  H.  Johann  ver- 
einigt UHirde. 

K.  U..K.  Kriegsarchiv  in  Wien  1809  VI.  Corps  127/3. 

Um  diesen  für  uns  so  wichtigen  Punkt  (Leolien)  bald  möglichst  zu 
erreichen,  wurde  befohlen  am  25.  Mai  den  Marsch  um  2  Uhr  Inih  anzu- 
treten, er  verzögerte  sich  leider  bis  6  Ulir,  und  als  unsere  avantgarde 
gegen  Mittag  die  Gegend  von  St.  Michael  erreichte,  stiess  sie  daselbst  auf 
den  uns  erwartend  da  aufgestellten  Feind.  Keine  einzige  Meldung  hatte 
die  Gegenwart  desselben  oder  wenigstens  sein  Vordringen  über  Knitten- 
feld  angezeigt,  und  Major  Verner  mit  seinen  1200  Mann,  statt  seiner  In- 
struction zu  folgen,  zog  sich,  uneingedenk,  dass  er  unsere  Flanque  preis- 
gab, —  über  die  Stub- Alpen  nach  Gratz,  ohne  daj  geringste  aviso  von 
diesem  unverantwortlichen  Benehmen  uns  zukommen  zu  machen. 

Die  bei  St  ]\[ichael  aufgestellte  feindliche  Avant -garde  war  ohnge- 
fähr   800  Mann  stark,  die   uusrige  bestand  aus  3  Comp.  Varasdiner  Kreutzer, 


Das  Gefecht  bei  St.  Michael  u.  d.  üperat.  d.  Erzh.  Johann  in  Steierm.         J^47 

und  1  Baon  Esterhazy.  Der  Feind  wurde  augenblicklich  angegriffen,  mit 
dem  Bajonnette  über  den  Haufen  geworfen  und  über  eine  Stunde  verfolgt. 
Nun  defilirte  unsere  zahlreiche  Bagage,  deren  Zug  wegen  der  vielen 
auf  Wägen  mitgeschleppten  Marodeurs  unendlich  verlängert  wurde,  durch 
das  Defilee  von  St.  Michael ,  und  die  Truppe  bezog  nach  und  nach  die 
vortheilhafte  Stellung  vor  gedachtem  Ort  —  der  Feind  beschäftigte  noch 
immer  unsere  mit  1  Baon.  von  Devaux  renforcirte  Avant-garde  und  wuchs 
zusehends  zu  einer  bedeutenden  Macht  an  —  es  war  nicht  mehr  Zeit  mit 
dem  Gros  der  Division  Leoben  zu  gewinnen  und  bloss  die  Avant-garde 
im  Gefecht  zu  erhalten,  weil  die  Lage  der  Gegend  dem  Feind  den  Vor- 
theil  gewährte,  jede  rückwärtige  Bewegung,  welche  ausserdem  durch  ein 
Defilee  gehen  musste,  augenblicklich  zu  übersehen  und  auf  uns  stürmend 
zu  unserm  gänzlichen  Verderben  zu  benutzen.  Man  war  also  gezwungen 
sich  mit  äusserster  Hartnäckigkeit  zu  schlagen;  bis  6  Uhr  abends  hatten 
wir  ohngeachtet  der  4  fachen  feindlichen  Ueberzahl  keinen  Zoll  breit  Terrain 
verloren,  wohl  aber  eine  grosse  Zahl  Tapferer  eingebüsst,  der  Feind  litt 
nicht  weniger,  und  als  er  endlich  alles  an  sich  gezogen,  stürmte  er  unser 
schwach  besetztes  Centrum  —  nach  langer  Gegenwehr  und  nachdem  unsere 
Kartetschen  viele  Hunderte  niedergestreckt  hatten,  wurden  wir  zum  Rück- 
zug gezwungen,  dieser  musste  um  so  ungünstiger  ausfallen,  da  Alles  was 
auf  unserm  rechten  Flügel  aufgestellt  war ,  nothwendigerweise  abge- 
schnitten werden  musste ,  der  Rest  gewann  nach  und  nach ,  und  immer 
fechtend  Leoben. 

Das  zu  Trafayach  detacliirt  gewesene  Baon.  Esterhazy  erhielt  gleich 
bei  Beginn  des  Gefechts  den  Befehl  allsogleich  nach  Leoben  zu  marschiren 
und  die  Brücke  auf  der  Muhr  zu  besetzen  —  dieses  Baon.  verspätete  sich, 
durch  eine  unglückliche  üebereilung  war  gedachte  Brücke  bereits  abge- 
tragen und  als  Major  Assante  bei  Leoben  ankam,  fand  er  den  Feind  schon 
im  Besitz  der  Vorstadt,  und  keine  Brücke  auf  dem  zu  dieser  Zeit  äusserst 
reissenden  Fluss  —  in  dieser  verzweifelten  Lage  konnte  er  zwar  längs 
dem  linken  Muhr-Ufer  nach  Brück  marschiren,  dieses  brave  Bataillon  be- 
sann sich  keinen  Augenblick  —  eine  Division  griff  sogleich  den  Feind  an 
und  vertrieb  ihn  aus  der  Vorstadt ,  die  übrigen  strengten  alle  Mittel  so 
an,  dass  sie  es  mitteist  Bretter,  Planken  ecc.  dahin  brachten,  ihre  bei- 
habenden 2  Canonen  über  den  Fluss  zu  bringen  und  so  nach  und  nach 
sich  in  die  Stadt  zu  ziehen ;  es  wurde  die  ganze  Nacht  durch  ohne  Rast 
über  Brück,  Rödelstein  nach  Frohnleiten  marschirt,  wo  wir  am  26^611  in 
iler  Früh  ankamen. 

Unser  Verlust  in  der  gestrigen  Affaire  beträgt  an  Todten,  Blessirten 
nicht  weniger  als  2000  Mann,  gefangen  und  verniisst  wurden  fast  eben 
so  viel;  was  aber  eben  so  erbärmlich  als  unrichtig  ist,  besteht  in  der 
Phrase  der  feindlichen  Relation:  »a  St.  Michel  nous  avons  aneanti  le  corps 
d'  armee  du  lieut :  general  Jellachich,  au  quel  apres  la  defaite  de  Golling 
il  etait  encore  reste  20.000  h.  le  general  est  bien  puni  des  proclamations 
revolutionaires  qu'  il  addressa  aux  tyroliens.« 

:^Wir  haben  zu  St.  Michael  das  Armee-Corps  des  F.  M.  L.  Jellachich 
vernichtet«  (schon  zu  Golling  war  nach  feindlicher  Aussage  dieses  Corps 
vernichtet,  um  dennoch  recht  inconsequent  zu  bleiben,  sollen  wir,  fi'üher 
vernichtet,  nun  auf  einmal  zwanzig  Tausend  Mann  stark  sein)    »es  waren 

10* 


148  Zwiedineck-Südenhorst. 

ihm  nach  seiner  bei  Golling  erlittenen  Niederlage  noch  20.000  Mann  ge- 
hlieben. Dieser  General  ist  wegen  seiner  aufrührerischen  Proclamationen 
an  die  Tiroler  hinlänglich  bestraft.« 

Der  Feind  hatte  uns  weder  über  Brück ,  noch  über  den  Diebsweg 
verfolgt  —  die  Brücken  von  Frohnleiten,  Rabenstein  und  Feistritz  wurden 
abgetragen  und  am  nämlichen  Tage  marschirten  wir  bis  Gratz  wo  wir  auf 
dem  Glacis  lagerten.  Hier  geschah  also  die  Vereinigung  der  durch  das 
hartnäckige  und  ruhmvolle  Gefecht  von  St.  Michael  äusserst  geschwächten 
Division  des  Hrn.  F.  M.  L.  Baron  Jellachich  mit  der  sogenannten  Armee 
S.  k,  Hoheit  des  E,  H.  Johann,  welche  in  der  Schönau  campirte  und  kaum 
7000  Mann  betrug. 

Sigl.  Gratz  am   27^en  Mai  80'.).     (Oifenkundige  Rückdatirung.) 

Jos.  de  Lort  m/p. 
Haiiptmann  im   General-Quartirmeister-Staab. 


Kleine  Mittlieihmgeii. 

Eine  uiiffcdruckte  Urkunde  Friedriclis  I.  und  ein  bisher 
unbekannter  Zug   desselben   ins  Königreich  Burg  und.     lu  der 

Gallia  Christ.  XVI.  Text  567  lieisst  es:  Anno  1284.  14  eal.  Mall  llwjo 
Vivariensls  episcopus  Tricastlnensl  epl>>copo  vldendas  transcrlhendasque 
cxhlbet  Friderlcl  I.  lltteraa  de  collaüs  ah  Armanno  liufo  bonls  s.  Jo- 
hannis  haptlstae  raletudlnarlo.  Sched.  Baluzlan.  XIX.  62.  Aus  gleicher 
Quelle  wird  dieselbe  Urkunde  auch  XVI.  556  angeführt.  Den  Wort- 
laut nun,  der  für  die  Regesta  imperii  1125 — 1198  nicht  entbehrt  wer- 
den konnte,  aus  den  Schätzen  der  Pariser  Bibliothek  zu  erlangen, 
wandte  ich  mich  an  Herrn  Collegen  Loewenfeld,  der  sich  in  der 
französischen  Hauptstadt  sehr  guter  Verbindungen  erfreut.  Auf  seine 
Bitte  hatte  dann  kein  Geringerer  als  Julien  H  a  v  e  t  selbst  die  grosse 
Güte,  mir  eine  Abschrift  zu  besorgen.  Leider  ist  die  Vorlage  eine 
höchst  elende:  inaiicalse  cople  du  XVIIß  siede  hat  Havet  sie  be- 
zeichnet, an  Verlesungen  ist  kein  Maugel ,  und  noch  zahlreicher  sind 
die  Lücken.  Soweit  es  mir  möglich  war,  habe  ich  gebessert  und  er- 
gänzt, und  so  folge  denn  der  Text,  doch  ohne  die  ilin  einschliessende 
Beglaubigung  des  Bischofs  von  St.  Paul-trois-Chäteaux: 

In  nomine  sanctae  et  individuae  trinitatis.  Fridericus  divina  fa- 
vente  dementia  imperator  augustus. 

Cum  apud  fontem  totius  bonitatis  nihil  irremuneratuni  remaneat, 
praecipue  aeternae  beatitudinis  incomparabile  praemium  nos  consequi 
non  dubitamus,  si  bonorum  homiuum  douationes ,  deo  et  sanctis  eius 
pro  remedio  animarum  suarum  collatas,  auctoritute  nostra  i])sis  eccle- 
siis,  quibus  designatae  sunt,  perpetuo  iure  confirmamus,  ne  per  revo- 
lutiouem  temporum  et  decessiones  et  successiones  hominum  facta  hu- 
niana  citius  a  memoria  deleantur  futurorum.  Eapropter  notum  facimus 
tam  praesenti  aetati,    quam  successurae  ^)  posteritati,  quod  nos  diviuae 

1)  Abschrift:  succcssirue. 


J50  Kleine  Mittheilungen. 

reniimeratiouis  intuitu  ^)  oinnia  mobilia  sive  immobilia ,  ab  Aruianuo 
EuiFo  et  frati-e  suo  Bertrando  deo  et  hospitali  saiicti  Joauuis  baptistae 
cousensu  K.=^)  Vivariensis  episcopi  libere  et  absolute  eollata,  eidem 
hospitali  perpetuo  possidenda  sancimus  et  eodem  tenore  et  ordiue,  quo 
omnia  liaec  in  privilegio  ipsius  episcopi  denominata  sunt  et  conscripta, 
DOS  quoque,  testimonium  uostrae  auctoritatis  appouentes,  ei  dem  3)  hos- 
pitali confirmamus  et^)  sigilli  nostri  impressione  iussimus  [corroborari], 
volentes  et  firmiter  praecipientes,  ue  quisquam  mortalium  huic  coufir- 
mationi  aliquo  ausu  temerario  praesumat  obviare  et  [resistere.  Quod] 
qui  fecerit  imperatoriae  maiestatis  [reus  iudieetur]  et  pro  tantis  exces- 
sibus  centum  libras  auri  componat,  dimidium  caraerae,  reliquam  partem 
praedicto  hospitali. 

Huius  rei  testes  sunt:  Ludovicus  episcopus  Basiliensis,  Cunradus 
comes  [palatinus  Rheni],  Bertoldus  dux  de  Zeringo,  Hermannus  [marchio 
de  Badin],  Hugo  comes  de  Dagesburg^),  comes  Rubertus  de  Nassowe"), 

Volmarius  [comes  de '^),  Heinricus]  comes  de  Dietze,  Ludovicus 

comes  de  Pirrette,  Eaimundus  comes  saneti  Aegidii,  Amedeus  comes 
Montis  Biligardis,    Humbertus   de  Bello  Joco    et  [alii^)  quam  plures]. 

Signum  domni  Friderici  Roraanorum  imperatoris  invictissimi. 

Ego  9)  Heinricus  [cancellarius  vice Viennensis  archiepis- 

copi^*^)  et  totius  Burgundiae]  archicancellarii  recognovii^). 

Acta  sunt  haec  anno  domiuicae  incarnationis  millesimo  centesimo 
septuagesimo,  indictione^-)  vero  III'\  regnante  domno  Friderico  Roma- 
norum imperatore  gloriosissimoi^^,  anno  regnieius  XVIII.  i*),  imperiiXV, 
feliciter.    Amen.    Datum  apud  Givorz^^)  in  episcopatui^')  [Lugdunensi]. 

So  gleichgültig  der  Inhalt  der  Urkunde  ist,  so  wichtig  erscheint 
sie  im  Itinerar  Friedrichs.     Nach  den  Zeugen    gehört   sie   offenbar  in 


')  Abschrift:  intuiti.  '■')  Raimtindux.  ^)  Abschrift:  et.  *)  Ab- 

schrift :    confmumtes  sigilli.  ^)  Abschrift :  Diyeshurf/.  ")  Abschritt  :  Xa.-iso. 

')  Von  den  Grafen  dieses  Namens  könnten  in  Betracht  kommen:  Castres, 
Metz  und  Saarwerden  ^)  Eine  Linie    blieb    unbeschrieben.         ")  Abschrift: 

Et  Heinricus.  ">)  Eine  Linie  blieb  unbeschrieben ;   je  nach  deren  Länge    ist 

vielleicht  noch  zu  lesen :  iwperialis  aiilae  cancellarius.  —  Den  Namen  des  Erz- 
kanzlers wage  ich  nicht  zu  ergänzen ,  denn  ich  weiss  nicht,  wann  Wilhelm  ge- 
storben und  Robert  ihm  gefolgt  ist.  Gtims  Ser.  ep.  655  und  Bresslau  Urkun- 
denlehre I.  377  geben  Daten,  für  welche  ich  vergebens  nach  den  Belegen  ge- 
sucht habe.  Cf.  Gallia  Christ.  XVI  Text  85.  ")  Abschrift :,  >vcw/«?Vff  ^<. 
>2)  Abschrift:  indicto.  '3)  Abschrift:  gloriossimo.  '■«)  Abschrift:  Xlll. 
1*')  Abschrift:  Guiorz.  "")  in  einscopatu  [Lugdunensi J.  Das  ist  natürlich  in 
keiner  Weise  auflallend;  -saelmehr  wäre  es  ganz  verkehrt,  wenn  man  in  archi- 
episcopatu  verlangen  wollte.  Parallelstellen  finden  sich  z.  B.  bei  Hüffer  Die  Stadt 
Lyon  45.   148. 


Ungedr.  Urk.  Friedrichs  I.  u.  unbek.  Zug  dess.  ins  Königr.  Burgund.         151 

den  Südwesten  des  Reiches,  und  dann  muss  sie  in  die  zweite  Hälfte 
des  Jahres  1170  gesetzt  werden i).  Aus  der  ersten  haben  wir  zahl- 
reiche Urkunden,  deren  Zeugen  nicht  mit  den  unsrigeu  stimmen,  auch 
findet  sich  in  den  Gegenden,  die  Friedrich  damals  besuchte,  keine 
Stadt  oder  Burg,  deren  Namen  an  den  Ausstellungsort  nur  entfernt 
anklingt.  Er  lautet  in  der  elenden  Abschrift :  apud  Guiorz,  womit  ich 
Nichts  anzufangen  weiss;  die  Verschiebung  des  Punktes  auf  dem  i  er- 
giebt  Girorz  -),  und  wir  erhielten  Girors  südlich  von  Lyon,  am  rechten 
Khoneufers).  Pür  ein  Hospital  in  Viviers,  d.  h.  für  eine  Localität  am 
rechten  Ufer  des  Rhone,  ist  die  Urkunde  ausgestellt;  Raimund  von 
St.  Gilles^)  und  HuQibert  von  Beaujeu,  zwei  der  Zeugen,  sind  Herren 
von  jenseits  des  Rhone  und  der  Saöne.  Genug,  bis  mir  eine  bessere 
Deutung  geboten  wird,  halte  ich  au  Glcors  fest,  und  alsdaun  hat  Kaiser 
Friedrich  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1170^)  einen  Zug  nach  Bur- 
gund unternommen,  der  ihn  weiter  gen  Westen  führte,  als  wohl  irgend- 
einen seiner  Vorgänger. 

Vielleicht  ist  es  schon  Anderen  aufgefallen,  dass  wir  von  Januar 
bis  Juli  1170  über  die  Aufenthaltsorte  Friedrichs  I.  vortrefflich  unter- 
richtet sind,  —  nicht  weniger  als  15  Urkunden  geben  uns  Auskunft*'), 
wo  der  Kaiser   damals  weilte,    —    dass   er   dann    aber   verschwindet') 


')  Dem  widerstreitet  nicht  das  18.  Königs-  und  15.  Kaiserjahr,  von  denen 
dieses  allerdings  schon  am  18.  Juni,  jenes  gar  schon  am  9.  März  1170  sein  Ende 
erreicht  hatte.  Auch  die  zunächst  vorausgehenden  Urkunden,  die  der  zweiten 
Hälfte  des  Juli  1170  angehören,  tragen  die  gleiche  Datirung,  und  die  zunächst 
folgende,  vom  Februar  1171,  stimmt  wenigstens  im  Königsjahr  noch  mit  der 
unsrigen  überein.  -)  Bekanntlich  gehören  die  Punkte  auf  dem  i  einer  späte- 

ren Zeit  an,  als  unsere  Urkunde.  ^)  Da  nur  der  eine  Bischof  von  Basel  das 

Diplom  bezeugt,  so  könnte  man  vermuthen,  dasselbe  sei  im  Sprengel  von  Basel 
ausgestellt.  Aber  R.  Thommen  kennt  keinen  entsprechenden  Ort  in  jener  ihm 
so  vertrauten  Landschaft.  Thommen  leitete  dann  meine  Aufmerksamkeit  auf 
Ghors,  und  auch  G.  Hüffer,  dem  wir  bekanntlich  zwei  treffliche  Studien  über 
die  Geschichte  Burgunds  verdanken,  glaubt  Guiorz  auf  Givors  deuten  zu  müssen. 
^)  Er  ist  der  Graf  von  Toulouse.  ^)  Die  Indiktion  ist  für  die  Zeitbestimmung 

werthlos,  denn  die  Kanzelei  wechselte  damals  nicht,  wie  in  den  80er  Jahren,  mit 
dem  24.  September.  «)  St.  4105—4119.  ')  Nach  St.  4120,    dem  Prutz 

Kaiser  Friedrich  IL  183  sich  angeschlossen  hat,  wäre  der  Kaiser  allerdings  im 
Herbst  1170  zu  Vaucouleurs  mit  Ludwig  VII.  von  Frankreich  zusammengekommen. 
Aber  sehr  mit  Recht  hat  Giesebrecht,  Kaiserzeit  V.  669,  die  Begegnung  zu  ^Mitte 
Februar  oder  Anfang  März  1171  angesetzt,  denn  am  I.Juni  1171  —  J.-L.  11894  — 
spricht  Papst  Alexander  III.  de  coUoquio,  quod  niiper  cum  F.  dicto  iinperafore  habuiffsc 
di^fttoscitur  (SC.  L.'FraHcorum  n'x).  Vgl.S.  153  Anm.  1 1.  Ebensowenig  kann  ich  St.  4121 
zustimmen.  Danach  wäre  Friedrich  I.  am  18.  Dezember  1170  in  Merseburg  ge- 
wesen; aber  die  aller  Jahresdaten  entbehrende  Urkunde  gehört  nicht  hierher. 


j^52  Kleine  Mittheilungen. 

und  erst  Februar  1171  iu  Kaiserslautern  wieder  auftaucht.  Für  einen 
Zug  nach  Burgund  ist  ein  breiter  Raum,  und  ein  Besuch  Burgunds 
würde  vortrefflich  erklären,  wesshalb  wir  solange  Zeit  hindurch  nicht 
ein  einziges,  am  Hofe  vollzogenes  oder  bekundetes  Rechtsgeschäft  für 
Deutschland  nachweisen  können. 

Was  aber  hat  den  Kaiser  nach  Burgund  geführt  und  zwar  gerade 
in  den  äussersten  Westen  desselben,  über  den  Rhone  hinaus? 

In  den  60er  Jahren  des  12.  Jahrhunderts  machte  Frankreich  zu- 
erst energischere  Versuche  i),  sich  des  westlichen  Lyonnais  zu  bemäch- 
tigen. Die  nächste  Veranlassung,  in  die  Verhältnisse  dieses  zum  Reiche 
gehörenden  Landes  einzugreifen,  scheint  der  Streit  zweier  Parteien  ge- 
boten zu  haben.  Der  Graf  Gerhard  von  Mäcon,  ein  Vetter  der  Kaiserin 
Beatrix,  kämpfte  gegen  den  Grafen  Guigo  von  Forez  und  Lyon;  diesem 
zur  Seite  stand,  zunächst  wenigstens,  der  Edele  Humbert  von  Beaujeu. 
Guigo  nun  blickte  auf  Ludwig  VII.  von  Frankreich,  als  seinen  natür- 
lichen Bundesgenossen.  Gegen  Gerhard  und  dessen  Anhang  rief  er 
1163  Ludwigs  Hülfe  an,  denn  seine  Gegner  ständen  im  BegriflF,  die 
Grafschaft  Forez,  die  doch  zu  Frankreich  gehöre,  dem  Kaiserthum  ein- 
zuverleiben-). Obwohl  bis  dahin  von  der  Oberhoheit  Franki-eichs  Nichts 
verlautet  hatte,  —  Ludwig  ging  gern  auf  die  Anschauungen  des  Hülfe- 
flehenden ein:  im  Herbste  1163  finden  wir  ihn  zu  Montbrisson,  dem 
Hauptorte  der  Grafschaft  Forez.  Da  ordnete  er  Angelegenheiten  der 
Abtei  Savigny;  einer  der  vornehmsten  Zeugen  war  Humbert  von 
Beaujeu 3).  Es  schien  wirklich  an  der  Zeit,  das.s  von  deutscher  Seite 
Etwas  geschähe,  den  Fortschritten  Frankreichs  zu  steuern.  Dieser  Auf- 
gabe unterzog  sich  zunächst  Rainald  von  Dassel,  der  grosse  Staats- 
mann Friedrichs  I.,  der  im  Sommer  1164  Burgund  besuchte.  Schon 
hatte  er  Werkleute  geworben,  um  an  der  Grenze  Festungen  aufführen 
zu  lassen;  aber  Graf  Guigo  von  Forez  trat  dazwischen  und  vereitelte 
das  Beginnen.  Wir  hr)ren  nur  noch,  dass  Rainald  zur  Unterstützung 
seiner  Freunde  viel  Geld  aufgewandt  habe*). 

Vielleicht  hat  damals  Drogo,  der  Erwählte  von  Lyon,  wenngleich  auch 
er  früher  in  den  Schutz  Frankreichs  sich  gestellt  hatte  ^),  einen  engeren 
Anschluss  ans  Reich  gesucht.  Das  wäre  für  die  streng-kirchliche  Partei, 
der  zum  Aerger  Rainald  soeben  den  Gegenpapst  Paschal  III.  aufge- 
stellt hatte,  wäre  dann  für  alle  französisch  (jesinnten  ein  ausreichen- 
der Grund  gewesen,    einen  Anderen  auf  den  erzbischöflichen  Stuhl  zu 


')  Zu  allem  Folgenden  vgl.  G.  Hüffer    Die  Stadt  Lyon   und  die  Westhältte 
des  Erzbisthums  49  flgg.  ^)  Brief  des  Grafen  ap.  Bouquet  SS.  XVI.  49  N.  161. 

8)  Hüffer  a.  a.  0.  57  Anm.  2.  *)  Brief  Alexanders  III.  ap.  Bouquet  SS.  XV- 

S19  N.  139.  5)  Brief  Drogos  ap.  Bouquet  SS.  XVI.  88.  N.  270. 


Ungedr.  Urk.  Friedricha  I.  u.  unbek.  Zug  dess.  ins  Königr.  Burgund.         ^53 

erheben.  Abt  Guichard  von  Pontigny  übernalim  die  Eolle.  "Wie  sehr 
er  den  Interessen  der  beiden  Feinde  des  Eeiches  entsprach,  zeigt  die 
Bestätigung,  auf  welche  Papst  Alexander  III.  nicht  lange  warten  liess*), 
zeigt  die  Hoffnung,  mit  welcher  ein  Diplomat  dem  Könige  von  Frank- 
reich schmeicheln  konnte:  „wie  es  sich  geziemt,  Avird  Guichard  nach 
Kräften  l>emüht  sein,  Stadt  und  Gebiet  von  Lyon  Deinem  ßeiche  zu 
unterwerfen "  ^).  Ludwig  VU.  zögerte  umso  weniger,  Guichards  Partei 
zu  ergi'eifen,  als  auch  Guigo  von  Forez  und  Humbert  von  Beaujeu, 
Guichards  Anhänger,  sich  ganz  in  den  Dienst  Frankreichs  gestellt 
hatten^). 

Beaujeu  ist  freilich  nicht  gleichen  Sinnes  geblieben:  wir  finden 
ihn  im  Bunde  mit  Erzbischof  Drogo  und  besonders  mit  dem  vornehm- 
sten Parteigänger  des  Kaisers  in  burgundischen  Landen,  mit  Gerhard 
von  Mäcon-^).  Die  drei  überfielen  zusammen  den  Herrn  von  Bugey  ^) 
und  trieben  ihn  so  in  die  Enge,  dass  auch  er  sich  in  die  rettenden 
Arme  Ludwigs  VII.  warf^).  Aber  die  Huldigung,  welche  er  dem  Könige 
anbot,  kam  nicht  zum  Vollzuge.  Dagegen  hat  sich  nun  Guigo  von 
Forez  zum  Lehensmanne  Frankreichs  bekannt^). 

Das  war  im  Jahre  1167  gewesen*^),  und  wenn  nun  auch  unsere 
sehr  dürftige  üeberheferung  verstummt,  —  die  geschilderten  Verhält- 
nisse und  deren  weitere  Entwicklung  möchten  doch  der  Grund  ge- 
wesen sein,  weshalb  Kaiser  Friedrich  die  erste  Müsse  benutzte,  einen 
Zug  nach  dem  äussersten  Westen  des  Reiches  zu  unternehmen  und 
seinen  Fuss  selbst  über  den  Rhone  zu  setzen.  Vielleicht  gar  darf  mau 
die  Thatsache,  dass  Friedrich  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1170  den 
gefährdeten  Theil  des  Lyonnais  besuchte,  mit  einem  Ereignisse  aus  dem 
Anfange  des  folgenden  Jahres  verbinden:  damals  kam  Friedrich  I.  mit 
Ludwig  VII.  in  Vaucouleurs  zusammen  '•*).  Man  hat  vermuthet,  dass 
Abt  Pontius  von  Clairvaux,  welchen  wir  schon  bald  nach  Friedrichs 
Rückkehr  aus  Burgund,  den  5.  Februar  1171,  am  kaiserlichen  Hofe 
finden  1"),  die  Begegnung  beider  Herrscher  vermittelt  habei^).     Ist  Pon- 

0  Brief  Alexanders  III.  ap.  Bouquet  XV.  851  N.  200.  ^)  Brief  des  Erz- 

bischofs von  Canterbury    ap.  Bouquet  XVI.   125  N.  384.  ■')  Brief  des  Abtes 

Stephan  von  Cluny  ap.  Bouquet  XVI.  1.30  N.  398.  Brief  Humberts  von  Beaujeu 
ibid.  134   N.  407.  *)  Später   erscheint    Humbert   noch   zweimal    auf  kaiser- 

licher Seite.  Wir  finden  ihn  zu  Givors  1170  im  Gefolge  Friedrichs  I.,  und  wieder 
bezeugt    er  dessen  Urkunden   vom  20.  August  1178.  St.  4265.  4265a.  ^)  Sein 

Land   am  linken  Saöneufer.  ")  Dessen  Brief  ap.  Bouquet  XVL.   155    N.  465. 

')  Hüffer  a.  a.  0.  61  Anm.  4.  *)  Genauer:    zwischen  1167  April  9   und  1168 

März  30.  »)  Vgl.oben  S.  151  Anm.  7.  »»)  Giesebrecht  Kaiserzeit  V.  669. 

1')  Leider  erst  während  der  Correktur  habe  ich  für  die  Zusammenkunft  einige 
neue  Daten  gefunden;  ich  komme  gelegentlich  darauf  zurück. 


154  Kleine  Mittheilungen. 

tius  etwa  auch  deshalb  gekommen,  weil  der  Kaiser  schon  von  den 
Ufern  des  Khoue  aus  über  Frankreichs  Vordringen  in  Burguud  Klage 
geführt  hatte  ?  Für  den  Abt  freilich  war  die  Herstellung  der  Kirchen- 
einheit die  Hauptsache. 

Berliu.  P.  Scheffer-Boichorst. 

Drei  Briefe  des  Johannes  Buaenhasen.  Die  nachfolgenden 
drei  Briefe  Bugeuhagens  befinden  sich  in  einem  Bande  der  in  der 
Basler  Universitätsbibliothek  aufbewahrten  Briefsammlung  (Codex  G.  1. 31). 
Es  sind  Autographe.  Da  sie  in  dem  von  0.  Vogt  veröffentlichten  Brief- 
wechsel Bugenhagens  (Stettin  1888)  nicht  aufgenommen  worden  sind, 
publiciere  ich  sie  als  Nachtrag  zu  demselben.  Die  notwendigen  Er- 
läuterungen sind  jedem  einzelnen  Briefe  in  Anmerkung  beigegeben. 
Hier  bemerke  ich  nur  noch,  dass  das  W.  in  der  Daturazeile  deshalb 
zu  Witteberga  ergänzt  worden  ist,  weil  Bugenhagen  in  den  lateinisch 
verfassten  Briefen  mit  Vorliebe  diese  Namensform  gewählt  hat  (vgl, 
0.  Vogt  Briefwechsel  S.  21,  31,  59,  75,  93,  134  u.  ö.). 

I 

Johmin  Bufjenhar/en  an  Georg  Spalatin.  Witfenberr/  (1523  Juni  13)  ')• 
Original  in  Briefband  G.  I.  31  fol.  87  in  der  Universitätsbibliothek  zu  Basel. 
Grratia  Christi  tecum.  Gratias  ago  quas  possum  tibi,  mi  (xeorgi,  quod 
liter^  me^  efficaces  pro  parochis  Ulis  apud  te  fuerunt.  Neque  enirn  vellem 
plus  curatum  a  te  quam  curatum  video.  Quandoquidem  non  sie  illis 
consultum  volui ,  ut  non  potius  consuleretur  ovibus ,  quibus  sunt  pre- 
ticiendi,  qu^,  si  consenserint  in  hos  pastores,  habituri  sunt,  ut  ex  ipsis 
accepi,  quod  postulaverunt.  Que  conditio  mihi  usque  adeo  placet,  ut, 
quando  vix  ex  ^dibus  meis  ad  te  excesserant,  doluerim  in  literis  meis  non 
fuisse  adiectam.  Sed  h^c  satis.  Jam  binas,  Georgi  optime,  ad  me  de- 
disti  literas,  ut  respondeam  tuis  mterrogationibus,  in  primis,  qu^  sit  tri- 
bulatio  illa  maxima  ante  iudicium,  cum  non  solum  ad  hanc  interrogationeni, 
verum  etiam  ad  alias  responderim  iam  dudum,  ni  fallor,  binis  literis,  quas 
ad  te  tradidi  Georgio  custodi,     Alioqui  quare  non  vel  mentionem  fecissem 

')  Das  hier  angegebene  Datum  habe  ich  angenommen  mit  Rücksicht  auf 
die  Bemerkung  Bugenhagens  am  Schlüsse  über  die  Erkennung  der  Briefe  Spa- 
latins  durch  seine  Frau.  Eine  solche  Anmerkung  macht  nur  ein  junger  Ehe- 
mann. Dazu  kommt ,  da.ss  Spalatin  an  der  Heirat  Bugenhagens ,  welche  am 
1.3.  Oktober  1522  stattfand  (vgl.  Briefwechsel  S.  582),  besondeni  Antheil  genommen 
vmd  sie  »mit  einem  goldenen  Geschenk  geziert  hatte'  (vgl.  Vogt  S.  0.  Brief 
Bugenhagens  an  Spalatin  vom  7.  Novb.  1 522).  Bugenhagen  durfte  also  bei  seinem 
Freunde  und  Gönner  eine  gewisse  Empfänglichkeit  für  seine  Schmeichelei  voraus- 
setziMi.  Andererseits  deutet  diese  Anmerkimg  darauf  hin,  dass  seit  jener  Heirat 
überhaupt  noch  nicht  viele  Briefe  zwischen  beiden  Männeni  gewechselt  worden 
sind ,  was  ebenfalls  dem  gegebenen  Ansatz  zur  weiteren  Stütze  dienen  kann. 
Uebcr  die  Person  des  Gallus  (S.  155  Z.  6)  liisst  sich  hier  nichts  Genaueres  sagen. 
In  Bugenhagens  Briefwechsel  kommen  zwei  Personen  dieses  Namens  vor,  ein  Karl 
Gallus  (vgl.  a.  a.  0.  S.  336  u.  346)  und  ein  Nikolaus  Gallus  (ebend.  S.  432  u. 
501,  dazu  die  Anm.  auf  S.  502),  beide  jedoch  erst  spät,  nicht  vor  1545.  Eine 
Identificierung  ist  also  nicht  möglich. 


Drei  Briefe  des  Johannes  Bugenhagen.  155 

harum  rerum,  si  aliud  non  licuisset  in  literis  per  parochos  illos  ad  te 
datis?  Aut  certe  cur  non  meminissem  lUustrissimi  principis  nostri  bene- 
ficentie  cum  acceperim  iam  sicut  et  ante  decem  aureos?  Id  qtiod  tibi 
scripseram  rogitans,  ut  per  te  benignitas  atque  liberalitas  eins  persuasum 
haberet  me  non  fore  ipsius  gratie  ingratum,  me  porro  acturum,  quod  ago 
quantum  per  deum  liceret.  C^terum  de  Gallo  non  scripseram  qui,  ut  ex 
eo  audio,  sex  aureos  accepit.  Nihil  horum  ad  te  venit.  Ego  non  sum 
mihi  conscius  unquam  te  interrogasse.  ad  quod  non  responderim.  Dolco 
profecto  et  te  fi'audari  tua  expectatione  et  meum  in  te,  qui  optime  de 
me  meritus  es,  perire  officium,  cui,  ut  non  desuni,  soleo  aliquantum  sui- 
furari  temporis  tam  gravibus  iam  negociis  occupatus,  ut  non  dicam  plu- 
rimis.  Verum  adhuc  mihi  persuadeo  illas  literas  non  ita  intei'cidisse, 
quin  quandoque  et  prope  diem  in  tuas  manus  sint  perventur^,  si  minus 
cum  Georgio  illo  tuo  expostulato  qui  non  negabit  sibi  ad  te  datas.  Yale. 
Atque,  ut  optime  valeas,  optat  et  uxor  mea,  qu^  iam  a  facie  novit  tuas 
literas,  quas,  dum  a  nunciis  acceptas  mihi  oflFert,  asserit  sese  a  magistro  Spu- 
latino  mihi  adducere  literas.  Iterum  vale.  Ex  W[itteberga],  sabbato  post 
octavam  corporis  Christi, 

Joannes  Pomeranus  tuus. 

Habeo  iam  qu^dam  de  evangelio  Luc^  I.  et  alia,  qua  non  mittam 
nisi  certo  nuncio  sciero  ad  te  perventura,  ne  rursum  nolüs  fraus  fiat  etc. 

Adresse:  Magistro  Georgio  Spalatino  domino  ac  fratri. 

n. 

Derselbe  au  denselben  ').      Wittenberg  1524  Juli  10. 
Original  ebendort  fol.  89. 

Gratiam  dei  per  Christum.  Ecce  mi  Spalatine  arduum  negociiim  lllu- 
strissimi  quidem  principis,  sed  non  tam  princij^is  quam  dei.  Pastor  cccle- 
si^  Beltzensis  cupiens  suis  ovibus  consultum  per  verbum  dei  invenit  apud 
nie  bonum  et  evangelicum  virum,  abbatem  scilicet  illum,  quem  vel  nosti 
vel  de  quo  ex  me  audiisti,  qui  preter  morem  abbatum  in  Pomerania  c^pit 
predicare  evangelium  et  passus  est  vincula,  ita  tarnen  ut  adversarios  hodie 
pudeat  facti,  Modestissimiis  est  et  preterea  rebus  gerendis  et  ad  consu- 
lendum  in  civilibus  quoque  causis  non  parum  commodus.  Hunc,  inquani, 
pastor  Beltzensis  invenit  apud  me  et  iam  fere  dimidio  anno  non  cessat 
solicitare,  ut  eum  su^  preficiat  ecclesi^.  Recusavit  abbas  aliquaradiu,  ne 
videretur  querere  sua  si  non  urgeretur  ad  hoc  negocium,  ne  in  hac  causa 
aliquid  tentaret  non  evangelicum,  qui  propter  evangelium  voluntari^  sese 
iam  tradidit  paupertati.  Venit  ergo  nuper  ad  dominum  Martinum  idem 
pastor  rogans,  ut  virum  commendaret  su^  ecclesi^,  quod  dominus  Martinus 


1)  Der  Name  des  Pfarrers  von  Beizig  (Beltzensis)  scheint  nicht  bekannt 
zu  sein.  Der  von  Bugenhagen  gelobte  Abt  ist  Johann  Rolduaii,  der  dem  Kloster 
Belbuck  in  Pommern,  welches  1523  von  Herzog  Bogislav  aufgehoben  wurde,  vor- 
gestanden hatte  (vgl.  Karl  \'ogt,  Joh.  Bugenhagen.  Leben  und  Schriften,  Klber- 
feld  1867,  ö.  10  und  89).  Bolduan  wurde  dann  wirklich  Pfarrer  in  Beizig  und 
von  dort  im  Sommer  1528  nach  Hamburg  berufen  (vgl.  Vogt,  Briefwechsel  S.  81 
und  586).  Der  vorliegende  Brief  liestätigt  die  Darstellung  Vogts,  J.  B.  Leben 
S.  30,     Ueber  Benedikt  Pauli  vgl.  Vogt,  Briefwechsel  S.  81. 


156  Kleine  Mittheilungen. 

fecit  liaud  gruvatim.  Neque  tarnen  abbas  vel  sie  voluit  sese  venditare 
alienis  literis  sed  pergit  eo  et  predicat  ter  inBeltz  veritus,  ne  contemne- 
rent  linguam  Sassonicam  qui  nihil  aliud  «unt,  quam  Sassones.  Benedictus 
Pauli  dixit  mihi  multum  illic  laudatum  tüisse  virum  et  sese  cupere,  ut 
quam  primum  sit  illic  pastor.  Hodie  rursum  rediit  ad  nos  pastor  Beltzensis 
requirens,  ut  istud  oneris  vir  ille  suscipiat.  Non  recusat  onus.  Hoc 
autem  addidit  pastor,  quod  cum  consulibus  et  civibus  suis  hac  de  re 
egerit  et  hoc  responsum  dederint,  placere  scilicet  optime  hoc  consilium 
et  sese  libenter  volle  quem  princeps  ipsis  dederit,  maxime  vero  quem  no- 
minavi  abbatem.  Itaque  Imnc  maxima  pars  illic  atque  adeo  fere  omnes^) 
cupiunt.  Quod  vero  principi  non  scribunt  h^c  causa  est.  Consultarunt, 
si  principi  aliquem  presentent,  tunc  postea  necessarium  Ulis  fore,  ut  pa- 
stori  provideant  de  necessariis,  si  non  satis  liabeat.  Ita  omnia  ubique  eo 
spectant,  ut  careant  pane  corporis  qui  ad  panem  verbi  dei  distribuendum 
mittuntur.  Sed  viderit  h^c  deus.  Oportet  hie,  mi  Spalatine,  per  Opti- 
mum principem  consuli  iis,  qui  sibi  consulere  non  possunt.  Prudentiam 
istam,  eorum  stulticiam,  quis  non  videt?  Igitur  pastor  Beltzensis  rogavit 
quam  maxime,  ut  ista  per  te  curarem,  qu^  iam,  mi  Spalatine,  te  obsecro, 
Primum,  ut  per  te  Illustrissimus  princeps  intelligat  gratitudinem  viri  de 
beneliciis  acceptis  et  quod  parochiam  deserit  ideo  facere,  ut  per  evange- 
lium  melius  consulatur  Christi  ovibus  per  istum  abbatem.-)  Si  vero  alii 
tradendam  sciret  ecclesiam,  qui  non  tam  in  evangelium  quam  in  seditionem 
spectaret,  ut  proh  dolor  nunc  quidam  sunt,  se  malle  perpetuo  pastorem 
manere  utrumque  insufficientem.  Deinde  ut  nomine  eins  resignes,  cuius 
resignationis  testimonium  ecce  hie  habes,  quam  mittit  presentationem  olim 
acceptam.  Pr^terea  ut  ores,  ut  hie  abbas  illi  ecclesi^  mittatur.  Non  igno- 
ramus,  quod  verbo  dei  princeps  suis  ecclesiis  consultum  velit  et  nos  non 
habemus  meliorem  per  quem  illi  ecclesi^  consulatur.  Insuper  et  hoc  te 
oro,  ut  si  lit^c  princeps  admiserit,  tu  agas,  ut  fideiussor  sis  apud  scriptores 
et  mittas  literas  principis  quotquot  in  hunc  usum  indigemus.  Quicquid 
pecuniarum  scripseris  scriptores  exigere.  mittemus  quam  primum  aut  da- 
bimus  cui  commiseris.  Agito,  mi  Spalatine,  diligenter  in  hoc  negocio 
primum  dei,  deinde  principis,  preterea  et  tuo  et  nostro,  quod  te  decet.    Vale. 

Ex  W[itteberga],  altera  post  Kiliani  MDXXIIII. 

Joannes  Bugenhagius 
Pomeranus  tuus. 

Am  Rande:  In  literis  non  scribatur  ille  vir  sub  nomine  abbatis  sed 
nomine  suo,  quod  est  Joannes  Boldewän  etc.  Suscipe,  queso,  et  literas  alias 
huius  nuncii  ncscio  quam  causam  continentes,   ut  ad  principem  veniant  etc. 

Adresse:  Non  vulgaris  eruditionis  magistro  (.leorgio  Syndatino,  Illu- 
strissimi  Friderici  Saxonum  principis,  electoris  etc.  a  secretis ,  domino  ac 
i'ratri  nostro. 

III. 

Der!<elhe  an  denselben  ^).      Wittenberg  1.541  Frühjahr  —  l.')44. 
Original  ebendort  fol.   108. 

Gratiam  dei  per  Christum.     Usque  adeo  non  recipis,    qu^  tibi   scribo 

omnia,    ut    etiam  non  receperis  literas,    in  quibus  te  meum  oratorem  ad 

')  Nach  omnes  fol fft  nochmals  hnnc  durclK/csl riehen.      -)  ]'or  si  ein  ausgestrichenes 
quod.         *)  Dieser  Brief  ist  vornehmlich  dadurch  interessant,  dass  wir  aus  ihm  ein 


Drei  Briefe  des  Johannes  Bugenhagen.  157 

Illustrissimum  principem  nostrum  volui,  ut  meo  nomine  gratias  ageres  de 
nummo  argenteo  dato,  id  quod  adhuc,  nisi  interim  illas  literas  susceperis, 
te  rogo.  Opto  coram  deo  principi  nostro,  ut  fortis  sit  in  deo.  Non 
potest  ignorare,  quid  deus  sua  benignitate  pro  nobis  contra  adversarios 
veritatis  nunc  nobis  tacentibus  operetur.  Pergat  nunc  paterna  dei  de- 
mentia, quo  voluerit.  Evangelium  redditum  est  mundo.  Tantum  grati 
simus,  ut  non  cooperemur  iis,  qu^  scandalo  sunt  et  evangelic^  officiunt 
veritati,  dum  interim  deus  sine  nobis  evangelium  protnovet  vel  invitis 
portis  inferorum.  Nolo  vero,  ut  pro  me  scribas  ad  consules  nostros.  Ego 
adhuc  fero  ista,  ne  scandalo  sim  evangelio.  Rogavi  autem  senatum  non 
semel,  ut  non  me  eligerent,  ut  me  rursum  electo  alio  meliore  amitterent. 
Rogavi  nuper  pro  concione  totam  ecclesiam  sed  adhuc  frustra.  Vellem 
enim  eis  consultum  per  alium.  Non  prosum  liuic  negocio.  Quod  si  non 
dimiserint,  faciam  quod  per  deum  possum.  De  victu  viderit  deus.  Ego 
nisi  nostri  servarint  promissa  deseram  istam  domum  el  sacellanos  et  fa- 
miliam  mihi  gravem  et  ero  episcopus  quemadmodum  erat  Paulus  apud 
Corinthios.  Nihil  ab  eis  accipiam  ne  habitationem  quidem  et  serviam  eis 
verbo,  donec  alium  susceperint.  Eligam  vero  eis  diaconos  sive  sacellanos, 
quos  ipsi  nutriant,  non  ut  nunc  ego,  nisi  adeo  bene  evangelicos  (ut  nunc 
blasphematur  isto  nomine)  inveniam,  qui  etiam  suo  labore  sibi  victum  pa- 
rent  et  spiritualia  serainent  non  acceptis  carnalibus.     Non  tarnen,  mi  Spa- 

neues  und,  soviel  ich  sehe,  bisher  nicht  bekaiuites  Mitglied  der  Familie  des  Re- 
formators kennen  lernen.  Es  ist  die  Tochter  Elisabeth.  K.  Vogt  (Bugenhagens 
Leben  S.  430  Anm.  IJ  macht,  gestützt  auf  eine  mir  nicht  zugängliche  Schrift 
Mohnike's,  folgende  erwachsene  Kinder  Bugenhagens  namhaft:  eine  Tochter  Sara 
(+  1563),  eine  zweite  Tochter,  welche  Martha  hiess,  wie  aus  0.  Vogt,  Briefwechsel 
S.  539  Anm.  zu  Nr.  270,  erhellt  (f  1560)  und  einen  Sohn  Johannes.  Leider  fehlt 
es  bis  jetzt  vollständig  an  sonstigen  Angaben ,  die  auf  diese  dritte  Tochter  be- 
zogen werden  könnten  und  dieser  Mangel  erschwert  auch  die  Datierung  des 
Briefes,  der  zudem  überwiegend  rein  theologischen  Inhalts  ist.  Einen  terminus 
ad  quem  gibt  die  Adresse.  Spalatin  starb  am  16.  Januar  1545:  der  Brief  muss 
also  vor  diesen  Tag  fallen.  Ich  habe,  obwol  etwas  willkürlich,  den  Schluss  des 
vorausgehenden  Jahres  angenommen.  Aber  der  terminus  a  quo?  Bei  Bestimmung 
desselben  habe  ich  raich\on  folgender  Erwägung  leiten  lassen.  Angenommen, 
Elisabeth  habe  sehr  jung,  etwa  16jährig  geheirathet,  so  erhält  man  mit  Berück- 
sichtigung des  terminus  ad  quem  1528  als  ihr  Geburtsjahr.  Allein  dieses  Jahr 
wie  auch  1527  sind  wieder  mit  Rücksicht  darauf,  dass  am  29.  März  1529  ein  totes  Kind 
und  am  31.Dezbr.  1527  der  Sohn  Johannes  geboren  wurden  (vgl.  die  Anmerkung  zu 
Nr.  1)  als  Geburtsjahr  für  Elisabeth  ausgeschlossen.  Bleibt  noch  der  Zeitraum  Sommer 
1523  (vgl.  die  Bemerkung  zu  Nr.  1)  bis  Anfang  1527.  Indessen  dieser  Zeitraum  lässt 
sich  noch  verkürzen.  Bugenhagen  erwähnt  nämlich  in  dem  Briefe  vom  14.  Sept.  1524 
(0.  Vogt  a.  a.  0.  S.  18  Nr.  8)  nur  seiner  »Hausfi-au  und  jungen  Son%  der  dann 
früh  starb.  Dieso  Stelle  beweist,  dass  Elisabeth  damals  noch  nicht  geboren  war, 
und  gestattet,  unzweifelhaft  den  unter  den  gegebenen  Annahmen  möglichen  Zeit- 
raum ihrer  Geburt  auf  1525  Frühjahr  bis  Anfang  1527  einzuschränken.  Deni- 
gemäss  erhält  man  als  Jahr  ihrer  Verheirathnng  1541  beziehungsweise  1543  und 
damit  für  den  Brief  das  gewählte  Datum.  Leider  wollte  es  mir  nicht  gelingen, 
die  Sätze  dieses  Briefes,  in  welchen  Bugenhagen  von  einer  Wahl  spricht,  die  er 
nicht  annehmen  will,  mit  irgend  einer  uns  überlieferten  Begebenheit  in  einen 
befriedigenden  Zusammenhang  zu  bringen,  um  sie  auf  diese  Weise  für  die  Da- 
tierung verwerten  zu  können.  Deshalb  sei  hier  auf  dieselben  besonders  hinge- 
wiesen. Beiläufig  bemerke  ich  noch*dass  der  Bräutigam  Elisabeths  Kaspar  t'ru- 
ciger  nicht  mit  dem  bekannteren,  dem  Kreise  der  näheren  Freunde  Luthers 
angehörigen  Theologen  Kaspar  C'ruciger,  der  auch  in  Bugenhagens  Briefwechsel 
mehrfach  vorkommt,  verwechselt  werden  darf. 


J58  Kleine  Mittheiluugen. 

latine,  hie  aliquid  temere  agam.  Propter  pecuniam  non  suscepi  hoc  onus 
sed  propter  conscientiam,  quia  electione  civitatis  cogebar,  neque  propter 
pecuniam,  dum  negatur,  deseram ;  ut  enim  illud,  ita  et  hoc  esset  impium. 
Peeunia  nunc  congregatur  a  civibus  in  eum  usum.  Cives  bene  volunt 
negocio  et  adiuvare,  ni  fallor,  cupiunt.  Ego  videbo,  quid  futurum  sit, 
hactenus  neglectus  sum.  Nunquam  aliquid  postulavi  ab  eis,  postulavi  vero, 
ut  provideretur  pauperibus,  id  quod  nunc  feliciter  per  deum  procedit,  de 
quo  gaudeo.  Non  deest  multis  adfectus  largiendi,  peeunia  autem  deest, 
donee  aliquorum  excitet  deus  spiritum,  ut  ita  succurrant  pauperibus, 
quemadmodum  olim  per  errorem  missis  illis  papisticis.  Tu  igitur,  mi 
Spalatine,  pro  me  nihil  scribito,  non  enim  hoc  haberet  bonam  speciem, 
utciunque  hoc  iuste  exigere  possemus ,  sed  securus  ipse  cum  me  securo 
huius  fabul^  esto  inspector.  Summa  cura  esto  de  negocio  pastorali,  de 
victu  viderit  ille,  qui  dixit :  Hec  omnia  adiicientur  vobis.  Vale.  Ex  W|  itte- 
berga],  feria  quarla  post  trinitatis. 

Quod  non  statim  respondi  causa  erat,  quod  non  semper  eram  domi 
et  domi  preter  quotidiana  negocia  adornabam  nuptias  futuras  nostr^  Eli- 
zabeth^, de  qua  quandoque  mihi  scripsisti.  Celebrabimus  autem  nuptias 
feria  tertia  meridie  et  tota  die,  qu^  erit  ab  ista  die  dies  decimatertia. 
Sponsus  igitur  Casparus  Crucinger  Lipsensis  et  sponsa,  mea  Elizabeth,  ego 
et  uxor  mea  precamur,  ut  ad  istas  nuptias  cum  amicis ,  quos  tecum  ad- 
ducere  volueris,  nobis  adesse  velis.  Ut  tandem  te  videamus  et  si  fieri 
possit  aliquid  ferin^  mittere  non  graveris.  Ad  decem  mensas  fere  nobis 
cibus  parandus  est ,  habemus  enim  rationem  carnalium  spons^  amicorum 
quorum  tarnen  nullus  aderit, 

Dicentibus  non  permissurum  deum  fuisse,  ut  tot  s^culis  erratum  sit, 
oppone  primum  veritatem  verbi  Christi  et  apostolorum,  qui  istos  errores 
predixerunt  et  predixerunt  incepturos  statim  post  tempora  apostolorum, 
ut  videant  adhuc  diutius  erratum  quam  vulgo  putatui-,  donec  omnes  errores 
in  sentinam  illam  papisticam  declinarent. 

Deinde  historias  sacras,  cur  permiserit  deus  tot  s^culis  eri'are  mun- 
dum,   quoniam  tandem   vix  octo  relicti  sunt  reliquis  diluvio  perditis. 

Cur  permiserit  errorem  vitulorum  aureorum ,  a  quo  nunquam  resi- 
puerunt  a  tempore  Hieroboam  usque  nunc;  nam  regnum  decem  tribuum 
abiectum  est  in  Assyrios  et  nunquam  reductum. 

Cur  permittat  deus,  ut  impii  semel  abiecti  nunquam  resipiscant,  nonne 
hoc  adhuc  durius  possit  videriV 

Diuturnitas  non  efficit,  ut  erratum  non  sit,  quandoquidem  et  diabolus 
adhuc  errat. 

Justus  est  deus,  cur  nos  dilectionem  veritatis  non  suscepimus,  ut 
salvi  fieremusV  Vides  et  hodie  non  suscipi  evaugelium  oblatum,  veremur 
adhuc  graviores  errores,  nisi  antevortat  iudicium  illud  extremumV 

Deus  longa  tempora  non  novit.  Mille  dies  ante  oculos  eiustanquam 
dies  hesterna,  qu^  preteriit. 

Expectandum  co^cilium  aiunt. 

Interim  moreris  in  peccato  tue  et  ail  diabolum  vadis. 
Evaugelium  creditum   salvat. 


Drei  Briefe  des  Johannes  Biigenhagen.  159 

Hoc  mihi  nunc  a  deo  offertur. 

Non  expectabo  aliud  ab  illis,  qui  martyres  Christi  comburunt,  qui 
manifeste  teste  toto  mundo  pro  sua  ambitione  et  cupiditate  insaniuut  in 
evangelium  glorie  magni  dei.  Satana  agitantur  contra  Christum  et  post 
gloriabuntur  se  in  spiritu  sancto  congregatos.  Impietatis  reus  est  et  ex- 
c^cari  timeat  qui  ipsos  expeetandos  sentit,  dum  Christus  tanta  miseri- 
cordia  offert  evangelium  salutis. 

An  adhuc  obscui'um  est:  Qui  crediderit  et  baptizatur  etc.? 

An  adhuc  ignoramus  traditiones  humanas  a  deo  in  Esaia_,  a  Christo 
in  Matth^o  damnari? 

Pr^terea  Christus  non  accipit  testimonium  ab  honiinibus.    Jo.  V. 

Molsi  et  prophetis  credendum  non  nostris  truncis,  qui  ordinarium 
suum  preferunt  omnibus  scripturis.  Ad  legem,  inquit  Esaias  et  ad  testi- 
monium. Si  non  sie  dixeritis,  non  erit  vobis  matutina  lux  etc.  Jo.  III. 
Qui  de  terra  est,  de  terra  loquitur.  Qui  de  celo  venit,  super  omnes  est  et 
quod  vidit  et  audivit  hoc  testatm*  et  testimonium  eins  nemo  accipit.  Qui 
autem  etc. 

Ais  eos  dicere  expectandum  vel  concilium  vel  congregationem  aliquam 
honestam.  Tu  scilicet  nondum  vides  congregationem  honestam  virorum  et 
mulierum  per  totam  Germaniam  spiritu  eongregatorum,  qui  bene  sentiunt 
de  evangelio,  in  primis  illic,  ubi  evangelium  persecutionem  patitur,  id  quod 
et  hodie  miratus  sum  in  literis  cuiusdam  ft^mint^,  qui^  huc  scripserat  ex 
Holandia,  cui  ego  doctrina  nequaquam  conferri  possum?  Hi  omnes  cla- 
mant  erratum  esse,  hi  omnes  testimonio  Spiritus,  quod  in  pectore  habent, 
admonent  nos  evangelii,  quemadmodum  olim  Augustinus  se  monitum  dicit. 
Et  ego  expectabo  etc.? 

Insignis  et  diabolica  stulticia  est  nolle  credere  deo  et  velle  credere 
honiinibus. 

A  d  a  g  i  u  m  P  o  m  e  r  a  n  i. 

Valent  dei  liter^  etiamsi  non  accedat  sigillum  Pape. 

Atque  adeo. 
Si  addideris  dei  verbo,  iam  dei  verbum  non  est. 
Adresse:   Magistro  Georgio  Spalatino  domino  ac  fratri  nostro  dilecto. 
Basel.  R.   Thommen. 


Literatur. 

Das  Wettiner-Jubiläum  in  der  historischen  Literatur. 

Unter  der  gi-ossen  Zahl  von  Jubiläen  des  Jahres  1889  ragt  als  eines 
der  bemerkenswei-thesten  das  der  achthundertjährigen  Wettinerherrschaft 
in  der  Mark  Meissen  hervor;  war  es  doch  überhaupt  das  erste  Mal,  dass 
eine  solche  Feier  begangen  werden  konnte,  da  erst  vor  wenigen  Jahren 
0.  Posse  darauf  hingewiesen  hat,  dass  das  Jahr  1089,  in  welchem  Kaiser 
Heinrich  IV.  nach  der  Aechtung  Ekberts  II.  die  Mark  Meissen  an  Graf 
Heinrich  I.  von  Eilenburg  verlieh,  als  das  Anfangsjahr  dieser  Herrschaft 
zu  gelten  hat.  Zahlreich  und  mannichfaltig  ist  die  aus  diesem  Anlass 
'  entstandene  Festschriftenliteratur,  die  hier  besprochen  werden  soll  ^). 

Eine  ziemliche  Anzahl  von  Arbeiten  betrifft  einzelne  Orte  und  Ge- 
biete, meist  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Beziehungen  zu  den  Lan- 
desfürsten. 

Hubert  Er  misch,  Das  Freiberger  Stadt  recht.  Festgabe 
zum  BOOjähi-igenßegierungsjubiläum  des  Hauses  Wettin-).  Leipzig,  Giesecke 
und  Devrient,  1889.  8*^.  XGI  u.  364  S.  Wir  erhalten  hier  ein  Werk 
von  sachkundigster  Hand;  wer  war  auch  besser  geeignet,  eine  solche  Ar- 
beit zu  unternehmen,  als  der  Herausgeber  des  Freiberger  Ui'kundenbuches, 
tler  bei  dessen  Bearbeitung  die  Verhältnisse  aufs  genaueste  kennen  ge- 
lernt und  manche  Spezialuntersuchung  schon  dafür  angestellt  hatte?  Die 
Wichtigkeit  der  Edition  beruht  darin,  dass  das  Freiberger  Stadtrecht  neben 
den  Aufzeichnungen  von  Altenburg  und  Zwickau  die  einzige  in  Meissen, 
Pleissner-  und  Osterland  vorhandene  derartige  Codiflcation  und  unter  diesen 
selbst  die  bedeutendste  ist.  Freiberg  wurde  Stadt  zwischen  1185  und  1190, 
doch  erst  im  letzten  Jahrzehnt  des  13.  Jahrh.  geschah  die  schriftliche 
Fixierung  des  mündlich  überlieferten  Gewohnheitsrechts.  Die  Entstehung 
in  jener  Zeit  kommt  in  der  Bezeichnung  des  Landesherrn  als  Künig  (nicht 
Markgraf,  wie  es  später  geändert  wurde)  zum  Ausdruck;  denn  in  dem 
Krieg  zwischen  Friedrich  dem  Freidigen  und  der  ßeichsgewalt  fiel  Frei- 
berg 129C  in  König  Adolfs  Hand  und  blieb  auch  unter  Albrecht  bis  1307 
königlich.  E.  untersucht  dann  den  Zusammenhang  mit  andern  Stadtrechten, 
der  spärlich  ist.    Freiberger  Recht  galt  nicht  bloss  für  die  Stadt  und  ihre 

')  Völlig  werthlos,  weil  ganz  unvollständig,  ist  der  bei  C.  8tange  in  Frauken- 
berg erschienene  „Wcttiu-Katulog",  8",  28  S. ,  wovon  noch  nicht  3  (Seiten  die 
histor.  Lit.  betretfen.  -)  Diese  sich    nieiat  wiederholenden   Titelzusätze    sind 

im  folgenden  nicht   luitgegebeu,  ausser  wo  sie  selbst  den  Titel  bilden  ;  auch  1889 
ist  stets  weggelassen.  • 


Literatur.  ][g-^ 

Bannmeile,  sondern  auch  für  benachbarte  Bergbaudistrikte ;  einigen  Städten 
\\Tirde  es  verliehen  (Siebenlehn,  Dippoldiswalde).  Eingehend  ist  überHss. 
und  Ausgaben  gehandelt,  woran  sich  textkritische  Erörterungen  anschliessen. 
Der  letzte  Einleitungsabschnitt  bespricht  die  späteren  Schicksale  des  Eechts, 
besonders  die  Aenderungen  unter  August  und  Johann  Georg  II.  Der  Text 
ist  in  sehr  dankenswerther  Weise  bereichert  durch  fleissige  Literatur- 
angaben über  die  einzelnen  Rechtsbestimmungen  und  durch  sorgfältige  Re- 
gister nebst  mhd.  Wörterbuch.  Das  Facs.  einer  Seite  der  ältesten  Hs.  im 
Freiberger  Rathsarchiv,  welche  die  Grundlage  für  die  Textgestaltung  bil- 
dete, ist  dem  typographisch  schön  ausgestatteten  Buche  beigegeben. 

Ed.  Heydenreich  und  P.  Knauth,  Die  Beziehungen  des 
Hauses  Wettin  zur  Berghauptstadt  Freiberg  (dargebracht  von 
der  Stadt  Freiberg).  Freiberg,  Graz  und  Gerlach.  8".  83  S.  Die  Schrift, 
zerfällt  in  zwei  Theile :  l.  Geschichte  des  sächsischen  Bergbaues  mit  be- 
sonderer Beziehung  auf  das  Haus  Wettin  und  Freiberg  S.  4 — 37.  H,  zeigt 
hierin,  wie  die  Fürsten  von  Anfang  an  die  Wichtigkeit  des  Bergbaues  er- 
kannten, auf  dessen  Erträgen  ihre  Macht  wesentlich  mit  beruhte.  Früh 
regelten  sie  ihn  durch  Bergordnungen,  die  uns  vom  14.  Jahrh.  an  vor- 
liegen. Die  Stadt  und  ihre  Gruben  blieben  ihrem  Werthe  entsprechend 
bis  zur  Scheidung  der  ei-nestinischen  und  albertinischen  Linie  gemeinsam, 
wie  dies  zahlreiche  Theilungsverträge  bestimmen;  erst  1485  brachte  die 
Leipziger  Theilung  sie  lediglich  an  die  Albertiner.  Die  landesherrliche 
Münze  zu  Freiberg  war  die  wichtigste  des  Landes;  1556  wurde  sie  nach 
Dresden,  1887  aber  nach  Freiberg  zurückverlegt.  Daneben  bestanden  noch 
andere  Betriebsstätten,  so  schon  seit  dem  14.  Jahrh.  Schmelzhütten  und 
Pochwerke.  In  diese  Hütten  musste  von  allen  Funden  ein  Zehntel  für 
den  Landesherrn  abgeliefert  werden,  auch  sämmtliche  andere  Erzausbeute 
durfte  von  Privatbesitzern  (die  Fürsten  verliehen  schon  früh  kraft  ihres 
Bergregals  auch  Privaten  das  Recht  zu  graben)  nur  an  die  fürstlichen 
Hütten  verkauft  werden.  Als  der  Ertrag  zurückging,  scheuten  die  Fürsten 
auch  Opfer  nicht,  um  den  Betrieb  lebensfähig  zu  erhalten,  verzichteten  auf 
Vortheile  und  Berechtigungen,  gewährten  Zubussen,  sorgten  für  technische 
Verbesserungen,  guten  Beamtenstand,  zu  dessen  Ausbildung  1765  die  be- 
rühmte Bergakademie  gestiftet  wurde,  und  für  das  materielle  Wohl  der 
Arbeiter.  Dem  wichtigen  Freiberger  Bergrecht  traten  später  in  Streit- 
fällen die  Aussprüche  des  Bergschöppenstuhls  ergänzend  zur  Seite.  Ebenso 
wie  auf  das  Bergwesen  erstreckte  sich  die  landesherrliche  Fürsorge  auf 
rein  städtische  Verhältnisse.  Diese  Gesinnung  trug  auch  ihre  Früchte, 
gerade  Freiberg  hat  in  schwerer  Zeit  durch  besondre  Treue  sich  ausge- 
zeichnet. Alle  diese  »Beziehungen  des  Hauses  Wettin  zur  Stadt  Freiberg 
in  persönlicher,  rechtlicher  und  politischer  Hinsicht«  schildert  der  zweite 
Theil.  H.  hat  auch  hier  den  von  ihm  bearbeiteten  mittelalterlichen  Ab- 
schnitt stofflich  geordnet,  während  K.  in  der  neueren  Zeit  (S.  57 — 83) 
einfach  der  Chronologie  der  Fürsten  folgt;  ausführlicher  sind  die  Zeiten 
des  dreiösigjährigeu  Kriegs  berührt.  Beide  Verfasser,  besonders  H.  (ob- 
wohl hier  und  da  seine  Disposition  eine  straffere  sein  könnte)  haben  in 
ansprechender  Weise  sich  ihrer  Aufgabe  entledigt  und  unter  fleissiger  Aus- 
nützung des  ausgedehnten  Materials  ein  anschauliches  Bild  der  Beziehungen 
zwischen  Herrscherhaus  und  Stadt  gegeben. 

Mittheilungen,  XII.  11 


1(52  Literatur. 

Festheft  d  es  F  r  eibe  rger  Alte  rthumsver  eins  zur  Wettin - 
feier  (Mitth.  v.  Freib.  Alt.-Verein  Heft  25).  Freiberg,  Gerlach.  8".  VI 
und  96  S.  Das  Heft  enthält  ausser  einer  Anzahl  kleiner  Aufsätze  und 
Notizen  von  Distel,  Knautli,  Kade,  Ennisch,  Gerlach  (über  Heinrichs  des 
Frommen  (jremahlin  Katharina,  Kurfürst  Moritz,  die  kurfürstliche  Grali- 
kapelle  im  Dom  u.  a.),  einen  längeren  Aufsatz  C.  Richters  über  das  Bier 
und  die  Brauverhältnisse  Freibergs  von  der  ältesten  bis  neuesten  Zeit. 

Erstes  Jahrbuch  des  Erzgebirgs-Zw^eigvereins  Chem- 
nitz. Chemnitz,  Vereinsverlag.  8".  VII  u.  131  S.  Von  den  6  Auf- 
sätzen sind  geschichtlich :  Sophus  Enge,  Die  Namen  des  Erzgebirges  S.  1  —  1  fi, 
W.  Zöllner,  Die  räumliche  Ausbreitung  des  Erzgebirgischen  Bergbaues  im 
M.-A.,  S.  38—  49,  der  auf  archivalisches  Material  gestützt  Heydenreichs 
Festschrift  ergänzt.  Enge  bespricht  u.  a.  den  unter  König  Heinrich  II. 
vorkommenden  Namen  Miriquidui,  der  nicht  dem  ganzen  Gebirge,  sondern 
nur  einem  Theile  der  Nordseite  (Gottleubathal  etc.)  gilt;  die  Südseite  hiess 
Böhmer  Wald,  welcher  Name  sich  orographisch  bis  ins  18.  Jahrh.  erhält. 
obviTohl  daneben  mehr  und  mehr  die  Benennung  Erzgebirge  auftritt,  die 
zuerst  (ifi.  Jahrh.)  nur  montanisch-administrativ,  wie  Euge  sagt,  vorkommt. 

Jahrbuch  des  Vereins  für  Chemnitzer  Geschichte  Heft  VI. 
Chemnitz,  May-Eöder.  8^.  XXIX  u.  184  S.  Die  eigentliche  Festabhand- 
lung von  P.  Uhle,  Frühere  Festlichkeiten  in  Chemnitz  zu  Ehren  des  Hauses 
Wettin,  schildert  die  Huldigungen  der  Stadt  beim  Eegierungsantritt  eines 
neuen  Herrschers,  Besuch  von  Fürsten,  Feste  zu  Ehren  des  Fürstenhauses, 
und  bietet  manche  interessante  Notiz,  besonders  für  das  17.  und  18.  Jahrh. 
Von  sonstigem  Inhalt  sei  noch  genannt :  A.  Mating-Sammler,  Zur  Geschichte 
der  Schneider-  und  Tuchmacherinnung  in  Chemnitz;  K.  Kirchner,  Streit 
um  das  Patronat  über  das  Pfarramt  an  der  Jakobikirche ;  P.  Uhle,  Chr. 
Gottl.  Heynes  Ei'innerungen  an  seine  in  Chemnitz  verlebten  Jugendjahre 
(l>eleuchtet  des  berühmten  Göttinger  Philologen  traurige  Schulzeit). 

C.  A.  Holzhaus,  Herzog  Heinrich  der  Fromme,  derGrün- 
d er  M a r i e n b e r g s.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Erzgebirges.  Ma- 
rienberg, Engelmann.  8^.  39  S.  H.  zeichnet,  ohne  tiefere  Studien  zu 
verrathen,  ein  Bild  von  Herzog  Heinrich  dem  Frommen ,  geht  dami  auf 
den  neuen  Aufschwung  des  Silberbergbaues  im  Erzgebirge  ein,  der  sich 
am  Ende  des  15.  und  Anfang  des  16.  Jahrh.  zeigt,  und  handelt  über  die 
Entstehung  Marienbergs.  1519  hatte  man  auf  der  »wüsten  Schletta«  eine 
Silbergrube  angelegt,  die  gute  Ausbeute  versprach,  so  dass  Heinrich,  der 
sich  für  den  Bergbau  interessierte,  am  29.  Apr.  1521  die  Anlage  einer 
neuen  Bergstadt  verordnete,  die  ihren  Namen  von  der  Jungfrau  Maria  be- 
kam und  rasch  emporblühte.  Von  dem  1536  erbauten  hölzernen  Kirchlein, 
das  wegen  seiner  Kleinheit  schon  1558  einem  Neubau  Platz  machen  musste, 
wird  erzählt,  es  sei  mit  Schrauben  wegbewegt  worden  (also  schon  nach 
Art  des  modernen  amerikanischen  Verfahrens).  Freilich  hielt  sicli  die 
Stadt  nicht  lange  in  diesen  günstigen  Verhältnissen;  durch  Eückgang  des 
Erzertrags,  mehrfache  Heimsuchung  durch  Pest  und  Brände  (am  verheerendsten 
der  vom  3.  August  1610)  wurde  ihre  Blüthe  gebrochen,  und  bis  heute 
hat  sie  den  Höhepunkt  iiicht  wieder  erreicht.  Den  Schluss  bildet,  die 
Schilderung  der  religiösen  VerliäUiiisse  unter  Herzog  Georg  und  Heinrich, 
das   allmähliche   Eindringen   und   die   ufHcielle  Einführuuij    der  Kefurmatiou 


Literatur.  J^g^ 

im  Herzogthum  Sachsen  mit  besonderem  Bezug  auf  das  Erzgebirge.  Das 
Schriftchen  bringt  keine  Bereicherung  der  Kenntnis  des  Erzgebirges ;  auch 
was  über  Marienbergs  Gründung  gesagt  ist,  beruht  auf  bekannten  Quellen. 
Zu  berichtigen  ist  S.  6  die  Angabe,  Heinrichs  Bruder  Friedrich  sei  1510 
»privatisierend«  in  Rochlitz  gestorben;  er  war  Hochmeister  des  deutschen 
Ordens,  ging  ]507  in  Ordensgeschäften  nach  Deutschland,  behielt  aber  bis 
an  seinen  Tod  die  Würde  und  die  wirkliche  Leitung  des  Ordens.  (Der- 
selbe Fehler  findet  sich  bei  Blochwitz,  s.  im  folg.)  Der  Berg,  an  dessen 
Westseite  Annaberg  gegründet  wurde,  heisst  der  Pöhlberg,  nicht  Pielberg 
(S.    1 5),  wie  es  vielleicht  im  Volksmunde  ausgesprochen  wird. 

Alfred  Mosch  kau,  Wettine  r  Besuche  in  Zittau  und  der 
südlichen  Ober  1  aus itz.  Zittau,  Fiedler.  8°.  VIII  u.  42  S.  M.  will 
alle  Notizen  zusammenstellen,  die  sich  auf  persönlichen  Verkehr  vonWet- 
tinern  mit  der  südlichen  Oberlausitz,  vorwiegend  Zittau  und  dem  herr- 
lichen, ruinengeschmückten  Oybin,  beziehen,  was  an  und  für  sich  wohl  für 
eine  kleine  Schrift  den  Stoff  abgeben  und  einen  Beitrag  zur  Lokalgeschichte 
liefern  konnte.  Die  Art  aber,  wie  M.  sich  seiner  Aufgabe  entledigt  hat, 
ist  zu  ungenügend.  Als  bemerkenswerthe  Notiz  es  z.  B.  der  Vergessenheit 
zu  entreissen ,  welches  junge  Mädchen  gelegentlich  dem  prinzlichen  Be- 
suche Kaffee  kochte  (S.  lo),  ist  lächerlich,  und  solcher  Notizen  bietet  die 
Schrift  noch  manche.  Wie  klein  muss  der  Verfasser  von  seinen  Fürsten 
denken,  wenn  er  solchen  Tand  als  Festschrift  zu  veröffentlichen  und  einem 
Mitglied  des  HeiTScherhauses  zu  widmen  wagte.  Von  Verstössen  seien 
nur  erwähnt  S.  3  :  Herzog  Franz  Carl  von  Sachsen-Lauenburg  (ein  Askanier !) 
wird  als  Wettiner  betrachtet;  nach  S.  2  ist  Johann  Georg  1.  bereits  im 
Juli  16.34  »als  Landesherr«  vor  Zittau  erschienen,  während  erst  am 
1.5.  Juni  1635  der  Prager  Friede  ratifizieret  wurde,  der  Johann  Georg  zum 
LandesheiTn  der  Lausitzen  und  damit  Zittaus  machte. 

H.  A.  S  t  ö  h  r ,  D  r  e  s  d  n  e  r  h  i  s  1 0  r  i  s  c  h  e  s  M  e  r  k  b  ü  c  h  1  e  i  n ,  Dresden, 
Hackarath.  kl.  8°.  XII  u.  226  S.  St.  giebt  ßegesten  zur  Geschichte  von 
Dresden  und  Umgegend;  das  Buch  ist  leider,  zumal  in  den  älteren  Par- 
tien, sehr  unzuverlässig,  wie  ein  Auszug  aus  der  Fehlerliste  zeigt.  Kaum 
glaublich  mag  es  erscheinen^  dass  unter  den  Quellen  und  Hilfsmitteln  nicht 
ehimal  Richters  Verfassungsgeschichte  von  Dresden,  die  Mittheil,  des  Ver. 
f.  Gesch.  Dresdens,  das  Dresdner  Urkundenbuch ,  Hilschers  Sammler  und 
noch  eine  grosse  Menge  von  Monographien  erscheinen,  die  bei  einer  solchen 
Arbeit,  falls  sie  überhaupt  einen  Werth  haben  soll ,  zu  beachten  waren ; 
denn  die  Einzelabhandlungen  kann  nicht  Jeder  durchsehen,  aber  die  Re- 
sultate in  Regestenform  zusammengestellt  zu  haben,  wäre  sehr  schätzens- 
vverth.  Zu  S.  8  a.  1222  ist  zu  bemerken,  dass  alle  diese  älteren  Zeit- 
angaben über  die  Eibbrücke  wenig  oder  ungenügend  verbürgt  sintl.  Zu 
S.  8  a.  1234:  Heinrich  der  Erlauchte  vermählte  sich  nicht  1249  mit 
Agnes  von  Böhmen,  sondern  wohl  schon  1244,  sicher  vor  1247;  sie  stai'b 
nicht  1267,  sondern  lo.  Okt.  1268.  S.  9  a.  1270  »Dresden  wird  unter 
Heinrich  dem  Erlauchten  Residenz«  klingt,  als  sei  es  offiziell  dazu  erhoben 
worden,  wovon  gar  nicht  die  Rede  sein  kann.  AVas  S.  9  a.  1283  über 
die  Anerkennung  Friedrichs  des  Freidigen  als  Pfalzgruf  von  Sachsen  steht, 
ist  verkehrt;  von  einer  formellen  Anerkennung  findet  sich  nichts,  den 
Titel    führt  Friedrich    seit    1281.     Ganz  thöricht  ist   S.   lo  a.   1300    über 

11* 


•[64  Literatur. 

Dresden  und  Friedrich  den  Kleinen.  Zu  S.  11  a.  1316,  1319:  Dresden 
war  seit  1315  (niclit  1316)  in  brandenburgischer  Hand ,  es  kam  1317 
durch  Verpfändung  an  Withego  IL  von  Meissen,  und  von  diesem  1319  an 
Friedrich  den  Freidigen  zurück.  Aus  Meltzers  Schrift  (Mitth.  d.  Ver.  f. 
Gesch.  Dresdens  VII)  konnte  St.  lernen ,  dass  die  Kreuzschule  nicht  erst 
1452  urkundlich  vorkommt  (S.  17),  sondern  urkundliche  Zeugnisse  für  die 
erste  Hälfte  des  15.  Jahrh.  vorliegen,  einige  sogar  für  das  14.  Jahrh.  Vieles 
kaum  zu  Kechtfertigende  ist  breit  aufgenommen,  so  S.  167 — 175  der  ganze 
Krieg  von  1870  und  sogar  dessen  Vorgeschichte  —  alles  ohne  Bezug  auf  Dresden ; 
ähnlich  1866  S.  155 — 159,  1864  S.  138 — 145  mit  breiter  Einführung  in 
die  dänisch-holsteinischen  Verhältnisse;  was  er  in  der  Einleitung  über  solche 
Partien  vorbringt,  ist  nicht  stichhaltig,  denn  da  liesse  sich  schliesslich  alles 
mit  herbeiziehen.  In  der  neuesten  Zeit  finden  sich  ferner  zuviel  Kleinigkeiten 
(gleichgiltige  Personalnotizen  u.  a.),  die  für  Dresdens  Geschichte  absolut 
nichtig  sind,  so  7.  8.  1874,  3.  11.  1875,  18.  3.  1879,  6.  2.  1883,  12.  3. 
1885   u.  s.  w. 

John  A.  Butler,  Pen  Pictures  ofDresden's  Past.  Dresden, 
C.  Tittmann.  8  °.  VIII  u.  1 1 7  S.  B.  behandelt  einzelne  Abschnitte  aus 
Dresdens  Vergangenheit,  besonders  Kunst-  und  Kulturgeschichtliches  in 
leichtem  Essaystil.  Die  Abschnitte  sind:  The  house  of Wettin;  Once  upon 
a  time  (über  Dresdens  Leben  in  früheren  Jahrhunderten :  unrichtig  ist 
S.  13,  dass  Herzog  Albrecht  1454  das  Schiesshaus  gegründet  habe);  A 
Chapter  of  Historical  Scraps  (Peters  des  Grossen  u.  a.  Aufenthalt  in  Dres- 
den ;  manches  steht  freilich  nur  in  losem  oder  gar  keinem  Zusammenhang 
mit  Dresden,  S.  50  1.  Miloradowitsch  statt  Mildor.,  51  Vertrag  von  Poisch- 
witz  statt  Pleswitz);  The  Petes  of  Augustus  the  Strong;  The  Dresden 
Gallery;  A.  Chapter  of  Marvels  (Porzellanerfindung,  Geisterbeschwörer  des 
vorigen  Jahrhunderts) :  A  Chapter  of  Kings  (mit  Irrthümern  und  Mängeln 
des  Urtheils;  erwähnt  sei  nur  S.  99,  Markgraf  Conrad  habe  Damaskus 
1146  erobert  und  befestigt!  1148,  nicht  1146,  wurde  Damaskus  be- 
stürmt, nicht  erobert,  und  Conrad  nahm  am  syrischen  Kreuzzug  gar  nicht 
theil,  sondern  an  dem  gleichzeitigen  gegen  die  Wenden).  ^) 

Gustav  Schübe rth,  Gvozdec  =  Grossenhain.  Ein  Beitrag 
zur  ältesten  Geschichte  des  Hauses  Wettin  und  der  Mark  Meissen.  Grossen- 
hain, H.  Starke.  8°.  34  S.  Der  Verfasser,  der  sich  mit  unverkennbarem 
Eifer  der  Erforschung  der  Grossenhainer  Geschichte  widmet,  versucht  hier 
zu  erweisen,  dass  Grossenhain,  früher  bloss  Hayn,  auch  Osseg,  lat.  Indago, 
identisch  sei  mit  dem  bei  Cosmas  a.  1087,  1088,  1123  erwähnten  Gvozdec, 
das  er  weiter  mit  dem  in  einer  Urk.  Heinrichs  HL    1045  genannten  Guodezi 


')  Von  der  1885  erschienenen  zweiten  Auflage  der  „Gesch.  der  Kgl.  Haupt- 
und  Residenzstadt  Dresden"  von  M.  B.  Lindau  (Dresden,  R.  v.  Grumbkow,  8") 
i.st  zur  Wettinfeier  eine  billigere  Volksausgabe  (Titelauflage)  in  Einzellieferungen 
veranstaltet  worden. 

Meissen  ist  mit  einer  eigentlichen  Festschrift  nicht  vertreten ;  aber  1889 
erschien  eine  Publikation ,  die  die  Stelle  einer  Festschrift  vertritt :  W.  L  o  o  s  e , 
Alt-Meissen  mit  erklärendem  Text.  Meissen,  Mosche,  fol.  12  8.  u.  48  Taf.  Es 
sind  Reproduktionen  alter  Ansicliten:  die  ganze  Stadt,  einzelne  Strassen,  Ge- 
bäude, Scenou  des  Volkslebens  vergangener  Tage.  Der  Text  ist  gut,  mit  Be- 
nutzung der  neuesten  Forschungen  und  des  Quellenmaterials;  Heft  5  enthält  u.  a. 
ein  Facs.  des  Schuizbriefs  Linnardt  Torstensons  vom  29.  Oct.  1C42. 


Literatur.  1^65 

gleichsetzt.  Diese  Ansicht  kann  aber  die  Gewissheit,  die  Seh.  ihr  zu- 
erkennt, nicht  beanspruchen.  Die  Burg  wurde  von  König  Wratislaw  1088 
verlegt,  den  früheren  Ort  findet  Seh.  auf  dem  Kupferberg  bei  Grossenhain, 
den  späteren  an  der  Stelle  des  einstigen  Schlosses  an  der  Eöder;  mit 
dieser  Veränderung  lässt  sich  aber  der  spätere  Name  Osseg  (im  13.  und 
1 4.  Jahrh.)  nicht  erklären,  denn  wenn  die  Bewohner  den  Namen  der  alten 
Burg  Gvozdec  für  den  neuen  Platz  am  Eöderflusse  nicht  mehr  passend 
fanden,  so  hätte  ihnen  dies  doch  alsbald  und  zwar  am  stärksten  gleich 
bei  der  Neubesiedelung  auffallen  und  der  neue  entsprechendere  Name  Osseg 
sogleich  eintreten  müssen,  denn  später  war  dies  Gefühl  der  Verschieden- 
heit der  alten  und  neuen  Lage  doch  geschwunden;  statt  dessen  kommt 
aber  1123  der  alte  Name  Gvozdec  noch  vor  und  erst  1207  der  angeblich 
eben  durch  die  Verlegung  bcAvirkte  Ozzek.  Auf  das  Zeugnis  des  Stadt- 
chronisten Seb.  Mann  von  1063,  das  durch  nichts  sonst  gestützt  ist,  sollte 
ein  Historiker,  der  quellenmässige  Forschungen  anstellt,  kein  besonderes 
Gewicht  legen  (S.  28,  32).  Auch  der  alte  Fehler,  dass  Friedrich  der 
Freidige  sich  als  den  Freudigen  (S.  2  und  33)  bezeichnen  lassen  muss, 
könnte  endlich  aufhören  und  ebenso  (wenigstens  in  einer  fachwissenschaft- 
lichen Arbeit)  seine  gebissene  Wange  ausgeheilt  sein!  Dass  prope  urbem 
Missen  auch  auf  einen  Ort  rechts  der  Elbe  gehen  kann,  ist  nicht  zu  leugnen, 
und  wenn  auch  die  Entfernung  nicht  unbeträchtlich  ist,  so  wäre  jene  Be- 
zeichnung für  Grossenhain  doch  ei'klärlich,  da  es  in  der  Gegend  keinen 
anderen  namhaften  Ort  gab,  der  sich  besser  zur  Ortsbestimmung  eignete. 
Dass  aber  nicht  auch  irgend  welche  Stätte  links  der  Elbe  in  der  Meissner 
Gegend  gemeint  sein  kann,  ist  doch  unmöglich  zu  bestreiten;  was  ent- 
schieden für  das  linke  Ufer  spricht ,  ist  der  Umstand ,  dass  sonst  ange- 
nommen werden  müsste  (wie  das  Seh.  thut),  dass  die  Bölimen  zweimal 
über  die  Elbe  gingen,  ein  Hin-  und  Hermarschieren,  das  zumal  bei  der 
Schwierigkeit  von  Stromübergängen  unwahrscheinlich  ist^). 

Ernst  Eulitz,  Schloss  Waldheim  in  der  Zeit  von  1588  — 
1716  eine  Besitzung  des  Churhauses  Wettin.  Waldheim,  C.  G. 
Seidel.  8°.  46  S.  Kloster  Waldheim  wurde  1404  von  Dietrich  von  Beer- 
walde, Herrn  von  Kriebstein,  gestiftet,  kam  aber  in  der  Eeformationszeit 
in  Verfall;  die  letzten  4  protestantisch  gewordenen  Mönche  wurden  ver- 
sorgt. (Lächerlich  ist  hier  der  Ausdruck:  »Sie  kehrten  den  Heiligen  der 
alten  Kirche  den  Rücken  und  studierten  anstatt  der  Bullen  des  Papstes 
das  Evangelium  und  den  Katechismus«).  1549  kam  das  Kloster  wieder 
an  den  Besitzer  von  Kriebstein,"  Georg  von  Carlowitz  und  blieb  den  Carlo- 
witzen,  bis  es  10.  Juli  1588  der  Hauptgläubiger  dieses  verschuldeten  Ge- 
schlechts, Kurfürst  Christian  L,  kaufte.  Seitdem  (S.  7)  war  es  in  landes- 
herrlicher Verwaltung.  Christian  wollte  es  bei  seinen  Jagden  benützen 
und  Hess  deshalb  einen  grossen  Umbau  vornehmen,  über  den,  wie  über 
die    Räumlichkeiten    und    ihre    Eini'ichtung    E.    eingehend    handelt.     Nicht 


')  Gegen  Flathes  absprechende  Kritik  im  Lit.  Centralblatt  bringt  Seh.  auch 
in  einem  Beilageblatt  zu  seiner  Abhandlung  nichts  ausschlaggebendes  vor. 
Auch  Gustav  Hey,  Die  Feste  Gvozilec.  N.  Arch.  f.  Sachs.  Gesch.  XI,  wendet  sich 
gegen  Seh.  und  zeigt,  auf  seine  Kenntnis  slavischer  Sprachen  gestützt,  dass  Gvozdec 
der  Burgwart  Wosize  oder  Woz  ist.  Er  sucht  Gvozdec  auf  dem  Gohlberg  bei 
Constappel  an  der  Elbe. 


Jgg  Literatur. 

uninteressant  ist,  was  in  2.  »Verwaltung  und  Benützung  des  Schlosses« 
über  Befugnisse  und  Pflichten  der  Schlosspächter,  ihre  Streitigkeiten  mit 
den  umliegenden  Dörfern  über  deren  Verpflichtung  zur  Gesindestellung 
beigebracht  ist.  S.  32  f.  spricht  E.  über  die  Verwendung  als  Jagdschloss 
und  Wittwensitz.  Lange  stand  es  leer  und  verfiel,  1712  sollte  darin  eine 
Juchtenmanufaktur  entstehen  (S.  37),  auch  einem  Tapetenfabrikanten  wurden 
1713  einige  Bäume  angewiesen.  Die  alte  Klosterkirche  wurde  1.592  in 
Gegenwart  der  Kurfürstin  Sophie  neu  eingeweiht,  doch  auch  sie  ward 
wenig  benützt ;  1716  wurde  sie  erneuert  und  erhielt  einen  eigenen  Schloss- 
pfarrer, da  es  seit  diesem  Jahre  eine  zahlreiche  Schlossgemeinde  gab. 
1716  hatte  August  der  Starke,  weil  Landstreicher,  Bettler,  Arbeitslose, 
Kranke  in  Menge  das  Land  heimsuchten,  das  Schloss  zu  einem  Zucht-, 
Armen-  und  Waisenhause  für  das  ganze  Land  bestimmt,  und  als  Haupt- 
zuchthaus dient  es  noch  heute  dem  Königreich  Sachsen,  während  die  an- 
deren Anstalten  verlegt  sind.  Die  Schrift,  die  auf  archivalischem  Material 
beruht,  macht  einen  sorgfältigen  und  zuverlässigen  Eindruck  und  giebt 
einen  dankenswerthen  Beitrag  zur  Geschichte  einer  oft  genannten  Oertlich- 
keit  Sachsens. 

Max  Dittrich,  Kloster  Altzella  und  seine  Ruinen,  eine 
vergessene  Fürstengruft.  Nossen,  E.Hensel.  8".  19  S.  DerTitel- 
zusatz  ist  unnöthig;  wenn  Altzelle  auch  nicht  zu  häutig  von  Vergnügungs- 
reisenden besucht  werden  mag,  vergessen  ist  es  keineswegs.  Das  Schrift- 
chen ist  ohne  Werth;  an  die  kurze  historische  Einleitung  schliesst  sich 
die  Beschreibung  des  1787  in  seiner  jetzigen  Gestalt  errichteten  Mauso- 
leums, das  die  wenigen  erhaltenen  Grabmäler  der  in  Altzelle  bestatteten 
Wettiner  enthält ;  die  Namen  der  andern  einst  dort  nihenden  sind  auf  einer 
Tumba  im  Mausoleum  angebracht;  schliesslich  sind  die  spärlichen  Mauer- 
reste im  Park  besprochen.  An  die  historischen  Fähigkeiten  des  Verfassers 
darf  man  keinen  hohen  Massstab  anlegen;  seine  lateinischen  Kenntnisse 
sind  etwas  unsicher.  S.  6  spricht  er  von  dem  »wenig  zuverlässigen  Chro- 
nicon  des  Altzeller  Mönches  Johannes  Kohte« ;  Joh.  Eothe  aber  ist  der 
bekannte  thüringische  Chronist  in  Eisenach,  die  Altzeller  Chronik  gehört 
dem  Leipziger  Juristen  Joh.  Tylich  an^). 

P.  Rocke,  Die  Sächsischen  Landesfürsten  und  die  Uni- 
versität Leipzig.  Leipzig-Reudnitz,  M.  Hoffmann.  s".  27  S.  K.  giebt 
ein  dürftiges  Excerpt  aus  verschiedenen  Universitätsgeschichten,  ohne  irgend 


>)  Auch  in  einer  anderen  Festschrift  Dittrichs  steht  es  mit  dem  Latein 
nicht  ganz  sicher:  Das  Armeefest  ziu-  Feier  des  800 j.  Jnb.  des  Hauses  Wottin. 
Zwickau,  R.  Zückler.  8".  59  8.,  mit  Vorbemerkungen  üher  »die  Betheiligung  des 
kursächsischen  Heeres  an  der  Entsetzung  von  Wien  1683«,  welche  das  Fest  dar- 
stellte, das  dann  beschrieben  ist.  Dittrich  hat  noch  eine  dritte  Festschrift  ver- 
öftentHcht:  Sachsens  Königshaus  im  Wettiner  Jubeljahr  1889,  nebst  einem  An- 
hang: Die  Fürstengrüfte  zu  Meissen,  Freiberg  und  Dresden.  Dresden,  Albanus-Teich. 
8^.  123  S.  ,Die  nachstehenden  Blätter  bilden  keineswegs  eine  der  amtlichen  Fest- 
schriften* beginnt  das  Vorwort.  Darüber  kann  man  sich  nur  freuen,  denn  dies 
Stück  Fabrikwaare  ist  kläglich.  Die  Biographien  der  jetzigen  Glieder  des  Hauses 
sind  ganz  nichtssagend,  von  wirklicher  Würdigung  der  Persönlichkeiten  findet  sich 
keine  Spur.  Auf  Einzelheiten  einzugehen  lohnt  nicht,  für  die  Arbeitsweise  das 
eine  Beispiel,  dass  S.  88  die  Kurfürstin  Maria  Josepha  8  Söhne  6  Töchter,  S.  115 
richtig  7  Söhne  7  Töchter  hat. 


I 


Literatur.  167 

welche  selbständige  Thiitigkeit.  S.  3 — 7  druckt  er  mangelhaft  die  oft  ge- 
druckte Urk.  der  Herzöge  Friedrich  und  Wilhelm  von  14-09  ah.  Die 
päpstliche  Bestätigung  erfolgte  nach  seiner  Uebersetzung  durch  ein  Breve 
statt  durch  eine  Bulle,  der  Unterschied  beider  Urkundengattungen  ist  ihm 
also  nicht  bekannt. 

Eine  Gruppe  von  Festschriften  wendet  sich  nicht  einer  einzelnen 
Oertlichkeit  zu,  sondern  betrachtet  die  sächsische  Vergangenheit  unter  Be- 
rücksichtigung des  ganzen  Landes  von  anderen  speziellen  Gesichtspunkten. 

H.  F.  von  Criegeru,  Der  Leumund  der  Sachsen.  Leipzig, 
0.  Spamer.  8°.  106  S.  Die  Idee,  in  Urtheilen  nichtdeutscher  oder  nicht- 
sächsischer Personen  jeden  Standes  aus  alter  und  neuer  Zeit  ein  Bild  von 
Sachsen  zu  geben,  kann  auch  historisches  Interesse  beanspruchen,  voraus- 
gesetzt, dass  der  Verfasser  über  eine  grosse  Belesenheit  verfügt  und  un- 
befangen genug  ist,  Ungünstiges  nicht  zu  unterdrücken.  Abschnitt  1  be- 
handelt das  Land,  das  sich  eines  günstigen  Leumundes  erfreut,  desgl. 
2.  die  Leute;  3.  bespricht  die  Mundart,  4.  die  Frauen,  5.  und  6.  Dresden 
und  Leipzig.  Manchem  werden  die  Citate  aus  Tissots  Reise  ins  Milliarden- 
land Erheiterung  verschaffen;  unseres  Erachtens  thut  C.  damit  diesem  ge- 
schmack-  und  urtheilslosen  Buche,  das  bei  vernünftigen  Franzosen  selbst 
nicht  als  sachverständig  gilt,  zu  viel  Ehre  an.  7.  der  Staat  ist  kurz, 
8.  das  Heer  ausführlich  bedacht.  Die  Dalimilstelle  (S.  54)  geht  nicht  auf 
Kämpfe  König  Johanns  mit  den  Grossen,  sondern  auf  den  Heerzug  der 
Meissner  1310  zur  Unterstützung  Heinrichs  von  Böhmen;  Wilem  Zajic  ist 
eines  der  1)ekanntesten  Mitglieder  des  Herrenstandes,  Wilhelm  Zagjc  von 
Waldek  (von  Hasenburg).  Wariim  C.  nur  den  böhmischen  Dalimil  und 
nicht  dessen  verständlichere  deutsche  Bearbeitung  nennt,  ist  unklar,  und 
als  älteres  Zeugnis  war  das  Chron.  aul.  reg.  (ed.  Loserth  S.  283,  284) 
zu  eitleren.  Welchen  Werth  hat  eine  Stelle  der  Königinhofer  Hs.,  wo  C. 
sie  als  Fälschung  Hankas  kennt?  Ueber  die  Sellnitzer  Schlacht  1438 
(S.  ,5ß)  konnte  er  besser  als  bei  Theobald  sich  in  Schlesingers  Aufsatz 
(Mitth.  d.  Ver.  f.  Gesch.  d.  Deutseh.  in  Böhmen  Bd.  20)  unterrichten.  Der 
letzte  Abschnitt  über  das  Fürstenhaus  befriedigt  wenig,  da  man  Unbe- 
fangenheit vermisst.  Das  Meiste,  was  C.  bietet,  ist  allbekannt;  alles  was 
irgendwie  zur  Charakteristik  beiträgt,  anzuführen,  hätte  ein  dickleibiges 
Werk  mit  vielen  Wiederholungen  ergeben,  aber  grössere  Vollständigkeit 
wäre  doch  zu  erstreben  gewesen.  Um  nur  etwas  anzuführen,  sollten  für 
das  vorige  Jahrhundert  die  Schriften  Friedrichs  d.  Gr.  ausgebeutet  werden ; 
das  Urtheil  eines  solchen  Mannes,  der  Sachsen  genau  kannte,  ist  doch  mehr 
werth,  als  manches  andere  aufgenommene.  Die  Histoire  de  mon  temps 
z.  B.  enthält  bei  der  Charakterisierung  aller  Staaten  (Cap.  l)  einen  zum 
Theil  scharfen,  aber  zutreffenden  Abschnitt  über  den  Kurfürsten,  Brühls 
Verwaltung,  Heer  und  Land.  Auch  in  der  Geschichte  des  siebenjährigen 
Kriegs  von  Archenholtz,  einem  preussischen  Offizier,  wird  die  sächsische 
Armee  und  zwar  gerade  bei  Gelegenheit  des  Unfalls  von  Pirna  sehr  aner- 
kennend beurtheilt. 

Arnold  Gädeke,  Zur  Feier  des  800iährigen  Regierungs- 
jubiläums des  Hauses  Wettin.  Dresden,  von  Zahn  und  Jänsch. 
8".  31  S.  Gädekes  Festrede  im  kgl.  Polytechnikum  zu  Dresden  entrollt 
in  grossen  Umrissen  ein  Bild  von  dem  Entwicklungsgange  Sachsens.  Nicht 


1 68  Literatur. 

ein  unbedingter  Panegyrikus  ist  es  —  eine  Eigenschaft,  die  anderwärts 
oft  unangenehm  auflfallt,  als  hätten  die  betreffenden  Verfasser  gefürchtet, 
sonst  ihre  Loyalität  bezweifelt  zu  sehen  —  sondern  eine  vorurtheilsfreie 
Würdigung  von  Personen  und  Verhältnissen.  Der  Stand  von  Volksbildung, 
Wissenschaft  und  Kunst,  die  Entfaltung  von  Handel  und  Gewerbe,  die  po- 
litische Machtstellung,  alles  wird  in  knappen,  treffenden  Worten  besprochen. 
Gr.  will  nicht  Belehrung  über  die  Hauptereignisse  sächsischer  (leschichte 
spenden;  deren  Kenntnis  setzt  er  voraus;  ihm  kommt  es  darauf  an,  vor 
allem  die  kulturellen  Errungenschaften  und  Fortschritte  dieser  800  Jahre 
darzulegen. 

Die  Eigenart  der  Fürstenschulen.  Zeugnisse  über  die  Be- 
deutung der  Fürstenschulen  für  die  Ausbildung  und  Erziehung  der  Jugend. 
(Herausgegeben  vom  Verein  ehemaliger  Fürstenschüler.)  Dresden,  H.  Morchel. 
S''.  46  S.  Die  drei  vom  Kurfürsten  Moritz  gestifteten  Gelehrtenschulen 
Meissen  (S.  Afra),  Grimma  und  das  jetzt  preussische  Schulplorta,  die  als 
Fürsten-  oder  Landesschulen  bekannt  sind,  nehmen  noch  heute  eine  be- 
sondere Stelhang  unter  den  sächsischen  und  preussischen  Gymnasien  ein. 
Ihr  abgeschlossener  Charakter  als  Alumnate,  die  energische  Betonung  der 
klassischen  Sprachen  (besonders  die  eifrige  Betreibung  der  lateinischen 
Versification),  das  System  der  Beaufsichtigung  und  Belehrung  der  untern 
Schüler  durch  die  obem,  sollen  in  dieser  Schrift  als  noch  lebensfähig  er- 
wiesen werden,  daher  ist  S.  5  — 16  die  Eede  des  Eektors  Wunder  von 
Grimma  über  diesen  Gegenstand  abgedruckt.  Im  2.  Theil  folgt  eine  lange 
Keihe  von  Zeugnissen  über  die  Bedeutung  der  Schulen,  die  meist  aus 
eigenen  Aufzeichnungen  beinihmter  Fürstenschüler  stammen;  es  seien  nui' 
Namen,  wie  Pufendorf,  Paul  Gerhard,  Emesti,  Geliert,  Eabener,  Klopstock, 
Lessing,  Fichte,  Zachariä  von  Lingenthal,  Nitzsch,  L.  Eanke,  Ehrenberg, 
Lepsius  unter  einer  grossen  Zahl  anderer  bedeutender  Männer  hervor- 
gehoben. 

Die  Pflege  derWissenschaften  und  schönen  Künste  durch 
sächsische  Fürsten  und  Fürstinnen,  Dresden,  H.  Hackarath,  8". 
26  S.  Der  ungenannte  Verfasser  bietet  keine  neuen  Ergebnisse,  aber 
seine  kleine  Abhandlung  hebt  sich  unter  andern  oeuvres  de  seconde  main 
günstig  ab  durch  die  gewandte  Art  der  Zusammenfassung  des  weitschich- 
tigen Stoffes,  Auf  Einzelheiten  geht  er  nicht  ein,  nur  in  den  Haupt- 
zügen wird  die  Entwicklung  von  Baukunst,  Plastik,  Malerei,  Kunstgewerbe, 
Dichtkunst,  Theater,  Wissenschaft  in  sächsischen  Landen  angeführt,  mar  die 
Haupterscheiniongen  werden  mit  wenigen  Woa-ten  skizziea-t.  Der  Wiener 
Kunsthistoriker,  dessen  bei  dem  Dürerschen  Altarwerk  in  der  Dresdner 
Galerie  rühmend  gedacht  wird  S.  1 2,  schrieb  sich  Thausing.  Die  Sprache 
ist  leider  nicht  frei  von  Mängeln^). 


')  So  S.  8 :  „es  bemächtigte  sich  auch  den  übrigen  Künsten  (!)  eine  freiere 
Richtung",  S.  16  „unter  August  überwiegten  (I)  mehr  fi-anzösische  Interessen", 
und  die  neuerdings  so  häufige  Inversion  in  koordinierten  Sätzen  S.  6:  „Die  Re- 
liefs zeugen  von  lebendiger  Erzählungsweise  und  zeichnen  sich  die  Gestalten 
durch  reiche  Gewandung  aus",  S.  16  :  „Das  Gesangbuch  war  Johann  Georg  II. 
besonders  lieb  und  benutzte  er  es  vielfach  zu  Geschenken".  Das  gleiche  findet 
sich  auch  bei  Holzhaus,  so  S.  7 :  „gegen  4000  Friesen  wurden  getötet  und  gelang 
es  im  Kampfe  dem  Heinrich",  femer  S.  6,  11,  26. 


Literatur.  169 

Paul  Ar  ras,  Bilder  aus  der  sächsischen  Geschichte. 
Leipzig,  Veit  u.  Co.  8".  136  S.  A.  will  zur  Erweckung  und  Belebung 
historischen  Interesses  beitragen  und  stellt  zu  diesem  Zwecke  eine  Anzahl 
von  Quellenstellen  und  ähnlichem  zusammen  (nach  Art  z.  B.  des  brauch- 
baren Quellenbuchs  für  neuere  Geschichte  von  Schilling) ,  Fremdsprach- 
liches in  Uebersetzung,  älteres  Deutsch  in  moderner  Umformung.  Ueber 
die  Ausscheidungen  in  einzelnen  Stücken  soll  nicht  mit  A.  gerechtet  wer- 
den: er  selbst  sagt,  er  habe  absichtlich  nicht  alles  vollständig  gegeben. 
Doch  auch  bei  den  vollständig  gebrachten  Stücken  finden  sich  Abweichungen, 
die  nicht  durch  die  Uebersetzung  oder  Umformung  der  älteren  Sprach- 
wendungen veranlasst  sind,  sondern  sich  als  Ungenauigkeit  herausstellen, 
wie  Nr.  1 4  in  dem  Schreiben  Kurfürst  Friedrichs  II.  betreffs  eines  hussi- 
tischen  Spions ;  Nr.  1  o  Erbhuldigung  Leipzigs  an  Friedrich  den  Jüngeren 
1410  ist  unwichtig ,  hat  keine  Bedeutung  erlangt ,  da  Leipzig  bei  dem 
Stamme  Friedrichs  des  Streitbaren  blieb.  Das  wendische  Vateninser  (Nr.  .52) 
wirkt  mehr  wie  eine  Kuriosität.  Gegen  die  Auswahl  der  Stücke  für  die 
Neuzeit  Hesse  sich  manches  einwenden,  so  ist  Nr.  66  die  Stiftung  der 
goldenen  Amtskette  für  den  Leipziger  Rektor  nicht  von  solcher  Wichtig- 
keit, um  in  einer  Quellenauslese  zustehen:  sollten  ferner  Pei-sonalien  Auf- 
nahme finden,  so  fragt  man  sich,  warum  gerade  Robert  Schumann,  Rietschel, 
Richard  Hartmann,  Ludwig  Richter  herausgegriffen  sind. 

E.  Pfeilschmidt,  Umschau  über  die  Fürstendenkmäler 
des  Hauses  Wettin.  Dresden,  Albanus.  8*^.  23  S.  Die  kurze  Zu- 
sammenstellung ist  ohne  geschichtlichen  und  kunstgeschichtlichen  Werth: 
der  Verfasser  will  auch  Gedenksteine  und  hervorragende  Büsten  berück- 
sichtigen, aber  in  letzter  Hinsicht  dürfte  Vollständigkeit  schwer  eiTeichbar 
sein;  hier  ist  sie  nicht  erreicht.  Es  hat  auch  keinen  höheren  Zweck, 
jeden  Steinblock,  der  an  ein  Jagdabenteuer  oder  eine  flüchtige  Durchreise 
erinnert,  zu  beschreiben.  Eine  künstlerische  Würdigung  wichtiger  Denk- 
mäler findet  nicht  statt,  nicht  einmal  auf  die  bezügliche  Literatur  ist  hin- 
gewiesen ^). 

J.  Bloch  witz,  Die  Wettiner  und  ihre  Länder  ( in  der  Schrift 
des  Dresdner  Festausschusses  :  Die  8 00  jährige  Wettiner-Jubelfeier.  Dresden, 
Albanus,  quer  4",  59  S.  21  Taf.).  Bl.  betrachtet  erst  den  Entwicklungs- 
gang des  Fürstengeschlechts  mit  Bezug  auf  die  Wandlungen  des  Besitz- 
standes und  darauf  die  einzelnen  Hen'schaftsgebiete  im  Anschluss  an  das 
alte  kursächsische  Wappen ;  es  sind  stets  nur  einige  Bemerkungen  geboten, 
um  zu  erklären,  wann  und  auf  welche  Weise  jedes  Gebiet  an  die  Wettiner 
kam  bez.  ihnen  verloren  ging,  tmd  dabei  sind  auch  die  Landansprüche  der 
Wettiner,  soweit  sie  im  Titel  und  Wappen  Ausdruck  fanden,  mit  berück- 
sichtigt. Um  einige  Mängel  zu  berichtigen,  sei  zu  S.  7  daran  erinnert, 
dass  Rudolf,  Adolf,  Albrecht  und  auch  Heinrich  VII.  zu  der  Zeit,  wo  von 
ihm  hier  die  Rede  ist,  nicht  Kaiser,  sondern  nur  Könige  waren.  Die  Neu- 
ordnung der  Beziehungen  der  Wettiner    zum  Reiche    ist  S.  8  unklar  dar- 


')  Das  Landeskomite  für  En-ichtung  des  König-Johann-Denkmals  hat  heraus- 
gegeben :  Das  Landesdenkmal  zu  Ehren  des  Königs  Johann  von  Sachsen  errichtet  in 
Dresden  1889.  Dresden,  Blochmann  und  Sohn.  4».  22  S.  Erst  wird  die  Ent- 
stehung des  Denkmals  beschrieben,  S.  19—22  folgt  oine  Erklärung  des  Werkes 
von  dem  Meister  Jobannes  Schilling  selbst. 


170  Literatur. 

gestellt.  Johann  von  T-uxemhurg  war  keineswegs  schon  im  wirklichen 
Besitz  «les  Viöhniischen  Thrones,  sondern  um  die  Erwerbung  und  Behaup- 
tung zu  erleichtern,  sah  er  sich  als  Keichsvikar  veranlasst,  die  Wettiner 
durch  Zugestehung  der  Erbansprüche  aufMeissen  und  Thüringen  von  seinen 
Feinden  abzuziehen.  Ausser  Herzog  Karl  S,  :i\  war  noch  ein  wenn  auch 
unebenbüi-tiger  Wettiner  Herzog  von  Kurland:  Moritz,  der  Marschall  von 
Sachsen.  S.  34 — 41  stehen  Regentenlisten  mit  genauen  Angaben  über 
Geburt,  Regierung  und  Tod,  über  die  Uemahlinnen  und  Kinder.  Wenn 
aber  S.  35  sogar  die  Kachkommenschaft  von  Albrechts  II.  Bastard  Apitz 
aufgeführt  wurde,  dui-fte  ebenda  Friedrich  ohne  Land,  der  Sohn  Heinrichs, 
des  legitimen  ältesten  Sohnes  Albrechts,  nicht  fehlen,  der  bis  1314  in 
Schlesien  lebte.  Den.  Schluss  bilden  Stammtafeln  der  Wettiner.  Bl.'s  Ab- 
handlung verarbeitet  die  Ergebnisse  der  neueren  zuveiiässigen  Arbeiten 
ül)er  sächsische  Territorialgeschichte;  er  hat  seine  Quellen  (meist  ohne  sie 
zu  nennen)  in  geschickter,  Sachkenntnis  verrathender  Weise  benutzt '^). 

.Von  Hilfsdisciplinen  der  Geschichte  ist  die  Landeskunde  mit  werth- 
vollen  Arbeiten  vertreten: 

P.  E.  Richter,  L  i  1 1  e  r  a  t  u  r  der  Landes-  und  Volkskunde 
des  Königreichs  Sachsen  (herausg.  v.  Ver.  f.  Erdkunde  zu  Dresden). 
Dresden,  A.  Huhle.  8''.  VI  u.  308  S.  Richters  Buch  ist  eine  hochver- 
dienstliche Publikation,  da  seit  Weinarts  ähnlichen  Arbeiten  eine  fast  über- 
reiche Literatur  auf  diesem  Gebiete  entstanden  ist,  die  ein  Repertorium 
nöthig  machte.  Die  Anregung  ging  von  der  Centralkommission  für  wissen- 
schaftliche Landeskunde  von  Deutschland  aus:  eine  Anzahl  von  Dresdner 
Gelehrten  sammelte  den  Stoff,  dessen  Zusammenstellung,  Verbesserung  und 
Ergänzung  dem  durch  bibliographische  Arbeiten  bekannten  Bibliothekar 
der  kgl.  öffentlichen  Bibliothek  zu  Dresden  zufiel.  Als  Plan  hatten  die 
von    der    Centralkommission    gegebeneu    Normalbestimmungen    zu    gelten: 

1.  Bibliographie  der  Landeskunde  und  Litteratur  und  Geschichte  derselben. 

2.  Landesvermessung,  Karten,  Pläne  und  Ansichten  (chronologisch  geord- 
net), 3.  Gesammtdarstellungen  und  Reisewerke  über  das  ganze  Gebiet 
(chronoL),  4.  Landesnatur,  5.  Bewohner,  6.  Landeskunde  einzelner  Bezirke 
und  Ortschaftskunde.  Die  chronologische  Anordnung  der  Schriften  nach 
der  Zeit  ihres  Erscheinens  würde  für  das  Auffinden  beschwerlich  sein, 
doch  ein  sehr  sorgfältiges  Register  macht  die  Benützung  bequem.  Dass 
das  Buch  trotz  der  grossen  darauf  verwandten  Mühe  noch  lückenhaft  ist, 
ist  leicht  begreiflich,  und  der  Verfasser  selbst  wäre  wohl  der  Letzte,  der 
sich  das  verhehlte;  solche  umfängliche  Repertorien  können  nur  allmählich 
mehr  und  mehr  vervollkonminet  werden,  und  das  ist  ja  auch  von  diesem 
Buche  zu  erwarten.  Dennoch  ist  mit  unumwundenem  Lobe  anzuerkennen, 
dass  es  schon  jetzt  sehr  werthvoU  und  für  Arbeiten  in  sächsischer  Landes- 
kunde ein  unentbehrlicher  Führer  ist.  Eine  längere  Reihe  von  Ergän- 
zungen hier  aufzuzählen,  verbietet  der  Raum,  nur  einige  aber  herauszu- 
greifen, hätte  wenig  Wei-th.  weshalb  ich  davon  absehe.  Hoffentlich  erfahrt 
das  trotzdem  höchst  nützliche  Buch  bald  eine  ergänzende  Neubearbeitung 
ilurch  seinen  besonders  dazu  berufenen  Verfasser. 


')  An  den  Aufsatz  schliessen  sich  S.  43  f.  Angaben  über  das  Wettinfest 
nebst  recht  mittelmässigen  Skizzen  des  Festziigs ;  in  emem  Nachtrag  „Die  Wettin- 
foier  in  Dresden"  Ib"  S.  6  Taf.  beschreibt  Blochwitz  den  Festverlauf. 


\ 


Literatur.  171 

Sophus  Rüge,  Die  erste  Landesvermessung  des  Kuv- 
staates  Sachs en  auf  Befehl  des  Kurfürsten  Christian  L  ausgeführt  von 
Mathias  Oeder  1586—1607  (herausg.  v.  d.  Direktion  des  K.  S.  Haupt- 
staatsarchivs). Dresden,  Stengel  u.  Markert.  fol.  4  S.  Einleitung,  1  7  Taf. 
in  Lichtdruck.  In  der  Entstehungszeit  dieses  Kartenwerks  verfolgte  man 
bei  Landesaufnahmen  nicht  wie  heute  vorwiegend  wissenschaftliche,  son- 
dern rein  praktische  Zwecke.  Die  Karte  sollte  Verwaltungs-  und  Wirth- 
schaftszwecken  dienen ;  deshalb  verzeichnete  man  ein  möglichst  getreues 
Bild  der  Oberfläche  des  Landes ,  gab  an ,  wem  ein  Gebiet  gehöre ,  die 
Grenzen  der  Güter,  besondere  Baulichkeiten  u.  s.  w.  Die  Schwierigkeiten 
der  Aufnahmen  waren  ganz  ausserordentlich,  da  von  Verwendung  der 
Triangulation  noch  keine  Rede  sein  konnte;  auch  Oeder  hat  nur  mit  Qua- 
drant, Kompass  und  Kette  gearbeitet.  Bereits  unter  Kurfürst  August 
waren  1560  der  Leipziger  Professor  Humelius  und  1562 — 15 70  der  Mark- 
scheider Georg  Oeder  mit  Aufnahmen  betraut;  seit  1586  war  Mathias  Oeder, 
Markscheider  zu  Freiberg,  damit  beschäftigt.  Von  seinem  Werke  liegt  das 
Original  und  eine  gleichzeitige  Copie  von  Balthasar  Zimmermann  im  Dresdner 
Hauptstaatsarchiv.  Christian  1.  nennt  es  1586  »eine  Mappe  unsers  ganzen 
Landesumkreiss«,  anderwärts  heisst  es  »Lanttaffel  oder  Mappe«,  auch  »Ge- 
nerallandmappe«. An  der  Hand  von  Urkunden  verfolgt  R.  die  Angelegen- 
heit bis  1607;  die  schwierige,  durch  mancherlei  aufgehaltene  Arbeit  war 
nicht  ganz  vollendet,  als  Oeder  starb.  Die  Nachbildung  ist  nach  der  ge- 
nauen, gegen  das  Original  um  das  Vierfache  verkleinerten  Copie  gemacht, 
die  mehrere  Nachträge  und  auf  Besitzwechsel  bezügliche  Aenderungen  auf- 
weist. Die  Ausführung  ist  farbig  mit  Flächenkoloril  für  die  einzelnen 
Herrschaftsgebiete.  Die  Bodengestalt  ist  spärlich  angegeben,  die  Bewässerung 
dagegen  sehr  sorgfältig,  vor  allem  ist  die  Genauigkeit  des  Flussnetzes  zu 
rühmen.  Die  verschiedenen  Arten  von  Mühlen  nebst  Zahl  ihrer  Gänge, 
Weinberge  sind  bezeichnet,  bei  Dörfern  Besitzer,  Gerichtsbarkeit,  Zahl  der 
Bauern  oder  Häusler  angemerkt.  Die  Karten  bieten  also  kultur-  und 
lämiliengeschichtlich  ein  reiches  Material.  Die  Copie  ist  in  einzelne  Blätter 
zerschnitten:  davon  sind  die  Sectionen  1 — 8,  Provinz  Sachsen  und  Theile 
von  Thüringen,  hier  nicht  wiedergegeben,  sondern  mar  die  das  Königreich 
betreffenden  Blätter.  Was  nicht  lesbar  war  (die  Copie  weist  Spuren  häutiger 
Benützung  auf)  hat  R.  nach  dem  Original  oder  andern  gleichzeitigen  Zeich- 
nungen des  Archivs  vervollständigt.  Es  fehlen  Theile  des  Muldengebiets, 
das  ganze  Gebiet  der  Zschopau,  der  Zwickauer  Mulde,  das  Vogtland;  das 
übi-ige  ist  auf  1 7  Sectionen  vorhanden.  Ein  vollständiges  Namensverzeichnis 
aller  Lokalitäten  wäre  eine  wohl  zu  umfängliche  Arbeit  gewoi'den,  doch 
ein  Verzeichnis  wenigstens  der  Ortschaften  oder  grösseren  Ansiedlungen 
wäre  dankenswerth  gewesen  (z.  B.  zur  Ermittlung  von  später  verschwun- 
denen Ortschaften) :  Randziffern  und  Buchstaben  hätten  die  Auffindung  eines 
Namens  in  dem  damit  bestimmten  Quadrat  des  betreffenden  Blattes  sehr 
leicht  gemacht. 

Hugo  Friedemann.  Das  Königreich  Sachsen.  Vaterlands- 
kunde. Dresden,  A.  Huhle.  8*^.  228  S.  F.  handelt  über  die  ältesten 
Bewohner ,  Allgemeines ,  orographische  Verhältnisse  (Elster-,  Erz-,  Eib- 
sandstein- ,  Lausitzergebirge ,  Tiefland) ,  hydrographische  Verhältnisse, 
Meteorologisches,  Fauna,  Flora,  Mineralien,  Industrie,  Handel,  Schulbildung, 


172  Literatur. 

Vei-fassung  und  als  letzten  Haupttheil  die  topographische  Beschreibung 
der  4  Kreishauptmannschaften.  Das  Buch  ist  allzu  scharf  beurtheilt 
worden  von  Rüge  (Dresdner  Anzeiger  1.  9.  1889);  mit  den  stattlichen, 
amtlich  veranstalteten  Landeskunden  der  süddeutschen  Staaten  ist  aber 
diese  bescheidenere  Leistung  eines  Einzelnen  schlechterdings  nicht  zu 
vergleichen.  Eine  grosse  Anzahl  Mängel  und  Fehler  sind  unleugbar  zu 
rügen:  einige  hat  Rüge  aufgezählt  und  eine  Auslese  aus  der  grossen 
Zahl,  die  mir  aufgestossen  sind,  gebe  ich  hier.  S.  1 3  „Im  thüringischen 
Kriege  1293(!) — 1315(!)  hausten  die  Schaaren  Kaiser  (!)  Adolfs  im 
Lande";  S.  145  „1216  wird  Dresden  Stadt",  das  Anfangsjahr  ist  jedoch 
unbestimmbar,  1216  erscheint  es  schon  als  Stadt:  zu  S.  145  „12  70 
wird  Dresden  Residenz«,  ib.  1452  »erste  urkundliche  Envähnung  der 
Kreuzschule«  und  S.  147  »Pirna  1249  als  Heirathsgut  an  Heinrich  den 
Erlauchten«  vgl.  das  oben  bei  Stöhrs  Buch  darüber  Bemerkte:  S.  152 
»Meissen  922 — 930  vom  Kaiser  (!)  Heinrich  L  erbaut«,  statt  »um  928«, 
sicher  nicht  vor  diesem  Jahre ;  »1127  dui'ch  Konrad  an  die  Wettiner«(!); 
neben  der  neuen  S.  Bennokirche  sollte  die  ungleich  wichtigere  neue 
Fürstenschule  nicht  fehlen.  S.  160  Grossenhain  wird  (von  Grvozdec  abge- 
sehen) zuerst  1197,  1205,  1207  ei-wähnt.  S.  161  bei  Lauenstein  war 
das  Altai-werk  und  die  Bünau'sche  Grabkapelle  unbedingt  zu  nennen,  da 
sie  zu  den  berähmtesten  Werken  der  Bildhauerkunst  ssec.  XVI  ex. — XVII. 
in  Sachsen,  ja  in  Deutschland  gehören.  S.  168  »Freiberg  1175  ge- 
gründet«, das  Jahr  ist  gar  nicht  bestimmbar;  Alisiedlungen  bestanden 
schon  vor  1162,  von  einer  »Stadt«  kann  aber  erst  zwischen  1185 — 1190 
die  Rede  sein.  Es  wui'de  nicht  1297,  sondern  1296  von  König  Adolf 
erobert.  S.  169:  Saida  und  Purschenstein  (fi-üher  übrigens  Borsenstein) 
war  im  13.  Jahrh.  meissnisch,  kam  1300  wieder  an  Böhmen.  Nicht  für 
möglich  hält  man  die  Worte  S.  175  »Neustadt  am  Schi-eckenberge,  später 
1501  durch  Kaiser  (!)  Maximilian  St.  Annaberg  nach  der  Kui-fürstin 
Anna  (ü)  genannt«.  Bei  Colditz  S.  210  war  als  Besitzer  das  mächtige 
Herrengeschlecht  zu  envähnen  und  dass  die  HeiTSchaft  unter  Karl  IV. 
böhmisches  Lehen  wui-de.  S,  221:  der  Bautzner  Dekan  von  St.  Peter  ist 
nicht  » Bischof  von  Sachsen « ;  diese  Titulatur  hat  es  nie  gegeben ;  seit 
1763  besteht  in  Sachsen  ein  apostolisches  Vikariat,  von  dessen  Inhabern 
die  meisten  zugleich  zu  Bischöfen  in  partibus  infidelium  ernannt  wm-den 
(von  Argia,  Pella,  Rama,  Corycus.  Azotus.  Cucusus)  und  auch  das  Dekanat 
zu  St.  Peter  bekleideten.  lieber  die  kirchliche  Eintheilung  und  Ver- 
waltung, überhaupt  über  die  Religionsverhältnisse  in  Sachsen  musste 
mehr  gesagt  werden.  —  Die  zusammenhängenden,  darstellenden  Abschnitte 
sind  fi*isch  und  anschaulich  geschrieben,  mit  sichtlicher  Liebe  zum  Gegen- 
stande, die  auch  den  Leser  angenehm  berührt:  besonders  sind  in  dieser 
Hinsicht  die  Schilderungen  von  Land  und  Leuten,  von  Sitte,  Lebensweise, 
Sprache  u.  s.  w.  hervorzuheben,  so  über  das  Erzgebirge,  das  Vogtland, 
die  Heide  u.  a.  (S.  8,    16,   21,   36,    158).^) 


'j  Für  äusserst  bescheidne  Ausprüchf  berechnet  ist  die  dürftige  Landes- 
kunde vom  Königreich  Sachsen  von  F.  U.  Metzner.  Langensalza,  Beyer  u.  S. 
8°.  V  u.  69  S.  1  Karte,  Historische  Verstösse  mangeln  nicht,  so  geschah  nach 
S.  20  die  Erwerbung  des  Pleissnerlandes  im  Jahre  1230. 


Literatur.  173 

Von  andei'en  Hilfswissenschaften  wird  am  stattlichsten  die  Diplomatik 
repräsentirt :  ^) 

Otto  Posse,  Die  Hausgesetze  der  Wettine r  bis  zum 
Jahre  1480  (Festgabe  der  Eedaktion  des  Cod.  dipl.  Saxoniae  regise). 
109  Taf.  in  Lichtdruck.  Leipzig,  Literarische  Gesellschaft  (Vorhauers 
Nachf.).  Fol.  Der  Begriff  Hausgesetze  ist  hier  in  der  Bestimmung 
Zachariäs  (Deutsches  Staats-  und  Bundesrecht)  gefasst;  es  sind  demgemäss 
aufgenommen  Familienverträge ,  Erbverbrüderungen ,  Theilungsrezesse, 
Testamente,  Lehnbriefe  und  Eeichsgesetze,  die  für  die  Hausverfassung  der 
Wettiner  und  die  Greschichte  ihrer  Länder  von  Einfluss  waren ;  von  fürst- 
lichen Ehepakten  sind  nur  einige  wichtigere  ausgewählt,  da  P.  die  gi'osse 
Menge  der  übrigen  in  einem  Spezialwerke  herauszugeben  gedenkt.  Der 
Einleitung  und  genauen  Inhaltsverzeichnissen  folgt  auf  .58  S.  ein  historischer 
Ueberblick,  um  den  Zusammenhang  darzulegen,  in  welchen  die  einzelnen 
Stücke  gehören.  Den  Haupttheil  bilden  die  Tafeln.  P.  hat  sich  im  Hofe 
des  Albertinums ,  des  neuen  Archivgebäudes  in  Dresden,  eine  photo- 
graphische Anstalt  eingerichtet ;  daher  sind  die  Photographien  mit  höchster 
Sorgfalt  ausgeführt,  sodass  die  darnach  gefertigten  Lichtdrucke  ausge- 
zeichnet gerathen  konnten.  Es  ist  denn  auch  ein  palaeographisches  Pracht- 
werk geschaffen  worden.  Nachgebildet  (meist  in  Originalgrösse,  einige 
verkleinert)  sind  2  Stücke  aus  dem  Dresdner  Thietmar-Codex  (fol.  120, 
164),  1  aus  einem  Dresdner  Copialbuch  saec.  XIV.  und  94  Urkunden 
von  dem  Diplom  Kaiser  Heinrichs  IV.  14.  2.  1090  (das  den  ersten 
wettinischen  Markgrafen  von  Meissen  nennt)  bis  zum  Naumburger  Schied 
25.  6.  1486.  Zahlreich  sind  deutsche  Königs-  und  Kaisenirkunden  ver- 
treten und  da  gerade  diese  von  besonderem  Interesse  für  die  Diplomatik 
sind,  sollen  sie  hier  mit  angeführt  werden:  Taf.  2  Heinrich  IV.  14.  2. 
1090;  Taf.  3  Friedrich  I.  1174  Bestätigung  der  Erbtheilung  Markgraf 
Konrads;  4  Friedrich  II.  Sept.  1227  Eventualbelehnung  mit  Meissen; 
5  Friedrich  IL  30.  6.  1242  Eventualbelehnung  mit  Thüringen;  9a  Rudolf  I. 
4.  1.  1278  Erbfähigerklärung  Friedrichs  von  Dresden;  13b  Rudolf  I. 
31.  8.  1290  Belehnung  Kursachsens  mit  Brehna  und  Wettin;  22a  König 
Johann  von  Bölimen  als  Reichsvikar  19.  12.  1310  Bestätigung  der 
wettinischen  Lande;  23  Ludwig  der  Bayer  23.  6.  1329  Bestätigung  des 
Erbvertrags  mit  Hessen;  25  Karl  IV.  6.  2.  1350  Gesammtbelehnung ; 
26  Karl  IV.  16.  2.  1350  Belehnung  mit  Eisenberg  und  Torgau,  oberstem 
Gericht  und  Eeichsjägermeisteramt ;  27  dsgl.  17.  2.  1350  Bestätigung 
der  Rechte  und  Privilegien;  28  dsgL  17.  2.  1350  Eventualbelehnung  mit 
den  fränkischen  Landen;  29  dsgl.  IS.  2.  1350  Belehnung  mit  Pfalz 
Lauchstädt;  31a  dsgl.  4.  12.  1355  Privilegienbestätigung;  31  b  dsgl. 
29.  12.  1355  sächsische  Successionsordnung ;  33  dsgl.  27.  12.  1356 
sächsische  goldene  Bulle;  37  dsgL  25.  11.  1372  Erbeinigung  mit  Böhmen ; 
39  dsgl.  13.  12.  1373  Bestätigung  der  Erbverbrüderung  mit  Hessen; 
41  dsgL  10.  6.  1376  sächsische  goldene  Bulle ;  46  Wenzel  11.  10.  1383 
Gesammtbelehnung;  [61  Siegmund  19.  7.  1420  Gesammtbelehnung, 
Notariatsinstrument   vom    19.    4.    1437];    62 — 64  Siegmund   6.    1.    1423, 


')  Einzelne  Facs.  von  Ui-k.  werden  mehrfach  geboten,  so  bei  Kümmel,  Mennel, 
Donadini,  Loobe,  s.  oben  u.  im  folg. 


174 


Literatur. 


1.  S.  142;"),  14.  S.  142(i  Belehnung  mit  Kur  und  Herzogthum  Sachsen; 
CT  Siegmund  28-  7.  1434  Bestätigung  der  Erbverbrüderung  mit  Hessen ; 
88  Friedrich  III.  29.  6.  1465  Privilegienbestätigung;  108  Friedrich  111. 
24.  2.  1 486  Gesammtbelehnung  und  Erbtheilungsbestätigung.  Auch  böhmische 
Könige  sind  vertreten  (so  86  Georg  von  Podebrad  1459,  89  Wladislaw 
1482);  von  sächsischen  Schriftstücken  seien  nur  die  beiden  Theilungs- 
vertrüge    vom    10.    9.    1445    (Taf.    74 — 79)    und  vom  26.   8.    1485    (Taf. 

93 107)  hervorgehoben.     Zu  dem  reichen  Stoffe  haben  die  Archive  von 

Dresden,  Weimar,  Altenburg,  Wien  (aus  dem  k.  k.  H.  H.  u.  St.-Archiv 
die  interessanten  Concepte  des  Vertrags  zwischen  Meissen  und  Böluuen, 
die  Eef.  im  N.  Arch.  f.  Sachs.  Gesch.  X.  veröffentlicht  hat,  auf  Taf.  21, 
der  Vertrag  vom  1.  9.  1307  auf  Taf.  19a),  München  und  Pisa  beigesteuert. 
Das  Werk  ist  für  den  Historiker  (verschiedene  Urk.  sind  noch  ungedruckt) 
wie  besonders  für  den  Diplomatiker  und  Palaeographen  von  Werth,  leider 
wird  sein  der  glänzenden  Ausführung  durch  die  Officin  von  Stengel  und  Mar- 
kert  angemessener  hoher  Preis  der  Benützung  hinderlich  sein,  da  dersell)e 
nur  grossen  Bibliotheken  die  Anschaffung  ermöglicht,  so  dass  man  daraus 
fast  dem  Herausgeber  einen  Vorwurf  machen  möchte. 

Die  Genealogie  hat  ihren  Vertreter  gefunden  in: 
Gg.  Eberh.  Hofmeister,  Das  Haus  Wettin  von  seinem  Ur- 
sprünge bis  zur  neuesten  Zeit  in  allen  seinen  Haupt-  und  Neben- 
linien   nebst    einer    genealogischen    Uebersicht    der,. alten    Markgrafen    von 
Meissen,  der  alten  Herzöge  von  Sachsen  bis  zum  J.  1423,  der  alten  Land- 
grafen von  Thüringen  bis  zum  J.    1247.     Leipzig,  0.  Spamer.     Fol.    XIII 
u.   21    S.     H.  schickt  eine  kurze  Einleitung  über  die  Gelangung  der  Wet- 
tiner  zur  Herrschaft    voraus.     Die  Stammtafeln    geben    die  alten  Sachsen- 
herzöge bis  zur  Verleihung  der  sächsischen  Kur   an  die  Wettiner  (Liudol- 
tinger,  Billunger,  Supplinburger,  Weifen,  Askanier),  die  Thüringer  Landgrafen 
bis    zum  Anfall    der  Landgrafschaft    an  Meissen,    die  Meissner  Markgrafen 
(Ekkehardiner,  Orlamünder,  Brunonen,  Groitscher) ;  dann  kommt  die  eigent- 
liche Aufgabe :  die  Genealogie  der  Wettiner  in  grösstmöglicher  Genauigkeit 
und  Vollständigkeit.     Die  Tafeln  verrathen  ausserordentlichen  Fleiss;  ihre 
Anordnung   ist   übersichtlich.      H.   nimmt    sämmtliche  Glieder    auf,    giebt, 
soweit  es  möglich,    für  jedes  genaue  Geburts-,    Vermählungs-   und  Todes- 
daten, fügt  aber  —  und  darin  besteht  noch  ein  besonderer  Werth  dieser 
Tafeln    —    eingehende   Angaben    über    die    territorialen    Verhältnisse,    die 
häufigen  Gebietszersplitterungen  und  Besitzverschiebungen  hinzu.    Wie  weit- 
verzweigt gerade  die  Wettiner  waren,  dafür  als  Beispiel  nur  die  eine  That- 
sache,    dass  es  Haupt-  und  Nebenlinien   1690  nicht  weniger    als   19   gab. 
Den  Schluss  bilden  die  Herrscherhäuser  von  Belgien,  Portugal  und  Gross- 
britannien,   die  auf  Sachsen -Coburg  zurückgehen.     Dass  in  einem  so  um- 
fassenden Werke  mit  einer  derartigen  Menge  von  Daten  und  Angaben  sich 
da  und  dort  kleine  Mängel  finden,  vermag  den  Werth  nicht  zu  beeinträch- 
tigen.    Taf.   5  fragt  man  sich,    warum  bei  Sophie,    der  Tochter  Markgral' 
Dietrichs  von  Landsberg,  nicht  erwähnt  ist  —  was  doch  gerade  auch  von 
allgemeinerem  Interesse  ist  —  dass  sie  mit  Konradin  verlobt  und  formell 
vermählt  war  (s.  Wegele  Friedr.  d.  Freidige  S.   9  1,   349,  Ficker  in  dieser 
Zeitschrift  IV,  4)    und    dann    den    Herzog  Conrad    von  Glogau    heirathete. 
Apitz    oder    Albrecbt,    Landgraf  Albrechts  11.    Sohn    von    Kunigunde    von 


Literatur.  175 

Eisenberg,  starb  nicht  »um  1297«,  tla  er  (nach  Wegele  a.  a.  0.  13G  f., 
257)  noch  1298,  1300,  1301  urkundlich  vorkommt,  1306  war  er  schon 
gestorben.  Als  erfreulich  ist  auch  die  würdige  Ausstattung  in  Papier 
und  Druck  zu  bezeichnen. 

Die  Heraldik  ist  mehrfach  nebenbei  berücksichtigt  worden ;  zahl- 
reichen Schriften  sind  wie  Stammbäume,  so  auch  Wappenabbildungen  bei- 
gegeben (bei  Kämmel,  Blochwitz,  Donadini  u.  a,). 

D.  Freiherr  von  Biedermann,  Die  Wappen  der  Stamm- 
lande und  Herrschaften  d es  Wettiner  Fürstenhauses.  Leipzig, 
M.  Euhl.  8".  5  S.  u.  1  Taf.  fol.  Der  erläuternde  Text  enthält  trotz  seiner 
Knappheit  mehrere  Fehler.  Zu  Nr.  ]:  nicht  1244,  sondern  1247  kam 
Thüringen  an  die  Wettiner;  Nr.  9 :  »Pfalz-Sachsen  erhielten  die  Kurfürsten 
1423  verliehen«  erweckt  die  Ansicht,  als  handle  es  sich  um  eine  ganz 
neue  Ervv^erbung:  thatsächlich  war  aber  schon  Heinrich  der  Erlauchte  und 
seine  Nachfolger  Pfalzgrafen  von  Sachsen,  bis  im  14.  Jahrh.  Titel  und 
Land  verloren  ging,  aber  theilweise  schon  1347,  der  Rest  1423  zurück- 
kam. Nr.  1 4 :  Pleissnerland  erhielt  Albrecht  nicht  vom  Kaiser  Friedrich  II. 
als  Mitgift  selbst,  es  wurde  ihm  nur  für  die  Mitgift  verpfändet;  erst  unter 
Ludwig  dem  Bayern  verstummt  der  Anspruch  des  Reichs  auf  diese  Ge- 
biete, die  immer  mehr  mit  Pfandschaften  belastet  worden  vi^aren.  Zu 
Nr.  1 8 :  Altenburg  sei  nach  Johann  Friedrichs  Aechtung  nicht  v^irklich  in 
Besitz  der  Albertiner  gekommen,  ist  zu  bemerken,  dass  es  thatsächlich  in 
deren  Besitz  war;  erst  15  54  gab  es  August  den  Ernestinern  zurück.  Die 
76  kleinen  Wappenbilder  sind  sauber  ausgeführt.  Nr.  62:  Herrschaft 
Colditz  hat  als  Helmkleinode  einen  Vogelflug  und  ein  Hörn  (so  stellt  es 
auch  ilie  Abbildung  der  Krubsacius'schen  Sammlung,  Msc.  Dresd.  J.  54 
fol.  7  5  und  237,  die  Ref.  eingesehen  hat,  dar),  auf  einem  Siegel  eines  der 
berühmtesten  Mitglieder  dieses  Geschlechts,  des  unter  Karl  IV.  hervor- 
tretenden Thimo  von  Colditz  (an  einer  Urk.  Thimos  im  H.  H.  u.  St.-Archiv 
Wien),  erscheint .  statt  des  Flügels  ein  Geweih. 

Auch  die  Kunstgeschichte  ist  nicht  leer  ausgegangen : 

E.  A.  Donadini,  Das  goldene  Buch  oder  accurate  Abbil- 
dungen der  w e i t b e r ü h m t e n  f ü r t r e f f  1  i c h e n  Sächsischen  Für- 
sten nach  Lukas  Cranach  .  .  .  etc.  Dresden,  W.  Hoffmann.  Schmal- 
fol.  22  Taf.  Don.  giebt  auf  20  Tafeln  (auch  Titel  und  Schlussblatt  sind 
künstlerisch  ausgestattet)  die  Nachbildungen  der  Bilder  von  Wettinern  in 
ganzer  Figur  von  Heinrich  I.  von  Eilenburg  bis  zu  Johann  Friedrich  dem 
Mittleren,  jedoch  nicht  alle;  es  fehlen  manche  wichtige,  während  andere 
unbedenklich  wregbleiben  konnten.  Porträtwerth  haben  nur  einige  der 
späteren  Bilder  und  selbst  diese  nicht  unbedingt.  Die  Bezeichnung  »nacli 
L.  Cranach«  ist  einerseits  sehr  unbestimmt  (es  ist  nicht  einmal  gesagt, 
welcher  L.  Cranach,  und  dann  auch  nicht,  nach  welchen  Originalen),  anderer- 
seits sehr  kühn,  da  selbst  für  die  späteren  Bilder  Cranachs  Urheberschaft  niclit 
sicher  ist.  Die  Vorlage  ist  das  unter  Cranachs  des  Aelteren  Namen  gehende 
Sächsische  Stammbuch,  Msc.  Dresd.  E.  3,  das  alle  geschichtlich  bezeugten, 
wie  sagenhaften  sächsischen  Fürsten  nebst  ihrer  Familie  vorführt.  Die 
Reproduktion  ist  in  der  Hauptsache  gelungen ;  nicht  oder  doch  nicht  ganz 
getreu  wiedergegeben  sind  die  Gesichter  von  Koni'ad,  Friedrich  dem  Frei- 
digen,   Albrecht  dem  Beherzten,    Georgs   Sohn  Friedrich,   Moritz.     Auch  in 


J76  Literatur. 

den  Reimen,  die  zu  Häupten  jeder  Person  stehen,  finden  sich  Abweichungen: 
bisweilen  scheint  D.  aus  allzugrosser  Aengstlichkeit  einige  Zeilen  unter- 
drückt zu  haben,  da  er  sie  wohl  für  zu  freimüthig  für  eine  Festschrift 
hielt,  so  bei  Albrecht  dem  Stolzen  4  Zeilen  über  den  Krieg  gegen  den 
Vater  (im  Codex  fol.  65),  ähnlich  bei  Friedrich  dem  Freidigen  (Cod. 
fol.   73  V.)  1). 

Arthur  Mennell,  Goldene  Chronik  der  Wettiner.  Leipzig, 
Literarische  Gesellschaft.  22  S.  u.  138  Taf.  Fol.  Die  Einleitung  zu 
den  Tafeln  giebt  keinen  zusammenhängenden  Text,  sondern  neben  vielen 
loyalen  Redensarten  theils  einzelne  Notizen,  theils  längere  Ausführungen, 
die  dem  Laien  zur  Erklärung  der  Bilder  wenig  oder  gar  nichts  bieten, 
und  dem  Fachmann  ebenso  wenig  nützen,  da  für  denselben  manches 
überflüssig,  anderes  Fehlende  dringend  nöthig  war.  Wollte  der  Verfasser 
keine  umfassende  Erklärung  der  Bilder  geben,  so  empfahl  sich  eine  ein- 
fache Inhaltsübersicht  mit  kui'zer  Angabe,  was  jedes  Bild  darstelle  ohne 
weitere  Erörterung,  aber  mit  genauer  Bezeichnung,  woher  es  stammt. 
Der  jetzige  Text  ist  fast  werthlos.  Trefflich  sind  dagegen  die  von  Stengel 
und  Markert  und  Giesecke  und  Devrient  ausgeführten  Reproduktionen,  in 
deren  Anordnung  und  Auswahl  aber  auch  nur  allzu  sehr  historisches 
Verständnis  vermisst  wird.  Das  Buch  ist  nur  ein  interessantes,  präch- 
tiges Bilderbuch,  aber  das  konnte  doch  nicht  bloss  der  Zweck  eines  so 
■  umfänglichen  und  theueren  Werkes  sein.  Unter  den  Nachbildungen  nennen 
wir  Taf.  3  das  schon  oben  erwähnte  Facs.  aus  Thietmar,  Taf.  6  und  7  Siegel 
von  Markgraf  Conrad  bis  zu  König  Albert,  aber  nicht  von  allen  Fürsten,  Taf. 
6  konnten  n.  7  u.  S  die  lieiden  minder  wichtigen  Siegel  der  Grafen  von 
Brehna  wegbleiben,  wofür  man  lieber  einige  mit  Unrecht  weggelassene 
Markgrafen-  und  Kurfürstensiegel  aufgenommen  wünschte.  Taf.  10  giebt 
eine  Anzahl  Münzen  wettinischer  Fürsten,  12  das  Facs.  der  Seite  der 
Manesseschen  Liederhs.  mit  Heiniichs  des  Erlauchten  Bild  und  Minne- 
liedern, 13  Facs.  von  Siegmunds  Urkunde  6.  1.  1423.  Zahkeich  sind 
Porträts  der  Mitglieder  des  Herrscherhauses,  femer  alte  Kai-ten,  Pläne 
und  Ansichten  von  Städten,  Abbildungen  einzelner  Gebäude,  geschichtlich 
werthvoUer  Denkmäler,  Grabstätten  u.  a.  Schade  um  Mühe  und  Kosten  der 
technischen  Herstellung,  wofür  etwas  Brauchbareres  geschaffen  werden  konnte. 

Ernst  Lobe,  Der  Staatshaushalt  des  Königreichs 
Sachsen  in  seinen  verfassungsgeschichtlichen  Beziehvmgen  und  finanziellen 
Leistungen.  Leipzig,  Veit  u.  Co.  s".  Vni  u.  272  S.  Der  Verfasser, 
ein  höherer  Vei-waltungsbeamter,  der  mit  dem  Stoff"  vertraut  ist,  hat  hier- 
mit ein  für  die  Verfassungsgeschichte  seit  der  Konstitution  wichtiges  Buch 
geliefert,  wer-thvoll  für  den  Historiker,  den  Statistiker  und  jeden,  der  be- 
rufen ist,  praktisch  am  Staatsleben  des  Königreiches  in  Beamtenstellung 
oder  als  Mitglied  der  gesetzgebenden  Köi-perschaften  theilzunehmen.  Das 
Hauptgewicht  liegt  auf  der  Darstellung  der  Entwicklung  seit  den  dreissiger 
Jahren  und  gipfelt  in  der  Betrachtung  der  gegenwärtigen  Sachlage;  wo 
es  nöthig  bez.  möglich  ist,  sind  knappe  Bemerkungen  ülier  die  Zeit  vor 
der  Konstitution  vorausgeschickt.     Nach  einander  werden  durchgesprochen : 


')  Nilher  kann  hier  nicht  auf  das  Buch  eingegangen  werden ;  über  die  Vor- 
lage, den  Dresdener  Bilderkodex,  wird  Ref.  im  N.  Arch.  f.  Sachs.  Gesch.  XII  handeln. 


Literatur.  1?7 

Der  Staatshaushalt  und  das  Bewilligungsrecht  der  Land  es  Vertretung,  Staats- 
haushaltsetat, Staatsvermögen  u.  -schulden,  Staatsfiskus,  Beziehungen  zum 
Könige  und  königlichen  Hause ,  Verwaltung  und  Controle  des  Staats- 
haushalts, Finanzlage  der  einzelnen  Zweige  desselben ;  am  Schluss  stehen 
2  Tabellen:  Ueberschüsse  und  Zuschüsse  und  Entwickelung  von  Staats- 
vermögen und  -schulden  1834 — 1885,  zuletzt  ein  sorgfältiges  Sachregister. 
Die  Darstellung  beruht  auf  zuverlässigstem  Material  (Gesetzen,  Landtags- 
akten, ständischen  Schriften,  Rechenschaftsberichten  u.  a.).  Der  sprach- 
liche Ausdruck  bewegt  sich  trotz  aller  Kürze  in  verständlicher  Klarheit, 
was  bei  diesem  Stoffe  doppelt  anerkenuenswerth  ist. 

J.  Tr.  F.  Ulbricht,  Geschichte  der  Königlich  Sächsischen 
Staatseisenbahnen  (herausg.  im  Auftrage  des  K.  S.  Finanzministeriums 
von  der  Generaldirektion  der  Staatseisenbahnen).  Dresden,  C.  Heinrich.  4^. 
147  S.  4  Taf.  Der  Vorstand  des  statistischen  Bureaus  der  Staatseisen- 
bahnen war  die  geeignete  Persönlichkeit  zur  Behandlung  dieses  für  moderne 
Kulturentwicklung  hochwichtigen  Gegenstandes.  Steht  doch  Sachsen,  was 
sein  Eisenbahnnetz  betrifft,  auf  dem  eui'opäischen  Continent  mit  an  erster 
Stelle ;  war  es  doch  Sachsen,  das  zuerst  in  Deutschland  eine  grössere 
Bahnstrecke  schuf:  1837 — 39  die  Leipzig-Dresdner  Eisenbahn.  U.  giebt 
zugleich  also  eine  Jubiläums schriffc  für  das  sächsische  Eisenbahnwesen 
selbst.  Das  Buch,  das  die  einzelnen  Linien,  die  Entwicklung  des  Bahn- 
netzes, Betriebsangelegenheiten  behandelt ,  kann  hier  nicht  weiter  be- 
sprochen werden;  Karten,  graphische  Darstellungen  und  Tabellen  erläutern 
und  ergänzen  den  Text.  Dem  Werth  für  die  neuzeitliche  Kultur-  und 
besonders  Handelsgeschichte  Sachsens  entspricht  die  schöne  Ausstattung^). 

Den  obigen  zahlreichen  Arbeiten  reihen  sich  nun  noch  verschiedene 
Schriften  an  mit  dem  ausgesprochen  populären  Zweck,  einer  Gesammt- 
übersicht  über  die  ganze  sächsische  Geschichte.  Die  Beste  von  ihnen,  die 
deshalb  nicht  in  eine  Klasse  mit  den  übrigen  zusammengeworfen  werden 
darf,  ist  die  von 

0.  Kämmel,  Ein  Gang  durch  die  Geschichte  Sachsens 
und  seiner  Fürsten  (künstlerisch  ausgestattet  von  Historienmaler 
E.  A.  Donadini).  Dresden,  W.  Hoffmann.  Fol.  HO  S.  Was  K.'s 
Schrift  auszeichnet,  ist  die  Betonung  allgemeiner  Gesichtspunkte,  die  Be- 
rücksichtigung des  Zusammenhangs  der  wettinischen  Füi'stengeschichte 
und  der  meissnisch-sächsischen  Ten'itorialgeschichte  mit  der  Reichs-  und 
Universalgeschichte.  Recht  gelungen  sind  die  Ueberblicke  über  innere 
Zustände  (Rechtspflege,  Stellung  der  Fürsten,  der  einzelnen  Stände,  Städte- 
wesen, Wissenschaft  und  Kunst,  Handel  und  Gewerbe)  so  S.  3,  9,  l(j. 
31,  53,  69,  75,  81,  97  u.  f.  Dabei  ist  die  Ausdrucksweise  gewählt  und 
klar,  die  Anordnung  geschickt,  so  dass  dem  Leser,  soweit  dies  bei  der 
gedrängten  Schilderung  möglich  ist,  ein  gutes,  abgerundetes  Bild  der 
betreffenden  Zeit  vor  Augen  steht.  Ueberall  zeigt  sich,  dass  K.  ein  Dar- 
steller ist,   der  mit  echt  historischem  Blick  seinen  Gegenstand  erfasst  und 


')  Noch  eine  zweite  staatliche  Einrichtung  feierte  im  Jubeljahr  ein  eigenes 
Jubiläum :  Sachsen  war  der  erste  Staat ,  der  die  Stenographie  Gabelsbergers 
offiziell  pflegte:  vgl.  hierüber  ,, Festschrift  zur  öOjährigen  Jubelfeier  des  Kgl.  Steno- 
graphischen Instituts  /AI  Dresden'-.     Dresden,  JVleiuhukl  u.  S.  8".  SU  8.   14  Taf. 

Mittheüungen  Sil.  \2 


178  Literatur. 

ilin  dann  in  geeigneter  Fonn  vorzuführen  verstellt.  Im  Einzelnen  freilicli 
lassen  sich  zahli'eiche  Ausstellungen  machen;  Iiiihümer,  Versehen  sind 
nicht  selten  und  zeigen,  dass  dem  Verfasser  die  frühere  sächsische  Ge- 
schichte, besonders  des  Mittelalters,  vor  dieser  Arbeit  doch  fern  gelegen 
hat.  Zu  S.  5:  die  Eckardiner  starben  nicht  1047,  sondern  24.  Februar 
1046  aus.  S.  ]ß:  die  Behauptung,  dass  die  Wettiner  sich  »mit  nüch- 
terner Ueberleguug  der  wiederholten  Aufforderung  der  italienischen 
Ghibellinen,  das  Erbe  der  Hohenstaufen  anzutreten,  versagt  hätten«,  ist 
unzutreffend ;  1270/71  sind  sie  in  der  That  darauf  eingegangen,  und  noch 
1296  kam  Friedrich  der  Freidige  nochmals  darauf  zurück  (vergl.  Wegele, 
Friedrich  der  Fi'eidige  Anhang  11  und  Jahi'buch  der  deutschen  Dante- 
gesellschaft Bd.  I,  Bussen,  in  den  Abhandlungen  dem  Andenken  von 
Waitz  gewidmet);  nicht  kluge,  bedächtige  Erwägung,  sondern  die  Be- 
hindeiTing  dui'ch  innere  Verhältnisse  hielt  sie  ab.  S.  17:  Grossenhain 
erscheint  schon  mehrere  Jahrzehnte  vor  1234  als  Stadt.  S.  12  ist  Alt- 
zelle 1162  gestiftet,  S.  17  dagegen  1175.  S.  19:  ZschiUen  wui'de 
1278,  nicht  12y9,  Deutschordenskommende.  S.  28:  Bei  der  Sorgfalt,  mit 
welcher  K.  die  Fäden  aufdeckt,  die  die  Geschichte  der  Wettiner  mit  all- 
gemein deutschen  und  europäischen  Angelegenheiten  verknüpfen,  vermisst 
man  einen  Hinweis  auf  die  Bemühungen  Herzog  Wilhelms  um  die  luxemr 
burgische  Erbfolge  1440 — 1444.  Die  böhmische  Oberlehnsherrlichkeit  über 
Colditz  etc.  S.  29  hat  mit  dem  Vertrag  Friedrichs  von  Dresden  1289 
auch  nicht  das  mindeste  zu  thun,  sondern  geht  auf  Karl  IV.  zurück. 
S.  29:  Durch  Pius  IL  erfolgte  nur  die  Citation  Georgs  von  Podebrad, 
der  Bann  selbst  am  8.  12.  1465  durch  Paul  IL  S.  46  :  Kurfürst  Moritz' 
Gemahlin  hiess  Agnes,  nicht  Anna.  S.  51:  Auch  unter  August  haben 
Jahrzehnte  lang  Verhandlungen  mit  Frankreich  (allerdings  ergebnisslos) 
geschwebt.  S.  57:  Die  Behauptung,  dass  der  Kanzler  Krell  ein  Calvinist 
war,  hätte  K.  nicht  den  orthodox-lutherischen  Fanatikern  jener  und  auch 
noch  unserer  Zeit  nachschreiben  sollen.  S.  77:  Dresden-Friedrichstadt 
wurde  nicht  von  August  dem  Starken,  sondern  16  70  von  Johann  Georg  IL 
als  Gemeinde  Neustadt  Ostra  gegründet:  Friedrichstadt  wui'de  sie,  da 
Friedrich  August  d.  St.  manches  für  sie  that,  seit  1730  von  den  Be- 
wohnern, aber  erst  seit  1734  auch  behördlich  genannt.  Zahlreiche 
Hlustrationen  im  Texte,  einige  Vollbilder,  1  Facs.  (Urk.  Heini'ichs  IV. 
von  1090)  und  farbige  Wappenabbildungen  sind  beigegeben.  Freilich 
sind  die  Holzschnitte  zum  Theil  recht  mangelhaft,  so  dass  das  Buch  ent- 
schieden unter  der  beträchtlichen  Anzahl  minderwerthiger  Bilder  leidet; 
manche  sind  geradezu  schlecht,  so  z.  B.  S.  43  Johann  der  Beständige, 
44  Georg  der  Bärtige.  Bei  der  Nachbildung  alter  Bilder  empfahl  sich 
anzugeben,  woher  sie  genommen  sind,  keine  langen  Citate,  sondern  kurz, 
wie  z.  B.  S.  7  »aus  Albinus  Meissn.  Chron. *,  S.  8  das  Bild  Conrads 
»nach  dem  sächsischen  Stammbuch«  u.  s.  w. ^) 


•)  Zwei  Schriften  geben  anstuhrlichere,  populärgehalteue  Biographien  be- 
rühmter Wettiner:  Paul  Reichardt,  Drei  Fürsten  aus  dem  Hause  Wettin 
(mit  einem  kurzen  Ueberblick  über  die  Geschichte  der  Albertinischen  Liniol 
Chemnitz  und  Leipzig,  E.  Pocke,  8".  IV  und  76  S.  R.  giebt  Lebensbeschreibungen 
von  Albrecht  dem  Beherzten,  Moritz  und  .Johann  Georg  IIL  Als  Festschrift  ist 
ferner   anonym    erschienen    die  3.  Aufl.    von  (A.  Hopp  e-Sey  1  er)   Friedrich 


Literatur.  179 

Was  sonst  noch  von  Festschriften  vorhanden  ist.  verdient  keine 
spezielle  Berücksichtigung  und  deshalb  sollen  nui-  einige  Bemerkungen 
allgemeinen  Charakters  Platz  finden.  Die  Verfasser  haben  sich  bestrebt, 
die  einfachsten  Grundbegriffe  der  geschichtlichen  Entwickelung  der  Mark 
Meissen,  des  Kurstaates  und  Königreichs  Sachsen  unter  wettinischem 
Szepter  den  weitesten  Schichten  des  Volkes  bekannt  zu  machen.  Diese 
Absicht  wies  auf  schlichte  Darstellung  hin,  die  sich  von  allem  Fach- 
wissenschaftlichen geflissentlich  fern  hält.  Eine  solche  Literaturgattung 
hat  bekannter-  und  anerkanntermassen  ihre  gute  Berechtigung;  denn  die 
eigentliche  wissenschaftliche  Literatur  bleibt  weitaus  in  den  meisten  Fällen 
auf  einen  engbegrenzten  Kreis  spezieller  Forschungsgenossen  beschränkt. 
Die  Eesviltate  aber,  die  die  Fachwissenschaft  findet,  sollen  nicht  auf  sie 
beschränkt  bleiben,  sondern  —  wenn  dies  auch  nm*  allmählich  geschehen 
kann  —  der  gesammten  geschichtlichen  Auffassung,  zum  mindesten  der 
aller  Gebildeten,  zu  gute  kommen.  Dies  zu  vennitteln  ist  die  gute  und 
edle  Aufgabe  populärer  Geschichtsschreibung ;  sie  soll  auf  den  Arbeiten  der 
Fachhistoriker  fussen,  nicht  fachwissenschaftlich,  aber  auch  nicht  unwissen- 
schaftlich sein.  Hiergegen  wird  ft-eilich  meist  in  der  ärgsten  Weise  gefehlt. 
Die  Verfasser  glauben  nur  zu  oft,  dass  der  blosse  gute  Wille  oder,  wie  im 
vorliegenden  Falle,  eine  löbliche  Vaterlandsliebe  und  loyale  Gesinnung 
genüge;  selbst  andere  weniger  zu  billigende  Beweggründe  mögen  da  oder 
dort  mit  ins  Spiel  gekommen  sein.  Ab  und  zu  enthält  auch  das  Vorwort 
als  captatio  benevolentiae  das  Eingeständnis  der  angeblich  selbst  geftihlten 
Mangelhaftigkeit.  Doch  alles  das  entbindet  den  Verfasser  nicht,  auch 
bei  seinen  bescheidenen  Zeilen  sich  höchste  Gewissenhaftigkeit  und  sorg- 
fältige Vorstudien  zui-  heiligen  Pflicht  zu  machen,  umso  mehr  als  er  fiir 
Leute  schreibt,  denen  meist  ein  eignes  Urtheil  über  das  Gebotene  ab- 
geht. Popularisieren  ist  daher  nicht  nur  nicht  leicht,  sondern  sogar  recht 
schwierig,  denn  eine  populäre  Darstellung,  die  Nutzen  bringen  soll,  vermag 
nur  der  zu  schi-eiben,   der  den  betreflenden  Stoff"  völlig  beherrscht,  i) 


der  Weise,  Kurfürst  von  Sachsen.     Bremen,    M.  Heinsius.    S".    VIIL  und 
128  S.  mit  dem  Holzschnitt  von  Peter  Vischers  Denkmal  dieses  Fürsten. 

')  Es  sollen  hier  nur  die  Titel  aufgezählt  werden :  Regententafel  des 
Kgl.  Hauses  Sachsen  mit  Darstellung  der  gleichzeitigen  Regierungsdauer  der 
deutschen  Könige  und  Kaiser  und  der  hauptsächlichsten  Zeitereignisse.  Leipzig, 
Giesecke  u.  Devrient,  quer  8" (synchronistisches  Schema).  Festgabe  des  Säch- 
sischen Pestalozzi  Vereins  (Verf.  0.  Langebacb).  Leipzig,  Klinckhardt,  8", 
48  S.  Auch  eine  wendische  Festschrift  ist  in  Bautzen  bei  Schmaler  erschienen. 
P.  Kunath,  Kurze  Geschichte  unserer  vaterländischen  Fürsten  aus  dem  Hause 
Wettin.  Dresden,  Huhle ,  8",  32  S.  (ganz  ungenügend).  Richard  Kupfer, 
Wettins  Fürsten  von  Markgraf  Konrad  d.  Gr.  bis  König  Albert.  Leipzig,  0.  Ruhl, 
4",  31  S.  (desgl.).  Ernst  Eckar dt,  Sachsens  Fürstenzug.  Würzen  u.  Leipzig, 
C.  Kiesler,  8»,  VIII  u.  100  S.  (trotz  wiederholter  Citate  der  Fachliteratur  ganz 
ungenügend).  Adolf  K  oh  ut,  Goldene  Worte  der  Wettiner.  Dresden,  Hacka- 
rath,  8",  VIII  u.  r,0  S.  (Idee  nicht  übel,  Ausführung  ungenügend,  dabei  ebenso 
wie  in  der  nächsten  Schrift  ein  gutes  Mass  von  sehr  übel  angebrachter  Selbst- 
gefälligkeit in  der  Einleitung).  A.  Kohut,  Ruhmesblätter  des  Hauses  Wettin. 
Dresden-Striesen,  P.  Heinze,  8^  63  S.  (schlecht).  G.  W.  C.  S  ch  m  i  d  t ,  Das  Fürsten- 
haus Wettin.  Dresden,  Münchmeyer.  8»,  48  S.  (desgl.).  (A.  Siebenhaar V)  Bilder 
aus  der  Geschichte  des  Hauses  Wettin.  Leipzig,  Wallmann,  S^,  HO  S.  (desgl.). 
H.  von  Suekow,  Das  Königshaus  Wettin.  Dresden,  P.Schmidt,  8",  32  S.  (dsgl.). 
Ernst  von  Bert  euch,    Der  goldene  Faden  in  der  Gesch.  des  Hauses  Wettiu 

12' 


j^gQ  Literatur. 

Nachtrag. 

In  Jen  letzten  Wochen  erscheint  noch  ein  Werk,  das  im  engsten  Zu- 
sammenhang mit  dem  Wettinlest  steht  und  deshalb  noch  zu  erwähnen  ist: 

K.  Freih.  von  Mansberg,  Der  mittelalterliche  Turnier- 
zug zur  800jährigen  Jubelfeier  des  Hauses  Wettin.  Darstel- 
lung der  Theilnehmer  in  farl)igem  Lichtdruck  nebst  erläuternden  histo- 
rischen Xachweisen.  Dresden,  W.  HofFmtmn,  1890,  gr.  l'ol.  Im  Festzug 
befand  sich  auch  ein  Eitterzug  des  1 4.  Jahrh. ,  Vasallen  Landgraf  Fried- 
richs des  Ernsten,  dessen  Bedeutung  ausser  der  wirklichen  historischen 
Treue  des  ganzen  Aufzugs  darin  bestand,  dass  die  Personen  selbst  Mit- 
glieder jener  alten,  noch  jetzt  blühenden  meissnischen,  osterläjidischen, 
thüi'ingischen  Geschlechter  waren.  Sie  sollen  hier  sämmtlich  dargestellt 
werden.  Dem  Eef.  hat  bisher  nur  die  I.  Lieferung  vorgelegen.  Ein  aus- 
führlicher Text  über  Eitterthum  und  ritterliche  Waffen  geht  den  Tafeln 
voraus.  Mit  Eecht  betont  M.  in  der  Einleitung  die  Ebenbürtigkeit  des 
MA.,  dessen  Blüthezeit  mit  der  des  Ritterthums  zusammenfalle,  mit  andern 
Perioden,  was  seine  Wichtigkeit  für  die  Entwicklung  deutschen  Lebens 
betreffe.  Darin  ist  ihm  nur  beizustimmen,  überflüssig  aber  ist  der  pole- 
mische Ton;  denn  die  Zeit,  wo  man  auf  das  MA.  als  eine  Zeit  wüster 
Eohheit  und  Dummheit  herabsah,  ist  doch  seit  über  zwei  Menschenaltern 
vorbei;  man  braucht  nur  an  die  M.  G.  und  den  allgemeinen  Aufschwung, 
den  wesentlich  im  Anschluss  daran  die  m.-a.  Geschichtsforschung  genommen 
hat,  zu  erinnern.  Auch  die  Erörterungen  über  die  Berechtigung  der  Stan- 
desehre konnten  als  unnöthig  wegbleiben.  M.  ist  etwas  überschwänglich 
im  Lob  des  MA.  und  einseitig  eingenommen  gegen  die  Neuzeit.  Niemand, 
der  mit  Eifer  m.-a.  Studien  sich  hingegeben  hat,  wird  dem  Eeiz  gerade 
des  MA.  sich  entziehen;  muss  aber,  um  eins  zu  erheben,  das  andre  als 
erbärmlich  hingestellt  werden?  Giebt  M.  »gefühlsarmen  Gelehrten«,  Leuten 
vom  »Geschlecht  moralischer  Pygmäen«  (S.  3)  Schuld,  dem  MA.  nicht  ge- 
recht zu  werden,  so  verfällt  er  in  das  andere  Extrem.  Manches  wird  bloss 
oder  doch  voi-wiegend  dem  Eitterthum  zugeschrieben,  wobei  ganz  andere 
Faktoren  an  erster  Stelle  zu  nennen  sind ;  so  wenn  besonders  dem  Eitter- 
thum die  Blüthe  m.-a.  Baukunst  zugeschrieben  wird,  wofür  ritterliche 
Freigebigkeit  die  Mittel  geliefert  habe.  Eomanischer  wie  gotischer  Bau- 
stil erreichten  jedoch  ihren  Höhepunkt  im  Kirchenbau  und  hierin  sind  ge- 
rade die  erhabensten  Werke  Ehrenmäler  geistlicher  oder  bürgerlicher  Unter- 
nehmungslust und  Opfer-ivilligkeit.  Nach  M.'s  Ansicht^tritt  mit  dem  bürger- 
lichen Element  das  Handwerksmässige  mehr  hervor,  das  Vornehme,  Gross- 
artige schwindet  (S.  4);  es  genügt,  dagegen  die  Namen  des  Ulmer  und 
Strassburger  Münsters,  des  Cölner  und  Stelansdomes  zu  nennen,  die  zwar 
in  der  Blütheperiode  des  Eitterthums  entstanden,  doch  diesem  ihren  Bau 
nicht  zu  verdanken  haben.  M.  bespricht  dann  kurz  die  Quellen  iür  die 
Kenntnis  des  ritterlichen  Aeusseren  im  14.  Jahrhundert;  er  will  (S.  7) 
nur  den  Eitter  in  Kampf-  oder  Turnierausrüstung  behandeln,  nicht  die 
Hof-,  Eeise-  oder  Haustracht.    Darauf  werden  eingehend  nach  einander  die 


1089—1889.  Wiesbaden,  Bechtold  u.  Co.,  8",  12  S.,  2  Taf.  (desgl.).  Auch  histo- 
rische Erzählungen,  Predigten,  Dichtungen  u.  dergl.  giebt  es  zu  Dutzenden,  doch 
-würde  selbst  deren  blosse  Nennung  nicht  hergehören. 


Liieratur.  jgl 

ritterlichen  Trutzwaflfen  (Schwert,  Speer,  Dolch,  Beil,  Kolheu,  Hammer) 
besprochen,  dann  das  Streitross  und  das  ganze  Reitzeug,  ferner  die  ritter- 
lichen Schutzwaffen  (Eisengewand,  Harnisch  etc.).  Diese  Abschnitte  sind 
mit  Sachverständnis  und  Kenntnis  der  Literatur  geschrieben  i)  und  durch 
treffliche  Tafeln  mit  Abbildungen  von  Waffen  und  Reitzeug  erläutert,  die 
meist  nach  Originalen,  z.  Th.  nach  m.-a.  Miniaturen  gegeben  sind:  Taf.  H 
enthält  auch  4  Wettinersiegel  von  1181  —  120ß.  Die  farbigen  Tafeln  des 
Ritterzugs  zeigen  je  einen  Ritter  zu  Ross  nebst  Knappen  zu  Fuss  in 
porträtgetreuer  Darstellung  der  betr.  Personen.  Historisch  interessant  ist 
der  landschaftliche  Hintergrund  (jedem  Ritter  ist  ein  im  Besitz  der  Fa- 
milie befindliches  Schloss  beigegeben),  der  nach  Bildern  von  G.  Hohneck 
vortrefflich  ausgeführt  ist;  ebenso  sind  auch  die  figürlichen  Darstellungen 
Meisterstücke  an  Sauberkeit  und  Eleganz  des  Farbendrucks.  Die  bisher 
erschienene  Lieferung  enthält  die  Geschlechter  Einsiedel  (mit  Schloss  Ge- 
nandstein a.  d.  Wyra),  Schönberg  (Purschenstein,  Erzgebirge),  Rex  (Zehista 
b.  Pirna),  Pflug  (Strehla  a.  d.  Elbe),  Kyaw  (Hainewalde,  Oberlausitz), 
Carlowitz  (Hej^da  b.  Würzen)  und  zweimal  Sahrer  von  Sahr  (Dahlen  b. 
Oschatz  und  Ehrenberg  a,  d.  Zschopau)  2). 

Dresden.  WoldemarLippert. 


Anualen  der  deutschen  Geschichte  im  Mittelalter, 
III.  Abtheil ung:  Annalen  des  deutschen  Keiches  im  Zeit- 
alter der  Ottonen  und  Salier,  I,  Bd.,  Von  der  Begrün  düng 
des  deutschen  Eeichs  durch  Heinrich  I,  bis  zurhöchsten 
Machtentfaltung  des  Kaiserthums  unter  Heinrich  III,,  von 
G.  Richter  und  H.  Kohl,  Halle  a.  S.  1890.  8«,  428  S.  und  eine 
Stammtafel. 

M.  Manitius,  Deutsche  Geschichte  unter  den  säch- 
sischen und  salischen  Kaisern  (911(!) — 1125),  mit  einer  Karte: 
das  deutsche  Reich  beim  Tode  Ottos  d.  Grossen.  Stuttgart  1889.  8°, 
639  S. 

Von  diesen  zwei  den  gleichen  Zeitraum  behandelnden  Werken  ist  das  erste 
ein  zusammenfassendes  Quellenbuch  für  das  wissenschaftliche  Studium  der 
deutschen  Geschichte,  das  andere  ein  Compendium,  dessen  Darstellung  sich 
auch  an  weitere  Kreise  wendet-  beide  bilden  so  unwillkürlich  eine  gegen- 
seitige Ergänzung  und  Controlle. 


')  Im  folg.  sollen  histor.  Angaben  über  die  einzelnen  Geschlechter  gegeben  wer- 
den. 2)  Gleichfalls  nachträglich,  aber  vor  der  obigen  schönen  Publikation  ist  im 
selben  Verlag  ein  anderes  Bilderwerk  erschienen :  Erinnerungen  an  das  Armeefest 
zur  Feier  der  800  j.  ,Jub.  d.  Hauses  Wettin  1889,  gi-.  foL,  J  Blatt  mit  Liste  sämmt- 
licher-Theilriehmer  und  9  Bl.  farbige  Gruppen  und  Einzelbilder,  denen  aber  die 
gerühmten  P]igenschaften  der  andern,  Sauberkeit  und  Eleganz,  abgehen;  auch 
diese  Bilder  hätten  einen  gewissen  militärgeschichtlichen  Werth  haben  können, 
wenn  sie  die  bei  der  Aufführung  getreu  nachgeschaffenen  Uniformen  der  kur- 
sächsischen u.  a  Heere  zur  Zeit  iles  Kutsatzesvon  Wieu  auch  ihrerseits  getreu 
und  deutlich  vurtührten:  stattdessen  sind  sie  vielfach  unklar  und  verschwfinunen. 
Ueber  das  Armeefest  vgl.  oben  Anmerk.  zu  Dittrich, 


182  Literatur. 

-  Es  ist  nicht  zu  läuguen,  tlass  für  beide  ein  gewisses  Bedürt'niss  vor- 
lag. Namentlich  die  Annalen  der  deutschen  Geschichte  haben  schon  in 
den  früheren,  der  fränkischen  Zeit  gewidmeten  Bänden  durch  die  bequeme, 
übersichtliche  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Quellenstellen  —  ich 
möchte  sagen  als  eine  Art  Kegesten  der  Eegesta  imperii  in  der  neuen 
Auflage  —  und  durch  ihre  solide,  tüchtige  Arbeit  mit  Recht  vielen  An- 
klang gefunden,  ihre  practische  Brauchbarkeit  erprobt.  Aber  auch  für 
eine  zusammenhängende  Darstellung  der  genannten  Jahrhunderte  fehlt  es 
nicht  an  Kaum,  sei  es,  dass  sie  einem  wahrhaft  inneren  Drange  entquillt, 
um  ganz  neue  Auffassung  und  Ergebnisse  der  Quellen  zum  Gemeingut  zu 
machen,  oder  dass  sie  sich  auch  das  bescheidenere  Ziel  steckt,  die  jüngeren 
Darstellungen,  wie  die  von  Giesebrecht  und  Nitzsch,  verbunden  mit  den 
geistreichen  Andeutungen  in  Eanke's  Weltgeschichte  einer-  und  den  breiten 
Ausführungen  in  den  Jahrbüchern  der  deutschen  Geschichte  andrerseits, 
einer  nochmaligen  Ueberprüfung  an  der  Hand  der  Quellen  zu  unterziehen. 
In  letzterm  Ealle,  der  beiläufig  dem  Standpunkte  des  Manitius'schen  Werkes 
entsprechen  dürfte,  würde  der  Bearbeiter  in  einigen  Jahren,  sobald  auch 
die  Jahrbücher  zur  Geschichte  Otto  II.  und  III.,  Heinrich  IV.  und  V.  vor- 
liegen Averden,  freilich  in  viel  günstigerer  Lage  sein. 

Anlage  und  Einrichtung  der  Annalen  der  deutschen  Geschichte 
kann  ich  von  den  beiden  frühern  Bänden  her  als  bekannt  voraussetzen. 
Auf  die  kurze  annalistische  Angabe  der  wichtigsten  politischen  Ereignisse 
zur  d.  Geschichte  folgen  in  den  Noten,  ebenfalls  jahrweise,  die  wichtigeren 
Quellenbelege  mehr  oder  minder  in  vollem  Wortlaute,  sowie  Verweise  auf 
Literatur  und  Kritik,  gegebenen  Falles  in  noch  kleinerem  Drucke  Anmer- 
kungen zu  den  Anmerkungen.  Wenn  ein  unkundiger  Benutzer  das  Buch 
durchfliegt,  möchte  er  den  Eindruck  empfangen,  dass  uns  sehr  wenige 
wichtige  Thatsachen  in  sehr  vielen  Quellen  überliefert  seien;  in  Wirklich- 
keit kommt  das  Kaumverhältniss  von  Text  und  Noten  auch  davon  her, 
dass  die  Verfasser  nicht  nur  alles  Detail,  sondern  auch  alle  Ereignisse, 
denen  sie  nicht  ganz  hervorragende  Wichtigkeit  zuerkannten,  in  die  An- 
merkungen verbannten.  Die  Uebersichtlichkeit  gewinnt  durch  diese  Kürze 
und  den  lapidaren  Stil  des  Textes  allerdings,  aber  ich  glaube,  dann  und  wann 
doch  auf  Kosten  der  Brauchbarkeit;  und  wenn  die  Verfasser  nach  Aussage  der 
Vorrede  bei  diesem  Bande  in  der  reichern  Gestaltung  des  führenden  Textes 
weiter  gegangen  sind  als  früher,  so  scheint  mir  an  manchen  Punkten  da  noch 
nicht  des  Guten  genug  geschehen  zu  sein.  Bei  den  spärlichen  Nachrichten 
über  Heinrich  I.  hätte  922  doch  das  Coblenzer  Concil,  vielleicht  auch  931 
der  Zug  nach  Lothringen  erwähnt  werden  sollen  (beide  Ereignisse  ganz 
übergangen);  ein  Plätzchen  im  Text  hätte  dann  auch  937  die  Gründung 
von  S.  Moriz  zu  Magdeburg  (die  viel  weniger  folgenreiche  Stiftung  Quedlin- 
burgs ist  aufgenommen)  verdient,  ebenso  die  Vertreibung  Heinrichs  aus 
Lothringen  940,  der  Bruch  Ottos  mit  Hugo  von  Franzien  und  der  Zug 
Berengars  nach  Italien  945,  die  auch  in  den  Belegen  übergangene  Affaire 
von  Illertissen  954,  der  Zug  gegen  die  Kedarier  957,  die  Erzählung  der 
römischen  Vorgänge  963  leidet  an  der  Nichterwähnung  der  Flucht  Jo- 
hannes XII.  vor  Ottos  Ankunft;  in  den  Text  wäre  auch  aufzunehmen  ge- 
wesen der  grosse  Kölner  Tag  965  (eine  Erwähnung  der  letzten  Kämpfe 
und  des  Todes  Wichmanns   scheint  nur    aus  Verseheu  p.   105    ausgefallen 


Literatur.  183 

HU  sein,  da  p.  106*^  die  entsprechenden  Belege  vorkommen),  ebenso  977 
die  Eestitution  der  Söhne  Ragenars,  980  die  Aussöhnung  Ottos  II.  mit 
seiner  Mutter,  sowie  die  Uebertragung  der  italienischen  Statthalterschait 
an  sie  983,  dann  997  die  Ernennung  Mathildens  als  Reichsstatthalterin 
für  Deutschland  —  was  hat  es  sonst  für  einen  Sinn,  deren  Tod  999 
(p.  162)  im  Text  anzumerken?  —  Auch  die  Bestrebungen  Ottos  IIL,  Rom 
zur  Hauptstadt  seines  einheitlichen  Reiches  zu  machen,  möchte  man  an 
hervorragenderer  Stelle,  als  unter  den  Belegen  S.  169  angeführt  sehen. 
Uelierrascht  war  ich,  eine  Reihe  wichtiger  Facta  auch  in  den  Noten  nicht 
berücksichtigt  zu  finden,  so  die  Neubegründung  der  Ostmark  (976),  die 
römischen  Wirren  974 — 980,  die  Stellung  der  Theophanu  zum  Thron- 
wechsel in  Frankreich  987  ff.,  das  Yerhältniss  derselben  zu  Kaiserin  Adel- 
heid, die  unteritalienischen  Pläne  Otto's  IIL ,  den  sogenannten  Ganders- 
heimer  Streit,  den  Umschlag  in  der  Stellung  des  Willigis  und  in  jener 
der  deutschen  Fürsten  zu  Ende  der  Regierung  Ottos  IIL,  die  Aufliebung 
des  ßisthums  Merseburg  und  den  langwierigen  Process,  welchen  Gregor  V. 
deshalb  gegen  Erzb.  Giseler  anstrengte,  etc.  Wol  ist  dann  der  Ganders- 
heimer  Streit  p.  238^  zum  J.  1021  recapitulirt,  aber  wer  sucht  hier  die 
wichtigsten  noch  unter  Otto  III.  fallenden  Phasen?  Da?  sind  aber  Aus- 
nahmen; auch  einzelne  Flüchtigkeiten  (z.  B.  dass  S.  36  bei  Birthen  Otto 
selbst  siegt;  S.  54  die  Einnahme  von  Laon  gemeldet  wird,  das  richtige  in 
der  Note;  nach  S.  62  im  J.  951  die  Römer  —  richtiger  in  der  Note  — 
sich  weigerten,  Otto  in  ihre  Stadt  aufzunehmen;  S.  65  der  König  —  in 
Wirklichkeit  H.  Heinrich,  Widukind  III,  16  —  die  Anklage  gegen  Erzb.  Fried- 
rich erhob ;  S.  85  Brun  im  Besitze  Lothringens  anerkannt  worden  sei  imd 
ähnliches)  beeinträchtigen  den  Werth  des  Buches  nicht  in  empfindlicher 
Weise;  im  grossen  und  ganzen  ist  die  Auswahl  der  in  den  Text  aufge- 
nommenen Facta  nur  zu  billigen.  Auch  den  Belegen  darf  das  Zeugniss 
nicht  versagt  werden,  dass  sie  fast  immer  und  an  richtigem  Punkte  die 
wichtigsten  Quellenstellen  enthalten:  nachzutragen  wäre  etwa  946  bei  der 
Designation  Liutolfs  die  Vita  Uodalrici  epi.,  947  beim  Tod  Bertholds  von 
Baiern  das  Chr.  un.  Suev.,  951  für  Adelheids  Befreiung  das  Necr.  Merse- 
burg., für  961  und  962  das  Chronicon  Benedicti  de  s.  Andrea  968  der 
Bericht  der  Gesta  epp.  Camerac.  über  Ottos  süditalienischen  Kriegszug; 
S.  39  ist  zu  wenig  beachtet,  dass  Widukind  11,  20.  21  ein  Einschiebsel 
ist,  154**  dürfte  für  die  Geschichte  der  Normanneneinfälle  der  spätere 
Bericht  des  Adam  von  Bremen  nicht  gegen  die  älteren  der  Ann.  Quedlinb. 
und  Thietmars  bevorzugt  werden  u.  s.  w.  Dass  sich  in  den  Noten  auch 
einzelne  Irrthümer,  Lücken  und  schiefe  Deutungen  einschlichen,  ist  bei 
einem  solchen  Werke  ebenso  begreiflich,  als  es  dabei  unmöglich  war,  in 
dem  Ausmass  der  vollständig  aufzunehmenden  Quellenstellen  den  Ansichten 
und  Wünschen  Jedermanns  gerecht  zu  werden.  Ich  übergehe  daher,  was 
hier  nach  der  einen  und  nach  der  andern  Richtung  zu  beanständen  und 
zu  bemerken  wäre:  nur  ein^Detail  möchte  ich  berühren.  S.  66*  wird  für 
die  Gründe  des  Liutolfischen  Aufstandes  nebeneinander  auf  Maurenbrechers 
Aufsätze  über  die  Kaiserpolitik  Ottos  in  der  »Sybelschen  Zeitschrift«  und 
in  den  »Forscliungen«  und  auf  das  Buch  desselben  Autors  über  die 
deutschen  Königswahlen  vei-wiesen,  und  dazu  liemerkt,  dass  Maurenbrechers 
Ansichten  eine  Stütze    in   den  besten  Quellen   fänden.     Das  ist  zum  min- 


184 


Literatur. 


desten  zweuleiitig,  <la  Maurenbrechers  letzte  Arbeit  eingestandenermassen 
eine  Revision  seiner  früher  aufgestellten  Behauptungen  enthält;  welche 
Ansichten  zurückgenommen  werden  sollen,  ist  zwar  nicht  positiv  gesagt, 
sondern  der  Beurtheilung  des  aufmerksam  vergleichenden  Lesers  über- 
lassen, aber,  da  nirgends  mehr  davon  die  Eede  ist,  dass  Ottos  Kaiser- 
politik antinational  gewesen  sei  und  Liutolf  zum  Aufstand  getrieben  habe, 
muss  man  annehmen,  dass  Maurenbrecher  gerade  den  so  allgemein  be- 
kämpften Kernpunkt  seiner  früheren  Ausführungen  nun  aufgegeben  habe. 
Damit  entfällt  aber  ganz  wesentlich  der  Gegenstand  der  frühern  Polemik, 
den  schönen  Ausführungen  der  letzten  Arbeit  Maurenlirechers  wird  man 
allerdings  grösstentheils  zustimmen  können. 

In  der  Vorrede  wird  die  Hofihuug  ausgesprochen,    dass  die  Annalen, 
trotzdem    die    »mustergiltigen  Jahrbücher    der  deutschen  Geschichte«   eine 
»wesentliche  Grundlage  dieses  Werkes  bilden«,  als  nicht  der  wissenschaft- 
lichen Selbständigkeit  entbehrend  erkannt  werden  mögen.    Ich  freue  mich, 
diese  Hoflnung  als  eine  im  grossen  und  ganzen  gerechtfertigte  beziehungs- 
weise erfüllte  bezeichnen  zu  dürfen.     Nur  eine  Gattung  von  Quellen   und 
Quellenkritik  muss  ich  davon  ausnehmen,  die  der  Urkunden.    Ich  berühre 
damit  einen  wunden  Punkt  dieses  Werkes.    In  der  Ausbeutung  besonders 
der  Kaiserurkunden  ist  über  die  Datirung  nnd  etwa  die  Intervention  selten 
und  kaum  je  über  die  bisherigen  Darstellungen  hinausgegangen;  selbstän- 
•  dige  Untersuchung    und  Beurtheilung    auf  diesem    Gebiete    ist  mir   kaum 
irgendwo  begegnet.     Umsomehr  hätte  aber  die  ganze  neuere    und  neueste 
Literatur,  wie  sie  insbesondere  an  Hand  der  neuen  Diplomata-Ausgabe  und 
der    Kaiserurkunden    in    Abbildungen    sich    entwickelt   hat,    herangezogen 
werden  müssen.     Das  ist  aber  nur  ganz  ungenügend  geschehen.    Die  Ein- 
reihung   der  Urkunden    in    der    Diplomata-Ausgabe    ist  allerdings  eumeist 
acceptirt,    auch  Sickels  Resultate    über    das  Privilegium  Ottonianum    sind 
übernommen;    das  ist  aber  auch  so  ziemlich  alles,  Fickers  epochemachen- 
den Beiträge  zur  Urkundenlehre  sind  nicht  benutzt,    auch  wo  es  noch  so 
am  Platze    gewesen  wäre,    wie    z.  B,    bei    den    Ausstattungsurkunden    lür 
Bamberg.     Sickels   Beiträge   zur  Diplomatik    sind  ignorirt,    seine  Erläute- 
rungen zu  den  Diplomen  Ottos  IL,  die  vielfach  über  das  rein  diplomatische 
hinausgehen,    wohl    S.   138  erwähnt,    aber    nicht   eutsprechend  ausgenützt. 
Ja  es  macht  fast  den  Eindruck,    als  ob  mit  Vorliebe  ältere  Urtheile  und 
Deutungen  gegen  die  neuere  Richtung,   Avelche  als  Fortschritt    doch  nicht 
verkannt  werden  kann,    angeführt  würden.     Gegenüber  solchem   Conserva- 
tivismus  möge  Dümmlers  Neubearbeitung  der  Geschichte  des  ostfränkischen 
Reiches    als  leuchtendes  Muster    aufgestellt  werden.     Den  Standpunkt  der 
Annalen    soll    nur    ein    Beispiel    kennzeichnen.     Schon  Dümmler  erkannte, 
dass  DO.  I.  70    nach  dem  in  jener  Zeit    für    die    Datirung    massgebenden 
a.  regni  zu  945   einzureihen  sei,  so  auch  Sickel;    indem   der  Herausgeber 
unserer  Annalen    die  von  Sickel   in    der  Einleitung    zu    den  DD.    und  im 
8.  Beitrag  zur  Diplomatik  niedergelegten  Grundsätze  für  die  Beurtheilung 
der  Datirungsfactoren  ganz  ignorirt,  setzt  er  die  Urkunde  p.  48^  zu  944, 
weil  die  Datirungen  jener  Jahre  verwirrt  seien  und  weil  die  Urkunde  per 
inverterventum  Conrad!    ducis    ausgestellt    ist,    dessen  Investitur  nach  der 
Bemerkung  Flodoai-ds  vielleicht  944  auf  einem  Tag  zu  Aachen (=  Aus- 
stellungsort von  DO.   70)  erfolgte.     Ist  das  Kritik?  —    Ich  schliesse  mit 


liiteratnr.  l!^5 

rlev  Bemerkung,    dass  in  iliesem  nützlichen  und  verdienstliclien  Buche  die 
sächsische  Zeit  von  Kohl,  die  salische  von  Richter  bearbeitet  ist. 

Die  Stellung,  welche  mir  die  »Deutsche  Geschichte  unter  den  sächsi- 
schen und  salischen  Kaisern  von  Manitius»  in  der  historischen  Literatur 
einzunehmen  scheint,  habe  ich  bereits  angedeutet.  Manitius  ist  sichtlich  mit 
Eifer  und  Ernst  an  seine  schwierige  Aufgabe  gegangen.  Das  Buch,  welches 
urs]irünglich  als  Theil  der  von  Prof.  Zwiedineck-Südenhorst  bei  Cotta  heraus- 
gegebenen Bibliothek  deutscher  Geschichte  in  Lieferungen,  nunmehr  auch 
als  selbständiger  Band  erschienen  ist,  zeigt  auf  jeder  Seite  eingehende, 
wenn  auch  nicht  immer  vollständige  Benutzung  der  Literatur,  ohne  dass 
sich  der  Verfasser  von  derselben  ins  Schlepptau  nehmen  Hesse.  Vielmehr 
ist  Manitius  auf  die  bedeutenderen  der  zeitgenössischen  erzählenden  Quellen 
selbst  zurückgegangen ;  er  schliesst  sich  denselben  auch  im  Wortlaut  seiner 
Erzählung  vielfach  an,  ähnlich  wie  Giesebrecht  in  seiner  Geschichte  der 
deutschen  Kaiserzeit.  Dadurch  wird  freilich  der  Reiz  der  Unmittelbarkeit 
vielfach  erhöht,  aber  es  liegt  unter  Umständen  auch  die  Gefahr  nahe,  die 
richtige  Oeconomie  in  der  Mittheilung  wichtigerer  und  minder  bedeutsamer 
Thatsachen  zu  verlieren  und  die  einheitliche  auf  kritischer  Durchdringung  aller 
Quellen  beruhende  Darstellung  durch  lose  verknüpfte  Auszüge  aus  den  ein- 
zelnen Quellen  zu  ersetzen.  Leider  sind  selbst  dem  Gelehrten,  welchem 
wir  so  schöne  Arbeiten  philologischer  Art  über  die  Benutzung  alter  Klassiker 
und  Kirchenschriftsteller  bei  den  mittelalterlichen  Historikern  verdanken, 
sinnentstellende  Uebersetzungsfehler  nicht  ganz  erspart  geblieben,  so  wenn 
S.  67  und  72  das  Widukindsche  armati  und  inermes  schlechtweg  mit  »Mann« 
(l^=  Bewaffnete)  und  Waffenlose  (Krieger  in  der  Schlacht!)  wiedergegeben 
ist,  oder  die  Gemahlin  des  Hex'zogs  Karl  von  Lothringen  S.  205  als  dem 
Kriegerstand  (statt  Ritterstand)  angehörig  bezeichnet  ist.  Vollends  be- 
denklich ist  es,  die  Phrase  desselben  Autors,  dass  Heinrich  L  als  Sachsen- 
herzog dieses  Land  zuerst  libera  regnavit  potestate,  S.  42  auf  Besitz  der 
vollen  Landeshoheit  in  Sachsen  zu  deuten. 

In  der  Auffassung  der  deutschen  Geschichte  dieser  Jahrhunderte  steht 
Manitius  vielfach  Giesebrecht  nahe,  ohne  aber  im  Glanz  der  Diction 
und  im  einheitlichen  wie  aus  einem  Gusse  geflossenen  Aufbau  der  Er- 
zählung —  diesen  unbestreitbaren  und  unverwelklichen  Vorzügen  nament- 
lich des  ersten  Bandes  von  Giesebrechts  wenn  auch  einseitigem  Werke  — 
seinen  Vorläufer  zu  erreichen.  In  vielen  Punkten  geht  Manitius  seinen 
eignen  selbständigen  Weg.  Neben  entsprechenden  Verrauthungen  fehlt  es 
auch  nicht  an  vielen  Aeusserungen  und  Aufstellungen,  deren  Richtigkeit 
recht  fragwürdig  erscheinen  dürfte.  Aber  ich  will  den  Leser  nicht  noch- 
mals mit  Einzelheiten  quälen,  am  wenigsten  einem  Buche  gegenüber, 
welches  nach  seiner  ganzen  Anlage  das  Hauptgewicht  suf  den  allgemeinen 
Gang  der  Dinge  legen  soll,  einem  Werke  gegenüber,  welches  naturgemäss 
es  sich  versagen  muss,  alle  einzelnen  Behauptungen  kritisch  zu  belegen. 
Innsbruck,  Juli  1890.  E.  v.  Ottenthai. 

Die  Statuten  des  Deutschen  Ordens  nach  den  ältesten 
Handschriften  herausgegeben  von  Max  Perlbach.  Halle  a.  S.,  Max 
Niemejer  1890.     LIX,  354  S.  4". 

Anknüpfend  an  eine  Aeusseruug  Dudiks    über   die  Wichtigkeit   einer 


\^Q  Literatur. 

genauen  Prüfung  der  Ordensstatuten  und  ihrer  nach  und  nach  gemachten 
Zusätze  legt  der  Hrsg.  in  der  Einleitung  zunächst  dar,  was  bisher  für 
Kenntnis  der  Ordensstatuten  geschehen  ist,  um  dann  Bericht  zu  erstatten 
über  seine  eigene  Thätigkeit.  Für  die  neue  Ausgabe  (es  gingen  deren  4 
von  Einzeltexten  voraus)  hat  der  Hrsg,  31  Handsclmften  benutzt:  4  la- 
teinische, 1  altfranzüsische,  2  3  mittelhoch-  und  mittelmitteldeutsche,  4  mittel- 
niederländische, 1  mittelniederdeutsche;  von  zwei  weiteren  Handschriften 
hat  er  Kenntnis,  ohne  sie  für  die  Ausgal^e  heranziehen  zu  können.  Alle 
Handschriften,  welche  jünger  sind  als  die  Reformation  Konrads  von  Erlichs- 
hausen  (1441 — 49),  sind  als  unwesentlich  bei  Seite  gelassen;  der  Hrsg. 
weist  deren   29  nach. 

Eingehend  untersucht  der  Hrsg.  Entstehung  und  Quellen  der  Sta- 
tuten, das  erste  Mal,  dass  eine  derartige  Untersuchung  systematisch  und 
erschöpfend  durchgeführt  wird.  Für  drei  von  den  vier  Theilen  der  Statuten, 
für  Prolog,  Eegel  und  Gesetze,  ist  die  lateinische  Fassung  die  ursprüng- 
liche, ebenso  für  drei  von  den  fünf  Abschnitten  der  »Gewohnheiten«.  Für 
die  Eegel  bildet  die  vornehmste  Quelle  die  Regel  der  Tempelherren,  ebenso 
für  die  Gewohnheiten  und  den  grösseren  Theil  der  Gesetze;  doch  kommen 
für  die  letzteren  auch  die  Statuten  des  Dominikanerordens  in  Betracht, 
speciell  für  die  Strafgesetze  sind  sie  Quelle.  An  der  Hand  einer  geschicht- 
lichen Darlegung  über  die  Anfänge  des  Ordens  weist  Perlbach  die  all- 
•  mähliche  Entstehung  der  Statuten  nach.  Die  Ordensregel  erfulu'  eine  feste 
Redaction  1244  oder  bald  nachher  und  zwar  wird  die  Vermuthung  wahr- 
scheinlich gemacht,  dass  Bischof  Wilhelm  von  Modena,  Cardinalbischof  von 
Sabina,  sie  veranlasste.  Die  ursprüngliche  Regel  stimmte  mit  der  Templer- 
regel überein.  Aelter  als  die  vorliegende  Redaction  der  Ordensregel  sind 
zumeist  die  Gewohnheiten,  consuetudines.  Sie  sind  wahrscheinlich  um  1230 
oder  noch  fi-üher  entstanden.  Auch  hier  lehnen  sich  die  frühesten  an  die 
Templerstatuten  an,  sind  vermehrt  durch  Beschlüsse  der  Geueralkapitel. 
Die  Gesetze  sind  im  Allgemeinen  nach  den  Gewohnheiten  zu  verschiedenen 
Zeiten,  doch  vor  dem  Jahre  1264  entstanden.  Vor  diesem  Jahre  ist  wohl 
das  Ganze  (Prolog,  Eegel,  Gesetze,  Gewohnheiten)  in  der  jetzigen  Ordnung 
zusammengestellt. 

Die  Ausgabe  füllt  S.  13 — 118.  Doch  ist  zu  bemerken,  dass  jede 
einzelne  Seite  doppelt  zählt,  y^  Bogen  umfasst,  um  so  auf  dem  mit  einem 
Blick  übersehbaren  Räume  (2  neben  einander  liegenden  Seiten)  die  fünf 
verschiedensprachlichen  Fassungen  dem  Leser  zugleich  vorzuführen.  Zweifel- 
los ein  grosser  Voi-theil,  der  nun  aber  doch  wieder  den  Nachtheil  im  Ge- 
folge hat,  dass  die  Lesarten  (S.  167 — 229)  völlig  vom  Texte  getrennt 
sind.  Ob  es  sich  nicht  hätte  ermöglichen  lassen,  auch  die  Lesarten  mit 
unterzubringen  auf  den  Seiten  des  Textes?  Allerdings  würden  die  typo- 
graphischen Schwierigkeiten  wohl  erhebliche  geworden  sein.  Dem  Texte 
geht  ein  Ordenskalender  vorauf,  der,  wie  die  Bemerkungen  über  die  Tages- 
und Nachtlänge  im  Juni  und  December  zeigen,  kaum  südlicher  als  Livland 
zusammengestellt  ist.  Es  folgen  dem  Text  liturgische  Aufzeichnungen: 
Vigilien,  Venien,  Aufnahmeritual,  Gebete  und  weiter  die  Gesetzgebung  des 
Ordens  nach  Entstehung  der  Statuten  bis  auf  den  Meister  Conrad  von 
Erlichshausen ;  das  alles  einzeln  nur  in  einer,  nirgends  in  allen  fünf  Sprachen 
erhalten.     Die  betr.  Lesarten    stehen    S.   229 — 242.     Weiter  erhalten  wir 


Literatur.  187 

noch  neue  Ausgaben  der  Narratio  de  primordiis  ordinis  Theutonici  und 
der  Visitationsurkunde  der  preussischen  Ordenshäuser  von  Eberhard  von 
Sayn  und,  au  bisher  ungedrucktem  Material,  Visitationsstatuten  von  1334, 
ein  Strafgesetzbuch  in  lateinischen  Hexametern,  eine  Osterberechnung,  eine 
Aufzeichnung  über  dies  aegyptiaci  (Unheilstage,  an  denen  man  nichts  unter- 
nehmen soll)  und  eine  Wochenlohnberechnung  für  ländliche  Arbeiter  in 
Preussen.  Den  Lesarten  folgen  die  Register:  ein  solches  zum  Kalender, 
ein  Namen-  und  ein  Sachregister,  und  weiter  auf  92  Seiten  lateinische, 
tranzösische,  niederländische,  hochdeutsche,  niederdeutsche  Wörterverzeich- 
nisse.    Eine  Coneordanz    der  verschiedenen  Ausgaben    schliesst  das  Ganze. 

Einwände  gegen  die  Arbeit  wüsste  Kef.  nur  zwei,  beide  äusserlicher 
Art,  zu  machen.  Hätte  nicht  in  den  Registern  und  Wörterverzeichnissen 
nach  Seiten  und  Zeilen  statt  mit  Hülfe  von  Abkürzungen  für  die  ver- 
schiedenen Theile  der  Publication  (es  sind  deren  23!)  citiert  werden  sollen? 
Die  gewählte  Art  des  Citierens  setzt,  trotz  der  Uebersicht  auf  S.  244, 
eine  Vertrautheit  mit  dem  Inhalte  des  Bandes  voraus,  die  man  doch  erst 
nach  längerem  Gebrauche  erwirbt.  Dann  will  dem  Ref.  die  stets  ge- 
brauchte Bezeichnung  »holländisch«  für  die  mittelniederländischen  Texte 
nicht  gefallen:  die  gebräuchliche  Bezeichnung  für  die  Sprache  unserer  ab- 
gesonderten Nachbarn  ist  doch  »niederlän.lisch«  oder  »niederdeutsch«  (vgl. 
Jan  te  Winkel  bei  Paul,  Grundriss  der  germanischen  Philologie  1,6 34  ff.). 
War  es  überhaupt  nothwendig,  die  mittelniederländischen  Texte  von  dem 
mittelniederdeutschen  zu  sondern,  während  die  sämmtlichen  23  mittel- 
hoch- und  mittelmitteldeutschen  als  »deutsch«  zusammengefasst  werden? 
Doch  das  sind  Fragen,  deren  Beantwortung,  wie  sie  auch  ausfallen  möge, 
in  keiner  Weisenden  Werth  von  Perlbachs  Arbeit  beeinträchtigen  könnte. 
Seine  Leistung  ist,  das  muss  ohne  Vorbehalt* ausgesprochen  werden,  eine 
geradezu  staunenswerthe.  Wir  haben  es  hier  zu  thun  mit  einer  Muster- 
publication  ersten^ Ranges,  von  der  jeder,  der  sie  benutzt,  scheiden 
wird  mit  aufrichtiger  Bewunderung  vor  dem  Fleiss,  den  Kenntnissen,  der 
Umsicht,  dem  Scharfsinn  und  der  Gewissenhaftigkeit  ihres  Bearbeiters. 
Perlbach  war |längst  bekannt  als  einer  unserer  .tüchtigsten- Editoren.  Ref. 
wüsste  sehr  wenig,  was  seiner  Arbeit  an  die  Seite,  nichts,  was  über  sie 
gestellt  werden  könnte.  In  die  Geschichtschreibung  des  deutschen  Or- 
dens ist  Perlbachs  Namen  für  alle   Zeiten  fest  eingefügt. 

Tübingen.  Dietrich  Schäfer. 

H.  Simonsfeld,  Beiträge  zum  piipstlicheu  Kauzlei- 
wesen  im  Mittelal  ter  und  zur  deutschen  Greschichte  im 
14  Jalirh.  (Sitzungsberichte  der  philosophisch  -  philologischen  und 
historischen  Classe  der  k.  b.  Akad.  d.  Wissenschaften  zu  München  18iJÜ 
Bd.  IL  Heft  2.  S.  218—284.) 

Angeregt  durch  Bresslaus.  Urkundenlehre  hat  S.  den  einst  von  Merkel 
beschriebenen  Codex  275  des  spanischen  Collegs  in  Bologna  und  den  Codex 
Cl.  IV  Nr.  30  der  Bibliotheca  Marciana  in  Venedig  im  Herbste  des  ver- 
gangenen Jahres  einer  kritischen  Nachprüfung  unterzogen,  über  die  er  in 
dem  ersten  •; Theile  seiner  Abhandlung  eigehend  berichtet.^  Noch  vor  S. 
hatte  ich  selbst   für  die  Vorarbeiten    zu   der  bereits  vorbereiteten  Edition 


■[gX  Literatur. 

des  vollständigen  Liber  Cancellariae  (vgl.  Mittheilungen  10,  404)  beide  Hs. 
untersucht.  Indem  ich  mir  ein  näheres  Eingehen  auf  S.'s  Abhandlungen 
für  die  diesbezüglichen  Arbeiten  voi-behalte,  glaube  ich  doch  jetzt  schon  das 
Wesentliche ,  das  sich  mir  aus  einer  Vergleichung  meiner  Aufzeichnungen 
mit  den  Ausführungen  S.'s  ergab,  kurz  hervorheben  zu  sollen. 

Gegenüber  den  dürftigen  und  unzureichenden  Nachrichten  bei  Merkel 
bedeutet  S.'s  Beschreibung  der  Bologneser  Hs.  einen  unleugbaren  Fort- 
schritt :  er  gibt  eine  vollständige  Inhaltsangabe ,  eine  richtigere  Alters- 
bestimmung (13.  nicht  14.  Jahrb.)  und  sucht  die  Abfassungszeit  desPro- 
vinziale  genau  zu  ermitteln.  Die  Abfassungszeit  der  Hs.  werde  ich  in  einer 
demnächst  in  dieser  Zeitschrift  erscheinenden  Abhandlung  über  das  Tax- 
wesen der  päpstlichen  Kanzlei  auf  c.  12.S0  zu  fixiren  suchen  und  zugleich 
eine  genaue  Schriftvergleichung  daranknüpfen.  S.'s  Versuch,  die  »Verab- 
fassung«  des  Provinciale  »in  der  Form,  wie  es  in  unserer  Hs.  überliefert« 
ist,  aus  dem  Fehlen  eines  Ki'etensischen  Bisthums  vor  1225  zu  setzen, 
ist  nicht  ganz  geglückt  —  ist  doch  das  viel  näher  liegende  nach  diesem  Jahre  ^) 
begründete  Bisthum  Lavant  in  der  Liste  bereits  enthalten. 

Dass  in  dem  erzbischöflichen  Obedienzeid  die  Namensinitiale  des  Erz- 
bischofs und  der  DiÖcesantitel  eine  Handhabe  für  die  Zeitbestimmung 
bieten  können,  hat  S.  (S.  224)  richtig  betont.  »Aber  die  Freude  zer- 
rinnt«, bemerkt  er,  »wenn  man  aus  Gams  Series  episcoporum  ersieht, 
dass  es  im  13.  Jahrh.  nicht  weniger  als  3  Erzbischöfe  von  Taraeon  ge- 
geben hat,  welche  mit  B  beginnen«.  Die  Freude  kam  nur  in  Gefahr  zu 
zerinnen,  weil  S.  übersah,  dass  an  der  betreffenden  Stelle  ja  auch  der 
Name  des  Papstes  genannt  ist  »domino  meo  pape  Cr.«,  also  Gregor, 
woraufhin  die  Irrfahrt  in  Gams  sich  schon  merklich  eingeschi'änkt  haben 
würde.  Ueberdies  aber  lautet  die  ganze  Stelle:  Ego  R.  archiepiscopus 
Taraconensis  .  .  .  fidelis  et  obediens  ero  .  .  .  domino  meo  pape  G(rego- 
rio).  Es  ist  dies  niemand  anderer  als  Kaimund  von  Pennafort,  der  be- 
i'ühmte  Mitarbeiter  Gregors  IX.  an  dessen  Decretalensammlung.  Das  er- 
öffnet uns  aber  für  die  Entstehungszeit  des  Liber  Cancellariae  den  bisher 
unbeachteten  Gesichtspunkt,  dass  an  der  Curie  gleichzeitig  mit  der  Codi- 
ficirung  des  canonischen  Eechtes  auch  die  Aufzeichnung  des  Geschäfts- 
ganges, der  Gewohnheiten  und  Formeln  der  päpstlichen  Kanzlei  Hand  in 
Hand  gegangen  ist. 

Dass  S.  endlich  (S.  219)  in  dem  Codex  mehrere  Stücke  über  das 
Lyoner  Concil  von  »1241«  vorkommen  lässt,  ist  wohl  nur  ein  Versehen, 
wie  sie  auch  anderweitig  unterlaufen  sind. 

Soviel  über  die  Bologneser  Hs.,  nun  zum  Codex  Cl.  IV.  Nr.  30  der 
Bibliotheca  Marciana  in  Venedig. 

Zur  Mittheilung  eines  kleinen  Bruchstückes  aus  diesem  Formelbuche 
bemerkt  S.  (S.  255  A.  2),  dass  »die  vorliegende  Handschrift  vielleicht 
nicht  einmal  das  Original«  dieser  Formelsammlung  sei.  Es  sei  mir  ge- 
stattet, zunächst  einige  allgemeine  Bemerkungen  daran  zu  knüpfen. 

Oi-iginal-Aufzeichnungen  aus  der  "päpstlichen  Kanzlei  sind  uns,  so- 
weit bisher  bekannt,  nur  in  der  Fortsetzung  des  von  mir  gefundenen 
Cod.  XXXV.   69   der  Bibliotheca  Barberini  in  Rom  erhalten,  der  von  etwa 

')  Die  seit  1225  vorbereitete  (Jründung  kam  erst   1228  zum  Absclduss. 


Literatur.  j_g9 

1420 — 1560  Liber  Cancellariae  authenticus  ist  (vgl,  Mittheilungen  10,  466  ; 
11,  341).  Alles  andere  ist  nur  in  abgeleiteter  Form  auf  uns  gekommen, 
theils  in  officiellen  Transsumpten,  tbeils  in  privaten  Kopien.  Dabei  handelt 
es  sich  vor  allem  darum,  die  officiellen,  im  Auftrag  des  Papstes  oder  Vice- 
kanzlers  erlassenen  und  codificirten  Verfügungen  und  Ordnungen  der  päpst- 
lichen Kanzlei  und  die  in  die  officiellen  Kanzleibücher  aufgenommenen 
Formeln  zu  scheiden  von  der  grossen  Masse  der  rein  privaten  Formel- 
sammlungen. Zu  ersteren  gehören  die  Bologneser  Hs. ,  die  beiden  Libri 
Cancellariae  Dietrichs  von  Nieheim,  die  ßegulae,  das  Taxbuch,  und  nur 
sie  beanspruchen  in  erster  Linie  unser  Literesse.  Zu  den  zahlreichen  Hss. 
der  letzteren  Art  zählen  von  Berard  von  Neapel,  Eichard  de  Pofis  und 
Thomas  von  Capua  an  wesentlich  auch  die  von  Meinardus  (N.  Arch.  10, 
35  f.)  besprochenen  Formelbücher;  auch  in  den  verschiedenen  Fonds  der 
Bibliotheca  Vaticana  sowie  in  den  Papierregistern  ist  mir  eine  ganze  Reihe 
ähnlicher  Hss.  begegnet,  wenn  ich  darauf  auch  lediglich  bei  der  Suche 
nach  officiellen  Kanzleiaufzeichnungen  zu  achten  hatte. 

Eine  Art  Mittelstellung  nimmt  eine  Gruppe  von  Hss.  ein,  als  deren 
Vertreter  ich  den  Cod.  Paris,  lat.  4163,  Vindob.  lat.  2188,  ein  den  Papier- 
registern Clemens  VL  beigebundenes  Formelbuch  und  eben  auch  den  ersten 
bis  fol.  53  reichenden  Theil  des  in  Eede  stehenden  Cod.  der  Bibliotheca 
Marciana  kenne.  Der  officielle  Ursprung  ihres  Inhalts  ist  nicht  nachweis- 
bar: aber  sie  übermitteln  uns  wenn  nicht  gesatzte,  so  doch  reichlich  ein 
Jahrhundert  hindurch  in  der  päpstlichen  Kanzlei  geübte  Gepflogenheiten 
betrefi"s  der  graphischen  und  sachlichen  Ausgestaltung  der  Bullen.  Eine 
weitere  Eigenthümlichkeit  besteht  darin,  dass  sie  kurzgefasste  Anweisungen 
immer  durch  ein  angefügtes  Beispiel  erläutern,  und  dass  sie  sich  lediglich 
auf  eine  ganz  bestimmte  Art  päpstlicher  Briefe  beziehen,  nämlich  auf  bei 
der  Curie  von  Seite  einer  klagbaren  Partei  anhängig  gemachte  Rechts- 
händel, deren  Untersuchung  und  Austragung  nun  Schiedsrichtern  anheim- 
gestellt wird;  daher  auch  die  beständig  wiederkehrende  Arenga  »Con- 
questus  est  nobis«  oder  »Significavit  nobis.«  Sie  sind,  wie  der  Wiener 
Codex  sich  treffend  selbst  bezeichnet,  ein  Formelbuch  der  audientia  litte- 
rarum  contradictarum. 

Dabei  ist  ganz  eigenthümlich ,  dass  in  den  verschiedenen  Zeiten  an- 
gehörenden Hss.  der  verbindende  Text  wesentlich  derselbe  bleibt,  die  ge- 
wählten Beispiele  aber  wechseln.  So  nennt  der  Pariser  Codex  als  Beispiel 
für  die  Schreibweise  des  Papstnamens  Bonifaz  VIU. ,  das  Formelbuch  im 
Register  Clemens  VL  Clemens,  die  venetianische  Hs.,  wie  S.  selbst  be- 
merkt, Bonifaz  IX.  Dementsprechend  wechseln  auch  die  Namen  der  in 
den  Briefen  genannten  Personen.  Daraus  aber  ergibt  sich,  dass  der  Codex 
der  Bibl.  Marciana  nicht  nur  nicht  das  Original,  sondern  die  jüngste  und, 
wie  ich  hinzufügen  kann,  die  schlechteste  Copie  ist  und  dass  ferner 
der  Versuch  S.'s,  durch  die  in  den  Beispielen  genannten  Namen  zugleich 
mit  dem  Alter  der  Hs.  auch  das  der  Formelsammlung  selbst  zu  bestim- 
men, irre  gehen  musste.  In  der  That  hat  er  auch  um  ein  volles  Jahr- 
hundert fehl  gegriffen. 

Dem  angedeuteten  Quellenverhältnis  entsprechend  ist  denn  auch  die 
fragmentarische  Edition  (S.  225  f.)  mangelhaft  gerathen.  Dazu  kommt, 
dass  S.  das  ganz  identische  Incipit,    welches  Delisle    in  seinem   »Memoire 


j9ö  Literatur. 

sur  les  aetes  cV  Innocent  III.«  S.  23  aus  dem  Pariser  Codex  Nr.  4163 
mittlieilt  tuid  das  in  Winkelmanns  »Sicilisclien  und  päpstlichen  Kanzlei- 
ordnungen und  Kanzleigebräuchen  des  13.  Jahrh.«  S.  33  wieder  abge- 
druckt ist,  vollständig  entgangen  zu  sein  scheint.  Eine  Vergleichung  müsste 
darauf  aufmerksam  gemacht  haben,  dass  der  hier  ^gebotene  Text  infolge 
der  schlechten  Handschrift  und  der  hinzutretenden  Lesefehler  neben  dem 
üelisle's  eine  traurige  Kelle  spielt. 

So  ist  S.  255,  3.  Contextzeile  v.  u.  floribus  statt  flexibus  zu  lesen; 
S.  256  Z.  6  factus  est  in  epistolis  statt  sieut  est  in  episcopis;  Z.  22 
litteram  nominis  domini  pape  nicht  literam  domini  pape.  S.  256  Z.  17 — 12 
V.  u.  lautet  bei  S. :  ubi  dicit:  Dilecto  filio  d  debet  esse  talis  D|vel'in^eadem 
linea  vel  in  duabus.  Ita  quidem:  Dat.  Laterani  vel  Rome  apud  Sanctum 
Petrum,  sie  scilicet  in  una  linea,  vel:  dat.  Laterani  kal.  Januarii  sie  in 
una  linea.  Et:  pontificatus  nostri  anno  undecimo  sit  in  alia.  Was  dies 
heisst?  Es  ist,  wie  ich  fürchte,  jedermann  unverständlich;  denn  S.  hat  den 
ohnedies  verderbten  Text  durch  das  zweimalige  Verlesen  von  sit«zu*sic 
sowie  durch  den  Schlusspunkt  vor  et  pontificatus  noch  vollends  entstellt. 
Der  Sinn  ist :  Die  Datirung  soll  womöglich  in  einer  Zeile  geschrieben  oder 
derart  abgetheilt  sein,  dass  Tag  und  Ort  in  der  einen  und  das  Pontificats- 
jahr  in  der  andern  Zeile  stehen.  Das  wird  freilich  erst  klar,  wenn  man 
weiss,  dass  Z.  1  7  v.  u.  zwischen  »vel«  und  »in«  eine  bedeutende  Lücke  aus- 
zufüllen ist:  »tale  D.  seu  huius  forme  et  sie  de  similibus.  Item  nota, 
quod  in  Omnibus  litteris  apostolicis  data  tota  debet  esse«  in  eadem  linea  etc. 
Ein  Blick  in  Delisle  hätte  dies  gezeigt.  Z.  8  v.  u.  Petrus,  canonicus,  epis- 
copus  statt  Petrus  Cenet[ensis]  episcopus,  Z.  7  v.  u.  dicatur  statt  dicunt. 
Soweit  reicht  der  Text  bei  Delisle.  Aber  auch  weiter  vermag  ich  ähn- 
liche Irrthümer  nachzuweisen:  S.  256  Z.  2  v.  u.  Idem  statt  Idus,  es  sind 
nämlich  wieder  die  gleichen  im  vorhergehenden  Vers  durch  Immo  bezeich- 
neten Monate  März,  Mai,  Juli  und  Oktober  gemeint;  in  demselben  Vers 
Februus  st.  Febrius;  S.  257  Z.  9  vor  scilicet  eine  grosse  Lücke  von  nicht 
weniger  als  23  Worten;  S.  258  Z.  12  richtig  audiende:  Z.  13  fehlt  nach 
auctoritate  litterarum;  Geradezu  kläglich  ist  stellenweise  die  Interpunction. 
Zu  S.  256  Z.  1  wäre  aus  Delisle  zu  ersehen  gewesen,  dass  nach  scribitur 
der  Schlusspunkt  jedenfalls  besser  angebracht  ist  als  der  Beistrich.  Des 
sinnstörenden  Schlusspunktes  vor  et  pontificatus  in  Z.  14  v.  u.  ist  bereits 
oben  gedacht  worden.  Ebenso  unrichtig  ist  die  Interpunction  S.  257  Z.  1 
Isti  versus  sunt  taliter  intelligendi  in  ista  dictione:  Asin  sunt  quatuor 
litere  statt:  intelligendi:  in  ista  dictione   »Asin«   sunt  quattuor  littere. 

Denifle  wäes  einst  in  einer  Abhandlung  über  die  Begisterfrage  (Arch. 
f.  Lit.  u.  Kirch.  Gesch.  2,  5l)  auf  die  Höhe  hin,  welche  die  Kaiserdiplo- 
matik  durch  Genauigkeit  und  Sorgfalt  der  Einzelforschung  erklommen, 
und  schloss  mit  den  Worten:  »Auf  keinem  anderen  Wege  kann  die  päpst- 
liche Diplomatik  dieselbe  erreichen«.  Mit  flüchtig  hingeworfenen  Bemer- 
kungen und  dem  eiligen  Abklatschen  einiger  Codexblätter  ist  ihr  kaum 
ein  Dienst  geleistet. 

Im  2.  Theile  seiner  Abhandlung  gibt  S.  werthvolle  Ergänzungen  zu 
dem  im  Arch.  f.  österr.  Gesch.  62,  149  f.  erschienenen  Aufsatz  von 
F.  M.  Mayer,  »Beiträge  zur  Geschichte  des  Erzbisthums  Salzburg.  II.  Ueber 
ein  Formelbuch  aus  der  Zeit  des  l^h-zbischofs  Friedrich  III.«   und  den  dort 


Literatur.  \Q\ 

mitgetheilten  Urkunden.  So  bezeichnet  S.  (ö.  24 1)  seine  Arbeit  ja  selbst, 
während  er  zur  Zeit,  als  er  den  derselben  zugrunde  liegenden  akademi- 
schen Vortrag  hielt,  jene  Vorarbeit  allerdings  nicht  kannte.  Aus  zwei  mit 
dem  Salzburger  theilweise  identischen  Formelbüchern  der  k.  Bibliothek  zu 
München  druckt  er  als  Nr.  1 '  seiner  Urkunden  das  bei  Mayer  1.  c.  als  Nr.  3 
bereits  veröfientlichte  Stück  wieder  ab  und  gibt  in  den  übrigen  Beilagen  und 
dem  vorangehenden  Commentar  hauptsächlich  neue  Beiträge  zur  Stellung  des 
Bischofs  Nikolaus  von  Regensburg  in  dem  damaligen  kirchenpolitischen  Kampfe. 
Wien.  M.  Tan^l. 


Dr.  Johannes  Bugenhagens  Briefwechsel.  Im  Auftrage 
der  Gesellschaft  für  pommersche  Geschichte  und  Alterthumskunde  ge- 
sammelt und  hrsg.  durch  Lic.  0.  Vogt.  Stettin,  L.  Saunier,  1888. 
XX,  636  S. 

Das  Leben  und  Wirken  Bugenhagens,  eines  der  thätigsten  Mitarbeiter 
und  besten  Freunde  Luthers,  ist  schon  mehrfach  beschrieben  worden  und  man 
wird  sagen  dürfen,  dass  die  historisch-theologische  oder  besser  theologisch- 
historische Forschung  sowohl  die  wichtigeren  Momente  im  äusseren  Lebens- 
gang B.'s  als  auch  seine  innere  Entwicklung,  welche  sich  übrigens  rascher 
und  einfacher  als  bei  irgend  einem  andern  unter  den  bekannteren  Refor- 
matoren vollzog,  schon  auf  Grund  des  bisher  bekannten  Quellenmaterials 
hinreichend  klar  gestellt  hat.  Wird  sich  dieses  so  gewonnene  Bild  durch 
die  jüngste  Publikation  wesentlich  ändern?  Ich  glaube  nicht.  Allein 
heutzutage  muss  man  sich  überhaupt  bei  der  Mehrzahl  von  Quellenpubli- 
kationen abgewöhnen  zu  fragen,  ob  sie  uns  ganz  neue  Gesichtspunkte  für 
die  historische  Betrachtung  der  durch  sie  berührten  Ereignisse  aufnothigen. 
Genug,  wenn  sie  uns  neue  Einzelheiten  liefern,  kleine  Ungenauigkeiten 
berichtigen,  vorhandene  Lücken  füllen  oder  auch  nur  die  Beweisstücke  zu 
schon  bekannten  Thatsachen  in  übersichtlicher  und  brauchbarer  Form  vor- 
legen. Diesen  Standpunkt  wird  man  daher  auch  bei  der  Beurtheilung  des 
Buches  von  Vogt  einnehmen  müssen. 

Die  vorliegende  Briefsammlung  umfasst  etwas  über  300  Kummern. 
Es  zeugt  von  der  Umsicht  des  Verfassers,  dass  es  ihm  gelungen  ist,  nahezu 
ein  Drittel  bisher  ungenügend  publicirte  oder  ganz  unbekannte  Stücke 
zum  Abdruck  zu  bringen.  Durch  sie  wird  unsere  Kenntnis  von  B.'s  per- 
sönlichen Beziehungen  nicht  unbeträchtlich  erweitert.  Ich  verweise  da 
z.  B.  auf  die  Briefe,  welche  sein  intimes  Verhältnis  zu  dem  Fürsten  Joachim 
von  Anhalt ,  Herzog  Albrecht  von  Preussen  und  Landgraf  Philipp  von 
Hessen  beleuchten  (die  ersten  und  letzten  sämmtlich  unbekannt),  oder  auf 
die,  welche  er  gemeinsam  mit  anderen  verfasste,  z.  B.  Nr.  53  mit  Justus 
Jonas  an  den  Kurfürsten  von.  Sachsen  gerichtet,  der  selbst  in  der  neuen 
Sammlung  der  Bi-iefe  des  Jonas  fehlt.  Um  so  mehr  muss  man  bedauern, 
dass  drei  auf  der  hiesigen  Universitätslnbliothek  befindliche  an  Spalatin 
gerichtete  Briefe  übersehen  worden  sind.  Diese  Thatseche  ist  doppelt  be- 
fremdend, da  in  B.'s  Schrilten  selbst  sich  deutliche  Anhaltspunkte  für  seine 
Beziehungen  zu  Basel  finden  (vgl.  die  Vorrede   zu  seinen  Annotationes  in 


192  Literatur. 

librum  psalmorura,  die  auch  wie  mehrere  andere  seiner  Schriften  in  Basel 
gedruckt  wurden)  und  da  der  Herausgeber  doch  auch  die  Strassburger 
Bibliothek  für  seine  Zwecke  ausbeutete.  Ich  publiciere  diese  Briefe  an 
anderer  Stelle  dieses  Heites. 

Was  dann  die  Anlage  des  Buches  betrifft,  so  wird  man  sich  mit  den 
vom  Herausgeber  in  der  Vorrede  bemerkten  Editionsgrundsätzen  einver- 
standen erklären  können,  namentlich  damit,  dass  er  die  Briefe  B.'s  ganz, 
die  an  ihn  gerichteten  meistens  nur  auszugsweise  wiedergegeben  hat.  Die 
erläuternden  Anmerkungen  sind  mit  Geschick  und,  soweit  ich  sie  prüfen 
konnte,  auch  genau  gemacht.  Ich  habe  nur  ein  Versehen  zu  berichtigen 
S.  124  AI.  2,  die  Angabe  über  Oekolampads  Tod,  der  nicht  auf  den 
5.  üez. ,  sondern  den  23.  Nov.  fällt  und  nicht  durch  die  Pest,  sondern 
durch  die  in  Folge  einer  Krankheit  eingestretene  Erschöpfung  herbeigeführt 
war  (vgl.  Basler  Chroniken   1,    138  Anm.   2). 

Der  Briefsammlung  folgt  vor  den  Eegistevn,  denen  jedoch  etwas  grössere 
Sorgfalt  hätte  zugewendet  werden  können  ^),  ein  chronologisches  Verzeichnis 
der  Briefe,  Schriften  und  bekannten  Momente  aus  B.'s  Leben.  Diese  Zu- 
sammenstellung von  Eegesten  zu  seiner  Biographie  ist  sehr  zweckmässig, 
indem  namentlich  durch  Verweise  auf  die  Briefe  der  Zusammenhang  zwischen 
einzelnen  Briefen  und  den  jeweiligen  äusseren  Umständen,  unter  denen  sie 
entstanden,  rasch  ersichtlich  wird.  Unter  den  Werken  wären  noch  die 
folgenden  anzuführen  gewesen  1.  Ain  warhafitigs  vrtayl  des  bochgelerten 
Philippi  Melanchthonis  von  D.  Martin  Luthers  leer  dem  Cardinal  und  Pabst- 
lichen  legaten  gen  Stügarten  zugeschickt  MDXXIIII.  Ain  schone  Offen- 
barung des  Endchrists  durch  Johan  bugen.  Pomeranum.  2.  In  IUI  priora 
capita  Evangelii  secundum  Matthaeum  in  schola  Wittembergensi  publice 
tractata  per  Doctorem  Johannem  Bugenhagium  Pomeranum  Nunc  primum 
iussu  auctoris  excusa  Wittembergae  anno  MDXLIII.  Am  Schluss  Wittem- 
bergae  per  Josephum  Klug  anno  MDLXIII  (sie!).  3.  Ain  christlicher  send- 
prieff  An  frow  Anna  geborne  hertzogin  von  Stetin  in  pomern  etc.  Der- 
selbe gehört  ins  Jahr  1524  und  sollte  nicht  fehlen,  da  er  schon  in  der 
von  dem  Vater  des  Hrg.  besorgten  Biographie  B.'s  S.  90  Anm.  1,  ange- 
führt ist,  was  bei  den  vorhergehenden  Nummern  nicht  der  Fall  ist.  Das- 
selbe gilt  aber  wieder  von  der  Postilatio  J.  B.  P  .  .  .  ad  preces  Georgii 
Spalatini  sci'ipta  1541  (?)  erwähnt  in  der  Biographie  S.  G2  Anm.  1  und 
der  hochdeutschen  Ausgabe  von  der  Erbarn  Stadt  Braunschwyg  Christen- 
liche  ordenunge  a.  d.  Jahre  1531,  erwähnt  ebendort  S.  281  Anm.  1,  vgL 
Briefwechsel  S.  586  zum  5.  Septbr.  1528.  Ferner  wären  folgende  Ver- 
sehen zu  verbessern,  die  S.  583  unter  Juli  1525  angeführten  Annotationes 


')  Ich  kann  das  hier  natürlich  nur  durch  Stichproben  beweisen,  die  Ueber- 
schrift  lautet:  Register  im  Text  erwähnter  Personen  und  üite.  Nun  linde  ich 
z.  B.  auf  S.  240  Braunschweig  und  Bremen,  S.  241  Hildesheim,  diese  fehlen  aber 
gänzlich  im  Register.  Umgekehrt  fehlt  S.  240  unter  den  Zahlen  ;s.  v.  Luther 
und  Melanchthon.  Kbenso  findet  sich  auf  S.  240  ein  Autor  von  Svalenberg.  Der 
steht  im  Register  unter  Schwalenberg.  Da  wäre  doch  ein  Verweis  am  Platze 
gewesen.  Aber  die  gibt  es  in  diesem  Register  übei'haupt  fast  gar  nicht.  Aehn- 
lich  steht  S.  220  ein  Gottschalk,  Bischof  zu  Öchleswdg.  Den  findet  man  im  Re- 
gister nur  s.  V.  Ahlefeldt!  Das  ist  doch  ganz  unzulässig.  S.  v.  Lüneburg  steht 
bloss  S.  92.  Aber  S.  94  kommt  es  in  noch  wichtigerem  Zusammenhang  vor. 
Auf  derselben  S.  94  steht  Riga-,  |ehlt  ganz  im  Register  u.  s.  w. 


Literatur.  X9S 

in  epistolas  Pauli  sind  schon  früher  mense  Martio  in  Basel  bei  Adam  Petri 
erschienen.  Die  Schrift  vom  Ehebruch  (S.  596  zum  13.  April  1539)  fällt 
nicht  ins  Jahr  1540,  sondern  erst  1541.  Unter  dem  22.  Febr.  1546 
(S.  609)  hätte  der  erste  Abdruck  der  Leichenrede  (Wittemberg  durch 
Georgen  Khaw  anno  MDXLVl)  wohl  Erwähnung  verdient. 

Diese  Mängel  thun  jedoch  dem  Werte  des  Buches  keinen  Abbruch. 
Wer  die  Schwierigkeiten  kennt,  die  sich  der  Anlegung  einer  solchen  Samm- 
lung entgegenstellen ,  bei  der  man  sich  nicht  wie  bei  einem  Urkundeu- 
buch  auf  einen  mehr  oder  weniger  concentrierten  Bestand  von  Schrift- 
stücken stützen  kann,  wird  die  Umsicht,  mit  welcher  der  Herausgeber  ein 
weit  zerstreutes  Material  einer  sichern  und  leichten  Benützung  zugeführt 
hat,  gerne  anerkennen. 

Basel.  R.  Thommen. 


Eikskansleren  Axel  Oxenstiernas  Skrifter  och  Bref- 
vexling.  ütgifna  af  KongL  Vitterhets-,  Historie-  och  Antiqvitets- 
Akademien  II  (Seuare  Afdelningen),  2.  Stockholm,  P.  A.  Norstedt  u. 
Söners  Forlag,  1889.  X,  678.  8". 

Dieser  neue  Band  der  Ausgabe  von  Axel  Oxenstjernas  Schriften  (vgl. 
Mittheilungen  XI,  181  ff.)  gehört  zur  zweiten  Abtheilung,  Briefwechsel. 
Er  bringt  die  Briefe  des  Hugo  Grotius  aus  der  ersten  Hälfte  des  Jahr- 
zehnts, in  dem  dieser  schwedischer  Gesandter  in  Paris  war,  1635 — 39. 
Voraufgeschickt  sind  zwei  Briefe,  die,  der  eine  vom  Febr.  1633,  der  andere 
vom  Jan.  1634,  noch  aus  Hamburg  an  den  Kanzler  geschrieben  sind.  Im 
ganzen  enthält  der  Band  289  Briefe.  Den  Rest  aus  den  Jahren  1640 — 45 
wird  ein  zweiter  Band  (der  dritte  der  ganzen  Abtheilung)  bringen.  3  4  Briefe 
haben  Aufnahme  gefunden,  ohne  direkt  an  Axel  Oxenstjerna  gerichtet  zu 
sein.  Sie  stehen  inhaltlich  mit  den  übrigen  in  so  engem  Zusammenhang, 
dass  sie  nicht  von  ihnen  zu  trennen  waren;  eine  Anzahl  sind  von  Anfang 
an  mit  den  an  den  Kanzler  selbst  gerichteten  in  denselben  Sammlungen 
vereinigt  worden.  Die  Adressaten  dieser  Briefe  sind  die  Königin  Christine, 
Johann  Oxenstjerna,  Johannes  Salvius,  Schering,  Gustav  Rosenhann  und 
Peter  Schmalz,  der  Sekretär  des  Kanzlers  in  Deutschland.  Die  allermeisten 
der  in  diesem  Bande  mitgetheilten  Briefe  finden  sich  schon  in  der  Am- 
sterdamer Ausgabe  von  1686/87:  Hugonis  Grotii  epistolae  quotquot  repe- 
riri  potuerunt.  Die  vorliegende  Veröffentlichung  hat  aber  vor  der  älteren 
den  Vorzug,  dass  sie  die  Chiffren  auflöst.  Es  geschieht  das  nach  einem 
von  Hugo  Grotius'  eigener  Hand  noch  heute  bewahrten  Schlüssel,  der  in 
der  Einleitung  in  der  alphabetischen  Ordnung,  die  ihm  schon  in  der  Zeit 
des  Hugo  Grotius  gegeben  worden  ist,  mitgetheilt  wird.  In  den  Briefen 
selbst  werden  die  aufgelösten  Stellen  durch  Sterne  kenntlich  gemacht; 
was  in  der  Vorlage  stand,  erfährt  man  nicht.  Auch  sonst  sind  die  Texte 
gegenüber  der  ersten  Ausgabe  vielfach  verbessert  worden.  Zu  bedauern 
ist,  dass  den  einzelnen  Briefen  Regestenüberschriften ,  wie  sie  doch  dem 
ersten  Bxief bände  der  Publikation,  wenn  auch  kurz,  beigegeben  waren, 
hier  vollsständig  fehlen,  dass  der  Herausgeber  mit  erläuternden  oder  son- 
stigen Anmerkungen  überhaupt  aussei'ordentlich  sparsam  ist.    Wir  erhalten 

Mittheilungen  XII.  13 


194  Literatur. 

eigentlich.  nicMs  als  den  nackten  Text.  Bearbeiter  des  Bandes  ist  J.  Fr.  Ny- 
ström.  Ein  Register  wird  dem  zweiten  Bande  von  Grotius'  Briefen  bei- 
gegeben werden. 

Tübingen.  Dietrich  Schäfer. 


Bericht  über  die  31.  Plenarversammlung  der  hist. Kom- 
mission bei  der  k  gl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 

München  im  Oktober  1890.  Die  diesjährige  Plenarversammlung  der 
historischen  Kommission  fand  vom  25.  bis  27.  Sept.  unter  der  Leitung 
ihres  Vorstandes,  des  Wirkl.  Geh.  Qberregierungsrates  v.  Sybel,  statt.  Die 
EröffiiungsreJe  des  Vorstands  war  dem  Andenken  der  beiden  hervorragen- 
den Mitglieder  gewidmet,  welche  die  Kommission  seit  ihrer  letzten  Plenar- 
versammlung verloren  hat.  Sie  legte  den  Lebensgang  v.  Giesebrechts  dar 
und  seine  Verdienste  um  Wissenschaft  und  Vatei'land,  so  wie  insbesondere 
um  die  Kommission,  deren  Mitglied  er  von  der  Zeit  ihrer  Begründung 
und  deren  Sekretär  er  27  Jahre  lang  gewesen  ist,  und  erörterte  eingehend 
und  ausführlich  den  Charakter  seines  grossen  Lebenswerkes,  der  Geschichte 
der  deutschen  Kaiserzeit.  Dann  ging  der  Redner  auf  v.  Döllinger  über, 
rühmte  die  Theilnahme,  die  derselbe  den  Bestrebungen  der  Kommission 
viele  Jahre  hindurch  bewährt  hat,  und  vergegenwärtigte  in  lebhafter  Schil- 
derung die  Eindrücke,  welche  er  seit  1856  bei  oft  wiederholten  Begeg- 
nungen von  seiner  Persönlichkeit  empfangen  habe. 

An  den  Verhandlungen  der  Plenarversammlung  nahmen  weiterhin 
Theil  die  ordentlichen  Mitglieder:  Wirkl.  Geh.  Rat  v.  Arneth  aus  Wien, 
Klosterpropst  Freiherr  v.  Liliencron  aus  Schleswig,  die  Geh.  Regierungs- 
räte Dümmler  und  Wattenbach  aus  Berlin ,  die  Professoren  ßaumgarten 
aus  Strassburg,  v.  Hegel  aus  Erlangen,  v.  Kluckhohn  aus  Göttingen, 
V.  Wegele  aus  Würzburg,  die  Professoren  von  Druffel,  Heigel  und  Stieve, 
Oberbibliothekar  Riezler  und  Prof.  Cornelius,  Verweser  des  Sekretariats 
der  Kommission,  von  hier.  Ausserdem  wohnten  die  ausserordentlichen 
Mitglieder :  Dr.  Lossen ,  Sekretär  der  Akademie  der  Wissenschaften,  und 
Dr.  Quidde,  von  hier,  den  Sitzungen  bei. 

Seit  der  letzten  Generalversammlung  sind  folgende  Publikationen 
durch  die  Kommission  erfolgt: 

1 .  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland.  Bd.  XXL  Geschichte 
der  Kriegswissenschaften  von  Max  Jahns.     Abtheilung  I  und  IL 

2.  Jahrbücher  der  deutschen  Geschichte.  Jahrbücher  des  deutschen 
Reichs  unter  Heinrich  IV.  und  Heinrich  V.,  von  Gerold  Meyer  von 
Knonau.     Bd.  L   1056—1069. 

3.  Allgemeine  deutsche  Biographie.     Bd.  XXX  Tind  Bd.  XXXI  Heft  1. 
Andere  Publikationen  stehen  für  die  nächste  Zeit  bevor. 

Der  Druck  der  Vatikanischen  Akten  zur  Geschichte  Kaiser 
Ludwigs  des  Bayern,  herausgegeben  von  Oberbibliothekar  Dr.  Riezler, 
ist  nach  Ueberwindung  der  in  den  Vorjahren  erwähnten  Verzögerungen 
nunmehr  fast  vollendet.  In  den  nächsten  Monaten,  sobald  das  von  Dr.  Joch- 
ner bearbeitete  Register  fertig  gedruckt  ist,  wird  das  Werk  erscheinen. 

Von    der  Geschichte    der  Wissenschaften    in  Deutschland 


Literatur.  ;[95 

ist  die  Gesehiclite  der  Kriegswissenschafien  von  Max  Jahns  im  Erscheinen 
begi'iffeu.  Zwei  Abtheilungen  derselben  sind  im  vergangenen  Sommer  aus- 
gegeben worden.  Die  Schlussabtheilung  ist  im  Druck  und  wird  demnächst 
vollendet  sein. 

Für  die  Hanse-Recessse  ist  Dr.  Koppmann,  Archivar  der  Stadt 
Rostock,  fortwährend  thätig.  Der  Schluss  der  Sammlung,  die  Jahre  1419 
— 1430,  erfordert  noch  zwei  Bände,  den  7.  und  8.  Der  Herausgeber,  der 
das  Material  bis  zum  Jahr  1428  bereits  durchgearbeitet  hat,  hofft  den 
Druck  im  Sommer   1891   beginnen  zu  könnsn. 

Von  den  Jahrbüchern  des  deutschen  Reichs  ist  zunächst 
die  Umarlieitung  des  Bonnell'schen  Buchs  über  die  Anfänge  des  Karolin- 
gischen Hauses  zu  erwarten,  welche  Prof.  Oelsner  in  Frankfurt  übernommen 
hat,  und  deren  Erscheinen  er  für  1891  in  Aussicht  stellen  zu  dürfen  glaubt. 

Für  die  deutschen  Städte-Chroniken,  herausgegeben  durch 
Prof.  V.  Hegel,  besteht  das  Hinderniss  fort,  welches  durch  die  Abberufung 
des  Dr.  Hansen  als  Assistent  an  das  k.  Preussische  historische  Institut  in 
Rom  ei-wachsen  ist.  In  Folge  dessen  können  die  dem  Abschluss  nahen 
Arbeiten  für  den  3.  Band  der  niederrheinisch-westfälischen  Chroniken  noch 
nicht  wieder  aufgenommen  werden.  Dagegen  hat  Dr.  Friedrich  Roth  in 
München  die  Bearbeitung  der  Augsburger  Chroniken  des  15.  Jahrh.  so 
weit  gefördert,  dass  der  Druck  des  3.  Bandes  derselben  demnächst  be- 
ginnen kann  und  sein  Erscheinen  während  des  nächsten  Jahres  mit  Sicher- 
heit zu  ei-warten  ist.  Dieser  Band  wird  die  Chronik  von  Hektor  Mülich 
1448 — 87  nebst  Zusätzen  von  Demer,  Manlich,  Walther  und  Rem  ent- 
halten, ausserdem  die  Chronik  des  Clemens  Sender.  Das  archivalische 
Material,  Rechnungen,  Briefbücher,  Eatsdekrete  u.  s.  w.,  wird  in  den  An- 
merkungen verwerthet. 

Die  Herausgabe  der  älteren  Serie  der  deutschen  Reichs- 
tagsakten ist  seit  dem  Tode  Prof.  Weizsäckers  von  Dr.  Quidde  über- 
nommen worden.  Während  des  abgelaufenen  Jahres  waren  die  Arbeiten 
im  wesentlichen  darauf  gerichtet,  Lücken  in  der  bisherigen  Sammlung  des 
handschriftlichen  und  gedruckten  Materials  für  die  Jahre  l432 — 39  aus- 
zufüllen und  so  den  nächsten  Band,  den  1 0.  der  ganzen  Reihe ,  so  bald 
als  möglich  druckfertig  zu  machen.  Dagegen  wurden  die  geplanten  Reisen 
nach  Frankreich,  Belgien  und  England  aufgeschoben,  als  für  den  nächsten 
Zweck  nicht  unentbehrlich.  Neben  dem  Herausgeber,  der  im  Januar  seinen 
Wohnsitz  nach  München  verlegt  hat,  war  Dr.  Heuer  in  Frankfurt  in  der 
bezeichneten  Richtung  thätig,  some  Dr.  Schellhass,  welcher,  nachdem  er 
seine  im  Vorjahre  angetretene  italienische  Reise  gegen  Weihnachten  be- 
endet und  ihre  Ergebnisse  in  Frankfurt  verarbeitet  hatte,  noch  im  Früh- 
jahr 1890  ebenfalls  nach  München  übersiedelte.  Ausserdem  Avurden  einige 
Reste  im  Dresdner  Archiv  durch  Dr.  G.  Sommerfeld,  als  gelegentlichen 
Hülfsarl)eiter,  erledigt;  eine  Reise  in  die  Schweiz,  die  Dr.  Schellhass  im 
August  unternahm,  brachte  namentlich  in  Basel  und  Solothurn  reiche  Aus- 
beute ;  und  Dr.  Heuer  hat  vor  kurzem  eine  Reise  in  die  preussische  Rhein- 
provinz angetreten.  Es  wird  daran  gedacht,  den  10.  Band  in  zwei  Bände 
zu  theilen  und  würde  es  in  diesem  Fall  vielleicht  möglich  sein,  einen 
Band   im  Laufe   des  Jahres    1891    druckfertig  zu  machen. 

13* 


j9ß  Literatur. 

Für  die  jüngere  Serie  der  deutschen  Reichstagsakten  hat  der  He- 
rausgeber Prof.  V.  Kluckhohn  ausser  dem  bisherigen  ständigen  Mitarbeiter 
Dr.  Wrede  noch  Dr.  0.  Merx  und  Dr.  Saftien  herangezogen.  Der  früliere 
Mitarbeiter  Prof.  Friedensburg  sandte  Beiträge  aus  Rom,  Mantua  und  Ve- 
nedig. Wie  bisher  erleichterten  zahlreiche  Staats-  und  Stadt  -  Archive  die 
Arbeit,  indem  sie  ihre  Akten  an  die  Universitsbibliothek  zu  Göttingen 
übersandten.  Die  grösste  Förderung  aber  erfuhr  das  Unternehmen  fort- 
dauernd von  Seiten  des  k.  u.  k.  Hof-,  Haus-  und  Staatsarchivs  zu  Wien, 
aus  welchem  namentlich  Dr.  Gustav  Winter  Beiträge  aus  dem  alten  Reichs- 
erzkanzler-Archiv lieferte.  Anderes  Material  fand  Prof.  v.  Kluckhohn  zu 
Arolsen,  Salzburg  und  Innsbruck,  Dr.  Merx  im  Marburger  Archiv.  So  liegt 
der  Stoff  für  die  Jahre  1520 — 24  nunmehr  ziemlich  vollständig  vor,  und 
kann  die  Hauptarbeit  der  nächsten  Zeit  auf  die  Redaktion  des  1.  Bandes 
gewandt  werden,  der  mit  dem  Tag  der  Wahl  Karls  V.  zum  römischen 
König  beginnen  und  seine  Reise  nach  Deutschland  und  Krönung ,  dann 
den  Wormser  Reichstag  umfassen  soll.  Der  Beginn  des  Drucks  wird  für 
Ostern   1891   in  Aussicht  genommen. 

An  die  jüngere  Serie  der  deutschen  Reichstags  -  Akten  wird  sich  als 
»Supplement«  eine  Sammlung  der  Päpstlichen  Nuntiaturbe- 
richte  aus  dem  16.  Jahrhundert  anschliessen ,  eine  Bereicherung 
unseres  Unternehmens ,  welche  die  Kommission  dem  wohlwollenden  Ent- 
gegenkommen des  k.  preussischen  Kultusministeriums  verdankt,  das  dem 
preussischen  historischen  Institut  zu  Rom  die  Mitarbeit  für  unsere  Zwecke 
verstattet  hat.  Da  zusammenhängende  Serien  von  Nuntiaturlierichten  erst 
seit  1533  vorliegen,  so  will  der  Herausgeber  Prof.  Friedensburg  in  Rom 
mit  diesem  Zeitpunkt  beginnen  und  in  den  1.  Supplementband  die  Be- 
richte des  Peter  Paul  Vergerio  von  seinen  beiden  Sendungen  nach  Deutsch- 
land 1533 — 34  und  1535,  weiter  Berichte  desselben  aus  Neapel  153r) 
und  seines  Stellvertreters  Otonello  Vida  aus  Deutschland  1536 — 38,  so 
wie  die  seiner  Nachfolger  Aleander  und  Mignanelli  bis  zum  Herbst  1539, 
dazu  dann  überall  die  Gegenschreiben  der  Kurie,  soweit  solche  vorliegen, 
aufnehmen.  Prof.  Friedensburg  hat  ausser  dem  Vatikanischen  Archiv  auch 
die  Archive  zu  Venedig,  Parma,  Florenz  und  besonders  zu  Neapel  ausge- 
beutet, wo  sich  die  umfangreichen  und  hochbedeuteuden  Farnesinischen 
Papiere  befinden.  So  sind  für  den  1.  Band  über  550  Nummern  gesam- 
melt, darunter  mindestens  500  Inedita,  und  ungefähr  ebenso  viel  weitere 
in  Anmerkungen  zu  verwerthende  Aktenstücke.  Dem  Prof.  Friedensburg 
hat  sich  als  freiwilliger  Mitarbeiter  Dr.  Heidenheim  zur  Verfügung  gestellt 
und  sammelt  zur  Zeit  Nuntiaturberichte  der  Jahre    1545  — 1555. 

Für  die  ältere  Pfälzische  Abtheilung  der  Witteisbacher  Corre- 
spondenzen  hat  Prof.  v.  Bezold  jetzt  die  Arbeit  wieder  aufgenommen 
und    beabsichtigt    zunächst    zur    Vervollständigung    des  Materials    für    den 

3.  Band  der  Briefe  des  Pfalzgrafen  Johann  Casimir  die  Staatsarchive  zu 
München  und  Marburg  zu  besuchen.  Auch  wird  eine  Nachlese  im  Dresdner 
Archiv  eiforderlich  sein. 

Für  die  ältere  bayrische  Abtheilung  wird  Prof.  v.  Druffel  jetzt,  nach 
Herstellung    seiner    Gesundheit,    wieder   thätig    sein    und    den    Druck    des 

4.  Bands  seiner  Beiträge  zur  Reichsgeschichte  beginnen  lassen. 

Was  die  vereinigte  jüngere  bayrisch-pfälzische  Abtheilung  betrifft,  so 


Literatur.  197 

ist  zwar  Prof.  Stieve  persönlich  noch  nicht  in  der  Lage  gewesen,  die  Ar- 
beiten für  den  6.  Band  der  Briefe  und  Akten  zur  Geschichte  des  dreissig- 
j ährigen  Kriegs  energisch  wieder  aufzunehmen:  dagegen  hat  sein  Mitarbeiter, 
Dr.  Karl  MajT,  mit  grossem  Eifer  die  Sammlung  des  Materials  für  die  Jahre 
1618 — 20  fortgesetzt,  sowohl  des  gedruckten  in  den  gleichzeitigen  politi- 
schen Flugschriften  und  Zeitungen,  als  auch  des  archivalischen  im  Reichsarchiv 
und  Staatsarchiv  zu  München.  Diese  Arbeit  soll  im  kommendeii  Jahr  in 
München  fortgesetzt  und  wo  möglich  nach  Wien  ausgedehnt  werden. 

Der  Fortgang  der  allgemeinen  deutschen  Biographie  hat 
theils  durch  die  Schuld  der  Druckerei,  theils  durch  die  grosse  Saumselig- 
keit einzelner  Mitarbeiter  eine  bedauerliche  Verzögerung  erlitten,  so  dass 
im  abgelaufenen  Jahr  nicht  wie  gewöhnlich  1 0,  sondern  nur  6  Lieferungen 
ausgegeben  werden  konnten;  doch  hoflPt  die  Eedaktion  das  Versäumte  im 
nächsten  Jahr  theilweise  wieder  einzuholen.  Der  im  allgemeinen  in  er- 
freulicher Weise  sich  erweiternde  Kreis  der  Mitarbeiter  hat  einen  empfind- 
lichen Verlust  ei-fahren  durch  den  unerwarteten  Tod  des  Konsistorialrats 
Wagemann  in  Göttingen,  an  welchem  das  Unternehmen  von  seinem  ersten 
Beginn  an  einen  vortrefflichrn  Berater  und  Mitarbeiter  für  das  Gebiet  der 
evangelischen  Kirchengeschichte  besessen  hatte. 


I 


Bericht  über  die  neuntePlenarsitzung  der  badischen 
historischen  Kommission. 

Karlsruhe,  im  November  1890.  Die  neunte  Plenarsitzung  der  badi- 
schen historischen  Kommission  hat  am  7.  und  8.  Nov.  in  Karlsruhe  statt- 
gefunden. Derselben  wohnten,  unter  dem  Vorsitze  ihres  Vorstandes,  Geh. 
Hofrat  Winkelmann  aus  Heidelberg,  die  ordentlichen  Mitglieder  Geh.  Rat 
Knies,  Geh.  Hofrat  Schröder  und  Hofrat  Erdmannsdörffer  aus  Heidelberg, 
Geh.  Rat  v.  Holst,  Geh.  Hofrat  Kraus  und  Prof.  v.  Simson  aus  Freiburg, 
Archivdirektor  v.  Weech,  Archivrat  Schulte,  Archivassessor  Obser  und  Geh. 
Hofrat  Wagner  aus  Karlsruhe,  Archivar  Baumann  aus  Donaueschingen  und 
Archivdirektor  Prof.  Wiegand  aus  Strassburg,  sowie  die  ausserordentlichen 
Mitglieder  Prof.  Hartfelder  aus  Heidelberg,  Prof.  Roder  aus  Villingen  und 
Diaconus  Maurer  aus  Emmendingen  und  als  Vertreter  der  Grossherzoglichen 
Staatsregierung  der  Präsident  des  Grossh.  Ministeriums  der  Justiz,  des 
Kultus  und  Unterrichts,  Wirkl.  Geh.  Rat  Dr.  Nokk,  Geh.  Rat  Frey  und 
Geh.  Referendar  Dr.  Arnsperger  bei.  Das  ordentliche  Mitglied  Geistl.  Rat 
Prof.  König  aus  Freiburg  hatte  sein  Ausbleiben  durch  Unwohlsein  ent- 
schuldigt. 

Nachdem  der  Vorsitzende  die  neu  ernannten  Mitglieder  Herrn  Wiegand 
und  Maurer  begrüsst  und  der  Sekretär  der  Kommission,  Archivdirektor 
V.  Weech,  seinen  Bericht  über  die  Thätigkeit  der  Kommission  während  des 
verflossenen  Jahres  im  allgemeinen  vorgetragen  hatte,  wurden  die  Berichte 
über  die  einzelnen  von  der  Kommission  veranlassten  wissenschaftlichen 
Unternehmungen  erstattet. 

Hofrat  Erdmannsdöi-fler  theilte  mit,  dass  der  Druck  des  2.  Bandes 
der  Politischen  Korrespondenz  Karl  Friedrichs  von  Baden 
bis  zum  18.  Bogen  vorgeschritten  sei    und  nunmehr    ohne  Unterbrechung 


j98  Literatur. 

bis  zum  Schlüsse  des  Bandes  werde  fortgeführt  werden.  Bezüglich  des 
3.  Bandes  machte  der  in  der  voijährigen  Plenarsitzung  zum  Mitherausgeber 
ernannte  Archivassessor  Obser  die  Mittheilung ,  dass  die  Arbeit  an  dem- 
selben soweit  gediehen  sei,  dass  der  Beginn  des  Druckes  sich  unmittelbar 
an  die  Vollendung  des  2.  Bandes  anschliessen  könne.  Der  2.  Band  wird 
die  Zeit  bis  zum  Rastatter  Kongress  umfassen,  der  3.,  für  welchen  Dr.  Obser 
im  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  in  Wien  eingehende,  von  der 
dortigen  Verwaltung  freundlichst  geforderte  Studien  machte,  voraussichtlich 
bis  zum  Jahr   1803  herabreichen. 

Von  den  R  e  g  e  s  t  e  n  d  e  r  P  f  a  1  z  g  r  a  fe  n  a.  R  h.,  welche  unter  Winkel- 
manns Oberleitung  Universitätsbibliothekar  Professor  Dr.  Wille  in  Heidel- 
berg beai'beitet,  sind  im  Laufe  des  Jahres  1890  die  Lieferungen  4  und  5 
erschienen.  Die  6.  (Schluss-)  Lieferung,  welche  Einleitung,  Nachträge 
und  Register  enthält,  wird  im  Laufe  des  Jahres  1891  ausgegeben  werden. 
Von  den  Regesten  zur  Geschichte  der  Bischöfe  von  Kon- 
stanz, deren  Leitung  Archivrat  Schulte  übernommen  hat,  ist  die  von 
Dr.  Ladewig  bearbeitete  Lieferung  4  (bis  1293)  seit  der  letzten  Plenar- 
sitzung im  Buchhandel  erschienen.  Dr.  Ladewig  arbeitet  gegenwärtig  noch 
an  Vollendung  der  6.  Lieferung,  welche  Einleitung,  Nachträge  und  Re- 
gister enthalten  und  den  1 .  Band  zum  Abschlüsse  bringen  soll.  Diese, 
sowie  die  von  Dr.  Müller  bearbeitete  1.  Lieferung  des  2.  Bandes  werden 
im  Laufe  des  Jahres   1891   versandt  werden. 

Von  der  durch  Prof.  Dr.  Gothein  in  Bonn  bearbeiteten  Wirt- 
schaftsgeschichte des  Schwarzwaldes  und  der  angrenzen- 
den Landschaften  ist  die  1.  Lieferung  der  1.  Abtheilung,  welche  die 
Städte-  und  Gewerbegeschichte  enthält,  im  Buchhandel  erschienen.  Von 
dieser  Abtheilung,  die  ca.  48  Bogen  umfassen  soll,  liegen  bis  jetzt  27  Bogen 
im  Druck  vor.  Wie  aus  einem  von  Professor  Gothein  eingesandten  und 
von  Geh.  Rat  Knies  verlesenen  Berichte  hervorgeht,  beabsichtigt  der  Be- 
arbeiter im  Laufe  des  nächsten  Jahres  die  2.  Abtheilung,  welche  die 
Agrargeschichte  enthält  und  im  darauf  folgenden  die  3.  —  die  Verwal- 
tungsgeschichte und  die  statistischen  Untersuchungen  —  zum  Abschlüsse 
zu  bringen. 

Der  Text  der  von  Direktor  Dr.  Thorbecke  bearbeiteten  Heidel- 
berger Universitätsstatuten  des  16. — IS.  Jahrhunderts  liegt  in 
43  Bogen  gedruckt  vor.  Die  Arbeiten  an  der  Einleitung  vmd  dem  Re- 
gister sind  soweit  vorgeschritten,  dass  dem  Erscheinen  des  Werkes  in  den 
ersten  Monaten  des  nächsten  Jahres  entgegengesehen  werden  darf. 

Das  Gleiche  ist  der  Fall  mit  dem  Werke  des  Archivrats  Dr.  Schulte: 
Markgraf  Ludwig  Wilhelm  von  Baden  und  der  Reichskrieg 
gegen  Frankreich  1683 — 1697,  von  welchem  der  Kommission  eine 
Reihe  von  Druckbogen  vorlag. 

An  der  Bearbeitung  des  Topographischen  Wörterbuchs  des 
Grossherzogtums  Baden  hat  Dr.  Krieger  eifrig  weitergearbeitet, 
doch  wird  sich  der  Abschluss  dieses  Werkes,  über  dessen  Fortgang  v.  Weech 
und  Baumann  berichteten,  infolge  der  von  der  Kommission  gewünschten 
Heranziehung  noch  weiterer  Literatur  und  archivalischer  Forschungen  in 
fränkischen  Archiven,  sowie  wegen  der  erst  nachträglich  in  das  Programm 


Literatur.  jf)<) 

aufgenommenen  ethymologisclien  Worterklärungen  mehr  verzögern,  als  in 
der  vorigen  Sitzung  angenommen  werden  konnte. 

Der  Druck  der  von  Geh.  Rat  Knies  bearbeiteten  Physiok ratischen 
Koi'respondenz  Karl  Friedrichs  von  Baden  wird  im  Januar  1891 
beginnen  und  sodann  ohne  Unterbrechung  fortgeführt  werden. 

Für  die  Regesten  der  Markgrafen  von  Baden  war  unter 
V.  Weechs  Oberleitung  Dr.  Fester  thätig,  der  aus  der  gedruckten  Literatur 
und  den  Beständen  des  Karlsruher  General  -  Landesarchivs  die  Zahl  der 
Regesten  bis  auf  4030  Nummern  förderte,  während  Archivdirektor  v.  Weech 
selbst  bei  einem  Besuche  des  k.  k.  Statthaltereiarchivs  zu  Innsbruck,  sowie 
des  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchivs  zu  Wien,  wo  er  die  freund- 
lichste Förderung  seiner  Arbeiten  fand,  479  Regesten  gewann.  Für  das 
Jahr  1891  ist  der  Besuch  einer  Reihe  von  Archiven  durch  Dr.  Fester  in 
Aussicht  genommen. 

Von  den  Quellen  und  Forschungen  zur  Geschichte  der 
Abtei  Reichenau  ist  das  1 .  Heft :  »Die  Reichenauer Urkundenfälschungen, 
untersucht  von  Di\  Brandi«  im  Druck  erschienen.  Derselbe  junge  Ge- 
lehrte hat  die  Bearbeitung  der  Chronik  des  Gallus  Öheim,  welche  das 
2.  Heft  enthalten  soll,  übernommen. 

Die  Geschichte  der  Herzoge  von  Zäh  ringen  ist  von  Prof. 
Dr.  Heyck  in  Freiburg  soweit  gefördert  worden,  dass  der  Kommission 
18  Druckbogen  vorgelegt  werden  konnten.  Der  durch  ein  Unwohlsein 
des  Bearbeiters  auf  kurze  Zeit  unterbrochene  Druck  ist  in  diesen  Tagen 
wieder  aufgenommen  worden  und  wird  fortan  ohne  Unterbrechung  zu  Ende 
geführt  werden. 

Die  Bearbeitung  des  ersten  der  Badischen  Neujahrsblätter, 
deren  Herausgabe  die  vorjährige  Plenarsitzung  beschlossen  hatte,  hat  Gym- 
nasialdirektor Bissinger  in  Donaueschingen  übernommen.  Das  Neujahrs- 
blatt für  1891  führt  den  Titel  »Bilder  aus  der  Urgeschichte  des  badischen 
Landes«  und  umfasst  60  Seiten  mit  25  in  den  Text  gedruckten  Abbil- 
dungen. Bei  dem  Interesse,  welches  diesem  Stoffe  in  den  weitesten  Kreisen 
entgegengebracht  wird,  und  bei  dem  billigen  Preise  (l  Mark)  hoflPt  die 
Kommission  auf  eine  recht  grosse  Verbreitung  dieses  Blattes,  dem  fortan 
zu  jedem  Neujahr  eine  ähnliche  Veröffentlichung  aus  der  Geschichte  des 
Grossherzoglieheu  Hauses  und  des  badischen  Landes  folgen  soll.  Die  ersten 
fertig  gestellten  Exemplare  des  Neujahrsblattes  konnten  der  Kommission 
vorgelegt  werden. 

Die  Neue  Folge  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Ober- 
rheins,  deren  5.  Band  mit  Nr,  13  der  »Mitteilungen  der  badischen 
historischen  Kommission«  unter  Schulte's  Redaktion  soeben  zum  Abschluss 
gelangt  ist,  wird  infolge  eines  Uebereinkommens  mit  der  elsass-lothringi- 
schen  Regierung,  ohne  dass  eine  Erhöhung  des  Preises  eintritt,  eine  Er- 
weiterung ihres  Umfanges  von  32  auf  40  Bogen  erfahren,  von  denen 
12  Bogen  für  Arbeiten,  die  sich  auf  das  Elsass  beziehen,  zur  Verfügung 
gestellt  werden.  Die  Mittheilungen  der  badischen  historischen 
Kommission  werden  wie  bisher  im  durchschnittlichen  Umfang  von 
8  Bogen  jedem  Bande  der  Zeitschrift  ohne  Preisberechnung  beigegeben. 
Das    ].   Heft  des   6.  Bandes  befindet   sich  im  Druck. 

Der  Dui-chforschung,  Ordnung  und  Verzeichnung  der  Archive  und 


200  Literatur. 

Kegist raturen  der  Gemeinden,  Pfarreien,  Körperschaften 
und  Privaten  des  Grossherzogtums  widmeten  sich  im  Jahre  1890 
in  den  4  durch  Baumann,  Eoder,  v.  Weech  und  Winkelmann  vertretenen 
Bezirken  mit  gleich  grossem  Eifer  und  Erfolg  wie  bisher  57  Pfleger.  Im 
Ganzen  liegen  jetzt  Berichte  und  Verzeichnisse  von  1107  Gemeinden, 
459  katholischen,  200  evangel.  Pfarreien,  7  katholischen  Landkapiteln, 
24  Grundherrschaften,  5  Standesherrschaften,  4  weiblichen  Lehr-  und  Er- 
ziehungsanstalten, 3  Gymnasien,  1  Alterthumsverein,  3  Hospitälern  und 
17  Privaten  vor.  Mit  der  Veröffentlichung  der  Pflegerberichte  wird  auch 
im  Jahre  1891  fortgefahren  werden.  An  Stelle  des  Geh.  Hofrats  Dr.  Winkel- 
mann, der  aus  Eücksicht  auf  seine  Gesundheit  und  andere  dringende  Ar- 
beiten verhindert  ist,  die  Vertretung  des  3.  Bezirks  weiter  fortzuführen, 
tritt  Prof,  Hartfelder  in  Heidelberg. 

Auf  Antrag  des  Geh,  Hofrats  Dr.  Winkelmann  wurde  die  Sammlung 
der  nachweislich  in  Mailand,  wahrscheinlich  aber  auch  in  Genua  und  Avohl 
noch  an  anderen  Orten  vorhandenen  Urkunden  und  Aktenstücke  zur  Ge- 
schichte de?  Bandeis  Verkehrs  der  oberitalienischen  Städte 
mit  den  Städten  des  Oberrheins  während  des  Mittelalters 
beschlossen  und  mit  derselben  Dr.  Schulte  beauftragt. 


In  Folge  Allerhöchster  Entschliessung  vom  1.  Jirni  1890  ist  das  Isti- 
tutoAustriaco  di  studii  storici  in  Eomin  ein  neues  Stadium  ge- 
treten. Es  sind  für  dasselbe  in  der  Via  della  Croce  74  geeignete  Localitäten 
gemiethet  worden.  Hofrath  Th.  v.  Sickel  hat  sich  Ende  September  nach 
Kom  begeben,  um  das  Institut  einzurichten  und  in  Person  zu  leiten.  Zu- 
nächst sind  Dr.  Starzer,  Privatdocent  Dr.  Wahrmund  und  Gjonnasialpro- 
fessor  Dr.  Friedwagner  zu  ordentlichen  Mitgliedern  ernannt  worden.  Als 
ausserordentliche  Mitglieder  haben  sich  die  Landesstipendisten  aus  Böhmen 
Kollmann  und  Kratochvil  angeschlossen.  An  Stelle  von  Prof.  Friedwagner 
wird  im  Februar  Prof.  Werunsky  aus  Prag  treten.  Ausserdem  werden  für 
die  zweite  Hälfte  des  Studienjahres  noch  zwei  Staatsstipendisten  ernannt 
werden.  Letzteren  ist  auch  in  diesem  Jahre  gestattet,  von  ihnen  selbst 
gewählte  Themata  zu  Itearbeiten.  Zugleich  haben  sie  sich  aber  an  den 
gemeinsamen  Arbeiten  des  Instituts  zu  betheiligen, 

Waren  für  diese  gemeinsamen  Arbeiten  bisher  Partien  aus  der  Ge- 
schichte Oesterreichs  im  Mittelalter  ins  Auge  gefasst  worden,  so  hat  sich 
immer  mehr  herausgestellt,  dass  eine  erschöpfende  Behandlung  derselben 
unmöglich  ist,  so  lange  nicht  auch  die  grossen  Schätze  der  beiden  im 
Lateran  befindlichen  Archive,  wie  in  Aussicht  gestellt  worden  ist,  zugäng- 
lich gemacht  sein  werden.  Aus  diesem  Grunde  war  schon  zu  Beginn  des 
Jahres  1889  die  Anregung  gegeben  worden  zu  einem  Thema  aus  der  Ge- 
schichte Oesterreichs  nach  1500  überzugehen,  dabei  aber  auf  die  schon 
von  anderer  Seite  begonnenen  Forschungen  Eücksicht  zu  nehmen,  Prof, 
V.  Ottenthai,  welcher  im  letzten  Winter  den  Vorstand  des  Instituts  in  Eom 
vertrat,  hatte  sich  schon  bei  einem  früheren  Aufenthalte  daselbst  (1887  — 
1888)  über  die  Hauptbestände  der  im  vat.  Archive  befindlichen  diploma- 
tischen Acten  des  1  n.  Jahrhunderts  orientirt  und  begann  nun  die  beson- 
ders   zu   berücksichtigenden    Nuntiaturberichte    aus    dem    16.  Jahrhundert 


Literatur.  201 

einer  vorläufigen  Durchsicht  zu  unterziehen.  Mit  dieser  Arbeit  weiterhin 
lietraut  legte  Dr.  Starzer  seit  dem  December  1889  ein  Eepertorium  der 
lietreffenden  Nuntiaturberichte  an,  aus  dem  sich  unter  andern  ergab,  dass 
hier  noch  reiche  Ausbeute  für  die  Geschichte  Oesterreichs  unter  Maxi- 
milian II,  in  Aussicht  steht.  Da  nach  Mittheilung  Prof.  v.  Ottenthals, 
welche  in  dem  der  k.  preussischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin 
am  23.  Januar  1890  erstatteten  ofhciellen  Bericht  über  die  Arbeiten  des 
preussischen  Instituts  in  Rom  und  in  den  Berichten  der  Görresgesellschaft 
ihre  Bestätigung  fanden,  von  diesen  beiden  Seiten  die  Jahre  1564 — 1576 
nicht  in  das  Arbeitsprogramm  einbezogen  waren,  und  da  von  den  einzelnen 
Forschern,  welche  in  der  jüngsten  Zeit  das  Material  des  vaticanischen 
Archivs  für  die  Jahre  1564 — 1576  benutzt  hatten,  ein  näheres  Eingehen 
auf  die  Geschichte  Oesterreichs  unter  Maximilian  II.  nicht  zu  erwarten 
war,  wurde  eben  dieses  Thema  für  die  gemeinsame  Arbeit  von  Sickel  in 
Vorschlag  gebracht  und  wurde  diese  Wahl  vom  h.  Ministerium  gutgeheissen. 
An  der  Hand  der  Notizen  Ottenthals  und  der  Starzer'schen  Excerpte  war 
schon  in  Wien  der  genaue  Arbeitsplan  entworfen  worden,  so  dass  die  Sti- 
pendisten, nachdem  Sickel  die  Erlaubnis  zur  Benutzung  des  betreuenden 
Materials  erwirkt  hatte,  sofort  nach  ihrer  Ankunft  in  Eom,  d.  h.  in  den 
ersten  Tagen  des  October  die  ihnen  übertragene  Arbeit  in  Angriff  nehmen 
konnten. 


Zu  Hefele-Knöpfler's  Coiicilieugeschichte  V.  uud  VI 
Eine  Replik, 

In  dieser  Zeitschrift  IX.  356 — 364  habe  ich  den  fünften  Band  der 
neuen  Auflage  von  Hefele's  Conciliengeschichte  einer  Kritik  unterzogen. 
Wie  ich  zeigte,  hat  der  Bearbeiter,  A.  Knöpfler,  o,  ö.  Professor  der  Kirchen- 
geschichte an  der  Universität  München,  mehrere  der  für  ihn  wichtigen 
Werke  entweder  gar  nicht  oder  in  ungenügender  Weise  benutzt.  Die 
Summe  meiner  Nachprüfung  fasste  ich  dahin  zusammen,  »dass  Knöpf- 
ler'n  keineswegs  überall  das  Lob  echt  deut'scher  Gründ- 
lichkeit gebühre.«  Wegen  dieses  Urtheils  hat  er  nun  ein  Hochgericht 
über  mich  gehalten.  Im  Vorworte  zum  sechsten  Bande  entwirft  er  ein 
Bild  von  mir  und  meiner  Kritik,  das  doch  noch  mehr  Abscheu,  als  Mit- 
leid erregen  muss.  Schonungslos  tadelt  er  mein  hämisches  Witzeln, 
meine  nichts  weniger  als  nobele  Art,  meine  niedrigen  Nörgeleien,  ferner 
meine  ungeschlachte,  alle  Regeln  des  Anstandes  und  der  Klugheit  hint- 
ansetzende Erregung,  meine  mehr  in  persönlichen  Beleidigungen,  als 
in  wissenschaftlichen  Erörterungen  sich  ergehende  Kritik,  meine  zimpferliche 
Empfindsamkeit  und  krankhafte  Eigenliebe  u.  s.  w. ;  ja  nach  Knöpfler  gehöre 
ich  zu  den  Thersitesnaturen,  deren  es  auch  in  der  literarischen  Welt  gebe. 
An  Urkraft,  wäe  man  sieht,  lassen  die  Scheltworte  meines  Gegners  nichts 
zu  wünschen  übrig.  Prüfen  wir,  ob  seine  Beweisführung  von  gleicher 
Stärke  ist!  Doch  liegt  es  mir  fern,  ihr  in  alle  Einzelheiten  zu  folgen. 
Aus  dem  einleitenden  Theile  hebe  ich  nur  zwei  Proben  hervor,  um  dann 
den  »Haupt-  und  Angelpunkt«,  gegen  den  »all  das  Gesagte  nur  Neben- 
dinge sin<l,«  desto  genauer  zu  untersuchen.  Die  beiden  Beispiele  aber 
wähle  ich  so,  dass  es  nur  ganz  weniger  Worte  bedarf,  um  den  Lesern  zu 


202  Literafur. 

zeigen,  mit  welcher  Leichtigkeit  Knöpfler  über  meinen  Charakter  aburtheilt; 
zugleich  wird  sich  aber  auch  dabei  wieder  ergeben,  wie  wenig  »echt 
deutsche  Gründlichkeit«   die  Sache  meines  Gegners  ist. 

»Für  die  Conciliengeschichte«,  meint  Knöpfler,  »kann,  es  gleichgiltig 
sein,  ob  Nieheim,  Nyem  oder  Kiem  geschrieben  werden  soll,  und  doch 
hielt  ich  es  für  nothwendig,  diese  Frage  zu  berühren,  wie  ich  es  für  an- 
gezeigt hielt,  kurz  über  die  Nepomukfrage  zu  orientiren,  wiewohl  dieselbe 
zu  Concilien  in  keinerlei  Beziehung  steht  u.  s.  w.  Mag  Schefi'er  hierüber 
hämisch  witzeln.  Andere  werden  die  Sache  wohl  anders  ansehn.«  Wo  habe 
ich  über  die  Aufnahme  unnöthiger  Einzelheiten  der  weiteren  Historie,  mit 
denen  die  Conciliengeschichte  beschwert  ist,  in  hämischer  Weise  gewitzelt? 
wo  habe  ich  darüber  auch  nur  gewitzelt?  S.  .356  schrieb  ich:  »wenn  in 
einer  Fussnote  gesagt  wird,  dass  nach  Einigen  nur  das  Fleisch,  nicht  auch 
die  Gebeine  Friedrichs  in  Antiochien  beigesetzt  seien,  so  wird  freilich  eine 
Bemerkung  Hefele's,  wonach  die  Leiche  des  Kaisers  dort  ihre  Euhe  ge- 
funden hätte,  die  Erörterung  veranlasst  haben  ;  aber  für  die  Entwicklung 
—  wenn  ich  so  sagen  darf  —  des  synodalen  Lebens  ist  sie  so  gleichgiltig, 
wie  die  erst  von  Knöpfler,  nicht  schon  von  Hefele  berührte  Frage,  ob  die 
That  der  Weiber  von  Weinsberg  der  Geschichte  oder  der  Sage  angehöre.« 
Wo  ist  —   wiederhole  ich  —  auch  nur  der  Anflug  einer  hämischen  Witzelei? 

Wie  manche  andere,  so  hat  Knöpfler  auch  eine  Arbeit  W.  Meyer's 
angeführt,  ohne  sie  ausgenützt  zu  haben.  Nicht  einmal  der  gereinigte 
Text  von  Papstbriefen,  den  Meyer's  Publikation  bietet,  ist  für  ihn  vor- 
handen. Das  Datum  eines  der  von  Meyer  veröfl'entlichten  Schreiben  be- 
stimmte er  nach  einem  alten  und  schlechten  Di'ucke^),  und  über  die  Ab- 
sender eines  anderen  hat  er  ganz  verkehrte  Anschauungen  geäussert''^).  Beide 
Irrthümer  hält  er  auch  jetzt  noch  fest,  wie  ich  glaube,  weil  er  auch  jetzt 
die  Abhandlung  Meyer's  noch  nicht  studirt  hat.  Doch  kömmt  ihm  hier  zu 
Statten,  dass  die  falsche  Datirung  aus  der  alten  Bearbeitung  der  Eegesta 
pontificum  auch  in  die  neue  übernommen  ist.  Dahinter  verschanzt  er 
sich'^).     Was    dann    die   Frage    nach    den   Absendern    angeht,    so  wirft  er 


•)  Ludewig  Rel.  Msc.  IL  435.  Ihm  folgten  Mansi,  Watterich  und  Migne. 
Seine  Quelle  aber  war  derselbe  Codex,  ans  dem  W.  Mejer  schöpfte.  Dieser  nun 
bezeichnet  Ludewig"s  Datum  ausdrücklich  als  einen  IiTthum,  und  nicht  blos  er : 
schon  fi'über  hatte  Winter  ebenso  gelesen,  wie  jetzt  Meyer.  Vgl.  Forschnngeu  z. 
deutschen  Gesch.  XIX.  61.  63.  74  und  X.  647.  '  ^)  —  „oder  ist  Scheffer  der 
Ansicht,  die  deutschen  Bischöfe  hätten  in  corpore  zusammen  genannten  Brief 
geschrieben'.?'  Allerdings  bin  ich  der  Ansicht,  ganz  in  Uebereinstimmung  mit 
Meyer,  durch  dessen  Ausfiihrungen  S.  73  meine  frühere  Auflassung  als  unrichtig 
beseitigt  ist.  Wie  heute  Meyer,  sagten  aber  schon  die  Zeitgenossen  Arnold  von 
Lübeck  und  Radulf  von  Diceto ,  dieser :  Teutonici  regni  tarn  archiepiscopi  quam 
episcopi,  jener:  epistola,  signata  bullis  omnium  episcoporum.  Heisst  es  in  meiner 
Rezension  S.  362 :  ,,es  wäre  doch  ein  eigenthümliches  Geschäftsverfahren  gewesen, 
wenn  die  Bischöfe,  statt  aus  ihrer  Mitte  die  vornehmsten  Männer  auszuwählen,  die 
Collegen  eines  und  desselben  Sprengeis  beauftragt  hätten",  so  setze  ich  mich 
mit  Meyer's  Ausführungen  keineswegs  in  Widerspruch,  ich  gehe  nur  einen  Augen- 
blick auf  Knöpfler's  Ansicht  ein:  selbst  für  den  lall,  dass  nicht  alle  Bischöfe 
geschrieben  hätten,  —  war  mein  Gedankengang,  —  würde  man  doch  eine  andere 
Auswahl  getroffen  haben,  als  säramtliche  Collegen  eines  und  desselben  Sprengeis. 
Wie  sehr  ich  die  ganze  Auffassung  Knüi)tlor's  verwerfe,  zeigten  meine  kurz  vorauf- 
gehenden Worte,  dass  nach  Meyer's  Darlegung  das  Schreiben  ,,in  Wirklichkeit 
von  allen  deutschen  Bischöfen    erlassen  sei".  ^)  Aehnlich   macht   er's   noch 


Literatur.  2Ctn 

mir  Nörgelei  vor^).  Und  darauf  fährt  er  fort:  »Noch  niedriger  steht 
eine  andere  Nörgelei«.  S.  560  Anm.  1  bemerkte  ich,  dass  Knöpfler  für 
die  Datirung  einer  Gesandtschaft  einen  ungenügenden  Grund  vorgebracht 
habe.  Es  gebe  aber  ein  entscheidendes  Moment,  —  fügte  ich  hinzu,  — 
»das  Knöpfler  ganz  unpassender  Weise  übersah,  nämlich  die  Zeugenschaft 
eines  der  Gesandten,  die  sich  in  päpstlicher  Urkunde  vom  18.  März  1158 
findet.  Pflugk-Harttung  Acta  I.  225.«  Dagegen  erhebt  sich  nun  Knöpfler: 
»Meine  Vorrede,  die  bekanntlich  immer  erst  nach  Vollendung  des  Text- 
druckes geschrieben  wird,  ist  vom  2.  Februar  1886  datirt,  und  nun  wirft 
mir  Schefi'er  vor,  ich  hätte  ein  Werk  nicht  benutzt,  das  auf  dem  Titel 
gleichfalls  die  Jahreszahl  1886  trägt!«  Mit  Verlaub,  —  der  erste  Band 
von  Pflugk-Harttung's  Acta,  den  ich  anführte,  trägt  auf  dem  Titel  die 
deutlich  ausgeprägte  Jahreszahl  1881!  So  sehr  fehlt  esKnöpfler'n 
also  an  »echt  deutscher  Gründlichkeit«,  dass  er  nicht  ein- 
mal ein  Beweismoment,  aus  welchem  er  »niedrige  Nörgelei« 
seines  Gegners  darthun  möchte,  einer  ruhigen  Prüfung 
unterzieht! 

»Doch  all  das  Gesagte  sind  nur  Nebendinge«,  »der  Haupt- und  Angel- 
punkt« ist  die  Kritik,  welche  Knöpfler  an  meiner  Datirung  des  Gelnhauser 
Eeichstages  geübt  hat.  Ihretwegen  soll  ich  aus  Eand  und  Band  gerathen 
sein,  alles  Anstandsgefühl  und  alle  Klugheit  verloren  und  eine  krankhafte 
Eigenliebe  und  fast  zimpferliche  Empfindsamkeit  verrathen  haben.  Ach, 
wenn  Knöpfler  doch  gesehen  und  gehört  hätte,  wie  fröhlich  idh  mit  meinen 
Strassburger  Seminaristen  gelacht  habe,  als  ich  an  dem  von  ihm  gebotenen 
Beispiele  zeigte,  was  im  Allgemeinen  und  im  Einzelnen  bei  einer  chrono- 
logischen Untersuchung  zu  vermeiden  sei!  Wir  waren  ebenso  heiter,  wie 
ich  es  am  nächsten  Freitag  mit  meinen  Berliner  Seminaristen  sein  werde, 
wenn  ich  Knöpfler's  neueste  Enthüllungen  über  die  Datirung  des  Reichs- 
tages bespreche. 

In  meiner  Eezension  bedauerte  ich,  —  eben  mit  Hinsicht  auf  unsere 
Controverse  —  dass  mein  Buch  über  den  letzten  Streit  Friedrichs  I.  mit  den 
Päpsten   »an  einer  Stelle  nur  eine  flüchtige  Benutzung  erfuhr,    und  zwar 


einmal,  aber  noch  viel  ungeschickter.  Ich  hatte  ihm  bemerkt,  dass  eine  Corre- 
spondenz  zwischen  Friedrich  I.  und  Hadrian  IV.,  die  er  ohne  jedes  Bedenken  auf- 
genommen hatte,  von  P.  Wagner,  Eberhard  II.  Bischof  von  Bamberg  120 — 133, 
längst  als  unecht  erwie-en  sei.  Dagegen  wendet  er  mm  ein.  die  Correspondenz 
hätte  er  „stehen  lassen",  weil  er  dazu  ,, geradeso  berechtigt  zu  sein  glaubte,  wie 
der  Herausgeber  der  zweiten  Auflage  von  -äffe 's  Regesten".  Man  sollte  danach 
annehmen,  Löwenfeld  hätte  die  Beweisführung  Wagner's  zum  Wenigsten  nicht 
für  zwingend  erachtet.  Wie  aber  wird  man  enttäuscht,  wenn  man  Nr.  10575 
aufschlägt !  Da  ist  dem  Hegest  nicht  blos  die  übliche  Warnungstafel  vorgesetzt, 
nämlich  das  die  Urkunden  als  Fälschungen  bezeichnende  Kreuz,  .sondern  es  heisst 
auch  ausdi'ücklich :  ,,Epistolam  in  schola  fictam  esse  probat  Wagner  I"  Was 
mein  Gegner  noch  hinzufügt,  ist  mir  leider  ganz  unverständlich  geblieben:  nur 
unter  der  nicht  zutreffenden  Voraussetzung,  dass  er  wenigstens  einen  leisen  Zweite! 
gegen  die  Echtheit  der  Correspondenz  angedeutet  hätte,  könnte  es  meines  Enicli- 
tens  einen  Sinn  haben. 

')  Aut  die  Gefahr,  dass  Knöpfler  mit  gleichem  Tadel  mich  nochmals  zu 
treffen  suche ,  muss  ich  doch  Einsprache  dagegen  erheben,  dass  ich  nach  i^^.  VI 
gesagt  haben  soll,  die  Adresse  nenne  als  Absender  nur  Wichmann  von  Magde- 
burg. Ich  betonte  vielmehr  den  Zusatz  cum  ■■^uis  ftuffrot/ancis;  ja ,  icli  benutzte 
ihn  gegen  Knöpflers  Darstellung ! 


204  Literatur. 

gerade  an  einer  Stelle,  die  den  gestrengen  Censor  veranlasst,  mich  förm- 
lich an  den  Schandpfahl  zu  stellen«.  Diese  scherzhafte  Wendung  hat  nun 
den  ganzen  Unwillen  Knöpfler's  en-egt,  und  ihr  gegenüber  meint  er  auf 
seine  »durchaus  sachlich  gehaltene  Darlegung«  pochen  zu  sollen.  »  Z  u  r  e  c  h  t  - 
richtung  der  Chronologie,  gewaltsame  Verschiebung  der 
Thatsachen,  luftiges  Gebäude«  sind  nach  Knöpfler  also  Aus- 
drücke einer  »durchaus  sachlichen  Darlegung«^).  Die  beiden 
ersteren  Vonvürfe  wiederholt  er  auch  in  seiner  Antikritik,  jedoch  das 
»luftige  Gebäude«  hat  er  jetzt  bei  Seite  gelassen.  Weshalb?  Dieses  vor 
allem  musste  die  Vermuthung  nahelegen.  Knöpfler  halte  mich  für  einen 
nicht  eben  nüchternen  Foi'scher,  und  da  er  nun  hinzugefügt  hatte,  bei 
mir  könne  die  falsche  Datirung  weniger  auffallen,  als  bei  meinen  zahl- 
reichen Nachfolgern,  so  schien  er  mir  doch  auch  keine  besonders  günstige 
Meinung  über  mein  Fassungsvermögen  zu  äussei'n.  Daher  sagte  ich, 
Knöpfler's  Eaisonnement  »könnte  heissen,  ich  sei  ein  beschränkter  und  2) 
phantastischer  Kopf,  der  eigentliche  Tadel  treffe  meine  sonst  ernster  zu 
nehmenden  Nachfolger«.  Weil  ich  meiner  Sache  aber  nicht  sicher  war, 
wagte  ich  noch  eine  andere  Hypothese,  und  ich  schloss  dann:  »Doch  ge- 
nug der  Vermuthungen«.  Daraus  macht  Knöpfler  nun:  »Scheffer  er- 
laubt sich,  mii*  förmlich  Invectiven  unterzuschieben:  ich  hätte  ihn  für 
einen  beschränkten  oder  phantastischen  Kopf  erklärt.  Ich  frage ,  ist 
solch  ein  Benehmen  noch  eines  deutschen  Mannes,  nicht  zu  sagen  eines 
Gelehrten  würdig?« 

»Nun  zur  Sache!«  lautet  die  wdrklich  verständige  Interjektion,  die 
Knöpfler  seiner  pomphaften  Frage  folgen  lässt. 

Wie  Knöpfler  Y.  732  versichert,  wäre  Friedrich  erst  »anfangs  des 
Jahres  1187«  nach  Deutschland  zurückgekehrt;  im  weiteren  Verlaufe  hätte 
er  den  berühmten  Reichstag  von  Gelnhausen  gehalten.  Dagegen  behauptete 
ich,  der  Kaiser  sei  schon  im  August  1186  wieder  in  Deutschland  nachzu- 
weisen, und  im  November  hätte  er  die  Fürsten  zu  Gelnhausen  um  sich 
versammelt.  In  einem  Punkte  hat  Knöpfler  mir  nun  stillschweigend  zu- 
gestimmt :  früher  hatte  er  gegen  meine  Chronologie  geltend  gemacht,  dass 
Friedrich  noch  am  11.  Februar  1187  zu  Pavia  geurkundet  habe;  jetzt  hat 
er  eingesehen,  dass  er  wenigstens  an  dieser  Stelle  meinen  chronologischen 
Untersuchungen,  wie  auch  Stumpfs  Regesten  nicht  mit  echt  deutscher 
Gründlichkeit  gefolgt  war.  Aber  meine  übrigen  Zeitbestimmungen!  Ich 
hatte  gesagt,  nicht  Aveniger  als  vier  Urkunden  habe  Friedrich  I.  schon  im 
August  1186  zu  Mühlhausen  ausgestellt.  Zwei  davon  sind  uns  nur  in 
späteren  Abschriften  überliefert.  St.  4463.  64.  Knöpfler  beseitigt  sie, 
indem  er  schreibt:  »Mühlhausen  26.  Augiist  ind.  5  =  ii87«.  Dass  beide 
das  Jahr  1186  tragen,  dass  Stumpf  zu  4464  hinzufügt:  »nach  Pertz'  Mit- 
theilung ex  cop.  saec.  15  mit  ind.  4«,  kommt  für  Knöpfler  nicht  in  Be- 
tracht, und  so  werde  ich  auch  umsonst  ergänzen,  dass  mir  von  4463   eine 


')  Ganz  anderer  Meinung  war  W.  Ribbeck ,  der  in  der  Hist.  Zfsch.  N.  F. 
XXVIII.  136"  die  Kritik  Knöpfior's  eine  aiimassendt'  nannte.  Auch  mit  ihm  geht 
Knr)pfler  nun  furchtbar  in's  Gericht :  nicht  genug  damit,  dass  er  als  ,,ein  gewisser 
Ribbeck"  angeführt  wird ,  —  auch  er  ist  eine  „Thersitesnatur",  und  auch  seine 
Rezension  ist  nur,, eine  Enunciation  haltloser  Angiitt'e  und  persönlichster  Rar.ciine". 
■-')  S.  .361  Anm.  2  steht  aus  Versehen:  ,, oder'"  .statt  „und". 


Literatur.  205 

Abschrift  saec.  14  gleichfalls  mitind.  4  vorliegt.  Viel  wichtiger  sind  St.  4465 
und  66,  weil  wir  deren  Originale  noch  besitzen.  Von  der  ersteren  be- 
hauptet Knöpfler:  »ohne  Jahr,  fällt  also  ausser  Berechnung«.  Da  fehlt 
es  meinem  Gegner  wieder  an  echt  deutscher  Gründlichkeit. 
St.  4465  heisst  es:  »ohne  annus  regni  et  imperii«,  und  damit  ist  still- 
schweigend erklärt:  »annus  incarnationis  et  üidictio«  siud  vorhanden.  Sieht 
man  nun  den  Druck  ein,  nämlich  Stumpf  Acta  imp.  236  N.  172,  so  liest 
man:  »Datum  Mulihusen  ao.  dorn.  ine.  1186  ind.  4.  7  kal.  Septemb.«  ^) 
Dem  gegenüber  schreibt  Knöpfler:  »ohne  Jahr,  iallt  also  ausser  Berech- 
nung«. Ganz  dasselbe  Verhältniss  wiederholt  sich  bei  der  zweiten  Urkunde. 
Knöpfler  hätte  schon  aus  dem  Regest  ersehen  können ,  dass  nur  anni 
regni  et  imperii  fehlen;  im  Drucke  bei  Spon  Hist.  de  Genfeve  11.  44  ed. 
in  4^  ni.  82  ed.  in  8^  würde  er  gelesen  haben:  »Datum  apud  Mulen- 
husen  ao.  dom.  itic.  1186  ind.  4.  6  kal.  Septemb.«^^)  Gleichwohl  schreibt 
Knöpfler  auch  hier:  »ohne  Jahr«.  Darf  ich  bei  dieser  Lage  der 
Dinge  die  Arbeitsweise  meines  Gegners  noch  durch  das 
schonende  Wort:  »Mangel  an  echt  deutscher  Gründlichkeit« 
kennzeichnen,  bin  ich  hier  nicht  zu  einem  viel  schärferen 
Urtheil  verpflichtet?  Doch  weiter!  St.  4469  trägt  die  Jahres-, 
Orts-  und  Tagesbezeichnung:  »Acta  sunt  haec  ao.  dom.  ine.  1186  ind.  5 
ao.  reg.  :34  imp.  32,  Datum  apud  Haselach  3  id.  Novemb.«  Hier  be- 
hauptet nun  Knöpfler,  die  Jahresdaten  widersprächen  einander.  Zu  1186 
soll  Indictio  5  nicht  passen.  Ich  kann  wieder  nur  sagen:  abermals 
ein  bedauerlicher  Mangel  an  Gründlichkeit!  Denn  wenn  Knöpfler 
sich  nur  ein  wenig  in  Stumpf 's  Eegesten  umgesehen  hätte,  so  würde  er  gefunden 
haben,  dass  sein  Satz  »indictio  5^^1187«  in  Bezug  auf  den  damaligen  Ge- 
brauch der  kaiserlichen  Kanzlei  doch  einer,  für  unseren  Fall  sehr  wichtigen 
Modifikation  bedarf.  Man  begann  zur  Zeit  nämlich  die  Indiktion  mit  dem 
24.  September^),  mithin  hob  die  fünfte  Indiktion  vom  24.  September  1 186 
an,  und  so  ergiebt  sich  die  schönste  Uebereinstimmung,  wenn  »1186« 
auf  das  Ende  des  Jahres  sich  bezieht!  Annus  imperii  32  läuft  vom 
18.  Juni  1186  bis  17-  Juni  1187;  also  auch  hier  schönste  Ueberein- 
stimmung mit  1 1 86  und  Lidictio  5 ,  wofern  man  nur  das  Ende  des 
Jahres  festhält.  Dann  war  annus  regni  34  in  Wahrheit  am  9.  März  1186 
abgelaufen,  aber  nicht  für  die  Kanzlei,  die  noch  am  1  ü.  Mai,  am  9.,  am 
22.,  am  27.  Juni  und  wieder  am  28.  November  1186  das  34.  Königsjahr 
zählt^).  Wo  sind  also  die  Widersprüche  ?  Nirgends ;  nur  muss  man  wegen 
Indictio   5  die  Zeit  nach  dem   24.  September   1186   annehmen.    Dazu  passt 

')  ,,Nach  dem  Original  im  Staatsarchiv  zu  Turin."  -)  „Collata  (sc.  sententia) 
cum  origiuali."  «)  Z.  B.  am  22.  September  1 184  bediente  sich  der  kaiserliche  Notar 
noch  der  2.  Indiktion,  am  29.  schon  der  3.,  dann  wieder  am  10.,  24.,  27.,  30.  Oktober, 
am  3.,  4.,  12.,  16.,  24.  November,  am  3.  Dezember.  St.  4385.  86.  87.  89.  91.  92.  93.  95. 
9(j.  98.  99.  4400.  Ol.  Wenn  dagegen  in  Urkunden  vom  19  Oktober  und  4.  November, 
wie  es  scheint,  nochmals  die  2.  Indiktion  auftritt,  so  wird  die  Regel  durch 
solche    Ausnahmen    keineswegs    erschüttert.  •»)    Dass   Kaiser-    und   Königs- 

jahre über  den  Endtermin  hinaus  noch  Monate  lang  weitergezählt  werden,  kommt 
auch  sonst  mehrfach  vor.  Annus  regni  13  z.  B.  war  am  9.  März  1165  abge- 
bauten, die  Kanzlei  aber  blieb  dabei,  und  zwar  nicht  blos  das  ganze  Jahr  11G5, 
sondern  noch  l)is  in  die  ersten  Monate  des  folgenden  Jahres.  Da  widerspricht 
die  Berechnung  der  Wirklichkeit,  entspricht  aber  dem  Kanzleigebrauch  und  da- 
mit den  übrigen  Jaliresanffaben. 


206  Literatur. 

nun  vortrefflich:  »Datum  apud  Haselach  3  itl.  Novemb.«  ^)  Kicht  anders 
liegt  die  Sache  bei  den  vor  Allen  wichtigen  Urkunden  4471.  72:  »Acta 
sunt  haec  ao.  dorn.  ine.  1186  ind.  5  ao.  reg.  34  imp.  32.  Datum  apud 
Geylinhusin  4  kal.  Decemb.«  Da  sind  innerhalb  der  JahresbestimmuQgen 
aber  auch  gar  keine  Widersprüche  2),  und  ganz  besonders  herrscht  zwischen 
ihnen  und  dem  Monat  die  glücklichste  Harmonie:  November  1186.  Aber 
nun  meint  Knöpfler,  ■ —  wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  —  dass  selbst  unter 
der  Voraussetzung,  alle  Jahresangaben  gi'ifFen  vortrefflich  in  einander,  für 
das  Jahr  der  Beurkundung  noch  Nichts  bewiesen  sei.  Ein  Jeder  nämlich, 
der  nur  einigermassen  aufmerke,  erkenne  sehr  bald  die  doppelte  Datirung, 
eine  der  Handlung:  Actum  und  eine  der  Beurkundung:  Datum.  Er  will 
damit  off"enbar  sagen,  die  Jahresangaben,  welche  unter  Actum  zusammen- 
gefasst  seien,  hätten  für  das  Datum  keine  Geltung,  und  wäre  nun  die 
Handlung  auch  mit  einer  Sicherheit,  wie  ich  sie  eben  gegen  Knüptter  dar- 
gethan  habe,  dem  Jahre  1 186  zuzuweisen,  so  brauche  doch  die  Beurkundung 
darum  nicht  auch  schon  1186  erfolgt  zusein.  Vielleicht  begriffe  ich  jetzt, 
triumphirt  Knöpfler,  weshalb  er  gesagt  habe:  »der  Kaiser  Urkunde  zu  Geln- 
hausen am  28.  November,  aber  ohne  Jahr«.  Nein,  ob  Knöpfler  seine 
»Exegese«  auch  eine  »schulgemässe«  nennt,  mir  fehlt  doch  jedes  Ver- 
ständniss  für  dieselbe.  Und  zu  meinem  Schmerze  wird  mir  die  Sache  auch 
nicht  klarer,  wenn  Knöpfler  hinzufügt:  »Scheffer  scheint  gar  keine  Ahnung 
davon  zu  haben,  dass  unter  den  Geschichtsforschern  eine  Controverse  be- 
steht betreffs  des  urkundlichen  Itinerars,  wozu  gerade  obige  Urkunden 
einen  so  schätzbaren  Beitrag  liefern.  Wollte  ich  hämisch  sein,  wie 
Scheffer,  so  müsste  ich  sagen:  aus  Ficker's  Beiträgen  zur  Diplomatik  hätte 
er  das  Nöthige  hierüber  lernen  können.«  Wäre  Knöpfler  doch  hämisch 
gewesen,  hämisch  bis  zu  dem  Grade,  dass  er  mir  mit  der  Zahl  des  be- 
treffenden Paragraphen  gedient  hätte !  Ich  meine :  mit  einem  Paragi'aphen, 
aus  dessen  Lektüre  mir  einleuchten  müsste,  dass  in  den  fraglichen  Ur- 
kunden die  Jahresangaben  des  Actum  nicht  auch  auf  das  Datum  zu  be- 
ziehen seien.  So  denke  ich  immer  nur  an  Paragraph  411  Bd.  H  S.  352: 
bei  der  feierlichen  Datirung,  d.  h.  eben  in  unseren  Fällen^),  besteht  »fast 
ausnahmslose  Uebereinstimmung  zwischen  den  Jahresangaben  des  Actum 
und  dem  Datum«.  Thatsächlich  kannte  Ficker  aus  der  ganzen  Regierung 
Friedi'ichs  L  nur  ein  einziges  Beispiel,  dass  bei  feierlicher  Datierung  die 
unter  dem  Actum  angegebenen  Jahresbestimmungen  nicht  auch  für  das 
Datum  gegolten  hätten.  Nun  bietet  Knöpfler  gleich  drei  »schätzbare 
Beiträge«;  ich  befürchte  nur,  dass  Ficker  sie  mit  vielem  Danke  ablehnen 
wird*). 

Doch  Knöpfler    hat  für  die  Folgerung,    welche  er  aus  den  Urkunden 
zog,  noch  die  schönste  Bestätigung    gefunden.     Der  Erzbischof   von  Mainz 


')  In  der  Urkunde   selbst   heisst  es :    Nuper  idem  Otto    et  Hermannus  allo- 
dium   in    manus   nostras   apud    Mulehusen   posueiunt   etc.  *)    Was  das 

Königsjahr  angeht ,  ho  meine  ich  natürlich  auch  hier :  vom  Standpunkte  des 
kaiserlichen  Notars,  der  das  34.  über  den  8.  März  hinausgezählt  hat.  »)  Dass 

in  St.  4471  nicht  die  volle  Form  der  feierlichen  Datierung  erscheint,  dass  da 
unter  Actum  nur  das  Jahr  genannt  ist ,  kann  an  der  Sache  Nichts  ändern. 
*)  Knöpfier  beschäftigt  sich  auch  noch  mit  der  Datirung  von  St.  4470,  aber  diese 
Urkunde  hal>e  ich  in  meiner  Rezension  ganz  ausser  Betracht  gelassen. 


Literatur.  207 

war  bei  deu  Verhandlungen  zugegen:  das  eine  Mal  ist  er  Fürbitter,  das  andere 
Mal  Zeuge ;  bei  der  Beurkundung  sei  er  nicht  zugegen  gewesen,  denn  die 
Eecognition  lautet:  »Ego  Johannes  imp.  aule  cancellarius  vice  Cunradi 
archicp.  etc.«  So  Knöptler,  der  damit  einen  geradezu  epochemachenden 
Lehrsatz  in  die  Diplomatik  einführt.  Und  nicht  bloss  für  diese  ist  das 
neue  Axiom  von  umstürzender  Bedeutung,  —  welche  Perspektiven  er- 
öffnen sich  nicht  auch  den  politischen  Combinationen !  Z.  B. ,  unsere 
Herrscher  weilten  in  Mainz,  d.  h.  in  der  eigenen  Stadt  des  Erzkanzlers: 
Oktober  11:33,  April  11:38,  Dezember  1152,  April  116:3,  Mai  1184, 
Oktober  1195^),  und  die  Urkunden ,  welche  sie  da  in  Mainz  ausstellen, 
sind  sammt  und  sonders  unterfertigt  » Ich  der  Kanzler  anstatt  des  Erz- 
kanzlers« !  Der  Letztere  ist  offenbar  immer  vor  dem  herannahenden  Kaiser 
davongelaufen,  und  da  musste  denn  der  Erstere  als  Stellvertreter  seine 
Funktionen  übernehmen!  Die  Geschichte  der  Erzbischöfe  von  Mainz  ist 
doch  in  mancher  Hinsicht  umzugestalten;  —  hoffentlich  geht  Niemand 
daran,  ohne  sich  vorher  mit  dem  Urkundenwesen  nicht  wenigstens  etwas 
vertrauter  gemacht  zu  haben,  als  Knöpfler.  Er  wird  dann  bestätigt  finden, 
was  bisher  allgemein  galt,  was  z.  B.  jüngst  noch  der  Münchener  Privat- 
dozent Gr.  Seeliger  Erzkanzler  und  Keichskanzeleien  .35  so  tormulirt  hat: 
»Zahlreich  sind  die  Fälle  langen  xiufenthaltes  der  Erzkanzler  am  Königs- 
hofe ohne  Anzeichen  ihres  Zusammenhanges  mit  dem  Kanzleiwesen«  ^). 
Nach  Knöpfler  dagegen  sind  die  Beziehungen  des  Erzkanzlers  zu  den 
Kanzleigeschäften  so  innig,  dass  der  Kanzler  nur  dann  für  ihn  eintritt, 
wenn  er,  der  Erzkanzler,  selbst  abwesend  ist! 

Knöpfler  beendet  seine  diplomatische  Untersuchung  mit  einer  Be- 
rufung auf  das  Urtheil  competenter  Richter,  die  darüber  entscheiden  soll- 
ten, »wer  von  uns  beiden  die  Urkunden  genauer  angesehen  und  gewissen- 
hafter geprüft  habe,  wem  es  um  Weiterförderung  der  Wissenschaft  und 
wem  es  nur  ums  Eechthaben  zu  thun  ist.«  Indem  ich  mir  noch  einmal 
vergegenwärtige,  dass  Knöpfler  gleich  von  zwei  im  Original  vorliegenden 
und  längst  durch  den  Druck  bekannten  Urkunden,  die  mit  Jahr  und  zu- 
gehöriger Lidiktion  versehen  sind,  frischweg  zu  behaupten  wagt:  »ohne 
Jahr«;  indem  ich  nochmals  erwäge,  dass  er  den  Anfang  der  Indiktion, 
welcher  für  die  Untersuchung  seine  Wichtigkeit  hat,  ebenso  leichtfertig 
als  unrichtig  bestimmt;  indem  ich  seine  wunderlichen  Ansichten  über 
Actum  und  Datum  der  feierlichen  Datirung,  dann  über  das  Wesen  der 
Eecognition,  —  indem  ich  diese  Ansichten,  deren  Verkehrtheit  er  ohne 
besondere  Mühe  erkennen  konnte,  auch  hier  nicht  ausser  Acht  lasse,  meine 
ich  unbedenklich  seinen  Appell  an  die  Entscheidung  berufener  Kritiker 
unterschreiben  zu  können. 

Am    Schlüsse    seiner    ganzen   Polemik    erhebt    sich   Knöpfler    zu    der 


•)  St.  3286.  3375.  76.  3654.  3978.  79.  4374.  4966.  In  all'  diesen  Urkunden  ist 
der  Erzkanzler  zugleich  auch  Zeuge.  Das  ist  nach  Knöpfler  dann  natürlich  auf  eine 
frühere  Handlung  zu  beziehen.  ^)  Gerade  der  damalige  Erzkanzler,    Konrad 

von  Witteisbach,  erscheint  nur  dann  sozusagen  als  Träger  der  Eecognition,  wenn 
die  Kanzlei  erledigt  ist,  so  1192  Februar  15:  Ego  Cuuradus  Mogunt.  sed.  archiep. 
et  Germ,  archicanc.  reo.  vacante  cancellaria.  St.  4735,  cf.  4766.  67.  77. 
85.  87.  Sobald  ein  neuer  Kanzler  ernannt  ist,  recognoscirt  dieser  wieder  anstatt 
des  Erzkanzlers.     Vgl.  auch  noch  St.  3971. 


208  Personalien. 

Apostrophe:  »Ich  fordere  Scheffer  feierlich  auf,  mir  in  den  beiden  vor- 
liegenden Bünden  eine  emzige  Unwahrheit,  ahsichtliche  Verdrehung  oder 
Entstellung  der  Thatsachen  nachzuweisen«.  Meine  Antwort  ist,  dass  ich 
dieser  Aufforderung  trotz  all'  ihrer  Feierlichkeit  nicht  entsprechen  Averde. 
Ich  lehne  es  ab,  Knöpfler'n  das  offenbar  von  ihm  verlangte  Leumunds- 
zeugnis auszustellen,  denn  in  meiner  Eezension  habe  ich  seine  Moral  aber 
auch  mit  keiner  Silbe  berührt.  Was  ich  ihm  zum  Vorwurf  machte,  war 
<ler  Mangel  an  echt  deutscher  Gründlichkeit.  Dass  ich  damit  aber  ein 
Unrecht  begangen  hätte,  will  mir  heute  am  allerwenigsten  emleuchten: 
ich  danke  meinem  Gegner,  dass  er  in  seiner  Antikritik  eine  Eeihe  neuer, 
schlagender  Belege  für  die  Richtigkeit  meines  Tadels  erbracht  hat. 

Berlin.  P.  Scheffer-Boichorst. 


Personalien. 

Am  8.  Dec.  1890  feierte  Prof.  i.  P.  Albert  Jäger,  der  erste  Di- 
rektor unseres  Instituts,  seinen  90.  Geburtstag. 

Hofrat  Th.  v.  Sickel  wurde  zum  Associe  etranger  de  l'Institut  de 
France  und  zum  wirklichen  Mitglied  der  Accademia  dei  Lincei  in  Rom 
gewählt. 

Ernannt  wnrden :  K.  S  c  h  a  1  k  zum  Castos,  W.  E  n  g  e  1  m  a  n  n  zum  Scriptor 
der  städtischen  Bibliothek  in  Wien,  bei  der  auch  H.  Viebig  als  Volontär 
eintrat,  J.  Dona  bäum  zum  Amanuensis,  A.  Sehne  rieh  zum  Praktikanten 
der  Universitätsbibliothek  in  Wien,  0.  v.  Falke  zum  Directorial- Assistenten 
am  Kunstgewerbe-Museum  in  Berlin,  M.  Faber  zum  Official  des  Archivs  im 
k.  u.  k.  gemeins.  Finanzministerium  in  Wien,  St.  Krzyzanowski  zum 
Archivar  der  Stadt  Krakau. 

Am  16.  März  1890  erlag  Dr.  Emil  Wähle  einem  langwierigen 
Lungenleiden,  das  ihn  schon  Ende  des  Jahres  1888  genüthigt  hatte,  die 
Studien  am  Institut  zu  unterbrechen,  ein  tüchtiger  junger  Mann,  an  den 
sich  bedeutende  Erwartungen  knüpfen  durften. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III. 

Von 

Th.  V.  Sickel. 
Vorbemerkungen. 

Zu  Ende  des  vorigen  Jahres  ist  der  Druck  des  zweiten  Bandes 
der  Diplomata  regum  et  imperatorum  Germaniae  wieder  aufgenommen 
worden,  dessen  zweite  Hälfte  die  Urkunden  Otto  III.  und  die  mehr- 
fachen Kegister  zu  den  Urkunden  Otto  IL  und  Otto  III.  enthalten 
soll.  Bedarf  es  nun  auch  für  die  Diplome  Otto  III.  mancher  ausführ- 
licher Erläuterungen,  für  welche  in  der  Edition  selbst  nicht  Kaum 
vorhanden  ist,  so  werden  ich  und  mein  jetziger  Arbeitsgenosse  Dr. 
W.  Erben  sowohl  in  der  Auswahl  als  in  der  Behandlung  einzelner 
Themata  darauf  Rücksicht  zu  nehmen  haben,  dass  der  früher  an  den 
Arbeiten  der  Abtheiluug  betheiligte  Dr.  Paul  Kehr  bereits  ein  um- 
fangreiches Buch:  Die  Urkunden  Otto  III.  (Innsbruck,  Wagner,  1890) 
hat  erscheinen  lassen.  Eine  Reihe  von  Fragen  finden  wir  von  ihm 
erschöpfend  und  richtig  beantwortet,  brauchen  sie  also  nicht  wieder  auf- 
zugreifen, sondern  können  uns  begnügen  in  der  Diplomata-Ausgabe 
auf  die  betreffenden  Stellen  seines  Buches  zu  verweisen.  Aber  es  ist 
doch  nur  ein  Theil  der  uns  obliegenden  Arbeit,  welchen  Kehr  uns 
ab-  und  vorweg  genommen  hat. 

Kehr  selbst  will  sein  Buch  nicht  als  abgeschlossene  und  in  sich 
abgerundete  Specialdiplomatik  Otto  III.  betrachtet  sehen.  Aber  angelegt 
ist  es  jedenfalls  als  Specialdiplomatik,  was  von  einer  Seite  bereits  dem- 
selben als  Vorzug  nachgerühmt  ist  und  was  ich  selbst  in  gewissem 
Sinne  willkommen   geheissen   habe  ^).     Und   da   Hess    sich    nun   nicht 


')  Es  ist  in  unsern  Kreisen  oft  von  solcher  Arbeit  als  einer  sehr  wünschens- 
werthen  die  Rede  gewesen.     Aber  sie  in  Angriff  zu  nehmen  hat  es  uns  stets  an 
Zeit  gefehlt.     Alle  welche  der  Abtheilung  angehörten,    glaubte   i-ch   anhalten  zu 
Mittheilungeu  XII.  ü 


210  Sickel. 

alles  das  erledigen,  was  wir  als  Commeutar  zu  einzelnen  Urkunden 
oder  Urkundenreihen  für  nötliig  erachten,  so  dass  wir  die  von  Kehr 
veröffentlichten  Untersuchungen  noch  vielfach  zu  ergänzen  haben.  An- 
dererseits sind  wir  auch  in  zahlreichen  Fragen  zu  andern  Ergebnissen 
gelaugt  und  somit  verpflichtet,  Berichtigungen  zu  bieten.  Doch  wir 
werden  in  der  einen  wie  in  der  andern  Richtung  Mass  halten  und 
uns  auf  das  beschränken,  was  um  der  Edition  willen  zu  sagen  ist  und 
in  ihr  nicht  gesagt  werden  kann  i). 

Obwohl  bereits  Kehr  im  Vorwort  Aufschlüsse  über  die  Entstehung 
seines  Buches  gegeben  hat,  muss  ich  dieselben  vom  Standpunkte  des 
Leiters  der  Abtheilung  vervollständigen,  um  sowohl  Kehr  als  andern 
gerecht  zu  werden.  Ich  verbinde  damit  einen  weitern  Zweck:  dem 
Abschlüsse  dessen  nahe  was  ich  übernommen  habe,  glaube  ich  auch 
einiges  über  den  Gang  der  Arbeiten  in  den  letzten  Jahren  und  ins- 
besondere über  meinen  Antheil  an  denselben  berichten  zu  sollen. 

Eine  Reihe  von  Jahren  habe  ich  fast  ausschliesslich  der  Aufgabe 
gelebt,  welche  mir  von  der  Centraldirection  der  Monumenta  Germaniae 
übertragen  worden  war.  Mit  der  Veröffentlichung  eines  Programmes 
für  die  Vorarbeiten  (1876)  war  doch  nur  der  erste  Schritt  gethan. 
Es  bedurfte  noch  angestrengter  Arbeit  und  reiflicher  Ueljerlegung,  bis 
ich  über  alle  Fragen  der  Urkundenkritik  und  der  Urkundenedition 
schlüssig  ward.  Zu  solchem  Behufe  habe  ich  etwa  bis  zum  Juli  1884, 
in  welchem  die  Herausgabe  der  DD.  0.  I.  vollendet  vnirde,  mich  un- 
unterbrochen, in  und  ausserhalb  Wien,  an  all  den  mannigfaltigen  Ar- 
beiten deren  es   bedurfte   persönlich   betheiligt  ^).     Gewisse  Fragen  zu 


müssen,  ihre  ganze  Arbeitskraft  auf  möglichste  Förderung  der  Edition  zu  richten. 
Die  zu  Gunsten  Kehrs  gemachte  Ausnahme  hat  auch  thatsächlich  den  Druck  ver- 
zögert. Dazu  kam  für  mich  ein  zweiter  Grund,  vorläufig  von  derartiger  Arbeit 
abzusehen.  Ich  habe  den  Wunsch  gehegt  und  hege  ihn  noch,  dass  die  Köuigs- 
urkunden  etwa  eines  Jahrhunderts  (auf  die  Frage  der  richtigen  Abgrenzung  der 
Periode  gehe  ich  hier  nicht  ein)  systematisch  behandelt  werden  mögen,  aber  erst 
nach  Abschluss  der  Edition  für  das  10.  Jahrhundert.  Zu  so  umfassender  Arbeit 
hat  sich  Kehr  nicht  entschliessen  können,  so  oft  er  auch  betreffs  einzelner  Merk- 
male auf  die  Urkunden  der  Vorgänger  zurückgegriffen  hat,  und  ich  fürchte  dass 
er  andern  die  Lust  zu  solcher  benommen  hat,  indem  er  einen  Theil  der  Aufgabe 
bereits  gelöst  hat. 

')  loh  will  hier  keine  Anzeige  und  noch  weniger  eine  Kritik  des  Kehr'schen 
Buches  schreiben.  Ich  gehe  dabei  auch  über  zahlreiche  gegen  mich  und  gegen 
die  von  mir  besorgte  Diplomata-Ausgabe  gerichtete  Bemerkungen  hinweg,  ausser 
wenn  ich  sie  mit  Rücksicht  auf  die  Diplome  Otto  III,  aufzunehmen  Anlass  habe. 
-)  Mein  Antheil  erstreckte  sich  bis  auf  die  Redaction  der  Uebersicht  der  Urkunden, 
und  nur  die  Anfertigung  der  weiteren  drei  Register  habe  ich  damals  H.  Dr.  von 
lleineinann  und  den  andoni  .Mitnvboitera  überlassen. 


firläuterungeii  zu  den  Diplomen  Otto  IIT.  21 1 

lösen  hatte  ich  mir  allein  vorbehalten;  in  allen  andern  habe  ich  mir 
die  letzte  Entscheidung  gewahrt.  Dass  ich  so  viel  Zeit  und  Kraft  auf 
die  eine  Arbeit  verwenden  konnte,  verdankte  ich  vor  allem  dem  Um- 
stände, dass  sich  meine  amtliche  und  meine  ausseramtliche  Thätigkeit 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  deckten:  auch  als  akademischer  Lehrer 
fühlte  ich  mich  berufen,  die  Diplom atik  durch  allseitige  Beherrschung 
einer  Kategorie  von  Urkunden  fortzubilden  und  meine  Schüler  durch 
gemeinsame  Beschäftigung  mit  eben  diesem  Stoffe  zu  Diplomatikern 
heranzubilden. 

Doch  mit  der  Zeit  traten  an  mich  als  Lehrer  und  als  Mann 
der  Wissenschaft  neue  Aufgaben  heran.  Auch  bedurfte  es  um  die 
Edition  in  gleicher  Weise  fortzusetzen,  nicht  mehr  so  intensiven  und 
steten  Eingreifens  von  meiner  Seite.  So  habe  ich  mich  in  den  letzten 
Jahren  auf  das  zu  beschränken  versucht,  was  dem  Leiter  einer  Monu- 
menta- Abtheilung  obliegt,  darauf  die  Arbeiten  der  Gehilfen  anzuordnen 
und  zu  überwachen  und  die  letzte  Revision  des  für  den  Druck  be- 
stimmten Manuscriptes  zu  besorgen  ^). 

Allerdings  habe  ich  dann  doch  wieder  weiter  gehen  müssen,  als 
Fanta,  auf  dessen  Fleiss  und  Tüchtigkeit  ich  mich  zu  verlassen  allen 
Grund  hatte,  erkrankte  und  starb.  Kehr,  der  ihm  als  ständiger  Mit- 
arbeiter folgte,  war,  obwohl  er  bereits  seit  einiger  Zeit  als  Freiwilliger 
Fanta  an  die  Hand  gegangen  war,  noch  nicht  in  alle  Arten  von  Ar- 
beiten eingeweiht.  Und  fand  ich  auch  in  Uhlirz,  welcher  längst  aus 
der  Abtheilung  ausgeschieden,  aus  Liebe  zur  Sache  derselben  seine 
freien  Stunden  widmete  und  welcher  im  steten  Wechsel  der  Personen 
die  Traditionen  der  Abtheilung  aufrecht  erhielt  und  vertrat,  eine 
zuverlässige  Stütze,  so  wurde  ich  doch  mehr  als  ich  vorausgesehen 
hatte  in  Anspruch  genommen,  als  es  galt,  den  schon  begonnenen 
Druck  der  DD.  0.  IL  ohne  Unterbrechung  zu  Ende  zu  führen.  Ich 
fand  daher  keine  Zeit  mich  schon  der  nächstfolgenden  Aufgabe,  der 
Bearbeitung  der  DD.  0.  III.  zuzuwenden. 

Wie  es  sich  mit  der  Sammlung  des  Materiales  für  Otto  III.  ver- 
hielt, werde  ich  später  berichten.    Zunächst  wurde  von  demselben  nur 


k 


•)  In  einem  Punkte  liabe  ich  selbst  auf  die  Controle  der  Arbeiten  mehr 
oder  minder  verzichten  müssen.  Ich  kann  meine  Augen  nicht  mehr  wie  in 
früheren  Jahren  anstrengen  und  muss  daher  schwierigere  Schrifteuuntersuchung 
und  die  Entscheidung  über  diese  und  jene  palaeographische  Frage  zumeist  meinen 
jüngeren  Genossen  überlassen.  Ich  lasse  mir  allerdings  über  alles  berichten  und 
auch  das  vorhandene  Material  behufs  Nachprüfung  vorlegen.  Aber  ich  kann  mich 
nicht  mehr  der  Sicherheit  des  Urtheils  rühmen,  welche  auf  der  steten  Beschäfti- 
gung mit  den  Schriftdenkmälern  beruht. 

14* 


212  Sickol. 

heschränkter  Gebrauch  gemacht.  Mehrere  DD.  0.  III.  mussten  als 
Nachurkunden  von  DD.  0.  IL  berücksichtigt  werden,  bevor  letztere 
edirt  werden  konnten.  Andere  DD.  0.  III.  waren  als  von  bereits  unter 
Otto  IL  dienenden  Notaren  geliefert  in  die  Untersuchungen  über  das 
Kanzleipersonal  0.  IL  einzubeziehen.  Diese  und  andere  Beziehungen 
zwischen  den  Urkunden  des  Vorgängers  und  denen  des  Nachfolgers 
ins  'Auge  zu  fassen  uud  zu  verwerthen,  das  war  eine  der  Aufgaben, 
welche  Fanta  zugewiesen  worden  war  und  um  derentwillen  er  mit  der 
Sichtung  der  DD.  0.  III.  beginnen  musste.  Und  eben  zu  letzterer  Arbeit 
hatte  er  den  damals  nach  Wien  gekommenen  Kehr  herangezogen, 
Musste  nun  Kehr  nach  seinem  förmlichen  Eintritt  in  die  Abtheilung 
in  erster  Linie  mir  behilflich  sein  die  Arbeiten  über  Otto  IL  zum 
Abschluss  zu  bringen,  so  übertrug  ich  ihm  auf  seine  Bitten  nebenbei 
das  andere  auf  0,  III.  bezügliche  Pensum.  Indem  es  ihn  reizte  einen 
Stoff  selbständig  und  ohne  alle  Beihilfe  zu  bearbeiten,  steckte  er  sich 
auch  das  am  weitesten  gehende  Ziel.  Er  wollte  nicht  allein  jedes 
einzelne  Präcept  nach  den  Kegeln  unserer  Edition  druckfertig  her- 
stellen, er  wollte  auch,  was  ich  bisher  mir  vorbehalten  hatte,  die 
Keihenfolge  feststellen,  er  wollte  endlich  eine  zusammenhängende  Dar- 
stellung des  Kanzleiwesens  liefern  und  sich  so  als  Diplomatiker  ein- 
führen. Seinem  Vorhaben  kam  anfangs  manches  zu  statten.  Indem 
ich  längere  Zeit  von  Wien  abwesend  war,  ejitfiel  selbst  die  Möglichkeit 
meiner  Einmischung  in  seine  Arbeit.  Später  enthielt  ich  mich  der- 
selben aus  speciellem  Grunde.  Im  Frühjahre  1888  hatte  nämhch  die 
Centraldirection  auf  meine  Fürsprache  hin  Dr.  Kehr  gestattet,  das  der 
Abtheilung  gehörige  Material  für  eine  Habilitationsschrift,  welche  sich 
dann  zu  einem  Buche  ei-weitert  hat,  zu  verwerthen:  diese  Bestimmung 
der  Arbeit  Kehrs  legte  mir  vollends  Zurückhaltung  auf.  Stand  es  ihm 
dagegen  frei  von  allen  Arbeiten  seiner  Vorgänger,  über  welche  ich 
mich  gleich  äussern  werde,  Gebrauch  zu  machen,  so  ist  doch  was  er 
aus  ihnen  gemacht  und  in  seinem  Buche  geboten  hat,  sein  ausschliess- 
liches geistiges  Eigenthum.  Ihm  allein  gebührt  dieses  Verdienst,  wäh- 
rend die  Mängel  und  Fehler  nicht  ihm  allein  zur  Last  fallen. 

Kehr  sah  sich  jedoch  in  der  Folge  zur  Einschränkung  seines  ur- 
sprünglichen Planes  genöthigt.  Solange  er  Mitglied  der  Abtheilung 
war,  musste  er  den  grössten  Theil  seiner  Zeit  auf  die  Drucklegung 
der  DD,  0.  IL  verwenden ,  Hatte  er  sich  dann  frei  gemacht,  so  zwangen 
ihn  bald,  wie  er  selbst  berichtet,  persönliche  Verhältnisse  Wien  zu 
verlassen. 

An  seinem  neuen  Wohnorte  war  er  auf  die  Excerpte,  welche  er 
sich  gemacht  liatto,  angewiesen,   konnte  die  in  der  Abtlieilung  bereits 


Erliiiitcrungcu  zu  den  Diplumen  Otiu  IIF.  213 

vorhandenen  Abschriften  und  Vorarbeiten  nicht  von  neuem  zu  Käthe 
ziehen  und  hatte  nicht  einmal  Kenntniss  von  dem  neuen  nach  und 
nach  einlaufenden  Material.  Seine  Arbeit  hat  darunter  leiden  müssen. 
Kehr  hat  nicht  jede  Einzeluntersuchunpf  zum  Abschluss  zu  bringen 
vennocht.  Hatte  er  sich  insbesondere  vorgenommen  die  Reihenfolge 
der  sämratlichen  Urkunden  festzustellen  und  hat  er  thatsächlich  grosse 
Mühe  auf  die  chronologischen  Untersuchungen  verwendet,  so  hat  er 
dann  doch  in  gerechter  Würdigung  der  Sachlage  (s.  Vorwort  IV.j  sich 
begnügt  an  einem  gewissen  Punkte  Halt  zu  machen.  Bedauerlicher 
als  dies  finde  ich  eine  Lücke  in  Kehrs  Buche.  In  dem  Entwürfe  zu 
demselben,  welchen  er  mir  vorlegte,  waren  die  Dictamiua  gebührend 
berücksichtigt;  in  der  Ausführung  aber  ist  gerade  dieses  Thema  zu 
kurz  gekommen,  oflFenl^ar  weil  dasselbe  zu  erschöpfen  Auszüge  nicht 
genügen,  sondern  immer  wieder  die  vollständigen  genauen  Abschriften 
zu  Eathe  gezogen  werden  müssen.  Ist  also  Kehr  die  Erlaubniss  den 
Apparat  der  Abtheilung  benutzen  zu  dürfen,  nur  eine  Zeit  lang  zu 
statten  gekommen  und  hat  er,  um  sein  Buch  niederzuschreiben,  sich 
vielfach  mit  Excei'pten  und  Listen  behelfen  müssen,  so  ist  um  so  mehr, 
was  er  unter  solchen  Umständen  geleistet  hat,  anzuerkennen. 

Sagte  ich  schon,  dass  Kehr  von  den  Vorarbeiten  früherer  Genossen 
abhängig  war,  so  will  ich  hier  ausführlicher  berichten,  wie  diese  ent- 
standen waren,  wie  es  mit  ihnen  zu  Kehrs  Zeit  bestellt  war  und  was 
dann  später  noch  nachgeholt  worden  ist.  Am  füglichsten  knüpfe  ich 
auch  dabei  an  die  wichtige  Scheidung  zwischen  noch  vorhandenen 
Originaldiplomeu  und  zwischen  uns  abschriftlich  erhaltenen  Urkunden 
an.  Schon  bei  der  ersten  Durchforschung  der  Archive  und  Biblio- 
theken gingen  wir  darauf  aus,  die  Originale  im  weitern  Umfange  zu 
bearbeiten :  mindestens  sollten  sämmtliche  von  Konrad  I.  bis  zu  Otto  III. 
copirt  und  beschrieben  Averden,  wo  möglich  sollten  aber  auch  Vor-  und 
Nachurkunden  berücksichtigt  werden.  Wie  nun  das  ganze  Gebiet  nörd- 
lich der  Alpen  dem  sei.  Foltz  zugewiesen  worden  war  i),  hatte  dieser 
bereits  in  den  ersten  Jahren  des  Bestandes  der  Abtheilung  auch  alle 
ihm  zu  Gesichte  gekommenen  Originaldiplome  Otto  III.  abgeschrieben 
und  nach  Ingrossisten  zu  ordnen  begonnen.  Wenn  nun  Versuche  der 
letzteren  Art   überhaupt   erst   in   dem  Grade   gelingen   als  Material  in 


0  Allerdings  hat  er  zuerst  an  mehreren  Orten  mit  mir  und  unter  meiner 
Leituug  gearbeitet  und  in  der  Folge  hat  er  sich  an  andern  Orten  der  Beihilfe 
mehrerer  Mitglieder  des  Wiener  Instituts  erfreut.  Aber  den  weitaus  grössern 
Theil  der  Ausbeute  aus  Deutschland  hat  er  geliefert  und  er  allein  hatte  damals 
üeberblick  über  den  gesammten  Vorrath  gewonnen,  so  dass  hier  auch  nur  seine 
Leistungen  zu  erwähnen  sind, 


2t4  Sickol. 

grösserm  Umfange  iu  die  Schriftvergleicliung  einbezogen  wird,  so  war 
Foltz  Fehlgriffen  um  so  melir  ausgesetzt,  als  ihm  das  Material  für  und 
aus  Italien  noch  unbekannt  war,  daher  auch  die  Zusammensetzung  der 
Kanzlei  in  den  letzten  Jahren  Otto  III.  aus  deutschen  und  italieni- 
schen Notaren  und  die  immer  mehr  gesteigerte  gegenseitige  Beein- 
flussung der  beiden  Elemente  ^).    Den  Urkundenvorrath  Italiens  haben 


')  Sagt  Kehr  73,  dass  nach  dem  Ausscheiden  des  deutschen  Notars  Hildi- 
bald  das  Heribert  untergeordnete  Personal  ausschliesslich  aus  Italienern  bestanden 
habe,  so  stimmen  wir  dem,  -wie  Dr.  Erben  ausführen  wird,  nicht  bei.  —  Es 
möge  mir  gestattet  sein,  hier  auf  eine  Bemerkung  von  Bresslau  ürkundenlehre 
1 ,  300  zu  erwidern.  Bresslau,  welcher  zu  allererst  meinem  Vorgange  die  namen- 
losen Schreiber  behufs  Unterscheidung  zu  bezeichnen  gefolgt  ist  und  demselben 
auch  jetzt  das  Wort  redet,  missbilligt,  dass  ich  selbst  das  einst  von  mir  vor- 
geschlagene System  in  etwas  modificirt  habe.  Mir  liegt,  often  gestanden,  da  ich 
hier  doch  nur  Namen  fingire,  nichts  an  consequentem  Vorgehen.  Ich  lasse  mich 
vielmehr  durch  praktische  Rücksichten  bestimmen.  So  bezeichnete  ich  um  sie 
)-echt  von  ihren  deutschen  Genossen  zu  scheiden  (vgl.  die  Erläut.  zu  den  DD. 
,  0.  IL,  18)  die  Notare  der  italienischen  Kanzlei  mit  It.  X.  Heben  sich  aber  in 
den  letzten  Jahren  Otto  III.,  als  beide  Kanzleien  unter  Heribert  standen,  die 
deutschen  und  die  wälschen  Notare  kaum  noch  voneinander  ab,  so  findet  das 
meines  Ermessens  den  rechten  Ausdruck  in  der  Bezeichnung  von  Her.  A.  u.  s.  w., 
welche  übrigens  innerhalb  der  Abtheilung  bereits  vor  Kehrs  Zeit  in  Vorschlag 
gebracht  worden  war.  Ich  mache  es  auch  ganz  von  den  jeweiligen  Umständen  ab- 
hängig, ob  ich  einem  unter  mehreren  Kanzlern  dienenden  Notar  denselben  Namen 
belasse  oder  ihn  umtaufe.  Reden  wir  noch  unter  Otto  III.  von  einem  L(iutolf)  J., 
so  wollen  -wir  daran  erinnern,  dass  dieser  Mann  schon  unter  Otto  I.,  als  Liutolf 
Kanzler  war,  thätig  war.  Dagegen  habe  ich  LG.,  weil  er  unter  Willigis  eine 
hervorragende  Rolle  spielte,  in  der  Folge  WA.  bezeichnet.  Auch  das  scheint 
mir  geringen  W'erth  zu  haben,  was  z.  B.  Kehr  S.  41  verlangt,  dass  jeder  Notar 
nach  dem  Kanzler  benannt  werden  solle  unter  dem  er  zuerst  nachweisbar  ist. 
In  Anbetracht  der  hervorragenden  Stellung,  welche  HA.  unter  dem  Kanzler 
Hildibald  eingenommen  hat,  ist  es  von  sehr  geringer  Bedeutung,  dass  HA.  schon 
unter  dem  vorausgehenden  Kanzler  Gerbert  ein  einziges  auf  ims  gekommenes 
Diplom  geschrieben  hat.  Ja  ich  scheue  selbst  davor  zurück,  einen  voreilig  ge- 
wählten und  bereits  in  Curs  gesetzten  Namen  durch  einen  entschieden  richtigem 
zu  ersetzen.  Es  hat  mich  selbst  bein-t,  dass  ich  ein  Individuum  zuerst  LC.  und 
dann  LB.  benannte  (vgl.  meine  Beiträge  8,  155).  Und  ich  möchte  auch  jetzt 
nicht  Anlass  zu  allerlei  Verwechslungen  geben  durch  nicht  unbedingt  nothwen- 
diges  Rütteln  an  den  von  Kehr  für  die  Notare  Otto  III.  gewühlten  Bezeichnungen. 
Hält  dieser  seinen  Her.  C.  für  einen  Italiener,  so  halten  wir  denselben  schon 
ileshalb  für  einen  Deutschen,  weil  er  bereits  unter  dem  Kanzler  Hildibald  thätig 
war.  Wir  müssten  ihn  demnach,  wenn  wir  Kehrs  Rathe  folgen  wollten,  unter 
die  Hildibald-Notare  einreihen ;  aber  wir  wollen  solches  Unheil  nicht  anstiften. 
Anders  steht  es  allerdings  damit,  dass  wir  Kehrs  HH.  in  zwei  Personen  zerlegen : 
da  mnssten  wir  die  Bezeichnungen  HH.  und  HJ.  wählon  und  mu^sten  Kehrs 
HJ.  umtaufen  zu  HK. 


Erliiiitornngen  zu  den  Diplomen  Otto  IIT.  215 

wir  aber  erst  spät  genügend  kennen  gelernt.  Hatte  ich  die  Bearbei- 
tung desselben  einst  Laschitzer  aufgetragen,  so  hatte  ich  schon  zur 
Zeit,  da  dieser  aus  der  Abtheilung  ausschied,  die  Erfahrung  gemacht, 
dass  es  Zeit  und  Geld  verschwenden  heisst,  wenn  man  die  Sammlungen 
dieses  Landes  planmüssig  ausbeuten  lassen  will.  Grade  die  für  uns 
in  Betracht  kommenden  Urkunden  vertheilen  sich  auf  zahlreiche 
Archive,  deren  gi'össerer  Theil  geistlichen  Corporationen  angehört.  Die 
Zugäuglichkeit  der  letztern  ist  eine  vielfach  beschränkte  ^).  So  habe 
ich  später  vorgezogen,  in  gewissen  Kirchenarchiven  gelegentlich  arbeiten 
zu  lassen.  Allerdings  blieb  alle  Mühe  vergeblich,  das  eine  und  andere 
einst  von  Bethmanu  eingesehene  Stück  wieder  aufzufinden.  Aber  bis 
auf  diese  geringen  Ausnahmen  sind  doch  die  Originale  des  10.  Jahr- 
hunderts für  unsre  Zwecke  nochmals  copirt  und  geprüft  worden.  War 
das  nur  nach  und  nach  zu  erzielen,  so  begreift  sich,  dass  wir  auch 
nur  allmählig,  was  die  Schreiber  unter  Heribert  anbetrifft,  klar  zu 
sehen  vermocht  haben. 

Im  übrigen  hatte  Foltz  auch  sonst  nicht  immer  das  richtige  ge- 
troffen. Das  hatten  TJhlirz,  Fanta  und  Kehr  durchschaut,  wenn ,  sie 
einzelne  Urkunden  nachzuprüfen  Anlass  fanden.  Aber  zu  einer  ein- 
gehenden Vergleichung  des  gesammten  Materials  war  es  bis  zum  Herbst 
1889  nicht  gekommen  2). 

Mit  Fug  und  Recht  hat  sich  Kehr,  als  er  zuerst  hier  Ordnung 
machen  wollte,  nicht  an  jeden  Ausspruch  seiner  Vorgänger  gehalten. 
Aber  nicht  in  der  Lage,  worüber  er  selbst  sein  Bedauern  ausspricht, 
auf  Originale  in  grösserer  Anzahl  zurückzugehen,  musste  er  sich  in 
den  meisten  Fällen  doch  an  die  bisherigen  Bestimmungen  halten. 

Bevor  ich  mich  über  die  von  ihm  betreffs  der  Originale  gebotenen 
Ergebnisse  äussere,  berichte  ich  über  den  zweiten  Theil  des  Apparats, 
Avelcher  die  nur  abschriftlich  erhaltenen  Urkunden  umfasst.  Die  dies- 
bezüglichen den  Sendliugen  der  Abtheiluug  ertheilten  Weisungen  macli- 
ten  ihnen  zur  Pflicht,  alle  Copien  zu  verzeichnen  und  zu  beschreiben. 


I 


•)  Dass  es  seit  1876,  in  welchem  Jahre  Laschitzer  für  uns  Italien  bereiste,  um 
vieles  besser  geworden  ist,  weiss  ich  aus  eigener  Erfahrung.  Aber  auch  in  jüng- 
ster Zeit  ist  es  uns  widerfahren,  dass  wir  erst  bei  einem  dritten  oder  vierten 
Versuche  Zutritt   zu    einzelnen  Archiven    erwirkt   haben.  -)  Als  ich  damals 

gedrängt,  wurde,  Diplome  Otto  III.  für  die  Eaiserurkunden  in  Abbildungen  aus- 
zuwählen, habe  auch  ich  mich  an  die  bis  dahin  gewonnenen  Ergebnisse  gehalten. 
Machte  ich  deshalb  (Text.  S.  289)  einen  Vorbehalt,  so  bin  ich  doch  in  diesem 
nicht  weit  genug  gegangen.  Indem  ich  jetzt  noch  drei  Praecepte  Otto  III.  in 
die  11.  Lieferung  aufgenommen  habe,  habe  ich  zwei  der  vor  .Tahren  gethanenu 
Aussprüche  zu  berichtigen  Anlass  gehabt. 


216  Hickcl. 

aber  nicht  alle  sofort  abzuschreiben.  Nur  ältere  Einzelcopien  sollten 
ffleich  an  Ort  und  Stelle  bearbeitet  werden.  Handelte  es  sich  aber 
um  Copien  in  Chartularen,  welche  wir  nach  Wien  zugesandt  erhalten 
konnten,  so  war  es  bequemer  und  minder  kostspielig,  die  Chartulare 
am  Sitze  der  Abtheilung  auszubeuten.  Auch  wollte  ich  nicht  Zeit  und 
Mühe  auf  Copien  verschwenden  lassen,  welche  sich  möglicherweise  als 
abgeleitete  und  minderwerthige  herausstellten.  Zunächst  genügte  es, 
möglichst  vollständigen  Ueberblick  über  die  mehrfachen  Ueberlieferungs- 
formen  zu  gewinnen,  um  aus  letzteren  die  relativ  bessern  auszuwählen, 
eine  Arbeit,  die  sich  mit  Hilfe  alter  und  neuer  Reiseberichte  und  mit 
Hilfe  der  gedruckten  Litteratur  am  besten  in  Wien  verrichten  Hess- 
Ob  nun  der  ganze  Vorrath  von  Abschriften  einer  Urkunde  bekannt 
und  verfügbar  ist,  das  lässt  sich  in  manchen  Fällen  nicht  so  leicht 
sagen  und  immer  erst  wenn  man  der  ganzen  betreffenden  Herkunfts- 
gruppe und  allen  ihren  Schicksalen  nachgegangen  ist.  Alles  das  er- 
klärt, dass  dieser  Theil  des  Apparates  erst  mit  der  Zeit  beschaflFt 
werden  kann,  und  dass  wir  nicht  allein  bis  wir  zum  Drucke  schreiten, 
sondern  selbst  noch  darüber  hinaus,  auf  Vervollständigung  desselben 
bedacht  sein  müssen.  Es  verhält  sich  also  mit  ihm  ganz  so  wie  mit 
dem  ersten  Theile.  Erst  in  etwas  vorgeschrittenem  Stadium  der  Arbeit 
lassen  sich  manche  Fragen  beantworten;  ja  gewisse  Fragen  tauchen 
erst  dann  auf.  Insbesondere  wird  es  erst  nach  und  nach  ersichtlich, 
ob  das  Material  quantitativ  und  qualitativ  genügt  oder  ob  noch  weiteres, 
falls  es  vorhanden  ist,  herbeigeschaflFt  werden  muss. 

Ist  es  nun  zweifelsohne  die  Aufgabe  des  Leiters  für  Ergänzung 
oder  Berichtigung  des  für  die  Edition  benöthigteu  Stoffes  zu  sorgen, 
so  muss  er  doch,  solange  er  eine  Partie  noch  nicht  selbst  in  Angriff 
nimmt,  von  seinen  Gehilfen  erst  auf  die  von  ihnen  im  Laufe  der  Arbeit 
wahrgenommenen  Lücken  oder  Zweifel  aufmerksam  gemacht  werden. 
An  letzterem  hat  es  Kehr,  wie  er  das  auf  Otto  III.  bezügliche  Material 
zu  sichten  und  zu  verwerthen  begann,  nicht  fehlen  lassen,  und  ich 
habe  dann  nicht  unterlassen  die  erforderlichen  Schritte  zu  thun.  Und 
doch  ist,  solange  Kehr  der  Abtheilnng  angehörte,  in  dieser  Richtung 
nicht  genug  geschehen.  Indem  er  den  Stand  der  Dinge  nicht  ganz 
übersah,  hat  er  auch  mich  nicht  hinläuglich  aufgeklärt.  Ja  es  ist 
ihm  auch  die  eine  und  andere  Bemerkung  in  unsern  Papieren  ent- 
gangen. Ich  werde  später  zu  zeigen  haben,  dass  Kehr  zu  seinem 
eigenen  Schaden  die  älteste  Copie  des  von  ihm  S.  262  ausführlich 
besprochenen  Diploms  für  Concordia  unbeachtet  gelassen  hat.  Ebenso 
hat  er  verabsäumt  einem  Winke  zu  folgen,  welcher  sich  auf  die  Ur- 
kunden für  Selz  bezieht.     Letztere  waren  uns  einst  partienweise  nach 


I 


Erläuterungen  zu  den  r)i])l()iiien  Offo  flT.  217 

Wien  gesandt  worden.  Da  wir  so  nicht  sämmtliche  Ausfertigungen 
miteinander  vergleichen  konnten,  suchte  ich  dies  vor  etwa  10  Jahren 
in  Karlsruhe  nachzuholen.  Indem  ich  jedoch  damals  die  Schreiber 
Otto  III.  noch  nicht  genügend  kannte,  sprach  ich  mich  über  die  Mehr- 
zahl der  Stücke  mit  gewissem  Vorbehalt  aus  und  bemerkte  ausdrück- 
lich, dass,  sobald  die  Untersuchunsren  über  das  Kanzleipersonal  Otto  III. 
zum  Abschluss  gekommen  seien,  die  ganze  Selzer  Gruppe  nochmals  zu 
prüfen  sei.  Dass  solche  Vorsicht  geboten  war,  hat  die  jüngst  statt- 
gefundene nochmalige  Vergleichung  dieser  Urkunden  bestätigt.  Ich 
überlasse  es  Dr.  Erben,  welcher  dieselbe  durchgeführt  hat,  die  dies- 
bezüglichen früheren  und  von  Kehr  wiederholten  Angaben  zu  be- 
richtigen. 

Dass  Kehr  sich  über  den  Stand  der  Vorarbeiten  nicht  täuschte, 
bemerkte  ich  schon.  Dass  er  in  dem  einen  und  dem  andern  Falle  es 
unterliess,  sich  besser  zu  unterrichten,  war  die  unausbleibliche  Folge 
davon,  dass  er  Wien  zu  verlassen  und  auf  die  Unterstützung  der  Ab- 
theilung zu  verzichten  genöthigt  war.  Seine  unerwartete  Abreise  setzte 
übrigens  auch  mich  in  Verlegenheit.  Wir  konnten  den  von  ihm  der 
Abtheilung  hinterlassenen  Aufzeichnungen  nicht  genau  entnehmen,  wie 
weit  er  in  seinen  Untersuchungen  gekommen  war:  seine  Habilitations- 
schrift ging  uns  erst  um  Ostern  1889,  sein  Buch  erst  im  Herbste  zu. 
So  konnten  wir  mit  unserer  Arbeit  zunächst  nur  da  einsetzen,  wo, 
wie  wir  auf  den  ersten  Blick  erkannten.  Kehr  nicht  zum  Abschluss 
gelangt  war.  Ich  wies  so  eine  Eeihe  von  einzelnen  Aufgaben  H.  Dr. 
Erben  zu,  welcher  im  November  1888  ständiges  Mitglied  der  Abthei- 
lung wurde  und  die  erste  Zeit  hindurch,  da  ich  von  Wien  abwesend 
war,  von  H.  Archivar  Dr.  Uhlirz  weitere  Anleitung  erhielt.  Stiessen 
diese  meine  Genossen  auf  viele  Lücken  und  Mängel  des  Apparates,  so 
war  es  nach  meiner  Heimkehr  meine  erste  Sorge,  hier  Abhilfe  zu 
schaffen.  Ich  erwähne  hier  nur  was  geschehen  ist,  um  über  die 
Originaldiplome,  deren  Beschreibungen  und  Bestimmungen  am  meisten 
zu  wünschen  übrig  liessen,  besser  unterrichtet  zu  werden.  Aus  meh- 
reren deutschen  Archiven  hat  man  uns  bereitwilligst  die  Urkunden 
nach  Wien  gesandt.  Standen  dem  Hindernisse  im  Wege,  so  haben 
wir  uns  mit  Facsimiles  von  grösserem  Umfange  beholfen.  Die  Vorräthe 
in  Berlin  und  Dresden  sind  nochmals  von  Dr.  Bretholz  bearbeitet 
worden.  Ich  selbst  revidirte  und  ergänzte  in  sieben  Archiven  Deutsch- 
lands die  Arbeiten  von  Foltz,  Auch  in  Italien  wurde  noch  Nachlese 
gehalten  i).     Dank  der  uns  überall  gewährten  Unterstützung  ist  es  in 


')  Da  der  grössere  Theü  sowohl   der  Originale   als   auch  der  Copien  ein 


21S  Sickel. 

Jahresfrist  gelungen,  alle  wahrnehmbaren  Lücken  auszufüllen  ^).  Sind 
wir  also  in  günstigerer  Lage  als  Kehr,  so  darf  es  nicht  Wunder  neh- 
men, dass  wir  seine  Arbeit  in  manchen  Einzelheiten  und  in  mehrfacher 
Beziehung  zu  ergänzen  und  zu  berichtigen  haben.  Zum  Theil  soll 
das,  wie  ich  schon  sagte,  in  der  Edition  geschehen.  Bedarf  es  aber 
zusammenhängender  Darlegung  und  eingehender  Begründung,  so  ge- 
schieht dies  füglich  in  diesen  Erläuterungen  zu  deu  Diplomen  Otto  IIL, 
welche  jedoch  auch  mehr  als  Auseinandersetzungen  mit  TCehr  bieten 
sollen. 

Die  ersten  vier  Capitel  liabe  ich  niedergeschrieben.  Dass  ich  mich 
hier  fast  ganz  auf  Erörterungen  über  Diplome  bis  zum  Jahre  907 
beschränkt  habe,  geschah  weil  ich  mich  bisher  nur  mit  diesen  ganz 
vertraut  machen  konnte.  Da  ich  Wien  wiederum  verlasse,  übernimmt 
H.  Archivar  Dr.  Uhlirz  und  zwar  mit  Genehmigung  des  Localaus- 
schusses  der  Monumenta  Germaniae  die  Leitung  der  weiteren  Arbeiten. 
Hat  nun  Dr.  Erben  bereits  mehrere  Excurse  vollendet,  welche  den 
meinigen  folgen  werden,  so  bleibt  es  ihm  und  Dr.  ühlirz  überlassen, 
zu  bestimmen,  inwieweit  noch  Erläuterungen  zu  den  Diplomen  der 
letzten  Jahre  hinzuzufügen  sein  werden. 

Wien,  August  1890.  Sickel. 


I. 
Die  italienisclie  Kanzlei  bis  zum  Jahre  004. 

Indem  die  Keihe  der  uns  bekannten  Diplome  Otto  HL  für  Italien 
erst  mit  dem  J.  988  beginnt  und  wir  bis  dahin  nichts  von  einer 
italienischen  Kauzlei  hören,  wirft  Kehr  55  die  Frage  auf,  ob  sich 
nach  dem  Tode  Otto  IL  etwa  der  Vorgang  wiederholt  habe,  welcher 
mit  dem  vorausgehenden  Thronwechsel  verbunden  war,  dass  diese 
zweite  Kanzleiabtheilung  aufgelassen  und  erst  nach  Jahren  wieder 
hergestellt  wurde.  Mir  scheinen  jedoch  die  Dinge  in  den  J.  984 — 988 
anders  zu  liegen  als  in  den  Jahren  972 — 977.  Indem  in  den  An- 
fängen Otto  IL  auch  Italiener  dann  und  wann  Praecepte  erbeten  und 


zweites  Mal  verglichen  worden  ist,  werden  in  der  Edition  hänfifrer  als  bisher  zu 
den  einzelnen  Stücken  zwei  unserer  Fnchgenossen  als  Bürgen  namhaft  gemacht 
werden. 

')  Hiebei  hat  auch  Dr.  Kehr  redlich  mitgewirkt.  Er  hat  in  Marburg  die 
dort  aufbewahrten  Originale  wiederholt  geprüft  und  uns  die  Ergebnisse  mit- 
getheilt.  Suchte  er  ferner  auf  mein  Bitten  eines  in  Hiilberstadt  in  Privatbesitze 
befindlichen  Urkundenfragmentes  habhaft  zu  werden,  so  konnte  dasselbe  bisher 
leider  nicht  aufgefunden  werden. 


Erliiiifernngpn  zu  rlen  T)iplnmen  OHo  ITT.  219 

dann  von  der  deutschen  Kanzlei  ausgefertigte  Diplome  erhalten  haben; 
unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  eine  Zeit  lano^  letztere  allein  be- 
standen  hat.  Ein  solches  Argument  gegen  die  Existenz  einer  italienischen 
Kanzlei  wird  sich  aus  den  ersten  Jahren  Otto  ITI.  nicht  beibringen 
lassen.  Dass  uns  erst  seit  088  Urkunden  für  Italiener  vorliegen,  ist 
kaum  blosser  Zufall.  Es  ist  vielmehr  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  da- 
malige vormundschaftliche  Eegierung  erst  nach  einiger  Zeit  den  Versuch 
hat  machen  können,  wieder  in  die  Angelegenheiten  Italiens  einzugreifen 
und  dieselben  unter  anderm  auch  durch  Praecepte  zu  regeln  i).  So 
steht  der  Annahme  nichts  im  Wege,  dass  es  schon  in  den  ersten 
Jahren  Otto  III.  an  dessen  Hofe  einen  italienischen  Kanzler  gegeben 
habe,  freilich  ohne  Gelegenheit  zu  finden  seines  Amtes  zu  walten,  und 
dass  es  einer  Wiederherstellung  der  italienischen  Kanzlei  im  J.  988 
nicht  bedurft  habe.  Lässt  sich  da  eine  sichere  Entscheidung  nicht 
treffen,  so  hat  sie  auch  für  den  Diplomatiker  geringen  Werth.  Ihn 
muss  es  mehr  interessiren  zu  wissen,  ob  und  in  welchem  Grade  in 
dem  einen  wie  in  dem  andern  Fall  die  Continuität  der  Geschäftsfüh- 
rung gewahrt  worden  ist. 

Diese  Frage  hat  auch  Kehr  mit  Kecht  ins  Auge  gefasst.  Als  für 
die  Continuität  sprechend  führt  er  au,  dass  als  erster  Kanzler  Otto  III. 
seit  dem  J.  988  derselbe  Adalbertus  erscheint,  welcher  bereits  Otto  IL 
in  gleicher  Eigenschaft  gedient  hatte  ~),  und  dass  (nach  Kehr  zuerst 
in  D.  69  vom  April  991)  als  einziger  ständiger  Notar  der  italienischen 
Kanzlei  It.  L.  auftritt,  welcher  bereits  im  J.  983  zu  Verona  der  deut- 
schen Kanzlei  bei  Mundirung  der  DDO.  II.  294,  296  behilflich  ge- 
wesen war  3).  Aber  wie  Kehr  die  Thätigkeit  der  italienischen  Kanzlei 
bis  zum  J.  994  darstellt,  würde  es  mit  dem  Zusammenhang  sowohl 
was  die  Personen  als  was  die  Gebahrung  anbetrifft,  doch  schlecht  be- 
stellt gewesen  sein.     Adalbert  soll  sich  nämlich  ohne  ständigen  Notar 


')  Audi  das  einzige  Actum  deperditnm,  welclies  sich  bis  zum  Mai  988 
nachw'eisen  lässt  fs.  Kelir  54  N.  1  und  58  N.  1),  l^ann  man  füglicli  zum  J.  988 
ansetzen.  ^)  Von   ilim   recognoscirt   sind    die   DDO.    ITI.    50,  53,  54,  56,  65. 

Aber  auch  das  erste  für  Italien  ausgestellte  D.  46  (Copie  ohne  Unterschriftzeile) 
werden  wir  hinzurechnen  dürfen.  —  Adalbert  recognoscirte  überdies,  indem  er 
im  Winter  von  989  zu  990  die  Kaiserin  nach  Italien  begleitete,  die  beiden  uns 
erhaltenen  Urkunden  der  Kaiserin  (s.  Kehr  54),  die  ich  in  der  Folge  als  Th.  1 
und  Th.  2  citiren  werde.  Der  Zeit  nach  gehören  sie  zwischen  D.  56  und  D.  65. 
3)  Dass  in  Folge  der  noch  zu  Lebzeiten  Otto  TT.  eingetretenen  Erledigung  des 
Postens  des  Erzkanzlers,  unter  Otto  ITI.  in  der  Person  des  Bischofs  Petrus  von 
Como  ein  neuer  ErzkanzTer  auftritt,  kommt  hier  nicht  in  Betracht,  da  der  Erz- 
kanzler kaum  auf  die  Wahl  des  Kanzlers  und  der  Notare  noch  auf  deren  Ge- 
bahreu  Einfluss  genommen  haben  wird. 


220  Sickel. 

beliolfen  haben,  und  nach  Adalberts  Eücktritt  soll  der  Kanzlerposten 
nicht  definitiv  besetzt  worden  sein.  Auf  letzteren  Punkt  will  ich  erst 
später  eingehen.  Aber  um  einen  Ueberblick  über  die  hier  in  Betracht 
kommenden  Urkunden  zu  bieten,  gebe  ich  in  Kürze  an,  wie  sie  unter- 
fertigt worden  sind.  D.  69  vom  18.  April  991  und  D.  97  vom  20.  Juni 
992  sind  von  Johannes  Graecus,  auf  den  ich  zurückkomme,  recosrnos- 
cirt  worden,  dann  "DO.  100,  101  von  Petrus  cancellarius,  der  vielleicht 
identisch  ist  mit  dem  gleichnamigen  Bischof  von  Asti.  Mit  derselben 
Datiruug  (19.  Juli  992)  wie  die  letztern  Stücke  versehen,  ist  D.  99 
für  den  eben  genannten  Bischof  von  Asti  von  dem  deutschen  Kanzler 
Hildibaldus  unterfertigt  worden.  Erst  aus  dem  September  994  liegt  uns 
in  D.  149  wieder  ein  Praecept  für  Italien  vor:  in  ihm  tritt  bereits 
Heribert  auf,  welcher  bis  zum  Tode  des  Kaisers  der  italienischen  und 
dann  auch  der  deutschen  Kanzlei  vorstand. 

Ich  kehre  zu  der  Kanzlerperiode  Adalberts  zurück,  um  darzuthun, 
dass  schon  damals,  was  Kehr  entgangen  ist,  It.  L.  einen  grossen  Theil 
der  Arbeit  besorgt  hat,  dass  dieser,  den  auch  ich  als  den  einzigen 
'ständigen  Notar  bis  zum  J.  992  oder  994  betrachte,  der  eigentliche 
Träger  der  Tradition  gewesen  ist,  und  dass  er  noch  mehr  als  der  bald 
aus  der  Kanzlei  ausgeschiedene  Adalbert  den  Zusammenhang  mit  dem 
Kanzleiwesen  unter  Otto  IL  gewahrt  hat.  Was  die  Beweisführung 
erschwert,  hat  bereits  Kehr  angedeutet.  Mit  einer  Arbeitskraft  glaubte 
man  auskommen  zu  können  und  kam  doch  nicht  mit  ihr  aus.  Fand 
sich  unter  den  Bittstellern  aus  Italien  ein  geeigneter  Mann,  so  über- 
liess  man  es  ihm  gern  das  Praecept  zu  dictiren  und  zu  mundiren  i). 
Oder  es  halfen  auch,  wenn  It.  L.  nicht  an  Ort  und  Stelle  oder  ander- 
weitig  beschäftigt   war,    deutsche  Notare    aus  '^).     Des  weitern  werden 


')  Das  gilt  von  dem  Originale  von  D.  53.  Jedoch  stimme  ich  Fanta  und 
Kehr  fiO,  welche  das  Stück  It.  H.  beilegten,  nicht  bei.  Der  Ingrossator  gehört 
zweifelsohne  nach  Cielo  d'  oro  und  hat  Schulverwandtschaft  mit  It.  H. ;  überdies 
schreibt  er  ja  nach  dem  von  It.  H.  mundirten  DO.  II.  J73:  daher  kommt  seine 
Schrift  der  des  einstigen  Kanzleinotars  so  nahe.  Das  Eschatokoll  dagegen  be- 
trachte auch  ich  als  vom  Kanzler  selbst  geschrieben.  *)  Daher  die  diesen 
geläufigen  Wendungen  und  Formeln  in  der  einen  und  andern  Urkunde.  Jedoch 
beurtheile  ich  D.  65  anders  als  Kehr  61.  Im  Context  ist  ja,  abgesehen  von  einem 
interpolirten  Satze,  nur  die  Arenga  neu.  Diese  aber  entspricht  weit  mehr  dem 
Stile  des  It.  L.  als  dem  des  deutschen  Notars  HF.  —  Vom  Eschatokoll  spreche 
ich  sogleich.  —  Ich  erledige  hier  auch  DD.  97  und  154  (Kehr  62).  Der  grössere 
Theil  des  Contextes  von  D.  97  erinnert  an  die  Dictate  des  It.  J.  und  wird  auf 
ein  von  der  Partei  eingereichtes  Concept  zurückgehn.  Die  Ausfertigung  ist  aber 
zweifelsohne  von  der  deutschen  Kanzlei  besorgt  worden.  —  Dass  diese  auch  noch 
unter  Heribert   Praecepte   für   italienische   Empfänger   licterte,   wird    diu-ch   das 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  221 

wir  aber  aacli  in  Anschlag  bringen  müssen,  dass  It.  L.  im  Verkehre 
mit  den  deutschen  Genossen  manches  von  deren  Art  angenommen 
haben  mag  i),  so  gut  wie  der  vielbeschäftigte  deutsche  Notar  HP.  von 
den  Italienern  beeinflusst  worden  ist.  Ich  betone  dies  namentlich  um 
des  Eschatokolles  willen.  Dass  für  dieses  unter  dem  Kanzler  Adalbert 
eine  Norm  aufgestellt  worden  ist,  gebe  ich  Kehr  zu.  Stossen  wir 
dann^aber  in  Copien  auf  Abweichungen  oder  auf  Formeln  der  deut- 
schen Kanzlei,  so  möchte  ich  nicht  in  jedem  Falle  auf  Mitvdrkung 
deutscher  Schreiber  schliessen.  Grade  It.  L.  konnte  sich  auch  später 
so  gut  accommodiren  wie  er  es  in  DDG.  IL  294,  296  gethan  hatte. 
Ueberdies  bezeugt  ja  das  ganz  von  ihm  mundirte  Griginal  D.  101 
(vgl.  dazu  das  abschriftliche  D.  99),  dass  er  sich  z,  B.  nicht  scheute, 
das  Epitheton  gloriosissimus  zu  gebrauchen  ^).  So  möchte  ich  auch 
das  Eschatokoll  von  D.  65  It.  L.  nicht  geradezu  absprechen. 

Jedenfalls  werden  wir  sicherer  gehen,  wenn  wir  uns  an  die  Con- 
texte  halten.  Nach  Ausscheidung  der  Nachbildungen  ^)  sollen  uns  da 
allerdings  aus  den  Jahren,  in  welchen  ich  abweichend  von  Kehr  den 
It.  L.  als  Kanzleinotar  bezeichne,  nur  DD.  46,  56  und  aus  den  folgen- 
den Jahren  DD.  69,  70,  99—101  und  Th.  2  verbleiben.  Wir  haben 
jedoch  allen  Grund,  noch  DO.  IL  238  und  Th.  1  in  die  Untersuchung 
einzubeziehen.  Sind  beide  Urkunden  der  Theophanu  vom  Kanzler 
Adalbert  unterfertigt  und  ist  Th.  2  auch  nach  Kehr  von  It.  L.  ver- 
fasst,  so  liegt  es  doch  nahe,  Th.  1  ebenfalls  als  von  ihm  dictirt  zu 
zu  betrachten.  Will  ich  mich  ferner  auf  DO.  II.  238  stützen,  so  habe 
ich  zunächst  zu  sagen,  dass  ich  die  frühere  Bezeichnung:  ausserhalb 
der  Kanzlei  verfasst  —  noch  aufrecht  erhalte.  Erst  nachdem  wii-  bei  Be- 
arbeitung der  DDG.  III.  den  Stil  des  It.  L.  kennen  gelernt  haben, 
sehen  wir  uns  veranlasst,  ihm  jenes  Dictat  beizulegen.  Wir  zählen 
ihn  aber  deswegen  noch  nicht  den  ständigen  Mitgliedern  der  italieni- 
schen Kanzlei  Ottos  IL  bei. 


Original  D.  154  bezeugt.  Der  König  mag  sich  damals  mit  kleinem  Gefolge  nach 
Hohentwiel  begeben  haben,  so  dass  der  deutsche  Notar  HF.  den  Context  von 
D.  154  schreiben  musste. 

')  Dafür  lässt  sich  auch  die  Form  des  Chrismon  anführen,  welche  sich  in 
dem  Original  von  D.  101  und  in  der  Copie  von  D.  99  findet.  It.  L.  combinirt 
nämlich  die  damals  von  den  deutschen  Notaren  beliebte  Zeichnung  mit  den 
beiden  sich  kreuzenden  Linien,  welche  in  dem  bisher  von  der  italienischen  Kanzlei 
vorgezogenem  Labarum  (vgl.  KU.  in  Abb.  3,  27)  die  Initiale  Chi  bilden.  '■')  Kehr 
138  sagt  selbst,  dass  die  deutsche  Formel  auf  It.  L.  übergegangen  sei.  ^)  Kehr 
60  und  62.  —  Ganz  unbrauchbar  für  die  Zwecke  der  Dictatuntersuchung  ist  der 
gefälschte  Wortlaut  von  ü.  54. 


222  Sickel. 

Das  erste  Auftreten  dieses  Noturs  iu  DU.  II.  238  fällt  in  die  Zeit, 
da  It.  H.  und  It.  1.  den  Ton  in  der  italienischen  Kanzlei  angaben. 
Da  ist  es  nicht  anders  zu  erwarten,  als  dass  sich  der  Neuling  mit  dem 
Stile  der  damaligen  Kanzleinotare  vertraut  gemacht  haben  und  in  ihre 
Fusstapfen  getreten  sein  wird.  Und  so  ist  es  It.  L.,  wie  ich  schon  sagte, 
welcher  es  vermittelt  hat,  dass  sich  die  ersten  Urkunden  Otto  III.  für 
Italien  im  Dictat  so  eng  an  die  Urkunden  aus  den  letzten  Jahren  des 
Vorgängers  anschliessen  i). 

Zeichnen  sich  nun  diese  durch  Mannigfaltigkeit  der  Ausdrücke 
aus,  so  hebt  sich  von  dem  allgemeinen  Grunde  der  Stil  der  Individuen 
nicht  stark  ab,  und  das  gilt  auch  von  It.  L.  Eigenthümlich  ist  ihm 
doch,  dass  er  gewisse  aus  dem  überlieferten  Vorrathe  ausgewählte 
Worte  mit  Vorliebe  wiederholt:  so  efflagitare,  praeceptalis,  ubicumque, 
planities  u.  s.  w.,  und  dass  er  sich  sehr  oft  des  Participimn  praesentis 
bedient.  Ueber  seine  Proliibitivlormel  ist  zu  bemerken  dass,  wenn 
seine  Vorgänger  hier  episcopus  einzuschalten  begonnen  hatten,  er  noch 
archiepiscopus  hinzufügt,  und  zumeist  die  Reihenfolge  dux  (etwa  auch 
.marchio)  archiepiscopus  episcopus  (DD.  69,  70,  99)  bietet.  Mit  dem 
jederzeit  gebräuchlichen  eo  videlicet  ordine  (ea  v.  ratione)  hebt  er  in 
DD.  70,  99.  Sätze  an.  Seine  Strafklausel  weist  mehrere  Besonderheiten 
auf,  z.  B.  inventus  fuerit  (Dö.  II.  238,  D.  69)  oder  componere  cogatur 
(D.  72,  Th.  2).  Desgleichen  die  Corroborationsformel,  wie  in  posterum 
(Du.  IL  238,  D.  69)  oder  cunctis  statt  omnibus  (D.  46,  cf.  cunctis 
viribus  in  D.  56).  In  den  Schlussformeln  greift  It.  L.  auch  auf  frühere 
Bestimmungen  zm-ück  (DD.  69,  101)  -). 

Sahen  wir  zuvor,  dass  pragmaticum  schon  unter  Otto  IL  in  die 
lateinische  Urkuudensprache  eingedrungen  war,  so  fällt  der  häufige 
Gebrauch  dieses  Wortes  in  den  Urkunden  des  It.  L.  auf.  Ebenso  ver- 
hält es  sich  mit  cathedra.  Nehmen  wir  dazu  noch  in  memoria  agi 
Petri  (D.  69),  so  ist  die  Beeinflussung  durch  den  Verkehr  mit  Johannes 


')  Aus  den  von  Dr.  Erben  angelegten  Wortregistern  führe  ich  einige  Belege 
für  die  Verwandtschaft  des  Dictates  des  lt.  L.  mit  den  Dictaten  der  früheren 
Notare  (zu  denen  auch  It.  K.  gehört)  an,  jedoch  ohne  alle  Belegstellen  aufzu- 
zählen:  Quocirca  in  0.  II.  301,  302  und  in  U.  III.  69,  99.  Eo  quod  in  0.  II. 
299  und  in  Ü.  III.  69,  70,  100.  Pro  tempore  in  0.  ü.  231,  286  und  in  0.  III. 
46,  54,  69.  I'rout  (secundum  quod)  iuste  et  legaliter  possumus  (et  valemus)  in 
U.  II.  231,  263  und  in  0.  III.  46,  50,  69.  Pragmaticum  in  ü.  II.  281,  288»  und 
in  0.  III.  56,  65.  ( )ftersiones  in  0.  II.  242,  in  0.  III.  46.  Nominative  (nomina- 
tim)  in  O.  II.  250,  268  und  in  U.  III.  46,  101.  Pravi  homines  in  0.  IL  283,  288 
und  in  0.  III.  97.  Praeceptalis  in  0.  II.  173,  176  und  in  0.  III.  46,  50.  Scriptio 
in  0.  II.  242,  260  und  in  Th.  2.  '■')  Vgl.  DO.  250»,    in    dessen  Zuweisung   an 

Otto  II.  ich  wieder  irre  geworden  bin. 


firiäuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  223 

Graecus  nicht  zu  verkeuneu  i).  Ich  trage  uoch  als  Lieblings  weuduug 
dieses  Notars  nach :  secundum  praecepta  (legem,  morem)  und  als  wenig- 
stens zweimal  wiederkehrend  dignae  memoriae  (DD.  46,  69),  cernua 
prece  (DD.  69,  101).  Daran  reilien  sich  absonderliche,  wenn  auch 
nur  vereinzelte  Ausdrücke,  wie  sortitis  et  insoi-titis  (D.  46),  quid  plura 
und  huius  caduci  honoris  persona  (D.  56),  almus  Petrus  (D.  101)  -). 
Ich  schliesse  diese  Aufzählung  mit  der  Bemerkung,  dass  sich  auch 
DD.  46,  56  als  von  It.  L.  verfasst  ergeben. 

Habe  ich  diesen  Notar  bereits  mit  dem  Griechen  Johann,  dem 
spätem  Erzbischof  von  Piacenza,  in  Verbindung  gebracht,  so  will  ich 
diesen  Gedanken  noch  etwas  ausführen.  It.  L.  begegnet  uns  zuerst 
im  J.  980,  als  jener  Johann  der  Kanzlei  vorstand.  Auf  der  gTOssen 
Versammlung  zu  Verona  im  J.  983  steht  er  in  Verkekr  mit  der  deut- 
schen Kanzlei.  Nach  Deutschland  ist  er  möglicher  Weise  schon  984 
mit  der  Kaiserin  Theophanu  und  mit  Johannes  gezogen.  Sobald  die 
italienische  Kanzlei  im  J.  988  ihre  Thätigkeit  aufnimmt,  erscheint  er 
als  deren  ständiger  Notar.  Er  begleitet  dann  gleich  dem  Kanzler  die 
Kaiserin  Theophanu  nach  Italien.  Mit  beiden  heimgekehrt  arbeitet 
er  fort  für  die  Kanzlei,  auch  nachdem  Adalbert  ausgeschieden  ist, 
und  liefert  die  Urkunden,  welche  Johannes  und  Petrus  unterfertigt 
haben. 

Ueber  den  ersten  Kanzler  Adalbertus  habe  ich  nur  zu  bemerken, 
dass  ich  die  Identität  desselben  mit  dem  gleichnamigen  Bischof  von 
Brescia  bezweitie  ^).  Die  dortigen  Bischof skatologe  ^)  lassen  den  Vor- 
gänger erst  995  sterben  und  setzen  Adalbert  an  zu  996 — 1002 ;  des- 
gleichen wird  der  Bischof  Adalbert  in  Urkunden  zuerst  996  erwähnt. 
Also  könnte  der  Rücktritt  des  Kanzlers  Adalbert  im  J.  991  nicht  wie 
sonst  mit  sofortiger  Beförderung  zum  Bischöfe  zusammenhängen  ^). 

Erscheinen    die    Recognitionen    der    fünf    folgenden    Diplome    für 


1)   Brocken   griecliisclier    Sprache    eignen    sich   allerdings   selbst   deutsche 
Notare    an:    so   nennt  z.  B.  HH.  den  Gisiihar  in  D.  132  protopresul.  -)  Den 

beiden  Urkunden  der  Theophanu  ist  die  Bezeichnung  Otto  II.  als  senior  noster 
gemeinsam.  »)  Kehr   55.    —  Vorsichtiger   Bresslau    1,   344.  *)  Gradenigo 

Brixia  sacru  praef.,  dann  151.  —  Die  Jahreszahlen  sind  allerdings,  wie  auch 
Odorici  bemerkt,  später  eingetragen,  haben  sich  aber  bisher  als  richtig  bewährt. 
^)  In  Mitth.  1,  440  hat  Zimerman  aus  einem  Copialbuch  DO.  220  für  das 
Kloster  Moninella  bei  Mantua  vom  2G.  Juli  996  veröffentlicht  und  hat  dort  die  eine 
beschädigte  Stelle  ergänzend  gedruckt  missa  petitione  per  Adalbertum  cancel- 
larium  nostrum.  Bei  nochmaliger  Prüfung  des  Schriftbefundes  hat  sich  Kehrs 
Vermuthung,  dass  hier  Heribert  zu  verbessern  sei,  bestätigt,  indem  per  Arbertum 
(Arber  auf  Ras'ur)  z\x  lesen  ist. 


224  Sickel. 

Italien  i)  absonderlich,  ho  glaube  ich  sie  nuch  am  ehesten  durch  den 
Hinweis  auf  die  von  Johannes  Graecus  gespielte  Kolle  deuten  zu 
können  '^). 

Dieser  aus  Calabrien  stammende  Mann  hatte  sich  frühzeitig  an 
Otto  II.  oder  an  dessen  Gemahlin  Theophanu  angeschlossen.  Im 
J.  980  zum  Kanzler  für  Itahen  bestellt,  begleitete  er  982  den  Kaiser 
in  den  Krieg,  welcher  so  unglückhch  endete.  Wahrscheinhch  zu  Oapua, 
wo  der  Hof  im  Herbste  982  weilte,  erhielt  Johannes  den  Adalbertus 
zum  Nachfolger  in  der  Kanzlei  und  wurde  mit  der  reichen  Abtei 
Nonantula  belohnt.  In  dem  noch  von  ihm  unterfertigten  DU.  II.  283 
nennt  ihn  Otto  archimandritam  et  consecretalem  meum^)   und  erkläxt 


»)  Von  D.  70  ist  das  Eschatokoll  nicht   überliefert.  ^)  So  gut  wie  die 

Zeitgenossen  (der  (juedlinbiu-ger  und  der  Hüdesheimer  Annalist,  ferner  Thietmar) 
über  diesen  Mann  berichtet  haben,  haben  ihn  auch  unsere  modernen  Historiker 
(W'ilmans,  üiesebrecht,  Gregorovius)  genügend  beachtet,  so  dass  ich  neues  über 
ihn  kaum  beizubringen  habe.  Aber  ich  glaube  doch,  dass  die  Nachrichten  über 
ihn  noch  besser  als  bisher  geschehen  ist,  zu  sichten  und  mit  andern  iS  achrichten 
zu  verknüpfen  sind,  um  diese  Persönlichkeit  und  ihren  Einüuss  in  das  richtige 
Licht  zu  stellen.  Hier  will  ich  ihn  zimächst  bis  zu  seiner  Abreise  nach  Byzanz 
verlblgen,  um  dann  im  (Japitel  4  auf  ihn  als  Gegenpapst  zurückzukommen.  — 
Bekanntlich  finden  sich  urkundliche  Daten  zur  Geschichte  dieses  Johannes  vor- 
züglich in  Campi  Historia  eccles.  di  Piacenza  und  in  Tiraboschi  Ötoria  di  Nonan- 
tola.  Einige  Ergänzungen  zu  dem  ersteren  Werk  boten  dann  Poggiali  Memorie 
stör,  di  Piacenza  und  Boselli  Stoiie  Piacentine.  Aber  was  Campi  und  seine  Nach- 
folger aus  einzelnen  Urkunden  beigebracht  haben,  genügte  mir  nicht  für  meine 
Zwecke.  Wandte  ich  mich  desshalb  nach  Piacenza,  so  hatte  ich  das  Glück,  in 
dem  dortigen  Arciprete  A.  H.  Tononi  einen  ebenso  gefälligen  als  unterrichteten 
Herrn  zu  finden,  welcher  mir  werthvolle  Aufschlüsse  gab,  wofür  ich  ihm  ver- 
bindlichsten Dank  sage.  —  Campi  hat  seiner  Zeit  vorzüglich  das  Archivio  del 
capitolo  della  cattedrale  ausgebeutet,  in  welchem  sich  auch  die  Mehrzahl  der 
bischöflichen  Urkunden  des  Mittelalters  befindet.  Dasselbe  hat  seit  Campi  keine 
Verluste  erlitten  und  ist  wohl  geordnet.  JSur  nebenbei  hat  Campi  das  nicht 
minder  reiche,  aber  vernachlässigte  Archivio  di  S.  Antonino  benutzt.  Erst  Boselli, 
welcher  früher  Canonicus  an  dieser  Kirche  war  und  später  an  die  Cathedrale 
versetzt  wurde,  hat  fleissig  in  diesem  zweiten  Archiv  gearbeitet  und  zwar  auch 
noch  nach  der  Veröftentlichung  der  Storie  Piacentine.  Und  er  hat  dann  dem 
Cathedral-Archiv  unter  andern  Handschriften  eine  hinterlassen,  welche  enthält 
spogli  e  copie  di  carte  antiche  esistenti  nell'  Archivio  di  S.  Antonino.  Diese 
Sammlung  bietet  einigen  Ersatz  dafür,  dass  das  betretfende  Archiv  verwahrlost 
ist,  nicht  einmal  ein  Repertorium  besitzt,  in  Folge  davon  auch  minder  zugäng- 
lich ist.  3)  Es  ist  ein  Versehen  von  Bresslau  1,  333,  dass  er  diese  Worte  auf 
den  früheren  Kanzler  Gerbert  bezieht.  —  Auf  diese  Urkunde  beruft  sich,  was 
Wilmans  96  N.  1  entgangen  ist,  Lebret.  —  Mit  dem  Lobe,  welches  sich  dort 
Johannes  selbst  spendet,  verträgt  sich  sehr  wohl  die  Aeusserung  des  Petrus 
Damiani  (Epist.  2  ad  Cadaloum):  quin  etiam  cum  imperatrice  quae  tunc  erat, 
osceni  negotii  dicebatur  habere  mysterium. 


Erlänteningen  zu  rlen  Diplomen  Ot.to  HF.  225 

ilin  nur  uugeru  a  uostro  cubili  et  necessariis  consciliis  zu  entlassen. 
So  lange  Otto  IL  lebte,  scheint  Johannes  nicht  wieder  an  den  Hof 
gekommen  zu  sein.  Aber  sobald  seine  Gönnerin  Theophanu  zur  Herr- 
schaft kam,  vielleicht  schon  als  diese  nach  Deutschland  eilte,  begab 
sich  Johannes  wieder  an  den  Hof.  Damit,  dass  er  als  erster  Lehrer 
des  jungen  Königs  bis  zum  J.  988,  in  welchem  Bernward  an  seine 
Stelle  trat,  bezeichnet  wird,  stimmt  überein,  dass  er  in  diesen  Jahren 
nicht  ein  Mal  in  den  Urkunden  von  ISonantula  als  anwesend  erscheint. 
Dagegen  muss  er  zu  Ende  des  J.  988,  als  er  nach  dem  Tode  des 
Bischofs  Sigulf  von  Piacenza  zu  dessen  Nachfolger  berufen  wurde,  sich 
behufs  Ordination  nach  Piacenza  begeben  haben,  denn  bereits  in  einer 
am  3.  Januar  989  zu  Pavia  ausgestellten  Urkunde  führt  er  den  neuen 
Titel  domnus  Johannes  archiepiscopus  s.  Placentinae  aecclesiae  et  abbas 
monasterii  s.  Silvestri  siti  in  Nonantula  ^).  Dass  er  sich  hier  und 
ebenso  in  der  Folge  Erzbischof  nennen  durfte,  verdankte  er  der  Gunst 
des  P.  Johann  XV.,  welcher  den  Sprengel  von  Piacenza  aus  der  Erz- 
diöcese  von  Kavenna  ausschied  und  zum  erzbischöflichen  erhöhte  -). 
Derselbe  Papst  ernannte,  wie  wir  aus  D.  69  ersehen,  Johannes  Graecus 
zum  primicerius  s.  E.  ecclesiae  '^). 

Kommt  es  mir  darauf  an,  das  Itinerar  des  Erzbischofs  Johannes 
festzustellen,  so  muss  ich  von  vorhinein  die  von  ihm  ausgestellten 
Urkunden  in  zwei  Gruppen  scheiden.  Dass  eine  Urkunde  in  Johanns 
Namen  und  Auftrag  angefertigt  worden  ist,  besagt  noch  nicht,  dass 
er  an  Ort  und  Stelle  gewesen  sei.  Dies  ergibt  sich  nur,  wenn  aus- 
drücklich von  persönlicher  Betheilig-ung  an  der  Beurkundung  und  von 
Unterfertigung  die  Kede  ist*).  Wie  nothwendig  diese  Scheidung  ist, 
beweist  folgender  Fall.   D.  150  aus  Solingen  vom  30.  Sept.  994  nennt 


')  Der  Vorgänger  Sigulfus  starb  laut  dem  Neerol.  s.  Sabini  Piacentini 
(N.  Arcliiv  5,  441)  am  8.  Juli  (988).  Die  Angabe  der  Ann.  Quedlinb.,  dass  Jo- 
hannes den  damals  in  Piacenza  erwählten  Bischof  verdrängt  habe,  steht  meines 
Wissens  vereinzelt  da.  *)  Die  betrettende  Bulle  wird  vernichtet  worden  sein, 

als  P.  Gregor  V.  dvn-ch  JL.  3878  vom  7.  Juli  997  die  Verfügung  seines  Vorgängers 
mit  den  Worten  widerrief :  Phicentinam  ecclesiam  iniusto  tibi  a  meo  antecessore 
ablatam  ac  contra  canones  sub  nomine  archiepiscopatus  locatam  tibi  tuisque 
successoribus  refutantes  in  perpetuum.  ^)  Galletti  Del  primicerio  verzeichnet 
ihn  allerdings  nicht  als  solchen.  Aber  Galletti's  Reihe  ist  hier  wie  zu  andern 
Zeiten  unvollständig.  Johannes  ist  einzuschalten  zwischen  dem  von  Galletti  zu 
986  genannten  Petrus  und  dem  in  D.  278  vom  J.  998  erwähnten  Gregorius. 
^)  H.  Tonini  fand  bisher  in  Piacenza  nur  ein  einziges  Original  mit  eigenhändiger 
Subscription  des  Erzbischofs,  das  Original  der  Urkunde  vom  30.  Sept.  990 
(Campi  1,  279);  sie  ist  in  Capitalis  rustica  geschrieben  und  lautet:  t  Jobs  di  gra 
arciepus  ss. 

Mittheilungen  XII.  15 


22ß  Sir.kol. 

Johannes  als  Intervenienten,  bezeugt  also,  dass  er  um  diese  Zeit  in 
Deutschland  weilte.  Damit  verträgt  sich  kaum  ein  Aufenthalt  zu  Pia- 
cenza  am  10.  Okt.  994,  an  welchem  Tage  in  Piacenza  im  Namen  des 
Erzbischofs  eine  Tauschui-kuude  vollzogen  wurde  i),  jedoch  ohne  alle 
Andeutung,  dass  derselbe  gegenwärtig  gewesen  sei.  Aus  diesem  Grunde 
mache  ich  hier  von  den  gleichartigen  Privaturkunden  zunächst  keinen 
Gebrauch,  sondern  stütze  mich  nur  auf  die,  welche  den  Erzbischof  als 
an  t)rt  und  Stelle  weilend  erwähnen. 

Am  13.  März  990  führte  Johannes  auf  Geheiss  der  Kaiserin 
Theophanu  den  Vorsitz  in  einem  Gerichte  zu  Ravenua''^).  Erscheint 
er  dann  schon  am  18.  Juni  am  Hofe  zu  Frankfurt  2),  so  hat  er  sich 
offenbar  der  heimkehrenden  Theophanu  angeschlossen.  In  den  näch- 
sten Jahren  wandert  er  zwischen  Deutschland  und  Itahen  hin  und 
her.  Am  30.  September  990  und  am  20.  Jänner  991  hält  er  als 
Königsbote  Gericht  zu  Piacenza.  Am  18.  April  des  letzteren  Jahres 
recognoscirt  er  zu  Merseburg  D.  09  und  am  20.  Juni  992  zu  Allstedt 
D.  97.  Im  folgenden  Jahre  weilte  er  vneder  in  seinem  Sprengel.  994 
erscheint  er  nochmals  am  Königshofe:  in  D.  150  vom  30.  September 
wird  er  mit  Adelheid,  Willigis,  Hildibald  und  Bernward  von  Würz- 
burg als  Intervenient  genannt.  Waren  um  diese  Zeit  auch  Herzog- 
Heinrich  von  Kärnten  und  Markgraf  Hugo  von  Tuscien  eingetroffen, 
so  haben  wohl  wichtige  Berathungen  stattgefunden  und  so  mögen 
damals  Johannes  und  Bern  ward  mit  einer  Gesandtschaft  nach  Byzauz 
betraut  worden  sein. 

Weder  Wilmans  noch  Giesebrecht  haben  den  Versuch  gemacht, 
die  äussersten  Zeitgrenzen  annähernd  zu  berechnen,  innerhalb  welcher 
diese  Reise  des  Johannes  anzusetzen  sein  wird.  Auf  den  Zeitpunkt 
des  Aufbruches  kommt  es  allerdings,  wie  mir  scheint,  wenig  an,  wäh- 
rend es  nicht  unwichtig  ist  zu  wissen,  ob  der  Erzbischof  von  Piacenza 
erst  kurz  vor  seiner  p]rhebung  auf  den  päpstlichen  Stuhl  aus  dem 
Orient  heimgekehrt  war  ^)  oder  ob  er  schon  seit  einiger  Zeit  in  Italien 
weilte.  Obwohl  ich  erst  später  auf  die  Geschichte  des  Gegeupapstes 
Johann  XVI.  einzugehen  gedenke,  erledige  ich  gleich  hier  die  Frage 
der  Zeit  seiner  Rückkehr  und  zwar  im  Anschluss  an  die  Annahme 
von  Boselli  Stör.  1,  53,  dass  Johannes  wahrscheinlich  nach  dem  April 
995  aufgebrochen  und  vor  dem  30.  November  996  wieder  in  Piacenza 


')  Campi  gibt  allerdings  das  Jahr  993  an.  Aber  das  noch  vorhandene 
Oi-iginal  bietet,  und  zwar  voll  ausgeschrieben  a.  nongentesimo  nonagesimo  quarto. 
2)  Fantuzzi  1,  218.  3)  D.  65,  letztes  Präcept  des  Kanzlers  Adalbert.     Johann 

als   Intervenient   neben    der   hier   zum   ersten  Male   wieder  genannten  Kaiserin. 
*)  iSo  (iiesebrecht  1,  701. 


I 


Eriänterungen  zu  den  Diplomen  Otto  Ilt.  227 

gewesen  sei ,  eine  Annahme ,  welche  sich  mit  allen  annalistischen 
Nachrichten  verträgt,  insbesondere  auch  mit  der,  dass  der  Bischof  von 
Würzburg  schon  auf  der  Eeise  nach  Byzanz  am  20.  September  995 
starb.  Stützt  sich  nun  Boseili  auf  urkundliche  Daten,  so  bin  ich  dank 
der  Güte  des  H.  Tononi  in  der  Lage,  über  die  betreffenden  Urkunden 
weitern  Aufschluss  zu  geben. 

Schon  Campi  erwähnt  in  Kürze  zwei  Tauschurkunden  des  Erz- 
bischofs vom  Februar  und  vom  Mai  995  ^).  Führt  dann  Boseili,  um 
den  Zeitpunkt  der  Heimkehr  des  Erzbischofs  zu  berechnen,  eine  Ur- 
kunde des  Archivs  von  S.  Antonino,  am  ,30.  November  996  zu  Piacenza 
ausgestellt,  an,  so  konnte  die  jetzt  nicht  aufgefunden  werden,  so  dass 
wir  uns  an  den  Auszug  derselben  in  der  zuvor  erwähnten  Hand- 
schrift des  Canonicus  Boseili  halten  müssen.  Die  Datirung  lautet  hier: 
DCCCCXCVI  tercius  Otto  imp.  anno  I.  pridie  cal.  dec.  indictione  X. 
Die  Fassung  gleicht  ganz  der  der  Permutationes  vom  Februar  und 
vom  April  995,  sowie  zahlreicher  gleichartiger  Urkunden  aus  den  vor- 
ausgehenden Jahren,  so  dass  wir  folgern  müssen,  dass  das  Original 
der  Urkunde  vom  J.  996  ebenso  wenig  als  die  Originale  der  andern 
Urkunden  von  Johannes  unterfertigt  war,  dass  somit  auch  jene  Urkunde 
nicht  als  Zeugniss  für  die  Anwesenheit  des  Erzbischofs  geltend  gemacht 
werden  kauu.  Trotzdem  glaube  ich  sie  für  das  Itinerar  desselben  ver- 
wenden zu  können.  Des  Auftrages  des  Erzbischofs  zur  Besichtiguug 
und  Abschätzung  der  zum  Tausch  bestimmten  Güter  geschieht  nämlich 
ausdrücklicli  Erwähnung.  Solcher  Auftrag  konnte  füglich  z.  B.  für 
das  in  Piacenza  vollzogene  und  dort  am  10.  Oktober  994  beurkundete 
Geschäft  vou  Deutschland  aus,  wo  sich  Johann  damals  aufhielt,  ertheilt 
werden,  aber  kaum  solange  derselbe  in  fernem  und  aus  dem  Verkehr 
so  gut  wie  ausgeschlossenem  Lande  weilte.  Darum  verdient  es  Be- 
achtung, dass,  während  aus  der  Zeit  bis  zum  April  995  zahlreiche,  auf 
Geheiss  des  Johannes  ausgestellte  Urkunden  vorliegen,  zwischen  dem 
April  995  und  dem  30.  November  996  eine  Unterbrechung  Platz  ge- 
griffen zu  haben  scheint.  In  diesem  Sinne  stimme  ich  der  Annahme 
von  Boseili  bei  und  folgere  insbesondere  aus  den  Daten  der  letzt- 
genannten Urkunden,    dass  Johannes    bereits   im  November  996,    also 


')  Auf  ihn  beruft  sich  dann  Poggiali  3,  212,  jedoch  ohne  wie  in  andern 
Fällen  hinzuzufügen,  dass  er  selbst  die  Urkunden  eingesehen  habe.  Tononi  fand 
die  Originale  beider  im  Capitelarchiv.  Die  erstere  datirt  vom  11.  Februar,  die 
zweite  dagegen  vom  9.  April ;  der  9.  ist  allerdings  in  Folge  von  Beschädigung 
des  Pergaments  nicht  ganz  sicher,  was  wohl  auch  erklären  mag,  dass  Campi 
Mai  statt  April  angegeben  hat.     Xach  Tononi  rede  ich  fortan  vom  April  995. 

15* 


228  Sickel. 

viele  Monate  vor  seiner  Erhebung  zum  Papste,   aus  dem  Osten  heim- 
gekehrt war. 

Alles,  was  wir  von  ihm  wissen,  zeigt  ihn  als  ehrgeizigen  und 
eitlen  Streber.  Als  die  ihm  offenbar  sehr  geneigte  Theophanu  das 
Kegiment  führte,  hat  er  mit  ihrer  Hilfe  emporzusteigen  versucht  und 
hat  er  sich  des  Erfolges  wohl  sicher  gefühlt.  Dahin  deute  ich,  dass 
er  D.  69  unterfertigt  hat  J.  dei  gratia  archiepiscopus  et  primicerius 
s.  E.  ecclesie,  proto  a  secretis  ac  proto  vestiarius  Ottonis  regis  '),  und 
zwar  ohne  daneben  den  Erzkanzler  Petrus  zu  nennen.  Bescheidener 
recognosciii  er  nach  dem  Tode  der  Theophanu  D.  97  in  der  herkömm- 
lichen Weise  Johannes  archiepiscopus  et  cancellarius  vice  Petri  Cumaui 
episcopi.  —  Mit  Recht  bezweifelt  Kehr  5G,  dass  er  wirklicher  Kanzler 
gewesen  sei.  Aber  ich  vermag  seiner  Erklärung  der  Thatsachen  in 
einem  Punkte  nicht  beizupflichten  und  halte  sie  in  anderer  Beziehung 
für  nicht  genügend.  Verweist  er '-)  auf  den  Brauch  in  der  italienischen 
Kanzlei,  dass  der  zum  Bischof  emporgestiegene  Kanzler  sein  Amt 
niedergelegt  habe,  so  bringt  er  gar  nicht  in  Anschlag,  dass  schon  seit 
Jahren  von  dem  seit  Heinrich  I.  auch  für  die  deutsche  Kanzlei  gelten- 
den Brauche  abgewichen  und  Hildebald  auch  als  Bischof  Kanzler  ge- 
blieben war.  Und  führt  er  die  eigenthümliche  Stellung,  welche  einige 
Jahre  später  Heribert  einnahm,  nämlich  als  Vorstand  der  vereinigten 
Kanzleien  und  zugleich  Erzbischof  von  Köln,  auf  politische  Motive 
zurück,  so  übersieht  er,  dass  persönliche  Bestrebungen  eines  Mannes 
wie  des  Johannes  Graecus  gegenüber  einer  Frau  auf  dem  Throne 
ebenfalls  wohl  Erfolg  haben  konnten  und  hier  wenigstens  auf  einige 
Zeit  und  bis  sich  Widerstand  erhob,  Erfolg  hatten.  Mich  erinnert 
dieser  Johannes  an  Liutward  von  Vercelli  unter  dem  ebenfalls  leicht 
zu  beherrschenden  Karl  HI.  Bekanntlich  hat  Liutward  gleichfalls  ein 
Diplom  allein  und  ohne  den  damals  noch  als  Erzkapellan  anerkannten 
Witgar  zu  nennen  recognoscirt ;  er  bahnte  damit  an,  dass  er  zum 
Erzkanzler  aufstieg.  Johannes  scheint  mir  in  der  Recognition  von 
D.  69  schon  einen  Schritt  weiter  gegangen  und  sich  nicht  mit  der 
Ignorirung  des  Erzkanzlers  begnügt  zu  haben.  Er  prahlt  nilmlich  nicht 
allein  gegen  die  Gewohnheit  mit  allen  ihm  zukommenden  Titeln  (dahin 
rechne  ich  auch  proto  vestiarius),  sondern  er  legt  sich  auch  einen  bei, 
der  ihm  wohl  noch  nicht  gebührte.  Sollte  nicht  bis  dahin  proto  a 
secretis  eine  dem  Erzkanzler  vorbehaltene  Bezeiclinunjj  fjewesen  sein  ? 
In  DO.  IL  255    nämlich    vom  J.  i)8l    heisst   es    von    dem    damaligen 


')  Leber   den   letzten  Titel   s.  (Jalletti   del   veatarario   ilella  s,  R.  cbiesa  5. 
2)  Kehi-H  dii'sbezügliche  F.einerkimg  gilt  suwold  DD.  G9,  97  als   auch  DD.  lüU,  IUI. 


Erläiiternnoren  zn  den  Diplomen  Otto  TIT.  229 

Erzkanzler  Petrus  von  Pavia  archicancellariu«  et  proto.  Es  ist  ja  be- 
greiflich, (lass  Johannes,  nachdem  er  Ijereits  so  viel  erreicht  hatte, 
sich  nicht  mehr  wie  in  den  Jaliren  1)80 — '.)82  mit  dem  Kanzleramte 
begnügen  mochte  und  mit  Hilfe  der  Theophanu  entvv^eder  den  bisherigen 
Erzkanzler  zu  verdrängen  oder  auch  die  herkömmliche  Ordnung  zu 
durcli brechen  suchte.  Und  wissen  wir  auch  nicht,  weshalb  damals 
Adalbert  aus  dem  Kanzleramte  ausgeschieden  ist,  so  können  wir  uns 
wohl  vorstellen,  dass  eine  Vacanz  dem  Griechen  Johannes,  welcher 
ohnedies  von  früher  her  mit  der  Geschäftsführung  vertraut  war,  eine 
willkommene  Gelegenheit  bot,  seine  persönlichen  Pläne  zu  verfolgen. 
Aber  er  wird  auf  Widerstand  gestossen  sein  und  inzwischen  seiner 
besten  Stütze  beraubt,  mag  er  sich,  als  D.  97  auszufertigen  war,  augen- 
blicklich in  die  hergebrachte  Ordnung  gefügt  haben.  Das  Kanzleramt 
verschmähte  er  zwar,  aber  er  verliess  deshalb  nicht  den  Hof,  an  dem 
er  noch  immer  seineu  Vortheil  wahrzunehmen  hoffen  konnte  und  an 
dem  er  noch  immer  in  hohem  Ansehen  stand,  Vermuthlich  hat  er 
auch  mitgesprochen,  als  im  J.  992  und  dann  wieder  im  J.  994  betreffs 
der  italienischen  Kauzlei  Verfügiingen  getroffen  wurden,  denn  zu  bei- 
den Malen  weilte  er  am  Hofe. 

Es  liegen  nur  etwa  vier  Wochen  zwischen  dem  zweiten  von  Jo- 
hannes unterfertigten  Praecepte  und  zwischen  den  von  andern  Männern 
recognoscirten  DD.  99 — 101.  Ich  sagte  schon,  dass  diese  drei  von 
It.  L.  gelieferten  Urkunden  ganz  gleiche  Datirung  aufweisen,  so  dass 
es  um  so  mehr  auffallen  muss,  dass  D,  99  für  das  Bisthum  Asti  von 
der  deutschen  Kanzlei  subscribirt  worden  ist,  während  die  beiden  an- 
dern die  später  nicht  wieder  vorkommende  Recognition  Petrus  can- 
cellarius  advicem  Petri  episcopi  et  archicancellarii  bieten.  Eine  sichere 
Erklärung  des  seltsamen  Vorganges  ist  deshalb  unmöglich,  weil 
der  eine  in  Rechnung  kommende  Factor  eine  durchaus  unbekannte 
Grösse  ist.  Wer  ist  denn  der  hier  recognoscirende  Petrus?  Identifieirt 
ihn  Kehr  mit  dem  Bischof  Petrus  von  Asti,  welcher  eben  in  Person 
D.  99  erwirkte,  so  hat  diese  Annahme,  wie  ich  gleich  ausführen  werde, 
vieles  für  sich,  aber  auch  einiges  gegen  sich.  Den  Satz,  dass  ein 
Bischof  nicht  zum  eigentlichen  Vorstand  der  italienischen  Kanzlei  habe 
bestellt  werden  können,  habe  ich  bereits  bestritten.  Ich  werde  also 
nicht  daran  Anstoss  nehmen,  was  auch  Kehr  als  zulässig  betrachtet, 
dass  ein  Bischof  cancellario  nullo  zur  Recognition  von  Urkunden  be- 
rufen worden  sei.  Dies  vorausgesetzt,  muss  ich  mich  doch  fragen, 
weshalb  es  der  nur  interimistisch  an  des  Kanzlers  statt  fungirende 
Bischof  unterlässt,  sich  seinen  rechten  Titel  episcopus  beizulegen  und 
sich  blos  cancellarius,  der  er  nicht  ist,  nennt,  und  zwar  zu  einer  Zeit, 


280  8 i  ekel. 

da  sowohl  Hiklibald  als  Johanues  Graecus  regelmässig  ihre  kirchlichen 
Titel  führen.  Schwerer  wiegt  die  abweichende  Kecognitiou  in  D.  90. 
Was  Kehr  nm  sie  begründet  erscheinen  zu  lassen  anführt,  ist  durch- 
aus unhaltbar.  Er  beruft  sich  nämlich  auf  ein  Herkommen.  Präcepte 
für  einen  Kanzler  mit  der  Kecognition  des  andern  Kanzlers  versehen 
zu  lassen.  Nun  ist  jedoch  solche  Gepflogenheit  selbst  für  das  11.  Jahr- 
hundert, wie  Kehr  richtig  bemerkt,  noch  nicht  über  allen  Zweifel 
erhaben.  Fragen  wir  aber,  ^vie  es  in  erster  Linie  geboten  ist,  nach 
Praecedeuzfällen,  so  gibt  es  deren  aus  dem  Zeitalter  der  Ottoneu  nicht, 
vielmehr  sind  alle  zu  Gunsten  der  Kanzler  ausgestellte  Urkunden  von 
diesen  auch  unterfertigt  worden.  Ich  zähle  die  betrefi'euden  Diplome 
für  Hildibald  nicht  auf,  weil  es  genügt,  auf  die  den  italienischen 
Kanzlern  Gerbert  und  Johannes  ertheilten  DDO.  IL  206,  283  zu  ver- 
weisen. Dieses  Vorganges  Avird  sich  Johannes  wohl  erinnert  haben 
und  noch  mehr  muss  Hildibald  gewusst  haben,  wie  er  in  gleichem 
Falle  gehandelt  hatte:  wie  sollte  man  also  bei  Hofe  darauf  verfallen 
sein,  das  damalige  Gesuch  des  Bischofs  von  Asti  in  anderer  Weise  zu 
erledigen?  So  muss  ich  auf  andere  Erklärung  der  Kecognition  bedacht 
sein.  Und  ich  entscheide  mich  um  so  mehr  für  die  von  Bresslau 
vorgeschlagene  ^),  da  sie  zutreffend  erscheint,  mögen  wir  den  Bischof 
Petrus  und  den  Kanzler  Petrus  identificiren  oder  nicht.  Allerdings 
müssen  wir  dann  eine  andere  Annahme  mit  in  den  Kauf  nehmen,  dass 
D.  99  nicht  in  einem  Zuge  entstanden  sei,  sondern  die  Vollendung 
sich  bis  zum  Eintreffen  des  Hofes  in  Mühlhausen  verzögert  habe,  wo 
dann  ohne  Rücksichtnahme  auf  die  anders  recognoscirten  DD.  100, 
101  zu  D.  09  die  gleichlautende  Datiruugszeile  nachgetragen  worden 
sei.  Dem  habe  ich  noch  eine  Betrachtung  hinzuzufügen.  Der  Aus- 
stellung von  D.  100  (Bestätigung  der  Verträge  mit  Venedig)  müssen 
längere  Verhandlungen  vorausgegangen  sein.  Es  ist  möglich,  dass 
gerade  sie  neuen  Anstoss  gegeben  haben,  der  Vacanz  der  italienischen 
Kanzlei  wo  möglich  eine  Ende  zu  machen,  indem  die  Urkunden 
für    Venedig     bisher    von     dieser    Kanzlei    besorgt    und     beglaubigt 


')  Urkundenlehre  1,  344  N.  2.  —  Wendet  sich  Kehr  58  N.  1  gegen  diesen 
Vorschlag,  so  hat  er  Bresslaus  Worte :  schon  einige  Tage  zuvor,  übersehen.  Nach 
Bresslau  hat  nicht  allein  die  Handlung,  sondern  auch  die  in  D.  Ü9  vorliegende 
Beurkundung  stattgefunden  nach  dem  20,  Juni  (D.  97,  noch  von  Johannes  reco- 
gnoscirt)  und  vor  dem  Tage,  an  welchem  bestimmt  wurde,  dass  in  Zukunft  die 
Präcepte  ttir  Italien  von  Petrus  cancellariua  zu  unterfertigen  seien,  also  zu  einer 
Zeit,  da  in  Folge  der  Weigerung  des  Johannes  die  Obliegenheiten  eines  Kanzlers 
femer  auf  sich  zu  nehmen,  die  italienische  Kanzlei  keinen  Vorstand  hatte  und  an 
ihrer  statt  die  deutsche  Kanzlei  eintreten  musste. 


F]vln!itovuni,'»'n  7,11  ilcn  Diplomen  Otto  TII.  231 

worden  waren.  Ob  nun  ein  Definitivum  oder  nur  ein  Provisorium  er- 
zielt werden  konnte,  mochte  als  interne  Angelegenheit  betrachtet  wer- 
den; genug  wenn  den  Gesandten  der  Eepublick  gegenüber  der  Schein 
gewahrt  wurde.  Und  bei  solcher  Sachlage  ist  es  am  ehesten  begreiflich, 
dass  wenn  augenblicklich  der  rechte  Mann,  d.  h.  ein  Italiener  von 
Ansehen,  nicht  an  Ort  und  Stelle  war,  der  zufällig  anwesende  Bischof 
von  Asti  auserwählt  wurde  und  sich  bereit  finden  Hess,  als  Kanzler 
einzutreten.  Nur  dass  er  sich  nicht  als  Bischof  bezeichnet,  bleibt  auf- 
fallend, so  dass  insofern  der  Gedanke  an  einen  andern  Petrus  noch 
immer  seine  Berechtigung  behält. 

In  dem  einen  Punkte,  das  wiederhole  ich,  stimme  ich  Kehr  bei, 
dass  man  nach  dem  Ausscheiden  des  Adalbertus  das  Amt  nicht  definitiv 
besetzt,  sondern  sich,  so  gut  es  eben  ging,  beholfen  hat.  Wie  schwer 
es  hielt,  bei  dem  geringen  Verkehr  mit  den  Angehörigen  des  italieni- 
schen Eeichs  unter  ihnen  denjenigen  zu  finden,  welcher  sich  zum 
Kanzler  eignete  und  vertrauenswürdig  erschien,  wird  auch  dadurch 
bezeugt,  dass  man  die  Entscheidung  noch  zwei  Jahre  hinzog  und 
schliesslich  in  Heribert  einen  deutschen  Geistlichen  zum  Kanzler  für 
Italien  bestellte.  Ist  D.  140  vom  29.  September  904  die  erste  oder 
eine  der  ersten  von  Heribert  recognoscirten  Urkunden,  so  wird  seine 
Ernennung  ebenfalls  auf  der  Versammlung  beschlossen  worden  sein, 
auf  die  ich  S.  226  hinwies. 


II. 

Der  letzte  Aufenthalt  der  K.  Theopliaim  in  Italien. 

Seit  dem  Erscheinen  des  betrefiPenden  Theiles  der  Jahrbücher  des 
deutschen  Eeichs  (1840)  galt  es  als  ausgemacht,  dass  die  Kaiserin 
Theophanu  ihre  letzte  Eeise  nach  Italien  zu  Ausgang  des  J.  988  an- 
getreten, das  Weihnachtsfest  988  bereits  in  Eom  gefeiert  und  dann 
mindestens  bis  in  den  April  990  in  Italien  geweilt  habe.  Was  die 
Zeit  des  Aufljruchs  aus  Deutschland  anbetrifft,  so  stützte  sich  Wilmans 
(a.  a.  0.  65)  anf  die  Worte,  mit  denen  die  Ann.  Hildesh.  die  Nach- 
richten für  das  J.  989  beginnen:  Theophanu  .  .  .  Eomam  perrexit 
ibidemque  natalem  domini  celebravit,  denn  damit  sei,  wie  auch  durch 
die  Eintragungen  zu  den  J.  984,  1001,  1002  bezeugt  werde,  unser 
Weihnachten  988  gemeint;  letzteres  Jahr  passe  überdies  besser  als 
989  zu  der  Epistola  Gerberti  VI.  D.  oder  nach  der  Zählung  in  der 
neuesten  von  Havet  besorgten  Ausgabe  zu  der  Epist.  160.  Die  Dauer 
des    Aufenthalts   der   Kaiserin    in   Italien   berechnete  Wilmans    gleich 


232  S  i  c  k  e  1. 

seinen  Vorgängern  aus  den  Daten  folgender  Urknnden:  1)  Th.  urkundet 
am  2.  Jänner  090  zu  Koni  für  S.  Vincenzo  am  Volturuo;  2)  des- 
gleichen am  1.  April  990  zu  Eavenua  für  Farfa;  3)  iussione  d,  Theo- 
phanu  imperatricis  sitzt  der  Erzbischof  Johann  von  Piacenza  am 
13.  März  990  in  Kavenna  zu  Gericht,  womit  allerdings  noch  nicht 
die  Anwesenheit  der  Kaiserin  bezeugt  ist,  aber  doch,  dass  sie  damals 
Herrscherrechte  in  Italien  ausgeübt  hat  ^), 

Als  ich  zuerst  Anlass  hatte  mich  mit  der  Frage  zu  be^häftigeu, 
wann  Theophanu  Deutschland  verlassen  habe,  erschien  mir  das  von 
Wilmans  gewonnene  Ergebniss  recht  annehmbar.  Hatte  doch  auch 
Havet  aus  jenem  Gerbertbriefe,  obwohl  er  ihn  ganz  anders  deutete 
und  verwerthete  als  seine  Vorgänger,  herausgelesen,  dass  die  Kaiserin 
den  Winter  988/9  in  Italien  verlebt  habe.  Zu  solcher  Annahme 
passten  auch  einige  Nebenumstände.  Dass  der  Hof  sich  im  August 
988  nach  dem  Süden  begeben  und  bis  zum  21.  Oktober  an  den  Ufern 
des  Bodensees  geweilt  hatte,  legt  den  Gedanken  nahe,  dass  sich  Theo- 
phanu bis  hierher  von  ihrem  Sohne  habe  begleiten  lassen.  Finden 
wir  dann  um  Ostern  des  folgenden  Jahres  den  Bischof  Gebhard  von 
Konstanz  in  Eom  2),  so  konnte  mau  annehmen,  dass  er  sich  dem  Ge- 
folge der  Kaiserin  angeschlossen  habe.  Und  auch  den  Günstling  der 
letzteren,  den  Abt  Johann  von  Nonantola,  den  wir  zuvor  (S.  225)  auf 
Schritt  und  Tritt  verfolgt  haben,  war  ich  geneigt  als  ihren  Keise- 
begleiter  zu  betrachten.  Sahen  wir  nämlich,  dass  dieser  den  im  Laufe 
des  J.  988  erledigten  bischöflichen  Stuhl  von  Piacenza  erhielt  und 
dann  noch  vor  Ablauf  des  Jahres  von  dem  Papste  Johann  XV.  die 
ausserordentliche  Auszeichnung  erwirkte,  dass  der  Sprengel  von  Pia- 
cenza aus  der  Erzdiöcese  von  Kavenna  ausgeschieden  und  in  einen 
erzbischöfiicheu  umgewandelt  wurde,  so  Hessen  sich  diese  Erfolge  am 
ehesten  durch  persönliche  Verwendung  der  Kaiserin  zu  Johanns  Gun- 
sten erklären. 

Bedenklich   machten    mich    jedoch    die    DDO.  III.   53,   54    (für 


')  Muratori  SS.  V\  484.  —  Reg.  di  Farfa  3,  114  no.  436.  —  Fantuzzi 
1,  218  no.  67.  —  Mit  der  3.  Urkinide  vergleiche  man  die  von  mir  S.  226  an- 
gcfvihrten  vom  30.  September  990  und  vom  20.  Jänner  991,  in  denen  sich  Johann 
nicht  mehr  auf  Weisung  der  Kaiserin  beruft,  sondern  raissus  d.  Uttonis  regis 
nennt.  —  Indem  Kehr  S.  53  die  Urkunden  der  Kaiserin  citirt,  bezeichnet  auch 
er  es  in  der  Note  als  irrthümlich,  dass  Wilmans  und  nach  ihm  Giesebrecht  den 
Antritt  der  Reise  zu  988  setzen.  Aber  er  tritt  den  Beweis  für  den  andern  Ansatz, 
dessen  es  doch  noch  bedarf,   nicht  an.  -)  Er  erwirkte  dort  am  25.  April  das 

Privilegium   JL.   3831    fiir   das   Kloster   Petershauseu.  —  Die  Vita  Gebehardi   in 
SS.  10,  587  lässt  den  Bischof  nur  orationis  causa  nach  Rom  reisen. 


EvläntPiun,:,'rn  zu  den  Diplomen  Otto  III.  233 

Cielo  rl'  oro  und  für  Parniii,  beide  aus  Quedlinburg  vom  5.  April  080) 
und  D.  5(->  (für  Montecassino  aus  Ingelheim  vom  23.  Juli),  indem  sie 
die  Intervention  der  Theophanu  erw^ähnen  und  von  dem  Kanzler  für 
Italien  Adalbertus  recognoscirt  worden  sind.  Beide  Angaben  beweisen 
allerdings  an  und  für  sich  noch  nicht  die  Anwesenheit  der  l)etreffen- 
den  Personen  am  Ort  und  zur  Zeit  der  Ausstellung.  Aber  mit  der 
Kecognition,  um  von  ihr  zuerst  zu  reden,  hat  es  hier  seine  eigene 
Bewandtuiss.  Der  Schriftbefund  von  D.  53  für  Cielo  d'oro  drängt 
uns  die  Annahme  auf,  dass  das  ganze  Eschatokoll  von  der  Hand  des 
Adalbertus  stamme;  er  müsste  also  damals  in  Quedlinburg  und  nicht 
im  Gefolge  der  Kaiserin,  falls  diese  schon  in  Italien  weilte,  gewesen 
sein.  Das  verträgt  sich  nun  kaum  mit  einer  andern  Annahme.  Die 
zwei  S.  232  angeführten  Theophanu  -  Urkunden  bezeugen,  dass  die 
Kaiserin  die  Befugniss  hatte  und  ausübte,  unter  eigenem  Namen  Prae- 
cepte  zu  ertheilen,  welche  den  im  Namen  des  Königs  ausgestellten 
gleichAverthig  waren.  Zu  solchem  Behufe  uiusste  sie  den  Kanzler  und 
Notare  in  ihrem  Gefolge  haben.  In  der  That  sind  die  beiden  Diplome 
mit  der  Unterschrift  des  Adalbertus  versehen  und  erweisen  sich  auch 
als  Dictate  der  italienischen  Kauzlei.  Ist  danach  nicht  zu  bezweifeln, 
dass  Adalbertus  im  Winter  von  080  zu  000  mit  der  Kaiserin  in  Italien 
weilte  und  andererseits  nicht,  dass  er  noch  im  April  zuvor  in  der 
deutschen  Pfalz  in  Person  seines  Amtes  waltete,  so  würde  sich  ergeben, 
dass  die  Kaiserin  zu  Beginn  des  Aufenthalts  in  Italien  den  Kanzler 
noch  nicht  bei  sich  gehabt,  sondern  ihn  erst  später  habe  nachkommen 
lassen.  Und  zu  einer  analogen  Folgerung  werden  wir  genöthigt,  wenn 
wir  näher  auf  die  Intervention  der  Theophanu  in  den  DD.  53,  54,  56 
eingehen.  Diese  konnte  sehr  wohl  aus  der  Ferne  erfolgen,  durch 
Briefe,  welche  die  in  den  drei  Urkunden  als  alleinige  Fürbitterin  ge- 
nannte Theophanu  den  Petetenten  mitgegeben  haben  mochte.  Aber, 
wenn  die  Kaiserin  bereits  im  Süden  Aveilte  und  von  Anbeginn  ihrer 
Keise  an  zu  Urkunden  ermächtigt  war,  warum  sollten  sich  die  Mönche 
von  Cielo  d'oro  u.  s.  w.  der  Mühe  unterzogen  haben,  sich  mit  ihren 
Gesuchen  an  den  Hof  in  Deutschland  zu  wenden?  So  wird  es  frag- 
lich, ob  Theophanu  in  dem  ersten  Jahre  ihres  Aufenthalts  in  Italien 
bereits  mit  der  HeiTschergewalt  ausgestattet  gewesen  ist,  welche  sie 
in  dem  zweiten  Jahre  zweifelsohne  ausgeübt  hat,  oder  es  wird  sogar 
fraglich  ob  sie  in  der  Zeit  vom  April  bis  Juli  OSO  überhaupt  in  Italien 
gewesen  ist.  Es  sei  dazu  gleich  bemerkt,  dass  aus  dieser  Zeit  kein 
urkundliches  Zeugniss  für  Anwesenheit  der  Kaiserin  und  des  Kanzlers 
in  Italien  vorliegt. 

Ziehen  wir  noch  die  Urkunden  aus  der  zweiten  Hälfte  des  J.  080 


234  Sir.kpl. 

und  die  aus  der  ersten  Hälfte  des  uächstfolgenden  Jahres  zu  Eathc, 
so  finden  wir,  dass  damals  vom  K.  Otto  nicht  ein  Diplom  für  Italien 
ausgestellt  worden  ist,  also  auch  der  Kanzler  Adalbertus  nicht  als 
Kecognoscent  erscheint.  Desgleichen  wird  Theophanu  seit  dem  Herbst 
980  ^)  bis  Anfang  Juni  990  nicht  als  Fürbitterin  genannt.  Dagegen 
fallen  in  diese  Monate  die  zuvor  angeführten  Urkunden  der  Theophanu 
für  S.  Vinceuzo  am  Volturno  u.  s.  w.  Endlich  beginnt  mit  D.  65 
vom  18.  Juni  990  eine  neue  Periode:  Otto  ertheilt  zu  Frankfurt  auf 
Fürbitte  seiner  Mutter  und  des  Erzbischofs  Johann  von  Piacenza  dem 
Patriarchen  von  Aquileja  eine  von  Adalbertus  recognoscrrte  Urkunde, 
d.  h.  die  Kaiserin,  der  Günstling  und  der  Kanzler  sind  zu  gleicher 
Zeit  nach  Deutschland  heimgekehrt,  wohin  sich  fortan  auch  die  Pe- 
tenten aus  Italien  wieder  zu  wenden  haben.  Ohne  mir  zu  verhehlen, 
dass  ich  hier  lediglich  mit  der  geringen  Anzahl  von  Urkunden  operire, 
welche  uns  die  allen  Zufälligkeiten  unterworfene  Ueberlieferuug  bietet, 
glaube  ich  doch  jene  ins  Auge  springenden  Erscheinungen  daraufhin 
prüfen  zu  sollen,  ob  zwischen  ihnen  ein  causaler  Zusammenhang  be- 
.steht.  Und  da  scheint  mir,  dass  sie  sich  auf  zweierlei  Weise  erklären 
lassen:  durch  die  Annahme,  dass  die  Kaiserin  doch  erst  im  Herbst 
989  nach  Italien  aufgebrochen  sei,  oder  durch  die  andere,  dass  sie 
zwei  Winter  nacheinander  dort  verlebt  habe,  im  Sommer  dazwischen 
jedoch  nach  Deutschland  heimgekehrt  sei. 

Auf  letzteren  Gedanken  musste  mich  die  Deutung  bringen,  welche 
J.  Havet  in  seiner  Ausgabe  der  Gerbertbriefe  der  Epist.  160  gegeben 
bat.  Gehe  ich  damit  zu  dieser  Briefsammlung  über,  so  pflichte  ich 
im  vorhinein  der  Ansicht  bei.  welche  zuerst  von  Wilmans  ausgesprochen, 
jetzt  durch  die  von  Boubnov  und  Havet  unabhä]igig  von  einander  vor- 
genommene Untersuchung  der  Handschriften  volle  Bestätigung  erhalten 
hat,  der  Ansicht,  dass  der  weitaus  grössere  Theil  dieser  Correspondenz 
(Epist.  1 — 180)  in  der  Reihenfolge  auf  uns  gekommen  ist,  in  welcher 
einst  die  Briefe  geschrieben  oder,  genauer  gesagt,  die  Concepte  für 
dieselben  von  Gerbert  selbst  in  sein  Kladdenbuch  eingetragen  worden 
sind  ^).    Gilt  es  also  für  diejenigen  E])isteln,  welche  durch  Bezugnahme 


')  Ueber  ihre  Intervention  in  D.  58  vom  1.  Oktober  rede  ich  später. 
■■')  Es  ist  mir  wie  wohl  vielen  deutschen  Forschern  ergangen,  dass  ich  von  dem 
1888  erschienenen  ersten  Theile  der  Arbeit  des  Russen  N.  Boubnov  erst  durch 
Havets  Ausgabe  Kunde  erhielt.  Dass  des  letzteren  Mittheilungen  nicht  genügen, 
um  die  Ansichten  Boubnovs  in  ihrem  ganzen  Zusammenhange  kennen  zu  lernen, 
ersah  ich  schon  aus  der  Anzeige  beider  \Aerke  in  der  Zeitschrift  Le  moyen  äge 
(August  1889).  Es  war  mir  daher  sehr  willkommen,  von  H.  Prof.  Petrov  aus 
Fetei'sburg,  welcher  im  vergangenen  Schuljahre  an  dem  Cursus  unseres  Instituts 


ErläiitcrnnLcen   /.u  'l<'n   DiplonKMi  Otfn  ITT.  235 

auf  historische  und  uns  sonst  bekannte  Begebenheiten  eine  Handhabe 
dazu  darbieten,  die  Daten  möglichst  genau  zu  berechnen  und  zwischen 
die  so  chronologisch  fixirten  Stücke  die  übrigen  einzureihen,  so  ergeben 
sich  doch  noch  zahlreiche  und  grosse  Schwierigkeiten,  weil  wir  im 
ganzen  über  die  Vorgänge  jener  Zeit  und  besonders  über  die  Daten 
schlecht  unterrichtet  sind.  Gerade  an  der  Epist.  160  werde  ich  zeigen 
können,  wie  weit  noch,  was  die  Zeitbestimmung  betrifft,  die  Meinungen 
der  hervorragendsten  Forscher,  wie  unter  den  neueren  Wilmans'  und 
Havets,  auseinandergehen. 

Darüber  war  man  allerdings  schon  lange  einig,  als  Absender  der 
Epist.  160,  welchem  Gerbert  seine  Feder  geliehen  hat,  den  Erzbischof 


I 


iheilnahm,  genau  über  den  Inhalt  des  Boiibnov'sclien  Buches  unterrichtet  zu 
werden  und  von  ihm  alle  mich  besonders  interessirenden  Stellen  übersetzt  zu 
erhalten.  Es  fehlte  mir  jedoch  die  Zeit,  allen  Fragen,  in  welchen  Boubnov  und 
Havet  zweien,  genauer  nachzugehen  und  mich  mit  der  Gesamtheit  der  Uerbertbriefe 
eingehend  zu  befassen:  aus  diesem  Grunde  und  weil  die  Commentare  des  russi- 
schen Gelehrten  zu  den  einzelnen  Briefen  noch  nicht  vorliegen,  enthalte  ich  mich 
noch  in  jeder  der  streitigen  Fragen  Stellung  zu  nehmen.  Aber  die  mir  augen- 
blicklich gestellte  Aufgabe  glaube  ich  vollständig  gelöst  zu  haben.  Ich  habe  es 
hier  nur  mit  einer  kleinen  Anzahl  von  Briefen  aus  dieser  Sammlung  zu  thun, 
mit  den  in  Ottos  Namen  geschriebenen  oder  an  ihn  gerichteten  Briefen  und  mit 
einigen  andern,  welche  den  Kaiser  oder  seine  Mutter  erwähnen,  und  ich  habe 
die  Ueberlieferung  dieser  Stücke,  wie  sie  entweder  von  Boubnov  oder  von  Havet 
angenommen  wird,  nur  insoweit  in  Betracht  zu  ziehen,  als  etwa  die  Stellung 
derselben  in  den  Handschriften  bei  der  Datirung  zu  berücksichtigen  sein  wird. 
Für  diesen  meinen  Zweck  ist  nun  die  schon  längst  und  auch  von  den  beiden 
jetzigen  Herausgebern  gemachte  Scheidung  der  Sammlung  in  zwei  Theile,  näm- 
lich Epist.  1  —  180  und  Epist.  181—220,  massgebend.  Nach  Havet  soll  der  erste 
Theil  nur  durch  den  Leydener  Codex  (L.)  auf  uns  gekommen  sein,  nach  Boubnov 
dagegen  auch  durch  einen  zweiten  alten  Codex  S.,  welcher  jedoch  die  Briefe 
in  derselben  Reihenfolge  geboten  habe  wie  L.,  d.  h.,  wie  ich  schon  oben  sagte, 
in  der  ursprünglichen  Hat  nun,  nebenbei  gesagt,  Boubnov  mich  ebensowenig 
wie  Havet  von  der  Existenz  dieses  zweiten  Codex  zu  überzeugen  vermocht,  so 
bleibt  es  jedenfalls  für  den  Versuch,  die  Briefe  zu  datiren,  ganz  irrelevant,  ob 
wir  eine  einzige  Quelle  oder  zwei  gleich  geordnete  annehmen.  Allerdings 
könnte  sich  eine  gelegentliche  Afusserung  des  russischen  Forschers,  dass  einzelne 
Briefe  verschoben  seien,  eventuell  auch  auf  das  eine  oder  das  andere  Stück  des 
ersteren  Theiles  beziehen.  Wir  werden  das,  erst  wenn  seine  neue  Ausgabe  voll- 
ständig vorliegt,  erfahren.  Bis  dahin  habe  ich  mich  an  die  von  ihm  gebotene 
allgemeine  Charakteristik  des  ersten  Theiles  zu  halten  und  andererseits  an  die 
Havet'sche  Edition  mit  ihren  Commentaren.  Es  sind  also  des  letzteren  Datirungen 
der  betrettenden  Briefe,  welche  ich  hier  auf  ihre  Hichtigkeit  hin  prüfen  werde.  — 
Ich  nehme  das  Thema  der  Ueberlieferung  der  Gerbertbriefe  wieder  auf,  wo  ich 
auf  Briefe  aus  dem  zweiten  Theile  der  Collection.  mit  dem  es  sich  jedenfalls 
anders  verhält,  zu  spreelien  komme. 


236  Sickel. 

Armilf  von  Reims,  den  Nachfolger  des  Adalbero,  zu  hetrachteu.  Dieser 
berichtet,  dass  er  sich  um  so  mehr  auf  eine  Eorareise  gefreut  habe, 
als  ihm  die  Gesellschaft  dessen  au  den  er  schreibt,  und  eine  Unter- 
redung juit  der  Theophanu  in  Aussicht  gestanden  hätten.  Da  ein 
Verbot  seines  Königs  diesen  Plan  durchkreuzt  habe,  so  möge  der 
Freund  ihn  vertreten,  sowohl  damit  er  durch  ihn  vom  Papste  das 
Pallium  erwirke,  als  damit  er  auch  ferner  der  Gnade  der  Kaiserin 
theilhaftig  bleibe,  welche  er  dem  Freunde  verdanke.  Cuius,  so  schliesst 
das  lair/.e  Schreiben,  in  obsequio  deo  annuente  in  pascha  erimus,  nee 
(juisquam  erit  qui  nos  ab  eins  ac  filii  sui  fidelitate  ac  servitio  prohibere 
possit.  —  Es  ist  klar,  dass  der  Adressat,  mag  er  schon  in  Kom  bei 
der  Kaiserin  weilen  oder  im  Begiiff  sein  sich  dorthin  zu  begeben, 
Theophanu  nahe  stehen  und  sowohl  bei  ihr  als  au  der  Curie  einfluss- 
reich sein  niuss. 

Schon  Wilmans  glaubte  mit  Hilfe  dieser  Epistel,  welche  bald  nach 
der  Wahl  des  Erzbischofs  Arnulf  und  zur  Zeit  des  Aufenthalts  der 
Theophanu  in  Rom  geschrieben  worden  zu  sein  scheint,  eine  Reihe 
von  Briefen  leidlich  datiren  zu  können.  Nur  musste  er,  da  uns  nicht 
direct  berichtet  wird,  wann  Arnulf  die  neue  Würde  erhielt,  auf  den 
Tod  des  Vorgängers  Adalbero  zurückgreifen,  welcher  nach  Richer  auf 
den  23  Jänner  fiel.  Wilmans  (S.  167)  gab  daher  dem  einen  Abschnitte 
seines  Excurses  über  die  Gerbertbriefe  die  Ueberschrift:  Von  dem  Tode 
Adalbero's  von  Reims  bis  zum  Concil  von  S.  Basol,  17.  Juni  091. 
Aber  das  Jahr,  in  welchem  Adalbero  starb,  steht  in  Frage.  Wilmans 
entschied  sich  für  988.  Um  nun  das  Intervall  zwischen  der  Erledigung 
und  der  Wiederbesetzung  des  erzbischöflichen  Stuhles  zu  berechnen, 
ging  er  von  der  Einnahme  von  Laou,  welche  einen  Abschnitt  in  der 
Geschichte  Arnulfs  bildet  und  für  welche  das  Datum  30.  März  991 
feststeht,  aus,  vei-werthete  ferner  gewisse  Zeitangaben  der  Epist.  217 
(ich  ziehe  es  vor,  sie  erst  in  anderm  Zusammenhange  zu  wiederholen) 
und  setzte  danach  die  Ordination  Arnulfs  in  den  Juni  oder  Juli  988, 
also  die  Wahl  um  einige  Wochen  früher.  Ergab  sich  daraus  für  die 
Epist.  100,  in  welcher  Arnulf  seine  Bemühungen  um  das  Pallium  er- 
wähnt, Herbst  oder  Wiuter  desselben  Jahres,  so  sah  Wilmans  darin 
eine  Bestätigung  für  das  was  er  aus  den  Ann.  Hildesh.  herauslas,  dass 
nämlich  Theophanu  im  Herl)st  988  nach  Italien  gezogen  sei. 

Ganz  anders  verwerthet  Havet  denselben  Briet'.  Doch  was  wich- 
tiger ist,  er  lässt  Adalbero  erst  am  23.  Jänner  989  sterben  ^).   VerHefen 


')  S.  105  N.  1     .     Ich  halte   diesen  Ausatz,   für   den   sich   schon  Mabillon, 
Waitz  u.  a.  ausgesprochen   haben,   für   richtig,    sehe   aber  von  nochmaliger  Bc- 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  287 

nuu  nach  Epist.  155  ^)  seit  dem  Tode  des  Vorgängers  bis  zur  Wahl  mehr 
als  dreissig  Tage  und  ist  andererseits  in  Epist.  160  die  Eede  von 
einem  Besuche,  welchen  der  (Schreiber,  d.  h.  der  eben  gewählte  Arnulf 
der  Kaiserin  zu  Ostern  (31.  März  98*.*)  machen  wollte,  so  folgeiie 
Havet  aus  letzterem  einige  Zeit  vor  Ostern  geschriebeneu  Briefe,  dass 
die  Wahl  in  den  letzten  Tagen  des  Febru;ir  oder  in  den  ersten  Tagen 
des  März  989  stattgefunden  habe.  Und  in  diesem  Zusammenhange 
beruft  er  sich  auf  den  Bericht  der  Ann.  Hildesh.,  welchen  er  mit  dem 
von  ihm  citirten  Wilmans  dahin  deutet,  dass  die  Kaiserin  das  Weih- 
nachtsfest 988  in  Kom  gefeiert  habe,  nimmt  aber  keine  Notiz  davon, 
dass  Wilmans  unmittelbar  darauf  constatii-t,  dass  Theophanu  bis  in 
den  April  990  in  Italien  verweilte.  Havet  (S.  140  N.  3)  meint  viel- 
mehr, dass  der  Empfänger  der  Epist.  160  auf  seiner  Reise  nach  Rom 
mit  der  von  dort  liereits  heiuikelirenden  Fürstin  zusammentreffen  werde 
und  dass  die  von  Arnulf  in  Aussicht  genommene  Begrüssung  der 
Kaiserin  habe  stattfinden  sollen  (Introd.  LXXIII)  en  Alleraagne  evi- 
demment,  puisc^u'il  a  renonce  au  voyage  d' Italic. 

Havet,  das  gebe  ich  zu,  hatte  bei  seiner  jetzigen  Arbeit,  nachdem 
er  das  approximative  Datum  der  Wahl  Arnulfs  richtig  berechnet  zu 
haben  glaubte,  keinen  Aulass  auf  die  Geschichte  der  Kaiserin  im  Winter 
989  zu  990  einzugehen  -).  Für  mich,  der  ich  sieher  weiss  dass  Theo- 
phanu diesen  Winter  in  Italien  verlebte,  steht  die  Sache  anders.  Wollte 
ich  der  von  Havet  der  Epist.  160  gegebenen  Deutung  und  den  aus  ihr 
gezogenen  Folgerungen  durchaus  beipflichten,  so  würde  ich  mindestens 
zu  der  Annahme  gedrängt  werden,  dass  nach  Reims  die  Kunde  ge- 
kommen sei,  die  Kaiserin  werde  schon  im  Februar  989  die  Heimreise 
antreten  und  werde  bis  Ostern  au  den  Hof  in  Deutschland  zurück- 
tjekehrt  sein.  Soll  dieser  Plan  wirklich  bestanden  haben  und  soll  er 
etwa  auch  zur  Ausführung  gekommen  sein? 


Gründung  desselben  ab.  Ueberhaupt,  da  ich  um  meines  Thema's  willen  schon 
weit  ausholen  muss,  begnüge  ich  mich  hie  und  da  mit  den  von  andern  ge- 
wonnenen Er^buissen,  selbst  wenn  sie  noch  nicht  allgemeine  Zustimmung  ge- 
funden haben.  Und  so  halte  ich  mich  auch  nicht  bei  den  Zahlen  der  von 
Wilmans  161  N.  2  und  169  N.  2  citiiien  Urkunden,  noch  bei  den  Angaben  der 
Ann.  Remenses  und  der  Ann.  Mosomagenses  (SS.  13,  82  und  3,  101)  auf. 

')  Electio  Ar.  Remorum  archiepiscopi  a  Gir.  edita,  d.  h.  Kundmachung  des 
Wahldecrets  aus  Gerberts  Feder.  -)  Ebensowenig  hat  Wilmans  von  seinem 

Standpunkte  aus  Anlass  gehabt,  sich  über  die  Worte  Cuius  in  obsequio  d.  a. 
i.  p.  erimus  zu  äussern.  Da  er  Arnulf  als  im  Sommer  .'^>88  gewählt  betrachtete, 
verstand  er  unter  diesem  Ostern  sicher  Ostern  des  nächstfolgenden  Jahres, 
konnte  aber  daraus  tür  das  in  Frage  stehende  Datum  der  Wahl  keine  Folgerung 
ziehen. 


238  Sickel. 

Die  Behauptungen  Havets  würden  sieh  allerdings  damit  vertragen, 
dass  in  den  beiden  am  5.  April  989  zu  Quedlinburg,  wo  der  Hof 
wahrscheinlich  das  Osterfest  feierte,  ausgestellten  DD.  53,  54  Theo- 
jihanu  als  Fürbitteriu  erscheint.  Aber  sie  nöthigen  uns,  die  zweite 
der  zuvor  aufgestellten  Alternativen  näher  ins  Auge  zu  fassen.  Dass 
keine  der  erzählenden  Quellen  von  einer  zweimaligen  Reise  der  Kaiserin 
nach  Italien  berichten,  genügt  noch  nicht  solche  Annahme  einfach  zu 
verwerfen.  Das  möchte  ich  um  so  weniger  thuu,  da  wir  im  Grunde 
auf  die  Ann.  Hildesh.  angewiesen  sind,  welche  über  die  J.  988  und 
989  ziemlich  kurz  hinweggehen.  Doch  mit  dieser  Quelle  befasse  ich 
mich  erst  später.  Ich  werde  schneller  zum  Ziele  kommen,  wenn  ich 
den  Fehler  aufdecke,  welcher  sich,  wie  ich  meine,  in  die  Rechnung 
Havets  eingeschlichen  hat. 

Er  besteht  darin,  dass  Havet  in  den  Zeitraum  vom  23.  Jänner 
(Todestag  des  Adalbero)  bis  zum  31.  März  (Ostern  des  Jahres  989) 
mehr  Vorgänge  unterzubringen  versucht  hat,  als  sich  innerhalb  08 
Tagen  abspielen  konnten.  Es  ist  richtig,  dass  die  Worte  der  Epist.  155: 
elapsa  sunt  canonica  tempora,  violatae  sunt  leges  quibus  cavetur  nullam 
sedem  amplius  xxx  dierum  spatio  vacare  licere  in  ihrer  Uu  bestimm t- 
heit  sich  mit  Havet  auch  auf  eine  Sedisvacanz  von  nur  35  Tagen 
(ich  suppouire  hier  als  Tag  der  Wahl  den  1.  März)  deuten  lassen. 
Mau  wird  jedoch  mit  gleichem  Rechte  an  eine  grössere  Zahl  von  Tagen 
denken  können.  Schon  die  Verhandlungen,  welche  uns  Richer  (1.  IV. 
cap.  25 — 28)  berichtet,  werden  geraume  Zeit  ausgefüllt  haben.  Dieser 
verschweigt  jedoch  den  einen  Umstand,  welcher  die  Entscheidung  noch 
in  die  Länge  ziehen  musste,  dass  Arnulf,  um  seine  Wahl  durchzusetzen, 
einen  andern  Bewerber,  nämlich  Gerbert,  aus  dem  Felde  zu  schlagen 
hatte.  Dass  dieser  in  seiner  Aufregung  i)  nur  wenige  Briefe  (Epist. 
1 50 _  154)  geschrieben  hat,  ist  begreiflich.  Doch  noch  der  dem  Wahl- 
decret  unmittelbar  vorausgehende  Brief  bezeugt,  dass  es  die  Freunde 
Gerberts  nicht  an  Vorstellungen  und  Warnungen  gegen  Arnulf  haben 
fehlen  lassen.  Und  werden  dabei  den  Gegnern  des  Königs  Hugo 
insbesondere  auch  die  von  ihnen  verschuldeten  protractiones  zum  Vor- 
wiu-f  gemacht,  so  erscheint  mir  das  ebenso  bedeutsam  als  die  aus- 
drückliche Betonung  der  Verzögerung  im  Wahldecret.  Will  mau 
trotzdem  am  1.  März,  als  annäherndem  Datum  der  Wahl,  festhalten, 
so  ist,  meine  ich,  der  Zeitraum  zwischen  diesem  Tage  und  dem 
in  Epist.  160  als  bevorstehend  bezeichneten  Osterfeste  ebenfalls  zu 
kurz  bemessen. 


')  Epist.   152:  in  tiiiita  periiubatione  et  iit  ita  dicani  cuuiusione. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  289 

Havet  (Introd.  XXI)  geht  etwas  leicht  darüber  hinweg,  dass  Ger- 
bert, in  seinen  Hoffnungen  getäuscht,  dem  neuen  Erzbischofe  ebenso 
wie  dessen  Vorgäuger  Adalbero  zu  Diensten  war.  Ich  rechne  dahin 
nicht,  dass  er  das  Decret  seines  Nebenbuhlers  aufsetzte,  denn  damit 
erwies  er  nicht  so  sehr  Arnulf  als  den  Bischöfen  des  Reimser  Spreugels 
einen  Dienst.  Dagegen  gibt  er  sich  in  den  Epist.  156,  157,  160  als 
willfähriges  Werkzeug  des  Erzbischofs  zu  erkennen.  Dass  er  sieb  dazu 
unmittelbar  nach  der  für  ihn  schmerzlichen  Erhebung  Arnulls  ent- 
schlossen habe,  könnte  doch  in  Frage  kommen.  Aus  auderm  Grunde 
glaube  ich  die  von  Arnulf  an  den  Erzbischof  Ecbert  von  Trier  ge- 
richtete Epistel  157  nicht  gleich  auf  die  Wahl  folgen  lassen  zu  dürfen, 
obwohl  in  ihr  die  novitas  nostrae  ordiuationis  erwähnt  wird.  Denn 
nimmt  der  Schreiber  hier  bereits  auf  irgend  eine  freundliche  Aeusserung 
des  Adressaten  über  die  Wahl  Bezug,  so  muss  eine  Reihe  von  Tagen 
verflossen  sein,  bis  zuerst  die  Meldung  vom  Ausgange  der  Wahl  dem 
bei  Hofe  weilenden  Ecbert  zugegangen  und  bis  daun  des  letztern  Glück- 
wunsch in  Reims  eingetroften  war  i).  Die  gleiche  Bewandtniss  hat  es 
mit  den  Epist.  158  und  159.  Setzt  sie  auch  Havet  nach  dem  Zeit- 
punkte an,  da  Gerberts  Hoffnungen  auf  die  erzbischöfliche  Würde  zu 
Schanden  geworden  waren,  so  übersieht  er  doch,  dass  sie  nicht  un- 
mittelbar nach  demselben  geschrieben  sein  können.  Plurimum  intelligo 
vos  intelligere  motus  auimi  mei  scheint  mir  nur  dann  Sinn  zu  haben, 
wenn  der  Destinatar  der  Briefe  nach  Empfang  der  Nachricht  von  der 
Wahl  Arnulfs  den  unterlegenen  Gerbert  bereits  seiner  Theilnahme 
versichert  hatte,  so  dass  wiederum  zwischen  dem  Tage  der  Entschei- 
dung und  dem  Tage  der  Abfassung  des  Briefes  einige  Zeit  verstrichen 
sein  muss.  Dieselbe  Annahme  legen  die  die  grösste  Ungeduld  ver- 
rathenden  Worte  der  Epist.  159:  quousque  ergo  id  genus  amicitiae 
exercebo?  nahe.  In  diesem  Zusammenhange  komme  ich  nochmals  auf 
die  Epist.  160  zurück  und  zwar  zunächst  noch  unter  der  Voraussetzung 
Havets,  dass  der  Absender  der  Briefe  Ostern  989  im  Auge  habe.  Ich 
habe  bereits  S.  236  angedeutet,  dass  wir  den  Ort  nicht  kenneu,  an 
welchem  Arnulf  den  Adressaten  vermuthet.  Nur  das  ist  klar,  dass 
dieser,    wenn  er  nicht  schon  in  Rom  weilte  ^,    sich  doch  dorthin   be- 


')  Citirt  hiezu  Havet  das  zu  Köln  am  28.  December  988  ausgestellte 
DO.  III.  51  für  den  Erzbischof  Ecbert  von  Trier,  so  kann  doch  dessen  damaliger 
Aufenthalt  bei  Hofe  für  die  weit  später  fallende  Epist.  157  nicht  in  Betracht 
kommen.  ^)  Ich  habe  vester  comitatus  übersetzt:   eure  Uesellschaft,  welcher 

sich  Aniulf  ebenso  gut  in  Rom  als  Ziel  der  Reise  als  auf  der  Reise  erfreuen 
konnte,  und  bestreite,  dass  es  nothwendiger  Weise  als  Begleitung  auf  gemein- 
schaftlicher Reise  aufgefasst  werden  muss. 


940  S  i  c  k  e  1. 

u-eben  wollte.  Doch  ich  will  zugeben,  dass  iu  Heims  angenommen 
wurde,  dass  sowohl  der  Adressat  der  Epist.  160,  als  die  Personen,  an 
welche  Gerbert  die  vorausgehenden  Briefe  richtete,  noch  auf  der  Keise 
beo"riöen  o-ewesen  seien  und  irgendwo  mit  der  über  Berg  heimkehren- 
den Kaiserin  zusammentreffen  würden.  Denken  wir,  um  ein  concretes 
Beispiel  zu  wählen,  etwa  an  das  auf  halbem  Wege  gelegene  Chur 
als  Ort  der  geplanten  Zusammenkunft  und  andererseits  an  Toul  als 
einen  von  Reims  nicht  sehr  entfernten  Aufenthaltsort  des  Adressaten 
der  Epist.  160.  Wollte  Theophanu  bereits  bis  31.  März  bei  ihrem 
Sohne  in  QuedUnburg  eintreffen,  so  musste  sie  zweifelsohne  vor  Mitte 
März  von  Chur  abreisen,  und  so  musste,  wer  von  Toni  aus  ihr  ent- 
o-eo-enreisen  wollte,  Toul  um  8 — 10  Tage  früher  verlassen,  folglich 
musste  ein  nach  Toul  gerichteter  Brief  noch  früher  von  Reims  ab- 
tj-esandt   werden.     So    haben   wir   für    die  Aufeinanderfolge   der  Epist. 

15(j 160  allerlei  nicht  zu  unterschätzende  Intervallen  kennen  gelernt, 

welche  zusammengenommen  einen  weit  grösseren  Abstand  zwischen 
der  Epist.  155  (Wahldecret)  und  der  Epist.  160  ergeben,  als  die  von 
Havet  ungefähr  angenommenen  2ö  Tage,  einen  so  grossen  Abstand, 
dass  meines  Ermessens  in  der  Epist.  160  nicht  von  Ostern  989,  son- 
dern nur  von  Ostern  990  die  Rede  sein  kann. 

Daraus  folgt  vor  allem,  dass  sich  Epist.  160  gar  nicht  für  Be- 
rechnung des  Datums  der  Reimser  Wahl  verwerthen  lässt  und  ebenso- 
wenio-  für  Einreihung  der  au  sie  anknüpfenden  Ereignisse.  Wir  sind 
einzig  und  allein  auf  den  17.  Juni  991  (Concil  zu  S.  Basol,  auf  welchem 
Arnulf  abgesetzt  wurde)  angewiesen,  um  von  diesem  festen  Punkte 
zurück  mit  Hilfe  der  Angaben  in  Epist.  217  annähernd  zu  berechnen, 
wann  Arnulf  den  erzbischöflichen  Stuhl  bestiegen  hat.  Da  dieser  Ver- 
such schon  oft  angestellt  worden  ist,  kann  ich  mich  kurz  fassen. 
Decem  et  octo  continuis  mensibus  i)  ist  Arnulf  vergebhch  gemalmt 
worden,  dass  er  sich  a  scelere  proditionis  et  rebellionis  quo  impetebatur 
regulariter  purgaret.  Als  Verräther  galt  er  seit  der  Einnahme  der 
Stadt  Reims  durch  Karl  von  Lothringen,  welche  stattgefunden  hatte 
als  necdum  a  sua  ordinatione  sextus  mensis  elapsus  erat.  Somit  müssen 
wir  um  etwas  mehr  als  zwei  Jahre  von  dem  Tage  jenes  Concilbe- 
schlusses  zurückrecbnen,  um  zum  Zeitpunkt  der  Ordination  oder  der 
vorausgegangenen  Election  zu  gelangen:  ich  schlage  den  Ansatz  zum 
Mai  989  vor  und  dementsprechend  für  den  Ueberfall  von  Reims  den 
November  desselben  Jahres. 

Setze   ich  somit  auch  alle  Bi-icfe  dieser  Zeit  im  Durchsclmitt  um 

•)  Havel  S.  20J. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  IIE.  241 

drei  Monate  später  als  Huvet  an,  so  glaube  ich  an  den  nach  der  Wahl 
verfassten  noch  darthun  zu  sollen,  dass  solche  Verschiebung  zulässig 
ist.  Gehört  Epist.  157  etwa  in  den  Juli  989,  so  mag  der  damalige 
Aufenthalt  des  Königs  Otto  dem  Trierer  Erzbischof  Anlass  geboten 
haben,  sich  bei  Hofe  vorzustellen.  Jedoch  bevor  ich  zu  den  folgenden 
Briefen  übergehe,  muss  ich  als  Endergebniss  meiner  ganzen  Unter- 
suchung vorausschicken,  dass  Theophanu  ihre  Keise  nach  Italien  erst 
gegen  Ende  des  J.  989  angetreten  hat.  In  den  Epist.  158,  159  steht 
nun  auch  kein  Wort  davon,  dass  Gerbert  sich  die  Kaiserin  schon  auf 
der  Keise  begriffen  gedacht  habe.  Und  dringt  er  besonders  in  dem 
zweiten  auf  eine  Entscheidung  zu  seinen  Gunsten,  so  scheint  mir  dieses 
sein  Verlangen  vielmehr  dazu  zu  passen,  dass  Theophanu  noch  bei 
ihrem  Sohne  und  bei  Hofe  war.  Von  der  Reise  wird  also  zuerst  in 
Epist.  160  gesprochen,  jedoch  so,  dass  dieser  nicht  einmal  mit  Sicher- 
heit zu  entnehmen  ist,  ob  die  Kaiserin  schon  unterwegs  war  oder 
nicht  oder  ob  sie  sogar  schon  in  Rom  eingetroffen  war.  Müssen  wir 
übrigens  den  Brief  vor  die  Einnahme  von  Reims  (Epist.  162),  also 
zum  September  oder  Oktober  setzen,  so  konnte  schon  damals  in  Reims 
die  Absicht  der  Kaiserin,  womöglich  bis  Ostern  990  (20.  April)  heim- 
zukehren, bekannt  sein  und  in  diesem  Sinne  von  Arnulf  sein  Vorhaben, 
ihr  dann  aufzuwarten,  angekündigt  worden  i).  Ich  versuche  noch  Epist. 
162  zu  deuten  und  zwar  anders  als  Havet,  weil  ich  auch  in  ihr  eine 
Stütze  für  meine  Datirung  der  Gerbertbriefe  aus  dem  J.  989  finde. 
Nach  Havet  soll  Gerbert  dem  Mönche  Remigius  zuerst  erzählen,  was 
er  Schlimmes  im  J.  988  erlebt  hat  -),  und  unmittelbar  darauf  allen 
Schaden  und  alles  Ungemach,  welche  der  Ueberfall  von  Reims  auch 
über  ihn  gebracht  hat.  Dagegen  muss  ich  mehr  als  einen  Einwand 
erheben.  Es  fällt  doch  sehr  auf,  dass  Gerbert,  welcher  demselben 
Freunde  zu  Anfang  des  J.  989  die  Epist.  152  zugefsandt  hatte,  jetzt 
in  seiner  Erzählung  noch  einmal  auf  das  vorausgegangene  Jahr  zurück- 
gegriffen haben  und  dann  sofort  zu  dem  jüngsten  Erlebniss  über- 
gegangen sein  soll.    Beginnt  er  sein  Schreiben  mit  nescis,  nescis  quae 


1)  Auf  die  Worte  Richers  (lib.  IV  cap.  32  —  JL.  3830  gehört  natürlich  in 
das  J.  989) :  nee  multo  post  (ordinationem  Amolfus)  a  papa  Romano  missum 
apostolicae  auctoritatis  pallium  sumpsit  —  lege  ich  allerdings  geringen  Werth  und 
sehe  in  ihnen  um  so  weniger  Grund  Epist.  160  früher  einzureihen,  da  die  von 
Arnulf  ausgesprochene  Bitte  um  Förderung  dieser  Angelegenheit  nicht  ausschliesst, 
dass  dieselbe  bereits  erledigt  war,  als   der  Brief  geschrieben  wurde.  ^)  Gra- 

vissimis  quippe  laboribus  aestivis  et   continuis   eos   contraximus  morbos   quibus 
pestilens   autumnus   pene  vitam  extorsit  —  wozu  Havet  die  Ann.  Hildesh.  zu 
988  citirt :  aestatis  fervor  nimius  ac  repentinus  id.  iulii  usque  id.  aug.  etc. 
Mittheilungeu  XU.  16 


242  S  i  c  k  e  1. 

uaufragia  pertulerimus,  so  lässt  sicli  allenfalls  begreifen,  dass  er  des 
liärtesten  Schlages,  der  ilm  betroffen  hatte,  des  Scheiterns  der  Hoff- 
nung, in  Eeims  auf  den  erzbischöflichen  Stuhl  erhoben  zu  werden, 
mit  keinem  Worte  gedenkt,  denn  von  diesem  SchiflFbruch  hatte  wohl 
auch  Remigius  bereits  Kunde.  Schwerer  ist  dieses  vollständige  Ver- 
schweigen zu  erklären,  wenn  Gerbeii  von  seinen  Schicksalen  seit  mehr 
als  einem  Jahre  berichten  will.  Ich  gebe  zu,  dass  auch  das  J.  988 
für  Gerbert  gi-avissimis  laboribus  et  continuis  erfüllt  war  i),  aber  diese 
Klage  war  doch  mindestens  ebenso  berechtigt  für  das  J,  989.  Und 
für  jenes  Jahr  lässt  sich  der  Witterungsbericht  der  Ann.  Hildesh. 
durchaus  nicht  geltend  machen.  Eechnet  dieser  die  Tage  von  Mitte 
Juli  bis  Mitte  August  richtig  zum  Sommer  =^),  so  wird  doch  am  wenig- 
sten Gerbert  der  Verwechslung  von  aestas  und  autumnus  zu  zeihen 
sein.  Versuchen  wir  es  aber  mit  der  Deutung  auf  das  J.  989,  in 
welchem  der  Brief  geschrieben  ist,  so  erscheint  alles  klipp  und  klar. 
Der  Wahl  in  Reims  (Mai)  geschieht  nicht  Ei^wähnung,  sondern  nur 
der  Folgen  für  Gerbert:  den  Sommer  über  Arbeit  über  Arbeit,  dann 
Krankheit,  die  im  schlimmen  Herbst  lebensgefährlich  wird,  dazu  die 
Eroberung  von  Reims.  Damit  wird  diese  hinausgerückt  über  den  Herbst ' 
hinaus,  etwa  bis  in  den  Monat  November,  welchen  wir  auch  auf  an- 
derem Wege  gewonnen  hatten. 

Ich  glaube  hiermit  bewiesen  zu  haben,  dass  Gerberts  Epist.  160 
weder  der  Annahme,  dass  Theophanu  schon  zu  Ende  des  J.  988  nach 
Italien  aufgebrochen  sei,  noch  der  Annahme,  dass  bereits  zu  Ostern 
989  ihre  Heimkehr  erwartet  worden  sei,  als  Stütze  dienen  kann,  dass 
sie  von  dem  Leben  der  Kaiserin  im  Winter  988/89  gar  nicht  spricht, 
dass  sie  lediglich  auf  die  Pläne  derselben  für  den  nächstfolgenden 
Winter  Bezug  nimmt.  Für  jene  erstere  Annahme  könnte  man  sich 
also  nur  noch  auf  die  Ann.  Hildesh.,  wie  sie  vonWilmans  verstanden 
wurden,  berufen.  Nun  lautet  aber  das  Urtheil  über  diese  Quelle  heut- 
zutage ganz  anders  als  zu  der  Zeit,  da  sie  von  Pertz  herausgegeben  und 
von  Wilmans  benutzt  wurde.  Es  genügt,  dass  ich  auf  das  Vorwort 
von  Waitz  zu  der  neuen  Schulausgabe  oder  auf  Wattenbachs  Geschichts- 
quelleu  1,  327  verweise.  Allerdings  gilt  noch  jetzt  die  Handschrift 
als  autograph  und  insbesondere  werden  die  ersten  bis  994  reichenden 
Aufzeichnungen  als  in  der  Urschrift  erhalten  betrachtet,  wodurch  aus- 
geschlo  sen  ist,   was  in  al^schriftlichen  Jahrzeitbüchern  so  oft  begegnet, 


')   Vgl.  Havet  lulrod.  XX,  sowie  die  hierher  gehörigen  Briefe.  '-')  Nach 

beila  ist  der  !l.   Mai    initiuui  aestatis  mul  der  7.  Augiisl   initiiim  autumiii  ;    iiiuli 
hidur  24.  Mai   und   li.i.   AnjJiisi. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  l[[.  243 

dass  Notizen  aus  Versehen  von  einem  Jalire  zum  andern  verschoben 
werden.  Aber  mit  der  ft-üher  angenommenen  Originalität  dieser  Annaleu 
ist  es  schlecht  bestellt.  Es  ist  jetzt  erwiesen,  dass  sie  mindestens  bis 
zum  J.  984  aus  den  Hersfelder  Annalen  und  etwa  vom  J.  997  an 
aus  nicht  mehr  erhaltenen  ausführlicheren  Annaleu  von  Hildesheim 
abgeleitet  sind;  könnte  daher  höchstens  noch  für  die  Aufzeichnungen 
der  dazwischen  liegenden  Jahre  Originalität  in  Anspruch  genommen 
werden,  so  ist  auch  für  sie  möglicher  Weise  eine  inhaltsreichere  Vor- 
lage benutzt  worden.  Dieser  Vermuthung  Wattenbachs  stimme  ich 
um  so  mehr  bei,  als  mir  nicht  einleuchten  will,  dass  man  damals  in 
Hildesheim  und  in  der  nächsten  Umgebung  des  wohl  unterrichteten 
Bernward  nichts  mehr  und  nichts  besseres  zu  berichten  gehabt  habe, 
als  in  der  auf  uns  gekommeneu  Handschrift  steht.  Die  Dürftigkeit 
der  Nachrichten  spricht  auch  hier  dafür,  dass  der  betreffende  Schreiber 
uns  nur  Auszüge  aus  einem  grösseren  Werke  überliefert  hat.  Damit 
ist  aber  auch  die  Zuverlässigkeit  seiner  Mittheilungen  in  Frage  gestellt. 
Im  vorliegenden  Falle  handelt  es  sich  insbesondere  darum,  wie  es  der 
Abbreviator  mit  der  Zeitfolge  gehalten  hat  und  ob  er  den  Brauch,  das 
Jahr  mit  Weihnachten  zu  beginnen,  genau  befolgt  hat.  War  nun 
Wilmans  von  seinem  Standpunkte  durchaus  im  Rechte,  aus  den  Ein- 
tragungen zu  den  J.  984,  1001,  1002  den  Schluss  zu  ziehen,  dass  in 
den  Ann.  Hildesh.  stets  die  Weihnachtsepoche  festgehalten  worden  sei, 
so  ist  derselbe  für  uns  nicht  mehr  zwingend.  Wir  haben  uns  auf  die 
Betrachtung  des  zwischen  jenen  Jahren  liegenden  Abschnittes  zu  be- 
schränken, wenn  wir  versuchen  wollen,  einen  Massstab  dafür  zu  ge- 
winnen, inwieweit  der  Abbreviator  die  von  ihm  berichteten  Begeben- 
heiten in  die  richtige  Zeitfolge  gebracht  hat.  Ich  gestehe  offen,  dass 
mir  dieser  Versuch  nicht  gelungen  ist  i)  und  dass  ich  auf  die  specielle 
den  Jahresanfang  betreffende  Frage  keine  Antwort  finde.  Wohl  oder 
übel  muss  ich,  was  zu  989  eingetragen  ist,  für  sich  betrachten.  Da 
scheint  nun  auf  den  ersten  Blick  die  bisherige  Auslegung,  dass  unter 
dem  zuerst  erwähnten  Weihnachten  das  das  Jahr  989  eröffnende,  also 
unser  Weihnachten  988  zu  verstehen  sei,  dadurch  gesichert,  dass  als 
zweite  und  letzte  Begebenheit  des  J.  989  der  Tod  des  Bischofs  Osdag 
berichtet  wird,  welcher  am  8.  November  989  erfolgte.  Aber  ein  Um- 
stand würde  dabei,    wie  es  bisher  allgemein  geschehen  ist,    unberück- 


')  Chronologische  Anordnung  scheint  vorzuhen-schen,  ist  aber  im  .1.  988 
ausser  Acht  gelassen.  Erscheint  sie  durch  das  andere  IVincip  gestört,  die  Be- 
gebenheiteji  nach  dem  (irade  des  Interesses,  welches  sie  im  allgenieinen  oder  in 
<leu  Augen  des  Annalisten  erwecken,  zu  unhien,  so  ist  aucli  dieses  l'riiicip  niclit 
durchgeheuda  befolgt  worden. 


16* 


244  Sickel. 

sichtigt  bleiben.  Den  Worten  (Th.)  ibi  natalem  domini  celebravit,  gebt 
ja  voraus  Romam  perrexit.  Gerade  wenn  der  Annalist  an  das  auf  der 
Schwelle  des  J.  980  stehende  Fest  dachte,  hätte  er  von  der  Reise  nach 
Rom  unter  dem  Vorjahre  berichten  müssen.  Und  so  lässt  die  Stelle 
auch  eine  zweite  Deutung  zu.  Der  Schreiber  fand  in  seiner  Vorlage 
die  Reise  zu  Ausgang  des  J.  989  erwähnt,  wiederholte  sie  zu  demselben 
Jahre,  fügte  aber  auch  gleich  die  weiteren  Notizen  über  die  Kaiserin 
(celebravit,  subdidit)  aus  dem  J.  990  hinzu,  um  nach  Erledigung  der 
politischen  Begebenheiten  nachzuholen,  was  sich  in  Hildesheim  im 
J.  989  zugetragen  hatte.     Abbreviatoren   sind  ja   oft  so  vorgegangen. 

Dass  dieser  Bericht  zweideutig  ist  und  bleibt,  verkenne  ich  nicht. 
Erscheint  aber  die  eine  Interpretation  ebenso  berechtigt  als  die  andere, 
so  liegt  die  Entscheidung  bei  dem,  was  die  Diplome  bezeugen.  Das 
erste  ist,  dass  Theophanu  den  Winter  von  989  zu  990  in  Italien  ver- 
lebte, das  zweite,  dass  sie  von  Ostern  bis  in  den  Herbst  des  Vorjahres 
in  Deutschland  weilte.  Vertrüge  sich  damit  noch,  wie  wir  bereits  sahen, 
die  Annahme  eines  Aufenthalts  in  Italien  in  dem  Winter  zuvor,  so 
hat  sich  die  eine  Stütze  derselben,  nämlich  Havets  Interpretation  der 
Epist.  160  als  hinfällig  erwiesen.  Erübrigt  dann  als  Indicium  nur 
noch,  was  Wilmans  u.  a.  aus  dem  zweideutigen  Berichte  der  Ann. 
Hildesh.  herauslesen  wollen,  so  wii'd  dessen  Beweiskraft  in  meinen 
Augen  durch  die  Erwägung  sehr  abgeschwächt,  dass  der  Mönch  von 
Hildesheim  sich  recht  schlecht  unterrichtet  zeigt,  wenn  er  kein  Wort 
von  der  über  allen  Zweifel  erhabenen  Reise  im  zweiten  Winter  zu  be- 
richten weiss.  Somit  weise  ich  den  Gedanken  an  eine  zweimalige  Reise 
zurück  und  ebenso  den,  dass  die  Kaiserin  schon  im  J.  988  nach  Italien 
aufgebrochen  sei. 

In  diesem  Jahre  scheint,  während  der  Hof  im  Süden  weilte,  der 
Verkehr  in  Italien  wieder  etwas  lebhafter  geworden  zu  sein.  Das  mag 
den  Anstoss  zum  Entschlüsse  der  Kaiserin,  persönlich  in  die  Angelegen- 
heiten Italiens  einzugreifen,  gegeben  haben.  Mussten  ihr  aber  ebenso 
wie  den  Königen  die  Wege  bereitet  werden,  so  mag  der  des  Landes 
und  der  Leute  kundige  Johannes  Graecus  und  mögen  andere  schon 
von  Konstanz  vorausgesandt  worden  sein.  Die  Kunde  von  dem  Reise- 
plane wird  sich  bald  verbreitet  haben  und  auch  nach  Reims  gedrungen 
sein.  Die  Kaiserin  selbst  trat  jedoch  ihre  Reise  erst  im  J.  989  an, 
begleitet  von  dem  Kauzler  für  Italien.  In  welchem  Monate  dies  ge- 
schah, darüber  lassen  sich  nur  Vermuthungen  aussprechen.  Es  Hegt 
uns  allerdings  ein  Diplom  für  den  Bischof  von  Freising,  am  1.  Oktober 
989  zu  Frankfurt  ausgestellt,  vor,  in  welchem  als  Intervenienten  ge- 
nannt  werden   Theophanu    und    Herzog  Heinrich    der  Jüngere.     Aber 


I 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  245 

Theophanu  als  anwesend  bei  der  Ausstellung  zu  betrachten,  so  dass 
sie  erst  in  vorgerückter  Jahreszeit  den  Zug  über  die  Alpen  angetreten 
haben  würde,  ist  gewagt.  Das  D.  58  wiederholt  nämlich  im  wesent- 
lichen DO.  IL  66  vom  J.  973  und  ist,  einen  Zusatz  ausgenommen, 
demselben  wörtHch  gleich.  Urkundet  nun  Otto  IL  auf  Bitten  dilec- 
tissimae  coniugis  nostrae  Theophanu  nee  non  cari  nepotis  nostri  Bai- 
oariorum  ducis  Heinrici,  so  thut  es  Otto  III.  auf  Bitten  dilecte  matris 
nostre  Th.  nee  non  cari  nepotis  nostri  Karentinorum  ducis  Heinrici. 
Es  ist  nun  nicht  unmöglich,  dass  sowohl  die  Kaiserin  als  Heinrich  der 
Jüngere  im  J.  989  nur  deshalb  genannt  worden  sind,  weil  in  der  Vor- 
urkunde vom  J.  973  Theophanu  als  Gattin  Otto  IL  und  der  damals  auch 
über  Kärnthen  gebietende  Heinrich  der  Zänker  als  Fürbitter  erscheinen. 
Handelt  es  sich  aber  um  nochmalige  Intervention,  so  kann  sie  geraume 
Zeit  vor  der  Ausfertigung  des  Diploms  stattgefunden  haben  ^).  Und 
dafür  möchte  ich  geltend  machen,  dass  laut  einer  Lorscher  Urkunde  2) 
Otto  sich  mit  stattlichem  Gefolge  am  28.  September  in  diesem  Kloster 
befand,  dass  aber  unter  den  zahlreichen  ihn  umgebenden  Personen 
seine  Mutter  nicht  genannt  wird.  Darf  ich  es  darauf  hin  als 
wahrscheinlich  bezeichnen,  dass  sie  ihre  Reise  nach  Italien  bereits 
angetreten  hatte,  so  ist  und  bleibt  doch  die  Hauptsache,  für  welche 
ich  hier  den  Beweis  liefern  wollte,  dass  der  letzte  Aufenthalt  der 
Theophanu  in  Italien  sich  auf  den  Winter  von  989  zu  990  be- 
schränkt hat. 


')  In  dieser  Beziehung  ist  auch  zu  beachten,  dass  H.  d.  J.  bereits  am 
5.  Oktober  989  (s.  Forschungen  15,  164)  gestorben  ist.  Sollte  er  während  eines 
Aufenthaltes   bei   Hofe   erkrankt   und   gestorben   sein?  ^)   Cod.   Lauresham. 

1,  140  no.  83. 


Nachtrag  zu  S.  241.  Soeben  (März  189l)  erfahre  ich,  dass 
Boubnov  2,  608 — 621  die  Episteln  155  — 160  ziemlich  ebenso  wie  ich 
ansetzt,  nämlich  zu  April  bis  September  989.  Die  Wahl  Arnulfs  lässt  er 
im  April  989  stattfinden  und  unter  dem  in  Epist.  160  erwähnten  Ostern 
versteht  er  das  des  Jahres  990. 


Die  sogeuaiinte  Brevis  uota  über  das  Lyouer 
Coucil  von  1245. 

Von 
M.  Tan  gl. 

Am  17.  Juli  1245  hatte  Papst  Innocenz  TV.  vor  dem  zu  Lyon 
versanimelteu  Concil  die  Absetzung  wider  Kaiser  Friedrich  IL  aus- 
gesprochen. 

Die  unmittelbare  Wirkung  der  Lyoner  Sentenz  kann  kaum  als 
eine  tiefgreifende  bezeichnet  werden.  Sie  hat  keine  neuen  Parteien 
und  Gegensätze  geschaffen,  die  Eeihen  der  Anhänger  des  Kaisers  zu- 
nächst wenig  gelichtet;  und  andererseits  war  die  Erbitterung  des 
Kampfes  bereits  früher  zu  einer  Höhe  gediehen,  die  einer  Steigerung 
kaum  mehr  fähig  war.  Und  doch  verlieh  eine  Kette  von  Ereignissen, 
die  sich  im  weiteren  Verlaufe  der  Dinge  daran  knüpften,  dem  Spruche 
des  Lyoner  Concils  allmählig  eine  Bedeutung,  die  jene  der  Absetzung 
Heinrichs  IV.  weit  überragte. 

In  Deutschland  begann  fast  unmittelbar  darauf  mit  dem  Tode  des 
letzten  Babeubergers,  Herzog  Friedrichs  des  Streitbaren,  und  Erzbischof 
Eberhards  von  Salzburg  die  allgemeine  Verwirrung,  ohne  dass  der 
Kaiser,  der  sich  ganz  in  das  italienische  Parteigetriebe  geworfen  hatte, 
ernstlich  eingriff.  Bald  starb  er  selbst,  und  ohnmächtige  Gegenkönige 
rangen  fortan  fruchtlos  um  Herrschaft  und  Anerkennung  im  Reiche. 
In  Italien  entschieden  zwei  Schlaclittage  verhänornisvoll  wider  Manfred 
und  Konradin,  die  letzten  Sprossen  aus  staufischem  Geschlechte  ^). 

So    konnte    denn    bereits    ein    Menschenalter    später    Rudolf  von 


')  Ich  bin  in  Beurtheilunnr  des  Lyoner  Concils  wesentlich  der  Ansicht  ge- 
folgt, welche  Ficker  in  dei"  Vorrede  zur  Neubearbeitung  des  betreitenden  Alt- 
schnitts  der  Böhmer'schen  Regesten  vertritt. 


Die  ^ogemuinio   Hrcvis  uota  üben-  dsis   l,_yuiH'r  ('oucil  von   1245.  247 

Eahsburg  das  Lyoner  Concil  als  den  entscheidenden  Wendepunkt  be- 
trachten, an  den  er  bei  der  Neuordnung  der  Dinge  anknüpfte,  und 
mit  Kecht  hat  ein  neuerer  Forscher  die  Darstellung  der  späteren 
deutschen  Geschichte  mit  der  Schilderung  der  Vorgänge  in  der  Cathe- 
drale  zu  Lyon  begonnen  i). 

Dass  aber  die  unmittelbaren  Zeitgenossen  mit  Ausnahme  der  päpst- 
lichen Curie  den  Verhandlungen  des  Concils  nicht  jene  weittragende 
Bedeutung  beimassen,  ist  wohl  mit  ein  Erklärungsgi-und  für  den  Mangel 
an  gleichzeitigen  Berichten.  Von  einzelnen  verstreuten  Bemerkungen 
abgesehen,  kommen  nur  zwei  Quellen  in  Betracht:  Mathäus  v'on  Paris ^) 
und  die  bei  Mansi'^)  abgedruckte  Brevis  nota  eorum  quae  in  concilio 
Lugdunensi  gesta  sunt.  Nur  letzterer  Bericht  stammt  von  einem 
Augenzeugen  ^). 

Am  eingehendsten  hat  sich  mit  ihm  bisher  Ivarajan  bescliäftigt^). 
Der  Verfasser  war  ein  auf  dem  Concil  anwesender  Geistlicher,  und 
Karajan  ist  mit  der  Art  und  Weise,  wie  er  seinen  Bericht  niederschrieb, 
wenig  zufrieden :  Statt  einer  umständlichen,  lebendigen  Schilderung  der 
einzelnen  Vorgänge  und  Verhandlungeu,  wie  er  sie,  zweifellos  gut 
unterrichtet,    zu   bieten  vermochte,    eine    dürre,    trockene  Darstellung; 


1)  Lorenz,  Deutsche  Geschichte  1,  35.  -)  Ich  henützte  die  Monunienta- 

Ausgabe  jener  Partie  des  Mathäus  Paris  in  «8.  28,  74  f.         ■■')  Collectio  s.  concil. 
arapliss.  23,  610—13.         *)  Schirrmachers  Annahme  (Kaiser  Friedrich  U.  4,  388), 
da,ss  Mathäus  von  Paris  selbst  auf  dem  Concil  zugegen  w;i,r,  ist  von  Liebormann, 
dem  Herausgeber  der  betreffenden  Partie  in   den  Monumenta  (SS.  28,  257  A.  4j, 
wie  ich  glaube,  mit  Recht  zurückgewiesen  worden.    Die  Lebhaftigkeit  der  Sprache 
und  Ausführlichkeit   der  Darstellung   dart   hierin   nicht   täuschen.     Einzelne  An- 
klänge legen  es  vielmehr  nahe,  dass  Mathäus  die  Brevis  nota  als  Quelle  benützt 
habe.   Besonders  auffallend  ist  die  Wiederkehr  einer  ganz  bestimmten  Redensart 
in  beiden.     In  der  Brevis  nota  heisst  es  von  Thadäus  de  Suessa,  als  er  sich  un- 
mittelbar vor  der  Bannungs-  und  Absetzungssentenz  des  Papstes    erhob,    um    an 
einen  künftigen  Papst  und  ein  allgemeines  Concil  zu  appelliren,  »percipiens,  ((uod 
iam  securis    erat  posita   ad  radicem*.     Mathäus  aber  legt  diese  Worte, 
welche  die  Empfindung  des  kaiserlichen  Vertreters  ganz  treffend  schildern,    dem 
Papste  selbst  anlässlich  der  vorberathenden  Sitzung  in  den  Mund :    ,Sed    el  hcc 
nunc,  constat,    sunt  promissn,    ut   securis    iam    ad   radiccm   posita  illuso 
concilio  et  soluto  per  dilacioncm  avertatur\     Wer  das  ganze  kühl   berechnende 
N'orgehen  Innocenz'  IV.  in  der  Frage  beachtet,    wird  eine  so  arge  politische  Un- 
geschicklichkeit,   wie    sie   in  jener  Aeusserimg  gelegen  hätte,    dem    staatsklugen 
l^apste   nicht   zumuthen.     Vonseite    des  Mathäus    scheint   hier   lediglich  ein  Fall 
inigeschickter   und    dabei   tendenziöser  Quellenbenützung   vorzuliegen,   wie    denn 
auch  die  Verquickung   der  1.  und  2,  Concilssitzung    zeigt,    dass   sich   seine  Dar- 
stellung  mehr   durch  rhetorischen  Schwung   als  strenge  Gewissenhaftigkeit  aus- 
zeichnet, s)  Zur  Geschichte  des  Concils  von  Lyon  von  1245.     Denkschrift  d. 
Wiener  Akad.  d.  Wiss.  phil.  bist.  Cl.  2,  67  f.  S.  83. 


248  Tan  gl. 

dabei  eine  unerklärliche  Bevorzugung  des  rein  Formelleu,  Nebensäch- 
lichen. Da  die  Individualität  des  Verfassers  nirgends  hervortritt,  ergibt 
sich  auch  kein  Anhaltspunkt  zur  Feststellung  desselben. 

Dem  gegenüber  dürfte  es  nicht  ganz  unerwünscht  sein,  wenn  ich 
aus  der  Art  der  handschriftlichen  üeberlieferung  unserer  Quelle  ganz 
bestimmte  Anhaltspunkte  für  den  Kreis,  dem  der  Verfasser  der  Brevis 
nota  augehörte,  zu  bieten  vermag. 

Mansi  hatte  bei  seiner  Edition  Textvarianten  aus  dem  Codex  275 
des  spanischen  Collegs  in  Bologna  beigebracht. 

Es  ist  dies  der  nämliche  Codex,  aus  dem  Merkel  seine  päpstlichen 
Kanzleiordnungen  veröffentlichte  ^).  Im  Zusammenhange  grösserer  Ar- 
beiten über  das  päpstliche  Kanzleiwesen  habe  ich  die  Handschrift  im 
Sommer  1889  neu  untersucht,  und  ich  kann  mich  über  das  Ergebnis 
um  so  kürzer  fassen,  als  jüngst  Simonsfeld,  der  den  Codex  unmittelbar 
nach  mir  ebenfalls  bearbeitete,  darüber  eine  Abhandlung  veröffent- 
lichte ^),  mit  der  ich  mich  an  anderer  Stelle  auseinandergesetzt  habe  3). 

Hier  genügt  es,  das  Hauptergebnis  meiner  eigenen  Untersuchung 
kurz  mitzutheilen. 

Der  Codex  275  des  spanischen  Collegs  zu  Bologna  ist  eine  c.  1280 
in  der  päpstlichen  Kanzlei  entstandene,  mithin  die  älteste  bisher  nach- 
weisbare Abschrift  des  Liber  Cancellariae  oder  Provincialis,  wie  sein 
damaliger  Titel  lautete.  Die  Sammlung  ist  in  der  heute  vorliegenden 
Gestalt  unvollständig:  sie  enthält  nicht  alle  damals  überhaupt  bereits 
erflossenen  officiellen  Verfügungen,  aber  sie  ist  andererseits  frei  von 
jeder  fremdartigen  Beimischung. 

Auf  den  Diöcesaukatalog  folgen  zunächst  Formeln,  die  sich  mit 
den  bei  Erler  veröffentlichten  im  grossen  und  ganzen  decken. 

Als  letzte  derselben  steht  p.  82  unter  der  Aufschrift:  Mandatur 
metropolitanis,  quod  veniant  ad  concilium  et  citent  suffraganeos  et 
eorum  capitula  ad  illud  das  Einberufungsschreiben  an  die  Erzbischöfe 
zum  Lyoner  Concil  ^).  Daran  reiht  sich  p.  83 — 85  die  Brevis  nota  &) ; 
f.  86 — 88  sind  leergelasseu,  und  mit  p.  89  setzen,  dann  die  von 
Merkel  herausgegebeneu  Consuetudines  cancellariae  ein. 


0  Archivio  storico  Italiano  App.  5,  129  f.  Merkel  wies  8.  131  auch  bereits 
darauf  hin,  class  der  Codex  »fragmenta  actorum*  über  das  Lyoner  Concil  ent- 
halte. '-')  Sitzungsberichte  der  bair.  Akad.  d.  Wissensch.  1890,  2,  218  f. 
'S.  223  erwähnt  er  auch  die  Aufnahme  der  Brevis  nota  in  diesen  Codex. 
•■')  Mitth.  12,  187  f.  *)  Mansi  23,  608  an  den  Erzbischof  von  Sens.  Potth.  11493, 
Berger,  Reg.  1,  207  No.  1354.  •'>)  Ich  behalte  diese  Bezeichnung,  die  durch 
Mansis  Edition  noch  allgemeine  Geltung  geniesst,  bei;  doch  scheint  sie  ganz 
willkürlich  gewählt;  denn  die  Bologneser  und  die  gleich  unten  zu  erwähnende 
Vatikauische  Handschrift  enthalten  unsere  (Quelle  ohne  jede  Ueberschrift. 


Die  sogenannte  Brevis  nota  ül^er  das  Lyoner  Concil  von   1245.  249 

Daraus  ergibt  sich  der  nalieliegende  Schluss,  dass  auch  die  Brevis 
uota  in  der  päpstlichen  Kanzlei  entstanden  sei  und  dass  sie  mit  allen 
übrigen  Eintragungen  auch  den  officiellen  Charakter  gemein  habe. 
Aus  dieser  Entstehungsart  erklärt  sich  aber  auch  das  von  Karajan 
beanstandete  Ueberwiegen  des  rein  ceremoniellen  Details,  dem  der 
hierin  eingelebte  Hofbeamte  eine  unverdieut  hohe  Bedeutung  beilegen 
mochte,  während  es  für  jeden  anderen  Concilstheiluehmer  gewiss  höchst 
gleichgiltig  war,  wo  beim  Concile  die  päpstlichen  Notare  und  der  Cor- 
rector  der  päpstlichen  Bullen  sasseu. 

Welchen  Wert  man  aber  gerade  in  den  Kreisen  der  päpstlichen 
Kauzlei  auf  die  Feststellung  der  Kangordnung  innerhalb  der  anderen 
Curialen  legte,  ersieht  man  an  besten  daraus,  dass  die  in  der  Brevis 
nota  erwähnte  Thatsache  iu  den  Consuetudines  cancellariae  bereits 
zum  Gesetz  tjemacht  ist: 


Merkel  1.  c.  135  I,  4  =  Erler, 
Lib.  canc.  135:  et  debet  vicecan- 
cellarius  et  deinde  notarii  auditor 
contradictarum  et  corrector  sedere 
post  presbiteros  cardinales,  quando 
dominus  papa  celebrat,  quibus- 
cunque  prelatis  post  seden- 
t  i  b  u  s. 


Brevis  nota: 
alii  principes  laici  sederunt  ad  si- 
uistram  et  diaconi  cardinales  vice- 
cancellarius  magister  Marinus  Nea- 
politanus  cum  notariis  auditore 
contradictarum  correctore  capella- 
nis  subdiaconis  et  quibusdam  aliis. 
Inferius  vero  sie  prelati 
sederunt: 

An  Stelle  der  Oardinaldiakonen  sind  in  den  Consuetudines  can- 
cellariae die  Cardinalpriester  getreten ;  das  Wesentliche  ist  aber  beiden 
Aufzeichnungen  gemeinsam:  Vicekanzler  und  Notare  und  der  mit 
letzteren  rangsgleiche  Auditor  contradictarum  uud  Corrector  litterarum 
apostolicarum  haben  bei  feierlichen  Anlässen  vor  den  Prälaten  den 
Vortritt. 

Der  Zweck  der  Abfassung  dieses  officiellen  Berichtes  und  seiner 
Eintragung  ins  Kanzleibuch,  ist  nicht  schwer  zu  ermitteln. 

Man  war,  um  mich  der  eigenen  Worte  der  Brevis  nota  zu  be- 
dienen, an  der  Curie  entschlossen,  die  Axt  an  die  Wurzel  zu  legen, 
und  hatte  zu  dem  Entscheidungskampfe  ganz  umfassende  literarische 
Eüstungen  getroffen.  Alle  Urkunden,  aus  denen  sich  Ansprüche  der 
Päpste  wdder  das  Kaiserthum  ableiten  Hessen,  waren  bereits  zu  Kom 
sorgfältig  gesammelt  worden;  denn  dass  man  erst  in  Lyon  auf  den 
Gedanken  kam  und  glücklicherweise  das  ganze  päpstliche  Archiv  zur 
Hand  hatte,  ist  wohl  nicht  anzunehmen.  Die  Urkunden  wurden  dann 
in  Lyon  traussumirt,  den  versammelten  Vätern  vorgelegt  und  die 
Traussumpte  beglaubigt.    Hatte  dies  den  Zweck,  die  Berechtigung  der 


250  Tan  gl. 

erliobent'ii  Aiisprüche  inul  des  eingeleiteten  Verfahrens  /u  beweisen, 
so  galt  es  noch,  das  Concil  selbst  als  ein  allgemeines,  das  Vorgehen 
des  Papstes  auf  demselben  als  gesetzmässig  und  unparteiisch  zu  ver- 
fechten. 

Auch  diese  Aufgabe  fiel  der  päpstlichen  Kanzlei  zu,  welche  wohl 
auch  mit  der  Sammlung  und  Transsumirung  der  Urkunden  ])etraut 
worden  war  und  so  an  dem  Verlaufe  des  Concils  regen  Antheil  ge- 
nommen hatte. 

Es  ist  noch  immer  eine  offene  Frage,  in  welchem  Umfange  die 
Einladungen  zum  Concil  ergiengen.  Erhalten  sind  uns  bekanntlich 
nur  äusserst  wenige,  und  auch  Bergers  Ausgabe  des  Kegisters  hat  uns 
hierin  nicht  weiter  gebracht. 

Sicher  waren  viel  mehr  Einberufungsschreiben  erflossen;  und  die 
Eintragung  der  Einberufung  an  die  Erzbischöfe  als  Formel  ins  Kanz- 
leibuch würde  allerdings  den  Schluss  nahelegen,  dass  sie  an  alle  ge- 
richtet war.  Wahrscheinlich  hat  auch  diese  Verallgemeineruug  des 
Briefes  zur  Formel  die  weitere  Aufzähhmg  der  Adressaten  im  Kegister 
überflüssig  erscheinen  lassen  i). 

Das  Concil  als  allgemeines  und  rechtmässiges  zu  erweisen  ist  auch 
der  nächste  Zweck  der  Brevis  nota:  Patriarchen  aus  dem  Osten  und 
Westen,  Erzbischöfe  und  Bischöfe  und  Vertreter  der  christlichen  Fürsten 
haben  sich  eingefunden;  auch  der  Vertreter  des  Kaisers  Friedrich  fehlt 
nicht;  in  allen  Gebeten  und  Formeln  der  EröflFnung  wird  das  übliche 
Cereraoniell  strenge  gewahrt. 

In  der  Schilderung  der  Verhandlungen  selbst  tritt  ein  unleugbares 
Streben  nach  Obiectivität  hervor.  In  dürrer,  trockener  Sprache,  die 
in  vollstem  Gegensatze  steht  zu  dem  leidenschaftliclien  Tone  der  vStreit- 
schriften,  in  denen  sich  beide  Parteien  unmittelbar  nach  dem  Concile 
liekäuipften  =^).  werden  die  Verhandlungen  erzählt,  jedes  scharfe  Wt)rt 
wird  ängstlich  vermieden.  Papst  lunocenz  IV.  ersclieint  als  der  echte 
Wahrer  voller  Unparteilichkeit.     An  letzter  Stelle  erwähnt   er    in    der 


')  üeber  die  geringe  Zahl  der  Einberuiuiigsschreiboii,  vgl.  Schirrniacher 
4,  110  f.,  389.  Im  Register  begegnen  mit  demselben  lnci])it  ,Dei  virtns*  nur 
iiocli  Berger  No.  l;i55,  capitulo  Senensi  und  No.  1356  illustri  regi  Francie;  bei 
l'otthast  ausserdem  noch  No.  114.97  abbatibus  et  prioribus  exeiuptis  per  Angliam 
No.  11498  capitulo  Salzburgensi  und  No.  11521  abbatibus  et  prioribus  per  An- 
gliam constitutis;  verschieden  davon  ist  das  Incipit  der  4  an  die  Kardinäle  er- 
haltenen Schreiben,  l'otthast  No.  11523.  Die  Citation  zum  Lyoner  Concil  ist  als 
Formel  auch  eingetragen  in  die  Ann.  Piacentini  Gibellini  SS.  18,  488.  Hec  est 
fonua  citationis  domini  pape  que  dirigitur  ecclesiarum  prelatis  et  principibus 
universis  pro  concilio  celebrundo.  -)  Vgl.  Schin-macher  4,  Ibl  1". 


Die  sogenannte  Brevis  nota  über  da^i  L.voner  Cuncil  von  1245.  2?)l 

Eröft'nungsrede  erst  die  Streitsache  mit  dem  Kaiser,  währeud  sie  ja 
doch  den  eigentlichen  Grund  zur  Berufung  des  Concils  bildet,  während 
sich  die  Debatte  der  zweiten  Sitzung  ausschliesslich  um  sie  dreht.  In 
der  zweiten  Sitzung  widersteht  er  standhaft  dem  Andrängen  eines 
spanischen  Erzbischofs,  sofort  gegen  den  Kaiser  vorzugehen,  obwohl 
ihm  jener  die  volle  Unterstützung  der  auf  dem  Concil  besonders  zahl- 
reich erschienenen  spanischen  Nation  zusichert ;  und  zum  nicht  geringen 
Aerger  vieler  Prälaten  gibt  er  dem  Antrag  des  kaiserlichen  Vertreters 
Thadäus  von  Suessa  auf  Verschiebung  des  Urtheilsspruches  und  An- 
beraumung einer  neuerlichen  Sitzung  statt.  Andererseits  vrird  des  eben 
erwähnten  kaiserlichen  Gesandten  in  durchaus  wohlwollender,  achtungs- 
voller Weise  gedacht.  Der  günstige  Eindruck,  den  seine  Vertheidiguugs- 
rede  in  der  ersten  Sitzung  auf  die  Versammelten  übte,  wird  ganz 
unverholen  zugestanden  ^). 

Und  als  der  Verfasser,  den  wir  wohl  im  Kreise  der  päpstlichen 
Notare  zu  suchen  haben  dürften,  seinen  Bericht  damit  beendete,  dass 
die  schliessliche  Fällung  des  Bannfluches  und  der  Absetzung  den  Con- 
cilsvätern  eigentlich  ziemlich  unverhofft  und  verblüffend  kam ''^),  fand 
es  der  in  die  Verhandlungen  hinter  den  Coulissen  besser  eingeweihte 
Vicekanzler,  bevor  er  die  Erlaubnis  zur  Eintragung  ins  Kanzleibuch 
gab  und  den  Bericht  dadurch  zum  officiellen  stempelte,  für  nöthig, 
folgende  Erklärung  anzufügen:  Sed  est  diligenter  attendendum,  quod 
papa  in  illis  diebus  consilium  petierat  singulariter  a  prelatis,  utrum 
posset  vel  deberet  procedere  per  ea  que  manifesta  fuerant  contra  eum, 
et  quantum  ad  depositionem  eins  omnes  concordarunt ;  et  statim  ipsi 
sententie  que  scripta  erat  sigillum  cuiuslibet  faciebat  apponi,  ita  quod 
in  prolatione  sententie  C  et  L  sigilla  ipsi  sententie  fuerant  appensa. 

So  erklärt  es  sich,  dass  sich  dieser  Zusatz  nur  im  Liber  Caucel- 
lariae  findet,  in  den  übrigen  Fassungen  aber  fehlt.  Die  Brevis  nota 
hatte  nämlich  auch  selbstständige  Verbreitung  erlangt. 

So  fand  ich  auf  einer  einzelnen  Pergaraentlage  des  Cod.  Ottob, 
lat.  2520,  eines  bunten  Samraelbandes  von  vielerlei  Fragmenten,  die 
Brevis  nota  über  das  zweite  und  darauf  die  über  das  erste  Lyoner 
Concil  in  einer  Schrift,  deren  Charakter  sich  mit  dem  der  Registci'- 
schrift  des  ausgehenden  id.  Jahrli.  völlig  deckt,  ein  Zeichen,  das.s  man 
sie  in  der  päpstlichen  Kanzlei  auch  unabhängig  vom  Kauzleibuche 
abschrieb  und  verbreitete. 


'1  Mansi  1.  c. :  Mirabiliter  excusare  videbatnr  imperatoreiii :  .  .  .  ct.  miiltis 
eins  responsio  fuit  grata.  -)  L.  c.  Ita  quorl  vix  credelnitur  ab  aliquibus,  quod 
aliquam  deberet  ferre  sententiam  contra  enm. 


252  Tang]. 

So  kam  diese  Relation  über  das  Lyoner  Concil  von  Rom  auch  in 
das  nahe  Cesena  und  fand  hier  in  den  Annalen  dieses  Städtchens 
wörtliche  Aufnahme  i). 

Einen  andern  vom  Cod.  Bononiensis  und  Ottobonianus  mehrfach 
stark  abweichenden  Text  hat  Mansi  seiner  Ausgabe  zugrunde  gelegt, 
während  er  die  Lesearten  der  ihm  bekannten  Bologneser  Handschrift 
nur  ganz  ungenügend  benützte  ^). 

Es  erübrigt  noch,  einer  mit  unserer  bisher  besprochenen  enge 
verwandten  Quelle,  der  Brevis  nota  über  das  zweite  Lyoner  Concil, 
einige  Aufmerksamkeit  zu  schenken  '^).  Sie  deckt  sich  mit  ihr  in  der 
ganzen  Art  der  Darstellung  und  der  ruhigen,  nüchternen  Sprache,  ist 
aber  ausführlicher  und  bringt  noch  genauere  Angaben  über  das  be- 
obachtete Ceremoniell.  Vicekanzler  und  Notare  sind  anlässlich  der 
Sitzordnung  nicht  erwähnt,  wohl  aber  S.  64,  wo  von  dem  Empfang 
der  griechischen  Gesandten  gesprochen  wird:  Omnes  prelati  qui  erant 
in  concilio  cum  familiaribus  suis,  camerarius  cum  tota  familia  papae, 
vicecancellarius  et  omnes  notarii  ac  omnis  familia  cardinalium 
.exiverunt  eis  obviam. 

Lässt  schon  die  bis  ins  kleinste  Detail  gehende  Aufzählung  aller 
beobachteten  Formen  erkennen,  dass  der  Verfasser  Augenzeuge  war, 
so  ergibt  sich  aus  der  Erwähnung  von  Vorgängen  in  den  Versamm- 
lungen der  Prälaten  und  Nationen  und  in  den  Sitzungen  des  Con- 
sistoriums  ^)  der  Schluss,  dass  er  einem  Kreise  angehörte,  der  über  die 
gesammten  Verhandlungen  wohl  unterrichtet  war. 

In  der  handschriftlichen  üeberlieferung  besteht  zwischen  beiden 
Quellen  allerdings  insoferne  ein  bedeutender  Unterschied,  als  diese  zweite 
Brevis  nota  in  der  Copie  des  Kanzleibuches  fehlt.  Nun  ist  der  Bolo- 
gneser Codex  nachweislich  unvollständig;  doch  es  wäre  eine  müssige 
Streitfrage  zu  untersuchen,  ob  die  Eintragung  auch  in  der  Original- 
Handschrift   unterblieb,    ob    sie    bei    der  Abschrift    übergangen  wurde 


')  Muratori  SS.  14,  1098  f.    Die  Lesearten  bei  Muratori  decken  sich  genau 
mit  jenen  des  Cod.  Ottob.  ^)  So  ist  S.  612  das  sinnlose  antequam  ad  festum 

accederetur  beatae  Mariae  virginis  gloriosae  ordinavit  octavam  im  Text  bei- 
behalten, -während  Mansi  doch  die  verständige  Leseart  des  Cod.  Bonon.  kannte: 
antequam  ad  sententie  prolationem  accederet,  nativitati  beate  virginis  gloriose 
ordinavit  octavam.  S.  612  letzte  Z.  stört  das  unverständliche  appellaret  statt 
appellabat.  Manches  ist  auf  reine  Lesefehler  zurückzuführen;  so  stimmt  das 
Concil  zum  Schlüsse  nicht  der  dispositio  sondern  der  depositio  imperatoris  zu. 
Den  Plan,  meinen  kurzen  Erörterungen  selbst  eine  Ausgabe  anzufügen,  habe  ich 
fallen  gelassen,  da  ich  der  Meinung  bin,  dass  unsere  Quelle  neben  und  vielleicht 
auch  vor  anderen  Dingen  ihren  Platz  in  den  Monumenta  verdiene.  »)  Mansi 

24,  61—68.  ")  Mansi  1.  c.  66. 


Die  sogenannte  Brevis  nota  über  das  Lyoner  Concil  von  1245.         253 

oder  ob  die  betreffende  Lage  uns  nicht  erhalten  ist.  Sicher  ist,  dass 
sich  der  officielle  Charakter  dieser  Quelle  nicht  in  dem  Masse  wie  von 
der  Brevis  nota  über  das  erste  Lyon  er  Concil  erweisen  lässt.  Dass 
aber  auch  sie  aus  der  päpstlichen  Kanzlei  hervorgegangen  ist,  dass 
man  dort  in  Nachahmung  des  Vorganges  von  1245  auch  über  das 
zweite  Lyoner  Concil  tagebuchartige  Aufzeichnungen  führte,  die  uns 
eben  in  der  zweiten  Brevis  nota  vorliegen,  möchte  ich  nicht  bezweifeln. 
Dafür  spricht  auch  der  schon  oben  hervorgehobene  Umstand,  dass  im 
Cod.  Ottob.  lat.  2520  beide  Quellen  vereint  in  päpstlichen  Kanzleischrift 
des  ausgehenden  13.  Jahrh.  stehen  ^). 


1)  Die  neueste  von  Carini  besorgte  Ausgabe  der  Breves  notae  über  die 
beiden  Concile  von  Lyon  [Spicilegio  Vaticano  di  documenti  inediti  e  rari,  2.  Heft: 
vgL  N.  A.  16,  439]  war  mir  nicht  zugänglich;  ich  muss  es  deshalb  auch  dahin- 
gestellt sein  lassen,  ob  ihr  der  von  mir  mehrfach  genannte  Codex  Ottobonianus 
oder  andere  Handschriften  der  Vaticana  zugrunde  gelegt  sind. 


Ueber  die  Beziehungen 

zwisclieii  englisclien  und  böliiiiischen  Wiclifiteii 

in  den 

beiden  ersten  Jahrzehnten  des  15.  Jahrhunderts. 

Von 

J.    Loserth. 

Während  man  heute  aus  den  Schriften  des  Hus,  seiner  Anhänger 
und  Gegner  den  Einfluss  genau  ermessen  kann,  den  die  engHsche 
Keformbewegung  am  Ende  des  14.  und  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
auf  Böhmen  genommen,  ist  man  über  viele  Einzelnheiten  in  Bezug 
auf  die  Ausbreitung  des  Wiclifismus  in  Böhmen  immer  noch  im  Un- 
klaren. So  lässt  sich  beispielshalber  aus  den  bisher  verööentlichteu 
Quellen  über  die  Persfmlichkeiten,  die  den  literarischen  Verkehr  zwi- 
schen beiden  Ländern  vermittelt  haben,  nur  weniff  Sicheres  feststellen. 
Mau  kennt  nicht  einmal  die  Namen  jener  böhmischen  Studenten,  die 
sich  in  den  Jahren  1382 — 1394,  in  denen  eine  Schwester  Wenzels 
von  Böhmen  englische  Königin  war,  zweifellos  in  grösserer  Zahl  in 
Oxford  eingefunden  haben,  da  die  amtlichen  Aufzeichnungen  daselbst 
nur  bis  zur  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  zurückreichen  ').  Die  folgenden 
Blätter  haben  den  Zweck,  wenigstens  eine  der  vorhandenen  Lücken 
auszufüllen;  als  besonders  werthvoll  wird  man  den  unten  mitgetheilten 
Brief  des  Führers  der  englischen  Wiclifiten  Sir  John  Oldcastle's,  Lord 
Cobham  an  seine  böhmischen  Gesinnungsgenossen  anzusehen  haben. 
Bevor  wir  jedoch  auf  diese  Punkte  näher  eingehen,  mögen  noch  einige 
Worte  über  die  literarischen  Beziehungen  Böhmens  zu  England  seit 
der  Errichtung  der  Prager  Universität  angemerkt  werden.  Dass  solche 
Beziehungen  vorhanden  waren,    ist  im  Allgemeinen  bekannt:    es    darf 


<)  Wie  ich   .-iiwr  MiHli«Mliiii;r  ,j,.s  lirkaimirn    Wi.litlnisrli.Ts   F.    D.    MmUIu-w 
enineluiii:. 


Ueber  die  Beziehungen  zwischen  englischen  u.  böhmischen  Wiclifiten.      255 

hier  nur  au  das  Statut  der  Prager  Universität  erinnert  werden,  nach 
welchem  die  Schriften  der  bekannten  Pariser  und  Oxforder  Professoren 
auch  an  der  Prager  Universität  frei  vorgetragen  werden  durften.  Die 
Schriften  eines  Occam,  Kobert  Grosseteste,  Fitz  Ralph  u.  a.  fanden 
denn  auch  in  Böhmen  fi'ühzeitig  Verbreitung,  um  so  leichter,  als  ein- 
zelne der  Lehrer  au  der  Prager  Universität  ihre  Studien  in  Oxford 
gemacht  und  jene  Schriften  von  da  in  die  Heimat  mitgebracht  haben 
dürften  i). 

Unter  den  älteren  Reformfreunden  in  Böhmen  kann  man  mit 
einiger  Sicherheit  von  dem  Magister  Adalbertus  Ranconis  de  Ericinio 
sagen,  dass  er  in  Oxford  studiert  und  vielleicht  auch  gelehrt  hat  -). 
Jedenfalls  blieb  er  mit  einflussreichen  Männern  Englands  in  näheren 
Beziehungen.  Ob  er  solche  auch  zu  Wiclif  gehabt,  lässt  sich  aus  den 
bisher  bekannt  orewordenen  Materialien  nicht  ersehen ;  wohl  aber  stand 
er  im  Verkehr  mit  dem  bekannten  englischen  Theologen  Fitz  Ralph, 
dem  späteren  Erzbischof  von  Arraagh  und  eifrigen  Gegner  der  Bettel- 
mönche. Im  Besitze  des  Ranconis  befand  sich  unter  anderen  Büchern, 
über  die  er  in  seinem  Testamente  zu  Gunsten  des  Klosters  Bfewnow 
verfügt  hat,  auch  eines,  welches  er,  wie  ich  an  einer  anderen  Stelle 
betont  habe,  wahrscheinlich  von  Fitz  Ralph  selbst  erhalten  hat  ^).  Auch 
von  einem  anderen  Gesichtspunkte  aus  leiten  die  Spuren  dieses  Mannes 
nach  England  hinüber:  er  machte  nämlich,  als  er  1388  starb,  für 
Jünglinge,  die  väterlicher-  und  mütterlicherseits  Böhmen  (Tschechen) 
sein  mussten  und  sich  in  Paris  oder  Oxford  dem  Studium  der 
1'heologie  oder  der  freien  Künste  widmen  wollten  ^),  eine  ziemlich 
bedeutende  Stiftung  •^).    Es  ist  darnach  nicht  unwahrscheinlich,  dass  jene 


')  An  der  Prager  Universitätsbibliothek  befanden  sich  in  der  Zeit  der  hus. 
Bewegung  die  Dicta  Lincolniensis,  die  Logik  Occams,  Ti-actatus  Anglici  Torper, 
die  Quefitio  magistri  Richardi  Strode,  Ardmachani,  Contra  fratres  monachos, 
.Scriptum  super  Apocalypsim  cniusdam  Anglici,  ein  (juodlibetum  disputatum 
Oxonie,  endlich  die  zahlreichen  Schriften  Wiclif  s,  Pavnes,  Wodefords  etc.  s.  dar- 
über unten.  -)  In  einer  Streitschrift  des  Erzbischofs  Johann  von  Jenzenstein 
heisst  es :  Gloriaris  te  demum,  in  Oxoniensi  pariter  et  Parisiensi  studiis  nulluni 
tibi  errorem  impositum  ad  revocandum  aliquem  articulum.  ')  Cod.  1430  der 
Wiener  HofViibliothek  fol.  !•>  in  marg. :  Iste  est  über  magistri  Ranconis  de  Eri- 
cinio in  Boemia.  Et  fuit  reverendi  domini  Ricardi  primutis  Vbernie  doctoris  eximii 
sacre  tlieologie,  quem  i^isemet  dominus  Ricardos  composuit  contra  ft-atres  men- 
dicantes  in  curia  Romana  ad  instanciam  Clementis  pape  VI.  Vgl.  Mitth.  des 
Vereins  für  Gesch.  der  Deutschen  in  Böhmen  23,  292.  •*)  Medizin  und  Jus 
waren  ausdrücklich  ausgeschlossen:  studere  volentibus  I'arisius  vel  Oxonie  in 
Auglia,  tautum  in  sacra  theologia  et  in  artibus  libtralibus,  nun  autem  in 
medicinis  nee  in  aliquibus  aliis  facultatibus.  ^)  Florenos  ducatos  ducenios 
cum  quinquaginta,    item   florenos  Ungaricales  trecentos  «um  viginti  tribus,    item 


256  L  0  s  e  r  t  h. 

Studierenden,  die  wir  mit  Hieronymus  von  Prag  oder  Georg  von 
Kuielinitz  und  Nicolaus  Faulfisch  in  den  nächsten  Jahrzehnten  als 
Studierende  in  England  finden,  aus  den  Mitteln  der  Kanconisstiftung 
ihren  Unterhalt  daselbst  beatritten  haben.  Die  Stiftung  des  böhmischen 
Gelehrten  muss  als  eine  sehr  zeitgemässe  bezeichnet  werden,  denn  der 
Verkehr  zwischen  England  und  Bcihmen  gestaltete  sich  zu  einem  be- 
sonders  lebhaften,  seit  Wenzels  Schwester,  Anna  von  Luxemburg,  die 
Gattin  des  englischen  Königs  Richard  II.  geworden  und  mehrfache 
Gesandtschaften  zwischen  den  beiden  Ländern  gewechselt  wurden  ^). 
Diese  Heirath,  welche  am  14.  Jänner  1382  abgeschlossen  wurde,  hat, 
wie  schon  Pauli  bemerkt  hat  -),  die  Ueberführung  der  zur  Reife  ge- 
deihenden reformatorischen  Ideen  nach  Böhmen  beschleunigt.  Unter 
den  ersten  Gesandten,  die  nach  England  giengen,  befand  sich  auch 
Peter  von  Wartenberg  ^) :  es  ist  vielleicht  kein  Zufall,  dass  unter  den 
Hauptträgern  des  Wiclifismus  in  Böhmen  zwei  Jahrzehnte  später  wie- 
der ein  Mitglied  des  Wartenbergischen  Hauses  erscheint,  eben  jener 
Zdislaw  von  Zwierzeticz,  an  den  der  unten  mitgetheilte  Brief  des  Sir 
John  Oldcastle  gerichtet  ist.  Die  Königin  Anna  hatte  ein  stattliches 
Gefolge  aus  Böhmen  mitgenommen  und  behielt  dieses  bei  sich  —  zum 
lebhaften  Missvergnügen  der  Engländer,  welche  ihm  die  reichen  Ge- 
schenke, die  ihm  gegeben  wurden,  neideten^).  Nachdem  diese  Böhmen, 
sagt  Walsingham,  die  Annehmlichkeiten  des  englischen  Lebens  gekostet, 
vergassen  sie  ihres  eigenen  Heimatlandes  und  wollten  nimmermehr 
dahin  zurückkehren.  Leider  sind  uns  die  einzelnen  Namen  der  Mit- 
glieder dieses  Gefolges  nicht  überliefert;  wir  erfahren  nur,  dass  sich 
selbst  in  den  Diensten  vornehmer  Engländer  in  jenen  Jahren  einzelne 
Böhmen    befanden  ^).     Die  bekannte  Lancekrona,    die  Walsingham  die 


florenos  Franconicos  quindecim,  quos  floreiios  prenomiuatos  statim  ibidem  paratos 
et  numeratos  in  summa  predicta  dedit  —  eine  für  jene  Zeit  sehr  beträchtliche 
Summe.     S.  Mitth.  des  Vereins  für  Gesch.  der  Deutschen  in  Böhmen  17,  210. 

')  Siehe  hierüber  Höfler,  Anna  von  Luxemburg,  S.  43.  Lindner,  Gesch.  des 
deutschen  Reiches  unter  König  Wenzel  1,  118.  ^)  Gesch.  von  England  5,  539. 
')  Haupt  der  Gesandtschaft  war  der  Herzog  Przemysl  von  Teschen,  neben  ihm 
fungirte  ausser  Peter  von  Wartenberg  noch  Konrad  Kragyrz.  Der  Herzog  von 
Teschen  und  seine  Begleitung  wurde  vom  englischen  König  reich  beschenkt. 
Peter  von  Wartenberg  erhielt  einen  Jahrgehalt  von  250  Mark.  Zu  den  Beschenk- 
ten gehörten  noch  Bofivoy  von  Swinar,  Sifrid  Foster,  Konrad  von  Ridburg  und 
Krag}TS  Sohn  Leopold.  Zu  beachten  sind  wohl  auch  die  einzelnen  Namen  der 
Personen,  die  sich  an  dem  Abschluss  des  Vertrags  zwischen  England  und  Böh- 
men betheiligten ;  zu  ihnen  gehören  Zdenko  von  Waldstein,  ein  Verwandter  des 
unten  genannten  Wok  von  Waldstein,  und  Botho  von  Czastalowicz,  der  später 
ein  eifriger  Hussite  war.  ■•)  Walsingham  Historia  Anglicana  2,  97,  119.  ^)  Höfler 
1.  c.  83. 


Ueber  die  Beziehungen  zwisclien  englischen  u.  böhmischen  Wiclifiten.      257 

Tochter  eines  Sattlers  uennt,  ist  wie  man  neuestens  richtiger  vermuthet 
hat,  wohl  die  Landgräfin  von  Leuchtenburg,  die  in  Auna's  Gefolge 
nach  England  kam,  wo  sie  den  Herzog  von  Irland,  Richards  Günstling, 
geheirathet  hat  ^). 

Die  Böhmen,  die  somit  in  ziemlicher  Anzahl  in  England  erschienen, 
fanden  dieses  in  heftiger,  religiöser  und  politisch-socialer  Erregung. 
Zwar  giengen  gerade  damals  mächtige  Schläge  auf  die  Wiclif'sche 
Partei  nieder,  ohne  dass  diese  aber  hiedurch  erheblich  geschädigt,  ge- 
schweige denn  vernichtet  worden  wäre.  Vielmehr  stand  nicht  blos 
ein  Theil  des  höheren  Adels,  sondern  auch  ein  grosser  Theil  des 
Volkes  auf  Seiten  Wiclif's  und  so  konnte  dieser  unangefochten  bis  an 
seinen  Tod  (1384)  in  seiner  Pfarre  Lutterworth  wirken.  Es  ist  wohl 
kein  Zweifel,  dass  gerade  Wiclif's  Schriften  aus  seineu  letzten  drei 
Lebensjahren  zu  den  kampfesmuthigsten  gehören,  die  er  {überhaupt 
veröffentlicht  hat.  Ueber  seinem  letzten  Werke,  welches  auch  nicht 
zu  den  massvollsten  zählt,  dem  Opus  evangelicum,  ist  er  gestorben. 
Seine  Partei  war  durch  diesen  Schlag  keineswegs,  wie  man  so  häufig 
gemeint  hat,  vernichtet:  das  Lollardenthum  machte  vielmehr  zunächst 
noch  weitere  Fortschritte. 

Die  Beziehungen  zwischen  England  und  Böhmen  erlitten  auch 
durch  den  Tod  der  Königin  Anna  (1394)  keine  Aenderuugen.  Wir 
erfahren  beispielshalber  noch  zum  Jahre  1398,  dass  sich  ein  böhmi- 
scher Ritter  Jacob  Polin  oder  Felin  im  Dienste  des  Herzogs  von  Nur- 
folk  befindet. 

Den  zunehmenden  literarischen  Verkehr  Englands  mit  Böhmen 
kann  man  aus  der  grossartigen  Verbreitung  Wiclif 'scher  Schriften  in 
Böhmen  seit  dem  Ausgang  des  14.  Jahrhunderts  erkennen.  Zuerst 
(wahrscheinlich  noch  in  den  Achziger,  sicher  aber  in  den  Neunziger 
Jahren)  gelangten  die  philosophischen  Schriften  Wiclif  s  nach  Prag. 
Der  Zeitpunkt,  wann  die  ersten  theologischen  Schriften  Wiclif's  in  Böh- 
men verbreitet  wurden,  lässt  sich  nicht  vollkommen  oenau  bestimmen. 
Vielleicht  sind  sie  erst  durch  Hieronymus  von  Prag  dahin  gekommen, 
der  kaum  vor  1399  ins  Ausland  gieng.  In  England  hörte  er  nach 
seinen  eigenen  Geständnissen  auf  dem  Concil,  dass  Wiclif  ein  Mann 
von  gründlicher  Bildung  und  ausgezeichnetem  Geiste  gewesen;  daher 
schrieb  er  den  Trialog  und  Dialog  ab,  von  denen  er  Handschriften 
erlangen  konnte,  und  brachte  sie  nach  Prag.  Dass  dies  wahrscheinlich 
1401  oder  1402  erfolgt  ist,    wurde  au  anderer  Stelle  erwiesen  -),     Im 


')  Mon.  Evesham.  \).  84.    Höfler  a.  a.  0.  101.  -)  Siehe  meinen  Hus  mul 

Wiclif  8.  80. 

Jlittheiluugen  XU.  17 


258  L  0  s  e  r  t  h. 

Gebrauche  der  Studierenden  an  der  Präger  Universität  befanden  sich 
(vielleicht  ^)  schon  vor  dem  Jahre  1409)  folgende  Schriften  Wiclif 's : 
1.  Super  deceni  precepta,  eine  Schrift,  die  heute  zu  den  verlorenen 
Schriften  Wiclifs  zu  zählen  ist.  Ich  habe  ihre  Spur  in  dem  von  mir 
aufgefundenen  ältesten  Katalog  der  Prager  Universitätsbibliothek  ent- 
deckt. 2.  De  Veritate  S.  Scripturae.  3.  De  Corpore  Christi.  4.  Meta- 
physicorum  libri,  eine  Schrift,  die  gleichfalls  verloren  ist.  5.  De 
Universalibus.  6.  De  Hypotheticis.  7.  De  Probationibus  Propositionum. 
8.  De  Ideis.  9.  De  Materia  et  Forma.  10.  De  Individuacione.  11.  De 
Composicione  Hominis.  12.  Insolubilia.  13.  Tractatuli  WiclejßF  logice 
(sie).  14.  De  Simonia.  15.  Sermones.  16.  Pastorale.  17.  Kespon- 
siones  ad  multa.  18.  De  Solucione  Satane.  19.  De  Fundacione  Sec- 
tarum.  20.  De  quatuor  Sectis  novis,  21.  Kesponsioues  ad  44  con- 
clusiones  monachales.  22.  De  Septem  Donis  Spiritus  Sancti,  23.  De 
quinque  conclusionibus.  24.  De  Dominio  civili.  25.  De  potestate  cleri 
(richtiger  pape).  Damit  ist  die  Reihe  der  in  Böhmen  bekannten 
Schriften  Wiclifs  noch  lange  nicht  erschöpft ;  denn  eine  weitaus  grössere 
Zahl  befand  sich  in  Privatbesitz.  Unter  den  (10)  am  IG.  Juni  1410 
in  Prag  verurtheilten  Schriften  Wiclifs  finden  sich  mehrere,  die  in 
dem  Bibliothekscatuloge  nicht  genannt  werden,  nämlich  1,  De  Triplici 
vinculo  amoris.  2.  De  Ecclesia.  3.  De  Absolucione  a  pena  et  a  culpa. 
4.  De  Christo  et  suo  adversario  Antichristo.  5.  De  Ordinibus  ecclesie. 
6.  Ad  Argumenta  cuiusdam  emuli  veritatis.  7.  De  Fide  catholica. 
8.  De  Imaginibus  und  9.  De  Dissensione  paparum  -). 

Auch  damit  ist  die  Zahl  der  in  Böhmen  im  Jahre  1410  ver- 
breiteten Schriften  Wiclifs  noch  lange  nicht  erschöpft.  Aus  einem  in 
einer  Wiener  Handschrift  erhaltenen  Kataloge  von  Wiclif  scheu  Schriften 
ersieht  man,  dass  man  von  solchen  um  das  Jahr  1410  nicht  weniger 
als  neunzig  kannte  und  dabei  wird  noch  ausdrücklich  bemerkt,  dass 
sich  in  Böhmen  noch  viele  andere  Werke  Wiclifs  finden  ^).  Es  fragt 
sich,  wann  diese  Schriften  nach  Böhmen  gelaugt  sind.  Als  Hierony- 
mus  von  Prag  in  seine  Heimath  zurückkehrte,  brachte  er  seinem 
eigenen  Eingeständnisse  zufolge  nm-  den  Trialog  und  Dialog  dahin. 
Die  Mehrzahl  der  sonstigen  Schriften  Wiclif 's  ist  zweifellos  von  anderen 
Böhmen  in  ihre  Heimath  gebracht  worden  und  da   begegnen    uns    zu 


')  Wenigstens   einzelne   dieser   Schriften   waren   schon   vor    1409   daseibat 
vorräthig.  '^)  Vgl.   meinen   Huss   und  Wiclif,   S.  114.  ^]  Die   Kataloge 

Wiclif  scher  Schriften  sind  neuestens  abgedruckt  in  Buddensieg's  Ausgabe  der 
lateinischen  Streitschriften  Wiclifs.  Vgl.  auch  Shirlej',  A.  Catalogue  p.  56—63 
und  Hus  und  Wiclif  p.  115. 


Ueber  die  Beziehungen  zwischen  englischen  ii.  böhmischen  Wiclifiten.      259 

den  Jahren  1406  und  1407  zwei  Namen,  von  denen  der  eine  bisher 
ganz  unbekannt  gewesen  ist. 

In  diesen  Jahren  weilten  die  beiden  böhmischen  Studenten  Nico- 
laus Faulfisch  und  Georg  von  Kniehnicz  in  England.  Eifrig  mit  dem 
Studium  Wiclif 'scher  Werke  beschäftigt,  schrieben  sie  einzelne  von  diesen 
eigenhändig  ab.  Aus  einer  Marginalnote  zu  dem  Cod.  1294  der  Wiener 
Hofbibliothek  sieht  man,  dass  sie  sich  am  Vortage  des  Festes  Maria 
Keinigung  1407  mit  der  Correctur  des  Traktates  De  Veritate  Sacrae  Scrip- 
turae  beschäftigten.  Sie  nahmen  dann  die  Abschrift  von  De  Ecclesia  in 
Angriff  und  zwar  schrieben  sie  dieses  Werk  zu  Kenmerton  ab,  einer 
kleinen  Ortschaft  bei  Tewkesbury  in  Worcestershire,  einer  Gegend,  die  be- 
kanntlich zahlreiche  Anhänger  Sir  John  Oldcastle's  hatte  i).  Der  Traktat 
De  Dominio  Divino  wurde  von  ihnen  zu  Braybrook  in  Northampton- 
shire  geschrieben  2).  Faulfisch  ist  bekanntlich  derselbe,  der  auch  das 
Zeugniss  der  Universität  Oxford  vom  5.  October  1406  nach  Prag  über- 
brachte, in  welchem  die  ßechtgläubigkeit  Wiclif  s  bestätigt  wurde  3). 
Von  diesem  Zeugnisse  erzählte  Hus  seinen  Gläubigen  von  der  Kanzel 
herab  und  brachte  auch  sonst  aus  den  Erinnerungen  dieses  Nicolaus 
Faulfisch  manches  zum  Vortrag,  wie  z.  ß.  die  artige  Anekdote  vom 
Erzbischof  und  dem  Koch  ■^).  Ausser  den  Wiclif  sehen  Schriften  brachten 
die  beiden  auch  ein  Stück  Stein  von  dem  Grabdenkmale  Wiclif  s  mit 
nach  Prag,  das  dort  als  theure  Reliquie  verehrt  wurde  ^).  Nicolaus 
Faulfisch  war  1415,  als  auf  dem  Coucil  von  ihm  geredet  wurde,  schon 
todt:  er  sei,  sagte  Hus,  irgendwo  zwischen  Spanien  und  Englaud  ge- 
storben. Darnach  dürfte  er  wohl  noch  eine  zweite  Reise  nach  England 
unternommen  haben. 

Des  zweiten  Studenten  konnte  sich  Hus  während  des  Verhöres 
in  Constanz  nicht  mehr  entsinnen.  Wir  würden  seinen  Namen  nicht 
kennen,  wäre  nicht  die  oben  erwähnte  Marginalnote  vorhanden.  Im 
Jahre  1408  weilte  Georg  von  Kniehnicz  wieder  in  Prag,  woselbst  er 
an  der  Universität  als  Lehrer  fungirte.  In  der  Geschichte  der  husiti- 
schen  Bewegung  hat  er  weiterhin  keine  Rolle  mehr  gespielt.  Aus 
seinem  Genossen  Nicolaus  haben  spätere  Chronisten  in  offenbarer 
Verwechslung  seines  Namens  mit  jenem  des  Hieronymus  von  Prag, 
einen  Hieronymus  Faulfisch  gemacht  und  behauptet,  dass  dieser  die 
ersten  Schriften  Wiclif s  nach  Pra<r  überbracht  habe. 


')  Vgl.  meine  Ausgabe  von  Wiclifs  De  Ecclesia  p.  47  und  Einleitung 
p.  XVII.  '^)  Johannis  Wyclirte,  Tractatus  De  Civili  Dominio  p.  XI.  s)  Vgl.  hier- 
über meinen  Hus  und  Wiclif  S.  80  und  Lechler,  Johann  von  Wiclif  2,  71. 
*)  Documenta  magistri  Job.   üus  729  (in  lat.   Uebersetzung).  ")  Doc.  p.  313. 

17* 


260  L  0  s  e  r  t  h. 

Von  grossem  Interesse  ist  ein  Brief,  den  ein  Engländer  im  Jahre 
1410  von  London  aus  an  Hus  gerichtet  hat  und  in  welchem  er  die 
Verfolgungen,  denen  die  Bekenuer  der  Wahrheit  seitens  des  Wider- 
christes  (des  Papstes)  ausgesetzt  seien,  lebhaft  beklagt  und  ihnen  Trost 
zuspricht.  Hus,  der  ihm  zwar  persönlich,  nicht  aber  in  Bezug  auf 
Glaube  und  Liebe,  die  kein  Zwischenraum  zu  trennen  vermag,  unbe- 
kannt sei,  möge  nur  fortfahren  in  der  Grnade,  die  ihm  gegeben  sei, 
und  ohne  Furcht  vor  den  Blitzstrahlen  des  Antichrists  gegen  diejenigen, 
welche  die  evangelische  Wahrheit  verkünden.  Er  freut  sich  über  die 
Standhaftigkeit  der  Böhmen,  die  für  Christi  Wort  Kerker,  Verbannung 
und  selbst  den  Tod  gern  ertragen.  Mit  einem  Gruss  an  Hus  und 
dessen  Helfer  Jacobeil  schliesst  das  Schreiben:  Es  grüssen  Euch  alle 
Freunde,  die  von  Eurer  Standhaftigkeit  vernommen  haben.  Ich 
wünschte  eine  Autwort  von  Euch  zu  hören,  denn  Ihr  möget  wissen, 
dass  uns  diese  nicht  wenig  zum  Tröste  gereichen  würde. 

Der  Schreiber  dieses  Briefes  wird  in  den  Handschriften  verschie- 
den genannt.  In  einigen  wird  nur  sein  Vornahme  ßichardus  angegeben ; 
im  Codex  bibl.  universaUs  Prag.  III  G.  11  lautet  die  üebersclirift :  Gesta 
cum  EichardoWycz  presbytero  in  Anglia.  Der  Codex  X  H.  12  nennt 
ilm  fälschlich  Richardus  Wigleph,  infimus  sacerdotum  i).  Hus  nennt 
ihn  in  seinem  Antwortschreiben  den  Mitarbeiter  des  Magisters  Johannes 
•Wiclif  in  der  Verkündigung  des  Evangeliums  (magistri  Johannis  Wy- 
kleff  consocius  in  evangelio).  Ist  dies  der  Fall,  so  muss  dieser 
Wiclifit  schon  ein  älterer  Mann  gewesen  sein,  da  ja  Wiclif  schon  seit 
26  Jahren  todt  war;  dann  hätten  wir  wahrscheinlich  in  Richardus 
Wycz  —  Richardus  Wyche  zu  sehen,  einen  Priester  der  Diöcese  Her- 
ford, der  in  seineu  letzten  Lebensjahren  seines  Glaubens  wegen  viel 
erduldet  hat.  Wir  kennen  von  ihm  einen  doppelten  Widerruf  (Shirley, 
Fasciculi  zizanniorum  S.  370,  500)  und  erfahren  daraus,  dass  er  vor- 
nehmlich gegen  die  Bilderverehraug,  gegen  die  Excommunicationen 
seitens  der  Päpste,  gegen  die  Leistungen  von  Geldern  an  die  Geist- 
lichkeit, gegen  die  geistlichen  Orden  und  für  die  unbedingte  Gleichheit 
aller  Priester  eingetreten  ist.  Richard  Wyche  wurde  1431  als  rück- 
fälliger Ketzer  verurtheilt  und  (wahrscheinlich  1431)  verbrannt^). 

Der  Brief  dieses  Richardus  Wycz  ist  auch  sonst  noch  interessant, 
denn  schon  aus  den  einleitenden  Worten  lässt    sich   erkennen  3),    dass 

')  Also  nicht  infirmus  sacerdotum,  wie  Höfler,  Geschichtschr.  d.  hus.  Be- 
wegung 2,  212,  liest.  ■)  Vgl.  Lechler,  Johann  von  Wiclif  2,  351.  ^j  Gavisus 
sum  valde  venientibus  mihi  diiectissimis  fratribus  et  testimonium 
perhibeutibus  veritati  vestre,  quomodo  et  vos  in  veritate  ambulatis.  Ich  füge 
hier    einige  textliche  Correcturen  des  vorletzten  Satze«   an:    l'Uerius    dilectissimi 


Ueber  die  Beziehungen  zwischen  englischen  u.  böhmischen  Wiclifiteu.      2i)  1 

der  Verkehr  zwisclien  den  Wiclifiteu  beider  Länder  ein  reger  gewesen. 
Dem  Wunsch  des  Engländers  nach  einer  Antwort  entsprach  Hus  sehr 
gern.  Er  erzählt  ihm,  dass  er  über  dieses  Schreiben  in  einer  Predigt 
vor  10000  Menschen  gesprochen  habe.  Der  Brief  hat  ihm  eine  ausser- 
ordentliche Stärkung  geboten.  Und  wenn  ich,  sagte  er  seiner  Gemeinde, 
keine  andere  Schrift  hätte  als  diese :  ich  würde  für  Christi  Evangelium 
gern  mein  Leben  opfern.  ,  So  sehr  aber  erbauten  sich  die  Gläubigen 
au  diesem  Briefe,  dass  sie  mich  baten,  ich  möchte  ihn  ins  böhmische 
übersetzen.  Die  Uebersetzung  findet  sich  auch  noch  in  Handschriften 
(Cod.  univ.  Prag.  IIL  G.  16)  vor.  Mit  einem  Grusse  der  böhmischen 
Kirche  an  die  englische  schliesst  das  Antwortschreiben  ^). 

Jeue  „sehr  geliebten  Brüder",  die  dem  Lollarden  Kichard  die 
tröstliche  Kunde  von  der  Standhaftigkeit  des  Hus  überbrachten  — 
also  wohl  böhmische  Wiclifiteu,  dürften  wohl  dieselben  gewesen  sein, 
die  im  Jahre  1410  eine  Eeihe  von  Flugschriften  aus  England  nach 
Prag  überbrachten:  die  Nova  Scocie,  wie  ihr  Titel  lautete.  Sie  sind 
im  Cod.  univ.  Prag.  X.  E.  24  enthalten  und  finden  sich  auch  sonst 
noch  in  Handschriften  vor:  Es  ist,  heisst  es  daselbst,  ein  Eitter,  Na- 
mens Quintinus  Folkhyrde  (Volkshirte),  der  in  der  Sache  Gottes  mit 
bewafiiieter  Hand  sich  erhebt,  durch  alle  Länder  reitet  und  in  der 
Sprache  des  Volkes  öffentlich  das,  was  nun  folgt,  verkündet  und  die 
einzelnen  Stücke  (in  data  et  divisa  per  cedulas)  auf  Zetteln  einem 
jedem  austheilt,  der  die  Hand  darnach  ausstreckt  2).  Der  erste 
dieser  Zettel  handelt  ganz  im  Wiclif  sehen  Sinne  (meist  in  wörtlicher 
üebereinstimmung)  von  der  Kirche  und  ihrer  Gliederung.  Die  dritte 
Abtheiluncf  in  der  Kirche  bilden  die  Priester;  diese  leben  nicht  arm 
wie  die  Apostel,  sondern  in  Ausschweifungen  jeglicher  Art  und  be- 
trügen die  Armen,  denen  sie  das  Evangelium  versagen.  Diesen  Uebel- 
ständen   will  Quintinus  Volkshirt    ein   Ende    machen  3)     Gegen    dieses 


nescio    quid  vobis  scribam  sed  fateor,  quod  cor  raeum  effundere  cuperem 

rogans  quod  pro  me  ad  Dominum  interpellet  in  uuiversali  ecclesia  Jesu  Christi. 
Et  Deus  pacis,  qui  eduxit  de  moi"tuis  pastorom  ovium  .  .  . 

')  Salutat   ecclesia  Christi    de  Boemia    ecclesiam  Christi  in  Anglia,    optans 
esse  particeps  ....  ^)  Diese  Flugschriften  sollen,  wie  ich  eben  erfuhr,  nun- 

mehr auch  gedruckt  werden.  Ich  habe  von  ihnen  schon  vor  14  Jahren  Abschrift 
genommen.  Cod.  univ.  Prag.  X.  E.  24:  fol.  391^' :  Hec  sunt  nova  Scocie  anno  1410 
Pragam  portata.  Est  quidam  armiger,  nomine  Quintinus  Folkhyrde,  id  est,  pastor 
popuh ;  qui  insurgit  in  causa  Dei  manu  forti,  equitando  per  patrias  et  palam  pu- 
blicando  in  matema  lingua  ista  que  secuntur  in  data  et  divisa  per  cedulas  cui- 
cunque    manus    exteudeuti.  ^)    Ideo    ego    Quintinus   Folkhyrde,    servus    Dei 

pauperrimus  iji  defectu  .  .  .  temporalium  dominorum  et  pro  timore,  quem  habeo 


262 


L  0  s  e  r  t  h. 


Ausschreiben  des  Quintinus  erhebt   sich  die  Geistlichkeit  uud  regt  die 
weltlichen  Herren,  sowie  auch  die  höhere  Geistlichkeit  gegen  ihn  auf, 
die  nun   treuloser  Weise   mit  Censuren   wider   ihn   einschreiten  i).     In 
Folo-e    dessen   richtet  Quintinus    in  seinem   zweiten  , Zettel"    eine  Zu- 
schrift au  den  Bischof  von  Glasgow  ^)  und  den  gesammten  Clerus  von 
Schottland    mit    der  Aufforderung,    den    durch    den    Mund    seines  Ab- 
gesandten Quintinus  an  sie  gerichteten  Geboten  Gottes    zu    gehorchen 
und  die  früher  begangenen  Irrthümer  zu  meiden.    Sie  mögen  so  leben, 
dass  alle  Laien  ihre  Besserung  sehen.     Der    dritte  , Zettel"  ist  an  die 
weltlichen  Herreu  gerichtet  3);  er  berichtet  von  dem  zügellosen  Leben 
des  in  weltlichen  Geschäften  versunkenen  Clerus  und  mahnt  die  Laien, 
diesem  Unwesen  zu  steuern.   In  dem  letzten  „Zettel"  an  seinen  Curaten, 
an  alle  und  jeden   einzelnen,    mahnt  er,    alle  Eitelkeiten  der  Welt  zu 
lassen    und    sich    einzig    und  allein  mit  dem  göttlichen  Gesetz  zu  be- 
schäftigen :  „  Du  sollst  nicht  nur  das  Pater  noster  und  Credo  und  alle 
Gebote  Gottes  Deine   Pfarrkinder    in    der   Muttersprache   lehren,    son- 
dern auch  zu  passenden  Zeiten,  d.  i.  an  den  Sonntagen,  das  Evangelium 
uud   die  Episteln   predigen"  u.  s.  w.^).     Der    Curat   möge    nach    dem 
Befehl   des  Apostels   mit  Kleidung   und  Nahrung    zufrieden    sein    und 
des  Lebens  Ueberfluss  wohl  anwenden,  namentlich  sich  „  die  Bücher  des 
hl.  Gesetzes"  kaufen  und  den  Kest  für  die  Armen  verwenden.    Wenn 
Du  aber  nicht  gehorchst,  so  gedenken  wir  einen  weit  heftigeren  Kampf 
gegen  dich  zu  beginnen  als  selbst  gegen  die  Juden  oder  Saracenen^). 
Es  wird  uns  leider  nirgends  berichtet,  ob  man  in  Böhmen  an  die 
Existenz  dieses  Abgesandten  Gottes,  der  da  kommen  soll,  um  die  vor- 
weltliche Kirche  zu  bessern,  geglaubt  hat.    Sicher  ist,  dass  man  durch 
solche    Schriften    das  Volk    in    die    grösste  Aufregung   versetzte.     Auf 
den  intelligenten  Theil  der  Wiclifiten    rausste    aber  jenes  Schriftstück 


eterne  dampnacionis,  que  poterit  mihi  evenire,  nisi  iaciam  ad  emendaciouem  ho- 
rura  raalorum  palam  movere  diviuam  guerram  contra  istos  dominos  .... 

1)  Cum  autem  hec  ad  aures  cleri  pervenirent,  graviter  ea  ferebant  et  cum 
maxima  indignacione.  Primo  movebant  dominos  temporales  sibi  faventes  in  dicti 
Quirini  finalem  destruccionem  et  secundo  contra  ipsum  infideliter  processerunt 
ccusuris  suis  indiscretis  ...  *)  Es  wird  wohl  statt  Glatonensi  der  Handschrift 
Glascuensi  lauten   müssen.  ^)  Es   heisst   daselbst   quod   sacerdos   quilibet  in 

sacerdotali  ordine  constitutus,  ubicunque  fuerit  repertus,  noscatur  a  vobis  contineri 
extra  limites  legis  Dei.  Qui  (sc.  clerus)  quoad  mundum  (cod.  mundi)  pompalis, 
dives  in  corpore,  apparatur  indumentis  et  penulis  preciosis,  cultellis  et  cingulis 
perornatis  ...  ■»)  Quod  studeas  solum  in  lege  divina,  nee  non  Paternoster  et 
Credo  omniaque  Dei  mandata  in  materua  lingua  tuos  vere  doceas  parrochianos  .  .  . 
-)  In  omnium  (scliliesst,  der  Zettel)  iatorum  testimonium  hiis  literis  sigillum  est 
appensum ;  et  sie  est  tinis  epistolarum  Quintini  armigeri  Scocie  fidelis  Amen. 


üebev  die  Beziehungen  zwischen  englischen  u.  höhmischen  Wiclifiten.      2^3 

eine  grosse  Wirkung  erzielen,  welches  kein  geringerer  als  der  Wort- 
führer der  Wiclifiten  in  England  an  seine  Gesinnungsgenossen  in 
Böhmen  gerichtet  hat.  Das  ist  der  Brief  Sir  John  Oldcastle's,  Lord 
Cobham's  an  Wok  von  Waldstein  beziehungsweise  Zdislaw  von  Zwier- 
zeticz,  Sir  John  war  unter  den  vornehmen  Gönnern  des  Lollarden- 
thums  weitaus  der  bedeutendste  i).  Er  residierte  in  Cowling  (jetzt 
Covling)  in  Kent,  vou  wo  auch  der  Brief  datirt  ist.  Trotzdem  Hein- 
rich IV.  ein  ausgesprochener  Gegner  der  Lollarden  war,  stand  Sir 
John  in  hoher  Gunst  bei  ihm  und  wurde  gelegentlich  zu  ehrenvollen 
Missionen  verwendet.  Der  Freundschaft  des  Königs  hatte  er  es  zu 
danken  2),  dass  er  von  der  obersten  kirchlichen  Behörde  in  England 
lange  Zeit  unbehelligt  blieb.  Das  grösste  Aergerniss  gab  er,  wie 
Walsiugham  (II,  291)  erzählt,  dadurch,  dass  er  in  den  Diöcesen  Lon- 
don, Rochester  und  Herford  Lollarden  aussandte,  ihren  Predigten  bei- 
wohnte, die  Leute,  die  hiegegen  Widerspruch  erhoben,  zur  Ruhe  wies 
und  von  den  gegen  die  Lollarden  erlassenen  Beschlüssen  der  Provincial- 
synode  sagte,  der  Erzbischof  von  Canterbury  und  seine  Suffragane 
hätten  nicht  das  Recht  besessen,  solche  Beschlüsse  zu  fassen.  Ein 
echter  Wiclifit,  theilte  er  weder  in  Bezug  auf  die  Sakramente  des 
Altars  und  der  Busse  (d.  h.  er  war  ein  Gegner  der  Ohrenbeicht),  noch 
auch  in  Betreff  der  Wallfahrten,  Bilderverehrung  und  der  obersten 
Schlüsselgewalt  den  Glauben  der  römischen  Kirche  ^).  Die  Prozesse 
gegen  ihn  begannen  1410,  in  demselben  Jahre  also,  von  welchem  das 
unten  folgende  Schreiben  Sir  John's  datirt  ist.  Es  ist  an  den  „edlen 
Herrn  Woksa"  gerichtet.  Für  den  Fall,  als  dieser  abwesend  wäre,  soll 
es  an  den  Herrn  Zdislaw  von  Zwierzeticz  überleben  Averden. 

Wok  von  Waldstein  tritt  bei  allen  bedeutsamen  Aktionen  der 
husitischen  Partei  in  Prag  in  erster  Linie  hervor'*).  Am  meisten 
verübelten  ihm  die  Katholiken  die  Verunehrung  der  päpstlichen  Bullen 
—  gemeint  sind  die  Ablassbullen,  welche  1412  in  Prag  verkündet 
wurden  und  die  Wok  an  der  Spitze  eines  mächtigen  Volkshaufens  und 
in    unwürdigem  Aufzuge  durch  die  Strassen  von  Prag  herumschleppte 


')  Die  biographisclien  Daten  über  den  Lord  Cobham  s.  in  Lechler,  Johann 
von  Wiclif  2,  80 — 94.  ^)  Regi   propter   probitatem   carus   et   acceptus  sagt 

Walsingham  II,  291,  der  von  seinem  Standpunkte  aus  hinzufügt:  sed  tarnen 
propter  hereticam  pravitatem  valde  suspectus.  ^)  Idera  Johannes  fuit  et  est 

principalis  receptor  et  fautor,  protector  et  defensor  Lollardorum  et  quod  preser- 
tim  in  diocesibus  Londonienis,  Roffensi  et  Herfordensi  ipsos  LoUardos  ab  ordi- 
nariis  sive  dioecesanis  locorum  minime  licenciatos  contra  constitutionem  provin- 
cialem  inde  lactam  ad  predicandum  transmisit,  eorumque  predicacionibus  uefariis 
jnterfuit  .  .  f.  c.  ^)  Documenta  niagistri  Joh.  Hua  430. 


264 


L  0  p  e  r  t  h. 


imd  eudlicli  auf  öft'eutlichem  Platze  verbrannte  ^).  Unter  den  Klagen, 
die  auf  dem  Concil  gegen  den  König  Wenzel  erhoben  wurden,  spielt  die 
betreffend  den  Schutz,  den  er  dem  Wok  trotz  alledem  angedeihen 
Hess,  eine  wichtige  Rolle-).  Selbstverständlich  gehörte  Wok  auch  zu 
jenen  Mitgliedern  des  böhmischen  Adels,  die  gegen  das  Vorgehen  wider 
Hus  ihre  Stimmen  erhoben  und  sich  zur  Aufrechthaltung  der  Freiheit 
des  evangelischen  Wortes  verbündeten  ^). 

Noch  bedeutender  als  Wok  tritt  Zdislaw  von  Zwiei-^eticz  in  den 
einzelnen  Phasen  der  husitischen  Bewegung  hervor.  Wie  Wok  gehörte 
auch  Zdislaw  einem  der  edelsten  Adelsgeschlechter  in  Böhmen  —  dem 
Hause  Wartenberg  an.  1410  zum  Baccalaureusexamen  zugelassen,  gab 
ihm  kein  geringerer  als  Hus  selbst  die  ,Recommendatio'  mit  auf  den 
Weg  ^) ;  1410  wurde  er  Magister.  Am  18.  Juli  wurde  er,  weil  er  gegen 
die  Verbrennung  der  Bücher  Wiclif's  eine  Appellation  eingelegt  hatte, 
excommunicii-t  ^),  und  am  6.  August  hielt  er  im  Carolinum  zu  Prag  seine 
Vertheidigungsrede  von  Wiclif  s  Traktat  De  üniversalibus  und  stand  auch 
bei  dem  obenerwähnten  Protest  und  Bündnisse  auf  Seiten  seiner  Partei. 

Berücksichtigt  man  das  Datum  des  Briefes  von  Sir  John  Oldcastle, 
•so  ist  es  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  die  Nachricht  von  den  Vor- 
o-ängen  in  Prag  in  den  Tagen  vom  27.  Juli  bis  zum  6.  August  durch  einige 
eifrige  Wiclifiten  nach  Euglaud  gebracht  wurde  und  der  Brief  Sir 
John's  den  Dank  der  englischen  Wiclifiten  für  das  muthige  Vorgehen 
jener  in  Prag  enthält.  In  diesem  Schreiben  findet  sich  im  üebrigen 
noch  kein  Hinweis  auf  Verfolgungen,  denen  die  Lollarden  in  England 
ausgesetzt  sind ;  der  Gedanke  freilich  an  den  Tod,  den  unter  Umstän- 
den ein  Jeder  für  das  freie  Bekenntnis  der  Wahrheit  erdulden  müsse, 
tritt  mehrfach  hervor.  Es  ist  demnach  der  Wortführer  der  englischen 
AViclifiten,  den  wir  in  näheren  Beziehungen  zu  den  Hauptbanner- 
trägern des  Wiclifismus  in  Böhmen  finden.  Sir  John  starb  sieben 
Jahre  später  als  Opfer  seiner  religiösen  Ueberzeugung : 

Oldcastle  died  a  martyr 
sagt  Shakespeare  von  ihm.     Sein  Tod   war   ein  Schlag    für    den    eng- 
lischen Wiclifismus,    den    dieser  nimmermehr  zu  verwinden  im  Stande 
war  und  der  gerade  in  jenen  Tagen  erfolgte,  da  der  böhmische  Wiclifis- 
mus zu  seiner  herrschenden  Stellung  gelangt  war. 

Wie  sehr  man  in  der  Zeit,  als  Oldcastle's  Schreiben  nach  Böhmen 
gelangt  war,  daselbst  England  und  die  Engländer  schätzte,  sieht  man  aus 


»)  Ib.  640,  *)  Et  eundem  Voxam  hodie  in  curia  sua  tenet   pro   dilecto 

suo  familiari  nee  de  hoc  fecit  aliqnam  vindictam  usque  hodiernum  diem. 
s)  Ib.  580,  584,  591.  Vgl.  auch  Gewchichichtschr.  der  hus.  Bewegung  2,  256,  259. 
*)  Ib.  2,  06.  *)  Docum.  397,  400,  734. 


Ueber  die  Beziehnngen  zwischen  englischen  n.  böhmischen  Wiciifiten.      265 

der  feierlichen  Aufnahme,  die  im  September  1411  der  englische  Ge- 
sandte Härtung  von  Clux,  der  dem  Könige  Sigismund  das  Anerbieten 
zu  einem  festen  Allianzvertrage  überbrachte,  gefunden  hat.  In  Har- 
tung's  Begleitung  befand  sich  John  Stokes,  Liceutiat  der  Kechte  an 
der  Universität  Cambridge.  Als  man  in  Prag  erfuhr,  dass  einige 
„  Magister  oder  Doctoren  aus  dem  Königreiche  England "  angekommen 
seien,  sandten  die  Prager  Magister,  Baccalaren  und  Studenten  eine 
Deputation  in  ihr  Absteigequartier,  um  sie  zu  begrüssen  und  ihnen 
ein  Gastmahl  anzubieten.  Es  dürfte  wohl  kaum  einem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  man  in  diesem  Magister  Stokes  einen  Gesinnungsgenossen 
Sir  John's  und  seiner  Anhänger  vermuthete,  denn  man  unterhielt  die 
Fremden  sogleich  mit  einigen  den  Wiclifismus  betreffenden  Fragen. 
Die  böhmische  Deputation  war  aber  damit  durchaus  an  den  unrechten 
Mann  gekommen,  denn  Stokes  Hess  sich  bekanntermassen  zu  der 
scharfen  Aeusserung  hinreissen,  dass  ein  Jeder,  der  in  Wiclif 's  Schriften 
studiere,  früher  oder  später  der  Ketzerei  anheimfallen  müsse  ^). 

Als  mit  Oldcastle's  Tode  die  schlimmsten  Zeiten  über  den  eng- 
lischen Wiclifismus  hereinbrachen,  hätte  man  erwarten  dürfen,  dass 
nunmehr  zahlreiche  Wiciifiten  aus  England  eine  Zufluchtstätte  in 
Böhmen  suchen  würden.  Man  hört  aber  doch  nur  von  sehr  wenigen, 
die  sich  dahin  gewendet  haben  -).  Am  bekanntesten  unter  allen  ist 
Peter  Payne  geworden,  der  Hauptbegründer  des  Taboritenthums,  der 
vom  ersten  Augenblicke  seines  Eintritts  in  Böhmen  bis  zu  seinem 
Tode  im  Jahre  1455  eine  hervorragende  Eolle  daselbst  gespielt  hat. 
Er  ist  Zeit  seines  Lebens  der  Überzeugungstreueste  Wiclifit  geblieben 
und  hat  das  Andenken  seines  Meisters,  das  in  Böhmen  heftigen  An- 
feindungen der  gemässigten  Partei,  namentlich  des  Magisters  Pfibram 
ausgesetzt  war,  lebhaft  und  thatkräftig  vertheidigt. 

Doch  nicht  bloss  die  Schriften  Wiclif's  und  seiner  Schüler  fanden 
in  Böhmen  Eingang,  auch  die  seiner  englischen  Gegner  wurden  da- 
selbst verbreitet.     Zu  den  bedeutenderen  Gegnern  Wiclif's  in  England 


1)  S.  hierüber  Doc.  mag.  Joh.  Hus  447  und  Hus ,  üpp.  tom.  l ,  108». 
2)  In  der  Uebersetzung  czechischer  Chroniken  von  J.  Jungniann,  die  Höfler  im 
III.  Bd.  der  Geschichtschreiber  der  hus.  Bewegung  veröffentlicht  hat,  wird  zum 
Jahre  1415  ein  Magister  Nicolaus  Englisch  genannt,  der  in  Prag  am  Graben  bei 
der  schwarzen  Rose  gewohnt  hat.  Ob  man  etwa  in  diesem  Engliscli  einen  Eng- 
länder zu  sehen  hat,  der  wie  Peter  Payne  (auch  diesen  pflegte  man  meistens 
Peter  Englisch  zu  nennen)  seine  Schritte  in  das  gelobte  Land  des  Wiclifismus 
gelenkt  hat,  muss  dahin  gestellt  bleiben.  Uebrigens  scheint  auch  die  Ueber- 
setzung  nicht  richtig  zu  sein;  vgl.  den  Urtext  in  den  SS.  rer.  Boh.  III,  472. 
Dort  werden  angeführt:  Meister  Peter,  Meister  Nicolnus,  Englisch  und  Nicolans 
Lorisses. 


Oßß  L  0  s  e  r  t  h. 

gehörte  William  Wodeford,  der  seit  1B81  literarisch  gegen  Wiclif  auf- 
trat. Vou  seinen  Arbeiten  kannte  man  in  Böhmen  die  Schrift  gegen 
die  18  Artikel  Wiclif  s  (Cod.  univ.  Prag.  IV.  G.  14),  die  1399  er- 
schienen ist  1).  Höher  als  Wodeford  ist  Thomas  Netter  von  Waiden 
zu  stellen,  dessen  Hauptwerk  Doctrinide  antiquitatum  fidei  ecclesiae 
catholicae  nach  1417  geschrieben  und  gleichfalls  in  Böhmen  Verbrei- 
tung gefunden  haben  dürfte.  Einer  der  bekanntesten  Gegner  des 
Husitenthunis ,  der  schon  zu  Lebzeiten  des  Hus  in  Böhmen  seilest 
eine  hervorragende  Rolle  gespielt  hat,  Johannes  Hoffmann  von  Schweid- 
uitz,  seit  1427  Bischof  von  Meissen,  besass  die  Werke  Netters  und 
vermachte  sie  dem  Marienstifte  in  Leipzig  2). 


')  Vgl.    die  Characteristik    dieser   Schrift   bei    Lechler,   Johann   von  Wiclif 
2,  49—55.  2)  Pfotenhauer,  Schlesier  als  Rectoren  der  Universität  Leipzig,  im 

17.  Bande  der  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Alterthum  Schlesiens  S.  189. 


Beilage. 

I. 

Sir  John  Oldcastle,  Lord  Cohham  mahnt  seine  böhmischen  Gesinnungsgenossen 
Woksa  von  Wcddstein  heztv.  Zdislaw  von  Zivierzeticz  zur  Festhaltung  der  erangelischen 
Wahrheit. 

Schloss  Covling  8.  September  Uli). 

(E  cod.  bibl.  univ.  Prag.  XIII.  F.  21  Fol.  ]46=ii'). 

Nobili  Wokse,  in  absencia  autem  sui,  domino  Zdyslao  de  Zwerzeticz, 
michi  fi-atribus  in  Christo  predilectis,  viarum  Domini  cognicionem  ipsarumque 
cardinalem  dileccionem  et  salutem.  Gracias  ago  Deo  meo  qui  ut  audivi")  per 
vex'itatis  quosdam  araatores  cor  vestrum  animavit  ad  zelandum  et  certandum  pro 
iusticia  legis  Dei,  utinam  secundum  Sapientis  sentenciam  sit  usque  ad  mortem ; 
nara  ut  ait  Salvator:  Qui  perseveraverit  in  veritate  usque  in  finem,  hie 
salvus  erit.  Eya  frater  karissime,  multum  de  te  congaudeo,  et  ultra  quam 
scribere  sufficio,  condelectatur  in  te  anima  mea  pro  eo  quod  pompaAnti- 
christiorum  non  te  terret,  sed  quod  fiducia  verbum  Dei  et  eins  veraces 
provulgatores  proraoves^)  iuxta  posse.  Jam  enim  ut  luculenter  cei-nere 
possumus,  lex  Domini  fuerat  immaculata,  nimis  diu  per  antichristivos 
presbyteros  suffocata  et  ab  ipsis,  quibus  Christus  commiserat  gladium  ob 
defensionem  sue  legis,  nimis  vecorditer  parvipensa.  Ad  quod  nimis  parum 
attendunt  reges  et  domini  temporales,  et  ideo,  ut  dicit  Isidorus,  reddent 
Domino  racionem,  a  quo  acceperunt  ecclesiam  potestative  contuendam. 
0  quantum  timere  possumus  nos    miseri,    qui  vires  nostras  et  afectus  (?) 


»)  Cod. :  audivit.  ^)  Cod. :  promovens. 


Ueber  die  Beziehungen  zwischen  englischen  u.  böhmischen  Wiclifiten.      2(i7 

tociens  in  peccatis  carnalibus  et  causis  mundialibus  expendimus,  sed  in 
causa  Domini  nos  in  quoquam  exponere  inhumaniter  i'esilimus.  Recor- 
demur  idcirco  Malachie,  Finees,  Jude  Machabei  et  aliorum  zelum  Dei 
habencium,  qui  in  scripturis  divinis  meruerunt  a  Deo  commendari,  ut 
ipsorum  zelus  et  opei'a  relinquuntur  postei'is  in  exempla.  Simus  ipsorum 
imitatores  mercedem  cum  ipsis  finaliter  recepturi.  Quid  igitur  nos  moveret 
propter  vanum  nomen  hujus  seculi,  quod  transit  velut  umbra  vel  lucrum 
temporalium  caducorum*),  tarn  audacter  nos  ponere  sed  in  causa  Christi 
post  tot  accepta  beneficia  propter  statuam  fictam  territicam  nimis  stolide 
formidare?  Gerte  nisi  quod  antichristivus  timor,  superbia  et  temporalium 
affluencia  nos  nimium  excecarunt.  Pensemus  igitui',  tu  et  ego  et  ceteri 
nobis  consimiles,  quod  non  solum  sufficit  corde  credere  ad  iusticiam  nisi 
eciam  ore  coniiteamur  dominum  Jesum  Christum.  Nam  meritum  et  penam 
ipsemet  in  evangelio  nobis  protert,  meritum,  ubi  dicit:  Qui  me  confessus 
tuerit  coram  hominibus,  confitebor  et  ego  eum  coram  patre  meo.  Et 
econtrario  penam,  ubi  dicit:  Qui  me  negaverit  vel  erubuerit  coram  homi- 
nibus, hunc  ego  negabo  et  erubescam  in  conspectu  patris  mei  et  sanctorum 
angelorum. 

Diligamus  ideo  dominum  Jesum  Christum,  ipsum  corde  et  opere  hu- 
militer  confitendo,  et  quoscunque  impedientes  cursum  liberum  sue  legis 
nullatenus  defendamus,  quia  quicunque  impedierit  verbum  Dei,  ne  litere 
ecclesie  sue  proliciat,  est  sicut  indubie  Antichristus,  cum  Christus  auctor 
salutis  propter  promulgacionem '')  sue  legis  penas  crudelissimas  subiit  at- 
que  mortem;  nee  excommunicaciones  hominum  ficte  a  bonis  operibus  nos 
terreant,  quia  per  Isaiam  prophetam  dicit  Dominus:  Quis  tu,  ut  timeas 
ab  homine  mortali  et  a  filio  hominis  qui  quasi  fenum  ita  arescet  et  ob- 
litus  es  domini  Dei  tui?  Et  ut  testatur  Crisostomus  <>)  pro  certo:  Proditor 
veritatis  est  non  solum  ille  qui  transgrediendo  veritatem  palam  pro  veri- 
tate  loquitur  mendacium,  sed  eciam  ille  qui  non  libere  pronunciat  veritatem, 
quam  libere  pronunciare  oportet,  aut  non  libere  defendit  veritatem  quam 
libere  convenit  defendere.  Nam  sicut  sacerdos  est  debitor,  ut  veritatem, 
quam  audivit  a  Deo,  libere  predicet,  et  nullo  modo  neque  propter  timorem 
neque  propter  amorem  obmittere^),  cum  valde  grave  sit  veritatem,  quam 
audivit  a  sacerdotibus  probatam  in  scripturis,  defendat*^)  fiducialiter.  Quod 
si  non  fecerit,  prodit  veritatem.  Ecce  karissimi:  Hec  et  hiis  similia  me 
movent;  moveant  et  te  et  tui  consimiles,  ut  simul  omnes  stemus  viriliter 
cum  veritate ;  et  si  finaliter  perstiterimus,  a  renunciacione  condigna  nos 
non  fi'audabit  dominus  veritatis ;  et  quia  si  dominus  dedignabitur  nos 
adiuvare,  ut  speramus,  non  intendamus  recedere  ab  hac  veritate  usque  ad 
mortem.  Ideo  sigillum  annorum  nostrorum,  quod  nunquam  apponimus 
ad  litteram  que  deberet  in  posterum  cessari,  decrevi  hanc  litteram  eodem 
sigillare. 

Datum f)  in  nostro  castello  de  Culi ng  in  die  Nativitatis  sancte 
Marie  anno  Domini  1410  per  Johannem  Oldecastellis,  summi  de 
Cobham. 


*)  Cod. :  caducarum.  ^)  Cod. :  provulgacionem.  c)  Cod. :  Crisotomus. 

d)  seil. :  debeat.  ^)  Cod. :  defendant.  ^  ^'od. :  Datje, 


9ß!^  L  0  s  e  V  t  h. 

n. 

Ein  zweites  Schreiben  Sir  John  Oldcastle's  —  es  ist  an  den  König 
Wenzel  von  Böhmen  gerichtet  und  gibt  der  Freude  über  dessen  Haltung 
den  , echten  Priestern'  gegenüber  lebhaften  Ausdruck  —  wTirde  jüngstens 
durch  den  Herrn  Diaconus  Joseph  Müller  in  Herrenhut  in  dem  Cod.  I.  61. 
der  dortigen  Universitätsbibliothek  aufgefunden  und  mir  durch  die  Ver- 
mittlung des  Heri-n  Prof.  J.  Goll  in  Prag  freundlichst  mitgetheilt.  Das 
Schreiben  bietet  ein  noch  bedeutenderes  Interesse  dar,  als  das  erste,  in- 
dem wir  hier  auch  die  beiden  Häupter  des  Wiclifismus  in  England  und 
Böhmen  in  brieflichem  Verkehre  treffen.  Es  wird  in  dem  Briefe  nämlich 
ausdrücklich  bemerkt,  dass  es  der  Magister  Hus  war,  der  Cobham  auf  die 
Haltung  Wenzels  der  husitischen  Richtung  gegenüber  aufmerksam  gemacht 
hat.  Sir  John  Oldcastle  dankt  dem  Könige  für  diese  Haltung  und  erhofft 
für  die  Zukunft  das  Beste.  Der  Brief  trägt  keine  Jahreszahl  in  der  Hand- 
schrift; er  dürfte,  wie  J.  Müller  in  einem  an  mich  gerichteten  Schreiben 
vermuthet,  in  das  Jahr  1413  zu  setzen  sein.  Vor  1411  kann  er  jeden- 
falls nicht  geschrieben  sein,  weil  König  Wenzel  in  der  Aufschrift  Marchio 
Moravie  genannt  wird:  seinem  ganzen  Inhalte  nach  muss  er  vor  1415 
geschrieben  sein.  Ist  diese  Abgrenzung  richtig,  dann  dürfte  sich  die  Notiz 
von  dem  Unkraut,  welches  König  Wenzel  von  dem  Weizen  gesondert  habe,  viel- 
leicht auf  die  Absetzung  und  Verbannung  des  Stanislaus  von  Znaim,  Peter 
von  Znaim,  Stephan  von  Palecz  und  der  anderen  Genossen  im  April  1413 
beziehen  (s.  Palacky,  Documenta  mag.  Johannis  Hus  5 1 0).  Demnach  müsste 
Cobham,  da  der  vorliegende  Brief  am  7.  September  in  London  geschrieben  ist, 
bereits  Anfang  September  von  seiner  Burg  Cowling  Castle  zurückgekehrt  sein. 
Cobham's  Brief  lautet  wie  folgt: 

Seretnssinio  ac  Illusfrissimo  priiicipi  ac  domino  domino  Wcnceslao  Romanonim 
et  Boemie  rexji,  Moravie  marchioni  et  priiicipi  Luzhtirgetisi. 

Salus  ab  eo,  qui  est,  et  qui  de  lapidibus  filius  Abrahe  potens  est 
suscitare  Ille,  inquam,  salutet,  corroboret,  confortet  et  custodiat  in  omni 
bono  per  infinita  seculorum  secuta.  Cum  fama  placens  animum  delectat 
et  cor  in  gaudium  ingens  provocat,  hinc  est,  serenissime  princeps,  quod 
fama  vestre  strenue  milicie  in  evangelio  Christi  michi  per  magistrum  Hus, 
iudicio  meo  Christi  sacerdotem,  nee  non  alios  litteratenus  intimata  animum 
meum  leticia  quamplurimum  cibavit  et  cor  in  gaudium  exiliens  ossa  nee 
non  membra  medulavit  et  me  quam-\as  minus  dignum  vestre  serenitati 
sci-ibere  adarmavit,  cum  amor  non  ociatur.  0  quam  suave,  quod  Wences- 
laus  Romanorum  et  Boemie  Rex  exemplum  et  speculum  primicieque 
ceterorum  regum  zyzaniam,  falsos  sacerdotes,  in  oreum  congregatam  saga- 
citer  et  studiose  a  tritico  segregavit  et  triticum,  veros  Christi  sacerdotes, 
in  statu  evangelice  pauperiatis  corrolioravit.  0  quam  delectabile  tarn 
excelsus  princeps  excelsus  miles  Christi  effectus  est.  0  quam  mirum  et 
inaudibile  sed  nimirum  laudabile  regem  modemis  temporibus  officium 
Status  sui  practisare,  nee  dubito,  quin  sentencia  Augustini  in  epistola  ad 
Bonifacium  docens  regale  officium  vos  adarmavit,  que  insinuat,  primo  regem 
debere  servire  Deo  suas  leges  legi  dei  regulando.  adversantes  Christi  legi 
destruendo  et  populum  ad  observanciam  mandatorum  Domini  compellendo, 
cum  sitis  vicarius  divinitatis;  et  si  sie  indubie  regnum  vestrmn,  magnifice 


lieber  die  Beziehungen  zwischen  englischen  u.  böhmischen  Wiclifiten.      269 

rex,  indivisum  stabit,  quoniam  iktii  clividitur,  nisi  per  transgressionem 
mandatorum  Domini,  nee  unitur,  nisi  per  ol)servanciani  eorundem,  et  sie 
misericordia  et  virtute  si  custodiemini  et  clemencia  roborabitur  tronus 
vester  et  per  consequens  dissipator  omnis  mali  efficiemini  in  destruendo 
falsos  fratres  nee  non  prelatos  et  intuitu  vestro  tamquam  rugitu  leonis 
terrentur.  0  utinam  Dens  daret  perseveranciam  graeie,  illustrissime  prin- 
ceps,  vestre  maiestati  nee  non  toti  vestre  evangelice  communitati,  baroni- 
bus  militibusque  doctrina  Chi'isti  nee  non  zelo  earitatis;  ad  servicium,  sine 
preiudicio  mei  legalis  domini,  emn  omnibus  amieis  meis  nee  non  michi 
in  via  veritatis  evangelice  adherentibus  me  oflfero  et  sum  presto,  quoniam 
non  paucos  animosius  ad  verbum  Dei  exemplo  vestro  provocastis.  0  utinam 
regibus  universis  Dominus  tale  cor  daret  aut  tantum  Danielem,  qui  sie 
soUicite  pro  lege  Dei  se  poneret,  in  cunctis  mundi  elimatibus  suseitaret 
et  vos  magis  ae  magis  in  legis  Domini  practica  stabiliret  et  post  vitam 
eternam  condonaret,  quod  patrare  dignetur,  cuius  regnum  nunquam  de- 
struetur. 

Scriptum  Londonie    septimo    die    Septembris    per    vestrum    humilem 
ser%atorem  Johannem  Öldecastellum  militem,  dominum  de  Cobham. 


Nachtracr. 


Die  Vermutbung,  dass  der  obengenannte  Eieliardus  Vitze  (Höfler, 
Gesehichtschreiber  der  husitisehen  Bewegung  II,  S.  212/13)  mit  dem 
Lollarden  Eiehard  Wyche,  der  1431  verbrannt  und  von  den  Wiclifiten  als 
Heiliger  verehrt  wurde,  identisch  sei,  hat  sich  aus  weiteren  Belegstellen, 
auf  die  ich  jüngstens  gekommen,  als  richtig  erwiesen.  In  einer  Hand- 
schrift der  Prager  Universitätsbibliothek  (XIII,  F.  2l)  heisst  es  nämlich: 
Vester  servus  cupiens  in  labore  fieri  socius  Ei"»  Wiche,  infimus  sacer- 
dotum.  Wicz,  das  letzte  Wort  soll  die  Erklärung  bieten,  wie  Wiche  aus- 
zusprechen sei.  Damit  erledigt  sieh  auch  der  Versuch,  den  Lechler  II,  352 
gemacht  hat,  den  Namen  zu  erklären.  Er  sagt :  der  Lollarde  heisse  (Docu- 
menta mag.  Joh.  Hus  S.  12)  Wiehewitze  und  die  beiden  letzten  Silben 
seien  tschechische  Zuthat,  wodurch  Patronymica  gebildet  werden. 

Einen  anderen  Beweis  für  die  Identität  beider  Namen  finde  ich  im 
Cod.  univ.  Prag.  III.  G.  11,  woselbst  sieh  (fol.  89'' — d9^)  die  (lesta  cum 
Eichardo  Wycz  presbytero  in  Anglia  verzeichnet  finden  —  ein  (undatirter) 
Bericht  über  eine  eben  überstandene  Verfolgung,  die  Wyehe  Seitens  der 
kirchlichen  Behöree  erduldet  hat  —  ein  Bericht,  der,  wie  man  sieht,  auch 
seinen  Weg  nach  Böhmen  gefunden  hat.  Diese  Gesta  sind,  seitdem  ich 
die  vorhergehenden  Zeilen  geschrieben,  nach  einer  von  mir  angefertigten 
Abschrift  durch  Herrn  F.  D.  Matthew  in  der  Zeitschrift  The  English 
Historical  Eeview  (July   1890  p.  530 — 544)  publicirt  worden. 


Aus  dem  Berichte  eines  Franzosen  über  den  Wiener 
Hof  in  den  Jaliren  1671  und  1672. 

Von 

A.    F.    Pribram. 

Einleitung. 

Gelegentlich  meiner  Nachforschungen  in  den  Pariser  Archiven 
und  Bibliotheken  für  eine  Geschichte  Leopold  L,  stiess  ich  in  der 
Bihliotheque  Nationale  auf  ein  Documeut  (Mss.  Fr.  8997.  Suppl.  4182), 
das  den  Bericht  eines  Franzosen  über  den  Wiener  Hof  in  den  Jahren 
1671  und  1672  enthielt.  Schon  die  erste  flüchtige  Durchsicht  liess 
mich  erkennen,  dass  dasselbe  des  Interessanten  genug  enthalte  und 
eine  wiederholte  Prüfung  hat  mich  in  dieser  Ansicht  bestärkt  und  mir 
es  zweckmässig  erscheinen  lassen,  dasselbe,  wenn  auch  iu  etwas  ge- 
kürzter Widergabe,  den  Fachgenossen  vorzulegen.  Wir  sind  bekannt- 
lich an  Schilderungen  des  Wiener  Hofes  in  jeuen  Tagen  nicht  reich. 
An  deutscheu  Memoiren  jener  Zeit  fehlt  es  ja  ganz  und  die  wenigen 
gleichzeitigen  Werke,  welche  uns  das  Hof  leben  Leopold  L  schilderu, 
reichen  zu  einer  genügenden  Kenntnis  durchaus  nicht  hin.  Noch 
immer  sind  wir  für  die  Darstellung  dieser  Verhältnisse  in  erster  Linie 
auf  die  Berichte  der  venetianischen  Gesandten  angewiesen,  deren  Zu- 
verlässigkeit heute  nicht  mehr  so  rückhaltslos  angeuommen  wird  als 
in  früheren  Zeiten  und  was  wir  sonst  an  Mittheilungen  zusammen- 
fassender Art  über  den  Kaiser  und  seine  Uuigebung  besitzen,  stammt 
mit  wenigen  Ausnahmen,  von  denen  gleich  zu  reden  sein  wird,  von 
uubediugten  Verehrern  des  Kaisers  und  der  österreichischen  Institutionen 
oder  von  entschiedeuen  Gegnern  derselben  her.  Die  Wahrheit  über 
Kaiser  Leopold  und  seine  Umgebung,  Avie  über  die  inneren  öster- 
reichischeu    Verhältnisse    wird    man    aber    ebensowenig    iu    Priorato's, 


Aus  d.  Berichte  eines  Franzosen  üb.  d.  Wiener  Hof  in  d.  J.  1671  u.  1672.       271 

Commazzi's  oder  Schenckels  Büchern  finden,  als  in  den  Memoiren  eines 
Herzogs  von  Grammont. 

Freilich  zu  einer  vollen  Einsicht  in  die  Kegierungsmaximen  des 
Kaisers  wird  in  erster  Linie  eine  genauere  Kenntnis  des  Briefwechsels 
Kaiser  Leopold  L  nothwendig  sein  i),  wie  denn  auch  eine  richtige 
Beurtheilung  der  Motive,  welche  die  einzelnen  massgebenden  Minister 
bei  ihren  Handlungen  bestimmt  haben,  nur  durch  eine  gründliche 
Benützung  des  umfangreichen  handschriftlichen  Materiales  möglich  sein 
wird.  Bis  dahin  aber  wird  jede  Schilderung  Kaiser  Leopold  1.  und 
seiner  Umgebung,  welche  sich  von  übertriebener  Lobpreisung  ebenso 
ferne  hält  als  von  unbedingter  Verwerfung  alles  dessen,  was  vom 
Kaiser  uud  von  seinen  Käthen  geschah,  als  eine  wünschenswerthe  Be- 
reicherung unserer  Kenntnisse  bezeichnet  werden  müssen.  Und  zu 
diesen  Schilderungen  gehört  auch  die  unseres  Franzosen,  der  den  Wiener 
Hof  zur  Zeit  besuchte,  da  Esaias  Pufendorf  sich  an  demselben  aufhielt, 
der,  wie  bekannt,  in  eineiü  umfassenden  Berichte  seinem  Herrscher 
Mittheilungen  über  den  Kaiser  und  über  seine  Umgebung  zukommen  liess. 
Der  Bericht  Pufendorfs,  unstreitig  eine  der  besten  Quellen  für  unsere 
Kenntnis  der  österreichischen  Verhältnisse  in  jener  Zeit,  dürfte  als 
Ganzes  genommen  grösseren  Wertli  besitzen  als  der  im  Nachfolgenden 
mitgetheilte,  vornehmlich  deshalb,  weil  der  erste  Theil  des  pufendorfi- 
schen  Berichtes  eine  überaus  gelungene  Darstellung  der  Verhandlungen 
Pufendorfs  und  der  Politik  des  Wiener  Cabinettes  überhaupt  enthält. 
Auch  hatte  Pufendorf  Gelegenheit  die  leitenden  Staatsmänner  wieder- 
holt in  politischen  Fragen  zu  sprechen  und  konnte  sich  daher  über 
ihre  Fähigkeit  wie  über  ihre  politischen  Ueberzeugungen  leichter  ein 
richtiges  Urtheil  bilden,  als  der  Franzose,  der,  wie  er  selbst  erwähnt, 
nur  des  Vergnügens  halber  in  Wien  weilte  und  mit  den  leitenden 
Kreisen  nicht  in  geschäftlichem  Verkehre  stand.  Die  Vorzüge  des 
französischen  Berichtes  liegen  dagegen  in  der  vollen  Unbefangenheit, 
mit  welcher  der  Verfasser  Personen  und  Dinge  betrachten  konnte  und 
andererseits  in  dem  Interesse,  das  derselbe  für  die  Privatverhältnisse  der 
leitenden  Persönlichkeiten,  für  das  Hofleben,  für  die  Kriegsereiguisse 
und    für    die  Bauten  der  Stadt,    wie   für    ihre  Bewohner  besass.     Den 


')  In  jüngster  Zeit  sind  Ansätze  zur  Herausgabe  desselben  gemaclit  worden. 
Insbesondere  hat  Onno  Klopp  sich  durch  die  Herausgabe  des  Briefwechsels  zwi- 
schen Leopold  I,  und  Marco  d'  Aviano  ein  grosses  Verdienst  erworben.  Auf  den 
Werth  der  Correspondenz  Leopold  I.  mit  dem  kaiserlichen  Gesandten  in  Madrid, 
Grafen  Pötting,  welche  ich  hoffentlich  bald  dem  gelehrten  Publikum  werde  über- 
geben können,  hat  neuerdings  Heigel  Neue  Beiträge  zur  Charakteristik  Leopold  I. 
(Sitzungsber.  der  bair.  Ac.  der  Wis.s.   1890.  Bd.  IT.  Heft  1)  hingewiesen. 


272  Pribram. 

übrigen  Schilderungen  aber  —  und  es  kommt  eigentlich  für  diese  Zeit 
nur  jene  des  Graten  Chavagnac  in  Betracht  —  ist  die  des  Franzosen 
unbedingt  vorzuziehen.  Seinen  Namen  habe  ich  leider  nicht  erforschen 
können ;  der  Bericht  selbst  gab  keinen  Anhaltspunkt  dafür.  Nur  soviel 
scheint  sicher,  dass  der  Verfasser  ein  Verehrer  Gremonville's,  des  da- 
mals am  Wiener  Hofe  wirkenden  französischen  Gesandten,  war  und 
dessen  Mittheiluugen  vermutlich  viel  von  dem  verdankte,  was  er .  später 
niederschrieb.  Eine  ganz  genaue  Angabe  des  Zeitpunktes,  wann  das 
Memoire  niedergeschrieben  wurde,  ist  gleichfalls  nicht  möglich.  Doch 
muss  die  Niederschrift  spätestens  zu  Beginn  des  Jahres  1673  erfolgt 
sein,  da  von  Margaretha  Theresia's  Tode,  der  am  12.  März  1673  er- 
folgte, nicht  die  Rede  ist.  Für  den  Beginn  des  Jahres  1673  spricht 
auch  die  Bemerkung  des  Verfassers,  dass  der  Brand  der  Hofburg  — 
welcher  Feb.  1668  stattfand  —  depuis  cinq  ans  stattgefunden  habe, 
sowie  die  Behauptung,  dass  Lobkowitz  jetzt  64  Jahre  alt  sei  —  Lob- 
kowitz  ist  Jan.  1609  geboren  — . 

Was  das  Urtheil  des  Verfassers  über  Kaiser  Leopold  betrifft,  so  ist 
"dasselbe  gewiss  ein  zu  strenges.  Einiges  von  dem,  was  er  mittheilt,  wird 
entschieden  bestritten  werden  können.  Wenn  er  ferner  von  einer  absoluten 
Regierungsgewalt  der  Minister  in  ihrem  Ressort  spricht,  so  ist  dies  in 
dieser  Allgemeinheit  jedenfalls  unrichtig.  Der  Franzose,  wie  übrigens 
fast  alle  Schriftsteller,  welche  Leopold  zu  schildern  versuchten,  hatte 
keine  Ahnung  von  der  genauen  Einsicht,  welche  sich  Leopold  von 
allen  Dingen,  mochten  sie  nun  die  äussere  oder  innere  Politik  be- 
rühren, zu  verschaffen  suchte  und  von  der  Zähigkeit,  mit  welcher 
der  Monarch  daran  festhielt,  dass  alles  in  seinem  Namen  und  nach  seinem 
Willen  —  den  er  allerdings  oft  genug  demjenigen  anderer  Leute  unter- 
ordnete —  geschehe.  Auch  überschätzt  der  Franzose  den  Einfluss  der 
Jesuiten  um  ein  bedeutendes.  Dagegen  wird  man  in  seiner  Schilderung 
manchen  bezeichnenden  Zug  richtig  hervorgehoben  finden  und  die 
Mittheilungen  über  des  Kaisers  Leben  im  Hause  und  in  der  Familie 
als  durchaus  richtige  bezeichnen  können.  Sehr  erwünscht  sind  ferner 
die  Angaben  des  Verfassers  über  die  äussere  Erscheinung  des  Kaisers, 
seiner  Familie  und  der  vornehmbten  Minister,  sowie  über  die  socialen 
Verhältnisse  der  damaligen  Zeit. 

Bezüglich  der  Art,  in  der  ich  den  Bericht  widergebe,  dürften 
wenige  Bemerkungen  genügen.  Ausgefallen  oder  im  Auszuge  wider- 
gegeben sind  jene  Partieen  des  Berichtes,  welche  nach  des  Heraus- 
gebers Ansicht  keinen  oder  nur  untergeordneten  Werth  besitzen,  so 
namentlich  die  ausführliche  Schilderung  der  Thätigkeit  Gremonville's, 
über  die  wir  ja  durcli  spätere  archivalische  Arbeiten  auf;  das  genaueste 


Alis  d.  Berichte  eines  Franzosen  üb.  d.  Wiener  Hof  in  d.  J.  1671  u.  1672.       273 

orientirt  sind.  Dagegen  schien  es  dem  Herausgeber  zweckmässig,  die 
Darstellung  der  ungarischen  Verschwörung,  wie  sie  der  Verfasser  gibt, 
wörtlich  mitzutheilen,  da  sie  ja  die  Ansicht  eines  gutunterrichteteu, 
unparteiischen  Zeugen  repräsentirt. 

Die  Orthogi'apliie  des  Originales  wurde  nicht  beibehalten,  die 
Aeuderungen  nach  den  in  Frankreich  geltenden  Grundsätzen  vor- 
genommen. Den  Bericht  mit  ausführlichen  ISoten  zu  versehen  hat  der 
Herausgeber  für  überflüssig  gehalten,  da  eine  Kritik  der  einzelnen 
Mittheilungen  zu  weit  geführt  hätte  und  vielleicht  in  nicht  allzu- 
ferner Zeit  in  entsprechenderer  Form  wird  geübt  werden  können. 


Vienne,  capitale  de  la  Basse-Autriche  lieu  ordinaire  de  la  residence 
des  Eiupereurs  de  cette  maison,  est  une  ville  d'une  graudeur  mediocre 
sur  la  rive  droite  du  Danube,  qui  se  partageaut  en  ciuq  bras,  forme 
en  cet  endroit  plusieurs  iles  couvertes  de  bois,  qui  occupent  presque 
une  lieue  de  large  et  contribuent  ä  la  beaute  de  la  Situation  melee 
d'  ailleui's  d"  une  grande  diversite  de  coteaux,  de  plaines  et  de  prairies. 
Elle  est  lurtifie  de  onze  bastions  de  grandeur  demesuree  et  de  figure 
inegale;  c' est-ä-dire ,  que  ceux  qui  sont  grands  et  re'guliers  sont 
uouveaux;  quelques  uns  anciens  sont  petits  et  les  courtines  si  longues, 
que  la  defense  en  est  difficile.  L' endroit  de  la  place,  qui  parait  le 
plus  faible  est  celui,  oü  eile  touche  au  Danube,  qui  ne  lui  fournit 
qu'un  petit  bras  facile  ä  detourner  et  presque  sec  une  partie  de 
r  annee.  Hors  cet  endroit,  la  contrescarpe  est  egalement  belle  et  bonne 
partout.  Du  cote  du  levant  le  palais  de  l'Empereur  s'etend  le  long 
des  remparts. 

C  est  un  vieux  bätiment  i),  fait  ä  diverses  fois,  formant  uean- 
moins  une  ligure  carree  accompagnee  aux  quatre  coins  de  quatre  pe- 
tites  tours  inegales.  Ce  bätiment  dont  le  dehors  et  le  dedans  n'a 
point  de  la  demeure  d'un  Empereur  enferme  uue  tres  petite  cour  et 
n'  a  pour  tout  accompagnement  qu'  une  autre  cour  assez  grande,  plus 
longue  que  large,  enviroune'e  d'un  simple  bätiment  a  deux  etages, 
donc  la  moitie,  oü  ctait  1"  appartement  de  1'  imperatrice  ayant  ete  brüle 
depuis  cinq  ans  -),  on  n'  a  pas  encore  pense  ä  le  re'tablir. 

[In  diesem  Schlosse  wohnt  K.  Leopold].  H  est  d'une  taille  au- 
dessus  de  la  mediocre,  le  corps  contraint,  marchant  tout  d'une  piece 
et  mauquant  de  force,  particulierement  aux  pieds  et  aux  jambes.  II 
a  les  cheveux  chätains  et  plats,  les  yeux  beaux  et  ä  fleur  de  tete,  mais 


')  Vgl.  die  Scliilderung  in  den  Memoires  de  la  cour  de  Vienne  1705;  Köln, 
doren  Verfasser  Casimir  Preschot  ist;  5  f.  ^)   13.  Febr.   1668. 

Mittheiluugeu  Xll.  18 


274  l'ribram, 

la  vue  courte  et  faible,  le  nez  bleu  fait,  la  bouche  extraordiuairement 
grande  et  la  levre  de  dessous  si  avaucee,  qu'elle  fait  im  effet  fort 
desagreable,  le  teint  beau  et  vif,  l'air  et  les  mauieres  douces,  raais 
Sans  elevation  et  uue  certaiue  gravite,  qui  tient  beaucou])  plus  de  la 
contraiute  que  de  la  majeste.  Son  esprit  a  beaucoup  de  ressemblance 
avec  sa  personne;  e' est-ä-dire,  qu'il  est  faible,  n' envisageant  que  de 
petites  clioses,  evitant  les  affaires,  eraignaut  les  Labiles  gens  et  s'en 
deliant,  ayant  d'  ailleurs  de  la  clemence,  de  1'  honnetete  et  de  la  bonte. 

Ce  prince,  qui  n'etait  que  le  4"'"'"  fils  de  Ferdinand  III.  ne  pa- 
raissant  pas  d'uu  genie  propre  a  soutenir  la  gloire  de  sa  maison  par 
les  armes,  fut  destiue  a  la  profession  ecclesiastique  plus  proportionnee 
a  ses  dispositions  pour  1' elever  ensuite  au  cardinalat  et  aux  prinei- 
pautes  eeclesiastiques  si  considerables  en  Alleniagne.  C'est  dans  cette 
vue ,  que  ses  gouverneurs,  le  C^*'  de  Lamberg  ^) ,  et  depuis  le  C^*^ 
Fugger  -) ,  eureut  ordre  d'  appliquer  son  enfance  particulieremeut  a 
r  etude  des  lettres,  dans  laquelle  il  reussit  et  y  joignait  uue  conuais- 
sance  parfaite  des  langues  latiue,  italienne  et  espagnole  et  de  la 
nmsique. 

[Später  wurde  Portia  mit  dem  Amte  der  Erziehung  Leopolds  be- 
traut], qui  (Leopold)  se  trouva  si  satisfait  de  ses  mauieres,  que  du 
depuis  etant  devenu  Empereur,  il  1'  eleva  au  poste  de  premier  miui- 
stre,  qu'il  occupa  jusqu'  a  sa  mort  arrivee  en  Tamiee  1065.  C'etait 
uu  rainistre  en  reputation  de  quelque  sage.sse,  ou  plutot,  que  sa  fai- 
blesse  faisait  passer  pour  prudent.  Et  soit  que  le  priuee  qu'il  gou- 
vernait  eüt  naturellement  les  memes  iuclinations,  ou  qu'il  ait  pris 
le  genie  de  son  gouverneur,  ou  peut  dire,  que  cette  bonte  faible  que 
1'  on  couvre  du  nom  de  douceur  et  de  clemeuce  aneantit  tout  ee  qui 
parait  en  lui  de  bonnes  qualites.  Elle  lui  ote  la  force  de  se  faire 
craiudre  et  de  rien  refuser  et  lui  donue  uue  teile  defiauce  de  Ivii 
meme,  qu'il  n'ose  quelquefois  dire  son  sentiment  dans  le  conseil,  de 
peur  qu'on  ne  le  trouve  pas  raisounable.  Cette  faiblesse  et  apprehensiou, 
qu'il  a  du  peril  et  de  l'embarras  des  affaires  le  portant  a  s'eu  decbarger 
sur  ses  ministres,  ils  se  trouvent  comme  absolus  chacim  dans  1'  etendue 
de  leurs  fonctions  •').  La  devotiou  meme  1'  expose  a  uue  erainte  de 
blesser  sa  conscience  et  le  reud  dependant  en  l)eaucoup  de  choses  de 
son  eonfesseur  et  des  raoines,  qui  le  peuvent  arreter  ou  le  faire  agir 
seien  leurs  interets  ou  ceux  des  personnes  qu'  ils  veulent  servir. 


')  Joli.  Max.  (Iraf  vou  Lamberg,    von  Leopold    später   zu    (iesandtscliaften 
viel    verwendet.  ")    Marquart    (Jraf  v.    Fugger,    Ubersthofmeister    bis    1C52. 

')  Vgl.  die  Einleitung.  l 


Alis  d.  Berichte  eines  Franzosen  iil).  d.  Wiener  Hof  in  d.  ,1.  IfiTl  n.  1672.       275 

Les  Espagnols  tA,clieut  de  leurs  cötes  ä  se  prevaloir  de  la  ten- 
dresse,  que  le  prinee  a  pour  l'imperatrice  i),  älaquelle  il  ne  refuserait 
rien,  s'il  etait  le  ministre:  Mais  les  ministres  le  tienuent  daus  une 
depeudanee  qui  fait  que  le  ])ouvoir  de  cette  princesse  et  de  1'  am- 
bassadeur  d'  Espagne  -)  u'  est  pas  aussi  graud  qu'  il  le  devrait ;  au 
moins  les  choses  ont  ete  dans  cette  Situation  jusqu'  a  la  fin  de  1'  annee 
1670  ^).  On  peut  comprendre  par  cette  disposition  la  faiblesse  du 
gouvernement  et  le  peu  d' ordre  qu'il  y  a  dans  cette  cour,  oü  les 
interets  du  prinee  dependent  des  passions  et  des  cahales  de  tant  de 
personues  difFerentes. 

La  vie  particuliere  de  1' Empereur  est  fort  reglee  et  fort  simple: 
la  chasse,  la  musique  et  les  exercices  de  devotion  en  occupent  la  plus 
grande  partie.  II  se  plait  fort  ä  rexercice  de  l'oiseau  et  il  entretient 
un  equipage  de  fauconnerie,  oü  1'  on  voit  plus  de  2r)0  pieces  d'  oiseaux 
pour  toutes  sortes  de  vols,  et  passe  tous  les  ans  au  printemps  ä  sa 
raaison  de  Laxembourg  ä  quatre  lieues  de  Vienne  pour  y  prendre  ce 
divertissement  deux  fois  le  jour.  11  chasse  les  cerfs  dans  les  foilles  (sie) 
a  coup  de  fusils  et  les  sangliers  de  meme  avec  les  levriers  d'attache 
et  ne  manque  point  tous  les  ans  sur  la  fin  du  carerae  d' aller  lümer 
(sie)  des  renards  dans  une  ile  du  Danube  pres  de  Vienne.  11  assiste  le 
long  de  l'anuee  a  plusieurs  processions  a  pied  mrnie  liors  la  ville, 
se  trouve  aux  fetes  de  cbaque  couvent  et  y  dine  d'  ordinaire ;  assistant 
d'ailleurs  tres-regulierement  au  serviee  de  sa  cha])elle  et  par  devotion 
et  par  rineliuation  qu'il  a  pour  la  musique.  II  en  entretient  une 
tres-bonne  et  tres-nombreuse,  a  laquelle  il  fait  souvent  chanter  des 
mysteres  qu'il  compose  lui-meme.  Et  on  peut  dire  que  les  musi- 
cieus  et  les  chasseurs  sont  les  uiieux  traites  des  ses  ofticiers,  soit  pour 
leurs  ap])ointeuients,  ou  pour  leurs  reeonipenses,  ou  pour  les  libertes 
(|u'il  leur  donue.  11  joue  quelquefois  l'apres-midi  avec  ses  petits 
favoris,  mais  neanmoius  plus  raremeut  qu'avant  sou  niariage,  depuis 
lequel  la  compagnie  et  la  conversation  de  l'iniperatrice  lui  out  fait 
negliger  ce  divertissement.  C'est  une  cliose  extraordinaire  que  ce 
ju'ince  n'  ayant  ete  marie  qu'  a  1'  age  de  25  ans  ait  vecu  jusqu'  a  ce 
tenips  avec  une  continence  si  exacte  qu'on  u'a  pu  remarquer  qu'il 
eAt  le  moindre  attacliement  pour  une  femme.  On  l'a  seulemeut  soup- 
9onne  de  quelque  commerce  de  peu  de  duree  avec  une  lille,    qui  etait 


')    Margaretlie    'J'heresia.  -)    Nov.    IG'TO    Irat    an    Stelle    des    Marques 

de  Malagon  als  Nachfolger  de  los  Balbesos.  ■')  Kine  recht  bezeichnende  Mit- 

theilung über    das  wenig  freundschaftliche  Verhältnis  Kaiser  Leopold  I.  zu  den 
Spaniern  gibt  Heigel  1.  c.   128  fi". 

18* 


276  Pribram. 

au  Service  de  1' imperatrice  douairiere  et  qui  depuis  a  ete  mariee  eu 
Boheme  ^).  Mais  on  dit  que  ce  fut  une  affaire  de  concert  peu  avant 
son  mariage  pour  connaitre,  si  cette  continence  si  reguliere  n'etait 
point  un  effet  de  froideur  ou  d' impuissauce ;  ou  a  eu  lieu  de  sortir 
de  ce  doute  daus  la  suite.  Et  d'abord  qu'il  a  ete  marie,  il  s'est 
attache  avec  1' imperatrice  avec  taut  d'afFection,  de  passion,  que  le.s 
medecins  lui  out  quelquef'ois  conseille  de  se  moderer  pour  ne  pas 
eutieremeut  ruiner  sa  saute. 

CoDime  il  mene  une  vie  fort  sedentaire,  sa  plus  grande  oceupation 
est  d'  etre  aupres  de  cette  princesse,  dout  la  jeunesse  et  la  beaute  a  des 
charmes  inevitaljles  pour  un  homme,  que  son  naturel  et  sa  cousciencc 
empecheut  d'  aimer  ailleurs.  Elle  avait  (bei  ihrer  Heirath)  15  ou  16  ans 
et  etait  une  personne  blanche  et  blonde  avec  de  beaux  cheveux,  uue  belle 
bouche,  les  yeux  doux  et  le  uez  bien  fait,  le  visage  un  peu  long,  les 
joues  pendautes  comme  les  ont  la  plupart  des  priucesses  de  cette 
maison.  Sa  taille  n'est  presque  pas  augmentee  depuis  de  sorte  qu'elle 
est  demeuree  fort  petite  et  les  suites  malheureuses  d'  une  coiiche  lui 
ont  fait  venir  une  grosseur  ä  la  gorge,  que  tonte  1'  habilite  des  mede- 
cins u'a  pu  diminuer  jusqu'k  present.  Son  esprit  naturellement  doux 
Joint  k  l'education  particuliere  et  retiree  qu'elle  a  eu  en  Espagne, 
donue  moyen  aux  Espaguols,  qui  sont  aupres  d'elle,  de  la  gouverner 
absolument,  en  lui  faisaut  continuer  cette  vie  soKtaire ;  elles  1'  obsedent 
et  ne  permettent  de  1"  approcher  qu'  a  eeux,  a  qui  leurs  charges  donnent 
les  entrees  et  fönt  avec  l'ambassadeur  une  cabale  domestique  separe'e 
de  tout  le  reste  de  la  cour  -).... 

Comme  sa  cour  est  fort  particuliere  et  fort  renfermee,  celle 
d' Eleonore  deGonzaga,  imperatrice  douairiere,  belle-uiere  de  l'Empereur, 
est  assez  libre  et  assez  ouverte  et  sa  bouto  y  donne  tout  l'acces  que 
peut  permettre  le  respect  que  Ton  doit  a  uue  si  grande  princesse. 

[Sie  gebar  Ferdinand  III.  zwei  Töchter,  Eleonore,  vermählt  mit 
Michael  Wiesnowiecki,  König  von  Polen  und  Maria  AnnaJ  •'). 

La  reine  de  Pologne  est  une  belle  princesse  de  jolie  taille,  claire 
brune,  de  visage  male,  le  teiut  beau  et  les  traits  assez  reguliers; 
r  esprit  naturellement  doux. 

L' archiduchesse  Marie-Anne  sa  cadette  est  presentement  en  sa 
17''"'*^  annee,  d'une  taille  agreable,  les  cheveux  chataius,  le  teint  un 
peu  temi  de  la  petite  veröle  et  les  traits  disperses  de  maiiiere  qu'ayant 


')  Gremonville,  der  ähnliches  berichtet,    spricht  von  einer  Baronin  Falkeu- 
steiu.  '^)  Vgl.  Heibig,  Bericht  des  Esaias  Pufcndorf  60  l'.  ')  Später  ver- 

miililt  mit  .lohann  Wilhelm,  Pfalzgrafen  von  Nenburg. 


Aus  d.  Berichte  omos  Franzosen  üb.  d.  Wiener  Hof  in  d.  J.  16'7l  u.  1672.       277 

assez  de  pliysionomie  generale  de  la  maison  d'Autriche  aux  joues  et 
ä  la  bouche,  on  peut  dire  qu'  eile  n'  est  ni  belle  iii  laide,  niais  qu'  eile 
ne  manque  point  d'  agrement  i). 

L'  imperatrice  douairiere  -) ,  sa  mere,  est  d'  une  taille  mediocre, 
naturellement  maigi'e,  les  cheveux  d'un  clair  bruu,  fort  lustre,  de 
grands  yeux  ecartes  pleins  de  feu  et  de  mouvement,  le  nez  droit,  la 
bouche  grande  et  plate,  le  menton  court  assez  avance;  tout  le  visage 
plat  et  formant  presque  une  figui'e  carree.  Je  ne  sais  quel  teint  eile 
avait  autrefois,  mais  celui  d'  a  present  fait  voir  une  fraicheur  et  un  eclat, 
qui  se  renouvellent  cbaque  jour  et  s'  etendent  jusque  sur  sa  gorge.  Kien 
u'est  plus  propre  que  sa  personne  et  Ton  voit  dans  la  simplicite  et 
le  noir  de  ses  habits  de  veuve  un  air  de  galanterie  et  d' ajustement 
repandu  jusqu'  aux  moindres  choses.  II  n'est  pas  si  facile  de  faire 
le  Portrait  de  son  esprit  que  de  son  visage,  mais  on  peut  dire  qu'elle 
en  a  beaucoup,  Joint  a  une  si  grande  vivacite,  qu'avec  sa  voix  natu- 
rellement aigre  mantouan  on  a  quelquefois  de  la  peine  ä  l'entendre. 
Elle  aime  la  gloire  et  la  reputation  et  V  on  remarque  dans  ses  manieres 
une  certaine  envie  de  plaire  et  d'  etre  estimee  de  ceux  qui  1'  approchent, 
curieuse,  aimant  la  science  et  la  conversatiou  des  savants,  liberale  et 
magnifique  comme  la  plupart  des  grands,  ambitieuse  et  capable  de 
beaucoup  de  choses  pour  satisfaire  cette  passion,  d'ailleurs  inconstante, 
pleine  de  variete,  s'engageant  facilement  et  manquant  avec  la  meme 
facilite  a  ses  engagements,  brusque  et  prompte  naturellement  et  cepen- 
dant  patiente  et  politique,  lorsqu'  eile  n'  est  pas  la  maitresse.  Au  milieu 
de  ces  qualites  de  son  esprit  et  de  son  äme  on  peut  dire  qu'elle  n'a 
pas  le  coeur  insensible  et  que  le  merite  et  le  bonheur  d'un  homme 
y  peut  trouver  de  la  correspondance. 

Elle  a  ete  la  3*^  femme  de  Ferdinand  III  et  comme  il  etait  deja 
vieux  et  encore  amoureux,  lorsqu' il  1' epousa  et  eile  jeune  et  spirituelle, 
eile  avait  un  extreme  pouvoir  sur  lui,  dont  eile  usait  avec  tant  d'  honne- 
tete,  surtout  a  l'egard  de  l'archidue,  son  beau-fils,  que  depuis,  etant 
parvenu  a  l'empire  il  lui  a  conserve  un  respect  egal  et  celui  qu'il 
avait  pour  une  mere  et  une  consideration,  qui  lui  donne  du  pouvoir 
ä  la  cour  de  sorte,  que  les  ministres  de  l'Empereur  gardent  des  gran- 
des  mesures  avec  eile  et  ceux  des  princes  etrangers  qui  sont  a  Vienne 
peuvent  utilement  employer  son  credit  pour  le  succes  de  leurs  nego- 
ciations  3)  quoiqu'on  puisse  dire,  qu'elle  en  a  moins  depuis  le  mariage 
de  l'empereur,   a  cause  du  retour  des  Espagnols,    qui  ont  eu  assez  de 


«)   Vgl.   Heibig   1.   c.   62   f.  ^-)   Marie   Eleonora.  ^)   Vgl.   Heibig 

1.  c.  61. 


pouvoir  })Our  faire  qiie  1' imperatrice  ue  lui  donuat  ui  la  maiii,  ui 
le  pas. 

Voilä  ä  peu  pres  uu  portrait  raccourci  des  Majestes  de  Vienne 
aiiquel  je  joiudrai  seulement  celui  des  personnes  corrsiderables  qui 
coiiiposent  ees  trois  cours,  en  commen^ant  par  celle  de  1'  Empereur, 
Oll  le  priuee  Weuceslaw  de  Lobkowitz  tieut  la  premiere  place 
]>ar  la  charge  de  grand-maitre  d'hötel,  qui  Ini  donne  la  pre'seanee  sur 
les  autres  miuistres. 

C'est  uu  homme  age  de  64  ans  i),  gTaud,  gros  et  courbe;  le  visage 
assez  agi-eable  et  meine  beau  pour  son  age.  II  est  d'  ime  maisou  au- 
cienue  du  royaume  de  Boheme.  Zdenko  de  Lobkowitz  son  pere,  grand- 
chaucelier  de  ee  royaume,  fut  fait  priuee  par  Ferdinand  II  et  le  servit 
utilement  a  la  re'duction  de  la  Boheme  apres  la  bataille  de  Prague  .  .  . 
II  [Wenzel]  a  employe  une  partie  de  sa  jeunesse  a  voyager.  II  a 
appris  avec  soin  les  langues  latiue,  italienne,  f'ran9aise,  espaguole.  II 
a  meuie  un  peu  ete  a  la  guerre  -),  et  apres  quelques  emplois  de  moiudre 
consideration  ^)  il  a  exerce  la  charge  de  presideut  du  couseil  de  guerre  ^). 
Enfin  apres  la  mort  du  prince  Portia,  1'  Empereur  1'  a  rendu  le  premier 
homme  de  sa  cour,  lui  donuaut  la  charge  de  graud  maitre  d'hotel, 
jointe  il  la  fonction  de  miuistre.  Ou  peut  dire  que  depuis  lougtemps 
r  on  n'  a  yu  dans  le  ministere  homme  d'  un  caractere  semblable  au 
sien;  il  a  les  manieres  du  monde  les  plus  extraordinaires,  ne  parlaut'') 
le  plus  souvent  que  par  apologues,  par  proverbes  et  par  quolibets,  ne 
repondaut  que  par  comparaisons  et  capable  d' embarrasser  par  ses 
manieres  ambigues  les  plus  habiles  uegociateurs.  Inegal  dans  son  pro- 
cede,  flatteur,  Adiidicatif,  empörte,  aimant  a  fourber  et  s'en  faisant 
gloire.  Cepeudaut  il  faut  avouer  qu'avec  des  qualites  si  bizaiTes,  c'est 
uu  grand  et  habile  ministre;  profond  dans  ses  desseins,  patient  et 
Cache  dans  les  manieres  de  les  faire  reussir,  conuaissant  parfaitement 
le  genie  du  Prince  et  de  la  cour  et  profitant  de  tout,  jusqu"  aux 
moindres  choses,  pour  aller  a  ses  fins.  II  entretient  toujours  quelque 
commerce  avec  quelques  unes  des  filles  d'  houneur  de  1'  imperatrice. 
II  a  ])aru  meme  amoureux  de  la  comtesse  d'üarrach  pour  se  conserver 
l'amitie  du  grand-cliamhellan  son  pere  sur  l'esprit  du(|uel  eile  a 
beaucoup   de    pouvoii* ;    au   reste  il  a  eu  de  grands  bienfaits  de  1'  Em- 


')  Da  Lobkowitz  Jan.  1600  geboren  ist,  so  würde  die  Angabe  seines  Alters 
luit  64  Jahren,  gleichfalls  auf  die  Abfassung  des  Berichtes  im  Jahre  1673  hin- 
weisen; vgl.  die  Einleitung.  -)  Seit  1631  leistete  er  Kriegsdienste:  vgl. 
Adam  Wolf,  Wenzel  Lobkowitz  p.  17  ff.  »)  Wolf  1.  c.  25  ff.  ■•)  Hof- 
kriegsrathspräsident  wurde  er  1652.  ^)  Die  Worte  »ne  parlant«  sind  vom 
Herausgeber  hinzugefügt. 


Aus  f1.  Bel•iph^e  eines  Franzosen  iili.  d.  Wiener  Hof  in  d.  J.  1(571  n.  1672.       270 

pereur  et  eu  a  tire  quelque  temps  des  soimnes  conside'rables  au  dela 
de  ses  appointements.  II  vit  en  gi-and-seigneur  et  tient  ordiuairement 
une  bonne  table.  II  a  epouse  ime  princesse  palatine  de  la  brauche  de 
Sulzbacb  1),  dont  il  a  deux  enfans.  L'äine  est  äge  de  18  ans,  et  jus- 
qu'a  pre'sent  il  l'a  laisse  avec  la  princesse  sa  femme  dans  une  de  ses 
terres  de  Baviere  sans  le  faire  voyager  ni  le  faire  venir  ä  la  cour. 
Ce  prince  est  la  seconde  personne  apres  l'Empereur  dans  le  conseil 
oii  n'entrent  avec  lui  que  le  C*^^  ^q  Lamberg,  grand-chambellan,  le 
prince  de  Scliwarzemberg,  president  du  couseil  aulique  et  le  Baron 
Hoclier,  chancelier  de  la  cour,  qui  sont  proprement  ceux  qui  portent 
la  qualite  de  ministres,  les  seuls  qui  ont  la  direction  des  affaires  et 
forment  ce  petit  couseil,  qu'ils  appellent  Conference,  oü  se  traite  ce 
qu'il  y  a  de  plus  important  et  de  plus  secret  dans  les  affaires  de 
r  Etat.^ 

Maximilian  Conite  de  Lamberg,  grand-cliambellan  de  l'Em- 
pereur est  d'une  ancienne  maison  de  la  province  de  Carniole,  et,  s'etant 
attache  ä  la  cour  des  sa  jeunesse,  il  fut  dans  la  suite  clioisi  pour 
gouverneur  de  la  personne  de  V  empereur,  qui,  pour  lors  n'  etait  qu' 
arcbiduc  et  ne  quitta  ce  poste  que  pour  aller  ambassadeur  en  Espagne, 
ou  il  demeura  plusieurs  aunees.  C'est  uu  petit  homme,  maigre,  age 
de  plus  de  60  ans,  d'une  pliysiouomie  ordinaire,  doux,  sans  ambition, 
bienfaisant,  bonnete  et  bomme  de  bien.  II  n'a  amasse  que  des  biens 
mediocres,  quoiqu'il  ait  beaucoup  de  part  aux  bonnes  gräces  et  ä  la 
confidence  de  son  maitre,  qui  estime  sa  fidelite  et  sa  probite  '^).  iSa 
femme  est  de  Moravie  de  1'  ancienne  maison  de  Vernes  •^),  II  a  plu- 
sieurs enfans,  dont  l'aine  a  Vordre  de  S^  Jacques  d' Espagne;  la  com- 
tesse  d'Harracb  et  la  princesse  de  Portia,  ses  filles,  ont  plus  d'esprit 
que  de  beaute.  Sans  m'arreter  davantage  a  cette  famille,  je  coutinuerai 
a  suivre  1' ordre  des  dignite's,  et  je  dirai  que  le  comte  de  Gundacber 
de  Dietrichstein,  gi'and-ecuyer  de  1' empereur,  est  ne  lutherien  et  de- 
puis  s'est  fait  catbolique,  et  se  trouvant  pauvre  dans  sa  jeunesse  et 
avec  si  peu  de  bien  qu'il  ne  se  pouvait  pas  soutenir  a  la  cour  de 
r  Empereur,  il  s'attaclia  ä  celle  de  1' arcbiduc,  etant  deveuu  Empereur 
il  l'eleva  a  la  charge  de  grand-ecuyer.  Ceux  qui  ont  voulu  penetrer 
les  veritables  raisons  de  cette  foi"tune  et  de  1'  agrement  qu'  il  a  aupres 
de   son    maitre,    ont   cru    que  son  peu  de  merite  y  avait  contribue  et 


1)  Sophie;    es   war   dies   die   zweite  Gemahlin  des  Fürsten  Lobkowitz;    die 
erste  war  Johanna  Myska  v.  Zhmic.  *)  So  lautet  das  allgemeine  Urtheil  der 

Italiener,   Franzosen,   Pufendorfs  u.  a.  m.  ')  Judith  Kebecca  Eleonora  Gräfin 

von  Wrbna. 


l'avait  pu  reudre  agre'ahle  an  Prince,  qiii  ne  saurait  aimer  les  hahiles 
gens,  parce  qu'il  les  craint  et  ne  donne  sa  confiance  qii'a  des  per- 
sonnes  dont  il  trouve  le  genie  de  la  ])ortee  du  sien.  II  Ta  raeme 
encore  pu  aimer  par  1' attachement  qu'il  a  eu  a  jouer  avec  lui,  dont 
celui-ci  a  su  tirer  avantage  en  gagnant  des  sommes  considerables  a 
son  maitre.  II  s'est  etabli  d'ailleurs  par  le  mariage  tres-riehe  avec  la 
soeur  d'un  comte  de  Fürstemberg,  d'une  maison  nouvelle. 

Le  comte  Fran^ois  Augustin  de  Waldstein  i)  quoique 
tres-different  de  genie  et  de  manieres  d'avec  le  grand-ecuyer,  a  nean- 
moins  commence  sa  fortune  presque  de  meme;  c'est-a-dire  par  son 
attachement  a  V  Empereur  lorsqu'  il  n'  etait  qu'  archiduc.  II  est  de  cette 
maison  devenue  illustre  par  toute  1'  Europe  en  la  personne  d'  Albert 
de  Waldsteiu,  duc  de  Friedland,  et  qui  d' eile- meme  est  des  plus  an- 
ciennes  de  Boheme  avec  la  qualite  de  baron  la  plus  haute  de  ce  petit 
royaume,  oü  chaque  seigneur  est  absolu  sur  ses  sujets  comme  sur  ses 
esclaves.  II  y  a  environ  30  ans  -),  que  les  Waldsteins  ont  titre  de 
comte.  La  brauche  du  duc  de  Friedland  et  celle  du  C*^  dont  je  parle, 
etaient  separees  depuis  longtemps,  mais  son  perc'^)  se  trouva  etroitement 
uni  avec  le  duc  et  par  amitie  et  par  alliance,  qui  etait  entre  eux, 
ayant  epouse  les  deux  soeurs  de  la  maison  d'  Harrach  ^).  Le  credit  du 
duc  lui  servit  ä  la  cour,  mais  son  merite  particulier  Joint  a  sa  bonne 
conduite  le  mit  en  etat  de  s'y  soutenir  de  lui-meme  et  de  n'etre 
point  accable  par  la  chute  de  ce  grand  general,  apres  laquelle  il  ne 
laissa  pas  de  s'  avancer  jusqu'  a  la  charge  de  grand-chambellan  daus 
laquelle  il  mourut.  Son  fils  aiue  avait  epouse  la  riche  heritiere  de 
Rothai  et  mourut  jeune  dans  une  des  premieres  charges  du  royaume 
de  Boheme  ^).  Le  comte  Fran9ois  Augustin  dont  nous  parlons,  etait 
le  2®.  II  s'  etait  fait  chevalier  de  Malte,  et  par  une  inclination  parti- 
culiere  il  s'e'tait  attache  a  1' archiduc,  qui  pour  lors  n' etait  que  cadet. 
Le  comte  Charles  ^),  son  frere,  quoique  plus  jeune,  etait  entre  dans  le 
Service  de  Ferdinand  IV^,  roi  des  Romains,  mais  ce  prince  etant  mort, 
l'elevation  de  1' archiduc,  qui  depuis  parvint  ä  l'erapire,  fut  suivie  de 
Celle  du  comte  Fran9ois  Augustin,  qui  a  moute  jusqu' a  la  charge  de 
premier  capitaine  des  archers  de  sa  garde.  Son  application  particuliere 
a  la  musique,  aux  comedies  et  aux  plaisirs  de  1'  Empereur  n'  a  pas  peu 
contribue  ä  Jui    donuer    d'abord    les   bonnes  gi-aces  de  ce  prince  et  a 


>)    Ven.    Final1)erichte    1.    c.  J52.  -)    .Seit    1628;    Wurzbiieh  52,    208. 

*)  Graf  Maximilian  ^\'aldstein.  *)  Die  Gemahlin  Maximilians  hiess  Katharina ; 
die  Albrechts  Isabella  Katharina.  •)  Ferdinand  Ernst  t  16b'5;  seine  Gemahlin 
war  Eleonore  Gräfin  von  Rothai ;  er  war  Oberst-Landkämmerer  gewesen.  ''•)  Karl 
Ferdinand,  geb.  1634,  t  1702. 


Ans  fl.  Rendite  eines  Franzosen  üb.  d.  Wiener  Hof  in  d.  J.  1H7I  u.  1672.       281 

les  lui  couserver  daus  la  suite.  II  est  age  de  40,  de  mediocre  taille, 
fort  ])rim,  le  visage  agreable,  l'air  melancolique,  les  manieres  civiles 
et  houuetes,  un  esprit  de  reflexion,  dans  leqiiel  il  parait  de  l'appli- 
cation  et  quelque  finesse,  au  reste  grand  seigneur  par  la  successiou 
substituee  par  uu  parent  pour  les  enfans  de  son  maitre  et  les  avautages 
de  sa  religion,  qui  l'a  honore  depuis  peu  de  la  grande  croix.  II  vit 
assez  magnifiqueineiit  et  ses  pretentions  sont  au  cardiualat.  J'ai  dit 
qu'il  commandait  la  premiere  compaguie  des  cent  archers  de  la  garde, 
Le  prince  Pio  i)  commaude  la  secoude,  appelee  des  Trabans,  corapose'e 
de  pareil  nombre  de  halbardiers,  et  ces  deux  corapaguies  fönt  toute  la 
garde  du  premier  prince  de  la  chretiente. 

[Pio  stammt  aus  einer  Ferrareser  Familie,  ist  jung  uach  Deutsch- 
land gekommen  und  in  die  Armee  eingetreten].  II  n'a  rien  moins 
que  l'air  d'un  homme  de  qualite,  beaucoup  de  vanite,  mediocrement 
d' esprit  et  peu  de  merite,  une  graude  inclination  ä  la  depense,  mais 
beaucoup  augmentee  encore  par  son  niariage,  dont  il  n'a  rien  tire' 
jusqu'ä  present,  ayant  enleve  la  fille  de  Castel-Kodrigo,  qui  n'a  point 
voulu  lui  pardonner,  et  s'il  meurt  sans  changer  de  sentiment,  eile 
perdra  pres  d'un  million,  qu'elle  avait  a  esperer  de  sa  succession. 

[Am  Hofe  gibt  es  dann  noch  Kammerherren;  ihre  Zahl  über- 
steigt 300]. 

Apres  la  maison  de  1' Empereur  vient  le  conseil  aulique 
etabli  pour  le  jugement  des  affaires  de  rempire,-avec  une 
autorite  egale  a  celle  de  la  chambre  de  Spire  et  ces  deux  juridictions 
n'ont  d'avantage  l'une  sur  l'autre  que  par  preveution. 

Jean  Adolphe,  prince  de  Schwarzemberg,  conseiller  in- 
time de  l'Empereur  et  president  de  ce  conseil,  est  fils  d'Adam  comte 
de  Schwarzemberg  d'une  ancienne  maison  du  pays  de  Cleves,  qui 
s'attacha  a  l'Electeur  Jean  Guillaume  de  Brandenbourg -),  lorsqu'il 
recueillit  la  succession  de  ce  pays,  et  il  sut  si  bien  s'emparer  de 
r esprit  de  ce  Prince  qu'il  devint  son  favori,  II  a  acquis  de  gi-ands 
biens  par  tous  les  nioyens  dont  se  peut  servir  un  ministre  absolu 
jusqu'ä  prendre  du  duc  de  Neubourg  une  terre  de  cent  niille  e'cus  pour 
le  favoriser  dans  le  partage  de  la  succession  de  Cleves  et  de  Juliers 
coutre  les  interets  de  l'Electeur,  son  maitre,  pour  lequel  il  agissait.  II 
eugagea  d'ailleurs  un  C*®  de  Schwarzeml^erg  son  parent  eloigne  et 
tres-riche  a  le  faire  son  heritier,  lui  promettant  la  voix  de  1'  Electeur  de 
Brandenbourg  pour  l'election  de  l'Empereur,  dont  ce  comte  etait 
ministre.    Cette  grande  faveur  dura  jusqu'ä  ce  que  l'I^lecteur  Frederic 

1)  Hubert  Fio.  -)  Soll  heiasen  Georg  Wilhelm. 


Guillaiiinc,  ä  preseut  rei^iiaut,  ayant  succede  a  soii  peiv,  iiou  seulemeut 
disgracia  ce  favori,  mais  Tayaut  (le'poiiill(i  diiraut  sa  vie  peu  a  peu 
s'empara  de  tont  son  hien.  Sou  fils  dout  iious  parlons  presenteraent, 
qui  est  ägc*  de  60  ans  *)  avait  e'te  eleve'  des  sa  jeuiiesse  k  la  cour  de 
rEmpereur,  ou  il  s'attacha  a  Tarchiduc  Leopold  Guillaume,  ci-de- 
vant  son  grand-maitre  d'hotel  et  son  favori.  II  a  tire  de  grands 
avantages  de  la  liheralite'  de  ce  prince  ^),  dont  la  cousideration  jointe 
ä  Celle  de  TEmpereur  lui  a  fait  retirer  des  sommes  considerables  de 
l'Electeur  de  Braudeubourg,  il  a  recueilli  la  succession  de  ce  pareut, 
dout  j'ai  parle  et  tout  eela  Joint  a  heaucoiip  d'ecouomie  le  rend  nn 
des  plus  riches  hommes  de  la  cour  de  l'Empereur,  ä  laquelle  etant 
revenu  apres  la  mort  de  l'arcliiduc,  il  fut,  en  Tanuee  1G70  eleve  ii 
la  Charge  de  presideut  du  conseil  aulique  et  l'annee  suivante  a  la 
dignite'  de  Prince.  C'est  un  niiuistre  sage,  et  quoiqu'il  ne  mauque 
pas  d'aiubition,  il  a  toujours  fait  paraitre  beaucoup  de  mode'ratioii 
dans  la  couduite  de  sa  fortune.  On  doutait  s'il  aurait  de  l'e'tendue 
et  de  r  elevation  assez  pour  remplir  la  place  de  premier  ministre,  mais 
au  moins  il  est  certain  qu'avec  du  bon  sens  et  de  Texperience  il  a 
toute  l'application  qu'ou  peut  donner  aux  affaires.  II  u'a  de  sa 
femme  qui  est  de  la  maison  de  Starhemberg  qu'un  fils  et  un  fille^). 
Le  fils*)  ayant  fait  un  voyage  eu  Italic  s'est  engage  par  des  pro- 
messes  de  mariacre  avec  une  demoiselle  de  la  connetable  Colonna,  dont 
il  est  encore  amonreux  malgre'  tout  ce  qu'  a  pu  faire  son  pere,  qui  1'  a 
toujours  tenu  a  la  campagne  depuis  son  retour  d"  Italic,  La  fille  ^)  a 
epouse  le  prince  d"  Eggenberg.  Elle  est  jeune  et  bien  faite,  parle 
italien  et  IVancais  comme  allemand.  Elle  a  un  grand  rang  et  de 
grands  biens  mais,  le  peu  de  merite  de  son  mari  et  le  peu  d'estime 
(ju'elle  a  pour  lui  la  rend  malheureuse. 

Jean  Paul,  baron  de  Hocher,  chancelier,  c*est-a-dire  pro- 
prement  secretaire  de  la  cour,  qui,  en  cette  qualite,  entre  au  conseil  de 
la  Conference  avec  les  trois  autres  ministres,  est  originaire  de  Fribourg 
en  Brisgau,  fils  d'uu  docteur  en  droit.  II  a  passe  sa  jeunesse  dans 
Tetude  de  cette  science^  qui  lui  a  donne  Tentree  dans  les  affaires  de 
l'Empereur,  particulierement  a  la  diete  de  Eatisbonne,  oii  il  a  reside 
lougtemps    avant   que    d'arriver    au    poste   du   chancelier.     II    est  äge 


')  (ieboren    ltjl.5.  -)  Vj,'!.    auch  Helbig  1.  c.  <j9.  »)  ^^   hatte   von 

seiner  Ueinablin  Marie  Justine  Ciräfin  von  ytarhemberg   6  Kinder,    doch   starben 
2  Söhne    und    2  Töchter    in  dtr  Kindheit.  •»)  Ferdinand  Wilhelm  Eusebius. 

■')  Ernestine. 


Alis  (1.  Benclitc(;iiu'«Friuizusrii  n\,.  d.  Wioiu.M-Hot  iii  d..).  IHTl  u.  Ib72.       283 

(V  eiiviron  50  ans  i),  d'  esprit  paisilile  et  regulier,  homme  de  bon  sens  et 
d'  applicatiou,  entierement  dependaut  du  prince  Lobkowitz  -). 

Parmi  taut  de  personnes  illustres  par  le  rang  et  par  la  naissauce, 
dout  la  cour  de  l'Empereur  est  composee,  deux  moines  trouvent  leur 
place  et  fönt  une  figure  assez  considerable. 

L'un  est  le  pere  Muller  3),  jesuite,  eonfesseur  de  T  Empereur, 
aussi  hounete  et  bou  homme,  qu'  on  le  peut  etre  :i  la  cour,  il  se  mele 
peu  de  ce  qui  regarde  TEtat  et  les  grandes  affaires,  qui  pourraient 
le  commettre  et  lui  douner  de  l'embarras.  Mais  il  a  du  pouvoir  dans 
les  affaires  particulieres  et  peut  agir  utilement  aupres  du  Prince  en 
faveur  de  beaucoup  de  personnes  pour  leur  faire  donner  des  emplois 
et  obtenir  quelques  gräces.  L'autre  est  un  pere  Emerich^),  capucin, 
qui  n'a  aucun  poste  a  la  cour  ui  d'autre  raison  d"y  venir  que  celle 
de  son  inclination  intrigante.  II  a  paru  aux  plus  grandes  affaires, 
Le  ])remier  ministre  et  les  Espagnols  emploient  souvent  son  credit 
aupres  de  TEmpereur  pour  faire  reussir  leurs  desseins;  et  les  ministres 
etrangers  cherchent  l'appui  de  son  credit  dans  leurs  negociations  ^). 

11  y  a  a  Vienne  un  c o n s e i  1  de  g u e r r e  etabli  et  fixe,,  dans  le- 
quel  s'expedie  tout  ce  qui  regarde  le  detail  des  troupes. 

II  est  compose  de  certain  nombre  de  conseillers  sous  la  direction 
de  Raymond  de  Montecuccoli,  qui  en  est  le  president  gene'ral 
des  armees  de  l'Empereur  et  gouverneur  de  Raab  en  Hongrie. 

II  est  d'une  ancienne  maison  de  Modene,  et  tut  attire  au  Service 
de  l'Empereur  par  le  comte  Ernest  de  Montecuccoli,  son  oncle,  sous 
lequel  il  fit  des  actions  remarquables  des  V  annee  1029  '').  il  a  continue 
depuis  en  s'avancant  dans  le  service  jusqu' a  present  qu'il  a  70  ans'); 
grand,  de  bonne  mine  et  d'  assez  belle  taille  autrefois,  mais  maintenant 
courbe,  faible  et  consomme  de  maladie  et  des  fatiques.  Son  merite 
est  assez  connu  par  la  conduite  qu'il  a  fait  paraitre  ä  la  tete  des 
armees  de  l'Empereur.  Sage,  prevoyant  et  joignant  a  la  longue  ex- 
perience  tout  ce  qu'il  a  pu  apprendre  par  une  extreme  application  ii 
la  lecture,  capable  du  gouvernenieut  politique  comme  du  militaire  ^), 
civil,  honnete,  si  peu  Interesse  qu' apres  avoir  longtemps  commande 
dans  un  service  oü  il  suffit  d' avoir  ete  pour  avoir  le  moyen  de  s'en- 
ricliii-,    il  n'a  que  des  biens  mediocres  au  dela  de  tous  les    avantages, 


')  lieb.    IGIG.  -)  Bekauntlicli   ging    diese    Freundschaft    dann   in    eine 

erbitterte    Feindschaft    über.  ^)    Philipp  Miller;    vgl.  Von.  Ber.    1.  c.    5,  51. 

••)  Sinelli.  '^)  Vgl.  auch  Helbig  1.  Cj^74  f.  ")  Sein  Eintritt  in  die  kaiser- 

lichen Dienste  erfolgte  schon  1625.  ')  1609  geboren;  also  erst  1679  70  Jahre 

alt.  ^)  Ein  überaus   günstiges   Urtheil   über   Montecurcoli   fällt   Chavagnac 

1.  c,  255. 


9^4  P  1"  i  1>  r  ii  in. 

qu'il  tire  de  TEmpereur.  II  est  eunemi  du  priiice  de  Lo])ko\vitz,  mais 
d'une  graiide  correspoudauce  avec  riinperatrice  douairiere,  faible  eour- 
tisan,  timide  dans  ses  pre'tentions  et  peu  ferme  a  appuyer  Celles  de  ses 
amis,  d'ailleurs  caehaut  beaucoup  d'ambition  sous  des  apparences  mo- 
derees.  II  a  e'pouse  la  soeur  de  Ferdinand  ]n-mce  de  Dietrichstein  i), 
dont  il  a  nn  fils  fort  jeune '-)  et  des  filles  3)  bien  faites. 

Je  ue  crois  pas    trouver   de    lieu    plus    propre    que    celui-ci    pour 
parier  de  Louis   Eatons^),    comte    de   Souches,    que   ses  Servi- 
ces ont  eleve'  a  une  haute    fortuue,    et    dont    Televation    est    d'autant 
plus  ä   estinier    qu'etant   etranger   et   sans  naissance,    il  s'est  fait  un 
chemiu    ])ar  son    propre   merite    au    rang    le    plus    cousiderable    oü  la 
guerre  puisse  porter  un  homme  pres  de  l'Empereur.     II   est  fi-an9ais, 
originaire  de  la  Eochelle,    ne  huguenot,  d'une  famille  d'une  me'diocre 
bourgeoisie;    et    s'e'tant  jete  fort  avant  dans  les  Services  des  Suedois, 
oü  plusieurs  jeunes  fran9ais  allaient  pour  lors  apprendre  le  metier  de 
la  guerre,    il  s'avan^a  avec  le  temps   jusqu'    au    poste    de    lieutenant- 
colonel.    Mais,  s'etant  brouille'  avec  le  general  Torstenson,  sous  lequel 
il  servait,  il  quitta  ce  parti  poui-  entrer  dans  celui  de  1'  Empereur,  oü 
il  eüt  peu  de  temps  apres  occasion  de  se  venger  du  general  Torstenson, 
en  defendant  la  ville  de  Brunn  avec  tant  de  vigueur  qu'il  lui   en   fit 
lever   le    siege.      II  a  depuis  continue  a  servir    avec   reputation,    s'est 
fait  catholique,    s'est  vu  plusieurs  fois  en  chef  Commander  une  armee 
de  r  Empereur  et  a  battu  les  Turcs  deux  fois.   II  s'  est  particulierement 
attache'  a  1'  Infanterie,  oii  il  est  estime  le  premier  homme  d'  Allemagne 
pour  l'attaque  et  pour  la  defense  des  places;  vigilant  et  brave,  homme 
d'entreprise  et  resolu  ä  la  guerre  et  capable  d'un    grand    coramande- 
ment.    II  est  du  conseil  de  guerre;  il  a  ete  gouverneur  de  Comorre^) 
en  Croatie    vacant    par    la   mort    du   jirince  de  Bade.     On  a  pretendu 
qu'ou  ne  lui  avait  donne'  ce  poste  que  pour  l'eloigner  de  Vienne,  oii 
il    etait    incommode  k  la    cour.     Car    c'est    un    homme    naturellement 
chagrin,  haissant  tout  ce  qui  est  au-dessus  de  lui,  meprisant  ses  egaux, 
maltraitant  ses  inferieurs,  persuade  que  lui  seul  a  des  merites,  malfai- 
sant,    peu  sür  et  peu  secret,    peu    capable  de  faire  des  amis  et  moins 
encore    de    les    conserver.     Son   extreme  economic  lui  a  donne  moyen 
d'amasser   de    grauds    biens   auxquels  il  Joint  le  titre  de  couite,    dont 
r Empereur    l'a   honore.     II   est  age    de    64    ans;    d'une    physionomie 
fort  commune,    assez  cache,  vivant  d'un  grand  regime  pour  conserver 
le  peu  de  sante  qu'il  lui  reste  .... 


')  Maria  .loseplia.  -)  Leopold  Philipp,   mit   dessen  Tode  1698  das  Ge- 

Bchlecht  erlosch.  ^)  3  Töchter.  *)  Rattuit.  «*)  Für  Warasdiu, 


Ans  d.  Bericlite  eines  Franzosen  üb.  d.  Wiener  Hof  in  d.  J.  1671  n.  1672.       285 

Apres  le  eouseil  de  guerre  on  peut  parier  de  celui  des 
finances. 

George  Louis,  comte  de  Sinzeiidorf,  qid  en  est  presideut 
depuis  10  ou  12  ans  ^),  exerce  cet  emploi  avec  tous  les  avantages  d'uu 
komme  qui  ne  rend  poiiit  de  comptes,  et  qui,  d'  ailleurs,  eonnait  la  fai- 
blesse  du  Priuce,  accoutume  a  se  passer  d'argent,  quand  on  l'assure 
qu'  il  n'  y  en  a  point.  Dans  cette  pauvrete  des  finances  il  n'  a  pas 
laisse  d'amasser  de  grands  biens  et  d'aclieter  de  tres-belles  terres.  C'est 
un  genie,  ne  pour  cette  fonction  a  laquelle  il  s'est  applique,  flu 
d'  ailleurs  et  d'  une  profonde  dissimulation.  II  est  age  de  60  ans  =^), 
et  ayant  e'te  lougtemps  bans  enfans,  il  a  depuis  peu  epouse  une 
jeune  princesse  de  la  maison  d'  Holstein  ^),  belle  et  galante,  qui  lui  a 
donne  des  enfans. 

[Keichsvicekauzler  ist  jetzt  Graf  Wilhelm  Leopuld  von  Königs- 
eggj  ^),  qui  soutieut  cette  charge  avec  beaucoup  d'  habilete  et  d'  agre- 
nient  ... 

[Oberstliofmeister  der  regierenden  Kaiserin  ist  Prinz  Ferdinand 
von  DietriclisteinJ.  On  l'a  tir«»  du  gouvernement  de  Moravie  pour 
entrer  dans  ce  poste,  dans  lequel  il  s'est  fait  assurer  une  pension  de 
14000  ilorins  pour  preveuir  le  peu  de  certitude  qu'il  y  a  dans  le 
payement  des  appointements  des  charges.  Au  reste  il  est  conseiller, 
a  peu  d'esprit  et  de  merite,  mais  sa  complaisance  et  son  application 
a  louer  tout  ce  que  fiiit  l'Empereur  lui  donne  assez  de  consideration 
aupres  du  Prince  pour  eu  esperer  de  la  faveur  dans  la  suite.  II  n'a 
pas  plus  de  40  ans  •'•),  et  a  epouse  une  dame  tres-belle  et  galaute, 
soeur  du  prince  de  Simberg  ß).  C  est  le  seul  grand  officier  dans  1  a 
maison  de  l'imperatrice  regnante. 

[Die  erste  Hofdame  ist  die  Gräfin  d'ErilJ.  Elle  est  veuve  du 
comte  d'Eril  de  la  maison  de  Cardonne,  et  si  les  ministres  lui  per- 
mettaient,  ou  que  V  imperatrice  eiit  du  pouvoir,  eile  s'  en  servii-ait  avec 
avantage.  Mais  son  credit  est  renferme  dans  rap])artement  de  sa  mai- 
tresse,  ou  eile  a  souvent  beaucoup  de  cliagrin  pur  le  peu  d'utilite 
qu'elle  tire  de  sa  cliarge  et  le  peu  de  moyen  qu'a  TEmpereur  de  lui 
faire  du  bien.  Comme  eile  etait  pauvre  en  Espague,  eile  a  amene 
toute  sa  famille  en  Allemagne,  c'est-ä-dire  un  fils,  a  qui  on  a  donne 
une  compagnie  de  cavalerie,  et  deux  filles,    qui    sont   aupres  de  l'im- 


')    Öinzendorf   war   seit    1657   Hofkammerpväsident.  ')  Geboren    1616. 

3)  Dorothea    Elisabeth,    l'rincessin    von    Holstein.  ••)  Vgl.    über   ihn   Heibig 

1.  c.  71.  ^)  1636  geb.  "J  Seine  Gemahlin  war  Marie  Elisabeth    Fürstin 

von  Eggenberg. 


2gg  t^rilirani. 

peratrice,  et  «emblent  y  devoir  demeurer  longfcemps  par  le  peu  d'in- 
cliuation  qu'ont  les  courtisaiis  allemauds  ;i  epouser  les  Espagnoles. 
La  comtesse  d'Eril  est  ime  petita  femme  brune  ou  plutot  noire,  fort 
maigre,  agee  de  50  ans.  La  marquise  de  Lancerot  ä  peu  pres  de  meme 
age,  mais  d'ime  ligure  plus  ugivable  est  maitresse  d'liütel,  c"est-;i-dire 
o-ouvernaute  des  tilles  d'houneur  espagnoles  qui  sont  au  uombre  de  4; 
et  la  vieille  Comtesse  de  Portia  gouvernante  des  filles  d'  honneur  alle- 
mandes,  qui  doivent  etre  12. 

[Der  Obersthotineister  der  Kaiserin wittwe  (qui  a  sa  raaison  eutiere- 
meut  re'paree  et  jouit  d'un  grand  douaire,  qui  lui  doune  moyen  de 
Tentretenir  uiagnificiuemeut)  ist  Albert  Graf  von  Sinzendorf  J  i),  bon 
homnie  et  qui  ne  manque  pas  de  bon  sens.  II  a  passe'  la  meilleure 
partie  de  sa  vie  ä  faire  bonne  chere  et  a  mauger  son  bien.  11  a 
ne'anmoins  ete  grand-veneur  de  l'Empereur,  et  est  encore  conseiller 
intime. 

Charles  comte  de  Waldstein,  grand-e'cuyer  de  cette  princesse  est 
un  cavalier  de  35  ä  40  ans  -) ;  grand,  beau  et  bien  fait,  frere  de  celui 
qui  est  ca]>itaine  des  gardes  de  1'  Empereur  ... 

II. 

|Der  Verfasser  sagt,  er  möcLte  die  Ereignisse  von  1670 — 1(h2 
schildern.  Je  ne  pre'teuds,  bemerkt  er,  parier  que  comme  un  komme, 
qui  s'est  arrete'  eu  cette  cour  par  la  seule  necessite  d'apprendre  ce 
que  les  voyageurs  peuvent  s9avoir  sans  eutrer  daus  le  secret  des 
affaires.  Er  gi-eift  bis  zum  Eegieruugsantritte  Leopold  1.  zurück;  be- 
tont, dass  Portia  nicht  mehr  so  viel  Rücksicht  auf  die  Spanier  nahm, 
da  er  nicht  durch  sie  emporgekommen  w^ar.  Dies  benutzten  die  Fran 
zosen  und  sandten  Gremonville  nach  WienJ.  11  y  vint  dans  une  con- 
joncture  agre'able.  Le  Prince  et  les  ministres  ('taient  egalement  faibles, 
les  Espaguols  ne  dominaient  plus,  l'imperatrice  douairiere  n'etait  pas 
Sans  quelques  inte'rets  ii  l'egard  de  la  France;  d'ailleurs  il  veuait  de 
la  part  d'un  maitre  grand  dans  la  i)aix  et  dans  la  guerre,  ('galement 
capable  de  (hmner  de  l'appui,  de  la  terreur  et  le  puissant  gcnie  ("tait 
l'äme  de  ses  miuistres  au  dehors  du  royaume  comme  au  dedaus.  11 
se  servait  de  tous  les  avantages,  qui  donnaient  de  grands  moyeus  :i 
un  esprit  hn  et  penetrant  comuie  le  sien  d'employer  la  politique 
qu'il  avait  etudiee  depuis  20  ans  duraut  parmi  les  Venitiens  et  de 
reussir  daus  une  cour  allemande,  dont  la  leuteur  avait  besoiii  d'etre 
«■veillee  pur  des  manieres  aussi  pressantes  i[ue  la  sienne. 


')  Vgl.  iihiT  ihn  muh   ll.'H.iy  1.  c  7:5.  -)  CJeb.   \(iM. 


Ans  fl.  Beviclite  eine«  Franzosen  üb.  d.  Wiener  Hof  in  d.  J.  167l  u.  Ifi72.       287 

[Auf  Portia  folgt  iils  leitender  Minister  Lobkowitz,  der  den  Fran- 
zosen freundlicli  gesinnt  ist.  Sein  Gegner  war  Auersperg].  Savant  et 
eclaire  daus  la  politique,  de  Televation  et  de  la  uettett-  dans  ses  desseins, 
de  l'e'loquence  ot  de  la  gravite,  bardi  homnie  d'entreprise  et  d'expe- 
dition,  mais  süperbe,  dur  et  inflexible,  ambitieux  jusqu'  a  1'  aveuglement, 
capable  de  tout  sacritier  poiir  satisfaire  fette  ])ussiou.  II  ne  pouvait 
soufirir  de  voir  le  prince  de  Lobkowitz  oecuper  im  ])Oste,  qu'il  avait 
rempli  si  lougteuips  et  s'y  maiutenait  par  des  intrigues  et  des  cabales 
qu'il  .croyait  beaucoup  au-dessous  du  merite  et  de  Tliabilite'  qu'il 
avait  fait  paraitre.  Aussi  on  voyait  une  guerre  continuelle  entre  ces 
deux  ministres  etrangers  sur  le  point  de  faii'e  reussir  des  affaires  pre- 
judiciables  au  service  du  Prince.  Mais  enfiu  son  exil  termina  ces  con- 
testations.  La  cause  appareute  e'tait  ses  pre'teutions  au  cardinalat,  il 
etait  devenu  libre  par  la  mort  de  sa  femme,  et  clierchant  un  nioyen 
d'acquerir  un  rang  capable  de  1' egaler  au  grand-niaitre,  il  crut  que 
celui  du  cardinalat  lui  donnerait  tous  les  aA^antages  qu'  il  pouvait  sou- 
liaiter  pour  ce  desseiu.  La  grandeur  des  obstacles  qu'il  trouva  a 
l'executer  l'ayant  porte,  a  ce  que  Ton  pre'tend,  a  tromper  la  cour  et 
prendre  des  liaisous  e'trangeres,  son  euuemi  s'  en  servait  avec  avautage 
et  activa  de  le  perdre  daus  l'esprit  de  l'Empereur,  qui  le  ha'issait 
d'  ailleurs  a  cause  de  son  habilite  et  de  son  ambition  et  par  le  souvenir 
du  mepris  qu'il  lui  avait  te'moigne',  lorsqu'il  n' etait  encore  que 
r  archiduc  .  .  .  [Eine  Gefahr  für  Gremonville  lag  iu  der  Heirath  Leo- 
polds mit  der  spanischen  Prinzessin  Margaretha  Theresia;  doch  ver- 
feindete sich  der  spanische  Gesandte  am  Wiener  Hofe,  Mi^  de  Malagou, 
mit  den  Deutschen  und  konnte  nichts  gegen  Gremonville  ausrichten. 
Kov.  1()70  wurde  Malagou  durch  Balbesos  ersetzt]. 

Teile  etait  la  cour  de  Vienne.  L'Empereur  d'un  genie  toujours 
i'aible,  craignant  les  affaires,  n'  ayant  pour  tous  heritiers  qu'  une  petite 
princesse;  le  prince  de  Lobkowitz  le  gouverna  plus  par  adi-esse  et  par 
cabale  que  par  confiance,  ce  miuistre  d' ailleurs  beaucoup  plus  occupe 
aux  maneges  de  la  cour  et  aux  intrigues  qu'aux  affaires  exterieures, 
qui  pourraient  donner  de  la  grandeur  et  de  la  reputation  a  son  maitre, 
et  se  trouvant  dans  une  confiance  generale  avec  les  Espagnols  et  les 
Fran9ais,  qu'il  veut  toujours  menager  egaleraent.  Le  C^"  Lamberg 
toujours  bon  homme,  ne  se  melant  de  rien.  Le  comte  de  Schwarzem- 
berg  attache  aux  Espagnols  d'  inclinatiou  et  d'  interets,  mais  assez  ren- 
ferme  dans  ses  fonctions  auliques. 

[Das  war  der  Zustand,  als  die  Nachricht  von  der  Eroberung 
Lothringens  durch  die  Franzosen  in  Wien  einlangte.  Sie  erregte  grosses 
Aufsehen    und    veranlasste    den  Lothringer  den  ^V^iener  Hof    um    eine 


^gg  P  V  i  b  r  a.  m. 

Unterstützung  anzugehen.  Den  berechtigten  Grund  Ludwig  XIV.  so 
vorzugeheu,  glaubt  der  Verfasser  in  dem  wiederholten  Vertragsbruche 
des  Herzogs  von  Lothringen  suchen  zu  müssen,  wie  dies  Gravel  in  liegeus- 
burg  so  überzeugend  auseinandergesetzt  habe.  Der  Kaiser  entschloss 
sich  auf  die  Bitten  des  Lothringers  die  Vermittelung  zu  versuchen  und 
sandte  den  Grafen  Windischgrätz  nach  Paris.  Die  Mediation  des  Kaisers 
wurde  von  Ludwig  XIV.  in  sehr  höflicher  aber  entschiedener  Weise 
abgelehnt].  A  dire  vrai,  on  fit  a  Paris  un  jugement  bien  diffe'rent  de 
r  opini(m  qu'  on  en  avait  ä  Vienue,  oU  il  etait  eu  estime  de  gi-aud 
negociateur  et  plus  capable  qu'  uu  autre  de  faii'e  reussir  cette  aöaire  a 
laquelle  il  tut  destine  nonobstant  sa  reiigion  lutherienne,  qui  d'ailleiirs 
aurait  pu  empecher  1'  Empereur  de  1'  honorer  d'  une  commission  si  im- 
portaute.  Aussi  Ton  peut  dii'e  qu'il  a  de  l'esprit  et  qu'il  La  Joint 
ä  une  grande  conuaissauce  des  langues,  1'  etude  des  helles  lettres  et  de 
ce  que  peut  connaitre  la  politique;  mais  on  trouva  en  France  que  ses 
helles  qualites  etaieut  gätees  par  une  vauite  et  par  une  grande  opiniou 
d'un  merite  qui  ne  parut  en  rieu;  qu'il  etait  defiant  et  inquiet  dans 
les  choses  claires  et  oü  l'on  etait  de  bonne  foi  avec  lui,  et  souvent 
simple  et  peu  eclaire  dans  les  affaires  dehcates,  oh  Ton  pouvuit  le 
surprendre,  et  qu'eufin,  si  son  aff'aire  eut  pu  reussir  d'elle-meme,  il 
eut  pu  la  ruiuer  par  sa  mechante  conduite. 

[Windischgrätz  kam  nach  Wien  zur  Zeit,  da  die  ganze  grosse 
Verschwörung  der  Ungarn  ihr  Ende  fand,  die  zu  schildern  der  Ver- 
fasser versuchen  willj. 

Le  royaume  de  Hongrie  avec  ses  dependances  etant  passe  depuis 
pres  de  150  ans  sous  la  domiuation  de  la  maison  d'Autriche  par  le 
mariage  de  Ferdinand  P'  avec  Anne,  soeur  de  Louis,  dernier  roi  de 
Hongrie,  cette  re'union  d'  Etats  qui  semblait  devoir  lier  plus  etroitement 
les  Hougrois  et  les  Allemands  sous  un  meme  maitre  produisit  entre 
eux  un  effet  tont  contraire.  La  diffe'rence  de  langage,  des  coutumes 
et  meme  des  habits,  les  difticulte's  sur  les  diversites  des  religions  aux- 
quelles  1'  Empereur  ne  peut  etre  favorable,  y  ont  mis  la  premiere  haine ; 
depuis  on  a  ote  aux  Hongrois  la  garde  de  leurs  places  pour  y  mettre 
des  garnisons  allemandes,  on  a  peu  d'egard  a  la  conservation  de  leurs 
Privileges,  et  par  la  derniere  paix  qui  semblait  les  devoir  mettre  en 
repos,  ils  se  sont  trouves  exposes  aux  ravages  des  Turcs,  sans  se  pou- 
voir  defendre  eux-memes,  ni  esperer  des  Protections  de  leurs  maitres. 
Les  Sujets  de  plaiute  ont  laisse  dans  le  coeur  de  cette  nation  d'  ailleurs 
bizarre  et  extravagante  un  foud  de  haine  incroyable  pour  le  gouver- 
nement  allemand,  et  qui  leur  fait  souhaiter  sans  cesse  d'  avoir  un  roi  de 
cette  nation,  comme  ils  pretendeut  que  leurs  privileges  leur  perinettcnt 


Aus  d.  Berichte  eines  Franzosen  üb.  ct.  Wiener  Hof  in  d.  J.  1671  u.  1672.       289 

d'eu  elire.  On  peut  dire  que  c'est  ce  qui  a  doniie  aux  auteurs  de  la 
derniere  conspiration  la  contiance  d'en  former  le  dessein,  auquel  ils 
s'engagerent  de  cette  maniere. 

Parmi  la  uoblesse,  qni  est  grande  et  puissante  en  ce  royaume, 
])resque  toute  malconteiite,  la  maison  de  Serin  i)  teiiait  un  rang  fort 
cousiderable  ])ar  sou  antiquite,  par  son  attachement  a  la  religiou 
catholique  et  par  nne  reputation  de  valenr  etablie  de  pere  en  fils  dans 
cette  maison  sur  une  longue  suite  de  belles  actions  sur  les  infideles. 
Le  C^''  Nicolas  et  le  C*^<^  Pierre  sou  frere  restaient  seuls  de  cette  grande 
famille  et  avaient  herite'  de  leurs  ancetres  la  haine  contre  les  Turcs  et 
l'habitude  de  leur  faire  la  gaerre  par  des  courses  continuelles.  Le 
premier  n'ayant  pas  re'ussi  dans  l'entreprise  de  Canise -),  qu'il  avait 
assiegee  au  commeucement  de  l'annee  lOCjA'^^),  et  ayant  jierdu  son  fort 
lächeineut  abandonue  par  les  imperiaux,  il  se  trouva  daus  une  espece 
de  disgräce,  et  apre.s,  la  bataille  de  Kaab  ^),  la  jiaix  e'tant  faite  avec  les 
Turcs,  on  lui  ordonna  de  se  retirer  dans  ses  terres.  Comme  le  ])rince 
de  Portia  n'aimait  que  la  paix  et  sacrifiait  tout  pour  l'avoir,  il  n'ai- 
inait  pas  le  C^**  Nicolas  de  8erin,  comme  un  liomme  qui  avait  ete'  cause 
en  partie  de  celle  qu'on  venait  de  terminer  et  qui  parlait  de  cette 
]jaix  comme  d'uue  paix  honteuse,  oii,  apres  des  batailles  gagne'es,  on 
laissait  aux  intideles  tout  ce  qu'ils  avaient  ]»ri.s.  11  se  retira  donc  en 
Croatie,  oü  peu  a})res  il  fut  tue  a  la  cliasse  par  un  sanglier.  C'e'tait 
un  liommo  brave,  vigilant,  inquiet  et  ambitieux,  capable  de  grandes 
resolutions  et  on  pretend  que  les  chagrios  qu'  il  avait  re^us  de  la  eour 
lui  avaient  donne  des  idees,  qui  auraient  pu  causer  des  revolutions 
considerables,  si  elles  n'f^usseut  ete  etoutfnes  pur  sa  mort,  que  plusieurs 
out  attribuee  ä  un  assassinat  premedite  plutot  qu'  ä  la  rencontre  d'  une 
b«"'te.  Le  C*^"  Pierre  son  frere  avait  eu  part  k  sou  deplaisir,  il  avait 
du  courage  comme  lui  et  une  force  du  geant,  mais  peu  d'habilite  et 
de  condnite,  et  neanmoins  c'etait  le  second  heros  des  Hongrois.  Les 
courses  qu'il  faisait  continuellement  sur  les  Turcs  1' avaient  fait  sub- 
sister  toujours  avantageusement  ])ar  le  pillage  et  ]3ar  la  vente  des 
prisonniers,  et  lui  donnait  moyen  d'amasser  trois  ou  quatre  mille  clie- 
vaux  hongrois,  (pü  vivaient  de  la  meme  maniere.  Mais  la  paix  e'tant 
faite  et  les  courses  entierement  defendues  ])ar  rEnii)ereur  de  peur  de 
donner  au  Türe  des  sujets  de  rupture,  meme  desagre'able  aux  yeux  de 
la  cour,  ])auvre  et  dans  1'  imjmissance  de  se  maintenir  comme  il  avait 
fait  jusqu'  alors,  il  demeura  quelques  annees  dans  cet  etat,  mais 
enfin  son  chagriu  et  son  im))etuosite  naturelle  le  portereut  ä  se  ])laindre 


'j  Zriny.  ^)  Canischa.  "}  In  codice  1667.  ■•)   1.  Aug.   1664. 

MiULeiluugeu   XII.  19 


ouvertemeut  de  la  cour  et  ü  lucuaccr  de  quelquc  revolte,  croyaut  que, 
daus  la  faiblesse  oü  etait  le  goiivernement,  on  chercherait  ä  l'apaiser. 
Le  C*'^  FraiKjois  Fraugipani,  son  bean-frere,  homme  inquiet  et  vain, 
qui  avait  de  l'esprit  et  du  feu  mais  sans  jiigement,  entr;i  daus  ses 
sentiments,  et  tous  deiix  engagereut  im  C*''  de  Tatteubach,  qui  u' avait 
])our  merite  que  de  la  qualite  et  du  bieu.  Wesseleuy  i),  Palatin  de 
Hüugrie  et  Fraü9ois  Nadasdy  -)  s'  etaut  aussi  jetes  dans  cette  cabale, 
ce  dernier  cousiderable  ]iar  ces  bieus,  ses  alliances,  ses  emplois  et  d'uu 
genie  fourbe  et  cache. 

Ils  donnereut  eufiu  quelque  forme  a  leur  dessein  et  ayaut  resolu 
de  partager  eutre  eux  la  Croatie  et  la  Hougrie,  ils  offrireut  au  Grand- 
Seigneur  de  faire  revolter  les  provinces  et  de  les  teuir  de  lui  comme 
le  prince  de  Trausylvanie,  Le  Tiirc  leur  refusa  absolumeut,  ils  voulurent 
faire  des  propositions  a  la  France,  qui  les  rejeta  aussi  et  ils  cherche- 
reut  enfin  uu  maitre  qui  les  protegeat  contre  l'Empereur,  qu'ils 
voulaient  abandonner.  Pendant  les  uegociations  ils  venaient  a  la  cour 
parier  tacitement,  ])reseutaient  des  placets  pur  des  ]irecautions  extra- 
vagantes et  jusqu'  ä  1' antichambre  de  TEmpereur  ils  meuacaieut  de 
se  donner  au  IHirc.  Cette  iusolence  ayaut  fait  conuaitre  leurs  iuten- 
tions,  et  un  domestique  du  C**^  de  Tattenbach,  pique  de  quelque  mauvais 
traitemeut  de  son  maitre,  en  ayaut  assez  decouvert  pour  le  faire  arreter, 
le  comte  de  Serin  et  Fraugipani  se  trouverent  embarrasses  et,  daus 
l'incertitude  du  parti  qu'ils  devaient  preudre  pour  gagner  du  temps, 
ils  envoyerent  a  la  cour  le  coufesseur  •'^)  du  C^"  de  Serin  jiour  obteuir 
la  liberte  de  venii-  se  justifier;  ou  assura  que  l'Empereur  leur  envoya 
des  sauf-conduits.  Ils  partireut  sur  cette  croyance,  fiirent  arretes  eu 
chemin  et  couduits  ii  Vienue.  II  est  certain  qu'ils  avaieut  parole 
positive  de  leur  liberte,  mais  la  raison  d'e'tat  l'eiuporta  daus  l'esprit 
des  miuistres  sur  les  scrupules  d'uue  ])arole  et  les  fit  reteuir  pour  leur 
faire  leur  proees. 

Sur  cette  nouvelle,  le  prince  Kakciczi,  geudre  du  (.•'"  de  Seriu  ^), 
assembla  dix  ou  douze  mille  liommes  de  ses  sujets  et  eutra  dans  la 
Haute-Hongrie,  oü  il  a  plusieurs  places;  et,  ayaut  surpris  le  0*"  de 
Starhemberg^'),  gouverueur  de  Tokay,  il  se  saisit  de  la  ville,  mais  il  u'osa 
attaquer  le  chäteau,  et  cette  demarche  fut  uue  entreprise  de  jeiiue  homme 
suivie  seulemeut  de  gens  ramas.ses,  qui  se  dissi})ereut  ä  1' instant,  que 
]'Emi»ereur  y  envoya  un  corps  de  4000  chevaux  et  quelque  iufanteric 


')  In    codice    .Vesseliu'.  -)  In    codice  .Madart.y*.  «)  P.  FoiHtall ; 

vgl.    A.   VVoir  Lubkowitz   268  I'.  ■*)    Kr   heiratliete    Helene  Zriny,    die    sich  in 

zweiter  Ehe  mii  Emevich  Tfiküly  veiiiiäliK«'.  •'•)  in  codice  .Nuieiuberg'. 


Ans  rl.  Berichte  eines  Franzosen  üb.  d.  Wiener  Hof  in  d.  J.  1 671  n.  1 072.       99 \ 

soiis  le  ge'jieral  8i)orck,  qui  ue  trouva  aucuue  resistance,  s'empara  des 
places  du  prince  Kuk()czi,  y  mit  garuison  et  se  fit  rendre  par  la  veuve 
du  Palatin  Wesselleui  sur  une  simple  soraraation  le  cliateau  imprenable 
de  Muran}^  dans  lequel  ou  trouva  tous  les  memoires  originaux,  les 
lettres,  les  i)rojets  et  les  traite's  des  conjure's,  qui  ont  servi  depuis  de 
convictiou  dans  le  proces,  et  qui,  ])our  lors,  firent  connaitre  que  le  C^'^ 
Nadasdy  etait  de  la  coujuration  et  peut-etre  le  plus  coupable.  II 
demeurait  cependant  ä  quatre  Heues  de  Vienne  dans  son  chäteau  de 
Pottendorf,  sans  s'etonuer  de  voir  les  autres  conjures  prisonniers,  et 
avee  la  meme  assurance  que  s'il  eüt  ete  innocent,  de  sorte  qu'on  eut 
toute  la  commodite  de  l'y  arreter  au  mois  d'octobre  ')  de  l'annee  1070 
et  de  le  conduire  k  Vienne,  oü  son  proces  lui  fut  f'ait  jusqu'  au  der- 
nier  jour  d'avril  1071,  qu'il  eut  la  tete  coupee  dans  la  salle  de  la 
maison  de  ville,  apres  avoir  ete  degrade  de  noblesse.  Les  eomtes  de 
Serin  et  Frangipani  furent  executes  le  meme  jour  et  ä  la  meme  heure 
dans  la  place  pulilique  de  Neustadt  a  huit  lieues  de  Vienne. 

Kien  n' etait  plus  CüU])able  que  leur  conjuration,  pt  cependant 
rEin]iereur  leur  aurait  pardonne,  s'il  n'eut  ete  soutenu  par  ses  uiinistres, 
(pii  lui  iireut  voir  de  quelle  consequence  etait  leur  |)unition  '^).  Le  prince 
Käkoczi  s'etant  retire  en  Transylvanie  en  fut  quitte  i)Our  deux  ceut 
mille  ecus  et  des  garnisons  dans  ses  ])laces  et  le  comte  de  Tattenbacli 
r«^servH  a  perdre  la  tete  se])t  ou  huit  mois  apres  dans  la  ville  de  Graz 
en  Styrie.  Cette  grande  executiou  acheva  d'aigrir  les  Hongrois  et  de 
mettre  dans  le  coeur  de  cette  nation  farouche  et  infidele  toute  la  baine 
possible  (outre  rEm))erenr  et  le  gouvernement  et  toute  la  disposition 
ii  la  revolte  et  cherclier  tous  les  moyens  de  se  venger  en  se  soumettant 
a  la  puissance  etrangere. 

(Nach  der  Beendigung  dieser  Verschwörung  trat  Euhe  am  Hofe 
des  Kaisers  ein,  die  nur  unterbrochen  wurde  durch  die  von  dem  Für- 
sten von  Lobkowitz  dem  französischen  Gesandten  Gre'monville  angethaue 
Beleidigung,  für  die  er,  auf  das  ausdrückliche  Verlangen  Taidwig  XIV. 
hin,  Genugtlinuug  leistete)  ■^). 


')  Er  wurde  am  3.  fcJept.  uacli  Wien  gebracht;  vgl.  VVoll",  Lobkowitz  298. 
'-')  Vgl.  tlie  bezeichnenden  Aussprüche  Leopokls  bei  Mailath  ,Ung.  Gesch.  IV, 
96  f.  und  Heigel  ,Neue  Beiträge  zur  Characteristik  Kaiser  JiCopold  1.'  Sitzungs- 
ber.  der  bair.  Akad.  der  Wif;s.  189(>.  Bd.  II,  Heft  V,  140.  Jch  habe  es  nitt  gern 
(getan),  allein  ne  Hungari  possent  credi,  (lernianis  oiunia  condonari,  illos  solnni, 
.  .  .  und  damitt  auch  die  Krblanden  ein  Exempcl  haben,  hab  ichs  mue-ssen  ge- 
schehen lassen.  (Jott  aeye  seiner  Seel  gnädig.'  •')  Da  diese  Angelegenheit 
wiederholt  austührlich  erörtert  worden  ist,  wiu'de  von  der  IVlittheilung  abgesehen. 
Vgl.  Woll  Lobkowitz  378  f.,  Migaet  1.  c.  ül,  5()S  ff. 


292  P  r  i  1)  r  ä  ni.  ' 

Les  ministres  etraugers  cousiderables  qui  se  sont  trouves  ä 
la  cour  imperiale  pendaut  ce  temi)s,  dont  je  u'ai  pas  eu  occasion  de 
parier  particiilierement,  ont  ete  Monsignor  Pignatelli,  iionce  de  Sa 
Saintete,  bon  homme,  aimant  la  bonne  obere,  entendant  medioerement 
les  alFaires  de  son  maitre  et  poiut  du  tout  les  sienues  propres,  et  cpü, 
apres  de  longs  emplois,  oü  il  avait  consomme  sa  vie  et  son  bieii,  n'  a 
eu  pour  toute  recompense  au  Heu  du  Cardinalat  qu'  uu  eveche  de  tres 
petit  revenu.  Monsignor  Nerli  qui  vint  apres  lui  en  qualite  d'extra- 
ordinaire  jusqu'  ä  ce  qne  1'  ordiuaire  füt  arrive,  sortait  de  la  noueiature 
de  Pologne,  et  attendant  des  ordres  pour  passer  en  France,  oü  nean- 
moins  il  n'alla  point  lors  par  raison  de  quelque  degout  entre  cette 
cour  et  Celle  deRouie,  etait  arcbeveque  de  Floreuce,  age  d"environ40aus; 
il  avait  de  la  capacite  et  de  l'es])rit,  mais  Cache  sous  un  air  defiant 
et  embarrasse  et  des  manieres  difficultueuses.  Monsieur  Albizzi,  vieux 
prelat  Calabrais  de  64  ans,  avait  ]dus  d'ouverture  et  ne  manquait  ])as 
de  merite. 

Marino  Giorgi  i),  ambassadeur  de  la  republique  de  Venise  finit  son 
emploi  au  mois  d'aoüt  1671.  C  etait  un  liorame  savant  et  eloquent, 
fort  applique  ä  son  emploi,  du  reste  les  mauieres  et  la  figure  d'un 
veritable  docteur,  et  jamais  il  ne  fut  de  ces  liommes  plus  diiferents, 
que  lui  et  le  cbevalier  Morosini,  qui  lui  sueceda,  grand  et  de  bonne 
mine,  de  la  capacite  dans  les  affaires,  de  la  galanterie  pour  le  monde, 
le  coeui'  et  les  manieres  d'un  vrai  bounete  horame ;  la  reputation  qu'il 
s' etait  acquise  dans  son  ambassade  de  France,  les  marques  d'estime 
et  d'affection  qu'il  avait  recues  du  roi,  et  la  recounaissauce  qu'il  eu 
faisait  paraitre  ne  lui  furent  pas  avantageuses  en  cette  cour,  oii  on  le 
regarda  d'abord  comnie  un  homme  tout  fran^ais  et  dont  le  merite 
meme  donnait  du  ehagrin  a  bien  des  gens  qui  se  trouvaioit  en  ce  point 
beaucoup  au-dessus  d'eux. 

Les  nonces  et  les  ambassadeurs  qui  soiit  a  la  cour  de  Vienne  sont 
ol)liges  par  une  bienseance,  passee  en  coutume,  d'  assister  a  la  chapelle 
toutes  les  f'ois  que  l'Empereur  la  tient,  ce  qui  arrive  fort  souvent;  de 
la  ils  accompagneiit  Sa  Majeste  au  diner  et  d'abord  qu'il  a  bu  la 
premiere  fois  ils  se  retirent.  Les  courtisans  ne  sont  moins  ponctuels 
a  s'en  aller,  et  il  arrive  d' ordiuaire  qu'ä  la  moitie  du  repas,  il  lie 
reste  aupres  du  prince  que  peu  de  personnes,  que  leurs  cli arges  obli- 
gent  de  le  servir.  C'est  l'heure  oii  tout  le  monde  fait  sa  cour,  que 
de  gens  se  trouvent  au  souper  et  personue  au  l<'ver  ui  coucher,  hors 
les  officiers  necessaires. 


')  hl  coilice  i Maria  Torcy*. 


Aus  d.  Berichte  eines  Franzosen  üb.  d.  Wiener  Hofin  d.  J.  Ib71  u.  1672.       203 

Chez  r  imperatrice  douairiere  on  va  au  diuer  et  au  souper,  et  il 
se  trouve  des  daraes  qui  out  passe  une  partie  de  1' apres-diner  avec 
Sa  Majeste.  Durant  qu'elle  mange,  on  cause  avec  liberte  et  eile  parle 
familierement  aux  personnes  qui  sont  autour  d'elle.  II  va  |ieu  de 
dame  et  rarement  chez  1'  impe'ratrice  regnante,  qui  est  presque  toujours 
enfermee  avec  les  Espagnols. 

Les  personnes  de  qualite  ä  Vienue  sont  tous  comtes  ou 
barons,  sans  ce  titre  ou  fait  bien  peu  d'estime  d'un  gentilhomme. 
Mais,  quoique  les  comtes  d'Autriche  soient  beaucoup  entetes  de  leur 
noblesse,  en  laquelle  ils  fönt  presque  consister  tout  le  merite,  il  y  a 
neanmoins  ä  Vienne  bien  des  comtes  et  des  barons  nouveaux,  par  la 
grande  facilite  qu'  out  eue  les  Empereurs  a  donner  ce  titre  ä  des  per- 
sonnes qui  se  sont  elevees  dans  les  finances  ou  dans  les  chancelleries. 
Ceux  de  cette  famille  qui  sont  riches  e])ousent  souvent  des  filles  des 
ancienues  maisons,  Mais  il  est  assez  rare  de  voir  des  hommes  de  la 
vieille  noblesse  se  raesallier,  de  peur  de  perdre  l'avantage  de  mettre 
leurs  enfans  daus  les  chapitres  oh  on  prend  les  electeurs  ecclesiastiques 
et  les  eveques  princes.  Cependant  il  y  a  grande  difference  entre  un 
comte  de  1' Empire  et  un  comte  d'Autriche;  ces  derniers  etant  sujets 
de  r  Empereur,  duquel  ils  relevent  comme  archiduc  et  seigneur  de  ces 
pays  hereditaires ,  au  Heu  que  les  autres  ne  le  reconnaissent  que 
comme  chef  de  1' Empire,  dout  ils  sout  membres  souverains  dans  leurs 
comtes  et  baronnies,  et  ayant  seance  et  voix  aux  dietes.  Tous  les  Che- 
valiers ont  un  soin  particulier  dans  leur  jeunesse  de  voyager,  de  faire 
leurs  exercices  dans  les  pays  etrangers,  d'  en  apprendre  les  langues,  et 
.1  est  rare  d'  en  trouver  un,  qui  outre  la  maternelle  ne  parle  encore  la 
latine,  la  fran^aise,  1'  italienne  et  quelquefois  1'  espagnole,  mais  apres  de  si 
beaux  commencements  la  plupart  ne  s'appliquent  a  rien  dans  la  suite 
et  menent  une  vie  fort  inutile. 

Peu  d'  entre  eux  sont  a  la  guerre,  et  si  1'  on  en  voit  quelques  uns 
dans  r  emploi,  ce  sont  des  jeunes  gens,  qui  depuis  que  la  guerre  dura 
ont  pris  des  compagnies  pour  subsister.  Le  reste  des  officiers  de 
r  armee  sont  la  ])lupart  etrangers  ou  soldats  de  fortune.  La  negligence 
des  AUemands  donnc  moyen  a  beaucoup  d' Italiens  de  venir  chercher 
de  r emploi  dans  les  troupes  de  1' Empereur;  comme  ils  sont  industri- 
eux  et  naturellement  ajipliques  a  leur  fortune  ils  y  entrent  facilement 
par  la  faveur  de  1' imperatrice  douairiere,  du  comte  de  Montecuccoli  et 
de  r  ambassadeur  d'Espagne,  et  on  peut  dire  quo  cette  nation  fait 
une  partie  considerable  dans  cette  cour. 

La  vie  des  courtisans  de  Vienne  est  fort  peu  occupee.  Ils  vont 
le  matin  a  l'eglise   servir  les    dames,    car   c'est  le  temps   dont  ils  se 


20 


P  c  i  li  1  ii  in. 


servent,  k  midi  voir  diiier  TEmpereur  et  le  soir  a  la  couversatioii  on 
antreraent  la  com])agnie.  II  faut  s(;avoir  qu'a  la  coiir  de  Vienne  im 
cavalier  n'a  point  la  liberte'  d' aller  voir  une  dame  en  particulier,  que 
hors  la  visite  de  ceremonie,  l'usage  ne  permet  i)as  qu'une  femme  seule 
re^^oive  las  visites  d'im  homme  seiil.  Cette  coutume  ötant  la  liberte' 
necessaire  dans  le  commerce  de  la  vie  et  dans  celui  que  T  incliuation 
peut  e'tablir  entre  les  cavaliers  et  les  dames,  quelques  unes  de  ces 
dernieres  ont  trouve  moyen  d'introduire  cliez  elles  tour  a  tour  une 
couversatiou  depuis  6  ou  7  heures  du  soir  jusqu' ä  0  ou  10.  Ceux 
(|ui  aiment  les  jeux  y  trouvent  compaguie  ])0ur  jouer  et  les  galans 
rencoutrent  leurs  maitresses  et  ont  la  commodite  de  les  entretenir 
avec  la  liberte  que  la  tendresse  peut  i)roduire  entre  deux  personnes 
qni  ne  s"  embarrassent  point  trop  de  la  presence  des  autres.  .  .  . 

L' impe'ratrice  douairiere  passe  tout  l'ete  en  sa  maison  des  Favo- 
rites  dans  le  Faubourg  d'Italie,  et  comme  eile  vit  fort  librement,  les 
dames  et  les  cavaliers  lui  vont  faire  leur  cour  1'  apres-diner,  et  trouvent 
dans  r  agrement  de  la  promenade  et  des  allees  couvertes  de  son  jardiu 
ia  commodite'  de  se  voir.  L'  hiver  donue  d'  autres  plaisirs  et  les  „  Wirth- 
schaften"  sont  les  plus  grands  divertissements  du  carueval.  Ce  sont 
de  gi-auds  repas  suivis  d'  un  bal  oii  on  est  prie  de  venir  masqiie,  mais 
de  maniere  qu'  on  se  demasque  en  entrant.  La  troupe  des  masques  va 
d'ordinaire  au  palais  se  montrer  ä  Leurs  Majestes  avant  que  d' aller  ä 
l'assemble'e,  oü  l'on  ne  danse  ])as  plus  regulierement  qu'aux  noces 
de  village.  Quand  il  a  neige,  on  a  le  plaisir  dos  traineaux  oii  les 
dames  magnifiquement  parees  ont  le  cbevalier  derriere,  qui  tient  les 
renes  du  cbeval  tout  couvei*t  de  ])lumes  et  de  sonuettes  et  les  conduit 
par  la  ville  au  gi'and  trot  a  la  clarte  des  flambeaux.  ü'ailleurs  il 
n'y  a  a  Vienne  aucun  ])laisir  public  que  la  comedie  allemande,  qui  se 
represente  de  temps  en  temi)s  et  qui  est  si  detestable,  au  dire  meine 
des  Allemands,  que  Ton  n'y  va  que  \Mmr  trouver  corapagnie  et  n'y 
point  entendre  ce  qui  s'y  rejjre'sente.  Je  ne  dirai  rieu  des  maisons 
de  camimgne  de  l'Empereur  a  Kbersdorf,  ä  une  lieue  de  Vienne  et 
Laxeuibourg,  a  4  Heues,  (elles)  ne  sont  guere  plus  belies  que  mediocres. 
Ce  prince  u'  afi'eete  la  maguificence  des  biUiments,  ui  ä  sa  table  ou  dans 
le  nombre,  ou  les  livrees  de  ses  gardes  ou  ses  domestiques. 

II  doune  meme  les  audienees  soit  ou  aux  ambassadeurs  ou  aux 
l^ersonnes  moindres  d'une  maniere  qui  a  peu  de  gi-andeur  et  de 
raajeste.  Le  grand  cliambellan,  ä  qui  on  s'adresse  pour  l'obtenir  vons 
ayant  averti  de  l'heure  de  l'audience  s'y  trouve  et  vous  conduit  jusqu'a 
la  porte  de  la  chambre,  oü  il  n" entre  point.  de  sorte  que  l'on  de- 
meure  seul  tete-a-tete  avec  le  prince,  duquel  on  a  toutes  les  audienees 


Aus  il.  Berichte  eines  Franzosen  üb.  d.  Wiener  Hof  in  1I..T.  I(i7l  u.  1672.       21^5 

tete-a-tete.  L' Emjiereiir  a  une  belle  ecurie,  im  tresor  plein  de  raretes 
et  de  clioses  precieuses  et  grand  uombre  de  ]iemtures  de  prix.  Les 
reveuus  ne  i>assent  pas  13  ou  14  millions  de  livres  de  France,  et  il 
est  difficile  qu'il  les  ])uisse  augmenter,  parce  que  les  ])rovinces  qui 
en  payent  la  plus  grande  ])artie  ayant  toujours  maiutenu  leurs  Privi- 
leges, ont  droit  de  regier  chaque  annee  ce  qu'ils  doiveut  donuer  ä 
Leurs  Majestes.  Les  droits  d'entree  et  de  sortie  et  les  impositions  sur 
les  marchandises  produisent  peu,  f'aute  de  commerce,  qui  ne  peut  etre 
que  tres-mediocre  dans  un  pays  eloigne  de  la  mer,  dout  les  hahitans 
sont  Sans  Industries,  ue  fönt  aucuues  manufactures  pour  euvoyer  aux 
etrangers  et  ne  travaillent  qu'autaut  qu'ils  sont  obliges  pour  avoir 
preeisement  de  quoi  vivre.  D'ailleurs  les  revenus  de  l'Empereur  sont 
assez  mal  administres. 

Les  surintendaus  des  finances  ne  rendent  jamais  de  compte, 
plusieurs  droits  sont  alienes  pour  peu  de  chose,  et  il  ne  revient  dans 
les  coffres  du  prince  qu'une  petite  partie  de  ce  qui  se  leve;  le  reste 
demeurant  entre  les  mains  d'un  g-rand  uombre  d'officiers  charges 
d'en  faire  le  recouvrement.  Le  pays  en  sei  est  abondant  en  tout  ce 
qui  est  necessaire  ä  la  vie,  comme  je  Tai  dejä  dit.  Le  ]>euple  n'est 
point  laborieux  et  la  Situation  n'est  point  favorable  pour  le  com- 
merce,  de   Sorte    qu'il  faut   que  tout  se  consume  dans  le  pays  meme. 

Quand  je  parle  des  pays  de  rEm]iereur  je  ne  com])rends  que 
ceux  qui  sont  liereditaires ,  car  dans  rEm])ire  il  ne  possede  que 
l'autorite  de  clief  et  rien  en  propre.  II  faut  qu'il  soutienne  sa  dignite 
par  les  revenus  particuliers  de  sa  maison.  L'entretien  de  l'armee  est 
une  des  plus  gi-audes  de])enses;  en  l'anuee  1671,  qu'il  etait  en  paix, 
eile  etait  coui])osee  d'environ  30000  liommes,  consistant  en  12  regi- 
ments  de  cavalerie  et  d' Infanterie  et  un  de  dragons.  An  commence- 
ment  de  l'anuee  1672  on  fit  de  grandes  revues  daus  1' Infanterie  et 
des  augmentations  dans  la  cavalerie  jusqu'  a  40000  hommes.  Dans 
la  siiite  de  la  meme  anuee,  on  leva  un  regiment  d' Infanterie,  un  de 
dragons  et  iiu  de  cavalerie,  de  soi*te  que  le  tout  montait  ä  45000 
hommes.  ('es  troupes  sont  re])audues  dans  les  ])ays  liereditaires  et 
ont  leurs  quartiers  dans  les  provinces,  qui  sont  chargees  de  leurs 
payements,  dont  les  officiers  memes  sont  obliges  de  faire  le  recouvre- 
ment, sur  quoi  je  ne  puis  m'em]>echer  de  faire  reflexion  sur  ce  qu'on 
dit  d'ordinaire  en  Allemagne  que  l'Empereur  fait  subsister  ses  trou- 
pes avec  plus  de  faeilite  et  moins  de  depense  qu'aucuus  autres  princes 
allemands,  s'imaginant  qu'il  ue  donne  pas  l'argent  lui-meme  et  que 
les  troupes  le  prennent  sur  le  pays;  au  lieu  que  cette  sorte  d'eta- 
blissement   ruine  davantage  les  ])rovinces,  en  ce  qu'il   donne  lieu  aux 


2\)C)  F  r  i  li  r  a  in. 

officiers  de  faire  des  concussious  et  de  tirer  outre  le  payeruent  leurs 
subsistances  et  leurs  equipages,  outre  que  les  soldats  separes  dans 
les  villages  sans  faire  de  fonctions  et  d' excercices,  se  perdent  dans 
r  oisivete  et  redevienuent  paysans,  ce  qui  se  pourrait  eviter,  si  1'  Ein- 
pereur  touchaut  lui-rneme  l'argent  des  provinces  pour  eu  payer  ses 
troupes,  les  renferraait  dans  des  garnisons,  oü  11  pourrait  leur  faire 
garder  une  discipliue  exacte.  Le  service  de  1'  Empereur  est  en  reputation 
non-seulement  par  la  raison  de  la  haute  paye,  mais  aussi  par  la  grande 
autorite'  qu'ont  les  colonels;  ils  sont  souverains  dans  leurs  regiments 
et  disposent  absolument  de  toutes  les  charges,  L' Empereur  meme  ne 
les  peut  remplir  et  ne  peut  employer  que  sa  recommandation  aupres 
du  colonel,  qui  y  defere  conime  il  lui  plait.  Ce  grand  pouvoir  est 
accompagne  d'uue  grande  utilite  considerable,  car  outre  la  paye  qui 
est  fort  haute,  la  plupart  des  colonels  se  fönt  donner  de  l'argent 
par  leur  regimeut  en  forme  de  present,  le  jour  d'etrennes,  et  quand 
ils  fönt  quelques  voyages  ä  la  cour,  il  y  en  a  peu  qui  regoivent  des 
capitaines  ou  des  subalternes  sans  quelque  argent. 

Les  emplois  s'y  achetent,  et  cet  ancien  ordre,  qui  faisait  raouter 
les  officiers  selon  leur  raug  est  fort  souvent  interrompu,  ce  qui  s'est 
introduit  depuis  la  paix  par  l'avance  de  plusieurs  colonels.  soldats  de 
fortune,  que  l'interet  et  l'envie  de  gagner  menerent  ä  la  guerre  plu- 
töt  que  l'honneur  et  l'ambition. 

Cependant  les  troupes  de  1' Empereur,  et,  quoique  la  reforme  de 
1668  ait  ote  une  partie  des  vieux  soldats,  qui  n'out  depuis  ete 
remplaces  que  ]iar  de  nouvelles  levees,  les  vieux  corps  sont  neau- 
moins  toujours  en  bon  etat.  Deux  defauts  en  peuvent  diminuer 
la  bonte,  un  que  les  corps  etant  trop  grands,  trop  nombreux 
ue  sont  pas  remplis  d'assez  officiers,  car  dans  l'infanterie  les  com- 
pagnies  sont  de  250  hommes,  et  Tautre,  que  le  me'rite  des  officiers 
ue  repond  uullement  a  la  boute  des  soldats.  L' Empereur  a  des  ])ays 
assez  etendus  ])our  faire  subsister  beaucoup  de  troupes,  mais  je  ue 
crois  pas  qu'il  en  ])uisse  lever  seulemeut  au  delä  de  ce  que  j'ai 
remarqii<5  qu'il  a  sur  pied,  ;i  moins  t(u'il  ne  re^oive  de  1' argent  etran- 
ger.  Lorsqu'il  fait  la  guerre  du  cöte  du  lihiu  ou  vers  le  noi'd  il  a 
la  commodite  de  preudre  des  quartiers  d' hiver  dans  1' Empire;  nuiis 
dans  la  guerre  avec  les  Turcs  il  n'  en  peut  ])reudre  que  sur  ses  propres 
Etats,  qui  sout  la  frontiere  d'AUemagne  de  ce  cöte-la  i). 

')  Herrn  Prof.  A.  Founiipr,  der  die  (Jiite  hatte,  mir  seine  vor  Jahren  angefer- 
tigte Abschrift  dieses  Memoires  zur  C'oUationiimg  zur  Verfügung  zu  stellen, 
spreche  ich  hiemit  meinen  besten  Dank  aus. 


Kleine  Mittlieilungen. 

Die  splirauistisclie  Sammluiijr  des  A.  H.  Kaiserhauses.   Die 

nachfolgenden  Zeilen  sollen  dazu  dienen ,  die  Aufmerksamkeit  der 
Fachkreise  auf  diese  quantitativ  wie  qualitativ  bedeutende  Sammlung 
hinzulenken,  welche  eine  Abtheilung  der  MünÄ-  und  Antiken  Sammlung 
des  kunsthistorischen  Hofmuseums  bildet  und  erst  jetzt,  in  ihrer  zum 
grösseren  Theil  beendeten  Aufstellung,  der  wissenschaftlichen  Benützung 
vollkommen  zugänglich  ist. 

Selten  dürfte  eine  her\orragende  Collection  in  zufälligerer  Weise, 
ohne  dass  man  systematisch  für  sie  gesammelt  hätte,  zusammen  ge- 
kommen sein.  Ihren  Grundstock  bildet  die  Dietz'sche  Sammlung, 
welche  von  dem  grossherzoglich  mecklenburgischen  Hofrath  Dr.  Dietz 
in  Wetzlar  im  Jahre  1842  an  weil.  Kaiser  Ferdinand  1.  geschenkt 
wurde.  Diesem ,  der  bekanntlich  selbst  ein  eifriger  Liebhaber  und 
Sammler  von  Siegeln  war,  verdankt  die  Sammlung  neben  der  von  ihm 
augelegten  heraldisch-genealogischen  Siegelcollection  der  österreichi- 
schen Kronländer,  allem  Anschein  nach  die  wertvollen  mittelalterlichen 
Typare,  welche  wohl  in  Italien  zusammengebracht  wurden.  Die  Bullen 
waren  früher  in  den  beiden  numismatischen  Abtheilungeu  zerstreut, 
und  wurden  erst  bei  der  Errichtung  der  sphragistischen  Abtheilung  dieser 
überwiesen. 

Eine  Uebersicht  des  Gesammtbestandes  und  der  derzeit  getroffenen 
Eintheilung  der  Sammlung  dürfte  nicht  unwillkommen  sein: 

J.  Abtheilung:  Typ  ar  Sammlung 

A.  Typare  des  Mittelalters  und  der  neueren  Zeit  .  .        4H   Stück 

B.  Moderne  Typare  des  XIX.  Jahrhunderts    .  .  .        7(t      « 

118  Stück 


208 


Kleiiip  ]Mif(1if>il\ingrn. 


AMheilung :   I>  u  1 1  e  n  s  am  in  1  u  n  «j: 
A,  Golflbullen    (mit    dem    Sillterabguss    dar   Jjulle  .Maxi- 
milians L)       ......  . 

15.  Venezianische  SilLerbullen        .  .  .  .  . 

C.   BleiV)ullen 

1.  Byzantinische 

2.  Longobai'clische 

3.  Venezianische 

4.  Päpstliche 
.5.  Geistlicher  Corporatiuiien 


'.i   Stück 


76 

» 

5 

» 

17 

» 

52 

» 

3 

» 

153 

Stück 

297    Stück 
zumeist    Lack-    und  Papier- 


5253   Stück 


10   Stück 


170 


III.  Abtheilung:    Original -Wach  s  Siegel    (grösseren  For 

mats)  ........ 

IV.  Abtheilung:    Dietz'sche    Sammlung, 

Siegel,    Abdrücke    aus    Originaltyparen    etc.,    eingeklel)t    in    Eahmen- 

bänden 21.327   Stück 

V.  Abtheilung:   Siegelsamml  ung  weiland  Kaiser 

Ferdinands  I. 
VI.  Abtheilung:  Sammlung  vun  Abgüssen 

A.  Bronzeabschläge  aus  der  Neumann'schen  Samm- 
lung etc.         ........ 

B.  Galvanoplastische  Copien    der    deutschen    Kaisersiegel 
(Sammlung  Roemer-Bü ebner)     . 

C.  Gipsabgüsse  der  Siegel    aus    dem  Wiener  Stadtarchiv 
(Sammlung  Franzenshuld)  .  .  .      ca.      600      > 

ca.     7 so  Stück. 

Tni  rianzeu  enthält  also  die  Sammlung  118  Typare  alter  und 
neuer  Zeit,  2(i.7()0  Stück  Originalsiegel  (einschliesslich  der  Bullen)  und 
an  800  Abgüsse,  darunter  ISO  Metallabschläge. 

Das  Hauptstück  der  Typarsamralung  ist  ein  Siegelstempel 
König  Kudolfs  I.,  das  älteste  jetzt  bekannte  Stück  dieser  Art  — 
als  solches  galt  bisher  ein  in  Frankfurt  gefundenes  l'ypar  Sigismunds 
—  und  ein  Unicum,  nicht  nur  an  und  für  sich,  sondern  aucli  durch 
die  seltsame  Geschichte  seiner  Auffindung,  suAvie  durch  eine  technische 
Besonderheit.  Der  Stempel  ist  aus  Messing,  von  ausgezeichneter  Er- 
haltung, ungefähr  {]  cm  dick  und  hat  eine  geöhrte  Handhabe;  die 
Siegelfläche  misst  im  Durchmesser  <)"5  cm.  Sie  zeigt  den  König  mit 
Krone,  Scepter  und  Reichsapfel  auf  dem  romanischen  Thronsessel 
sitzend;  die  Legende  lautet  :  -j-  :  R\l)OLFUS  :  DEI  :  GRACIA  : 
ROMANORVM  :  REX  :  SEMPER  :  AVGVSTVS  :  Die  Arbeit 
ist  eine  vorzügliche  und  völlig  zeitgemässe;  sie  schliesst  schon  dadurch, 
wie  durch  die  genaue  Uebereinstimmung  mit  den  erhaltenen  AVachs- 
siegeln  Rudolfs  den  Gedanken  an  eine  Fälschung  aus,  abgesehen  von 
andern  Gründen.  Sehr  merkwürdig  ist  ein  Versehen  des  Stempel- 
schneiders:   er   hat  den  linken  Arm  mit  dem  Reichsapfel  ursprünglich 


T»ic  splirHrjJKf isclio  Sninnilimp  <l<'s  A.   11.  KHisprhniisep.  20V< 

/,u  tii'f  geseukt,  dauu  die  missratliene  Stelle  mit  einem  (jetzt  wieder 
ausgefalleneu)  Metallstttck  ausgefüllt  und  verklopft  und  den  Arm  höher 
hinauf  nochmals  geschnitten.  Das  Typar  wurde  1815  in  einer  Mauer 
des  Palazzo  Pindemonti  zu  Verona  gefunden,  1857  Sr.  Majestät  dem 
Kaiser  von  dem  veronesischen  Architekten  Monga  mit  einer  hand- 
schriftlichen „  Esposizione "  überreicht,  und  kam  noch  im  selben  Jahre 
in  das  k.  k.  Münz-  und  Antikencabinet.  Alle  weiteren  Erörterungen 
und  Untersuchungen,  ferner  der  Abdruck  des  Fundberichtes  über  dies 
einzig  dastehende  Stück,  sowie  alle  ausführlicheren  Berichte  über  die 
im  Folgenden  noch  erwähnten  seltenen  Objecte,  müssen  der  bevor- 
stehenden Publication  derselben  im  Jahrbuche  der  Kunstsammlungen 
des  A.  H.  Kaiserhauses  vorbehalten  bleiben. 

ünt^^r  den  Typaren  geistlicher  Personen  und  Corporationen  ist 
wiederum  ein  Unicum,  ein  Bullen-  (Namens-)  Stempel  Clemens  ITI. 
(1188  — 1191)  zu  erwähnen.  Derselbe  ist  ein  massiver,  nach  oben 
etwas  eingeschnürter  Cylinder  aus  stark  patinirtera  Kupfer.  Seine 
Höhe  beträgt  5'5  cm,  der  Durchmesser  ;V5  cm.  Die  Stempelfläche 
zeigt  die  Legende : 

C  L  E 

MENS 

PP.  III 

Es  ist  also,  wie  schon  bemerkt  nur  der  Namensstempel;  er  ist 
um  so  merkwürdiger,  als  sich  kein  anderer  Namensstempel  eines  Pap- 
stes erhalten  hat  und  es  wenigstens  in  nicht  viel  späterer  Zeit  vorge- 
schrieljen  war,  den  Namensstempel  eines  verstorbenen  Papstes  zu 
zerbrechen  (Diekamp  in  Mittheiluugen  des  Instituts  f.  öst.  G.-F.  4,  531). 
Die  Echtheit  des  Stückes,  das  au  sich  überhaupt  kein  Zeichen  einer 
Fälschung  trägt,  wird  durch  die  in  den  Sammlungen  des  Instituts  für 
(isterreichische  Geschichtsforschung  aufbewahrte  Originalbulle  Cle- 
mens  III.  bestätigt. 

Von  sehr  schöner  Arbeit  ist  ein  spit/ovales  italienisches  Karthäuser- 
siegel  des  14.  Jahrb.,  die  Madonna  unter  einem  Baldachin  in  reichster 
Treceutogothik  zeigend  (S.  beate  raarie  montis  dei  ordinis  cai'thusien- 
siura  in  gothischer  Minuskel).  Ferner  gehören  hieher  Siegelstempel 
verschiedener  italienischer  Aebte,  Presbyter  und  Kanoniker  aus  dem 
'[?}. — 15.  Jahrh.  Dem  17. — 18.  Jahrh.  entstammen  dann  die  Typare 
der  Augustinerinnen  in  der  Himmelpfortgasse  zu  Wien,  des'Prämon- 
stratenserstiftes  Pernegg  bei  Eggenburg  in  Niederösterreich  (Propst 
Nicolaus)  und  wahrscheinlich  das  ikonographisch  nicht  uninteressante 
des  Klosters  Fenek    bei    Semlin    mit   glagolitischer    Legende    und    der 


300  Kleine  Mittheilnngen. 

Darstellung  des  h.  Proscovius  in  byzantinischem  Typus,  die  letzteren 
drei  iu  Silber  gearbeitet. 

Aus  der  Eeihe  der  Typare,  welche  öffentlichen  Curporationen  an- 
gehören, hebe  ich  das  Stadtsiegel  von  Forli  (rund,  5'5  cm  im  Durch- 
messer, aus  dem  14.  Jahrh.),  den  h.  Mercurialis  mit  der  Legende: 
Protegit  hie  populum  Livienssem  Mercurialis  und  das  Typar  der  philo- 
sophischen Facultät  der  Universität  Wien  (aus  dem  15.  Jahrh.)  hervor. 
Das  letztere,  ein  massiver  achtseitig  prismatischer  Stempelstock  aus 
Eisen,  11  cm  lang,  2*5  cm  breit,  am  obern  Ende  durch  Hammer- 
schläge  auseinandergequetscht,  zeigt  im  Siegelbild  die  h.  Katharina  unter 
einem  spätgothischen  Baldachin,  mit  der  Umschrift:  FACVLTAS  f  PHÄ. 
!Nicht  uninteressant  ist  auch  der  Siegelstempel  der  cisalpinischen  Re- 
publik, die  Darstellung  der  Freiheitsgöttin  mit  phrygischer  Mütze 
tragend. 

Unter  den  adeligen  Siegeln  hebe  ich,  als  durch  Schönheit  der 
Arbeit  besonders  ausgezeichnet,  dasjenige  des  Truchsessen  von  Oester- 
reich,  Pilgrim  von  Puchhaim,  aus  dem  14.  Jahrh.  hervor.  Das  Siegel- 
bild weist  einen  jugendlichen  barhäuptigen  Reiter  iu  losem  Gewände,  in 
der  Rechten  eine  Schüssel  mit  darauf  liegendem  Fisch,  auf  sprengendem 
Rosse,  dessen  Schabracke  das  Geschlechtswappen,  einen  Bindenschild 
trägt ;  ferner  das  gleichzeitige  Siegel  des  Pfalzgrafen  Michael  von  Lomello, 
einen  völlig  gerüsteten  Reiter  zeigend. 

Merkwürdig  sind  noch  drei  italienische  Bürgersiegel  des  15.  Jahrh.: 
eines  Notars  (Siegelbild:  Rose),  eines  römischen  Arztes  (Stier,  darunter 
ein  Fisch)  und  eines  Ludimagisters  (der  Lehrer  mit  Ruthe  auf  dem 
Katheder,  vor  ihm  eine  kleine  knieende  Figur).  Als  Curiosa  seien 
schliesslich  noch  erwähnt  das  silberne  Typar  des  Johann  Stefan  Kan- 
takuzenos,  Woiwoden  der  Ugrowalachei,  von  1714  mit  schön  gra- 
viertem Griff  (interessant  durch  die  Mischung  von  byzantinischen  mit 
Barockfonneu),  ferner  eine  kal  »balistische  oder  alchymistische  Siegel- 
platte mit  der  Darstellung  der  drei  Erzengel  und  astrologischer 
Symbole. 

Die  Sammlung  moderner  lypare,  welche  zum  grossen  Theil  erst 
vor  Kurzem  an  das  Museuni  überwiesen  worden  sind,  enthält  Siegel- 
Stempel  (z.  Th.  in  kostbarem  Material,  Bergkrystall,  Rauchtopas  etc. 
geschnitten)  von  Mitgliedern  des  A.  H.  Kaiserhauses  aus  der  ersten 
Hälfte  dieses  Jahrhunderts.  Besonders  ausgezeichnet  ist  darunter  das 
grosse,  7*5  cm  im  Durchmesser  haltende,  silberne  Typar  Ferdinands  L 
als  österreichischen  Kronprinzen. 

Unter  den  byzantinischen  Bullen  befinden  sich  viele  historisch 
und    ikonographisch    interessante,     darunter    einige    Inedita.      Ferner 


Die  sphragistische  Sammlung  des  A.  H.  Kaiserhauses  ßQJ^ 

gehört  hieher  die  Goldbulle  des  letzten  bj'zantinischen  Kaisers  Kon- 
stantin XIII.  Paläologos,  wahrscheinlich  aus  einem  älteren  Stück  über- 
prägt. Sie  ist  von  Kenner  im  Jahrbuche  der  Kunsthistorischen 
Sammlungen  (Bd.  11  [1880],  S.  98)  publiciert  und  besprochen  worden. 
Unter  den  langobardischen  Ballen  ist  wohl  am  interessantesten  jene 
des  auch  kunstgeschichtlich  bekaunten  Herzogs  Pemmo  von  Friaul. 

Die  zweite  Goldbulle  der  Sammlung  ist  ein  vorzüglich  erhaltenes 
Exemplar  einer  Bulle  Karls  IV.  Unser  Exemplar  wiegt  41*.^  gr. 
(^^  einem  Goldgewicht  von  12  Ducaten),  also  doppelt  soviel  als  jenes, 
das  Lindner  untersuchen  Hess  (vgl.  Bres.slau,  Urkundenlehre  I,  932). 
Vorder-  und  Eückseite,  welche  ineinander  gepasst  sind,  lassen  sich 
auseinandernehmen.  Im  Innern  zeigt  sich  eine  gleichfalls  goldene  Oese 
zur  Aufnahme  der  Schnur.  —  Eine  Goldbulle  M  a  x  i  m  i  1  i  a  u  s  I.  ist  nur 
in  einem  alten,  wahrscheinlich  aus  der  Zeit  des  Heraeus  rührenden 
Silberaljguss  vorhanden  (in  der  Medaillensammlung  befindet  sich  ausser- 
dem ein  Bronzeabschlag).  Sie  ist  datiert  (1518)  und  von  sehr  schöner 
Arbeit;  ihr  Verfertiger  ist  der  Stempelschneider  und  Münzmeister  zu 
Hall:  Ulrich  Urseuthaler. 

Die  päpstlichen  Bullen  weisen  eine  im  Grossen  und  Ganzen 
eoutinuirliche  Reihenfolge  vom  12.  bis  ins  18.  Jahrhundert  auf.  Ausser- 
halb dieser  Reihe  steht  das  Hauptstück,  eine  Bulle  Stephans  V.  (885 — 
891).  Sie  misst  3  cm  im  Durchmesser,  ist  ziemlich  nachlässig  geprägt 
und  trägt  auf  der  Aversseite  in  einem  Perlenrande  die  Legende: 

S  T  E 
P  H  A 

W  I 
welche  sich  auf  dem  Revers  fortsetzt: 

t 
P   A 

P  A  E 

(vgl.  die  allerdings  nicht  genaue  Reproductiou  in  Pflugk-Harttuugs  Speci- 
mina  III,  Eig.  2  u.  3).  Ferner  sind  folgende  Päpste  vertreten :  Victor  IV. 
(Gegenpapst  Innocenz  IL),  Lucius  III.,  Coelestin  III.,  Honorius  III. 
(2  St.),  Innocenz  IV.  (3),  Alexander  IV.  (2),  ürban  IV.,  Honorius  IV., 
Nicolaus  IV.,  Benedict  XL,  Johann  XXIL,  Bonifaz  IX.  (2),  Benedict  XIIL, 
Paul  II.  (3),  Sixtiis  IV.,  Innocenz  VIII.,  Alexander  VI.,  Julius  IL, 
Leo  X.  (5),  Clemens  VII.  (2),  Paul  III.,  Julius  III.,  Pius  V.,  Gregor  XIIL, 
Sixtus  V.,  Clemens  VIIL,  Urban  VIIL,  Innocenz  X.  (2),  Alexander  VIL, 
Clemens  IX.,  Clemens  X.,  Innocenz  XL,  Alexander  VIIL,  Clemens  XL, 
Innocenz  XIIL,  Clemens  XII.,  Clemens  XIV.  (f   1774). 


p,()2  Klfiiio    MiülieilniiirrMi. 

A' ou  soustigeu  Bleisiegelu  geistlicher  Corporatioueu  seieu  die  Bulle 
des  Hospitaliterhauses  zu  Jerusalem  aus  dem  14.  und  die  spitzovale 
der  Canouie  vou  Foliguo  mit  reicher  Darstellung  aus  dem  15.  Jahrh. 
hervorgehoben ;  dann  der  Silberabguss  einer  Bulle  des  Baseler  (Joncils. 

Die  lieihe  der  venezianischen  Piombi  beginnt  mit  dem  Dogen 
Kaniero  Zeno  (1252—1268)  und  reicht  bis  Zoan  Pisauro  (1658  —  1059). 
Eine  besondere  Seltenheit  der  Sammlung  bilden  die  venezianischen 
Silberbullen,  sämmtiche  Dogen  aus  dem  letzten  Drittel  des  16. 
und  dem  Anfange  des  17.  Jahrh.  angehörig,  Sie  wurden  1848  mit 
Münzen  der  Republik  von  dem  venezianischen  Grafen  Zonza  um  den 
niedrigen  Gesammtpreis  von  84  fl.  0.  M.  erworben.  Die  einzelnen 
Stücke  halten  durchschnittlich  3  cm  im  Durchmesser,  sind  theils 
massiv,  theils  gefüttert  und  haben  auf  der  Aversseite  die  Darstellung 
des  h.  Marcus  den  Dogen  segnend,  auf  der  Reversseite  dagegen  die 
Namensbezeichnung  des  Letzteren.  Die  Verwendung  von  SilberbuUeu 
im  Abendlaude  war,  soviel  ich  weiss,  bisher  nicht  bekannt  (vgl.  Bress- 
lau,  Urkundenlehre  1,  931);  in  Byzanz  kommen  solche  oder  vielmehr 
mit  einem  dünnen  Silberplättchen  (das  die  Zeit  meist  bis  auf  Avenige 
Reste  zerstört  hat)  bedeckte  Bleibullcn  ')  vor  (Sclilumberger,  Sigilhi- 
graphie  de  T  Empire  bj^zantin  p.  9),  freilich  gehören  auch  sie  zu  den 
al  lercrrössten  Seltenheiten. 

Lluter  den  Wachssiegeln  grösseren  Formats  hebe  ich  zunächst 
hervor:  1.  Das  Thronsiegel  der  Imagina,  Gemahlin  König  Adolfs  vou 
Nassau,  2.  dgl.  Ludwigs  des  Baiern,  3.  Reitersiegel  des  Luxemburgers 
Johann,  Königs  von  Böhmen,  4.  Reitersiegel  des  Grafen  Engelbert 
von  der  Mark  1354,  noch  au  der  Urkunde  hängend,  5.  Herzog  Mag- 
nus [.  von  fJraunschweig,  14.  Jahrb.,  (>.  Wenzel  I.  als  deutscher  König, 
7.  Hofgerichtssiegel  K.  Sigismunds,  8.  Nürnberger  Bnrggrafeusiegel 
von  1470,  9.  und  10.  Siegel  des  Lodovico  Maria  Sforza  (1451—1.500) 
und  des  Maximilian  Sforza  (1512 — 1515)  vou  Mailand  in  gravierten 
Messingkapseln.  Ferner  zahlreiche  Originalsiegel  grössteu  Formats  vun 
Kaisern  und  regierenden  Fürsteu  des  16. — IH.  Jahrh. 

Unter  den  geistlicheu  Siegeln  seien  erwähnt:  Herchtesgadeii  (1499), 
St.  Blasien  iui  Schwarzwald  (13.  und  15.  Jahrh.),  Buchau  (1536), 
Cambray  (14.  Jahrh.),  Bisthum  Chur  (1526),  Bisthum  Dorpat  (1550), 
Fulda  (15.  Jahrh.),  Gladbach  (1564),  Bisthum  Münster  (1524),  Erz- 
bisthum  Mainz  (darunter  ein  Siegel  des  Erzbischofs  Heinrich  1277  — 1296), 
St.  Maximiu    bei  Trier  (14.  Jahrb.),    Bisthum  Naumburg  (15    Jahrb.), 

')  Eine  Ausnahme  bildet  die  schrme,  ans  zwei  Kliittchen  gediegenen  8ilbev- 
Idt'chs  bestehende  liidle  an  einer  Irkiindo  dt>s  Miclcipl  DnkuH  (I'JHI)  fiir  Hagns:i 
im    k.   II.   k.   Hof    und  ^la;its;iii  Imn  . 


I)i('  s))lira£fisfischo  »SaminluiifT  des  A.  Tl.  Kaisorhanses.  oOo 

Oesei  (Kapitelsk'gel),  rrüiu  (14.  Jalirh.),  JUsthum  Ratzeburg  (1501), 
Erzbisthuiu  lliga  (IG.  .lahrh.\  Recauati  (schönes  Renaissaneesiegel  des 
15.  Jahrh.  dem  Cardiualpresbyter  Hierouymus  angehörig),  Bisthum 
Speier  (155(')),  Erzbisthnin  Trier  (Erzbisrhof  Bruno  1105 — 1124,  Diet- 
rich 1212,  Balduiu  und  Rabau  14.  Jahrh.,  Otto  15.  Jahrb.),  Wein- 
garten (15.  Jahrb.),  Bisthum  Würzburg  (1495). 

Von  Städtesiegeln  besitzt  die  Sammhing  Stücke  von:  Augsburo-, 
Cambray,  Cassel,  Chemnitz  (13.  Jahrh.),  Coblenz  (13.  Jahrb.),  Colmar, 
Constanz ,  Danzig ,  Esshngen ,  Friedberg ,  Gelnhausen ,  Hildesheim 
(14.  Jahrb.),  Kautbeuern,  Kempten,  Metz,  Rottweil  (Hofgerichtssiegel), 
Strassburg,  Speier,  Trier  (das  gTÖsste,  12'5  cm  im  Durchmesser 
haltende  Stück,  mit  der  Darstellung  der  Stadtheiligen  und  der  Le- 
gende der  Rückseite:  Annis  Trecentis  Detritum  Ref'ormabatur  1537), 
Verdun,  Wetzlar  (13.  und  14.  Jahrb.),  Zürich  (sehr  alterthümlich), 
Zwickau  u.  a.  m. 

Endlich  seien  auch  die  beiden  sehr  interessanten  Universitäts- 
siegel von  Heidelberg  und  Marburg  in  Hessen  (das  letztere  von  1527), 
dann  das  kaiserliche  Gerichtssiegel  von  Frankfurt  a.  M.  aus  dem 
15.  Jahrb.,  und  das  Landgerichtssiegel  von  Schwaben  (von  155(')j, 
erwähnt. 

Den  grössteu  Bestand  weist  die  Dietz'sche  Sammlung  auf, 
welche  im  Jahre  1846  dem  Münz-  und  Antiken cabinet  ülierwieseu 
wurde.  Sie  ist  alphabetisch  geordnet,  zur  Orientirung  dient  ein  ge- 
nauer handschriftlicher  Katalog  mit  drei  Nachträgen.  Besonders  reich 
ist  diese  Abtheilung  an  Wappensiegeln  deutscher  Adelsgeschlechter; 
kaum  minder  zahlreich  sind  aber  die  Siegel  von  Städten,  geistlichen  und 
weltlichen  Corporationen.  Einen  besondern  Werth  haben  die  grossentheils 
vollständigen  Siegelserien  regierender  Fürsten  oder  ehemals  souveräner 
Geschlechter.  Sehr  viele  Stücke,  namentlich  unter  den  älteren  Stadt- 
siegeln sind  aus  den  Originaltyparen  in  Lack  abgenommen.  Auch 
zahlreiche  vollständige  Urkunden  vom  hohen  Mittelalter  bis  in  die 
neuere  Zeit  befinden  sich  in  der  Sammlung.  Unter  den  moderneu 
Siegeln  ragen  durcli  die  aussergewöhnliche  Grösse  wie  dui'ch  feine 
Arbeit  das  gi-osse  englische  Staatssiegel,  ferners  dasjenige  des  Prinzen 
von  Wales  hervor,  welclie  beide  von  der  Königin  Victoria  nebst  einer 
eigenhändigen  Erklärung  an  Dietz  geschenkt  wurden. 

In  Beziehung  auf  das  reichliche  genealogisch -heraldische  Material 
der  Dietz'schen  Sammlung  verwandt  ist  die  Siegelsammlung 
Kaiser  Ferdinands  L  Sie  ist  nach  den  damaligen  Provinzen  des 
Kaiserthums  geordnet  und  enthält  fast  ausschliesslich  die  Wappensiegel 
der  einheimischen  Adelsgeschlechter  mit  Angabe  des  Stammlaudes  etc. 


304  Kleine  Mittheiiungeri. 

Ein  alphabetischer  und  ein  Ladenkatalog  fördern  die  Benützung  der 
Siimmlung. 

Als  Appendix  der  sphragistischeu  Abtheilung  stellt  sich  die  Col- 
lectioii  galvanoplastischer  Copien  von  deutscheu  Kaiser-  und  Königs- 
siegeln (von  Karl  d.  Gr.  bis  zu  Frauz  IL,  170  Stück)  dar,  welche  der 
l)ekannte  Sphragistiker  Dr.  Roemer-Büchuer  in  Frankfurt  zusammen- 
gestellt hat  und  welche  im  Jahre  1851  erworben  wurde.  Der  gedruckte 
Katalog  derselben  ist  unter  dem  Titel:  Die  Siegel  der  deutschen 
Kaiser,  Könige  und  Gegenkönige  von  Dr.  Roemer-ßüchner,  im  selben 
Jahre  zu  Frankfurt  a.  M.  erschienen.  Aus  der  Neumann'schen  Münz- 
sammlung rühren  die  Bronzeabgüsse  böhmischer  Königssiegel  von 
Przemysl  Ottokar  bis  Wladislaw  IL  her.  Ein  alter  ciselierter  Silber- 
abguss  eines  grossen,  interessanten  Thronsiegels  im  Tj'pus  den  unga- 
rischen Kr)nigssiegelu  des  15.  Jahi'h.  verwandt,  jedoch  mit  der  Jahres- 
Ijezeichuong  1437  auf  Albrecht  IL  gefälscht,  dürfte  wohl  aus  Heraeus' 
Zeit  stammen,  der  auf  diese  Weise  eine  Bereicherung  des  Medaillencabinets 
erzielen  wollte.  Erst  der  Aufstellung- harrt  die  Sammlung  von  Gips- 
abgüssen von  Siegeln  des  Wiener  Stadtarchivs  (österreichische  Städte, 
Wiener  Geschlechter  etc.  ca.  600  Stück),  aus  Formen,  welche  der  ver- 
storbene Custos  Dr.  Hartmaun  von  Franzenshuld  seinerzeit  für  die  histo- 
rische Ausstellung  der  Stadt  Wien  im  Jahre  1873  hat  anfertigen  lassen. 

Wien.  Julius  V,  Schlosser. 


Wo  fand  der  erste  Ziisammeustoss  zwischen  Hunnen  und 
Westgotheu  statt  i  Der  einzige  Quellenschriftsteller,  welcher  in  Be- 
tracht kommt,  ist  „der  im  Feldlager  und  im  Zelt  ergraute"  römische 
Feldherr  Ammianus  Marcellinus.  Derselbe  hat  um  das  Jahr  3U0  seine 
Histor.  libri  XXXI  geschrieben,  und  handelt  über  den  ersten  Zu- 
sammenstoss  zwischen  Hunnen  und  Westgothen  im  XXXI  3  §§  3 — 8. 
Da  der  Wortlaut  seiner  Schilderung  für  unsere  Untersuchung  durcli- 
aus  nötig  erscheint,  mag  die  Stelle  hier  abgedruckt  werden  '). 

XXXI  3  §  3  .  .  .  .  Alatheus  .  .  et  Saphrax  ....  cautius  discen- 
dentes  ad  amnem  Danastium  pervenerunt,  inter  Histrum  et  Borys- 
thenem  per  camporum  ampla  spatia  diftiuentem.  §  4.  haec  ita 
praeter  spem  accidisse  doctus  Athauaricus  Thervingorum  judex  .  ,  . 

stare  gradu  fixo  temptabat §  5.  castris  denique  prope  Dana- 

sti   margines  ac  Greuthungorum  vallem  longius  oportune  metatis, 
Munderichum,  duceni  postea  limitis  per  Arabiam,  cum  Lagarimano 


')  Mach  der  Anagalie  von  Ejssenhardl   »S.  404. 


J 


Wo  fand  der  erste  Zusammenstoss  zw.  Öümlen  u.  Westgotlien  statt?      305 

et  optimatibus  aliis  ad  usque  vicensimum  lapidem  misit,  hostiuui 
speculaturos  adventum,  ipse  aciem  nullo  turbante  interim  strueus. 
§  6.  verum  longe  aliter,  quam  rebatur,  eveuit.  Hunui  enim  .... 
multitudinem  esse  loogius  aliquam  suspicati,  praetermissis  quos 
videraut,  iu  quideiii  tauquam  nullo  obstante  coupositis,  rumpente 
noctis  teuebras  luua  vado  flumiuis  penetrato,  id  quod  erat  potissi- 
mum  elegeruut,  et  veriti  ue  praecursorius  index  procul  agentes 
absterreat,  Athanarieum  ipsum  ictu  petivere  veloci.  §  7.  eumque 
stupentem  ad  im])etam  primura,  amissis  quibusdani  suorum,  coe- 
gerunt  ad  effugia  properare  moutium  praeruptorum.  qua  rei  novi- 
tate  maioreque  venturi  pavore  constrictus,  e  superciliis  Gerasi 
fiumiuis  ad  usque  Dauubium  Taifalorum  terras  praestringeus, 
ujuros  altius  erigebat:  hac  loriea  diligentia  celeri  consummata,  iu 
iuto  locaudam  securitatem  suam  existimans  et  salutem.  §  8.  dum- 
que  efficax  opera  suscitatur,  Hunui  passibus  eum  citis  urgebant 
et  iam  oppresserant  adventantes,  ui  gravati  praedarum  onere 
destitissent. 

Fassen  wir  diese  Darstellung  Ammians  genau  ins  Auge,  so  ge- 
winnen wir  unwillkürlich  den  Eindruck,  dass  der  erste  Theil  derselben 
auf  dem  Berichte  eines  Augenzeugen  l^eruht.  Vor  allem  gilt  dieses 
in  Bezug  auf  die  Schilderung  des  Zusammenstosses,  die  geradezu  an- 
schaulich genannt  werden  muss.  Was  Ammian  hingegen  über  die 
Vertlieidigungsmassregeln  Athauarichs  nach  seiner  Flucht  in  die  Berge 
zu  erzählen  weiss,  leidet  freilich  an  bedeutender  Unklarheit.  Ausser 
der  eingehenden  Schilderung  des  Zusammenstosses  veranlasst  uns  noch 
Anderes  anzunehmen,  dass  dem  Historiker  über  denselben  der  Bericlit 
eines  Mannes  vorlag,  welcher  an  jenen  Kriegsereignissen  Theil  ge- 
nommen hatte.  Woher  sollte  sonst  Ammian  Nachricht  über  das 
Greuthungerthal  erhalten  haben?  Aber  noch  mehr.  Ammian 
nennt  an  unserer  Stelle  zum  ersten  Mal  überhaupt  den  D  nie  st  er 
( Danast[r]us)  mit  diesem  Namen.  In  seinen  geographischen  Schil- 
derungen (XXII  8  §  41)  kennt  er  nur  den  Tyras.  Dass  die  beiden 
Namen  einem  Flusse  gelten,  weiss  er  nicht  i).  Dieses  alles  deutet 
darauf  hin,  dass  der  Name  ,Danastrus',  den  die  Slawen  dem  obern 
Duiester  erst  vor  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  gegeben  hatten  -),  im 
Süden  noch  nicht  bekannt  war.  Ammian  konnte  ihn  also  nur  aus 
dem  Munde    seines   Berichterstatters    ffeln'u-t    haben.     Und  wenn  nicht 


')  Dieses  beweist  der  Zusatz  »inter  —  diffluentem«  statt  der  blossen  Iden- 
tificierung  mit  dem  früher  genannten  Tyras.  -)  Vergl.  Kaindl,  Der  Buchen- 

wald Nr.  3,  Czernowitz   I88f»  S.    II,   12. 

Mittlieihmgeii   XII.  20 


306  Kleine  Mittheilungen. 

alles  trügt,  so  ist  dieser  Berichterstatter  jeuer  Munderich,  der  nach 
Ammians  eigener  Angabe  die  Vorposten  Athanarichs  geführt  hatte  und 
später  als  römischer  Feldherr  an  der  arabischen  Grenze  wirkte.  Dort 
im  Osten  muss  Amraian,  welcher  noch  unter  Valens  im  Orient  gedient 
hatte,  Munderich  kennen  gelernt  und  von  ihm  die  Nachrichten  erhalten 
ha])eu,  auf  welchen  seine  Schilderung  beruht  i).  Nehmen  wir  dieses 
an,  so  wird  es  uns  zugleich  klar  werden,  warum  die  Schilderung  des 
Zusammenstosses  so  eingehend  und  deutlich  ist,  die  weitere  Ausführung 
aber  verworren  erscheint.  Munderich  hatte  sich,  nachdem  der  von  ihm 
geführte  Vorposten  umgangen  worden  war,  gerettet;  wie  und  wohin, 
das  wissen  wir  nicht.  So  viel  scheint  aber  sicher  zu  sein,  dass  er 
von  Athauarich  getrennt  bleiben  musste,  und  Ammian  daher  von  ihm 
keine  Kunde  über  Athanarichs  Thätigkeit  nach  dem  Rückzuge  in  das 
(iebirge  erhalten  konnte.  Sind  unsere  Ausführungen  richtig,  so  dürfen 
wir  dem  Berichte  über  den  Zusanmienstoss  in  allen  Einzelheiten  fol- 
gen; nicht  dasselbe  Vertrauen  beansprucht  hingegen  die  Darstellung 
über  die  folgenden  Ereignisse.  Nachdem  wir  unsere  Quelle  kennen 
gelernt  und  gewürdigt  haben ,  gehen  wir  zu  unserem  engern 
Thema  über. 

Ueber  dieses  hat  zunächst  Pallmann  in  seinem  Werke  „Die  Ge- 
schichte der  Völkerwanderung"  (I,  10(3,  107)  gehandelt.  Die  Aus- 
führungen desselben  sind  aber  durchaus  missglückt.  Vor  allem  unter- 
lässt  es  Pallmann,  den  Ort  des  Zusammenstosses  näher  zu  bestimmen. 
Er  sagt  ganz  unbestimmt:  Athauarich  „  verschantzte  sich  an  den  Grenzen 
seines  und  des  ostgothischen  Landes  hinter  (?)  dem  Greutungenw  a  1 1  e  (?) 
und  dem  Duiesterflusse ".  Wenn  Pallmann  ferner  sagt :  „  Athauarich 
gab  .  .  .  seine  feste  Stellung  ....  auf  und  zog  sich  südwestlicher  in 
die  Ebenen  zurück",  so  lässt  er  ganz  Ammians  Bericht  ausser  Acht, 
denn  in  demselben  ist  ausdrücklich  gesagt,  dass  Athauarich  seine  Zu- 
flucht im  Gebirge  suchte.  Zu  diesem  Verstösse  gegen  die  Quelle  sali 
sich  aber  Pallmann  durch  die  Angabe  derselben  veranlasst,  dass  Atha- 
uarich zum  Schutze  gegen  die  nachstürmenden  Feinde  eine  Mauer 
gezogen  habe.  Pallmann  sah  ein,  dasß  ein  solches  Unternehmen  Sache 
der  Unmöglichkeit  war;  da  glaubte  er  darin  einen  Ausweg  gefunden 
zu  haben,  dass  er  die  Westgothen  nach  Süden  abziehen  und  hinter 
den  Trajanswall  sich  flüchten  lässt.  Nach  dem  Berichte  Ammians 
müsst(!  man  aber  auf  eine  Mauer  von  den  Hrdien  am  Gerasus  bis 
zur  Donau  schlicssen.    während  der  Trajanswall  zwischen   dem   Prnt 


')  Darauf  weist  schon  der  l'msiiuiil,  dass  Aniiiiiiin  in  scjikm-  Darsioflung  ilos 
weituin  Stliirksiilos  Miiutlciiclis  im  (tricnio  «redonkt. 


Wo  fand  der  erste  Zusammenstoss  zw.  Hunnen  u.  Westgothen  statt  y       307 

und  Dniester  dahinzog  i).  Wie  kann  man  es  übrigens  für  möglich 
halten,  dass  Athanarich,  der  sich  in  einem  an  günstiger  Stelle  ge- 
schlagenen, jedenfalls  festen  Lager  gegen  die  Hunnen  nicht  hatte 
halten  können,  eine  150  oder  200  Kilometer  lange  Linie,  da  die- 
selben Feinde  ihm  auf  dem  Fuss  folgten,  zu  befestigen  und  zu  ver- 
theidigen  gedacht  hätte?  Ebenso  unwahrscheinlich  ist  es,  dass  ein 
Wall,  der  etwa  zwei  Meter  hoch  war,  die  Hunnen,  wenn  auch  die- 
selben mit  Beute  beladen  sein  mochten,  vom  weitern  Vordrino-en 
abgehalten  hätte. 

Weit  entsprechender  und  richtiger  als  Pallmann  fasst  Wieters- 
heim  in  seiner  „  Geschichte  der  Völkerwanderung "  (II,  33,  34)  den  Bericht 
Ammians  auf.  Nach  diesem  Forscher  verschanzt  sich  Athanarich  „in 
einer  am  obern  -)  Ufer  des  Dniestr  (jedenfalls  dem  rechten)  in  der 
,Thal  der  Grreuthungen'  genannten  Gegend".  Er  sendet  die  Vorposten 
aus  und  „sah  sich",  nachdem  dieselben  umgangen  waren,  „überrascht 
und  erschreckt  .  .  .  zum  liückzug  in  das  Gebirge  gezwungen".  „Ver- 
muthlich  hat  sodann  Athanarich  nur  die  Pässe  und  sonst  zuo-äno-- 
lieberen  Stellen  (?)  im  Gebirge",  das  zwischen  der  Bukowina  und  der 
Donau  dahinzieht,  „und  vielleicht  auch  einzelne  Strecken  südlich 
Siebenbürgens  durch  Mauern  und  sonstige  Schutzwerke  zu  sichern 
gesucht. " 

Au  diese  Darstellung  Wietersheims  anknüpfend  soll  nun  im  folgen- 
den eine  genauere  Bestimmung  des  Ortes,  an  welchem  Athanarich  mit 
den  Hunnen  zusammentraf,  versucht  werden. 

Zunächst  ist  es  klar,  dass  nur  die  Auffassung  Wieterheinis  betrefts 
der  Worte  „  a  superciliis  Gerasi  —  erigebat "  richtig  sein  kann.  Nur  diese 
Auffassung  entspricht  dem  Berichte,  dass  Athanarich  ins  Gebirge 
zurückgeworfen,  die  angebliche  Mauer  aufführte;  nur  diese  Auffassung 
trägt  den  Stempel  der  Möglichkeit  an  sich,  und  nur  vor  den  Felsen- 
mauern Siebenbürgens  nicht  aber  vor  einem  Walle,  der  nicht  einmal 
im  tüchtigen  Zustande  sein  mochte,  konnfen  die  Hunnen  zurück- 
schrecken. Fragen  wir  uns  aber,  Avie  das  „a  superciliis  Gerasi"  zu 
verstehen  sei,  so  ist  es  gewiss,  dass  Athanarich  nur  an  die  Ver- 
theidigung  der  Gebiete  vom  Rodnapasse  an,  also  von  den  Höhen 
am  Oberlaufe  der  Bistritz,  gedacht  haben  konnte.  Der  Gerasus 
bei  Ammian  ist  somit  nicht  der  heutige  Seret;  es  liegt  vielmehr 
einer    der    Fälle    vor,    in    denen    ein    Neljeiifluss    als    ()])erlauf    des 


')  Ueber  den  (Jerasns  siehe  weiter  uiden;    iilior  den  'i'rajanswall  vergl.  die 
Notiz  in  Petermanns  Mittheil.  1S57  «.   I'2f»,   1.30.  '■)   Vercjl.  dazu  die  Anmork. 

bei  Wietersheim  a.  a.  U.  3;». 

20* 


308  Kleine  Mittheilungen. 

Hauptflusses  aufgefasst  wurde  ^).  Unter  dem  Gerasus  unseres  Berichtes 
müssen  wir  also  die  Bistritz  mit  dem  untern  Seret  als  Fortsetzunsf 
verstellen. 

Es  kommt  nun  darauf  an,  die  Stelle  ,prope  Danasti  margines  ac 
Greuthuugorum  vallem"  zu  bestimmen. 

Athanarich  sehlägt  sein  Lager  beim  Tliale  der  Greuthungen  aul 
und  weicht  beim  AngTiffe  der  Hunnen  mit  geringem  Verluste  in 
das  Hochgebirge  zurück.  Aus  dieser  Darstellung  Ammians  wird  es 
wohl  klar,  dass  die  Westgotheu  ihre  Stellung  nahe  den  Bergzügen  der 
Karpaten  genommen  hatten.  Wären  sie  fern  von  den  Bergen  in  der 
Ebene  crestandeu,  so  hätten  die  flinken  Keiter  der  Hunnen  sie  auf  der 
Flucht  arg  iiergenommen.  P]s  liegt  somit  die  Annahme  nahe,  das  wir 
die  „  Uferlaudschaft  des  Danastus",  die  Amraian  als  Schauplatz  des 
Zusammenstosses  l>ezeichnet,  am  allerwenigsten  au  den  untern  und 
mittleren  Dniester  in  Bessarabien  verlegen  dürfen.  Es  ist  im  übrigen 
auch  völlig  unglaublich,  dass  die  Westgotheu  sich  so  weit  von  Sieben- 
bürgen, dem  Centrum  ihrer  HeiTschaft,  entfernt  hätten,  um  in  Bes- 
sarabien einen  Punkt  des  Dniesters  zu  überwachen,  während  doch 
der  Feind  auf  der  ganzen  Länge  des  unteni  und  mittleren  Dniester 
den  Fluss  überschreiten  konnte. 

Wir  werden  somit  auf  den  i>bern  Dniester  verwiesen.  Nun  steht 
es  aber  fest,  dass  es  Athanarich  nicht  einfallen  konnte,  am  Oberlauf 
dieses  Flusses  in  Galizien  Stellung  zu  nehmen.  Soweit  der  Dniester 
das  heutige  Galizien  durchfliesst,  begrenzte  er  weder  westgothisches 
Gebiet,  noch  waren  die  aus  dem  Osten  kommenden  Hunnen  an  dem- 
selben zu  erwarten.  Wenn  somit  dem  ,prope  Danasti  margines-  Be- 
deutung zukommt,  so  ist  wohl  jener  Theil  des  Dniesterlaufes  zu  ver- 
stehen, welcher  etwa  die  Grenze  der  Bukowina  bildet  und  in  dem  sich 
bei  Samosin  der  sicher  uralte  Uebergang  befindet  -).  Die  „  Danasti 
raarsrines"  müssten  also  in  der  Bukowina  oder  dein  antjrenzenden 
Russland  zu  suchen  sein. 

Hat  Athanarich  am  Dniester  selbst  Stellung  genommen?  Auuuian 
sagt  „prope  Danasti  uiargiues".  Eine  wie  weite  Bedeutung  iudess 
dieses  „  prope "  hat,  folg-t  schon  daraus,  dass  der  Vorposten  20  Stadien 
also  etwa  4  Meilen  vorritt,  bis  er  an  den  Fluss  kam,  an  welchem  er 
von   den    Hunnen    umgangen    wurde.     Da    nun    der  Vorposten    siclier 


')  fcjo  ist  bei  Herudot  IV  49  unter  der  Mapt^  wohl  die  Maros  mit  der 
uuteni  Theiss  als  Fortsetzung  gedacht.  Ueber  (Jerasus  —  Seret  vergl.  Kaindl, 
Der  Buchenwald  Nr.  2,  Czemowitz  1888  S.  20,  30,  43.  -)  Die  erste  Erwähnung 
derselben  bringt  die  Hypatios-< "hronik  zum  J.  6721  —  1213  (Russ.  Jahrbüther 
2.  B.,  Petersburg  1845). 


I 


Wo  fand  der  erste  Zusammenstoss  zw.  Hunnen  n.  Westgothen  statt?       309 

uicht  über  den  Duiester  hinaus  ritt,  so  würde  Athanancli  wenigstens 
vier  Meilen  vom  Dniester  entfernt  gestanden  sein.  Nun  geht  es  aber 
aus  dem  Berichte  Ammians  deutlich  hervor,  dass  Athanarich  vor  den 
Hunnen  sofort  ins  Hochgebirge  floh,  dass  er  vor  allem  auf  seinem 
Rückzuge  sicher  nicht  über  Flüsse  zu  setzen  hatte.  Dieser  Umstand 
lässt  sich  in  keinem  Falle  mit  dem  „prope  Dauasti  margines'  ver- 
einigen, wenn  wir  diese  Worte  derart  auffassen  wollten,  als  ob  Atha- 
narich am  Dniester  seilest  oder  auch  nur  in  der  Nähe  desselben 
Stellung  genommen  hätte.  Zwischen  dem  Dniester  und  dem  Gebirge 
eilen  zahlreiche  Flüsse  und  bedeutende  Bäche  dahin.  Wenigstens  einige 
derselben  hätten  die  Westgothen  überschreiten  müssen,  um  das  schü- 
tzende Gebirge  zu  erreichen.  Sie  hätten  in  diesem  Falle  durch  die 
ihnen  nachstürmenden  Hunnen  die  grössteu  Verluste  erlitten.  Dem 
widerspricht  der  Bericht  Ammians.  Nach  diesem  Berichte  sind  wir 
genöthigt  daran  festzuhalten,  dass  das  Lager  Athanarichs  sich  am 
Fusse  des  Gebirges  befand ;  wir  müssen  also  das  ,  prope  —  margines " 
ganz  allgemein  fassen  und  dürfen  annehmen,  dass  Athanarich  nicht 
nur  nicht  nahe  dem  Dniester  stand,  sondern  dass  auch  der  Vorposten 
nicht  an  diesem  Flusse  umgangen  wurde.  Ausser  dem  Gerasus,  dessen 
Bedeutung  wir  oben  bestimmt  haben,  kennt  Ammians  Berichterstatter 
nur  noch  den  Danastus.  So  erklärt  sich  leicht  seine  Angabe.  Alles 
Hügelland  ausserhalb  des  Gebirges,  in  welchem  der  Gerasus  entspringt, 
gehört  ihm  zum  üferlande  des  Danastus. 

Aus  der  Darstellung  Ammians  ist  es  ferner  ofifenbar,  dass  Atha- 
narich sieh  auf  die  Vertheidigung  eines  Punktes  beschränkte.  Er 
schlug  beim  Thale  der  Greuthungen  unter  günstigen  Bedingungen, 
das  heisst  wohl  an  einem  leicht  zu  vertheidigenden  Orte,  sein  Lager 
auf.  Was  geht  aus  diesen  Umständen  hervor?  Wohl  nur,  dass  Atha- 
narich einen  der  Haupt  Zugänge  nach  Siebenbürgen  vertheidigen 
wollte.  Den  schrecklichen  unbekannten  Feinden,  die  das  grosse  Ost- 
gothenreich  im  raschen  Anprall  zertrümmert  hatten,  deren  Stärke  und 
Wildheit  durch  die  flüchtigen  Boten  den  Westgothen  sicher  in  den 
grellsten  Farben  ausgemalt  worden  waren,  diesen  Feinden  konnte 
Athanarich  nur  in  den  Bergen  Stand  zu  halten  beabsichtigen.  Er 
verschanzte  sich  also  in  einem  der  Einganffsthore  und  als  er  von 
den  anstürmenden  Horden  überrumpelt  wurde,  war  auch  die  Möglich- 
keit geboten,  mit  geringem  Verluste  ins  Gebirge  zu  entweichen. 

Wo  ist  nun  aber  jener  Zugang  zu  suchen,  den  die  Gothen  ver- 
theidigten,  und  der  als  „ Greuthuugen t h a  1 "  bezeichnet  wird?  Bei  der 
Beantwortung  dieser  Frage  können  die  eigentlichen  Ostkarpaten  Sieben- 
bürgens  nicht   in    Betracht    kommen.     In    verhältnismässig    geringer 


310  Kleine  Mittheilungen. 

Entfernung  von  denselben  fliesst  der  Gerasus  vorbei,  und  Ammian 
hätte  sicher  nicht  gesagt,  dass  der  Zusammenstoss  in  der  Uferland- 
schaft des  Danastus  stattgefunden  habe,  wenn  derselbe  bei  den  Berg- 
zügen Avestlich  vom  Gerasus  geschehen  wäre.  Wir  werden  mithin 
auch  in  diesem  Falle  auf  das  Gebiet  der  Bukowina  vervdesen,  auf 
Avelches  Land  wir  auch  bei  der  Bestimmung  der  Worte  „  prope  Dauasti 
margnnes"  geleitet  wurden.  Durch  dieses  Land  fübrt  von  der  uralten 
Dniesterfurt  bei  Samosin  der  Völkerweg  in  das  Moldawathal,  durch 
welches  man  zum  Eodnapass  und  nach  Siebenbürgen  gelangt.  Dieser 
Weg,  den  später  die  Mongolen  unter  Kadan  zogen  und  der  deshalb 
allgemein  als  der  ,  Tataren  weg "  bezeichnet  wird,  musste  schon  auch 
im  vierten  Jahrhundert  und  früher  bestanden  haben.  Der  Ausgang 
des  Moldawathales  bei  Gura  Humora  kann  allein  der  eine  Punkt  ge- 
wesen sein,  dessen  Vertheidigung  Athanarich  geplant  haben  mochte. 
Wie  wohl  geAvählt  und  wie  wichtig  dieser  Punkt  war,  zeigt  der  Um- 
stand, dass  derselbe  in  der  jüngsten  historischen  Zeit  mehrmals  ver- 
schautzt  und  befestigt  wurde  i).  Hier  muss  auch  Athanarich  festen 
Fuss  gefasst  haben.  Von  hier  aus  sandte  er  Muuderich  und  Lagari- 
luan  mit  ihrer  Schar  voraus.  Diese  ritten  jedenfalls  in  der  Richtung, 
in  welcher  der  Völkerweg  zog  und  also  die  Hunnen  zu  erwarten 
waren,  zwanzig  Stadien  voraus,  und  hielten  Wache  au  einem  Flusse. 
Zwanzig  Stadien  sind  etwa  vier  Meilen,  und  in  dieser  Entfernung 
von  Gura  Humora  fliesst  die  Suczawa  im  weiten  Bogen,  dessen  Halb- 
messer in  nordöstlicher  Richtung  der  angegebenen  Wegstrecke  ent- 
spricht. An  der  Suczawa  scheinen  also  Munderich  und  Lagariman 
gestanden  zu  sein.  In  diesem  Flusse  konnten  auch  die  Hunnen  eine 
Furt  finden,  die  nicht  bewacht  war,  weil  das  ganze  Flussbett  flach 
ist;  am  Duiester  wäre  dieses  nicht  möglich  gewesen.  Nachdem  aber 
die  Hunnen  den  Vorposten  umgangen  hatten,  konnten  sie  in  der 
That  die  Strecke  von  vier  Meilen  rasch  durcheilen  und  Athanaiüch 
überraschen,  bevor  noch  Munderich  und  Lagariman  am  nächsten 
Morgen  sahen,  was  geschehen  sei.  Athanarich  überrascht,  konnte  sich 
auf  dem  wohlbekannten  Bergweg  mit  geringem  Verluste  in  das  Ge- 
l)irge  zurückziehen,  und  begann  sofort  vom  Rodnapasse  an,  oder  wie 
Ammian  sagt  „a  superciliis  Gerasi  fluminis*",  die  wenigen  Pässe  zu 
verrammeln.  Vor  den  Felsenmaucrn  wichen  die  Hunnen  zurück. 
Munderich  muss  aber  auf  anderem  Wege  entkommen  sein.  Dieses  ist 
schon  früher  an«>*edeutet  worden. 


')  Vgl.  WickL-uliiiusor,  iMolda  (Czoniowil/,   1881 1   I,  23ii. 


Wo  fand  der  erste  Zusammenstoss  zw.  Hunnen  n,  Westgothen  statt?       ^\{ 

Es  erübrigt  nur  noch  zu  erklären,  weshalb  das  Moldawathal 
„  Greuthungorum  vallis "  genannt  worden  sei.  Dies  kann  einen  doppel- 
ten Grund  gehabt  haben.  Entweder  hielten  die  Greuthungen  oder 
Ostgothen  einst  dieses  Thal  besetzt,  wie  Wietersheim  (I,  250)  anzu- 
nehmen scheint;  oder  das  Thal  führte  nach  den  Greuthungen  den 
IS  amen,  weil  man  durch  dasselbe  in  deren  Gebiet  gelangte.  Jeden- 
falls weist  der  Umstand,  dass  das  Thal  einen  Namen  hatte,  auf 
dessen  besondere  Bedeutung  hin.  Diese  Bedeutung  konnte  aber  ebenso 
wie  heute  auch  im  vierten  Jahrhundert  nur  das  Moldawathal  bean- 
sprucht haben. 

Czernowitz.  Raimund  F.  Kai  ndl. 


Zur  Diitiruiiü;  yoii  St.  KMH.  Schcffer-Boichorst  hat  im  XII.  Bande 
dieser  Zeitschrift,  S.  205,  Anm.  4,  auf  die  unter  Friedrich  I.  mehi*fach 
zu  beobachteude  Thatsache  hingewiesen,  dass  die  Kaiser-  und  Köuigs- 
jahre  bei  der  Datirung  von  Urkunden  über  ihren  Endtermin  hinaus 
noch  Monate  lang  weitergezählt  werden.  Er  hebt  an  dieser  Stelle 
insbesondere  hervor,  dass  das  dreizehnte  Königsjahr  am  9.  März  1165 
abgelaufen  war,  die  Kauzlei  aber  dabei  blieb,  und  zwar  nicht  l)los 
das  ganze  Jahr  1165  hindurch,  sondern  noch  bis  in  die  ersten  Monate 
des  folgenden  Jahres  hinein;  hier  widerspreche  die  Berechnung  also 
der  Wirklichkeit,  entspreche  aber  dem  Kanzleigebrauch  und  damit  den 
übrigen  Jahresangaben. 

In  die  von  SchefFer-Boichorst  erwähnte  Zeit  der  Fortführung  des 
cbeizehnten  Königsjahrs  über  seinen  Endtermin  hinaus  fällt  das  Pri- 
vileg, welches  Friedrich  I.  am  8.  Januar  1166  bei  Gelegenheit  der 
Kanonisation  Karls  des  Grossen  für  Aachen  ausgestellt  hat  (St.  4061) 
und  das  ich  vor  Kurzem  im  Anhange  zu  einem  Buche  von  Bauschen 
auf  seine  Echtheit  untersucht  habe,  für  dessen  Echtheit  ich  auch  viel- 
fachen Anfechtungen  gegenüber  eingetreten  bin  i).  Dieses  Privileg 
macht  nun  allerdings  in  der  von  Schetfer-Boichorst  verfolgten  Reihe 
und  insbesondere  unter  den  von  mir  selbst  zur  Vergleichuug  heran- 
gezogenen Urkunden  jeuer  Zeit  eine  Ausnahme,  indem  es  das  vier- 
zehnte Königsjahr  nennt  -).     Neben    den    zahlreichen    anderen  für  die 


')  Die  Legende  Karls  des  Grossen  im  11.  und  12.  Jahrhundert  herausgegeben 
von  Gerhard  Rauschen.  Mit  einem  Anhang  über  Urkunden  Karls  des 
Grossen  und  Friedrichs  I.  für  Aachen  von  Hugo  Loersch,  Leipzig  1890. 
2)  A.  a.  0.  S.  194  f. 


312  Kleine  Mitthei hingen. 

Echtheit  überzeugeud  sprechenden  Gründen  erschien  die  kleine  Ab- 
weichung, welche  zudem  sogar  eine  den  wirklichen  Verhältnissen  ent- 
s]n-echeude,  richtige  Königszahl  ergibt,  nicht  wesentlich.  Ich  bin  mir 
aber  doch  bewusst,  hier  die  Bedeutyng  des  konstante a  Kanzleige- 
brauchs nicht  genügend  gewüi-digt  und  nicht  genug  gethau  zu  haben, 
um  das  aus  der  ungewöhnlichen  Zahl  sich  ergebende  Bedenken  aus 
dem  Wege  zu  räumen.  Da  ich  befürchten  rauss,  dass  es  doch  noch 
einmal  geltend  gemacht  werden  könnte,  so  gestatte  ich  mir,  hier  mit 
weniseu  Worten  darauf  zurückzukommen. 

Die  Sache  liegt  nämhch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  so,  dass  die 
in  jeder  andern  Beziehung  als  vollkommen  kanzleimässig  erwiesene 
Urkunde  auch  von  Anfang  au  die  zur  Zeit  übliche  Angabe  des  drei- 
zehnten Königsjahres  gehabt  hat  und  dass  das  ,quartodeciino'  nur  in 
den  Text  gekommen  ist  bei  Gelegenlieit  der  Abschrift,  welche  die 
Kanzlei  Friedrichs  IL  von  dem  Privileg  gemacht  hat.  St.  4061  Hegt 
nämlich  nicht  im  Original,  sondern  nur  in  dem  1244  zu  Pisa  her- 
gestellten Transsumt  vor  ^).  In  den  meisten,  wenn  nicht  in  allen  1165 
und  66  durch  die  königliche  Kauzlei  hergestellten  Urkuuden  sind 
alle  bei  der  Datirung  vorkommenden  Zahlen  mit  Ziffern  wiedergegeben. 
Insbesondere  hat  das  in  Aachen  aufbewahrte,  daraufhin  nochmals  ver- 
glichene Original  von  St.  4062  folgende  Datirung: 

Dat  Aquisgrani.  anno  dnice  incamat.  m.  c.  Ix  vi.  indictione.  xiiij. 
V.  id  ianuarij.  Kegnante  domno  Frederico.  Rom  impre  glosissimo,  anno 
regni  eius  xiij.  impij  ü.  xi  Act.  in  xpo  feliciter.  Amen: 

Die  gleiche  Art  der  Schreibung  findet  sich  mit  geringen  Ab- 
weichungen, wie  ich  aus  meiner  vor  Jahren  genommenen  Abschrift 
ersehe,  in  dem  Original  von  St.  4060  in  Berlin.  Unzweifelhaft  ist 
also  auch  im  Original  von  St.  4061  das  Datum  ganz  in  derselben 
Weise  gestaltet  gewesen  und  hier,  wie  in  St.  4060  und  4062,  "war 
xnj  die  Ziffer  des  Königsjahres.  Bei  der  Transsumirung  im  August 
1244  sind  nun,  wie  mein  Abdruck  zeigt-),  in  der  Kanzlei  Fried- 
richs IL  alle  in  der  Vorlage  mit  Ziffern  geschriebenen  Daten  durch 
Worte  wiedergegeben  worden;  es  hat  also  bei  jeder  Ziffer  eine  Um- 
schreibung stattgefunden.  Sicherlich  ist  bei  dieser  Gelegenheit,  natür- 
lich nicht  weil  man  eine  Korrektur  vornehmen  wollte,  sondern  durch 
ein  Versehen  des  Schreibers,  das  dreizehnte  Königsjahr  in  das  vier- 
zehnte umgewandelt  worden,  aus  xuj  ein  ,quartodecimo'  geworden. 
Das  war  um  so  eher  möglich,    -weil    xuj  sehr    leicht   für   xnij  gelesen 


>)  A.  a.  0.  ö.  164.  ^)  A.  a.  U.  Ö.   159,  Z.  224  Ö'. 


Zur  Datirimg  von  81.  4061.  3|3 

werden  kann  und  weil  bei  der  kurz  vorausgehenden  Angabe  der 
Indiktion  die  Ziffer  xrnj  schon  einmal  -wirklich  vorgekommen  und 
umschrieben  worden  war. 

Durch  diese  Ausführungen  dürfte  jedes  Bedenken,  welches  noch 
aus  der  Abweichung  der  Urkunde  St.  40til  von  dem  im  Januar  1166 
in  der  Kanzlei  gebräuchlichen  Königsjahr  hergeleitet  werden  könnte, 
gehoben  sein. 

Bonn.  Loersch. 


I 


Literatur. 

Oe«terreicliisehe  Kunst-Topographie.  I.  Baud:  Herzog- 
thum  Kiirnteu,  Herausgegebeu  von  der  k.  k.  Central  -  Commission 
für  Eriorscliimg  und  Erhaltung  von  Kunst-  und  historischen  Denk- 
malen.  Wien  1889.  In  Commission  bei  Kubastu  &  Voigt.  Gr.  8", 
X  und  490  S. 

Schon  im  Jahre  1874  hat  die  k.  k.  Central-Commission  lür  Erfor- 
schung und  Erhaltung  von  Kunst-  und  historischen  Denkmalen  den  Plan 
gefasst,  eine  österreichische  Kunsttopographie  in  Angriff  zu  nehmen  unri 
durchzuführen.  Sie  hat  sich  damit  eine  dankenswerthe  und  nicht  genug 
zu  schätzende  Aufgabe  gestellt,  die,  von  bewährten  Kräften  in  richtiger 
Weise  durchgeführt,  Oesterreich  nur  zur  Ehre  gereichen  könnte.  Die  Aus- 
führung liess  lange  auf  sich  warten.  Erst  nach  jahrelangen  Vorbereitungen 
und  Vorarbeiten  i),  nach  wiederholten  Berichten  über  den  Fortgang  iler 
Arbeiten  und  nach  mehrmaligen  Ankündigungen  des  nahe  in  Aussicht 
stehenden  Erscheinens  des  Werkes  ist  endlich  der  erste,  Kärnten  umfassende 
Band  erschienen  und  liegt  nun  in  acht  Lieferungen,  die  in  verhältniss- 
niässig  kurzer  Zeit  (1888 — 1889)  ausgegeben  wurden,  vollendet  vor. 

Da  in  gleicher  Weise,  wie  im  ersten  Bande  Kärnten,  in  den  folgen- 
den Bänden  auch  die  sämmtlichen  anderen  Länder  und  Provinzen  Oester- 
reichs  behandelt  werden  sollen,  so  dürfte  eine  eingehende  und  sachgemässe 
Würdigung  dieser  ersten  Leistung  wohl  am  Platze  sein;  und  ich  denke, 
die  Central-Commission  wiixl  einer  gewissenhaften  und  vorui'theilsfreien 
Besprechung  nur  Dank  wissen,  selbst  wenn  die  Bemängelungen  überwiegen 
sollten,  da  das  Werk  für  die  folgenden  Bände  nur  gewinnen  kann,  wenn 
von  einem  ausserhall)  ihres  Kreises  Stehenden  in  dieser  Angelegenheit  ein 
offenes  Wort  gesprochen  wird. 

Freilich  hat  die  Central-Commission,  vielleicht  im  Bewusstsein  der 
mehrfachen  Mängel  des  Werke«,    eigentlich    gegen   jede  ablehnende  Kritik 


')  Vgl.  Mittheilungen  der  k.  k.  Ceutral-Commission  N.  F.  14,  S.  64:  »Was 
nun  Kärnten  anbelangt,  so  hat  sich  die  Central-Commission  die  Mühe  nicht 
verdriessen  lassen  imd  auch  die  Kosten  nicht  gespart,  das  reichhaltige  Materiale 
wiederholt  sichten,  richtigstellen  und  ergänzen,  überprüfen  und  neuerlich  mit 
den  thatsächlichen  Verhältnissen  an  Ort  und  Stelle  vergleichen  zu  lassen,  um 
damit  den  richtigen  sachlichen  Bestand  zu  erreichen.* 


Literatur.  315 

im  Vorhinein  Stellung  genommen ;  das  Erscheinen  des  Buches  wird  in  ihrem 
Organ  (Mittheilungen  K.  F.  14,  64)  mit  folgenden  Worten  angekündigt: 
»Herzlich  sch-vvierig  war  es,  dieses  Buch  zu  Stande  zu  bringen,  das  un- 
geachtet vieler  Sorgfalt  gewiss  nicht  fehlerfrei  und  auch  noch  lückenhaft 
sein  wird.  Leicht  wird  es  vielleicht  dem  Kritiker  und  Gegner  werden, 
hie  und  da  Fehler  oder  Mängel  zu  finden,  möge  er  es  aber  versuchen, 
ein  solches  Werk,  für  welches  derzeit  kein  Vorbild  besteht,  tadellos  zu 
schaffen  oder  besser  zu  machen.«  Dem  Einzelnen  stehen  nicht  der  grosse 
Hillsapparat  und  die  vielen  Hilfsmittel  zu  Gebote,  über  welche  die  Central- 
Commission  verfügt,  er  ist  daher  nicht  leicht  in  der  Lage,  ein  solches 
Werk  in  Angriff  nehmen  zu  können;  das  ist  eben  die  Aufgabe  solcher 
staatlicher  Institute.  Um  die  Wissenschaft  aber  wäre  es  schlimm  bestellt, 
wenn  jedes  Werk  nur  nach  einem  berühmten  Muster  geschaffen  werden 
könnte.  Und  so  ganz  ohne  jede  vorhergehende,  wenn  auch  nicht  ganz 
gleiche,  so  doch  sehr  ähnliche  Publikation  steht  das  Werk  doch  nicht  da. 
Liegt  es  auch  nicht  in  meiner  Absicht,  »ein  solches  Werk  tadellos  zu 
schaffen  oder  besser  zu  machen«  und  mii-  erst  dadurch  die  Berechtigung 
zu  einer  Kritik  zu  erlangen,  so  glaube  ich  doch  in  der  Angelegenheit  der 
Kunsttopographie  das  Wort  ergreifen  zu  dürfen. 

Im  Vorhinein  sei  hervorgehoben,  dass  die  Central-Commission  durch 
die  Inangriffnahme  der  Kunsttopographie  sich  ein  unvergängliches  Verdienst 
um  die  Kunstgeschichte  in  Oesterreich  erworben  hat.  Insbesonders  aber 
ist  ihr  die  Lokalforschung  in  Kärnten  dafür  zu  ausserordentlichem  Danke 
verpflichtet,  dass  sie  gerade  dieses  Kronland  zur  ersten  Publikation  sich  aus- 
ersehen hat.  Denn  wahrlich  eine  ganz  besonders  reiche  Fülle  von  Material 
zur  Kunstgeschichte  des  Landes  erscheint  in  dem  vorliegenden  Bande  zum 
ersten  Male  vereint,  theils  ausführlich  beschrieben,  theils  nur  genannt  und 
erwähnt.  Damit  ist  ein  Inventar  geschaffen,  welches  nicht  nur  den  grüssten 
Theil  des  gegenwärtigen  Besitzstandes  an  Kunstwerken  tixirt,  sondern  die- 
selben vielfach  auch  eingehend  beschreibt  und  würdigt  und  dadurch  der 
vergleichenden  und  zusammenfassenden  Kunstgeschichtschreibung  zugänglich 
macht.  Wenn  das  Werk  in  der  Durchführung  auch  Vieles,  recht  Vieles 
zu  wünschen  übrig  lässt,  das  grosse  Verdienst  der  ersten  Zusammenfassung 
und  in  Folge  davon  der  leichteren  Zugänglichkeit  des  zerstreuten  und 
nicht  immer  leicht  erreichliaren  Materials  wird  ihm  immer  bleiben. 

Um  dem  Werke  in  jeder  Beziehung  gerecht  zu  werden,  muss  man 
es  von  drei  Gesishtspunkten  auri^^der^  Betrachtung  unterziehen.  Erstens 
sind  die  allgemeinen  Grundsätze,  auf  denen  das  Werk  aufgebaut  ist,  zu 
berücksichtigen.  Diese  wurden  im  Schosse  der  Central-Commission  auf 
Grund  gemeinsamer  Berathungen  aufgestellt  und  sie  sollen  auch  lür  alle 
folgenden  Bände  massgebend  sein.  Diese  sind  also  Sache  der  Central- 
Commission  selbst.  In  zweiter  Linie  ist  zu  untersuchen,  wie  und  inwie- 
ferne  die  aufgestellten  Principien  in  dem  vorliegenden  Bande  durchgetührt 
ersclieinen,  ob  und  inwieweit  also  die  Durchführung  mit  den  angenommenen 
allgemeinen  Grundsätzen  sich  deckt.  Für  diesen  Theil  wird  die  Kedaktion 
des  Buches  einzutreten  haben.  Endlich  ist  der  Inhalt  der  einzelnen  Artikel 
selbst  in  Betracht  zu  ziehen,  sind  die  einzelnen  Angaben  in  denselben  auf 
ihre  Vollständigkeit,  Eichtigkeit  und  Verlässlichkeit  zu  prüfen.  Die  Ver- 
antwortung hielür  haben  die  verschiedenen  Berichterstatter  zu  tragen. 


3 1  fi  Literatur. 

Die  »(Ti-undzüge  zur  Verfassung  und  Publikation  der  Kunst-Topo- 
grapliie*  wurden  wiederholt  der  Oeftentliclikeit  bekannt  gegeben  ^).  Sie 
sind  in  der  Einleitung  zu  dem  vorliegenden  Bande  nicht  wieder  abgedruckt, 
sondern  es  wurden  hier  nur  mit  Berufung  auf  den  Aufsatz  von  Preihen-n 
V.  Helfert  die  Abweichungen  von  jenen  näher  ausgeführt  und  begründet. 
Zunächst  seien  jene  Punkte  besonders  liezeichnet,  welche  zu  Bedenken 
berechtigen. 

Im  Allgemeinen  wird  man  einwenden  dürfen,  dass  diese  (Irundzüge 
in  manchen  Punkten  zu  unbestimmt  lauten  und  zu  wenig  ins  Detail  gehen. 
Wären  die  Mitarbeiter  sämmtlich  geschulte  Archäologen  und  Kunsthistoriker, 
dann  könnten  sie  vielleicht  genügen.  Da  dies  aber  zum  grössten  Theile 
nicht  der  Fall  ist  und  die  Mitarbeiter  meist  dilettirende  Consei"vatoren 
und  Correspondenten,  ja  häufig  auch  in  Sachen  der  Kunst  gänzlich  un- 
erfahrene Landgeistliche  sind,  die  den  einzelnen  Kunstobjekten  ohne  nähere 
Anweisung  für  die  Beschreibung  rathlos  gegenüberstehen,  so  wäre  es  an- 
gezeigt gewesen,  die  «Grundzüge»  auf  lireitere  Basis  zu  stellen.  Und  da 
ein  Mitarbeiter  nur  dann  etwas  Brauchbares  wird  liefern  können,  wenn 
ihm  die  Glesichtspunkte,  auf  denen  das  Werk  beruhen  soll,  genau  bekannt 
sind,  so  hätten  die  Normative  zuerst  ausgearbeitet  und  mit  den  Frage- 
bogen zugleich  ausgeschickt  werden  sollen,  nicht  aber  wie  es  hier  geschah, 
dass  zuerst  die  kurzen,  äusserst  trockenen  Fragebogen  ausgesandt  und  erst 
dann,  nachdem  bereits  ein  grosser  Tlieil  derselben  beantwortet  vorlag,  die 
GriTindzüge  in  deii  Druck  gelegt  wurden. 

Auf  Einzelheiten  übergehend,  scheint  es  mir  zunächst  bezüglich  der 
prähistorischen  und  römischen  Pundstücke  ein  Mangel  zu  sein,  dass  nicht 
ganz  präcise  und  unzweideutige  Bestimmungen  getroffen  wurden,  wo  die- 
selben zu  nennen  und  zu  beschreiben  sind,  ob  an  ihrem  Fundorte  oder 
an  ihrem  jetzigen  Standorte.  Bezüglich  der  prähistorischen  Denkmale  be- 
stimmt der  §  2  b,  dass  nur  «wichtigere  Fundstellen,  auch  wenn  die  be- 
treffenden Objekte  nicht  mehr  an  Ort  und  Stelle  vorhanden  sind,  und  dass 
nur  bedeutende  Objekte,  welche  sich  in  Sammlungen  finden,  auch  beim 
Fundorte  zu  nennen  seien«.  Aehnlich  lautet  der  §  3  b  bezüglich  der 
römischen  Denkmale:  Anzuführen  sind  die  »Fundstellen  selbst,  auch  wenn 
die  Objekte  nicht  mehr  dort  verblieben:  bedeutende  Objekte  der  Samm- 
lungen sind  auch  unter  den  betreffenden  Fundorten  zu  nennen.« 

Damit  sind  die  Bestimmungen  betreffs  der  Sammlungen  (§  fi  a,  c,  d  u.  e) 
in  Zusammenhang  zu  stellen.  Von  feststehenden  Privatsammlungen  soll 
nur  eine  summarische  Uebersicht  des  Bestandes  mit  Angabe  der  bedeu- 
tendsten darin  befindlichen  Stücke  dem  betreffenden  Ort  als  Anhang  bei- 
gegeben werden,  wechselnde  Privatsammlungen  aber  seien  überhaupt  aus- 
geschlossen. Ferner  sei  von  öffentlichen  Sammlungen  nur  ein  Auszug  aus 
den  Katalogen  als  Anhang    beizugeben.     Und  endlich  sei  bei  bedeutenden 


•)  Oesterreichische  Kunst-Topographie.  Von  Freih.  von  Helfert.  (Mitthei- 
lungen der  k.  k.  Central  -  Commission  für  Kunst-  und  historische  Denkmale 
(N.  F.  7,  (1881)  S.  8-11).  Normative  der  k.  k.  Central-Commission  zur  Erfor- 
schung und  Erhaltung  von  Kunst-  und  historischen  Denkmalen.  Wien  1883, 
S.  51—74  und  gleichlautend  wie  in  der  letzteren  Brochure  auch  in  einer  Separat- 
Ausgabe. 


Literatur.  317 

Objekten  der  Sammlunge]i  deren  Provenienz  anzugeben.  In  Folge  dieser 
Bestimmungen  können  bedeutendere  Objekte  doppelt,  minder  bedeutende 
hingegen  gar  nicht  genannt  werden.  In  der  That  ist  dies  in  dem  vor- 
liegenden Bande,  besonders  in  der  doppelten  Nennung  derselben  Objekte, 
häutig  auch  der  Fall ;  viele  Denkmale,  vi^elche  jetzt  im  Museum  des  Ge- 
schichtsvereins für  Kärnten  in  Klagenfurt  sich  befinden,  werden  sowohl 
unter  ihren  Fundorten  als  auch  dann  bei  der  Besprechung  des  Museums 
genannt.  Dem  wäre  vorzubeugen  gewesen,  wenn  man  als  allgemein  gil- 
tigen Grundsatz,  der  für  die  Anlage  der  Kunsttopographie  wissenschaftlich 
sowohl  gerechtfertigt  als  zugleich  auch  praktisch  gewesen  wäre,  angenommen 
hätte:  Alle  Fundobjekte,  deren  genauer  Fundort  sich  unzweifelhaft  er- 
weisen lässt,  sind  stets  bei  den  Fundorten  unter  gleichzeitiger  Erwähnung 
des  jetzigen  und  etwaiger  früherer  Standorte  zu  nennen,  hingegen  sind 
alle  Fundobjekte,  deren  Fundorte  unbekannt  oder  zweifelhaft  sind,  insoweit 
sie  nach  dem  Programm  des  Werkes  einer  Aufzählung  oder  Beschreibung 
werth  erscheinen,  unter  dem  jetzigen  Standorte  bei  gleichzeitiger  Anführung 
etwaiger  früherer   Standorte  zu  beschreiben. 

Nach  §  4  der  Grundzüge  hätte  bezüglich  der  Bauwerke  der  neueren 
Zeit  beiläufig  mit  dem  Jahre  17.")U  ein  Abschluss  gemacht  werden  sollen, 
in  der  Einleitung  aber  heisst  es  (S.  III),  dass  gewöhnlich  das  18.  Jahr- 
hundert den  Abschluss  bildet.  In  der  Ausführung  ist  man  dami  ein 
paarmal  selbst  darüber  hinausgegangen.  Ich  glaube,  bei  der  geringen 
Kunstthätigkeit  unseres  Jahrhunderts  hi  Kärnten  hätte  man  leicht  auch 
die  wenigen  Bauten  der  neueren  Zeit  aufnehmen  können. 

Bezüglich  der  Anlage  der  Kunsttopographie  wurde  im  §  y  bestimmt, 
dass  «die  m  einem  Bande  zu  besprechenden  Orte  in  alphabetischer  Reihen- 
folge behandelt  werden  sollen.»  Die  alphabetische  Anordnung  hat  zwar 
den  Vortheil  der  schnellen  Auffindbarkeit  eines  Artikels  für  sich,  allein 
dieser  hätte  sich  auch  durch  ein  alphabetisches  Register,  das  hier  ziemlich 
überflüssiger  Weise  ausserdem  noch  beigegeben  ist,  unschwer  erreichen 
lassen.  Wissenschaftlich  gerechtfertigter  wäre,  wie  ich  meine,  folgendes 
Vorgehen:  Das  ganze  Werk  hätte  zunächst  in  zwei  vollständig  selbst- 
ständige und  gesonderte  Theile  zerlegt  werden  sollen:  in  einen  prähistori- 
schen und  römischen  und  in  einen  mittelalterlichen  und  neuzeitlichen 
Theil.  Und  nur  im  ersten  Theile  hätten  die  Fund-  und  Standorte  alpha- 
betisch angeordnet  werden  können,  während  im  zweiten  Theile  die  An- 
ordnung nach  bestimmten  örtlichen  Gruppen  zu  treffen  gewesen  wäre. 
Letztere  hätte  iür  eine  wissenschaftliche  Benützung  ganz  besondere  Vortheile 
geljoten.  Gar  manche  lokale  Eigenthümlichkeiten,  z.  B.  in  den  Bauten, 
würden  da  sofort  in  die  Augen  springen,  die  ein  gewissenhafter  kunst- 
historischer Bearbeiter  so  erst  mit  viel  Mühe  und  Arbeit  sich  zusammen- 
suchen muss.  Speciell  für  den  vorliegenden  Band,  der  ja  mit  Bezug  auf 
das  Mittelalter  und  die  Neuzeit  zu  neun  Zehntheilen  eine  kirchliche 
Kunsttopographie  von  Kärnten  repräsentirt,  dürfte  sich  eine  Anordnung 
der  Orte  nach  Decanaten  und  Pfarreien  und  zwar  örtlich  vorschreitend 
von  West  nach  Ost  und  von  Nord  nach  Süd  ganz  besonders  empfohlen 
haben.  Die  Filialkirchen  hätten  dann  stets  unter  ihren  Mutterkirchen 
besprochen  weixlen  können. 

Wenn  aber  schon  das  Princip  der  alphabetischen  Anordnung  angenommen 


318  Literatur. 

wurde,  so  hätte  eine  Gliederung  der  einzelnen  Ai'tikel  in  Absätze,  nicht, 
wie  es  in  §  9  heisst,  »nach  Bedarf  und  zwar  nach  den  prähistorischen, 
römischen  und  mittelalterlichen  Gegenständen«  vorgeschrieben,  sondern  die 
Scheidung  nach  den  erwähnten  drei  AI )theilungen  unbedingt  und  aus- 
nahmslos durchgeführt  werden  sollen,  so  zwar,  dass  sie  schon  äusser- 
lich  hervortreten  würde  und  auf  den  ersten  Blick  zu  erkennen  wäre. 

Die  im  §  1 1  der  Grundzüge  versprochene  archäologische  Karte  ist 
bei  dem  vorliegenden  Bande  leider  nicht  zur  Ausführung  gelangt. 

Von  der  im  §  14  angeordneten  Classirung  der  Denkmäler  wurde  bei 
der  Durchführung  mit  Recht  Umgang  genommen.  Abgesehen  davon,  dass 
eine  solche  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  äusserst  schwer  durchzu- 
führen gewesen  wäre,  würde  sie  auch  vielfach  nur  einen  bedingten  Wevth 
gehabt  haben,  da  sie  auf  der  individuellen  Schätzung  und  Anschauung 
von  verschiedenen  Berichterstattern  hätte  aufgebaut  werden  müssen.  Ausser- 
dem kann  der  Zweck  einer  solchen  Classirung  leicht  auch  auf  andere 
Weise  erreicht  werden,  indem  man  eben  das  Wichtige  und  besonders  Be- 
deutende ausführlich,  genau  und  eingehend  beschreibt  und  das  Minder- 
wichtige weniger  detaillirt  behandelt  oder  endlich  gar  nur  einfach  er- 
wähnt. Leider  wurde  dieser  Gesichtspunkt  bei  der  Zusammenstellung  des 
Werkes  nicht  immer  beachtet. 

Betreffs  der  Illustrationen  liestimmt  der  §  1 5  der  Grundzüge : 
»Illustrationen  sind  nur  ausnahmsweise  und  wenn  sie  dazu  dienen  eine 
weitläufige  Beschreibung  zu  ersetzen  und  zwar  in  der  Eegel  noch  nicht 
verwendete  beizugeben.«  Von  dieser  allenl'alls  für  ein  blosses  Inventar 
passenden  Bestimmung  ist  man  später  glücklicherweise  abgeko  men. 
»Nicht  bloss  im  Schosse  der  Central-Commission  selbst,  <<  heisst  es  in  der 
Einleitung  (S.  III),  »sondern  auch  von  berufenen  Stimmen  aus  dem  Lande 
Kärnten  wurde  indess  in  Erwägung  gezogen,  ob  es  sich  nicht  in  mehr  als 
einer  Hinsicht  empfehlen  dürfte,  den  reichen  Vorrath  an  Holzstöcken,  der 
sich  seit  einer  Reihe  von  dreieinhalb  Decennien  im  Besitze  der  Central- 
Commission  aufgespeichert  hat,  zur  Illustration  der  einzelnen  Artikel  zu 
verwenden,  was  nicht  bloss  einem  sonst  ziemlich  trockenen  Werke  manchei-lei 
Anziehungskraft  verleihen,  sondern  auch  zur  nutzbaren  Anschaulichkeit  des 
im  Texte  Auseinandergesetzten  sehr  dankenswerthe  Dienste  leisten  müsste.« 
Die  Central-Commission  hat  sich  demnach  entschlossen,  der  Kunsttopographie 
ein  reiches  Illustrationsmaterial  beizugeben,  doch  nicht  auch  dazu,  die 
folgerichtigen  Consequenzen  aus  diesem  geänderten  Vorgehen  voll  und 
ganz  zu  ziehen.  Es  wurden  nämlich  nicht  alle  der  Central-Commission 
zugänglichen  Illustrationen  wieder  zur  Verwendung  gebracht  —  die  ge- 
ringen Mehrkosten  wären  durch  die  Vortheile  für  die  wissenschaftliche 
Benützung  reichlich  aufgewogen  worden  —  und  es  wurde  von  der  Bei- 
gabe eines  l)esonderen  Atlanten  der  Illustrationen  abgesehen.  Zwar  heisst 
es  auf  Seite  IV  der  Einleitung:  »Es  darf  hier  nicht  unerwähnt  bleiben, 
dass  durch  die  reichliche  Ausstattung  mit  Illustrationen  die  ursprüngliche 
Beigalie  eines  Atlanten  der  Kunstdenkmale  Kärntens  entiallen  konnte.« 
Wenn  aber  dies,  so  erforderte  die  wissenschaftliche  Seite  des  Werkes, 
dass  die  Illustrationen  dort  in  den  Text  eingefügt  wurden,  wo  sie  dem 
Zusammenhange  nach  liingehören,  so  dass  stets  Wort  und  Bild  beieinander 
stehen.     Allein   anstatt  dessen   wurden  ästhetische  Grumisätze  massgeliend, 


Literatur.  319 

die  Illustrationen  wurden  ohne  Eücksicht  auf  den  Text  schön  gleichmässig 
auf  die  Seiten  des  Buches  vertheilt.  Wie  unbequem  dadurch  die  wissen- 
schaftliche Benützung  des  Buches  geworden  ist,  wird  jeder,  der  sich  mit 
demselben  zu  beschäftigen  hat,  nur  zu  bald  empfinden.  Auf  diese  Art 
ist  wohl  ein  schönes  Bilderbuch,  aber  kein  wissenschaftlich  leicht  brauch- 
bares Werk  entstanden. 

Endlich  bestimmt  §  16  der  Grundzüge,  dass  »Citate  nur  auf  diejenigen 
Werke  zu  beschränken  seien,  welche  den  betreifenden  Gegenstand  ausiühr- 
licher  besprechen  oder  in  guter  Abbildung  bringen,  Literaturberichte  seien 
ausgeschlossen.«  Etwas  allgemeiner  spricht  sich  hierüber  die  Ceutral- 
Commission  in  der  Einleitung  (S.  III)  aus:  »Auf  die  bestehende  mass- 
gebende Literatur«  heisst  es  da,  »wurde  durch  Berufung  möglichst 
einsfehend  hingewiesen.«  Dieser  Grundsatz  ist  viel  zu  dehnbar:  Bei  der 
individuellen  Unterscheidung,  was  »massgebend«  sei  und  was  nicht,  wird 
der  Willkür  stets  ein  zu  grosser  Spielraum  eingeräumt  sein.  Für  ein 
Werk,  wie  das  vorliegende,  wäre  wissenschaftlich  einzig  und  allein  der 
Grundsatz  richtig,  dass  die  gesammte  bestehende  Literatur  möglichst  voll- 
ständig zu  verzeichneii  ist.  Dafür  sprechen  so  viele  Gründe,  dass  es  nicht 
einmal  nöthig  ist,  sie  anzuführen.  Selbst  die  darauf  aufgewandte  Mühe 
wäre  kaum  grösser  gewesen,  als  wenn  der  aui'gestellte  Grundsatz  der 
richtigen  Unterscheidung  zwischen  massgebend  und  nichtmassgebend  in 
zutreflender  Weise  durchgeführt  worden  wäre. 

Soviel  über  die  allgemeinen  Grundsätze,  Auf  einiges  Andere  zurück- 
zukommen, wird  sich  noch  später  hie  und   da  die  Gelegenheit  erge])en. 

In  welcher  Weise  wurden  nun  die  in  den  »Grundsätzen«  und  in  der 
»Einleitung«  von  der  Central-Commission  selbst  aufgestellten  allgemeinen 
Principien  in  dem  vorliegenden  Bande  angewandt  und  durchgeführt?  Dafür 
wird  die  Eedaktion  des  Werkes  verantwortlich  zu  machen  sein. 

Nach  der  Einleitung  (S.  II)  hat  die  »Einzelarbeiten«  für  den  prä- 
historischen und  römischen  Theil  »der  Grätzer  Universitäts-Professor  Dr. 
Fritz  Pichler  auf  sich  genommen«,  »die  Anordnung  und  Formulirung  des 
von  so  vielen  Seiten  und  verschiedenen  Kräften  zusammengetragenen 
Materiales  aber  war  die  mühevolle  Arbeit  des  erkorenen  Referenten,  des 
k.  k.  Sectionsrathes  Dr.  Karl  Lind«.  Diese  zweifache  Redaktion  mag 
immerhin  für  die  Einheitlichkeit  des  Werkes  nicht  von  Nutzen  gewesen 
sein.  Doch  ich  kann  mir  l'ci  der  beliebten  Theilung  der  Arbeit  das  Ver- 
hältniss  der  beiden  Redakteure  zu  einander  nicht  anders  denken,  als  dass 
Dr.  Lind  die  Gesammtredaktion  besorgte,  d.  h.  das  von  Dr.  Pichler  be- 
arbeitete Material  an  richtiger  Stelle  einordnete.  Dies  Verhältniss  scheint 
mir  auch  in  den  angeführten  Worten  der  Einleitung  angedeutet  zu  sein. 
Rein  redaktionelle  Versehen  uml  Irrthümer  dürften  daher  nur  auf  Rech- 
nung des  Gesammtredakteurs  zu  setzen  sein. 

Schon  die  alphabetische  Anordnung  ist  wiederholt  fehlerhaft.  So 
folgen:  Bodenthal  nach  Brandlhof,  Dornach  nach  Dornbach,  Dürnfeld  nach 
Dürnstein,  Gamsenegg  nach  St.  Gandolph,  Langsdorl'  nach  Längsee,  Lie.ser- 
egg  nach  Liesing,  Loiltach  nach  Loibl ,  St.  Lorenz  nach  St.  Lorenzen, 
St.  Lorenzen  nach  Lorenzenberg,  Oetting  nach  Ottmanach,  Reinegg  nach 
Reisach,  Rosendorf  nach  Rossegg,  Sack  nach  Sala,  Steierberg  nach  St.  Ste- 
phan und  Unzdorf  nach   St.   Urban. 


320  Literatur. 

Nicht  selten  kommen  Schreibweisen  der  Namen  zur  Anwendung,  die 
von  den  landesüblichen  und  allgemein  gebräuchlichen  abweichen.  Manche 
dieser  Abweichungen  mögen  auch  auf  einfachen  Druckfehlern  beruhen, 
manche  nur  auf  verschiedener  Schreibung.  Aus  der  Liste  —  sie  zählt  58 
iNumuiern  —  greife  ich  nur  einige  Beispiele  heraus  (der  richtige  Name 
steht  an  zweiter  Stelle) :  Aichelburg  —  Aichlberg,  Düchmannsdorf  —  Tech- 
mannsdorf, Dünhof  —  Dornhof,  Ehrenvest  —  Ead  nvöst  (^=  Oede  Veste), 
Gaudnitz  —  Öaudritz,  Geräuth  —  Greuth  (Kreuth),  Hüchenbergen  —  Hoheii- 
bergen,  St.  Joseph  in  der  Tratten  —  St.  Joseph  an  der  Tratte,  Krain- 
schütz  —  Kremschitz,  Mallthein  —  Malta,  Maria  im  Elend  —  Maria- 
Elend,    Maria  an  der  Gail  —  Maria  Gail,    Miegers  —  Mieger,    Mösl-Ofeii 

—  Mosel,  Nicolsdorf  —  Nikelsdorf,  Osterwitz,  Neu  —  Niederosterwitz, 
Polinik  —  Polinig,  St.  Primus  liei  Tultsching  —  St.  Primus  bei  Tultsch- 
nig,    Rautenburg   —   Kauterburg,    Schwertenegg  —  Schrottenegg ,    Thui-n 

—  Thurnhof,  und  im  Nachtrage :  Gerl  am  Moos  —   Gerlamos. 

Auch  einige  Inconsequenzen,  besonders  in  der  Behandlung  der  zu- 
sammengesetzten Ortsbezeichnungen  mit  Unter  und  Ober  oder  Windisch 
und  Deutsch,  Gross  und  Klein  u.  s.  w.  sind  zu  verzeichnen.  Derlei  Orts- 
bezeichnungen hätten  doch  alle  nach  einem  bestimmten  Principe  in  gleiciier 
Weise  alphabetisch  eingereiht  werden  sollen.  Desgleichen  werden  auch 
ein  und  dieselben  Namen  nicht  immer  consequent  gleich  geschrieben:  so 
linden  wir  Hainburg  und  Heunburg  nel)en  dem  richtigen  Haimburg, 
Kreugerberg  neben  Kraig,  Reifniz  neigen  Reiihitz,  Reineck  neben  Reiii- 
egg  u.   s.   w. 

Doch  das  sind  Kleinigkeiten.  Um  so  bedenklicher  aber  ist  es,  dass  ein- 
zelne Orte  unter  gänzlich  falschen  Bezeichnungen  alphabetisch  eingereiht 
sind,  und  da?s  ein  und  dieselben  Objekte  unter  verschiedenen  Namen 
doppelt,  das  Wegkreuz  bei  Launsdorf  sogar  dreimal,  sei  es  nun  mit  den- 
selben oder  mit  anderen  Worten,  beschrieben  werden.  Dies  wäre  leicht 
zu  vermeiden  gewesen,  da  für  Kärnten  Hilfsmittel  genug  bestehen,  um  in 
zweifelhaften  Fällen  das  Richtige  zu  treffen.  Besitzen  wir  doch  vier  brauch- 
bare Ortsrepertorien.  Dazu  kommt  noch  die  grosse  vom  militärgeographi- 
schen Institute  herausgegebene  Specialkarte  im  Masstabe  von  1  :  75  000, 
abgesehen  von  einigen  anderen  älteren  kartographischen  Arbeiten.  Die  Be- 
nützung auch  nur  eines  von  diesen  Hilfsmitteln  hätte  genügt.  Soviel  sich,  und 
zwar  aus  der  Art  der  Fehler  ersehen  lässt,  wunle  bei  der  alphabetischen 
Anordnung  der  Orte  nur  ein  einziges  Hilfsmittel  benützt,  d.  i.  der 
Schematismus  der  Gurker  Diöcese.  Allein  dieser  ist  an  sich  gerade  keine 
Musterpublikation,  zudem  ist  er  nach  einem  Principe  verfasst,  das  für  die 
Bestimmung  der  eigentlichen  Ortsnamen  von  Vorneherein  die  grüsste  Vor- 
sicht gebietet.  Die  Kirchen  werden  nämlich  nicht  nach  den  eigentlichen 
Ortsbezeichnungen,  sondern  nach  den  Heiligen,  denen  sie  geweiht  sind, 
angeführt.  Ausserdem  werden  bei  öfters  wiederkehrenden  Heiligennamen 
die  nach  diesen  genannten  Ortschaften  durch  Beisätze,  welche  nahegelegenen 
Ortschaften,  Bergen,  Gegenden  etc.  entnommen  sind,  zu  unterscheiden 
gesucht.  Diese  Beisätze  sind  aber  sonst  im  Lande  nicht  immer  gang 
und  gäbe. 

Offenbar  durch  diesen  eigenthümlichen  Vorgang  im  Schematismus 
wurde   die   Reduktion   nur    zu    oft    irregeführt    nml    bat    so    melireve   Orte 


Literatur.  321 

unter  dem  Namen  des  Heiligen,  dem  die  in  demselben  befindliche  Kirche 
geweiht  ist,  eingereiht  anstatt  unter  dem  eigentlichen  Namen,  und  um- 
gekehrt wurden  wieder  andere  Kirchen  unter  dem  erwähnten  unterschei- 
denden Beisatze  eingetragen  anstatt  unter  dem  Namen  des  Heiligen,  nach 
welchem  die  Kirche  und  zugleich  auch  die  bei  derselben  befindliche 
Ortschaft  selbst  benannt  erscheinen.  Auf  diese  Weise  kommt  es,  dass  bei 
Ortschaften,  wo  keine  Kirche  steht  und  auch  nie  eine  stand,  wie  bei 
nianegg  und  Feistritz  im  Glanthale,  Fölling  bei  Treffen  und  Siflitz  bei 
Spital  sich  Beschreibungen  von  Kirchen  finden.  Durch  den  gleichen  Irr- 
thum  sind  auch  zwei  Artikel  Grrafenstein  entstanden,  obwohl  es  in  Kärnten 
nur  einen  einzigen  Ort  dieses  Namens  gibt. 

Auch  mehrere  Doppelbeschreibungen  ein  und  desselben  Gegenstandes, 
welche  unter  verschiedenen  Schlagworten  auftreten,  können  vielfach  auf 
die  Irreleitung  durch  den  Schematismus  zurückgeführt  werden.  Allein 
nicht  alle.  Manche  Kirchen  kommen  einfach  darum  doppelt  vor,  weil  sie 
das  eine  Mal  unter  einem  selbstständigen  Artikel,  das  andere  Mal  abei- 
unter  dem  Schlagworte  der  Pfarre,  denen  sie  als  Filialen  zugehören,  gleich- 
falls beschrieben  sind.  Man  vermisst  eben  auch  hier  einen  bestimmten 
Grundsatz,  den  entweder  die  Central-Commission  selbst  oder  doch  die 
Redaktion  sich  hätte  aufstellen  sollen. 

Ich  gebe  im  Folgenden  eine  Liste  der  doppelt  v(»rkommenden  Artikel. 
Der  richtige  Name  ist  durch  einen  vorgesetzten  Stern  (*)  kenntlich  gemacht: 
Aichelburg,  richtig  Aichelberg  =  Damtschach; 
St.  Andrea  bei  Poggersdorf  =  *Wutscliein; 
St.  Cantian  im  Geräuth  =  Malestig  (St.  Cantian); 
Damtschach  =-  *Tamtschach; 
Drupolach  =  Tröpelach,   richtig  Tröppelach; 
Dürnstein  =  *  St.  Stephan  bei  Friesach ; 
Egg  (Kieuegg)  =  Kienegg,  richtig  Khünegg; 
Feistritz  im  Glanthale  (St.  Martin-Kirche)  =  St.  Martin  in  Feistritz,  richtig 

Feistritz  südlich  von  Grades; 
Ferlach,   Unter  =  Unter-Ferlach ; 
Feuersberg  ■=  *St.  Stephan  bei  Feuersberg; 
Finkenstein  =  *St.   Stephan  bei  Finkenstein; 
*Fresslitz  =  St.  Magdalena  an  der  Fresslitz: 
*Galizien  ^=  St.  Jakob  in  Galizien; 
St,  Georgen  am  Bayesberg  ^^=  *  Bayerberg,    St.  Georgen  am  — -  unter  den 

Nachträgen : 
St.  Georg  vor  dem  Bleiberge  (Flügelaltar)  :=  Kerschdorf  (Flügelaltar); 
St.  Georgen  am  Gundischberg  ^=:  *  St.  Georg(en)  unter  Stein ; 
*St.  Georg(en)  am  Stenberg  =  Sternberg    (auch    unter    <ler    falschen  Be- 
zeichnung Steinberg  steht  ein  Hinweis) ; 
Glanegg  (St.  Urban-Kirche)  =  *  St.  Urban  bei  Glanegg; 
*  Grades,  St.  Wolfgang  l)ei  ^  St.  Wolfgang  bei  Grades; 
Hochostei'witz  ^  Osterwitz,  Hoch-  und  =-  Osterwitz,  Neu-,  richtig  Nieder- 

osterwitz ; 
Hornburg,  St.  Oswald  ob  -^^  *St.  Oswald  ob  Hornburg; 
St.  Johann  B.  am  Kienberge  ^  Kienberg; 

Mittheilmigen  XII.  21 


322  Literatur. 

St.  Johann  am  Streinberg  =^  *  Streiiiberg ; 

*  Kirchberg  ^=  Maria  im   Moos; 

Klein-Kirchbeim   (Filiale   St.  Katharina  im  Bade)  =  *St.  Katharina; 

Klein-St.  Veit  =  St.  Veit  bei  Reineck,  richtig  Windisch-Klein-St.  Veit: 

Kremskogel  =^  Hochosterwitz  (Kremskogel): 

St.   Kunigunde  ^=   *Reissl)erg; 

St.  Lambrecht  am   Radsberg  =^  *  Ra^lsberg  unter  den  Nachträgen  ; 

Launsdorf  (St.  Sebastians-Filialkirche)  =  *St.  Sebastian; 

Laujisdorf  (Wegkreuz)  =  Hochosterwitz  (Wegkreuz)  —  Launsdori'  (Weg- 
kreuz) des  Nachtrages; 

Loibach,   Unter-  -=^  Unter-Loibach ; 

St.  Margarethen  zu  Tsclirietes  -^  Schrittes  (richtig  *Tsclirietes)  unter  den 
Nachträgen ; 

*  Maria  am   See  ^=   Prevali ; 

St.   Martin  in  Feistritz  — -   Feistritz  im  Glanthale,  richtig  Feistritz  südlirh 

von  Grades ; 
*St..  Martin   am   Silberbei-ge   ■=—   Silberberg; 
St.   Michael   an  der  (lurk   ■==  *  Windisch-St.  Michael; 
Niedertrixen    —   *  St.  Stephan  bei  Heunburg: 
Nussberg  (1.  Artikel)   =   Nussberg  (3.   Artikel); 
Fölling  bei  Launsdorf  =^  Pölling  bei   Launsdori'  der  Nachträge; 
•Fölling  bei   Tretfen   =-   '^^  Pölling  auf  der  Saualpe   der  Nachträge; 
Reineck   ^^   *   Reinegg; 

Reinegg  (Pfarre  St.  Philippen)  -^^  *St.   l'hilippcn; 
Reisberg   =  *  Reissberg; 

Rieding,   St.  Oswald  in  der  =  St.   Oswald   in  der  Rieding  der  Nachträge; 
Schwerttenegg  =  *Schrottenegg; 
Tweng  (St.  Leonhard)  ^=^   *St.  Leonhard   im  Drauthale. 

Dazu  käme  ein  Verzeichniss  der  unter  falschen  Bezeichnungen  vor- 
kommenden Artikel,  nicht  weniger  als  37  ^).  Ich  erwähne  hier  einige: 
Chum,  richtig  St.  Christoph  am  Chum;  Dornach,  richtig  Mitteldorf  bei 
Sagritz  im  MöUthale;  Gorentschach,  richtig  St.  Nikolai :  Hungersbach,  rich- 
tig Bach;  Krainschütz  (recte  Kremschitz),  richtig  St.  Leonhard;  St.  Lo- 
renzen  s.  Maria  Buch,  richtig  Grossbuch:  Ponfeld,  richtig  St.  Martin; 
Reifnitz,  richtig  St.  Margaretben;  Roggau,  richtig  Ober-Schütt.  Daran 
schliesst  sich  eine  Anzahl  von  Filialkirchen  (20),  welche  nur  unter  dem 
Schlagworte  ihrer  Pfarrkirchen,  seien  diese  nun  richtig  oder  unrichtig 
Ijezeichnet,  erwähnt  oder  beschrieben  werden,  wie  Freundsam  unter  Gra- 
denegg;  St.  Katlierina  (Filiale  von  St.  Älargarethen)  unter  Tüllerberg; 
St.  Kolman  (Filiale  vom  Markt  Griffen)  unter  Ehrenegg. 

Zu  erwähnen  ist  noch,  dass  unter  den  Schlagworten  St.  Claus,  St. 
Georgen  am  Zammelsberg,  Hornburg  und  Saalfeld  Hinweise  auf  die  Ar- 
tikel St.  Veit,   Zammelsberg,   St.  Paul   und  Lamprechtskogel,  Lambertskogel 


')  In  diese  Zahl  .sind  jene  Artikel  nicht  eingerechnet,  von  welchen  unter 
den  richtigen  Bezeichnungen  wenigstens  Hmweise  auf  die  unter  den  falschcu 
Schlagworten  stehenden  Beschreibungen  angebracht  sind.  Es  sind  dies:  Abtei, 
Sagradi,  Sack,  St.  I'eter  im  HdIz,  Kornat,  St.  Stephan  uu\  Kr:i]>id'elde.  Dreifaltig- 
keit, Kadsberg  und  St.  Huprocht  bei   \'ölkprniarkt. 


Literatur.  323 

stehen.  Allein  man  sucht  diese  Artikel  im  Buche  vergebens,  nur  die 
Hornliurg  ist  unter  Klein-St.  Paul  erwähnt.  Bei  St.  Georg  am  Lamm  ist 
auf  Lamm  verwiesen,  doch  stellt  der  betreffende  Artikel  erst  iinter  den 
Nachträgen. 

Endlich  sind  für  mich  die  Orte  Forstheim  und  Frauenberg  unauf- 
hndbar.  Bei  dem  letzteren  dürfte  vielleicht  eine  Verwechslung  mit  Freuden- 
berg vorliegen. 

Die  alphabetische  Anordnung  der  Artikel  verlaugt,  soll  das  Buch 
l)equein  brauchbar  sein,  nähere  geographische  Angaben,  wo  man  die  be- 
treffenden Orte  zu  suchen  habe.  Er  wäre  dafür  entweder  die  kirchliche 
oder  die  politische  Landeseintheilung  zur  Grundlage  zu  nehmen  gewesen, 
so  dass  bei  jedem  einzelnen  Orte  entweder  die  Pfarre  und  das  Dekanat 
oder  die  Ortsgemeinde  und  die  Bezirkshauptmannschaft  (Bezirksgericht), 
zu  welchen  er  gehört,  beigesetzt  wäre.  Selbst  rein  geographische  Bezeich- 
nungen nach  Flüssen,  Bergen  und  Thälern  hätten  zur  näheren  Bestimmung 
üiters  mit  Erfolg  herangezogen  werden  können.  Die  Redaktion  ging  jedoch 
in  dieser  Beziehung  ganz  willkürlich  und  planlos  vor.  Am  häufigsten 
stehen  die  Ortsnamen  an  der  Spitze  der  Artikel  ohne  irgendwelche  nähere 
Orientirungsangaben,  ohne  genauere  Hinweise,  in  welchem  Theile  des  Lan- 
des der  Ort  zu  suchen  sei.  Man  muss,  will  man  sich  über  die  richtige 
Lage  des  Ortes  belehren,  immer  wieder  zu  einem  Ortsrepertorium  greifen. 
Wo  aber  bei  einem  Orte  nähere  Bestimmungen  stehen,  erscheinen  sie  }iach 
keinem  bestimmten  Plane  gewählt  un'l  reichen  manchmal  auch  nicht  aus, 
und  selbst  scheinbar  ganz  genaue  Angaben  sind  nicht  allzeit  ganz  zu- 
treffend. Ich  verweise  unter  anderen  nur  auf  die  Angaben  bei  den  Artikeln : 
Altendorf,  St.  Andrea  bei  Poggersdorf,  Deinsdorf,  St.  Kathrein  bei  Glo- 
basnitz  und  Kreuschlach.  Andere  Angaben  sind  geradezu  unrichtig:  So 
ist  St.  Anna  bei  Maria  Wörth  nicht  eine  Filiale  von  Maria  Wörth  sondern 
von  Keutrfchach;  Hoch-St.  Paul  nicht  eine  Filiale  von  Glanegg,  wo  gar 
keine  Kirche  steht,  sondern  von  St.  Urban  ob  Glanegg.  Ferner  liegt  Lind 
nicht  im  Glanthale,  sondern  in  einem  Bergthale  oberhalli  Karnburg;  Kuh- 
weg, richtig  Kühweg,  ist  nicht  bei  Paternion  zu  suchen,  sondern  ist  eine 
Filiale  von  Mitschig  bei  Hermagor  im   Gailthale. 

Ungleichmässig  ist  auch  das  Vorgehen  in  Bezug  auf  die  Art  und 
Weise,  wie  und  wo  diese  näheren  Bestimmungen  angebracht  wurden. 
Meistens  stehen  sie  wohl  gleich  im  Anschlüsse  an  den  Namen,  "aber  manch- 
mal kommen  sie  auch  erst  später  vor,  so  z.  B.  einigemale  erst  im  mittel- 
alterlichen Theil.  Mit  einem  Worte,  das  Werk  lässt  in  diesem  Theil  fast 
Alles  zu  wünschen   übrig. 

Auch  in  der  in  den  »Grundzügen«  aufgestellten  Gliederung  der  ein- 
zelnen Artikel  nach  den  prähistorischen,  römischen  und  mittelalterlichen 
Gegenständen  wurde  keineswegs  streng  consequent  verfahren.  Nicht  immer 
sind  die  genannten  (iruppen  dui'ch  Absätze  ges(;hie<1en,  nicht  immer  gehen 
die  Angaben  über  prähistorische  und  römische  Fundstücke,  besonders  über 
Kömersteine,  der  Beschreibung  mittelalterlicher  und  neuerer  Baudenkmale 
voran,  nur  zu  oft  stehen  die  ersteren  mitten  in  der  Beschreibung  der 
letzteren.  Wie  schwer  ist  dadurch  einem  gewissenhaften  wissenschaftlichen 
Benutzer,  der  den  römischen  Denkmalen  in  Kärnten  nachgehen  wollte,  die 
Arbeit    gemacht!      Und    nun    vollends    erst    im   mittelalterlichen  und  neu- 

21" 


ß24  liitcratur. 

zeitlichen  Theil !  Wie  kunterbunt  sieht  es  da  in  den  einzelnen  Ar- 
tikeln aus! 

Für  die  Anlage  eines  Werkes  wie  des  vorliegenden,  muss  doch  in 
erster  Linie  der  Gresichtspunkt  leichter  Brauchbai'keit  für  die  Benutzer, 
d.  i.  für  Kunsthistcjriker,  welche  das  Ganze  oder  einzelne  Gruppen  von 
Kunsterzeugnissen  behandeln  wollen,  massgebend  sein.  Demnach  muss  tlie 
Anordnung  des  Stoffes  innerhalb  der  einzelnen  Artikel  eine  möglichst 
gleichmässige  und  übersichtliche,  die  Gliederung  eine  vollkommen  durch- 
sichtige sein.  Durch  strenges  Festhalten  an  einem  im  Vorhinein  entworfenen 
Schema  wäre  dies  leicht  möglich  gewesen.  Aber  anstatt  dass  schon  in 
den  »Grundzügen«  für  diesen  Theil  ein  genaues  und  allgemein  giltiges 
Programm,  ein  ins  Einzelne  gehendes  Schema,  aufgestellt  worden  wäre, 
wird  nur  auf  den  niederösterreichischen  Wegweiser  von  Baron  Sacken  und 
auf  ein  paar  eigens  zu  diesem  Zwecke  hergestellte  Musterljeschreibungen 
verwiesen.  Ich  bemerke  nebenbei,  dass  von  letzteren  die  Beschreibung 
der  Burg  Hochosterwitz  zudem  unpassend  gewählt  wurde,  denn  sie  reprä- 
sentirt  keinen  Typus,  sondern  ist  ein  Unicum.  Die  Musterbeschreibung 
von  St.  Leunhard  im  Lavantthale  wui'de  aber  nicht  einmal  vollständig- 
wörtlich  herübergenommen.  Es  würde  zu  weit  führen,  wollte  ich  hier 
ein  Musterschema  aufstellen.  Nur  andeutungsweise  sei  hervorgehoben, 
dass  z.  B.  bei  Beschreibungen  von  Kirchen  zunächst  das  Architektonische 
•mit  Einschluss  des  damit  organisch  verliundenen  plastischen  Schmuckes 
u.  zw.  in  Ijestimmter  Keilienfolge:  zuerst  das  Constructive  und  dann  erst 
das  Ornamentale,  zu  behandeln  wäre;  dann  kämen  die  unbeweglich  mit 
dem  Bauwerke  verliundenen  Wandmalereien  im  Innern  und  am  Aeussern 
und  schliesslich  erst  die  beweglichen  Einrichtungsstücke  gleichfalls  wieder 
in  bestimmter  Reihenfolge.  Wäre  das  Werk  in  solcher  Weise  emgerichtet, 
so  könnte  jeder,  der  aul  einem  beschränkten  Gebiete  nach  einer  bestimm- 
ten Eichtung  Studien  machen  will,  ohne  viel  Mühe  und  unnöthigen  Zeit- 
verlust das  zusammengehörige  Material  sich  sammeln,  während  er  so  ge- 
zwungen ist,  fast  das  ganze  Werk  von  Anfang  bis  zum  Ende  durchzusuchen. 
Insbesondere  ist  es  zu  bedauern,  dass  selbst  das  organisch  Zusammen- 
gehörige, wie  die  Beschreibungen  des  Architektonischen  von  Bauwerken, 
manchmal  durch  Einschieliung  von  Beschreibungen  anderer  Gegenstände, 
etwa  der  Glasfenster  liei  St.  Leonhard  im  Lavantthale,  auseiirandergerissen 
ist.  Ein  noch  ärgeres  Beispiel  der  Zerrissenheit  bietet  die  Beschreibung 
der  Kirche  von  Strassburg.  Ausserdem  verweise  ich,  um  nicht  zu  weit- 
läufig zu  werden,  nur  noch  auf  die  Artikel  Ossiach,  Rottendorf,  Sieben- 
brünn,   Wolfsberg  u.  s.  w. 

Diese  üngleichmässigkeit  in  der  Anordnung  und  dieses  Durcheinander 
in  den  verschiedenen  Artikeln  ist  vielfach  darauf  zurückzuführen,  dass  die 
Redaktion  es  sich  mit  der  Behandlung  und  mit  der  Benützung  iler  gegebenen 
Quellen  und  der  Literatur  nicht  zu  schwer  gemacht  hat.  Anstatt  sie 
nändich  für  ihre  Zwecke  zu  verarbeiten,  hat  sie  dieselben  einfach  Wort 
iür  Wort  abgeschrieben.  Bei  der  Besprechung  der  Literaturbeuützung 
werde  ich  auf  diesen  Punkt  ausführlicher  zurückzukommen  mich  bemüssigt 
sehen.  Hier  einige  Worte  über  die  Redaktion  des  prähistorischen  und 
römischen  Theiles. 

lieber  die  Zweckmässigkeit  und  Richtigkeit  des  Vorgehens  in  Beziehung 


Literatur.  325 

auf  alle  dabei  in  Betracht  kommenden  Gesichtspunkte,  sowie  über  die 
Richtigkeit  und  Genauigkeit  aller  vorgebrachten  Angaben  in  diesem  Theile 
wage  ich  ein  endgiltiges  und  abschliessendes  Urtheil  nicht  zu  fällen.  Es 
fehlte  mir  auch  an  Zeit  und  Gelegenheit,  um  ganz  genaue  Nachprüfungen 
anzustellen.  Allein  gewisse  Mängel  müssen  schon  bei  der  oberflächlichen 
Durchsicht  auffallen,  über  die  ich  mir  allerdings  ein  Urtheil  abzugeben 
erlaube. 

Es  genügt,  darauf  hinzuweisen,  dass  rein  geologische  und  paläonto- 
logische üinge  doch  nicht  in  eine  Kunsttopograghie  gehören.  Und  doch 
wie  häufig  kommen  sie  vor.  Ebenso  wäre  auch  das  rein  Sagenhafte  aus- 
zuschliessen  gewesen.  Auch  etymologische  Ableitungen,  wie  z.  B.  unter 
Karnburg  für  Kärnten,  wird  in  der  Kunsttopographie  niemand  suchen. 
Artikel,  wie  Kanker-Pass,  Mösl-Ofen,  Obir,  Eeifnitzthal,  Reineck,  Saualpe, 
Seeland,  Stangalpe,  Tun-ach-Sattel,  Zauchen,  Zmuln  und  Anderes  könnte 
man  ganz  wohl  entbehren.  Ferner  ist  in  diesem  Theile  reinen  Ver- 
muthungen  und  Hypothesen,  für  die  als  Belege  nicht  die  geringsten 
Funde  angeführt  werden  können,  ein  zu  grosser  Spielraum  gewähi-t. 
Fabeln  und  Vermuthungen,  die  Megiser  und  Valvasor  aufgestellt  haben, 
wieder  aufzufrischen  oder  auch  nur  zu  verzeichnen  wie  bei  Loi-enzenberg, 
St.  Veit,  Völkermarkt  etc.  musste  füglich  unterbleiben.  Dann  spielen 
Worte  und  Wendungen  mit  »ob,  vielleicht,  wohl,  mag,  scheint,  dürfte« 
u.  s.  w.  eine  allzugrosse  Rolle.  Auch  das  Fragezeichen  findet  in  einem 
nicht  zu  rechtfertigenden  Ausmasse  Anwendung.  Denn  was  soll  es  heissen, 
wenn  wie  im  Artikel  Osterwitz  Hoch-  (S.  255)  zu  einer  —  allerdings  auf 
nichts  gestützten  —  Behauptung  mit  »jedenfalls«  ein  ?  !  gesetzt  wird? 
Wäre  man  von  dem  Grundsatze  ausgegangen,  nur  vollständig  Sicheres 
und  Wohlbeglaubigtes  aufzunehmen,  dann  hätte  man  der  Wissenschaft 
gewiss  mehr  genützt,  als  mit  den  vielen  vagen  auf  nichts  gestützten  Ver- 
muthungen. Dazu  kommt  noch  in  diesem  Theile  eine  höchst  manirirte 
Knappheit  der  Form,  die  oft  ans  Orakelhafte  streift,  ja  auch  geradezu 
unverständlich  wird.  Man  sehe  nur  z.  B.  Waisach.  Und  trotzdem  tritt 
doch  manchmal  recht  Ueberflüssiges  zu  Tage,  wie  z.  B.  das  schon  genannte 
rein  Geologische  und  Paläontologische  oder  die  GrössenangaVien  der  ver- 
schiedenen Seen  oder  die  Aufzählung  der  verschiedenen  Besitzer  von 
Töltschach. 

Dass  eine  strenge  Scheidung  der  prähistorischen  und  römischen  An- 
gaben von  dem  mittelalterlichen  und  neuzeitlichen  Theil  nicht  immer 
stattfand,  habe  ich  bereits  bemerkt.  Dieselben  Römersteino,  die  zu  Anfang 
eines  Artikels  an  richtiger  Stelle  genannt  werden,  sind  öfters  im  mittel- 
alterlichen Theil  bei  Beschreibung  der  Bauten,  an  denen  sie  haften,  noch- 
mals erwähnt.  Auf  eine  vollständige  Zusammenstellung  solcher  Wieder- 
holungen muss  ich  verzichten,  da  sie  nur  zu  oft  vorkommen.  Nur  auf 
ein  paar  besonders  auffallende  sei  namentlich  hingewiesen:  So  wird  unter 
Gmünd  im  römischen  Theil  der  Grabstein  Sabiniae  richtig  als  in  Klagen- 
furt befindlich  angeführt,  während  er  im  mittelalterlichen  Theil  als  noch 
an  der  Aussenseite  der  Kirche  haftend  bezeichnet  wird.  Unter  Klagenfurt 
(S.  47  o)  ist  er  dann  nochmals  und  zwar  nicht  ganz  übereinstimmend  mit 
den    früheren    Angaben  —  dort    1515,    hier    15(l7V)   —   erwähnt.     Oder 


32  ß  Literatur. 

man  selie  üher  das  Relief  mit  den  Pferden  im  Artikel  Ton  nach.  Endlich 
sei  seines  Widerspruches  wegen  noch  folgendes  Heispiel  hervorgehoben : 
Unter  St.  Urhan  hei  (itlanegg  lieisst  es  im  römischen  Theile  (S.  .ST) 3): 
»Die  zwei  steinernen  Köpfe  an  der  Kirclx'  scheinen  römisch*  ixnd  im 
mittelalterlichen  Theile  (S.  :-5r)4):  »Zu  beiden  »Seiten  des  Aufganges  /um 
Süd-Portale  ist  je  ein  Steiiil<opf  eingemauert,  offenbar  von  dem  ({rid)- 
steine  eines  römischen  Ehepaares  herstammend,  dei' zwischen  den  Köpfen 
auseinander  gesägt  wurde*.  Hier  will  ich  noch  einlugen,  dass  im  Artikel 
Klagenfurt  der  römische  Theil  durch  Einschiebung  der  Beschreibungen  des 
mittelalterlichen  und  neuzeitlichen  Theiles  ohne  sichtlichen  Grund  aus- 
einandergerissen ist.  Nach  dem  I'rii historischen  (S.  4:i5)  werden  die 
römischen  Keliefsteine  und  erst  am  Ende  des  Artikels  V(n-  der  Beschreibung 
des  Museums   (S,   457)   die  römischen   Inschriftsteine  angeführl. 

Der  im  Allgemeinen  durchgefüluten  Auseinanderhaltung  der  lieliei- 
steine  und  figuralen  Denkmäler  von  den  blossen  Inschriftsteinen  kann  man 
zustimmen.  Allerdings  wurde  gerade  auch  licliefsteinen,  welche  in  der  K  u  n  s  t- 
Topographie  in  erster  Linie  zu  lierücksichtigen  gewesen  wären,  niclit  die 
verdiente  Aufmerksamkeit  gesclienkt.  Selbst  der  Denkmäler -Vorrath  ist 
nicht  in  jener  Vollständigkeit  verzeichnet,  welche  man  verlangen  kann. 
So  sind  unter  andern  die  vier  Eeliefsteine,  welche  an  der  Kirche  in 
St.  Michael  am  Zollfelde  haften,  gar  nicht  erwähnt  und  von  den  lünf 
Reliefs  in  Lendorf  werden  auch  nur  drei  namentlich  angeführt. 

Nicht  zu  billigen  ist  es  ferner,  dass  diese  Denkmiüer  ölters  unier 
dem  Schlagworte  der  ehemaligen  und  nicht  der  jetzigen  Standorte,  wenn 
diese  nicht  zugleich  auch  zweifellos  die  Fundorte  sind,  angeführt  werden. 
Auf  diese  Weise  muss  man  Inschrii'tsteine,  die  jetzt  und  schon  lange  in 
der  Nähe  des  Fundortes  beisammen  sind,  wie  die  am  Prunner-Kreuz  zu 
Zollfeld,  an  verschiedenen  Orten  suchen.  Zu  bemängeln  ist  dann  auch 
noch  eine  gewisse  Inconsequenz  in  der  Anlührung  der  Inschriftsteine. 
Man  vergleiche  daraufhin  z.  B.  die  Artikel  Zollfeld  und  Töltschach.  Im 
ersteren  fehlen  die  bei  dem  letzteren  vorkommenden  Circadatirungen,  so- 
wie die  Angabe  des  Ftrndjahres  und  des  jetzigen  Standortes.  Dem  gegen- 
über wird  im  Aiiikel  Helenaberg  gar  nur  die  Anzahl  der  gefundenen  Jn- 
schriftsteine  angegeben,  ohne  einen  einzigen  namentlich  zu  bezeichnen. 
Nicht  minder  ist  es  störend,  dass  die  Angabe  des  jetzigen  Standortes 
Klagenfurt  mit  der  Sigle  K.  öfters  mitten  unter  den  Literatur-Citaten 
innerhalb  der  Klammern  und  nicht  wie  sonst  vor  den  Literatur-Citaten 
und  vor  den  Klammern  steht.  Für  eine  sehr  praktische  Einrichtung 
würde  ich  es  halten ,  wenn  sämmtliche  genannten  und  beschi'iebenen 
Römersteine  eine  durchgehende  Nummerirung  erhalten  hätten,  und  wenn 
sie  nicht  blos  an  den  bekannten  Fundorten  ausführlich  beschrieben,  son- 
dern auch  an  den  jetzigen  Standorten  nur  unter  Anführung  der  Nummer 
nochmals  erwähnt  worden  wären,  so  dass  dadurch  sowohl  der  Fund-  wie 
auch  der  jetzige  Standort  eines  jeden  Steines  in  Evidenz  stände. 

Zu  weitgehend  scheinen  mir  die  auf  bestimmte  Jahre  gesetzten  Circa- 
Datirungen  der  Inschriftsteine,  wofür  wohl  in  den  seltensten  Fällen  irgend- 
welche begriindete  Anhaltspunkte  vorliegen  dürften.  Geradezu  ttbei*tlüssig 
aber  ist  es,  Avenn  die  Fundzeit  von  Römersteinen  bis  auf  das  Tagesdatum 
genau  angegeben   wird    (siehe  Töltschach).    oder    wenn,    in    das    entgegen- 


Literatur.  327 

gesetzte  Extrem  vei  fallenrl,  unter  Millstatt  (S.  2  24)  es  von  dem  Inschrift- 
steine IMP  CAES  (J  VI  1)10  heisst:  »ist  nach  1151,  wo  Milstat  zuerst 
genannt  wird*  —  nebenbei  bemerkt,  ganz  unrichtig  »ins  Stift  gekommen 
und    1527   zuerst  liekanut  geworden«. 

Zum  Schlüsse  erwähne  icli  uur  noch,  dass  das  Incipit  mancher  In- 
schriftsteine mit.  einem  Sternchen  versehen  ist,  das  anderer  hingegen 
nicht.  Nach  einer  Aufklärung  dafür  aber  sucht  man  im  ganzen  Buche 
vergebens. 

Icli  wende  mich  nun  zur  Besprechung  der  Art  un<l  Weise,  wie  die 
bestehende  Literatur  für  das  Werk  verwerthet  und  wie  sie  angefühi-t. 
wurde.  Bereits  oben  habe  icli  auf  die  Bedenklichkeit  des  in  Bezug  auf 
die  Nennung  der  bestehenden  Literatur  aufgestellten  Grundsatzes  hin- 
gewiesen. Sie  tritt  nocli  schärfer  in  der  Durchführung  dieses  Grundsatzes 
hervor.  Zunächst  begegnet  ein  Unterschied  zwischen  dem  prähistorischen 
und  römischen  und  dem  mittelalterlichen  und  neuzeitlichen  Theil.  Während 
dort  die  Literatur  in  ausgedehntem  Masse  citirt  wird,  ist  dies  hier  viel 
weniger  der  Fall.  Eine  Vollständigkeit  ist  auch  im  ersteren  Theile  nicht 
erreicht  und  trotzdem  kommen  doch  wieder  Literatur-Citate  vor,  die  zu 
dem  behandelten  Gegenstande  in  äusserst  loser  Beziehung  stehen.  Die 
einfache  Nennung  des  betreffenden  (.)i'tes  in  einem  vom  Redakteur 
Dr.  Pichler  geschriebenen  Artikel  genügt  schon,  um  den  Artikel  selbst 
zu  citiren.  Das  heisst  doch  des  Guten  zu  viel  gethan.  Im  Gegensatze 
zu  diesem  Zuviel  ist  im  mittelalterlichen  und  neuzeitlichen  Theil  in  der 
Nennung  der  bestehenden  Literatur  entschieden  zu  wenig  geschehen.  Nicht 
nur  solche  Artikel,  die  bloss  ein  paar  oder  mehrere  Zeilen  Umfang  haben, 
sondern  selbst  solche,  die  mehrere  Blätter  umfassen  und  die  von  Anfang 
bis  zu  Ende  aus  der  bestehenden  Literatur  einfach  Wort  für  Wort  abge- 
schrieben sind,  erscheinen  ohne  Literatur-Citate.  Nicht  ein  Aufsatz  oder 
eine  Abhandlung  wird  für  die  Zusammensetzung  dieser  Artikel  als  »mass- 
gebend« angeführt.  Ich  verweise  unter  anderen  nur  auf  die  grösseren 
Artikel    Gurk,    St.  Leonhard    im    Lavantthale,    Miilstatt  und  Ober-Vellach. 

Zur  Gharakterisirung  dieses  Vorgehens  sei  erwähnt,  dass  selbst  die 
Mittheilungeu  der  k.  k.  Central-Commission  in  wenigstens  200  Fällen  nicht 
citirt  erscheinen  und  auch  dann,  wenn  keine  andere  Literatur  existirt  und 
der  betrelFende  Artikel  aus  den  Mittheilungen  wörtlich  abcreschrieben 
wurde.  Endlich  sei  noch  eine  Thatsache  hervorgehoben.  Im  Jahre  1«S6 
hat  der  Redakteur  Dr.  Karl  Lind  im  Selbstverlage  ein  335  Seiten  um- 
fassendes Buch,  betitelt:  »Beiträge  zur  Denkmalkunde  Kärntens*  erscheinen 
lassen,  in  welchem  die  in  den  Mittheilungen  der  Central-Commission  ge- 
druckten Aufsätze  dessellien  zur  Kunsttopographie  Kärntens  gesammelt 
sind.  Und  dieses  Buch  finde  ich  in  dem  vorliegenden  Werke  nicht  erwähnt 
und  nirgends  citirt,  obwohl  es  zum  allergrössten  Theile  wörtlich  in  das- 
selbe aufgenommen  wurde.  Man  sieht  also,  wie  verschieden  die  beiden 
Redakteure  den  aufgestellten  Grundsatz,  die  »massgebende«  Literatur  zu 
citiren,   aufgefasst  haben. 

Alter  nicht  blos,  dass  die  Mittheilungen  der  Central-Commission  selbst 
häufig  nicht  angeführt  wei'den,  wo  sie  unbedingt  zu  nennen  waren,  kom- 
men aber  auch  noch  unrichtige  und  falsche  Citate  derselben  in  einem 
Umfange   vor,    der    kaum    mehr    zu    entschuldigen    ist.     Ich  habe  mir  die 


3?8 


Literatur. 


Mühe  genommen,  rlie  ganzen  Mittheilungen  durchzusehen  und  mit  den 
Citaten  zu  vergleiclien,  und  bin  dabei  auf  mindestens  hundert  unrichtige 
Citate  gestossen.  Bei  ungefähr  der  Hälfte  derselben  handelt  es  sich  nur 
um  einen  Irrthura  von  ein  oder  zwei  Seiten,  bei  der  anderen  Hälfte  aber 
sind  entweder  die  Bändezahlen  falsch  angegeVien  oder  es  handelt  sich  um 
unrichtige  Seitenangaben  für  die  Zahlen  V,  X,  L,  C  u.  s.  w.,  so  dass  der 
Benutzer  nur  mit  grosser  Mühe  und  auf  grossen  Umwegen  das  Richtige 
herausfinden  kann. 

Aber  die  Mittheilungen  sind  iür  das  Werk  nicht  einmal  vollständig 
ausgenützt.  Es  hätten  darnach,  abgesehen  von  einigen  unbedeutenderen 
Notizen  für  einige  Orte  im  CTailthale  (vgl.  M.  9,  107  u.  if.)  noch  folgende 
Artikel  entweder  im  Werke  selbst  oder  in  den  Nachträgen  Aufnahme  fin- 
den können  und  finden  sollen: 

Allersdorf  bei  St.  Paul  im  Lavantthale  (M.  N.  F.    U,    1.34), 
Drau,  Curatie  im  Oberrosenthal  (M.  N.  F.   10,  XXIV), 
Eberdorf  bei  Althofen  (M.  N.  F.   14,   205), 
Emmersdoii  bei  Karnburg  (M.  N.  F.    1 2,  LXXX), 
Lansach  bei  Weisenstein  (M.  N.  F.   11,  LXXI), 
St.   Magdalena  am  Lurnfeld,   Filiale  von  Pusarnitz   (M.    11,   55), 
MagdalensVjerg  bei  Lavamünd  (M.  N.  F.  9,  XXVII), 

Maria  Graben,  Filiale  von  Vorderberg  im  Gailthalc   (M.  N.  F.  9,  CXXXIV), 
Siegelsdorf,  Filiale  von  Marein  bei  Wolfsberg  (M.  N.  F.   1 0,  LXXXV)  i). 
Unter -Winklern,    Filiale    von    Kranzeihofen    (M.    N.    F.    10,    XXII,    dieses 

Literatur-Citat    ist    in    unrichtiger  Weise    bei  Winklern  im  Möllthale 

angebracht), 
Wölch  bei  Wolfsberg  (M.  N.  F.   14,   28 1). 

Ausserdem    seien    daraus    auch    noch  folgende  Ergänzungen  und  Be- 
richtigungen beispielsweise  angeführt.     Es  sind  nicht  genannt  bei 
Feuersberg  (St.  Stephan)  ein  Wandgemälde  (M.  N.  F.  8,  LXI),  in 
Fresslitz  Verschiedenes  (M.  N.  F.   14,    168  —  hätte  wenigstens  im  Nach- 
trage gebracht  werden  können),  in 
Gajach  ein  Glasgemälde  von   1496  (M.  N.  F.  8,  CI),  in 
St.  Georg  am  Stemberg  der  Name  des  Malers  des  Fastentuches  (M.  N.  F. 

10,  XXV),  in 
St.  Georg  bei  Villach  der  einfache  gothische  Kelch  (M.  N.  F.   7,  LHl),  in 
Grades    (St,    WoKgangskirche)     die     genaueren     Daten     über     die    Bauzeit 

(M.  4,  49 — 50),  in 
Guttenstein  ein  Votivbild  vom  Jahre    1667   (M.  N.  F.   7,  LIX)  und  in 
Kühweg  ein  Deckengemälde  (M.   2,    1 1 0). 

Bezüglich  der  Literatur-Citate  ist  noch  ein  Punkt  zu  betonen.  Dem 
Werke  geht  eine  Erklärung  der  in  demselben  angewendeten  Abkürzungen 
voran,  welche  auch  auf  den  Umschlägen  der  Lieferungen  enthalten  war. 
Man  sollte  meinen,  diese  Abkürzungen  seien  im  ganzen  Werke  einheitlich 
beibehalten  und  consequent  durchgeführt  worden.  Doch  nichts  von  dem. 
Dieses  Abkürzungs-Schema  existirte  für  die  Redaktion  einfach  nicht.  Aber 
nicht  nur  dieses  existirte  nicht,  sondern  es  war,  wie  es  scheint,  für  die 
Redaktion  überhaupt   keines  vorhanden,    denn    es    heiTScht    in    dieser  Be- 


')  Ist  unter  Siflitz,  wo  gar  keine  Kirche  sich  befindet,  beschrieben. 


Literatur.  329 

Ziehung  volle  Willküi-  und  Tnconsequenz.  Ich  verweise  etwa  nur  darauf, 
in  wie  verschiedener  Weise  die  am  öltesten  angezogenen  Mittheilungen  der 
Central-Commiösion  citirt  werden.  Von  ilen  selten  angeführten  Berichten 
und  Mittheilungen  des  Alterthums-Vereines  zu  Wien  notirte  ich  mir  neben 
der  im  Schema  aufgestellten  Abkürzung  B.  A.  V.  noch  folgende  Varianten : 
M.  a.  V.,  M.  W.  Alt.  Ver.,  Mi.  w.  Alts.  V.,  Mi.  w.  AlthV.,  Mi.  w.  Althms. 
Verein  Mitth.  Axisser  dieser  Ungleichmiissigkeit  im  Citiren  finden  sich 
dann  hie  und  da  noch  unvollständige  Citate  vor  und  zwar  von  Werken, 
die  man  im  genannten  Schema  vergeblich  sucht.  Gleich  inconsequent  wie 
das  Citiren  der  Büchertitel  ist  auch  der  Vorgang,  wie  die  Bände-  und 
Seitenzahlen  angeführt  werden.  Ebenso  willkürlich  und  inconsequent  ist 
auch  das  Vorgehen  bezüglich  der  Stellung  der  Literatur -Citate.  Bald 
stehen  sie  an  der  Spitze  der  Ai-tikel,  bald  am  Ende,  bald  mitten  in  den- 
selben. Ein  bestimmtes  Princip  ist  nicht  zu  erkennen;  Literatur-Citate 
werden  auch  dann  mitten  in  den  Artikeln  angebracht,  wenn  nicht  blos 
das  Vorhergehende,  sondern  auch  noch  das  unmittelbar  darauf  Folgende 
wörtlich  aus  der  citirten  Literatur  abgeschrieben  ist  und  ebenso  stehen 
Literatur-Citate  auch  dann  am  Ende  der  Artikel,  wenngleich  das  unmittel- 
bar Vorhergehende  nicht  mehr  aus  den  citirten  Werken  entnommen  ist. 
Es  fehlt  eben  durchaus  an  einer  einheitlich  redigirenden  Hand. 

Wie  bereits  hervorgehoben  wurde,  ist  ein  gi'osser  Theil  der  Artikel 
—  ich  werde  mich  kaum  irren,  wenn  ich  sage:  fast  zwei  Drittel  des 
Buches  —  einfach  Wort  für  Wort  nach  früheren  Abhandlungen  wieder 
abgedruckt  worden.  Insbesonders  ist  dies  bei  jenen  Artikeln  der  Fall, 
welche  in  den  vom  Redakteur  Dr.  Karl  Lind  in  den  Mittheilungen  der 
k.  k.  Central-Commission  veröffentlichten  »Reise-Notizen  über  Denkmale 
in  Kärnten*  enthalten  sind  und  die  dann  in  den  genannten  »Beiträgen« 
gesammelt  wieder  herausgegeben  wurden.  Dass  die  Redaktion  sich  selbst 
wieder  wörtlich  nachdruckt,  würde  ich  ihr  nicht  zum  Vorwurf  machen, 
wenn  die  Artikel  nur  sonst  in  den  Plan  des  Werkes  hineinpassen  würden. 
Allein  das  ist  eben  leider  nicht  der  Fall.  Die  betreffenden  Artikel  ent- 
sprechen wohl  dem  Titel  in  den  Mittheilungen,  sie  sind  flüchtige,  ohne 
bestimmten  einheitlichen  Plan  hingeworfene  »Reise-Notizen«  und  mögen 
als  solche  vollständig  genügen  und  ihren  Zweck  erfüllen.  Aber  in  die 
Kunsttopogi'aphie,  die  ein  planmässig  angelegtes  und  consequent  durch- 
geführtes Werk  sein  soll,  gehören  sie  in  dieser  unveränderten  Form  nicht 
hinein,  sie  hätten  unbedingt  einer  entsprechenden  Umarbeitung  bedurft. 
Dass  dies  nicht  geschehen,  ist  mit  ein  Hauptgrund  für  das  in  den  ver- 
schiedenen Artikeln  heiTSchende  Durcheinander. 

Eines  darf  ich  bei  dieser  Gelegenheit  wohl  noch  zur  Sprache  bringen. 
Viele  Artikel  erscheinen  in  diesem  Werke  zum  erstenmal.  Da  eine  andere 
Literatur  über  die  darin  besprochenen  Olyekte  nicht  vorhanden  ist,  so 
würde  es  gewiss  werthvoll  sein  zu  wissen,  von  wem  die  einzelnen  Artikel 
herrühren.  Denn  ohne  Frage  kann  es  nicht  gleichgiltig  sein,  ob  die  An- 
gaben, auf  die  man  sich  eventuell  stülzen  soll,  von  einem  tüchtigen  und 
verlässlichen  Fachgelehrten  oder  von  einem  mehr  oder  weniger  versirten 
Dilettanten  oder  gar  nur  von  einem  in  der  Kunst  wenig  bewanderten 
Laien  ausgehen.  Derlei  orientirende  Angaben,  sei  es  über  die  Verfasser 
der  zum  ei'stenmal  gedruckten  Ai'tikel    oder   über  die  Gewährsmänner  für 


330  Literatur. 

die  darin  niedergelegten  Angalien.  vermisst  man  durchaus.  Es  ist  dies 
ein  Mangel,  den  jeder  Fachmann  liei  der  Benützung  schwer  empfindet  und 
stets  schwer  emptinden  wird. 

Für  »He  Punkte,  die  ich  weiter  y.ur  Besprechung  /u  Illingen  habe, 
fällt  die  Verantwortung  nicht  mehr  «1er  Redaktion  allein  zu,  sondera  zum 
Theil  auch  den  Vertasscin  der  hetreffenden  Artikel.  Alter  manche  der 
von  diesen  herrührenden  Unrichtigkeiten  hätten  schon  durch  eine  auf- 
merksame  Kedaktioii  verbessert  werden  kTinnen. 

Vor  allem  ist  iu  der  Beschreibung  der  Bauten  eine  gewisse. 
Ungleichmässigkeit  zu  bemerken.  Gegenüber  den  gothischen  Bauwerken, 
die  meist  sehr  ausführlich  Iteschrieben.  von  denen  selbst  ganz  einfache 
und  unbedfHitende  Landkirchlein  einer  Notiz  gewürdigt  werden,  erscheinen 
die  Bauten  der  späteren  Zeit  stiefmütterlich  bedaclit,  insbesonders  wird 
den  Profanliauten  geringe  Aufmerksamkeit  geschenkt.  In  demsellten  Ver- 
hältniss  haben  auch  die  Malereien  der  späteren  Zeit  eine  zu  geringe  Be- 
achtung gefunden.  Um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  sei  auf  das  Schloss 
zu  Zwischenwässern  verwiesen,  das  sowohl  als  Bau  wie  auch  durch  seine 
malerische  Ausschmückung  bemerkensvvertli  ist,  und  docli  wird  dassellie 
nicht  einmal  erwähnt. 

§  12.  c  der  Grundzüge  bestimmt,  dass  »jeder  Artikel  in  Iktretf  des 
darin  zu  behandelnden  Ortes  auch  die  wichtigsten  Daten  zur  Geschichte 
des  Gegenstandes  (Gründung,  Baugeschichte)  zu  enthalten  habe*. 

Anschliessend  heisst  es  im  §  13,  dass  »vor  allem  die  Entstehungszeit 
und  der  Styl  des  ()l»jektes  anzugeben  seien«.  Dass  die  ersteren  Bestim- 
mungen nicht  überall  eingehalten  werden  konnten,  liegt  in  dem  wenig 
vorgeschrittenen  Stand  der  Lokalforschung  in  Kärnten  und  es  kann  für 
das  öftere  Fehlen  solcher  Daten  weder  der  Redaktion  noch  den  Verfassern 
ein  Vorwurf  gemacht  werden.  Aber  dass  dort,  wo  solche  Daten  über  Grün- 
dung und  erstes  Vorkommen  von  Ortschaften  vorgebracht  werden,  nirgends 
die  Quellen  angegeben  sind,  aus  denen  dieselben  genommen  wurden,  ist 
wissenschaftlich  nicht  gerechtfertigt.  Eine  genaue  Prüfung  auf  die  Richtig- 
keit und  Vollständigkeit  derselben  ist  dadurch  unmöglich  gemacht.  Sie 
sind  darum  auch  völlig  werthlos.  j\Iit  welcher  Vorsicht  diese  Daten  auf- 
genommen werden  müssen,  möge  die  Zusammenstellung  der  verschiedenen, 
den  Markt  Spital  betreffenden  Angaben  zeigen.  Innerhalb  einer  halben 
Spalte  findet  man  daselbst  folgende  sich  widersprechende  Daten.  Es 
heisst  1 .  der  Markt  Spital  führe  seinen  Namen  von  einem  Pilgrim-Spitale, 
das  1197  gegründet  und  aus  dem  in  der  Folge  ein  mit  Mauern  um- 
schlossener, wohlbefestigter  Markt  geworden  sei;  2.  der  Ort  sei  seit  l]s:i 
wieder  urkundlich  bekannt  und  3.  der  Ort  sei  ein  geschlossener  ge- 
wiss lang  vor   1 1.")0. 

(xleich  bei  dieser  Gelegenheit  sei  benu-rkt,  dass  die  Redaktion  des 
Werkes  mit  der  kärntischen  Geschichte  überhaupt  auf  gespanntem  Fuss 
zu  stehen  scheint,  denn  sonst  wären  solche  Verstösse,  wie  die  folgenden, 
nicht  unterlaufen.  Im  Artikel  Gurk  (S.  •»."))  wird  der  Grabstein  des  Wahl- 
bischofs Otto  (gest.  1214)  dem  Wahll)ischof  (sie!)  Diterich  (gest.  127«) 
zugeschrieben.  Zum  UeberHuss  \\ird  diese  Unrichtigkeit  im  Nachtrage 
(S.  47."))  nochmals  wiederholt  und  hier  noch  eine  zweite  Unrichtigkeit 
hinzugefügt,    indem    es    heisst,    dass    das  Grabmal  in  der  »Stiltskirchc  zu 


Literatur.  331 

Sekkau«  sich  befinde.  In  demselben  Artikel  (S.  9P>)  wird  ausserdem  noch 
von  »dem  seit  der  Josepliinischen  .Slütsaufhebung  verödeten  (rurk«  cre- 
sprochen,  obwohl  die  »Josephinische  StUtsaufhebung«  in  (Tixrk  keine  Ver- 
änderungen hervorgerufen  hat.  Das  Nonnenkloster  daselbst  —  ein  anderes 
bestand  dort  nie  —  hatte  nämlich  schon  längst  vorher  zu  l)estehen  auf- 
gehört. Im  Artikel  Tanzenlierg  (S.  33 1)  wird  ein  »Erzbischof  Richard  zu 
Salzburg  1511 «  creirt,  einen  solchen  hat  es  nie  gegeben ;  gemein!  ist 
damit  I.eonhart  (Lienhart)  von  Keutschach.  Endlich  lässt  die  Redaktion 
das  Franziskanerkloster  zu  St.  Veit  (S.  .359)  »unter  Kaiser  Joseph  1775 
saecularisirt«  werden.  Diese  Beispiele  dürften  genügen,  um  das  Miss- 
ti-auen,  das  ich  den  ohne  Angabe  der  Quellen  vorgebracliten  historischen 
Daten  entgegenbringe,  gerechtfertigt  zu   Hnden. 

Was  aber  die  zweite  Bestimmung  anbelangt,  welche  die  Angabe  der 
Entstehungszeit  und  des  Stiles  .des  Olijektes  verlangt,  so  ist  vorerst  das 
wiederholt  vorkommende  Fehlen  derselben  zu  constatiren.  Ich  verkenne 
die  Schwierigkeit  genauer  oder  annähernd  richtiger  Zeitbestimmungen, 
besonders  bei  einfachen  Landkirchen  und  bei  unsignirten  und  undntirten 
("lemälden,  Flügelaltären  etc.,  durchaus  niclit.  Aber  das  wenigstens  könnte 
bei  jedem  Bauwerk  (event.  dem  Theil  eines  solchen)  angegeben  werden, 
welcher  Stilperiode  es  angehöi-t,  oder  bei  Gemälden,  Flügelaltären  etc., 
aus  welchem  Jahrhunderte  sie  stammen.  Aber  auch  das  findet  man  nicht 
immer.  Selbst  die  Beschreibung  steht  mit  derlei  Angaben  oft  im  Wider- 
spruch, so  z.  B.  bei  Paternion,  wo  die  Kirche  in  den  Anfang  des  Ifi.  Jahr- 
hunderts gesetzt  ist,  dabei  aber  die  Bemerkung  gemacht  wird:  »ist  ein 
schöner  grosser  Raum  in  zopfiger  Architektur«.  Dann  soll  der  Thunn 
von  St.  Wolfgang,  Filiale  von  Lieseregg  (S.  415),  der  spätgothi sehen  Zeit 
angehören  und  doch  hat  die  Glockenhalle  nach  der  Beschreibung  rund- 
bogige  Doppelfenster  mit  einer  plumpen  Theilungssäule,  ist  also  jedenfalls 
noch  ein  Ueberbleibsel  der  früheren  romanischen  Kirche.  Auch  die  be- 
stimmte Angabe  (S.  15l),  dass  die  Kirche  in  Laas  im  Jahre  1510  erbaut 
wurde,  kann  in  dieser  Einschränkung  unmöglich  richtig  sein,  denn  es 
finden  sich  am  Gebäude  ausser  der  Jahrzahl  1510  auch  noch  die  Jahr- 
zahlen ]51<i  und  151S  angeliracht,  welche  sicher  auf  die  Bauzeit  zu  be- 
ziehen sind.  Weiter  wird  der  Hoclialtar  zu  St.  Peter  im  Rosenthale  aus 
dem  Jahre  1735  als  eine  gute  Renaissancearbeit  bezeichnet.  Rücksichtlich 
der  Gemälde  verweise  ich  nur  auf  das  Tafelbild  in  Abtei  (S.  1  fi  1 ),  das 
mit  Bezug  auf  die  den  Donator  betreifenden  Angaben  1488 — 1498  ent- 
standen sein  muss,  und  doch  soll  es  im  Stile  der  Cranach'schen  Schule 
gemalt  sein!  Dann  soll  das  Deckenfreskogemälde  im  Landhause  zu  Klagen- 
furt von  Fromiller,  welches  ein  Ereigniss  vom  Jahre  1728  darstellt,  bereits 
im  Jahre  1724  gemalt  sein  (S.  449)!  Ferner  sei  noch  kurz  erwähnt, 
dass  man  auch  wiederholt  auf  ganz  unbestimmte  Angaben  stösst,  bei 
denen  man  sich  nichts  Rechtes  denken  kann,  so  z.  B.  wenn  unter  Hohen- 
thurn  (S.  123)  von  einem  Bilde  mit  der  Jahrzalil  1588  gesagt  wird,  es 
sei  »von  besonders  zierlicher  Form«,  oder  wenn  es  von  zwei  Bildern  in 
Sorg  (S.  314)  heisst,  sie  seien  »ältei-en  Datums«.  Auch  ein  >dieil.  Chri- 
stoph-Wandgemälde an  der  Südseite«  der  Kirche  in  Wabelsdorf  ist  »eine 
Arbeit  älteren  Datums«.  Ein  »älteres  Oelgemälde  italienischen  Ursprunges« 
besitzt    die    Maria  Loretto-Capelle    in    Tarvis  (S.  334).     In    einer    Seiten- 


332  Literatur. 

Kapelle  der  Ffairkirehe  in   Wolfsberg  (S.   417)    ist    auch    noch   »eine  Ma- 
donna von  alt-italienischer  Arbeit«   u.   s.  w. 

An  der  Beschreibung  der  Bauten,  von  der  es  im  §  13  der  »Grund- 
züge« nur  heisst,  sie  sei  »möglichst  kurz  und  präcise  zu  fassen«  habe 
ich  auf  den  Hauptfehler  der  Auseinanderreissung,  wodurch  manchmal  selbst 
das  organisch  Zusammengehörige  nicht  im  Zusammenhange  beschrieben 
wird,  bereits  hingewiesen.  Hier  schliesse  ich  noch  an,  dass  man'  sehr 
häufig  Angaben  über  die  Grössenverhältnisse  und  über  das  verwendete 
Baumateriale  vermisst.  Wo  aber  Grössenangaben  gebracht  werden,  sind 
sie  bald  im  alten  (Klafter-),  bald  im  neuen  (Meter-)  Masse  angegeben. 
Eine  einheitliche  Umrechnung  wäre  denn  doch  nicht  gar  so  schwer  her- 
zustellen gewesen. 

Einige  Worte  seien  noch  über  die  Behandlung  der  Altäre  gestattet. 
Eine  ausführliche  Beschreibung  wird  meigt  nur  den  erhaltenen  Flügel- 
altären  gewidmet.  Dagegen  sind  die  späteren  Altäre  sehr  spärlich  bedacht. 
Sie  werden  weder  in  ihrem  architektonischen  Aufbau  noch  in  ihrer  ikono- 
graphischen  Ausstattung  näher  gewürdigt,  obwohl  gewiss  manche  von 
ihnen,  sei  es  nach  der  einen  oder  nach  der  anderen  Seite,  einer  etwas 
ausführlicheren  Besprechung  werth  wären.  Die  trockene  Jahrzahl  der 
Errichtung  ist  oft  alles.  Aber  selbst  die  Flügelaltäre  und  deren  Reste 
werden  ungleichmässig  und  nicht  immer  erschöpfend  beschrieben.  Ins- 
bßsonders  fehlen  häufig  genauei  e  Angaben  über  das  Alter,  den  Werth  der 
Bilder  und  Sculpturen  u.  s.  w.  Auch  werden  diese  nicht  immer  genau 
auseinandergehalten.  Ungenügen<l  ist  manchmal  ebenso  die  Bilderbeschrei- 
bung, nicht  blos  bei  Flügelaltären,  sondern  auch  sonst  überhaupt.  Heilige, 
die  an  ihren  gewöhnlichen  Attributen  sogleich  und  unzweifelhaft  zu  er- 
kennen sind,  werden  wiederholt  nicht  mit  ihrem  Namen  genannt,  sondern 
als  etwas  Unbekanntes  beschrieben  wie  z.  B.  St.  Nicolaus  unter  Greutsch- 
ach  (S.   82)  oder  St.  Wolfgang  unter  Irschen  (S.   1.34). 

In  keiner  Weise  können  die  Angaben  über  die  Glocken  genügen. 
Weder  in  den  ^>Grundzttgen«  noch  in  den  »Fragebogen«  wird  angedeutet, 
was  an  den  Glocken  und  wie  es  zu  beschreiben  sei.  So  kommt  es,  dass 
gerade  die  für  die  Kunst-Topographie  wichtigsten  Angaben,  d.  i.  die  An-" 
gaben  über  den  plastischen  Schmuck,  gänzlich  fehlen.  Es  wird  weder 
gesagt,  ob  Eeliefdarstellungen  vorkommen,  noch  welche  Heilige  etc.,  noch 
wie  sie  dargestellt  sind.  Selbst  Inschriften,  auf  deren  Nennung  wenig- 
stens in  den  Fragebogen  hingewiesen  wird,  werden  nur  höchst  selten 
angeführt.  Am  häufigsten  werden  noch  etwa  vorhandene  Jahreszahlen 
wiedergegeben.  Die  Namen  der  Glockengiesser  werden  zwar  öfters  genannt, 
allein  nicht  immer,  selbst  dann  nicht  immer,  wenn  diesell)en  bereits  aus 
der  vorhandenen  Literatur  zu  entnehmen  gewesen  wären.  Man  vergleiche 
z.  B.  nur  die  Angaben  in  den  Mittheilungen  der  Central  -  Commission 
N.  F.   13,  CXIX  mit  den  betreffenden  Artikeln. 

Einen  der  wundesten  Punkte  der  Kunst-Topographie  l)ildet  die  Be- 
handlung der  Grabdenkmale  des  Mittelalters  und  der  neueren  Zeit 
bis  circa  1750.  Die  »Grundzüge«  setzen  in  §  13  3  fest,  dass  sie  »nur 
dann  aufzunehmen  sind,  wenn  sie  künstlerischen  Werth  besitzen,  wobei 
in  der  Regel  Angabe  des  Namens  und  Charakters  des  Verstorbenen,  des 
Datums  und  die  Benennung  des  Wappens  genügt«.     Diese  Bestimmungen 


Literatur.  333 

sind  einerseits  nicht  präcise  gemig,  andererseits  aber  auch  unzulänglich. 
Die  Entscheidung,  oIj  ein  Denkmal  künstlerischen  Werth  besitzt,  wird,  von 
verschiedenen  Beurtheilern  gefällt,  oft  auch  verschieden  ausfallen,  die 
individuellen  Ansichten  können  da  manchmal  sehr  auseinandergehen.  Meiner 
Meinung  nach  wäre  es  besser  gewesen,  eine  gewisse  zeitliche  Grenze, 
z.  B.  1500,  festzusetzen,  bis  zu  welcher  Zeit  Gi-abdenkmale  ausnahmslos, 
also  auch  solche  ohne  Sculpturen  und  ohne  »künstlerischen  Werth«  zu 
nennen  gewesen  wären.  Von  den  Grabdenkmälern  aber,  welche  aus  der 
Zeit  zwischen  1500  und  1800  stammen,  hätten  nur  jene  aufgenommen 
werden  können,  welche  Sculpturen  enthalten,  gleichviel,  ob  diese  blos  Wappen 
oder  aber  sonstige  figurale  Darstellungen  sind.  Die  Sculpturen  wären,  wenn 
von  hervorragend  künstlerischem  Werthe,  auslührlich  zu  beschreiben, 
sonst  aber  nur  zu  nennen  gewesen,  Ueberall  aber  hätten  aus  den  Inschriften 
die  Namen  mit  den  Titeln  wörtlich  und  die  zeitlichen  Daten  genau  und  voll- 
ständig ausgeschrieben  werden  sollen.  Wie  das  Werk  jedoch  vorliegt,  herrscht 
sowohl  in  der  Auswahl  der  aufgenommenen  Grabdenkmäler,  wie  auch  in 
der  BeschreiV)ung  derselben  die  grüsste  Willkür  und  Planlosigkeit,  ßück- 
sichtlich  der  Auswahl  verweise  ich  unter  anderen  nur  auf  Friesach  und 
St.  Veit.  Bei  Friesach  werden  sogar  Grabsteine  nicht  wieder  genannt, 
welche  bereits  in  den  Mittheilungen  der  k.  k.  Ceniral-Commission  (man 
vgl.  N,  F.  7,  93  u.  ff.  und  8,  38  u.  ff.)  ausführlich  beschrieben  sind. 
Unter  St.  Veit  wird  gerade  der  künstlerisch  werthvollste  Grabstein,  der 
in  geschmackvoller  ornamentaler  Eenaissance-Umrahmung  eine  stehende  Frau 
in  Flachrelief  zeigt,  nicht  einmal  erwähnt,  und  doch  ist  auf  ihn  von  Dr.  Hg 
in  den  Mittheilungen  der  k.  k.  Central -Commission  N.  F.  5,  XXX VII  bereits 
hingewiesen  worden.  Unrichtig  ist  es  dann  auch,  wenn  im  Artikel  Launsdorl' 
(S.  158)  ausdrücklich  constatirt  wird:  »Keine  Grabsteine«.  Denn  aussen  an 
der  Südseite  der  Mauer  des  Schiffes  findet  sich  das  Grabmal  des  Andreas 
Krassolnigg  Zechner  zu  Pruggendorf  vom  Jahre  ]64(;  mit  einer  figuralen 
Darstellung  in  Relief:  zwei  nackte  Engel  halten  eine  Sanduhr. 

In  Bezug  auf  die  Art  und  Weise,  wie  die  Grabdenkmäler  publicirt 
erscheinen,  bietet  sich  aber  ein  wahres  Kaleidoskop  dar.  Bald  werden  die 
Inschriften  vollständig  und  paläographisch  genau  mit  allen  alten  Wort- 
kürzungen wiedergegeben,  bald  werden  nur  einzelne  Theile  genau  co]>irt, 
anderswo  wird  modernisirt,  die  Wortkürzungen  wei'den  aufgelöst  oder  es 
werden  dem  Programme  gemäss  nur  die  Namen  mit  den  aufgelösten  Daten 
wiedergegeben.  Dabei  wird  manchmal  die  alte  Schreibweise  des  Namens 
beibehalten,  manchmal  wieder  die  jetzige  gesetzt;  einmal  steht  neben  dem 
Todesjahr  auch  Monat  und  Tag  des  Todes,  ein  andermal  wieder  nur  ilas 
erstere  allein  —  nirgends  findet  man  da  ein  bestimmtes  Princip,  nirgends 
eine  Consequenz.  Dazu  tritt  noch  die  Ungleichmässigkeit  in  den  Angaben 
und  Beschreibungen  der  auf  den  Grabsteinen  vorkommenden  Sculpturen. 
Sie  werden  öfters  nicht  einmal  erwähnt,  geschweige  denn  immer  hinlänglich 
beschrieben.  Desgleichen  ist  auch  das  Vorhandensein  von  Wappendarstel- 
lungen nicht  immer  constatirt.  Es  fehlt  demnach  auch  in  dieser  Beziehung 
ein  überall  sicher  leitender  Grundsatz. 

Wenn  man  sich  wenigstens  auf  das  Gebotene  noch  stets  verlassen 
könnte,  wäre  der  Forschung  immerhin  mit  der  Publikation  ein  gi-osser 
Dienst    erwiesen.     Allein    auch    das  ist  leider  nicht    der  Fall,    die  Namen 


33^  Literatur. 

und  Daten  werden  aus  den  Inschriften  nur  gar  zu  häufig  ungenau  und 
lelilerhalt  wiedergegeben.  Auf  welche  Fehler  man  in  dieser  Beziehung 
stosst,  erscheint  oft  kaum  glauldich.  Selbst  die  beigegebenen  Abbildungen 
stimmen  mit  dem  Text  wiederholt  iiicht  überein.  So  wird  z.  B.  in  der 
Unterschrift  zur  Abbildung  S.  32  das  Todesjahr  des  Gandolf  von  Kienburg 
mit  1491  angegeben,  während  sowohl  der  Text  wie  die  Ab1>ildung  das 
Jahr  1493  bringen.  Ferner  wird  auf  S.  49  das  Grabmal  eines  Canon icus 
Virgil  Brunmeister  genannt,  und  doch  hiess  der  Verstorbene  nach  der 
beigegeljenen  Abbildung  Colomauus  Brunmeister  und  war  Probst  des 
Collegiat-Capitels  von  St.  Virgil  in  Friesach.  Kach  dem  Text  auf  S.  5ß 
ist  Balthasar  Tanhauser  am  2 S.  Juli  1516  gestorben;  die  Abbildung  ent- 
hält dafür  aber  den  XVIIl.  Juli.  Auf  dem  Grabsteine  des  Jörg  von 
Villanders  (Abbildung  zu  S.  lOl)  steht  das  AVort  gestorben,  im  Text 
liest  man  dafür  entschlaft en.  Auch  ist  der  Name  auf  der  Zeichnung 
entschieden  verderbt  wiedergegeben.  Nach  der  Abbildung  des  Grabsteines 
zu  S.  114  ist  Dorotea  Hengstpacherin  im  Jahre  1442  gestorben;  der  Text 
bringt  dafür  jedoch  das  Jahr  1452.  Das  Todesjahr  der  Dorotea  Keutsch- 
acher  ist  auf  derselben  Abbildung  nicht  ersichtlich,  trotzdem  steht  im 
Text  das  Jahi-  1458.  Hingegen  ist  der  Todestag  (Allerheiligentag)  der 
Margret  Saeklin  (im  Text  Sacklinj  im  Text  verschwiegen.  Die  Abbildung 
des  Grabmales  des  Georg  Siebenhirter  in  Millstatt  S.  234  nennt  löus 
(uachti-äglich  corrigirt  aus  ursprünglichem  14 OH)  ^)  als  Todesjahr;  im 
Text  S.  2:50  steht  ohne  weitere  Bemerkung  1407-  Zudem  ist  in  dieser 
Abbildung  die  Umschrift  einerseits  nicht  ganz  correct  wiedergegeben  und 
andererseits  auch  unrichtig  an  die  Platte  angefügt.  Man  vergleiche  damit 
die  Abbildung  in:  Die  österreichisch-ungarische  Monarchit;  in  Wort  und 
Bild,  Kärnten  und  Krain  S.  207.  Auf  der  Abbildung  des  Grabmales  des 
Johann  Geuman  S.  235  ist  das  Todesjahr  nur  durch  15  ..  angedeutet; 
offenbar  war  das  Grabmal  schon  zu  Lebzeiten  Geumans  ausgeführt,  das 
wirkliche  Todesjahr  aber  nach  dessen  Tod  nicht  eingemeisselt  worden. 
Trotzdem  liest  man  im  Text  S.  230  ohne  jede  Bemerkung  1512  als  Todes- 
jahr, während  Geuman  erst  im  Jahre  1533  gestorben  ist.  Das  Schlimmste 
ist  aber,  dass  schon  der  zu  diesen  beiden  Denkmälern  citirte  Aufsatz  in 
den  Mittheilungen  der  k.  k.  Central  -  Commission  13,  172  u.  173  das 
vollständig  Richtige  entliält.  Sieht  man  daselbst  S.  173  die  Transscription 
der  Geuman'schen  Grabinschrift  an,  so  wird  jedem  sotbrt  klar  und  erklär- 
lich, wie  die  Jahrzahl  1512  in  den  Text  der  Kunsttopogiaphie  hineinkam. 
Dort  ist  nämlich  zu  15.  jar  eine  Anmerkung  12  gesetzt  (also  =^  15-^- jar). 
Die  kleine  Anmerkungsziffer  12  zu  15.  hat  demnach  die  Ergänzung 
geliefei-t.  Weiters  stimmen  Text  uiul  Abbildung  des  Grabdenkmales  auf 
S.  325  in  beiden  Jahresangaben  nicht  überein;  auf  der  Abbildung  stehen 
die  Jahre  1426  und  1470,  während  der  Text  dafür  1423  und  1469  ent- 
hält. Irrig  ist  endlich  auch  die  im  Texte  S.  379  zu  Fig.  395  stehende 
Jahrzahl  1409,  wofür  die  Abbildung  149  .  enthält,  also  offenbar  ein  neun- 
ziger Jahr  des  1  5.  Jahrhunderts.  Welche  Lesungen,  muss  man  sich  fragen, 
sind  da  die  richtigen?  Haben  sich  da  die  Transscriptoren  dieser  Grab- 
inschriften    geirrt    oder    die    Zeichner?      Wem     ist     mehr     zu    vertrauen? 

')  Die  Inschritt  am   (Ivaluiiale  hat    l.*»08  oliiic  jt-ilt'  ('«)vve<tur. 


Literatur.  835 

Desgleichen  stimmen  autli  die  Xamen  und  Zahlen,  wie  sie  in  der  Kunst- 
topographie vovgetuhrt  werden,  mit  den  in  den  früheren  Publikationen 
der  k.  k.  Central-Commission  gebrachten  nicht  überein.  .Man  vergleiche 
u.  a.  nur  den  Artikel  Friesach  mit  den  Aulsätzen  von  Beckh-Widmanstetter 
in  den  Mittheilungen  der  k.  k.  Central  -  Commission  IS'.  F.  7,  93  ff.. 
.S,  38  ff.  u.  104  ff".  Wie  verschieden  sind  da  manchmal  die  Namen  ge- 
schrieben und  welch  abweichende  Todesdaten  werden  hie  und  da  gebracht ! 
Ich  hebe  nur  ein  Beispiel  hervor:  v.  Beckh-Widmanstetter  liest  (X.  F. 
S,  41)  den  Xamen  eines  Frohstes  de  Baseyo,  die  Kunsttopographie  p.  49 
hingegen  de  Badajo;  nach  Beckh  ist  derselbe  am  1.  Oktober  1594  ge- 
storben, nach  der  Kunsttopographie  jedoch  am  1().  Oktober  1598.  Wer 
vermag  nun  bei  solchen  Differenzen  zu  sagen,  wo  das  Eichtige  vorliegt?! 
Noch  ein  Beispiel,  das  ich  selbst  nachgeprüft  habe:  Im  Artikel  Gurnitz 
S.  98  wird  der  Schluss  der  Inschrift  am  Grabmale  des  Frohstes  Benedict 
Mitterholzer  in  folgender  Weise  wiedergegeben:  tieri  feeit  anno  1640 
obyt  amen.  Am  Grabsteine  liest  man  jedoch  Folgendes:  fieri  lecit  anno 
1«;40  ob)-t  Avtem  Anno  IG.,  (eine  unausgefüllte  Stelle).  Darnach  er- 
scheint das  Todesjahr  des  Frohstes,  der  sich  sein  Grabmal  schon  bei  Leb- 
zeiten im  Jahre  1640  hatte  anfertigen  lassen,  nicht  angegeben,  indem 
dasselbe  in  die  hiefür  ausgesparte  leere  Stelle  nicht  eingemeisselt  wurde. 
Andere  Beispiele  aus  Maria-Saal,  die  ich  selbst  controliren  konnte,  be- 
spreche ich  weiter  unten. 

Eines  al)er  ergibt  sich  aus  diesen  Vergleichungen,  dass  bei  Benützung 
der  auf  die  Grabdenkmale  liezüglichen  Angaben  in  der  Kunsttopographie 
die  gröste   Vorsicht  geboten  erscheint. 

Noch  eine  Bemerkung  in  formeller  Beziehung.  Dem  Forsther,  welcher 
den  Grabdenkmälern  näher  nachgehen  will,  erschwert  es  die  Arbeit  über 
Gebühr,  dass  die  Redaktion  nicht  für  eine  leichte  Auftindbarkeit  der  be- 
treffenden Beschreibungen  und  Angaben  gesorgt  hat.  Wie  überall,  so 
vermisst  man  auch  hierin  ein  leitendes  Princip.  Meist  werden  die  Be- 
schreibungen der  Grabsteine  den  Beschreibungen  jener  architektonischen 
Bautheile,  welchen  sie  jetzt  anhaften,  angeschlossen.  Doch  nicht  immer, 
sie  stehen  auch  am  Schluss  der  Artikel  oder  sind  sonst  irgendwo  eiu- 
geflochten.  Durch  dieses  Verfahren  ist  auch  die  Anordnung  der  Beschrei- 
liungen,  wenn  mehrere  Denkmäler  hintereinander  genannt  werden,  bedingt, 
denn  sie  ist  meist,  der  Aufstellung  der  Denkmäler  folgend,  eine  rein 
örtliche.  Das  Motiv  für  das  Vorgehen,  sowohl  nach  der  einen  wie  nach 
der  anderen  Seite  ist  also  ein  rein  zufälliges.  Und  doch  hätten  wissen- 
schaftliche wie  praktische  Gründe  dafür  gesprochen,  einfach  die  Beschrei- 
bungen und  Allgaben  über  sämmtliche  Grabdenkmäler,  die  in  einem 
Artikel  anzuln-ingen  waren,  stets  an  den  Schluss  dieses  Artikels  zu  stellen 
und  in  chronologischer  Reihenfolge  anzuordnen  oder  doch  wenigstens  an 
den  Schluss  der  Beschreibungen  jener  Kirchen  zu  verlegen,  in  und  an 
welchen  sie  vorkommen,  mit  genauen  und  kurzen  Angaben  über  den 
jetzigen  Standort. 

Ein  nur  allzu  oft  und  schwer  empfindbarer  Mangel  des  Buches  be- 
steht in  dem  Fehlen  von  gut  angelegten  und  sorgsam  ausgearbeiteten 
Sach-  und  Namen-Registern.  Nicht  nur  für  den  Kunsthistoriker,  auch  für 
den  Historiker  ist  das  Werk  dadurch  fast  unbrauchbar  geworden;  wie  kann 


33ß  Literatur. 

z.  B.  ein  Genealoge  oiler  ein  Heraldiker,  welcher  der  Geschichte  einer 
einzelnen  Familie  nachgeht,  sich,  um  vielleicht  nur  eine  einzige  brauch- 
bare Notiz  über  ein  Grabdenkmal  oder  ein  Wappen  zu  finden,  der  un- 
dankbaren Mühe  unterziehen,  das  ganze  Buch  durchzulesen?  Und  wie 
viele  Fehler  in  den  Namen  und  Daten  hätten  schon  bei  der.  Ausarbeitung 
eines  solchen  verbessert  werden  können! 

Nur  noch  ein  paar  formelle  Gebrechen  seien  zu  erwähnen  gestattet. 
Der  Mangel  einer  einheitlichen  und  consequenten  Durchführung  erstreckt 
sich  sogar  auf  die  Interpunktion.  Es  herrscht  in  dieser  Hinsicht  oft  ein 
wirres  Durcheinander :  Einmal  wird  die  Aufzählung  der  heterogensten  Dinge 
nur  durch  Beistriche  oder  Strichpunkte  geschieden,  ein  andermal  sind 
Punkte  angebracht  u.  s.  w.  Dazu  kommen  noch  Drucktehler,  und  zwar 
oit  recht  sinnstörende,  in  buntem  Gewimmel,  die  durch  eine  sorgsamere 
CoiTCctur  sehr  leicht  hätten  vermindert  werden  können.  Ich  hebe  nur 
ein  recht  charakteristisches  Beispiel  hervor:  Im  Artikel  Friesach  S.  48 
wird  die  Inschrift  über  dem  Thore  des  alten  Canonicatshauses  in  folgender 
Weise  wiedergegeben:  et  bonis  patens  ista  malis  esto  occlvsa,  also  et  und 
ista  anstatt  vt  und  ita,  wie  die  Mittheilungen  der  Central-Commission 
N.  F.   fi,  LXXVI  richtig  enthalten. 

Ich  komme  endlich  zum  dritten  Theil  meiner  Besprechung,  zu  der 
Frage,  ob  die  in  den  einzelnen  Artikeln  gebrachten  Mittheilungen,  Angaben 
und  Daten  einerseits  vollständig  und  andererseits  auch  durchaus  richtig 
und  zuverlässlich  sind.  Niemand  wird  von  mir  eine  Nachprüfung  des 
ganzen  Werkes  verlangen.  Es  dürfte  genügen,  wenn  ich  an  einem  grösseren 
Artikel  beispielsweise  zeige,  was  fehlt  und  was  unrichtig  ist.  Zu  diesem 
Behufe  habe  ich  mir  Maria  "Saal  gewählt.  Ich  bin  dem  grössten  Theil  der 
Angaben  der  Kunsttopographie  an  Ort  und  Stelle  nachgegangen  und  habe 
die  Literatur  damit  verglichen.  Vom  prähistorischen  und  römischen  Theile 
sehe  ich  dabei  ab  und  bemerke  nur,  dass  mir  das  über  den  Namen  Ge- 
sagte überflüssig  erscheint,  dass  die  Aufzählung  sowohl  der  Relief-  wie 
der  Inschriftsteine  durch  Verschiebung  des  Satzes  auseinandergerissen  ist, 
dass  bei  mehreren  ßeliefsteinen  die  genaue  Angabe  des  jetzigen  Standortes 
mangelt  und  dass  ein  paar  Literatur-Citate  unrichtig  sind.  Auch  liezüglich 
der  Literatur  im  mittelalterlichen  Theile  nehme  ich  nur  auf  die  Mitthei- 
lungen der  k.  k.  Central-Commission  Rücksicht. 

S.  206  ist  das  Lit.-Cit.  M.  12,  1  von  H.  Petschnig  imrichtig.  Es 
soll  1 1  anstatt  1  stehen.  Dann  fehlt  zum  ganzen  Artikel  das  Lit.-Cit. 
M.   1,   I2:i. 

In  die  Beschi-eibung  des  Situationsplanes  hätten  zur  besseren  Orien- 
tirung  die  in  denselben  eingesetzten  römischen  Zahlen  gleichfalls  aufge- 
nommen werden  sollen,  dies  umsomehr,  da  der  Situationsplan  selbst  nicht 
orientirt,  sondern  verkehrt  eingedruckt  ist. 

Mit  Unrecht  wird  die  Kirche  als  eine  einheitliche  Anlage  be- 
zeichnet, da  ja  Theile  des  ehemaligen  romanischen  Domes,  zum  mindesten 
aber  die  Thürme,  wenn  auch  theilweise  umgestaltet,  wieder  Verwendung 
fanden  und  da  auch  ausserdem  am  Baue  verschiedene  Bauperioden  zu 
constatiren   sind. 


Literatur.  337 

Der  Hauptchor  ist  nicht  iin  halben  Achteck,  sondern  mit  fünf 
Seiten  aus  dem  Achteck  geschlossen. 

Der  Innenraum  hat  nicht  20"  sondern  nur    10"  Breite. 

Der  Orgelchor  reicht  nicht  bis  zum  zweiten  der  je  fünf  Joche 
jedes  Schiffes,  sondern  er  baut  sich  zwischen  die  beiden  Thürme  ein, 
reicht  darüber  noch  um  die  Breite  eines  halben  Joches  hinaus  und  schliesst 
sich  an  das  erste  der  je  vier  Joche  jedes  Schiffes  an. 

Nur  die  Brüstung  des  Orgelchores  im  rechten  Seitenschiffe 
allein  ist  masswerkartig  behandelt,  im  Mittelschifte  und  im  linken  Seiten- 
schiffe ist  sie  voll  ausgefüllt  und  im  ersteren,  dem  Stile  der  Orgel  ent- 
sprechend, zudem  zopfig  ausgeschweift. 

Bei  der  Beschreibung  des  Innern  der  Kirche  wird  mehrerer  ziemlich 
wichtiger  Details  nicht  gedacht:  Das  Presbyterium  ist  um  vier,  das  erste 
Joch  und  das  Querschiö"  um  zwei  Stufen  erhöht.  Die  beiden  Seitenchüre 
sind  höher  als  die  Seitenschiffe.  Im  linken  Seitenschiff  sind  Spuren  von 
der  einstmals  eingebauten  Empore  erhalten.  In  der  linken  Wand  des 
linken  Seitenchores  befindet  sich  eine  einfach  profilirte,  im  Eselsbogen 
geschlossene  kleine  Sakramentsnische.  Die  Einwölbung  des  Raumes  über 
dem  Orgelchore  erfolgte  erst  im  16.  Jahrhundert.  Zu  erwähnen  wären 
auch  gewesen  die  Thüre  zur  Sakristei  und  die  Konsolen  und  Kapitale  der 
Dienste  im  Querschiffe,  die  ersteren  mit  zwei  bizarren  Fratzenköpfen,  die 
letzteren  mit  Blattwerkverzierungen.  In  den  angebauten  Seitenkapellen 
Konsolen  mit  Engelsfiguren. 

Kaffgesimse  (S.  207)  umziehen  nicht  das  ganze  Gebäude,  sondern 
nur  die  Chor  e. 

Die  Wendung:  »Li  selber  Höhe«  auf  S.  208  ist  in  dem  gebrachten 
Zusammenhange  unverständlich.  Es  sollte  heissen:  In  der  Höhe  des 
Kirchendachgesirases.  Ueberhaupt  sind  die  Angaben  insbesonders  über  die 
Thürme  im  Vergleiche  zu  jenen  in  Petschnigs  Aufsatz  nicht  so  klar  und 
genau.  Ferner  vermisst  man  die  Erwähnung  der  am  südlichen  Seiten- 
chorabschluss  unter  dem  Dachgesims  al  fresco  gemalten  spitzbogigen  Mass- 
werkverzierung. 

Bezüglich  der  Bauzeit  und  Bauführung  werden  die  früher  entstandenen 
von  den  erst  später  vollendeten  Theilen  nicht  namentlich  geschieden,  ob- 
gleich sie  schon  Petschnig  im  Grossen  und  Ganzen  richtig  bezeichnet  hat. 
Insbesonders  ist  hervorzuheben,  dass  die  Chöre  mit  dem  Querschiö"  ent- 
schieden älter  sind  als  die  Schiffe.  Würden  die  Malereien  im  Presbyterium 
ins  Jahr  1435  fallen,  was  höchst  wahrscheinlich  ist,  so  müssten  diese 
Theile  bereits  im  Anfange  des    1 5.  Jahrhunderts  entstanden  sein. 

Endlich  erscheinen  von  den  in  Petschnigs  Aufsatz  enthaltenen  Ab- 
bildungen von  architektonischen  Details  fünf  nicht  wieder  abgebildet  und 
zwar  1.  zwei  Säulchen  vom  Fenster  des  südlichen  Thurmes,  2.  eine  Relief- 
rosette, 3.  Pfeilerdurchschnitt,  4.  Gewölbeträger  mit  Fratzenkopf  und 
5.  Brüstung  des  Orgelchores. 

Zu  den  Thürverzierungen  S.  209  fehlen  die  Lit.-Cit.  M.  10,  21  und 
15,   47   Abbildung  und  p.   49   Text. 

In  der  Inschrift  am  gothischen  Kelche  steht  nach  der  Lesung  von 
Petschnig  i.  c.  anstatt  D.  C. 

Ganz    unzulänglich    sind    die  Angaben    über    die    beiden    Flügelaltäre 

Mittheiluugeu  XII.  22 


338  Literatur. 

besonders  aber  über  den  vom  Jahre  1526  aus  St.  Georgen  am  Sandhof, 
welcher  auf  der  Modestus-Tumba  aufgestellt  ist.  Die  etwas  ausführlicheren 
ikonographischen  Angaben  über  den  Arndorfen  Altar  sind  nicht  nur  un- 
vollständig, sondern  auch  mehrfach  unrichtig:  Anna  mit  Jesus  und  Maria 
befindet  sich  nicht  auf  der  Predella,  sondern  auf  dem  unteren  Theile  des 
Mittelschreines,  üie  vier  Heiligen  sind  nicht,  w  ie  man  nach  der  Be- 
schreibung meinen  möchte,  unmittelbar  unter  der  Krönung  Marias,  sondern 
umgeben  auf  der  Predella  die  nicht  erwähnte  Pietä -Darstellung.  Die 
Flügel  sind  nicht  mit  Gemälden  der  14  Nothhelfer  u.  s.  w.  geschmückt, 
sondern  diese  Darstellungen  sind  bemalte  Holzschnitzereien.  Der  Eückseite 
des  Altares  wird  gar  nicht  gedacht.  Dazu  fehlt  das  Lit.-Cit.  M.  K.  F. 
1 3,  CCXL.  (Man  vgl.  jetzt  die  ausführliche  Beschreibung  von  Dr.  Schnerich 
in  M.  N.  F.   16,   35—37). 

Auch  das,  was  über  die  Fresken  in  der  Kirche  gesagt  wird,  ist  theils 
ungenügend  theils  unrichtig. 

Abgesehen  davon,  dass  eine  Beschreibung  überhaupt  nicht  gegeben 
wird,  wird  selbst  das  ganz  besonders  Charakteristische,  dass  nämlich  die 
heiligen  drei  Könige  als  Knaben  dargestellt  sind,  nicht  hervorgehoben. 
Es  wird  nicht  erwähnt,  dass  auf  dem  Dreikönigsbild  die  beiden  Stifter, 
Mann  und  Frau,  mit  ihren  Wappen  abgebildet  und  dass  im  Hintergi-unde 
drei  befestigte  Schlösser  (vielleicht  die  der  Stifter?)  dargestellt  sind.  Be- 
merkenswerth  ist  ferner  die  Zweitheilung  dieses  Bildes.  Links,  dieselbe 
Breite  (Breite  der  Joch  wand)  wie  das  darüber  stehende  Urtheil  Salamonis 
einnehmend,  ist  der  Zug  der  drei  Könige  dargestellt.  In  der  Verlängerung 
nach  rechts  wird  «lann  die  Huldigung  vorgeführt;  allein  hier  ist  nur 
ein  König  u.  z.  im  Maunesalter  bärtig  <largestellt.  Die  Inschrift  ist  in 
einer  Weise  wiedergegeben,  als  ob  Alles  zweifellos  und  die  Malereien  im 
Jahre  1400  entstanden  wären.  Doch  besteht  in  der  That  zwischen  qua- 
dringentesimo  und  hoc  der  Inschrift  eine  Lücke  für  ein  oder  zwei  Worte, 
die  nicht  mehr  sicher  gelesen  werden  konnten.  Man  vermag  darüber  nur 
soviel  zu  sagen,  dass  es  dem  Räume  nach  lange  Worte  nicht  gewesen  sein 
können.  Tricesimo  quinto,  wie  man  zu  ergänzen  versucht  hat,  scheint 
auch  mir  nach  den  vorhandenen  Eesten  am  ehesten  zu  passen.  Nament- 
lich ist  quinto  oder  quarto  ziemlich  sicher;  dadurch  wird  der  Kaum  aber 
so  klein,  dass  kaum  etwas  anderes  als  tricesimo  gestanden  haben  kann; 
die  restaurirte  Inschrift  ist  jetzt  genau  in  folgender  Weise  zu  lesen:  hoc 
opus  fecit  fieiü  wilhelmus  newswert  Anno  düi  Millesimo  quadringente- 
simo  .  .  hoc  corapletum  est. 

Zu  diesen  Fresken  fehlen  die  Lit.-Cit.  M.  N.  F.  10,  CCXXIV;  11, 
CXXXIX;   13,  XLV  und  CCXXXIX. 

Zu  den  zwei  Kirchenstühlen  (8.  2 1 0)  fehlt  die  Angabe,  dass  sie 
aus  der  Kirche  am  Magdalensberge  stammen.  (Vgl.  Kunsttopographie 
S.   113). 

Nicht  genannt  ist  der  Giesser  der  grossen  Glocke,  Math.  Landtsman 
in  Klagenfurt,  obwohl  er  aus  M.  N.  F.  13,  CLXXXIV,  die  übrigens  auch 
nicht  citirt  werden,  zu  entnöhmen  gewesen  wäre. 

Die  Inschrift  am  Grabmal  der  Möderndorfer,  aussen  an  der  Südwand 
der  Kirche,  lautet  genau  also:  hie  ist  die  pegrebnus  der  edl  vnd  vest  | 
von  moderndarf  den  got  genadig  vnd  parmherczig  sein  welle  amen. 


Literatur.  339 

Verstümmelt  und  ungenau  wiedergegeben  ist  auch  die  Inschrift  des 
Grabmales  der  Keutschacher  S.  210,  welches  gleichfalls  aujsen  an  der 
Südwand  der  Kirche  aufgestellt  ist.  Schon  v.  Beckh-Widmanstetter  hat 
diese  beiden  Grabinschriften  in  M.  N.  F.  10,  CX  u  CXII  besser  miture- 
theilt.  Genau  lautet  sie  also:  das  —  1)  hat  lassen  j  machn  d'  edl  vii 
vesst  I  blassy  von  keytschach  |  got  dem  almachtn  zu  |  lob  vnd  eren 
sein  liebH  |  heilign  vnd  nothelfer  Sand  lienhart  anno  dni    1511. 

Die  bedenklichste  Leistung  in  der  Wiedergabe  von  Grabinschi'iften 
ist  aber  die  Lesung  der  Inschrift  am  Grabmale  des  Peter  Schweinshaupt 
S.  210,  welches  aussen  an  der  Westwand  der  Sakristei  aufgestellt  ist. 
Eine  Gegenüberstellung  der  in  der  Kunsttopographie  mitgetheilten  und 
der  wirklichen  Lesung  genügt. 
Kunsttopographie : 
Im  158  Jahr  ist  gestorben  der 
Edel  und  vest  Peter  von  Schweins- 
haupt der  litz  seines  Nams  .... 
(von  Erde  bedeckt).  Des  Pfingsttags 
Exaude  um  X  Abends  dem  Gott 
srenad. 


Wirkliche  Lesung: 
A"   1.5.8.  jar    ist    gestorben,    der. 

edel   j  uü.  uest.  peter.  vö.  Schweins- 

haüpt.  der  lecz.  des.  nam.  des  freitag. 

nach    I    lorenci.    un    fraw    Apolonia. 

sein    I    gemehel.    des    pfincztag.    vor. 

Erhardi.  im.  X.  iar.  den  got  genad. 
Die  Abbildung  der  grossen  Keutschacher  Grabplatte  mit  der  Krönung 
Marias  in  M.  N.  F.  10,  CXI  ist  nicht  wiedergegeben,  und  doch  ist  dieses 
Grabdenkmal  eines  der  hervon-agendsten  und  bedeutendsten  in  Kärnten. 
Nicht  einmal  das  wird  gesagt,  dass  es  den  Keutschachern  angehört.  Dieses 
Grabmal  haftet  aussen  an  der  Südwand  der  Sakristei  und  scheint  nach 
unten  verkürzt  worden  zu  sein.  Dazu  sowie  auch  zu  den  übrigen  Grab- 
denkmälern der  Keutschacher  und  Möderndorfer  ist  der  ausführliche  Auf- 
satz von  Beckh-Widmanstetter  in  M.  N.  F.   10,  CIX — CXII  nicht  citirt. 

Auf  Seite  210  liest  man  ferner  Folgendes:  »Grabmal  des  Hans 
Mordax  t  1567  und  seines  Sohnes  Franz  t  1561,  klein,  weisser  Marmor. 
—  Zu  erwähnen  ist  auch  ein  Kelief  mit  einem  Doppelwappen«  u.  s.  w. 
Jeder,  der  dies  liest,  wird  meinen,  es  handle  sich  um  zwei  Denkmäler. 
Doch  es  ist  dies  keineswegs  der  Fall,  Alles  bezieht  sich  nur  auf  ein  ein- 
ziges Grabdenkmal.  Ausserdem  aber  sind  noch  folgende  zwei  Angaben 
unrichtig:  Hans  Mordax  ist  nicht  1567  sondern  1557  gestorben  und  das 
Schildchen  in  der  rechten  unteren  Ecke  enthält  nicht  einen  Hasen,  sondern 
einen  Hahn.  Als  ein  erwähnen swerth es  Detail  wäre  noch  anzuführen,  dass 
auf  dem  architektonischen  Umrahmungsbogen  dieses  Denkmales  in  der 
Mitte  oben  ein  Täfelchen  mit  der  Jahrzahl  1561,  offenbar  das  Jahr  der 
Anfertigung  desselben,  angebracht  ist.  Dieses  Grabdenkmal  befindet  sich 
aussen  im   Eingang  zum  Südthurm  in  der  linksseitigen   Mauer. 

Das  Grabmal  des  Dechants  von  Maria  Saal  Joannes  Rosegger  (S.  21 1) 
enthält  in  Relief  nicht  »die  Begegnung  Christi  mit  seiner  Mutter«,  son- 
dern, wie  schon  die  Inschrift  :  Vrlavl)  vnd  schidvns  Jesv  Christi  von 
Maria  seiner  lieben  Muetter  etc.  sagt:  den  Abschied  Jesu  von  seiner 
Mutter.  Auch  ist  es  niclit,  wie  man  dem  Zusammenhange  nach  schliessen 
muss,  aussen  aufgestellt,  sondern  haftet  an  dem  Pfeiler,   welcher  zwischen 


')  Eine  kleine  vertiefte  leere  Stelle. 

22* 


340 


Literatur. 


dem  Mittel-  und  rechten  Seitenschiö"  und  zwischen  dem  dritten  und  vierten 
Joch  sich  befindet. 

Unzulänglich  sind  femer  die  Angaben  über  die  zwei  nächstea  in  der 
Kirche  befindlichen  Grabdenkmäler  S.  211.  Von  dem  Einen  heisst  es 
einfach  »Grabmal  der  Pibriach«.  Daraus  würde  man  auf  ein  Familien- 
grabmal schliessen,  allein  ein  solches  scheint  mir  nicht  vorzuliegen.  Zu- 
nächst ist  zu  nennen  eine  verstümmelte  und  stark  abgetretene  Platte, 
welche  dem  14.  oder  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  angehört  und  im  Fuss- 
boden  unter  dem  Südthurme  eingelassen  ist.  Sie  enthält  eine  Wappen- 
darstellung mit  einem  Biber  in  Relief  und  eine  Umschrift,  von  der  ich 
deutlich  und  sicher  nur  noch  Folgendes  lesen  konnte:  .  .  .  obiit  strenu(us) 
miles  cristoff  pibriacher  cui[usj  anima  requi[.  .  .]  Eine  zweite  grössere 
Grabplatte  mit  derselben  Wappendarstellung  und  im  gleichen  Stilcharakter, 
also  ungefähr  derselben  Zeit  angehörig,  gleichfalls  stark  abgetreten, 
befindet  sich  im  Fussboden  unter  dem  Orgelchor.  Sie  zeigt  jedoch  keine 
Inschrift  mehr.  Das  Schernperger  Grabdenkmal  aber  trägt,  oben  beginnend, 
folgende  Umschrift :  hie.  leit.  Chönrat.  Graft",  von.  |  Schernperg.  der.  gestorben, 
ist.  <les.  mittichen.  vor.  dem.  liecht.  |  mess.  tag.  dem.  got.  geuadig.  sey. 
Anno,  domini.  m".  cccc".  Inj.  jarr.  Es  ist  innerhalb  der  sogenannten  Sachs- 
Kapelle   an  der  Wand   des  linken   Seitenschifies   aufgestellt. 

Ausser  den  angeführten  Grabdenkmälern  hätten  aber  noch  mehrere 
andere  erwähnt  werden  können.     Ich  nenne  unter  anderen: 

das  Grabmal  der  Kettel  (Anthony  und  Ewsthachy  dessen  Sohn)  10  2:^ 
mit  einem  Wappen  in  Relief,  Fa^ade  rechts, 

das  Grabmal  des  Lamprecht  Schnätterl  gewesner  Ratsbürger  zu  Cla- 
genfürt  gest.  1565  September  20  mit  einem  deutschen  Bibelspruche, 
einem  Wappen    in    Relief    und    mit    <ler    Auferstehung    Christi    in    Relief, 

Fac^ade  rechts, 

das  Grabmal  des  Gregorius  Zwainziger,  apostolischen  Protonotars, 
früheren  Dechants  von  Maria  Saal  und  dann  Pfarrers  und  Dechants  in  der 
Stadt  St.  Veit,  Canonicus  von  Maria  Saal,  gest.  1678,  Oktober  8  mit  der 
Porträt-Halbfigur  des  Verstorbenen  in  Relief.  Dieses  Grabdenkmal,  das 
sich  der  Verstorbene  noch  bei  seinen  Lebzeiten  aufrichten  liess,  l)efindet 
sich  im  Querschiife  an  der  Wand  links   gegen    dem    linken  Seitenchor  zu, 

das  Grabmal  des  Andreas  Zollfelder,  früheren  Pfarrers  in  Texing  und 
St.  Gotthard  und  Vicars  in  Kirnberg  in  Niederösterreich,  gest.  1749  Mai  16 
ebenfalls  mit  der  Porträt-Halbfigur  der  Verstorbenen  in  Relief;  es  befindet 
sich  an  derselben  Wand  im  Querschift',  wie  das  vorhergehende,  aber  gegen 
das  linke  Seitenschift'  zu. 

An  der  Aussenseite  der  Sacristei  ist  unter  der  Tünche  deutlich  ein 
grosses  St.  Christoph-Bild  zu  erkennen. 

Bezüglich  des  Kamers  S.  212  ist  Folgendes  zu  bemerken:  Nicht  ge- 
dacht ist  der  zwei  neben  dem  Aufgang  zum  ersten  Stocke  befindlichen 
Konsolen  mit  der  Rübe  der  Keutschacher  auf  Wappenschildchen  und  doch 
scheinen  sie  mir  für  den  Umbau  derselben  von  eminenter  Wichtigkeit. 
Man  wird  kaum  fehlgehen,  wenn  man  sie  auf  den  Erzbischof  Leonhard 
von  Keutschach  bezieht.  Dann  wäre  der  Umbau  des  Karners  von  diesem 
veranlasst  worden  und  würde  nicht  in  das  1 5.,  sondern  in  den  Anfang  des 
16.  Jahrhunderts  fallen. 


Literatur.  341 

Das  Alter  des  Reliefs  mit  der  Kreuztragung  Christi  am  Karner  ist 
nicht  angegeben.  Dasselbe  gehört  in  die  gothische  Periode  (]4.  oder 
1  5.  Jahrhundert). 

Mehrfach  zu  ergänzen  sind  die  Angaben  über  die  Gemälde  im  Karner. 
Sie  waren  ursprünglich  sowohl  mit  Ueber-  als  auch  mit  Unterschriften 
versehen.  Die  ersten  drei  haben  ungefähr  dieselbe  Grösse,  während  das 
vierte  Gemälde,  d.  i.  die  Grablegung  etAvas  kleiner  ist.  Aus  den  noch 
leserlichen  Resten  dieser  nun  theilweise  restaurirten  Inschriften  geht  her- 
vor, dass  die  ersten  zwei  Gemälde,  nämlich  Christus  am  Kreuze  und 
die  Kreuzabnahme,  andere  Stifter  haben  als  die  beiden  anderen  Gemälde, 
d.  i.  die  Pietä-Darstellung  und  die  Grablegung.  Von  der  Ueberschrift  beim 
ersten  Gemälde  (Christus  am  Kreuze)  kann  man  noch  Folgendes  lesen:  .  . 
(lass)en  machen  der  erber  und  vesst  Michel  Abriill  Anna  Rumpfin  Sein 
hausfraw  die  zeitt  verwallter  des  ambts  zu  zoll  etc  Anno  löfSl].  Bei  dem 
zweiten  Gemälde,  der  Kreuzabnahme,  aber  ist  nichts  mehr  sicher  zu  ent- 
nehmen ausser  den  restaurirten  Worten  Anna  Rumpfin,  mit  welchen  die 
Unterschrift  beginnt.  Es  gehört  daher  auch  dieses  Gemälde  denselben 
Stiftern  zu  wie  das  erste. 

Dagegen  ist  bei  dem  dritten  Gemälde  der  Pietä-Darstellung,  noch 
fast  die  ganze  Ueberschrifi  mit  Ausnahme  von  nur  ein  paar  Worte  zu 
entziffern.  Sie  lautet:  hoc  opus  fieri  fecit  Osbadus  Schnelckos,  canonicus 
soliensis  In  honorem  amare  pafssionis]  salvatoris  nostri  necnon  sue  sacra- 
tissime  genetricis  virginis  Mariae  amen  .  .  .  vicesima  sexta  die  mensis 
Octobris.  Die  Unterschrift  ist  wieder  unleserlich.  Den  Schluss  derselben 
bildet  die  restaurirte  Jahrzahl   1521. 

Im  Äderten  Gemälde  endlich,  in  der  Grablegung,  ist  links  der  Stifter 
dargestellt  und  hinter  ihm  dessen  Patron,  der  heilige  Oswald.  Man  ist 
daher  berechtigt,  auch  dieses  Gemälde  als  eine  Stiftung  des  Oswald 
Schnelcko  zu  betrachten. 

Da  die  Jahrzahl  1521,  wie  erwähnt,  am  Schlüsse  der  Unterschrift 
beim  dritten  Gemälde  vorkommt  und  auch  noch  am  Ende  einer  sonst 
grossentheils  unleserlichen  Inschrift,  die  zwischen  dem  zweiten  und  dritten 
Gemälde  sich  befindet,  zu  erkennen  ist,  so  unterliegt  es  kaum  einem 
Zweifel,  dass  sämmtliche  Gemälde  aus  dem  Jahre   1521    stammen. 

Noch  sind  zwei  kleine  Figuren,  Mann  und  Frau  zu  erwähnen,  welche 
rechts  vom  letzten  Gemälde,  und  die  heil.  Katharina  und  Barbara  in 
kleinen  Kniestücken,  welche  zwischen  dem  dritten  und  vierten  Gemälde 
gemalt  erscheinen. 

Zu  diesen  Gemälden  fehlen  die  Lit.-Cit.  M.  N.  F.  11,  CXXXIX ; 
13,  CCXXXIX  und   U,   50. 

Bei  der  Beschreibung  des  Lichthäuschens  (S.  213)  wäre  zu  erwähnen 
gewesen,  dass  von  den  drei  dargestellten  Engeln  der  gegen  Süden  ge- 
wendete ein  Wappenschildchen  hält,  auf  dem  man  einen  Anker,  dessen 
Stil  ein  Kreuz  bildet,  bemerkt.  An  dem  einen  Kreuzesarme  scheint  eine 
Schlange  zu  hängen,  auf  dem  andern  drei,  in  der  Mitte  mit  einem  Wulste 
versehene  Stäl)chen.  In  dieser  Darstellung  dürfte  uns  wohl  das  Künstler- 
zeichen des  Steinmetzen,  welcher  das  Lichthäuschen  gearbeitet  hat,  vor- 
liegen. In  dieser  Meinung  wird  man  auch  noch  durch  den  Umstand  be- 
stärkt, dass  die  beiden  andern  Engel  auf  der  Nordseite  ein  Wappenschihhhen 


342  Literatur. 

halten,  in  welchem  sich  ein  Kelch  befindet,  offenbar  mit  Beziehung  auf 
den  Stifter  dieses  Lichthäuschens. 

Die  in  den  M.  12,  26,  Fig.  20  gebrachte  Abbildung  des  Stifters 
wurde  nicht  wieder  verwerthet. 

In  der  Beschreibung  des  Pestkreuzes  (S.  2 1  3)  sind  die  eingeschlossenen 
Zahlen  (iß'  l'  lo')  unverständlich.  Nach  Petschnig  ist  der  Bau  Iß'  lang 
und  lo'  breit.  Nicht  erwähnt  werden  die  zwei  grossen  Wappen,  welche 
an  der  Vorderseite  aussen  gemalt  sind,  nämlich  das  grosse  kaiserliche 
Wappen  mit  dem  Doppeladler  und  das  Wappen  des  Cardinais  Lang  von 
Wellenburg,  Erzbischofs  von  Salzburg,  welcher  demnach  als  Stifter  dieses 
Kreuzes  oder  doch  wenigstens  seiner  malerischen  Ausschmückung  wird 
angesehen  werden  können.  Bei  dem  hier  angebrachten  Lit.-Cit.  Grazer 
Kirchenschmuck  fehlt  Band-  und  Seiten-Angabe.  Nicht  citirt  sind  die 
M.  N.  F.  11,  CXXXIX. 

Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  das  in  M.  N.  F.  10,  XXXVII 
l)eschriebene  und  abgebildete  Propsfei-Siegel  nicht  aufgenommen  wurde, 
und  dass  sowohl  am  Octogon  wie  an  der  Kirche  bedeutend  mehr  Stein- 
metzzeichen als  die  abgebildeten   sich  vorfinden. 

Ob  nach  dieser  kritischen  Besprechung,  welche  sich  bewusst  ist,  nir- 
gends die  Grenze  der  Objektivität  überschritten  zu  haben,  die  Kunsttopo- 
graphie von  Kärnten  noch  als  ein  »reifes  und  abgeschlossenes  Ergebnis«, 
wie  es  in  der  Einleitung  S.  I  heisst,  anzusehen  sein  wird,  und  ob  »soviel 
als  nur  möglich  Sorgfalt  aufgewendet  wurde,  um  ein  in  seinen  Nachrichten 
verlässliches  Buch  zu  schaffen«  (S.  V  der  Einleitung),  überlasse  ich  der 
Beurtheilung  der  Fachgenossen. 

Klagenfurt.  S.  Laschitzer. 


The  Musical  Notation  of  the  Middle  Ages  exemplified 
by  Facsimiles  of  Manuscripts  written  between  the  tenth  and  sexteenth 
centuries  inclusive,  Prepared  for  the  members  of  ,the  plainsong  and 
raediaeval  music  society".  London,  J.  Masters  &  Co.,  Leipzig,  0.  Har- 
rassowitz.    1890  gr.  Folio.    7  Seiten  Text,  21  Tafeln  mit  Erklärungen. 

Mit  dieser  Publication  ist  wieder  ein  wichtiger  Beitrag  zur  histori- 
schen Kenntnis  der  musikalischen  Notation  gegeben.  Das  Material  ist  den 
Schätzen  zweier  englischer  Bibliotheken  (British  Museum  und  Bodleiana) 
entnommen  und  umfasst  deutsche,  englische,  fi-anzösische,  italienische  und 
spanische  Handschriften  vom  10.  bis  16.  Jahrhundert.  Die  Neumen  sind 
besonders  berücksichtigt,  nebenbei  sind  einige  Beispiele  der  Mensural- 
notation aufgenommen.  WerthvoU  ist  es,  dass  man  an  zwei  Beispielen, 
dem  »confitemini  domino«  und  einem  Officium  vom  Ostersonntag,  den 
Fortgang  der  Notation  verfolgen  kann,  so  wie  es  jetzt  in  der  letzthin  in 
dieser  Zeitschrift  besprochenen  »Paleographie  musicale«  der  Benedictiner 
von  Solesmes  in  gleicher  Weise  mit  »Justus  ut  palma  florebit«  geschieht. 
Derartige  Heraushel)ungen  einzelner  Stücke  in  paleographischer  Aufeinander- 
folge sind  sehr  lehrreich.  Musikalisch  am  interessantesten  ist  die  Mit- 
theilung einer  zweistimmigen  Composition  aus  einem  englischen  (vermuth- 
lich    in  Cornwall    geschriebenen)  Sanunelcodex    des     10.  Jahrhunderts    auf 


Liferahir.  343 

Blatt  IS:  es  ist  dies  das  l)ishei'  älteste  Beispiel  eines  discantirenden  Ge- 
sanges »ut  tuq  propit latus  interventu  dominus«  etc.,  in  welchem  die 
Stimmen  in  Gegenliewegung  einen  i'üv  damalige  Zeiten  gar  nicht  üblen 
Zusammenklang  gehen  und  melodisch  klar  gegliedert  sind.  Mit  der  auf 
Blatt  21  gegebenen  Uebertragung  kann  man  sich,  sowohl  was  die  äussere 
Fassung  als  die  innere  Erfassung  des  Stückes  betrifft,  niclit  einverstanden 
erklären.  Allein  die  nähere  Begründung  dieser  Behauptung,  sowie  einzelne 
Bedenken  gegen  Ansichten,  die  in  der  historischen  Einleitung  ausgesprochen 
sind,  können  hier  nicht  eingehend  erörtert  werden.  Es  genüge,  auf  den 
hohen  Werth  der  Publication  auch  weitere  Kreise  aufmerksam  gemacht 
zu  haben. 

Prag.  Guido  Adler. 

Dr.  Georg  Wolfram,  Die  Reiterstatuette  Karls  des 
Grossen  aus  der  Kathedrale  zu  Metz.  Mit  zwei  Lichtdruck- 
tafeln.   Strassburg,  Trübner  1890.    8",  26  SS. 

Die  kleine  Bronzestatuette  eines  königlichen  Reiters,  Avelche  nach  den 
merkwürdigsten  Schicksalen  und  Irrfahrten  aus  der  Metzer  Kathedrale  in 
das  Museum  Carnavalet  zu  Paris  gelangt  ist,  hat  seit  der  Zeit,  da  sie  auf 
der  ersten  Pariser  Weltausstellung  erschien,  die  gelehrte  Welt,  namentlich 
in  Frankreich,  viel  beschäftigt.  Dass  sie  Karl  d.  Gr.  darstelle,  sagte  die 
Tradition,  und  in  der  That  war  dagegen  nicht  viel  einzuwenden.  Eine 
ganz  ausserordentliche  Bedeutung  erhielt  aber  die  Frage,  als  Ei-nst  ans'm 
Weerth  1884  in  einer  Abhandlung  der  Bonner  Jahrbücher  mit  einem 
grossen  Aufwand  gelehrten  Rüstzeuges  den  gleichzeitigen  Ursprung  der 
Statuette  nachzuweisen  glaubte.  So  gewann  allerdings  das  Kunstwerkchen 
eine  ganz  überraschende  Stellung,  nicht  nur  in  der  Kunstgeschichte,  als 
authentisches,  gleichzeitiges  Porträt  des  grossen  Franken  einerseits,  son- 
dern auch  durch  die  für  jene  Zeit  merkwürdige  technische  und  künstlerische 
Vollendung  anderseits.  Der  »Karolingischen  Renal ssan(.'e«  gegenüber  dürfte 
man  sich  dann  nicht  mehr  zweifelnd  verhalten. 

Aus'm  Weerths  Ausführungen  erhielten  den  ungetheilten  Beifall  der 
französischen  und  zum  Theil  der  deutschen  Archäologie.  Wie  es  aber  auch 
vielen  anderen  ergangen  sein  mag,  so  gesteht  Ref.,  dass  er  sich  dieser 
Bestimmung  gegenüber  ablehnend,  mindestens  zweifelnd  verhalten  hat.  In 
jüngster  Zeit  ist  denn  noch  Giemen  in  einem  Aufsatze  der  Zeitschrift  des 
Aachener  Geschichtsvereins  (ll,  185)  für  die  Karolingische  Provenienz  der 
Statuette  eingetreten. 

Mit  der  Widerlegung  dieser  Ansicht  beschäftigt  sich  nun  die  obige 
klar  und  tieissig  geschriebene  Untersuchung  Wolframs. 

Er  geht  der  Sache  zunächst  und  hauptsächlich  mit  historischen  Grün- 
den zu  Leibe.  So  angenehm  diese  Untersuchungsart  gegenüber  einer 
gewissen  Richtung  berührt,  so  auffällig  und  vielleicht  charakteristisch  ist 
es,  zu  sehen,  welche  geringe  Rolle  die  stilkritische  Betrachtung  in  dieser 
ganzen  Angelegenheit  gespielt  hat  und  auch  bei  W.  spielt. 

Das  von  aus'm  Weerth  und  Giemen  zuerst  ins  Treffen  geführte  Be- 
weismittel, die  Statuette  stimme  mit  der  Schilderung  Einharts  von  Karls 
persönlicher    Erscheinung    üljerein,    bedarf   einer    ernstlichen  Widerlegung 


344  Literatur. 

kaum.  Giemen  selbst  gelangt  nur  zu  dem  Schlüsse:  Das  kann  Karl  sein. 
Dagegen  ist  die  Behauptung,  die  Tracht  stimme  mit  der  in  Karolingischer 
Zeit  tthlichen  auffallend  üherein,  anzuerkennen.  Die  Reifenkrone  und  der 
durch  eine  Spange  an  der  rechten  Schulter  zusammengehaltene  Mantel 
sind  allerdings,  wie  W.  aus  den  Darstellungen  der  Künigssiegel  und  Minia- 
turen nachweist,  auch  noch  im  10. —  I].  Jahrhundert  liräuchlich,  wohl 
aber  sind  Wamms,  Tunika  und  besonders  die  Beinbinden  für  das  9.  Jahr- 
hundert charakteristisch. 

Dagegen  ist  wieder  der  Reichsapfel,  ein  ursprünglich  neurömisches 
Herrschersj^nbol,  das  ja  auch  die  Reiterstatue  Justinians  auf  dem  Augustaion 
in  Konstantinopel  trug,  iür  (bis  <).  Jahrhundert  einzig  bei  dem  V)jzantini- 
sierenden  Karl  IL  nachweislich  und  erst  nach  der  Kaiserkrönung  Otto  1. 
ein  ständiges  Attribut  des  Herrschers.  In  dem  Costume  der  Statuette 
liegt  also  jedenfalls  ein  sondei'barer  Widerspruch. 

Die  von  Giemen  (Anzeige  der  Broschüre  Woli'rams,  Rep.  f.  Kunstw. 
13,  481)  vorgebrachten  Gegengründe  sind  nicht  ausschlaggebend.  Es 
können  doch  allein  aus  den  officieUen  Darstellungen,  keinesfalls  aber 
aus  flüchtigen  Federzeichnungen,  die  so  mannigfaltigen  Einflüssen  unter- 
liegen (Utrechter  Psalter,  God.  Harl.  603),  Schlüsse  gezogen  werden.  Die 
Apokalypse  der  Commimalbibliothek  in  Cambrai  (Cod.  364)  gehört  übrigens 
nach  Durieux  (Les  min.  de  la  Bibl.  de  G.)  ebenfalls  ins  10.,  nach  Janitschek 
(Adahdschr.    106,  A.   l)  in  die   2.  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts. 

Aus'm  Weerth  hat  ferner  angenommen,  dass  die  Statuette  schon  seit 
Karolingischer  Zeit  in  der  Metzer  Kathedrale  vorhanden  war.  Wir  wissen 
nun,  dass  sie  im  17.  Jahrh.  an  Feiertagen  ausgestellt  wurde,  und  zwar 
auf  einer  heute  noch  erhaltenen  Altarmensa.  Diese  Mensa  hat  aus'm  Weerth 
für  karolingisch  erklärt  und  gemeint,  sie  sei,  da  sie  in  der  Mitte  eine 
Vertiefung  zur  Aufnahme  eines  Gestells  zeige,  schon  im  9.  Jahrh.  als 
Postament  benützt  worden,  was  für  seine  Ansicht  zeuge.  Nun  genügt 
aber  die  Betrachtung  der  Abbildung  dieser  Mensa  bei  W.,  namentlich  des 
Kapitals  und  der  Basis  der  Säulenstützen,  um  sie  als  romanisch,  und 
nicht  einmal  als  besonders  früher  Zeit  angehörig  zu  erkennen.  Ausserdem 
wäre  eine  solche  Aufstellung  in  der  Kirche,  was  W.  übersehen  hat,  nur 
bei  einem  Heiligen,  also  bei  Karl,  der  erst  1166  canonisiert  wurde, 
erst  nach  dieser  Zeit  denkbar. 

Ein  Cult  Karls  d.  Gr.,  wie  er  hier  vorausgesetzt  ist,  ist  also  über- 
haupt vor  dem  1 2.  Jahrh.  nicht  möglich.  Dazu  kommt,  dass  das  Cere- 
moniale  des  Metzer  Doms  aus  dem  12.  Jahrh.,  welches  gerade  über  den 
Kirchenschatz  sehr  aitsführliche  Nachrichten  gibt,  nicht  die  leiseste  Er- 
wähnung eines  derartigen  Kunstwerkes,  wie  die  Reiterstatuette,  aufweist. 
Noch  mehr:  Von  einer  Verbindung  der  Metzer  Kathedrale  mit  Karl  oder 
gar  von  einem  Cult  desselben  kann,  wie  sich  urkundlich  nachweisen  lässt, 
vor  dem  14. — 15.  Jahrh.  keine  Rede  sein.  Diesem  gehört  aber  die  Statuette 
sicher  nicht  an,  sie  ist  also  wahrscheinlich  ein  Werk  der  Renaissance. 

Dieser  historische  Beweis  ist  W.  vollkommen  gelungen,  er  wird  durch 
die  stilkritische  Betrachtung  überdies  bestätigt.  Die  Freiheit  der  Behandlung, 
im  Faltenwurf  sowohl,  wie  namentlich  in  der  Anatomie  des  Pferdes,  (das 
ein  Abkömmling  der  Rosse  von  S.  Marco  ist,  was  am-li  wieder  für  die 
Renaissance  spricht.)  weist  deutlich   auf  diese  Zeit. 


Literatur.  345 

TV.  hat  aber  auch  urlfundliche  Beweise  für  seinen  Schluss  beigebracht. 
Aus  den  Conclusiones  des  Metzer  Kapitelarchivs  ergibt  sich,  dass  im  Jahre 
1507  bei  dem  Groldschmied  Fran^ois  (wahrscheinlich  einem  Einheimischen) 
eine  Statuette  Karls  d.  Gr.  bestellt  und  eine  KommLssion  von  Domherren 
beauftragt  wurde,  sicli  bezüglich  der  »Facon«  mit  dem  Künstler  ausein- 
ander zu  setzen. 

Von  der  heute  noch  erhaltenen  Bronzestatuette  hat  aber  wahrscheinlich 
auch  ein  Abguss  existiert.  Sowohl  der  Metzer  Lokalhistoriker  Meurisse, 
als  die  gleichzeitigen  Inventare  des  1 7.  Jahrb.  erwähnen  zwei,  wie  sich 
übrigens  ergibt,  ganz  üliereinstimmende  Exemplare  von  Eeiterstatuetten, 
die  eine  in  Bronze,  die  andere  in  Silber.  Die  erstere  dürite  die  Original- 
arbeit des  Fran(,ois  sein,  denn  dass  es  die  silberne  sei,  dagegen  spricht 
der  Umstand,  dass  1567  der  gesammte  Kirchenschatz,  um  Geld  für  die 
Liga  zu  bekommen,  veräussert  wurde.  So  konnte  auch  diese,  welche 
wahrscheinlich  in  den  Wirren  der  französischen  Revolution  (denn  noch 
177  5  wird  sie  erwähnt)  zu  gründe  gieng,  weder  karolingischer  Provenienz 
noch  etwa  das  Vorbild  für  FranQois  gewesen  sein. 

Ein  Punkt  bleibt  allerdings  noch  räthselhaft,  die  merkwürdige  histo- 
rische Treue  der  Figur,  die  weder  zu  den  Gewohnheiten  des  spätem 
Mittelalters  noch  der  Renaissance  stimmt.  Erinnern  wir  uns  aber,  dass 
eine  gelehrte  Commission,  der  ja  Einharts  Bericht  sicher  bekannt  war,  dem 
Künstler  zur  Seite  stand:  diese  mag  ihn  denn  auch,  wie  W.  meint, 
auf  die  karolingi sehen  Bilderhandschriften  die  Vivianusbibel  und  den  Psalter 
Karls  des  Kahlen,  welche  erst  1674  aus  Metz  zu  Colbert  nach  Paris 
wandei'ten,  gewiesen  haben. 

Zum  Schluss  nur  noch  der  Hinweis,  dass  der  Bericht  der  Märchen- 
chronik von  Novalese  über  den  Besuch  Ottos  111.  in  der  Aachener  Gruft 
jetzt  doch  nicht  mehr  als  historische  Quelle  angeführt  werden  sollte. 

J.  V.  Schlosser. 


Aktenstücke  zur  Geschichte  des  deutscheu  Keiches 
unter  den  Königen  Kudolf  I.  und  Albrecht  L  Gesammelt 
von  A.  Fanta,  F.  Kaltenbrunner,  E.  v.  Ottenthai.  Mitgetheilt 
von  F.  Kaltenbrunner.  (Mittheilungen  aus  dem  vaticanischen 
Archive,  hg.  von  der  k.  Akademie  der  V^issenschaften  1  Bd.  Wien 
1889;  8«,  XVIII,  695  S.) 

Wohl  jeder,  der  den  stattlichen  Band,  in  welchem  F.  Kaltenbrunner 
die  von  ihm,  Fanta  und  v.  Ottenthai  gesammelten  Actenstücke  aus  dem 
vaticanischen  Archiv  mittheilt,  durcharbeite!,  wird  das  Gefühl  einer  gewissen 
Enttäuschung  theilen,  wie  es  der  Herausgeber  selbst  im  Vorwort  S.  IV  ff. 
zum  Ausdruck  bringt.  Die  für  die  Veröffentlichung  so  reichlich  aufge- 
Avendete  Mühe  und  ehrliche  Arbeit  steht  durchaus  nicht  im  richtigen  Ver- 
hältniss  zu  dem  Ergebniss,  das  durch  sie  gewonnen  erscheint.  Es  steht 
nach  diesem  Ergebniss  ausser  Zweifel,  dass  der  von  der  Leitung  des 
österreichischen  Instituts  gefasste  Entschluss,  mit  der  Forschung  im  vati- 
canischen Archiv  wieder  einzusetzen  in  den  Zeiten  des  13.  und  14.  Jahr- 
hunderts,   in    denen    so   manche  Gelehrte   —   ich  nenne  Steyerer,  Palacky, 


346  Litpvatnr. 

Dudik,  Kopp  —  schon  damals  gearheitet  haben,  als  im  Ganzen  das  vati- 
canische  Archiv  noch  unter  cängstlicher  Sperre  gehalten  wurde,  zu  einem 
doch  nur  recht  bescheidenen  Erfolg  geführt  hat.  Auch  der  emsigste  Fleiss 
vermochte  keine  neuen  Schätze  zu  erschliessen,  sondern  blieb  auf  eine 
Nachlese  auf  den  alten  Halden  beschränkt!  Chmel  hat  Kecht  behalten,  da 
er  vor  viiden  Jahren  Forschungen  im  vaticanischen  Ai-chiv  für  diese  alten 
Zeiten  ein  schlechtes  Horoskop  stellte. 

Die  Gründe,  welche  diesen  beschränkten  Erfolg  der  österreichischen 
Forschung  bedingt  haben,  setzt  K.  selbst  im  Vorwort  S.  IV  ff.  aufs  beste 
auseinander.  Noch  im  13.  Jahrhundert  hat  man  an  der  päpstlichen  Curie 
nur  jene  einlaufenden  Urkunden  auf  1  »ewahrt,  denen  man  bindende  Rechts- 
kraft beimass,  die  als  berufen  betrachtet  wurden,  die  Continuität  des  Be- 
sitzes und  Eechtes  der  römischen  Curie  und  ihrer  Ansprüche  darzustellen. 
Alles,  was  nicht  genau  unter  diesen  Gesichtspunkt  fiel,  blieb  dem  Zufall 
preisgegeben,  und  nur  dem  letzteren  ist  es  zu  danken,  wenn  sich  auch 
von  solchen  Stücken  vereinzeltes  erhalten  hat  —  sie  sind  in  einem  Theil 
des  Archivs  untergebracht,  der  die  charakteristische  Bezeichnung  »Miscella- 
nea«  trägt.  Dass  hierin  der  Grund  zu  suchen  ist,  und  nicht  etwa  eine 
eingetretene  Katastrophe  einen  Verlust  im  Grossen  veranlasst  hat,  zeigt 
K.  aus  den  Inventaren,  die  sich  vom  Archiv  aus  verschiedenen  Zeiten 
erhalten  haben.  Diesellien  geben  immer  nur  den  Bestand  an  den  oben 
gekennzeichneten  Aktenstücken,  der  jetzt  den  Namen  »Engelsburg-Archiv« 
trägt.  K.  begründet  Alles  dieses  duixh  die  S.  V  ff.  gegebene  Zusammen- 
stellung der  von  der  deutschen  Reichskanzlei  und  den  Bevollmächtigten 
der  Könige  ausgestellten  Urkunden  mit  Angabe  ihrer  jetzigen  Ueberlieferung 
und  ihrer  Erwähnung  in  den  Inventaren  des  vatikanischen  Archivs. 

Auch  das  Suchen  nach  Urkundencopien  in  Handschriften  ergab,  ab- 
gesehen von  den  im  Cod.  Ottobonianus  2546  aufgefundenen  Bruchstücken 
eines  wol  unter  Nicolaus  III.  angelegten  liber  privilegiorum,  über  den  K. 
in  den  Mittheil,  des  Instituts  f.  öst.  GF.  Ergzbd.  I,  376  gehandelt  hat  — 
lediglich  dns  negative  Resultat,  dass  bis  zur  Zeit  Sixtus  IV,  da  Piatina 
seine  Urkundensammlung  angelegt  hat,  keinerlei  Eintragung  des  vorhan- 
>lenen  Urkundenbestandes  stattgefunden  hat,  so  wenig  als  etwa  noch  vor- 
handenes Actonmaterial,  von  dem  sich  auch  in  den  angeführten  Inventaren 
keinerlei  Spuren  erhalten  haben,  in  Abschriften  vervielfältigt  wurde. 

Zur  Ausbeutung  stand  also  wesentlich  nur  die  Masse  der  von  der 
Curie  ausgegangenen  Briefe,  wie  sie  in  der  bekannten  Register-Reihe  ent- 
halten ist,  die  K.  S.  XI  für  den  in  Betracht  kommenden  Zeitraum  aufzählt. 
Nach  den  Ergebnissen  von  K's  Studien  erfolgte  die  Hauptmasse  der  Ein- 
tragungen in  die  Register  nach  den  Concepten,  und  nur  ausnahmsweise 
nach  den  Originalausfertigungen.  Zu  dieser  Ansicht,  die  von  K.  in  ein- 
zelnen Fällen  der  Beurtheilung  des  geschichtlichen  Werthes  von  ihm  her- 
ausgegebener Briefe  zu  Grunde  gelegt  wird,  ist  für  die  späteren  Register 
auch  Grauert  gekommen  (Görres- Jahrb.  XI,   82 1). 

Wusste  man  früher  schon,  dass  keineswegs  alle  ausgegangenen  Briefe 
an  der  Curie  registrirt  wurden,  so  ergeben  K.  Studien  des  Weiteren,  dass 
nicht  einmal  bei  den  die  Geschäft sgebahrung  und  die  Rechtsverhältnisse 
der  Curie  betreffenden  Urkunden  Vollständigkeit  der  Eintragung  Regel 
gewesen  ist,   selbst  nicht  bei  dem  zweiten  Registerband  Nicolaus  III,  dessen 


Literatur.  347 

Briefe  sich  mit  wenigen  Ausnahmen  auf  dieselben  Angelegenheiten  be- 
ziehen, so  dass  er  ganz  füglich  »Über  de  negotio  imperii«  heissen  könnte. 
Leider  blieben,  wie  gelegentlich  bemerkt  sei,  K's  Nachforschungen  nach 
ähnlichen  eigenartigen  Bänden  anderer  Päpste  ohne  Erfolg. 

Die  grosse  Briefsammlung  des  päpstlichen  Notars  Berardus  de  Neapoli, 
der  in  hervorragender  Weise  an  den  Geschäften  der  Curie  von  Urban  IV 
an  bis  Honorius  IV  betheiligt  war,  die  K.  auf  Grund  der  von  ihm  wieder- 
aufgefundenen vaticanischen  Handschrift,  von  zwei  weiteren  römischen  und 
fünf  französischen  Handschriften,  in  so  mühevoller  und  dankenswerther  Weise 
zum  Gegenstand  seiner  Forschung  gemacht  hat  (Mittheil,  des  Instituts  f. 
Ost.  GF.  Bd.  VII),  tritt  nur  in  sehr  bedingter  Weise  in  die  Lücke  ein. 
Nach  K's  Darlegungen  wird  der  Werth  und  die  Verwendbarkeit  der  von 
Berardus  mitgetheilten  Urkunden  dadurch  eingeschränkt,  dass  wir  von 
vornherein  nicht  wissen  können,  ob  die  Briefe  auch  wirklich  erlassen  oder 
aber  bei  der  Ausfertigung  noch  geändert,  oder  aber  gar  blosse  Entwürfe 
geblieben  und  gar  nicht  ausgefertigt  worden  sind.  In  seiner  Veröffent- 
lichung erläutert  K.  diese  Ausführungen  durch  mehrere  treffende  Beispiele 
nr.   33,   62. 

Die  Hauptmasse  der  K.  und  seinen  Genossen  zur  Verfügung  stehenden 
Quellen  ist  bekanntlich  früher  von  Odoricus  Raynaldus  für  die  Fortsetzung 
von  Baronius  Annales  ecclesiastici  benutzt  worden.  Dem  scharfen  Blick 
dieses  geAvaltigen  Arbeiters  ist,  wie  die  Ergebnisse  der  österreichischen 
Forschung  lehren,  und  die  der  bairischen  Gelehrten  lehren  werden  — 
s.  Grauert  a.  a.  0.  S.  120  —  nichts  wichtiges  entgangen,  und  dadurch 
dieser  neuen  Veröffentlichung  der  österreichische  Gelehrten  nur  eine  Nach- 
lese übrig  gelassen  worden.  Wenn  nun  diese  aber,  wie  gesagt,  insofern 
enttäuscht,  als  sie  keine  Stücke  ersten  Ranges  zu  Tage  förderte  und  nach 
Lage  der  Dinge  nicht  zu  Tage  fördern  konnte,  so  ist  sie  doch  immer  an 
und  für  sich  eine  recht  bedeutende  —  sie  bietet  uns  im  Ganzen  781 
theils  ganz,  theils  in  Auszügen  veröffentlichte  Aktenstücke. 

Es  ist  gewiss  nur  zu  billigen,  dass  K.  von  der  ihm  gesteckten  Auf- 
gabe, zunächst  die  Regierungszeit  Rudolfs  und  Albrechts  zu  erforschen, 
insofern  abwich,  dass  er  das  ganze  Pontificat  Gregors  X  in  dieselbe  ein- 
bezog, also  vor  die  Wahl  Rudolfs  zurückgieng.  Man  wird  es  ebenso 
billigen  können,  dass  K.  die  sämmtlichen  Urkunden,  die  sich  auf  die  von 
Nicolaus  III  auf  Grund  von  Rudolfs  Abtretung  ins  Werk  gesetzte  Besitz- 
ergi-eifung  der  Romagna  beziehen,  aufgenommen  hat.  Auch  dafür  wird 
der  Herausgeber  auf  dankbare  Zustimmung  rechnen  dürfen,  dass  er  auch 
Localgeschichte,  und  zwar  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Habsburger 
und  der  österreichischen  Länder  beachtet  hat  —  man  tröstet  sich  bei 
manchem  Stück  leicht  dai-über,  dass  es  nur  mit  einiger  sanfter  Gewalt 
unter  den  Titel  der  Veröffentlichung  sich  fügt. 

K's  Thätigkeit  als  Herausgeber  verdient  das  uneingeschränkteste  Lob, 
namentlich  die  Sorgfalt  und  der  Fleiss,  mit  denen  er  Alles,  auch  das 
entlegenste  heranzieht,  um  die  mitgetheilten  Urkunden  zu  erläutern,  oder 
ihre  zeitliche  Eintheilung  zu  ermöglichen.  Wenn  hier  im  Folgenden  in 
dieser  Beziehung  hie  und  da  eine  Berichtigung  geboten  wird,  so  geschieht 
das  lediglich,  um  die  Benutzung  der  Publikation  zu  erleichtern.  Die 
Seltenheit    der    Fälle    dieser   Ai-t,    die    bei    genauester  Durcharbeitung    des 


348  Literatur. 

Buches  mir  aufcrefallen  sind,  inag  dem  günstifrpn  ürtheil,  das  ich  im 
Allgemeinen  darüber  ausgesprochen,  zur  besten  Begründung  dienen.  Ich 
wende  mich  zu  verschiedenen  Einzelheiten,  zunächst  um  einige  Sachen 
hervorzuheben,  die  mir  besonders  vv^ichtig  und  beachtensv(rei-th  erscheinen. 
Ich  verw^eise  da  zunächst  auf  uro.  :i(\  mit  seiner  theilweisen  Bestätiofung, 
theilweisen  Berichtigung  der  Angaben  Villanis.  Sehr  dank^nswerth  ist 
die  von  K.  zu  nr.  ö'i  gebotene  Zusammenstellung  der  Theilnehmer  am 
Concil  von  Lyon,  vortrefflich  zu  nr.  56  die  Ausführung  über  das  Zustande- 
kommen der  Lyoner  Zehentconstitution.  Für  Würzburger  Verhältnisse 
sind  sehr  lieachtenswerth  die  nr.  5S  u.  60.  Mehrfaches  neues  Licht  er- 
hält die  vexata  quaestio  über  die  Verhandlungen  Gregors  mit  Alfons  X 
von  Castilien  und  des  letzteren  endgültigen  Rücktritt  vom  römischen 
Reich  durch  die  nr.   66,   79  ff.  besonders  nr.  88. 

Für  die  Diplomatik  ist  zu  beachten  K's  Ausführung  über  die  Unver- 
werthbarkeit  der  Briefe  (Iregors  X  aus  der  Zeit  der  Rückreise  von  Lyon 
für  die  Feststellung  seines  Itinerars  zu  nr.  7.5,  während  dieses  Itinerar 
durch  nr.  95  eine  Bereicherung  erfährt.  Ebenso  sind  für  die  Diplomatiker 
von  grossem  Interesse  die  allgemeinen  Ausführungen  K's  zu  nr.  629, 
666  über  das  Register  Clemens  V  und  das  Itinerar  dieses  Papstes. 

Die  nr.  90  und  91  erläutern  in  envünschter  Weise  das  Verhältniss 
König  Rudolfs  zu  Savoyen. 

Ausserordentlich  dankenswerth  sind  K's  allgemeine  Zusammenstel- 
lungen über  die  Zehentsammlung  in  Deutschland  zu  nr.  107,  und  über 
den  Ei-trag  derselben  zu  nr.  242.  Wichtig  für  die  Geschichte  der  Inqui- 
sition sind  die  auch  in  die  tirolische  Geschichte  einschlagenden  Akten- 
stücke in  Betreff  des  Ketzers  Konrad  de  Venosta  —  s.  nr.  11.3  ff.,  199, 
200.  Die  tirolische  Geschichte  macht  noch  reicheren  Gewinn  aber  aus 
der  stattlichen  Reihe  von  Urkunden  —  nr.  327.  362,  387,  393,  415, 
431,  445,  448,  451,  457,  458,  460,  461,  462,  464,  467,  474,  503  — 
die  sich  auf  die  Streitigkeiten  Meinhai'ds  11  von  Tirol  mit  dem  Bischof 
von  Trient  beziehen  und  hat  auch  freudig  zu  begrüssen  die  Stücke  nr.  465, 
469,  470,  473,  474  über  Bischof  Landulf  von  Brixen.  Manchen  neuen 
höchst  ei-wünschten  Einblick  ermöglichen  die  von  K.  mitgetheilten  Urkunden 
in  die  stets  fehlschlagenden  und  doch  immer  neu  wieder  in  Angriff  ge- 
nommenen Bemühungen  der  Curie,  in  den  ihr  abgetretenen  Reichsgebieten 
ihre  HeiTSchaft  zur  Geltung  zu  bringen  und  daselbst  Ruhe  und  Ordnung 
herzustellen  —  ich  möchte  ganz  besonders  in  dieser  Beziehung  auf  die 
beiden  Memoriales  nr.  215  u.  216  für  den  Cardinal  Latinus  und  für 
Berthold  Orsini  aufmerksam  machen. 

Auch  für  die  Kritik  der  steierischen  Reimchronik  fällt  aus  unserer 
Veröffentlichung  einiges  ab,  vgl.  die  nr.  370.  433.  Für  Alb  rechts  Streit 
mit  Salzburg  ist  nr.  47  0  und  K's  Ausführung  zu  derselben  wichtig.  Ich 
will  durchaus  nicht  mit  dieser  Zusammenstellung  das  Verdienstliche  von 
K's  Publikation  erschöpfen  —  andere  Benutzer  werden  in  derselben  noch 
vieles  Andere  von  ähnlicher  Wichtigkeit  aufzuzeigen  wissen. 

Dass  die  Hoffnung,  durch  eingehende  Forschungen  im  vaticanischen 
Archiv  weitere  Aufklärung  über  die  Pläne  Nicolaus  III  auf  Neugestaltung 
des  Kaiserreiches  zu  gewinnen,  sidi  nicht  erfüllt  hat,  ist  bedauerlich, 
erscheint    aber    nach    dei'  Behandlung,    welche    die  einluufemlen   Stücke  an 


Literatur.  349 

der  Curie  nach  K's  Darlegung  erfahren  haben,  nicht  befremdlich.  Ja  bei 
einer  so  eigenartigen  Politik,  wie  es  die  Nicolaus  III  gewesen,  ist  vielleicht 
nicht  bloss  die  allgemeine  Sorglosigkeit  dem  Einlauf  gegenüber  in  Betracht 
zu  ziehen,  sondern  auch  an  die  Möglichkeit  zu  denken,  dass  etwa  spätere 
Päpste  die  redenden  Zeugnisse  für  die  revolutionären  Ideen  des  gewaltigen 
Orsini  absichtlich  haben  lieseitigen  lassen.  Dass  die  ganzen  Pläne  auf 
Theilung  des  Kaiserreiches  und  Errichtung  des  deutschen  Erbkönigthums, 
wie  ich  sie  auf  Grund  eines  freilich  sehr  trümmerhaften  Materiales  für 
die  ersten  Habsburger  nachzuweisen  gesucht  habe,  nicht  so  vornehm  skep- 
tisch behandelt  werden  dürfen,  wie  es  in  neuester  Zeit  von  Lindner  ge- 
schehen ist,  dürfte  in  Bälde  allgemein  anerkannt  werden,  wenn  der  glück- 
liche Urkundenfund  bekannt  wird,  den  vor  nicht  langer  Zeit  Herzberg- 
Fränkel  in  Wien  gemacht  hat.  Von  Interesse  für  diese  Frage  ist  der  Um- 
stand, dass  nach  nr.  470  der  Bischof  Landulf  von  Brixen,  der,  ein  Italiener 
von  Geburt,  früher,  wie  ich  aus  einem  in  einem  Raitbuch  der  Tiroler 
Grafen  aus  dem  Görzer  Hause  stehenden  Briefe  desselben  weiss,  Leibarzt 
Rudolfs  von  Habsburg  gewesen  ist,  ein  Schützling  der  Orsini  war. 

Zu  nr.  5  ist  zu  l>emerken,  dass  die  Angabe  des  Paolino  di  Piero, 
Thaddaeus  von  Montefeltre  sei  1272  Vicar  in  Florenz  gewesen,  auf  die  K. 
hier  Bezug  nimmt,  unrichtig  ist,  vgl.  Hartwig  Quellen  der  Stadt  Florenz 
II,  183  u.  207,  wo  zu  ersehen  ist,  dass  Montefeltre  vom  1.  Januar  1271. 
vom  1.  Januar  1272  an  aber  Robeitus  de  Robertis  aus  Reggio  Vikar 
Karls  von  Anjou  war;  vgl.  auch  Guido  de  Corvaria  Mur.  Scr.  XXIV,  675. 

Zu  nr.  12  möchte  ich  bemerken,  dass  man  immer  geneigter  wird, 
über  das  Wirken  des  Legaten  Gregors  X,  Vieedominus  Erzbischof  von  Aix, 
sich  dem  harten  Urtheil  der  Annales  Florentini:  qui  domnus  legatus,  cum 
deberet  venisse  pro  componendis  paclbus  inter  civitates  Lombardie,  venit 
tantum  ad  augendum  dominium  et  segnoriam  predicti  domini  regis  Karoli 
in  Lombardia  anzuschliessen,  wenn  man  bedenkt,  dass  der  Legat  von  Alters 
her  Karl  von  Anjou  sehr  nahe  gestanden,  und  namentlich  durch  Karls 
Connivenz  unter  Verhinderung  der  Wahl  eines  andern  das  Erzbisthum  Aix 
erhalten  hat  —  s.  Sternfeld,  Karl  von  Anjou,  S.  142.  Die  Wahl  eines 
Mannes  mit  solchen  Antecedentien  für  ein  solches  Amt,  wie  die  Legation 
in  der  Lombardei,  lehrt,  wie  sehr  es  dem  herzensguten  Gregor  X.  an  staats- 
männischer Einsicht  gefehlt  hat. 

Zu  nr.  13  Anm.  muss  ich  mich  gegen  den  Vorwui-f,  dass  ich  Kopp 
Buch  V  S.  145  Anm.  4  falsch  citirt  habe,  verwahren  —  an  der  ange- 
führten Stelle  steht  richtig  §  43  und  nicht  §  41.  Dagegen  habe  ich  mich 
da  wirklich  geirrt,  wo  es  mir  zu  nr.  243,  VIII  vorgeworfen  wird,  bei 
St.  Priest  steht  Böhmer  nr.   566,  und  nicht   567. 

Unrichtig  sind  in  K's  Publikation  einzelne  Eigennamen  wiedergegeben, 
so  nr.  63  Anm.  Orviedo  st.  Oviedo,  nr.  7  5  und  öfter,  auch  im  Register: 
Beau^aire  statt  Beaucaire,  nr.  494  Anm.  Trouillart  st.  Trouillat,  nr.  374 
Anm.  Neusse  st.  Neuss;  nr.  522  ist  Cantipratum  durch  Chantimpre  st. 
Cantimbre  zu  übersetzen,  nr.  623  Anm.  ist  statt  Aerschot  zu  setzen  Aerschot, 
nr.  666  Macon  st.  Ma^on,  nr.  544  Anm.  Cohn  st.  Chon,  nr.  540  Anm. 
Eussernthal  st.  Eusserthal. 

Zu  nr.  306  ist  die  Ortsangabe  Munster menevelt  statt  durch  Münster- 
feld   durch    Münstermaifeld    wiederzugeben,    in    nr.   356    hat  Kimbeck  mit 


350  Literatur. 

dem  gleichnamigen  Ort  bei  Paderborn  nichts  zu  thun,  sondern  ist  verderbt 
für  Riesenbeck,  in  nr.  372  ist  Belherat  nicht  Wilhering,  sondern  das  be- 
rühmte mährische  Weiherad. 

Innsbruck.  Arnold  Busson. 


Lindner  Theodor,  Deutsche  Geschichte  unter  deu 
Habsburgern  und  Luxemburgern  (1273— 14?.7).  1.  Bd.  Von 
Rudolf  von  Habsburg  bis  zu  Ludwig  dem  Baiern.  Stuttgart,  1890. 
Cotta's  Nachfolger  (486  S.  Lex.-8). 

Unter  den  Werken,  welche  die  von  H.  v.  Zwiedineck-Südenhorst  her- 
ausgegebene »Bibliothek  deutscher  deschichte«  bilden,  nimmt  die  von 
Lindner  bearbeitete  Abtheilung  eine  ehrenvolle  Stellung  ein.  Der  Ver- 
fasser hat  den  ursprünglich  für  die  ganze  Bibliothek  aufgestellten  Grund- 
satz, jedes  gelehrte  Beiwerk  fernzuhalten,  bis  zur  äussersten  Consequenz 
verfolgt;  im  ganzen  Werke  findet  sich  nicht  eine  Note.  Aber  wer  die 
über  die  behandelte  Periode  vorhandene  Literatur  kennt,  fühlt  überall  durch. 
mit  welcher  Sorgfalt  das  vorliegende  Bueh  gearbeitet  ist.  Nur  selten  stösst 
man  auf  eine  Aeusserung,  welche  auf  die  Nichtbeachtung  einer  oder  der 
andern  Schrift  schliessen  lässt.  So  kann  man  nach  dem  von  H.  v.  Lie- 
benau  mitgetheiltem  Material  doch  nicht  mehr  behaupten,  dass  auch 
Albrechts  L  Tochter  Agnes  an  der  Blutrache  betheiligt  gewesen  sei  (S.  IC.oX 
Auch  gegen  die  Angabe  der  Vita  Karoli  über  die  deutschen  Fürsten, 
welche  1345  am  Bündnisse  Ludwigs  des  Baiern  und  der  Könige  von 
Polen  und  Ungarn  gegen  die  Luxemburger  betheiligt  gewesen  sein  sollen 
(S.  4()9),  sind  längst  gewichtige  Einwendungen  erhoben  worden.  Ebenso 
berührt  es  unangenehm,  wenn  der  Verfasser  S.  62  von  der  Schlacht  ^  auf 
dem  Marchfelde«  spricht,  obwohl  er  selbst  weiss,  dass  sie  in  bedeutender 
Entfernung  von  demselben  geschlagen  werden  ist.  Ueber  andere  Fragen 
kann  man  allerdings  verschiedener  Ansicht  sein,  z.  B.  über  die  Angabe 
eines  böhmischen  Chronisten,  dass  Ottokar  II.  «lie  ihm  angetragene  Würde 
des  römischen  Königs  abgelehnt  habe. 

Die  Darstellung  ist  klar  und  anschaulich,  manchmal  auch  des  höheren 
Schwunges  nicht  entbehrend.  Hie  und  da  läuft  freilich  ein  unpassendes 
Bild  mit  unter,  wenn  es  z.  B.  S.  311  heisst,  König  Johann  von  Böhmen 
habe  sich  vom  politischen  Gründungsschwindel  »weidlich  herum  tummeln 
lassen«.  Der  Verfasser  hat  es  auch  verstanden,  das  Wesentliche  aus  der 
Geschichte  der  verschiedenen  deutschen  Territorien  und  ihrer  Fürsten  an 
passender  Stelle  einzuschalten,  ohne  die  Gesrhichte  des  Reiches  in  eine 
Reihe  von  Landesgeschichten  aufzulösen. 

Mit  besonderer  Sorgfalt  sind  die  Charakteristiken  der  wichtigsten  Per- 
sönlichkeiten ausgelührt.  und  man  muss  dieselben  im  allgemeinen  als  sehr 
gelungen  bezeichnen.  Dabei  überrascht  der  Verfasser  wohl  auch  durcli 
frappante  Parallelen,  wenn  er  z.  B.  den  Papst  Johann  XXIL,  dessen  Stand- 
punkte er  übrigens  möglichst  Gerechtigkeit  widerfahren  lässt,  mit  Philipp  IL 
voü  Spanien  vergleicht.  >  Beide  waren  leidenschaftlich,  aber  in  entgegen- 
gesetzter Richtung.  Johann  heiss,  Philipp  kalt,  der  eine  ein  durch  Fehl- 
schlüge sich    erregen    lassender  Mensch .    der  andere    eine  unentwegt    die- 


Literatur.  351 

selbe  Aufgabe  rechnende  Maschine«  (S.  427).  Manches  hätte  allerdings 
mit  wenigen  Worten  sich  abthun  lassen,  wie  die  Hinweisung  auf  den  Geiz 
des  genannten  Papstes  S.  ;}18:  »Johann  liebte  das  GeLI  nicht  allein  der 
Macht  wegen,  welche  es  verlieh,  sondern  auch  seiner  selbst  willen;  er 
erfreute  sich  an  dem  Besitz  unermäss lieber  Schätze,  er  war  mit  einem 
Worte  geizig«.  Auch  abgesehen  von  solchen  Dingen,  hätte  Eeferent  man- 
ches lieber  etwas  gekürzt  gesehen,  wie  S.  196  die  weitläufige  Schilderung 
der  Festlichkeiten  bei  der  Belehnung  und  Hochzeit  des  Sohnes  K.  Hein- 
richs VII.,  oder  den  Wortlaut  einzelner  Aktenstücke.  Es  wäre  dann  Raum 
gewonnen  worden  für  eine  etwas  eingehendere  Darstellung  der  innern 
Verhältnisse  Deutschlands,  die  kaum  lierührt  werden,  und  es  hätte  sich 
der  Verfasser  dann  vielleicht  auch  nicht  veranlasst  gesehen,  S.  34  über 
die  Ursachen  des  Bruches  zwischen  König  Kudolf  und  Ottokar  von 
Böhmen  im  J.  1278  gar  nichts  mitzutheilen.  Es  sind  dies  übrigens  Aus- 
stellungen, welche  den  Verfasser  nicht  hindern,  das  vorliegende  Werk  den 
hervorragendsten  Leistungen  der  deutschen  Historiographie  der  letzten 
Jahre  beizuzählen. 

S.  155  Z.  14  ist  Ladislaus  verschrieben  für  Andreas.  S.  .•502  Z.  15 
ist  statt  Ebsdorfer  zu  lesen  Ebersdorfer. 

Wien.  A.  Hub  er. 


Wilhelm  Heyd,  Beiträge  zur  Geschichte  des  deutschen 
Handels,  Die  grosse  Raveusburger  G  esellschaft.  Stuttgart. 
1890.     86  S.     8''. 

Gewiss  wird  es  allseitig  mit  aufrichtiger  und  grosser  Freude  begrüsst 
worden  sein,  dass  der  Altmeister  mittelalterlicher  Handelsgeschichte,  nach- 
dem er  für  den  Levanteverkehr  die  breite  (Grundlage  der  Kenntniss  geschaffen 
hat,  sich  seit  einiger  Zeit  auch  den  kaufmännischen  Beziehungen  zwischen 
dem  romanischen  Südeuropa  und  Deutschland,  das  hier  uaturgemäss  dui-ch 
den  ausserhalb  der  hansischen  Einwirkung  belegenen  Süden  vertreten  ist, 
zuzuwenden  begonnen  hat.  Lässt  doch  die  Hauptüberschrift  des  nunmehr 
vorliegenden  Heftes,  dem  schon  zwei  nahe  verwandte  Zeitschriftenaufsätze  vor- 
aufgegangen sind,  die  Hoffnung  zu,  dass  weitere  Abhandlungen  aus  diesem 
Gebiete  von  Heyd  selber  in  Aussicht  genommen  sind  oder  vielleicht  auch 
von  ihm  gefördert  und  eingeführt  werden  sollen.  »Diesmal« ,  heisst  es 
im  Vorwort,  »gilt  die  Unternehmung  einer  einzelnen  Handelsgesellschaft. 
Ich  halte  Monographien  oder  auch  nur  Zusammenstellungen  von  Urkunden 
oder  Eegesten  einzelner  Städte,  über  hervorragende  Kaufmannshäuser,  über 
die  grösseren  kaufmännischen  Gesellschaften  für  eine  unerlässliche  Vor- 
arbeit zu  einer  wissenschaftlichen  Geschichte  des  süddeutschen  Handels, 
(.lerne  hätte  ich  Häusern  und  Gesellschaften  von  ausgebreiteterem  Ruf, 
deren  ja  in  Augsburg  und  Nürnberg  nicht  wenige  blühten,  den  Vortritt 
gegönnt.  Aber  von  dieser  Seite  erfolgt  keine  Publikation.*  Trotz  aller 
Vernichtung  ist  von  den  Handelspapieren  noch  manches  vorhanden;  »nur 
werden  sie  sorgfältig  verwahrt  im  Familienliesitz ,  ruhig  liegen  gelassen 
in  öffentlichen  Archiven,  auch  wohl  im  stillen  gesammelt,  aber  der  Ver- 
öffentlichung   nicht  entgegengetührt«.     Wie  schwierig  es  ist,    die  Quellen 


352  Literatur. 

für  Beziehungen  des  kaufmännischen  Verkehrs  zu  sammeln ,  welches 
Suchen  an  weit  auseinanderliegenden  Orten  es  erfordert,  das  zeigt  aller- 
dings schon  durch  sich  selbst  das  kleine  neue  Heyd'sche  Buch ;  solche 
Erwägungen  werden  es  auch  gewesen  sein,  die  neuerdings  die  Itadische 
historisclie  Commission  veranlasst  halben,  auf  Anregung  Winkelmanns  die 
Stotferschliessung  für  den  italischen  Handel  der  oberrheinischen  Städte 
selbst  in  die  Hand  zu  nehmen.  Für  die  von  Heyd  dargestellte  Ravens- 
burger Gesellschaft  haben  u.  a.  auch  die  Archive  von  Luzern,  Bern,  Mai- 
land, Genua  und  mittelbar  auch  spanische  beigesteuert.  Für  den  hei- 
mischen Stoffkreis  hat  sich  der  Verfasser  in  erster  Linie  mit  an  das  Ar- 
chiv der  Stadt  Konstanz  gewandt,  und  auch  mit  Erfolg,  obwol  er  nui- 
in  Konstanz  selbst  gesucht  hat.  Unbegreiflicherweise  nämlich  scheint  er 
dort  nicht  erfahren  zu  haben,  dass  sich  der  Hauptteil  aller  Konstanzer 
Archivalien  bei  den  Urkunden  und  Acten  des  dortigen  Bistums  im  Karls- 
ruher Landesarchiv  befinilet.  Darunter  insbesondere  die  Hinterlassenschaft 
des  »Bundes  der  Städte  um  den  See«,  der  unter  der  Leitung  von  Kon- 
stanz auch  Ravensburg  einschloss;  ferner  erinnere  ich  daraus  Belegstücke 
zur  Geschichte  der  Lombarden  in  Konstanz  u.  ä.  Demnach  ist  doch  zu 
veimuten,  dass  durch  die  Nichtberücksichtigung  Karlsruhe' s  der  Heyd'schen 
Al)handlung  beträchtliche  Verluste  erwachsen  sind :  so  habe  ich  mir  z.  B. 
von  dort  ausdrücklich  zu  dem  Namen  »Humpiss«  eine  Urkunde  von  1497, 
Aug.   23.   (Archivbez.   5   Spec.    143)   vermerkt. 

Das  der  Ravensl)urger  Gesellschaft  auf  dem  Titel  beigefügte  Wort 
ist  keine  blosse  Kennzeichnung  durch  den  Verfasser,  vielmehr  hiess  schon 
bei  den  Zeitgenossen  diese  oberschwäbische  Handelsgesellschaft  die  »gi'osse«. 
Begi'ündet  wurde  sie  nach  einer  Mitteilung  des  Ravensburgers  Ladislaus 
Suntheim  durch  die  Möttelin  (Heyd  berichtigt  seine  frühere  Lesung  Münli 
selbst),  dit-  seit  1337  das  Eavensburger  Bürgerrecht  besassen.  Danach, 
spätestens  mit  dem  beginnenden  1 5.  Jahrhundert ,  sind  die  Möttelin  in 
die  zweite  Linie  getreten  und  haben  den  Humpiss  als  fortan  leitenden 
Häuptern  der  Gesellschalt  Platz  gemacht.  Jos  (Jodocus)  Humpiss  (diese 
Schreibung  wählt  Baumann,  der  in  der  oberrheinischen  Zs.  Bd.  XXXII 
reichhaltige  Quellenmitteilungen  zur  Geschichte  des  Geschlechts  gegeben 
hat,  Heyd  die  unabgeschliffene  »Huntpiss«  aus  den  vorkommenden  Formen 
aus),  steht  so  sehr  als  Vertreter  des  Ganzen  da,  dass  sein  in  Deutschland 
neben  ihm  erwähnter  Vetter  Eitel  den  Romanen  ganz  unbekannt  bleibt, 
auch  andere  Namen  von  diesen  nicht  berücksichtigt  werden  und  die 
Gesellschaft  geradezu  die  Josumpis-  (so  bei  den  Italienern)  oder  Jous- 
hompis-Compagnie  (so  in  Spanien)  genannt  wird.  Höchst  wahrschein- 
lich haben  sich  zwischen  den  Jahren  1419 — 75  zwei  zeitlich  nicht  zu 
scheidende  Jos  Humpiss  und  ebenso  neben  ihnen  zwei  Eitel  Humpiss  in 
der  Leitung  abgelöst;  dann  sind  1479 — 1497  die  bisher  sicher  erlangten 
Daten  für  die  sich  anschliessende  Vorstandschaft  des  Onofrius  Humpiss, 
neben  dem  noch  Clemens  Ankenreute  i.  J.  1492  mehr  hervortritt.  Mit- 
beteiligt an  der  Gesellschaft  waren  neben  den  Humpiss  und  Möttelin  vor- 
zugsweise die  in  verschiedenen  obei'schwäbischen  Städten  niedergelasseneu 
Besserer  —  es  scheint  Heyd  entgangen  zu  sein,  dass  diese  auch  in  Pful- 
lendorf  und  zwar  hier  als  geradezu  seit  Alters  regierendes  Geschlecht  an- 
sässig waren  — ,    und  die  bekannten  Muntprat  zu   Konstanz  und  Ravens- 


Literatur.  353 

bürg,  dazu  denn  auch  andere  Geschlechter  der  Bodenseestädte;  Konstanz 
war  so  stark  vertreten ,  dass  man  die  Joushompiscompagnie  in  Spanien 
geradezu  für  eine  Konstanzer  Gesellschaft  hielt;  ferner  verzweigte  sie  sich 
nach^  Zürich,  Luzern  und  Bern  und  auch  an  den  ausserdeutschen  Plätzen 
traten  ihr  gelegentlich  deutsche  Kaufleute,  wenn  auch  in  loserer  Verbin- 
dung, bei.  -  Das  handelsrechtliche  Verhältniss  der  Leiter  zu  den  Gesell- 
schaftern und  dieser  zu  einander  gelangt  nicht  zur  Erörterung,  wie  über- 
haupt der  Zweck  der  Abhandlung  ja  nur  der  ist,  Bausteine  herbeizu- 
schaffen und  die  zunächst  vorhandenen  zu  behauen. 

Die  Humpiss-Gesellschaft  liess  Venedig  abseits  liegen  und  folgte  dem 
Zuge  des  schon  länger  bestehenden  Verkehrs  Konstanz'  mit  der  Lombardei 
und  dem  Südwesten,  der  also  auch  sie  nach  Mailand,  von  hier  aus  nach  Genua 
und  weiter  nach  Spanien,  wo  für  ein  Konstanzer  Haus  die  Jahreszahl  1410, 
für  die  Gesellschaft  142G  erreichbar  wurde,  führte.  Nach  Genua  suchte 
ja  auch  Kaiser  Sigismund  den  deutschen  Handelsverkehr  zu  lenken;  hier 
also  wurde  diesen  Bemühungen  auf  naturgemässem  und  schon  herkömm- 
lichem Wege  Folge  gegeben,  während  ihnen  gegenüber  der  sonstige  süd- 
deutsche Handel  in  der  Hauptsache  widerstrebend  blieb.  Immerhin  brachte 
auch  für  Jene  der  Verkehr  mit  der  ligurischen  Seestadt  Schattenseiten 
mit  sich,  die  jedoch  geringer  wurden,  als  König  Ludwig  i.  J.  14(54  Genua 
an  Mailand  abtrat;  1466  schlössen  die  mailänder  Vertreter  der  Humpiss- 
gesellschaft einen  Vertrag  —  und  zwar  für  alle  deutschen  Kaufleute  — 
mit  der  genuesischen  Behörde  ab,  in  welchem  diese  möglichstes  Entgegen- 
kommen zeigte.  Nach  Siena  und  Eom  hatte  die  Gesellschaft  wenigstens 
für  den  Geldverkehr  Verbindungen;  die  scheinbaren  Anzeichen  einer  Han- 
delsverbinduug  nach  Unteritalien  dagegen  werden  durch  Heyd  auf  Grund 
sorgfältig  herangezogener  anderweitiger  Nachrichten  in  einschränkendem 
Sinne  erklärt.  Für  Spanien  knüpften  sich  die  Beziehungen  auch  der  Ge- 
sellschaft hauptsächlich  an  das  seit  Alters  durch  die  Deutschen  natur- 
gemäss  bevorzugte  blühende  Barcelona,  l)ald  aber  entstand  eine  Zweig- 
niederlassung in  Valencia  und  wurden  auch  nach  Alicante,  Tortosa  und 
Saragossa  Verbindungen  erschlossen.  Interessant  ist ,  dass  der  Vertreter 
der  Gesellschaft  in  Valencia  einem  dort  ansässigen  Deutschen,  der  in  den 
Jahren  1477: — 1478  in  Gemeinschaft  mit  einem  Einheimischen  eine  Bibel- 
übersetzung ins  Valenciauische  herausgab,  die  Druckkosten  spendete;  sein 
Nachfolger  war  sogar  in  der  Lage,  in  der  Nähe  der  Stadt  ein  Francis- 
canerkloster  zu  giünden,  wie  man  wenigstens  dem  Nürnberger  Reisenden 
Hier.  Münzer  erzählte.  Uebrigens  war  Genua  nicht  der  ausschliessliche 
Hafen  für  den  spanischen  Verkehr;  auch  Nizza  wurde  seitens  der  Gesell- 
schaft für  die  Persouenfahrt ,  wie  für  die  Verfrachtung  mitbenutzt.  — 
Kürzer  behandelt  werden  die  Beziehungen  nach  den  Niederlantleu,  iür  die 
fi-eilich  geringe  Spuren  und  eher  noch  für  den  Geld-,  als  füi-  den  Waaren- 
verkehr  erreicht  werden  konnten;  auch  die  Beziehungen  innerhalb  Deutsch- 
lands ermangeln  noch  weiterer  Aufklärung. 

Gegenstand  der  Ausfuhi-  waren  die  Erzeugnisse  des  oberschwäbischeu 
(}ewerbes,  voran  Zeuge  aus  Leinwund  und  BarunwoUe,  auch  Garn,  dazu 
deutsche  Metalle ;  aus  den  Originalien  der  im  Auszug  von  Capmany  ge- 
druckten Zolb'egister  von  Barcelona  können  vielleicht  noch  nähere  Auf- 
schlüsse   gewonnen    werden.     Als    Rückfracht    dienten,    soweit    erkennbar, 

Mittheüungen,  XII.  23 


g54  Literatur. 

spanische  Wolle,  Südfrüchte,  Weine,  Safran,  Alaun,  das  man  ja  in  Deutsch- 
land erst  seit  dem  16.  Jahrhundert  zu  gewinnen  verstand,  und  ähnliche 
Waaren  der  Fremde. 

Den  politischen  Schutz  der  Gresellschaffc  konnte  weniger  das  kleine 
Ravensburg,  als  Konstanz  und  die  Hilfe  der  durch  ihi-e  Bürger  mitbetei- 
ligten Eidgenossenschaft  leisten ;  mehrfach  wurde  in  der  Tat  diplomatische 
Verwendung  nötig.  Der  Verfall  der  Gesellschaft  aber  brach  von  innen 
herein;  ein  bedenkliches  Anzeichen  davon  ist  schon  der  aus  ihrer  Mitte 
i.  J.  149  7  gemachte  Versuch,  bei  der  Mailänder  Zollstätte  Sillier  als  Ziuu 
durchzuschmuggeln,  worül»er  die  Ausgleichs verhanrllungen,  wie  überhaupt 
die  Mailänder  Beziehungen  unter  dem  letzten  Visconti  und  den  Sforza's, 
etwas  reichlicheren  Quellenstoö"  hinterlassen  haben.  In  den  Anfangsjahren 
des  1(5.  Jahrhunderts  schleppt  sich  die  (lesellschaft  ersichtlich  nur  noch 
hin,  ir)27  besteht  sie  noch,  aber  mindestens  ohne  einen  Zins  für  die 
Capitaleinlagen  abzuwerfen.     Die  Auflösung  setzt  Heyd  um   lä.iO. 

Dreissig  Urkunden  und  Regesten  sind,  begründend  und  weiterführend, 
der  Darstellung  beigegeben. 

Freiburg  i.  B.  Ed.  Heyck. 


Archivlehre.  Gruudzüge  der  Geachichte,  Aufgaben 
und  Einrichtung  unserer  Archive  von  Franz  von  Löher. 
Paderborn,  F.  Schöningli  1890.     8^     (XII,  490). 

Der  Inhalt  des  Buches,  in  welchem  der  Verfasser  neben  manchem 
Neuen  das,  was  an  Vorschlägen,  Ideen  und  dienstlichen  Thatsachen  in 
den  dreizehn  Bänden  seiner  Archivalischen  Zeitschrift  zerstreut  ist,  zu- 
sammenfasst,  gliedert  sich  in  einen  historischen  und  einen  praktischen 
Theil.  Im  ersteren  wird  eine  allgemeine  Ue1)ersicht  der  Entwickelung  des 
deutschen  Archivwesens  gegeben,  von  seinen  ersten  Anfängen  zur  Zeit  der 
Gründung  germanischer  Staatsgebilde  bis  herauf  zu  den  einschneidenden 
Refonnen,  welche  im  gegenwärtigen  Jahrhundert  auch  auf  diesem  Gebiete 
allenthalben  ins  Werk  gesetzt  wurden.  Dem  Fachmann  ist  natürlich  vieles 
von  dem,  was  der  Verfasser  beibringt,  liekannt;  doch  l)leibt  die  Sammlung 
des  weit  und  breit  zerstreuten  Materials  immerhin  dankenswert  und  na- 
mentlich wird  der  Anfänger,  für  den  das  Buch  zunächst  liestimmt  ist, 
daraus  mannigfache  Belehrung  schöpfen.  Der  an  Umlang  weit  grössere 
praktische  Theil  verbreitet  sich  über  alle  Punkte,  welche  für  die  Ver- 
waltung der  Archive  von  Belang  sind,  wie  Eintheilung  und  Ordnung, 
Verwahrung  und  Schutz  der  Archivalien,  Anlegung  von  Repertorien  und 
Handweisern,  Archivbenützung,  Amtsstellung  und  Fachbildung  der  Archiv- 
beamten, Geschäftsgang  und  dgl.  mehr,  und  der  Verfasser  hat  dabei  immer 
die  Doppelstellung,  welche  die  Archive  als  Hilfsämter  der  Staatsverwal- 
tung einerseits,  und  als  wissenschaftliche  Institute  anderseits  einnehmen, 
im  Auge,  wobei  er  den  Zwecken,  denen  sie  in  letzterer  Eigenschaft  zu 
dienen  haben,  die  gebührende  Berücksichtigung  zu  Theil  werden  lässt. 
Hin  und  wieder  freilich  schlägt  der  Archivvorstand  zum  Schaden  des  Ge- 
lehrten durch  und  die  etwas  reservirte  und  umständliche  Art,  die  Löher 
in  Beziehung  auf  die  Mittheilnng  der  Archivalien  empfiehlt,   oder  die  angst- 


Literatur.  355 

liehe  Hütuug  der  Repertorien  vor  den  Blicken  der  Uneingeweihlen  sind 
recht  dazu  angethan,  um  dem  Ingrimm,  der  den  ständigen  Besucher  von 
Archiven  und  Bibliotheken  so  häufig  Itefällt,  neue  Nahrung  zuzuführen. 
Im  Ganzen  hätte  das  Werk  nur  gewonnen,  wenn  sich  der  Verfasser  etwas 
knapper  gefasst,  strenger  an  das  Thatsächliche  gehalten,  allzu  breite  Aus- 
führungen mehr  oder  minder  hypothetischer  Natur  vermieden  und  vieles 
Selbstverständliche  getrost  der  Einsicht  derer  überlassen  hätte,  welche  sieh 
von  Berufswegen  mit  Archivgeschäften  zu  befassen  haben. 

Wien.  A,  Budinszky. 


Die  li  i  s  t  o  r  i  s  c  li  e  u  Programme  der  ö  s  t  e  r  r  e  i  c  h  i  t;  c  h  e  u 
Mittelschulen  für  1890. 

Aus  der  ansehnlichen  Zahl  von  Programmaufsätzen  historisch-geo- 
graphischen und  verwandten  Inhalts  heben  wir  zunächst  diejenigen  her- 
vor, welche  ein  Gebiet  der  politischen,  oder  der  Culturgeschichte  des  Mit- 
telalters, oder  der  neuern  Zeit  auf  Grund  bisher  ungedruckten  Materiales 
behandeln. 

Beiträge  zur  Geschichte  des  Krieges  Erzherzog  Sig- 
munds mit  Venedig  1487  von  F.  Wotschitzky  (Gymnasium  zu 
Bielitz  in  Schlesien).  Auf  Grund  ungedruckten  Quellenmateriales  aus  dem 
Statth. -Archive  zu  Innsbruck  werden  in  diesem  Aufsatze  einzelne  recht 
interessante  Ergänzungen  zur  Geschichte  des  im  Frühjahre  14S7  leicht- 
sinnig unternommenen  Krieges  Sigmunds  von  Tirol  gegen  die  Kepublik 
Venedig  gelieiert,  welcher  bisher  vorwiegend  nach  Berichten  iler  Chro- 
nisten dargestellt  worden  ist.  Sigmund  führte  den  Kampf  ohne  die  tiro- 
lischen Stände,  vorzugsweise  mit  Hilfe  seiner  Vasallen  und  der  bairischen 
Herzoge,  die  aus  seiner  Verlegenheit  Nutzen  zu  ziehen  trachteten.  Sie 
stellten  ihm  gegen  ausgiebige  Verschreibungen  Truppen  und  Geld  zur 
Verfügung,  wie  aus  den  Urkunden  und  dem  Raitlmche  im  genannten 
Archive  hervorgeht.  Unterhandlungen,  die,  wie  es  scheint,  mit  dem  Hofe 
zu  Mailand  geführt  wurden,  hatten  kein  Ergebniss;  einige  hieher  gehörige 
Briefe  aus  der  Laduruer'schen  Urkundensammlung  hat  W.  in  den  Noten 
verwertet.  Ausführlicher  ergeht  sich  der  Verf.  in  der  Darlegung  der 
KriegsvorV)ereitungen ,  der  Ausrüstung ,  Verpflegung  und  Besoldung  der 
Truppen,  wozu  er  40  bisher  unverwertete  Lieferzettel  benützte.  Der  Zuzug 
der  Contingente  gieng  langsam  vor  sich ;  unter  den  bairischen  Kriegsleuten 
befand  sich  auch  Hans  v.  Pienzenau.  Der  Verlauf  des  Krieges  wird  als 
ziemlich  bekannt  nur  kurz  geschildert.  Sigmund  war  noch  nicht  gei'üstet, 
als  die  Venetianer  durch  das  Lagerthal  vorrückten.  Dann  aber  gritf  Gau- 
denz  V.  Matsch  ßovereto  an,  nahm  es  am  30.  Mai  1487  ein  und  siegte 
bei  Ravazzone  über  den  venetianischen  Feldherrn  Sanseverino.  Ueber  den 
höchst  auffallenden  Rückzug  des  Matschers  kann  indes  auch  W.  keine  Auf- 
klärung bringen.  Die  Venetianer  nahmen  dann  Rovereto  wieder.  Nach  der 
Niederlage  Sanseverino's  durch  Friedrich  v.  Kappel  bei  Calliano  am  1 0.  Aug. 
trat  aber  beiderseits  Ermattung  ein.  Papst  und  Kaiser  vermittelten  den 
Frieden,  der,  /  noch  beschleunigt  durch  die  Klagen  der  tirolischen  Stände 
gegen  Sigmunds  Regierung  auf  dem  Landtage  zu  Hall,  am   1.3.  Nov.  1487 

23* 


356  Literatur. 

auf  Grund  des  früheren  Besitzstandes  zu  Venedig  geschlossen  wurde. —  Graf 
Friedrich  II.  vonCilli  vonA.  Gubo  (Gymnasium  in  Cilli).  Behandelt 
in  einem  III.  Theile  die  Wirren  nach  dem  Tode  Albrechts  II.  und  den 
Kampf  zwischen  den  Cilliern  und  den  Corvinen  auf  Grund  des  gedruckten 
Actenmaterials.  Friedrich  II.  befestigte  zu  seiner  Sicherheit  Cilli  und  gab 
<ler  Stadt  ein  grosses  Privileg  (l45l),  welches  S.  12  wörtlich  im  Text 
mitgetheilt  ist  und  erst  1889  im  Cillier  Stadtarchiv  mit  noch  andern 
Freiheitsbriefen  und  Bestätigungsurkunden  der  Kaiser  Friedrich  III.,  Max  L, 
Ferdinand  I.  u.  a.  aufgefunden  und  dem  dortigen  Localmuseum  einverleil)t 
wurde.  Friedrich  IL  starb  1454,  zwei  Jahre  später  auch  Ulrich  11. 
von  Cilli,  mit  welchem  das  gewaltige  Dynastengeschlecht  erlosch.  — 
Kirchliche  und  religiöse  Zustände  in  Freistadt  während 
des  Reformations-Zeitalters  (Schluss)  von  J.  Jäkel  (Gym- 
nasium zu  Freistadt  in  Oberösterreich).  Schildert  auf  Grund  einzelner 
Acten  und  der  Rathsprotokolle  im  dortigen  Archive  die  Zustände  in  der 
Stadt  nach  dem  Jahre  1597  (vgl.  Mittheil.  11,  353).  Die  lutherischen 
Prädicanten  waren  nun  auch  auf  den  Schlössern  der  Herren  nicht  mehr 
sicher;  IBOl  erHossen  mehrfach  Hofresolutionen  gegen  sie,  doch  der  bald 
ausbre(diende  habsliurgische  Bruderzwist  rettete  vorübergehend  den  Pro- 
testantismus, der  sich  nun  auch  in  Freistadt  häuslich  einrichtete.  Am 
ly.  März  1609  war  Mathias  gezwungen,  den  lamlesfürstlichen  Städten  und 
Märkten  Religionsfreiheit  zu  gewähren.  In  Freistadt  hielten  die  Evan- 
oelischen  in  der  Frauenkirche  vor  dem  böhmischen  Thore  (rottesdienst  ab 
und  bestellten  zwei  Prediger,  mit  denen  sie  einen  Vertrag  al)Schlossen 
(theilweise  S.  24  fg.  abgedruckt).  Dieselben  hatten  fortwährend  Ueibungen 
mit  dem  katholischen  Decan,  bis  infolge  der  politischen  Zeitereignisse  die 
Katholiken  wieder  obenauf  kamen  und  lfi23  die  Prädicanten  durch  einen 
Statthaltereibefehl  abgeschatft  wurden.  Am  26.  Mai  1625  wurde  das 
Frauenkirchlein  dem  katholischen  Kaplan  übergeben,  einige  protestantische 
Bürger  wanderten  aus.  —  Zur  Verwaltungsgeschichte  der  Stadt 
St.  Polten  von  A.  Herr  mann  (Gymnasium  zu  St.  Polten)  behandelt 
die  vorjährige  Abhandlung  fortsetzend  die  städt.  Finanzgebarung  im  Ifi. 
und  17.  Jahrb.  auf  Grund  des  Actenmateriales  im  dortigen  Stadtarchiv 
und  druckt  folgende  Stücke  aus  demselben  ab:  Eine  kaiserl.  Verordnung 
vom  14.  April  1545  in  Betreff  der  »Sippzallpuecher«  (Bücher  über  Ver- 
wandtschaftsausweise), einen  Erlass  der  n.  ö.  Kammerstelle  über  Salzzufuhi- 
aus  Aussee  vom  11.  Febr.  1551,  einen  Bestandbrief  l)etreffs  des  Ungelds 
vom  Abt  zu  Melk  und  Rüdiger  v.  Starhemberg  au  die  Stadt  vom 
23.  April  1564,  einen  wegen  der  Wilheimsburgischen  Ungeldpachtung 
ausgestellten  Revers  der  Stadt  mit  dem  eingeschalteten  Bestandbrief  von 
Max  II.  V.  28.  Juli  1574  und  endlich  einen  gleichen  Bestandbrief  über 
Karlstetten  von  Rudolf  II.  v.  25.  Mai  1590  (Fortsetzung  folgt).  — Einige 
Notizen  über  den  Magistrat  der  königl.  Stadt  Mährisch- 
Neu  stadt  im  17.,  besonders  im  18.  Jahrhundert  bis  zu  seiner 
gänzlichen  Umgestaltung  durch  das  Hofdekret  vom  24.  Eebr.  1786  von 
K.  Klement  (Gymnasium  zu  Mährisch-Neustadt).  Gibt  auf  Grund  von 
Actenauszügen  aus  dem  dortigen  Stadtarchive  eine  kurze  Darstellung  über 
die  Stellung  des  »Rathes«,  der  alljährlich  durch  die  sog.  Raths-Renova- 
tionen  erneuert  wurde,  wobei  es  hoch  hei'gieng  und  namentlich  der  inter- 


Literatur.  357 

venieiende  Laiides-Untei-kämmerer  festlich  truktiii  wurde.  Dagegen  erliess 
bereits  K.  Leopold  I.  am  11».  Aug.  1684  ein  Rescript,  aber  der  Unfug 
hörte  nicht  auf.  T3ezeichnend  ist  diesfalls  das  S.  10  vollständig  abge- 
druckte Schreiben  des  Grafen  Brenner  an  den  Magistrat  v.  31.Dec.  1704. 
Es  wird  ferner  über  die  Organisierung  des  Stadtmagistrates  im  17.  und 
18.  Jahrb.,  dessen  Umgestaltung  durch  das  Eingreifen  der  Regierung,  be- 
sonders Maria  Theresias  und  Josefs  IL,  berichtet.  Für  die  häufig  ein- 
gerissene Unordnung  in  der  Verwaltung  ist  die  kaiserl.  Resolution  vom 
2.').  Mai  17  27  liemerkenswert.  In  einem  Anhange  sind  die  k.  Richter 
des  17.  und  18.  Jahrh.  bis  1779,  wo  diese  Würde  erlosch,  und  die 
Magistratsräthe  des  18.  Jahrh.  bis  1784  aufgezählt.  —  Ein  Beitrag 
zrr  Geschichte  der  Hannover' sehen  Mis^sion  von  K.  Lech  ner 
(d.  Gymnasium  zu  Kremsier).  Druckt  vier  Briefe  des  Brixener  Fürstbischofs 
Kaspar  Ign.  v.  Ktinigl  an  Cardinal  Schrattenbach  in  Sachen  der  katholischen 
Mission  des  genannten  Bischofs  in  Hannover  aus  dem  f.  e.  Schlossarchive 
zu  Kremsier  ab:  Brixen,  27.  Aug.  1718  sammt  Antwort  Rom  10.  Sept. 
1718;  Hildesheim,  4.  Nov.  1718,  Hannover,  25.  Nov.  1718,  mit  Antwort 
Rom  31.  Dez.  1718;  Hildesheim,  y.  März  1718.  Im  Anhang  ist  die  In- 
formatio  de  novissimo  statu  Hannoveranae  missionis  (l  1  — 17)  des  Bischofs 
von  Brixen  abgedruckt,  dessen  Mission  scheiterte,  infolge  dessen  er  1719 
wieder  nach  Tirol  zurückkehrte.  —  Storia  dellaDalmazia  dal  1' 1797 
al  1814  von  T.  Erb  er  (Gymnasium  in  Zara),  V.  Tbl.  Beginnt  einleitend 
mit  dem  Frieden  von  Tilsit,  welcher  das  Schicksal  Ragusa's  und  der  Bocche 
di  Cattaro  besiegelte.  Dann  werden  die  Beziehungen  des  Landes  zu  Mon- 
tenegro während  des  französischen  Regiments  ausführlicher  behandelt.  Die 
französischen  Generale  Gaiithier  und  Montrichard  suchten  zwar  eine  von 
hier  ausgehende  Action  zu  bannen,  doch  vergel^lich,  Cattaro  und  die  Bocche 
fielen  in  montenegrinische  Hände,  konnten  aber  nicht  behauptet  werden, 
da  Russland  seinen  Schutz  versagte.  Man  wandte  sich  daher  an  Kaiser 
Franz  L  Indessen  erholt  sich  Ragusa,  das  von  den  Engländern  blokirt 
wurde,  und  am  3.  Jänner  1814  marschierten  die  Österreicher  unter  dem 
General  Milutinovic  in  Ragusa  ein.  Am  1 .5.  Febr.  desselben  Jahres  wurde 
provisorisch  der  Eid  der  Treue  geleistet  und  durch  Milutinovic  eme  prov. 
Regierung  eingesetzt.  Der  Verf.  benützte  ausser  einigen  handschriftlichen 
Privatberichten  das  Statthalterei-Archiv  zu  Zara,  das  Staatsarchiv  und  die 
Feldakten  des  Kriegsarchivs  in  Wien.  —  Lo  statuto  delFisola  di 
Cherso  edOssero  von  St.  Petris  (IL  Tbl.,  Gymnasium  zu  Capodistria). 
Im  Anhange  sind  nebst  einer  Reihe  bereits  anderwärts  gedruckter  Ur- 
kunden, namentlich  des  14.  Jahrh,  auch  Bruchstücke  des  handschriftlichen 
Statuts  von  Ossero  und  ein  Schreiben  des  Dogen  Christoforo  Mauro  vom 
23.  März    1467   raitgetheilt. 

Abhandlungen  und  krit.  Beiträge  zui-  Geschichte  und  Cultur  des  Al- 
terthums:  Der  Todtencultus  beiden  alten  Völ  kern  von  M.  Stad- 
ler V.  Wolffersgrün  (Gymnasium  zu  Feldkirch)  behandelt  die  religiösen 
Anschauungen  über  das  Fortleben  nach  dem  Tode  und  die  Einbalsamierung 
der  Leichen  bei  den  alten  Ägyptern.  —  DieBoöXeoai?  im  attischen 
Processe  von  J.  Kohm  (Gymnasium  zu  Olmütz),  —  Über  histo- 
rische Treue  und  Bedeutung  der  Reden  im  Geschichtswerke 
des  Thukydides  von  R.  Würz  er  (Schluss;  Gymnasium  zu  Radautz). — 


358  Literatur. 

Philipp  II.  und  die  Athener  in  ihren  wechselseitigen  Be- 
ziehungen zu  einander  von  F.  Müller  (Fortsetzung;  d.  Realschule 
zu  Olmütz).  —  Die  attischen  Graliinschri  t'ten  von  H.Gut  scher 
(II.  Thl.,  Gymnasium  zu  Leohen).  —  Zu  den  griechischen  Papyri 
des  Louvre  und  der  Bibliotheque  nationale  von  K.  W e  s s e  1  y 
(II.  Thl.,  Gymnasium  zu  Hernals-Wien).  —  Zur  Geschichte  des  Aga- 
thokles  von  Syrakus  von  K.  P r e i s s  1  e r  (d.  Landesrealschule  in 
Brunn).  Sichtet  zunächst  die  Quellen  und  prüft  die  Überlieferung,  daran 
schliesst  sich  die  Geschichte  des  Agathokles  bis  .317  v.  Chr. ;  Fortsetzung  soll 
folgen.  —  Die  Götter  in  der  Aeneide  desVirgil  von  H.  Bouvier 
(Gymnasium  zu  Krems).  —  De  fontibus  a  Plutarcho  in  vitis 
Gracchorum  adhibitis  et  de  Tiberii  Gracchi  vita  von  E.  Ce- 
g  1  i  ri  s  k  i  (ruthenisches  akad.  Gymnasium  zu  Lemberg).  —  Die  Frage  nach 
Entstehung  und  Tendenz  der  Taciteischen  «Germania»  von 
J.  Weinberger  (d.  Gymnasium  zu  Olmütz),  eine  sehr  verdienstliche 
Zusammenstellung  der  bekannten  Gesichtspunkte,  —  Der  arianische 
Streit  bis  zur  Kischenversamlung  zu  Nicäa  (325)  von  C,  Maly 
(Gymnasium  zu  Weisskirchen)  nach  den  Quellen.  Daran  mögen  sich  reihen: 
De  carmine  panegyrico  Messalae  Pseudo-Tibulliano  scripsit 
St.  Eh  rengrub  er  (Gymnasium  zu  Kremsmünster)  2.  Thl.,  Fortsetzung 
folgt.  —  Des  Gratius  Faliscus  »Cynegetica» ,  seine  Vorgänger 
und  seine  Nachfolger  von  M.  Fiegl   (Gymnasium  zu  Görz). 

Mittelalter  und  neuere  Zeit:  Beiträge  zur  Geschichte  des 
byzantinischen  Kaisers  Mauricius  (582 — 602)  von  0.  Adamek 
(I.  Gymnasium  zu  Graz).  Das  Ziel  dieser  gründlichen  Abhandlung  ist  die 
Darstellung  der  Kämpfe  des  Eomäer-Kaisers  gegen  die  Avaren  und  eine 
richtigere  Deutung  der  in  den  Berichten  genannten  Örtlichkeiten  und  in- 
folge dessen  eine  Aufliellung  des  Zusammenhangs  der  Ereignisse.  Zu 
diesem  Zwecke  werden  in  dem  vorliegenden  I.  Abschnitte  die  Quellen 
(Theophylactus  Simocatta,  Theophanes,  Georg.,  Leo,  Chron.  paschale,  Cedren 
und  Zonaras)  kritisch  geprüft.  —  Hercynia,  Fergunna,  Krknose. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Völkerwanderung  von  A.  Krälicek  (d. 
Landesrealschule  m  Kremsier).  Die  bisherigen  Ansichten  durchgehend  sucht 
der  Verf  zu  beweisen,  dass  der  Name  Hercynia  celtisch  und  so  zu  den 
Griechen  gekommen  sei,  wie  ihn  schon  Aristoteles  anführt.  Im  Chron. 
Moissiao.  heisst  das  Erzgebirge  Fergunna  (got.  fairguni,  Berg);  die  Namen 
sind  einander  ähnlich,  aber  nicht  auseinander  abgeleitet,  sondei'n  beide 
stammen  aus  einer  Grundform  Perkunü,  dem  Namen  des  slav,  Donner- 
gottes. Krknose  ist  die  slav.  Benennung  für  das  Riesengebirge.  Das 
Wort  soll  nach  älteren  Forschern  aus  krak  oder  krok  (Riese)  entstanden 
und  daher  identisch  sein  mit  dem  Hausherrn  des  Riesengebirges,  dem 
Rübezahl.  Der  Name  hängt  aber  mit  Perkunü  zusammen,  und  so  haben 
nach  des  Verfassers  Ansicht  Gelten,  Germanen  und  Slaven  das  Erzgebirge 
mit  dem  Namen  des  Donnergottes  bezeichnet,  jedoch  so,  dass  die  Deutschen 
nur  das  Erzgebirge,  die  Slaven  das  Riesengebirge  so  hiessen  als  die  beiden 
Völkern  räumlich  nächstgelegenen  Theile  des  hercynischen  Systems.  Ge- 
legentlich dieser  Erklärungsversuche  wird  die  Besiedlung  der  umliegenden 
Gebiete  besprochen,  woraus  wir  wesentlich  Neues  nicht  erfahren,  —  Mat- 
thäus von  Trencsin  während  der  ungarischen  Thronkämpfe 


Literatur.  35.9 

von  1300 — 1312  von  H.  Wertheim  (Staatsrealschu)e  in  Graz).  Unter 
fleissiger  Benützung  der  gedruckten  Quellen  und  der  vorhandenen  Lit- 
teratur  w^ird  der  Abstammung  des  Matthäus  Czak,  seit  1296  von  Trencsin 
genannt,  und  seiner  Thaten  in  sehr  gefälliger  Form  gedacht.  Mach  dem 
Tode  des  K.  Andreas  III.  stellte  sich  auch  dieser  Magnat  auf  die  Seite 
der  nationalen  Partei ,  welche  Wenzel  III.  (Ladislaus  V.)  erhob  ,  den  der 
Papst  jedoch  bannte  und  durch  die  Einsetzung  Karl  Koberts  zu  verdrängen 
strebte  (1303).  Als  Wenzel  durch  seinen  Vater  im  vollen  Ornate  weg- 
geführt worden,  trat  er  auf  die  Seite  des  Anjou,  lebte  und  handelte  jedoch 
nur  in  seinem  eigensten  Interesse.  Die  Schlacht  bei  Kaschau  (l312)  än- 
derte daran  nichts,  auch  nicht  der  grosse  Kirchenbann  ( 1 3 1 8),  erst  sein 
Tod  1321.  —  Historia  urbis  Pilsnae  Joannis  Tanner  manu 
scriptae  von  M.  Seh  äff  er  (d.  Gymnasium  zu  Pilsen),  Fortsetzung  cap. 
27,  sq.,  die  Jahre  1435  — 1526  umfassend.  —  Die  Piotrkower  Con- 
stitution vom  Jahre  152  5.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  pol- 
nischen Handels  von  F.  Bostel  (IL  Gymnasium  zu  Lemberg).  —  Zur 
Geschichte  der  österreichischen  Seiden  Industrie  von  G.  K  a  r- 
schulin  (Handels-Academie  in  Wien):  I.  die  österr.  Seidencompagnie. 
Benützt  wurden  u.  a.  handschriftliche  Relationen  von  J.  J.  Becher  (der 
seit  1666  in  Wien  war  und  das  Collegium  commerciorum,  die  erste  Be- 
liörde  für  Handel  und  Gewerbe  in  Oesterreich,  zustande  brachte)  in  der 
k.  k.  Hoftibliothek. 

Kunstgeschichte:  Brünner  Bauwerke  im  XVII.  u.  XVIII.  Jahr- 
hundert von  A.Rille  (d.  Oberrealschule  in  Brunn).  —  Architektur 
und  Sculptur  in  Teplitz-Schönau  von  A.  Lewy  (Gymnasium  zu 
Teplitz).  —  Die  illustrierenden  Künste  und  ihre  Bedeutung 
für  die  Culturge schieb te.  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  und  Würdi- 
gung des  Kunstdruckes  von  J.  B.  Rosner  (Gymnasium  zu  den  Schotten 
in  Wien). 

Biographisches :  Johann  Pauspertl  von  Drachenthal  von 
J.  Gärtner  (Lehrerbildungsanstalt  in  Linz).  Pauspertl,  ein  berühmter  Pä- 
dagoge, wirkte  als  Geistlicher  der  Linzer  Diöcese  in  Wels,  Linz,  Freistadt, 
seit  1835  als  Director  der  Normalhauptschule  in  Linz,  machte  1842  einen 
Entwurf  zur  Hebung  der  Lehrerbildung,  der  im  Aufsatze  abgedruckt  ist, 
und  starb  1864  als  Pfarrer  zu  Waldneukirchen.  —  Ein  Blatt  der 
Erinnerung  an  die  Missionäre  aus  Tirol  in  Central-Afrika 
(18  Priester  und  18  Laien.  1853 — 1882),  zugleich  ein  Beitrag  zur  Gym- 
nasial-Chronik,  da  9  dieser  Glaubensboten  an  unserer  Anstalt  studierten, 
von  J.  Chr.  Mitterrutzner  (Gymnasium  zu  Brixen).  —  Giacomo 
Zanella  von  G.  Szombathely  (it.  Gymnasium  zu  Triest).  —  Andrea 
Chenier  (geb.  1762)  von  F.  Pastrello  (Communal-Realschule  zu  Triest). 
—  Laura  Bridgman,  Erziehung  einer  Taubstumm  -  Blinden.  Mit 
Biographie  derselben  von  W.  Jerusalem  (Gymnasium  im  8.  Bez.  in 
Wien).  —  Anton  Schienkirch.  Nekrolog  von  L.  Konvalina  (Gym- 
nasium im  3.  Bez.  in  Wien). 

Schulgeschichte  und  Methodik :  Geschichte  der  k.  k.  theresia- 
nischen  Academie  von  ihrer  Gründung  bis  zum  Curatorium  Sr.  Ex- 
cellenz Anton  Ritter  von  Schmerling  1746 — 1865  von  J.  Schwarz 
(Gymnasium  Theresianum  in  Wien)  mit  Abbildungen.  —  Chronologisch- 


360  Literatur. 

statistischer  Kückljiick  auf  die  ersten  25  Juhie  des  Gym- 
nasiums von  A.  Burger  stein  (Communal-Gymnasium  im  2.  Bez.  in 
Wien).  —  Z  u  r  (t  e  s  c  h  i  c  h  t  e  des  h  ö  h  e  r  e  n  S  c  h  u  1  w  e  s  e  n  s  i  n  13  a  d  e  n 
aus  Anlass  der  Erinnerung  an  den  25jälirigen  Bestand  der  Lehranstalt 
von  E.  Hau  eis  (Landesgymnasium  /u  Baden  hei  Wien)  behandelt  die 
Erweiterung  der  Schule  zu  einem  Real-  und  Ohergyranasium  1880 — 87: 
Schluss  folgt.  —  Rückblick  auf  die  ersten  25  Jahre  der  Lehr- 
anstalt von  F.  Kesselsdorfer  (Gymnasium  zu  Oberhollabrunn).  — 
Übersichtliche  Geschichte  der  k.  k.  Lehrerbildungsanstalt 
in  Salzburg  von  Fr.  A n t h a  1 1  e r ,  und :  Beiträge  zur  Statistik 
der  k.  k.  Lehrerbildungsanstalt  und  Prüfungsergebnis  seit 
1870  von  K.Wagner  (Lehrerbildungsanstalt  zu  Salzburg),  zugleich  Fest- 
schrift zur  Centennaifeier.  —  Bemerkungen  über  den  Lehrstoff 
und  den  Unterricht  in  derVaterlandskunde  in  der  8.  Glas  sc 
von  E.  Breyer  (Gymnasium  zu  Mährisch-Trübau),  bringt  eine  Entwick- 
lungsgeschichte der  Statistik,  bespricht  die  methodische  Behandlung  der 
Vaterlandskunde  und  die  Beziehungen  zwischen  Geschichte  und  Statistik 
\m  Unterricht  in  recht  anschaulicher  Weise.  —  Beiträge  zu  einer 
Reform  des  geschichtlichen  Unterrichtes  an  der  Oberreal- 
schule  von  K.  A.  Schmidt  (Staatsrealschule  im  8.  Bez.  in  Wien).  Sehr 
beachtenswerte  Darlegungen  über  den  historischen  Stoff  im.  der  Oberreal- 
schule, über  ein  Lehrbuch,  das  die  deutsche  und  österreichische  Geschichte 
mit  Hereinziehung  der  wichtigsten  Culturelemente  der  allgemeinen  Ge- 
schichte behandeln  soll.  Die  Geographie  sollte  als  Gegenstand  der  Reife- 
prüfung ganz  entfallen.  — -  Lehr  plan  der  russischen  Gymnasien 
von  G.  V.  Hayek  (Gymnasium  im   3.  Bez.  in  Wien). 

Bibliographie:  Systematisch  geordnetes  Verzeichnis  der 
Programmarbeiten  österreichischer  Mittelschulen  aus  den 
Jahren  187  4 — 8  9  von  J.  Bittner  (Gymnasium  zu  Teschen).  I.  Thl.: 
Pädagogik  und  Schulhygiene,  altclassische  Philologie  (auch  als  Sonderali- 
druck  erschienen). 

Geographie  und  mit  ihr  zusammenhängende  Gebiete:  Der  Karst, 
in  naturwissenschaftlicher  Hinsicht  geschildert  von  L.  C.  Moser  (d.  Staats- 
gymnasium in  Triest).  Gibt  die  geographische  Begrenzung  des  Karstplateaus, 
erörtert  dessen  physische  Verhältnisse,  Anthropologie  und  Prähistorie  der 
Karsthöhlen,  ferner  Prähistorisch-Archäologisches  und  Geschichtliches,  Klima 
und  Vegetation,  Eine  sehr  unterrichtende  Arbeit  mit  reichen  Literatur- 
angaVjen.  —  Das  seen reiche  Keutschachthal  in  Kärnten.  Ein 
Beitrag  zur  nälieren  Kenntnis  der  Seethäler  des  Landes  von  V.  Hart- 
mann (Realschule  zu  Klagenfurt).  Das  Keutschachthal  der  Vorzeit,  süd- 
lich vom  Becken  des  Wörthersees,  ist  «lurch  eine  Barre  aus  diluvialem 
Trümmergestein  in  2  Theile  getrennt,  in  das  obere  oder  Plaschischenthal, 
und  in  das  untere,  welches  der  Verfasser  Morothal  nennt.  Die  Seen  wer- 
den ausführlich  behandelt.  Im  Anhang  wird  über  das  »Steinbier«  ge- 
sprochen. Zur  Orientierung  ist  ein  Kärtchen  nebst  3  Profilen  beigegeben. 
—  Die  A  r  n  s  t  e  i  n  h  ö  h  l  e  bei  M  a  >'  e  r  1  i  n  g  mit  Bezug  auf  ihre  Lage 
in  der  Kalkzone  des  Wiener  Waldes ,  ihre  Bildung  und  die  diluvialen 
Funde  von  Wirbelthier  Resten  von  G.  A.  Koch  (Gymnasium  im  4.  Bez. 
in  Wien).  —   Zur  Frage  nach    den  Ursachen    der  Eiszeiten  von 


Literatur.  361 

0.  Bi ermann  (Gymnasmm  in  Klagenfurt).  —  Über  C anale.  (Eine 
Aufzählung)  von  J.  M  e  i  x  n  e  r  (Gymnasium  zu  Kaaden).  —  Ü  b  e  r  K 1  i  ni  a, 
Pflanzen-  und  Thiergeogr aphie.  Ein  Beitrag  zur  Belebung  des 
geographischen  Unterrichts  von  A.  Löfflor  (Schluss:  Gymnasium  zu 
Brüx).  —  Die  geographischen  und  mythologischen  Namen 
der  altgriechischen  Welt  in  ihrer  Verw^ertung  für  antike 
Fflanzengeogr  aphie.  II.  von  J.  Murr  (Gymnasium  zu  Hall  in  Tirol). 

—  Zu  Brandl's  Erklärung  topographischer  Namen  von  J. 
Wisnar  (Gymnasium  zu  Znaim).  Gibt  die  im  «Obzor»  erschienenen  Auf- 
sätze Brandl's  in  12  Capiteln  und  in  deutscher  Sprache,  mit  reichlichen 
Anmerkungen  versehen.  • —  Nachträge  und  Berichtigungen  zur 
«slavischen  Namenforschung«  (vgl.  Mitth.  11,  357),  und:  Rätoroma- 
nisches aus  Tirol  von  A.  Unterforcher  (Gymnasium  zu  Eger).  — 
Sulla  formazione  delle  Bocche  di  Cattaro  von  P.  Radimiri 
(naut.  Schule  in  Cattaro.  —  Sulla  vegetazione  dell'isola  di  Lus- 
sin  von  A.  Haracic  (naut.  Schule  zu  Lussinpiccolo).  —  Über  Schü- 
lerausflüge und  Schulreisen.  Mit  besonderer  Berücksich- 
tigung der  ümgbung  von  Leipa  von  R.  Wal  da  (Realschule  zu 
Böhmisch-Leipa),  setzt  auch  die  geographisch-historischen  Verhältnisse  von 
Leipa  und  Umgebung  auseinander.  —  Einfache  Lehrmittel  zur 
mathematischen  Geographie.  Mit  einer  Figurentafel  von  Fr. 
Leitzinger  (Realschule  zu  Bozen).  —  Das  Meteoreisen  von 
Braunau  von  J.  Dimter  (Gymnasium  zu  Braunau  in  Böhmen),  be- 
spi-icht  das  bekannte  am    14.  Juli  1847  gefallene  Meteoreisen,  mit  Tafeln. 

—  Übersichtliche  Zusammenstellung  der  meteorologischen 
Verhältnisse  von  Oberhollabrunn  1889  von  A.  Pichler  (Gym- 
nasium zu  Oberhollabrunn).  —  Die  meteorologischen  Verhält- 
nisse von  Weidenau  i.  J.  1889  von  Fr.  Wrzal  (Gymnasium  zu  Wei- 
denau  in  Schlesien).  —  Meteorologische  Beobachtungen  (in  Leit- 
meritz  1889 — 9o)  von  J.  Maschek  (Realschule  zu  Leitmeritz).  —  Die 
meteorologischen  Verhältnisse  von  Eger  von  0.  v.  Stein - 
hau  SS  6  n  (Gymnasium  zu  Eger). 

Endlich  aus  slavisch  geschriebenen  Schulprogrammen:  Das  Ver- 
hältnis Athens  zu  Sparta  in  der  Zeit  von  der  Schlacht  bei 
Platää  bis  zum  Beginne  des  pel op onnesischen  Krieges  von 
B.  Kopecky  (Pomer  Athen  ku  Sparte,  v  dobe  od  bitvy  platajske  do 
vzniku  peloponneske  välky;  b.  Gymnasium  zu  Ungarisch-Hradisch).  — 
S  p  a  r  t  i  a  c  a ;  Bemerkungen  üVier  die  spartanischen  Staatseinrichtungen  von 
T.  Koufil  (S.,  üvaha  o  spartske  üstave;  Gymnasium  zu  Reichenau  in 
Böhmen),  Schluss.^^ — Über  die  Ankläger  in  Rom  von  G.  Safafo vic 
(0.  ^alobnicich  v  Rime;  Gymnasium  zu  Hohenmauth).  —  Welchen  Ein- 
fluss  hatte  die  römische  Monarchie  auf  die  einheimische 
Beredsamkeit?  von  J.  Kliment  (Jaky  vliv  mela  monarchie  rimskci 
na  domäci  fectnictvi?  Gymnasium  zu  Trebitsch).  —  Übersetzung  mit 
Erklärung  der  Theilungsver träge  des  Troppauer  Landes 
aus  dem  Jahre  137  7  von  V.  Prasek  (P]:-eklad  svlykladem  ma  dilci 
listy  zeme  Opavske  z.  r.  1377;  b.  Gymnasium  zu  Troppau).  Enthält  den 
Abdruck  der  beiden  Theilungsverträge  im  deutschen  Original  und  in  pa- 
ralleler cechischer  Übersetzung  mit  zahlreichen  Anmerkungen.  —  Teich- 


262  Literatur. 

wirts  oh  iit'i  und  Fi  s  über  ei  der  Herrschaft  Pardubitz  von 
J.  Weger  (Rjbnikiifstvi  a  rybafstvi  na  panstvi  Pardubickem ;  Realschule 
zu  Pardubitz).  Verwertet  handschriftliche  Verzeichnisse  über  die  Teich- 
schäden der  Herrschaft  Pardubitz  und  Kunetickä  horä  von  1494, 
Ui'bare  des  16.  und  17.  Jahrb.,  ein  Verzeichnis  der  k.  Privilegien  (l670), 
Cervenka's  Denkwürdigkeiten  der  k.  Cameralstadt  Pardubitz  1400  — 1820 
und  andere  handschriftliche  Materialien  und  druckt  ausser  einer  Ur- 
kunde des  Abtes  und  Conventes  zu  Opatovice  v.  1343  aus  dem  Stadt- 
archiv drei  Briefe  des  böhm.  Kammerpräsidenten  L.  A.  Zwickher  an  Paul 
C.  Slavik,  Hauptmann  der  Herrschaften  Pardubitz  und  Smrkow,  über 
Teichangelegenheiten  von  1698 — lfi99,  ferner  einzelne  Teichvorschriften 
von  1(>67  und  die  sehr  interessanten  (cechischen)  Artikel  der  Fischer- 
innung zu  Pardubitz  und  auszüglich  den  Protest  der  Stadt  gegen  dieselben 
(170 h)  ab.  —  DasSequentiar  des  Meisters  Kon r ad  ausBensch 
bei  Troppau  von  V.  Hauer  (Sekvencionäx-  mistra  Konrada  z  Benesova 
u  Opavy;  b,  Gymnasium  in  Troppau).  —  Das  Verhältnis  des  sie- 
ben bürgischen  Fürsten  Georg  Rakoczy  II.  zur  polnischen 
Republik  vom  Beginne  des  schwedischen  Krieges  bis  zu 
seinem  Feldzuge  nach  Polen  im  Jahre  1657  von  S.  Z a r z y c k i 
(Stosunek  ksi^cia  siedmiogrodzkiego  Jerzego  Rakockego  11.  do  Rzeczypos- 
politej  polskiej  od  pocz^tku  wojny  szwedzkiej  do  w3T)rawy  tegoz  na  Polsk^ 
w  r.  1657;  Gymnasium  zu  Koloma  in  Galizien),  Fortsetzung.  —  Quellen 
z'ur  polnischen  Literatur-  und  Kulturgeschichte  im  16.  u. 
17.  Jahrhundert  von  J.  Heck  (Pomniejsze  zrödla  do  dziejöw  literatury 
i  cywilizacyi  polskiej  w  XVJ.  i  XVII.  stuleciu;  Gymnasium  zu  Stryi  in 
Galizien)  enthält  als  Fortsetzung:  Lustracya  starostwa  Iwowskiego  z.  r. 
1570  (Lustrationen  der  Lemberger  Starostei  1570)  und  druckt  den  »Sum- 
marius  omnium  differentiarum  inter  capitaneum  Leopol.  generosum  Nie. 
Herbort  et  proconsulem  civitatis  Leopoliensis«  etc.  im  Anhange  ab.  — 
Matthäus  Hosius  von  Hohenmauth  (Chronist  des  16.  Jahrhunderts). 
Eine  litt.  Erinnerung  von  J.  Safränek  (Matous  Hosius  Vysokomytsky. 
Literarni  zpominka;  Gymnasium  zu  Kolin).  —  Über  die  Einleitung 
zur  böhmischen  Chronik  des  Wenzel  Häjek  von  Libocan 
(Schluss)  von  H.  Metelka  (0  üvodni  stati  »Kroniky  Öeske«  Vaclava  Häjka 
z  Libocan;  b.  Realschule  in  Prag).  —  Geschichte  der  Realschule 
in  Jaroslau  von  Ig.  Rychlik  (Historya  szkoty  realnej  w  Jaroslawiu; 
Realgymnasium  zu  Jaroslau).  —  Kurzgefasste  Geschichte  der 
darstellenden  Geometrie.  I.  ThL  von  M.  Rembacz  (Krötko  zebrana 
historya  geometryi  wykreslnej ;  Realschule  zu  Stanislau).  —  Systema- 
tisch geordnetes  Verzeichnis  des  wissenschaftlichen  In- 
halts der  von  den  galizischen  Mittelschulen  bis  zum  Jahre 
1889  veröffentlichten  Programme  von  M.  Fr^ckiewicz  (Spis 
przedmiotöw  pomieszczonych  w  sprawozdaniach  galicyjskich  szkol  ^rednich 
pö  koniec  roku  1SS9;  Gymnasium  zu  Wadowice).  —  Norwegen  in 
physischer  Beziehung  von  C.  Krotoski  (Norwegia  pod  wzgledem 
fizycznym;  IIL  Gymnasium  zu  Krakau).  —  Die  Geographie  in  den 
höheren  Classen  der  Mittelschulen  von  F.  Werner  (Zemepis 
ve  vyssich  tridäch  skol  stfednich;  b.  Gymnasium  zu  Prerau). 

Bielitz.  S.  M.  Prem. 


Notizen.  363 

Notizen.  Spiel  legi  o  Vati  cano  di  doeumenti  inedili  e  rari 
estratti    dagli  Archivi    e    dalla    Biblioteca    della    Sede    Apo- 
stolica.  Volume  I.   Fascicolo  L    Roma  IHUO.    Diese  von  D.  Isidoro 
Carini,  Prefetto  der  Biblioteca  Vaticana,  und  D.  Gregorio  Palmieri,  Custode 
des  Vaticanischen  Archivs,  begründete  neue  Zeitschrift  verfolgt  den  an  sich 
höchst  verdienstlichen    Zweck,    Urkunden    und    historische  Aufzeichnungen 
aller  Art,  wie  sie  dem  Archiv-  und  Bibliotheksbeamten  in  einzelnen  Blät- 
tern   oder  Lagen    häufig  aufstossen,    der  Forschung    zu   übermitteln.     Das 
vorliegende  erste  Heft  gibt    davon  eine  Art  Musterkarte,    der  es  auch  an 
Buntheit    völlig    gleicht;    denn    zwischen    einer  Urkunde    des  Bischofs  Ra- 
therius  von  Verona  von  964  als  ältestem  und  einem  Briefe  des  russischen 
Kaisers  Paul  I.    an    Papst  Pius  VII.  als  jüngstem  Stück  enthält  das  Heft 
auf  168    Seiten    nicht  weniger    als   25  verschiedene  Materien.     Dass  mög- 
lichste Mannigfaltigkeit  von  den  Herausgebern  geradezu   beabsichtigt  war-, 
erhellt    daraus,    dass    sie    irgend    umfangreichere    Publicationen    lieber  ab- 
brachen (vgl.  S.   32,   46,   59),  um  nur  für  neuen  Stoff  Raum  zu  gewinnen. 
Ueber  den  Nutzen  dieses  Vorgehens    kann    man  ja  verschiedener  Meinung 
sein;  sicher  aber  wäre  sorgfältigere  Durcharbeitung  des  Stoffes  sowohl  in 
formeller  als   sachlicher  Hinsicht  dem  Unternehmen  dringend  zu  wünschen. 
Das  Vaticanische  Archiv  ist    nicht    so  arm    an  wirklich  Neuem,    dass  sich 
(S.   13)  die  Aufnahme    eines    bereits  neunmal    gedruckten  Briefes  Alexan- 
ders IV.  an  den  König  von  Prankreich  (Potthast  Nr.  16978)  rechtfertigte. 
Warum  man  überdies  den  Brief  nicht  wenigstens  aus    dem  Register,  son- 
dern aus  einer  Copie  des    16.  Jahrh.  abdruckte,  ist  ebenso  unergründlich. 
Die  Verweise  auf  die  dem  Druck  zugrunde  gelegten  Quellen  fehlen  mehr- 
fach   ganz    und    sind    wiederholt    unzureichend.     Palmieri    befleissigt    sich 
hierin  grösserer  Gleichmässigkeit,    doch  citirt  er  die    dem  Engelsburg-Ar- 
chiv   entnommenen    Stücke    bald    nach    der    alten,    bald    nach    der    neuen 
Signatur.     Die  kurzen    den  Drucken  vorangehenden  Einleitungen    sind  zu 
knapp  und  zu  allgemein    gehalten.     So  würden  wir  S.   33   in   der  Avver- 
tenza  zu    den    Processen    Gregors  XI.  gegen    die    Florentiner    auf   die  Er- 
wähnung Clemens'  V.,    des  Aufenthaltes    der  Päpste    in  Avignon    und  der 
Verdienste  der  h.  Katharina  von  Siena  gerne  verzichten,    wenn  uns  dafür 
etwas  über    die  Stellung    der   abgedruckten   Stücke    zu  dem    reichen    über 
die  Frage  bereits  bekannten  Material  gesagt  würde.    Palmieri  aber  fertigt 
uns  mit  dem    orakelhaften    Satz  ab:    «II  processo    che  ora  si    pubblica  ci 
da  la  chiave  di  alcuni    avvenimenti    d' allora,    e  ci  da    anche  notizia 
di  fatti  in  parte  finora    sconosciuti  (welche?).    Wie  solche    Einlei- 
tungen in  wenigen  Worten    oft    sachlich    erschöpfend    sein  können,    dafür 
hätte    das    diesem    Unternehmen   ja    vielfach    verwandte    Denifle-Ehrle'sche 
Archiv  für  Litteratur-  und  Kirchengeschichte    des  Mittelalters    ein  Muster 
geboten.  T. 

Derselbe  kritische  Schartblick,  dieselbe  Präcision  und  Klarheit  der 
Darstellung  zeichnen  auch  die  Fortsetzungen  der  Questions  Merovin- 
giennes  V,  VI  von  Julien  Havet  (vgl.  Mittheil.  9,  485)  aus.  Die 
eine,  Les  origines  de  Saint-Denis  (Paris  1890,  Extr.  de  la  Bib- 
liotheque  de  F  ficole  des  chartes  61,  5 — 62)  stellt  aus  der  von  Sage  und 
Erfindung  umrankten  ältesten  Geschichte  von  St.  Denis,  was  wirklich  ge- 


364  Notizen. 

schicbtlich  i.si,  und  die  Ört.lichkeiten  lest;  der  Anhang  bietet  Untersu- 
chungen üljer  die  Zeit  des  Kpiscopats  des  h.  Dionysius,  dessen  angebliche 
Genossen  Eusticus  vxnd  Eleutherius,  die  Passio  s.  martyrum  Dionisii, 
Kustici  et  Eleutherii,  deren  Abfassung  dem  Beginn  des  9.  Jahrb.  -zuge- 
wiesen wird,  und  ihr  Verhältnis  zu  den  Gesta  Dagoberti,  sowie  einen 
mustergiltigen  Abdruck  von  6  Urkunden  der  Merowingerzeit ,  darunter 
4  Königsurkunden  (von  625,  626,  654,  724,  M.  G.  DD.  Merov.  LS,  n" 
10,  11:  19  n^'  19;  82  n"  9'S)  mit  Ergänzung  der  Lücken  und  chrono- 
logischen Berichtigungen.  Ei^wähnt  wird,  dass  von  den  Diplomen  von  626 
und  654  noch  nicht  veröffentlichte  Facsimiles  in  Heliogravüre  vorliegen, 
welche  die  Verwaltung  der  Archives  nationales  anfertigen  Hess,  und  die, 
wol  auch  auf  die  anderen  Originale  ausgedehnt,  berufen  zu  sein  scheinen 
die  Eeproduktionen  von  Letronne  zu  ersetzen.  Auf  das  Gebiet  diploma- 
tischer Kritik  führt  Nr.  VI,  La  donation  d'Etrepagny  (8";  29  p.) 
mit  dem  Nachweis,  dass  die  nur  in  Copie  des  13.  Jahrb.  erhaltene 
und  auch  von  K.  Pertz  (M.  G.  DD.  Merov.  1.39  n»  22)  unter  die  Fäl- 
schungen eingereihte  Urkunde  Dagoberts  L  von  629  Okt.  1,  welche  den 
genannten  Ort  an  St.  Denis  vergabt,  echt  ist.  Dieser  Nachweis  gewinnt 
dadurch  an  Interesse,  dass  an  der  Hand  der  Schreibung  in  Originalen  die 
Entstehung  von  Lesefehlern  und  Verderbnissen  in  Copien  an  einzelnen 
Beispielen  gezeigt  und  damit  auch  der  Weg  zur  Emendation  auf  graphi- 
scher Grundlage  gewiesen  wird.  Zu  diesen  Beispielen  zählen  zwei  Ur- 
kunden für  Malmedy  und  Stablo;  jene  Clilodwigs  III.  von  (;93  mit  Na- 
mucho  recognovi,  das  aus  dem  Ortsnamen  und  der  Apprecation  (Namucho 
feliciter;  Namur)  verderbt  ist  und  Anlass  gab  einen  Namucho  auch  unter 
das  Kanzleipersonal  dieses  Königs  einzureihen  (der  Irrtum  auch  nach 
Stumpf  bei  Bresslau  Urkundenlehre  ],  270),  und  jene  Karl  Martells  (Reg. 
der  Karol.  n''  32),  deren  ursprüngliche  Datiiung  ann.  VI  regnante  Chilperico 
r.  bestimmt  wird.  Der  emendirte  Abdruck  jener  Urkunde  Dagoberts,  die 
in  einem  andern  Diplom  desselben  Königs  (M.  G.  DD.  Merov.  1  (i  n^'  1 4,  besser 
mit  den  Ergänzungen  bei  Havet  p.  25)  ein  Seitenstück  findet,  zeigt  das 
Ungenttgen  der  bisherigen  Ausgaben ;  der  unmögliche  Ausstellort  Sauriciagore 
ist  in  Stirpiniaci>  fei.  zu  bessern ;  zu  kühn  scheint  aber  die  Emendation  von 
vir  illuster   in   Ursinus   optulit. 


H.  lsenl»art  Ueber  den  Verfasser  und  die  Glaubwürdig- 
keit der  Continuatio  Reginonis  (Kieler  Diss.  Kiel  1889)  enthält 
nur  einen  beachtenswerten  Gedanken,  oV)  nicht  eine  Reihe  von  Nach- 
richten im  altern  Theil  des  Continuator  Reginonis,  welche  mit  verschie- 
denen andern  Annalen  mehr  oder  weniger  übereinstimmen,  auf  eine  ge- 
meinsame Quelle  zurückzuführen  sei  (vgl.  auch  NA.  1 5.  330),  aber  gerade 
dieser  Punkt  ist  unvollständig  und  unzulänglich  durchgeführt. 


Eine  Biographie  der  Kaiserin  Adelheid,  Gemahlin  Ottos  I. 
des  Grossen,  vom  Studienlehrer  F.  P.  W i m m e r  enthält  das  Programm 
zum  Jahresber.  über  das  k.  neue  Gymnasium  zu  Regensburg  (Regensburg 
1889).  Der  Arbeit  gebricht  es  fast  ganz  an  Kritik,  auf  die  gleichzeitigen 
Quellen    ist   nur    zum    Theil,    und    noch    weniger    als    die    Citate    glauben 


Notizen.  365 

machen,  zurückgegangen,  wichtige  Werke  namentlich  Jüngern  Datums  blieben 
dem  Verfasser  theils  unbekannt,  theils  unerreichbar:  dem  entspricht  auch 
Werth  und  Ergebnis  des  Buches.  E.  v.  0. 


Das  Werk  von  D'Arbois  de  JubainviUe,  Recherches  sur 
l'origine  de  la  propriete  fonciere  et  des  nomsdeslieux  lia- 
bites  en  France  (periode  celtique  et  periode  romaine),  Paris 
1890.  bietet  in  seinem  grösseren  zweiten  Theil  unter  Beiziehung  des 
urkundlichen  Materials  des  früheren  Mittelalters  eine  Erklärung  der  Ab- 
stammung der  zahlreichen  aus  keltischer  und  römischer  Zeit  erhaltenen 
Ortsnamen  und  auch  in  deren  örtlichen  Bestimmung  ein  vielfach  will- 
kommenes topographisches  Hilfsmittel. 

Auf  eine  kleine  Schrift  von  Georg  Jacob,  Ein  arabischer  Be- 
richterstatter aus  dem  10.  oder  1 1.  Jahrhundert  üb  er  Fulda, 
Schleswig,  Soest,  Paderborn  und  andere  deutsche  Städte 
(Berlin,  Meyer  &  Müller  1S90)  mache  ich  alle  Freunde  der  Culturgeschichte 
um  so  mehr  aufmerksam,  als  der  reiche  Inhalt  der  kurzen  Schrift  nicht  völlig 
im  Titel  angedeutet  ist.  Denn  ausser  jenen  Städten  sind  noch  Utrecht 
(Schilderung  der  Torfljereitung),  Mainz  (nur  ein  Theil  bewohnt,  der  Rest, 
wol  die  römischen  Reste  besät,  arabische  Münzen  und  indische  Uewürze 
dort)  und  Rouen  geschildert.  Ausserdem  bringt  die  Schrift  Schilderungen 
über  riottesurtheile,  Zweikampf,  Feuerprobe,  Wasserprobe  und  über  Irlända, 
das  Land  der  Normannen  (Walfisch-  und  Delphinjagd).  Die  Bruchstücke 
sind  alle  dem  in  das  12.  Jahrhundert  gehörenden  Qazwini  entnommen, 
welcher  ältere  Schriftsteller  auszog,  und  zwar  ist  einer  (Tartüsi)  wol  Mit- 
glied einer  maurischen  (iesandschaft,  welche  Otto  d.  Gr.  973  in  Merse- 
burg empfing.  Bei  Fulda  heisst  es:  «Die  Stadt  wird  nur  von  Mönchen 
bewohnt,  und  kein  Weib  betritt  sie,  weil  ihr  Märtyrer  es  so  angeordnet 
hat.  Der  Name  ihres  Märtyrers  ist  BAG'LB;  er  soll  Bischof  in  Franken 
gewesen  sein.»  Unzweifelhaft  ist  damit  der  zweite  Abt  von  Fulda  Baugulf 
(779_j^02)  gemeint.  Bei  Paderborn  ist  von  einer  Quelle  die  Rede,  die 
anfänglich  wie  Honig  schmeckt,  dann  aber  einen  galligen  Nachgeschmack 
hat.  Wer  Lippspringer  Wasser  gekostet,  weiss,  dass  dieses  gemeint  ist. 
Den  Berg  Sarä,  an  dem  die  Quelle  liegt,  auf  den  Haarstrang  zu  deuten 
ist  unmöglich,  weil  dieses  Gebirge  gerade  in  der  Nähe  von  Paderborn 
völlig  quellen-  und  brunnenlos  ist.  A.  Schulte. 

In  einem  Aufsatz  über  die  Anfänge  des  Klosters  Heeslingen 
(Zeitschr.  des  bist.  Ver.  f.  Niedersachsen,  Hannover  1H90)  bespricht 
Th,  V.  Sickel  eine  im  Staatsarchiv  zu  Hannover  verwahrte  Urkunde  ohne 
Protokoll,  welche  bishei-  von  niemandem  richtig  erklärt,  geschweige  denn  ver- 
werthet  worden  war.  Die  Untersuchung  von  Schrift  und  Dictat  im  Verein 
mit  den  Nachrichten  Thietmars  führt  zu  dem  Ergebnis,  dass  das  interessante 
Schriftstück  gegen  das  Ende  der  Regierung  Otto  I.  in  den  Kreisen  des 
Erzbischofs  Adaldag  angefertigt  worden  ist,  um  der  kaiserlichen  Kanzlei 
als  Entwurf  für  ein  Diplom  unterbreitet  zu  werden;  aber  Adaldags  AV)- 
sicht,  Heeslingen  der  erzbischöflichen  Kirche  unterzuordnen,  stiess  auf 
Widerstan.l    und    erst  i.  J.  98«   erlangte    der    Erzbischof   eine    Heeslingen 


366  Notizen. 

betreffende  Urkunde  Otto  IlL,  in  welcher  seine  Wünsche  genehmigt  wur- 
den; für  dieses  Diplom  hat  der  einst  zurückgewiesene  Entwurf,  wenn 
auch  nicht  direkt,  sondern  durch  Vermittlung  eines  eigenen  Concepts,  als 
Vorlage  gedient.  Indem  Sickel  alle  einschlägigen  Fragen  der  Diplomatik 
ausführlich  darlegt,  gibt  sein  Aufsatz  gerade  dem  Feruerstehenden  ein  deut- 
liches Bild  von  dem  Nutzen  und  der  Notwendigkeit  diplomatischer  Unter- 
suchungen. —  Ebenso  wie  der  genannte  Originalentwurf  hat  auch  ein 
anderes  durch  seinen  Inhalt  beachtenswertes  Diplom,  DO.  III.  234  für 
HalberstH<lt ,  in  die  1 1 .  Lief,  der  Kaiserurkunden  in  Abbildungen  Auf- 
nahme gefunden.  Die  unvoll  stämlige  und  fehlerhaite  Grenzbeschreibung 
dieses  Diploms  bespricht  Sickel   in  der  Zeitschr.  des  Harzvereius   2:i,  351. 

W.  E. 


In  dem  Verzeichnisse  der  K  a  i  s  e  r  u  r  k  u  n  d  e  n  des  germanischen 
Museums  zu  Nürnberg  (Mitth.  aus  dem  Museum  1890  S,  36)  wird 
ein  undatirtes  und  angeblich  unedirtes  Mandat  zu  Gunsten  des  Priorats 
in  Offenbach  nach  dem  Original  abgedi-uckt,  indem  es  dem  Kaiser 
Friedrich  II.  zugeschrieben  und  vermuthungsweise  auf  1227  verlegt  wird. 
Beides  ist  aV»zuweisen.  Der  Aussteller  »F.  dei  gracia  Koni,  rex  semper 
augustus«  (ohne  sicilischen  Titel)  kann  nur  Friedrich  I.  sein  und  als  von 
ihm  aus  der  Zeit  vor  seiner  Kaiserkrönung  herrührend  ist  dies  schon  bei 
Calmet  gedruckte  Stück  auch  richtig  von  St  4. "130  verzeichnet  worden. 
Bei  dieser  Gelegenheit  sei  bemerkt,  dass  Nr.  1  desselben  Verzeichnisses 
Mühlb.  1974  (nicht  lyss)  ist  und  dass  Nr.  26  und  29  nicht  Inedita, 
sondern  in  meinen  Acta  inip.   2,    ir>s,   2  Mi  gedruckt  sind. 

Heidelberg.  E.   W  i  n  k  e  1  m  a  n  n. 

Die  von  M.  Tan  gl  im  Archiv  f.  österr.  Geschichte.  70,  261  dem 
Stiftungsljuch  des  Klosters  Zwettl  gewidmeten  Studien  lösen  in 
glücklicher  Weise  jene  Fragen,  welche  Fräst,  der  Herausgeber  des  liber 
fundationum,  unbeantwortet  gelassen  hatte.  Von  der  sorgfältigen  Beschrei- 
l>ung  der  Handschrift  ist  insbesondere  die  Erklärung  des  bisher  unver- 
ständlichen Sachregisters  sehr  verdienstlich ;  für  die  Feststellung  der  Ent- 
stehungszeit des  Codex  hat  T.  ausser  den  aus  der  Hs.  selbst  gewonnenen 
Momenten  noch  zwei  Einkünfteverzeichnisse  des  Klosters  herangezogen  und 
ist  so  zu  ganz  bestimmten  Ansätzen  gelangt;  die  ^l•t  wie  die  Vorrede 
des  von  Abt  Ebro  angelegten  liber  redituuni  von  dem  Verfasser  tles  liber 
lund.  ausgeschrieben  worden  ist,  wird  von  T.  mit  Recht  als  ein  höchst 
bezeichnendes  Beispiel  mittelalterlicher  Schriftstellerei  hervorgehoben.  Unter 
den  folgenden  Capiteln,  in  denen  Tendenz  und  Anlage  der  Arbeit,  sowie 
«lie  Benützung  annalistischer  und  urkundlicher  Quellen  in  ansprechender 
Weise  dargelegt  werden,  greift  das  letzte  über  den  liahmen  des  Stiftungs- 
buches hinaus  und  zieht  auch  den  reichen  Vorrath  des  Stiftsarchivs  an 
Originalen,  deren  Veröffentlichung  ein  dringendes  Bedürfnis  der  Local- 
geschichte  genannt  werden  muss,  in  den  Bereich  der  Untersuchung.  Die 
Kritik  der  beiden  Diplome  Konrads  III.  (Stumpf  Reg.  3403  und  3 5 3. 5), 
von  welchen  das  erstgenannte  im  Anhang  aus  dem  Original  abgedruckt 
ist,  und   die   Besprechung    der  Papsturkunden    für   Zwettl    gib!    dem    Veif. 


Notizen.  367 

den  Anlass,  wertvolle  Beiträge  zur  Diplomatik  Konrads  III.  und  Innocenz  II. 
einzuschalten.  W.  E. 


Eine  unerwartet  reiche  Ausbeute  bietet  noch  das  wenig  bekannte 
Communalarchiv  von  Savona.  Mehr  als  600  Originalurkunden  sind  in 
2  Bänden  der  »Raccolta«  vereinigt,  die  wichtigeren  derselben  sind  auch 
in  den  »Registri«  copirt.  Nur  einzelne  Stücke  sind  von  Winkelmann, 
Ficker  und  Promis  publicirt.  Als  Vorläufer  einer  grösseren  Arbeit  über 
die  Königsurkunden  im  Archiv  von  Savona  veröffentlichen  Carlo  C  i  p  o  1 1  a 
und  Giovanni  Filippi  in  dem  Aufsatz  Diplomi  inediti  di 
Enrico  VII  e  di  Lodovico  il  Bavaro  (Sep.-abdr,  aus  dem  2.  Bd. 
der  Atti  e  Memorie  della  Societä  storica  Savonese;  Savona  1890;  8",  46  p.) 
8  Diplome  Heinrichs  VII  von  1311  und  1312,  in  deren  erstes  noch  2 
bisher  unbekannte  Urkunden  von  Heinrich  VI  (Tordona  1196  Sept.  2) 
und  Friedrich  II  (Speier  1217  Febr.  26)  inserirt  sind,  und  10  Diplome 
Ludwigs  des  Baiern  (l327 — 133l),  welche  für  die  Geschichte  der  italie- 
nischen Züge  der  beiden  Herrscher  manches  Interesse  bieten. 

W.  Michael  gibt  unter  dem  Titel  Die  Formen  des  unmittel- 
baren Verkehres  zwischen  den  deutschen  Kaisern  und  den 
souveränen  Fürsten  vornehmlich  im  X.,  XI.  und  XII.  Jahrh. 
(Haml)urg  und  Leipzig  I88s)  eine  sehr  fleissige,  recht  verwendbare  Zu- 
sammenstellung der  von  911  — 1250  (ausnahmsweise  einen  Fall  von  1299) 
stattgehabten  Zusammenkünfte  der  genannten  Fürsten  (wozu  auch  der  Papst 
gehört)  und  erörtert  das  dabei  gebrauchte  Ceremoniell,  namentlich  vom 
staatsrechtlichen  Gesichtspunkt  aus.  Ein  zweiter  Theil  bespricht  das 
Briefceremoniell  zwischen  den  gekrönten  Häuptern  bis  1196  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  den  Etiquettenstreit  zwischen  Friedrich  1.  und  Hadrian  IV. 
1  l.'i9.  Der  Versuch  eines  Abrisses  von  der  Brief  lehre  leitet  diesen  Abschnitt 
ein.  —  Derartige  monographische  Behandlung  einer  Reihe  gleichartiger 
Thatsachen  ist  immer  dankenswert  und  anregend,  wenn  auch  manchmal 
ein  Einzelfall  zu  sicher  gedeutet  werden  oder  unter  Berücksichtigung  des 
ganzen  Quelienmateriales  und  der  gesammten  politischen  Verhältnisse  ein 
anderes  Ansehen  bekonuuen  mag.  Die  Erstlingsarbeit  iiilirt  sich  auch 
durch  einen  bescheidenen  ruhigen  Ton  angenehm  ein.  E.  v.  0. 


I 


Der  Aufsatz  von  A.  Nagl,  Ueber  eine  Algorismus- Schrift 
des  Xn.  Jahrhunderts  und  über  die  Verbreitung  der  indisch- 
arabisclien  Rechenkunst  und  Zahlzeichen  im  c hr ist  1.  Abend- 
land e  (Hist.  lit.  Abtheilung  der  Zeitschr.  für  Mathematik  und  Physik  34, 
129 — 146,  161 — 170)  erörtert  die  dem  Salzburger  Computus  von  1143, 
welcher  in  Deutschland  zuerst  arabische  Ziffern  verwendet  (Facsimile  in 
Mon.  graph.  VIII,  16),  vorangestellte  kurze  arithmetische  Lehrschrift  aus 
der  Classe  der  sogenannten  Algorismi  und  ihre  praktische  Anwendung. 
Sie  ist  die  älteste  der  bisher  bekannten  und  noch  viel  unbehilflicher  als 
ein  gleicher  Traktat  aus  dem  Kloster  Salem,  der  etwa  um  ein  halbes 
Jahrhundert  später  entstanden  ist  (die  Handschrift  jetzt  in  Heidelberg,  hg. 
von  Cantor  in  derselben  Zeitschrift  Bd.    lo).    Während  in  Deutschland  die 


S68 


Notizen. 


neue  Eechnungsmethode  dem  praktischen  Leben  fremd  blieb  und  lange  Zeit 
nur  theoretische  Schulwissenschaft  war,  fand  sie  in  dem  ausgebildeten 
Bankwesen  und  dem  grossen  Handelsverkehr  Ober-  und  Mittelitaliens  prak- 
tische Verwertung,  allerdings  nicht  in  ihrer  reinen  Form,  sondern  in  einer 
von  Leonardo  Fibonacci  in  seinem  Liber  abaci  von  1202  gelehrten  Com- 
bination  mit  der  in  Italien  noch  üblichen  antiken  Fingen-echnung.  Es  war 
ein  juristischer  Grund,  der  die  Glaubwürdigkeit  der  Handelsbücher  vor 
Gericht  bedang,  dass,  wie  in  dem  hier  veröffentlichten  Artikel  101  des 
Statuto  dell'Ai-te  di  cambio  in  Florenz  von  1299,  der  Gebrauch  der  ara- 
])ischen  Ziffera  für  die  Verbuchung  (in  libro  vel  quaterno  =  Handelsbuch) 
verboten  wurde,  und  dieses  Verbot  war  nach  Ausweis  der  erhaltenen  Ge- 
schäftsbücher hier  wie  in  Venedig  fast  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrh, 
massgebend.  Dieselbe  Eechtsan schauung  trat  auch  für  Deutschland  in  Kraft., 
ein  Beschluss  des  Frankfurter  Rats  untersagte  1494,  sich  in  den  Rech- 
nungsbüchern der  arabischen  Zittern  zu  bedienen;  auch  in  den  Wiener 
Ratsbüchern  erscheinen  erst  seit  1470,  aber  nur  vereinzelt  im  Context 
und  in  seitlichen  Anmerkungen  arabische  Ziffern,  während  sie  anderweitig, 
wie  auf  Siegeln  und  Bildwerken  und  namentlich  in  den  Kalendern  tles 
i:,.  Jahrh.,   schon  lange  vorher  fast  allgemeine  Verwendung  fanden. 


Auf  Grund  einer  im  Facsimile  beigegelienen  Rechnung  aus  Salzburg 
von  12S4  (jetzt  im  Wiener  Staatsarchiv)  bestimmt  J.  Lampel  in  dem 
Aufsatz  Salzburger  Goldwert  um  1284  (Mittheil,  für  Salzburger 
Landeskunde  :iO.  Bd.),  die  Correctur  eines  Rechnungsfehlers  eingehend 
begi-ündend,  den  damaligen  Wert  der  Salzburger  Goldmark  mit  22  Pfd.  Pf. 
=  ]  I    Mark   Silber. 

Rein hold  Röhricht  Kleine  Studien  zur  Geschichte  der 
Kreuzzüge.  Progr.  des  Humboldts-Gj-mnasiums,  Berlin  1890.  4.  28  S. 
Der  auf  dem  Gebiete  der  Kreuzzugsgeschichte  rühmlich  bekannte  Forscher 
giebt  hier  einige  kleinere  Aufsätze,  deren  erster  »Zur  Vorgeschichte  der 
Kreuzzüge«  den  Zustand  darlegt,  in  dem  sich  Syrien  befand,  als  der 
Ansturm  der  Christen  auf  dasselbe  hereinbrach.  2.  »Die  Kreuzzugsbullen 
der  Päpste«  analysiert  den  homiletischen  Theil  päpstlicher  Schreilien,  die 
AuÖbrderungen  zu  Kreuzzügen  enthalten,  um  daran  die  meist  wieder- 
kehrenden Motive  darzulegen,  mit  denen  die  Pilpste  ihre  Auffordei-ungen 
begi-ündeten.  3.  »  Der  Kreuzzug  Louis  IX.  gegen  Damiette  «  und  ;i  b :  ,  Der 
Kreuzzug  Louis  IX.  gegen  Tunis«  geben  keine  ausführliche  Schilderung, 
sondern  reihen  nur  kurz  regestenartig  alle  Thatsachen  an  einander.  Der 
Werth  dieser  Arbeit  (die  ursprünglich  vom  Grafen  Riant  für  dessen 
Archives  de  T  Orient  latin  in  Aussicht  genommen  war,  dann  aber  liegen 
blieb,  weil  mit  Riauts  Tod  jene  treffliche  Zeitschrift  einging)  beruht  in 
den  mit  gresser  Sorgfalt  gegebenen  Quellennachweisen  und  Literatun'er- 
merken,  da  hier  das  Material  für  eine  eingehende  Darstellung  dieser  beiden 
Unternehmungen   im   wesentlichen   gesammelt  uiul   gesichtet  dargeboten  ist. 

Dresden.  "  •   ^'- 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  111. 

Von 

Th.  V.  Sickel. 

III. 
Die  Feststellung-  des  urkuiidliclieii  Itiiierars. 

Wie  ich  schon  bemerkte,  hat  Kehr  besondere  Mühe  darauf  ver- 
wandt, die  Diplome  Otto  III.  in  die  rechte  zeitliche  Reihenfolge  zu 
brinofen.  Er  hat  sich  zu  solchem  Behufe  nicht  allein  mit  allen  auf 
die  Datirung  bezüglichen  Lehren  der  heutigen  Diplomatik  vertraut 
gemacht,  sondern  hat  es  auch  versucht,  sie  durch  genauere  Formu- 
lirung  und  durch  eine  Ergänzung  fortzubilden.  Er  hat  dann,  so  oft 
ihm  die  Einreihung  eines  Diploms  schwierig  oder  fraglich  erschien, 
von  den  Lehrsätzen  im  allgemeinen  guten  Gebrauch  gemacht.  So  hat 
er  betreffs  zahlreicher  Stücke  Ergebnisse  gewonnen,  welche  ich  als 
durchaus  richtig  und  gesichert  anerkenne  und  in  der  Edition  unter 
Hinweis  auf  Kehrs  Buch  verwerthen  werde.  Aber  vielfach  hat  er  auch 
Entscheidungen  getroffen,  welche  ich  entschieden  verwerfen  muss.  Zu- 
weilen läuft  allerdings  die  Differenz  zwischen  uns  darauf  allein  hinaus, 
dass  ich  von  dem  einen  und  dem  andern  Präcepte  ])essere  Kunde  habe 
als  Kehr.  In  andern  Fällen  dagegen  liegt  der  Grund  viel  tiefer,  bald 
in  der  verschiedenen  Auffassung  und  Schätzung  der  hier  zusammen- 
wirkenden Momente,  bald  in  der  verschiedenen  Behandlung  derselben 
in  bestimmten  Fällen. 

Soll  ich  das  an  einigen  Beispielen  ausführen,  so  beginne  ich  am 
füglichsteu  mit  der  Besprechung- der  Tagesangaben,  von  deren  richtiger 
Auffassung  und  Behandlung  die  Lösung  so  vieler  Fragen  abhängt. 
Zweifelsohne  hat  Kehr,  wenn  er  S.  18^  von  der  Unzuverlässigkeit  der 
Daten  in  den  Copieu  und  selbst  in  den  Originalen  redet,    dabei   auch 

Mitthuiluiifc'fu  XII.  --i 


370 


Si  ekel. 


die  Ht'zeidiuuug  der  Tage  im  8ijine  geiuiht.  Er  lülirt  dann  aueh  ge- 
legentlich (S.  202,  2;}8,  2:U)  u.  a.).  Beispiele  von  unnchtiger  Benennung 
der  Monate  und  der  Monatsabsclmitte,  sowie  von  unrichtiger  Zählung 
oder  Darstellung  der  Zahlen  an.  Dass  er  trotzdem  die  Tagesdaten 
unterschätzt  hat,  offenbart  sich  darin,  dass  er  in  dem  langen  den  üa- 
th-uugen  gewidmeten  Capitel,  obwohl  er  sonst  auf  Erschöpfung  des 
Themas  bedacht  ist,  gleich  mit  der  Berechnung  der  Jahresmerkmale 
beginnt,  ohne  die  Berechnung  der  Tage  zusammenhängend  zu  be- 
sprechen. Und  noch  handgreiflicher  wird  die  Vernachlässigung  dieses 
Punktes  bei  der  Erörterung  einzelner  Fälle,  in  denen  die  Datirung 
Schwierigkeiten  macht,  denn  abgesehen  von  diesbezüglichen  Bemer- 
kungen auf  S.  221  wo  von  Nachtragungen,  und  auf  S.  225  wo  von 
Correcturen  die  Eede  ist,  wird  die  Möglichkeit,  dass  in  der  Tagesangabe 
irgend  ein  Fehler  stecke,  gar  nicht  in  Betracht  gezogen,  sondern  sofort 
diejenige  Lösung  vorgeschlagen,  für  welche  Kehr  entschieden  Vorliebe 
hat,  nämlich  Annahme  zweitheiliger  Datirung. 

Dem  o-eo-enüber  muss  ich  es  nochmals  betonen,  dass  auch  auf  die 
Tagesbezeichnungen  aus  mehr  als  einem  Grunde  kein  Verlass  ist,  und 
dass,  wo  ein  bestimmter  Tag  genannt  wird,  vom  Datator  ein  anderer, 
etwa  der  vorausgehende  oder  der  nachfolgende  gemeint  sein  kann.  Ich 
werde  deshalb  nicht  noch  einmal  alle  denkbaren  Arten  von  Fehlern 
aufzählen,  sondern  nur  einige  mit  Hinblick  auf  die  DD  Otto  IL  und  111. 
besprechen.  Unter  letzteren  bietet  insbesondere  D.  197  für  Freising 
einen  guten  Beleg  dafür,  wie  bei  der  Bezeichnung  der  Tage  nach 
römischem  Kalender  unrichtig  gezählt  worden  ist.  Dass  die  Tagesdaten 
dieser  Urkunde:  XL  kal.  iunii  .  .  .  die  imperialis  cousecrationis  eius 
tertio  nicht  mit  den  Worten  der  Ann.  Quedlinb. :  hie  (der  Papst)  .  .  . 
d.  Ottonem  .  .  .  XIL  cal.  iunii  in  ipsa  ascensionis  Christi  festivütate 
veneranda  ind.  IX.  imperatorem  consecravit  augustum  i)  in  Einklang 
stehen,  ist  schon  oft  bemerkt  worden.  Seit  Böhmer  meinte  man  mit 
der  Erklärung  auszukommen,  dass  die  Krönung  schon  am  Abend  des 
20.  Mai  stattgefunden  haben  werde-').  Aber  dabei  ist  auf  die  mittel- 
alterliche Zeitrechnuug,  und  dass  diese  dem  einen  wie  dem  andern 
Gewährsmanne  geläufig  gewesen  sei,  muss  man  doch  voraussetzen, 
nicht  Rücksicht  genommen.     Den    dies  profestus  ascensionis  hätte  der 


»)  Danach  Thietmar  4,  27,  jedoch  mit  unrichtiger  Kömerzinszahl.  Trotz 
der  Verwechslung  von  Hiramelfohrt  und  Pfingsten  führe  ich  noch  die  Worte  der 
Ann.  Hildesh.  an :  imperator  et  patricius  oonsecratur.  '-')  Mon.  Boica  28,  266 : 

Ditmarus  tarnen  cum  notario  actui  publico  praesente  teöteque  oculato  concilin- 
Ijitur,  ai  dicatur  in  profesto  sive  vigilia  ascensionis  hovis  vespertiiiis  unctioneni 
imperialem  peractam  fuisse. 


Krlilnternngen  zu  den  Diplomen  Otto  lll.  g'^l 

Anuulist  AVL'tlcT  iils  i])sa  t'cstivitiis  U(k1i  als  Xll.  kal.  iuu.  bezeiclmeu 
könüeu.  Will  mau  aber  uur  au  <leu  ALeud  unseres  20.  Mai  uud 
unseres  Mittwoch  trotz  aller  Unwahrscheinlichkeit  einer  feierlichen 
Handlung  nach  Sonnenuntergang  denken,  so  Avar  dieser  schon  zu  XU. 
kal.  iun.  zu  rechnen,  so  dass  der  Freitag  oder  XL  kal.  iun.  von  einem 
mit  dem  damaligen  Computus  vertrauten  und  ihn  richtig  anwenden- 
den Kotare  nicht  dies  consecratiouis  tertius  genannt  werden  konnte. 
Ich  halte  letztere  Angabe  für  die  richtige.  Erklärt  sich  nämlich  der 
ungewöhnliche  Zusatz  am  ehesten  aus  dem  Eindrucke,  welchen  die 
Feier  auf  diesen  Augenzeugen  gemacht  hat,  so  meine  ich  auch,  dass 
er  zwei  Tage  darauf,  denn  das  besagt  doch  dies  tertius,  das  Intervall 
auch  genau  berechnet  hat  ^).  Aber  iu  der  Kückwärtszähhmg  der  Tage 
nach  römischem  Kalender  wird  er  gefehlt  und  XI.  statt  X.  kal.  ge- 
schrieben haben.  Trotz  dieser  Annahme  werde  ich,  insofern  ich  jene 
Angabe  in  die  uns  geläufige  Zählung  zu  übertragen  habe,  D.  197 
nicht  zum  23.,  sondern  zum  22.  Mai  ansetzen,  werde  aber,  sobald  ich 
dieses  Datum  mit  andern  zu  vergleichen  habe,  den  22.  je  nach  Um- 
ständen als  2o.  oder  auch  als  21.  behandeln  -).  Und  dieser  Auffassung 
entsprechend  nehme  ich  gar  keinen  Anstoss  daran,  wenn  iu  einem 
Urkundenpaare  derselbe  Tag  und  danelien  zwei  eine  Tagereise  von 
einander  entfernte  Orte  eiugetrageu  sind. 

Und  das  um  so  weniger,  als  ich  noch  einen  andern  Factor  iu 
die  Kechnung  einzubeziehen  Anlass  habe.  Wer  bürgt  uns  dafür,  dass 
der  Herrscher  ^)  und  die  Kanzlei  oder  besser  gesagt  der  einzelne  gerade 
mit  einer  Urkunde  betraute  Notar  auf  den  vielfachen  Wanderungen 
immer  gleichen  Schritt   gehalten    haben  ^)  ?     Waren    die  Reisen    nicht 


')  Und  zwar  um  so  genauer,  da  eius  tertio  auf  Rasur  steht  und  Verbesse- 
rung des  lugrossators  selbst  ist.  Diese  Correctur  hat  Kehr  ütl  Anni.  4  ganz 
falsch  beurtheilt.  ~)  Für  ebenso  verfehlt  als  die  bisherigen  Erklärungen  jener 
Datirung  halte  ich  die  von  Kehr  191  versuchte.  Er  nimmt  nämlich  mit  Berufung 
auf  Waitz  Verf.  Gesch.  0',  190  eine  Consecration  am  Tage  vor  der  Krönung,  also 
iim  20.  Mai  an.  Nun  scheidet  aber  Waitz  vielmehr  zwischen  Einzug  und  Krönung 
luid"  erwähnt  nur,  dass  nach  Benzo  eventuell  gelegentlich  des  ersten  Besuches 
der  Kirche  eine  vorläußge  Einsegnung  stattgefunden  habe.  Mag  solcher  Brauch 
im  11.  Jahrh.  aufgekommen  sein,  so  liegt  aus  dem  10.  nicht  ein  Zeugniss  vor, 
dass  conaecratio  und  coronatio  getrennte  Handlungen  gewesen  seien,  uud  wird 
damals  der  Akt  zumeist  consecratio  genannt,  so  spricht  auch  das  gegen  derartige 
Scheidung,  sowohl  an  und  für  sich  als  auch  weil  man,  um  den  Hauptakt  zu 
bezeichnen,  sich  doch  kaum  des  Wortes  bedient  haben  wird,  welches  dem  even- 
tuellen Vorakte  zukam.  ^)  In  den  Anfängen  Otto  lll.  gilt  das  gleiche  von 
den  jeweiligen  Regenten.  *)  \g\,  meine  15eitr.  z.  D.  (j,  456  und  Kicker 
Beitr.  2,  141  u.  427. 

24" 


372  Sickel. 

vorbereitet,  so  wird  es  bald  iiu  Befih'derungsinittebi  imd  buld  an  Her- 
bergen für  grJJsseres  Gefolge  gefehlt  haben,  so  dass  Notare  zunächst 
zurückbleiben  mussten.  In  anderen  Fällen  mag  auch  ein  Theil  der 
Kanzlei  vorausgesandt  worden  sein.  Kurz  oft  genug  werden  der  König 
und  das  Kanzleii)ersonal  au  verschiedenen  Orten  geweilt  haben,  ohne 
dass  deshall)  das  Urkundengeschäft  geruht  hat  und  ohne  dass  darauf 
bei  der  Datirung  Kücksicht  genommen  worden  ist.  Für  uns  ist  doch 
das  persönliche  Eingreifen  des  Fürsten,  ausser  wenn  es  in  der  Erzäh- 
lung ausdrücklich  hervorgehoben  wird,  höchstens  wahrnehmbar  an  der 
Vollziehung  des  Handmals.  Diese  konnte,  wie  ja  nach  Ausweis  der 
Originale  sehr  häufig  von  dem  natürlichen  und  regelmässigen  Verlauf 
der  Beurkundung  Umgang  genommen  wurde,  zu  jeder  Zeit  erfolgen 
und  insbesondere  bevor  Ort  und  Tag  der  Vollendung,  etwa  nachdem 
der  König  bereits  weiter  gezogen  war,  eingetragen  wurden.  Freilich 
wird  durch  solche  Vorstellungen  vom  thatsächlichen  Hergange  die 
Genauigkeit  des  Itinerars,  bei  dem  wir  in  erster  Linie  an  den  Herr- 
scher denken,  in  Frage  gestellt,  aber  es  werden  durch  sie  auch  manche 
Schwierigkeiten  beseitigt  i). 

Um  das  an  bestimmten  Beispielen  auszuführen  gTeife  ich  auf  die 
Diplome  Otto  II.  zurück,  an  deren  Behandlung  Kehr  vielfach  Kritik 
geübt  hat.  Ich  hatte  in  Erläuterungen  114  gesagt,  weshalb  ich  be- 
treffs des  DO.  IL  28  Dornburg  und  2.  Juni  auseinander  halte,  habe 
dann  aber  versäumt,  in  der  Edition  lür  die  DD,  0.  IL  29 — 32  die 
Erklärung  zu  bieten,  welche  mir  vorgeschwebt  hat  und  mit  der  dann 
auch  die  von  mir  den  Datirungen  der  DD.  ,')4— 30  gegebene  Deutung 
zusammenhängt.  Ich  hole  das  nach  um  zu  zeigen,  dass  die  an  sich 
richtige  Bemerkung  Kehrs,  dass  Otto  IL,  wenn  er  am  5.  Juni  in 
Magdeburg  weilte,  am  7.  nicht  schon  in  Grone  sein  konnte-),  hier 
nicht  am  Platze  ist.  Ich  lese  aus  DD.  29 — 32  keineswegs  heraus,  dass 
der  Kaiser  seinen  Aufenthalt  in  Magdeburg  bis  zum  5.  Juni  ausgedehnt 
habe,  sondern  betrachte  diese  Stücke  als  von  den  Magdeburger  No- 
tareu WD.  und  LH.  nach  seinem  Aufbruche  angefertigt  und  datirt. 
WB.,  welcher  damals  die  Hauptarbeit  in  der  Kanzlei  verrichtete,  scheint 
sieh  meist  in  der  Umgebung  Otto  IL   befunden    zu    haben.     Dagegen 


')  Kehr  selbst  möchte  h?.  233  Aiim.  2,  da  ihm  das  Verhilltniss  zwischen 
DO.  1.  65  und  CG  bedenklich  erscheint,  die  Datirung  des  ersteren  rriiccpts  dahin 
deuten,  dass  die  Beurkundnu«?  sich  um  einige  Tage  verzögert  und  erst  nach  dem 
Aufbruche  des  Königs  von  Allstedt  stattgefunden  hal)e.  Er  gibt  soweit  die 
Möglichkeit  solchen  Vorganges  /.u,  hat  sie  dann  aber  in  den  Fällen,  welche  ich 
gleich  besprechen  werde,  ganz  ausser  Aclit  gelassen.  -)  Sie  war  ja  schon  von 
Ficker  2,  27f;  gemacht   worden,  auf  den  ich  in   Kvläuf.  120  verwies. 


Erläutern ngon  zu  dcji  Diplomen  Utto  lü.  373 

liabeu  jene  zwei  Notare  (Erläut.  87)  in  der  Regel  nur  für  Magdeburg 
und  nur  in  dessen  Nähe  Präcepte  geliefert.  Mag  WD.  sich  ebenfalls 
zu  Ende  Juni  nach  Worms  begeben  haben  i),  so  kann  er  füglich  später 
als  Otto  von  Magdeburg  aufgebrochen  sein.  Verliess  letzterer  aber 
bereits  am  3.  Juni  Magdeburg,  so  steht  nichts  dem  im  Wege,  dass  er 
am  7.  Juni  in  Grone  (D.  35'"^)  war  und  zuvor  in  Werla  D.  34  anzu- 
fertigen befohlen  hatte,  welches  ebenfalls  am  7.  Juni  in  Grone  vollendet 
wurde.  Ich  habe  noch  andere  Gründe  au  meiner  Deutung  der  Datiruug 
von  D.  3.5  a  festzuhalten  -).  Grone  lag  der  Gerberga,  welche  wohl  von 
der  Eonte  des  Kaisers  Kunde  hatte,  näher  als  Werla.  Uud  begrüsste 
sie  zuerst  dort  und  am  7.  Juni  Otto  IL  als  Alleinherrscher,  so  kann 
die  Erinnerung  daran  am  ehesten  Anlass  gegeben  haben,  beide  An- 
gaben noch  nach  Jahren  in  DD.  35^  und  36  zu  wiederholen. 

Das  sind  freilich  nur  Vermuthuugen  und  ebenso  ist  und  l)leil)t 
es  Vermuthung,  was  ich  zuvor  über  DD.  0.  IL  29—32  sagte,  dass 
Orts-  und  Zeitangaben  nur  vom  Standpunkte  des  datirendeu  Notars 
aus  coincidireu,  aber  nicht  insofern  es  sich  um  den  Aussteller  han- 
delt ^),  und  wenn  ich  noch  in  andern  Fällen  die  durch  das  Tagesdatum 
gebotene  Zeitbestimmung  als  mehr  oder  minder  dehnbar  betrachte^). 
Und  steht  Vermuthung  gegen  Vermuthung,  so  hat  diejenige  die  bessere 
Aussicht  auf  Zustimmung,  welche  am  meisten  auf  alle  jeweilig  walten- 
den Umstände  und  Verhältnisse  Rücksicht  nimmt.  Hat  es  nun  Kehr 
meines  Ermessens  an  solcher  Umsicht  in  einzelnen  Fällen  iehlen  lassen 


')  In  D.  43  aus  Worni.s  erl)licken  wir  sein  Dictat.  Jedoch  für  dieses  mit 
Zustimmung  des  Erzbischofs  Adalbert  den  Mönchen  von  Weisscnburg  ausgestellte 
Wahlprivilegium  kiinnte  WD.  das  Concept  von  Magdebiu-g  eingesandt  haben.  — 
D.  58  aus  Frankfurt  kann  nicht  mit  gleicher  Sicherheit  WD.  beigelegt  werden.  — 
Erst  in  D.  04  aus  Allstedt  stossen  wir  wieder  auf  WD.  und  LH.  Vgl.  femer 
DD.  91—93,  112,  114,  115  —  sämmtlich    aus   sächsischen   Pfalzen.  -)  Kehr 

erklärt  die  Datirung  von  D.  34  für  einheitlich,  dagegen  die  von  35"  für  zwei- 
theilig und  zwar  will  er  die  Tagesangabe  auf  die  Handlung,  die  Ortsangabe  aber 
auf  die  Beurkundung  beziehen,  ein  Verfahren,  welches  er  jedoch  selbst  als  ganz 
ungewöhnlich  bezeichnen  muss.  Weil  ich  letzterem  beipflichte,  gehe  ich  noch 
einmal  näher   auf  den  Fall  ein.  ^)  Vermuthungen  der  Art  in  dem  mit  dem 

Regest  verbundenen  Datum  am  Kopfe  der  Urkunden  Ausdruck  zu  geben,  halte 
ich  nicht  für  räthlich;  vgl.  Erläuterungen  125.  *)  Ich  will  ausdrücklich  sagen, 
dass  anch  dieser  Licenz  Schranken  gezogen  sind.  Hat  z.  B.  HB.  in  D.  114  nach- 
getragen non.  febr.,  so  werde  ich  da  am  5.  Februar  nicht  rütteln :  einmal  nicht, 
weil  das  Datum  nachgetragen  ist  und  dann  nicht,  weil  bei  Bezeichnung  eines 
Tages  blos  nach  einem  der  Monatsabschnitte  ein  Rechenfehler  ausgeschlossen 
ist.  Dagegen  haftet  anomalen  Bezeichnungen  wie  1.  kal.  mart.  in  DO.  I.  56 
oder  1.  kal.  mai.  in  DO.  III.  165  die  Zweideutigkeit  an,  so  dass  wir  freie  Wahl 
zwischen  28.  Februar  oder  1.  März  u.  s.  w.  haben. 


374  '^^'^^"^• 

und  insbesondere  an  der  Veranschlagung  der  ünxnverlässigkeit  der 
Tagesdaten,  so  verkenne  ich  docli  nicht,  dass  er  in  andern  Fällen  die 
relativ  beste  Lösung  vorgeschlagen,  ja  bezüglich  einiger  Urkunden  der 
zwei  ersten  Ottonen  mich  eines  bessern  belehrt  hat.  Und  so  halte 
ich  eine  weitere  Verständigung  zwischen  uns,  insoweit  es  sich  um  die 
Anwendung  von  Regeln  auf  bestinuute  Diplome  handelt,  für  nicht 
auso-eschlossen.  Anders  steht  es  mit  einem  von  Kehr  neu  aufgestellten 
Lehrsatze,  Avelchen  ich  ganz  entschieden  verwerfe. 

Nach  Kehr  227—231  soll  es  häufiger   denn    früher,    wenn    auch 
nur  seitens  der  von  Hildibald  geleiteten  Kanzlei,  beliebt  Avorden  sein, 
die  Ortsangabe  allein  nachzutragen,  und  dieser  Vorgang  soll  eine  an- 
dere Bedeutung  als  zuvor  erhalten  haben,    nämlich    die,    dass  sich  die 
Zeitangaben    auf    irgend    ein    früheres  Stadium   der  Beurkundung,    die 
Ortsangabe  dagegen  auf  deren  letztes  Stadium  beziehen  sollten.    Ist  er 
auf   thesen  Gedanken  offenbar  durch  D.  7 '^  gebracht  worden,    welches 
von    HB.    geschrieben,    mit    actum    abbricht,    jedoch    nicht    vollzogen, 
sondern  durch  D.  7''  ersetzt  worden  ist,    so    führt   er   noch  zwei  ihm 
gleich  erscheinende  Belege  für  beabsichtigte  aber    dann    unterbliebene 
Sachtragung  an,  ferner  einen  Beleg  für  wirklich  erfolgte  Nachtragimg 
und  endlich  einen  Beleg  für  Abänderimg  des  Ortsnamens,  welche  füg- 
lich   auf   gleiche  Linie  mit  den  Nachtragungen    gesetzt  werden    kann. 
Sind  das  der  Fälle    nicht  viele,    so    hat    der  Umstand,    dass    zwei    der 
betreffenden  Diplome  sich  nicht  leicht  in  das  Itinerar  einfügen  lassen. 
Kehr  in  der  Annahme    bestärkt,    dass    die  Kanzlei   eine  Zeit  lang  ein 
derartiges  Verfahren    zuweilen    befolgt    und    so    einigen  Diplomen  ein 
besonderes,  von  uns  wohl  zu  beachtendes  Gepräge  gegeben  habe.    Und 
so  stellt  er  schliesslich  die  These  auf,    dass  sich  aus  der  Nachtraguug 
der  Ortsangabe  allein  mit  Sicherheit  nichteinheitliche  Datinmg  ergebe. 
Knüpft  Kehr    an    analog    erscheinende  Fälle  unter  Otto  IL  an  i), 
so  lässt  er  da  nur  den  Zufall  walten.    Unter  Otto  IIL  dagegen  nimmt 
er  einen  wenn  auch  nur  vorübergehenden  Brauch  an,    der   allerdings, 
falls  er  sich  erweisen  lässt,    um  so  bedeutsamer  erscheinen  würde,  als 
er  von  denselben  Notaren  Hildibalds,    welche    durch   viele  Jahre  hin- 
durch nicht   auf   ihn  verfallen  waren,    aufgebracht  worden  wäre.     Als 
bewQsste  Neuerung    müsste    er   einen  Zweck    gehabt   haben,    wie    ihn 
Kehr  auch  voraussetzt.     Dem  gegenüber   vermag    ich    doch    die  Frage 


1)  DD.  0.  II.  52,  145.  204,  255.  Die  zwei  letzten  gehören  schon  der  Kanzlei- 
periode Hildibalds  an.  Dass  ich  nicht  alle  vier  Fälle  in  den  Erläuterungen  107 
angeführt  habe,  hatte  seinen  einfachen  Grund  darin,  dass  ich  dort  von  den  Aus- 
fertigungen des  WD.  sprach. 


Erlänternngen  zn  den  Diplomen  Otto  III.  375 

nicbt  zu  uiiterdrückeii,  wem  mit  solchem  Auseüiauderlialteu  der  Phasen 
der  Benrkimdnnfj  o-edient  worden  sein  soll.  Ein  Interesse  der  Kanzlei 
kann  Jiieines  Ermessens  nicht  im  Spiele  gewesen  sein.  Die  Kanzlei- 
notare des  10.  Jahrhunderts  haben,  soviel  wir  wissen,  auf  Fräcision 
iji  der  Datirung  sehr  geringen  Werth  gelegt.  Unter  Umständen  ha})en 
sie  sich  allerdings  zu  solcher  bequemt,  nämlich  auf  Wunsch  der  Em- 
pfänger der  Urkunden.  Ks  konnte  im  Interesse  dieser  liegen  und  des- 
halb von  ihnen  erbeten  werden,  dass,  wenn  sich  die  Beurkundung 
verz()gert  hatte,  das  mehr  oder  minder  zurückreichende  Handlungs- 
datum eingetragen,  ja  selbst  eine  Zurückdatirung  (vgl.  Kehr  251)  be- 
willigt werde.  Aber  was  es  ihnen  frommen  sollte,  die  einzelnen  Akte 
der  Beurkundung  als  auseinanderfallend  ersichtlich  gemacht  zu  sehen, 
ist  mir  unerfindlich^).  Kann  ich  somit  eine  Absicht  nicht  gelten  lassen, 
so  Avürde  auch  der  vermeintliche  Brauch  zu  einer  ganz  gewöhnlichen 
Erscheinung  zusammenschrumpfen.  Im  einzelnen  Falle  konnte  es,  wie 
wir  gleich  sehen  werden,  einen  triftigen  Grund  haben,  dass  der  Kaum 
für  die  Ortsangabe  frei  gelassen  wurde.  Und  zu  jeder  Zeit  konnte 
von  ungefähr  die  sofortige  Eintragung  des  Ortsnamens  unterbleiben. 
Dass  auch  solche  Vorgänge  absichts-  und  gedankenlos  Nachahmung 
fanden,  sich  also  einige  Male  wiederholten,  steht  erfahrungsmässig  fest. 
AV^ir  thuu  gut  solche  Erscheinungen  zu  constatiren,  müssen  aber  vor- 
sichtig erwägen,  ob  ihnen  Bedeutung  zukommt  oder  nicht. 

Bevor  ich  zur  Prüfung  des  Thatbestandes,  auf  welche  es  vor  allem 
ankommt,  übergehe,  muss  ich  noch  eine  Vorbemerkung  einschalten. 
Mit  gutem  Grunde  redet  Kehr  von  Nachtragungen  der  Ortsangabe 
allein,  zum  Unterschiede  nämlich  der  gleichzeitigen  Nachtragungen  der 
Tages-  und  der  Ortsangaben.  Doch  diese  Scheidung  genügt  noch 
nicht  2).  Indem  in  der  Regel  auf  den  Ortsnamen  die  Apprecatiou 
folgt,  ergeben  sich  für  die  ursprüngliche  Auslassung  und  eventuelle 
Nachtragung  zwei  Modalitäten  ^) :    es    kann    der   ganze  mit  actum  an- 


1)  So  auch  Ficker  2,  26b",  nachdem  er  zuvor  Nachtragimg  des  Ortsnamens 
als  selten  bezeichnet  hat.  —  Dazu  noch  eine  weitere  Betrachtung.  Mit  der  Orts- 
angabe für  sich  wird  doch  kein  Zeitpunkt  bestimmt,  also  auch  kein  von  dem 
Zeitpunkt  der  Zeitangaben  verschiedener.  Ob  actum  und  datum  coincidiren  oder 
nicht,  vermögen  wir  wohl  festzustellen,  wenn  wir  an  der  Hand  des  Itinerai's  mit 
der  Vorstellung  vom  Orte  auch  eine  Vorstellung  von  der  diesem  entsprechenden 
Zeit  zu  verbinden  in  die  Lage  kommen.  In  der  Vergangenheit  dagegen  konnte 
zwar  der  Zuschauer  der  Beurkundung  das  etwaige  Intervall  zwischen  den  Phasen 
wuhrnehmen,  seine  Wahmchraung  etwa  in  der  Erinneriuig  festhalten  und  auch 
andern  mittheilen,  aber  es  aus  einem  Diplome  herauszulesen  war  niemand  im 
Stande.  -')  Vgl.  Ficker  Beitr.  2,  2U4.  ^)  Davon  ob  auch  actum  nachgetragen 
ist  oder  nicht,  sehe  ich  ab. 


376  Sii-kel. 

hebende  zweite  Tlieil  der  Datiruug  fehlen  oder  es  kann  der  Ortsname 
allein  fehlen,  die  Apprecation  aber  eingetragen  worden  sein.  Die  Fälle 
der  letzteren  Art  fallen  schwerer  ins  Gewicht,  insofern  sie  die  sonst 
nahe  liegende  Annahme  zufälliger  Unterbrechung  des  Schreibgeöchäfts 
so  gut  wie  ausschliesseu.  Ich  führe  deshalb  von  Fall  zu  Fall  auch 
diesen  Nebeuumstand  an. 

Die  Angaben  Kehrs  über  D.  7  ^  sind  erschöpfend  und  in  allen 
Punkten  genau.  Er  erklärt  auch  (S.  37)  richtig,  was  Anlas«  gegeben 
hat,  dieses  Stück  nicht  zu  vollziehen  und  durch  D.  7 ''  zu  ersetzen. 
Beide  Ausfertigungen  handeln  von  der  Schenkung  ein  und  desselben 
Gutes  an  des  Königs  Tante  Mathilde,  einer  Schenkung,  die  so  gut  wie 
beschlossen  gewesen  sein  niuss,  als  HB.  D.  7  ^  mundirte  und  mit  be- 
stimmtem Datum  (28.  Jänner  985)  versah.  Es  war  lediglich  die  Moti- 
virung  der  Schenkung  in  D.  7'\  um  derentwillen  dieses  nicht  voll- 
zogen und  vollendet  wurde.  Es  standen  sich  nämlich  zwei  Rechts- 
anschauungen und  zwei  Parteien  bei  Hofe  gegenüber,  zwischen  denen 
diejenigen  zu  entscheiden  hatten,  welche  anstatt  des  unmündigen 
Königs  das  Regiment  führten  und  diesem  etwa  die  Reinschrift  behufs 
eigenhändiger  Vollziehung  des  Handmals  zu  unterbreiten  hatten.  Im 
Sinne  und  nach  der  Weisung  der  einen  Partei  hatte  HB.  die  Urkunde 
verfasst  und  bis  zum  Worte  actum  geschrieben.  Weshalb  er  der  Ge- 
uehuiigung  noch  nicht  sicher  doch  den  Tag  bereits  eingeschrieben 
hatte,  während  er  sich  noch  der  Ortsangabe  enthielt,  lässt  sich  nur 
vermuthen.  Es  liegt  wohl  einer  der  bereits  von  Ficker  2,  267  ins 
Auge  gefassten  Fälle  vor,  dass  ein  Diplom  von  vornherein  zur  Ueber- 
gabe  an  einem  gewissen  Tage  bestimmt  war,  während  man  noch  nicht 
wusste,  wo  sich  der  Hof  dann  befinden  werde :  in  diesem  Falle  mochte 
der  Gedenktag  des  grossen  Karl  zur  Uebergabe  solcher  Schenkung 
geeignet  erscheinen  und  deshalb  im  voraus  gewählt  worden  sein.  Sage 
ich  im  voraus,  so  dehne  ich  das  auch  dahin  aus,  dass  die  Reinschrift 
bereits  Tage  vor  dem  28.  Januar  angefertigt  worden  sein  mag  i). 
Doch  D.  7  ^  wurde,  wie  gesagt,  verworfen  und  statt  desselben  1).  7 '' 
angefertigt  und  vollzogen,  wobei  die  Absicht  vom  Karlstage  zu  datiren 
nicht  mehr  festgehalten,  sondern  der  vorherrschenden  Gepflogenheit 
gemäss  der  5.  Februar  als  Tag  und  Mühlhausen  als  Ort  der  Beurkun- 
dung eingetragen  wurden.    Schon  das  spricht  wider  die  Annahme,  dass 


')  Ich  betone  nur  deshalb  diese  Abiglithkeit,  weil  Kelir  am  meisttua  dahin 
neigt  den  Tag  auf  die  Reinschrift  zu  beziehen.  Sollte  dies  doch  dem  wirklichen 
Vorgange  entsprechen,  ao  könnte  am  ehesten  die  von  Kehr  zurückgewiesene  An- 
nahme aufrecht  erhalten  werden,  dass  HB.  seine  Arbeit  unterbrochen  hätte,  weil 
er  von  der  Nichtgenehmigung  dieses  Dictats  verständigt  wurde. 


Erläutenmgeu  zu  den  Diplomen  Otto  lll.  H77 

mau  soiiderlicheu  Wertli  auf  Scheidung  einzeluer  Pliaseu  gelegt  habe. 
Aber  bleiben  wir  betreft's  dessen,  was  man  sich  bei  der  Behandlung 
der  Details  gedacht  hat,  auf  Vermuthuugen  angewiesen,  so  genügt  eine 
nahe  liegende  Hypothese,  um  darzuthun,  dass  gerade  dieser  Fall  nicht 
für  die  These  Kehrs  angeführt  werden  darf.  Denken  wir  uns,  dass 
D.  7  ^  nicht  beanstandet,  sondern  auch  an  dem  in  Aussicht  genomme- 
nen Festtage  ganz  vollzogen  worden,  also  auch  der  Ortsname  nach- 
getragen worden  wäre,  so  würde  sich  einheitliche  Datiruug  ergeben, 
selbst  in  dem  Falle,  dass  HB.  die  Keinschrift  schon  Tags  zuvor  an- 
o-efei-tigt  und  für  den  Festtag  in  Bereitschaft  gehalten  hätte. 

Von  den  weiter  als  Belegen  angeführten  Urkunden  will  ich 
zuerst  die  nur  aus  Copieu  liekannten  DD.  230,  233  besprechen:  in 
beiden  wird  uns  die  Apprecation  geboten,  es  fehlen  aber  actum  und 
Ortsangabe.  Augenommen,  dass  bereits  die  Originale  diese  Lücken 
aufo-ewiesen  haben,  so  würden  sie  uns  nur  was  wir  ohnedies  wissen, 
bezeugen,  dass  die  Notare  nicht  immer  wissen  konnten,  an  welchem 
Orte  das  Beurkundungsgeschäft  zum  Abschluss  kommen  werde,  dass 
sie  später  die  Nachtragung  vergassen  und  dass  die  Parteien  an  solchem 
Defect  in  den  Diplomen  nicht  Anstoss  nahmen.  Und  weil  die  Datirung 
solcher  Stücke  unvollständig  geblieben  ist,  kann  von  nichteinheitlicher 
Datirung  in  dem  Sinne  Kehrs  gar  nicht  die  Kede  sein.  Doch  wir 
haben  es  nur  mit  abschriftlichen  Urkunden  wie  bei  DO.  IL  255  zu 
thun  und  müssen  in  der  Verwerthung  derselben  vorsichtig  sein.  Be- 
sonders gilt  das  von  D.  230,  zu  welchem  Foltz  seiner  Zeit  bemerkte: 
lückenhaft,  wahrscheinlich  beschädigtes  Original  i). 

Auch  Kehr  hat,  das  muss  ich  zu  seiner  Entschuldigung  sagen,  sich 
auf  diese  nur  in  Copieu  vorliegenden  Stücke  nur  nebenbei  berufen  und 
hat  sich  vorzüglich  auf  die  Originale  von  DD.  221)  und  253  gestützt 
oder  vielmehr  auf  die  Beschreibungen  dersel})eu  von  Foltz.  Dass  ich  diese 
gerade  in  dem  für  Kehr  wichtigen  Punkte  als  unrichtig  bezeichnen  muss, 
gibt  mir  Anlass  weiter  auszuführen  was  ich  S.  215  bereits  angedeutet  habe. 

In  der  von  mir  im  J.  1876  veröffentlichten  Instruktion  für  die 
Diplomata- Abtheilung '^)  habe  ich  nur  wiederholt,  was  ich  meinen 
Schülern  seit  lange  eingeschärft  hatte,  u.  a.,  dass  sie  auf  Schreibfehler, 
Rasuren,  Correctureu,  Nachträge  u.  s.  w.  wohl  achten  sollten.  Daran 
war  also  auch  Foltz  bereits  gewöhnt,  als  er  für  die  Abtheihmg  zu 
arbeiten   begann.     Als   dann  1877  der  I.  Band  von  Fickers  Beiträgen 

•)  tJeuauer  würde  zu  sagen  sein :  wahrschoinlicli  unten  beschädigtes  Ori- 
ginal. Der  Schluss  des  Contextes  weist  nämlich  zwei  kleinere  Lücken  auf. 
Darauf  kann  auch  die  Auslassung  der  Recoguition  in  der  Copie  von  D.  230, 
sowie  das  Fehlen  der  Corroboration  in  D.  233  hinauslaufen.       -')  Neues  Archiv  1,  477. 


378  Sickel. 

ersehipii  imd  ims  helelirte,  wie  mancherlei  FolcfuruDpjen  sich  aus  der 
BpscliaH'ciilieit  der  Originale  /,ielien  lasHeii,  wandte  Foltz  allen  Besouder- 
lieiten  der  Urkunden  noch  grössere  AufmerkvSamkeit  au.  Nur  iu  wenigen 
Fällen  hat  wiederholte  Priif'nnj;  erffehen.  dass  seinem  scharfen  und  jj^f- 
übten  Auge  etwas  entgangen  ist.  Mau  kann  aber  sagen,  dass  er  zuweilen 
in  unsicheren  Vernmthungen  zu  weit  gegangen  ist,  was  er  aber  dadurch 
wieder  gut  machte,  dass  er  auch  alles  was  für  und  wider  sprach,  zu 
Papier  brachte.  Er  selbst,  als  er  sich  an  der  Herstellung  der  Texte 
der  Diplome  Konrads  und  Heinrichs  betheiligte,  machte  von  seinen 
Aufzeichnungen,  soweit  es  sich  nur  um  Vermuthungen  handelte,  sehr 
vorsichtigen  Gebrauch  und  drang  wiederholt  auf  nochmalige  Prüfung, 
zumal  da  auch  er  die  Erfahrung  machte,  dass  sich  erst  bei  zusammen- 
fassender Arbeit  ermessen  lässt,  was  von  Bedeutung  oder  ohne  Be- 
deutung ist  und  in  welchem  Grade  eine  Erscheinung  Beachtung 
verdient.  Ergibt  sich  z.  B.  aus  einer  Reihe  von  Diplomen  ein  natur- 
gemässes  und  durchaus  gesichertes  Itinerar,  so  darf  man  eine  unter 
allerlei  Vorbehalt  gemachte  Bemerkung,  dass  eine  Zahl  vielleicht  corri- 
girt  sein  könnte,  wohl  auf  sich  beruhen  lassen,  während  sie  ver- 
■Vverthet  werden  darf  und  nach  Umständen  verwerthet  werden  mnss, 
wenn  sich  dadurch  allein  eine  Schwierigkeit  beheben  lässt.  In  den 
letzteren  Fällen  habe  ich  es  geradezu  für  meine  Pflicht  gehalten,  wenn 
es  irgend  möglich  war,  eine  Nachprüfung  zu  veranstalten  und  habe 
zumeist  die  Genugthuung  geliabt,  in  den  betreffenden  Fällen  zu  einem 
sichern  Ergebnisse  zu  kommen.  Habe  ich  mich  nun  nie  gescheut, 
einen  ersten  Ausspruch  von  mir,  wenn  ich  ihn  nach  neuer  Unter- 
suchung nicht  haltbar  fand,  ausdrücklich  zurückzunehmen,  so  trete  ich 
den  Verdiensten  des  seligen  Foltz  nicht  zu  nahe,  wenn  ich  auch  heute 
wieder  die  eine  und  andere  Angabe  von  ihm  und  so  auch  die  über 
die  hier  in  Rede  stehenden  Stücke  für  unrichtig  erkläre,  nachdem  ich 
im  vorigen  Jahre  die  Originale  nochmals  auf  das  genaueste  geprüft  habe. 
Mit  D.  229  und  dessen  Bearbeitung  für  die  Abtheilung  verhält 
es  sich  folgendermassen.  Zur  ersten  der  Abtheilung  gelieferten  Ab- 
schrift war  gar  nichts  über  den  Ortsnamen  bemerkt.  Als  Foltz  die- 
selbe revidirte,  bemerkte  er  u.  a.,  dass  das  EschatokoU  vor  dem  Con- 
texte  und  dass  die  Datirungszeile  in  einem  Zuge  geschrieben  worden 
war.  Jedoch,  so  fügte  er  hinzu,  et  in  actum  und  Ingil  zum  Theil 
auf  Stellen,  wo  die  Tinte  der  früheren  Schrift  verwischt  ist;  stand 
etwa  argen(tina)  da')V  Nach  meinem  Befunde  dagegen  ist  auch  in 
diesem  Theile    der   entschieden    ohne  Absatz  geschriebenen  Datiruugs- 

'J  Mau  vergleiche  damit  Kelir  2'2\). 


Erlänternngen  zu  den  DiploraPn  Otto  III.  379 

Zeile  kein  üuterscliied  /wischen  ursprünglicher  und  späterer  Schrifi  zu 
machen,  sondern  es  ist  lediglich  die  in  einzelnen  Buchstaben  stärker 
anfgetrageue  Tinte  hei  voreiliger  Faltung  verwischt  worden  ^).  Aller- 
dings macht  nun  das  von  HF.  gleichzeitig  eingetragene  datum  und 
actum  Schwierigkeiten.  Eiuen  Vorschlag  sii^  zu  hehehen  mache  icli 
lieher  in  anderem  Zusammenhange.  Hier  genügt  es  zu  sagen,  dass 
Kehr  durch  Foltz  irre  geführt  worden  ist  und  dass  er,  eines  besseren 
belehrt,  zweifelsohne  darauf  verzichten  wird,  sich  zu  Gunsten  seiner 
These  auf  dieses  Diplom  zu  berufen. 

Ich  wiederhole  nicht  was  Foltz  zu  D.  25o  bemerkt  hat,  sondern 
biete  gleich  das  Ergebniss  meiner  Untersuchung.  In  dem  ganzen 
Stücke  erscheint  die  Tinte  jetzt  bald  dunkler  und  bald  lichter.  So 
sticht  auch  der  letzte  Buchstabe  von  actu(m)  und  stechen  die  Worte 
Türe  feliciter  amen  als  dunkler  von  den  vorausgehenden  ab,  jedoch 
nur  in  Folge  davon,  dass  der  Schreiber,  da  ihm  die  Tinte  ausgegangen 
war,  mitten  im  Worte  actum  die  Feder  wieder  in  das  Tinteufass  ein- 
tauchen musste  ^).  p]rscheint  somit  D.  25o  als  in  einem  Zuge  mundirt, 
so  verräth  es  für  sich  betrachtet  in  keiner  Weise  nichteinheitliche 
Datirung,  welche  allerdings,  sobald  wir  die  Urkunden  in  Keih  und 
Glied  stellen,  angenommen  werden  muss  ^).  Den  Hergang  denke  ich 
mir  folgendermassen :  Die  betreffende  Schenkung  wird  am  2.  September, 
als  der  Kaiser  sich  von  der  Elbe  an  den  Rhein  begab,  erfolgt  sein, 
und  diesen  Tag  wird  sich  die  Kauzlei,  als  sie  den  Beurkundungsbefehl 
erhielt,  vermerkt  haben.  In  Thorr  wird  sie  einen  Rasttag  benutzt 
haben,  die  Ausfertigung  herzustellen,  in  welche  sie  den  Tag  der  Schen- 
kung und  dazu  den  augenblicklichen  Aufenthaltsort  eintrug.  So  be- 
stätigt dieser  Fall  von  neuem,  dass  es  den  Notaren  weder  auf  die 
Uebereinstimmung  der  beiden  Angaben  ankam,  noch  darauf,  die  Nicht- 
coincidirung  ersichtlich  zu  machen.  Weise  ich  also  die  Auffassung 
von  Kehr,  dass  die  Kanzlei  mit  Ueberlegung  und  Berechnung  vor- 
gegangen sei,  überhaupt  zurück,  so  habe  ich  noch  mehr  zu  betonen, 
dass  er  seine  These  auf  unsicherem  Fundamente  aufgebaut  hat.  Nicht 
einer  der  von  ihm  für  erfolgte  Nachtragung  oder  Correctur  augeführten 
Belege  hält  Stich.  Dass  noch  andere  aus  der  Zeit  Otto  III.,  dessen 
Diplome  Kehr  an  der  Hand  unseres  Materials  so  fleissig  durchgearbeitet 
hat,  beigebracht  werden  könnten,  bezweifle  ich.     Dann  wird  auch  für 


')  Welchen  Sinn  hätte  denn  auch  die  Corrertiu-  an  actum  y  '■')  Hat  Kehr 
unterlassen  wegen  dieses  Stückes  in  Hannover  anzufragen,  so  ist  er  in  andern 
Fällen  vorsichtiger  gewesen  und  so  auch  bei  dem  nächstfolgenden  Diplom,  da 
er  hier  die  Angaben  von  Foltz  und  die  von  Ficker  und  Philippi  nicht  in  Ein- 
klang fand.  •')  Vgl.  Erläuterungen  zu  den  DD.  0.  II.  S.  106. 


ßSO  8  i  ekel. 

diese  Eegienmgsperiode  gelten  bleiben  wus  Ficker  über  die  vSelteuheit 
und  ße<leutungslosigkeit  dieser  Art  von  Naclitragung  gesagt  hat. 

Ich  gehe  zu  Betrachtungen  anderer  Art  über,  welche  Kehr  um 
Itinerarfragen  zu  entscheiden  angestellt  und  wiederholt  als  den  Aus- 
schlag gebend  verwerthet  hat.  —  Seitdem  man  Königsurkunden  in 
Kegesten  verzeichnet  hat,  hat  man  allerdings  auch  auf"  das  Verhältniss 
der  Zeitintervallen  zu  den  Ortsentfernungen  geachtet,  hat  sich  aber  in 
der  Regel  begnügt  (so  z.  B.  Böhmer),  die  ärgsten  uns  in  diesen  Be- 
ziehungen gestellten  Zumuthungen  zurückzuweisen.  Weiter  ist  Stumpf 
gegangen:  er  hat  sich  fast  in  allen  Fällen  die  Frage  vorgelegt,  ob  es 
denkbar  sei,  innerhalb  des  durch  zwei  Urkunden  bestimmten  Zeit- 
raumes von  dem  einen  zu  dem  andern  Orte  zu  gelangen.  Wie  sehr 
dann  Ficker  die  Schnelligkeit  der  Reisen  in  Anschlag  gebracht  hat, 
zeigen  mehrere  seiner  Einzeluntersuchungen,  vor  allem  aber  zahlreiche 
Stellen  seiner  Beiträge  zur  ürkundenlehre.  Aber  auch  er  hat  die  Di- 
stanzen zumeist  nur  abgeschätzt  und  hat  von  der  Aufstellung  eines 
festen  j\Iassstabes  abgesehen.  Ist  inzwischen  das  Thema,  Avie  man  in 
der  Vergangenheit  gereist  ist,  von  vielen  Autoren  erörtert  worden,  so 
gehen  doch  gerade  was  die  Schnelligkeit  der  Reisen  anbetrifft,  die  Er- 
gebnisse noch  ziemlich  auseinander  i),  so  dass  sie  l^ei  Untersuchungen 
über  das  Itinerar  der  Könige  kaum  verwerthet  werden  können.  Um 
von  mir  selbst  als  Herausgeber  der  Diplome  des  10.  Jahrhunderts  zu 
reden,  so  habe  ich  es  natürlich  für  nöthig  erachtet,  die  Entfernungen 
ins  Auge  zu  fassen ;  aber  ich  mag  sie  in  Ermangelung  eines  sichern 
Massstabes  zuweilen  unterschätzt  haben  und  habe  sie  wohl  auch  in 
dem  einen  und  andern  Falle  geradezu  ausser  Acht  gelassen  -).  Sobald 
Kehr  dies  wahrgenommen  hatte,  stellte  er  sich  unter  andern  Aufgaben 
auch    die,    von  Fall   zu  Fall    die    Distanzen    zu    berechnen,    und    zwar 


')  Dass  ich,  bevor  mir  Kehrs  Itucli  zu  Gesichte  kam,  mich  mit  der  Frage 
wenigstens  gelegentlich  beschäftigt  habe,  beweisen  meine  Bemerkungen  in  den 
Prolegomena   zum  Liber  diurnus  2,  71.  -)  So,    was  Kehr  235    mit  Fug  und 

Recht  rügt,  bei  den  DD.  0.  H.  37,  38.  Ich  muss  otten  bekennen,  dass  ich,  der 
ich  als  Editor  auf  die  verschiedenartigsten  Details  autmerksam  sein  soll  und 
will,  mich  schon  einige  Male  darüber  ertappt  habe,  dass  ich  einen  Punkt  über 
die  andern  übersehen  habe.  So  ist  es  mir  auch  bei  dem  Drucke  von  DO,  IL  37 
widerfahren,  dass  ich  den  Strich  zu  setzen  unterlassen  habe,  durch  welchen  hier 
die  nichteinheitlichc  Datirung  anzuzeigen  war.  Das  Missgeschick  ist,  dass  meine 
beiden  Geno.ssen  (unter  ihnen  Kehr),  welchen  es  oblag,  zu  dreien  Malen  und 
zwar  vor  mir  die  Correctur  zu  besorgen,  in  diesem  Falle  ebenso  imautinei-ksam 
gewesen  sind  wie  ich.  Hat  Kehr  dann  nach  Erscheinen  des  ersten  Bandes  dieses 
und  andere  Versehen  hervorgehoben,  so  benütze  ich  die  erste  sich  mir  bietende 
Gelegenheit,  um  dieselben  durch  oti'enes  Eingeständniss  gut  zu  macheu. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  381 

wollte  er  dieses  Mittel  der  Coutrole  des  iirkundliclieu  Itinerars  nicht 
allein  Hilf  die  Diplome  Otto  III.  auweudeu,  sondern  auch  nachträglich 
auf  die  bereits  edii'ten  Diplome  der  Vorgänger,  um  erforderlichenfalls 
die  von  mir  gebotenen  Datirungen  zu  berichtigen.  So  sehr  ich  sein 
Vorhaben  gebilligt  habe,  so  habe  ich  mir  doch  Nachprüfung  der  Er- 
gebnisse vorbehalten :  in  diesem  Sinne  spreche  ich  mich  hier  auch  über 
diesen  Theil  der  Kehr' sehen  Arbeit  aus. 

Mit  Kecht  hat  dieser  bei  den  Eeiseu  des  Königs  gewöhnliche  und 
aussergewöhnhche  Leistungen  unterschieden.  Aber  leider  gibt  er  dann 
weder  für  die  einen  noch  für  die  andern  bestimmte  Durchschnitts- 
zahlen an.  Erklärt  er  es  z.  B.  S.  250  für  eine  physische  Unmöglich- 
keit, dass  die  Tagesleistung  bis  zu  70  Kilom.  gesteigert  worden  sei 
oder  S.  234  für  unmöglich,  dass  400  Kilom.  in  8  Tagen  zurückgelegt 
worden  seien,  so  lässt  sich  dem  noch  nicht  entnehmen,  wieviel  Kehr 
dem  Könige  und  seinem  Gefolge,  im  Falle  sie  durch  besondere  Ereig- 
nisse oder  Pläne  zu  grösster  Eile  gedrängt  wurden,  zumuthen  zu 
können  meint.  Die  normalen  Leistungen  will  er  in  Anbetracht  des 
zahlreichen  Gefolges  niedrig  ansetzen.  Er  bezeichnet  ein  Mal  (S.  233 
Anm.  1)  20 — 30  Kilom.  als  der  gewöhnlichen  Marschgeschwindigkeit 
entsprechend,  lässt  aber  auch  (S.  250)  eine  Steigerung  bis  35  Kilom. 
zu.  Seinen  Massstab  versucht  er  vorzüglich  den  Diplomen  Otto  L  und 
Otto  IL  zu  entnehmen.  Nebenbei  beruft  er  sich  jedoch  auch  auf  Er- 
fahrungen der  Gegenwart  und  redet  von  der  Geschwindigkeit,  zu  wel- 
cher es  heutzutage  einerseits  berittene  Truppenkörper  und  andererseits 
Distanzreiter  bringen  i). 

So  oft  nun  Kehr  der  Zeitabstand  zwischen  zwei  urkundlichen 
Daten  zu  gering  erscheint  im  Verhältniss  zu  der  Entfernung  zwischen 
den  beiden  genannten  Orten,  bezeichnet  er  die  Datii'ung  des  einen 
oder  des  andern  Diploms  als  nichteinheitlich.  In  mehreren  der  von 
ihm  angeführten  Fällen  (so  DD.  25,  29  u.  a.)  stimme  ich  ihm  un- 
bedingt bei.    Aber  wenn  wie  betreffs  D.  37  vou  Kehr  seilest  (S.  2;)()) 

')  Aller  Erfahrungen  auf  diesem  Gebiete  bar,  habe  ich  mir  bei  Kavalleristen 
Raths  erholt,  besonders  bei  solchen,  welchen  auch  die  betrettende  Literatur  wohl 
bekannt  ist.  Sie  stimmten  alle  darin  überein,  dass  Kehr  die  jetzigen  Leistimgen 
zu  niedrig  ansetzt.  —  Unter  diesen  meinen  Rathgebern  muss  ich  aus  speciellem 
(.h-iinde  den  Ilerni  Oberlieuteuant  Strobl  Edler  von  Ravelsberg,  commandirt  beim 
k.  und  k.  Generalstabe,  Verfasser  der  jüngst  erschienenen  G eschichte  des  k.  und 
k.  12.  Dragonerregiments,  nennen.  Derselbe  nahm  nämlich  im  letzten  Schuljahre 
an  dem  Institutscursus  und  so  auch  an  den  von  mir  geleiteten  diplomatischen 
Uebungeu  theil  und  xniterstützte  mich  in  dankenswerthester  Weise  bei  meinen 
Arbeiten  über  das  Itinerar  Otto  III.  Ich  halte  mich  in  dem  Ef)lgbndeu  an  die 
Erorebnisse  seiner  Untersuchungen  über  die  Routen  und  Entfenumgen. 


;.jg2  Sickei. 

/,uu-eo-('l)cu  wird,  (l;iris  der  Hot'  rfclit  wulil  ni  f)  Taiini  vuii  Allstedt 
uaeli  Corvei  gelangeu  kouute,  sehe  ich  keinen  Anlass,  Handlung  und 
Beurkundung  auseinander  zu  halten.  Und  in  andern  Fällen  muss  icli 
solche  Deutung  der  Datirung  geradezu  aus  diesem  oder  jenem  Grunde 
verwerfen,  am  häufigsten  deshalb,  weil  ich  nicht  von  der  Richtigkeit 
des  von  Kehr  für  jene  Zeiten  angenommenen  Massstabes  überzeugt 
bin.  Den  richtigen  zu  finden  halte  ich  nicht  allein  für  ausserordent- 
lich mühsam  und  schwer,  sondern  ich  sage  ganz  offen,  dass  ich  jetzt 
nicht  die  Zeit  gefunden  habe,  mich  mit  dieser  Frage  so  eingehend  und 
gründlich  wie  es  geboten  ist  zu  befassen  und  mich  somit  augenblick- 
lich auf  Einwürfe  gegen  Kehr  beschränken  muss.  Auf  dem  von  ihm 
eingeschlagenen  Wege  sind  meines  Ermessens  sichere  Ergebnisse  nicht 
zu  gewinnen.  Von  manchen  gut  verbürgten  Nachrichten  aus  jenen 
Zeiten  hat  er  keinen  Gebrauch  oder  doch  nicht  den  rechten  Gebrauch 
gemacht.  Er  hat  endlich  die  Distanzberechnung  auch  da  als  Mittel, 
das  Itinerar  in  Ordnung  zu  bringen,  verwenden  wollen,  wo  wir  es 
mit  unbekannten  und  dabei  unberechenbaren  Grössen  zu  thun  haben 
Wie  schon  gesagt,  zieht  Kehr,  um  die  gewöhnliche  Marschge- 
•schwindigkeit  des  Hofes  kennen  zu  lernen,  das  Itinerar  Otto  I.  und 
Otto  II.  zu  Rathe  ^).  Was  ich  gegen  diesen  Versuch  einzuwenden  habe, 
kann  ich  gleich  an  d;is  erste  von  ihm  angeführte  Beispiel  anknüpfen. 
Vorausgesetzt  nämlich,  dass  die  Daten  von  DD,  0.  I.  42  (Dortmund, 
941  Nov.  25)  und  43  (Grone,  941  Dec.  5)  ganz  zuverlässig  und  un- 
zweideutig sind,  so  erfahren  wir  aus  ihnen  noch  nicht  einmal,  wieviel 
Tage  Otto  I.  damals  auf  die  Reise  von  Dortmund  bis  GIrone  thatsäch- 
lich  verbraucht  hat,  denn  er  kann  ja,  abgesehen  von  allem  etwaigen 
Aufenthalte  unterwegs,  erst  am  27.  Nov.  von  Dortmund  aufjgebrochen 
und  kann  bereits  am  ?).  Dec.  in  Grone  eingetroffen  sein.  Und  da  in 
der  ersten  Urkunde  nichts  davon  steht,  dass  sie  vollendet  Avorden  ist, 
als  die  Pferde  schon  zum  Aufbruche  bereit  standen,  und  in  der  zweiten 
nichts  davon,  dass  sie  ertheilt  wurde,  gleich  nachdem  der  König  in 
Grone  aus  dem  Sattel  gestiegen  war,  können  wir  aus  den  Daten  noch 
weniger  herauslesen,  dass  für  diese  Reise  zur  Winterszeit  10  Tage  be- 
nöthigt  wurden.  Kurz  solange  wir  allein  auf  die  Angaben  dieses 
Urkuudenpaares  (und  das  gleiche  gilt  von  den  weiter  augeführten  Bei- 

')  Hebt  er  dabei  IS.  234  die  «clinelliglceit  hervor,  mit  welcher  selbst  mitten 
im  Winter  die  Alpen  überstiegen  worden  sind,  so  zieht  er  aus  ihr  nicht,  iivie 
man  erwarten  sollte,  die  Folgerung,  dass  die  Leistungsttihigkeit  sehr  gesteigei-t 
werden  konnte,  sondern  macht  nur,  tun  die  .Schnelligkeit  zu  erklären,  die  kaum 
zutretlende  Bemerkung,  dass  sich  unterwegs  keine  \'oranla.ssung  zu  liingorem 
Aufenthalte  ergeben  habe. 


Erliinfernngen  zu  den  Diplomen  Otto  [[1.  38)'> 

spielen)  HUgewieseJi  sind,  lässt  sicli  ;ius  ilmeu  weder  ein  Miniiiiuni 
uoch  ein  Maximmn,  also  audi  keine  Durchsclmittszalil  für  die  gevvöhu- 
liche  Tagesleistung  ableiten.  Sie  bedürfen,  um  in  solcher  Richtung 
verwerthet  werden  zu  können,  der  Bestätigung  oder  derCorrectur  oder 
der  Ergänzung  durch  Angaben  in  andern  Quellen.  Das  hat  Kehr  selbst 
an  andern!  Orte  (Ö.  249)  bemerkt:  er  will  das  Itiuerar  des  J.  1000 
deshalb  eiu gehender  besprechen,  weil  ihm  ausser  den  urkundlichen 
Datirungen  zahlreiche  annalistische  Nachrichten  zur  Verfügung  stehen 
und  weil  die  doi)pelt  verbürgten  Angaben  den  zuverlässigsten  Mass- 
stab darbieten  zur  Beurtheilung  der  Frage  wie  schnell  der  Hof  zu 
reisen  pflegte. 

Bevor  ich  verfolge,  welchen  Gebrauch  Kehr  von  den  für  die 
letzten  Jahre  Ottos  reicher  fliessendeu  Nachrichten  gemacht  hat,  wende 
ich  mich  einem  andern  Gebiete  zu.  Es  liegt  doch  nahe,  auch  die  No- 
tizen über  die  Reisen  der  Päpste  zu  Rathe  zu  ziehen.  Zumeist  bejahrt, 
werden  diese  sich  nicht  über  die  Ma.ssen  angestrengt  haben.  Ihr  Ge- 
folge wird  ebenfalls  gross  und  vielleicht  uoch  schwerfälliger  als  das 
der  Könige  gewesen  sein.  Für  ihr  Itinerar  stehen  uns  gleichfalls  Nach- 
richten zweierlei  Art  zu  Gebote.  Allerdings  kommen  die  in  den  Ur- 
kunden verzeichneten  aus  Gründen,  welche  hier  anzuführen  nicht  noth- 
wendig  ist,  weniger  in  Betracht.  Das  wird  jedoch  durch  die  Zuver- 
lässigkeit der  Reisenotizen  in  den  Vitae  pontificum  aufgewogen.  So 
erfahren  Avir  z.  B.,  dass  Zacharias  im  J.  743  ^)  bei  Sonnenaufgang  des 
22.  Juni  von  Ravenna  aufbrach,  am  Nachmittag  des  28.  der  Vigilien- 
feier  in  Cielo  d'oro  beiwohnte  und  Abends  in  Pavia  einzog.  Er  legte 
also  eine  Strecke  von  etwa  290Kilom.  in  nicht  ganz  7  Tagen  zurück: 
das  ergibt,  wenn  wir  einen  Rasttag  annehmen,  eine  tägliche  Leistung 
von  4H  Kilom.  oder  ohne  Rasttag  41  Kilom.  Ich  stelle  dem  zur  Seite 
einen  Fall  des  Uebergangs  über  die  Alpen.  Leo  IX.  nahm  im  J.  1053 
noch  an  der  Purificationsfeier  (2.  Februar)  in  Augsburg  theil  und  be- 
fand sich  spätestens  am  21.  in  Mantua:  ohne  die  von  ihm  gewählte 
Route  zu  kennen,  dürfen  wir  die  Entfernung  doch  auf  600  Kilom. 
veranschlagen,  so  dass  wir,  auch  wenn  wir  nur  4  Rasttage  annehmen, 
auf  jeden  Reisetag  40  Kilom.  erhalten  -). 

Glaube    ich,    auf  solche  Beispiele  gestützt,    dem    jungen  Otto  III. 

')  Liber  poutificalis  ed.  DucheBne  1,  43ü.  ''')  Vgl.  iu  den  Kegesten  des- 

selben Jahres  13.  März  Ravenna  und  14.  März  Rimini  (60  Kilom.).  —  Was  ein 
einzelner  bei  grösster  Beschleunigung  leisten  konnte ,  erfahren  wir  aus  den 
Vitae  pontif.  vom  J.  1057.  Der  Bischof  von  Albano  traf  mit  der  Nachricht  von 
dem  am  28.  Juli  zu  Arezzo  erfolgten  Tode  Victor  ü.  schon  am  ;JI.  in  Rom  (über 
210  Kilom.)  ein. 


384  Sickel. 

grössere  Leistungen  zutrauen  zu  dürfen,  als  Kehr  es  tliut,  so  erschei- 
nen mir  auch  die  lleiseu  des  J.  1000  in  etwas  anderem  Lichte.  Ich 
bestreite  nicht,  dass  wir  es  bei  dem  einen  und  dem  andern  Präcepte 
mit  schlecht  überlieferten  Daten  und  bei  andern  mit  nichteinheitlicher 
Datirung  i)  zu  thun  haben.  Aher  statt  mit  Kehr  an  so  und  so  viel 
Daten  Anstoss  zu  nehmen,  ziehe  ich  aus  deren  Gesammtheit  die  Fol- 
gerung, dass  man  damals  trotz  schlechter  Wege  und  ungünstiger 
Jahreszeit  ziemlich  schnell  gereist  ist.  Ich  will  mit  Kehr  Aufbruch 
von  Eegensbiu-g  am  7.  Februar  nach  Gnesen  und  Eintreffen  in  Magde- 
burg bis  23.  März  annehmen,  also  für  diese  ganze  Eoute  46  Tage, 

An  durchgehends  aussergewöhnliche  Leistungen  (Distanzritte) 
durch  viele  Wochen  hindurch  ist  doch  nicht  zu  denken,  sondern  nur 
an  gesteigerte  normale  Leistungen,  Dabei  werden  aber  mehr  Tage  als 
Kehr  meint,  abzuziehen  sein,  um  die  Zahl  der  eigentlichen  Keisetage 
zu  gewinnen,  mindestens  11  Rasttage  und  dazu  einige  der  Erledigung 
der  Geschäfte  gewidmete  Tage.  Nehme  ich  somit  als  Divisor  der 
Kilometerzahl  etwa  33  (Kehr  39)  an,  so  erhalte  ich  auch  einen  be- 
deutend höhern  Quotient  als  er  -).  So  bestärken  mich  die  Nachrichten 
aus  dem  J.  1000  geradezu  in  der  Annahme,  dass  Kehr  den  Massstab 
iür  die  Eeisen  Otto  III.  zu  niedrig  gegriffen  hat. 

Doch  davon  abgesehen  habe  ich  auch  mancherlei  gegen  die  Art 
einzuwenden,  wie  Kehr  mit  der  Distauzberechnung  operirt,  um  ver- 
wickeitere Itinerarfragen  zu  lösen.  Haben  wir  es  bei  diesen  zumeist 
mit  mehreren  unsicheren  oder  vieldeutigen  Angaben  zu  thun,  so  gilt 
es,  sich  die  ganze  Reihe  von  mögliclien  Combinationen  zu  vergegen- 
wärtigen, jede  derselben  liis  in  ihre  Consequenzen  zu  verfolgen  und 
schliesslich  alle  gegeneinander  abzuwägen,  um  sich  entweder  für  die- 
jenige zu  entscheiden,  welche  an  sich  die  relativ  einfachste  ist  und 
sich  zugleich  am  besten  mit  der  Ueberlieferuiig  verträgt  —  oder  um 
sich  auch  nach  Beschaffenheit  des  Falls  einer  l)estimmten  Entscheidung 


')  Gegen    die   Häufigkeit    clerseHien    spricht    doch    was  Kehr   zum  Schlüsse 
dieses  Capitels  bemerkt.  ^)  Niemand   kann   sagen,   um  wieviel  Percente  die 

lOS.'i  Kilom.  zu  erhöhen  sind,  welche  Kehr  als  die  Summe  der  in  der  Luftlinie 
gemessenen  Entfeniungen  angibt.  Ich  setze  also,  um  das  Verhältnis«  an  einem 
bestimmten  Beispiele  zu  veranschaulichen,  die  Zahl  1560  Kilom.  an.  Bei  der 
Vertlicilung  auf  39  Tage  ergibt  sich  der  Quotient  40,  dagegen  bei  der  auf  nur 
33  Reisetjige  der  Quotient  48  als  durchschnittliche  Tagesleistung.  Das  eine  wie 
das  andere  Ergebniss  ist  ganz  unabhängig  von  dem  Ansatz  des  in  (inesen  für 
Vicenza  ausgestellten  Diplomes  und  könnte  nur  dann  modificirt  werden,  wenn 
die  Verlängerung  dos  Aufenthaltes  in  Regensburg  Vtis  zum  (!.  Ft'liruar  in  Frage 
gestellt  würde. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  385 

zu  enthalten.  Solcher  Mühe  und  solcher  Vorsicht  hat  sich  Kehr  nicht 
in  allen  Fällen  befleissigt.  Er  hat  zuweilen,  sobald  sich  ihm  eine  Lö- 
sung darbot,  andere  ebenso  nahe  liegende  gar  nicht  mehr  in  Betracht 
gezogen  und  so  voreilige  und  einseitige  Entscheidungen  gefällt.  Wenn 
ich  ihn  schon  zuvor  zu  grosser  Hinneigung  zur  Annahme  nichtein- 
heitlicher Datirung  beschuldigte,  so  hatte  ich  dabei  auch  die  zahlreichen 
Fälle  im  Sinne,  in  welchen  Kehr  das  Verhältniss  zwischen  dem  Zeit- 
intervall und  der  Entfernung  bedenklich  erschien  und  in  welcher  er 
dann  regelmässig  Handlung  und  Beiirkundung  auseinanderhalten  will 
Dass  er  so  in  der  Anwendung  seines  neuen  Mittels  der  Distanzberech- 
nung oft  über  das  Ziel  hinausgeschossen  hat,  versuche  ich  an  dem 
folgenden  Beispiel  zu  zeigen. 

Bezeichnet  Kehr,  indem  er  die  DD.  152 — 159  aus  den  letzten 
Monaten  des  J.  994  bespricht,  das  Itinerar,  welches  aus  den  Datirungen 
dieser  meist  noch  in  Originalen  vorhaudeuen  ürkimden  resultiren 
würde,  als  höchst  unwahrscheinlich,  so  bin  ich  ganz  seiner  Meinung. 
Fährt  er  aber  fort,  dass  es  in  dem  einen  Punkte  geradezu  unmöglich 
sei,  denn  in  zwei  Tagen  habe  der  Hof  nicht  von  Baden-Baden  nach 
dem  Hohentwiel  gelangen  können,  so  vermag  ich  dies  nicht  zu  unter- 
schreiben. Und  sehe  ich  nicht  wie  Kehr  in  diesem  Punkte  die  Haupt- 
schwierio-keit,  so  kann  ich  mich  auch  nicht  mit  der  von  ihm  für 
diese  Reihe  von  Diplomen  vorgeschlagenen  Lösung  befreunden  und 
becrnüo'en. 

Er  geht  von  dem  offenkundigen  Fehler  in  der  Datirung  von 
D.  154  aus  und  will  X Villi  kal.  dec.  emendiren  in  X Villi  kal.  ian. 
Die  Berechtigung  dazu  werde  ich  nicht  bestreiten,  da  so  oft  zu  den 
nach  den  Kaienden  bezeichneten  Tagen  irrthümlich  der  Name  des 
laufenden  Monats,  statt  des  Namens  des  folgenden  Monats  hinzugefügt 
worden  ist.  Aber  ebenso  häufig  ist  eine  Zahl  durch  Zusatz  eines  Einer 
erhöht  worden,  und  zumal  ist  der  Tag  nach  den  Iden,  dessen  richtige 
Bezeichnuno-  zwischen  XVI  und  XIX  schwankte,  oft  zu  hoch  beziffert 
worden  i).  So  bleibt  uns  hier  die  Wahl  zwischen  14.  November  und 
14.  December.  Dass  sich  Kehr  für  letzteren  Tag  entscheidet,  geschieht, 
um  das  zu  beseitigen,  was  er  die  Hauptschwierigkeit  nennt,  nämlich 
Ritt  von  Baden-Baden  (D.  153  vom  11.  November)  in  drei  Tagen  bis 
nach  Hohentwiel.  Nachdem  er  diesen  Ausweg  gefunden,  nimmt  er 
nicht  mehr  Anstoss  daran,  dass  der  König  von  Ingelheim  nach  Baden- 


>)  Mit  Recht  redet  Kehr  155,  wo  er  aus  den  Originaldiplomen  0.  HI.  drei 
Beispiele  anführt,  von  Flüchtigkeitsfehlern.  C'itirt  er  nun  hier  auch  D.  154,  so 
betrachtet  er  dessen  XVÜII  für  verschrieben  statt  XVIII,  sieht  aber  später  von 
dieser  Deutung  ganz  ab. 

MittLeüuugeu  XII.  25 


386  Sickel. 

Baden,  von  da  zurück  nach  Bruchsal,  dann  aber  sofort  wieder  süd- 
wärts gezogen  sein  soll.  Nicht  allein  das  so  gewonnene  Itinerar 
(s.  Kehr  240)  beanstande  ich,  sondern  noch  mehr  dessen  Begründung. 
Handelt  es  sich  vorzüglich  um  das  Verhältuiss  zwischen  D.  153 
und  D.  154,  so  will  ich  zunächst  die  zwiefache  Voraussetzung  von 
Kehr  gelten  lassen,  dass  D.  153  zu  Baden-Baden  ausgestellt  worden 
sei  und  dass  Ort  und  Tag  noch  in  Anwesenheit  des  Königs  eingetragen 
worden  und  somit  auf  des  letzteren  Itinerar  zu  beziehen  seien.  Wel- 
chen Weg  Otto  eingeschlagen  haben  mag  um  nach  Hohentwiel  zu 
gelangen,  sagt  Kehr  nicht  ausdrücklich;  aber  auch  er  wird  au  die 
directe  Koute  Forbach,  Reichenbach,  Oberndorf,  Rottweil  i)  gedacht 
haben,  auf  welcher  etwa  150  Kilom.  zurückzulegen  waren.  Hatte  Otto 
grosse  Eile  und  hatte  er  nur  geringes  Gefolge  bei  sich,  so  konnte  er 
doch  wohl  in  3  Tagen  von  Baden-Baden  nach  dem  Hohentwiel  ge- 
langen. Leider  sind  wir  über  den  Zweck  dieser  Reise  gar  nicht  unter- 
richtet. Zum  Besuche  von  Schwaben  wird  vermuthlich  der  wenige 
Monate  zuvor  erfolgte  Tod  der  Herzogin  Hedwig  Anlass  gegeben  haben; 
er  konnte  auch  füglich  Anlass  geben,  die  Reise  bis  nach  dem  Hohen- 
twiel auszudehnen.  D.  154  legt  aber  auch  den  Gedanken  nahe,  dass 
es  sich  um  eine  Zusammenkunft  mit  dem  Grafen  von  Treviso  oder 
mit  anderen  Anhängern  aus  Italien  gehandelt  habe  und  dass  Otto  aus 
solchem  Grunde  seine  Reise  beschleunigt  habe. 

Jedoch  so  vage  Vermuthungen  spreche  ich  nur  aus,  weil  Kehr 
sich  so  bestimmt  für  Baden-Baden  erklärt,  leider  ohne  alle  Begründung 
und  ohne  ausdrücklich  zu  sagen,  weshalb  er  das  von  Stumpf  vorge- 
schlagene Badeuweiler  verwirft,  welches  weit  südlicher  und  daher  auch 
Hohentwiel  weit  näher  liegt.  Letzteres  reicht  ja  so  gut  wie  Baden- 
Baden  in  Römerzeit  zurück  und  wird  es  auch  erst  zu  Beginn  des 
12.  Jahrhunderts  wieder  genannt,  so  lässt  sich  doch  der  Fortbestand 
dieser  Ortschaft  durch  alle  Jahrhunderte  hin  annehmeu.  Es  ist  daher 
nicht  ausgeschlossen,  dass  Abt  und  Mönche  von  Schwarzath  den  König, 
als  dieser  in  die  Nähe  des  Klosters  gekommen  war,  aufgesucht  und  sich 
dem  wandernden  Hofe  angeschlossen  haben,  bis  sie  in  Badenweiler  am 
11.  November  das  erbetene  D.  153  erhielten.  Entscheiden  wir  uns 
also  für  Badenweiler,  so  entfällt  jedes  Bedenken  gegen  die  Zeit-  und 
Ortsangaben  in  DD.  153,  154.  Dagegen  bedarf  es  dann  anderer  Deu- 
tung der  Dath-ungeu  von  DD.  155,  156  (Bruchsal  und  23.  November), 
als  Kehr  sie  gibt.    Brach  Otto  erst  nach  dem  4.  November  von  Ingel- 


<)  Nach  Oesterley  haben  diese  Orte  um  das  J.  1000  bereits  bestanden;   sie 
werden  also  wohl  auch  durch  Strassen  verbunden  gewesen  sein. 


Erläuterungen  zu  den  Dix^lomen  Otto  III.  387 

heim  auf,  so  -wird  er  nach  zwei  oder  drei  Tagen  in  Bruchsal  gewesen 
sein,  also  etwa  am  8.  Hatten  nun  dort  die  Aebtissin  Mathilde  von 
Quedlinburg  und  der  Erzbischof  Willigis  von  Mainz  vom  König  Zu- 
sagen erhalten,  so  werden  sich  diese  Destinatare  wohl  geduldet  haben, 
bis  die  Kanzlei  am  23.  November  Müsse  fand,  die  betreffenden  Ur- 
kunden auszufertigen.  Mit  der  Annahme  nichteinheitlicher  Datirung 
für  DD.  155,  156,  welche  Kehr  offenbar  nicht  in  Betracht  gezogen 
hat,  sind  alle  Schwierigkeiten  behoben,  und  wir  erhalten,  ohne  an  der 
Monatsangabe  in  dem  Original  von  D.  154  zu  rütteln  i),  folgendes 
einfache  Itinerar:  Ingelheim  am  4.  November  (D.  152),  Bruchsal  au 
einem  der  folgenden  Tage  (Handlung  von  DD.  155,  150),  Badenweiler 
am  11.  November  (D.  153),  Hohentwiel  am  14.  Nov.  (D.  154),  an 
unbekanntem  Orte  werden  DD.  155  und  156  am  23.  Nov.  ausgefertigt, 
Sasbach  am  22.  December  (DD.  157,  158),  endHch  Erstein,  wo  Otto 
Weihnachten  feiert  (DD.  159—161). 

Hat  sich  Kehr  237  über  mehrere  Diplome  aus  dem  April  und 
Mai  992  und  über  das  Itinerar  dieser  Zeit  vorsichtiger  ausgesprochen, 
so  haben  wir  doch  den  schliesslich  von  ihm  gemachten  Vorschlägen 
nicht  beizustimmen  vermocht.  Die  von  uns  angenommene  Erklärung 
ist  in  deu  kritischen  Noten  zu  D.  13  und  D.  92  gerechtfertigt  und 
wird  von  Dr.  Erben  in  anderem  Zusammenhang  ausführlicher  dargelegt 
werden.  Und  so  kehre  ich  hier  nochmals  zu  den  Yorstelhmgeu  zurück, 
welche  sich  Kehr  von  den  Reisen  der  Könige  gemacht  hat.  Dass  diese 
in  der  Regel  von  zahlreichem  Gefolge  begleitet  waren  und  sich  deshalb 
nur  langsamer  bewegen  konnten,  ist  gewiss  richtig.  Aber  dadurch 
wird  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Könige  sich  nach  Umständen  mit 
srerineer  Beo-leituuo-  beo-nücften  und  so  grössere  Strecken  in  kürzerer 
Zeit  zurückzulegen  im  Stande  waren.  Dass  Kehr  diese  Möglichkeit 
gar  nicht  ins  Auge  gefasst  hat,  zeigt  u.  a.  die  Besprechung  (S.  240) 
der  auf  und  nach  dem  Feldzuge  des  J.  995  ausgestellten  DD.  172 — 175 
mit  folgenden  Datirungen:  Mecklenburg  September  10;  Tollensegau 
Oktober  3;  Havelberg  Oktober  6;  Quedlinburg  Oktober  8.  Erklärt 
Kehr  die  Datirungen  von  DD.  173,  174  für  nichteinheitlich,  weil  ein 
gi-össeres  Heer  den  Weg  von  jenem  Gau  bis  Havelberg  nicht  in  drei 
Tagen  und  den  von  Havelberg  bis  Quedlinburg  nicht  in  zwei  Tagen 
habe  zurücklegen  können,  so  ist  diese  Begründung  liier  gewiss  nicht 
am  Platze  und  so  liegt  auch  keine  zwingende  Nothwendigkeit  vor  in 
den  beiden  Urkunden  die  Ortsauo-aben  und  die  Zeitangaben  auseinander 


>)  Nur  XVIIII  erkläre  ich  als  verschrieben  statt  XVIII,  was  mir  als  geringerer 
Fehler  erscheint  denn  dec.  statt  ian. 

25* 


388  Sickel. 

zu  halten.  Es  ist  ja  sehr  begTeiflicli,  class  der  junge  König  den  Wunsch 
hegte,  in  Person  an  einem  Kriegszuge  theilzunehmen,  und  dass  auch 
seine  Kathgeber  solchem  Wunsche  Eechnung  trugen.  Aber  wir  dürfen 
uns  deshalb  Otto  nicht  als  den  Heerführer  denken.  Er  braucht  keines- 
weo-s  mit  dem  Heere  zugleich  in  das  feindliche  Gebiet  eiugei-ückt  zu 
sein  und  er  braucht  noch  weniger,  nachdem  Erfolge  errungen  waren, 
das  Heer  auf  dessen  langsamen  Rückmärsche  begleitet  zu  haben.  Es 
ist  vielmehr  von  vorhinein  wahrscheinlicher,  dass  er  den  Heimweg  mit 
o-eringem  Gefolge  angetreten  und  mit  möglichster  Beschleunigung  seine 
Pfalzen  zu  erreichen  gesucht  hat.  War  er  nun  zweifelsohne  mit  dem 
Heere  erst  bis  Mecklenburg  vorgedrungen  und  dann  Ins  in  den  Tollen- 
segau,  so  konnte  Otto,  wenn  wir*  einen  Aufenthalt  im  Süden  dieser 
Landschaft  bis  zum  ?j.  Oktober  annehmen,  ohne  besondere  Anstrengimg 
in  drei  Tagen  in  Havelberg  eintreffen.  Anders  steht  es  allerdings  damit 
dass  in  nur  zwei  Tagen  (Okt.  G— 8)  die  etwa  130  Kilom.  betragende 
Strecke  von  Havelberg  nach  Quedlinburg  zurückgelegt  worden  sein 
soll.  Hier  würde  es  sich  um  eine  ausserordentliche  Leistung  handeln, 
aber  noch  keineswegs  um  eine  unmögliche.  Für  die  Heimkehr  kann 
•recht  wohl  Vorsorge  getroffen  worden  sein,  wie  dass  Pferde  zum 
Wechseln  bereit  standen;  andrerseits  wird  der  König  durch  zwei  Tage 
hindurch  einer  grösseren  Anstrengung  fähig  gewesen  sein.  Zsvar  bin 
ich  gleich  Kehr  der  Meinung,  dass  die  Kanzlei  sich  Zeit  genommen 
haben  wird,  die  betreffenden  Präcepte  anzufertigen,  dass  sie  es  wahr- 
scheinlich erst  in  Quedlinburg  gethan  hat.  Die  Frage  ist  dann  nur, 
wie  sie  hat  datiren  wollen:  hat  sie  nur  den  Ort  der  Handlung  und 
daneben  den  Tag  der  Beurkundung  einzutragen  beabsichtigt  oder  hat 
sie  trotz  verzögerter  Beurkundung  Ort  und  Tag  der  Handlung  bei- 
behalten wollen  ?  Da  die  letztere,  d.  h.  die  einheitliche  Datirung  doch 
der  Kegel  entspricht  und  im  vorliegenden  Falle,  wenn  der  von  mir 
für  die  Reisen  angenommene  Massstab  richtig  ist,  denkbar  ist,  so  gebe 
ich  der  Annalune  dersell^en  auch  hier  den  Vorzug. 

Ich  habe  bisher  nur  von  der  einen  Art  zweitheiliger  Datirung  zu 
sprechen  Gelegenheit  gehabt.  Die  andre  Art  (Kehr  scheidet  beide 
S.  218  recht  gut),  dass  zum  Ort  und  Tag  der  Handlung  das  spätere 
Jahr  der  Bem'kundung  hinzugefügt  wird,  will  Kehr  nur  in  zwei  Ur- 
kunden Otto  III.  augetroffen  haben.  Dass  in  Wirkhchkeit  auch  die 
Kanzlei  Otto  III.  bei  verzögerter  oder  wiederholter  Beurkundung  von 
dieser  Art  der  Datirung  liäutiger  Gebrauch  gemacht  hat,  werde  ich  im 
nächsten  Capitel  zu  zeigen  Gelegenheit  haben,  in  welchem  ich  über- 
haupt dasselbe  Thema  weiter,  aber  in  anderer  Weise  verfolgen  werde. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  389 

IV. 
Das  Itiner.ar  der  Jalirc  996  und  997. 

um  HU  einer  zeitlicli  zusammenhängenden  Reihe  von  Diplomen 
zu  zeigen,  inwieweit  meine  Anordnung  derselben  von  der  von  Kehr 
vorgeschlagenen  abweicht,  greife  ich  die  Diplome  heraus,  welche  vom 
Juni  906  an  bis  zum  Ende  des  J.  997  ausgestellt  worden  sind.  Wie 
Kehr  richtig  l)emerkt,  begann  damals  die  Datirung  ins  Schwanken  zu 
gerathen.  Kommt  dazu,  dass  manches  Präcept  schlecht  überliefert  ist, 
und  dass  einige  Ausstellungsorte  minder  bekannt  sind,  so  tauchen 
allerlei  Fragen  auf,  deren  richtige  Beantwortung  um  so  wichtiger  ist, 
als  es  sich  im  Herbst  996  um  Feststellung  der  Zeit  handelt,  zu  wel- 
cher Otto  aus  Italien  nach  Deutschland  heimgekehrt  ist,  und  im  Sommer 
997  um  Feststellung  der  Zeit  der  Slavenkriege.  üeberdies  habe  ich 
eine  Aufgabe  zu  lösen,  welche  sich  Kehr  nicht  gestellt  hat.  Er  hat 
seine  Untersuchungen  auf  die  Diplome  im  engeren  Sinne  beschränkt. 
Ich  dagegen  habe  nach  dem  Plane  der  Edition  auch  die  Placita, 
Mandate  und  Briefe  zu  berücksichtigen  und  habe  eine  nicht  geringe 
Zahl  derselben  gerade  in  die  hier  gewählten  Jahre  einzureihen. 

Ich  setze  also  mit  dem  Zeitpunkte  ein,  da  der  Kaiser  von  Rom 
(nach  D.  209  hat  er  dort  noch  am  31.  Mai  996  geurkuudet)  auflsrach; 
wie  Johannes  diaconus  berichtet,  hiuc  non  procul  a  Rouiana  urbe 
discedens,  ut  remissius  illius  climatis  aestum  tollerare  quivisset,  inter 
Caraerinae  marchiae  alpes  aliquid  commoratus  est  i).  Passt  dazu  der 
durch  D.  213  bezeugte  Aufenthalt  Foligno  am  12.  Juni,  so  wird  man 
mit  Kehr  243  auch  Pistria,  wie  der  Ausstellungsort  im  Original  von 
D.  214  vom  23.  Juni  heisst,  oder  Plistia,  wie  er  im  Original  von 
D.  215  vom  26.  Juni  heisst,  in  der  Gegend  zwischen  Foligno  und 
Camerino  suchen.  Mir  genügt  aber  aus  zwei  Gründen  nicht,  dass 
Kehr  auf  ein  heutiges  ihm  nur  aus  Amati  bekanntes  Pistia  hinweist. 
Ersteus  nicht,  weil  die  kurze  Angabe  Amati's:  frazione  del  comune  de 
Foligno  uns  darüber  im  unklaren  lässt,  ob  diese  Oertlichkeit  auf  dem 
Wege  von  Foligno  nach  der  Mark  von  Camerino    liegt   oder    nicht  ^). 


')  yS.  7,  30.  Zum  Theil  früher,  zum  Theil  in  dem  Sommer  99G  sind  auch  einige 
Bi-icfe  Ottos  einzureihen.  Ich  ziehe  es  aber  vor,  von  diesen  erst  in  anderem  Zu- 
sammenhange zu  sprechen.  -)  Ich  trage  nach,  was  Kehr  nicht  ausdrücklich  sagt, 
dass  er  Pistia  in  den  Karten,  die  ihm  in  Wien  zur  Verfügung  standen,  nicht  ein- 
getragen fand.  —  In  der  neuen  vom  italienischen  Gencralstabe  besorgten  Samm- 
lung von  Karten  ist  bisher  dieser  Theil  von  Umbrieu  noch  nicht  berücksichtigt 
worden  Ich  habe  daher  auch  jetzt  in  Rom  in  der  Generalstabs-Bibliothek  nur 
eine  Karte  erhalten,  welche  die  Ortschaft  Pistia  aufweist,  nämlich  das  Blatt  G.  12 
der  vom  öst.  Generalstab  entworfenen  und  von  dem  Istituto  topografico  militare 


390  Sickel. 

Und  zweitens  nicht,  weil  Kehr  unterlassen  hat,  sich  die  Frage  zu 
stellen,  welche  nicht  umgangen  werden  darf,  wenn  es  den  Ausstellungs- 
ort einer  alten  Urknnde  zu  bestimmen  gilt,  die  Frage  nämlich,  ob  ein 
heute  nachweisbarer  Ort  gleichen  oder  anklingenden  Namens  auch 
schon  in  dem  betreffenden  Jahrhundert  bestanden  hat.  Darüber  und 
ebenso  über  die  Lage  von  Plistia  hätte  er  in  dem  ihm  in  Wien  zu- 
gänglichen Werke  Colucci  Antichitä  Picene  genügenden  Aufschluss 
gefunden:  hier  (Band  11,  S,  1 — 112)  ist  nämlich  eine  in  Foliguo 
1781  erschienene  Dissertation  des  Al)tes  Giov.  Mengozzi  De'  Plestiui 
Umbri,  del  loro  lago  e  della  battaglia  appresso  di  questo  seguita  tra 
i  Rouuini  e  i  Cartagiuesi  wieder  abgedruckt  worden  ^). 

Wie  schon  der  Titel  besagt,  hat  Mengozzi  feststellen  wollen,  wo 
die  von  Plinius  (Nat.  bist.  3  cap.  14)  erwähnten  und  der  sexta  regio 
Umbriam    complexa    zugewiesenen    Plestini     ansässig    gewesen    sind. 


zu    Florenz   auf  Grund   einer   im   J.  1878   vorgenommenen   Terrain-Revision   neu 
herausgegebenen  Karten  im  Massstabo  von  1  zu  75,000. 

1)  Ich  sage  gleich  hier  H.  Professor  Dr.  von  Ottenthai  Dank  für  die  mamiig- 
, fache  Unterstützung,  welche  er  mir  als  dem  Herausgeber  der  Diplomata  auch  in  der 
jüngsten  Zeit  hat  zu  Theil  werden  lassen.    Da  er  die  Böhmer'schen  Eegesten  für  das 
10.  Jahrhundert  neu  zu  bearbeiten  übernommen  hat,  berührten  sich  unser  beider 
Arbeiten  in  vielen  Punkten.    So  ging  er  bereitwilligst  auf  meinen  Vorschlag  ein, 
während  seines  Aufenthaltes  in  Rom  im  Winter  1889/90  allerlei  auf  das  Itinerar  der 
üttonen  in  Italien  bezüglichen  Fragen  nachzugehen,  sowohl  denen,  welche  ich  in 
der  Edition  der  DD.  0.  I.  und  der  DD.  0.  IL  offen  gelassen  hatte,  als  denen,  auf 
welche  ich  jetzt  bei  der  Herausgabe  der  DD.  0.  III.  stiess.    Stand  ihm  doch  in  Rom 
und    insbesondere   in   der  Bibliotheca  Platneriana  ein  reiches  Material  für  solche 
Untersuchungen  zu  Gebote.  Ich  überlasse  es  ihm,  auf  die  zweifelhaften  Ausstellungs- 
orte in  den  Diplomen  bis  zum  J.  983  (so  auch  auf  Plistia  in  DO.  I.  376)  zurückzu- 
kommen, mache  aber  mit  seiner  Erlaubniss  gleich  hier  imd  in  der  Ausgabe  von 
den  Aufschlüssen  Gebrauch,  welche  er  mir  betreffs  der  DD.  0.  III.  ertheilt  hat.  Was 
Plistia   anbetrifft,    so   hatte  allerdings  auch  Ottenthai  mich  nur  auf  Colucci  ver- 
wiesen, da  er  auf  den  römischen  Bibliotheken  die  Originalausgabe  von  Mengozzi 
nicht   auftreiben   konnte.     Ich    verdanke    es    einem  glücklichen  Zufalle,    dass   ich 
diese  jüngst  in  Rom  gefimden  habe  und  kaufen  konnte.    Sie  hat  vor  der  zweiten 
A\isgabe  eines  voraus,  nämlich  die  Beigabe  einer  sehr  anschaulichen  Specialkarti; 
des  Terrains  zu  beiden  Seiten  der  von  Foligno  nach  Camerino  führenden  Gebirgs- 
strasse,  im  SW.  bei  Casenove  beginnend  und  sich  in  NO.  bis  Serravalle  di  Chienti 
erstreckend.     Weitere  Aufschlüsse   über   die   gegenwärtigen  Ortsverhältnissc   ver- 
danke ich  meinem  H.  Collegen  Bormann.    Indem  ich  aus  Mittheilungen  desselben 
in  den  Notizie  dcgli  scavi  (Atti  doi  bincei  Ottobre  1890  pag.  315)  über  Inschriften 
aus  Colfiorito  erfuhr,   dass  er  jüngst  an  Ort  und  Stelle  gewesen  war,  konnte  ich 
mich   von   ihm    auch  über  die  seit  Mengozzi's  Zeit  eingetretenen  Veränderungen 
belehren  lassen.     Bormann  hat  dann  auch  die  Güte   gehabt,   mir   den  Conectur- 
bogon  103  des  Corpus  Inscr.  XI  zuzusenden,  auf  welchem  S.  812—814  die  antiken 
Inschriften  von  Plistia  abgedruckt  worden  sind. 


Erläuterungen  zu  den  DiiDlomen  Otto  III.  391 

und  wo  die  IIXetattVY]  XtpT]  zu  suchen  ist,  an  welcher  laut  Appian 
(Haunibal.  cap.  9)  im  J.  217  v.  Clir.  der  Proprätor  C.  Ceutenius  ge- 
schlagen wurde.  Stadt  und  See,  antwortet  er,  lagen  auf  der  Hochebene 
des  römischen  Appennins,  über  welche  von  Alters  her  die  Strasse  von 
Foligno  nach  Camerino  führte  und  welche  sich  erstreckt  von  Colfiorito, 
wo  die  Strasse  die  Passhöhe  erreicht,  bis  Serravalle,  wo  die  Strasse  in 
das  Thal  des  Chienti  eintritt.  Die  Gewässer  des  einstigen  Sees  sind 
nach  und  nach  abgeleitet  worden.  Südöstlich  von  demselben  war 
im  Mittelalter  u.  a.  die  Kirche  S.  Maria  di  Pistia  erbaut  wor- 
den und  zwar,  wie  die  in  der  Kirche  und  ihrer  Umgebung  in 
grosser  Zahl  aufgefundenen  Inschriften,  Münzen  und  andere  Denk- 
mäler bezeugen,  an  der  Stelle  der  Stadt  der  Plestini.  Die  Kirche 
als  solche  ist  allerdings  zu  Beginn  unseres  Jahrhunderts  aufge- 
hoben worden,  steht  aber  noch  gut  erhalten  und  führt  nach  wie  vor 
den  Namen  Pistia  ^). 

Mengozzi  hat,  um  die  Identität  der  einstigen  Stadt  der  Plestini 
und  des  heutigen  Pistia  zu  erhärten,  auch  eine  Reihe  von  diesbezüg- 
lichen Notizen  aus  dem  Mittelalter  zusammengestellt.  Die  Acta  s.  Feli- 
ciani  (A.  SS.  24.  Jan.)  nennen  unter  den  Städten  ümbrieus,  in  welchen 
dieser  Bischof  das  Christenthum  gepredigt  hat,  Plesteas;  desgleichen 
werden  in  der  Missa  s.  Feliciani  die  Plestei  erwähnt.  Dann  führt 
Mengozzi  DO.  III.  215  au  und  bemerkt  mit  Recht,  dass  es  sich  was 
Tag  und  Ort  der  Ausstellung  anbetrifft,  gut  an  D.  213  anschliesst  2). 
Häufiger  begegnet  der  Name  seit  dem  14.  Jahrhundert.  Ein  Zehnt- 
verzeichuiss  des  vaticanischen  Archivs  aus  den  J.  1332  und  1334  redet 
von  dem  rettore  della  pieve  di  Pistia.  Lehrreicher  ist  ein  Schieds- 
spruch vom  J.  1345,  welcher  allerlei  Streitigkeiten  zwischen  den  Ein- 
wohnern des  castrum  Collisfloreti,  districtus  Fulginatensis  und  denen 
der  villa  Diguani,  districtus  Camerini  schlichten  sollte  und  so  auch 
den  Streit  um  die  divisio  laci  et  plani  Pistiae:  der  ersteren  Gemeinde 
wird  hier  die  ihr  zunächst  liegende  südwestliche  Hälfte  des  offenbar 
schon  zum  grossen  Theile  trocken  gelegten  Sees  von  der  Foligno  und 
Camerino  verbindenden  strata  publica  au  bis  zu  einem  der  Abzugs- 
canäle  zugesprochen.  Wiederholten  sich  diese  Differenzen  und  gaben 
sie  zu  neuen  Entscheidungen  Anlass,  so  glaube  ich  aus  der  einen  von 
Mengozzi  ebenfalls  veröffentlichten  Urkunde  vom  J.  1471  noch  hervor- 


«)  Pistia  ist  von  Colfiorito  1,  25  Kilom.  entfernt  und  liegt  rechts  oder  öst- 
lich von  der  bei  Colfiorito  in  die  Hochebene  eintretenden  Strasse.  Das  Kirchen- 
gebäude dient  jetzt  den  Zwecken  der  Militärverwaltung.  ^)  D.  214  citirt  er 
erst  in   anderem  Zusammenhange. 


392  S  i  c  k  e  1. 

lieben  zu  sollen,  dass  in  ihr  nur  noch  vom  planus  Pistiae  die  Rede 
ist,  der  See  also  bereits  ganz  al)geleitet  worden  zu  sein  scheint  i). 

Dtiss  ich  hier  so  viele  Notizen  zur  Geschichte  von  Plistia  aus 
Mengozzi  wiederhole,  hat  seinen  besonderen  Grund.  Schon  vor  ihm 
hatten  sich  die  Localforscher  vielfach  mit  der  Frage  beschäftigt,  wann 
und  durch  wen  die  alte  Stadt  der  Plestini  zerstört  worden  sein  mag; 
bald  war  die  Schuld  den  Gothen,  bald  den  Langobarden,  bald  auch 
den  Sarazenen  zugeschrieben  worden.  Bemerkt  nun  Mengozzi  mit 
Hecht,  dass  es  an  allen  positiven  Nachrichten  fehle,  so  tritt  er  ins- 
besondere der  bis  dahin  vorherrschenden  Ansicht,  dass  die  Stadt  schon 
vor  900  vom  Boden  verschwunden  sei,  mit  zwei  Argumenten  entgegen, 
welche  er  als  für  den  Fortbestand  der  Stadt  den  Ausschlag  gebend  be- 
trachtete. Unter  den  dort  gefundenen  Münzen  befinde  sich  auch  eine 
in  Pavia  und  unter  dem  K.  Rudolf  IL,  also  nach  022  geprägte ;  ferner 
sei  ein  mehrtägiger  Aufenthalt  Otto  IIl.  in  Pistia  durch  zwei  Urkun- 
den bezeugt-).  Da  dann  aber  eine  Stadt  dieses  Namens  nicht  wieder 
erwähnt  wird,  nimmt  Mengozzi  die  schon  von  Dorio  und  Jacobilli 
ausgesprochene  Vermuthung  auf,  dass  Plistia,  wenn  es  aucli  in  früheren 
Jahrhunderten  mehrfach  gelitten  haben  möge,  gerade  im  J.  996  und 
von  Otto  IIL  vollständig  zerstört  worden  sei.  Der  Kaiser,  meint  er, 
welcher  zu  Anfang  Juni  Rom  verlassen  und  auf  dem  Heimwege 
am  12.  Juni  Foligno  (D.  213)  berührt  hatte,  werde  nicht  ohne  trif- 
tigen Grund  von  der  Hauptstrasse  nach  Tuscien  abgewiclien  und  in 
das  Gebirge  gezogen  sei,  sondern  werde,  da  Plistia  wahrscheinlich  die 
Partei  des  Crescentius  ergriffen  habe,  sich  hierher  gewandt  und  in  der 
Gebirgslandschaft  nur  deshalb  verweilt  haben,  um  die  Stadt  zu  be- 
zwingen und  vom  Erdboden  zu  vertilgen. 

Da  dies  Mengozzi  auch  von  neuern  Geschichtschreil)ern  Italiens 
nacherzählt  worden  ist,  lohnt  es  sich  wohl,  diese  Annahme  als  un- 
haltl>ar  zurückzuweisen.  Bisher  ist  nicht  der  geringste  Beweis  dafür 
beigebracht  worden,  dass  Plistia  in  irgend  einem  Verhältnisse  zu  dem 
damaligen  Patricius  Crescentius  gestanden  habe,  noch  dafür,  dass  nach 
der  Unterwerfung  des  Crescentius  im  Mai  990  dem  Kaiser,  solange  er 
damals  in  Rom  und  dessen  Umgebung  weilte,  irgend  welcher  Wider- 
stand geleistet  worden  sei.  Und  wir  bedürfen,  um  den  Abstecher  von 
Foligno  nach  Pistia  begreiflich  zu  finden,    des   ganz  aus  der  Luft  ge- 


')  V^'l.  Mi'ngozzi  70.  —  Dersclbo  vorweist  endlich  auf  Waddiii<i  Ann.  minores 
Bund  -i  mit  Urkunden  für  das  ebenfalls  auf  jener  Hochebene  gelegene  Kloster 
Brogliano  aus  den  J.  1374—1388,  in  welchen  mehrmals  Pistia  genannt  wird. 
'^  Hier  citirt  Mengozzi  ausser  D.  215  auch  D.  214  und  emendirt  actum  in 
Pistoria,  wie  in  beiden  Ausgaben  von  Ughelli  gedruckt  worden  war,  in  Plistia. 


Erläuterungeu  zu  den  Diplomen  Otto  III.  393 

griffeueu  Vorschlages  von  Mengozzi  niclit,  da  uns  der  ihm  noch  nicht 
bekannte  Johannes  diaconus  die  durchaus  annehmbare  Erklärung  bietet, 
dass  Otto  der  Hitze  wegen  eine  Sommerfrische  aufsuchte.  Dass  er 
dazu  Camerinae  marchiae  alpes  ausgewählt  haben  soll,  veranlasst  mich 
nochmals  auf  die  Ortsverhältuisse  einzugehen.  Die  Grenzscheide  zwi- 
schen den  beiden  Grafschaften  von  Foligno  und  von  Camerino  scheint 
nämlich  auf  der  Höhe  des  römischen  Appennins  und  insbesondere  auf 
der  Hochebene  zwischen  Colfiorito  und  Serravalle  dieselbe  gewesen  zu 
sein,  wie  heutzutage  die  Grenze  zwischen  den  nach  Foligno  und 
Camerino  benannten  Gebieten:  Serravalle  und  Dignano  gehören  näm- 
lich zum  circondario  und  zum  mandamento  di  Camerino,  Colfiorito  und 
Pistia  dagegen  zum  c.  und  zum  m.  di  Foligno.  Somit  konnte  Jo- 
hannes diaconus  mit  vollem  Kechte  von  einem  Aufenthalte  inter 
Camerinae  marchiae  alpes  reden,  falls  der  Kaiser  auch  nur  etwas  über 
Pistia  hinaus  zog,  und  er  würde  auch  nur  wenig  gefehlt  haben,  wenn 
sich  die  Wanderung  nicht  über  den  Grenzort  Pistia  hinaus  erstreckt 
haben  sollte.  —  Ich  bemerke  noch,  dass  das  actum  in  P.  in  den  DD.  214, 
215  noch  keineswegs  die  von  Mengozzi  gezogene  Folgerung  gestattet, 
dass  Pistia  damals  noch  den  Umfang  und  die  Bedeutung  einer  Stadt 
gehabt  habe.  Schädigungen  der  einstigen  Stadt  durch  Menschenhand 
oder  durch  Naturereignisse  können  auch  schon  in  den  früheren  un- 
ruhigen Jahrhunderten  stattgefunden  haben.  Loealforscher  vor  und 
nach  Mengozzi  1)  haben  mit  Eecht  die  Wahrscheinlichkeit  betont,  dass 
die  Stadt  vornehmlich  durch  das  Wasser  zerstiu-t  worden  sein  wird. 
Bis  zur  Anlage  eines  grossen  emissario  im  J.  1470  ist  die  ganze  Hoch- 
ebene wiederholt  überschwemmt  worden  und  so  auch  in  der  Folge, 
als  dieser  und  andere  Abzugscauäle  einstürzten  und  ihre  Dienste 
versagten. 

Nachdem  ich,  worauf  es  hier  in  erster  Linie  ankommt,  die  Lage 
von  Pistria  oder  Plistia  genau  festgestellt  habe,  kehre  ich  zu  dem 
Itinerar  zurück.  Nach  D.  200  währte  der  erste  Aufenthalt  des  Kaisers 
zu  lioui  mindestens  bis  zum  31.  Mai.  Erhalten  wir  dann  als  nächstes 
genaues  Datum  (D.  213)  Foligno  und  12.  Juni,  so  ist  nicht  ausge- 
schlossen, dass  D.  210  mit  verstümmelten  Zeitangaben  in  den  ersten 
Tagen  des  Juni  ausgestellt  worden  ist,  dass  also  Otto  noch  über  den 
Mai  hinaus  in  Kom  geweilt  hat.  Von  Foligno  unternahm  er  den  Ab- 
stecher in  das  Gebirge,  mindestens  bis  Pistia,  verweilte  aber  dort  nicht 
lange.  Wahrscheinlich  kehrte  er  über  Foligno  auf  die  Hauptstrasse 
nach  Tuscien   zm*ück.     Am  12.  Juli   ertheilte  er  in  ecclesia  s.  Donati, 


')  So   zuletzt   noch    Conti  Camerino  e  i  suoi   contorni   (Camerino  1872)  41. 


394  S  i  c  k  e  1. 

d,  h.    in    der  Nähe   von  Arezzo  ^)    D.  217    und    acht  Tage    darauf  zu 
Marlia  (nördlich  von  Lucca)  D.  218. 

Fraglich  ist  dann  wieder  der  Ausstellungsort  von  1).  2111:  locus 
qui  Vicus  dicitur.  Betreffs  der  Tagesangabe  in  dieser  Urkunde  verlasse 
ich  mich  auf  Laschitzer  und  nehme  den  2 1 .  Juli  an.  Davon  geht  auch 
Kehr  aus,  wenn  er  den  Kaiser  von  Marlia  in  der  Kichtung  auf  Mo- 
dena  aufbrechen  lässt  und  dementsprechend  Vicus  nördlich  von  Marlia 
und  zwar  in  der  Entfernung  von  einer  Tagesreise  sucht.  Er  entscheidet 
sich  für  ein  heutiges  Vico,  welches  unweit  der  Strasse  im  Liniathale, 
bald  nachdem  diese  den  Serchio  verlassen  hat,  um  dem  Laufe  der  Lima 
zu  folgen,  liegen  soll.  Die  mir  zur  Verfügung  stehenden  Karten 
macheu  hier,  d.  h.  in  der  Nähe  der  Bagni  di  Lucca,  kein  Vico  ersicht- 
lich, sondern  erst  höher  im  Limathale  hinauf  ein  Vico  bei  S.  Marcello 
Pistojese,  welches  ebenfalls  von  Marlia  aus  in  einem  Tage  erreicht 
werden  kann.  Gilt  es  jedoch  auch  in  diesem  Falle  ein  Vicus  nach- 
zuweisen, welches  nicht  allein  auf  der  zweifellos  im  J.  [){)()  einge- 
schlagenen Route  liegt,  sondern  auch  zu  dieser  Zeit  bereits  existirt 
hat,  so  bieten  uns  die  zahlreichen  älteren  in  den  Memorie  di  Lucca 
abgedruckten  Urkunden  mehrere  zur  Grafschaft  Lucca  gehörigie  Ort- 
schaften, welche  als  vici  mit  oder  ohne  Zusatz  Ijezeichnet  werden. 
Unter  ihnen  scheint  aber  ein  ganz  nahe  bei  Marlia  gelegenes  Vicus 
(daher  oft  Vicus  in  Marlia,  aber  auch  Vicus  prope  strata  oder  Vico 
Elingo)  besondere  Bedeutung  gehabt  zu  haben.  Und  dieses  betrachten 
die  Localforscher  als  damalige  Residenz  des  Kaisers :  so  Puccinelli  -), 
welcher  sich  sogar  beim  Abdruck  des  D.  219  den  Zusatz  Vicus  .  .  . 
in  castello  Marliae  erlaubt  hat  und  Repetti  •'),  welcher,  was  ebenso 
richtig  ist,  von  Vico  poco  lungi  della  cittä  di  Lucca  redet.  Dafür,  dass 
sie  das  richtige  getroffen  haben,  spricht  wohl  auch  die  Bestimmung 
der  betreffenden  Urkunde  für  das  Kloster  von  S.  Sesto  liei  Marlia. 
Allerdings  führt  der  Weg  von  Marlia  im  Serchiothale  hinauf  an  dem 
Kloster  vorbei,  so  dass  die  Mönche  ihr  Gesuch  Otto  III.  auf  dessen 
Zug  nach  Modena  unterbreiten  konnten.  Aber  näher  liegt  doch  die 
Annahme,  dass  sie  den  mehrtägigen  Aufenthalt  desselben  in  Marlia 
und  dem  b,  nachbarten  Vicus  benutzten,  um  jenes  Präcept  zu  erwirken 
und  sich  noch  vor  dem  Aufbruch  ausfertigen  zu  lassen.  So  geneigt 
ich  also  bin  Puccinelli  beizupflichten,  so  habe  ich  mich  doch  in  der 
Diplomafa -Ausgabe  vorsichtshalber  der  bestimmten  Entscheidung  für 
Vicus  in  Marlia  enthalten.     Aber  gegenüber  Kehr,    der,    wie   ich  aus- 


')  Vgl.  die  Bulle  Victor  II.  JL.  4370:    in    palatio  s.  Donati  inxta  civitateni 
Arotinam.  -)  Cronaca   dell'  abbadia    di    Fiorenza    (Milano  1(584)    21b"   u.  29. 

3)  Dizionario  geogi'.  fisico  ßtorico  della  Toscana  (Firenze  1833 — 1846)  2,  835. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  IH.  395 

drücklich  anerkeune,  die  im  Juni  uud  Juli  996  eingeschlagene  Eoute 
im  ganzen  und  grossen  richtig  angegeben  und  anschaulich  gemacht 
hat  und  nur  in  der  Deutung  dieses  Ortsnamens  auf  halbem  Wege 
stehen  geblieben  ist,  halte  ich  meinen  obigen  Vorschlag  aufrecht. 

Weit  mehr  zweien  Kehr  uud  ich  in  der  Beantwortung  der  schwerer 
wiegenden  Frage,  wann  Otto  III.  Italien  verlassen  und  wieder  deutschen 
Boden  betreten  hat  i).  Er  tritt  nochmals  für  die  bisher  allgemeine,  auch 
von  Stumpf  getheilte  Annahme  ein,  dass  D.  225  aus  Pavia  vom  5.  August 
996  das  letzte  in  Italien  ausgestellte  Präcept  sei,  und  dass  der  Kaiser 
bereits  am  15.  September  in  Ingelheim  oder  in  Strassburg  geurkundet 
habe.  Ich  dagegen  setze  das  in  Verona  ausgestellte  D.  226  zum 
11.  September  996  an  und  reihe  demselben  auch  noch  D.  227  an. 
Um  für  beide  Raum  zu  schaffen,  muss  ich  vorausschicken,  wie  ich  die 
von  Stumpf  .unter  Reg.  1093—1098  verzeichneten  Urkunden  beurtheile. 

Ueber  Stumpf  Eeg.  1093  brauche  ich  allerdings  kein  Wort  mehr 
zu  verlieren,  kann  also  gleich  zu  D.  229  übergehen,  welches  Kehr 
229  ausführlich  besprochen  und  anders  als  Stumpf  gedeutet  hat,  jedoch 
wie  ich  bereits  S.  378  gesagt  habe,  auf  Grund  von  Angaben,  welche 
sich  nicht  bewähren.  Der  Ausstellungsort  lautet  Ingelheim  und  die 
Zeitmerkmale  ergeben  den  15.  September  996.  Hier  ist  es  nun  nicht 
gerade  die  Entfernung  zwischen  Pavia  (5.  August)  und  Ingelheim, 
welche  Kehr  beanstandet,  sondern  viel  mehr  das  Reisen  in  die  Kreuz 
und  die  Quer  in  den  folgenden  Monaten  von  Ingelheim  nach  Bruchsal 
und  Selz  und  dann  wieder  nach  Mainz,  ein  Itinerar,  welches  auch  mir 
bedenklich  erscheint.  Doch  mir  ist  noch  bedenklicher  dass,  wie  man 
bisher  gemeint  hat,  der  Kaiser  überhaupt  schon  so  früh  in  Deutsch- 
land einsjetroffen  sein  soll.  Uud  dies  veranlasst  mich  el)enfalls  die 
Frage  aufzuwerfen,  ob  die  Datirung  von  D.  229,  obAvohl  dem  Originale 
nichts  anzusehen  ist,  vielleicht  eine  nichteinheitliche  ist. 

Ich  gehe  davon  aus,  dass  Otto  in  dieser  Urkunde  au  ein  Kloster, 
welches  inWürzburj?  an  die  Stelle  der  Kilianszelle  erbaut  werden  soll, 


')  Zu  den  letzten  in  Italien  ertlieilten  Diplomen  habe  ich  nichts  zu  be- 
merken. Ich  benutze  aber  die  Gelegenheit,  hier  die  Literaturangabe  von  Stumpf 
zu  Reg.  1092  (vgl.  auch  Cipolla  Fonti  inedite  72  nr.  282)  zu  ergänzen,  da  ich 
diese  Fälschung  in  der  Diplomata-Ausgabe  nicht  wieder  abdrucken  werde.  Citirt 
nämlich  Stumpf  nur  den  einen  Druck  vom  J.  177H,  so  hätte  er  mindestens  hin- 
zufügen sollen,  dass  grade  in  diesem  Werke  der  Nachweis  geliefert  worden  ist, 
dass  die  Urkunde  eine  grobe  und  ungeschickte  Fälschung  ist.  Zuerst  veröffent- 
licht ist  dieses  Machwerk  vom  Canonicus  Francesco  Memmo,  Vita  e  macchine 
di  Bart.  Feracino  colla  storia  del  ponte  di  Bassano  (Venezia  1754)  pag.  2  und 
zwar  zugleich  mit  einem  Heinrich  III.  beigelegten  und  ebenso  sinnlosen  Diplom 
vom  7.  September  1100  (Stumpf  2947). 


396  S  i  c  k  e  1. 

schenkt  quendam  nostrae  proprietatis  locuni  Kosla  dictum  .  .  .  cum 
ommbus  pertiueutiis  suis,  hoc  est  cum  rebus  a  uobis  illuc  per  prae- 
ceptum  traditis,  dass  also  auf  eiu  früheres  Präcept  Bezug  geuoramen 
wird.  ^Yar  dasselbe  uach  Inhalt  und  Bestimmung  gleich  ü.  229,  so 
konnte  sowohl  die  jüngst  erfolgte  Kaiserkrönung  als  die  Einsetzung 
eines  neuen  Bischofs  in  Würzburg  Anlass  zu  wiederholter  Beurkundung 
geben,  ja  beide  Ereignisse  konnten  hier  zusammenwirken.  Dafür,  dass 
die  Kanzlei  Otto  III.  nach  der  Kröuuncf  in  Kom  für  krjnisliche  Prä- 
cepte  Neuausfertigungen  unter  kaiserlichem  Protokoll  geliefert  hat,  hat 
bereits  Kehr  38  und  215  Belege  beigebracht;  gibt  es  deren  mehrere, 
so  begnüge  ich  mich  hier  als  ebenfalls  in  die  Zeit  der  damaligen 
Heimkehr  aus  Italien  fallend  D.  231  (Wiederholung  von  D.  4)  anzu- 
führen. In  unserem  Falle  kommt,  wie  gesagt,  noch  in  Betracht,  dass 
nach  dem  Tode  Bernwards  ein  Anverwandter  i)  desselben  Heinrich,  der 
Bruder  des  Kanzlers  Heribert,  am  24.  Oktober  995  zum  Bischof  vou 
Würzburg  bestellt  wurde  -),  und  vielleicht  noch  ein  drittes  Moment. 
Das  frühere  Präcept  hat  nämlich  möglicher  Weise  lediglich  Vergebung 
von  llosle  an  die  bischöfliche  Kirche  betroffen,  so  dass  es  einer  neuen 
Beurkundung  bedurfte,  als  die  Errichtung  eines  Klosters  und  die  Zu- 
wendung von  Kosla  an  dasselbe  beabsichtigt  wurde.  Auch  in  solchem 
Falle  sind  wir  berechtigt  von  Neuausfertigung  zu  reden. 

Dass  nun  in  Neuausfertigungen  die  Datirung  sehr  verschieden  behan- 
delt worden  ist,  bald  ohne  alle  Kücksicht  auf  die  Datirung  des  früheren 
Präcepts  und  bald  mit  Wiederholung  der  einen  oder  der  andern  An- 
gabe der  Vor  Urkunde,  ist  bekannt.  Sind  daher  in  dieser  Beziehung 
mehrfache  Erklärungen  zulässig,  so  wird  sich  doch  am  meisten  die 
empfehlen,  für  welche  sich  jeweilige  Bräuche  der  Kanzlei  geltend 
machen  lassen.  Und  um  diese  kenneu  zu  lernen,  brauchen  wir  uns 
nicht  auf  unzweifelhafte  Neuausfertigungen  zu  beschränken,  welche  oft 
schwer  erkennbar  nur  gering  an  Zahl  sind,  sondern  können  auch  alle 
die  Stücke  zu  Käthe  ziehen,  in  denen  sich  die  Beurkundung  lange 
ver/()gert  hat,  so  dass  eventuell  zwischen  Handlung  und  Abschluss 
des  Urkundengeschäfts  mehr  als  ein  Jahr  verflossen  ist.  So  entsteht 
hier  die  Frage  ob  und  wie  oft  die  Kanzlei  Otto  III.  von  der  Art 
nichteiuheitlicher  Datirung  Gebrauch  gemacht  hat,  Tages-  und  Orts- 
augabe der  Handlung  und  daneben  das    spätere  Jahr    einzutragen,    in 


')  Vgl.  Ucgg  Korogi-aphie    von  ^Vül•zburg  ],  257.  '^)  Vita   Heribcrti    in 

üS.  4,  742.  —  Wird  in  D.  229  Heinrich  frcquens  et  devotum  sei-vitiiim  nach- 
gerühmt, so  kann  sich  dies  sehr  wohl  auf  Dienste  beziehen,  welche  er  schon  vor 
seiner  Wahl  zum  Bischof  geleistet  hatte;  die  Worte  können  aber  auch  aus  der 
einem  seiner  Vorgänger  ausgestellten  Vorurkunde  stammen. 


Erläuterungeu  zu  den  Diplomen  Otto  III.  397 

welchem  das  Geschäft  zu  vollem  Abschluss  oder  iu  welchem  eiue 
Neuausfertigimg  zu  Stande  kam.  Kehr  S.  218  wusste  allerdiugs  nur 
zwei  Fälle  der  Art  anzuführen.  Aber  es  gibt  deren  eine  grössere 
Zahl,  wie  es  auch  zu  erwarten  ist,  sobald  wir  uns  der  Gepflogenheiten 
der  Kanzlei  Otto  IL  erinnern.  Schon  die  zweite  Ausfertigung  von 
DO,  IL  185  uiit  übereinstimmend  980  ergebenden  Jahresbezeichnungen 
wiederholt  aus  der  erster  Ausfertigung  die  Angaben  Dornburg  und 
3.  März  ^).  Auf  dem  unglücklichen  Kriegszuge  des  J.  982  wurden 
viele  Präeepte  zugesagt,  aber  sie  wurden  zum  Theil  erst  im  folgenden 
Jahre  fertiggestellt  (s.  DDO.  IL  2(38—271).  Hatten  sich  damals  selbst 
die  italienischen  Notare  zu  solchem  Vorgehen  bequemt,  so  wird  es 
den  Hildibald-Notaren  ganz  geläufig  geworden  sein,  so  geläufig,  dass  sie 
es  auch  unter  Otto  III.  anzuwenden  in  Versuchung  kamen,  so  oft  häufiger 
und  schneller  Wechsel  der  Aufenthaltsorte  die  Erledigung  der  Geschäfte 
erschwerte.  So  halte  ich  mich  für  l>erechtigt,  die  DDO.  III.  ebenfalls, 
wenn  die  Einreihung  auf  Schwierigkeiten  stösst,  darauf  hin  zu  prüfen, 
ob  bei  ihnen  die  Annahme  dieser  Art  nichteinheitlicher  Datiruug  am 
Platze  ist,  und  das  um  so  mehr,  da  ich  ausser  den  schon  von  Kehr  au- 
geführten l^eispielen  bereits  andere  wie  DD.  13,  226  kenneu  gelernt  habe. 
Auch  hier  lassen  sich  noch  Unterarten  scheiden.  Aber  vorherr- 
schend ist  doch,  soweit  ich  bisher  sehe,  dass  Tag  und  Jahr  auseinander 
fallen,  und  des  weiteren  häufiger,  dass  der  Ort  zum  Tage  gehört,  als 
dass  er  zum  J-ahre  gehört.  Letzteres  wäre  ja  für  D.  229  annehmbar, 
denn  der  Kaiser,  der  im  November  996  Mainz  besuchte,  kann  damals 
auch  Ingelheim  berührt  haben.  Der  15.  September  stände  dann  für 
sich  da  und  könnte  einem  beliebigen  Jahre  zugewiesen  werden,  selbst 
996,  wenn  wir  annehmen  wollen,  dass  der  neue  Bischof  von  Würz- 
burg den  Kaiser  in  Italien  aufgesucht  habe.  Wahrscheinlicher  ist  jedoch, 
dass  sich  auch  in  unserem  Diplom  Orts-  und  Tagesangabe  auf  den- 
selben Zeitpunkt  beziehen.  Dann  aber  kann  die  von  uiir  vorausgesetzte 
erste  Ausfertigung  gleichen  oder  doch  analogen  Inhalts  nicht  dem 
Bischof  Heinrich,  sondern  sie  muss  einem  seiner  beiden  Vorgänger 
Beruward  oder  Hugo  ertheilt  Av^orden  sein,  entweder  im  J,  994,  in 
dessen  September  Otto,  wie  wir  aus  D.  147  (Kehr  226)  erfahren,  in 
der  Pfalz  Ingelheim  weilte  und  laut  dem  in  Solingen  ausgestellten 
D.  150  Bernwards  Besuch  empfing,  oder  im  J.  985  als  Otto  auf  der 
Reise  von  Westfalen  nach  Baiern  Ingelheim  berührt  haben  wird  2). 


')  Weitere  Fälle  habe  icli  in  den  KrUlut.  zu  den  DDO.  [[.  Mitili.  Erg. 
2,  162  angeführt.  ^)  Vgl.  DD.  20  und  21  ;  hiefür  würde  die  Publicationsformel 
sprechen,  welche  mit  jener  der  DD.  11,  12,  IG",  19  und  21  verwandt  ist,  während 
später  der  Gebrauch  von  cunctis  nicht  wiederkehrt. 


398  Sickel. 

Für  die  weitere  Frage,  in  welchem  Monate  des  J.  996  die  Neu- 
ausfertigung D.  229  zu  Stande  gekommen  oder  wenigstens  in  Angriff 
genommen  worden  ist,  kommt  in  Betracht,  dass  der  schliesshch  ein- 
fifetrao-ene  Monatsname  Oktober  auf  Correctur  beruht  und  dass  das 
noch  sichtbare  s  entweder  auf  den  Zeitraum  vom  14.  August  bis 
13.  September  oder  auf  die  Tage  vom  14. — 30.  September  hinweist. 
Letzteres  unter  der  Voraussetzung,  dass  der  Notar,  wie  das  oft  ge- 
schehen ist,  die  von  den  Oktober-Kaienden  rückwärts  zu  zählenden  Tage 
des  Septembers  fälschlich  kal.  sept.  benannt  hätte,  eine  Voraussetzung, 
welche  jedoch  ausgeschlossen  ist  durch  meine  Annahme,  dass  Tages- 
und Ortsangabe  von  D.  229  einer  Vorurkunde  entlehnt  seien,  denn 
beim  einfachen  Copiren  dieser  Angaben  entfiel  jeder  Anlass,  die  Monats- 
namen zu  verwechseln.  So  muss  ich  in  Consequenz  jener  Annahme 
die  unbestreitbare  Correctur  anders  deuten,  nämlich  dahin,  dass  HF. 
zuerst  das  Datum  der  neuen  Beurkundung  eintragen  wollte,  welches 
zwischen  14.  August  und  13.  September  fallend  .  .  .  sept.  zu  bezeichnen 
war,  und  dass  er  erst  nachträglich  sich  entschloss,  vielleicht  auf  höhere 
Weisung,  D.  229  als  mit  einem  früheren  Präcepte  zusammenhängend 
gleich  diesem  vom  15.  September  und  aus  Ingelheim  zu  datiren.  Das 
Erffebniss  wäre  dann  folgendes.  Dem  Gesuche  des  Bischofs  Heinrich 
(ob  er  dasselbe  in  Person  vortrug  oder  durch  Boten  oder  ihm  be- 
freundete Hofgeuossen  unterbreiten  liess,  erfahren  wir  nicht)  wurde, 
etwa  als  der  Kaiser  in  Pavia  weilte,  Folge  gegeben  und  nach  den 
Iden  des  August  schritt  die  Kanzlei  7Air  Anfertigung  der  neuen  Urkunde  i). 

Bevor  ich  von  anderen  Urkunden  handle,  welche  damals  noch 
in  Italien  ausgestellt  worden  sind,  bespreche  ich  die  nach  der  Heim- 
kehr nach  Deutschland  ertheilten.  Aus  D.  231  lese  ich  heraus,  dass 
die  Notare  auf  der  eigentlichen  Wanderung  sich  nicht  gern  der  Mühe 
der  Kanzleiarbeit  unterzogen,  sondern  letztere  wo  möglich  hinaus- 
schoben, bis  sie  wieder  einigermassen  zur  Kühe  gekommen  waren. 

Der  Abt  Gregorius  von  Einsiedeln  hatte  persönlich,  also  doch 
wohl  als  Otto  durch  die  Scliweiz  zog,    gebeten,    dass    ihm    der  Kaiser 


')  In  Anbetracht  der  Unsicherheit  dieser  Erklärung  ist  jedoch  D.  229  nicht 
zum  August  des  Jahres  996,  sondern  als  letztes  der  in  Italien  ausgestellten  Di- 
plome eingereiht  worden.  —  Ich  muss  hier  noch  der  zwei  unausgefüllten  Lücken 
gedenken,  welche  das  Original  aufweist.  Die  Auslassung  des  Namens  des  Heiligen, 
welchem  das  erst  zu  errichtende  Kloster  gewiflmet  werden  soll,  hängt  gewiss 
nicht  mit  der  Neuausfertigung  zusammen.  Anders  steht  es  mit  der  Auslassung 
des  Namens  des  Gaues  in  welchem  Rosla  gelegen  war;  sie  nöthigt  zur  Annahme, 
dass,  falls  das  frühere  Präcept  der  Kanzlei  vorlag,  bereits  dieses  die  gleiche  Lücke 
aufwies,  oder  dass,  wenn  nur  ein  Auszug  aus  dem  früheren  Präcepte  eingereicht 
worden  war,  in  diesem  die  Angabe  des  Gaues  fehlte.  ^ 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  399 

das  Präcept  (D.  4),  welches  er  ihm  im  ersten  Jahre  seiner  königlichen 
Regierung  ertheilt  hatte,  erneuere.  Lautet  nun  die  neue  Urkunde 
wörtlich  wie  die  frühere  (nur  in  der  Aufzählung  der  Besitzungen  geht 
jene  etwas  weiter),  so  muss  sofort  bei  Vorlage  von  D.  4  ein  Concept 
für  D.  231  oder  wenigstens  eine  Abschrift  der  Vorurkuude  von  der 
Kanzlei  angefertigt  worden  sein,  an  welche  sich  dann  der  Ingrossist 
Her.  A.  gehalten  hat.  Aber  auf  der  Reise  nahm  mau  sich,  wie  gesagt, 
nicht  die  Zeit,  das  neue  Diplom  auszufertigen.  Die  Mönche,  welche 
wahrscheinlich  beauftragt  waren,  dasselbe  in  Empfang  zu  nehmen, 
mussten  sich  bis  zur  Ankunft  des  Hofes  in  Bruchsal  gedulden,  wo 
ihnen  endlich  D.  231  vom  31.  Oktober  ausgefolgt  wurde.  Daraus  lässt 
sich  aber  auch  zurückschliessen  auf  die  Zeit  des  Uebergangs  über  die 
Alpen.  Hätte  dieser,  wie  bisher  angenommen  wurde,  bereits  im  August 
stattgehabt,  so  hätten  die  Einsiedler  Brüder,  welche  es  an  Mahnungen 
nicht  werden  haben  fehlen  lassen,  zwei  Monate  auf  die  Erledigung 
ihrer  Angelegenheit  warten  müssen.  Das  ist  so  unwahrscheinlich,  dass 
ich  auch  aus  diesem  Grunde  die  Annahme  längeren  Verweil ens  des 
Kaisers  in  Italien  vorziehe.  Vor  D.  231  fällt  nun  das  einzige  D.  230 
vom  21.  Oktober,  ohne  Ortsaugabe.  Ich  sagte  schon  S.  377,  dass  der 
betreflfende  Name  wahrscheinlich  nur  in  der  Copie  ausgefallen  ist; 
sollte  er  jedoch  schon  im  Original  gefehlt  haben,  so  könnte  das  aller- 
dinsfs  srerade  damit  zusammenhängen,  dass  die  Notare  noch  auf  un- 
unterbrochener  Wanderung  begriffen,  nachlässig  arbeiteten  oder  auch 
nicht  recht  wussten,  wie  sie  es  mit  den  Angaben  von  Tag  und  Ort 
halten  sollten,  eine  Unsicherheit,  welche  auch  bei  der  Ausfertigung 
von  D.  229  gewaltet  zu  haben  scheint  ^). 

Ich  habe  die  von  Stumpf  einst  als  Reg.  1095  verzeichnete  Urkunde 
übersprungen,  weil  ich,  wie  er  selbst  dann  vorschlug-),  dieselbe  zum 
Mai  1000  einreihe.  D.  233  belasse  ich  trotz  der  von  Kehr  199  ge- 
machten Bemerkungen  bei  dem  J.  996.  So  habe  ich  nur  noch  von 
D.  232   zu   reden.     Ich    bezeichne    dasselbe    als   Diplom    zweifelhafter 

')  Der  Gedankt  liegt  nahe,  dass  es  zumeist  auf  Wunsch  der  Empfänger 
der  Urkunden  geschehen  ist,  dass  mehr  oder  minder  zurückgreifende  Daten  von 
der  Kanzlei  eingetragen  worden  sind,  obgleich  die  Ausführung  dann  so  mangel- 
haft gewesen  ist,  dass  der  Partei  daraus  kein  rechter  Gewinn  erwuchs.  War 
z.  B.  in  der  Neuausfertigung  D.  229  der  15.  September  als  Tag  der  vorausge- 
gangenen Beurkundung  wiederholt  worden,  so  konnte  damit  nicht  erwiesen  wer- 
den, dass  die  Schenkung  bereits  am  15.  September  985  oder  994  erfolgt  war; 
es  hätte  dazu  des  fi-üheren  Präcepts  oder  anderer  Documente  bedurft.  Trotzdem 
will  ich  gerade  hier  auf  das  ins  Spiel  kommende  Interesse  des  Empfängers  hin- 
weisen, weil  noch  eine  zweite  Urkunde  Otto  lll.  für  Würzburg  vom  J.  1000 
(s.  Kehr  251)  analog  behandelt  worden  ist.      -)  So  auch  Ficker  Beitr.  1,  160  u.  2,  515. 


400  Sickel. 

Geltung,  betrachte  aber  das  ganze  Escliatokoll  als  von  HF.  geschrieben 
und  die  Datirung  als  durchaus  gesichert,  auch  abgesehen  davon,  dass 
sie  mit  der  von  D.  231  so  gut  wie  übereinstimmt.  Bruchsal  ist  somit 
der  erste  uns  genannte  Aufenthaltsort  des  Kaisers  nach  seiner  Kück- 
kehr  nach  Deutschland.  Weisen  wir  ihn  aber  unter  der  Voraussetzung, 
dass  Ingelheim  und  15.  September  in  D.  229  nicht  wörtlich  zu  nehmen 
sind,  in  Deutschland  nicht  früher  nach  als  am  21.  Oktober  (D.  230) 
und  erhalten  Avir  als  erste  genaue  Itinerarsangabe  nach  dem  Ueber- 
schreiten  der  Alpen  Bruchsal  am  31.  Oktober  (D.  231),  so  steht  nichts 
mehr  im  Wege,-  den  Kaiser  bis  weit  in  den  September  hinein  in  Ober- 
italien weilen  zu  lassen,  und  so  habe  ich  mir  den  Weg  gebahnt,  die  Da- 
tirung von  D.  22ß  anders  zu  deuten  als  es  Kehr  gethan  hat  und  aus  ihr 
herauszulesen,  dass  Otto  III.  noch  am  11.  September  996  zu  Verona  war. 

Aus  den  Erörterungen  Kehrs  262 — 264  über  D.  226  hel^e  ich 
zuerst  drei  Sätze  hervor,  welche  ich  ohne  jeden  Vorbehalt  unterschreibe : 
diese  Urkunde  ist  inhaltlich  unanfechtbar;  die  vorliegende  Fassung 
kann  jedoch  erst  im  J.  1001  entstanden  sein;  weisen  aber  die  Jahres- 
bezeichnungen auf  frühere  Zeit,  so  muss  auch  hier  nichteinheitliche 
Datirung  beliebt  worden  sein.  Es  gilt  zu  untersuchen,  welche  be- 
sondere Art  solcher  Datirung  hier  Platz  gegriffen  hat,  wie  demnach 
die  Datirung  zu  deuten  und  das  Präcept  einzureihen  ist,  eine  Unter- 
suchung, welche  durch  die  mangelhafte  und  unsichere  Ueberlieferung 
erschwert  ist.  Dass  ich  nun  das  von  Kehr  gewonnene  Ergebniss :  Otto 
habe,  als  er  etwa  im  April  996  zu  Verona  Hof  hielt,  dem  Bischöfe 
von  Coucordia  die  Bestätigung  der  Besitzungen  und  Kechte  seiner 
Kirche  zugesagt,  habe  ihm  aber  erst  am  11.  September  1001  während 
des  damaligen  Aufenthaltes  in  Kavenna  D.  226  anfertigen  und  aus- 
folgen lassen^),  ablehne,  geschieht  aus  doppeltem  Grande:  ich  bin  über 
die  handschriftliche  Ueberlieferung  besser  als  Kehr  unterrichtet  und  ich 
erl)licke  nicht  wie  er  in  D.  229  ein  Hinderniss,  eine  einfachere  und 
den  damaligen  Bräuchen  mehr  entsprechende  Lfisung  vorzuschlagen. 

Kehr  hatte  allerdings,  als  er  dieses  Diplom  bearbeiten  wollte,  die 
vier  Copieu,  über  welche  unser  Apparat  bis  zum  J.  1888  Aufschluss 
gab,  ungenügend  befunden  und  hatte  veranlasst,  dass  zwei  nochmals 
verglichen  wurden;  aber  wie  sie  sich  zu  einander  verhalten,  war  ihm 
doch  nicht  klar  geworden.  Schlimmer  war,  dass  er  üliersehen  hatte, 
dass  Ottenthai  als  neueren  Druck  eingetragen  hatte:  Degani  La  diocesi 
di  Concordia   (S.  Vito   al  Tagliamento  1880)  86   und    damit   auf  eine 


')  Somit  soll  sich  Verona  allein  anC  die  Ilancllnng  beziehen,  alle  Zeitangaben 
dagegen  aollen  dem  Zeitpunkt  der  Beurkundung  entsprechen. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  4Qj 

ältere  jedenfalls  noch  zu  benutzende  Copie  aufmerksam  gemacht  hatte  i). 
Einmal  auf  dieses  üebersehen  aufmerksam  gemacht,  stiess  ich  in  De- 
gaui  auf  die  Spur  einer  zweiten  älteren  Abschrift.  Wer  nun  nur 
eiuigermassen  die  Beschaffenheit  der  ürkundenabschrifteu  kennt,  welche 
von  den  Venetianischen  Forschern  der  letzten  Jahrhunderte  in  grosser 
Anzahl  angefertigt  worden  sind,  wird  es  nicht  versäumen,  der  Ueber- 
lieferung  über  sie  hinaus  nachzugehen,  um  eine  sicherere  Grundlage 
zu  gewinnen.  Letzteres  ist  mir  auch  in  diesem  Falle  gelungen.  Die 
eine  und  die  andere  Variante  in  der  Datirungszeile,  auf  welche  es  be- 
souders  ankommt,  ist  beseitigt.  Erscheineu  doch  noch  einzelne  Worte  und 
Zahlen  auch  in  den  älteren  Copien  verderbt,  so  liegt  deren  Emendation 
nahe.  Die  Hauptsache  aber  ist,  dass  auch  bei  D.  22G  die  anomale  Datirimo- 
verbürgt  ist,  so  dass  die  Aufgabe  sie  zu  erklären  nach  wie  vor  besteht. 

Die  älteste  bisher  aufgefundene  Copie  (B)  ist  die  von  Degaui  be- 
nutzte im  Archivio  della  mensa  capitolare  in  Portogruaro.  Sie  ist  zu 
Ausgang  des  13.  Jahrh.  auf  Papier  geschrieben.  Dieses  einst  gefaltet 
und  so  auch  in  der  Richtung  von  obeu  nach  unten,  hat  sich  mit  der 
Zeit  in  zwei  Hälften  zerlegt,  deren  Ränder  mehr  oder  minder  ver- 
modert sind,  ein  Schaden,  welcher  nicht  mehr  gut  zu  machen  war, 
als  man  später  die  beiden  Hälften  auf  stärkeres  Papier  aufklebte.  Es 
finden  sich  also  in  der  Mitte  der  Zeilen  mehrere  Lücken,  namentlich 
in  dem  unteren  Theile.  B  weist  zwei  äusserliche  Merkmale  auf,  welche 
offenbar  einem  Original  aus  dem  J.  1001  nachge])ildet  worden  sind, 
nämlich  die  Verschränkung  des  Namens  Otto  (wie  in  KU.  in  Abbild. 
9,  12;  s.  Kehr  101)  und  das  kaiserliche  Monogramm.  Doch  halte 
ich  B  nicht  für  eine  unmittelbar  aus  der  Kanzleiausfertigung  geflossene 
und  authentische  Copie,  denn  solche  würde  im  13.  Jaln-h.  wohl  auf 
Pergament  geschrieben  und  mit  einer  Beglaubigungsturmel  versehen 
worden  sein.  Aber  obwohl  nur  Copie  zweiten  oder  dritten  Grades, 
erweist  sich  B  als  die  beste  unter  allen  Ueberlieferungsformen,  so  dass, 
nur  weil  sie  lückenhaft  ist,  für  die  Edition  andere  Abschriften  zu  Hilfe 
zu  nelimen  siud. 

Der  Zeit  nach  folgt  D,  eine  Copie  des  14.  Jahrh.  in  Form  eines 
Transsumtes,  welches  eingeheftet  ist  in  den  Cod.  Bibl.  Marcianae  lat. 
cl.  IV.  nr.  52  -).  Aus  den  Schlussworten  erfahren  wir,  dass  auf  Ge- 
heiss  des  Bischofs  Petrus  von  Concordia  (1348— 13G0)  Jacobus  Bar- 
tholomei  de  Portunaonis  imp.  auct.  notarius  ...  de   quodam  exeuijdo 

')  Dies  Buch  befand  sich    überdies    in   der  lustitutsbibliotliek.  '^)  Neue 

Signatur  VIII.  110.  —  kli  ziehe  vor,  mich  hier  der  iilteren  Bezeichnungen  zu 
bedienen,  weil  .sie  den  Vergleich  mit  den  Angaben  von  Pertz,  Bethmann  u.  a. 
erleichtern. 

Mittheiluugen  XII.  26 


402 


Sickel. 


einen  Transsimt  anfertigte.  U  ist  aber  keineswegs  der  Origiualtrans- 
sumt,  sondern  nur  zweites  Exemplar  oder  Abschrift  eines  solchen.  Das 
ero-ibt  sich  aus  dem  Verhältuiss  zu  einer  andern  Ueberlieferuugsform, 
welche  uns  zugleich  erklärt,  was  zur  Transsuminmg  unter  dem  Bischof 
Petrus  Anlass  gab. 

Das  Museo  Concordiese   zu  Portogruaro    besitzt   in   einem  Perga- 
mentcodex   eine  Reihe    von  Urkundenabschriften,    welche    gelegentlich 
einer  Lehensstreitigkeit  dem  Officio  del  luogotenente  della  patria  vor- 
gelegt wurden  und  unter  diesen  die  Abschrift  eines  Diploms  Karl  IV. 
für    Concordia    (Prag    1.353    August    11)  i),    in    welches    das    Präcept 
Otto  III.  inserirt  ist  (C).     Lauten  nun  C  und  D  wesentlich  gleich,    so 
gehen   sie  offenbar  auf  denselben  kurz  vor  1353  angefertigten  Trans- 
sumt   zurück.     Fragen   wir   aber   nach    der  Vorlage    dieses   uns    nicht 
erhaltenen  T  2),    so  erhalten  wir  über  deren  Beschaffenheit  aus  C  und 
D  die   gleiche  Auskunft.     Im  Diplome  Karls  wird  nämlich    nicht    mit 
einem  Worte  gesagt,    wie  das  sonst  üblich  war,    dass    das  Privilegium 
Ottonis    irgendwie    ]3eglaubigt   gewesen    sei.     Dasselbe    gilt   aber  auch 
von  dem  auf  Geheiss  des  Bischofs  transsumirten  exemplum :  wäre  das- 
selbe  mit  einer  Authenticitätserklärung   versehen    gewesen,    so    würde 
die    auch    in    dem    neuen  Transsumte  wiederholt  worden  sein.     Schon 
das   legt  den  Gedanken   nahe,    dass   unser  B  Quelle  von  T  und  somit 
auch  von  den  aus  T  geflossenen  C  und  D  sei.     Und  das  wird  vollauf 
bestätigt    durch    eine  Prüfung  der  drei  Texte.     Der  Varianten  gibt  es 
viele.   Aber  sie  sind  von  geringem  Gewichte  und  reichen  nicht  weiter 
als    es    bei    minder    sorgfältigem  Copieren    im    14.  Jahrh.   der  Fall  zu 
sein  pflegt.   Den  Ausschlag  gibt,  dass  C  und  D  gewisse  Fehler  mit  B 
gemein  haben.     Was  daraus  zu  folgern  ist,  habe  ich  schon  zuvor  ge- 
sagt:   wir   haben    uns    an  B  zu  halten  und  lediglich  die  Lücken  des- 
selben nach  C  oder  D  auszufüllen. 

Ueber  drei  jüngere  Copien  ist  nur  wenig  zu  sagen.  Zwei,  E 
und  F,  finden  sich  in  Sammlungen  von  Fontanini,  nämlich  E  im  Cod. 
Font.  ur.  78  pag.  229  in  der  Coramuualbibliothek  zu  S.  Daniele,  und 
F   im   Cod.  Font.  IL  647    pag.  429    des   k.  Staatsarchivs    zu  Venedig. 


•)  Von  Degani  1.  c.  nach  einer  Jüngern  Absclii-ift  veröffentlicht.  —  Herr 
Canonicns  Degani,  welcher  bereits  Dr.  Tangl  hei  seinem  Besuche  in  Portogruaro 
sehr  freundlich  unterstützt  hatte,  hatte  auf  mein  Ansuchen  die  Güte  in  Porto- 
gruaro und  in  Venedig  dem  Original  des  Diploms  vom  J.  1353  oder  älteren  Co- 
pien dieses  und  des  Ottonischen  Diploms  nachzuspüren.  Bisher  fand  er  nur  jenes 
MS.  auf,    aus  dem  er  die  ganze  Urkunde  Karls  liir  uns  cojiirte.  '-')  Vermuth- 

lich  wurde  T  der    kaiserlichen  Kauzlei    eingesandt   und    ist   dort   nach  erfolgter 
Insertion  verloren  gegangen. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  403 

Beide  sind  nach  D  augefertigt,  weisen  daher  gleicl]  D  in  der  Datiruiig 
die  unrichtige  Mouatsangabe  april.  auf.  Kommen  sie  neben  D  für 
den  Editor  gar  nicht  in  Betracht,  so  gilt  das  in  noch  höherem  Grade 
von  der  Abschrift  G  (17.  — 18.  Jh.)  im  Cod.  Bibl.  Marc.  lat.  cl.  XIV 
nr.  28  pag.  265.  Als  Bethmann  den  Druck  von  Ughelli  i)  mit  G 
verglich,  hatte  er  ein  einziges  Wort  und  eine  einzige  Zahl  zu  ver- 
bessern. Man  könnte  also  zunächst  daran  denken,  dass  G  aus  Ughelli 
copirfc  sei.  Kichtiger  ist  wohl  die  andere  Erklärung,  dass  G  von  einem 
Manne  stammt,  welcher  Coleti  diese  Urkunde  behufs  Ver()ifentlichuug 
zusenden  wollte,  den  handschriftlichen  Text  aber  zuvor  emendirte  -). 

Von  der  Datirung  ist  nun  in  B  noch  zu  sehen :  anno  dorainice 
ine  .  .  .  nongentesimo  .  .  .  anno  regis  Ottonis  tercii  VIII,  imperii  vero 
primo ;  actum  vero  et  dictum  ad  s.  Zenonem  in  civi  ....  III.  id.  sep. ; 
feliciter  amen.  C  stimmt  damit  überein  und  füllt  die  zweite  Lücke 
aus  mit  LXXXVI  indictione  und  die  dritte  mit  civitate  Verona.  Da- 
von weicht  D  nur  zum  Schluss  ab,  indem  es  bietet  in  civ.  Verona 
ad  s.  Z.  III.  id.  apr. ;  felicitate  amen;  wird  hier  die  Flüchtigkeit  des 
Copisten  offenkundig,  so  kann  ich  der  Lesart  apr.  keinen  Werth  bei- 
legen. Gemeinsam  ist  also  BCD  die  Auslassung  der  Römerzinszahl 
und  a.  r.  VIII,  und  übereinstimmend  bieten  C  D  986,  während  a.  imp.  I. 
erfordert  a.  r.  XIIT,  a.  ine.  996.  Ich  meine,  dass  gegen  die  Emendation 
durch  Einschaltung  von  X  in  die  Zahl  der  Incarnatioiisjahre  und  durch 
Aenderung  des  überlieferten  VIII  in  XIII  keine  Einwendung  gemacht 
werden  kann.  Will  man  Aveitergeheu,  so  kann  man  noch  ind.  IX  oder 
auch  X  ergänzen;  doch  ich  ziehe  vor,  die  vielleicht  schon  im  Original 
vorhandene  Lücke  unausgefüllt  zu  lassen. 

Die  Zulässigkeit  der  Annahme,  dass  Otto  III.  im  September  996 
noch   in  Verona    geweilt    habe,    habe    ich    zuvor    dargethan.     Für   die 


')  Tom.  5,  327  der  2.  Ausgabe  vom  J.  1720.  —  In  der  ersten  Ausgabe  fehlt 
nocb  das  Diplom.  ^)  So  sind  die  BCD  gemeinsamen  Fehler  favencium  (statt 
favente),  dictum  (datum)  u.  a.  verbessert  worden.  Desgleichen  sind  in  C  und  D 
fehlende  Worte  (z.  B.  componat,  magna  parvaque  persona)  ergänzt  worden.  Ein- 
mal findet  sich  ein  Emendationsvorschlag  durch  vel  eingeleitet  in  Klammer.  Der 
Bearbeiter  hat  sich  besondere  Mühe  gegeben,  nach  seinem  Wissen  die  Diitirung 
in  Ordnung  zu  bringen :  die  Jahresangabe  989  (statt  dessen  in  Ughelli  988)  stammt 
von  ihm.  Ist  nun  auch  hier  die  Beglaubiguugserklärung  des  Notars  Jacobus 
Bartholomei  wiederholt,  so  könnte  mau  G  als  auf  D  fassend  betrachten.  Dazu 
passt  jedoch  nicht,  dass  G  die  richtige  Lesart  sept.  bietet.  Es  müssten  also 
nebenbei  B  oder  C  benutzt  worden  sein.  Die  Annahme,  dass  um  1700  noch  T 
zur  Verfügung  gestanden  habe,  erscheint  mir  unzulässig,  denn  um  diese  Zeit  hat 
man  in  Venedig  bereits  alle  (Sorgfalt  auf  Erhaltung  des  archivalischen  Materials 
angewandt  und  würde  T  nicht  in  Verlust  gerathen  lassen  haben. 

26* 


404  S  i  c  k  e  1. 

weitere  Annahme,  tlass  er  damals  dem  Bischöfe  von  Concordia  eine 
Urkunde  ertheilt  oder  wenigstens  zugesagt  habe,  lüsst  sich  geltend 
machen,  dass  sich  der  Kaiser  angelegentlich  mit  den  Verhältnissen  und 
Zuständen  im  Friaul  beschäftigt  hat.  Zu  der  Kegelung  der  Beziehungen 
zu  Venedig  kommt  die  dem  Patriarchen  von  Aquileja  am  26.  Juni 
ausgestellte  Bestätigungsm*kunde,  welcher  am  5.  August  die  dem  Bi- 
schof von  Treviso  gewährte  Confirmation  folgte.  Bei  der  Unterordnung 
von  Concordia  unter  Aquileja  lag  es  nahe  auch  für  jenes  zu  sorgen. 
Besonderen  Anlass  mochte  der  Streit  zwischen  Venedig  und  Belluuo, 
über  den  Johannes  diaconus  ausfühi'lich  berichtet  ^),  darbieten :  han- 
delte es  sich  bei  diesem  um  Besitzungen  in  der  Nähe  von  Oderzo  und 
am  rechten  Ufer  der  Livenza  und  war  der  Kaiser  geneigt  diese  dem 
kleinen  Nachbarstaate  zuzusprechen,  so  musste  dem  Bischöfe  von  Con- 
cordia daran  gelegen  sein,  für  seinen  am  andern  Ufer  der  Livenza 
gelegenen  Besitzungen  sich  einen  neuen  Rechtstitel  zu  verschaffen. 

Setze  ich  nun  mit  Kehr  die  Ausfertigung  der  uns  überlieferten 
Urkunde  in  das  J.  1001,  so  sind  zwei  Möglichkeiten  ins  Auge  zu 
fassen :  es  mag  im  J.  99G  im  Augenblick  des  Aufbruchs  nach  Deutsch- 
-land  nicht  zu  der  versprochenen  Beurkundung  gekommen,  sondern 
eine  Verzögerung  von  Jahren  eingetreten  sein  —  oder  es  mag  aus 
irgend  einem  Grunde  nach  Jahren  eine  Neuausfertigung  beliebt  wor- 
den sein.  In  beiden  Fällen  moclite  der  Bischof  es  seinem  Interesse 
mehr  entsprechend  finden,  dass  in  dem  Diplom  vom  J.  1001  der  Zeit- 
punkt verewigt  werde,  in  dem  ihm  der  Kaiser  seinen  Besitz  bestätigt 
hatte,  d.  h.  der  11.  September  996.  Und  das  kann  die  Kanzlei  be- 
stimmt haljen,  der  Datirungszeile  eine  andere  Fassung  zu  geben,  vor- 
ausgesetzt, dass  diese  schon  von  dem  Original  geboten  wurde.  Hier 
liegt  die  Sache  nicht  wie  bei  den  anomalen  Datirungen  unter  Otto  I.  -), 
dass  gewisse  Notare  eine  Zeit  lang  sich  nicht  an  die  Hegel  und  das 
Herkommen  gebunden  haben,  sondern  actum  vero  et  datum  •'')  findet 
sich  in  keinem  zweiten  Diplome  Otto  III.  und  lässt  daher  auf  bewusste 
und  absichtliche  Abweichung  schliessen. 

Auf  D.  226  lasse  ich  dann  unmittelbar  (also  als  D.  227)  die  Ge- 
richtsurkunde folgen,  welche  bisher  nur  von  Stumpf  Acta  inedita 
621  nr.  442  veröffentlicht  worden  ist,  und  zwar  in  einer  AVeise  emen- 
dii-t,  welche  die  sich  dem  Leser  aufdrängenden  Bedenken  nicht  behel)en 
konnte,    sondern  vielmehr  steigern  musste  4).     Zweifel  an  der  Eclitheit 

«)  Vgl.   Kohlschütter  Venedicr  03.  2)  Mittheilungen   2,  271    nnd   Ficker 

Beitrüge  2,  393.  •'')  Denn    so   wird    doch    das    in   B    gebotene    und   von  CD 

wiederholte  dictum  zu  eracndircn  sein.         ■•)  In  Folge  einer  zweifachen  Verwechs- 
lung hatte  Stumpf   auch   die  Auffindung   des   zu   Grunde   liegenden   Exemplum 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  405 

hat  Stumpf  offenbar  nicht  gehegt.  Machte  ihm  aber  die  Datirung: 
996  November  23.  insofern  SchAvierigkeiteu ,  als  er  Heimkehr  des 
Kaisers  nach  Deutschland  im  September  annahm,  so  glaubte  er  dieselbe 
zuversichtlich  durch  Verbesserung  der  allerdings  emendationsbedürftigen 
Namen  beheben  zu  können. 

Ich  berichte  gleich  hier  über  die  Entstellung  der  Namen  und 
Titel  in  dem  Transsumte.  Da  sich  der  obere  Theil  desselben  nicht 
erhalten  hat,  lernen  wh-  die  im  Eingänge  der  Urkunden  genannten 
Beisitzer  nur  aus  den  Unterschriften  kennen.  Und  da  folgen  auf  die 
des  Eribertus  iudex  et  notarius  domini  imperatoris,  welcher  die  notitia 
aufgesetzt  hat,  zwölf  Unterfertigungen.  Die  des  Kaisers,  des  Ardingus 
comes  palatinus,  des  Tebaldus  dux  et  marchio,  des  d.  Henricus  dux 
erscheinen  als  nicht  eigenhändig,  sondern  werden  eingeleitet  durch 
signum  f  manus  etc.  Dagegen  erscheinen  als  autograph  die  Unter- 
schriften von  fünf  Bischöfen,  respective  Erzbischöfen,  vom  Grafen 
Odelrich  (diese  schicken  ihren  Namen  ein  Kreuz  voraus)  und  von  zwei 
iudices,  die  sich  ihres  Notariatszeichens  bedienen.  Werden  uns  so  als 
Beisitzer  genannt  Johannes  Aquileiensis  patriarcha  ^),  llozo  Triv,  (zu 
verbessern  Tarvisieusis)    episcopus,  Lanbertus  Vicentinus  episcopus,    so 


exempli  ex  auctentico  rellevati,  d.  h.  eines  Transsumtes  vom  J.  1283  erschwert. 
Er  gab  nämlich  an :  im  Bischofsarchiv  zu  Verona  durch  L.  Bethmanu,  aus  den 
Papieren  der  Mon.  Germ,  historica.  Auf  Bethmann  mag  ihn  gebracht  haben, 
dass  dieser  im  Archiv  12,  663  D.  227  als  in  Handschriften  Bianchinis  verzeichnet 
aufzählt.  Dass  sich  dort  keine  Abschrift  findet,  bezeugt  Cipolla  Fonti  inedite 
72  nr.  288,  indem  er  das  Placitum  als  nur  aus  Stumpf  bekannt  anführt.  Aber 
die  einzige  Abschrift  im  alten  Monumenta- Apparate  ist  von  Wattenbach  geliefert 
worden,  welcher  am  Kopf  bemerkt  hat:  ex  trauss.  a.  1283  in  arch.  caes.  So  hat 
Wattenbach  regelmässig  das  H.  H.  und  Staats-Archiv  in  Wien  bezeichnet.  Wahr- 
scheinlich las  Stumpf  ex  arch.  cath.  und  machte  daraus,  weil  in  dieser  Gerichts- 
urknnde  der  Bischof  von  Verona  eine  Rolle  spielt,  das  Bischofsarchiv  zu  Verona. 
—  Sobald  mir  die  Abschrift  Wattenbachs  zu  Gesichte  kam,  durchschaute  ich 
den  doppelten  [rrthum.  Eine  Anfrage  im  Wiener  Archiv  ergab  aber,  dass  auch 
dieses  Stück  im  J.  1868  an  die  italienische  Regierung  ausgeliefert  worden  war. 
Wandte  ich  mich  deshalb  au  die  Dircction  des  k.  Staatsarchivs  in  Venedig,  so 
erhielt  ich  von  dort  freundliche  Auskunft  und  genaue  Copie  von  der  Hand  des 
H.  Archivars  R.  Predelli.  —  Als  Fundort  und  jetzige  Signatur  sind  angegeben: 
Archivio  di  stato  in  Venezia;  Archivio  del  convento  de'  ss.  Nazzaro  e  Celso,  per- 
gamene,  colto  I,  mazzo  I,  rotolo  2.  —  Die  beiden  mir  jetzt  zur  Verfügung 
stehenden  Copien  weichen  kaum  von  einander  ab  und  stimmen  gerade  in  den 
am  meisten  anstössigen  Namen  überein,  welche  somit  bereits  im  Transsumt  von 
1283  verderbt  waren. 

')  Den  Transsumt  bezeichne  ich  mit  A,  die  xVbschrift  Wattenbachs  mit  A', 
die  Predelli's  mit  A^.  Hier  bietet  A*  Aquiliensia,  A-  Aquileiensis.  Im  folgenden 
Triviavensis  A',  Triuianensis  A-. 


406  S  i  c  k  e  1. 

sind  liier  die  damaligen  Inhaber  der  betreffenden  biscbrtfliclien  Stühle 
richtig  angegeben.  Dagegen  sind  in  A  entschieden  schlecht  überliefert 
die  Namen  in  den  l)eiden  gleich  nach  der  Unterschrift  des  Patriarchen 
folgenden  Unterfertigungen.  In  dem  Stumpf  vorgelegenen  A^  lauten 
sie:  Keginpreth  dei  gratia  Maguthensis  archiepiscopus,  Rothpert  Tre- 
verensis  archiepiscopus  i).  Ohne  weiteres  machte  Stumpf  aus  beiden 
archiepiscopi  episcopi,  ersetzte  aber  die  überlieferten  Xamen  der  Sprengel 
durch  Pergamensis  und  durch  Spirensis  um  dieselben  in  Einklang  mit 
den  Personennamen  zu  bringen.  Ich  behalte  mir  meine  Emendations- 
vorschliige  vor,  um  gleich  zu  verfolgen,  wie  Stumpf  den  von  ihm  an- 
genommeneu E.  Spirensis  zu  verwertheu  versuchte. 

Die  Betheiligung  des  Bischofs  von  Speier,  sagt  er,  macht  Ver- 
handlung auf  Speierer  Diöcesangrund  wahrscheinlich,  wie  ja  auch 
unter  Heinrich  II.  Keg.  1441  ein  Placitum  in  italienischer  Angelegen- 
heit in  Deutschland  (nämlich  zu  Neuburg  an  der  Donau)  unter  Be- 
theiligung deutscher  Reichsfürsten  abgehalten  worden  ist.  In  den 
Acta  ined.  verliert  Stumpf  kein  Wort  mehr  über  die  Datirung,  da 
allerdings  der  Annahme  des  ilufenthalts  des  Kaisers  am  23.  November 
996  im  Sprengel  von  Speier  (vgl.  Kehr  229)  nichts  im  Wege  steht; 
nur  in  den  Regesten  fügt  er  hinzu:  ob  nicht  ein  Fehler  im  Tages- 
datum? —  Dass  sich  nach  Stumpf  jemand  über  diese  Einreihuug  ge- 
äussert, ist  mir  nicht  bekannt.  In  den  Nachträgen  hat  Ficker  2,  493 
von  dieser  Urkunde  Gebrauch  gemacht,  aber  ohne  sich  über  die  Da- 
tirung oder  über  die  Glaubwürdigkeit  auszusprechen. 

Für  die  Richtigkeit  der  ülDcrlieferten  Worte  Maguthensis  archi 
episcopus  und  Trevereusis  archiepiscopus  wird  wohl  niemand  eine  Lanze 
einlegen  wollen.  Aber  Stumpfs  Aenderungen  fordern  zum  Theil  die 
Kritik  geradezu  heraus.  Nm*  die  Möglichkeit  der  Vertauschung  von 
episcopus  mit  archiepiscopus  gebe  ich  im  vorhinein  zu.  Bei  den  vor- 
ausgehenden Namen  wird  aber  doch  zu  fragen  sein,  ob  die  einge- 
schlichenen Fehler  sich  irgendwie  aus  Verlesen  der  als  m-sprünglich 
supponirten  Namen  erklären  lassen.  Und  da  will  mir,  selbst  wenn 
ich  Mittelglieder  zwischen  der  Urschrift  und  dem  Transsumt  von  1283 
annehme,  nicht  einleuchten,  wie  aus  Pergamensis  Maguthensis  und 
aus  Spirensis  Treueciensis  werden  konnte.  Und  dass  auf  der  kühneu 
Emendation  Spirensis  alles  weitere  beruhen  soll,  nöthigt  uns  zu  ge- 
nauer Prüfung  dessen,  was  Stmnpf  zu  Gunsten  seines  Vorschlages 
beibringt. 

')  So  Wattenbach  in  der  bereits  für  den  Druck  hergestellten  Abschrift, 
daneben  jedoch  am  Rand  wohl  als  Lesart  von  A  Treueciensis.  —  Abweichend 
in  A*:  Maguchensis ;  dagegen  ebenfalls  Treueciensis. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  4QY 

Den  Hinweis  auf  Stumpf  1441  als  auf  einen  analogen  Fall  muss 
ich  als  durcliaus  verfehlt  bezeichnen.  Laut  dieser  Gerichtsurkunde  vom 
2.  April  1007  kamen,  als  Heinrich  IL  zu  Neuburg  an  der  Donau  Hof 
hielt,  die  Aebte  von  Monte  Amiata  und  8.  Antonio,  um  gegen  den 
Bischof  von  Chiusi  zu  klagen,  der  ebenfalls  anwesend  und  Kede  und 
Autwort  zu  stehen  bereit  war.  Als  an  der  Verhandlung  theilnehmeud 
werden  genannt  der  Bischof  von  Trieut,  vier  Aebte  aus  Italien,  wohl 
auch  Laien  dieses  Landes;  die  deutschen  Fürsten  dienten  hier  wie  in 
Italien  nur  zur  Verstärkung  der  Bank  der  Beisitzer.  Damit  vergleiche 
mau  nun  den  Vorgang  vom  J.  096.  In  erster  Linie  kommt  es  doch 
auf  Kläger  und  Beklagte  an:  das  sind  die  homines  de  Illasi  et  Coloniole 
et  Calderii  et  Porcile  ^)  und  andererseits  die  homines  de  Grepeto. 
Sollten  die  ersteren  um  Keclit  zu  suchen  die  Zeit  verpasst  haben,  da 
der  Kaiser  in  Oberitalien  weilte,  sollten  sie  insgesammt  dem  Kaiser 
bis  in  die  Gegend  von  Speier  nachgezogen,  uud  sollten  dann  auch 
gleich  die  Gegner  an  Ort  und  Stelle  gewesen  sein  und  desgleichen 
mehrere  Bischöfe  und  Beamte  aus  Italien?  Ist  das  von  vorhinein 
undenkbar  und  müssen  wir  die  Gerichtsstätte  in  oder  bei  Verona 
suchen,  so  ist  der  Spirensis  episcopus  nicht  am  Platze  und  so  ist  die 
Datiruug  bedenklich. 

Soweit  die  Urkunde  erhalten  ist  (mit  dem  Eingang  fehlt  auch  die 
Ortsangabe),  macht  zunächst  der  Coutext  den  günstigsten  Eindruck  2). 
Desgleichen  entspricht  das  Eschatokoll  dem  langobardischeu  Formulare 
in  allen  Punkten  bis  auf  einen:  wir  stossen  hier  nämlich  auf  die  Be- 
sonderheit eines  kaiserlichen  Monogramms  Ottos  uud  zwar  eines  Mono- 
gramms neben  der  Unterfertigung  signiun  f  manus  d.  imp.  Otonis 
qui  hoc  Signum  crucis  fecit  ^).  Dasselbe  ist  auch  angekündigt,  indem 
die  übliche,  auf  die  Anfertigung  der  notitia  pro  securitate  bezügliche 
Schlussformel  hier  umgewandelt  ist  in:  et  hac  noticia  qualiter  acta  est, 
pro  securitate  Othbertus  sagacissimus  episcopus  et  Ilasienses  signum 
imperatoris  fieri  rogaverunt.  Ein  gleicher  Fall  ist  mir  noch  nicht  be- 
kannt, aber  docli  analoge. 

Gerichtlich  anerkannte  Besitzungen  oder  Eechte  Averden  ja  zumeist 
wie  hier  dm'ch  Königsbann  gesichert.  Aber  die  siegreiche  Partei  be- 
gnügt sich  damit  noch  nicht.  Sie  erwirkt  zuweilen  noch  ein  ilir  Recht 
ausdrücklich  Ijestätigendes  Präcept  ^).  Oder  sie  sucht  noch  besondere 
Bekräftigung  der  Gerichtsurkunde  seitens  des  Vorsitzenden  Könitjs  nach. 


')  Alle  diese  Ortschaften  östlich  von  Verona.  *)  Das   ist  auch  Fickers 

mir  brieflich  mitgetheilte  Ansicht.  3)  Solche  Unterfertigung  reicht  also  weiter 

zurück  als  Ficker  Forsch.  1,  294  annahm.  <)  So  DO.  II.  255,  in  welches  die 

Gerichtsurkunde  inserirt  worden  ist. 


408  S  i  c  k  e  1. 

DO.  IL  266  z.  B.,  obwohl  uur  Bericht  eines  Abtes  über  eine  ge- 
richtliche Entscheidung  zu  seinen  Gunsten,  ist  auf  Geheiss  des  Kaisers 
von  seinem  Kanzler  gefertigt  worden.  Und  das  Placitum  DO.  I.  405 
endet  mit  der  Corroborationsformel :  quod  ut  vt^rius  ab  omnibus  cre- 
datur,  nostro  sigillo  sigillari  iussimus.  Von  diesen  Stücken  unterscheidet 
sich  also  1)0.  III.  227  nur  dadurch,  dass  eine  andere  Art  der  Beglaubi- 
gung 1)  beliebt  worden  ist. 

Im  Hinblicke  auf  die  Datirung  will  ich  gleich  hier  bemerken, 
dass  mir  Nachtraguug  sowohl  des  Handmals  als  der  auf  die  Unter- 
fertigung des  Notars  folgenden  Zeile  siguuni  m.  d.  imj).  Otonis  u.  s.  w. 
ausgeschlossen  scheint.  Das  Monogramm  folgt  unmittelbar  auf  die 
Ankündigung  desselben,  und  dann  erst  heisst  es  quidem  et  ego  Eri- 
bertus  iudex  et  notarius  d.  imperatoris  ex  iussione  .  .  .  scripsi.  Doch 
mehr  spricht  für  sofortige  Unterfertigung  eine  andere  Erwägung, 
Waren  etwa  Bischöfe  zu  einer  Synode  zusammengetreten,  so  blieben 
nicht  jedesmal  alle  so  lange  beisammen  bis  ihre  Beschlüsse  redigirt 
und  in  Eeinschrift  gebracht  waren;  die  betreffende  Urkunde  pflegte 
dann  in  Circulation  gesetzt  zu  werden,  um  von  den  Betheiligten  unter- 
schrieben zu  werden.  Aber  so  umständliches  Verfahren  kann  bei 
schlichten  Gerichtsurkunden  nicht  angewandt  worden  sein  und  am 
wenigsten  wird  man  sie  aus  Italien  nach  Deutschland  gesandt  halben 
um  Handmal  und  Handzeichen  des  Kaisers  einzuholen.  Das  letztere 
muss,  sobald  die  Urkunde  geschrieben  war,  von  dem  noch  an  Ort  und 
Stelle  oder  doch  in  der  Nähe  weilenden  Kaiser  erbeten  worden  sein, 
so  dass  es  uns  ebenso  wie  die  directe  Kede  des  Kaisers  die  Anwesen- 
heit desselben  an  der  Gerichtsstätte  verbürgt.  Ich  sagte  schon,  dass 
ich  diese  in  oder  bei  Verona  suche.  Auch  Pavia,  wo  wir  Otto  bis 
Anfang  August  weilen  sahen,  scheint  mii'  für  diese  Verhandlung  zu 
entlegen.  Eine  Handhabe,  darüber  zu  entscheiden,  bieten  uns  vielleicht 
die  hier  genannten  Personen,  auf  die  wir  ohnehin  um  die  zum  Tlieil 
entstellten  Namen  zu  berichtigen  näher  eingehen  müssen. 

Als  Wortführer  der  Kläger  tritt  J3ischof  Otbert  von  Verona  auf. 
Der  Notar,  welcher  D.  227  aufsetzte,  ist  wohl  identisch  mit  dem  988 
in  Bergamo  genannten  Aribertus  iudex  sacri  palatii  und  mit  dem  1000 
in  der  Grafschaft  Lodi  auftretenden  A.  notarius  et  i.  s.  p.  -).     Betreffs 


')  Vgl.  Ficker  Beitr.  2,  493  und  Seeliger  in  Mitth.  II,  402.  Bezeichnet 
letzterer  ib.  405  es  mit  Recht  als  zweifelhaft,  dass  D( ).  111.  227  ^'^c^handl^ng  einer 
italienischen  Angelegenheit  in  Deutschland  bezeuge,  so  hat  er  übersehen,  dass 
auch  im  Jahre  1007  lediglich  Zufälligkeiten  den  Ausschlag  gegeben  haben. 
-)  Ficker  Forschungen  4,  47  nr.  34  und  Muratori  Ant.  1,  455.  —  Von  diesem  zu 
unterscheiden  ist  Ottos  Kanzler  für  Italien:  Eribertus  cancellarius  in  Ficker  ib.  nr.  38. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  409 

des  Patriarclieii  Joliauu  von  Aquileja  und  der  Bischöfe  Rozo  von  Tre- 
viso  und  Lambert  von  Viceuza  ist  nur  zu  bemerken,  dass  sie  liäuiig 
in  Verona,  Vicenza,  Ceneda  u.  s.  w.  zu  Gerichte  sitzen  i).  Gehe  ich  zu 
den  Laien  über,  so  bedarf  der  Henricus  dux  -')  keiner  Erklärung,  und  so 
weiss  ich  über  den  Odelrich  comes  nichts  sicheres  zu  sagen  3).  Dagegen 
halte  ich  mit  Stumpf  den  Ardingus  comes  palatii  für  gleich  mit  dem 
aus  dieser  Zeit  wohl  bekannten  Pfalzgrafen  Arduin  *)  und  den  Tebaldus 
dux  et  marchio  für  gleich  mit  dem  980  genannten  Thedaldus  comes 
et  marchio^).  Endlich  erscheinen  die  beiden  zuletzt  genannten  Pfalz- 
richter wieder  in  einem  ludicat  aus  Verona  vom  J.  998.  Mögen  diese 
Nachweise  nicht  alle  gleich  gesichert  sein,  so  machen  sie  in  ihrer 
Gesammtheit  doch  wahrscheinlich,  dass  auch  D.  227  von  Verhandlungen 
in  oder  bei  Verona  Kunde  gibt,  wo  der  Kaiser  nach  D.  226  noch  am 
11.  September  996  weiUe. 

Bleiben  noch  zwei  Namen  von  mitunterfertigenden  Geistlichen 
richtig  zu  stellen,  so  halten  wir  fügUch  unter  den  Bischöfen  Umschau, 
von  welchen  am  ehesten  Betheiligung  an  Verhandlungen  zu  Verona 
vorausgesetzt  werden  kann;  ich  rede  von  Bischöfen,  weil  ich  allerdings 
gleich  Stumpf  mit  dem  zweimal  vorkommenden  Titel  archiepiscopus 
nichts  zu  machen  weiss,  und  weil  ich  dem  Copisten  derartige  Aende- 
rung  wohl  zutraue.  Statt  Treueciensis  (s.  zuvor  S.  406  N.  1)  nehme 
ich  an  Tridentinus  i')  und  statt  Rothpei-t  Keginwardus,  Eeiuwardus 
oder  dergl.  ').  Wie  dagegen  das  vorausgehende  Maguthensis  aus  dem 
Namen  irgend  eines  Bisthums  in  Italien  entstanden  sein  könnte,  ist 
mir  unerfindlich.  Gehe  ich  deshalb  von  dem  Personennamen  Kegin- 
preth  aus  und  verfolge  ich  denselben  auch  in  den  Reihen  der  deutschen 
Bischöfe,  so  scheint  mir  Magnopolensis  ^)  am  nächsten  zu  liegen.   Nach 


1)  Für  (las  Vorkommen  dieser  drei  Tersonen,  des  später  zu  erwähnenden 
liiscliol"  Keinward  zu  Trient  und  der  Pfalzrichter  Manifred  und  Eiprand  führe 
ich  folgende  Gerichtsurkunden  an:  1.  aus  Verona  993  November  in  Ughelli  ed.  II, 
5,  747;  2.  aus  der  Grafschaft  Vicenza  994  Februar  14  in  Gloria  CD.  Padovano 
l,  106  nr.  73;  3.  aus  Verona  (ISynodalspruch)  995  November  23  in  Muraturi 
Ant.  5,  1003;  4.- -6.  aus  Verona  und  Ceneda  von  996  März  25,  von  998  Mai  3 
und  Juli  18  in  Kohlschütter  Venedig  84—90.  '■')  Vgl.  Wilmans  202.  s)  (jo- 
meint  sein  könnte  der  Markgraf  Odelrich,  welchem  Otto  III.  am  31.  Juli  1001 
ein  Präcept   erthcilte.  ••)  Ficker  Forsch.  1,  314.  ^)  Muratori  Ant.  5,  676. 

")  Oder  eine  andere  Form  desselben  Namens.  In  Thangmari  vita  Bernwardi 
(SS.  4,  767)  findet  sich  vallis  Tarenti.  Aus  Trient  liegen  ältere  Urkunden,  die 
mau  zu  Käthe  ziehen  könnte,  nicht  vor.  Deshalb  lässt  sich  auch  für  den  Personen- 
namen kein  rechter  Vorschlag  machen.  ^)  Vgl.  die  zuvor  citirten  Urkunden, 
forner  SS.  3,  69  und  13,  369.  "")  Oder  auch  Magapolensis,  Michelinburgensis 
und  andere  im  ÜB.  für  Mecklenburg  begegnende  Namensformen. 


410  Sickel. 

Mecklenburg  nauute  sich  der  Regiubert,  welcher  das  Bisthuni  Olden- 
burg erhalten  hatte,  von  dort  aber  um  U"J1  vertrieljen  wurde,  mit  dem 
Hofe  in  Verbindung  «tand  und  so  auch  996  iu)  Gefolge  des  Kaisers 
gewesen  sein  mag  i).  Dies  ist  und  bleibt  allerdings  nur  ein  Vorschlag, 
mag  er  auch  annehmbarer  sein  als  der  A^on  Stumpf  gemachte.  Dagegen 
meine  ich  mit  Eeinward  statt  Rothpert  das  richtige  getroffen  zu  halien, 
da  dieser  Bischof  von  Trient  ebenso  gut  nach  Verona  passt  wie  seine 
in  Italien  oft  als  Eichter  und  Königsboten  erscheinenden  Nachfolger. 
Ich  gehe  zu  der  uns  überlieferten  Datiruug  über.  An  dem  J.  096, 
auf  welches  die  vier  übereinstimmenden  Bezeichnungen  '^)  hinweisen, 
darf  man  nicht  rütteln.  Den  Stein  des  Anstosses  bildet  auch  lediglich 
die  Tagesangabe  23.  November,  indem  wie  wir  sahen,  an  diesem  Tage 
des  J.  996  der  Kaiser  bereits  in  Deutschland  war.  Erscheint  somit 
die  Datirung  unrichtig,  so  kann  doch  nicht  davon  die  Rede  sein,  die 
Urkunde  um  dieses  einzigen  vermeintlichen  oder  wirk-lichen  Fehlers 
willen  verwerfen  oder  beanstanden  zu  wollen  ^).  Ich  meine,  dass  gerade 
diese  Urkunde,  in  welcher  unter  dreizehn  in  ihr  genannten  Personen 
zwölf  nicht  allein  als  im  J.  996  lebend,  sondern  auch  als  demselben 
•Kreise  augehörend  nachgewiesen  werden  können,  über  jeden  Verdacht 
erhaben  ist.  Wir  haben  uns  mit  der  Zeit-  und  Ortsaugabe  abzufinden 
und  haben  sie  in  der  einen  oder  andern  annehmbaren  Weise  zu  deuten. 
Stumpf  hat  wohl  hier  wie  sonst  au  einen  Ueberlieferungsfehler  gedacht, 
und  so  will  auch  ich  zuerst  auf  diese  Annahme,  welche  gleich  zulässig 
ist,  ob  man  die  Copie  vom  J.  1283  als  unmittelbar  aus  der  Urschrift 
fliessend  oder  als  Copie  zweiten  und  dritten  Grades  betrachtet,  auf  ihre 
Wahrscheinlichkeit  hin  jirüfen.  Diese  Copie  erscheint  im  ganzen  recht 
gut,  Dtr  Schreiber  ist  offenbar  mit  der  Fassung  der  ludicatc  durchaus 
vertraut  uud  mag  er  auch  hier  und  da  die  Sprachforraen  etwas  ge- 
ändert haben,  so  hat  er  sich  doch  genauer  "Wiedergabe  des  Textes 
befleissigt.  Dass  er  doch  gestrauchelt  ist,  als  er  zu  gewissen  Namen 
kam,  welche  in  das  Original  eigenhändig  eingetragen  nicht  so  leicht 
zu  entziffern  sein  mochten,  zumal  ihm  der  eine,  welchen  ich  annehme, 
vollständig  fremd  sein  musste,  darf  uns  nicht  Wunder  nehmen  ^).  So 
leicht  wiegt  jedoch  die  Vertauschung  von  Monatsnamen  nicht  und  am 
wenigsten  die,  welche  hier  Platz  gegrifi'en  haben  müsste.    Die  Schreiber 


')  In  SS.  3,  69  zum  J.  902  genannt.  Vgl.  Lappenberg  im  Archiv  9,  384. 
-)  Allerdings  könnte  man  als  dem  November  996  entsprechend  die  bereits  um- 
gesetzte indictio  X.  erwarten.  Aber  in  Vcroneser  Urkunden  kommt  vielfach  die 
Jndiction  mit  der  Neujahrsepoche  vor.  »)  Vgl.  Bresslau  Urkundenlehre  1,  861. 
■»)  Vgl.  was  Ficker  Forsch.  4,  44  nr.  49  zu  Straburgensis  und  Transburgensis 
bemerkt. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  411 

haben  allerdings  zuweilen  diejenigen  Monatsbezeichnnngen,  welche  ein- 
ander graphisch  nahe  standen,  verwechselt  i),  al)er  dass  uov.  entstanden 
sein  soll  aus  sept.  oder  aug.,  lässt  sich  selljst  unter  der  Voraussetzung, 
dass  der  Copist  vom  J.  1283  oder  einer  seiner  Vorgänger  momentan 
sehr  zerstreut  gewesen  sei,  schwer  begreifen.  Ich  brauche  das  avoIiI 
nicht  weiter  auszuführen  und  gehe ,  die  Annahme  eines  Ueber- 
lieferungsfehlers  verwerfend,  sogleich  zu  der  Frage  über,  ob  nicht  doch 
schon  in  der  Urschrift  23.  November  gestanden  haben  kann  und  wie 
sich  wohl  diese  Tagesangabe  erklären  lassen  mag. 

Da  uns  nur  der  Schluss  der  Urkunde  erhalten  ist,  erfahren  wir 
gar  nichts  über  den  früheren  Verlauf  des  betreifenden  Kechtsstreites. 
Auf  blosse  Vermuthungen  angewiesen  sind  wir  zu  der  Annahme  be- 
berechtigt, dass  der  Verlauf  der  gewöhnliche  gewesen  sei,  d.  h.  dass 
dieser  Verhandlung  vom  J.  996  schon  andere  Verhandlungen  voraus- 
gegangen seien.  Nach  Ausweis  der  Mehrzahl  der  Gerichtsurkunden 
wurden  die  Gerichte,  bis  es  zur  Fällung  eines  Endurtheiles  kam,  wie- 
derholt in  Anspruch  genommen.  Oft  leisteten  die  Beklagten  den  Vor- 
ladungen gar  nicht  Folge.  Ebenso  oft  behielten  sich  Kläger  und 
Beklag^te  die  Beweisführung  vor.  Des  weitern  machte  selbst  ein  ge- 
richtliches Urtheil  nicht  jedem  Eechtsstreite  ein  Ende:  Beklagte  kümmer- 
ten sich  nicht  um  einen  ihnen  ungünstigen  Spruch  und  Kläger,  welche 
zu  mehreren  Malen  abgewiesen  worden  waren,  missbrauchten  das 
Klagerecht  so  sehr,  dass  ihnen  Schläge  als  Strafe  zuerkannt  Averden 
mussten.  Besonders  häufig  ist  im  Gericht  unter  Vorsitz  des  Königs 
von  vorausgegangenen  Verhandlungen  die  Kede  -) ;  mau  Avandte  sich 
gern  an  dieses  Gericht  um  endlich  zu  seinem  Kechte  zu  kommen  und 
man  suchte  dann,  wie  wir  sahen,  um  weitere  Sicherung  dieses  Hechtes 
nach.  Dass  die  homiues  de  Illasi,  nachdem  sie  in  Gegenwart  des 
Kaisers  ein  Endurtheil  erwirkt  liatten,  die  darüber  ausgestellte  Urkunde 
durch  kaiserliches  Haudmal  gefestigt  zu  sehen  wünschten,  möchte  ich 
ebenfalls  dahin  deuten,  dass  sie  endlich  in  ihrem  Besitze  unangefochten 
sein  wollten,  was  zu  erreichen  ihnen  bislang  trotz  früherer  Verhand- 
lungen nicht  gelungen  war. 

Eine  Stütze  für  solche  Annahme  erblicke  ich  in  der  schon  zuvor 
(S.  409  N.  1)  citirten  Urkunde  aus  Verona  vom  23.  November  995, 
laut  welcher  auf  eine  Klage  des  Bischofs  Otliert  von  Verona  gegen  die 
Cleriker    von    S.  Maria    antica    unter  Vorsitz    des    Patriarchen  Johann 


0  So  iun.  und  iul.  in  Dö.  I.  296   oder  feb.  und  sept.    in    den   beiden  Au«= 
Fertigungen   von  DO.  I.  383.  ^-)  DDO.  I.  340,   398,   4 IG.     Weitere   Belege   in 

Ficker  Forschungen  4  nr.  5,  9  u.  s.  w. 


412  S  i  c  k  e  1. 

vou  Aqiiileja  von  den  Bischöfeu  von  Aemona,  Ceneda,  Treviso,  Trient 
und  Vicenza  ein  Synodalspruch  gefällt  wurde.  Handelte  es  sich  dabei 
um  eine  Frage  der  kirchliehen  Disciplin,  so  waren  natürlich  Beisitzer 
aus  dem  Laienstande  ausgeschlossen,  deren  es  für  Verhandlungen  im 
weltlichen  Gerichte  bedurfte.  Hat  sich  somit  die  Vergleichuno-  der 
Urkunde  von  90.5  mit  der  von  OOG  betreös  der  handelnden  Per- 
sonen auf  die  Geistlichen  zu  beschränken,  so  finden  wii-,  dass  in 
beiden  Fällen  Bischof  Otbert  als  Kläger  auftritt  und  dass  von  den 
sechs  im  J.  995  genannten  Bischöfen  vier  auch  im  J.  996  be- 
gegnen, 

Dass  nun  beide  Urkunden  auch  die  gleiche  Tagesangabe  aufweisen, 
legt  den  Gedanken  nahe,  dass  am  23.  November  995  zu  Verona  über 
geistliche  und  über  weltliche  Streitfälle  verhandelt  worden  ist,  dass 
schon  damals  die  homines  de  Hlasi  gegen  die  homines  de  Grepeto 
Klage  erhoben  haben,  dass  über  diese  Verhandlung  eine  Urkunde  mit 
dem  Datum  23.  November  995  versehen  aufgesetzt  worden  ist  und 
dass  aus  dieser  Urkunde  die  Tagesangabe  in  die  des  J.  996  überge- 
gangen ist.  Lag  dem  Notar  Eribertus,  als  der  Kaiser  zu  Gericht  sass, 
die  frühere  Urkunde  vor,  um  an  der  Hand  derselben  den  Streitfall 
darzustellen  und  über  dessen  bisherige  Behandlung  zu  berichten,  so 
konnte  er  etwa  aus  Versehen  auch  die  Zeitangalje  wiederholen.  Aber 
es  konnte  dies  auch  absichtlich  geschehen  um  auf  eine  frühere  Ent- 
scheidung zu  Gunsten  der  Kläger  zurückzuverweisen  und  die  ßechts- 
wirkung  schon  mit  ihr  beginnen  zu  lassen.  Kurz  der  23.  November 
kann  hier  eine  andere  Bedeutung  haben  als  die,  den  Tag  der  Schluss- 
verliandlung  vor  dem  Kaiser  angeben  zu  sollen.  Dieser  letztere  Tag 
ist  vom  Notar  Eribertus  nicht  aufgezeichnet  worden,  so  dass  wir  D.  227 
nur  annähernd  einreihen  können  und  am  füglichsten  neben  D.  226 
stellen  werden. 

Indem  ich  somit  einen  Aufenthalt  Ottos  zu  Verona  noch  im 
September  996  annehme,  bin  ich  eines  Einwandes  gewärtig.  Johannes 
diaconus  (SS.  7,  30)  fährt  nämlich,  nachdem  er  berichtet  hat,  dass 
Otto  zu  Pavia  ein  Edict  zu  Gunsten  der  Venetianer  erlassen  habe, 
fort:  tunc  per  Cumanum  lacum  iter  arripuit  ultramontanum.  So  hoch 
ich  nun  die  Angabe  des  Johannes  schätze,  glaube  ich  doch  nicht,  dass 
er  ein  Itinerar,  wie  wir  es  wünschen,  bieten  wollte,  dass  er  auch  nicht 
alles  was  geschehen  ist,  vielleicht  nicht  einmal  alles  wovon  er  Kunde 
hatte,  hat  erzählen  wollen.  Dann  schliesst  sein  Schweigen  auch  einen 
damaligen  Besuch  von  Verona  nicht  aus.  Ob  aber  der  Kaiser  noch- 
mals nach  Pavia  zurückgekelu-t  ist,  um  von  dort  den  Heimweg  an- 
zutreten,   oder    ob    er    gleich    von    Verona    über   Brescia,    Bergamo, 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  413 

Lecco    zum    Comersee    gezogen    ist,    müssen    wir    dahingestellt    sein 
lassen  i). 

Am  füffliclisten  schalte  ich  hier  ein,  was  ich  über  die  sechs  einst 
in  die  Sammlung  der  Briefe  Gerberts  gerathenen  und  so  auf  uns  ge- 
kommenen Schreiben  Ottos  zu  sagen  habe.  Dass  die  Abfassuugszeit 
eines  jeden  dieser  Briefe  auch  nur  annähernd  zu  bestimmen  nicht 
leicht  ist,  geht  schon  aus  der  Mannigfaltigkeit  der  bisher  vorgeschla- 
genen Datii-uugen  hervor.  Sind  diese  Episteln  thatsächlich  arm  an 
fassbaren  Angaben,  dagegen  reich  an  vieldeutigen,  ja  räthselhaften 
Aeusserungen,  so  werden  sie  uns  erst  in  dem  Grade  verständlich,  in 
dem  es  uns  geling-t  die  Situation  kennen  zu  lernen,  aus  welcher  die 
Briefe  hervorgegangen  sind,  und  welche  sie  dann  wieder  besser  zu 
beleuchten  sreeignet  sind.  Müssen  wir  schon  deshalb  auch  unter  den 
Gerbertbriefen  Umschau  halten,  welche  den  Schreiben  des  Kaisers 
vorausffeffauo'en  oder  nachs'efolo't  dieselben  Themata  berühren,  so 
müssen  wir  jene  noch  aus  anderem  Grunde  mit  in  die  Untersuchung 
einbeziehen.  Es  hat  sich  immer  und  immer  wieder  bewährt,  dass  die 
Schwierigkeit  gar  nicht  oder  mangelhaft  datirte  Episteln  bestimmten 
Zeitpunkten  zuzuweisen,  noch  am  ehesten  und  am  sichersten  behoben 
wird.  Wenn  die  handschriftliche  Ueberlieferung  zu  Käthe  gezogen  und 
die  Reihenfolge  der  Stücke  in  der  ursprünglichen  Sammlung  derselben 
möo'lichst  o-enau  festo-estellt  wird.  Ich  habe  schon  S.  234  erwähnt, 
dass  betreffs  der  Epist.  Gerberti  1 — 180  sehr  viel  mit  dem  Nachweise 
gewonnen  ist,  dass  sämmtliche  Handschriften  auf  ein  Kladde  iibuch 
zurückgehen,  in  welches  sie  der  zeitlichen  Aufeinanderfolge  nach  ein- 
getragen worden  sind,  habe  aber  auch  bereits  angedeutet,  dass  es  sich 
vielleicht  mit  dem  zweiten  minder  umfangreichen  Theile  dieser  Collec- 
tion  anders  verhält.  Da  sich  in  diesen  die  Schreiben  Ottos  als  Epist. 
183,  213 — 216,  218  eingeschaltet  finden,  muss  auch  ich  auf  die 
Ueberlieferung  eingehen   und   muss,    soweit    es    mein    augenblickliches 


')  Kehr  235  N.  3  tritt  auch  in  einem  andern  Falle  gegen  micli  für  Johannes 
ein.  Handelt  es  sich  vor  allem  um  die  Auffassung  der  Datirung  von  DO.  11.  2flO, 
so  habe  ich  mich  ja  in  der  Vorbemerkung  ganz  so  wie  Kehr  geäussert :  man  mag 
sich  für  die  eine  oder  die  andere  Deutung  entscheiden,  so  erhält  man  einen 
grösseren  Zeitraum  für  die  Eeise  von  Rom  nach  Verona.  Nur  habe  ich  mich 
durch  den  Bericht  des  Johannes  nicht  bestimmen  lassen  mögen,  noch  einen  Auf- 
enthalt in  Pavia  einzuschalten.  Lege  ich  diesem,  wie  ich  oben  bemerke,  nicht 
die  Absicht  bei,  ein  genaues  Itinerar  angeben  zu  wollen,  so  kann  ich  auch  nicht 
von  Erfindung  eines  solchen  reden.  Ich  meine  nur,  dass  Johannes  betonen  wollte, 
dass  Otto  II.  auch  damals  seine  Herrscherpflichten  oritdlt  habe,  und  dass  er  um 
das  zu  veranschaulichen,  Städte  genannt  habe,  in  denen  die  Kaiser  ihres  Amtes 
zu  walten  pflegten,  und  so  auch  Pavia. 


4X4  Sickel. 

Thema  erheisclit,  micli  für  die  eine  oder  die  andere  Ansicht  entscheiden, 
welche  darüber  in  jüngster  Zeit  aufgestellt  worden  sind. 

Der  von  Boubuov  angenommene  alte  Codex  S.  kommt,  da  er  nicht 
so  weit  orereicht  haben  soll,  nicht  mehr  in  Betracht.  Auch  der  Codex 
Lo,  d.  h.  nach  Boubnov  die  zweite  von  Gerbert  bald  nach  der  ersten 
veranstaltete  Edition,  bot  nur  Briefe  bis  etwa  Juli  99G.  Dagegen 
konnte,  als  im  J.  999  aus  Lo.  die  jetzt  Leydener  Handschrift  L.  floss, 
auch  die  Correspondenz  Gerberts  aus  den  J.  99G — 999  mit  berück- 
sichtigt werden :  so  sind  in  L.  auch  die  den  letzteren  Jahren  angehörigen 
Epist.  181 — 212  aufgenommen  worden. 

Inzwischen  hatte  Gerbert  zu  Anfang  des  J.  998  noch  eine  dritte 
Ausgabe  seiner  Briefe  (Cod.  P.)  erscheiuen  lassen,  welcher  er  jedoch  aus 
den  zwei  letzten  Jahren  nur  seine  Correspondenz  mit  Otto  III.,  d.  h.  die 
Epist.  186,  187,  213— 21G,  218—220  als  Anhang  beifügte.  So  weit 
hat  sich  Boubnov  mit  aller  Bestimmtheit  ausgesprochen.  Aber  eine 
andere  Frage  hat  er  bisher  kaum  berührt,  geschweige  denn  genügend 
beantwortet,  die  Frage  ob  und  inwieweit  innerhalb  der  uns  aus  L.  be- 
kannten Gruppe  der  Epist.  181—212  oder  innerhalb  der  P.  angehängten 
Gruppen  die  zeitliche  Reihenfolge  der  einzelnen  Briefe  gewahrt  wor- 
den ist  1). 

Da  Havet  in  der  Hauptsache  dasselbe  Ergebniss  gewonnen  hat, 
kann  ich  gleich  zu  den  Differenzen  zwischen  ihm  und  Boubnov  über- 
gehen.  Die  eine  betrifft  die  Epist,  218 — 220,  welche  uns  nur  aus  der 
vonVignier  1587  herausgegebenen  Bibliotheque  historiale  bekannt  sind. 
Boubnov  bezeichnet  sie  als  den  Schluss  von  P.  bildend  und  aus  diesem 
von  Vignier  copiii.  Havet  dagegen  legt  sie  der  Handschrift  L.  bei, 
welche  wie  Boubnov  bewiesen  hat,  Vignier  zur  Verfügimg  gestanden 
hat.  L.  ist  jetzt  am  Schlüsse  defect  und  endet  mit  der  ersten  Hälfte 
der  Epist.  212;  ist  also  ein  Blatt  anzunehmen,  auf  welchem  der 
Schluss  dieses  Briefes  stand,  so  kann  dasselbe  füglich  noch  die  Epist. 
218 — 220  enthalten  haben.  Stimmen  doch  beide  darin  überein,  dass 
die  drei  Briete  ganz  zu  Ende  der  Handschriften  standen,  so  kommt 
das  allein  für  die  Datirung  derselben  in  Betracht  und  so  kann  ich 
ganz  davon  absehen,  ob  L.  oder  P.  die  handschriftliche  Quelle  von 
Vignier  war. 

Ich  weiss  nicht  ob  eine  zweite  Differenz  zwischen  den  beiden 
Forschern  besteht.  Havet  deutet,  wie  ich  gleich  berichten  werde,  die 
Stellung    der    Epist.    181 — 212    in    L.    in    besonderer   Weise.     Wäre 


')  Was  Boubnov  über  Epiat.   181  in  den  verschiedenen  Editionen    bemerkt, 
kann  ich  hier  übergehen. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  111.  415 

Boubnov  zu  derselben  Ansicht   gelaugt,    so    hätte    er    das  wohl  schon 
iui  ersten  Theile  seines  Buches,  wie  dieses  angelegt  ist,  sageu  müsseu. 
Insofern  möchte  ich  ihm  eine  andere  Ansicht  zuschreiben.     Aber   erst 
seine  Fortsetzung  wird  uns  sichern  Aufschluss  geben.    So  habe  ich  es 
für  jetzt    doch    nur    mit  Havet    zu    thun   und   habe  dessen  Ansichten 
über  den  zweiten  Theil  der  Sammlung  hier  zu  wiederholen.     Er  geht 
von  der  Annahme  aus,  dass  auch  der  zweite  Theil  der  Urschrift  einst 
so  wie  der  erste   beschauen   gewesen   sei  und   dass  Gerbert   nach   wie 
vor,    soweit    er   Concepte    in    sein  Kladdenbuch    eintrug,    die    zeitliche 
Reihenfolge    beobachtet   habe,    und    er  hält  diese  Annahme    dann    bei 
der  Feststellung  der  Abfassungszeit  der  einzelnen  Briefe  als  Eichtschnur 
fest.     Allerdings  erscheint  auch  Havet  die  ursprüngliche  Ordnung  der 
Briefe  in  den  abgeleiteten  Handschriften  hie    und    da   gestört.     So  in 
dem    uns    noch    vorliegenden  L.    in    zwei  Punkten.     Hier    findet    sich 
nämlich  die  bereits  987  geschriebene  Epistel  189  in  die  CoiTespondenz 
aus  den  späteren  Jahren  eingereiht;  Havet  meint,  dass  sie  von  Gerbert 
oder  einem  andern  wieder  aufgefunden  und  nachträglich  gebucht  wor- 
den sei.     Eine  zweite  Unterbrechung  der   chronologischen  Eeihenfolge 
in  L.  erblickte  Havet  darin,  dass  die  Epist.  181 — 187  jüngeren  Datums 
den   früher   verfassten   Epist.  188,  192—212,  218—220    vorausgehen. 
Eine  ähnliche  Verschiebung  glaubte  Havet  auch  im  Codex  P.  wahrzu- 
nehmen,   denn    in    diesem    folgten   auf   die  Epist.  180,  187  die  Epist. 
213 — 216  von  entschieden  älterem  Datum.     So  wurde  er  zu  der  Fol- 
gerung gedrängt,    dass  doch  schon  in  der  Urschrift  auf  die  eine  oder 
die  andere  Weise  ^)  eine  Verstellung  der  Epist.  181  — 187  stattgefunden 
haben    müsse.      Sobald    dies    Verseheu    gut    gemacht    werde,    ergebe 
sich  wieder  die  richtige  Aufeinanderfolge  nach  der  Abfassungszeit  uud 
insbesoudere  auch  für  die  einzelnen  hier  vereinten  Gruppen  von  Briefen, 
sowohl  für  die  zusammengehörigen  Epist.  181 — 187  wie  für  die  eben- 
falls untrennbaren  Epist.  213 — 216,  welche  Gerbert  einst  im  Auftrage 
des   Kaisers    verfasst,    aber    doch   in    sein    auch    damals    fortgeführtes 
Kladdenbuch  aufgenommen  habe. 

Nachdem  ich  mich  überzeugt  hatte,  dass  es  sich  mit  der  ersten 
grösseren  Hälfte  dieser  Briefsammlung  wirklich  so  verhält,  wie  Havet 
nach  dem  Vorgange  von  Boubnov  dargelegt  hat,  war  ich  durchaus 
geneigt,  ihm  auch  betreffs  des  zweiten  Theiles  zu  folgen  und  diesen 
als  in  gleicher  Weise  entstanden  zu  betrachten.  Ein  principieller  Ein- 
wand wird  sich  gegen  das  von  Havet  aufgestellte  System  nicht  erheben 
lassen.   Und  dass  auch  die  Urschriften  einmal  von  Anbeginn  an  gegen 


•)  Näheres  Introd.  LXXVII  N.  8. 


41^6  Sickel. 

die  Orduimg  der  allmähligen  Eintragungen  Verstössen  oder  gelegent- 
lich die  Keihenfolge  der  Blätter  geändert  wird,  das  ist  eine  so  oft 
wiederkehrende  Erscheinung,  dass  man  auch  die  Annahme  der  Ver- 
schiebung der  Epist.  181 — 187  wohl  gelten  lassen  darf.  Aber  sie  ist 
doch  auf  ihre  Richtigkeit  hin  und  auch  darauf  hin  ob  sie  in  Wirk- 
lichkeit alle  Schwierigkeiten  behebt,  zu  prüfen.  Havet  hat  dieses 
Postulat  wohl  gekannt  und  hat  ihm  nachkommen  wollen.  Doch  dass 
es  ihm  gelungen  sei,  seine  an  sich  sehr  annehmbare  Hypothese  auch 
nach  allen  Seiten  hin  durch  historische  Untersuchung  zu  erhärten, 
vermag  ich  nicht  zuzugeben.  Nicht  einer  der  Havet'schen  Sätze,  welche 
für  mich  und  meine  Aufgabe  die  Briefe  Ottos  möglichst  genau  zu 
datiren,  hier  in  Betracht  kommen,  weder  der,  dass  die  Epist.  186 
jünger  sein  soll  als  die  Epist.  218,  noch  der,  dass  innerhalb  der  bei- 
den Gruppen  der  Epist.  181 — 187  und  213 — 216  die  zeitliche  Reihen- 
folge gewahrt  sein  soll,  besteht  in  meinen  Augen  die  Probe.  Ich  finde, 
dass  Havet  doch  etwas  mit  vorgefasster  Meinung  an  die  Untersuchung 
des  Inhalts  der  einzelnen  Briefe  herangetreten  ist  und  dass  er,  was 
Ulm  noch  mehr  geschadet  hat,  sich  nicht  mit  allen  Ergebnissen  der 
neuesten  Forschung  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Geschichte  vertraut 
gemacht  und  zu  sehr  auf  die  Angaben  von  Wilmans  und  Stumpf- 
Brentano  verlassen  hat  ^).  Komme  ich  mit  Anwendung  aller  mir  zu 
Gebote  stehenden  ]\littel  zunächst  zu  anderen  Ergebnissen  betreffs 
des  einen  und  andern  Schreibens  des  Kaisers,  so  stosse  ich  damit  aller- 
dings auch  die  Annahme  um,  dass  Gerbert  noch  in  den  J.  994 — 997 
sein  Kladdenbuch  in  regelmässiger  Weise  fortgeführt  habe.  Doch 
weiter  wage  ich  nicht  und  beabsichtige  ich  nicht  zu  gehen.  Werden 
die  Argumente,  welche  ich  gegen  die  Havet'sche  Hypothese  ins  Feld 
führe,  richtig  befunden,  so  erfordert  die  Frage,  wie  die  Sammluug  der 
Epist.  181 — 220  zu  Stande  gekommen  sein  mag,  eine  nochmalige  Er- 
örterung und  Beantwortung.  Zunächst  wird  doch  abzuwarten  sein, 
wie  sie  von  Boubnov  beantwortet  werden  wird.  Doch  davon  abgesehen, 
verzichte  ich  von  vorhinein  auf  jeden  Versuch  der  Lösung.     In    diese 


')  Er  hat  u.  a.  nur  den  von  üiesebrecht  bearbeiteten  Theil  der  Jahrbücher 
(1840)  benutzt,  aber  nicht  dt-ssen  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit,  von  welcher 
doch  schon  seit  1881  die  5.  Auflage  vorliegt.  —  Anders  ist  es  allerdings  zu  be- 
urtheilen,  dass  er  sich  in  dem  einen  und  andern  Punkte  auf  Stumpfs  Regesten 
gestützt  hat.  Auf  Prüfung  derselben  konnte  sich  Havet  nicht  einlassen.  Und 
bin  gerade  ich  in  der  glücklichen  Lage  bessere  Kunde  von  den  Diplomen  zu 
haben  als  Havet,  und  bin  ich  verpflichtet,  diese  hier  zur  Geltung  zu  bringen,  so 
bin  ich  weit  davon  entfernt,  den  geringsten  Vorwurf  gegen  den  sehr  geehiien 
Collegen  in  I'aris  zu  erheben. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  417 

Uutersuchimgen  tiefer  hineingeratlieu  als  ieli  voraussah,  muss  ieli  sie 
soweit  durchführen,  als  es  sich  um  die  Briefe  des  Kaisers  uud  um  die 
mit  ihnen  zusammenhängenden  Briefe  Gerberts  handelt.  Sobald  ich 
da  zu  Ergebnissen  gelangt  war,  welche  mir  sicher  genug  scheinen, 
um  sie  für  die  Diplomata- Ausgabe  zu  verwertheu,  habe  ich  mir  Halt 
geboten  und  habe  die  andern  Briefe  Gerberts  ausser  Acht  gelassen, 
um  nicht  auf  ein  mir  fremdes  Gebiet  hinüberzugreifen.  Ich  habe 
mich  also  dessen  enthalten  was  unerlässlich  ist,  um  ein  abschliessendes 
Urtheil  über  den  zweiten  Theil  dieser  Sammlung  zu  fällen.  Wenn 
ich  trotzdem  mir  erlaube  Vermuthungen  darüber  auszusprechen,  auf 
welche  Weise  gerade  die  Ottonischen  Briefe  in  die  Collection  und 
zwar  in  dieser  oder  jener  Reihenfolge  gerathen  sein  mögen,  so  will 
ich  damit  nur  Anregungen  geben  und  Beiträge  liefern  zur  endgiltigen 
Lösung  jener  recht  verwickelten  Frage. 

Mit  vollem  Rechte  setzt  Havet  die  im  Namen  Ottos  geschriebenen 
Epist.  213 — 216  in  die  Monate  des  J.  996,  in  denen  Gerbert  mit  dem 
eben  zum  Kaiser  gekrönten  Otto  in  Italien  weilte.  Hier  gilt  es  nur 
die  Frage  zu  beantworten,  ob  diese  Briefe  in  ihrer  natm-lichen  Reihen- 
folge auf  uns  gekommen  sind.  Gehen  wir  von  der  Epist.  213  mit  der 
Inscription:  Reverentissimo  papae  G.  0.  dei  g-ratia  Imperator  augustus 
aus  1),    so    kann    sie    erst    nach    dem  Aufbruch    des  Kaisers  von  Rom 


')  Masson  und  Duchesne  hatten  hier  und  in  Epist.  216  den  Namen  des 
Adressaten  ergänzt  zu  Gerberto.  Da  Wihuans  Jahrb.  174  mir  diese  Lesart  kannte, 
musste  er  schon  ays  diesem  Umstand  folgern,  dass  in  dem  betreuenden  Theile 
der  Briefsammlung  von  chronologischer  Anordnung  nicht  mehr  die  Rede  sei.  — 
Ich  muss  wegen  einer  Lesart  in  diesem  Briefe  näher  auf  dessen  Ueberlieferuncr 
eingehen.  Nach  Boubnov  und  Havet  war  P.  die  einzige  Handschrift,  in  welche 
die  Epist.  213 — 216  aufgenommen  worden  waren.  P.  selbst  ist  verloren  gegangen. 
Desgleichen  eine  aus  ihr  geflossene  Copie,  die  schedae  Fabri.  Aus  diesen  abge- 
leitet ist  V,  eine  für  Baronius  um  1602  angefertigte  und  jetzt  in  der  Bibl.  Valli- 
cellana  befindliehe  Abschrift.  Für  die  Epist.  213—216  ist  V.  die  einzige  hand- 
schriftliehe Quelle.  Aber  auf  P.  gehen  auch  mehrere  Drucke  zurück.  Erstens 
die  1611  erschienene  Ausgal)e  von  Masson,  welcher  zweifelsohne  noch  P.  vor  sich 
hatte.  Zweitens  die  1636  erschienene  Ausgabe  von  Du  Chesno,  welcher  nach 
Boubnov  ebenfalls  direkt  aus  P.  geschöpft  haben  soll,  dagegen  nach  Havet  aus 
den  schedae  Fabri.  Endlich  kommt  noch  eine  Arbeit  von  Baluze  (B)  in  Betracht, 
indem  dieser  zu  einem  Exemplar  der  Masson'schen  Edition  Varianten  eingetragen 
hat,  entweder  nach  P  (so  Boubnov)  oder  nach  den  schedae  Fabri  (so  Havet). 
Waren  nun  die  von  Gerbert  in  seinen  Concepten  angewandten  8ilbennoten  in  P. 
reproducirt  worden,  so  finden  sie  sich  auch  nachgezeichnet  in  den  aus  P.  ge- 
flossenen Copien  V.  und  B. ;  aber  was  nicht  Wunder  nehmen  kann,  nicht  ganz 
getreu,  so  dass  die  Noten  in  V.  und  die  in  B.  hie  und  da  von  einander  abweichen 
(vgl.  die  Tabelle  in  Boubnov  265—268).  Zu  den  stärksten  Abweichungen  gehört 
nun  die  in  der  Epist.  216,  in  welcher  der  Name  des  damaligen  comes  Spoletinis 
Mittheilungen  XII.  27 


418  Sickel. 

(Anfang  Juni)  geschrieben  worden  sei.  Den  gleichen  terminus  a  quo 
nahm  Havet  für  die  Epist.215  an,  in  welcher  Otto  seiner  Grossmutter 
für  alles  dankt  was  sie  zur  Erlangung  der  Kaiserkrone  beigetragen 
hat.  Ist  das  nun  offenbar  der  erste  Brief  des  neuen  Kaisers  an  Adel- 
heid, so  drängt  sich  uns  mehr  als  eine  Frage  auf.  Soll  Otto  Wochen 
lano-  und  bis  nach  der  Abreise  von  Eom  gewartet  haben,  um  diesen 
seinen  Gefühlen  Ausdruck  zu  geben?  Wenn  dem  so  war,  soll  er  sein 
langes  Schweigen  nicht  mit  einem  Worte  entschuldigt  haben  und  soll 
er  mehr  als  einen  Monat  nach  dem  freudigen  Ereignisse  von  nichts 
anderm  Kunde  gegeben  haben?  Wer  diese  Fragen  verneint,  muss 
Epist.  215  möglichst  nah  an  den  21.  Mai  als  den  Krönungstag  setzen 
und  damit  vor  die  Epist.  213  ^).  Ich  komme  auf  dieses  Yerhältniss 
gleich  zurück.  Epist.  214  bietet  keine  rechte  Handhabe  zur  Datirung. 
Sie  könnte  allenfalls  schon  von  Rom  abgesandt  worden  sein.  Aber 
wahrscheinlicher  ist  doch,  da  der  Abt  Rotfrid  noch  im  Juni  996  für 
S.  Vinceuzo  am  Volturno  geurkundet  hat,  dass  der  Kaiser  erst  während 
seines  Aufenthaltes  in  den  Marken  (Mitte  Juni  bis  Mitte  Juli),  so  in 
das  Regiment  dieses  Klosters  eingegriffen  hat.  Und  müssen  wir  uns 
bei  Epist.  216  ebenfalls  mit  annähernder  Zeitbestimmung  behelfen,  so 
ergibt  sich  doch  aus  dem  S.  412  berichtigten  Itinerar,  dass  dieser  wohl 


et  Camerinis  praefectus  oder  genauer  gesagt  der  Anfang  des  Namens  als  Note 
erscheint.  Die  Note  in  V.  ist  zweifelsohne  aufzulösen  Co  .  .  .  Dagegen  die  in  B. 
wohl  S,  welchen  Buchstaben  auch  die  Ausgaben  von  Masson,  Duchesne  und 
Olleris  bieten.  In  Ermangelung  anderer  Kunde  von  dem  betreffenden  Grafen 
hängt  die  Entscheidung,  ob  wir  hier  lesen  sollen  Co  .  .  oder  S  .  .  lediglich  von 
der  Werthschätzung  der  Ueberlieferungen  ab.  Da  die  Noten  in  V.  im  allgemeinen 
einen  guten  Eindruck  machen,  ziehe  auch  ich  mit  Havet  die  Variante  Co  vor.  — 
So  geringfügig  nun  diese  Diöerenz  ist,  so  wird  sie  doch  bei  Aufstellung  des 
Stammbaumes  der  Handschriften  und  der  Drucke  wohl  noch  zu  berücksichtigen 
sein.  Bot  nämlich  P.  die  Note  Co,  welche  sowohl  in  den  schedae  Eabri  als  in 
V.  richtig  nachgezeichnet  wurde,  so  hat  hier  sicher  M.  gefehlt,  indem  er  diese 
Note  durch  S  ersetzte.  Haben  nun,  wie  Boubnov  annimmt,  Duchesne  und  Baluze 
ebenfalls  noch  ausP.  geschöpft,  so  muss  es  doch  seltsam  erscheinen,  dass  beide 
genau  denselben  Fehler  gemacht  haben  sollen  wie  Masson.  Die  Differenz  lässt 
sich  leichter  erklären,  wenn  man  mit  Havet  B.  und  D.  anders  ableitet.  Doch  ich 
begnüge  mich  hier  mit  Andeutungen,  weil  mir  der  Sachverhalt  nicht  ganz  klar 
ist.  Nach  Boubnov  1.  c.  stimmen  M  D  B.  ganz  überein,  während  Havet  für  die  S 
ergebende  Note  nur  MD.  anführt  und  B.  gar  nicht  erwähnt. 

•)  Ohne  behaupten  zu  wollen,  dass  der  Brief  an  Adelheid  unmittelbar  nach 
dem  21.  Mai  und  etwa  vor  D.  197  vom  22.  Mai  geschrieben  sei,  werde  ich  ihn, 
da  sich  für  alle  Briefe  nur  ein  annähernd  richtiges  Datum  annehmen  lässt,  als 
Kundgebung  der  Cedanken  und  Gefühle  des  jungen  Kaisers  (D.  196)  vor  allen 
kaiserlichen  Präcepten  eiiu'eihen. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  IIL  419 

kurz  vor  dem  Aufbruch  nach  Deutschland  geschriebene  Brief  bis  in 
den  September  996  hinausgeschoben  werden  darf. 

Ist  es  also  nur  einer  unter  diesen  vier  Briefen,  welchen  ich  an- 
ders ansetze  als  es  Havet  um  der  überlieferten  Reihenfolge  willen  thut, 
so  erkläre  ich  doch  schon  damit  diese  als  der  Zeitfolsre  nicht  ganz 
entsprechend.  Das  meine  ich  wird  auch  Havet  um  so  eher  zugeben, 
als  er  selbst  (Introd.  LXXVIIl)  die  Vermuthung  ausspricht,  dass  diese 
Gruppe  von  Episteln  erst  gelegentlich  der  Entstehung  von  P.  der 
Sammlung  einverleibt  sein  wird.  Ich  lasse  den  Anlass  und  den  Zeit- 
punkt der  Nachtragung  auf  sich  beruhen,  um  diese  überhaupt  zu  er- 
klären. Besteht  nicht  schon  darin  ein  Unterschied  zwischen  Theil  I 
und  Theil  II  der  Collection,  dass  in  jenem  die  Zahl  der  von  Gerbert 
für  andere  Personen  concipirteu  Briefe  weit  grösser  ist  als  in  diesem? 
Und  wird  er  nicht  um  so  mehr  zu  beachten  sein  als  er  mit  einem 
zweiten  Unterschiede  zusammenfällt,  mit  dem  dass  derartige  Briefe  im 
Theil  I  richtig  eingereiht  erscheinen,  aber  nicht  im  Theile  IL  Ausser 
denEpist.  213 — 216  bietet  uns  nämlich  Theil  II  von  derartigen  Briefen 
nur  noch  die  Epist.  189,  welche  ja  schon  von  Hav^t  als  an  unrichtiger 
Stelle  stehend  bezeichnet  worden  ist  ^).  Des  weiteren  ist  noch  in  An- 
schlag zu  bringen,  dass  Gerbert  die  Briefe  213 — 216  für  den  Kaiser 
zu  dictiren  hatte  und  dass  die  Concepte  zunächst  wohl  in  dessen 
Cabinet  oder  Kanzlei  verblieben  sind.  Kam  aber  Gerbert  erst  nach 
einiger  Zeit  in  den  Besitz  dieses  seines  geistigen  Eigeuthums,  sei  es 
in  der  Form  der  Originalconcepte,  sei  es  in  der  Form  von  Abschriften, 
so  ergab  sich  schon  daraus,  dass  diese  Stücke  nur  gelegentlich  und 
nachträglich  der  Sammlung  einverleibt  werden  konnten.  Und  dabei 
wird  dann  auf  die  Reihenfolge  der  vier  Briefe  geringer  Werth  gelegt 
worden  und  die  der  Abfassungszeit  nach  erste  Epist.  215  an  die  dritte 
Stelle  gekommen  sein  -). 

Ich  gehe  zu  den  beiden  Briefen  Ottos  an  Gerbert  über,  die  nur 
als  Einlauf  in  die  Sammlung  gekommen  sind.  Lege  ich  diese  Epist. 
186  und  218  gleich  Havet  dem  J.  997    bei,    so    weiche    ich    doch    in 


')  Die  Epist.  188  und  209  geboren  nicht  in  die  gleiche  Kategorie,  indem 
ja  Gerbert  in  der  Mehrzahl  der  Absender  inbegriffen  ist.  -')  Der  gleiche  Vor- 
gang kann  in  beliebige  Zeit  gesetzt  werden.  Deshalb  lasse  ich  es  unentschieden 
ob  die  Epist.  213 — 216  bereits  der  Urhaudschrift  einverleibt  worden  sind  (sie 
können  ja  bei  Anlage  des  Codex  L.  übersprungen  worden  sein)  oder  erst  der 
durch  P.  repräsentirten  Theilsammlung.  In  ersterem  Falle  würde  es  geradezu 
zu  erwarten  sein,  dass  die  Epist.  213 — 216  aus  dem  J.  996  erst  nach  den  Epist. 
210—212  vom  J.  997  oder  selbst  nach  den  ebenfalls  jüngeren  Epist.  218—220 
gebucht  worden  seien. 

27* 


4^0  S  i  c  k  e  1. 

zwei  Punkten  von  ihm  ah.  Ich  bestreite,  dass  die  Epist.  181 — 187 
eine  nach  der  Zeitfolge  geordnete  Serie  bilden,  und  ich  bestreite,  dass 
sie  insgesanimt  erst  nach  den  Epist.  218 — 220  geschrieben  sind: 
daraus  folgt,  dass  ich  Epist.  218  nicht  vor,  sondern  nach  Epist.  186 
ansetze.  Aus  dieser  letzteren  lese  ich  heraus,  dass  Gerbert,  Avelcher 
ein  Jahr  zuvor  mehr  von  ungefähr  mit  Otto  in  Italien  zusammen- 
getroffen vrar,  jetzt  zuerst  aufgefordert  w^urde,  dauernden  Aufenthalt 
am  Hofe  des  Kaisers  zu  nehmen  i),  so  dass  wir  hinter  die  Zeit  zurück- 
gehen müssen,  da  Gerbert  am  deutschen  Hoflager  in  Magdeburg  er- 
schien um  ganz  in  Ottos  Dienst  zu  treten.  Danach  muss  auch  Epist, 
187  datirt  werden,  nämlich  wie  allgemein  angenommen  wird,  die  zu- 
sagende Antwort  auf  Epist.  186.  Doch  es  kommt  zugleich  das  Ver- 
bal tniss  dieser  Briefe  zu  den  vorausgehenden  in  Betracht.  In  den 
Epist.  183,  184  ist  zweifelsohne  von  Ottos  Zug  gegen  die  Slaven  die 
Rede.  In  welchen  Monat  dieser  gehört,  versuche  ich  später  zu  be- 
rechnen. Zunächst  bemerke  ich  nur,  dass  Havet  um  der  überlieferten 
Reihenfolge  willen  die  Epist.  186,  187  als  noch  jünger  denn  183,  184 
betrachtet,  während  er  doch  ganz  richtig  -)  das  erste  Zusammentreffen 
Gerberts  mit  dem  Kaiser  in  diesem  Jahre  stattfinden  lässt,  als  letzterer 
die  Vorbereitungen  zu  jenem  Feldzuge  traf.  Havet  hat  also  den  Haupt- 
inhalt und  die  Bestimmung  der  Epist.  186  verkannt. 

Versuchen  wir  deshalb  mit  Hilfe  anderer  Briefe  die  Bedeutung 
der  Epist.  186  festzustellen.  Dass  wir  Gerbert  noch  Ende  März  997 
an  einem  Concil  zu  S.  Denis  theilnehmen  sehen  ^j,  schhesst  die  An- 
nahme nicht  aus,  dass  Gerbert,  als  seine  Stellung  in  Frankreich  un- 
haltbar zu  werden  drohte,  des  Verkehrs  mit  dem  jungen  Kaiser  in 
Italien  eingedenk,  sein  Glück  in  Deutschland  zu  versuchen  gedachte 
und  in  dieser  Richtung  bereits  Schritte  gethan  hatte.  Aber  seit  jener 
Begegnung  im  J.  996  war  der  Verkehr  ins  Stocken  gerathen  und 
Gegner  Gerberts  hatten  den  Kaiser  gegen  ihn  einzunehmen  gewusst. 
Deshalb  ging  Gerbert  vorsichtig  und  ohne  seiue'  eignen  Wünsche  an- 
zudeuten zu  Werke,  versicherte  in  einem  ersten  Briefe  den  Kaiser  nur 
seiner  Theilnahme  und  Ergebenheit  und  brachte  dann  Angelegenheiten 
anderer   uns  nicht  bekannter  Personen  zur  Sprache  ^).     Ich  vermuthe, 

')  Tanti  patroni  sempiternam  nobiscum  stabilitatem  adoptamus.  —  So  auch 
Wilmans    173    und    Giesebreclit    1,    692.  »)    S.    163   N.  1    und  166   N.  1    zu 

Epist.  181.  3)  introd.  XXVIII  und  Epist.  209.  *)  Dass   ich  Epist.  182  so 

deute,  muss  ich  Havet  gegenüber,  welcher  schon  hier  einen  Hinweis  auf  Ottos 
Sieg  über  die  Slaven  erblickt,  rechtfertigen.  Ich  sehe  nämlich  in  der  Erwähnung 
der  res  praeclare  a  vobis  gestae  nichts  als  eine  Schmeichelei  und  meine,  dass 
wer  da  klagt,  dass  er  ohne  die  geringste  Kunde  ist,  gai-  nicht  auf  bestimmte 
rühmliche  Thaten  anspielen  kann. 


I 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  KI.  421 

dass  ihm  gar  keine  direkte  Antwort  zu  tlieil  geworden  ist,  dass  ihm 
aber  in  irgend  einer  Weise  zu  verstehen  gegeben  ist,  dass  man  am 
kaiserlichen  Hofe  ihm  nicht  traue  und  seinen  Dienst  nicht  begehre. 
Nun  erst  entschliesst  sich  Gerbert  den  Kampf  mit  dem  ihm  unbe- 
kannten Widersacher  aufzunehmen,  welcher  den  allvermögenden  Kaiser 
zu  beeinflussen  wagt:  er  ist,  ein  Sünder  vor  dem  Herrn,  sich  doch 
keiner  Schuld  gegen  den  Kaiser  bewusst,  um  derentwillen  seine  Dienst- 
willigkeit plötzlich  Missfalleu  erregen  könne;  dem  Grossvater,  dem 
Vater  und  dem  Enkel  trotz  alles  Ungemaches  treu,  hat  er  selbst  den 
Tod  nicht  gescheut,  dem  einst  in  Haft  gehaltenen  Erben  des  Reichs 
zur  Krone  zu  verhelfen;  wie  er  sich  damals  des  Erfolges  gefreut, 
wünscht  er  bis  an  sein  Lebensende  gleicher  Freude  theilhaftig  zu 
werden  und  seine  Tage  mit  dem  Kaiser  in  Frieden  zu  beschliessen 
(Epist.  185).  Darauf  erfolgte  die  Berufung  an  den  Hof.  Galt  sie 
vornehmlich  dem  hervorragenden  Lehrer,  so  war  Gerbert  klug  genug, 
sich  zuuächst  mit  solcher  Stellung  zu  begnügen,  welche  ihm  doch 
weitere  Aussichten  eröffnete:  wir  gehorchen,  erwiederte  er  in  Epist.  187, 
den  kaiserlichen  Befehlen  sowohl  in  diesem  Punkte  wie  in  allem  was 
Bure  Majestät  sonst  verfügen  wird. 

Bringt  man  die  Epist.  182,  185—187  in  solchen  Zusammenhang, 
so  wird  klar,  dass  in  dem  Briefe  Ottos  von  Gerberts  Berufung  an  den 
Hof  die  Kede  ist.  Und  das  habe  ich  deshalb  handgreiflich  machen 
wollen,  weil  die  vier  Schreiben  sonst  gar  keine  Handhabe  bieten,  um 
approximativ  die  Zeit,  in  welcher  diese  Correspondenz  geführt  worden 
ist,  festzustellen.  Den  Versuch  Havets,  aus  der  Epist.  182  eine  andere 
Zeitbestimmung  zu  gewinnen,  habe  ich  bereits  zurückgewiesen.  Somit 
bleibt  für  seine  abweichenden  Ansätze  nur  noch  als  einzige  Stütze  die 
Hypothese  der  chronologischen  Anordnung  der  Epist.  181 — 187.  Aber 
einer  Hypothese  zu  liebe  werden  wir  doch  die  nächstliegende  und 
durchaus  ungezwungene  Deutung  jener  vier  Briefe  nicht  verwerfen; 
vielmehr  werden  wir  was  die  Briefe  besagen  oder  auch  was  sie  nicht 
besagen  zum  Prüfstein  der  betreflFenden  Annahme  machen.  Zu  diesem 
Behufe  will  ich  unter  Hinweis  auf  Vorgänge,  welche  ich  erst  später 
(S.  428)  eingehend  besprechen  kann,  noch  einen  Umstand  geltend 
machen.  In  Folge  der  Beschlüsse  der  vom  Papst  Gregor  V,  im  Früh- 
jahr 997  zu  Pavia  versammelten  Synode  und  des  Erscheinens  des 
römischen  Abtes  Leo  als  päpstlichen  Legaten  in  Frankreich,  nahm  die 
Reimser  Angelegenheit  für  Gerl^ert  eine  gefährliche  Wendung  an:  von 
seiner  Besorgniss  legen  Epist.  183  und  alle  um  die  gleiche  Zeit  ge- 
schriebenen Briefe  Zeugniss  ab.  Findet  sich  aber  in  den  Epist.  185, 
187  nicht  die  geringste  Anspielung  auf  diese  für  Gerbert  so  wichtige 


422 


S  i  c  k  e  1. 


Frage,  so  spricht  dies  Schweigen  ebenfalls  dagegen,  dass  diese  bei- 
den Briefe,  wie  Havet  will,  in  den  letzten  Monaten  des  Jahres  ge- 
schrieben seien. 

Diese  Argumente  zu  verstärken  versuche  ich  so  genau  als  mög- 
lich festzustellen,  wann  Gerbert  bei  dem  Kaiser  eingetroffen  ist  und 
wann  der  Feldzug  gegen  die  Slaven  stattgefunden  hat  und  wie  sich 
überhaupt  bei  Benutzung  sämmtlicher  Quellen  das  Itinerar  für  das 
J.  997  gestaltet,  wonach  wir  dann  nicht  allein  die  bisher  besprochenen, 
sondern  auch  die  übrigen  in  Betracht  kommenden  Briefe  unterzubringen 
haben  werden.  Die  Differenzen  zwischen  Havet  und  mir  erscheinen 
auf  den  ersten  Blick  nicht  sehr  gross  i),  fallen  aber  mehr  ins  Gewicht, 
sobald  man,  wie  es  die  Einreihung  der  Gerbertbriefe  erfordert,  genaue 
Daten  zu  gewinnen  sucht. 

Hier  kommt  mir  nun  wesentlich  das  sich  aus  den  Diplomen  er- 
gebende Itinerar  zu  statten  2).  Noch  am  20.  April  soll  Otto  zu  Dort- 
mund geurkundet  haben,  am  18.  Mai  zu  Merseburg,  vom  5. — 13.  Juni 
zu  Arneburg  an  der  Elbe  (nördlich  von  Magdeburg),  am  9.  Juli  zu 
Gandersheim,  am  15.  und  17.  Juli  zu  Eschwege,  am  17.  Juli  auch  zu 
■Mühlhausen,  am  20.  August  zu  Leitzkau  (so.  von  Magdeburg),  bereits 
am  2.  September  zu  Thorr  (w.  von  Köln),  am  1.  Oktober  zu  Aachen  3); 
von  hier  nach  dem  27.  Oktober  aufgebrochen,  soll  er  am  13.  December 
in  Trient  und  am  31.  December  in  Pavia  Präcepte  ausgestellt  haben. 
Inwiefern  einzelne  dieser  urkundlichen  Daten  bedenklich  sind,  werde 
ich,  soweit  es  nicht  bereits  S.  379  geschehen  ist,  hier  erörtern. 

Gilt  es  vor  allem  den  Feldzug  gegen  die  Slaven  unterzubringen, 
so  wird  es  gut  sein,  eine  Bemerkung  über  diesen  vorauszuschicken. 
Was  Gerbert  in  Epist.  183  über  denselben  sagt,  ist  doch  Uebertreibung 
und  Schmeichelei  der  ärgsten  Art.  Der  Einfall  in  das  Land  des  Fein- 
des war  weder  ein  grosses  Unternehmen,  noch  erzielte  er  anhaltende 
Wirkung;  sehr  bald  nach  ihm,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  drangen 
die    Slaven   ihrerseits    in    den  Bardengau    ein.     Indem   Ottos   Feldzug 


0  S.  166  N.  1 :  Gerbert  war  bei  Utto  zu  Beginn  dos  Sommers  997,  während 
der  Kaiser  die  Expedition  gegen  die  Slaven  vorbereitete,  welche  er  dann  im  Juli 
vornahm.  ^j  wir  verfügen  heutzutage  nicht  allein  über  eine  grössere  Anzahl 

von  Urkunden  als  seinerzeit  "Wilmans,  sondern  auch  über  zuverlässigere  Zeit- 
angaben in  denselben.  In  letzterer  Beziehung  genügt  es  ein  Beispiel  anzuführen. 
Stumpf  Reg.  1100  =  DO.  III.  235  ist  zu  Nimwegen  am  18.  December  996  aus- 
gestellt. Indem  Wilmans  dasselbe  mit  Schaten  zum  18.  ]\Iai  997  ansetzte,  nahm  er 
einen  längeren  Aufenthalt  im  Westen  an  und  Ankunft  in  Sachsen  erst  zu  Antang 
Juli.  —  Durchaus  richtig  hat  bereits  Giesebrecht  1,  693  ft'.  den  Verlauf  der  Dinge 
dargestellt,  doch  ohne  eingehende  Begründung,  welcher  es  gerade  in  diesem  Falle 
bedarf.       •'*)  Von  D.  254  sehe  ich  hier  wegen  der  Correcturen  in  der  Datirungszeile  ab. 


Erläuterungen  7ai  den  Diplomen  Otto  III.  423 

nicht  lauge  gedauert  hat,  lässt  er  sich  leicht  iu  das  urkundliche  Itinerar 
einfügen.  Mehr  Schwierigkeiten  bereitet  uns,  dass  die  Annales  Quedlinb. 
(SS.  3,  73)  gerade  den  zeitlichen  und  causalen  Zusammenhang  der 
Ereignisse  anders  darstellen  als  Thietmar  an  zwei  gesonderten  Stellen 
seiner  Chronik.  Wird  jenen  nachgerühmt  u.  a.  von  den  sich  in  der 
Nähe  abspielenden  Kämpfen  mit  den  Slaven  zuverlässige  Kunde  zu 
bieten  i),  so  hat  sich  auch  Wilmans  möglichst  an  sie  gehalten.  Da  es 
dort  heisst:  quos  (Sclavos)  contra  commotus  Imperator  Ztodorianam, 
quam  vulgo  Heveldum  vocant,  egregiam  inter  Sclavonicas  terram, 
magno  invasit  exercitu,  vicit,  praedavit,  victorque  in  Magadeburch  .  .  . 
subintravit.  Interim  autem  dum  Imperator  augustus  .  .  .  Heveldum 
devastando  percurrit,  congregati  Wlotabi  Bardangao  provinciam  im- 
provisi  rapiuis  multis  aggressi  sunt  et  incendiis.  Quod  videntes  West- 
falai,  quos  praefatus  Imperator  in  expeditiouem  pergens  ad  custodien- 
dam  reliquerat  provinciam,  celeriter  Liuticos  fortiter  excipiunt,  ipsique 
cum  pauci  essent,  innumeram  paganorum  multitudinem  tanta  caede 
prosteruunt  etc.,  so  setzt  auch  Wilmans  den  Einfall  der  Slaven  in  die 
Gegend  um  Lüneburg  noch  vor  die  Rückkehr  des  Kaisers  nach  Magde- 
burg, obgleich  er  auf  Thietmar  und  auf  eine  Notiz  im  Necrol.  Merseb. 
gestützt  den  Sieg  der  Westfalen  am  6.  November  erfolgen  lässt,  wo- 
nach die  Expedition  des  Kaisers,  welche  in  der  Zeit  des  Herbstes  be- 
gonnen haben  soll,  geraume  Zeit  in  Anspruch  genommen  haben  würde^). 
Ich  muss  den  Bericht  des  Quedhnburger  Annalisten,  insofern  er  die 
Gleichzeitigkeit  des  einen  und  andern  Einfalls  behauptet,  auf  Grund 
des  urkundlichen  Itinerars  einfach  als  unrichtig  bezeichnen  3)  und  kann 
mich  dabei  auch  auf  Thietmar  stützen.  Doch  ich  will  vorerst  nur  das 
Itinerar  und  dazu  die  Angabe  Gerberts,  dass  sich  diese  Dinge  ferven- 
tioris  anni  tempore^)  zugetragen  haben,  zu  Eathe  ziehen.  Von  Arne- 
burg, so  hat  zuletzt  Kehr  vorgeschlagen,  wird  der  Feldzug  gegen  die 
Heveller  ausgegangen  sein.  Bleibt  sonst  nur  Eaum  für  ihn  zwischen 
dem  17.  Juli  (Mühlhausen)  und  dem  20.  August  (Leitzkau),  so  ent- 
scheidet für  letztere  Annahme  Thietmars  Chronik. 


')  Wattenbach  1,  321.  ^)  Wilmans    denkt    offenbar  an  den  Anfang  des 

Herbstes  nach  heutigem  Brauche  {aequinoctium  autumnale).  Havet  erklärt  nicht, 
weshalb  er  trotz  der  Berufung  auf  Wilmans  den  Zug  des  Kaisers  in  den  Juli 
setzt.  3)  Von  den  sieben  in  Aachen  ausgestellten  Diplomen  liegen  noch  drei 

im  Original  vor.  —  Ich  bemerke  gleich  hier,  dass,  auch  wenn  wir  von  der  Gleich- 
zeitigkeit beider  Einfälle  absehen,  der  Feldzug  Ottos  nicht  nach  dem  Aufenthalt  in 
Leitzkau  (20.  Aug.)  angesetzt  werden  kann.  War  der  Kaiser  nach  D.  255  spätestens 
am  1.  Oktober  zu  Aachen  eingetroffen,  so  müssten  der  Feldzug  und  die  Reise 
nach  dem  Westen  in  den  Zeitraum  von  41  Tagen  zusammengedrängt  werden. 
*)  Vorrede  zum  Libellus  de  rationali  etc.  bei  Havet  236. 


424  Sickel. 

Es  ist  für  deren  Entstellung  recht  bezeichnend  i),  dass  von  den 
beiden  Nachträgen,  welche  hier  in  Betracht  kommen,  cap.  29  über 
Geschehnisse  aus  der  Zeit  von  Mitte  Juli  bis  Anfang  November  be- 
richtet und  cap,  38  von  Geschehnissen  bis  Anfang  Juli,  dass  aber  der 
Zusammenhang  zwischen  beiden  nicht  mit  einem  AVorte  angedeutet 
wird.  Der  Glaubwürdigkeit  thut  das  nicht  im  geringsten  Abbruch. 
Die  Kunde  von  dem  was  Thietmar  in  cap.  38  erzählt,  verdankt  er 
offenbar  seinem  hier  mitbetheiligteu  Oheim  Liuthar.  Ich  hebe  aus 
dem  Berichte  nur  hervor  was  combinirt  mit  den  Angaben  der  Diplome 
uns  Einblick  in  die  Zeitfolge  gewährt.  Imperator  ob  defensionem 
patriae  Harnaburg  ci^ätatem  opere  muniens  necessario:  dies  geschah 
jedenfalls  nach  dem  18.  Mai  (D.  244  aus  Merseburg)  und  zu  Beginn 
des  Juni  (DD.  245 — 7,  Arneburg  5 — 13).  Die  vier  Wochen,  auf  welche 
dem  Erzbischof  Giseler  nach  Aiifbruch  des  Kaisers  der  Oberbefehl  in 
Arneburg  übertragen  war,  beginneu  somit  etwa  Mitte  Juni.  Dazu 
passt  sehr  wohl  der  2.  Juli  als  der  Tag,  an  welchem  sich  Giseler 
durch  Unbesonnenheit  eine  Schlappe  zuzog.  Behauptete  er  sich  doch 
noch  in  Arneburg  bis  seine  Zeit  abgelaufen  war,  so  ging  die  Stadt 
doch  vor  Eintreflfen  Liuthars,  welcher  den  Erzbischof  abzulösen  hatte, 
verloren:  wir  können  dafür  etwa  den  10.  Juli  annehmen. 

Von  dieser  Erzählung  hat  Kehr  offenbar  nicht  Notiz  genommen: 
mit  den  Vorgängen  in  und  um  Arneburg  verträgt  sich  der  Feldzug 
des  Kaisers  absolut  nicht.  Otto  glaubte  vielmehr  allen  Gefahren  von 
Seite  der  Slaven  vorgebeugt  zu  haben,  indem  er  Arneburg  befestigt 
und  für  dessen  Vertheidigung  gesorgt  hatte.  Zwischen  seinem  Auf- 
bruche von  Arneburg  und  seinen  für  den  9.  Juli  bezeugten  Aufenthalt 
in  Gandersheini  kann  er,  was  ich  gleich  hier  bemerken  will,  in  Magde- 
burg geweilt  haben;  desgleichen  bevor  er  von  Merseburg  (18.  Mai) 
kommend  in  den  ersten  Junitagen  in  Arneburg  eintraf.  Die  Kunde 
von  der  Ueberrumpelung  Giselers  am  2.  Juli  -)  kann  der  Kaiser  bereits 
in  Gandersheim  und  die  von  dem  Verluste  Arneburo^s  zu  Eschwege  an 
der  Werra,  wo  er  am  15.  und  17.  Juli  urkimdete,  erhalten  haben. 
Er  ist  zweifelsohne  in  aller  Eile  aufgebrochen  um  in  die  Gegend  von 
Magdeburg  zurückzukehren  und  sich  selbst  an  die  Spitze  der  Mann- 
schaft zu  stellen,  welche  sich  auf  die  Nachricht  des  Falles  von  Arne- 
burg bereits  gesammelt  haben  wird.   Entschieden  war  dies  der  Moment 


')  Ich  halte  mich  hier  ganz  an  die  VoiTede  in  der  neuen  von  Kurze  be- 
sorgten Ausgabe  (Schulausgabe  vom  .1.  1889).  So  wenig  wie  von  ihm  auf  das 
Verhältniss  von  üb.  IV.  cap.  29  und  38  näher  eingegangen  worden  ist,  ist  es 
meines  Wissens   von   anderer  Seite  geschehen.  ")  Vgl.  Necrol.  Merseb.  und 

Necrol.  Magdeb. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  425 

in  welchem,  soweit  unsere  Nachricliten  reichen,  am  meisten  Anlass 
war,  die  Slaven  zu  züchtigen  und  am  meisten  Anlass  für  den  Kaiser 
in  eigener  Person  zu  Felde  zu  ziehen. 

Knüpfen  wir  nun  wieder  an  Thietmars  Chronik  an.  Für  cap.  29 
hat  er  ebenso  wie  für  die  vorausgehenden  Abschnitte  die  Ann.  Quedlinb, 
in  seiner  freien  Weise  benutzt.  So  erzählt  er  in  gedrängter  Weise, 
aber  doch  immer  einzelne  Worte  seiner  Quelle  wiederholend,  wie  der 
Kaiser  das  Havelland  verheert  hat  und  als  Sieger  nach  Magdeburg 
heimgekehrt  ist.  Aber  nach  eigener  Kunde  verbessert  er  das  interdum 
der  Annales  in  Ob  hoc:  die  Slaven  rächen  sich  für  den  ihnen  durch 
den  Kaiser  zugefügten  Schaden  durch  einen  Einfall  in  den  Bardengau, 
werden  aber  zurückgeschlagen.  Dass  dies  erst  nach  Monaten  geschah, 
hält  Thietmar  nicht  für  nöthig  zu  bemerken.  Aber  er  bietet  uns  hier 
sonst  nicht  überlieferte  Details:  dass  sich  der  Mindener  Bischof  Kam- 
ward durch  Tapferkeit  hervorthat  und  dass  in  diesem  Treffen  Graf 
Gardulfus  fiel;  indem  nun  in  Merseburg  der  Todestag  Gardulfs  ein- 
getragen wurde,  lernen  wir  den  6.  November  als  den  Tag  des  Sieges 
über  die  Slaven  kennen.  Welche  Wirkung  die  Nachricht  von  dem 
neuen  Einfalle  der  Slaven  und  die  von  der  Niederlage  derselben  am 
kaiserlichen  Hofe  zu  Aachen  hervorbrachte,  werden  wir  später  verfolgen. 

Weder  als  Otto  von  Mühlhausen  aus  eilig  in  das  Feld  zog,  noch 
bei  der  Rückkehr  kann  er  in  Magdeburg  länger  verweilt  haben.  Und 
auch  bei  dem  ersten  Aufenthalt  in  dieser  Stadt  im  Mai  907  hat  der 
Kaiser  wohl  nicht  Müsse  gehabt,  mit  Gerbert  über  wissenschaftliche 
Fragen  zu  verhandeln  und  Disputationen  zu  veranstalten;  auch  kann 
Gerbert  schwerlich  so  frühzeitig  am  Hofe  eingetroffen  sein.  Dagegen 
scheint  der  zweite  Aufenthalt  in  Magdeburg  in  jeder  Beziehung  ge- 
eignet in  ihn  die  Ankunft  Gerberts  zu  setzen.  Die  in  Arueburg  er- 
griffenen Massregeln  werden  den  Kaiser  mit  Zuversicht  erfüllt  haben, 
sich  seinen  persönlichen  Neigungen  hinzugeben.  So  nehme  ich  für  die 
Zusammenkunft  mit  Gerbert  in  Magdeburg  Mitte  Juni  an  und  für  die 
Einladung  desselben  (Epist.  186)  den  April.  Die  vorausgehenden  E]üst. 
182,  185  werden  dem  Kaiser  während  des  Aufenthalts  in  Aachen 
(Februar  und  März  997)  zugegangen  sein. 

Um  der  Epist.  218  die  rechte  Stelle  anzuweisen  kommt  es  weniger 
auf  das  Itinerar  des  Kaisers  als  auf  die  Schicksale  des  Adressaten 
Gerbert  an.  Nur  als  Vermuthung  spreche  ich  es  aus,  dass  dieser  sich 
verabschieden  musste,  als  Otto  Mitte  Juli  von  Eschwege  aus  nach  der 
Elbe  eilte,  ferner  dass  er  um  diese  Zeit  nochmals  Keims  besucht  hat  ^). 


1)  Epist.  181 :  Remis  nuper  me  posito. 


42G 


Sickel. 


Dem  Hofe  hat  er  sicli  sicher,  erst  kurz  bevor  die  Fahrt  über  Berg  an- 
getreten wurde,  -wieder  angeschlossen.  Ich  hal)e  nun  bereits  S.  421 
auf  die  Beschlüsse  hingewiesen,  welche  im  Frühjahr  997  auf  der  vom 
Papst  nach  Pavia  einberufenen  Synode  gefasst  wurden.  Eine  Ent- 
scheidung in  der  Reimser  Angelegenheit  war  noch  nicht  erfolgt.  Aber 
die  Absetzung  des  Erzbischofs  Arnolf,  die  vor  allen  Gerbert  verschuldet 
hatte,  und  die  Gefangenhaltung  desselben  waren  aufs  schärfste  ver- 
urtheilt  worden.  Die  Energie,  welche  Gregor  V.  unter  anderm  auch 
gegen  Giseler  von  IMagdeburg  bekundet  hatte,  musste  Gerbert,  welchen 
der  Papst  schon  Jahrs  zuvor  als  Eindringling  (JL.  3866)  bezeichnet 
hatte,  mit  Angst  und  Sorge  erfüllen,  zumal  nachdem  der  in  der  Reimser 
Angelecrenheit  schon  wiederholt  verwendete  römische  Abt  Leo  wieder 
als  päpstlicher  Legat  in  Frankreich  erschienen  war,  um  die  Freilassung 
Arnolfs  zu  verlangen  und  um  diesen  wie  Gerbert  und  alle  andern 
Betheiligten  vor  den  Richterstuhl  des  Papstes  zu  fordern. 

In  jener  Epist.  183,  in  welcher  Gerbert  Otto  als  Sieger  feiert, 
ist  nun  auch  von  dem  Legaten  Leo  die  Rede.  Ihm  war,  wie  auch  in 
Epist.  181  erwähnt  wird,  die  Enthaftung  des  Erzbischofs  Arnolf  ver- 
•sprochen  worden,  wovon  der  Abt  Leo  den  Kaiser  mündlich  oder 
schriftlich  in  Kenntniss  gesetzt  hatte.  Gerbert  glaubt  allerdings  nicht, 
dass  diese  Zusage  gemacht  worden  sei,  und  noch  weniger,  dass  sie 
werde  verwirklicht  werden.  In  jedem  Falle  rechnete  er,  was  auch 
gegen  ihn  geplant  sein  möge,  auf  des  Kaisers  Unterstützung.  Uebrigens 
war,  als  noster  Leo,  d.  h.  der  spätere  Bischof  von  Vercelli  i),  sich  an- 
schickte zum  Kaiser  zu  eilen,  betreffs  Arnolfs  noch  kein  Entschluss 
gefasst.  Wird  nun  in  diesem  Zusammenhange  der  8.  September  als 
schon  verflossen  erwähnt,  so  ergibt  sich  als  Abfassungszeit  der  Epist. 
183  einer  der  folgenden  Tage.  Damals  konnte  Gerbert,  auch  wenn 
er  im  Westen  des  Reiches  weilte,  Kunde  von  dem  Ausgange  des  Zuges 
o-eo-en  die  Slaven  und  von  der  Reise  des  Kaisers  nach  Aachen  haben : 
dahin  wird  er  wohl  sein  Schreiben  gesandt  haben  '^). 

Sagte  ich  nun  bereits,  dass  ich  Epist.  218  später  als  Havet  ein- 
reihe 3),  so  muss  ich  hier  hinzufügen,  dass  ich  sie  als  des  Kaisers 
Antwort  auf  Epist.  183  betrachte.  Otto  knüpft  ja  gleich  in  den  ersten 
Worten  an  die  Glückwünsche  Gerberts  an.  Doch  seine  Erfolge  freuen 
ihn  nur,  weil  sie  auch  Gerbert  zu  statten  kommen.  Der  Theilnahme 
seines  geliebten  Meisters  sicher,    will    er    sie    ihm    vergelten.     Und  so 


')  "Vgl.  Löwenfeld  Leo  von  Vercelli  4.        -)  In  die  gleiche  Zeit  setze  auch 
ich  die  Epist.  184:  »)  In  N.  3  zur  Epist.  218  wird   diese  als  Epist.  183  vor- 

ausgehend bezeichnet. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  427 

theilt  er  ilrni  die  wiclitige  Nachricht  mit,  welche  er  dem  Abte  Leo 
verdankt,  dass  Arnolf  schon  auf  dem  Wege  zum  Papste  ist  i),  und 
zugleich  was  ihm  das  Beste  dünkt:  ut  nuntius  noster  cum  ipso  Leone 
ad  papam  dirigatur,  qui  pro  vobis  fidei  intercessor  habeatur. 


1)  Dass  Arnolf  erst  im  November  aus  der  Haft  entlassen  worden  sein  soll, 
wie  Havet  annimmt,  kommt  hier  uicht  in  Betracht.  Es  lag  im  Interesse  des 
Legaten,  die  ihm  in  Frankreich  gemachte  Zusage,  mochte  sie  ernstlich  gemeint 
sein  oder  nicht  und  mochte  sie  Ijereits  verwirklicht  sein  oder  nicht,  Otto  gegen- 
über geltend  zu  machen.  Dazu  muss  ich  jedoch  noch  bemerken,  dass  mir  das 
Datum  der  Freilassung  Arnolfs  noch  nicht  sicher  festgestellt  zu  sein  scheint. 
Havet  beruft  sich  (Introd.  XXVIII)  auf  Richer  und  auf  die  betreffenden  Unter- 
suchungen Pfisters  (Etüde  sur  le  regne  de  Robert  le  Pieux  54).  Handelt  es  sich 
dabei  um  die  kurzen  Aufzeichnungen,  welche  Richer  ^seinem  Werke  anschloss, 
so  darben  die  allerdings  jeder  Zeitangabe,  aber  sie  folgen  offenbar  so  aufeinander 
wie  die  Nachrichten  dem  Autor  zugegangen  sind.  Daraus  folgere  ich,  dass 
Richer  die  Freilassung  Arnolfs  erfuhr  zur  Zeit,  da  er  von  der  zweiten  Reise 
Gerberts  nach  Rom  (Aufbruch  Ende  997)  bereits  Kenntniss  hatte  und  wenigstens 
vermuthen  konnte,  dass  derselbe  schon  in  Rom  weile.  Es  war  vor  der  Zeit,  da 
Richer  Kunde  von  der  Erhebung  Gerberts  zum  Erzbischof  von  Ravenna  (April 
998)  erhielt.  Trägt  Richer  noch  später  ein,  dass  der  Papst  Arnolf  gestattet  habe 
bis  zu  rechtmässiger  Erledigung  seiner  Angelegenheit  seines  priesterlichen  Amtes 
zu  walten,  so  zweifle  ich  nicht,  dass  diese  Entscheidung  des  Papstes  noch  in  das 
J.  997  gehört;  aber  Richer  wird  sie  erst  später  bekannt  geworden  sein.  —  Was 
die  gi-ündlichen  Untersuchungen  Pfisters  anbetrifft,  so  muss  ich  offen  bekennen, 
dass  ich  von  der  Richtigkeit  der  Darstellung  auf  S.  54  noch  nicht  überzeugt 
bin.  Aus  den  zuvor  angegebenen  Gründen  bin  ich  der  Sache  selbst  nicht  nach- 
gegangen. Dennoch  erlaube  ich  mir  die  mir  sich  sofort  aufdrängenden  Bedenken 
hier  auszusprechen.  Pfister  bei-ichtet  über  eine  einmalige  Sendung  des  Abtes  Abbo 
an  die  Curie  betreffs  der  beiden  damals  schwebenden  Angelegenheiten  und  setzt 
dieselbe  zu  Ausgang  des  J.  997.  Hiefür  führt  er  die  jetzt  zuerst  von  ihm  (Introd. 
LVII  nr.  11)  veröffentlichte  Bulle  Gregor  V.  für  das  Kloster  Fleury-sur-Loire 
vom  13.  Nov.  997  an.  Ich  sehe  ganz  von  deren  Verhältniss  zu  JL.  Reg.  3872 
sowie  von  ihrem  Inhalte  ab.  Das  Protokoll  lautet  so  correct,  dass  ich  an  der 
Ausfertigung  einer  Bulle  an  das  Kloster  unter  dem  gegebenen  Datum  durchaus 
nicht  zweifle.  Aber  aus  der  Bulle  folgt  noch  nicht,  dass  Abbo  damals  zum  ersten 
Male  an  der  Curie  gewesen  sei.  Die  Angaben  von  Pflster  machen  mir  vielmehr 
den  Eindruck,  dass  Abbo,  wie  das  bei  der  Verquickung  der  beiden  sehr  heiklen 
Angelegenheiten  nicht  ^\'under  nehmen  kann,  zu  Aviederholten  Malen  als  Unter- 
händler gedient  habe.  Das  Zusammentreffen  des  Abtes  mit  dem  Papste  in  der 
Gegend  um  Spoleto  kann  nämlich  nur  im  J.  996,  als  Gregor  aus  Rom  fliehen 
musste,  stattgefunden  haben  (so  auch  Giesebrecht  1,  699).  Andererseits  gehört 
der  Brief  Abbos  in  Migne  Patrol.  lat.  139,  419  jedenfalls  erst  in  das  J.  997.  — 
Noch  eine  zweite  Bemerkung  zu  Pfister  53  (Ansatz  der  S3'node  von  Pavia  zum 
Juli  997)  möge  mir  gestattet  sein  hier  einzuschalten.  Der  in  der  Note  3  geltend 
gemachte  Grund  hindert  doch  nicht,  die  Synode  mit  Löwenfeld  u.  a.  noch  früher 
anzusetzen,  und  so  hätte  Pfister  sagen  müssen,  weshalb  er  sich  für  ein  späteres 
Datum  entschieden  hat. 


428  Sickel. 

Dass  zwischen  der  Epist.  183  uucl  der  Epist.  218  der  engste  Zu- 
sammenhang besteht,  ist  ja  aiich  Havets  Meinung  und  nur  betreffs  der 
Priorität  des  einen  oder  des  andern  Briefes  zweien  wir.  Deshalb 
hebe  ich  nochmals  hervor,  weshalb  ich  Epist.  218  als  Antwort  auf 
Epist.  183  betrachte  i).  Die  Eingangsworte  jener  rerum  eventus  vestro 
voto  obsecundat,  setzen  voraus,  dass  sich  Gerbert  bereits  über  des 
Kaisers  Erfolge  freudig  geäussert  hat;  andere  Erfolge  als  die  des  Feld- 
zugs hatte  aber  Otto  nicht  aufzuweisen  und  zu  diesen  war  ihm  ja  eben 
in  Epist.  183  Glück  gewünscht  worden.  Es  kommt  ferner  auf  die 
Phasen  der  Keimser  Angelegenheit,  seitdem  Gregor  in  dieser  energisch 
vorgegangen  war,  an,  und  da  scheint  doch  in  Epist.  218  von  einer 
Jüngern  Phase  als  in  dem  Gerbertbriefe  die  Eede  zu  sein.  Gerbert 
will  den  Nachrichten  ttber  das  was  der  päpstliche  Legat  erwirkt  haben 
will,  noch  nicht  Glauben  schenken.  Darauf  erwiederte  ihm  Otto  mit 
Berufung  auf  den  Abt  Leo,  dass  doch  Arnolf  schon  auf  dem  Wege 
nach  Rom  sei.  Gewichtiger  scheint  mir  folgendes  Argument.  Auf 
Gerberts  zuversichtliche  Bitte  imi  wohlwollende  Unterstützung  2)  ant- 
wortet Otto  mit  dem  Vorschlage,  mit  dem  Abte  Leo  seinen  eigenen 
'Boten  behufs  Fürsprache  zu  Gerberts  Gunsten  an  den  Papst  zu  sen- 
den 3).  Der  Plan  des  Kaisers  war  nun  so  vortheilhaft  für  Gerbert, 
dass  er  vor  allem  über  ihn  sich  äussern  musste.  Indem  aber  Epist. 
183  denselben  nicht  mit  einem  Worte  berührt,  sondern  nur  die  ganz 
allgemeine  Bitte  ihn  in  seiner  Bedrängniss  nicht  im  Stich  zu  lassen 
enthält,  kann  sie  nicht  Autwort  auf  Epist.  218  sein. 

Auf  Epist.  183  aus  der  ersten  Hälfte  des  September  (s.  zuvor 
S.  426)  kann  der  Kaiser  schon  zu  Beginn  des  Oktobers  geantwortet 
haben.  Seinen  Brief  nicht  viel  später  anzusetzen  bestimmt  mich  gerade 
der  Schlusspassus.  Das  Anerbieten  in  Sachen  Gerberts  jemand  an  den 
Papst  zu  senden,  schliesst  wie  mich  dünkt  aus,  dass  Otto  bereits  den 
Entschluss  zur  Roinfahrt  gefasst  habe,  welche  im  November  angetreten 
wurde.  Auch  Gerbert  sah  im  Herbst  noch  nicht  voraus,  dass  er  im 
Gefolge  des  Kaisers  nach  Italien  gehen  werde  **).   Aber  die  Nachrichten 


')  Zugleich  weil  Giesebrecht  1,  680  ähnlich  wie  Havet  Epist.  183  als  Ant- 
woi-t  auf  die  etwa  im  Sommer  997  geschriebene  Epist.  218  bezeichnet.  -)  Epist. 
183 :  novi  ingenitam  vobis  benivolentiam  talibus  ausis  posse  et  velle  obsistere. 
8)  Aus  diesen  Worten  lese  ich  heraus,  dass  als  dieser  Brief  geschrieben  wurde, 
Leo  in  Person  am  Kaiserhofe  weilte,  was  ebenfalls  auf  ein  späteres  Stadium 
hinweist.  '')  Indem  icli  mich  hier  auch  auf  die  Epist.  181    berufe,   muss  ich 

sagen,  weshalb  ich  auch  diese  später  als  Havet  (vor  dem  Feldzuge  gegen  die 
Slaven  und  am  kaiserlichen  Hofe  geschrieben)  ansetze.  Es  liegt  auf  der  Hand, 
dass  sich  Gcrbert,  als  er  der  dringenden  Autforderung  der  Königin  Adelaide  zur 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  429 

aus  Italien  und  insbesondere  aus  Eom  mögen  allerdings  schon  im 
Verlaufe  des  J.  997  den  Gedanken  an  eine  neue  Komfahi-t  nahe  ge- 
legt haben. 

In  diesem  Zusammenhange  nehme  ich  die  Geschichte  des  Johannes 
Graecus  wieder  auf.  Seine  Erhebung  auf  den  päpstlichen  Stuhl  wird 
seit  Pagi  zum  Mai  997  angesetzt.  Ich  finde  eine  gewisse  Bestätigung 
dafür  in  dem  Verhältnisse  der  Bullen  Gregor  V.  für  Eavenna  JL.  3873 
vom  28.  Jänner  und  JL.  3878  vom  7.  Juli  997  zu  einander.  Den 
Inhalt  der  letzteren  habe  ich  schon  S.  225  angegeben.  Es  ist  nun 
bezeichnend,  dass  der  Papst,  welcher  im  Juli  nicht  mehr  die  geringste 
Rücksicht  auf  Johannes  nimmt,  ihn  im  Jänner  noch  mit  vorsichtiger 
Schonung  behandelt.  Wir  haben  S.  227  gesehen,  dass  Johannes  aller 
Wahrscheinhchkeit  nach  bereits  im  November  996  aus  dem  Orient 
nach  Italien  heimgekehrt  war.  Sein  Wiedererscheinen  mag  dazu  bei- 
getragen haben,  dass  Gregor  V.  dem  Erzbischof  in  JL.  3873  seine 
Theilnahme  bezeigte,  dass  er  es  laut  beklagie,  dass  der  Kirche  von 
Eavenna  der  Sprengel  gemindert  und  ein  Theil  der  Würden  entzogen 
worden  war,  und  dass  er  ihr  behilflich  sein  zu  wollen  erklärte,  dass 
sie  nicht  den  Namen  einer  Metropole  einbüsse.  Wird  damit  deutlich 
genug  auf  die  von  seinem  Vorgänger  zu  Gunsten  von  Piacenza  und 
zuungunsten  von  Eavenna  getroffene  Verfügung  hingewiesen,  so  sieht 
sich  Gregor  doch  noch  nicht  veranlasst  und  so  wagt  er  doch  noch 
nicht,  diese  Verfügung  rückgängig  zu  machen.  Somit  wird  Johannes 
Graecus  im  Jänner  noch  nicht  als  Gegenpapst  aufgetreten  sein.  Ge- 
schah dies  im  Mai  oder  doch  bald  nach  dem  Mai,  so  erklärt  sich  der 
förmliche  Widerruf  in  der  Bulle  vom  7.  Juli.  Die  Kunde  von  diesen 
Vorgängen  muss  aber  auch  dem  kaiserlichen  Hofe  bereits  im  Sommer 
zugegangen  sein  i).    Und  es  wird  auch  nicht  lange  Geheimniss  geblieben 


Rückkehr  nach  Reims  nicht  Folge  leisten  zu  können  erklärte,  bereits  im  Dienste 
Ottos  befand.  Aber  kein  Wort  nöthigt  uns  zur  Annahme,  dass  er  diesen  Brief 
am  Hofe  des  Kaisers  geschrieben  habe,  noch  zu  der,  dass  eben  Vorbereitungen 
zum  Kriege  gegen  die  Slaven  im  Zuge  gewesen  seien.  Dagegen  beweist  der 
Hinweis  auf  die  dem  Abte  Leo  gemachte,  jedoch  noch  nicht  verwirklichte  Zu- 
sage, dass  Epist.  181  ziemlich  gleichzeitig  mit  Epist.  183  ist.  Dazu  passt,  dass 
Gerbert  eine  Reise  nach  Italien  um  sich  ebenso  wie  sein  Rival  Amolf  auf  der 
geplanten  Synode  (Gisiler  war  zum  25.  December  vorgeladen  worden)  zu  stellen 
ins  Auge  fasst  (wohl  nicht  im  Ernst,  aber  den  Schein  sich  zu  stellen  musste  er 
wahren)  und,  wenn  diese  Reise  vertagt  werden  sollte,  zu  Anfang  November  am 
französischen  Hofe  zu  erscheinen  verspricht.  Hier  hätte  Gerbert  wohl  ebenfalls 
der  Reise  mit  dem  Kaiser  Erwähnung  zu  thun  Anlass  gehabt,  wenn  solche  bereits 
in  Aussicht  gestanden  hätte. 

•)  Bezieht  sich  etwa  darauf  der  Satz  der  Epist.  183  Sed  fert  —  consiliis  ?  Dass 
Leo  von  Vercelli  erst  in  Italien  und  dann  in  Frankreich  gewesen,  wäre  ja  mögHch. 


430  Sickel. 

sein,  dass  Crescentius  und  der  neue  Papst  die  kaiserliclien  Boten  als 
Gefangene  in  Rom  zurückhielten.  Um  so  autfallender  ist  es  allerdings, 
dass  wie  ich  zuvor  bemerkte,  bis  in  die  Mitte  Oktober  hinein  in  den 
Gerbertbriefen  von  persönlichem  Eingreifen  des  Kaisers  in  diese  Ver- 
hältnisse nicht  die  Rede  ist. 

Ich  kann  mir  nicht  versagen,  hier  noch  auf  die  zwei  letzten  Briefe 
der  Havet'schen  Edition  einzugehen,  obgleich  ich  nicht  bestimmt  zu 
sagen  weiss,  von  wem  die  Epist.  220  geschrieben  sein  mag  und  ob- 
o-leich  die  Epist.  219  der  Räthselhaftigkeit  dieser  Briefe  die  Krone 
aufsetzt  ^).  Einiges  lässt  sich  doch  auch  aus  dieser  Epist.  mit  Sicherheit 
herauslesen.  Gerbert  ist  Tag  und  Nacht  in  Aufregung  und  Sorge. 
Seine  Boten  kehren  nicht  heim  und  neue  vom  Kaiser  treffen  nicht 
ein.  Doch  ohne  jede  Kunde  ist  er  nicht.  Dort  droht  Gefahr  von  den 
Slaven  und  mehr  noch  von  den  Wälschen.  Er  fürchtet,  wenn  man  sich 
um  jene  nicht  kümmert,  und  fürchtet,  wenn  man  nicht  auf  diese  los- 
o-eht.  Er  ist  empört  über  das  was  die  Boten  aus  Italien  bringen.  Sie 
schmähen  ihn,  aber  damit  doch  anch  den  Kaiser  2)  u.  s.  w.  Die  Itali, 
über  welche  Gerbert  sich  mit  Verachtung  und  Entrüstung  äussert, 
können  wohl  kaum  in  Rom  gesucht  werden.  Crescentius  und  dessen 
Papst  werden  sich  um  Gerberts  Sache  nicht  gekümmert  und  ihm  nicht 
Anlass  gegeben  haben,  Schmähungen  gegen  ihn  zu  Schmähungen  der 
kaiserlichen  Majestät  aufzubauscheu.  Doch  dieser  Versuch  Gerberts  ist 
bezeichnend  für  sein  Trachten  und  für  die  Herrschaft,  welche  er  bereits 
über  den  Kaiser  ausübte. 

Epist.  220  bestätigt,  dass  die  Frage  auf  der  Tagesordnung  stand: 
quonam  vertere  expeditos  exercitus  debeamus,  berichtet  aber  auch  wes- 
halb man  schwankte.  Slavische  Völkerschaften  hatten  ihre  Unter- 
werfung angeboten  und  Johannes  Graecus  hatte  versprochen,  sich  in 
allem  des  Kaisers  Willeii  zu  fügen.  Also  war  doch  von  Rom  aus 
versucht,  Verliaudluugen  anzuknüpfen;    dies   bestäi'kt   mich    dariii,    in 


1)  Wilmans  kannte  diese  Briefe  nicht.  Da  Olleris  ihnen  nicht  traute,  sind 
sie  auch  nach  ihm  wenig  beachtet  worden.  Giesebrecht  kannte  sie  und  nannte 
sie  bezeichnend  für  die  Verhältnisse  im  Herbst  997,  hat  sie  dann  jedoch  in  der 
Erzählung  nicht  verwerthet.  Eben  deswegen  benutze  ich  sie  hier.  —  üiesebrecht 
legt  mit  Olleris  Epist.  220  einem  Freunde  Gerberts  bei.  Havet  denkt  vielmehr 
an  Gerbert  als  Autor.  Ich  neige  mehr  zu  jener  Ansicht  hin,  weil  der  Stil  einfach 
und  nicht  gesucht  ist.  Dass  ein  Brief  an  Gerbert  in  die  Sammlung  aufgenommen 
worden  sei,  ist  doch  nicht  verwunderlich.  Sieht  man  in  Gerbert  den  Schreiber, 
so  würde  dieser  schon  im  November  nach  Aachen  an  den  Hof  gekommen  sein. 
Im  übrigen  kommt  es  auf  die  Autorschaft  wenig  an,  da  der  "Verfasser  jedenfalls 
gut  unterrichtet  ist  und  die  Situation  mit  wenigen  Worten  vortrefflich  schildert. 
2)  Ich  deute  also  proprias  iniurias  wie  Havet. 


Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III.  431 

den  Itali,  gegen  welche  Gerbert  eifert,  den  Papst  Gregor  V.  und  die 
Italiener  seiner  Umgebung  zu  erblicken.  Doch  Gerbert  würde  deshalb 
nicht  dem  Gegenpapste  das  Wort  geredet  haben.  —  Die  Entscheidung 
zwischen  dem  einen  und  dem  andern  Unternehmen,  für  welche  bereits 
das  Aufgebot  erfolgt  zu  sein  scheint,  wird  durch  die  Nachricht  von 
dem  am  6-  November  über  die  Slaven  errungenen  Siege  erleichtert 
und  beschleunigt  worden  sein,  so  dass  der  Aufbruch  nach  Italien  bald 
nach  der  Mitte  November  erfolgen  konnte.  Danach  glaube  ich  Epist. 
220  in  die  erste  Hälfte  November  und  etwas  früher  den  vorausgehen- 
den Brief  ansetzen  zu  sollen. 

Nach  dieser  wie  ich  glaube  ungezwungenen  Deutung  der  Briefe 
und  nach  Combination  ihres  Inhaltes  mit  allem  was  wir  aus  andern 
Quellen  erfahren,  ordne  ich  die  im  Namen  Ottos  gesclmebenen  und 
die  mit  ihnen  zusammenhängenden  Briefe  Gerberts  folgendermassen  ^) : 
Epist.  215,  213,  214,  216  aus  Mai  bis  September  996;  (182,  185), 
186,  (187)  aus  Februar  bis  Mai  997;  (183  aus  Mitte  September);  218  aus 
der  ersten  Hälfte  des  Oktober ;  (219,  220  aus  den  nächstfolgenden  vier 
Wochen).  Ich  erachte  mich  also  nicht  an  die  Reihenfolge  dieser  Briefe 
in  den  Handschriften,  auch  nicht  an  die  welche  Havet  nach  Umstellung 
der  einen  Gruppe  als  die  ursprüngliche  betrachtet,  gebunden,  verzichte 
aber  darauf  dieselbe  zu  erklären.  Indem  ich  sie  als  der  Zeitfolge  nicht 
entsprechend  bezeichne,  rauss  ich  dem  zweiten  Theile  auch  die  Eigen- 
schaft eines  Kladdenbuches  absprechen.  So  stimme  ich  betreffs  dieses 
Theiles  darin  allein  mit  Havet  überein,  dass  er,  von  der  eingeschobenen 
Epist.  189  abgesehen,  nur  die  Correspondenz  Gerberts  aus  den  Jahren 
994 — 997  bietet,  jedoch  auch  von  dieser  doch  nur  Bruchstücke,  und 
zwar  bricht  diese  Sammlung  mit  dem  Zeitpunkte  ab,  da  sich  Gerbert 
im  Gefolge  des  Kaisers  wieder  nach  Italien  begibt,  was  es  ziemlich 
wahrscheinlich  macht,  dass  auch  die  Zusammenstellung  der  Correspon- 
denz der  zweiten  Periode  bald  nach  deren  Abschluss  erfolgt  ist-). 

')  Die  letzteren  klammere  ich  ein.  '^)  Icli   trage   liier  zu  S.  379  unten 

nach,  dass  allenfalls  noch  Stumpf  Reg.  IIGO,  1217  (vgl.  Kehr  252,  258)  hätten 
erwähnt  werden  können;  doch  lassen  auch  sie  sich  nicht  für  die  Annahme  Kehrs 
geltend  machen.  —  Ferner  sehe  ich  mich  zu  der  Erklärung  veranlasst,  dass  ich 
mir  bisher  noch  keine  Uebersetzung  des  letzten  Bandes  von  Boubnov  verschaften 
konnte  und  dass  ich  somit  auf  Berücksichtigung  seiner  Bemerkungen  zu  den  von 
mir  besprochenen  Gerbertbriefen  habe  verzichten  müssen.  Auch  auf  die  Abhand- 
lung von  K.  Schultess  über  Tapst  Silvester  IL  (Hamburg  1891)  habe  ich,  weil  sie 
mir  zu  spät  zuging,  nicht  mehr  Bezug  nehmen  können. 


Amalricli  L,  König  von  Jenisaleni  (1162—1174). ') 

Von 

Reinhold  Röhricht. 

Nachdem  König  Balduiu  III.  im  33.  Jahre  seines  Lebens  (10.  Febr. 
1162)  gestorben  war,  gelangte  sein  Bruder  Amalrich,  der  gleich  nach 
dem  Empfange  des  Ritterschlages  Graf  von  Jaffa  und  nach  1153^) 
auch  von  Ascalon  '■^)  geworden  war,  im  27.  Lebensjahre  zur  Regierung. 


1)  Ueber  seine  Regierangszeit  finden  sich  bei  den  arabischen  Schriftstellem, 
ferner  bei  Robert  de  Monte,  Ernoul  und  Wilhelm  v.  Tyras  (welchen  Oliverius 
Scholasticus  in  seiner  Hist.  T.  Sanctae,  Jacobus  de  Vitriaco  und  Marinus  Sanutus 
ausgezogen  haben)  die  besten  Angaben,  wenig  werthvolle  oder  nur  zerstreute 
Nachrichten  bei  Sicard  (Muratori  SS.  VII)  599,  Dandolo  (ibid.  XII)  291,  in  Annal. 
Camerac.  (Mon.  Germ.  SS.  XVI)  536—8,  Cont.  Admunt.  (ibid.  IX)  584,  Annal. 
S.  Rudbei-ti  (ibid.)  776,  Annal.  Waverl.  238 ,  Rog.  de  Hovedene  I,  263.  Die  Dar- 
stellungen bei  Wilken  HIB,  75  —  154;  Michaud  (ed.  BrehoUes)  11,  11—26;  Pavie, 
L'Anjou  dans  la  lutte  de  la  chretiente  contre  l'islamisme,  Angers  1880,  I,  45—75; 
Kugler,  Gesch.  d.  Kreuzz.,  Berlin  1891,  166—74  sind  nicht  erschöpfend.  Eine  ziemlich 
brauchbare  Uebersicht  seiner  Biiefe  siehe  in  Hist.  litt,  de  la  France  XIK,  489—91 ; 
XIV,  55.  *)  Ernoul  14.  Amalrich  begegnet  uns  urkundlich  als  Graf  von  Jaffa 

1151  (Roziere,  Cartul,  du  St.  Sepulcre  91),  als  Graf  von  Jaffa  und  Ascalon  1155 
(ibid.  92—3,  101,  117;  Archives  de  l'Orient  lat.  H,  133—4),  1156  (Paoli,  Codice 
diplom.  I,  34),  1157  (ibid.  36;  Ginseppe  Müller,  Documenti  7—8),  1158  (Roziere 
120,  123),  1160  (ibid.  106,  109,  114,  115:  Pauli  37;  Delaborde,  Chartes  81),  1161 
(Strehlke  Tabulae  3  und  Roziere  196:  Nov.);  über  ihn  als  Grafen  von  J.  u.  A. 
vgl.  auch  De  Mas  Latrie  im  Archivio  Veneto  1879,  XVUI,  384—5.  ^)  Ueber 

die  Eroberung  vgl.  Barhebraeus  348;  Ibn  el-Atir,  Kamäl  490—1  u.  dessen  Hist. 
atab.  189;  Kenirü  ed-din  317;  Wilh.  v.  Tyrus  XVII,  c.  21-30;  Sicard  249;  Rieh. 
Cluniac.  (Mm-atori  Antiquit.  XII)  140;  Annal.  Egmund.  A.  (Mon.  Germ.  SS.  XVI) 
458—60  (wonach  d.  Fall  der  Stadt  in  Jerusalem  besonders  gefeiert  ward);  Annal. 
Leod.  (ibid.)  641;  Annal.  Casin.  (ibid.  XIX)  311;  Cont.  Aquic.  (ibid.  VI)  395; 
Cont.  Praem.  (ibid.)  455  ;  Cont.  Valc.  (ibid.)  460 ;  Rob.  de  Monte  (ibid.)  503 ;  Chron. 
Bald.  Ninov.  ed.  de  Smet  708;  Chron.  regia  Colon,  ed.  Waitz  30;  im  Allgemeinen 


Amalricli  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  433 

Die  Fürsten  waren  zwar  anfangs  niclit  ganz  mit  seiner  Wahl  ein- 
verstanden 1),  aber  durch  die  Gunst  des  Clerus  und  Volkes  getragen, 
wurde  er  dennoch  gewählt  und  von  dem  Patriarchen  Amalrich  ^)  in 
Gegenwart  der  Erzbischöfe,  Bischöfe  und  Würdenträger  des  lieiches 
feierlich  gekrönt^). 


siehe  aucli  Jaküt  in  ZDMG.  XVIII,  464;  Wüstenfeld,  Gesch.  d.  Fatimiden  318 
u.  dessen  Al-Calcaschandi  73.  Eine  auf  die  Eroberung  bezügliche  Inschrift  in 
Barletta  siehe  hei  Schulz,  Denkmäler  Unteritaliens  I,  138  (vielleicht  gehört  auch 
die  von  Clermont-Ganneau  in  Archives  II  A.,  463  mitgetheilte  Inschrift  hier- 
her). Pläne  der  Stadt  geben  Rey  Etüde  XIX  (vgl.  205—10);  Sui-vey  III,  237; 
ZDPV.  II,  164—71 ;  Röhricht,  Biblioth.  s.  voce.  Die  Eroberung  d.  Stadt  erfolgte 
am  19.  Aug.  (Sigeb.  Auct.  in  Mon.  Germ.  SS.  VI,  396,  wonach  der  Templermeister 
mit  vielen  Templern  in  der  Bresche  fiel),  nach  d.  Chron.  Ninov.  ed.  de  Smet  708 
(aus  dem  Berichte  eines  Augenzeugen)  assumptione  s.  Mariae,  nach  Jaküt  in 
ZDMG.  XVIH,  464  am  17  Djum.  II  548  d.  i.  9.  Sept.  1153,  nach  Beha  ed-din  im 
Rocueil  d.  bist.  d.  croisades,  aut.  Orient.  III,  99;  Ibn  Khallikfin,  Biogr.  diction. 
IV,  518;  Derenbourg,  Vie  d'Oussama  245—6  am  19.  September.  Eine  Anecdote 
über  d.  Eroberung  Ascalons,  wonach  der  Temj)lermeister  durch  die  Hinrichtung 
von  8  gefangenen  Templern  zu  doppeltem  Eifer  angespornt  wurde,  erwähnt  Ja- 
cobus  de  Vitriaco  in  einer  seiner  Predigten  bei  Pitra,  Anal,  novissima  1888, 
11,  412. 

1)  So  Wilhelm  von  Tyrus;    Ernoul  17  meldet,    die  Barone   hätten   die  Auf- 
lösung seiner  ersten  Ehe  zur  Bedingung  der  Wahl  gemacht.    Hingegen  berichtet 
Amalrich   in    seinem   Briefe    (Bongars   Epistol.  No.  13,    auch   bei   Bouquet   XVI, 
W—7),    er   sei   gewählt   worden    ,sine    omni    impedimento    atque    in    bona    om- 
nium   hominum   nostrorum   voluntate".     Dieser   Brief  des   Königs   ist    1164   (am 
10.  April)  geschrieben;  denn  das  darin  erwähnte  Erdbeben  erfolgte  am  2.  August 
1163  (Chron.  S.  Albini  Andegav.   [Bouquet  XIIJ  482;   hingegen   giebt  das  Chron. 
universale   Metteuse    [Mon.    Germ.    SS.  XXIVJ    518    fälschlich    1161    an)    und   die 
ebenda   erwähnte    Gefangennahme   Raynalds   von   Antiochien   war   am    20.  Nov. 
1160  erfolgt  (Wilh.  v.  Tyrus  XVIII,  c.  28;  Rob.  de  Monte  1160).   Dieselben  beiden 
Ereignisse  bilden  das  Hauptthema  des  Briefes  Amalrichs  an  Ludwig  v.  Frankreich 
(Bono-ars  No.  4;  Bouquet  XVI,  37—8),  der  durch  d.  Erzbischof  v.  Mamistra  nach 
Paris  gebracht  wurde  (also  Sept.— Oct.  1163)  u.  des  Templermeisters  Bertrand  de 
Biancafort  (Bongars  No.  10;  Bouquet  XVI,  27—8),  also  aus  derselben  Zeit;  hingegen 
fällt  zwischen  den  August  1163  u.  August  1164  der  Brief  Bohemunds  v.  Antiochien 
an  Ludwig  (Bongars  No.  25;    Bouquet  XVI,  27—8)   der  über  die  Gefangenschaft 
Raynalds  u.  d.  Erdbeben  handelt.         ^)  Ueber  ihn  u.  seine  Briefe  vgl.  Hist.  litt, 
de  la  France  XIV,  162—4,  auch  ZDPV.  X,  7.         «)  Nach  Wilhelm  von  Tyrus  XIX, 
c.  1  am  11.  Febr.  1163  (Robert  de  Monte:  im  März  1163),  während  Balduin  nach 
Wilhelm  (XVIII,  c.  34)    am  10.  Februar  1162  gestorben  sein  soll;    ebenso  wider- 
sprechend ist  die  Angabe  desselben,  dass  A.  am  8.  Tage  nach  dem  Tode  Balduins 
gekrönt  worden  sei.    Zum  Glück  können  wir  den  Todestag  des  letzteren  (10.  Febr.) 
auch  aus  dem  Briefe  Amalrichs  (Bongars  No,  13)  als  richtig  beweisen;  hingegen 
findet  sich  über  das  Todesjahr  vielfache  Unsicherheit.     Dass  Amalrich  1174,  und 
nicht  schon  1173,  gestorben  ist  (so  noch  Prutz  im  N.  Archiv  1882,  100  und  115), 
geht  mit  Evidenz  heiTor  aus  der  Angabe  Wilhelms,  dass  sein  Feind  Nf-r  ed-din 
Mittbeilungeu  XII.  28 


434  R  ö  h  r  i  c  h  t. 

Er  war  eiu  Manu  von  reicher  Erfahruug  in  weltlichen  Dingen, 
klug  und  umsichtig,  meist  schweigsam,  also  das  Gegentheil  seines  ge- 
sprächigen Bruders,  und  wenn  er  redete,  so  fehlte  es  ihm  zwar  nicht 
au  Gedanken,  wohl  aber  an  Fluss  und  Eleganz,  Die  Assisen  des 
Königreichs  i)  kannte  er  wie  kein  Zweiter  und  wusste  in  schwierigen 
Fällen  oft  überraschend  scharfsinnige  Entscheidungeu  zu  geben,  und 
wenn  ihm  auch  sonst  eine  eigentlich  gelehrte  Bildung  abging,  so 
wusste  sein  reger  Geist,  unterstützt  durch  ein  glückliches  Gedächtniss, 
durch  eifrige  Leetüre  von  Geschichtswerken,  durch  Fragen  uud 
Unterhaltungen  mit  weit  gereisten  Mäuneru  allmählig  umfassende 
Kenntnisse  zu  erringen,  und  wie  hoch  er  besonders  das  Studium  und 
deu  Werth  der  Geschichte  achtete,  lässt  sich  wohl  am  besten  daraus 
erkennen,  dass  er  den  Erzbischof  Wilhelm  von  Tyrus  zur  Abfassung 
seines  grossen  Geschichtswerkes  bewog,    das  uns  allen  für  die  Kennt- 


ihm  im  Tode  vorausging  (XX,  c.  33) ;  Michael  Syrus  379  (Rec.  armenien  379)  sagt: 
40  Tage  vorher.  Da  nun  Nur  ed-din  sicher  1174  und  zwar  am  15.  Mai  starb 
(Ibn  el-Atir,  Kamal  602,  Hist.  atab.  292),  so  ist  dasselbe  Jahr  sicher  verbürgt 
(vgl.  schon  Weil,  Gesch.  der  Chalifen  III,  345);  ebenso  geben  Ibn  el-Atir,  Kam. 
'619;  Wilh.  Andrens,  (Mon.  Germ.  SS.  XXIV)  711;  Chron.  Uticense  (Bouqüet  XII) 
774 ;  Table  chronol.  (Rec.  armen.)  476 ;  Robert  de  Monte  und  daraus  Chron.  Triveti 
(ed.  Heg)  80,  das  Jahr  1174,  1175  hingegen  das  Chron.  S.  Albini  Andegav. 
(ßouquet  XII)  484,  und  1176  Sigeb.  Cont.  Aquicinct.  (Mon.  German,  SS.  VI)  415 
an.  Endlich  rechtfertigt  sich  1174  als  Todesjahr  Amalrichs,  aus  dem  wir  noch 
Briefe  u.  Urkunden  von  ihm  besitzen,  uud  1162  als  das  Jahr  seines  Regierungs- 
antritts aus  der  Angabe  Wilhelms  (XX,  c.  33),  dass  er  12  Jahre  und  5  Monate 
regiert  habe  (Ernoul  32  sagt:  13  Jahre).  Als  König  erscheint  er  in  folgenden 
Urkunden:  1163  (6.  März  bei  Delaville  le  Roulx,  La  bibliotheque  etc.  .  .  de 
l'ordre  de  St.  Jean  de  Jerusalem  98  und  Paoli  208),  1164  (Roziere  256,  263—7; 
Archives  II,  140),  1165  (Paoli  241;  Delaville  le  Roulx  101;  Müller  11),  1166 
(DelaviUe  le  Roulx  103—4),  1167  (ibid.  108,  110;  Paoli  214;  Lib.  jurium  I,  228), 
1168  (Roziere  288,  291;  Paoli  47—8;  Delaborde  83;  Müller  14;  Strehlke  5—6: 
Camera  203),  1169  (Strehlke  6;  Archives  II,  143;  Paoli  49;  Müller  15),  1170 
(Paoli  51,  229  —  33;  Archives  II,  144),  1171  (Archives  II,  144),  1173 
(Strehlke  7;  Delaville  le  Roulx  114,  116),  1174  (Archives  II,  145;  Paoli 
242—4;  die  letzte  Urkunde  ist  vom  3.  Juli  1174  bei  Strehlke  8).  Erwähnung 
unsers  A.  wird  auch  in  Urkunden  gethan  1175  u.  1176  (Paoli  60;  Roziere 
307—8;  Delaborde  85),  1191  (Müller  39),  1193  (ibid.  60;  Paoli  215  u.  Strehlke  24). 
Die  bei  Strehlke  9  vom  König  (17.  Uctob.  1177)  ausgestellte  Urkunde  ist  natür- 
lich unecht. 

')  Um  deren  Feststellung  und  stricte  Beobachtung  er  energisch  sich  bemühte, 
wie  er  unter  anderem  anordnete,  dass  alle  Vasallen  dem  Könige  Treue,  schwören 
mussten  (Lois  ed.  Beugnot  I,  praef.  XXII;  cf.  215—6,  320,  457,  458,  525—7). 
Auf  ihn  zurück  gehen  die  Anlange  einer  Seegesetzgebung  (Lois  ü,  praef.  XLII, 
42—3),  (iesetze  über  die  Ehen  (Lois  H,  praef.  LIV.  418),  ühev  die  Dauer  des 
Militilrdieustes  (in  IJilbais  gegeben);  vgl.  Lois  I,  praef.  XX U,  455. 


Amalricli  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  435 

uiss  der  Kreuzzüge,  trotz  vieler  Mängel  und  Lücken,  unentbehrlicli 
ist  ij.  Am  meisten  freute  er  sich,  in  den  Unterhaltnugen  und  bei 
richterlichen  Fällen  recht  verwickelte  Fragen  erörtern  und  lösen  zu 
können.  Alle  seine  Beschäftigungen,  soweit  sie  nicht  durch  sein  könig- 
liches Amt  als  Pflichten  ihm  auferlegt  wurden,  waren  ernsthafter  Art; 
er  liebte  weder  Würfel  noch  Schaustücke,  dagegen  Keiher-  und  Falken- 
jagd, und  im  Kriege,  wo  er  mit  gleicher  Ausdauer  Hitze  wie  Kälte 
vertrug,  zeigte  er  Vorsicht,  List  und  Tapferkeit  ^').  Ausserdem  war  er 
ein  treuer  Sohn  der  Kirche;  er  gab  ihr  regelmässig  den  Zehuten  und 
ging  jeden  Tag  zur  Messe  ^).  Nur  musste  Wilhelm  von  Tyrus  sich 
einst  sehr  über  ihn  wundern,  als  Amalrich  in  einer  leichten  Krank- 
heit von  ihm  einen  Vernunftbeweis  für  die  Lehre  von  der  Auferstehung 
verlangte,  doch  gab  der  König  sich  bald  zufrieden,  als  Wilhelm  ihm 
die  Noth wendigkeit  und  Wahrheit  dieses  Dogmas  aus  der  Gerechtigkeit 
Gottes  heraus  bewies.  Gleichwohl  hielt  ihn  seine  Frömmigkeit  nicht  ab, 
wie  man  sagte,  bis  in  seine  reiferen  Jahre  hinein  fremde  Ehen  zu 
stören  und  die  Kirchen  mit  starken  Steuern  und  Auflagen  zu  drücken  *), 
auch  wenn  kein  Krieg  dem  Lande  drohte,  weil  nur  ein  reicher  Fürst 
niemals  sein  Volk  drücken  würde,  dagegen  im  Staude  sei,  es  in  Zeiten 
des  Krieges  mit  Nachdruck  zu  schützen,  und  dass  er  iu  der  That,  so 
oft  dieser  Fall   eintrat,    wirklich  Geld  hatte  und  reichlich  zum  Besten 


1)  Wilh.  V.  IVrus  XX,  c.  33;  über  den  Autor  und  sein  Werk  vgl.  Priitz  im 
Neuen  Archiv  1882,    83—132   und  ZDPV.  X,   17.  '-)  Ibn  el-Atir,    Kamal  553 

sagt  von  ihm:  »Seit  die  Franken  das  erste  Mal  in  »Syrien  sich  gezeigt,  hatten 
sie  noch  keinen  Krieger  liesessen,  der  diesem  Könige  an  Muth,  List  und  Ge- 
wandtheit es  gleichthat%  und  p.  619  wiederholt  er  dies  Lob:  ,Er  war  der  grösste 
ihrer  Fürsten  durch  seine  Tapferkeit,  der  hervorragendste  durch  seine  Klugheit, 
seinen  listigen  und  verschlagenen  Sinn.*  Nicht  minder  feierte  man  seine  Tapfer- 
keit im  Abendlande  (Carmina  Burana  32—3,  No.  27).  ■'')  Schenkungsurkunden 
für  Kirchen,  von  Amalrich  ausgestellt,  sind  uns  nicht  erhalten ;  in  einer  Urkunde 
bestätigte  er  der  Kirche  des  heiligen  Grabes  die  Schenkungen  seiner  Vorgänger 
(Roziere  262—4,  No.  144;  auch  bei  Beugnot,  Lois  II,  524  n.  39).  Im  Jahre 
1170  ward  den  Cluniacensern  durch  König  Amalrich  (Du  Gange,  Les  tamilles 
d'outre  mer  837  (ed.  Key)  und  Bischof  Wilhelm  von  Accon  (Bibl.  Gluniacensis 
1431 ,  wo  die  Urkunde  abgedruckt  ist)  Palmarea  bei  Ghaifa  (über  die  Lage 
vgl.  Röhricht  in  der  Zeitschr.  d.  D.  Pal.  Vereins  X,  1887,  207 — 8)  übergeben ; 
vgl.  auch  das  da  aus  God.  Paris,  lat.  12665  (bei  JafFe-Löwenfeld  No.  13516)  mit- 
getheilte  Schreiben  Alexander  III.  Ueber  eine  unter  seiner  Regierung  (1169) 
erfolgte  Restauration  in  der  Basilika  zu  Bethlehem  siehe  die  wohl  erhaltene 
griechische  Inschrift  bei  (iuerin,  La  Judoe  I,  139.  •»)  Fürst  Thoros  IL  von 
Armenien  soll  ihm,  bei  einem  Besuche  in  Jerusalem,  recht  deutlich  gemacht 
haben,  wie  sehr  das  junge  Königreich  einer  kräftigen  <  »rganisation  und  besonders 
eines  gesunden  Finanzstandes  bedürfe  (Ernoul  27—30). 

28* 


^3g  Röhricht. 

des  Landes  aufwandte,  musste  man  unbedingt  anerkennen.  Trotzdem 
erklärt  sich  von  selbst,  dass  die  Zahl  seiner  Gegner  nicht  gering  ge- 
wesen sein  wird,  und  dass  sie  ihm  heimlich  und  öffentlich  Schinijif 
und  Schande  anthaten,  aber  er  war  in  diesem  Punkte  ebenso  nach- 
sichtio-  wie  sonst  gegen  seine  Beamten,  von  denen  er  niemals  Eechen- 
schaft  verlangte,  gegen  die  er  auch,  selbst  wenn  sie  offenbar  im  Un- 
recht waren,  niemals  Klagen  annahm.  Die  meiste  Erbitterung  erregte 
er  dadurch,  dass  er  den  leichtsinnigen  und  hochmüthigen  Milo  von 
Plancy  aus  der  Champagne  zu  seinem  Seneschall  erhob  und  ihm  sogar 
mit  der  Hand  der  Wittwe  Honfreds  jun.  Namens  Stephanie  die  Festung 
Montroyal  (Schaubek)  gab. 

Seine  äussere  Erscheinung  imponirte  durch  eine  hohe  Gestalt, 
durch  ein  schönes,  fürstliches  Antlitz,  das  zwei  glänzende  Augen,  eine 
Adlernase  und  volles  Haar  am  Kopf,  Kinn  und  Wange  zierten;  nur 
störte  der  Umfang  der  Brust,  die  trotz  seiner  massigen  Lebensweise 
fast  weibliche  Fülle  zeig-te,  und  er  verlor  vollends  alle  königliche 
Würde,  wenn  er  ins  Lachen  gerieth,  da  dann  sein  ganzer  Leib  in 
Erschütterung  kam. 

Er  hatte  noch  bei  Lebzeiten  seines  Bruders  die  Tochter  des  Grafen 
Joscelliu  n.  jun.  von  Edessa,  Agnes  von  Courtenay,  geheirathet  i),  die 
ihm  Balduin  IV.  und  eine  Tochter  gebar,  welche  nach  der  Gräfin  von 
Flandern,  seiner  und  Balduins  IIL  Schwester,  den  Namen  Sibylla 
erhielt.  Er  musste  sich  nach  dem  Tode  seines  Bruders  von  dieser 
Gemahlin  wieder  scheiden,  die  er  ohne  den  Willen  des  Patriarchen 
Fulcher  geheirathet  hatte,  weil  sie,  wie  später  in  Gegenwart  des 
Patriarchen  Amalrich,  des  Cardinalpresbyters  Johannes  und  Paulus, 
Legaten  des  päpstlichen  Stuhles,  festgestellt  wurde,  im  vierten  Grade 
mit  ihm  verwandt  war,  doch  sollten  die  aus  dieser  Ehe  entsprossenen 
Kinder  als  rechtmässige  gelten.  Die  geschiedene  Königin  heirathete 
(c.  11G4)  Hugo  von  Ibelin,  einen  Sohn  Balians  sen.  und  Bruder 
Baliaus  jun.,  welcher  letztere  nach  dem  Tode  des  Königs  die  zweite 
Gemahlin  desselben,  Marie,  ehelichte.  Als  Hugo  noch  bei  Lebzeiten 
Amalrichs  starb,  ward  Agnes  die  Gemahlin  Kaynalds  von  Sidon,  eines 
Sohnes  des  Gerhard  von  Sidon,  aber  auch  die  dritte  Ehe  der  Agnes 
war  nicht  von  langer  Dauer,  da  sie  ebenfalls  wegen  zu  naher  Ver- 
wandtschaft für  illegitim  erklärt  wurde.  König  Amalrich  hingegen 
schickte  alsbald  nach  seiner  Scheidung  auf  den  Kath  seiner  Barone 
den  Erzbischof  Hernesius   von   Caesarea   und    seinen  Mundschenk  Odo 


')  Wilhelm  von  Tyrus  XIX,  c.  4;  Enionl  15—7;  v«,'!.  Du  C'ange,  Los  familles 
d'outre  mer  ('tl.  K.  Rey  20-1,  363,  433. 


Amalrich  L,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  437 

voll  St.  Amand  nach  Constaiitiuopel  als  i3rautwerber,  und  diese  führten 
nach  zweijähriger  Abwesenheit  ihm  seine  zweite  Gemahlin  Maria  Com- 
nena,  die  Tochter  des  Johannes  Comnenus,  Enkeltochter  des  Andronicus 
Comnenus  Sebastocrator  zu;  Amalrich  zog  ihr  1167  nach  Tyrus  ent- 
o-ea-en,  wo  unter  allseitiger  Betheiligung  des  Clerus  und  der  Barone 
des  Königreichs  die  Hochzeit  mit  feierhchem  Pompe  begangen  wurde 
(29.  Aug.). 

Als  König  Amalrich  nun  zui-  Kegierung  gekommen  war,  wandte 
er  sein  Hauptaugenmerk  auf  Aegypten,  dessen  Unterwerfung  schon 
einsichtige  Männer  zur  Zeit  des  ersten  Kreuzzuges  gefordert  i)  und 
König  Balduiu  I.  versucht  hatte-').  Die  Eroberung  Ascalons,  welche 
Balduin  III.  gelungen  war,  ermuthigte  zu  diesem  Plane,  noch  mehr 
aber  die  Ohnmacht  des  Chalifen,  der  vollständig  von  seinen  Gross- 
vezieren  regiert  wurde,  die  wieder  einander  durch  Gewalt  und  List 
aus  ihren  Stellungen  drängten,  so  dass  das  Land  niemals  eine  dauernde 
und  energische  Regierung  hatte.  Wir  müssen  bei  diesen  Verhältnissen 
etwas  länger  verweilen,  da  die  Kriege  mit  Aegypten  die  Eegieruugszeit 
Amabichs  hauptsächlich  erfüllen. 

Der  Chalif  Abu'l  Kasim  Isa  el-Faiz,  geboren  am  3L  Mai  1149, 
war  am  23.  Juli  1160  schon  gestorben  3).  Der  Grossvezier  Taläi  ibn 
Ruzzaik  wusste  nicht,  wen  er  als  dessen  Nachfolger  ausrufen  lassen 
solle  und  fragte  einen  alten  Eunuchen,  wen  er  dazu  vorschlage ;  dieser 
nannte  mehrere,  darunter  auch  den  Namen  eines  bejahrten  Mannes, 
den  Taläi  vortreten  Hess,  schliesslich  aber  ablehnte.  Endlich  war  er 
mit  sich  einig.  Auf  den  Wink  eines  seiner  Officiere  erwählte  er  den 
noch  unerwachsenen  Sohn  des  von  Abbas  ermordeten  Jüsüf  ben  el- 
Dhafir  Namens  Abu  Muhammed  'Abdallah,  der  am  9.  Mai  1151  ge- 
boren war,  erhob  ihn  unter  dem  Namen  el-Adhid  zum  Chalifen  und 
verheirathete  ihn  mit  seiner  Tochter  •*).   Alsbald  jedoch  erhol)  sich  gegen 


»)  Raymund  d'Aguiles  im  Rec.  des  liist.  d.  crois.  (auteurs  occid.  II)  292. 
-')  Balduin  starb  auf  einer  Expedition  nach  Aegypten  in  der  Nähe  des  später 
nach  ihm  benannten  Sabkhat  Bardouil  d.  i.  des  Sirbonisseee  zwischen  Ras  Straki 
und  Ras  Kasarün  (Ibn  Khallikän  III,  456;  Marino  Sanuto  261;  vgl.  die  gute 
Karte  bei  Jacotin,  planche  33  und  Ritter,  Asien  XVII,  38).  wo  auch  seine  Ein- 
treweide  begraben  wurden,  während  man  seinen  Leib  in  der  Komäma  (Auf- 
erstehungskirche; über  die  von  den  Arabern  beliebte  spottende  Verdrehung  des 
Wortes  in  Kiuma  [ünrathl  vgl.  Golius  ad  Alft-ag.  138)  beisetzte  (Wilhelm  von 
Tyrus  XI,  c.  31;  Alb.  Aquensis  XII,  c.  27;  Fulcher.  Carnot.  II,  c.  64;  Albericus  ad 
1117;  vgl.  Ibn  el-Atir,  Kamal  118  u.  Du  Cange,  Les  familles  9  —  10).  »)  Ibn 

Khallikan  II,  427.     Ueber  die  ganze  Zeit  vgl.  Wüsteufeld,    Gesch.  der  Fatimiden 
in   Aegypten   (Götting.    acadera.   Abhandl.    1881)    325  flF,  *)    Ibn   Khallikan 

II,  72-4. 


^ßg  Röhricht. 

deu  raüclitigen  Ve/ier  der  durch  seiue  Habsucht,  die  er  durch  Verkauf 
von  Stellen  hu  Emire  befriedigte,  durch  seiue  liücksichtslosigkeit  gegeu 
den  Chalifen,  endlich  auch  durch  seine  Strenge,  die  er  zur  Aufrecht- 
erhaltuug  der  Ordnung  im  Palaste,  zum  besonderen  Verdrusse  der 
Damen,  ausübte,  sich  viele  Feinde  gemacht  hatte,  eine  Verschwörung, 
welche  mit  Wissen  des  Chalifen  dessen  jüngere  Tante  angezettelt  hatte. 
Er  wurde  im  Schlosse  plötzlich  überfallen  und  schwer  verwundet. 
Sterbend  erklärte  er,  er  bereue  keine  seiner  Thaten,  wohl  aber,  dass 
er  Schawer  zum  Präfecten  des  äussersten  Ober-Aegypten  gemacht  habe 
und  dass  er  statt  bei  Bilbais  Halt  zu  machen,  nicht  auch  gegen  die 
Christen  und  vor  allem  gegen  Jerusalem  marschiert  sei;  er  befahl 
seinem  Sohne  Ruzzaik  el-'Adil,  den  Schawer  niemals  sich  nahe  kommen 
zu  lassen,  da  er  selbst  sonst  Herrschaft  und  Leben  werde  ver- 
lieren müssen.  Bald  darauf  starb  er  (11.  Septemb.  1161),  nachdem 
er  noch  die  ihm  ausgelieferte  Urheberin  des  Attentats  mit  seiner  letzten 
Kraft  massacrirt  hatte;  am  zweiten  Tage  darauf  ward  Abu  Schugä 
Kuzzaik  örossvezier  i). 

Taläi  hatte  nämlich  den  Abu  Schugä  Schawer  ben  Mudjir-)  zum 
Präfecten  von  Said  (in  Ober-Aegypten  mit  der  Hauptstadt  Kus)  ge- 
macht. Hier  gewann  Schawer  bald  vielen  Anhang,  so  dass  Taläi  ihn 
nicht  abzusetzen  wagte,  wohl  aber  that  dies  jetzt  Ruzzaik  el-'Adil 
(Aug.  1162)  und  gab  seine  Stelle  dem  Emir  Ibn  el-Rifa.  Schawer 
revoltirte  offen,  entwich  erst  in  die  Oasen  der  Wüste,  ging  dann  nach 
Tarüdja  bei  Alexandrien  und  zog  im  December  1162  in  Kairo  ein,  das 
Ruzzaik  zwei  Tage  vor  ihm  verlassen  hatte,  um  in  Atfih  bei  einem 
Freunde  Zuflucht  zu  finden  •^).  Dieser  Nichtswürdige,  obwohl  einst  von 
Ruzzaik  mit  Wohlthaten  überhäuft,  verrieth  dem  Sieger  seinen  Feind. 
Schawer  liess  nun  den  Ruzzaik  herbeiholen  und  tcklten,  aber  auch 
dem  Verräther  gab  er  denselben  Lohn.  Jetzt  war  Schawer  Herr  von 
Aegypteu,  allein  in  der  Armee  erhob  sich  alsbald  ein  starker  Gegner 
in  dem  Emir  Abu'l  Aschbai  Dhirgäm,  der  im  August  1163  Schawer 
aus  Kairo  vertrieb  und  zur  Flucht  nach  Syrien  zwang,  wo  er  Nur 
ed-din  um  Hilfe  bat'). 

In  diese  Zeit  fällt  der  erste  Feldzug,  den  König  Amalrich  gegeu 
Aegypten  unternahm,  weil  der  Chalif  deu  seinem  Bruder  Balduin  einst 


1)  Ibn  el-Atir,   Kamal  519—22;    Ibn  Khallikfin  I,  659;    Vie    d'Oussruna  6d. 
Derenbourg  250.  *)  Ibn  Khallikfin  I,  tJ08— 12;    Ibn  el-Atir,    Kaniäl    527—8. 

»)  Ibn  Khallikan  l,  608.  ••)  iSchawer   kam    nach    Ibn  Khallikan  IV,    485    am 

23.  Oktober  1163,    nach  ibn  el-Atir,  Kamal  533  im  Februar  1164  zu  Nur  ed-din 
und  versprach  ihm  ein  Drittheil  aller  Einkünfte  Aegyptens. 


Amalricli    1.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  439 

versprocheueii  Tribut  zu  zahlen  sich  geweigert  hatte  1).  Am  1.  September 
lirach  er  auf,  schlug  den  Bruder  Dhirgams  Nasr  el-muslimin  bei  Bilbais 
und  berannte  diese  Stadt  mit  Erfolg,  aber  da  die  Aegypter  die  Dämme 
durchstachen  und  so  das  ganze  Land  überschwemmten,  musste  Amalrich, 
ohne  die  Stadt  erobern  zu  können,  wieder  abziehen  -). 

Noch  ehe  jedoch  dieser  Einfall  erfolgt  Avar,  hatte  Dhirgam,  der 
unter  dem  Namen  el-malik  el-mansür  Grossvezier  geworden  war,  auf 
die  Einflüsterung  hin,  dass  seine  besten  Freunde  und  Kameraden  des 
von  Taläi  gegründeten  Corps  el-Barkija^)  mit  Schawer  ein  geheimes 
Einverständniss  hätten,  gegen  70  Emire  mit  ihrem  Gefolge,  ohne  den 
geringsten  bestimmten  Beweis  von  Schuld,  niederhauen  lassen  und 
dadurch  sich  viele  Feinde  gemacht.  Als  aber  nun  dem  durch  Schawer  Nur 
ed-din  Schirküh  beigegeben  werden  sollte,  schickte  Dhirgam  an  König 
Amalrich  um  Hilfe  und  machte  ihm  eine  Menge  glänzender  Ver- 
heissungen;  er  versprach  ihm  einen  höheren  jährlichen  Tribut,  dauernde 
Unterthänigkeit  Aegyptens  unter  die  Krone  Jerusalem,  unauflösliches 
Bündniss  für  alle  Zeiten  und  eine  Menge  von  Geiseln.  Amalrich 
unterhandelte  noch,  als  der  Sturz  Dhirgams  erfolgte  und  damit  die 
glänzende  politische  Perspective  verschwand. 

Schirküh  ^)  war  nämlich ,  während  Nur  ed-din  eine  Bewegung 
gegen  die  Grenzen  des  Königreichs  Jerusalem  machte,  um  Amalrich 
festzuhalten,  ohne  Widerstand  mit  Schawer  über  die  ägyptische  Grenze 
gegangen  5);  schon  am  24.  April  1164  trieb  die  vor  ihm  hergehende 
Panik  die  Bewohner  Kairos  zur  Flucht.  Der  Bruder  Dhirgams  Nasr 
el-muslimin  zog  am  26.  April  dem  Schirküh  entgegen,  ward  aber  bei 
Bilbais  geschlagen,  hauptsächlich  deshalb,  weil  ein  Theil  seiner  Armee 
zu  Schawer  desertirte.  Am  1.  Mai  lagerte  Schawer  vor  Kairo  und 
rückte,    nachdem    er    einen  Ausfall    Dhirgams    abgeschlagen    hatte,    in 


•)  Nach  dem  Tode  des  Faiz  hatte  der  Vezier  Al-'Adil  ibu  Ruzzaik  der  Krone 
Jerusalem  einen  jährlichen  Tribut  von  160000  Goldstücken  versprochen  (Barhe- 
braeus,  Chron.  sj'r.  357).  -)  Wilhelm  von  T3'rus  XIX,  c.  5 ;  Amalrich  schrieb 

über  diesen  Feldzug  an  Ilönig  Ludwig  von  Frankreich  (Bongars  No.  23)  gegen 
Knde  Sept.  1163:  ,nisi  per  interpositionem  fluminis  paradisi  qui  (sie)  ex  improviso 
uobis  supei^venit  —  impediremur,  sicut  speramus,  urbs  illa  vel  caperetur  vel 
redderetur*.  ^)  So  genannt,    weil    die  Soldaten  aus  Barka  stammten  (Deren- 

bourg,  Vie  d'üussäma  220).  *)  Ibn  el-Atir,  Hist.  atab.  213— 15;  Ibn  Khallikan 
1,  627—9;  Wilhelm  von  Tyrus  XIX,  c.  5—7.  Nach  dem  Briefe  des  Patriarchen 
Amalrich  bei  Martene  Collect.  I,  869  (auch  bei  Bouquet  XVI,  61)  rief  Schawer 
den  König   erst   nach    dem  Einmärsche  Schirkilhs  um  Hilfe  an.  °)  Er  brach 

nach  dem  Briefe  des  Patriarchen  Amalricli  (der  im  Sept.  1164  geschrieben  ist) 
bald  nach  Ablauf  der  Fastenzeit  auf,  was  mit  Ibn  el-Atirs  Angaben  (Kiimfil 
532—3)  sich  gut  vereinigt;  vgl.  Histor.  atab.  216;  Boha  ed-din  31. 


440  R  ö  h  r  i  c  h  t. 

Fosthät  eiu.  Bei  einem  ueueu  Ausfalle  ward  Dhirgäm,  der  noch  durch 
Einziehung  der  Depositengelder  von  Waisen  den  allgemeinen  Unwillen 
erregt  hatte,  am  Thore  Zawila  plötzlich  von  einigen  Corps  verlassen, 
während  Schäwer  mit  Schirküh  bis  nach  Saäda  und  zum  Brückenthore 
vordrang  und,  um  die  Verwirrung  zu  steigern,  Feuer  anlegen  liess. 
Jetzt  verliessen  bis  auf  30  alle  Begleiter  den  Dhirgäm;  auf  der  Flucht 
stürzte  er  vom  Pferde  und  ward  am  Boden  liegend  ebenso  wie  sein 
Bruder  getödtet  (24.  Mai  1164),  worauf  Schäwer  seinen  Einzug  hielt 
und  am  folgenden  Tage  das  Vezierat  übernahm;  Schirküh  blieb  draussen 
vor  der  Stadt  mit  seinen  Truppen  ^). 

Jetzt  als  Schäwer  wieder  Herr  von  Aegypten  geworden  war, 
änderte  er  seine  Haltung;  von  der  Erfüllung  der  Versprechungen,  die 
er  einst  in  Damascus  dem  Nur  ed-din  und  Schirküh  gemacht  hatte, 
war  keine  Kede  mehr;  Schirküh  wurde  bedeutet,  dass  er  heimkehren 
könne,  da  man  seiner  nicht  mehr  bedürfe.  Nachdem  dieser  sich  ver- 
geblich bemüht  hatte  den  Vezier  zur  Beobachtung  des  Vertrages  zu 
bewegen,  befahl  er  seinem  Emii',  dem  künftigen  Sultan  Saladin,  Bilbais 
und  die  Provinz  esch-Scharkia  zu  besetzen  und  Contributionen  zu  er- 
heben. Bald  kam  es  auch  zu  blutigen  Kämpfen  zwischen  den  Truppen 
Schirkühs  und  Schäwers,  wobei  ein  Theil  der  Stadt  ausserhalb  des 
Canals  vollständig  und  in  der  Zawilastrasse  viele  Häuser  in  Flammen 
aufgingen.  In  dieser  verzweifelten  Lage  glaubte  Schäwer  das  einst  von 
Dhirgäm  gewählte  Mittel  ergreifen  zu  müssen;  er  schickte  an  König 
Amalrich  um  Hilfe  und  überbot  die  Versprechungen  Dhirgäms  noch 
um  vieles  ^). 

Dem  König  Amalrich  kam  dieser  neue  Hilferuf  ganz  gelegen. 
Nachdem  er  Bohemund  von  Antiochien  als  Stellvertreter  und  zum 
Schutze  seines  Landes  Truppen  zurückgelassen  hatte,  die  durch  ein- 
getroffene Pilgerschaaren  nicht  unerheblich  verstärkt  worden  waren  3), 
brach  er  von  Ascalon  auf*)  und  rückte  auf  Kairo  los.  Schirküh  ging 
ihm    entgegen  und  verschanzte  sich  in  Bilbais.     Schäwer    liess    sofort 


')  Ibn  el-Atir,  Kamrü  534  u.  Hist.  sAah.  216;  Ibii  Kliallikän  I,  611;  IV,  486. 
'■')  Wilhelm  von 'I>rus  XIX,  c.  7.  Nach  Ibu  Abu  Tai  (Reiuaud,  Extr.  116  Note  1) 
versprach  Schäwer  1000  Goldstücke  für  jeden  Marschtag  (ganz  ebenso  Ernoul  24; 
nach  der  Histor.  rogni  Hierosol.  [die  sonst  meist  aus  Wilhelm  von  Tyrus  ihre 
Nachrichten  über  Amalrich  geschöpft  hat]  in  den  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  51 
1000  Goldstücke  für  jede  Lanze),  ferner  Verpflegung  der  Saumthiere  und  Unter- 
stützung der  Hospitaliter.  ^)  So  die  arabischen  Autoren  wie  Ibn  el-Atir, 
Kami'il  535 ;  die  Epist.  Ganfredi  (Bongars  No.  24 ;  auch  bei  Bouquet  XVI,  62—3) 
an  König  Ludwig  (der  Brief  ist  Ende  August  1164  geschrieben):  »paucissimi 
remanserunt*.  •*)  ,Communi  consilio  christianitatis*  (Epist.  Berct-tini  bei 
Bongars  No.  27;  im  Novemb.  1164  geschrieben). 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162 — 1174).  441 

seine  Truppen  zu  Amalrich  stosseu,  und  beide  belagerten  ihren  geraein- 
scliaftlichen  Feind  vom  Ende  Juli  an  ^)  drei  Monate  lang  2),  konnten 
aber  die  Stadt  trotz  der  schlechten  Befestiguugs werke  nicht  einnehmen. 
Aber  während  Amalrich  noch  hier  stand,  traf  ihn  die  Nachricht,  Nur 
ed-din  habe  die  Festung  Harem  erobert  und  bedrohe  Bauias  ^)  —  und 
so  war  es  wirklich. 

Sobald  nämlich  Nur  ed-din  von  den  Rüstungen  Amalrichs  unter- 
richtet war,  hatte  er  Truppen  an  die  Grenze  gesandt,  um  ihn  auf- 
zuhalten, allein  er  fand  die  Grenze  selbst  gut  besetzt  und  musste 
wieder  zurückkehren.  Er  wandte  sich  nun  nach  Norden,  um  einen 
Einfall  in  das  Gebiet  von  Tripolis  zu  machen  und  erschien  plötzlich 
vor  Harem.  Inzwischen  waren  zahlreiche  Pilgerschaaren  aus  dem 
Abendlande  in  Antiochien  eingetroffen,  unter  ihnen  Gottfried  Martel 
aus  Aquitanien,  ein  Bruder  des  Grafen  von  Angouleme^),  Hugo  von 
Lusignan  senior  mit  dem  Beinamen  der  Braune.  Auf  die  Nachricht, 
dass  Nur  ed-din  in  der  Nähe  des  Kurdenschlosses  sorglos  lagere,  brach 
Bohemund  von  Antiochien  mit  jenen  Pilgern  unter  dem  Befehl  des 
Templerprocurators  Gilbert  de  Lascy  ^)  und  Robert  Mansel  auf,  um  ihn 
zu  überfallen.  Eines  Tages  nun,  während  Nur  ed-din  mit  den  Seinen 
gegen  Mittag  der  Ruhe  sich  hingal^,  erschien  plötzlich  das  kleine  Heer 
der  Christen,  drängte  die  Muselmänner  zurück  und  richtete  ein  un- 
geheures Blutbad  unter  ihnen  an;  am  tapfersten  zeigte  sich  hierbei 
Constantin  Calaman  (Dukas) ").  Es  gelang  den  Christen  sogar  bis  zum 
Zelte  Nur  ed-dins  vorzudringen,  der  ohne  Obergewand  mit  genauer 
Noth  entwischte;  zu  seinem  Glück  närulich  hieb  ein  Kurde  den  Strick, 
mit  dem  sein  Pferd  am  Pflocke  festgebunden  war,  durch,  sonst  wäre 
er  gefangen  worden.    Er  sammelte  sein  zerstreutes  Heer  am  Kadessee 


0  Nach  der  Epist.  Gaufredi  an  König  Ludwig  (Bongars  No.  24);  vom 
1.  August  an  nacli  der  Epist.  Fulcheri  (wie  die  Epist.  Gaufr.  Ende  August  1164 
geschrieben)  bei  Bongars  No.  15.  Ueber  Bilbais,  in  dem  sich  30  000  Mann  be- 
funden haben  sollen  (Epist.  Bertrandi  bei  Bongars  No.  14) ,  vgl.  Quatremere, 
Mem.  sur.  l'Egj'pte  I,  52  ft".  -)  So  Ihn  el-Atir,    Kamal  535    und   daraus  auch 

Barhebraeus,  Chron.  syr.  361 ;  hingegen  nach  Michael  Syr.  (Recueil  des  hist.  des 
croisades   [auteurs   armen.])    359:    7   Monate    lang.  ")   Ihn   el-Atir,   Kamäl 

535,  Hist.  atab.  217—8.  *)  Wilhelm  von  Tyrus  XIX,  c.  8.    Vor  dem  Kampfe 

hätte  Nur  ed-din  mehrfach  Friedensunterhandlungen  mit  den  Christen  gepflogen 
(Epist.  Amalr.  bei  Bouquet  XVI,  61).  •')  lieber  ihn  vgl.  Mem.  de  la  Franche 

Comte   1867  IV,  330.  «)  Ibn  el-Atir,  Kamal  530—1:    »Der   erbittertste  Feind 

der  Muselmänner  war  dieser  Grieche  al-Dukas* ;  vgl.  Hist.  atab.  208 — 11;  Kamäl 
ed-din  321—3  und  Barhebraeus  359 — 60  (die  meist  aus  Ibn  el-Atir  schöpfen); 
(Jimiamus  (im  Rec.  des  hist.  des  croisad.  |  auteurs  grecs  I|  290  —  1  und  Anuotat. 
libid.  IIJ  355,  357,  359—60). 


442  ^  '•  ^^  ^  ^ '-  ^"^  ^• 

5  Meilen  vom  Schluelitfelde,  schickte  Couriere  uacli  Aleppo  imd  Da- 
inascus,  lies«  Waffen,  Pferde,  Lebensmittel  und  Geld  unter  die  Seinen 
vertheilen  und  sorgte  für  die  Kinder  der  Gefallenen,  so  dass  er  bald 
wieder  ein  schlagfertiges  Heer  besass. 

Die  Christen  hatten  diesen  unverhoff'ten  Sieg  wenig  ausgenutzt. 
Ohne  die  Flucht  Nur  ed-dins  zu  erschweren,  zogen  sie  ihm  langsam 
nach  in  der  Richtung  auf  Hirns,  aber  da  Nur  ed-din  zwischen  der 
Stadt  und  ihnen  sich  lagerte,  wagten  sie  keinen  Angriff'  und  kehrten, 
nachdem  sie  einen  vergeblichen  Friedensantrag  gemacht  und  ein 
Corps  am  Kurdenschlosse  zurückgelassen  hatten,  nach  Antiochien 
zurück. 

Nach  vier  Monaten  fand  Nur  ed-din  Gelegenheit,  diese  Niederlage 
zu  rächen.  Er  hatte  sein  Heer  durch  Truppen  der  Fürsten  von  Mosul, 
Djezira,  Mardin  und  Hisn  Kaifa,  die  anfangs  einen  neuen  Kampf 
gegen  die  Christen  für  eine  gefahrliche  Kühnheit  erklärt,  aber  schliess- 
lich doch  seinen  Bitten  nachgegeben  hatten,  erheblich  verstärkt 
und  erschien  plötzlich  unter  den  Mauern  Harems,  das  er  bereits  1162 
vergeblich  belagert  hatte  i).  Auf  diese  Nachricht  rückten  Bohemuud  III. 
•von  Antiochien,  Graf  ßaymund  jun.  von  Tripolis,  Constantin  Calaman, 
Gouverneur  von  Cilicien,  Fürst  Thoros  und  Mälih  mit  einem  stattlichen 
Heere  zum  Entsätze  der  Festung  heran  ^).  Sie  lagerten  anfangs  bei 
Imm  3),  aber  da  sie  nicht  glaubten.  Nur  ed-din  erreichen  zu  können, 
weil  dieser  sich  in  der  Richtung  auf  Artäh  zurückgezogen  hatte,  gingen 
sie  nach  Harem  zurück.  Nur  ed-din  folgte  ihnen  jetzt  und  stellte 
sein  Heer  in  einem  engen,  sumpfigen  Terrain  auf.  Der  Angriff  wurde 
trotz  der  Warnung  des  Fürsten  Thoros  von  den  Christen  eröffnet  und 
zwar  mit  einem  gewaltigen  Stosse  gegen  den  rechten  Flügel  der  Feinde, 
wo  die  Truppen  von  Aleppo  und  Hisn  Kaifa  standen.  Die  christlichen 
Ritter  jagten  sie  in  die  Flucht  und  verfolgten  sie,  ohne  das  nach- 
rückende Fussvolk  zu  erwarten,    noch  weit,    aber  dies  war  nun  seiner 


')  Ibn  el-Atir,  KamPil  525  ii.  Hist.  atab.  207;  Kamal  ed-din  321.  »)  Nach 
dem  Nochbet  (bei  Kremer,  Mittelsyrien  58)  mit  30  000  Mann,  nach  Barhebr., 
Chron.  syr.  3f)0  mit  13  000  Mann,  oder  genauer:  mit  600  Kittern  und  12  000  Mann 
Fussvolk,  einem  Heere  von  seltener  Stärke,  sagt  die  Epistel.  Fnlcheri  (Bongars 
No.  15;  bei  Bouquet  XVI,  60—1)  an  König  Ludwig  (1165  am  12.  Januar  ge- 
schricbon);  der  Aufbruch  erfolgte  am  10.  August  (Epist.  Amalr.  bei  Bouquet 
XVI,  61).  8)  Ibn  el-Atir,  Kamfil  538—54  u.  Hist.  atab.  220—22;  Kamal  ed-din 
326  (der  hier  selbstständig  berichtet).  Sehr  kurze  Nachrichten,  wohl  ausAVilhelm 
vonTyrus,  giebt  Kog.  de  Wendover,  Flores  II,  313  und  daraus  wörtlich  entlehnend 
Matth.  Paris,  Chron.  maj.  I,  337;  vgl.  Cinnamus  290—1  auch  die  Epist.  Amalrici 
(Bouquet  XVI)  62,  und  Rob.  de  Monte  1164,  woraus  Chron.  'Mveti  56  geflossen 
ist.   Imm  liegt  zwischen  Aleppo  und  Harem  (Zeitschr.  fiir  hist.  Theo!.  V,  510). 


Amalricli  I.,  König  von  Jerusalem  (1162  —  1174).  443 

Deckimg  heriiu])t  uud  wurde  durch  die  Truppen  des  Zeiu  ed-diu  von 
Mosul  fiaukirt  und  zusammengeliaueij.  Als  nun  die  siegreiche  Cavallerie 
zurückkehrte,  fand  sie  kein  Fussvolk  mehr,  und  der  geschlagene  rechte 
Flügel  sammelte  sich  plötzlich  wieder  und  griff  sie  von  hinten  an, 
während  Zein  ed-din  und  das  Fussvolk  von  vorn  sie  fasste.  So  wurde 
der  Sieg  in  eine  Niederlage  verwandelt;  über  10000  sollen  gefallen 
sein  1),  während  von  den  Führern  Fürst  Bohemund,  Graf  Kaymund, 
Hugo  von  Lusiguao,  Joscellin  III.  und  Constantin  Calaman  Dukas,  in 
Gefangenschaft  geriethen  und  nach  Aleppo  gebracht  wurden;  nur 
Thoros  11.=^)  und  Mälih  ^)  retteten  sich  durch  die  Flucht  (11.  August). 
Nun  wandte  sich  Nur  ed-din  gegen  Harem,  eroberte  es,  trotzdem 
7000  Mann  darin  lagen  ^),  am  folgenden  Tage  (12.  August)  und  machte 
Ibn  ed-Daja  zum  Gouverneur  &).  Die  Fahnen  und  Köpfe  der  er- 
schlaofenen  Christen  Hess  er  sammeln  und  durch  einen  Boten  an 
Schirküh  schicken  mit  dem  Wunsche,  sie  auf  den  Festungswällen  zum 
Entsetzen  der  Christen  aufzustellen  ß). 

Als  man  in  Antiochien  diese  Niederlage  erfahren  hatte,  war  die 
Furcht  allgemein.  Nur  ed-din  werde  bald  vor  den  Mauern  erscheinen, 
die  seit  dem  Erdbeben  von  1163  noch  nicht  wieder  vollständig  reparirt 


1)  Ibn  el-Atir,  Kamäl  540;  nach  der  Epist.  Gaufr.  (Bongars  No.  24)  fielen 
von  Ordensbrüdern  60  Mann  ausser  den  Turkopulen,  und  nur  7  entkamen. 
Cinnamus  190  nennt  unter  den  Todten  auch  Raymund  (wohl  eine  Verwechslung 
mit  dem  gefangenen  Bohemund)  von  Antiochien  und  Balduin  von  Marasch.  Nach 
der  Hist.  atab.  224—5  des  Ibn  el-Atir  hatte  Nur  ed-din  nach  der  Flucht  des 
rechten  Flügels  der  Muselmänner  seine  Sache  bereits  aufgegeben  und  richtete 
ein  heisses  Gebet  an  Allah ;  ohne  Zweifel  war  aber  die  Flucht  ein  schlaues 
Manöver,  dessen  sich  die  Muselmänner  so  oft  und  glücklich  bedienten,  wie  Ibn 
el-Atir  im  Kamal  540  selbst  bezeugt.  -)  Gregor,  prcsbyter  195    nennt   statt 

seiner  Malih.  Nach  dem  Nochbet  (Kremer,  Mittelsyrien  58— 9)  wurde  jeder  Ge- 
fangene um  ein  Goldstück  verkauft,  dann  6000  Christen  gegen  2000  Muslimen 
ausgewechselt;  für  600  000  Goldstücke  hätte  dann  Nur  ed-din  Frieden  gewährt. 
3)  Kamäl  ed-din  327;  seine  Flucht  ward  durch  einige  befreundete  Turkomanen 
begünstigt  (Gregor,  presbyt.  195).  Die  Nachricht  von  der  Gefangennahme  des 
»signifer  Amalrici«  (Annal.  Camerac.  in  Mon.  Germ.  SS.  XVI  536)  ist  wohl  auf 
die    Gefangennahme   Bohemunds    zu   beziehen.  ■*)  Epist.  Amalrici    (Bouquet 

XVI,  61).  Harem  war  1158  erobert  (Wilh.  v.  Tyrus  XVIII,  c.  19)  und  an  Raynald 
v.  St.  Valery  gegeben  worden  (Robert  de  Torigny  seu  de  Monte  ed.  Delisle  I,  316, 
Note  4,  wo  auch  eine  Urkunde  erwähnt  wird,  die  auf  Raynalds  Pilgerfahrt  sich 
bezieht;    vgl.  Röhricht,    Beitr.  II,  107).  ^)    Ibn  el-Atir,    Kamäl  540    u.   Hist. 

atab.  226;  Rob.  de  Monte  1164.  Wilh.  v.  Tyrus  XIX,  c.  9  giebt  d.  10.  Aug.,  aber 
das    falsche   Jahr    1165.  •■')    Ibn   Abu   Tai    bei    Reinaud,    Extr.    117.     Nach 

Sigeb.  Cont.  Aquic.  (Mon.  Germ.  SS.  VI)  411  wurden  die  Gefangenen  von 
Harem  mit  Kranken,  Weibern  uud  Kindern  durch  Nur  ed-din  nach  Antiochien 
geleitet. 


444  R  ö  h  r  i  c  h  t. 

wareu,  iiud  es  bedurfte  der  ganzen  Beredsamkeit  des  Patriarchen, 
inn  den  Mntli  der  Bevölkerimg  nicht  ganz  sinken  zu  lassen  i). 

In  der  That  drängten  auch  viele  Freunde  Nur  ed-din,  gegen 
Antiochien  zu  marschieren,  aber  er  sagte:  „Die  Stadt  ist  zwar  leicht 
zu  erol)ern,  aber  nicht  die  sehr  feste  Citadelle ;  vielleicht  werden  sie 
die  Franken  dem  Könige  der  Griechen  übergeben,  weil  der  Fürst  von 
Antiochien  sein  Neffe  mütterlicherseits  ist.  Ich  ziehe  aber  die  Nach- 
barschaft Bohemunds  der  des  Herrschers  von  Konstantinopel  vor "  -). 

Er  begnügte  sich  daher  damit,  die  Umgebung  von  Antiochien  zu 
verwüsten  und  schenkte  noch  vor  Ablauf  eines  Jahres,  weil  er  eben 
den  Kaiser  Manuel  nicht  zum  Nachbar  haben  wollte  •^),  gegen  ein 
starkes  Lösegeld  dem  Fürsten  Bohemund  die  Freiheit  ^),  worauf  dieser 
nach  Konstautinopel  ging,  wo  er  unter  Festlichkeiten  aller  Art  die 
Unbequemlichkeiten  seiner  Gefangenschaft  vergass;  er  kehrte  mit 
reichen  Geschenken  heim  °). 

Nur  ed-din  entliess  hierauf  die  Truppen  von  Diarbekr  und  Mosul 
in  die  Heimath  und  befahl  dann,  das  Gerücht  auszusprengen,  dass  er 
Tiberias  belagern  wolle.  Als  nun  die  Christen  Tiberias  befestigten, 
fiel    er    plötzlich  über  ßäniäs   her  ß),    dessen  Bischof  mit  Amalrich  in 

1)  Vgl.  die  Briefe  bei  Bongars  No.  14,  22,  24,  25 ;  der  Brief  Bertrauds  von 
Biancafort  (ibid.  No.  22)  ist  wolil  im  Sept.  1164  geschrieben.  -)  Ibn'el-Atir, 

Kamal  540;    vgl.  dessen  Hist.  atab.  224.  ^)  Der  in  der  That  in  Folge  dieser 

Niederlage  einen  Feldzug  gegen  Nur  ed-din  unternommen  hätte,  wenn  er  nicht 
durch   andere  Ereignisse   gehindert   worden    wäre  (Cinnamus  225).  •*)  Wilh. 

V.  Tyrus  XIX,  c.  30.  Michael  Syrus  360  (und  daraus  Barhebraeus  361)  erzählt,  dass 
Nur  ed-din  durch  die  Verwüstungszüge  des  Thoros  gegen  Marasch  und  Gefangen- 
nahme von  400  Muslimen  genöthigt  worden  sei,  den  jungen  Bohemund  gegen 
Zahlung  von  100000  Dinaren  fi-eizulassen ;  eine  Urkunde  des  eben  heimgekehrten 
Bohemund,  für  die  Pisaner  ausgestellt,  siehe  bei  G.  Müller,  Documenti  15 — 16, 
No.  13.  Hingegen  erhielt  Raymund  erst  nach  8  Jahren  (Wilh.  v.  Tjrus  XIX,  c.  30) 
gegen  Zahlung  von  80  000  Dinaren  (nach  Ibn  el-Atir,  Kamäl6l9:  erst  1175  gegen 
Zahlung  von  1 50  000  Byzantinern  und  Loslassung  von  1000  gefangenen  Muslimen, 
nach  Michael  Syrus  380 :  gegen  Zahlung  von  80  000  Tahegans,  während  Joscellin 
50  000,  Raynald  von  Chatillon  120  000  zahlen  musste)  die  Freiheit.  Raymund 
stellte  im  Decemb.  1174  zum  Dank  für  die  durch  den  Hospital iterorden  bewirkte 
Befreiung  diesem  eine  Urkunde  aus,  in  der  er  die  Schenkungen  seines  Vaters 
bestätigte  (Paoli,  Codice  I,  54,   No.  54).  ^)  Auf  seiner  Heimkehr  brachte   er 

den  griechischen  Patriarchen  Athanasius  mit,  vor  dem  der  lateinische  Patriarch 
gekränkt  nach  Kosseir  sich  zurückzog  (Barhebraeus  362);  über  diese  Residenz 
vgl.  Archives  de  l'ürient  latin  II,  405—6.  ")  Bänias  war  15.  December  1132 

von  den  Muselmännern  (Ibn  el-Atir,  Kanml  397,  492;  Kamäl  ed-dln  301—2; 
vgl.  Wilhelm  von  Tyrus  XV,  c.  9—10)  erobert,  dann  1148  an  die  Christen 
abgetreten  worden  (Ibn  ol-Atir,  Kamäl  469—70,  Hist.  atab.  161).  Sonst  vgl.  über 
die  Belagerungen  und  wechselnden  Besitzer  von  Bfiniäs  Clermont-Ganneau,  Recueil 
d'archeologie,  Paria  1888,  I,  255—61. 


Amalricli  I.,  K^;^-g  von  Jerusalem  (1162—1174).  445 

Aegypten  war,  und  gewann  es,  wie  man  allgemein  glaubte,  durch 
Verrate  1)  und  zwar  des  von  ihm  bestochenen  Canonicus  Eoger  und 
des  Gouverneurs  Walter  von  Quesnet,  welcher  letztere  wegen  der  Sorg- 
losigkeit und  Nachlässigkeit  in  der  Befestigung  der  Stadt  eine  schwere 
Strafe  fürchtete  und  dieser  so  zu  entgehen  dachte.  Die  Uebergabe 
erfolgte,  noch  ehe  die  Christen  herankommen  konnten,  am  17.  Ok- 
tober 1164^). 

Während  diese  Unglücksfälle  die  Christen  in  Syrien  trafen,  lag 
Amalrich,  wie  wir  wissen,  vor  Bilbais,  ohne  es  einnehmen  zu  können. 
Er  bat  Schäwer  heimkehren  zu  dürfen,  aber  dieser  ersuchte  ihn  noch 
einige  Zeit  zu  bleiben;  Schäwer  begann  nun  mit  Schirküh  zu  unter- 
handeln und  soll  ihm  folgenden  Brief  geschrieben  haben :  „  Wisse,  dass 
ich  nichts  vernachlässigt  habe,  um  Dir  das  Leben  zu  retten,  worauf 
ich  aus  zwei  Gründen  bedacht  gewesen  bin,  nämlich  weil  es  eine 
Schande  für  den  Islam  gewesen  wäre,  wenn  die  Christen  triumphirt 
hätten,  sodann  weil  diese  Bilbais  im  Falle  einer  Eroberung  be- 
halten haben  würden  unter  dem  Vorwande,  dass  sie  es  mit  dem 
Schwerte  erobert  hätten "  •*).  Zugleich  unterhandelte  Amalrich  mit 
Schirküh,  indem  er  erklären  Hess,  er  wolle  abziehen,  wenn  auch  er 
abzöge  und  das  Land  dem  Schäwer  überliesse.  Schirküh  ging,  da  die 
Lebensmittel  fast  zu  Ende  waren,  darauf  ein,  und  so  kam  denn  unter 
diesen  Bedingungen  der  Vertrag  zu  Stande.    Schirküh  verliess  Bilbais  ^), 


')  Wilhelm  von  Tyrus  XIX,  c.  10  (der  aber  wieder  ein  falsches  Jahresdatuni 
1167  giebt) ;  nach  den  Annales  de  la  Terre  Sainte  in  Archives  II  B,  432  er- 
folgte die  Uebergabe  erst  am  18.  Oktober  1166.  Dass  Verrath  im  Spiele  gewesen 
war,  erklären  auch  die  Briefe  des  Patriarchen  Amalrich  (Bongars  No.  16),  des 
Templermeisters  Bertrand  (ibid.  No.  14,  auch  bei  Bouquet  XVI,  79 — 81  in  zwei 
Ausfertigungen  vorhanden,  und  1164  im  November  geschrieben);  der  Ueberbringer 
des  letzteren  Briefes  war  der  Templer  Walter.  In  die  Zeit  bald  nach  dem  Fall 
von  Bäniäs,  also  Nov.  Dec.  1164  oder  Anfang  1165,  da  die  Eroberung  jener  Stadt 
als  das  letzte  unglückliche  Ereigniss  erwähnt  wird,  scheint  der  Brief  des  Patri- 
archen Amalrich  zu  gehören,  in  welchem  er  den  nach  dem  Abendlande  gehenden 
Guibert  d'Assaillj-  empfiehlt  und  dringend  um  Hilfe  bittet  (Archives  de  r(_)rient 
latin  I,  186—7;  vgl.  ZDPV.  1883,  209—10).  Die  Geschichte  dieser  Niederlagen 
meldete  Papst  Alexander  III.  am  20.  Januar  1165  dem  Erzbischof  Heinrich  von 
Rheims  (Martene  Collect.  II,  700)  und  allen  Gläubigen,  die  er  auflorderte,  zu  einem 
Kreuzzuge  sich  zu  rüsten,  und  ermahnte,  Gottes  Beistand  durch  auffallenden 
Kleiderprunk  nicht  zu  verscherzen ;  ebenso  verhiess  er  ihnen  Befreiung  von  Zins- 
zahlung, Schutz  und  Ablass  (am  14.  Juli  1165;  vgl.  Rymer,  Foedera  I,  21). 
-)  Nur  ed-din  schloss  jedoch  Frieden  bald  darauf;  er  theilte  mit  den  Christen 
das  Gebiet  von  Tiberias  und  machte  sich  die  Erhebung  eines  jährlichen  Tributs 
in  den  ihm  zugefallenen  Theilen  aus  (Ibn  el-Atir,    Kamäl  541).  ^)  Reinaud, 

Extr,   117.  *)  Kamal  536—7. 


44(]  Röhricht. 

trat  deu  Marscli  nach  Syrien  am  26.  Okt.  an  i),  das  er  am  12.  Nov. 
glücklicli  erreichte  -) ;  die  Christen  legten  in  einem  Defile  ihm  einen 
Hinterhalt,  aber  er  änderte  seine  Route  und  entging  so  ihren  Nach- 
stellungen 3). 

Um  dieselbe  Zeit,  wohl  Anfang  November  1164,  kehrte  Amalrich 
nach  Jerusalem  zurück,  wo  inzwischen  Graf  Dietrich  mit  vielen  Pilgern 
aus  Flandern  und  Lothringen  ^)  eingetroifen  war  ^) ;  er  ging  mit  ihm 
über  Tripolis  nach  Antiochien,  dessen  Einwohner  nach  eben  über- 
standener  Angst  den  Grafen  dringend  baten,  länger  zu  bleiben.  Amal- 
rich selbst  hielt  sich  bis  in  den  Sommer  1165  hinein  in  Antiochien 
auf  und  ordnete  verschiedene  Massregeln  zum  Schutze  der  Ein- 
wohner an. 

Hier  erhielt  er  die  Nachricht,  dass  die  Höhlenburg  Cavea  de 
Tyruni  ^)  durch  Verrath  in  die  Hände  Nur  ed-dins  gefallen  sei,  aber 
der  Kommandant  von  den  erbitterten  Christen  seinen  Lohn  am  Galgen 
empfangen  habe.  Bald  darauf  kam  eine  neue  Hiobspost,  dass  nämlich 
eine  andere  Höhlenburg  jenseits  des  Jordan  '),  deren  Vertlieidigung 
den  Templern  oblag,  von  Nur  ed-din  belagert  werde.  Sofort  brach  er 
■zum  Entsätze  auf,  aber  noch  ehe  er  an  dem  bedrohten  Punkte  er- 
schien, wurde  ihm  gemeldet,  dass  die  Festung  bereits  übergeben  sei, 
worauf  er  zwölf  der  Templer,  denen  man  die  Hauptschuld  zumass, 
aufhängen  Hess. 

Unterdessen  hatte  Schirküh  durch  die  Schilderungen  von  dem 
Eeichthum  Aegyptens  und  der  Ohnmacht  seines  Regenten  den  Nur 
ed-din  vermocht,  ihm  die  Erlaubniss  zu  einem  neuen  Einfall  zu  geben, 
und  vom  Chalifen  zu  Bagdad  Unterstützungen  empfangen,  um  den 
schismatischen  Chalifen  in  Kairo  zur  Unterwerfung  zu  zwingen.  Mit 
2000  Reitern  brach  Schirküh  im  Januar  1167  auf^). 

Kaum  hatte  Amalrich  davon  gehört,  als  er  den  Patriarchen,  den 
Clerus  und  die  Fürsten  des  Landes  nach  Nablus  berief  und  sie  um 
ihren  Beistand  ersuchte ;  man  beschloss  auch  ohne  Zaudern,  ein  Zehntel 


')  Boha  ed-din  (ed.  Schult ens)  31.  ^)  Ihn  Khallikfin  IV,  487.  •'')  Ibn 

Abu  Tai  (Reiuaud  118).  ■•)  Chrou.  Lobiensc  bei  Bouquet  Xül,  584;  vgl.  ibid. 

XVI,  63—4.  ")  Wilhelm   vou   Tyrus  XIX,    c.  10;    Enioul  21—2;    über   seiue 

Pilgerfahrt    vgl.  Röhricht,    ßeitr.  11,   107—8,  313—4.  ")  Wilhelm  von  Tyrus 

XIX,  c.  11;  über  die  Lage  von  Schakif  Tirün  vgl.  Röhricht  in  ZDPV.  X,  273-4. 
')  Wilh.  V.  Tyrus  XVIÜ,  c.  19.  Höchst  wahrscheinlich  ist  die  Höhlenfestung  el-Kahf 
»die  Höhle*  (bei  er-Rakim  nördlich  von  Kerak)  gemeint;  vgl.  Vie  d'Oussama 
ed.  Derenbourg   230.  ")  Ibu  el-Atir,    Kamal   546  giebt:    Rabi  II  (25.  Jan.  — 

23.  Febr.  1167)  als  Termin  an,  hingegen  die  meisten  übrigen  arabischen  Autoren 
(Ibn  Khallikan  I,  626;  IV,  487;  Ibn  Abu  Taf  |Reinaud,  Extr.  122|;  IJoha  ed-din  32; 
vgl.  Wüstenfeld  334)  den  Rabi  I  (1166,  26.  Dec.  —   1167,  25.  Jan.). 


Amalrich  I..  König  von  Jernsalom  (1162  — 1174).  447 

aller  Eiuküiifte  als  Kriegssteuer  zu  gewähren.  Als  uuu  die  Nachricht 
von  dem  Aufbruche  Schirkühs  kam,  eilte  Amalrich  ihm  entgegen,  um 
ihn  in  Kadesbarne  aufzuhalten,  allein  zu  spät,  und  kehrte  deshalb 
zurück  nach  Ascalon,  wo  sich  sein  Heer  sammelte.  Am  BO.  Januar 
1167  zog  Amalrich  ab  und  rückte  über  Gaza  und  el-Arisch  vor  Bilbais. 

Schäwer  hatte  anfangs  nichts  von  der  Gefahr,  die  Aegypten  drohte, 
gewusst  und  erst  durch  Amalrich  erfahren  i),  worauf  er  von  neuem 
diesen  um  Hilfe  bat  und  seinem  Heere  die  Schätze  und  Hilfskräfte 
des  Chalifen  sowie  des  ojanzen  Landes  bereitwillig  zur  Verfüg-uno- 
stellte.  Dieser  ging  an  Pelusium  und  Kairo  vorüber  und  schlug  am 
rechten  Ufer  des  Nil  sein  Lager  auf,  zwei  Stadien  von  Kairo  entfernt, 
um  seinen  Gegner,  noch  ehe  er  den  Fluss  überschreiten  könne,  an- 
zugi'eifen.  Schirküh  jedoch,  der  quer  durch  die  Wüste  im  gTossen 
Bogen  um  die  Grenze  des  Königreichs  Jerusalem  herum  und  durch 
den  Wadi'l  Ghizlän  zwischen  Suez  und  Atf  ih  ^)  in  Aegypten  einge- 
drungen war,  passirte  oberhalb  Kairo  bei  Atfih  den  Fluss  und  zog  dann 
am  linken  Ufer  stromaufwärts,  um  bei  Djizeh,  gegenüber  von  Kairo, 
ein  Lager  zu  beziehen,  das  er  über  50  Tage  behauptete.  Einige 
Reiter  seines  Heeres  wurden  hier  durch  Amalrich  gefangen  und  er- 
zählten  ihm  von  dem  verlustreichen  Marsche  durch  die  Wüste  und  der 
augenblicklichen  Stärke  seines  Corps. 

Schirküh  sandte  von  hier  aus  an  Schäwer  ein  Schreiben,  worin 
er  ihn  zu  einer  Alliance  gegen  den  Feind  ihres  gemeinsamen  Glaubens 
aufforderte,  und  versprach  ihm  zum  Lohne  abzuziehen  und  nie  zurück- 
zukehren, aber  Schäwer  liess  nicht  nur  den  Boten  tödten,  sondern 
übergab  den  Brief  sogar  dem  König  Amalrich,  um  ihm  jeden  Zweifel 
an  seiner  Treue  zu  nehmen.  Schirküh  war  darüber  aufs  leidenschaft- 
lichste empört  und  sagte:  ,Wenn  Schäwer  mir  hätte  Glauben  schen- 
ken wollen,  so  wäre  kein  einziger  abendländischer  Christ  übrig  ge- 
blieben ! "  3) 

Schäwer  schloss  nun  sich  fester  als  je  an  Amalrich  durch  ein 
feierliches,  dauerndes  Bündniss  und  das  Versprechen  eines  jährliehen 
Tributs  von  4Ut)000  Dinaren;  von  dieser  Summe  sollte  die  erste  Hälfte 
sogleich  bezahlt  werden,    die  zweite  kurze  Zeit  darauf,  aber  unter  der 


')  Ibn  Abu  Tai  (Reinaud,  Extr.)  122 ;  nach  Ibn  el-Atir,  Kamäl  547  hatte 
Schäwer  schon  vor  Schii-kühs  Abmarsch  an  Amahich  geschickt ;  nach  Bohfi  ed-din 
32  kamen  beide  Gegner  fast   zu    gleicher  Zeit  in  Aegypten  an.  -)  Wilhehn 

von  Tyrus  XIX,  c.  12  (wo  Attasi  wohl  für  Atf  ih  vei-schriebun  ist,  wie  Weil,  (Jesch. 
der  Chalif.  Hl,  325  richtig  bemerkt  hat) ;  Ibn  el-Atir,  Kamrd  547  und  Histur. 
atab.    23G— 7;    Ibn   Khallikan  I,    626;    IV,    488.  »)    Ibn  Abfi  Tai    (Reinaud, 

Extr.)    122. 


448  •  Röhricht. 

Bedingung,  dass  der  König  nicht  vor  Scliirküh  Aegypten  verlassen 
dürfe.  Dieser  Vertrag  ward  vom  König  mit  dem  Abgesandten  des 
Chalifen  dureli  Handschlag  bekräftigt,  worauf  Hugo  von  Caesarea  und 
der  Templer  Gottfried,  der  Bruder  Fulchers,  als  Bevollmächtigte  Amal- 
riclis  an  den  Hof  des  Chalifen  sich  begaben  um  das  Bündniss  definitiv 
abzuschliessen. 

Nachdem  sie  durch  enge  und  dunkle  Gänge  an  zwei  Wachtposten 
vorüber  gegangen  waren,  kamen  sie  in  weite,  oben  oöene  Käume,  die 
durch  prachtvolle  Säulengänge  eingefasst  waren,  in  der  Mitte  aber 
marmorne  Fischteiche  und  ein  buntes  Gewirr  von  allerlei  Yogelarten 
zeio-ten  Von  hier  aus  wurden  sie  weiter  geführt  in  noch  kostbarere 
Räume,  in  denen  eine  Menge  vierfüssiger  Thiergestalten  ihnen  vor  das 
Auge  trat  „wie  sie  sonst  der  muthwillige  Pinsel  des  Malers  oder  die 
freie  Phantasie  des  Dichters  oder  die  träumende  Seele  in  nächtlichen 
Gesichten  sich  erschafft,  und  wie  solche  nur  die  Länder  des  Morgens 
und  Mittags  zeigen,  das  Abendland  aber  niemals  sieht  oder  nur  selten 
durch  Hörensagen  kennt".  Endlich  nach  einer  neuen  längeren  Wan- 
derung kamen  sie  zum  Cabinet  des  Chalifen,  das  ihnen  durch  eine 
■sfr(")ssere  Zahl  von  Bewaffneten  und  ihren  reicheren  Schmuck  schon 
äusserlich  kenntlich  gemacht  wurde.  Als  sie  eingelassen  worden  waren, 
warf  Schäwer  sich  zweimal  zu  Boden,  legte  dann  das  am  Halse  hängende 
Schwert  ab  und  warf  sich  zum  dritten  Male  nieder.  In  diesem  Augen- 
blicke gingen  die  mit  Gold  und  Perlen  reich  gestickten  Vorhänge 
blitzschnell  auseinander,  und  der  Chalif  ward  sichtbar;  er  sass  auf 
einem  sfoldenen  Throne  mit  verhülltem  Gesicht  und  war  von  einer 
kleinen  Zahl  Eunuchen  umgeben  i).  Der  Vezier  näherte  sich  ilim, 
küsste  seine  Füsse  und  erklärte  den  Grund,  warum  die  Gesandten  er- 
schienen seien.  Der  Chalif  antwortete  herablassend,  er  sei  bereit  den 
mit  König  Amalrich  geschlossenen  Vertrag  zu  halten,  als  aber  die 
christlichen  Gesandten  baten,  er  möge  sein  Versprechen  dui-ch  Hand- 
schlag bekräftigen,  zeigte  sich  die  Umgebung  entrüstet,  bis  endlich 
nach  vielen  Berathungen  und  auf  die  dringenden  Vorstellungen  des 
Veziers  der  Chalif  mit  Widerstreben  seine  Hand,  aber  verhüllt,  hin- 
reichte.    Da    trat   Hugo    von   Caesarea  =^)    vor   und    sagte:    „Herr,    die 


')  Wilhelm  von  Tyrus  XIX,  c.  16—17;  eine  ähnliche  Beschreibung  einer 
Audienz  bei  dem  Chalifen  siehe  bei  Al-Calcaschandi  ed.  Wüstenfeld  (Gott.  acad. 
Abhiindl.  1879)  107—8.  l'eber  die  im  Text  erwähnte  Insel  vgl.  die  Details  eben- 
da 59—60.  -)  Hugo  erscheint  in  Urkunden  1159  (Archives  de  rOrient 
latin  II,  125),  1160  (ibid.  137;  Roziere  107;  Paoli  205),  1161  (Roziere  196),  1164 
(Archives  U,  140),  1165  (Müller,  Docuraenti  11;  Delaville  le  Roulx  101—3), 
1166  (Roziere  276),  1168  (Müller  14;  Paoli  48). 


Atnalrich  L,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  449 

Treue  kennt  keine  Winkelzüge;  wenn  Fürsten  ein  Bünduiss  mit  ein- 
ander scliliessen,  so  luuss  alles  nnverhüllt  sein,  und  die  Verträge, 
welche  man  eingeht,  müssen  klar  gestellt  und  vollständig  gehalten 
werden.  Darum  wirst  Du  uns  entweder  die  blosse  Hand  geben,  oder 
wir  müssen  denken,  dass  Du  etwas  Falsches  oder  nicht  ganz  Auf- 
richtiges im  Sinne  hast."  Auch  diesen  Wunsch  erfüllte  der  Chalif; 
er  reichte  zögernd  und  lächelnd,  zum  Verdruss  seiner  Umgebung,  dem 
Hugo  von  Caesarea  seine  unverhüllte  Kechte  und  sprach  Silbe  für 
Silbe  die  Eidesformel  nach,  die  dieser  ihm  vorsagte,  wodurch  er  sich 
ausdrücklich  verpflichtete,  den  Vertrag  ehrlich  und  treu  zu  halten. 
Hierauf  wurden  die  christlichen  Gesandten  mit  ausserordentlich  reichen 
Geschenken  entlassen,  und  die  Audienz  war  zu  Ende. 

Am  andern  Morgen  nach  dem  Abschluss  dieses  Bündnisses  begann 
Schirküh  sein  Lager  bei  Djizeh  zu  befestigen.  Der  König  Hess  eine 
Schiffbrücke  bis  in  die  Mitte  des  Flusses  schlagen  und  befestigen, 
wagte  aber  nicht  sie  zu  vollenden.  Während  so  die  beiden  Heere 
einander  einen  Monat  gegenüber  lagen,  schickte  Schirküh  einen  Theil 
seiner  Schaaren  ab,  um  die  in  der  Mitte  des  Flusses  liegende  Insel 
Rodha  zu  besetzen,  aber  Amalrich  sandte  den  Milo  de  Plancy  i)  und 
Al-Kämil,  den  Sohn  Schäwers,  dorthin,  überraschte  die  Feinde,  als  sie 
eben  die  dortigen  Einwohner  massacrirten ;  sie  wurden  theils  nieder- 
gehauen, theils  in  den  Fluss  getrieben,  so  dass  gegen  500  Türken  zu 
Grunde  gingen.  Um  diese  Zeit  erhielt  das  christliche  Heer  Verstär- 
kungen, welche  Honfred  von  Toron,  Philipp  von  Nablus  -)  und  andere 
Barone  ihm  zuführten,  und  nun  beschloss  Amalrich,  in  einer  Nacht 
die  ganze  Flotte  nach  jener  benachbarten  Insel  zu  führen  und  das 
feindliche  Heer  zu  überfallen.  Die  Schiffe  l)rachten  auch  das  Heer 
glücklich  nach  der  Insel,  als  sie  aber  von  da  an  das  linke  Ufer  weiter 
fahren  wollten,  erhob  sich  ein  Wirbelsturm  und  machte  die  Landung- 
unmöglich;  man  musste  sich  begnügen,  die  dem  feindlichen  Ufer  zu- 
gewandte Seite  der  Insel  zu  befestigen  und  dort  ein  Lager  aufzu- 
schlagen. Inzwischen  hatte  Schirküh  bemerkt,  dass  die  Flotte  Amalrichs 
ihren  Ankerplatz  verlassen  hatte;  er  eilte  an  dem  Ufer  entlaug  und 
entdeckte,  dass  das  christliche  Heer  die  Insel  besetzt  habe.  Er  schlug 
nun  im  Angesichte  derselben,  aber  etwas  landeinwärts,  ein  neues  Lager 


')  Milo  begegnet  uns  urkundlich  1168  (Paoli  49;  Strehlke  7),  1169  als 
Seneschall  d.  Königs  (Paoli  50),  1171  (Rozierc  328),  1174  (Archives  146)  und 
1177   in   falscher  Urkunde  (Strehlke  9).  ^)  Philipp  von  Nablus  wird  in  Ur- 

kunden erwähnt:  1152  (Ruffi  93;  Mery  &  Guindon  184),.  1155  (Archives  11,  133), 
1169  (ibid.  135),  1160  (Roziere  107;  vgl.  134),  1161  (ibid.  196;  Strehlke  3),  1169 
(ibid.  4,  7)  u.  c.  1170  (Paoli  235). 

Mittheilungeu  XII.  29 


450  Röhricht. 

auf,  jedocli  schon  in  der  folgenden  Nacht  Hess  er  es  im  Stich  und 
trat  den  Eückzug  au.  Anialrich  ging  nun  ungehindert  auf  das 
linke  Ufer  hinüber  und  eilte  dem  Schirküh  nach,  während  Hugo  von 
Ibelin  mit  Al-Kamil,  welche  er  vorher  zur  Vertheidigung  der  Brücke 
des  ersten  Lagers  zurückgelassen  hatte,  den  Befehl  empfingen,  Kairo 
zu  besetzen.  Die  Wälle  und  Thürme  der  Hauptstadt  wurden  christ- 
lichen Heerführern  übergeben,  die  auch  beim  Chalifen  ungehinderten 
Eintritt  hatten,  und  Gerhard  von  Pougy  ^)  giug  mit  dem  zweiten 
Sohne  Schäwers  Mahada  auf  das  rechte  Ufer  des  Nil  zurück,  um  jeden 
Versuch  eines  Ueberganges  dort  zu  verhindern. 

Schirküh  befand  sich  jetzt  in  einer  gefahrvollen  Lage,  in  Mitten 
eines  feindlichen  Landes,  von  mehrfach  überlegenen  Gegnern  stark 
bedrängt  und  ohne  genügende  Hilfsmittel  weit  von  der  Heimath.  Er 
hatte  zwar  unmittelbar  nach  seiner  Ankunft  in  Aegypten  die  west- 
lichen Bezirke  sofort  iu  seine  Verwaltung  genommen,  und  die  Ein- 
wohner Alexandriens,  welche  an  einer  Alliance  des  Chalifen  mit  den 
Christen  schweren  Anstoss  nahmen,  hatten  den  später  berühmt  ge- 
wordenen Geographen  Edrisi  ausAleppo^^j  als  Gesandten  ihm  zugeschickt 
mit  dem  Versprechen,  jede  mögliche  Hilfe  gewähren  zu  wollen,  aber 
diese  Hoffnungen  gingen  nicht  iu  Erfüllung.  Von  Djizeh  aus  war  er 
in  Eilmärsclien  nach  Überägypten  aufgebrochen,  nachts  beim  Scheine 
von  Feuerbrändeu ;  erst  in  Daldje  nicht  weit  von  Oschmuuam  machte 
er  Halt. 

König  Amalrich  verfolgte  die  Fliehenden  und  erreichte  sie  Sonn- 
abend vor  Laetare  (18.  März)  bei  Babein  ^). 

Schirküh  war  durch  die  Nachricht  von  der  numerischen  Ueber- 
macht^)    seiner  Feinde,    dessen  Haupttheil    allerdings    nicht   die  Chri- 


')  Gerhard  von  Pougy  erscheint  urkundlich  1161  (Strehlke  5),  1164 
(Archives  II,  140),  1168  (Paoli  50),  1171  (Archives  II,  145),  1179  (Delaville  le 
Roulx  141—2  u.  Strehlke  11).  -)  Ibn  Abu  Tai  123;   vgl.  dessen  werthvolle 

Beschreibung  Alexandriens  (Edrisi  ed.  Jaubert  im  Rec.  de  la  societe  de  geogr. 
183G,  V,  297—301).  Leider  erwähnt  der  Geograph  persönliche  PMebnisse  dort 
nicht.  3)  Abulfeda  35  schreibt  Abuan.  Unser  Datum  giebt  Wilhelm  von  Tyrus, 
die  Hist.  atab.  237:  25  Djumada  I  d.  i.  19.  März  als  Tag  der  Schlacht  an,  hin- 
gegen Ibn  el-Atir,  Kamäl  547  und  auch  Makrizi  (Wüstenfeld,  Gesch.  d.  Fatimiden 
334)  den  25  Djumada  II  d.  i.  1 8.  April ;  ottenbar  ist  letztere  Angabe  ein  Schreib- 
fehler, da  die  erstere  mit  Wilhelm  gut  übereinstimmt.  ■*)  Nach  Wilhelm 
von  Tyrus  XIX,  c.  24  hatte  Schirküh  12  000  Türken,  darunter  9000  geharnischte, 
3000  Bogenschützen,  10—11000  Beduinen,  die  Christen  aber  nur  374  (oder  wie 
er  XIX,  c.  30  schreibt:  500)  Ritter,  4—5000  Fusssoldaten,  aber  einige  Tausend 
Turkopulen  und  Aegypter;  Barhebraeus,  Chron.  syriac.  364  giebt  den  Christen 
10  000  Mann  und  Schirküh  nur  2000  Reiter.  Nach  der  Vita  Bernhardi  (Hb.  Y 
c.  3)  hatte  Schirküh  3(100  Beduinen  und   14  000  Türken,  Amalrich  nur  300  Kitter. 


Amalricli  L,  König  von  Jerusalem  (1162  —  1174).  45 1 

steu,  sondern  die  Aegypter  ausgemacht  halben  werden,  bestürzt,  aber 
doch  zum  Kampfe  bereit,  nur  der  Kriegsrath,  den  er  berief,  drängte 
mit  Eücksicht  auf  das  ungünstige  Terrain,  die  Ermüdung  der  Soldaten 
und  die  feindliche  Stimmung  des  Landes  auf  schleunigste  Eückkehr 
und  Vermeidung  jedes  Kampfes ,  bis  Scheref  ed  -  diu  Bargasch, 
Gouverneur  von  Schakif,  durch  seine  kräftigen  Worte  den  Muth  der 
übrigen  Emire  neu  belebte  ^) ;  Schirküh  und  Saladin  stimmten  ihm  bei, 
und  nun  wurde  beschlossen,  die  Schlacht  zu  wagen. 

Schirküh  stellte  seinen  rechten  und  linken  Flüo-el  auf  sandige 
Höhen,  die  Bagage  in  das  Centram,  theils  um  deren  Ausplünderung 
im  Rücken  des  Heeres  zu  verhindern,  theils  —  und  dies  war  der 
wichtigere  und  entscheidende  Grund  —  um  eine  längere  Front  zu 
haben  und  nicht  überflügelt  zu  werden.  Saladin,  welcher  das  Cen- 
trum befehligte,  erhielt  von  Schirküh  die  Anweisung,  wenn  die  Christen, 
in  der  Meinung,  er  selbst  stehe  dort  ^),  augreifen  würden,  ohne  weiteres 
zu  weichen,  aber  sobald  sie  in  ihrer  Verfolgung  inne  hielten,  sofort 
Kehrt  zu  machen  und  nun  seine  Verfolger  zu  verfolgen.  Schirküh 
selbst  stellte  sich  mit  den  zuverlässigsten  Emiren  auf  dem  rechten 
Flügel  auf. 

Was  er  vorausgesehen  hatte,  traf  ein.  Die  Christen  warfen  sich 
auf  das  Centrum  und  drängten  es  zurück,  aber  sogleich  brach  Schir- 
küh auf  den  isolirten  linken  Flügel  der  Christen  los,  schlug  sie  in  die 
Flucht  und  machte  viele  Gefangene.  Als  nun  die  im  Centrum  sieg- 
reichen Ritter  von  ihrer  Verfolgung  zurückkamen,  fanden  sie  das 
Fussvolk  erschlagen  oder  zerstreut  und  wandten  sich  auch  ihrerseits 
zur  Flucht.  Hier  fielen  Hugo  von  Creona  aus  Sicilien  und  Eustachius 
Cholet  aus  Pontigny  ■^) ;  gefangen  wurden  Hugo  von  Caesarea  und 
Arnulf  von  Tell-Bäscher,  der  Bischof  Radulf  von  Bethlehem*)  ward 
schwer  verwundet  und  verlor  sein  ganzes  Gepäck. 

Amalrich,  der  selbst  mit  Mühe  der  Gefangenschaft  entronnen 
war  ^),  steckte  abends  auf  einer  Anhöhe  sein  Banner  auf  uud  sammelte 


•)  Kamäl  p.  548  u.  Histor.  atab.  237—8  (daraus  auch  Barhebraeus  363—4) ; 
Ibn  Abu  Tai  1 24).  '■')  Wie  in  der  That,  nach  der  Meldung  Wilhelms  XIX,  c.  24 

die  Christen  meinten.  Den  deutlichsten  Bericht  gcl)en  Ibn  el-Atir,  Kamäl  548—9 
u.  Hist.  atab.  238—9;    Ibn  Abu  Tai'  125.  s)  Vgl.  Ponthieu   aux   croisades  in 

Revue  nobiliaire  1867,  443.  *)  Ueber  ihn  vgl.  ZDPV.  X,  24—5.  ^)  Die 

Vita  S.  Bernardi  (lib.  V  c.  3),  auch  in  Manrique,  Annal.  Cisterc.  II  cap.  6,  547 
und  Lalore,  Le  tresor  de  Clairvaux  126—30  meldet  folgende  Reliquiengeschichte, 
welche  an  diesen  Kampf  anknüpft  (vgl.  Riant,  Exuv.  II,  193).  Dem  Könige  erschien 
in  IMonia  vor  dem  Kampfe  der  heilige  Bernhard  mid  tadelte  ihn  als  unwürdigen 
Träger   einer   Kreuzreliquie.     Als   aber  Amalrich   gebeichtet   hatte,    segnete   der 

29" 


452  R  Ö  h  r  i  c  li  t. 

noch  einige  Scliaaren  von  Versprengten.  Auf  zwei  anderen  Hügeln 
hatten  feindliche  Haufen  Posto  gefasst,  um  den  Christen  die  zwischen 
den  Hügeln  hindurchführeude  ßückzugsliuie  zu  versperren,  aber  diese 
drängten  sich  zu  einer  compacten  Schaar  zusammen  nnd  kamen  un- 
beschädigt durch  den  gefährlichen  Pass  hindurch  zu  den  Uebrigen. 
In  der  Nacht  zogen  die  Clrristen  noch  bis  Monia  i),  wo  sie  Gerhard 
von  Pougy  und  Mehada  mit  50  Eeitern  und  100  Turkopulen  fanden, 
welche  Schirküh  an  der  Passage  über  den  Nil  hindern  sollten.  Amal- 
rich  wartete  noch  drei  Tage  hier  auf  das  Eintreffen  des  Fussvolkes, 
welches  unter  Joscellin  weit  zurück  war,  am  vierteu  Tage  zog  er  mit 
seinem  neu  organisirten  kleinen  Heere  nach  Kairo,  wo  er  neben  der 
Brücke  sein  Lager  aufschlug  und  bei  der  Musterung  einen  Verlust 
von  100  Mann  feststellte,  während  der  der  Feinde  auf  500  geschätzt 
wurde. 

Schirküh  marschierte  von  Babein  am  Eande  der  libyschen  Wüste 
entlang  nach  Alexandrien,  wo  er  seine  Gefangenen  und  Verwundeten 
unterbrachte,  zog  überall  die  öffentlichen  Gelder  an  sich  und  machte 
.  Saladin  zum  Gouverneur  ^).  Auf  die  Nachricht  von  dem  Abmärsche 
Schirkühs  eilte  Amalrich  sofort  nach  und  beschloss,  Alexandrien  die 
Zufuhr  abzuschneiden.  Er  lagerte  zwischen  Tarüdja  und  Damanhur, 
8  Lieues  von  der  Stadt  und  Hess  die  Umgegend  durch  Streifcorps 
durchziehen,  während  die  Flotte  den  Zugang  von  der  Seeseite  sperrte. 
Einen  ganzen  Monat  war  so  die  Besatzung  nach  jeder  Richtung  hin 
abgeschlossen,  als  es  Schirküh  gelang,  1000  Reiter  in  die  Stadt  zu 
werfen.  Er  selbst  zog  in  Nachtmärschen  dicht  am  Lager  Amalrichs 
vorüber  auf  seinem  früheren  Wege  wieder  nach  Oberägypten  und  be- 
lagerte, allerdings  ohne  Erfolg,  die  Stadt  Küs.  Amalrich  verfolg-te  ihn 
bis  Kairo,  Hess  sich  aber  durch  einen  ägyptischen  Emir^)  bereden, 
wieder  zurückzukehren,  da  er  in  Alexandrien,  das  durch  Hungersnoth 
schon  arg  bedrängt  sei.  Verwandte  habe,  mit  deren  Hilfe  die  Stadt 
leicht  zu  gewinnen  sein  werde.   So  blieb  Schirküh  bis  Ende  Juni  11G7 


Heilige  die  an  des  Königs  Halse  hängende  Reliquie,  sprach  ihm  Muth  ein  und 
verhiess  Sieg.  In  dem  Kampfe  gelobte  Amalrich,  wenn  er  gerettet  werde,  diese 
Reliquie  nach  Olairvaux  zu  schicken,  und  da  er  der  Gefangenschaft  entging,  er- 
füllte er  sein  Gelübde.  Die  Beschreibung  der  in  Clairvaux  aufbewahrten  kost- 
baren Reliquie  siehe  bei  Manrique  11,  547  §  9  und  genauer  bei  Lalore  60—4. 

')  Monia  Bani  Kasib  liegt  einen  Tagemarsch  von  Oschmunain  (Quatremere, 
Memoires  sur  TEgypte  I,  245,  440—44 ;  vgl.  Derenbourg,  Vie  d'Ouysama  250,) ;  dort 
lagerte  auch  Schawer  mit  seinen  Truppi'n  (Ibn  Abu  Tai  125).  Sonst  vgl.  Wilhelm 
von  Tyrus  XIX,  c.  24.  «)  Ibn  el-Atir,  Kamfil  550  u.  Hist.  atab.  239.  '')  Von 
Wilhelm  von  Tyrus  XIX,  c.  25:  Ben  Ekarselle  genannt. 


J 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  453 

ungehindert  in  Oberägypteu,  und  Amalrich  wandte  sich  wieder  gegen 
Alexandrieu. 

Das  vereinigte  ägyptisch -christliche  Belagerungsheer  hielt  im 
Ganzen  75  Tage  i)  die  Stadt  eng  eingeschlossen  und  wurde,  da  man 
eine  ])aldige  Uebergahe  erwartete,  auch  durch  starke  Schaaren  Beute- 
gieriger vermehrt,  welche  die  Magnaten  des  Landes,  unter  anderen 
auch  der  Erzbischof  Friedrich  von  Tyrus,  herbeiführten;  doch  musste 
der  letztere  nach  kurzem  Aufenthalt  wegen  Krankheit  wieder  zurück- 
kehren. Die  nächste  Umgebung  der  Stadt  wurde  furchtbar  verwüstet; 
denn  alle  Baumpflanzungen  und  Gärten  wurden  niedergehauen,  wäh- 
rend ein  mächtiger  Belagerungsthurm  und  viele  Wurfmaschinen  Tod 
und  Verwüstung  in  der  Stadt  verbreiteten.  Amalrich  wie  Schäwer 
Hessen  es  an  Geschenken  und  ermunternden  Worten  nicht  fehlen,  und 
allen  voran  gingen  besonders  die  Pisaner  ^)  durch  Muth  und  Geschick, 
besonders  im  Bau  von  Belagerungsgeräth,  aber  von  einer  Uebergabe 
der  Stadt  war  keine  Rede, 


«)  Ibn  el-Atir,  Kamäl  550  u.  Histor.  atab.  240;  nach  Ibn  Abu  Tai  126  und 
Abulfeda  35:    3  Monate   lang.  *)  Amalrich   hatte   die   Pisaner    schon    1165 

(15.  März:  vgl.  Dal  Borgo,  Doc.  Pis.  90:  Tronci,  Memorie  117;  Lünig,  Cod.  diplom. 
III,  1473—4;  Gius.  Müller,  Documenti  11,  No.  9)  durch  Privilegien  aus- 
gezeichnet, 1168  am  19.  Mai  durch  weitere  Privilegien  für  ihre  wesentlichen 
Dienste  (Dal  Borgo  91;  Müller  14,  No.  11)  bei  der  Belagerung  von  Alexandrien 
und  schenkte  ihnen  in  Kairo  »in  platea  Belbecanti«  mehrere  Besitzungen  1169 
am  16.  September  (Lünig  III,  1475;  Muratori,  Antiq.  II,. 907;  Dal  Borgo  92; 
Müller  15;  No.  12;  vgl.  des  letzteren  Erläuterungen  zu  diesen  Urkunden  XI— XII 
und  385  ff.),  ebenso  in  Rosette  und  versprach  ihnen  1000  Dinare  Einkünfte. 
Am  21.  Januar  1168  landete  in  Pisa  der  Gesandte  Amalrichs  Sinibaldus,  welcher 
die  Einnahme  Alexandriens  meldete,  lieber  die  Betheiligung  der  Pisaner  handeln 
die  Annal.  Pisani  (Mon.  Germ.  SS.  XIX)  257—8  (woraus  die  Chronica  varia 
Pisana  (Muratori  VI)  181  u.  Roncioni  360—2  geschöpft  haben)  und  ausser  Amari, 
I  diplomi  arabi  LH— LIII;  G.  Müller,  Documenti  XI— XII,  385—9,  endlich 
erschöpfend  Heyd,  Hist.  du  commerce  I,  396—7.  Die  rege  Betheiligung  der 
Pisaner  an  den  Kriegszügen  Amalrichs  war  ohne  Zweifel  der  Lohn  für  die  Ver- 
nichtung der  Privilegien,  deren  sich  ihre  Rivalen  die  Genuesen  im  Königreich 
Jerusalem  bisher  erfreut  hatten  und  seit  Zerstörung  der  ihre  Verdienste 
verkündigenden  goldenen  Tafel  in  der  heil.  Grabeskirche  verlustig  gegangen 
waren.  Leider  können  wir  den  Zeitpunkt  und  den  Grund  dieses  Ereignisses  nicht 
genau  angeben.  Alexander  III.  forderte  am  12.  u.  13.  Oktob.  1167  vom  König 
und  Patriarchen  die  Restauration  derselben  (Lib.  jurium  I,  228—9,  No.  254  u.  255 ; 
Giornale  Ligustico  1883,  164,  No.  1),  dann  26.  April  1179  (ibid.  307— 8,  No.  320), 
und  Urban  IIL  wiederholte  1186  diese  Forderung  (ibid.  331—5,  No.  345—7),  die 
Konrad  v.  Montferrat  im  April  1192  zu  erfüllen  versprach  (ibid.  401,  No.  401), 
aber  bei  diesem  Versprechen  ist  es  geblieben.  Sonst  vgl.  de  Vogüe,  Les  eglises  de 
la  Terra  Sainte  221 ;  Heyd  I,  148—9. 


454  R  ö  li  r  i  c  h  t. 

Wohl  war  die  Bürgerschaft  wie  jede  Handelsbevölkerimg  dem 
Kriege  abgeneigt,  durch  Himger  und  Seuclieu  deciniirt  und  die  Be- 
satzung selbst  nur  schwach,  aber  Saladin  erhielt  durch  unernüidlichen 
Zusprach  und  die  Verheissung  baldiger  Hilfe  den  Muth  der  Seinen 
aufreclit  und  setzte  Schirküli  von  seiner  Bedrängniss  in  Kenntniss. 
Dieser  gab  nun  sofort  die  Belagerung  von  Küs  auf  und  wandte  sich, 
überall  auf  seinem  Marsche  Geld  und  Steuern  erpressend  gegen  Kairo, 
zu  dessen  Vertheidigung  Hugo  von  Ibelin  zurückgeblieben  war.  Er 
lagerte  am  Karafaberge  bei  Birket  al-habasch  nicht  weit  von  Fosthät, 
wagte  aber  weder  eine  Belagerung  Kairos  noch  einen  Versuch, 
Alexandrien  zu  entsetzen,  sondern  l)egann  Friedensunterhandlungen 
mit  Amalrich  einzuleiten;  denn  er  konnte  wohl  vermuthen,  dass  auch 
dieser  des  Krieges  in  Aegypten  überdrüssig  war,  weil  inzwischen  Nur 
ed-din  wieder  in  das  Königreich  Jerusalem  eingefallen  war  und  mehrere 
Burgen  erobert  hatte  i). 

Er  schickte  den  gefangenen  Hugo  von  Caesarea  und  Arnulf  von 
Tell-Bascher  an  Amakich  und  liess  ihm  Frieden  unter  der  Bedingung 
anbieten,  dass  die  Belagerung  Alexandriens  aufgehoben  und  die  gegen- 
.seitigen  Gefangenen  freigelassen  werden  sollten,  endlich  solle  der 
König  versprechen,  den  Rückzug  Schirkühs  nicht  zu  stören.  Diese 
Bedingungen  fanden  allgemeinen  Beifall;  der  König  gab  seine  Ein- 
willigung, und  die  Feindseligkeiten  wurden  sofort  eingestellt.  Alsbald 
entwickelte  sich  zwischen  den  Belagerten  und  Belagerern  ein  friedlicher 
und  freundlicher  Verkehr,  und  Amalrich  ehrte  den  tapferen  Vertheidiger 
dm-ch  Verleihung  einer  Ehrenwache.  Die  Christen  besuchten  die  Sehens- 
würdigkeiten der  Stadt,  auf  deren  berühmtem  Leuchtthurme  jetzt  das 
Banner  des  Königreichs  Jerusalem  flatterte,  und  wunderten  sich  nicht 
wenig,  dass  eine  Bevölkerung,  die  50000  Männer  zählte,  einem  Be- 
lagerungsheer von  1500  Eeitern  und  4 — 5000  Mann  Fussvolk  nicht 
noch  nachdrücklicheren  Widerstand  entgegengesetzt  hätte. 


')  Moneitira,  südöstlich  von  'IVipolis  am  Fuss  des  Libanon,  ward  erobert 
nach  Ibn  el-Atir,  Karaäl  545—6  n.  Hist.  atab.  235—6;  Abulfeda  35:  im  Jahre 
der  Hedschra  561  (1165,  7.  Nov.  —  1166,  28.  Okt.),  hin<?egen  nach  ßoha  ed-din 
32  {vgl.  Ibn  Khallikän  IV,  487)  im  April— Mai  1167,  ferner  die  Festung  Akaf 
in  der  Wüste  und  im  Juni — Juli  Huuain,  dessen  Besatzung  Feuer  anlegte  und 
dann  die  Festung  verliess.  Ibn  el-Atir,  Kamfil  551  erzählt,  Nur  ed-din  sei  vom 
Kurdenschlosse  aus  aufgebrochen,  habe  dann  'Araka  angegiüften,  Djabalah,  el- 
Arima  (dafür  Abulfeda :  Oraiba)  und  Säf  itha  erobert  u.  sei  kurz  vor  dem  Ramadhan 
(21.  Juni  —  21.  Juli  1167)  nach  Hirns  zurückgegangen,  von  wo  aus  er  gegen 
Hünain  marschii-te ,  um  auch  Beirut  zu  belagern ;  unser  Autor  fügt  jedoch 
hinzu:  »aber  im  Heere  brach  Uneinigkeit  aus,  welche  dessen  Auflösung  herbei- 
mhrte.« 


Amalricli  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  455 

Saladin  hatte  von  Schäwer  ausdrücklich  uocli  Amnestie  für  die 
Bürger  uud  Anhänger  Schirkühs  verlangt,  und  Amalrich  auch  die  Er- 
lullung  dieser  Bedingung  verheisseu,  aber  Schäwer  liess,  als  ihm  die 
Stadt  übergeben  worden  war  (4.  August  1 167)  ^),  die  Betheiligten  mit 
schweren  Strafen  belegen.  Hingegen  bewies  König  Amalrich  mehr  Ge- 
rechtigkeit und  Treue;  denn  als  auf  Wunsch  Schirkühs  die  Kranken 
und  Verwundeten,  darunter  auch  Edrisi,  auf  Schiffen  nach  Syrien  ge- 
schafft worden  waren,  und  der  Gouverneur  sie  als  Gefangene  in  Zucker- 
pressen anstellte,  befahl  er  sofort  deren  Freilassung. 

Nachdem  Amalrich  seine  Maschinen  verbrannt  hatte,  ging  er  nach 
Kairo,  zog  die  hier  stehenden  Abtheilungen  an  sich  und  langte  am 
20.  August  1167  in  Ascalon  an;  zu  derselben  Zeit  mag  auch  die  Flotte 
heimgekehrt  sein.  Schirküh  empfing  30  000  oder  50  000  Goldstücke  ^) 
und  kam  am  5.  September  nach  Damascus  ^). 

Bald  nach  der  Kückkehr  des  Königs  aus  Aegypten  waren  auch, 
wie  wir  kurz  oben  erzählt  haben,  der  Erzbischof  Ernesius  von  Caesarea 
und  Odo  von  St.  Amand  aus  Konstantinopel  mit  Palaeologus  und 
Manuel  Sebastocrator  in  Tyrus  eingetroffen,  um  Amalrich  seine  neue 
Gemahlin,  eine  Nichte  des  Kaisers,  zuzuführen.  Er  eilte  ihr  entgegen 
nach  Tyrus  und  wurde  am  29.  August  mit  echt  byzantinischem  Cere- 
moniell  getraut. 

Drei  Tage  nachher  übergab  Erzbischof  Friedrich  von  Tyrus  auf 
Bitten  und  in  Gegenwart  des  Königs  das  Archidiaconat  dem  späteren 
Erzbischof  Wilhelm,  dem  Geschichtsschreiber  der  Kreuzzüge. 

Zu  dieser  Zeit  lebte  ein  Verwandter  Manuels  Namens  Andronicus 
in  Syrien,  wo  er  während  Amalrichs  Abwesenheit  in  Aegypten  bereits 
eingetroffen  war,  und  hatte  von  diesem  Beirut  erhalten.  Er  lud  eines 
Tages  Theodora,  die  Wittwe  des  Königs  Balduin,  welche  Accon  als 
Morgengabe  besass  und  eine  Tochter  seines  Neffen  war,  bei  dem  er 
lange  Gastfreundschaft  genossen  hatte,  zu  sich,  um  die  Stadt  sich  an- 
zusehen, entführte  sie  aber,  wie  man  sagte  und  glaubte,  von  Nur  ed-din 
unterstützt,  nach  Damascus  und  dann  weiter  nach  Persien  •^). 


')  Ibn  el-Atir,  Kamnl  550;  Ibn  Abu  Tai  126;  Wilh.  v.  Tyrus  XIX,  c.  28—30. 
2)  Ibn  AbiiTai  126;  Ibn  el-x\tiv,  Kamfil  550  (woraus  Barhebraeus  364).  ^)  Ibn 
el-Atir,  Kamal  550  und  Histor.  atab.  240;  Abulf.  35.  Nach  Boha  ed-din  32 
(vgl.  Wüstenfeld,  Gesch.  d.  Fatim.  337)  schon  am  4.  September.  •*)  Wilhelm 

von  TjTus  XX,  c.  2.  Eine  diesem  Andronicus  uud  dem  weiter  unten  zu  nennenden 
Mälih  an  Ruchlosigkeit  ähnliche  Natur  muss  auch  jener  Gerhard  von  Sidon  ge- 
wesen sein,  der  unter  König  Balduin  III.  (1161  —  1162)  mit  Nur  ed-dins  Hilfe  die 
Christen  angriö',  bis  er  seinen  Lohn  von  ihnen  empfing  (Ibn  el-Atir,  Kamäl 
522  —  3,    woraus   Barhebraeus    358    geschöpft   hat;    Mich.    Syr.    354  —  5).     Ein 


456  Röhricht. 

Gegen  Ostern  des  folgenden  Jahres  (1168)  wurden  in  Syrien  zwei 
neue  Kirchen  eingerichtet  und  mit  Bischöfen  besetzt,  nämUcli  Petra 
in  der  Moabitis  und  Hebron.  Die  erstere  hatte  seit  dem  Beginn  der 
christHchen  Herrschaft  in  Syrien  noch  nie  einen  hiteinischen  Bischof 
gehabt,  die  zweite  war  ziu'  Zeit  der  Byzantiner  nur  ein  Priorat 
gewesen;  Bischof  von  Petra  und  Metropolitan  des  sogenannten  zweiten 
Arabien  ward  Guerrik,  regulirter  Chorherr  der  lieiligen  Grabeskirche, 
Bischof  von  Hebron  aber  Kayuald,  ein  Neffe  des  verstorbenen  Patri- 
archen Fulcher  i). 

In  dem  folgenden  Sommer  desselben  Jahres  kam  Stephan,  der 
Kauzler  des  Königs  von  Sicilien  und  erwählter  Erzbischof  von  Palermo, 
ein  Bruder  des  Grafen  Rotrou  von  Perche,  der  aus  Sicilien  vertrielieu 
worden  war,  nach  Jerusalem,  wo  er  starb  und  in  der  heiligen  Grabes- 
kirche ehrenvoll  bestattet  wurde  2),  In  dieser  Zeit  nämlich  grassirte 
in  Jerusalem  eine  schwere  Pest,  der  auch  noch  andere  Pilger  zum 
Opfer  fielen  3),  wie  der  kinderlose  Graf  Wilhelm  IV.  von  Nevers  ^). 

Während  dessen  begannen  die  ägyptischen  Angelegenheiten  wieder 
in  den  Vordergrund  zu  treten. 

Schäwer  hatte  ntlmlich  die  Dienste  Amalrichs  und  seinen  Abzug 
damit  bezahlt,  dass  er  ihm  einen  jährlichen  Tribut  von  100000  Di- 
naren versprochen  hatte  ^),    zu  dessen  vollständigen   ersten  und  später 


Gerhard  von  Sidon  wird  in  den  Lois  ed.  Beugnot  I,  214 — 5  erwähnt,  mit  dem 
Araalrich  sich  wegen  eines  Rechtsstreites  entzweite;  er  erscheint  aber  1164  nnd 
116*5  in  Urkunden  Amah-ichs  als  Zeuge  (Roziere  262—4,  No.  144;  Müller,  Docuni. 
11,  No.  9).  Sollte  dieser  Gerhard  identisch  mit  dem  oben  erwähnten  sein,  so 
dass  die  Jahresangabe  Dm  el-Atir  Ijis  auf  1165  heruntergerückt  werden  müsstc, 
oder  ist  er  ein  Sohn  des  ersteren  ?  Gerhard  von  Sidon  begegnet  ims  urkundlich : 
1154  (Paoli  33),  1155  (Roziere  101),  1156  (Paoli  35),  1157  (ibid.  36),  1160  (ibid.  37; 
Roziere  107),  1164  (Roziere  267).  Sonst  vgl.  Schlumberger  in  Archives  I,  673—5. 
')  Wilhelm  von  Tyrus  XX,  c.  3 ;  vgl.  ZDPV,  X,  16  u.  26.  ")  Wilhelm  von 

Tyrus  XX,  c.  3;  Amari,  Storia  dei  musulmani  III.  B,  501.  ^)  Dandolo  (Muratori, 

Script,  rer.  Ital.  XII)  291.  *)  Wilhelm  XX,  c.  3  u.  Gestes  5  loben  ihn,  während 

Johannes  von  Salisbury  (Epist.  Saresb.  bei  Bouquet  XVI)  601  ihn  als  einen 
T>Tannen  schildern;  sonst  vgl.  Marian.  Autissiod.  (ibid.  XXII)  297;  Chron.  Vizeliac. 
(ibid.)  345;  Rob.  de  Monte  1169.  Dass  er  24.  Oktob.  1168  in  Accon  starb,  sagt 
d.  Obit.  Nivern.  (Mittheil.  d.  öst.  Instituts  XI,  375;  Atti  Lig.  II  Ser.,  XYII,  554, 
567—8) ;  vgl.  Du  Cange-Rey,  Les  familles  786 ;  d'Arbois  de  Jubainville,  Hist. 
des  comtes  de  Champ.  III,  70.  Eine  Urkunde  des  Grafen  Guido  von  Nevers, 
worin  der  Tod  und  eine  Schenkung  unseres  Grafen  erwähnt  sind,  siehe  bei  Bre- 
quigny.    Table   chronol.    III,   428.  '')   Robert   de   Monte   (und    daiaus   Chron. 

Triveti  59)  meldet,  dass  Schawer  50  000  Dinare  von  Alexandrien  und  57  000  von 
Kairo  (Ernoul  25 :  20  000)  dem  Könige  versprochen  hatte,  und  Albericus  (Mon. 
(lerm.  SS.  XXII [)  850  giebt  die  Nachricht,  die  Aegypter  hätten  nach  1  Jahr  den 
Christon   nur  vergoldetes  Kupfer   als  Tiibut  geschickt;   ähnlichen  Betrug   sollen 


Amalricli  L,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  257 

regelmässigen  Erhebung  christliche  Beamte  in  einer  dem  Palais  des 
Chalifen  beuachl:)arten  Strasse  ihre  ßureaux  eingerichtet  hatten ;  ausser- 
dem war  noch  eine  kleine  christliche  Besatzung  zurückgeblieben.  So 
schien  die  Stellung  Amalrichs  in  Aegypten  gesichert  und  befestigt,  aber 
bald  zeigte  es  sich,  dass  sie  nicht  so  sicher  war. 

Zunächst,  so  wird  berichtet,  war  der  Vertrag,  welcher  die  ange- 
gebene Höhe  fixirte,  nicht  vom  Chalifen  selbst  ratificirt;  seine  Giltig- 
keit  hing  also  ganz  von  dem  guten  Willen  oder  der  Verlegenheit  des 
zeitweiligen  Veziers  ab.  Sodann  bestand  unter  den  Aegyptern,  so  sehr 
sie  als  Schiiten  dem  Vorkämpfer  der  Sunna  Kür  ed-din  feindselig 
waren,  doch  eine  starke  Partei,  welche  die  schmähliche  Abhängigkeit 
von  einem  Fürsten  der  „Ungläubigen"  bitter  empfand  und  im  ge- 
heimen mit  Nur  ed-din  sympathisirte,  ja  auch  Verl)induugen  unter- 
hielt i).  Der  eigene  Sohn  Schäwers  Al-Kamil  sandte  sogar  an  den 
Atabek,  Hess  ihm  seine  Treue  versichern  und  versprach  auch  einen 
jährlichen  Tribut  =^).  Nur  ed-din  nahm  die  Versicherung  und  die  über- 
sandte Summe  dankbar  an,  aber  Al-Kämil  wiederholte  seine  Sendungen 
nicht,  ja  er  verliess  plötzlich  wieder  die  Freundschaft  Nur  ed-dins  und 
erklärte  sogar,  es  sei  doch  besser  den  Christen  Tribut  zu  zahlen  als 
das  Land  den  Türken  zu  überlassen.  Wir  wissen  nicht,  welches  der 
eigentliche  Grund  dieser  plötzlich  entgegengesetzten  Politik  gewesen 
sein  mag,  aber  dass  die  wahren  Sympathieen  den  Christen  wirklich 
mehr  gehört  haben  sollen  als  Nur  ed-din,  ist  wohl  zu  bezweifeln. 
Wenigstens  klagen  die  morgenländischen  Berichte,  dass  die  christlichen 
Beamten  durch  die  Rücksichtslosigkeit  und  auch  durch  häufige  Un- 
gerechtigkeiten die  Einwohner  reizten  und  dadurch  in  ihnen  das  Be- 
wiisstsein  des  rehgiösen  Gegensatzes,  der  drückenden  Abhängigkeit 
von  einem  fi-emden  Herrscher  verschärften.  Genug  die  Christen  in 
Kairo  selbst  hielten  es  entweder  für  gerathen,  dem  drohenden  Aus- 
bruch einer  grossen  Revolution  durch  schnelle  That  zu  begegnen  oder 
für  ein  Leichtes,  den  Zweck  der  früheren  Invasionen  durch  eine  volle 
und  ganze  Unterjochung  jetzt  zu  erreichen  und  forderten  Amalrich  auf, 
nach  Aegypten  zu  kommen,  dessen  Eroberung  leicht  gelingen  werde.  Er 
weigerte  sich  anfangs,  weil  ein  neuer  Einfall  die  Aegypter  in  die  Arme 
Nur  ed-dins  treiben  werde  und  dies  für  die  Christen  in  Syrien  nur 
verhängnissvoll  sein  könne,  aber  die  meisten  seiner  Rathgeber  be- 
schwichtigten   diese  Bedenken,   und  Amalrich  gab   nach;    während    er 

die  Muslimen  häufig  gegen  Christen  geübt  haben  (Röhricht,  Testimon.  minora 
XVII,  not.  3). 

')  Michael  öjrus  303.  ")   Lbn  el-Ativ,    Kamfil  550   u.   Hist.   atab.  241 ; 

vgl.  Wtistenfeld  337. 


^gg  Röhricht. 

das  Gerücht   verbreiteu    Hess,    dass    er    gegeu    Hirns    einen    Vorstoss 
plane,  wurde  gegen  Aegypten  eifrig  gerüstet. 

Dieser  Bericht  Ihn  el-Atirs  i)  über  die  Pläne  Amalrichs  gegen 
Aegypten  wird  ergänzt  durch  Ihn  Abu  Tai  =^),  welcher  erzählt,  dass 
Schirküh  schon  längst  die  Wiederholung  einer  Invasion  Seitens  des 
Königs  vorausgesehen  und  ihm  geschrieben  habe:  „Die  Aegypter  ver- 
langen von  Dir  das  Versprechen,  dass  Du  in  ihre  Länder  weder  ein- 
fallen, noch  sonst  ihnen  irgend  einen  Schaden  zufügen  willst".  Darauf 
habe  Amabich  anfangs  jede  Auskunft  verweigert,  aber  aus  Furcht  vor 
Schirküh  und  dem  Vezier  soll  er  sich  eidlich  verpflichtet  haben,  nicht 
mehr  in  Aegypten  einzufallen.  So  unwahrscheinlich  letztere  Behaup- 
tung ist,  so  wird  unser  Chronist  doch  Recht  haben,  wenn  er  wieder 
erzählt,  dass  Schirküh  fortwährend  Eroberungspläne  gegen  Aegypten 
hefte,  obo-leich  Nur  ed-din  darauf  verzichtete,  zumal  Schäwer  sich  um 
seine  Freundschaft  bemühte. 

Die  christliche  Hauptquelle,  Wilhelm  von  Tyrus  3),  berichtet,  dass 
Amalrich  diese  Aufforderung  nicht  ungern  empfing,  da  ihm  erzählt 
worden  war,  dass  Schäwer  mit  Nur  ed-din  geheime  Gesandtschaften 
•gewechselt  und  erklärt  habe,  den  Vertrag  mit  den  Christen  brechen 
zu  wollen,  aber  derselbe-  Berichterstatter  fügt  sogleich  hinzu,  dass 
Schäwer  nach  den  Mittheilungen  anderer  Gewährsmänner  seinen  Ver- 
trag ehrlich  gehalten,  und  Amalrich  mit  Unrecht  an  seiner  Treue 
zweifelnd  ihn  mit  Krieg  überzogen  habe.  Als  Haupturheber  und  Be- 
förderer der  neuen  Eroberungspolitik  wird  Gerhard  Assalit  genannt^), 
Meister  der  Hospitaliter,  welcher  diesen  Orden  durch  verschwenderische 
Verwaltuno-  in  so  grosse  Schulden  gestürzt  hatte,  dass  deren  Summe 
sich  auf  100  000  Dinare  belief.  Er  soll  diesen  Aufwand  desshalb  sich 
erlaubt  haben,  weil  er  hoffte,  wenn  Aegypten  erst  unterworfen  sei, 
Bilbais  mit  dem  benachbarten  Gebiete  nach  einem  früher  mit  dem 
Könige  abgeschlossenen  Vertrage  zum  dauernden  Besitz  zu  erhalten. 
Die  Templer  jedoch  hätten,  sei  es  aus  ehrlicher  Achtung  vor  der  Ver- 
tragstreue Schäwers,  sei  es  aus  Neid  gegen  Assalit  dem  Könige  von 
vornherein  ihre  Betheiligung  an  diesem  Eaubzuge  verweigert. 


')  Kamäl  554.  •  »)  Reinand,  Extraits  127.  '')  Wilhehn  XX,  c.  5.  ■•)  Ueber 
ihn  vgl.  Paoli,  Codice  I,  229— 32,  335  — 6;  Herquet,  Chronologie  der  Grossmeister 
d.  Hospitalordens,  Berlin  1880,  8—11  u.  im  Wochenblatt  d.  Johanniter-Ordens- 
ballf'v  Brandenburg  1883,  No.  17—22,  wo  mit  einer  Biographie  unseres  Meisters 
auch  eine  kurze  Geschichte  der  Einfilllo  Amalrichs  gegeben  wird  (der  Verfasser 
sucht  Assalit  gegen  W^ilhelm  von  Tvrus,  AngriiVe  in  Schutz  zu  nehmen);  ibid. 
1880,  31—5  handelt  Herquet  über  den  auttallenden  Rücktritt  Gilberts  von  der 
Meisterwürde.   Sonst  vgl.  Röhricht,  Zusätze  u.  Verbesserungen,  Berlin  1886,  3—4. 


Amalricli  1.,  König  von  Jerusalem  fl  162—1 174).  459 

Offenbar  ist  er  in  Bezug  auf  die  Grüude  und  die  Veranlassung, 
welche  Amalricli  zu  einem  neuen  Zuge  trieben,  schlecht  unterrichtet; 
aus  der  Vergleichung  mit  den  angeführten  arabischen  Quellen  wird 
sich  ergeben,  dass  Amalrich  hauptsächlich  durch  das  Misstrauen  gegen 
Schirküh  und  Schawer  dazu  bewogen  wurde,  wozu  er  Grund  genug 
hatte,  besonders  aber  durch  die  Hoffnung  auf  eine  kräftige  Unter- 
stützung des  griechischen  Kaisers  Manuel. 

Dieser  hatte  schon  unter  dem  Vorgänger  Amalrichs  mit  Erfolg 
seine  Stellung  im  Orient  befestigt  und  vor  allem  den  Anspruch  auf 
seine  Oberlehnshoheit  über  Ailtiochien  durch  einen  glücklichen  Krieg 
gegen  den  Fürsten  Eaymund  siegreich  durchgesetzt;  Kaymund  schwor 
ihm  den  Eid  als  Lehnsmann  i).  Als  nun  dessen  Sohn  Kaynald  mit 
Thoros  von  Armenien  revoltirte,  zog  Manuel  1158  nach  Asien,  zwang 
Thoros  zur  Unterwerfung  und  auch  Kaynald  zur  Leistung  des  Lelms- 
cides;  er  musste  sich  verpflichten,  dem  Kaiser  Truppen  zu  stellen,  und 
auf  die  Besetzung  des  Patriarchenstuhles  verzichten  2).  Im  folgenden 
Jahre  erkannte  sogar  Balduin  die  Oberlehnshoheit  Manuels  au,  der 
zur  Befestigung  seiner  Aussprüche  noch  Maria  von  Antiochien  (25.  Dec. 
1161)  heirathete,  deren  Schwester  Philippa  Audronicus  (1166)  zur 
Gemahlin  empfing.  Amalrich  hatte  gleich  nach  seiner  Thronbesteigung 
Manuels  Kechte  auf  Antiochien  anerkannt  3),  dann  eine  Nichte  des 
Kaisers  sogar  zur  Gemahlin  erhalten,  so  dass  der  König  durch  eine 
Allianz  mit  Manuel  im  Kücken  gedeckt  war.  Als  durch  die  unglück- 
liche Schlacht  bei  Harem  die  meisten  christlichen  Heerführer  in  Ge- 
fangenschaft gerathen  waren,  und  eine  Bedrohung  Antiochiens  zu 
befürchten  stand,  dachte  Manuel,  ein  Heer  nach  Syrien  zu  schicken, 
welcher  Gefahr  Nur  ed-din,  wie  wir  oben  erörtert  haben,  durch  Frei- 
lassung Bohemunds  zu  begegnen  suchte,  allein  der  Winter  1164  auf 
1165  beschäftigte  ihn  in  Ungarn  zum  Glück  für  Nur  ed-din  und 
Amalrich,  den  ein  neuer  Einmarsch  Manuels  in  Syrien  misstrauisch 
gemacht  haben  würde,  da  er  lieber  den  König  von  Frankreich  als  den 
griechischen  Kaiser  als  seinen  Oberlehnsherrn  gehabt  hätte.  Dieser 
Grund  hatte  auch  1165  das  bereits  eingeleitete  Bündniss  zwischen 
Frankreich  und  dem  griechischen  Kaiser  vereitelt  ^),  aber  Manuel  hatte 
von  den  politischen  Sympathieen  Amalrichs  für  König  Ludwig  keine 
Keuutuiss  und  dachte,  durch  einen  Bund  mit  Amalrich  seine  Macht- 
stellung im  Orient  noch  stärker  zu  befestigen. 


')  Von    Kap-Herr,    Die   abentlländ.    Politik    Kaiser   Manuels,    Strassb.    1881, 
67,    140—6.  ")    Vgl.    oben    444.  «)    C'innamus    291—2.  *)    Von 

Kap-Herr  75. 


460  Röhricht. 

Im  Sommer  1168  kamen  nun  Graf  Alexauder  von  Gravina  und 
Michael  von  Otranto  als  Gesandte  des  Kaisers  nach  Tyrus  und  legten 
den  Plan  zu  einer  Eroberung  Aegyptens  vor.  Nachdem  Amalrich 
denselben  genehmigt  und  den  Vertrag  abgeschlossen  hatte,  gingen  die 
Gesandten  des  Königs,  darunter  auch  Wilhelm  von  Tyrus,  mit  Schreiljen 
versehen  zur  See  nach  Constantinopel.  Hier  trafen  sie  Manuel  nicht, 
da  er  gerade  mit  einem  Kriege  gegen  die  Serben  vollauf  beschäftigt 
war;  sie  zogen  ihm  nach,  erreichten  ihn  in  ßutella  bei  Ochrida, 
und  wurden  ausserordentlich  freundlich  aufgenommen.  Manuel  be- 
stätigte einfach  den  Vertrag  und  entliess  die  Gesandten  mit  vielen 
Geschenken;  am  1.  Oktober  traten  sie  wieder  ihren  Rückweg  an  i). 

Wir  wissen  nicht,  ob  aus  eigener  Initiative,  um  vielleicht  seinem 
neuen  Bundesgenossen  zuvor  zu  kommen,  oder  in  Folge  vertrags- 
mässiger  Bestimmung  Amalrich  sofort  Ende  Oktober  desselben  Jahres 
gegen  Aegypten  aufbrach.  Nachdem  er  durch  eine  Scheinbewegung 
gegen  Hims  seine  Feinde  getäuscht,  wandte  er  sich  plötzlich  direkt 
nach  Süden.  Als  er  vor  Darum  angekommen  war  2),  schickte  der 
Vezier  einen  seiner  Emire  zu  ihm,  um  über  den  Grund  dieses  Einfalls 
Auskunft  zu  erhalten.  Der  König  zögerte  einige  Zeit  mit  der  Antwort, 
dann  suchte  er  ihn  zu  bestechen,  indem  er  ihm  13  Dörfer  versprach, 
wenn  er  dem  Vezier  vorreden  würde,  dass  dieser  Krieg  kein  ernst- 
hafter sei.  Schäwer  zweifelte  am  Gelingen  seiner  List  und  schickte 
als  Gesandten  den  Emir  Schems  el-cheläfe  zum  König.  „  Glück  mit 
Dir,  Schems  el-cheläfe ! "  rief  ihm  dieser  zu,  als  er  das  Zelt  betrat. 
„Glück  dem  treulosen  Könige!"  antwortete  der  Emir.  ,Ja, "  fügte  er 
hinzu,  „wenn  Eure  Absichten  die  rechten  waren,  wie  konntet  Ihr  einen 
so  plötzlichen  Einfall  machen?"  Amalrich  entgegnete,  dass  er  die 
beabsichtigte  Heirath  der  Schwester  Saladins  mit  dem  Sohne  des  Veziers 
für  einen  Vertragsbruch  habe  halten  müssen.  „Dieses  Gerücht  ist 
falsch",  erwiderte  der  Emir,  „aber  auch  wenn  es  wahr  wäre,  würde 
es  nie  einen  Vertragsbruch  bedeuten."  „Die  Wahrheit  ist,"  fuhr  der 
König  fort,  „  dass  die  abendländischen  Christen  mich  zur  Unterwerfung 
Aegyptens  gedrängt  haben.  Ich  komme  hieb  er  als  Mittler  zwischen 
ihnen  und  Euch!"  „Was  wollt  Ihr  denn?"  fragte  Schems  el-chelafe. 
„Zwei  Millionen  Goldstücke!"  antwortete  Amalrich.  „Gut,  davon  will 
ich  den  Vezier  benachrichtigen;  erwartet  hier  seine  Antwort!" 

Diesem  Bericht  steht  ein  anderer  gegenüber,  wonach  der  König 
von  Darum  aus  an  Schäwer    schrieb:    „Ich   werde   die  Geldsumme   so 


')  Wilh.  v.  Tyrus  XX,  c.  4 ;  vgl.  Lcbeau,  llistoire  du  bas  erapire  (od.  St.  Martin) 
XVI,  203.  2)  Reinaud,  Extr.  128—9. 


Amalricli  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174),  4ßl 

lange  reclamireu,  als  ich  Deiner  bedarf,  aber  augeublicklicli  habe  ich 
keinen  Feind  zu  fürchten  und  ich  kann  Deine  Hilfe  entbehren."  Mau 
erzählt,  dass  der  König  erwidert  habe:  „Nichts  wird  mich  von  hier 
entfernen,  bis  Ihr  mir  werdet  gegeben  haben,  was  ich  fordere. "  Jeden- 
falls erkannte  der  Vezier,  dass  der  König  mit  seiuem  Worte  spielte 
und  in  Aegypten  eindringen  wollte.  Er  sammelte  also  seine  Truppen 
und  schickte  einen  Tlieil  derselben  nach  Bilbais. 

In  zehn  Tagen  stand  Amalrich  vor  Bilbais  ^)  und  eroberte  es  drei 
Tage  später,  am  4.  November  2).  Die  Stadt  wurde  entsetzlich  geplündert 
und  reiche  Beute  gewonnen;  die  meisten  Einwohner  wurden  getödtet 
oder  in  die  Sklaverei  verkauft,  Mehada,  der  Sohn  des  Veziers,  einst 
Waffengefährte  Amalrichs,  und  einer  seiner  Neffen  wurden  gefangen 
gehalten  ^).  Von  hier  rückte  der  König,  dessen  Heer  mehrere  Feinde 
Schäwers,  wie  Ibn  el-Chajjät  und  Ibn  Fardjalah,  Verstärkungen  zu- 
geführt hatten,  langsam  gegen  das  offene  Misr.  Am  12.  November 
befahl  Schäwer    die  Schiffe    zu   verbrennen    und  Fosthät   in  Brand  zu 


')  Am  10.  Oktober  1168  urkundete  Amalrich  noch  in  Accon  für  die  Hospi- 
taliter,  denen  er  Bilbais  mit  100  000  Dinaren  Einkünfte  und  zehn  Städte  mit  je 
5000  Dinaren  Einkünfte  unter  der  Bedingung  zusicherte,  dass  sie  stets  500  Kitter 
und  ebensoviel  Turkopulen  halten  sollten,  die  zu  el-Arisch  durch  den  königlichen 
Marschall  zu  mustern  seien  (Paoli,  Codice  I,  48,  No.  47);  diese  Schenkung  (von 
der  auch  Ibn  Abu  Tai  bei  Reinaud  128,  Note  Kenntniss  hat)  wurde  1169  am 
20.  August  in  Accon  durch  Amalrich  (Paoli  I,  49,  Nr.  48)  und  117G  durch  Bal- 
duin  IV.  bestätigt  (Paoli  I,  GO— 1,  No.  60;  vgl.  Strehlke  No.  5).  Am  20.  Okt.  1168 
stellte  Amalrich  zu  Ascalon  eine  Urkunde  für  die  Amalfitaner  aus  (Ughelli,  Italia 
Sacra  VII,  204—5) ;  mithin  ist  der  Einmarsch  in  Aegypten  in  die  letzten  Tage 
des    Oktobers   zu   setzen.  ^)    Ibn  el-Atir,   Kamäl  554   u.    Histor.    atab.  247; 

Abulf.  36.  Wilhelm  XX,  c.  6  nennt  den  13.  November  als  Tag  der  Eroberung. 
Ibn  Abu  Tai  129  erzählt,  als  Amalrich  vor  Bilbais  stand,  hätte  er  an  den  Enkel- 
sohn des  Veziers,  welcher  in  dieser  Stadt  kommandirte,  geschrieben:  ,Wo  sollen 
wir  campiren?''  —  »Auf  der  Spitze  unserer  Lanzen !  *  —  »Glaubt  Ihr  denn,"  fügte 
er  hinzu,  »dass  Bilbais  ein  guter  essbarer  Käse  ist?'  —  »Ohne  Zweifel,*  entgegnete 
der  König,  ,  und  Kairo  ist  die  Sahne  davon ! "  -)  Ibn  Abu  Tai'  1 29  erzählt : 

Nach  dem  Fall  von  Bilbais  Hess  Amalrich  die  Gefangenen  vor  sich  inmitten  einer 
weiten  Ebene  zusammentreten  und  indem  er  mit  der  Lanze  zu  ihnen  ging,  theilte 
er  sie  in  zwei  Abtheilungen ;  für  sich  nahm  er  die  rechtsstehende,  während  er 
die  andere  seinen  Soldaten  überliess.  Alle  ihm  zugefallenen  Muselmänner  Hess 
er  frei  mit  den  Worten :  ,  Ich  gebe  Euch  die  Freiheit  zum  Dank  für  die  Gnade, 
die  Gott  mir  erwiesen  hat;  denn  nun  scheine  ich  doch  der  Herr  von  Aegypten 
zu  sein."  Der  Rest  ward  in  die  Sklaverei  abgeführt,  aus  der  erst  Saladin  durch 
Loskauf  sie  befreite.  Dass  die  Stadt  in  der  That  aufs  acheusslichste  geplündert 
und  die  Einwohner  gemisshandelt  wurden,  bezeugt  Wilhelm  von  Tjtus  XX,  c.  6, 
doch  wird  Michael  Sjttus'  363  Angabe,  dass  1200  Reiter  und  20  000  Fusssoldaten 
in  Bilbais  getödtet  wurden,  als  übertrieben  gelten  müssen. 


462 


Röhricht. 


stecken;  die  Feuersbruust,  bei  der  auch  die  älteste  Moschee  des  Amr 
ben  el-Asi  zu  Grunde  ging,  dauerte  54  Tage.  ,  Die  Leute  wogten  uud 
drängten  sich",  erzählt  ein  arabischer  Autor,  „als  wenn  sie  aus  ihren 
Gräbern  nach  dem  Orte  der  Auferstehung  eilten,  der  Vater  bekümmerte 
sich  nicht  um  seine  Kinder,  ein  Bruder  beachtete  den  andern  nicht. 
Viele  retteten  nur  das  nackte  Leben;  denn  die  Miethe  für  ein  Pferd 
zum  Transport  von  Fosthat  nach  Kairo  kostete  über  10,  für  ein  Kamel 
bis  zu  30  Dinaren. "  i)  Während  dieses  Brandes  erschien  Schems  el- 
cheläfe  wieder  vor  Amalrich  und  sagte :  „Siehst  Du  diese  Flamme,  die 
bis  zum  Himmel  steigt?"  „Ja,"  antwortete  der  König.  „Wohlan," 
fuhr  der  Vezier  fort,  „das  ist  Alt-Kairo,  welches  brennt!  Ich  habe 
20000  Naphtaflaschen  vertheilen  und  10000  Zünder  anstecken  lassen. 
Ich  will,  dass  alles  unwiederbringlich  zu  Grunde  gehe.  Jetzt  ist  keine 
Zeit  übrig,  Du  musst  Dich  zurückziehen."  „Du  hast  Recht,"  ant- 
wortete der  König,  „aber  ich  bin  nicht  frei.  Ich  muss  durchaus  Kairo 
nehmen;  die  Männer  des  Abendlandes  in  meinem  Heere  würden  mir 
einen  Rückzug  nicht  verzeihen!"-) 

Am  13.  November  erschien  also  Amalrich  vor  Kairo  und  wollte 
'bei  Birket  el-habasch  sein  Lager  aufschlagen,  konnte  es  aber  wegen 
des  entgegenkommenden  Rauches  nicht  aushalten  und  wählte  den  Platz 
vor  dem  Thore  el-Barkije  zum  Lager,  so  nahe  an  der  Stadtmauer,  dass 
die  Pfeile  bis  in  sein  Zelt  flogen,  üeberhaupt  fand  er  einen  unerwartet 
energischen  Widerstand,  da  den  Einwohnern  das  Massacre  von  Bilbais 
im  Gedächtnisse  war,  und  es  ist  wohl  zu  glauben,  wenn  ein  arabischer 
Autor  versichert:  „wären  die  Franken  dort  glimpflicher  verfahren,  so 
würden  sie  ohne  Widerstand  in  Kairo  eingezogen  sein."  3) 

Inzwischen  hatte  der  Chalif  an  Nur  ed-din  Boten  und  mit  ihnen 
zugleich  die  Haare  seiner  Frauen  gesandt,  indem  er  ihm  sagen  Hess: 
„dies  sind  die  Haare  der  Frauen  in  meinem  Schlosse,  welche  Dich 
anflehen,  dass  Du  sie  von  den  Franken  befi-eiest!"  Schäwer  hin- 
o-egen,  der  gleich  nach  dem  Einmarsch  Amalrichs  Nur  ed-din 
um  Hilfe  gebeten  haben  soll  *) ,  suchte  durch  Unterhandlungen 
Zeit  zu  gewinnen.  Er  erinnerte  den  König  in  einem  Schreiben 
an  ihre  frühere  Freundschaft  und  ihren  gemeinsamen  Feind  Scliir- 
küh  ^) ;  der  Ueberbringer  Schems  el-cheläfe  versicherte  ausserdem  noch 


>)  Ibn  el-Atir,  Kamal  555;  Ibu  Abu  Tai'  130;  vgl.  Wüstenfeld  338—9. 
V.  Kreraer,  Mittelsyrien  und  Damaseus  60—1  sagt:  »Die  Kuinenhügel,  die  man 
noch  jetzt  vor  dem  Thore  fcitti  Zaineb  sowie  um  die  MamUikengräber  sehen 
kann,  stammen  von  jenem  Brande.*  -)  Ihn  Abu  Tai'  130.  ^)  Ibn  el-Atir, 

Kainul    555    u.    Histor.    atab    247;    Ibn   Abu  Tai"    130-1;    vgl.  Wüstenfeld    330. 
*)  Wilhelm  XX,  c.  6.  *)  Ibn  Abu  Tai  131. 


Amalrich  L,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  463 

müudlicli,  dass  Aiualrich  die  Stadt  niemals  einnehmen  könnte;  denn 
die  Einwohner  würden  sich  bis  auf  den  letzten  Mann  vertheidigen, 
desshalb  solle  er  sich  mit  einer  Zahlung  von  200000  Dinaren  i)  zu- 
frieden geben.  Der  König  jedoch,  hauptsächlich  durch  Milo  von  Plancy 
bestimmt,  verlangte  1  Million  Dinare,  das  heisst  11—12  Millionen 
Francs,  von  denen  ein  Theil  sogleich,  der  Eest  später  gezahlt  werden 
sollte^).  Dieser  Vertrag  ward  genehmigt  und  durch  el-Djälis  ben 
'Abd  el-Kawi  und  den  Scheich  el-Muwaffak  abgeschlossen.  Schäwer 
zahlte  sofort  100000  Dinare  als  Lösegeld  für  seinen  Sohn  und  Neffen, 
stellte  für  den  Rest  zwei  Knaben  seiner  Verwandtschaft  als  Geiseln, 
machte  sich  aber  aus,  dass  Amalrich  von  Kairo  abzöge,  damit  er  im 
Stande  sei,  inzwischen  den  Eest  zu  sammeln.  Der  König  verlegte  sein 
Lager  nach  Matäria,  wo  er  acht  Tage  blieb,  wechselte  hier  Gesandt- 
schaften mit  Schäwer,  ohne  viel  zu  erreichen,  und  zog  sich  daun  noch 
weiter  zurück  nach  einem  Orte,  der  „der  syrische"  genannt  wird;  wegen 
der  Armuth  der  durch  Feuersbrunst  und  Flucht  ihres  Eigenthums  be- 
raubten Einwohner  konnte  Schäwer  nur  noch  50  000  Dinare  zusammen- 
bringen 2). 

Inzwischen  war  auch  Amalrichs  Flotte  an  dem  tanitischen  Arme 
des  Nils  angekommen,  hatte  Tanis  erobert  und  geplündert.  Als 
nun  die  Aegypter  der  Flotte  den  Weg  aufwärts  durch  Versenkungen 
und  Schiffe  zu  versperren  sich  bemühten,  wurde  Honfred  von  Toron 
mit  einer  erlesenen  Mannschaft  abgeschickt,  um  wenigstens  das  eine 
Ufer  zu  gewinnen  und  den  Schiffen  die  Durchfahrt  zu  ermöglichen, 
aber  auf  die  Kunde  von  dem  Anmärsche  Schirkühs  erhielt  die  Flotte 
Befehl,  wieder  heimzukehren;  sie  segelte  daher  bald  ab,  verlor  aber 
unterwegs  eine  Galee  *). 

Und  in  der  That  war  Schirküh  im  Anmärsche.  Der  Chalif  hatte 
nämlich,  während  Schäwer  durch  Ermunterungen  und  Geschenke 
den  Muth  der  Seinen  aufrecht  erhielt,  zum  zweiten  Male  an  Nur  ed-diu 
gesandt  und  grosse  Versprechungen  gemacht.  Dieser  empfing  das 
Schreiben  in  Haleb  und  befahl  sofort,  den  Schirküh  aus  Hims  herbei- 
zuholen. Der  Bote  traf  jedoch  den  letzteren  schon  unter  dem  Stadt- 
thore  von  Haleb,  da  er  auch  ein  Hilfsgesuch  aus  Aegypteu  erhalten 
hatte  und  desshalb  mit  Nur  ed-din  Rücksprache  zu  nehmen  aufgebrochen 


')  Ibn  el-Atir,    Kamal  556;    Histor.  atab.  248.  -)   So    nach    Ibn  el-Atlr 

und  dem  aus  ihm  schöpfenden  Barhebraeus  368  auch  Abulfeda  36,  nach  Wilhelm 
XX,  C.7:  2  Millionen,  nach  Ibn  Abu  Tai  131:  400  000,  nach  Michael  Syrus  353: 
160  000  Tahegans.  s)  Wilhelm  XX,  c.  10.       '   ■»)  Wilhelm  von  Tyrus  XX,  c.  8. 

Honfred  erscheint  urkundlich  1150  (Paoli  33),  1156  (ibid.  35),  1157  (ibid.  36), 
1168  (Clamera  204),  1171  (Roziere  328). 


464  R  ö  li  r  i  c  h  t. 

war.  Bald  war  Nur  ed-din  entschlossen.  Er  gab  dem  Scliirküli 
200000  Dinare,  Pferde,  Kleider,  Waffen,  dieser  sammelte  erst  2000, 
dann  6000  Mann  und  traf  am  2.  December  1168  mit  seinem  kleinen 
Heere  in  Damascus  ein  ^).  In  Ras  al-mä  ^)  wurde  Musterung  gehalten. 
Nur  ed-din  gab  jedem  Reiter  ausser  seiner  Löhuung  noch  ein  Handgeld 
von  20  Dinaren  und  theilte  dem  Expeditionscorps  Männer  wie  Izz  ed-din 
Djürdik,  Izz  ed-din  Kilidsch,  Scharaf  ed-din  Bargasch,  'Ain  ed-daula 
el-Jarüki,  Kutb  ed-din  Jaunal  und  Saladin  zu;  der  letztere,  dem  noch 
die  in  Alexandrien  ausgestandenen  Mühsale  deutlich  in  Erinnerung 
waren,  fühlte  sich  durch  diesen  Auftrag  sehr  wenig  geehrt  ■^).  Schir- 
küh  brach  am  17.  December  1168  von  Ras  al-mä  auf. 

Auf  die  Nachricht  von  seinem  Anmärsche  zog  Amalrich  ab  nacli 
Bilbais,  wo  er  eine  Besatzung  zurückliess,  dann  nach  Faküs  (24.  Dec). 
Hier  empfing  er  von  Schäwer  durch  Schems  el-cheläfe  einen  Brief, 
worin  dieser  ihn  bat,  ihm  die  Hälfte  der  noch  rückständigen  Tribut- 
zahlung zu  erlassen^).  Amalrich  bewilligte  diese  Forderung,  zumal 
Schirküh  auf  dem  Wege  war,  und  traf  Anstalten  zur  Rückkehr,  doch 
gelang  es  ihm  nicht,  seinen  Gegner  zu  erreichen  und  zum  Gefecht  zu 
'  zwingen ;  er  entwischte  ihm. 

Daher  ging  der  König  nach  Bilbais,  zog  die  dortige  Besatzung 
an  sich  und  trat  am  2.  Januar  1169  seinen  Heimweg  an  s). 

Am  8.  Januar  1169^)  erschien  Schirküh  vor  Kairo  und  wurde 
vom  Chalifen  wie  von  den  geängstigten  Bürgern  mit  Freuden  auf- 
genommen, aber  die  schlaue  Bitte  Schäwers,  den  fliehenden  König 
Amalrich  zu  verfolgen,  erfüllte  er  nicht;  sein  Heer  sei  zu  sehr  er- 
schöpft und  der  König  schon  zu  weit.  Schäwer  war  auch  diesmal 
treulos  genug,  da  er  keine  seiner  Versprechungen  zu  erfüllen  sich  be- 
mühte, und  dachte  schon,  seinen  gefährlichen  Feind  bei  einem  Gast- 
male ermorden  zu  lassen,  allein  sein  eigener  Sohn  brachte  ihn  davon 
ab;  schliesslich  kam  Schirküh  ihm  zuvor,  indem  er  durch  den  Hm  weis 
auf  die  Treulosigkeit  Schäwers,  der  bald  die  Christen,  bald  die  syrischen 


')  Ibn  el-Atir,    Kamal  556—7   u.   Histor.  atab.  249—50;    Ibn  Abu  Tai    bei 
Reinaud,  Extr.  133,  Note.  ^)  An  der  grossen  Heerstrasse  von  Damascus  nach 

Gaza  zwischen  Szanamin  und  Tafs,  nicht  weit  von  Scheich  Miskin  (Quatermöre, 
Hist.  des  Maml.  II  B,  92,  note).  ")  Ibn  el-Ath-,  Kamrd  363 ;  Hist.  atab.  254  tt'. 

*)  Reinaud  132.  ••)  Ibn  el-Atir,    Kamfil  563.  ")  Ibn  Khallikan  IV,  490; 

Boha  ed-din  33 ;  Histor.  atab.  251.  Nach  Ibn  el-Atir,  Kamfil  558  wäre  er  erst 
am  8.  März  angekommen,  was  durch  die  folgenden  chronologischen  Angaben 
desselben  Autors  widerlegt  wird ;  ebenso  sind  die  aus  dem  Kamal  geflossenen 
Angaben  Kamal  ed-dins  330  falsch.  Abulfeda  37  liisst  ihn  gar  schon  den  8.  De- 
cember 1168  ankommen. 


I 


Amalnch  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174),  465 

Muselmäuuer  als  Freunde  gesucht,  auf  die  Gefahr  einer  christlichen 
Eroberung  des  Landes  und  seiner  unermesslichen  Hilfsquellen  den 
Zorn  seiner  Emire  entfachte  und  die  Beseitigung  dieses  Elenden?  als 
eine  Nothwendigkeit  hinstellte  i).  So  überfielen  denn  die  Verschworenen 
unter  Führung  Djürdiks  und  Saladins  den  Vezier  auf  dem  Wege  nach 
dem  Grabe  des  Schafi  am  Karafaberge  und  brachten  ihn  gefangen  in 
ein  Zelt;  da  der  Chalif  um  seinen  Kopf  bat,  wurde  er  hier  alsbald 
getüdtet  (18.  Januar  1169)  -).  Sein  Nachfolger  ward  Schirküh,  allein 
nur  zwei  Monate  und  fünf  Tage  erfreute  sich  dieser  der  neuen  Würde  ^) ; 
er  starb  in  Folge  seiner  starken  Esslust  am  23.  März  1169,  nachdem 
er  noch  den  Seinen  dringend  empfohlen  hatte,  Aegjpteu  nicht  mehr 
zu  räumen  *).  Die  Stelle  Schirkühs  nahm  jetzt  Saladin  ein,  der  auf 
Betreiben  des  Isa  Dhijä  ed-din  el-Hakkari  und  Boha  ed-din  Karjiküsch 
durch  den  Chalifen  zum  Mälik  an-Näsir  erhoben  wurde;  diese  Be- 
förderung beging  er  durch  ein  glänzendes  Freudenfest  ^). 

Saladin,  der  bald  das  Vertrauen  des  Chalifen  wie  die  Herzen 
seiner  Umgebung  gewonnen  hatte,  betrachtete  sich  anfangs  nur  als 
den  Statthalter  Nur  ed-dins,  dessen  Namen  er  auch  im  Freitagsgebet 
neben  dem  des  Chalifen  nennen  Hess.  Aber  allmählig  trat  er  immer 
selbstständiger  auf,  gab  seinen  Verwandten  die  einflussreichsten  Stel- 
lungen 6)  und  machte  den  Chalifen  immer  mehr  von  sich  abhängig, 
so  dass  Nur  ed-din  mit  steigender  Besorgniss  das  wachsende  Glück 
Saladins  sah.  Diesem  erwuchs  ein  neuer  Feind  in  den  Anhängern  des 
Chalifen ,  dessen  Herrschaft ,  abgesehen  davon ,  dass  sie  eben  das 
schiitische  Bekenntuiss  präsentirte,  also  deu  Gegensatz  zu  dem  sunni- 
tischen des  Saladin,  des  glücklichen  Eroberers  und  energischen  Macht- 
habers, schwach  und  milde  gewesen  war.  An  der  Spitze  jener  Un- 
zufriedenen stand  ein  schwarzer  Eunuch  Mutämen  el-chilafat,  der  sogar 
einen  Brief  an  König  Amalrich  um  Hilfe  schickte.  Der  Bote  wurde 
jedoch  unterwegs  abgefangen,  der  Anschlag  entdeckt  und  als  Verfasser 


')  Reinaud,  Extr.  1.34.  ^)  So  Ibn  el-Atir,  Kamrd  560 ;  Histor.  atab,  252 ; 

Boha  ed-din  34;  Ibn  Kliallikan  I,  609,  627;  IV,  491;  nach  Abulfeda  37:  am 
8.  Januar.  ^)  Die  Ernennungsurkunde    ist    zum  Theil  erhalten   bei  Abulfeda 

37—8.  *}  Ibn  el-Atir,  Kamal  561;    Hist.  atab.  253;  Boha  ed-din  34;    andere 

Daten  bei  Ibn  Khallikän  I,  627.  ^)  Ibn  el-Atir,  Kamal  564—5;  Ibn  Abfi  Tai" 

139.  Die  Ernennungsurkunde  fSaladins  befindet  sich  abschriftlich  in  der  Wetz- 
stein'schen  arabischen  Collection  auf  der  königl.  Bibliothek  zu  Berlin.  ")  Sein 

Vater  Nedjm  ed-din  kam  13.  April  1170  nach  Aegypteu  (Ibn  Khallikän  I,  245), 
schlug  aber  die  Emirswürde  aus  und  wurde  Schatzmeister  (Boha  ed-din) ;  er  starb 
am  9.  Aug.  1173,  während  Saladin  Karak  belagerte  (Ibn  Khallikän  I,  246;  Ibn 
el-Atir,  Kamfil  574;  Kamal  ed-din  337. 

Mittheilungen  XII.  30 


466  Röhricht. 

des  Briefes  war  ein  Jude  geständig.  In  den  ersten  Tagen  des  August 
1169  ward  Mutamen  getödtet  und  bald  darauf  sein  Anhang,  über 
5000  Negersoldaten,  massacrirt  ^). 

Inzwischen  waren  die  Christen  des  Königreichs  Jerusalem  sehr 
wohl  zur  Erkenntniss  gekommen,  dass  die  politische  Lage  desselben 
nach  dem  Verlust  Aegyptens  sehr  ernst  geworden  sei. 

Wilhelm  von  Tyrus  ^),  welcher  den  ruhmlosen  Ausgang  des  ganzen 
Feldzuges  nur  dem  Milo  von  Plancy  zuschreibt,  bricht  in  die  Worte 
aus:  ,,In  welche  verworrene  und  gefährliche  Lage  riss  uns  aus  der 
schönsten  Ruhe  die  masslose  Habsucht  heraus!  Die  Schätze  von 
Aegypten  und  alle  seine  unermesslichen  Reichthümer  standen  uns  zu 
Diensten,  unser  Königreich  war  auf  dieser  Seite  gesichert,  und  wir 
hatten  vom  Abend  her  Niemanden  zu  fürchten.  Wenn  wir  das  Meer 
befahren  wollten,  drohte  uns  keine  Gefahr;  die  Unsern  konnten  ohne 
Furcht  unter  guten  Bedingungen  Handelsreisen  nach  Aegypten  macheu, 
und  die  Aegypter  führten  fremde  Reichthümer  und  ganz  unbekannte 
Waaren  uns  zu,  und  ihr  Kommen  brachte  uns  immer  Nutzen  und 
Ehre  zugleich.  Ueberdies  vermehrte  der  unermessliche  Tribut,  den  sie 
jährlich  zahlten,  sowohl  den  königlichen  Fiskus  als  das  Vermögen  der 
Einzelnen.  Aber  jetzt  hat  sich  alles  zu  unserem  Schaden  verkehrt, 
die  Lage  hat  sich  geändert,  und  unsere  Freude  ist  in  Trauer  ver- 
wandelt. Wohin  ich  mich  wenden  mag,  von  allen  Seiten  droht  uns 
Gefahr.  Wir  .können  das  Meer  nicht  mehr  mit  Sicherheit  befahren, 
alles  benachbai-te  Land  ringsum  gehört  dem  Feinde,  und  die  angrenzen- 
den Reiche  rüsten  sich  zu  unserem  Verderben!" 

Aus  dieser  Erkenntniss  heraus  beschloss  man  durch  eine  ausser- 
ordenthche  Gesandtschaft  die  Hilfe  des  Abendlandes  anzurufen  3).  Der 
Patriarch  Amalrich  von  Jerusalem,  der  Erzbischof  Hernesius  von 
Caesarea  und  der  Bischof  Wilhelm  von  Accon  wurden  mit  Briefen  an 
den  Kaiser  Friedrich,    die    Könige    Ludwig*),    Heinrich    und  AVilhelm 


')   Ihn  el-Atir,  Kamal  567;  vgl.  Wüstenfeld  344-5  «)  Liber  XX,  c.  11. 

3)  Eruoul  24—5 ;  "Wilhelm  XX,  c.  13.  •*)  An  ihn  sind  bei  weitem  die  meisten 

Briefe  aus  dem  heil.  Lande  während  unseres  Zeitraumes  gerichtet;  König  Amal- 
rich bat  ihn  (1163  und  1164,  10.  April)  als  seinen  obersten  Patron,  den  die  Krone 
Jerusalems  gern  als  Oberlehnshen-n  anerkennen  wolle,  um  Hilfe  (Bongars  No.  9 
und  13);  der  König  von  Frankreich  sei  stets  der  natürliche  Protector  des  heiligen 
Grabes  gewesen  (Bongars  No.  4).  Ebenso  wandte  sich  der  Patriarch  Amalrich 
oft  genug  naf'h  Frankreich  mit  der  Bitte  für  die  Templer  (Bongars  No.  21),  für 
die  Leprosen  (ibid.  No.  5),  für  die  Brüder  des  heil.  Geistes  (Bongars  No.  19),  für 
die  Kirche  von  Nazareth  (Bouquet  XVI,  192—3),  ebenso  die  Templer  (Bongars 
No.  26)  und  Hospitaliter  (Bongars  No.  12;  Bouquet  XVI,  199-200),  die  Kirche 
des  heiligen  Grabes    (Bouquet  XVI,  200)   in    spe<'ielleu  Anliegen,    oder    um  Mit- 


Amalricli  L,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  467 

vou  Frankreich,  England  und  Sicilien,  an  die  Gmfen  Philipp,  Heinrich 
und  Thihaut  von  Flandern,  Troyes  und  Chartres  abgefertigt  (11G9)  ^), 
aber  in  der  auf  den  Tag  der  Abreise  folgenden  Nacht  brach  ein 
furchtbarer  Sturm  Ruder  und  Mast  des  Schiffes,  und  die  Gesandten 
mussten  nach  drei  Tagen  wieder  ans  Land  zurückkehren.  Hierauf 
gingen  an  ihrer  Stelle  der  Erzbischof  Friedrich  vou  Tyrus,  der  Bischof 
Johann  von  Baniäs,  Guibert,  Präceptor  der  Hospitaliter,  und  Arnulf 
von  Lundast  ab  und  kamen  im  Juli  1169  glücklich  zu  Alexander  IIL, 
dem  sie  die  Gefahr  des  heiligen  Landes  schilderten  -),  Von  da  gingen 
sie  nach  Paris,  wo  sie  im  September  eintrafen  ^),  ihre  Schilderungeu 
und  Bittrufe  wiederholten  und  dem  Könige  ausser  den  Briefen  Amal- 
richs  auch  die  Schlüssel  der  Thore  Jerusalems  überreichten.  Der 
König  las  und  vernahm  zu  Thränen  gerührt  die  Erzählung  von  der 
Noth  und  Gefahr  des  heiligen  Landes,  aber  erklärte  nicht  helfen  zu 
können,  da  der  König  von  England  ein  böswilliger  Nachbar  sei;  die 
Gesandten  möchten  daher  an  ihn  zunächst  sich  wenden.  Als  sie  nun 
in  England  erschienen,  hörte  sie  König  Heinrich  luit  nicht  geringerer 
Rührung  als  König  Ludwig,  aber  sie  richteten  ebensowenig  aus  wie 
dort.  Vergeblich  baten  sie  ihn,  mit  Frankreich  Frieden  zu  machen, 
um  so  eine  Unterstützung  des  Königreiches  Jerusalem  zu  ermöglichen ; 
der  König  hielt  sie  von  Tag  zu  Tag  hin,  so  dass  sie  unverriehteter 
Sache  wieder  nach  Frankreich  zurückkehren  mussten.  Erst  nach  zwei 
Jahren,  nachdem  in  Paris  Bischof  Johann  von  Baniäs  gestorben  war  *), 
kam  Erzbischof  Friedrich  von  Tyrus  in  die  Heimath  von  seiner  erfolg- 
losen Reise  zurück. 


thoilungen  über  die  Lage  des  heiligen  Landes  dem  Könige  oder  dem  Erzbischof 
Heinrich  von  Rheims  zu  übersenden.     Ueber  Hernesius  vgl.  ZDPV.  X,  12. 

')  Von  diesen  Briefen  ist  bis  jetzt  uns  keiner  bekannt  geworden.  '-)  Epist. 

Alexand.  (29.  Juli  1169)  bei  Bouquet  XV,  880.  Ein  Empfehlungsschreiben  für 
diese  (Gesandten,  dem  auch  eine  oberflächliche  beschichte  des  letzten  Feldzuges 
eingeflochten  ist,  siehe  bei  Bouquet  XVI,  187-8,  ein  anderes  ibid.  151—2 
(auch  bei  Bongars  No.  6)  und  von  Alexander  IIL  vom  29.  Juli  1169  (Marteue, 
Collect.    LI,   750).     Ueber   Bischof  Friedrich   vgl.   ZDPV.   X,    17.  »)  Epistol. 

Joann.  Saresber.  (Bouquet  XVI)  607;  Lamb.  Waterl.  (ibid.  XII)  529;  eine 
Quelle  sind  auch  die  Annal.  Camerac.  (Mon.  Germ.  SS.  XVI)  550—1,  die  eine 
Geschichte  des  Feldzuges  von  1168  enthalten  (547—8),  viele  eigene,  jedoch 
werthlose  Nachrichten  bieten.  Ueber  die  Verhandlungen,  welche  in  jener  Zeit 
zwischen  Fiankreich  und  England  wegen  eines  Kreuzzuges  geführt  wurden, 
vgl.  die  erschöpfende  Darstellung  bei  Reuter,  Alexander  III,  vol.  II,  481—2, 
626;  III,  561  —  93,  welche  kurz  resummirt  ist  in  Röhricht,  Beitr.  II,  119—21. 
*)  Er  ward  in  der  Kirche  St.  Victor  begraben  (Bouquet  XV,  880) ;  vgl. 
ZDPV.  X,  29. 

30" 


468  R  ö  h  r  i  c  h  t. 

Wir  haben  oben  erzählt,  dass  König  Amah'ich  und  Kaiser  Manuel 
sieh  zu  einem  gemeinsamen  Angriflfe  auf  Aegjpten  verbündeten;  die 
Ausführung  dieses  Planes  kam  1169  wirklich  zu  Stande,  Am  8.  Juli 
segelte  ein  Theil  der  griechischen  Flotte  unter  Audronicus  von  Kon- 
stantinopel ab,  nach  Melibotus,  wo  Androuicus  die  nöthigen  Befehle 
empfing,  über  Koila,  wo  er  Kerntruppen  und  Söldner  an  Bord  nahm; 
auf  der  Höhe  vor  Cyperu  caperte  er  zwei  feindliche  Fahrzeuge  und 
landete  dann  glücklich  in  Cypern.  Von  hier  aus  schrieb  er  an  Amal- 
rich  imd  bat  um  Auskunft,  ob  er  in  Cypern  ihn  erwarten,  oder  selbst 
nach  Jerusalem  kommen  solle,  um  den  Feldzugsplau  festzustellen. 
Nach  langem  Warten  erhielt  er  endlich  die  Antwort,  er  solle  nach 
Jerusalem  kommen. 

Inzwischen  war  ein  anderer  Theil  der  gi-iechischen  Flotte  unter 
Theodor  Maurezun,  dem  sieh  wohl  auch  Graf  Alexander  von  Conversana 
aus  Apulien  angeschlossen  hatte,  dem  Andronicus  mit  60  Schiffen 
vorausgesegelt;  als  nun  auch  Andronicus  mit  seinem  Geschwader  Ende 
September  im  Hafen  von  Tyrus  erschien,  waren  150  lange  Schuabel- 
schiffe  mit  je  zwei  Ruderbänken,  60  grössere  Transportschiffe,  10 — 12 
Dromoneu  versammelt.  Diese  ganze  Flotte  ging  von  Tyrus  nach 
Accon  1). 

Endlich  Anfang  Oktober  war  man  im  Kriegsrathe  einig,  Tanis 
und  Tuni  2)  zu  belagern,  und  Amalrich  sammelte  am  15.  Oktober  1169, 
nachdem  er  noch  die  genügende  Truppenmacht  zum  Schutz  des  Landes 
zurückgelassen  hatte,  sein  Heer  bei  Ascalon,  wo  auch  die  gi'iechischeii 
Landtruppen  zu  ihm  stiessen,  während  die  Flotte  bereits  abgesegelt 
war.  Am  16.  Oktober  trat  er  seinen  Marsch  an  und  erreichte  auf 
Umwegen,  da  die  Küste  vom  Meere  stark  überschwemmt  war,  am 
neunten  Tage  Faramiah,  am  elften  Damiette  (27.  Oktober)  •^);  drei  Tage 
später  erschien  auch  die  Flotte  vor  dieser  Stadt,  konnte  aber,  da  der 
Hafen  durch  eine  Kette  versperrt  war,  nicht  einlaufen  ^). 


*)  Nicetas  301  (der  auch  über  200  Schiffe  nennt,  von  denen  zehn  aus  Epi- 
damnus,  sechs  aus  Negroponte  kamen,  während  Ibn  el-Atir  in  der  Hist.  atab. 
2G0:  300,  aber  im  Kamal  568  [auch  in  Amari,  Storia  dei  musulmaui  IH  B.,  505] 
und  Makrizi  ed.  Hamaker  22  übertrieben:  120Ü  Schiffe);  Wilhehu  von  Tyrus  XX, 
c.  14  —  5;  Dandolo  (Muratori  SS.  XII)  nennt  nur  100  Schiffe.  »j  Nicetas  303 

(vgl.  annotat.  390 — 2) ;    Cinnamus  299.  ^)   Dessen   Commandaut   Schems  el- 

khawass  Mankuwirasch  war  (Ibn  el-Ath",  Kamäl  568  u.  Histor.  atab.  258) ;  diese 
Quellen  setzen  als  Anfang  der  Belagerung  den  Beginn  des  Safar  (25.  Oktob.  — 
23.  Nov.),  ebenso  Makrizi  (bei  Hamaker  23),  welcher  (22)  die  von  den  Griechen 
und  Lateinern  gehoffte  Unterstützung  der  ägyptischen  Christen  (Nicetas  303 ; 
vgl.  Cinnamus  299)  als  wirklich  erfolgt  bestätigt.  ■*)  Nach  Marino  Sanuto  171, 

der   sonst   nur    eine    starke  Verkürzung   des  Wilhelm  von  Tyrus  lür  unsere  Zeit 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  469 

Man  zögerte  mit  dem  Angriff  drei  Tage,  während  von  Süden  her 
die  Stadt  sich  mit  Hilfstruppen  füllte  i),  so  dass  die  Belagerten  den 
Belagerern  durch  tapfere  Gegenwehr  viel  zu  schaffen  machen  konnten. 
Endlich  war  ein  hölzerner  Belagerungsthurm  von  sieben  Stockwerken 
Höhe  fertig  und  wurde  gerade  an  die  festeste  Stelle  der  Mauer 
herangerückt,  an  die  eine  Marienkirche  anstiess  2),  so  dass  diese  grossen 
Schaden  litt  3). 

Die  Belagerung  wurde,  wie  lateinische  und  griechische  Quellen 
einstimmig  berichten,  von  Amalrich  sehr  lau  betrieben,  so  dass  man 
im  Lager  sogar  von  Verrath  zu  sprechen  wagte.  Bald  kam  auch  der 
Hunger  in  das  griechische  Heer,  da  Andronicus  mm  für  drei  Monate 
Proviant  mitgenommen  hatte;  die  unglücklichen  Griechen  mussten  sich 
von  Wurzeln,  Palmenmark,  weichen  Zweigspitzen,  Haselnüssen,  ge- 
trockneten Trauben  und  Kastanien  nähren,  während  Amalrich  ge- 
nügende Vorräthe  besass,  aber  sie  so  sehr  schonte,  dass  er  sogar  seinen 
darlienden  Waffengefährten  nichts  abgab,  ja  seinen  Lagerplatz  aus  ihrer 
Nähe  rückte.  Dazu  kamen  öftere  wolkenbruchartige  Kegengüsse,  und 
ausserdem  noch  verbreitete  sich  die  Nachricht,  es  rücke  ein  Entsatz- 
heer heran.  Endlich  wurde  die  Flotte  durch  feindliche  Brander  ge- 
fährdet und  sechs  Galeeren  sogar  wirklich  verbrannt.  So  war  bald 
im  Belagerungsheere  Noth  und  Muthlosigkeit  eingerissen,  und  durch 
einen  kleinen  Sieg  die  Hoffnung  belebt  zu  sehen,  ward  den  Christen 
nicht    vergönnt,    da    die  Belagerten  nur  selten  einen  Ausfall  machten. 


bietet,  war  der  Hafen  durch  zwei  Ketten  geschlossen ;  vgl.  Röhricht,  Quinti  belli 
sacri  scriptores  minores  XIX,  XLVIIl. 

1)  Saladin  schickte  in  die  S1  adt  den  Mamluken  Takt  ed-din  Omar,  Schihab 
ed-din  el-Haremi,  Boha  ed-din  Karaküsch  und  wandte  eine  halbe  Million  Dinare 
(der  Chalif  eine  ganze  Million)  auf  (Wüstenfeld  347).  Seine  Lage  war  trotzdem 
höchst  bedenklich;  denn  er  schrieb  mit  Recht  an  Nur  ed-din:  »Wenn  ich  mich 
von  Damiette  entferne,  so  werden  es  die  Franken  einnehmen,  und  wenn  ich  da- 
hin gehe,  so  behalte  ich  die  Aegypter  im  Rücken,  die  sich  meinem  Gehorsam 
entziehen  und  mir  auf  dem  Fusse  folgen  werden;  wenn  wir  diese  im  Rücken 
und  die  Franken  in  der  Front  haben,  wird  von  uns  nichts  mehr  übrig  bleiben"' 
(Ibn  el-Atir,  Kamäl  569—70  u.  Hist.  atab.  259).  -)  Wo  Josef  und  Maria  auf 

der  Flucht  gerastet  haben  sollen  (Nicetas  305) ;  vgl.  annot.  394.  Eine  Jacobiten- 
kirche  el-Mo'alla  erwähnt  auch  unter  dem  Namen  der  Jungfrau  Makrizi,  Gesch. 
d.  Kopten  (ed.  Wüstenfeld  in  Götting.  Academ.  Abhandl.  1847)  142 ;  eine  genue- 
sische Marienkirche  erwähnt  Heyd  I,  427;  II,  433.  ^)  Nur  ed-din  war  durch 
die  Belagerung  Damiettes  in  schwere  Bestürzung  versetzt.  'Imäd  ed-din  (Reinaud, 
Extr.  144—5)  erzählt,  dass  als  die  Nachricht  hiervon  eben  eintraf,  da  man  einige 
lächerliche  und  scherzhafte  Anekdoten  und  Aussprüche  des  Propheten  vorlas,  er 
seiner  Umgebung  Mässigung  befahl  mit  den  Worten:  »Welche  Schande  ist  es 
zu  lachen,  wenn  man  weiss,  dass  die  Muselmänner  von  Damiette  in  Gefahr  sind!* 


470  Röhricht. 

Endlich  beschloss  Audronicus  mit  seineu  Griechen  alkin,  deren 
Tapferkeit  die  Quellen  ein  rühmliches  Zeiigniss  geben,  einen  Sturm 
zu  wagen.  Er  rief  die  Seinen  um  sich,  feuei^te  sie  durch  eine  Rede 
an  und  Hess  den  Sturm  beginnen,  aber  plötzlich  erschien  ein  Herold 
des  Königs  mit  der  Nachricht,  die  Bürger  hätten  mit  ihm  Unterhand- 
lungen wegen  der  üebergabe  eröffnet.  Und  in  der  That  war  es  so; 
durch  die  Bemühungen  eines  Türken  „Jevelin"  war  man  bald  einig; 
die  Stadt  öffnete  sich  und  der  freie  Verkehr  begann.  Die  ganze  Be- 
lagerung hatte  50  Tage  gedauert  i).  Nachdem  die  Maschinen  und  das 
sonstige  Belagerungsgeräfch  verbraunt  worden  waren,  brach  die  Flotte 
der  Griechen  am  4.  December  auf,  die  jedoch  erst  nach  schweren 
Verlusten  durch  Stürme  wieder  Konstantiuopel  erreichte.  Drei  Tage 
nachher  trat  auch  der  König  den  Rückweg  an.  Ihn  begleitete  Au- 
dronicus zu  Lande  nach  Tyrus,  wo  sie  gemeinschaftlich  das  Weihnachts- 
fest begingen,  und  reiste  dann  zu  Lande  über  Iconium  uach  Hause. 
So  war  die  ganze  Unternehmung  wieder  gescheitert,  wie  die  Griechen 
sagten,  durch  die  Schuld  des  Königs,  weil  er  sich  habe  bestechen 
lassen,  oder  weil  die  ursprünglich  verabredete  gleiche  Theilung  Aegyp- 
teus  ihm  nicht  nach  Wunsch  gewesen  sei  und  er  für  sich  die  gauze 
Beute,  für  sie  aber  die  ganze  Last  des  Krieges  bestimmt  hätte;  die 
lateinischen  Christen  schoben  hingegen  die  Schuld  auf  die  ungenügende 
Ausrüstung  und  Verproviantirung  des  griechischen  Heeres  =^). 

Die  Niedergeschlagenheit  über  diesen  elenden  Ausgang  eines  mit 
so  grossem  Kraftaufwande  unternommenen  Feldzuges  wurde  noch  ver- 
mehrt durch  einen  Streifzug  Nur  ed-dins  gegen  Karak  in  der  Moa- 
bitis.  Ln  Februar-März  1170,  als  er  auf  den  Wunsch  Saladius  ihm 
dessen  Vater  Nedjm  ed-din  mit  einer  starken  Abtheiluug  Bewaffneter 
zuschickte  ^).    liess    er    zugleich    eine   Bewegung    gegen   jene    wichtige 


1)  Nicetas  306—9;  Wilhelm  XX,  c.  17—8.  Diese  Zahl  bei  Ihn  el-Atir,  Kamal 
370,  Hist.  atab.  260  und  Nicetas  306  (Bedenken  gegen  dieselbe  siehe  in  den 
annotat.  ad  Nicet.  395—6),  ebenso  bei  Ibn  Chaldnn  (Aniari,  Bibliot.  arabo  sicula. 
Versione  II,  239),  während  Makrizi  (ed.  Hamaker  22,  58)  die  Dauer  auf  55  Tage 
angiebt  (Amari,  Storia  III,  505),  so  dass  der  Beginn  der  Belagei-ung  am  23.  Ok- 
tober anzusetzen  wäre.  Die  Historia  atab.  260  setzt  den  Aufbruch  des  Be- 
lagerungsheeres den  17.  December  an,  wonach  dann  am  28.  Oktober  (bei 
50tägiger  Belagerung)  der  Beginn  derselben  angenommen  wird.  '■')  Cinnamus 

300;  Nicetas  310  (vgl.  Mich.  S.>tus  369,  370):  Wilhelm  von  Tyrus  XX,  c.  18.  Die 
Nachricht  des  Nicetas  300,  dass  die  Aegypter  trotz  dieser  Niederlage  der 
Griechen  und  I-ateiner  Manuel  einen  jährlichen  Tribut  versprochen  hätten,  der 
aber  von  diesem  abgewiesen  worden  sei,  vordient  ohne  Zweifel  keinen  Glauben. 
■*)  Vgl.  oheu  465,  Note  6;  Lbn  elAtir,  Kamal  570— 1  und  Histor.  atab.  260.  Bohfi 
ed-din  36  setzt  diesen  Zug  in  die  Monate  April— Mai. 


» 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  471 

Festung  imteruelimeu,  aber  vor  einem  kleinen  Eutsatzlieere,  das  Hou- 
fred  von  Toron  heranführte,  zogen  die  MusUmen  sich  allmählig  zurück. 
Nur  ed-din  ging  von  hier  aus  mitten  durch  das  Land  Amabichs  unter 
furchtbaren  Verwüstungen  und  lauerte  bei  Aschtera  ^)  auf  einen  Vor- 
stoss  der  Christen,  aber  sie  unternahmen  nichts.  Vielleicht  hätten  sie 
sich  zu  einem  Angriflfe  bereit  gefunden,  wenn  nicht  indessen  (29.  Juni 
1 170)  ein  furchtbares  Erdbeben  das  ganze  nördliche  Syrien  heimgesucht 
und  ihre  Kräfte  o-elähmt  hätte.  Antiochien  ward  zur  Hälfte  zerstört, 
darunter  die  berühmte  St.  Peterskirche;  40000  Menschen  und  Thiere 
sollen  hier  umgekommen  sein  2).  Tripolis  mit  seiner  grossen  Marien- 
kirche, Gribel,  Laodicea,  Tyrus,  Arakä  ^),  Beiinas,  ebenso  aber  auch 
Aleppo,  Bagras,  Schaisar,  Hama,  Hims,  Harem  wurden  schwer  be- 
schädigt; ja  selbst  in  Damascus,  in  Mosul,  Irak,  Djezira  wurden  die 
fürchterlichen  Erdstösse  verspürt^).  In  Folge  dessen  wagten  Christen 
wie  Muselmänner  keine  grössere  kriegerische  Unternehmung  gegen 
einander;  nur  am  4.  Juli  1170  kam  es  bei  Al-Labuah  in  der  Nähe 
von  Baalbek  zu  einem  Gefecht. 

Schihäb  ed-din  Muhammed,  Fürst  von  Elbira,  war  mit  200  Eeitem 


')  Wohl  identisch  mit  Busra  im  Haurän  (Wetzstein,  Reisebericht  108  —  11; 
Nöldeke  in  Zeitschr.  d.  Deutsch.  Morgen!.  Gesellsch.  XXIX,  431).  -)  Barhe- 

braeus,  Chron.  syriac.  370—1;  Histor.  Dynast.  354,  363;  Annal.  Pisani  (Mon. 
Germ.  SS.  XIX)  259.  ^)  Die  durch  Erdbeben  zerstörten  Festungen  Arakä  und 

Djebel-Akkär  schenkte  Amalrich  1170  den  Hospitalitern  (Paoli  I,  51,  No.  51), 
denen  er  bereits  1165  (7.  April)  auch  einige  C;. sahen  überwiesen  hatte  (ibid.  I, 
241,  No.  197),  und  bestätigte  1174  (19.  April)  ihnen  mehrere  Einkünfte  (ibid.  I,  244, 
No.  201),  schenkte  ihnen  auch  1174  (Juni)  eine  Strasse  in  Jerusalem  (ibid.  I, 
243—4,  No.  200);  dem  deutschen  Orden  gab  er  1173  (26.  März)  mehrere  Ein- 
künfte (Strehlke  7—8,  No.  6) ;  eine  andere  Urkunde  für  denselben  Orden  von 
1177  (17.  üktob.)  ist  sicher  unecht  (Strehlke  9,  No.  8),  wo  die  Indiction  nur  auf 
1166  passt,  hingegen  ist  die  vom  3.  Juli  1174  für  Philipp  Rufus  (Strehlke  8, 
No.  8)  mit  Unrecht  für  unecht  erklärt  worden,  da  Strehlke  aus  Wilken  noch  als 
Todesjahr  Amalrichs    1173    annahm.  ^)    Bohä  ed-din  36;    Ibn  Khallikän  II, 

342,  344;  Ibn  el-Atir,  Kamäl  572  u.  Hist.  atab.  261;  Michael  Syrus  370  —  1; 
Chron.  de  la  pet.  Armenie  624;  Table  chronolog.  476;  Rob.  de  Monte  1170  (ed. 
Delisle  II,  20)  u.  daraus  Chron.  Triveti  66;  Annal.  Pisani  (Mon  Germ.  SS.  XIX) 
259—60;  Chron.  Danduli  (Muratori  SS.  XII)  191;  Annal.  Flor.  (Mon  Germ.  XVI) 
625;  Guillaume  de  Nang.  (Bouquet  XX)  738;  Chron.  Uticense  (ibid.  774;  Wilh. 
V.  Tyrus  XX,  c.  19  (woraus  Marinus  Sanutus  l7l);  Chron.  T.  Sanctae  in  Giovene, 
Kalendaria  vetera  niss.,  Napoli  1728,  I,  9  (die  hier  abgedruckte  Chronik  ist  völlig 
identisch  mit  dem  Chronicon  T.  Sanctae,  welches  Röhricht  aus  Cod.  Paris.  5689° 
u.  17555  in  Archives  II  B,  431—2  edirte);  vgl.  auch  Bibl.  de  l'ecole  des  chartes 
IV  Serie,  III;  31.  Auch  Alexander  in.  erwähnt  dieses  Erdbebens  und  eines  üeber- 
falles,  den  die  Feinde  gegen  die  Einwohner  von  Nazareth  verübt  hatten,  8.  De- 
cember  1170  (Martene,  Collect.  II,  864;  Bouquet  XV,  893—4). 


472  Röhricht. 

auf  dem  Marsche  uach  Aschtera  zu  Nur  ed-diu  und  traf  unterwegs 
auf  800  christliclie  Keiter,  die  auf  einem  Plünderungszuge  sich  be- 
fanden. Die  Muslimen  waren  siegreich  gegen  ihre  Erwartung;  „denn 
sonst  würden  1000  Reiter  von  ihnen  der  Charge  von  300  fränkischen 
Kitteru  nicht  widerstanden  haben"  i),  und  Schihäb  ed-din  schickte  die 
Gefangenen  sowie  die  Köpfe  der  Gefallenen  an  Nur  ed-din,  der  unter 
den  letztern  auch  den  Kopf  des  Hospitalitercomthurs  vom  Kurden- 
schlosse zu  erkennen  glaubte. 

Ein  neuer  Schrecken  kam  über  die  Christen,  als  sie  hörten,  dass 
Saladin  mit  40  000  turkomanischen  Reitern  im  Anmärsche  sei  ''^).  Der 
König  eilte  (Dec.  1170)  sofort  nach  Ascalon;  aber  Saladin  hatte  schon 
die  Unterstadt  von  Darum,  die  Amalrich  als  Zollstätte  erbaut  hatte, 
erobert  und  die  durch  Anselm  von  Pass  vertheidigte  Citadelle  eng 
eingeschlossen.  Der  König  brachte,  da  nur  wenige  seinem  Aufgebot 
folgten,  250  Ritter  und  gegen  2000  Mann  Fussvolk  ausser  den  Templern 
zusammen,  ausserdem  schlössen  sich  der  Patriarch  mit  dem  heiligen 
Kreuz,  Bischof  Radulf  von  Bethlehem  und  der  Bischof  von  Lydda  ihm 
an;  am  18.  December  marscliirte  er  von  Ascalon  nach  Gaza  ab.  Als 
er  von  hier  weiter  zog,  sah  er  schon  von  Ferne  das  weite  Lager  der 
Feinde,  und  voll  Bangen  schloss  das  kleine  Corps  sich  so  dicht  und 
eng  zusammen,  dass  es  kaum  von  der  Stelle  kam.  Einen  wüthenden 
Angriff  der  Reiterschaaren  wiesen  die  Christen  ab  und  rückten  in 
geschlossenen  Gliedern  bis  zu  der  bedrohten  Citadelle,  in  die  sie  den 
Patriarchen  mit  dem  heiligen  Kreuze  schickten.  Saladin  wich  einem 
weiteren  Kampfe  am  Abend  aus  und  lagerte  sich  am  „Bach 
Aegypteus",  um  am  anderen  Morgen  vor  den  Mauern  Gazas  wieder 
zu  erscheinen. 

Die  Einwohner  dieser  Stadt  wollten,  da  ihnen  die  Stadtmauern 
nicht  Schutz  genug  versprachen,  nach  der  Citadelle  flüchten,  aber  Milo 
von  Plancy  hielt  sie  zurück  und  stellte  65  junge  Männer  aus  Maho- 
meria  (Al-Biräh)  bei  Jerusalem,  die  dem  Könige  nachgezogen  waren 
und  in  Gaza  Herberge  gesucht  hatten,  zur  Vertheidigung  der  Tliore 
auf.  Bald  war  aber  dies  Häuflein  überwältigt,  und  ein  grässliclies 
Morden  begann  unter  den  Einwohnern,  denen  auch  jetzt  noch  die 
Flucht  in  die  Burg  verwehrt  wurde.  Dann  zog  Saladin  wieder  auf 
Darum  los,  hieb  unterwegs  noch  eine  kleine  Schaar  von  50  christ- 
lichen  Soldaten,    welche    zum   Heere    des    Königs    eilten,    nieder    und 


•)  Ibn  el-Atir,  Kami'il  571  u.  llistor.  atal>.  2b'3.  Im  Kanial  575  lesen  wir 
sogar  das  Zeugniss  Nur  ed-dins:  »Die  Franken  sind  die  Tapfersten  unter  den 
Sterblichen*.  *)  Wilhelm  von  Tyrns  XX,  c.  20— 3:  Ibn  el-Atir,  Kamäl  577  er- 
wähnt diesen  Znif  nur  tjanz  kurz. 


Amalricli  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  473 

theilte  iu  Darum  sein  Heer  iu  zwei  Abtheilungen,  von  denen  die  eine, 
22  Schaaren  stark,  au  der  Küste,  die  zweite,  20  Schaaren  stark,  ihr 
parallel  mitten  im  Laude  marschirte.  Die  Christen  hatten  anfangs  die 
Al)sicht  ihren  Eückmarsch  zu  stören,  machten  auch  kleine  Augrifte, 
aber  die  Feinde  Hessen  sich  in  keinen  Kampf  ein  und  zogen  ab.  Hier- 
auf kehrte  Amalrich,  nachdem  er  Darum  stärker  befestigt  und  eine 
Besatzung  hineingelegt  hatte,  nach  Ascalon  zurück  ^). 

Saladin  war  kaum  wieder  in  Kairo  eingetroffen,  als  er  sofort  sich 
zu  einem  neuen  Feldzuge  rüstete.  Er  Hess  Schiffe  zerlegt  auf  Karaeelen 
nach  Ailah  transportiren,  dort  zusammenfügen  und  Ailah  angreifen; 
schon  gegen  Ende  December  war  er  Herr  der  Stadt,  wo  er  viele  Chri- 
sten gefangen  nahm.  Hierauf  ging  er  nach  Alexandrien  und  Hess  die 
Stadt  stärker  befestigen^). 

Diese  glückHchen  Unternehmungen  Saladins  verfolgte  mit  nicht 
geringerer  Sorge  wie  Amalrich  auch  Nur  ed-din.  Er  forderte,  um 
seines  Gehorsams  sicher  zu  sein,  von  ihm,  statt  den  Schntenchalifen 
el-Adhid,  den  Namen  des  Chalifen  von  Bagdad  el-Mustandjit  im  Frei- 
tagsgebet nennen  zu  lassen,  aber  Saladin  zögerte  mit  der  Ausführung, 
bis  endlich  der  Tod  el-Adhids  (13.  September  1171)  ihn  aHer  Weite- 
rungen überhob,  worauf  er  den  Befehl  Nur  ed-dins  erfüllte  3).  Er 
setzte  sich  ohne  Schwierigkeit  in  den  Besitz  des  Schlosses  und  der 
hinterlassenen  Schätze  des  Chalifen  und  kettete  durch  äusserst  frei- 
gebige Vertheilung  derselben,  unter  denen  700  SoHtairs  und  eine 
BibHothek  von  zwei  Millionen  Bänden  hervorzuheben  sind,  seine 
Freunde  noch  enger  an  sich*). 

Am  23.  September  trat  Saladin  eine  Expedition  gegen  Schaubek 
an,  um  diese  wichtige  Festung,  welche  mit  Karak  zusammen  die  Kara- 
wanenstrasse  von  Syrien  nach  Aegypten  beherrschte,  für  sich  zu  er- 
obern; Nur  ed-din  schrieb  ihm  sofort,  er  werde  mit  ihm  unter  den 
Mauern  jener  Festung  zusammentreffen.  Saladin  jedoch  ahnte  für  sich 
nichts  Gutes  von  einer  solchen  Zusammenkunft  und  gab  daher  die 
Belagerung    auf,    trotzdem    die    Besatzung,    arg   bedrängt,    sich   bereit 


1)  Ernoul  15.  ^)  Ibn  el-Ativ,  Kamrd  578.  ")  i\,n  el-Ativ,  Kamal  580 

u.  Histor.  atab.  283 ;  Boha  ed-din  38  (woraus  Ibn  Khallikan  II,  74).  Die  Christen 
schoben  Saladin  die  Schuld  seines  Todes  zu  (Histor.  patriarch.  ed.  Renaudot  535. 
der  sonst  den  Ibn  el-Atir  stark  atisschreibt ;  Sigeb.  Contin.  Aquicinct.  411;  Wil- 
helm von  Tyi-us  XX,  c.  12,  Albericus  [Mon.  Germ.  SS.  XXIII]  853);  die 
Anklage  gegen  den  Chalifen  wegen  Heterodoxie  hatte  Nedjm  ed-din  Kubuschfini 
formulirt  (Ibn  Khallikfin   II,  G45).  ")  Histor.    patriarch.  530.     Die    Sage    von 

einer  wunderbaren  Prophezeiung,  die  Saladins  Crosse  vorausgesagt  haben  soll, 
aber  von  ihm  durch  List  erfüllt  wurde,  siehe  bei  Ernoul  37,  40 — 1. 


474  Röhricht. 

erklcärt  hatte,  nach  Ahlauf  von  zehn  Tagen,  wenn  kein  Entsatz  er- 
scheinen sollte,  zu  capituliren ;  er  entschuldigte  sich  Nur  ed-din  gegen- 
über, seine  Stellung  in  Aegypten  sei  gegen  revolutionäre  Bewegungen 
der  Aliden  noch  nicht  sicher  genug,  um  einen  längeren  Aufenthalt 
ausserhalb  des  Landes  und  einen  längeren  Krieg  wagen  zu  dürfen 
(Oktob.  1171)  ^).  Xür  ed-din  verstand  sehr  wohl,  dass  Saladin  ihm 
um  jeden  Preis  ausweichen  wolle,  und  beschloss  durch  den  Einmarsch 
in  Aegypten  den  gefährlichen  und  nach  der  Alleinherrschaft  strebenden 
Emir  zur  Unterwürfigkeit  zu  zwingen,  weshalb  dieser  nun  mit  seinen 
Getreuen  berathschlagte,  was  in  diesem  Falle  zu  thun  sei.  Die  einen 
riethen  der  Gewalt  die  Gewalt  entgegenzusetzen,  die  anderen  und  zwar 
besonders  der  eigene  Vater  Saladins  Nedjm  ed-din  Ejjüb  empfahl  ihm 
direkte  und  unbedingte  Unterwerfung;  Saladin  befolgte  diesen  letzteren 
Kath,  versicherte  den  Atäbek  seines  Gehorsams  und  blieb  von  Nur 
ed-din  wieder  unangefochten  '^). 

Um  dieselbe  Zeit  (Oktob.  1171)  segelten  nach  der  syrischen  Küste 
zwei  muslimische  Schilfe  und  gingen  an  der  Insel  bei  Laodicea  vor 
Anker;  die  Christen  aber  caperten  dieselben  und  verletzten  so  den 
Waffenstillstand  3). 

Eine  Remonstration  von  Seiten  Nur  ed-dins  war  fruchtlos,  wess- 
halb  dieser  die  Umgegend  von  Antiochien  und  Tripolis  verwüstete. 
Er  gewann  die  im  Januar  1170  von  den  Christen  eroberte  Festung 
Akkär  wieder  ^),  ebenso  die  wohl  um  dieselbe  Zeit  verlorene  Unterstadt 
von  'Araka,  auch  die  Burgen  'Arima  uud  Säfithä;  während  letztere  von 
seinen  Unterfeldherrn  genommen  wurden,  ging  er  selbst  von  'Araka 
gegen  Tripolis  vor  und  liess  Antiochien  selbst  bedrohen.    Die  Christen 


0  Boha  ed-din  38—9;  Ihn  el-Atir,  Kamal  581—2  u.  Histor.  atab.  286—7. 
Oft'enbar  beziehen  sich  auf  diesen  Feldzug  die  Nachrichten  Wilhelms  XX,  c.  29, 
dass  Saladin  in  der  Wüste  nach  einem  Orte,  den  er  ,  canellum  Turcorum  *  nennt, 
gekommen  sei ;  Araahich  ging  ihm  mit  dem  Patriarchen  und  dem  heiligen  Kreuz 
entgegen  bis  Bersaba  und  schlug  hier  sein  Lager  auf,  16  Meilen  von  Saladin, 
zog  aber,  dem  Feinde  ausweichend,  nach  Ascalon  und  Dfirüm.  dann  wieder  nach 
Bfr.saba.     Saladin  belagerte  indess  Montroyal.  -)  Ibn  el-Attr,  Kamfil  582—3 

u.  Histor.  atab.  287  —  9.  ^)  Ibn  el-Atir,  Kamal  584—5  u.  Hist.  atab.  281—2. 

Die  hier  genannten  Festungen  wurden  schon  oben  454  als  erobert  erwähnt. 
Michael  Syrus  356  erzählt,  Raynald  v.  Chatillon  sei  damals  mit  120  oder  150 
Heitern  und  500  Mann  Fussvolk  in  einen  Hinterhalt  gefallen  und  gefangen  ge- 
nommen worden  (ofi'enbar  eine  Verwechslung  mit  dem  oben  471  erwähnten 
Ueberfall  von  Al-Labuah,  abgesehen  davon,  dass  Raynald  schon  längst  Gefangener 
war).  Ebenso  werthlos  ist  die  Notiz,  dass  1000  Chi'isten  in  diesem  Feldzuge  ge- 
fangen werden  seien  und  Amalrich  sich  gegen  Haleb,  wie  Nur  ed-din  gegeii 
Jerusalem  gewandt  habe,  ohne  dass  beide  etwas  ausgerichtet  hätten.  ••)  Bohfi 

ed-din  36. 


I 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162  —  1174).  475 

boten  Frieden  an  und  versprachen  alle  Waaren  jener  Schiffe,  unter 
denen  auch  Waaren  des  Vaters  unseres  Gewährsmannes,  Ihn  el-Atir, 
sich  befanden,  herauszugeben.  Nur  ed-din  nahm  diesen  Vergleicli  an, 
und  der  Friede  wurde  erneueii;. 

Indessen  Avar  man  am  Hofe  Amalrich s  zu  der  Ueberzeugung  ge- 
kommen, dass  ohne  Hilfe  des  Abendlandes  das  Königreich  Jerusalem 
nicht  länger  würde  bestehen  können,  und  man  beschloss,  obschon  der 
Erzbischof  Friedrich  von  Tyrus  noch  nicht  zurückgekehrt  war,  von 
neuem  an  den  Papst,  den  Kaiser,  an  die  Könige  von  Frankreich, 
England,  Spanien  und  Sicilien,  sowie  an  die  hervorragendsten  Herzöge 
und  Grafen  dieser  Länder  neue  Bittschreiben  zu  senden.  Ausserdem 
daubte  man  vor  allen  anderen  auch  Kaiser  Manuel  gewinnen  zu 
müssen,  und  Amalrich  beschloss,  obgleich  seine  Freunde  und  Ver- 
trauten ihn  durch  den  Ernst  der  politischen  Situation  des  Königreichs 
zurückzuhalten  sucliten,  selbst  nach  Konstantinopel  zu  gehen.  Am 
10.  März  1171  ^)  fuhr  er  mit  zehn  Galeeren  in  Begleitung  des  Bischofs 
Wilhelm  von  Accon,  der  Herren  Garmund  von  Tiberias  %  Johann  von 
Arsüf3),  Eaynald  von  Nefin*),  des  Marschalls  Gerard  de  Pougy  &)  und 
des  Kastellans  Koard  von  Jerusalem  g)  ab,  während  Philipp  von  Na- 
blus ihm  voraussegelte,  um  die  Ankunft  des  Königs  zu  melden.  Er 
landete  auch  glücklich  und  wurde  höchst  ehrenvoll  aufgenommen;  in 
Gallipoli  erwartete  ihn  sein  Schwiegervater  der  Protosebastos  Johannes 
und  begleitete  ihn  bis  Heraclea,  wo  das  Geschwader  des  Königs  vor 
Anker  lag.  Er  stieg  in  Konstantinopel  an  der  Kaisertreppe  aus  und 
wurde  von  einer  glänzenden  Schaar  von  Hofbeamten  durch  mehrere 
Prunkzimmer   in    den  Thronsaal    geführt,    wo    er    neben    dem   Kaiser, 

1)  Wilhelm  von  Tyrus  XX,  c.  24—6;  vgl.  Tafel,  Corauenen  und  Normannen 
23—4 ;  die  sonst  die  erstere  Quelle  nur  abkürzende  Historia  regni  Hierosol.  (Mon. 
Germ.  SS.  XVIII)  51  nennt  7  Galeeren.  Ueber  die  bier  genannten  Reliquien 
Konstantinopels  siebe  Riant,  Exuviae  Constant.  s.  voce ;  vgl.  Tobler,  Golgatba  72. 
•'')  Garmund  erscheint  1137  (Paoli  36),  1154  (ibid.  33),  1159  (Arcbives  II,  135), 
1160  (Paoli  38;  Roziere  107),  1161  (ibid.  196,  No.  241;  Streblke,  Tab.  5),  1165 
(Delaville  le  Roulx  101;  Gins.  Müller  11;  Paoli  241),  1168  (Müller  15;  Paoli  48, 
49:  Camera  204),  1169  (Paoli  50),  c  1173  (Paoli  234),  1174  (ibid.  244;  Streblke  8). 
3)  Johannes  wird  in  Urkunden  erwähnt:  1163  (Delaville  le  Roulx  99),  1174  (Paoli 
244:    Streblke  8)  u.   1177  (Rozit-re  308).  ■»,  ^^\iy■^[  urkundlich  nicht  erwähnt. 

5)  Vgl.    o1)en    450.  ")    Rohard    begegnet    uns    als    Kastellan    des    David- 

thurmes  u.  Vicomte  von  Jerusalem:  1163  (Paoli  207),  1165  (ibid.  241),  c.  1165 
(Roziere  331),  1169  (Paoli  50),  1171  (Roziere  328),  c.  1173  (Paoli  234),  1174  (Ar- 
cbives It,  146),  1175  (Roziere  257—8,  308;  Delaville  le  Roulx  120),  1176  (Roziere 
.309;  Paoli  71;  Delaborde  86),  1179  (Delaville  le  Roulx  139).  Der  unter  demselben 
Namen  und  Charakter  1142  u.  1144  begegnende  R.  (Archives  II,  124—5)  ist  wohl 
Vater  des  unsrigen. 


476  '  Röhricht. 

jedoch  auf  einem  niedrigeren  Throne,  Platz  nehmen  durfte.  Wie  Amal- 
rieh,  .so  wurden  seine  Begleiter  durch  glänzenden  Empfang  und  freund- 
liche Anreden  des  Kaisers  geehrt;  die  letzteren  wurden  auch  zum 
Handkuss  zugelassen.  Dieser  officiellen  Audienz  folgten  rauschende 
Feste,  musikalische,  pantomimische  Theater-  und  Ballet- Vorstellungen, 
auch  Circusspiele,  welche  die  Zuschauer  nicht  minder  in  Bewunderung 
versetzten,  Avie  die  Betrachtung  der  kostbaren  Reliquien  Christi,  wie 
des  Kreuzes,  der  Nägel,  der  Lanze,  des  Schwammes,  des  Rohres,  des 
Leichentuches  und  der  Sandalen.  Mit  grossem  Literesse  nahm  Amal- 
rich  ausser  den  Kirchen  und  Klöstern  auch  die  zahlreichen  Triumph- 
säulen und  Triumphbögen  in  Augenschein  und  Hess  über  deren 
historische  Bedeutung  sich  eingehend  unterrichten. 

Von  dem  Pal  aste  der  Blachernen  aus,  wo  Manuel  seinen  Gast 
beherbergte,  unternahm  Amalrich  eine  Reise  an  der  Küste  des  Bos- 
porus entlang,  um  die  Landschaft  und  die  einzelnen  Orte  genauer 
kennen  zu  lernen,  dann  aber  widmete  er  sich  mit  Eifer  den  diplo- 
matischen Geschäften,  die  ihn  eigentlich  in  die  Kaiserstadt  getrieben 
hatten.  Er  setzte  dem  Kaiser  die  Nothwendigkeit  auseinander,  die 
Macht  des  neuen  und  kühnen  Souverains  von  Aegypten  zu  brechen, 
und  fand  bei  Manuel  bereitwilliges  Gehör;  die  Zusicherung  der  Ober- 
lehnshoheit  des  Kaisers  über  Antiochien  wird  wohl  a\ich  hier  von 
neuem  feierlich  erfolgt  sein  i).  Genug,  Manuel  war  bald  mit  dem 
König  einverstanden  und  bestätigte  den  Bündnissvertrag.  Nachdem 
Amalrich  und  seine  Begleiter  bis  zum  letzten  Knappen  mit  Schmuck- 
sachen und  kostbaren  Stoffen  reich  beschenkt  worden  waren,  segelte 
das  kleine  Geschwader  ab  und  erreichte  am  14.  Juni  glücklich  Sidon. 

Kaum  war  jedoch  Amalrich  heimgekehrt,  als  er  (im  Juli)  vernahm, 
Nur  ed-din  lagere  bei  Bäniäs.  Sofort  eilte  er  ihm  entgegen  und  lagerte 
bei  Saffüria,  aber  beide  Heere  zogen  sich,  ohne  dass  es  zu  einer  Waffen- 
eutscheidung  kam,  wieder  zurück  ^). 

In  dieser  Zeit  kehrte  Erzbischof  Friedrich  von  Tyrus  aus  dem 
Abendlande  heim,  nachdem  er  den  Grafen  Stephan  von  Blois  und 
Chartres  vorausgeschickt  hatte,  dem  Amalrich  seine  Tochter  zur  Ge- 
mahlin anbot.  Kaum  war  dieser  jedoch  gelandet,  als  er  erklärte,  er 
sei  nicht  im  Stande,  die  vom  König  geforderten  Bedingungen  anzu- 
nehmen, und  verliess,  nachdem  er  einige  Monate  in  Syrien  lüderlich 
gelebt  hatte,  das  heilige  Land,  fiel  aber  auf  dem  Wege  durch  Cilicien 
bei  Mamistra   in   die  Hände   des  Usurpators  Mälih,    eines  Bruders  des 


')  So  wird  wolil  die  Notiz    des  C'innamns    zu    deuten    sein,    dass  Amalrich 
Manuel  seiner  oouXsia  versichert  habe.         ")  "Wilhelm  XX,  c.  27 ;  Mich.  Syrus  356  f. 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  477 

Thoros  vou  Armenieu,  der  ilm  ausraubte  und  ihm  nur  eine  Mähre  zur 
Weiterreise  nach  Konstantinopel  überUess  i). 

In  dt-ra  Jahre  1172  kam  Graf  Stephan,  Sohn  des  Grafen  Wilhehn 
d'Outre  Saone  2),  auch  Herzog  Heinrich  von  Sachsen  und  Bayerns) 
sowie  Herzog  Hugo  III.  junior  von  Burguud  ^)  nach  dem  heiligen 
Lande,  allein  sie  kehrten,  ohne  eine  einzige  Waifenthat  verrichtet  zu 
haben,  bald  wieder  heim.  In  demselben  Jahre  fand  der  Bischof  Wil- 
helm von  Accon  ^),  den  Amah'ich  von  Konstantinopel  aus  au  die  Höfe 
einiger  abendländischen  Grafen  geschickt  hatte,  ein  trauriges  Ende. 
Auf  seiner  Eückkehr  in  Adrianopel  wurde  er  nämlich  von  Eobert, 
einem  Geistlichen  seines  Gefolges,  am  29.  Juni  Mittags  ermordet.  Man 
wusste  nicht,  ob  der  Mörder  in  Folge  einer  Geistesstörung  oder  in  der 
Absicht,  Rache  zu  nehmen  für  gewisse  Beleidigungen,  welche  der 
Kämmerer  des  Bischofs  ihm  ungestraft  hatte  anthun  dürfen,  diese 
Freveithat  begangen  habe,  doch  zeigte  er,  als  er  bald  darauf  starl), 
aufrichtige  Reue  und  Busse.  In  demselben  Jahre,  am  23.  ISiovember, 
ward  Joscius,  früher  Chorherr  von  Accon,  Bischof  dieser  Stadt. 

In  dieser  Zeit  (Ende  Oktob.  oder  Anfang  Noverab.  1172)  unter- 
nahmen die  Christen  eine  Expedition  in  den  Hauräu,  während  Nur 
ed-din  bei  Keswa  lagerte,  und  drangen  bis  in  das  Süäd  vor. 

Es  kam  zum  Kampfe,  in  welchem  Kür  ed-din  ihre  Nachhut  über- 
fiel und  reiche  Beute  gewann,  dann  rückte  er  sein  Lager  bis  Aschtera 
vor  und  sandte  von  da  eine  Abtheilung  in  das  Gebiet  von  Tiberias. 

Auf  die  Kunde  von  den  hier  angerichteten  Verwüstuugen  eilten 
die  Christen  herbei,  aber  jene  Corps  hatten  bereits  wieder  den  Jordan 
überschritten,  und  als  es  schliesslich  zu  einem  mörderischen  Kauipfe 
kam,  ffelanff  es  den  Christen  nicht,  die  Feinde  aufzuhalten  noch  ihnen 
ihre  Beute  abzunehmen  ^). 


»)  Wilhelm  XX,  c.  27.  ^)  Wilhelm  XX,  c.  27;  vgl.  Dunod,  Histoire  de 

Besan9on  III,  103.  Als  dessen  Begleiter  genannt:  Amaury  de  Joux,  der  auch 
1170  als  Pilger  urkundet  (Droz,  Hist.  de  Pontarlier,  preuves  261);  vielleicht  schloss 
sich  ihm  auch  Humbert  de  Coligny  an  (Memoires  sur  la  Franche  Comte  IV,  1867, 
330—1).  3)  Wilhelm    nennt   ihn   Herzog  Heinrich   von   Burgund    (über    die 

Kreuzfahrt  jenes  deutschen  Herzogs  vgl.  Röhricht,  Beiträge  II,  109  -16) ;  er  hat 
die  beiden  Namen  Heinrich  von  Sachsen  und  Hugo  von  Burgund  offenbar  in 
Einen  zusammengezogen.  *)  Er  urkundet  1170  u.  1171  als  Pilger  (Plancher, 

Hist.  de  Bourgogne  I,  preuves  52  u.  5.3),  1172  erklärt  er,  dass  er  auf  seiner 
Heimkehr  im  Sturm  eine  Capelle  gelobt  habe,  und  erneuert  in  Rom  dieses  Ge- 
lübde, das  am  8.  Novemb.  1172  Alexander  III.  bestätigt  (Bouquet  XV,  927);  1173 
führte    er    dies    Gelübde   aus    (Perard  246).  ')   Wilhelm   XX,   c.  27.     Sonst 

vgl.  ZDPV.  X,  20.  •■■)  Ibn  cl-Atir,  Kamfil  586. 


4.78  Röhricht. 

Um  dieselbe  Zeit  wurde  Amakicli  iu  eineu  Krieg  gegen  den  Usur- 
pator Mülili  verwickelt,  dessen  wir  oben  bereits  Ei-wähnung  gefchan 
haben.  Dieser  hatte  nämlich  gegen  seinen  Bruder  Thoros  ein  Attentat 
unternommen,  ohne  seinen  Zweck  erreichen  zu  können,  und  war  dann 
zu  Kür  ed-din  geflohen,  von  dem  er  Cyrrhus  (Gouris)  als  Lehen  an- 
nahm. Als  nun  Thoros  1168  gestorben  war,  wurde  dessen  unmün- 
diger Sohu,  für  den  Thomas,  nach  Wilhelm  von  Tyrus  ein  Vetter 
Rnpeus  11.,  die  Vormundschaft  führte,  nach  Hromgla  in  Sicherheit 
o-ebracht,  wo  er  bald  darauf  starb.  Thomas  ward  durch  Mtllili  mit 
Hilfe  Nur  ed-dins  vertrieben  und  zwar  (1170)  nach  Antiochien,  worauf 
Malili  ohne  Widerstand  die  Herrschaft  iisurpirte  und  durch  Mord  und 
Gewaltthaten  befestigte;  die  Templer,  zu  deren  Orden  einst  Mälih  selbst 
gehört  hatte,  wurden  ihrer  Besitzungen  beraubt,  und  gegen  IG  000 
Menschen  erschlagen,  während  die  Gefangenen  von  ihm  an  Nur  ed-din 
verkauft  wurden.  Der  Fürst  von  Antiochien  erklärte  ihn  für  einen 
Landes»feind,  Amalrich  lud  ihn  3 — 4  Mal  nach  Antiochien  zur  Ver- 
antwortnng,  aber  vergeblich,  worauf  beide  Fürsten  in  sein  Land  ein- 
fielen und  es  verwüsteten.  Da  kam  die  Nachricht,  Nfir  ed-din  sei  vor 
■  Karak  erschienen,  weshalb  der  König,  nachdem  er  seinen  Conuetable 
Honfred  zurückgelassen,  ihm  mit  Bischof  Radulf  von  Bethlehem  ent- 
gegeneilte, aber  als  er  im  Vormarsche  war,  kam  schon  ein  anderer 
Bote,  welcher  den  Abzug  Nur  ed-dins  meldete  i). 

Saladin  hatte  nämlich  in  der  Zeit  zwischen  dem  IG.  Mai  bis 
13.  Juni  1173  2)  eine  neue  Expedition  gegen  Karak  unternommen. 
Als  Amalrich  hörte,  dass  dieser  in  die  Gegend  des  „Türkenried-'  ge- 
kommen sei,  brach  er  auf  und  schlug  bei  dem  wasserreichen  Kurmul, 
drei  Stunden  östlich  von  Hebron  3)  sein  Lager  auf.  Trotzdem  hätte 
Amalrich  Saladins  Absichten  auf  Karak  schwerlich  durchkreuzen  können, 
wenn  nicht  zu  seinem  Glück  Nur  ed-din  zum  zweiten  Male  gegen 
Karak  aufgebrochen  wäre.  Auf  die  Kunde  hievon  suchte  Saladin  durch 
höfliche  Entschuldigungen  den  Nur  ed-din  über  den  eigentlichen  Grund 


«)  Ibn  el-Atir,  Kamal  588—9;  Wilhelm  von  Tyrus  XX,  c.  28.  Ciniiamurs 
312—3;  Michael  Syrns  362,  380;  Chronique  de  la  petite  Ann.  b'22— 4;  Table 
chronolog.  475;  vgl.  Röhricht,  Beitr.  II,  125,  Note  22.  Die  Behauptung  des  Barhe- 
braeus,  Chron.  syr.  365,  Malih  habe  sich  Amalrich  unterworfen  und  jeder  Ver- 
bindung mit  Nur  ed-din  abgesagt,  ist  wohl  nicht  glaublich,  lieber  die  Münzen, 
welche  Mälih  schlagen  liess,  auf  denen  er  Nur  ed-din  als  obersten  Hen-n  be- 
zeichnet, siehe  Du  Cange,  annotat.  403.  -)  Ibn  el-Atir,  Kamal  593.  Mit  den 
hier  gebotenen  Nachrichten  sind  ohne  Zweifel  die  bei  Wilh.  v.  Tjtus  (XX,  c.  30) 
zu  combiniren,  der  den  Einmarsch  Saladins  im  Juli  und  seine  Rückkehr  im 
iSeptember  erfolgen  lilsst.           ^)  Vgl.  Robinson,  Palästina  11,  420. 


Amalrich  I,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  479 

seiner  plötzlichen  Umkehr  wieder  zu  täuschen  und  zog,  nachdem  er 
die  Umgebung  jener  Festung  stark  verwüstet  hatte,  zurück  nach 
Aegypten,  während  auch  Nur  ed-din  von  er-ßakim  i)  aus  seinen  Heim- 
weg antrat. 

In  jene  Zeit  fällt  wohl  auch  jene  Fre veithat  des  Templers  Walter 
von  Mesnel,  welche,  wie  die  Christen  des  heiligen  Landes  glaubten, 
eine  ihrer  schönsten  Hoffnungen  zerstörte.  Damals  war  nämlich  ein 
Scheich  der  Assassinen  gestorben,  von  dem  man  sich  erzählte,  dass  er 
ein  heimlicher  Christ  gewesen  sei,  und  die  ehrliche  Absicht  gehabt 
habe,  auch  seine  Anhänger  zum  Abfall  von  ihrem  Irrglauben  zu  be- 
wegen. Er  hatte  nämlich  au  Amalrich  einen  Gesandten  geschickt  und 
erklärt,  er  sei  zur  Annahme  des  Christenthums  bereit,  wenn  die  Templer 
ihm  den  jährlichen  Tribut  von  2000  Dinaren  erlassen  würden.  Amal- 
rich nahm  dieses  Anerbieten  an  und  versprach  dem  Templerorden  aus 
eigenen  Mitteln  die  Zahlung  jenes  Tributs,  aber  als  der  Gesandte  vom 
Hufe  des  Königs  heimkehrte,  ward  er  durch  jenen  Walter  erschlagen, 
und  als  nun  Amalrich  strenge  Ahndung  eintreten  lassen  wollte,  er- 
klärte ihm  der  Meister  des  Tempels  Odo,  Walter  sei  bereits  von  dem 
Orden  bestraft  und  angewiesen  worden,  in  Kom  bei  dem  Papste  seine 
weitere  Bestrafung  zu  empfangen;  zugleich  verbat  er  sich  jede  Gewalt- 
that  gegen  Walter  im  Namen  des  Papstes.  Der  König  jedoch  liess, 
nachdem  er  mit  den  Seineu  Rath  gehalten,  den  Uebelthäter  zu  Sidou 
im  Templerhause  verhaften  und  nach  Tyrus  in  Gewahrsam  bringen; 
was  weiter  mit  ihm  vorgegangen  ist,  wissen  wir  nicht  ^). 

Von  neuem  richtete  Amalrich  seinen  Blick  und  seine  Hilferufe 
nach  dem  Abendlaude;  im  Sommer  1173  gingen  der  Bischof  Beruhard 
von  Lydda  und  der  Unter-Prior  des  heiligen  Grabes  ab  und  trafen  im 
December  am  päpstlichen  Hofe  ein.  Der  Patriarch  Amabich  3)  wie 
der  Könige)  schilderten  in  ihren  Briefen  die  drohende  Stellimg  Sala- 
dins,  die  Gefahr,  welche  Nur  ed-din  durch  eine  Allianz  mit  dem  Sultan 


»)  Zwischen  Karak  u.  Rabba  (Derenbourg,  Vie  d'Oussilma  230).  -)  Wilh. 

V.  Tyrus  XX,  c.  31—2  (vgl.  Walter  Mapes,  De  nugis  curialium  35),  welcher  den 
Boten    des    Scheich    Boabdelle    nennt    (Abu   'Abdallah?).  ^)    Bouquet    XVt, 

198-9.     Ueber  Bernhard,  Bischof  von  Lydda  vgl.  ZDPV.  X,  28.  *)  Bouquet 

XVI,  198—9  (es  ist  uns  nur  von  diesem  und  dem  vorher  genannten  Briefe  die 
Ausfertigung  au  den  Erzbischof  Heinrich  von  Rheims  bekannt) ;  vgl.  das  Schreiben 
Alexanders  vom  23.  Dec.  1173  an  Erzbischof  Heinrich  (Martene,  CoUectio  11,  994). 
Älit  den  Ueberbringem  dieser  Schreiben  schickte  der  König  auch  an  Heinrich  II. 
von  England- ein  Stück  des  heil.  Kreuzes  (1174),  das  dieser  der  Abtei  .aux  bons 
hommes*  schenkte  (Pavie  I,  323);  am  30.  Mai  1174  erfolgte  die  üebergabe  einer 
anderen  Kreuzesreliquie  an  den  Abt  Guilluume  von  Grammont,  die  Amalrich  voiu 


480 


Röhricht. 


vou  Icouiuiu  und  durch  einen  neuen  Plan  gegen  Antiochien  den  Chri- 
sten des  heiligen  Landes  bereite,  und  baten  dringend,  Friede  und  Ein- 
tracht zwischen  den  Königen  von  Frankreich  und  England  herzustellen. 

Im  kommenden  Jahre  1174  am  15.  Mai  starb  der  gefürchtete 
Gegner  der  Christen  Nur  ed-din  i),  und  Amalrich  glaubte  sofort  die 
Bestürzung  im  Lager  der  Feinde  zu  einem  Handstreich  gegen  Banias 
benutzen  zu  können.  Er  berannte  die  Festung  15  Tage,  fand  aber 
energischen  Widerstand  und  musste  aus  Furcht  vor  einem  Entsatzheere 
die  Belagerung  aufheben.  Schems  ed-din  Mahmud  nämhch,  welcher 
die  Damascener  Truppen  befehligte,  liess  ihm  erklären,  er  würde,  falls 
er  nicht  abzöge,  sofort  an  Seif  ed-din,  Fürsten  von  Mosul,  und  Saladin 
ein  Hilfsgesuch  richten  und  sicher  von  ihnen  auch  Hilfe  erlangen. 
Diese  List  war  plump,  weil  Schems  ed-din  beide  als  seine  gefährlichsten 
Gegner  fürchtete,  aber  sie  gelang,  und  Amalrich  zog  ab,  nachdem  der 
Frieden  gegen  Freilassung  von  20  gefangenen  Kittern  erneuert  worden 
war'^).  Auf  der  Heimkehr  wurde  Amalrich  von  der  Euhr  befallen;  er 
reiste  schnell  über  Nazareth,  Nablus  nach  Jerusalem  zurück,  wo  er  in 
Folge  ungeschickter  Behandlung  am  11.  Juli  1174,  38  Jahre  alt,  starb 
und  neben  seinem  Bruder  feierlich  bestattet  wurde  ^). 

Sein  Tod  befreite  Saladin,  dem  kurz  vorher  am  6.  April  die  Be- 
wältigung eines  gefährlichen  Aufstandes  gelimgen  war*),  von  der 
letzten  Furcht,  und  bald  sollten  die  Christen  es  gewahr  werden.  Ein 
Angriff,  den  der  König  von  Sicilien  als  Bundesgenosse  des  inzwischen 
verstorbenen  Königs  Amalrich  am  28. — 30.  Juli  1174  auf  Alexandrien 
machte  &),  schlug  gänzlich  fehl,  wie  alle  früheren  und  späteren  Angriffe 
der  Christen  auf  die  Hafenstädte  Aegyptens.     Im  September  desselben 


Kaiser  Manuel  zum  Geschenk  erhalten  hatte  (Chroniques  de  Limoges  ed.  Duples 
Agier  58;  Gaufrid.  Vossens,  bei  Bouquet  XII,  444;  Gallia  christiana  II,  649—50 
u.  besonders  Du  Gange,  Glossar.,  Dissert.  XXVI). 

')  Vgl.  oben  433—4.  Sein  Charakterbild  zeiclinet  Ibn  el-Atir,  Kamal 
542—3,  604  ff.  u.  Hi.st.  atab.  345  ff. ;  über  die  von  ihm  herrührenden  Stiftungen 
in  Damascus  vgl.  ZDMG.  XVIII,  353—74  u.  Sagen  über  seine  christliche  Abkunft 
in  Beiträge  II,  122,  Note  1.  -')  Wilh.  v.  Tyrus  XX,  c.  33  (vgl.  Ilist.  regni  llieros. 

in  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  51,  wo  d.  Festung  Bellinax  genannt  wird);  Ibu  el-Atir, 
Kamül  610  —  11.  Auf  diesen  Feldzug  bezieht  sich  offenbar  die  Angabe  dos  Michael 
Syrus  378  u.  des  ihm  folgenden  Barhebraeus  381,  dass  die  Damascener  aus  Furcht 
vor  Saladin   dem  Könige  Frieden   u.  Tribut   angeboten   hätten.  ^)  Wilhelm 

XX,  c.  33;  üandul.  300.  Im  April  1174  war  ihm  Bischof  Raduli  v.  Bethlehem 
vorausgegangen  (Wilhelm  von  Tyrus  XX,  c.  32;  vgl.  ZDl'V.  X.  24-5).  Michael 
Svrus  379  lässt  Amalrich  talschlich  in  Accon  sterben.  *)  Ibn  el-Atir,  Kamäl 

599—600;  Reinaud.  Extr.  171—4.  ")  Vgl.  Quatremi-re,  Memoires  sur  l'Egypte 

I,  321—7;    Boha  ed-din  41;   die  arabischen  Quellen  in  Amari,   Biblioteca  arabo 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  48l 

Jahres  (1174)  gewann  Saladin  Damascus  i),  und  so  ward  das  Königreich 
Jerusalem  im  Osten  und  Südwesten  zu  gleicher  Zeit  von  der  Macht 
desselben  gewaltigen  Sultans  und  Todfeindes  eingeschlossen.  In  un- 
aufhörlichem Siegeslaufe,  durch  kräftige  Ordnung  im  Innern  vergrösserte 
und  befestigte  er  sein  Eeich ,  bis  er  durch  eine  einzige  glückliche 
Schlacht  dem  Königreich  Jerusalem  ein  jähes  aber  nicht  unvorher- 
gesehenes Ende  bereitete.  Vielleicht  hätte  Amalrich,  der  letzte  in  der 
Keihe  der  erobernden  und  erhaltenden  Könige,  wenn  ihm  noch  fünf- 
zehn oder  zwanzig  Lebensjahre  vergönnt  gewesen  wären,  die  Kata- 
strophe abgewandt  oder  doch  verzögert,  aber  nach  seinem  Tode  wäre 
sie  ohne  Zweifel  doch  eingetreten  ^). 


Sicula  (versione)  II,  259,  591—4,  G79;  Renaudot ,  Histor.  patriarch.  540; 
Ibn  el-Atir,  Kamfil  611—4;  Annal.  Pisan.  in  Mon.  Germ.  ÖS.  XIX,  206.  Am 
ausführlichsten  handelt  darüber  Amari,  Storia  dei  musulmani  111  B,  506—14. 

')  Ibn  el-Atir,  Kamal  614.  ^)  Kreuzfahrer  aus  der  Zeit  von  1162—1174 

stellen  zusammen  Roger  195 — 222;  Pourmont  II,  71 — 7;  Röhricht,  Beitr.  II, 
321—6  (vgl.  auch  oben  477);  ich  gebe  hier  für  jene  Zeit  noch  einige  Nachträge. 
In  Bullen  Alexanders  III.  werden  als  Kreuzfahrer  erwähnt:  1160/61  J.  ein  Ehe- 
brecher (Mansi,  Ooucil.  XXII,  428),  1163  Lapillus  (Marteue,  Collect.  II,  687),  Hein- 
rich von  St.  Remy  (ibid.  11,  762),  1167—1169  Aegidins  de  Cimai  (ibid.  II,  767), 
1168—1169  Hugo  serviens  (ibid.  II,  788),  Aprilis  de  Manso  und  Ludovicus  de 
Buren  (ibid.  II,  813),  1170  P.,  der  Diaconus  in  Sidon  geworden  war  (ibid.  II,  835), 
1170—1172  Balduin  d'Aigne  (Mansi  XXI,  955),  1171  —  1172  0.  aus  Rheims  (ibid. 
997)  und  Belericus  u.  R.,  Frevler  gegen  einen  Kanonicus  (Collect.  II,  951). 
Sonst  werden  in  Chroniken  noch  genannt  1162:  108  Kreuzfahrer,  die  mit  Gott- 
fried IV.  von  Mayenue  abgezogen  waren  (Menage,  Histoire  de  Sable  179,  auch 
im  Recueil  des  bist,  de  France  XII,  556;  Fourmont  III,  65—87),  Olivarius  de 
Magiechat  (Brequigny  III,  317),  1164  Ansulf  de  Senolz  (Brequigny  III,  351),  1167 
Odo  fils  de  Hugues,  Orleanais  (ibid.  III,  390),  viele  deutsche  Herren,  wie  eine 
Urkunde,  (1167)  zu  Jerusalem  ausgestellt,  beweist  (v.  Löher,  Archival.  Zeitschr. 
III,  1878,  2.94—5),  c.  1168  Guillaume  de  Dampierre  (Bongars  No.  2  u.  11,  auch 
im  Recueil  des  hist.  de  France  XVI,  145),  1168  Comte  Bertrand  de  Forcalquer 
(Bouche,  Hist.  de  Provence  II,  160),  1169  Guillaume  Gouet  IV.,  der  auf  dem 
Kreuzzuge  starb  (Rob.  de  Monte  1169),  1170  Guillaume  de  Courtenay  (Histoire 
de  la  maison  de  Courtenay,  preuves  8),  1174  die  vier  Mörder  St.  Thomas'  von 
Canterbury :  Wilhelm  de  Traci,  Hugo  de  Moreville,  Richard  Brito,  Raynald  Fitz 
Ursi,  die  auf  dem  Monte  Nero  bei  Autiochien  als  Büsser  gelebt  haben  sollen 
(nach  Reuter,  Alexander  III.,  Bd.  III,  152—3  ist  dies  nur  bei  Wilhelm  de  Traci 
sicher),  aber  in  Jerusalem  »ante  ostium  Tempil*  begraben  wurden  (Romuald  in 
Mon,  Germ.  SS.  XIX,  439;  Rog.  de  Hovedene  II,  17). 


Mittheilungon  XII.  .  31 


^32  R  ö  h  r  i  c  li  t. 

Anhang. 

Durch  die  Güte  befreundeter  Gelehrten  und  des  Herrn  Heraus- 
gebers dieser  Zeitschrift  ist  es  möghch  gewesen,  hier  einige  wichtige 
Stücke  zu  vereinigen,  welche  zwar  nicht  im  Zusammenhange  mit  der 
vorausgehenden  Studie  stehen,  aber  für  die  Geschichte  des  Königreichs 
Jerusalem  von  nicht  geringer  Bedeutung  sind.  Das  erste  ist  ein  Brief 
des  Fürsten  Boheraund  III.  von  Antiochien,  welcher  aus  dem  Cod.  Pal. 
Vindobon.  984,  fol.  30 — 30^  stammt  und  schon  anderwärts  von  mir 
nachgewiesen  war  i) ;  es  ist  dies  derselbe,  welcher  auch  das  Schreiben 
des  Markgrafen  Konrad  von  Montferrat  an  den  König  Bela  von  Ungarn 
enthält  ^).  Der  Brief,  dem  noch  eine  Klage  über  den  Verlust  Jerusalems 
sich  anschliesst  =*),  ist  gleich  nach  dessen  Eroberung,  also  nach  dem 
2.  Oktober  1187,  geschrieben  und  wurde  durch  den  Erzbischof  Albert 
von  Tarsus,  Kanzler  des  Fürsten,  nach  dem  Abendlaude  gebracht^); 
leider  können  wir  jedoch  genaueres  über  dessen  Ankunft  und 
Wirksamkeit  daselbst  nichts  beibriugen.  Unmittelbar  darauf  folgt 
Erbonis  Carmen  vel  threni  captis  Hierosolimis  (fol.  31  —  31  ^)i 
woraus  bisher  nur  Stücke  bekannt  waren  s),  weshalb  wir  glaubten, 
hier  einen  vollständigen  Abdruck  bieten  zu  müssen;  Herr  Professor 
Dr.  Mühlbacher  hatte  die  Güte,  eine  Copie  Ijeider  Stücke  mir  durch 
Herrn  Dr.  M.  Mayr  in  Wien  anfertigen  zu  lassen.    An  dritter  Stelle 


')   V.   Sybel,   Histor.  Zeitschrift  1876,   XXXIV,   4,  Note;   Beiträge   II,    181, 
Note  1;  ebenda  II,  182—3,  Note  4,  sind  noch  andere  Briefe  erwähnt.  *')  Voll- 

ständig herausgegeben  in  Th.  Ilgen,  Markgraf  Konrad  von  Montferrat  1880, 
135—7  und  in  der  durch  Cipolla  besorgten  italienischen  Uebersetzung  desselben 
Buchs  (Casale  18M1),  128—30.  Uebrigens  ist  dieser  Brief  auch  in  einem  bisher 
unbenutzt  gebliebenen  Codex  Admont.  25  saec.  XII,  Vorstehlilatt  No.  3  uns  er- 
halten. ")  Wie  sie  sich  in  prosaischer  und  poetischer  Form  \aelfach  finden ; 
vgl.  Beitr.  II,  181,  Note  1;  liaymarus  Monachus  ed.  Paul  Riant,  Lugduni  1865, 
53—61  (der  hier  53—7  abgedruckte  Planctus  ist  besser  edirt  im  Anhange 
der  oben  genannten  Cipolla'schen  Uebersetzung  146—52;  vgl.  131—45);  Hagen- 
meyer in  Archives  de  l'Orient  latin,  Paris  1881,  I,  580—5.  Der  von  Graf  Riant 
dem  Haymarus  Monachus  zugeschriebene  liber  tetrastichus  de  expugnata  Accone 
(vgl.  J.  Grimm  in  d.  Abhandl,  d.  Berliner  Akad.  1843,  178),  zu  dem  im  Neuen 
Archiv  1879,  386  auch  eine  Oxforder  Handschrift  nachgewiesen  wurde,  ist  wie 
die  von  Prutz  in  den  Forsch,  zur  deutsch.  Geschichte  1881,  XXI,  457—94  (Ver- 
besserungen 1882,  XXII,  674)  veröffentlichten  Versus  nur  historisch.  *)  1186— 
1199  nachweisbar  (Röhricht,  Syria  sacra,  16);  unser  Brief  bereits  bei  Denis, 
Cat.  I,  743—6.  ^)  Ibid.  746—8;  vgl.  Wattenbach,  Deutsch.  Geschichtsq.  II,  437, 
Note  2.  Nach  H.  Prof.  E.  Voigt  (dessen  Güte  und  Sachkenutniss  ich  viele  Ver- 
besserungen verdanke)  auch  in  Cod.  Vind.  rec.  3087  (3358)  s.  XV,  fol.  97''  (Pertz, 
Archiv  X,  538). 


Amalrich  t.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  433 

steht  eine  Urkimcle  des  Fürsten  Bohemuncl  III.  von  Antiochien  (April 
1189)  für  Genua,  an  vierter  eine  Urkunde  des  Fürsten  Bohemund  IV. 
von  Antiochien  für  Genua  (Dec.  1203),  von  denen  letztere  zwar  viel- 
fach citirt  1),  aber  nirgends  vollständig  veröffentlicht  worden  ist;  merk- 
würdigerweise fehlen  beide  sogar  im  Liber  jurium  reipublieae  Genuensis. 
Wir  verdanken  die  Mittheilung  derselben  wieder  der  so  oft  bewährten 
Liberalität  des  Herrn  Kitters  Cornelio  Desiraoui,  Archivdirektors  zu 
Genua;  unsere  Urkunden  stammen  aus  dem  dortigen  Archive  und 
tragen  die  Signatur:  Materie  politiche,  mazzo  III;  vor  der  Eingangs- 
formel des  zweiten  steht  das  fünffache  Kreuz  des  Königreichs  Jerusalem. 
Unter  No.  5  theilen  wir  einen  Brief  mit,  als  dessen  Schreiber  ein 
Erzbischof  A.  von  Nazareth  sich  nennt  -),  den  wir  jedoch  aus  Chroniken 
und  Urkunden  nicht  nachzuweisen  vermögen;  Letardus,  sonst  auch 
Attardus  genannt,  ist  vor  Accon  gestorben  (c.  1190)^),  den  Namen 
des  in  einer  päpstlichen  Bulle  vom  5.  August  1196  erwähnten  Nach- 
folgers kennen  wir  nicht  ^),  und  seit  1210  ist  Robert  II.  nachweisbar. 
Wir  sind  daher  auch  nicht  im  Stande,  die  Augabe  des  Briefes  selbst 
zu  coutroliren,  worin  der  Schreiber  sich  als  Bevollmächtigter  des 
Papstes  nennt  und  giebt.  Der  Inhalt  ist  eine  Klage  über  den  Verlust 
des  heiligen  Landes,  besonders  der  durch  die  Geschichte  des  Heilandes 
geweihten  Stätten  von  Nazareth,  dann  folgt  eine  Aufforderung  zum 
Kampfe  gegen  die  Saracenen,  der  Hinweis  auf  die  bei  der  Eroberung 
Konstantinopels  (12.  April  1204)  erprobte  Tapferkeit  des  Grafeu  Bal- 
duiu  von  Flandern  und  die  Zusicherung  von  Indulgeuzeu,  welche 
bereits  der  Papst  in  vielen  Schreiben  an  die  Christenheit  gegeben 
hatte.  Wenn  der  Brief  echt  sein  sollte,  was  bezweifelt  werden 
könnte,  so  wäre  seine  Absicht  wohl  gewesen,  die  Kreuzfahrer  in  Kon- 
.stautiuopel  an  das  eigentliche  und  höhere  Ziel,  die  Eroberung  des 
heiligen  Landes,  zu  erinnern,  und  zur  Erreichung  desselben  den  Bei- 
stand des  Clerus  zu  gewinnen.  Der  Brief,  welcher,  da  die  Schriftzüge 
vielfach  schon  erblasst  sind,  in  einer  sehr  schwer  lesbaren  Gestalt 
vorliegt,  auch  Lücken  zeigt,  so  dass  vielfiiche  Unsicherheiten  in  der 
Lesung,    Härten    im  Ausdruck,    Mängel   in  der  Konstruldion  zu  Tage 


')  Zuerst  (zum  falschen  Jahre  12 IG)  und  kurz  ausgezogen  bei  Seira,  La  storia 
deir  antica  Liguria,  Torino  1834  ft'.,  4  Bde.  S»,  IV,  148  (wo  auch  149  unsere 
zweite  Urkunde  zum  falschen  Jahre  1219  erwähnt  wird),  dann  von  01i\devi,  Carte 
e  cronache  1855,  59,  Canale,  Nuova  istoria  di  Genova  II,  304—5;  De  Mas  Latrie 
in  d.  Archives  d.  missions  scientifiques  IE,  355  und  endlich  von  W.  Heyd  in 
seiner  ausgezeiclineten  Histoire  du  commerce,  Leipzig  1885,  I,  322.  -)  Zuerst 

erwähnt  in  den  oben  482,    Note    1    genannten  Schriften.  *)  Röhricht,   Syria 

Sacra  14.  ••)  Jatfe-Löwenfeld  No.  17419, 

31* 


4g4  Röliricht. 

treten,  ist  uns  erhalten  in  dem  Brüsseler  Codex  10151 ;  Herr  Dr.  Jules 
Petit,  Gustos  der  dortigen  Bibliothek,  hatte  die  dankenswerthe  Ge- 
wogenheit, uns  eine  sehr  sorgfältige  Copie  zu  übersenden.  In  dem 
darauf  folgenden  Protokoll  (No.  6)  ist  eine  Urkunde  des  Hospitaliter- 
meisters  Garinus  (Accon,  8.  Oktob.  1231)  enthalten,  welche  aus 
dem  Staatsarchiv  zu  Florenz  (Tabular.  Fiorentino,  proven.  Olivetani  di 
Pistoja,  pergam.  No.  168)  stammt  und  uns  durch  die  Güte  des  Herrn 
Prof.  Dr.  Crivellucci  in  Pisa  zugänglich  geworden  ist.  Garinus,  dessen 
Geschlechtsnamen  noch  immer  nicht  hat  festgestellt  werden  können, 
wird  als  Meister  urkundlich  zuerst  am  28.  Sept.  1231  ei-wähnt;  unsere 
Urkunde  ist  die  erste,  die  er  selbst  ausfertigt ;  ein  Siegel  war  von  ihm 
bisher  schon  bekannt.  Für  welche  Verhandlungen  in  Kom  er  den  iu 
der  Urkunde  genannten  Marguisius  bevollmächtigt,  ist  nicht  zu  er- 
mitteln gewesen.  Zuletzt  geben  wir  noch  eine  Urkunde,  welche  der 
kaiserliche  Marschall  Kichard  Filangieri  in  Tyrus  (17.  Mai  1242,  in- 
dict.  XV)  für  den  kaiserlichen  Kastellan  Petrus  Pennapedis  ausstellte. 
Derselbe  ist  weder  aus  Urkunden  noch  Chroniken  nachweisbar,  wohl 
aber  in  derselben  Eigenschaft  und  fast  zu  derselben  Zeit  der  wahr- 
scheinlich mit  diesem  verwandte  Gautier  Pennenpie  i),  welcher  bei  der 
Eroberung  Jerusalems  durch  die  Chowaresmier  (11.  Juli  1244)  den 
Tod  fand.  Die  Urkunde  findet  sich,  wie  Winkelmann  bereits  fest- 
gestellt hat  2),  in  der  Communalbibliothek  zu  Palermo  (2q,  J.  11, 
pag.  328) ;  die  Abschrift  derselben  verdanken  wir  der  gütigen  Vermitt- 
lung des  Herrn  Prof.  Dr.  Ludwig  Bresslau  in  Bari. 


I. 

Epistola  principis  Antiocheni  ad  chrislianos  de  clade  a  Saladino  accepta. 

Omnibus  sanete  matris  ecclesie  filiis,  primatibus,  archiepiscopis,  epis- 
copis,  abbatibus,  prepositis,  arcliipresbyteris,  archidiaconis,  capellanis,  uui- 
versoque  populo  Dei,  ad  quos  preseus  presentari  contigerit  iustrumentum, 
B(ohemundus),  prineeps  Antiocenus,  salutem  et  salutis  incrementum  cum 
prosperitatis  habundantia.  Anxius  loquor,  mestus  scribo  et  vestre  universi- 
tati  longa  suspiria,  merores,  angustias  licet  presmnens  insynuo  et  scribendo 
deficiens  replico  mesticias  et  dolores.     Quis  enim  vidit  talia?    Vie  lugent 


1)  Gastes  des  Chyprois  123;  vgl.  Röhricht  in  Forsch,  zur  deutsch.  Geschichte 
1886,  XXVI,  86,  90.  ^)  Neues  Archiv  1878,  IU,  638;  hingegen  ist  die  ebenda 

als  von  Gerold,  dem  Patriarchen  von  Jerusalem,  ausgestellt  erwähnte  Urkunde 
(1230,  December)  bereits  bei  Delaborde,  Chartes  de  Terre  Sainte,  Paris  1880, 
97—9,    No.   47    u.    Strchlkc,    Tab.    ordin.    Theut.    58-9,    No.    74   veröffcntHcht. 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  485 

Syon,  eo  quod  noii  sit,  qui  veniat  ad  sollempnitatem  (Thren.  1,  4). 
Christianis  siquidem  cum  Saladino  confligentibus  vires  nostre  defecerunt, 
ceciderunt  templarii,  hospitalares  corruerunt,  rex  anxiatur  in  carcere, 
vexillum  crucis  Dominice,  immo  crux  ipsa  Dominica  retinetur  apud  hostes. 
Omnes  fere  defecerunt,  remansi  tantum  ego  solus,  Dei  favente  misericordia, 
ut  que  facta  sunt  vestre  nunciarem  universitati.  Obsessum  est  Salvatoris 
nostri  sepulchrum  et  ejus  nativitas  est  delicta,  expugnata  est  Ascalon,  et 
in  ejus  campestribus  non  invenitur  habitator  christianus,  Nazareth  a  Turcis 
occupatur,  in  domo  Virginis,  in  ipso  Annunciationis  loco  christianus  san- 
guis  fusus  est,  et  in  ecclesia  gloriosa  equi  jacent  Turcorum,  patrantur 
nequicie  et  in  locis  gloriosissimis  eorum  spurcicie,  fornicationes  et  scelera 
perpetrantur.  Sed  et  Accon  illa  ubique  terrarum  nominatissima  in  eorum 
venit  ditionem  et  usque  Tyrum,  Jerusalem  et  Ascalone  captis,  religioni 
Christiane  aliqua  civitas  non  remansit.  Mortui  sunt  patres,  nichil  restat, 
nisi  ut  eorum  preteritus  (?)  moriatur.  Omnibus  itaque  deficientibus  remansi 
ego  solus,  ut  hec  omnia  vestre  nunciarem  universitati.  Omnibus  itaque 
desolatis  in  refugium  remansit  Antiocene  (!)  principatus,  ibi  sumus,  ibi  inedias 
sustinemus  et  calores,  ibi  pugnamus  et,  nisi  nobis  per  auxilium  vestrum 
pariter  et  consilium  subventum  fuerit,  procul  dubio  moriemur.  Ad  hoc 
venerabilem  virum  Tharsensem  archiepiscopum,  Antioceni  principatus  can- 
cellarium,  virum  utique  discretum  et  honestum  in  utriusque  juris  apicibus, 
sed  et  in  rebus  ecclesiasticis  sufficienter  eruditum  ^)  ad  vestram  mittimus 
universitatem  rogantes  et  modis  omnibus  exorantes,  ut  eidem  predicto 
viro  aurem  benigniorem  accommodare  dignemini  et  de  statu  regni  et 
nostro  ^)  credere.  Ipse  namque  erit  vobis  verax  nostre  desolationis  inter- 
pres,  utpote  qui  miseriam  nostram  vidit,  cui  luctus  nostros  intimandos 
injunximus  et  dolores.  Ipsum  ergo  ob  Dei  reverentiam  sueque  probitatis 
intuitu  et  nostre  petitionis  •  iuterventu  3)  benigne  recipiatis  et  ei  vestrum 
cum  consilio  prebeatis  auxilium.  Valete  scieutes  procul  dubio,  quia  aut 
succumbimus  aut  raorimur! 

IL 

Indue  cilicium,  sedeas  in  pulvere,  mater 

Orba  replens  orbem  fletibus  ecclesia, 
Die  ve,  die  ve,  ve,  nee  enim  tibi  talis  ab  Ev^ 

Est  data  temporibus  materies  gemitus, 
5-   Filia  Jerusalem,  lamentum  sume  super  te, 

Te  cecidisse  gemas  virgo  decora  Syon! 
Plangite  i^erculsi  rectores  ecclesiarum, 

Lugubris  hoc  fame  vos  meruisse  malum! 
Clerus,  plebs  ^),  monachi,  nupt^,  vidu^,  moniales, 
10-        riete  gravem  Domini  nos  tetigisse  manum! 

Ecce  locus,  templum,  domus,  atria,  terra  redemptrix, 

Incola  turba  cadit,  gentibus  exposita! 
Terra  salutari  cruce,  corpore,  sede  sepulchri, 


')  Cod.  eruditus.  -)  Hinter  nostro  ist  regni  getilgt.  ')  Ursprünglich 

interventum,  wovon  m  radirt.  *)  Symetrischer :  Plebs,  clerus  (V.). 


486  Röhricht. 

Montis  Oliveti  dote  heata  fuit, 
15.   Plena  sacramentis,  signis,  fidei  documentis, 

Gente  sub  ignota  sunt  temerata  loca! 
Humanuni  si  iudicium,  rex  Christe,   subires, 

Causari  de  te  plurima  posset  homo: 
»Miror  [.  .]t  1),  cur  dotatam  tibi  sanguine  teiTam 
20.         Cede  profanarit  barbara  nequicies, 

Teque  sinente  manum  validam  princeps  tenebrarum 

Miserit  2)  in  sanctos,  qui  tibi  lux  fuerant 
Hos  feriendo,  dolis  alios  circumveniendo 

Et  misero  ^)  mortis  illaqueando  metu. 
25.   Fertur  enim   fidei  prolapsum  vulgus  ab  arce 

Te  repulisse  deura,  conciliasse  deos. 
Extentas  vidisse  manus  in  dedicionem 

Est  dolor,  est  miserum  plasma  perire  tuum. 
Ecce  decus  ligni  nostri,  quo  viva  salutis 
30.        Hostia  pendebas,  barbarus  hostis  habet! 
Depopulata  iacet  structura  monasteriorum, 

Clerus,  ubi  monachus,  virgo  sacrata  fuit ! 
Quid  iuga  tantorum  memorem  decursa  laborum? 

Nocte  dieque  tuQ  vim  patiuntur  oves ! 
35.   Cladibus  bis  quem  quando  dabis,  Jesu  bone,  linem, 

Cum  pius  existas,  vel  potius  pietas? 
Tene  preces  et  amara  tuQ  suspiria  spouse 

Ad  pietatis  opem  flectere  posse  negas? 
Ipse  iubes  tibi  vota  dari,  tua  dona  precari. 
40.        Totus  opem  mundus  flagitat  et  refugis; 

Nee  modo  non  audis,  sed  et  orbi  viscera  claudis. 

Hinc  Stupor,  inde  dolor,  binc  pudor,  inde  timor. 
Id  solum  resonat,  Babilon  rex  cuncta  subegit, 

Opprimit  Jerusalem  dextera  Salathiel.  * 
45.   His  ita  respondet  ratio,  Deus  in  ratione: 

»Haut  dubio  nosti,  corde  fidelis  honio, 
Quanta  Deus  tulerit  gratis  pro  te  redimendo 

Seque  patri  precium  morte  sua  dederit. 
Quas  super  his  grates,  que  laudis  munia  solves? 
50.        Munere  pro  grandi  grandia  debueras ; 

Sed  cum  preter  te  nichil  exquirat  Deus  a  te, 

Est  breve  mandatum :  dilige,  salvus  eris ! 
Nee  secus  in  terris  agitur,  respersa  venenis 

Nequici^  est  mundi  lata  superficies, 
55.   Viribus,  arte,  minis,  incestu,  cede,  rapinis, 

Turpia  queque  gerl  sunt  benefacta  viri, 
Laudatur  qui  non  ')  fraudes,  periuria,  furta 

Dictat,  amat,  peragit,  pectore,  voce,   manu. 
Die,   ubi  vis,  ubi  lex,  ubi  fas,  ubi  federa  pacis? 


')  Es  stand  wohl  ,ait*,  a  ist  noch  sichtbar.     Vielleicht   stand    aber  ein  u. 
*)  Gebessert  aus  Miserat.  ^)  Gebessert  aus  mirero.  *)  Lies :  nunc  (V.). 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  487 

60.        Esse  malum  decus  est,  dedecus  esse  bonum, 
Ordo  monasticus,  ecclesiasticus,  ordinis  expers, 
Mundo,  non  Christo  militat  oi-e,  manu, 
(fol.  30^)    Talibus  heu  studiis  hominum  quod  vita  rotatur, 
Nos  pater  in  virga  visitat,  ut  revocet 
65.   Utens  ergo  malis  in  opus  pietatis  et  usum 
Cepit  ab  arce  Syon,  nee  ratione  vacat, 
Terra  etenim  nostr^  consummativa  salutis, 

Morbi  communis  debuit  esse  parens, 
Ut  quibus  commune  malis  instare  sit,  ipsis 
70.        Et  commune  pati  compatiendo  bonis. 
Constantinopolis,  Komanave  menia  capta 

Sive  cremata  parem  num  parerent  gemitum? 
Ergo  solum  natale  suum,  loca  sancta  profanis 
Tradita  predari  seque  secundo  pati 
75.   Maluit  in  membris,  ut  amore  Dei  redimentis 
Viscera  cunctorum  compatiantur  eis. 
At  pia  si  vel  nuda,  vel  est  obscura  voluntas, 

Luce  vacans  operis,  luce  caret  meriti, 
Luceat  ergo  foris  interni  robur  amoris, 
80.        Splendeat  officium,  prodeat  in  medium! 
Evigilate  viri,  consurgite,  state  virili 

Pectore  pro  Domino  quisque  ruente  domo, 
Unde  salutis  opem  mundo  fluxisse  videmus, 
Unde  suas  vires  sumpsit  habetque  fides! 
85.   Primus  et  in  primis  veniat  caput  urbis  et  orbis 
Presul  apostolicus  consiliis,  precibus, 
Non  armis  pugnando  quidem,   sed  in  arma  citando, 

Hortatu,  monitis  elitiendo  viros. 
Orbis  et  imperii  decus  augustum  Fridericus, 
yO.        Lux,  via,  dux  plebis  emicat  e  tenebris 
Armis,  ingenio,  titulo,  virtutis  honore 

Inclitus,  excelsus,  clarus  ubique  potens, 

Vita  placens,  cuius  nostris  servata  diebus 

Muneris  e  celo  creditur  esse  genus. 

95.   Ipse  facultatum  reditus,  fabricasque  domorum 

Scemate  regali  contulit  imperio, 

Maiestatis  apex  claris  diuturna  triumpbis 

Prelia  concludens,  lassus  hebet  senio. 
lamque  fatiscentis  sunt  membra  fovenda  quiete, 
95.        Militis  hec  ratio  postulat  etneriti. 

Kes  miranda,  senex  Christi  iuvenescit  amore 

Tam  re  quam  signis  ora  ferens  aquilij, 
Non  sil>i,  non  partis  quibus  natisve  paratus 
Parcere,  sed  letum  carpere  mortis  iter. 
100.   Hie  vir,  hie  hostiles  numeroso  milite  fines 
Intrans  innocui  sanguinis  ultor  erit. 
Quo  duce  prudenti  populum  spes  tanta  sequetur, 
Partis  ut  advers^  colla  subacta  putet. 


AüQ  Röhricht. 

Signifer  ipse  Dei,  cum  stabit  in  arce  trophei, 
HO.        Luminis  etherei  porta  patebit  ei. 

Qu^  poterit  vox,  Christe,  tuas  recitare  cohortes? 

Reges,  pontifices,  cum  ducibus  comites, 
Robusti  cordis  iuvenes  a  finibus  orbis 

Ite,  fei'ite  reos,  nil  metuatis  eos! 
115.   Immemores  etatis,  opum,  thalami  sobolisque 

Ite,  subite  crucem  restituendo  crucem! 
Spes  veiii^,  fructus  vitt^,  diadeina  perenne 

Reddent  tocius  suave  laboris  onus, 
Felix  niilitia,  cui  donativa  rependet, 
120.        Verax  sermo  Dei,  laus,  honor,  ymnus  ei!« 
Obsecro  lectorem,  cum  legerit  liec  mea,  dicat: 

»  Carminis  auctorem  Deus  Erbonem  ^)  benedieat ! « 
Eugenii  scrib^  pariter,  lector,  memorare, 

Semper  ut  a  Christo  mereatur  amen  benedici! 

m. 

In  nomine  sancte  et  individue  trinitatis,  patris,  filii  et  spiritus  sancti. 
Ut  Omnibus  in  posterum  clareat  et  nulla  ambiguitatis  questio  inde  emergat, 
idcirco  per  hec  presentia  scripta  notum  certumque  erit  tam  modernorum 
presentie  quam  successorum  posteritati,  quod  ego  Boamundus,  per  gratiam 
Dei  Antioehenus  princeps,  quondam  Raymundi  bone  memorie  principis 
filius,  assensu  et  bona  voluntate  domine  principisse  Sibille  et  Raimundi 
filii  mei  dono  et  in  perpetuam  hereditatem  concedo  Omnibus  consulilms 
et  Ganuensibus  Ganue  in  Antiochia  curiam  et  apud  Laudociam  ac  Gaba- 
lum  curiam  et  libertatem  exceptis  tarnen  proditione,  homicidio  et  furto, 
de  quo  aliquis  attinctus  fuerit  vel  comprobatus,  et  exceptis  meis  burgen- 
sibus  Ganuensibus  de  Antiochia  et  Laodocia  et  Gabalo,  quos  in  eorum 
communicione  recipi  permitto.  Preterea  si  forte  acciderit  aliquem  Ganuen- 
sium  in  terram  meam  quolibet  ligno  naufragari,  volo,  quod  sui  coi-pus 
et  omnia  sua  sint  salva  et  tuta  per  omne  meum  posse.  Hec  itaque  omnia 
supradicta  dono  et  in  perpetuam  hereditatem  concedo  Omnibus  consulibus 
et  Ganuensibus  Ganue  propter  bona  eorum  servicia  et  precipue,  quia  ad 
necessitatem  Antiochie  succui-sum  suum  et  auxilium  hylari  animo  trans- 
misere,  et  ut  hec  mea  concessio  rationabilis  et  inviolabilis  in  etemum 
pennaneat,  hanc  paginam  scribi  precepi  et  sigilli  mei  plumbei  impressione 
subscriptis  testibus  insigniri.  Hujus  quoque  rei  et  donationis  sunt  testes : 
Gervasius  de  Jarmavia,  Antioehenus  senescalcus,  Milo  de  Colovardino,  Petrus 
de  Ravandello,  Johannes  Paschalis,  Saxus  de  Tripoli.  Datum  est  autem 
Privilegium  istud  per  manus  Radulfi  derlei  sub  venerabili  Alberto,  domini 
principis  Antiocheni  cancellario  et  Tarsensi  archiepiscopo.  Anno  dominice 
incarnationis  MCLXXXVIIII,  indictione  VII,  meuse  Aprili  in  civitate  Tyri. 


»)  Eine  spätere  Hand,   welche   auch   den  Titel   sehrieb  und  die  wichtigsten 
Stellen  im  Gedichte  unterstrich,  schrieb  an  die  Seite:  NB.  Nomen  aulons. 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  439 

IV. 

In  nomine  sancte  et  individue  trinitatis  patris  et  filii  et  Spiritus 
sancti,  amen.  Notum  sit  omnibus  tarn  futuris  quam  presentibus,  quod 
ego  Boamundus,  filius  Boamundi  principis,  per  Dei  gratiam  princeps 
Antiochenus  et  comes  Tripolitanus,  dono  et  concedo  Lamberto  Fornario  et 
Belmusto  Lercario,  consulibus  Janue,  et  communi  Janue  scilicet  Januensibus 
et  Omnibus  Januensium  filiis  libertatem  in  Tripoli  de  omni  peccunia  sua 
vendendi,  emendi,  mittendi  et  trahendi  sine  omni  consuetudine  et  jure 
peccunie  sue  exceptis  Januensibus  et  omnibus  Januensium  filiis,  qui  erunt 
burgenses  regni  Jerusalem  vel  comitatus  Tripolis  vel  principatus  Antiocliie 
sive  Cypri.  Item  dono  et  concedo  curiam  communi  Janue  scilicet  Januen- 
sibus et  omnibus  Januensium  filiis  sine  homicidio  et  sedicione  erga  domi- 
num, sine  raptu  et  sine  vi,  qua  fiat  liomini,  de  persona  sua  vel  de  rebus 
suis,  vel  de  pecunia  sua.  Hoc  tamen  sciendum  est,  quod  supradicti 
Januenses  et  omnes  Januensium  filii  de  bomicidio,  de  prodicione  erga 
dominum,  de  raptu,  de  vi  facta  liomini  de  persona  sua,  vel  de  rebus  suis, 
vel  de  peccunia  sua,  de  omnibus  hiis  nominatis  debent  venire  facturi 
justitiam  in  curia  mea  omnibus  horis,  quibus  aliquid  liorum  contigerit,  et 
omnibus  boris,  quibus  erunt  requisiti.  Item  dono  potestatem  Januensibus 
emendi  quasdam  domos  in  Tripoli  et  eas  lil)ere  possidendi  ad  opus  com- 
munis, istam  enim  libertatem  et  hanc  curiam,  quam  dedi  Januensibus  et 
Januensium  filiis  non  dono  nee  concedo  Januensium  filiis,  qui  burgenses 
erunt  regni  Jerusalem  vel  comitatus  Tripolis  vel  principatus  Antiochie 
sive  Cypri.  Hec  dona  suprascripta  dono  et  concedo  tali  convencione, 
quod  quociescumque  Januenses  vel  Januensium  filii  venerint  in  teiTam 
meam,  cum  requisiti  fuerint  a  nie  vel  ab  aliquo  homine  nomine  meo, 
jurabunt  michi  tactis  sacrosanctis  evangeliis,  quod  me  juvabunt  et  quod 
contra  omnem  bominem  juvabunt  servari  et  defendi  Tripolim  ad  opus 
meum,  quamdiu  in  ea  sunt,  tamen  salva  sibi  peccunia  sua,  et  eodem  modo 
jurabunt  heredibus  meis  post  decessum  meum.  Si  quis  vero  Januensibus 
suprascriptum  juramentum  requisitus  facere  noluerit,  infra  diem  tercium 
exibit  de  terra  mea  ad  eam  sine  mea  licencia  nullatenus  reversurus.  Ut 
autem  i'atum  sit  et  firmum,  quod  in  presenti  pagina  continetur,  istud 
presens  Privilegium  feci  sigillo  meo  plumbeo  sigillari.  Hujus  rei  testes 
sunt  Guido,  dominus  de  Biblio,  Bertrandus  de  Biblio,  Kaimundus  de 
Biblio,  Wilielmus  de  Biblio,  Ugo  de  Biblio,  Girardus,  constabularius  Tri- 
polis, Eaimundus  de  Scandelione,  Johannes  de  Eancberoles,  Mansellus, 
Bertrandus  de  Vaisio,  Plebanus  de  Botrone,  Saisius,  Stephanus  Alexander, 
Johannes  Saxius,  Thomas  Saxius,  Bartholomeus  Saxius,  Homodei.  Nota 
magistri  Johannis  de  Corbonio,  Domini  principis  capellani.  Actum  anno 
Dominice  Incamacionis  M.  CG.  III,  principatus  nostri  anno  tercio,  mense 
Decembris. 


Venerandis  in  Christo  dilectissimis  omnibus  sancte  matris  ecclesie 
rectoribus,  archiepiscopis,  episcopis,  abbatibus  et  universis  in  cruce  signa- 
tis,  ad  quos  presens  pagina  pervenerit,  A.,  Dei  gratia  et  apostolica 
Nazarenus  archiepiscopus,    salutem   cum  lacrimis.     Miserator  et  misericors 


490  R  ö  h  r  i  c  h  t. 

Dominus  (Psalm.  110,  4),  qui,  ut  humani  generis  lapsum  sua  misericordia 
restauraret,    de  venire  virginis    carnem    sumere    et    mortis    non    dubitavit 
subire  discrimen,  volens  nos,  quos  de  tenebris  et  umbra  mortis  sua  morte 
redemit,  quantorum  meritorum  exigentia  tenente,  tradi  in  manibus  inimici, 
omnem  enim  filium,    quem  recipit  miserando,    castigat    monitis    (cf.  Hebr. 
12,  6),  nos  aliquando  quandoque  flagellis  corripiens,  ut,  cum  peccatis  nostris 
talia  ei  majora  exyberi  conspicimus,  ad  meliorera  vitam  facilius  et  libentius 
inclinemur.      Verum    cum    religionibus    nostris    iterum    excreverit    malicia 
moderniorum,    ut  nee  sacre  scripture  monitis,    nee  infirmitatis  nostre  cor- 
ripiamur    flagellis,    manum    suam    super    nos    Dominus    in   tantum    voluit 
aggravare,  ut  terra  nativitatis  sue  in  manibus  traderetur  paganorum,    ubi 
cum  propbeta  deplorantes:  Deus  venerunt  gentes  etc.  (Psalm.  78,  l)  auribus 
nostris  audierimus,  quod  quibusdam  et  ad  majorem  compunctionem  datum 
est    intueri    morticina    cliristianorum    in    escas    tradita  volatilibus    celi    et 
sanguinem    eorum    impositum    bestiis    terre,    audientes    preterea    abomina- 
tionem  desolationis  terre  in  loco  sancto,    cum    ibi  factum  sit  prostibulum 
meretricum  ab  Agarenis,    ubi  quondam  fuerat  mensa   panum  et  impositio 
saneta,  signum  eciam  salutifere  crucis,    in  quo  apostolus  cum  fide  gloria- 
batur,  cum  diceret:  Nos  autem  gloriari  oportet  in  cruce  etc.  (Gal.  6,  14), 
in  extremo  terre  illius  peccatis  nostris  exigentibus  in  potestatem    illorum 
deveniri,    qui    crucifixum    cum    cruce    detestantur.      Jherusalem    preterea, 
quondam  pacis  visio  et  terra  veteribus  pati'ibus  olim  repromissa,    in    qua 
Christus  pati  voluit  pro  nobis  et  certa  deitatis  sue  argumenta  monstrare, 
spurcitia  illorum  inquinatur,  quibus  fuerat  olim  tremori  et  honori  et  solita 
gloriari,    et    religiosis    personis  viduata,    propriis  deserta  cultoribus  ad  se 
ipsam    conversa    deplorat:    quomodo    sedet  sola  civitas  etc.  (Thren.   1,    1)! 
Quis    igitur    cbristicola    tante    desolationis    non    immemor  lacrimas  tenerit 
(sie)?     Quis    bujus    immoderati    doloris    consolationem    recipiet,    cum  non 
sit,  qui  consoletur  eam  ex  omnibus  caris  ejus  (Thren.  1,  2)?    Accingimini 
ergo   fratres  ad  verbum  Domini  populis  evangelizans  et  gentibus!     Accin- 
gantur,  quibus  licet  materialem  gladium  in  persecutores  fidei  exercere,  ut 
iniuria    crucis    vindicta    celi    ulciscatur!     Accingantur,    quibus    datum    est 
orationibus  et  contemplationi    vacare,    ut  Deum    possint    assidua    oratione 
placare!     Ecce  enim  expetiit  vos  Sathanas,    ut    cribaret    sicut    triticum  in 
hac  turbatione  (Luc.   22,   31)!     Ecce    nunc,    qui    cum  Christo    non    fuerit, 
juxta  evangelice    auctoritatis    doctrinam   (Matth.   12,  30)    ipse    erit  Christi 
adversarius,    quem  animo  prorsus  non  movebit  injuria  crucifixi,    in    signo 
crucis  non  confidat  ulterius  salvari.     Nee  aliquorum  volumus  prudentium 
admirari,  si  diversimodi  principes,  qui  ad  expugnandam  gentem  Sarcacenam 
hactenus  in  hasta  et  gladio  sunt  profecti,    quasi  nichil  fecerint,    quia  non 
in  hasta  et  gladio  salvos  facit  Dominus    de    sua    misericordia    confidentes, 
sed  in  multitudine  miserationum  suarum  salvabit  eos.    Nee  nostra  merita 
hactenus  usque  adeo    profecerunt,    ut    iratum  Dominum  ad  misericordiam 
provocaverint    et    medelam.      Licet    quondam    filii    Israel    ad    vindicandam 
mortem    uxoris    levite  de  monte  Effraim  contra  tril)u(m)  Beniamyn  ascen- 
derint,  Domino  precipiente  armati  non  tamen  prius  potuerunt  aliquatenus 
superare,  quam  ab  illis  semel  et  secundo  lügati  excessus  suos  fugavissent 
(Judic.   19 — 20).     Accedite    igitur    spe    ad  cor    altum,    ut    in    mirabilibus 
suis  exaltetur  Deus !    Eflfundite  coram  illo  corda  vestra,  ut  adiciat  misereri 


Amalrich  I.,  König  von  Jerusalem  (1162 — 1174).  491 

Deus  et  servet  in  ira  misericordiam  suam  et  post  tempestatem  et  fletuin 
exultationem  inducat !  Sumant  igitur  crucis  signaculum,  qui  hactenus  arma 
militaria  inter  populos  christianos  assumpserunt,  ne  desperent  de  paucitate 
nee  in  multitudine  glorientur!  Si  enim  ad  defensionem  sancte  terre  cum 
humilitate  debita  voluerint  festinare,  Dominus  conterens  bella,  qui  currus 
et  exercitus  Pharaonis  projecit  in  mare  (Exod.  15,  4),  docebit  manus 
eorum  in  prelium  et  digitos  ipsorum  ad  bellum.  Vos  ergo  karissimi, 
quibus  cura  pastoralis  commissa  est,  populo  Dei  verbum  salutis  annun- 
tiare  studeatis !  Speramus  siquidera,  iter  vos  Christi  parare  debetis,  quod 
Dominus  in  verbo  predicationis  et  orationis  vestre  rete  laxabit  et  tales 
ad  defensionem  orientalis  provincie  excitabit  ad  exemplum  comitis  Flandrie 
Balduini  et  sociorum  ejus,  quos  tanquam  aurum  in  fornace  (Sapient.  3,  7) 
probavit  Dominus  et  in  columnas  fidei  catholice  sursum  erexit  in  bono 
principio  captionis  Constantinopolitane  civitatis  (?),  quod  meliore  medio  et 
fine  optimo  concludet  Dominus,  quia  exsurget  Deus  et  inimici  nostri  Sar- 
raceni  dissipabuntur  et  fugient,  qui  oderunt  Dominum,  ante  faciem  ejus, 
cum  videlicet  Christi  milites  virtute  et  gratia  induti  ex  alto  terram  pro- 
missionis  viriliter  acquirent  et  opprobrium  nostrum  non  tam  armis  quam 
vite  bone  merito  longe  repellent.  Eis  autem,  qui  corde  contrito  et  hu- 
miliato  spiritu  itineris  laborem  assumpserint  et  in  penitentia  peccatorum 
fide  recta  decesserint,  auctoritate  pape,  qua  fungimur,  plenam  suorum 
criminum  indulgentiam  et  vitam  pollicemur  eternam.  Eos  vero,  qui  pau- 
pertate  nimia  oppressi,  aut  infirmitate  detenti,  aut  senes  etate  decrepiti, 
aut  mulieres,  aut  parvuli,  si  hoc  sanctum  iter  arripere  nequiverint  et 
elemosynas  suas  secundum  posse  suum  transmiserunt,  eidem  (sie)  indul- 
gentiae,  nisi  voto  fuerint  astricti,  participes  esse  concedimus.  Preterea 
caritati  vestre  commendamus  (?)  nostros  latores  presentium,  (quos)  pro 
colligendis  fidelium  elemosinis  ad  acquirendum  crucifixi  patrimonium  trans- 
mittimus  (?)  mandantes  attentius  et  in  retentione  peccatorum  vobis  iniun- 
gentes,  quatenus,  cum  ad  vos  venerint,  eos  in  ecclesiis  vestris  cum  reve- 
rentia  admittatis,  vos  ipsi  igne  sancti  Spiritus  accensi  predicationis  officium 
assumentes,  receptis  eorum  brevibus,  beneficia,  que  in  eis  continentur,  ore 
proprio  gregibus  vestris  fidelibus  imponatis.  Ad  majoris  cumulum  mer- 
cedis  et  omnibus,  qui  ad  predictum  crucifixi  patrimonium  et  ad  ecclesiam 
beate  Marie  de  Nazareth  recuperandam,  ad  cujus  tytulum  ipse  Jhesus 
Nazarenus  rex  Judeorum  appellari  voluit  et  sub  hoc  tytulo  triumphali 
mortem  expirando  vicit,  in  qua  ecclesia  beata  virgo  Maria  nata  et  ab 
angelo  salutata  fuit,  ubi  verbum  caro  factum  est,  ubi  sanctus  spiritus 
cunctavit  (?),  ubi  discipulos  elegit,  ubi  aquam  in  vinum  mutavit,  aqua 
exordium  vestre  redemptionis  eciam  vobis  propitians  ultra,  que  beneficia 
transmittenda  statuimus  pia  miseratione  in  Christo  Jhesu  ecclesiis  vobis  sub- 
ditis  .  .  .  . ,  tricenalia  et  tria  annualia  ex  omnium  bonorum,  que  de  cetera 
fient  in  itineribus,  necnon  in  sacris  locis  terre  promissionis  in  corporum 
vexatione,  in  sanguinis  efiusione,  in  fame  et  siti  et  capitum  decoUatione 
et  Omnibus  tormentorum  generibus  l'raternitatem  et  participationem  con- 
cedimus in  perpetuum.  Valete  in  Christo,  ut  valentes  vivatis  cum  omni- 
providente,  cujus  vita  vivitur  per  infinita  seculorum  secula!    Amen. 


492  R  ö  h  r  i  c  h  t. 


VI. 


Universis  presentes  littenis  conspecturis  Frater  Gerinus,  Dei  gi-atia 
sancte  domus  Hospitalis  Jherusulem  Magister  humilis  et  pauperum  Christi 
Gustos,  salutem  in  Domino.  Universitati  vestre  notum  facimus,  quod  nos 
de  voluntate  et  assensu  fratrum  nostrorum  constituimus  dilectum  nostrum 
fratrem  Marguisium  Sindicum  actorem  et  procuratorem  in  Omnibus  causis, 
quas  habemus  et  habituri  sumus  in  Romana  curia  contra  quoscunque  vel 
quascunque  quoquo  modo  ita,  quod  possit  plenarie,  generaliter  ac  specialiter 
in  omni  casu  agere,  defendere,  excepere  (sie),  transigere,  contradicere  ac 
iudices  impetrare  pro  sue  arbitrio  voluntatis.  Preterea  damus  eidem  fratri 
Marguisio m  et  plenariam  potestatem  constituendi  alium  pro- 
curatorem ad  omnia  supradieta  vel  tantum  modo  ad  impetrandum  et  con- 
tradicendum  promitten(tes)  insuper,  quicquid  cum  dicto  fratre  Marguisio  actum 
fuerit  in  premissis  omnibus,  nos  ratum  et  firmum  habituros.  In  cujus  rei 
testimonium  et  majorem  securitatem  presentem  paginam  fieri  fecimus  sigilli 
nostri  munimine  roboratum.  Actum  apud  Accon  Anno  domini  M'^  ducen- 
tesimo  XXXI »,  viij  die  mensis  octobris.    Indictione  iiij. 

Quas  litteras  supradicto  modo  scriptas  ego  Galganus  notarius  vidi  et 
legi  signatas  sigillo  plumbeo  pendente,  in  quo  sigillo  erat  ab  una  parte 
imago  cujusdam  hominis  flexis  genibus  stantis  ante  imaginem  cujusdam 
crucis  et  circum  circa  erant  littere  scriptae  t  frater  :  gerinus  :  custos.  Et 
alia  vero  parte  ejusdem  sigilli  erat  Signum  cujusdem  hospitalis  et  imago 
cujusdam  hominis  ibi  iacentis  et  circum  circa  erant  littere  Scripte:  t  ho- 
spitalis :  Jherusalem.  Item  ego  supradictus  notarius  vidi  alias  litteras 
procurationis  facte  ab  ipso  fratre  Marguisio  fratri  Simoni  cuiudam  (sie) 
sigillo  cere  signatas,  scriptas  sub  hac  forma:  Venerabili  in  Christo  patri 
et  domino  Rainerio,  miseratione  divina  sancte  Marie  in  Cosmidin  diacono 
cardinali,  frater  Marehisius,  rector  Hospitalis  sancti  Sisimundi  universalis 
procurator  et  sindicus  hospitalis  sancti  Johannis  Jerosolimitani  in  curia 
Romana,  se  ipsum  cum  omni  genere  famulatus.  Vestram  paternitatem 
harum  tenore  cupio  non  latere,  me  fratrem  Simonem,  presentium  portitorem 
meum,  coram  nobis  in  causa,  quam  cum  hospitalerio  Osnelli  Pistoriensis 
diocesis  procuratorio  nomine  habeo,  procuratorem  et  sindicum  ordinasse  ad 
terminum  postulandum  et  recipiendum  nobis,  in  quo  me  coram  vobis  per- 
sonaliter presentabo.  Presentem  igitur  paginam  mei  sigilli  munimine  feci 
tutius  roborare. 

Supradictas  vero  litteras  supradicto  modo  scriptas  et  signatas,  ut 
supi'a  dictum  est,  de  quibus  hoc  exemplum  sumptum  est,  ego  supradictus 
notarius  vidi  et  legi  et  prout  in  eis  inveni  de  verbo  ad  verbum  hie 
transscripsi  et  fideiiter  exemplavi  mandato  suprascripti  domini  Rainerii, 
miseratione  divina  sancte  Marie  in  Cosmidin  diaconi  cardinalis,  infrascripta 
in  domo  abbatie  Sancti  Petri  de  Perusio,  in  qua  dictus  cardinalis  reside- 
bat,  presentibus  testibus  Petro  de  Pena  et  Salvio,  servientibus  predicti 
cardinalis  et  aliis.  Anno  dominice  nativitatis  Millesimo  ducentesimo, 
trigesimo  quinto.  Indictione  VIII,  quinto  Kai.  Januarias,  eodem  vero  die 
et  loco  et  coram  predictis  testibus  idem  dominus  Rainerius  cardinalis 
dixit  et  mihi  scribere  mandavit,  quod  ipse  cardinalis  assignaverat  die 
sabati  proxime  preterito  supradicto  fratri  Simoni  recipienti  pro  supradicto 


Amalricli  L,  König  von  Jerusalem  (1162—1174).  493 

fratre  Marguisio  terminum  perentorium  in  octava  ephiphanorum  (sie) 
proxime  Ventura,  in  quo  compareat  coram  dicto  Cardinali  consorte  sindico 
hospitalis  Osnelli  responsurus.  T.  S.  Ego  (lalganus,  sacri  imperii  notarius, 
supradicta  esemplavi  et  de  mandato  predicti  domiui  Cardinalis  scripsi  et 
in  hanc  publicam  formam  redegi. 

VII. 

In  nomine  Sancte  et  Individue  Trinitatis,  Patris,  Filii  et  Spiritus 
Saucti.  Amen.  Nos  Riccardus  Filangerius,  Imperialis  Marescalcus,  Sacri 
Imperii  Legatus  in  partibus  cismarinis  et  regni  Hierusalem  Balius,  Praesenti 
scripto  notum  facimus  universis,  quod  nos  attendentes  plurima  et  grata 
servitia,  quae  vos,  Domine  Petre  Pennapedis,  Castellaue  Hierusalem,  Domino 
Nostro  Imperatori  fideliter  et  laudabiliter  fecistis,  de  concessa  nobis  aucto- 
ritate  et  potestate  a  Domino  nostro  Imperatore  bene  et  dignis  meritis 
beneficia  largiendi  damus  et  concedimus  vobis  praefato  Domino  Petro, 
Castellano  Hierusalem,  et  vestris  legitimis  lieredibus  ex  uxore  legitima 
procreatis  quadringentos  Disantios  saiTacenatos  percipiendos  annuatim  super 
redditibus  Hierusalem  intus  et  extra  melius  appareutibus  per  quattuor 
anni  termiuos,  scilicet  de  tribus  in  tres  menses  Bisantios  centum.  Con- 
stituimus  etiam  voläs  restitutionem  unius  equi  et  mulae  juxta  Kegui 
consuetudinem  et  assisiani.  Vos  vero  et  Leredes  vestri  legitimi  proinde 
Domino  Imperatori  et  Illustri  Regi  Conrado,  ejusdem  Regni  heredi,  servitium 
facere  tenemini  de  persona.  Ad  cujus  rei  memoriam  et  perpetuam  firmi- 
tatem  presens  scriptum  vobis  inde  fieri  lecimus  sigilli  nostri  munimine 
roboratum.  Hujus  autem  rei  testes  sunt:  Lutardus  Filangerius,  Regni 
Hierusalem  Marescalcus,  Petrus,  Dominus  Scandalionis,  Guarnerius  Ale- 
mannus,  Paulus  Alemannus  et  alii  quamplures.  Actum  Tyri  Anno  Do- 
minice    Incarnationis    Millesimo    Ducentesimo    quadragesimo    secuudo    In- 

dictione  quintadecima  Septimo   decimo    mensis  Maji Vobis  Domino 

Petro,  dignissimo  Abbati  Sancte  Mariae  de  Josaphat  in  Accone,  et  ejus 
Capitulo  notum  facio  ego  Oddo  Pisanus  civis  de  domo  Orlandorum,  quod 
vobis  recommendo  quoddam  Privilegium  Riccardini  et  Henrici  et  Aylentini, 
filiorum  quondam  Domini  Petri  Pinnapedum,  olim  Castellani  Hierusalem, 
de  eorum  assecuratione,  ut  in  ipso  Privilegio  continetur,  taliter  quod 
mihi  Oddoni  vel  uni  ex  dictis  filiis  quondam  dicti  Petri  seu  Domine 
Agneti  matri  dictorum  puerorum,  aut  Domino  Vitino  de  Tyro  quondam 
Stagii  avunculo  dictorum  puerorum,  teneamini  reddere  atque  dare,  si 
placet,  quandocunque  ab  aliquo  inde  lueritis  requisiti. 


Vier  Post-Stimdeiipässe  aus  den  Jahren  1496 

bis  1500. 

Von 

Oswald    Redlich. 

lu  dem  1889  erschienenen  Buche  über  Johann  Baptista  von  Taxis 
(1530—1610)  hat  J.  Rübsam  im  ersten  Capitel  und  in  einem  eigenen 
.  Anhang  die  kärglichen  bisher  bekannten  Nachrichten  über  die  Anfänge 
regelmässiger  Posteinrichtungen,  die  mit  dem  Namen  Taxis  untrennbar 
verbunden  sind,  gesammelt,  in  etwas  gesichtet  und  durch  zwei  sehr 
werthvoUe  Documente  aus  den  Jaliren  1594  ^)  und  1510  vermehrt.  Auf 
S.  5  theilt  Rübsam  eine  von  Ulmann  K.  Maximilian  I.  1,  454  ge- 
brachte Nachricht  über  Jan  von  Taxis  und  über  die  Feldpost  Maxi- 
milians im  Jahre  1496  mit  und  fügt  hinzu:  „Dieses  leider  nicht  be- 
stimmtere und  ausführlichere  Excerpt  stammt  aus  dem  Innsbrucker 
Archiv,  welches  höchst  wahrscheinlich  noch  mehrere  andere  Dokumente 
über  die  älteste  Taxis'sche  Post  enthält^'.  Eine  Anfrage  an  das  Statt- 
haltereiarchiv in  Innsbruck  hätte  dem  H.  Verfasser  den  vollen  Wort- 
laut der  Schriftstücke  verschaffen  können,  deren  wesentlichen  Inhalt 
übrigens  schon  Ulmanns  Auszug  wiedergilit.  Und  allerdings  ist  auch 
ausserdem  noch  mauches  über  die  ältesten  Posten  im  Statthalterei- 
archive zu  finden.  H.  Franz  Graf  Taxis  hier  hat  dieses  Material  im 
letzten  Jahre   zu    sammeln   begonnen-^).     Ich    selbst    aber    war    schon 


')  Datiit  vom  18.  Januar  1504;  Rübsam  glaubt  8.  235  und  Einleitung  XV, 
dies  entspreche  dem  18.  Januar  1505  unserer  Rechnung,  da  man  in  Brabant  das 
Jahr  mit  dem  Charfreitag  begann.  Aber  soweit  ich  gerade  sehe,  hat  dieser 
i.andesbranch  auf  die  lürstliche  Kanzlei  dieser  Zeit  keinon  Einfluss  geübt. 
«)  Derselbe  hatte  die  Güte,  mir  eine  Reihe  von  Stundonpässen  des  18.  Jahrhun- 
derts, die  im  gräfl.  Taxis'schen  Familienarchiv  zu  Innsbruck  aufbewahrt  sind,  zu 
zeigen.     Ka  sind  Blätter  in  Folio,    an    der  Spitze  steht  ein  gedrucktes  Formular, 


I 


Vier  Post-Stundenpässe  aus  den  Jahren  1496  bis  1500.  495 

früher  auf  die  vier  nachfolgenden  Documente  gestossen,  auf  deren 
Werth  ich  aber  erst  bei  späterer,  näherer  Betrachtung  aufmerksam 
wurde.  Es  sind  wol  Unica  ihrer  Art  aus  so  früher  Zeit  und  als  solche 
wurden  sie  seither  an  das  k.  k.  Handelsministerium  für  das  neu  ge- 
gründete Postmuseum  in  Wien  abgetreten,  das  in  ihnen  jedenfalls 
einen  der  merkwürdigsten  schriftlichen  UebeiTeste  aus  der  ältesten 
Zeit  der  Posten  besitzen  wird. 

Diese  vier  Documente  sind  Stundenpässe,  wie  sie  die  Post  noch 
heute  nennt  und  in  Gebrauch  hat,  das  heisst  Bescheinigungen,  womit 
jeder  Postbote  Ort  und  Zeit  der  Uebernahme  und  Abgabe  einer  Post- 
sendung bezeugt.  Sie  bestehen  aus  einem  halben  (I  und  III)  oder 
einem  ganzen  Bogen  Papier  (II  und  IV).  An  der  Spitze  steht  der 
Vermerk  des  Beamten  oder  Postmeisters  (in  IV),  der  die  Abfertigung 
der  Sendung  zu  besorgen  hatte.  Daran  reihen  sich  die  von  den  Post- 
boten  so  weit  als  möglich  eigenhäudig  geschriebenen  Angaben  über 
Annahme,  in  IV  auch  vielfach  über  die  Abgabe  der  „Post".  So  wan- 
derte der  Bogen  von  Postreiter  zu  Postreiter  und  machte  die  ganze 
Reise  mit.  Er  wurde  natürlich  klein  zusammengefaltet  und  konnte 
unter  den  wechselnden  und  jedenfalls  nicht  zarten  Händen  zuletzt 
freilich  nicht  mehr  glatt  und  sauber  ausschauen,  Nachdem  er  seinen 
Dienst  gethan,  ward  er  bei  Seite  geworfen  und  es  ist  ein  eigener  Zu- 
fall, dass  sich  dennoch  einige  dieser  unscheinbaren  Blätter  bis  auf  uns 
erhalten  haben.  Wir  wollen  sie  zuerst  einzeln  etwas  betrachten,  um 
dann  eine  eine  kurze  Würdiguug  derselben  geben  zu  können  und  sie 
schliesslich  ihrem  Wortlaut  nach  vorzuführen. 

I.  Diese  Postsendung  wurde  zu  Augsburg  Dienstag  den  12.  Juli 
1496  abends  um  9  Uhr  abgefertigt  an  den  königlichen  Hof  „wo  der 
yetzo  ist",  in  die  Hand  des  Protonotars  Cyprian  von  Serutein  oder  in 
dessen  Abwesenheit  an  den  Secretär  Matthäus  Lang.  König  Maxi- 
milian war  in  diesen  Tagen  durch  das  Oberinnthal  hinaufgezogen, 
weilte  am  12.  Juli  in  Pfunds,  am  14.  in  Nauders.  So  nimmt  denn 
die  Post  von  Augsburg  fort  den  geradesten  Weg  in  nachfolgenden 
Stationen,  von  denen  an  zweien,  wol  in  der  Nähe  von  Laudsberg  und 


dass  diese  »sehr  hocheylende«  Post,  an  der  der  Rom.  kaiserl.  Majestät  etc. 
.mercklich  und  überauss  vil  gelegen«,  bei  Tag  und  Nacht  ohne  Aufenthalt  be- 
fördert werden  solle,  mit  Cito  Citissime  darunter.  Dann  folgen  noch  einzelne 
vorgedruckte  Bemerkungen  über  Gebühren,  Abfertigung  u.  s.  w.  und  darunter 
die  Vermerke  der  Postboten  und  Posthalter  über  Empfang  und  Absend ung  der 
Post.  Im  wesentlichen  noch  dieselbe  Form  wie  um  1500.  Diese  Stücke  scheinen 
sich  deshalb  erhalten  zu  haben,  weil  Unzukömmlichkeiten  vorgekommen  waren, 
die  eben  aus  den  Stundenpässen  nachgewiesen  werden  konnten. 


^gg  Redlich. 

in  Fernstein,    der  Postreiter    zwar    die  Zeit,    nicht   aber    den  Ort   an- 
gegeben hat  ^). 

Entfernung  Abgangszeit  ^)        Zeitaufwand 
in  geog.  Ml.  (Khn.) 

Von  Augsburg  bis  12.  Juli  9  Uhr  N. 

\     10   (74)  13.   »  1 — 2  N.       4T)  Stunden 

Bernbeuern  sw.  Schongau  |  8                 6' 5 

Reutte                                          4-5  (33)  12                4 

Nassereut  /   *  "  ^^"^^  7  N.  O'ö 

Prutz  <)  (44-5)         14.  Juli  5—0  N.      lO'S 


Von  Augsburg  bis  Prutz      25  (184'5)  32*5 

Von  Prutz  ritt  der  ablösende  Postbote  am  14.  Juli  zwischen 
5  und  6  Uhr  Früh  fort  und  wird  Vormittags  noch  den  konigUchen 
Hof  in  Nauders  erreicht  haben.  —  Die  an  sich  schon  nicht  miss- 
verständliche Bedeutung  der  hier  und  bei  II  am  Rande  gezeichneten 
Galgen  wird  durch  die  ausdrückliche  Drohung  in  11:  pei  dem  galgeu, 
ganz  unzweifelhaft  gemacht. 

IL  Die  Post  wurde  durch  Bartholomäus  Käsler  königlichen 
Kammermeister,  Freitag  den  26.  Mai  1497  —  in  diesem  Jahre  war  der 
Freitag  nach  Fronleichnam  eben  der  26.  Mai  —  zwischeu  8  und  9  Uhr 
Vormittag  in  Innsbruck  aufgegeben,  und  war  an  den  königlichen 
Secretär  Niclas  Ziegler  bestimmt,  der  jedenfalls  am  Hoflager  Maxi- 
milians weilte,  das  um  diese  Zeit  in  Füssen  und  Kaufbeuern  sich 
befand  ^).  Die  ersten  beiden  Postreiter  verzeichnen  den  Ort  der  Ueber- 
nahme  nicht,  der  dritte  gieug  am  selben  Tage  abends  zwischen  7  und 
8  Uhr  von  der  Ehrenberger  Klause  (bei  Eeutte)  ab  und  kam  zwischen 
8  und  9  Uhr  nach  Füssen.  Von  Innsbruck  bis  Ehrenberg,  10-5  Meilen 
(77-8  Kim.),  brauchte  also  diese  Post  11  Stunden,  von  Ehrenberg  bis 
Füssen,  2  M.  (14-8  Kim.)  ein  bis  zwei  Stunden. 

<)  Das  Stück  bietet  auch  einen  lehrreichen  Fall  für  den  verschiedenen  Ge- 
brauch in  der  Feier  des  Margaretentages:  im  Gebiet  der  Augsburger  Diöcese  ist 
Margareta  am  Mittwoch  13.  Juli,  der  Postbote  aus  der  Brixener  Diöcese  aber 
schreibt  Mittwoch  nach  Margareta,  weil  er  das  Fest  am  Dienstag  den  12.  Juli 
feierte.  ^]  Zur  Vereinfachung   sind  hier  und  bei  IV  die  Stunden  von  6  Uhr 

Abends  bis  6  Uhr  Früh  mit  N.  als  Nachtstunden  bezeichnet.  •'')  Vgl.  Stalin 

in  Forschungen  1,  356.  Zur  Ergänzung  von  Maximilians  Itinerar  von  Ende  Mai 
bis  in  den  August  1497  diene  Folgendes:  Der  König  war  vom  22.  bis  26.  Mai 
in  Kaufbeuern,  vom  30.  Mai  bis  5.  Juni  wieder  in  Füssen,  am  8.  Juni  in  Lieben- 
thann  nw.  Günzburg,  am  16.  in  Stetten,  19.  Kaufbeuern,  23.  Juni  bis  17.  Juli 
in  Füssen,  20.  Juli  in  Ehrenberg,  24.  Stams,  vom  25.  Juli  bis  2.  August  in  Imst 
und  im  nahen  Sigmundsfreud,  3.  und  4.  August  im  Pitzthal,  6.  Fragenstein  bei 
Zirl,  7.  August  Innsbruck.  Innsbruck  Statth.-Archiv  Copialbuch  Geschäft  von  Hof 
1497  fol.  206  ff. 


Vier  Post-Stundenpässe  aus  den  Jahren  1496  bis  1500.  497 

III.  Auch  diese  Post  gieng  von  Innsbruck  und  im  gleichen  Jahre  1497 
aus,  aber  an  Maximilian  selbst,  der  am  19.  Juli  wol  schon  von  Füssen 
nach  Ehrenberg  gekommen  war.  An  diesem  Tage  zwischen  2  und 
3  Uhr  Nachmittag  gieng  die  Post  von  Innsbruck  ab,  um  6  Uhr  von 
Telfs  im  Oberinnthal,  zwischen  9  und  10  Uhr  Nachts  von  Fernstein. 
Von  Innsbruck  bis  Telfs,  3"5  Meilen  (26  Kim.)  brauchte  der  Postreiter 
3-5  Stunden,  von  Telfs  bis  Fernstein,  3  M.  (22  Kim.),  ebenfalls 
3'5  Stunden. 

IV.  Das  weitaus  interessanteste  der  vier  Stücke.  Es  rauss  ins 
Jahr  1500  fallen.  Das  Zusammentreffen  der  Wochentage,  Mouatsdaten 
und  Festtage  ergibt  ein  Jahr,  wo  Ostern  am  19.  April  gefeiert  wurde 
und  dies  war  1489,  1495  und  1500  der  Fall.  Aber  1489  war  Maxi- 
milian Ende  März  noch  in  Mainz  und  1495  in  Worms.  Im  Jahre 
1500  war  er  bis  24.  Febr.  in  Innsbruck  gewesen,  um  dann  nach 
Augsburg  zu  gehen,  wo  er  vom  14.  März  bis  in  den  September  blieb  ^). 
Da  nun  diese  Postsendung  am  25.  März  von  Mecheln  abgieng,  musste 
sie  den  König  in  Augsburg  treffen,  ein  Theil  der  Post  gieng  aber, 
ohne  Augsburg  zu  berühren,  nach  Innsbruck.  Diese  Theilung  macht 
sich  auch  im  Stundenpasse  bemerklich.  Am  28  März  Nachts  zwischen 
10  und  II  Uhr  war  die  Post  in  Hausen  so.  Pforzheim  angelangt. 
Zwei  Postboten  nahmen  sie  hier  in  Empfang:  der  eine,  Michel  mit 
der  Schramme  übernimmt  den  nach  Innsbruck  weitergehenden  Theil, 
Jörg,  der  andere,  die  Sendung  für  König  Maximilian,  indem  er  dazu 
vermerkt:  ,  .  hab  eyn  post  hayn  abgefurt,  das  lieisst  doch:  ich  habe 
die  eine  Post,  den  königlichen  Autheil,  übernommen  um  sie  heim,  an 
den  königlichen  Hof  nach  Augsburg,  abzuführen.  Dieser  Vermerk, 
sowie  die  vorausgehende  an  den  Boten  von  Söfiingen  bei  Ulm  adressirte 
Anweisung  des  Boten  Wolf  zu  Hausen  sind  auf  die  bis  dahin  leere 
dritte  Seite  des  Bogeus  geschrieben  worden,  konnten  also  ganz  gut 
noch  in  Hausen  selbst  eingetragen  werden,  während  der  noch  auf  dem 
freien  Eaum  der  zweiten  Seite  eingeschriebene  Vermerk  des  Boten 
von  Plochingen  zeitlich  natürlich  später  fällt.  Die  von  Hausen  ab- 
zweigende, nach  Augsburg  gehende  Post  lässt  sich  selbstverständlich 
auf  diesem  Stundenpasse  nicht  weiter  verfolgen,  sie  wird  ihren  eigenen 
gehabt  haben.  Zu  trennen  davon  ist  das  „peckle",  das  zu  Hausen  für 
Anton  Welser  in  Augsburg  aufgegeben  wurde  und  mit  der  Innsbrucker 
Post   bis  Söfiingen    gieng,    von    da   aber    durch    einen    eigenen  Boten 


•)  Stalin  a.  a.  0.  3G0,  dazu  ergänzend :  24.  Febr.  Innsbruck,  26.  Fragenstein, 
27.    Sigmundsburg    (Fempass),    2.  März   Augsburg,    i).    bis    12.  Donauwörth,   vom 
14.  an  Augsburg.   Innsbruck  Statth.-Archiv  Copialb.  Gtsch.  von  Hof  1500  i'ol.  32  ff. 
Mittheilungen  XII.  32 


498 


R  e  d  1  i  c  H. 


nach  Augsburg  gebracht  werden  musste.  —  Im  nachfolgenden  Posten- 
lauf von  Mecheln  bis  Innsbruck  fehlen  die  Namen  von  zwei  Stationen, 
die  erste  dürfte  wol  bei  Bilsen  w.  Mastricht,  die  zweite  in  Nesselwang 
zwischen  Kempten  und  Füssen  zu  suchen  sein.  Die  Stationen  Peudar- 
gent  und  die  Vee  war  mir  zu  finden  nicht  m<)glich,  doch  müssen  sie 
so  ziemlich  auf  der  geraden  Linie  zwischen  Eillaer  uud  Büllesheim 
liegen  und  zwar  Peudargent  etwa  in  der  Gegend  von  Aachen,  während 
man  unter  der  Vee  wol  eine  Oertlichkeit  in  den  Ausläufern  des  Hohen 
Veun  vermuten  darf  ^). 


Entfernung 

Abgangszeit 

Zeitaufwand 

in  geog.  Ml.  (Kim.) 

Von  Mecheln  bis 

25.  März  4  Uhr 

Rillaer  ö.  Aerschot 

4-3  (31) 

7  N. 

3  Stdn. 

— 

3  N. 

8 

Peudargent 

•  19      (141) 

26.  Mz.  9 

6 

Vee 

2 

5 

Büllesheim  sw.  Bonn 

12  N. 

10 

Breisig  am  Rhein  2) 

5-2  (38) 

27.  Mz.  6 

6 

Hatzenport  a.  d.  Mosel 

4-6  (34-2) 

12  —  1  (Ankft 

11)   6-5  3) 

ßheinböUen  sw.  Bacharach 

4-6  (34-2) 

6  N. 

5*5 

Flonheim  nw.  Alzey 

5-2  (38) 

28.  Mz.  12  N. 

6 

Heppenheim  w.  Worms 

3-G  (27) 

5  N.  (Ankft. 

4)    5    ^) 

Speier 

4T,  (34-2) 

9—10 

4-5 

Hausen  so.  Pforzheim 

9-2  (68-2) 

10—11  N. 

13 

Plochingen 

6-4  (47-5) 

29.  Mz.  4—5  N. 

6 

Gingen  nw.  Geislingen 

3-8  (28-2) 

9—10 

5 

Söflingen  bei  Ulm 

4-6  (34-2) 

2—3 

5 

Pless  n.  Memmingen 

5-3  (40) 

7  —  8  N. 

5 

-                                   ^ 

Lermoos                               ] 

>  14-3  (lor,) 

30.  Mz.  8 
3 

12-5 

7 

Barwies  w.  Telfs 

3-8  (28-2) 

7  N. 

4 

Innsbruck 

4-ß  (34-2) 

31.  Mz.  3  N. 

8 

Von  Mecheln  bis  Innsbruck    1()3"1  (764-1) 


13  1 


Die  Post  gieng  Mittwoch  den  25.  März  um  4  Uhr  Nachmittag 
von  Mecheln  fort  und  langte  am  Dienstag  den  31.  März  um  3  Uhr 
Früh  in  Innsbruck  an,  sie  bedurfte  zu  dieser  Strecke  also  5  Tage  und 
11  Stunden. 


')  Für  die  freundliche  Beihilfe  bei  Feststellnng  der  Oertlichkeiten  habe  ich 
H.  Prof.  V.  Wieser  bestens  zu  danken.  -)  Entweder  Über-  oder  Nieder-Breisig ; 

noch  auf  Karten  des  vorigen  Jahrhunderts  findet  sich  Brysich,  eine  vermittelnde 
Form   zu   dem   Bryssche   des   ötundenpasses.  ^)   Mit  Einrechnung   des  Auf- 

enthalts von  1-5  Stimde  in  Hatzenport.  '•)  Mit  dem  Aufenthalt  von  1  Stunde 

in  Heppenheim. 


Vier  Post-Stundenpässe  aus  den  Jahren  1496  bis  1500.  499 

Die  Bedeutung  dieser  vier  Documente  liegt  zunächst  in  dem 
Aufschlus,  den  sie  uns  über  die  ältesten  Zeiten  regelmässig  eingerichteter 
Posten  in  Deutschland  und  in  den  Niederlanden  geben.  Die  ersten  drei 
Stücke  kommen  zwar  hiefür  weniger  in  Betracht:  sie  betreffen  Posten, 
die  ausschliesslich  im  Dienste  K.  Maximilians  un(;l  unter  seiner  oder 
seiner  Eegierung  Leitung  standen.  Dies  beweist  die  Abfertigung  der 
zweiten  und  dritten  Post  durch  den  Kammermeister  in  Innsbruck 
selbst,  beweist  die  Drohung  mit  dem  Galgen.  Es  waren  dies  die  noth- 
wendigen  Verbindungen  des  Königs  mit  den  Behörden  in  Innsbruck, 
in  I  wol  der  Anschluss  an  eine  deutsch-niederländische  Hauptlinie. 

Eine  solche  Hauptlinie  und  zwar  schon  in  Verwaltung  der  Taxis 
könnte  in  der  That  bereits  1496  bestanden  haben.  Jan  von  Taxis 
war  schon  vor  dem  18.  August  1496  als  Postmeister,  wol  in  Innsbruck, 
bestellt  gewesen  und  aus  dem  Umstände,  dass  er  von  da  an  auch  die 
von  der  Kammer  bezahlten  Posten  übernahm,  darf  geschlossen  werden, 
dass  er  bisher  und  fernerhin  auch  andere  Posten,  also  doch  auf  Kech- 
nung  seines  Hauses  über  sich  hatte  i).  Aber  bestimmte  Kunde  erhalten 
wir  erst  aus  dem  Jahre  1500,  durch  unser  viertes  Stück,  das  nunmehr 
älteste  urkundliche  Zeugniss  über  die  Taxis'schen  Posten 
von  den  Niederlanden  nach  Deutschland  und  an  den  königlichen  Hof. 
Dieser  Stuudenpass  bildet  eine  sehr  willkommene  Ergänzung  zu  den 
von  Rübsam  edirten  Abmachungen  K.  Philipps  d.  Seh.  mit  Franz  von 
Taxis  von  1504  -).  Wenn  in  diesen  letztern  erwähnt  ist,  dass  Franz 
von  Taxis  schon  am  1.  März  1500  zum  Hauptpostmeister  (capitaine 
et  maistre  de  nos  postes)  bestellt  worden  Wcir,  so  sehen  -wir  nuu,  dass 
er  den  bereits  vollständig  eingerichteten  Postenzug  von  Brüssel  (oder 
Mecheln)  bis  nach  Innsbruck  und  bis  dahin,  wo  sich  K.  Maximilian 
Ijefand,  zu  verwalten  hatte.  Da  Franz  von  Taxis  bis  1504  nur  un- 
gefähr 360  Livres  Gehalt  bekam,  so  müssen  die  Betriebskosten  bis 
dahin,  wie  schon  Rübsam  184  vermutete,  doch  jedenfalls  von  Pliilipp 
d.  Seh.  selbst  getragen  worden  sein.  Das  schloss  aber  nicht  aus,  dass, 
wie  gerade  unser  Stundenpass  es  direkt  beweist,  diese  Post  auch  die 
Beförderung  von  Privatsachen  übernahm:  von  Hausen  bis  Söflingen 
geht  ein  „peckle"  mit  Briefschaften  für  Anton  Welser  in  Augsburg 
mit.  Mit  dem  Vertrage  von  1504  trat  diese  Posteinrichtimg  in  ein 
ganz  neues  Stadium.  Die  französische  und  spanische  Post  wurde  neu 
errichtet    und    Franz    von    Taxis    übernahm    unter   Zusicherung    von 

')  Ergibt  sich  aus  den  zu  Anfang  erwähnten  Verordnungen  K.  Maximilians. 
2)  Rübsara  188  ft'.,  dazu  die  Erläuterungen  S.  177  tt'.  —  Charakteristisch  für  die 
sehr  bald  internationale  Stellung  der  Taxis  und  ihrer  Post  ist  die  aus  Italienisch, 
Deutsch  und  Französisch  gemischte  Sprache  des  Franz  von  Taxis. 

32* 


500  R  e  d  1  i  c  k. 

12  000   Livres   jährlicli    den    ganzen    Betrieb    auf   eigene    Gefahr    und 
Rechnung. 

Wir  können  nunmehr  auch  die  Strecke  Mecheln-Innsbruck  von 
Station  zu  Station  verfolgen.  Es  ist  so  ziemlich  der  kürzeste  Weg, 
der  überhaupt  eingeschlagen  werden  konnte.  Um  die  geradeste  Linie 
zu  gewinnen,  werden  selbst  unwegsame  Strecken,  wie  über  die  Eifel 
und  den  Hunsrück  nicht  vermieden  und  lieber  die  Strasse  den  Rhein 
entlang  bei  Seite  gelassen.  Die  Stationen  richten  sich  nicht  nach 
grösseren  Orten,  sondern  sind  in  ziemlich  gleich  massiger  Entfernung 
von  ungefähr  4  bis  5  Meilen  vertheilt  und  treffen  so  grösserntheils 
auf  die  unbedeutendsten  Oertchen.  In  jeder  Station  ist  Boten-  und 
Pferdewechsel.  Jeder  Postreiter  hatte  wenigstens  die  Zeit  der  Ueber- 
nahme  des  Postpaquets  auf  dem  Stundenpass  zu  vermerken,  die  meisten 
geben  auch  den  Ort  au,  einige  auch  die  Zeit  der  Abgabe.  Auch  Un- 
regelmässigkeiten werden  augezeigt,  sowie  die  bewegliche  Klage  zweier 
Postreiter  über  gänzlichen  Mangel  an  Geld.  Ein  Bote  löst  den  andern 
unmittelbar  ab,  so  dass  kein  Aufenthalt  zu  entstehen  brauchte;  zwei- 
mal in  unserem  Falle  trat  eine  Verzögerung  auf  der  Station  selbst 
ein,  das  erste  Mal  in  Hatzenport,  wol  verursacht  durch  das  Brechen 
des  Verschlusses  am  Postbeutel.  Die  Boten  reiten  Tag  und  Nacht,  in 
ihrer  gewöhnlichen  Schnelligkeit  (im  Durchschnitt  eine  Meile  in  einer 
Stunde)  treten  aber  mehrfach  sichtbare  Verzögerungen  ein,  die  durch 
schlechte  Wege,  kleine  Unfälle  und  ähnliches  entstanden  sein  werden. 
Trotzdem  wird  die  weite  Strecke  von  103  Meilen  (764  Kilom.)  in 
51/2  Tagen  zurückgelegt,  in  einer  Zeit,  die  dann  1504  als  fortan  ver- 
tragsmässige  (im  Sommer,  im  Winter  6  Vg  Tage)  festgesetzt,  1516  aber 
noch  auf  5  und  6  Tage  verkürzt  wurde  1).  Diese  Gesammtleistung  ist 
eine  sehr  bedeutende  und  anerkennenswerthe,  sie  beruht  aber  nicht  so 
sehr  auf  der  Schnelligkeit  der  Postreiter,  als  auf  ihrem  ununterbrochenen 
Ineinandergreifen. 

Das  führt  uns  auf  die  andere  werthvolle  Seite  dieser  Docuraente. 
Sie  bieten  uns  nämlich  ein  höchst  anschauliches  Bild  über  die  Rasch- 
heit, mit  der  in  früheren  Zeiten  überhaupt  die  Befcu'derung  von  Nach- 
richten von  Statten  gehen  konnte.  Sie  bieten  für  eine  ganze  Reihe 
von  Strecken  in  verschiedenartigster  Gegend  die  genauesten  Daten  über 
die  Zeit,  die  zu  ihrer  Bewältigung  durch  einen  einzelnen  Reiter  er- 
forderlich war.    Und  da  die  Verhältnisse,  unter  denen  diese  Postreiter 


')  Kübsam  179  f.,  204  f.,  wo  die  Beförderungsfristen  für  die  Posten  nach 
Frankreich,  Spanien  und  Italien  zusammengestellt  sind.  Vgl.  auch  über  die  Ver- 
breitung der  Nachricht  vom  Tode  K.  Maximilians  I.  Voltelini  in  Mitth.  des 
Instituts  11,  fill   Anm.  4. 


Vier  Post-Stundenpässe  aus  den  Jahren  1496  bis  1500.  501 

um  1500  ritten,  also  der  im  allgemeinen  doch  recht  schlechte  Zustand 
der  Strassen,  die  Benützung  von  Seitenstrassen  und  Landwegen,  auch 
in  den  Jahrhunderten  vor  und  vielfach  gar  lange  nach  1500  so  ziem- 
lieh die  gleichen  waren,  so  geben  diese  Stundenpässe  auch  einen 
Massstab  zur  Beurtheilung  von  Fällen,  wo  es  eben  auf  die  Ermittelung 
der  Schnelligkeit  von  Botschaften  und  Keisen,  der  Verbreitung  von 
Nachrichten,  oder  auf  die  Möglichkeit  einer  behaupteten  Schnelligkeit 
ankommt.  Freilich  darf  dabei  nicht  vergessen  werden,  dass  in  unserem 
Falle  ein  regelmässiger  Pferde-  und  Keiterwechsel  stattfand,  Be- 
dingungen, von  denen  die  erste  für  die  schnelle  Zurückleguug  weiterer 
Strecken  unumgänglich  ist. 

Diese  kurzen  Bemerkungen  wollen  keineswegs  erschöpfen,  was 
über  die  ältesten  Stundenpässe  zu  sagen  sein  dürfte  und  was  besonders 
demjenigen  überlassen  bleiben  muss,  der  —  hoffentlich  bald  —  eine 
Geschichte  der  Post  zu  schreiben  bedenkt. 


Dise  post  ist  ausganngen  zu  Augspurg  an  ertag  vor  sannd  Mar- 
greten tag  anno  etc.  Ixxxxvi*^"  (1496  Juli  12)  umb  ix  ur  nachmittag 
unnd  sei  geantwurt  werden  herrn  Ziprian  von  Northeim  genannt  Seren- 
tiner  ku.  prothonotarien,  oder  in  seinem  abwesen  Matheusen  Lanngen  ku. 
secretarien,  an  den  ku.  Hof  wo  der  yetzo  ist. 

Cito.  Cito.  Cito.  Cito. 

L.  Man^). 

lem^*)  Jerg  postpot  hat  die  prief  angenumen  zwisen  ain  und  zwo  ur 
am  mitwochen  zu  moren  (Juli   13). 

Itemc)  Hainrich  postpot  zu  Berenbeiren  hat  die  prief  angenumen 
an  sant  Margreten  tag  um  vui  ur. 

Item^)  ich  Hans  Geyr  postpott  zw  Reute  hab  dise  post  angenomen 
am  erchtag'l)  umb  zwölf  uren. 

Itemc)  BabdaflFar*')  hat  die  brielF  angenomen  uff  mittwoch  noclimitdag 
zwischen  sechs  und  sieben  uren. 

Item^')  ich  Kristof  Meiclisner  postpot  auf  der  Muls  hab  angenomen 
dise  post  zu  Nasare id  zu  sibne  gegen  der  nacht  am  mitwoch  nach 
Margarethe. 

Ich^^)  Matheus  HesseP)  postpot  in  Prutz  hab  disse  post  angenomen 
am  pfintztag  zwischen  fünffen  und  sexen  vormittag  nach  sant  Margretten 
tag  (Juli   14). 


=*)  Am  linken  Rande  sind  untereinander  zwei  Galgen  roh,  aber  doch  sehr 
verständlich  gezeichnet.  ^)  Orig.,  verschrieben  statt  item,  Wechsel  der  Hand, 
c)  Wechsel  der  Hand.  <')  Orig.,  verschrieben  statt  mittwoch.  '^)  Unsichere 

Lesung,  auch  ist  das  Wort  durchstrichen.  f)  Folgt  ein  bedeutungsloses  h. 


502  R  c  d  li  c  h. 

IL 

Die  post  ist  aussgeryttenn  am  freytag  nacli  Corporis  Christi  26.  ma}^ 
(1497)  zwischenn  vin  und  viiu  uren  vormittentag  und  sol  Niclassen 
Zyeglen*  geantwortt  werdenn  eylendss  und  furdei-lichenn,  pei  dem  galgen  ^). 

Bai-tlme  Käsler 
scliatzmaister. 

Clauss  Reynnbardt  hat  die  post  angenomen. 

Der^)  Kesler  hat  die  post  angenumen  an  dem  freitag  nachmitag  in 
der  zwelliften  stund  c). 

Siman  ^)  Kuep  hat  die  post  angenumen  am  freitag  nachmitag  in  der 
IUI.  stund. 

Item^)  Hans  Miller  hat  die  brieif  angenomen  zu  E ruber g  an  der 
K 1  u  s  e  n  "l)  zwischen  vu  und  viu  ur  nachmittag. 

Dise^)  post  ist  her  gen  Fuessen  kommen  an  dem  obgeschriben 
fi'eytag  zwischen  achten  und  newnnen  nachmittag. 

m. 

Die  post  ist  zu  Innsprugg  ausganngen  am  mitwoch  vor  Magdalene, 
xvim.  iuly  im  Ixxxxvn"^'^  (1497  Juli  19)  zwischen  zway  und  drey  urn  zu 
abend  unnd  sol  der  ku.  m*  fürderlichen  geantwort  werden. 

Barthne  Käsler 
schatzmaister  ^). 

Basti  Treer  reytender  pot  abgevertig^  auf  obgemelte  zeit  gen  Telfs. 

Ich^)  Jacob  Rott  postpot  zu  Telfs  hab  dise  brieflfan^)  an  mittwochen 
nauch  mittentag  umb  6   ur. 

Ich  Jörg  Ster  hab  dise  brieif  angenomen  zu  Ferrenstain  an  mitt- 
wochen in  der  nacht  zwischen  9   und   10  ur. 

IV. 

Gabriel,  dentro  la  bolzeta  la  .  .  .  tua  .  .  .  .^). 

Cesta  bolzeta  este  delivere  ala  posta  de  Mal  in  es  le  xxv.  de  mars 
(l5()0  März  25)  a  im  or  depuy  mezodi;  este  ordene  la  portar  cum  dili- 
gentia diver  le  roy  de  Romens. 

Dis  bolzet  is  fei-tig  zo  Mechel  in  Baraband  in  der*)  xxv.  tag  mars 
zo  Uli  hören  auf  mittag;  salen  rayten  tag  e  nag  pis  zo  Romis.  kh.  m*. 

Franciscus   van  Taxis 
postmaister. 

Je^)  poste  de  Rellar  a  resu  le  bosette  a  vu  ers  a  sor. 
Je^)  Ambros    aie    rechus    la    bouget  a  in  heurs  a  mantin  (März  26) 
et  la  liverens  a  Peudargent  a  ix  heurs  a  mantin. 


a)  Am  linken  Rande  ist  ein  Galgen   gezeichnet,   darunter:   cito.   cito.   cito. 
^)  Wechsel  der  Hand.  <=)  Folgt  gestrichen:  dem  Ruepen  die  post  geandwiird 

an    dem   freitag   nachmittag   umb    drey    urn.  'ij    Folgt   durchstrichen    umb. 

«)  Die  Unterschrift   eigenhändig,    der  erste  und  der  folgende  Absatz  von  anderer 
Kanzleihand.  f)  Orig.  g)  Orig.,    statt  angenomen.  h)  So  flüchtig  ge- 

schrieben, dass  mir  die  Lesung  theilweise  unmöglich  war. 


Vier  Post-Stimdenpässe  aus  den  Jahren  1496  bis  1500.  503 

Moy  ^)  pouste  d  e  r  V  e  e  aie  rechus  la  bouget  a  u  heurs  apres  dines 
et  laie  liveres  a  Bulle sem  a  xn  heurs  a  la  nut  le  xxvi.  jour  de  mars. 

Moy^)  poste  de  Bulesem  aye  lyveres  la  bouget  a  poste  de  Bryssche 
devantl»)  medy  a  vi  huers  le  xxvii.  jours  de  mars  (März  27). 

Moy  poste  de  Bryssche  aye  lyveres  la  bouget  a  poste  de  Hatsport 
a  onze  heurs  devant  medy.  —  Messer  de  poste,  je  vous  lesse  savoir,  que 
je  le  rechu  la  bouget  que  la  seruere  enfremt  point  de  la  bouget,  de  quoy 
que  je  le  boute  a  la  fause  de  bouget. 

Item*)  hau  ich  Michel  Becher  die  post  entphangen  zu  Hatzenporten  uff 
fritag  nach  Annunciacionis  IMarie  thuschen  xii  und  eyner  uren  zu  mittagh. 

Item^)  ich  Hans  von  Hurlag  hab  die  post  angenomen  zu  Rempolen 
auf  freitag  zu  nach  um  vi  auren. 

Item^)  ich  Thoma  hab  disse  post  hab  ich^)  angenomen  zu  Flonem 
auf  freitag  in  der  nach  zu  xn  auren  und  hab  si  uebeiiübert  zu  im  auren 
(März   28). 

Item  a)  ich  Leinhart  Bair  hab  die  post  entphangen  zu  Heppenheim 
zu  V  urn  vormittag  am  xxviii.  tag  und  zu  S  p  e  i  r  erlibert  zwissen  ^)  ix  und 
X  auren.   —   Item  die  pulgel^)  ist  das  schols^)  nit  for  gewest. 

Item*)  ich  Michel  mit  der  schräm  hab  disse  bost  angenomen  am 
samstag  zu  nacht  nest  noch  unsser  frowen  tag  in  der  fasten  zwischen 
X  unnd  xi  elfe^). 

Item  ich  Hans  von  Ulm  hab  die  bost  zu  Blochingen  angenomen 
zw  im^)  suntag  am  morgen  (März  29)  zwischen  mi  und  fünffe  uren^). 

Item»)  Mertten  pott  zu  Sefflingen!  Ist  eyn  peckle  in  dyssen  sack, 
gehortt  geyn  Augspurg'')  Anthonye  Velser  in  syn  hantt  und  du  fyndst 
eyn  bryffle  darbay  und  xu  plapart  darin,  darmytt  wellest  eyn  potten  von 
stond  an  an')  gayn  Augspurg  schycken. 

Wolff  pott  zu  Haussen  i). 

Itema')  hab  ich  Jörg  die  post  angenomen  die  post  zu  Haussen 
zwyschen  zehen  und  aylff  uren  uff  samstag  und  hab  eyn  post  hayn"^) 
abgefurt. 

Item''^)  ich  Yssen  Hans  hab  die  brieff  angenomen  zu  Gingen  zwi- 
schen villi  und  X  am  sontag  vormittag. 

Item  ich^)  Martin  postbot  zu  Sefflingen  hab  die  brieff  angenomen 
am  sontag  nachmitagl)  zwischen  n  und  in. 

Item-^)  ich  Cristof  bostbot  ze  Bless  hab  die  brieff  angenomen  am 
suntacr  nachmitag  zwischen  vu  und  viii  uren. 


a)  Wechsel  der  Hand.  ^)  Statt  durchstrichenem  avyant  {?).  c)  Qrig. 

•i)  Folgt   gestrichen    acht   urn   und.  <')  Urig.,    wol   statt   pulget.  f)  Orig., 

statt    schlos.  g)    Folgt:    item    lieber,    womit    die    nachfolgende   Bemerkung 

begonnen  ward,  die  aber  dann  längs  des  Randes  der  ersten  Seite,  wahrscheinlich 
wol  von  Hans  von  Ulm  hingeschrieben  wurde:  Item  lieber  her  bostmaister, 
schickent  uns  gelt,  dan  wir  habeut  gar  kains  mer,  kindent  nit  ain  yssen  dem 
gul  anschlagen.  Ouch  sient  wir  den  wirtten  schuldig  und  sagent,  sy  wellent  uns 
bald  die  ros  nemen  vir  die  schuld,  das  wir  by  in  verzert  haben.  Hans  von  Ulm. 
Michel  mit  der  schräm.  '')  Folgt  gestrichen :   conratt  (?)  bryeffle  Velser  eyn. 

i)  Darunter  drei  oder  vier  durchstrichene,  nicht  mehr  lesbare  Worte  von  anderer 
Hand:  dieser  Absatz  und  alles  Folgende  ist  auf  der  dritten  Seite  des  Bogens 
geschrieben.  i*)   Nachgetragen.  i)    am    sonntag    nachmitag    nach- 

getragen. 


504  Redlich. 

Item^)  Jörg  hab  dey  post  angenomen  an  matag  (März  30)  viii  ur 
vormitag  ^'). 

Item'^)  ich  pot  zu  L  er  mos  han  die  posch  enpfangen  *^)  mnb  ni'^) 
nach  mittentag. 

Item  der  pot  zu  Lermos  ^)  hat  die  posch  geantwurt  gen  P  a  i  r  w  i  s 
umb  vii  nach  mittentag. 

Item^»^)  questa  bolzeta  a  di  31.  marzo  (März  31)  a  ori  3  la  matina 
a  Ispruch. 


a)  "Wechsel   der   Hand.  ^)  Dieser  Absatz   ist   doppelt   geschrieben,    das 

erste  Mal  sind  noch  mehr  Fehler  und  einige  Correcturen,  besonders  an  der  Stunden- 
zahl darin;  diese  könnte  auch  vii(j.,  also  7V21  gelesen  werden.  ^j  Folgt  ge- 
strichen :  und  geantwurt.  d)  Folgt  gestrichen :  trei  (V).  «=)  item  —  Lermos 
doppelt  geschrieben. 


Kleine  ilittlieiluugen. 


Die  Reste  des  Archivs  des  Klosters  S.  Cristiiia  bei  Olouiia. 

Es  ist  schon  oft  die  Frage  aufgeworfen  und  erörtert  worden,  wann 
das  Kloster  S.  Cristina  bei  Olonna,  welches  im  Privilegium  Ottonis  I. 
unter  den  Besitzungen  der  römischen  Kirche  genannt  wird,  an  diese 
gekommen  sein  mag.  Sind  noch  jüngst  Lamprecht  und  Simson  (dieser 
im  N.  Archiv  15,  574)  auf  sie  näher  eingegangen,  so  hat  letzterer  die 
Vermuthung  ausgesprochen,  dass  etwa  das  Archiv  des  Collegium  Ger- 
manicum  zu  Kom  Aufschluss  über  die  ältere  Geschichte  des  von 
Gregor  XIII.  dem  Collegium  zugewiesenen  Klosters  bieten  könnte. 
Sie  trifft  nicht  zu,  wie  ich  mich  überzeugt  habe  und  wie  ich  mit 
folgenden  Angaben  über  den  Bestand  jenes  Archivs  erhärten  will. 

Der  P.  Steinhuber,  welcher  jetzt  dem  Archive  vorsteht,  stellte  mir 
den  im  Jahr  1806  von  Nicolo  Katti  angefertigten  Indice  dell'Archivio 
ven.  CoUegii  Germanici-Ungarici  di  Koma  (Folioband)  zur  Verfügung. 
Von  den  hier  in  12  Abtheilungen  verzeichneten  und  excerpirten  Ur- 
kunden reichen  nur  die  in  fünf  Abtheilungen  untergebrachten  über 
die  Zeit  der  Gründung  des  Collegs  zurück.  Die  Fonds  der  drei  in  den 
Besitz  des  Collegiums  gekommenen  Kirchen  in  Kom  S.  Saba,  S.  Apolli- 
nare  und  S.  Stefano  rotundo  beginnen  mit  dem  15.  Jahrhundert. 
Etwas  älteres  Material  findet  sich  in  den  Abtheilungen  von  S.  Cristina 
und  von  S,  Croce  di  Fönte  Avellana. 

Für  die  Reichhaltigkeit  der  letzteren  Abtheilung  spricht  schon,  dass 
die  Inhaltsangaben  der  Urkunden  S.  1 — 152  des  Registerbandes  füllen. 
Die  Kaiser-  und  die  Papsturkunden  sind  hier,  wenn  auch  nur  in 
mangelhafter  Weise,  besonders  zusammengestellt  worden.  Das  be- 
treffende Verzeichniss  ist  vor  kurzem  aus  dem  Indice  abgedruckt  wor- 
dem  vom  Abte  D.  Alberto  Gibelli  in  dessen  Memoria  storiche  suU' 
antico  mouastero  di  S.  Cruce  di  F.  A.  (Nuovo  Giornale  Arcadico  serie  III. 


506  Kleine  Mittlieilungen. 

und  Separatabclruck  Milano  1890)  S.  58.  Gibelli  hat,  wie  ich  neben- 
bei bemerken  will,  S.  54  auch  den  ältesten  Bibliothekskatalog  der 
Abtei  veröffentlicht  und  zwar  nach  dem  Cod.  Vatic.  484,  welchen 
Gottlieb  Ueber  mittelalterliche  Bibliotheken  S.  202  No.  570  ver- 
zeichnet hat. 

Dem  Fonds  S.  Cristina  sind  im  Indice  nur  die  S.  225 — 228  ge- 
widmet. Zuerst  sind  da  unter  No.  1  — 16  Informationen  und  Process- 
akten  jüngeren  Datums  eingetragen  und  erst  unter  No.  17  folgt  ein 
Verzeichniss  von  Urkunden.  Doch  diese  gehören  fast  ausnahmslos 
dem  16.  Jahrhundert  an;  von  älteren  Stücken  werden  nur  erwähnt 
ein  angebliches  Diplom  Friedrich  IL,  auf  das  ich  zurückkomme,  und 
ein  Instrumentum  concessionis  in  emphyteusim  factae  a  D.  Anna 
Kiccada  d'Este  comitissa  Belgiojoso  (ohne  Jahresangabe). 

Da  ich  am  Schlüsse  des  Indice  vom  J.  1806  eine  Zusammen- 
stellung von  Urkunden  fand,  welche  einst  dem  Archive  angehörig  ab- 
handen gekommen  sind,  fragte  ich  nach  älteren  Eepei-torien  und 
erhielt  ein  solches  vom  J.  1652.  Dasselbe  ist  betitelt  Tavola  delli 
libri  che  sono  in  Milano  di  scritture  appartenenti  all'  Abbadia  di 
S.  Cristina,  et  altre  tavole  di  bolle  e  privileggi  che  si  conservano 
neir  Arehivio  del  Collegio  G.  ü.  di  Roma.  Aus  dessen  zweitem  Theile 
hebe  ich  das  Verzeichniss  der  damals  in  Rom  befindlichen  und  auf 
sämmtliche  Besitzungen  des  Collegs  bezüglichen  instrumenti  in  carta 
pecora  hervor;  sie  kehren  fast  sämmtlich  in  dem  Indice  von  1806 
wieder.  Der  erste  Theil  aber  gilt,  wie  ja  auch  der  Titel  besagt,  aus- 
schliesslich dem  Fonds  von  S.  Cristina,  d.  h.  dem  grösseren  Theile 
desselben,  welcher  nie  nach  Rom  gekommen,  sondern  in  Mailand  ver- 
blieben und  dort  in  Napoleonischer  Zeit  dem  Staatsarchive  einverleibt 
worden  ist.  Am  meisten  zu  achten  wäre  wohl  auf  den  einen  im 
J.  1652  als  Libro  intitolato  Lombardia  n.  40,  cioe  S  Cristina  ein- 
getragenen Band,  nicht  weil  er  die  Copie  eines  Privilegiums  Friedrich  IL 
aus  Lodi  vom  16.  Februar  1185  —  gemeint  ist  wohl  Stumpf  Reg.  4405, 
d.  h.  D.  Friedrich  I.  aus  Lodi  mit  XVI.  kal.  febr,  1185,  dessen  Original 
sich  im  Staatsarchiv  zu  Mailand  befindet,  sondern  wegen  etwaiger  an- 
derer und  älterer  Schriftstücke. 

Doch  über  die  Vergabung  des  Klosters  an  die  römische  Kirche 
haben  die  HeiTn  vom  Staatsarchiv  zu  Mailand,  an  welche  ich  mich 
einmal  vor  Jalu*en  gewandt  habe,  keinen  Aufschluss  zu  geben  gewusst. 
Und  hat  sich  noch  eine  Urkunde  oder  auch  nur  eine  urkundliche 
Notiz  erhalten,  so  wird  in  andern  mailändischen  oder  lombardischen 
Sammlungen  nachzuforschen  sein,  in  welche  Archivalieu  von  S.  Cristina 
übergegangen    sind.     Zunächst    mache    ich    auf   eine,    wie   es    scheint. 


Die  Keste  des  Arcliivs  des  Klosters  S.  Cristina  bei  Oloniia.  507 

Lamprecht  und  Simson  unbekannt  gebliebene  kleine  Publication  von 
Alessandro  Riccardi  aufmerksam:  Inventario  dei  ,  .  .  beni  possedenti 
nel  secolü  X«  dal  monastero  di  S.  Cristina  (Lodi  1889).  Allerdings, 
wenn  hier  Schenkungen  von  Carlus  Magnus,  Ludovicus  imp.,  Rodulfus 
rex,  Berengarius  antieus,  Ugo  atque  Lhotarius  rex,  Lampertus  imp. 
erwähnt  werden,  so  geschieht  dies  in  so  unbestimmter  Weise,  dass 
sich  diese  Angaben  kaum  verwerthen  lassen.  Aber  wie  aus  dem  von 
mir  oben  citirten  Instrumentum  concessionis  per  emphyteusim,  so  er- 
gibt sich  desgleichen  aus  den  Noten  des  Herausgebers  Riccardi,  dass 
mit  den  Gütern  des  Klosters  auch  Urkunden  desselben  in  das  Archivio 
Belgiojoso  d'Este  in  Mailand,  in  das  der  Conti  Somaglia  ebenda,  in 
das  Archivio  Negroni  in  Lodi  u.  s.  w,  gerathen  sind,  so  dass  noch  an 
allen  diesen  Orten  nachzuforschen  sein  würde. 

Rom,  März  1891.  Sickel. 


Zwei  Notizen  aus  der  Trierer  Stadtbibliothek.  Die  beiden 
nachstehenden  Stücke  sind  dem  grossen  zu  Anfang  des  vorigen  Jahr- 
hunderts augelegten  Diplomatarium  Treverense  entnommen,  welches  in 
einer  langen  Reihe  von  Bänden  Trierer  Urkunden  enthält.  Das  erste 
Stück  befindet  sich  im  dritten  Bande  des  Diplomatarium  Wernheri 
(1338—1418),  also  an  einem  Orte,  wo  niemand  eine  Urkunde  Rudolfs 
von  Habsburg  vermuthen  und  suchen  wird;  das  zweite  in  einem  Bande 
des  Diplomatarium,  welcher  Urkunden  und  Notizen  aus  der  Zeit  des 
Erzbischofs  Baldiiin  (1307—1354)  enthält,  und  zwar  unmittelbar  nach 
einer  längeren  Dedicationsnotiz,  laut  welcher  Daniel  Metensis  episcopus 
de  ordine  fratrum  Carmelitarum,  vicarius  in  pontificalibus  des  Erz- 
bischofs Balduiu  am  12.  Dezember  1337  eine  Kapelle  auf  der  Rhein- 
insel (Niederwörth)  gegenüber  Vallendar  unterhalb  Coblenz  eingeweiht 
hat.  Am  Schlüsse  derselben  Dedicationsnotiz  heisst  es,  dass  ein  Kaplan 
Balduins  mit  Namen  Konrad  Winter,  Priester  des  Prämonstratenser- 
Ordens  im  Kloster  Romersdorf  die  verfallene  Kapelle  sammt  Zubehör 
neu  erbaut  habe,  so  wie  man  sie  zur  Zeit  sehen  könne.  Aus  diesen 
Angaben  ist  deutlich  zu  erkennen,  dass  das  zweite  Stück  eine  dem 
gemeldeten  Faktum  ganz  gleichzeitige  Aufzeichnung  ist,  und  es  ist  zu 
vermuthen,  dass  es  ebenso  wie  die  Dedicationsnotiz  aus  einem  der  drei 
älteren  „Balduineum"  entnommen  ist. 


5Q8  Kleine  Mittheilungen. 

1.  Urkunde  Rudolfs  von  Habsburg. 

Rudolf  verspricht  dem  Nicolaus  von  Scharfenstein  für  geleistete 
und  zu  leistende  Dienste  60  Mark  Silber  und  verpfändet  ihm  dafür 
zwei  Fuder  fränkischen  Weines,  welche  Jährlich  aus  dem  königl.  Kelter- 
hause bei  (Ober)  Wesel  zu  erheben  sind  i).  Wien  1278  Mai  15. 

Eudolphus  dei  gracia  Eomanorum  rex  semper  augustus  uniuersis 
imperii  Romani  fidelibus  presentes  literas  inspecturis  gratiam  suam  et 
omne  bonum.  Ad  incrementum  glorie  regalis  pertinere  dinoscitur,  si 
illi,  qui  in  nostris  et  imperii  fideliter  se  exercitaverunt  serviciis,  sue 
capiant  premia  servitutis,  quo  exemplo  ceteri  de  bono  in  melius  ani- 
mati  ad  obsequendum  nobis  et  eidem  imperio  fervencius  acceudantur. 
Eine  est  quod  nos  grata  et  placita,  que  strenuus  vir  Nicolaus  de 
Scliarpenstein  nobis  et  imperio  gratanter  impendit  obsequia  et  adhuc 
impendere  poterit,  graciora  benignus  (!)  intuentes  sexaginta  marcas 
puri  et  legalis  argenti  sibi  de  regia  liber[ali]tate  promittimus ''^)  nos 
daturos,  daas  carrattas  vini  Franconici  de  torculari  nostro  sumendas 
apud  Wesaliam  sibi  tamdiu  obligantes,  quousque  prefate  sexaginta 
marce  per  nos  vel  nostros  in  imperio  successores  sibi  vel  suis  beredi- 
bus  fuerint  persoluti.  In  cuius  rei  testimonium  presens  scriptum 
maiestatis  nostre  sigillo  duximus  roborandnm.  Datum  Wienne  ydus 
Mail  indictione  sexta,  anno  domini  millesimo  ducentesimo  septuagesimo 
octavo,  regni  vero  nostri  anno  quinto. 

2.  Ueber  die  Zusammenkunft  des  Königs  Eduard  III. 
von  England  mit  Kaiser  Ludwig  IV.  zu  Coblenz.  1338. 
Aug. — Sept.  3). 

Nee  est  oblivioni  tradendum,  quod  anno  domini  M».  CCC". 
XXXVIII 0.  in  die  [decollationis]  *)  beati  Johannis  baptiste  preclarus 
ae  magnanimus  Edwardus  rex  Auglorum  venit  ad  insulam  pre- 
dietam^)  et  liabuit  parlamenta  et  tractatus  6)  cum  imperatore  Roma- 
norum et  principibus  imperii  nee  nou  cum  aliis  quam  pluribus  nobili- 
bus  et  dominis  Alamauie  pro  adiutorio  7)  sibi  prestando  per  eos  contra 
Philippum»)  regem  Francorum,  qui  sacro  Romano  imperio  et  sibi  in 
multis  iniuriabatur ;  et  mansit  in  iusula  predicta  usque  in  diem  nati- 
vitatis  beate  Marie  virginis  proxime  subsequentem. 


1)  Aus:   Diplomatarum   Wernheri  III.   Trier.   Cod.    nr.   2142  (744)    (ex   cod. 
Confluent.  fol.  285'  transsumptum).  ^)  permittimus  Hs.  s)  Aus:  Diploma- 

tarium  Treverense.  Trierer  Stadtbibl.  cod.  2141  (742)  pag.  4!).  *)  Ergänzt  für 

den  leeren  Raum  in  der  Hs.  ^)  Niederwörth  gegenüber  Vallcndar  unterhalb 

Coblenz.  '^)  retractatus  Hs.  ')  adiutoria  Hs.  «)  Ph.  Vt. 

H.  V,  Sauerland. 


Literatur. 

Urkundenbuch  der  Stadt  und  Landschaft  Zürich. 
Herausg.  von  einer  Commission  der  antiquarischen  Gesellschaft  in 
Zürich,  bearbeitet  von  Dr.  J.  Escher  und  Dr.  P.  Schweizer.  1.  Bd. 
(741—1234).   Zürich,  S.  Höhr  1888  (1890)  XXV  und  412  S.  4*^. 

Urkundenbuch  der  Stadt  Basel.  Herausg.  von  der  histori- 
schen und  antiquarischen  Gesellschaft  zu  Basel.  1.  Bd.  (751  —  1267) 
bearbeitet  durch  Rudolf  Wackeruagel  und  Rudolf  Thommen. 
Basel,  C.  Detloff  1890.  XIV  und  434  S.  4«,  mit  Karte  und  Abbil- 
dungen oberrheinischer  Siegel. 

Wieder  liegen  zwei  schöne  Werke  vor  uns,  die  zum  guten  Theile 
durch  den  Gemeinsinn  einsichtiger,  auch  für  geistige  Interessen  warm 
fühlender  Bürgerschaften  ermöglicht  wurden.  Dem  Beispiele,  das  letzter 
Zeit  in  löblicher  Weise  schon  mehrere  altberühmte  Städte  deutscher 
Zunge  gegeben,  folgen  nun  auch  Zürich  und  Basel:  sie  bieten  uns  in 
ilusserlich  und  innerlich  würdig  ausgestatteten  Sammlungen  die  urkimd- 
lichen  Quellen  ihrer  reichen  Geschichte.  Sie  l>ilden  beide  eine  werthvolle 
Fortsetzung  zu  den  zahlreichen  Werken  dieser  Art,  welche  die  Heimats- 
liebe der  Schweizer  und  die  rastlose  Rührigkeit  in  der  Erforschung  ihrer 
Geschichte  bereits  geschaffen  hat  und  über  die  der  ehrwürdige  Altmeister 
schweizerischer  Geschichtsforschung,  Georg  v.  Wyss,  in  dem  Vorwort  zum 
Urkundenbuche  von  Zürich  eine  lehrreiche  und  erfreuliche  Uebersicht  gibt. 

Der  Plan  eines  Urkundenbuchs  der  Stadt  und  Landschaft 
Zürich  wurde  1884  von  einem  Kreise  Züricher  Geschichtsfreunde  gefasst. 
Das  Werk  gewann  durch  die  Selbstauflösung  der  vaterländisch-historischen 
Gesellschaft  und  die  Ueberweisung  eines  bestimmten  Fonds  derselben  eine 
erwünschte  materielle  Grundlage,  welche  dann  durch  die  bereitwillige 
Unterstützung  von  Seite  der  Regierung  und  des  Stadtrathes  von  Zürich 
eine  vollständig  gesicherte  wurde.  Im  Auftrag  der  zur  Herausgabe  des 
ÜB.  von  der  antiquarischen  Gesellschaft  bestellten  Commission  arbeitete 
Staatsarchivar  Schweizer  ein  Programm  und  einen  Eedaktiousplan  aus,  die 
in  ihrer  endgiltigen  Gestalt  in  die  Einleitung  dieses  ersten  Bandes  auf- 
genommen sind ;  die  darin  S.  XXII  eingeflochtenen  Bemerkungen  über  die 


510 


Literatui*. 


mittelalterlichen  Jahresanfänge  in  der  Schweiz  mögen  hier  eigens  hervor- 
gehoben werden.  Für  die  Bearbeitung  selbst  übernahm  J.  Escher  die 
Herstellung  der  Urkundentexte,  Schweizer  die  gesammten  kritischen  und 
erklärenden  Aufgaben  des  Herausgebers. 

Das  Werk  soll  das  gesaramte  in  Stadt  und  Kanton  Zürich  entstandene 
und  auf  dieselben  bezügliche  urkundliche  Material  umfassen.  Als  Schluss- 
punkt ist  vorläufig  mit  gutem  Bedacht  das  Jahr  1336  gewählt,  ein 
Wendepunkt  der  Stadtgeschichte  und  die  Zeit,  wo  beinahe  die  ganze  Land- 
"schait  Zürich  unter  habsburgischer  Herrschaft  vereinigt  war.  Für  eine 
allfällige  Fortsetzung  bis  1351  oder  1525  hätte  eine  neue  Gestaltung  des 
Werkes  einzutreten.  Mit  Eecht  werden  auch  die  in  neueren  Urkunden- 
werken, wie  z.  B.  im  3.  Band  der  Schweizerischen  Geschichtsquellen,  ge- 
druckten Stücke  vollständig  wieder  aufgenommen  und  nur  Urkunden,  in 
denen    bloss  vereinzelte  Züricher  Orte  vorkommen,    in  Auszügen    gegeben. 

So  bietet  der  erste  Band  die  gesichteten  urkundlichen  Quellen  zur 
Geschichte  von  Stadt  und  Landschaft  Zürich  bis  1234.  Wie  die  Natur 
der  Dinge  es  mit  sich  bringt,  ist  er  wesentlich  ein  Urkundenbuch  der 
Kirchen  und  Klöster  des  Züricher  Landes.  Gleich  n.  1  von  741  bringt 
uns  Kunde  von  dem  ältesten  Kirchlein  der  Gegend,  auf  der  Lützelau  im 
Zürichersee  gelegen.  Im  8.  und  in  der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahrh.  ver- 
mitteln uns  fast  ausschliesslich  St.  Gallener  Urkunden  die  Kenntniss  von 
•Personen  und  Orten  auf  Züricher  Boden.  Aber  in  diese  Zeit  reicht  doch 
auch  schon  der  Anfang  der  ältesten  geistlichen  Stiftung  in  Zürich  selbst 
zurück,  das  Chorherrenstift  zu  Grossmünster.  Von  seinem  ältesten  Besitz 
gibt  das  erste  Stück  eines  merkwürdigen  Eotulus  Kunde  (n.  37),  der  auch 
in  seinem  weiteren  Inhalt  aus  dem  9.  und  10.  Jahrh.  nicht  bloss  für  die 
Entwickelung  des  Stiftbesitzes,  für  die  Ortsnamenforschung  und  Besiede- 
lungsgeschichte  der  Gegend,  sondern  auch  rechtshistorisch  von  Bedeutung 
ist."  Ein  Facsimile  davon  bietet  Tafel  H  nach  S.  80.  Von  der  Mitte  des 
9.  Jahrh,  ab  treten  dann  zwei  weitere  Klöster  in  den  Vordergrund,  das 
Frauenmünster  in  Zürich  und  Rheinau.  Eine  ansehnliche  Menge  von 
Kaiserui'kunden,  von  Seite  Rheinaus  allerdings  mit  Fälschungen  untermengt, 
erschliesst  ihre  Geschichte,  aber  fast  noch  interessanter  als  diese  sind  die 
zahlreichen  Privaturkunden  der  beiden  Klöster,  von  denen  die  des  Frauen- 
münsters noch  vielfach  in  Original  erhalten  sind  i).  Tafel  I,  11 1  und  IV 
nach  Urkunden  von  889,  1036  oder  1037  und  1159  geben  in  sehr  guten 
Facsimile  eine  anschauliche  Vorstellung  von  diesen  Züricher  Privat  Urkunden, 
von  ihrem  Schriftcharakter  und  der  ganzen  äusseren  Fonn.  Dazu  kommen 
im  11.  und  12.  Jahrh.  die  ebenfalls  interessanten  Urkunden  aus  Aller- 
heiligen bei  Schaffhausen  und  vom  Kloster  auf  dem  Zürichberg.  Zwar 
waren  ja  fast  alle  diese  Dokumente  bereits  fiüher  da  und  dort  gedruckt, 
aber  hier  sind  sie  nun  sämmtliche  in  guten  Texten  vereinigt  und  so  wird 
dieser  erste  Band  des  Züricher  ÜB.  neben  dem  ÜB.  von  St.  Gallen  als 
die  ergiebigste  Fundgrube  für  die  Geschichte  des  südwestdeutschen  Privat- 


'j  Bei  einer  Reihe  von  diesen  und  andern  Stücken  (n.  141,  153,  188,  194, 
203,  208,  231,  324,  325)  wird  im  ÜB.  die  Originalität  bezweifelt,  ohne  genügende 
Gründe;  denn  dass  z.  B.  die  Signa  und  /.eugennamen  nicht  eigenhändig  ge- 
schrieben sind,  entspricht  ja  ganz  der  Entwicklung  des  Privaturknndenwesens. 


Literatur.  511 

urkvmdenwesens  einen  ganz  besonderen  Werth  erhalten.  Von  Zürichberg 
und  den  andern  im  12.  und  13.  Jahrh.  zuwachsenden  Klöstern,  so  Kappel, 
Wettingen,  Rüti  u.  s.  w.  stammt  denn  auch  das  früheste  bisher  ganz 
unbekannte  Material,  das,  abgesehen  von  einzelnen  Kirchweihenotizen,  mit 
dem  Jahre  1127  beginnt.  Die  Inedita  mehren  sich  natürlich  mit  dem 
1 3.  Jahrh.  und  darunter  befinden  sich  eine  Reihe  von  Papsturkunden  von 
Innocenz  III.  bis  Gregor  IX.,  von  Urkunden  päpstlicher  Legaten  und  von 
Bischöfen  von  Konstanz. 

Indessen  erscheinen  auch  Stadt  und  Bürger  von  Zürich  bedeutungs- 
voll im  Rahmen  des  ÜB.  Nachdem  in  Ottonischen  Diplomen  zuerst  von 
KauÜeuten,  Gewerbe,  Markt  und  Marktrecht  die  Rede  (n.  215,  221,  225), 
erscheint  um  die  Mitte  des  12.  Jahrh.  bereits  ein  Neuer  Markt  als  Stadt- 
theil  (n.  288  u.  s.  w.)  und  im  Anfang  des  13.  Jahrh.  ist  die  Stadt  bereits 
unabhängig  von  den  beiden  Gotteshäusern,  ist,  wie  diese,  reichsunmittelbar ; 
vgl.  die  wichtigen  Bemerkungen  zu  n.  385,  Diplom  Friedrichs  II.  von 
1218.  Die  Bürgerschaft  verkehrt  direkt  mit  dem  Kaiser,  1225  beurkunden 
neun  Bürger  als  Vertreter  der  Stadt  ihre  Zustimmung  zur  Verfügung 
Heinrichs  (VII.),  der  dem  Kloster  Kappel  die  im  castrum  und  Gebiet  von 
Zürich  gelegenen  Besitzungen  bestätigte  (n.  425,  426;  die  Bemerkung  in 
Anm.  9  zu  426:  »Diese  neun  Bürger  beschliessen  über  die  Gültigkeit  der 
königlichen  Verfügung«,  ist  doch  nicht  ganz  entsprechend  ausgedrückt). 
Hier  und  in  n.  431  erscheint  auch  zum  ersten  Mal  ein  Siegel  von  Rath 
und  Bürgern  von  Zürich. 

Dass  das  IIB.  für  die  besondere  Geschichte  von  Stadt  und  Landschaft 
Zürich  nach  allen  Seiten  hin  künftig  die  sicherste  und  hauptsächlichste 
Grundlage  bilden  wird,  ist  zu  sagen  fast  überflüssig. 

Die  Bearbeitung  ist  mit  sehr  grosser  Sorgfalt  durchgeführt.  Die 
Grundsätze,  denen  sie  folgte,  sind  im  Redaktionsplan  eingehend  dargelegt. 
Die  Texte  sind,  von  den  controlirbaren  Stücken  auf  die  übrigen  zu 
schliessen,  mit  gewissenhafter  Genauigkeit  wiedergegeben;  sie  bieten  auch 
gegenüber  Drucken  der  letzten  Zeit  vielfache  Verbesserungen.  Die  Be- 
schreibungen und  kritischen  Bemerkungen  über  die  Beschaffenheit  der 
Ueberlieferung,  Drucke,  Regesten,  Siegel  (nach  Hohenlohe-Grotefends  Sy- 
stem), Dorsualnotizen  sind  sorgfältig  ausgearbeitet.  Ebenso  und  mit  ein- 
dringender Kenntniss  sind  die  sachlichen,  die  Orts-  und  Personenerklärungen 
durchgeführt,  zugleich  mit  Mass  und  Beschränkung.  Wir  möchten  in  dieser 
Hinsicht  das  Züricher  ÜB.  wirklich  als  ein  Vorbild  für  ähnliche  Werke 
liinstellen.  Nur  für  Orte  ausserhalb  dem  Kanton  Zürich  und  der  Schweiz 
wird  die  Knappheit  der  Bestimmung  dem  Benutzer  nicht  selten  unangenehm 
auffallen;  denn  weim  es  von  irgend  einem  Oertchen  heisst,  es  liege  im 
Badischen,  in  Elsass,  in  Württemberg,  so  ist  damit  doch  etwas  zu  viel  an 
geographischen  Kenntnissen  gefordert. 

Für  die  Einzelbearbeitung  von  solchen  Urkunden  werken  darf  man 
jetzt  die  Frage  stellen,  wie  sie  sich  zu  dem  Vorgehen  verhält,  das  Sickel 
in  der  Diplomata-Ausgabe  der  Monumenta  Germaniae  befolgt  hat.  Das 
ÜB.  von  Zürich  hat  sich  diesem  Vorbild  im  ganzen  wol  angeschlossen, 
geht  aber  doch  einigermassen  seine  eigenen  Wege.  Ich  meine  da 
nicht  Aeusserlichkeiten,  wie  etwa  die  Anordnung  von  Regest  und  Datirung, 
Text    und    Angal)e    der    Ueberlieferung,    obwohl    vielleicht    auch    anderen 


512 


Literatur. 


z.  B.  der  fette  Druck  und  die  Mittelstellung  des  aufgelösten  Datums,  be- 
sonders bei  mehreren  kürzeren  Stücken  auf  einer  Seite,  einen  unruhigen 
Eindruck  hervorbringt  und  der  schnellen  Uebersicht  eher  hinderlich  er- 
scheinen könnte.  Mehr  zu  vermissen  ist  eine  Nachfolge  der  Diplomata  in 
Bezug  auf  die  Verbindung,  in  welche  Ueberlieferung  und  Drucke  mit  ein- 
ander zu  setzen  sind.  Wenn  das  Original  vorhanden  ist,  hat  die  Auf- 
zählung von  Copien  doch  nur  in  so  weit  einen  Sinn,  als  diese  etwa  zur 
Ergänzung  von  beschädigten  Stellen  dienen  können,  oder  Drucke  aus  ihnen 
geschöpft  wurden,  die  darnach  zu  bewerthen  sind.  Aber  eine  solche 
Filiation  der  Copien  und  Drucke  haben  die  Herausgeber  nicht  durchgefühii 
und  so  ist  die  Sorgfalt,  die  auf  die  möglichst  vollständige  Angabe  von 
Copien  und  Drucken  verwendet  worden,  nur  zur  Hälfte  fruchtbar  gemacht. 
Noch  etwas  anderes,  an  sich  eine  Kleinigkeit,  wirkt  schliesslich  störend, 
nämlich  der  eigenthümliche  Gebrauch  der  eckigen  Klammern.  Eckige 
Klammern  wendet  man  so  ziemlich  allgemein  zur  Kennzeichnung  der  Text- 
ergänzungen an,  soweit  solche  bei  Lücken  mit  Hilfe  von  Vorurkunden, 
Copien  u.  s.  w.  oder  durch  Conjectur  möglich  sind;  zur  Ergänzung  von 
Stellen,  die  im  Original  mit  Absicht  gekürzt  sind,  also  von  Siglen  für 
Eigennamen,  von  Formeln  gebrauchen  die  Diplomata  runde  Klammern, 
für  Interpolationen  solche:  -(  )-.  Das  Züricher  ÜB.  nun. kennt  nur  eckige 
Klammern  und  gebraucht  sie  nicht  bloss  zu  Ergänzungen  von  Lücken, 
dann  von  Siglen  und  Kürzungen,  sondern  auch  für  Bezeichnung  von  Nach- 
trägen und  Zusätzen,  die  von  gleicher  Hand  oder  von  einem  gleichzeitigen 
Corrector  herrühren  (vgl.  Einleitimg  XVI).  So  bedeutet  in  n.  64 
ha[nc  c]uram,  dass  hier  eine  kleine  Lücke  vom  Herausgeber  ergänzt  ist, 
und  einige  Zeilen  weiter  [advocatiam]  und  [aurij,  dass  diese  Worte  im 
Original  vom  Schreiber  über  der  Zeile  nachgetragen  sind.  Sogar  einzelne 
derart  corrigirte  Buchstaben  werden  so  gebrandmarkt,  z.  B.  in  n.  319, 
322,  (dagegen  nicht  in  n.  23 1).  In  n.  240  sind  Zusätze  von  anderer 
Hand,  in  n.  313  Stellen  auf  Easur  ebenfalls  in  eckige  Klammern  gesetzt, 
in  n.282  und  305  werden  gar  ganze  Worte,  die  allerdings  sinngemäss 
sind,  in  den  Text  eines  Originals  eingeschoben  und  mit  eckigen  Klammem 
versehen,  im  Widerspruch  mit  §  42  des  eigenen  Redaktionsplanes.  So 
werden  also  ganz  verschiedenartige  und  verschieden  zu  bewerthende  Dinge 
durch  ein  und  dasselbe  Zeichen  wiedergegeben  —  gewiss  eine  Unzukömm- 
lichkeit,  die  leicht  zu  vermeiden  gewesen  wäre. 

Ein  anderer  ebenfalls  verbesserungsbedürftiger  Punkt  ist  die  Be- 
handlung der  Copien.  Hier  geht  der  ßedaktionsplan  selbst  (§  4l)  von 
einer  nicht  zutreffenden  Anschauung  aus:  ist  eine  Urkunde  nur  mehr  in 
Copien  überliefert,  so  soll  die  beste  davon  dem  Texte  zu  Grunde  gelegt 
werden  und  die  Lesearten  der  andern  Copien,  auch  wenn  sie  richtiger 
sind,  werden  in  Anmerkung  beigefügt.  Aber  ist  es  nicht  ein  allbekannter 
und  unbestrittener  Grundsatz  kritischer  Methode,  dass  aus  allen  Copien 
zusammen,  natürlich  mit  Beachtung  ihrer  Güte,  der  Text  möglichst  so 
hergestellt  werden  muss,  wie  er  ursprünglich  gelautet  haben  wird?  Ist 
es  nicht  sonst  selbstverständlich,  die  Verderbnisse  der  abgeleiteten  Ueber- 
lieferung durch  vergleichende  Kritik  derselben  zu  emendiren?  So  wäre 
denn  in  n.  77  und  170  die  verl)esserte  Datirung  in  den  Text  zu  setzen 
gewesen,    so  in  n.  275  das  richtige  Eemacli  statt  ßemadi  und  in  n.  310 


Literatur.  513 

das  riclitige  Oudalricus  statt  des  von  der  Copie  ungeschickt  verlesenen 
Dedalricus,  das  dann  auch  noch  im  Register  sein  Unwesen  treibt;  so  bleibt 
in  n.  328  das  sinnlose  V.  vadus  Apr.  der  einen  Copie  im  Texte  stehen, 
obwohl  die  andere  ganz  richtig  V.  idus  hat;  ähnliches  in  n.  411,  412, 
43.S,  445  u.  s.  w.  In  all  diesen  Fällen  muss  also  der  Benutzer  sich  die 
richtige  Lesung  aus  Text  und  Noten  zusammenstellen,  während  ihm  doch 
das  ÜB.  den  schon  gereinigten  Wortlaut  des  Stückes  bieten  sollte.  Der 
Hinweis  auf  diesen  Mangel  dürfte  ja  sicherlich  genügen,  um  in  den 
folgenden  Bänden  den  richtigen  Weg  finden  zu  lassen. 

Von  kleinen  Versehen  und  Ungieichmässigkeiten ,  die  bei  solchen 
Werken  ja  kaum  zu  vermeiden  sind  (z.  B.  n.  280  Anm.  6  richtig  Schuni 
statt  Sickel;  n.  442  wäre  nach  Fickers  Bemerkungen,  gegen  die  nichts 
eingewendet  wird,  zu  1229  zu  setzen,  n.  478  Anm.  5  ist  SS.  XVII 
statt  XIII  zu  lesen),  wäre  jedenfalls  die  Ungleichmässigkeit  in  den 
Citaten,  besonders  von  Druckwerken  in  Zukunft  zu  verbessern.  Die 
Variationen,  in  denen  z.  B.  die  Monum.  Germ.  Diplomata,  die  Papst-  und 
Kaiserregesten,  Ladewigs  Eeg.  der  Bischöfe  von  Konstanz,  G.  von  Wyss 
Gesch.  der  Abtei  Zürich  citirt  werden,  sind  wahrhaft  zahllos,  hie  und  da 
auch  nicht  ganz  deutlich.  Dies  sind  ja  nur  Nebensachen,  aber  bei  einem 
sonst  sauljer  gearbeiteten  Werke  möchte  man  auch  hierin  nichts  ver- 
missen. 

Das  Orts-  und  Personenregister  ist  nicht  ohne  Sorgfalt  angefertigt, 
al)er  es  hat  einzelne  Mängel  in  der  Anlage  selbst,  die  seine  Brauchbarkeit 
sehr  beeinträchtigen.  Möge  mii"  hier  zunächst  eine  allgemeine  Bemerkung 
gestattet  sein.  Mit  den  Registern  zu  Ui-kundenbüchern  ging  es  wie  mit 
diesen  selbst:  jeder  Herausgeber  schlug  seine  eigenen  Wege  ein  und  wir 
haben  beinahe  so  viele  Arten  von  Registern,  als  Urkundenbücher  existiren. 
Man  muss  immer  ein  ganzes  Studium  über  die  Sitten  und  Gebräuche 
jedes  einzelnen  Registerraachers  anstellen,  bevor  man  an  die  Benützung 
geht.  Hätte  man  die  so  eingehenden  und  erschöpfenden  Erörterungen 
Fickers  über  diese  Dinge,  die  nun  schon  seit  zwanzig  Jahren  in  den  Acta 
imp.  selecta  Einleitung  XXXVI  ff.  für  jedermann  vorliegen,  mehr  beachtet, 
so  würde  man  kaum  mehr  über  eine  so  unerfreuliche  und  unbequeme 
Mannigfaltigkeit  zu  klagen  haben,  würde  auch  das  vorliegende  Register 
vor  gewissen  Mängeln  bewahrt  geblieben  sein. 

Diese  liegen  hauptsiichlich  in  dem  Auseinanderreissen  zusammen- 
gehöriger Namen  und  im  Fehlen  von  Verweisungen.  Nach  den  Vorbe- 
merkungen zum  Register  werden  Personen,  soweit  sie  einen  Geschlechts- 
namen tragen  oder  eine  mit  einem  bestimmten  Ort  verbundene  Stelle 
bekleiden,  nur  unter  dem  Geschlechtsnamen,  bezw.  unter  dem  betreffenden 
Orte  angeführt;  unter  dem  Taufaamen  nur  dann,  wenn  kein  Geschlechts- 
name oder  Amt  u.  s.  w.  angegeben  wird.  Diese  Trennung  ist  schon  an 
und  für  sich  in  den  häufigen  Fällen,  wo  eine  Persönlichkeit  bald  mit, 
bald  ohne  Orts-  oder  Amtsbezeichnung  vorkommt,  für  die  Benützung 
höchst  unbequem.  Es  gienge  aber  noch  an,  wenn  dabei  die  nothwendigen 
Verweisungen  vollständig  durchgeführt  wären.  Allein  diese  fehlen  hier 
gar  vielfach.  So  ist  z.  B.  Graf . Adal])ert  von  Mörslturg  unter  Adall)ert 
mit  drei  Citaten  vertreten,  unter  Mörsburg  mit  sieben,  von  denen  zwei 
die  schon  unter  Adalbert    gebrachten    sind,    ohne    dass    aber    ein  Verweis 

Mittheiluugen  XII.  33 


514  Literatut. 

auch  nur  an  einem  Orte  den  Benutzer  auf  die  gesammte  Eeihe  des  Vor- 
kommens aufmerksam  machte.  So  ist  Arnold  Graf  von  Baden-Lenzburg, 
Vogt  von  Zürich,  unter  die  Schlagworte  Arnoldus,  Arnolfus,  Baden  und 
Zürich  ohne  Verweise  vertheilt,  elienso  sein  Bruder  Kuno  unter  Baden, 
Kuno  und  Zürich.  Unter  »Deutsche  Könige  und  Kaiser«  sind  eine  Reihe 
deutscher  Herrscher  aufgeführt,  aber  nicht  alle,  denn  es  fehlt  Ludwig  IV. 
(das  Kind),  der  nur  unter  Ludwig  vorkommt,  und  auch  etwa  nicht  alle 
Fälle  des  Vorkommens,  denn  eine  Reihe  derselben  findet  sich  getrennt 
unter  dem  Schlagwort  des  betreuenden  Namens ,  wo  auch  wieder  ein 
grosser  Theil  der  Citate  unter  »Deutsche  Könige  und  Kaiser«  wiederholt 
ist.  Zu  den  Uebelständen  einer  solchen  Anlage,  die  eben  viel  zu  wenig 
das  Bedürfniss  dessen  im  Auge  hat,  der  im  Register  sucht,  ob  dies  oder 
jenes  im  ÜB.  vorkommt,  verschlimmert  durch  den  Mangel  an  Verweisen, 
gesellt  sich  das  Auseinanderreissen  auch  der  verschiedenen  Formen  ein 
und  dessellien  Namens  ohne  Verweise.  Die  Personen  des  Namens  Beringer 
vertheilen  sich  auf  die  Schlagworte  Berngerus,  Perenger,  Peringerus,  ohne 
gegenseitige  Verweisung;  ähnlich  Beroldus  und  Perolt;  Burchard,  Bur- 
chart—  Burkhard  —  Purchart;  Cozpert,  Cozpertus  — Gozbertus;  Dietericus  — 
Theodericus  —  Theoterich  —  Thietirich,  Thietrihc  (nur  hier  ein  »vgl.  Tie- 
teric«)  —  Tieteric;  so  noch  manch  andere.  Es  ist  unausbleiblich,  dass 
auf  diese  Weise  dem  Suchenden  das  Vorkommen  von  Personen  entgehen 
■wird,  es  ist  sehr  schwer  gemacht,  etwa  Verbreitung  und  Entwicklung  von 
Personennamen  im  Züricher  Lande  za  verfolgen. 

Die  Ausstattung  ist  durchaus  würdig  und  schön.  Dank  der  Unter- 
stützung durch  Staat  und  Stadt  konnte  dem  Bande  in  Druck  und  Papier, 
sowie  durch  die  so  willkommene  Beigabe  der  Urkundenabbildungen  ein 
stattliches,  gediegenes  und  zugleich  gefälliges  Ansehen  gegeben  werden, 
ohne  den  erfreulich  massigen  Preis  des  Werkes  zu  gefährden.  Als  sehr 
erwünschte  Ergänzung  zu  dem  ÜB.  werden  dann  auch  eigene  Lieferungen 
von  Siegelabbildungen  in  Lichtdruck  ausgegeben.  Bei  einem  der  folgenden 
Bände  wird  gewiss  auch  einmal  eine  Uebersichtskarte  in  Aussicht  ge- 
nommen werden. 

Das  Urkundenbuch  der  Stadt  Basel  füllt  eine  zweite  be- 
deutende Lücke  der  schweizerischen  und  südwestdeutschen  Urkunden- 
sammlungen aus.  Auch  in  Basel  trug  sich  die  historisch-antiquarische 
Gesellschaft  schon  längst  mit  einem  deiartigen  Plane.  Verschiedene  Um- 
stände verzögerten  das  Zustandekommen  dessell>en  und  es  ist  dies  insofern 
nicht  zu  bedauern,  als,  wie  in  der  Vorrede  mit  Recht  bemerkt  wird, 
»nunmehr  bei  der  Herausgabe  der  Urkunden  die  Ergebnisse  einer  neueren 
Forschung  und  eine  sichere  Methode  in  Anwendung  kommen  konnten*^. 
Die  Herausgabe  nahmen  Staatsarchivar  Wackernagel  und  Dr.  Thommen 
auf  sich.  Nach  Trouillats  Monuments  de  Tancien  eveche  de  Bfde  (l85;} — 
1862)  und  nach  dem  Urkundenbuche  der  Landschaft  Basel  von  H.  Boos 
(;i<^81 — 1S83)  lag  es  nahe,  sich  l)loss  auf  ein  ÜB.  der  Stadt  Basel  zu 
beschränken.  Aber  natürlich  sind  in  jenen  beiden  Sammlungen  zahlreiche 
Stücke  enthalten,  die  auch  in  das  städtische  ÜB.  gehöi-en  und  die  Heraus- 
geber dieses  letzteren  mussten  sicli  nun  mit  ihren  Vorgängern  auseinander- 
setzen. Sie  nahmen  bei  Trouillnt  und  Boos  vollständig  gedruckte  Stücke 
nur    ausnahmsweise    in    ilir  Werk    auf;    in    den    meisten   Fällen  wird    ein 


Literatur.  515 

Regest  mit  den  Verweisen  auf  die  andern  Drucke  und  anfällige  Text- 
Verbesserungen  gebraclit.  Man  wird  dies  Vorgehen  l^ereclitigt  finden 
können,  aber  andererseits  muss  man  es  mit  Wartmann  (in  der  Anzeige 
des  Basler  ÜB.  in  Götting.  Gel.  Anz.  1890  S.  980  ff.)  bedauern,  dass  man 
nicht  doch  lieber  sich  entschlossen  hat,  gleich  einen  alles  in  sich  fassen- 
den Codex  diplomaticus  Basileensis  zu  schaffen,  dass  man  bei  einem  ver- 
hältnissmässig  kleinen  Gebiete  nun  auch  in  Zukunft  genöthigt  ist,  zwei 
oder  drei  Urkundenwerke  nebeneinander  zu  benützen.  Im  Uebrigen 
sollen  in  das  ÜB.  alle  Urkunden  aufgenommen  werden,  welche  von  Per- 
sonen u.  s.  w.  herrühren,  die  dem  Gebiete  des  Kantons  Basel-Stadt  an- 
gehörten, und  welche  sich  auf  eine  solche  Person  u.  s.  w.  beziehen;  auch 
blosse  urkundliche  Erwähnungen  von  Basler  Personen  und  Oertlichkeiten 
werden  in  Regestenform  in  das  Werk  aufgenommen.  Das  Ganze  soll  bis 
1798  geführt  werden.  Dass  da  für  spätere  Zeiten  ein  ganz  anderes  Ver- 
fahren eintreten  muss,  sehen  die  Herausgeber  selbst  klar  voraus  und  die 
Weiterführung  des  Werkes  wird  die  Frage  beantwoi'ten,  ob  es  bis  in  so 
späte  Zeiten  auszudehnen  überhaupt  am  Platze  ist, 

Civitas  Basiliensis  inter  nobiliores  Alamanni^  civitates  haut  minima, 
ex  quo  Christian (^  religionis  cepit  exordium,  morum  honestate  et  rerura 
secularium  ubertate  semper  extitit  egregia.  Mit  diesen  Worten  kenn- 
zeichnet der  Bericht  über  die  Gründung  des  St.  Albanklosters  im  Anfang 
des  12.  Jahrh.  gar  nicht  unzutreffend  die  Bedeutung  Basels.  Aber  trotz 
seines  alten  Rufes  als  gewerbe-  und  handelsreicher  Stadt  beginnen  die 
Urkunden,  welche  städtische  Verhältnisse,  berühren,  erst  im  12.,  in  reich- 
licherem Masse  erst  im  13.  Jahrhundert.  Es  hängt  dies  mit  der  That- 
sache  zusammen,  welche  der  genannte  Bericht  ebenfalls  erwähnt,  dass 
nämlich  bis  zur  Gründung  St.  Albans  kein  Kloster  in  Basel  gewesen  war. 
Jetzt,  im  1 2.  Jahrhundert  treten  St.  Alban,  St.  Leonhard,  weiterhin  dann 
St.  Peter,  die  Johanniter,  die  Bettelorden  u.  s.  w.  in  diese  Lücke  ein. 
Ueber  die  Einführung  speciell  der  Dominikaner  erhalten  wir  gerade  durch 
das  ÜB.  von  1233  an  eine  ganze  Reihe  von  grösstentheils  noch  unbekannten 
Urkunden.  Auch  aus  den  Archiven  anderer  Klöster  kamen  zahlreiche 
Inedita  zum  Vorschein,  darunter  Papsturkunden  von  Gregor  IX.  Ins 
Clemens  IV.  und  Urkunden  der  Bischöfe  von  Konstanz.  Jetzt  treten  auch 
hier  Stadt  und  Bürger  bedeutsam  hervor.  Charakteristisch  für  die  ganze 
innere  Entwicklung  Basels  ist  das  frühe  Zusaramenschliessen  der  Hand- 
werkerzünfte zu  öffentlichen  Zwangsgenossenschaften,  das  in  den  interes- 
santen Zunfturkunden  dieses  Bandes  (n.  108,  199,  221,  302,  388,  430) 
bis  122fi  hinaufreicht.  Und  ebenso  bezeichnend  für  die  geschichtliche 
Bedeutung  des  Basler  Zunftlebens  ist  es,  dass  die  meisten  dieser  Urkunden 
heute  noch  in  den  Zunftladen  erhalten  und  wohl  bewahrt  sind.  Die 
politische  Wichtigkeit  der  reichen  Stadt  tritt  so  recht  in  den  Wirren  der 
letzten  Stauferzeit  und  des  Interregnums  zu  Tage.  Die  Baseler,  zuerst 
Anhänger  K.  Friedrichs  IL,  zerstörten  1247  die  bischöfliche  Pfalz,  wofür 
sie  mit  Bann  und  Interdict  belegt  wurden.  Eine  Reihe  von  Schreiben 
Innocenz  IV.  (von  n.  19.5  an)  zeigt  nun  dessen  eifrige  Bemühungen,  die 
Stadt  auf  die  päpstliche  Seite  zu  ziehen,  was  zu  Ende  1247  oder  Anfang 
1248  gelang.  Der  Besitz  Basels  ist  der  Schlüssel  zu  den  oberen  Landen ; 
Murten,    Bern    und  Freiburg  im  Uechtland    wollen    sich    einem    künftigen 

33" 


516  Literatur. 

König  dann  anschliessen,  wenn  er  in  partiluis  illis  fiat  potens  tenendo 
Basileam  (n.  285).  Das  wichtigste  IMaterial  und  am  meisten  neues  (im 
ganzen  sind  212  Stücke  bisher  ungedruckt,  das  älteste  davon  n.  71  von 
1202)  bringt  dieser  erste  Band  natürlich  für  die  innere  Geschichte  der 
Stadt,  deren  Topographie  und  bauliche  Entwicklung,  für  die  Verhältnisse 
des  Eigenthums  und  die  sich  daran  knüpfende  wirthschaftliche  und  ver- 
fassungsgeschichtliche Entwicklung. 

Für  die  Bearbeitung  des  ÜB.  haben  sich  die  Herausgeber  »grund- 
sätzlich und  entschieden«  den  von  Sickel  für  die  Diplomata  aufgestellten 
Regeln  angeschlossen  und  Ref.  karm  aus  eigener  Erfahrung  den  Worten 
der  Vorrede  vollkommen  beistimmen,  dass  auch  an  dem  anders  gearteten 
Stoff  von  Urkundenbüchern,  die  ganz  üben\äegend  Privaturkunden  ent- 
halten, die  Vorzüglichkeit  jener  Methode  sich  bei  der  Arbeit  selbst  erprobt. 
Macht  sich  dies  schon  in  der  äusserlichen  Anordnung  angenehm  bemerk- 
lich, so  liegt  natürlich  das  Hauptgewicht  in  der  Anwendung  der  kritischen 
Grundsätze  gegenüber  Text  und  Ueberlieferung,  wie  sie  Sickel  in  allseitig 
durchdachter  und  consequenter  Weise  durchgeführt  hat. 

Die  Texte  machen  durchaus  den  Eindruck  grösster  Genauigkeit.  Xur 
einige  Punkte  möchte  ich  hervorheben,  in  denen  mir  etwas  zu  viel  oder 
zu  wenig  gethan  erscheint.  Das  ist  einmal  die  übergrosse  Sparsamkeit 
im  Gebrauch  von  Unterscheidungszeichen,  unter  der  hie  und  da  die  leichte 
Benützbarkeit  des  Textes  zu  leiden  hat.  Ein  anderer  Punkt  ist  die  Bei- 
behaltung der  Schreibweise  des  Originals  für  die  Buchstaben  u  und  v  bei 
den  Eigennamen.  Allerdings  haben  sich  die  Diplomata  dafür  entschieden, 
aber  mir  hat  sich  die  Ansicht  aufgedrängt,  dass  diese  Inconsequenz  doch 
nicht  durch  die  verhältnissmässig  seltenen  Fälle  gerechtfertigt  wird,  wo 
vielleicht  die  originale  Schreibung  von  u  und  v  in  einem  Eigennamen 
sprachwissenschaftlich  von  Werth  sein  kann.  Scheint  ein  solcher  Fall 
vorhanden  zu  sein,  so  lässt  sich  ja  leicht  in  Anmerkung  das  nüthige  sagen. 
Ich  glaube  also  wie  Wartmann,  der  a.  a.  0.  984,  985  ebenfalls  diese 
Punkte  berührt  hat,  dass  man  im  Interesse  der  Gleichförmigkeit  und 
Lesbarkeit  unseren  heutigen  Gebrauch  von  u  und  v  auch  auf  die  Eigen- 
namen ausdehnen  kann  und  soll.  —  Im  Gebrauch  der  eckigen  Klammern 
folgt  auch  das  Baseler  ÜB.  nicht  strenge  den  Diplomata.  Eckige  Klammem 
werden  auch  hier  zur  Ergänzung  von  Siglen  und  der  z.  B.  in  den  päpst- 
lichen Registerbänden  bloss  angedeuteten  Formeln  verwendet,  und  doch 
stehen  ja  derartige  bewusste  Kürzungen  durchaus  nicht  auf  einer  Linie 
mit  Lücken,   die  durch  Beschädigung  u.  s.  w.  entstanden  sind. 

Sehr  sorgfältig  ist  den  Vorurkunden  nachgegangen.  ]\Ianchmal  scheint 
mir  aber  hierin  doch  etwas  zu  viel  geschehen.  Wenn  in  n.  180  die  Texte 
von  zwei  Originalexemplaren  einer  und  derselben  Urkunde  als  Vorurkunde 
und  Urkunde  neben  einander  vollständig  abgedruckt  werden,  so  ist  dies 
doch  nicht  der  Sachlage  entsprechend ;  es  hätten  eben  einfach  die  Ab- 
weichungen des  einen  Exemplars  in  Anmei-kung  gegeben  werden  sollen. 
Aehnlich  Hesse  sich  doch  fragen,  ob  Stücke  wie  n.  229,  Verbot  Inno- 
cenz  IV.  die  dem  Klostor  Wettingen  gehörige  Kirche  Riehen  zu  besteuern 
und  Mittheilung  davon  sowie  Schutzempfehlung  an  den  Baseler  Dom- 
propst, als  Vorurkunde  und  Ui-kunde  aufgefasst  und  behandelt  werden 
sollen.     —     Nicht     zutretfend     scheint    mir     auch ,     dass     Urkunden    wie 


Literatur.  517 

n.     106,     265,     293,     344,     386     unter    eine    Nummer    zustimmenge- 
fasst  sind. 

In  der  Angabe  von  Ueberlieferung  und  Drucken  ist  mit  grosser 
Genauigkeit  und  Umsicht  verfahren.  Ja  wir  möchten  auch  hier,  wie  beim 
Züricher  ÜB.,  sagen,  dass  in  der  Anführung  von  Copien  des  Guten  fast 
zu  viel  gethan  wurde.  Es  drängt  sich  auch  hier  die  Frage  auf,  ob  denn, 
wenn  das  Original  noch  vorhanden,  die  Aufzählung  aller  Copien,  auch 
solcher,  aus  denen  kein  Druck  geschöpft  ist,  für  die  Veröffentlichung 
Zweck  und  Werth  hat.  Was  die  Regesten  zu  den  einzelnen  Stücken  be- 
trifft, so  hat  Wartmann  985  f.  eine  Eeihe  von  zutreffenden  Bemerkungen 
gemacht  und  ich  möchte  nur  noch  besonders  als  verbesserungsbedürftig 
bezeichnen,  dass  in  einer  grossen  Zahl  von  Fällen  der  eigentliche  Ur- 
kundenaussteller gar  nicht  ersichtlich  gemacht  ist.  Es  sind  z.  B.  in 
n.  148,  158,  160,  165,  170,  173,  174  u.  s.  w.  der  Bischof  oder  das 
Domcapitel,  oder  das  Kloster  St.  Alban  die  Aussteller,  während  in  den 
Regesten  nur  die  Personen  der  beurkundeten  Handlung  erscheinen. 

Auf  einen  Punkt  von  grösserer,  grundsätzlicher  Bedeutung  müssen 
wir  noch  des  näheren  eingehen,  nämlich  auf  die  von  den  Herausgebern 
al;)sichtlich  beliebte  Spärlichkeit  paläographischer  und  diplomatischer  Be- 
merkungen 1)  und  auf  das  Weglassen  aller  sachlichen  Erläuterungen.  Die 
ersteren  halten  sie  für  ziemlich  unnütz,  von  den  letzteren  sind  die  Orts- 
und Personenbestimmungen  sämmtliche  in  das  Register  verwiesen,  andere 
sachliche  Bemerkungen  so  gut  wie  gänzlich  unterlassen.  Gewiss  haben 
die  Herausgeber  Recht,  wenn  sie  bei  Dingen,  für  deren  Feststellung  das 
ÜB.  sell)st  erst  das  Material  beibringt,  die  Verwerthung  desselben  dem 
Benutzer  überlassen;  gewiss  ist  auch  im  Register  in  Bestimmung  der 
0 ertlichkeiten  und  Personen  alles  was  man  billig  verlangen  kann,  ge- 
schehen; endlich  findet  der  Benutzer  im  Sachregister  auch  Auskunft  ü]jer 
weniger  bekannte  Worte  und  Dinge.  Und  doch  scheint  mir  bei  einem 
lokalen  Urkundenbuche  ein  solches  Vorgehen  nicht  das  richtige  zu  sein. 
Was  die  paläographisch  -  diplomatische  Seite  betrifft ,  so  wünschen  die 
Herausgeber  eine  abgesonderte  Bearbeitung  der  Baseler  Urkunden.  Sollten 
auch  die  Herausgeber  selbst  diese  Arbeit,  zu  der  sie  die  berufensten 
wären,  zu  übernehmen  nicht  in  der  Lage  sein,  warum  wollen  sie  aber 
dem  künftigen  Bearbeiter,  dem  Benutzer  überhaupt  alles  das  vorenthalten, 
worauf  sie  in  Bezug  auf  Schriftvergleichung  an  den  Originalen,  Fertigung 
von  Urkunden  durch  den  Empfänger  oder  Fertigung  durch  ein  öffentliches. 
Amt  oder  eine  Art  öffentlicher  Urkundsperson  u.  s.  w.  bei  der  Editions- 
arbeit gekommen  sind  oder  kommen?  Niemand  ist  besser  im  Stande,  die 
immer  häufiger  sich  herausstellenden  theilweisen  Ausfertigungen  von 
Königsurkunden  durch  den  Empfänger  festzustellen,  als  der  Bearbeiter 
solcher  lokaler  Urkundenwerke,  niemand  hat  das  Vergleichsmateriale  aus 
den  verschiedeneu  Archiven  so  bequem  beisammen.  Was  aber  die  Orts- 
und Personenerklärungen  anlangt,  so  ist  der  Benutzer  gezwungen  immer 
und  immer  wieder  das  Register    aufzuschlagen    oder    in    der  Karte    nach- 


')  Spärlich  hie  und  da  auch  im  Umfang;  bei  n.  307  z.  B.  müsste  die  an- 
genommene ünechtheit  doch  viel  eingehender  begründet  sein,  dass  man  davon  über- 
zeugt würde,     rnhaltlich  wenigstens  scheint  die  Urkunde  doch  unanfechtbar. 


518  Literatur. 

zusuchen.  Durch  Bestimmung  wenigstens  der  hauptsächlichsten  Orte  etwa 
in  den  Regesten,  wenn  man  schon  nicht  eigene  Anmerkungen  hieiür 
machen  will,  wäre  dem  Benutzer  eine  Menge  von  Mühe  und  Zeit  erspart. 
Hie  und  da  wären  auch  kurze  sachliche  Bemei*kungen  für  das  Verständ- 
niss  geradezu  nothwendig  gewesen,  so  etwa  bei  n.  119  und  in  anderen 
Fällen  von  blossen  Auszügen.  Wir  glauben  also  und  möchten  es  wün- 
schen, dass  die  Herausgeber  in  der  Folge  sich  doch  zur  Beigabe  von 
erläuternden  Bemerkungen  massvollen  Umfanges  entschliessen  sollten. 

Die  Register  verdienen  alles  Lob  der  Sorgfalt;  im  besonderen  ist  das 
von  Adolf  S  0  c  i  n  gefertigte  Sachregister  eine  willkommene  Gabe,  wie  sie 
keinem  solchen  ÜB.  fehlen  sollte.  Mit  der  Anlage  des  Orts-  und  Personen- 
registers kann  man  ganz  einverstanden  sein.  Freilich  fehlt  es  nicht  an 
Einzelnheiten,  um  die  beim  Züricher  ÜB.  schon  ausgesprochenen  Gedanken 
nicht  auch  hier  auftauchen  zu  lassen.  Es  werden  z.  B.  ä,  ö,  6,  ö,  ü,  ü,  u  in 
Bezug  auf  die  alphabetische  Einordnung  ganz  gleich  a,  o,  u  genommen, 
entgegen  der  sonst  gewohnten  Behandlung  gleich  ae,  ce,  ou  u.  s.  w. ; 
andererseits  werden  aber  doch  Oudalricus,  Oudelardus  erst  nach  Ottokar, 
Rouber,  Roudmunt  nach  rotloube  eingereiht,  obwohl  ja  o  und  ou  ganz 
gleichwerthig  sind.  In  der  Festhaltung  von  u  und  v  geht  das  Register 
so  weit,  dass  auch  Worte  mit  dem  consonantisch  geltenden  u  unter  dem 
Vocal  U  eingereiht  werden,  so  sind  Uazpindo,  Uesunecga  (Veseneck), 
Uurlon  (Furien)  unter  U  gestellt,  dagegen  Vurlon  unter  V !  An  Ver- 
weisungen ist  hie  und  da  etwas  übersehen  worden;  so  sind  unter 
»Deutschland«  die  Könige  und  Kaiser  zusammengestellt  und  darauf  bei 
den  einzelnen  Namen  verwiesen;  der  Verweis  fehlt  bei  Karl  und  Otto; 
die  Nebenformen  Purchardus  zu  Burchard,  Phlecha  zu  Fleck  sind  nicht 
verzeichnet,  bei  Rüdiger  fehlt  der  Verweis  auf  Manesse.  Unnöthig  wäre 
wohl  im  Namenregister  die  Aufnahme  von  Worten  gewesen  wie  Amtmann, 
Bäcker,  pistor,  campanarius  u.  s.  w.,  die  doch  alle  im  Sachregister  wieder- 
kehren, wo  allein  man  gewiss  suchen  wird,  wenn  man  sehen  will,  ob 
z.  B.  ein  pictor,  ein  physicus  und  ähnliches  vorkommt. 

Eine  erwünschte  Beigabe  ist  die  Karte,  eine  noch  werthvollere  die 
Abbildungen  oben'heinischer  Siegel.  Mit  vollem  Rechte  haben  die  Heraus- 
gel)er  von  genauen  Siegelbeschreibungen  im  ÜB,  abgesehen  und  lieber  in 
diesen  Tafeln  das  anschaulichste  Hilfsmittel  für  Siegelkunde  geboten,  das 
mit  den  zu  gewärtigenden  Züricher  Siegeln  dem  ausgezeichneten  Werke 
von  F.  V.  Weech  (Siegel  von  Urkunden  aus  dem  General-Landesarchiv  zu 
Karlsruhe)  in  willkommener  Weise  ergänzend  an  die  Seite  treten  wird. 
Die  Tafeln  sind  in  Lichtdruck  von  den  Gebr.  Bessert  in  Basel  in  trefflicher 
Weise  hergestellt  i).  Die  14fi  Siegel  sind  hauptsächlich  baslerischer  Her- 
kunft, doch  ist  auch  die  Nachbarschaft,  besonders  das  Elsass  vertreten. 
In  einem  voraufgehenden  Verzeichniss  sind  in  kurzer-,  aber  durchaus  ge- 
nügender Weise  die  Siegler,  die  Legende  des  Siegels,  sowie  sein  Vor- 
kommen mit  dem  Verweis  auf  das  ÜB.  angeführt.  Das  erste  und  älteste 
Siegel  rührt  von  Bischof  Burkard  von  Basel    her,    an    einer  Urkunde  von 


')  Sie  sind  mitsammt  der  Beschreibung  auch  gesondert  zu  beziehen  mn  den 
Preis  von  6"  Franken  (5  Mark)  i;nd  zwar  direkt  vom  Staatsarchiv  des  Kantons 
Basel-Stadt. 


Literatur.  519 

1102  oder  1103  erhalten;  die  Bischofssiegel  reichen  dann  weiter  bis 
Heinrich  von  Isny  (Siegel  von  1277).  Darauf  folgen  Siegel  des  üom- 
eapitels,  der  geistlichen  Würdenträger  und  Ofticiale,  der  Stifter  und  Klöster, 
fremder  Bischöfe  und  einzelner  Geistlicher  (darunter  Cluny,  Lützel,  St.  Bhi- 
sien  u.  a.,  Bischof  Albert  v.  Kegensburg) ;  dann  folgen  Siegel  von  Adeligen 
(Grafen  von  Thierstein,  Pfirt  u.  a.),  endlich  Stadt  und  Büi-ger  von  Basel, 
die  Städte  Rufach,  Sulz,  Neuenburg  und  Eheintelden.  Es  sind  gar  manche 
künstlerisch  werthvolle  und  interessante  Siegel  darunter,  so  n.  76  eine 
antike  Gemme,  n.  45^  der  Name  als  Rücksiegel,  n.  94  vielleicht  Poi-trät- 
siegel. 

Die  Ausstattung  des  ganzen  Werkes  ist  auch  hier  in  jeder  Beziehung 
schön  und  gediegen. 

Zum  Schlüsse  rufen  wir  den  Herausgebern  und  Bearbeitern  der  beiden 
hervorragenden  Urkundenwerke  ein  aufrichtiges  Glückauf  zu  für  den 
weiten  und  keineswegs  stets  angenehmen  Pfad,  den  sie  noch  zurückzulegen 
haben.  Es  gehört  ja  eine  unermüdliche  Ausdauer  und  nicht  selten  auch 
eine  gewisse  Selbstverleugnung  dazu,  solch  weitaussehende  und  nicht 
immer  durch  äussere  Erfolge  lohnende  Arbeiten  durchzuführen.  Aber  die 
Liebe  zur  Sache,  der  warme  Eifer,  der  heimischen  Geschichte  eine  sichere, 
wolgefügte  Grundlage  zu  schaffen,  überwindet  alle  Mühen  und  wird  auch 
die  Bemerkungen  und  Wünsche,  die  wir  im  vorhergehenden  ausgesprochen, 
als  nur  im  Interesse  eben  dieses  schönen  Werkes  gethan  zu  betrachten 
Avissen. 

Innsbruck  im  März   1891.  Oswald  Redlich. 


Eduard  Kosenthai,  Geschichte  des  Gerichtswesens 
und  der  Verwaltuugsorganisatiou  Baierns.  l.  Band.  Vom 
Ende  des  12.  bis  zum  Ende  des  16.  Jahrhunderts.  —  Würzburg, 
A.  Stuber,  1889.  —  VIII  und  601  S.  8^ 

Adolf  Stölzels  preisgekrönte  Schrift  über  die  Entwickelung  des- 
gelehrten Richterthums  in  deutschen  Territorien  hat  die  Aufmerksamkeit 
auf  die  Geschichte  des  Beamtenthums  in  weiteren  Kreisen  rege  gemacht. 
Besser  als  vorher  erkannte  man  jetzt  den  grossen  Antheil,  welcher  diesem 
Stande  an  der  Erstarkung  und  schliesslichen  Ausgestaltung  der  landes- 
fürstlichen Gewalt  zukam,  und  so  erschienen  denn  in  rascher  Folge 
Isaacsohn's  Geschichte  des  preussischen  Beamtenthums  (1874 — 78),  Georgii 
von  Georgenau's  Ausgabe  des  fürstlich  württemliergischen  Dienerbuches 
(1877),  Stölzels  Brandenburg-Preussens  Rechtsverwaltung  und  Rqchts- 
verfassung  (1888),  während  in  Oesterreich  die  Werke  von  Adler,  Bieder- 
mann, D'Elvert,  Hock,  Massburg,  Mages  u.  s.  w.  theils  der  Geschichte  der 
Centralstellen,  theils  der  Ausgestaltung  der  Behörden  in  bestimmten  Kron- 
ländern gewidmet  wurden. 

Für  Baiern  fehlte  es  bisher  an  ähnlichen  Arbeiten,  wenn  wir  von 
den  älteren  Werken  eines  Sej-frid,  Büchner,  Freyberg,  Maurer,  Steiner 
über  das  altbayerische  Gerichtswesen  oder  von  alten  Vitzthumsrechnungen, 


520  Literatur. 

von  den  Reihenfolgen  der  (ierichts-  und  Verwaltungsbeamten  Altbayerns 
und  dergleichen  a])sehen ,  welche  seinerzeit  durch  Oefele ,  Ernest 
Geiss  u.  A.  im  oberbayerischen  Archiv  verüffentlicht  wurden.  Eine  AVen- 
dung  trat  erst  1887  ein,  als  zwei  neue  Arbeiter  auf  diesem  Gebiete  mit 
vorbereitenden  Abhandlungen  auftraten,  welchen  zwei  Jahre  darauf  die 
Hauptwerke  folgten:  Max  Jos.  Neudegger,  welcher  seinem  ersten  Beitrag 
zur  Geschichte  der  Behörden-Organisation  des  Eaths-  und  Beamtenwesens 
(München,  Ackermann  1887)  im  J.  1889  im  gleichen  Verlage  die  Hof- 
und  Personalstands-Etats  der  Witteisbacher  in  Baiern,  vornehmlich  im 
1 6.  Jahrh.  folgen  liess,  und  Eduard  Rosenthal.  Dessen  Aufsatz  über  die 
Behördenorganisation  K.  Ferdinands  L,  welcher  im  69.  Bande  des  Archivs 
f.  östeiT.  Geschichte  (S.  51 — 3 Iß)  erschien,  war,  wie  der  Verfasser  im 
Vorwort  selbst  hervorhebt,  als  Vorstudie  zu  seiner  Geschichte  des  Ge- 
richtenwesens und  der  Verwaltungsorganisation  Baierns  entstanden,  mit 
welcher  wir  uns  des  Nähern  beschäftigen  wollen. 

Nach  wenigen  einleitenden  Sätzen,  in  welchen  Rosenthal  die  zum 
Verständniss  der  Behördenorganisation  im  Lande  unentbehrliche  Uebersicht 
über  die  Erbtheilungen  im  Wittelsbachischen  Hause  vorausschickt,  beginnt 
mit  S.  6  das  erste  Buch,  welches  der  Geschichte  des  Gerichtsw^esens  ge- 
widmet ist.  Das  1.  Kapitel  von  der  Gerichtsgewalt  des  Herzogs  bietet  in 
seinem  1.  Paragraphe  die  Entwickelung  der  herzoglichen  Gerichtsbarkeit, 
und  in  einem  nachfolgenden  Excurse  die  Gerichtsbarkeit  über  den  Herzog. 
.  Die  Gerichtsgewalt,  als  der  Mittelpunkt  aller  ataatlichen  Gewalt,  bildete 
das  Fundament  aller  landesherrlichen  Rechte,  die  ErAverbung  der  im  Her- 
zogthum  gelegenen  Grafschaften  war  darum  das  nächste  Ziel  der  Witteis- 
bacher, welche  durch  Erbgang,  Heirath  und  Kauf  eine  Reihe  von  Besitzungen 
alter  Grafengeschlechter  erwarben  rmd  so  dem  Emporkommen  fremder 
landesherrlicher  Gewalt  innerhalb  des  Herzogthums  zuvorkamen.  Kraft 
der  ihm  zustehenden  Justizhoheit  konnte  schliesslich  der  Herzog  alle 
Richter  des  Landes  nach  Belieben  ein-  und  absetzen.  Dem  Reiche  gegen- 
über blieb  freilich  die  Unterordnung  bestehen,  olngleich  dem  Herzoge  die 
in  Süddeutschland  nachweisbare  Begünstigung  zu  Statten  kam,  dass  die 
Richter  den  Gerichtsbann  nicht  vom  Könige  einzuholen  hatten,  sondern 
aus  den  Händen  des  Landesherrn  empfingen.  Erst  die  privilegia  de  non 
evocando  und  de  non  appellando  beseitigten  diese  Abhängigkeit.  Ersteres 
erhielten  die  Witteisbacher  1362,  nur  wenige  Jahre  nach  den  Herzogen 
von  Oesterreich,  letzteres  hingegen  eri'angen  sie  nur  stückAveise  zAvischen 
1480   bis    1620. 

§  2  handelt  von  der  Bedeutung  der  Vehmgerichte  für  Baiern,  welche 
bekanntlich  Processe  gegen  Witteisbacher  zu  Aviederholten  Malen  verhandelt 
haben.  Seit  dem  J.  1444  begann  man  im  Lande  gegen  diejenigen  auf- 
zutreten, »welche  gen  Westfalen  ziehen,  olnvohl  sie  im  Lande  Recht  be- 
kämen«. Die  Competenz  der  Vehmgerichte  selbst  AA'^urde  nicht  bestritten, 
nicht  einmal  in  dem  energischen  Landgebote  der  Herzoge  Albrecht  und 
Sigmund  vom  J.  1468,  wohl  aber  fühlten  sich  diese  dadurch  beschAvert, 
dass  die  Vehmgerichte  mit  Ladungen  gegen  bayerische  Unterthanen  ibrt- 
fuhren  und  die  von  den  Herzogen  kraft  der  königlichen  Reformation  und 
der  Hausprivilegien  verfügte  Abforderung  des  Handels  zum  Austrag  in 
ihren    Gerichten    unbeachtet    Hessen.      Uebrigens    fehlt    mit    dem    letzten 


Literatur.  521 

Viertel  des  15.  Jalirh.  jede  Kunde  einer  Beziehung  bayerischer  Unterthanen 
zur  Vehme.  Mit  dem  Alischnitt  über  die  kirchliche  Gerichtsliarkeit  (§  3) 
schliesöt  das  Kapitel  über  die  Gerichtsgewalt  des  Herzogs  und  beginnt 
jenes  über  die  Gerichtsverfassung  (§  4 — 12).  Zunächst  kommen  die  Land- 
gerichte zur  Besprechung,  sie  sind  als  Ueberreste  der  karolingischeu  Graf- 
schaftsgerichte aufzufassen,  der  historische  Zusammenhang  zeigt  sich  in 
Baieru  darin,  dass  hier  die  Ausdrücke  Graf  und  Richter,  Grafschaft  und 
Landgericht  Ins  ins  15.  Jahrh.  als  gleichwerthig  behandelt  wurden.  Auch 
in  Oesterreich  wurden  einzelne  Landgerichte  bis  über  die  Mitte  des 
14.  Jahrh.  als  Grafschaften  bezeichnet  (vgl.  meine  Geschichte  des  altern 
Gerichtswesens  in  Oesterreich,  S.  117);  demungeachtet  war  die  Entwickelung 
in  lieiden  Nachbarländern  grundverschieden.  Während  in  Oesterreich  die 
Zersplitterung  der  Landgerichte  fortwährend  zunahm  und  das  Recht  über 
Leben  und  Tod  schliesslich  zur  Pertinenz  des  herrschaftlichen  Grund  und 
Bodens  wurde  (a.  a.  0.  S.  113  ff.)  hat  in  Baiern  schon  Ludwig  L  der 
Kehlheimer  (t  1231)  eine  planvolle  Organisation  des  Territoriums  unter 
Berücksichtigung  der  historischen  Elemente  vorgenommen,  und  begann 
hier  alsbald  die  Rückbildung  der  Gerichtslehen  zu  wirklichen  Aemtern. 
Als  dies  gelungen,  war  wieder  jenes  Princip  des  karolingischeu  Ver- 
fassungsrechts zur  Anerkennung  gebracht,  welches  in  dem  Richter  (Grafen) 
lediglich  einen  Beamten  und  nicht  einen  Vasallen  erblickte,  freilich  mit 
dem  wesentlichen  Unterschiede,  dass  jener  nicht  mehr  königlicher,  sondern 
landesfürstlicher  Vasall  war  (S.  5l).  Diese  Eintheilung  des  Herzogthums 
in  Landgerichte  blieb  stets  die  Grundlage  der  territorialen  Organisation. 
Als  Vorstand  waltete  ein  landesfürstlicher  Pfleger,  welchem  zur  Besorgung 
der  Gerichtsgeschäfte  ein  Stellvei-treter  als  Landrichter  beigegeben  wurde. 
Dieser  wurde  zumeist  vom  Pfleger  selbst  bestellt,  sollte  jedoch  ein  In- 
land ei-  überdies  ein  »erber  geleumbter«  Mann  und  siegelmässig  sein.  Den 
Blutliann  empfing  er  aus  den  Händen  des  Herzogs.  Ableistung  des  Richter- 
eids und  Beibringung  der  herzoglichen  Bestallungsurkunde  in  die  erste 
Gerichtssitzung  sind  Bedingungen  rechtswirksamer  Ausübung  von  Richter- 
funktionen. 

Bedeutungsvoll  für  die  Stellung  des  Landrichters  in  Oberbayern  war 
die  Erlassung  des  Landrechts  durch  K.  Ludwig  IV.  Der  Richter  war  nun  an- 
gewiesen, aus  dem  Gesetze  den  Inhalt  des  Urtheils  zu  gewinnen  und  nach 
des  Buches  Ausspruch  zu  tliun.  Hinfort  bestand  ein  Gegensatz  zwischen 
dem  Richten  nach  Urtheil  (der  Anwesenden)  und  dem  »Richten  nach  In- 
haltung  des  Buchs«.  Ersteres  war  nicht  gänzlich  abgeschafft,  sondern 
nur  auf  jene  Fälle  beschänkt,  in  welchen  das  Buch  keine  Bestimmung 
darbot,  die  der  Entscheidung  zu  Grunde  gelegt  werden  konnte.  Dies  war 
im  Gesetze  zwar  nicht  ausdrücklich  bestimmt,  lässt  sich  jedoch  als  dauernde 
Uebung  nachweisen  und  wurde  als  solche  1409  von  den  Herzogen  an- 
erkannt. In  Niederbaiern  bliel)  es  bei  dem  früheren  Herkommen;  nach 
dem  Verschwinden  der  karolingischeu  Schöffen  wurde  die  Gerichtsbank 
durch  den  Vorsitzenden  aus  den  eben  Anwesenden  von  Fall  zu  Fall  zu- 
sammengestellt, doch  wurde  es  den  Urtheilfindern  durch  ein  Landgebot 
Herzog  Georgs  vom  J.  1491  gestattet  vor  Fällung  des  Ausspruchs  das 
Gutachten  von  Sachverständigen  einzuholen. 

Bemerkenswerth    sin«!    auch    die    Mittheilungen    über    die    Parteien- 


522  Literatur. 

beistände.  Das  Institut  der  Vorsprecher  ist  in  Baiern  wohl  früher  als 
anderswo  in  den  Bereich  der  landesfürstlichen  Obsorge  gezogen  worden : 
Damit  arm  wie  reich  der  Rechtshilfe  theilhaft  werden  könne,  behehlt 
K.  Ludwig  IV.  1340  dem  Vitzthum  in  Niederbayern  vorzukehren,  dass 
bei  den  einzelnen  Gerichten  Vorsprecher  vorhanden  seien,  die  »umli  ir 
niu  und  arbeit  von  den  laeuten  nemen,  daz  beschaiden  und  leidlich  ist«. 
Für  die  Anstellung  war  der  Lokalisierungszwang  massgebend.  Die  Landes- 
ordnung vom  J.  1474  Hess  diese  Beschränkung  fallen,  machte  aber  die 
Vereidigung  zur  Vorbedingung  der  Berufsausübung,  Die  Landesordnung 
von   lölfi  kennt  bereits  von  Amtswegen  bestellte  Armenvertreter  (S.  S'j). 

§  5  bespricht  das  kaiserliche  Landgericht  Hirschberg  dessen  Ver- 
waltung 1305  nach  dem  Erlöschen  des  alten  Grafengeschlechts  an  die 
Witteisbacher  kam  und  durch  einen  Landrichter  besorgt  wurde,  wichtiger 
ist  jedoch  §  6  über  das  Hofgericht.  In  der  deutschen  Gerichtsverfassung 
herrschte  der  Grundsatz,  dass  der  höhere  Richter  stets  die  Funktionen 
des  niederen  übernehmen,  also  konkurrirend  mit  ihm  die  Gerichtsbarkeit 
ausüben  düri'e,  dadurch  sollte  namentlich  Schutz  gegen  parteiische  Rechts- 
sprechung gewährt  werden.  Die  Herzoge  von  Baiern,  auf  welche  ein 
grosser  Theil  der  Gewalt  der  Königsboten  übergegangen  war,  reisten  gleich 
diesen  im  Lande  herum  und  beriefen  die  Grossen  ihres  Territoriums  zu 
Versammlungen,  welche  im  gewissen  Sinne  als  Fortsetzung  der  missatischen 
Landtage  erscheinen  und  nicht  blos  der  Berathung  allgemeiner  Landes- 
angelegenheiten, sondern  auch  der  Aufrechterhaltung  des  Landfriedens,  der 
Beilegung  von  Streitigkeiten  u.  s.  w.  gewidmet  waren.  In  diesen  altern 
Landtagen,  welche  bis  gegen  die  Mitte  des  1 3.  Jahrh.  vorkommen  und 
nicht  in  den  Lehensgerichten,  noch  in  dem  an  den  Herzogshof  gezogenen 
grjiflichen  Landgerichte,  erblickt  Rosenthal  den  Ausgangspunkt  für  die 
Entwickelung  des  bayerischen  Hofgerichts.  Das  mag  richtig  sein,  wenn 
er  jedoch  S.  115/llfi  weiter  geht,  und  das  für  Bayern  gefundene  Er- 
gebniss  als  Regel  für  den  Ursprung  der  Hofgerichte  in  den  übrigen 
Territorien  hinstellt,  so  werden  die  Ausnahmen  vielleicht  häufiger  sein, 
iils  die  übereinstimmenden  Fälle.  Schon  in  Oesterreich  lagen  die  Dinge 
anders.  Die  Landtaidinge,  in  der  Zeit  der  Babenberger,  lassen  sich  zwar 
mit  den  von  Rosenthal  sogen,  älteren  Landtagen  in  Bayern  bestens  ver- 
gleichen, allein,  dass  die  Gerichtsbarkeit  am  Hofe  des  Herzogs  von  Oester- 
reich keine  Weiterbildung  dieser  Landtaidinge  sei,  sondern  geradezu  in 
bewusstem  Gegensatz  zu  diesen  als  Hoftaiding  entwickelt  wurde,  glaube 
ich  in  meiner  früher  genannten  Schrift  (S.  70  ft.)  nachgewiesen  zu  hal)en. 
In  Bayern  beginnt  mit  dem  Verschwinden  der  älteren  Landtage  das  Hof- 
gei'icht,  meist  unter  dem  Vorsitze  des  stellvertretenden  Vitzthums,  in 
Oesterreich  begegnet  man  Landtaidinge  und  Hoftaidinge  mit  konkurriren- 
der  Gerichtsbarkeit  neben  einander  durch  mehr  als  zwanzig  Jahre  so  zwar, 
dass  man  sich  vorsichtsweise  bedang,  der  Verkäufer  solle  »gewer  sin  ze 
hof  und  ze  taiding  nach  land  esrecht«,  wie  es  in  einer  Urkunde 
von   13ÜG   heisst  (Urkundenbuch  d.  L.  ob  d.  Enns,  IV,   506). 

Die  weitere  Ausgestaltung  des  Hofgerichts  in  Bayern  ging  mit  jener 
in  Oesterreich  vielfach  parallel,  zum  Theil  andere  Wege.  So  wird 
z.  B.  S.  127  das  bajerische  Geding  gen  Hof  behandelt,  welches  mit  der 
Appellation  nahezu  i'lentisch  sei  land  ausgeführt,    dass  durch  dasselbe  der 


Literatur.  523 

Rechtsstreit  zwischen  den  ursprünglichen  Parteien  voi-  dem  höhere  Richter 
(Hütgericht)  fortgesetzt  werde.  Soweit  stimmt  es  mit  dem  Dingen  auch 
liei  uns.  Wenn  al>er  dann  hinzugefügt  wird,  dass  das  Hofgeding  im 
Gegensatz  zur  Urtheilsschelte  sich  nicht  unmittelbar  an  die  Urtheilsver- 
küudigung  anreiht,  sondern  erst  innerhalb  14  Tagen  an  den  Hof  gebracht 
werden  musste,  so  zeigt  der  Rechtsbrauch  in  Steiermark  doch  deutlich 
den  Zusammenhang  mit  dem  altern  Rechtsinstitut  darin,  dass  man  das 
Hingen  anmelden  musste,  ehe  die  Mehrzahl  der  Urtheiler  votiert  hatte. 
Hatten  beide  Vorsprechen  ihre  Anträge  als  Urtheilsvorschlag  vorgebracht, 
»so  mag  man  woll  urtail  gedingen,  ee  man  über  den  dritten  khombt«, 
verfügt  Art.  17  des  steiermärkischen  Landrechts.  Dass  dies  auch  beim 
Dingen  gen  Hof  beobachtet  werden  musste,  zeigt  die  von  Bischoff  in 
seiner  Ausgabe  des  genannten  Rechtsbuches  S.  84  mitgetheilte  Urkunde 
K.  Friedrichs  HL  vom  2.  Dez.  1447,  welche  den  Fall  behandelt,  dass  ein 
Theil  aus  der  Landschraune  dingnuss  tun  soll  und  mag  an  uns,  .  .  .  doch 
daz  dieselb  di(n)genuss  beschech  ee  dann  über  den  dritten  gefragt  u.  s.  w. 
Die  Frist  von  14  Tagen  kommt  auch  im  steirischen  Landrecht  vor,  sie 
bezieht  sich  jedoch  nicht  auf  die  Anmeldung,  sondern  auf  die  Ausführung 
der  »Dingung«.  «Ez  suUen  all  urtail  umb  welleich  sach  man  dingt,  in 
S  tagen  werden  furgelegt,  in  14  tagen  schol  mans  verantwurten.  Dingt 
man  ir  aber  aus  dem  Land,  so  schol  mans  in  14  tagen  türlegen  in 
ß  Wochen  verantwurten«   (art.  42). 

Ständische  Tribunale,  wie  sich  solche  in  den  verschiedenen  öster- 
reichischen Landen  finden,  scheint  es  in  Bayern  gar  nicht  gegeben  zu 
hallen,  bei  Rosenthal  werden  keine  erwähnt.  Darmn  verlief  auch  die  Ent- 
wickelung  der  Gerichtsbarkeit  am  herzoglichen  Hofe  viel  einfacher  als  in 
Oesterreich,  wo  schliesslich  auch  die  Hottaidinge  unter  den  Einfiuss  der 
Stände  geriethen  und  Albrecht  V.  sich  nur  dadurch  zu  helfen  wusste,  dass 
er  dieselben  aufhob  und  deren  Geschäfte  unter  das  landmarschallische  — 
als  ständisches  Gericht,  und  an  ein  Hofgericht  übertrug,  das  er  aus  vor- 
handenen Anföugen  weiter  entwickelte.  Diesem  letzteren  entspricht  im 
Wesen  das  bayerische  Hofgericht  im  15.  Jahrh.  Hier  wie  dort  finden 
wir  friihzeitig  Doktoren  unter  den  Mitgliedern  des  Hofgerichts,  welche  als 
Räthe  des  Herzogs  in  dasselbe  gelangten. 

§  7  handelt  vom  Stadtgericht,  dem  Stadtrath,  den  Zünften  und  der 
Sonderstellung,  welche  Regensburg  einnahm,  §  S  von  der  Fatrimonial- 
gerichtsbarkeit,  welche  Herzog  Otto  III.  im  J.  1311  den  Ständen  auf  ihren 
Gütern  gegen  Gewährung  einer  Steuer  theils  bestätigt,  theils  neu  ein- 
geräumt hatte. 

Die  Nachbarlande  Bayern  und  Oesterreich,  von  stammesgleicher  Be- 
völkerung bewohnt,  zeigen  demungeachtet  bei  dem  Umfang,  in  welchem 
die  Gerichtsbarkeit  an  die  Grundherren  gelangte,  recht  erhel)liche  Ver- 
schiedenheit. Vor  dem  sogen.  Gerichtskauf  im  geilachten  Jahre  1311 
stand  nämlich  in  Baiern  dem  Herzoge  auch  die  Kiedergerichtsbarkeit  all- 
gemein zu  und  konnte  dieselbe  von  geistlichen  oder  weltlichen  Gross- 
grundbesitzern nur  auf  (h-und  einer  (direkten  oder  indirekten)  Verleihung 
als  Ausnahme  beansprucht  werden;  seitdem  vermehrten  sich  diese  patrl- 
monialen  Jurisdictionsbezirke  so  rasch,  dass  am  Ende  des  15.  Jalnh. 
Herzog  Allu-echt  IV.  allein  in  Niederbayern    die   Zahl  der  Hofmarken    auf 


524  Literatur. 

600  schätzte.  Anders  in  OesteiTeich,  wo  den  Landrichtern  schon  nach 
der  Aufzeichnung  des  Landesrechts  vom  J.  123fi  (Art.  46)  jedes  Betreten 
des  Grundbesitzes  der  Grafen,  Freien  und  Dienstmannen  im  Lande,  »oli  «i 
es  in  urbar  habent,  ol)  si  es  verlihen  habent,  ob  si  es  in  vogtei  habent* 
untersagt  war.  Folgerichtig  gelangte  auch  der  Blutbann,  als  das  wesent- 
liche Element  der  Gerichtsbarkeit  nur  höchst  ausnahmsweise  an  bayerische 
Unterthanen,  wogegen  der  sogen.  Seifried  Helbling  1298  unter  den  Vor- 
rechten eines  östen-eichischen  Ministerialen  anführt: 

und  üf  sinem  eigen  fi-i 

sol  er  von  dem  riche  han 

stoc,  galgen  unde  ban.  (VIII,   40  ff.) 

Soweit  kam  es  allerdings  auch  bei  uns  nicht,  allein  die  Herzoge  be- 
gnügten sich  mit  dem  Vorbehalt  der  Bannleihe  und  überliessen  die  Aus- 
übung der  peinlichen  Gerichtsbarkeit  so  freigeliig  an  die  Grundherren, 
dass  es  schliesslich  (um  1817)  in  Oesterreich  unter  und  ob  der  Enns 
über  300,  in  Steiermark  136,  in  Kärnten  63  dergleichen  Landgerichte 
gab,  während  die  Zahl  der  Niedergerichte  nach  Liechtensterns  Angaben 
damals  im  Lande  unter  der  Enns  und  in  Steiermark  je  über  600  (612 
und   609),  in  Kärnten  470,  in  Oesterreich  ob  der  Enns   329  betrug! 

Anhangsweise  zum  Abschnitt  über  die  Patrimonialgerichtsbarkeit  wur- 
den von  Kosenthai  das  Dorfgericht  (S.  204)  und  die  Ehafttaidinge  (S.  206) 
behandelt,  dann  folgen  die  Lehengerichte,  die  Bergwerksgerichtsbarkeit, 
die  akademische  Gerichtsbarkeit  und  endlich  die  Gerichtsbarkeit  des  Hof- 
marschalls  (§§  9 — 12),  mit  welcher  das  erste  Buch  schliesst.  Das  zweite 
ist  der  Geschichte  der  Verwaltungsorganisation  gewidmet  (§§  13 — 24)  und 
bespricht  in  fünf  Kapiteln  die  Centralregierung,  die  Mittel-  und  Unter- 
behürden,  ferner  die  Eegalien  und  die  Steuerverwaltung.  Bei  dem  rein 
persönlichen  Charakter  des  landesherrlichen  Eegiments  machte  es  sich  von 
selbst,  dass  die  mit  dem  Dienste  bei  der  Person  des  Fürsten  Betrauten 
auch  sein  besonderes  Vertrauen  genossen  und  deshalb  vorzugsweise  zur 
Erledigung  staatlicher  Geschäfte  benützt  wurden.  Als  Organe  der  Central- 
regierung erscheinen  darum  vor  allem  die  Hofbeamten,  unter  welchen  seit 
der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  der  Hofmeister  in  die  erste  Stelle  rückt, 
»Kabinetchef  und  Minister  xat'  I^OX""]^*  nennt  ihn  Rosenthal.  Der  zweit- 
wichtigste Hofbeamte  war  der  Marschall,  der  dritte  der  Kammermeister, 
endlich    der  Kanzler,    dem    die    formelle    Erlediffunjr    der    wichtigsten  Ke- 

'  0  0  0 

gierungsgeschäfte  zufiel.  Daneben  gab  es  stets  eine  grosse  Anzahl  von 
Personen  —  Eäthe  —  die  sich  am  Hofe  ohne  besondere  Funktion  auf- 
hielten. Schon  in  der  Hofordnung  vom  J.  1293  sind  sowohl  das  stän- 
dische als  das  Beamtenelement  im  fürstlichen  Rathe  vertreten,  und  dabei 
blieb  es,  bis  der  gefestigten  landesherrlichen  Gewalt  endlich  die  völlige 
Verdrängung  des  ersteren  gelingt.  Von  einer  kollegialen  Gestaltung 
dieses  Rathes  konnte  keine  Rede  sein,  es  fehlte  vor  allem  die  Ständigkeit 
der  Behörde,  allein  es  gibt  auch  kein  Gebiet  der  staatlichen  Thätigkeit, 
welches  seinem  Wirkungskreise  entrückt  geblieben  wäre.  Seit  den  Tagen 
K.  LudAvigs  IV.  werden  der  Gesammtheit  der  Räthe  die  »Heimlichen«  als 
Männer  besonderen  Vertrauens  entgegengesetzt.  Die  Zusammensetzung  des 
Rathes  war  jeweilig  vom  Befehl  des  Herzogs  al^hängig  und  die  Zalil  der 
Eathgeber  schwankte  zwischen  7  bis  50.    Erst  durch  den  Vertrag  von  1466 


Literatur.  525 

erhielt  der  Rath  eine  festere  Formation.  Für  Herzog  Sigmund  und 
Allirecht  IV.  (München)  werden  ein  Hofmeister  und  G  Räthe  bestimmt, 
was  diese  »alle  oder  der  mehrere  Theil  be.schliessen,  dem  soll  nachge- 
gangen werden«,  1489  verordnete  dann  Herzog  Georg,  um  den  Beschwer- 
den der  Lancistände  Abhilfe  zu  schafien,  den  »geordneten  Rath«  zur 
Besorgung  der  laufenden  Geschäfte ;  1501  wird  dann  nach  österreichischem 
Vorbilde  ein  »Hof rath«  eingesetzt.  Die  Stellung  des  Kanzlers  als  Vor- 
standes der  Kanzlei  und  seiner  Untergebenen,  und  eine  Schilderung  des 
Archivwesens  beschliessen  den  ersten  Abschnitt. 

Unter  den  Mittelbehürden  behaupten  die  Vitzthume  (^  15)  den  ersten 
Rang.  Schon  1204  erscheint  ein  vicedoniinus  ducis  Bavarie,  bald  nach 
der  ersten  Theilung  (l255)  scheint  zu  Verwaltungszwecken  eine  förmliche 
Eintheilung  des  Landes  in  Vitzthumsämter  erfolgt  zu  sein,  für  welche  in 
der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  der  Name  Rentmeisterämter 
aufkam. 

Der  Vicedom  ist  in  seinem  Sprengel  der  unmittelbare  Vertreter  des 
Herzogs  u.  zw.  sowohl  auf  dem  Gebiet  der  Justiz  als  auch  dem  Militäri- 
schen und  der  Finanzverwaltung.  Im  1  4.  Jahrh.  übernahmen  Landschreiber 
die  financiellen  Geschäfte,  im  1 5.  Jahrh.  folgen  ihnen  Rentmeister,  während 
die  Landschreiber  die  Kontrole  erhalten.  In  weiterer  Entwickelung  rückte 
der  Rentmeister  in  den  Mittelpunkt  der  gesammten  Verwaltung  und  winl 
zu  einem  Kontroleorgan  aller  Gebiete  der  Rechtspflege  und  Verwaltung. 
Er  war  der  höchste  Kassenbeamte  der  Provinz  und  in  seiner  Kasse 
sammelten  sich  alle  rechnungsmässigen  Ueberschüsse  der  äusseren  Aemter 
des  Rentamts,  welche  vom  Vicedom  an  das  Hofzahlamt  abgeführt  wurden. 

Durch  die  Schaffung  dieser  Mittelbehörden  war  die  Organisation  der 
l)ayerischen  Verwaltung  jener  in  den  Landen  der  österreichischen  Herzoge 
weit  voraus.  Vicedome  mit  weit  beschränkterem  Wirkungskreise  wurden 
erst  durch  Maximilian  I.  für  alle  fünf  niederösterreichischen  Lande  be- 
stellt, früher  behalf  man  sich  mit  dem  Hubmeister  in  Oesterreich,  mit 
dem  Landschreiber  in  Steiermark,  nur  Kärnten  und  Krain  hatten  schon 
unter  den  Sponheimern  im  13.  Jahrh.  landesfürstliche  Vicedome  erhalten, 
neben  welchen  es  ausserdem  solche  für  die  Hochstifte  Bamberg,  Salzburg, 
die  Grafen  von  Ortenburg  u.  s.  w.  gab. 

Als  Unterbehörden  werden  die  Pfleger  und  Richter  und  die  Kastner 
namhaft  gemacht  (§  17,  18).  Da  die  Landgerichtsbarkeit  in  Bayern  mit 
verschwindenden  Ausnahmen  dem  Herzoge  geblieben  war,  in  Oesterreich 
aber,  wie  früher  gezeigt  wurde,  mit  dem  Gros  5grundbesitze  verbunden 
war,  so  gab  es  bei  uns  nur  dort  landesfürstliche  Pfleger,  wo  der  Gross- 
grundbesitz dem  Landesherrn  gehörte.  Die  aus  einer  Bestallung  vom 
J.  1538  für  Bayern  nachgewiesene  Verpflichtung  der  Pfleger,  dem  Herzoge 
mit  einer  bestimmten  Anzahl  gerüsteter  Pferde  und  Knechte  zu  dienen, 
scheint  aus  Oesterreich  entlehnt  zu  sein,  sie  bildet  feinen  Theil  der  von 
Maximilian  I.  zur  bessern  Ausnützung  des  Kammergutes  getroftenen  Mass- 
regeln. Die  von  Rosenthal  S.  344  mit  Bedauern  verzeichnete  »pflegweise 
Uelterlassung  eines  Landgerichts«  auf  eine  Anzahl  Jahre  oder  bis  nach 
l^ezahlung  einer  geschuldeten  Summe,  flndet  sich  bei  uns  in  der  Ver- 
pfändung von  Staatsgütern,  in  den  sogenannten  Pfandschaften  getreulich 
wieder. 


526  Literatur. 

Im  4.  Kapitel  von  der  Kegalienverwaltung  werden  §  1 9  die  Forst- 
und  Jagdbeamten,  §  20 — 22  die  Münz-,  Bei'g-  und  Zolllieamten,  §  23  die 
Ungelter  Lehandelt,  §  24  ist  den  Organen  der  landständischen  Steuer- 
verwaltung gewidmet.  Die  Ergebnisse  der  Verfassers  stimmen  im  grossen 
und  ganzen  mit  unsern  Verhältnissen  ülterein,  noch  grosser  ist  die  Ueher- 
einstimmung  in  der  Organisation  der  Central-  und  Mittelhehörden  im 
1 6.  Jahrhundert,  weil  hier  direkte  Entlehnungen  vorkamen.  Rosenthal 
hat  es  selbst  ausgesprochen,  dass  die  Einrichtungen  K.  Ferdinands  I.  das 
Vorbild  für  die  Verwaltungsorganisation  in  den  deutschen  Territorien 
waren  und  hat  dieselben,  wie  oben  erzählt,  als  Vorarbeit  zu  dem  be- 
sprochenen Werke  im  Archiv  für  österr.  Geschichte  ausführlich  geschildert,  — 
Nach  österreichischem  Vorbild,  jedoch  keineswegs  in  sklavischer  Nach- 
ahmung wurden  so  die  Kollegialbehörden  des  Hofraths  und  der  Regie- 
rungen (§  25),  der  Hofkammer  (§  26)  und  der  Kanzleien  (§  30)  mit 
Berücksichtigung  der  liesondern  bayerischen  Verhältnisse  zum  Theil  schon 
von  Albrecht  IV.,  namentlich  aber  von  Alln-echt  V.  organisirt,  der  Kriegs- 
rath  (§  28)  und  der  geheime  Rath  (§  29)  gewinnen  erst  unter  Herzog 
Maximilian  ihre  ganze  Bedeutung,  reichen  jedoch  mit  ihren  Anfängen  bis 
in  die  Regierungszeit  Herzog  Wilhelms  V.  zurück  (1582/3).  Dagegen 
scheint  der  geistliche  Rath  (§  27)  auf  bayerischem  Boden  erwachsen  zu 
sein.  Der  Religionsrath,  welchen  Albrecht  V.  im  J.  1557  als  eine  be- 
sondere Deputation  von  Hofräthen  zur  Besorgung  der  kirchlichen  An- 
gelegenheiten einrichtete,  dauerte  zwar  nur  zwei  Jahre  und  wurde  erst 
1570  als  »geistlicher  Rath«  wieder  hergestellt,  allein  man  wird  kaum 
fehlgehen,  wenn  man  ihn  als  das  Muster  für  den  österreichischen  »Kloster- 
rath«  erklärt,  welcher  in  einem  an  K.  Ferdinand  IIL  erstatteten  Bericht 
der  n.  ö.  Regierung  vom  22.  März  1640  auf  eine  Anordnung  K.  Maxi- 
milians II.  zurückgeführt  wird.  Mit  sehr  beachtenswerthen  Untersuchungen 
über  das  Staatsdienerrecht  und  den  Charakter  des  Beamtenthums  (§  31,  32) 
schliesst  der  vorliegende  erste  Band. 

Es  ist  eine  in  der  publicistischen  Literatur  allgemein  verbreitete 
Ansicht,  dass  eine  gesetzliche  Regelung  des  Staatsdienerrechts  in  Deutsch- 
land erst  durch  das  preussische  Landrecht  erfolgt  sei,  wie  auch  erst 
Friedrich  Wilhelm  I.  als  der  Schöpfer  eines  berufsmässigen  Beamtenstandes 
zu  betrachten  sei.  Diese  Ansicht  erweist  sich  eindringlicher  Spezial- 
forschung  gegenüber  als  unhaltbar.  Die  Beamtenstellung  regelte  nur 
einige  Theile  des  Beamtenverhältnisses  (Dauer  desselber,  Gehalt,  Zahl  der 
zu  stellenden  Pferde  u.  s.  w.),  während  für  andere  Rechtsverhältnisse  die 
allgemeinen  gesetzlichen  Normen,  beziehungsweise  gewohnheitsrechtliche 
Uebung,  massgebend  war.  Schon  im  1 4.  Jahrh.  wird  von  Seite  der  Stände 
der  ( ?  das)  Indigenat  als  eine  Vorbedingung  für  die  Anstellung  durch- 
gesetzt, ferner  war  die  Leistung  dos  Diensteides  eine  nothwendige  Voraus- 
setzung rechtsgiltiger  Handlungen.  Aus  dem  Dienstvertrage  erhalten  die 
Beamten  den  Anspruch  auf  die  vereinbarte  Besoldung,  einzelnen  wird 
S(;hon  im  16.  Jahrh,  ein  Ruhegehalt  für  die  Zeit  zugesichert,  in  welcher 
sie  ihren  Dienst  nicht  melir  verrichten  konnten.  Dagegen  übernimmt  der 
Beamte  die  Verpflichtungen:  1,  seine  ganze  Arbeitskraft  für  seine  ämt- 
liche Wirksamkeit  einzusetzen,  2.  Gehorsam  gegenülter  dem  Landesherrn 
und    den    Befehlen    seiner  Vorgesetzten,    und    3,    Bewahrung    des    Dienst- 


Literatur.  527 

geheimnisses.  Verletzungen  dieser  Pflichten  zogen  Strafen  nach  sich,  doch 
ergibt  sich  aus  der  Androhung,  dass  dem  Herzog  kein  willkürliches  Ent- 
lassungsrecht der  Beamten  zustand,  sondern  nur  auf  Grund  diesbezüglicher 
gesetzlicher  Bestimmungen.  Jeder  Beamte  haftete  für  den  Schaden,  den 
er  durch  Pflichtverletzung,  sei  es  dem  Herzog,  sei  es  einem  Unterthan, 
zufügte,  und  konnte  deshalb  vor  dem  Hofgericht  belangt  werden.  Schon 
im  K).  Jahrh.  wird  der  Unterschied  zwischen  ausschliesslichen  Hof-  und 
den  Staatsbeamten  scharf  betont.  Der  niedere  Adel  erhielt  sich  dauernd 
im  Besitz  der  meisten  Hof-  und  Landesämter,  in  den  Eath  der  Herzoge 
drang  aber  das  bürgerliche  Element  ein,  als  man  anfing,  den  Vortheil 
wissenschaftlicher  Bildung  für  die  Erledigung  von  Regierungsgeschäften 
zu  schätzen.  Das  Eindringen  der  Juristen  in  die  Gerichte  ergab  sich 
(nach  Ansicht  des  Verfassers)  als  eine  Folge  der  Thatsache,  dass  Doktoren 
als  landesfürstliche  Räthe  bestellt  wurden. 

Rosenthals  Arbeit  liest  sich  leicht,  ist  übersichtlich  angelegt  und  so 
vollständig,  dass  sie  kaum  irgend  was  Wesentliches  vermissen  lässt.  Ex- 
curse  am  Schlüsse  der  einzelnen  Abschnitte:  über  die  Anfange  des  diplo- 
matischen Dienstes,  über  Räthe  von  Haus  aus,  Archiv  und  Bibliothek 
bewältigen  den  Stoff,  der  sich  anderswo  nicht  gut  unterbringen  liess ;  dass 
mit  einem  umfänglichen  Notenapparate  nicht  gespart  werden  konnte  ver- 
steht sich  bei  einem  Werke  von  selbst,  das  gutentheils  ungedruckte 
Quellen  verwerthen  musste.  Auf  die  Korrektheit  des  Druckes  wurde 
grosse  Sorgfalt  verwendet.  Die  Tafel  der  Berichtigungen  und  Ergänzungen 
führt  anderthalb  Dutzend  Druckfehler  auf  ßOO  Seiten  an;  mir  ist  noch 
etwa  ein  halbes  Dutzend  aufgefallen,  von  welchem  ich  die  drei  Namen 
Suikerus  (S.  2ri6),  Maurkircher  (S.  509)  und  Khulmer  (S.  535/6)  aus 
Snikerus,  Mauekircher  und  Khulmar  berichtige.  Kein  Druckfehler  ist  die 
Angabe  S.  3,  Anm.  1,  dass  Tirol  1369  an  Oesterreich  kam.  Der  Verfasser 
rechnet  als  Bayer  nach  der  Abtretung,  welche  durch  den  Schärdinger 
Frieden  eintrat,  wogegen  wir  in  Oesterreich  den  Erwerb  auf  Rudolf  IV. 
und  das  Jahr  1363  beziehen.  Zu  berichtigen  ist  hingegen  das  Datum  des 
Schladminger  Bergbriefs  (S.  117)  von  1308  auf  1408,  wie  das  mein  Kollege 
Reg.-Rath  Bischoff  in  einem  Aufsatze  erwiesen  hat,  der  in  den  Mittheilungen 
des  deutschen  und  österreichischen  Alpenvereins,  Jahrgang  1891,  erschienen 
ist.  Ein  Missverständniss  endlich  ist  dem  Verfasser  auf  S.  376  bei  Be- 
sprechung der  Münzprüfung  unterlaufen.  Die  aus  Lori  L,  38  angeführte 
Stelle  bezieht  sich  nämlich  nicht  aufs  Schrot,  sondern  aufs  Korn  der 
Münze,  betrifft  daher  nicht  das  Passiergewicht,  sondern  das  Kemedium. 
Doch  diese  Ausstellungen  sind  von  keiner  Bedeutung  und  nicht  geeignet 
den  Werth  der  wirklich  schönen  Leistung  des  Verfassers  zu  schmälern. 

Graz.  Luschin  v.  Ebengreuth. 

Heiligkreuz  und  Pfalzel,  Beitrüge  zur  Baugescliiclite  Triers, 
von  W.  E  ff  mann.  4",  159  S.,  107  Abb.  im  Text  (voraugeschickt  dem 
Lectionskatalog  der  Universität  Freiburg  i.  d.  Schweiz,  W.  Sem.  1890—1). 

In  der  Kunsttopographie  Deutschlanils  nimmt  Trier  eine  ganz  be- 
sonders wichtige  Stellung  ein.  Erstlich  hat  diese  Stadt,  die  eine  Zeit 
lang    eine    der    vier  Hauptstädte    des    römischen  Weltreichs    gewesen    ist. 


528 


Literatur. 


mehr  Ueberreste  von  Kunstdenkmälern  aus  römischer  Zeit  aufzuweisen 
als  irc^end  eine  andere  Landschaft  Deutschlands.  Aher  auch  die  Mero- 
mngerzeit  ist  hier  im  baukünstlerischen  Schaffen  nicht  ganz  steril  gewesen, 
und  wenn  gegen  Ende  des  ersten  Jahrtausends  die  Bedeutung  der  Stadt 
gesunken  war,  so  hob  sie  sich  umsomehr  wieder  vom  11.  Jahrh.  ab, 
das  nicht  bloss  für  den  Trierer  Dombau,  sondern  auch  für  manche  andere 
bedeutsame  Anlage  von  entscheidender  Wichtigkeit  gewesen  ist.  So  sehen 
wir  fast  alle  Bauperioden  von  der  römischen  l)is  auf  die  moderne  Zeit  in 
Trier  und  dessen  nächster  Umgebung  vertreten,  worüber  bereits  eine  reich- 
haltige Literatur  vorliegt. 

Und  doch  scheint  der  Boden  nach  dieser  Eichtung  noch  immer  nicht 
erschöpft  zu  sein,  wenigstens  nach  den  vorlegenden  Ergebnissen  der 
Untersuchungen  Elfmann's  zu  schliessen,  dem  es  gelungen  ist,  zwei  für 
die  Geschichte  der  romanischen  Architektur  in  Deutschland  höchstbedeut- 
same Denkmäler  in  ihrer  Ursprünglichkeit  vmd  nach  ihrer  Entstehungszeit 
in  völlig  überzeugender  Weise  klarzustellen. 

Das  eine  Denkmal  ist  die  Kapelle  von  Heiligkreuz  innerhalb  der 
Bannmeile  von  Trier.  Die  Verhältnisse  liegen  in  diesem  Falle  so  klar  zu 
Tage,  dass  man  kaum  begreifen  kann,  wie  der  Sachverhalt  so  lange  ver- 
dunkelt bleiben  konnte.  Die  Schuld  daran  trug  namentlich  die  Verquickung 
dieses  Baues  mit  einem  andern,  über  welchen  schriftliche  Nachrichten 
vorliegen,  die  man  ii-rthümlicherweise  auf  Heiligkreuz  bezogen  hat.  Efl- 
mann  weist  nun  zur  Evidenz  nach,  dass  die  genannte  Kapelle  in  der 
zweiten  Hälfte  des  1 1 .  Jahrh.  entstanden  sein  muss.  Die  Tragweite  dieses 
Ei-o-ebnisses  wird  klar,  wenn  wir  die  Beschaffenheit  des  Baudenkmals  kurz 
charakterisiren :  reine  kreuzförmige  Anlage  mit  gleich  langen  Kreuzarmen, 
die  Arme  tonnengewölbt,  über  der  Vierung  ein  Thurm  mit  achtseitigem 
Klostergewölbe,  —  also  fürs  Erste  eine  in  Deutschland  höchst  vereinzelte 
Anlage,"  ferner  eines  der  ältesten  Beispiele  von  durchgängiger  Anwendung 
der  Wölbung  und  eines  Vierungsthurmes. 

Weit  komplicirter  liegen  die  Verhältnisse  beim  zweiten  von  Effmann 
untersuchten  Bau,  der  eine  Stunde  ausserhalb  Trier  gelegenen  Stiftskirche 
zu  Pfalzel.  Dieselbe  dient  seit  vielen  Jahrzehnten  nur  mehr  profanen 
Zwecken,  und  zwar  gehören  ihre  einzelnen  Theile  verschiedenen  Besitzern, 
so  dass  es  dem  heutigen  Beschauer  nicht  einmal  möglich  ist,  einen  Ge- 
sammtüberblick  über  die  Anlage  zu  gewinnen.  Auf  Grund  einer  durch 
zahlreiche  Illustrationen  unterstützten,  überaus  lichtvollen  baugeschicht- 
lichen Untersuchung,  die  vom  heutigen  Zustande  ausgehend  sich  nach 
rückwärts  bewegt  und  deren  Lektüre  zum  wohlthuenden  Unterschiede  von 
den  meisten  ähnlichen  Untersuchungen  einen  wahrhaften  Genuss  bereitet, 
gelangt  der  Verf.  zu  dem  überraschenden  Ergebnis«,  dass  wir  in  der 
Stiftskirche  zu  Pfalzel  das  nächst  dem  Trierer  Dom  älteste  kirchliche 
Baudenkmal  Deutschlands  zu  erblicken  haben.  Der  Kern  der  Anlage  ist 
römisch,  zum  Gotteshause  eingericlitet  in  merowingischer  Zeit,  umgebaut 
in  dem  bedeutsamen    1 1 .  Jahrh,,  gewölbt  im    1 3.  Jahrh. 

Das  Ergebniss  ist  ein  für  die  Kunstgeschichte  so  hervorragendes, 
dass  es  die  von  E.  darauf  verwandte  Mühe  reichlich  lolmt. 

Alois    Riegl. 


Zu  S.  431  Sickel,  Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Otto  III. 


Wie  ich  den  Erläuterungen  zu  den  DDO.  IL,  um  deren  Benutzung 
zu  erleichtern  in  Mitth.  Erg.  2,  191  eine  Vergleichungstafel  und  ein  Ver- 
zeichniss  der  erläuterten  Diplome  beigefügt  habe,  gedenke  ich  die  hier 
S.  209 — 245  und  S.  369 — 431  abgedruckten  Erläuterungen  mit  gleicher 
Zuthat  zu  versehen,  jedoch  erst  wenn  auch  der  Schluss  der  auf  die 
DDO.  III  bezüglichen  Excurse  veröffentlicht  sein  wird.  Bis  dahin  möge 
man  mit  der  folgenden  gedrängteren  Zusammenstellung  voidieb  nehmen. 
Die  den  Nummern  der  neuen  Ausgabe  in  Klammern  beigefügten  Zahlen 
bezeichnen  Stumpfs  Regesten  und  bei  den  an  den  Schluss  gestellten 
Briefen  der  Gerbertschen  Sammlung  die  Nummern   der  Havet'schen  Edition. 

S. 


4  (874)  —  S.  399 

7  (877,  878) 

11  (882),  -"^ 

16  (884), 

21  (891) 

25  (895), 

S.  381. 
D.  46  (915), 

223. 
D.  51  (920) 


D. 
D. 
D. 


D 


S.  374- 
(883),  13 


12 

19  (889),  20 
-  S.  397. 

900),  37  (908) 


-37  7. 

(964), 
(890), 


29 

50  (919) 
S.  239 


S.  219- 


D.  Dl  (920}  —  S.  239. 

D.  53  (923),  54  (924),  56  (926)  — 

S.  219 — 223,  232,  238. 
D.  58  (928)  —  S.  234,  245. 
D.  65  (937),  69  (941),  70  (1282) 

—  S.  219 — 228. 
D.  92  (961)  —  S.  387. 
D.  97  (968),99(97l),  100(970),  101 

972  —  S.  220 — 223,  226  —  230. 
D.  114  (984)  —  S.  373. 
D.  132  (1001) 
D.  147  (1019) 
D.  149  (1007) 
D.  150  (1021) 


S.  223. 

S.  397. 

S.  220,  231. 
^.    .^w  ^iu^iy  —  S.  225,  226,  397. 
D.  152  (102.3),  153  (1024),  154 
(1025),  155(1026),  156(1027), 

157  (1028),  158  (1029),  159 

(1031,  1030),  160  (1033),  161 
(1034)  —  S.  385—387. 


(1034)  —  S. 
D.  165  (1038) 


385- 

S. 


■387. 
373. 


D. 
D. 

D. 


172  (1044), 
(1046).  175 
197  (1067) 
209  (1079), 
(1082),  214 

—  S.  389— 
217  (1085), 
(1087)  —  S, 
220  (1087^) 

225  (1091)  - 

226  (896) 
400 — 404. 

227  (1099) 

229  (1094) 

395—399. 

230  (1094^) 

231  (1096) 

232  (1097) 

233  (1098) 
235  (1100) 
243  (1110), 
(1113),  246 
248  (1116), 
(1118),  251 

—  S.  422  — 

253  (1121)  - 

254  (1122), 
S.  422 — 424 
278  (1141)  ■ 


173  (1045),  174 

(1047)  —  S.  387. 

—  S.  370. 
210  (loso),  213 

(1083),  215  (1084) 
393. 

218  (1086),  219 

394. 

—  S.  223. 

—  S.  395. 

—  S.  395  ,  397, 

—  S.  404 — 412. 

—  S.  377—379, 

—  S.  377,  399. 

—  S.  396 — 400. 

—  S.  399. 

—  S.  37  7,  399. 

—  S.  422. 
244  (Hl 2),  245 

(1114),  247(1115), 

249  (1117),  250 

(1119),  252  (1120) 

-424. 

—  S.  377 — 379. 

255  (1127)  — 
S.  225. 


D.  196  (Havet  215),  212  (H.  213), 
216  (H.  214),  228  (H.  216)  — 
S.   413—419,   431. 


Briefe: 

D. 


241  (H.  186),  260  (H.  218)  - 
S.  413 — 416,  419  —  421,  425  — 
431. 


Tliierstrafen  und  TMerprocesse. 

Von 

Karl  V.  Amira. 

Die  rechtsgeschichtliclien  Erscheinungen,  welche  die  Ueberschrift 
andeutet,  sind  bis  jetzt  nicht  in  allseitig  befriedigender  Weise  erklärt 
und  daher  auch  nicht  in  den  Gang  der  Kechtsentwicklung  eingeordnet. 
Solange  dies  nicht  gelingt,  müssen  der  letzteren  Widersprüche  und 
Lücken  anhaften,  die  eine  sichere  und  deutliche  Formulirung  wichtiger 
Grundlehren  des  Strafrechts,  des  Processrechts  und  des  Privatrechts 
nicht  nur  im  Mittelalter,  sondern  auch  in  viel  weiter  zurückliegenden 
Zeiten  verhindern.  Als  ein  Versuch,  diese  Hindernisse  hinwegzuräumen, 
wollen  die  Studien  beurtheilt  sein,  worüber  ich  Bericht  erstatte. 

Die  Vorkommnisse,  um  die  es  sich  handelt,  sind  folgende:  Man 
hat  Thiere  wegen  bestimmter  von  ihnen  angerichteter  Schäden  öffent- 
lichen Strafen  oder  doch  einem  Verfahren  unterworfen,  das  den  An- 
schein eines  öffentlichen  Strafverfahrens  gewährt.  Die  Träger  der 
Staatsgewalt  haben  z.  B.  die  Strafe  des  Hängens,  des  Lebendigbegrabens, 
des  Verbrennen s  durch  das  ordentliche  Vollzugsorgan,  den  Nachrichter, 
an  Thieren  vollstrecken  lassen  und  es  sind  dabei  die  nämlichen  feier- 
lichen und  umständlichen  Formen  beobachtet  worden,  die  für  den 
Vollzug  von  Todesurth eilen  an  Menschen  bestimmt  waren.  Die  geist- 
liche Gewalt  hat  gegen  Thiere  den  Kirchenbann  ausgesprochen.  Dieser 
aber  erging  in  denselben  Formen  des  Strafurtheils ,  welche  gegen 
Kirchenmitglieder  einzuhalten  waren,  wie  andererseits  der  Todesstrafe 
ein  förmliches  Todesurtheil  des  ordentlichen  weltlichen  Gerichts  gegen 
das  Thier  voranging.  Das  eine  wie  das  andere  Urtheil  ferner  bildete 
selbst  wieder  nur  den  Abschluss  eines  geordneten  gerichtlichen  Ver- 
fahrens. Und  zwar  sehen  wir  in  diesem  oftmals  das  Thier  geradezu 
als  Partei  behandelt,  —  verklagt,  zur  Verantwortung  vorgeladen,  durch 

Mittheilungen  XII.  34 


546  A  m  i  r  a. 

einen  Officialanwalt  vertreten,  und  sorgsam  ist  das  Eecht  an  der  Arbeit, 
zwischen  dem  klagenden  Menschen  und  dem  verklagten  Thier  Sonne 
und  Wind  gleich  zu  vertheilen.  Wo  der  Process  unter  Menschen 
ein  schriftlicher,  konnte  auch  der  mit  dem  Thier  Dutzende  von  Schrift- 
sätzen und  ebensoviele  Termine  —  die  Augenscheinaufnahmen  nicht 
gerechnet  —  erfordern  und  so  selbst  bei  schneller  Justiz  halbe  Jahre 
sich  hinziehen.  Am  meisten  im  Schwang  ist  diese  strafrechtliche  Be- 
handlung von  Thieren,  soviel  sich  wenigstens  auf  den  ersten  Blick 
erkennen  lässt,  in  der  Zeit  vom  13.  bis  ins  17.  Jahrhundert.  Aber 
erst  im  18.  und  19.  Jahrhundert  klingt  sie  aus,  ja  theilweise  ragt  sie 
sogar  noch  in  die  Gegenwart  hinein  und  andererseits  liefert  schon  das 
Kechtsleben  des  Alterthums  Analogien.  Sehen  wir  auf  das  Verbreitungs- 
gebiet der  im  Wesentlichen  hier  einschlagenden  Thatsachen,  so  zeigen 
sich  daran  betheiligt  die  Kechte  orientalischer  und  gräko-italischer 
Völker,  insbesondere  aber  auch  die  germanischen  und  slavischen  Kechte 
und  deren  Tochterrechte. 

Auf  alle  diese  Dinge  ist  die  Wissenschaft  längst  aufmerksam  ge- 
worden, wenn  auch  bei  weitem  nicht  alle  im  Gesichtskreis  des  einzelnen 
Forschers  lagen,  und  wenn  auch  die  Zwecke  gewechselt  haben,  welche 
die  Forschung  verfolgte.  Als  es  sich  bei  den  Thierstrafen  und  Thier- 
processen  überall  noch  um  anzuwendendes  Kecht  handelte,  war  es  die 
Praxis,  der  die  Theorie  zu  dienen  suchte,  und  die  Werke  der  in  diesem 
Dienst  arbeitenden  Juristen  und  Theologen  werden  unter  unsern  Quellen 
zu  nennen  sein.  Als  das  praktische  Interesse  verschwunden  oder  doch 
in  den  Hintergrund  getreten  war,  erwachte  das  antiquarische  und  als- 
bald auch  das  cultur-  und  rechtshistorische.  Einige  Schriftsteller  haben 
sich  allerdings  damit  begnügt,  die  am  leichtesten  erreichbaren  Notizen 
über  diesen  Gegenstand  als  Zeugnisse  der  Sonderbarkeit  und  allenfalls 
noch  des  Aberglaubens  einer  glücklich  überwimdenen  Zeit  ihren  Lesern 
vorzuführen.  Schon  Dom  Carpeutier^),  dann  G.  Chr.  Lichten- 
berg-), Berriat-Saint-Prix  ^),  Vernet*),  Lud.  Laianne  ^), 
F.  Nork*'),    Em.  Agnel')    müssen    als    die    bessern  Vertreter  dieser 


1)  Zu  Du  Gange  Gloss.  s.  w.  homicicla,  excommunicatio.  *)  Vermischte 

Schriften  Bd.  IV  1802  S.  477—481,  wo  übrigens  nur  von  der  Excommunication 
und   den  Processen   gegen  Thiere   die   Rede   ist.  ^)  Des  proces   intentes   aux 

animaux  in  Themis  ou  biblioth.  du  Jurisconsulte  (Paris)  I  1819  p.  194 — 197,  dazu 
Vni  B  1820  p.  61  f.,  ferner  Rapport  et  recberclies  sur  les  proces  et  jugements 
relatifs  aux  animaux  in  Memoires  de  la  soc.  roy.  des  antiquaires  de  France  VIII 
(Paris)  1829  p.  403—450.  ")  Lettre  .  .  .  sur  les  proces  faits  aux  animaux  (in 

Th6mis  VIII  ß  p.  45— Gl).  •')  Curiosites  des  traditions  (Paris)  1847  p.  429— 

436.  «)  In  Scheible's  Kloster  Bd.  XII  1849  S.  942-949.  ^)  Curiosites 

judiciaires  et  historiques  du  moyen-äge,  Paris  1858. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  547 

Curiositätensammlerei  genannt  werden  i),  und  unter  ihnen  wieder  als 
der  verdienstvollste  Berriat-Saint-Prix,  der  die  grösste  Menge  fran- 
zösischer MateriaHen  zusammengebracht  hat,  worüber  seine  Nachfolger 
nur  um  Weniges  hinausgekommen  sind  2),  Andere  Gelehrte  haben  ver- 
sucht, die  Thierstrafen  und  Thierprocesse  geschichtlich  zu  erklären.  In 
solcher  Absicht  haben  A.  Bouthors^),  L.  Menabrea^),  E.  Osen- 
brüggen^),  D'Arbois  de  Jubainvilleß),  AI.  SoreH),  Ant.  Pertile»), 
C.  Lessona^),  Fr.  Ortoli^")  besondere  Aufsätze  und  Abhandlungen 
veröffentlicht,  Mittermaier  1^),  Ferd.  Hepp^^)^  C.  Trümmer  i^)^ 
Ch.  Louandrei^),  K.  Seifart  i^),  W.  Mannhardt  le),  J.  Tho- 


')  Andere  verzeichnet  Sorel  (s.  Note  6)  p.  44  ff.  Dazu  kommen:  »Criminal- 
processe  gegen  TMere*  in  Miscellen  aus  der  neuesten  ausländ.  Literatur  Bd.  LXV 
(Jena  1830)  S.  152—155  (Auszug  aus  Berriat-Saint-Prix)  —  Steph.  Jörgensen 
Nogle  frugter  af  mit  Otium  I  (Kcebenhavn  1834)  S.  216—223  (beruht  fast  ganz 
auf  dem  vorigen  Artikel),  —  F.  S. :  »Bestie  scomunicate*  in  La  Rassegna  settimanale 
Vol.  VII  (Roma  1881)  p.  153—155  (im  Wesentlichen  Lesefrüchte  aus  Menabrea, 
s.  N.  3),  —  L.  Cr  et  eil  a  »Gli  animali  sotto  processo*  in  FanfuUa  1891  No.  65 
(in  der  Hauptsache  auf  Berriat-Saint-Prix  und  Menabrea  beruhend).  2)  Auch 

die  eigenen  Worte  von  Berriat-Saint-Prix  sind  öfters  (ohne  Quellenangabe)  aus- 
geschrieben worden,  zo  z.  B.  von  Agnel  p.  30  Z.  12—21  (=  Berriat-S.-P.  Mem. 
VIII  p.  411  f.),  obendrein  eine  Stelle,  die  ein  geographisches  Missverständniss 
(vgl.  S.  570  Note  1)  enthält,  ferner  p.  30  Z.  1—5  (=  Berriat-  S.-P.  a.  a.  0.  423, 
wo  abermals  ein  Missverständniss  der  Quelle,  vgl.  S.  562  Note  1),  auch  S.  13 
Z.  7  flg.  (=•  Berriat-S.-P.  a.  a.  0.  p.  434).  Ueberhaupt  spielt  in  dieser  Literatur 
das    Plagiat    eine    bemerkenswerthe    Rolle ;    s.    unten   N.   10.  «)   Coutumes 

locales  .  .  .  d'Amiens  I  1845    p.  354—358.  «)    De  l'origine,    de   la  forme  et 

de  l'esprit  des  jugements  rendus  au  moyen  äge  contre  les  animaux  in  den  Mem. 
de  la  soc.  roy.  de  Savoie  t.  XII,  Chambery  1846  p.  399—523,  dazu  Documents 
p.  524—557.  5)  Studien   zur   deutschen   und   Schweiz.  Rechtsgeschichte    1868 

S.  139 — 149.  Dem  Verf.  waren  die  einschlägigen  Arbeiten  seiner  Vorgänger  so 
gut  wie  unbekannt.  ß)  Les  excommunications  d'animaux  in  Revue   des    que- 

stions  historiques  V  Par.  1868  p.  275—280  (bezieht  sich  nur  auf  eine  Publication 
von  Urkunden  durch  D  e  s  n  0  y  e  r  s).  ')  Proces  contre  des  animaux  et  insectes 

suivis   au  moyen  äge  dans  la  Picardie  et  le  Valois,    Compiegne  1877.  ^)  Gli 

animali  in  giudizio  in  den  Atti  del  reale  istituto  Veneto,  t.  IV  ser.  VI,  Ven. 
1885—86  p.   135—153  (kein  neues  Material).  ")  Giurispmdenza  animalesca  in 

Gazzetta  letteraria,  Torino  1887  No.  46,  48  (Auch  hier  so  gut  wie  kein  Zuwachs 
an  Stoff).  '0)  Les  proces  d'animaux  au  moyen  äge  in  der  Zsch.  La  Tradition, 

Par.  1888  p.  77—82.  Wiederum  nur  das  von  den  älteren  französ.  Arbeiten  ge- 
botene Material.  Sein  Referat  über  De  Chassanee  p.  78  flg.  hat  der  Verf.  fast 
wörtlich  aus  dem  von  Vernet  in  Themis  VI  11  p.  48  flg.  abgeschrieben,  ohne  seine 
Bezugsquelle  zu  nennen.  ")  Krit.  Zschr.  f.  Rechtswissenschaft  u.  Gesetzgebg. 

III  1831  S.  480  flg.  ^')  Die  Zurechnung  auf  dem  Gebiete  des  Civilrechts  1838 

S.  103  flg.  'S)  Vorträge  über  Tortur  u.  s.  w.  I  1844  S.  392.  '*)  Revue  des  deux 
mondes  1854  I  p.  331—336.  »ß)  Hingerichtete  Thiere  und  Gespenster  in  Zschr. 

f.  deut.  Kulturgesch.  1856  S.  424—430.  »«)  Germanische  Mythen  1858  S.  368. 

34* 


548  Amira. 

nissen^),  H.  DumeriP),  A.  Lacassagne^),  A.  H.  Post*),  0. 
G  i  e  r  k  e  ^),  H.  B  ru  n  n  e  r  ß)  wenigstens  beiläufig  die  Sache  gestreift.  Ihre 
Mutmassungen  gehen  weit  auseinander.  Die  altern  französischen  Schrift- 
steller haben  die  weltlichen  Thierstrafen  aus  dem  mosaischen  Eecht 
abgeleitet,  die  Thierexcommunication  und  den  eigentlichen  Thierprocess 
dagegen  auf  die  Dämonologie  des  Mittelalters  und  die  Ansichten  der- 
selben Zeit  von  der  kirchlichen  maledictio  zurückgeführt.  Am  ent- 
schiedensten angestellt  und  am  weitläufigsten  ausgeführt  ist  dieser 
Erklärungsversuch  bei  Menabrea.  Daneben  aber  glaubt  Menabrea  doch 
auch  noch  nach  einem  rechtspolitischen  Motiv  suchen  zu  müssen, 
welches  die  Thierprocesse  verständlich  machen  soll.  Er  schreibt  ihnen 
(p.  400)  einen  erziehlichen  Zweck  zu:  ,,ces  procedures  ne  constituaient 
primitivement  qu'une  espece  de  symbole  destine  ä  ramener  le  sentiment 
de  la  justice  ..."  Dieser  Gedanke  hat  Sorel's  Beifall  gefunden,  wie- 
wol  er  einigermassen  dem  zu  widersprechen  scheint,  was  Menabrea 
p.  481  sagt,  dass  nämlich  die  formelle  Annäherung  der  Malediction 
an  die  Excommunication  den  Thierprocess  zur  Folge  gehabt  habe. 
Einfacher  hilft  sich  in  dieser  Hinsicht  D'Arbois  de  Jubainville.  Nach 
ihm  konnte  ein  Verwaltungsakt  wie  die  Malediction  nur  in  den  Formen 
des  gerichtlichen  Verfahrens  erledigt  werden,  da  er  einem  Gericht 
übertragen  war.  Von  einem  ähnlichen  Gedanken  geht  bezüglich  der 
Thierexcommunication  Lessona  aus,  während  er  die  sonstigen  Thier- 
strafen hauptsächhch  durch  die  polizeilich-rationalistische  Einmischung 
des  Staats  zu  erklären  sucht.  Dagegen  betrachtet  Thonissen  die  alt- 
testamentlichen  und  griechischen  Thierstrafen  unter  dem  Gesichtspunkt 
des  erziehlichen  „Symbolismus"  in  der  Art  Menabrea's.  In  Deutsch- 
land meinte  man  in  den  ersten  Jahrzehnten,  nachdem  die  Forschungen 
von  Berriat-Saint-Prix  bekannt  geworden  waren,  zu  den  sämmtlichen 
Thierstrafen  und  Thierprocessen  den  Grund  in  dem  Charakter  des 
germanischen  und  des  mittelalterlichen  Strafrechts  finden  zu  können, 
welches  ein  blosses  Rachesystem  gewesen  sei '').  Nur  anders  gewendet 
wiederholt  sich  diese  Ansicht  noch  bei  Post,  der  alle  strafgerichtliche 
Verfolgung  von  Thieren  auf  den  Indifferentismus  des  primitiven  Rechts 
gegen    die    Arten    des    thierischen     und    menschlichen    Verschuldens 


')  Etudes   sur  l'hist.  du   droit   crim.  II    1869   p.  198  f.     Le   droit  penal   de 
la   republique  Athenienne    1875   p.  256,   412  f.  ^)  Les   animaux   et  les   lois, 

Par.  1880  p.  6—13.  s)  Kosmos  Zschr.  für  Entwicklungslehre  1882  S.  2G4— 67. 
")  Bausteine  I  1880  S.  2.30  f.  D.  Grundlapren  des  Rechts  1884  S.  359  f.  ^)  Der 
Humor   im   deut.    Recht   2.  Aufl.    1886    S.  23-25,  61.  «)    lieber   absichtslose 

Missethat  im  altdeut.  Strafrechtc  in  den  Sitzungsber.  der  Berlin.  Akad.  XXXV 
1890  S.  834—839.  ')  Mittennaier,  Hepp,  Trümmer,  Seifart  a.  d.  a.  0. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  549 

zurückführt.  Später  dagegen  hat  Osenbrüggen  die  schon  von  J.  Grimm  i) 
angedeutete  Idee  von  einer  deutschrechtlichen  Personification  des 
Thiers  zu  dem  beherrschenden  Gesichtspunkt  gemacht,  worunter  die 
hier  in  Eede  stehenden  Phänomene  mit  den  Fällen  scheinbarer  Thier- 
berechtigung  zusammengestellt  werden  konnten.  Denselben  Weg,  den 
Osenbrüggen  verfolgte,  haben  in  Frankreich  Louandre,  Ortoli  und 
Lacassagne  an  einem  weiter  zurückliegenden  Punkt  betreten,  der  erstere, 
indem  er  auf  die  mittelalterhche  Auffassung  der  Thierseele  in  Dichtung 
und  Kunst,  der  zweite,  indem  er  auf  die  aus  altgallischen  Zeiten  an- 
geblich überkommenen  Vorstellungen  von  Naturbeseelung  und  Seelen- 
wanderung, der  dritte,  indem  er  auf  die  angebliche  Gleichstellung  des 
Thieres  mit  dem  Menschen  in  der  primitiven  Gesellschaft  verwies. 
Pertile  geht  auf  Menabrea  zurück,  sucht  aber  auch  Anschluss  an 
Osenbrüggen.  Doch  lässt  sich  kaum  sagen,  dass  durch  diese  Methode 
die  Klarheit  gefördert  werde.  An  eine  Personification  des  Thieres 
in  germanischen  Kechten  glauben  auch  Gierke,  der  jedoch  neben  ihr 
noch  das  Spiel  einer  Kechtsparodie  annimmt,  und  H.  Brunner,  der 
das  Strafverfahren  gegen  Thiere  mit  dem  selbstständigen  Sklaven- 
process,  die  amtliche  Hinrichtung  von  Thieren  mit  der  von  Sklaven 
parallelisirt,  aber  auch,  ohne  biblisch-kirchlichen  Einfluss  ganz  abzu- 
lehnen, für  wahrscheinlich  hält,  dass  der  Gedanke  der  Thierstrafe  auf 
arisch-religiöse  Vorstellungen  zurückgehe.  In  ganz  anderm  Sinn  hat 
eine  mythologische  Erklärung  der  Thierprocesse  Mannhardt  angedeutet. 

Wenn  so  oftmalige  Anläufe  nicht  einmal  zu  dem  Ziel  einer  herr- 
schenden Ansicht  unter  den  Historikern  geführt  haben,  so  scheint  mir 
die  Ursache  theils  darin  zu  liegen,  dass  man  gewöhnlich  mit  einem 
allzu  geringen  Material  an  Quellen  und  literarischen  Hilfsmitteln  ge- 
arbeitet hat  -),  theils  aber  auch  darin,  dass  man  der  Combinationslust 
die  Zügel  schiessen  liess,  ohne  dass  eine  ausreichende  Analyse  der 
verglichenen  Thatsachen  vorangegangen  war. 

Ehe  irgend  ein  Erklärungsversuch  unternommen  wird,  sollten  die 
zu  erklärenden  Thatsachengruppen  genau  charakterisirt  sein.  Bleiben 
wir  in  dieser  Hinsicht  zunächst  bei  denen  des  mittelalterlichen 
Kechtslebens  stehen.    Wenn  wir  dem  letzteren  gewisse  Thatsachen 


')  Deut.  Reclitsalterthümer   S.  670.  ^)  Vollständig   wird   allerdings   der 

so  weit  zerstreute  Stoff  kaum  jemals  zu  vereinigen  sein,  und  sicher  wäre  auch 
die  Menge  des  mir  unTDskannt  gebliebenen  viel  grösser,  als  sie  noch  jetzt  ist, 
wenn  nicht  theilnehmende  Freunde  dieser  Untersuchung  werthvolle  Belegstücke 
und  literarische  Behelfe  beigesteuert  hätten.  Ich  habe  hier  dankbar  zu  nennen 
die  Herren  H.  Brunner,  Arn.  Capra,  E.  Grosse,  Reinh.  Köhler ,  Friedr.  S. 
Krauss,  V.  A.  Secher,  Ph.  Lotmar,    Fr.  Neu  mann,  Joh.  Steenstrup. 


550  A  m  i  r  a. 

zurechnen,  die  chronologiscli  erst  der  Neuzeit  angehören,  so  halten 
wir  uns  hiezu  insofern  für  befugt,  als  in  denselben  Ueberlieferungen 
aus  dem  Mittelalter  zum  Ausdruck  gelangen.  Wir  scheiden  jedoch 
dabei  das  slavische  Material  einstweilen  noch  vollständig  aus,  weil  es 
fast  durchaus  dem  Kechtsleben  der  Gegenwart  entnommen  werden 
muss. 

Hier  nun  muss  sofort  der  scharfe  Gegensatz  zwischen  dem  welt- 
lichen und  demjenigen  Verfahren  auffallen,  das  wir  vorläufig  nach 
seiner  gewöhnlichen  Gestalt  das  kirchliche  nennen  können. 

Das  weltliche  Verfahren  griff  nur  gegen  Hausthiere  Platz.  Im 
üebrigen  machte  die  Thiergattung  einen  Unterschied  ursprünglich  nicht. 
Doch  findet  sich  schon  im  Mittelalter,  dass  das  Justificiren  der  werth- 
volleren  Thiergattungen  im  fiskalischen  Interesse  abgeschafft  wird, 
während  das  der  minderwerthigen  Hausthiere  fortdauert  ^). 

Fast  überall  griff  das  Verfahren  nur  Platz  wegen  Tödtung  oder 
Verletzung  von  Menschen  und  zwar  in  der  älteren  Zeit  nur  wegen 
Tödtung.  In  italienischen  Rechtsgebieten  allerdings  erscheint  es  auch 
—  vielleicht  sogar  eher  —  wegen  Sachbeschädigung  zulässig.  Stets  aber 
gehört  zum  Thatbestand,  dass  das  Thier  nicht  als  Werkzeug  eines  Men- 
schen den  Schaden  angerichtet  hat.  Ein  Rechtsstreit,  worin  das  Thier 
als  Partei  behandelt  wurde,  scheint  nirgends  vorzukommen  ^),  selbst 
nicht  zu  der  Zeit,  als  ein  solcher  Rechtsstreit  zur  Vorbereitung  der 
Malediction  oder  Excommunication  üblich  war.  Beklagter  ist,  wofern 
es  überhaupt  zu  einem  Process  kommt,  der  Eigenthümer  des  Thieres  ^). 


1)  Coust.  et  stilles  de  Bourgoigne  §  197  (a.  1270—1360  bei  Giraud  Essai 
sur  l'hist.  du  droit  Franc.  II  p.  302) :  L'on  dit  et  tient  selon  droit  et  la  coustume 
de  Bourgoigne  que  se  un  beuf  ou  un  cheuau  fait  un  ou  pluseurs  homicides  il 
nan  doiuent  poinct  morir,  ne  Ion  nen  doit  faire  justice,  feur  quilz  doiuent  estre 
pris  par  le  seigneur  en  qui  justice  ilz  ont  fait  le  deHt  ou  par  ses  gens,  et  lui 
sont  confisquez  et  doiuent  estre  vendus  et  exploictiez  au  prouffit  du  dit  seigueur ; 
mes  se  autres  bestes  ou  juj'f  le  fönt,  ilz  doiuent  estre  pendus  par  les  piez  der- 
reniers  (in  modernerer  Fassung  als  Nr.  275  der  anc.  cout.  du  duche  de  Bourg. 
bei  Bouhier  Cout.  l  1742  p.  138).  Vgl.  auch  §  59  {bei  Bouhier  c.  1.  No.  276). 
2)  Die  modernen  Histoi-iker  pflegen  einen  solchen  Rechtsstreit  ohneweiters  zu 
unterstellen,  so  z.  B.  Mittermaier  a.  a.  0.,  Agnel  p.  7,  Pertile  Gli  ani- 
mali  p.  147,  0  r  t  o  1  i  a.  a.  0.  p.  77.  ^)  Er  wird  ausdrücklich  als  der  Beklagte 

genannt  in  den  Urkunden  über  die  Processe  von  Savigny  1457,  Seves  1499  (Mem. 
des  antiq.  VIII  441  f.,  434)  und  Viroflay  1641  (Carpentier  zu  Du  Gange  s.  o. 
homicida).  S.  femer  den  Process  von  Beauvais  um  1600  bei  Mornacius 
Observat.  ad  1.  1.  D.  si  quadrup.  paup.,  den  Österreich.  Process  aus  dem  17.  Jahrh. 
bei  Matth.  Abele  Metamorphosis  telae  judiciariae,  Ausg.  v.  1684  I  S.  632,  den 
Pariser  Process  v.  1793  bei  Sorel  p.  16.  Undeutlich  der  Process  von  Moyen- 
Moutier  1572  bei  Lionnois  Hist.  ...  de  Nancy  U  (1811)  p.  374. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  551 

Kläger  ist  in  Frankreich  ^)  und  Flandern  2)  der  Inhaber  der  öffentlichen 
Gewalt.  In  Deutschland  ist  noch  in  sehr  später  Zeit  die  Klage  dem 
Verletzten  überlassen  3).  Geht  die  Klage  von  der  öffentlichen  Gewalt 
aus,  so  kann  deren  Träger  oder  Vertreter  das  Thier  schon  vor  Beginn 
des  Rechtsstreits  festnehmen  lassen^).  Der  Eigenthümer  des  Thiers 
aber  hat  bisweilen  die  Wahl,  dasselbe  dem  Kläger  preiszugeben  oder 
aber  auf  die  Klage  zu  antworten.  In  Burgund  wird  er  dreimal  ge- 
fragt, ob  er  das  Thier  als  das  seinige  anerkennen  und  sich  auf  den  Streit 
einlassen  wolle.  Indem  er  die  Anerkennung  —  das  „avoher"  —  ver- 
weigert, macht  er  das  Thier  zunächst  herrenlos  und  sich  selbst  von 
jeder  Haftbarkeit  frei^).  Es  kommt  jedoch,  und  zwar  insbesondere  in 
Frankreich,  auch  vor,  dass  der  Eigenthümer  eine  solche  Wahl  nicht 
hat,  vielmehr  Gefahr  läuft,  das  Thier  zu  verlieren  und  obendrein  selbst 
noch  eine  Geldstrafe  zahlen  oder  eine  Betfahrt  machen  zu  müssen  ß). 
Die  Form  des  Processes,  erst  seit  dem  ausgehenden  Mittelalter  deutlich 
erkennbar,  scheint  nirgends  von  den  Grundlinien  des  herrschenden 
ordentlichen  Verfahrens  abzuweichen.  Dass  man  jemals  —  wie  be- 
hauptet wird  —  7)  das  Thier  einem  Gottesurtheil  oder  gar  der  Tortur 
unterworfen  habe,  sagt  keine  Quelle  ^)  und  ist  nach  den  Akten  über 
die  wirklich  verhandelten  Processe  durchaus  unwahrscheinlich.  Richtig 
ist  nur,  dass  eine  Beweisaufnahme  auch  in  dem  Fall  nöthig  werden 
konnte,  wo  der  Eigenthümer  das  Thier  preisgegeben  hatte.    Siegte  der 


»)  Ausser  den  in  S.  550  N.  3  angeführten  Urkk.  von  1457,  1499,  1572,  1641  s. 
Mem.  des  antiqu.  "VIII  446  (Proc.  v.  Clermont-les-Moncomet  bei  Laon  1494), 
Sorel  p.  5  (Saint-Nicolas-d'Acy  1567).  Auch  die  Fälle  von  Moisy  1313  (Agnel 
p.  14,  Sorel  p.  4)  und  von  Abbeville  1378  (Carpentier  a.  a.  0.)  gehören  wohl 
hieher.  ^)  Ein  Fall  v.  1578  aus  Gent  bei  Cannaert  Bydragen  tot  de  kennis 

van  het  oude  strafrecht  in  Vlanderen  3.  Aufl.  Gent  1835  S.  VII.  Dass  neben  dem 
Unterbailly  ein  Privatkläger  aufgetreten  sei,  wie  man  nach  Damhouder  prax. 
rer.  crim.  c.  145  §  6  erwarten  sollte,  wird  nicht  erwähnt.  ^)  Abele  a.  a.  0. 

•«)  S.  die  Processe  von  Moisy,  Abbeville,  Savigny,  Clermont,  Moyen-Moutier, 
Viroflay  in  NN.  3  S.  550,  1  oben  und  den  von  Saint-Marcel-les-Jussey  1379  (Sorel 
p.  10,  11).  5)  Mem.  des  antiqu.  VIII  p.  442,  443,  445.   Vgl.  den  Österreich.  Fall 

bei  Abele  a.  a.  0.  «)  Fall  von  Charonne  1497  (Agnel  p.  9  flg.),  von  Seves 

1499  (Mem.  des  antiqu.  VIII  435),  von  Beauvais  um  1600  (S.  550  N.  3),  von  Viro- 
flay 1641.  ')  H.  Runge  in  den  Mittheil,  der  antiqu.  Gesellsch.  in  Zürich 
XII  (1859)  S.  186.  A.  M angin  L'Homme  et  la  Bete  1872  nach  einem  Citat  von 
Sorel  p.  3  N.  2.  «)  Runge  muss  den  Malleolus,  dessen  tract.  IE  er  viel- 
leicht nur  aus  dem  Gedächtnisse  citirt,  missverstanden  haben.  S.  auch  Osen- 
brüggen  Studien  S.  147.  —  Etwas  einem  Bahrrecht  gegen  einen  Widder  Aehn- 
liches  führt  J.  Grimm  RA.  931  aus  der  altfranzös.  Erzählung  Le  sacristain  an. 
Vgl.  auch  v.  F.  Hagen  Gesammtabenteuer  III  S.  LVIII.  Aber,  wenn  wir  auch 
davon  absehen,  dass  wir  hier  ein  Erzeugniss  der  Dichtung  vor  uns  haben,  der 
ganze  Hergang  wird  überhaupt  nicht  als  ein  processualer  hingestellt. 


552  A  m  i  r  a. 

Kläger,  so  erkannte  das  UrtLeil  regelmässig  auf  Tödtung  des  Thieres. 
Die  Todesart  und  selbst  der  Ritus  ihres  Vollzugs  pflegte  —  wenigstens 
in  den  romauisclien  Rechtsgebieten  —  das  Urtheil  gleichfalls  genau 
zu  bestimmen.  Am  meisten  üblich  war  es,  das  Thier  durch  Hängen 
zu  tödten  oder  es  zu  erdrosseln  und  nachher  aufzuhängen  oder  doch 
zu  schleifen  i).  Aber  gegendenweise  scheint  man  das  Lebendigbe- 
gi-aben^)  oder  das  Steinigen^),  das  Verbrennen*)  oder  das  Enthaupten^) 
vorgezogen  zu  haben.  Seit  dem  17.  Jahrh.  kommt  es  ab,  die  Todesart 
iin  Urtheil  zu  bestimmen.  Das  Gericht  überlässt  ihre  Auswahl  dem 
Gerichtsherrn  oder  dessen  Vollzugsbeamten  ß).  Soweit  die  geordnete 
Vollzugsform  einen  Spielraum  dafür  übrig  Hess,  bestimmte  das  Gerichts- 
urtheil  auch,  was  mit  den  üeberbleibseln  des  Thiers  zu  geschehen  habe, 
z.  B.  dass  es  auf  den  Schindanger  zu  bringen  oder  dass  es  zu  verscharren 
sei ').  Eine  Zwischenbildung  zwischen  den  Todes  artheilen  des  altern 
und  denen  des  Jüngern  Stils  haben  wir  in  einem  Genter  Erkenntniss 
von  1578  ^)  vor  uns,    wonach  eine  Kuh  zum  Schlachten  verkauft  und 


1)  S.  oben  S.  550  N.  1,  femer  Beaumanoir  c.  69  §  6,  den  in  Themis  VIII 
B  p.  57  citirten  Ausspruch,  von  Jean  Duret  (auch  bei  S o r e  1  p.  2)  und  folgende 
französische  Fälle:  1313  Moisy-le-Teuiple  (Agnel  p.  14,  Sorel  p.  3  f.),  1322 
unbekannten  Ortes  (Carpeutier),  1323  und  1378  Abbeville  (bei  dems.),  1386 
Falaise  (Sorel  p.  7,  8),  1394  Mortaing  (Mem  des  antiqu.  VIII  427,  439),  1403 
Meulan  (ib.  433),  1405  Gisors  (ib.  427  f.),  1408  (Vaudreuil  (ib.  440),  1414  und 
1418  Abbeville  (Agnel  p.  8),  gegen  1456  Burgund  (Mem.  des  antiqu.  VIII  422), 
1457  Savigny-sur-Etang  (ib.  442—44  unter  Berufung  auf  l'usence  et  coustume  du 
pais  de  Bourgoigne),  1473  Beaune  (Agnel  p.  9),  1479  und  1490  Abbeville 
(ib.  13,  9),  1494  aermont-les-Montcornet  (Mem.  des  antiqu.  VIII  446),  1499  Beaupre 
und  Seves  (ib.  428  f.,  434  f.),  15.  Jahrh.  Chateaudun  (ib.  434)  u.  Boubers  (Bouthors 
p.  387),  1540  Dijon  (ib.  429,  449),  1567  Saint-Nicolas  bei  Senlis  (Sorel  p.  5),  1572 
Moyen-Moutier  (S.  550  Note  3),  1585  Saint-Omer  (Dumeril  p.  9),  1641  Viroflay 
(C  a r  p  e  n  t  i  e  r).  Auch  in  Deutschland  scheint  man  den  Strang  als  das  nächstliegende 
Strafwerkzeug  für  Thiere  betrachtet  zu  haben,  Zschr.  f.  deut.  Kulturgesch.  I  156 
(Fall   von   Scbweinfurt   1576).  ^)   Zu  Amiens    1463   und   zu   S.  Quentin    1556 

(Sorel   p.  9).  3)   Corp.  jur.   Sueogotoruoa   ant.  XII  p.  409).  *)    1268   zu 

Fontenay-aux-Roses  bei  Paris  (Carpeutier  a.  a.  0.),  1356  zu  Caen  (Delisle 
Etudes  sur  la  condition  de  la  classe  agricole  etc.  p.  107).  S.  ferner  den  Fall  aus 
Finistere  bei  Eu.  Rolland  Faune  populaire  de  la  France  IV  p.  116  flg.  und 
die  Bestimmung  in  Corp.  jur.  Sueogotorum  ant.  XII  p.  409).  *)  Laudum  von 

Vallesella  1565  bei  Pertile  Storia  del   diritto  V  643.  ")  1576   zu  Schwein- 

fiirt  (Zschr.  f.  deut.  Kulturgesch.  I  156),  um  1600  zu  Beauvais  (Mornaciua  a.a.O.), 
1621  Machern  bei  Leipzig  (Anz.  f.  Kunde  der  deut.  Vorzeit  1880  Sp.  102).  Vgl. 
auch  den  Frankfurter  Fall  v.  1574  bei  Lersner  Der  Stadt  Frankf  Chronica  I 
1706  S.  552,  und  die  französ.  Fälle  von  1793  und  1845  bei  Sorel  p.  16  flg. 
')  1621  Machern   (s.  vor.  N.),    1641  Viroflay   (Carpentier).  »)   Cannaert 

oben  N.  2  S.  551.  Vgl.  damit  das  theilweise  analoge  Verfahren  in  dem  Fall  von 
S.  557  Note  1. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  553 

ihr  Kopf  auf  eineu  Pfahl  am  Galgeiiplatz  gesteckt  werden  sollte,  — 
eine  rationalistische  Abbreviatur  des  alten  Enthauptens.  Dass  die 
Justification  dem  Thier  nicht  an's  Leben,  sondern  nur  an  den  Leib 
gehen  soll,  ist  sehr  selten,  bis  jetzt  nur  auf  Sardinien  nachgewiesen, 
wo  die  Carta  de  Logu  von  1395  für  gewisse  Fälle  das  Ohrenabschneiden 
vorgeschrieben  hat  ^).  Eher  findet  sich,  dass  man  Talionshalber  eine 
Verstümmelung  der  Tödtung  vorangehen  Hess  ^).  Ganz  vereinzelt  und 
überhaupt  nicht  verlässig  beglaubigt  ist,  dass  im  17.  Jahrh.  in  Oester- 
reich  ein  Hund  zu  zeitiger  Gefängnisshaft  verurtheilt  worden  sein 
soll  "^).  Von  derlei  aussergewöhnlichen  Akten  der  Kechtspflege  werden 
unsere  Betrachtungen  vorläufig  absehen  dürfen. 

Dass  diejenigen  Gerichtsurtheile,  welche  nicht  nur  auf  Tödtung 
des  Thieres  überhaupt  erkannten,  sondern  auch  die  Todesart  bestimmten, 
Strafurtheile,  und  zwar  gegen  das  Thier,  sein  wollten,  kann 
nicht  bezweifelt  werden.  Unmittelbar  gesagt  wird  es  uns  insbesondere 
in  den  französischen  Quellen.  Schon  im  13.  Jahrhundert  vertreten 
diese  die  Auflassung,  dass  es  sich  um  ein  faire  justice  des  bestes,  um 
ein  mettre  ä  mort  en  maniere  de  justice  handle.  Und  gerade  hievon 
geht  Beaumanoir  au«,  indem  er,  das  Justificiren  der  Thiere  be- 
kämpfend, als  entscheidenden  Grund  dagegen  anführt,  dass  ein  Thier 
für  die  Strafe  kein  Verständniss  habe  ^).  In  spätem,  aber  unabgeleiteten 
Texten  findet  sich  die  nämliche  oder  eine  gleichwerthige  Ausdrucks- 
weise 5) ,  und  sie  sagen  auch ,  dass  das  Thier  selbst  „verurtheilt" 
werde  ß).  Das  Thier  wurde  demnach  als  Verbrecher  angesehen.  Es 
wurde  ihm  ein  verbrecherischer  Wille  zugeschrieben.  En  detestation 
et  horreur  dudit  cas  (1494)  oder  pour  la  cruaute  et  ferocite'  commise 
(1567)  verurtheilt  das  Gericht  einen  solchen  Uebelthäter.  Und  es  sind 
graduirte  oder  doch  geschulte  Juristen,  die  derartige  Erkenntnisse 
fällen ').     Hatte  der  beklagie  Eigenthümer  das  Thier  preisgegeben,    so 


1)  Ueber  die  carta  de  logu  Agnel  p.  17,   Pertile  Atti  p.  148.  '■')  Zu 

Falaise  1386:  dem  Schwein,  welches  das  Gesicht  und  die  Arme  eines  Kindes 
zerfleischt  hatte,  werden  der  Rüssel  und  ein  Bein  abgeschnitten  (Mem.  des  antiqu. 
VIII  p.  427,  Sorel  p.  7).  Nicht  bisher  gehört  der  von  Pertile  Atti  p.  147 
citirte  Fall  von  Montpellier  1565  (Mem.  des  antiqu.  VIII  429),  wo  der  Henker 
das  Thier  nur  darum  verstümmelte ,  um  es  widerstandsunfähig  zu  machen. 
3)  Ab  ele  a.  a.  0.  ■•)  Beaumanoir  cap,  69  §  6.  *)  Coustumes  de  Bourgoigne 
oben  S.  550  Note  1  (en  faire  justice). S.  Marcel-les-Jussey  1379 :  en  faisant  justice 
(Sorel  p.  11).  Mem  des  antiqu.  VIII  p.  433  u.  Bouthors  p.  387:  faire  justice 
(1403  Meulau  u.  Boubers  1507),  Mem.  p.  435  :  execute  par  justice  (1499  Seves),  p.  442  : 
mise  ä  justice  et  au  dernier  supplice  (1457  Savigny).  *■')  »condamne*:    Mem. 

des  antiqu.  VIII  p.  439  (Mortaing  1394),  440  (Pont-de-Larche  1408),  433  (Seves 
1499),    Lionnois  Hist.  de  Nancy  II  p.  375    (Moyen-Moutier  1572).  ">)  Mem. 

des  antiqu.  VIII  446.    Sorel  p.  5. 


554  A  m  i  r  a. 

sprach  ein  ^enau  abgefasstes  Urtlieil  dessen  Confiscation  aus  i).  Und 
der  Gedanke  einer  wenigsten  tlieilweisen  Confiscation  lebte  auch  dann 
noch  fort,  als  das  Urtheil  auf  Schlachtung  und  Verkauf  lautete.  Das 
schon  angeführte  Genter  Urtheil  von  1578  mll,  dass  der  Erlös  zur 
einen  Hälfte  dem  Verletzten,  zur  andern  der  Stadtkammer  —  allerdings 
zum  Vortheil  der  Armen  —  zufallen  solle. 

Dem  Inhalt  des  Strafurtheils  entsprach  durchaus  der  Vollzug. 
Dieser  geschah  öffentlich,  z.  B.  in  Abbeville  1323  unter  dem  Geläute 
aller  Glocken.  Stets  ist  es  der  Diener  der  öffentlichen  Gewalt,  der 
Nach-  oder  Scharfrichter,  dem  der  Vollzug  übertragen  wird.  Man 
lässt  ihn  zu  diesem  Zwecke  nöthigenfalls  aus  entfernten  Orten  herbei- 
reisen und  seine  Rechnungen  und  Quittungen  gehören  zu  unserem 
wichtigsten  Quellenvorrath  über  die  Thierstrafen.  Oftmals  hat  er  das 
Thier  wie  einen  missethätigen  Menschen  zur  Richtstatt  zu  schleifen. 
Diese  selbst  ist  der  gesetzliche  Hinrichtungsort.  Hatte  das  Urtheil 
auf  Hängen  gelautet,  so  geschieht  dies  am  Baum  oder  am  Galgen. 
Ein  Wandbild  in  der  Kirche  Sainte-Trinite  zu  Falaise  zeigt  das  Thier 
sogar  mit  Menschenkleidern  angethan  ■'^).  Auch  darauf,  dass  durch  den 
Strafvollzug  nicht  der  Inhaber  der  hohen  Gerichtsbarkeit  in  seinen 
Rechten  gekränkt  werde,  hatte  man  sorgsam  zu  achten.  In  dieser 
Hinsicht  hat  das  Verfahren  mehrmals  zu  Beschwerden  und  Streitig- 
keiten Anlass  gegeben  3).  Noch  1572  liefern,  um  dergleichen  zu  ver- 
meiden, die  von  Moyen-Moutier  ein  dort  zum  Strang  verurtheiltes 
Schwein  an  den  Probst  von  Saint-Diez  als  den  vollzugsberechtigten 
Herrn  unter  altherkömmlichen  Formen  aus,  indem  sie  das  Thier  bis 
zum  Steinkreuz  le  Tembroux  führen,  wo  der  Probst,  dreimal  angerufen, 
alle  „Verbrecher"  (criminelz)  in  Empfang  zu  nehmen  hat*). 

Zu  eben  dieser  Zeit  fing  aber  eine  andere  Aufiassung  der  Thier- 
strafe  an  sich  geltend  zu  machen.  Jean  Duret^)  legt  1573  der 
Tödtung  des  schädlichen  Thiers  den  Zweck  unter,  dass  das  Gedächt- 
niss  der  üebelthat  ausgetilgt  werden  solle.  BoucheH)  führt  Nütz- 
lichkeitsgründe an:  die  Eigenthümer  von  Thieren  sollen  zur  Wach- 
samkeit angetrieben  werden ;  auch  sollen  die  Menschen  vor  Uebelthaten 
zurückschrecken,  wenn  sie  dicaelben  am  Thier  geahndet  sehen.  Es  ist 
klar,  dass  wir  es  hier  mit  Umdeutungen  zu  thun  haben,  die  der 
Justificirung  die  Eigenschaft  einer  Strafe  des  Thiers  nehmen   und    ihr 


')  Mem.  dez  antiqu.  VIU  442  mit  445.  -)  Beschrieben  von  Liiugevin 

bei  öorel  p.  7.  S)  1314  zu  MoisjMe-Temple  (Agnel  p.  14),  1378  zu  Abbe- 

ville (Carpentier  s.  v.  homicida).  ■•)  Lionnois  a.  a.  0.  ^)  Wörtlich 

citirt   in   Themis  VIII  B   p.  57,   bei   Menabrea  p.  520   und    bei   Sorel   p.  2. 
«)  Wörtlich  in  Themis  Vill  B  p.  58. 


Thierstrafen  und  Tliierprocesse.  555 

höchstens  die  einer  Strafe  für  den  Eigenthümer  lassen.  Auf  diesem 
Wege  suchte  man  den  Ausgleich  zwischen  dem  hergebrachten  Recht 
und  seinen  wissenschaftlichen  Gegnern,  deren  vornehmste  Vertreter  im 
16.  Jahrhundert  Julius  Clarus  und  im  17.  Antonius  Matthaeus  waren. 
Auch  die  Praxis  lenkte  nun  in  jene  Bahnen  ein.  Schon  die  Verur- 
theilung  des  Schweines  zu  Moyen-Moutier  (1572)  gibt  als  ihre  Absicht 
an,  die  Wachsamkeit  der  Menschen  anzuspornen.  Auch  das  Urtheil 
von  Virofla}^  1641  will  den  Eigenthümer  treiffen:  er  soll  der  Execution 
beiwohnen.  Wollen  diese  Erkenntnisse  immerhin  noch  das  Ceremoniell 
des  Strafvollzugs  mindestens  theilweise  gewahrt  wissen,  so  nehmen 
andere  auch  davon  Umgang,  denken  sich  vielmehr  die  Tödtung  über- 
haupt nicht  als  eine  öffentlich  zu  vollziehende  Strafe  i).  Dem  Anschein 
nach  nicht  ganz  unabhängig  von  diesem  Wandel  in  der  Natur  der 
Todesurtheile  über  Thiere  war  die  Verfallung  des  Eigenthümers  in  eine 
Geldbusse  oder  seine  Verurtheilung  zu  einer  Betfahrt,  wie  wir  sie  seit 
dem  Ausgang  des  Mittelalters  mehrmals  beobachten  können  (oben 
S.  551  No.  6).  Es  ist  bemerkenswerth,  dass  schon  in  einem  der  aller- 
frühesten,  wenn  nicht  dem  frühesten  Falle  dieser  Art  auch  die  Todes- 
strafe in  der  Form  ihres  vom  Gericht  angeordneten  Vollzugs  gänzlich 
entstellt  ist  2).  Wenn  später  einmal  berichtet  wird,  man  habe  inspecta 
accusati  innocentia  denselben  zu  einer  Geldbusse  verurtheilt  ^),  so  will 
damit  nicht  Fahrlässigkeit  in  Abrede  gestellt,  sondern  nur  gesagt  sein, 
der  Eigenthümer  habe  sich  keiner  Arglist  schuldig  gemacht  und  sei 
daher  nicht  peinlich  bestraft  worden.  Wir  werden  also  annehmen 
dürfen,  dass  die  zuletzt  besprochene  Praxis  nicht  mehr  das  schaden- 
stiftende Thier,  sondern  dessen  Herrn  als  den  eigentlichen  Schuldigen 
ansieht. 

Weder  genetisch  noch  constructiv  dürfen  mit  den  Thierstrafen  die 
von  jeher  polizeilichen  Akte  der  weltlichen  Obrigkeit  zusammen- 
gestellt werden,  welche  in  gewissen  Fällen  auf  die'Beseitigung  eines  Thiers 
abzielten.  Zu  einer  Justification  werden  derartige  Akte  selbst  dann 
nicht,  wenn  die  Obrigkeit  auf  Grund  eines  Gerichtsurtheils  so  vorgeht 


0  »citra  exemplum  ullum  publicum*,  Mornacius  a.  a.  0.  —  Vgl.  auch 
die  Fälle  von  Schweinfurt  1576,  von  Machein  1621  (oben  S.  552  N.  6).  In  den 
Leipziger  Erkenntnissen  von  1626  und  1639  bei  Carpzov  Practica  qu.  131 
num.  22,  25  erscheint  das  »Abthun*  nur  noch  als  Massregel  der  Präventiv- 
Polizei.  Unter  den  nämlichen  Gesichtspunkt  gehören  vielleicht  auch  schon  die 
Frankfurter  Fälle  bei  Lersner  Chronica  I  S.  531,  552  (a.  1552,  1574).  '')  1497 

Charonne  (A  g  n  e  1  p.  9  flg.) :  das  verurtheilte  Schwein  soll  geschlachtet  und  zer- 
stückt vor  die  Hunde  geworfen  werden.  ■'')  Mornacius  a.  a.  ü.  Die  Busse 
wurde  »eleemosynae  nomine«  auferlegt.    Ueber  aumosne  s.  Dict.  univ.  I  1765  0.  v. 


556  A  m  i  r  a. 

und  wenn  sie  dabei  ein  bestimmtes,  vielleicht  sogar  gesetzliches 
Ceremoniell  beobachtet,  welches  der  Tödtung  das  Aussehen  einer 
öffentlichen  Strafe  verleihen  kann.  Manche  Schriftsteller  i)  betrachten 
es  als  eine  Hinrichtung,  wenn  ein  Thier,  das  einem  Menschen  als 
Werkzeug  zum  Verbrechen  der  Bestialität  gedient  hatte,  zusammen 
mit  dem  Missethäter  oder  ohne  denselben  in  ebenso  feierlicher  als 
gesetzlicher  Furm  zum  Tode  gebracht  wurde.  Es  war  dies  ein  Brauch, 
der  sich  während  des  Mittelalters  beinahe  ül)er  alle  Hauptländer  des 
christlichen  Europa  verbreitet  hat  und  selbst  noch  von  Strafgesetzen 
des  vorigen  Jahrhunderts,  wie  z.  B.  der  Theresianischen  Constitutio 
criminalis  von  1769  festgehalten  wurde.  Keinem  Zweifel  nun  unter- 
liegt, dass  er  auf  ein  Stück  Mosaischen  Eechts  zurückgeht,  welches 
im  Abendland  recipirt  worden  ist  ^).  Ebensowenig  wird  man  bezweifeln 
dürfen,  dass  die  Reception  im  Sinne  der  Kirche  erfolgt  ist,  deren  Ein- 
liuss  ^)  sie  bewirkt  hat.  Die  Kirche  aber  betrachtete  die  Tödtung  des 
missbrauchten  Thiers  ausschliesslich  unter  dem  sitten-  und  kultpolizei- 
lichen Gesichtspunkt :  die  Erinnerung  an  die  Missethat  sollte  gelöscht  ^), 
das  Unreine  dem  Gebrauch  und  Genuss  der  Christen  entzogen  wer- 
den ^).  Solche  polizeiliche  Gesichtspunkte  waren  denn  auch  massgebend, 
wenn  in  Frankreich  die  Aktenstücke  des  Bestialitäts-Processes  mit  dem 
Thier  verbrannt  wurden  ß),  wenn  ein  norwegisches  Kechtsbuch  nicht  nur 
die  Tödtung  des  Thieres  gebietet,  sondern  auch  dessen  Nutzung  ver- 
bietet''), wenn  endlich  dieselbe  Quelle  und  schwedische  Gesetze  die  Tödtung 
durch  den  Thiereigner  vornehmen  lassen  '^).  Da  das  mosaische  Recht 
gebot,  das  missbrauchte  Thier  solle  mit  dem  Missethäter  umgebracht 
werden,  so  ergab  sich  ein  öffentliches  Verfahren  in  gesetzlicher  Form 
von  selbst,  wofern  man  das  alttestamentliche  Princip  nur  vollständig 
durchführte.    Dass  nachmals  in  einzelnen  Fällen  der  Grund  dieses  Ver- 


0  Z.  ß.  Menabrea  p.  521,  Seifart  p.  429,  Sorel  p.  12,    GeiL  Lelirb. 
d.  deut.  Strafr.  II  (1862)  S.  lf)8.  2)  Mehr  oder  weniger  deutlichen  Bezug  auf 

die  Quelle  (Levit.  XX  15,  16)  nehmen:  J-llfred  Einleit.  c.  13  (bei  Schmid 
(iesetze  der  Angela.  S.  63),  Westerlauw.  Sendr.  §  17  (bei  Richthofen  Fries. 
Rechtsqu.  S.  409).  ^)   Ihm    entspricht    es,    dass    die    skandinav.   Rechts-    und 

Gesetzbücher  die  einschlägigen  Bestimmungen  in  ihre  kirchenrechtlichen  Ab- 
schnitte stellen:  Gulal^b.  30  (=  Sven-,  kr.  80),  Uplands  1.  kb.  15  §  8,  Westmanna 
1.  I  kb.  10,  II  23,  Södermanna  1.  kb.   15  §  1.  -i)  Augustinus  Quaest.  sup. 

Lev.  in  c.  72  (übergegangen  in  c.  4  ('.  XV  qu.  1).  Darnach  das  Dictum  Gratiani 
zu  c.  3  C.  XV  qu.  1.  ^)  Darum  nicht  bloss  Tödtung,  sondern  auch  Uebergabe 

an  die  Hunde:  Waeserschleben  Bussordnungen  S.  150,  175,  212,  376,  405, 
467,  534,  543,  603.  ß)  Bcrriat-Saint-Prix  Mom.  des  antiqu.  VIII  p.  425. 

Mc'nal)rt"a  p.  522.  Sorel  p.  13.  ')  Gulal^b.  a.  a.  0.  «)  Gulal)b.  Uplands  I., 
W'estmannal.  a.  a.  0. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  557 

fahrens  verkannt  und  auch  in  Abwesenheit  des  schuldigen  Menschen 
noch  ein  öjBFentlicher  Eitus  der  Thiertödtung  beobachtet  wurde  1), 
konnte  den  missverstandenen  Kechtssatz  selbst  seines  polizeilichen 
Charakters  nicht  entkleiden.  — -  Eine  ganz  ähnliche  Erscheinunsr  wie 
die  soeben  abgehandelte,  —  nur  dass  sie  nicht  auf  Eeception  eines 
fremdrechtlichen  Satzes  beruht,  —  haben  wir  vor  uns,  wenn  ger- 
manische Kechte  und  deren  Tochterrechte  die  Tödtung  von  Thieren 
vorschreiben,  welche  bei  einer  Notnunft  gebraucht  worden  sind.  Aller- 
dings ist  in  einigen  Gegenden  auch  beim  Vollzug  dieser  Bestimmung 
ein  Kitus  aufgekommen,  in  Ostfalen  2)  z.  B.  das  Enthaupten.  Mit  einer 
Strafe  3)  hat  dies  nicht  mehr  und  nicht  weniger  zu  thun  als  das  Ein- 
reissen  des  Gebäues  und  Umbringen  von  Allem  Lebendigen  darin 
wegen  der  dort  verübten  Notnunft.  Vielmehr  handelt  es  sich  das  eine 
wie  das  andere  Mal  nur  um  Analogie  desjenigen  Theiles  des  Acht- 
verfahrens, welchen  man  nach  niederländischer  Terminologie  die 
„Wüstung"  genannt  hat  ^).  In  allen  diesen  Fällen  ist  der  Zweck  ein 
polizeilicher.  Bei  der  Wüstung  wird  die  Acht  dazu  benützt,  „die  Spur 
imd  das  Andenken"  des  Misse thät er s  zu  vertilgen^),  und  darum 
wird  dessen  Gut  gewüstet;  das  Verfahren  wegen  Notnunft  will  die 
Spur  uud  das  Andenken  der  Misse that  vertilgen,  und  darum  wüstet 
es  deren  Werkzeug,  das  nicht  allemal  des  Missethäters  Gut  zu 
sein  braucht,  wie  es  auch  den  Schauplatz  wüstet.  Cultpolizeilich 
ist  der  Zweck,  und  darum  kann  wiederum  nicht  von  Strafe  gesprochen 
werden,  wenn  kirchliche  Rechtsdenkmäler  die  Tödtung  von  Bienen 
verordnen,  deren  Stiche  den  Tod  eines  Menschen  zur  Folge  gehabt 
haben  ^).     Nicht    etwa   nach    einem    gerichtlichen    Verfahren,    sondern 


0  Ein  Beispiel  bespricht  Jul.  Clarus  Sentent,  V  qu.  99  §  8.  ^)  Ssp.  III  1 
§  1  mit  der  altmärk.  Glosse.  Während  Dsp.  Landr.  197  den  Ssp.  verständnisslos 
ausschreibt,  hat  der  Swsp.  (L.)  Landr.  254  das  Enthaupten  auf  die  Strafe  der 
missethätigen  Menschen  beschränkt.  —  Vgl.  femer  das  dedecorare  nach  englischem 
Recht,   Bracton   ed.   Twiss  Vol.  II  p.  484.  ^)   Diesen   Gesichtspunkt  machen 

Osenbrüggen  Studien  S.  143  flg.,  Gierke  Humor  S.  24  und  Brunner 
a.  a.  0.  S.  839,  842  geltend.  *)  Hierüber  insbesondere  Du  Gange  Gloss.  s.  v. 

condemnare,  Wilda  Strafr.  S.  293,  Brunn  er  Deut.  Rechtsgesch.  I  S.  169  flg.  und 
in  Zschr.  f.  RGesch.  XI  (1890)  S.  68  f.  ^)  Nur  ein  solcher  polizeilicher  Zweck  der 
Wüstung  lässt  sich  nachweisen,   nicht   dagegen   ein  Cultzweck.  ß)  Wasser- 

schieben Bussordnungen  S.  176,  212,  316,  406,  467,  503,  603.  Conc.  Worm. 
a.  868  (864)  bei  Hartzheim  Conc.  Germ.  U.  p.  318.  —  Friedberg  Aus  deut. 
Bussbüchern  (1868)  S.  17  will  auch  hier  wie  in  den  Thierprocessen  die  Anerken- 
nung einer  »Thierseele«  finden  und  stellt  S.  50  —  wie  schon  Seifart  S.  428 
gethan  —  die  Vorschrift  mit  der  in  Exod.  XXI  28,  29  zusammen.  Auch  von 
altem  Schriftstellern  ist  sie  missverständlich  für  eine  Strafsatzung  gehalten  wor- 
den, wie  z.  B.  von  Bouchel  (cit.  in  Themis  VIII  B  p.  58). 


558 


A  m  i  r  a. 


Mi, 

unverzüglich  soll  man  die  Bienen  umbringen,  damit  sie  keinen  Honig 
melir  bereiten  und  der  schon  bereitete  genossen  werden  kann.  Hieraus 
ist  ersichtlich,  dass  die  Bienen  als  unrein  nur  um  des  Speisegesetzes 
willen  getödtet  werden.  —  Ein  sicherheitspolizeilicher  Grund  erklärt 
die,  zuweilen  possenhaft  und  mit  modernen  Zuthaten  wiedererzählte, 
Geschichte  von  dem  Hahn,  der  1474  auf  dem  Kohlenberg  zu  Basel 
verbrannt  wurde,  weil  er  ein  Ei  gelegt  haben  sollte.  Fast  alle  neueren 
Schriftsteller,  die  davon  sprechen,  meinen,  es  liege  da  ein  besonders 
drastischer  Fall  der  Thierhinrichtung  vor,  und  sie  scheinen  nur  darüber 
uneinio-,  ob  man  das  bestrafte  Verbrechen  als  Hexerei  oder  als  Ketzerei 
beurtheilt  habe  ^).  Aber  die  Sache  verhielt  sich  viel  einfacher.  Nach 
dem  Volksglauben  des  Mittelalters,  ja  sogar  noch  der  Neuzeit  wird  das 
gefürchtete  Basiliskenei  von  einem  Hahn  gelegt  -).  Ein  so  gefährhcher 
Hahn  muss  eben  so  wie  das  Ei  aus  dem  Weg  geräumt  werden.  Den 
besten  Dienst  thut  natürlich  das  Feuer.  Der  Baseler  Vorgang  steht 
übrio-ens  nicht  vereinzelt.  Aber  in  den  andern  Fällen  scheint  man 
weniger  ceremoniell  zu  Werk  gegangen  zu  sein  3).  Ein  Seitenstück 
zu  diesem  Volksglauben  bezüglich  des  Hahnes  ist  der  bezüglich  der 
Henne:  kräht  sie  wie  ein  Hahn,  so  muss  man  sie  unverzüglich 
schlachten,  widrigenfalls  man  Unheil  befährt  ^).  Auch  das  Umbringen, 
insbesondere  das  Verbrennen  von  Kröten,  die  als  Zaubermittel  dienen  ^), 
und  das  von  behexten  Bossen  oder  Hunden  ß)  gehört  in  diesen  Zu- 
sammenhang. —  Eine  Massregel  der  Sicherheitspolizei  gegen  das  schäd- 
liche Thier  und  ein  Strafakt  gegen  seinen  Herrn  zugleich  ist  es,  wenn 
nach  dem  kymrischen  Recht  in  Wales  ein  Hund,  der  zum  dritten  Mal 
einen  Menschen  gebissen,  mit  einer  Leine  von  zwei  Handbreiten  Länge 
an    die   Füsse    seines    Herrn    gebunden    umgebracht   wird  ^).    —   Eine 


•)  Berriat-Saint-Prix  (immerhin  vorsichtiger  als  die  Andern)  Mem. 
des  antiqu.  VIII  428,  Agnel  p.  20  (und  nach  diesem)  Sorel  p.  15,  Louandre 
in  Rev.  des  deux  Mondes  1854  I  p.  334,  Dumeril  p.  9,  Osenbrüggen  S.  147 
(doch  anders  S.  406,  wo  auch  hervorgehoben  ist,  dass  der  Hergang  mit  dem 
Kohlenberger  Gericht  nichts  zu  schaffen  hat),  Pertile  Atti  p.  148.  Am  meisten 
entstellt    ist    der  Bericht    in  La  Tradition  1888  p.  363.  -)  Rolland    Faune 

populaire  VI  p.  85,  89—91,  III  p.  41  f.  Rochholz  Alam.  Kinderlied  S.  232, 
Strackerjan  Aberglaube  und  Sagen  aus  Oldenburg  II  (1867)  S.  97.  Kristen- 
sen   Jyske    Folkesagn    1876    No.    113.  ^)    Rutishauser   Vierundzwauzig 

"Wochen  im  Gebirge,  Luzern  1880  S.  119  f.  (Fall  aus  dem  Prätigau  v.  1730). 
Roch  holz  Alemann.  Kinderlied  S.  232.  •»)  Rolland  a.  a.  0.  VI  p.  84— 86. 

Gubernatis  D.  Thiere  i.  d.  Mythol.  S.  556.  Tödtung  des  Hahnes  wegen  unheil- 
vollen Krähens,  Rolland  VI  p.  87.  »)  Rolland  V  p.  98,  UI  p.  49,  50. 
8)  Voltaire  Siäcle  de  Louis  XIV  eh.  1  g.  E.  Louandre  a.  a.  0.  334. 
'')  Ancient  Laws  and  Institutes  of  Wales  (ed.  Owen  1841  fol.)  p.  245,  357, 
799,  844. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  559 

Massregel  der  Wirthsehaftspolizei  endlich,  ist  es,  wenn  Markgenossen 
ein  Thier,  das  oft  zu  Schaden  gegangen,  aus  ihrer  Mark  ausweisen  ^). 
Jetzt  erst,  nachdem  wir  von  den  öffentlichen  Thierstrafen  mittel- 
alterlichen Charakters,  die  zwar  äusserlich  ihnen  gleichenden,  innerlich 
aber  von  ihnen  verschiedenen  Vorkommnisse  gesondert  haben,  wird  es 
möglich,  die  Zeit  und  das  Verbreitungsgebiet  der  ersteren  annähernd 
zu  begrenzen.  Zuerst  nachweisbar  sind  sie  im  13.  Jahrhundert  und 
zwar  in  Frankreich  (S.  552  N.  1,  4).  Gegen  das  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts treffen  wir  sie  in  sehr  eigenthümlicher  Anwendung  auf  Sar- 
dinien (N.  1  S.  553),  wieder  ungefähr  ein  Jahrhundert  später  zum 
ersten  Mal  in  Flandern  ^)  seit  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
in  den  Niederlanden 3),  in  Deutschland*),  Italien  (s.  Note  5  S.  552), 
Schweden  (N.  3  S.  552).  Wieder  zwei  Jahrhunderte  später  stossen 
wir  auf  die  erste  Spur  in  England  ^).  Wie  aber  die  frühesten,  so  ge- 
hören auch  weitaus  die  meisten  nachweisbaren  Einzelnfälle  Frankreich 
an.  Während  z.  B.  auf  Deutschland  ausser  Holland  und  Flandern  nur 
3 — 4,  auf  Flandern  und  Holland  nur  5,  auf  England  kaum  2  *^)  treffen, 
ist  Frankreich  mit  ungefähr  drei  Dutzenden  betheiligt.  Diese  haben 
ihre  Heimat  vornehmlich  in  den  altburgundischen  Gebieten,  dann  im 
mittleren  und  nördlichen  Frankreich.  Zu  Abbeville  allein  sind  1323 — 
1490  mindestens  6  Todesurtheile  an  Thieren  vollzogen  worden.  Frank- 
reich gehört  auch  zu  denjenigen  Ländern,  wo  der  Kechtsbrauch  am 
zähesten  an  der  Verurtheilung  und  Bestrafung  von  Thieren  festgehalten 
hat,  obgleich  gerade  dort  und  zwar  schon  1283  der  erste  literarische 
Gegner  jenes  Brauches,  nämlich  Philippe  von  Beaumanoir  auf- 
getreten   ist  (s.  N.  4  S.  553).     Ausser    der  Statistik,    die   ja   für    sich 


')   Vgl.    dagegen   Gierke    Humor   S.   25    N.  66.  ^)   Ein   Todesurtlieil 

V.  1488  erwähnt  Jets  over  het  oude  Strafregt  in  Belgie  (Brüss.)  1826  S.  89 
(daraus  Notiz  im  N.  Arch.  des  Criminalr.  1829  S.  173).  Eine  Execution  von 
1486  bei  Noordewier  Nederduit.  Regtsoudheden  S.  300.  Aeltere  Fälle  kennt 
Noordewier  überhaupt  nicht.  Einen  von  1578  s.  oben  S.  551  in  Note  2.  ^}  Fälle 
von.  1571  und  1595  aus  Middelburg  und  Leiden  bei  Noordewier  a.  a.  0.  Der 
erstere  genauer  bei  De  Wind  Byzonderheden  uit  de  geschiedeniss  van  het  Straf- 
regt in  de  Nederlanden  Middelb.  1827  S.  36  (darnach  N.  Arch.  S.  172). 
*)  Zu  Frankfurt  1574  bei  Lersner.  Der  Stadt  Frankf.  Chronica  I  552.  "Vgl. 
auch  den  Schweinhirter  Fall  von  1576  oben  S.  552  Note  1  a.  E.  ^)  Angeblich 
1771  in  der  Nähe  von  Chichester  ein  Hund  verurtheilt.  Davon  soll  handeln  die 
mir  nicht  zugängliche,  selbst  im  brittischen  Museum  vergebens  gesuchte  Flug- 
schrift: A  report  of  the  case  of  farmer  Carters  dog  Porter.  ")  Der  zweite 
Fall  (s.  vor.  Note)  wäre  der  von  Osenbrüggen  nach  der  Allg.  deut.  Straf- 
rechtszeitg.  1861  Sp.  32  angeführte.  Es  ist  jedoch  sehr  zweifelhaft,  ob  er  ein 
rechtliches  Verfahren  betrifft. 


560  A  m  i  r  a. 

allein  in  diesen  Dingen  nicht  viel  beAveisen  würde,  deuten  noch  andere 
Anzeichen  darauf,  dass  ausserhalb  Frankreichs  diese  Art  Strafrechts- 
pflege sehr  viel  seltener  war.  Criminalisten  wie  der  Italiener  Julius 
Clarus  (1525 — 1575)  und  der  Niederländer  Antonius  Matthaeus 
(1644)  kennen  aus  ihrer  eigenen  Erfahrung  keinen  Anwendungsfall. 
Die  ihrer  Zeit  naheliegende  Praxis  wissen  sie  nur  aus  französischen 
Schriftstellern  zu  belegen  ^).  Der  Flanderer  Jodocus  Damhouder 
(1507 — 1581),  der  doch  zu  einer  Zeit  schrieb,  als  in  seiner  Heimat 
das  Thierstrafrecht  noch  nicht  ganz  erloschen  war,  schweigt  von 
eigentlichen  Thierstrafen  gänzlich,  wiewohl  er  das  flandrische  Parti- 
cularrecht  fleissig  berücksichtigt^).  Auch  in  Spanien,  dem  wegen 
seiner  Nachbarschaft  zu  Fi-ankreich  und  wegen  seiner  alsbald  zu  er- 
wähnenden Beziehungen  zur  Thierexcommunication  besondere  Wichtig- 
keit beizumessen  ist,  waren  weltliche  Thierstrafen  dem  Anschein  nach 
unerhört.  Sein  bedeutendster  Jurist  im  16.  Jahrhundert  Didacus 
Covaruvias  ist  nur  durch  ausländische  Scliriftsteller  über  sie  unter- 
richtet und  stellt  jede  verwandte  spanische  Praxis  in  Abrede  3).  Zu 
einer  Schlussfolgerung  bezüglich  der  Herkunft  des  Thierstrafrechts 
reichen  diese  Umstände  allerdings  nicht  aus.  Es  Hesse  sich  denken, 
dass  in  den  Ländern  ausserhalb  Frankreichs  die  wissenschaftHche 
Opposition  gegen  die  Bestrafung  von  Thieren  nur  früher  den  Sieg 
errungen  habe  als  in  Frankreich.  Zu  Gunsten  einer  solchen  Annahme 
würde  sprechen,  dass  spätestens  seit  dem  Ausgang  des  17.  Jahrhunderts 
jeglicher  Nachweis  für  die  Fortdauer  jener  Praxis  ausserhalb  Frank- 
reichs und  Englands  fehlt  ^),  während  die  beiden  letzten  französischen 
Fälle  1793  und  1845  vorgekommen  sind  ^). 

In  allen  Stücken  von  dem  bisher  geschilderten  Verfahren  gegen 
Thiere  verschieden  ist  dasjenige,  welches  sich  —  soweit  unmittelbar 
ersichtlich  —  zuerst  auf  kirchlichem  Boden  entwickelt  hat.  Nie- 
mals fand  es  gegen  Hausthiere  und  niemals  fand  es  gegen  bestimmte 
einzelne  Thiere  statt  ß).     Gewöhnlich    vielmehr   kehrte    es    sich   gegen 


')  Jul.    Clarus   Sent.  V  qu.   99   §  8.     Ant.   Matthaeus   Comment. .  de 
crim.  proleg.  c.  II  §  1.  *)  Prax.   rer.    crim.  cap.  142    (de    damno   pecuario). 

Nicht  hieher  gehört  nach  dem  S.  55ß  Ausgeführten  cap.  96  de  peccato  contra 
naturam  §§  14,  15.  ^)  Var.  Resol.  lib.  II  c.  8  §  1.  ••)  Der  letzte  sicher 

beglaubigte  Fall  aus  Deutschland  ist  der  von  Machern  1621  oben  N.  6  S.  552. 
Die  Akten  des  Leipziger  Spruchcollegs  über  diesen  Fall  konnten  bis  jetzt  nicht 
wieder  aufgefunden  werden.  —  In  der  Theorie  wurde  die  Todesstrafe  gegen  Thiere 
wegen  Menschentödtung  noch  1704  von  Sam.  Stryckius  Us.  mod.  pand.  ad 
1.  IX  tit.  1  §  20  vertheidigt.  '-)  Sorel  p.  16  flg.  «)  Das  Verklagen  einer 

Ziege  oder  Kuh  wegen  Feldschadens  ist  nur  ein  humoristisches  Motiv  im  französ. 
Volksüed,  Rolland  Faune  populaire  V  p.  208—211. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  561 

Thiergattungen  die  im  täglichen  Leben  als  Ungeziefer  angesehen  wer- 
den, wie  Mäuse,  Ratten,  Maulwürfe,  Insekten,  Eaupen,  Engerlinge, 
Sehnecken,  Blutegel,  Schlangen,  Kröten.  In  Canada  wurde  es  allerdings 
auch  gegen  wilde  Tauben,  in  Südfrankreich  schon  viel  früher  gegen 
Störche,  in  Deutschland  gegen  Sperlinge,  am  Genfersee  gegen  Aale 
für  anwendbar  gehalten,  welche  gemeinschädlich  geworden  waren. 
Stets  waren  es  ungezählte  Mengen,  die  man  so  verfolgen  zu  können 
meinte.  Es  war  auch  nicht  sowohl  ein  von  ihnen  angerichteter  Scha- 
den, den  man  dm-ch  die  Verfolgung  zu  vergelten,  als  ein  befürchteter, 
den  man  abzuwenden  trachtete.  Das  Verfahren  war  also  kein  vindi- 
catives  oder  repressives,  sondern  ein  prohibitives  oder  präventives  ^). 
Nutzungen  von  Grund  und  Boden,  allenfalls  von  Gewässern,  wollte 
man  gegen  Verwüstungen  durch  die  in  grossen  Schaaren  auftretenden 
Thiere  sichern,  indem  man  diese  zu  vertreiben  suchte.  Nur  ausnahms- 
weise handelte  es  sich  um  Abwehr  anderer  Belästigungen.  Für  das 
zu  solchen  Zwecken  geeignete  Mittel  erachtete  man  die  kirchliche 
maledictio  oder  aber  die  excommunicatio  in  der  Form  des  Anathems. 
Von  Excommunication  ist  schon  im  12.  Jahrhundert  die  Rede  -)  und 
später  lassen  sich  bis  in  die  Neuzeit  herein  auch  viele  Einzelfälle  mit 
Sicherheit  nachweisen,  wo  man  von  ihr  den  erwähnten  Gebrauch  ge- 
macht hat  3).  Andererseits  aber  ist  zu  beachten,  dass  man  sich,  und 
zwar  öfter  im  Mittelalter  als  in  der  neuern  Zeit,  mit  einer  blossen 
Malediction   begnügte,    welche   schriftlich   vom  Ordinarius  der  Diöcese 


')  »citatio  .  .  fit  ad  finem  .  .  .  ut  mala  futura  evitentur*:  Chasseneus 
Consilia  (Lugd.  1592)  I,  pars  I  §  1 ;  »anathematizatio  seu  maledictio  contra  ista 
animalia  fit  ratione  delicti  consummandi  (ut  evitetur)* :  ibid.  pars  V  §  107. 
^)  1120  angebliche  Excommunication  zu  Laon  (Mem.  des  antiqu.  VIII  p.  427). 
1121  Excommunication  von  Mücken  zu  Foigny  in  derselben  Diöcese,  Vita  s.  Bern- 
hardi  I  num.  58    (Acta  SS.  Aug.  IV  p.  272).  ^)    1338   zu   Kaltem   (Zschr.  f. 

deut.  Kulturgesch.  II  1857  S.  544  u.  Germania,  Zschr.  f.  deut.  Alterth.  IV  S.  383), 
1481  in  der  Diöcese  Mäcon  (die  Sentenz  bei  Chasseneus  Cons.  Fol.  19^ — 20*'), 
um  1500  Lyon  (Sentenz  ebenda  Fol.  18»— 19»),  um  1509  Androhung  der  Ex- 
communication zu  Lausanne  (Formular  in  Memoires  et  documents  publ.  par  la 
soc.  de  la  Suisse  Romande  t.  VII  No.  97  p.  675—677),  1500—1586  in  Spanien 
(Azpilcueta  Consilia  et  resp.  Lugd.  1591  pag.  588,  willkürliche  Verdächtigung 
dieser  Nachricht  bei  Theoph.  Raynaud  Opusc.  moral.  1665  p.  582),  gegen  1534 
Evora  (Verbot  der  Excomm.  durch  den  Erzbischof,  Zschr.  f.  rom.  Philol.  V  1881 
S.  417),  gegen  1700  Canada  (Mem.  des  antiqu.  VIII  p.  431),  1713  Piedade  no 
Maranhao  (Agnel  p.  45),  18.  Jahrh.  Peru  (Agnel  p.  46).  —  Die  Excommuni- 
cation wurde  ferner  verlangt  1543  zu  Grenoble  (Themis  I  p.  197),  1585  zu  Valence 
(Chorier,  mitgetheilt  in  Themis  I  p.  196),  1587  zu  Saint-Jean-de  Maurienne 
(Akten  bei  Menabr^a  p.  546,  549  flg.),  1710  zu  Autun  (Sorel  p.  23),  1731 
zu  Thonon  (Menabrea  p.  508). 

Mittheilungen  XII.  35 


562^  A  m  i  r  a. 

verfügt  und  mündlich,  nach  bestimmtem  Kitual  vom  Pfarrer  vorge- 
nommen wurde.  Die  Praxis  einzelner  Diöcesen,  wie  z.  B.  Lausanne, 
kannte  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters  überhaupt  nur  solche  Male- 
dictionen  ^).  Als  Mittelglieder  zwischen  den  Excommunications- Sen- 
tenzen und  den  Verfügungen,  welche  die  Malediction  anordnen,  stellen 
sich  jene  Erlasse  von  Kirchenbehörden  dar,  welche  gegen  die  Thiere 
die  Malediction  und  das  Anathem  aussprechen,  ohne  sich  des  Ausdrucks 
excommunicatio  zu  bedienen  2).  Es  muss  nämlich  bezweifelt  werden, 
ob  unter  dem  Anathem  dieser  Erlasse  von  jeher  die  Excommunication 
verstanden  worden  ist.  Selbst  in  einer  Excommuuicationssentenz  be- 
deutet Anathem  nicht  die  Excommunication  selbst,  soudern  die  damit 
verbundene  Malediction  oder  Exsecration,  wesswegen  Anathem  im 
weitern  Sinne  nm*  die  sog.  excommunicatio  major  heissen  kann,  so- 
ferne  nämlich  diese  eine  Malediction  oder  Exsecration  enthält  ^). 
Ecclesia  maledicit  anathemizando ,  sagt  Leonardus  de  Utino*). 
Wesentlich  nur  Exsecration  scheint  denn  auch  in  jenen  Sentenzen 
gegen  Thiere  das  Anathem  —  mindestens  anfänglich  —  gewesen  zu 
sein  —  gerade  so,  wie  das  über  ein  Götzenbild  ausgesprochene  Ana- 
them eine  Exsecration  war  ^).  Und  lediglich  weil  einmal  für  die  grosse 
Excommunication  der  Name  des  Anathems  üblich  geworden  war,  hat 
man  unter   fehlerhafter  Umkehrung  des  Begrifisverhältnisses   das   hier 


•)Fel.  Malleolus  (Hemmerli)  tract.  I  de  exorcismis  (iu  Tom.  sec. 
Malleorum  quorundam  maleficarum,  Francof.  1582  p.  385)  tract.  II  (ibid.  p.  417  flg. 
409—412,  wo  das  Maledictionsritual).  Ein  Fall  von  1451  ibid.  p.  413,  ein  anderer 
von  1478  (nach  den  Berner  Chronisten)  bei  Hottinger  Hist,  eccl.  IV  (1657) 
p.  317—321,  femer  in  Biblioth.  für  die  peinl.  Rechtswissensch.  v.  Grolmann  I 
1798  S.  395  flg.  und  in  Scheible's  Kloster  XII  S.  945.  Wegen  der  spätem  Praxis 
in  Lausanne  s.  das  in  N.  3  S.  561  citirte  Formular.  —  "Wunderliche  Missverständ- 
nisse der  Nachrichten  des  Malleolus  finden  sich  bei  A  g  n  e  1  (p.  29  flg.),  der  hier 
allerdings  theilweise  den  Berriat-Saint-Prix  ausschreibt.  Schon  der  letztere 
hat  den  Malleolus  missverstanden  (Mem.  des  antiqu.  VIII  423),  indem  er 
dessen  Angaben  auf  eine  Excommunication  bezog.  Von  ihm  wohl  ist  auch  S  0  r  e  1 
beeinflusst,  der  p.  19  die  Adjurationsformel  bei  Malleolus  für  eine  Excommuni- 
cationsformel  erklärt.  ^)  1488  Autun  (vollständig  bei  Chasseneus  a.  a.  0. 

fol.  19a— 19b),  1516  Troyes  (vollständig  bei  Raynaud  Opusc.  moral.  1665  p.  480), 
1500—1530  zwei  Sentenzen  aus  Autun  (vollständ.  bei  Chasseneus  fol.  17*>— 18»), 
1554  Langres  (nach  Desnoyer  cit.  in  Revue  des  quest.  hist.  V  1868  p.  278).  Nach 
der  Urkunde  bei  Raynaud  construirt  ist  das  Formular  einer  solchen  Sentenz  bei 
Gasp.  Bailly  Trait^  des  Monitoires  1668  (vollständ.  mitgetheilt  von  Menabrea 
p.  542  flg.).  Vgl.  auch  den  Antrag  derer  von  Beauue  bei  Chasseneus  fol.  1*. 
ä)  Vgl.  Du  Gange  Gloss.  s.  v.  Anathema  No.  2  und  Hinschius  Kircheur.  IV 
S.  702  J^ote  7   und   S.  800  flg.  *)  Sermo  29    (De   peccato   blasfemiae)  g.  E. 

«■)  Adam.  Brem.  II  60. 


TKierstrafen  und  Thierprocesse.  563 

in  Eede  stehende  Anatliem  für  eine  Excommunication  gehalten  oder 
doch  so  benannt.  Sehr  deutlich  lässt  sich  dies  an  einer  Lyoner  Sen- 
tenz 1)  beobachten,  welche  die  von  dem  Lausanner  Bischof  Wilhelm 
V.  Escublens  (1221 — 1229)  über  die  Aale  im  Genfersee  verhängte  Male- 
diction  frischweg  eine  Excommunication  nennt.  Schon  von  hier  aus 
ergibt  sich  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Thierexcommunication  erst 
eine  jüngere  Entwicklungsstufe  der  Thiermalediction  sei.  Zum  näm- 
lichen Ergebniss  führt  die  Beobachtung,  dass  das  Mittelalter  auch  eine 
„  Excommunication "  von  Pflanzen  und  leblosen  Sachen  kennt  ^).  Dass 
damit  ursprünglich  nichts  anderes  gemeint  war  als  mit  dem  Anathem 
über  leblose  Gegenstände,  und  dass  erst  nachträglich  die  Theologie, 
eine  Abart  der  echten  Excommunication,  eine  ,excommunicatio  simili- 
tudinaria'  daraus  gemacht  hat  ^),  werden  wir  ohueweiters  annehmen 
dürfen.  Demnach  besteht  die  Möglichkeit,  ja  Wahrscheinlichkeit,  dass 
noch  im  Frühmittelalter  auch  die  Excommunication  von  Thieren  über- 
haupt nur  die  Bedeutung  einer  Malediction  und  Exsecration  gehabt 
habe.  Diese  Wahrscheinlichkeit  wird  durch  die  Berichte  verstärkt, 
wonach  die  Excommunication  über  Thiere  wie  über  andere  Sachen 
durchaus  formlos  und  durch  Leute  verhängt  werden  konnte,  die  zm- 
echten  Excommunication  die  erforderliche  Gerichtsbarkeit  nicht  be- 
sassen^).  Derselbe  populäre  Sprachgebrauch  macht  auch  die  Excom- 
munication von  Thieren  verständlich,  welche  noch  im  16.  Jahrhundert 
das  Landvolk  einem  von  ihm  erwählten  ,adjurator'  übertrugt).  Hiezu 
stimmt  es  nun  vollkommen,  dass  die  förmlichen  Excommunications- 
sentenzen,  wie  sie  durch  die  zuständigen  Kirchenbehörden  erlassen 
worden  sind,  und  der  klassische  Schriftsteller,  den  das  16.  Jahrhundert 
über  die  Frage  der  Thierexcommunication  aufzuweisen  hat,  Barth. 
Chasseneus  (1480 — 1542),  sich  stets  mehr  mit  der  Malediction  und 
dem  Anathem  als  mit  der  Excommunication  befassen.  Sie  stützen 
sich  auf  Argumente,  welche  zwar  die  Malediction  und  das  Anathem, 
nicht  aber  die  eigentliche  Excommunication  rechtfertigen  können.    Sie 


')  Bei  Chasseneus  fol.  IS^,  hiemach  Chasseneus  selbst  pars  V  §  121, 
dem  wieder  Raynaud  a.  a.  0.  p.  482  und  V  e  r  n  e  t  in  Themis  VIII  p.  52  folgen. 
Die  Quelle  ist  der  seit  1497  gedruckte  Malleolus  tract.  I  (p.  385)  und  II 
(p.  417  flg.),  der  niur  von  Malediction  weiss.  Dasselbe  Missverständniss  auch  bei 
Delrio  Disquis.  magic.  III  2  pars  4  sec.  8.  2)  Chasseneus  pars  V  §  120 

(^  fol.  18^),  122,  Raynaud  p.  483.  Maledictionen  weist  nach  Jac.  Gretser 
De  maledictionibus  c.  8,  9.  Dazu  vgl.  auch  noch  A.  Dessaix  L'excommuni- 
cation    des    glaciers   in  Revue   des  tradit.  pop.  V  1890.  ^)  Die    ausgebildete 

Lehre    bei  Raynaud  p.  481—483.  ■»)  Beispiele    bei  Raynaud   p.  482  flg. 

Vgl.  ebenda  p.  396.  ^)  Leon.  Vairus  De  fascino  (Venet.  1589)  p.  159. 

35* 


564  A  m  i  r  a. 

ordnen  Gebets-  und  Bussübungen  au,  welche  die  Zubehör  der  Male- 
diction,  nicht  aber  der  Excommunication  bilden.  Dass  diese  Quellen 
unter  ihrer  excomniunicatio  die  kanon  i  sehe  Kirchen  strafe  verstehen, 
wird  sieh  nicht  leugnen  lassen  i),  ebensowenig  aber  auch,  dass  die 
kirchliche  Praxis  verschiedene  Entwicklungsstufen  beschritten  hat, 
deren  unterste  durch  die  blosse  Maledictio  gekennzeichnet  ist.  Im 
Bisthum  Lausanne  kann  diese  Entwicklung  sogar  unmittelbar  aus  den 
Quellen  nachgewiesen  werden  (N.  1  S.  562). 

Das  Verfahren,  welches  zur  Malediction  bezw.  zur  Excommuni- 
cation der  Thiere  führte,  wird  uns  in  den  meisten  einlässlicheren 
Berichten,  worunter  auch  officielle  Aktenstücke,  als  ein  processuales 
geschildert.  Seine  merkwürdigste  Eigenheit  besteht  darin,  dass  es  die 
Thiere  als  die  verklagte  Partei  behandelt.  Kläger  sind  die  Besitzer 
der  gefährdeten  Grundstücke,  und  zwar  ist  es  gewöhnlich  ihre  ganze 
Gemeinde,  welche  die  Klage  erhebt.  Der  Process  pflegt  in  zwei  Haupt- 
abschnitte zu  zerfallen,  die  allerdings  nicht  immer  äusserlich  scharf 
von  einander  getrennt  werden.  Der  erste  Abschnitt  oder  das  erste 
Verfahren  stellt  sich  als  ein  Streit  über  die  Zulässigkeit  einer  Aus- 
weisung der  verklagten  Partei  dar.  Wird  dem  Begehren  der  Klags- 
partei stattgegeben,  so  kann  bei  der  Ausweisung  die  Malediction  bezw. 
die  Excommunication  angedroht  werden.  Der  zweite  Abschnitt  oder 
das  zweite  Verfahren  ist  ein  Streit  über  die  Zulässigkeit  der  Male- 
diction bezw.  Excommunication  wegen  Ungehorsams  gegen  das 
ausweisende  Erkenntniss.  Das  urtheilende  Gericht  ist  meist  für  beide 
Processabschnitte  das  geistliche  '^) ,  die  bischöfliche  Curie ,  in  deren 
Sprengel  die  Grundstücke  der  Kläger  liegen,  oder  ihr  Delegat  3).  Die 
Praktiker  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  stellen  dies  als  das  Kegelmässige 
dar^).  Zuweilen  jedoch  spielt  sich  der  erste  Theil  vor  dem  weltlichen 
Gericht  ab  s),  ohne  dass  gerade  eine  Justizverweigerung  des  geistlichen 


^)  Dies  will  D'Arbois  de  Jubainville  in  der  Revue  des  quest.  hist.  V 
p.  279.  Aelmlich  auch  schon  J.  Eveillon  (1651)  (cit.  bei  Dumeril  p.  12J 
und  Menabrea  p.  401.  !S.  dagegen  das  besonders  deutlich  sprechende  For- 
mular von  Lausanne  (N.  3  S.  561).  =*)  So  in  den  S.  561  N.  3,  S.  562  N.  2  angeführten 
Fällen  aus  den  französischen  und  burgundischen  Diöcesen,  ausserdem  in  denen 
von  Nimes  1479  (C'arpentier  in  Du  Gange  Gl.  s.  v.  excommunicatio),  Lutry 
1536  (Menabrea  p.  505),  Saint-Julien-de  Maurienne  1545  und  1546  (Menabrea 
p.    544,    545,    556).  ^)    Ein     Commissorium     v.    1451     bei    Malleolus 

tract.   II  p.   413.  ■*)    Chasseneus    Cons.   I.    Gasp.    Bailly   Traite    des 

Monitoires    (bei  Menabrea  p.  524- -543).  ^)    In    den  Diöcesen  Chur   und 

Konstanz  während  des  15.  Jahrhunderts  (Malleolus  tract.  I  de  exorc.  p.  386  11 
p.  415  flg.),  zu  Glums  1519  f.  (Urkunden  in  Scheible's  Kloster  XII S.  946— 948), 
zu  Bouranton  1733  (ürk.  in  La  Tradition  1888  p.  363  flg.).    S.  auch  den  Process 


Thierstrafen  und  Tbierprocesse.  565 

Richters  den  Anlass  dazu  zu  geben  braucht  i).  In  Gegenden,  wo  das 
Verfahren  nicht  mit  einer  eigentlichen  Excommunication,  sondern  nur 
mit  einer  Malediction  abschliesst,  findet  sich  sogar  der  Brauch,  dass 
der  ganze  Process  statt  vor  dem  geistlichen  Gericht  vor  einem  vom 
Volk  gewählten  Beschwörer  verhandelt  wird  (N.  5  S.  563).  Wird  der 
ganze  Process  vor  dem  geistlichen  Gericht  geführt,  so  können  die 
beiden  Haupttheile  in  einander  gezogen  sein,  indem  mit  dem  moni- 
torium,  welches  den  Schluss  des  ersten  Abschnittes  bilden  würde  ^), 
eine  bedingte  Malediction s-  oder  Excommunicationssentenz  verbunden 
wird  3).  Andererseits  unterbleibt  öfters  die  Androhung  der  Malediction 
oder  Excommunication,  wenn  das  weltliche  Gerieht  das  Ausweisungs- 
urtheil  fällt,  so  dass  ebenso  sehr  der  vorbereitende  wie  der  kirchliche 
Charakter  des  ersten  Verfahrens  schwindet.  Dieses  ist  nicht  nur  im 
protestantischen  Dänemark  das  Regelmässige,  sondern  kommt  auch 
schon  1520  in  Tirol  vor.  Doch  ist  es  vielleicht  nicht  bedeutungslos, 
dass  das  dänische  Ausweisungsurtheil  von  Als  1711  mit  gebetartigen 
Elementen  durchsetzt  ist.  —  Die  Formen  des  Verfahrens  sind  voll- 
ständig contradictorische.  Eingeleitet  wh'd  es  vor  dem  geistlichen 
Gericht  nach  dem  gewöhnlichen  System  *)  durch  eine  ,supplicatio'  oder 
,requesta'  der  Klagspartei  an  den  Richter,  woraufhin  dieser  gegen  die 
verklagten  Thiere  eine  Citation  erlässt  und  denselben  einen  ,procurator 
(advocatus)'  bestellt.  Der  letztere  hat  dann  namens  der  Thiere  auf  die 
Klage,  die  ebenfalls  durch  einen  Anwalt  vertreten  wird,  zu  antworten. 
Auf  die  Termine  und  Schriftenwechsel  bis  zur  Triplik  ist  hier  um  so 
weniger  einzugehen,  als  gerade  diese  Dinge  schon  in  der  bisherigen 
Literatur  zur  Genüge  besprochen  sind.  Vor  der  Urtheilsfallung  pflegt 
der  Richter  den  bischöflichen  Promotor  zu  hören.  In  seinen  Grund- 
linien ist  dieses  System  auch  beim  Verfahren  vor  weltlichem  Gericht  ^) 


von  Als  (Jütland)  1711  in  Kr.  S.  Testrups  (1685—1761)  Rinds  Herreds  Krönike 
(Samlinger  til  jydsk  Historie  og  Topografi  Bd.  II  S.  62—64),  von  Viborg  (vor 
1726  (erwähnt  bei  Stepli.  Jörgensen  oben  N.  1  S.  547  und  bei  Thiele  Dan- 
marks Folkesagn  II  1843  S.  68)  und  von  Lyö  im  kleinen  Belt  1805  oder  1806  (in 
Det  Kong.  Danske  Landhusholdnings-Selskabs  Skrifter,  Ny  Saml.  II  S.  1,  22), 

')  Wie    in    dem    Process    von    Pont-du-Chateau    1690    (Menabrea  p.  507, 
Mem.  des  antiqu.  VIII  p.  412).  '')  Ein  Beispiel  von  1487    bei  Chasseneus 

ol.  19».  ")  So  in  den  Erkenntnissen  aus  Autun  bei  Chasseneus  fol.  17^, 

18»,  19'>,  aus  Macon  v.  1481  ebenda  fol.  20^,  aus  Lyon  ebenda  fol.  19»,  aus 
Troyes  1516  bei  Ray n au d  p.  480  und  in  dem  Formular  bei  Bailly  (N.  2  S.  562). 
*)  Geschildert  von  Chasseneus  und  Bailly  und  belegt  durch  die  Akten  des 
Processes  von  Saint  -  Julien  -  de  -  Maurienne  1587  (Menabrea  p.  544—557). 
^)  Geschildert  als  das  Verfahren  in  den  Diöcesen  Chur  und  Konstanz  bei  M  al  1  e  o- 
lus   Tract.  I   de   exorc.   p.  386,    11  p.  415  f.     Von   einem   kirchlichen   Ein- 


566  A  m  i  r  a. 

und  bei  dem  vor  dem  gewühlten  Adjurator  i)  nachgebildet  worden. 
Nach  einem  andern  und  vielleicht  älteren,  jedenfalls  früher  belegbaren 
System  2)  unterbleibt  die  Bestellung  eines  Officialvertreters  der  ver- 
klagten Thiere.  Wohl  aber  werden  diese  citirt,  wo  möglich  auch  in 
etlichen  Exemplaren  vor  Gericht  gebracht;  in  Dänemark  wird  die 
Ladung  nicht  von  der  Obrigkeit,  sondern  von  der  Klagspartei  in  der 
gewöhnlichen  landrechtlichen  Form  angestellt  3),  stets  aber  gestaltet 
sich  dann  das  Verfahren  zu  einem  Contumacialverfahren.  In  der  Diöcese 
Lausanne  ist  dieses  System  erweislich  das  ältere;  es  wurde  dort  um 
1450  beobachtet,  wogegen  man  um  1478"*)  das  andere  einschlug. 
Auch  dieses  System  hat  sowohl  im  weltlichen  ^)  wie  im  geistlichen 
Kechtsgang  Aufnahme  gefunden.  Eigenthümlich  scheint  dem  zuletzt 
genannten  Bisthum  die  Einführung  eines  ausserordentlichen  Thier- 
processes  in  Gestalt  eines  bedingten  Mandatsprocesses  (c.  1500).  Der 
bischöfliche  Official  erlässt  auf  die  Supplik  der  geschädigten  Grund- 
besitzer den  Ausweisungsbefehl  an  die  verklagten  Thiere  unter  Exor- 
cismen  und  Androhung  der  Malediction  sowie  unter  dem  Angebot,  den 
Verklagten  einen  curator  oder  defensor  bestellen  zu  wollen,  falls  jemand 
den  Befehl  anzufechten  gedenke.  Damit  verbindet  er  unter  Androhung 
der  Excommunication  den  Befehl,  dass  die  Thiere  während  der  spätem 
Verhandlungen  sich  jeder  weiteren  Ausbreitung  zu  enthalten  haben  ß). 
Es  wurde  bereits  bemerkt,  dass  das  erste  Verfahren  mit  einem 
ürtheil  abschliesst,  welches  die  verklagten  Thiere  ausweist.  In  der 
Regel  wird  dabei  eine  Frist  bestimmt,  innerhalb  deren  die  Thiere 
ihren  Abzug  bewerkstelligen  sollen.  Gelegentlich  hat  man  dies  so  ins 
Einzelne  durchgebildet,  dass  man  bis  zum  Ablauf  der  Frist  den  aus- 
gewiesenen Thieren  freies  Geleit  zusicherte  ^).  Ziemlich  weit  verbreitet 
—  wenigstens  seit  dem  Spätmittelalter  —  war  auch  der  Brauch  mit 
der  Ausweisung  eine  Verweisung  zu  verbinden,  sei  es,  dass  man  den 
Thieren    aufgab,    sich    an  einen  nicht  näher  bezeichneten  Ort  zurück- 


schreiten, wie  Rochholtz  (Zschr.  f.  deut.  Mythol.  IV  1859  S.  119)  meint, 
spricht  Malleolus  dort  nicht.  —  S.  ferner  den  Process  von  Glurns  1519  und  1520 
(oben  N.  5  S.  564),  von  Bouranton  (N.  5  S.  564).  In  dem  von  Lyö  (N.  5  S.  564  f.) 
war  die  Bestellung  eines  Officialanwalts  angerathen. 

')  Leon.  Vairus  De  fascino  p.  159.  *)  Malleolus  tract.  II  de  exorc. 

p.  409—412  (Verfahren  in  der  Diöcese  Lausanne).  «)  Die  Ladung  im  Process 

von  Als  1711  steht  wörtlich  a.  a.  0.  (N.  5  S.  564 f.).  ■•)  Process  von  Bern  bei 

Hot  tinger  (oben  N.  1  S.  562).  ^)  Process  von  Als  (N.  5  S.  564  f.)  nach  dem 

Wortlaut  des  Urtheils,  dem  gegenüber  die  abweichende  Angabe  Testrups,  der 
einen  Officialprocurator  nennt,  nicht  aufkommen  kann.  Auch  in  dem  Process 
von  Viborg  (N.  5  S.  564  f.)  scheint  kein  Officialprocurator  bestellt.  ®)  S.  das 

N.  3  ö.  561  citirte  Formular.  ")  Process  von  Glurns  (N.  5  S.  564). 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  567 

zuziehen,  wo  sie  uiemanden  mehr  würden  schaden  können  i),  sei  es, 
dass  man  zu  diesem  Behuf  einen  Ort  benannte.  Bald  verurtheilte  man 
sie  „ins  Meer"  =^),  bald  aber  verbannte  man  sie  auf  eine  entlegene 
Insel  3)  oder  man  räumte  ihnen  gar  einen  freien  Bezirk  in  der  Ge- 
meinde ein  mit  der  Auflage,  die  ausserhalb  desselben  gelegenen  Grund- 
stücke zu  verschonen*).  Dies  hat  mitunter  zu  einem  förmlichen  Ver- 
gleichsangebot der  Klagspartei  an  den  Officialvertreter  der  verklagten 
Thiere  geführt,  wonach  diesen  vertragsmässig  ein  solches  Grundstück 
überlassen  werden  sollte.  Die  mancherlei  Vorbehalte  und  Klauseln, 
womit  man  einen  solchen  Vergleich  ausstattete,  zeigen  wie  ernsthaft 
der  Vertrag  der  Menschen  mit  den  Thieren  gemeint  war^). 

Andererseits  begegnet  im  kirchlichen  Maledictions -Verfahren  der 
Brauch,  dass  man  die  vor  das  Gericht  gebrachten  Thierexemplare  beim 
Verhängen  der  Malediction  unverzüglich  tödtet.  So  in  dem  von 
Hemmerli  beschriebenen  Lausanner  Verfahren. 

Nicht  immer  jedoch  galt  der  Rechtsweg  für  unumgänglich,  wenn 
man  sich  der  Malediction  oder  Excommunication  über  Thiere  bedienen 
wollte.  Insbesondere  hat  man  ihn  auf  wohl  unterrichteter  kirchlicher 
Seite  nicht  immer  für  nothwendig  erachtet.  In  dem  sprichwörtlichen 
und  von  der  spätem  Theologie  und  Jurisprudenz  geradezu  für  typisch 
angesehenen  Fall  „der  Mücken  von  Foigny"  (1121)  spricht  der  heilige 
Bernhard  sein  „excommunico  eas"  aus,  ohne  dass  ein  Process  oder 
processähnliches  Verfahren  auch  nur  möglich  gewesen  wäre.  Es  ist 
dies  ein  in  der  Legende  nichts  weniger  als  vereinzelntes  Beispiel,  und 
bei  der  sog.  Excommunication  von  Pflanzen  und  leblosen  Sachen  wurde 
überhaupt  niemals  umständlicher  verfahren  ß).  Der  protestantische 
Prediger,  der  1559  zu  Dresden  während  einer  Kanzelrede  Sperlinge 
in  den  „Bann"  that,  weil  sie  die  Aufmerksamkeit  seiner  Zuhörer  zer- 
streuten, folgte  also  in  der  Form  seines  Einschreitens  nur  einer  Re- 
miniscenz  aus  katholischer  Zeit '). 

Suchen  wir  die  Anfangsgrenze  dieser  Zeit  zu  ermitteln,  so  werden 
wir    die    Malediction    bezw.    Excommunication    selbst    und    das    dahin 


1)  So  in  der  Diöcese  Lausanne,  Malleolus  tract.  H  de  exorc.  p.  410,  412, 
Hottinger  a.  a.  0.  p.  319.  S.  ferner  das  Urtheil  von  Bouranton  (N.  5  S.  564). 
2)  Process  von  Als  (N.  5  S.  564  f.).  ^)  Ein  Beispiel  aus  Spanien  beiAzpilcueta 
Consil.  Lugd.  1591  p.  588.  ^)  Urtheile  von  Pont-du-Chateau  1690  (Menabrea 
p.  507)  und  Piedade-no-Maranhao  1713  (Agnel  p.  45,  46).  Antrag  des  Official- 
anwalts  zu  Glums  1520  (s.  N.  5  S;  564).  Noch  ältere  Analogien  aus  den  Diöcesen 
Chur   und  Konstanz   bei   Malleolus   (N.  5  S.  565).  ^)  Saint-Julien-de-Mau- 

rienne    1587    (Akten   bei   Menabrea  p.  554—556).     Vgl.    auch    den   Fall   von 
Bouranton    1733    (N.  5  S.  564).  «)  Raynaud    Opusc.    moral.    p,  482,   483. 

')  Kurfürstl.  Erlass  v.  18.  H.  1559  in  Scheible's  Kloster  XII  S.  949. 


568  A  m  i  r  a. 

führeude    processuale  Verfahren    zu    Gegeuständeu   getrennter   Fragen 
machen  müssen.     Von  jenen  wird  eher  erzählt  als  von  diesem. 

Die  frühesten  Maledictionen  oder  sog.  Excommunicationen,  wovon 
Meldung  geschieht,  sind  legendarisch.  Lebensbeschreibungen  von 
Heiligen  erwähnen  ihrer  zuerst.  Natürlich  lernen  wir  aus  ihnen  nur  die 
Meinungen  ihrer  Verfasser  und  ihres  Leserkreises  kennen.  Wir  lernen 
aus  ihnen,  dass  man  noch  im  Frühmittelalter  bis  gegen  1200  hin  von 
jenen  Maledictionen  den  gewünschten  Erfolg  nur  auf  dem  ausser- 
ordentlichen Weg  des  Wunders  erwartete.  Demnach  kann  nicht  an- 
genommen werden,  dass  schon  damals  in  irgend  einem  grösseren  Bezirk 
der  Kirche  die  Malediction  gegen  Thiere  üblich  gewesen  sei.  Einer 
derartigen  Annahme  würde  auch  kaum  zustatten  kommen,  was  wir 
von  altern  kirchlichen  Gepflogenheiten  wissen.  Unmittelbar  gegen 
schädliche  Thiere  wandte  allerdings  die  griechische  Kirche  ausser  dem 
Weihwasser  Exorcismen  und  Adjurationen  an.  Die  lateinische  Kii'che 
dagegen,  die  gerade  in  diesem  Zusammenhang  zunächst  in  Frage 
kommen  würde,  beschränkte  sich  in  Italien,  Spanien  und  Burgund 
bis  ins  9.  Jahrhundert  auf  die  Anwendung  des  Weihwassers  in  den- 
jenigen Fällen,  wo  man  später  zur  Malediction  gegriffen  hat,  — 
höchstens,  dass  man  einmal  in  die  Adjuration  des  Wassers  einen  Satz 
aufnahm,  der  gegen  Ungeziefer  gerichtet  war  i).  Seit  1200  ungefähr 
untersuchen  die  Scholastiker  die  Frage,  in  wie  ferne  Maledictionen 
gegen  Thiere  zulässig  seien  (Note  1  S.  571).  Es  scheint  demnach,  als  ob 
dergleichen  jetzt  häufiger  vorgekommen  wäre.  Aber  der  erste  einiger- 
massen  genauer  beschriebene  Anwendungsfall  gehört  doch  erst  dem 
Jahre  1338  an.  Die  eigentliche  Blütezeit  dieser  partikularkirchen- 
rechtlichen  Praxis  aber  ist  das  15.  Jahrhundert.  Mit  dem  16.  beginnt 
die  rückläufige  Bewegung.  1534  wurde  in  Portugal  das  Excommuniciren 
und  Exorcisiren  von  Thieren  verboten.  1585  gibt  der  General vikar 
von  Valence  anf  den  Kat  von  Juristen  und  Theologen  die  alte  Praxis 
der  Thierexcommunication  auf  und  bewilligt  nur  noch  Adjurationeu 
und  Besprenguugen  mit  Weihwasser.  1690  verfuhr  ebenso  der  General- 
vikar von  Clermont,  1710  der  von  Autun,  1717  der  Papst  selbst  in 
einem  Breve  an  den  Rath  von  Aosta^).  Um  1750  scheint  die  Thier- 
excommunication überall  ausgestorben.  Nicht  ausgestorben  ist  die 
Malediction,  und  zwar  nicht  bloss  nicht  in  denjenigen  Gestalten,  worin 
sie    sich    mit    der    gewöhnlichen,     von    Laien    geübten    Beschwörung 


')  Jac.  Greiser  De  benedictionibus  II  c.  7,  8,  19.  M^nabrea  p.  449  f. 
*)  Zschr.  f.  rom.  Philol.  V  1881  S.  417.  Menabrea  p.  507.  Sorel  p.  22—24. 
Rrassegna  settimaaale  Vol.  VII  1881  p.  J55. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  569 

berührt  i),  sondern  auch  nicht  in  der  rein  kirchlichen  Form,  in  der 
sie  zuerst  auftritt ;  sie  ist  als  Abwehrmittel  gegen  Insekten  noch  jetzt  in 
Calabrien  gebräuchlich,  und,  was  in  alter  Zeit  nicht  nachzuweisen, 
ihrer  Anwendung  gegen  ein  einzelnes  gefährliches  Thier,  einen  Wolf, 
erinnert  sich  in  unsern  Tagen  ein  Augenzeuge  -). 

Sehr  viel  später  als  von  Maledictionen  oder  Excommunicationen 
hören  wir  von  Processen  gegen  Thiere.  Deutlich  nachweisbar  sind  sie 
erst  seit  dem  15.  Jahrhundert.  Und  zwar  erscheinen,  wenn  man  das 
gesammte  Verbreitungsgebiet  als  einheitliches  Ganzes  nimmt,  die  Pro- 
cesse  vor  weltlichen  Gerichten  gleichzeitig  mit  denen  vor  geistlichen. 
Ihr  Verschwinden  ist  seit  dem  16.  Jahrhundert  ebenso  wie  das  der 
Excommunication  und  Malediction  ein  allmähliges.  Der  letzte  Thier- 
process  in  der  vollen  Form,  wie  ich  ihn  früher  geschildert  habe,  hat 
sich  vor  einem  weltlichen  Gericht  1733  abgespielt  (Note  5  S.  564).  In 
die  nämliche  Zeit  ungefähr  fallen  auch  die  letzten  Versuche,  das  geist- 
liche Gericht  anzurufen.  Aber  noch  ein  Jahrhundert  lang  haben  im 
Norden  die  Erinnerungen  an  die  Thierprocesse  fortgedauert.  Noch  um 
1805  oder  1806  haben  die  Bauern  auf  Lyö  in  der  Herrschaft  Holstens- 
hus  einen  solchen  Process  wenigstens  angefangen.  Und  als  Bestand- 
theil  zauberischen  Bannens  von  Ungeziefer  war  das  „Laden"  noch 
später  in  Dänemark  bekannt  3).  Aber  freilich  sind  diese  Erinnerungen 
doch  nicht  sowohl  von  breiten  Volksschichten  als  von  einzelnen 
Wissenden  fortgepflanzt  worden.  Man  sieht  es  deutlich  an  den  däni- 
schen Thierprocessen,  zu  denen  sich  die  Kläger  allemal  erst  durch  den 
Kath  eines  besonders  Kundigen,  bald  eines  „Wunderdoktors",  bald  eines 
alten  Weibes  bestimmen  lassen. 

Noch  weniger  als  in  Bezug  auf  das  zeitliche  Vorkommen  lässt 
sich  in  Bezug  auf  das  räumliche  ein  Parallelismus  zwischen  den  Male- 
dictionen und  Excommunicationen  einerseits  und  den  Processen  anderer- 
seits aufzeigen,  auch  wenn  wir  von  den  legendarischen  Nachrichten 
vollständig  absehen.  Ein  zusammenhängendes  Gebiet  der  Maledictionen 
und  Excommunicationen  erstreckt  sich  während  des  15.  Jahrhunderts 
von  Portugal  und  Spanien  aus  in  nordöstlicher  Kichtung  durch  Frank- 
reich bis  in  die  französische  Schweiz.  Einzelne  Spuren  finden  sich 
ausserdem  in  Tirol,  hier  schon  1338,  später  in  Kursachsen  und  in 
Italien^).     Damit    scheint  die  west-europäische  Betheiligung  erschöpft. 

')  Beispiele  bei  Rolland   Faune  populaiie  III  320.  ^)  Cretella   in 

der  Fanfulla  1891  a.  a.  0.  »)   Det  kong.  Danske  Landhusholdnings-Selskabs 

Skrifter  NS.  II  S.  22.  -»)  S.  N.  3  S.  561,  N.  7  S.  567.   I.  J.  1612  weiss  noch  der 

Wittenberger  Theologe  W.  Franz  von  der  ehemaligen  Anwendung  des  Exorcis- 
mus  gegen  Insekten  zu    berichten  (Hist.  animalium,  Amstel.  1665  p.  669).     Auf 


570  Amira. 

Hingegen  treten  im  17.  Jahrhundert  und  zu  Anfang  des  18.  Canada, 
Brasilien  und  Peru  in  den  Herrschaftskreis  der  Thier-Excommunicatioii 
(N.  3  S.  561).  Thierprocesse  kommen  in  den  altburgundischen  und  den 
diesen  nächstgelegenen  Landschaften  Frankreichs,  ferner  in  der  fran- 
zösischen Schweiz  und  in  der  alamannischen  Ostschweiz  i),  in  Piemont 
und  wohl  auch  anderwärts  in  Italien,  endhch  in  Tirol  und  in  Däne- 
mark vor.  Auch  in  Portugal  wusste  man  von  ihnen  '^),  womit  es  zu- 
sammenhängen mag,  dass  wir  ihnen  auch  in  Brasilien  wieder  begegnen  3). 
Merkwürdig  ist,  dass  der  specifisch  kirchliche  Thierprocess  sich  nur  in 
romanischen  Ländern  findet,  hier  aber  regelmässiger  als  der  weltliche, 
den  die  germanischen  Länder  zu  bevorzugen  scheinen.  Auffällig  ist 
auch,  wie  nahe  gewisse  Hauptgebiete  des  kirchlichen  und  des  welt- 
lichen Thierprocesses  bei  einander  liegen:  in  den  altburgundischen 
Bisthümem  sind  die  meisten  kirchlichen,  im  oberrheinischen  Ala- 
manien  ^)  sind  zur  gleichen  Zeit  die  meisten  weltlichen  Processe  nach- 
gewiesen. Möglicherweise  liegt  dies  jedoch  nur  an  der  Beschaffenheit 
unseres  Quellenvorrathes. 

Aufgeworfen  zu  werden  verdient  die  Frage,  wie  sich  zur  Praxis 
die  gleichzeitige  Theologie  und  Kanonistik  verhalten  habe.  Die 
Schriftsteller,  die  sich  etwa  zwischen  1200  und  1450  mit  dem  Gegen- 
stande beschäftigen,  obenan  Alexander  von  Haies  und  Thomas 
von  Aquino,  kennen  eine  Excommunication  von  Thieren  nicht  ein- 


unteritalienische  Vorgänge  sind  wahrscheinlich  die  Angaben  des  Leon.  Vairo 
(N.  5  S.  563)  zu  beziehen,  der  zu  Benevent  (um  1535)  geboren  war  und  bis  zu 
seinem  Tode  (um  1603)  fast  immer  im  Beneventanischen  und  Neapolitanischen 
gelebt  hat.  Dem  Jul.  C'larus  Sent.  V  qu.  99  §  8  sind  Thierprocesse  nur  aus 
dem  Cons.  I  des  Chasseneus  bekannt.  Dass  zu  Como  einer  angestrengt  wor- 
den sei,  behaupten  französische  Schriftsteller,  wie  z.  B.  Ortoli  p.  79.  Allein 
dies  scheint  zu  den  mancherlei  fragwürdigen  Lesefrüchten  aus  Malleolus  zu 
gehören  (gerade  so  wie  die  Jahreszahl  1221,  welche  Ortoli  im  Zusammenhang 
mit  Konstanz  und  Como  nennt).  In  dem  ans  burgundische  Gebiet  der  Thier- 
excommunication  stossenden  Aosta  scheint  man  I7l7  etwas  Aehnliches  geplant 
zu  haben  (s.  N.  2  S.  568).  In  der  südlichen  Nachbarschaft  davon  (Strambiuo, 
Turin)  sollen  Maledictionsprocesse  c.  1500 — 1633  nachweisbar  sein,  Lessona  in 
der  Gazetta  letteraria  1887  p.  386. 

')  Des  Malleolus  ,dioecesis  Curiensis  provinciae  Maguntinae'  bat  B  e r r i a t- 
Saint-Prix  (Mem.  des  antiqu.  VllI  411,  448  mit  ,Kurmaiuz*  verwechselt.  Bei 
seinen  Nachschreibem  (Laianne  Curiosites  p.  333,  Louandre  Rev.  d.  d.  mon- 
des  1854  p.  335,  Agnel  p.  30,  Ortoli  p.  81)  hat  sich  dann  der  Ii-rthum  fort- 
gepflanzt. ^)  Fr.  Alvarez  citii-t  in  Themis  VIII  B  p.  56  vom  »Bibliophile« 
(Waree)  Curiosites  theologiques  (Par.  1861)  p.  97.  »)  L  J.  1713,  Agnel 
p.  41 — 46.  ••)  Die  kirchliche  Behörde  der  Diöcese  Konstanz  kennt  1492 
weder  Excommunication  noch  Process  gegen  Thiere,  Zschr.  f.  deut.  Mythol.  IV 
1859  8.  121. 


i 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  571 

mal  dem  Namen  nach,  ebensowenig  einen  Process  gegen  sie.  Die 
Zulässigkeit  des  maledicere  creaturae  irrationali,  das  ihnen  überhaupt 
nur  als  Strafe  in  Betracht  kommen  könnte,  erörtern  sie  mit  dem 
Ergebniss  ihres  grundsätzlichen  Ausschlusses.  Nur  eine  scheinbare 
Ausnahme  bildet  die  Malediction,  welche  zwar  an  das  Thier  gerichtet 
wird,  aber  den  Menschen  treffen  soll  und  zu  dessen  Strafe  vom  zu- 
ständigen Kichter  ausgesprochen  wird.  Auch  eine  adjuratio  ad  ipsam 
irrationalem  creaturam  secundum  se  ist  verwerflich,  dagegen  gestattet 
eine  adjuratio  per  modum  compulsionis,  quae  refertur  ad  diabolum, 
d.  i.  der  exorcismus  ^).  Um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  kam  die 
Doctrin  ins  Schwanken.  Der  bekannte  Züricher  Theolog  und  Kanonist 
Felix  Hemmerli  billigt  sowohl  den  kirchlichen  Thierprocess  wie 
die  Malediction  der  creatura  irrationalis,  indem  er  nicht  sowohl  die 
Gründe  der  früheren  Lehre  zu  entkräften  sucht,  als  sich  auf  die  zu 
seiner  Zeit  und  in  der  Nachbarschaft  seiner  Heimat  und  seines  Wir- 
kungskreises schon  entwickelte  Praxis  und  deren  vermeintliche  Erfolge 
stützt.  Noch  viel  gründlicher  imd  mit  dem  vollen  Aufwand  seiner 
reichen  theologischen  und  juristischen  Belesenheit  hat  dann  in  der 
ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  der  burgundische  Jurist  Barth. 
Chasseneus  dieselben  Ansichten  verfochten,  wobei  er  auch  für  die 
Thierexcommunication  eintrat.  Aber  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts sind  dem  Hemmerli  und  dem  Chasseneus  entschiedene  Gegner 
entstanden  in  dem  ,Doctor  Navarrus'  Martinus  Azpilcueta'^)  und 
dem  Löwener  Jesuiten  Mart.  Delrio^).  Im  Wesentlichen  gehen 
sie  auf  Thomas  v.  Aquino  zurück,  Delrio  jedoch  nicht  ohne 
geltend  zu  machen,  dass  Hemmerli  unter  die  prohibiti  scriptores 
primae  classis  aufgenommen  worden  sei.  Mehr  beiläufig,  doch  mit 
schlagender  Argumentation  hat  auch  der  Beneventaner  Leonardo 
Vairo,  dessen  Buch  De  fascino  sowohl  in  Paris  als  in  Venedig  er- 
schienen ist,  den  Thierprocess  und  die  Thierexcommunication  als  aber- 
gläubische Missbräuche  und  als  Hohn  auf  die  kirchliche  Censur  ge- 
tadelt*). Dennoch  standen  in  Frankreich  noch  im  Zeitalter  Ludwigs  XIV. 


')  Alexander  de  Ales  Summa,  pars  II  qu.  147.  Thomas  Aqu.  Summa  II 
2  qu.  76  art.  2,  qu.  90  art.  3.  Alberic us  deRosate  Dictionar.  s.  v.  male- 
dictio.  Leonardus  de  Utino  Sermo  29  (de  peccato  blasfemiae)  g.  E.  Summa 
Angelica  s.  v.  maledictio.  ^)  Consil.  in  tit.  De  sentent.  excomm.  No.  4  (Lugd. 

1591  p.  587—589).  ^)  Disquisit.  magicar.  1.  III  pars  II  qu.  4  sec.  8  (Mogunt. 

1603  p.  96,  97).  *)  Irrig  machen  Agnel  p.  37   und  Sorel  p.  25  den  Vairo 

zu  einem  Spanier.  Vgl.  oben  N.  4  S.  569  f.  Wohl  nur  ein  Druckfehler  ist  es, 
wenn  bei  Agnel  als  das  Jahr  der  Aldinischen  Ausgabe  des  Buches  De  fascino 
,1459'  statt  1589  genannt  wird. 


572  Araira. 

die  beiden  Meinungen  einander  gegenüber.  Der  Advokat  Gaspard 
Bailly  zu  Chambery  veröffentlichte  1668  in  seinem  Traite  des  moni- 
toires  eine  Anweisung  zum  Führen  von  Thierprocessen  vor  einem 
geistlichen  Gericht,  welche  er  befürwortete,  während  der  Canonicus 
Jaques  Eveillon  zu  Angers  in  seinem  Traite  des  excommunications 
und  der  Jesuit  Theoph.  Eaynaud  in  seiner  Abhandlung  De  moni- 
toriis  die  Gründe  der  früheren  Gegner  wiederholten.  In  Deutschland 
hatte  nach  161.5  ein  Ordensgenosse  Kaynauds,  Jac.  Gretser  zu 
Ingolstadt  in  seinem  Buche  De  benedictionibus  einer  „präservativen" 
Malediction  gegen  Thiere  das  Wort  geredet  i). 

Unsere  bisherige  Umschau  hat  den  westeuropäischen  Völkern 
und  ihrer  Vergangenheit  gegolten.  Wenden  wir  uuseru  Blick  der 
slavischen  Welt  zu,  so  trifft  er  da  in  der  Gegenwart  auf  höchst 
merkwürdige  Ueberlebsel  eines  Kechtszustandes,  der  bei  aller  Eigenart 
doch  dem  geschilderten  unmittelbar  verwandt  ist. 

Auf  den  unerschöpflichen  südslavischeu  Fundstätten  lebendigen 
Alterthums  hat  sich  bis  zum  heutigen  Tag  ein  weltliches  Thierstraf- 
recht  erhalten.  Nach  den  überaus  gefälligen  Mittheilungen  des  ersten 
Kenners  dortiger  Sitten  und  Sagen  Friedrich  S.  Kr  aus  s  scheint  in 
Montenegro  dieses  Thierstrafrecht  noch  ganz  allgemein  verbreitet.  Die 
Thiere,  worauf  es  sich  bezieht,  sind:  der  Ochs,  der  Stier,  das  Koss, 
das  Schwein;  —  die  Uebelthaten:  Tödtung  und  schwere  Verletzungen 
von  Menschen.  Ein  Process  findet  wiederum  nicht  gegen  das  misse- 
thätige  Thier  selbst,  sondern  gegen  dessen  Herrn  statt.  Dieser  — 
gewöhnlich  der  Vorsteher  der  Hauscommunion,  welcher  das  Thier  ge- 
hört —  hat  sich  auf  ergangene  Ladung  sammt  dem  Urheber  der 
Uebelthat  vor  dem  Friedensgericht  2)  der  Dorfaltesten  oder  Hausvor- 
stände im  ,, blutigen  Keigen"  (krono  kolo)  einzufinden.  Hier  fordert 
die  Verwandtschaft  des  Getödteten  oder  Verletzten  den  Tod  des  Thieres 
oder  Geldsühne.  Will  der  Verklagte  keine  Sühne  geben,  so  wälzt  er 
alle  Schuld  von  sich  ab  und  auf  die  bösen  Geister,  die  in  sein  Thier 
hineingefahren.  Das  Urtheil  lautet  gewöhnlich  auf  Steinigung  des 
Thiers.  Der  Eigenthümer  wirft  den  ersten  Stein  und  darauf  alle 
übrigen  Anwesenden  ^).  Der  Steinhaufe  heisst  prokleta  gomila  („ver- 
fluchter [Stein-]haufe").  Der  Friede  zwischen  dem  Herrn  des  hin- 
gerichteten   Thieres    und    dem    Kläger    wird    durch    Eingehung    von 


•)   Libri    duo    de   bened.    etc.    Ingoist.    1615   p.    247.  ^j  Ußber    dieses 

s.  Krau  SS    im  »Ausland*    1889  S.  536    und    Sitte    und    Brauch    der    Südslaven 
S.  38,  208,  217,  229,  57 1.  •'')  Dies  entspricht  dem  Kitus  des  Steinigens,  wie 

er  früher  bei  den  Südslaven   der   regelmässige    war,    K  r  a  u  s  s  Sitte  und  Brauch 
S.  291. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  573 

Gevattersclialteu  und  AVahlljruderschafteu  befestigt.  —  Aehuliches  Avird 
vom  selben  Gewährsmauu  aus  Slavonien  berichtet.  Noch  1864  wurde 
dort  im  Dorfe  Pleternica  von  den  versammelten  Bauern  ein  Schwein 
zum  Tode  verurtheilt,  weil  es  einem  einjährigen  Mädchen  die  Ohren 
abgebissen  hatte.  Das  Fleisch  des  Schweines  wurde  den  Hunden  vor- 
geworfen. Die  Hausgenossenschaft,  der  das  Schwein  gehörte,  „musste 
für  das  Kind  als  Schadenersatz  eine  Heiratsausstattung  liefern". 

Auch  Thierprocesse  gibt  es  bei  den  Südslaven.  Diese  Processe 
aber  sind  oder  können  wenigstens  sein  rein  weltliche.  Auch  scheinen 
sie  nicht  mit  einer  kirchlichen  Malediction  in  Verbindung  zu  stehen. 
Das  Verfahren  ist  ein  minder  streng  geregeltes,  als  es  in  Westeuropa 
war.  Bemerken swerther  ist  aber  bei  aller  sonstigen  Verschiedenheit  die 
schlagende  Uebereinstimmung  des  neuzeitlichen  südslavischen  Brauches 
mit  dem  Lausanner  des  15.  Jahrhunderts  in  dem  einen  Punkt,  dass, 
auch  wenn  sich  das  Verfahren  gegen  eine  ganze  Thiergattung  kehi-t, 
doch  ein  Exemplar  derselben  vor  Gericht  gebracht,  verurtheilt  und 
getödtet  wird,  —  besonders  beachtenswerth  ferner,  dass  man  Tödtung 
im  Wasser  vorzieht,  auch  wenn  diese  Executionsart  unter  verschiedenen 
möglichen  die  umständlichere  ist.  ,,Im  Kriegs-  und  Unglücksjahre 
(1866)  —  so  theilt  Fr.  Krauss  mit  —  gab  es  viele  Heuschrecken 
im  Pozegaer  Thale  [Slavonien].  Damals  wurde  in  dem  Städtchen 
Pozega  erzählt,  die  Bauern  im  Dörfchen  Vidovici  hätten  eine  grosse 
Heuschrecke  eingefangen  und  über  sie  Gericht  gehalten  und  sie  zum 
Tode  verurtheilt,  das  ganze  Dorf  soll  mit  der  Heuschrecke  hinab  zum 
Orljava-Fluss  gezogen  sein  und  die  Heuschrecke  unter  Verwünschungen 
ins  Wasser  geworfen  haben".  —  Uebrigens  scheint  jetzt  auch  bei  den 
Südslaven  der  abwehrende  Thierprocess  im  Aussterben  begrifi'en.  Man 
pflegt  sich  mehr  auf  kirchliche  Exorcismen  zu  verlassen.  Solche  Exor- 
cismen  lassen  die  drei  christlichen  Confessionen  in  feierlicher  Weise 
bei  Umzügen  durch  die  führenden  Geistlichen  aussprechen.  Leicht 
entsteht  dabei  der  Schein  der  Malediction.  Wichtig  ist  auch,  dass 
nicht  bloss  Ungeziefer,  sondern  auch  Wölfe  und  Füchse  als  „heidnisch" 
(pogani)  mit  dem  Exorcismus  verfolgt  werden. 

Bei  weitem  nicht  so  sicher  beglaubigt  wie  bei  den  Südslaven  sind 
öffentliche  Thierstrafen  bei  andern  slavischen  Völkern.  Bekannt  ge- 
worden scheint  bis  jetzt  überhaupt  nur  die  Erzählung  von  einem  Falle 
aus  Eussland  1650 — 1700,  wo  ein  stössiger  Bock  zur  Verbannung 
nach  Sibirien  gerichtlich  verurtheilt  worden  sein  soll  i). 


')    C.    Meiners    Vergleichung    des   altern   und   neuem  Russlands  il  1798 
S.  201. 


574  Amira. 

Zu  den  Thierstrafen  und  Thierprocessen  nun,  die  wir  innerhalb 
des  Kreises  christlicher  Rechte  gefunden  haben,  gibt  es  Seitenstücke 
ausserhalb  dieses  Kreises.  Auf  den  ersten  Blick  aber  scheint  es  sich 
da  allerdings  immer  nur  um  ein  Vorgehen  gegen  einzelne  Thiere, 
ferner  auch  nur  um  ein  repressives  Vorgehen  zu  handeln. 

Am  öftesten  ist  auf  Bestimmungen  des  mosaischen  Rechts  ^) 
verwiesen  worden.  Der  Herr  hat  dem  Noah  und  seinen  Nachkommen 
verheissen,  er  wolle  ihr  Blut  nicht  nur  an  den  Menschen,  sondern 
auch  an  allen  Thieren  rächen.  Dem  entsprach  das  auf  Sinai  gegebene 
Gesetz,  wonach  man  den  Ochsen,  der  einen  Menschen  zu  Tode  stösst, 
steinigen  muss  und  sein  Fleisch  nicht  essen  darf.  Von  einer  analogen 
Anwendung  dieses  Gesetzes  auf  einen  Hahn  erzählt  die  jüdische  Ueber- 
lieferung  -).  Dass  es  keinen  erziehlichen  oder  lehrhaften  Zweck  ver- 
folgte, sondern  ein  Kultgesetz  war,  sollte  doch  jetzt  allseitig  zugestanden 
werden.  Gleichviel,  ob  es  durch  den  Glauben  an  jene  göttliche  Ver- 
heissung  veranlasst,  oder  ob  die  letztere  zur  nachträglichen  Begründung 
des  Gesetzes  unterstellt  und  dieses  selbst  vielmehr  unmittelbare  Folge 
der  gleichfalls  göttlichen  Satzung  war,  dass  durch  Todtschlag  eines 
Menschen  das  Land  unrein  und  nur  durch  das  Blut  des  Tödters  ge- 
reinigt werde  3):  das  Steinigen  des  Ochsen  oder  des  Hahnes  ist  als 
Kultakt  zu  nehmen.  Dies  kann  um  so  weniger  befremden,  als  über 
das  Thier  wie  über  missethätige  Menschen  der  Tod  durch  das  Synhe- 
drion  verhängt  wurde,  überhaupt  aber  das  Steinigen  wie  jede  andere 
Todesstrafe  nach  jüdischem  Recht  ein  Kultakt  ^),  anderwärts  sogar 
noch  mehr  reinigender  Kultakt  denn  Tödtungsart  war^).  Damit  wird 
nun  freilich  die  jüdische  Thiersteinigung  dem  Gebiet  des  Strafrechts 
fast  entrückt.  Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  aber  auch  mit  einer  Thier- 
strafe,  die  noch  vor  Kurzem  bei  Arabern  in  Ostafrika  vorgekommen 
ist.  Ein  Hund  —  nach  der  Auffassung  des  Islam  bekanntlich  ein 
unreines  Thier  —  wurde  öffentlich  ausgepeitscht,  weil  er  eine  Moschee 
betreten  hatte«).  Auch  dies  hängt  mit  Kultvorstellungen  zusammen. 
Der  Kult  lässt  Unterscheidungen  in  Schuld  und  Zurechnungsfähigkeit 
nicht  leicht  wirksam  werden.     Nicht    sich,    sondern    der  Gottheit  will 


1)  Gene».  IX  5.  Exod.  XXI  28—32.  '■')  Berachot  27,  1  (in  Talmud  Babli 

V.  E.  M.  Pinner  I  1842).  Vgl.  Lightfoot  Opera  II  (Ultraj.  1699)  p.  382,  Saal- 
schütz Mos.  Recht  1848  S.  546.  =>)  Numeri  XXV  33.  ••)  Hamburger 
Realencyklopädie  I  s.  vv.  Strafe,  Todesstrafe  und  II  p.  975.  ^)  Plato  de  leg. 
IX  1 2  (p.  873  B).  Merkwürdige  Analogie  zu  dieser  griechischen  die  Steinigung  des 
Hauptes  einer  Leiche  in  Norwegen :  Agrip  af  Noregs  Konunga  sogum  (her.  v. 
Dahlerup  1880)  Sp.  27  Z.  2—10,  Heimskringla  (her.  v.  Unger  1868)  S.  169 
Z.  20—24.           «)  Allgem.  Zeitg.  1889  S.  452. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  575 

die  Gesellschaft  Genugthuuiig  gewähren.  Diese  aber  muss  gewährt 
werden  an  dem  Ding,  welches  die  Kränkung  der  Gottheit  verursacht 
hat.  —  Dem  Anschein  nach  anders  zu  beurtheilen  ist  das  Kreuzigen 
von  Löwen,  welches  der  Geschichtschreiber  Polybios  in  phöuikischen 
Colonieu  gesehen  hatte.  Man  schlug  dort  Löwen  ans  Kreuz,  wenn  sie 
sich  zu  nahe  an  die  menschlichen  Ausiedlungen  heran  wagten.  Die 
Absicht  soll  gewesen  sein,  andere  Thiere  derselben  Gattung  abzu- 
schrecken 1).  Mit  dieser  Erklärung  des  Kreuzigens  mag  es  seine 
Richtigkeit  haben.  Sie  hindert  uns  aber  nicht,  die  Aufrichtung  des 
Löwenleibes  unter  denselben  Gesichtspunkt  zu  bringen,  worunter  bei 
den  verschiedensten  Völkern  und  auch  wieder  bei  semitischen  das  Auf- 
richten von  Bannthieren  ^)  fällt.  Dass  diese  gewöhnlich  nur  nach- 
gebildet, dürfte  kaum  entgegenstehen.  Denn  wesentlicher  als  das 
Material  ist  doch  wohl  die  Thiergestalt,  welche  lebendige  Thiere  der- 
selben Gattung  abwehren  soll.  Hiernach  hätten  wir  in  jenem  punischeu 
Kreuzigen  keinen  Strafakt,  sondern  einen  Zauber  zu  erkennen. 

Auf  eine  echte  Thierstrafe  hingegen,  und  zwar  eine  von  unsacraler 
Art,  treffen  wir  beim  Eintritt  in  den  Kreis  der  arischen  Rechte,  — 
bei  den  Persern.  Im  Vendidad  ^)  befragt  Zarathustra  den  Ahura- 
mazda  darüber,  was  mit  einem  tollen  Hund  zu  geschehen  habe,  der 
einen  Menschen  oder  Vieh  beisst.  Die  Frage  war  für  Zarathustra  von 
besonderer  Wichtigkeit  wegen  des  sacralen  Schutzes,  worunter  der 
Hund  bei  den  Persern  stand  ■^).  Nach  der  von  Ahura-mazda  ertheilten 
Antwort  nun  soll  der  Eigenthümer  des  Hundes,  wenn  er  denselben 
nicht  gehörig  verwahrt  hat,  büssen,  wie  für  absichtliche  Tödtung  &) ; 
dem  Hund  aber  soll  das  erste  Mal  das  rechte,  das  zweite  Mal  das  linke 
Ohr  abgeschnitten,  in  den  spätem  W^iederholungsfällen  der  Reihe  nach 
Beine  und  Schwanz  verstümmelt  werden.  Die  Satzung  des  Ahura- 
mazda  erinnert  auffallend  an  die  sardinische  Carta  de  Logu,  von  der  S.  553 
gesprochen  wurde.  Diese  allerdings  bezieht  sich  auf  einen  zu  Schaden 
gehenden  Esel,  der  in  den  beiden  ersten  Betretungsfällen  ein  Ohr  verlieren, 
das  dritte  Mal  confiscirt  werden  soll.  Aber  hier  wie  dort  handelt  es  sich 
um  ein  durch  besondern  Schutz  oder  Werth  ausgezeichnetes  Thier.  Euer 
wie  dort  will  darum  nicht  die  leichteste,  sondern  die  schwerste  Art  und 


*)  Plinius  VIII  16.  -)  Worüber  Fei.  Liebrecht  Des  Gervas.  v.  Tilbury 

otia  imp.  S.  98,  99,  102,  104  und  Zur  Volkskunde  S.  88.  Vgl.  auch  unten  N.  3 
S.  597.  3)  Fargard   XIII    80—96    (Avesta    übers,    v.    Spiegel   I   S.    195  f.). 

*)  Hierüber  Jul.  Lippert  Kulturgesch.  der  Menschheit  I  (1886)  S.  496—500. 
6)  Nach  J.  Darmsteter  in  The  sacred  books  of  the  East  IV  p.  159,  160 
wäre  Subjekt  nicht  der  Herr  sondern  der  Hund.  Der  Zusammenhang  gibt 
Spiegel  Recht. 


576  A  m  i'r  a. 

nicht  das  niedrigste,  sondern  das  höchste  Mass  des  ihm  zugedachten 
Strafübels  bestimmt  werden.  Ob  jedoch  die  Verstümmelungsstrafe  im 
Vendidad  als  eine  öffentliche  gedacht  ist,  lässt  der  Text  nicht  mit 
Sicherheit  erkennen.  Sie  könnte  eine  Privatstrafe,  d.  h.  die  gesetzliche 
Form  der  Privatrache  sein.  Europäisch- arische  Parallelen,  die  wir 
später  kennen  lernen  werden,  machen  dies  sogar  wahrscheinlich. 

Den  europäischen  Ariern  des  Mittelalters  nähern  wir  uns,  indem 
wir  unsere  Suche  nach  Analogieen  bei  den  Gräco-Italikern  fort- 
setzen. Sofort  gerathen  wir  hier  wieder  auf  den  Boden  des  S  a  er  ai- 
recht s ,  wenn  wir  nach  praktischem  und  auf  Volksansichten  beruhendem 
Recht  fragen.  Denn  die  Lehren  der  Pythagoreer  und  des  Empedokles 
von  der  Thierseele  i),  die  zur  strafrechtlichen  Personification  des  Thiers 
führen  mussten,  sind  in  diesem  Punkt  Theorieen  geblieben.  Ihnen 
weiter  nachzugehen  fehlt  uns  zur  Zeit  der  Anlass.  Volksthümlich 
dagegen  könnte  sein,  was  Plutarch  behauptet,  dass  nämlich  die  von 
Opfern  kostenden  Rinder  und  Schweine  für  des  Todes  schuldig  gegolten 
hätten  ^).  Bestand  irgendwo  dieser  Rechtssatz ,  so  reicht  zu  seiner 
Erklärung  abermals  die  Annahme  vollständig  aus,  dass  Genugthuung 
an  die  Gottheit  beabsichtigt  war.  Dem  Kerne  nach  volksthümlich 
ferner,  wenn  auch  subjectiv  gefärbt,  ist,  was  Piaton  über  den  Fall 
vorträgt,  wo  ein  Mensch  seinen  Tod  durch  ein  Thier  gefunden  hat. 
Es  soll  zu  einem  förmlichen  Process  gegen  das  Thier  kommen:  die 
Verwandten  des  Getödteten  sollen  gegen  den  „Tödter"  klagen.  Den 
Entscheid  und  den  Vollzug  des  Urtheils  sollen  Polizeibeamte  haben, 
nämlich  diejenigen  von  den  Landaufsehern  (aYpovöjtoi) ,  welche  die 
Klagspartei  darum  angeht,  und  zwar  soll  das  schuldig  befundene  Thier 
getödtet  und  über  die  Landesgreuze  geschafft  werden.  Vom  Thier 
unterscheidet  unser  Rechtsphilosoph  das  a^vtyov,  d.  i.  alles  was  nicht 
Seele  hat.  Auch  das  a'l^uxov,  das  den  Tod  eines  Menschen  verursacht 
ohne  doch  Werkzeug  zu  sein,  soll  über  die  Grenze  gebracht  werden, 
wiederum  nach  gerichtlichem  Urtheil,  welches  diesmal  der  Nachbar  des 
Blutklägers  zu  fällen  hat.  Der  Blutkläger  aber  soll  für  sich  und  seine 
Verwandtschaft  ein  Reinigungsopfer  darbringen  •^).  Die  Grundgedanken 
der  platonischen  Gesetzvorschläge  sind  zunächst  dem  attischen  Straf-  und 
Processrecht  entnommen,  das  hier  uralten,  bis  auf  Drakon  zurückgehenden 
üeberlieferungen  folgte.  Der  Ausdruck  ^vtyjx  war  jedoch  anders  als 
bei  Piaton  technisch  für  alle  diejenigen  Dinge  ausser  dem  Menschen, 
welche   den  Tod    eines    Menschen    verursachen.     Im   Rechtssinne   galt 


')  M.  Voigt  Die  Lehre  vom  jus  naturale  etc.  I  S.  92—95,  242,  245,  246, 
259,  2G0.  '')  De  solert.  anim.  2.  »)  De  leg.  IX  12  (p.  873  E). 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  577 

also  auch  das  Tliier  als  a(j>o)(ov,  nämlich  als  a^f  covov  ^),  da  volksthüm- 
liches  Kennzeichen  der  Seele  die  Kede  ist.  Ueber  die  afpwva  nun 
urtheilte  zu  Athen  ein  eigener  Staatsgerichtshof,  die  Epheten  beim 
Prytaneion.  Diese  hatten  auf  das  D;iepoptCet.v,  die  Verbringung  über 
die  Grenze,  zu  erkennen.  Den  Vorstehern  der  Phylen,  den  (poXo^aaildQ 
stand  der  Vollzug  zu  2].  Uebersetzen  wir  dies  in  die  Sprache  der 
Heroenzeit,  so  hatte  der  priesterliche  Kleinkönig  das  tödtliche  a'fwvov 
aus  dem  Lande  seines  Stammes  zu  schaffen.  Der  Eechtssatz  war  nicht 
blos  attisch.  Er  galt  auch  auf  Thasos,  wo  man  das  tödtliche  aipwvov 
gleichfalls  anklagte,  verurtheilte  und  "  ins  Meer  versenkte  3),  Er  galt 
in  Elis,  wo  man  Weihgeschenke  aus  der  Altis  entfernen  zu  müssen 
meinte,  wenn  sie  den  Tod  eines  Menschen  verursacht  hatten.  Beliess 
man  sie  dort,  so  entschloss  man  sich  hiezu  nur  auf  Grund  eines 
delphischen  Orakels,  welches  einem  Keinigungsopfer  den  Vorzug  gab  ^), 
Auch  auf  Korkyra  schaffte  man  das  ocfpwvov  aus,  indem  man  es  einer 
auswärtigen  Gottheit  weihte  &). 

In  einer  principiellen  Gleichgiltigkeit  gegen  das  Willensmoment 
können  diese  Verurtheilungen  und  Verbannungen  von  a'|;0)(a  ihren 
Grund  nicht  gehabt  haben  ^).  Denn  von  Anfang  an  unterschied  das 
griechische  Kecht  scharf  zwischen  willentlichem  und  un willentlichem 
Todtschlag  —  ^övo?  ixouoio?  und  axouatoi;,  indem  es  diesen  zwar  als 
befleckend  aber  als  sühnbar,  jenen  als  unsühnbar  behandelte.  Als  einen 
willentlichen  sah  es  schon  im  homerischen  Zeitalter  nicht  einmal  den 
von  einem  Menschen  in  der  Wuth  —  ary]  —  verübten  Todtschlag 
an  ').  Aber  auch  das  kann  mcht  das  Wesentliche  an  jenem  Ahndungs- 
verfahren gewesen  sein,  dass  es  menschliche  Schuld  verneinte  ^).  Dies 
würde  weder  mit  der  vollständig  affirmativen  "Wortfassung  des  Urtheils 
noch  mit  dem  Klagbegehren  im  Einklang  stehen.  Eine  erst  kürzlich 
aufgestellte  Hypothese  sucht  die  Erklärung  in  dem  vermeintlichen 
Glauben  an  „fetischartige  Beseelung"  der  a(]jD)(a  ^).  Sie  trägt  jedoch 
nur  einen  Widerspruch  in  den  Begriff  der  letzteren  hinein,  der  selbst 


1)  Hierauf  macht  Heffter  Atlien.  GericMsverfassg.  S.  138  (nach  Aeschines) 
aufmerksam.  Demosthenes  XXIII  (c.  Aristocr.)  §  76  stellt  den  u'^^oy^a  die  [x-rj 
[AäTs^^ovTa  xoü  tppovcöv  gleich.  -)  Demosth.  a.  a.  0.    Aeschines  c.  L'tesiph.  244. 

Pausanias  descr.  VI  c.  11  §  6  mit  I  c.  28  §  10.  Pollux  VIII  120  und  (nicht  ganz 
übereinstimmend,  aber  weniger  verlässig)  90.  Vgl.  Aristot.  AÖ'tjv.  noXit.  (ed.  Keny  on) 
c.  57  (p-  145),  wo  übrigens  auch  die  Platonische  Unterscheidung  zwischen  ai}/ü)(a 
und  Co»«.  3)  Dio  Chrysost.  XXXI  (ed.  Reiske  p.  618).   Pausan.  VI  c.  11  §§  6—8. 

Euseb.  praep.  evang.  V  34  §§  11—14.  *)  Pausan.  V  c.  27  §§  9,  10.  ^)  Pau- 

san. a.  a.  ü.  "j  A.  M.  K.  Fr.  Hermann    Lehrb.    der   griech.  Kechtsalterth. 

3.  Aufl.  (V.  Th.  Thalheim)  1884  S.  121  N.  3.  ')  Leist  Gräco-ital.  Rechts- 

gesch.  S.  344—396.  «)  So  Leist  S.  345.  »)  E.  Rohde  Psyche  S.  182. 

Mittheiluügen,  XII.  '  36 


578  ^Ami-ra. 

der  Erklärung  bedürfen  würde.  Verständlich  dagegen  wird  der  ganze 
beschriebene  Hergang,  wenn  wir  erwägen,  dass  nach  griechischem 
Glauben  jede  Menschentödtung,  selbst  die  berechtigte,  um  so  mehr  die 
widerrechtliche,  wenn  auch  vielleicht  unwillentliche,  den  Verursacher 
mit  einem  |j,'.ac3[j,a  belädt,  also  vom  Verkehr  ausschliesst,  und  ihn  über- 
dies der  Verfolgung  der  gekränkten  Seele  —  spivvo?  —  des  Getödteten 
aussetzt.  Dieser  Glaube  forderte,  dass  der  Verursacher  des  Todes  der 
Ipivvoc  aus  dem  Weg  gehe  und  unter  allen  Umständen  sowohl  seine 
als  ihre  Heimat  wenigstens  auf  längere  Frist  räume  ^).  Bei  den  a'f  wva 
kann  von  freiwilligem  Eäumen  —  (fsDY^^v  im  weitern,  stspysaO'at  im 
ensrern  Sinne  —  keine  Eede  sein.  Sie  müssen  daher  durch  die  öffent- 
liehe  Gewalt  ausgeschafift  werden,  sei  es,  damit  das  [liaojjia  vom  Lande 
entfernt,  sei  es,  damit  die  Heimsuchung  der  spivvu?  abgewandt  werde. 
Ist  das  aipwvov  ein  Thier,  so  muss  es  zugleich  getödtet  werden,  damit 
seine  Kückkehr  ausgeschlossen  sei.  In  dieser  Hinsicht  bleibt  Piaton 
sicherlich  beim  geltenden  Eecht,  Bestraft  aber  werden  die  a^cova 
überall  nicht.  Wenn  gleichwohl  das  Verfahren  gegen  sie  ein  gericht- 
liches ist  und  in  den  Formen  eines  Processes  sich  bewegt,  so  erklärt 
sich  das  aus  der  Nothwendigkeit,  dass  die  Schuldfrage  entschieden 
werde.  Denn  schuldig  am  Tod  eines  Menschen,  wenn  auch  willenlos, 
können  acpwva  sein,  sofern  sie  den  Tod  verursachen.  Dieser  Causal- 
zusammenhang  —  die  alria  —  musste  festgestellt  sein,  bevor  den 
Geboten  des  Sacralrechts,  vielleicht  unter  Vernichtung  von  Eigenthum, 
genügt  werden  konnte.  Die  gerichtliche  Aburtheilung  des  Beiles  bei 
den  Boo'f  övta  wegen  Tödtung  des  Opferstiers  ist  nur  eine  Parallele  zur 
Aburtheilung  der  a'f  cova  wegen  Menschentödtung.  Es  genügt  zu  wissen, 
dass  auch  Thiere,  namentlich  geheiligte,  ihre  ipivvo?  haben,  und  dass 
ihr  Todtschläger  unrein  wird  2),  —  Vorstellungen,  die  wir  auch  bei 
andern  Völkern  antreffen  und  mit  der  pythagoreischen  Lehre  von  der 
Thierseele  nicht  verwechseln  dürfen. 

Eine  altitalische  Analogie  zu  den  Thierstrafen  des  Mittelalters 
hat  man  in  einem,  dem  Numa  Porapilius  zugeschriebenen  Gesetz  ^) 
über  das  Auspflügen  von  Grenzsteinen  gefunden.  Das  Ochsengespann, 
welches  bei  der  termini  motio   gebraucht  war,    sollte   ebenso  wie  sein 


')  S.  insbes.  Plato  de  leg.  IX  8  (pag.  865),  Demosth.  XXIII  §§  37—46, 
ferner  Hermann-Thalheim  a.  a.  0.  S.  43f.  —  Ueber  das  |j.iaa(ia  Ü.  Müller 
Aescbylos  Eumeniden  S.  133  f.  und  Nägelsbach  Nachhomer.  Theol.  S.  356 
bis    359.  '■')    Aeschyl.    Agam.    55—59.     Sophocl.    Ajas    654—656.     S.    ferner 

Müller  a.  a.  0.  S.  140,  169.  »)    Ueber    dieses  M.  Voigt   Ueb.    d.   Leges 

Regiae    I    S.    48—55.     Vgl.    ai;ch    Platni'r    Qnaestiones    de   jure    crim.    1842 
S.  30—32. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  571) 

Führer  dem  Jupiter  terminus  „geweiht"  sein,  d.  h.  geopfert  werden. 
Nach  ihrem  ursprüngUchen  Sinne  setzte  die  Bestimmung  voraus,  dass 
der  ausgepflügte  Grenzstein  unter  dem  Schutz  eben  dieser  Gottheit 
stand,  —  ein  ,sacrum  saxum'  war.  Also  nicht  erst  die  Ahndung, 
sondern  schon  der  geahndete  Thatbestand  fiel  unter  das  Sacralrecht. 
Weil  der  Gott  beleidigt  ist,  deswegen  wird  der  Beleidiger  sammt  seinen 
Werkzeugen  dem  Gott  übergeben.  Denn  dass  die  Zugthiere  in  unserm 
Fall  nur  als  Werkzeuge  nicht  als  Gehilfen  anzusehen  sind,  ergibt  der 
Wortlaut,  worin  das  Gesetz  des  Numa  überliefert  wii'd.  Es  kennt  nur 
Einen  Thäter,  den  das  Gespann  führenden  Menschen.  Redensarten 
wie  des  Varro  „bos  socius  hominum  in  rustico  opere"  oder  des  Plinius 
„bos  socius  laboris  agrique  culturae"  wären  nur  schwache  Behelfe  einer 
abweichenden  Interpretation.  Aber  wie  dem  auch  sein  mag,  jedenfalls 
kümmert  sich  die  lex  regia  nicht  um  die  Beschaffenheit  des  Willens 
beim  Thäter.  Sie  hätte  besondern  Anlass  dazu  gehabt,  den  Fall  des 
unabsichtlichen  Auspflügens  in  Bedacht  zu  nehmen,  wie  eine  andere 
lex  regia  den  Fall  der  unabsichtlichen  Tödtung  in  Bedacht  genommen 
hat.  Denn  gerade  unabsichtlich  wird  termini  motio  beim  Pflügen  viel 
öfter  geschehen  als  absichtlich.  Wiederum  also  verhindert  der  Kult, 
dass  die  sonst  geläufigen  Unterschiede  der  betheiligten  Willen  zur 
Geltung  gelangen. 

Bei  Naturvölkern  hört  man  von  Thierstrafen  auffallend  wenig. 
Von  einem  der  rotheu  centralafrikanischen  Stämme,  den  Njapü,  wird 
neuerdings  berichtet,  dass  er  auch  Thiere  gerichtlich  verurtheilen  lässt. 
Casatii)  erzählt  folgenden  Fall:  Ein  Bock  hatte,  die  Angriffe  eines 
Hundes  abwehrend,  diesem  durch  Stösse  eine  tödtliche  Verletzung  bei- 
gebracht. In  Gegenwart  seines  Opfers  wurde  der  Bock  vom  Häuptling 
zum  Tode  verurtheilt.  Es  wurde  ihm  die  Kehle  abgeschnitten.  Sein 
Fleisch  verspeisten  die  Vornehmen,  das  des  Hundes  die  Niederen. 
Leider  erfährt  man  nichts  über  die  Gründe  dieses  Verfahrens.  Man 
weiss  nur,  dass  der  Hund  den  Njapü  sehr  werthvoll  gilt,  dass  im  be- 
schriebenen Falle  sein  Herr  ein  mächtiger  Mann  war,  und  dass  die 
Njapü  alles  ihnen  zugängliche  Fleisch,  auch  das  von  missethätigen 
Menschen  verzehren. 

Kehren  wir  nach  diesen  Ausblicken  auf  orientalische,  sfraeco- 
italische  und  afrikanische  Rechte  zu  unsern  mittelalterlichen  und  neu- 
zeitlichen Räthseln  zurück,  so  sehen  wir  uns  deren  Lösung  nur  in  so 
weit  näher  gebracht,  als  sich  jetzt  bestimmte  Gesichtspunkte  dar- 
bieten, worunter  eine  lösende  Antwort  gefunden  werden  kann. 


')  Zehn  Jahre  in  Aequatoria  I  S.  167. 

36* 


580  A  m  i  f  a. 

Möglicherweise  sind  die  mittelalterlichen  Thierstrafen  nebst  den 
slavischen  einerseits  und  die  gräco-italischen,  allenfalls  auch  die  per- 
sischen, andererseits  aus  einem  gemeinsamen  arischen  Typus  abzuleiten. 
Dies  würde  auch  unsere  Erkenntniss  der  gräco-italischen  und  orien- 
talischen Thierstrafen  noch  vertiefen,  könnte  jedoch  nur  mit  Hilfe 
verschiedener  Hypothesen  verständlich  werden,  welche  sich  auf  die 
Veränderung  des  ursprünglichen  Strafcharakters  in  der  einen  oder  an- 
dern Eechtsgruppe  zu  beziehen  und  so  die  wesentUchen  Verschieden- 
heiten unter  den  historischen  Thierstrafen  zu  erklären  hätten.  Eine 
weitere  Eeihe  von  Hypothesen  wäre  aufzubieten,  wenn  in  den  näm- 
lichen Zusammenhang  auch  noch  die  mittelalterlichen  und  die  modern- 
slavischen  Thierprocesse  und  Thierexcommunicationen  gebracht  werden 
sollen.  Denn  dass  zu  diesen  der  griechische  Thierprocess  nur  eine 
ganz  äiisserliche  Analogie  darstellt,  bedarf  keiner  Erörterung  mehr. 
Die  Annahme  eines  genetischen  Zusammenhangs,  wie  er  hier  ange- 
deutet, würde  aber  auch  noch  mit  den  Bedenken  zu  rechnen  haben, 
welche  die  Chronologie  der  mittelalterlichen  und  der  moJern-slavischen 
Thierstrafen  und  Thierprocesse  aufdrängt.  Wir  bedürfen  eines  sehr 
triftigen  Grundes,  wenn  wir  uns  für  befugt  erachten  sollen,  die  späte 
U eberlief erung  des  Phänomens  für  zufällig  zu  erklären  und  dasselbe 
hinter  die  lange  Reihe  schweigender  Jahrhunderte  der  geschichtlichen 
Zeit  zurückzudatireu. 

Alle  diese  Schwierigkeiten  kämen  in  Wegfall  bei  der  Annahme, 
dass  Thierstrafen  und  Thierprocesse  Auswüchse  der  selbständigen 
Rechtsentwicklung  innerhalb  der  einzelnen  Völkergruppen  seien.  Die 
letzteren  sind  nicht  zahlreich  genug,  um  eine  solche  Annahme  von 
vorn  herein  auszuschliessen,  während  diese  durch  die  tiefgreifenden 
Unterschiede  der  verglichenen  Tliierstrafrechte  sogar  empfohlen  scheint. 
Es  wäre  aber  zu  fragen,  ob  sich  in  den  Rechten,  wovon  die  mittel- 
alterlichen und  neuzeitlichen  ausgegangen,  oder  iu  den  Kulturzuständen, 
unter  denen  sie  aufgekommen,  hinreichende  Ansatzpunkte  für  die 
selbständige  Entwicklung  eines  Thierstraf rechts  vorfinden. 

Sollte  dies  nicht  der  Fall  sein,  so  Hesse  sich  noch  an  Anleihen 
denken,  welche  die  Rechte  der  christlichen  Völker  bei  fremden  Rechten 
aus  vielleicht  entschwundenen  Zeiten  gemacht  haben.  Bezüglich  der 
weltlichen  Thierstrafen  wegen  Menschentödtuiig  würde  es,  wie  sich 
gezeigt  hat,  auch  keineswegs  an  Quellen  fehlen,  woraus  solche  An- 
leihen geschöpft  sein  könnten.  Xicht  das  Gleiche  kann  man  aber 
von  den  Thierprocessen  und  Thierexcommunicationen  sagen.  Und  auch 
abgesehen  von  diesen,  müssten  Ursachen  glaubhaft  werden,  welche  zu 
den  Anleihen  führten,  und  Wege,  worauf  diese  bezogen  wurden. 


Thierstrafeu  und  Thierprocesse.  581 

Von  den  drei  als  möglich  gedachten  Lösungen  schliesst  übrigens 
keine  die  beiden  andern  völlig  ans.  Denken  Hesse  sich  z.  B.  dass 
urrechtliche  Principien  die  Unterlage  abgegeben  hätten,  worauf  nach  der 
Völkertrennung  selbständige  Thierstraf-  und  Processrechte  ausgebildet 
wurden,  und  dass  noch  später  die  Ergebnisse  dieser  Entwicklung  da 
oder  dort  durch  eine  Entlehnung  getrübt  worden  seien. 

Unter  allen  Umständen  müssen  wir  uns  aber  darüber  Klarheit 
verschaffen,  welche  Stellung  diejenigen  Eechte,  von  denen 
die  mittelalterlichen  ausgegangen  sind,  dem  Thier  ein- 
räumten. 

Da  gebricht  es  nun  zunächst  ausserhalb  des  Strafrechts  an  jedem 
auch  nur  einigerniassen  verlässigen  Anhalt  für  die  Unterstellung, 
dass  in  germanischen  Kechten  Thiere  in  irgend  einem  Sinne  dem 
Menschen  gleich  gesetzt,  ,personificirt'  worden  seien.  Schlechterdings 
keine  Beziehung  zu  unserm  Thema  haben  die  mittelalterlichen  Thier- 
processionen  und  Eselsfeste,  woraus  man  auf  das  Zugeständniss  von 
Kechten  an  das  Thier  hat  schliessen  wollen  ^).  Die  Eselsfeste  nicht, 
weil  sie  überhaupt  erst  auf  dem  Boden  des  kirchlichen  Volksschauspiels 
erwachsen  sind.  Die  Thierprocessionen  aus  denselben  Gründen  nicht, 
aus  denen  die  satirische  Personification  des  Thiers  in  der  Dichtung 
keinen  Bezug  zu  unserer  rechtsgeschichtlichen  Frage  hat.  Soweit  es 
sich  dagegen  um  die  Volksansicht  vom  Thier  handelt,  würde  dessen 
parodirende  und  satirische  Personification  beim  Fest,  in  der  bildenden 
Kunst  und  in  der  Fabel  nur  beweisen,  wie  wenig  der  Mensch  in  der 
Wirklichkeit  das  Thier  sich  gleich  setzte.  Gänzlich  unbrauchbar  sind 
aber  auch  die  hauptsächlich  in  Frankreich  erzählten  Geschichten  von 
processualen  Zweikämpfen  zwischen  Mensch  und  Thier 2).  Man 
weiss  jetzt,  dass  Legenden  wie  die  vom  kämpfenden  Hund  des  Aubry 
V.  Montargis  oder  die  vom  kämpfenden  Affen  des  Milles  lediglich  dem 
Koman  angehören  und  auf  das  antike  Erzähluugsmotiv  von  dem  treuen 
und  klugen  Hund,  der  den  Mörder  seines  Herrn  entdeckt,  zurück- 
gehen 3).  Nicht  besser  wie  mit  der  processualen  Kampffähigkeit  des 
Thiers  steht  es  mit  seiner  vermeintlichen  Zeugnissfähigkeit, 
worauf  man  sich  zu  Gunsten  der  Personifications-Hypothese  mit  einer 
gewissen    Vorliebe   berufen    hat  ^).     Wenn    nach    einem    alamanischen 

1)  Lacassagne  im  , Kosmos''  1882  S.  2G6.  -)  Lacassagne  a.  a.  0. 

S.  267  und  Pertile   in   den  ,Atti'  p.  151    glauben    daran.  ^)  F.  Liebrecht 

zu  Dunlop's  Gesch.  der  Prosadichtg.  S.  478  Anm.  216.  Ders.  zu  Gervasius  S.  113, 
114.  Vgl.  auch  Lou andre  in  Revue  des  deux  mondes  1854  I  p.  336,  Dumeril 
Les   animaux   et   les  lois  p.  10.  *)  Lou  andre    a.  a.  0.,    Osenbröggen 

Zschr.  f.  deut.  R.  XVIII  S.  99  und  Studien  S.  142  f.,  Gierke  Humor  §  5  S.  25, 
Pertile  in  den  Atti  p.  152  f.,  Lacassagne  a.  a.  0. 


582  Ami  r  a. 

Kecht  der  nächtlich  in  seinem  Hause  Ueberfallene  den  Angriff  eidlich 
beweisen  kann,  indem  er  drei  Strohhalme  von  seinem  Dach  und  seinen 
Hund  oder  seine  Katze  oder  seinen  Hahn  anfasst,  so  ist  das  Thier 
nicht  Zeuge,  sondern  Zeichen.  Gerade  wie  die  Strohhalme  ist  es  pars 
pro  toto.  Das  Haus,  worin  der  üeberfall  geschehen,  soll  beim  Eide 
veranschaulicht  werden.  So  soll  ja  auch  beim  Anefangseid  das  ent- 
wendete Thier,  welches  der  Schwörende  einklagt,  veranschaulicht  und 
deswegen  beim  Schwur  selbst  angefasst  werden.  Keine  andere  Be- 
deutung kommt  auch  -der  Anwesenheit  des  Thieres  zu  bei  dem  An- 
griflFseid  wegen  Bestialität  nach  Kuprecht  von  Freising  (H  49),  wiewohl 
dieser  das  Thier  einen  , Zeugen'  nennt  i).  In  bildlichem  und  also  un- 
eigentlichem Sinne  Zeuge  ist  freilich  das  Thier  in  allen  diesen  Fällen, 
weil  es  zum  objektiven  Thatbestand  in  Beziehung  steht.  Mit  demselben 
Fug  wie  hier  von  einer  Zeugschaft  hätte  man  von  einer  Eideshilfe 
des  Thiers  in  jenen  andern  Fällen  sprechen  können,  wo  ein  Eid 
darauf  abgelegt  wird.  Denn  es  ,hilft'  zum  Eid  insofern,  als  es  dessen 
Mittel  oder  das  Werkzeug  ist,  welches  beschworen  (d.  h.  incantirt) 
wird.  Wer  einen  gelegentlichen  Ausdruck  pressen  will,  kann  auch 
eine  Verraögensfähigkeit  von  Jagdhunden  nach  germanischem  Recht 
beweisen.  Denn  von  dem  Antheil  an  der  Beute,  welcher  nach  all- 
gemeinem Jagdbrauch  dem  Hunde  gebührt,  sagen  skandinavische 
Eechte,  dass  er  dem  Hund  „gehöre"  2),  womit  man  vergleichen  mag, 
dass  er  im  Altfranzösischen  die  droiture  des  Hundes  heisst^).  Etwas 
Rechtliches  ist  auch  zweifellos  an  dieser  droiture,  aber  es  zeigt  sich 
erst,  wenn  einer  mit  fremdem  Hund  jagt  *).  Wie  es  nur  eine  Prägnanz 
des  Ausdrucks  ist,  mit  humoristischer  Färbung,  wenn  dem  Jagdhund 
ein  Recht  auf  Beuteantheil  eingeräumt  wird,  so  auch,  wenn  von 
„Rechten"  anderer  Thiere  an  Liegenschaften  die  Rede  ist  und  wo  mau 
in  neuerer  Zeit  nicht  nur  eigentliche  Rechte,  sondern  sogar  auch  noch 
entsprechende  Pflichten  hat  finden  wollen  s).  Nicht  Rechte  der  Thiere, 
sondern  Rechte  ihrer  Herrn  natürlich  sind  gemeint,  und  das  nämliche 
gilt  von  den  Pflichten,  z,  B.  zu  Abgaben. 

Mit  besserm  Schein  von  Gründen  hat  man  im  germanischen 
Strafrecht  den  Schutz  einer  Thierpersönlichkeit  zu  finden  ge- 
glaubt.    Da  ist  gleich  das  „Wergeid",   welches  der  Sachsenspiegel  für 


')  Daher  von  Osenbrüggen  Stud.  S.  143  verwerthet.  ^)  Östgöta  lagen 

Bb.  36  §  3.     Gulalnngs  bök  95.  ')  Bangert    D.  Thiere  im    altfranz.  Epos 

1885    S.    143,    154.  *)    v.    Amira    Nordgerm.    Obligat.    Recht    I    S.    749. 

6)  Gierke  a.  a.  0.  S.  23  f.    Vgl.  J.  Grimm  RA.  594  f.,  Noordewier  Nederd. 
Regtsoudheden  S.  254,  255. 


Thierstrafen  und  Tliierprocesse.  583 

verschiedene  Gattungen  von  Hausthieren  gegeben  wissen  will  i). 
Gerade  davon  hat  bei  uns,  soviel  ich  sehe,  die  Personificationshypothese 
ihren  Ausgang  genommen  ^).  Allein  dass  nur  vermöge  eines  Bedeu- 
tungswandels von  einem  Thier- Wergeid  gesprochen  werden  konnte,  ist 
von  vornherein  klar,  da  Wergeid  sowohl  seinem  ältesten  und  allgemein 
technischen  Gebrauch  wie  seiner  Etymologie  nach  =  Menschen- 
entgelt ist.  Es  kommt  somit  auf  die  abgeleitete  Bedeutung  an.  Diese 
aber  ist,  wie  sich  aus  dem  Sachsenspiegel  selbst  ergibt,  nicht  etwa 
,Personen-Entgelt'  oder  ,Quasi- Wergeid',  sondern  ,fester,  unbeweglicher 
Entgelt',  d.  h.  gesetzlich  benannte  Ersatz-Summe.  In  diesem  Sinne 
ist  nach  III  51  §  2  Ritterpferden  und  Zeltern,  aber  auch  Kleppern 
und  Mastschweinen  kein  „Wergeid  gesetzt",  während  den  andern  Haus- 
thieren vom  gemeinen  Reitpferd  und  vom  Arbeitspferd  bis  hinunter 
zu  Ente  und  Huhn  Wergelder  gesetzt  sind.  Damit  verliert  auch  die 
alterthümliche  Art  und  Maassbestimmung  von  sogenannten  Thierwer- 
geldern,  worauf  man  so  grosses  Gewicht  gelegt  hat,  nämlich  das  Be- 
schütten des  getödteten  Thiers  mit  Körnern,  allen  Werth  für  die  gegen- 
wärtige Frage.  Denn  gerade  ,Wergelder'  im  Sinne  des  Sachsenspiegels 
sind  die  so  bestimmten  Mengen,  weil  unbenannt,  nicht.  Sie  heissen 
auch  nirgends  so.  Was  wir  da  vor  uns  sehen,  ist  lediglich  eine  uralte 
und  durch  keltische,  ja  sogar  arabische  Parallelen  noch  merkwürdigere 
Bestimmung  des  individuellen  Thierweiihes.  Mehr  dahinter  zu  suchen, 
ist  durch  nichts  geboten. 

Wird  in  so  weit  das  Thier  nur  als  Sache  behandelt,  so  greift 
eine  wesentlich  andere  Auffassung  Platz,  wenn  die  Tödtung  oder  auch 
die  Verletzung  bestimmter  Thiere  gleich  oder  doch  ähnlich  wie  die 
von  Menschen  öffentlich  geahndet  wird.  Bei  ungermanischen  Völkern 
sind  Rechtssätze  solchen  Inhalts  keineswegs  selten  ^),  auch  wenn  wir 
von  dem  strafrechtlichen  Schutz  derjenigen  Thiere  absehen,  welche 
Kultgegenstände  sind.  Die  Gründe  liegen  bald  in  dem  Wechsel  der 
menschlichen  Lebeusgewohnheiten,  bald  aber  auch  in  religiösen  Vor- 
stellungen. Die  letzteren  sind  es,  woraus  sich  die  entsprechenden 
germanischen  Erscheinungen  erklären.  Die  Spuren  derselben  sind 
freilich  schwach  genug.    Im  Waadtland  soll  nach  einer  Rechtslegende 


1)  Ssp.  II  54  §  5  (ältester  Text),  III  48  §§  1,  2  und  III  51  §  1  (Zusätze). 
2)  J.  ürimm  RA.  670.  Osenbrüggen  Studien  S.  139—142.  Gierke  a.  a.  0. 
S.  24.  3)  Bezüglicli  des  Ackerochsen    s.  M.  Voigt  Leges  regiae  S.  84—87, 

K.  F.  Hermann  Lehrb.  d.  gottesdienstl.  Alterth.  §§  26  N.  20,  61  N.  16, 
Gubernatis  D.  Thiere  i.  d.  Myth.  S.  208.  Andere  Fälle:  Vendidad  (v.  Spie- 
gel), Farg.  XIII  1—79,  XIV,  Gubernatis  a.  a.  0.  S.  33,  Bastian  Der 
Mensch  I  Ö.  177. 


584  Amira. 

die  Tödtimg  von  Störchen  wie  die  von  Menschen  bestraft  worden 
sein  1).  Dies  verstehen  wir,  indem  wir  uns  des  nicht  nur  germanischen, 
sondern  arischen  Volksglaubens  erinnern,  dass  die  Störche  verwandelte 
Menschen  seien  2).  Geschützt  wurde  also  durch  jenes  Strafgesetz  nicht 
das  Thier,  sondern  der  Mensch.  Ein  Gegenstück  liefern  die  Straf- 
processe  gegen  Werwölfe,  wodurch  nicht  der  Wolf,  sondern  der  seine 
Gestalt  annehmende  Mensch  verfolgt  wurde  3).  Personificationen  von 
Thieren  liegen  demnach  auch  hier  nicht  vor. 

Fragen  wir  endlich  nach  der  Art,  wie  das  germanische  Recht 
Uebelthaten  von  Thieren  behandelte,  so  geht  dieses  überall  von 
der  Auffassung  aus,  dass  die  Uebelthat  des  Thiers  niemals  absichtlich 
wie  die  des  Menschen  sein  kann.  Das  Thier  ist,  wie  ostnordische 
Gesetzbücher  sagen,  ein  „redeloser  Wicht"  —  oquel^ins  vitr  — ,  ein 
„vernunftloses  Ding"  —  oviti^).  Die  griechische  Parallele  der  oc'fwva 
^=  [iTj  [xsrsyovxa  toö  (f^poveiv  (N.  1  S.  577)  springt  in  die  Augen.  Sie 
ist  keine  zufällige.  Denn  nicht  nur  jene  skandinavischen,  sondern 
auch  deutsche  Eechte  waren  von  der  Anschauung  behen-scht,  dass  die 
Sprachlosigkeit  Kennzeichen  der  tliierischen  Vemunftlosigkeit  sei.  Bei 
den  Langobarden  steht  einer  That,  welche  durch  ,, hominis  studium"  an- 
gerichtet ist,  die  des  Thiers  gegenüber  als  eine,  welche  „muta  res  fecit". 
Und  Beaumanoir  erkennt  an  der  Sprachlosigkeit  des  Thiers,  dass 
es  weder  für  den  Unterschied  von  Gut  und  Böse,  noch  für  die  Strafe 
Verständniss  habe  ^).  Aber  auch  in  den  Folgerungen  aus  dieser  Grund- 
ansicht zeigen  sich  die  germanischen  Rechte  von  den  frühesten  ge- 
schichtlichen Zeiten  an  bis  hinein  in  die  Jahrhunderte  unserer  Thier- 
strafen  einig.  Die  Uebelthat  eines  Thiers  ist  nach  den  nordischen  Rechten 
von  Haus  aus  ein  „Erfolg  von  Ungefähr"  —  vilz  öki,  vaj^i  — ,  erträgt 
daher  für  die  öffentliche  Gewalt  kein  Friedensgeld  ^).  Die  nämliche 
Auffassung  liegt  den  Bestimmungen  des  anglonormannischen  Rechts 
zu  Grund,  welches  die  vom  Thier  angerichteten  Uebel  zu  den  infortunia 
rechnet ').     Im  deutschen  Recht   gründete    sich   auf  sie  wiederum  der 


')    L.  Vulliemin    Der   Kanton  Waadt    (1847)   I   S.  237,    wiederholt   von 
Rochholz    Kinderlied  S.  88.  -)    J.  Grimm    Myth.  638.     F.  Liebrecht 

Gervas.  S.  157  f.  Rochholz  Alam.  Kinderlied  S.  88.  A.  Kuhn  Sagen  .  .  .  aus 
Westfalen  II  S.  69—71.  L.  Strackerjan  Aberglaube  .  .  .  aus  Oldenb.  II.  S.  101. 
3)  Zschr.  f.  deut.  Kulturgesch.  1856  S.  429  f.  Mönabroa  S.  463  f.  Wuttke 
Deut.  Volksabergl.    1869   §   408.  ^)   Nordgerm.    Obligationenrecht    I   S.   396. 

•"*)  Hierauf  macht  H.  Brunner  Berlin.  Sitzgber.  XXXV  S.  835  aufmerksam. 
")  Ausser  Nordgerm.  Obligat.  R.  a.  a.  0.  und  demnächst  Bd.  II  §  46  s.  Skane  lagen 
(ed.  Schlyter)  I  100,  II  56,  IV  39.  Eriks  Sfellandske  lov  (ed.  Thorsen  65. 
')  Leg.  Henrici  primi  c.  90  §  11.     Bracton  (ed.  Twiss)  II  pag.  388,  386,  400. 


Thierst  raten  und  Thicrproces-se.  585 

Ausschluss  des  Friedensgeldes  ^).  Damit  ist  gesagt,  dass  nach  ger- 
manischem Recht  die  Uehelthat  eines  Thieres  kein  Friedensbruch  ist. 
Sie  ist  kein  Friedensbruch,  weil  ein  solcher  nur  mit  menschlicher 
Absicht  begangen  werden  kann  2).  Deswegen  ist  auch  die  Fehde  gegen 
den  Eigenthümer  ausgeschlossen,  selbst  wenn  dieser  haftbar  ge- 
macht wird  3).  Keine  Ausnahme  von  dem  Priucip  ist  es,  wenn  ein 
Mensch  nicht  blos  haftbar  gemacht,  sondern  geradezu  als  Thäter 
behandelt  wird,  weil  er  das  Thier  nicht  ordentlich  gehütet  oder  ge- 
leitet oder  weil  er  es  in  Kenutniss  seiner  Gefährlichkeit  gehegt  hat. 
Andererseits  bringt  es  das  Princip  mit  sich,  dass  wegen  der  dem  Thier 
selbst  zugerechneten  Uehelthat  auch  keinerlei  öifentliche  Verfolgung 
desselben  einzutreten  hat.  Das  Thier  wird  weder  geächtet  noch  öffent- 
lich abgestraft.     Hierauf  ist  genauer  einzugehen. 

Neuerdings  hat  man  geglaubt.  Beweise  dafür  zu  finden,  dass 
nach  germanischem  Recht  das  Thier  einen  Friedensbruch  begehen  und 
der  Acht  verfallen  konnte.  Man  hat  sich  darauf  berufen,  dass  in 
ost-  und  westgermanischen  Quellen  die  Terminologie  der  Friedlosigkeit 
auf  Tliiere  angewandt  werde^).  Das  ist  richtig.  Sehen  wir  aber  auf  den 
Sinn  dieser  Terminologie,  so  zeigt  sich,  dass  sie  lediglich  Eingriffe  in 
die  menschliche  Rechtssphäre  für  erlaubt  erklären  will.  Am  deut- 
lichsten erkennt  man  dies,  wo  reissende  Thiere  in  Gesetzen  für  „fried- 
los" erklärt  werden,  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  sie  Schaden  schon 
gestiftet  haben  oder  blos  zu  stiften  drohen.  Wenn  z.  B.  die  alt- 
norwegische  Gulajiingsbök  sagt:  ,,Bär  und  Wolf  soll  überall  friedlos 
sein"  ^),  so  ist  die  Meinung,  dass  man  sie  auf  jedem  Grund  und  Boden 
ohne  Kränkung  des  Grundeigenthümers  erlegt.  Dies  ergibt  mit  Sicher- 
heit sowohl  der  Zusammenhang,  worin  der  angeführte  Satz  steht, 
als  seine  Paraphrase  in  einer  jungem  Quelle:  „Bär  und  Wolf  soll  auf 
Jedermanns  Grund  zu  weiden  sein  jedem,  der  da  will"  ^).  Es  ist  ganz 
das  Nämliche,  was  der  Sachsenspiegel  (II  61  §  2)  durch  die  Wendung 
ausdrückt,  dass  Bären  und  Wölfen  (und  Füchsen)  selbst  im  Bannforst 
kein  ,, Friede  gewirkt"  sei,  oder  der  Schwabenspiegel  (L.  236)  durch 
die  Regel :  „Allen  Thieren  ist  (nach  Banngesetzen)  Friede  gesetzt  ausser 


*)  Lex  Rib.  46.  Kenren  v.  Waes  v.  1241  c.  40,  der  4  Aemter  v.  1242 
c.  41,  und  von  Saffelaere  c.  5,  6  (Warnkönig  Fland.  RG.  II  2  üb.  S.  183,  193, 
III  2  No.  16t)).  Fries.  24  Landrechte  c.  XI  {bei  v.  Rieht  holen  Unters.  I 
S.  46  f.  =  XI,  XII  in  Fries.  Rechtsqu.  S.  60-63).  Brokmerbrief  §  182.  Emsiger 
Pfennigschuldb.  §45.  Sachsensp.  II  40  §3.  Bamberg.  R.  §  127.  ^  v.  Amira 

in  H.  Paul's  Grundriss  der  germ.  Philol.  IIb  S.  I7l,  172.  3)  Ed.  Roth.  326. 

Lex  Sax.  57.  *)  H.  Brunner  a.  a.  0.  S.  837  f.  ^)  Björn  ok  ulfr  skal 

hvervetna  ütlagr  vera  Gulalob.  94.  ")  Nyere  Lands  Lov  VII  58. 


58ß  A  m  i  r  a. 

Wölfen  und  Bären''.  Wir  besitzen  die  Quelle  dieser  Berichte.  Es  ist 
die  constitutio  de  pace  tenenda  v.  11 50  (§  14).  Hier  heisst  es  ganz 
trocken:  Nemo  .  .  .  instrumenta  .  .  .  tendat,  nisi  ad  ursos,  apros, 
lupos  capiendos.  Ungefähr  ebenso  nüchtern  sagen  die  angelsächsischen 
Coustitutiones  de  foresta  (§  27) :  Vulpes  et  lupi  nee  forestae  nee  veneris 
habentur  et  proinde  eorura  interfectio  nulli  emendationi  subjacet.  Nichts 
anderes  ist  aber  auch  gemeint,  wenn  von  einem  Thier,  welches  einen 
Schaden  angerichtet  hat,  gesagt  wird,  dass  es  fried-  oder  schutzlos  sei. 
Auch  von  unfreien  Leuten  wird  schon  in  den  frühesten  norwegischen 
Texten  gesagt,  sie  seien  friedlos  wegen  Missethateu  oder  gar  sie  seien 
friedlos  zu  machen  ^).  Und  doch  wissen  wir,  dass  nach  älterm  norwegischem 
Kecht  in  juristischem  Sinne  ,friedlos'  unfreie  Leute  nicht  werden  konnten, 
weil  sie  nicht  des  Landrechts  theilhaftig  waren-).  Auch  vom  norwegischen 
Unfreien  konnte  gelten,  was  vom  gotischen  gesagt  wurde:  „Wäre  es 
so,  dass  er  friedlos  fahren  könnte,  so  würde  er  gerne  den  geschworenen 
Landfrieden  brechen,  auf  dass  er  friedlos  sein  möchte"  3).  —  Dann  die 
Finnboga  saga  hat  man  zu  verwerthen  gesucht,  welche  in  c.  11  erzählt, 
wie  im  norwegischen  Hälogaland  ein  Bauer,  dessen  Viehstand  durch 
einen  Bären  schwer  geschädigt  worden  war,  ein  Thing  berief  und  den 
Bären  friedlos  legte.  Indess  jene  saga  gehört  zu  den  Romanen  aus 
der  Yerfallzeit  der  isländischen  Erzählungsliteratur,  die  durch  ihre 
UnZuverlässigkeit  berüchtigt  sind,  und  so  könnte  auch  der  Bär  mehr 
dem  Leser  aufgebunden  als  in  Hälogaland  geächtet  sein.  Will  man 
dessen  ungeachtet  auf  die  Geschichte  etwas  geben,  so  kann  die  Fried- 
loslegung als  eine  förmliche  Kundmachung  dessen  verstanden  werden, 
was  —  wie  wir  gesehen  haben  —  in  Norwegen  schon  ohnehin  be- 
züglich des  Bären  und  des  Wolfes  Rechtens  war.  Ein  solcher  Ver- 
ruf lag  in  dem  erzählten  Falle  um  so  näher,  als  auch  ein  Preis  für 
die  Erlegung  des  Bären  ausgelobt  wurde.  So  verstanden  fügt  sich  die 
Begebenheit  ungezwungen  in  die  norwegischen  Rechtszustände  ein, 
denen  sie  widersprechen  würde,  wenn  es  sich  um  die  wirkliche  Aech- 
tuug  eines  Bären  handeln  sollte.  Nicht  beweiskräftiger  als  die  Finn- 
boga sasra  für's  norwecrische  Recht  ist  die  Somme  rurale  für's  französische 
oder  gar  altfränkische,  wenn  sich  daraus  die  Möglichkeit  eines  Acht- 
verfahrens gegen  Thiere  ergeben  soll.  Dort  spricht  Jean  Bou teiller 
an  einer  Stelle  (I  38),  die  uns  später  noch  einmal  beschäftigen  wird, 
davon    dass    ein  Thier,    welches    trotz    gehöriger  Hut   einen  Menschen 


')  Gula]3b.  204,  99,  wovon  Nordgeiin.  Obl  R.  II  §  46  handeln  wird.       «)  Heims- 
kringla  (ed.  Unger)  S.  354  (15—20).  »)  Ostgöta  lagen  E]ps.   15  §  2  (=  West- 

götal.  II  add.  7  §  29). 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  587 

getödtet  hat,  ,doit  comme  dit  estre  condamnee  en  exil'.  Das  ,comine 
dit'  bezieht  sich  auf  das  von  Bouteiller  zuvor  erwähnte  biblische  Gebot, 
wonach  das  Thier  umgebracht  werden  soll  ( —  que  la  beste  soit  de- 
struite).  Folglich  kann  exil  nicht  Acht  oder  Friedlosigkeit,  sondern 
nur  Tod  bedeuten,  und  zwar,  da  Bouteiller  zu  einer  Zeit  und  in  einem 
Lande  schrieb,  wo  die  weltlichen  Thierstrafen  wegen  Menschentödtung 
üblich  waren,  —  Todesstrafe.  Dieses  entspricht  auch  dem  Sprach- 
gebrauch von  exilium  und  exil  zur  Zeit  des  Schriftstellers  i). 

Wenn  oben  bemerkt  wurde,  dass  nach  altgermanischem  Recht 
auch  keine  öffentliche  Strafe  ein  Thier  treffen  konnte,  so  braucht  zum 
Beweise  weder  auf  das  gänzliche  Schweigen  aller  altern  Quellen  noch 
auf  die  principielle  Auffassung  der  absichtslosen  Missethat  Gewicht 
gelegt  zu  werden,  da  sich  mit  hinlänglicher  Genauigkeit  die  positiven 
Folgen  feststellen  lassen,  welche  das  germanische  Recht  den  üebel- 
thaten  von  Thieren  gab. 

Das  System,  wovon  seine  Entwicklung  den  Ausgang  nahm, 
beruhte  auf  dem  Grundsatz,  dass  für  einen  Schaden,  als 
dessen  Urheber  ein  Thier  gilt,  der  Geschädigte  Genug- 
thuuug  am  Thier  erhalten  soll.  An  diesem  soll  der  Geschädigte 
Rache  nehmen  dürfen,  —  ein  Gedanke,  der  zwar  von  Hans  Sachs 
verspottet  2),  doch  nicht  nur  Naturvölkern,  sondern  auch  noch  volks- 
thümlichen  Schriftstellern  des  Mittelalters  geläufig  3)  und  für  uns  nicht 
befremdlich  ist,  wenn  wir  bedenken,  wie  unter  den  alten  Kultur- 
verhältnissen der  Gegensatz  zwischen  Mensch  und  Thier  als  ein 
flüssiger  empfunden  wurde  •*).  Obligationenrechtlich  ausgedrückt  lautet 
der  Grundsatz:  die  lebendige  Sache  haftet  für  Genugthuung  an  den 
Geschädigten.  Der  Eigenthümer  muss  sie  darum  diesem  überlassen. 
Nimmt  er  sie  nach  angerichtetem  Schaden  an  sich  oder  lässt  er  es 
auf  eine  Klage  ankommen,  so  machte  er  sich  selbst,  und  vielleicht  gar 
strafrechtlich,  haftbar,  zwar  nicht  als  Urheber,  doch  sofern  er  damit 
wider  Recht  die  Genugthuung  verzögert  oder,  wie  man  zuweilen  sagte, 
sofern  er  den  Urheber  beschirmt.  Hat  er  diesen  noch  in  seiner  Ge- 
walt, so  beugt  er  der  Klage  vor  durch  das  förmliche  Angebot  au  den 
Geschädigten,  das  Thier  auszuliefern  und  allenfalls  auch  noch  eine 
Begütigungsbusse  zu  zahlen,  und  bei  Empfangsverzug  des  Geschädigten 
durch  öffentliche  Dereliction  des  Thiers.  Befindet  sich  dagegen  das 
Thier  im  Machtbereich  des  Geschädigten,    so  darf  dieser  es  festhalten. 


')  Du  Cange  Gl.  s.  v.  Exilium  1.         '^)  36.  Fassnachtspiel  (her.  v.  Goetze) 
V.  217—236,    295—303.  ^)  Landmimabök    (Islendinga    Sögur  I    1843)    S.  91, 

235.  —  Rache    an   Thieren   bei    Naturvölkern:    Bastian   Der  Mensch  II  S.  25. 
*)  Trefflich  hierüber  J.  Grimm  Keinhart  Fuchs  S.  I— V. 


588  A  in  i  r  n. 

bis  zu  dessen  Auslösimg,  in  schwereren  Fällen  aber  erschlagen  oder 
gar  zu  eigen  behalten.  Diese  letzteren  Fälle  gehören  zu  denen,  wo 
die  emphatische  Kedeweise  mancher  Quellen  dem  Thier  den  Frieden 
abspricht.  In  den  Denkmälern  der  germanischen  Rechte  sind  nun 
freilich  die  einzelnen  Linien  dieses  Systems  mehrfach  verwittert.  In 
etlichen  erwecken  abgerissene  Sätze  sogar  den  Schein,  als  ob  primäre 
Haftung  nicht  der  lebendigen  Sache,  sondern  ihres  Herrn  gegolten 
hätte.  Man  wird  sich  dadurch  nicht  beirren  lassen,  wenn  man  auf 
die  zahlreichen  und  bedeutenden  Ueberbleibsel  des  Systems  der  Sach- 
haftung den  Blick  gerichtet  hält,  die  in  sämmtlichen  Hauptgruppen 
aller  germanischen  Rechte,  vom  gotischen  in  Spanien  und  vom  lango- 
bardischen  in  Italien  bis  zu  den  skandinavischen  in  Schweden,  Nor- 
wegen und  auf  Island  dastehen,  und  wenn  man  ausserdem  auch  noch 
ein  Auge  hat  für  die  mancherlei  wirthschaftlichen  ja  sogar  religiösen 
Ursachen  i),  welche  das  System  durchbrechen  mussten  und  gar  oftmals 
auch  zwischen  den  Zeilen  der  Denkmäler  zu  lesen  sind,  —  Ursachen, 
welche  das  Zurückweichen  der  Sachhaftung  vor  der  Herrenhaftung 
wesentlich  als  eine  Begünstigung  des  Herrn  erscheinen  lassen. 

Diese  Sachhaftung  ist  überhaupt  nicht  erst  germanisch,  sondern  schon 
arisch.  Auch  die  gräco-italischen,  die  keltischen,  die  slavischen  Rechte 
kennen  sie.  Wie  griechisches  und  römisches  Recht  durch  Kultrück- 
sichten von  der  Verfolgung  der  letzten  Consequenzen  des  Princips 
abgelenkt  wurden,  haben  wir  gesehen.  Soweit  die  Kultrücksichten  es 
gestatteten,  sind  die  Consequenzen  sowohl  in  Italien  wie  in  Griechen- 
land gezogen  worden.  Was  im  römischen  Zwölftafelgesetz  als  noxae 
deditio  auftritt,  geht  ebenso  auf  das  Princip  der  Sachhaftung  zurück, 
wie  die  Regel:  noxa  Caput  sequitur,  die  sogar  nur  von  diesem  aus 
verständlich  wird.  Neu  sein  mag  die  Wahl  des  Herrn  zwischen  deditio 
und  dem  litis  aestimationem  sufferre.  Alt  dagegen  ist  die  deditio 
selbst,  und  dass  sie  noxae  d.  h.  zur  Bestrafung  des  Caput  erfolgt.  In 
den  solonischen  Gesetzen  erscheint  jene  noch  als  primäre  Schuldigkeit 
des  Thiereigners  gegenüber  dem  Geschädigten.  Und  da  ist  nun  die 
Uebereinstiramung  höchst  bemerkenswerth,  welche  hinsichtlich  der 
Nebendinge    in    den    überlieferten   griechischen  2)    und  norwegischen  ^) 


')  Wirthsehaftliche :  Schonung  des  Zuchtthiers  (vgl.  J.  Grimm  RA.  594  f., 
Osenbrüggen  in  Wiener  Sitzungsber.  1863  S.  211,  Gierke  Humor  S.  23); 
Wcrthverhältniss  zwischen  Thier  und  Schaden.  Religiöse:  vgl.  J.  Grimm  RA. 
261,  594,  Noordewier  Regtsoudh.  S.  255.  *)  Plutarch.  Solon.  24.     Xeno- 

phon  Hellen.  II  4  §  41.     A'gl.  auch  die  Sldavenanalogie  bei  Plato  de  leg.  IX  15 
(p.  879  A)    und  insbesondere  17  (p.  882).  ^)  Frostul^ings  bök  V  16  (woraus 

Bjarkeyjar  rettr  138).     Gulal).  bök  147.     Späteres  Recht :  Norges  gamle  Love  II 
S.  68,  IV  S.  221. 


Thierstrafcn  und  Thierprocesse.  589 

Kechtssätzen  besteht.  Dem  bissigen  Hund  hat  sein  Herr  ein  Halsband 
anzulegen,  woran  er  ihn  ausliefert.  Nach  attischem  Eecht  muss  die 
Leine  oder  Kette  daran  drei  Ellen  lang,  nach  norwegischem  Kecht 
muss  das  Band  so  eingerichtet  sein,  dass  der  Geschädigte  den  Hund 
daran  ergreifen  kann.  —  Das  keltische  Recht  wird  in  dieser  Frage 
vertreten  durch  das  irische,  kymrische  und  das  schottische.  Nach  dem 
altern  irischen  Eecht  wird  der  missethätige  Hund  ausgeliefert;  eine 
Ersatzpflicht  trifft  den  Herrn  erst  im  Wiederholungsfalle  ^).  Die  spätere 
irische  Jurisprendeuz,  die  sich  bemüht,  Thierübelthaten  möglichst  dem 
Herrn  zuzurechnen,  lässt  doch  das  missethätige  Thier  primär  selbst  für 
Schadensersatz  und  Busse  einstehen,  bewahrt  auch  die  Thierpfändung  2). 
Die  Reehtsbücher  von  Wales  zeigen  das  Princip  der  Sachhaftung  in 
vielen  Fällen  schon  verwischt,  doch  ohne  dass  es  jedesmal  durch  das 
der  Herrenhaftuug  ersetzt  ist.  Ueberdies  ist  es  aber  in  sehr  cha- 
rakteristischen Einzelanwendungeu  bewahrt.  Die  wichtigste  derselben 
bezieht  sich  gerade  auf  den  für  unsere  Untersuchung  belangreichsten 
Thatbestand:  die  Menschentödtung.  Hier  ist  ausdrücklich  der  Grund- 
satz ausgesprochen,  dass  weder  ein  Wergeid  (galanas)  noch  eine  Busse 
(sarhaet)  geschuldet  werde,  hingegen  dass  der  „Todtschläger"  an  die  Ver- 
wandtschaft des  Getödteten  ausgeliefert  oder  derelinquirt  werden  muss  ^). 
Nur  wenn  Schweine  einen  Menschen  tödten,  soll  ihr  Eigeuthümer  die 
Wahl  haben  zwischen  Dereliction  und  Wergeldzahluug  *).  Für  einen 
Biss  ferner  gehört  das  Thier  dem  Gebissenen;  aber  der  Eigenthümer 
darf  es  mit  der  Wundbusse  auslösen  ^).  Auch  die  auf  haudhafter  That 
geübte  Rache  am  Thier  spielt  in  den  kymrischen  Rechtsbüchern  noch 
eine  Rolle,  wenn  auch  nicht  mehr  eine  so  hervortretende  wie  nach 
germanischen  Rechten  derselben  Zeit,  wogegen  von  der  Thierpfändung 
viel  einlässlicher  die  Rede  ist  ß).  In  den  schottischen  Rechtsdenkmälern 
zeigt  sich  die  Sachhaftung  im  ganzen  noch  kräftiger  durchgeführt, 
namentlich  was  die  Rache  auf  handhafter  That  betrifft  ').  Auf  der 
andern  Seite  geben  sich  schon  in  den  altern  Quellen  starke  englische 
Einflüsse  zu  erkennen,  worunter  die  Durchführung  des  Princips  eine 
jener  eigenthümlichen  Gestalten  angenommen  hat,    die    alsbald    näher 


1)  Wasserschieben  Bussordnungen  S.  143.  Ir.  Canonensammlung  LIII  6. 
2)  Ancient  Laws  of  Ireland  I  p.  157,  161,  I[  p.  119,  121,  III  p.  433,  IV  p.  105, 
107,  177,  179,  181.  3)  Anc.  Laws  and  Institutes  of  Wales  p,  294  (§  10),   495 

(§  35),  391  (§  17).  •«)  A.  a.  0.    p.  282  (§  11),  350  (§  10).     Vgl.  p.  806  (§  16), 

835  (§  9).  s)  A.  a.  0.    p.  363  (§  27).  ß)  A.  a.  0.    p.  157—163,    274,    275, 

297  (§  33),  361—363,  435  (§  143),  692,  693,  807  (§41),  835  (unten),  840  (46  §  3), 
844  (§  14).     Wasser  schieben   Bussordn.   S.  128,  130.  '')  Leg.  Burgorum 

c.  126.  Leg.  Forest,  c.  4—6,  8. 


.Xi 


590  Amira.    . 

zu  betrachten  sein  werden.  Später  ^)  sind  diesen  englischen  Einflüssen 
römische  und  alttestameutliche  nachgefolgt.  Aber  echt  keltisch  ist  die 
Art,  wie  das  schottische  Kecht  bei  der  Tödtung  durch  Huf  eines 
gerittenen  ßosses  noch  den  Grundgedanken  der  Sachhaftung  festhält: 
wurde  der  Tod  eines  Menschen  im  Vorwärtsreiten  verursacht,  so  zahlt 
der  Keiter  Wergeid  (galnes)  und  Blutbusse  (?  croo),  d.  h.  er  haftet  per- 
sönlich; entgegengesetzten  Falls  ist  die  That  nicht  die  seinige,  sondern 
die  des  Pferdehufs,  und  es  ist  daher  den  Verwandten  des  Getödteten 
der  Fuss  des  liosses  oder  der  vierte  Theil  vom  Werth  des  Thiers  zu 
übergeben  -).  —  Was  endhch  die  slavischen  Kechte  betriflPt,  so  lassen 
ihre  am  wenigsten  von  fremden  Elementen  durchsetzten  Aufzeich- 
nungen die  alte  Thierhaftung  noch  deutlich  erkennen,  nicht  nur  in 
dem  Institut  der  Pfandnahme  an  zu  Schaden  gehendem  Vieh,  sondern 
auch  in  der  Auslieferung  des  stössigen  oder  bissigen  an  den  Verletzten, 
worauf  noch  nach  jüugerm  russischem  Recht  der  primäre  Anspruch  der 
Klagspartei  geht-^). 

Das  System  der  privatrechtlichen  Sachhaftuug  aus  Thierdelicten 
ist  ursprünglich  selbst  nur  Theil  eines  sehr  viel  umfassenderen, 
welches  principiell  zur  Anwendung  kam,  wenn  durch  Sachen  ein 
Schaden  angerichtet  war:  einerseits  also  bei  üebelthaten  von  Sklaven, 
andererseits  bei  Schäden,  deren  Ursache  in  leblosen  Gegenständen  ge- 
funden wird.  Die  letztern  ebenso  wie  die  unfreien  Menschen  und  wie 
missethätige  Thiere  werden  zur  Geuugthuung  ausgehefert  oder  preis- 
gegeben^). Es  ist  dies  eine  Eechtsanschauung,  die  viel  allgemeiner 
verbreitet  und  zäher  eingewurzelt  gewesen  sein  muss,  als  es  nach  ihren 
verhältnissmässig  seltenen  Lebenszeichen  in  Denkmälern  den  Anschein 
hat.  Denn  noch  Calderon  setzte  bei  seinem  Theaterpublikum  Ver- 
ständniss  dafür  voraus,  indem  er  sie  zum  Motiv  einer  Scene  benützte: 
ein  Kavalier,  der  einen  andern  im  Zweikampf  verwundet  hat,  liefert 
diesem  nach  der  Versöhnung  den  Degen  aus,  womit  er  ihm  die  Wunde 
zugefügt ,  —  gleichsam  den  Degen  zum  Mitschuldigen  machend  ^). 
Ganz  anders  dagegen  wurden  leblose  Dinge  behandelt,  wenn  sie  nicht 
selber  als  Ursache  eines  Schadens,  sondern  als  Symbole  des  misse- 
thätigen  Menschen  galten.  Da  wurden  denn  allerdings  öfi'entliche 
Strafen  an  ihnen  vollzogen,  ein  Degen  z.  B.  an  den  Galgen  gehängt*^). 


»)  Stat.  I  Rob.  c.  33  §§  1,  2.  »)  Regiam  Majestatem  IV  24.     Vgl.  Anc. 

Laws    of  Wales   p.  692  (§  1),    auch  Leg.  Burgorum  c.  126  §  2.  s)  Macie- 

j  0  wski  Slavische  Rechtsgeschichte  II  (1836)  S.  126  f.,  166  f.  IV  (1839),  S.  333,  337, 
II  S,  286.  *»)  Hepp  Die  Zurechnung  auf  dem  Gebiete  des  Civilrechts  S.  164 

bis  166.   Trümmer  Vorträge  I  S.  365,  377.    H,  Brunn  er  a.  a.  0.  S.  831—833, 
840  f.  ^)  La  Dama  duende,  Jörn.  I.  ß)  Michaelis  Mos.  Recht  §  274. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  59]^ 

eine  Glocke  ausgepeitscht  und  verbannt  1).  Aber  die  Strafen  galten 
symbolisch  den  Menschen,  —  eine  Erscheinung,  bei  der  wir  uns  hier 
nicht  aufzuhalten  haben. 

Der  Grundsatz  von  der  privatrechthchen  Thierhaftung  ist  bis  in 
die  Zeit  hinein  und  in  den  Ländern  lebendig  geblieben,  wo  die  öffent- 
lichen Thierstrafen  auftreten  2).  Mit  dieser  Thatsache  schHesst  sich  die 
Kette  der  Gründe,  welche  jede  unmittelbare  Ableitung  der  öfi'entlichen 
Thierstrafe  des  Mittelalters  aus  germanischen  Kechtsgedanken  verbieten. 
Auch  der  arischen  Hypothese  sind  die  bisherigen  Beobachtungen  nicht 
günstig,  da  das  keltische  und  slavische  Kecht  den  gleichen  Standpunkt 
einnahm  wie  das  germanische. 

An  Wahrscheinlichkeit  dagegen  würde  die  Annahme  einer  Ent- 
lehnung der  öffentlichen  Thierstrafen  gewinnen,  wenn  sich  ausser  der 
Bezugsquelle  noch  zeigen    Hesse,   wie   die  Entlehnung  vorbereitet  war. 

Die  Bezugsquelle  lag  für  ein  christliches  Kecht  nahe  genuo-  im 
alten  Testament,  nämlich  der  Lex  Dei  in  Exod.  XXI  28.  Es  ist  die- 
selbe Quelle,  woraus  Kirchen-  und  Staatsgesetze  ihr  Verbot  geschöpft 
haben,  dass  von  einem  Thier  gegessen  werde,  welches  den  Tod  eines 
Menschen  verursachte-^).  Wir  können  die  Eeception  der  Lex  Dei  in 
den  Rechtsschriften  des  Mittelalters  sogar  noch  genauer  verfolo-en.  Sie 
ist  citirt  in  der  irischen  Canonensammlung  (LIII  3),  in  der  Capitu- 
lariensammlung  des  Benedictus  Levita  (VI  15),  in  der  Einleitung  zu 
König  .Elfreds  Gesetzbuch  (c.  21),  im  Landrecht  des  Schwabenspiegels 


')  Villari  La  Storia  di  G.  Savonarola  (Ed.  2)  11  p.  249.  Nur  äusserlich 
verwandt  das  Verfahren  mit  einer  die  Nachtruhe  störenden  Glocke  in  Russland 
(gegen  1672):  Meiners  Vergleich.  Russlands  II  291.  Der  hier  massgebende 
Gesichtspunkt  ist  der  von  N.  4  S.  590.  ^)  Hepp  Die  Zurechnung  S.  158  bis 

163.  Trümmer  Vorträge  1  S.  380—387  (wo  jedoch  S.  382  irrig  der  Satz  des 
Hamb.  Stadtr.,  der  Eber  bessere  mit  seinem  Leben,  zu  den  öttentlichen  Thier- 
strafen gestellt  wird).  Graf  u.  Dietherr  Deut.  Rechtssprichwörter  S.  291  f. 
(No.  53—55)  295  f.  Stobbe  Handb.  d.  deut.  Privatr.  III  §  202.  Behrend 
Stendal.  Urtheilsbuch  S.  77—82.  Planck  Deut.  Gerichtsverfahren  im  MA.  I 
S.  408  f.  V.  Bunge  Livländ.  Privatr.  I  §  238.  H.  Brunner  a.  a.  0.  S.  836, 
837.  Lauriere  beiViollet  Etablissem.  de  S.  Louis  IV  p.  116  f.  Abrege 
champenois  (bei  Vi  oll  et  III  45).  Pertile  Storia  dei  dir.  V  p.  642  n.  32. 
S.  ferner:  Freiberg.  Stadtr,  (her.  v.  Er  misch)  49  §§  8—16,  Iglauer  R.  bei 
Tomaschek  Oberhof  v.  I.  S.  369,  Brünner  Schöffensatzg.  235,  Prager  Stadtrb. 
120,  176,  Trienter  Stat.  (her.  v.  Tomaschek)  S.  153  c,  115,  —  weiterhin  die 
Literatur  über  das  Pfändungsrecht,  —  endlich  die  siebenbürgische  Erzählung 
vom  Hirsekorn  bei  Haltrich  Deut.  Volksmärchen  aus  dem  Sachsenlande  in 
Siebenb.    (1877)    S.  37—39.  s)  Wasserschieben    Bussordn.  S.  121,  147, 

175,  317,  406,  467,  502,  503,  519,  603.  Ir.  Canonensamml.  LIV  12,  14.  Grägäs 
(her.  V.  Einsen)  I  a  S.  34  (==  II  43  etc.),  II  374.   Vgl.  auch  N.  6  S.  557. 


592  A  m  i  r  a. 

(L.  201  mit  204)  ^).  Damit  soll  nicht  gesagt  sein,  dass  gerade  durch 
die  Vermittlung  dieser  Quellen  die  mosaische  Bestimmung  für  die 
Praxis  des  Mittelalters  Richtschnur  geworden  sei.  Bei  Alfreds  Gesetz- 
buch wäre  dies  nicht  einmal  wahrscheinlich,  da  sein  dispositiver  Theil 
in  cap.  23,  24  das  privatrechtliche  Princip  aufrecht  hält.  Aber  man 
sieht  doch,  wie  schon  das  Frühmittelalter  angefangen  hat,  dem  alt- 
testamentlichen  Kechtssatz  Beachtung  zu  schenken,  und  im  Schwaben- 
spiegel und  seinen  Ausläufern  gibt  sich  überdies  die  Absicht  zu 
erkennen,  demselben  zur  Herrschaft  in  der  Praxis  zu  verhelfen.  Unter 
solchen  Umständen  wird  man  es  kaum  für  eine  erst  von  den  spätem 
Theoretikern  nachgetragene  Zurechtlegung  der  schon  eingeführten 
öffentlichen  Thierstrafe  erachten,  wenn  sie  dieselbe  auf  die  Lex  Dei 
gründen,  —  um  so  weniger  als  die  Doctrin  schon  bei  Jean  Bou- 
t eiller  (um  1390)  und  bei  diesem  sogar  folgerichtiger  als  bei  Späteren 
auftritt.  Er  geht  von  dem  „Willen  der  Bibel"  aus,  indem  er  gemäss 
Exod.  XXI  28  verlangt,  dass  für  Menschentödtung  das  Thier  zum  Tod 
verurtheilt  werde.  Er  will  aber  ausserdem  auch  gemäss  Exod.  XXI  32 
in  dem  Fall,  wo  der  Getödtete  unfrei  war,  30  Silberpfennige  an 
dessen  Herrn  gezahlt  wissen.  Das  entspricht  durchaus  dem  ebenso 
doctrinären  als  geschichtsfeindlichen  Zug  des  Mittelalters,  der  sein 
Recht  mehr  und  mehr  entnationalisirt  hut.  Receptionen  wie  die  von 
Exod.  XXI  28  sind  noch  öfter  vorgekommen.  Ein  entferntes  Seiten- 
stück war  die  S.  556  erwähnte  Aufnahme  von  Levit.  XX  15,  16,  ein 
viel  näheres  die  Einführung  der  Talion  ins  Strafrecht  gemäss  Exod. 
XXI  23 — 25  '^),  ein  unmittelbares  die  Durchführung  oder  doch  Nach- 
bildung von  Exod.  XXI  35,  36,  welche  verschiedene  Rechtsbücher  und 
Gesetze  unternommen  haben  •^). 

Die  Reception  ist  so  vor  sich  gegangen,  wie  sie  unter  den  Ver- 
hältnissen des  Mittelalters  allein  möglich  war.  Was  im  alten  Testa- 
ment Kultakt  gewesen,  ist  im  Mittelalter  zur  weltlichen  Strafe  geworden. 
Dadurch  musste  aber  auch  die  Auffassung  der  Uebelthat  beeinfiusst 
werden.  Das  Strafrecht  fiel  von  seinen  Principien  ab,  indem  es  die 
Thierübelthat  zum  Verbrechen  machte.    Die  Strafe  ist  zwar  in  der  Regel 


')  Entsprechend    Ruprecht    v.   Freising    Landrb.    c.   133,  136.  ^)  Osen- 

brüggen  Studien  8.152—160,  Alam.  Strafrecht  S.  84 f.  ^)  Ausser  W a s s e r- 

8  ch  leb  an  Bussordn.  131,  der  Ir.  Canonensamml.  LIII  7,  Bened.  Lev.  VI  17, 
.'Elfr.  Einl.  23,  Swsp.  (L.)  201  vgl.  mit  Exod.  XXI  35  die  schwedischen  Be- 
stimmungen Nordgerm.  Obligat.  R.  I  S.  400  N.  2,  femer  Stat.  I  Rob.  c.  33  §  2, 
Anc.  Laws  of  Ireland  III  p.  235  c.  103 ;  —  mit  Exod.  XXI  36  sodann  L.  Wisigot. 
1,  VIII  tit.  4  c.  7,  L.  Rib.  46,  2,  Pact.  Alam.  fr.  III  15,  V  10,  Ed.  Roth.  328. 
Ueber  Mos.  R.  im  Rechtsbuch  der  Armenier  zu  Lemberg  s.  Kohler  in  Zschr. 
für  vergleich.  Rechtsw.  VII  S.  432. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  593 

auf  den  Fall  beschränkt  geblieben,  den  die  Lex  Dei  im  Auge  hat, 
und  sie  ist  darum  auch  in  der  Regel  Todesstrafe  geblieben.  Aber  der 
Grund  der  Regel  lag  doch  nur  noch  im  Gesetzestext,  nicht  mehr  im 
Wesen  der  Strafe.  Darum  konnten,  insbesondere  in  späterer  Zeit, 
locale  Abweichungen  von  der  Regel  stattfinden,  —  Abweichungen,  die 
zum  Theil  ebenso  durch  einheimische  Rechtssätze  vorbereitet  waren, 
wie  die  Einführung  der  öffentlichen  Thierstrafe  selbst. 

Was  diese  vorbereitenden  Rechtssätze  betrifft,  so  zerfallen  sie  in 
eine  ältere  und  eine  jüngere  Schicht. 

Die  ältere  Schicht  bestimmt  die  Art,  Avie  gegen  gewisse  Thier- 
gattungen  und  wegen  gewisser  Uebelthaten  die  Privatrache  ausgeübt 
werden  muss.  Wir  haben  hier  nicht  den  Zweck  solche  Rechtssätze 
zu  untersuchen.  Es  genügt,  auf  die  Aeusserlichkeiten  zu  verweisen. 
Zu  diesen  gehört  der  uralte  und  vielerörterte  Brauch,  dass  der  Hund 
wegen  Meuschentödtung  gehängt  wurde,  ausgeliefert  an  der  Thür  des 
Klägers,  unausgeliefert  an  der  Thür  seines  Herrn  i),  —  sodann  die 
vielleicht  noch  ältere,  weil  sowohl  keltische  wie  germanische  Gruppe 
von  Bestimmungen,  wonach  zu  Schaden  gehendes  Federvieh  und  Ziegen 
auf  handhafter  That  in  genau  umschriebener  Form  umzubringen  oder 
zu  verstümmeln  waren  ^).  Die  Form  parodirt  schon  hier  zuweilen  die 
Hinrichtung  eines  Menschen.  Auch  die  Terminologie  thut  es,  wenn 
sie  den  Stecken,  worin  der  Gäusehals  eingeklemmt  wird,  einen  „Galgen" 
nennt  ^).  Kommt  der  Vollzug  solcher  Privathinrichtungen  in  die  Hand 
eines  Gemeindedieners,  in  Oesterreich  z.  B.  des  Feldhüters,  im  Lom- 
bardischen des  Saltners,  so  kann  das  private  Verfahren  noch  leichter 
den  Schein  eines  öffentlichen  annehmen. 

Die  jüngere  Schicht  von  vorbereitenden  Rechtssätzen  bezog  sich 
auf  die  Confiscation  schädlicher  Thiere^).  Der  öffentlichen  Gewalt  — 
dem  König,  dem  Gerichtsherrn  —  verfallen  die  Thiere,  wenn  sie  den 
Tod  eines  Menschen  verursachen,  mitunter  auch,  wenn  sie  einen  Men- 
schen verletzen.  Hauptsächlich  und  wohl  auch  zuerst  hat  sich  diese 
Regel    in    Frankreich    und    England    ausgebildet.      Französischen    und 


>)  J.  Grimm  RA.  665.  Amira  Nordgerm.  Oblig.  R.  I  S.  908. 
2)  J.  Grimm  RA.  137,  595.  Chabert  Bruchstück  einer  Staats-  und  Rechtsgesch. 
der  deutsch-österr.  Länder  §  67  N.  7,  0  s  e  n  b  r  ii  g  g  e  n  in  den  Wien.  Sitzgsber. 
1863  y.  210  und  Alamann.  Strafr.  S.  327,  Gierke  Humor  S.  G2.  Dazu:  Grimm 
Weisthümer  lU  S.  683  (art.  19),  889.  Vgl.  Ancient  Laws  of  Wales  p.  274  f. 
(§§  10—12),  362  (§§  15—17),  807  (41  §§  4,  6),  844  (53  §  14),  —  Leg.  Burgorum 
c.  126    §  4,    Leg.  Forest,  c.  5.  »)  Grimm  Weisth.  III   S.  30,  46.     Vgl.  Anc. 

Laws  of  Wales  p.  807,  844.  *)  Hierüber  im  Allgemeinen  Brunner  a.  a.  0. 

S.  838,  841  f. 

MittheUungen  XU.  37 


594  ^  »11  i  '■  «• 

englisclieu  Schriftwerken  des  13.  Jahrhunderts  ist  sie  schon  ganz  ge- 
läufig. Bei  Heinrich  von  Bracton  erscheint  sie  auch  schon  in 
der  specifisch  englischen  Fassung,  dass  die  Thiere  als  Deo  danda  ein- 
zuziehen, und  mit  der  Analogie,  dass  wie  Thiere  auch  bewegte  leblose 
Sachen  zu  behandeln  seien  i).  Von  England  aus  ist  der  Grundsatz  ins 
schottische  Recht  eingedrungen,  und  hier  hat  er  seine  ursprüngliche 
Gestalt  bewahrt:  Das  schottische  Recht  kennt  keine  Deo  danda,  son- 
dern nur  eschetae  2),  D,  h.  die  confiscirten  Sachen  braucht  der  König 
nicht  wie  in  England  pro  anima  regis  et  omnium  fidelium  defunctoruni 
zu  verwenden,  sondern  er  darf  sie  in  seinen  Nutzen  kehren.  Während 
in  den  westeuropäischen  Ländern  die  Confiscation  seit  Beginn  des 
Spätmittelalters  allgemein  verbreitet  war,  haben  es  in  Deutschland  und 
Italien  nur  einzelne  Territorial-  oder  Grundherrn  und  Gemeinden  ver- 
standen, sie  zur  Geltung  zu  bringen,  und  auch  dann  nicht  immer  ^) 
ohne  den  Nutzen  mit  der  Klagspartei  theilen  zu  müssen.  Nach  einem 
der  ältesten  hier  einschlägigen  deutschen  Statuten,  z.  B.  dem  von  Lüne- 
burg, empfängt  der  Geschädigte  %,  der  Vogt  und  der  Rath  Ys  vom 
Werth  des  eingezogenen  Thiers-*).  Wahrscheinlich  hat  Deutschland 
den  Rechtssatz  aus  Frankreich  bezogen,  wo  seit  dem  14.  Jahrhundert 
der  Satz  verbreitet  war,  dass  die  Obrigkeit  aus  dem  Werth  des  ein- 
gezogenen Thiers  die  Klagspartei  schadlos  zu  halten  habe  ^).  Den 
Anstoss  zur  Entwicklung  des  Confiscationsrechts  hat  die  Dereliction 
der  schädlichen  Sache  durch  ihren  Herrn  gegeben,  von  der  S.  587  die 
Rede  war.  Diese  Dereliction  heisst  in  Frankreich  technisch  desadvouer. 
Durch  das  desadvouer  bedingt  ist  nach  Jean  Bouteiller  die  Con- 
fiscation. Einmal  anerkannt  konnte  aber  die  Confiscation  sich  von  der 
Dereliction  befreien  und  dann  auch  eintreten,  wenn  das  Thier  seinen 
eigene^!  Herrn  getödtet  hatte. 

Beide  Schichten  von  Rechtssätzen  haben  ihre  Spuren  im  Thier- 
strafrecht  des  Mittelalters  hinterlassen.  Wir  sehen  noch  an  den  genau 
gefassten  Gerichts urtheilen  von  Savigny  1457,  wie  die  öffentliche 
Strafe  durch  die  Confiscation  und  diese  durch  das  desadvouer  bedingt  ist 
(S.  551  N.  5  mit  S.  554  N.  1).  Wir  sehen  ferner,  wie  in  Burgund  bei  gesetz- 
lichem Ausschluss  der  Hinrichtung  die  Confiscation  übrig  bleibt  (N.  1 
S.  550)  und  wie  Beaumanoir  eine  Rechtsübung  befürwortet,  die  zum 


')  Hierüber  D\i  Gange  Gl.  s.  v.  Deodauda,  J.  Stephen  New  commentaries 
Bk.  IV  pt.  I  cb.  7  §  IX.  Hauptquelleu :  Bracton  Vol.  II  p.  286,  388,  Fleta  I  25 
§  9,    Britton  I    eh.    2    §§  12—14,    eh.  8.  ")    Quoniam    attachiamenta    c.  48 

§§9  —  13.  ä)  Ausser  den  bei  Brunn  er  citirten  Belegen  s.  Grimm  Weisth. 

III  31(>.  *)  Stadtr.  v.  Lüneburg  (her.  v.  Kraut)  No.  XCVII.  «)  Somme 

rurale  I  tit.  37. 


Thiertstrai'en  mul  Thierprocesse.  505 

uämliclien  Ergebniss  führt  (N.  4  »S.  553),  —  weiterhin  Avie  bei  einer 
Abbreviatur  der  Hinrichtung  das  confiscirte  Thier  zum  gemeinen  oder 
der  Armen  Besten  verwerthet  wird  (s.  oben  S.  554).  Das  cältere  Kecht 
über  zu  Schaden  gehendes  Vieh  wirkt  in  den  italienischen  Statuten 
nach,  welche  wegen  Feldsehadens  Hinrichtung  oder  Verstümmelungs- 
strafen eintreten  lassen.  Die  ältere  und  die  jüngere  Rechtsschicht 
liegen  über  einander  im  Statut  von  Vallesella  v.  1565  (N.  5  S.  552), 
welches  einerseits  dem  Gemeindevorsteher  gestattet,  ein  auf  wieder- 
holtem Feldschaden  ergriffenes  Stück  Vieh  ohne  weiteres  am  Dorf- 
brunnen zu  enthaupten,  andererseits  vorschreibt,  dass  der  Kopf  an  den 
Eigenthümer  ausgeliefert,  das  Fleisch  unter  die  Bauern  vertheilt  werde. 
Wir  haben  endlich  gesehen,  dass  während  des  Mittelalters  die  weltliche 
Thierstrafe  wegen  Menschentödtung  ihren  Hauptsitz  in  Frankreich  hat. 
Auch  dies  erklärt  sich,   wenn   ihr   die  Confiscation  vorangegangen  ist. 

Wie  die  mittelalterliche  Thierstrafe,  so  geht  auch  die  des  süd- 
slavischen  Brauchs  auf  die  Eeception  der  Lex  Dei  zurück.  Diese  ist 
in  jenem  sogar  noch  deutlicher  zu  erkennen,  als  im  westeuropäischen 
Thierstrafrecht.  Der  montenegrinische  Strafritus  des  Steiuigeus  ist  der- 
selbe wie  in  Exod.  XXI  27-  Ebenda  hat  die  slavonische  Behandlung 
des  hingerichteten  Thiers  als  eines  unreinen  ihren  gesetzlichen  Grund. 
Die  specifisch  kirchliche  Mitwirkung  bei  der  Receptiou  hat  ihre  Spur 
in  dem  Füttern  der  Hunde  mit  dem  Fleisch  des  hingerichteten  Thiers 
hinterlasseu.  Denn  dieses  beruht  auf  einem  Rechtssatz,  der  nachweis- 
lich in  der  Kirche  Vertretung  gefunden  hat  i).  Wie  die  südslavische 
Thierstrafe  durch  die  nationalen  Grundsätze  über  Sachhaftung  vor- 
bereitet war,  zeigt  sich  noch  in  der  Form  des  montenegrinischen  Ver- 
fahrens: die  Klagspartei  kann  nur  den  Tod  des  Thiers  fordern,  aber 
dessen  Herr  kann  durch  Geldsühne  sein  Thier  vom  Tode  erlösen. 
Wichtig  ist  die  Form,  wie  er  es  desavouirt:  weil  eine  öffentliche  Strafe, 
darum  ein  Verbrecher;  aber  nicht  das  Thier  ist  es,  sondern  der  hinein- 
gefahrene böse  Geist. 

Sollte  der  Nachweis  gelungen  sein,  dass  die  weltliche  Thierstrafe 
bei  christlichen  Völkern  wesentlich  einer  Zeit  der  Receptionen  und  der 
Rechtsmischuug  angehört,  so  scheint  sich  das  Verständuiss  für  den 
eigentlichen  Thierprocess  und  die  Thierexcommunication  im  nämlichen 
Zusammenhang  nicht  gewinnen  zu  lassen.  Würden  diese  Institute  aus 
der  gleichen  Wurzel  erwachsen  sein,  wie  die  weltliche  Thierjustification, 
so  wäre  sogar  das  bezüglich  der  letztern  gewonnene  Ergebniss  wieder 
in  Frage  gestellt.    Noch  fraglicher  jedoch  ist  es,  ob  überhaupt  irgend 


')  Wasser  sc  hieben  Bussordnuugen  Ö.  603. 

37' 


596  A  m  I  r  a. 

ein  Zusammenhang  zwischen  den  beiden  Erscheinungsgruppeu  besteht. 
Einen  solchen  wird  man  eher  für  ausgeschlossen  erachten,  statt  ihn 
zu  vermuthen,  wenn  man  sich  des  vollständigen  Gegensatzes  erinnert, 
der  unter  jenen  Gruppen  nachgewiesen  wurde.  Die  Bedenken,  die  sich 
in  dieser  Hinsicht  aufdrängen,  lassen  sich  auch  nicht  durch  die  Unter- 
stellung einer  arischen  oder  auch  nur  germanischen  Thierpersonification 
beschwichtigen.  Denn  Alles,  was  wir  ausserhalb  des  Gebietes  der  Thier- 
processe  wahrgenommen  haben,  spricht  gegen  diese  Hypothese. 

Es  muss  der  Versuch  unternommen  werden,  die  Thierprocesse 
und  Thierexcommunicationen  ohne  jeden  Bezug  auf  die 
weltliche  Thierstrafe  zu  erklären. 

Die  Thierexcommunication  ist  wesentlich  Malediction  und  ur- 
sprünglich nichts  als  dies.  D.  h.  sie  ist  von  Haus  aus  Gebet,  wenn 
auch  in  den  Formen  einer  Beschwörung  i).  Eine  solche  Thiermale- 
diction  ist  in  der  Kirche  vom  Standpunkt  der  Doctrin  des  Mittelalters 
aus  erklärlich  als  Exorcismus  (vgl.  oben  S.  571).  In  der  That  deuten 
denn  auch  die  mit  der  Malediction  oder  Excommunication  von  Thieren 
verbundenen  Gebete  darauf,  dass  das  Verfahren  zuerst  als  exorcismus 
aufgefasst  wurde.  Das  von  Hemmerli  mitgetheilte  Lausann  er  Kitual 
enthält  als  Bestandtheil  des  dem  Maledictionserkenntniss  folgenden 
executiven  Verfahrens  eine  Exorcisatious-Formel.  Wie  man  auf  kirch- 
licher Seite  dazu  kommen  konnte,  schädliche  Thiere  durch  Exorcismen 
zu  vertreiben,  hat  Menabrea  durch  seine  Erörterungen  über  mittel- 
alterlichen Teufelsglauben  gezeigt.  Er  und  seine  Nachfolger  haben 
sich  dabei  beruhigt  und  ohne  weiteres  angenommen,  dass  die  Thier- 
malediction  dem  Teufelsglauben  entsprungen  und  eine  specifisch  kirch- 
liche Erfindung  sei. 

Dies  als  mindestens  zweifelhaft  anzusehen,  dazu  veranlassen  mich 
die  Schwierigkeiten,  welche  sich  einer  befriedigenden  Erklärung  des 
Thierprocesses  im  Eahmen  der  Kirchenrechts-Geschichte  entgegenstellen. 
Nach  dem,  was  früher  dargelegt  wurde,  kann  selbst  der  kirchliche 
Thierprocess  nicht  erst  im  Gefolge  der  sog.  Thierexcommunication  ent- 
wickelt sein.  Denn  er  findet  sich  ausgebildet  auch  in  solchen  Rechts- 
gebieten, die  eine  Thierexcommunication  nicht  kennen,  viebnehr  bei 
der  rein  exorcistischen  Malediction  stehen  geblieben  sind.  Dazu  kommt, 
dass  ein  rein  weltlicher  Thierprocess  in  verschiedenen  Ländern  be- 
gegnet, wo  ein  kirchlicher  nicht  nachgewiesen  ist.  Auskunftsmittel, 
um  diesen  weltlichen  von  jenem  kirchlichen  Process  abzuleiten,  würden 


»)  Vgl.  Gretser  De  benedict.  (Ingoist.  1615)  p.  90,  246  f. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  597 

sich  zwar  erdenken  lassen.  Ueber  Muthmassiingen  ohne  irgend  einen 
geschichtlichen  Anhalt  würden  sie  sich  jedoch  nicht  erheben. 

Gerade  der  weltliche  Thierprocess  fordert  zu  der  Erwägung  auf, 
ob  das,  was  wir  mit  Vorbehalt  das  kirchliche  Verfahren  genannt  haben, 
überhaupt  auf  kirchlichem  Boden  entstanden  sei.  Sollte  die  Frage 
verneint  werden,  so  würden  freilich  festere  Haltpunkte  als  die  Per- 
sonifications-Hypothese  den  Grund  abgeben  müssen. 

Haltpunkte  dieser  Art  scheinen  nun  aber  erreichbar.  Einen 
Fingerzeig  geben  die  Verweisungsurtheile,  womit  in  den  germanischen 
Ländern  die  weltlichen  Thierprocesse  abschhessen,  namentlich  die- 
jenigen, welche  das  verklagte  Thier  ins  Meer  bannen,  —  ferner  das 
Tödten  eines  Gattungsexemplars  unter  Verwünschungen  oder  Male- 
dictionen,  womit  der  kirchliche  Thierprocess  in  der  Lausanner  Diocese 
während  des  Mittelalters  und  der  weltliche  in  Slavonien  noch  in  der 
neuesten  Zeit  endet.  Unverkennbar  fallen  diese  Urtheile  unter  den 
Begriff  der  Beschwörung  oder  des  Zaubers.  Dazu  stimmt  vollkommen, 
dass  nach  Vairo  der  weltliche  Thierprocess  vor  einem  Beschwörer 
verhandelt  wird,  und  dass  die  Kenntniss  solcher  Abwehi-mittel  sich  am 
längsten  bei  Leuten  erhalten  hat,  bei  denen  leicht  die  Wissenschaft 
des  Zaubers  vermuthet  vnrd.  Nun  trifft  es  sich,  dass  gerade  die  Thier- 
gattungen,  gegen  die  am  öftesten  Processe  angestrengt  wurden,  auch 
sonst  überall  dem  bannenden  Zauber  unterworfen  galten  i).  Charak- 
teristisch genug  gibt  es  auch  von  diesem  ausserprocessualen  Zauber 
Arten,  die  in  ein  Gewässer  bannen  und  sich  der  processualen  Ter- 
minologie des  Mahnens  und  Ladens  bedienen  2),  Arten  ferner,  zu  deren 
Ritus  das  Tödten  oder  Verstümmeln  eines  die  Gattung  vertretenden 
Exemplars  gehört  3).  Der  Zauberbann  in  solcher  Anwendung  steht  in 
keinem  erkennbaren  Zusammenhang  mit  dem  christlichen  Teufelsglauben, 


1)  Malleolus  tract.  II  de  exorc.  p.  417  (mit  der  dortigen  Bannformel 
vgl.  die  in  Zschr.  f.  deut.  Mythol.  IV  1859  S.  121  und  Thiele  Danm.  Folkes.  III 
No.  311).  S.  ferner  Fr.  Panzer  Beitrag  z.  deut.  Mj-th.  II  S.  272,  Wuttke  Deut. 
Yolksaberglaube  1869  §§  611—616,  647,  648,  Rolland  Faune  pop.  III  320,  30,  31, 
S e b i 1 1 0 1  in  Revue  des  trad.  pop.  III  (1888)  p.  592,  Hylten-Cavallius  Wärend 
och  Wirdame  I  S.  426  f.,  II  S.  XLV,  Grohmann  Apollo  Smintheus  S.  57—60, 
Histor.  polit.  Blätter  1845  S.  516  f.,  Rutis hauser  Vierundzwanz.  Wochen  S.  119, 
Thiele  II  66  f.,  288  f.,  0.  Fuglestvedt  Folkesagn  I  S.  9  f,  Kristensen 
Jyske  Folkesagn  No.  118,  119,  302,  Eva  Wigström  Folkdiktning  i  Skäne 
S.  174,  222,  Frischbier  Hexeuspruch  u.  Zauberbann  S.  89,  137  f.  2)  Nork 
inScheible's  .Kloster' XU  S.  505,  Thiele  II  69,  Hylten-Cavallius  a.  a.  0.  I 
S.  336,  II  S.  XLV.  Grohmann  a.  a.  0.  S.  83—85.  Verwandt  das  Bannen  mittelst 
der  Terminologie  des  Aufsagens:  Eva  Wigström  a.  a.  0.  174.  ')  Grohmann 
S.  66,  Wuttke  §§  612,  614,  648.   Plinius  bist.  nat.  XXX  53  und  oben  N.  1  S.  575. 


598  ^  '» i  '•  '^• 

wiewohl  die  gebannten  Thiergattimgen  zu  denen  gehören,  deren  Ge- 
stalt der  Teufel  anzunehmen  liebt.  Die  weite  Verbreitung  wie  die 
Natur  des  Brauches  scheint  vielmehr  auf  eine  hinter  der  cliristlichen 
zurückliegenden  Entstehungszeit  zu  deuten.  Befinden  wir  uns  damit 
auf  richtiger  Fährte,  so  fordern  uns  zu  ihrer  weitern  Verfolgung  die 
heidnischen  Ansichten  auf,  wonach  eben  jene  Thiergattungen  sich  von 
andern  durch  ihre  gespenstigen  Eigenschaften  unterscheiden.  Die  Leiber 
von  Mäusen,  Katten,  Maulwürfen,  Kröten,  Schlangen,  Schnecken,  In- 
sekten, insbesondere  galten  vorzugsweise  als  Wohnstätten  von  Seelen  i). 
Schon  bei  Lebzeiten  eines  Menschen  kann  seine  Seele  in  einen  solchen 
Leib  schlüpfen.  Nach  seinem  Tode  kann  sie  dauernd  in  dieser  Gestalt 
umherirren.  Und  ebenso  können  in  ihr  Dämonenseelen  hausen,  die 
ja  nicht  von  Haus  aus  einen  wesentlichen  Gegensatz  zu  den  Seelen 
abgeschiedener  Menschen  bilden.  In  Eiben  und  Maren  tritt  die  Ver- 
wandtschaft unter  Dämonen  und  Seelen  von  Gestorbenen  deutlich  zu 
Tag.  Da  ist  es  nun  lehrreich,  dass  die  Heuschrecke  —  eine  der  Thier- 
gattungen, denen  am  häufigsten  der  Process  gemacht  wird  —  im  Ober- 
deutschen selber  alp  genannt  wnrde,  und  dass  auch  bei  den  Schweden 
im  Eybofylke  ein  Insekt  alpa  wie  ein  anderes  mära  heisst.  Was  von 
Insekten  und  anderm  Ungeziefer,  kann  aber,  so  weit  es  hier  von  Be- 
lang, auch  von  den  drei  ,,Hauptthieren  der  Fabel",  dem  Wolf,  dem 
Fuchs  und  dem  Bären,  gelten,  von  denen  die  beiden  ersten  nach  süd- 
slavischem  Glauben  „heidnisch"  sind  und  mit  Exorcismen  verfolgt  werden. 
Im  germanischen  Volksglauben  sind  alle  drei  gespenstig.  In  Schwaben 
macht  man  dem  Garne valsbären,  der  hier  wie  in  Böhmen  ein  Strohbär 
ist  und  wie  in  Rom  getödtet  wird,  zuvor  sogar  einen  Process.  Zu  Rom 
glaubte  man  in  ihm  den  Teufel  umzubringen  ^),  Den  Wolf  ferner,  der 
in  Calabrien  maledicirt  wird,  verfolgt  man  bei  Germauen  und  Slaven 
mit  Zaubersprüchen  ^).  Alle  diese  Vorstellungen  sind  Ausfiüsse  des 
arischen  Animismus.     Das    nämliche  Ungeziefer,    dessen  Gewand  nach 


1)  Mannliardt  German.  Mythen  S.  79,  506,  353—356,  367—375,  439  f., 
723,  729.  A.  Kuhn  Sagen  aus  Westfalen  S.  18—22.  Svend  Grundtvig 
Danske  Folkeminder  (1861)  No.  123—127.  Eva  Wigström  a.  a.  0.  S.  175. 
Grohmann  Apollo  Smintheus.  Hj'l  ten  -  Cavallius  a.  a.  0.  II  S.  XXXIV  f. 
Lippert  Christenthum,  Volksglaube  u.  Volksbrauch  S.  491  — 506  Gubernatis 
D.  Iliiere  S.  .391,  629-634,  638,  651  f.,  396  f.  Knauthe  in  der  Zschr.  ,Am 
Urquell'  II  (1801)  S.  71,  Friedr.  Krause  ebenda  S.  103  f.  (wo  eine  Banuformel 
gegen  die  Mahr).  -)  J.  Grimm  Reinhart  Fuchs  S.  LIII— LVI.     Li  ehr  echt 

Zur  Volkskunde  S.  333  f.  Gubernatis  a.a.O.  S.  426- -431,  453.  Mann- 
bar dt  a.  a.  0.  S.  306.  ^)  S.  insbesondere  den  Wolfszanber  bei  Fr.  Krauss 
Die  verein.  Königr.  Kroatien  u.  Slavonien  S.  109  f.  und  vgl.  Kristensen  Jyske 
Folkesagn   No.  449,  453,    Svend    Grundtvig    Gamle    danske    Minder  (185 Vs) 


Thierstrafeu  und  Thierprocesse.  500 

dem  Glauben  der  europäischen  Arier  Seelen  anziehen,  besteht  nach 
dem  altindischen  und  persischen  aus  Dämonen,  denen  mit  Vertilgung 
ihrer  Leiber  oder  mit  Beschwörungen  der  Krieg  gemacht  werden  soll  ^). 
Die  europäischen  Arier,  weniger  dogmatisch  beeinflusst  als  ihre  asiati- 
schen Vettern,  unterscheiden  sich  von  diesen  allerdings,  indem  sie  den 
Krieg  nur  im  Bedarfsfall  führen,  zwischen  hinein  sogar  sehr  freund- 
schaftliche Verhältnisse  herstellen. 

Diese  Beobachtungen  führen  uns  zum  Thema  zurück.  Die  Ver- 
urtheilung  im  Thierprocess  ist  aufzufassen  nicht  sowohl  als  Ver- 
urtheiluug  von  Thieren  wie  als  zauberisches  Bannen  von 
Menschen-  oder  Dämonenseelen  und  solchergestalt  als  Parallele 
zu  dem  bei  den  klassischen  und  slavischen  Völkern,  aber  auch  ander- 
wärts nachgewiesenen  Seelenaustreiben  -). 

Eine  Zubehör  jenes  Zaubers  aber  ist  der  Process.  Der  Zauber 
stellt  Formen  des  Eechtslebens  in  seinen  Dienst,  wie  er  seine  eigenen 
Formen  (den  Eid)  in  den  Dienst  des  Eechtslebens  stellt.  Im  Thier- 
process sind  nicht  Thiere,  sondern  Menschen-  oder  Dämonenseelen  die 
Verklagten.     Der  Thierprocess  ist  Gespensterprocess. 

Dafür,  dass  es  einen  Process  in  voller  Form  Kechteus  gegen  Ge- 
spenster und  zum  Zweck  ihrer  Abwehr  in  heidnischer  Zeit  gegeben 
hat,  dafür  kann  der  Beweis  aus  einem  germanischen  Gebiet  quellen- 
mässig  erbracht  werden.  Die  Quelle  ist  eines  der  berühmtesten  und 
verlässigsten  Werke  der  isländischen  Erzählungsliteratur,  die  um  1250 
verfasste  Eyrbyggja  saga.  Zwar  liegen  die  von  ihr  geschilderten  Be- 
gebenheiten um  dritthalb  Jahrhunderte  weiter  zurück.  Aber  die  üeber- 
lieferung  derselben  bis  zur  Zeit  des  Verfassers  war  eine  verhältniss- 
mässig  gute,  und  insonderheit  das  Ereigniss,  dem  wir  unsere  Auf- 
merksamkeit zuzuwenden  haben,  während  des  Mittelalters  auf  der 
Insel  allgemein  geglaubt.  Es  berichtet  aber  die  Saga  in  iliren  capp. 
50—55  Folgendes.  Im  Sommer  desselben  Jahres,  in  welchem  das 
Christenthum  gesetzlich  auf  Island  eingeführt  wurde,  also  des  J.  1000 
kam  mit  einem  Dublinfahrer  eine  vermögliche  Frau  von  den  Hebriden 
Namens  ^örgunna  nach  der  Halbinsel  Snjöfellsnes  und  nahm  Quartier 
auf  dem  Hof  Frödä,  Dort  starb  ]iörguuna  noch  im  Herbst  des  näm- 
lichen Jahres  an  einer  ihr  angezauberten  Krankheit.  Sie  starb  als 
Christin,  und  ihrem  Wunsche  gemäss  liess  der  Hausherr  l^oroddr  ihre 


No.  212  (Bannung  ins  Wasser),  auch  Frischbier  a.  a.  0.  S.  147—153,  Krauss 
Sagen  u.  Märchen  II  No.  54,  116,  117. 

')  Vendidad  Farg.  XIV  9  —  17.     Sad  Dar    (transl.  by  West    in  The    sacred 
books  Vol.  XXIV)  43.     G rohmann   a.  a.  0.  S.  37,  67  f.  '■')    Ueber    dieses 

s.  die  Zusammenstellung  bei  Rohde  Psyche  S.  219. 


600 


A  tu  i  r  a. 


Leiche  nach  Skalaliolt,  dem  nachmaligen  Bischofssitz  schaffen,  und  bei 
der  dortigen  Kirche  beisetzen.  Aber  zuwider  seinem  Versprechen,  das 
er  der  Sterbenden  gegeben,  Hess  er  deren  Bettzeug  nicht  verbrennen. 
Die  Folge  davon  ist,  dass  sie,  die  schon  während  des  Transports  ihrer 
Leiche  einen  ungastlichen  Bauern  durch  ihr  gespenstiges  Erscheinen 
zu  freundlicherem  Benehmen  genöthigt  hatte,  nach  der  an  Vampyris- 
mus  streifenden  Art  richtiger  Wiedergänger  sechs  Dienstleute  des 
])6roddr  der  Keihe  nach,  dann  diesen  selbst  mit  noch  fünf  andern 
zusammen  während  einer  Meerfahrt  und  darnach  noch  sechs  Leute  aus 
dem  Hause  in  den  Tod  ruft.  Die  ersten  sechs  und  Jjoroddr  mit  seinen 
Genossen  gehen  allabendlich  zum  Schrecken  der  üeberlebenden  um. 
Auch  gespenstige  Thierge stalten  zeigen  sich.  Endlich  weiss  der  in  der 
Nähe  wohnende  mächtige  Häuptling  Snorre  gode  Eath.  Vor  allem 
muss,  was  von  ^orgunnens  letztem  Willen  unerfüllt  ist,  ausgeführt  und 
gegen  die  Wiedergänger  ein  gerichtliches  Verfahren  eröffnet  werden. 
Darnach  muss  ein  Geistlicher  das  Gehöft  unter  Gebeten  mit  Weih- 
wasser besprengen  und  die  Lebenden  beichten  hören.  Die  Kathschläge 
des  Snorre  werden  befolgt.  Die  Wiedergänger,  die  sich  am  Abend 
ans  Feuer  setzen,  werden  der  Reihe  nach  zum  „Thürengericht"  ge- 
laden, wegen  unerlaubten  Umgehens  und  wegen  der  Schädigung  von 
Menschen  an  Leib  und  Leben.  Draussen  vor  der  einen  Thür  der 
Stube  setzen  die  Kläger  die  von  ihnen  zu  ernennenden  ürtheiler  nie- 
der, tragen  ihre  Sache  vor  und  lassen  Nachbargeschworne  über  den 
Thatbestand  aussagen,  —  alles  „wie  an  den  Thinggerichten".  Zuletzt 
wird  gegen  jeden  einzelnen  der  Wiedergänger  das  Urtheil  abgegeben. 
Da  steht  jeder  von  diesen,  wie  die  Reihe  an  ihn  kommt,  drinnen  in 
der  Stube  auf  und  entfernt  sich  durch  die  Hinterthür,  —  nicht  ohne 
in  einem  kurzen  Spruch  mit  trockenem  Humor  sein  Gehen  zu  moti- 
viren.  Nachdem  noch  der  Geistliche  seinen  Dienst  gethan,  ist  der 
Spuck  zu  Ende.  Das  ist  in  Umrissen  die  Geschichte  vom  „Frddä- 
wunder"  i),  das  auf  Island  ungefähr  so  sprichwörtlich  geworden  ist, 
wie  in  Frankreich  die  „Mücken  von  Foigny". 

Wir  sehen  hier  an  den  heidnischen  Brauch  den  christlichen  Exor- 
cismus  einstweilen  noch  ganz  äusserlich  angestossen.  Im  kirchlichen 
Thierprocess  ist  die  Verbindung  eine  engere  geworden,  wobei  das 
Heidnische  christianisirt  werden  musste.  Die  Metamorphose  des  im 
Tliier  wohnenden  Gespenstes  oder  Dämons  ist  der  Teufel,  die  Meta- 
morphose der  Gespenster-  oder  Dämonenbeschwörung  der  kirchliche 
Thierprocess   und   der  Exorcismus  in  Form  der  Thiermalediction    oder 


»)  Flateyjarbök  III  S.  505. 


Thierstrafen  und  Thierprocesse.  ßOl 

der  sog.  Excommuuication.  Am  leichtesten  umzugestalteu  war  die 
eigentliche  Beschwörung.  Sie  wurde  daher  zuerst  verkirchlicht.  Mittler- 
weile starb  der  Thierprocess  in  einigen  christlichen  Ländern  von  selbst 
ab.  Wo  aber  sein  Leben  ein  zäheres  war,  musste  die  Kirche  doch 
auch  ihn  zuletzt  in  ihre  Kreise  ziehen.  Seine  Christianisirung  ist  aber 
nur  in  Frankreich  und  auf  der  iberischen  Halbinsel  mit  annähernder 
Vollständigkeit  durchgeführt  worden.  Einmal  verkirchlicht  haben  sich 
von  dort  Thierprocess  und  Thierexcommunication  sogar  noch  nach 
der  neuen  Welt  verbreitet.  Andererseits  hat  die  Kirche  zwischen  1500 
und  1750  die  fremdartigen  Elemente,  durch  deren  Aufnahme  sie  ihren 
Erfolg  errungen,  allmälig  wieder  abgestossen.  Auf  rein  kirchlichem 
Buden  fortdauern  konnte  zuletzt  doch  nur  die  Adjuration  der  ,,spiritus 
iramundi  animalibus  in  damnum  hominum  utentes",  wie  das  Breve  von 
Clemens  XL  v.  1717  sagt.  Eine  Begleiterscheinung  dieses  Verschrum- 
pfens  des  kirchlichen  Thierprocesses  ist  das  Wiederaufleben  des  welt- 
lichen in  Frankreich.  Dagegen  ist  dieser,  wie  wir  ihn  in  Oberdeutsch- 
land und  Dänemark,  dann  in  Slavonien  kennen  lernten,  im  Wesentlichen 
die  unmittelbare  Fortsetzung  des  heidnischen.  Eine  Mittelstufe  zwischen 
letzterem  und  dem  christianisirten  stellt  sich  in  dem  von  L.  Vairo 
geschilderten  dar,  worin  bis  auf  den  Schluss,  die  Malediction,  das  Ver- 
fahren ein  weltliches  ist. 

Weltliches  Thierstrafrecht  und  eigentlicher  Thierprocess  gehören 
also  ihrem  Wesen  nach  nicht  zusammen.  Dennoch  konnten  sie  auf 
einander  einwirken.  In  Montenegro  z.  B.  könnte  das  Thierstrafrecht 
unter  dem  Einfluss  des  Thierprocesses  sich  fortentwickelt  haben,  da 
hier  auch  jenes  den  im  Thier  wohnenden  ,, bösen  Geist"  verfolgt. 


Die  Schenkung  Yon  Kenmade  und  Fisclibeck  an 

Corvey  i.  J.  1147  und  die  Purpururkunden  Corveys 

von  1147  und  1152. 

Von 

v 

Th.   I  Ig  en. 

Die  hervorragende  Stellung,  welche  Corvey  unter  den  kirchlichen 
Stiftungen  Westfalens  einnimmt,  spricht  sich  deutlich  auch  in  dem 
Schutzrecht  aus,  das  es  zu  verschiedenen  Zeiten  über  eine  ganze 
Keihe  von  kleineren  Klöstern  und  Kirchen  in  Westfalen  und  den 
Nachbargegenden  ausgeübt  hat.  Im  Jahre  853  wurde  dem  Abte  Warin 
von  Corvey  von  Ludwig  dem  Deutschen  der  Schutz  und  die  Vertretung 
Herfords  nach  Aussen  hin  übertragen,  nachdem  bereits  826  dessen 
Vater  Ludwig  der  Fromme  die  Kirche  von  Eresburg,  die  nachherige 
Propstei  Marsberg,  Corvey  unterstellt  hatte.  Später  traten  hierzu  theils 
durch  kaiserliche  theils  durch  päpstliche  Schenkung  die  Kirchen  von 
Meppen,  Groningen,  Kemnade,  Fischbeck,  Werbe  und  Andere.  Die  Ueber- 
tragung  aber  von  Kemnade  und  Fischbeck  an  Corvey  durch  König 
Conrad  IIL  im  Jahre  1147  hat  auf  Seiten  der  dadurch  geschädigten 
Interessenten  einen  so  lebhaften  Widerspruch  hervorgerufen,  dass  es 
dem  damaligen  Abte  Wibald  von  Corvey  erst  nach  Jahre  langen 
Kämpfen  gelang,  sich  in  den  ruhigen  Besitz  von  Kemnade  zu  setzen, 
während  er  auf  Fischbeck  sehr  bald  wieder  Verzicht  hat  leisten  müssen. 
Die  Angelegenheit,  über  welche  wir  durch  die  corvey'schen  Geschichts- 
quellen verhältnissmässig  gut  unterrichtet  sind,  ist  für  Wibalds  Thätig- 
keit  und  Stellung  ausserordentlich  lehrreich;  sie  verdient  aber  gleich- 
zeitig durch  die  daran  sich  anschliessenden  diplomatischen  Fragen 
unsere  besondere  Beachtung. 

Unter  letzterem  Gesichtspunkt  ist  sie  neuerdings  von  Kehr  i) 
behandelt   worden.     Die   Kesultate   jedoch,    zu    denen    er    gelangt   ist, 


')  P.  Kehr,  Die  Purpururkunde  Konrad  III.  für  Corvey  im  Neuen  Archiv  XV, 
363—381. 


Die  Schenkung  von  Keinnade  und  Fiwchbeek  an  Corvcy  i.  .1.  1147.      G()3 

sclieineu  uns  in  mehrfacher  Beziehung  anfechtbar,  wenngleich  Schuru, 
der  neueste  Bearbeiter  der  Diplome  Conrads  III.  in  den  Kaiserurkuuden 
in  Abbildungen  i)  in  den  hauptsächlichsten  Punkten  Kehr  zuge- 
stimmt hat. 

Wir  besitzen  nämlich  über  die  Schenkung  Kemnades  und  Fisch- 
becks resp.  Kemnades  allein,  zwei  Urkunden  König  Conrads  III.  (St. 
3543  und  3544),  beide  datirt  aus  Frankfurt  unter  dem  Jahre  1147. 
OberflächUch  betrachtet  unterscheiden  sie  sich  in  der  Weise,  dass  durch 
St.  3544  Kemnade  und  Fischbeck  an  Corvey  überwiesen  werden, 
während  in  St.  3543  nur  von  Kemnade  die  Rede  ist.  Von  letzterer 
Urkunde  sind  uns  nicht  weniger  als  drei  Ausfertigungen  erhalten, 
welche  Kehr  mit  ßi,  B2  und  B  3  2)  unterscheidet.  B\  welche  dem 
Druck  bei  Philippi  3)  zu  Grunde  liegt,  beruht  im  Staatsarchiv  zu 
Münster;  desgleichen  B  2,  von  der  jedoch  nur  der  Schluss  der  Urkunde 
erhalten  ist.  B  3,  im  geheimen  Staatsarchiv  zu  Berlin,  ist  auf  Purpur- 
pergament mit  Goldbuchstaben  gesclirieben,  und  neuerdings  von  Schum 
in  Facsimile  wiedergegeben  ^).  Kehr  meint  nun,  dass  St.  3544  —  von 
ihm  mit  A  bezeichnet  —  eine  gleichzeitige  Ausfertigung  vom  März 
1147  aus  Frankfurt  sei;  hingegen  wäre  St.  3543  trotz  des  mit  jener 
gleichlautenden  Datums  als  eine  erst  im  Jahre  1151  zu  Stande  ge- 
kommene Neuausfertigung  von  St.  3544  anzusehen  ^).  Schum  hält 
St.  3543  ebenfalls  für  eine  Neuausfertigung  von  St.  3544,  will  sie 
aber  zeitlich  näher  an  den  Ausstellungstermin,  also  den  März  1147, 
heranrücken. 

Um  uns  über  das  Verhältniss  der  Urkunden  St.  3543  und  3544, 
die  wegen  der  inhaltlichen  Verschiedenheiten  unmöglich  an  einem  Tage 
aus  der  königlichen  Kanzlei  hervorgegangen  sein  können,  Klarheit  zu 
verschaffen,  ist  es  nöthig,  uns  die  Geschichte  der  Schenkung  von 
Kemnade  und  Fischbeck  ausführlicher  und  im  engeren  Auschluss  an 
unsere  gleichzeitigen  literarischen  Quellen'^),  als  sie  Kehr  giebt,  vor 
Augen  zu  führen. 

Der  sittliche  Zustand  der  in  der  Nähe  von  Corvey  gelegenen 
beiden  Frauenklöster  war  schon  seit  längerer  Zeit  ein  äusserst  be- 
denklicher gewesen.  Die  Damen  dieser  Couvente,  in  Kemnade  unter 
der  Führung  der  Aebtissin  Jutta,  einer  Stieftochter  Ludwigs  von  Lare, 
führten  nämlich  ein  derart  ausschweifendes  Leben,  indem  sie  sich  über 


')  Lief!  X,  Text  zu  Taf.  5.  '')  S.  36G  und  367  Anm.  3.  3)  Die  Kaiser- 
urkunden der  Provinz  Westfalen  II,  Nr.  225.  *)  Kaiserurkunden  in  Abb. 
liief.  X,  Taf.  5  und  Bemerkungen  S.  375  f.  ^)  S.  S.  368  ft".  und  besonders 
378.  ")  Vgl.  Monumenta  Corbeiensia  ed.  Ph.  Jaffe  in  der  Bibl.  rer.  Germ.  I. 
und   zwar  Chronographus  Corbeiensis  S.  55.  ff.  und  Wibaldi  Epistolae  Nr.  30  ff. 


604  Ilsen. 

jede  klösterliche  Zucht  hinwegsetzten,  dass  das  Ausehen  der  geist- 
lichen Personen  im  Sachsenlande  aufs  erustlichste  dadurch  gefährdet 
wurde.  Bereits  die  früheren  Aebte  von  Corvey  waren  daher  darauf 
bedacht  gewesen,  dieses  wüste  Treiben  abzustellen,  aber  vergebens  ^). 
Da  gelang  es  Wibald  kurz  nach  seiner  Wahl  zum  Abt  von  Corvey 
König  Conrad  III.  zu  bewegen,  Kemuade  und  Fischbeck  seinem  Stifte 
zu  schenken,  um  daselbst  das  klösterliche  Leben  zu  reformiren.  Ende 
Januar  1147,  als  der  König  mit  zahlreichen  Fürsten  in  Fulda  weilte, 
hat  er  Wibald  auf  dessen  anhaltende  Bitten  hin  für  Corvey  die  beiden 
Abteien  übergeben  und  die  Schenkung  durch  einen  mit  einem  Edelstein 
gezierten  King  bekräftigt.  Dieser  wurde  dem  Schrein  des  hl.  Stephanus 
eingefügt,  damit  er  die  späteren  Klosterangehörigen  an  die  Wohlthaten 
des  Königs  und  den  Eifer  des  Abtes  erinnere.  Der  König  Conrad 
aber,  um  doch  auch  das  Interesse  des  Keiches  bei  dem 
Schenkungsacte  zu  wahren,  bestimmte,  dass,  so  oft  ihm 
von  Corvey  dem  Gesetz  und  Herkommen  gemäss  Dienste 
geleistet  werden  müssten,  die  betreffende  Geldsumme  nun- 
mehr  um  je  10  Pfund  gesteigert,  im  Falle  aber  Natural- 
lieferungen  ausgeschrieben  würden,  die  bisherigen  Ka- 
tionen um  die  gleiche  Werthsumme  d.h.  10  Pfund  vermehrt 
werden  sollten.  Obwohl  eine  Anzahl  von  Fürsten  bei  dem  Schen- 
kungsact  zugegen  gewesen  war  und  ihre  Zustimmung  zu  demselben 
gegeben  hatte,  sollte  doch  erst  die  endgültige  Festsetzung  und  Be- 
stätigung desselben  auf  dem  nächsten  Tage  zu  Frankfurt  erfolgen  2). 
Wibald  aber  kehrt  von  Fulda  nach  Corvey  zurück  und  begibt 
sich  nach  kurzem  Aufenthalte  von  da  nach  Kemnade  —  ambiciosius, 
ut  suis  Visum  est  —  sagt  der  Clironographus ») ;  in  seiner  Begleitung 
befindet  sich  ein  Bevollmächtigter  des  Königs  mit  einem  besiegelten 
Patent.     Die  Besitzergreifung  Kemnades    wird    von    Seiten    des    Abtes 


1)  Ep.  Wib.  Nr.  34  und  36.  ^)  Chron.    Corb.    S.  55.     Die   Stelle:    Nam 

ne  minus  et  rex  hinc  regno  prospiceret,  quocienscumque  serviri  sibi  de  loco 
nostro  legis  debito  et  priorum  longe  dierum  instituto  contingeret:  si  argento 
anticipanda  foret,  denae  appenderentur  librae,  sin  autem  pastibus,  aucmenta- 
rentur  tanti  precii  pro  temporis  qualitate  ac  comparationis  commoditate.  Pro  bis 
ergo  stabiliendis  et  confirmandis,  licet  nonnulli  principum  bis  affu- 
erint  et  consentientes  fuerint  eciam,  Frankeuevurde  se  sibi  occurvere 
statuta  die  indixit .  .  .  bat  Kebr  bei  seinen  Ansführnngen  gänzlicb  unbeachtet 
gelassen,  was  ihn  verschiedentlich  zu  unrichtigen  Darlegungen  geführt  hat.  Ver- 
gleiche auch  den  Brief  König  Conrads  an  Papst  Eugen  III.  aus  dem  März  1 147 
(Ep.  Wib.  34):  Erant  in  propinquo  duae  abbatiolae  feminarum,  quae  nullum 
regno  et  nobis  vel  in  milicia  vel  in  alio  servicio  prebebant  supplementum. 

8)  S.  55. 


Die  Schenkung  von  Kemnade  und  f]ischbeck  an  Corvey  i.  J.  1147.      ß05 

von  Corvey,  wenn  gleich  nicht  ohne  Widerspruch,  vollzogen.  Diesen 
Hergang  bestätigt  uns  ein  Schreiben  Wibalds  an  König  Conrad  III 
aus  dem  October  1149  ^).  Die  Uebernahme  von  Fischbeck  jedoch  wurde 
durch  den  energischen  Protest  der  Ministerialen  Herzog  Heinrichs  des 
Löwen  und  der  Kitter  Adolfs  von  Schaumburg  verhindert.  Herzog 
Heinrich  war  zwar  inzwischen  (Ende  Januar  1147)  ^)  vom  König  direct 
über  die  Schenkung  in  Kenntniss  gesetzt  worden,  die  erfolgt  sei,  unter 
Wahrung  der  Vogteirechte  des  Herzogs.  Es  wurde  ihm  anheimgegeben, 
sich  deswegen  mit  dem  Abte  von  Corvey  ins  Einvernehmen  zu  setzen. 
Jedoch  auch  für  den  Fall,  dass  der  Herzog  nicht  geneigt  sei,  Corvey 
die  Lehensherrlichkeit  der  Vogtei  über  die  beiden  Klöster  zu  überlassen, 
hielt  König  Conrad  die  Schenkung  aufrecht. 

An  einer  späteren  Stelle  schildert  uns  der  Chronographus  ^)  die 
Vorgänge  auf  dem  Frankfurter  Tage,  als  die  abermalige  Uebergabe  der 
beiden  Klöster  an  Corvey  stattfand.  Zunächst  wurde  hier  durch  Ab- 
stimmung die  principielle  Frage  zur  Entscheidung  gebracht,  ,,si  possent 
dari  legitime  cellule  regales  regali  et  majori  ecclesie,  de  qua  et  regnum 
sumeret  nounulla  obsequia,  cum  et  de  minoribus  preter  nominis  solam 
gloriam  nulla  provenirent  regno  profutura"  ■*).  Danach  kann  meiner 
Ansicht  nach  darüber  gar  kein  Zweifel  aufkommen,  dass  in  Frankfurt 
die  Eutschädigungsfrage  für  das  Eeich  wahrscheinlich  um  den  Wider- 
stand der  Fürsten  gegen  die  Uebertragung  von  Kemnade  und  Fischbeck 
zu  brechen;  als  ein  sehr  wesentliches  Moment  ins  Treffen  geführt  ist, 
mit  anderen  Worten,  dass  man  sehr  nachdrücklich  darauf  hingewiesen 
hat,  dass  dem  Reich  durch  Ueberweisung  der  beiden  nicht  abgabe- 
pflichtigen Klöster  an  das  grössere  Stift  ein  praktischer  Vortheil  er- 
wüchse, indem  dadurch  die  Abgabefähigkeit  des  letzteren  erhöht  würde  ^). 

Die  Mehrzahl  der  Fürsten  ist  denn  auch  dafür,  dass  die  Vereini- 
gung von  Kemnade  und  Fischbeck  mit  Corvey  statthaft  sei.  Kur  Adolf 
von  Schaumburg  erhebt  Widerspruch,  der  indessen  keine  Beachtung  fand. 
„Es  wiederholten  also  die  Könige,  Conrad  HI.  und  sein  Sohn  Heinrich, 
die  Uebergabe  der  Klöster  an  Corvey  durch  den  King".  Wibald  reist 
darauf  von  Frankfurt  aus  direct  nach  Clugny,  um  hier  Papst  Eugen  III 
im  Auftrage  Conrads  III  die  Wahl  des  jungen  Heinrich  zum  römischen 


»)  Ep.  Wib.  Nr.  201.  *)  Ep.  Wib.  Nr.  30.  Kehr  S.  373  uml  ihm  folgend 
Schum  S.  374  setzen  diesen  Brief  in  den  März  1147,  weil  darin  auf  einen  Spruch 
der  Fürsten  Bezug  genommen  werde ;  sie  haben  aber  übersehen,  dass  der  Chron. 
S.  55  berichtet,  dass  bereits  in  Fulda  mehrere  Fürsten  ihre  Zustimmung  zu  der 
Schenkung  gegeben  haben.    S.  oben  S.  C04.  Anm.  2.  ^)  S.  58  If.  *)  Ep. 

Wib.    Nr.    34.  *)  Anders    Kehr   S.    371.     Anm.    1    unter  Heranziehung  von 

St.  3544. 


606  I  U  e  n. 

K('»)iio"  anzuzeigen.  Er  nimmt  auch  die  königlichen  Schenkungsbriefe 
mit  dorthin,  um  deren  Bestätigung  vom  Papst  zu  erbitten.  Indessen 
da  Eueren  III  ein  Bericht  über  Wibalds  Wahl  zum  Abt  von  Corvey 
noch  nicht  zugegangen  war,  Hess  er  sich  nicht  bewegen,  Wibald 
resp.  dem  Stifte  Corvey  den  Besitz  von  Kemnade  und  Fischbeck  auch 
seinerseits  urkundlich  zuzusichern  ^). 

Inzwischen  kehrte  aber  der  Propst  Adalbert  von  Corvey,  der 
ebenfalls  auf  dem  Frankfurter  Tag  anwesend  gewesen  war,  mit  den 
Keliquien  des  heil.  Yitus,  welche  bei  der  Uebertragung  der  Klöster 
eine  Kolle  gespielt  hatten,  nach  Hause  zurück  und  verkündete  den 
Brüdern,  was  man  auf  dem  letzten  Keichstage  im  Interesse  der  Abtei 
durchgesetzt,  imd  dass  der  Herzog  von  Sachsen  die  Vogtei  über  Kem- 
nade und  Fischbeck  durch  Vermittlung  König  Conrads  dem  Abte  von 
Corvey  übertragen  und  dieselbe  dann  von  diesem  wieder  als  Lehen 
empfangen  habe.  Das  hinderte  aber  Dietrich  von  Eiclingen  nicht,  dem 
corvey 'sehen  Propst  in  Kemnade  das  Leben  recht  sauer  zu  machen; 
und  bald  darauf  überfiel  auch  die  frühere  Aebtissin  Jutta  mit  ihrem 
Anhang  das  Kloster.  Soweit  der  Chronographus -).  Von  Fischbeck  ist 
bei  ihm  in  den  letzten  Partieen  überhaupt  nicht  mehr  die  Eede.  Seine 
Angaben  finden,  wie  wir  zum  Theii  bereits  gesehen  haben,  ihre  Be- 
stätigung durch  Wibalds  Briefsammlung. 

Zunächst  geht  aufs  Bestimmteste  daraus  hervor,  dass  von  Con- 
rad III  im  März  1147  zu  Frankfurt  in  der  That  die  Schenkung  der 
beiden  Klöster  Kemnade  und  Fischbeck  wiederholt  ist  =^).  Aber 
ebenso  unanfechtbar  steht  fest,  dass  sich  der  König,  was  ja  der 
Chronographus  schon  bei  der  vorläufigen  Uebertragung  ausdrück- 
lich hervorgehoben  hatte,  für  das  Reich  eine  Entschädigung  ausbe- 
dungeu  hat*). 

Indessen  wurde  die  Schenkung  von  einer  Seite  beanstandet,  von 
welcher  es  Wibald  wohl  am  wenigsten  erwartet  hatte,  nämlich  vom  rö- 
mischen Stuhl.  Der  Abordnung  Corveyer  Mönche,  welche  im  Mai  1147 
mit  dem  Cardinal  Guido  nach  Kern  gereist  war,  um  Wibalds  Bestätigung 


")  Ep.  Wib.  Nr.  35.  Si  tec  {der  Bericht  über  Wibalds  Wahl)  expectata  non 
fuissent,  privilegia  nostra  de  Kaminade  et  Visbike  confirmata  essent.  Vergl.  noch 
Chron.  S.  59.  •')  S.  59  K  »)  Vgl.  die  Briefe  Wibalds  Nr.  34-37,  46,  47, 

68  und  besonders  noch  181  und  187.  ■*)  König  Conrad  schreibt  im  Juni  oder 

Juli  1149  nach  seiner  Rückkehr  aus  dem  heiligen  Lande  Ep.  Wib,  Nr.  181. 
Quae  Corbeiensi  aecclesiae  pro  tua  dilectione  in  abbatiis,  Caminata  videlicet  et 
Visebacho  contulimus,  ad  usus  ejus  Deo  annuente  conservabimus ;  certi,  quod 
Corbeienses  pecuniam,  quam  juramenti  asser tione  promise- 
rant,  indubitanter  nobis  persolvant. 


Die  Schenkung  von  Kemnarlr  und  FiscliHeck  an  Corvey  i.  J.  1147.       (i07 

zum  Abte  von  Corvey  von  Eugen  III  zu  erbitten,  wurde  zwar  diese 
ertheilt,  aber  es  gelang  ihr  nicht,  sich  die  päpstliche  Eatification  der 
Privileofien  Könisf  Conrads  über  Kemnade  und  Fischbeck  auszuwirken. 
Die  Gegenpartei  war  nämlich  inzwischen  nicht  unthätig  gewesen. 
Man  hatte  den  Papst  glauben  gemacht,  Wibald  habe  dem  König  für 
die  beiden  Klöster  den  ganzen  Kii'chenschatz  von  Corvey  abgetreten. 
Zwar  konnte  man  die  Grundlosigkeit  dieser  Nachricht  darthun,  aber 
die  Bestätigung  der  Privilegien  erfolgte  trotzdem  nicht.  Der  Fall  sei 
strittig,  wurde  bemerkt,  und  alle  Bemühungen  der  Corveyer  Mönche 
den  Widerstand  des  Papstes  und  der  Cardinäle  zu  brechen,  scheiterten. 
Man  konnte  froh  sein,  dass  Eugen  III.  die  Schenkung  nicht  ohne 
Weiteres  cassirte  i).  Wibald  musste  erst  seine  weitreichenden  Be- 
ziehungen in  Wirksamkeit  treten  lassen,  um  den  Papst  umzustimmen. 
Auf  seine  direkten  Bitten  geschah  es  offenbar,  dass  sich  gegen  den 
Dezember  1147  der  junge  König  Heinrich  in  Abwesenheit  seines 
Vaters  wegen  der  Bestätigung  Kemnades  und  Fischbecks  an  Eugen  III 
wandte  ~).  In  gleicher  Weise  schrieben  zu  derselben  Zeit  Graf  Her- 
mann von  Winzenburg  und  die  Aebte  von  Flechtorf,  Northeim  und 
Grevenkerken  nach  Kom  3).  Herzog  Heinrich  von  Sachsen  liess  sich 
wenigstens  bewegen,  für  die  Gutheissung  der  Schenkung  Kemnades  an 
Corvey  beim  Papste  einzutreten,  desgleichen  der  Bischof  von  Hildes- 
heim und  der  Abt  von  Amelunxborn  ^),  Diese  Fürsprachen  und  das 
widerspenstige  Verhalten  der  Aebtissin  Jutta  hatten  dann  den  Erfolg, 
dass  Eugen  III  seinen  Widerstand  gegen  die  Einverleibung  von  Kem- 
nade wenigstens  mit  Corvey  aufgab  ^).  Von  Fischbeck  hören  wir  auch 
in  päpstlichen  Correspoudenzen  und  Bullen  nichts  mehr.  Wibald  ver- 
suchte dann  König  Conrad  III  bei  dessen  Küekkehr  aus  dem  Orient 
aufs  neue  für  seine  Schenkung  zu  interessiren.  Jedoch  auch  diesem 
scheint  es  nicht  gelungen  zu  sein,  die  Abneigung  der  weltlichen 
Grossen  und  des  Bischofs  von  Minden  gegen  den  Uebergang  von 
Fischbeck  an  Corvey  zu  beseitigen.  Man  darf  es  als  einigermassen 
sicher  ansehen,  dass  Wibald  auf  einem  Tag  zu  Aachen  Weihnachten 
1149  genöthigt  worden  ist,  auf  den  Besitz  dieses  Klosters  überhaupt 
zu  verzichten  ^). 


1)  Ep.  Wib.  No.  46.  '')    Ebenda   No.  68.  s)    Ebenda   No.  71,  72, 

73  u.  74.  *)    Ebenda  No.  70,  69  u.  75.  ^)    Gegen  April  1148.     S.  Ep. 

Wib.  No.  143  u.  Finke  Papsturkunden  No.  68,  79,  81—83,  86,  92  u.  93.  Kelir 
S.  374  meint,  dass  die  Anerkennung  der  Zugehörigkeit  von  Kemnade  zu  Corvey 
von  Seiten  des  Papstes  erst  Ende  1151  erfolgt  sei.  Man  beachte  aber  nur  den 
Ausdruck  in  Wibalds    angeführtem  Brief:    »et  nos  liberati  sumus*.  ß)  Vgl. 

Kehr  376  f. 


608 


1 1  g  e  n. 


Wie  verhalten  sich  nun  zu  diesen  Angaben  unsere  urkundlichen 
Zeugnisse  ?  Wir  erwähnten  schon,  durch  St.  3543  wird  nur  Kemnade, 
durch  St.  3544  aber  Kemnade  und  Fisch beck  auf  Corvey  über- 
tragen. Aber  die  Bedingungen,  unter  welchen  die  Schenkungen  statt- 
fanden, werden  in  beiden  Diplomen  verschieden  angegeben.  Der  be- 
quemeren Uebersicht  halber,  stellen  wir  die  beiden  auf  dieselben 
bezüglichen  Stellen  nebeneinander: 

St.   354.3.  I  St.   3544. 

Sane  de  prefato  loco  (Keminada)  neque  [  Saue  ad  prefata  duo  loca  (Kerninate 
milicia  neque  idlum  servitium  nobis  aut  |  et  Vishike)  neque  tnilicia  neque  ullum 
regno  dehebatur,  et  quoniam  Corbeinsi  servitium  nobis  aut  regno  debebatur, 
monasterio    tani    in   milicia,    quam  in   et  quoniam  Corheiensi  monasterio  tarn 


in  milicia,  quam  in  servitio  ad  hono- 
rem reyni  et  defensionem  sancte  ecclesie 
dignitas  collata  est, 


nos  judicio  principum  ad  corone  no- 
stre  augmentum,  sicut  prescriptum  est, 
manere  decernimus. 


servitio  ad  honorem  regni  et  defen- 
sionem sancte  ecclesie  dignitas  collata 
est,  ex  consensu  fratrum  et  ministeria- 
lium  ipsius  ecclesie  statuimus,  ut  pro 
augmento  prefati  monasterii,  quod  ec- 
clesie Corbeiensi  in  perpetuam  pos- 
eessionem  tradidimus,  ad  debitum 
regis  servitium  VI  marce  aut  servi- 
tium W  marcarum  regno  de  abbatia 
Corbeieusi  persolvantur.  Atque  hanc 
nostre  auctoritatis  donationem  ex  ju- 
dicio principum  regni  nostri,  sicut 
prescriptum  est,  manere  in  perpetuum 
decernimus. 

St.  3543  bedarf  wohl  kaum  der  Erläuterung.  Trotzdem  Kemnade 
bisher  von  Abgaben  an  das  Reich  befreit  gewesen  ist,  verpflichtet  sich 
Corvey,  welches  den  Vorzug  geniesst,  zur  Ehre  des  Eeiches  und  der 
Vertheidigung  der  Kirche  beitragen  zu  dürfen,  nach  üebernahme  jenes 
Klosters  seinen  bisher  gezahlten  Beitrag  au  den  König  oder  das  Keich 
um  6  Mark  oder  eine  gleichwerthige  Leistung  zu  erhöhen.  Diese 
Bestimmung  steht  durchaus  im  Einklang  mit  den  Angaben  des  Chrono- 
graphus.  Die  Differenz  hinsichtlich  der  Höhe  der  Summe  —  nach 
dem  Chron.  i)  sollten  10  Pfund  gezahlt  werden  —  erklärt  sich  sehr 
natürlich  daraus,  dass  dieser  Ansatz  bich  auf  Kemnade  und  Fischbeck 
bezog,  während  der  in  St.  3543  gegebene  (6  Mark)  nur  für  Kemnade 
berechnet  ist. 

Nicht  so  klar  ist  der  Sinn  des  betreffenden  Passus  in  St.  3544. 
Wir  versuchen  deshalb,  ihn  möglichst  wortgetreu  wiederzugeben.  ,,Zwar 
wurde  hinsichtlich  der  beiden  vorgenannten  Orte  (Kemnade  und  Fisch- 
beck) weder  Kriegsdienst  noch   irgend  eine  andere  Leistung  uns  oder 


')  S.  55. 


Die  Schenkung  von  Kemnade  und  Fischbeck  an  Corvey  i.  J.  1147.       609 

dem  Keiche  geschuldet;  weil  nun  aber  dem  Kloster  Corvey  sowohl  in 
Bezug  auf  Kriegsdienste  als  auf  Leistungen  zur  Ehre  des  Kelches  und 
zur  Vertheidigung  der  heiligen  Kirche  eine  besondere  Stellung  über- 
tragen ist,  so  beschliessen  wir  nach  dem  ürtheilsspruch  der  Fürsten 
zur  Mehrung  unserer  Krone,  dass  es  so  bleibt,  wie  vorgeschrieben 
steht."  Wir  sehen  von  der  grammatisch  nicht  ganz  unbedenklichen 
Construction  des  Nachsatzes  ab,  dem  Sinn  nach  erwartet  man  darin 
unbedingt  eine  s;effensätzliche  Bestimmung  zum  Vordersatz,  die  eben 
fehlt.  Der  ganze  Satz  ist  nicht  selbständig  concipirt,  sondern  aus  zwei 
Sätzen  zusammengeschweisst,  derart,  dass  der  vollständig  umgekehrte 
Sinn  der  ursprünglichen  Vorlage  dabei  herausgekommen  ist.  Man  halte 
nur  den  Wortlaut  der  Parallelstelle  in  St.  3543  daneben.  Wie  soll  es 
zur  Mehrung  der  Krone  beitragen  können,  wenn  man  die  bisherige 
Abgabefreiheit  von  Kemnade  und  Fischbeck  auch  nach  der  Verschmel- 
zung mit  Corvey  bestehen  lässt?  Und  die  Auslegung,  „dass  durch  die 
Schenkung  der  beiden  Eeichsklöster  an  Corvey  das  Pflichtverhältniss 
desselben  zum  Eeiche  unverändert  bleiben  und  demselben  durch  die 
Vergrösserung  keine  neuen  Lasten  entstehen  sollten"  i),  widerspricht 
direkt  unseren  sonstigen  in  diesem  Falle  sicher  zuverlässigen  Nach- 
richten über  die  Angelegenheit,  sie  steht  auch  im  schroffen  Gegensatz 
zu  der  parallelen  Festsetzung  in  St,  3543,  durch  welche  ja  schon  der 
Umfang  der  Schenkung  so  wesentlich  gekürzt  ist.  Für  Kehr  ^)  jedoch 
ist  darin  die  Entscheidung  des  Fürstengerichtes  klar  und  deutlich  aus- 
gedrückt, welche  uns  der  lückenhafte  Bericht  des  Chi'on.  nur  andeute. 
Im  Gegentheil  die  Entscheidung  dieses  Fürstengerichtes  lautete  offen- 
bar: weil  dem  Keiche  hierdurch  ein  thatsächlicher  Vortheil  erwächst, 
wird  der  Uebergang  der  kleineren  Klöster  an  das  grössere  für  zulässig 
erachtet.  Kehr  hat  bei  seinen  Ausführungen  vor  allem  unbeachtet 
gelassen,  dass  eben  nach  dem  Zeugniss  des  Chronographus  schon  bei 
der  vorläufigen  Uebertragung  von  Kemnade  und  Fischbeck  an  Corvey 
im  Januar  1147  zu  Fulda  festgesetzt  worden  war,  dass  mit  derselben 
die  Abgaben  dieses  Stiftes  an  den  König  oder  das  Keich  um  10  Pfd. 
erhöht  werden  sollten  3).  In  dem  bereits  angeführten  Schreiben  Con- 
rads III.  an  Wibald  von  1149  wird  die  Aufrechterhaltung  der  Schen- 
kung ausdrücklich  von  der  Zahlung  der  versprocheneu  Gelder  abhängig 
gemacht  ^).  W^ie  soll  man  damit  in  Einklang  bringen,  dass  der  König 
in  Frankfurt  förmhch  auf  jede  Entschädigung  verzichtet  hätte,  wie 
uns  St.  3544   glauben    machen    will?     Der  Chronographus  wird  doch 


1)   Kehr  S.  371.  «)    Ebenda  Anm.  1.  »)    S.  oben   S.  G04  Anm.  2. 

♦)  S.  oben  S.  606  Anm.  4. 

Mittheilungen  XH.  38 


610  iip.'u. 

jeue  Angabe  bez.  der  Keichsheerfahrtssteuer  nicht  zu  Ungunsten  seines 
Klosters  erdichtet  haben,  und  unmöglich  kann  der  König  diese  Be- 
stimmung nachher  einfach  in  ihr  Gegentheil  verkehrt  und  dann 
wiederum  geändert  haben.  Die  Widersprüche,  die  sich  hieraus  ergeben, 
sind  unserer  Ansicht  nach  so  schwerwiegend,  dass  sie  allein  schon 
genügen  dürften,  um  mit  Fug  behaupten  zu  können,  St.  3544  sei  nicht 
aus  der  königlichen  Kanzlei  hervorgegangen  oder  von  ihr  anerkannt. 
Doch  sehen  wir  weiter. 

Dem  Chronographus  i)  zufolge  hätte  zu  Frankfurt  im  März  1147 
Herzog  Heinrich  der  Löwe  die  Vogtei  über  die  Klöster  Kemnade  und 
Fischbeck,  welche  ihm  bisher  zustand,  dem  Könige  zurückgegeben; 
dieser  habe  sie  darauf  der  Corveyer  Kirche  geschenkt,  von  dem  Abte 
derselben  sei  sie  dann  aber  wieder  dem  Herzog  zu  Lehen  aufgetragen 
worden.  Dass  das  in  Bezug  auf  Kemnade  seine  Richtigkeit  hat,  sehen 
wir  aus  dem  Verzichtbrief  des  Herzogs  von  1147^);  für  Fischbeck 
besitzen  wir  einen  solchen  nicht.  Conrad  III.  hat  freilich  im  Beginn 
des  Jahres  1147  den  Herzog  von  Sachsen  direkt  aufgefordert,  die 
Vogtei  über  Fischbeck  ebenfalls  an  Corvey  zu  geben  3).  Dieser  hat 
sich  jedoch  dazu  offenbar,  trotz  des  anderslautenden  Zeugnisses  des 
Chronographus,  nicht  verstehen  wollen^).  Auffällig  aber  bliebe  es 
immerhin,  dass  in  der  ersten  urkundlichen  Bestätigung  der  Schenkung 
—  als  solche  sieht  ja  Kehr  St.  3544  an  —  der  vogteilichen  Verhält- 
nisse der  Klöster  gar  keine  Erwähnung  geschehen  sein  sollte.  Kehr  ^) 
findet  es  nachher  im  Hinblick  auf  die  darüber  gepflogenen  Verhand- 
lungen naheliegend,  dass  der  Verzicht  Herzog  Heinrichs  auf  die  Vogtei 
über  Kemnade  in  St.  3543  Aufnahme  gefunden  habe.  Aber  auch  dem 
Frankfurter  Tag  müssen  Verhandlungen  über  diesen  Punkt  vorauf- 
gegangen sein  und  sie  haben  eben  höchst  wahrscheinlich  zu  dem 
bereits  angegebenen  Resultat  geführt. 

Was  endlich  den  Zusatz  in  St.  3543  anlangt,  wonach  König 
Conrad  bereits  vor  dem  März  1 147  den  Bischof  von  Minden,  in  dessen 
Diöcese  Kemnade  lag,  zur  Reformation  dieses  Klosters  aufgefordert 
habe,  dessen  Bemühungen  aber  umsonst  gewesen  seien,  so  hat  Kehr  e) 
darin  Recht,    dass  wir  Näheres  darüber  nicht    wissen,    was    sich    aber 


')  S.  59.  2)  Bei  Erhard,  Cod  dipl.  bist.  Westf.  No.  262.  Kehr  373  weist 
die  Urkunde,  weil  sie  als  Datum  das  10.  Jahr  der  Regierung  Conrads  trägt,  der 
Zeit  nach  dem  Frankfurter  Tage  zu.  Aber  auch  St.  3542,  zu  Frankfurt  ausgestellt, 
hat  anno  regni  X.  Immerhin  ist  es  ja  sehr  gut  möglich,  dass  die  Ausfertigung 
der  Urkunde  erst  nach  dem  Reichstag  erfolgt  ist.  ^)  S.  oben  S.  605.  ■«)  Dafür 
spricht  doch  auch,  dass  er  Papst  Eugen  III  gegenüber  nur  den  Uebergang  von 
Kemnade  auf  Corvey  befürwortet.     Ep.  Wib.  No.  70.         •'■)  ö.  379.        «)  S.  369. 


Die  Schenkung  von  Kcnmadc  und  Fischbeck  an  Corvey  i.  J.  1147.       (\\\ 

aehi*  leicht  aus  dein  Umstand  erklärt,  das«  das  Archiv  des  Bisthums 
Minden  überaus  lückenhaft  überliefert  ist.  Dass  jedoch  eine  solche  Auf- 
forderung des  Königs  nicht  mehr  an  den  Bischof  von  Minden  ergangen 
ist,  nachdem  Kemnade  eben  zu  diesem  Zweck  an  Corvey  übertragen 
war,  liegt  auf  der  Hand.  Deshalb  treffen  auch  Kehrs  Bemerkungen 
nicht  zu,  dass  die  angebliche  Einschaltung  in  St.  3543  keine  zufällige 
sein  könne,  dass  sie  sich  auf  ganz  bestimmte  Verhältnisse  und  Ereig- 
nisse beziehen  müsse,  welche  erst  in  der  Zeit  nach  dem  Frankfurter 
Tage  eingetreten  seien.  Die  Erwähnung  des  Bischofs  von  Minden  war 
den  Corveyern  unbequem,  weil  dessen  Widerstand  gegen  die  Schen- 
kung auch  nach  der  feierlichen  Bestätigung  derselben  zu  Frankfurt 
noch  fortdauerte. 

Also  nicht  die  Zusätze  an  sich  nöthigen  uns,  die  Entstehung 
von  St.  3543  nach  dem  März  1147  anzusetzen.  Es  kann  nur  eben 
nicht  eine  zweite  Urkunde  mit  dieser  zu  derselben  Zeit  ausgefertigt 
worden  sein,  welche  so  wesentliche  inhaltliche  Abweichungen  auf- 
weist, wie  St.  3544.  Weil  nun  aber  diese  Abweichungen  zum  Theil 
derart  sind,  dass  sie  unseren  sonstigen  Nachrichten,  und  zwar  sehr  zu 
Gunsten  Corveys,  direkt  widersprechen,  da  ferner  die  Auslassungen  in 
St.  3544  geeignet  sind,  gewisse  neben  der  Schenkung  hergehende 
Thatsachen  ebenfalls  wieder  im  Interesse  des  Urkundenempfängers  zu 
verschleiern,  so  wird  der  Verdacht,  dass  hier  eine  Verunechtung  eines 
Originals  durch  Kürzung  einiger  Stellen  desselben  vorliegt  i),  nahezu 
zur  Gewissheit  erhoben. 

Die  Frage  entsteht  nun,  ist  dieses  Original  St.  3543  oder  ist  ein 
solches  vorhanden  gewesen,  durch  welches  gleich  wie  in  St.  3544  die 
Schenkung  von  Kemnade  und  Fischbeck  in  eins  ausgedrückt  war,  das 
aber  nicht  die  Auslassungen  zeigte,  wie  St.  3544?  Die  Unbestimmtheit 
und  der  Wechsel  in  den  Ausdrücken  in  unseren  literarischen  Quellen 
lassen  keinen  Schluss  zu ;  bald  ist  von  den  Privilegien  über  Kemnade 
und  Fischbeck,  bald  von  d  e  m  Privileg  die  Kede  -).  Hat  ein  gemein- 
sames Diplom  existirt,  so  l)leibeu  die  von  Kehr  und  Schum  gegen  die 


')  Zu  derselben  Ansicht  war  aus  den  gleichen  Gründen  bereits  Baring, 
Chivis  dipl.  Praef.  p.  25  f.  gelangt.  Er  erhebt  gegen  Schaten,  aus  dessen  Ann. 
Paderbr.  er  St.  3544  nur  kannte,  den  Vorwurf:  »videtur  illum  studio  oinisisse 
ca,  quae  fortasse  pro  praesenti  rerum  statu  minus  grata  fuerunt'.  Aber  nicht 
dieser  ist  der  Urheber  der  Fälschung ;  die  Schuldigen  sind  offenbar  die  Corveyer 
selbst.  Wersebe,  Ueber  die  niederländischen  Colonien  (vgl.  Kehr  S.  368),  ist  mir 
nicht  zugänglich  gewesen.  -')  Ep,  wib.  No.  35  heisst  es  privilegia  nostra  de 

Kaminade  et  Visbike,  No.  46  dagegen  super  privilegio  de  Kemiuade  et  Visbike. 
Der  C'hrouographus  redet  in  Bezug  darauf  von  litteris  signatis,  scripta  haec  etc. 

38" 


612  Ilgen. 

Ausfertigung  von  St.  3543  eben  auf  dem  Frankfurter  Tage  erhobenen 
Bedenken  zum  Theil  bestehen.  Oder  aber  die  Schenkung  von  Fisch- 
beck  ist  gleich  der  von  Kemnade  durch  eine  besondere  Urkunde  erfolgt 
und  beide  Diplome  sind  noch  in  Frankfurt  selbst  zur  Ausgabe  gelangt. 
Damit  erhalten  wir  auch  die  einfachste  Erklärung  für  die  Veranlassung 
zu  der  mehrfachen  Ausfertigung  (B^  u.  B^)  von  St.  3543^).  Wibald 
reiste  vom  Keichstag  aus  direkt  zum  Papst,  wie  wir  gesehen  haben, 
und  führte  die  Privilegien  über  Kemnade  und  Fischbeck  mit  sich,  um 
sie  sich  von  Eugen  III.  bestätigen  zu  lassen  '^).  Es  liegt  besonders  bei 
den  Anfechtungen,  welche  die  Schenkung  bisher  erfahren  hatte,  nahe, 
zu  vermuthen,  dass  er  sich  ein  Duplicat  geben  Hess,  damit  der  nach 
Corvey  von  Frankfurt  aus  zurückkehrende  Propst  Adalbert  ebenfalls 
ein  Exemplar  in  Händen  habe.  Dann  wird  aber  auch  das  Diplom 
über  Fischbeck  doppelt  ausgefertigt  gewesen  sein.  Diese  Exemplare 
müssen,  als  am  Schluss  des  Jahres  1149  Wibald  zu  Aachen  genöthigt 
wurde,  endgültig  auf  Fischbeck  zu  verzichten  3),  von  Corvey  wieder 
ausgeliefert,  für  ungültig  erklärt  und  vernichtet  worden  sein.  An 
St.  3544  müsste  eigentlich  schon  allein  der  Umstand  auffallen,  dass 
dasselbe  als  angebliches  Original,  ohne  cancellirt  zu  sein,  im  Besitz 
von  Corvey  geblieben  ist,  obgleich  der  darin  ausgedrückte  Inhalt 
durch  spätere  Bestimmungen ,  welche  dann  wie  Kehr  will  in 
St.  3543  eine  erneute  Beurkundung  gefunden  hätten,  zum  Theil  um- 
gestossen  war. 

Aber  nach  den  bisher  gültigen  Ansichten  hat  St.  3544  die  regel- 
mässige Form  der  königlichen  Präzepte.  Zwar  wird  zugegeben,  dass 
die  Urkunde  nicht  von  dem  Ingrossator  von  St.  3543  B^  und  ^  ge- 
schrieben sein  kann.  Schum  ^)  jedoch  findet  die  Schrift  derselben 
ähnlich  der  von  St.  3392,  3455  u.  a.,  welche  von  Stabloer  Schreibern 
angefertigt  sein  sollen.  Kehr  •'')  meiut ,  dass  eine  nahe  Verwandt- 
schaft zwischen  St.  3544  und  der  Purpurausfertigung  von  St.  3543 
bestehe.  Indessen  die  Schrift  von  St.  3544  zeichnet  sich  gegen- 
über der  aller  anderen  uns  bekannt  gewordenen  Origiualpräzepte 
Conrads  III.  durch  eine  merkwürdige  Steifheit  und  Gezwungenheit 
in  der  Form  der  Buchstaben  aus,  welche  auf  eine  Schreiberhand 
schliessen  lassen,  die  in  der  Urkundensclirift  nicht  geübt  war. 
Ihrem  Gesammtcharakter  nach  nähert  sie  sich  der  Buchschrift, 
nur  dass  bei  einzelnen  Buchstaben,  in  den  langen  Schäften  von  „f, 
1,  s"  u.  a.  eine  stärkere  Annäherung  an  die  gewöhnliche  Buchstaben- 


')    Vgl.    hierüber    Schum    375    und    Bresslau,     Urkundenlehre    I,    664  f. 
2)  S.  oben  S.  605  f.  3)  S.  oben  S.  607.  ■•)  S.  349.  «)  S.  381. 


Die  Schenkung  von  Kemnade  und  Fischbeck  an  Corvey  i.  J.  1147.       Q\^ 

form  der  königliclieii  Präzepte  gesucht  ist;  „r"  ist  nur  selten  unter 
den  Strich  gezogen,  an  einzelnen  Stellen,  wie  es  scheint,  sogar  erst 
nachträglich.  Die  langschäftigen  Verbindungen  von  et,  st  waren  dem 
Schreiber  nicht  recht  geläufig.  Die  Abkürzungen  sind  seltener  als  in 
St.  3543 ;  so  wird  „  qui "  fast  stets  ausgeschrieben,  ferner  häufiger  „  et " 
statt  der  Abbreviatur  angewendet;  für  Kmi  ist  carissimi  gesetzt.  Aber 
andererseits  ist  in  der  Sclireibung  der  Eigennamen  z.B.  der  mit  burch 
am  Ende  etc.,  ferner  in  der  Form  einzelner  Buchstaben  —  das  unten 
mehrfach  geringelte  g  kommt  in  St.  3543  B  i  ebenso  wie  in  St.  3544 
nur  in  den  ersten  Zeilen  vor  —  eine  auffallende  üebereinstimmung 
zu  bemerken.  An  der  Stelle  Zeile  10  des  Druckes  bei  Philippi  (S.  303) 
findet  sich  in  beiden  Diplomen  St.  3543  und  3544  allein  die  Ab- 
kürzung dnatione,  während  sonst  stets  donatione  geschrieben  ist.  Das 
könnte  zu  der  Vermuthung  führen,  dass  der  Schreiber  von  St.  3544, 
offenbar  ein  Corveyer  Mönch,  nach  St.  3543  Bi  gearbeitet  habe.  Es 
ist  mir  jedoch  nicht  gelungen  in  Corveyer  Manuscripten  aus  der  Mitte 
des  12.  Jahrhunderts  eine  ähnliche  Hand,  wie  sie  uns  in  St.  3544 
vorliegt,  zu  entdecken. 

Unter  diesen  Umständen  gevsdnnen  aber  auch  einige  Besonder- 
heiten in  St.  3544,  die  auffällige  Umstellung  des  Actum  und  Data 
in  der  Datierungszeile,  die  Verschreib ung  pudicie  für  pudicicie,  die 
Einfügung  von  summus  vor  pontifex,  die  Auslassung  des  Adjektivums 
invictissimi  in  der  Signumszeile,  endlich  die  Schreibung  Frankenewort  i) 
eine  andere  Bedeutung ;  sie  verstärken  die  äusseren  Verdachtsmomente 
gegen  die  Echtheit  des  Diploms,  die  wir  aus  inneren  Gründen  stark 
anzweifeln  konnten,  in  erheblichem  Masse.  Das  Siegel  scheint  freilich, 
soweit  die  Fragmente  desselben  eine  genauere  Vergleichung  zulassen, 
mit  einem  echten  Stempel  hergestellt  zu  sein.  Aber  den  Abdruck  eines 
solchen  zu  erhalten,  konnte  den  Corveyern  gerade  zu  den  Zeiten 
Wibalds  bei  dessen  nahen  Beziehungen  zur  königlichen  Kanzlei  nicht 
allzu  schwer  fallen. 

Ob  nun  aber  das  angebliche  Original  mit  Wissen  Wibalds  2),  oder 
ohne  dass  er  davon  Kenntniss  erhalten  hat,  fabrizirt  worden  ist,  vermag 
ich  nicht  zu  sagen.  Zweck  der  Fälschung  war  offenbar  die  Anrechte 
Corveys  auf  Fischbeck  gegebenen  Falles  damit  zu  beweisen.    Dass  sich 


')  S.  Philippi  Kaiserurk.  II  S.  305  f.  u.  Kehr  S.  371  Anm.  3.  «)  Erwähnen 
wollen  wir  hier,  dass  E.  Sackur  Der  Rechtsstreit  der  Klöster  Waulsort  und 
Hastiere,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  mittelalterlicher  Fälschungen,  in  Quidde's 
Zeitschrift  II  S.  341  ff.  die  Antheilnahme  Wibalds  an  den  Fälschungen  des 
Klosters  Waulsort  aufs  bestimmteste  zu  erweisen  gesucht  hat.  Schum  a.  a.  0. 
in  den  Nachträgen  S.  459  will  daran  jedoch  nicht  recht  glauben. 


s 


dazu  nach  1149  Gelegenheit  geboten  hätte,  ist  uns  nicht  überliefert.  In 
den  späteren  Corveyer  Privilegienbestätiguugeu  der  deutsehen  Kaiser 
wird  dieser  Urkunde  niemals  gedacht;  sie  ist  aber  abgeschrieben  in 
dem  grossen  Copiar  des  Stiftes  Corvey  aus  dem  15.  Jahrhundert  i). 


In  Bezug  auf  die  Frage  nach  dem  Antheil,  welchen  die  könig- 
liche Kanzlei  an  der  Herstellung  der  drei  Ausfertigungen  von  vSt.  3543 
insbesondere  des  Prachtexemplars  gehabt  hat  —  letzteres  ist  offenbar 
nach  B  ^  und  B  ^  abgefasst  —  vermag  ich  zu  Schums  Bemerkungen  2) 
zunächst  nichts  hinzuzufügen;  ich  komme  zum  Schluss  noch  kurz 
darauf  zurück.  Dagegen  bin  ich  in  der  Lage,  einige  Nachrichten  zu 
geben,  die  Kehrs  ^)  Bedenken  gegen  die  Besiegeluug  der  Purpururkunde 
mit  einer  Goldbulle  wohl  vollständig  zu  beseitigen  im  Stande  sein 
dürften. 

Mit  St.  3543  wird  in  späteren  namentlich  corvey 'sehen  Nachrichten 
öfter  zusammeugenannt  St.  3626,  die  Gesammtbestätigung  der  Corveyer 
Privilegien  von  1152,  weil  sie  die  einzigen  mit  Goldbuchstaben  ge- 
schriebenen und  mit  Goldbullen  besiegelten  Kaiserdiplome  Corveys 
gewesen  zu  sein  scheinen. 

Kehr  ^)  will  daran  nicht  glauben.  Er  meint  die  Nachricht,  dass  die 
Purpururkunde  von  1147  eine  Goldbulle  gehabt  habe,  gehe  ausschliess- 
lich auf  Kleinsorgen's  Kirchengeschichte  von  AVestfalen  zurück,  und 
Kleinsorgeu  sei  offenbar  ein  schlechter  Gewährsmann,  zumal  er  behaupte, 
St.  3626  sei  ebenfalls  mit  einer  Goldbulle  versehen  gewesen,  während 
doch  das  erhaltene  Original  nur  ein  aufgedrücktes  Wachssiegel  auf- 
weise. Kehr  führt  auch  noch  Heineccius  ^)  als  Stütze  für  seine  Be- 
denken vor.  Aber  es  ist  nicht  ganz  richtig,  wenn  er  einfach  sagt, 
dieser  zweifele  die  Nachricht  Kleinsorgens  an.  Heineccius  hat  doch 
auch  die  Möglichkeit  zugegeben,  dass  jener  glücklicher  gewesen  sei 
als  er ;  er  seinerseits  habe  nur  das  Loch  gesehen,  in  welchem  die  Gold- 
l)ulle  gehangen  haben  könne;  sie  sei  wahrscheinlich  von  irgend  einem 
geldgierigen  Menschen  abgerissen.  Wir  besitzen  aber  weit  zuverlässigere 
und  ältere  Zeugnisse  dafür,  dass  die  Prunkexemplare  von  St.  3543  wie 
von  St.  3626  —  letzteres  ist  uns  leider  verloren  gegangen  —  mit 
Goldbullen   besiegelt   gewesen   sind.     Bereits   Wigand  *•)    erwähnt   eine 


•)  Msc  I  134  im  .Staatsarchiv  Münster.  *)  Zu  No.  5   der  X.  Lieferuui,'. 

•■')  S.  381  Anm.  2.  *)  S.  381  Anm.  2.  "•)  De  veter.  sigill.  S.  34.  ")  In 

seinem  Archiv  für  Gesch.  und  Alterthnmskunde  Westfalens  I  1.  S.  30  Anm. 
Auf  Veranlassung  des  Bischofs  Erich  von  Hildcsheim  wurden  am  29.  November 
134G  zu  Höxter  im  Chor  der  Kirche  »S.  Kyliani  in  (Jegenwart  seiner  Commissare 
und  einer  Anzahl  dazu  bestellter  Zeugen  die  beiden  Diplome  auszugsweise  trans- 


Die  Schenkung  von  Kennuide  und  Fischbeck  an  Corvey  i.  J.  1147.       615 

Urkunde  aus  dem  Jahre  1346,  welche  Auszüge  aus  den  betreffenden 
Diplomen  Conrads  IIL  und  Friedrichs  I.  und  eine  Beschreibung  der 
an  denselben  befestigt  gewesenen  Siegel  enthält.  Danach  waren  die 
Goldbullen  an  beiden  Exemplaren  mit  rothen  Seidenfäden  angeheftet. 
Diejenige  Conrads  III.  zeigte  auf  der  einen  Seite  dessen  Bildniss  mit 
der  Umschrift :  Conradus  dei  gratia  Komanorum  rex  secundus,  auf  der 
anderen  die  Darstellung  einer  Stadt  mit  der  Umschrift:  Koma  capud 
mundi  teuet  orbis  frena  rotundi.  Die  Bulle  Friedrichs  I.  an  der  Ur- 
kunde von  1152  hatte  die  gleiche  Form.  Auf  der  Bildnisseite  lautete 
die  Umschrift:  Fredericus  dei  gratia  Komanorum  rex,  auf  der  Stadt- 
seite: Roma  capud  mundi  regit  orbis  frena  rotundi.  Und  diese  Ur- 
kunde ist  nicht  die  einzige  Nachricht  aus  älterer  Zeit,  welche  uns  die 
Besiegelung  der  Diplome  Conrads  und  Friedrichs  mit  Goldbullen  be- 
stätigt. In  dem  grossen  Copiar  des  Stiftes  Corvey  aus  dem  15.  Jahrh.i) 
hat  S.  108  neben  die  Ueberschrift  der  Copie  von  St.  3626:  Confirmatio 
omniura  superiorum  Fritherici  regis  eine  Hand  des  beginnenden  16.  Jahr- 
hunderts die  Notiz  geschrieben:  aurea  bulla;  und  an  der  Stelle  des 
Textes,  an  welcher  Bezug  auf  das  Diplom  Conrads  III.  von  1147 
(St.  3543)  genommen  wird,  hat  dieselbe  Hand  an  den  Rand  bemerkt: 
ipsa  est  copia  auree  bulle;  aurea  bulla  est  Conradi  regis  fol.  XL VIII. 
(=  S.  96).  Da  steht  nun  freilich  St.  3544  abgeschrieben  und  neben 
die  Ueberschrift :  Conradi  IL  regis  de  Kaminata  et  Visbike  ist  von  der 
mehr  erwähnten  Hand  ebenfalls  gesetzt:  aurea  bulla.  Dass  aber  hier 
nur  ein  Irrthum  des  betreffenden  Schreibers  vorliegt,  ergiebt  sich,  ganz 
abgesehen  davon,  dass  der  Text  von  St.  3626  klar  und  deutlich  auf 
St.  3543  hinweist  und  von  dieser  uns  das  Prunkexemplar  erhalten  ist, 
auch    noch    aus    Folgendem.     Von    eben    diesem   Registrator   nämlich, 


sumirt.  (Gleichzeitige  Abschrift  in  den  Urk.  dos  Kh  Kemnade  No.  1  im  Staats- 
archiv Münster;  —  die  Abschrift  zeigt  zahlreiche  Schreibfehler).  Wir  geben  die 
Beschreibung  der  Goldbulle  Conrads  III.  —  diejenige  der  Friedrichs  lautet  ebenso  — 
im  Wortlaut:  Bulla  vcro  prcdicte  littore  cum  filis  cericis  rubeis  appcnsa  erat 
aurea,  habens  effigiem  regis  in  una  parte  et  habens  in  circumferentia  has 
karacteras:  .Conradus  dei  gratia  Romanorum  rex  secundus«;  ab  alia  vero  parte 
effigiem  urbis  cujusdam  continebat  et  in  circumferentia:  .Roma  capud  mundi 
tenet  orbis  frena  rotundi  V  —  Die  Beschreibung  der  ebenfalls  verschwundenen 
(loldbulle  an  der  Purpururkunde  Lothars  III.  für  Stablo  (St.  3353)  gibt  Quix,  Cod. 
dipl.  Aquensis  I  No.  102  S.  74  f.  wahrscheinlich  nach  einem  neueren  Copiar 
folgendermassen :  Et  appendebat  sigillum  aurcum  cum  effigie  imperatoris  ab  una 
parte  circumducta  scripsione  sequenti :  » Lotharius  dei  gratia  II  Roman,  imperator 
Aug.*;  altra  vero  parte  aderat  effigies  capitolii,  cui  inerat  inscriptio  aurea: 
,Roma  Caput  mundi  regit  orbis  fraena  rotandi*  (!). 
')  Msc  I  134  des  Staatsarchivs  Münster. 


616  Ilgen. 

welcher  das  aurea  bulla  i)  zu  den  Ueberschriften  im  Copiar  angemerlct 
hat,  ist  auf  der  Rückseite  mehrerer  Originalurkunden  notirt,  auf  welchem 
Blatte  die  betreffenden  Stücke  in  dem  Copiar  des  15.  Jahrhunderts  ab- 
geschrieben sind.  Auf  der  Kückseite  von  St.  3543  B^  heisst  es  nun: 
hoc  Privilegium  habetur  in  copionali  fol.  XL'STJI,  wo  aber,  wie  bereits 
erwähnt,  St.  3544  copirt  ist,  während  jene  sich  erst  auf  fol.  LXXII 
(=  S.  143  f.)  findet.  Endlich  sei  noch  das  Zeugniss  -Tob.  Letzners 
aus  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  vorgeführt.  Im  13.  Kapitel  seiner 
Corbeischen  Chronica  ^)  sagt  er :  Anlangend  die  Privilegia  der  Kaiser  etc., 
welche  zum  Theil  mit  gülden  Buchstaben  geschrieben  und  mit  ver- 
güldeten  Siegeln  befestigt,  hab  ich  dergleichen  an  keinem  orth  in  so 
guter  und  fleissiger  Verwahrung  gesehen  als  in  diesem  Stift.  Und  im 
Kapitel  24.  heisst  es:  Wickboldus  der  28.  Abt  hat  von  den  beiden 
Kaisern  Conrado  III.  und  Friderico  I.  die  herrlichen  und  schönen 
Privilegia,  so  noch  vorhanden,  bekommen. 

Diese  durchaus  zuverlässigen  und  von  einander  unabhängigen  Auf- 
zeichnungen anzuzweifeln,  liegt  nicht  der  geringste  Grund  vor,  und 
man  wird  daher  doch  daran  festhalten  müssen^  dass  auch  von  St.  3626, 
ausser  der  jetzt  noch  vorhandenen  in  der  Form  der  gewöhnlichen 
Präzepte  gehaltenen  Originalausfertigung,  ein  Prunkexemplar  existirt 
hat.  Dieses,  wahrscheinlich  ebenfalls  auf  Purpurgrund  mit  Goldschrift 
geschrieben  und  mit  Goldbulle  besiegelt  gewesen  3),  ist  in  den  Stürmen 
des  30jährigen  Krieges,  welche  für  Corvey  besonders  verderbenbringend 
waren,  ebenso  wie  die  Goldbulle  von  St.  3543  B^  abhanden  gekommen. 
Von  letzterer  behauptet  Pauliini*),  sie  sei  1634  bei  der  Eroberung 
Höxters  gestohlen  worden.  Kehr  ^)  würde  diese  Angabe  gewiss  nicht 
in  so  lebhafte  Zweifel  gezogen  haben,  wenn  er  den  zeitgenössischen 
Bericht «)  über  die  Schicksale  des  Corveyer  Archivs  bei  der  Erstürmung 


')  Derselbe  Schreiber  hat  auch  die  gleiche  Bemerkung  an  den  betreffenden 
Stellen   in    der    dem  Copiar  vorgesetzten  Tabula   gemacht.  ^)  Ausgabe  von 

1590.  3)  Im  Msc  I  147  des  Staatsarchivs  Münster  (Handschrift  des  17.  Jahrh. 

2.  Hälfte)  findet  sich  folgende  Ueberschrift  zu  der  Copie  des  Diploms :  Fridericus 
rex  Corbeiensium  jura  et  privilegia  magnifico  aureisque  litteris  conscripto  diplo- 
mate  instaurat;  aureisque  litteris  ist  aber,  wie  es  scheint,  mit  derselben  Tinte 
wieder  durchstrichen.  Vgl.  Schatens  Beschreibung  der  Urk.  in  den  Ann.  Paderb. 
I  790  (resp.  551).  Danach  erledigen  sich  auch  die  Bedenken  Bresslaus  Urkunden- 
lehre I  903  Anm.  2  von  selbst.  ■»)  Hist.  Visb.  S.  57.  »)  S.  381  Anm.  2. 
«)  Abgedruckt  in  Wigands  Archiv  I  1,  S.  27—30.  Da  derselbe  an  dieser  Stelle 
bisher  so  wenig  Beachtung  gefunden  hat,  scheint  es  mir  in  Anbetracht  der  Be- 
deutung des  Corveyer  Archivs  angezeigt,  den  Hauptpassus  desselben  hier  wörtlich 

zu  wiederholen ^.Weil  die  heiligen  Reliquien  S.  Viti  aliorumque    sanctorum 

Corpora,  Kirchen-Ornate,  alle  calices,  Monstranzen,  Casulen  etc.,  alle  antiquitates 


Die  Schenkung  von  Kemnade  und  Fischbeck  an  Corvey  i.  J.  1147.       617 

Höxters  i)  durch  die  Kaiserlichen  in  der  Charwoche  (13 — 14  April) 
1634  gekannt  hätte.  Damals  sollen  viele  herrliche  Siegel  und  Briefe 
vollständig  abhanden  gekommen  sein,  unter  denen  sich  auch  die 
Privilegien  der  Kaiser  befanden,  welche  mit  Ducatengold  geschrieben 
und  versiegelt  waren ;  nicht  eines  hätte  sich  davon  wiedergefunden. 

Doch  das  Pergament  des  Prachtexemplars  von  St.  3543  muss  später 
wieder  zum  Vorschein  gekommen  sein,  während  dasjenige  von  St.  3626 
eben  damals  vernichtet  worden  ist.  Nur  das  Kanzleipräzept  der  letzteren 
hat  sich  erhalten.  Vielleicht  ist  umgekehrt  von  St.  3353,  der  Purpur- 
urkunde Lothars  III.  für  Stablo  aus  dem  Jahr  1137,  die  gewöhnliche 
Kanzleiausfertigung  durch  einen  bösen  Zufall  abhanden  gekommen? 
Liesse  sich  für  dieses  Diplom  ein  derartiger  Nachweis  2)  erbringen,  so 
würde  die  Annahme  von  der  Entstehung  der  Prachtexemplare  ausser- 
der  kaiserlichen  Kanzlei  ^)  eine  nicht  unerhebliche  Stütze  finden. 


von  Gold,  Silbergeschirr,  ja  das  ganze  Archivum  weggenommen  war,  so 
haben  J.  Fürst!.  Gnaden  mein  gnädiger  Herr  zu  Corvey  für  mich  Salvum  Con- 
ductum  schriftlich  begehrt,  auch  erhalten  (am  14.  April);  womit  ich  mich  nach 
dem  Minoriten-Kloster,  um  Siegel  und  Briefe  wieder  aufzusuchen,  erheben  müssen, 
woselbst  dann  unten  und  oben  alle  dahin  geflüchtete  Bette  ausgeschüttet  und 
darunter  voll  todter  Körper  mit  Siegel  und  Briefen  vermischt  befunden.  Es 
waren  aber  unsere  Corveysche  Siegel  und  Briefe  schändlich 
unter  den  Füssen  zertreten,  wie  der  Augenschein  noch  mit- 
bringt, welches  dann  Ursache  ist,  dass  von  den  ansehnlichen 
Päbstlichen  und  Kaiserlichen  auch  ande  ren  Corvey  schenBrie  f- 
schaften  die  Siegel  abgerissen  und  ganz  zertreten  sich  befunden, 
welches  ich  der  Posteritati  zur  Nachricht  auf  Begehren  meiner  Herren  Confratrum, 
der  Herren  Capitularen  zu  Corvey,  mit  dieser  meiner  Hand  und  Siegel  als  er- 
gangen zu  sein,  hiemit  bekräftige,  und  ist  nicht  zu  zweifeln,  dass  auch  viele 
herrliche  Siegel  und  Briefe  gar  weggekommen,  denn  es  waren 
darunter  privilegia  Imperatorum,  welche  mit  Ducatengold  ge- 
schrieben und  versiegelt  waren,  davon  auch  nicht  Eins  wieder- 
gefunden.* Vgl.  ferner  die  Notiz  über  das  Schicksal  der  Handschrift  der  Fasti 
Corbeienses  bei  Jaffe  M.  C.  28. 

*)  Hierhin,    in    das  Minoritenkloster  in  der  Stadt  Höxter,    war   das  Archiv 
des  Stiftes   geflüchtet  worden.  ^)  Wie    mir   mein  College  Dr.  Wächter   aus 

Düsseldorf  gütigst  mittheilt,  ergibt  sich  freilich  aus  der  späteren  Ueberlieferung 
des  Archivs  von  Stablo  kein  Anhalt  dafür,  dass  ehedem  in  demselben  eine  ge- 
wöhnliche Ausfertigung  von  St.  3353  aufbewahrt  worden  sei.  s)  Vgl.  hierzu 
Th.  V.  Sickel  Das  Privilegium  Otto  I.  für  die  Römische  Kirche  v.  J.  962.    S.  10. 


Das  Gcriclitsprotokoll  der  köii.  Freistadt  Kascliau 
in  Ober-Ungarn  ans  den  Jaliren  1556—1608. 

Von 

Dr.  F.  V.  Krön  es. 

Mein  Berut'slebeu  führte  mich  vor  vierimddreissig  Jahreu  an  das 
Ufer  des  Hernad-Flusses,  in  den  Hauptort  des  nordöstUchen  Ungarns, 
in  die  Stadt  deutscher  Gründung,  an  deren  Mauern  sechs  Jahrhunderte 
bewegten  Geschichtslebens  vorüberzogen. 

Ein  fünQähriger  Aufenthalt  in  Kaschau  bot  mir  Anlass,  Gelegen- 
heit und  Mittel,  den  Geschichtsquellen  des  deutschen  Volksthuras  auf 
dem  Boden  Oberungarns  näher  zu  treten,  und  die  Vorliebe  für  diese 
Studien  mit  dem  hiefür  an  Ort  und  Stelle  gesammelten  Stoffe  be- 
gleitete mich  über  die  Leitha  zurück,  wie  dies  eine  Keihe  anspruchs- 
loser  Studien  bezeugt  i).  Manches  von  dem  dort  Gesammelten  blieb 
noch  unverwerthet,  da  sich  die  Geleise  meiner  Arbeit  in  andere  Gebiete 
zogen,  von  andern  Aufgaben  vorgezeichnet  wurden. 

Zu  diesen  ,  Findlingen "  meiner  damaligen  Besuche  des  reichhal- 
tigen und  dem  jungen  Historiker  freundlich  erschlossenen  Stadtarchivs 
zählt  denn  auch  der  Stoff  dieser  Studie,  die  theilweise  Abschrift  des 
„Protocollum  judiciorum  et  poenarum  malefactorum  ab 
anno  15,56  u.  a.  a.  1608".  Das  umfangreiche  Buch  lässt  jene  latei- 
nischen,  selbst  griechischen  Einbegleitungen  nicht  vermissen,    die  uns 


')  ^Zur  ältesten  Gescliichte  der  oberiinprarischen  Fi-eistadt  Kascliau*.  Arch. 
f.  K.  ö.  GQ.  Wiener  K.  Akad.  d.  W.  XXXI.  1—56  (1864).  —  »Deutsche  Gescliichts- 
und  Kechtsquellen  aus  Oberunsarn«  Ebda.  XXXIV.  211—252  (1865).  —  »Zur 
Gesch.  des  deutschen  Volksthums  im  Karpatenlande  mit  besonderer  Rücksicht 
aut  die  Zips  und  ihr  Nachbargebiet«,  Graz  1878  Univ.  Festschrift.  —  Hieher 
zählen  auch:  »Die  böhmischen  Söldner  in  Oberungam*  (Grazer  Gymn.  Progr. 
1862);  >Der  Thronkampf  der  Pfemysliden  und  Anjous  in  Ungarn*  (Oc.  Gymn. 
Ztschr.  1863  u.  186.5)  und  »Das  angiovin.  Königthum  u.  s.  8ieg  über  die  Oli- 
garchie« (Grazer  Gymn.  Progr.  1865). 


Das  Gerichtsprotokoll  d.  kün.  Frei.stadt  Kascluui  a.  d.  J.  155«— IfJOS.       ßlO 

auch  sonst  in  den  Stadtbücliern  begegnen  und  für  die  höhere  Schulung 
der  Schreiber  Belege  bieten  i). 

Wir  kennen  die  Reihe  der  regelrecht  auf  ein  Jahr  gewählten 
Stadtrichter  (judices  civitatis),  deren  Amtsführung  den  Zeitraum 
ausfüllt  ^),  in  welchem  sich  das  Gerichtsprotokoll,  sein  bunter  Inhalt, 
bewegt.  Es  sind  fast  durchaus  deutsche  Namen  und  sie  beweisen, 
dass  der  Kern  des  Kaschauer  Bürgerthums  deutsch  geblieben  war, 
trotz  aller  schweren  Stürme,  die  es  heimsuchten. 

Der  schlimmste  hatte  sich  zwanzig  Jahre  vor  dem  Anfange  der 
Einzeichnungen  unsers  Protokolles  zugetragen ,  als  K.  Johann 
(Ztipolya),  1536  Herr  der  Stadt  geworden,  einen  grossen  Theil  der 
Kaschauer  Bürger  heimatlos  machte  und  theils  nach  Grosswardein, 
theils  nach  Szegedin  und  Debreczin  abführen  liess.  Das  kam 
dem  bereits  sesshaften  oder  nunmehr  einwandernden  Magyarenthum 
zu  Statten.  Und  auch  als  Kaschau  wieder  an  K.  Ferdinand  I. 
(1551)  zurückgefallen,  wog  das  Interesse  der  Krone,  die  Stadt  dichter 
zu  lie Völkern,  vor,  und  hielt  den  Magyaren  die  Thore  offen  ^).    Ander- 


')  Aurora,  ciii  Operis  tertia  sortitur  pars,    "lluiq  '(■«?  spfoto  tpltYjv  äTrojXE'.pEtai 
atjav.  —  Aurora  tibi  promovet  quidem  viam  promovetque  laboreni. 
Si,  quoties  peccant  homines,  sua  fulmina  mittat 
Jupiter,  exiguo  tempore  inermis  erit 
Deuteronom.    cap.    XIX.     Auferes   malum    de    medio    tui.     Ut    audientes    cieteri 
timorem  habeant  et  nequaque  talia  audeant  facere.     Non   misereberis    eius,    scd 
animam   pro  anima,    oculum   pro  oculo,    dentem    pro  dente,    manum  pro  manu, 
]iedem    pro  pede    exiges,  ^)  Wir    finden  1556—1586  Laurenz  Goltschmid 

rtmal;  1557—1563  Emericb  Tatschner  2mal;  1559  Job.  Fink  Imal;  1564 
Balth.  Thonhauser  Imal;  1569—1585  Jakob  Grottker  3mal;  1572—1573 
Wolfgang  W a g n e r  (Goldscbmied)  Imal;  1577  Leonh.  Kromer  Imal;  1580  bis 
1600,  Martin  Wenzel  5mal;  1591—1602  Andreas  Materna  Imal;  1598—1601 
Rainer  2mal;  1603— 160i  Job.  Bocatius  (s.  w.  u.)  zu  Stadtrichtern  gewählt 
vor.  3)    s.  d    k.  Mandat  K.  Ferdinands  I.    v.  7.  April    1552    (Kasch.  Archiv. 

veröfF.  in  Magyar  evkönyv,  1838  III.  S.  100  ft".  —  ,Nos  supplicationc  ipso- 
rum  civium  nationis  hungarice  admissa,  concessimus,  ut  omnes  hun- 
garice  nationis  cives,  quicunque  scilicet  modo  premisso,  sub  bis  disturbiis,  in 
medium  aliorum  veterum  civium,  onera  civitatis  laturi,  emptisqiie 
bonis  et  domibus  in  eadem  ci  vi  täte  nostra  Cassoviensi  per^ietuo  habitaturi  sese 
contulissent ,  jamque  in  numerum  reliquorum  civium  recepti,  ed  ad  raunia, 
tunctionesque  civiles  admissi  cssont,  in  posterum  futurisque  temporibus,  luquali 
libertate  iisdemque  privilegiis  dignitatibus  tarn  in  judicatu  quam  in  senatu  ora- 
nil)usque  fonctionibus  et  offieiis  sine  ullo  personarum  vel  nationis  dis- 
(rimine  juxta  tenorem  veterum  privilegiorum  cum  ceteris  gcrmanice  vel  alterius 
nationis  vetustioribus  civibus  uti  etfruipossint.*  A.  a.  0.  findet  sich 
auch  die  in  ihrer  Sprache  geschriebene  Beschwerde  der  magyarischen 
Insassen,  au  den  K.  Ferdinand  gerichtet,  worin  sie  um  Gleichstellung  bitten, 


620  -K  r  0  n  e  8. 

seits  schien  es  geboten,  der  Erschleichung  des  Bürgerrechtes 
vorzubeugen  ^j. 

Dennoch  kräftigte  sich  wieder,  durch  die  Zuwanderung  aus 
deutschen  Landen  und  die  Bedeutung  Kaschaus  als  Haupt- 
ort des  ostungarischen  Gebietes ,  Bollwerk  seiner  Vertheidigung 
und  Knotenpunkt  seines  Verkehres,  —  das  ursprüngliche  nationale 
Gepräge  seines  Bürgerthums ;  das  deutsche  Bürgerthum  wog  wieder 
unbestritten  vor.  Es  war  dies  besonders  seit  den  Tagen  K.  Maxi- 
milians IL  der  Fall,  als  sein  oberster  Feldhauptmann,  der  wackere 
Lazar  Freih.  v.  Schwendi,  in  Kaschau  befehligte  und  für  neue, 
wichtige  Befestigungen  der  Stadt  Sorge  trug  (1566).  So  gewann  sie 
das  Aussehen,  welches  uns  beiläufig  in  der  Abbildung  Kaschau's 
aus  d.  J.  1617,  von  der  Hand  des  Niederländers  Egidius  van  der 
Rye,  mit  dem  Kommentar  Georg  Hufnagels,  vorgeführt  wird.  2). 

Die  Schlussjahre  unseres  Protokolles  1604 — 1608  bescheerten  der 
Stadt  Kaschau  neue  Prüfunoren.     Sie  waren  länsst  einsreleitet  von  der 


wie  sich  diese  bei  der  Bürgerschaft  Ofens,  T 3' maus  und  Klausenburgs 
»altersher*  vorfinde. 

')  Kasch.  Arch.  Mandatum  regium.  Vienne  12.  Nov.  ,Qui  pro  veris  habendi 
sunt  cives*. 

.  .  .  Cum  autem  cives  istius  civitatis  non  alii  sint  nee  alii  intelligi  possint, 
quam,  qui  in  civitate  non  tantum  domunculum  emptum  aut  con- 
ductuni  habent,  sed  qui  corporalem  residenciam  in  eo  loco 
facere  dinoscuntur,  ex  certissima  juris  regula  scilicet  privilegia  omnia 
per  abusum  amraitti  et  de  facto  pro  nullis  conferri.  Idcirco  fideli- 
tati  vestre  mandamus  harum  serie  firmiter  et  committimus,  ut  a  die,  quo  pre- 
sentes  nostre  vobis  exhibentur  computando,  desinatis  eos  incolas  subditos  vestros, 
qui  in  a  1  i i s  civitatibus,  oppidis,  villisque  quibuscunque  resident,  pro  nostris 
concivibus,  quaUcunque  mercede  excepta ,  reputare  aut  libertates 
vestras  cum  talibuscommunicarein  defraudationem  vectigalium  nostro- 
rum  regalium.  Nam  alioquin  certos  vos  esse  volumus,  quodsi  unico  casu  aut 
e X e m p  1 0  nos  diversum  fecisse  comperiemus,  idde  abrogandis  privilegiis 
vestris  statuemus,  quod  juri  maxime  congruum  fore  videbitur.  -)  Cassovia 

superioris  Hungarise  civitas  primaria,  depictam  ab  Egidio  van  der 
Rye,  Belga,  comm.  Georg.  Hufnagelius  ao.  1617.  Kasch.  Stadthaus.  Die  Aufnahme 
erfolgte  von  der  südwestl.  Seite.  —  Die  Stadt  erscheint  von  einer  doppelten 
Mauer  umgeben ;  die  äussere  mit  kleinen  Thürmchen,  stark  gewinkelt,  auf  einem 
hohen  Erdwalle ;  zwischen  beiden  Mauern  sind  Bäume  gepflanzt  zu  sehen.  Die 
innere  Mauer,  viereckig,  trägt  grössere  Thürme.  Die  rothgedachte  Stadt  zeigt 
1)  in  der  Mitte  die  grosse  Kirche  {Elisabethdom)  mit  dem  einen  höheren,  spitz- 
gedachten und  mit  einem  Kreuze  versehenen  Thurme,  während  der  zweite  ab- 
gebrochen aussieht,  2)  die  kleine  (ältere)  oder  St.  Michelskirche,  3)  das  alte 
Rathhaus  mit  einem  hohen,  viereckigen  Thurme,  4)  die  ehemalige  Minoriten- 
dann  Franziskaner-Kirche,  5)  den  vielthürmigen  Bau  des  Biirgerspitals  z.  h.  Geiste 
und  6)  die  zerstört  und  wüst  aussehende  Dominikanerkirche. 


Das  GericMsprotokoU  d.  kön.  Freistadt  Kaschau  a.  d.  J.  1556—1608.      621 

allgemeinen  Unsicherheit  der  öffentlichen  Zustände,  dem  leidigen  Er- 
gebnisse dar  Regierung  K.  Eudolfs  II.  —  Seit  1603  trieb  Ungarn 
dem  Glaubens-  und  Bürgerkriege  entgegen,  und  die  Wegnahme  der 
Hauptkirche,  in  welcher  protestantischer  Gottesdienst  längst  heimisch 
geworden  —  in  Folge  Regierungsbefehles,  —  zu  Gunsten  des  Katholizis- 
mus durch  den  Erlauer  Sprengelbischof,  unter  den  Augen  und  mit  dem 
Beistande  des  Kommandirenden,  Grafen  Barbiano  de  Belgiojoso  i),  war 
(1603)  ein  Ereignis,  das  in  den  Augen  der  Protestanten  und  der  Be- 
wegungspartei Oberungarns  eben  so  aufregend  wirkte,  als  der  ver- 
hängnisvolle Artikel  im  Eeichsdekrete  von  1604,  den  der  Herrscher 
aus  eigener  Machtvollkommenheit  beigefügt.  Die  Folgen  dessen  ergaben 
sich  als  Erhebung  jener  Partei,  im  Bunde  mit  dem  Aufstande  des 
siebenbürgischen  Magnaten,  Stefan  Bocskay,  und  anderseits 
zeigen  sie  sich  bedeutsam  genug  in  der  verbitterten  Stimmung  des 
protestantischen  Kaschau,  das  dem  bei  Dioszeg  zurückgedrängten 
Barbiano  (26.  Okt.  1604)  die  Thore  verschloss,  und  sie  dem  Haj- 
duken-Obersten  Blasius  Lippay  vom  Anhange  Bocskay's  (30.  Okt.) 
öffnete. 

Damals  war  Vormund  oder  Vorsprech  der  Gemeinde  Melchior 
Rainer  und  Stadtrichter  Bokatzius^).  Geboren  1560  zu  Vetschau 
in  der  Lausitz,  an  der  Wittemberger  Hochschule  gebildet,  kam  der 
begabte  Mann  durch  Vermittlung  seines  Lehrers  Niklas  Giebel  nach 
Ungarn,  versuchte  sich  zunächst  mit  der  Errichtung  einer  Schule  im 
Zipser  Sachsenlande,  erhielt  1594  vom  Rathe  der  Stadt  Eperies  in  der 
Sehäroscher  Gespanschaft  einen  Ruf  als  Rektor  des  Collegiums  der 
Augsburger  Confessionsverwandten  alldort  und  fand  dann  (1599)  ^)  den 
Weg  nach  Kaschau  als  Ratschreiber,  Später  1603 — 1604  begegnen 
wir  ihm  als  Stadtrichter.  Die  Rolle  eines  Diplomaten  Bocskay s  1604 
bis  1606  bescheerte  dem  gewandten  Manne,  nebenbei  auch  „poeta 
laureatus",  nachmals  eine  lange  Haft  zu  Prag,  aus  der  ihn  der  Muth 
und  die  List  seiner  Frau  zu  befreien  beflissen  war. 


')  Die  Weisung  an  die  Stadt  erging  vom  Administrator  des  Graner  Erz- 
bistliums  aus ;  der  Befehl  an  Belgiojoso  von  Erzh.  Mathias.  Der  Bischof  von 
Erlau  hatte  damals,  da  Erlau  längst  türkisch  geworden,  seinen  Sitz  im  Prämonstr, 
Kloster  Jöszau  (Jäszö)  —  nicht  weit  von  Kaschau.  ^)  Sein  Name  findet  sich 

auch  als  »Bogäthy*  magyarisirt.  Eine  biographische  Skizze  über  ihn  veröffent- 
lichte Dulhäzi  in  der  Ztschr.  Felsö  Magyarorszägi  Minerva,  1825,  2.  Heft. 
3)  Er  selbst  verewigte  seinen  Eintritt  in  die  Rathsgeschäfte  durch  die  Titelüber- 
schrift des  Protocollumdeterminationummagistratualiumde  anno 
1598,  1599,  1600,  1601,  1602  incl.  »Receptaculum  rerum  forensium  in  curia 
Cassoviensi  per  Sebaldum   Artnerum   exceptarum,   deinde  continuatum  per 


622  Krön  c  s. 

Kascliau  war  der  Sitz  Bocskays,  des  „Fürgteu  vou  Ungarn"  ge- 
worden; in  seinen  Mauern  tagte  die  wichtige  Ständeversammlung, 
welche  au  dem  Wiener  Frieden  Kritik  übte ;  hier  starb  (25.  Dez.  1606) 
Bocskay  jähen  Todes;  auf  dem  Hauptplatze  verblutete  (13.  Jan.  1607) 
sein  Geheimschreiber  Kätay  unter  den  Säbelhieben  der  erbitteiien 
Edelleute,  die  ihn  Verrathes  und  Giftmordes  ziehen ;  hier  fand  (2.  Febr.) 
die  glänzende  Leichenfeier  des  verstorbenen  Fürsten  statt.  Dann  über- 
nahmen (12.  Febr.)  Sigmund  Forgäcs  und  Andreas  Doczy  die  Stadt 
im  Namen  des  Königs  von  Ungarn. 

Das  ist  der  äussere  Kalimen,  der  Gang  der  Ereignisse  i),  innerhalb 
dessen  das  Gerichtsbuch  Kaschaus  erwuchs,  das  uns  nun  beschäftigen 
soll.  Es  spiegelt  so  recht  ab:  Die  Mischung  der  }3evölkerung,  den 
Einfluss  der  kriegerischen  Zeit,  des  Söldnerwesens  in  seinen  Mauern, 
Verrohung  und  Gewaltthat  im  Baunkreise  der  Stadt,  die  ihre  volle 
Gerichtsbarkeit  auf  Grund  alter  Freibriefe  und  nach  altem  Her- 
kommen ausübt,  als  „gehegit  Ding"  (Judicium  necessarium  baunitura), 
„kleines  und  gTOSses  Gericht",  mit  den  Schöffen  als  Urtheilsfindern 
für  Kechtsstreit,  Vergehen  und  Verbrechen  -'). 

Es  ist  nicht  leicht,  den  begreiflicher  Weise  vielseitigen,  bunten 
Inhalt  des  Gerichtsbuches  unter  allgemeine  Gesichtspunkte  zu 
bringen  und  die  nothweudige  Auswahl  unter  den  zahlreichen  Fällen 
zu   trefien.     Immerhin  wollen  wir   es  versuchen    und    mit  jenen  Auf- 


me  Joann.  Bocatium  P.  L.  C.  ad   hoc   officium    legitime    vocatum 
hoc  anno  1599,  15.a  Nov.  —  Dazu  als  Motto: 
J,  Sirach  X. 

Simpliciter  rectumque  tuum  me  Christe  gubevnot. 

Noli  condemnare  ullum  non  cognita  causa. 

Cognosce  primum,  deinde  poenam  statue. 
Virgil.  Aen.  6: 

>Discite  justitiam  moniti  et  non  temneve  divos. 
quo  erit  melius.* 
»)  Eine  noch  immer  brauchbare,  weil  sprachlich  weitern  Kreisen  zugäng- 
liche Skizze  der  Stadtgeschichte  bildet  das  von  Jesuitenfeder  abgefasste  Büchlein 
Cassovia  vetus  ac  nova,  Cassovia^  1732,  während  die  deutsch  geschriebene 
,Kaschaua-  Chronik*  von  Plath  (Kaschau  1860)  mehr  ein  Curiosum  genannt 
werden  muss.  Entschieden  besser  ist  die  fleissige  Arbeit  vou  Tutkö,  Sz.  K. 
Kassa  väros  törten.  evkönyve  (Jahrb.  d.  St.  K.)  Kaschau  1861,  wenn  ihr  auch 
manches  an  Kritik  gebricht.  ")  So  heisst  e.s  z.  J.  1563:  Judicium  neces- 

sarium bannitum  celebratum  est  feria  quinta,  ipso  die  S.  Silvestri  ao.  dorn. 
1562  per  lamatos  viros  Joannem  Lcpiczki  vice-advocatum  juratum  et  septem 
Bcabinos  nomiuibus  et  cognominibus  in  magno  iudicio  expresso.  —  Hier 
finden  wir  das  kleinere  und  grössere  »Recht %  »Gericht*  oder  »Ding*  auseinander- 
gehalten. Die  Einzeichnungen  der  Gcrichtsfälle  wechseln  in  Bezug  der  Sprache 
ab,  sie  sind  deutsch  oder  lateinisch;  erstores  wiegt  vor. 


Das  Gerichtsprotokoll  d.  kün.  FreistatU  Kaschau  a.  d.  J.  1556'  — i<j08.       623 

zeiclmungeu  beginnen,  die  wir  unter  dem  Titel  Schädigung  frem- 
den Eigen th ums  zusammenfassen.  Den  Keigen  mögen  Schuldner 
eröffnen. 

155G  entwich  ein  gewisser  Franz  Zeoch  (Szöcs)  aus  der  städtischen 
Haft.  Er  kam  dann  aus  Wien  mit  seinem  Weibe  und  drei  Kindern 
nach  Kaschau  zurück  und  wies  ein  kaiserliches  Mandat  v.  25.  Mai  d.  J. 
vor,  worin  K.  Max  IL  den  Genannten  innerhalb  eines  Jahres  von 
jeder  Zahlungsobliegenheit  freisprach  i),  den  Pressburger  Bürger,  Tho- 
mas Bornemisza,  ausgenommen.  Der  entwichene  und  nun  heimkehrende 
Schuldner  bat  um  Verzeihung.  Der  Eath  erklärte  jedoch,  dies  ohne 
Zustimmung  der  ganzen  Gemeinde  nicht  thun  zu  können.  Nun  fand 
sich  denn  Szöcs  vor  dem  Rathe  und  der  Gemeinde  ein  und  erlangte 
durch  Fürsprache  Vieler  die  Begnadigung. 

Ein  anderer  Fall  ereignete  sich  im  J.  1577.  Simon  Faustweller 
war  Schuldner  des  Blasius  Karachon  (Karäcson).  Da  er  als  zahlungs- 
unfähig sich  erwiesen,  wurde  er  seinem  Gläubiger  „nach  Eechten  des 
Reiches  innerhalb  dreier  Tage  ausgeliefert,  letzterer  jedoch  verhalten, 
ihn  nach  Rechtsbrauch  zu  behandeln  und  zu  halten". 

Besonders  reichlich  ist  die  Ausbeute  in  Hinsicht  des  Dieb- 
stahls. 

1562  wurde  der  achtzehnjährige  Sohn  des  Galle  wegen  Einbruch- 
diebstahls bei  dem  Goldschmied  Lorenz,  in  der  Höhe  von  50  Gulden 
Werthes,  gehängt;  Margare the  Stanislawin  wegen  Theilnahme  an  Dieb- 
stahl aus  der  Stadt  verwiesen ;  der  Diener  Janosch  als  ,  Einbrecher " 
in  seines  Herrn  Küche  gestäupt  und  „auf  hundert  Jahre"  aus  der 
Stadt  verbannt. 

Härter  lautete  begreiflicherweise  das  ürtheil  über  Hanns  Jörge, 
den  Sohn  Breyers  aus  Bartfeld,  den  mau,  als  Gewohnheitsdieb 
vor  Jahren  bereits  stadtverwiesen,  zum  Tode  durch  das  Schwert  (1557) 
verdammte.  Der  R  o  s  s  d  i  e  b  Stefan  Chichko,  Grunduntei-than  des  Niklas 
Bachkay,  wurde  gehängt  (1558).  Im  gleichen  Jahre  erscheint  ein 
bei  Diebstahl  betretenes  Weib  als  stadtvei*wiesen.  Beim  Eheweibe  des 
Georg  Chapo  traf  mit  Dieberei  auch  Ehebruch  zusammen.  Sie  wurde 
gepeitscht  und  auf  zehn  Meilen  in  der  Runde  verwiesen. 

Elisabeth  Katona,  Frau  des  Mihal,  sollte  als  Diebin  mit  dem 
Tode  büssen  (1560),  wurde  jedoch  aus  Erbarmen  für  die  unversorgten 
Kinder  zur  Verbannung  aus  Kaschau  begnadigt.  Das  ursprüngliche 
Urtheil  hatte  dies  mit  .Verlust  des  rechten  Ohres  und  Prauoer"  ver- 


•)  Findet  sich  angemerkt  als  »Ferreae  litterw  Francisci  Zeoch  exhibitae  senatui 
Cassoviensi  die  25.  Maii  anno  dorn.   15b'G'. " 


624  K  r  0  n  e  s. 

schärft,  was  jedoch  auf  vielseitige  Fürbitte  ungarischer  Edelleute  nach- 
gesehen wurde.  Die  Stadtverweisung  lautet  auf  ewig  und  über  zehn 
Bannmeilen.  Bei  zwei  Weibern  (1561)  trat  die  Strafe  der  Peitschung 
auf  dem  Pranger  und  durch  die  Stadt,  ferner  Verweisung  auf  101  Jahr, 
zwölf  Meilen  in  der  Runde,  ein.  —  Der  Masure  Lukatsch  Nowostawsky, 
Schlosserknecht,  büsste  (1562)  für  seinen  Einbruchsdiebstahl  auf 
dem  Galgen. 

Eine  umständlichere  Sache  kam  im  gleichen  Jahre  zur  Ver- 
handlung. 

Jakob  Schneider  aus  Wien,  Soldat,  hatte  1561  dem  Rathe  „zu- 
geschworen",  sich  in  Kaschau  niederzulassen,  und  der  oberste  Feld- 
hauptmann und  Stadtkommandant,  Freih.  Lazar  von  Schwendi,  gab 
hiezu  auch  die  Erlaubuiss.  Schneider  beging  jedoch  Diebereien  und 
entrann  heimlich  aus  der  Stadt.  Der  Kaschauer  Rath  erfuhr  nun,  dass 
sich  der  Entwichene  in  der  Zipser  Stadt  Käsmark  geborgen  habe  ,  und 
zum  andern  Mal  hat  wollen  heiraten"  und  erlangte  durch  das  Ein- 
schreiten Lazars  Schwendi,  dass  ihn  die  Käsmarker  ausliefern  mussten. 
„Und  ist  ihm  also  auf  freyera  Platz  ein  Malefizrecht  bestellt  und  alda 
erkant  worden  nach  den  kaiserlichen  Rechten,  das  ihn  der  Henkher 
aus  der  Stadt  füren  und  an  einen  dürren  Ast  anknüpfen  soll, 
denn  ehr  eynes  grünen  Baumes   nicht  werth   ist". 

Lukas  von  Kemeucze  wurde  bei  dem  Versuche  betreten,  einem 
Weibe  auf  dem  Marktplatze  den  Geldsack  abzuschneiden  („Beyttel- 
schneyder")  1).  Auf  sein  „Verschwören",  dies  nimmer  zu  thun,  Hess 
man  ihn  laufen.  Aehnlich  erging  es  dem  Zabo  von  Herencs,  der  „in 
der  Hoffnung",  er  werde  in  sich  gelin,  ob  seines  bisher  tadellosen  Vor- 
lebens, begnadigt  wurde,  mit  der  Ermahnung,  seineu  Lebenswandel 
fürder  zu  bessern. 

Der  Einbruch diebstahl  des  Hussareu  Janosch,  des  Nachts 
an  einem  Kameraden  verübt,  zog  die  Strafe  des  Galgens  nach  sich 
(1570). 

Die  Gewohnheitsdiebin  Dorko  wurde  (1572)  „in  einem 
Sacke,  den  sie  selbst  hat  nähen  müssen,  ersäuft  in  der 
K  u  n  d  e  r  t "  (Hernad)  =^). 

Die  Strafe  der  Stäupung  und  des  Verlustes  des  rechten  Ohres  traf 
den  Dieb  Georg  von  Zborow  (1573). 

Besonders    streng   pflegte    man    den  Diebstahl   in  Weinbergen 


')  Esheisst:  ,qui  in  publice  foro  mulieri  loculos  absciderat  (»Bejttel- 
schneyder*)«.  —  ^)  ,Kundert*  ist  die  übliche  Bezeichnung  der  Hemdd,  des 

nahe  vorbeiströmenden  Flusses,  im  damaligen  Kaschauer  Deutsch. 


Das  Gerichtsprotokoll  d.  kön.  Freistadt  Kaschau  a.  d.  J.  1556—1608.       625 

zu  ahnden.  Der  Pole  Andreas,  Soldat,  in  dessen  Tornister  man  ge- 
stohlene Weinbeeren  fand,  musste  das  rechte  Ohr  lassen  und,  den 
Tornister  um  den  Hals,  das  Weite  suchen  (1572).  Johann  Philipp  aus 
Sandecz  wurde  (1579)  eines  solchen  Frevels  wegen  gehangen. 

Dorothea,  die  zur  Dieberei  den  Schlüssel  entwendete,  erlitt  die 
Strafe  der  Stäupung;  der  Dieb  Bathko  büsste  mit  Stäupuug  und  Ver- 
lust des  einen  Ohres.  Der  Pole  Martin,  der  das  verschlossene 
Gut  seines  Dienstherrn  erbrach,  wurde  aufgeknüpft. 

Des  mit  Mord  verbundenen  Kaubes  wollen  wir  unter  dem  letzteren 
Schlagworte  gedenken,  und  bevor  wir  jene  Fälle  anführen,  die  sich 
auf  Verletzung  fremder  Ehre  beziehen,  einen  Fall  gewaltsamer 
Erpressung  zur  Sprache  bringen. 

Die  „  ungetrewen  Weinhüter "  Kykedi  und  Zekeres  (Szekeres),  Vor- 
städter, hatten  dies  an  der  eine  einzige  Traube  pflückenden  Frau 
Haläszos  verübt.  Sie  wurden  zur  Stäupung  und  Stadtverweisuug  ver- 
urtheilt,  diese  Strafe  jedoch  gemildert,  und  zwar  dahin,  dass  sie  „den 
Koth  von  der  Krothengass  gegen  das  Stadtmeister-Thürlein  yn  den 
Pärchen  ^)  auf  die  Pasteyen  tragen  und  drei  Jahre  hiefür  weder  hier 
noch  anderswo  Weinzierl  oder  Weinhüter "  sein  durften. 

Das  Vergehen  wider  fremde  Ehre  als  Verleumdung  zog 
harte  Strafen  nach  sich.  Marczin,  der  (1572)  den  Leumund  einer 
Frau  schädigte,  sollte  die  Zunge  verlieren,  „  wurde  aber  vom  Püttel  '^) 
am  Ring  geführt  und  beschrieen 3) ,  wie  es  Brauch  ist".  —  Das 
„lügenhafte  Weib"  Dorothea,  Eheweib  des  Vogelstellers,  musste  für 
ein  Jahr  die  Stadt  meiden,  Ursula  Orsyk,  bereits  einmal  abgestraft, 
die  Stäupung  und  Verweisung  über  sich  ergehen  lasser,  da  sie  fal- 
scher Beschuldigung  überwiesen  wurde. 

Beschimpfung  oder  Schmähung  kommt  nicht  besser  davon. 
Walter  von  Eperies  wurde  (1562)  auf  vier  Wochen  in  Eisen  geschlagen 
und  zum  „AufFraymen  des  Stadtkothes "  verurtheilt;  der  Vorstädter 
Korsi  (1556)  mit  20  Gulden  gebüsst;  die  schmähsüchtige  Illona,  Ehe- 
weib des  Soldknechtes  Lukas,  „schon  einmal  ob  gleichen  Vergehens 
gegen  einige  würdige  Matronen"  eingekerkert,  musste  der  Stadt  im 
Umkreise  von  zehn  Meilen  fern  bleiben.  Gleiche  Strafe  wurde  dem 
Lästermaul  Paul  Santa  wegen  Beschimpfung  des  Kommandanten  und 
des  Rathes  —  mit  „  Hundsfötter "  —  zu  Theil  ^). 


')  Bedeutet   so  viel  wie  Zauix  oder  Planke.  ')  Büttel,    Frohnbot   oder 

Scherge,    Gerichtsdiener.  ^)    »beschrieen*  =  vgl.  Schmeller   bair.   Idiot. 

2.  A.  II  Gel.  591—592.     »Auf  den   peinlichen  Rechtstagen  gebührt  dem  Knecht 
des  Nachrichters    als  Ankläger   den  Uebelthäter    zu    beschreyen*.  ■*)  Er 

schimpfte  magyarisch:  Ebe  volt,  ehe  leszen  —  »Hund  bleibt  Hund«! 
Mittheiluugen  XII.  39 


626  K  r  0  n  e  s. 

Das  bösartige  Ehepaar  Lakatgyärtö  hatte  eine  Geldbusse  zu 
erlegen  (1572). 

Nicht  selten  —  wie  begreiflich  —  sind  die  Straffälle  der 
Stänkerei  und  Kauf  er  ei.  Der  Lanzknecht  Peter  Bischofi"  wurde 
anlässlich  solcher  Ruhestörungen  (1562)  zur  Strafe  der  Abbitte  vor 
den  Rath  gebracht  und  musste  mit  Handschlag  Besserung  geloben. — 
Als  sich  die  ,,alte  Molerin",  Baiers  Frau,  im  fremden  Hause  der 
„Rauferei",  des  „Messerzückens"  und  dergleichen  schuldig  machte,  ward 
ihr  ursprünglich  „auf  den  Hals  erkannt",  die  Strafe  sodann  in  eine 
Geldbusse  von  32  Gulden  umgewandelt.  —  Besonders  ungeberdig  be- 
nahm sieh  (1559)  der  ,, Stadtdiener",  Peter  Czebner,  der  —  allerdings 
berauscht  —  zur  Fascliingszeit  „gewappnet"  einen  Bürger  in  der 
Schenke  beim  Weintrunk  zum  „Zweikampfe  mit  der  Lanze"  —  und 
zwar  „zu  Ross"  —  herausforderte.  Da  seine  dienstliche  Stellung  den 
Klagfall  besonders  schwer  machte,  wurde  Czebner  zum  Verlust  der 
rechten  Hand  verurtheilt,  schliesslich  aber  zu  ewiger  Verbannung  be- 
gnadigt. 

Als  Stänker  verlor  der  Wagner  Lukas  Trucz  sein  Recht  in  der 
„Zeche"  zu  sitzen,  während  seine  Zunftgenossen  Georg  Rokus  und 
Jänos  Kerekgyärtö  14  Tage  in  der  „Pütteistuben"  zubringen  mussten. 
Der  Raufbold  Bärbel  (1570)  vergriff  sich  an  dem  Stadt])üttel,  Man 
sprach  über  ihn  die  Todesstrafe  aus  und  wandelte  sie  dann  in  ewige 
Verbannung  um.  Das  Gleiche  wurde  über  Andrä  Czirkler  verhängt, 
da  er  der  Hauptanstiftung  einer  Schlägerei  zwischen  Bauern  imd 
Trabanten  überwiesen.  Dieses  Erkenntniss  betraf  auch  drei  nächtliche 
Ruhestörer  und  das  Eheweib  des  einen  von  ihnen  (1577)  ^). 

Gewaltsame  Störung  des  Hausfriedens,  wie  sie  (1572) 
Waschko  von  Marxdorf  verübte,  wurde  mit  ewiger  Stadtverweisung 
gebusst. 

Als  Fälle  körperlicher  Misshandlung  wollen  wir  nach- 
stehende anführen.  Der  Schlosser  Wilhelm  aus  Braunschweig  und  der 
Schneider  Hans  Pawer  von  Glatte  (Klattau)  in  Böhmen  vergriffen  sich 
an  ihrem  Herbergsinhaber,  Avurden  zu  einer  Geldbusse  verurtheilt  und 
—  als  unfällig  zur  weiteren  Ausübung  ihres  Gewerbes  —  verwiesen. 
Die  letztere  Strafe  erlitt  auch  Kliman,  der  im  städtischen  Weinhause 
der  Vorstadt  einen  Gast  mit  dem  Messer  verwundete. 


>)  Asztalgyartö,  Kopasz,  Fi  1  bauch  und  seine  Hausfrau.  Letzteres  Paar 
Jürfte  wohl  dasselbe  sein,  das  früher  (1568)  in  einen  andern  bösen  Handel  ver- 
wickelt war,  dem  wir  w.  u.  unter  den  die  Unzucht  betreffenden  Fällen  begegnen 
werden. 


Das  Gerichtsprotokoll  d.  kön.  Freistadt  Kaschau  a.  d.  J.  1556—1608.       627 

Ihnen  mögen  sich  Vorfälle  ansehliessen,  bei  denen  Misshandlung 
oder  Verwundung  schwerer,  ja  tödtlicher  Art  erfolgte. 

Johann  Sidwari  prügelte  seinen  Mitgesellen  ürban  Fekete  aus  Erlau 
derart,  dass  dieser  an  den  Folgen  der  Misshaudlung  starb.  Der  Thäter 
verfiel  einer  Busse  von  30  Gulden  als  Abfindung  mit  der  Familie  des 
Todten,  welche  Summe  dann  „auf  Fürbitte  vieler  Ankläger*  um  die 
Hälfte  vermindert  wurde  (1575). 

Ungleich  schwerer  finden  wir  die  That  eines  Zwilchers,  Sieben- 
bürgers von  Herkunft,  geahndet,  dessen  Misshandlungen  sein  Eheweib 
erlag.  Er  wurde  „mit  Beschreien,  wie  bräuchlich,  zu  Boss  zur  Ent- 
hauptung an  den  Kopstock  i)  hinaus  geschleift"  (1562).  —  Der  Tod 
durch  Enthauptung  wurde  auch  dem  Kozma  aus  Buszka  zu  Theil, 
welcher  seineu  Nachbar  „unschuldiger  Weis  mit  einer  Axt  in  den 
Kopf  geschlagen".  Dem  Henker  wurde  geboten,  den  Verbrecher  so 
„entzwei  zu  schlagen,  dass  der  Leib  das  grösste,  der  Kopf  aber  das 
kleinste  Theill  sei.« 

Ein  absonderlicher  Fall  ereignete  sich  1601.  Ein  Knabe  aus  der 
Vorstadt  hieb  einem  Mädchen  die  halbe  Hand  ab.  Zunächst  wurde 
auf  die  poena  talionis  erkannt,  wornach  dem  Thäter  das  Gleiche 
widerfahren  sollte.  Man  trug  aber  dann  dem  „Unverstände"  des 
Knaben  Eechnung  und  erkannte  darauf:  der  Vater  desselben  solle 
40  Gulden  als  Sühngeld  (homagium)  entrichten  und  überdies  für  die 
schlechte  Erziehung  seines  Sohnes  gebüsst  werden. 

Eeichlich  bedacht  sind  Todschlag  und  Mord.  Fassen  wir-  die 
Fälle  ersterer  Gattung  ins  Auge. 

Ein  Fall  ganz  besonderer  Art  erscheint  i.  J.  1565  verzeichnet. 
Der  zehnjährige  „Knabe"  Georg  von  Kis-Ida  erschlug  eines  Apfels 
wegen  einen  Altersgenossen  aus  der  Vorstadt;  der  Eath  verurtheilte 
ihn  zur  Stadtverweisung  auf  16  Jahre.  —  Der  Soldat  Gregor  Asia- 
gasy,  der  im  Bausche  seinen  Kameraden  erschlug,  fand  Begnadigung, 
doch  musste  er  schwören,  der  Stadt  Kaschau  zeitlebens  dienstbar  sein 
zu  wollen.  —  Dagegen  finden  wir,  dass  Niklas  Schestak,  der  im  Bausche 
—  also  unter  gleichen  Umständen  —  einen  Todschlag  beging,  auf 
dem  Stadtplatze  hingerichtet  wurde,  da  er  seinen  Widersacher  vorher 
zum  Zweikampfe  herausgefordert.  Vergeblich  hatten  sich  Einige  be- 
müht, die  Familie  des  Erschlagenen  durch  ein  Sühngeld  zu  versöhnen. 

Blasius  Keöröskewczy  (Körösközi),    ein  „freier  Hajduk^)«  (1570) 


')  Henkerblock.  -)   Die    »freien«    Hajduken    erscheinen   als   Bewohner 

privilegirter  00.  im  Szabolcser  Komitate :  Dorog,  Nänäs,  Hadhäz  u.  a.  a.  zufolge 
ihrer  Verwendung  als  Milizen. 

39* 


328  Krön  es. 

durchbohrte  „im  Stadthaiise,  wo  man  Wein  schenkt"  einen  Vorstädter 
mit  der  Waffe.  Er  wurde  verurtheilt,  Kopf  und  Hand  zu  verheren, 
weil  dies  im  Stadthause  vorfiel.  —  Mit  Enthauptung  strafte  man  (1579) 
den  Stanislaus  „Frigidus"  (Latinisirung  des  Eigennamens),  da  er  im 
trunkenen  Zustande  sein  Weib  erschlagen.  —  Dagegen  verhielt  der 
Eath  den  Kaufmann  Kaspar  Trill,  welcher  (1580)  durch  einen  Schuss 
in  der  Nähe  des  Friedhofes  —  wohl  unabsichtlich  —  einen  gewissen 
Borsos  getödtet,  ,den  Leichnam  des  Getödteten  auf  der  Bahre  zu  be- 
trachten und  in  Fesseln  zur  Beisetzung  in  die  Kirche  zu  begleiten;* 
nach  dem  Abendgebete  wurde  er  jedoch  in  den  Kerker  zurückgeführt 
—  ohne  jegliche  Leibesstrafe "  i). 

Unter  den  Mördern  steht,  was  die  Schwere  des  Verbrechens 
und  die  der  Strafe  betrifft,  Georg  Paba  oder  Pöcz  von  Szaläncz  (1600) 
oben  an.  Er  gestand  theils  „freiwillig",  theils  auf  der  Folter,  den 
Mord  an  beiläufig  18  Personen  und  erscheint  auch  des  Ausraubens 
mehrerer  Kirchen  beinzichtigt.  Das  Urtheil  lautete  auf  viermaliges 
Zwicken  mit  glühenden  Zangen  an  jedem  Ende  der  Stadt  und  Räde- 
rung, mit  der  Verschärfung,  dass  ihm  die  Brust  ,  nicht  zerschlagen 
werden  sollte". 

Die  Bauern  Bertok  von  Zokolya  und  Iwanko  von  Zwinka  wurden 
wegen  des  an  Stanislaus  vom  Schlosse  Eegecz  verübten  Mordes  ge- 
fänglich eingezogen.  Bertok  läugnete  im  peinlichen  Verhöre,  Iwanko 
gestand  jedoch  das  Verbrechen  ein  und  zwar  den  Eaubmord,  der  fünf 
Thaler  und  neun  polnische  Groschen  eintrug.  Das  Verdikt  besagte: 
Schleifung  am  Pferdeschweife  durch  die  Stadt,  Räderung  und  Aus- 
setzung am  Rade. 

Sehr  schwer  wurde  das  Verbrechen  des  Peter  Kigyös  geahndet, 
der  sein  Eheweib  in.  grausamer  Weise  gemordet.  Er  sollte  ,auf  dem 
Wege  vom  Ober-  zum  Nieder-Thore  und  in  der  Vorstadt  vor  dem 
Thore  einmal  und  in  der  Ludmaungasse  vor  seinem  eigenen  Hasen 
einmal  mit  den  glühenden,  eisernen  Zangen  gezwickt",  —  sodann  ent- 
hauptet werden. 

S.  Czypser,  ein  Vorstädter,  überfiel  und  erschlug  in  der  Nacht 
den  Miteinwohner  Tanczmeister.  Er  wurde  „auf  dreimalige  Rechts- 
begehrung"  seitens  der  Mutter  und  Frau  des  Ermorderten  zum  Tode 
verurtheilt  und  ,  aus  gewissen  Ursachen «  nicht  aus  der  Stadt  zum  Tode 
geführt,  sondern  vor  dem  Pranger  enthauptet.  —  Die  gleiche  Strafe 
erlitt  der  Raubmörder  Lazar  Balint. 

Kindesweglegung    finden  wir  an  der  Kindsmagd  Martha  aus 


')  .  .  .  reductus  vero  est  in  carcerom  »ilhcsus*  heisst  es  im  Protokoll. 


Das  Gerichtsprotokoll  d.  kön.  Freistadt  Kaschau  a.  d.  J.  1556—1608.       629 

Miskolcz,  welche  dadurch  ihrer  That  überwiesen  wurde,  dass  man  ihre 
Brüste  voll  an  Milch  fand,  —  auf  Fürbitte  —  mit  ewiger  Verbannung 
gestraft. 

Um  so  härter  erscheint  der  Kinds mord  gebüsst.  —  Ihn  beging 
das  Eheweib  des  Barthol.  Stephit.  Sie  wurde  in  der  Stadt  zuerst  mit 
glühenden  Zangen  gezwickt,  dann  zum  Galgen  gefahren,  hier  in  eine 
Grube  verschaart  und  lebend  mit  einem  Pfahle  durchstochen  (1575). 
Zur  Strafe  der  Pfählung  finden  wir  (1602)  eine  zweite  Kindsmörderin, 
Dienstmagd,  verurtheilt;  man  begnadigte  sie  jedoch  zum  Tode  durch 
das  Schwert. 

Eine  grosse  Summe  nehmen  unter  den  Strafurtheilen  die  ge- 
schlechtlichen Verirrungen:  als  Unzucht  oder  unerlaubter  Bei- 
schlaf und  als  Prostitution  für  sich  in  Anspruch. 

Wir  wollen  eine  Reihe  von  Fällen  der  ,  Unzucht"  oder  verpönten 
Beischlafs,  unerlaubter  fleischlicher  Vermischung,  anführen,  die  ge- 
linder Ahndung  theilhaftig  wurden. 

1562  gab  man  die  Beinzichtigten  ,  durch  den  Priester  ehrlich 
zusammen",  aber  mit  „scharfer  Verpönung"  solch  , hurerisch-heym- 
licher  Verpuntnuss".  In  einem  andern  Falle  d.  J.  kam  es  auch  zur 
gerichtlichen  Verehlichung;  doch  wurde  das  Paar  auf  sechs  Jahre  aus 
der  Stadt  verwiesen.  —  Ein  Webergesell,  der  mit  einer  Dieustmagd 
im  Beischlaf  ertappt  vnirde,  büsste  mit  20  Gulden;  die  Magd  musste 
die  Stadt  räumen.  —  Eine  Witwe ,  die  mit  ihrem  Lehrgehilfen 
hielt  und  geschwängert  wurde,  finden  wir  alsbald  mit  ihm  in  der 
„ Pütteistube "  getraut  und  „im  Gnadenwege*  zu  einer  Geldbusse 
verurtheilt." 

Die  Strafe  der  Verweisung  aus  der  Stadt  traf  (1558)  ein  andere 
Witwe,  die  sich  mit  einem  Lanzknechtfähndrich  abgegeben.  —  Zwei 
Mädchen,  Borka  und  Elisabeth,  des  unzüchtigen  Umgangs  mit  einem 
Ungar  aus  Szepsi  überwiesen,  mussteu  zur  Strafe  verhüllten  Hauptes 
einhergehen.  —  Ein  lediges  Frauenzimmer,  das  eines  Kindes  genas, 
wurde  vom  Henker  zur  Stadt  hinaus  geführt  und  ausserhalb  der 
12  Bannmeilen  verwiesen. 

Der  Kürschner  Berchtels,  der  seine  Magd  geschwängert,  musste 
vor  dem  Richter  mit  Handschlag  geloben,  sie  zu  ehelichen  und  überdies 
20  Gulden  zahlen.  —  Ein  anderer  Bürger,  Hanns  Gebberich,  zog  sich 
wegen  Buhlschaft  gleicher  Art  die  Strafe  gerichtlicher  Verehelichung 
zu  und  wurde  überdies  verhalten,  20  Ruthen  eigenen  Grundes  zu  der 
Stadtbefestigung  abzutreten. 

Der  Fleischer  Hannes  Fielbauch  aus.  Neusohl  und  die  Fleischers- 
witwe Lenart   lagen   als  Verlobte   in  Einer  Kammer,     Da   ihn  jedoch 


630  K  r  0  n  e  s. 

letztere  „  wegen  Misshandlung  und  Schlenkere!  *  i)  als  Verlobten  ver- 
leugnete, so  gab  ihr  der  Stadtrath  acht  Tage  Bedenkzeit  zur  Heirat 
—  oder  —  Auswanderung.  Sie  verglichen  sich  dann  auch  und  machten 
Hochzeit. 

Im  gleichen  Jahre  (1568)  trug  der  Rath  „aus  gewissen  Ursachen"  2) 
dem  alten  Meszaros  Bälint  den  Auftrag,  sich  zu  verheiraten;  würde  er 
dies  unterlassen,  so  sollte  er  schuldig  sein  „zur  Buchs  zu  geben 
10  Gulden  umbleslich ". 

Schlimmer  erging  es  der  Matrone  3)  Elisabeth,  Witwe  des  Jakob 
Nagy,  die  dem  Jünglinge  Johann  Literatus  ^)  „nach  vielem  Drängen* 
den  Beischlaf  gewährte.  Sie  entwich  schwanger,  wurde  zurückgebracht 
und  genas  eines  Knaben,  worauf  sie  viermal  vom  Henker  gestäupt 
wurde.  Der  Buhle  wurde  auf  Fürbitte  des  ungarischen  Pastors  und 
einiger  Bürger  begnadigt,  aber  ernstlich  verwarnt. 

Als  (1569)  der  aus  der  Barbiererzunft  gestossenen  Andras  Bor- 
bely  von  deutschen  Soldaten  des  Nachts  bei  einem  Weibe  ertappt 
wurde  und  zu  seinem  Schutze  bei  einem  Bürger  Dienste  nahm,  verlor 
er  für  immer  die  Befugnis,  sein  Gewerbe  auszuüben.  —  Regina  Holz- 
schucher,  „Leutenants  Lazari  gewesene  Fettel  und  Schleffin"  ^),  wurde 
zum  Pranger  verurtheilt,  jedoch  begnadigt  und  verwiesen,  —  welche 
letztere  Strafe  (1580)  auch  die  Witwe  Sofia  wegen  Buhlschaft  traf 
u.  zw.  auf  10  Jahre. 

Ebenbürtig  an  Zahl  und  nicht  selten  mit  den  Strafi'ällen  vor- 
genannter Art  sich  durchkreuzend  sind  die  Thatsachen  die  dem  Be- 
reiche der  Prostitution  angehören.  Wir  wollen  nur  Charakteristisches 
herausgreifen  und  zwei  ürtheilssprüche  vorausschicken. 

Janusch  Asztalgyartö  und  sein  Eheweib  Sophia  wurden  i.  J.  1565 
angeklagt,  in  dem  von  ihren  gemietheten  Hause  eine  Prostituirte 
beherbergt  zu  haben.  Als  sie  einmal  vollgetrunken  waren,  führte 
Sophia  selbst  ihren  Gatten  dem  Beischlafe  mit  jener  Hausgenossin  zu, 
und  sie  wurden  von  Dienstleuten  darin  betroffen.  Man  zog  das  Ehe- 
paar gefäij glich  ein.  Auf  Fürbitte  vieler  ehrbaren  Mäuner  und  Matronen 
wurde  „mit  Linderung  der  Strenge  des  Rechtes",  Beiden  die  Todesstrafe 
erlassen;  man  fesselte  sie  jedoch  zusammen  und  hiess  sie  an  den 
Schanzwerken  ß)  einen  Theil  des  Erdbodens  ausgraben. 


')  Herumvagiren,  Nachtschwärmen.     Vgl.  0.  S.  626.  -)  Der  alte  Hage- 

stolz muss  etwas  anrüchig  gelebt  haben.  ^)  »Vetula*  heisst  es  im  Protokoll; 

richtiger   also   »Vettel*.  *)  Dürfte   die  lat.  Wiedergabe  des  häufigen  magya- 

rischen Zunamens  Deäk,    Diak   sein  ^)  ^=  concubina.     Vgl.    GeslafF,    Schlaff 

contubernalis.  ")  Seit  1566  unter  dem  Kaschauer  Kommando  des  Freiherrn 

v.  Schwendi   geschah   sehr  viel    für   die   Befestigung   der  Stadt.     In    unserm 


Das  Gericlitsprotokoll  cl.  kön.  Freistadt  Kaschau  a.  d.  J.  1556—1608.       631 

Die  Kupplerin  Czuga  Mate  wurde  (1607)  in  die  Hernad 
geworfen. 

Auf  Prostitution  finden  wir  meist  Stäupung  und  Verweisung 
als  Strafe  gesetzt  ^).  Besonders  stark  niuss  sich  jedocli  (1605)  Kata 
Cliorba  vergangen  haben,  da  sie  zum  Tode  verurtheilt  wurde.  „  Weillen 
aber  von  dem  Fürsten  Botskay "  —  heisst  es  weiter  —  „eine  gratia 
für  sie  verlangt  wurde,  habe  mau  mit  der  Strafe  nicht  fortfahren 
können".     Sie  wurde  dann  nur  einfach  aus  der  Stadt  verwiesen  2), 

Lang  ist  die  Eeihe  der  Ehebruchsfälle,  die  das  Strafprotokoll 
durchziehen  und  verschiedensten  Sachverhalt  an  den  Tag  legen.  Greifen 
wir  einige  Typen  des  Verbrechens  und  seiner  Strafe  heraus. 


Protokoll  findet  sich  darüber  Nachstehendes  aufgezeichnet :  1566,  11.  begann  man 
die  Grundlegung  der  Befestigung,  das  nordwärts  gegenüber  der  Ziegelgasse 
(platea  tegularum)  liegt;  eine  andere  Befestigung  erstand  in  der  Nähe  gegen 
Westen,  auf  dem  Wege  zur  Froschgasse  (platea  vulgo  ranarum),  u.  z.  s.  17.  Mai  d.  J. 
Am  10.  Juni  begann  das  dritte  Befestigungswerk  nach  Osten  hin,  gegen  die 
»Schreibermühl*.  —  Ein  viertes  wurde  im  Norden,  am  Ober-Thore  12.  Juli  an- 
gelegt. Dazu  hatten  in  Folge  des  Auftrages  Schwendi's  die  übrigen  Städte  des 
Oberlandes  (reliquae  civitates  superiores)  Kostenbeiträge  zu  entrichten  und  zwar 
Leutschau  (Zips)  300,  Bartfeld  287,  Eperies  287  und  Zeben  (die  drei 
letztgen.  i.  d.  Schäroscher  Gespauschaft)  125  ung.  Gulden.  —  13.  Juli  Avurde  mit 
einer  5.  Verschanzung  im  Westen  u.  z.  in  der  » Faulgas*  angefangen.  —  Z.  J. 
1567  heisst  es  »den  andern  Tag  Novembers  haben  die  EdeUeute  aus  dem 
Schäroscher  Comitat  das  Pol  werk  oder  Pastey  am  Faulthor  (Aus- 
mündung der  Faulgasse)  auf  der  k.  May.  bevelch  zum  andern  Mal  angefangen.  — 
Z.  J.  1568:  »den  24.  tag  Marcii  haben  die  vier  erbarn  Freystedt:  Leutscha, 
Bartfa,  Epperies  und  Zeben  auf  der  kö.  May.  bevelch  die  postey  zwi- 
schen dem  Niederthor  und  Faulthor  2u  bauen  angefangen.* 

1)  Z.  J.  1565  werden  in  dieser  Weise  als  straffällig  sechs  Frauenspersonen 
verzeichnet,  insbesondere  die  an  verschiedenen  Orten  als  H  .  .  .  sich  herum- 
treibende Dorko  von  Bartfeld.  Die  mit  ihnen  haltenden  Männer  wurden  zu  Geld- 
strafen 35—15  fl.  verurtheilt.  Von  der  »Juliana  fornicatrix,  uxor  quondam 
Joh.  Vito  in  Villa  Arka*  heist  es:  ,maritum  intoxicans  rem  cum  officialibus 
in  villa  Vämos  Vjfalu  siBpe  habuit.  Postea  vero  quidam  Joanni  mercenario 
nupsit,  sed  coniugalem  fidem  non  servaAdt,  ibi  ut  adultera  jure  mediante,  via-gis 
c?esa,  per  maritum  abacta  est.  Tandem  apud  Franc.  Literatum  (Deäk)  serviebat 
et  alias.   Postea  in  suspicionem  venit,  quod  rem  habuisset  cum  Georgio  civitatis 

servitore sed    quia   in   tortura    pernegavit,    virgis   solummodo 

caesa  et  a  civitate  ablegata  est  ad  X  milliaria  in  perpetuum.  Hier  durchkreuzten 
sich  Annahme  des  Gattenmordes,  Ehebruch  und  Unzucht.  —  Z.  J.  1568  wird: 
,niulier  fornicatrix,  vaga  e  Bohemia*  angeführt  —  »per  Bedellum  (Büttel) 
educta   est*.  ^)  Die  Magd  Anna,    von    dem   Lanzknecht  Kalb    geschwängert, 

abortirte  und  wurde  »kranken  Leibes*  für  immer  verwiesen.  Der  Lanzknecht, 
der  sich  zur  Heirat  nicht  bequemte,  und  mit  einer  Hebamme,  Marina,  abgab, 
musste  vom  Fähnlein  sich  trennen  und  die  Stadt  meiden,  wozu  auch  die  Hebamme 
verhalten  wurde. 


632 


K  r  0  n  e  s. 


Das  Eheweib  des  Hegedüs,  das  mit  zwei  Männern  hielt,  wurde 
eingesackt  und  in  die  Hernad  geworfen.  —  Andr.  Sipos  als  Ehebrecher 
ertappt,  büsste  mit  dem  Kopfe.  —  Die  Frau  des  Gregor  Nagy  wurde  im 
Ehebruche  schwanger.  Da  sie  jedoch  angab,  seit  zwei  Jahren  von 
ihrem  Gatten  verlassen  zu  sein,  so  wurde  sie  auf  zehn  Bannmeilen 
aus  der  Stadt  verwiesen. 

Besonders  schwer  verging  sich  Käthe,  das  Eheweib  des  Vorstädters 
Thoth.  Sie  hielt  es  mit  mehi-eren  und  wollte  sogar  einen  ihrer  Buhlen 
bestechen,  auf  dass  er  ihren  Gatten  erschiesse.  „Sie  wurde  deshalb  in 
einen  Sack  gestossen  und  in  die  Kundert  geworfen".  —  Der  Trabant 
Ambrosch  des  Ehebruches  „mit  einer  Fettel"  überwiesen,  büsste  unter 
dem  Schwerte  des  Henkers.  —  Die  Todesstrafe  wurde  auch  (1561) 
über  die  Frau  des  Kürschners  Berchtolt  ausgesprochen,  da  sie  es  mit 
ihrem  Gesellen,  Michel  aus  Siebenbürgen,  hielt.  Letzterer  musste  sich 
mit  50  Gulden  lösen  und  durfte  nimmer  sein  Handwerk  ausüben ;  die 
Ehebrecherin  erlang-te  auf  Fürbitte  des  Hauptmanns  Zay  und  Alberts 
Laszky  i)  die  Begnadigung  vom  Tode,  wurde  verbannt  und  ihres  Gutes 
zu  Gunsten  der  nächsten  Blutsverwandten  entäussert. 

Ursula  Schuster  (1570),  von  ihrem  Manne  des  Ehebruches  an- 
o-eklagt,  aber  dessen  auch  in  der  Folter  niclit  geständig,  musste  für 
ein  Jahr  die  Stadt  meiden.  —  Im  selben  Jahre  sollte  die  Frau  des  Emerich 
Fazekas,  des  gleichen  Verbrechens  über^viesen,  den  Tod  im  Wasser 
finden.  Sie  erlangte  jedoch  „kniefällig"  dui-ch  ihren  Gatten  die  Be- 
gnadigung, so  lange  im  Kerker  zu  bleiben,  bis  für  sie  als  Lösung 
40  fl.  erlegt  würden. 

Das  Eheweib  Gerusch,  erwiesener  Maassen  mit  einem  Diener  des 
Bäuffy  im  Ehebruche,  erlitt  am  Pranger  die  Züchtigung  mit  der  Ruthe 
und  wurde  auf  ewig  verwiesen.  —  Der  Stadttrabant  Wali,  im  Bei- 
schlaf mit  einer  verheiratheten  Frau  betreten,  entging  als  kaiserlicher 
Diener  der  Verhaftung  und  entwich  Morgens  aus  der  Stadt.  —  Das 
Jahr  157.3  verzeichnet  die  Verbannung  des  Georg  Eötvös  als  Ehe- 
brechers, andererseits  des  Mathäus  „Aurifaber"  als  nachlässigen 
und  sorglosen  Ehemannes  aus  der  Stadt. 

Lenart  Schwarcz  aus  Breslau  wurde  im  gl.  Jahre  wegen  des 
gleichen  Verbrechens  „gestrichen"  —  und  später  verbannt.    Der  Ver- 


1)  Albert  Laszky  war  der  Solm  des  1541  verstorbenen  Magnaten  Polens  und 
Ungarns,  Hieronymus,  aus  der  Ehe  mit  Anna  Korodzenky,  und  erbte  vom 
Vater  die  Burgherrschaften  Dunayecz  und  Käs  mark  in  der  Zips,  in  erster 
Ehe  mit  der  Witwe  des  Georg  Seredy,  Kath.  Businczki,  verbunden,  welche  1561 
starb ;  er  ehelichte  dann  Anna  Businczki  und  nach  deren  Tode  die  Sabina  Sene. 
Er  spielte  damals  als  k.  Feldhauptmann  eine  Rolle. 


Das  Gerichtsprotokoll  d.  kön.  Freistadt  Kaschau  a.  d.  J.  1556  —  1608.       633 

dacht  des  Ehebruclies  bei  Sophie  Zabo  führte  (1G02)  zu  ihrer  Ver- 
baununff  auf  zwei  Jahre.  —  Eiu  Ehebrecher,  Martin  Wasantho,  der  es 
mit  zwei  Frauen  hielt  und  der  Strafe  durch  Flucht  entging,  erlangte 
durch  Erzherzog  Ernst  (1580)  die  Begnadigung;  kehrte  zurück,  miss- 
handelte jedoch  aus  Eifersucht  sein  Weib,  so  dass  es  in  Folge  einer 
Fehlgeburt  starb.  Der  Verbrecher  büsste  mit  Enthauptung  seine 
Frevel. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  Fälle,  welche  Bigamie  be- 
treffen. 

Der  am  meisten  verwickelte  ergab  sich  1563  mit  Paul  Mester 
„aus  der  kleinen  Eyde"^).  Derselbe  war  vor  Jahrzehnten  in  Gesellschaft 
der  Buhle  Martha,  seiner  Frau  Barbara  entlaufen,  als  er  merkte,  der 
Strafe  zu  verfallen,  kam  nach  Boldogkö  und  fand  hier  als  Grund- 
unterthan  Aufnahme.  Die  verlassene  Ehefrau  Barbara  lebte  inzwischen 
zwei  Jahre  bei  ihrer  Schwester  in  Sacza  und  wurde  von  Georg  Semsey, 
dem  Grundherrn,  seinem  Stubenheizer  Gregor  Torkos  „mit  Gewalt 
zur  Frau  gegeben".  Ihr  erster  Gatte,  Mester,  musste  jedoch  mit  seiner 
Buhlen  aus  Boldogkö  nach  Szepsi,  von  hier  nach  Cscecs  und  von 
letzterem  Dorfe  wieder  weiter  wandern.  „Und  verliess",  heisst  es  im 
Protokoll,  „doch  Martham  nicht,  sondern  lernt  etwas  ungarisch 
und  lateinisch  lesen  und  wirt  also  ein  Schulmeister  hin 
wider  au  ff  den  Dorf  fern.  Und  lest  ihn  die  Martha  schlechts 
nit  treiben  nach  christenlicher  Weiss  und  Ordnung.  Sunder  lebt  mit 
ir  als  mit  seinem  Schleppsack  fast  in  die  30  Jar"  ^). 

1562  starb  die  Martha,  und  er  heiratet  d.  J.  darauf  eine  Wittfrau 
in  der  Kaschauer  Vorstadt.  Als  dies  Janosch  Semsey  (wahrscheinlich 
der  Erbfolger  des  Grundherrn  Georg  S.  von  Sacza)'*)  erfahrt,  macht 
er  dem  Kaschauer  Käthe  Meldung  von  der  Bigamie,  da  Barbara,  Mesters 
erste  Gattin,  noch  lebe.  Die  Stadtbehörde  schenkt  dem  Mester  das 
Leben,  lässt  ihn  aber  „auss  der  Stadt  peitschen",  mit  der  Drohung, 
im  Betretungsfalle  einer  nochmaligen  Heirat,  bei  Barbaras  Lebzeiten, 
solle  ihm  „nachgeschrieben"  werden,  „als  einem,  der  seinen  Hals  ver- 
fallen und  zum  Tode  verurtheilt  ist". 


»)  Erzh.  Ernst,  K.  Rudolfs  II.  ältester  Bruder  befand  sich  damals  als  Ver- 
treter der  Krone  in  Ungarn,  woselbst  A.  1580  zu  Pressburg  ein  Landtag  abgehalten 
wurde,  den  er  eröffnete.  «)  Kis-Ida  z.  Unterschiede  v.  Nagy-Ida  i.  d.  Abaujv. 

Gespanschaft.  ^)  Die  Anfänge  seines  bewegten  Lebens  als  Ehemann  müssen 

also    um    1530   fallen.  *)    Sempsey   -=  Semsey,    ein    altes   Adelsgeschlecht. 

Georg  II.  S.  schrieb  sich  der  erste  mit  dem  Prädikate  von  Sacza  im  Abaujv.  Com. 
Er  hinterliess  keine  Nachkommen;  Johann  (VI)  S.  war  sein  Vetter,  der  Enkel 
Johann  IV.  und  S.  des  Mathias. 


Q^^  K  r  0  n  e  s. 

Ein  zweiter  Fall,  der  zwischen  Bigamie  und  Unzucht  schwankt, 
gehört  dem  J.  1560  zu.  Ilona  von  Eperies  war  zuerst  „als  zwölf- 
jährig" mit  einem  der  „hungarischen  und  windischen  Sprache"  mächtigen 
Priester  Namens  Ambrosch  verheiratet,  der  sie  verliess.  Sodann  lebte 
sie  mit  den  Trabanten  Szabo  und,  als  auch  dieser  das  Weite  suchte, 
hielt  sie  mit  zwei  Lanzknechten.  Sie  wurde  auf  dem  Pranger  vom 
Züchtiger  mit  Euthen  gestrichen,  auf  16  Meilen  in  der  Ruude  aus  der 
Stadt  für  101  Jahre  verbraunt,  mit  der  Androhung,  im  Betretungs- 
falle  in  einen  Sack  genäht  und  ersäuft  zu  werden. 

Die  Strafe  einer  zehnjährigen  Verweisung  traf  die  Gattin  des 
Koväcs,  eines  Kaschauers,  die  mit  einem  Liebhaber  nach  Patak  entlief 
und  später  den  Jonassi  von  Altsohl  heiratete,  der  davon  ging  und 
verscholl.  —  Der  Bigamist  Dionys  Lakatgyärtö  aus  Rimaszombat  musste 
die  Stadt  „noch  vor  Sonnenuntergang"  auf  immer  meiden. 

Von  Noth  zu  cht -Fällen  mache  einer  der  schwersten,  auch  mit 
Päderastie  verquickt,  den  Anfang. 

Der  Schulmann  Demeter  Thuri  wurde  beinzichtigt,  einem  sechs- 
jährigen Mädchen  Gewalt  angethan  und  ihrer  Gesundheit  geschadet  zu 
■  haben.  Sodann  missbrauchte  er  einen  Knaben  und  wurde  aus  der  Vor- 
stadt gewiesen.  Zu  Kis-Ida  versuchte  er  das  Gleiche,  ebenso  zu  Mun- 
käcs,  von  wo  er  als  Schulrektor  verwiesen  wurde.  Man  verurtheilte 
ihn  zum  Tode,  er  erlangte  jedoch  durch  Fürbitte  geistlicher  Personen 
Begnadigung,  und  kann  mit  der  Stäupung  und  Verbannung  101  Jahr, 
zehn  Meilen  in  der  Runde,  davon. 

Der  Nothzüchter  Bäthory  wurde  eingekerkert,  entsprang  in  Fesseln, 
gerieth  alsbald  wieder  ins  Gewahrsam  und  wurde  bloss  aus  der  Stadt 
verwiesen,  da  sich  die  Mutter  des  Mädchens  mit  ihm  verglich.  —  Die 
gleiche  Strafe  u.  z.  auf  ein  Jahr  erlitt  Lanius  (Länyi),  der  ein  zartes 
Mädchen  zum  Beischlaf  verleitete  und  schwängerte.  Zuvor  wurde  er 
mit  der  Verführten  gerichtlich  verheiratet. 

Von  den  Straffällen  der  Schändung  heben  wir  zwei  hervor. 

Andreas  Molnär  wurde  wegen  Unzucht  und  mehi-erer  Schändungen 
gestäupt  und  verwiesen  (1602),  aus  Rücksicht  auf  seine  Jugend.  — 
Dao-etTen   erlitt   Anton   Zokolay,    der   mit   sechs   Helfershelfern    einem 

'  ITT 

Tehaner  Insassen  seine  Verlobte  raubte  und  im  Felde  schändete,  die 
Strafe  der  Schleifung  zur  Richtstätte,  allwo  er  aufs  Rad  geflochten 
wurde ;  „welches  Verbrechen  seit  Menschengedenken  hier  nie  vorfiel"  i) 
—  heisst  es  im  Stadtbuche. 


•)    »Quäle    flagitium    nuUa    nnqiiara     horainum    memoria    recordatur    hie 
contigisse*. 


Das  Gericlitsprotokoll  d.  kön.  Freistadt  Kascliau  a.  d.  J.  1556 — 1608.       635 

Blutschande  mit  Ehebruch  vermischt,  welche  der  Messner 
Wellasch  an  seines  Weibes  Schwester  beging,  führte  „aus  besonderer 
Gnade"  zur  Enthauptung  ^). 

Brandlegung,  begangen  durch  das  Weib  des  Korporals  Nagy 
(1558),  erscheint  damit  bestraft,  dass  der  Thajterin  das  Leben  geschenkt, 
sie  jedoch  mit  Kuthen  gestrichen  und  verwiesen  wurde. 

Für  Gotteslästerung  oder  Blasphemie  büsste  Urban  Bärbel 
mit  Verweisung  aus  der  Stadt,  nachdem  er  gezwungen  worden,  sein 
Haus  zu  verkaufen. 

Entheiligung  des  Sonntags  führte  zur  Bestrafung  der  Ehe- 
frau des  Golopi  mit  10  Gulden,  die  dann  durch  Schanzarbeit  abgedient 
wurden. 

Bakai  wurde  (1567)  als  Kirchenschänder  zur  Geldbusse  (20 fl.) 
,, begnadigt",  in  Folge  der  Fürbitte  des  Pastors  Frölich  und  vieler 
Adeligen. 

Läugnung  der  Sakramente  und  halsstarriges  Wieder- 
täuferthum  veranlasste  (1570)  die  Verweisung  Hannes  Bamhewers 
aus  der  Stadt  durch  den  Büttel. 

Der  Widersetzlichkeit  gegen  väterliche  Gewalt,  gröb- 
licher Art,  machte  sich  der  Sohn  Szabös  (1568)  schuldig,  indem  er  mit 
dem,  ihn  scheltenden  und  zum  „Friedhalten"  ermahnenden  Vater  hand- 
gemein wurde.  Im  Bingen  fallen  beide  zur  Erde,  die  „nächtigen  Zirkler" 
(„Runde",  Schaarwache)  kommen  dazu  und  bringen  den  unbotmässigen 
Sohn  in  die  ,, Pütteistuben",  allwo  er  gräulich  schimpft.  Er  sollte  „Hand 
und  Zunge  verlieren",  wurde  jedoch  zu  sechsjähriger  Verbannung  be- 
gnadigt. 

Die  Härte  kriegerischer  Zeiten  spiegelt  sich  in  der  Bestrafung  des 
als  türkischen  Spions  befundenen  Mathias  von  Olcsva.  Er  wurde 
am  Schweife  eines  Pferdes  zur  Richtstätte  ausserhalb  der  Vorstadt 
„wo  man  die  Enthauptungen  vorzunehmen  pflegte",  geschleift  und  an 
den  Pfahl  gezogen. 

Aechtung  oder  Verbannung  von  einem  andern  Orte  war  auch 
für  die  Kaschauer  Stadbehörde  ein  Grund,  gleiches  vorzukehren.  Die. 
von  Eperies  „ausgestrichene"  Kath.  Hajdukowa,  die  „auf  20  Meyl  wegs" 
verwiesen  wurde,  musste  Kaschau  mit  Mann  und  Kind  räumen,  da 
zunächst  diese  letztere  Zufluchtstätte  innerhalb  der  Bannmeilen  lag, 
und  der  Rath  überdies  solchen  Ankömmlingen  nicht  hold  sein  konnte 
(1572). 


')  Im  Straf  buche   wird   das  Verbrechen   zunächst    als  Blutschande    ge- 
kennzeichnet. 


636  Krone  s. 

Kückfall  in  bereits  gestraftes  Verbrechen  erlebte  versebärfte 
Strafen.  —  Agnes  Garay,  die  aus  der  Verbannung  heimkehrend,  aber- 
mals als  Diebin  in  den  Stadtmühlen  ertappt  wurde  —  finden  wir 
neuerdings  gestäupt  und  zum  Verlust  der  Nase  verurtheilt  (1572). 

Ein  ganz  besonderes  Delikt  wird  i.  J.  1567  gemeldet.  Einige  In- 
sassen der  Stadt:  Veiten  Fehler,  Zachariä  Tischler,  Anton  Blaser  und 
Hanns  Apteker  Hessen  nämlich  im  Stadthause,  woselbst  eine  Schenke 
bestand  „Wolfsfleisch  vorsetzen"  und  wurden  mit  Geldbussen  in 
der  Höhe  von  20 — 4  Gulden  gestraft. 

Als  1562  im  Hause  des  Sattlers  Jakob  (Faulgasse)  ein  Feuer 
auskam  und  18  Nachbarn  schädigte,  wurde  er  zu  Gunsten  derAb- 
geb rannten  mit  dem  Verlust  seiner  ganzen  Habe  bestraft,  ausge- 
genommen  die  Kleidung  und  das  Bettgewand  seines  Weibes  und  seiner 
Kinder. 

Mit  diesen  beiden  letztangeführten  Thatsaehen  sei  der  Uebergang 

aus   dem   eigentlichen  Bereiche   der   Strafgerichtsbarkeit   in    das  jener 

Massregeln  gemacht,   die  für  die  Gerechtsamen   der  Stadtgemeinde 

einzutreten   hatten,    und   mit   einigen    solchen   Vorkommnissen    dieser 

■  Aufsatz  geschlossen. 

Das  erste  betrifft  das  Privilegium  der  Stadt  in  Hinsicht  der  Ein- 
fuhr des  Weines  (1562).  Unter  der  Amtsführung  des  Stadrichters 
Emerich  Patschner,  hatte  der  Kaschauer  Bürger  Zacharias  Payr  zu 
Göncz  von  Jakob  dem  Thüringer  10  Fass  Wein  getauft.  Als  nun  die 
„Herrn  Consuln"  (Rathsgenossen)  Leonhard  Gröschl,  Job.  Fynk  und 
Niklas  Ryppiczer  im  Rathe  bezeugten,  dass  es  stets  „Brauch"  gewesen, 
keinem  Polen  oder  andern  Fremden  zu  gestatten,  ausserhalb  der  innern 
oder  eigentlichen  Stadt  Wein  zu  kaufen,  und  andererseits  ein  Verbot 
bestünde,  demzufolge  es  keinem  Bürger  erlaubt  sei,  nach  St.  Jörgen- 
Tao-  Weine  in  die  Stadt  oder  Vorstadt  zum  Verkaufe  einzuführen,  oder 
sie  ausserhalb  der  Stadt  in  der  Vorstadt  zu  verkaufen,  noch  auch  die 
Befugniss  gegeben,  vor  dem  St.  Jörgen-Tage  mehr  als  60  Fass  Wein 
nach  Kaschau  einzuführen,  —  so  wurde  Zacharias  Payr,  mit  Rücksicht 
auf  den  Zeitpunkt  und  die  geringe  Höhe  des  Weinkaufes,  nicht  um 
die  ganze  Ladung,  sondern  nur  um  zwei  Fässer  gebusst. 

Verwandt  dem  ersten  ist  der  zweite  Fall  (1569).  Josef  Lang, 
Kaufmann,  aus  Siebenbürgen  stammend,  mit  einer  Eperieserin  ver- 
heiratet, schloss  mit  dem  Kaschauer  Johann  Deak  ein  Weinzufuhr- 
geschäft ab.  Da  er  das  Bürgerrecht  von  Kaschau  nicht  besass,  so 
musste  er  sich  den  Verlust  von  sechs  Fässern  Wein  gefallen  lassen; 
der  Strafsatz  lautete  ursprünglich  auf  10  Fass.  —  Das  Gleiche  betraf 
zur   selben   Zeit   Frau   Priska   Lenusin,    deren   Mann   auch   nicht   das 


Das  Gerichtsprotokoll  d.  kön,  Freistadt  Kaschau  a.  d.  J.  1556—1608.       637 

Bürgerrecht  hatte.  „Es  ist  aber  ein  alte  Stattgereehtigkeit"  heisst  es 
im  ürtheilsspruche,  dass  kein  Ayn-^'t)ner  dieser  Stadt,  ob  er  gleich 
Hauss  hynnein  hett,  und  doch  nicht  das  Purgerrecht  erlanget,  mag 
und  sollanndtweyn  hereinfuren  vor  die  Stat.  Thut  er  aber  darwider, 
so  hat  er  dieselbigen  Wein  verlorn". 

Ein  Missachten  des  städtischen  We  i  n  t  a  r  i  f  s  konnte  den  Ve  r  1  u  s  t^ 
des  Schankrechts  ^)  nach  sich  ziehen,  wie  sich  dies  (1571)  Eötvös 
zuzog;  doch  wurde  er  später  begnadigt. 

Der  Kathsbesehluss  von  1564  besagte,  dass  das  volle  Bürgerrecht 
(ins  civile)  den  Miteinwohuern  d^r  Vorstadt  nicht  so  wie  den 
eigentlichen  Bürgern  eingeräumt  werden  könne.  Den  Vorstädten  sei 
nicht  gestattet,  mit  Wein  und  Tuch  Handel  zu  treiben 

Als  1568  mehrere  Handwerker  von  Patak  die  gleichen 
Innungsrechte  für  sich  in  Anspruch  nehmen  wollten,  wie  solche 
in  Kaschan  bestünden,  und  damit  begründeten,  dass  Patak  wieder  zu 
den  Besitzungen  der  ungarischen  Krone  zähle,  verweigerte  der  Eath 
seine  Zustimmung  und  erklärte,  dass  man  nur  an  dem  altherkömm- 
lichen Verkehre  mit  den  Meistern  und  Zechen  von  Patak  festhalten 
könne.  —  Patak  war  eben  keine  freie  königliche  Stadt,  also  nicht  eben- 
bürtiger Kechtsstellung. 

Wir  schliessen  hier  einen  TJrtheilsspruch  des  Kaschauer  Rathes 
an,  der  dem  Grundsatze  Rechnung  tragen  sollte,  dass  Mangel  an 
Gemeinsinn  den  Anspruch  auf  die  Rechte  eines  Gemein- 
wesens verwirke. 

1569  wollte  Kaschau  die  „Auslösung"  d.  i.  die  mit  einer  Taxen- 
zahlung verbundene  Bestätigung  oder  Erneuerung  seiner  Freiheiten 
bei  der  Krone  erlaugen,  da  man  hiezu  von  der  Stadtgemeinde  Press- 
burg aufgefordert  worden  war.  Der  Kaschauer  Bürger,  Leonhard  Gröschl 
(ein  für  diesen  Fall  sehr  zutreffender  Name),  der  zu  der  bewussten 
Zahlung  auch  sein  Scherflein  beitragen  sollte,  —  äussert«  sich  sehr 
übellaunig:  „Er  wold  für  niemanden  zalen.  wan  die  Privilegien  ymmer 
nicht  solten  confirmirt  werden".  —  Der  Rath  fasste  nun  folgenden 
Beschluss : 

„Nachdem  er,  Gröschl,  die  Privilegia  und  Freyhait  der  ganczen 
Statt,   welche   (er)   zu   erhalten  geschworen,    vnd  welche    vnsere    Vor- 


•)  Die  Kaschauer  Gemeinde  war  auch  bestrebt,  ihr  Braurecht  und  Bier- 
schankrecht  gegen  adelige  Konkun-enz  zu  wahren;  wie  wir  dies  aus  dem  Zeug- 
nisse der  Schtlroscher  Gespanschaft  v.  J.  1568  entnehmen.  Die  Stadt  protestirte 
nämlich  dagegen,  dass  adelige  Gi-uudhomi  in  ihrer  Nähe,  das  Bannnieilenrecht 
nicht  achtend ,  Bier  brauten  und  Bier  ausschenkten  (braxatio  et  educillatio 
cerevisioe). 


638  Krones. 

eitern  mit  grosser  Mühe,  Arbayt,  vud  beständiger  Treuheit,  ya  auch 
durch  ir  Blutvergissen  von  den'^  alten  heiligen  hungrischen  Khunigen 
bekhommen  vnd  zuwege  gebracht  vnd  auff  unss  gelassen  haben,  mit 
o-leicher  Mühe  vnd  Treuheit  zu  erhalten  vnd  yn  keinem  Weg  zu 
uerachten  (habe):  So  soll  Lenart  Greschel:  derselben  Privi- 
legiis vnd  Stadtgerechtigkeit  vnd  Freyheitt  gar  beraubt 
sein  vnd  derselben  nicht  geniesseu,  so  lang  er  dem 
ersamen  Rat  vnd  der  ganczen  Gemayn  den  wyllen  nicht 
sucht.  Welches  also  zu  verczaichnen  ist  befolenn  worden.  Actum 
den  26.  Sept.  a.  d.  1569". 

Endlich  verdient  noch  ein  Fall  z.  J.  1570  Beachtung.  Peter 
Zabo  (Szabü),  Schwiegersohn  der  Witwe  des  Ladislaus  Kassay  wurde 
des  Bürgerrechtes  für  verlustig  erklärt,  weil  er  insgeheim  und 
ohne  Wissen  des  Rathes  sich  und  seine  Schwiegermutter  dem  Magnaten 
Kaspar  Drugeth  von  Homonna  für  immer  als  Unterthan  der  Herr- 
schaft ünghvär  „aufnehmen''  und  „eignen"  Hess. 

Das  ist  der  wesentliche  Inhalt  unserer  Quelle.  Er  wirft  mitunter 
g-relle  Streiflichter  auf  Thatsachen,  die  unter  wechselnden  Formen  immer 
wiederkehren,  durch  ihr  besonderes  Gepräge  jedoch  den  Geist  der 
Zeiten  erkennen  lassen.  Ihm  überall  nachzuspüren  ist  die  Aufgabe  des 
Historikers. 


Die  Eiiifüliriing  des  gregorianischen  Kalenders 

in  Wien. 

Von 

Karl    Uhlirz. 

Am  1.  Oktober  1583  wurde  das  Patent  ausgegeben,  mit  dem 
Kaiser  Kudolf  IL  die  Anwendung  des  neuen  Kalenders  in  Ober-  und 
Niederösterreich  anordnete.  Dem  Widerstreben,  das  der  päpstliche 
Ursprung  der  Reform  allerorten  hervorrief,  trug  die  Fassung  des  Pa- 
tentes Rechnung,  der  Name  des  Papstes  wurde  gar  nicht  genannt,  nur 
nebenher  ist  von  der  Einführung  des  Kalenders  in  Italien  die  Rede: 
,, nachdem  sich  bisshero  im  alten  calendario  sowol  der  fest  als  auch 
der  jarszeit  und  anders  halben  allerlei  mengel  befunden,  derwegen 
dann  unläugst  nit  allein  mit  unsern  vorwissen,  sondern  auch  nit 
weniger  auf  etliche  unserer  als  anderer  christlicher  potentates  und 
herrschaften  fürnemen  mathematicorum  vleissigs  nachdenken  und  guet- 
achten  ain  neues  calendarium  verfasset  und  von  inen  als  derselben 
Sachen  verständige  ainhelliglich  für  guet,  auch  die  vorberürte  mengl 
widerumb  ab  und  alles  in  ain  bestendige  immerwärende  richtigkait  zu 
zu  bringen  für  notwendig  geachtet  worden  und  dann  hierauf  weiter 
erfolgt,  dass  verschinen  82.  jajs  solch  neu  calendarium  hin  und  wider 
und  nit  allain  in  Italien,  sondern  andern  mehr  nit  der  geringsten 
christlichen  nation  köuigreichen  und  Ländern  publicirt  und  ins  Werk 
gericht  worden"  ').     Der  Uebergang   vom   alten    zum    neuen  Kalender 


»j  Kaltenbrunner  in  SB.  87,  511.  Patent  im  k.  k.  H.  H.  und  Staatsarchiv, 
nö.  Landesarchiv,  k.  k.  Archiv  des  Ministeriums  dea  Innern.  Für  mehrfache 
Auskünfte  und  die  Gestattung  der  Benützung  bin  ich  den  Hei-rn  Dr.  Thomas 
Fellner,  Direktor,  Dr.  Michael  Tangl,  Offizial  des  Archivs  im  Ministerium  des 
Innern,  Herrn  Alois  König,  Direktor  und  Herrn  Dr.  Anton  Majer,  Gustos  des 
Landesarchivs  zu  Dank  verpflichtet.  Wertvolle  Mitteilungen  aus  dem  üniversitäts- 
archiv  verdanke  ich  Herrn  Staatsarchivar  Dr.  Karl  Schrauf. 


640  U  h  1  i  r  z. 

sollte,  wie  es  im  Jakre  vorher  in  der  Bulle  ,Inter  gravissimas'  verfügt 
war,  durch  Gleichsetzung  des  5.  mit  dem  15.  Oktober  erfolgen.  Zur 
Veranschaulichung  und  leichtern  Handhabung  wurde  dem  Patente  eine 
Anweisung  beigegeben,  mit  deren  Abfassung  der  berühmte  Wiener 
Mathematiker  Dr.  Paulus  Fabricius  betraut  worden  war.  Keiner  war 
hiezu  berufener  als  der  gelehrte  Lausitzer,  der  sich  eifi-ig  mit  astro- 
nomischen Studien  beschäftigte,  seit  dem  Jahre  1555  Kalender  aller 
Art  herausgab  und  im  Jahre  1578  das  Gutachten  der  Wiener  Uni- 
versität über  den  päpstlichen  Vorschlag  der  Kalenderverbesserung 
ausgearbeitet  hatte  i).  Er  war  wohl  vorbereitet,  sein  Wissen  auch  in 
leicht  fasslicher  Form  zu  einem  volksmässigen  Zwecke  zu  verwerthen 
und  kam  dem  kaiserlichen  Auftrag  während  seines  Sommeraufenthaltes 
zu  Oberlaa  nach. 

Zur  selben  Zeit  traf  am  kaiserlichen  Hofe  eine  Schrift  eines  eifrigen 
Gegners  der  Keform,  des  Tübinger  Professors  Maestlin  ein,  die  ihm 
zur  Begutachtung  vorgelegt  wurde  und  ihn  auch  zu  neuerlicher  wissen- 
schaftlicher Beschäftigung  mit  dem  Gegenstande  veranlasste  2). 

Die  Anleitung  des  Fabricius  ist  auf  einem  Papierblatte  grossen 
Formates  (525/390  mm.)  gedruckt  und  mit  einer  Widmung  an  seinen 
Gönner  den  Hofkammerrat  Hieronymus  Beck  von  Leopoldsdorf,  einen 
der  eifrigsten  Förderer  wissenschaftlicher  Arbeit,  versehen.  Da  das 
Blatt  zu  den  Seltenheiten  zählt  und  bisher  der  Forschung  entgangen 
ist  3),  so  wird  die  Mitteilung  seines  Wortlautes,  der  uns  einen  Bericht 
über  des  Fabricius  Thätigkeit  in  der  Kalenderfrage  und  seines  Gönners 
Anteilnahme  an  derselben  darbietet,  nicht  überflüssig  erscheinen : 

Aulaitung  zum  brauch  des  verneuten  caleuders  welcher  auff*  der 
röm.  kai.  Mt.  etc.  unsers  allergnädigsten  herrn  etc.  bevelch  auff  ditz 
1583.  jar  im  octobri  angestellt  wird. 

Dem  edlen  und  gestrengen  ritter  herrn  Hieronimo  Begken  von 
Leopolssdorff  etc.  auf  Ebraichsdorlf  etc.  röm.  kais.  Mt.  etc.  hofcammerrat, 
meinem  gnädigen  herrn  und  patron. 

Ich  denke  offt  dran,  edler  gestrenger  ritter,  gnädiger  herr,  das 
mich  e.  g.  vor  vilen  jähren  unter  andern  gesprächen  de  bonis  artibus 
sonderlich  von  mathematicis   disciplinis    dahin   gehalten    hat,    das    ich 


')  Ueber  ihn  Kaltenbrunner  Die  Polemik  über  die  gregor.  Kalenderreform 
in  SB.  87,  491,  530;  Aschbach-Horawitz  Gesch.  der  Wiener  Universität  3,  193; 
Mayer  Buchdruckergeschichte  Wiens,  passim.  ")  Kaltenbrunner  a.  a.  0.  491. 

8)  Ich  verdanke  die  Kenntnis  desselben  der  Nachforschung  des  Herrn  Dr.  M.  Tangl, 
der  das  im  Archiv  des  k.  k.  Ministeriums  des  Innern  verwahrte,  wohl  erhaltene 
Exemplar  zu  Stande  brachte.  Ein  zweites  beschnittenes  Exemplar  befindet  sich 
im  nö.  Landesarchiv. 


Die  Einführung  des  gregorianischen  Kalenders  in  Wien.  (341 

etliche  modos  instauraudi  calendarii  Komani  stellen  wolte,  auch  daneben 
erbotten  e.  g.  woltens  selber  gen  Korn  schicken,  da  ich  gleichwol 
desshalben  ingehalten,  das  ich  gewiss  erfahren,  dass  man  dieselb 
emendation  ohnedas  von  dannen  zu  gewarten  haben  werde.  Wie  dann 
alssbald  darauff  die  kais.  Mt.  etc.  unser  allergnedigster  herr  etc.  mir 
bevelch  geben,  die  ganze  sachen  vom  caleudario  zu  beratschlagen  und 
Irer  Mt.  zuezustellen,  welches  von  mir  beschehen  und  iusto  commen- 
tario  nach  allen  umbstenden  auf  etliche  form  und  weiss  verrichtet 
worden,  von  welchen  hie  wol  meidung  beschehen  sollte,  aber  es  wil 
sich  in  kürtze  nicht  thun  lassen.  Weil  ich  aber  desselben  meines 
commentirens  e.  g.  ein  exemplar  schon  vor  vier  jaren  zugestelt,  wollen 
sie  sich  drinnen  ersehen,  vielleicht  kompts  auch  noch  in  druck.  Jetzt 
weise  ich  aufs  einfeltigste  den  leser  aus  dem  gemainbreuchigen  calen- 
der  in  den  reformierten,  hab  aber  zu  erklerung  meiner  observantz  in 
öffenthchen  druck  e.  g.  zu  ehren  diss  fragmentum  aussgehen  lassen 
wollen,  bittend  e.  g.  wöllens  pro  sua  insigni  humanitate  gegen  mir 
und  löblichen  affect  gegen  gutten  studiis  vor  guet  annehmen  und  in 
ihrer  herrlichen  schönen  bibliotheca  lassen  inter  antiquitates  ein  kleines 
stättlin  finden,  dieweil  diss  calendarium  ad  antiquitatis  exemplum  inno- 
viert  ist.  Thue  mich  hiemit  e.  g.  commendieren  und  das  man  nicht 
möcht  sagen,  ich  wöll  Irer  röm.  kai.  Mt.  etc.  propria  autoritate  für- 
ffreiflfen,  habe  ich  Irer  Mt.  etc.  decret  an  mich  hier  zudrücken  heissen. 
Datum  Oberlaah  den  6.  septembris  anno  83.  da  ich  morgens  frue  ein 
stund  vor  aufFgang  der  sonnen  sowoll  als  etliche  tage  zuvor  den 
planeten  Mercurium  (welcher  sich  selten  sehen  last)  hell  und  schön  in 
ultimis  Leonis  et  primis  partibus  Yirginis  gesehen  und  notirt  habe. 

Paulus  Fabricius  caesaris  mathematicus 
med.  doctor 

Eöm.  kai.  Mt.  etc.  mathematico  Paulo  Fabricio  der  ertznei  doctom 
zuezustellen. 

Aus  souderra  der  röm.  kai.  Mt.  etc.  unsers  allergnädigsten  herrn 
bevelch  Irer  Mt.  etc.  mathematico  Paulo  Fabricio  der  artznei  doctorn 
anzuzaigen.  Nachdem  Ihr  kais.  Mt.  etc.  sich  dahin  entschlossen,  das 
neu  calendarium  sowol  als  römischer  kaiser  im  reich  teutscher  nation 
als  in  ihren  künigreichen  und  landen  zu  gebrauchen  und  dasselb  auf 
den  october  diss  jetzt  laufi'enden  jars  anzustellen,  auch  derwegen  jetzt 
im  werck  seien,  churfürsten  fürsten  und  stende  des  reichs  solcher  Irer 
Mt.  etc.  resolution  zu  erinnern  und  daneben  zu  besserer  nachrichtung 
deren  jeden  oder  doch  den  fürnembsten  einen  abdruck  oder  exemplar 
des  durch  ihne  Dr.  Fabricium  gestelten  fragmenti  der  dreier  letztern 
Mittheilungeu  XII.  40 


642  Ühlirz. 

monat  dises  jetzt  lauffenden  jars  mitzuschicken,  das  er  demnach  solch 
fragmentum  nit  allein  aufs  fürderlichst  sonder  auch  zu  dem  jetzt  be- 
rüerten  eflFect  desto  mehr  exemplaria  wolle  drucken  lassen. 

Decretum  per  caesaream  suam 

Maiest  .  die  ultimo  augusti  1583. 

V*  S.  Yieheuser  D.  P.  Obernburger. 

Nunmehr  folgt  in  drei  Kubriken  das  Fragment  vom  29.  September 
bis  31.  Dezember,     üeber  der  ersten  Kubrik  steht  die  Anweisung: 

An  den  freundlichen  leser!  Dieweil  uns  im  alten  calender  der 
18.  Sonntag  nach  der  heiligen  trifaltigkeit  aufif  den  29.  tag  septemb. 
das  ist  auf  s.  Michaelis  tag  feit  und  die  im  vemeuten  calender  den- 
selben 18.  sontag  mit  unss  (wiewol  in  irer  tagraitung  auff  den  9.  octob.) 
halten,  hatt  mich  vor  guet  angesehen,  das  jederman  von  dannen  an 
die  Wochen  raite  biss  auff  den  5.  tag  octobris,  da  wirb  er  anstatt  fünff: 
fünffzehen  sprechen  und  zelen.  Das  beschicht  auff  ein  sambstag,  her- 
nach kompt  B.  sontagsbuchstab  der  19.  nach  trinitatis,  von  dannen 
an  zeit  man  fort  nicht  allein  ditz  83.  sondern  hernach  auff  1584.  jar, 
darauff  dan  mein  calender  schon  gericht  und  gedruckt  ist. 
des  herbstmonats  zwen  letzte  tag. 
Christus   stopfft  den  Phar.       Matth.  22. 

29.  F.  18.  Mich.  Sont.  i) 

30.  g.  Montag.  Hiero. 
October  Weinmon. 

Hat  dissmal  21  Tage. 


1.     a 

erichtag     Kemi. 

2.     b 

mittwoch  Leode. 

3.     c 

pfinstag     Simpl. 

4.     d. 

freit.           Francis. 

15.     e. 

sambst.      Dioni. 

Jesus  tradt 

in  ein  schiff  Matth. 

16.     B. 

19.  Son.   Gallus 

17.     c. 

Marta.       Callistus 

u.  s.  w. 

Gedruckt   zu  Wienn    in    Österreich   bei  Michaeln  Apffeln    in    der 
Schuelstrass  cum  privilegio  sac.  caes.  raaiestatis  '^). 


»)    Die    verschiedenen    Zahlen    und    Zeichen    habe    ich    im   Abdruck   -weg- 
gelassen.  *)   Ueber   die  Druckerei   vgl.  Mayer  Wiens  Buchdruckergeschichte 

1,  119  ff. 


Die  Einführung  des  gregorianischen  Kalenders  in  Wien.  543 

Die  kaiserliche  Verordnung  kam  keineswegs  zu  rascher  und  all- 
gemeiner Durchführung.  Nur  die  Universität  gieng  an  dem  festgesetzten 
Tage  zu  dem  neuen  Kalender  über  1).  Die  drei  Stände  des  nö.  Land- 
tags, Prälaten,  Herrn  und  Ritterschaft  richteten  am  4.  Oktober  1583 
au  den  Erzherzog  Ernst  eine  Eingabe,  sowie  sie  erklären,  dass  es 
ihnen  unmöglich  sei,  das  Generalmandat  auszuführen  und  ihn  bitten 
ihre  Entschuldigung  dem  Kaiser  zur  Kenntnis  zu  bringen  2).  Es  sind 
die  damals  oft  gehörten  Gründe,  die  sie  für  ihr  Verhalten  vorbringen: 
„wann  wir  dann  befinden,  weil  auf  morgen  sambstag  die  zeit  des  neuen 
calenders  alberait  angeen  sole,  das  unmuglichen  demselben  alhir,  vil 
weniger  auf  dem  land  alda  man  umb  diese  publication  noch  gar  kain 
wissen  haben  wirdet,  Vollziehung  zu  laisten.  Seitemal  auch  wie  wir 
bericht,  weder  die  hochlöbl.  nö.  regierung  und  camer,  herr  land- 
marschalch  etc.  die  herrn  verordneten  noch  andere  gericht  und  Obrig- 
keiten dess  zu  dero  nachrichtung  zuvor  wäre  erindert  worden.  Neben 
dem  E.  fürstl.  Durchl.  selbst  genedigst  und  hochvernünftig  zu  erwegen 
under  allen  ständen  nit  allein  in  diesem  land  sondern  auch  den  be- 
nachperten  künigreichen  und  landen  in  welchen  diser  neu  calender 
auch  nit  im  gebrauch  sein  möchte,  in  allen  ämbtern  conträcten  handln 
und  reitungssachen  für  inconvenientia  und  beschwärungen  hin  und 
wider  ervolgen  wurden".  Bereits  am  nächsten  Tage  erhielten  sie  den 
Bescheid,  dass  der  Erzherzog  ihre  Bedenken  gnädigst  angehört  habe, 
aber  eine  selbständige  Entscheidung  in  Sachen  der  Kalenderreform 
nicht  treffen  wolle,  weshalb  er  die  Eingabe  an  den  Kaiser  geleitet  habe 3). 

Gegen  solchen  unterthänigen  Widerstand  war  um  so  weniger  aus- 
zurichten als  die  Hofämter  selbst  in  bureaukratischer  Schwerfälligkeit 
vor  dem  neuen  Kalender  zurückschreckten.  Mit  kaiserlicher  Genehmi- 
gung nahm  die  Hofkammer  die  Umrechnung  erst  vom  6.  zum  17.  Januar 
1584  vor^)  und  derselbe  Zeitpunkt  wurde  mittelst  Intimation  vom 
6.  Januar  1584  auch  den  nö.  Ständen  kundgegeben  mit  der  Verfügung, 
dass  bei  der  Auszahlung  der  Provisionen,  Besoldungen,  Pensionen  u.  s.w. 


1)  Acta  fac.  theol.  vol.  II.  (1569—1666)  f.  48  Eintragung  des  Petrus  Busaeus 
S.  J.  zum  J.  1583:  quarto  octobris  hinc  discessit  P.  Petrus  Busaeus  Romam  versus 
quo  a  sviperioribus  suis  vocabatur.   Die  sequenti  numerabatur  dies  decimus  quintus 

octobris  propter  novi  calendarii  initium die  sancti  Colomanni  .  .  .  cuius 

festum  incidebat  tunc  in  24.  octobris  propter  calendarii  coiTCctionem.  Diese  Um- 
rechnung ist  natürlich  falsch,  der  Colomannitag  wurde  nach  Fabricius  gar  nicht 
gezählt,  wollte  ihn  aber  Busaeus  auf  den  neuen  Kalender  berechnen,  so  musste 
er  ihn  zum  23.  ansetzen.  Acta  fac.  med.  1583,  II,  f.  275:  25.  octobris  secundum 
novi  calendei'ii  mutationem  ...  *)  Concept  und  Abschiüft  im  nö.  Landesarchiv. 

3)  Originaldeki-et   und   Abschrift  ebenda.  *)   Kürschner  in   Oesterr.  Wochen- 

schrift 1872  1,  849. 

40" 


(544  U  h  1  i  r  z. 

die  ausgelassenen  zeliu  Tage  „in  acht  genumen  und  den  parteien  die 
gebür  für  dieselben  abgezogen"  ^). 

Während  uns  bei  den  bisher  besprochenen  Aemtem  und  Ver- 
tretungen hinreichende  Aufkärung  aus  Akten  und  Verordnungen  zu 
Theil  wurde,  ist  uns  für  die  Aemter  der  Stadt  Wien  weder  ein  Rats- 
beschluss  noch  eine  aktenmässige  Aufzeichnung  überliefert  und  wir 
sind  auf  die  Rechnungen  als  alleinige  Quelle  angelesen.  Ohne  Zweifel 
war  dem  Rate  sowohl  das  kaiserliche  Mandat  als  auch  des  Fabricius 
Anleitung  zugegangen,  letztere  nicht  allein  auf  amtlichem  Wege,  sondern 
auch  durch  den  Drucker  Michael  Apffel,  der  dem  Rate  Kalender  und 
Lasstafeln  lieferte,  wofür  er  nach  altem  Brauche  jährlich  12  Thaler 
=  14  fi.  erhielt  2).  Trotzdem  ist  sicher  der  neue  Kalender  bei  der 
Stadt  ebensowenig  als  bei  den  Hof-  und  Landesstellen  vom  angesetzten 
Termin  an  verwendet  werden.  Ja  es  giengen  die  einzelnen  Aemter 
nach  Belieben  vor.  In  den  Rechnungen  des  städtischen  Oberkammer- 
amtes vom  Jahre  1583,  welche  auch  den  Januar  des  folgenden  Jahres 
enthalten,  finden  wir  bestimmte  Hinweise  darauf,  dass  der  Uebergang 
zu  Anfang  des  Jahres  1584  vorgenommen  wurde.  Einen  Anhaltspunkt 
zur  Bestimmung  der  weggelassenen  Tage  gewähren  uns  die  Rubriken, 
in  welchen  Einnahmen  oder  Ausgaben  nach  Wochen  eingetragen  sind. 
Die  Einnahme  aus  dem  Trögleramt  (f.  80')  springt  vom  28.  Dezember 
1583  auf  den  14.  Januar  1584,  die  aus  dem  Stangengeld  (f.  200)  vom 
31.  Dezember  auf  den  16.  Januar  über.  Noch  deutlicher  wird  das 
Verfahren  bei  jenen  Rubriken,  in  denen  die  einzelneu  Wochen  numeriert 
sind.  Die  Einnahmen  vom  Zapfenmass  (f.  196),  die  vom  Ungelt  (f.  189) 
und  die  entsprechende  Ausgabenrubrik  (f.  426)  sind  nach  folgendem 
Schema  eingestellt: 

Die  erste  Woche  schliesst  mit  dem  27.  April. 


7. 
14. 
21. 

28. 


33. 

December  die 

35. 

36. 


Woche 


Januarii  ao.  84  nach  dem  neuen  callender 
\  Januar,  die  '  \  Woche,  3) 


')  Abschrift  mit  beigeschlossener  Copie  des  an  die  Hofkammer  erlassenen 
kais.  Dekretes  vom  30.  Dezember  1583  im  nö.  Landesarchiv.  ^)  Stadtrechnnng 
1583  f.  442,  1584  f.  190.  ^)  Etwas  anders  stellt  sich  die  Sache  in  einer  zweiten 
Ausgabeumbrik  auf  das  Ungelt  (f.  420) ;  da  die  erste  Woche  mit  dem  20.  April 
schliesst,    begieng  der  Schreiber  einen  Fehler  in  der  Zählung  der  Wochen,    der 


Die  Einführung  des  gregorianischen  Kalenders  in  Wien,  645 

Wir  sehen,  dass  allweg  der  Uebergang  die  Auslassung  von  zelin 
Tagen  bewirken  soll.  Als  Grenzen  erhalten  wir  den  31.  Dezember 
alten  und  den  14.  Januar  neuen  Stils ;  da  man  nun  den  Neujahrstag 
ungeändert  gelassen  haben  wird,  bleiben  uns  für  den  Uebergang  nur 
der  2.,  3.  und  4.  Januar  übrig.  Wahrscheinlich  ist,  dass  man  den 
4.  Januar  als  einen  Samstag  gleich  dem  14.  setzte ,  also  vom 
3.  Januar  Freitag,  auf  den  14.  Januar  Samstag,  15.  Januar  Sonntag 
übergieng. 

lieber  den  Vorgang  im  Steueramt  sind  wir  nicht  unterrichtet,  da 
die  Steuerhandlerrechnung  des  Jahres  1583  fehlt  und  die  des  folgen- 
den uns  keine  Aufklärung  bietet.  Da  am  4.  Januar  Kalender  und 
Lasstafeln  im  Preise  von  7  sh.  4  du.  zum  Gebrauch  des  Steueramts 
und  der  Buchhalterei  erkauft  wurden  i),  wird  man  sich  von  da  an 
nach  diesen  neuen  Kalendern  gerichtet  haben. 

Dagegen  können  wir  aus  den  Kechnungen  des  Bürgerspitals  er- 
sehen, dass  man  hier  nicht  zu  Anfang  des  J,  1584,  sondern  noch  im 
Jahre  1583  sich  der  neuen  Tageszählung  bedient  hat.  Bereits  vor 
dem  1.  Dezember  1583  waren  um  1  fl.  4  sh,  24  dn,  Kalender  und 
Lasstafeln  gekauft  worden,  man  war  also  in  Kenntnis  des  neuen  Ka- 
lenders ^),  Von  den  einzelnen  Kubriken  ist  nur  die  der  Ausgaben  auf 
die  Küche  geeignet,  uns  Aufschluss  zu  gewähren,  da  in  ihr  von  Sonn- 
tag zu  Sonntag  das  wöchentliche  Erfordernis  eingestellt  ist.  Die  Ver- 
gleichung  mit  den  beigesetzten  Daten  ergiebt  nun  mit  voller  Sicherheit, 
dass  im  Jahre  1583  noch  nach  dem  alten  Kalender  gerechnet  wurde. 
Obwohl  nun  die  Rechnung  in  einzelnen  Eubriken  bis  zum  März  des 
nächsten  Jahres  geführt  ist,  bricht  die  Küchenrechnung  mit  Sonntag 
dem  15.  Dezember  1583  ab  und  die  neue  beginnt  mit  Sonntag  dem 
1.  Januar  1584,  also  bereits  nach  neuem  Stil.  Es  sind  demnach  die  17  Tage 
vom  15.  Dezember  bis  zum  1,  Januar  einer  Woche  gleichgesetzt.  In 
diesem  Zeiträume  eigneten  sich  die  zehn  Tage  vor  Weihnachten  am 
besten  zur  Auslassung,  man  konnte  vom  14.  Dezember  Samstag  auf 
den  Weihnachtstag  25.  Dezember,  der  im  neuen  Kalender  nicht  wie 
im  alten  auf  einen  Mittwoch,  sondern  auf  einen  Sonntag  fiel,  übergehen. 

Dass  in  der  Bürgerspitalsrechnung  ebenso  wie  in  der  des  Ober- 
kammeramts an  einzelnen  Stellen  auch  nach  den  ausgelassenen  Tagen 
datiert  wird,  darf  uns  nicht  befremden.  Fehler  und  Versehen  waren 
nicht  zu  vermeiden,    da  mau  von  dem  ämtlichen  Ansätze  abwich  und 


sich  auch  in  die  Rechnung  des  Jahres  1584  fortpflanzte,  aber  verbessert  wurde, 
zudem  hat  man  späterhin  den  14.  Januar  für  irrig  gehalten,  ihn  durch  Rasur  in 
den  4.  verw'andelt,  darunter  aber  den  21.  stehen  gelassen. 

1)  Steuerhandlerrechnung  1584  f.  38.        ^)  Bürgerspitalsrechnung  1583  f.  206'. 


646  U  h  1  i  r  z. 

eine  Anleitung  nicht  zur  Hand  hatte.  Der  Gebrauch  des  der  ämtlichen 
Anleitung  beigegebenen  Kalenderbruchstückes  oder  des  bereits  für  1584 
richtig  gestellten  Kalenders  musste,  da  die  willkürlich  weggelassenen 
Tage  darin  nach  neuem  Stil  doch  vorkamen,  notwendiger  Weise  Ver- 
wirrung hervorrufen. 

Abgesehen  von  diesen  Zählungsfehlern  war  also  der  neue  Kalender 
im  Januar  1584  bei  den  Wiener  Aemtem  in  allgemeinem  Gebrauch. 
Die  Bevölkerung  aber  konnte  sich  mit  der  Neuerung  nicht  be- 
freunden und  noch  am  20.  Januar  musste  ein  neues  Patent  erlassen 
werden,  in  dem  mit  dringenden  Worten  zur  allgemeinen  Befolgung 
des  neuen  Kalenders  aufgefordert  wurde  ^).  In  bewusstem  Gegensatz 
gegen  die  vom  Kaiser  gebilligte  päpstliche  Reform  hielten  die  Prote- 
stanten an  dem  alten  Kalender  fest  und  zu  Weihnachten  1584  kam 
es  auch  in  Wien  zu  argen  Ausschreitungen.  Mehrere  reiche  Prote- 
stanten feierten  am  4.  Januar  1585  n.  st.  Weihnachten  nach  dem 
alten  Kalender  und  feuerten  in  der  heiligen  Nacht  ihres  Festes  nach 
altem  Brauche  Schüsse  ab  ^).  Das  Aergemis,  das  sie  durch  diese  lär- 
mende Widersetzlichkeit  errecften,  mussten  sie  mit  Kerkerstrale  büssen. 


')    Kaltenbrunner    a.  a.  0.  512 ;    auch    Archiv    des   k.  k.   Ministeriums   des 
Innern.  ^)    Bericht   des    Decans   P.  Maximus   Brixiensis    in   Acta   fac.   theol. 

vol.  IL  f.  51. 


Kleine  Mittlieilmigen. 

Zur  erl)königliclien  Politik  der  ersten  Hal)sl)urger.  Zweck 
und  Verlauf  der  Verhandlungen  zwischen  Kudolf  von  Habsburg  und 
Papst  Honorius  IV.  sind  erst  durch  Busson  unserem  vollen  Verständ- 
nisse nahe  gebracht  worden.  Seine  scharfsinnigen  Untersuchungen  i) 
haben  es  wahrscheinhch  gemacht,  dass  nicht  der  Römerzug,  sondern 
die  Umgestaltung  der  deutschen  Reichsverfassung  zu  einer  Erbmonarcliie 
den  Kernpunkt  der  von  Papst  und  König  vereinbarten,  an  ältere  Ver- 
suche anknüpfenden  Action  bildeten.  Es  sind  wohlbegründete  und 
höchst  fruchtbare  Vermuthungen,  aber  immerhin  nur  Vermuthungen, 
denn  die  Actenstücke  der  kaiserlichen  wie  der  päpstlichen  Kanzlei 
übergehen  den  heiklen  Gegenstand  mit  völligem  Stillschweigen  und 
selbst  die  Vollmachten  für  den  Cardinallegaten  Johann  von  Tusculum  2) 
verrathen  nicht  die  ganze  Tragweite  des  Planes.  Nur  die  Wormser 
Annalen  erklären  rund  heraus,  es  habe  sich  um  Massregeln  gegen  das 
Kurrecht  der  Erzbischöfe  von  Mainz,  Köln  und  Trier  gehandelt  3),  aber 
auch  sie  sagen  nicht  ausdrücklich,  dass  die  Einführung  der  Erblichkeit 
im  Werke  gewesen  sei.  So  wird  man  denn  die  im  Nachfolgenden 
veröffentUchte  Urkunde •*)  willkommen  heissen  dürfen;  denn  sie  be- 
stätigt Bussons  Ansicht  und  erhebt  sie  zu  einem  hohen  Grade  von 
Wah  rscheinlichkeit. 


>)  Kopp,  Geschichte  der  eidgenöss.  Bünde  II,  3,  260  flf.  und  .Die  Idee  des 
deutschen  Erbieichs  und  die  Habsburger*,  in  den  Sitzungsberichten  der  Wiener 
Akademie,   pbilos.-hist.   Klasse,   88.  *)  Vgl.  Prou,   Registres  d'Honorius  IV, 

Bibliotheque  des  ecoles  franvaises  d'Athenes  et  de  Rome,  II  serie ;  Col.  550—559. 
3)  Annales  brev.  Wormatienses  SS.  17,  77;  vgl.  Busson,  Idee  des  Erbreichs  688. 
*)  Ich  verdanke  die  Kenntniss  dieses  Documentes  HeiTu  Dr.  Steinherz,  der  mir 
mittheilte,  dass  er  im  Repertorium  des  Salzburger  Domkapitels  zum  Jahr  1284 
einen  Protest  der  Kirche  von  Köln  gegen  die  unerschwinglichen  Geldforderungen 
des  Legaten  verzeichnet  gefunden  habe. 


g48  Kleine  Mittheilungen. 

Zur  Würdigung  des  Actenstückes  genügen  wenige  Worte.  Das 
Erscheinen  des  Legaten,  der  das  päpstliche  Recht  der  Besteuerung  mit 
harter  Eücksichtslosigkeit  übte,  beunruhigte  die  deutsche  Geisthchkeit ; 
und  als  derselbe  von  Worms  aus  —  also  nicht  vor  Ende  1286  ^)  — 
ein  Nationalconcil  auf  Oculi  1287  nach  Würzburg  ausschrieb,  flog  das 
Gerücht  durchs  Reich,  der  Abgesandte  des  Papstes  bedrohe  die  deutsche 
Kirche  mit  unerhörten  Forderungen.  Die  Erregung  wuchs  zum  Sturme; 
man  erhob  sich  zur  Abwehr,  ehe  der  Hieb  gefallen  war.  Eine 
Versammlung  der  Kölnischen  Kirche  beschloss,  von  den  Befehlen  des 
Legaten  Berufung  an  den  apostolischen  Stuhl  einzulegen;  wohl  auch, 
die  übrigen  Hochstifter  zum  Anschlüsse  aufzufordern.  Ein  glücklicher 
Zufall  hat  uns  nun  eine  für  die  Domherren  von  Salzburg  bestimmte 
Abschrift  der  Appellationsurkunde  erhalten ;  die  formelhafte  Weglassung 
der  Namen  in  den  einleitenden  Worten  lässt  deutlich  erkennen,  dass 
diese  Ausfertigung  als  Vorlage  für  ein  ähnliches  Schriftstück  dienen  sollte. 

Folgendes  ist  in  kurzer  Zusammenfassung  der  Inhalt  des  umfäng- 
lichen und  schwerfälligen  Documentes:  Die  kölnische  und  überhaupt 
die  deutsche  Kirche,  so  klagen  die  Versammelten,  befinde  sich  schon 
seit  langer  Zeit  in  misslicher  Lage  und  leide  noch  fortwährend  durch 
Fehden,  Plünderung  und  rechtswidrigen  Steuerdruck;  dazu  sei  der 
hohe  Zehent  gekommen,  welchen  Gregor  X.  zu  Zwecken  des  heiligen 
Landes  gefordert  habe,  der  aber  einer  anderen  Bestimmung  zugeführt 
worden  sei ;  dann  habe  der  Legat  selbst  Kirchen  und  Klöster  mit  un- 
gewohnten und  masslosen  Auflagen  besehwert.  Damit  nicht  zufrieden, 
entbiete  er  nun  neuerdings  die  deutschen  Kirchenfürsten  und  je  zwei 
Vertreter  einer  jeden  Kirche  auf  Oculi  (9.  März)  nach  Würzburg, 
ohne  Rücksicht  auf  die  Kürze  der  Frist  und  die  mit  der  Beschickung 
des  Concils  verbundenen  drückenden  Ausgaben;  überdies  bringe  die 
Wahl  des  Ortes  den  Erzbischof  von  Köln  in  Gefahr,  da  er,  um  Würz- 
burg zu  erreichen,  sich  den  Anschlägen  seiner  Todfeinde  aussetzen 
müsse.  Auch  heisse  es  allgemein,  der  Legat  sei  gekommen,  um  das 
Königthum  durch  Einsetzung  eines  erblichen  Königs  vom  Kaiserthum 
zu  trennen  und  so  nicht  nur  die  Kaiserwürde,  das  zweite  Licht  der 
Welt,  auszulöschen,  sondern  auch  dem  Wahlrecht  der  Kurfürsten  Ab- 
bruch zu  thun;  ferner  wolle  er  von  der  gesammten  deutscheu  Geist- 
lichkeit einen  neuen  Zehenten  fordern,  obgleich  sie  durch  die  früher 
erwähnten  Auflagen  völlig  erschöpft  sei.     Deshalb  appelliren  die  Ver- 


')  Ellenhard  (SS.  17,  129)  sagt:  Et  cum  aliquo  tempore  ibidem  (Wormatiae) 
permansisset,  indixit  et  convocavit  concilium.  Vorher  war  der  Legat  in  Speier; 
da  der  König  hier  bis  zum  9.  Dec.  weilte,  wird  auch  der  Legat  nicht  früher 
nach  Worms  gekommen  sein. 


Zur  erbköniglichen  Politik  der  ersten  Habsburger.  649 

sammelten  gegen  die  Befehle  und  Drohungen  des  Legaten,  zumal  da 
derselbe  trotz  vielfacher  Bitten  seine  Vollmacht  nicht  vorgewiesen 
habe,  an  den  apostolischen  Stuhl  und  erklären,  dass  sie  die  Berufung 
bei  der  nächsten  Gelegenheit  dem  Legaten  selbst  zur  Kenntuiss  bringen 
würden,  indem  sie  dem  kölnischen  Cleriker  Got(frid)  Auftrag  und 
Vollmacht  geben,  alle  hiezu  nöthigen  Massregeln  zu  treffen. 

Diese  Urkunde  bietet  manches  Neue:  Sie  stellt  fest,  dass  das 
Concil,  welches  erst  am  16.  März  zusammentrat,  schon  für  den  9.  März 
einberufen  worden  war ;  sie  zeigt,  dass  die  Appellation  nicht  erst  durch 
die  Ereignisse  während  der  Versammlung  veranlasst  wurde,  sondern  be- 
schlossen war,  ehe  die  Kirchenfürsten  nach  Würzburg  gingen ;  sie  lehrt 
uns  auch  die  Worte  der  Wormser  Annalen  verstehen,  die  Berufung 
sei  per  interpositas  personas  angebracht  worden :  ohne  Zweifel  ist  jenei 
Gottfried  gemeint,  der  mit  der  Vertretung  der  Berufungswerber  betraut 
wurde.  Jedoch  der  weitaus  wichtigste  Abschnitt  des  Actenstückes  sind 
jene  Sätze  über  die  geplante  Einführung  des  Erbkönigthums,  welche, 
wie  die  Worte:  „honorem  culminis  imperialis  extinguere  et  excecare" 
andeuten,  die  Aufhebung  der  Kaiserwürde  im  Gefolge  haben  sollte. 
Dass  die  Absicht  wirklich  bestand,  ist  freilich  auch  durch  unsere  Ur- 
kunde nicht  strenge  erwiesen,  aber  so  viel  steht  nun  fest,  dass  man 
in  den  höchsten  Kreisen  des  geistlichen  Fürsteuthums  an  die  Wahrheit 
der  im  Keich  verbreiteten  Gerüchte  glaubte. 

Wir  lassen  nun  das  Apellations-Instrument  selbst  folgen. 

Die  Versammlung  der  Kölnischen  Kirche  beschliesst  nach  Anhö- 
rung eines  Schreibens  des  päpstlichen  Legaten  Johann  Bischofs  von 
Tusculum,  gegen  desselben  Befehle  und  Forderungen  an  den  apostolischen 
Stuhl  zu  appelliren.  Ohne  Ort,  1287,  vor  März  9. 

Gleichzeitige  Copie  auf  Pertjameiit  im  k.  u.  l\  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchive 
in   Wien. 

Anno  domini  M^  CC«  LXXXVIIo  etc.  Lectis  et  recitatis  per  sol- 
lempnes  nnncios  de  mandato  reverendi  patris  domini  nostri  N.  archi- 
episcopi,  in  capitulo  tali  coram  nobis  prelatis,  collegiis  ecclesiarum  .  .  ad 
hoc  convocatis  litteris  venerabilis  patris  domini  Jo(hannis)  miseracione  divina 
Tusculani  episcopi,  apostolice  sedis  legati,  quarum  tenor  talis  fuit:  Johannes 
miseracione  divina  etc. 

nos  prelibati,  capitula  et  collegia  ecclesiarum,  abbates,  priores  et 
conventus  monasteriorura  civitatis  et  dyocosis,  quos  huiusmodi  negocium 
seu  vocacio  contingit,  super  hiis  litteris  et  contentis  in  eisdem  provida 
deliberacione  prehabita  attendentes  diligenter  manifestum  esse  et  noto- 
rium  per  rei  evidentiam  et  facti  experientiam,  quod  ecclesie,  raonasteria, 
clerici    et    religiosi    civitatis    et     dyocesis    Coloniensis     predicte    nee    non 


650  Kleine  Mittheilungen. 

universalis  ^)  ecclesia  totius  regni  Alamanie  multis  temporibus  retroactis 
in  gravi  txibulacione  et  miseria  tempora  deduxei-unt,  nee  cessat  adhue 
inimicorum  continuata  sevicies  ipsos  et  ipsas  incendiis,  depredacionibus, 
exactionibus  illicitis  et  rapinis  intollerabiliter  opprimentium  incessanter, 
ita  quod  nulla  hora,  nullum  tempus  impunitatem  repromittit ;  hiis  itaque 
dantibus  angustiis  supervenit  inopinate  a  sanctissimo  patre  et  domino 
nostro  quondam  domino  Gregorio  papa  decimo  in  subsidium  terre  sancte, 
(ut  prima  facie  credebatur,  licet  forte  alius  eventus  sit  secutus)  dura 
decime  imposicio,  pro  cuius  exsolucione  ecclesie  et  monasteria  civitatis  et 
dyocesis  Coloniensis  predicte,  que  in  suis  ex  causis  predictis  fuerant 
attenuate  substantiis,  in  tantum  quod  si  fas  est  dicere  et  quod  eciam 
miserabile  est  auditu,  ad  extreme  paupertatis  inopiam  sunt  deducte, 

et  licet  reverendus  dominus  pater  legatus  nos  et  alias  ecclesias  et 
monasteria  regni  Alemanie  in  hiis  angustiis  invenerit  miserabiliter  desti- 
tutos,  ad  quorundam  tamen  suggestionem  ut  creditur  circumventus, 
gravamen  gravamini  accumulans,  inconsueta  et  inmoderata^)  procuracione 
nos  et  alias  ecclesias  et  monasteria  multipliciter  aggravavit  et  de  die  in 
diem  per  suos  nuncios  transeuntes  et  pecunias  a  nobis  pro  sue  voluntatis 
libitu  nomine  procuracionis  exigentes  aggravamur; 

et  biis  non  contentus  idem  dominus  legatus  nunc  de  novo  dominum 
nostrum  Coloniensem  archiepiscopum  nee  non  alios  reverendos  patres, 
archiepiscopos,  episcopos  ac  ceteros  prelatos  totius  regni  Alemanie,  quibus 
derelinquere  et  deserere  ecclesias  suas  est  gravissimum,  hiis  diebus  nee 
non  singulas  ecclesias  et  coUegia  ac  conventus  secularium  ac  religiosorum 
prefati  regni  Alemanie  ut  eorum  quelibet  per  duos  de  gremio  ipsorum 
habentes  super  hoc  plenum  mandatum  convocari  fecit,  et  mandavit  ut 
apud  civitatem  Herbipolim  ad  dominicam  Oculi  proxime  venturam<^)  audientes 
monita  et  mandata  ipsius  domini  legati,  que  duxerit  in  concilio  ibidem 
indicto  publice  promulganda,  non  sine  magno  dispendio  nostro  monasterio- 
rum  et  ecclesiaram  predictarum,  cum  tenninus"^)  ad  hoc  prefinitus'')  nimium 
sit  artatus  et  ad  expensas  et  sumptus,  que  et  qui  ad  hoc  veniendo,  stando 
et  redeundo  et  alia  que  incumberent  et  requirerentur  occasione  concilii 
expedienda,  ecclesiarum  et  monasterioinim  proprie  non  suppetant  facultates, 
locus  eciam  vocacionis  predicte  propter  multa  pericula  inter  media  utpote 
inimicorum  capitalium  domini  nostri  archiepiscopi  et  ecclesie  Coloniensis 
in  medio  circumquaque  circumsistencium,  timorem  manifestum  qui  merito 
cadit  in  constantes  depredaciones,  insidias  et  mala,  que  cottidie  transe- 
untibus  inferuntur,  quos  et  que  est  inevitabile  posse  aliquatenus  declinari, 
non  sit  conveniens  neque  tutus; 

insuper  attendentes  quod  licet  dominus  predictus  le- 
gatus asserat^)  ad  hoc  ad  partes  Alemanie  a  sede  apostolica 
destinatum  ut  alter  am  mundi  lucemvidelicet  sacriKomani 
virtutem  imperii,  que  iamdudum  consopita  extitit,  excitaret, 
tamen  vox  est,  verbum  et  famapublicaperregnum  Alemanie 
multipliciter  divulgata,  quod  idem  dominus  legatus  regnura 
ipsum  semperimperio  inseparabiliterunitum,  intenditcon- 


*)  universis  Cojne.  ^)  Corr.  ans  inmoderacione.  "=)  Es  fehlt  ein  Wort 

wie  convenirent.  <*)  terminis  preßnitis  Cup.  «j  £5  fehlt  se. 


Zur  erbkönigliclien  Politik  der  ersten  Habsburger.  651 

stituendo  regem  hei-editarium,  quantum  in  eo  est,  ab  imperio 
separare  et  sie  alteram  mundi  lucem,  videlicet  honorem 
culminisimperialis,  sifasestdicere,  extinguereetexcecare 
ac  iuri  principum  regni  Alemanie  ecclesiasticorum  et  secu- 
larium,  ad  quos  spectat  eleccio  regis  eiusdem  promovendi 
postmodum  in  imperatorem,  enormiter  derogare,  et  quod  de 
hoc  est  eciam  publica  fama  et  vox  ibidem,  quod  prefatus  dominus  legatus 
non  considerans  nos  et  universalem  ecclesiam  et  clerum  regni  Alemanie 
per  imposicionem  decime  in  concilio  Lugdunensi  ad  terram  sanctam  depu- 
tate  et  per  immoderatam  ipsius  domini  legati  procuracionem,  nee  non 
suorum  munciorum  continuam  infestacionem  fore,  ut  dictum  est  multi- 
pliciter  aggravatos,  novam  decimam  ad  plures  annos  nobis  et  universal! 
clero  regni  predicti  nobis  imponere  intendit,  accumulando  gravamina  ut 
prius  gravaminibus  antedictis: 

Igitur,  ne  compellamur  nos  et  nostra  exponere  inimicis  et  maxime 
capitalibus  domini  nostri  archiepiscopi  et  ecclesie  Coloniensis  et  subire 
pericula  gravissima  rebus  nostris  et  personis  inevitabiliter  imminentia  et 
ne  prefatus  dominus  noster  archiepiscopus,  preter  quem  alium  defensorem 
non  habemus  in  statu  in  quo  sumus,  cum  dispendio  toeius  ecclesie  Colo- 
niensis tanquam  oves  aberrantes  nos  relinquat  ad  dictum  concilium 
personaliter  veniendo, 

a  processu  dicti  domini  legati  et  a  mandato  suo  predicto  ac  a  voca- 
cionibus  huiusmodi  et  a  cominacionibus  que  in  litteris  antedictis  videntur 
contineri,  ex  premissis  causis  gravaminum  iam  illatarum  ^)  et  qualibet  earum 
superius  expressanim 'i),  et  que  verisimiliter  ex  causis  et  coniecturis  proba- 
bilibus  per  eundem  dominum  legatum  nobis  ecclesiis  et  monasteriis  nostris 
inferri  timemus, 

ac  a  cominacionibus  in  dictis  litteris  contentis,  et  quia  iam  dictus 
dominus  legatus  copiam  auctoritatis  sue  si  quam  habet,  nobis  non  fecit 
nee  exhibere  curavit  ipse  vel  nuncii  eiusdem  super  hoc  humiliter  in- 
stantissime  et  sepius  requisiti,  scientes  nos  ecelesias  et  monasteria  nostra 
pregravatos  et  pregravantes,  et  ne  idem  dominus  legatus^)  suspensionis, 
exeommunicacionis  in  personas  nostras  et  interdicti  in  ecelesias  et  mona- 
steria nostra  sentencias  vel  ad  alias  penas  contra  nos,  ecelesias  vel  mona- 
steria terram^)  domini  nostri  et  nostram  procedat, 

contra  ipsum  dominum  legatum  ad  sedem  apostolicam  provocamur, 
etiam  appellamus  in  hiis  scriptis  nos  et  ecelesias  nostras  cum  rebus, 
personis  proteccioni  sedis  apostolice  supponendo,  et  protestamur  quod 
huiusmodi  provocacionem  et  appellacionem  in  presentia  domini  legati  pre- 
dicti parati  essemus  interponere,  si  eius  copiam  haberemus  et  quam  cito 
eins  copiam  habere  poterimus,  ipsam  coram  eo  intei*ponemus  et  faciemus 
et  eandem  innovabimus  per  nos  seu  procuratores  nostros  in  omni  sui 
forma,  prout  superius  est  expressum,  dantes  Got(fridü)  hoc  nomine  clerico 
Coloniensi  exhibitori  presencium,  quem  quo  ad  hoc  omnium  nostrum  et 
singulorum    procuratorem    nostrum    constituimus ,    facimus    et    ordinamus. 


a)  Coj).  *>)  Nach  legatus  Lücke,  Raum  für  etwa  6  Buchstaben.  «)  Die 

Worte   terram    bis   provocamur  hatte   der  Schreiber  schon   auf  monasteria  nostra 
fol(jen  lassen,  aber  dort  sofort  getilgt. 


ß52  Kleine  Mittheilungen. 

potestatem  et  plenum  mandatum,  ut  huiusmodi  provocacionem  et  appella- 
cionem  coram  predicto  domino  legato,  si  et  cum  eius  copiam  habere  potuerit, 
et  coram  prelatis  et  collegiis  quibuscunque  in  omnibus  locis  ubi  expedire 
viderit  innovet,  et  pro  nobis  omnibus  et  singulis  a  vocacione  seu  citacione, 
processu  et  mandato  et  cominacione  predictis  sedem  apostolicam  in  scriptis 
provocet  et  appellet,  ratum  et  gratum  babituri  quidquid  idem  procurator 
pro  nobis  et  nomine  nostro  fecerit  in  premissis. 

In  cuius  rei  testimonium  presens  scriptum  sigillo  ecclesie  Coloniensis 
ad  causas  fecimus  communiri. 

Et  nos  N.  dei  gracia  Coloniensis  archiepiscopus  protestantes,  quod 
dicti  prelati  et  ecclesie  huiusmodi  appellacionem  et  provocacionem  coram 
nobis  et  in  presencia  nostra  in  omni  sui  forma  prout  superius  est  ex- 
pressum  per  se  et  procuratorem  suum  predictum  interposuerint  et  inno- 
vaverint  protestando  ut  est  premissum  et  alia  faciendo  que  superius 
continentur,    sigillum    nostrum    et  secundum  apponi  facimus  huic  scripto. 

Nos  etiam  prelati,  capitula  seu  collegia  ecclesiarum,  abbates  priores 
et  conventus  monasteriorum  predicti  sigilla  nostra,  ecclesiarum  et  mona- 
steriorum  nostrorum  quorum  sigilla  comode  haberi  poteraut,  quibus  nos 
alii,  quorum  sigilla  presentibus  non  sunt  appensa,  contenti  sumus  in  hac 
parte,  in  testimonium  omnium  premissorum  duximus  presentibus  apponenda. 

Actum  et  appellatum  etc.  S,  H  e  r  z  b  e  r  g  -  F  r  ä  n  k  e  1. 


Aus  dem  Wiener  StadtarehiT.  3.  Die  Besiegeln ng  der 
Urkunde  des  Grafen  Albrecht  von  Habsburg  vom  J.  1281 
für  Wien.  Die  Angaben  über  die  Siegel  des  bekannten  Nieder- 
lagsprivilegiums  Albreclits  I.  für  Wien  entbehren  der  erforderlichen 
Deutlichkeit  und  Zuverlässigkeit.  Hormayr  in  der  Geschichte  Wiens 
5,  ÜB.  17  no.  183  gibt  zwei  Siegel  an,  die  Geschichtsquellen  1, 
64  n''.  19  sprechen  von  neun  Siegeln.  Diese  falschen  Zahlen  können 
allerdings  auf  Grund  des  bei  Weiss  Gesch.  Wiens  ^  1,  416  Taf.  17 
gebotenen  Facsimiles  verbessert  werden,  aber  die  Entzifferung  der 
Umschriften  ist  auch  mit  Hilfe  dieser  Abbildung  nicht  in  allen  Fällen 
möglich.  Da  nicht  alle  Siegler  im  Texte  angeführt  sind,  ist  es  bei  der 
verfassungsgeschichtlichen  Bedeutung  der  Urkunde  von  Belang,  auch 
die  Namen  dieser  Siegelzeugen  kennen  zu  lernen. 

Der  Bekräftigungsformel  zu  Folge  ist  die  Urkunde  besiegelt  worden 
von  dem  Aussteller,  mit  unsers  rates  der  landherru  (vorher  sind  in 
dieser  Eigenschaft  folgende  16  Landherrn  genannt:  Wernhart  von 
Schaumberg,  Graf  Perichtolt  von  Hardegg,  der  Landrichter  in  NÖ. 
Ott  von  Haslau,  der  Kämmerer  Ott  von  Perchtoldsdorf,  der  Marschall 
Stephan  von  ]\Ieissau,  der  Schenk  Leutold  von  Chunring  und  sein 
Bruder  Heinrich,  Erchenger  von  Landeser,  Friedrich  der  Trüchsess  von 
Lengbach,  Konrad  von  Pillichsdorf,  der  Landrichter  in  OÖ.  Ulrich 
V.  Kapellen,  Konrad  von  Soramerau,  Hadmar  von  Sonnberg,  Konrad 
V.  Pottendorf,  Reimprecht  und  Chalhoch  die  Brüder  v.  Ebersdorf),  der 


Aus  dem  Wiener  Stadtarchiv.  653 

besten  von  Osterrich  und  mit  der  stat  insigel.  Dem  entsprechen 
aehtzelin  Siegel,  von  denen  jedocli  eines  heute  fehlt.  Sie  sind  an  zehn 
Schnüren  aus  verschiedenfarbigen  gedrehten  Seidenfiiden  in  der  Weise 
befestigt,  dass  für  das  Siegel  Albrechts  und  das  der  Stadt  Wien  je 
eine  Schnur  vorbehalten  ist,  während  von  den  andern  Siegeln  je  zwei 
an  einer  Schnur  befestigt  sind  und  zwar  so,  dass  immer  das  grössere 
Siegel  den  obern  Platz  einnimmt.  Aus  der  folgenden  Aufzählung  geht 
hervor,  dass  nicht  alle  Landherrn  die  Urkunde  besiegelt  haben,  es 
fehlen  die  Siegel  der  von  Sommerau  und  Pottendorf,  dass  aber  für 
diese  zwei  andere  Adlige  eingetreten  sind,  die  Herren  von  Taufers 
und  Ulrichskirchen.  Ich  führe  nunmehr  die  Siegel  nach  ihrer  Folge 
von  links  nach  rechts  an: 

(Schnur)  1.  a)  Wemhart  von  Schaumberg. 

b)  Friedrich  der  Truchsess  von  Lengbach. 
„         2.  a)  Ulrich  v.  Taufers. 

b)  Otto  V.  Perchtoldsdorf. 
„         3.  a)  Leutold  von  Kuhnring, 
b)  Heinrich  v.  Kuhnring. 
,        4,  a)  Graf  Berthold  v.  Eabenswalde(-Hardegg). 

b)  Hermann  v.  Ulrichskirchen. 
,         5.  Graf  Albrecht  von  Habsburg  (rothes  Wachs). 
,         6.  a)  fehlt,  wahrscheinlich  das  Reimprechts  von  Ebersdorf. 

b)  Chalhoch  von  Himberg  {=  Ebersdorf). 
„         7.  a)  Stephan  von  Meissau. 
b)  Hadmar  v.  Sonnberg. 
,         8.  a)  Erkenger  Landser, 
b)  Ulrich  v.  Kapellen. 
,         9.  a)  Konrad  v.  Pillichsdorf. 

b)  Otto  V.  Haslau. 
,  10.  Stadt  Wien  (rothes  Wachs). 
4.  Die  älteste  Urkunde  für  die  S.  Salvatorkapelle  im 
alten  Rathause  zu  Wien.  1298.  Februar  20.  Rom.  Universis  Christi 
fidelibus  presentes  htteras  inspecturis.  Nos  miseratione  divina  Philippus 
Salernitanus,  frater  Johannes  Turritanus,  frater  Basilius  Jerosolimitanus 
Armenorum,  archiepiscopi,  frater  Mathäus  Vegliensis,  Andreas  Vena- 
franus,  Adam  Marturanensis,  Stephanus  Oppidensis,  Hdebrandinus  Are- 
tinus,  frater  Lambertus  Aquin(as),  frater  Stephanus  Balneoregensis, 
Leonardus  Aversanus,  frater  Ciprianus  Bouensis,  frater  Romanus  Croensis, 
et  Lando  Suanensis,  episcopi  salutem  in  domino  sempiternam.  Excelsa 
super  sydera  virgo  virginum  quem  genuit,  adoravit,  imarcessibilem 
florem  et  fructum   videlicet  primogenitum  mortuorum   qui  sicut  pluvia 


g54  Kleine   Mittheilungen. 

in  vellus  descendit  in  ea,  ut  salvum  faceret  genus  humanum.  Hec 
enim  regina  celi  omnium  carismatum  prefulva  fulgoribus  miserie  humane 
compatiens  in  conspectu  filii  sui  regis  eterni  pro  nostre  reconciliationis 
federe  non  desinit  advoeare,  ut  eins,  ne  pereamus,  nobis  propitiam 
efficiat  gratlam,  cuius  cuius  (!)  livore  sanati  sumus.  Ut  igitur  omnis 
lingua  consurgat  in  iubilum  ante  cborum  huius  virginis  in  templo 
eius  maxime  nomine  insignito  freqeutare  dulcia  cantica  dragmatis 
gemmas  spiritualis  ecclesie  impertiri  largiflue,  renati  fönte  sacri  baptis- 
matis  delectemur.  Quapropter  cupientes  ut  eapella  beate  Marie  -virginis 
de  Wienna  Pataviensis  diocesis,  que  in  eiusdem  virginis  est  insignita 
vocabulo,  frequentia  bonoretur  et  circa  eam  querentium  dominum  tanto 
ferventius  devotio  ferveat,  quanto  habuudantius  spirituales  thesauros 
ibidem  reppererit  in  celesti  Jerusalem  perheniter  profuturos,  omnibus 
vere  penitentibus  et  confessis  qui  ad  dictam  capellam  in  omnibus  et 
singulis  festivitatibus  beate  Marie  virginis  gloriose,  in  nativitate,  re- 
surrectione,  ascensione  domini  et  pentecosten,  in  commemoratione 
omnium  sanctorum,  in  festivitatibus  apostolorum  Petri  et  Pauli  et 
omnium  aliorum  apostolorum  nee  non  in  beatorum  Stepbani,  Laurentii, 
Nicolai,  Martini  et  patroni  ipsius  atque  beatarum  Marie  Magdalene, 
Margarete,  Caterine  festivitatibus  causa  devotionis  et  orationis  accesse- 
rint  et  ibidem  missam  audierint  vel  pro  pace  universalis  ecclesie  ora- 
verint  mente  pia  aut  qui  ad  fabricam  eiusdem,  capelle  ornamenta, 
luminaria,  vestimenta,  libros,  campanas  vel  aliis  quibuscumque  dicte 
capelle  necessariis  manus  porrexerint  adiutrices  aut  qui  in  bona  sui 
corporis  sanitate  seu  etiam  in  extremis  laborantibus  quicquam  facul- 
tatum  suarum  legaverint  modo  licito  capelle  ^)  supradicte,  de  omnipotentis 
dei  misericordia  et  beatorum  Petri  et  Pauli  apostolorum  eius  auctoritate 
confisi  siuguli  nostrum  singulis  de  iniunta  (!)  eis  sententia  quadraginta 
dierum  indulgentias  misericorditer  in  domino  relaxamus,  dummodo 
diocesani  voluntas  ad  id  accesserit  et  cousensus.  In  cuius  rei  testi- 
monium  presentibus  nostra  sigilla  iussimus  apponi.  Dat.  Roms  die 
XX.  mensis  februarii,  pontificatus  domni  Bonifatii  papae  VIII.  anno  quarto. 
Darunter  (selbstverständlich  von  anderer  Hand): 
Et  nos  Albertus  dei  et  apostolice  sedis  gratia  episcopus  Pataviensis 
supradictas  indulgentias  a  dictis  reverendis  in  Cluisto  patribus  proinde 
concessas  ratas  et  gratas  habentes  et  quadraginta  dies  indulgentiarum 
adicientes  ipsas,  quantum  iure  efficacius  possimus,  auctoritate  ordinaria 
coufirmamus  sub  anno  domini  millesimo  trecentesimo  septuagesimo  tertio, 
die  IX.  mensis  novembris. 


')  vorher  ecc  ausgewischt. 


Aus  dem  Wiener  Stadtarchiv.  655 

Pergament,  67  cm.  breit,  39  cm.  hoch.  Die  Siegel  aus  rothem 
Wachs,  der  14  italienischen  Bischöfe  hängen  an  gelbrothen  oder  un- 
gefärbten gedrehten  Seidenfäden,  über  jedem  steht  auf  der  Plica  der 
Name  des  betreffenden  Bischofs.  Das  Siegel  Alberts  von  Passau  (braunes 
Wachs)  ist  an  der  Pressel  eingehängt. 

Vgl.  Lind  Die  S.  Salvatorcapelle  im  Kathause  zu  Wien.  Wien 
1860  (Sonderabdruck  aus  Mittheil,  des  Wiener  Alterthums  -Vereins 
Bd.  2).  Weiss  Geschichte  der  Kathauscapelle.  Wien  1861.  Derselbe, 
Topographie  der  Stadt  Wien.  Wien  1876  (S.  61,  108).  Derselbe, 
Geschichte  der  Stadt  Wien,  2.  Aufl.  1,  392.  —  Die  Bestätigungs- 
klausel Bischof  Alberts  von  Passau  hat  es  verschuldet,  dass  Lind  die 
Urkunde  in  den  seiner  Abhandlung  beigegebenen  Kegesten  zum  20.  Februar 
1373  einreihte  (n^  154)  und  so  weder  er  noch  Weiss  sie  am  rechten 
Orte  verwendeten,  vielmehr  beide  die  Urkunde  des  Bischofs  Peter  von 
Basel  vom  2.  Juni  1301  als  den  ersten  „urkundlich  sicher  gestellten 
Nachweis"  über  die  Salvatorkapelle  anführten.  Diesen  Ehrenplatz  in 
Geschichte  Wiens  darf  nunmehr  unsere  Urkunde  einnehmen,  sie  ist 
nicht  nur  als  erstes  geschichtliches  Zeugnis  über  Bestand  und  Einrichtung 
der  Salvatorkapelle  von  Werth,  sie  belehrt  uns  auch  über  die  weit- 
reichenden Beziehungen  der  einflussreichen  und  mächtigen  Stifter  und 
erweist  mit  Bestimmtheit,  dass  die  Kapelle  von  Anfang  an  als  eine 
öffentliche  beabsichtigt  war,  man  sie  daher  nur  in  sehr  beschränkten 
Sinne  als  eine  Haus-  oder  Privatkapelle  der  Haimonen  bezeichnen  darf. 
Die  geforderte  Zustimmung  des  Sprengelbischofs  erfolgte  am  18.  De- 
zember 1301  in  einer  Urkunde  des  Bischofs  Wernhard  von  Passau, 
in  welcher  er  den  Besuchern  und  Gönnern  der  capella  beata  Virginis 
Mariae  nove  structure  in  civitate  Wiennensi  einen  vierzigtägigen  Ablass 
ertheilt  und  erklärt:  Katas  et  gratas  habemus  oranes  indulgentias  et 
gratias  qua  reverendi  patres  archiepiscopi  episcopi  pro  dicte  capelle 
reverentia  et  honore  concesserunt.  Karl  Uhlirz. 


Zwei  Initialen  eines  Wiener  (xrundbuchs  aus  dem  Jahre 
1389.  Die  heutigen  zum  dritten  Wiener  Gemeindebezirk  gehörenden 
ehemaligen  Vorstädte  Weissgärber  und  Erdberg  befinden  sich  an  Stelle 
der  mittelalterlichen  „Schefstrass  und  Erdpurkh",  einer  Ansiedlung, 
deren  purger  und  leut  .  .  und  was  durzu  gehört  .  .  mit  gerichten  und 
dinsten  .  .  .  jener  herzogin  von  Österreich,  die  je  des  eltisten  herzogen 
von  Österreich  .  .  herzogin  und  gemahel  war,  gehörten  (Tomaschek, 
Rechte  und  Freiheiten  von  Wien  1,  193).  Das  landesfürstliche  Urbar 
aus  den  Jahren  1437  und  1438  weist  die  Einkünfte  des  Amtes  der 
Schefstrass  mit  je  24  und  32  Pfund  Pfenningen  aus  (Climel,  Beyträge 


656 


Kleine  Mittheilungen. 


z.  Gesch.  Friedr.  IV,  86  u.  92 j.  Die  Bürger  und  Leute  der  Schitf- 
strasse  befanden  sich  gleich  den  meisten  österreichischen  Dörfern  im 
Besitz  alter  Verwaltung  und  Kechtspflege  ordnender  Kechte,  die  Herzog 
Albrecht  am  21.  März  1379  bestätigte  (Tomaschek.  1.  c.  193).  Diesen 
zufolge  sollten  die  burger  und  leut  ainen  ambtman  halten,  der  stetes 
gesessen  und  wonhaft  sei  in  der  Schefstrass,  der  zu  richten  hab  von 
der  herzogin  von  Österreich  wegen  .  .  .  umb  all  sach,  ausgenomen 
alain  umb  den  tode.  Der  Amtmann  führte  auch  das  herzogliche 
Grundbuch.  Ein  im  Jahre  1389  begonnenes  Grundbuch  ist  uns  er- 
halten im  k.  k.  Hof kammer- Archiv  in  Wien,  signirt:  Satzpuech  über 
des  ambts  in  der  Schefstrass  grundpuech  No.  4.  Auf  Folio  2  lesen 
wir:  „Hie  hebt  sich  an  das  gruntpuech  meiner  genädigen  frawn  der 
herzogin,  darinne  geschriben  sind  ir  gruntdienst  und  auch  das  juden- 
puech".  In  der  That  zerfällt  das  Grundbuch  in  zwei  Haupttheile.  Der 
erste  ist  überschrieben  mit :  „Hie  hebt  sich  an  der  Christen  puch  also : 
ob  ein  Christen  einem  andern  Christen  icht  pfant  setzet  für  geltschuld, 
das  vindet  man,  als  es  hernach  ordenlich  geschriben  stet  .  ."  Diese 
Aufschrift  wird  eingeleitet  durch  die  sub  a  abgebildete  Initiale,  wäh- 
rend die  sub  b  beigegebene  Initiale  an  der  Spitze  der  Überschrift  des 
2.  Haupttheils  ist :  „Hye  hebt  sich  an  das  judenpuech".  Die  zuerst  ein- 
getragenen Schuldposten  bei  den  Kubriken  datiren  aus  dem  Jahre  1389. 

Was  nun  die  Bedeutung 
der  beiden  Figuren  anbe- 
langt, halte  ich  sie  für  sym- 
bolische Warnungen  gegen 
Eidbruch  und  Meineid.   Der 


Fig.  a. 


Fig.  b. 


Zwei  Initialen  eines  Wiener  Grundbuclis  aus  dem  Jahre  1389.  657 

Eid  ist  im  14.  Jahrh.  ein  Hauptbeweismittel  im  Civilprocess,  also  auch 
in  allen  aus  grundbücherliclien  Transactionen  hervorgehenden  Klagen. 
Die  Figur  sub  a  schwört  mit  „aufgereckten  Fingern"  (vgl.  Grimm 
Deutsche  Rechtsalterthümer  2,  903  und  Suttinger  Observationes 
practicae  223).  Zugleich  reckt  sie  die  Zunge  heraus  zur  Warnung, 
da  nach  Artikel  59  des  Wiener  Stadtrechts  von  Albrecht  II.  vom  24.  Juli 
1340  dem  die  Zunge  ausgezogen  wird,  der  seiner  beraitschaft  hat  ver- 
lougent  oder  der,  dem  er  gelten  sol,  den  dritten  phening  nicht  engeit, 
als  er  gesworn  hat  (Tomaschek  1.  c.  1,  112). 

Der  sub  b  abgebildete  Maister  Lesyer  ist  durch  den  Judenhut 
charakterisirt.  An  der  Spitze  der  autonomen  Judengerichte  standen  die 
sogenannten  Judenbischöfe  oder  Meister  (Luschin  Gerichtswesen  240). 
Das  Beil  in  Lesyers  Hand  charakterisirt  die  gebräuchlichste  Strafe  des 
Eidbruchs  und  falschen  Zeugnisses,  das  Abhauen  der  meineidigen  Hand 
(Grimm  1.  c.  2,  905). 

Karl  Schalk. 


Mittbeilungen  XII.  41 


Literatur. 

F.  V.  Piclil,  Kritische  Abhandlungen  über  die  älteste 
Geschichte  Salzburgs.  Innsbruck  bei  Wagner  1889  VIII 
und  252  S. 

Kein  erquickliches  Buch.  Dem  Verf.  stehen  von  vornherein  folgende 
Thesen  fest:  1.  Juvavum,  jetzt  Salzburg,  ist  eine  Colonie  des  Kaisers 
Hadrian  gewesen.  2.  Der  h.  Maximus  bat  hier  in  Salzburg  zur  Zeit  des 
h.  Severin  den  Martyrertod  erlitten.  3.  Der  h.  Rupert  hat  um  die  Mitte  des 
sechsten  Jahrhunderts  als  Glaubensprediger  der  Baiern  seine?  Amtes  gewaltet. — 
Zur  Aufrechthaltung  dieser  »alten  salzburgischen  Traditionen«  wird  allen 
Autoritäten  entgegengetreten:  Wattenbach,  Eettberg  nnd  den  sonst  in  der 
Eupertusfrage  abweichenden  Gelehrten ;  den  neuen  Ausgaben  der  Vita 
Severini  ebenso  wie  dieser  selbst,  weil  sie  allerdings  der  zweiten  These 
widerspricht.  —  In  der  ersten  Abhandlung  wird  ohne  Kenntnis  von  dem 
Heer-  und  Municipalwesen  der  römischen  Kaiserzeit  gegen  Mommsen  auf- 
getreten, werden  Inschriften  anders  intevpretirt,  die  Benennung  Claudium 
Juvavum  als  »unbegründet  und  unstatthaft  erwiesen«,  dafür  die  nach 
Mommsen  von  Pighius  interpolii'te  Inschrift  Corp.  Insc.  Lat.  III  5536, 
dann  Pighius  selbst  gegen  seine  Widersacher  vertheidigt,  bis  das  gewünschte 
Resultat  erzielt  ist. 

Brauchbar  sind  die  Notizen  über  einen  Besuch  in  Schlögen  bei  Hai- 
bach, wo  seit  Gaisberger  die  römische  Station  Joviacum  angesetzt  wird 
(S.  69  f.),  indem  die  Schwächen  dieser  Position  eine  kritische  Beleuchtung 
erfahren,  allerdings  ohne  Verständnis  für  die  Bedeutung  der  daselbst  zu 
Tage  gekommenen  Legionsziegel.  S.  61  f.  ist  eine  Auseinandersetzung 
über  die  Zusammenarbeitung  der  vita  Severini  gegeben,  wobei  die  in  Be- 
tracht kommenden  biblischen  Analogien  des  Näheren  dargelegt  sind. 

Prag.  J.  Jung. 

Cesare  Paoli,  II  libro  di  Montaperti  (An.  MCCLX).  Doeu- 
menti  di  Storia  Italiana  pubblicati  a  cura  della  r.  Deputazione  sugli  Studi 
di  Storia  Patria  per  le  provincie  di  Toscana,  deirUmbria  e  delle  Marclie. 
Torao  IX.  In  Firenze  presso  G.  P.  Vieusseux  1889.  LXVI  und  488  S.  4«. 

Nicht  nur  Bücher  haben  ihr  Schicksal,  auch  Archivalien,  selbst  die 
wichtigsten  und  interessantesten  verdanken  ihre  Erhaltung  vielfach  dem 
blinden  Zufalle.    Als  die  Sienesen  am  4.  September   1260  das  stolze  Heer 


Literatur.  (359 

der  guelfischen  Florentiner  bei  Montaperti  vernichtet  hatten,  fiel  ihnen 
ausser  dem  Cai'occio  mit  der  Kriegsglocke,  der  berühmten  Martinella,  auch 
ein  Theil  der  Registratur  des  besiegten  Heeres  in  die  Hände.  Ueber  das 
Schicksal  des  Kriegswagens  ist  keine  Kunde  erhalten,  die  Martinella  wan- 
derte zu  anderem  alten  Eisen  in  die  Camera  der  Comune  von  Siena,  wo 
sie  noch  im  15.  Jahrh.  lag;  was  von  Aktenstücken  erbeutet  und  erhalten 
wurde,  verwahrten  die  Sieger  als  kostbarste  Trophäe  in  einem  eisernen 
Schranke  ihres  Archives,  bis  Florenz,  als  es  nach  mehr  als  dreihundert- 
jährigem Zwiste  der  alten  Gegnerin  obsiegte,  das  Zeugnis  seiner  Nieder- 
lage den  nunmehr  Gedemüthigten  entriss,  um  dasselbe  in  seinem  Archive 
zu  bergen,  wo  es  noch  jetzt  als  eines  der  kostbarsten  Stücke  des  so 
reichen  Florentiner  Staatsarchives  den  Forschern  und  Fremden  vorgewiesen 
wird.  In  Siena  waren  diese  Archivalien,  die  mit  einander  in  keinem 
andern  Zusammenhange  stehen,  als  dass  sie  sich  auf  denselben  Kriegszug 
beziehen,  zu  einem  Samraelcodex  vereinigt  worden  und  kamen  als  solcher 
auch  nach  Florenz.  Die  wichtigeren  Partien  des  Codex  waren  theils  im 
wörtlichen  Abdrucke,  theils  auszugsweise  durch  frühere  Arbeiten  des 
Herausgebers  i),  theils  namentlich  durch  den  trefflichen  Aufsatz  von  Otto 
Hartwig  »Eine  Mobilmachung  in  Florenz  und  die  Schlacht  von  Montaperti 
am  4.  September  1260«,  in  dessen  Quellen  und  Forschungen  «ur  ältesten 
Geschichte  der  Stadt  Florenz  2,  297  f.  bekannt  gemacht  worden.  Nun 
liegt  der  ganze  Codex  in  sorgfältiger  Ausgabe,  welche  aus  Anlass  des 
4.  Congresses  der  Deputazioni  e  societä  storiche  Italiane  zu  Florenz  er- 
schienen ist,  vor.  Der  Herausgeber,  der  schon  früher  den  Codex,  dessen 
einzelne  Bestandtheile  durch  einander  verbunden  waren,  neu  geordnet 
hatte,  unterscheidet  neun  verschiedene  Bestandtheile  desselben. 

Der  erste  und  wichtigste  enthält  das  Feldzugsjournal  der  Florentiner 
und  scheidet  sich  wieder  in  zwei  Theile,  deren  bei  weitem  grösserer  erster 
den  im  Frühjahr  126.0  unternommenen  Zug  gegen  Siena  umfasst,  welcher 
nach  einigen  weniger  bedeutenden  Gefechten  bei  Siena  sein  Ende  fand, 
während  der  zweite  viel  düritigere  den  unglücklichen  Herbstzug  betrifft 
und  bis  Ende  August  reicht.  Hier  sind  die  Ernennungen  der  Offiziere, 
die  Beschlüsse  des  kommandirenden  Podestas,  seiner  Capitani  und  des  ihn 
begleitenden  Ausschusses  der  Anziani  verzeichnet,  freilich*  nur  in  so  weit 
sie  ein  rechtliches  Interesse  besassen.  Es  sind  daher  die  Mandate  des 
Podestas  an  die  Gemeinden  des  Contados,  es  sind  Soldverträge  und  zahl- 
reiche Zahlungsanweisungen  eingetragen,  es  ist  jedesmal  mit  Gewissen- 
haftigkeit bemerkt,  so  oft  Offiziere  und  Beamte  ernannt  werden,  so  oft 
ein  Abwesender  sich  stellt  oder  einem  Soldaten  die  Heimkehr  'gestattet 
wird,  so  oft  eine  feindliche  Gemeinde  den  Florentinern  sich  unterwirft. 
Beschlüsse  rein  militärischer  Art  über  die  Kriegsoperation,  Feldzugspläne 
aber  würde  man  im  Liber  di  Montaperti  vergebens  suchen.  Ob  auch 
solche  gebucht  wurden,  darüber  fehlt  jeder  Anhaltspunkt.  Nur  über  die 
Ordnung  des  Heeres  findet  sich  eine  interessante  Bestimmung.  An  diesen 
ersten  Theil  reiht  sich  ein  Verzeichnis  der  Gemeinden  des  Contado  und 
der    ihnen  auferlegten  Getreidelieferungen  nebst  den  Bürgen,    welche  von 


»)  Cesare  Paoli.     Le  Cavallate  fiorentine  nel  secoli  XllI  e  XIV  im  Archivio 
btorico  italiano   18ü5  und  La  battaglia  di  Montaperti,  Siena  1869. 


41' 


660 


Literatur. 


den  Gemeinden  gestellt  werden  mussten.  Es  folgt  eine  Liste  der  Kauf- 
leute, die  Proviant  ins  Lager  führen  mussten,  weiter  eine  Stellungsliste 
von  Pferden,  dann  ein  Kegister  der  Entschuldigungsgrüude,  mit  denen 
Pferdestellungspflichtige  das  Ausbleiben  ihrer  Pferde  rechtfertigten,  darauf 
drei  Stellungslisten  der  "Wehrpflichtigen.  Den  Schluss  bilden  die  Statuten 
und  Ordnungen  des  Heeres.  Für  die  Localgeschichte  von  Florenz  ist  der 
Codex  in  jeder  Beziehung  von  grosser  Wichtigkeit;  für  Genealogie,  Topo- 
graphie, Verfassungsgeschichte  der  Stadt  findet  sich  im  Liber  di  Monta- 
perti  ergiebige  Ausbeute,  noch  wichtiger  ist  er  als  die  umfassendste  Quelle 
über  die  Zusammensetzung  und  Organisation  der  italienischen  Stadtmilizen. 
Dadurch  ist  er  namentlich  für  die  Kriegsgeschichte  von  hohem  Interesse. 
Waren  die  Heere  des  Mittelalters  zu  Reiter-  und  Vasallenheeren  geworden, 
so  galt  in  den  italienischen  Städten  die  allgemeine  Wehrpflicht  in  um- 
fassendster Weise.  In  Florenz  war  jeder  Waff"enfähige  vom  15.  bis  70. 
Jahre  kriegspflichtig.  Nicht  immer  freilich  wird  das  allgemeine  Aufgebot 
erlassen,  nur  dann,  wenn  ein  schwerer  Krieg  zu  führen  war,  wenn  man 
sich  zur  Entscheidung  rüstete.  So  war  es  in  Florenz  im  Jahre  1260; 
Befreiung  wurde  nur  jenen  gewährt,  die  wegen  eines  körperlichen  Ge- 
brechens oder  Betreibung  nothwendiger  Gewerbe  zu  Hause  bleiben  mussten. 
Eine  kleine  Anzahl  Krieger  blieb  als  Besatzung  in  der  Stadt  zurück.  Auch 
die  Bewohner  des  Contado  wurden  aufgeboten  und  mussten,  sofern  sie 
nicht  zur  Vertheidigung  der  Grenzorte  verwendet  wurden,  ins  Feld  rücken. 
Der  Deserteur  wird  —  höchst  bezeichnend  für  die  Handelsstadt  und  zu- 
gleich wieder  völlig  dem  modernen  Charakter  dieses  Kriegsrechtes  ent- 
sprechend —  nicht  mit  dem  Leben  bestraft,  sondern  nebst  Verlust  aller 
politischen  Rechte  privatrechtlich  getrofi'en.  Alle  seine  Forderungen  sind 
zur  Hälfte  erloschen,  zur  Hälfte  gehen  sie  auf  die  Gemeinde  über.  Zudem 
hat  er  eine  nach  Rang  und  Truppengattung  abgemessene  Busse  zu  ent- 
richten. In  den  städtischen  Heeren  war  von  jeher^  das  Fussvolk  neben 
der  Reiterei  in  bedeutender  Anzahl  vertreten,  hier  gewann  es  seine  natür- 
liche Bedeutung  gegen  das  Ritterheer  des  Mittelalters  zurück;  die  um 
ihren  Caroccio  geschaarten  Mailänder  Fusstruppen  hatten  bereits  bei  Legnano 
die  Ritter  Friedrichs  I.  überwältigt.  Noch  mehr  musste  die  Reiterei  in 
dem  bergigen  Toscana  zurücktreten.  Zwar  waren  auch  die  Florentiner 
nicht  ohne  Reiter,  die  von  den  vermögendsten  Bürgern  gestellt  wurden, 
aber  sie  bildeten  nicht  den  Kern  des  Heeres.  Dieser  schaarte  sich  um 
den  Caroccio  und  bestand  ausser  einer  Reitertruppe  aus  einer  grössern 
Anzahl  erlesener  Fussgänger.  Neben  ihnen  standen  die  Pavesai,  gewiss 
eine  Erinnerung  der  antiken  Phalanx,  Schildträger,  deren  Schilde  zusammen- 
gebunden waren  und  dem  Feinde  eine  undurchdringliche  Mauer  entgegen- 
stellen sollten.  Daneben  gab  es  Schützen  aller  Art,  Lanzenträger,  Fussgänger 
schlechtweg.  Die  Organisation  dieser  Miliz,  ihr  Oftiziercorps,  ihre  Bewaff- 
nung, die  Verpflegung,  der  Train,  das  alles  kann  aufs  genaueste  aus  dem 
Liber  di  Montaperti  ersehen  werden.  Interessant  sind  endlich  auch  die 
Lagerordnungen  und  Statuten  des  Heeres,  gewissermassen  ein  Gegenstück 
zu  den  Anordnungen  Fi'iedrichs  I.  von  115S.  —  Dass  die  Ausgabe  selber 
mit  aller  Sorgfalt  gemacht  wurde,  braucht  bei  einer  Arbeit  Cesare  Paolis 
nicht  eben  ausdrücklich  erwähnt  zu  werden.  Vier  Indices  vervollständigen 
die  Brauchbarkeit  der  Ausgabe.  H.  v.  Voltelini. 


Literatur.  66 1 

Dr.  Camillo  Henuer,  Beiträge  zur  Organisation  und 
Competenz  der  päpstlichen  Ketzergerichte.  Leipzig  1890. 
Verl.  V.  Duncker  &  Humblot.     XII  u.  383  S.  8». 

Das  vorliegende  Buch  beabsichtigt  »einige  Beiträge  zu  der  bisher 
vom  juristischen  Standpunkte  wenig  beachteten  Lehre  von  der  Organisation 
und  Competenz  der  päpstlichen  Ketzer-  oder  Inquisitionsgerichte«  inner- 
halb der  Zeiten  von  Gregor  IX.  bis  Sixtus  V.,  d.  h.  von  dem  Zeitpunkte 
an,  in  welchem  die  ersten  Schritte  zur  Errichtung  ständiger  Inquisitions- 
gerichte unternommen  vmrden,  bis  zu  jenem,  in  welchem  die  EiTichtung 
eines  besonderen  Cardinalcollegiums  für  die  Inquisitionsangelegenheiten  in 
Rom  erfolgte,  zu  liefern.  Man  wird  es  bedauern,  dass  der  Verf.  auf  die 
Darstellung  der  geschichtlichen  Entwicklung  der  Inquisition  von  vornherein 
verzichtet  hat.  Denn  mit  der  hier  vorliegenden  Zeichnung  eines  Profils 
wird  doch  nur  wenigen  gedient  sein.  »Da  die  Abhandlung,«  sagt  der 
Verf.,  »vorwiegend  einen  dogmatischen  Charakter  hat,  so  richtet  sich  die 
systematische  Anordnung  des  Stoifes  nicht  nach  der  historischen  Entwick- 
lung der  einzelnen  Institute,  sondern  nach  dem  Entwicklungsstadium  des 
16.  Jahrhunderts,  wobei  aber  bei  der  Schilderung  der  einzelnen  Institute 
deren  historische  Entwicklung  berücksichtigt  wurde.«  Es  ist  somit  im 
wesentlichen  die  Inquisition  des  16.  Jahrb.,  welche  der  Verf.  schildert; 
aber  auch  hier  macht  er  dadurch  eme  sehi-  wesentliche  Einschränkung, 
dass  er  die  spanische  Inquisition  ausschliesst  und  auf  deren  Verhältnisse 
nur  »nach  Bedarf  und  anmerkungsweise«  hinweist.  Willkommener  wäre 
uns  eine  Darstellung  gewesen,  die  auch  die  beiden  letzten  Jahrhunderte 
des  Mittelalters  vollständig  einbezieht,  etwa  in  der  Weise,  wie  dies  Lea 
in  der  zweiten  Hälfte  des  ersten  Bandes  seines  trefflichen  Werkes  gethan 
hat.  Während  Lea  im  zweiten  Bande  die  Inquisition  in  den  einzelnen 
Ländern  der  Christenheit  schildert  und  hiebei  selbstverständlich  auch  auf 
die  Ketzerverfolgungen  zu  sprechen  kommt,  sieht  der  Verf.  »ganz  davon 
ab,  selbst  nur  ein  ganz  gedrängtes  Bild  der  allmähligen  Entwicklung  der 
Ketzerverfolgung  zu  geben,  deren  Ursachen  und  Folgen  darzulegen,  Be- 
trachtungen über  die  Stellung  der  Inquisition  in  der  allgemeinen  Staats- 
und Kirchengeschichte  anzustellen,  darauf  hinzuweisen,  wie  insbesonders 
die  päpstliche  Inquisition  entstanden  sei  und  auf  welchen  historischen 
Grundlagen  sie  basiert«.  Es  handelte  sich  dem  Verf.  vornehmlich  darum, 
»auf  Grundlage  der  bisherigen  Forschungen  die  Organisation  und  Com- 
petenz der  päpstlichen  Ketzergerichte  zu  beleuchten,  um  auf  diese  Weise 
eine  Basis  schaÖ'en  zu  helfen,  auf  welcher  man  zur  juristischen  Darlegung 
des  Ketzerprozesses  selbst  schreiten  könnte«. 

Die  ganze  Arbeit  enthält  zwei,  sowohl  dem  Steife  als  auch  dem  Um- 
fange nach  sehr  ungleiche  Theile,  von  denen  der  erste  »Von  den  päpst- 
lichen Ketzergerichten  erster  Instanz«  (S.  4 — 363)  dreiundfünfzig,  der 
zweite  »Von  der  zweiten  Instanz  der  Ketzergerichte«  (S.  364 — 383)  nur 
drei  Paragraphen  umfasst.  Der  erste  Theil  handelt  in  zwei  Hauptabthei- 
lungen l)  »von  der  Organisation  der  päpstlichen  Ketzergerichte«  und 
2)  »von  der  Competenz  derselben«.  Die  erste  Abtheilung  enthiUt  vier 
Kapitel:  1.  Von  den  bei  den  päpstlichen  Ketzergerichten  erster  Instanz 
thätigen  Funktionären,    2.  von  dem  Orte    und    der  Zeit  der   gerichtlichen 


ßß2  Literatur. 

Akte,  3.  von  den  Inquisitionsreclitsquellen  und  4.  von  der  Bestreitung 
der  bei  den  Ketzergerichten  nothwendigen  Kosten.  Was  die  Funktionäre 
betrifft,  so  werden  zunächst  die  Anforderungen  für  ein  Inquisitionsamt, 
dann  das  Dienstverhältnis  der  Inquisitions- Funktionäre,  ihre  Pflichten, 
Privilegien  und  Bezüge,  hierauf  die  einzelnen  im  Ketzerprozesse  auftreten- 
den Gerichtspersonen:  die  Inquisitoren  und  ihre  Vertreter,  die  Inquisitions- 
notare, die  Nebenpersonen  des  Gerichts  und  die  sonstigen  executiven  und 
administrativen  Funktionäre  besprochen. 

In  der  zweiten  Abtheilung  handelt  der  Verf.  vom  Forum  externum 
und  internum,  dem  rechtlichen  Charakter  der  Gerichtsbarkeit  der  Inqui- 
sitoren, dem  Ursprung,  der  Dauer  und  der  Erlöschung  der  Zuständigkeit 
der  Ketzergerichte,  dem  Verhältnis  der  Inquisitoren  als  Glaubensrichter 
zu  anderen  kirchlichen  Eichtern,  der  sachlichen,  persönlichen  und  örtlichen 
Zuständigkeit  der  Ketzergerichte  und  endlich  von  dem  allgemeinen  Ver- 
hältnisse der  Inquisition  zu  den  weltlichen  Mächten. 

Der  zweite  Haupttheil  gibt  einen  Ueberblick  über  die  Entwicklung 
und  Verfassung  der  zweiten  Ketzerinstanz  (sie),  behandelt  dann  das  Ver- 
hältnis der  zweiten  Inquisitiousinstanz  zur  bischöflichen  Ketzergerichts- 
barkeit und  schliesslich  die  einzelnen  Funktionen  der  zweiten  Instanz. 

Man  wird  nicht  sagen  können,  dass  die  Gliederung  des  Stoffes  in 
allen  Theilen  eine  besonders  gute  ist:  man  fragt  sich  beispielshalber, 
warum  der  Verf.  das  Kapitel  (3)  über  die  Inquisitionsrechtsquellen  an 
einem  so  unpassenden  Orte  zwischen  dem  Kapitel  (2)  »Von  dem  Orte  und 
der  Zeit  gerichtlicher  Akte«  und  dem  Kapitel  (4)  »Ueber  die  Bestreitung 
der  bei  den  Ketzergerichten  nothwendigen  Kosten«  untergebracht  hat. 
Dass  die  Arbeit  nichts  vollständiges  bieten  will,  sieht  man  schon  aus  dem 
Titel ;  der  Verf.  erklärt  es  übrigens  noch  mit  Nachdruck  in  der  Einleitung. 
Wir  wollen  uns  demnach  auf  seinen  Standpunkt  stellen;  nichtsdesi oweniger 
will  es  uns  scheinen,  als  ob  er  einigen  Fragen  aus  dem  Wege  gegangen 
wäre,  deren  Erörterung  unzweifelhaft  hieher  gehört  hätte,  z.  B.  der  Frage, 
ob  der  Inquisition  alle  christlichen  Länder  geöfi"net  waren  und  wenn  nicht, 
was  war  der  Grund ,  dass  man  ihr  den  Eingang  versagte ;  war  sie 
dann  für  immer  ausgeschlossen  oder  nur  auf  eine  bestimmte  Zeit  u.  s.  w.? 
Ich  will  in  dieser  Beziehung  den  Verf.  nur  auf  einige  Stellen  aus  Wiclif  s 
Schriften  aufmerksam  machen,  die  ihm  wohl  nicht  zugänglich  gewesen 
sind.  In  dem  Buch  De  Eucharistia  (p.  139  meiner  Ausgabe)  freut  sich 
Wiclif,  dass  das  Königi-eich  England  mit  dieser  Inquisition  nichts  zu 
schaffen  habe:  Scd  benedictus  dominus,  regnum  nostrum  liberatum  est  ab 
ista  inquisicione  heretice  pravitatis,  cum  niulti  tarn  seculares  quam  religiosi 
sint  longo  subtiliores  et  sufficienciores  ad  inquirendum  in  regno  nostro 
vel  ubilibet  hereticam  pravitatem.  Noch  drastischer  ist  eine  Stelle  im 
vierten  Bande  der  Sermones  (p.  519):  Papa  non  potest  corrigere  hereticos 
nisi  titulo,  quo  vendicat  esse  rex  secularis  medietatis  imperii;  cum  ergo 
papa  non  dominatur  sie  super  regno  Anglie,  sicut  nee  Imperator  habens 
plenum  Imperium  unijuam  fecit,  videtur,  quod  papa  non  habet  potestatem 
hereticos  in  Anglia  tuliier  castigandi.  Et  hecvacio,  quare  nobiliores 
reges  Anglie  non  sinebaut  in  nomine  pape  intrare  in  reg- 
num suum  vocatos  inquisitores  heretice  pravitatis,  quia 
idem  ibret  illud  promittere  et  regnutn  suum  domino  pape  subicere.    Cum 


Literatur.  663 

si  domiuatur  super  corpus  legii  regis  nostri,  tunc  dorainatur  cuilibet  per- 
sone  regni  et  per  consequens  toti  regno.  lieber  das  Inquisitionsverfahren 
in  England  bieten  die  von  mir  in  einer  Prager  Handschrift  aufgefundenen 
und  von  F.  D.  Matthew  (English  Historical  Eeview,  Juliheft  1890)  abge- 
druckten Gesta  cum  Eichardo  Wicz  (=  Wyche)  manche  wichtige  Einzelnheiten. 

Sieht  man  im  Hinblicke  auf  die  von  dem  Verf.  selbst  betonten  Ein- 
schränkungen von  diesem  und  ähnlichen  Mängeln  ab,  so  wird  man  mit 
den  Ausführungen  im  Grossen  und  Ganzen  einverstanden  sein.  Auch  die 
vorhandene  Literatur  ist,  soweit  ich  zu  sehen  vermag,  recht  fleissig  aus- 
genützt worden.  Doch  finden  sich  auch  da  einzelne  Lücken.  So  scheint 
dem  Verf.  Pregers  ausgezeichnete  Arbeit  »Der  Traktat  des  David  von 
Augsburg  über  die  Waldesier«  (München  1878)  unbekannt  geblieben  zu 
sein.  David  war,  wie  das  Preger  sehr  wahrscheinlich  gemacht  hat,  selbst 
einer  der  Liquisitoren  und  so  hätte  sein  Traktat  «De  inquisitione  haereti- 
corum«  manche  brauchbare  und  belangreiche  Belegstelle  geboten.  Ich 
habe  hier  namentlich  die  Capp.  44  (quare  heretici  debeant  prius  in  iudicio 
spirituali  examinari)  und  45   (de  iudicibus  avaris  et  infectis)  im  Sinne. 

Unangenehmer  sind  die  formellen  Seiten  des  Buches.  Eine  Menge 
allbekannter  und  darum  überflüssiger  Dinge  wird  in  den  Noten  in  einer 
oft  unerträglichen  Breite  auseinandergesetzt.  Jeder  der  sich  mit  den  In- 
quisitionsverhältnissen beschäftigt  hat,  kennt  den  Namen  Juan  Antonio 
Llorente's.  Hier  wird  von  dem  Verf.  erst  erzählt,  dass  das  Original  in 
spanischer  Sprache  erschienen  ist  und  wie  viel  Bände  es  fasst,  dann  dass 
eine  autorisierte  französische  Uebersetzung  von  Allexis  (!)  Pellier  herrührt, 
deren  Titel  nun  genannt  wird,  wobei  noch  angefügt  wird:  traduit  de 
l'espagnol  sur  le  manuscrit ;  endlich  wird  noch  die  deutsche  Uebersetzung 
Hoeck's  erwähnt,  nach  welcher  der  Verfasser  citiren  zu  wollen  erklärt. 
Llorente,  deutsch  von  Hoeck,  hätte  doch  völlig  genügt.  Noch  ärger  ist  die 
Sache  auf  S.  22  (nicht  2)  zu  Gonsalvius  Montanus:  Sanctae  inquisitionis 
hispanicae  artes  aliquot  detectae  ac  palam  traductae.  Alles  was  dort  von 
der  Verbreitung  dieses  Buches  gesagt  wird  (14  enggedruckte  Zeilen)  ist 
überflüssig.  Selbst  die  weniger  umfangreichen  Citate  sind  noch  schleppend 
genug,  wie  z.  B.  S.  30:  »Nro.  .57  der  Cancellaria  Arnesti:  Alia  commen- 
dacio  iuquisitoris  per  regem  bei  Tadra  (Ferdinand)  Cancellaria  Arnesti. 
Formelbuch  des  ersten  Prager  Erzbischofs  Arnest  von  Pardubitz  (l  343  bis 
1364).  Nach  der  Handschrift  der  k.  k.  Universitätsbibliothek  zu  Prag 
herausgegeben,  im  Archiv  für  österr.  Geschichte,  61.  Band,  Wien  1880, 
pag.  267 — 586  (cit.  Tadra,  Cancellaria  Arnesti).  Hier  hätte  doch  Cancell. 
Arnesti,  Archiv  für  öst.  Gesch.  61  und  Seitenzahl  vollkommen  genügt. 
Solche  Fälle  finden  sich  sehr  zahlreich  s.  S.  38,  60,  67,  209  u.  s.  f. 
Von  Stilblüthen  wurde  eine  schon  oben  ei-wähnt;  so  finden  sich  noch  vor 
»der  significante  Befehl«  S.  31,  die  historische  Verantwoiiung  statt  Ver- 
antwortung vor  der  Geschichte  S.  214,  undeutsche  Ausdrücke,  wie  dies- 
bezüglich, Feber  u.  s.  w.  Was  die  Orthographie  in  den  zahlreichen  Beleg- 
stellen betrifl't,  die  der  Verf.  aus  einzelnen  Stücken  des  1 4.  und  1 5.  Jahrh. 
beibringt,  so  war  selbstverständlich  stets  die  der  Originale,  beziehungsweise 
des  betreffenden  Jahrhunderts,  dem  das  Stück  angehört,  anzuwenden  und 
nicht  die  für  jene  Zeiten  unpassende  des  klassischen  Alterthums. 

Czernowitz.  J.   Loserth. 


1364  Literatur. 

Der  Bilderkreis  zum  wälschen  Gaste  des  Thomasiu  vou 
Zerclaere,  nach  den  vorhandenen  Handschriften  untersucht  und  be- 
schrieben von  Adolf  von  Oechelhaeuser.  Mit  8  Tafeln.  Heidel- 
berg, Gustav  Koester,  1890.     4°,  86  S.  —  15  M. 

Während  die  Kunstgeschichtschreibung  der  Renaissance  fast  überall 
die  Künstlerindividualitäten  in  den  Vordergrund  stellt,  diese  .  zur  Basis 
der  Darstellung  macht,  die  Tradition  und  die  allgemeinen  kulturgeschicht- 
lichen Zeitverhältnisse  dagegen  bloss  als  beeinflussende  Nebenfaktoren  be- 
handelt, ist  die  Kunstgeschichtschreibung  des  Mittelalters  vor  allem  darauf 
bedacht,  jede  ihr  zur  Beurtheilung  vorliegende  Erscheinung  in  Bezug  auf 
ihren  Zusammenhang  mit  der  zeitlich  unmittelbar  vorangehenden  Entwick- 
lung zu  untersuchen.  Und  zwar  geschieht  dies  nicht  bloss  deshalb,  weil 
uns  für  das  Mittelalter  nicht  jenes  reichhaltige  biographische  Material 
vorliegt,  das  die  Vasari  u.  s.  w.  für  die  Künstlergeschichte  der  Eenais- 
sance  darbieten.  Die  Kunst  des  Mittelalters  war  eben  nur  in  sehr  ge- 
ringem Masse  eine  persönliche,  dasjenige  was  der  Einzelne  zum  Vorher- 
geschaffenen hinzubrachte,  ein  sehr  geringes,  und  selbst  dieses  in  der 
Regel  nicht  durch  die  besondere  künstlerische  Art  einer  Individualität, 
sondern  durch  äussere  Einflüsse,  durch  die  Nothwendigkeit  irgend  einer 
technischen  Vervollkommnung,  durch  die  besonderen  Bedürfnisse  irgend 
eines  neuentstandenen  Mönchsordens  oder  dgl.  hervorgerufen.  Im  spätei'en 
Mittelalter  scheint  dieses  Verhältniss  eher  zu-  als  abgenommen  zu  haben, 
trotz  des  fortschreitenden  Eingreifens  des  Laienelements  in  das  Kunst- 
schaffen der  Zeit.  Wir  begreifen  auch,  dass  die  gothische  Baukunst  eine 
freie  Entfaltung  der  Künstlerindividualitäten  nicht  fördern  konnte,  und 
begnügen  uns  daher  die  kleinen  Abweichungen  und  Fortschritte  an  den 
einzelnen  Domen  des  14.  und  15.  Jahrb.  gegenüber  ihren  Vorgängern  zu 
notiren,  anstatt  die  Biographien  der  uns  dem  Namen  nach  in  der  Regel 
wohlbekannten  Baukünstler  zu  schreiben. 

Ganz  analoge  Vei-hältnisse  heiTSchten  auch  auf  dem  Glebiet  der  spät- 
mittelalterlichen Miniaturmalerei ,  was  uns  Oechelhaeusers  Publikation 
schlagend  vor  Augen  führt.  Die  Zeit  eines  verhältnissmässig  reicheren 
persönlichen  Schaffens  war  das  1 2.  Jahrhundert,  einige  Jahrzehnte  nach 
vor-  und  rückwärts  dazugerechnet.  Es  war  dies  die  Zeit,  da  das  Problem 
der  überwölbten  Basilika  zur  Lösung  gebracht  wurde  und  eine  ganze 
Reihe  neuer,  durch  das  rege  geistige  Leben  hervorgerufener  literarischer 
Ei'zeugnisse,  insbesondere  solcher,  die  in  deutscher  Sprache  verfasst  waren, 
entsprechenden  bildlichen  Schmuck  verlangte.  Hatte  man  sich  aber  ein- 
mal einerseits  für  das  gothische  Bausystem  entschieden,  anderseits  für  die 
einzelnen  literarischen  Neueinrichtungen  den  entsprechenden  Bilderschmuck 
geschaffen,  so  hielt  man  die  künstlerischen  Bedürfnisse  der  Zeit  für  be- 
friedigt und  glaubte  sich  zunächst  mehr  oder  minder  auf  das  blosse 
Kopiren  beschränken  zu  dürfen. 

Es  mag  nun  sein,  dass  gerade  der  von  Oechelhaeuser  untersuchte 
Stoff,  das  Lehrgediclit  des  Thomasin  von  Zerclaere,  für  eine  endlose  ko- 
pirende  Wiederholung  der  einmal  für  denselben  geschaffenen  bildlichen 
Beigaben  ganz  besonders  geeignet  war.  Das  Gedicht  enthält  nämlich  fast 
gar  keine  Handlung;    nahezu    der    ganze    geistige  Inhalt  wird   durch  Ale- 


Literatur.  (i65 

gorien  bestritten.  Aber  nichtsdestoweniger  bleibt  es  höchst  bemerkens- 
werth,  dass  von  sämmtlichen  Handschriften  dieses  Gedichtes,  von  denen 
wir  Kunde  haben  und  die  durch  Oechelhaeuser  vollständig  herangezogen 
worden  sind,  keine  einzige  von  den  übrigen  in  Bezug  auf  die  Illustration 
so  weit  abweicht,  dass  sie  einen  selbstständigen  Illuminator  oder  auch 
nur  die  Abhängigkeit  von  einem  nur  in  wenigen  wesentlichen  Dingen  ab- 
weichenden Typus  verrathen  würde.  Der  Archetypus,  auf  den  also  noth- 
wendigerweise  alle  heute  noch  vorhandenen  illustrirten  Handschriften  des 
welschen  Gastes  zurückgehen  müssen,  ist  anscheinend  nicht  mehr  erhalten, 
wenigstens  bisher  nicht  aufgefunden,  da  die  älteste  von  Oechelhaeuser 
benützte  und  seiner  Bearbeitung  zu  Grunde  gelegte  Handschrift  aus  der 
2.  Hälfte  des  13.  Jahrh.  stammt.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  war  der 
Archetypus  die  Urschrift  des  von  dem  Aquileier  Domherrn  in  den  Jahren 
1215  und   1216   angefertigten  Gedichtes. 

Auch  der  Umstand  ist  für  das  geradezu  sklavische  Abhängigkeits- 
verhältnis bezeichnend,  dass  die  vorhandenen  Handschriften  untereinander 
in  keinem  unmittelbaren  Zusammenhang  stehen,  nicht  zwei  darunter  in 
ein  direktes  Verhältniss  von  Vorlage  und  Abschrift  gebracht  werden  können, 
also  jede  für*  sich  eine  mehr  oder  minder  entfernte  Filiation  vertritt,  aber 
dennoch  alle  untereinander  in  der  Abhängigkeit  vom  gemeinschaftlichen 
Urbilde  aufs  engste  zusammenhängen.  Es  ist  ein  zuverlässiger  und 
bleibender  Gewinn,  den  uns  diese  Arbeit  Oechelhaeusers  verschafft  hat, 
erreicht  durch  die  Anwendung  der  bewährten  Methode  der  mittelalterlichen 
Quellenforschung  auf  die  Kunstgeschichtschreibung.  Alois  Eiegl. 


Neuwirth  Josef,  Privatdocent  der  Kunstgeschichte  an  der  deut- 
schen Universität  in  Prag.  Peter  Parier  von  Gmünd,  Dombau- 
meister in  Prag  und  seine  Familie.   Prag,  Calve,  1891.  146  S. 

Durch  die  Herausgabe  der  »Wochenrechnungen  des  Prager  Domes* 
(vgl.  Mittheilungen  11,  462  f.)  hat  sich  Neuwirth  ein  wesentliches  Ver- 
dienst um  die  Durchforschung  der  heimischen  Kuustdenkraale  erworben, 
da  dieselben  die  Gelegenheit  bieten,  der  Entstehung  und  dem  Ausbau 
dieser  Perle  des  gothischen  Baustiles  in  Böhmen  während  einer  mehr- 
jährigen Periode  bis  in  das  kleinste  Detail  zn  folgen,  während  durch  die 
vom  Verfasser  an  sie  geknüpften  Betrachtungen  eine  Keihe  neuer  Gesichts- 
punkte über  die  mittelalterliche  Einrichtung  des  Hüttenwesens,  dann  auch 
über  die  Stellung  und  Bedeutung  des  Meisters  Peter  Parier  gewonnen 
wurden.  Im  Anschluss  daran  reifte  in  dem  Verfasser  der  Gedanke,  dem 
genialen  Baumeister,  der  den  Entwicklungsgang  der  Gothik  in  Böhmen 
durch  nahezu  ein  halbes  Jahrhundert  mit  seinem  Ideenkreise  beherrschte 
und  von  sich  abhängig  machte,  eine  eingehende  Würdigung  zu  widmen, 
die  in  dem  vorliegenden  Buche  zum  Abschluss  gelangte.  Der  Fleiss  in 
der  Quellenforschung,  die  zielbe^vusste  und  klare  Darstellung  wird  selbst 
von  der  Gruppe  der  Forscher  anerkannt  werden  müssen,  welche  bei  der 
Beurtheilung  der  heimischen  Kunstdenkmale  einen  ganz  gesonderten  Stand- 
punkt einnehmen  (S.  '.)),  denn  es  ist  gerade  in  der  vorliegenden  Studie 
Neuwirths,  der  das  gedruckte  und  handschriftliche  Quellenmaterial  wie 
auch  die  gesammte  Literatur  über  diesen  Gegenstand  beherrscht,    das  be- 


6(36  Literatur.  ' 

harrliche  Streben  ersichtlich,  sich  nur  streng  an  die  Ergebnisse  »1er 
Quellennachrichten  zu  halten  und  alle  wie  immer  gearteten  Hypothesen 
zu  meiden,  für  welche  selbst  über  Peter  Parier  ein  ziemlicher  Spielraum 
geboten  wäre  (S.  88).  Daher  meidet  er  mit  Eecht  das  Eingehen  auf 
andere  Meister  aus  Gmünd,  zwischen  denen  und  der  in  Prag  thätigen 
Familie  Peter  Parlers  bisher  auch  nicht  der  geringste  Zusammenhang 
nachweisbar  ist,  aus  gleichem  Grunde  meidet  er  eine  nähere  Erörterung 
der  am  Münsterbau  zu  Strassburg  bethätigten  »Junker  aus  Prag«  oder 
die  Besprechung  der  sogenannten  Steinmetzzeichen,  da  sich  aus  diesen  ein 
auf  sichere  Grundlage  gebautes  Urtheil  nicht  ableiten  lässt. 

Wurde  aus  der  genauen  Kenntnis  der  Wochenrechnuugen  ein  reiches 
Material  gewonnen,  um  das  künstlerische  Schaffen  Peter  Parlers  nament- 
lich in  Bezug  auf  die  Plastik  eingehend  zu  würdigen,  so  gelangte  N.  anderer- 
seits nach  Durchforschung  der  Prager  Archive  in  die  Kenntnis  mehrerer 
bisher  unbekannter  Urkunden,  welche  sich  nur  auf  Privat-  und  Familien- 
verhältnisse des  Künstlers  beziehen.  Er  verfügt  daher  über  eine  weit 
grössere  Fülle  an  Quellennachrichten  als  alle  anderen  Forscher,  welche 
sich  vor  ihm  mit  der  Parierfrage  beschäftigten.  Im  Anhange  S.  114  bis 
142  werden  die  urkundlichen  Nachweise,  im  ganzen  57  Stücke,  voll- 
inhaltlich abgedruckt,  darunter  zum  ersten  Male  Nr.  8,  10,  33 — 35,  38, 
41,  47,  49,  51,  52,  57,  während  nur  wenige  der  Vollständigkeit  wegen 
aus  anderen  Urkundenbüchern  (Nr.  15,  23,  26 — 28)  aufgenommen  wur- 
den. Sehen  wir  von  den  Inschriften  (Nr.  1,  2,  32)  ab,  so  hat  zwar  Tomek 
von  den  übrigen  Urkunden  aus  den  betreffenden  Handschriften  für  die 
Angaben  seiner  »Zäklady  stareho  mistopisn  Prazkeho«  wichtigere  Stellen 
ausgewählt  und  bald  mehr,  bald  minder  umfangreich  abgedruckt,  sie  sind 
jedoch,  sobald  es  sich  um  Specialarbeiten  handelt,  wie  in  dem  vorliegen- 
den Falle  und  wie  aus  verschiedenen  Stellen  in  der  Darstellung  N.'s 
hervorgeht,  ganz  unzureichend.  Von  höchster  Bedeutung  ist  die  aus  dem 
Prager  Metropolitankapitel  im  Texte  S.  88  angeführte  Urkunde,  welche 
besagt,  dass  die  bekannte  Barbarakirche  in  Kuttenberg  von  der  Fron- 
leichnamsbruderschaft dieser  Stadt  gestiftet  und  dass  mit  dem  Bau  der- 
selben nicht  vor  dem  27.  Juli  1388  begonnen  wurde,  wodurch  die 
in-thümlichen  Ansichten  über  den  Beginn  des  Baues,  der  selbst  bis  1350, 
also  vor  die  Berufung  des  Meisters  Peter  Parier  nach  Prag,  verlegt  wird, 
sich  als  unhaltbar  erweisen.  An  der  Hand  dieser  urkundlichen  Nachweise 
und  durch  die  gewissenhafte  Wiedergabe  aller  Belegstellen,  welche  sich 
auf  die  von  Peter  Parier  stammenden  oder  mit  überwiegender  Wahr- 
scheinlichkeit ihm  zugeschriebenen  Denkmale  beziehen,  ist  der  Leser  jeder- 
zeit in  der  Lage,  die  Folgerungen  und  die  Ergebnisse  N.'s  zu  überwachen 
und  sich  von  ihrer  Stichhältigkeit  zu  überzeugen. 

Der  biographische  Theil,  in  dem  die  Lebens-  und  Familienverhältnisse 
Peter  Parlers  (S.  5 — 33),  dann  seiner  Verwandten  und  Nachkommen 
(S.  34 — 57)  erörtert  werden,  ist  als  ebenso  gelungen  zu  bezeichnen 
wie  die  künstlerische  Würdigung  der  von  ihm  geschaffenen  Denkmäler 
(S.  58—112). 

So  sehr  häufte  sich  bei  der  immer  weiter  greifenden  Vertiefung  das 
historische  Material,  dass  z.  B.  die  auf  S.  1 1 3  entworfene  Stammtafel  der 
Familie   Parier   weit    reicher    ist    als    die    in    den  Wochenrechnungen    auf 


Literatur.  (367 

S.  407  gebotene  Zusammenstellung  oder  gar  die  Angaben,  weiche  uns 
bei  den  früheren  Abhandlungen  über  Peter  Parier  begegnen.  Eine  Eeihe 
neuer  Mitglieder  dieser  Familie  lernen  wir  kennen,  bei  anderen  werden 
der  Verwandtschaftsgrad  und  andei-e  Beziehungen  privater  Natur  genauer 
bestimmt.  Eine  kritische  und  eingehende  Untersuchung  erheischte  der 
Nachweis,  dass  der  Meister  Parier  geheissen  und  aus  Köln  am  Ehein 
stammt  (S,  4 — 1 2),  da  auf  G-rund  der  mangelhaft  überlieferten  Inschrift 
unter  der  Büste  desselben  auf  der  Triforiumsgalerie  des  Prager  Domes 
([pjarleri  de  [c]olonia)  eine  Eeihe  von  Forschern  mit  Zähigkeit  daran 
festhält,  dass  er  Arier  geheissen  und  aus  Polen  ([p]olonia)  stamme.  Da- 
gegen sprechen  die  zahlreichen  Beziehungen  des  Künstlers  zu  Köln,  seine 
Jugend  und  künstlerische  Ausbildung  spricht  dafüi-,  dass  in  dieser  Stadt 
seine  Wiege  gestanden  ist,  während  aus  einer  übersichtlichen  Tabelle, 
welche  die  Erwähnungen  des  Meisters  unter  den  Stadtvätern  des  Hrad- 
schins  1360 — 1366  enthält  (S.  116),  unwiderleglich  hervorgeht,  dass  sein 
Namen  Parier  gewesen  ist.  Von  1353  wirkte  Peter  Parier  in  Prag  als 
zweiter  Dombaumeister  bis  zu  seinem  Tode  1396  oder  1397.  Vier  Brüder 
und  eine  Schwester  waren  ihm  nach  Prag  gefolgt  und  sind  daselbst  nach- 
weisbar. Zu  grösserem  Ansehen  brachten  es  noch  seine  Brüder  Michael, 
der  1359  in  Groldenkron,  1383  in  Prag  als  Steinmetz  genannt  wird,  und 
Heim'ich,  den  Markgraf  Jodok  nach  Mähren  berief,  wo  er  seine  Kunst  in 
den  Jahren  1381  — 1387  ausübte.  Von  den  fünf  Söhnen  Meister  Peters 
ist  Johann  der  angesehenste,  der  seinem  Vater  in  der  Leitung  des  Dom- 
baues folgte  (l398 — 1406).  Die  letzte  Nachricht  über  das  Verbleiben 
eines  Mitgliedes  der  Familie  Parier  in  Prag  reicht  in  das  Jahr   1417. 

N.  ist  bei  der  Verarbeitung  der  Quellennachrichten  auch  in  Detail- 
fragen sehr  vorsichtig  und  mit  Verständnis  vorgegangen.  An  drei  Proben 
möge  dasselbe  erhärtet  werden.  Es  ist  anziehend,  den  Erörterungen  auf 
S.  25  f.  nachzugehen,  wie  aus  den  Verfügungen  Peter  Parlers  für  seine 
zweite  Frau  und  deren  Kinder  im  Falle  seines  Ablebens  (Nr.  16,  17)  und 
andererseits  aus  der  gegenseitigen  Einsetzung  der  Söhne  erster  Ehe  unter 
einander  als  Erben  aus  gleicher  Veranlassung  (Nr.  21,  24)  nachgewiesen 
wird,  dass  durch  die  wahrscheinlich  1382  erfolgte  zweite  Verehelichung 
des  Vaters  eine  gewisse  Gespanntheit  zwischen  ihm  und  den  Söhnen  erster 
Ehe  eintrat,  die  eine  Verkürzung  ihres  Erbtheiles  fürchteten,  bis  vielleicht 
erst  1392  eine  vollständige  Aussöhnung  erfolgte  (Nr.  30).  Eine  fein- 
fühlige, aber  auch  richtige  Untersuchung  findet  sich  auf  S.  73  f.  Die 
Thätigkeit  Peter  Parlers  an  der  Ausfühning  des  Prager  Domchores  und 
des  Chores  der  Allerheiligenkirche  ist  in  der  Triforiumsinschrift  erwähnt 
mit  »incepit  regere  ...  et  perfecit«,  beziehungsweise  mit  »incepit  et 
perfecit*.  Dadurch,  dass  der  Anfang  und  die  Vollendung  bezeichnet  wird, 
zeigt  sich  ein  gewisser  Parallelismus,  der  aber  vermisst  wird,  wo  in  der- 
selben Inschrift  über  den  Koliner  Chorbau  die  Erwähnung  geschieht 
»incepit  a  fundo<S  also  »perfecit'^^  fehlt,  dessen  Setzung  wohl  auch  erfolgt 
wäre,  wenn  bis  zur  Abfassungszeit  der  Inschrift  im  Jahre  138  5  der  Chor- 
bau in  Kolin  schon  vollendet  gewesen  wäre,  Avie  gewöhnlich  angenommen 
wird.  Für  die  Anschauung,  dass  erst  mit  der  Wende  des  1 4.  Jahrh.  der 
Koliner  Chorbau  beendet  wurde,  sprechen  überdies  die  zahlreichen  Testa- 
mentsstiftungen aus  den  Jahren  1380 — 1401,  welche  ausdrücklich  für  den 


ßß3  Literatur. 

Ausbau  der  Kirche  bestimmt  sind  (S.  7  5).  An  dritter  Stelle  sei  darauf 
hingewiesen,  dass,  gestützt  auf  eine  ganz  kurze  Notiz  bei  Palacky  (Stersj 
lezopisowe  cesstj  odroku  1378 — 1527,  S.  84)  zum  Jahre  1431,  dass  der 
Wasserthurm  des  Meisters  Parier  abbrannte,  N.  nach  sorgsam  gepflogener 
Umschau  zu  dem  Urtheile  gelangt,  darunter  könne  nur  der  Altstädter 
Brückenthurm  verstanden  werden  (S.  69  f.).  Bisher  hat  man  lediglich 
die  Karlsbrücke  als  das  Werk  Meister  Peters  anerkannt,  obwohl  es  an  der 
Hand  liegt,  dass  der  Altstädter  Brückenthurm  als  natürlicher  Vertheidigungs- 
abschluss  der  Brücke  gegen  diesen  Stadttheil  in  den  Plan  der  ursprüng- 
lichen Anlage  mit  aufgenommen  werden  musste,  während  sich  aus  dem 
Brande  leicht  erklären  lässt,  dass  das  in  den  oberen  Partien  des  Thurmes 
angebrachte  decorative  Beiwerk,  welches  erst  nach  dem  Brande  ausgeführt 
wurde,  den  Charakter  einer  früheren  Zeit  an  sich  trägt. 

Peter  Parier  entwickelte  eine  vielseitige  Thätigkeit  als  Baumeister 
und  Bildhauer.  Sein  hervorragendes  Talent  wurde  von  den  Zeitgenossen 
gewürdigt  und  geschätzt.  Als  Beweis  dafür  dienen  die  zahlreichen  ehren- 
vollen Aufträge,  die  ihm  zu  Theil  wurden,  so  dass  wir  in  ihm  den 
thätigsten  und  begabtesten  Architekten  der  Glanzperiode  Böhmens  unter 
Karl  IV.  bewundern,  der  sich  durch  seine  Bauten  in  Prag  und  auf  dem 
Lande  einen  unvergänglichen  Namen  geschaffen  hat.  N.  unternimmt  die 
künstlerische  Würdigung  seiner  Schöpfungen  nur  an  der  Hand  ganz  ver- 
lässlicher Berichte  und  zwar  zuerst  solcher  Denkmale,  die  auf  Grund  der 
Inschriften  oder  anderer  Quellennachrichten  sicher  beglaubigte  Arbeiten 
sind,  dann  derjenigen,  welche  in  der  Anlage,  der  künstlerischen  Anordnung 
und  Durchführung  oder  auf  Grund  ganz  besonderer  ihn  charakterisirender 
Einzelnheiten  sich  als  Verkörperungen  seiner  Ideen  darstellen  oder  wenig- 
stens unter  seinem  Einflüsse  geschaffen  wurden.  Besonders  lohnend  war 
auch  die  Zusammenstellung  aller  Angaben,  welche  sich  auf  den  Neubau 
der  Teynkirche  in  der  Altstadt  Prags  beziehen,  aus  denen  unter  anderem 
ersichtlich  ist,  dass  Peter  Smelczer  und  Otto  Schaufler  nur  die  Leiter, 
nicht  die  Meister  des  Baues  waren  (S.  90 — 95).  An  der  inneren  Aus- 
stattung oder  an  dem  Ausbau  der  Burg  Karlstein  scheint  sich  Peter 
Parier  nicht  betheiligt  zu  haben  (S.  Gl).  Mit  grossem  Pleisse  wurden 
alle  Angaben  verzeichnet,  welche  Beziehungen  ziwischen  Prag  und  Aachen 
zur  Zeit  Karls  IV.  vermitteln;  aus  ihnen  erhebt  sich  bei  der  besonderen 
Vorliebe  des  Kaisers  für  die  Grabkapelle  Karls  d.  Gr.  die  frühere  Ver- 
muthung  zur  förmlichen  Gewissheit,  dass  in  derselben  das  Vorbild  für  den 
kühnen  Kuppelbau  der  Karlshofer  Kirche  zu  suchen  ist  (S.  80 — 8C). 
Ebenso  fachmännisch  werden  die  plastischen  Werke  Parlers  besprochen, 
endlich  auch  die  von  ihm  dem  Dome  gestiftete  Monstranz,  welche  sein 
Werkzeichen,  den  doppelt  gebrochenen  Winkelhacken,  trägt. 

So  wui'de  denn  einem  hervorragenden  Künstler  des  14.  Jahr- 
hunderts eine  seiner  Bedeutung  entsprechende  und  sachliche  Würdigung 
zu  Theil.  Der  bleibende  Werth  dieses  Buches  liegt  darin,  dass  bei 
dem  methodischen  Vorgange  des  Verfassers  das  den  Künstler  darstellende 
Bild  einen  festen  Umriss  gewonnen  hat  und  in  kräftigen  Zügen  aus- 
gearbeitet wurde,  welche  von  gleichviel  Umsicht  und  Gründlichkeit  des 
Wissens  zeigen. 

Prag.  Dr.  Ad.  Horcicka. 


Literatur.  ßß[) 

Mensi  Freiherr  von,  Die  Finanzen  Oesterreichs  von 
1701  bis  1740.  Nacli  archivalischen  Quellen  dargestellt.  Mit  Unter- 
stützung der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien.  Wien, 
Manz'sche  Buchhandlung  1890.     XIV,  775  S.  8'>. 

Bald  nach  seinem  Erscheinen  hat  das  vorliegende  Werk,  das  die  Frucht 
nicht  jahrelanger,  sondern  wohl  mehr  als  ein  Decennium  währender  Vor- 
studien ist,  in  nationalökonomischen  Zeitschriften  die  verdiente  anerkennende 
Würdigung  gefunden.  Da  der  Gegenstand  neu  und  aus  bisher  nicht  be- 
nutztem Quellenmaterial  geschöpft  ist,  haben  die  Besprechungen  natur- 
gemäss  den  Charakter  von  Anzeigen  mit  Inhaltsangabe.  —  Es  wäre  über- 
flüssig von  andern  Gesagtes  zu  wiederholen  und  glaubt  der  Eeferent  sich 
auf  Besprechung  eines  einzigen  Kapitels  »Münzwesen«  (Seite  7  u.  8) 
beschränken  zu  dürfen,  dessen  Angaben  sachlich  berichtigt  zu  werden 
verdienen.  Die  Bezeichnung  Gulden  Rheinisch,  die  sich  bis  tief  in  die 
Theresianische  Zeit  bei  allen  Angaben  über  Geldbeträge  findet,  bedeutet 
keine  effectiv  ausgeprägte  Münze,  sondern  einen  Zählgulden  von 
60  kr.  in  Kreuzern  oder  einer  sonst  zeitüblichen  geringhaltigen 
Münzsorte  wie  Groschen  (Dreikreuzer),  Sechsern,  Fünizehnern  etc.  aus- 
geprägt. Da  es  keine  effectiv  ausgeprägten  Gulden  [die  Ausnahmen 
werden  sofort  erwähnt]  gab,  kann  man  auch  nicht  von  einem  Guldenfuss 
in  den  Jahren  1680,  1684 — 92  und  der  folgenden  Zeit,  sondern  nur  von 
einem  Kurse  des  Zählguldens  in  effectiv  ausgeprägten  Münzsorten,  den 
Thalern  oder  den  Dukaten,  sprechen.  Zweimal  versuchte  man  den  Zähl- 
gulden effectiv  als  Kepräsentationsmünze  auszuprägen  und  zwar  im  J.  1484 
in  Tirol  unter  Erzh.  Sigmund  und  zufolge  der  1.560  aufgerichteten 
»Muntz  Ordnung«  (gedruckt  zu  Wien  durch  Michael  Zimmermann).  In 
beiden  Fällen  wurde  der  beabsichtigte  Erfolg  nicht  erreicht.  Die  be- 
zeichnung  Thaler  für  die  vollwerthige  Münzsorte  ist  eine  erst  später  auf- 
tretende, in  den  Wiener  Kammeramtsrechnungen  begegnet  sie  erst  im 
J.  1531  (Numisniat.  Zeitschr.  13,  281).  Die  gleichzeitige  Bezeichnung 
für  diese  zuerst  1484  in  Tirol  geprägte  Münzsorte  ist  »Guldengroschen« 
(Numismat.  Zeitschr.  18,  49).  Sie  wurde  als  Aequivalent  in  Silber  für 
die  seit  dem  14.  Jahrhundert  geprägten  Ehein.  Goldgulden  ausgeprägt,  die 
im  J.  1484  in  Österreich-Tirol  einen  Kurs  von  einem  Pfund  Pfenningen, 
oder  was  dasselbe  ist,  einem  Zählgulden  in  Kreuzern,  gleich  60  Kreuzern 
bedangen  (Numismat.  Zeitschr.  11,  275).  Damals  waren  also  effectiv  ge- 
prägte Rhein.  Goldgulden,  deren  Aequivalent  die  Guldengroschen  (Thaler) 
und  Zählgulden  von  60  kr.  thatsächlich  identisch.  Aber  schon  seit  1527 
hatte  die  effective  Münze  ein  Agio  von  4  kr.  (der  Goldgulden  galt  64  kr., 
Numismat.  Zeitschr.  13,  26 1),  das  seit  der  Zeit  fortdauernd  stieg;  im 
J.   1556  galt  der  Thaler  70  kr.  (Numismat.  Zeitschr.   16,   93). 

Man  machte  nun  abermals  den  Versuch,  eflcctives  Geld  iind  Zähl- 
gulden zur  Identität  zu  bringen  durch  Minderausprägung  der  schweren 
Münzsorte;  dies  gab  Veranlassung  zu  dem  Erlass  der  schon  erwähnten 
Münzordnvmg  von  1560,  die  die  Ausprägung  von  »Guldenthalern«  zu 
60  Kreuzern  anordnete  (vgl.  Newald,  Das  österr.  Münzwesen  unter  Fer- 
dinand I.  62  u.  ff'.).  Diese  Münzsorte  eroberte  hier  aber  den  Verkehr 
nicht,  denn  die  älteren,  besser  geprägten  Thalersorten,  die  Agio  bedangen, 


(570  Literatur. 

behaupteten  sich  und  man  gab  die  Prägung  der  Guldenthal  er  auf.  Seither 
wurde  bis  zur  Einführung  des  Conventionsfusses  im  J.  1754  m.  W.  kein 
Versuch  gemacht,  die  Aequivalentmünze  des  Zählguldens  auszubringen. 

Im  J.  1()80  hatte  der  Thaler  in  Zählgulden  oder  Rhein.  Gulden  einen 
Werth  von  1  fl.  30  kr.,  im  J.  168ß  von  1  fl.  45  kr.,  im  J.  loyo 
von  1  fl.  48  kr.  (Becher,  Das  österr.  Münzwesen  1/2,  6),  im  J.  1693  von 
2  fl.  Rhein.  (Becher  1.  c.  I/l,  137).  Spätere  Daten  fehlen  mir,  doch 
scheint  dieser  Kurs  für  die  erste  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  constant 
geblieben  zu  sein. 

Was  den  Werth  des  effectiven  Thalers  betriöt,  der  also  für  die  Be- 
rechnung des  Rhein,  oder  Zählguldens  massgebend  ist,  besitzen  wir  eine 
werthvoUe  Angabe  in  einem  Berichte  des  Wiener  Münzamtes  vom 
17.  März  1707  über  zwei  in  Hamburg  beanständete  kaiserl.  Thaler  (Be- 
richte und  Mitth.  des  Alterthums -Vereines  20,  91  Beil.  Nr.  l).  Diesem 
zufolge    gingen    9^^^   Stücke    auf    die    14    Loth    feine,    rauhe    Mark.     Der 

Werth  des  Thalers  stellt  sich  somit  auf  fl.  "-'^  -    ->  X    <  A —  ^  g_  2-26  kr. 

8  X  39 
Ost.  Währung;   der  Rhein,  fl.   auf   1*13   kr.   öst.  W. 

Das  Resulthat  stimmt  mit  dem  Mensi's.  Bezüglich  der  Darstellung 
der  thatsächlichen  Münzverhältnisse  scheint  er  mir  aber  im  Irrthum.  Zum 
Schlüsse  möge  erwähnt  werden,  dass  Porträts  der  beiden  Ober-Hof-Factoren 
Samuel  Oppenheimer  und  Samson  Wertheimber,  deren  Bedeutung  für  die 
Staatsfinanzen  im  vorliegenden  Buche  eine  eingehende  Würdigung  erfährt 
(insbesondere  132  ff".),  sich  im  historischen  Museum  der  Stadt  Wien 
IL  Abthlg.  Nr.   881    u.  Nr.   882  befinden. 

K.    Schalk. 


Krones  Fr.  R.  v.,  Tirol  1812—1816  und  Erzherzog 
Johann  von  Oesterreich,  zumeist  aus  seinem  Nachlasse  dar- 
gestellt.   Innsbruck,  Wagner,  1890,  309  +  XIV  S.  (sammt  Register). 

Als  willkommene  Ergänzung  seines  Werkes  »Zur  Gesch.  Oesterreichs 
im  Zeitalter  der  franz.  Kriege  und  der  Restauration^'  bietet  uns  der  Verf. 
hier  ein  selbständiges  Buch  über  die  Beziehungen  des  Erzherzogs  Johann 
zu  Tirol,  vornehmlich  in  den  Jahren  1 8 1  2 —  1  (>  auf  Grund  umlänglicher 
Tagebuchaufzeichnungen  des  Prinzen,  sowie  verschiedener  Briefe  und  Akten, 
von  denen  37  Stücke  theils  auszüglich,  theils  vollständig  im  Anhange 
mitgetheilt  werden.  Diese  wichtigen  Quellen  wurden  ihm  von  dem  jüngst 
verstorbenen  Sohne  des  Erzherzogs,  dem  Grafen  von  Meran,  eröffiiet,  dem 
auch  das  vorliegende  Buch  gewidmet  ist.  Dasselbe  bringt  S.  1 — 21  ein- 
leitende Rückblicke  auf  die  tirolischen  Verhältnisse  von  1703 — 1813, 
dann  folgt  eine  Darstellung  der  Beziehungen  Johanns  zu  Tirol  von  1800 
bis  1812,  wozu  bereits  zahlreiche  Tagebuchstellen  herangezogen  werden. 
Wenn  durch  dieselben  nicht  nur  auf  manche  speciell  tirolische  Angelegen- 
heit, sondern  auch  auf  Fragen  der  europäischen  Politik  ein  neues  Streiflicht 
fällt,  so  wird  doch  unsere  bisherige  Kenntnis  von  diesem  bereiis  viel  be- 


Literatur.  671 

handelten  Zeiträume  nicht  wesentlich  erweitert.  Erzherzog  Johann,  seit  1800 
in  Tirol  bekannt  und  beliebt,  hatte  1805  in  dem  Abschiedsschreiben  an 
die  Tiroler  sein  Wiedererscheinen  verheissen.  1809  erliess  er  seine  be- 
kannte Proklamation  zur  Erhebung  des  Landes,  die  in  dem  Briefe  der 
Kaiserin  an  den  Prinzen  eine  Verurtheilung  erfahren  hat.  Der  im  Anhang 
auszüglich  mitgetheilte  Brief  ist  für  die  Auffassung  des  Hofes  bezeichnend 
und  daher  an  dieser  Stelle  erwünscht.  Der  tirolische  Freiheitskampf  von 
1809  erscheint  in  seiner  letzten,  psychologischen  Ursache  als  die  elementare 
Willensäusserung  des  durch  eine  neue  Zeit  aus  seiner  gewohnten  Be- 
haglichkeit aufgeschreckten  Bergvolkes.  Die  schliessliche  Niederlage  des- 
selben wirkte  lähmend  auf  die  gi'osse  Mehrzahl,  und  mit  der  ZeiTeissung 
des  Landes  in  drei  Theile  schien  jede  Aussicht  auf  die  Wiederkehr  der 
guten  alten  Zeit  vernichtet.  Das  Wenige,  was  da  und  dort  1813  ver- 
einzeint geschah,  darf  uns  dai'über  nicht  täuschen,  so  sanguinisch  die 
Tagebücher  des  kaiserlichen  Prinzen  sich  auch  auslassen  mögen.  Dem 
Erzherzog  waren  nach  dem  Frieden  von  Schönbrunn  die  Hände  gebunden, 
er  konnte  also  nur  im  geheimen  für  seine  Plane  arbeiten,  die  auf  eine 
Schilderhebung  in  Tirol  und  die  Gründung  eines  »Alpenbundes«  hinaus- 
liefen, um  dem  Kaiser  das  Land  zu  retten.  Aus  dem  »Entwurf«  des 
Erzherzogs  für  den  genannten  Bund,  der  auch  die  Schweiz  einschliessen 
sollte,  geht  die  völlige  Selbstlosigkeit  des  Prinzen  hervor,  aber  staats- 
männische A-ufiassung  wohnt  ihm  nicht  inne.  Die  Vertrauten  des  Planes 
wurden  aber  am  7.  März  1813  an  die  Polizei  veirathen  und  aufgelioben. 
Hierüber  finden  sich  bei  K.  sehr  interessante  Einzelnheiten,  die  endlich 
in  die  etwas  dunkle  Frage  Licht  bringen.  Um  Kosohmann  ohne  Umschweif 
als  Ven'äther  anzunehmen,  fehlen  indessen  noch  die  Staatsakten,  so  sehr 
sonst  alles  dafür  stimmen  mag.  Eoschmann  kommt  in  dem  Tagebuche 
des  Erzherzogs  und  in  Hormayr's  Briefen  sehr  schlecht  weg;  beides  sind 
aber  eigentlich  doch  nur  Privatquellen.  Nun  war  selbstverständlich  gegen 
den  Erzherzog  das  Misstrauen  erwacht,  der  »König  von  Rätien«  blieb 
kaltgestellt  und  überwacht,  während  die  eisernen  Würfel  des  Schicksals 
rollten.  Als  unverfälschter  Optimist  glaubte  er  aber  noch  fort  und  fort 
an  seine  Bestimmung  für  Tirol,  schi-ieb  Briefe  und  Berichte  an  den  Kaiser 
und  Mettei-nich  und  ergoss  sich  in  seinen  Tagebüchern  in  langen  Klagen 
über  die  unerträgliche  Unthätigkeit.  Erst  als  Eoschmann  mit  seinem 
»Presschef«  Adam  Müller  als  Hofcommissär  nach  Tirol  gieng,  ahnte  er 
den  Grund  seiner  Beschäftigungslosigkeit.  Ueber  die  unklare  Lage  des 
Alpenlandes  nach  dem  Eieder -Vertrage  und  die  Verwaltung  Roschmanns 
handeln  die  beiden  letzten  grösseren  Abschnitte;  die  Frage  um  die  »alte« 
Verfassung  Tirols  hat  schon  A.  Jäger  erschöpfend  behandelt>  hier  werden 
nui-  noch  einzelne  Bemerkungen  des  Erzherzogs  aus  dem  Tagebuche  und 
etliche  leidenschaftliche  Briefe  Hormayr's  eingestreut.  Das  massenhafte 
Material  hätte  bei  der  gewiss  gi-ossen  Schwierigkeit  des  zu  behandelnden 
Gegenstandes  ökonomischer  eingetheilt  und  verwerthet  werden  können. 
Citate  sind  in  verschwendei-ischer  Fülle  verwendet,  vielfache  Wiederholungen 
selbst  im  Texte  treten  auf,  dagegen  fehlt  in  der  Fussnote  S.  58  zur 
, Gegenwart«  die  Angabe  des  Jahrgangs.  S.  210  ist  als  Deputirter 
» Pinisdorfer «  angeführt,  zu  setzen  ist:  Rainer,  Wirth  zu  Pinersdorf  bei 
Wörgl.    Statt  Wirth  zu  Hochberg  S.  125  soll  es  heissen:  Oppacher,  Wirth 


ß72  Literatur. 

in  Jocliberg  am  Pass  Thurn,  bekannt  durch  die  Vertheidigung  des  Strub 
1805  und  1809.  Im  alten  Peternader  hätte  sich  vielleicht  doch  noch  das 
eine  andere  Brauchbare  gefunden.  Mit  dem  Protest  Malsiners  1810  hat 
es  seine  Eichtigkeit;  sein  Tod  (24.  Dezember  1809,  s.  Heyl,  Gestalten 
und  Bilder,  Innsbruck  1890,  S.  104)  ist  wohl  im  Diöcesan-Schematismus 
irrig  angegeben.    S.   1 7   lies  Achenrain  statt  Aichenrain. 

Das  Buch  von  K.  —  dem  inzwischen  eine  zweite  derartige  Publikation 
gefolgt  ist  —  hat,  abgesehen  von  dem  vielfachen  und  meist  werthvollen 
Detail  zu  einer  immerhin  noch  mangelhaft  gekannten  Geschichtsepisode 
und  dem  brauchbaren  Aktenanhange,  vor  allem  die  bisher  nur  allgemein 
geahnte  Aufrichtigkeit  des  Erzherzogs  gegenüber  Tirol  in  der  Zeit  der 
Befreiungskriege  urkundlich  erwiesen  und  ist  also  eine  »Kettungsschrift« 
zu  Gunsten  des  edlen,  selbstlosen,  kaiser-  und  volkstreuen  Prinzen,  den 
man  seinerzeit  wegen  seines  unbegreiflichen  Verhaltens  »Lügenhanns*  zu 
nennen  wagte. 

Bielitz.  S.  M.  Prem. 


Bericht  der  Centraldirection  der  Monumenta  Ger- 
maniae.  Berlin,  im  April   1891. 

Die  17.  Plenarversammlung  der  Centraldirection  der  Monumenta 
Germaniae  historica  wurde  in  diesem  Jahre  in  den  Tagen  vom  9. — 11. 
April  in  Berlin  abgehalten.  Von  den  12  Mitgliedern  waren  9  erschienen, 
entschuldigt  hatten  sich  Hofrath  v.  Sickel  und  Prof.  Holder-Egger,  beide 
zur  Zeit  in  Rom,  und  Eeichsarchivdirector  v.  Rockinger  in  München. 
Prof.  Bresslau  in  Strassbui-g  betheiligte  sich  diesmal  als  auswärtiges  Mit- 
glied und  an  die  Stelle  des  Prof.  Huber  war  als  Vertreter  der  Wiener 
Akademie  durch  ihre  Wahl  Prof.  Mühlbacher  getreten.  Als  neues  Mitglied 
wurde  Prof.  Scheffer-Boichorst  in  Berlin  gewählt. 

Vollendet  wurden  im  Laufe  des  Jahres   1890/91 

in  der  Abtheilung  Auetores  antiquissimi  IX,   1,  enthaltend: 

1)  Chronica  minora  saecul.  IV.  V.  VI.  VII.  ed.  Mommsen  I,    l. 

in  der  Abtheilung  Scriptores: 

2)  Deutsche    Chroniken  V,    I,    enthaltend    Ottokars    Oesterreichische 
Eeimchronik  von  Seemüller.    1.  Halbband. 

3)  Libelli  de  lite  imperatorum  et  pontificum  saeculorum  XI  et  XII 
tom  I. 

4)  Eeginonis    abbatis  Prumiensis  Chronicon  cum  continuatione  Tre- 
verensi  recogn.    Kurze  in  8^. 

in  der  Abtheilung  Leges: 

5)  Legum    sectio  II.    Capitularia   regum    Francorum  ed.  Boretius  et 
Krause  II,   1. 

Als  Ergänzung  zu  allen  bisherigen  Bänden: 

6)  Indices  eorum   quae    tomis    hucusque    editis    continentur    scrips. 
Holder-Egger  et  Zeiuner. 

7)  Von  dem  neuen  Ai'chiv  der  Gesellschaft  Bd.  XVI. 


Literatur.  673 

Unter    der    Presse    befinden    sich    ein    Folioband,     14    Quartbände, 

1  Octavband. 

Die  Abtheilung  der  Auetores  antiquissimi  nähert  sich  ihrem 
Abschluss.  Von  der  Ausgabe  des  Claudianus  von  Prof.  Birt  in  Marburg 
ist  der  Text  vollendet  und  ein  grosser  Theil  der  umfilnglichen  Prolego- 
mena  gedruckt,  mit  Einschluss  der  Indices  kann  das  Werk  bis  zum  August 
fertig  werden.  Von  Cassiodors  Variae  ist  der  Text  durch  Prof.  Mommsen 
ebenfalls  ausgedruckt,  die  ausgedehnten  Prolegomena  befinden  sich  im  Satz, 
aber  es  fehlen  noch  einige  Anhänge  und  die  unter  Mitwirkung  des 
Prof.  Schröder  zu  bearbeitenden  Indices.    Obgleich  von  den  auf  mindestens 

2  Bände  zu  veranschlagenden  kleinen  Chroniken,  welche  wir  so  lange 
schmerzlich  vermissen  mussten,  die  erste  Hälfte  des  1.  Bandes  soeben 
ausgegeben  worden  ist,  schreitet  der  Druck  dennoch  ununterbrochen  foi't 
und  wird  zunächst  Prosper,  Polemius  Silvius,  Hydatius  umfassen.  Einige 
Vergleichungen  hat  für  Spanien  Dr.  Bernays  übernommen. 

In  der  Abtheilung  Scriptores  hat  Archivar  Krusch  in  Hannover 
seine  Vorarbeiten  für  die  Ausgabe  der  Merowingischen  Heiligenleben  mit 
gleichem  Eifer  fortgesetzt  und  61  auswärtige  Handschriften  an  seinem 
Wohnorte  benutzt,  für  deren  Beschaffung  wir  theils  dem  Auswärtigen  Amte 
theils  den  Bibliotheksverwaltungen  zu  grösstem  Danke  verpflichtet  sind. 
Am  meisten  lieferte  Paris  und  Brüssel,  aber  auch  Havre,  Namur,  Turin 
boten  etliche  sehr  werthvolle  Stücke  dar.  Neben  der  vorläufigen  Be- 
arbeitung einzelner  Texte  können  die  Vorbereitungen  auf  diesem  Wege 
noch  längere  Zeit  fortgesetzt  werden,  um  endlich,  ergänzt  durch  eine 
französische  Eeise,  zum  Abschluss  der  grossen  auf  2  Bände  berechneten 
Sammlung  zu  führen. 

Von  den  für  Kirchengeschichte  wie  für  Kirchenrecht  überaus  wichtigen 
Schriften  zum  Investiturstreite  ist  der  erste  Band,  über  dessen 
Inhalt  wir  schon  im  vorigen  Jahre  berichteten,  unter  eifriger  Mitwirkung 
der  Herren  Holder-Egger  und  Sackur  glücklich  an  sein  Ziel  gelangt.  Die 
bedeutsame  Schrift  Widos  von  Ferrara  de  scismate  Hildebrandi  musste 
darin  leider  nach  dem  früheren  Drucke  wiederholt  werden,  weil  die  noch 
im  Jahre  1855  nachweisbare  Handschrift  seitdem  verschwunden  war.  Der 
Druck  des  zweiten  Bandes,  welcher  durch  die  Schriften  Bernolds,  heraus- 
gegeben von  Prof.  Thaner  in  Graz,  eröffnet  werden  soll,  steht  unmittelbar 
bevor.  Die  folgenden  Streitschriften,  an  deren  Herausgabe  sich  ausser 
den  Mitarbeitern  K.  Francke  und  Sackur  namentlich  auch  Prof.  Bernheim 
in  Greifswald  und  Director  Schwenkenbecher  in  Sprottau  betheiligt  haben, 
sind  soweit  vorbereitet,  dass  eine  Unterbrechung  des  Druckes  nicht  statt- 
zufinden braucht. 

In  dem  ersten  Bande  der  deutschen  Chroniken  sind  auch  die 
Fortsetzungen  der  von  Prof.  Schröder  bearbeiteten  Kaiserchronik  gedruckt 
worden  und  es  fehlen  daher  nur  noch  Kegister  und  Glossar.  Der  Druck 
der  von  Prof.  Rödiger  übernommenen  Ausgabe  des  Annoliedes,  welches 
sich  unmittelbar  daran  anschliessen  soll,  kann  im  Sommer  beginnen.  Die 
für  den  dritten  Band  bestimmte,  bisher  ungedruckte  Weltchronik  Enikels, 
von  Prof.  Strauch  in  Tübingen  herausgegeben,  wird  als  erste  grössere 
Hälfte  desselben  im  Herbst  erscheinen.  An  Ottokars  Oesterreichischer 
Rein  chronik    von  Prof.   Seemüller    in  Innsbruck    im    fünften    Bande    wird 

MittheiluDgun  XII.  42 


674  Literatur. 

rüstig  fortgedruckt:  sie  soll  in  einem  zweiten  Halbbande  nebst  Einleitung 
und  Register  zum  Abschluss  gelangen  und  damit  eine  der  neben  Cassiodors 
Varien  am  frühesten  ins  Auge  gefassten  und  am  längsten  entbehrten  Auf- 
gaben unserer  Sammlung.  Von  der  durch  Prof.  Holder-Egger  geleiteten 
Folioausgabe  der  SS.  ist  der  seit  1888  dem  Drucke  übergebene  29.  Band 
nur  langsam  vorgerückt,  weil  die  nunmehr  vollendeten  Isländischen  Ex- 
cerpte  sehr  lange  aufhielten.  Für  die  darauf  folgenden  Auszüge  aus 
polnischen  und  ungarischen  Chroniken  sowie  aus  der  Hennegauer  Chronik 
des  Jacques  de  Guyse  und  für  die  Braunschweiger  Fürstenchronik  ist  ein 
rascherer  Fortschritt  des  Druckes  und  vielleicht  die  Beendigung  innerhalb 
dieses  Rechnungsjahres  zu  gewärtigen.  Vornehmlich  für  die  umfangreichen 
italienischen  Chroniken  des  13.  Jahrhunderts,  welche  den  30.  und  31.  Band 
füllen  sollen,  hat  Prof.  Holder-Egger  im  März  eine  mehrmonatliche  Reise 
nach  Italien  angetreten,  auf  welcher  er  gleichzeitig  auch  unentbehrliche 
Vergleichungen  für  die  Leges  und  Epistolae  auszuführen  gedenkt.  Ab- 
handlungen über  Johannes  Codagnellus  und  über  mehrere  sächsische  Chro- 
niken im  neuen  Archive  dienen  diesen  Arbeiten  zur  Ergänzung. 

In  der  Reihe  der  Handausgaben  ist  die  kritische  Bearbeitung  der 
Chronik  Reginos  von  Prüm  und  seines  Fortsetzers  von  Dr.  Kurze  in  Stral- 
sund erschienen,  der  neue  verbesserte  Abdruck  der  Annales  Altahenses 
von  dem  Freiherm  E.  v.  Oefele  beinahe  vollendet.  Ebenfalls  druckfertig 
ist  eine  kritische  Ausgabe  der  Annales  Fuldenses  von  Dr.  Kurze,  welche 
schon  seit  Jahren  beabsichtigt  war  und  einen  völlig  umgestalteten 
Text  bringt. 

In  der  Abtheilung  der  Leges  hat  der  Druck  der  von  Prof.  v.  Salis 
in  Basel  übernommenen  Leges  Burgundionum  seit  Kurzem  begonnen  und 
wird  noch  in  diesem  Jahre  fertig  gestellt  werden.  Von  dem  zweiten 
Capitularienbande  ist  durch  Dr.  Krause  im  Anschluss  an  Prof.  Boretius 
das  erste  Heft  ausgegeben  worden,  welches  bis  in  die  ostfränkischen 
Capitularien  hineinreicht,  das  zweite  und  letzte  hofit  derselbe  bis  zum 
October  druckfertig  zu  machen.  Durch  Prof  Zeumer  wurde  eine  Hand- 
ausgabe der  leges  Eurici  und  der  lex  Reckissuinthiana  zum  Drucke 
vorbereitet.  Die  erste  Abtheilung  der  Regesten  der  Gerichtsurkunden 
Frankreichs  und  Italiens  von  Dr.  Hübner,  die  Vorarbeit  einer  künftigen 
Ausgabe,  wird  als  Beilageheft  der  Zeitschrift  der  Savignystiftung  soeben 
gedruckt. 

Die  Sammlung  der  Reichsgesetze,  für  welche  noch  manche  Ver- 
gleichungen nachzutragen  waren,  hofft  Prof.  Weiland  in  Göttingen  im 
Spätsommer  der  Presse  zu  übergeben.  Dagegen  hat  der  Dx-uck  der 
Synoden  des  Merowingischen  Zeitalters,  unter  der  Leitung 
des  Hofrathes  Maassen  von  Dr.  Bretholz  in  Wien  bearbeitet,  schon  seit 
mehreren  Wochen  begonnen  und  dürfte  im  Laufe  des  Jahres  sein  Ende 
erreichen. 

In  der  Abtheilung  Diplomata  hat  Hofrath  v.  Sickel  in  Folge  seiner 
UebersieJelung  nach  Rom  die  Leitung  nur  noch  bis  zum  Schlüsse  der 
Urkunden  Otto's  III.  beibehalten,  die  Ausführung  der  Arbeit  selbst  aber 
grösstentheils  in  die  Hände  von  Dr.  Uhlirz  und  Erben  gelegt,  die  den 
Druck  dieses  Halbbandes  noch  vor  dem  Ablaufe  dieses  Jahres  zu  vollenden 
hoffen.     Das  Register   wird  von  Dr.  Tangl  angefertigt.     Für  die  Urkunden 


Literatur.  675 

Heinrich's  II.  hat  Prof.  Bresslau  seine  vorbereitenden  Arbeiten  eifrig  fort- 
gesetzt und  auf  die  ihm  zunächst  zugänglichen  deutschen  Archive,  vor 
Allem  das  so  überaus  reiche  Münchener,  mit  dem  günstigsten  Erfolge 
erstreckt.  Neben  den  noch  ferner  in  Deutschland,  der  Schweiz  und  Oester- 
reicli  vorhandenen,  leicht  zugänglichen  Stücken  wird  der  Rest  des  Materiales 
doch  erst  durch  eine  später  zu  unternehmende  italienische  Reise  erschöpft 
werden  können.  Noch  weniger  als  an  diese  ist  in  Folge  der  Knappheit 
unserer  Mittel  an  die  schon  längst  ersehnte  Herausgabe  der  Karolinger- 
urkunden durch  Prof.  Mühlbacher  zu  denken,  welche  eine  der  empfind- 
lichsten Lücken  unserer  Sammlung  ausfüllen  würde. 

In  der  Abtheilung  Epistolae  ist  der  Druck  des  ersten  Bandes, 
welcher  die  ersten  7  Bücher  des  Registrum  Gregorii  umfassen  soll, 
durch  Dr.  L.  Hartmann  in  Wien  wieder  aufgenommen  worden,  nachdem 
er  Jahre  lang  geruht  hatte,  und  wir  dürfen  seinem  Erscheinen  in  Jahres- 
frist entgegensehen.  In  dem  drittten  Bande  befindet  sich  im  Anschluss 
an  die  Merowingischen  Briefe  der  von  Dr.  Gundlach  bearbeitete  codex 
Carolinus  unter  der  Presse,  dessen  Wiener  Handschrift  auch  nach  Jaffe 
noch  einmal  benutzt  werden  musste.  Da  ausserdem  nur  noch  einige 
kleinere  Anhänge  fehlen,  dürfte  dieser  Band  bis  zum  Herbst  an's  Licht 
treten.  Von  dem  stetig  fortschreitenden  dritten  und  letzten  Bande  der 
Regesta  pontificum  des  13.  Jahrhunderts  ist  durch  Dr.  Roden- 
berg  etwa  gerade  die  Hälfte  gedruckt. 

Von  den  zu  den  sogen.  Antiquität  es  zählenden  Partien  nähern 
sich  die  Salzburger  Todten buche r  (Necrologia  Germaniae  II),  von 
Dr.  Herzberg-Fränkel  herausgegeben,  langsam  ihrem  Abschluss.  Von  dem 
dritten  Bande  der  Karolingischen  Dichter,  bearbeitet  von  Dr.  Harster 
und  Traube,  sind  eine  Anzahl  Bogen  gedruckt,  welche  die  bisher  meist 
unbekannten  Gedichte  aus  St.  Riquier  und  Agius  enthalten,  und  die  Fort- 
setzung ist  gesichert.  Das  längst  versprochene  ausführliche  In  halt  s- 
verzeichniss  sämmtlicher  Bände,  das  wir  Holder -Egger  und 
Zeumer  verdanken,  selbst  ein  stattlicher  Band,  ist  vor  etlichen  Monaten 
ausgegeben  worden. 

Die  Redaction  des  nunmehr  auf  16  Bände  angewachsenen  Neuen 
Archivs  verbleibt  auch  ferner  in  den  bewährten  Händen  des  Prof.  Bresslau 
in  Strassburg. 

Einzelne  Vergleichungen  oder  Abschriften  wurden  im  verflossenen 
Arbeitsjahre  freundlichst  besorgt  von  A.  Molinier  in  Paris  und  Ch.  Molinier 
in  Toulouse,  Kaiinka  in  Paris,  Emile  Ouverleaux  in  Brüssel,  E.  Maunde 
Tompson,  Jeayes  und  Wild  in  London,  Quidde  in  Rom,  Tangl  in  Wien, 
Brambach  in  Karlsruhe,  Simonsfeld  in  München  u.  s.  w.  Handschriften 
wurden  theils  mittelbar,  theils  unmittelbar  aus  den  Bibliotheken  auch 
Belgiens,  Frankreichs,  Italiens,  der  Niederlande,  Oesterreichs,  der  Schweiz 
in  so  grosser  Zahl  zur  Benutzung  eingesendet,  dass  ihre  Aufzählung  hier 
zu  weit  führen  würde.  Die  herzogliche  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel  hat 
ebenfalls  unter  angemessenen  Yorsichtsmassregeln  die  Versendung  ihrer 
handschriftlichen  Schätze  wieder  aufgenommen  und  die  Wiener  Hofbibliothek 
will  unter  der  neuen  Leitung  des  Hofrathes  W.  v.  Hartel  in  dankens- 
werthester  Weise  in  unmittelbaren  Austausch  mit  auswärtigen  Bibliotheken 
treten. 

42* 


676 


Literatur. 


So  sind  auch  im  verflossenen  Jahre  die  Arbeiten  in  allen  von  uns 
bet^onnenen  Kichtungen  rüstig  fortgesetzt  worden,  aber  das  Arbeitsfeld 
selbst  ist  unabsehbar  gross  und  eine  Erweiterung  oder  Beschleunigung 
unserer  Thätigkeit,  für  welche  es  an  geeigneten  Kräften  nicht  fehlen  dürfte, 
würde  reichere  Mittel  als  die  bisher  verfügbaren  erfordern. 

Bericht  über  die  zweiunddreissigste  Plenarversamm- 
lung  der  historischen  Kommission  bei  der  kgl.  bayer. 
Akademie  der  Wissenschaften. 

München  im  Juni  1891.  Die  Plenarversammlungen  der  historischen 
Kommission  sind  durch  Allerhöchste  Anordnung  auf  die  Pfingstwoche  ver- 
legt worden,  und  demgemäss  wurde  die  diesjährige  Versammlung  vom 
21.  bis  23.  Mai  abgehalten.  Da  der  Vorstand  der  Kommission,  der 
w.  Geh.  Ober-Eeglerungsrath  v.  Sybel,  durch  eine,  erfreulicher  Weise  rasch 
vorübergegangene  Erkrankung  verhindert  war  nach  München  zu  reisen,  so 
hatte  in  Vertretung  desselben,  den  Statuten  gemäss,  der  Sekretär  der 
Kommission,  Prof.  Cornelius,  die  Leitung  der  Verhandlungen  zu  über- 
nehmen, an  welchen  ausser  ihm  folgende  ordentliche  Mitglieder  Theil 
nahmen:  der  Klosterpropst  Freiherr  v.  Liliencron  aus  Schleswig,  die  Geh. 
Kegierungsräthe  Dümmler  und  Wattenbach  aus  Berlin,  der  Hofrath  v.  Sickel 
aus  Eom,  der  Geh.  Kath  v.  Wegele  aus  Wüi-zburg,  die  Professoren  Baum- 
garten aus  Strassburg,  v.  Hegel  aus  Erlangen,  v.  Kluckhohn  aus  Göttingen, 
V.  Wjss  aus  Zürich,  der  Geh.  Hofrath  v.  Eockinger,  die  Professoren 
V.  Druffel,  Heigel  und  Stieve  und  der  Oberbibliothekar  Kiezler  von  hier; 
ferner  die  beiden  ausserordentlichen  Mitglieder  Dr.  Lossen,  Sekretär  der 
Akademie  zu  München,  und  Prof.  Quidde  aus  Rom. 

Seit  der  letzten  Plenai-versammlung  (Ende  September  vor.  Js.)  sind 
folgende  Publikationen  durch  die  Kommission  erfolgt: 

1.  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland.  Bd.  XXL  Ge- 
schichte der  Kriegswissenschaften  von  Max  Jahns.  Abtheilung  ÜL 
(Schluss.) 

2.  Vatikanische  Akten  zur  deutschen  Geschichte  in  der  Zeit  Kaisers 
Ludwigs  des  Bayern.     Herausgegeben  von  Sigmund  Riezler. 

3.  Allgemeine  deutsche  Biographie.     Bd.  XXXI  und  XXXH. 

Von  der  Augsburger  Chronik  des  Hektor  Mülich  (1448 — 1487)  nebst 
Zusätzen  von  Demer,  Walther  und  Eem,  welche  für  Bd.  XXII  der  Stadt  e- 
Chroniken,  Augsburg,  Bd.  III.  bestimmt  ist,  sind  sechzehn  Bogen  gesetzt, 
beziehungsweise  gedruckt,  und  ist  das  Erscheinen  des  Bandes  im  Laufe 
dieses  Sommers  zu  erwarten. 

Dagegen  ist  Dr.  Koppmann,  Archivar  der  Stadt  Rostock,  durch 
andere  Arbeiten  verhindert  worden,  den  Druck  des  7.  und  8.  (Schluss)- 
Bandes  der  Hanse-Recesse  schon  in  diesem  Jahr,  wie  er  gehofft  hatte, 
beginnen  zu  lassen. 

Auch  Prof.  Oelsner  in  Frankfurt  hat  die  Umarbeitung  des  Bonnell'- 
schen  Buches  über  die  Anfänge  des  Karolingischen  Hauses,  welche 
er  für  die  Jahrbücher  des  deutchen  Reiches  übernommen  und 
deren  Vollendung  er  für  das  gegenwärtige  Jahr  in  Aussicht  gestellt  hatte, 
noch    nicht    zu   Ende    führen    können.     Prof.  Meyer  v.  Knonau    in  Zürich 


Literatur,  677 

ist  mit  der  Fortsetzung  seiner  Arbeiten  für  die  deutschen  Jalii-bücher 
eifrig  beschäftigt  und  gedenkt  dem  im  vorigen  Jahr  erschienenen  ersten 
Band  der  G-eschichte  Heinrichs  IV.  und  V.  schon  1894  den  zweiten,  der 
womöglich  die  Jahre   1070 — 1080  umfassen  soll,  folgen  zu  lassen. 

Von  der  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland  steht 
zunächst  die  Geschichte  der  Medizin  zu  erwarten.  Geheimrath  Hirsch  in 
Berlin,  der  den  grössten  Theil  des  Werkes  bereits  vor  einem  Jahre  druck- 
fertig gestellt  hatte,  spricht  die  bestimmte  Hoffnung  aus,  bis  zum  nächsten 
Frühjahr  das  Werk  zum  Abschluss  zu  bringen.  Die  Geschichte  der  Physik 
in  diesem  Jahr  zu  vollenden,  ist  Prof.  Karsten  in  Kiel  dui'ch  Krankheit 
verhindert  worden.  Prof.  v.  Zittel  in  München  glaubt  mit  Sicherheit 
voraussagen  zu  dürfen,  dass  er  im  Jahre  1894  die  Geschichte  der  Geologie 
vollenden  werde.  Die  seit  Jahren  schmerzlich  vermisste  Fortsetzung  von 
Stintzing's  Geschichte  der  Rechtswissenschaft  hat  nun  Prof.  Landsberg  in 
Bonn  übernommen.  Fr  hat  sich  bereit  erklärt,  die  Geschichte  der  Rechts- 
wissenschaft in  Deutschland  im  18.  und  19.  Jahrhundert  zu  schreiben  und 
gedenkt  im  Jahre   1897   diese  Arbeit  zu  Ende  zu  führen. 

Die  allgemeine  deutsche  Biographie  ist  in  rüstigem  Fort- 
gang begriffen  und  wird,  wofern  keine  unerwartete  Störung  eintritt,  binnen 
wenigen  Jahren  zum  Abschluss  gelangen. 

Die  Arbeiten  für  die  ältere  Serie  der  deutschen  Reichstags- 
akten erlitten  durch  die  Berufung  des  Prof.  Quidde  nach  Rom  eine 
empfindliche  Störung,  doch  wurde  sein  römischer  Aufenthalt  für  das  Unter- 
nehmen in  der  Weise  nutzbar  gemacht,  dass  nach  seinen  Anweisungen 
Dr.  Kaufmann  aus  Wertheim  eine  Ergänzung  der  früheren  römischen  Ar- 
beiten in  Angriff  nahm.  Beim  Begimi  der  Vatikanischen  Ferien  wird  die 
Arbeit  voraussichtlich  bis  1471  abgeschlossen,  in  einigen  Punkten  noch 
weiter  hinausgeführt  sein.  Die  Reisen  des  Dr.  Schellhass  in  die  Schweiz 
und  des  Dr.  Heuer  in  die  preussische  Rheinprovinz  im  Oktober  1890  er- 
gaben befriedigende  Ausbeute,  ebenso  ein  gelegentlicher  Abstecher  des 
Dr.  Schellhass  nach  Wolfenbüttel.  Handschriften  wurden  dann  in  Frank- 
furt durch  Dr.  Heuer,  in  München  durch  Dr.  Schellhass,  mit  gelegentlicher 
Unterstützung  durch  Dr.  Sommerfeldt,  ausgenützt.  In  München  traten 
Anfang  Dezember  Dr.  Herre  aus  Dessau  und  Anfang  April  Dr.  Beckmann 
aus  Osnabrück  neu  ein,  und  mit  ihrer  Hülfe  hat  Dr.  Schellhass  dann  die 
früher  lückenhaft  gebliebenen  allgemeinen  literarischen  Vorarbeiten  für 
den  ganzen  Umfang  des  Unternehmens  abgeschlossen,  zugleich  auch  weiteres 
Material  für  die  dreissiger  und  vierziger  Jahre  des  15.  Jahrhunderts  ge- 
sammelt. Die  Schlussredaktion  des  10.  Bandes  ist  von  Dr.  Schellhass 
begonnen  worden.  Der  Abschluss  des  Manuscriptes  wird  allerdings  vor- 
aussichtlich durch  seinen  für  den  Herbst  bevorstehenden  Austritt  eine 
Verzögerung  erleiden.  Doch  hofft  Prof.  Quidde  im  Laufe  des  Winters  die 
Bearbeitung  des  Bandes  wieder  energischer  aufnehmen  zu  können. 

Die  Vorarbeiten  für  die  Herausgabe  der  deutschen  Reichstags- 
akten der  Reformationszeit,  an  welchen  sich  unter  Prof.  Kluck- 
hohn's  Leitung  Dr.  Wrede,  Dr.  Merx,  Dr.  Saftien  betheiligten,  vornehmlich 
auf  Sammlung  des  Materials  für  die  zwanziger  Jahre  gerichtet,  konnten 
in  der  Hauptsache  an  dem  Wohnoi*t  des  Leiters,  zu  Göttingen,  stattfinden. 
Dank    den  umfangreichen  Akten-  und  Han9 Schriftensendungen,    die    unter 


678  Literatur. 

Vermittlung  der  Göttinger  Bibliotheksverwaltung  aus  den  Archiven  und 
Bibliotheken  von  Berlin,  Goslar,  Arolsen,  München,  Bamberg,  Speier,  Stutt- 
gart dorthin  gelangten,  sowie  Dank  den  zahlreichen  Abschriften,  welche 
die  Archivvorstände  zu  Weimar,  Karlsruhe,  Innsbruck  und  vorzüglich  zu 
Wien  dem  Untei'nehmen  zur  Verfügung  stellten.  Ausserdem  wurden  längere 
und  kürzere  Keisen  ausgeführt  von  Dr.  Merx  nach  Marburg,  München  und 
Weimar,  von  Dr.  Saftien  ebenfalls  nach  Weimar,  von  Prof.  v.  Kluckhohn 
nach  Nordhausen,  Merseburg,  Zeitz,  Naumburg.  Da  sich  im  Laufe  dieser 
Arbeiten  das  Vorhandensein  einer  Fülle  von  ausserordentlich  wichtigen 
und  bisher  von  der  Forschung  kaum  berührten  Akten  über  die  Verhand- 
lungen mit  den  Kurfürsten  über  die  Wahl  Karls  V.  herausstellte,  so  ver- 
langte und  erhielt  der  Herausgeber  die  Genehmigung  der  Kommission  für 
eine  Abänderung  des  ursprünglichen  Planes  des  Unternehmens.  Während 
nach  diesem  mit  dem  Tage  der  Wahl  Karls  V.  der  Anfang  hätte  gemacht 
werden  sollen,  werden  nun  die  Wahlverhandlungen,  beginnend  mit  dem 
Reichstag  von  Augsburg  1518,  vorangestellt,  und  soll  der  1.  Band  bis  zum 
Reichstag  in  Worms  1521  reichen,  der  2.  Band  ausschliesslich  diesem  Reichs- 
tag gewidmet  sein.  Dadurch  wird  der  Beginn  des  Druckes  hinausgeschoben. 
Der  Herausgeberhofft:  nur  um  ein  halbes  Jahr.  Die  Kommission  aber  glaubte, 
von  der  Festsetzung  eines  neuen  Termines  vorerst  absehen  zu  sollen. 

Dagegen  ist  die  Sammlung  der  Nuntiaturbe richte  aus  Deutsch- 
land, die  als  » Supplement  '■'■  zu  den  deutschen  Reichstagsakten  der  Refor- 
mationszeit erscheinen  soll,  von  Prof.  Friedensburg  in  Rom  so  weit  gefördert 
worden,  dass  der  Druck  des  1.  Bandes  am  1.  Juni,  die  Versendung 
hoffentlich  um  Michaelis  stattfinden  dürfte.  Der  2.  Band  soll  unmittelbar 
darnach  folgen  und  spätestens  Ostern   1892  gedruckt  vorliegen. 

Für  die  ältere  Pfälzische  Abtheilung  der  Witteisbacher  Korre- 
spondenzen hat  Prof.  V.  Bezold  die  Arbeit  durch  eine  in  diesem  Frühjahr 
nach  Berlin  gerichtete  Reise  wieder  aufgenommen,  welcher  eine  Reise  nach 
Paris  und  Brüssel  folgen  soll,  beide  der  Vervollständigung  des  Materials  für 
den  3.  Band  der  Briefe  des  Pfalzgrafen  Johann  Casimir  gewidmet. 

Für  die  ältere  Bayerische  Abtheilung  ist  Prof.  v.  Druffel  wieder 
thätig.  Er  ist  mit  der  Vorbereitung  zur  Drucklegung  des  4.  Bandes  seiner 
Beiträge  zur  Reichsgeschichte  beschäftigt.  Zur  Ergänzung  des 
Materials  wird  er  im  Herbst  die  Archive  zu  Wien  und  Dresden  besuchen. 
Ausserdem  ist  das  Anerbieten  des  Dr.  Lossen,  die  Herausgabe  der  Korre- 
spondenzen Herzog  Alb  rechts  V.  und  seiner  Söhne  1563  bis 
1590  vorbereiten  zu  wollen,  dankbar  angenommen  worden. 

Für  die  vereinigte  jüngere  Pfälzische  und  Bayerische 
Abtheilung,  die  unter  der  Leitung  des  Prof.  Stieve  steht,  hat  sein 
Mitarbeiter,  Dr.  Mayr-Deisinger,  die  Sammlung  des  Materials  für  die  Jahre 
ir)18  — 1620  mit  Eifer  und  grossem  Erfolg  fortgesetzt.  Prof.  Stieve  selbst 
hat  in  den  Osterferien  eine  Reise  nach  Wien  unternommen  und  alle  im 
dortigen  Staatsarchiv  befindlichen,  die  Jahre  1611  — 1(520  betreffenden 
Akten  durchgesehen  und  verzeichnet,  daneben  eine  Anzahl  wichtiger  Akten- 
stücke aus  den  Jahren  1600 — 1610  benutzt.  Dann  wurde  er  durch  die 
unvei-muthete  Entdeckung  höchst  wichtiger  Akten  des  Münchener  Staats- 
archivs veranlasst,  sich  nochmals  zum  Zweck  einer  ergänzenden  Veröffent- 
lichung mit  den  Jaluen    ](U)() — 1()02   zu   beschäftigen.    Von  jetzt  an  wird 


Literatur.  679 

er  seine  Kräfte  gänzlich  der  Herausgabe  des  6.  Bandes  der  »Briefe 
und  Akten*  widmen.  Die  geplante  Keise  des  Dr.  Mayr-Deisinger  ist 
auf  den  Herbst  verschoben  und  wird  einer  gründlichen  Ausbeutung  der 
Archive  Wiens  und  Dresdens  gewidmet  sein.  Zur  raschen  Förderung  des 
grossen  und  weitschichtigen  Unternehmens  hat  die  Kommission  beschlossen, 
dem  Prof.  Stieve  die  Berufung  eines  zweiten  Mitarbeiters  zu  gestatten. 

Ferner  hat  die  Kommission  beschlossen,  zwei  neue  Arbeiten  in  An- 
griff zu  nehmen:  1.  Eine  j, Sammlung  von  Briefen  und  Akten  zur 
Geschichte  Bayerns  in  der  Zeit  der  Reformation*  wird  unter 
die  Leitung  des  Prof.  v.  Druffel  gestellt.  2.  Für  die  Herausgabe  von 
»Korrespondenzen  deutscher  Humanisten  des  1  5.  u.  l  6.  Jahr- 
hunderts*, und  zwar  vor  allem  und  zunächst  derjenigen,  die  den  Land- 
schaften angehören,  die  heute  den  bayerischen  Staat  bilden,  wird  Prof. 
V.  Bezold  den  Plan  entwerfen  und  die  Leitung  übernehmen. 


Bericht  über  die  wissenschaftlichen  Unternehmungen 
der  Gesellschaft  für  Kheinisclie  Gesell ichtskunde. 

Seit  der  neunten  Jahresversammlung  gelangte  zur  Ausgabe:  Die 
Legende  Karls  des  Grossen  im  11.  und  12.  Jahrhundert  von  Ger- 
hard Rauschen.  Mit  einem  Anhang  über  Urkunden  Karls  des  Grossen 
und  Friedrichs  L  für  Aachen  von  Hugo  Loersch.  (VU.  Publikation.) 

Die  Vorarbeiten  für  den  Druck  des  zweiten  Bandes  der  Kölner 
Schreinskarten  sind  im  verflossenen  Jahre  noch  nicht  völlig  zum 
Abschluss  gelangt.  Die  Bearbeitung  des  Schreinskarten-Materials,  das  im 
2.  Band  zum  Abdruck  kommen  soll,  bietet  Schwierigkeiten  besonderer 
Art.  Die  handschriftliche  Ueberlieferung  ist  eine  sehr  ungünstige  und 
das  herzustellende  Register  erfordert  die  Ermittelung  der  Identität  mehr- 
fach erwähnter  Personen  und  Grundstücke,  welche  den  grössten  Schwierig- 
keiten begegnet.  Der  Herausgeber  ist  dessen  unerachtet  entschlossen,  in 
den  Sommerferien  eine  letzte  Revision  vorzunehmen  und  beabsichtigt  das 
Manuscript  bis  zum  Beginne  des  Wintersemesters  zum  Druck  einzuliefern. 

Die  Drucklegung  des  1.  Bandes  der  vom  Geh.  Justizrat  Prof.  Dr. 
Loersch  geleiteten  Ausgabe  der  Rheinischen  Weistümer  hat  auch 
im  abgelaufenen  Jahre  nicht  stattfinden  können,  weil  der  Mitherausgeber, 
Dr.  Paul  Wagner,  die  von  ihm  übernommenen  historisch-topographischen 
Einleitungen  zu  den  einzelnen  Aemtern  noch  nicht  zum  Abschluss  bringen 
konnte.  Die  Versetzung  desselben  als  Staatsarchivar  an  das  Kgl.  Staats- 
archiv zu  Aurich  hat  zwar  eine  Unterbrechung  in  seinen  Arbeiten  herbei- 
geführt, es  ist  aber  zu  hoffen,  dass  das  ganze  Manuscript  des  1.  Bandes 
doch  im  Laufe  dieses  Jahres  in  den  Druck  gehen  kann.  Von  der  Heran- 
ziehung eines  ständigen  Hilfsarbeiters  für  diese  Unternehmung  ist  vorläufig 
abgesehen  worden,  da  sich  eine  geeignete  Persönlichkeit  nicht  gefunden  hat. 

Die  neuen  Räumlichkeiten  des  Aachener  Stadtarchivs  sind  erst  im 
Sommer  des  vorigen  Jahres  bezogen  worden,  eine  Förderung  der  Ausgabe 
der  Aachener  Stadt rechnungen  dui'ch  Verwertung  der  Urkunden 
und  Akten  des  Archivs  kann  nunmehr  in  Aussicht  genommen  werden. 

Die  Herausgabe  der  Rheinischen  Urbare  ist  im  Juli  1890  Prof. 
Dr.  Lamprecht  endgültig  übertragen  worden.     Die  erste  Aufgabe    für    die 


630  Literatur. 

Edition  musste  darin  bestehen,  zu  einer  Uebersiclit  der  ziemlich  aus- 
gedehnten Ueberlieferung  zu  gelangen.  Für  den  Süden  der  Provinz  (Reg.- 
Bez.  Trier  und  Koblenz,  Bereich  des  Staatsarchivs  Koblenz)  sind  die  hiefür 
nöthigen  Vorarbeiten  schon  in  Lamprechts  Deutschem  Wirthschaftsleben, 
2,  676 — 783,  erledigt;  es  blieb  also  vor  allem  eine  vorläufige  Durch- 
arbeitung der  Ueberlieferung  des  Nordens  (Reg.-Bez.  Köln,  Aachen,  Düssel- 
dorf, Bereich  des  Staatsarchivs  Düsseldorf)  nothwendig.  Soweit  sie  zunächst 
angezeigt  war,  hat  Prof.  Lamprecht  sie  in  den  akademischen  Herbstferien 
erledigt.  Diese  Aufnahmen  sind  in  dem  Marburger  Universitätsprogramm 
vom  Oktober  1890  gedruckt  worden.  Abgesehen  von  dieser  Vorarbeit 
gi'össerer  Ai't  sind  im  Laufe  des  abgeschlossenen  Halbjahrs  die  Studien 
nicht  sehr  gefördert  worden.  Allerdings  sind  von  kompetenten  Kennern  engster 
lokaler  Ueberlieferungen  am  Niederrhein,  in  Aachen,  in  Köln  und  sonstwo 
mehr  oder  weniger  wertvolle  Ergänzungen  geliefert  worden.  Aber  die 
eigentliche  Arbeit  hat  erst  mit  dem  1.  Januar  1891  begonnen,  indem 
zwei  junge  Historiker,  Dr.  Bahrdt  aus  Göttingen  und  Dr.  Bartel  aus 
Düsseldorf,  die  Bearbeitung  der  eigentlichen  Ausgabe  übernommen  haben. 
Mit  der  nördlichen  Hälfte  der  Provinz  ist  der  Anfang  gemacht  worden. 
Ueber  die  Zeit,  in  welcher  einzelne  Theile  der  Edition  druckreif  vorliegen 
könnten,  lässt  sich  bis  jetzt  noch  nichts  bestimmen. 

Die  Arbeiten  für  den  Erläuterungsband  zu  dem  Buche  Weins- 
berg hat  Prof.  Dr.  Höhlbaum  in  Giessen  trotz  seiner  langen  Krankheit 
im  vorigen  Winter  im  Frühjahr  und  trotz  seines  Wegganges  von  Köln 
erheblich  gefördert.  Die  Sammlung  von  Akten  und  Briefen  zur  Geschichte 
der  auswärtigen  und  allgemeinen  Beziehungen  der  Stadt  Köln  um  die 
Mitte  und  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrb.,  die  in  dem  Bande  ediert 
werden  sollen,  ist  in  dieser  Zeit  um  viele  hundert  Stücke  vennehrt  wor- 
den. Sie  vnirden  durch  viele  Auszüge  und  Notizen  ergänzt;  weitere 
Abschriften  sind  in  Köln  in  Arbeit.  Die  Bereisung  anderer  Archive,  die 
Herstellung  der  Edition  muss  wegen  der  neuen  Verpflichtungen,  die 
Prof.  Höhlbaum  mit  dem  Wiederantritt  der  akademischen  Thätigkeit  über- 
nommen hat,  hinausgeschoben  werden;  im  Jahre  1891  wird  die  Vollendung 
dieser  Publikation  nicht  erfolgen.  Prof.  Höhlbaum  behält  sich  vor,  seinen 
Antheil  an  dem  Erläuterungsbande  später  festzustellen,  d.  h.  einzuschränken, 
aus  den  sehr  umfangreichen  Sammlungen  einen  Theil  nur  für  den  Band 
zusammenzufassen,  den  andern  Theil  aber  dem  Vorstande  zu  weiterer  Ver- 
wendung zu  übergeben. 

Ueber  die  Ausgabe  der  Jülich-Bergischen  Landtagsakten 
berichtet  Prof.  Dr.  Ritter.  Der  letzte  Jahresbericht  zeigte  Prof.  Dr. 
V.  Below  beschäftigt  mit  dem.  3.  Theile  seiner  Untersuchung  über  die  An- 
fange der  landständischen  Verfassung  in  Jülich-Berg;  er  stellte  zugleich 
in  Aussicht,  dass  bis  zum  Herbst  1890  ein  ansehnlicher  Theil  des  zur 
Herausgabe  hergerichteten  Aktenvorrates  druckfertig  voi'gelegt  werden 
könne.  —  Gegenwärtig  ist  die  ei'wähnte  Untersuchung  —  eine  Geschichte 
der  Jülich-Bergischen  Steuern  und  Steuerverfassung  von  den  Anfängen 
bis  zur  Mitte  des  16.  Jahrb.  —  abgeschlossen.  Die  erste  Hälfte  derselben 
ist  gedruckt  und  an  die  Vorstandsmitglieder  und  Patrone  versandt  worden ; 
die  zweite  Hälfte  ist  druckfertig  und  wird  bald  vorliegen.  Solange  Prof. 
V.    Below    mit    der    Ausarbeitung     dieser    Untersuchung    beschäftigt    war. 


Literatur.  681 

konnte  er  seine  Thätigkeit  der  abschliessenclen  Kedaktion  der  für  die 
Herausgabe  bestimmten  Landtagsakten  noch  nicht  zuwenden.  Jetzt  aber 
ist  auch  diese  Arbeit  nachdrücklich  in  Angriif  genommen  worden,  nach- 
dem das  Material  selber  im  Laufe  des  Jahres  noch  vielfach,  wo  es  der 
Ergänzung  bedurfte,  vervollständigt  worden  ist,  so  besonders  durch  Aus- 
nutzung des  Archivs  der  Jülicher  Unterherrschaften  und  durch  Heranziehung 
der  Jülicher  Eeichstagsakten,  soweit  sie  sich  mit  den  Landtagsverhand- 
lungen berühren.  —  Der  Ausgabe  der  Landtagsakten  soll  eine  Einleitung 
vorausgeschickt  werden,  in  welcher  die  in  den  bisher  veröffentlichten 
Untersuchungen  v.  Belows  über  die  Anfänge  und  erste  Entwicklung  der 
landständischen  Verfassung  gewonnenen  Ergebnisse  übersichtlich  zusammen- 
CTofasst  werden. 

«TT         1 

Der  erste  Band  der  älteren  Matrikeln  der  Universität  Köln 
ist  in  der  Bearbeitung  eben  vollendet  worden.  Der  Matrikel-Text  ist  für 
die  Edition  vollständig  festgestellt,  sämmtliche  Tabellen,  Beilagen  und 
Register  liegen  druckreif  vor,  ebenso  die  Erläuterungen,  für  welche  das 
Material  z.  T.  aus  weiter  Feme  mit  Hilfe  ausländischer  Gelehrten  herbei- 
gebracht worden  ist.  Der  Stoff  für  die  Einleitung  ist  gesammelt;  es 
bedarf  nur  noch  der  Verarbeitung  dieses  Materials  und  der  Gruppierung 
der  Forschungsergebnisse.  In  wenigen  Wochen  wird  auch  diese  Arbeit 
erledigt  sein,  sodass  an  den  Druck  herangetreten  werden  kann.  Im 
Laufe  d.  J,  1891   wird  die  Publikation  ohne  Zweifel  hinausgehen  können. 

Die  Regesten  der  Erzbischöfe  von  Köln  bis  z.  J.  1500 
unterstehen  der  Leitung  von  Prof.  Dr.  Menzel.  Das  ältere  Urkunden-  und 
Kanzleiwesen  der  Erzbischöfe  von  Köln  bis  zum  Jahre  1100  wurde  weiter 
durchforscht  und  durch  verschiedene  Nachträge  bereichert.  Die  Arbeiten 
für  das  12.  Jahrh.  erlitten  leider  eine  Unterbrechung,  weil  der  damit  be- 
auftragte Dr.  Knipping  seit  dem  1.  April  durch  Militärdienst  abgehalten 
wurde.  Sie  sollen  aber  in  diesem  Jahre  fortgesetzt  und  beendet  werden. 
Im  Regierungsarchiv  zu  Luxemburg  wurden  verschiedene  Originalien  des 
13.  Jahrh.  aufgefunden  und  bearbeitet. 

Für  die  ältesten  Urkunden  der  Rheinlande  wurden  von 
Prof.  Dr.  Menzel  in  Koblenz  die  Urkunden  von  St.  Castor,  St.  Florin, 
Pfalzel  und  Prüm,  in  Trier  das  Diplom atarium  Baldewini  des  Grafen 
Kesselstatt  bearbeitet.  In  Trier  wurde  mit  der  Durchsicht  der  Hand- 
schriften fortgefahren,  und  es  sind  daraus  sehr  wertvolle  Berichtigungen 
und  Ergänzungen  zu  den  vorhandenen  Di'ucken  gewonnen  worden.  Im 
Regierungsarchiv  zu  Luxemburg  wurden  die  Originale  des  Klosters  Echter- 
nach  bearbeitet  und  in  der  Landesbibliothek  daselbst  die  Abschrift  des 
Liber  aureus  verglichen. 

Für  den  geschichtlichen  Atlas  der  Rheinprovinz  sind 
auch  im  J.  1890  Gymnasiallehrer  Konstantin  Schulteis  in  Bonn  und 
Dr.  Wilhelm  Fabricius  in  Darmstadt  thätig  gewesen.  Die  Arbeiten  von 
Schulteis  waren  vor  allem  auf  ein  rasches  Erscheinen  der  Karte  der 
französischen  Zeit  gerichtet.  Bei  der  weiteren  Ausführung  der  einheit- 
lichen Arbeitskarte  in  1:80000  für  Trier  und  Köln  ist  er  daher  nur 
soweit  ins  Detail  gegangen,  wie  es  für  die  französische  Zeit  unbedingt 
notwendig  war.  Für  die  Gemeindegrenzen  im  Fürstentum  Birkenfeld 
erfreute    er    sich    der    Unterstützung    der    Grossherz.  Oldenburgischen  Be- 


682  Literatur. 

hörden;  für  den  Kreis  Meissenheim  und  diejenigen  Theile  der  Provinz, 
welche  noch  nicht  durch  die  neuen  Messtischblätter  vertreten  sind,  halfen 
die  Herren  Landräte  bereitwilligst  aus.  So  konnte  die  Rekonstruktion  der 
ehemaligen  Kantone  erfolgen.  Dieselbe  ist  jetzt  für  die  ganze  Provinz 
fertig:  es  begann  dann  die  Uebertragung  in  Blei  auf  die  Urkarte,  welche 
durch  die  Keducierung  von  1:80000  auf  1:  500000  besondere  Schwierig- 
keiten verursacht.  Diese  Reducierung  ist  für  das  ganze  linke  Rheinufer 
fertig  bis  auf  die  Strassen,  Kantons-Grenzen,  Kantons-Hauptorte,  Mairien, 
Kantons-  und  Succursal-Kirchorte  der  Katholiken  und  die  Pfarreien  der 
Lutheraner  und  Reformirten,  ca.  14 — 1500  Namen.  Auch  auf  der  rechten 
Rheinseite  sind  die  meisten  Einzeichnungen  vollendet,  wobei  das  erz- 
bischöfliche Generalvikariat  ein  dankenswertes  Entgegenkommen  gezeigt 
hat.  Die  Einwohnerstatistik  ist  ebenfalls  weiter  vorgerückt;  sie  soll  durch 
eine  entsprechende  Auswahl  der  Situationszeichen  verwertet  werden.  Für 
die  Ausarbeitung  des  notwendigen  Textes  sind  zahlreiche  Notizen  ge- 
sammelt. Dr.  Fabricius  stellte  die  ehemalige  Gestaltung  der  westlichen 
Theile  des  Regierungsbezirks  Trier  fest  und  ging  dann  zur  Bearbeitung  des 
Bezirks  Aachen  über,  die  aber  äusserer  Schwierigkeiten  wegen  nicht  ganz 
beendet  werden  konnte.  Hauptsächlich  wurden  benutzt  das  Grossherz. 
Regierungsarchiv  in  Luxemburg  und  das  Düsseldorfer  Provinzialarchiv,  so- 
wie Vorarbeiten  des  Grafen  W.  v.  Mirbach  für  das  Herzogtum  Jülich. 
Für  einen  grossen  Theil  von  Trier  und  für  den  Kreis  Meissenheim  fehlen 
die  Messtischblätter,  sodass  die  Katasterkarten  herangezogen  werden  müssen. 
Die  Bearbeitung  der  Kurkölnischen  und  Jülichschen  Landestheile  wird  im 
Laufe  des  Winters  vollendet  sein.  Die  noch  fehlenden  Gebiete,  haupt- 
sächlich nur  noch  die  Herzogtümer  Kleve  und  Berg,  bleiben  für  das 
Frühjahr  vorbehalten,  worauf  eine  Revision  des  Ganzen  folgen  soll. 

Die  Leitung  der  Ausgabe  der  Zunft  Urkunden  der  Stadt  Köln 
hat  Prof.  Dr.  Höhlbaum  auch  nach  seiner  Uebersiedelung  nach  Giessen 
vorläufig  beibehalten.  Cand.  Kaspar  Keller  hat  die  Sammlung  des  Roh- 
stofl's  im  wesentlichen  abgeschlossen.  Die  Ausarbeitung  selbst  ist  mit 
grossen  Schwierigkeiten  verknüpft,  von  denen  nicht  die  geringste  die 
räumliche  Entfernung  zwischen  Leiter  und  Bearbeiter  ist.  Es  imterliegt 
daher  erheblichem  Zweifel,  ob  das  Werk  in  der  bisherigen  Einrichtung 
wird  fortgesetzt  werden  können. 

Für  die  dem  Geh.  Archivrat  Dr.  Harless  in  Düsseldorf  übertragene  Be- 
ai-beitung  der  IL  Abteilung  der  Jülich-Bergischen  Landtags- 
Akten  hat  im  abgelaufenen  Jahre  wesentliches  nicht  geschehen  können. 
Doch  lässt  die  Geschäftslage  des  Staatsarchivs  im  Jahre  1891  eine  ent- 
schiedenere und  planmässige  Förderung  der  Arbeiten,  vielleicht  auch  durch 
neue  Kräfte  erhoffen. 

Als  neues  Unternehmen  der  Gesellschaft  hat  der  Vorstand  die  Heraus- 
gabe der  zweiten  Auflage  der  »Nachrichten  von  dem  Leben  und 
den  Werken  Kölnischer  Künstler*  beschlossen,  welche  aus  dem 
Nachlasse  des  Dr.  Joh.  Jak.  Merlo  von  den  Erben  freundlichst  zur  Verfügung 
gestellt  worden  ist.  Die  Verhandlungen  über  die  Bestellung  eines  oder 
mehrerer  Herausgeber  für  das  Werk  sind  bereits  eingeleitet.  Ueber  die 
Zeit  des  Erscheinens  dieser  grundlegenden  Quellensammlung  zur  Kölner 
Kunstgeschichte  lässt  sich  augenblicklich  noch  nichts  näheres  angeben. 


Literatur.  683 

Bericht  der  Kommission  für  die  Denkmäler  Statistik 
der  Rheinprovin/  über  die  Thätigkeit  seit  dem  l.  April 
18  9  0.  Seit  dem  ].  Oktober  1890  ist  der  Kunsthistoriker  Dr.  Paul  Giemen 
für  die  Vorbereitung  und  Abfassung  der  Beschreibung  der  Kunstdenkmäler 
seitens  der  Kommission  angestellt.  Er  hat  zunächst  die  umfangreiche 
Literatur  in  den  Bibliotheken  von  Berlin,  Bonn  und  Köln  für  den  ganzen 
Bereich  der  Provinz  gesammelt  und  zusammengestellt,  sodass  nunmehr  für 
den  Aufbau  des  ganzen  Werkes  die  unumgänglich  nötige  wissenschaftliche 
Grundlage  gewonnen  ist.  Er  hat  dann  den  Kreis  Kempen  bereist  und 
die  Beschreibung  der  Denkmäler  dieses  Kreises  im  Anschluss  an  die  schon 
während  des  Sommers  1890  unter  Leitung  des  Baumeisters  Wiethase  her- 
gestellten Aufnahmen  vollendet.  Der  Druck  dieses  ersten  Heftes  des 
Werkes  wird  sofort  beginnen.  Die  Aufnahmen  im  Kreise  Geldern,  sowie 
die  Bereisung  dieses  Kreises  haben  bereits  stattgefunden,  die  Abfassnng 
der  Beschreibung  kann  daher  ohne  Säumen  vorgenommen  werden,  sodass 
der  Druck  und  das  Erscheinen  eines  zweiten  dem  Kreise  Geldern  ge- 
-vvidmeten  Heftes  für  die  Mitte  dieses  Jahres  bestimmt  in  Aussicht  ge- 
nommen werden  können.  Während  des  laufenden  Jahres  werden  jedenfalls 
noch  die  beiden  Kreise  Kleve  und  Moers  bearbeitet. 


Die  Historische  Kommission  der  Provinz  Sachsen 
hielt  am  20.  und  21.  Juni  unter  dem  Vorsitz  des  Prof.  Dr.  Lindner 
ihre  17.  ordentliche  vSitzung  zu  Halle  ab. 

Von  den  Geschieht s quellen  ist  in  dem  letzten  Verwaltungsj ahre 
nur  ein  Band,  die  Korrespondenz  Mutians,  hg.  von  weil.  Dr.  K.  Gillert, 
erschienen.  Binnen  kurzer  Zeit  wird  zur  Ausgabe  gelangen  das  Urkunden- 
buch  der  Stadt  Wenigerode,  von  Archivrath  Dr.  Jacobs  bearbeitet.  Im 
Druck  befindlich  ist  der  1.  Band  des  Urkuudenbuchs  der  Stadt  Magdeburg, 
herausgegeben  von  Oberlehrer  Dr.  Hertel.  Auch  der  Druck  des  von  Dr. 
Hortschansky  angefertigten  Registers  zu  den  von  Weissenborn  heraus- 
gegebenen Matrikeln  der  Universität  Erfurt  ist  vorwärts  geschritten.  Im 
Manuskript  liegen  druckfertig  vor  der  2.  Band  des  Urkundenbuchs  der 
Stadt  Erfurt,  bearbeitet  von  Stadtarchivar  Dr.  Beyer  bis  zum  Ende  des 
14.  Jahrhunderts  reichend,  und  der  erste  Theil  des  Urkundenbuchs  der 
Stadt  Goslar,  in  welchem  der  Staatsanwalt  Bode  die  Urkunden  der  Stadt 
bis  zum  Jahre  1250  vereinigt  hat.  Die  Arbeiten  an  den  Regesten  der 
Herzöge  von  Sachsen-Wittenberg  sind  durch  Dr.  Pabst  gefördert  worden. 
Von  dem  Vorsitzenden  ist  eine  Anweisung  über  die  Herausgabe  der  Ge- 
schichtsquellen abgefasst  worden.  Sie  enthält  in  knappen  Zügen  die 
Gi'undsätze,  nach  welchen  künftig  verfahren  werden  soll.  Dr.  Walther 
Schnitze  hat  einen  Wegweiser  durch  die  Geschichtsquellen  der  Provinz 
Sachsen  ausgearbeitet,  welcher  eine  Uebersiclit  über  das  sämmtliche  ge- 
druckte Quellenmaterial  zur  Geschichte  der  Provinz  Sachsen  und  ihrer 
Bestandtheile  bis  zum  Jahre    1555   enthält. 

Zur  Erinnerung  an  das  verstorbene  Mitglied  der  Kommission  D.  Hein- 
rich Otte  soll  die  letzte  Arbeit  des  Verstorbenen  Ueber  die  Glocken, 
welche    ursprünglich    als    Neujahrsblatt    für    das    Jahr    1S91     in  Aussicht 


ß84  Literatur. 

genommen  war,  besonders  herausgegeben  werden.  Dr.  Julius  Schmidt 
wird  eine  kurze  Biographie  Otte's  nebst  einer  Bibliographie  der  von  ihm 
verfassten  Werke  voranschicken.  Als  Festschrift  der  Kommission  zu  der 
bevorstehenden  Jubelfeier  der  Universität  Halle  i.  J.  1894  ist  eine  Samm- 
lung der  kleinen  deutschen  Schriften  des  Thomasius  in  Aussicht  genommen. 

Das  Neujahrsblatt  für  1892,  welches  Geh.  Eeg.-Rath  Prof.  Dr. 
Dümmler  übernommen  hat,  wird  auf  die  Provinz  Sachsen  und  angrenzende 
Gebiete  bezügliche  Auszüge  aus  dem  Tagebuche  eines  Schweizers  Namens 
Landolt  enthalten,  der  im  Jahre  1782  und  den  folgenden  Jahren  Deutsch- 
land durchreiste. 

Von  den  Bau-  und  Kunstdenkmälern  der  Provinz  Sachsen  ist 
im  verflossenen  Verwaltungsjahre  das  13.  Heft,  umfassend  die  Stadt  und 
den  Landkreis  Erfurt  von  Oberregierungsrath  Frhr.  v.  Tettau,  erschienen. 
Demnächst  wird  zur  Ausgabe  gelangen  das  14.  Heft,  die  Bau-  und  Kunst- 
denkmäler des  Kreises  Oschersleben ,  bearbeitet  vom  Gymnasialdirektor 
Dr.  Schmidt,  enthaltend.  Weiter  sind  vollendet  die  Kreise  Mansfeld  und 
Gardelegen,  welche  zusammen  mit  den  seit  längerer  Zeit  druckfertig  vor- 
liegenden Kreisen  Delitzsch,  Bitterfeld  und  Schweinitz  sobald  als  möglich 
dem  Drucke  übergeben  werden  sollen. 

Von  den  Vorgeschichtlichen  Alterthümern  liegt  das 
Heft  1 1 :  Die  vorgeschichtlichen  Burgen  und  Wälle  der  Hainleite  von 
Dr.  P.  Zschiesche  bearbeitet,  vor  und  wird  binnen  kurzem  erscheinen. 

Das  Provincial-Museum  hat  nach  dem  eingereichten  Berichte 
nicht  nur  einen  bedeutenden  Zuwachs  an  Gegenständen  erfahren,  sondern 
es  ist  vor  allen  mit  der  systematischen,  wissenschaftlichen  Ordnung  der 
Anfang  gemacht  worden.  Das  Museum  ist  namentlich  durch  Abformungen, 
Zeichnungen  und  Photographien  von  Gegenständen  aus  auswärtigen  Samm- 
lungen, welche  ihrem  Ursprünge  nach  der  Provinz  Sachsen  angehören, 
ergänzt  worden.  Der  Museumsdirektor  wird  in  dieser  Richtung  die  Neu- 
ordnung und  Vermehrung  des  Museums  fortsetzen  und  eine  Anzahl  von 
Ausgrabungen  vornehmen.  Die  vom  Direktor  zu  erstattenden  Jahresberichte 
sollen  künftig  gedruckt  und  in  geeigneter  Weise  vertheilt  werden. 

Die  Arbeiten  am  Geschichtsatlas  und  dem  Wüstungsver- 
zeichnis sind  im  verflossenen  Jahre  weiter  gefördert  worden.  Namentlich 
ist  Archivar  Dr.  Krühne  nach  letzterer  Richtung  thätig  gewesen  und  stellt 
einen  vorläufigen  Abschluss  seiner  Arbeit  schon  für  das  laufende  Ver- 
waltungsjahr in  Aussicht.  Prof.  Dr.  Grössler  ist  beauftragt,  ein  Wüstungs- 
verzeichnis der  beiden  Mansfelder  Kreise  in  Angriff  zu  nehmen. 

Der  im  vorigen  Jahre  gefasste  Beschluss  betreffs  Sammlung  von 
Abdrücken  der  Stadt-,  Gemeinde-,  Kirchen-  und  Innungs- 
siegel der  Provinz  Sachsen  hat  den  Erfolg  gehabt,  dass  ein  grosser 
Theil  dieser  Siegel  der  Kommission  von  den  Behörden  übersendet  worden 
ist.  Den  Eingang  noch  ausstehender  Siegel  hofit  die  Kommission  durch 
ein  erneutes  Gesuch  zu  veranlassen. 


Verlag  der  Wagnerischen  Universitäts-Buclihandlang 
in  Innsbruck. 

Nicolai  Episcopi  Botrontiiiensis 

relatio  de  Henrici  VII.  Imperatoris  itinere 

italico. 

Als  Quelleusclirift  uud  für  akad.  Uebuugeu  herausgegeben 
vou  Dr.  Eduard  Heyck. 

1888.    Preis  M.  3.60 

Die  Schöffenbarfreien  des  Sachsenspiegels. 

Untersuchungen   zur   Geschichte    der  Standesverhältnisse  in 

Deutschland, 

Von  Dr.  Otto  t.  Zallinger. 

1887.     Preis  M.  6.40 

Genua  und  seine  Marine 

bis  zum  Ende  der  Kreuzzüge. 

Beiträge    zur   Verfassungs-    und   zur   Kriegsgeschichte 
von  Dr.  Eduard  Heyck. 

1886.     Preis  M.  5.— 

Geschichte  Kaiser  Karls  IV 

und  seiner  Zeit. 

Von  Dr.  Emil  Werunsky. 

I.  und  IL  Band,  1.  und  2.  AMhlg.    1882—1886.  Preis  M.  24.— 

Urbare  der  Stifte  Marienberg  und  Münster 

Peters  von  Liebenberg-Hohenwart  und   Hansens  von  Annen- 
berg, der  Pfarrkirche  von  Meran  und  Sarnthein. 
Herausgegeben  von  P.  Basilius  Schwitzer. 
1891.    Preis  M.  6.10 


Die  Bezieliimgen  Venedigs  zuiu  Kaiserreich 

in  der  staufischen  Zeit. 
Von  Dr.  August  Baer.     1888.    Preis  M.  2.80 


Verlag  der  Wagnerischen  Universitäts-Buchhandlung 
in  Innsbruck. 


Vatikanische  Akten 

zur 

deutschen  Geschichte  in  der  Zeit 
Kaiser  Liadw^ig  des  Bayern. 

Auf  Veranlassung  Sr.  Majestät  des  Königs  von  Bayern 
herausgegeben 

durch  die  historisctie  Commission  bei  der  könig-1. 

Akademie  der  AVisseiischaften 

(von  S.  Riezler). 

1891.     Lex.  8°.     XXVI  u.  926  S.     Mark  30.— 

Acta  Karoli  IV.  Imperatoris  iiiedita. 

Ein  Beitrag 

ZU  den  Urkunden  Kaiser  Karl  IV. 

Aus  italienischen  Arcliiven  gesammelt  und  herausgegeben 
von  Dr.  Franz  Zimmermann. 

1891.     gr.  8".     IX  u.  272  S.     Mark  10.— 

vStiidien  zur  Geschichte  des  fünften  Kreuzziiges 

von  Reinhold  Röhricht. 

189h     80.     VI  u.  130  S.     Preis  M.  3.60 

Untersuchungen  zur  Rechtsgeschichte. 

Von  Jx:ilitJi-{S  I^icjlsrei'. 

I.  Band: 

Untersuchungen  zur  Erbfolge  des  ostgermauischeu 

Rechtes. 

1891.  gr.  S.    XXX  u.  540  S.    Preis  M.  16.— 

Die  Formularbücher 

aus  der  Canzlei  Rudolfs  von  Habsburg. 

Von  Jol».  Kretzsehmar. 

1889.    164  S.    Preis  M.  4.— 


Verlag  der  Wagnerischen  Universitäts-Biichhandlung 
in  Innsbruck. 


Aus  der  camera  apostolica 

des  15.  Jalirlrnnderts. 

Ein  Beitrag   zur  Geschichte   des   päpstlichen   Finanzwesens   und  des 

endenden  Mittelalters  von  Dr.  Adolf  (xottlob. 

1890.  Preis  M.  6.— 

Regulae  cancellariae  apostolicse. 

Die   päpstlichen   Kanzleiregeln   von    Johannes   XXII.    bis 

Nicolaus  V. 
Gesammelt  und  herausgegeben  von  Dr.  E.  v.  Otteiitlial. 

1888.    Preis  M.  9.60 


i:(i  saeciiii  '' 

edidit,  colleg'it,  ordinavit  I^e-trvisj   r»a.l£i.ia.. 
Vol.  I.  Clementis  VII  epistolae  per  Sadoletum 

scriptae,    quibns    acceduut   variorum   ad   Papam    et   alios    epistolae. 
1885.    Preis  M.  12.— 


Beiträge  zur  Urkuncleiilelire. 

Von  Julius  Ficker. 

2  Bände.     1877,  1878.     Preis  M.  22.— 


Der  Gerichtsstand  des  Clerus  im  fränkischen  Reich. 

Von  Dr.  Anton  Nissl. 

1886.     Preis  M.  4.80 


Salimbene  und  seine  Chronik. 

Eine  Studie  zur  Geschiclitsschreibung  des    13.  Jahrhunderts. 
Von  Emil  Michael  S.  J. 

1889.     Preis  M.  4.— 


Der  päpstliche  Schutz  im  Mittelalter. 

Von  Dr.  Alfred  Blumenstock. 
1891.   Preis  M.  3.20 


Herder'sche  Verlagshandlung,  Freiburg  in  Breisgau. 
B.  Herder,  Wien  I.  Wollzeile  33. 

Soeben  ist  erschienen  und  durch  alle  Buchhandlungen  zu  beziehen : 

Zisterer,  Dr.  A., 

Gregor  X.  und  Rudolf  von  Habsburg 

in  ihren  beiderseitigen  Beziehungen. 

Mit  besonderer  Berücksiclitigung  der  Frage'^über  die  grundsätzliche 

Stellung  von  Sacerdotium  und  ImperiumMn  jener  Zeit, 

nebst   einigen    Beiträgen   zur    Verfassungs- Geschichte   des    Reiches. 

gr.  8°.   (VIII  u.  170  S.)    M.  3.— 

Verlag  der  J.  G.   Cotta'sclien  Buchhandlung  Nachfolger 

in  Stuttgart.; 

Soeben  erschien  vollständig : 

Kaiser  Maximilian  I. 

Auf  urkundlicher  Grundlage  dargestellt 

von 

II>r.    IriGiniri  cl\    Ul  m  ^v  n  n  , 

Professor   der   Geschichte   an   der  Universität  zu  Greifswald. 

Zwei  Bände. 

Gross  Oetav.    1687  Seiten.    Preis  geheftet  M.  28.— 

Mit  dem  soeben  erschienenen  zweiten  Band  ist  das  hochbedeut- 
same, auf  sehr  reichem,  noch  unbenutztem  Material  der  verschiedensten 
Haus-,  Hof-  und  Staatsarchive  aufgebaute,  urkundliche  Werk  zum  Ab- 
schluss  gediehen. 

Zu  beziehen  durch  die  meisten  Buchhandlungen. 

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DB  Vienna.      Institut  für 

1  österreichische 

V5  Geschichtsforschung 

Bd,12  I4itteilungen 

Bd.  12 


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