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MinHEILUNGEN DES INSTITUTS
l'ÜB
OESTEßREICHISCHE
GESCHICHTSFORSCHUNG.
UNTER MITWIRKUNG VON
TH. RITTER v. SICKEL und H. RITTER v. ZEISSBERG
HEDIQmX VON
K l^ÜHLBAGHER.
XXL BAND.
INNSBRUCK.
VERLAG DER VITA G N E R ' SCHEN UNIVERSITÄTS-BUCHHANDLUNG
1891.
I
1/5-
DRUCK DER WAGNER'SCHEN UNIVERSITÄTS-BUCHDRUCKEREI.
y
Inhalt des XII. Bandes.
Seite
Studien zu den Traditionsbücliem von S. Emmeram in Regensburg. Von
Berthold Bretholz 1
Die älteren Immunitäten für Werden und Corvei. Von Wilhelm
Erben 46
Wien in den Jaliren 1276 bis 1278 und K. Rudolfs Stadtrechts-Privilegien.
Von OswaldRedlich 55
Karl rV. und die Witteisbacher. Von TheodorLindner . . . 64
Das Gefecht bei St. Michael und die Operationen des Erzherzogs Johann
in Steiermark 1809. Von H. v. Z wiedineck-Südenhor st . 101
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. Von Th. v. Sickel. Erster
Theil 209
Die sogenannte Brevis nota über das Lyoner Concil von 1245. Von
M. Tangl 246
Ueber die Beziehungen zwischen englischen und böhmischen Wicüfiten
in den beiden ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts. Von
J. Loserth 254
Aus dem Berichte eines Franzosen über den Wiener Hof in den Jahren
1671 und 1672. Von A. F. Pribram 270
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. Von Th. v. Sickel. Zweiter
Theil 369
Amalrich L, König von Jerusalem (1162 — 1174). Von Reinhold
Röhricht . 432
Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. Von Oswald
Redlich 494
Thierstrafen und Thieriirocesse. Von Karlv. Amira . . . . 545
Die Schenkung von Kemnade und Fischbeck an Corve^-^ i. J. 1147 und die
Purpururkunden Coi-veys von 1147 und 1152. Von Th. Ilgen . 602
Das Gerichtsprotokoll der kön. Freistadt Kaschau in Ober-Ungarn aus den
Jahren 1556—1608. Von Dr. F. v. Krones 618
Die Einführung des gregorianischen Kalenders in Wien. Von Karl
Uhlirz 639
VI
Seite
Kleine Mittheilungen:
Eine ungedruckte Urkunde Friedrichs I. und ein bisher unbekannter
Zug desselben ins Königreich Burgund. Von P. Scheffer-
Boichorst 149
Drei Briefe des Johannes Bugenhagen. Von R. Thommen . . 154
Die sphragistische Sammlung des A. H. Kaiserhauses. Von Julius
V. Schlosser 297
Wo fand der erste Zusammenstoss zwischen Hunnen und Westgothen
statt? Von Raimund F. Kaindl 304
Zur Datirung von St. 4061. Von Loersch 311
Die Reste des Archivs des Klosters S. Cristina bei Olonna. Von
Sickel 505
Zwei Notizen aus der Trierer Stadtbibliothek. Von H. V. Sauerland 507
Zur erbköniglichen Politik der ersten Habsburger. Von S. Herz-
berg-Fränkel 647
Aus dem Wiener Stadtarchiv. Von KarlUhlirz . . . 652
Zwei Initialen eines Wiener Grundbuchs aus dem Jahre 1389. Von
Karl Schalk 655
Literatur:
Das Wettiner-Jubiläum in der histor. Literatur (Woldemar Lippert). 160
Annalen der deutschen Geschichte im Mittelalter. HL Abth. : An-
nalen des deutschen Reiches im Zeitalter der Ottonen und Salier.
I. Bd., Von der Begründung des deutschen Reichs durch Hein-
rich L bis zur höchsten Machtentfaltung des Kaiserthums unter
Heinrich lU. von G. Richter und H. Kohl (E. v. Ottenthai) . 181
M. Manitius, Deutsche Geschichte unter den sächsischen und salischen
Kaisem (911 — 1125) (E. v. Ottenthai) 181
Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften
herausgegeben von Max Perlbach (Dietrich Schäfer) . . . 185
H. Simonsfeld, Beiträge zum päpstlichen Kanzleiwesen im Mittel-
alter und zur deutschen Geschichte im 14. Jahrh. (M. Tangl) . 187
Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel. Im Auftr. der Gesellsch. f.
pommer. Alterihumsk. ges. u. hrsg. durch Lic. 0. Vogt (R. Thommen) 191
Rikskansleren Axel Oxenstiemas Skrifter och Brefvexling. Utgifna at
Kongl. Vitterhets-, Historie- och Antiqvitets-Akademien 11 (Senare
Afdelningen) (Dietrich Schäfer) 193
Zu Hefele - Knöpfler's Conciliengeschichte V. und VL Eine Replik.
(P. Scheffer-Boichorst) 201
Oesterreichische Kunst-Topographie. I. Bd. : Herzogthum Kärnten.
Herausgegeben von der k. k. Central-Commission für Erforschung
und Erhaltung von Kunst- und historischen Denkmalen (S. La-
schitzer) 314
The Musical Notation of the Middle Ages exemplified by Facsimiles
of Manuscripts written between the tenth and sexteenth centuries
inclusive. Prepared for the merabers of ,the plainsong and
mediaeval music society* (Guido Adler) 342
vn
Seite
Dr. Georg Wolfram, Die Reiterstatuette Karls des Grossen aus der
Kathedrale zu Metz (J. v. Schlosser) 343
Aktenstücke zur Geschichte des deutschen Reiches unter den Königen
Rudolf I. und Albrecht I. Gesammelt von A. Fanta, F. Kalten-
brunner, E. v. Ottenthai. Mitgetheilt von F. Kaltenbrunner.
(Mittheilungen aus dem vaticanischen Archive, hg. von der k.
Akademie der Wissenschaften 1. Bd.) (Arnold Busson) . . 345
Lindner Theodor, Deutsche Geschichte unter den Habsburgern und
Luxemburgern (1273—1437). 1. Bd. Von Rudolf von Habsburg
bis zu Ludwig dem Baiern (A. Huber) 350
Wilhelm Heyd, Beiträge zur Geschichte des deutschen Handels.
Die grosse Ravensburger Gesellschaft (Ed. Heyck) . . .351
Archivlehre. Grundzüge der Geschichte, Aufgaben und Einrichtung
unserer Archive von Franz von Löher (A. Budinszky) . . 354
Die historischen Programme der österreichischen Mittelschulen für
1890 (S. M. Prem) 355
Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich. Herausg. von einer
Commission der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, bearbeitet
von Dr. J. Escher und Dr. P. Schweizer. 1. Bd. (741—1234)
(Oswald RedHch) 509
Urkundenbuch der Stadt Basel. Herausg. von der historischen und
antiquarischen Gesellschaft zu Basel. 1. Bd. (751 — 1267) be-
arbeitet durch Rudolf Wackemagel und Rudolf Thommen (Oswald
Redlich) 509
Eduard Rosenthal, Geschichte des Gerichtswesens und der Verwal-
tungsorganisation Baiems. 1. Bd. Vom Ende des 12. bis zum
Ende des 16. Jahrhunderts (Luschin v. Ebengreuth) . . . 519
Heüigkreuz und Pfalzel, Beiträge zur Baugeschichte Triers von
W. Effmann (A. Riegl) 527
F. V. Pichl, Kritische Abhandlungen über die älteste Geschichte
Salzburgs (J. Jung) 658
Cesare Paoli, II libro di Montaperti (An. MCCLX). Documenti di
Storia Italiana pubblicati a cura della r. Deputazione sugli Studi
di Storia Patria per le provincie di Toscana, deirUmbria e delle
Marche. Tomo IX. (H. v. Voltelini) 658
Dr. Camillo Henner, Beiträge zur Organisation und Competenz der
päpstlichen Ketzergerichte (J. Loserth) 661
Der Bilderkreis zum wälschen Gaste des Thomasin von Zerclaere,
nach den vorhandenen Handschriften untersucht und beschrieben
von Adolf von Oechelhaeuser (Alois Riegl) 664
Neuwirth Josef, Peter Parier von Gmünd, Dombaumeister in Prag
und seine Familie (Dr. Ad. Horcicka) 665
Mensi Freiherr von. Die Finanzen Oesterreichs von 1701 bis 1740.
Nach archivalischen Quellen dargestellt (K. Schalk) . . . 669
Krones Fr. R. v., Tirol 1812 — 1816 und Erzherzog Johann
von Oesterreich, zumeist aus seinem Nachlasse dargestellt
(S. M. Prem) 670
Notizen 363
vm
Seite
Bericht über die 31. Plenarversamlung der bist. Kommission bei der
kgl. bayer, Akad. der Wissenschaften 194
Bericht Ober die neunte Plenarsitzung d. badischen histor. Kommission 197
Das Istituto Austriaco di studii storici in Rom .... 200
Bericht der Centraldirection der Monumenta Germaniae . . . 672
Bericht über die zweiunddreissigste Plenarversammlung der histori-
schen Kommission bei der kgl. bayer. Akademie der Wissen-
schaften 676
Bericht über die wis8enschaft;lichen Unternehmungen der Gesellschaft;
ftir Rheinische Geschichtskunde 679
Bericht der historischen Kommission der Provinz Sachsen . . 683
Personalien 208
Studien zu denTraditionsbücliern YonS.Emmeram
in Eegensburg.
Berthold Bretholz.
I. Die Reihe der S. Emmeramer Traditionsbücher.
Wenn auch Traditionsbücher in den bairisch-österreichischen Klö-
stern in der Zeit vom 9. bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert vor-
kommen, so hat sich doch noch nirgends, auch nicht in den bedeu-
tendsten Stiftern, eine Fortführung dieser Bücher während des ganzen
Zeitraums, also durch fünf Jahrhunderte hindurch nachweisen lassen.
Vielmehr ist bei den einzelnen Gruppen einerseits der Zeitpunkt des
Beginnes und Abschlusses, andererseits die Dauer der Unterbrechungen
innerhalb der äussersten Grenzen sehr verschieden. So hört beispiels-
weise die Reihe der Freisinger Traditionscodices, welche mit der ältesten
derartigen Sammlung, dem Codex des Kozroh, aus dem Anfang des
9. Jahrhunderts beginnt, verhältnissmässig früh auf, während wiederum
die beiden Brixener Traditionsbücher, die den vereinzelten Fall einer
Fortführung bis ins 14. Jahrhundert zeigen, eigentlich erst mit dem
Ende des 10. Jahrhunderts einsetzen. Die Gruppen der Salzburger
und Passauer Traditionen sind noch kürzer und zeigen vor allem be-
träch thche Lücken. Für Jahrzehnte, ganze Regierungen und noch
längere Abschnitte ist der Strom der Traditionen unterbrochen. Red-
lich hat bereits in seiner Untersuchung über „Bairische Traditions-
bücher und Traditionen"!) diese auffallende Erscheinung aus der Ent-
stehungsweise der Bücher selbst erklärt. Indem nämlich die Traditions-
codices zum gi-osseren Theile sich als von Zeit zu Zeit vorgenommene
summarische Abschriften nach gesammelten Einzelaufzeichnungen dar-
stellen, konnten bei solcher Zusammenstellung leicht Lücken entstehen,
') La Mittheil. d. Instituts f. österr. Geschichtsforschung 5, 41.
MittheUungen XU. 1
2 B r e t li 0 1 z.
wofern in gewissen Perioden die Uebertragung der Vorlagen in das
Traditionsheft vernachlässigt wurde; und dies ereignete sich nur zu
Ott, da in Wirklichkeit nicht überall und zu jeder Zeit die für die
Entstehung solcher Sammlungen noth wendigen Bedingungen vorhanden
waren. Nur bei einer Gruppe trifft dieser Grund nicht zu, bei der
der Regensburger Traditionsbücher; ihre lückenhafte U eberlief erung
ist zum kleinsten Theil auf mangelhafte Anlage und unvollständige
Sammlung, sondern in erster Linie auf die trümmerhafte Erhaltung
der Bücher zurückzuführen. Der heutige Bestand deckt sich nicht mit
dem einstmaligen und wie bei anderen Quellen dürfte auch hier der
Versuch einer Reconstructiou der Reihe nicht ohne Werth sein.
Die Reihe der Traditionsbücher aus dem Kloster S. Emmeram zu
Regensburg besteht aus fünf Gliedern , von denen jedes ein selbstän-
diges Ganzes bildet oder wenigstens einst bildete, denn zwei derselben
sind bis auf einen minimalen Rest zu Grunde gegangen, so gleich der
erste Theil.
1. Das Fragment der ältesten Sammlung.
In dem Codex des k, 1). Reichsarchivs in München (S. Emmer. 5 Va)»
den wir als viertes Glied später zu besprechen haben werden, findet
sich als fol. 9 — 14 ein Ternio beigebunden, der uns ein Bruchstück
der ersten im Kloster angelegten Traditionen Sammlung darstellt. Er
enthält blos zwölf Urkunden ^). Die älteste Nr. 1 gehört der Zeit des
ersten Bischofs von Regensburg und Abtes von S. Emmeram (das bis
Ende des 10. Jahrhunderts Kathedralkloster gewesen), Gawibald, an,
der 739 — 7G1 regierte, die jüngste, Nr. 6, ist genau datirt: 822 April 22;
damals stand Bischof Baturich (817 — 848) dem Kloster vor: also
frühestens während dessen Regierung könnte die Sammlung entstanden
sein. Von den übrigen zehn Urkunden, die nicht in chronologi-
scher Ordnung aufeinanderfolgen, gehören sieben dem 8. und drei dem
9. Jahrhundert au-). Die letzte Eintragung ist unvollständig; der
Schluss stand auf dem ersten Blatte der nächsten Lage, die uus aber
mit allen etwa nachfolgenden spurlos verloren gegangen ist. Das ganze
Heft ist von eiuer Hand geschrieben ^) ; wir haben hier Abschriften
nach den Uriginalaufzeichnungen vor uns.
') Die ersten zehn sind {j^edruckt in Pez, Thesaurus anecdotovum novissimus
13, 81—87; besser in K. Roth, Beiträge zur Sprach-, üeschichts- und (Jrtsfor-
Bchung 3, 97 tt'., wo auch n. 11 und 12 abgedruckt sind. -) Bis auf drei und
die unvollendet« letzte sind alle Urkunden genau, datirt: Der Zeit Bischof Sind-
berts (7.5Ü— 791) gehören an: Nr. 8 (77G Juli 10), Nr. 5 (778), Nr. 4 (791 Sep-
tember 1), Nr. 7 (77(j— 788) und Nr. II; — Bischof Adalwins (792-817): Nr. 2
und 3 (792 Juli 22), Nr. 9 (8{)H September 14) und Nr. 10 (814 März 10). «) Die
IStndieu zu den Traditionsbüclieni von S. Emmerai.i in Regensburg. 3
Ueber den einstmaligen Umfang dieser ersten Sammlung lassen
sich aus den erhaltenen Blättern keinerlei Folgerungen ziehen; dass
wir den Anfang des Codex vor uns haben, ergibt sich auch daraus,
dass die einzelnen Urkunden die Nummern I — XII tragen, die ur-
sprünglich sind. Einen Anhaltspunkt für die Existenz eines selbstän-
digen Codex, von dem diese Blätter die letzten Trümmer bilden, glaube
ich zunächst iu dem ältesten Bücherverzeichnis von S. Emmeram zu
finden; es ist ein einzelnes Blatt, das als fol. 17 dem Evangeliencodex
der Hof- und Staatsbibliothek iu München (Cod. lat. n. 14222) bei-
gebunden wurde; es stammt aus dem 10. Jahrhundert. Unter anderen
Büchern ist hier auch ein , liber kartularum " verzeichnet, womit unser
Traditionsbucli in seiner ursprünglichen Gestalt gemeint sein dürfte 1)
Die vielen Nadelstiche am Buge der erhalteneu Blätter zeigen nur,
dass dieses Heft schon mehrmals seinen Platz gewechselt hat. Mit
dem Codex, dem es nunmehr beigefügt ist, steht es aber doch schon
länger im Zusammenhang, als seit dem Anfang des 16. Jahrhun-
derts, da dieser, wie Koth meint, in seinen jetzigen Einband ge-
bracht wurde. Auf der Kückseite des letzten Blattes, fol. 14 nämlich,
ist am Eande eine Liste von Namen einer grossen Censualenfamilie
von einer Hand des 12. Jahrhunderts notirt, die sich in einer uuge-
druckten Urkunde Nr. 581 des Codex 5V2 ^^^^ ^ol. 113' aus der Zeit
des Abtes Engilfrid (1132 — 1143) wiederfinden. Damit ist für die
Zertrümmerung des Buches ein terminus ad quem gegeben. In der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts war bereits der Codex zerfallen,
die einzelnen Lagen waren lose, und auf die Blätter wurden beliebige
Notizen und Eintragungen gemacht, denn ausser jenen Namen findet
sich noch am unteren Eande des genannten Blattes von einer zweiten
Hand gleichfalls des 12. eTahrhunderts ein kurzer Traditionsakt ver-
zeichnet. Dass aber damals dieses Heftchen nicht wie jetzt zu Beginn
des Codex, sondern ziemlich weit rückwärts lag, erkennt man aus einer
Ziffer, die sich auf fol. 13 am unteren Eande vorfindet (es ist wohl 138)
und die ich mit einer alten Foliiruug des Codex 5V2 in Zusammen-
hang bringe, und dass es etwa eine Zeitlang sogar eine letzte Lage bil-
dete, dafür spräche das schlechte Aussehen der Schlussseite, die ganz
abgewetzt ist. Soviel wird aber sicher sein, dass dieses älteste S. Em-
von Roth 98 und 127 gemaclite Unterscheidung von i,zwei oder drei Händen'" ist
ganz unbegründet ; der Wechsel der Tintenfarbe allein ist hier, wie bei so vielen
Fällen in Uikundenbüchem unwesentlich und unverwerthbar.
1) Dieses Bücherverzeichnis ist gedruckt und mit anderen späteren derselben
Klosterbibliothek besprochen von Schm eller, Ueber Bücherkataloge des 15. und
früherer Jahrh. Serapeum 1841.
4 Bretholz.
meramer Traditionsbuch im Kloster selbst und spätestens zu Beginn
des 12. Jahrhunderts zerstört wurde; diese zunächst vielleicht noch
überraschende Thatsache wird durch weitere Analogien gesichert. Ver-
schieben wir vorläufig die Untersuchung über den eiustmaligen Um-
fang dieses Codex und wenden wir uns der wichtigen Frage zu, wann
dieser Codex wohl angelegt wurde und welchem Bischöfe er seine
Entstehung verdankt. Viele Umstände weisen auf die Zeit Baturichs
hin, der als Abtbisehof von 817 — 848 Bisthuiu und Kloster leitete.
Dass die sechste Urkunde das Jahr 822 als terminus a quo angibt,
wurde schon erwähnt. Leider lässt sich der weitere Beweis nicht auf
so nüchterner Grundlage, wie sie Zahlen bieten, aufbauen ; wir müssen
uns auf das Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung begeben , indem
wir mit inneren Gründen operiren. Kedlich hat den allgemeinen Satz
ausgesprochen, dass der Aufschwung eines Klosters, die Eegierung
tüchtiger Bischöfe auch gewöhnlich durch die Anlage von Traditions-
büchern gekennzeichnet sei (S. 41).
Ohne deswegen etwa jedem tüchtigen Klostervorsteher die Anlage
eines Traditionscodex zumutheu zu wollen, dürfen wir auf den Zustand
S. Emmerams zur Zeit Baturichs doch hinweisen. Er selber ein Schüler
der Klosterschule von Fuld vielleicht in der Zeit, als sie unter Hra-
bans Leitung stand , hat in Kegensburg zu litterarischer Thätigkeit
allenthalben angeregt. Unter ihm erst erhielt die dortige Schreibschule
eine grössere Bedeutung, indem er die Mönche zu grösseren Arbeiten
dieser Art veraulasste ; wir haben noch jetzt eine Anzahl von Codices,
die er anlegen oder abschreiben Hess. Reger Sinn und gutes Ver-
ständnis für Schriftwerke müssen aber vorausgesetzt werden, um die
Führung eines Traditionsbuches in verhältnismässig so früher Zeit
und in so vollkommener Weise, wie es in S. Emmeram gleich von
Anfang der Fall war, annehmen zu dürfen. Sodann stimmt der rein
praktische Zweck, der der Anlage eiues Traditionsbuches immer zu
Grunde liegt, sehr wohl zu dem Eifer dieses Bischofs, Güter und Rechte,
die dem Kloster in der letzten Zeit eutfremdet worden waren, wieder
zu gewinnen M- Soweit ist der Beweis aus dem Fragment selbst und
auf Grund allgemeiner Gesichtapunkte zu führen ; ins rechte Licht wird
aber unsere doppelte Hypothese, dass der Codex inhaltsreicher war und
unter 15. Baturich entstanden ist, erst durch die Betrachtung und
Prüfung des nächstfolgenden Gliedes der Reihe, das uns unversehrt
überkommen ist, gestellt.
') Y^]. über die Regierung B. Baturichs und über die litterarischen Ar-
beiten im Kloster in dieser Zeit: Jänners Geschichte der Bischöfe von Regena-
biug I, \i)U H'.
Studien zu den Ti-aditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg. 5
2. Der Traditionscodex des Diacons Anamot.
Es ist eine Arbeit wohl derjenigen vergleichbar, die um einige Jahr-
zehnte früher und allerdings mit noch reichhaltigerem Material im
nahen Freising der Diacon Kozroh ausgeführt hatte — dieses „ Col-
lectariolum traditionum atque concambiorum", wie es sein Autor ge-
nannt hat. Anamots Werk bildet den zweiten Theil eines Codex des
Münchner Keichsarchivs (S. Emmer. 5V3) und ist eine in Schrift und
Ausstattung, in der ganzen Anlage einheitliche prächtige Sammlung
von Urkunden in zwei Büchern; das erste enthält 108, das zweite
45 Nummern 1). Mit Recht wurde gesagt, dass der Grund dieser Schei-
dung nicht leicht ersichtlich sei ; denn die Urkunden sind weder chrono-
logisch, noch local, noch nach einem irgend erkennbaren sachlichen
Gesichtspunkt geordnet, es erübrigt daher bloss, an ein rein äusser-
liches, ganz zufälliges Moment zu denken, das sich uns im weiteren
Verlaufe auch als naheliegend ergeben wird. Ich biete im Folgenden
keine eigentliche eingehende Codexbeschreibung, sondern erwähne
nur, was für die allgemeinen Fragen der Entstehung und Anlage von
Belang ist.
Der Sammlung der Traditionen des ersten Buches geht ein Re-
gister voran und sodann die bekannte Widmung, in der Anamot auch
Zweck und Plan der Arbeit mit wenigen bezeichnenden Worten an-
gibt und die überschrieben ist : Excellentissimo domino A episcopo Ana-
motus humillimus famulus. Der Name des Bischofs, von dem jetzt
nur der Anfangsbuchstabe „A* zu lesen ist, war einst ausgeschrieben,
wurde aber später radirt; der palaeographische Befund jedoch, will
sagen, die ganz unbedeutenden Spuren von Schäften, die sich allen-
falls noch erkennen lassen, und die Grösse der radirten Stelle ergeben
mit absoluter Sicherheit, dass ursprünglich hier nur „ Ambrichoni " und
nicht „ Asperto " — zwischen diesen beiden Namen ist zu entscheiden
— gestanden haben kann, und zwar wie alles übrige in Majuskel-
buchstaben mit Minium. Heute heisst es allgemein, Anamots Werk
sei dem Bischof Aspert gewidmet gewesen, also auch unter ihm ent-
standen'^). Mabillon, der erste, der diesen Codex zu wisseu schaftlichen
Zwecken beschreibt, sagte dagegen: „praeclarus est codex traditionum
scriptus ab Anamoto dicatusque Ambriconi episcopo "3). Daran hat
1) Gedruckt in Pez , Thesaurus anecd. nov. I 3, 193 und Migne Patrol. lat.
129, 900. 2) So nicht nur in Wattenbachs G. Qu. 1,271 und Dümmler, Ostfr.
Reich 2, 480, sondern auch in specielleren Werken, Janner, Gesch. d. Bisch, v.
Regensb. 1, 252, Redlich, Ueber bair. Trad. 9, der aber das Werk doch schon
um 890 begonnen sein lässt. ") Iter Germ, in Veterum analect. Ed. 11 (1723) 10.
ß B r e t h o 1 z.
sich Pez allerdings in bescheidenster Form, aber auch ohne irgend
welchen positiven Grund, zu rütteln erlaubt, indem er den Worten
Mabillons, die er wörtlich anführt, „vcl ut nobis videtur Asperto epis-
copo" als persönliche Ansicht anfügt, sofort aber seine Unsicherheit
eingesteht mit der Clausel: certe „A. epo." cui Anamodus hoc illustre
monumcntum dicavit, utramque admittit^). Gleichwohl hat Pez' Ver-
muthung mehr Anklang gefunden als Mabillons Behauptung, wie in
allgemeinen Geschichtswerken, so in specielleren Arbeiten, und ob-
gleich Koth, wie es schien, einen ganz unzweifelhaften Beweis dafür
brachte, dass A. in Ambricho aufzulösen sei, musste er sich, ohne
dass sein Grund zurückgewiesen wurde, also lediglich wegen seiner
Abtrünnigkeit, jüngst von Janner einen Verweis gefallen lassen 2). —
Unserer Deutung des Buchstaben ,,A" entsprechend war Anamot doch
schon unter der Kegierung B. Ambrichos (864 — 891) mit diesem Werke
beschäftigt, denn ihm war es gewidmet. Da trat, bevor noch die
Arbeit beendet war, im Jahre 891 der Tod des B. Ambricho ein.
Aspert wurde als Nachfolger gewählt. Bis zu Nr. 145 war die Samm-
lung gediehen, als dies geschah. Deshalb aber das Werk unvollendet
zu lassen hatte keinen Sinn, der Diacon setzte es also fort; aber wie
bis nun Anamot seinem B. Ambricho zu Willen dasselbe ausführte, so
sollte das Folgende dem Nachfolger, dem nunmehrigen Bischof Aspert
gewidmet sein. Dies wurde durch den Beginn eines zweiten Buches
srekeunzeichnet. Schliesslich schien es dem Autor doch einfacher, dem
Bischof Aspert das ganze Werk zu widmen, und so erklärt sich die
Tilgung des Namens Ambricho in der Widmungszeile bis auf den mit
dem Worte Aspert gemeinsamen Buchstaben „A". Dass aber „As-
perto" statt dessen doch nicht eingesetzt wurde, hat seinen guten
Grund in der völlig missglückten Rasur der Stelle, auf der sich neue
Buchstaben kaum schön ausgenommen hätten.
Nicht minder deutlich spricht der Inhalt der beiden Bücher für
die Ansicht, dass das Werk unter Ambricho begonnen und fortge-
führt, unter Aspert nur fortgesetzt wurde. Die Hauptmasse in beiden
Büchern bilden Urkunden aus der Zeit B. Ambrichos. die im ersten
nur stellenweise durch Stücke aus noch früherer Zeit unterbrochen
werden. Traditionen des B. Aspert finden sich überhaupt erst am
Schlüsse des zweiten Buches ; es sind die Nummern 37 — 40 und 42 — 45,
während Nr. 41 wieder ein Nachtrag aus der Zeit des Vorgängers ist.
') In den Observationes praeviae zum Thesaurus pag. LXXXIT. ^) Roth
188 wollte auf dem Blatte 71^ unter den drei zwar radirten aber doch entziffer-
baren Zeilen: In nomine etc. AB gesehen haben, das in Ambricho aufzulösen
wäre; thatsächlich sind diese zwei Buchstal)en nicht zu erkennen.
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Enimeram in Kegensburg. 7
Xebeu der Zeit haben wir auch die Art der Anlage dieses Col-
lectariolum zu prüfen und wollen hiebei besonders jenen Nachtragungen
aus der Zeit der Vorgänger B. Ambrichos, die sieh im ersten Buche
finden, Beachtung schenken. Unter ihnen begegnen uns nämlich Ur-
kunden, die den drei unmittelbar vorangegangenen Bischöfen, also
Adahvin, Baturich und Erchaufrid angehören i). Wir fragen, was wohl
die Veranlassung zu diesen Einschiebseln, der Grund ihrer Aufnahme
in die Traditionssamraluug B. Ambrichos gewesen sei.
Zunächst wird man constatiren, dass sie hier nachgetragen wur-
den, weil sie wohl bei einer früheren Zusammenstellung zufällig oder
absichtlich übergangen worden waren; eine genauere Prüfung ergibt
nun aber auch, dass ein grosser Theil dieser Nachtragungen sich für
ein Traditionsbuch des Klosters S. Emmeram eigentlich nicht eignet.
Sie haben entweder keine Beziehung auf dieses Stift, oder sind keine eigent-
lichen Traditionen im weitesten Sinne des Wortes. Sehen wir zwei der Nach-
träge von B. Adalwin an : Nr. 2 und 45 betreffen Traditionen, die an
das Kloster S. Salvator an der Eezat im Schwalfeldgau , dessen Abt
eben auch der jeweilige Kegensburger Bischof war, gemacht worden
waren. Nicht anders verhält es sich mit Nr. 69 aus der Zeit Batu-
richs, einer Urkunde, die das Kloster Schönau, eine Commende des
Bisthums Kegensburg, berührt; und so finden wir auch weiter zwei
Urkunden Nr. 7 und 39 aufgenommen, die Schenkungen an das Kloster
Mondsee enthalten, das eine Zeit lang gleichfalls im Abhängigkeits-
verhältnis von Kegensburg stand-). Wenn ferner in einem Tausch-
vertrag aus der Zeit B. Erchanfrids in Nr. 14 als gebender und em-
pfangender Theil lediglich S. Petrus und nicht auch S. Emmeramus,
wie sonst, genannt erscheint, so muss man sagen, dass eben dieses
Geschäft nur der einen, nicht aiich der anderen Kathedralkirche zu-
gute kam 3). Nr. 76 sodann ist ein Concambium zwischen den Bi-
schöfen Erchanfrid von Kegensburg und Hartwich von Passau, aber
hier tauscht Erchanfrid Güter „proprietatis suae" und erhält als Com-
pensation solche „ad suum proprium tenendum". Man ersieht aus
1) Von B. Adalwin (792—816) finden sich darunter: Nr. 2 (vom J. 810),
Nr. 45 und 70 (vom J. 814); von B. Baturich (817—848): Nr. 3 (vom J. 819),
Nr. 67, 77, 80 und 81 (vom J. 822), Nr. 7 und Nr. 12 (vom J. 829), Nr. 72 (vom
J. 833), Nr. 69 und 71 (vom J. 834) und Nr. 73 (vom J. 837); schliesslich ohne
genaue Datirung von B. Erchanfrid (848—864): Nr. 14, 39, 60, 74, 76, 83; beim
letzten Stücke steht in der Ueberschrift zwar Ambricho, Erchanfrid im Texte der
Urkunde ist wohl massgebender. «) Nur das eine Stück Nr. 7 findet sich
auch im Mondseer Traditionsbuch, aber erst von einer Hand des 12. Jahrh. ein-
getragen, vgl. Hauthaler, Der Mondseer Codex traditionum in Mittheil. d. Inst.
7, 238^9. ■'') Ueber das Verhältnis der beiden Kirchen vgl. Janner 1, 122.
g B r e t h 0 1 z.
diesen Fällen, dass Anamot, von dem auch behauptet wird, dass er
gar nicht Mönch zu S. Emmeram gewesen i), mit seiner Sammlung den
Zweck verfolgte, die Urkunden des Bisthums respective der Bischöfe
und nicht allein die der Abtei 8. Emmeram zusammenzustellen. Dem
gegenüber erscheint der Charakter des ältesten Codex, von dem wir
das Fraoroent von zwölf Urkunden besitzen, als der eines ausschliess-
liehen S. Emmeramer Traditionsbuches. Die Schenkungen, die hier
verzeichnet sind, gelten alle ausnahmslos der „ara S. Emmerami", sie
ist meistens allein genannt — nur einmal findet sich auch S. Peter
miterwähut — und dürften lediglich dem Archiv des Klosters entnommen
sein, wogegen Anamot für sein Collectariolum noch aus anderen Ar-
chiven, besonders dem in S. Peter verwahrten, geschöpft zu haben
scheint. Allerdings lassen sich nicht alle nachgetragenen Urkunden
unter diesen Ausnahmstitel subsummiren ; es ist eine Reihe von
Stücken darunter, die sich auf S. Emmeram beziehen, dann sind sie
aber in anderer Beziehung ungewöhnlich. Die dritte Urkunde aus der
Zeit B. Adalwins Nr. 70 „Traditio Eihpaldi abbatis ad Sezpah'' ist bei-
spielsweise durch die Fassung auflTällig^'). Die subjectiv gefasste Ver-
mächtnisurkunde des Abtes Eihpald ist zweimal unterbrochen durch
die Erzählung der nach Eihpalds Tode erfolgten Investitur, dann folgt
ein Zusatz , in dem mitgetheilt wird, dass der Traditor noch bei Leb-
zeiten vom Bischof um ein Zugeständnis gebeten worden war, schliess-
lich eine dreifache Zeugenreihe je mit Bezug auf die verschiedenen
Stadien und eine doppelte Datirung, einmal mit Bezug auf die Ueber-
ffabe, dann auf die Investitur. Wir haben bei Anamot nicht mehr die
ursprüngliche Originalurkunde, sondern eine Compilation des ersten
Textes mit einer Reihe von nachträglichen Zusätzen. Einige andere
dieser Nachtragungen sind wiederum keine eigentlichen Geschäftsurkun-
den im Sinne einer Tradition oder eines Concambium, sondern darauf
bezügrliche Akte und ProtocoUe. So ist Xr. 3 betitelt: de marca ad
Champa, ein Instrument über die am 14. Dezember 819 durch B. Ba-
turich amtlich d. h. in Anwesenheit des gräflichen Missus vorgenom-
mene Rückeinziehung eines S. Emmeram gehörigen und ihm unrecht-
mässig entfremdeten Gebietes; so berichtet Nr. 12 über den Vorgang,
wie ein ehemals zwischen B. Baturich und einem Abt Sigismund ge-
schlossenes Concambium wieder rückgängig gemacht werden konnte;
Nr. ß7 ist zwar überschrieben: „Traditio Rihpaldi abbatis'^, ist aber
in Wirklichkeit die Darstellung des langwierigen Prozesses zwischen
') Janner 1, 252 Anm. 6. ") Deshalb auch von Ficker, Urkundenlehre
1, 278 besprochen.
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg. 9
dem Klorfter und den Verwandten des Traditors, und endlich ist Nr. 81
„Traditio Andarbodi archipresbyteri", die urkundliche Aufzeichnung über
die im Placitum erwiesene Kechtsgiltigkeit einer Schenkung. Es bleiben
dann nur wenige Stücke übrig, bei denen nicht eine Absonderlichkeit
in dieser oder jener Kichtung die Ausschliessung aus dem ersten Tra-
ditionscodex von S. Emmeram erklären würde, und für die dann die
allgemeine schon von Redlich angeführte Thatsache herhalten muss,
dass , oft spätere Traditionssammlungen Nachträge aus früheren Zeiten
bringen, aus denen doch selbst schon eine Sammlung vorlag*^ (S. 56.).
Wenn nicht gleichsam als Nachträge zum ersten Bande, dann
wäre diese Auswahl von Urkunden aus der Zeit vor Ambricho im Co-
dex Anamots kaum zu erklären. Und diese Wahrnehmungen veran-
lassen eben die Vorstellung, dass der Codex des Anamot nur als eine
unmittelbare, wenn auch nach anderem Plane und anderen Gesichts-
punkten augelegte Fortsetzung des ältesten Traditionsbuches von S. Em-
meram anzusehen ist, das heute nur als ein Fragment vorliegt, ehe-
mals aber die imposante Urkundenmasse von der Zeit des ersten
Regensburger Bischofs Gawibald bis auf Erchanfrid, in Zahlen ausge-
drückt von 739 — 864, enthalten haben dürfte.
3. Die Reste eines Traditionsbuches des Bischofs Tuto
(894—930).
Es mag wie gesagt zunächst auffallend erscheinen, dass im Kloster
S. Emmeram, wo doch nachweislich für die Bibliothek grosse Sorge
getragen wurde, ein so bedeutender Verlust, wie der des ältesten Tra-
ditionscodex, entstehen konnte. Nun, wir werden noch andere Be-
obachtungen machen, die uns zur Genüge darin bestärken, dass sich
diese Fürsorge auf die Traditionsbücher des Klosters nicht erstreckt
hat. Der Grund hievon scheint darin zu liegen , dass diese Bücher
überhaupt nicht in der Bibliothek aufbewahrt wurden; in den zwei
grossen Bücherkatalogen, von denen der eine 1347, der andere 1501
ausgearbeitet wurde i) , wird keines angeführt , wie ihnen auch ein
Kennzeichen der eigentlichen Bibliotheksbücher abgeht, nämhch der
Haken am Einband zum Durchziehen der Kette . }nit der der Codex
am Pulte festhing; es waren also keine „libri catenati", wie der Bib-
liotheksausdruck lautete.
Die Traditionsbücher waren eben keine Bibliotheksbücher; ihrer
rechtlichen Natur nach gehörten und gehören sie ins Archiv, das wir
uns aber in der alten Zeit nur als einen unselbständigen Theil der
0 Vgl. S. 3 Anm. 1.
10 B r c t h 0 1 z.
Kanzlei vorstellen können. Hier in der Schreibstube oder sonstwo
werden sie ihren Platz gefunden haben, so lange sie für die laufen-
den Geschäfte noch werth und wichtig waren; aber uacli einer ge-
wissen Zeit war deren Aufbewahrung zwecklos gewordeu, für das gute
alte Pergament fand man leicht Verwendung. So ist denn ein zweites
Traditionsbuch, das des Bischofs Tuto, zertrümmert worden und zwar
so vollkommen, dass nur durch einen glücklichen Zufall einige Blätter
desselben wieder zum Vorschein gekommen sind.
Von den Einbänden werthloser „Chartekeu" löste Bibliothekar Ge-
meiner nach seinem eigenen Berichte im Jahre 1811 zwei Blätter mit
Ti-aditionsnotizen des Bischofs Tuto ab^). Nachher fand man noch
eines und so besitzen wir nun im ganzen drei Doppelblätter, die in
München im Archiv des „historischen Vereins von und für Oberbaiern"
unter „Archivalien 6086^" aufbewahrt werden, woselbst ich dieselben
dank der freundlichen Vermittlung mehrerer Mitglieder gesehen habe.
Die drei Doppelblätter gehörten zwei aufeinander folgenden Lagen au
und zwar so, dass das eine als drittes Doppelblatt des einen, die an-
deren beiden als zweites und viertes des nächsten Quaternio anzu-
sehen sind. Demgemäss ist die ßeihe der auf diesen sechs Blättern
niedergeschriebenen Urkunden oft unterbrochen. Ihr Aussehen ent-
spricht ganz der Jahrhunderte langen Verwendung derselben als
ßücherumschlag. Die Blätter tragen keinerlei Foliirung, dagegen die
einzelnen Urkunden Nummern, und hiebei überrascht uns die hohe
Zalil derselben. Das erste Stück ist bereits Nr. 100 und kann docli
spätestens dem Jahre 900 angehören, denn die Urkunden auf den fol-
genden Blättern sind zum Theil datirt und zeigen genaue chrono-
logische Anordnung. Es ist nicht denkbar, dass aus den ersten sechs
Jahren der Regierung B. Tutos (894—930) sich bereits eine so grosse
Zahl von Urkunden angesammelt habe.
Da müssen wir auf den Codex des Anamot zurückkommen. Es
wurde früher erwähnt, dass im zweiten Buche desselben mit den
Nr. 37 — 40 und 42 — 45 eine Sammlung der Traditionen unter Bischof
Aspert begonnen wurde. Aber diese Sammlung ist nicht abgeschlos-
sen ; nicht etwa deshall) , weil uns acht Urkunden für die fast drei-
') »Ueber ein gefundenes Frapfinent. eines alten unedirten S. Emmeramer
Traditionscodex* in Aretins »Beiträge zur Geschichte und Litteratur^ 9, 1052.
üebcr das etwas raysteriöse Vcrscliwinden und Wiederauf'fiuden derselben und
das plötzliche Auftauchen eines dritten zugehörigen Blattes berichtet ausführlich
Roth in seinen Beiträgen Heft 4, 97, wo er zugleich die Urkunden in sehr guten
Drucken veröffentlicht hat, Rieds Abdrücke derselben im Codex dipl. Ratisbon.
vervollständigend und verbessernd.
Sfndien zu don Traditionsliüchevn von S. Emmeram in Kesfensburg. \ \
jährige Kegieruugsdauer eine zu geringe Zahl scheinen, sondern weil die
letzte Nr. 45 am Schluss der Rückseite des 165. Blattes mitten im
Text abbricht. Pez' Behauptimg, dass ein letztes Blatt ausgeschnitten
sei, ist ganz unbegründet i). Ich bemerke dagegen, dass mit diesem
165. Blatte zugleich der 12. Quaternio — aus so vielen Lagen besteht
das ganze Werk Auamots — abschliesst. Der Schluss der Urkunde
Nr. 45 dürfte vielmehr auf dem ersten Blatte einer neuen Lage ge-
standen haben, in der zugleich die ürkundenabschriften aus der Zeit
Tutos begannen, so also, dass der Codex des Tuto sich unmittelbar au
das Werk Anamots anschloss und die Urkunden weiter gezählt wur-
den. Ob diese Fortsetzung zunächst auch von Anamot geführt wurde,
kann man nicht sagen. Der spätere Theil, aus dem wir die Blätter
haben, zeigt vielmehr eine wesentlich andere Anlage. Wir haben
schon erwähnt, dass, soweit sich dies aus den spärlichen Ueberresten
ersehen lässt, die Urkunden chronologisch geordnet waren. Sodann
sind mehrere Schreiber mit der Eintragung betraut. Besonders bei den
Stücken des ersten Blattes Nr. 109^ — 112 und wiederum Nr. 116 und 117
wechseln die Hände mehrfach, während die Stücke auf den beiden
weiteren Blättern Nr. 126—128, 131 — 135, Schluss von 136 — 139
höchstens drei verschiedene Schriften aufweisen. Jede Urkunde hatte
eine üeberschrift und eine Nummer, beides oft nachträglich dazu-
geschrieben. Die Ausstattung nun, die Grösse und das Format der
Blätter erinnern gleichfalls an den Codex des Anamot. Nach unserer
Annahme über das Verhältnis der beiden Sammlungen wäre die Ent-
stehungszeit der letzteren, Avelche die Urkunden Tutos enthielt, vollkom-
menbestimmt. Der Codex müsste zu Beginn derEegierung des Bischofs
begonnen und von Zeit zu Zeit von verschiedenen Schreibern fortgeführt
worden sein. Auch hier werden wir blos Abschriften nach den Ori-
ginalakten und nicht etwa unmittelbare Eintragungen annehmen dürfen,
mögen auch ziemlich häufig Correcturen und Nachtragungen einzelner
Buchstaben, und in einem Falle sogar in Nr. 134 eine Nachtragung
der Mancipiennamen am unteren Rande mit Leerlassuug einer Zeile
im Texte sich zeigen. Wir haben für diplomatische Untersuchung zu
o;erinffes Material.
Die letzte Urkunde auf diesen Blättern ist Nr. 139 und trägt die
•Ldireszahl 901; dass der Codex gerade mit diesem Blatte abgeschlossen
habe, ist allerdings unwahrscheinlich ; wie weit aber die Sammlung ge-
reicht hat, ob etwa die Urkundenmasse aus der Zeit des Bischofs Tuto allein
') 286: »Desunt seqnentes paiiculi versus oh folium ultimum c codice ex-
cisum".
\2 Biet holz.
bis 930, oder gar auch die seiner unmittelbaren Nachfolger aus der
Zeit 930 — 975 einstens zusammengestellt war, ist nicht zu entscheiden.
Eoth hat übrigens einmal die Vermuthung ausgesprochen, es könnten
andere Trümmer des Codex auf Einbänden der bischöflichen Bibliothek
zu Regeusburg sich entdecken lassen; meines Wissens ist dieser An-
regung noch nicht Folge geleistet worden ^).
4. Der Liber traditionum saec. X — XIII.
Liber traditionum, dies ist die ursprüngliche Bezeichnung des
Quartbandes im k. b. Reichsarchiv in München (S. Emmer. 57^ ^It
Z. 32), wie sie in Majuskelbuchstaben auf dem oberen Deckel zur Zeit
des Einbindens, etwa zu Anfang des 16. Jahrhunderts geschrieben wurde.
Er stimmt in seiner äusseren Erscheinung vollkommen mit dem Codex,
der den Anamot enthält, überein. Dieser Band, dem das Fragment
des ältesten Traditionsbuches als fol. 0 — 14 beigebunden ist, zählt,
einige miteingeheftete Blättchen nicht mitgerechnet, 195 durchaus be-
schriebene Blätter, die ungefähr 900 Traditionen vom Jahre 975, dem
•Regierungsantritt des Abtes Ramwold, bis 1235, dem Todesjahre des
Abtes Berthold IL enthalten. Es sind fast durch geheuds nur Urkunden
und Aktaufzeichnungen über Rechtsgeschäfte der genannten Art, die
das Kloster S. Emmeram betreffen -).
Von dieser ürkundenmasse ist bis nun nur ein Theil edirt. Zuerst
brachte B. Pez 3) eine Auslese , zusammen 206 Stücke , von der be-
gründeten Ansicht ausgehend, man müsse zuerst die Urkunden be-
kannt machen, ,,quae lucem aliquara rebus historicis afferre possint"
(Praef. pag. LXXXII). Nach einem andern Princip traf dann ein zweiter
Bearbeiter dieses Codex, der ehemalige k. b. Archivrath Wittmann, eine
Auswahl^); er druckte 280 weitere Urkunden ab, die wichtige Orts-
und Personennamen enthielten oder ,, unsere Kenntnisse von den da-
maligen Volkszuständen zu vervollständigen oder zu berichtigen ge-
eignet sein könnten". So vollkommen ist übrigens die Auswahl weder
von Pez noch von Wittniann getroffen worden, dass man nicht noch
viele Akte fände, die in der einen oder anderen Hinsicht für die For-
schuug vonintere&se wären: sind doch von den etwas mehr als 900 Ur-
') Vgl. die Nachricht über die Verschleppung bair. Archivalien in neuester
Zeit, Verh. des hist. Vereins f. N. -Baiera 19, 178 und N. Arch. f. d. Gesch. K.
2, 440. -) Ausnahmen bilden bloss Cod. ^'r. 5!)4 Abschrift einer Littera Papst
Innocenz II. (1137 März 26) J. L. 7832 und Nr. 765 einer Urkunde B. Leos von
Regennburg (t 1265). ') Thes. anecd. noviss. I 3, 81 flF. *) Quellen und
Erörterungen zur bairischen und deutschen Geschichte 1, l ff.
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg. J^ß
künden fast die Hälfte unbekannt ! Stellt man sich aber auf den Stand-
punkt des Diplomatikers und will man dieses Traditionsbuch für die
Lehre der Privaturkundeu verwerthen, dann ist an und für sich mit
diesen fragmentarischen Editionen nicht gedient, die übrigens mit zu
denen gehören dürften, von denen Redlich — allerdings ohne Namen
zu nennen — bemerkt, dass sie fast alles zu wünschen übrig lassen.
Es stellen sich aber auch dem Versuch, diesen Traditionscodex zu be-
arbeiten, mannigfache Schwierigkeiten entgegen, wie schon aus einer
kurzen Charakteristik — denn eine genaue Beschreibung hätte an
diesem Orte keine Berechtigung — erhellen wird. Der Codex ist näm-
lich, wie er sich uns heute darstellt, ein völliges Durcheinander ein
gi'ossartiges Beispiel von Verwirrung, und man begreift es, dass
ßoth, der auch diesem Theil einige Aufmerksamkeit geschenkt hat^)
und sich eingehender damit beschäftigen wollte, unwillio- die Arbeit
abbricht . , . „konnte ich doch selbst bei längerer Durchforschuug
der Handschrift keinen leitenden Eadeu durch die greuliche Unord-
nung finden".
Die Ursache dieses heutigen Zustandes ist eigenthümlich genuo-.
Nicht, dass etwa unregelmässige Eintragung, Mangel au chrouoloo-ischer
Folge die Hauptschwierigkeit bilden ; diesem, fast möchte man sao-en,
selbstverständlichen Uebel, sowie dem Umstand, dass die Lagen und
Blätter stark verbunden sind, lässt sich schliesslich bis zu einem o-e-
wissen Grade abhelfen; aber eine unheilbare Beschädigung hat der
Codex dadurch erlitten, dass viele Blätter älterer Lae-en verloren o-e-
gangen sind, indem man sie aus ihrem früheren Zusammenhang heraus-
riss , dann durch Waschen oder Radiren die erste Schrift entfernte
und die mit neuen Eintragungen beschriebenen Blätter in anderen Zu-
sammenhang brachte, ohne dass die dadurch entstandenen Lücken irgend-
wie ersetzt worden wären. Das geschah aber nicht nur mit einzelnen
Blättern, sondern mit ganzen Lagen, und man kann sich nun vor-
stellen , welch ungemein grosse Zerstörung und Verwirrung hiedurch
geschaffen wurde. Man hat augenscheinlich durch einen längeren Zeit-
raum im Kloster S. Emmeram für die Aufzeichnungen von Traditionen
fast nie mehr neues Pergament verwendet, sondern Blätter älterer Hefte
durch Tilgung der ursprünglichen Schrift hiefür präparirt. So sind
auch manche Blätter palaeogTaphisch ganz interessant, denn die Tilgung,
die theils durch Waschen, theils' durch Radiren, vielleicht auch hie
') 3, 97; übrigens hat er aus demselben das werthvolle Verzeichnis der Bi-
schöfe von Regensburg und Aebte von ö. Emmeram, das sich im Codex tbl. 5
und 7 befindet, zuerst abgedruckt 4, 42—50.
14 Bretholz.
und da durch Behandlung mit Säuren (wenigstens möchte die dunkel-
braune Färbung mancher Seite diesen Gedanken nahe legen) erreicht
wurde, ist sehr ungleich ; in der Mehr/ahl der Fälle ist sie so vollkommen,
dass man kaum eine Spur der ursprünglichen Schrift entdecken kann,
oft genug sind aber mehrere Worte der alten Urkunde leicht zu lesen,
Uebrigens bleibt als untrügliches Kennzeichen für rescribirtes Perga-
ment die Rauhheit desselben oder auch eine ungleiche Färbung, deut-
licher gesagt, ein schmutziges Aussehen des Blattes i). Unter den ver-
schiedenartigen Beschädigungen, die das Buch erlitten hat, ist diese,
da dadurch viele ältere Urkunden vei-loren gegangen sind, für uns am
bedauerlichsten. Die Menge der verlorenen Blätter lässt sich zum Theile
Avenigstens durch Yergleichung der moderneu Foliirung (es sind deren
zwei: eine aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts in der Mitte des
oberen Blattrandes und die andere in der Ecke daselbst, vielleicht erst
von llath Wittmann angebracht) mit einer viel älteren, die sich aller-
dings nur fragmentarisch auf manchen Blättern am unteren Bande in
der rechten Ecke erhalten hat, coustatiren; die meisten Ziffern der-
selben sind aber durch eine weitere Art der Beschädigung dieses Codex,
durch das Beschneiden der Blattränder, verloren gegangen; man ersieht
jedoch aus den Ueberresten , dass diese Foliirung zweifellos einer an-
deren und älteren Anordnung der Lagen und Blätter ihre Entstehung
verdankt. Wir bemerken schliesslich auch noch Ziffern in der Mitte
des unteren Randes mancher Blätter, die eine Zählung der Lagen an-
deuten. Die höchste Ziffer ist 26 uud in Wirklichkeit constatireu wir
heute eben so viele Lagen im Codex, aber dieselben sind so ungleich
au Umfang und so künstlich uud äusserlich zusammengestellt, dass
man in dieser Zählung gar kein System ünden kann.
Unsere Handschrift beginnt eigentlich erst mit der dritten Lage
f<»l. 15 — 22, denn die zweite fol. IJ — 14 ist das Fragment des ältesten
Traditionscodt'X und die erste fol. 1 — 8 gehört in ihrer jetzigen Form
nicht der ursprünglichen Anlage au, sondern ist zur Zeit des Einbin-
dens, etwa zu Beginn des 16. Jahrhunderts, mit Benützung von Per-
gamentblättem anderer Lagen entstanden. Das äusserste Doppelblatt
') Kur in einem Ti-aditionsbuch einer anderen Gruppe ist mir eine ebenso
behandelte Lage vorgekommen; der Salzburger Codex des Erzbischofs Friedrich
(Cod. Nr. 339 des H. H. u. St.-Arch. in "Wien) zeigt gleichfalls von fol. 5—10
durchaus radirtes Pergament, und die Urkunden Nr. 11 — 20- stehen also auf
Hasur, was hiemit zur Beschreibung des Codex bei Hauthaler »Die Salzburger
Traditionacodices des 10. und 11. Jahrhunderts' in Mittheil. d. Instit. 3, 71—73
nachgetragen wird; dass darunter auch nur Traditionen standen, scheint aus ein-
zelnen noch erkenubai'en Worten duixhaus wahrscheinlich.
Studien zu den Tvaditionsbüchern von S. Erameram in Regensburg. 15
l'ol. 1/8, das aus der siebenten Lage entnommen ist, bildet den Um-
schlag für den Ternio fol. 2 — 7 , der, durchaus von einer Hand des
beginnenden 16. Jahrhunderts geschrieben, folgende Theile entljält:
fol. 2 — 4 ein theihveises Verzeichnis über die im Codex enthaltenen
Urkunden, fol. 5 den Katalog der Aebte von S. Emmeram, fol. 6 Ur-
kundenabschriften Nr. 6 — 14 und fol. 7 den Katalog der Bischöfe von
Kegensburg. Diese Blätter zeigen durchaus aufgerauhtes Pergament,
an mehreren Stellen lässt sich auch deutlich noch die frühere Schrift
erkennen. Schon K.oth, der wenigstens diese erste Lage untersucht
hat, sagt: ,es standen Schenkungen aus dem 12. Jahrhundert da**
(4, 4G). Doch das ist nicht ganz richtig und bedarf einer präciseren
Bestimmung. Die Blätter stammen nicht aus einer und derselben Lage,
sondern es gehörten fol. 4 und wahrscheinlich auch 5 ursprünglich der
fünften an, also dem ältesten Theile des Codex, der noch Urkunden
aus dem Ende des 10. Jahrhunderts enthält, was, wie es sich aus inneren
Gründen ergibt, so auch durch die Uebereinstimmung in Schrift imd
Linienschema äusserlich erwiesen wird. Auf dem Doppelblatte 3/6
lässt sich auf der Kückseite von fol. 6 eine Urkunde fast noch vollkom-
men entziffern, die der Zeit des Abtes Engilfrid 1132 — 1143 angehört.
So bieten uns gleich die ersten Blätter ein Bild der regellosen Ver-
bindung der Lagen und Blätter, die den Codex im gauzen charakterisirt.
Die Frage, die uns nun zu beschäftigen hat, ist die nach der Ent-
stehungszeit. Zu diesem Behufe müssen wir den Beginn des Codex
näher betrachten. Die vierte, fünfte und sechste Lage euthalten durch-
aus nur Urkunden aus der Zeit des ersten selbständigen Abtes von
S. Emmeram, Eamwold, der vom Jahre 975—1001 dem Kloster vor-
stand. Wir nehmen hiebei eine Arbeitstheilung der Art wahr, dass im
wesentlichen drei Schreiber selbständig und jeder in seiner Weise mit
einer gewissen Sorgfalt ein Heftchen anlegte und zu Ende führte ; erst
der letzte von ihnen liess sich gegen Schluss seines Heftes von anderen
Schreibern unterstützen. Dabei sind alle drei Lagen sehr verschieden in
ihrem Aussehen. Der erste Quaternio fol. 15—22 mit den Nr. 32 — 49 (Pez
Nr. 1 1 — 28) bildet in Schrift (nur das letzte Stück ist von einer zweiten
Hand), Liniament und Ausstattung ein einheitliches Ganzes, es stellt
sich als eine Keiuschrift dar, wofür denn auch die schön geformten,
grossen, die Breite von 4 Zeilen umfassenden und mit rother Farbe
ausgefüllten Initialbuchstaben bei jeder einzelnen Urkunde sprechen.
Die folgende Lage ist ein Ternio fol. 23—28 mit den Nr. 50—79
(Pez Nr. 29 — 36 und Wittmann 1—17, einige sind ungedruckt). Von
der vorhergehenden unterscheidet sie sich in mehreren Punkten; die
Sclirift — durchaus eine und dieselbe Hand — zeigt diesmal einen
16 B retholz.
schwerftilligen Charakter, ist aber mit der des vorigen Theiles gleich-
zeitig; sodann fehlt die Einheitlichkeit im Liniament; jedes Doppelblatt
hat andere Zeilenzahl. Dagegen bleibt, wie die Schrift, so auch die
Ausstattung durch die ganze Lage gleich. Die üeberschriften dieser
dreissig Stücke, der Anfang derselben, die Ankündigungsformel für die
Zeugen, gelegentlich auch noch andere Stellen sind mit Minium ge-
schrieben und mit grüner Farbe breit belegi; also eine verhältnis-
mässig seltene und auffallende Ausstattung, die auch auf diese Lage
beschränkt geblieben ist. Dass in der nächsten, fünften Lage mit den
Codexnummern 80 — 102 ^) vor allem die Schrift häufiger wechselt,
wurde schon gesagt; dass iu diesen Quaternio zwei Blätter, fol. 32
und 33, nicht hineingeboren und schliesslich auch nicht zu einander
passen, also aus verschiedenen Lagen zufälhg hier eingebunden wurden,
macht uns nur aufmerksam, dass hier wieder eine Lücke ist, die wir
durch Einfügung der schon erwähnten fol. 4 und 5 richtig auszufüllen
glauben ; nicht immer ist die Reconstruction so schnell hergestellt. In
seiner Ausstattung zeigt der Ternio nichts auffallendes ; es ist die ein-
fachste von den drei Lagen.
Trotz der Verschiedenheit der Hände zeigen sich bei diesen kalli-
graphischen Zügen durchaus die Merkmale der Schrift des späten
10. Jahrhunderts, so in den Formen der Mittelschäfte, die im allge-
meinen noch immer spitzig und nach liuks abgebogen auslaufen, ferner
darin, dass die Oberlängen noch merkhche Verdickung und ebenso
wie die Unterlängen nur gauz unbedeutende Spuren von Ansatzstrichen
zeigen; das noch spärliche Vorkommen von „e" mit der Schlinge und
das nur vereinzelte Erscheinen von rundem „s" am Ende der Worte
macht gleichfalls eine spätere Zeitgrenze unwahrscheinlich. Eine der-
artige Reinschrift setzt natürlich eine gewisse Fähigkeit und regen Sinn
für Anlage von Schriftwerken voraus; nun ist aber S. Emmeram zur
Genüge als eine Stätte bekannt, wo die Sckreibekunst seit den Zeiten
Karlrf des Grossen geübt wurde, wo Copiren und Abfassen von Büchern
zu den hauptsächlichsten Beschäftigungen der Mönche gehörte. Gerade
aus der Zeit des Abtes Ramwold und seines Gönners und Freundes,
des Bischofs Wolfgaug, sind uus mehrere Belege für die schriftstelle-
rische und wissenschaftliche Bethätigung im Kloster erhalten-). Neben
diesem allerdings wichtigsten Moment der Zeitbestimmung aus der
Schrift kommt noch eine Reihe innerer Gründe in Betracht, die eben-
') Die davon bei Pez oder Witt manu gedruckten Stücke sind aus chrono-
logi.schen Gründen an verschiedenen Orten eingereiht. «) Vgl. hierüber .lanner
1, 373 ff.
Stnclien zn den Traditionshücliem von 8. Emmeram in Kegensburg. "[7
falls für diese Entstehungszeit sprechen. Fragen wir zunächst nach
der möglichen Yeraulassung für die Anlage eines solchen Werkes. Es
ist bekannt, dass S. Emmeram ursprünglich ein Kathedralkloster war,
und vollständig unter der Leitung des jeweiligen Bischofs von Eegens-
burg stand, der zugleich Abt von S. Emmeram war. Diesem Zu-
stande, der mancherlei Mishelligkeiten zur Folge hatte und durch den
das Mönchwesen besonders litt, machte der Bischof Wolfgang (972 —
994) ein Ende. Er berief seinen Freund Kamwold aus S. Maximin in
Trier, machte ihn zuerst zum Probst, bald aber 975 zum selbständigen
Abte des Klosters S. Emmeram. Gleichzeitig mit der Nominirung eines
eigenen Abtes und der Loslösung des Klosters vom Bisthum wurde
nothwendigerweise auch eine Abrennung der Güter vorgenommen ^). War
nun auch anfangs das Verhältnis zwischen Bisthum und Kloster oder
sagen wir richtiger zwischen Bischof Wolfgang und Abt Ramwold ein
durchaus friedliches, ja freundschaftliches, so lag es doch im Interesse
der Mönche, gegenüber den Kanonikern, die von Haus aus mit dieser
That ihres Bischofs nicht zufrieden waren, fortan ihren Besitz und die
ihnen zu Theil werdenden Schenkungen an Land und Leuten in Evi-
denz zu halten. Aus der Persönlichkeit des Bischofs sowohl als des
Abtes, aus den historischen Ereignissen, mit einem Worte aus der Lage
der Verhältnisse lässt es sich begreifen, dass gerade schon unter Ram-
wold der Gedanke gefasst wurde, ein Traditionsbuch, das ausschliess-
lich für den Besitz des Klosters bestimmt war, anzulegen und fortzu-
führen 2). Kommen wir nun auch noch auf einen ganz äusserlichen
Umstand, der aber doch sehr in die Wagschale fällt; ich habe schon
von der Ausstattung gesprochen und kann noch hinzufügen, dass kein
Theil des ganzen Codex je wieder mit soviel äusserem Schmuck aus-
gefühi't würde, wie gerade die ersten drei Hefte, die die Urkunden
des ersten Abtes Ramwold enthalten. Während der Regierungszeit des
Abtes ist die Ausführung einer solchen Arbeit viel wahrscheinlicher,
als in späterer Zeit, so und so viele Jahre nach seiuem Tode, wo
man mit den Nachtragungen lediglich einen praktischen Zweck ver-
folgte.
') Wir sind über diese Verhältnisse quellenmässig nicht genügend unter-
richtet vgl. Janner 1, 358 fF. -) Es scheint, dass wir nicht oft in der Lage
sind die unmittelbare Veranlassung für die Entstehung dieser Bücher nachzu-
weisen; beim Mondseer Traditionscodex hat Hauthaler (»Der Mondseer Codex tra-
ditionum'^ in den Mittheil. d. Instit. 7, 225) den Grund für die Entstehung der
Sammlung unter Abt Hitto (878 — 894) darin gefunden, dass ihm durch Ueber-
weisung der Aljtei im Jahre 883 als Abt eine bestimmtere und festere Stellung
zuerkannt wurde.
MittheiluDgen XII. 2
18
B r e t h 0 1 z.
Was Kedlich schon über die Anlage dieses Theiles gesagt hat,
dass nämlich die von c. 970—1050 erhaltenen Traditionen alle erst
nachträglich in den Codex abgeschrieben sind (p. 27), in dem Sinne
nämlich der Gegenüberstellung von nachträglicher Zusammenstellung
und unmittelbarer Eintragung, dafür ergibt sich ein untrügliches, wenn
auch absonderliches Kennzeichen. Es wurde schon bemerkt, dass die
achtzehn Urkunden des ersten Heftes mit prächtigen Initialen beginnen ;
hiebei hat sich der Schreiber, wenn ich so sagen darf, einen Scherz
erlaubt : Ab initio enim . . . beginnt die erste Urkunde Nr. 32 (Pez
Nr. 11 ff.), Bona ex autiquis . . . die zweite, Cognoscat igitur ... die
dritte, und so geht es in alphabetischer Ordnung ohne jeden Sprung
fort, selbst die littera K erscheint mit fraglicher Berechtig-ung in dem
Incipit : Karta pandente . . . , bis die achtzehnte Urkunde mit dem An-
fange : Sapienti usi . . . die Lage abschliesst. Die anfangs naheliegende
Erwartung, irgendwo im Codex die Fortsetzung zu finden, bestätigte
sich nicht und das Blatt 34, wo allerdings eine Urkunde Nr. 96 mit
ähnlich ausgeführter Initiale ,¥" erscheint, gehört gewiss nicht zu
dieser Anlage. Schliesslich braucht man deshalb nicht an einen Ver-
lust mehrerer Blätter zu denken, die schöne Arbeit gedieh eben nicht
weiter.
Ich glaube nicht, dass jemand in dieser Eigenthümlichkeit ii-gend
welchen besonderen Sinn und Zweck, etwa eine Controlle wird erblicken
wollen; es ist nichts mehr und nichts weniger als ein geistloses Spiel
des Schreibers, das uns aber recht zu Statten kommt. Denn es ist
wohl ganz ausgeschlossen, dass man sich im Kloster bei der Ausstel-
lung der Einzelurkunden von einem derartigen Gedanken leiten Hess;
der Scherz ist doch überhaupt nur bei einer Zusammenstellung in einem
Buche bemerkbar. Damit ist aber von vornherein die Annahme einer
nachträglichen Eintragung sicher; was sich über das Verhältnis der
Vorlagen und Abschriften zu einander daraas ergibt, darüber später.
Also einerseits Anfertigung des Codex zu Lebzeiten des Bischofs, anderer-
seits nicht unraittell)are Eintragung, sondern planmässige Zusammen-
stellung von Zeit zu Zeit.
Verfolgen wir den weiteren Verlauf der Eintragungen, so nehmen
wir wahr, dass dieselben zunächst in chronologisch genauer Folge fort-
geführt sind. An die Aktaufzeichuungen aus der Zeit Kamwolds reihen
sich die seiner Nachfolger. Von Abt Wolfram, der 1001 die Leitung
des Klosters übernahm, aber schon 1006 abgesetzt vnirde, sind nur zwei
kurze Eintragungen, Nr. 103 und 104, vorhanden^). Die sicherlich
') M. G. öö. 1,04. Die Annaleu von 8. Emmeram zum Jahre 1006 : »Wolf-
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg. \ 9
unruhige Kegierung, hervorgerufen durch den Gegensatz zwischen den
Bestrebungen der Mönche die erlangte Selhstäudiglceit zu wahren, und
dem Wunsch der Kanoniker und des Bischofs — es war damals Geb-
hard I. (995 — 1023) — den ehemaligen Einfluss auf das Kloster wiec'er
zu erlangen, war der Vermehrung des Klostergutes nicht förderlich.
Sehr reichhaltig ist dagegen das Material unter Abt Eicholf oder Ki-
chold (beide Schreibweisen finden sich im Codex), der von 1006 — 1028
das Kloster leitete. Eine genaue Grenze aber zwischen den Eintra-
gungen der Akte zweier aufeinander folgender Aebte anzugeben, ist
man bei diesem Codex nur sehr selten in der Lage. Es wird mit den
Stücken des neuen Abtes keine neue Lage begonnen, kein Abschnitt,
nicht einmal der üebergang durch eine üeberschrift kenntlich ge-
macht. Wo wir plannitässige nachträgliche Sammlung der Akte vor-
aussetzen können, stützt man sich am besten auf den Wechsel der
Hände. Leider constatirt man gerade bei diesem Codex, wie auch
Redlich ^) schon hervorgehoben hat , bei den Traditionen der ersten
Hälfte des 11. Jahrhunderts fortwährenden Wechsel von Hand, Tinte
und Zug, wo gleichwohl wegen anderer Umstände spätere Nachtragung
stattgefunden haben muss. Somit bleibt uur übrig, aus dem Inhalt
der Urkunde auf die Zugehörigkeit zu schliessen; bei den kurzen in-
haltsarmen Kotizen ist eine genaue Bestimmung überhaupt nicht mög-
lich, und man muss sich bescheiden anzugeben, in welchem Stücke der
eine Abt zum letzten Male und in welchem sein Nachfolger zum ersten
Male genannt wird. Eicholfs Traditionen beginnen also in der sechsten
Lage und reichen noch in die achte hinein, wahrscheinlich bis Nr. 188
auf fol. 56. Die einzelnen Hefte und Blätter zeigen aber nicht mehr
die Einheitlichkeit in der Anlage, wie der frühere Theil unter Ram-
wold. Vor allem fehlt eine auffälligere gleichmässige Ausstattung,
höchstens haben die meisten Stücke kleine rothe Anfangsbuchstaben.
Eine grössere Zahl von Schreibern theilt sich in die Arbeit, mit einan-
der abwechselnd und sehr ungleich stark beschäftig-t ; wir beobachten,
dass von mancher Hand viele, von einer andern nur wenige Akte ge-
schrieben sind; auch im Liniament zeigt sich keine Kegelmässigkeit.
Die verschiedenen Hände schreiben aber durchaus eine feste schöne
Minuskel. Sprächen allerdings solche Momente sehr für unmittelbare
rammus iniuste deponitur et Richotfus substituitur*. — Hier, wo Wittmann Cod.
n. 104 Ed. n. 82 als einen Nachtrag aus der Zeit des Abtes Rupert (1070—1095)
bezeichnet, und in anderen Fällen, wo ich mit der Einreihung der einzelnen un-
datirten Stücke bei Pez oder Wittmann mich nicht einverstanden erkläre, bin ich
gleichwohl nicht in der Lage, meine Gründe in diesem Aufsatz zu detailliren.
») 29 Anra. 3.
2'
20 B r e t h 0 l z.
Eintragung, so ersieht man schon aus dem Zusätze „bonae memoriae"
bei den Abtnamen in einzelnen Urkunden, dass wir es wohl nur mit
späteren Zusammenstellungen zu thun haben.
Eigentlich sind die ersten zehn Lagen bis fol. 75 verhältnismässig
gut erhalten, aus den einzelnen Quaternionen fehlen allerdings Blätter,
doch die Schichtung der Lagen ist die ursprüngliche und manche Lücke
lässt sich leicht ausfüllen. Aber hier beginnt das eigentliche Chaos
und umfasst die folgenden sieben Lagen. Sie vollkommen zu recon-
struii-en wird wohl kaum je möghch werden. Es kann nun nicht
blosser Zufall sein, dass gerade in der Zeit, in der die an und für sich
schlecht überlieferte Abtreihe ^) dieses Klosters gleichsam ganz im Sande
verläuft, auch der Traditionscodex die grösste ünordnimg aufweist. Es
ist die Zeit der Eegierung der Aebte Pabo, Eeginhard und Engilfrid
von 1095 — 1143, in welcher Pabo dreimal nach langwierigen Pro-
cessen gegen seine Gegenäbte zur Regierung gelangt. Dieser Theil
des Codex ist in seiner äusseren Erscheinung das wahrhaftige Spiegel-
bild der Zeitperiode, der er seine Entstehung verdankt: alles in Ver-
wirruno-, eine Menge von Urkunden auf radirtem oder gewaschenem
Pergament, daher ältere Stücke getilgt, für ungiltig erklärt, oifenbar
auch ganze Blätter eliminirt. Hier wechseln auch protokollarische
Notizen mit nachträghchen Abschriften und der Grundsatz, in chrono-
logischer Folge einzutragen, wird und muss unter solchen Umständen
ganz ausser Acht gelassen worden sein.
Mit dem Tode Pabo's und dem Regierungsantritt seines Nachfol-
gers, des Abtes Berthold L (1143—1149), herrscht in S. Emmeram
wieder vollkommene Ruhe und Ordnung. Die Hefte, die die Urkun-
den dieses Abtes enthalten, ül)erraschen uns durch Einheitlichkeit und
Sauberkeit; die Schrift ist durchaus gleichmässig und sorgfältig; die
Anfangsbuchstaben sind wiederum grosse mit Minium ausgefüllte Ini-
tialen. Nach fast fünfzigjähriger Unterbrechung durch die inneren
Wirren fand man jetzt auch wieder in der Schreibstube Müsse zum
Arbeiten. Von nun an haben wir ausschliessUch nur nachträgliche
Sammlungen. Der Schlusstheil des Codex von fol. 139 angefangen,
ist auch wieder weniger lückenhaft, nur hat hier eine leicht zu ver-
bessernde Verschiebung der Lagen unter einander stattgefunden. Die
richtige Folge wäre nämlich die, dass sich au fol. 154 — 104 fol. 139
— 153 als Schluss anreihten. Die Lagen befanden sich auch wirklich
') Den letzten Versuch, dieselbe wieder herzustellen, danken wir P. Bened.
Braunmüller: .Die Reihe der Aebte von Ö. Emmeram in Regensburg* in Studien
u. Mittheil. a. d. Bened.-Orden 4, 118.
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg:. 21
einmal in dieser Ordnung, wie sich aus der unteren Foliirung zeigt.
Der Grund dieser Verschiebung ist unwesentlich, die sechs Lagen
fol. 154 — 194 haben kleineres Format, während fol. 139 — 153 dieselbe
Grösse hat, wie der ganze vorhergehen de Theil des Codex.
In diesen letzten Lagen haben wir, von einzelnen Nachträgen aus
früherer Zeit und falsch eingefügten Blättern abgesehen, zunächst die
Sammluug der Urkunden der Aebte Adalbert I. (1149 — 1177) und Be-
rengar II. (1177 — 1201), die sehr umfangreich ist und daher auf ziem-
licher Vollständigkeit beruhen wird, in den Blättern 160 — 194. Dieser
Theil ist auch in palaeographischer Hinsicht sehr interessant ; es wech-
seln nämlich mehrmals cursive und feste Bücherschrift, jede von ganz
ausgesprochenem Charakter und doch von demselben Schreiber ge-
schrieben. Denn der Uebergang von der einen Schriftart in die an-
dere ist ganz allmählich und mitten in einer Urkunde vorgenommen,
so bei Nr. 788 (Wittmann n. 186) auf fol. 165; da sieht man, wie
die kleinen Buchstaben sich dehnen, die runden Formen gerader, da-
gegen die spitz auslaufenden Schäfte gleichmässig und unten stumpf
werden und durch Ansatzlinien eine Abgrenzung erhalten. Einige
Worte hindurch dauert dieses Schwanken, dieser Uebergang und in
der folgenden Zeile haben wir die ganz andere Schriftform in ihrer
Vollkommenheit ausgebildet; einige Zeilen lang hält dieser Charakter
an und wandelt sich dann in der umgekehrten Weise wieder in die
Cursive um.
Weniffer Einheitlichkeit zeigt dann der Schlusstheil fol. 139 — 153
wie in Schrift, so auch im Inhalt. Waren nämlich ursprünglich diese
Lagen für den Schluss der Urkundenabschriften des genannten Abtes
Berengar IL und solche seines Nachfolgers Eberhard IL (1201 — 1217)
bestimmt, so hat man hierin keine genaue h^cheidung gemacht und
auch noch Stücke Bertholds IL (1219 — 1235) eingeschoben, dessen
Traditionsheft wir sofort in dem nächsten Codex kennen lernen werden.
Es fehlt uns mithin nur noch der zwischen Eberhard und Berthold
von 1217 bis 1219 regierende Abt Udalrich IL Auch dessen Urkun-
den begann man abzuschreiben ; auf der Kückseite des letzten Blattes
fol. 153 hat man den Anfang in sehr kenntlicher Weise gemacht,
denn die Urkunde Nr. 756 (Wittmann Nr. 280) daselbst ist mit einer
auffallend schönen Initiale „I" begonnen; die beiden folgenden Num-
mern 757 und 758 (ungedruckt) gehören auch noch ihm an und dann
haben wir noch die ersten Worte eines weiteren Stückes, das aber der
Schreiber nicht mehr vollendet hat. Schliesslich best man auf diesem
Schlussblatte quer über die Seite geschrieben die Notiz: „Et ego Ul-
ricus Scolaris Schirliugarii (Lücke) diligenter manda[vi]", doch könnte
22 B r e t h 0 1 z.
ich nicht feststellen, wer dieser Ulricus war. Das ganze Aussehen
dieser Seite zeigt, dass sie längere Zeit ohne Schutz die letzte gewesen
ist, und wir werden daher in dieser Lage den wirklichen Abschluss
dieses Codex zu erkennen haben.
5. Der Codex traditionum saec. XIII et XIV.
Unter diesem Titel befindet sich in der Hof- und Staatsbibliothek
zu München (Cod. 14992 alt Z. 19) das letzte Glied der Gruppe. In-
soweit mir die Litteratur bekannt ist, warZirngibl, als er im Jahre 1800
seine , Abhandlung über den Exemptionsprozess des Gotteshauses S. Em-
meram mit dem Hochstift Eegensburg 994 — 1325 ■' verfasste^), der
letzte, der diesen Codex beachtete; seither scheint dieses reichhaltige
Buch, das für die Geschichte des Klosters, für dessen wirthschaftliche
Verhältnisse viel wichtiges ürkundenmaterial enthält, unbeachtet ge-
blieben zu sein. Es ist ein in Pergamentblätter eingeschlagener Folio-
band mit 87 Blättern, in dem Pergament- und Papierlagen bereits
wechseln. Vorgeheftet sind dem eigentlichen Codex zwei selbständig
entstandene Lagen ; die eine , ein Quaternio , dem aber zwei Blätter
fehlen, erinnert in der Grösse seiner Pergamentblätter durchaus an den
Codex 5 V2 1 dessen Fortsetzung er auch inhaltlich bildet. Die zweite
Lage, die aus fünf kleinen Octavblättchen besteht, ist das Fragment
einer eigenen Sammlung von Urkunden, die durch die Aufschi'ift: Qua-
ternus rescripti privilegiorum infirmarie sub Haertwico infirmario, näher
bestimmt wird.
Die folgenden neun Lagen von fol. 12—64 bilden den eigent-
lichen Codex, doch kommen als Schluss noch zwei Quaternionen hinzu,
die wieder verschiedenes Format haben. Immer und immer wieder
zeigen sich auch in diesem Buche grössere und kleinere Lücken und
aus einer älteren li'oliirung der Blätter lässt sich schon ersehen, dass
derselbe einst statt 87 folia deren 130 enthalten hat.
Die im Codex sich vorfindenden Urkunden umfassen die Eegie-
rungszeit der Aebte von Berthold II. (1219 — 1235) bis auf Adalbert IL
(1324 — 1358). Von letzterem finden sich allerdings nur Stücke aus
den ersten Jahren bis 1329, aber dieser Abschluss ist bezeichnend,
denn er flillt zusammen mit der Beendigung des mehr als drei Jahr-
hunderte dauernden Processes des Klosters gegen die Ansprüche des
bischöflichen Stuhles, der durch das päpstliche Breve Johanns XXII.
vom 12. Januar 1327 entschieden wurde^). Mit ihrem Beginne schliesst
sich dagegen die Sammlung unmittelbar an die des vorigen Codex an.
') Erschieuea in deu .Verhandlungen der bair. Akad. der Wissenschaften*
1, 1803. ■') Janner 3, 170.
Studien zu den Traditionsbücliern von S. Emroeram in Regensburg. 23
Nun zeigt sich aber sehr bald, dass dieses als Codex traditionum
bezeichnete Werk eigentlich einen falschen Namen trägt. Die Haupt-
masse der in diesem Buche verzeichneten Urkunden sind eigentlich
förmliche Abschriften, wobei man sich gelegentlich mit Kegesten auch
begnügte, somit haben wir es der Anlage nach mit einem Copialbuche
zu thun, in das aber nicht die bunte Menge der Urkunden eingetragen
wird, sondern nur eine bestimmte Art. Von einzelnen Ausnahmen
abgesehen, betreffen sie nämlich Vergabungen von Klostergut gegen jähr-
liche Zinsleistung an verschiedene Personen, und somit würde nach
unserer Terminologie die Bezeichnung eines „ liber ceusualis " für diese
Sammlung eher passen i). Der Aussteller dieser Urkunden ist der je-
weilige Abt des Klosters, so dass wir hier die Copien der im Kloster
ausgestellten und ausgegebenen Urkunden vor uns haben, also ein
Copialbuch des Auslaufs.
Die Benennung Codex traditionum, die sich auf dem Umschlag
selber vorfindet, ist aber trotzdem nicht ganz willkürlich; im ersten
Quaternio finden sich in der That noch mehrere Stücke, die reine
Traditionen sind , so Nr. 1 eine donatio , Nr. 2 eine traditio von
Censualenfamilien. Die ganze grosse Veränderung in den Kechts-
anschauungen und Eechtsformen , die im Verlaufe der letzten zwei
Jahrhunderte eingetreten , lässt sich- darin erkennen , wenn man be-
obachtet, dass im 11. und 12. Jahrhundert für die Uebergabe von Per-
sonen zur Zinsleistung kurze Notizen im Traditionsbuch als das ein-
zige Zeugnis genügten, während im 13- über dieselbe Handlung förm-
liche Urkunden mit Siegel und Zeugen ausgefertigt werden.
Neben den Traditionen treten aber sehr bald Aufzeichnungen an-
derer Art heiTor; so treffen wir ein Verzeichnis von Lehen und Ein-
künften des Klosters, bei einer Urkunde haben wir den Fall, dass die
Tradition eines Gutes an das Kloster und die Vergabung desselben von
Seiten des Klosters vereinigt sind ; hierin eben liegt die Verwandtschaft
des Traditionsbuches mit dieser Sammlung; ohne dass es ausdrücklich
gesagt wird, mag es sich oft so verhalten, dass die Güter, die den
Personen als Zinsgut überlassen werden, zugleich von ihnen an das
Kloster tradii-ter Besitz sind. Je weiter wir im Codex aber vorrücken,
desto ausschliesslicher erscheinen diese reinen Vergabungsurkuuden.
So bildet zeitlich und inhaltlich dieser Codex die Fortsetzung und den
') Daher dürfte auch dieser Codex in dem Katalog des Fnrstabtes Kraus, der
als »Bibliotheca principalis et mon. ord. s. Bened. ad s. Emmer.* 1748 zusammen-
gestellt ist, gemeint sein, wenn daselbst II. pag. 2 Nr. 534 citirt wird : Liber
censualis mon. s. Emmer. Ratisb. continens redditus et proventus ac jura om-
nium ac singulorum praediorum et possessionum monasterii antea dicti.*
24 B r e t li o 1 z.
Abschluss der Traditionsbücher von S. Emmeram. Es ist, als sollte der An-
fang dieses Codex uns noch den Kampf, der zwischen Traditionsbuch und
Copialbuch entstand und zum Nachtheil des ersteren ausging, vorführen.
II. rel)er doppelte Fassungen und Aiisfertiffiniffen ans dem
S. Emnieramer Traditionscodex.
In diesen Büchern ist nun ein massenhaftes Material au urkund-
lichen Aufzeichnungen überliefert; es dürfte in einer Gesammtedition
die Zahl von 1400 Xunimern fast erreicht werden. Allerdings ist das-
selbe sehr ungleich vertheilt, und auf die älteste Zeit ungefähr von
der Mitte des achten bis zur Mitte des neunten Jahrhunderts entfällt
nur ein kleiner Bruchtheil. Ln wesentlichen ist es jenes Dutzend Ur-
kunden aus dem ältesten Traditionsbuch — darunter zwei Drittheile
noch dem 8. Jahrhundert augehörig — wozu dann noch Stücke aus
der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts kommen, die sich theils imKe-
gensburger Copialbuch i) oder als von uns schon hervorgehobene Nachträge
im Codex des Anamot vorfinden. Bietet sodann der Codex des Auamot
• für drei Jahrzehnte der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts eine ür-
kundenmasse von fast ein und einem halben hundert Stück, so haben
wir im 1 0. Jahrhundert mit Ausnahme der wenigen Urkunden aus der
ersten Kegierungszeit Bischof Tutos nichts. Erst mit dem letzten Viertel
desselben erhalten wir im S. Emmeramer Traditionsbuch eine durch
lange Zeit gleichmässig reichlich fliessende Quelle.
Für die diplomatische Forschung ist dieses Material noch wenig
benützt worden. Redlich hat ihm selbstverständlich die Berücksichti-
gung angedeihen lassen, die in seiner das ganze bairische Urkunden-
gebiet umfassenden Arbeit einem Theile gewährt werden konnte uud
hat dadurch zu Specialuntersuchungen angeregt. Eine eingehende
Untersuchung des Urkundenmaterials des Klosters S. Emmeram müsste
nun freilich am geeignetsten im Anschluss an eine Gesammtedition ge-
schehen ; da könnteu denn auch bekannte Grundsätze au neuem Mate-
riale geprüft werden, da könnte mau in Folge der Aehnhchkeit und
Verwandtschaft des Stoffes zu schon bekannten Folgerungen und
Schlüssen gelangen und diese hiemit bekräftigen. In diesen kurzen
Beiträgen aber wollen wir nur einige Beobachtungen wiedergeben, die,
wie uns scheint, allgemein interessant und verwerthbar sind. Ich gehe
von jenem Theile des Codex traditionum saec. X — XIV aus, dem wir
wegen seiner mehrfachen Eigenthünilichkeiten schon früher besondere
Aufmerksamkeit schenken mussten, also von der Gruppe der Ramwold-
') Cod. S. Emmer. ö'/s im Münchner R. Arch. fol. 1—70,
»Studien zu den Traditionsbücheni von 8, Emmeram in Regensburg. 25
Urkunden. Es fiel uns in den drei Heftcheu einmal die .prächtige im
f^anzen Codex nie mehr wiederkehrende Ausstattung auf, sodann im
ersten noch, um es hier kurz zu sagen, die alphabetisch geordneten
Anfänge. Daraus muss man aber nothwendig schliessen, dass diese Ab-
schriften unmöghch genau mit den Origiualaufzeichnuugen überein-
gestimmt haben; mindestens diese Eingänge müssen Zuthaten des
Codexschreibers sein. Die Frage nach der Grenze dieser Verschieden-
heit zwischen Vorlage und Abschrift, nach dem Verhältnis zwischen
beiden liegt somit nahe genug. Es ist ganz zufällig, dass wir hier
den Nachweis führen können, dass vollkommene Umarbeitung stattge-
funden hat. Bei Vergleichung der Urkunden der Kamwoldhefte unter
einander zeigt sich nämlich, dass fünf Stücke des ersten Heftes im
zweiten wieder vorkommen, sie decken sich inhaltlich, aber sind im
Wortlaut verschieden, es sind dies:
Cod. Nr. 40 und 65 Traditio Gozperti (Beil. I)
„ „ 41 „ 54 „ Perehtoldi „ II)
„ 42 „ 53 „ Gotascalchi „ III)
„ „ 43 „ 50 V Adalhardi „ IV)
„ 44 „ 51 „ eiusdem „ V).
Es sind bis zu gewissem Grade Duplicate, aber vergebens würde
man versuchen, die verschiedenen Erklärungen, die für mehrfache
Ausfertigungen oder Doppelurkunden bis nun gegeben wurden, auf
diese Fälle anzuwenden. Ficker hat uns an einer Keihe von Beispielen
die verschiedenartigen Veranlassungen für Ausstellung neuer Urkun-
den vorgeführt 1) ; später hat noch v. Buchwald ausgeführt 2) dass ge-
legentlich zu unlauteren Zwecken ungleiche Doppelurkunden — denn
von den mehrfachen gleichlautenden Verbriefungen können wir hier
ganz absehen — ausgefertigt wurden. Aber wir bemerken, dass in
allen diesen Fällen die Verschiedenheit der beiden Fassungen auf
ein Plus oder Minus in dem neuen Stücke besclu'änkt ist; von dieser
bestimmten Zuthat oder Auslassung abgesehen, bleibt der Haupttheil
des Stückes im übrigen identisch. Dagegen zeigen die fünf Urkunden-
paare aus S. Emmeram durchaus abweichenden Text bei gleichem In-
halt ; es sind im wesentlichen die nämlichen Gedanken in verschiedene
Worte und Sätze gekleidet. Dies liesse etwa noch die Vermuthung
auflvommen, dass eben in der formellen Gestaltung der beiden Fassun-
gen der Grund der doppelten Ausfertigung liege ; Brunner '^) hat ja
1) Zusammenfassend Urkundenlehre I. 157— 159. ") Bischofs- und Fürsten-
urkunden 430. 3) 2ur Rechtsgeschichte der romanischen und germanischen
Urkunde 213.
op; Br et bolz.
aus dem fränkischen Urkundengebiet Beispiele gebracht, dass über ein
und dasselbe Rechtsgeschäft Charta und ^S'otitia ausgestellt wurden.
Da wir aber nur Notitiae in dieser Zeit haben, so könnten die bei-
den Fassungen etwa zw ä verschiedenen Stadien der Handlung ent-
sprechen. Abgesehen davon, dass Fertigung von Doppelakten von
diesem Gesichtspunkt aus im Stadium der Xotitia fast widersinnig
wäre, lässt sich auch bei noch so genauer Prüfung aus dem Wortlaut
keinerlei Beziehunsr auf eine bestimmte Phase des Geschäftsverlaufes
erkennen, auch nicht bei Xr. 41 und 54, wo allerdings Janner zwischen
Delegation sbrief und Uebergabsbrief geschieden hat^).
Schon das muss bei den Doppelurkunden des Emmeramer Codex
auffallen, dass sie nicht zerstreut vorkommen, dass nicht zufällig hier
der eine, dort ein anderer Fall sich findet, sondern dass wir gleich
einer geschlossenen Gruppe begegnen.
Ich sehe nun dieselben an als gleichwerthige doppelte Akte, die
durch zweimalige selbständige Bearbeitung einer und derselben Vorlage
von zwei verschiedeneu Schreibern entstanden sind. Es sind eigentlich
-nicht Doppelurkunden, sondern doppelte Ueberarbeitungen. Versuchen
wir daher durch Vergleichung der einander entsprechenden Stücke
uns die gemeinsame Vorlage in ihrer ursprünglichen Form zu recon-
struiren, so nehmen wir bald wahr, dass diese von den uns über-
kommenen Fassungen wesentlich verschieden gewesen sein muss. Denn
die Texte zeigen keinen gemeinsamen Kern an Worten, keinen gleichen
Bau und entsprechende Disposition und diese Ungleichheit erstreckt sich
auf die ganze Urkunde ausgenommen die Zeugenreihe; in dieser, und
auch dies ist ein Beweis, dass die Fassungen sich auf ein und dasselbe
Stadium beziehen, sind aber nicht allein die Namen vollkommen gleich,
sondern sie folgen auch in der nämlichen Ordnung auf einander; be-
zeichnenderweise ist aber nur in einem Falle die Formel für die Zeugen-
einführung in den parallelen Stücken identisch. Nicht so klar und
einfach steht es mit den in einigen dieser Traditionen vorkommenden
Maneipieunamen ; eigentlich hätte man auch hierin vollkommene Ueber-
') I, 343. Man braucht aber blos den Hauptsatz aller formelhaften Wen-
dungen entkleidet aus jedem der beiden Stücke herauszuziehen, um die Gleich-
werthigkeit beider Fassungen klar zu sehen:
Nr. 41. ... Perahtolt . . . tiadidit in j Nr. 54. Perehtold . . . tradidit ad s.E.
inanum Arponi.s . . . proprietatis ... ut | in manum Ariponis . . . predium . . . ut
idem Arpo ... in ius et vestituram s. E. i ii.em Aripo traderet et vestiret ad aram
presentare . . . non differret. Tunc . . . \ ». patronis, quod ita factum est cum
Arpo cum manu prenotate domne ... 1 manu predicte matrone et filii eius Hein-
et filii illius Heinrici tradidit. ] rici.
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg.
27
einstimmung erwarten dürfen; diese constatiren wir aber nur in einem
Falle, bei Kr. 40 und 65. In Nr. 41 und 54 werden beiderseits die
vier „servi cum uxoribus ac liberis" nicht namentlich angeführt. Bei
dem vierten Paar Nr. 43 und 50 sind die zehn Mancipieu zwar in
der ersten, nicht aber in der zweiten Fassung genannt, wo es nur all-
gemein heisst: mancipia decem probabilia. Das scheint mir nun im
Zusammenhang zu stehen mit dem eigenthümlichen Verhältnis, das in
den correspondirenden Stücken Nr. 44 und 51 bei den Mancipien-
nanien obwaltet. Sowohl 43/50 als 44/51 betreffen Schenkungen des-
selben Adalhard. Die gleiche Zeugenreihe in ^ir. 44 und 51 macht
uns zunächst sicher, dass auch diesmal nur eine und dieselbe Hand-
lung gemeint sein kann. Die Texte selber zeigen zwar keinerlei Wider -
Spruch, aber sie sind doch in ihrer Ausführlichkeit mehr als sonst von
einander verschieden ; das ist unwesentlich, wie sich noch zeigen wird ;
auffallend und einer Erklärung bedürftig ist hingegen, dass die Na-
men der Mancipien sich nicht decken. Diese Namen in Nr. 51 sind
überdies in den leergebliebenen Eaum von anderer Hand oder in
anderem Ductus erst später nachgetragen. Eben weil dieselben nicht
gleichzeitig mit dem Text geschrieben sind, kann man in der Verän-
derung der Mancipien auch nicht den etwaigen Grund der Neuausfer-
tigung sehen ; aber folgender Vorgang dürfte das Verhältnis erklären i).
Wir haben für die beiden Traditionen zwei Vorlagen anzunehmen, in
denen ganz entsprechend der erstmaligen Verfügung des Traditors auch
jene Mancipiennamen enthalten waren, die uns in Nr. 43 und 44 über-
liefert sind; auf Grund dieser Vorlagen wurden die beiden Akte
Nr. 43 und 44 im ersten Heft vom Schreiber A ausgearbeitet. Nach-
her erfolgte durch Adalhard eine Veränderung in den zugehörigen Un-
freien und zwar derart, dass acht der zu Eegiupoldinchova (Nr. 43)
gehörenden Mancipien dem Gute Skiri (Nr. 44) zugewiesen wurden. In den
Vorlagen selbst war es keineswegs corrigirt, als ein zweiter Schreiber
1) Der leichteren
Uebersi
cht 1
b alber
stell
e ich die Namen
der Maucipioi
zusammen :
Nr. 43: Adalpreht
Nr.
50
. ß
Nr.
44:
Uuillipato
Nr.
51
: Adalpreht
Alpiz
•rH
Alpheri
Linpili
Eiigilfrit
■1
Alauuich
Diotprcht
Uspirn
a
Folchsuind
Pernhart
Uuaupui'c
M
Lantolt
Perehtolt
Perahtolt
Alpheri
Alpi^
Tiorprelit
'o
i
n
Dietrih
Engilfrid
Liutker
Engiluuar
Kuodlouhe
Pernhart
Adalpreht
Trutmuot
Trutmuot
Euotpiriü
Uuaupurc
28 B r e t h 0 1 z.
B sich daran maclite , dieselben neuerdings zu bearbeiten : ibm war
aber die Thatsache des Umtausches bekannt, als er das Stück Nr. 50
schrieb — wie meines Erachtens diese Leute weit mehr gewusst haben,
als wir ihnen zuzumuthen wagen. B. war es also bekannt, dass die
Namen der Vorlagen nicht mehr die richtigen waren; das erste
Mal half er sich damit, dass er statt der Namen die allgemeine An-
gabe ,,mancipia x probabilia" machte; bei Nr. 51 aber, wo er der Vor-
lage gegenüber in derselben Lage war, liess er zunächst Eaum frei,
um sie nach eingezogener Erkundigung nachzutragen.
Kommen wir nun wieder auf die Hauptfrage, das Verhältnis der
Texte unserer Akte zu der Vorlage zurück. Wir haben bisher gesehen,
dass Zeugennamen immer, Mancipiennamen nicht mehr so consequent,
aber im Falle der Aufzählung genau und ausführlich abgeschrieben wurden.
In den Titeln, Attributen und Epitheta der Personen, in den Bezeich-
nungen der Ortschaften besteht nun eine Ungleichheit, die beweist,
dass die Schreiber sich nicht nach Vorlagen richteten, sondern nach
eigenem Wissen diese Zuthaten machten. Adalhard wird in Nr. 43
als „ liber et predives urbis Eegie negotiator ", in der zweiten Fassung
Nr. 50 lediglich als ,quidam ingenuus vir" vorgeführt und in der
Ueberschrift daselbst als „centurio" bezeichnet. Berthold der Traditor in
Nr. 41/54 heisst hier „ marchio comes " , dort „ de Orientah Francia
comes " ; es lohnt kaum, alle Varianten aufzuzählen, nur mit Rücksicht
auf Ortsnamen sei beispielsweise hervorgehoben, dass der Zusatz zu
Ezzinga ,prope fluvium Alchmona" nur in der einen Fassung Nr. 40
steht, oder dass nur in Nr. 43 Reginpoldinchova als „ in pago Tuonah-
gouue in comitatu Paponis " gelegen bezeichnet wird. Diese Verschie-
denheiten sind begreiflich und übrigens nicht sehr bedeutend. Auffal-
lender ist, dass meistens die an der Handlung mitbetheiligten Vögte
nicht nur nicht gleichmässig aufgezählt werden, sondern in der einen
Fassung genannt, in der andern übergangen werden i). Die Erklärung
') Nr. 41 : in manum videlicet abb.
Ramuuoldi et advocati sui Hauuarti
^i^. 42 : in manum . . . Eamuoldi abb.
et adv. sui faramunti in presentia totius
congi-egatioiiis monachorum.
Nr. 43 : in manum ven. episcopi Uuolf-
kangi et Kamnnoldi abbatis eorumque
advocatoruni liuerinharti et Faramunti.
Nr. 44: in manum seil. Ramuoldi
abb. et advocatoruni suorum Ymmonis
et Hauuarti presentibus etiam fratribus.
Nr. 54: accipiente Ramuuoldo abb.
Nr. 53 : presente abbate Hamuoldo
cum omni congregatione.
Nr. 50 : . . . tradidit in manus eius-
dem episcopi et abbatis et Uuerinharti
advocati ...
. . . e contra . . . accepit retradente
episcopo et abbate advocati manu . . .
Nr. 51: —
Studien zu den Traditionsbücliern von S. Emmeram in Regensburo'. 29
durch ungenaue Wiedergabe ist in diesen Fällen, wo es sich um ein
Wort, respective einen Namen handelt, ganz unwahrscheinlich und es
zwingt uns diese Wahrnehmung zur Behauptung, dass die Vorlagen
diese Formel nicht enthalten haben und dass das, was in den Ur-
kunden steht, nur aus der Erinnerung der Schreiber geschöpft sein kann.
Erwähnt wurde bereits, dass die Formel der Zeugeneinführung eben-
falls verschieden lautet, mithin in der Vorlage gefehlt hat. Grehen
wir nun über auf die Hauptformeln, aus denen sich der Context zu-
sammensetzt. Die Urkunden beginnen mit einer Publicationsformel
und zwar pflegt der Schreiber der zweiten Keihe mit „Notum sit" oder
„noverint" anzufangen, während der erste, dessen Urkunden mit ver-
schiedenen Buchstaben beginnen müssen, absonderliche Anfänge sti-
lisirt; aber auch hier constatirt man leicht, dass nur mit verschie-
denen Worten dasselbe gesagt sein soll; so hebe ich hervor, dass bei
Nr. 40 als Zeitpunkt der geschehenen Tradition des Gozpert beige-
fügt wird, priusquam monachus fieret, was in Nr. 65 lautet: tempore
monachice conversationis ; oder wir linden in einer Fassung Bemer-
kungen hinzugefügt, die auf zufällige Kenntnis der Umstände und
Verhältnisse schliessen lassen, so in Nr. 41: „eo quod magna detine-
retur infirmitate, qua füngitur", dem in Nr. 54 nichts entspricht.
Gewöhnlich wird nun vermittelst des Verbums „tradidit" derUebergang
zur Dispositio gemacht, woran der Name des Heiligen, dem die Schen-
kung vermacht wird, sich anschliesst, aber auch dieser Ausdruck „ad
s. Emmeramum" erscheint in allen möglichen Spielarten. Die Privat-
urkunde hat eben keinen so festen Bau und keine so bestimmte Dis-
position und Anordnung ihrer Theile, wie die Königsurkunde und so
zeig-t sich z. B. in der Anwendung der Pertinenzformel, die sich an den
Namen des geschenkten Gutes anschliesst, auch wieder die möglichste
Unregelmässigkeit. Die Formel findet sich überhaupt nur in wenigen
Stücken, was als Beweis dienen könnte, dass sie den Vorlagen im
allgemeinen abging oder höchstens in ganz kurzer Fassung darin er-
wähnt war, etwa so, wie sie sich in Nr. 41 und 54 fast gleichlautend
findet: cum mancipiis et omnibus rebus ad hoc iuste respicientibus
(Nr. 41) cum mancipiis omnibusque rebus (Nr. 54). Den Fall, dass
sich nur in einem der Parallelstücke eine Pertinenzformel findet, nicht
aber in dem andern, zeigt Nr. 44 gegenüber Nr. 51. Andererseits
ist wohl beachtenswerth, dass sich bei Nr. 40 und 65 in den beider-
seitigen Pertinenzformeln fast ganz die nämlichen Ausdrücke finden,
aber in verschiedener Verbindung und darunter Bezeichnungen, die
nicht gewöhnlich sind, wie sagina oder niarca silve, woraus allerdings
in Nr. 65 marca, silvis entstanden ist. Hier scheint doch wieder die
30 B r e t h 0 1 7..
Vorlage das eine und andere Wort enthalten zu haben. In derselben
Urkunde findet sich sodann die Bestimmung, dass die fünf Mancipien
erst nach Gozperts, des Traditors, Tode einen Zins zu zahlen haben
und zwar 5 Denare entweder in Münze oder in Wachs; man könnte
sicher sein, dass eine derartige Bedingung auch schon in der Vorlage
enthalten war, und doch stimmt der Wortlaut in beiden Fassungen
nicht vollkommen. An eventuellen anderen noch auftretenden Formeln,
wie etwa die Poenformel, liesse sich nur dasselbe wahrnehmen. Fassen
wir nunmehr die einzeluen Beobachtungen zusammen, so ist das Er-
gebnis, dass wir als Vorlage ganz kurze auf das wesentliche beschränkte
Notizen anzunehmen haben, nach denen unsere doppelten Urkunden
völlig fi'ei ausgearbeitet sind. Wir haben aber auch eine solche Ori-
ginalnotitia in getreuer Abschrift erhalten; Nr. 56 und 80 nämlich
(Beil. VI) decken sich vollkommen im Wortlaut, können daher nach
unserer Erklärung nur doppelte Copien der Vorlagen ohne weitere
Ueberarbeitung vorstellen. Wie ist nun die Fassung dieses Stückes?
Es beginnt mit einer geläufigen Publication: „Cognitum sit dei fide-
libus", woran sich mit quod eingeleitet die Widmung reiht; der Tra-
ditor hat allerdings Attribute, er ist religiosus nobilisque, dagegen
finden sich beim Namen des Gutes keinerlei Ortsbestimmungen : La-
gadeoödorf cum omnibus inibi maneutibus ; weder Pertinenz- noch
Poenformel, sondern nur noch die Zeugennamen, die eingeleitet sind
lediglich mit dem Schlagwort: festes. Das ist also ein Beispiel, wie
wir uns diese Vorlagen vorzustellen haben, wobei natürlich auch in
der beschränkteren oder ausführlicheren Fassung eine Verschieden-
heit bestanden haben kann. Derartige Vorlagen haben wir walrr-
scheinlich für alle in den drei Kamwoldheften überlieferten Urkunden
anzunehmen ; es sind eben die Notitiae testium ebenso hier in Eegens-
burg im allgemeinen Gebrauch, wie an anderen Orten und bei anderen
Gruppen. Und wenn Redlich ganz richtig beobachtet hat, dass gerade
unter Abt Eamwold neben den „gewöhnlichen Formen des Aktes ein-
zelne Stücke erscheinen, die man wohl als Urkunden (notitiae) be-
zeichnen kann" . . . ,.niit Arengeu , die an alte vor hundert Jahren
viel gebrauchte Formeln anklingen" . . . , so glaube ich gezeigt zu
haben, dass nicht nur die Arengeu, sondern die ganzen Fassungen bloss
für das Traditionsheft bestimmt waren, den Originalaufzeichuungen
aber nicht zu theil wurden; aber es war keineswegs Regel, den Akt
umzuarbeiten, wenn man ihn ins Traditionsbuch eintrug, sondern
mehr eine Art Stilübung und Stilprube; es bleibt ja gauz interessant,
dass man in S. Emmeram eine so gute Kenntnis der alten Urkunden-
formeln noch besass. Uebrigeus als blossen Schulzweck wollen wir
Studien zu den Traditionsbücliern von S. Emmevam in Regensburg. 31
die Sache auch nicht hinstellen ; die Umbildung geschah aus gutem
Grunde. Denn gleichwie man zur Verschönerung des Codex Initialen
zeichnete, Buchstaben, Worte, ja ganze Zeilen mit rothen und grünen
Farben belegte, Eigenthümlichkeiten, die doch der Vorlage gewiss nicht
zukamen , ebenso konnte ein Mönch in alterthümlichen , sinnigen
Arengen, in Formelkram und Wortschwall ein würdiges Verzierungs-
mittel sehen. Mehr bedeutet es aber nicht.
Eine andere eigenthümliclie Erscheinung an diesen Stücken Ijietet
uns vielleicht die Möglichkeit, über die Entstehungsart dieser Heftchen
eine Ansicht zu gewinnen und gleichzeitig einen ungefähren Einblick
in das Archiv wesen des Klosters. Es muss nämlich aufiällen, dass die
einander entsprechenden Urkunden in beiden Heften sich in umge-
kehrter Keihenfolge an einander schliessen, man könnte sagen, in dem
einen Heft in aufsteigender, im anderen in abfallender Reihe, also die
Stücke Nr. 40, 41, 42, 43, 44 entsprechen
„ 65, 54, 53, bO, 51. Das mag vielleicht Zufall sein, aber
es liesse sich andererseits nicht unschwer eine Erklärung dafür geben.
Waren die Vorlagen als einzelne Pergamentblättchen in irgend einem
Behältnis übereinander liegend gesammelt, so mussten sie in Folge der
Benutzung durch den ersten Schreiber in der der ursprünglichen Auf-
einanderfolge entgegengesetzten weggelegt werden, wie das jedermann
aus eigener Uebung kennt; das oberste Stück Nr. 40, das der Be-
arbeiter A zuerst von dem UrkundenstoaS in die Hand nahm, kam nun
zu Unterst zu liegen, darüber Blatt Nr. 41 und so fort, und der
Schreiber B hatte die Vorlagen natürlich in der umgekehrten Ordnung;
eine kleine Unregelmässigkeit ist hiebei vorgekommen, Nr. 50 und 51
haben ihren Platz gewechselt; ich erinnere aber daran, dass dies die
zwei Stücke sind, in denen der zweite Bearbeiter die neuen Mancipien-
namen einzusetzen hatte; die Urkunde, in der er die Namen auslässt
resp. durch das ,,mancipia decemprobabilia" ersetzt, fasste er früher ab,
als die, wo er wirklich die veränderten Namen nachgetragen hat.
Mit dieser verkehrten Folge hängt noch zweierlei zusammen. Wir
bemerken, dass in dem einen Heftchen die Gruppe geschlossen er-
scheint, Nr. 40 — 44, in dem anderen aber zwischen 50 und 51 eine
Urkunde und zwischen 54 und 65 mehrere Urkunden erscheinen, die
der erste Bearbeiter nicht aufgenommen hat; und wir müssen uns
weiter auch fragen, warum die übrigen dreizehn Urkunden des ersten
Heftes, das ja Nr. 32—49 umfasst, nicht auch im zweiten Heft vor-
kommen und umgekehrt viele des zweiten im ersten fehlen ; mit einem
Worte, warum die Coincidenz nicht vollkommen ist. Dass zunächst
vom ersten Bearbeiter nicht alle Vorlagen berücksichtigt wurden, lässt
Oj2 B r e t h 0 1 z.
sich schon daraus ersehen, dass er Nr. 40 mit den Worten anfängt:
Isdem vero nobilis Gozpertus", während wir weder einer Urkunde
dieses Mannes noch seinem Namen vorher begegnen. Der Grund aber,
dass im zweiten Heft neue Traditionen hinzugekommen sind, scheint
ziemlich einftich ; neu ist z. B. Nr. ,52, das ist aber eine Traditio einer
ancilla Teotpurc; neu sind Nr. 54 — 64 und 66—79 (damit schliesst
das zweite Heft) und auch diese sind, Nr. 55 und 56 ausgenommen,
durchaus Traditionen von Personen und nicht von Gütern, Wir sehen,
dass die beiden Schreiber einen verschiedenen Plan gehabt haben: der
erste wählte sich lediglich die Schenkungen von Grundstücken und
legte solche, welche Personenübergabe betrafen, bei Seite; die durch
ihn bearbeiteten Vorlagen scheint er, da ihre Erhaltung nunmehr un-
nütz war, überhaupt aus der Sammlung ausgeschieden zu haben; nur
einige wenige hat er vielleicht zufällig aus Versehen, vielleicht aus
Absicht in die Gruppe der noch aufzubewahrenden Vorlagen gelegt;
so wurden sie mit den übrigen erhalten. Nach Verlauf einer ge-
wissen Zeit, aber sicher noch unter der Kegierung Kamwolds, wurden
wiederum die vorhandenen Akte, deren Zahl sich doch auch wieder
vermehrt hatte, in ein neues Heftchen zusammengeschrieben. Diesmal
machte der Schreiber keine Unterscheidung in dem ihm vorliegenden
Material, sondern überarbeitete oder copirte, wie wir mit Kücksicht
auf Nr. 46 = Nr. 80 sagen müssen, sämmtliche Vorlagen i). Aber auch
diese Zusammenstellung umfasste nur das Material bis zu einem ge-
wissen Zeitpunkt und so kam es noch ein drittes Mal unter Eamwold
zu einer Uebertragung der Einzelakte in ein gemeinsames drittes Heft,
das uns aber nicht mehr in seinem m-sprünglichen Bestand erhalten
ist, sondern zu dem nur die Codex Nr. 80—86, 96 — 100 und 102 ge-
hören. Wiederum hat man sich auf Schenkungen von liegendem Be-
sitz beschränkt, Traditionen von Personen kommen nicht vor. Ihrer
ganzen Fassung nach müssen auch diese als Bearbeitungen der ur-
sprünglichen Vorlagen im Gegensatz zu wörtlichen Abschriften ange-
sehen werden.
Darunter findet sich nun auch eine Urkunde, die vielleicht die
') Die Annahme, dass wie Nr. 56 auch die übrigen Stücke des zweiten
Heftes getreue Abschriften der Vorlagen seien , ist unwahrscheinlich , denn die
zweiten Fassungen jener Doppelstücke sind keineswegs immer kürzer und ein-
facher als die ersten, z. B. Nr. 65 ; auch spricht dagegen, dass Angaben, deren
Andeutung wenigstens in der Vorlage vorauszusetzen ist, hie und da in der
zweiten Fassung ganz fehlen, schliesslich raüsste man dann eine Fassung und
iStilisirung der Uriginalakte annehmen, die bald weitläufig, bald möglichst präg-
nant, also ganz imgleichmässig war, was ganz unwahrscheinlich ist.
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmerani in Regensburg. 33
wichtigste der in diesem Traditionsbuch enthaltenen noch unedirten
Urkunden ist, ebensowohl historisch beachtenswerth, wie nicht minder
für den Diplomatiker von Interesse, und die dennoch von Pez und
Wittmann übergangen wurde; es ist die , Traditio Heinrici ducis et
Judithe matris eins' (Beil. VII). Pez wäre zu entschuldigen, denn
er mochte sich erinnert haben , aus dem S. Emmeramer Copialbuche,
das den ersten Theil jenes Codex öVa des k. b. Reichsarchivs bildet,
der aucli das Werk Anamots enthält, eine sachlich fast gleich werthige
Urkunde als „Traditio venerandae ac sanctimoniaKs faeminae Juditae"
abgedruckt zu haben. Uns erscheint es aber gerade wichtig, von
einer Urkunde zwei verwandte Fassungen zu besitzen^).
Das Verhältnis zwischen den beiden Fassungen und der Grund
der doppelten Ausfertigung ist in diesem Fall ganz anders, als in
den vorhergegangenen. In der ersten Urkunde gibt Judith das Gut
Eiterhofen dem Kloster unter Vorbehalt eines lebenslänglichen Nutz-
genusses für ihren Bruder Ludwig und sich. Nach dem Text der
zweiten Urkunde des Traditionsbuehes ist Ludwig bereits als verstorben
anzunehmen. Judith wiederholt darin die Schenkung, überlässt aber
das Gut sofort an S. Emmeram, verzichtet also jetzt auf den ihr bei
der früheren Abmachung bedungenen Nutzgenuss; daher die neuer-
liche Beurkundung. Nicht in dem thatsächlichen Verhältnisse, sondern
in der formalen Verschiedenheit der beiden Urkunden liegt aber sodann
eine Eigenthümlichkeit dieser Doppelurkunde. Die erste Fassung ist
nämlich objectiv, die zweite dagegen subjectiv, eine in dieser Periode
an und für sich seltene Erscheinung, erklärlich allenfalls dadurch, dass
') Aus der Fassung des Traditionsbuches ergibt sich zugleich unzweifelhaft,
dass Ludwig Judiths Bruder und nicht ihr Sohn gewesen i&t. Wir müssen selbst-
verständlich die Urkunde als besseren Zeugen anerkennen, als den einheimischen
und fast gleichzeitigen Schriftsteller Arnold , der von diesem Akte spricht und
die Worte gebraucht: Judita . . . pro se suisque filiis Hludowico atque Hein-
rico (MG. SS. 4. 571). Wenn also Braunmüller (Verh. des bist. Vereins f. Nieder-
baiern 17. 135 Anm. 1) und Janner (1. 361 Anm. 1) den Wortlaut der bisher
allein bekannten Urkunden mit Rücksicht auf die Stelle bei Arnold in dem Sinne
auszulegen suchten, dass Ludwig als Bruder Heinrichs genannt sei, so geschah
es nicht ganz ohne Grund. Unrichtig und missverstanden scheint mir aber, wenn
sie Arnold als Zeugen auch dafür anführen, dass die Schenkungsurkunde der
Herzogin Judith von B. Gebhard von Regensburg gefälscht sei. Der Satz, auf
welchen sie sich berufen, ,,hanc quoque sententiam preposuerunt judices atque
optimates, affirmantes traditionis conplacitationem hujusce a Gebehardo Imbri
politano antistite violatam esse", soll nicht bedeuten, dass Gebhard die „Ur-
kunde gefälscht" hat, sondern nur, dass er das Rechtsgeschäft, die
Bedingungen desselben verletzt habe; vgl. auch Hirsch, Jahrbb. unter
Heinrich IL 2, 21 G.
Mittheiluugen XII. 3
^^ ß r e t h 0 1 z.
ja Judith keine Privatperson ist und für Urkunden fürstlicher Per-
sönlichkeiten die Analogie der Form der König.surkunde gesucht wurde.
Aber für den Diplomatiker ist es wichtig wahrzunehmen, dass es hiefür
kein Gesetz gibt, dass rechtlich die Notitia der Carta vollkommen
gleich steht.
In textlicher Hinsicht scheint hier doch nur eine sehr geringe
Anlehnung zu bestehen ; die Pertinenzformel ausgenommen sind allen-
falls einzelne Worte identisch, aber eine durchgehende Benützung der
ersten Fassung ist nicht ersichtlich; nur die fast vollkommene Iden-
tität der Zeugennamen in beiden Stücken ist noch aujBFallend. Dass
man nämlich bei der Wiederholung der Schenkung dieselben Zeugen
zuzog, lässt sich wohl auch sonst finden, aber die Einhaltung derselben
Keihenfolge scheint mir doch für Benützung der Vor Urkunde zu spre-
chen, wobei es danu allerdings zweifelhaft wird, ob bei der zweiten
Handlung die Zeugen überhaupt anwesend waren. Gerade in dieser
Beziehung bietet uns ein dritter Fall aus unserem Traditionsbuch, der
auch seine besonderen Eigenthümlichkeiten hat, einigen Aufschluss.
Als Nr. 132 und 135 (Beil. VIII) begegnen uns im Codex zwei
Traditionen einer Matrone Pilifrida, d. h. wieder doppelte Fassung und
doch in anderer Art. Die beiden Urkunden sind inhaltlich nicht ganz
o-leich; durch die erste Entschliessung, der Nr. 132 seine Abftissung
verdankt, tradirte Pilifrida ihren Besitz zu Oriliheim und Pietunprunna
mit einer Anzahl dazu gehöriger Mancipien. Darnach ,,post haec"
übergab sie noch eine Mühle „in loco Alaraspah" und fügte schliess-
lich noch eine Schiffswerfte in „Smidimuliu" dazu. Dass dies alles
durch eine einzige Handlung und nicht getrennt zu verschiedenen
Zeiten tradirt wurde, dafür möchte die Einheitlichkeit der Zeugenreihe
sprechen ; ganz sicher ist es deshalb nicht, wie sich noch zeigen wird.
Die zweite Urkunde ist nun sachlich bedeutend erweitert; zwar der
Beginn, die Formel der Publication, die der Schenkung ist vollkommen
gleich und diese Uebereinstimmung dauert bis zur Anführung der zu
den beiden erstgenannten Orten gehörigen Unfi-eien ; es werden in der
zweiten Fassung mehr genannt und dieselben genauer mit den Familien-
mitgliedern namentlich augeführt i).
Der in der ersten Fassung noch vor der Aufzählung der Namen
eingeschaltete Satz über die Zmsleistung der Mancipien findet sich in
') Hiebei ist zu bemerken, dass manche Worte, besonders die Verwandt-
schaftsbezeichnung, den Namen in starken Kürzungen gleichzeitig übergeschrieben
sind, und ausserdem am Rande Nachtragungen sich finden; im Druck sind diese
in runden Klammern eingeschlossen.
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmerom in Ee^ensburg. 35
der zweiten Fassung an einer anderen Stelle, zugleich mit einer kleinen
aber bezeichnenden Variante im Ausdruck ^). Sodann wird aber an
der Disposition und dem Wortlaute der ersten Fassung festgehalten,
nur bei der Schenkung der Mühle drei, bei der der Schiffsladestätte
ein unfreier hinzugefügt. Nunmehr folgt aber ein bedeutendes Plus
in der zweiten Urkunde; erstlich kommt eine neue Tradition von
Gütern in loco . . . Suuant hinzu mit einer Anzahl von Hörigen,
zweitens ein allgemeiner Passus betreffs der Sicherung des Besitzes
gegen jede Usurpation und nun die Zeugenreihe. Diese enthält 24 Na-
men; hievon sind die ersten 13 neu. die übrigeu aber decken sich
bis auf einen , der wahrscheinlich überseheu wurde , mit den Namen
der Zeugenreihe der ersten Fassung ganz vollkommen. Soviel über
das thatsächliche Yerhältniss der beiden Texte; wir wollen nun ver-
suchen, deren Entstehung aus dem Verlaufe der Handlung zu veran-
schaulichen. Die Gleicliheit der Disposition, die gi'ossentheils wörtliche
üeberednstimmung beweist hier, dass wir im Codex Abschriften haben ;
dass diese erst geraume Zeit nach der Handlung entstanden sind, er-
gibt sich daraus, dass in beiden Stücken Pilifrida mit dem Zu-
satz „bonae memoriae" genannt erscheint. Somit sehen wir von
den Abschriften ab und prüfen die Entstehung ihrer Vorlagen, der
Einzelakte.
Aus der Vergleichung der beiden Zeugenreihen erhellt, dass die
von Nr. 135 eigentlich eine Compilation aus zwei Gruppen von Zeugen
ist, die bei zwei verschiedenen Handlungen zugegen waren, daher denn
auch die gauze Fassung von Nr. 135 zwei zeitlich auseinanderliegende
Handlungen zusammenfassen muss. Die erste Handlung war die, durch
welche die Matrone Pilifrid jene Güter schenkt, die uns in Nr. 132
aufgezählt sind, in der zweiten um eine unbestimmbare Zeit späteren
Handlung tradirte dieselbe Pilifrida das Gut im Orte Suuant. Aber
gelegentlich dieser zweiten Tradition nahm sie auch eine Veränderung,
Richtigstellung und theilweise Vermehrung der zur ersten Schenkung
gehörenden Mancipien vor. Das ereignete sich häufig und daraus er-
klären sich die Correcturen in den Urkunden =^); anstatt aber auch
') Die Mancipien sollen das debitum servitutis in derselben Weise leisten,
wie es gescbehen ist :
(1. Fassung) usque ad illam diem, qua haec eadem traditio facta est
(2. Fassung) „ „ „ „ „ tradita sunt (sc. mancipia).
Die Aenderung war nothwendig, weil der Zeitpunkt der Uebergabe des
Gutes und der in der zweiten Fassung genannten zugehörigen Mancipien, die
ja von denen der ersten verschieden sind, sich nicht deckten. ^) Redlich
S. 18 f. gibt ein interessantes Beispiel dieser Art aus Freising.
3*
56 B r e t h 0 1 z.
diesmal die erste Aufzeichnung zu verbessern, machte man lieher mit
möglichster Beibehaltung des Wortlautes der ersten Urkunde eine neue
verbesserte Abschrift derselben, fügte aber unmittelbar an den Context
(also vor dem Schlussprotocoll) den Akt über die zweite Handlung
gleich an, die allein in jenem Zeitpunkte vorgenommen worden war,
samt den hiebei fiingirenden Zeugen Tagini — Petto; erst jetzt schrieb
mau die Zeugen , die der ersten Handlung beigewohnt hatten, nach
der Vorlage dazu: Odalscalh — Etih^).
Würden wir nur die Aufzeichnung Nr. 135 kennen, so müssten
wir nach dieser Fassung annehmen, dass Pilifrida alle diese Güter in
einem Male tradirt habe und dass alle diese 24 Personen gleichzeitig
Zeugen dieser umfassenden Handlung waren. Nach der Auffassung
jenes Urkundenschreibers ist also blos von Wichtigkeit, den Gegen-
stand der Schenkung, die Bedingungen, die Zeugen genau zu ver-
zeichnen, die Form, in der dies geschieht, ist dagegen gleichgiltig und
selbst eine Cumulirung verschiedener Handlungen in einen Akt hat
nichts aufTälliges. Zeitbestimmungen fehlen ja bekanntlich meistens
in diesen kurzen Aufzeichnungen und dieser Fall scheint zu beweisen,
dass es gar nicht mehr darauf ankommt, den Zeitpunkt einer oder
das zeitliche Verhältniss mehrerer Handlungen zu einander zu be-
rücksichtigen.
Wir haben aus unseren Betrachtungen nicht allein ersehen können,
wie die Privaturkunde im 10. und 11. Jahrhundert gleichsam auf das
tiefste Niveau einer urkundlichen Aufzeichnung herabfällt, sondern
auch, dass sich damals bei den Zeitgenossen mit diesem Worte kein
fester Begriif verbindet. Das Pergamentblättchen, auf das die Notitia
zum ersten Mal geschrieben wurde, hat keineswegs einen grösse-
ren Werth, als ein anderes, auf dem nach beliebiger Zeit eventuell
mit anders lautenden Worten, genau derselbe Sachverhalt niederge-
schrieben wurde. Unter solchen Verhältnissen und Anschauungen
konnte die Selbständigkeit der Notitia nicht lange währen und so
bildet sich ein summarisches Verfahren aus, indem im Traditionsbuch
unmittelbar die Aufzeichnungen gemacht werden. Es ist aber ganz
merkwürdig, wie auf der anderen Seite neben dieser vollständigen Ver-
nachlässigung der Form die genaue Kenntnis derselben doch nie
schwindet. Abgesehen davon, dass in anderen Gruppen die Urkunde
nie bis zum protokollarischen Akt gesunken zu sein scheint, auch im
') Dass sie nur abgeschrieben sind und nicht etwa auch diesmal zugezogen
wurden und anwesend waren, ergibt sieb wohl daraus mit Sicherbeit, dass die
Zeugen wieder in derselben Reilienfolge wie in Nr, 132 aufoezäblt werden.
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensbnrg. 37
Kegeusburger Traditionsbuch stösst mau mitten iiuter Äktaufzeichnuugen
doch wieder auf Abschriften zweifellos ausgefertigter Exemplare. Eine
solche begegnet uns im Traditionsbuch als Nr. 238 fol. 62''; es ist
wie sie sich selber bezeichnet, eine ,,Complacitatio" des Abtes Burchard
von S. Emmeram mit den Leiiten von Keut, dem vierten Jahrzehnt
des 11. Jahrhunderts angehörend. Zunächst fällt sie durch die Schrift
auf; es ist nämlich die erste Zeile in verlängerter Schrift, der übrige
Text mit deutlicher Nachbildung von Urkundenschrift geschrieben ; da
diese Art graphischer Darstellung der Stücke in diesem Codex nur
ganz vereinzelt vorkommt, so darf vielleicht angenommen werdeu, dass
der Abschreiber in Nachbildung der Vorlage zu dieser Schriftform ge-
kommen ist; denn dass überhaupt ein wörtlich gleichlautendes Ori-
ginal vorhanden gewesen, dafür spricht der Umstand, dass dieselbe
Urkunde auch in dem schon genannten Copialbuch als Nr. 26 fol. 25
in gleicher Fassung sich findet^). Dieses Stück zeigt wieder eine reich-
haltigere Stilisirung und Anwendung der üblichen Formeln, beginnt
sogar mit einer Invocation. Daraus muss mau denn schliessen, dass
eine eigentliche Verdrängung der Notitia nicht stattgefunden hat,
dass selbst in der Zeit, da die Traditionsbücher bereits die Form des
reinen Aktes, der protokollarischen Buchung zeigen, gleichwohl Ur-
kundenfertigung im Gebiete der Privaturkunde bestand. Es ist ein
Nebeneinandergehen verschiedener Formen, wobei es fraglich bleibt,
ob innnere Gründe für die Wahl dieser oder jener Form bei den ein-
zelnen Eechtsgeschäften massgebend waren. Uebrigens nicht erst jetzt,
schon ein und ein halbes Jahrhundert früher können wir in den Ur-
kunden aus Kegensburg diese Thatsache constatiren. In der Urkunden-
sammlung Anamots aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts be-
gegnen wir Fassungen sehr verschiedener Art, wenn man will, Cartae
und Notitiae bunt untermischt. Es ist damals, wie anderwärts auch,
im Kloster S. Emmeram das Tauschgeschäft uoch immer wie in alter
Zeit die „fructuosa ac nimium utilis consuetudo inter homines" und
Tauschurkunden (commutationes) die häufigsten. Wie die Sache selbst,
so hat sich auch die Form aus früherer Zeit erhalten ; es war die Aus-
fertigung zweier gleichlautender Urkunden, von denen jeder Partei ein
Exemplar gebührte, üblich; das sind daher auch Cartae. In Freising
nun hat man ausnahmslos diese Form bis in das dritte Decennium
des 10. Jahrhunderts zu wahren verstanden, viel länger als im übrigen
Baiern-). Nicht so in S. Emmeram; da unterscheiden wir nach dieser
') Damach gedruckt von Pez, Thes. anecd. I 3, Cod. dipl. Ratisponense 77.
2) Redlich p. 14, 15,
38
B r p t h 0 1 z.
Richtung — obgleicli es durchaus Urkunden über Rechtsgeschäfte zur Zeit
des Bischofs Ambricho sind — schon vier Gruppen, und die mindest
zahlreichste ist die, bei welcher lediglich die Doppelausfertigung behufs
Sicherung angewendet wird; immerhin sehen wir, dass dieser Modus
noch in Uebung ist und so lautet auch die betreffende Formel ziem-
lich constant: „ut stabile perraaneat in futuro a posterisque melius
credatur, placuit duas cartulas pari teuore conscripfcas exhibere". Häufiger
tritt zu dieser Formel noch die firmatio durch die Zeugen ; einen Unter-
schied im Zwecke beider, wie er etwa in der einen und anderen Ur-
kunde angedeutet zu sein scheint, finden zu wollen, wäre wohl ver-
fehlt i). IDie reichhaltigste Gruppe ist aber die, in der Zeugen allein
vorkommen und viertens gibt es eine nicht unbedeutende Zahl von
Stücken, bei denen weder das eine noch das andere ei-wähnt wird.
Diese Wandlungen sind um so auffallender, als wir in denselben
Urkunden Anamots einmal in Nr. 96 den Satz finden, dass derartige
Rechtsgeschäfte „cum cartulis et testibus" geschlossen werden sollen^).
Schon in der Zeit zwischen 864 und 891 erscheint die Zeugenurkuude
gesetzhch normirt. Also um hundert Jahre früher als in Freising voll-
zieht sich, nach unseren Quellen zu schliessen, der gleiche Vorgang,
die Verdrängung der Carta durch die Notitia, in S. Emmeram.
1) So heisst es in Nr. 21 vom Jahre 879: Denique ut insolubilior esset
haec traditio, placuit ex utraque parte testibus norico more auribus tractis affir-
mare, quorum etiam uomina, ne quis error posteros invaderet congruum duximus
asscribi", und später nach der Namenreihe : „et ut nullum omnino ioret ab utris-
que partibus impedimentum, placuit duas assignari cartulas". -) ,,Quoniam
nimium fructuosa inter mortales iam olim consuetudo inoleverat commutandi
videlicet quasdam res pro utrarum utilitate partium, praecellentissima regum
sanxit dementia inter ecclesiasticarum rerum facultates licenter idem fieri et
usque ad quinque hobarum supplementum cum cartulis actes-
tibus ita constare.'* Diese Bestimmung erhalt übrigens aus einer anderen
Urkunde Nr. 13 in folgender Weise eine Vervollständigung: „haec autem numero
expleto si quaelibet commutatio desideretur perficienda haud aliter quam prae-
cepto anuloque praefatae magnitudinis firmetur".
Beilagen.
I. Traditio G-ozperti adhuc ca-
nonici^).
Isdem vero nobilis Gozpertus una
cum manu fratris et advocati sui
Vualdchuon nominati priusquara mo-
nachus fieret tradidit Christi martyri
Emmerammo et usui fratrum in loco
Traditio . . . M
Notum sit Omnibus ^) hec compe-
rientibus '^), quod qaidam nobilis cle-
ricus Gozpertus tempore mouachice^)
conversationis '^), quando se commen-
') Cod. trad. fol. 26 n. 05 (Pez n. 30) ;
der übrijje Theil der Ueberschriffc ist
') Cod. trad. fol. 18 u. 40. (Pez n. lü.) | weggeschnitten. «) Auf Rasur.
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emraeram in Regensburg.
39
Ezzinga prope fluvium Alchmona:
hobam • 1 • cum omnibus utilitatibus
ad eandem hobam rite attinentibus id
est curtilibus, piscationibus, marca
silv^, sagina, aquis aquarumve decur-
sibus, pascuis, exitibus et reditibus,
mancipiis quoque -V- ita nominatis:
Liohtuni cum uxore Vuirdiga eorum-
que filiis Heriprant, Perahtrat, Vuola-
purc; eo tarnen teiiore, ut quamdiu
prelatus Gozpertus vivat, sine censu
fratribus deserviant; postobitumautem
eius tarn ipsi quam sequens poste-
ritas eorum singuli quot annis per-
solvant ad altare s. Emmerammi^)
denarios -V", sive totidem denario-
rum c^re precium. Et isti sunt tes-
tes: Dietrih, Puolo, Gotapold, Pur-
chart, Diethart, Aamalpreht, Altraan,
item Altman.
IL Traditio Perehtoldi marchi
comitis 2).
Karta pandente breviter si placet
denuntiamus , qualiter Perahtolt de
Orientali Francia comes unacum con-
iuge sua Helicsuinda eo quod magna
detineretur infirmitate quafungitur^),
tradidit in manum Arponis vassali
sui quicquid proprietatis habere di-
noscebatur in loco Tsininga dicto cum
mancipiis et omnibus rebus ad hoc
iuste respicientibus, sed et servos ' IUI '
de Amartal cum uxoribus ac libei'is
eorumque substantiis, ut idem Arpo
h^c sine aliqua dilatione in ius et
vestituram s. Emmerammi presentare
ac firmiter roborare non diflförret.
Tunc memoratus Arpo pariter cum
manu prenotat^ domn^ su§ et filii
illius Heinrici tradidit eandem pro-
prietatem Ysininga ad s. dei athle-
dav[it] ^) mancipari, tradidit ad altare
s. Emmerammi fratrumque usui cum
m[a]nu ^) Vualdchuonis fratris sui et
adhuc advocati hobam unam ad Ez-
zinga sitam cum curtile, exitibus et
reditibus, piscatio[nibus] i), marca,
silvis, pascuis, sagina, aquis aqua-
rumve decursibus, omnibus rebus iure
et legitime ad h^c pertinentibus et
mancipia -V* nulli-) hoc contradicente,
id est Liehtuni cum uxore sua Vuir-
diga, tribusque filiis: Heriprant, Pe-
i'ahtrat, Vuolapurc nominatis hac com-
placitatione, ipso vivente sine censu
ut alii officiales fratribus serviendum,
post eius vero obitum tarn illos quam
posteritatis eorum progenies "V" de-
narios vel eorum in c^ra precium ad
aram huius sancti presignatam an-
nuatim persolvendos. Huius tradi-
tionis testes sunt: Dietrih, Puolo,
Gotepolt, Purchart, Dietrat, Amapreht,
Altman, item Altman.
Traditio Perehtoldi comiti^).
Notum sit dei fidelibus, qualiter
Perehtold marchio comes cum manu
Heilisuind^ coniugis sue tradidit ad
s. Emmerammum in manum Ariponis
vasallis sui accipiente Kamuoldo ab-
bate, fratribus serviendum tale pre-
dium, quicquid habuit ad Ysaninga
cum mancipiis omnibusque rebus, in-
super et quattuor servos de Amar-
tala cum uxoribus et liberis omni-
que eorum substancia potestative et
pei-petualiter monachis habendum, nee
quisquam vel eius heredum aut prin-
cipum sive presulum ius et licitum
habeat illis subripiendum ; ea vero
ratione, ut idem Aripo traderet et
vestiret ad aram sancti supradicti pa-
tronis ; quod ita factum est cum manu
predicte matron^ et filii eius Hein-
rici comitis: id quoque expetivit, ut
') Folgt kleine Rasur, darunter stand
früher -V-. ») Cod. trad. fol. ISi' n.41.
(Pezn. 20.) ») ^^ Rande von gleicher
Hand nachgetragen.
') Durch Beschneidung des Randes sind
die ergänzten Buchstaben verloren ge-
gangen. -) Hs. 3) Cod. trad. fol. 23*'
n. 54. (Pez n. 33.)
40
B r e t h 0 1 z.
tarn Emmerammum et ad servitmm
monachorum cleo inibi famulantium,
et ut inde pauperes ac peregrini victu
et vestitu consolarentur vel recrea-
rentur, in manum videlicet abbatis
Kamuuoldi et advocati sui Hauuarti
ea tarnen firmitate, ut nulli deinceps
licitum sit cob^redum suorum aut
pontificum seu reliquorum sibi invi-
dentium hanc eandem traditionem in-
fringere sive aliqua direptione vio-
lare. Et isti sunt testes: Noppo,
Uualdcliuon, Dietrih, Gozpreht. Ymmo,
Hauuart, Eupo, Amalprebt, Engildeo,
Isrel, Engilpold, ödalpreht, Erchan-
frid, Eatpot, Eparliart, Nithart.
III. Traditio Got as calchi i).
Legitimus igitur et christianissimus
Gotschalcb nomine tradidit s. Emrae-
vammo suisque servitoribus videlicet
monachis ibidem conversantibus talem
locum unius patell^, qualem de suis
coh^redibus sibimet in partem habere
dinoscebatur, infra salinamBauuarien-
sem, quam vulgo conprovinciales Hai
solentnuncupare pro remedio sui suae-
que coniugis et filiorum ceterorum-
que karissimorum suorum absque
ullius personaeretardatione in manum
sine dubio Eamuoldi abbatis et ad-
vocati sui Faramunti in presentia totius
congregationis monachorum. Isti sunt
testes: Papo, Maganus, Odalscalch,
Hiltarich, Eupo, Erchanpold, Eihpolt.
IV. Complatitatio Adalhardi et
uxoris eius ac Heistolfi filii
eorum^).
Monet divina pietas omnes scire
desiderantes presentes atque futuros,
qualiter quidam über et predives
urbis Eegi^ negotiator nomine Adal-
hart tradidit s. athlet^ dei Emme-
rammo suisque monachis ibidem fa-
>) Cod. trad. fol. 19 n. 42. (Pezn. 21.)
2) que über der Zeile von gleicher Hand
nachgetragen. ^) Cod. trad. fol. 19
n. 43. (Pez n. 22.)
de reditu eius loci pauperes et pe-
regrini victu et vestitu procurentur.
Isti sunt testes: Noppo, Vualdchuon,
Dietrih, Gozpreht, Ymmo, Hauuart,
Eupo , Amalpreht , Engildeo , Isrel,
Enginpold, Ödalpreht, Erchanfrid, Eat-
pot, Eparhart, Nidhart.
[Tra]ditio Ko[tasc]alhi [et f]ili
sui ').
Noverit fidelitas piorum. quomodo
quidam vir religiosus -) nomine Ko-
tascalt tradidit talem portionem 3),
sicut ille habuit unius sartaginis in
torritorio*), quod est nuncupatum Hai,
ad altare s. Emmerammi et servito-
ribus altaris illius presente abbate
Eamuoldo cum omni congregatlone
sine contradictione ullius cum pote-
stativa manu pro remedio anim^ su^
et ipsius mulieris et istorum, quo-
rum noiiiina hie sunt recitata : Eegi-
nolt, Ellanpurc, G-otascalc, Eeginhilt,
Ödalscalc, item Gotascalc. Et isti sunt
testes per aures tracti: Papo, Maga-
nus, f^dalscal, Hiltrih, Eupo, Erchan-
polt, Eihpolt.
Traditio Adalhardi cuiusdam
centurionis^).
Noverint sane dei fideles presentes
et futuri, qualiter quidam ingenuus
vir Adalhart pactionem fecit cum
TJuolfgango presule venerando et ab-
bate Eamuoldo aliis fratribus in mo-
«) Cod. trad. fol. 23»» n. 531 (Pezn. 32);
die Ueberschrift, die am Rande in drei
kurzen Zeilen steht, ist zum Theil weg-
geschnitten. *) li auf Rasur. ^) Die
drei letzten Worte auf Rasur. ■•) Hs.
'-) Cod. trad. fol. 23 n. 50. (Pez n. 29.)
Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensbuvg.
41
luulantibus tale predium quäle in
loco Eeginpoldinchoua in pago Tuo-
iiolicouue in comitatu Paponis vide-
batur habere cum Omnibus ad hoc
iu.3te pertinentibus nemine contra-
dicente cum mancipiis "X* quorum
nomina hoc in loco videntur inserta:
Adalpreht et uxor eins Alpiz (cum
filiabus tribus) ^), filius Engilfrit, Ös-
pirn, Uuanpurc, Perahtolt, Tiorpreht,
Liutker, Pernhavt. Trutmuot, ea vide-
licet stabilitate, ut eins uxoi- Liup-
uuar eorumque filius Heistolf po-
testative hoc habeant in usura fruc-
tuarium usque dum vivant; et post
amborum vitam in ius predicti sancti
et sicut ante notatum est monachis
in servitium. Econtra accepit iam
dictus Adalhai't de deputata prebenda
eorundem monachorum locum unum
Skiri habens vocabulum cum omni
consueta Servitute ipsi Adalhardo fine-
tenus tantummodo deserviendum ac
deinceps in pristinum redigendum.
Haec tali stabilitate roborata in ma-
num venerabilis episcopi TJuolfkangi
et Eamuuoldi abbatis eorumque ad-
vocatorum Uuerinliarti et Faramunti,
annuentibus etiam fratribus et con-
laudantibus testimonio confirmabant.
Et isti sunt testes: Papo urbis pre-
fectus, Ymmo, Lioparto, Aripo, Pazrih,
Ouuaman , Ilualtheri , Oto , Penzo,
üuoluold,
V. Traditio eiusdem Adal-
har di ^).
Noverint etiam omnes christianae
religionis amatores tarn presentes quam
et futuri, qualiter idem Adalhart pru-
denter venturam ac perennem pro-
spiciens remunerationem tradidit b.
dei martyri Emmerammo suisque fa-
mulis ibidem degentibus pro requi^
ipsius anime et filii sui Lantperti
caeterorumve karissimorum suorum
-J Die eingeklammerten Worte stehen
über der Zeile cf. n. 135 p. 44 n. 1. ^) Cod.
trad. fol. 19«> n. 44, (Fez n. 23.)
nasterio s. Emmerammi: id est pre-
dium quicquid habuit ad Reginpol-
dinchouun et mancipia "X* probabilia
tradidit in raanus eiusdem episcopi
et abbatis et Vuerinharti advocati, ea
scilicet ratione post obitum suum et
LiHpun uxoris auq et Heistolfi filii
sui vitam nemine contradicente per-
petualiter ad s. Emmerammum fra-
tribusque in commune. Econtra in
recompensationem accepit retradente
episcopo et abbate advocati manu quic-
quid fratres habuerunt ad Scirin omni
integritate rerum, hoc pacto ad finem
solius vit§ su^ et se defuncto mox
fratribus revertendum. Huius pac-
tionis testes sunt: Papo urbis pre-
fectus, Ymmo, Lioparto, Aripo, Pazrih,
Ouuiiaman, Uualtheri, Oto, Penzo,
Vuoluold.
Traditio eiusdem ^).
Notum sit dei fidelibus, quod idem
Adalhart supradictus pro remedio anim^
su^ et Lantperti filii sui ceterorumve
sibi coherentium tradidit ad s. Em-
merammum fratribu.s ad usum tres
hobas ad Scirin dicta et mancipia, id
est: Adalpreht, Liupili, Dietpreht,
Pernhart, Perehtolt, Alpiz, Engilfrid,
Ruodlouhe, Trutmuot, Vuanpurc^)
') Cod. trad. fol. 23 n. .51. (Pez n. .30.)
'-') Von id est an wahrscheinlich von an-
derer Hand in den ursprünglich leer ge-
bliebenen Raum später eingetragen.
42
B r e t h 0 ] z.
potestative possidendum. Huius tra-
tionis vestituram filius eius supra-
dictus Heistolf presentavit ad aram.
Testes traditionis: Ymmo. Uuerin-
hart, Erchanprebt, Hauuart, Hiltrih,
Nithart, Uuiso, Eazi, Liuthart, Rihholt,
Sintcoz.
talem pioprietafein qualem eorundem
dei famulorum rebus contiguam ha-
bere videbatur in loco Skiri cum omni
Integritate id est curtilibus et aedi-
ficiis, agris pratis mancipüs decem
ita nominatis : Uuillipato , Alpheri,
Alauuih, Folclisuind , Lantolt , item
Alpheri, Dietrih, Engiluiiar, Adal-
preht, Ruotpirin in manum scilicet
Eamuoldi abbatis et advocatorum suo-
rum Ymmonis et Hauuarti presenti-
bus etiam fratribus perpetualiter sibi
deserviendum. Et isti sunt testes:
Ymmo, Vuerinhart, Erchanprebt, Ha-
uuai't, Hiltrih, Nithart, Vuiso, Razi,
Liutliart, Eihholt, Sintcoz. |
VI. Traditio Rihholf'i cuiusdam secularis viri^).
Cognitum sit dei tidelibus, quod quidam Rihholf religiosus nobilisque
homo tradidit s. martyri Emmerammo in perpetuam proprietatem Laga-
deosdorf cum Omnibus inibi manentibus. Testes : Solomon ^) , Gundhart,
Liutfrid^), Ödalpreht, Gruntpreht, Conzo, Polo, Isrel, Leoparto, Raffolt.
1) Cod. trad. fol. 24^ n. 56 und fol. 29 n. 80. (Pez n. 35.) Die Ueberschrift
hat nur Nr. 56. -') in Nr. 80 : Salamon. ■'') In Nr. 80 : Liutft-it.
YJl. Traditio vener an de ac
sanctemonialis femine Ju-
ditei).
Agnoscat igitur omnium fidelium
industria, qualiter venerabilis patrona
ac sanctimonialis faemina Judita nun-
cupata memor inmarescibilis remune-
rationis et eterne beatitudiuis, tra-
didit una cum manu filii sui Hein-
rici ducis ad s. Emmerammum et ad
servitium monachorum talem pro-
prietatem, qualem frater eius Hludu-
vicus in loco Eitarahoue sibi ser-
viendo in potestate habuit cum Om-
nibus rebus ad eundem locum iuste
et legitime pertinentibus ; hoc est:
curtem cum edificiis et reliquis cur-
tilibus, villis et casis, veneis ac vini-
toribus et aureariis , agris, pascuis,
silvis, aquis, piscationibus, molendi-
nis mobilibiis etimmobilibus, exitibus
') Pez, Thes. anecd. I. 3 (Jod. dipl.
Ratisp. 62,
Traditio Heinrici ducis et Ju-
dith^ matris eius^).
Noverit omnium fidelium pr^-
sentium videlicet et futurorum indu-
stria qualiter ego J u d i t a pro re-
medio anim^ me^ et parentum meorum
cogitans tradidi ad dei servitium
et s. Emmerammi martyins tale
predium, quäle visa sum habere in
loco qui dicitur Eitarhoua cum
manu filii mei Heinrici ducis
Bauuariorum cum omnibus ad ean-
d e m curtem iure et legitime
pertinentibus, agris, pascuis,
villis et casis, vineis acvini-
toribus et aurariis, silvis,
aquis, piscationibus, molen-
dinis, mobil ib US et inmobil i-
bus, quesitis et inquirendis,
exitibus et reditibus, manci-
püs quoque utriusque sexus et
omnino omnibus ut dixi ad eun-
1) Cod. trad. fol. 35 n. 100 xmgedruckt.
Studien zu den Traditionslnichern von S. Emraerani in T>egensbui-(
et reditibus, quesitis et inquireu-
dis omnique legitima cautione man-
cipiis utriusque sexus et reliqua om-
nia ut supra dictum est, tradidit
memorata domna ad altare s. Emme-
ranimi et ad commune servitium mo-
nachorum in manus Uuolfgangi epis-
copi et advocati sui Faramundi, ea
quoque tenore , ut ipsa domna et
frater eius Hluduuicus in servitium
habuerint et utantur usque ad finem
vite sue. Post amborum vero obi-
tum provenerit et redierit ipse locus
in ius et servitium ecclesie et fra-
trum cum omni integritate sine om-
nium contradictione. Huius tradi-
tionis testes sunt per aures tracti :
Sarhilo comes, Tlieomar, Tagini, Anno,
Uualtheri, Timo, Papo, Ködperlit, En-
gilmar, Egilolf, Tuoto, Orendil, Tsan-
rib, Uuirunt, Leoparto, Uuicbram,
Ogo, Odalrih, Heinprebt, Gotedieo,
Eeginprebt , Purcbart. Vestituram
huius rei Timo presentaverat ad aram
s. Emmerammi et fratribus; presen-
tes quoque tunc aderant: Eihherus
prepositus, Uualtherus decanus, Job,
Amanoldus, Adalpertus et ceteri omnes.
dem locum iuste pertinentibus, et sicui
frater mens Hludouuicus in ul-
timis vit^ suae temporibus ad usus pro-
prios possedit venerabilis viri Uuolf-
gengi episcopi et Faramundi
advocati sui; ea scilicet ratione,
ut monachi ibidem deo et s. mar-
tyri eius Emmerammo servientes ad
communem utilitatem perpetualiter
eandem curtem possideant. Si vero
aliquis episcoporum per futura tem-
pora succedentium ad suum, quod fieri
non credo, privatum servitium redi-
gere vel vassallis suis ad beneficium
dare temptaverit, heres meus sicut
reliqua sibi derelicta h^reditario iure
et banc curtem possideat. Et ut
haec traditio in perpetuum semper
firma permaneat bos testes qui ea
viderunt fieri et audierunt subscribere
fecimus more legali per aures at-
tracti Sarhilo comes, Teomar,
Tagani, Anno, Uualtheri, Timo,
Papo, Rödpreht, Engilmar,
Egilolf, Tuoto, Orendil, Ysan-
rih, Uuiront, Licoparto, Ögo,
ödalrich, Heinpreht, Gotidieo,
ßeginpreht, Purachart, Uuiram^).
I 1) Wiram entspricht wohl dem Wich-
1 ram der Vorurkunde.
VIIL Die beiden Fassungen der traditio Pilifride^).
Notum sit vobis tam presentibus quam futuris, qui huiusmodi rem
scire debetis, qualiter quedam bon§ memorie matrona nomine Piliurida'^)
tradidit ad s. Emmerammum cum manibus advocatorum suorum Gotopoldi
et Diemonis in manus domni abbatis Ribholdi et advocati sui Magononis
quicquid proprietatis habebat in locis Oriliheim et Pietunprunna nuncu-
patis, addita et una cuiusdam Ironis hoba cum omnibus ad ipsa loca iuste
pertinentibus
Nr. 132 I Nr. 135
ad haec tradiderat super altare eius- I et cum mancipiis utriusque se-
dem predicti s. martyris Enunerammi xus quorum nominahictcnen-
utriusque sexus mancipia, quorum tur^); Iro et uxor eius Hiltigunt
nomina hie infrascripta tenentur ; ea | e t filius eius Iro et frater eius Diet-
1) Cod. trad. n. 132 (Fez n. 65) und n. 135 (ungedmckt). -') rida auf Rasur ;
Nr. 135 hatPilifrid; anderweitige beachtenswerthe Varianten im gemeinEamen Text
finden sich nicht, auch die Ueberschrift Traditio PiHfride lautet in beidtMi gleich.
3) Hieher gehören wohl zwei Nachträge , die am rechten und linken Rande in
gleicher Höhe mit dem Text geschrieben sind : hec mancipia pertinent ad Pietun-
prunna I Hizelam et filiam eius Liuzwib cum omni posteritate earum.
44
B r e t h 0 1 z.
videlicet ratione, ut eisdem mancipüs hart, Kihhart et filia eins Hilti-
et Posterität! eorum sub eodem equi-
tatis tenore quo usque ad illam diem
qua hec eadem traditio facta est, de-
bitum servitutis solverant fratribus
huius monasterii post liinc solvere
liceret. Hec sunt nomina mancipio-
rum : Iro cum uxore et cum filiis,
Enci cum uxore et cum filiis, Adal-
hart cum uxore et cum filiis, Uual-
trat cum filiis, Perolt cum filiis et
uxore Fridagart, Lantprelit filius Adal-
pero, Uuolfmar cum uxore, Perhgart,
Hiltipurc, Ratpurc, Uuasmöt, Uuisunt
cum una filia, Amaluuib cum filiis,
Helmpreht cum sorore, Odalburc, Liu-
busta cum filiis, Rihhart soror sua,
Uuerda et filias suas Hiltamerga,
Uuerda, Razo.
Post h^c tradidit ad usum fratrum unum molendinum, quod est situm
iuxta fluviolum Luttaraha nominatum in loco Alaraspah dicto
cum tribus mancipüs :Peroltetuxor
eius Hiltigart et filia eius Ribhilt.
Huic siquidem traditioni adiunxit unam, qua nobis tradidit locum ad
onerandas naves aptum teutonice Ladastat dictum flumini scilicet conti-
guum, quod dicitur Vilisa in vico Smidimulni nuncupato,
cum ujio servo Ratkero. — Item eadem
matrona tradidit ad s. Emmerammum
m e r i a , Uuerda (f.) ^), Engilpreht,
Adalmot (fil. eius), Engilmot (et f.),
Rihbil fc (et f.), Ysanrih (et f.), Hunger (et
f.), A dal hart (uxor eius), Per-
draht, Hiltigunt (fil. eius), Uuolfkart
(fil. eius), Pero (fil. eius), Uuasamot,
Uuisunt, üuilligart (fil. eius). H(^c
mancipia pertinent ad Orilinheim:
Amalfrid et uxor eius Fridigart et
filius eius Amalfrit et frater eius
Uuirunt et filia eius Rihtrut, Diet-
pirc, Heripolt, Uuolfmar, Pero, Erin-
hilt, Folcrat, Uualtrat, Peromot, Go-
tafrid, Uualtpreht, Dietpolt. Hilta-
purc, Uuisunt, Uuerda, Regin-
preht, Uuezala.
Huius rei festes sunt hi: Ödal-
scach, Hartuuic, Aribo, Diemo, Röd-
preht, Peranhart, Odalpreht, Aribo,
Pecili, Durinchart, Tagini, Etih.
tale predium quäle habuit in loco,
qui nominatus est Suuant cum -IIII'
servis cidallariis et uxoribus eorum
et filiis, quorum nomina hie tenen-
tur; Peranhai-f et uxor eius Vicihha
et filia eius Vicihha et Adalpurc filius
eius, Hai-tnit et Uuisunt et Manolt
et Turine et Trumuot et Erchanpreht,
Diotpolt, Gumpolt et uxor eius Perh-
gart et filius eius Ceizpreht et filia
eius Liutpurc et Geza, Uuolfmar et
uxor eius Liutpurc et filia eius Diot-
rat, Adalpero. Isti sunt qui singuli
debent solvere decem nummos : Uuol-
uolt et uxor eius Rötgart et fil. eius
Hiltigart et Gerhilt et Helmpurc et
Rihpurc et fil. eius Engilpero et
EllinrihetPerhtmunt,Muotuni,Uuerda,
') Die eingeklammerten Buchstaben
und Worte stehen in der Handschrift über
dem unmittelbar vorhergehenden Namen,
Studien zu den Traditionsbüchern von s. Emmeram in Regeusburg. 45
Alarun et fil. eius Dietmar et Chuon-
rat et Erclianpreht , Liupista et fil.
eius Perlitolt et Sigipreht et fil. eius
Heiza et Alarun, Albrih, Uualtrat et
fil. eius Hirzpurc, Hiltipurc, Frida-
gart et fil. eius Euodolf et fil. eius
Gerpurc et Eilipurc, Adalpret, Folc-
rat, Perlitrat, Sigipreht et uxor eius
Uuentilmut et fil. eius Eatkart et
Hiltipurc et üuiba, Sigipolt et uxor
eius Trutpirc et fil. eius Eahbilt et
Kerunc et Arndt et Teganheri et
Starcbolf, Teganlieri et uxor Hada-
purc, Uuillirat et uxor Gepabilt et
fil. Prunuuart et Sahbo , Hiltuni et
uxor, Uuatila et fil. Ysanpirin, Folc-
mar, TJualtpreht, Pezala, Hizala, Gunt-
preht et fil. eius Inima, Liubisit et
uxor eius Suuza et fil. eius Chuuiza
et Liuza. H^c autem traditio ita
facta est, ut prenomiuatis mauci-
cipiis et posteritati eoruni
sub eodem equitatis tenore
quo usque adillanidiem, qua
tradita sunt ad s. Emmerammuni d e -
bitum servitutis solverant fra-
tribus huius nionasterii post-
hinc solvere liceret. Etuthocpro
cautela subnectamus, si episcopus aut
aliqua potens persona de supradictis
prediis et mancipiis servitio fratruni
subtraliere conetur, proximus heres
prenominat^ matron^ hoc in suam po-
testatem recipiat, usque in illum diem,
quo id s. Emmerammo proprium ius
restituere possit. Isti sunt testes:
Tagini, Lanzo, Hadamar, Einuuic Ta-
gini, Uuerinhart, ödalrih, Gotti, Voccho,
Uuinicho , Gariheri , Hauuart , Petto,
Odalscalhc, Hartuuic, Aribo,
Diemo, Eötpreht, Per an hart,
Ödalpreht, Aribo, Pecili, Du-
rinchart, Etih.
Die älteren Immiinitäten für Werden nnd Corvei.
Von
Wilhelm Erben.
Das Kloster Werden hat eine Reihe von Schutz- und Immuni-
tätsverleihungen aus der Zeit der Karolinger und Ottonen aufzu-
weisen. Aber nur eine von diesen Urkunden, die von Ludwig III. er-
theilte (Mühlbacher, Eegesten der Karolinger Nr. 1512), liegt im Original
vori); dagegen sind jene Karl des Grosseu, Arnolfs, Heinrich I. und
Otto III. (Reg. 380, 1753 und Mon. Germ. DH. 26, DO. III. 17) in
Nachzeichnungen erhalten, welche zur Zeit Heinrich IL im Kloster
angefertigt wurden, jene Zwentibolds und Otto I. endUch durch den
im 12. Jahi'h. geschriebenen liber privilegiorum. Aus dieser Zahl
können wir vor allem das Karl dem Grossen zugeschriebene Diplom
ausscheiden; im Widerspruch mit dem, was wir über die älteste Ge-
schichte des Klosters wissen, zeigt sich dasselbe in i'ormeln und Pro-
tokoll durchaus als werthlose, ohne echte Vorlage hergestellte Fälschung.
Die Schenkung von Lothusa mag, da sie auch in der vita Liudgeri
erwähnt wird ^), auf Wahrheit beruhen. Dagegen ist das Kloster keines-
falls schon unter Karl dem königlichen Schutz übergeben worden;
vielmehr behielt dasselbe zunächst den Character der Familienstiftung,
welcher nach einander die Verwandten des Stifters, die Bischöfe Hil-
degi-im von Chälons, Gerfi'id und Altfrid von Münster und Hildegrim
von Halberstadt als Aebte vorstanden 3). Erst der zuletzt geuannte
Hildegrim IL machte diesem Verhältnis ein Ende, indem er das Kloster
') Wenn Diekamp, Suppl. zum Westf. ÜB. 44 u. 290, auch dieses Diplom
zu den Nachzeichnungen rechnet, so ist er hiezu durch den Irrthum von Stumpf
(Wirzb. Immunitäten 1, .31 n. 55) verleitet worden, den schon Sickel (KU. in
Abb., Text 169) berichtigt hat. — Mühlbachers Regesten der Karolinger citiere
ich fernerhin nach den Nummern mit der Sigle Reg. -) Mon. Germ. SS.
2, 411. 8) Vgl. Diekamp Vitae s. Liudgeri, Geschichtsqu. des Bistums Münster
4, XI-XIV.
t)ie älteren Immunitäten für Werden und Coi-vel. 47
dem König comineudirte. Infolge dessen ertlieilte nun Ludwig III. im
J, 877 dem Kloster Königsschutz und Immunität, befreite es von dem
in Neuss zu entrichtenden Zoll und verlieh den Mönchen das Kecht,
nach dem Tode Hildegrims den Abt aus ihrer Mitte zu erwählen.
Soweit lassen die Worte der Originalurkunde Ludwig III. keinen
Zweifel über den Vorgang, schliessen somit auch die Echtheit des Karl
dem Grossen zugeschriebenen Diploms aus. Aber in einem Punkte
muss doch auch das Präcept Ludwigs genauer geprüft werden. Durch
die Worte „coram advocato quem abbas constituerit" wäre dem Abt das
Kecht der Vogtwahl zugesprochen worden, eine Begünstigung, die sich
zwar vereinzelt auch in karoliugischen Urkunden findet i), gerade in
unserem Fall aber kaum Glauben verdient. Denn die Worte „quem
abbas constituerit, si quid est" sind, ebenso wie in der Narratio die
Stelle „et nostrae defensionis tuitioni" nicht nur aufKasar geschrieben^),
sondern rühren offenbar von anderer Hand her, als der übrige Con-
text und trotz der gi-ossen Sorgfalt, welche auf Nachahmung der ur-
sprünglichen Schrift verwandt ist, verrathen doch die geraden Schäfte
der t, m und n, die ümbieguug der Schäfte nach rechts, sowie die
stark unter die Zeile sinkenden s und f den dem 10. Jahrh. ange-
hörenden Schreiber. Wahrscheinlich wurde also auch in Werden das
Kecht der Vogtwahl nicht dem Abte zugestanden, sondern dem König
vorbehalten, sowie in Neuenheerse, welches wenige Jahre vorher durch
Liuthard von Paderborn dem Schutz des Königs übergeben worden
war3). In den Immunitäten der folgenden Herrscher bis auf Otto I.
findet sich zwar keine Erwähnung von der Ernennung des Vogtes durch
den König, aber auch, dass die Wahl des Vogtes dem Abte zustände,
ist nirgends ausgesprochen^). Dagegen beginut mit dem D. Otto II.
vom J. 983 eine Keihe von Urkunden, welche in ganz ungewöhnlicher
Weise das Kecht der Vogtsernennung durch den Abt, das sonst als
Anhängsel anderweitiger Bestimmungen erscheint, zum ausschliesslichen
Inhalt habenä); demgemäss hat auch in der im J. 985 ertheilten Im-
munitätsbestäticmng Otto III., die sich sonst wörtlich an die unter
Arnolf festgestellte Fassung anschliesst, der Satz quem abbas consti-
tuerit Aufnahme gefunden. Vor dem J. 985 also, vielleicht schon 983
werden an dem Original Ludwig III. jene Interpolationen vorgenommen
») Vgl. Waitz, VG. 2. Aufl. 4, 469 n. 4. -') Vgl. KU. in Abb., Text 164.
3) Vgl. das D. Ludwig des Deutschen (Reg. 1444) mit den Worten coram advo-
cato a nobis constituto. ■*) coram advocato eorum, si quid ad inquirendum
est aut corrigendum, inquiratur aut comgatur in den DD. Arnolfs, Heinrich I.
und Otto I., advocatus eorum super eis iustitias agat in jenem Zwentibolds.
») DO. n. 290, DO. III. 151 und DH. II. Stumpf, Reg. 1315.
4jSi Er b e 11.
worden sein, deren Zweck es war, die Ernennung des Vogts durch
den Abt als ein altes Eecht des Klosters erscheinen zu lassen,
Dass das D. Ludwig III. der Kanzlei Arnolfs vorgelegt worden
ist, unterliegt keinem Zweifel, denn die über Gerichtsbarkeit des Vogtes
und Befreiung vom Zoll handelnden Sätze sind, wenn auch in etwas
verbesserter Fassung i) , doch fast wörtlich in das D. Arnolfs über-
gegaugen. Im übrigen aber erweist sich die Fassung des Amolf-
diploms, der sich dann die Inimuuitätsbestätigungen Heini-ich I., Otto I.
und Otto III. anschliessen , als unabhängig. Sie enthält eine Reihe
von Bestimmungen über den Genuss von Zehnten, über Befreiung vom
Kriegsdienst und Einschränkung der Gewalt des Diöcesaubischofs, welche
sich in dem D. Ludwig III. nicht finden und welche im Verein mit
den im Eingang erwähnten Umständen der üelierlieferung den Ver-
daclit der Fälschung wachrufen. Da jedoch alle diese Urkunden mit
tadellosem Protokoll versehen sind, so kann kein Zweifel sein, dass
ihnen echte Diplome der betreffenden Hen-scher zu Grunde liegen, die
wie die Nachzeichnungen erweisen, auch als Schreibmuster für die
Fälschungen verwendet worden sind.
Stimme ich soweit mit der bisherigen Auffassung dieser Diplome
iiberein -), so möchte ich im folgenden versuchen, die echten Bestand-
theile derselben von den falschen zu scheiden. Als Handhabe hiefür
bietet sich einerseits das nicht durch Nachzeichnung, sondern durch
Copialbuch überlieferte DO. I. 5, andrerseits die Immunitätsverleihung
Arnolfs für Corvei und Herford (Reg. 1720), auf deren Zusammen-
liang mit jener für Werden schon Mühlbacher aufmerksam gemacht hat.
DO. I. 5 unterscheidet sich zunächst durch die einfache Fassung
des über die Zehnten handelnden Satzes „ubicumque dominicatos mansos
habuerint, ex rebus que ibidem adquiruntur, decimas dent ad portam
mouasterii nee alibi eas dare cogantur" von den übrigen Diplomen
der Reihe, die denselljen Passus durch mannigfaltige Zusätze erweitert
und stärker betont haben ■^) ; noch mehr aber zeichnet sich DO. I. 5
aus durch das Fehlen der Stelle „abbas iUius — plane possidere", die
nicht nur die anstössigsten Bestimmungen in sich vereinigt, sondern
') Vgl. Sickel, KU. in Abb., Text 169 f. ") Vgl. die Bemerkungen von
Sickel zu DH. 26 und DO. II. 290 und jene voi' Mühlbacher zu Reg. 1753.
•'') Nach nee schieben alle drei Nachzeichnungen die Worte ein: a nemine pe-
nitus ; ex rebus que ibidem adquiruntur ersetzen sie durch : in quocümque sint
episcopio seu prefectui'a ... in omni regno a deo nobis coUato ; das D. Hein-
richs lässt ausserdem nacli decimas folgen : quas alii episcopis solvunt, jenes Ar-
nolfs statt dessen : quas alias episcopi toUunt und nach cogantur den Satz : sed
sub nutu abbatis eiusdem monasterii in perpetuura permansura conaistant.
Die älteren humnnitäten für Werden nnd Corvei. . 49
auch den natürlicheu Zusam menhang der Sätze „ ad elegendum abbatein
inter se potestatem eoncedimus, quatinus eos melius delectet . . . exorare "
in gewaltsamer Weise unterbricht i). Bei so gro.ssen Differenzen ist
es nicht zulässig, DO. I. 5 ebenso zu beurtheilen, wie die durch Nach-
zeichnungen überlieferten Immunitäten; vielmehr drängt sich sofort
die Vermnthuug auf, dass DO. I. 5 von der Verunechtung, welche die
anderen Diplome dieser Keihe erfahren haben, verschont geblieben und
dass uns hi^r auch die ursprüngliche Fassung der anderen Immuni-
täten für Werden erhalten geblieben ist. Diese Annahme bestätigt
der Umstand, dass die durch DO. L 5 repräsentirte Fassung, soweit
sie nicht aus dem oben besprochenen D. Ludwig III. genommen ist,
wörtlich mit dem D. Arnolfs für Corvei und Herford übereinstimmt.
Bevor ich jedoch diese Immunitätsurkunde mit jenen für Werden
vergleiche, wird es nothwendig sein, in kurzem die früheren Corveier
Immunitäten zu besprechen. Schon im J. 823 hatte Corvei von Lud-
wig dem Frommen Schutz und Immunität erhalten (lieg. 755); die
Fassung dieses D. ist ziemlich genau in dem Ludwig des Deutscheu
(Reg. 1328), ganz wörtlich in jenem Karl III. (Reg. 1599) wiederholt
worden. Die genannteu Diplome verleihen dem Kloster ausser den
wesentlichen Bestandtheilen der Immunität auch das Recht, mit fi-eien
Leuten Gut und Hörige zu tauschen. Auf diesen Punkt scheint man
— wenn nicht etwa ein Versehen der Kanzleibeamten vorliegt ■ — in
Corvei besonderen Werth gelegt zu haben; denn dasselbe Recht wird
mit den gleichen Worten auch in der von Ludwig dem Frommen er-
theilten Gründungsurkunde (Reg. 754) und der ihr nachgebildeten Be-
stätigung Ludwig des Deutschen (Reg. 1327) ausgesprochen; hier wird
auch das Recht der Abtswahl ertheilt, das in den Immunitätsurkuuden
fehlt. Strittig ist, ob neben diesen beiden dem Kloster von Ludwig
dem Frommen ertheilten imd von den Nachfolgern bestätigten Di-
plomen noch ein' drittes anzunehmen ist, welches die ausdrückliche
Befreiung vom Kriegsdieust zum Inhalt hatte. Die Gründe, welche
Roth für diese Annahme geltend gemacht hat, scheinen mir nicht
zwingend -) ; trotzdem kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die
') Vgl. Formulae imp. n. 4 (Mon. Germ. Formulae 291). -) Der Be-
weisführung von Roth (Beueficiahveseu 405 , Feudalitilt 23<)') hat sich Wilmans
(Westf. KU. 1, 18G) angeschlossen; aber die Worte der ti-auslatio s. Viti (SS. 2,
579) »Eodem die remisit d. imp. eidem abbati omne servitium" lassen noch nicht
auf ein im J. 815 ertheiltes Privileg schliesseu, das wohl imter den damaligen
Umständen, da kaum der Entschluss zur Klostergründung gefasst war, kaum er-
lassen werden konnte, auf jeden Fall aber in den Diplomen des J. 823 erwähnt
worden wäre. Vgl. Wailz. Y(\. 2. Aufl. 4, nn2 n. 2 und ^liilillnicher Heg. 5(17''.
Mittbeiluiigfii XII. 4
50 E r b 0 n.
Befreiung vom Kriegsdieust. auf -welchem Wege immer dieselbe auch
erworben sein mag, dem Kloster Corvei schon seit den Zeiten Ludwig
des Frommen zukam. In einem an den Bischof von Paderborn ge-
richteten Mandat (Reg. 89ö) erklärt Ludwig d. Fr., dass es gegen
seinen Willen geschehe, wenn die Corveischen Unterthaneu, freie oder
unfreie, von den Grafen zum Kriegsdienst gezwungen würden. In
dem dieser Sache gewidmeten D. Karl III. (Reg. 1 702) wird berichtet.
Ludwig d. Fr. habe gleich bei Begi'üudnug des Klosters gestattet, „ ut
neque abbates illius loci neque homines eorrnn cuiuscumque conditionis
in expeditionem umquam ire deberent, sed liceret eis . . . utilitates eccle-
siae providere ... et regiis interdum legationibus exequendis . . . ope-
ram dare". Karl schränkt diese Begünstigung in Anbetracht der
drohenden Gefahren ein, indem er blos zwanzig vornehme unter-
thaneu des Klosters vom Kriegsdienst befreit, und nur falls der Abt
eine Gesandtschaft ausser Landes zu führen habe, eine grössere Anzahl
derselben; demnach sind die übrigen Stiftsleute, wenigstens soweit sie
nicht zum Gefolge (populus) jener nobiles gehörten, unter Karl III.
zum Kriegsdienst verpflichtet gewesen. Für friedlichere Zeiten abei-
versprach der Kaiser schon jetzt die Rückkehr des alten Zustandes.
Es passt sehr gut in diesen Zusammenhang, wenn in dem D.
Arnolfs , auf das wir nunmehr zurückkommen können , wieder allen
Vornehmen die Befreiung zugestanden wird, von den homines infe-
rioris conditionis aber nur jenen , die zu Gesandtschaften im Auftrag
des Königs oder zum Nutzen des Klosters gebraucht würden. Die Ver-
fügungen Karls waren also wesentlich gemildert worden, und doch
waren die alten Rechte des Klosters nicht völlig hergestellt, nicht
jeder Anspruch des Königs auf Heranziehung der Stiftsleute zur Heeres-
folge aufgegeben. Diesem Zustande entspricht wohl auch das Mandat
Arnolfs (Reg. 1881), obwohl dasselbe vielleicht mit Absicht in ziem-
lieh unklaren Ausdrücken gehalten ist^). Ich sehe somit keinen Grund,
an der Echtheit des diesbezüglichen in dem D. Arnolfs enthalteneu
Satzes (sed nee prefatus — peragendam) zu zweifeln , umsoweniger als
in der folgenden Immunität, dem I). Ludwig IV. (Reg. 1938) au der-
selben Stelle wie in jener Arnolfs wieder die volle Befreiung vom
Kriegsdienst ausgesprochen ist 2),
') Aus den Worten plus iusto echliesst Mülilbacher, dass keine allgemeiue
Befreiung beabsirbtigt war; die Stelle jue quisquam . . . milites quöque modo ini-
qua districtione ... in expeditionem . . . coai-tari praesumat* könnte auf das Ciegeu-
theil gedeutet werden ; die Berufinig auf die Bestimmungen und Präcepte der
Vorgänger gibt keine Entscbeidung, da nicbt gesagt ist, welche Hen-scher biemit
gemeint sind. ) Da sieb eine Scheidung zwischen den homines nobiles und
Die älteren Immunitäten für Werden unrl Corvei. 5|
Icli habe diesen Punkt klarzustellen gesucht, weil er einer von
jenen ist, in welchen das J). für Corvei-Herford von dem für Werden
abweicht, ohne dass hieraus ein Verdachtsgrund geschöpft werden
könnte. Es ist bezeichnend tür das Verhältniss der beiden Urkunden,
dass in der letztgenannten statt der besprochenen Stelle, die auf Wer-
den keine Anwendung finden konnte, jene aus der VU. entnommenen
Sätze über Gerichtsbarkeit des Vocrtes und Zollfreiheit einffeschaltet
worden sind. Sehen wir von diesen Differenzen, sowie von einigen
anderen Stellen, namentlich den auf das Nonnenkloster Herford be-
züglichen ab, welche ebenfalls in ein D. für Werden nicht aufgenom-
men werden konnten i), so ist die Uebereinstimmung des D. für Corvei-
Herford mit der in DO. I. 5 erhaltenen Fassung des D. Arnolfs für
Werden so gross, dass sie nur durch die Annahme eines für beide
Diplome benützten Conceptes erklärt werden kann^). Diese Thatsache
bildet nicht nur eine Bestätigung dessen, was ich über die ursprüng-
liche Fassung der Werdener Immunitäten gesagt habe, sie ermöglicht
zugleich jene Theile des Corveier Diploms auszuscheiden, welche durch
Fälschung in dieselbe eingefügt worden sind. Als solche ergeben sich
die Sätze „ Deiude supradicta — scriptum habetur " ; , sicut in regia —
concedi coenobüs " und „ Ad extremum — beneficium pertinebant ". Be-
trachten wir dieselben als interpolirt, dann entfallen die bedenklichen,
gegen den Bischof von Paderborn gerichteten Bestimmungen , die
wiederholten Berufungen auf Capitularien und Synodaldeerete, endlieh
die Schenkung der Fischzucht in Methriki, die auch in der nächsten
Nachurkunde, dem D. Ludwig IV., nicht erwähnt wird. Dagegen zeigt
die Uebereinstimmung mit DU. I. 5, dass der Satz über die Zehnten,
»Preterea quod — serviatur" hier wie in den Werdener Inuuunitäteu
zu den echten Bestandtheilen zu zählen ist.
•len übrigen Stit'tsuuterthanen, wie ich glaube, auch aus dem D. Karl lll. ergilit,
ferner die vassalli auch in dem Mandat Aniolfs genannt werden, so erscheint
mir die von Mühlbacher beanstandete Gegenüberstellung von vassalli nobiles und
inferioris conditionis ganz unbedenklich.
') Dies sind die Sätze ,nec non et mouasterium puellaruni — Hathuwi^ und
»et sauctimonialibus — liceat« ; ebensogut wie diese Sätze hätte auch das, was über
Präcepte der Vorgänger in dem D. für Corvei und Herford gesagt ist, in dem
D. für Werden wegbleiben oder doch geändert werden sollen : denn Werden be-
sass kein älteres D. als jenes von Ludwig III. '^) Die Daten der beiden Di-
plome (887 Dezember 11 und 888 August 23) liegen einander nahe genug, um
die Annahme zu rechtfertigen, dass das Concept von Reg. 1720 noch vorhanden
war, als die Kanzlei den Auftrag erhielt, Reg. 1753 auszufertigen. Da übrigens
Corvei im Jiuii 888 ein zweites D. erhalten hat (Reg. 1745), so könnte mög-
licherweise auch Reg. 1720 erst damals ausgefolgt sein. Ueber ähnliche Fälle
vgl. jetzt Bres.slau UL. fUO fl".
4*
Diesem Uml'auge des königlielieu Priiceptes für Corvei und Her-
ford entspricht vollkommen die Bestätigiing, welche das Mainzer Concil
im folo-enden Jahre den Klöstern erfcheilte: die Bischöfe sichern nicht
nur den Besitzstand der Klöster, sie bestimmen auch . ut nullus epi-
scopus Padrabrunnensis aliquam ex eis vel accipiat vel exposcat por-
tionem ", und sie nennen unter ihren Gütern und Einkünften ausdrück-
lich die Zehnten : „ qu^eunque ... vel in agris, vel in familiis, vel in decimis
eis constant esse collata " ^). Meine Ansicht wird nicht erschüttert durch
den Umstand, dass die von Ludwig IV. ertheilte Immunität für Corvei
(Keg. 1038) den Satz über die Zehnten wieder auslässt. Liegt hier
eine offenbare Absieht vor, so wird eine neuerliche Einsprache des
Paderborner Bischofs die Veranlassung hiezu gegeben haben; wol als
Entschädigung für diesen Verlust ist in derselben Urkunde den Mön-
chen Markt- und Münzrecht in der villa Horohusun verliehen worden.
Aber schon unter Konrad I. hat Corvei seinen alten Anspruch auf die
Zehnten wieder durchgesetzt. Das von diesem König ertheilte Diplom
DK. 14 zeigt, obwohl von Simon D. in seiner bündigen Weise abge-
fasst, doch deutliche Spuren von der Benützung der Immunität Ar-
nolfs und hat dieser auch die Bestimmung über die Zehnten ent-
nommen, die fortan in einer Keihe von Nachurkunden wiederholt
worden ist-).
Ausserdem scheint aber SD. noch eine zweite Corveier Urkunde
vor sich gehabt zu haben. Es ist kaum Zufall, dass die Anfangs wortc
der Arenga: „Convenit nostrae regali celsitudini" jenen in einer Ur-
kunde Ludwig des Deutscheu für Corvei : „ Conveuit regiae dignitati " so
nahe kommen, die Corroboratio beider Stücke aber fast wörtlich über-
einstimmt. Mühlbacher hat auch dieses Diplom (Reg. 1456) als Fäl-
schung bezeichnet ; nur das Protokoll desselben, das sich mit Ausnahme
des unter Ludwig dem Deutschen noch nicht ü])lichen Incarmitions-
jahres als unbedenklich erweist, führt er auf echte Grundlage zurück.
Der eine für diese Beurtheilung massgebende Grund, nämlicli der, dass
der Bezug der Zehnten erst unter Konrad I. verliehen worden sei, wird
einigermassen abgeschwächt, wenn, wie ich erwiesen zu haben glaube,
die Zehntrechte schon zu dem ursprünglichen Inhalt des Arnolfdiploms
gehört haben; ssind dieselben schon im J. 887 anerkannt worden, so
verringern sich auch die Bedenken gegen die Zuerkennung der Zehnten
durch ein Diplom des J. 873, zumal sich Arnolf auch in diesem Punkte
auf die Verfügungen seiner Vorgänger beruft''). Was aber die nn-
«) Erhard CD. Westfaliae 1, 28. s) Die Fassung von DK. 14 kehrt
wieder in DH. 3, DO. I, 3, DO. II, 81 und DU. III. 169. s) Dass der Satz .quod
Die iiltorPii Immmiitäteii i'iir W'tnili'ii im<I Corvoi. 53
IvHUzleiinässige Ftissimg uubeluugt, so liesse sie sich einerseits durch
direkte Benutzung einer Pa])sturkunde, des im J. S82 dem Kloster
Corvei ertheilten Privilegs Hadrian IL i), erklären, andrerseits vielleicht
durch die besonderen Umstände, unter denen das Diplom zu Stande
o-ekommen ist. Der ö-anze Inhalt und insbesondere der Schlusssatz
zeigen, da^s der Ausfertigung der ürkinide ein Rechtsstreit zwischen
dem Kloster und den betheiligten Bisehöfen vorausgegangen war; ist
dem so, dann darf an das hierüber ertheilte Diplom nicht der strengste
Massstab angelegt werden, denn wir haben es nicht mit einer könig-
lichen Verleihung, sondern mit einer Urkunde über einen vor dem König
ü-eführten Process zu thun. Ziehen wir in Betracht, dass zu Aachen
eine grössere Zusammenkunft zur Berathung geistlicher und weltHcher
Angelegenheiten stattgefunden hat, bei welcher wahrscheinlich auch eine
päpstliche Gesandtschaft zugegen war '•^), duss ebenda für Lamspringe
eine Urkunde ertheilt worden ist, die auch diesem Kl; ster einen An-
theil an den Zehnten sichert, und überdies noch andere Unregelmässig-
keiten mit dem D. für Corvei gemein hat (Reg. 1455)=^), so erscheint
doch die Möglichkeit, dass auch der Context von Reg. 1456 auf echter
Grundlage beruht, nicht ausgeschlossen.
Die Zehntrechte des Klosters Corvei sind also vielleicht schon von
Ludwig d. D., sicher gleichzeitig mit jenen Herfords von Arnolf an-
erkannt worden. Aber es ist wohl zu beachten, dass hier und in den
folgenden Immunitäten nur die Zehnten von dem Erträgnis der Eigen-
güter erwähnt werden, nicht aber jene von incorporirten Kirchen^).
ab exordio constrnctionis eornndem nionasteriorum a nostris antecessoributi consti-
tutum est* oder docli ein ähnlich lautender in dem echten Arnolfdiplome ge-
standen, schliesse ich daraus, dass auch die Werdener Immunitäten eine ent-
sprechende Wendung enthalten: quod aliis quoque monachorum coenobiis con-
cessum constat.
'1 Jafte-Löwenfeld Keg. 2947; über die Echtheit vgl. Diekamp , Suppl. 43
n. --'82. -) Die Instruction für den päpstlichen Gesandten Paulus von Ancona
(Jaife-L. Reg. 2976) ist im J. 873 ausgestellt worden und zwar bevor die Kunde
vom Tod des Erzbischofs Adalwin von Salzburg (gest. 873 Mai 14, M. G. Necr.
2, 135 u. SS. 9, 505) nach Rom gelangte ; Paulus wird also wol noch im Sommer
an den Hof Ludwigs gekommen sein, der im Juni zu Aachen weilte. ^) Auch
hier findet sich das lucarnationsjahr und im Text die Erwähnung des Papstes.
*) »decimae de dominicatis eiusdem monasterii mansis* und weiterhin »de domi-
nicatis mansis vel nunc habitis vel post adquireudis* in Reg. 1456 für Corvei;
»de dominicalibus mansis eiiisdem. monasterii decimae* in den Corveier Immuni-
täten des lO.Jahrh. ; »ubicumque casas vel cortes habuerint, ex rebus quas ibidem
suis laboribus adquirunt, decimas dent ad portam monasterii* in Reg. 1720.
Erst in dem D. Heinrich II. St. 1318, dessen Fassung von den ottonischen Im-
munitäten unabhängig, dagegen von jener Ludwig des Fr. beeinflusst ist, werden
neben den decimae auch die decimales ecclesiae genannt .
54 1'^ !■ 1' p n-
Dies wird iiainentlicli für die Kritik des D. Ludwig des D. vom J, 85o
(Reg. 1465) und des demselben nachgebildeten von Otto 1. (DO. 1. 153)
zu beachten sein, auf deren Besprechung ich hier nicht eingehen kann,
obwohl sie sich auch in anderer Hinsicht mit Reg. 1720 und zwar
mit den interpolirten Stellen dieses Diploms berühren ') ; denn erst,
sobald die einschlägigen Diplome des 11. und 12. Jahrh. entsprechend
geprüft sein werden, wird sich ein sicheres Urtheil über alle die Zehnten
betreffenden Diplome für Corvei und Herford fälleu lassen ^).
') ad eorum (episcoporum) mansionatica daretur, quod in capitularibus ante-
cessorum nostrorum prescriptum habetur in Reg. 1365, episcopi . . . nou exigant
maiores sumptus ad sua mansionatica quam primnin statutum fuerat et in capi-
tulari libro scriptum habetur in Reg. 1720. '■') Vgl. besonders die Bemer-
kungen von iSickel zu DO. 1. 153.
Wien in den Jahren 1276 bis 1278 und K. Rudolfs
Stadtrechts-Privilegien.
Von
Oswald Redlich.
Die vielfacheu Erörterungen, die sich an die beiden bekannten
Wiener Stadtrechts-Privilegien K. Kudolfs I. vom Jahre 1278 knüpften,
sind durch die Untersuchung Riegers zu einem gewissen Abschluss
geführt worden!). Rieger stellte die üeberlieferungsverhältnisse beider
Urkunden so weit als möglich fest, zeigte, dass der Inhalt des aus
allen Copien kritisch herzustellenden Textes wirklich und genau in
dem erhaltenen Umfang den Originalen angehören konnte und ange-
hört hat ; er legte dar, dass die Zeugenreihe der Urkunde vom 24. Juni
1278, welche zu diesem Zeitpunkt unmöghch ist, einer früheren Hand-
lung, etwa aus der ersten Hälfte des Jahres 1277 entspricht, während
erst nach der Verui-theilung Paltrams im Mai 1278 die Zufügning der
Artikel 29 bis 33 im reichsstädtischen Privileg erfolgte. Rieger machte
es endlich sehr wahrscheinlich, dass die Bestätigung des Leopoldinums
von 1221, so wie sie inhaltlich das Reichstadt- Privileg vom 24. Juni
») Beiträge zur Kritik der Wiener StadtrecMs- Privilegien, Programm des
Wiener Franz Josef- Gymnasiums 1879. Den Ergebnissen Riegers haben z. B.
Winter in Mitth. des Instituts 1, 318 und Huber, Gesch. Oesterreichs 1, 610 Anm. 1
vollkommen beigestimmt. — Die Urkunden sind zuletzt gedruckt von Tomaschek
in Geschichtsquellen d. Stadt Wien I 1, 42 flf. Es ist vielleicht für eine künf-
tige Ausgabe der Wiener l'rivilegien nicht ohne Nutzen darauf hinzuweisen, dass
im Archiv des Schlosses Aistersheim westl. Wels das Fragment eiues Privilegien-
codex der Stadt Wien aus dem 14. Jahrhundert sich befindet (vgl. Böhm in
Oesterr. Notizenblatt 1851 S. 92) und dass die fUrstl. Dietrichstein' sehe Bibliothek
in Nikolsburg eine Handschrift des 14. Jahrh. mit Wiener Stadtrechtsurkunden
besitzt, welche Dudik in Oesterr. Archiv 39, 504 in freilich ungenügender Weise
beschrieben hat. Ich wurde durch Burckhardts verdienstliches Handbuch der
deutschen Archive auf diese Handschriften aufmerksam.
F,ß K (• il i 1 l' ll.
voraussetzt, iu der Tliat auch später, am 2ö. Juni 1278, gegeben
ward. Nach all dem Avar jedenfalls die Echtheit und ünY(^rfälschtheit
der beiden Urkunden wol endgiltig festgestellt.
Nach zwei Seiten jedoch blieb noch Anlass zu weiterer Forschung.
Zunächst galt es, noch bestimmtere Klarheit über jenes fi*ühere
Stadium zu gewinnen, auf das wir durch besagte Zeugenreihe geführt
werden. Tomaschek war iu seinen Untersuchungen über die Privi-
legien i) zur Ansicht gelanget, Kudolf habe im Jahre 1277 deu Wienern
ihre Freiheiten bestätigt, doch in einer nicht recht genügenden Form,
nicht in förmlichen und feierlichen Urkunden; erst 1278 seien -for-
mell beglaubigte und von der königlichen Kanzlei regelmässig ausge-
fertigte, mit dem königlichen Siegel versehene Urkunden " ausgestellt
worden. Ficker, der durch seine Beiträge zur Urkundenlehre eine be-
friedigende Deutung der Zeugenreihe erst möglich gemacht, dachte au
eine erste Ausfertigung, also eine förmliche Bestätigung im .T. 1277 -).
Kieger nahm dann wieder einen Entwurf, eine . vorläufio-e Puncta-
tion" an, während die förmliche und feierliche Beurkundung erst 1278
stattgefimden habe, wobei dann die Handlungszeugen einfach zugefügt
worden seien ^).
Um hier zu einem bestimmteren Ergebniss zu gelangen, muss uns
diese Zeugenreihe selbst die nächste Auskunft geben. Es erscheint in
ihr Bischof Leo von Kegensburg, der am 12. Juli 1277 starb. Irgend
eine auf Wiens Stadtrec-hte bezügliche Handlung unter ^litthätigkeit
oder doch Anwesenheit Bischof Leos muss also vor diesem Zeitpunkt
geschehen sein, möchte auch ihre Beurkundung, was ja an sich mög-
lich wäre, erst später erfolgt sein. Andrerseits wird unter den Zeugen
der Graf Heinrich von Fürsteuberg genannt, der frühestens im Jänner
1277 nach Wien kam ^). Noch mehr, Albrecht und Hartmanu, des
Königs Söhne, trafen erst im Juni 1277 in Wien ein. mit ilmen
Bischof Heinrich von Basel •^). Ebenso kam jetzt zum erstenmal Herzog
Albrecht von Sachsen'^), und luu dieselbe Zeit erschienen auch wieder
in Wien Pfalzijraf Ludwio;^) und Bischof Heinrich von Trient, der aus
') Zuletzt in Geschic-litsiiu. der Staclt ^\'ion l 1 Kinloitung XLVill H'. -) Boi-
triigo 1, 253 und 2, 490 f. •'') Beiträge /.ur Kritik der Wiener Stadtrechts-
Privilegien 24. Daselbst if-t übrigens der richtige Text der Zeugenreihe herge-
stellt, wonach auch der Druck Tomascheks zu verbessern ist. ■*) . Wie Riezler
im Fürstenb. ÜB. 1, 253 im Hinblick auf diesen Fall bemerkte. ^) Vgl.
Koi)p, Keichsgesch. 1, 182 W. Kübel im Histor. Jahrbuch 9, 4()7. •■•) Er ist
wol am 23. Juni schon in Wien, vgl. Hasse, Schleawig-Holstein-Lauenburg. Reg.
2, 211. ') Zuerst am 8. Juli unter den Zeugen der Urkunde Rudolfs fiir
Laa, Winter, L'rkiindl. Beiträge zur Kechtsgcsch. ober- und niederösterr. Städte
Wien in di'u J. \27H 127S u. K. Kmlolf's tStadtveclits-rriviletrien. Ö7
Rom zurückgekehrt war^). Diese Reilie von Zeugenscliaften schiebt somit
jene Handhmg oder die Beurkundung unzweifelhaft in den Juni oder
in die erste Hälfte Juli des Jahres 1277. Es stimmt damit überein,
wenn wir eben im Juni und Juli von den 39 Zeugen 24 mit Sicher-
heit in Wien nachweisen können, Meinhard von Tirol mit einiger
Wahrscheinhchkeit^^). Von den übrigen Persönlichkeiten würde die
Anwesenheit einiger österreichischer und steirischer Herren, die zwar
sonst nicht bezeugt ist, an sich keineswegs auffallen. Aber es bleiben
noch ein paar Zeugen, bei denen eine derartige Annahme doch nicht
mehr zulässig ist. Graf Friedrich von Leiningen erscheint zuletzt am
22. Mai in "Wien und ist jedenfalls Ende Juli am Rhein»). Graf Al-
bei-t von Görz ist nm- bis Ende Jänner bei Hofe nachweisbar^). Und
sind nun diese beiden, wie es allen Anschein hat, im Juni und Juli
nicht in Wien gewesen, so zeigt es sich damit im Zusammenhang auch
nicht mehr bedeutungslos, wenn jene österreichischen und steirischen
Herren auch alle längstens nur bis in den Mai am Hofe weilen und
dann verschwinden, ohne wieder bei den vielfachen Gelegenheiten, die
sich ergäben, genannt zu werden 5). Legt das nicht die Verrauthung
ungemein nahe, dass dieser Theil der Zeugenreihe einem früheren Sta-
dium in der Entstehungsgeschichte der Urkunden angehört, als die
übrige Mehrzahl? Ist dies der Fall, dann können wir in diesen den
■29, wonach Reg. der Pfalzgr. am Khein Ö. 58 zu ergänzen. Ludwig war Vtis m
die zweite Hälfte Jänner in Wien gewesen.
1) Böhmer, Keg. Rudolf 386 vom 12. Juli; Heinrirh war bis gegen Ende
Jänner in Wien gewesen, vgl. Egger, Bischof Heinrich 11. vonTrient. Innsbrucker
Gymnasialprogr. 1885 S. 7. ^) Meinhard urkundet nach freundlicher Mit-
theilung von Prof. Ludwig Schönach am 27. Mai 1277 in Bozen und am 15. Juli
zu Sterzing, dazwischen fällt Rudolfs Auftrag an ihn vom 1. Juli, das Kloster
Neustift zu schützen (Böhmer, Reg. Rud. 1177); man könnte darnach immerhin
Meinhards Anwesenheit in Wien zu Ende Juni, Anfang Juli annehmen. Sollte
dies infolge neuen Materials sich als unmöglich herausstellen, so würde dann
auch Meinhard, der im Jänner 1277 in AVien war, der folgenden Kategorie von
Zeugen angehören. ^) Fürstenberg. ÜB. 5, 171». Am 11. Aug. 1277 erlässt
Friedrich von Leiningen eine Aufforderung zum Städtetag in Mainz, Strassb. l'B.
2, 38, früher schon hatte König Rudolf den Grafen mit seiner Vertretung in
Uezug auf die Landft-iedensbestrebungen betraut und darüber an Erzbischoi' Werner
von Mainz geschrieben, Bodmann, Cod. epist. 3H, vgl. dazu v. d. Ropp, Werner
von Mainz 119. '>) Nach Urkunde vom 24. Jan. 1277, Schumi, Archiv fiir
Heimatkunde (Krains) 1, 239. ^) Es sind dies die Grafen von Pfannberg und
Ortenburg, die Herren von Pettau, Stubenberg, Hertnid und Herrand von Wil-
ilonie, Leutold und Albero von Kuenring, der von Meissau, Konrad Landschreiber
von Oesterreich. — Der Markgraf von Burgau und der jüngere Markgraf von
Baden lassen sich ausser durch unsere Urkunde überhaupt nicht in Wien nach-
weisen.
5S Redlich.
ersten Monaten von 1277 angehörenden Zeugen nur die Zeugen einer
Handlung erblicken, die wir uns etwa als vorläufigen Abschluss der
Berathungen über Inhalt und Form der Wiener Stadtrechts-Privilegien
vorzustellen haben. Für die Zeugen aber, welche dem Juni oder Juli
1277 zugehören, bleibt dann wol nur die Zeugschaft bei der Beur-
kundung übrig. Jedenfalls hat es die Betrachtung der Zeugenreihe
sehr wahrscheinlich gemacht, dass nach dem Vorausgehen vorbereiten-
der Schritte um die Mitte des Jahres 1277 ein abschliessenderes Sta-
dium in der Vorgeschichte der beiden Privilegien eingetreten ist^).
Die unzweifelhafte Sicherheit, dass dieses letzte Stadium in der
That die förmliche Beurkundung der Stadtrechts-Privilegien gewesen
ist, gibt uns König Rudolf selbst in einer Urkunde vom lo. August 1277.
Hier verleiht Eudolf der Stadt Eggenburg alle Rechte und Freiheiten,
quibus civitas Wiennensis a Romanis imperatoribus et regibus nostris
predecessoribus et a nobis ac Austi-ie ducibus dinoscitur libertata -).
Diese Stelle beweist wol ohne weiteres, dass Rudolf bereits vor dem
18. August 1277 die Freiheiten Wiens urkundlich und förmlich be-
stätigt hat. Und wenn dem so war, so haben wir mit dieser Confir-
mation jedenfalls die besprochene Zeugenreihe in Zusammenhang zu
bringen, mit ihr fällt dann auch die Bestätigung in den Juni oder
Anfang Juli 1277.
Inhaltlich wird diese erste Ausfertigung ganz den Urkunden vom
24. und 25. Juni 1278 entsprochen haben, mit der Ausnahme, dass
natürlich gegenüber der erstem der Artikel 29 über Paltram und die
folgenden ja offenbar nachträglich zugefügten Bestimmungen über
Marktrecht fehlten und dass gegenüber der Bestätigung des Leopoldi-
num noch nicht jene Arenga vorhanden war, welche in unverkenn-
barer Weise die im allgemeinen erprobte Treue der Wiener im Gegen-
satz zum Verrate Paltrams preist^). Dafür, dass im übrigen aber der In-
halt dieser ersten Bestätigung von 1277 der Erneuerung von 1278
entsprochen hat, spricht wol ausser der inneren Wahrscheinlichkeit
auch^noch folgendes. Man hätte doch kaum die Zeugenreihe des reichs-
städtischen Privilegs so ohne weiteres einfach herüber genommen, wenn
es eben doch nicht im ganzen die gleiche Urkunde geblieben wäre.
AVeiter beruft sich Rudolf in der Bestätigung der Privilegien für Wiener
Neustadt vom 22. Noveml)er 1277 auf die forma iuris civitatis Wien-
nensis. nach der die Wiener Neustädter ihren Gerichtsstand haben
') Für difsou ganzen Fall vj^l. die Erörterungen Fickers über nicliteinheit-
liclie Zengenreihon und Datirungen in Mittheil, des Instituts 1, 21 ff. -') Winter,
Urkundl. Beiträge zur Rechtsgesch. ober- und niederösterr. Städte 31. ') Aehn-
lich schon Tomaschek a. a. 0. XLIX.
Wien in den J, 1276—1278 u. K. Rudolfs Ötadtrechts-Privilegien. 59
sollen, eine Wendung, die ebenso in den folgenden Bestätigungen von
1281 und 1285 wiederkehrt, also wol zeigt, dass diese forma vor und
nach dem 22. November 1277 dieselbe geblieben war.
Im Juni oder Juli 1277 hatte also König Kudolf der Stadt Wien
Privilegien von wesentlich demselben Umfang ertheilt, wie dieser uns'
in den Urkunden von 1278 überliefert ist.
Es ist ein Ergebniss, deshalb von Bedeutung, weil es für das Ver-
hältniss Eudolfs und Wiens erst die richtige Grundlage der Beurthei-
kmg bietet, Obwol ja schon lange feststand, dass irgendwie eine
Handlung im Jahre 1277 den Urkunden von 1278 vorausgieng, so
sind die historischen Folgerungen daraus noch nie gezogen
worden 1). Nur Lorenz, der, wie man weiss, die Urkunden so wie sie
uns überliefert sind, für spätere Entwürfe der Wiener Rathspartei unter
Herzog Albrecht ansah, hat der Consequenzen Erwähnung gethan, die
sich aus der Annahme der Echtheit der Urkunden ergeben, freilich nur,
um dadurch diese Annahme selbst gewissermassen ad absurdum zu
führen: „bekanntlich empörten sich Paltram und seine Söhne, weil
Rudolf die Reichsfreiheit und Rathsrechte nicht bestätigt hatte; weil
sie sich empörten, wurden sie verurtheilt und weil ihre Verurtheilung
zu einer Bedingung der Ertheilung des reichsstädtischen Privilegiums
gemacht wurde, darum konnte auch das Privilegium nicht vor der Zeit
der Verurtheilung vorhanden gewesen sein." Wäre dies letzte der Fall,
„so brauchten sich offenbar die Wiener nicht zu empören und Paltrara
nicht verurtheilt zu werden". Also kann natürlich das Auskunftsmittel
der Rückdatirung der Handlung nicht gebraucht werden, also sind die
Urkunden in dieser Gestalt nicht echt^). Nun sind sie aber doch eben
in dieser Gestalt als echt erwiesen worden. Es wird demnach noth-
wendig sein, unter diesem neuen Gesichtspunkt das Verhältniss der
Stadt Wien zu Rudolf auch einer neuen Beurtheilung zu unterziehen
und es dürfte sich zeigen, dass sich so doch alles noch besser in-
einanderfügt.
') Man nahm einfach die Echtheit der Urkunden an, beachtete ihre Vor-
geschichte nicht weiter und konnte dann in ihnen allerdings nichts anderes er-
blicken, als einen Versuch Rudolfs, das wichtige Wien unmittelbar vor dem
Kriege mit Ottokar sich geneigt zu machen. Diese Annahme wird unmöglich,
wenn Rudolf eben schon ein Jahr früher wesentlich diesellH>n Urkunden ausge-
stellt hat; und jener Artikel über Paltram, den die Neuausfertigung von 1278
mehr hat, muss nunmehr gerade als die eigentliche Veranlassung derselben her-
vortreten. Dies soll die folgende Darstellung erweisen, '^) Lorenz, Ueber
den Unterschied von Reichsstädten und von Landstädten in Wiener SB. 89. b'D.
60 K e (1 1 i <• h.
Rudolf war im October 1276 imauflialtsain bis vor Wieu vorge-
druugen. Die kleiueren Städte Ober- und Uuterösterreichs hatteu sieli
ohue Gegenwehr dem römischen König unterworfen. Wieu aber leistete
tapferen und hartnäckigen Widerstand. Vom 18. October an lag Ku-
dolf mehr als fünf Wochen vor der Stadt, ohne sie mit Waffengewalt
bezwingen zu können. Wien war durch König Ottokar von Böhmen
von jeher begünstigt, in seiner inneren Entwicklung nie gehemmt
worden, Ottokar hatte die Stadt neu befestigt und hatte ihr el)en
noch im selben Jahre nach grossen Bränden sein besonders hilfi-eiches
Wolwollen bewiesen ^). Andrerseits hatte Ottokar von den Bürgern
Wiens sich zwar huldigen lassen, so dass damit ihre Reichsunmittel-
barkeit verloren gegangen, hatte aber im übrigen in keiner Weise in
die durch die Privilegien Kaiser Friedrichs II. von 1237 und 1247
gewährte freiere und selbständige Stellung des Eathes eingegriffen^).
So waren die herrschenden Bürger in ihrem Streben nach politischer
Selbständigheit nicht gestört worden, und auch die unteren Klassen
fanden sich unter dem Regimente Ottokars wol zufrieden. Zudem w^ar
die Geistlichkeit, wie grösserntheils in Oesterreich, dm"ch zahlreiche
Begünstigungen für Ottokar sehr eingenommen. Nun kam der römi-
sche König. Was hatte Wien von ihm zu gewärtigen? Wol das,
was er am oO. October der Stadt Tuln, die sich ihm schnell und
freudig ergeben hatte, verbriefte: da die Stadt unmittelbar an das
Reich gehört, soll sie, wen immer wir dem Lande Oesterreich vor-
setzen werden, nur diesem unterstehen, ganz so, wie sie dem Reiche
verbunden ist. Das heisst, solaus'e der König im Lande ist. steht die
Stadt unmittelbar unter dem König, ist reichsunniittelbar ; kommt ein
Laudesfürst, so wird sie ebenso landesfürstlich^).
Dagegen wehrte sich Wien oder doch vor allem die herrsehenden
Männer der Stadt, an ihrer Spitze der mächtige und einflussreiche
Paltram vor dem Friedhofe. Sie kämpften weniger für Ottokar als
für sich selbst. Neben ihnen war eine reichsfreundliche Partei, die
nach dem steierischen Reimchrouisten bestand^), anfangs wol unbedeu-
») Vgl. Contin. Vindobon. SS. fl, 706, 707. -') Vgl. Lorenz a. a. 0. 65 ft'.
•'•) Die höchst beraerkenswerthe Stelle des Tulner Privilegiums lautet : Item cum
oivitas sepedicta immediate vespiciat impcrium, volumub et in specialis gratie ar-
gumentum ijisis concedimus, ut quonicumque terro Austrie prefecerimus, oidem
et nulli eius sutfraganeo pareat ipsa oivitas eo ordiue et forma quibus ipsi im-
perio est astrieta. Winter, Urkundl. Beiträge 27. Die Stelle ist jedenfalls auch
bezeichnend für das, was den Geist Rudolfs noch vor Ausgang des Krieges von
J276 erfüllte. Unausgesprochen liegt in diesen Worten doch schon der (iedanke,
der sechs Jahre später zur Wirklichkeit ward. *) Ed. Seemüller in Mon,
Germ. Deutsche Chron. 5. 188.
^\'ien hl den J. 1276—1278 n. K. Rurlolfs Stacltrechts-Pnvilt^gieu. ßj
tend. Als sich aber im Laufe der iJelageruug Mangel an Lebens-
mitteln zeigte, die Bedrängnisse des Krieges sich mehrten und Unzu-
friedenheit und Widersetzlichkeit um sich griff, fand sie einen Bundes-
o-enossen an dem „povel", wie der ritterliche Sänger die Handwerker
und gemeinen Leute verächtlich nennt. Zwar war diese Strömung
nicht mächtig genug, um die Uebergabe der Stadt zu erzwingen, doch
aber scheint sie die Anknüpfung von Verhandlungen mit Eudolf be-
wirkt zu haben. Denn solche setzt doch der neunte Artikel des mit
Ottokar geschlossenen Friedens vom 21. November 1276 voraus: Ru-
dolf nimmt Paltram und den Stadtschreiber Konrad, sowie die ganze
Stadt Wien zu Gnaden an, alle gegen die Stadt ergangenen Sentenzen
werden widerrufen, dagegen sollen der Stadt Freiheiten, Privilegien
und Vorrechte vollständig gewahrt bleiben i). Das waren die Bedin-
gungen, unter denen sich Wien ergab, nachdem die Unterwerfung
Ottokars einen weiteren Widerstand doch nicht mehr räthlich machte.
In den letzten Tagen des Novembers zog Rudolf in Wien ein 2).
Die Währung: der Freiheiten und Privileo-ien Wiens bedeutete na-
türlich ihre ausdrückliche Bestätigung durch Rudolf. Was der steierische
Reimchronist in die Tage vor der Uebergabe der Stadt zusammen-
drängt, das wird in der That in den nächsten Monaten geschehen sein:
do wurden üz gelesen die besten die man häte an der Wien^er rate, daz
die kgemeu überein umbe groz und umbe chlain, swaz man in solde machen
sieht an ir gewonheit und ii- reht bessern und iteiiiweu. Der kunic
in daz bi sinen triwen von dem ersten hinz dem lesten müest verhant-
vesten vergewissen und bestatten, e si immer iht getreten daz sin wille
waere. Aus diesen Vorlagen der Bürgerschaft und den Besprechungen im
königlichen Rate ^) giengen endlich die Stadtrechts-Privilegien hervor,
I) Mon. (ievra. LL. 2, 408. — Auch die steier. Reiuudironili meldet ;nis-
drikklich die Bestätigung der Privilegien als Bedingung der Uebergabe. -) Dass
Wien erst nach dem Friedensschluss vom 21. November die Thore öttnete, zeigte
schon Huber, (jesch. UesteiTeichs 1, 602 Aniu. 1 ; seine Gründe — die ausdrück-
liche Angabe der besten Quellen und die Thatsache, dass Kudolf noch am 28. Nov.
in castris ante Wiennam uvkiindet, können noch besonders durch den Hin-
weis auf Artikel 9 des Friedens vermehrt werden. Die gegentheilige Ansicht von
Lorenz, Deutsche Gesch. 2,145, beruht auf der Reimchronik 188 f., die ihrerseits
durch die Erzählung des Chron. Colmar. S8. 17, 248 beinttiisst war. Diese schiefe
Auflassung bedingt denn auch des Reimchronisten übrige Darstellung der Wiener
Vorgänge , die eben nur darnach beurtheilt und vcvweithct werden kann.
3) Zu der Annahme eines allmäligen Zustandekommens der Urkunden — schon
in der Natur der Sache liegend — bringt die frühere Ausführung über die Zeugen-
reihe einen weiteren Beweis.
ßo R e d 1 i c h.
wie sie König Kudolf um die Mitte des Jahres 1277 förmlich und
Jeierlich bestätigte und verbriefte.
Wiens Wünsche wareu erfüllt, eine weitere Entwicklung der Stadt
im Sinne eines reichsunraittelbaren Gemeinwesens von politischer Be-
deutuuo- schien durch die Urkunden gesichert. Und doch war es in
kurzer Zeit wieder Paltram vor dem Friedhof, der mit Ottokar ge-
heime Verbiudungen anknüpfte, mit allen Unzufriedenen in Oester-
reich und Steier in Beziehung trat und ein Mittelpunkt jener gefähr-
lichen Verschwörung ward, die im Sommer 1278 im Verein mit einem
AngTiff des Böhmenkönigs Rudolf verderben sollte. Für Paltram und
seine Mitverschwornen in Wieu konnte es sich nur darum handeln,
das schon Errungene festzuhalten für alle Zeiten. Und da schien ihnen
Kudolf jedenfalls viel gefährlicher , als nach ihrer Erfahrung Ottokar.
Denn die Absicht Rudolfs, Oesterreich seinen Söhnen zuzuwenden, Hess
sich nunmehr schon recht gi-eifbar merken: im Lauf des Jahres 1277
waren die ausgedehnten Kirchenlehen von Salzburg, Freising und Passau,
welche die babenbergischen Herzoge innegehabt, den Söhnen des Kö-
uio-s übertragen worden. Und ein Herzog im Lande war eben nach
den Erinnerungen aus des streitbaren Friedrich Zeit so viel wie der
Kampf gegen die Keichsunraittelbarkeit der Stadt. Dazu gesellte sich
die Unzufriedenheit mit dem neuen Regiment, dessen Steuerdruck be-
sonders auch die Städte traf und die Sehnsucht nach den guten Zeiten
König Ottokars wachrief. Es wii-d nicht zum kleinsten Theile gerade
dies letztere Motiv gewesen sein, welches Paltram aus den Reihen der
Wiener Biirger seine Anhänger verschaffte.
Ein Gelingen dieser verrätherischen Pläne hätte für Rudolf höchst
gefährlich, ja verderl)lich werden können. Allein die Verschwörung wurde
Ende April oder Anfangs Mai 1278 entdeckt ' ). Die Hauptschuldigen, Hein-
rich von Kueuring, dann Paltram, sein Bruder und seine Söline wurden
des Hochverrathes schuldig erkläi-t, ilire Güter eingezogen ; sie entkamen
nur durch die Fkicht der Strafe. Auch manche andre angesehene
Wiener Bürger waren in die Sache verwickelt-). Im ganzen und grossen
') Durch eine mir erst kürzlich bekannt gewordene Urkunde K. Rudolfs
vom ly. Mai 1278 (Copie im Landesarchiv zu Graz, aus Orig. im Consistorial-
arch. zu Salzburg) wird der bisher zwischen Ifi. April und IG. Juni begrenzte
Zeitraum für die Entdeckung beträchtlich verengert. Kudolf schenkt nemlich am
19. Mai dem Chunrad von Himberg, Landscbreiber von Steiermark, ob seiner
Verdienste einen Weinberg gen. Gannzz und einen andern in ürinzing, quas Bal-
Irammo «luondam civi Wiennensi cum ceteris bonis suis propter indevocionis
aue proterviam sentencialiter abiudicavimns iic nobis attraximuH.
") Die Bürger, welche 1281 an Rudolfs Sohn Albrecht als Reichsverweser
die HnldigungHbriefe mit der ausdrücklichen Krklfirinig ausstellon, jede Bezit^hung
Wien in den J. 1276— 1278 u. K. Rudolfs Stadtrechts-Privilegien. 63
freilicli war die Stadt doch wol Kiidolf treu geblieben und von einer
allgemeinen Verschwörung und Empörung Wiens darf man nicht spre-
chen 1). Aber eine Saat von Misstraueu zwischen dem König und der
Stadt war ausgestreut, und demgemäss handelte Rudolf, vorsichtig und
drohend. Er that es in dem für die Stadt empfindlichsten Punkte.
Als er vor einem Jahre Wien die Stadtrechtsprivilegien verliehen hatte,
war dies geschehen ohne Einschränkung. Jetzt traf er im Hinblick auf
die jüngsten Vorgänge eine Bestimmung, wie sie vielleicht beispiellos
dasteht bei derartigen Urkunden, wenn auch ihr Gedanke unausge-
sprochen wol jeder Verleihung zu Grunde liegt. Die Gültigkeit und
Dauer der von dem Reiche der Stadt Wien gewährten Rechte, also
vor allem die Reichsunmittelbarkeit und die damit zusammenhängende
innere Selbständigkeit, sollte abhängen von dem Wohl verhalten der
Büro-er: würden sie in irgend eine Verbindung mit dem geächteten
Paltram und seinem Geschlechte treten, so sollen dadurch allein schon,
ipso fiicto, diese Rechte verfallen und verloren sein. Es wurden die
Urkunden in neuer Ausfertigung hergestellt und diese Bestimmung
einfach au den letzten Artikel des früheren Textes angehängt, mit ihr
zugleich noch einige inarktrechtliche Verfügungen, zu deren nachträg-
licher Aufnahme sich da eine willkommene Gelegenheit fand. Die Ein-
leitung des einen Privilegs wurde benützt, um die in Gefahi- und Em-
pörung bewährte Treue der Wiener zu preisen, welche belohnt werden
soll. Konute dies immerhin mit Rücksicht auf die im ganzen ja ruhige
Haltung der Stadt gesagt werden, so waren es im Grunde doch nur
schöne Worte und nahmen in Wesenheit dem neuen Artikel 21* nichts
von seiner drohenden Schärfe, mit der er eines Tages Sehuldige und
Unschuldige, die ganze Stadt, treffen und ihre Freiheit und selbstän-
dige Bedeutung; vernichten konnte.
Dies war die Bedeutung der uns allein erhaltenen Neuausfertigung
der Wiener Stadtrechtsurkunden vom 24. und 25. Jnni 1278. Zehn Jahre
später ging das Schicksal Wiens in Erfüllung. Die Drohung des
Artikels 29 ward unter der eisernen Hand des neuen Laudesfürsteu,
des Herzogs Albrecht, zur That und Wirklichkeit, die Empörung der
Wiener uearen den Heizou', der von ihrer Reichsunmittelbarkeit nichts
wissen wollte, endete mit dem vollständigen Verzicht der Stadt auf
alle und jede ihr von König Rudolf verlieheneu Privilegien.
zu Paltram vermeiden zu wollen (GQ. der Stadt Wien 1 1, i>'.}), dürfen sicherlich
als bei der A'erschwörung Paltrams betheiligt nugenommen werden, wie dies
schon Lorenz in Wiener SB. 4(', 77 that. ') Dies verbietet denn doch der Eingang
der Urkunde vom 2."j. .luni 1278; auch Weiss, Gesch. d. Stndt Wien I, lo7 ist
dieser Ansicht.
Karl W. und die Witteisbacher.
Von
Theodor Lindner.
^ Frauduleutus eteuiiu caesax Babariain dolosis uequitiis seinper
impugnavit*. so zeichuet der Verfasser der Jahrbücher von Matsee das
Verlialten Karls IV. gegen die Baiernfürsten, Und wie der Zeitge-
nosse haben viele Geschichtsschreiber bis auf den heutigen Tag ge-
nrtheilt, auch ihnen galt Karls Handlungsweise als ein schändliches
Gewebe von List, Bosheit und Betrug, Natürlich, dass es dem Kaiser
nicht an Vertheidigern gefehlt liat, aber diese, wie der vortreffliche
Pelzel und Palacky, konnten als parteiisch gelten, und obgleich sich
in neuerer Zeit eine günstigere Auffassung des grossen Luxemburgers
Bahn bricht, wird doch gerade sein Vorgehen gegen die Baiern noch
immer als Ausfluss grandsätzlicher Feindschaft und persönlicher Ge-
hässigkeit angesehen.
Vielleicht wii'd eine Betrachtung ohne Voreingenommenheit mit
ruhiger Erwägung des thatsächlichen und aeteumässigen Ganges der
Dinge zu einem andern Ergebniss führen und zeigen, dass die Schuld
auf beiden Seiten mindestens gleich vertheilt lag, ja dass tue Baiern
seliger die Ursache waren, wenn .sie von einem Verlust nach dem an-
dern betroffen wurden, dass üie selber den Kaiser veranlassten, ilmen
das Schicksal zu bereiten, welches sie trat. Es liegt mir wahrlich die
Absicht fern, eine Bettung Karls IV. zu schreiben; was sollte mich
auch dazu bewegen? Ein unmittelbar persönliches Interesse an jeuen
Vorgängen kann heutzutage nur ein liaier empfinden, welcher es mit
Beeilt beklagen darf, dass der Luxemburger seinem Fürstenhause den
Bang abhef und die Aussicht auf eine grosse Zukunft abschnitt, aber
es ist anzuerkennen, dass sich der neueste Geschichtsschreiber Baierus
von solchen Empfindungen nicht zur Ungerechtigkeit verleiten Hess.
Karl IV. unrl die Wittelsbacher. 65
obschon Eiezler die Beziehungen Karls zu den Witteisbachern auch
etwas einseitig beurtlieili
Ich will nicht noch einmal Alles im Einzelnen erzählen, denn
das hiesse fast die gesamte Geschichte Karls IV. schreiben. Ich be-
schränke mich darauf, einen üeberblick über die Entwicklung zu geben ;
nur an einzelnen Stellen, wo es mir nöthig erscheint, verweile ich
etwas länger, so namentlich bei dem Schlussabschuitt, dem Streite um
Brandenburg. Da ich auf die allbekannten Darstellungen von We-
runsky, Kiezler, Huber u. s. w. verweisen kann, enthalte ich mich
meist einzelner Quellennachweise, um eine flüchtige Skizze nicht mit
zu viel Ballast zu beschweren.
Dem Kaiser gerecht zu werden ist deswegen schwer, weil das
Auge, seine ganze Kegierung überschauend, naturgemäss an dem End-
ergebniss haften bleibt, und so entsteht leicht die Vorstellung, es
sei von Anfang an gewollt, vorbereitet und mit zäher Geschicklichkeit
festgehalten schliesslich erreicht worden. Die Erwerbung der Mark
Brandenburg gilt in der Regel als das Ziel, welches sich Karl schon
in den ersten Jahren seiner HeiTschaft stellte und in seinem Geiste
nie aufgab. Wäre das richtig, dann müsste allerdings der Stab
über ihn o-ebrochen werden. Aber berechtigt zu solcher Annahme
etwas anderes als die Thatsache, dass er das Land schliesslich an sicli
brachte? Es lässt sicli fi'eilich nicht urkundlich widerlegen, dass er
eine solche Absicht stets gehegt habe, aber ebensowenig ist sie zu be-
weisen; für beides fehlen uns sichere Zeugnisse. Man wird daher besser
thun, nicht zu viel vorauszusetzen, sondern einfach den Lauf der Er-
eignisse zu verfolgen und jedes für sich in seinem eigenen Zusammen-
hange zu begreifen.
Das Königthum Karls ist aus der Feindscliaft gegen die Witteis-
bacher hervorgegangen und unzweifelhaft lud er durch die Art, in
welcher er es erwarb, eine schwere Schuld an dem Deutschen Reiche
auf sich. Aber er konnte sich mit dem Rechte der Selbstvertheidigung
entschuldigen, sicli beklagen, wie das luxemburgische Haus durch
Kaiser Ludwig, der ihm die Krone und den Sieg über Habsburg ver-
dankte, nur Undank, Beeinträchtigung und mit dem schnöden Raube
Tirols noch Verunehrung erlitt; er hatte nicht Unrecht, wenn er von
einer weiteren Regierung Ludwigs Schlimmeres befürchtete i). Doch
mag man darüber denken, wie man will; dass Karl, sobald er ein-
mal als Gegeukönig aufgetreten war, Ludwig zu stürzen suchte, war
') Vgl. lueiue Deutsche Geschichte uuter den Habsburgem und Luxem-
burgern I, 468 ff.
Mittheilungen XII. 5
(^^ L i n fl n e i*.
uatürlicli. JDeösen i)lötzliclier Tod verscliaflte ihm unerwartet schnell
die allgemeine Anerkennung, aber nur deswegen, weil die Söhne des
Gestorbenen nicht sofort den Kampf gegen ihn aufnahmen, ihm kost-
bare Zeit liessen, sich im Reiche festzusetzen.
Karl bekriegte sie zunächst nicht weiter und täuschte damit die
Hoffnungen der Kurie, welche erwartete, dass er an ihnen die Eache
der Kirche vollziehen, sie von Land und Leuten treiben werde. Seine
Stellung war dadurch eine sehr schwierige, weil er die Gunst des
Papstes noch nicht entbehren konnte, aber keineswegs beabsichtigte,
sich zum Vorkämpfer päpstlicher Ansprüche aufzuwerfen. Er blieb
sonach in selbständiger zuwartender Haltung.
Es o-ab für die Witteisbacher zwei Wege: entweder schleunigst
eine Verständigning mit dem Gegner zu suchen oder ihn mit allem
Nachdruck zu bekämpfen. Sie wählten das letztere, und dass sie Karls
KöniD"thum als nicht zu Recht bestehend betrachteten, wird ihnen Nie-
mand verargen. Fassten sie ihre ganze Macht zusammen, so konnten
sie schon dem Böhmen die Spitze bieten, denn ihre Besitzungen um-
klammerten das Reich au allen vier Ecken. Wollten sie Karl nicht
anerkennen, so mussten sie ihm einen andern König entgegenwerfen,
und da ihnen vier Kurstimmen, die pfälzische, die brandenburgische,
die mainzische des Erzbischofs Heinrich, die Theilstirnme Sachsen-
Lauenburgs zur Verfügung standen, war eine Neuwahl, die als recht-
mässig gelten konnte, zu macheu. Das richtigste wäre gewesen, wenn
der älteste Sohn des Kaisers, Ludwig von Brandenburg, selbst als
König auftrat; deun obgleich er sich dann selber wählen' musste,
— er konnte übrigens auch seinen Bruder als Kurfürsten von Branden-
buro- vorschieben — kam doch alles nur auf die Macht an. Selbst
wenn man einen andern deutschen Fürsten erhob — hätten die Baiern
nur damals schnell gehandelt! Aber der abenteuerliche Plan, König-
Eduard IIL von England heranzuziehen, kostete neue Zeit, verstärkte
schliesslich nur Karls Stellung, nährte dessen Feindschaft und raubti^
die Möglichkeit, luit ihm rechtzeitig vortheilhaite Verliandlnug(>ii an-
zuknüpfen.
Erst jetzt, wo es schon zu spät war, suchten die Baiern ihren
Schwager ^Tarkgraf Friedrich von Meisseu zur Annahme des König-
thums zu bewegen. Karl erweckte ihnen, da sie ihm Trotz boten, in-
zwischen aller Orten Schwierigkeiten, aber er war auch bereit, ein
Abkommen zu treffen, welches zu vermitteln Herzog Albreeht von
Oesterreich übernahm. Nach den Gelübden, welche der König in Avignon
abgelegt, durfte er eigentlich nicht mit den Baiem verhandeln, und als
er daher dem Papste vorher Mittheilnng machte, that er es in der
Karl IV. nnd die Wittelsbacher.
ß7
Absicht, sein Eutgegeiikomnien zu begründeu uud bei der Kurie einen
Ausgleich vorzubereiten i). Indessen die Zusammenkunft in Passau
nahm den übelsten Verlauf: leideu schaftlich trat Ludwig gegen den
Widersacher auf, weil dieser die englischen Umtriebe durch Anschläge auf
Holland abgewaudt hatte. Doch fuhr Karl fort, in Avignon in seinem
Sinne zu wirken; er erreichte gegen Ende des Jahres, dass die Ehe
seines Bruders Johann Heinrich mit Margaretha Maultasch von Tirol
kirchlich getrennt werden sollte, und erleichterte dadurch einen künftigen
Ausgleich mit Ludwig, da die Scheidung auch die Ansprüche des
böhmischen Prinzen auf Tirol aufhob-).
Vorläufig war jedoch Kampf die nächste Losung. Ein merkwür-
diges Zwischenspiel brachte das Auftreten des falschen Waldemar in
der Mark. Dass Karl an der Aufstellung des Betrügers betheiligt war,
ist nicht wahrscheinlich, aber er zauderte nicht, sie auszunützen und
ging selbst in die Mark, um die Empörung mit seiuem königlichen
Namen zu rechtfertigen. Vor dem von Ludwig vertheidigten Frank-
furt vollzog er feierlich die Belehnung Waidemars, deren Urkunde zu
Heinersdorf ausgestellt wurde, und gebot allen Landesbewohnern Ge-
horsam und LTnterwerfung. Doch auch jetzt scheint er Verhandlungen
nicht verschmäht zuhaben, denn da er und Ludwig im December 1348
zu gleicher Zeit in Dresden anwesend waren an dem Hofe des Meissner
Markgrafeu, der sich inzwischen das ihm angebotene Gegenkönigthum
durch Kar] liatte abkaufen lassen, so lieg-t nahe, eine Verabreduno- an-
zunehmen. Als eine Aussöhnung nicht erfolgte, wusste der Markgraf
keinen andern Ausweg, als den schon abgenützten Gedanken, einen
Gegenkönig aufzustellen. Die Auswahl war nicht mehr- gi-oss und
Ludwig musste nehmen, wen er fand; seine mit Günther abo-eschlos-
senen Verträge machen durchaus den Eindruck, dass ihm der Pl.m.
den Schwarzburger autzuwerfen, schnell durch den Kopf fuhr und er
nur in der Verlegenheit nach ihm griff. Er wollte auf jeden Fall
Karl Hindernisse in den Weg werfen: das weitere mochte die Zeit
bringen.
Es ist bekannt genug, Avie nun die Wahl Günthers erfolgte, der
zwar in Frankfurt seinen Sitz nahm, aber, weil er die Hilfe seiner
Förderer abwartete, die schönste Zeit ungenützt verstreichen Hess. Karl
dagegen sicherte sich durch Verträge seine Freundschaften uud ver-
■ legte Günther den Weg nach Aachen, zog durch die Heii'at mit Anna
■ deren Vater, Pfalzgraf Iludolf, auf seine Seite und griff endlich seinen
') Vgl. Riedel II, 2, 260. '■) Als Bittsteller wird zwar Jolianu allein oe-
iinnnt, al.er der KTiniiT innss ducli weniosfens claruin «r^wusst haVieii.
5*
gg L i n d n e 1'.
Gegner an, nachdem er ihn vergeblich zu Friedensverhandlungen zu
bewegen gesucht. Die folgenden Einzelheiten sind nicht recht klar. Karl
selbst meldete seinen Freunden, dass Günther, Ludwig von Brandenburg,
■Heinrich von Mainz und Pfalzgi'af Kuprecht nach Eltville geflohen seien,
wo er sie belagert und bezwungen habe, während nach anderen Nach-
richten Ludwig erst, als Karl schon vor der Feste lagerte, herbeikam,
doch nicht um zu kämpfen, sondern um Frieden zu schliessen. Jeden-
falls führte nicht der kriegerische Erfolg Karls allein die Entscheidung
herbei, denn er kam seinen Feinden in jeder Weise entgegen. Na-
mentlich gegen Günther handelte er sehr anständig, während dessen
Wähler des Verrathes an ihrem Opfer beschuldigt wurden.
Doch uns können hier nur die mit den Baiern vereinbarten Ver-
träge beschäftigen!). Karl schloss in allgemein gehaltenen Urkunden
mit sämmtlichen baierischen Herzögen Frieden und bestätigte ihnen
alle ihre Länder und Rechte, ohne sie im Einzelnen zu bezeichnen.
Die Hauptsache war natürlich die brandenbm'gische Frage. Nach allem
Vorangegangenen und den übernommenen VerbindKchkeiten gegen die
Freunde Waidemars konnte Karl vorläufig den falschen Markgrafen
nicht sofort und vollständig aufgeben, auch nicht den Baiern den
markgräflichen Titel ertheilen. Bestimmte Versprechen, die Mark ihnen
zurückzustellen, hat er auch gewiss nicht gegeben, aber er bereitete
schon die Möglichkeit vor, vielleicht verwies er sie bereits auf den
einzuschlagenden Rechtsweg. Er verhiess, dem „ hochgebornen Wälde-
rn ar, Markgrafen von BrandenlDurg, seinem lieben Schwager und Für-
sten" keinen Beistand zu leihen, wenn Ludwig gegen ihn Krieg führen
wolle. Er gestattete also Ludwig, sieh die Mark zu erobern, hielt ihn
aber in Abhängigkeit, wie er es noch tbun musste; doch duldete er
daneben, dass dieser sich nach wie vor Markgraf von Brandenburg
nannte. Dagegen legte Karl den Streit um Tirol alsbald bei, indem
er für sich und seine Erben die Rechte auf Kärnthen, Tirol und Görz
aufgab und den Titel dieser Länder Ludwig ertheilte. Zugleich
versprach er seine guten Dienste zur Lösung des Kii'chenbannes , zu
welchem Zwecke er selbst mit Ludwig nach Aviguon gehen wollte.
Ludwig im Namen seiner Familie erkannte dafür den Luxemburger als
König an und versprach, die Reichskleinodien nach der Befi-eiung von
den Kirchenstrafen ihm auszuliefern.
Karl, welcher der Ansicht sein durfte, dass die Witteisbacher ihm den
Krieg aufgezwungen, den Thronstreit zwecklos verlängert hätten, zeigte
sich gleichwohl zur Nachgiebigkeit bereit, soweit er für den Augen-
') Vgl. Steinherz und Weizsäcker in den Mitth. VIEI, 105 ff.
Karl IV. nml die Wittelsbaclicr. fiQ
blick geheu konnte. Er vermied einen weiteren Kampf und machte
seinen Gegnern grössere Zugeständnisse, als sie ihm. Denn er ver-
laugte von ihnen nur die Anerkennung, welche sie ihm kaum noch
versagen konnten, und wagte es wiederum, dem Papste gegenüber,
obschon mit Vorsicht, selbständig aufzutreten. Clemens war tief ver-
stimmt ; als ihm Karl sofort seine baldige Ankunft zusammen mit dem
Baiern meldete, schrieb er ilim zurück, die gegenwärtigen Zustände im
Reiche machten rathsam, dort zu bleiben.
Es besteht nun die Meinung, Karl habe durchaus nicht die Ab-
sicht gehabt, die märkische Sache ehrlich zu erledigen; Ludwig habe
sich bald veranlasst gefühlt, wegen Beeinträchtigung seiner Rechte
durch den Köqig die Kurfürsten anzurufen, aber Karl durch den erfolg-
ten Spruch sich nicht abhalten lassen, in der Mark von neuem feind-
lich gegen Witteisbach aufzutreten. , Während er die eine Hand dem
versöhnten Gegner ans Herz drückte, winkte er mit der andern schon
hinter seinem Rücken wieder einen Feind herbei " i). Ich denke, da-
mit wird dem König Unrecht gethan. Die Neueren sehen der Lösung
einer so schwierigen Frage ungeduldiger entgegen, als es damals Ludwig
that, und würdigen nicht genug Karls Lage, der doch nicht Hals über
Kopf zu den Baiern übergehen und allein ihre Interessen zur Richt-
schnur nehmen konnte. Er bahnte vielmehr die Wendung, welche er
nehmen wollte, allmählich an. Es handelte sich um einen Rechts-
streit, der bereits einmal entschieden worden, und daher war es nicht so
leicht, ihn nun im entgegengesetzten Sinne durchzuführen; am wenig-
sten konnte das Karl mit einem blossen Wort thun.
In der Mark hatte die allgemeine Lage inzwischen keine wesent-
liche Aenderung erlitten; die gegen die Witteisbacher Verbündeten
hielten weiter zusammen und schlössen Verträge über Ausnützung und
Theilung der Beute. Die Nachrichten über den Friedensschluss zwischen
Karl und Markgraf Ludwig, unerwartet vde sie waren, riefen gewaltige
Aufregung hervor, da Niemand Avusste, was dabei über die Mark be-
stimmt worden sei. Ludwig der Römer, welcher den abwesenden
Bruder vertrat, machte daher Städten und Ständen den Vorschlag,
beim Könige selbst anzufragen , ob die Mark den Baiern verbleiben
solle ■'^). Es scheint, dass er schon auf guten Bescheid rechnete.
Karl ging jetzt noch über seine den Baiem an sich schon gün-
stige Haltung hinaus. Am 11. August in Köln verkündigte nämhch
Pfalzgi-af Rudolf den mit seinen kurfürstlichen Genossen gefundenen
Spruch: Kaiser Ludwig habe dem Markgrafen Ludwig von Branden-
') So Riezler lU, 17; ähnlich Werunsky II, 198 ti'. ■') Riedel 11,2,258.
70 L i n il n e r.
bürg alle seine Freiheiten bestätigt und Karl sie ihm auch versehrieben ;
der K()nig solle seine Zusagen nicht üljertreten, und thäte er das, solle
es Ludwig keinen Schaden bringen i). Der Sinn war also der: es
wurde die Thatsache festgestellt, dass Kaiser Ludwig seinem Sohne die
Mark verliehen und dass Karl letzterem alle seine Kechte bestätigt
habe, also auch die Mark. Wenn aber Waldemar damals wirklich noch
lebte, so war Ludwigs Verleihung eine ungiltige und die neue Ver-
briefung durch Karl konnte sie auch nicht bekräftigen, während im
entgegengesetzten Falle sie es that. Des Markgrafen Schicksal hing
also daran, ob Waldemar echt war oder nicht; erkannte nun der
König diesen weiter fälschlich an, so that das dem Rechte des Witteis-
bachers an sich keinen Abbrach. Der Spruch war also Ludwig durch-
aus günstig und wahrte gerade alle seine Rechte. Mehr konnte Karl
vor der Hand nicht thun, — denn dass Pfalzgraf Rudolf nach und
mit seinem Willen handelte, beweisen zur Genüge Person, Ort und
Zeit — und wenn er selbst gleich darauf den Märkern schrieb: „er
erkenne nur Waldemar an und nach dessen Tode die Sachsen und An-
haltiner: wer ihnen etwas anderes sage, thue Unrecht an ihm 2), so war
das nur der Ausdruck der vorläufig unveränderten Rechtslage, mit welchem
auch Kurfürst Rudolf zufrieden war, da er dauernd im besten Ein-
vernehmen mit dem Köniofe blieb. Aber wohlbemerkt: Karl füffte
diesem Schreiben keine Aufmunterung für Waldemar gegen Ludwig
bei, dem freie Hand blieb, sein Glück zu versuchen. An die Märker
erging auch die Aufforderung, zusammen mit Herzog Rudolf und den
anderen Fürsten Machtboten au den Hof nach Böhmen zu schicken,
also ein weiterer Schritt vorwärts.
Mittlerweile hatten die Baiern einen Bundesgenossen gefunden in
dem thatenlustigen Könige Waldemar IV. von Dänemark und LudAvig
errang in der Mark manche Erfolge, schon begannen Herren und
Städte sich ihm wieder zuzuwenden. Den Feinden, deren Mittel er-
schöpft waren, sank darob der Muth und sie neigten zu einem Schied-
sprache, den König Magnus von Schweden fällen sollte. Wahrschein-
lich schlug ihn die askanische Partei vor, da er ihr alter Freund war
and sie sich vom deutschen Könige nichts gutes mehr versprach; sie
machte damit den Versuch, dem von Karl zu erwartenden Entscheide
zuvorzukommen. Ludwig seinerseits schloss den Vertrag wohl nur
zum Scheiu ; er wie seine Gegner mussten bereits wissen , dass der
König für die nächsten Tage eine Versammlaug nach Bautzen ange-
setzt hatte; denn am 2. Februar wardejene Verabredung getroffen, am 7.
') Riedel II, 2, 261; nur ein Auszug ist erhalten. ^ Riedel U, 2, 261.
Karl IV. iinil ilie Wittelsliacher. 7|
sind die Verliaudlungeu in Bautzen bereits im vollen Gange. Ludwig
war also jedenfalls unteri'ichtet, da.ss für ihn die günstigste Wendung
eincretreten , Kaid nun entschlossen war, die einst in der Notli er-
«mflFene Politik aufzAigeben. Einige Tage später, Anfang Februar
1350, trafen zu Bautzen Karl und die Witteisbacher nebst Freund-
schaft und Anhang zusammen, und der König legte seinen Streit mit
den Baiern einem Fürstengericht vor, welches Pfalzgi-af Kudolf leitete.
Er verfuhr ganz so, wie zu Anfang: wie er auf Grund eines Rechts-
spruches Waldemar anerkannt, wollte er jetzt auch auf dem Rechts-
wege von seinen Verpflichtungen gegen die früheren Bundesgenossen
loskommen, sie ins Unrecht setzen. Er handelte also äusserlich dem
Rechte gemäss und fand so persönliche Deckung: ein solches Gericht
konnte er nicht gut früher im Reiche einsetzen, sondern alter Ge-
wohnheit folgend verlegte er es an einen Ort, der seiner Lage nach
als zuständig gelten durfte.
Auf Grund des bekannten Spruches belehnte der Kernig Ludwig
und seine beiden Brüder mit den Marken zu Brandenburg und Lau-
sitz und dem Kurrechte, ebenso ertheilte er dem Markgrafen Kärnten
und Tirol nebst Zubehör. Zugleich versprach er, sich zu bemühen,
,als ob es sein eigen Ding wäre", dass die Brüder bis Michaelis aus
dem Banne kämen, sollte es nicht glücken, doch seine Anstrengungen
fortzusetzen. Acht Tage nach Ostern wollte Karl in Nürnberg des
Reiches Füi-sten urtheilen lassen, ob der zu diesem Zwecke vorzuladende
Waldemar wirklich der todtgeglaubte sei; kämen die Fürsten und
Waldemar nicht, so würde Ludwig dennoch all seines Rechtes theil-
haftig.
Ludwig beeilte sich nun , den Boten Karls die Reich skleinodieu
auszuliefern; der Nürnberger Tag fand wirklich statt, und da weder
Waldemar noch von dessen Partei Jemand erschien, wurde die Sache
endgiltig zu Ludwigs Gunsten erledigt. Karl ging also ganz untadel-
haft zu Werke; er verzichtete sogar auf die Niederlausitz, welche ihm
Waldemar abgetreten hatte. Das Zugeständniss Tirols mochte ihm
schwer genug fallen und Johann Heinrich hat es seinem königlichen
Bruder sehr übel genommen. Obgleich Karl den Baiern zur Erobe-
rung der Mark nicht mit den Waffen half, fuhr er fort, sie mit seinen
Briefen und Befehlen zu unterstützen^).
Gleichwohl hat Karl weder bei Markgraf Ludwig noch bei der
Nachwelt Dank gefunden, was freilich bei ersterem menschlich zu ver-
0 Weninskv II, 338 legi; sich KarlB späteres Verhalten nach seiner vorge-
fassten Meinung sehr sonderbar zurecht.
r.t L j n fl n e r.
stehen ist. Neuer Streit zwischen ihnen erhob sich, aber man mus.s
erwägen, dass die verquickten Rechtsverhältnisse jener Zeit immer Stoff'
zur Unzufriedenheit gaben und nicht so einfach zu schlichten waren.
Karl fühlte sich freilich nicht veranlasst, fortan lediglich und allein
den Baiern dienstwillig zu sein, aber er konnte vielfach auch für sie
nicht mehr thun, als er that, ohne sich seinen sonstigen Aufgaben
und Zwecken zu entziehen und sich selber Feindschaften zu erwecken.
Jedenfalls hatten Rudolf von Sachsen und die anderen Herren von der
Waidemarschen Partei viel mehr Grund, über den König zu klagen,
als die Baiern. Ludwig hat sich nachher beschwert, dass Karl ihn
nicht vom Banne freimachte. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass
Karl nach den Bautzener Verträgen deswegen den Papst anging i),
aber vergeblich, da man in Avignon den alten Hass bewahrte; er-
neuerte man doch nochmals den Bann gegen Ludwig. Ueberdies war
Papst Clemens mit seinem ehemaligen SchützHng aufs höchste unzu-
frieden und schlug ihm sogar die Romfahrt ab. Später, als Ludwig
selbst immer neue Schwierigkeiten verursachte, mag Karl allerdings
seine Bemühungen für ihn eingestellt haben, doch Hess er es die
Witteisbacher nie empfindeu, dass sie im Kirchenbann standen, suchte
davon, wie er wohl gekonnt hätte, nie Nutzen zu ziehen.
Die Zwistigkeiten hörten nicht auf, durch verschiedene Verhält-
nisse veranlasst, nicht allein durch Karls bösen Willen. In Tirol hatte
Ludwig viel Unfrieden mit dem Bisthum Trient und dem Patriarchat von
Aquileja, welchem seit October 1350 Karls unehelicher Bruder Nico-
laus vorstand, auf den er auch Rücksichten zu nehmen hatte, dann
hielt Karl vormals in Oberitalien erworbene Rechte fest. Einen an-
dern Streitpunkt bildeten Reichspfandschaften, dann die Stadt Donau-
wörth, in deren Besitz sich Ludwig vom Könige gehemmt meinte und
wohl auch mit Recht, aber Karl war ihr gegenüber durch frühere Ver-
heissungen gebunden. Ueber die Einzelheiten sind wir nicht genau
unterrichtet, aber sollte Ludwig immer das schuldlose 0]iferlamm ge-
wesen sein und in allen diesen Fragen ganz allein Recht gehabt haben V
Der hauptsächlichste Streit aber folgte aas den inneren Verhältnissen
der wittelsbachischen Familie.
Entgegen den Bestimmungen des Vaters zerlegten die Söhne zu
wiederholten Malen ihre Lande, so dass sie schliesshch 1353 vier re-
gierende Familien bildeten. Ludwig der ältere überliess. die Mark
Brandenburg seinen Brüdern Ludwig dem Römer und Otto, wogegen
er Oberbaiern erhielt. Während Albrecht und im Allgemeinen auch
<) Vgl. Werunsky, Excerpta 76 n. 255.
Karl IV, und die Witt eil »acher. 73
Stephan zn Karl liielteu, wurde Ludwig der ältere immer feindseliger
zu ihm. Ausser früherem Groll bewirkten das die pfälzischen Ange-
legenheiten.
Nach dem Tode Kudolfs leitete sein kraftvoller aber selbstsüchtiger
Bruder Euprecht I. das pfälzische Haus. Sein Neffe und künftiger Erbe
Ruprecht IL hatte für die Absicht, den baierischen Vettern in Branden-
burg Hilfe zu leisten, durch lange Gefangenschaft büsseu müssen und
erst nach fünf Jahren bewirkte König Karl seine Freilassung. Es
scheint, dass die Baiern weniger eifrig waren und so das schlechte
Verhältniss zu den Pfälzern noch verschlimmerten.
Nun beanspruchte Ludwig auf Grund früherer Verträge Antheil
an Kudolfs Erbschaft, obgleich er vorher Karl und dessen Gemahlin
Anna gegenüber verzichtet hatte i). Annas Heimsteuer war auf Be-
sitzungen in der Oberpfalz angewiesen, Karl hatte für die Befreiung
Ruprechts dem sächsischen Herzoge eine beträchtliche Summe auf
böhmische Herrschaften zugesagt, auch sonst dem verstorbenen Pfalz-
grafen Geld geliehen. Dafür trat ihm Ruprecht einen grossen Theil
der nördlichen Oberpfalz ab, welchen Karl dann mit Böhmen vereinigte.
Gewiss ein schöner Erwerb, der Ludwigs Eifersucht erregen konnte.
Indem Karl dem ihm auf engste verbündeten Pfalzgrafeu auch das
alleinige Kurrrecht zusprach, erlitten die Witteisbacher Hausverträge
eine weitere Beeinträchtigung. Ganz richtig: Karl ging eben den
Gang, welchen ihm sein Interesse vorschrieb, und kreuzte dabei den
Ludwigs, Ihn leitete Eigennutz, aber sollte er um Ludwigs willen, dem
er wahrhaftig in keiner Weise zu Dank verpflichtet war, nicht auch
seinen Vortheil suchen und seine Rechtstitel geltend machen? Ohnehin
stand jener mit seinem bittern Hass gegen Karl allein in der Fa-
milie. Schon dachte er gegen den König, den er als abgefeimten,
treulosen Lügner betrachtete, weil er ihm nicht die Versprechen ge-
halten, das Schwert zu ziehen, aber für einige Zugeständnisse gab er
nach und versprach Karl den ungehinderten Durchzug durch seine
Lande nach Italien. Am 1. August 1354 erfolgte zu Sulzbach der
Friedensschluss , der freilich nicht das gegenseitige Misstrauen hob?
vermied doch Karl bei seiner Romfahrt auf dem Hin- und Rückwege,
Ludwigs Lande zu berühren. Daher mag auch die Rücksicht auf die
Alpenpässe, welche er gar nicht benützte, nicht der alleinige Grund
gewesen sein, welcher den König zur Friedfertigkeit bewog.
Als Kaiser war es Karls erste Sorge, die AVahl des deutschen
0 Huber, Regesten Reichssachen 144; es ist das ein allgemeiner Verzicht,
bezüglich auf Rudolfs Erbeinsetzung vom 4. März 1349.
74 L i n d n e r.
Königs durch flic Goldene Bulle zu regeln. Durch sie wurde endgiltig
dem buierischen Zweige der Witteisbacher das Kurrecht abgesprochen,
und auch darin ist ein Zeichen von Karls Todfeindschaft gegen jenen
erblickt worden. Das dürfte ebenfalls nicht ganz zutreffen '). Ur-
sprünglich hatten Baieru und Pfälzer gleichmässig das Wahlrecht in
Anspruch genommen: unter dem Einfluss der Siebenei-theorie Hess sich
jedoch für das Gesamthaus nur Eine Stimme behaupten, über deren
jedesmalige Abgabe zwischen Baieru und Pfalz mancherlei Streit ge-
pflogen und mancherlei Verträge geschlossen wurden. Für das Reich,
für eine stetige Regelung der Königswahl lag unzweifelhaft das Be-
dürfuiss vor, feste, nicht dem Familienbelieben und dem unausbleib-
lichen Familienzwiste ausgesetzte Bestimmungen zu haben. Ein AVechsel
der Stimmen zwischen beiden Häusern hätte solche nicht ergeben, —
man braucht nur an so zweifelhafte Vorgänge denken, wie es eben
die Wahlen Eduards von England und Günthers gewesen waren —
ging auch bei der Spaltung der Baiern in mehrere Linien kaum an.
Dass Karl sich für die Pfälzer entschied, lag nicht allein an seiner
Freundschaft zu ihuen, sondern entsjirach auch den Verhältnissen.
Wenn fortan nur ein Herzog von Baiern oder ein Pfalzgraf wählen
sollte, so erlaubte die Stellung, welche der letztere in Folge seiner
Würde im Reich einnahm, durchaus nicht, ihn der Kur zu entkleiden,
und überhaupt Avar ein Zustandekommen des wichtigen Gesetzes nur
denkbar , wenn Ruprecht Kurfürst wurde. Der baierischen Familie
verblieb zudem die brandenburgische Kurwürde, und deren augen-
blickliche Inhaber hatten <^egen die Ordnung der Dinge nichts ein-
zuwenden. Was konnten demnacli die Baiern von Karl Anderes
verlangen ?
Dass es manchen wackem Baiem gab, den der Umschwung im
Reiche mit Zorn erfüllte, der mit Schmerz sah, wie der wittelsbachische
Löwe von dem böhmischen zurückgedräng*t wurde, ist trotzdem leicht
zu verstehen und die Anschauungen des Annalisten von Matsee wur-
den sicherlich von Anderen getheilt 2). Ein Kampf mit dem Kaiser
mochte daher Vielen willkommen sein, und ein solcher brach auch
aus. Karl hatte von dem Regensburger Bischof Burg und Herrschaft
Donaustauf an sich gebracht, zum Schrecken der baierischen Herzöge
und der ganzen Umgegend. Bekanntlich war Karl stetig bemüht,
innerhalb des Reiches und namentlich in der Nachbarschaft von Böhmen
Erwerbuni>en zu machen . und er erbitterte damit die Fürsten , wie
') Das giebt auch Riezler III, 47 f. zu. 2) Das sieht man auch aus Hein-
rich von Rebdorf 544.
Karl IV. unrl die Witfelsl>acber. 75
später hesouders die Wettiuer. Dass er dabei die sclilechte Absiclii
hatte, alle die Fürsten zu verderben, wird sich wohl nicht behaupten
lassen; er wollte möglichst allenthalben im Keiche Fuss fassen, av;is
für die Erstarkung- der königlichen Gewalt nur vortheilhaft sein konnte,
zugleich — und vielleicht stand ihm das in erster Stelle — traf er so
nutzbare Geldanlagen. Dass er dazu berechtigt war, dürfte unbestreit-
bar sein. Eine absonderliche Bosheit oder tief angidi^gte listige Pläne
üfegen die Baiernfürsten schloss also der Kauf Uouaustaufs kaum in
sich; der gute Wirthschafter kam ihnen in einem vorzüglichen Ge-
schäft zuvor, doch war ihre Aufregung darüler auch gerecltfertigt,
Herzog Albrecht wollte den Vermittler des Kaufes, seinen ehemaligen
Vitzthum Peter Ecker dafür züchtigen, und diesem kam Karl zu Hilfe,
jedenfalls, um sich zugleich Donanstauf zu sichern. Doch ein friedlicher
Vergleich, welcher dem Herzoge Allirecht von Oesterreich den Schieds-
spruch übertrug, erstickte die Kriegsflamme, uud obgleich dann die
Fehde wirklich ausbrach, machte Albrecht l)ald mit Karl Frieden. Die
Witteisbacher kamen eben durch eigene Schuld, durch Uneinigkeit
und planloses Handeln nicht vorwärts. Der ältere Ludwig klammerte
sich in seinen fortwährenden Verlegenheiten an Oesterreich, Stephan
verschluss seinen Groll in sich, Albrecht wurde bald durch die hollän-
dischen Verhältnisse vorwiegend in Anspruch genommen, während der
Kömer und Otto im Fahrwasser der kaiserlichen Freundschaft ver-
harrten.
Der Tod Ludwigs des altern im September 1361 und der seines
Sohnes Meiuhard im Januar 1363 wurde für die Baiern Ursache zu
neuem Zwiste. Herzog Rudolf bemächtigte sich mit kühnem Angriff
Tirols ij, auf welches die gesammten Witteisbacher Ansprüche machten,
') Ich benütze die Gelegenheit, hier einige kurze Bemerkungen einzulegen.
Ich kann mich nicht überzeugen, dass die Urkunde vom 2. Sept. 1359, mittelst
welcher Margaretha Tirol den österreichischen Herzögen vermachte, wirklich an
diesem Tage ausgestellt ist. Meiner Ansicht nach ist sie erst nach Meinha,rds
Tode geschrieben; Rudolf hatte ja Siegel und Kanzlei der Margaretha sofort zu
seiner Verfügung. Ich will alle die vortrefflichen (Jründe, welche für die frühere
Ausfertigung vorgebracht worden sind, nicht noch einmal eriirtern; mich be-
stimmt hauptsächlich der Umstand, dass der Inhalt so ganz genau auf die durch
Meinhards Tod geschaffene Lage passt, welche sich vorher nicht berechnen Hess.
Die von Rudolf am 21. Mai 1360 abgegebene Erklärung, aufweiche Riezler III, r,R
be.sonderes Gewicht legt, scheint mir keinen zwingenden Beweis zu erbringen,
da sie dasselbe über die Grafschaft ßurgund besagt. — Viele Schwierigkeiten
hat die Bündnissurkunde vom 31. December 1361 gemacht, welche neuerdings
Steinherz 604 ff. auf den 31. März 1362 verlegen will. Ich denke, die Sache ist
recht einfach : vnr haben in ihr eine Neuausfertigung des früher geschlossenen
Bündnisses, in welcher Meinhard und Kasimir von Polen hinzugefügt sind. Die
76 L i n fl n e r.
■während Herzog Stephan entgegen den bestehenden Hausverträgeu
Oberbaiern in Besitz nahm und so tlie Einheit der Familie sprengte.
Er handelte im Einverständniss mit den Pfalzgrafen, welche des Kaisers
Feindschaft gegen Herzog Rudolf auszunützen gedachten, doch lag
ihnen wohl hauptsächlich nur daran, sich die Forderungen, welche sie
noch an den gestorbenen Ludwig hatten , sicher zu stellen. Stephan
traten jedoch die eigenen Brüder entgegen, nämlich Ludwig der Römer,
welcher aus Brandenburg herbeieilte, und Otto; entzog ihnen jener
Meiuhards Erbschaft, so wollten sie ihm mit gleicher Münze vergelten.
Am 18. März nahmen Ludwig und Otto den erstgebornen Sohn des
Kaisers, Wenzel, und sonstige Erben in ihre Brüderschaft und Erb-
schaft auf, so dass diese, wenn sie selbst ohne männliche Erben stür-
ben, die Mark und die Lausitz erhalten sollten. Die Wahrscheinlich-
keit, dass beide ohne männliche Erben dahinscheiden würden, war
freilich nicht gross, da der Römer zwar noch kinderlos, aber seit
wenigen Jahren in zweiter Ehe vermählt und erst 33 Jahre alt war,
Otto wenig mehr als zwanzig Jahre zählte. Er wurde gleichzeitig ver-
lobt mit des Kaisers fünfjähriger Tochter Elisabeth, der einzigen, über
deren Hand Karl verfügen konnte. Die beiden Brüder brachten, ab-
gesehen von der Schädigung der Familie, kein persönliches Opfer; Otto
gewann die Aussicht auf eine reiche, vornehme Frau und auf einige
weitere Vortheile : ob auch Ludwig eine Belohnung erhielt, geht aus
den Verträgen nicht hervor. Er befand sich in sehr schlechten Geld-
verhältnissen; die Mark war so gründlich abgewirthschaftet, dass er
schon vorher üire Verwaltung auf drei Jahre dem klugen Magdeburger
Erzbischof Dietrich übertragen hatte i).
Theilnahme Meinhards hat von jeher besondem Anstoss erregt (vgl. auch Riez-
1er III, 61); seit seiner im October 1362 erfolgten Flucht aus Baiern hatte er
freie Hand und es ist nicht zu verwundem, dass er nun bei Rudolf und Ungarn
durch engsten Anschluss Unterstützung suchte. Im November steht Rudolf mit
ihm in Verbindung (vgl. Huber, Vereinigung Tirols 215 n. 260); um diese Zeit
mag die Neuausfertigung auf alter Grundlage erfolgt sein. Der ursprüngliche
Text ist enthalten in König Ludwigs Erklärung von 1367 bei Du Mont Corps
dipl. 2a, 67; nur fehlen hier Datum und Zeugen. Obgleich das Original ver-
loren war, so hat doch die ungarische Kanzlei eine Abschrift besessen, \vie na-
türlich. Die neu ausgestellte Urkunde trägt aller Wahrscheinlichkeit nach das
alte, echte Datum; ob auch die Zeugen einfach herüber genommen sind, lässt
sich kaum entscheiden. Da Herzog Friedrich am 10. December 1362 starb, wird
dies Schrittstück vor diesem Tage ausgestellt sein. — Uebrigens bestätigt auch
der Wortlaut des Briefes, mit welchem Margaretha am 3. Februar 1363 in das
Bündniss an Stelle ihres gestorbenen Sohnes trat, durchaus meine Auffassung.
3) Tlieuner, Der Uebergang der Mark Br. etc., Diss. Berlin 1887, hat diese
Verhältnisse sehr klar und verständig behandelt.
Karl IV. \mA die Wittelsbaclier. 77
Die grosse Frage ist nur, ob Karl damals den Brüdern ver-
sprochen hat, ihnen für die Gewinnung Oberbaierns Beistand zu leisten.
Eine Urkunde ist darüber nicht vorhanden. Die beiden Brüder ge-
lobten dem Kaiser als König von Böhmen Beistand gegen Jeden, der
ihn in seinen Fürstenthümerii und Kechten schädigen werde, und es
ist nach dem damaligen Brauche zuverlässig anzunehmen, dass er ihnen
eine entsprechende Gegenurkuude gab. Auf sie spielt offenbar später
Markgraf Otto an, wenn er behauptete, der Kaiser habe ihnen in be-
siegelter Urkunde den Schutz ihrer Lande in Brandenburg, Lausitz
und Baiern zugesagt. Gemeiniglich hat man das so gedeutet, dass er
ihnen eine gewisse Zusage gegeben, zur Erlangung ihres oberbaierischeu
Erbes behilflich zu sein'). Sicherlich erkannte er mit den Worten,
dass er sie in ihren Besitzungen in B a i e r n schirmen wollte , ihre
Erbschaftsrechte an, da sie dort sonst nichts besassen , aber er über-
nahm nicht die Verpflichtung, ihnen den Besitz zu erkämpfen, sonst
würde Otto mehr davon zu sagen wissen. Vermuthlich wurden die
Brüder auf den Rechtsweg gewieseu, wie auch spätere Aeusserungeu
Karls schliessen lassen, denn ob die anderen Familienmitglieder den
einst von Ludwig dem altern mit dem Römer und Otto geschlossenen
Erbvertrag anerkannten, ist sehr zweifelhaft, da die Vermehrung der
Erbschaf tsraasse durch Tirol ohnehin die Sache weitschichtiger machte.
Ludwig der ältere hatte seinen Verwandten nie ein Anrecht an letz-
teres Land eingeräumt, gleichwohl beanspruchten sie es jetzt. "Wahr-
scheinlich liess der Kaiser auch die Tiroler Frage offen, den Erfolg
des bevorstehenden Waffeuganges abwartend. Es ist zu beachten, dass
Pfalzgraf Ruprecht, Herzog Stephan und sein Sohn Friedrich alsbald
die kaiserliche Urkunde, welche den über Brandenburg geschlossenen
Vertrag genehmigte, mit ihrer Zeugenschaft bekräftigten-); sie waren
also einverstanden und müssen demnach l)eruhigende Zusi( herungei»
erhalten haben, oder wetteiferten mit den anderen im Buhlen um
Karls Gunst. Für gehoffte Entschädigung in Oberbaiern und Tirol
gaben sie selber die unsichere Aussicht auf Brandenburg auf. Unter
allen Umständen errang Karl einen schönen Erfolg, den aus purem
Edelmuth abzuweisen er sicherlich nicht verpflichtet war. Es konnte
nicht seine Sache sein , die Wittelsbaclier über ihre Thorheit aufzu-
klären und abzulehnen, was sie ihm fi'eiwillig darbrachten. Sie er-
11 löglichten ihm durchaus eine Politik freier Hand.
Herzog Stephan, verbündet mit seinem Bruder Albreclit, der auch
nicht leer ausgehen wollte, und unterstützt von PfalzgTaf Ruprecht
1) So auch Riezlev III, 73. ») Riedel II, 6, 95.
Yg 1; in einer
und Jinro-gnif l^Viedrich von Kürnljerg, versuchte' im Herbste Tirol zu
erobern, doch trotz einiger glücklichen Wuifcnthaten v^urde der Haupt-
zweck nicht erreicht. Wieder wandte er sich an den Kaiser, der wohl
versprach, Ludwig und Otto abzuhalten, während des Streites um Tirol
Oberbaiern zu beanspruchen, doch Tirols wegen keine Zusage machte.
Denn er trug Anderes im Sin]i. Bald darauf, im Februar 1364, er-
folgte der berühmte Friedensschluss zu Brunn, Karl belehnte Herzog
Rudolf mit Tirol „ in Rücksicht auf die nahe A'erwandtschaft mit Mar-
»aretha und dgren Bestimmung-. Die Baiern waren gewiss arg ent-
täuscht und sahen sich in ihrer Rechnung betrogen. Aber bestimmte
Zusicherungen hatten sie nicht erhalten, und man muss sagen, dass
die Entscheidung, welche der Kaiser über Tirol traf, das Recht nicht
verletzte, so sehr sie seinem persönlichen Vortheil diente. Wie heillos
zerrüttet die wittelsbachischen Familienzustände waren, zeigte sich bald
darauf, indem Ludwig und Otto unter A'erzichtleistung auf Tirol mit
dem Oesterreicher einen Kriegsbund gegen Stephan schlössen. Karl
hat dazu seine Genehmigung gegeben, denn kurz \orher theilten unter
seinem Beirath die Brüder ihre braudenljurgisehen Lande und später-
hin bestimmte er, was Markgi-af Otto von dem väterlichen Erl)e in
Oberbaiern gewinne, solle auch dem Bruder zu gute kommen. Ks
scheint demnach, als ob auch diese Brüder nicht recht einig waren,
aber dass Karl ihre Zwietracht künstlich hervorgerufen oder genährt,
wie manche Forscher wissen wollen, ist <lurch nichts erwiesen; die
letztere Verfügung spricht sogar dagegen.
Am 17. Mai 1365 starb Ludwig der Römer. Da Otto thatenlos
verharrte, behielt Stephan Oberbaiern unangefochten. Karl mischte
sich in diese Dinge nicht weiter, ebensowenig in den nachfolgenden
Krieo- um Tirol, wie er in ähulichen Fällen bei fürstlichen Streitig-
keiten eine abwartende Stellung einnahm. Uui Otto zu seinem Rechte
zu verhelfen, hätte er selber die Waffen ergreifen müssen, da Stephau
Oberbaiern mit Einwilligung der dortigen Stände vollkommen in Be-
sitz hatte. Da-s er damit dem Baiernlande am übelsten gedient hätte,
ist klar, aber wir wissen auch nicht, dass er nachher irgendwie ver-
sucht hat, Otto voi-zuschieben, um die Herzöge zu beunruhigen, was
er kaum unterlassen hätte, wenn wirklich sein eigentlicher und einziger
Zweck war, die Baiern fortwährend zu bedrängen oder sie unter einan-
der zu verhetzen.
Otto stand damals in bester Freundschaft zur kaiserlichen Familie,
bei welcher er sich oft und lange aulhielt. Der erblose Tod l^udwigs ver-
mehrte allerdings die Aussicht, dass die Mark dereinst an das luxem-
buro-ische Haus fallen köune. und seitdem ihm endlieh 1361 in Weu/el
I
Kart IV. und die Witfelsbacher. 7q
ein tSolm geboren werden, trachtete Karl mit noch grötiserem Eifer
danach, seine Hausmacht zu vermehren. Trotzdem nöthigen die Ab-
machungen, welche er mit Otto traf, in keiner Weise zu der Annahme,
dass er beabsichtigte, durch sie die künftige Erwerbung der Mark noch
bei Lebzeiten Ottos vorzubereiten. Das Land befand sich ncch immer
in trostlosen Verhältnissen und die krieo-erischeu ünternehmuno-en in
Baiern mochten das fürstliche Vermögen noch mehr angegriffen haben-
Ob es dem jungen Fürsten gelingen würde, die ßegierung des ihm
nun ganz anheimgefallenen Landes mit Erfolg zu führen, war erst ab-
zuwarten, und er scheint sich selbst nicht die Kraft zugetraut zu haben.
Wie er und Ludwig es schon drei Jahre vorher in ihrem Abkommen
mit dem Magdeburger Erzbischofe gehalten , so üljertrug Ot.o im
October 13(35 auf sechs Jahre das Landesregiment dem Kaiser, der
einen Rath aus Fremden ernannte. Otto war mit Karl befreundet,
dessen künftiger Schwiegersohn; nichts war demnach natürlicher, als
dass er sich in seiner Verlegenheit ihm anvertraute, und ebenso, dass
Karl dem künftigen Manne seiner Tochter Beistand und Beirath leistete.
Hatte doch auch seiner Zeit Ludwig der ältere in schwierigen Ver-
hältnissen dem Herzoge Albrecht von Oesterreich die Verwaltung Ober-
baierns auf drei Jahre anvertraut und Niemand hat daraus den Schluss
gezogen, dass Albrecht das Land an sich reissen wollte.
Durch den vorzeitigen Tod des Herzogs Rudolf war die älteste
Tochter Karls, Katharina, zur Wittwe geworden. Karl, der wie die
anderen Fürsten seiner Zeit die Verlobungen seiner Kinder zu einem
politischen Geschäft machte und einen förmlichen Schacher damit trieb,
wünschte den ältesten Bruder des Verstorbenen in gleicher Weise an
sich zu fesseln. Da aber Herzog Albrecht nicht gut seine verwittwete
Schwägerin heii-atheu konnte, so wurde ihm die junge Elisabeth, die
Braut Ottos, bestimmt, denn dieser konnte nun durch Katharina des
Kaisers Schwiegersohn werden. Wie Karl erklärt, hat Otto selbst diesen
Wunsch ausgesprochen, und es lässt sich leicht denken, dass der Mark-
gi-af es vorzog, die junge schöne Frau, welche ihm gleichalterig war und
mit der er die Ehe sofort vollziehen k(jnnte, heimzuführen, statt des
ihm zugesagten achtjährigen Kindes. Zu bedauern war bei diesem
Handel vielleicht Katharina, denn nach einem Rudolf war dieser Otto,
an den sie gekettet wurde, kaum ein ihr zusagender Ehemann. Aber
Karl war ein listiger Rechner : da Katharina in der ersten Ehe kinder-
los geblieben, so erwartete er, dass sie, das vierimdzwanzigjährige Weib,
in der zweiten Ehe ebenso unfruchtbar sein würde! D.is ist in der
That von neueren Geschichtsschi-eibern behauptet worden.
hn folgenden Jahre verkaufte Ottr» die Niederlausitz an Karl. Das
gQ fj 1 n d n e r.
Laud war Klngst verpfändet, an eine Auslösung durch brandenbur-
gisches Geld nicht zu denken, und Karl bezahlte sehr anständig auf
Heller und Pfennig, so dass dem Markgrafen ein hübscher, barer üeber-
schuss blieb. Eines sonderlichen Zwanges wird es für Otto demnach
kaum bedurft haben ^) : auch seine niederländischen Besitzungen ver-
kaufte er damals an den Bruder Albrecht-).
Als Karl seine zweite Romfahrt antrat, gebar seine Gemahlin
Elisabeth einen Sohn, Sigmund, 1370 kam noch ein dritter Knabe,
Johann, also ein neuer Antrieb für ihn, seinen Besitz zu mehren.
Der lange gehegte Plan, Otto die Mark zu entreissen, soll demnach
iu ihm nun erst recht Stärke und Kraft gewonnen haben. Wir kommen
damit zu dem Schluss des langen Schauspiels. Mehr noch als h-gend
ein anderes Werk Karls gegenüber den Baiern ist die Erwerbung der
Mark als Ausfluss bösartiger Treulosigkeit, verbunden mit roher Gewalt,
betrachtet worden. Sie bietet die meisten Schwierigkeiten für Erkennt-
uiss und Urtheil, denn die Nachrichten sind — abgesehen von einem
kurzen Zwischenspiel — dürftig und unzusammenhängend. Die Haupt-
person, Markgraf Otto selbst, ist mehr die leidende als die handelnde,
er steht weit zurück im Hintergründe und von seineu Absichten und
Gedanken erfahren wir wenig genug. Der Streit um die Mark ist
zugleich eingehüllt in eine weitverzweigte politische Verflechtung, welclie
grosse liäthsel birgt.
Die wesentliche Frage ist die : vod welcher Seite wurde der Bruch
zwischen Markgi-af und Kaiser veranlasst, wer von beiden trug die
Schuld daran oder wirkten andere Einflüsse ein?
Wir erinnern uns, dass Otto im October 13G5 dem Kaiser die
Verwaltung der ]\lark aul' sechs Jahre übertrug. Karl setzte einen
Kath ein, an dessen Spitze Graf Heinrich von Schwarzburg stand, und
des Grafen wie der anderen Bevollmächtigten Namen finden sich in den
meisten Urkunden, welche der Markgraf iu der Folgezeit erlassen hat.
Doch ergingen sie unter seinem Namen und Siegel, er selbst nahm
seit 1367 seinen ständigen Sitz in der Mark und blieb also wenig-
stens äusserlich der Kegent des Landes, und es ist kaum auzuuehmen,
dass er ganz willenlos jenem Beirathe unterworfen war. Im Herbste
1368, also ehe die sechs Jalire abgelaufen Avaren und während der
Kaiser in Italien verweilte, tritt eine Aeuderuug ein; jene von Karl
I) Hcholz, Erwerbung der Mark Brandenburg (lurch Karl IV., Diss., Breslau
1874 y. IJt will freilich die spätere Aussage Uttos, der Kaiser habe sich mit Ge-
walt seines Landes untei-wundeii und darauf eine Brücke bauen lassen, mit diesem
Kauf in Verbindung bringen. Vgl. darüber unten. -) Allgemeine Deutsche
Biogi-aphie XXIV, 665.
Itarl IV. and die Witteisbacher. gj[
ernannten Männer verscliwinden aus den markgräfiichen Urkunden, an
ihrer Stelle stehen andere Käthe, unter ihnen der Hofmeister Klaus
von Bismarck. Zugleich beginnt der Markgraf eine grössere politische
Thätigkeit zu entfalten zu Gunsten des Dänenköuigs Waldemar und
des Braun Schweiger Herzogs Magnus; er tritt in Gegnerschaft zu den
Herzögen von Mecklenburg und Pommern i). In einem Vertrage dieser
Zeit verpflichtet er sich für „ seine rechten Erben ", aber er nennt sie
nicht-).
Ende 13G8 also geht mit Otto eine Veränderung vor sich, und
nichts wäre wichtiger, als ihre Gründe zu erkennen. Gab ihm die
Abwesenheit des Kaisers dazu Antrieb und Muth? Ohnehin wirkte
damals auf ihn nicht der dem Kaiser dienstwillige Einfluss eines Maffde-
burger Erzbischofs, denn der dortige Stuhl war erledigt und der vom
Papste auf Karls Wunsch ernannte neue Erzbischof Albrecht IL von
Sternberg hielt erst im Dezember 1368 seinen Einzug ^). Doch ein
Mann von so geringer Begabung und Leistungsfähigkeit, wie Otto war,
handelte kaum, wenn ihn nicht Andere vorwärts drängten.
Zu der Zeit, als Otto sein Kegiment umgestaltete, oder kurz vor-
her gab es in der Mark Unruhen. Am 18. November 1368 schrieb
ihm nämlich Papst Urban V. einen zärtlichen Brief, sein Beileid aus-
sprechend „de suscitatis in tuo marchionatu adversitatibus " ; es sei an-
zunehmen, dass „die gegen ihn Rebellirenden ihren Aufruhr erhoben
hätten wegen des Krieges, welchen Ottos eigene Verwandten gegen
die geliebten Söhne, die Herzöge von Oesterreich, führten"^). Das
heisst doch nichts anders, als dass der Kaiser, der damals mit dem
Papste zusammen in Rom war und ganz auf des Markgrafen Ergeben-
heit rechnete wie er auch den Habsburgern hold gesinnt war, ver-
muthete, die Störungen in der Mark seien durch die Baiern hervor-
gerufen. Der Schiuss ist kaum zu kühn, dass diese „Rebellen" den
Umschwuug in der Landesverwaltung bewirkten, die Abwesenheit des
Kaisers benützend. Die Märker sahen die fremde Herrschaft uns-ern,
und so werden sie dem Markgrafen die neuen Räthe aufgedrungen
haben. Schon Ludwig der Römer wurde von dem märkischen Adel
gezwungen, die Landesregierung nach dessen Willen zu gestalten &).
Als der Kaiser im August 1369 aus Italien zurückkehrte, fand er
sehr bedenkliche Zustände vor. König Kasimir von Polen, besorgt,
weil durch den im Juli 1368 erfolgten Tod des Herzogs Bolko von
') Scholz 21 fF. 2) Am 10. November 1368; Sudendorf III n. 393.
'■') Städtechroniken VII. Magdebnrcr 258. ") Steinherz a. a. 0. 624. ^) Thenner
24 ff.
AUttheilungeu XII. 6
§^ L i n d n e r.
Schweidnitz - Jauer dessen schlesisclie Herzogtliüiner und die Nieder-
lausitz an die Luxemburger gefallen waren , hatte im Februar 1369
mit Ludwig von Ungarn ein Bündniss gegen Karl gemacht. Dieser
erfuhr in Italien die böse Nachricht und suchte die beiden Gegner zu
trennen, indem er für seinen Sohn Wenzel eine der unehelichen Töchter
Kasimirs, welche der Papst legitimiren sollte, begehrte ! ') Wenzel war
verlobt mit Elisabeth, der Nichte Ludwigs, welche bisher als die Erbin
Ungarns angesehen wurde. Wahrscheinlich hatte jedoch inzwischen
Ludwig seine erste Tochter erhalten-), so dass Elisabeths Hand nicht
mehr so viel bedeutete, wie früher, und Karl ganz gern seinen Erst-
gebornen fruchtbringender verheiratet hätte. In Ungarn nahm man die
Sache sehr übel und verlangte die Aufhebung der frühereu Verlobung,
welche auch Anfang 1370 erfolgte^). In diesem Zerwürfniss mit Un-
garn kam Karl über die Alpen, und gleich darauf fuhren die beiden
Pfalzgrafen und die Herzöge Friedrich und Stephan die Donau hinab
nach Pressburg, wo sie am 13. September 13()9 mit König Ludwig
Bündnisse schlössen. Bekannt ist von den auf Witteisbacher Seite ge-
gebenen Urkunden nur die der Pfalzgrafen. Sie schliessen den Ver-
trag zum Schutz ihres gegenwärtigen und künftigen Besitzes und
wollen dem Könige und dessen Bruder beistehen gegen jedweden Au-
greifer, doch nur innerhalb der Nachbarschaft ihrer Gebiete. Sie
nehmen aus Kaiser Karl, „dominum nostrum gratiosum", das Eeich
und alle baierischen Herzoge, Entsprechend lautet der Gegenbrief Lud-
wigs, von welchem auch eine gleiche für Herzog Albrecht von Baiern-
Holland ausgestellte Versicherung vorliegt; er nimmt dabei nur König
Kasimir von Polen aus^). Gewiss gab es noch Urkunden für die an-
deren Baiern.
Die räumliche Bestimmung und Begrenzung der zu leistenden Hilfe
zeigt, dass die Verbündeten nur an Gegner dachten, welche sowohl mit
Ungarn, wie mit Baiern grenzten. Das thaten nur der Kaiser und
die Oesterreicher. Gegen letztere hatten sich ja auch Ludwig und die
Baiern schon einmal, 1367, vereinigt, aber jetzt schlössen die Baiern
bei ihrer Rückkehr aus Ungarn mit den Habsburgern Tirols wegen
einen ohnehin schon vorbereiteteu Frieden ab, in welchem sie das
Land gegen eine grosse Entschädigung aufgaben.
Trotz des Vorbehalts über den Kaiser kann demnach nur an Karl
als Gegner gedacht sein, und es ist vielleicht nicht allzu spitzfindig.
*) Steinherz 574 ft'. -') Da Ende 1371 Ludwig bereits zwei Töcliter
hatte, mu88 die ältere spätestens 1369 geboren sein. In den über diese Sache ge-
wechselten Schriftstücken findet sich keine Andeutung davon. ^) Steinherz 577.
■•) Huber, Reg. RS. 500, Suppl. RS. 738, 73!i.
Karl IV. lind die Witteisbacher. p,^
zu bemerken, dass nicht auch seine Söhne und das Königreich Böhmen
ausgenommen werden. Hat nun Ludwig die Witteisbacher oder haben
diese den König gesucht? Ich denke, das letztere war der Fall, da
sonst wohl die Ptalzgrafen nicht die weite Fahrt gemacht hätten. Was
bestimmte sie nun, einen Schritt zu unternehmen, der Karl nicht ver-
borgen bleiben konnte , und selbst wenn ihm der gemachte Vorbe-
halt gezeigt wurde, seinen Verdacht erregen musste? Mau sagt ge-
wöhnlich: sie wollten Brandenburg ihrem Hause retten. Aber in den
Urkunden steht kein Wort weder von der Mark noch von Otto, von
dem auch sonst nirgends verlautet, dass er schon damals dem Bunde
beitrat. Und sollte König Ludwig ein besonderes Verlangen verspüren,
um dieses weit entfernte Land mit dem Kaiser zu kriegen? Hm lockte
vielmehr die Aussicht, den mächtigen Kachbar, mit welchem er zer-
fallen war, zu beschäftigen, um seine Absichten in Italien ungestört
verfolgen zu können.
Eäthselhaft ist vor allem die Theilnahme des Pfalzgrafen Kuprecht
und — fügen wir gleich hinzu — sein ganzes Verhalten in der Folge-
zeit. Gerade auf ihn gibt König Ludwig fortwährend besonders viel
und auf ihn nimmt er bei den späteren Verhandlungen mit Karl sorg-
liche Kücksicht. Dass den thatkräftigen Pfalzgrafen nicht die Inter-
essen des Gesamthauses Witteisbach bestimmten, ist mehr als wahr-
scheinlich, denn früher hatte er sich um solche wenig genug gekümmert.
Wenn er sich an dem Streit um Tirol und Oberbaiern betheiligte, so
geschah das, weil er auf die Hinterlassenschaft des älteren Ludwig An-
sprüche hatte, doch das Schicksal Brandenburgs, von dem er für sich
und seine Nachkommen nichts zu erhoffen hatte, beunruhio-te ihn
kaum. Es war ja auch keineswegs als schon verloren zu betrachten,
da Otto noch Kinder erzeugen konnte. Zu dem Bündniss trieb ihn
vielmehr die eifersüchtige Gegnerschaft gegen den Kaiser, welche er
seit mehreren Jahren hegte. Nicht gerade, dass er den Thron be-
gehrte oder Karl von ihm herunterstossen wollte; seine Politik stellte
sich nicht einen scharf umrissenen Plan, sondern den Kern noch nebel-
hafter Entwürfe bildete die Begierde, seiue eigene Macht um jeden
Preis zu mehren und den Kaiser dazu willfährig zu machen. Mit ihm
machte auch Erzbischof Gerlach von Mainz Partei, und was s'ms diesen
die augenblickliche Lage Brandenburgs an? Es ist gesagt worden,
sie wollten dem luxemburgischen Hause nicht zwei Kurstimmen über-
lassen. Da sie jedoch den Vertrag von 1363 ohne Vorbehalt bestätigt
hatten, müsste ihnen diese Sorge erst später gekommen sein. Nach-
her hat man allerdings dieses Verhältuiss im Reiche übel ver-
6'
g4 L i n d n e r.
merkt ^), aber es ist nicht anzunehmen, dass es schon damals, wo noch
alles in weiter Ferne lag, besonders erwogen wurde. Eben weil dem
Bunde mehr ein allgemeines Unbehagen über Karl, als ganz bestimmte
Pläne zu Grunde lagen, erwies er sich nachher so wenig haltbar.
Anders steht es mit den Baieru ; sie mögen von vornherein haupt-
sächlich an die Mark gt dacht haben. Unter ihnen trat seit einiger
Zeit als thatkräftige, an Entwürfen reiche Persönlichkeit der Herzog
Friedrich hervor, der zweite Sohn Stephans II,, viel bedeutender als
seine Oheime, seine Brüder und Vettern. Im Sommer 1368 hatte er
auf Seite der Visconti, seiner Verwandten, den Kaiser in Italien be-
kämpft, schliesslich Ende August den Frieden vermittelt, nachher an
dem Angriffe gegen Tirol theilgeuommen.
Es ist nicht undenkbar, dass Friedrich im stillen Einvernehmen
mit Bernabo Visconti handelte und Karl hat das späterhin geradezu
dem Papste augedeutet. War der Kaiser in Deutschland beschäftigt,
so konnte er in Italien nicht eingreifen, aber der kluge Gewalthaber
von Mailand mochte auch weiter denken. Gefährlicher als der Kaiser
war König Ludwig von Ungarn, dem Italien nicht weniger am Herzen
lag, als die slavischen Länder, und der sich allzeit erbot, dem Papste
gegen die Visconti zu helfen. Gelang es, Ludwig gründlich mit Karl
zu verfeinden, seine Thätigkeit von der Lombardei ab nach Deutsch-
land zu lenken, dann konnte Mailand sich ungetrübter Euhe erfi-euen.
So waren die Fäden des Netzes, welches den Kaiser fangen sollte,
mannigfach und wunderbar zusammengetragen.
Wollte man Karl in Verlegenheit setzen, lag es ohnehin nahe
genug, ihn mit Markgraf Otto oder dessen Lande zu verfeinden, und
weiteres konnte sich dann ergeben. Die Unruhen in der Mark kamen
zur rechten Zeit, aber es bleibt ungewiss, ob sie selbständigen Ur-
sprunges oder von den Baiern angestiftet waren.
Zurückgekehrt fand der Kaiser die Aenderungen in der Mark vor,
welche er seinerseits den baierischen Umtrieben zuschrieb. Er machte
dafür jedenfalls den Markgrafen verantwortlich, der zwischen Scylla
und Charybdis sass, zwischen dem zürnenden Schwiegervater und dem
unbotmässigen Adel seines J^andes. Leider fehlt uns jede Kenntniss, wie
es in dieser Zeit zwischen Karl und Otto stand und jede Spur von
etwaigen Verhandlungen zwischen ihnen. Die neuen l^äthe blieben in
Aemtern und Thätigkeit, und Karl hatte daher Grund zu zürnen uud
sich vorzusehen.
') Loserth in Mittheü. d. V. f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen, IG. Jahrg.
S. 172.
Karl IV. und die Wittelsljacher. 85
ImFehruar 1370 eilte er in die Lausitz, kaufte dort das an der Oder
oberhalb von Frankfurt gelegene Städtchen Fürstenberg, befestig-te es
und baute eine durch ein Kastell wohlverwahrte Brücke über den
Strom. Als Landesherr der Lausitz hatte er zum Kaufe und zur Be-
festigung das Eecht; die Brücke berührte indessen am jenseitigen Ufer
Ottos Land, doch konnte sich der Kaiser auf das ihm übertragene
Recht der Verwaltung berufen^). Der Brückenbau war im Augenblick
vielleicht mehr gegen Polen berechnet, als gegen die Mark, doch war
er auch für diese bedrohlich, wenn es mit dem Kaiser zu Feindschaft
kam. Daher erregte die Massregel gewaltiges Aufsehen, ein Zeichen,
dass bereits Schlimmes befürchtet wurde ^).
Karl traf noch andere Vorkehrungen, welche au sich gerecht-
fertigt waren. Am 14. Mai zu Guben Hess er sich von den pommer-
schen Herzogen Bogislaw und Kasimir gegen zugestandene Vortheile
Beistand geloben für den Fall, dass Otto über seine Lande anders ver-
fügen wolle, als er zu Gunsten der kaiserlichen Kinder getlian^).
Dorthin nach Guben kam auch auf Aufforderung des Kaisers
Herzog Magnus von Braunschweig. Karl hatte schon vor längerer
Zeit den Kurfürsten von Sachsen zugesichert, das Herzogthum Lüne-
burg solle nach dem Tode des Herzogs Wilhelm als erledigtes Lehen
an sie fallen. Wilhelm erklärte jedoch 1367 Herzog Magnus mit der
Kette von Braunschweig zu seinem Erben, der auch nach Wilhelms
Tode im November 1369 das Land in Besitz nahm, ohne die erneuten
Verfügungen Karls zu Gunsten der Wittenberger zu beachten. Mit
Magnus hatte Markgraf Otto noch zu Lebzeiten Wilhelms Verträge
geschlossen, den letzten am 8. April 1369, in welchem er ihm —
ausser anderen Dingen — auf drei Jahre Beistand zum Schutze seiner
Lande zusicherte, wofür der Lüneburger das Gleiche versprach^). Jetzt
nun in Guben wurden — sicherlich mit Wissen des Kaisers — mehrere
Urkunden für Magnus ausgestellt und ihm übergeben. In der einen
erklären die Söhne Karls, Wenzel und Sigmund : da „ ihr lieber Schwager
und Bruder" Otto sich vormals mit der Mark Brandenburg und mit
ihnen als seinen rechten Erben, falls er ohne Erben stürbe, mit Magnus
verbündet hätte, so verpflichten auch sie sich, Magnus zur Behauptung
seiner Herrschaften zu Braunschweig und Lüneburg behilflich zu sein
0 Otto hat später darin einen Eingriff gefunden: so hat er sich mit ge-
wald underwunden unser lande — und buwet daruf eyne brücken wider unczer
und unczer lande willen; Riedel 11, 2,509. Ueber die Deutung, welche Scholz 19
dem ersten Satze giebt, siehe oben S. 80. Auf die finanzielle Seite, welche
Scholz 30 stark betont, möchte ich weniger Gewicht legen. -) Beness 405.
3) Riedel II, 2, 503 f. ^) Sudendorf III n. 410.
Qg L i n d 11 e r.
und zwar gleich mit der Lausitz und nach Erfordern auch mit dem
Königreich Böhmen, und wenn Brandenburg an sie fällt, auch mit der
Mark. Entsprechend gelobt Magnus, sie in der Lausitz, in den ])öhmi-
schen Landen und gegebenen Falles auch in Brandenburg zu unter-
stützen ^). Er verhiess aber auch, wenn Otto seinen mit den kaiser-
lichen Kindern geschlosseneu Erbvertrag bräche oder änderte, das nicht
zu gestatten, vielmehr zu verhindern.
Gleichzeitig erklärten Markgraf Johann Heinrich von Mähren und
Erzbischof Johann von Prag: da der Kaiser sie für den Fall vorzeitigen
Todes seinen Söhnen zu Vormündern gesetzt, würden sie als solche
die Verträge erfüllen.
In diesem Vorgange hat man eine besonders arge List des Kaisers
erblickt, er habe damit, um Magnus von Otto abzuziehen, sein Kecht
auf Lüneburg durch eine Hinterthür anerkannt. Doch vom Kaiser
steht in den Urkunden kein Wort, und Karl ist bald darauf, Ende Juni,
wie in der Folge nachdrücklich gegen den Herzog für die Sachsen
eingetreten. Die Sache liegt wohl vielmehr so : der entgegenkommende
Theil ist Magnus, welcher Wenzel uud Sigmund als Eechtsnach folger
Ottos anerkannte, allerdings in der Hoffnung, sich den Kaiser geneigt
zu machen. Da jene unmündig waren, hatten die Verträge augenblick-
lich gar keine Bedeutung und auch an sich wurde die Rechtsfrage um
Lüneburg dadurch nicht berührt, ob Wenzel oder ein anderer Reichs-
fürst Magnus als rechtmässigen Landesherrn betrachtete, da das Ur-
theil allein dem Kaiser zukam. Xur wenn Karl starl) und eigentlich
auch erst, nachdem Otto ohne Erben abgegangen, erlangten die Ver-
einbarungen Bedeutung und auch vielleicht für Magnus Werth, und
dieseii kleinen Vortheil hat ihm Karl allerdings zugestanden, ohne
sich von seinem bisherigen Verhalten ablenken zu lasseu. Für die
Gegenwart war Magnus mehr der Gebende, als der Empfangende.
Ganz ähnlich hat Karl später gehandelt, als er AVenzel dem Mainzer
Erzbischofe Adolf versprechen liess, ihn nie zu bekriegen-). Immer-
hin mag Magnus die üeberzeugung gewonnen haben, der Kaiser werde
nicht selber die Waffen gegen ihn führen; Karl hat sich auch meist
besrnüfft. die Rechtssätze festzustellen, aber sie durchzufechten überliess
er den Betheiligten.
Damals in Guben vermittelte der Kaiser auch eine Süline zwischen
') Sudendorf III n. 25 ft". Ein solcher Vertrag zwischen Magnus und Otto
ist übrigens nicht bekannt ; wahrscheinlich wurde diese Form jetzt nur gewählt,
um trotz Otto einen Vertrag über die Mark von Seiten der kaiserlichen Kinder
zu ermöglichen. '-) Meine Geschichte des Königs Wenzel I, 37.
Karl [V. und die Witfelsbacber. g7
Erzbischof Albrecht von Magdeburg und dem einflussreichen Hofmeister
Klaus von Bismarck^). Wie es scheint, wurden dort sehr weitschich-
tige Berathungen gepflogen.
Jedenfalls überwarf sich Karl noch nicht völlig mit seinem Schwie-
gersohne, denn dieser kam darauf nach Prag, wo er am 23. Juni eine
Verfügung Karls bezeugte und seineu Ehepact mit Katharina näher
feststellen liess: auch unter dem Diplom, welches am 1. August die
Einverleibung der Lausitz in Böhmen l:)ekräftigte, steht sein Name 2).
Inzwischen setzte das l>randenburgische Landesregiment daheim
seine Thätigkeit fort; entweder konnte also Otto nicht des Kaisers
Willen durchsetzen oder er war noch nicht recht entschlossen, sich
von ihm loszusagen, oder er wollte ihn täuschen.
Karl hatte mittlerweile auch im Keiche Schritte zu seiner Siche-
runo- o'ethan. Durch seinen Kauzler, den er mit dem kaiserlichen
Siegel nach Nürnberg schickte, liess er dort am 23. April LS70 mit
Augsburg, Ulm und anderen schwäbischen Städten ein gegenseitiges
Schutzbündniss für seine Lebenszeit, auch darüber hinaus im Namen
seines Sohnes Wenzel bis zur Wahl eines neuen Königs abschliessend).
Um den Baiern einen Bundesgenossen abspenstig und sich zum Freunde
zu machen, warb er bei Herzog Albrecht von Baiem-Holland, der an
dem Bunde mit Ungarn betheiligt war, um dessen Tochter Johanna
für seinen Sohn Wenzel und fand bereitwilligstes Entgegenkommen.
Wahrscheinlich bestimmten ihn dazu nicht allein die baierischen Ver-
wickelungen ; Albrecht konnte auch gute Dienste leisten in dem Streite,
welcher damals im Westen des Kelches Karls Bruder Wenzel in An-
spruch nahm. Auf persönlichen Zusammenkünften und durch ge-
leistete Vermittlungen suchte Karl nachher ein besseres Einverstäud-
niss mit dem Pfalzgrafen und dem Erzbischofe von Mainz zu schafi'en^),
Kuprecht lag eben in einem grossen, laugdauernden Kriege mit Graf
Walram von Sponheim, welchen der Kaiser begünstigte'^). Ueberhaupt
standen die Dinge am Khein so uufriedlich, dass der Pfalzgraf vor-
läufig dort genug zu thun hatte. Es gelang wohl nicht, alle Spannung
zu beseitigen, wie daraus zu schliessen ist, dass die beiden Kurfürsten
der Hochzeit Wenzels fern blieben, aber ganz feindlich können sie
sich auch nicht gestellt haben. Es blieb das halbe, unklare, unehr-
liche Verhältniss.
') Mark. Forsch. XI, 215. ^) Huber, Reg. 4853, 4854, 4863. 3) Vgl.
mein Buch über das Urkundenwesen Karls IV. u. s. w. 194. ^) Huber, Reg.
4877, 4880, 4881. ^) Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 3914, 3918 fiF.; Chron.
Mog. 20—24; ferner Huber, Reg. 6346 ff., 4884.
88
L i inl u e r.
Bei Gelegenheit der Hochzeit, welche am 29- September in Nürn-
berg stattfand, soll nun zwiscben Karl und seinem Schwiegersöhne der
verhängnissvolle Zusammenstoss erfolgt sein. Leider berichtet nur Otto
darüber, verworren und halb welimüthig. In der öffentliclieu Erklärung,
welche er am 10. Juni des folgenden Jahres gegen Karl erliess, er-
zählt er: ,Er hat uns freundlich zu sich geladen in die Reichsstadt
Nürnberg mit seinen Briefen und sandte uns Graf Heinrich von Schwarz-
buro- entgegen als Geleitsmann; wir kamen dort zu ihm ganz bereit-
willig und liessen alle unsere anderen Geschäfte unterwegs, da wir
sein Gebot ungern unbeachtet lassen wollten. Als wir zu ihm kamen
und dachten, dass wir mit ihm fröhlich sein sollten, da Avollte er uns
enterbt haben bei unserem Leben ; da wir das nicht zugestehen wollten,
sandte er seineu Rath in unsere Herberge und liess uns von seinet-
wegen entsagen, was wir gegen das Reich und gegen ihn von des
Reiches wegen nicht verschuldet haben oder ungern verschulden
wollten, und wir wären ihm gerne gerecht geworden sofort vor des
Reiches Kurfürsten um seiner Ansprache willen "i).
Er kam, „um fröhlich zu sein", aber plötzlich aus heiterer Luft
soll den Armen der Donnerschlag getroffen haben, während er doch
selbst zugiebt, dass er schon vorher mit dem Kaiser Späne hatte. Sollte
Karl nicht vielleicht beabsichtigt haben, in Nürnberg die Sache aus-
zutragen? Zu diesem Zwecke wird Herzog Friedi-ich geladen sein,
dessen Anwesenheit recht auffallend ist. Warum sollte sonst der Kaiser
Otto gegenüber erst in Nürnberg offene Karte bekannt haben? Man
kann sagen : er war erst jetzt Herzog Albrechts sicher, aber abgesehen
davon, dass er wohl schon vorher auf diesen rechnen durfte, war Al-
brechts Beistand doch nicht von so entscheidender Wichtigkeit. Ich
denke daher, Karl wollte in Gemeinschaft mit der ganzen Familie oder
eines massgebenden Theiles derselben sich mit Otto auseinandersetzen.
Wie der Markgi-af erzählt, stellte Karl seine Forderungen auf: er
wollte Otto bei seinem Leben enterben. Was ist damit gemeint ? Un-
klar ist der Ausdruck jedenfalls. Immer ist darunter verstanden wor-
den: Karl forderte sofortige und l)edingungslose Abtretung der Mark.
Ich weiss doch nicht, ob das so sicher ist. That er es wirkhch, so wird er
Entschädigung geboten haben, wie er sie dann selbst als Sieger reich-
lichst gewährte, also etwa Kauf vorgeschlagen haben, wie er es vorher
mit der Lausitz gehalten-'). Doch sollte er nicht vorher nochmalige
') Riedel II, 2, 510. *) Das Chron. Mogunt. 28 erzählt zu 1371, Karl habe
Otto ein anderes Land als Entschädigung angeboten. Doch ist es fraglich, ob
der Verf. wirklich Genaueres erfuhr und nicht die Zeiten durcheinander wirft.
Karl [V. uud die Witteisbacher. 89
Auerkennimg des Erbvertrages und weitereu Bestand der Uebereinkunft,
welche ihm die Regierung der Mark noch für längere Zeit zugestand,
beo-ehrt haben? Wäre es undenkbar, dass Otto schon das als eine
„Enterbung bei seinem Leben" bezeichnete, als er später seine Be-
schwerde über Karl begründen wollte ? Wenn der Kaiser in der That
die alsbaldige Uebergabe der Mark heischte, was hielt den Markgrafen
davon ab, das später mit klaren Worten zu sagen ? Er beklag-te sich
nachher in demselben Schriftstück: er könne nicht wissen, was der
Kaiser meine uud wessen er sich zu ihm versehen habe ; nun, klarerer
Wein hätte ihm doch nicht eingeschenkt werden können!
Da Otto des Kaisers Willen nicht that, liess ihm dieser „ent-
sagen"! Eine Kriegserklärung ist damals sicherlich nicht erfolgt, wie
der weitere Verlauf zeigt, also über eine scharfe Drohung, über eine
Aufkündigung der persönHchen Freundschaft kam es kaum hinaus. Er
will sich dann erboten haben, vor den Kurfürsten zu Recht zu stehen ;
wir werden später sehen, wie Karl selbst vergeblich diese Forderung
stellte. Aber er macht einen Vorbehalt: er habe nichts gegen den
Kaiser von Reichswegen gethan. Ganz richtig, denn den Erbver-
trag, der allerdings Reichssache war, hatte er noch nicht umgestossen,
und die Vereinbarung, welche Karl die Regierung der Mark zusprach,
war nur eine Privatsache, betraf also Karl nicht in seiner Eigenschaft
als Kaiser. Deswegen lehnte vielleicht Karl das Ansinnen ab, die
Sache vor die Kurfürsten zu bringen — , weun er wirklich ablehnte.
Denn Ottos unklare Worte lassen auch die Deutuug zu: er wäre
bereit gewesen, die Kurfürsten anzurufen, aber sie enthalten nicht mit
zwingender Gewissheit, dass er sich zum wirklichen Antrag erhob und
noch weniger, dass der Kaiser ihn abschlug.
Vielleicht wird mir vorgehalten werden: willkürliche, Worte zer-
pflückende Kritik ! Ich muss mir das gefallen lassen, aber was bleil)t
übrig, wenn ein in Dunkel gehüllter Vorgang erklärt werden soll!
Ich denke mir den Gang so: Karl begehrte genauere Einhaltung der
Verträge, Zurücknahme der erfolgten Veränderungen und Herstellung
des früheren Standes, vielleicht mit einiger Verschärfung desselben.
Was Otto bewog, darauf nicht einzugehen, ist allerdings ungewiss 9, aber
sein Neffe Friedrich mag ihn aufgestachelt, für sich gewonnen haben.
Er mag ihn in die grosse gegen das luxemburgische Haus bestehende
1) Man könnte denken, dass er auch mit seiner Gattin Katharina schon in
das Missverhältniss getreten war, welches später bestand fRiezlcr I[[, 108), und
die vorhergegangene Sicherung ihrer Leibzucht (oben S. 87) liesse sich damit in
Verbindung bringen, aber das hiesse vielleicht, das Gras wachsen hören.
90 L i 11 d n e r.
Verschwörung eingeweiht, ihm die Hilfe der ganzen wittelsbachischen
Familie und Ungarns in Aussicht gestellt haben. Und Otto mochte
an seinen märkischen Adel denken, der auch dem Kaiser feind wai-.
Das stimmte Alles so schön, dass der schwache Gesell sich Mutli ein-
blasen liess.
Gewiss ist, dass erst die Nürnberger Tage Kaiser und MarkgTaf
entzweiten, und mehr als wahrscheinlich, dass Otto erst jetzt sich in
die Arme seiner Verwandten warf, die ihn vorher so schmählich be-
handelt hatten. Die bisher unbestimmte Gegnerschaft zwischen den
Häusern Witteisbach und Luxemburg gewann nun feste Gestalt und
die ßaiern erhielten für ihre Wünsche und Bestrebungen einen greif-
baren Gegenstand.
Noch vergeht einige Zeit, ehe weitere Schritte aus beiden Lagern
kund werden. Neuere Forscher betrachten allerdings das grosse Bünd-
niss, welches zu Bamberg am 28. November geschlossen wurde ^), als
ein Zeichen der sich erweiternden Verschwörung. Nämlich die Pfalz-
gTafen, die baierischen Herzöge, die Markgrafen von Meissen, Burg-
graf Friedrich von Nürnberg, die Bischöfe von Bamberg und Eichstedt
vereinten sich auf vier Jahre zum Schutz ihrer Lande gegen Eaub,
Brand und unrecht Widersagen. Doch liegt nichts weiter vor als ein
gewöhnliches Bündniss ohne politischen Hintergrund, dem Friedens-
bedürfniss entsprechend. Dass es nicht gegen den Kaiser gerichtet
war , verbürgen nicht nur seine Bestimmungen , sondern auch die
Theilnahme des Burggrafen Friedrich von Nürnberg. Warum hätte
man nicht auch Markgraf Otto aufgenommen , wenn die Einigung
seinem Schutze galt? Es ist sogar' nicht unmöglich, dass die Verein-
barung mit Willen und Wissen Karls geschah, denn am 2. Februar
des folgenden Jahres trat er selbst in diesen Landfrieden ein und
verknüpfte mit ihm die Städte Nürnberg, Weissenburg, Rotenburg,
Windsheim, mit denen er selbst verbündet war, und seine eigene Stadt
Eger-). Eher liesse sich verrauthen, dass die Einung vom 28. No-
vember ursprünglich einen Gegenzug gegen Karls Bündniss mit den
schwäbischen Städten vom 23. April bedeutete, da Karl letzteres in
eben diesen Tagen, am 6. December, in einen Landfrieden umwandelte,
an dessen Spitze er Graf Ulrich von Helfenstein stellte ^). Aber da-
gegen spricht, dass manche der Theilnehmer der Verbindung vom
28. November mit dem schwäbischen Bunde nichts zu thun hatten.
Mit den Meissner Markgrafen stand ohnehin Karl damals noch nicht
0 Huber, Reg. R.-S. 507. ') Huber, Reg, 4933. ^) Huber, Reg.
R.-S. 518.
I\arl LV. un<l die Witfelsbai-her. 91
schlecht; Friedricli war Hoclizeitsgast und ihm und seinen Brüdern
Balthasar und Wilhelm zeigte sich Karl damals hold^).
Die schwierige Lage des Kaisers wurde durch einige Todesfälle
erleichtert. Am 5. November starb König Kasimir von Polen, mit
dem nie eine dauernde Freundschaft bestanden hatte. Sein Reich ging
über an Ludwig von Ungarn, der freilich auch des Kaisers Feind war,
aber für den Augenblick war es vorth eilhafter, statt zwei bedeutender
Feinde nur Einen zu haben. Foleu unter der Herrschaft Ludwigs,
dessen grosse Politik ihre Ziele in ganz anderer Richtung suchte,
drohte mit geringeren Gefahren, als unter dem einheimischen, unter-
nehmungslustigen Kasimir, der wahrscheinlich in Brandenburg unmittel-
bar eingegiifPen und dem Kaiser die Kriegsführuug gewaltig erschwert
hätte-). Es starb ferner am 19. December Papst Urban V., welcher mit
dem Kaiser zuletzt sehr wenig zufrieden gewesen war, während sein
Nachfolger Gregor XL die freundlichsten Gesinnungen hegte. Endlich
erlag am 12. Februar 1371 Erzbischof Gerlach seinem Leiden und
Karl benutzte die Freundschaft mit dem Papste, um das wichtige Erz-
bisthum an einen ihm ergebenen und verwandten Mann, Johann von
Luxemburg, zu bringen. Der böhmische Chronist Beness erblickte in
dem Hinscheiden dieser drei Männer geradezu einen Eingriff des Him-
mels zu Gunsten seines geliebten Herrschers.
Noch ein anderer Todesfall war für die brandenburgische Ange-
legenheit von einiger Bedeutung, der des Herzogs Rudolf IL von
Sachsen am 6. December 1370. Die Herrschaft ging über an seinen
Bruder Wenzel und seinen Neffen Albrecht, und Markgraf Otto be-
nutzte den wohl unvermuthet eingetretenen Wechsel und die dadurch
entstehende Verwirrung, um mit ihnen anzuknüpfen. Denn seine Räthe,
unter ihnen Klaus von Bismarck, vereinbarten mit den beiden Her-
zögen am 10. Januar 1371 einen Vertrag über gemeinsames Verhalten
bei einer Königswahl , der sehr bedenklichen Inhalt hatte ^) , dessen
Urkunde sich in München befindet, also später von Otto nicht mit
dem Brandenburger Landesarchiv ausgeliefert, vielleicht sogar schon
damals dorthin geschickt wurde. Auffallender Weise nennen sich
die beiden Herzöge nicht von Lüneburg, wozu sie gutes Recht hatten,
und erwähnen ihre Ansprüche auf dieses Herzogthum gar nicht. Merk-
würdig stark werden Verwandtschaft und Nachbarschaft hervorgehoben.
Irgend ein absonderliches Spiel steckt dahinter, doch an jenem Tage
waren bereits die kaiserlichen Befehle unterwegs, welche Lüneburg an
») Huber, Reg. 4884, 4892, öuppl. 731-2. -) öteinherz 588 fasst die
Lage anders auf. ^) Huber, Reg. R. -ö. 519.
92 L i n d n e r.
Wenzel wiesen i), und fortan hielten die Wittenberger und die Luxem-
burger zusammen. Am 31. März schlössen dann Wenzel und Albrecht
einen Kriegsbund gegen Magnus mit Erzbischof Albrecht von Magde-
burg; den dritten Theil der Kriegsbeute soll , unser Oheim, der Mark-
graf von Brandenburg," erhalten-). Was -wollte Otto mit diesem
Kriege gegen seinen bisherigen Freund? Denn dass die Sachsen und
der Erzbisehof sich von Karl ab zu ihm gewendet hätten, folgt aus
dem Vertrage keineswegs : im Gegentheil, am 17. April erkannte zu Prag
Herzog Albrecht von Sachsen Wenzel als rechtmässigen Erben Ottos
an und die Herzöge verkauften dem Kaiser das wichtige Mühlberg an
der Elbe ^). Machte Otto einen letzten verunglückten Versuch, Karl
zu begütigen?
Herzog Friedrich von Baiern begann nun ernstliche Rüstungen.
Am I.Januar 1371 gewann er Erzbischof Piligi'im von Salzburg, welchen
Verdruss über die Oesterreicher ihm als Bundesgenossen zuführte;
später verliess er Baiern, um über Oesterreich, Ungarn und Krakau
nach der Mark zu eilen^).
Wahrscheinlich sind mehrere Verträge sein Werk^). Am 6. März
bekundete Erzbischof Piligrim in Laufen ein Kriegsbündniss mit Ste-
phan und dessen Söhnen Friedrich und Johann. Da der Gegenbrief
denselben Tag und Ort zeigt, so dürfte der Vertrag früher vereinbart
sein. König Ludwig war bis gegen Ende März in Ofen^), und auch
ihn wird Friedrich aufgesucht haben. Denn Ludwig hat mit Stephan,
Friedrich und Johann ein besonderes Bündniss abgeschlossen, in welchem
er ihnen für ihren Krieg um Brandenburg Hilfe zusagte 7). Ausser-
dem besass Karl später die Abschrift eines Buudbriefes Ludwigs mit
mit den Baiern, in welchem er nicht ausgenommen war«), wie doch
die Erstlingsurkunde vom 13. September 1369 bedingte. Gewiss ver-
mittelte Friedrich auch das Bündniss PiligTims mit Ludwig, welches
bald darauf am 13. April zu Noua in Dalmatien, wohin Ludwig ge-
zogen war, zum Abschluss kam 9). Dagegen scheint zwischen Otto von
•) Vom 24. December, Huber, Eeg. 4924. -') Riedel U, 2, 507 ; vgl. Suden-
dorf IV n. 144, 150. Uebrigens schloas Albreclit scbon am 11. Mai mit Magnus
Frieden, Sudendorf IV n. 165. '') Pelzel II, 837. ^) Für das folgende Stein-
herz 586 S. ^) Am 3. Februar war er noch in Baiern, wo er für seine bevor-
stehende Abwesenheit einen Verweser ernannte; Reg. Bo. IX, 255; er ist also
später abgereist. «) Fejer IX, 4, 330 tf. ; Ludwigs Brief vom 9. März für Re-
gensburg (Reg. Bo. a. a. 0.) hängt wohl kaum mit diesen Dingen zusammen.
7) Das folgt aus seiner Urkunde vom 2. Juli 1371, Huber, Reg. R.-S. 534, Mon.
Hung. bist. Acta ext. HI, 10. «) Riedel II, 2, 527 f. ») Steinherz 627;
Piligrims Gegenbrief hat gleichen Tag und Ort. Ludwig nahm darin Ruprecht
und sämmtliche baierische Herzüge aus.
Karl IV. und die Wittelsbacliei-. C)^
Brandenburg und Ludwig kein Vertrag bestandeu zw haben ^), was
dem üngarukönige später den Eückzug erleichterte; vielleicht be-
absichtigte Friedrich gar nicht, seinem Oheim den Besitz der Mark zu
garantiren.
Am 15. April fasste endlich Otto sich das Herz, seine Absichten
offen und unzweideutig auszusprechen, indem er den Ständen der Neu-
mark erklärte, nach seinem Tode sollten sie Herzog Friedrich als ihren
reciiten Erbherrn anerkennen^). Geraume Zeit verging wieder, ehe er
sein offeues Manifest gegen den Kaiser erliess; das geschah erst am
10. Juni von Stendal aus. Als Rechtsgrund, welcher den Erbvertrao-
mit Luxemburg ungiltig mache, stellte er hin : der Kaiser habe nicht,
wie er mündlich verheissen , den Herzog Stephan dazu bewogen , die
Briefe über die Huldigung der Märker herauszugeben. Noch manche
Klagen fügte er hinzu: der Kaiser habe die Schutzversprechen, welche
er einst Ludwig dem Römer und ihm gegeben, nicht gehalten, dann
in seinem Lande eine Brücke gebaut. Nachdem er den in Nürnbero-
entstandenen Zwist geschildert, wie oben bereits erwähnt, fährt er
fort : , Solche L'rung und Ungnade hat uns der Kaiser oft und mannig-
faltig erzeigt, obgleich wir ihm treu waren, so dass wir nicht wissen
können, wie er es meint und wessen wir uns zu ihm zu versehen
haben, da er uns später durch unsern eigenen Rath, den wir zu ihm
sandten, zum zweiten Male hat entsagen lassen, so dass wir seine Ge-
walt und Ungnade fürchten müssen". Daher erkennt er Herzog Fried-
rich als seinen rechten Erbfolger an. „Sollte der Kaiser Briefe vor-
bringen, welche ihm von uns gegeben sein sollen und gegen die
gegenwärtige Anordnung sind, so sollen sie machtlos sein, da der
Kaiser die Briefe, die er uns gegeben hat, und die Worte, die er uns
gelobt hat, nicht vollzogen und gehalten hat "3).
Dass Ottos Gründe nichts verfangen, dass er einen Rechtsbruch
beging, bedarf keiner Erörterung. Wunderlich genug macht er Karl
zum Vorwurf, worauf er doch allein die Berechtigung seiner neuen
Ordnung begründete, dass dieser Stephan nicht zur Herausgabe der
Briefe bewogen. Bezeichnend ist dann, wie er über den Inhalt seines
Erbvertrages mit den Luxemburgern hinwegschlüpft. Lidesseu ein
*) Meines Wissens sagt nur Beness, dass Otto sich mit Ludwig verbündete,
was ja mittelbar aucb richtig ist.. In den späteren Verhandlungen Ludwigs mit
Karl wird nie von Otto geredet, auch dem Papste gegenüber spricht Karl immer
von den Baiem. Der Markgraf war eben nichts, als ein Werkzeug seiner Ver-
wandten. 3) Riedel II, 2, 508. Ob Friedrich schon damals da war, ist mir
nicht ganz gewiss ; zuerst nrkundet er in der Mark am 7. Mai, Riedel I, 9, 382.
3) Riedel II, 2, 509.
94
L i n cl n e r.
Eeclitsbrucli kauu ausreicheud eutschuldigt sein : ob der Uttos es war,
Avill icli uach dem Gesagten uiclit weiter erörtern. Er sagt, er habe
nach den Xiirnberger Voigäugen noch mit Karl verhandelt; leider
wissen wir darüber sonst nichts. Aber Krieg hat der Kaiser erst an-
gesagt, nachdem der Markgraf alle Brücken hinter sich abgebrochen;
am 21. Juni erliess Karl von Prag aus seine kurzgefasste Kriegs-
erklärung des Vertragsbruches wegen. Er lag zur selben Zeit an
schwerer Krankheit darnieder, so dass man im Reiche seinen Tod er-
wartete. Er fürchtete, seine Feinde möchten nun auf der ganzen Linie
losschlao-en, und suchte daher sofort dem Pfalzgrafen Ruprecht als
seinem „offenbaren Feinde- Gegner zu erwecken. Es lässt sich recht
deutlich erkennen, wann Karl die aufregenden Xachrichten zukamen:
am 12. Mai schickte er nach dem Elsass den Befehl, die schädlichen
Leute zu fassen ; am 23. Juni, zwei Tage nach der Kriegserklärung an
Otto, beo-reift er in die gleiche Weisung Ruprecht mit ein, am 30. October
ist in ähnlichen Briefen von ihm nicht mehr die Rede i). Ruprecht
trieb noch immer seinen Sponheimer Krieg weiter und nahm auch
andere Fehden in Angriff: um die Mark kümmerte er sich nicLt.
Im Juh erschien Karl mit einem Heere in der Mark, doch kam
es nicht zu grossen Kriegsthaten und er zog bald wieder ab, weil
Könio- Ludwig in Mähren rüsten liess und Erzbischof Piligrim in die
böhmische Oberpfalz einbrach-). Am 16. October kam zu Pirna ein
Waffenstillstand bis Pfingsten 1373 zu Stande. Ihn bekundeten Otto,
Stephan und dessen drei Söhne ; sie nahmen in ihn auch den üngarn-
könio- und den Salzburger auf, doch thaten sie das wohl auf eigene
Hand-). Bischof Ludwig von Bamberg und die W^ettiner waren auch des
Kaisers Gegner geworden, weil letztere sich durch dessen grosse Erwer-
bungen in ihren Landen beschwert fühlten, vielleicht auch den Lockungen
ihres Vetters Friedrich folgend, doch gingen auch sie den Stillstand
ein. Des Pfalzgi-afen Ruprecht gedenken die Urkunden nicht; er war
also ganz unbetheiligt geblieben.
Ob der Kaiser oder die Baiern der AVaffenruhe bedürftiger waren,
lässt sich bei den dürftigen ^S'achrichten nicht übersehen; wenn es
aber richtig ist, dass die Baiern Ludwig und Piligrim hineinzogen, ohne
') Huber, Reg. 4965, 4976, 5002. -) Steiuherz 588. Die Beziehungen
Karls und Ottos zu Pommern und Mecklenburg sind hier und im Folgenden über-
gangen, da sie für die Hauptfrage wenig bedeuten und von Scholz ausführlich
besprochen sind. ^) Vgl. Steinherz 590; auch die Aeusserungen des Kaisers
bei Riedel 11, 2, 528 lassen erkennen, dass der Stillstand nur zwischen ihm -.ind
den Baiem vereinbart worden. Leber den Bericht des Chron. Mog. 28 siehe
oben ."<. 88.
Karl IV.. und die Wittelsbachel\ 95
dazu bevoUmäclitigt zu sein, so spriclit das uiclit für die Stärke ihrer Sache,
da sie dauu. um* dem Verlangen Karls folgten. Jedenfalls hing ihre
ganze Hoffnung an Ludwig, und daher bemühte sich Karl mit be-
währter Meisterschaft, den König von ihnen zu trennen. Zustatten kam
ihm, dass Papst Gregor XL, um Hilfe gegen Bernabo zu erlangen,
aufs eifrigste für deu Frieden wirkte und deswegen den Patriarchen
Johann von Alexandrien au Kaiser und König absandte 3).
Im Winter begann Karl Werbuugen au dem ungarischen Hof,
unterstützt von der ihm günstigen Partei, deren Haupt Herzog Wla-
dislaw von Oppeln war. Er Hess dem Könige den Vorsehlag eines
Ehebündnisses zwischen ihren Kindern unterbreiten, der bei Ludwig-
geneigtes Gehör fand, doch verlangte er, Karl möge die ßaiern, die
ihm dafür sein Kecht leisten sollten, in Freundschaft annehmen. Der
Kaiser betonte sofort sein Recht auf Brandenburg, aber erbot sich,
darüber mit den Baiern vor den Kurfürsten oder ihrer Mehrheit recht-
lich zu verhandeln 2). üeber die Eheschliessung zwischen Maria, der
zweiten Tochter Ludwigs , und Sigmund , dem zweiten Sohne Karls,
kam man Mitte März in Breslau leicht ins Eeine, obgleich sich Lud-
wig Bedenkzeit bis zum 24. Juni vorbehielt ; die einzige Schwierigkeit
bildete der Streit mit den Witteisbachern, denen sich Ludwig für ver-
pflichtet erachtete. Der Kaiser verabredete mit den ungarischen Ge-
sandten, am 15. August solle zwischen ihm und den Baiern in einer
persönlichen Zusammenkunft der Handel geschlichtet werden, bis dahin
gegenwärtige Stand bleiben ; er beschwor feierlich , Ludwigs Reiche
und Herrschaften nicht anzutasten, und forderte von dem Könige das
gleiche^). Froh meldete er dem Papste, Alles sei glücklich erledigt^).
Doch so schnell ging die Sache nicht. König Ludwig, unter dem
Einflüsse Herzog Stej^han des jüngeren von Baiern, welcher an seinem
Hofe weilte, und der Karl abgeneigien ungarischen Partei, begehrte
erst eine persönliche Besprechung. Karl lehnte den Wunsch nicht ab
und stellte die Ansetzung der Zeit in des Königs Ermessen, der Pfing-
sten, den 16. Mai vorschlugt). Ehe jedoch diese letzte Botschaft an-
kam, hatte Karl Prag bereits verlassen und den päpstlichen Legaten
ersucht, die Angelegenheit zu erledigen. Patriarch Johann, der vor-
her in Dresden die Wettiner zu beschwichtigen suchte"), brachte nach
Ofen die Vorschläge : Karl sei zur Zusammenkunft bereit, sobald Lud-
wig die Tractate über die Ehe und den gegenseitigen Friedensstand
') Huber, Reg. P. 130; wahrsclieinlich war der Legat schon in Bautzen
bei Karl. -') Dobner, Mon. bist. Bo. 11. 382 ff. ; vgl. Steinherz 6151}'. •') Dobner
386 f., 393 f. *) Huber, Reg. P. 131. ■') Dobner 388, 393. «) Lo-
serth a. a. U. 180 1'.
( )(; L i n d n e r.
bestätigt habe, was vor dem 15. August geschehen sollte. Doch möchte
der König geloben, den Baiern nicht zu helfen, sobald sie sich einem
Eechtsspruche nicht unterwerfen wollten. Wenn nämlich, wie zu er-
warten, eine frenndschat^liche Vermittlung Ludwigs nichts erreichte ^j,
so würde ein Kechtsspruch der Kurfürsten oder ihrer Mehrheit ent-
scheiden; für den Fall, dass dies die Baiern ablehnten, sollte jede
Partei zwei Schiedsrichter ernennen, wenn auch diese sich nicht einig-
ten, der Papst darüber sprechen.
Dem Kaiser mochte die Zusammenkunft wenig erwünscht sein;
ausserdem hatte er bereits den Pfalzgrafen Kuprecht, auf welchen ihm
am meisten ankam, zur persöulicheu Besprechung eingeladen; einigte
er sich mit ihm friedlich, wollte er gleich nach Brandenburg gehen,
sonst dem Kardinal sofort Nachricht geben-).
Der Ausbruch des Kampfes zwischen den Städten und dem Grafen
Eberhard von Wirtemberg nöthig*te Karl nicht minder zur schnellen
Fahrt ins Reich, als seine persönlichen Angelegenheiten, namentlich
die Nothlage seines Bruders, des Herzogs Wenzel von Brabant. In
Würzburg und Mainz pflog er weitschichtige Berathungen ; Euprecht,
welcher dorthin mit den drei kurfürstlichen Erzbischöfen kam, nahm
jedenfalls gegen den Kaiser keine ausgesprochen feindselige Haltung
ein und verweilte mehrere Wochen bei Hof •^), über Brandenburg wurde
jedoch offenbar keine Einigung erzielt; die Regelung der Brabanter
Verhältnisse nahm lange Zeit in Anspruch und erst Ende Juli kehrte
Karl nach Böhmen zurück.
Der Legat Johann verlebte inzwischen sorgenvolle Tage in Ofen,
denn König Ludwig bestand bei aller Geneigtheit zum Kaiser, welche
er sonst an den Tag legte, auf der persönlichen Besprechung. Die
Entfernung Karls erschwerte den brieflichen Verkehr und die dring-
lichen Schreiben des Legaten blieben lange Zeit ohne Autwort. Der
König legte noch immer grosses Gewicht auf Pfalzgi-af Ruprecht, von
dem man auch bei Hofe eine hohe Meinung hatte. Der Herzog von
Teschen, av elcher von Ofen aus Karl nachgeeilt war, holte ihn erst in
Mainz ein und brachte Ende Mai seinen Bescheid zurück, er wolle am
24. Juni in Trentschiu Ludwig treffen. Da der Kaiser diesen Plan
nicht ausführen konnte, sandte er den Prager Erzbischof nach Ungarn,
wo mittlerweile Herzog Stephan die Absicht der Baiern kundgethan,
») Steiiiherz 5SI4 bezweifelt, dass Karl Ludwig als Scliiedsrichter vorge-
schlagen habe. Das ist auch nicht geschehen, denn Karl spricht an der be-
treffenden Stelle (Riedel II, 2, 528) nur von „tractare amicabiliter", was in der
Stellung Ludwigs zu beiden Parteien begründet war. -) Dobner395. 3) jjuber,
Reg. 5042a (dazu Chron. Mog. 30), 5054, 5103.
Karl IV. und die Wittelsbachev. 97
vor dem Legaten in Wien darzuthun. Ludwig setzte dafür den 15. Juli
an, viel zu früh, da der Kaiser trotz der Beschleunigung seiner Rück-
kehr bis dahin nicht eintreffen konnte. Dazu trat eine neue ungün-
stige Verwicklung, indem Ludwig der veuetianischen Verhältnisse wegen
mit den 0 esterreichern zerfiel und sogar Krieg drohte i).
Erzbischof Johann lirachte den Vorschlag, auf einem Reichstage
in Nürnlierg den Streit zu schlichten, wo der Kaiser zugleich den drin-
genden Forderungen des Papstes gegen Bernabo genügen wollte. Er
erbot sich auch zu einer persönlichen Zusammenkunft mit Ludwig,
welche jedoch bis Anfang Oktober hinausgeschoben wurde, da der
Ungar anderweitig in Anspruch genommen war. Die Baiern schlugen
nunmehr den Rechtsweg ab, weshalb dann auch der dem Papste be-
reits angekündigte Reichstag in Nürnberg unterblieb; Ludwig ver-
harrte jedoch dabei, er könne vor einem Friedensschluss mit Baiern
die Verträge mit Karl nicht zum Vollzug kommen lassen 2).
Die Baiern hatten ihren Zweck erreicht und glücklich die Eini-
gung der beiden Herrscher, welche schon fast vollendet war, vereitelt,
gegenseitige Mssstimmung erzeugt. Sie verfolgten diese Politik auch,
als am 4. October an der böhmisch-ungarischen Grenz? wirklich der
Kongress stattfand, zu welchem Karl, Ludwig, die Meissner Markgrafen,
Pfalzgraf Ruprecht, die baierischen Herzöge, der Patriarch Johann und
wohl auch die Oesterreicher zusammentraten-^). Der Kaiser schlug vor,
den Waffenstillstand auf zwei Jahre zu verlängern, verlangte aber von
Ludwig das Versprechen, den Baiern, wenn sie ihn brächen, nicht zu
helfen. Der König machte seine Zusage von der gleichen Erklärung
des Pfalzgrafen abhängig, welcher sie jedoch ablehnte. Der einzige
Erfolg war, dass der gefährdete Frieden zwischen Oesterreich und Un-
garn bewahrt blieb.
Karl wandte sich sofort an den Papst und trug ihm den Gang
der Dinge vor^). Der seiner sonstigen Politik nicht entsprechende Schritt
zeigt, wie besorgt er der Zukunft entgegensah. Er mach re Gregor darauf auf-
merksam, wie das Verhalten Ludwigs, welcher Reichsfürsten vom Reiche ab
und an sich ziehe, nothwendig zum Kriege führen müsse, einem Kriege, der
nur den Feinden Ungarns und denen der gesammten Christenheit förderlich
sein werde. Da Otto durch seinen Eidbruch und durch seine Untreue ffeoren
den Lehnsherrn ohnehin jedes Recht auf die Mark verwirkt habe, möge
der Papst die Kurfürsten anweisen, durch ihren Rechtsspruch den Streit
um die Mark zu erledigen, damit nicht nach dem Tode des Kaisers
') Dobner ,396 ff. ^) Dobuer 400 ff. ») Steinherz 595. Für Ruprechts
Anwesenheit lassen seinp Eegosfon K;inm. *) Riedel II, 2, 527 ff.
Mittheilungeu XI. 7
Qg L i n d n e r.
oder Ottos das braiidenburgisclie Kurrecht fraglich sei und so das Reich
in Verwirrung gerathe. Der Papst möge femer dem Markgrafen und
den Märkern befehlen, die früher eingegangenen Verpflichtungen zu
halten, auch den Erzbischof von Salzburg zum Gehorsam gegen den
Kaiser zwingen. Doch er richtete an Gregor auch das Verlangeu,
die an Reiehsfürsten (in anderen Angelegenheiten) ergangenen Vor-
ladungen vor die Kurie zurückzunehmen; selbst unter diesen Verhält-
nissen suchte er soweit möglich ein unmittelbares Eingreifen des Papstes
zu vermeiden.
Gregor hatte zu derselben Zeit, in welcher der Congress statt-
fand, bereits den Erzbischof von Salzburg mtt Strafe bedroht und unter
der Einwirkung seiner Weisungen wird es geschehen sein, wenn Herzog
Friedrich und seine Familie zugleich im Namen Ottos sich am 4. No-
vember bereit erklärten, die vom Kaiser angebotene Verlängerung des
Waffenstillstandes anzunehmen, doch wies sie Karl jetzt zurück i).
Es glückte dem Kaiser, sich mit den Wettinern zu versöhneu,
Erzbischof Piligrim fügte sich den päpstlichen Weisungen, König Lud-
wig stürzte sich in einen Krieg mit den Venetianeru und Hess die
Baiern fallen, Pfalzgraf Ruprecht hatte am Rhein alle Hände voll zu
thun, der Papst beharrte in seiner Zuneigung zu Karl, so dass die
früher drohenden Gefahren mit Beginn des neuen Jahres 1373 sich
zerstreuten. Otto und Friedrich blieben allein auf sich angewiesen,
und wenn letzterer sich von seinem Vetter die Altmark verpfänden
Hess, so drohte Otto die Gefahr der Enterbung bei lebendigem Leibe,
die er vom Kaiser gefüi'chtet hatte, nun von seinen Verwandten. Als
Karl im Juni mit Heeresmacht in die Mark einbrach, leisteten Fried-
rich und Otto zwar Widerstand, aber Mitte August schlössen sie den
Frieden, durch welchen die Mark in den unmittelbaren Besitz Karls
kam. Dass der Preis, welchen Karl zahlte, ein sehr hoher war, ist
allsemeiu anerkannt, und die Baiern machten schliesslich noch ein
gutes Geschäft, da sie bei der Zerfahrenheit ihrer Familie kaum in)
Stande gewesen wären, die Mark zu behaupten oder wenigstens aus
ihr rechten Nutzen zu ziehen. Sie verloren allerdings so den letzten
grossen Erwerb aus der Zeit, in welcher ihr Geschlecht den Kaiser-
thron einnahm, aber für Tirol, für die Lausitz und für die ^lark trugen
sie reiche Entschädigungen an Geld davon. Wäre nur ihi- Haushalt
nicht das Fass der Danaiden gewesen !
*) Am 8. Nov. war der Legat in Bamberg, Steiuherz 633, Herzog Friedrich
damals in Baiern, Reg. Bo. IX, 286. Dass Karl die Urkunde zurückwies, schliesse
ich daraus, dass das Original in München liegt. Auch die sonstigen bekannten
Verhilltniase beweisen es.
Karl IV. und die Wittelsbacher. 99
Karl hat den Wittelsbachern keinen Groll nachgetragen, sondern
gerade den, welcher ihm die meisten Schwierigkeiten gemacht hatte,
den Herzog Friedrich reichlichst mit seiner Gunst bedacht. Allerdings
verband er damit den Zweck, ihren Widerstand gegen die Wahl Wen-
zels zu beseitigen, aber er that an ihuen fast mehr, als dazu erfor-
derlich war. So blieb bis zu seinem Tode das Einvernehmen der beiden
Häuser ein gutes.
Uebersieht man noch einmal den Gang der Dinge, so wird man,
so schwer es ist, die Einzelheiten zu erkennen, doch zugeben müssen,
dass die er&te Ursache des Zerwürfnisses von Otto ausging, oboleich
nicht er persönlich, sondern die Märker sie herbeiführten. Er Hess
sich nachher von seineu Verwandten ins Schlepptau nehmen, wurde
vielleicht wider Willeu ein Werkzeug ihrer ursprünglich auf eine Aen-
derung des ganzen Reichsstandes gemünzten Pläne. Karl traf wie
ihm das zukam, rechtzeitig Vorkehrungen, und selbst wenn er wirk-
lich von Otto die sofortige Ueberlassung der Mark forderte, so ist
dieser Schritt erklärlich aus seiner ganzen bedrohten Lage. Immer ist
er bereit, die Sache rechtlich zum Austrage zu bringen, aber die Baiern
entzogen sich seinen Vorschlägen, weil die Rechtsfrage durchaus gegen
sie sprach. Es ist wohl die Meinung ausgesprochen wordeji, sie hätten
sich einem Spruch der Kurfürsten nicht fügen können, weil Karl die
Mehrheit auf seiner Seite hatte. Aber welches Schiedsgericht sollte er
ihnen anbieten, als das der Kurfürsten ? und er ist sogar darüber hinaus
gegangen, denn er konnte auf die Gerechtigkeit seiner Sache vor jedem
Schiedsrichter rechnen. Aber so standen auch die Kurfürsten nicht,
dass sie unter allen Umständen, mochten die Sachen liegen, wie sie
wollten, sich für den Kaiser ausgesprochen hätten. Böhmen und Bran-
denburg wären natürlich ausser Betracht geblieben. Von den welt-
lichen Kurfürsten war Ruprecht auf baierischer Seite und woo- also
den Sachsen auf. Alles hing demnach au den geistlichen Kurfürsten,
von denen Mainz allerdings als unbedingt kaiserlich zu betrachten ist,
aber Kuno von Trier und Friedrich von Köln waren mit nichten
blinde Anhänger des Kaisers, so dass von ihnen Gerechtigkeit zu er-
warten war.
Soll ein Sündenbock für die Fehler, welche Otto und seiue Fa-
milie machten, gefunden werden, so ist es nicht Karl, sondern Ru-
precht. Er erscheint als derjenige, welcher aus eigenem Interesse die
Baiern in das Abenteuer hineiulockte , sie darin festhielt und dann
sitzen Hess; ihn trifft noch grössere Verantwortlichkeit, als Ludwig von
Ungarn.
100 L i n d n e 1-.
Karls Politik gegen die Baiern ist demnach in ihrer Gesamtheit
keine grundsätzlich feindliche. Sie selbst zwangen ihn oft genug,
gegen sie einzuschreiten, und es wäre übermenschliches von ihm ver-
langt gewesen, ihr Auftreten ruhig hinzunehmen. Er geht sicher seiner
Wege, benützt, wie das jeder Staatsmann thuu muss und wird, die
sich ihm darbietenden Mittel zur Vertheidigung und sucht gelegentlich
die Abwehr auch im Angriff. Immer das Wesentliche berechnend und
kalt erwägend, trifft er die erforderlichen Massnahmen und benutzt
geschickt die Fehler und Schwächen der sich über ihr Vermögen
täuschenden Gegner.
Trotzdem hat der Brandenburger Handel schlimme Früchte ein-
getracfen: indem der Kaiser die erforderlichen Geldsuramen von den
Reichsstädten erpresste, rief er den grossen Städtebund hervor, welcher
die Herrschaft seines Sohnes so ausserordentlich erschwerte.
Das Gefecht bei St. Michael und die Operationen
des Erzherzogs Johann in Steiermark 1809.
Von
H. V. Zwiedineck-Südenhorst.
Man entbehrt noch immer einer gründlichen, auf umfassender
Detailkenntnis beruhenden Geschichte des Krieges von 1809; weder
den Ansprüchen des Militärs, noch denen des Geschichtsschreibers,
die sich vielfach berühren und decken, ist bis jetzt genüge geleistet
worden. Es ist das um so auffallender, da sowohl das technische
Moment der Organisation und Vei-wendung der Kriegsmittel , wie
auch das psychologische des Charakters der Führer und der sich im
Kampfe messenden Völker in diesem Kriege ganz ungewöhnliche
und ausserordentlich belehrende Erscheinungen bietet. Mehr als ein-
mal war die Entscheidung zweifelhaft, der augenblicklich siegreiche
Theil in Gefahr, seine Erfolge mit einem Schlag wieder zu verlieren;
daher gewährt die genaue Untersuchung der Umstände, durch welche
die bekannten und feststehenden Ereignisse hervorgerufen worden sind,
das höchste Interesse, und werden die Fragen nach der Möglichkeit
dieser oder jener anderen Wendung, welche hätte eintreten und den
Verlauf der ganzen Handlung dieses kriegerischen Dramas hätte um-
gestalten können, immer von Neuem aufgeworfen und mit Eifer be-
sprochen werden.
Es ist möglich, dass sich einst die Ueberzeugung befestigen wird,
dass die Schicksale der sogenannten Armee von Innerösterreich, welche
Erzherzog Johann befehligte, keinen wesentlichen Einfluss auf die end-
liche Niederlage Oesterreichs genommen haben; heute wird dies kaum
mit Bestimmtheit behauptet werden können : die Beziehungen der beiden
Obercommanden zu einander und zum kaiserlichen Kabinet, die Mis-
verständnisse , welche zwischen den beiden leitenden Persönlichkeiten
102
Z w i e d i n e c k - !S ü rl e 11 h 0 r s t.
eingetreten sind, enfbehren noch der völligen Aufklärung. Es wird
deshalb vielleicht gerechtfertigt erscheinen, wenn in dem vorliegenden
Aufsatze der Versuch gemacht wird, an einem einzelnen Falle, an einer
bisher wenig beachteten Episode des Krieges den Nachweis zu liefern,
dass es bei Vermeidung einer einzigen groben Ungeschicklichkeit höchst
wahrscheinhch zu einer selbständigen und nicht bedeutungslosen Action
der Armee des Erzherzogs Johann in der Zeit zwischen den Schlachten
von Aspem und Wagram hätte kommen können.
Als die Armee des Erzherzog.^ Johaun sich bereits auf dem Kück-
zuge aus Italien befand, zu welchem sie durch die Durchbrechung der
österreichischen Stellung in Baiern und die Zurückdrängung des Ge-
neralissimus Erzherzog Carl von der Donau nach Böhmen veranlasst
worden war^), erhielt der Erzherzog die Nachricht, dass ihm die Di-
vision des F.-M.-L. Eranz Ereiherrn v. Jellacic zugetheilt worden sei,
die — ursprünglich in losem A^erbande mit dem VI. Armeecorps des
F.-M.-L. v.Hiller — seit dem Ausbi-uche der Feindseligkeiten die Be-
stimmung gehabt hatte, den Zusammenhang zwischen der Hauptarmee
und der Armee von Inner Österreich aufrecht zu erhalten. Jellacic hatte
schon im Eeldzuge von 1805 das Unglück gehabt, mit 4000 Mann in
Vorarlberg die Waffen strecken zu müssen; er war dann in denKuhe-
stand versetzt worden, man nahm jedoch, als er 1809 sich wieder zur
aktiven Dienstleistung erbot, keinen Anstand, ihm ein Commando, ja
sogar ein sehr wichtiges anzuvertrauen, das voraussichtlich zu selb-
ständigen Entschlüssen genötigt sein musste.
Von der Hauptarmee des Erzherzogs Carl sowie vom Corps Hiller
durch das rasche Vorgehen der Franzosen getrennt, musste sich die
Division Jellacic über Rosenheim nach Salzburg zurückziehen, wo sie
am 29. April anlangte. Sie bestand damals noch aus 3 Brigaden:
Brigade General Legisfeld: Warasdiner Kreuzer 2 Bat.
Landsvehr Salzburger 2 Bat.
, Judenburger 1 Bat.
, General Ettingshausen : Eszterhazy 3 Bat.
De Vaux 2 Bat. ^)
1 6 pf. Batterie.
General Provencheres'«): Freiwillige Österr. Landwehr 3 Bat.
O'Eeilly Chevauxlegers 8 Escadrons.
1 6 pf Batterie.
') Von einer Erörterung der Nothwendigkeit dieses Rückzuges muss hier
abgesehen werden. '•') In der Ordre de bataille, welche Stutterheira mittheilt,
sind die Regimenter Eszterhazy und De Vaux mit 3 Bataillons verzeichnet, 1 Bat.
De Vaux stand in Tirol. '') Carl Dollmayer v. Provencheres.
Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. 103
Salzburg war nicht zu lialten ; Jellacic musste die Stadt, während
seine Arrieregarde mit Truppen der, französisch-bairischen Division Deroi
in ein Gefecht geriet, verlassen und schlug sein Hauptquartier am
30. April zu Golling auf. Hier fasste er den für ihn verhängnissvollen
Entschluss, die ganze Brigade Provencheres bis auf 3 Züge O'Reilly-
Chevauxlegers zu entlassen und zur Hauptarmee abzucommandiren. Er
hatte keinen Auftrag dazu, glaubte jedoch dadurch einen besonderen
Beweis von kluger Voraussicht und Opferwilligkeit zu geben. Er hat
die Gründe, die ihn zu diesem Schritte bewogen, einige Tage darnach
dem General Ettingshausen auseinandergesetzt, aus dessen Lebenserinne-
rungen ich im Anhange I jenen Abschnitt mitzutheilen in der Lage
bin, der sich auf die Schicksale der Division Jellacic vom 30. April
bis zum 26. Mai bezieht i).
Am 7. Mai erhielt Jellacic die Zutheilung zur Armee des Erzher-
zogs Johann. In dem Berichte, welchen der Hauptmann de Lort des
Generalquartiermeisterstabes an diesem Tage an den Chef des General-
stabes der Armee von Innerösterreich Oberst Graf Nugent abgehen
liess, wird die Stellung der Division durch die Punkte St. Gilgen, Lueg,
Abtenau, Filzensattel, Dienten fixirt^). De Lort ei-wähnt der Deta-
1) Konstantin Ettinghausen, geb. 22. Sept. 1760 zu Bingen am Rhein, Sohn
eines kurmainzischen Beamten, war für den geistlichen Stand bestimmt, folgte
jedoch seinem sehnlichen "Wunsche, in die kaiserliche Armee einzutreten, indem
er sich 1778 in Wien freiwillig zum Regimente Kaiser-Hussaren assentiren liess,
in welchem er vom Gemeinen an alle Chargen durchmachte, bis er am 1. No-
vember 1786 auf Befehl des Kaisers Josef zum Lieutenant ernannt wurde. Am
I.Februar 1789 erhielt er den Rang eines Oberlieutenauts, wurde Adjutant Wurm-
sers, 1792 Rittmeister, 1793 Major, k. k. österreichischer und Reichs - Flügel-
adjutant. In Folge besonderer Auszeichnung vor dem Feinde wurde er am
26. Juni 1797 ausser der Tour zum Oberstlieutenant, am 26. November 1800 zum
Obersten bei Erdödv-Hussaren befördert; im Jänner 1808 wurde er Generalmajor
und Brigadier. Nach dem Feldzuge von 1809, in welchem er wegen eines schweren
rheumatischen Leidens kriegsuntauglich geworden ist, musste er in den Pen-
sionsstand treten, liess sich aber noch mehrmals zu besonderen theils militärischen,
theils politischen Geschäften verwenden. Am 25. Februar 1812 war ihm der erb-
ländische, 1815 der ungarische Adel verliehen worden. Er starb am 11. März 1826
in Wien und hinterliess 6 Kinder, darunter 3 Söhne : Andreas, den nachmals zu
grosser Berühmtheit gelangten Professor der Mathematik und Physik, Sigismund
der 1856 als General starb, und Karl, der noch gegenwärtig als Hofrath in Pen-
sion zu Graz lebt und dessen Güte ich die Benützung der Memoiren seines Vaters
verdanke, die als ein wichtiger Beitrag zur Kriegsgeschichte und zur Kenntnis
der militärischen Zustände Oesterreichs von 1778 bis 1810 der Veröffentlichung
in ihrer Gesammtheit in hohem Grade werth wären. '^) Der Bericht befindet
sich im Original unter den Beilagen, welche Erzherzog Johann seiner bis 1816
reichenden Lebensbeschreibung angeschlossen hat. Se. Excellenz Herr Graf von
J()4 Z w i e d i u e c Iv - 1> ü d e ii li o r a i.
chiniug der Brigade Provenclieres wegen der in den Gebii-gen sieh er-
gebenden Schwierigkeit der Verpflegung, setzt jedoch hinzu, dass der
Divisions-Commandant ihr sofort Contreordre nachgesendet habe und
dass dem Cavallerie-Eegimente und der Batterie aufgetragen worden
sei, sich nach Rottenmann zu dirigiren. Von der österreichischen Land-
wehr nahm er an, dass dieselbe sich auf dem Boden ihrer Heimat auf-
gelöst haben dürfte, da Napoleon bereits die Absicht geäussert hatte,
die Landwehren nicht als reguläre Truppen behandeln zu wollen. Am
Tage nach der Capitulation von Wien hat Napoleon bekanntlich die
Auflösung der gesammten österreichischen Landwehr befohlen und den-
jenigen Wehrraännern, welche unter den Waffen bleiben und in frau-
zösche Hände fallen sollten, schwere Strafen angedroht. — Die Contre-
ordre für die Brigade Provencheres kam zu spät, hat dieselbe offenbar
nicht mehr erreichen können, da der Vormarsch einzelner französischer
Abtheilungen gegen die Grenzen von Steiermark die Möglichkeit einer
Verbindung zwischen Jellacic und Hiller aufhob. Vom 7. Mai ist
auch ein Schreiben des Kaisers Franz an Erzherzog Johann aus Bud-
weis datirt ^) , in welchem die Hoff'nung ausgedrückt wird , dass sich
Wien so lange werde halten können, bis die Hauptarraee wieder an
das rechte Donauufer übergehen werde. Ob dies bei Krems oder
anderswo zu bewerkstelligen sei, könne man noch nicht beurtheilen.
Die Division Jellacic, deren Stärke im grossen Hauptquartier mit
10.000 Mann angenommen wurde, während de Lort sie auf 7000 be-
rechnete, habe gegenwärtig die Eingänge nach Tirol zu vertheidigen,
sei jedoch im Weiteren auf die Befehle des Erzherzogs angewiesen.
Durch Feldzeugmeister Fr. v. Kerpen, General-Commandanten von
Innerösterreich, erfuhr der Erzherzog aus einem Berichte d. d. Graz
9. Ma' 2), dass Jellacic in Radstat angelangt sei. Hiller habe sich bis
St. Polten zurückgezogen. Wenn er weiter zurückgehe, werde Steier-
mark von Maria Zell aus offen dastehen. Kassen, Hauptquartiere,
Bagage, Spitäler und Depots des V. und VL österreichischen Armee-
Corps seien nebst 2400 Kriegsgefangenen unvermuthet in grösster Un-
ordnung über Altenmarkt hereingebrochen. Die an dieselben ange-
schlossenen Versprengten verbreiten Schrecken in der Bevölkerung,
die willkürlichen Vorspanns-Erpressungen seien der guten Stimmung
der Gebirgsbewohner, welche Kerpen zur Formirung des Landsturmes
Meran hat mir die Einsicht in den handschriftlichen Xachhiss seines durchlauch-
tigsten Vaters, soweit sich derselbe auf dessen Operationen in Innerösterreich be-
zieht, gestattet, wofür ich nicht unterlassen kann, auch an dieser Stelle meinen
aufrichtigsten und ergebensten Dank auszusprechen.
') Oräfl. Meran'sches Archiv. '-') Ebendaselbst.
Das Gefecht bei St. Michael n. d. Opevat. cl. Erzh. Johann in Steieiui. 105
aneifern sollte, nicht wenig naehtheilig ; er könne sich von dem Land-
stürme nicht den gewünschten Erfolg versprechen.
Erzherzog Johann hatte einen Augenblick daran gedacht, seine
Armee zu theilen, dem Banus Graf Ignaz Gyulay mit 21 Bataillonen,
35 Escadronen und der innerösterreichischen Landwehr die Vertheidi-
gung von Kärnten und Krain zu überlassen und sich selbst mit
17 Bataillons und 18 Escadi'ons nach Tirol zu ziehen; dann hätte
Chasteler mit Jellacic Nord -Tirol und Salzburg zu decken gehabt,
während der Erzherzog eine Centralstellung eingenommen haben würde,
von welcher aus er sowohl nach Norden, als nach Süden hätte aus-
brechen und entweder Napoleon oder dem Vicekönig von Italien in
den Rücken fallen können. Hormayr^) begeistert sich für diesen Plan
und bedauert, dass er sehr bald wieder fallen gelassen wurde. Es ge-
hört nicht zur Aufgabe dieser Abhandlung, denselben näher zu unter-
suchen, nur die Bemerkung möge gestattet sein, dass der Erzherzog»
als er ihn erwog, den Berichten des Generalissimus zufolge noch au
den Zusammenhang zwischen Hiller und Jellacic glauben musste, dass
anderseits Hormayr in der Aufstellung der günstigen Wirkimgen, welche
die Theilung der Armee von Innerösterreich hervorgebracht haben
würde, auf Marmonts Vormarsch gegen Kroatien und Krain vergisst.
Die erste Anordnung, welche Erzherzog Johann am 3. Mai an Jellacic
ergehen liess, verlangte von diesem noch die Behauptung der salz-
burgischen Gebirge und des Ennsthales. Sie musste jedoch eiueAen-
derung erfahren, als die unter des Erzherzogs Commando stehenden
Truppen, von der Armee des Vicekönigs heftig gedräDgt, unter ver-
lustvollen Gefechten bis Tarvis zurückgegangen waren und das Gefecht
bei Wörgel (13. Mai) das Zusammenwirken der Division Jellacic und
Chastelers vereitelt hatte. General Ettingshausen war am 12. Mai bis
St. Johann im Pongau, am 13. nach Saalfelden vorgerückt, hatte den
Hochfilzen, die Pässe Lufteustein und Hirschbühel besetzt, durfte sieh
jedoch nicht weiter von dem Gros der Division entfernen, weil ihm
Jellacic mit Beziehung auf einen ausdrücklichen Befehl Erzherzogs
Johann, seine Kräfte zusammenzuhalten, die Weisuug gegeben hatte,
, seine Vertheidigung nicht zu weit auszudehnen". Von einer Opera-
tion Ettiugshausens gegen den Eücken der im Unterinnthal vorgehen-
den Baiern war dabei nicht die Rede gewesen. Chasteler hatte den
verfehlten Zug nach Wörgel unternommen, ohne von der Stellung der
Division Jellacic genauere Kenntnis» und ohne sich von der Möglich-
keit eines Eingreifens derselben überzeua-t zu haben.
') Geschichte Andreas Hofeis 2. Aufi. 1845.
106 Z w i e d i n e c k - S y (.1 e n h 0 r s t.
Erzherzog Johann war schon am 16. Mai von dem Unfälle bei
Wörgl unterrichtet und entschlossen, von der Vertheidigung der weit
auseinanderliegenden Gebirgsstrassen und Pässe abzusehen und sich in
Steiermark durch Heranziehuno; aller vereinzelten Heeresabtheilungfem
die ihm unterstanden , eine neue actionsfähige Armee zu bilden. Er
berichtete in diesem Sinne an den Kaiser i). Indem er den Zustand
der Armee schilderte, hob er hervor, dass dieselbe namentlich an Offi-
zieren grosse Verluste erlitten habe. Die Mannschaft sei ermüdet, die
Bespannung elend. Alles in Allem habe er 26.000 Mann, in viele
, Parteien" getheilt, und dürfe sich daher in kein ernstliches Gefecht
einlassen. Er nehme seinen Kückzug längs der Drau nach Marburg;
Banus Gyulay gehe nach Laibach. Jellacic sei nach Graz beordert.
Von letzterem langte am 17. Mai die Meldung von dem Gefechte bei
Wörgl und dem dadurch notwendig gewordenen weiteren Bückzug
seiner Division auf steirischen Boden an 2), Ettingshausen war am
18. Mai wieder in St. Johann. Er hatte von den Tirolern mehrfache
Aufforderungen erhalten, ihnen zu Hilfe zu kommen, konnte denselben
jedoch, ohne sich einer unzweifelhaften Insubordination schuldig zu
machen, unmöglich nachkommen.
Der Erzherzog gab Jellacic von Villach aus den Befehl , seinen
Eückzug fortzusetzen und die Eichtung „ auf der kürzesten Linie * nach
Graz zu nehmen, indem er ihm zugleich seine eigenen Absichten deut-
lich erkennen Hess und seine Ankunft für den 25. Mai in Pettau an-
zeigte^). Er hatte vom Generalissimus Erzherzog Carl ein vom 13. Mai
datirtes Schreiben erhalten, welches ihm anzeigte, dass sein Bruder am
15. d. M. bei Korneuburg über die Douau gehen wolle, die Höhen des
Kahlenberges zu gewinnen, den Feind anzugreifen und Wien zu ent-
setzen. In Wien sei F.-M.-L. Dedovich mit 5000 Mann gestanden,
') Entwurf des Schreibens im Gräfl. Meran'schen Archiv. -) Ueber diesen
Rückzug hat Hormayr in seinem »Andreas Hofer* eine lange Tirade voll von
Vorwürfen gegen Jellacic losgelassen. Sie sind gänzlich unbegründet. JellaoiÖ
durfte den Weisungen des Erzherzogs zufolge und seiner eigenen Sicherung wegen
nicht an der Verbindung mit Chasteler festhalten. Seine Bestimmung war eine
andere und ausserdem die Gefahr sehr nahe , dass er schliesslich im mittleren
Pinzgau eingespeiTt oder zur Flucht ins Zillerthal genöthigt worden wäre. Frei-
lich, wenn man glaubt, dass die Vereinigung möglichst vieler Truppen in Tirol
dem Feldzug eine andere Wendung hätte geben können, wäre für Jellaöic der
Zug nach Westen wichtiger gewesen, als die Rücksicht auf die Bewegungen der
Armee des Erzherzogs Johann. General Ettingshausen hat nach dem Erscheinen
des Hormayr'schen Buches in einem besonderen , von seiner Lebensgeschichte
unabhängigen Aufsatze die von Hormajr aufgeworfenen Fragen behandelt und
dessen Angritte zurückgewiesen. ^) Gräfl. Meran'sches Archiv, siehe Anh. II.
Das Gefeclit bei ^t. Michael u. d. Operat. d. Erzli. Johann in Steierm. 107
wozu noch 6 Wiener Freibataillone, die Brigaden Nordmann und Mesko
gekommen seien. Ausser diesen sei Hiller nebst dem noch übrigen
Theil des Corps Erzherzog Ludwig und dem II. ßeservecorps nach dem
Spitz dirignrt gewesen. Die Auen und Donauinseln waren von 2 Ba-
taillonen Gradiskauer und 10 Bataillonen Landwehr besetzt. Er hatte
gehofft, dass sich die Stadt 4 Tage bis zu seiuer Aukunft werde halten
können. Die Käumung, die am 12. erfolgt sein soll, sei ihm unbe-
greiflich. Er könne dem Erzherzog nur diese Verhältnisse mittheileu
„und müsse es seiner Einsicht und Klugheit überlassen, für das ge-
meinschaftliche Beste die zweckmässigsten Massregeln zu ergreifen" i).
Erzherzog Johann war bereits im Begriffe, dies zu thuu. Er kannte
die Thatsache der Capitulation von Wien und konnte aunehmen, dass
der Uebergang der Hauptarmee auf das rechte Donauufer zum min-
desten verschoben worden sei. Er war sich weiter bewusst, dass es
ihm mit den Mitteln, welche ihm augenblicklich zur Verfügung stan-
den, nicht gelingen könne, den Marsch des Vizeköuigs in der Rich-
tung nach Wien aufzuhalten. Er konnte jedoch hoffen, wenn er sich
gesammelt und verstärkt habe, wieder die Initiative ergreifen und einen
nicht unbeträchtlichen Theil der französischen Streitkraft auf sich ziehen
zu können. Es musste dies um so wichtiger werden, wenn es seinem
Bruder gelang, mittlerweile einen glücklichen Schlag gegen Napoleon
auszuführen.
Er hielt an diesen Erwägungen fest, auch als er durch das merk-
würdige Handschreiben des Kaisers vom 15. Mai, Nieder-Hollabrunn,
überrascht wurde -). Dies trug ihm nämlich ohne irgendwelche Be-
ziehung auf die Willensmeinuug des Generalissimus , dem doch die
Disposition über die gesammte österreichische Armee übergeben war,
auf, sich sofort über Salzburg an den Inn und an die Donau zu wen-
den und in Verbindung mit dem II. Armeecorps des F.-Z.-M. Graf
Kollowrath, der die Richtung von Budweis nach Linz zu nehmen habe,
die Verbindung Napoleons mit „ dem deutschen Reiche " abzuschneiden.
Der Erzherzog vermochte der optimistischen Darstellung der bedrängten
Lage der Napoleon'schen Armee geringen Glauben zu schenken, hatte
jedoch eine nur zu bestimmte Kenntnis seiner eigenen Schwäche. In
den beiden Schreiben, welche er auf dem Marsche von Völkermarkt
') Ebendaselbst. ^) Original im gräfl. Meran'schen Archive. Siehe An-
hang III. Es lässt sich nicht feststellen , an welchem Tage das Handschreiben
dem Erzherzoge zugekommen ist. In seinen späteren Aufzeichnungen nimmt er
den 18. Mai an ; dem Schreiben an Erzherzog Carl vom 24. zufolge wäre es erst
zwei Tage vorher (22.) an ihn gelangt. Das Schriftstück selbst trägt die Signatur :
Fräs. 21.
108
Z w i e d i u e c k - S ü d 0 n ho r H t.
und Lavamünd aus an Jellacic sandte i), wird die Vereinigung mit ihm
als das Wichtigste bezeichnet, was er jetzt anzustreben habe.
Jellacic sollte an den Gebirgspässen Beobachtungsposten aufstellen,
welche ihn über alle Vorgänge beim Feinde in Kenntnis setzen könn-
ten, bei dessen Annäherung sich aber sofort zurückzuziehen hätten.
Die Besetzung der Pässe würde auch dazu beitragen, den Feind über
die Absicht des Erzherzogs, alle seine Kräfte zu vereinigen, so lange
als möglich zu täuschen. Der Wortlaut der Anordnungen ging aber
mit voller Klarheit dahin, dass Jellacic die Verbindung mit diesen Be-
obachtuugsposten nicht gänzlich aufzugeben, sondern dieselben all-
mählig an seine Arrieregarde heranzuziehen habe. Der Erzherzog nimmt
auch an, dass die aus zwei Infanterie- und einem Cavallerieregimente
bestehende französische Abtheilung, welche über Maria-Zeil hereinge-
brochen und bis Wegscheid gekommen sei, sich ihm bei Brück in den
Weg stellen könne. Sollte ihm dieselbe so stark vorkommen, dass er
sie nicht werfen könne, so schlug er ihm den Weg von Leoben über
den Diebsweg nach Frohnleiten vor. Auf das mögliche Vorgehen einer
Colonne des Vizekönigs von Klagenfurt über .Judenburg wird eben-
falls aufmerksam gemacht. „Zeit ist nicht zu verlieren" sind
die inhaltsschweren Worte, welche an diese Bemerkung geknüpft
werden.
Das Schreiben aus Völkermarkt enthält den Satz, dass der Erz-
herzog - eine Abtheilung von Klagenfurt nach St. Veit abgesendet habe,
um jede Bewegung de.^ Feindes auf dieser Strasse zu beobachten". Diese
Vorkehrung war gewiss von grösster Bedeutung. Die Rückzugslinie
dieser Abtheilung konnte, wenn sie sich mit Jellacic in Beziehung
setzen sollte , nur die Eeichsstrasse sein , welche von St. Veit über
Friesach, Unzmarkt, Judenburg, Knittelfeld nach St. Michael führt.
Der Erzherzog konnte keine andere im Auge haben. Von dieser Ab-
theilung ist jedoch nirgends mehr die Rede. Es lässt sich kaimi etwas
Anderes aunehmeu, als dass die Anordnung des Erzherzogs aus Maugel
an Verständnis nicht ausgeführt wurde, dass die Abtheilung, wenn sie
überhaupt nach St. A^eit gekommen ist, sich von dort wieder auf die
Hauptmacht zurückgezogen hat. Da von der Armee des Vizekönigs
am 20. Mai erst zwei Cavallerie - Regimenter und einige Infanterie-
Abtheilungen, am 21. vier Divisionen in Klageufurt eingerückt waren 2),
so muss die Strasse von St. Veit nach Friesach am 19. und 20. noch
vollkommen frei gewesen sein, es gab also kein militärisches Hindernis
•) Die Entwürfe von des Erzherzogd eigeuer Hand im gräfl. Meran'schen
Archive. Siebe Anhang IV, V. -) Aelschker, Geschichte Kärntens II.
t)as Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. 1()9
für jenes Detacliement, seinen Weg auf demselben zu nehmen. Seine
Anwesenheit hätte wahrscheinlich zur Verlangsamung des französischen
Vormarsches beigetragen, denn der Vizekönig konnte nicht wissen,
wen er vor sich habe.
lieber die Stärke der Macht, welche Jellacic in das Murthal bringen
konnte, durfte Erzherzog Johann selu' günstige Vorstellungen haben.
F.-Z.-M. V. Kerpeu hatte ihm am 18. Mai aus Graz i) gemeldet, dass
sich an den Grenzen von Steiermark und Oberösterreich 5 Bataillone
Landwehr und 1 Bataillon Eeuss-Greitz -) in Stellung befanden, dass
er das Commando über dieselben „auf Vorschlag des FML. Jellacic"
dem Oberstlieutenaut Graf Plunquet vom 4. österr. Landwehr-Bataillon
0. W. W. verliehen und „ denselben au gewiesen habe, die Verbindung
mit dem FML. Jellacic und Lippa (in Brück) zu unterhalten". Diese
combinirte Brigade musste von Jellacic, wenn er die Sachlage und
die Absichten des Erzherzogs auffasste, nach Graz mitgebracht wer-
den. Leider hat sie ein ganz anderes, klägliches Schicksal gehabt.
Es bestand allerdings die Absicht, die Landwehr, sobald sich Jellacic
ziu'ückgezogen haben würde, aufzulösen und den Landsturm nach
Hause zu entlassen 3); doch sollte vorher noch der Versuch gemacht
werden, aus den Landwehrmännern, welche sich dazu willig zeigten,
Freibataillone zu formiren. Der Erzherzog behielt sich vor, über
den Landsturm in Graz persönlich zu verfügen ; die flüchtigen nieder-
östen-eichiscben Landwehrmänner, über deren Exzesse und Strassen-
räubereien Freiherr v. Hingenau geklagt hatte, Hess er zusammenfangen
und in Kasernen sperren, um sie der verdienten Strafe zuzuführen.
Für die Verpflegung der Division Jellacic gab der Erzherzog strenge
Aufträge, namentlich lag ihm die Herbeischafi'ung der Schuhe sehr am
Herzen, welche Jellacic am 26. Mai in Graz vorzufinden gewünscht
hatte ^). Für diesen Tag hatte er dem FZM. v. Kerpen seine Ankunft
daselbst angekündigt. Der Erzherzog hatte die Richtung nach Pettau
aufgegeben und sich direkt über den Eadl nach Graz gewendet, um
Jellacic näher zu sein und seine Vereinigung mit ihm früher bewerk-
stelligen zu können. Es ist daher begreiflich, dass er nach seiner An-
kunft in der steirischen Hauptstadt mit voller Beruhigung dem An-
märsche dieses Heereskörpers entgegensah und seine strategischen Be-
rechnungen darauf stützte. Er sprach sich am 24. Mai einem Abge-
') Original im gi-äfl. Meran'schen Archiv. Siehe Anhang VI. ^) Das-
selbe hatte zur Division Dedovich des IV. Armee-Corps Fürst Rosenberg gehört
und war auf dem Rückzi.ige nach Steiermark versprengt worden. ^) Freih.
V. Hingenau an Erzh. Johann Graz 21. Mai. Gräti.Meran'sches Archiv. '') Erzh.
Johann an FZM. v. Kerpen Eibiswald 22. Mai. Gräfl. Meran'sches Archiv.
•[ j^f) Z M- i e d i 11 e c k - S li d e n h 0 r s t.
sandten des Kaisers gegenüber^), der ihn mündlich von der Lage der
Hauptarmee unterrichtete, dahin aus, dass er gesonnen sei, wenn er
stark gedrückt werde, sich nacli der Vereinigung mit Jellacic. , was er
nicht zweifle-', nach Ungarn zurückzuziehen, die Insurrection aufzu-
nehmen und wieder vorzugehen. Sehr ausführlich berichtet er an den
Generalissimus über seinen Kückzug-), indem er zugleich begründet,
warum er den Befehl des Kaisers vom 15. Mai nicht habe befolgen
können. Ueber den Marsch des Vizekönigs war er nicht vollständig
aufgeklärt, er vermutete wohl, dass eine Colonne desselben durch das
Murthal über Judeuburg ziehen werde, aber nicht, dass sich dort be-
reits die Hauptmacht auf dem Marsche nach Wien befand. Nach einer
genauen Aufzählung der Streitkräfte, die er noch zur Verfügung habe,
besprach er die Aufgaben, welche er sich zur Lösung stellen könne.
Er nahm an, dass der Banus Gyulay, der mit 10 Bataillonen Linie,
13 Bataillonen Landwehr und 8 Escadronen in Laibach stand, in Ver-
bindung mit der kroatischen Insurrection und dem General Stoichevich
gegen Marmont ausreichen werde; er selbst hoffte mit Jellacic und
Albert Gyulay, der 10 Bataillone Linie, 2 Bataillone Landwehr und
2 Escadrons in Pettau sammelte und wiederherstellte, 17 — 18.000 Mann
zusammenzubringen, die endlich noch durch 10.000 Mauu des FML.
Chasteler verstärkt werden konnten, wenn dieser den Auftrag des Erz-
herzoo-s, vom Pusterthale aus nach In u erÖsterreich vorzubrechen, zur
Ausführuno- zu bringen vermochte. Mit Allem, was er zusammenraffen
konnte, wollte er von Fürstenfeld oder sogar noch von Graz aus die
Bichtung nach Oesterreich nehmen. Er hat die Strassen über Aspang
nach Neustadt, über denSemmeriug und über Maria-Zeil nach St. Polten
im Aucre. Wenn er auf diesem Wege Alles angreife, was vor ihm
stehe, so werde Napoleon gezwungen sein, gegen ihn zu detachiren
und die gegen den Generalissimus in Verwendung kommende Macht
einigermassen zu schwächen. Als Grundbedingung für das Gelingen
seiner Operationen sieht er die volle Uebereinstimmung derselben mit
den Vorgängen der Hauptarmee an. An Chasteler ging ebenfalls am
24. Mai von Graz aus folgende Weisung des Erzherzogs ab : „ Ich ver-
einige mich den 27. bei Graz mit Jellacic, was gegen ihn steht, ist
mir unbekannt, sammeln sie Alles auf ein<'n Klumpen und brechen sie
durch, am besten wäre es durch das Puöterthal nach Spital, von da
über den Katschberg nach St. Michael, dann über Murau nach Juden-
burg und die Stub- oder Kleinalpe in die Gebirge des Grazer Kreises,
wo sie dann zu mir stossen können "3)
') Der Erzherzog nennt ihn in einem Schreiben an den Kaiser von demselben
Tage .Lenrs'. -) Siehe Anh. ^'II. ") Entwurf im gräfl.Meran'schen Archiv.
l)as Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. W'l
Indessen war die Division Jellacic am 21. Mai in Schladming
angelangt. Sie marschirte am 22. bis Staiuach, am 23. bis Rotten-
mann, am 24. bis Mautern. Die Marschleistungen der ersten 3 Tage
entsprechen den Anforderungen, welche durchschnittlieh bei nor-
malen Verhältnissen gestellt werden, nur die 40 km des 24. können als
Ergebnis grösserer Anstrengung bezeichnet werden. Wenn Jellacic
begriffen hätte, dass es für ihn darauf ankam, unter allen Umstäudeu
vor der im Murthal zu erwartenden französischen Colonne in St. Mi-
chael und Leoben anzulangen, so musste er am 22. Liezen, am 23.
Wald zu erreichen trachten, dann wäre er am 24. mit Leichtigkeit in
Leoben eingetroffen. Es war ganz gleichgiltig, ob er dabei eine grössere
Anzahl Marodeurs und einige Bagagewagen zurückliess , wenn er nur
die Hauptmassen seiner Bataillone vorwärts brachte. Gewalt- und
Nachtmärsche waren ihm damit immer noch nicht zugemutet. Auch
musste es ihm klar sein, dass alle Detachirungen keinen Zweck mehr
hatten, dass er vielmehr an sich zu ziehen hatte, was nur immer im
Bereiche seines Commandos stand. Aus der Erzählung Ettingshausens
entnehmen wir, dass ihn das Schreiben des Erzherzogs Johann vom
19. aus Völkermarkt, welches von der Aufstellung von Beobachtungs-
posten an den Pässen sprach, in Verlegenheit gesetzt und endlich ver-
anlasst hat, seine 2 besten Landwehr-Bataillone nach Mandling und
Aussee zurück zu schicken. Dies beweist, dass er die Auseinander-
setzungen des Erzherzogs, welche ein ganz deutliches Bild der Situation
gaben, nicht verstanden hat. Von den Truppen Plunquets hat er nur
das Bataillon Reuss-Greiz an sich gezogen. Die anderen überliess er
sammt seiner eigenen Landwehr ihrem Schicksale, über welches er nicht
im Unklaren sein konnte, da er vom Erzherzoge selbst auf die Wahr-
scheinlichkeit des Erscheinens einer französischen Colonne auf der
Strasse von Judenburg nach Brück aufmerksam gemacht war.
Am 24. war Jellacic von der Ankunft von 6000 Franzosen m
Kuittelfeld liereits unterrichtet. Er hatte nunmehr die Gewissheifc, dass
er schon zu viel Zeit auf dem Marsche versäumt, die Landwehr in
seinem Rücken unnütz zerstreut hatte. Letztere musste den Weisungen
des Erzherzogs entsprechend, da sie sich nicht mehr mit ihm ver-
einigen konnte, beordert werden, sich bei Annäherung des Feindes in
die Hochthäler zurückzuziehen und dort den Augenblick abzuwarten,
wo sie irgendwo freie Bahn finden würde. Plunquet hätte seine Kräfte
zusammenziehen und die Strasse über den Rottenmanner Tauern ein-
schlagen, sich mit 7 Bataillonen, die er zusammenbrachte, bei Juden-
burg durch die jedenfalls schwachen französischen Etappen durch-
tl2
Z w i e d i n e c k - iS ü d e )i h 0 r s t.
sclilagen und die Stubalpe erreichen können. Er hat jedoch gar keine
A^erhaltungsmassregel bekommen.
Statt die Truppen , wie sie am 24. Nachmittags standen, rasten
zu lassen und mit ihnen noch in der Nacht aufzubrechen, Hess Jellacic
die Arrieregarde an diesem Tage noch au die Tete rücken — eine
/wecklose Ermüdung — und bezog Cantonuemeuts, durch welche das
rechtzeitige Antreten am nächsten Morgen voraussichtlich in Frage
gestellt sein musste. Aus Ettingshausens Bericht geht hervor, dass
noch eine Reihe von Ungenauigkeiten in der Befehlsertheilung und
Missverständnisse dazu beigetragen haben, dass die Division statt um
p, Uhr erst um 14 ^ ühr morgens in Bewegung kam. Für den Marsch
von Mautern nach Leoben standen zwei Wege offen: der weitere, in
die Nähe der von Knittelfeld anrückenden Franzosen fuhrende, auf
der Reichsstrasse (sogenannten Salzstrasse) über St. Michael, der nähere
auf einer ganz guten „ Kohlstrasse " von Traboch über Edling und
Trofajach, oder direct ül^er St. Peter. Die Infanterie konnte auf dem
letzteren um 9 oder 10 Uhr Vormittag in Leoben anlangen, Geschütz
und Fuhrwerk über Edling und Trofajach jedenfalls im Laufe des
Nachmittags. Möglich, dass dieses verloren gegangen wäre. 7000 Manu
Linieutruppen, die noch fast gar nicht im Feuer gestunden waren,
hätten aber ohne Verlust am 25. Abends in Brück eintreffen oder den
Diebsweg nach Frohnleiten einschlagen können. Jellacic wurde auf
die Abzweigung der StraSbC von Traboch aufmerksam gemacht, er
Das Gefecht bei St. Micliael n. ct. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. \\^^
öchhig sie trotzdem nicht ein. Seine Erwägungen sind von Ettings-
liausen aufgezeichnet worden.
So kam es, dass die Patrouillen der Division Jellacic und der fran-
zösischen Division Serras um 9 Uhr Vormittag au der StrassenkreuzuDg
von St. Michael mit einer Pünktlichkeit zusammentrafen , die nicht
besser hätte verabredet werden können.
Der Vizekönig hatte (wahrscheinlich in Judenburg) in Erfahrung
gebracht, dass Jellacic noch auf dem Marsche narh Leoben begriifen
sei, und sich entschlossen, ihn anzugreifen i). Das am weitesten vor-
geschobene Corps Grenier^) wurde beauftragt, sich so rasch als mög-
lich des Knotenpunktes von St. Michael zu bemächtigen.
Die Division Serras (11 Bat., 4 Esc.) brach am frühen Morgen
des 25. Mai von Knittelfeld auf, ihr folgte die Division Dirutti (Du-
rutte), von welcher etwa 7 — 8 Bataillons an diesem Tage in Verwen-
dung kamen, und eine Cavallerie-Brigade : die Kegimenter Friaire und
Delacroix.
Als Jellacic sich von der Ankunft des Feindes überzeugt hatte,
Hess er die Brigade Ettingshausen auf einer am rechten Ufer der Liesing
bis zur Mur sich erstreckenden Platte, welche mit einer ziemlich steilen
Böschung gegen Westen abfällt, Stellung nehmen, indem er nament-
lich auf die Deckung der rechten Flanke gegen das Gebirge (die öst-
lichen Abhänge der Sekkauer Alpen, deren höchste Erhebung der
Zinken bildet) bedacht war*^). Ettingshausen vertritt die Ansicht, dass
*) Als Quelle für die Vorgiinge auf fi-anzösischer Seite dienen die »Memoirea
et coiTespondance politique et militaire du Prince Eugene, publies, annotis et
mis an ordre par A. du Cassc* Paris 1859. Tome cinquieme. Die Darstellung
der Gefechte von St. Michael stimmt fast durchaus wörtlich mit dem betreffen-
den Abschnitte in De Laborde's: »Precis historique de la guerre en 1809«.
■') In den Memoiren des Vizekönigs findet sich (T. V. p. 124) die Bemerkung,
Grenier sei am 23. bei Judenburg auf eine österreichische Colonne (,se com-
posent de pajsans et de chasseurs du loup. de 3 bataillons de Lusignan venus
du Tyrol avec 6 pieces de cauon, precedes de 300 chevaux*) gestossen. ,Ce petit
corps 86 rejeta dans la montagne, et opera sa jonction avec le corps du g^neral
Jellachich*. Nach unseren Quellen lässt sich nicht bestimmen , was Grenier
eigentlich gesehen hat, jedenfalls nicht 3 Bat. Lusignan, da 2 Bat. dieses Regi-
mentes noch im Juni unter General Buol auf dem Brenner standen, wahrschein-
lich auch nicht G Geschütze oder gar 300 Reiter. ») Für den Verlauf des
Gefechtes war bis jetzt ausser der früher erwähnten französischen Quelle die
Darstellung in dem Werke: »Das Heer von Innerösterreich* (l.Aufl. 1817) mass-
gebend. Dieselbe deckt sich bis auf wenige Worte mit der vom Erzherzog Jo-
hann 1810 verfassten »Besf^hreibung des Feldzuges 1809*, deren im gräfl. Meran-
schen Archive befindliche Handschrift ich, soweit meine Aufgabe reicht, mit dem
Texte Hormayrs im »Heer von Innerösterreich* verglichen habe. Es vnrd seiner-
MittheiluDgen XII. a
W^ X w i e d i n e c k - S ü d e n ii o r s f.
dem Kampfe bei St. Michael nicht mehr auszuweichen war, dass der-
selbe jedoch nur als Deckung des Abmarsches nach Leoben geführt
werden konnte. Der erste Angidff der Franzosen war nämlich bald
zurückgewiesen, das Gefecht wurde nur durch eine Kanonade hinge-
halten. General Serras war zur Erkenntnis;? gekommen, dass er allein
nicht stark genug sei, um die zur Vertheidigung sehr geeignete Po-
sition Jellacie's zu nehmen, und wartete das Herankommen der Divi-
sion Durutte ab.
Um 11 Uhr (nicht „apres cette heure", wie er an Napoleon be-
richtet), erschien der Vizekönig auf dem Kampfplätze und übernahm
das Commando.
Mittlerweile hatte Jellacic aber auch die Brigade Legisfeld auf die
Platte vor St. Michael gezogen, so dass er die Liesing, über welche
nur eine einzige Brücke in das Dorf führte, im Kücken hatte. Durch
das Dorf und auf der Strasse durch das sich bis zu einem Engpasse
verkleinernde Murthal ging der einzige Weg nach Leoben am linken
Ufer der Mur. Ein anderer von geringer Breite, der am rechten Ufer
nach Göss und zum Eingänge in den Diebsweg führt, war auf einer
südlich von der Michaeler Platte befindlichen Brücke zu erreichen.
Aus Ettingshausens Eizählung geht hervor, dass während der
Gefechtspause, welche nach dem ersten französischen Angriff einge-
treten ist, die Zurücknahme einzelner Bataillons über die Brücke nach
St. Michael möglich gewesen wäre ^), Thatsächlich hat Ettingshausen
zeit notwendig werden , diese Vergleichung auf das ganze Werk auszudehnen.
Mir ist es klar geworden , dass die Arbeit des Erzherzogs dem Verfasser des
»Heer von Inneröstereich* (Hormayr) vorgelegen hat, dass sie von letzterem jedoch
nicht in allen ihren Theileu benützt wurde. Grössere Partien der Handschrift
fehlen im gedruckten Texte, doch nicht in dem hier zu berücksichtigenden Ka-
pitel. Als eine neue Quelle tritt nunmehr Ettingshausens Bericht hinzu. Zur
weiteren Ergänzung dienen die Bemerkungen des Erzherzogs Johann in seinen
späteren Memoiren (Anhang X). Die Notizen des Pfarrers von St. Michael P.Leon-
hard Lachmayr, welche Wichner in seinem Aufsatze „Eine obersteirische Pfarre
zur Zeit der französischen Invasion" (Mitth. des bist. Ver. f. Steiermark XXHI)
veröffentlichte, enthalten manche Unrichtigkeiten, so die Behauptung, dass bei
Maidstein (zwischen St. Michael und Traboch) der erste Zusammenstoss stattge-
funden habe, dass Jellaöic am Tage des Gefechtes noch um 8 Uhr im Bette ge-
legen sei, oder gar, dass er von der Kavallerie keinen hinreichenden Gebrauch
gemacht habe. Mit 3 Zügen konnte er wohl keine grossen Unternehmungen
ausführen. Wertvoll ist die Bemerkung, dass erst um 4'/o ühr Nachm. der Feind
überlegen war, sowie dass nach dem ersten Ziisammenstoss am ^Morgen der Rück-
zug nach Leoben hätte angetreten werden können.
•) Laborde meint sogar, Jellaöic hätte den grösseren Theil seines Coi-ps
noch über Traboch retten können, wenn er sich darauf beschränkt hätte, die
französische Avantgarde durch Ettingshausen aufzuhalten.
t)as Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. \ 15
die Bagage auf diesem Wege nach Leoben vorausgeschickt. DerKück-
zug war zwar nicht ohne bedeutende Verluste, aber immerhin in guter
Ordnung ausführbar, denn die Murenge hinter St. Michael entzog die
Truppen, welche dieselbe erreicht hatten, dem Feinde, der wohl nach-
drängen, aber die Marsch-Colonne nicht von den Seiten beunruhigen
konnte. Es hat nämlich mehrere Stunden gedauert, bis der Vize-
könig seine Vorbereitungen zu dem allgemeinen Angriffe auf die Platte,
auf welcher Jeilacic seine ganze Division ohne jegliche Keserve aus-
einandergezogen hatte, zum Abschluss bringen konnte. Er dirigirte
die Brigade Roussel mit 5 Bataillonen an seinen linken Flügel, der auf
den Höhen beim „Dolmayer" den rechten Flügel Jellacic's zu um-
VorderLcuisacli/
gehen hatte. Nach Ankunft der Division Durutte wurde noch ein Bataillon
des 23. Regimentes der Brigade Eoussel zur Unterstützung geschickt.
Serras blieb mit 6 Bataillonen im Centram vor der Platte, hinter ihm
bildeten 3 Bataillone 2?>^^ eine zweite Angriffslinie. General Desaix
hielt mit dem ganzen 102. Regiment in der Reserve. Die beiden
Cavallerie-Regimenter füllten die Lücke zwischen den Divisionen Serras,
Durutte und der Reserve. 2 Bataillone 62^1' waren bei St. Stefan über
die Mur gegangen und konnten auf schlechtem aber kurzem Wege die
Brücke beim Anderlbauer eiTeicheu. Es ist sehr wahrscheinlich, dass
diese bei dem letzten Sturme auf die Platte mitgewirkt und dazu bei-
getragen haben, die zurückweichenden Oesterieicher an der Liesing-
brücke abzufangen.
8"
W^ 2 w i e tt i n e c k - S ü d e n ii o v s t.
Ettingsliauseii machte Jellacic auf die Gefahr aufmerksam, iu
welche die Division bei einer Rückwärtsbewegung geraten müsse, so-
lange sie die Liesing im Rücken habe. Jellacic behauptete, eben aus
diesem Grunde dürfe er nicht zurückgehen, sondern müsse den Ein-
bruch der Nacht dazu abwarten. Er mutete sich also zu, das Gefecht
mindestens 7 — 8 Stunden ohne grossen Nachtheil fortsetzen zu können.
Aus seinem Centrum wollte er nichts herausnehmen, dagegen 2 Ba-
taillone vom rechten Flügel über die Liesing zurückgehen und die
hinter derselben liegenden Höhen besetzen lassen. Dies war offenbar
nicht melir ausführbar, weil Roussel's Bataillone sie bereits festhielten.
Ettingshausen war eben im Begriffe, mit einer noch nicht zur Ver-
wendung gelangten Compagnie ein Rideau hinter St. Michael zu be-
setzen, von dem aus das Debouche gesichert werden konnte, als der
französische Angriff begann. Der Vizekönig hatte Zeit genug gehabt,
sich von der Schwäche der vor ihm stehenden lang gestreckten In-
fanterie-Linie zu überzeugen, seine eigenen Kräfte reichten dagegen
vollständig aus, um gleichzeitig mit der Ueberflügelung bei Brunn auch
einen Frontalangriff gegen die Platte auszuführen. Er gelang augen-
blicklich. Ein einziger Sturm, von einer Cavallerie-Attaque begleitet'),
warf die ganze Division und zwang sie, da sie keinen Rückhalt hatte,
zur Flucht. Diese gelang jedoch nur einem kleinen Theile, höchstens
2000 Manu, die sich in der grössten Unordnung und Auflösung aller
Verbände nach Leoben und Brück retteten. Ettingshausen, der mit
Recht um das von Jellacic aus der Division entlassene Cheva-ixlegers-
Re^iment klagt, mit welchem man dem feindlichen Stosse hätte wirk-
sam beoecjnen können, hat die Einzelheiten dieser Flucht anschaulich
sreschildert Jellacic wollte auch keinen Versuch des Widerstandes bei
Ijeoben mehr machen, sondern gab nur die Direction nach Graz.
Der grösste Theil der Division wurde gefangeu, offenbar bevor er
noch die Brücke über die Liesing, die ja auch bald durch ineinander-
gefahrene Wagen gesperrt gewesen sein mochte, passirt hatte.
Die Verlustliste im „Heer von InnerösteiTeich " zählt
an Todten: Oberoffiziere 5, Gemeine 421, Pferde 7,
„ Verwundeten: „ 23 „ 1114 „ 11
„ Gefangenen: „ 72 „ 4891 „ —
„ Vermissten: „ — ,. 50 „ —
Summa: Oberoffiziere 100, Gemeine 6476, Pferde 18.
') Bei dem Umstände, dass die Böschung zur Platte genommen werden
muss+e, eine schöne Reiterleistuug, welche es rechtfertigt, dass der Vizekönig in
einem Brief an .seine Fraii vom 2b". Mai (0" Ihr Morgens in 8t. Michael) der
Das Gefecht Ijei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann iu Steienu. | j^ 7
Die französische Quelle zählt 800Todte, 1200 Verwundete, 4270 Ge-
i'Hugene (darunter 70 Offiziere), 2 Geschütze, 1 Fahne.
Die Division Serras war um 7 Uhr Abends in Leoben. Durutte
biwakirte auf dem Schlachtfelde.
Eine unausbleibliche Folge des Vorrückens der Franzosen nach
Brack war die Waffeustreckung der Landwehr-Bataillone, welche Oberst-
lieutenant Plunquet comuiandirte. Sie wäre wohl auch dann einge-
treten, wenn die Division Jellacic entkommen wäre. Denn die Frage,
ob es möglich gewesen wäre, die ganze Truppe in die höheren Ge-
birgsthäler zurückzuziehen und den Moment abzuwarten, in welchem
sich nach dem Abmarsch des Vizekönigs nach Wien die Gelegenheit
zu einem Durchbruche quer über das Mur- oder Mürzthal ergeben
hätte, lässt sich nicht beantworten. Einer halben Compagnie Cillicr
ist es gelungen, sich bis nach Kroatien durchzuschlagen. Für mehrere
hundert, vielleicht tausend Mann, die sich zuletzt in Rottenmaun ge-
sammelt hatten, dürfte die Verpflegung in der Tauern- oder Schwaben-
gruppe unmöglich geworden sein. Dazu kam, dass die Landwehr,
wenn sie endlich doch gefangen worden wäre, in der Gefahr stand
dezimirt zu werden. Die Schmähungen, welche Hormayr gegen Plun-
quet schleudert, sind daher jedenfalls ungerechtfertigt.
Erzherzog Johann erfuhr am 26. Mai gleichzeitig mit der Nachricht
des Sieges von Aspern auch das Schicksal der Division Jellacic. Seine
Hoffnung, wieder zu selbständigen Operationen schreiten und dadurch
auf den Gang der Ereignisse an der Donau einwirken zu können, war
vernichtet. Er sprach zwar in dem Schreiben an Erzherzog Carl 1) die
Erwartung aus, er werde sein Corps bis auf 20.000 Mann bringen
können, es waren jedoch nur wenige gesclilossene Verbände, sondern
grösstenteils neu formirte schwache Bataillone zu seiner Verfügung.
Die Division Jellacic wäre der Kern seiner Macht geworden, im Be-
sitze derselben hätte er seine Absicht, unabhängig von der Haupt-
armee in der Richtung nach Neustadt zu operiren, mit Nachdruck
vertreten und wäre dadurch dem Befehle des Generalissimus, das Vor-
dringen des Vizekönigs und dessen Verbindung mit Napoleon zu hin-
dern, möglichst nahe gekommen^).
Am Jclarsten spricht sich die traurige Konsequenz der Niederlage
»süperbes charges-« der beiden Regimenter besondere Erwähnung thut. (Corre-
spondance p. 233.)
') Entwurf im grätl. Meran'schen Archiv , undatirt, dem Texte nach aus
St.. Gotthard 1. oder 2. Juni. Anhang VIIF. ") Nach Wertheimer, »Ge-
schichte Oesterreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert/*
n. Barrel wurde dieser Befehl am 25. Mai ausgefertigt.
WQ Z w i e <1 i n e c k - S ü d e n h u r s t.
bei St. Michael in dem Schreiben des Erzherzogs Johann an den
Palatin Erzherzog Joseph aus^), das unter dem ersten Eindrucke der
Unglücksnachricht geschrieben zu sein scheint. Hier wird ausdrücklich
erklärt, dass der Verlust der Division Jellacic den Abmarsch von Graz
nothwendig gemacht und den Erzherzog gezwungen habe, sich mit
anderen Kräften zu verbinden.
Als der Erzherzog in den fünfziger Jahren mit Zugrundelegung
seiner zahlreichen Tagebücher und der von ihm aufbewahrten Akten-
stücke und Concepte zu der Ausarbeitung seiner Memoiren schritt, die
bis zum Jahre 1816 abgeschlossen vorliegen, beschäftigte er sich ein-
'gehend mit dem Ereignisse von St. Michael 2). Wir erfahren aus seinen
Bemerkungen, dass Jellacic den Hauptmann De Lort, seinen General-
stabs-Chef, nach Graz gesendet hatte, wo er sich am 25. Mai, also am
Tage des verhängnissvollen Zusammentreffens, beim Armee-Comman-
danten meldete. Dem Erzherzog war dies sehr unangenehm, da er
wusste, dass Jellaßic einer energischen und sachverständigen Leitung
bedurfte. Die Ausweichung von Traboch über St. Peter nach Leobeu
hielt der Erzherzog noch am 25. für ganz gut ausführbar, die Auf-
stellung vor St. Michael für gänzlich fehlerhaft. Wenn Jellacic hin-
gegen so rasch als möglich die Liesing zwischen sich und den Feind
gebracht, die Brücke bei St. Michael abgebrochen und den Ort ver-
rammelt hätte, konnte er auch nach dem Zusammentreffen mit der
Avantgarde der Division Serras den Rückzug nach Leoben sichern.
Nur eine Truppe, welche stark genug gewesen wäre, den Marsch des
Vizekönigs nach Wien aufzuhalten, durfte sich ihm entgegenstellen.
Diese Voraussetzung konnte jedoch bei Jellacic unmöglich zutreffen.
Die Folge des ohne Ueberlegung angenommenen Gefechtes musste eine
Niederlage sein, welche für die Absichten des Erzherzogs, wie er noch-
mals betont, grossen Einfluss hatte.
Zur Vertheidigung der Haltung des FML. Jellacic scheinen sich
nicht viele Federn in Bewegung gesetzt zu haben. Er selbst hat, so
viel mir bekannt geworden, keinen Schritt zu seiner Rechtfertigung
gethan, sondern sich damit begnügt, den offiziellen Bericht zu beein-
flussen, den Hauptmann De Lort über die selbständige Thätigkeit der
Division vom 1. bis 26. Mai abstattete^). Wir wissen, dass dieser,
der als Generalstabs-Chef der Division fungirt hatte, am Tage des Ge-
fechtes von St. Michael sich in Graz befand, dass er sich bei seiner
Darstellung nur auf die Mittheiluugen Anderer gestützt haben kann.
') Entwurf im gräfl. Merau'sclien Archiv. Anhang IX. ") Die darauf
Bezug nehmende Stelle gibt Anhang X. ■>) Anhang XL
Das Gefecht bei St. Michael u. d. Üperat. d. Krzh. J ohanu iu Steierm. 1 19
Es wird keine gewagte Annalime sein, wenn wir den FML. Jellaeic
selbst als die Quelle ansehen, aus welcher er dabei geschöpft hat.
Auffallend sind die Unrichtigkeiten, welche De Lort's Bericht aufweist.
Zunächst die Behauptung, dass Jellaeic bis zu dem Augenblicke, als
er mit den Vortruppen des Vizeköuigs zusammenstiess, keine Meldung
von dem Anmärsche der Franzosen auf der Strasse von Knittelfeld
erhalten habe. Aus der Erzählung Ettingshausens geht das Gegentheil
hervor. Unrichtig ist es, dass die feindliche Avantgarde bei St. Michael
„aufgestellt" gewesen sei, als Jellaeic herankam, unrichtig auch die
Angabe der Tageszeit des Zusammentreffens. Es ist ganz unmöglich,
dass die Truppen, die um 5 Uhr von Mautern aufgebrochen sein sollen,
erst um „Mittag" in St. Michael angelangt waren. Was soll man erst
zu der Behauptung sagen, dass die geschlagene französische Avant-
garde „eine Stunde weit" verfolgt wurde? Dann hätte doch minde-
stens eine weitere Stunde vergangen sein müssen, bis die Spitzen der
französischen Kolonnen wieder an der Liesing anlangten. Während
dieser zwei Stunden hätte das Gros der Division doch die Brücke
über die Liesing passirt haben und gegen Leoben abmarschirt sein
können. Auch das Verhältnis zwischen den im Kampfe Getödteten
und Vei-wundeten und den Gefangenen stimmt durchaus nicht mit
den genaueren Angaben auf französischer und österreichischer Seite.
Neu ist auch die Behauptung, dass ein unter dem Kommando des
Majors Verner stehendes Bataillon (Judenburger Landwehr?) die
Aufgabe gehabt habe, die Flanke der Division gegen Westen zu
decken. Es ist immerhin möglich, dass dieser Major, der am 25.
über die Stubalpe nach Graz zog, in der Lage gewesen wäre, eine
Meldung an Jellaeic gelangen zu lassen; dass er dazu beauftragt ge-
wesen, ist unwahrscheinlich. Er hat jedenfalls im Sinne des Ober-
kommandos gehandelt, wenn er — jede Berührung mit dem Feind
vermeidend — den nächsten Weg nach Graz einschlug. Er konnte
sehr gut der Meinung sein, dass Jellaeic schon auf dem Wege nach
Brück war, als er die Reichsstrasse bei Judenburg kreuzte. Zur Ent-
lastung des FML. Jellaeic trägt der Bericht von de Lort gewiss nicht
bei, aber er gibt den Beweis, dass dieser unglückliche Truppenführer
auch nach den traurigen Erfahrungen, die er gemacht hatte, über den
Zusammenhang der Ereignisse, denen seine Division zum Opfer ge-
fallen ist, sich keine klare Eechenschaft zu geben vermochte.
Es erübrigt noch eine Frage zu beantworten: Ob es dem Erz-
herzog möglich gewesen wäre, Jellaeic im Murthale aufzunehmen, oder
sogar mit ihm vereint sich dem Vormarsche des Vizekönigs zu wider-
setzen ? Sie kann mit Entschiedenheit verneint werden. Die Truppen,
120
Z w i e d i n e c k - iS ü d e n h o r ö t.
die nach starken und beschwerlichen Märschen am 23. in Preding.
am 24. in Graz angelangt waren, konnten am 25. nicht bei St. Michael,
nicht einmal in Brück stehen. Sie waren auch nicht in der Ver-
fassung, sich sofort gegen einen übermächtigen Feind, der im sieg-
reichen Vordringen begriffen war, zu schlagen. Somit wai- es auch
gänzlich ausgeschlossen, dass der Erzherzog die Vereinigung der Armee
des Vizekönigs mit der französischen Hauptarmee bei Wien verhindern
konnte. Sein Plan, erst nach der Vereinigung mit Jellacic und mit
den Truppen der ungarischen lusurrection die Initiative wieder «zu er-
greifen, war der allein richtige. Dieser wurde daher auch im weitereu
Verlaufe des Feldzuges vom Erzherzoge wiederholt befürwortet, leider
ohne die Billigung des Generalissimus zu erhalten i).
Von militärischen Fachmännern wurde auf Grund der vorstehen-
den Darstellung und • nach genauen eigenen Studien im Terrain die
Ansicht aufgestellt, dass es für Jellacic schwer geworden wäre, das
ZusammentreflFen mit dem Feinde bei St. Michael gänzlich zu ver-
meiden. Die Marschleistungen seiner Division am 22., 23. und 24. Mai
seien im Ganzen genügend gewesen, bei dem Umstände also, dass die
Entfernung von Schladming bis St. Michael 110 Kilom. und die von
Klagenfurt bis dahin 115 Kilom, betrug, beide Heereskörper also in
den bezeichneten 3 Tagen eine nahezu gleichgrosse Strecke zurückzu-
legen hatten, sei das Zusammentreffen an dem Kreuzungspunkte mit
Notwendigkeit eingetreten, Dasss durch ausserordentliche Marsch-
leistungen, welche von allen bedeutenden Feldherren gefordert wurden
und häufig gefordert werden müssen — die Feldzüge des Prinzen
Eugen geben davon viele Beispiele — das traurige Schicksal der Di-
vision Jellacic abgewendet werden konnte, ist aber kaum zu leugnen,
— Selbst in dem Falle jedoch, als letztere am 24. Abends nicht weiter
als bis Mautern gelangt sein konnte, war sie nach der Anschauung
der Sachverständigen noch zu retten. Dazu war einerseits ein mög-
lichst zeitlicher Aufbruch am Morgen des 25., sowie eine Theilung der
Truppen erforderlich. Das Gros musste sofort den Weg über Trofaiach
nach Leoben einschlagen, während ein Detachemeut, etwa eine schwache
combinirte Brigade bei St, Michael Stellung zu nehmen und ein hin-
haltendes Gefecht zu liefern hatte, welches noch vor dem. Eintreffen
') Ich werde Gelegenheit haben, in einer besonderen Arbeit über den Feld -
z u g d e s E r z h e r z 0 g s .1 0 h a n n i n U n g a r n die betreffenden Unterhandhmgeu
eingehend zu besprechen.
Das Cieferlif l»ei St. Michael u. d. Openit. d. Erzh. Johann in 8teierm. \ 2 1
der Division Durutte abgebroclien werden konnte. Jedenfalls wäre
dann das Gros völlig unangefochten nach Leoben und weiter nach
Bruck und Graz gelaugt. Wenn Jellacic es der „Waffenehre" der
österreichischen Armee schuldig zu sein glaubte, den Kampf mit dem
überlegenen Gegner aufzunehmen und bis zur sinkenden Nacht fort-
zuführen, so war seine Auffassung jedenfalls eine sehr irrige und sein
Verhalten im offenen Widerspruche mit den Weisungen, welche er
vom Erzherzog Johann erhalten hatte. Aus den vorliegenden Be-
richten lässt sich aber überhaupt uicht nachweisen , welche Beweg-
gi-ünde ihn bei seinen Massnahmen geleitet haben, man wird sich doch
genötigt finden, das Urteil des Erzherzogs anzuerkennen, welcher den
Eeldmarschall-Lieutenaut als tapfereu Soldaten, jedoch als ungeeignet
zur Leitung selbständiger Unternehmungen bezeichnete.
Anhang.
I.
Aus der Selbstbiographie des Generalmajors Konstantin ton Ettingshausen.
Am 29. April vor Anbruch des Tags langten wir nach neuern Rück-
zugs-Ordres vor Salzburg an — hier war der Feldinarschallieutenant Jel-
lachich, der wegen dem Andringen des Feindes nach der bestandenen In-
struction des 6ten Armee Coi-ps den Befehl zum weitern Rückzug gab —
die Arriöre garde focht noch in der Stadt, ich hatte mich jenseits der
Stadt mit dem Regiment Devaux aufgestellt, um die Arrieregarde nothigen
falls zu unterstützen, wenn sie der Feind auf dem Wege nach Golling ver-
folgen sollte.
Am 30ten April zu Golling lautete der Divisions Befehl des Fml Jellachich
folgender Massen: Der Umstand, dass die Cavallerie und die österreichi-
schen Landwehren zum Dienst der Armee in das Ennsthal abgeschickt
werde, erfordert eine andere Brigade Eintheilung: deren zu folge erhält
Herr General Baron Legisfeld (der sich in Salzburg an die Division an-
geschlossen hatte) die Warasdiner Kreuzer, die Landwehr und die 3 Züge
Cavallerie, die noch hier bleiben, und commandirt in gegenwärtigen Um-
ständen die Arrieregarde.
Herr General Ettingshausen behält wie bisher Eszterhazy und Devaux
und die Batterie nebst Reserve Munition zur Brigade — das Regiment
Eszterhazy giebt eine Division nach Abtenau, welche gleich nach dem Ab-
kochen sich hier wegen weiterer Instruction anmeldet, und noch heute
dahin marschirt ; es wird um 3 Uhr heute Nachmittag bis Werfen marschirt.
122 Z w i e d i 11 e c k - S ü de 11 li 0 r s t.
Am l^^en May machte der Fml Jellachich seine weitere Haupt Dispo-
sition zu Werfen bekannt — dies war die erste in ein nahes Detail der
A'^ertheidigruig eingegangene Belehrung — schon der Eingang sprach dafür
— es hiess : In der dermaligen Lage der Sachen beschränkt sich unsere
Defension auf die hartnäckigste Vertheidigung der Gebirgs Gegenden von
Salzburg — diese kann nur durch muthvolle Behauptung der verschiedenen
Pässe erzielt werden, denn der Verlust von einem dieser Pässe zieht mehr
oder weniger jenen aller anderen nach sich, und versetzt uns in die grösste
Gefahr, umg-ancren zu werden. Nach der angegebenen Besetzungs Art der
O O O CD CD
Pässe hiess es : auf diese Weisse ist der Haupt Zugang nämlich das Salza
Thal so zu sagen hermetrisch gesperrt.
Herr Oberst von Siegenfeld besorgt den Vorposten Dienst, alle Eapporte
gehen an ihn, der sie dann weiters an Herrn Generain v. Legisfeld be-
fördern wird.
Zur Besetzung des 4ten Zugangs, wie auch des 5^^^ wird eine Di-
vision Devaux nach Bischofshofen , eine nach St. Johann, und eine nach
Lendt detachirt. — Von Bischofshofen detachirt die dortige Division eine
Compagnie nach Mühlbach, welche die Posten gegen die Dienten zu be-
sorgen hat — die nach Lendt kommende Division detachii-t eine Com-
pagnie zur Besetzung und Verrammlung der Enge zwischen Embach und
Eschenau, und besetzt gleichfalls den sogenannten Filzensattel.
Von dem andern Bataillon von Devaux kommen 3 Compagnien nach
Wagrain, und 3 Compagnien nach Hüttau en Eeserve zu stehen. Am
Schluss heisst es:
Mein Quartier werde ich morgen in Eadstatt nehmen, wohin HeiT
General Ettingshausen , das Eegiment Eszterhazy, der Eest der Artillene
und Cavallerie verlegt werden — Eszterhazy wird morgen von Gasthaus
aus auf dem Wege von Hüttau nach Eadstatt eine Compagnie über St. Martin
nach Annaberg detachiren, welche dort als Soutien der in der Abtenau
stehenden Division bleiben wird — ... und endlich: Im Gebirgs Kriege
kommt alles darauf an, jede feindlichen Bewegungen oder Ereignisse bei
Zeiten zu erfaln-en, damit man schnelle Gegen Massregeln zu ergreifen Zeit
habe. Nirgends hat ein Officier mehr Gelegenheit als im Gebirgs Kriege
von seinem Muth, Einsicht und Gegenwart des Geistes Beweisse zu geben,
und sich auszuzeichnen — ül>erall bietet die Beschaffenheit des Terrains
Aufstellung und Eesourcen dar, die ein geschickter Anführer zu benutzen
weiss — um mit geiinger Macht eine feindliche Ueberzahl auf zu halten.
Der Ausdruck »Umgangen, Tourniren« hat im Gebirge keinen Sinn —
weil der Umgehende selbst umgangen ist, wenn man ihm nur mit Ent-
schlossenheit entgegen geht.
Ich erfuhr nun vom Feldmarschallieutenant Jellachich die Ursache,
wamm er das Chevauxlegers Eegiment Orellyi mit dem General Proven-
cheres zur Armee zurückgeschickt habe. Er sagte mir, dieser General
habe ihm den Antrag dazu gemacht und sich auf die Gründe gestützet,
dass in den engen Pässen von Cavallerie kein Vortheil zu ziehen, diese
wegen Mangel an Fourage darin schwer, ja wohl in die Länge gar nicht
subsistiren zu machen sey, das Eegiment hingegen der Armee, die wie man
hörte, sehr viel gelitten hätte, einen ei-wünschten Zuwachs bringen, ihr
Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in yteienu. 123
wesentliche Dienste leisten, mithin zum besten des Staats dort weit mehr
beitragen könne, als hier — dass der Feldmarschallieutenant sich aber ein
unverkennbares grosses Verdienst um den Staat erwerben würde, wenn
er, ohne Befehl dazu zu haben, aus eigener Ueberzeugung der Armee
dieses Eegiment abgeben, seinen Biedersinn und seine Uneigennützigkeit
dadurch öffentlich beweisen, und ein seltenes Beyspiel von Patriotismus
und Entsagung jeder Eigenliebe darstellen würde. --- Der Feldmarschal-
lieutenant bemerkte, dass er zwar mehrere Gründe gefunden habe, welche
ihm diesen Schritt, so viel Schönes und Gutes er auch immer auf seiner
Seite haben möge, wiederrathen hätten, z : B : dass er zwar seine Stellung
dermalen in den Gebirgs Pässen habe, es aber zu hoffen und zu erwarten
sei , dass unsere Armee so bald als möglich wieder die Offensive ergreifen,
\\är sohin aus den Pässen wieder in die Ebene rücken würden, wo er
dann das Eegiment wieder selbst nöthig hätte — dass es ihm für die
Verpflegung des Eegiments nicht bang sei; dass er weder wisse, wohin
er das Eegiment zu instradiren habe, um ohne Zeitverlust zur Armee zu
stossen, weder sicher sei, ob dieser eigenmächtige Schritt den Gesinnungen
des Generalissimus entspreche, und ob er mit unvorhergesehenen Dispo-
sitionen sich nicht kreutzen würde — dass er sich aber au die Geschichte
erinnert habe, die er schon einmal mit der Cavallerie erlebt, und für den
gegenwärtigen Fall blos den Endzweck vor Auge gehabt habe, das beste
und nüzlichste zu wählen, und den General Provencheres daher mit dem
Chevauxlegers Eegiment zur Armee abgeschickt, und hier nur die einige
Züge behalten hätte. — Weder Er noch ich hatten uns damals, ohnge-
achtet wir das Unglück der Armee bey Eegensburg bereits erfahren hatten,
vorgestellt, dass der Feind Wien schon beschossen, und am l iten May
in Besitz genommen habe. — Wie wunderbar das Geschick sich fügte,
meine Frau und Kinder, die ich recht gut in Wien zu placieren dachte,
und die in Erlau recht ruhig geblieben wären, wenn ich sie dort belassen
hätte, waren in einer grössern Gefahr, als ich, der ich vor den Feind
ausgerückt war — sie mussten das Bombardement in Wien aushalten, und
im Keller sich vor den Bomben ihr Leben sichern.
Am 12ten May erlaubte mir der Fml. Jellachich, gegen Tyrol eine
Diversion zu machen — ich war in St. Johann im Ponggau, als ich von
demselben am I4ten folgenden Auftrag erhielt . . . Eadstatt am 13 May 809
Nachts um 12 Uhr. Diesen Augenblick erhalte ich durch einen mir zu-
geschickten Courier aus Tyrol die Nachricht, dass es den Tyrolem gelungen
hat, den Pass Strub wieder zu erobern — und den General Deroi, welcher,
und nicht Wrede, in Tyrol einfiel, empfindlich zu schlagen, welches dem
Herrn Generain aus der Ursache berichte, um das Gros der Truppen nicht
weiter vorzubringen, mit Patrouillen aber und respective Streifzügen sich
von dem geschehenen noch mehr zu überführen, und Nachrichten ein-
zuholen.
Das Judenburger Bataillon ist demnach sogleich nach Schladming,
die übrigen Truppen aber nach erfolgter Bestäftigung und Eückkehr der
ausgesendeten Patrouillen einrücken zu machen. Nur wird 1 Division
von Devaux in St. Johann verbleiben, wovon V^ Compagnie nach Bischofs-
heim zu schicken sein wird. Das Landwehr Bataillon Salzburger aber
i24 Z wieil i iie ck- Sil d •' ii li or st.
bleibt noch weiter zur Deckung ihres Landes dort, und wird zweckmässig
vertheilet. Jellachich Fml.
Ich bin indessen nach Saalfelden vorgerückt, um auch mit wenigem
wo möglich den Endzwek zu befördern — aber noch den nämlichen Tag
erhielt ich dort nachstehende Ordre:
Nach Eröffiiung Sr kaiserlichen Hoheit des E: H: Johann, welcher
schon ziemlich in unserer Nähe ist, solle ich mein Coi-ps nicht vereinzeln,
sondern die Kräfte beisammen halten , weil es geschehen könne, dass Er
sich an mich anschliesse, oder mich an sich ziehe — auch hätte ich ihm
fleissig Nachrichten nach Villach zu ertheilen.
Diesem Befehle und meinem bisherigen Grundsatze getreu gedenke ich
auch dies zu thun, und dahero muss ich dem Gros die Schranken bis
Taxenbach und Saalfelden, das ist, denen Spitzen desselben setzen und
finden der Herr General was zu avanturiren, so kann dies lediglich mit
einer Compagnie, oder mit weniger vne verabredet geschehen, das Juden-
burger Bataillon, so in St. Johann heute geblieben, wünsche ich, wenn
es nicht höchst vonnöthen, morgen schon hieher zu haben, weil ich mit
denen Bataillons die Besetzung von Ischl erzielen, und unsere 3 Kreutzer
Compagnien an mich ziehen möchte.
Ich bin ganz Begierde, etwas von Tyi'ol zu erfahi-en, und wünsche
gleich den eingefleischtesten Tyrolern, dass die Bayern Schläge abgeholet
haben, und zurück gewiesen werden. — Unsere Operation möchte ich
doch auch nicht über 3 Tage erstrecken, d: i: Von morgen angefangen
— darum brav marschirt; ich wünsche gute Verrichtung.
Jellachich Fml.
Den Tag darauf erhielt ich schon wieder folgendes Schreiben: Rad-
statt am 15 May 809. Ich muss Euer Hochwohlgebohrn mit dem be-
kannt machen, was mir des E: H: Johann k. Hoheit von Daniele unterm
1 iten dieses schreiben. — Ich möchte nemlich meine Vertheidigung nicht
zu weit ausdehnen, und mich blos auf das Salzburger Gebirgsland, die
Communication mit Tyrol und Deckung Kärntens nämlich des Thauren
beschränken.
In dieser Hinsicht sehen wohl der Herr General, dass ich mich mit dem
grösten Theil meines Coi-ps nicht nach Tyi'ol begeben kann, weil Se k. Hoheit
ausdrücklich befehlen, mich beisammen zu halten, weil es sein kann, dass
er sich an mich schliessen oder mich an sich ziehen werde, um mit ver-
sammelten Kräften dem Feinde zu begegnen.
So heiss als ich auch wünschte, Theil an der Operation ausser der
Flanke der Deckung zu nehmen, so fürchte ich doch, indem ich Theil an
der nachbarlichen Geschichte nehme, mich von den ersten Pflichten und Auf-
trägen zu entfernen, um so mehr, da der Feind eine Patrouille, wobei
auch 1 Officier seyn soll, zwischen Abtenau und Schutt herein geschickt,
die uns belauschet, und ohnfehlbar uns von der Seite was auf den Hals
schicken möchte. — Ich glaube also, dass damit, was Euer hoch Wohl-
gebohren bishero gethan haben, alles gethan ist, was man thun konnte
wobei es auch zu verbleiben hat, mit dem alleinigen Bemerken, dass
zu unserer eigenen Sicherheit und zur Aufmunterung der Landes Vertheidiger
eine Division von Devaux in Luftcnstein aufzustellen wäre, die den Feind
t)as Gedeckt tei St. Michael u. rl. Operat. d. Erzh. Johann in »Steierm . j[ 25
bedi'oht, ihn harcellirt, durch vorpoussirte Patrouillen beunruhigt, dabei
aber auf ihre eigenen Flanken sehen muss, um nicht aufgehoben zu wer-
den. Nur der Fall, den die Umstände Ihnen in Ihrer gegenwärtigen Stel-
lung auf eine kurze Zeit herbeiführeten, dass Sie was wesentlich und
sicher gutes leisten könnten, darf Ausnahme bringen.
Ich befehlige unter einem noch ein Salzburger Landwehr Bataillon
nach Bischofshofen um im Falle, dass die vorgeschikten Truppen rükkehren,
jene Gegend nicht unbesezt zu lassen, welche Besetzung, wie schon vorhin
bestimmt worden, aus einer Division Devaux und denen 2 Landwehr Ba-
taillons, dann den Schützen des Landes und im schlimmsten Fall aus dem
Landsturm bestehen wird. Jellachich Fml.
Ich hatte die Hochfilzen, den Pass Luftenstein und den Pass Hirsch-
bühel besezt, und schickte häufige Patruillen aus. — Meine Tendenz ging
nur dahin, feindlichen Streifereien vorzubeugen und ernsthafteren Be-
wegungen des Feindes Besorgnisse zu geben, es hielt mich aber die be-
stimmte Beschränkung obiger Befehle ab, selbst etwas ernsthaftes zu unter-
nehmen, was ohne weitere Entfernung von unserm eigenen Corps nicht
unternommen werden konnte — indessen war aber auch das Corps des
Feldmarschallieutenants Chasteler bereits zerstört.
Die Kachricht davon kam mir durch meine Patrouillen und durch
das Aviso des H. Fml: Jellachich zu, welcher mir am 16. May schrieb:
Wenn Ihnen nicht eher die Zerstörung des Fml: Chasteleri sehen Corps
bewusst gewesen wäre, als mir, so würde Sie die Nachricht davon eben so er-
schüttern, als mich diesen Augenblik der Eintritt der zersprengten H. Staabs
Officiers von Lusignan und mehrern andern erschüttert hat — hieraus sehen der
Herr General, dass von dem Augenblick an alles Detachiren nichts mehr helfe,
dahero werden Euer Hochwohlgebohni die exponirten und vorpoussirten Posten
blos durch Landwehrn mit kleiner Mischung des regulairen Militärs ob-
serviren lassen, sich hingegen mit der Brigade einstweilen auf die Eng
Pässe Eschenau und Dienten beschränken, das Gros aber in die Aufstel-
lung gegen St. Johann und Bischofshofen zurückziehen. — Kurz wir wer-
den uns nach den bisher beobachteten Grund,:ätzen bis auf 1 Bataillon
Devaux, was ich dort belassen werde, gar bald concentriren.
Jellachich Fml.
Ich musste nun diesen Befehl in Vollzug setzen und trat am 1 'jten May
meinen Eükmarsch nach St. Johann an. — Es war mir hart, dass ich den
Bitten, Wünschen und Zudringlichkeiten der Tyroler, mit Macht vorzu-
rücken, nicht entsprechen konnte — ich musste das nemliche Verlangen
des H. Generalcommissairs Hofrath Joseph Fr. Pichel einer Diversion
über Luftenstein durch den Pass Strub in Rüken des Feindes, welches
er von Mittersill am 1 7*^" May 5 Uhr Morgens an mich machte, unerfüllt
lassen.
Zu St. Johann traf ich am IS^e» folgende Zuschrift an: Eine Estaffeite
bringt mir in diesem Augenblik folgende Nachricht aus Brixen von Baron
Hormayer vom lö^en — »es zeigt sich nunmehr ziemlich klar, dass die
Vorgänge im Unter Innthal nicht auf Insbruk gemeint , sondern vielmehr
ein Versuch sind, die T}Toler durch Mordbrennerei zurük zu schrecken,
vorzüglich aber eine Demonstration, damit Marchall Lefebre und der Krön-
\2Q Z w i e (1 i n e c k - S ü d 0 II h 0 r s t.
prinz mit besserem Erfolge gegen Euer Excellenz zu agiren in den Stand
gesezt werden etc.
Uebrigens hat es bei dem Itereits anbefohlenen sein Verbleiben.
Jellachich Fml.
P : S : In diesem Augenblik komt Euer hoch und Wohlgebohrn Ad-
jutant mit der officiellen Nachricht von Seiten des Feldmarschallieuten.
Lippa, dass der Feind Maria Zell foreirt habe, und sich hei'v\^äi'ts befinde.
Eadstatt am 17 May 809 um 9 Uhr Abends.
Fe] dmarschallieutenant Jellachich schrieb mir den 19tenMay um 1 Uhr
nach Mittemacht wie folgt: Euer Hochwohlgebohren werden mit Empfang
dieses alle Ihre Ti*uppen dergestalt an sich ziehen, dass Sie dieselben um 9 Uhr
Abends am 2üten d: in Marsch setzen können, um sodann mit dem ganzen
ohne Zeitverlust sich hieher zu begeben, wo zur nämlichen Zeit alle Truppen
meiner Division samt der Landwehre sich versammeln werden.
Der Befehl Sr k. Hoheit des E. H. Johann ist, dass alle nur mögliche
Aerarischen Civil Gassen nemlich bei Wegmauth, Kreis Aemtern, Pfleg-
gerichten, herrschaftlichen Domänen die bei solchen vorhandenen Aerarischen
Gelder gegen einzulegende Quittung, welches Euer Hochwohlgebohrn soweit
es thunlich ist, in Ihrer Gegend veranlassen wollen.
Ihre entferntesten Posten müssen mittelst Courier einberufen werden
— die lezte Abtheilung Ihi'er Truppen muss den Weg an den tauglichen
Stellen verrammeln, ruiniren, alle Brücken zu grund richten, mit einem
Worte dem Feinde alle nur erdenkliche Hindernisse in den Weg legen.
Jellachich Fml.
Wenn ich mir die Mühe gab, alle die obersichtlichen officiellen Piecen
auf zu zeichnen, so geschah es theils, um mich vor etwaigem Voinvurf zu
sichern, als wäre ich etwa aus eigenem Willen nicht tiefer in Tyrol ein-
gedrungen — theils um das Andenken des verstorbenen Feldmarschall-
lieutenants Baron Jellachich gegen so viele beleidigende und verläumde-
rische Ausfälle, die sich einige Schriften, woranter sich jene der Geschichte
des Andreas Hofer Leipzig und Altenburg F: A: Brockhaus 1817 am
meisten auszeichnet, gegen ihn erlaubten, da, wo er keinen Vorwnirf ver-
dient, zu rechtfertigen. Wir marschirten den 21 May nach Schlacbiing.
22 nach Steinach. 23 nach Rottenmann. 24 nach Mautern, unterwegs,
den Ort, wo, weiss ich mich nicht mehr zu erinnern, hatte der Fml. Jellachich
die Depesche erhalten, dass Se k. Hoheit der E. H. Johann nicht zweifeln,
dass der Feldmarschallieutenant die wichtigen Salzburger Pässe nicht werde
unbesezt gelassen haben ! ! ! Jellachich fand sich in der grössten Verlegen-
heit — er ergriff den Entschluss, den Versuch zu machen, wenn der Feind
die Pässe etwa noch nicht in Besitz genommen hätte, sie wieder besetzen
zu lassen. Er beorderte daher seine 2 besten und stärksten Landwehr-
Bataillons (wenn ich nicht irre, so waren es die Cillier und Judenburger)
nach Mandling und Aussee, \xm dies zu versuchen — ich lese in einer
Brochure, dass er den Oberstlieutenant Plunkett mit 1 Bataillon Linien-
Truppen 400 Mann stark und Landwehr an den Pässen im Ennsthale
zurückgelassen habe. Die Landwehre muss wohl die nämliche gewesen
sein, die ich eben genannt habe. Von Plunkett und den 400 Mann Linien-
Truppen ist mir nichts bekannt, indessen stelle ich es nicht in Abrede,
weil es ohne mein Wissen hätte geschehen können — eben so wenig ist
Das Gefeciit bei St. MicLael u. d. Opevai. d. Evzh. Johann in Steiemi. \2l
mir bekannt, dass diese zurückgeschickten Landwehren je wieder zu uns
gekommen wären, und oh sie die Pässe noch zur rechten Zeit erreicht
haben, oder vom Feinde entwafihet wurden. — Ich hätte diesen Umstand
abermals nicht berührt, wenn er nicht auch einen Bejtrag zur Verminde-
rung der Stärke der Division bei St. Michael geliefert hätte.
Am 24^^611 erfuhr ich Abends vom Peldmarschallieutenant Jellachich,
dass er Nachricht habe, der Feind sei 6000 Mann stai'k zu Knittelfeld
angekommen, habe 400 Mann Cavallerie bei sich, und vor Knittelfeld seine
Vorposten. Er erwarte den 25ten noch 6000 Mann Verstärkung nach
Knittelfeld, weswegen der Feldmarschallieutenant seine Avantgarde bis
St. Michael vorpoussire, um hinter derselben, den 2 5^^" durch St. Michael
nach Leoben marschiren zu können.
Es traf sich, dass gerade an diesem Abend (24ten) Major Zsemsey
von den Warasdiner Creuzer reconvalescirt, und sich in meiner Gegenwart
beim Fml. persönlich mit der Bitte meldete, dass ihm als ältester Major
das Bataillons Commando der Creuzer gegeben werden wolle, welches in
der Avantgarde des Csorich vom nemlichen Regiment war, und dass Zsemsey
auch dadurch statt Czorich der Commandant der Avantgarde werde.
Jellachich bewilligte dies, und befahl, dass Zsemsey den 25^^" in
der fi'üh um 3 Uhr sich mit der Avantgarde nach St. Michael in Marsch
setzen und dort Position fassen solle.
Kaum war Zsemsey nach Kammern fort, wo die Avantgarde aufge-
stellt war, als ihm der Befehl nachgeschickt wurde, nicht zu St. Michael
sondern vor St. Michael auf der Strasse gegen Knittelfeld Posto zu fassen.
— Auf meine Bemerkung, dass die Avantgarde früher aufbrechen sollte,
erwiderte der Feldmarschallieutenant , dass es bei der sehr ermüdeten
Truppe deswegen nicht möglich sei, weil er die Arrieregarde diesen Abend
als Avantgarde vorgeschoben habe, und die anderen Truppen, wie ich
wisse, auch erst um 3 Uhr Nachmittag sehr ermüdet eingerukt seien. —
Wäre die Avantgarde aber von den andern Truppen der Division beordert
worden, so wären sie doch immer weniger ermüdet gewesen, als die
Arrieregarde, die wenigstens eine Stunde weiter zu marschiren hatte, und
auf diese Art hätte die Avantgarde eher aufbrechen können. — Wären
wir aber alle, sobald die Nachricht, dass der Feind zu Knittelfeld sei,
gleich aufgebrochen, so wären wir wohl dem Unglück bei St. Michael
entgangen. Aber es scheint, dass Jellachich seinen Feind zu gering schätzte,
und in dem augenblicklichen Aufbrechen an dem nemlichen Abend keine
Art Furcht vermuthen lassen wollte.
Ein anderer Zufall machte, dass gerade am 24^^^ ein der Truppe
besonders wohlwollender Herr dieselbe in die umliegenden Oerter einbe-
quartirt, was Jellachich aus Schonung zuliess, weil die Truppen auf dem
bisherigen Marsch immer gelagert waren. — Aus dieser Dislocirung er-
folgte am 25ten der Aufbruch später als sonst — er war um YgS Uhr
anbefohlen — so viel ich weiss und mich noch erinnere, war die Arriere-
garde und das Bataillon Eeuss G-reitz in Kahlwang — die Truppe in
Mautern, und die Avantgarde samt Eszterhazy in Kammern und Seitz. —
Die Ausrükung geschah sohin am 25'ten ungleicli — und als das Bataillon
ßeuss Greitz nicht zur gehörigen Zeit bei Ehrenau ankam, so schickte ich
auf Befehl des Fml. den Lieutenant Graf Eumpf von Devaux, der als Or-
I <>g y, VC 1 0 (1 i n e c !< - f> ü i1 o n 1i o r s t.
donanz Officier da war, zu Eszterhazy, dass die 2 Bataillons nicht eher
aufbrechen sollen, bis Devaux von Mautern bei ihnen anlange, damit die
Haupt Truppe ordentlich forrairt werde. — Eumpf vollzog diesen Auftrag,
hatte aber aus irriger Meinung den nemlichen Befehl der Avantgarde ge-
bracht, die er mehr als eine Stunde herwärts St. Michael einholte, halten
machte, und er dann wieder zurück ritt. Jellachich und ich waren früher
fortgeritten — beim Durchreiten durch das Regiment Eszterhazy befahl
Jellachich dem Obersten Ekart, einen berittenen Officier nach Trofajach zu
schicken, wohin der Major D'Assante mit dem iten Bataillon des Regiments
schon einige Tage vorher detachirt war, um demselben zu sagen, dass er
gleich mit seinem Bataillon nach Leoben marschiren und zur Division ein-
rücken solle. 87 Pferde, die er von Vorderberg nach Leoben su bringen
beauftragt war, solle er, wenn er sie etwa noch nicht beisammen hätte,
durch die nach Vorderberg detachirte Compagnie seines Bataillons besorgen
und nach Leoben nachbringen lassen. Ich bemerke diesen Umstand des-
wegen, damit daraus deutlich hervorgehe, dass Jellachich wusste, dass man
über Trofajach nach Leoben marschiren konnte, wenn er dies mit seiner
Division, um dem Feinde auszuweichen, hätte thun wollen.
Wir ritten weiter fort, um früher zur Avantgarde zu gelangen, denn
wir hatten bei Eszterhazy erfahren, der Major Zsemsey sei anstatt um
3 Uhr erst um VgS Uhr aufgebrochen, also damals, als Jellachich und
ich von Ehrenau aufgebrochen waren. Natürlicher Weisse war Jellachich
darüber sehr aufgebracht, diese unerwartete Verspätung musste denselben
auf die Besorgnis führen, dass daraus unangenehme Folgen entstehen
könnten — eine Strecke weiter trafen wir mit dem Lieutenant Graf Rumpf
zusammen, der ohnehin schon erzürnte Feldmarschallieutenant wurde es
noch mehr, als er den Fehler vernahm, dass Rumpf die ohnehin um 1 Vo Stun-
den zu spät aufgebrochene Avantgarde halten machte. Wir setzten uns
nun in Galopp, um so schleunig als möglich diesen neuen Aufenthalt zu
redressiren. Wir kamen sehr bald bei: der Avantgarde an, und der Feld-
marschallieutenant sezte sie gleich wieder in Marsch.
Mithin ergaben sich an diesem Morgen schon einige Vorfälle, welche
zu einer ßedenklichkeit Stoff darboten — es scheint, als wollte alles dazu
beitragen, den Feldmarschallieutenant zu dem Entschluss zu bewegen, es
nicht mehr darauf ankommen zu lassen, sich unnöthiger Weisse in eine
Gefahr zu begeben — aber es scheint auch, dass eine solche Marsch Ver-
änderung gar nicht in seinen Willen lag. Das durch Rumpf veranlasste
Halten der Avantgarde fiel dem Major Zsemsey nicht zur Last; der Zeit-
Verlust hievon mag keine halbe Stunde ausgemacht haben — wohl aber
fiel ihm das spätere Aufbrechen zur Last — wäre er um 3 Uhr aufge-
brochen, so hätte ihn Graf Rumpf schon bei St. Michael angetroffen. Dass
ich dem Major Zsemsey den Abend vorher, wie ihm Jellachich befahl, um
3 Uhr aufzubrechen, in dessen Gegenwart den Eath gab, lieber noch fi-üher
aufzubrechen, will ich nur nebenbei bemerken.
Der Major entschuldigte sich damit, dass die Mannschaft des zur
Avantgarde beorderten Bataillons gegen 300 Mann erst zur Mittemacht
ermüdet eingetroffen sei, wodurch er gezwungen worden wäre, ihnen ein
Paar Stunden Ruhe zu gönnen, weil er ohne sie zu schwach gewesen
sein würde.
Das Gefecht 1)pi St. Michael n. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. l29
Jellachich verwies ihm dieses ernstlich, indem er dies hätte zeitlich
melden sollen, damit er ihm von Etzterhazy die nöthige Verstärkung an-
gewiessen hätte — ich erinnere mich noch der Worte: Sie werden un-
glücklich sein, wenn diese Verspätung üble Folgen haben sollte, die der
Feldmarschallieut : dem Major sagte, Jellachich und ich eilten abermals
weiter — den Orellyischen Jägern befahl er, schneller zu marschiren, eine
Patrouille aber gleich nach St. Michael und weiter gegen den Feind vor-
zuschicken, denn auch dies hatte der Major Zsemsey zu thun unterlassen
— abermals ein Umstand mehr von Bedeutung, der zum Nachdenken An-
lass gab.
Zwei Gemeine von der Orellyischen Patrouille waren eher an den
ersten Häussern von St. Michael angelangt, als Jellachich und ich — und
von diesen 2 Mann kam nach einem gegebenen Schuss auf den Feind einer
uns entgegen gesprengt., mit der Meldung, dass der Feind da sei — ein
Bauer, der eben vorbei ging, sagte, der Feind habe bereits mit einem
Theil die Strasse von Leoben eingeschlagen. — Der Feldmarschallieutenant
bezweifelte dies , weil unsere Lager-Ausstecker mit Oberlieutenant Eoth-
kirch vom General Quartier Meister Stab kurz vorher diesen Weg nach Leoben
vorausgeritten sein mussten (was gar kein Grund war) besonders aber,
weil noch vor weniger Zeit eine Estaffette vom Bruker Kreis Secretaire
Azula bei dem Fml. angekommen, und diesen Weg passirt war, vom Feind
aber gar nichts wahrnahm. Der Fml. nahm daher an, dass eine Patrouille
des Feindes ebenfalls in dem nemlichen Augenblick ankomme, wie wir —
indem der Feind wohl nicht gleich mit der Truppe, ohne uns vorher eine
Patrouille entgegen zu schicken, anrüken würde. Aber eine kleine Strecke
weiter sahen wir, dass es keine Patrouille, sondern wenigstens ein De-
tachement vom Feinde war.
Ehe ich weiter fortfahre, will ich die Depeche des Kreis Secretairs
Azula wörtlich anführen, denn da ich sie zu Pferd dem Fml. vorlas,
steckte ich sie ein, und habe sie in originali behalten, weil keine Eede
mehr davon war.
An Se Excellenz den k. k. H. Fml. Freiherm v. Jellachich in Mautern.
Nach verlässlichen Nachrichten sind heute um IOV2 ^^' 400 Chasseurs
und 5000 Mann Infanterie in Knittelfeld eingeruckt, mit der Bemerkung,
dass noch 5000 gleich nachfolgen.
Die Vorposten des Feindes reichen bis St. Lorenzen und noch weiter
herab bis an die Lorenzer Brücke — der Bot, der diese Nachricht brachte,
passirte die feindlichen Vorposten.
In Leoben fürchtet man heute Nachts noch die Feinde zu erwarten.
Verpflegung für das Corps Euer Excellenz ist hier gesorgt.
Ich eile dieses Euer Excellenz in Ehrfurcht zu berichten, und geharre
in tiefster Ehrfurcht Euer Excellenz gehorsamster Diener Joseph v. Azula
k. k. Kreis Secretair von Brück, vertatur.
Im Falle einer Gefahr, wenn der Feind wirklich mit einer Ueber-
macht drohen sollte, kann nach der hohen Einsicht Euer Excellenz die
Route über Trofajach, Vordernberg, Tragöss, Katharein in das Mürzthal, in
die Stanz über Weitz nach Gratz eingeschlagen werden •).
•) Ein sehr beschwerlicher Umweg, auf welchem die Division keinesfalls vor
der Armee des Vizekönigs in das Mürzthal (1)pi Kn]ifenberg) gelangt wäre,
Mittheilungen XII. 9
1 30 /i w i e d i n e c k - S y d e n h o r s t.
Datirt war das Schreiben Leobeu am 23^^eii May 1809 um loVg Uhr
Abend. Ich muss hier die Bemerkung machen, dass der 23^^ wohl ei}i
Schreibfehler sein mochte, den die Eile veranlassen konnte, denn sonst
wäre es nicht zu begreifen, wie die Estaffette zu erst den 25ten in der
Früh zwischen 6 und 7 auf dem Weg zwischen St. Michel und Mautern
in des Fml. Hände gelangte, da sie von Leoben, wenn sie am 24^^en um
IOV2 ^^^ Abend expedirt wurde, noch zeitlicher hätte anlangen sollen,
als sie anlangte.
Wäre ich nicht gegenwärtig gewesen, wie die Estaffette ankam, ?o
würde ich die Nachricht, welche sie enthielt, für die nemliche gehalten
haben, welche der Eml. mir am 24*6^1 Abends mittheilte; sie war bis auf
einige 1000 Mann mit jener übereinstimmend.
Auch diese Bestätigung der ersten Nachricht vermochte den Fml.
nicht, eine andere, oder die von Azula vorgezeichnete Route einzuschlagen.
Er sagte vielmehr, er habe ja schon zu Ehrenau über die Sache nach-
gedacht und die Gründe gegen einander abgewogen — das Resultat sei,
wenn der Feind uns in Weg kommen würde, ihn ohne weiters zurück zu
werfen, dazu sei er stark genug — und es könnte höchstens nach seiner
Meinung ein Scharmützel zwischen den Avant oder Arriere Garden ab-
setzen — und wäre der Feind früher als wir auf der Strasse von Leoben,
was nicht denkbar sei, so käme er zwischen 2 Feuer. Uebrigens habe er
Canonen und fahrende Bagage bei sich, die vielleicht in den Gebirgs-
Wegen nicht allenthalben durchkommen könnten, und wolle dem Feind
nicht etwa Muth machen, ihn gerade in den engen Gebirgen auf eine oder
die andere Art zu benaehtheiligen oder daran zu hindern, dass er nach
dem bestehenden Befehl Sr k. Hoheit des E. H. Johann zeitlich genug in
Grätz ankomme — endlich wisse er auch nicht, ob der Feind, der nach
der Eröffnung des Fml. Lippa Herr von Maria Zell war, um sich etwa
mit den Truppen der Italienischen Armee zu vereinigen, mit ihm in den
Gebirgen zusammen treffen könnte, wo man dann doch mit ihm sieh schlagen
müsste.
Auf den obbesagten Schuss eilten wir eine kleine Strecke näher und
sahen, dass der Feind herauf marschire. Fast zur nämlichen Zeit langten
die Orellyi Chevauxlegers an, die sich vorläufig mit dem Feind engagirten,
bis die Avantgarde des Majors Zsemsey — 1 Bataillon Creuzer — auch
Theil daran nahm. Zum Glück kam meine Brigade an. Nun war es ent-
schieden, dass man, ohne sich förmlich zu schlagen, hier nicht vorüber
marschiren konnte — sich wieder gegen Mautern zurück zu ziehen, wenn
es auch ohne Gefahr und Nachtheil noch thunlich gewesen wäre, würde
gegen des Fml. Ehrgeiz gewesen seyn. Der Feind war stärker, als ihn
der Fml. vermuthete — wir waren augenscheinlich schwächer. Die Arriere-
garde war weit zurück — und 1 Bataillon Eszterhazy in Trofajach. Der
Fml. schickte eine Abtheilung Creuzer und Tyroler Jäger i) auf eine uns
rechts gelegene Anhöhe, um von selber während dem Gefechte, und wenn
der Terrain vor uns behauptet wurde, bis zur Ankunft der Arrieregaixle
zur Sicherheit unserer rechten Flanke Herr zu sein — dann auch, um
von dieser Anhöhe die feindliche linke Flanke beschiessen zu können. Bis
') AN'ann diese zur Division JellacJic gekommen sind, ist nicht aufgeklärt.
i
i">as Gefecbt bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Jobann in Steierm. \^{
unsere Abtheilung hinauf kam, fielen mehrere Schüsse bereits von selber
herab — aber der Feind wurde von da vertrieben, und einige Franzosen
wurden als Gefangene von da herabgebracht. Der Fral. fand nöthig, später
dieses Detachement zu verstärken, so dass es bis zu einem, und endlich
gar zu 2 Bataillons angewachsen war. So viel von dieser Anhöhe. Von
meiner Brigade musste 1 Bataillon von Eszterhazy mit dem Obersten
B. Ekard und ] Bataillon von Devaux auf den linken Flügel vor St. Michael
■ — mit diesen ging der Feldmarschallieutenant selbst, mir gab er den
rechten Flügel zu besorgen. Ich Hess das Oberstlieutenants Bataillon von
Eszterhazy mit Oberstlieut. Hirsch und 1 Bataillon Devaux so aufmarschiren,
dass sie auf der rechten Flanke obiger 2 Bataillons einen Haken bildeten
— aber der Fml. , der mit seinen 2 Bataillons in ein starkes Feuer ge-
rieth, Hess gleich das Bataillon von Devaux noch von mir abrufen, und
zog es in seine Linie, so dass mir nur das Oberstlieut. Bataillon von Eszter-
hazy verblieb. Die Bataillons des linken Flügels fingen nun eben an, vor
dem feindlichen heftigen Andringen und Feuer zu weichen, als ich mit
dem 3^^^ Bataillon von Eszterhazy augenblicklich auf die feindliche linke
Flanke los stürmte und den Feind sogleich in die tiefer liegende Gegend
hinab warf — wodurch das gefahrvolle Gefecht entschieden und für izt
beendigt war. Wir waren nun Meister von der Platte, die eine Art von
Amphitheater bildete. — Auf dieser Platte Hess der Fml. die Bataillons
aufmarschiren, und theilte sein Geschütz am Kande derselben ein.
Noch ehe ich obbesagten Angrifi" begann, meldete mir mein Adjutant,
dass der Feind sich auf der obigen rechten Anhöhe links ziehe, wodurch
er, wenn er herabkäme, mir im Eüken sein würde. Ich schickte daher
den Adjutanten zu dem eben auch angekommenen General Legisfeld, und
Hess ihn davon verständigen, der dann mit dem ,3fen Bataillon vonUeuss
Greitz und 400 Mann von E. Carl i) die Eeserve bildete.
Nachdem ich das Gefecht entschieden hatte, verfügte ich mich auf
den linken Flügel zum Feldmarschallieutenant, um seine weiteren Gesin-
nungen zu erfahren. Wir hatten das Dorf St. Michael und die Strasse
unseres Marsches nach Leoben nun im Rücken , der durch St. Michael
laufende Bach Liesing ist nicht anders als blos über die Brücke zu pas-
siren — links hatten wir die Muhr — auf allen Seiten Gebirg und An-
höhen — durch das Defilee der hinter uns liegenden mussten wir passiren,
wenn wir nach Leoben wollten. Zuvor aber durch das enge Dorf und
die Brücke der Liesing, die hinter uns flose. Ueber die Muhr hatten wir
links ebenfalls eine Brücke, die auf den Weg nach Göss führt, worauf
man den Diebsweg eher erreicht, als auf unserer Hauptstrasse.
Der Feldmarschallieutenant behielt durch die Couronnirung der Platte
mit seinen Truppen nur eine kleine Eeserve - — die Canonen spielten noch
fort. Ich untersuchte auf Geheiss des Feldmarschallt. unsem rückwärtigen
Terrain, weil wir keine genaue Kenntniss davon hatten — unser linker
Flügel musste, da er ohnehin das meiste gelitten hatte, und der Feld-
marschallieutenant nicht eher abrücken wollte, bis die Arriöregarde ange-
kommen sein würde, verstärkt werden. 3 schwache Compagnien bekamen
den Befehl, sich über der Muhr aufzustellen; mir vertraute Jellachich nun
'J \'orher nicht erwähnt.
9*
1 32 Z w i e r1 i 11 e c k - 8 ü fl e n li 0 !• s t.
den linken Flügel an, und den rechten dem General B. Legisfeld. Icli
konnte mir nicht vorstellen, dass man das 3^6 Bataillon von Eszterhazy
auch noch auf die rechte Anhöhe schicken würde, wodurch der Abmarsch
der Division natürlicher Weisse erschweret wurde.
Der Feind hatte unsere Position, so wie wir die seinige, ganz vor
Augen. Er konnte unsere indessen doch noch hesser einsehen , wie wir
seine, weil selbe sich bald rückwärts einbog.
Ich veranlasste gleich nach der eingenommenen Position, dass die
Bagage hinter uns ihren Marsch nach Leoben fortsezte, der Feind gab
einige Canonen Schüsse auf sie, machte aber keinen Schaden.
Als nun die Arrierengarde ankam, Hess Jellachich auch diese in die
Front einrüken, ohne von den andern Truppen einige heraus zu ziehen.
Dies war eigentlich der erste Hauptfehler — alle vorhergegangenen Schritte,
welche vortheilhafter hätten gemacht werden können, rechne ich demFeld-
marschallieutenant nicht als absolute Fehler an — denn sie haben ihre
gute und ihre schlimme Seite — der jetzige war aber gegen den Zweck,
und zog das gefolgte Unglück nach sich.
Ich hatte den Feldmarschallieutenant darauf aufmerksam gemacht, und
ihm zweimal bemerkt, dass wir hinter uns die Brücke hätten, die wir
passiren müssten, wie dies bei einem mächtigen schnellen Angriffe des
Feindes möglich sein würde, ohne Gefahr oder Deroute? — Er entgegnete,
eben aus dieser Betrachtung sehe er sich bemüssigt , seine ganze Stärke
hier auf zu stellen, um dem Feind bis zur eingebrochenen Nacht imponiren
zu können, wo er dann gleich den Eückzug antreten würde, — würde er
ilm aber gleich jezt antreten, so würde der Feind alles anwenden können,
um ihm den grösstmogiichen Abbruch zu thun — ausserdem könne er
die 2 Bataillons auf der rechten Anhöhe, die er schon 2 mal zum Herab-
kommen beordert habe, die aber unbegreiflicher Weisse nicht herabkämen,
nicht abandonniren. — Ich machte ihm die Einwendung, dass wenn er
schon die Nacht hier abwarten wollte, so sollte er doch wenigstens die
hinter uns liegenden Anhöhen besetzen, um unter dem Schutze der dort
aufgestellten Truppen und Canonen den Eükzug über die Brücke zu
sichern, — er entschuldigte sich mit der Unthunlichkeit , etwas aus der
Front heraus zu ziehen, er werde die rtikwärtigen Hügel mit den 2 Ba-
taillons besetzen, wenn sie von dem rechten Flügel herabkommen wüi'den.
Es war hart, diesem Commandanten seine eigenen Ideen zu rectifi-
ciren — man risquirte, dass er die reinste Ansicht über eine militärische
Nothwendigkeit durch eine übel placirte Geringschätzung, so als wenn er
sagen wollte, das weiss ich besser, wir haben nichts zu fürchten, von sicli
stiess. — Da aber die Truppen von der rechten Anhöhe immer noch nicht
herabkamen, die Plänklerei vom Feinde fortgesezt wurde, Bewegungen auf
dessen Seite im Gebirge zu bemerken waren, drang ich noch einmal in
den Feldmarschallieutenant, er möge doch das hinter uns gelegene rechte
Eideau (die Ansicht gegen den Feind angenommen), was uns so vor-
theilhaft ansprach, nicht unbesezt lassen. Er trug mir endlich auf, eine
seitwärts rükwärts gestandene Abtheilung, die er für eine Division hielt,
am Eingang des Defilees auf das Eideau zu placiren, er werde noch mehrere
Truppen zu diesem Ende nachschicken — ich schickte meinen Adjutanten,
diese Division abzuholen, es war aber nur eine Compagnie, weswegen ich
Das Gefecht bei St. Michael n. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. |3;-J
dies dem Fml. sogleich melden liess, und dem Hauptmann Schikengraber,
der diese Compagnie commandirte, selbst dem Ort seiner Aufstellung an-
deutete. Aber selbst diese Compagnie bestand nur aus 3 Zügen, womit
der Hauptmann die Absicht zu erfüllen unvermögend war — indessen
konnte er wenigstens figuriren, bis die Üebrigen ankommen würden. —
War nun der Feind gerade in diesem Momente mit seiner Disposition zum
Angi'ifife fertig geworden, oder sah er, dass man endlich ein Mittel er-
greifen wolle, die Passage durch das Debouchee zu sichern, und dass er,
wenn er den Vortheil in der Hand behalten wolle, keine Zeit zur Voll-
ziehung dieser unserer Disposition lassen dürfe, hat ihn nur die Aufstel-
lung, die ich auf dem Rideau angefangen hatte, allein zur schleunigen Attaque
bewogen, oder hat Jellachich auch schon eine Abtheilung aus der Front
herausgezogen, um sie auf das Rideau zu schicken — alles dies ist mir
unbewusst — genug, der Feind griff an, und in einem Augenblik war
die Aufstellung auf der Platte durchbrochen, flankirt, in Rücken genommen,
und die ganze Division geworfen.
Bei meinem Herabkommen von dem Rideau traf ich, was sich ge-
rettet hatte, zu meinem grössten Erstaunen auf einer Flucht an, wie sie
im ersten Entstehen in ihrer Grässlichkeit zu sein pflegt. Kaum war ich
imstande, zu meinem am Fusse des Hügels belassenen Pferde zu gelangen,
und vor dem reissenden Schwalle aufzusitzen — ich hätte letzteres wegen
meinen Schmerzen in den Hüften gar nicht zu thun vermögt, wenn ich
nicht einen vorübereilenden gemeinen Mann gezwungen hätte, anzuhalten,
und mir aufs Pferd zu helfen, was meine Ordonanz nicht allein erschwingen
konnte. — So wie ich aufgesessen war, musste ich mich in dem Schwalle
fortreissen lassen — ich kam gerade dem General Legisfeld, und seinem
Adjutanten dem Oberlieutenant Schindling von Devaux, dann dem Oberst
B. Ekard und Major Tichy von Eszterhazy zur Seite, ohnweit hinter uns
folgte der Feldmarschallieutenant Jellachich mit seiner Suite — ich erfuhr
nun während dem Forttrappiren, dass die gesammte Truppe plötzlich ge-
worfen worden und dass meistens das anprellen der feindlichen Cavallerie
an der augenblicklichen Deroute schuld war — indessen schilderte jeder
den Anfall des Feiiides auf eine andere Art. Die Tendenz des Feindes
stürmte nur gegen die Brücke; daher eilte jeder von der Division um so
mehr, um vor dem Feinde dahin zu gelangen — wer später kam, war
abgeschnitten. — Leider geschah das, was ich zu vermeiden angerathen
hatte — und was unfehlbar zur rechten Zeit zu vermeiden war. Hier
bestätigte es sich, wie schädlich es war, das Orellyische Chevauxlegers
Regiment von der Division zur Armee geschickt zu haben. Wäre diese
Cavallerie da gewesen, so wäre die Division einigen 100 Pferden nicht
das schnöde Opfer geworden, selbst wenn die nemlichen Fehler begangen
worden wären, die begangen wurden.
Was ich hier beschrieben habe, von dem Augenblik angefangen, wo
ich die Compagnie auf den Rideau führte, bis zu jenem, wo ich zu meinem
Pferde zurückgelangt bin, war alles das Werk von höchstens 10 Minuten.
Während der Flucht gab ich mir mehrmals Mühe, die Truppe zum
Halten und Herstellen zu bringen — ich rief dazu besonders den Major
Tichy auf, ob er es mit seiner Manschaft, über die er sonst alles ver-
mochte, zu vollziehen imstande sei — ich befahl es — aber es war noch
Jg4 Z Av i e (1 i n e c "k - S ü <1 <; n li o r s i.
nicht möglich, dieser Unordnung zu steuern, weil jeder die Cavallerie des
Feindes zu nahe in seinen Fussstapfen befürchtete.
Selbst der Feldmarschallieutenant rief von rükwärts her, dass man
es doch einmal zum halten und herstellen bringen möge. Endlich kam
ein Zug von Frimont-Hussarn von Leoben uns entgegen — diesen stellte
ich auf einem kleinen Neben Platze an der Strasse auf, um den etwa an-
prellenden Feind zu harceliren, denn die wenigen Orellyische Chevaux-
legers waren meistens aus einander und von voraus fort nach Leoben,
oder ohne Zusammenhang in der laufenden Truppe. Sobald dieser Zug
Hussarn sich gezeigt hatte, trat neue Besinnung und Erhohlung in die
fliehenden — und nun fing zu erst der besonnene Rückzug an — man
suchte wenigstens den Körper, wozu man gehörte, und dachte wieder an
höhere Pflicht.
Bei dieser Gelegenheit ereignete sich der bekannte heldenmüthige
Zug des Corporaln Ladislaus Janos von Frimont Hussarn, der den Ent-
schluss fasste, mit seiner eigenen Aufopferung in das bei einem Defilee aus
umgeworfenen Pulverkarrn zerstreut gelegene Pulver seine Pistole abzu-
feuern , um der andringenden feindlichen Cavallerie das Wegräumen des
Pulverkarrns zu verwehren, und sich mit ihnen lieber in die Luft zu
sprengen, als sie zum Nachtheil der Jellachichschen Retraite durch zu
lassen, wodurch auch über 30 Mann blieben — er selbst kam zwar ganz
gesengt und stark verbrennt mit dem Leben davon.
Bis Leoben war ich imstand mit den heftigsten Schmerzen diesen
forcirten Eitt auszuhalten. Denn sobald ich den Zug Hussarn aufgestellt
hatte, war es möglich, neben der Truppe vorwärts zu kommen — ich
eilte daher auf Verlangen des Fml. so viel ich konnte nach Leoben, um
dort an der Bi'ücke Vertheidigungs Anstalten zu treff'en — ich trug dort
dem Obersten B. Ekardt auf, seine übrig gebliebene Mannschaft theils
gleich bei Leoben aufzustellen, theils dem Diebsweg zu zu eilen, um vor
dem Feind in selben zu gelangen. — Der Oberst benöthigte aber, wie er
sagte, einiger Erhohlung, weil er durch eine kleine Kugel, die durch seinen
Hut gegangen war, eine Kopferschütterung erhalten habe — ich trug es
also dem Major Tichy auf, der dann die Mannschaft auch gleich zu rangiren
anfing. Dem Rittmeister von Orellyi Chevauxlegers, so wie dem Obersten
Siegenfeld von dem Creutzer Regiment trug ich anf sich hintei- Leoben
aufzustellen, eben so dem Obersten Bach von Devaux. Dieser sagte aber
dass von seinem Regimente nichts übrig sei — mithin war meine Bri-
gade bis auf etwa 60 Mann von Eszterhazy verlohrn. Das Bataillon zu
Trofajach war damals noch nicht angekommen, und schien der Gefangen-
schaft nicht zu entgehen — erst später als wir uns schon von Leoben
nach Brück zurükgezogen hatten, kam dasselbe bei Leoben an — wo es
sich unter einem heftigen feindlichen Feuer den Weg über die schon durch
unsere Anstalt grossen Theils abgetragene Brücke mit ansehnlichem Ver-
luste erzwingen musste.
Diese Brücke war schwer zu deraoliren. Die Zeit war kurz, kein
Werkzeug dazu bei Händen — zu dem führte ein Seiten Weg an derMuhr
auf noch kürzerer Route nach Brück. — .Teilachich hatte meine Disposition
geändert, die ich dem Major Tihy gab, und die 2 Canonen, die ich an der
Brücke liatte aufliahren lassen , so wie den übrigen Rest nur weiter zu
i
Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. J35
marschiren angewiesen, indem er keinen Widerstand mehr leisten könne.
Major Tichy und der Zug Frimont Hussarn hatten den Befehl, nur so lang
anzuhalten, bis die Brücke etwas abgebrochen sei — die alsdann auch
ihren Rückmarsch antraten.
Oberst Siegenfeld und Major Tichy machten mit ihren kleinen Resten
die Arrieregarde — alles war nach Grätz angewiesen. Von Leoben ritt
ich mit Jellachich gegen Brück. Unterwegs waren meine Schmerzen nicht
mehr zu Pferd zu ertragen, ich musste zu Fuss gehen. Dadurch marschirte
alles schneller an mir vorbei, so dass ich endlich der lezte wurde, und
wenn der Feind die Brücke herstellte, der nächste zur Gefangenschaft.
Oberlieutenant Schindling entschloss sich aus Freundschaft, mich nicht zu
verlassen — er blieb bei mir — es war schon Abend — endlich kam
noch ein einspänniger Officiers Bagage Wagen, der sich in Leoben verspätet
hatte, der nahm mich auf und so langte ich in wahrhaft elendem Zustande
zu Brück an. Dieser Wagen kam mir recht im Augenblick der höchsten
Noth zu Hülfe, denn ich war damals so abgemartert, dass ich auch nicht
mehr zu Fuss weiter konnte. Aber diese Hülfe dauerte nur bis Brück —
ich konnte länger nicht zur Last fallen, denn das Wagen Pferd hatte schon an
der Officiers Bagage genug zu ziehen — ich traf in Brück in der Dämme-
rung auf den Obersten Bach, der mir sagte, der Feldmarschallieutenant
Jellachich sei auf der Post — ich fand ihn aber dort nicht, und mein
Adjutant, den ich blessirter mit noch 3 andern blessirten Officiers antraf,
sagte mir, der Feldmarschallieutenant sei bereits wieder weiter. — Diese
4 Officiers Hessen sich eben zu ihrem weiteren Fortkommen die Post ein-
spannen — ich wollte bis Fronleithen von der Parthie sein, es war aber
kein Plaz mehr frei, und keine andere Gelegenheit mehr da, da alles von
Brück weiter zurük zog, und ich befürchten musste, bei längerer Verzöge-
rung dem Feinde endlich noch in die Hände zu fallen, so musste ich es
abermals versuchen zu Fuss weiter zu gehen, denn auf mein Pferd konnte
ich diesmal nicht mehr hinauf — seit dem ich auf dem Wagen gesessen
hatte, musste mich auch Schindling wieder verlassen, da er zu seinem
Generain musste — ich blieb sohin mit meiner Ordonnanz und meinem
Reitknecht allein — umsonst versuchte ich wiederhohlt, mich auf mein
Pferd hinauf heben zu lassen — ich konnte die Spaltung nicht mehr so
weit erweitern, als es die Breite des Pferds erforderte, denn ich war in
den Hüften wie steif, um eine seitwärtige Bewegung zu machen — dies
war immer der Fall, wenn ich nach einander einige mal auf und absitzen
musste — aber eine so anhaltende Strapatze wie an diesem Tage war ich
noch nie aus zu halten bemüssigt — zudem hatte ich den ganzen Tag noch
nichts genossen, als das Frühstück, und etwas Brod und Branntewein. —
Vor Brück höhlten mich mein Adjutant und die Salzburger Landwehr-
Officiers Lasser und Hofmann, so wie der blessirte Lieutenant Graf Rumpf
von Devaux mit der Post Caleche ein , man machte mir Anerbietungen,
dass einer von ihnen auf meinem Pferde reiten wolle, damit ich statt seiner
fahi'en könne, und am Ende zwängten sich die .3 schmälsten zusammen, so
dass ich in der Post Caleche einen Sitz bekam. — Unterwegs sezte sich
einer neben den Postilion, was doch noch erträglicher war — ich war
diesen Officiers unendlichen Dank schuldig. — Als wir zu Fronleithen an-
langten, wusste man nichts vom Fml. Jellachich — es blieb mir nichts
■^^^ Z \v i e d i n e (; k - S ii d e n h 0 r 8 i.
übrig, als mit den Officiers weiter bis Pekau zu fahren. Auf der ganzen
Eoute trafen wir kleine Häuflein unserer Divisions Eeste an, die sich nach
und nach unserer Arriöre garde anschlössen. — Da ich keine Brigade mehr
hatte, so suchte ich nur etwas Vorsprung zu gewinnen, um mich durch
eine kurze Ruhe wieder soweit zu Kräften zu bringen, dass ich wieder zu
Pferd sitzen könne. Da ich nun auch zu Pekau den Fml. nicht fand,
meine Pferde noch zurük waren, ich durch das Fahren auf eine andere
Art noch müder wurde, wenn ich auf meine Pferde warten wollte, es auch
in der Nacht hätte möglich sein können, dass wir einander verfehlt hätten,
wenn ich diese Ofticiers Gelegenheit auslasse, einer neuen Verlegenheit mich
aussetzen könnte, und doch auch sonst keine Dienste wenigstens vor
12 Stunden Euhe zu leisten imstand gewesen wäre, so war ich Willens
bis Grrätz mitzufahren, um den Erzherzog Johann von unserm Unglücke in
die frühere Kenntniss zu setzen. Da aber der Oberlieutenant Szekuliz von
Eszterhazy als Courier vorbei fuhr, von dem ich erfuhr, dass Jellachich
ihn von Brück an Se k. Hoheit abgefertigt habe, dann selbst auch gleich
wieder von Brück aufgebrochen sei, und bald in Pekau ankommen müsse,
so fasste ich einen anderen Entschluss, und blieb bei den Vorposten des
Erzherzogs, um da aus zu ruhen, und unsere Mannschaft, wie sie einzeln
ankommen würde, zu sammeln, und die gewehrlose mit den Gewehren der
Blessirten wieder dienstbar zu machen, was ich durch den Commandanten
der Vorposten veranlasste. Hier wartete ich den Feldmarschallieutenant,
dem ich auf den Posten, die ich passirte, von mir Nachricht hinterliess,
und meine Pferde ab. Es war am 26*en May früh um 5 Uhr, als ich bey
den Vorposten des E. H. Johann, welcher bereits zu Grätz sein Haupt-
quartier hatte, an der Weinzirler Brücke anlangte. Ein Officier von Lu-
signan Infanterie stand auf dem Piquet. Die ankommenden Versprengten
wurden hier gesammelt, bis ein Commando von Grätz kam, welches auf
Befehl des Erzherzogs dieses fortsezte.
Von dem ebenfalls mit der Post angekommenen General Legisfeld und
Obersten Bach vernahm ich, der Fml. Jellachich habe zu Pekau die Arriere-
garde abgewartet. Der mit dem Reste von Eszterhazy, wozu das ite Ba-
taillon in der Nacht gestossen war, angekommene Oberst B. Ekardt hatte
zu Pekau von Jellachich die Weisung erhalten, nach Grätz zu marschiren.
Dies war nun meine Brigade — sie waren alle in hohem Grade abge-
mattet, und ich hiess sie ihren Marsch in die Stadt fortzusetzen; selbst
wartete ich noch auf meine Pferde, die noch nicht angekommen waren.
Gegen Abend kamen diese an und ich hatte mich in so Aveit erhohlt, dass
ich in das Lager reiten konnte, welches zwischen dem Burg- und Paulus-
Thor auf dem Glacis geschlagen war — wo auch zur nemlichen Zeit der
Fml. mit der Arrieregarde ankam.
Wir verfügten uns alle zu Sr k. Hoheit, höchstweiche unser Schicksal
bedauerten. Diess ist die Geschichte dieser 2 Tage, — getreu und wört-
lich wahr geschildert.
n.
Erzherzoij Johann an FML. Barnn Jellachich.
Villach 17. Mai Abends 1809.
Ich kann nichts als die getroffenen Anstalten des Herrn F. M.L. bil-
ligen. Die Ereignisse in Tyrol waren mir schon bekannt. Vermög meiner
Das «irfccht bei St. Michael u. d. Operai. d. Er/h. Johnnn inSteierm. |37
lezt erhaltenen Nachrichten soll Wien am 13. capitulirt haben, von der
Aufstellung der Armee S. Kais. H. des Generalissimus ist mir nichts be-
kannt, so viel weis ich nur, dass F. M. L. Hiller sich von Wien über die
Brücke zurückgezogen. Durch den Fall von Wien ist Ungarn offen, keine
Brücke über die Donau besteht bis Comorn, unsere Aufstellung wird itzo
so vorgeschoben, dass wir für unsere rückwärtige Verbindung besorgt
sein müssen.
Diese Betrachtungen und die gelingen Kräfte die uns hier auf mehre-
ren Punkten vertheilt zu Gebote stehn, die Ueberzeugung nur durch Ver-
einigung aller derselben etwas Nützliches für den Staat wirken zu können,
haben mich zu dem Entschluss bewogen, die itzige Aufstellung zu ver-
lassen und auf einen Punkt mich mit allen zu vereinigen, ich trete Morgen
mit Tages Anbruch meinen Eückmarsch durch das Drauthal an, werde den
grössten Theil der in Krain stehenden Truppe und die Croatische Insui'-
rection in der Gegend von Pettau an mich ziehen.
Der Herr F. M. L. werden daher ebenfalls ihren Rückzug gleich nach
Empfang dessen antreten, und ihre Richtung auf der kürzesten Linie nach
Graz nehmen, alle im Ensthal und gegen Oesterreich aufgestellten Ab-
theilungen an sich ziehen worunter auch General Nordmann begriffen ist.
In Gratz werden sie meine weiteren Befehle erhalfen, bis dahin die nöthigen
Vorkehrungen treffen, damit, im Fall der Feind von Seite Oesterreichs
eine Bewegung gegen Gratz machte, sie bei Zeiten davon Unterricht seien,
um dann ihre Massregeln treffen zu können und sich mir zu nähern.
Bis 23. dieses glaube ich Pettau erreichen zu können.
Der F. M. L. Chasteler bleibt sich selbst überlassen in Tyrol zurück,
da es nicht mehr an der Zeit ist, ihn herauszuziehen, auch, was zu ver-
muthen ist, dass ihn das Volk nicht heraus Hess.
Für ihre Verpflegung während ihren Marsch werden sie Sorge tragen,
80 wie auch dass die in denen verschiedenen Oertern liegende Vorrathe
aufgezehrt, oder wenigstens dem Landmann Preiss gegeben werden.
in.
Kaiser Franz an Erzherzog Johann.
Nieder-Hollabrunn d. 15. May 1809.
Lieber Herr Bruder Erzherzog Johann! Napoleon steht mit seiner
Hauptmacht in der Gegend von Wien. Mein Herr Bruder Karl mit der
Unsrigen bei Stammersdorf und hält das linke Donau-Ufer. Die französische
Armee hat durch forcirte Märsche und Gefechte viel gelitten, ihre einzige
Kommunikazionslinie mit dem deutschen Reiche und Frankreich ist bis nun
das rechte Donau-Ufer. Sperrt man ihr diese, so befindet sie sich in der
verderblichsten Lage, und ist für ihre Verwegenheit, ohne Rücksicht auf
Flanken und Rücken in das Herz Meiner Staaten gedrungen zu sein,
bestraft.
Ich befehle Euer Liebden daher die Richtung Hires Marsches mit
Ihren Hauptkräften nicht nach Innerösterreich, sondern über Salzburg an
den Inn gegen die Donau, aber auch nach Bayern zu nehmen, alle nach-
rückenden Verstärkungen anzugreifen und zu zerstreuen. Feldzeugmeister
Kollowrath steht mit 24000 Mann in Böhmen, und mit seinem Gros bei
138 Zwiedineck-Süflen hörst.
lluflweis, von wo er bereits gegen Linz vorgerückt sein, und auf das rechte
Donau-Ufer eine Diversion machen wird. Geben sie ihm durch Vertraute
die Richtung Ihres Marsches bekannt, damit er, wo nicht die Vereinigung
mit Ihnen auf der Kommunikazionslinie des Feindes erzielen, doch nach
eben der Richtung gegen ihn wirken könne. Den F. M. L. Chasteler können
Sie auch zu obigem Zweck vei-wenden. Wird dieser erreicht, so ist in
kurzer Zeit die französische Armee so geschwächt, dass sie nichts wesent-
liches zu unternehmen im Stande sein wird. Unterdessen hält Mein Herr
Bruder Karl die Haupt-Armee des Feindes bei Wien fest, detaschirt sie
gegen irgend eine Seite, oder giebt sie irgend eine Blosse, so ist er fest
entschlossen die Donau zu passiren und sie anzugreifen.
Franz m. p.
IV.
Erzh. Jolninn an FML. Jelluchich.
Völkermarkt Ut. Mai 18UV».
Nachträglich zu meinem gegebenen Befehle wegen den von ihnen an-
zutretenden Rückzuge muss ich noch folgendes bemerken. Die Höhle am
Pass Lueg werden sie gewiss besezt gelassen haben, schwache Posten, blos
um von den Bewegungen des Feindes benachrichtiget zu werden, wäre gut
an dem Passe zu haben, die sich sogleich zurückziehen, als etwas vom
Gegner anrticket, die Strasse über den Tauern werden sie hoffentlich ver-
dorben haben, so wie auch den in Mauterndorf" gewesenen Obristen Ring
befehligt haben, durch das Muhrthal zu ihnen zu stossen. Da sich kein
Feind an allen Eingängen Steyermarks von Oesterreich aus blicken lässt,
so wäre es gut dieselben durch kleine Abtheilungen jener Truppen, Land-
wehren und dann durch den dort befindlichen Landsturm beobachtet und
besezt zu lassen, und dieses um den Gegner nicht zu frühe unsern Ent-
schluss zu verrathen, und um bei vielleicht nunmehr geschenden glück-
lichen Schlag an der Donau im Besitze des Gebirges zu bleiben; ich bin
seit Tarvis ruhig bis hieher gelanget, der Feind hat um diese Stunde
Villach erreichet und wird nicht säumen nach allen Richtungen, folglich
auch gegen Spital und den Katschberg, dann gegen Judenburg vorzusen-
den, es wäre also nothwendig, den Commandanten bei diesen Pässen und
jenen des Landsturmes die Weisung zu geben, dass im Falle der Feind
gegen sie mit Uebermacht vorrückte, sich in die hohen Bergthäler und in
den Waldungen zurückzuziehen , wo sie gewiss am sichersten sind und
immer den Feind zwingen, überall Abtheilungen zurückzulassen um seine
Verbindung zu sichern. Iliren Marsch müssen sie Gratz zu richten , ich
habe von Clagenfurth eine Abtheilung nach St. Veit abgesendet, um jede
Bewegung des Feindes auf dieser Strasse zu beobachten, diese wird sie
immer von allem benachrichtigen: den \Z^^^ hatte Wien capitulii't, den
1 5^6" stand der Generalissimus zu Korneuburg , Napoleon soll über die
Donau unterhalb Wien bei dem Lusthause im Prater gesezt sein, auf diese
Art stehet er zwischen Ungarn und der grossen Oesterreichischen Armee,
alle gegen den Semmering und Neustadt vorgestandenen feindlichen Ab-
theilungen waren abgezogen vermuthlich zur Schlacht gegen Wien, täg-
lich erwarte ich über ihren Ausgang Nachrichten, diese werden unsere
Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. rl. Erzh. Johann in Steierm. l ,S9
Entschlüsse bestimmen müssen, auf jedem Falle ist eine Vereinigung das
wichtigste, und dieses mit allem dem was wir zusammenbringen können.
Lassen sie ihrer Truppe auf dem Marsche an nichts fehlen.
V.
Erzh. Johann an FML. Jellachich.
Lavamund 19. Mai 180".).
Der Herr F. M. L. werden meinen gestrigen Courier hoffentlich er-
halten haben. Auf meiner Seite hat sich nichts geändert, ich bin hier in
Lavamund eingelangt, erst gestern Abend Hessen sich die ersten feind-
lichen Posten in Clagenfurth sehen. F. M. L. Giulay hat Laybach besezt
und sich gegen Neustädtl gezogen, um sich mit der Croatischen Insurrection
zu vereinigen, F. M. L. Zach stehet auf der Strasse gegen Fiume, der
Feind bis Oberlaybach vorgerückt.
Ein Courier aus Gratz bringet mir eben die Nachricht, dass der Feind
2 Regimenter Infanterie und 1 Cavallerie über Mariazell vordringe und
liereits den 14. die Wegscheide erreichet hatte. F. M. L. Lippa befand
sich mit dem wenigen was er bei sich hatte zu Brück.
Das wichtigste ist jezt unsere Vereinigung zu bewerkstelligen; unbe-
kannt ist mir ob sie den Weg des Ennsthales oder jenen des Muhrthales
eingeschlagen haben, ersterer führt sie auf Leoben, letzterer nach Juden-
burg, ihnen bleiben die Wege über Brück und Rettelstein nach Gratz,
wo sie gewiss auf den über Mariazell vorgerückten Feind stossen müssen,
dann jener von Knittelfeld über die Kleinalpe nach Feistriz, endlich jener
über die Stubalpe offen. Ich rücke morgen den 20. nach Mahrenberg,
übermorgen den 21. über den Radi nach Eibeswald; unser Vereinigungs-
punkt ist Gratz. Sollte der Feind im Besitz von Brück sein und solche
Kräfte haben dass sie ihn nicht werfen können, so müssten sie die an-
deren Wege, vielleicht auf den näheren von Leoben aus, der Diebsweeg
genannt, einschlagen; allein das Fuhrwerk und Geschütz kann nur auf der
Hauptstrasse oder über die Stubalpe gebracht werden. Zeit ist nicht zu
verlieren es könnte sonst der Feind sie einhohlen, oder auch eine Colonne
von Clagenfurth über Judenburg sich ihnen nähern. Lassen sie mir so
oft wie möglich ihre Lage und was sie um unseren gemeinsamen Zweck
zu erreichen zu unternehmen gedenken wissen, damit ich dann von meiner
Seite zu unserer Vereinigung mitwirken könne. In Abschickung der Couriere
beobachten sie alle Vorsicht damit sie nicht dem Feinde in die Hände ge-
rathen oder zu grossen Umwegen gezwungen werden.
VI.
FZM. Kerpen an Erzherzog Johann.
Gratz, 18. Mai 1809-
Die Gränzen von Obersteyer sind durch aufgestellte Truppen von
Ischl bis Semering besetzt, welche mit dem Herm F. M. L. Jellachich in
Verbindung stehen.
Da nun gedachter Herr F. M. L. bei seiner Aufstellung zur Be-
hauptung des Tauern und Erhaltung der Communication mit Tyi'ol sich
1 40 Z w i e d i n 0 e k - >S ü d e n h 0 r s t .
ausser seinen ihm dermalen zugewiesenen Truppen und Aufstellungen nicht
mit denen von Ischel gegen Rottenmann stehenden befasset, F. M. L. Lippa
aber zu Brück zu weit entfernt ist, um die ganze Strecke zu übersehen,
so ist es nothwendig, dass die von Ischel bis Altenmarkt stehenden Truppen
einen Commandanten erhalten um so mehr, als bei einem erfolgenden
feindlichen Einfall der grösste Theil von hier getrennt wird. — Ich habe
demnach auf den Vorschlag des Hr. F. M. L. Jellachich die von Ischel bis
Rottenmann aufgestellte Truppen, als 2 Baon Judenburger Landwehr mit
ihren Depots, 1 Baon Reuss Greitz, welches seit dem Rückzug aus Oester-
reich am Pirn stund, und nicht zu dem Corps des H. F. M. L. Jellachich
gehören soll, 2 Cillier Landwehr Baons, 4 Comp. Oesterr. Landwehr, an
dem H. Oberstlieutenant Graf Plunquet, Commandanten des 4. österr. Land-
wehr Bons 0: W: W: übertragen und denselben angewiesen, die Verbin-
dung mit dem H. F. M. L. Jellachich und Lissa (Lipa) zu unterhalten.
Da nun diese in Verbindung mit dem Herrn F. M. L. Jellachich
stehende Truppen, an denen sich auch im Nothfalle die aus 5 Compagnien
Oesterr. Landwehr, dem Frei-Baon, und den 2 Depots der Brucker Land-
wehr-Baons bestehende Besatzung von Altenmarkt anschliessen, bei einem
Rückzug in die Verbindung der Armee oder des Corps des F. M. L.
Jellachich aufgenommen werden müsste, indem sie sonst ohne weitere Ver-
haltungsbefehle bliebe, so ermangle ich nicht Euer Kaiserliche Hoheit hie-
von die schuldigste Anzeige mit dem ehrfurchtsvollen Ersuchen zu erstatten,
womit für diesen Fall dem Oberstlieutenant Plunquet die weitern Ver-
haltungsbefehle gnädigst ertheilt werden wollen, indem ich ihn indessen
für diesen Fall mit seinen Truppen an den H. F. M. L. Jellachich ange-
wiesen habe ....
VIL
Erzh. Johann an Erzh. Carl,
Gratz, 24. Mai 18(»9.
Euer Liebden werden gewiss meinen letzten Bericht bekommen haben
— alle mir erlassene Befehle sind mir richtig zugekommen. Erst vor
zwei Tage erhielt ich ein Handbillet von Seiner Majestät dem Kaiser,
worin er mir befiehlt, auf die Vertheidigung von Innerösterreich keine Rück-
sicht zu nehmen, sondern nach Salzburg und weiter zu operiren, und mich
mit Herrn Feldzeugmeister Kollowrath einzuvernelunen , der gegen Linz
rückt — das Handbillet lege ich hier in Abschrift bei. Euer Liebden
mögen selbst nach ihrer Einsicht urtheilen , ob so ein Unternehmen aus-
führbar seie; ich soll Innerösterreich biosgeben und nach Salzlnirg ope-
riren, dazu sind vorläufige Anstalten, wegen den Unterhalt der Truppen
nothwendig ; der Zuschub kann nur von Ungarn aus auf der Strasse durch
Kärnten oder jener durch Brück und Rottenmax^n geschehen, da nun der
Feind Posten zu Aspang, am Semmering, zu Mariazeil land allen anderen
nördlichen Engpässen einerseits, andererseits zu Loitsch und Klagenfurth
stehet, so müsste ich erst durch hinlänglich starke Abtheilungen meine
Comunication decken, was würde dann mit der feindlichen aus Italien rüken-
den Armee, die wenigstens jetzt 35 bis 40000 Mann stark ist, geschehen,
ihr bliebe Ungarn völlig offen; Croatien von Seite Dalmatiens und Krains
angegriffen, vrtlrde schwer mit seinen eigenen Kräften lange halten kömien.
Das Gefecht bei St. Michael u. rl. Operat. ä. Rrzli. .loliann m Steierm. \ji^{
Mir würde der Feind bald folgen, und ich dann zwischen zwei Feuer
kommen. Folgende ist die Lage des Feindes. Marschall Lefevre stehet
mit 15000 Bayern bei Salzburg, 10000 davon haben unter seiner Führung
und jene des General Wrede Tyrol angegriffen , während De Eoi mit
1500 M. gegen die Scharnitz rückte, ersterer drang bis vor den Thoren
von Iimspruck. Yon Seite Italiens rückt Fontaneila mit einigen tausend
Mann über Trient Bozen zu, Eusca mit 2 bis 3000 Mann über Cadore
Doblach zu. Die Hauptmacht des Feindes ist über die Ponteba und den
Predil nach Kärnten eingedrungen; die Sperrpunkte, welche sich 20 Tage
halten können, hinderten, dass er Geschütz und viel Cavallerie mit sich
bringen konte, daher rückt er langsam vor, auch muss er nach allen Seiten-
wegen als nach Judenburg, nach Spithal, gegen Mahrburg, gegen Krain-
burg poussiren um unsere Aufstellung zu entdecken, daher ist seit meinem
Rückzug von Villach kein Schuss gefallen. Gegen Prewald ist General
Broussier gerichtet, dieser Posten hält noch, nach Triest bereits ein feind-
liches Detachement gerückt. Vor Laibach stand noch nichtS; nur bei Krain-
burg, Bischoffiack und Oberlaybach waren Patrouillen desselben gekommen.
In Dalmatien scheint Stoichevich zurückgedrängt zu sein; die Türken in
Bosnien spuken gewaltig, und bedrohen die ganze Gränze des Liccaner
und Ottochaner Eegiments. Gegen Oesterreich stehet eine Abtheilung
Eeichstruppen, Baadener bei Stadt Steyer, sind aber schwach — ein gleiches
ist bei Mariazell, Semmering und Aspang. Vor einigen Tagen streiften
sie bis Wegscheide und Mürzzuschlag, in Neustadt sollten 2000 M. sein,
eine Patrouille von 6 Mann war gegen Oedenburg vorgerückt, allenthalben
streuen sie Proclamen Ungarn betreffend aus, wirklich empörende, ver-
führerische jedoch aber trügerischen Inhalts — Aufrufe an den Landsturm
und die Landwehren, an die Lande etc. kurz es werden alle Triebfedern
in Bewegung gesetzt, um durch Ueberredung und Furcht unsere Völker
kleinmüthig zu machen, und unsere Kräfte zu vermindern. Meine Lage
ist folgende.
F. M. L. Ignatz Giulay stehet bei Laibach, unter ihm F. M. L. Zach,
(i. M. Gavasini, Marziani, Spleny, Mungatsy; er hat^) 10 B. 8 E. 13 LW.
Diess sind aber meistens geschwächte Truppen . . . Die Landwehrn
haben bei Prewald sehr gut gethan, gehen aber, da sie sehen, dass ihre
Anstrengungen den Feind nicht abschrecken, einzeln nach Hause. Die
Croatische Insurrection ist dem F. M. L. Banus ganz angewiesen. Einige
Theile stehen schon — icli sähe in Mahrburg 1200 M. Infanterie unter
Grafen Erdödy, die sehr gut aussahen.
General Stoichevich hat: 7 B. 1 E. 200 Pf.
Dazu die Massa des Gränzvolkes — die 3*^ Bataillons sind aber nidit
viel besser als die Massa selbst.
F. M, L. Chasteler stehet in Tyrol — er hat bey Wörgl empfindlich
verlohren, da er den General Wrede, der 10000 Mann hatte, mit 1 Ba-
taillon Lusignan, etwas Jägern Tind 2 Klagenfurter Landwehi-bataillons an-
griff. Diese Truppen wurden grösstentheils versprengt, und verlohren viel
— er hat aber noch 1 1 B. 5 Comp. 7 Esc. 3 L. B.
1) Die detailirte Aufzählung der einzelnen Bataillous uud Escadrons, welche
das Schreiben enthält, wird liier weggelassen.
-^^ Z w i e cli n e c k - S ü f I e n h o r s f .
Diese werden bei 10000 Mann ausmachen — dazu kommen noch
einige brauchbare Schützen-Compagnien als z. B. 700 Mann unter dem Sand-
wirth. Er hat unter sich General Marschall, Schmidt und Jenner. Er
hatte alle seine Truppen von Kut'stein bis Koveredo an die Pässe ver-
theilt, nun ziehet er sie zusammen, und stehet auf dem Brenner, zu Brixen
und Botzen. Da er von mir getrennt ist, so sandte ich ihm den Befehl,
alles auf einem Punkte zu sammeln, dann schnell gegen Lienz vorzurücken,
durchzubrechen, da der Feind daselbst nicht viel hat, Spithal zu gewinnen,
sich dann über den Katschberg nach St. Michael in Lungau zu werfen,
längst dem Muhrthal Unzmarkt zu gewinnen, und von da über die Stub-
alpen oder Leoben und Brück gegen Gratz und weiter, wo ich stünde, zu
mir zu stossen, ich hoffe, dass er heraus konamen wird — es ist die einzig
mögliche Art,
F. M. L. Albert Giulay mit jenen Bataillons, die am meisten litten,
10 B. 2 E. 2 Lw. — Er wird in allem 3000 Mann stark seyn — ist aus
der Stellung von Tar\'is über Krainburg, Cilly nach Pettau gerückt, wo er
die Eegimenter Jellachich, ßeisky, Oguliner wieder in Ordnung bringen
und ergänzen, dann zu mir stossen wird.
Strassoldo rückt zu mir, weil ich die Depots und 1 Bataillon habe
und es ergänzen kann.
Die Mahrburger Landwehren sind grösstentheils, als sie durch ihre
Heimath zogen, einzeln nach Hause gegangen.
Bei mir stehen 13 B. 26 E. 3 Lw. Depots von Strassoldo, Hohen-
lohe - Bartenstein, Lusignan, St. Julien, die Reserve Escadrons. Ich rechne
mein Corps auf 8600 M. ohne die Ergänzungen. Noch erhalte ich 1 Bon
Lusignan, welche sich ins Tyrol gerettet, 2 Comp. Jäger mit dem Oberstl.
Poldling, mehrere österr. Landwehrbatons, 1 Bon Reuss Greitz, 1 Brucker
2 Judenlturger Landwehr. Diese ergänzeich und ordne ich Bataillons weis.
Bis 26ten wird F. M. L. Jellachich mit mir geeinigt sein, er bringt
Estherhazy 3 B.
Warasdiner 2
De Vaux 2 Vg
Oreilly 3 Züge 7^2 ^- 3 Züge.
So hoffe ich doch 17 bis 18000 Mann zu sammeln und zu ordnen.
(Folgt eine Aufzählung der Verluste an Generalen und Offizieren, Be-
dauern des Mangels an Cavallerie, es sind 4 Regimenter mit nur 16 bis
1800 Köpfen, Absicht, die Landwehren in Freibataillons umzuwandeln.)
Euer Liebden Ermessen stelle ich es anheim beschliessen zu wollen,
was ich unternehmen soll, um zur Begünstigung des Ganzen beizutragen;
zwar habe ich den Feind, der mir auf dem Fusse folgt, vor mir, doch
soll mich dies nicht abhalten zu handeln. Die Aufstellung Euer Liebden
ist mir bekannt, ebenfalls jene der hungarischen Lisurrection. Ich hoffe
hier bis 26 oder 28*6^ dieses bereit zu sein, und vom Feinde nicht be-
unruhigt zu werden. Auf Salzburg jetzt zu rücken ist mir nicht möglich,
68 würde zu gewagt, und nur mich in dem Gebirge einer Niederlage aus-
setzen, indem ich von allen Seiten mit dem Feinde zu thun bekommen
würde. Folgendes kann ich unternehmen : entweder ziehe ich mich über
IJas Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in »Steierm. 1^4;i
Fürstenfeld zur Ungarischen Insurrection zurück, und sehe mit dieser vor-
zurücken, oder ich gewinne ein paar Märsche und breche schnell nach.
Oesterreich vor, dieses entweder über Aspang nach Neustadt, oder über
den Semmering oder endlich über Mariazell nach St. Polten — in diesem
Falle müsste ich alles angreifen, was vor mir stehet, stets im Gebirge
bleiben, da meine geringe Cavallerie mich in die Ebene zu wagen nicht
erlaubt, um sicher dadurch Napoleon zu zwingen gegen mich zu detachiren,
es ist ein gewagtes Unternehmen, der Feind wird gewiss mir von hier
folgen , die Lande werden hier preissgegeben, Ungarn geöfihet , doch ich
denke, dass wenn Napoleon durch Euer Liebden geschlagen wird, und
durch unser Zusammenwirken sein Eückzug erschwert wird, alles das
übrige dann sieh von selbsten ergiebt und die besezten Provinzen uns
wieder ohne Mühe zufallen werden.
Euer Liebden Einsicht kann es nicht entgehen, dass hier eine ge-
naue Uebereinstimmung erfordert wird. Ich sende daher dieses mittels
Courier auf dem nächsten Wege, und bitte mir den Tag bestimmen zu
wollen, wo ich mitwirken soll, alles werde ich wagen um zu dem Ganzen
der Unternehmung beizutragen.
VIII.
Erzh. Johann an Erzh. Carl.
Entwurf. Undatirt.
In mehreren Berichten habe ich Euer Liebden die Schilderung meiner
Lage gemacht. Ich muss glauben, dass einige derselben Ihnen nicht zu-
gekommen sind, und die hohe Wichtigkeit Ihrer Beschäftigung eidaubt
wohl nicht, dass Euer Liebden die verschiedenen Berichte zusammen-
nehmen um ein Urtheil über dasjenige zu fällen, was ich dermahlen zu
leisten vermag.
Um die Lage besser darstellen zu können, glaube ich diese Uebersicht
von weitem hernehmen zu müssen.
(Folgt eine gedrängte Wiederholung der Ereignisse in Italien. Man
hat die italienische Armee des Feindes von vornherein zu gering veran-
schlagt. Beim Rückzuge war die Stärke des Feindes die doppelte der
österreichischen Armee. Die Detachirung einer Brigade gegen Dalmatien
war unbedingt notwendig. Es bedurfte der Gewalt um die croatische In-
surrection zusammenzubringen. Noch sei Macdonald und Marmont ge-
trennt.)
Ich hofite durch die Vereinigung mit dem F. M. L. Jellachich mich
hinlänglich zu verstärken um die Offensive zu ei'greifen. Dieser litt aber
während seines Marsches durch ein hartnäckiges Gefecht bei Leoben einen
sehr beträchtlichen Verlust. Heute wo ich alles bei St. Gotthardt ver-
einige, werde ich folgende Regimenter und Battons haben
Strassoldo 3 Baons Hohenlohe 8 Escadrons
Lusignan 1 0 Reilly 1
Franz Jellachich ;i Ott 8
Szluiner 1 E. H. Joseph 8
Oguliner 2
j^44 Z w i e rl i n e c k - 8 ü <i p n h 0 r s t.
St. Julien
3
Alvintzy
3
Grenadiers
4
1. Banat
2
Esterhazy
3
De Vaux
1
Wai-asdiner
1
27 Bataillons 23 Escadrons
wozu ich auch 1 6 Escadrons von der Insurrection erwarte.
Diese Truppen sind gut gestimmt. Sie haben in jeder Gelegenheit
heldenmüthig gefochten und werden es wieder thun. Auch diese Infanterie
weiss, wie man sich gegen Kavallerie benehmen muss. Denn an der Piave,
wo der Feind 8000 Pferde zum Gefecht brachte, unsere schwächere Kaval-
lerie warf, bis Conegliano verfolgte und die Infanterie im Rücken nahm,
hielte diese standhaft, griff die feindliche Cavallerie mit dem Bajonett und
Plänklers an, und zwang sie wieder durch die Oeffnung zu fliehen, die sie
gemacht hatten. Unsere Kavallerie hat auch immer die IJeberlegenheit,
wenn sie nur halb so stark wie der Feind ist.
Allein durch zwei rühmliche Schlachten und mehrere blutige Ge-
fechte sind meine Battons und Escadr. sehr geschmolzen. Euer Liebden
wissen, was selbst die glücklichsten Gefechte gegen einen Ueberlegenen
für Folgen haben. Unsere Regimenter haben gegen 40 todte und blessirte
Offiziers. Ich werde also mit Inbegriff einiger kleiner Landwehr Batt. und
der 2 Insurrections - Regimenter nur ungefähr 20000 Mann zusammen-
Ijringen. Ich hoffte durch Behauptung der Gegend von Gratz und Brück
die Kommunikation des Feindes mit seiner Italienischen Armee zu ver-
hindern. Zugleich als 3 Divisionen desselben durch das Muhrthal herab-
giengen, und eine 4^^^ über Mahrenberg kam, detachirte Xapoleon ein be-
deutendes Korps durch das Mürzthal gegen meinen Rücken und machte
einige Demonstrationen gegen Hungarn.
IX.
Erzh. Johunn an den Fulatin Erzh. Joseph.
Entwurf. Gräfl. Meran'sclies Archiv 1344.
Graz 26. Mai 1809.
Ich bin mit meinen Truppen vorgestern hier eingetroffen. Meine Ab-
sicht war, meinen ermatteten Soldaten einige Erhohlung durch paar Rast-
tage zu gewähren und zugleich die Ankunft des F. M. L. Baron Jellachich
zu erwarten, um mich mit demselben den 27. d. zu vereinigen und dann
nach Umständen zu handeln. Meine Truppen sind wirklich bis zur Stunde
nicht beunruhigt worden, allein soeben erhalte ich mittels Courrier von
F. M. L. Jellachich die unangenehme Kaohricht, dass er gestera bei St. Mi-
chael angegriffen, und durch die Uebermacht des Feindes, welcher sein
Centrum durchbrach, zu einem Rückzug gezwungen wurde, der durch das
zu rasche Vordringen der feindlichen Cavallerie, welcher er keine entgegen-
zustellen hatte, den Verlust von mehr als zweidrittel seiner beigehabten
Truppen nach sich brachte. Dieser unerwartete Fall versetzt mich in die
unabänderlifhe Lage mit meinem schwachen und sich kaum auf ToOOMann
Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. ^45
belaufenden Corps, sammt den Eesten des F. M. JellacMch, welche nach
seinem Bericht kaum 2000 betragen, meinen Rückzug über Fürstenfeld
nach Körmend anzutreten um mich an die Insurrection anzuschliessen.
Hätte das Corps des F. M. L. Jellachich die Vereinigung bewirkt, so würde
ich im Stande gewesen sein etwas zu unternehmen — nun muss ich
trachten Zeit und die Vereinigung mit anderen Kräften zu gewinnen. Ich
entstehe nicht von diesem meinem Entschluss E. L. in die Kenntniss zu
setzen mit der Bitte mich von Ihren ferneren Dispositionen verständigen
zu wollen. Ich glaube, dass meine Vereinigung mit der Insurrection
grössere Vortheile bringen wird, als wenn ich unnütz Zeit verliere und
vielleicht zu sehr vom Feinde gedruckt meine Truppen in ein neues Ge-
fecht bringen müsste. E. L. wollen hievon Seiner Majestät dem Kaiser die
Mittheilung machen mit dem Bemerken, dass ich so eben in Erfahrung
bringe, dass jene französische Colonne, beiläufig 15000 Mann stark, welche
dem F. M. L. Jellachich begegnete, und schlug, in eilenden Märschen über
Brück in die Richtung von Wien fortzurücken bestimmt sei.
X.
Aus Erzherzog Johann's Memoirtn (geschrieben 1853 oder 1854).
Gräflich Meran'sches Archiv.
Die Richtung meines Marsches nach Gratz hatte zur Absicht, mich
daselbst mit F. M. L. Jellachich zu vereinigen und dadurch den Stand
meiner Streitkräfte zu vermehren. Welche Wichtigkeit ich darauf sezte,
beweisen meine wiederholten Befehle an gedachten F. M. L. zu eilen und
sich in nichts einzulassen, ich hatte am 24. an Chasteler beiliegenden
Befehl (1341, 1342^) gesendet. Die Disposition von eben diesem Tage
bestätigt das Gesagte. Am 25. war M. Delort von F. M. L. Jellachich in
Gratz eingetrofi^n, welcher mir den Stand des Corps (über 9000 M. guter
Truppen) brachte, mir war seine Anwesenheit luiangenehm , als Vorstand
des dortigen G. Stabes war seine Bestimmung seinen Generalen nicht zu
verlassen um so mehr als ich Jellachich und seine Unentschlossenheit und
Langsamkeit kannte. Ein braver Soldat vor dem Feinde, allein nicht ge-
eignet selbständig zu handeln, ersteres hatte er bei Feldkh-ch 1799 —
letzteres 1805 bewiesen. Es war ein tüchtiger Offizier bei ihm notliwen-
dig, um ihn zu leiten und seinen starken Eigensinn zu überwinden. Ich
gab dem gedachten H. Delort, nachdem ich ihm meine Verwunderung über
seine Ankunft bezeigte, den Befehl gleich zu Jellachich zurückzukehren,
damit derselbe seinen Marsch beschleunige und sich in nichts einlasse,
allein zu spät, am 25. fiel das Gefecht bei Michael vor, wo Jellachich
gesprenget am 26. mit den Trümmern seines Corps zu Gratz ankam. Zu
meiner Erzählung dieses Gefechtes bedarf es noch folgender Ergänzung:
Jellachich zog laugsam in einer Colonne auf der Salzstrasse von Mautern
auf Traboch heran, ihm folgte wie gar oft der Fall ist eine ansehnliche
Abtheilung an Gepäcke, General Bach, welcher lange als Oberst des in
Leoben gelegenen Regimentes Lattermann die Gegend genau kannte, ver-
eint mit den Bewohnern machte Jellachich auf den Umweg bekannt, welcher
•) Diese Zahlen verweisen auf die den Memoiren beigelegten Schriftstücke.
MittheiluDgen XJl. 10
\^Q Zwiedineck-Südenhorst.
ihn, wenn er die Strasse über Michael folgte, nach Leoben führte, er schlug
ihm die Kohlstrasse über Edling liey Trofayach vorüber nach Leolien vor,
auf dieser konnte ohne Hindernisse das Gepäck, die Wägen fortgeschaflPet,
während die Truppe über die Einn nach St. Peter und Leoben noch einen
kürzeren Weg einschlug, es konnte in jedem Falle eine Abtheilung auf
der Strasse nach Michael rücken , deren Aufstellung aber nicht auf dem
Felde vor, sondern nach Abbrechung der Brücke und Verrammlung des
Ortes hinter derselben war und sich durch die Michaeler Au nach dem
Häuselberg und Leoben zurückzog, wo dann die Brücke abgebrochen wer-
den konnte um so mehr als bis dahin die über S. Peter und der Vorder-
berger Strasse kommende Colonne längst angekommen sein konnte. Jellachich
gab kein Gehör dem besseren Eath landeskundiger Männer und folgte dem
längeren Weg. Von Morgens und Mittags 1 1 Uhr bis Abends 5 LTir 6 Stun-
den mehr als nothwendig um Leoben zu erreichen. Um 5 Uhr geschah
der feindliche Angriff. Noch war es möglich das Versäumte einzubringen
— allein da wäre freilich ein Theil des Gepäckes (welches doch späther
verloren gieng) aufgeopfert worden, unaufgehalten durch Michael musste
er Leoben zu gewinnen suchen — statt diesem raarschirte er Michael im
Rücken und Hess sich in ein Gefecht ein. Die Folge war seine Nieder-
lage — aber für meine Absicht hatte es einen grossen Einfluss.
Es fragt sich, war man im Stande, sich dem nach Oesterreich ziehenden
Vicekönig entgegenzustellen und die Wahrscheinlichkeit da seinen Marsch
zu verhindern, dann musste es geschehen, wenn nicht und diess war der
damalige Fall, ihm auszuweichen und den Zugang gegen Gratz zu sichern,
einmal voiäibergezogen und durch das Mürzthal gegen den Semmering auf
dem Marsch seinen Nachtrab beständig zu necken.
(l343ab) Am 20. erstattete ich meinen Bericht an den Generalissimus
und theilte ihm die Bewegungen Marmonts mit — ich hatte darüber vom
H. M. L. Baillet die Mittheilung erhalten. An diesem Tage rückte Jellachich
mit den Trümmern seines Corps in Gratz ein, Frohnleiten blieb besetzt.
XI.
Journal aber die Operationen der von dem f>. Arme-Corps defachirten Division
des Herrn Feldtuarschcdl-Lientenant Baron Jellachich de Biixiin vom 1. Mai bis 26ten
als den Tag, wo die Division mit der Armee S. K. Hoheit des E. H. Johann ver-
einigt UHirde.
K. U..K. Kriegsarchiv in Wien 1809 VI. Corps 127/3.
Um diesen für uns so wichtigen Punkt (Leolien) bald möglichst zu
erreichen, wurde befohlen am 25. Mai den Marsch um 2 Uhr Inih anzu-
treten, er verzögerte sich leider bis 6 Ulir, und als unsere avantgarde
gegen Mittag die Gegend von St. Michael erreichte, stiess sie daselbst auf
den uns erwartend da aufgestellten Feind. Keine einzige Meldung hatte
die Gegenwart desselben oder wenigstens sein Vordringen über Knitten-
feld angezeigt, und Major Verner mit seinen 1200 Mann, statt seiner In-
struction zu folgen, zog sich, uneingedenk, dass er unsere Flanque preis-
gab, — über die Stub- Alpen nach Gratz, ohne daj geringste aviso von
diesem unverantwortlichen Benehmen uns zukommen zu machen.
Die bei St ]\[ichael aufgestellte feindliche Avant -garde war ohnge-
fähr 800 Mann stark, die uusrige bestand aus 3 Comp. Varasdiner Kreutzer,
Das Gefecht bei St. Michael u. d. üperat. d. Erzh. Johann in Steierm. J^47
und 1 Baon Esterhazy. Der Feind wurde augenblicklich angegriffen, mit
dem Bajonnette über den Haufen geworfen und über eine Stunde verfolgt.
Nun defilirte unsere zahlreiche Bagage, deren Zug wegen der vielen
auf Wägen mitgeschleppten Marodeurs unendlich verlängert wurde, durch
das Defilee von St. Michael , und die Truppe bezog nach und nach die
vortheilhafte Stellung vor gedachtem Ort — der Feind beschäftigte noch
immer unsere mit 1 Baon. von Devaux renforcirte Avant-garde und wuchs
zusehends zu einer bedeutenden Macht an — es war nicht mehr Zeit mit
dem Gros der Division Leoben zu gewinnen und bloss die Avant-garde
im Gefecht zu erhalten, weil die Lage der Gegend dem Feind den Vor-
theil gewährte, jede rückwärtige Bewegung, welche ausserdem durch ein
Defilee gehen musste, augenblicklich zu übersehen und auf uns stürmend
zu unserm gänzlichen Verderben zu benutzen. Man war also gezwungen
sich mit äusserster Hartnäckigkeit zu schlagen; bis 6 Uhr abends hatten
wir ohngeachtet der 4 fachen feindlichen Ueberzahl keinen Zoll breit Terrain
verloren, wohl aber eine grosse Zahl Tapferer eingebüsst, der Feind litt
nicht weniger, und als er endlich alles an sich gezogen, stürmte er unser
schwach besetztes Centrum — nach langer Gegenwehr und nachdem unsere
Kartetschen viele Hunderte niedergestreckt hatten, wurden wir zum Rück-
zug gezwungen, dieser musste um so ungünstiger ausfallen, da Alles was
auf unserm rechten Flügel aufgestellt war , nothwendigerweise abge-
schnitten werden musste , der Rest gewann nach und nach , und immer
fechtend Leoben.
Das zu Trafayach detacliirt gewesene Baon. Esterhazy erhielt gleich
bei Beginn des Gefechts den Befehl allsogleich nach Leoben zu marschiren
und die Brücke auf der Muhr zu besetzen — dieses Baon. verspätete sich,
durch eine unglückliche üebereilung war gedachte Brücke bereits abge-
tragen und als Major Assante bei Leoben ankam, fand er den Feind schon
im Besitz der Vorstadt, und keine Brücke auf dem zu dieser Zeit äusserst
reissenden Fluss — in dieser verzweifelten Lage konnte er zwar längs
dem linken Muhr-Ufer nach Brück marschiren, dieses brave Bataillon be-
sann sich keinen Augenblick — eine Division griff sogleich den Feind an
und vertrieb ihn aus der Vorstadt , die übrigen strengten alle Mittel so
an, dass sie es mitteist Bretter, Planken ecc. dahin brachten, ihre bei-
habenden 2 Canonen über den Fluss zu bringen und so nach und nach
sich in die Stadt zu ziehen ; es wurde die ganze Nacht durch ohne Rast
über Brück, Rödelstein nach Frohnleiten marschirt, wo wir am 26^611 in
iler Früh ankamen.
Unser Verlust in der gestrigen Affaire beträgt an Todten, Blessirten
nicht weniger als 2000 Mann, gefangen und verniisst wurden fast eben
so viel; was aber eben so erbärmlich als unrichtig ist, besteht in der
Phrase der feindlichen Relation: »a St. Michel nous avons aneanti le corps
d' armee du lieut : general Jellachich, au quel apres la defaite de Golling
il etait encore reste 20.000 h. le general est bien puni des proclamations
revolutionaires qu' il addressa aux tyroliens.«
:^Wir haben zu St. Michael das Armee-Corps des F. M. L. Jellachich
vernichtet« (schon zu Golling war nach feindlicher Aussage dieses Corps
vernichtet, um dennoch recht inconsequent zu bleiben, sollen wir, fi'üher
vernichtet, nun auf einmal zwanzig Tausend Mann stark sein) »es waren
10*
148 Zwiedineck-Südenhorst.
ihm nach seiner bei Golling erlittenen Niederlage noch 20.000 Mann ge-
hlieben. Dieser General ist wegen seiner aufrührerischen Proclamationen
an die Tiroler hinlänglich bestraft.«
Der Feind hatte uns weder über Brück , noch über den Diebsweg
verfolgt — die Brücken von Frohnleiten, Rabenstein und Feistritz wurden
abgetragen und am nämlichen Tage marschirten wir bis Gratz wo wir auf
dem Glacis lagerten. Hier geschah also die Vereinigung der durch das
hartnäckige und ruhmvolle Gefecht von St. Michael äusserst geschwächten
Division des Hrn. F. M. L. Baron Jellachich mit der sogenannten Armee
S. k, Hoheit des E, H. Johann, welche in der Schönau campirte und kaum
7000 Mann betrug.
Sigl. Gratz am 27^en Mai 80'.). (Oifenkundige Rückdatirung.)
Jos. de Lort m/p.
Haiiptmann im General-Quartirmeister-Staab.
Kleine Mittlieihmgeii.
Eine uiiffcdruckte Urkunde Friedriclis I. und ein bisher
unbekannter Zug desselben ins Königreich Burg und. lu der
Gallia Christ. XVI. Text 567 lieisst es: Anno 1284. 14 eal. Mall llwjo
Vivariensls episcopus Tricastlnensl epl>>copo vldendas transcrlhendasque
cxhlbet Friderlcl I. lltteraa de collaüs ah Armanno liufo bonls s. Jo-
hannis haptlstae raletudlnarlo. Sched. Baluzlan. XIX. 62. Aus gleicher
Quelle wird dieselbe Urkunde auch XVI. 556 angeführt. Den Wort-
laut nun, der für die Regesta imperii 1125 — 1198 nicht entbehrt wer-
den konnte, aus den Schätzen der Pariser Bibliothek zu erlangen,
wandte ich mich an Herrn Collegen Loewenfeld, der sich in der
französischen Hauptstadt sehr guter Verbindungen erfreut. Auf seine
Bitte hatte dann kein Geringerer als Julien H a v e t selbst die grosse
Güte, mir eine Abschrift zu besorgen. Leider ist die Vorlage eine
höchst elende: inaiicalse cople du XVIIß siede hat Havet sie be-
zeichnet, an Verlesungen ist kein Maugel , und noch zahlreicher sind
die Lücken. Soweit es mir möglich war, habe ich gebessert und er-
gänzt, und so folge denn der Text, doch ohne die ilin einschliessende
Beglaubigung des Bischofs von St. Paul-trois-Chäteaux:
In nomine sanctae et individuae trinitatis. Fridericus divina fa-
vente dementia imperator augustus.
Cum apud fontem totius bonitatis nihil irremuneratuni remaneat,
praecipue aeternae beatitudinis incomparabile praemium nos consequi
non dubitamus, si bonorum homiuum douationes , deo et sanctis eius
pro remedio animarum suarum collatas, auctoritute nostra i])sis eccle-
siis, quibus designatae sunt, perpetuo iure confirmamus, ne per revo-
lutiouem temporum et decessiones et successiones hominum facta hu-
niana citius a memoria deleantur futurorum. Eapropter notum facimus
tam praesenti aetati, quam successurae ^) posteritati, quod nos diviuae
1) Abschrift: succcssirue.
J50 Kleine Mittheilungen.
reniimeratiouis intuitu ^) oinnia mobilia sive immobilia , ab Aruianuo
EuiFo et frati-e suo Bertrando deo et hospitali saiicti Joauuis baptistae
cousensu K.=^) Vivariensis episcopi libere et absolute eollata, eidem
hospitali perpetuo possidenda sancimus et eodem tenore et ordiue, quo
omnia liaec in privilegio ipsius episcopi denominata sunt et conscripta,
DOS quoque, testimonium uostrae auctoritatis appouentes, ei dem 3) hos-
pitali confirmamus et^) sigilli nostri impressione iussimus [corroborari],
volentes et firmiter praecipientes, ue quisquam mortalium huic coufir-
mationi aliquo ausu temerario praesumat obviare et [resistere. Quod]
qui fecerit imperatoriae maiestatis [reus iudieetur] et pro tantis exces-
sibus centum libras auri componat, dimidium caraerae, reliquam partem
praedicto hospitali.
Huius rei testes sunt: Ludovicus episcopus Basiliensis, Cunradus
comes [palatinus Rheni], Bertoldus dux de Zeringo, Hermannus [marchio
de Badin], Hugo comes de Dagesburg^), comes Rubertus de Nassowe"),
Volmarius [comes de '^), Heinricus] comes de Dietze, Ludovicus
comes de Pirrette, Eaimundus comes saneti Aegidii, Amedeus comes
Montis Biligardis, Humbertus de Bello Joco et [alii^) quam plures].
Signum domni Friderici Roraanorum imperatoris invictissimi.
Ego 9) Heinricus [cancellarius vice Viennensis archiepis-
copi^*^) et totius Burgundiae] archicancellarii recognovii^).
Acta sunt haec anno domiuicae incarnationis millesimo centesimo
septuagesimo, indictione^-) vero III'\ regnante domno Friderico Roma-
norum imperatore gloriosissimoi^^, anno regnieius XVIII. i*), imperiiXV,
feliciter. Amen. Datum apud Givorz^^) in episcopatui^') [Lugdunensi].
So gleichgültig der Inhalt der Urkunde ist, so wichtig erscheint
sie im Itinerar Friedrichs. Nach den Zeugen gehört sie offenbar in
') Abschrift: intuiti. '■') Raimtindux. ^) Abschrift: et. *) Ab-
schrift : confmumtes sigilli. ^) Abschrift : Diyeshurf/. ") Abschritt : Xa.-iso.
') Von den Grafen dieses Namens könnten in Betracht kommen: Castres,
Metz und Saarwerden ^) Eine Linie blieb unbeschrieben. ") Abschrift:
Et Heinricus. ">) Eine Linie blieb unbeschrieben ; je nach deren Länge ist
vielleicht noch zu lesen : iwperialis aiilae cancellarius. — Den Namen des Erz-
kanzlers wage ich nicht zu ergänzen , denn ich weiss nicht, wann Wilhelm ge-
storben und Robert ihm gefolgt ist. Gtims Ser. ep. 655 und Bresslau Urkun-
denlehre I. 377 geben Daten, für welche ich vergebens nach den Belegen ge-
sucht habe. Cf. Gallia Christ. XVI Text 85. ") Abschrift :, >vcw/«?Vff ^<.
>2) Abschrift: indicto. '3) Abschrift: gloriossimo. '■«) Abschrift: Xlll.
1*') Abschrift: Guiorz. "") in einscopatu [Lugdunensi J. Das ist natürlich in
keiner Weise auflallend; -saelmehr wäre es ganz verkehrt, wenn man in archi-
episcopatu verlangen wollte. Parallelstellen finden sich z. B. bei Hüffer Die Stadt
Lyon 45. 148.
Ungedr. Urk. Friedrichs I. u. unbek. Zug dess. ins Königr. Burgund. 151
den Südwesten des Reiches, und dann muss sie in die zweite Hälfte
des Jahres 1170 gesetzt werden i). Aus der ersten haben wir zahl-
reiche Urkunden, deren Zeugen nicht mit den unsrigeu stimmen, auch
findet sich in den Gegenden, die Friedrich damals besuchte, keine
Stadt oder Burg, deren Namen an den Ausstellungsort nur entfernt
anklingt. Er lautet in der elenden Abschrift : apud Guiorz, womit ich
Nichts anzufangen weiss; die Verschiebung des Punktes auf dem i er-
giebt Girorz -), und wir erhielten Girors südlich von Lyon, am rechten
Khoneufers). Pür ein Hospital in Viviers, d. h. für eine Localität am
rechten Ufer des Rhone, ist die Urkunde ausgestellt; Raimund von
St. Gilles^) und HuQibert von Beaujeu, zwei der Zeugen, sind Herren
von jenseits des Rhone und der Saöne. Genug, bis mir eine bessere
Deutung geboten wird, halte ich au Glcors fest, und alsdaun hat Kaiser
Friedrich in der zweiten Hälfte des Jahres 1170^) einen Zug nach Bur-
gund unternommen, der ihn weiter gen Westen führte, als wohl irgend-
einen seiner Vorgänger.
Vielleicht ist es schon Anderen aufgefallen, dass wir von Januar
bis Juli 1170 über die Aufenthaltsorte Friedrichs I. vortrefflich unter-
richtet sind, — nicht weniger als 15 Urkunden geben uns Auskunft*'),
wo der Kaiser damals weilte, — dass er dann aber verschwindet')
') Dem widerstreitet nicht das 18. Königs- und 15. Kaiserjahr, von denen
dieses allerdings schon am 18. Juni, jenes gar schon am 9. März 1170 sein Ende
erreicht hatte. Auch die zunächst vorausgehenden Urkunden, die der zweiten
Hälfte des Juli 1170 angehören, tragen die gleiche Datirung, und die zunächst
folgende, vom Februar 1171, stimmt wenigstens im Königsjahr noch mit der
unsrigen überein. -) Bekanntlich gehören die Punkte auf dem i einer späte-
ren Zeit an, als unsere Urkunde. ^) Da nur der eine Bischof von Basel das
Diplom bezeugt, so könnte man vermuthen, dasselbe sei im Sprengel von Basel
ausgestellt. Aber R. Thommen kennt keinen entsprechenden Ort in jener ihm
so vertrauten Landschaft. Thommen leitete dann meine Aufmerksamkeit auf
Ghors, und auch G. Hüffer, dem wir bekanntlich zwei treffliche Studien über
die Geschichte Burgunds verdanken, glaubt Guiorz auf Givors deuten zu müssen.
^) Er ist der Graf von Toulouse. ^) Die Indiktion ist für die Zeitbestimmung
werthlos, denn die Kanzelei wechselte damals nicht, wie in den 80er Jahren, mit
dem 24. September. «) St. 4105—4119. ') Nach St. 4120, dem Prutz
Kaiser Friedrich IL 183 sich angeschlossen hat, wäre der Kaiser allerdings im
Herbst 1170 zu Vaucouleurs mit Ludwig VII. von Frankreich zusammengekommen.
Aber sehr mit Recht hat Giesebrecht, Kaiserzeit V. 669, die Begegnung zu ^Mitte
Februar oder Anfang März 1171 angesetzt, denn am I.Juni 1171 — J.-L. 11894 —
spricht Papst Alexander III. de coUoquio, quod niiper cum F. dicto iinperafore habuiffsc
di^fttoscitur (SC. L.'FraHcorum n'x). Vgl.S. 153 Anm. 1 1. Ebensowenig kann ich St. 4121
zustimmen. Danach wäre Friedrich I. am 18. Dezember 1170 in Merseburg ge-
wesen; aber die aller Jahresdaten entbehrende Urkunde gehört nicht hierher.
j^52 Kleine Mittheilungen.
und erst Februar 1171 iu Kaiserslautern wieder auftaucht. Für einen
Zug nach Burgund ist ein breiter Raum, und ein Besuch Burgunds
würde vortrefflich erklären, wesshalb wir solange Zeit hindurch nicht
ein einziges, am Hofe vollzogenes oder bekundetes Rechtsgeschäft für
Deutschland nachweisen können.
Was aber hat den Kaiser nach Burgund geführt und zwar gerade
in den äussersten Westen desselben, über den Rhone hinaus?
In den 60er Jahren des 12. Jahrhunderts machte Frankreich zu-
erst energischere Versuche i), sich des westlichen Lyonnais zu bemäch-
tigen. Die nächste Veranlassung, in die Verhältnisse dieses zum Reiche
gehörenden Landes einzugreifen, scheint der Streit zweier Parteien ge-
boten zu haben. Der Graf Gerhard von Mäcon, ein Vetter der Kaiserin
Beatrix, kämpfte gegen den Grafen Guigo von Forez und Lyon; diesem
zur Seite stand, zunächst wenigstens, der Edele Humbert von Beaujeu.
Guigo nun blickte auf Ludwig VII. von Frankreich, als seinen natür-
lichen Bundesgenossen. Gegen Gerhard und dessen Anhang rief er
1163 Ludwigs Hülfe an, denn seine Gegner ständen im BegriflF, die
Grafschaft Forez, die doch zu Frankreich gehöre, dem Kaiserthum ein-
zuverleiben-). Obwohl bis dahin von der Oberhoheit Franki-eichs Nichts
verlautet hatte, — Ludwig ging gern auf die Anschauungen des Hülfe-
flehenden ein: im Herbste 1163 finden wir ihn zu Montbrisson, dem
Hauptorte der Grafschaft Forez. Da ordnete er Angelegenheiten der
Abtei Savigny; einer der vornehmsten Zeugen war Humbert von
Beaujeu 3). Es schien wirklich an der Zeit, das.s von deutscher Seite
Etwas geschähe, den Fortschritten Frankreichs zu steuern. Dieser Auf-
gabe unterzog sich zunächst Rainald von Dassel, der grosse Staats-
mann Friedrichs I., der im Sommer 1164 Burgund besuchte. Schon
hatte er Werkleute geworben, um an der Grenze Festungen aufführen
zu lassen; aber Graf Guigo von Forez trat dazwischen und vereitelte
das Beginnen. Wir hr)ren nur noch, dass Rainald zur Unterstützung
seiner Freunde viel Geld aufgewandt habe*).
Vielleicht hat damals Drogo, der Erwählte von Lyon, wenngleich auch
er früher in den Schutz Frankreichs sich gestellt hatte ^), einen engeren
Anschluss ans Reich gesucht. Das wäre für die streng-kirchliche Partei,
der zum Aerger Rainald soeben den Gegenpapst Paschal III. aufge-
stellt hatte, wäre dann für alle französisch (jesinnten ein ausreichen-
der Grund gewesen, einen Anderen auf den erzbischöflichen Stuhl zu
') Zu allem Folgenden vgl. G. Hüffer Die Stadt Lyon und die Westhältte
des Erzbisthums 49 flgg. ^) Brief des Grafen ap. Bouquet SS. XVI. 49 N. 161.
8) Hüffer a. a. 0. 57 Anm. 2. *) Brief Alexanders III. ap. Bouquet SS. XV-
S19 N. 139. 5) Brief Drogos ap. Bouquet SS. XVI. 88. N. 270.
Ungedr. Urk. Friedricha I. u. unbek. Zug dess. ins Königr. Burgund. ^53
erheben. Abt Guichard von Pontigny übernalim die Eolle. "Wie sehr
er den Interessen der beiden Feinde des Eeiches entsprach, zeigt die
Bestätigung, auf welche Papst Alexander III. nicht lange warten liess*),
zeigt die Hoffnung, mit welcher ein Diplomat dem Könige von Frank-
reich schmeicheln konnte: „wie es sich geziemt, Avird Guichard nach
Kräften l>emüht sein, Stadt und Gebiet von Lyon Deinem ßeiche zu
unterwerfen " ^). Ludwig VU. zögerte umso weniger, Guichards Partei
zu ergi'eifen, als auch Guigo von Forez und Humbert von Beaujeu,
Guichards Anhänger, sich ganz in den Dienst Frankreichs gestellt
hatten^).
Beaujeu ist freilich nicht gleichen Sinnes geblieben: wir finden
ihn im Bunde mit Erzbischof Drogo und besonders mit dem vornehm-
sten Parteigänger des Kaisers in burgundischen Landen, mit Gerhard
von Mäcon-^). Die drei überfielen zusammen den Herrn von Bugey ^)
und trieben ihn so in die Enge, dass auch er sich in die rettenden
Arme Ludwigs VII. warf^). Aber die Huldigung, welche er dem Könige
anbot, kam nicht zum Vollzuge. Dagegen hat sich nun Guigo von
Forez zum Lehensmanne Frankreichs bekannt^).
Das war im Jahre 1167 gewesen*^), und wenn nun auch unsere
sehr dürftige üeberheferung verstummt, — die geschilderten Verhält-
nisse und deren weitere Entwicklung möchten doch der Grund ge-
wesen sein, weshalb Kaiser Friedrich die erste Müsse benutzte, einen
Zug nach dem äussersten Westen des Reiches zu unternehmen und
seinen Fuss selbst über den Rhone zu setzen. Vielleicht gar darf mau
die Thatsache, dass Friedrich in der zweiten Hälfte des Jahres 1170 den
gefährdeten Theil des Lyonnais besuchte, mit einem Ereignisse aus dem
Anfange des folgenden Jahres verbinden: damals kam Friedrich I. mit
Ludwig VII. in Vaucouleurs zusammen '•*). Man hat vermuthet, dass
Abt Pontius von Clairvaux, welchen wir schon bald nach Friedrichs
Rückkehr aus Burgund, den 5. Februar 1171, am kaiserlichen Hofe
finden 1"), die Begegnung beider Herrscher vermittelt habei^). Ist Pon-
0 Brief Alexanders III. ap. Bouquet XV. 851 N. 200. ^) Brief des Erz-
bischofs von Canterbury ap. Bouquet XVI. 125 N. 384. ■') Brief des Abtes
Stephan von Cluny ap. Bouquet XVI. 1.30 N. 398. Brief Humberts von Beaujeu
ibid. 134 N. 407. *) Später erscheint Humbert noch zweimal auf kaiser-
licher Seite. Wir finden ihn zu Givors 1170 im Gefolge Friedrichs I., und wieder
bezeugt er dessen Urkunden vom 20. August 1178. St. 4265. 4265a. ^) Sein
Land am linken Saöneufer. ") Dessen Brief ap. Bouquet XVL. 155 N. 465.
') Hüffer a. a. 0. 61 Anm. 4. *) Genauer: zwischen 1167 April 9 und 1168
März 30. ») Vgl.oben S. 151 Anm. 7. »») Giesebrecht Kaiserzeit V. 669.
1') Leider erst während der Correktur habe ich für die Zusammenkunft einige
neue Daten gefunden; ich komme gelegentlich darauf zurück.
154 Kleine Mittheilungen.
tius etwa auch deshalb gekommen, weil der Kaiser schon von den
Ufern des Khoue aus über Frankreichs Vordringen in Burguud Klage
geführt hatte ? Für den Abt freilich war die Herstellung der Kirchen-
einheit die Hauptsache.
Berliu. P. Scheffer-Boichorst.
Drei Briefe des Johannes Buaenhasen. Die nachfolgenden
drei Briefe Bugeuhagens befinden sich in einem Bande der in der
Basler Universitätsbibliothek aufbewahrten Briefsammlung (Codex G. 1. 31).
Es sind Autographe. Da sie in dem von 0. Vogt veröffentlichten Brief-
wechsel Bugenhagens (Stettin 1888) nicht aufgenommen worden sind,
publiciere ich sie als Nachtrag zu demselben. Die notwendigen Er-
läuterungen sind jedem einzelnen Briefe in Anmerkung beigegeben.
Hier bemerke ich nur noch, dass das W. in der Daturazeile deshalb
zu Witteberga ergänzt worden ist, weil Bugenhagen in den lateinisch
verfassten Briefen mit Vorliebe diese Namensform gewählt hat (vgl,
0. Vogt Briefwechsel S. 21, 31, 59, 75, 93, 134 u. ö.).
I
Johmin Bufjenhar/en an Georg Spalatin. Witfenberr/ (1523 Juni 13) ')•
Original in Briefband G. I. 31 fol. 87 in der Universitätsbibliothek zu Basel.
Grratia Christi tecum. Gratias ago quas possum tibi, mi (xeorgi, quod
liter^ me^ efficaces pro parochis Ulis apud te fuerunt. Neque enirn vellem
plus curatum a te quam curatum video. Quandoquidem non sie illis
consultum volui , ut non potius consuleretur ovibus , quibus sunt pre-
ticiendi, qu^, si consenserint in hos pastores, habituri sunt, ut ex ipsis
accepi, quod postulaverunt. Que conditio mihi usque adeo placet, ut,
quando vix ex ^dibus meis ad te excesserant, doluerim in literis meis non
fuisse adiectam. Sed h^c satis. Jam binas, Georgi optime, ad me de-
disti literas, ut respondeam tuis mterrogationibus, in primis, qu^ sit tri-
bulatio illa maxima ante iudicium, cum non solum ad hanc interrogationeni,
verum etiam ad alias responderim iam dudum, ni fallor, binis literis, quas
ad te tradidi Georgio custodi, Alioqui quare non vel mentionem fecissem
') Das hier angegebene Datum habe ich angenommen mit Rücksicht auf
die Bemerkung Bugenhagens am Schlüsse über die Erkennung der Briefe Spa-
latins durch seine Frau. Eine solche Anmerkung macht nur ein junger Ehe-
mann. Dazu kommt , da.ss Spalatin an der Heirat Bugenhagens , welche am
1.3. Oktober 1522 stattfand (vgl. Briefwechsel S. 582), besondeni Antheil genommen
vmd sie »mit einem goldenen Geschenk geziert hatte' (vgl. Vogt S. 0. Brief
Bugenhagens an Spalatin vom 7. Novb. 1 522). Bugenhagen durfte also bei seinem
Freunde und Gönner eine gewisse Empfänglichkeit für seine Schmeichelei voraus-
setziMi. Andererseits deutet diese Anmerkimg darauf hin, dass seit jener Heirat
überhaupt noch nicht viele Briefe zwischen beiden Männeni gewechselt worden
sind , was ebenfalls dem gegebenen Ansatz zur weiteren Stütze dienen kann.
Uebcr die Person des Gallus (S. 155 Z. 6) liisst sich hier nichts Genaueres sagen.
In Bugenhagens Briefwechsel kommen zwei Personen dieses Namens vor, ein Karl
Gallus (vgl. a. a. 0. S. 336 u. 346) und ein Nikolaus Gallus (ebend. S. 432 u.
501, dazu die Anm. auf S. 502), beide jedoch erst spät, nicht vor 1545. Eine
Identificierung ist also nicht möglich.
Drei Briefe des Johannes Bugenhagen. 155
harum rerum, si aliud non licuisset in literis per parochos illos ad te
datis? Aut certe cur non meminissem lUustrissimi principis nostri bene-
ficentie cum acceperim iam sicut et ante decem aureos? Id qtiod tibi
scripseram rogitans, ut per te benignitas atque liberalitas eins persuasum
haberet me non fore ipsius gratie ingratum, me porro acturum, quod ago
quantum per deum liceret. C^terum de Gallo non scripseram qui, ut ex
eo audio, sex aureos accepit. Nihil horum ad te venit. Ego non sum
mihi conscius unquam te interrogasse. ad quod non responderim. Dolco
profecto et te fi'audari tua expectatione et meum in te, qui optime de
me meritus es, perire officium, cui, ut non desuni, soleo aliquantum sui-
furari temporis tam gravibus iam negociis occupatus, ut non dicam plu-
rimis. Verum adhuc mihi persuadeo illas literas non ita intei'cidisse,
quin quandoque et prope diem in tuas manus sint perventur^, si minus
cum Georgio illo tuo expostulato qui non negabit sibi ad te datas. Yale.
Atque, ut optime valeas, optat et uxor mea, qu^ iam a facie novit tuas
literas, quas, dum a nunciis acceptas mihi oflFert, asserit sese a magistro Spu-
latino mihi adducere literas. Iterum vale. Ex W[itteberga], sabbato post
octavam corporis Christi,
Joannes Pomeranus tuus.
Habeo iam qu^dam de evangelio Luc^ I. et alia, qua non mittam
nisi certo nuncio sciero ad te perventura, ne rursum nolüs fraus fiat etc.
Adresse: Magistro Georgio Spalatino domino ac fratri.
n.
Derselbe au denselben '). Wittenberg 1524 Juli 10.
Original ebendort fol. 89.
Gratiam dei per Christum. Ecce mi Spalatine arduum negociiim lllu-
strissimi quidem principis, sed non tam princij^is quam dei. Pastor cccle-
si^ Beltzensis cupiens suis ovibus consultum per verbum dei invenit apud
nie bonum et evangelicum virum, abbatem scilicet illum, quem vel nosti
vel de quo ex me audiisti, qui preter morem abbatum in Pomerania c^pit
predicare evangelium et passus est vincula, ita tarnen ut adversarios hodie
pudeat facti, Modestissimiis est et preterea rebus gerendis et ad consu-
lendum in civilibus quoque causis non parum commodus. Hunc, inquani,
pastor Beltzensis invenit apud me et iam fere dimidio anno non cessat
solicitare, ut eum su^ preficiat ecclesi^. Recusavit abbas aliquaradiu, ne
videretur querere sua si non urgeretur ad hoc negocium, ne in hac causa
aliquid tentaret non evangelicum, qui propter evangelium voluntari^ sese
iam tradidit paupertati. Venit ergo nuper ad dominum Martinum idem
pastor rogans, ut virum commendaret su^ ecclesi^, quod dominus Martinus
1) Der Name des Pfarrers von Beizig (Beltzensis) scheint nicht bekannt
zu sein. Der von Bugenhagen gelobte Abt ist Johann Rolduaii, der dem Kloster
Belbuck in Pommern, welches 1523 von Herzog Bogislav aufgehoben wurde, vor-
gestanden hatte (vgl. Karl \'ogt, Joh. Bugenhagen. Leben und Schriften, Klber-
feld 1867, ö. 10 und 89). Bolduan wurde dann wirklich Pfarrer in Beizig und
von dort im Sommer 1528 nach Hamburg berufen (vgl. Vogt, Briefwechsel S. 81
und 586). Der vorliegende Brief liestätigt die Darstellung Vogts, J. B. Leben
S. 30, Ueber Benedikt Pauli vgl. Vogt, Briefwechsel S. 81.
156 Kleine Mittheilungen.
fecit liaud gruvatim. Neque tarnen abbas vel sie voluit sese venditare
alienis literis sed pergit eo et predicat ter inBeltz veritus, ne contemne-
rent linguam Sassonicam qui nihil aliud «unt, quam Sassones. Benedictus
Pauli dixit mihi multum illic laudatum tüisse virum et sese cupere, ut
quam primum sit illic pastor. Hodie rursum rediit ad nos pastor Beltzensis
requirens, ut istud oneris vir ille suscipiat. Non recusat onus. Hoc
autem addidit pastor, quod cum consulibus et civibus suis hac de re
egerit et hoc responsum dederint, placere scilicet optime hoc consilium
et sese libenter volle quem princeps ipsis dederit, maxime vero quem no-
minavi abbatem. Itaque Imnc maxima pars illic atque adeo fere omnes^)
cupiunt. Quod vero principi non scribunt h^c causa est. Consultarunt,
si principi aliquem presentent, tunc postea necessarium Ulis fore, ut pa-
stori provideant de necessariis, si non satis liabeat. Ita omnia ubique eo
spectant, ut careant pane corporis qui ad panem verbi dei distribuendum
mittuntur. Sed viderit h^c deus. Oportet hie, mi Spalatine, per Opti-
mum principem consuli iis, qui sibi consulere non possunt. Prudentiam
istam, eorum stulticiam, quis non videt? Igitur pastor Beltzensis rogavit
quam maxime, ut ista per te curarem, qu^ iam, mi Spalatine, te obsecro,
Primum, ut per te Illustrissimus princeps intelligat gratitudinem viri de
beneliciis acceptis et quod parochiam deserit ideo facere, ut per evange-
lium melius consulatur Christi ovibus per istum abbatem.-) Si vero alii
tradendam sciret ecclesiam, qui non tam in evangelium quam in seditionem
spectaret, ut proh dolor nunc quidam sunt, se malle perpetuo pastorem
manere utrumque insufficientem. Deinde ut nomine eins resignes, cuius
resignationis testimonium ecce hie habes, quam mittit presentationem olim
acceptam. Pr^terea ut ores, ut hie abbas illi ecclesi^ mittatur. Non igno-
ramus, quod verbo dei princeps suis ecclesiis consultum velit et nos non
habemus meliorem per quem illi ecclesi^ consulatur. Insuper et hoc te
oro, ut si lit^c princeps admiserit, tu agas, ut fideiussor sis apud scriptores
et mittas literas principis quotquot in hunc usum indigemus. Quicquid
pecuniarum scripseris scriptores exigere. mittemus quam primum aut da-
bimus cui commiseris. Agito, mi Spalatine, diligenter in hoc negocio
primum dei, deinde principis, preterea et tuo et nostro, quod te decet. Vale.
Ex W[itteberga], altera post Kiliani MDXXIIII.
Joannes Bugenhagius
Pomeranus tuus.
Am Rande: In literis non scribatur ille vir sub nomine abbatis sed
nomine suo, quod est Joannes Boldewän etc. Suscipe, queso, et literas alias
huius nuncii ncscio quam causam continentes, ut ad principem veniant etc.
Adresse: Non vulgaris eruditionis magistro (.leorgio Syndatino, Illu-
strissimi Friderici Saxonum principis, electoris etc. a secretis , domino ac
i'ratri nostro.
III.
Der!<elhe an denselben ^). Wittenberg 1.541 Frühjahr — l.')44.
Original ebendort fol. 108.
Gratiam dei per Christum. Usque adeo non recipis, qu^ tibi scribo
omnia, ut etiam non receperis literas, in quibus te meum oratorem ad
') Nach omnes fol fft nochmals hnnc durclK/csl riehen. -) ]'or si ein ausgestrichenes
quod. *) Dieser Brief ist vornehmlich dadurch interessant, dass wir aus ihm ein
Drei Briefe des Johannes Bugenhagen. 157
Illustrissimum principem nostrum volui, ut meo nomine gratias ageres de
nummo argenteo dato, id quod adhuc, nisi interim illas literas susceperis,
te rogo. Opto coram deo principi nostro, ut fortis sit in deo. Non
potest ignorare, quid deus sua benignitate pro nobis contra adversarios
veritatis nunc nobis tacentibus operetur. Pergat nunc paterna dei de-
mentia, quo voluerit. Evangelium redditum est mundo. Tantum grati
simus, ut non cooperemur iis, qu^ scandalo sunt et evangelic^ officiunt
veritati, dum interim deus sine nobis evangelium protnovet vel invitis
portis inferorum. Nolo vero, ut pro me scribas ad consules nostros. Ego
adhuc fero ista, ne scandalo sim evangelio. Rogavi autem senatum non
semel, ut non me eligerent, ut me rursum electo alio meliore amitterent.
Rogavi nuper pro concione totam ecclesiam sed adhuc frustra. Vellem
enim eis consultum per alium. Non prosum liuic negocio. Quod si non
dimiserint, faciam quod per deum possum. De victu viderit deus. Ego
nisi nostri servarint promissa deseram istam domum el sacellanos et fa-
miliam mihi gravem et ero episcopus quemadmodum erat Paulus apud
Corinthios. Nihil ab eis accipiam ne habitationem quidem et serviam eis
verbo, donec alium susceperint. Eligam vero eis diaconos sive sacellanos,
quos ipsi nutriant, non ut nunc ego, nisi adeo bene evangelicos (ut nunc
blasphematur isto nomine) inveniam, qui etiam suo labore sibi victum pa-
rent et spiritualia serainent non acceptis carnalibus. Non tarnen, mi Spa-
neues und, soviel ich sehe, bisher nicht bekaiuites Mitglied der Familie des Re-
formators kennen lernen. Es ist die Tochter Elisabeth. K. Vogt (Bugenhagens
Leben S. 430 Anm. IJ macht, gestützt auf eine mir nicht zugängliche Schrift
Mohnike's, folgende erwachsene Kinder Bugenhagens namhaft: eine Tochter Sara
(+ 1563), eine zweite Tochter, welche Martha hiess, wie aus 0. Vogt, Briefwechsel
S. 539 Anm. zu Nr. 270, erhellt (f 1560) und einen Sohn Johannes. Leider fehlt
es bis jetzt vollständig an sonstigen Angaben , die auf diese dritte Tochter be-
zogen werden könnten und dieser Mangel erschwert auch die Datierung des
Briefes, der zudem überwiegend rein theologischen Inhalts ist. Einen terminus
ad quem gibt die Adresse. Spalatin starb am 16. Januar 1545: der Brief muss
also vor diesen Tag fallen. Ich habe, obwol etwas willkürlich, den Schluss des
vorausgehenden Jahres angenommen. Aber der terminus a quo? Bei Bestimmung
desselben habe ich raich\on folgender Erwägung leiten lassen. Angenommen,
Elisabeth habe sehr jung, etwa 16jährig geheirathet, so erhält man mit Berück-
sichtigung des terminus ad quem 1528 als ihr Geburtsjahr. Allein dieses Jahr
wie auch 1527 sind wieder mit Rücksicht darauf, dass am 29. März 1529 ein totes Kind
und am 31.Dezbr. 1527 der Sohn Johannes geboren wurden (vgl. die Anmerkung zu
Nr. 1) als Geburtsjahr für Elisabeth ausgeschlossen. Bleibt noch der Zeitraum Sommer
1523 (vgl. die Bemerkung zu Nr. 1) bis Anfang 1527. Indessen dieser Zeitraum lässt
sich noch verkürzen. Bugenhagen erwähnt nämlich in dem Briefe vom 14. Sept. 1524
(0. Vogt a. a. 0. S. 18 Nr. 8) nur seiner »Hausfi-au und jungen Son% der dann
früh starb. Dieso Stelle beweist, dass Elisabeth damals noch nicht geboren war,
und gestattet, unzweifelhaft den unter den gegebenen Annahmen möglichen Zeit-
raum ihrer Geburt auf 1525 Frühjahr bis Anfang 1527 einzuschränken. Deni-
gemäss erhält man als Jahr ihrer Verheirathnng 1541 beziehungsweise 1543 und
damit für den Brief das gewählte Datum. Leider wollte es mir nicht gelingen,
die Sätze dieses Briefes, in welchen Bugenhagen von einer Wahl spricht, die er
nicht annehmen will, mit irgend einer uns überlieferten Begebenheit in einen
befriedigenden Zusammenhang zu bringen, um sie auf diese Weise für die Da-
tierung verwerten zu können. Deshalb sei hier auf dieselben besonders hinge-
wiesen. Beiläufig bemerke ich noch*dass der Bräutigam Elisabeths Kaspar t'ru-
ciger nicht mit dem bekannteren, dem Kreise der näheren Freunde Luthers
angehörigen Theologen Kaspar C'ruciger, der auch in Bugenhagens Briefwechsel
mehrfach vorkommt, verwechselt werden darf.
J58 Kleine Mittheiluugen.
latine, hie aliquid temere agam. Propter pecuniam non suscepi hoc onus
sed propter conscientiam, quia electione civitatis cogebar, neque propter
pecuniam, dum negatur, deseram ; ut enim illud, ita et hoc esset impium.
Peeunia nunc congregatur a civibus in eum usum. Cives bene volunt
negocio et adiuvare, ni fallor, cupiunt. Ego videbo, quid futurum sit,
hactenus neglectus sum. Nunquam aliquid postulavi ab eis, postulavi vero,
ut provideretur pauperibus, id quod nunc feliciter per deum procedit, de
quo gaudeo. Non deest multis adfectus largiendi, peeunia autem deest,
donee aliquorum excitet deus spiritum, ut ita succurrant pauperibus,
quemadmodum olim per errorem missis illis papisticis. Tu igitur, mi
Spalatine, pro me nihil scribito, non enim hoc haberet bonam speciem,
utciunque hoc iuste exigere possemus , sed securus ipse cum me securo
huius fabul^ esto inspector. Summa cura esto de negocio pastorali, de
victu viderit ille, qui dixit : Hec omnia adiicientur vobis. Vale. Ex W| itte-
berga], feria quarla post trinitatis.
Quod non statim respondi causa erat, quod non semper eram domi
et domi preter quotidiana negocia adornabam nuptias futuras nostr^ Eli-
zabeth^, de qua quandoque mihi scripsisti. Celebrabimus autem nuptias
feria tertia meridie et tota die, qu^ erit ab ista die dies decimatertia.
Sponsus igitur Casparus Crucinger Lipsensis et sponsa, mea Elizabeth, ego
et uxor mea precamur, ut ad istas nuptias cum amicis , quos tecum ad-
ducere volueris, nobis adesse velis. Ut tandem te videamus et si fieri
possit aliquid ferin^ mittere non graveris. Ad decem mensas fere nobis
cibus parandus est , habemus enim rationem carnalium spons^ amicorum
quorum tarnen nullus aderit,
Dicentibus non permissurum deum fuisse, ut tot s^culis erratum sit,
oppone primum veritatem verbi Christi et apostolorum, qui istos errores
predixerunt et predixerunt incepturos statim post tempora apostolorum,
ut videant adhuc diutius erratum quam vulgo putatui-, donec omnes errores
in sentinam illam papisticam declinarent.
Deinde historias sacras, cur permiserit deus tot s^culis eri'are mun-
dum, quoniam tandem vix octo relicti sunt reliquis diluvio perditis.
Cur permiserit errorem vitulorum aureorum , a quo nunquam resi-
puerunt a tempore Hieroboam usque nunc; nam regnum decem tribuum
abiectum est in Assyrios et nunquam reductum.
Cur permittat deus, ut impii semel abiecti nunquam resipiscant, nonne
hoc adhuc durius possit videriV
Diuturnitas non efficit, ut erratum non sit, quandoquidem et diabolus
adhuc errat.
Justus est deus, cur nos dilectionem veritatis non suscepimus, ut
salvi fieremusV Vides et hodie non suscipi evaugelium oblatum, veremur
adhuc graviores errores, nisi antevortat iudicium illud extremumV
Deus longa tempora non novit. Mille dies ante oculos eiustanquam
dies hesterna, qu^ preteriit.
Expectandum co^cilium aiunt.
Interim moreris in peccato tue et ail diabolum vadis.
Evaugelium creditum salvat.
Drei Briefe des Johannes Biigenhagen. 159
Hoc mihi nunc a deo offertur.
Non expectabo aliud ab illis, qui martyres Christi comburunt, qui
manifeste teste toto mundo pro sua ambitione et cupiditate insaniuut in
evangelium glorie magni dei. Satana agitantur contra Christum et post
gloriabuntur se in spiritu sancto congregatos. Impietatis reus est et ex-
c^cari timeat qui ipsos expeetandos sentit, dum Christus tanta miseri-
cordia offert evangelium salutis.
An adhuc obscui'um est: Qui crediderit et baptizatur etc.?
An adhuc ignoramus traditiones humanas a deo in Esaia_, a Christo
in Matth^o damnari?
Pr^terea Christus non accipit testimonium ab honiinibus. Jo. V.
Molsi et prophetis credendum non nostris truncis, qui ordinarium
suum preferunt omnibus scripturis. Ad legem, inquit Esaias et ad testi-
monium. Si non sie dixeritis, non erit vobis matutina lux etc. Jo. III.
Qui de terra est, de terra loquitur. Qui de celo venit, super omnes est et
quod vidit et audivit hoc testatm* et testimonium eins nemo accipit. Qui
autem etc.
Ais eos dicere expectandum vel concilium vel congregationem aliquam
honestam. Tu scilicet nondum vides congregationem honestam virorum et
mulierum per totam Germaniam spiritu eongregatorum, qui bene sentiunt
de evangelio, in primis illic, ubi evangelium persecutionem patitur, id quod
et hodie miratus sum in literis cuiusdam ft^mint^, qui^ huc scripserat ex
Holandia, cui ego doctrina nequaquam conferri possum? Hi omnes cla-
mant erratum esse, hi omnes testimonio Spiritus, quod in pectore habent,
admonent nos evangelii, quemadmodum olim Augustinus se monitum dicit.
Et ego expectabo etc.?
Insignis et diabolica stulticia est nolle credere deo et velle credere
honiinibus.
A d a g i u m P o m e r a n i.
Valent dei liter^ etiamsi non accedat sigillum Pape.
Atque adeo.
Si addideris dei verbo, iam dei verbum non est.
Adresse: Magistro Georgio Spalatino domino ac fratri nostro dilecto.
Basel. R. Thommen.
Literatur.
Das Wettiner-Jubiläum in der historischen Literatur.
Unter der gi-ossen Zahl von Jubiläen des Jahres 1889 ragt als eines
der bemerkenswei-thesten das der achthundertjährigen Wettinerherrschaft
in der Mark Meissen hervor; war es doch überhaupt das erste Mal, dass
eine solche Feier begangen werden konnte, da erst vor wenigen Jahren
0. Posse darauf hingewiesen hat, dass das Jahr 1089, in welchem Kaiser
Heinrich IV. nach der Aechtung Ekberts II. die Mark Meissen an Graf
Heinrich I. von Eilenburg verlieh, als das Anfangsjahr dieser Herrschaft
zu gelten hat. Zahlreich und mannichfaltig ist die aus diesem Anlass
' entstandene Festschriftenliteratur, die hier besprochen werden soll ^).
Eine ziemliche Anzahl von Arbeiten betrifft einzelne Orte und Ge-
biete, meist mit besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zu den Lan-
desfürsten.
Hubert Er misch, Das Freiberger Stadt recht. Festgabe
zum BOOjähi-igenßegierungsjubiläum des Hauses Wettin-). Leipzig, Giesecke
und Devrient, 1889. 8*^. XGI u. 364 S. Wir erhalten hier ein Werk
von sachkundigster Hand; wer war auch besser geeignet, eine solche Ar-
beit zu unternehmen, als der Herausgeber des Freiberger Ui'kundenbuches,
tler bei dessen Bearbeitung die Verhältnisse aufs genaueste kennen ge-
lernt und manche Spezialuntersuchung schon dafür angestellt hatte? Die
Wichtigkeit der Edition beruht darin, dass das Freiberger Stadtrecht neben
den Aufzeichnungen von Altenburg und Zwickau die einzige in Meissen,
Pleissner- und Osterland vorhandene derartige Codiflcation und unter diesen
selbst die bedeutendste ist. Freiberg wurde Stadt zwischen 1185 und 1190,
doch erst im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrh. geschah die schriftliche
Fixierung des mündlich überlieferten Gewohnheitsrechts. Die Entstehung
in jener Zeit kommt in der Bezeichnung des Landesherrn als Künig (nicht
Markgraf, wie es später geändert wurde) zum Ausdruck; denn in dem
Krieg zwischen Friedrich dem Freidigen und der ßeichsgewalt fiel Frei-
berg 129C in König Adolfs Hand und blieb auch unter Albrecht bis 1307
königlich. E. untersucht dann den Zusammenhang mit andern Stadtrechten,
der spärlich ist. Freiberger Recht galt nicht bloss für die Stadt und ihre
') Völlig werthlos, weil ganz unvollständig, ist der bei C. 8tange in Frauken-
berg erschienene „Wcttiu-Katulog", 8", 28 S. , wovon noch nicht 3 (Seiten die
histor. Lit. betretfen. -) Diese sich nieiat wiederholenden Titelzusätze sind
im folgenden nicht luitgegebeu, ausser wo sie selbst den Titel bilden ; auch 1889
ist stets weggelassen. •
Literatur. ][g-^
Bannmeile, sondern auch für benachbarte Bergbaudistrikte ; einigen Städten
\\Tirde es verliehen (Siebenlehn, Dippoldiswalde). Eingehend ist überHss.
und Ausgaben gehandelt, woran sich textkritische Erörterungen anschliessen.
Der letzte Einleitungsabschnitt bespricht die späteren Schicksale des Eechts,
besonders die Aenderungen unter August und Johann Georg II. Der Text
ist in sehr dankenswerther Weise bereichert durch fleissige Literatur-
angaben über die einzelnen Rechtsbestimmungen und durch sorgfältige Re-
gister nebst mhd. Wörterbuch. Das Facs. einer Seite der ältesten Hs. im
Freiberger Rathsarchiv, welche die Grundlage für die Textgestaltung bil-
dete, ist dem typographisch schön ausgestatteten Buche beigegeben.
Ed. Heydenreich und P. Knauth, Die Beziehungen des
Hauses Wettin zur Berghauptstadt Freiberg (dargebracht von
der Stadt Freiberg). Freiberg, Graz und Gerlach. 8". 83 S. Die Schrift,
zerfällt in zwei Theile : l. Geschichte des sächsischen Bergbaues mit be-
sonderer Beziehung auf das Haus Wettin und Freiberg S. 4 — 37. H, zeigt
hierin, wie die Fürsten von Anfang an die Wichtigkeit des Bergbaues er-
kannten, auf dessen Erträgen ihre Macht wesentlich mit beruhte. Früh
regelten sie ihn durch Bergordnungen, die uns vom 14. Jahrh. an vor-
liegen. Die Stadt und ihre Gruben blieben ihrem Werthe entsprechend
bis zur Scheidung der ei-nestinischen und albertinischen Linie gemeinsam,
wie dies zahlreiche Theilungsverträge bestimmen; erst 1485 brachte die
Leipziger Theilung sie lediglich an die Albertiner. Die landesherrliche
Münze zu Freiberg war die wichtigste des Landes; 1556 wurde sie nach
Dresden, 1887 aber nach Freiberg zurückverlegt. Daneben bestanden noch
andere Betriebsstätten, so schon seit dem 14. Jahrh. Schmelzhütten und
Pochwerke. In diese Hütten musste von allen Funden ein Zehntel für
den Landesherrn abgeliefert werden, auch sämmtliche andere Erzausbeute
durfte von Privatbesitzern (die Fürsten verliehen schon früh kraft ihres
Bergregals auch Privaten das Recht zu graben) nur an die fürstlichen
Hütten verkauft werden. Als der Ertrag zurückging, scheuten die Fürsten
auch Opfer nicht, um den Betrieb lebensfähig zu erhalten, verzichteten auf
Vortheile und Berechtigungen, gewährten Zubussen, sorgten für technische
Verbesserungen, guten Beamtenstand, zu dessen Ausbildung 1765 die be-
rühmte Bergakademie gestiftet wurde, und für das materielle Wohl der
Arbeiter. Dem wichtigen Freiberger Bergrecht traten später in Streit-
fällen die Aussprüche des Bergschöppenstuhls ergänzend zur Seite. Ebenso
wie auf das Bergwesen erstreckte sich die landesherrliche Fürsorge auf
rein städtische Verhältnisse. Diese Gesinnung trug auch ihre Früchte,
gerade Freiberg hat in schwerer Zeit durch besondre Treue sich ausge-
zeichnet. Alle diese »Beziehungen des Hauses Wettin zur Stadt Freiberg
in persönlicher, rechtlicher und politischer Hinsicht« schildert der zweite
Theil. H. hat auch hier den von ihm bearbeiteten mittelalterlichen Ab-
schnitt stofflich geordnet, während K. in der neueren Zeit (S. 57 — 83)
einfach der Chronologie der Fürsten folgt; ausführlicher sind die Zeiten
des dreiösigjährigeu Kriegs berührt. Beide Verfasser, besonders H. (ob-
wohl hier und da seine Disposition eine straffere sein könnte) haben in
ansprechender Weise sich ihrer Aufgabe entledigt und unter fleissiger Aus-
nützung des ausgedehnten Materials ein anschauliches Bild der Beziehungen
zwischen Herrscherhaus und Stadt gegeben.
Mittheilungen, XII. 11
1(52 Literatur.
Festheft d es F r eibe rger Alte rthumsver eins zur Wettin -
feier (Mitth. v. Freib. Alt.-Verein Heft 25). Freiberg, Gerlach. 8". VI
und 96 S. Das Heft enthält ausser einer Anzahl kleiner Aufsätze und
Notizen von Distel, Knautli, Kade, Ennisch, Gerlach (über Heinrichs des
Frommen (jremahlin Katharina, Kurfürst Moritz, die kurfürstliche Grali-
kapelle im Dom u. a.), einen längeren Aufsatz C. Richters über das Bier
und die Brauverhältnisse Freibergs von der ältesten bis neuesten Zeit.
Erstes Jahrbuch des Erzgebirgs-Zw^eigvereins Chem-
nitz. Chemnitz, Vereinsverlag. 8". VII u. 131 S. Von den 6 Auf-
sätzen sind geschichtlich : Sophus Enge, Die Namen des Erzgebirges S. 1 — 1 fi,
W. Zöllner, Die räumliche Ausbreitung des Erzgebirgischen Bergbaues im
M.-A., S. 38— 49, der auf archivalisches Material gestützt Heydenreichs
Festschrift ergänzt. Enge bespricht u. a. den unter König Heinrich II.
vorkommenden Namen Miriquidui, der nicht dem ganzen Gebirge, sondern
nur einem Theile der Nordseite (Gottleubathal etc.) gilt; die Südseite hiess
Böhmer Wald, welcher Name sich orographisch bis ins 18. Jahrh. erhält.
obviTohl daneben mehr und mehr die Benennung Erzgebirge auftritt, die
zuerst (ifi. Jahrh.) nur montanisch-administrativ, wie Euge sagt, vorkommt.
Jahrbuch des Vereins für Chemnitzer Geschichte Heft VI.
Chemnitz, May-Eöder. 8^. XXIX u. 184 S. Die eigentliche Festabhand-
lung von P. Uhle, Frühere Festlichkeiten in Chemnitz zu Ehren des Hauses
Wettin, schildert die Huldigungen der Stadt beim Eegierungsantritt eines
neuen Herrschers, Besuch von Fürsten, Feste zu Ehren des Fürstenhauses,
und bietet manche interessante Notiz, besonders für das 17. und 18. Jahrh.
Von sonstigem Inhalt sei noch genannt : A. Mating-Sammler, Zur Geschichte
der Schneider- und Tuchmacherinnung in Chemnitz; K. Kirchner, Streit
um das Patronat über das Pfarramt an der Jakobikirche ; P. Uhle, Chr.
Gottl. Heynes Ei'innerungen an seine in Chemnitz verlebten Jugendjahre
(l>eleuchtet des berühmten Göttinger Philologen traurige Schulzeit).
C. A. Holzhaus, Herzog Heinrich der Fromme, derGrün-
d er M a r i e n b e r g s. Ein Beitrag zur Geschichte des Erzgebirges. Ma-
rienberg, Engelmann. 8^. 39 S. H. zeichnet, ohne tiefere Studien zu
verrathen, ein Bild von Herzog Heinrich dem Frommen , geht dami auf
den neuen Aufschwung des Silberbergbaues im Erzgebirge ein, der sich
am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrh. zeigt, und handelt über die
Entstehung Marienbergs. 1519 hatte man auf der »wüsten Schletta« eine
Silbergrube angelegt, die gute Ausbeute versprach, so dass Heinrich, der
sich für den Bergbau interessierte, am 29. Apr. 1521 die Anlage einer
neuen Bergstadt verordnete, die ihren Namen von der Jungfrau Maria be-
kam und rasch emporblühte. Von dem 1536 erbauten hölzernen Kirchlein,
das wegen seiner Kleinheit schon 1558 einem Neubau Platz machen musste,
wird erzählt, es sei mit Schrauben wegbewegt worden (also schon nach
Art des modernen amerikanischen Verfahrens). Freilich hielt sicli die
Stadt nicht lange in diesen günstigen Verhältnissen; durch Eückgang des
Erzertrags, mehrfache Heimsuchung durch Pest und Brände (am verheerendsten
der vom 3. August 1610) wurde ihre Blüthe gebrochen, und bis heute
hat sie den Höhepunkt iiicht wieder erreicht. Den Schluss bildet, die
Schilderung der religiösen VerliäUiiisse unter Herzog Georg und Heinrich,
das allmähliche Eindringen und die ufHcielle Einführuuij der Kefurmatiou
Literatur. J^g^
im Herzogthum Sachsen mit besonderem Bezug auf das Erzgebirge. Das
Schriftchen bringt keine Bereicherung der Kenntnis des Erzgebirges ; auch
was über Marienbergs Gründung gesagt ist, beruht auf bekannten Quellen.
Zu berichtigen ist S. 6 die Angabe, Heinrichs Bruder Friedrich sei 1510
»privatisierend« in Rochlitz gestorben; er war Hochmeister des deutschen
Ordens, ging ]507 in Ordensgeschäften nach Deutschland, behielt aber bis
an seinen Tod die Würde und die wirkliche Leitung des Ordens. (Der-
selbe Fehler findet sich bei Blochwitz, s. im folg.) Der Berg, an dessen
Westseite Annaberg gegründet wurde, heisst der Pöhlberg, nicht Pielberg
(S. 1 5), wie es vielleicht im Volksmunde ausgesprochen wird.
Alfred Mosch kau, Wettine r Besuche in Zittau und der
südlichen Ober 1 aus itz. Zittau, Fiedler. 8°. VIII u. 42 S. M. will
alle Notizen zusammenstellen, die sich auf persönlichen Verkehr vonWet-
tinern mit der südlichen Oberlausitz, vorwiegend Zittau und dem herr-
lichen, ruinengeschmückten Oybin, beziehen, was an und für sich wohl für
eine kleine Schrift den Stoff abgeben und einen Beitrag zur Lokalgeschichte
liefern konnte. Die Art aber, wie M. sich seiner Aufgabe entledigt hat,
ist zu ungenügend. Als bemerkenswerthe Notiz es z. B. der Vergessenheit
zu entreissen , welches junge Mädchen gelegentlich dem prinzlichen Be-
suche Kaffee kochte (S. lo), ist lächerlich, und solcher Notizen bietet die
Schrift noch manche. Wie klein muss der Verfasser von seinen Fürsten
denken, wenn er solchen Tand als Festschrift zu veröffentlichen und einem
Mitglied des HeiTScherhauses zu widmen wagte. Von Verstössen seien
nur erwähnt S. 3 : Herzog Franz Carl von Sachsen-Lauenburg (ein Askanier !)
wird als Wettiner betrachtet; nach S. 2 ist Johann Georg 1. bereits im
Juli 16.34 »als Landesherr« vor Zittau erschienen, während erst am
1.5. Juni 1635 der Prager Friede ratifizieret wurde, der Johann Georg zum
LandesheiTn der Lausitzen und damit Zittaus machte.
H. A. S t ö h r , D r e s d n e r h i s 1 0 r i s c h e s M e r k b ü c h 1 e i n , Dresden,
Hackarath. kl. 8°. XII u. 226 S. St. giebt ßegesten zur Geschichte von
Dresden und Umgegend; das Buch ist leider, zumal in den älteren Par-
tien, sehr unzuverlässig, wie ein Auszug aus der Fehlerliste zeigt. Kaum
glaublich mag es erscheinen^ dass unter den Quellen und Hilfsmitteln nicht
ehimal Richters Verfassungsgeschichte von Dresden, die Mittheil, des Ver.
f. Gesch. Dresdens, das Dresdner Urkundenbuch , Hilschers Sammler und
noch eine grosse Menge von Monographien erscheinen, die bei einer solchen
Arbeit, falls sie überhaupt einen Werth haben soll , zu beachten waren ;
denn die Einzelabhandlungen kann nicht Jeder durchsehen, aber die Re-
sultate in Regestenform zusammengestellt zu haben, wäre sehr schätzens-
vverth. Zu S. 8 a. 1222 ist zu bemerken, dass alle diese älteren Zeit-
angaben über die Eibbrücke wenig oder ungenügend verbürgt sintl. Zu
S. 8 a. 1234: Heinrich der Erlauchte vermählte sich nicht 1249 mit
Agnes von Böhmen, sondern wohl schon 1244, sicher vor 1247; sie stai'b
nicht 1267, sondern lo. Okt. 1268. S. 9 a. 1270 »Dresden wird unter
Heinrich dem Erlauchten Residenz« klingt, als sei es offiziell dazu erhoben
worden, wovon gar nicht die Rede sein kann. AVas S. 9 a. 1283 über
die Anerkennung Friedrichs des Freidigen als Pfalzgruf von Sachsen steht,
ist verkehrt; von einer formellen Anerkennung findet sich nichts, den
Titel führt Friedrich seit 1281. Ganz thöricht ist S. lo a. 1300 über
11*
•[64 Literatur.
Dresden und Friedrich den Kleinen. Zu S. 11 a. 1316, 1319: Dresden
war seit 1315 (niclit 1316) in brandenburgischer Hand , es kam 1317
durch Verpfändung an Withego IL von Meissen, und von diesem 1319 an
Friedrich den Freidigen zurück. Aus Meltzers Schrift (Mitth. d. Ver. f.
Gesch. Dresdens VII) konnte St. lernen , dass die Kreuzschule nicht erst
1452 urkundlich vorkommt (S. 17), sondern urkundliche Zeugnisse für die
erste Hälfte des 15. Jahrh. vorliegen, einige sogar für das 14. Jahrh. Vieles
kaum zu Kechtfertigende ist breit aufgenommen, so S. 167 — 175 der ganze
Krieg von 1870 und sogar dessen Vorgeschichte — alles ohne Bezug auf Dresden ;
ähnlich 1866 S. 155 — 159, 1864 S. 138 — 145 mit breiter Einführung in
die dänisch-holsteinischen Verhältnisse; was er in der Einleitung über solche
Partien vorbringt, ist nicht stichhaltig, denn da liesse sich schliesslich alles
mit herbeiziehen. In der neuesten Zeit finden sich ferner zuviel Kleinigkeiten
(gleichgiltige Personalnotizen u. a.), die für Dresdens Geschichte absolut
nichtig sind, so 7. 8. 1874, 3. 11. 1875, 18. 3. 1879, 6. 2. 1883, 12. 3.
1885 u. s. w.
John A. Butler, Pen Pictures ofDresden's Past. Dresden,
C. Tittmann. 8 °. VIII u. 1 1 7 S. B. behandelt einzelne Abschnitte aus
Dresdens Vergangenheit, besonders Kunst- und Kulturgeschichtliches in
leichtem Essaystil. Die Abschnitte sind: The house of Wettin; Once upon
a time (über Dresdens Leben in früheren Jahrhunderten : unrichtig ist
S. 13, dass Herzog Albrecht 1454 das Schiesshaus gegründet habe); A
Chapter of Historical Scraps (Peters des Grossen u. a. Aufenthalt in Dres-
den ; manches steht freilich nur in losem oder gar keinem Zusammenhang
mit Dresden, S. 50 1. Miloradowitsch statt Mildor., 51 Vertrag von Poisch-
witz statt Pleswitz); The Petes of Augustus the Strong; The Dresden
Gallery; A. Chapter of Marvels (Porzellanerfindung, Geisterbeschwörer des
vorigen Jahrhunderts) : A Chapter of Kings (mit Irrthümern und Mängeln
des Urtheils; erwähnt sei nur S. 99, Markgraf Conrad habe Damaskus
1146 erobert und befestigt! 1148, nicht 1146, wurde Damaskus be-
stürmt, nicht erobert, und Conrad nahm am syrischen Kreuzzug gar nicht
theil, sondern an dem gleichzeitigen gegen die Wenden). ^)
Gustav Schübe rth, Gvozdec = Grossenhain. Ein Beitrag
zur ältesten Geschichte des Hauses Wettin und der Mark Meissen. Grossen-
hain, H. Starke. 8°. 34 S. Der Verfasser, der sich mit unverkennbarem
Eifer der Erforschung der Grossenhainer Geschichte widmet, versucht hier
zu erweisen, dass Grossenhain, früher bloss Hayn, auch Osseg, lat. Indago,
identisch sei mit dem bei Cosmas a. 1087, 1088, 1123 erwähnten Gvozdec,
das er weiter mit dem in einer Urk. Heinrichs HL 1045 genannten Guodezi
') Von der 1885 erschienenen zweiten Auflage der „Gesch. der Kgl. Haupt-
und Residenzstadt Dresden" von M. B. Lindau (Dresden, R. v. Grumbkow, 8")
i.st zur Wettinfeier eine billigere Volksausgabe (Titelauflage) in Einzellieferungen
veranstaltet worden.
Meissen ist mit einer eigentlichen Festschrift nicht vertreten ; aber 1889
erschien eine Publikation , die die Stelle einer Festschrift vertritt : W. L o o s e ,
Alt-Meissen mit erklärendem Text. Meissen, Mosche, fol. 12 8. u. 48 Taf. Es
sind Reproduktionen alter Ansicliten: die ganze Stadt, einzelne Strassen, Ge-
bäude, Scenou des Volkslebens vergangener Tage. Der Text ist gut, mit Be-
nutzung der neuesten Forschungen und des Quellenmaterials; Heft 5 enthält u. a.
ein Facs. des Schuizbriefs Linnardt Torstensons vom 29. Oct. 1C42.
Literatur. 1^65
gleichsetzt. Diese Ansicht kann aber die Gewissheit, die Seh. ihr zu-
erkennt, nicht beanspruchen. Die Burg wurde von König Wratislaw 1088
verlegt, den früheren Ort findet Seh. auf dem Kupferberg bei Grossenhain,
den späteren an der Stelle des einstigen Schlosses an der Eöder; mit
dieser Veränderung lässt sich aber der spätere Name Osseg (im 13. und
1 4. Jahrh.) nicht erklären, denn wenn die Bewohner den Namen der alten
Burg Gvozdec für den neuen Platz am Eöderflusse nicht mehr passend
fanden, so hätte ihnen dies doch alsbald und zwar am stärksten gleich
bei der Neubesiedelung auffallen und der neue entsprechendere Name Osseg
sogleich eintreten müssen, denn später war dies Gefühl der Verschieden-
heit der alten und neuen Lage doch geschwunden; statt dessen kommt
aber 1123 der alte Name Gvozdec noch vor und erst 1207 der angeblich
eben durch die Verlegung bcAvirkte Ozzek. Auf das Zeugnis des Stadt-
chronisten Seb. Mann von 1063, das durch nichts sonst gestützt ist, sollte
ein Historiker, der quellenmässige Forschungen anstellt, kein besonderes
Gewicht legen (S. 28, 32). Auch der alte Fehler, dass Friedrich der
Freidige sich als den Freudigen (S. 2 und 33) bezeichnen lassen muss,
könnte endlich aufhören und ebenso (wenigstens in einer fachwissenschaft-
lichen Arbeit) seine gebissene Wange ausgeheilt sein! Dass prope urbem
Missen auch auf einen Ort rechts der Elbe gehen kann, ist nicht zu leugnen,
und wenn auch die Entfernung nicht unbeträchtlich ist, so wäre jene Be-
zeichnung für Grossenhain doch ei'klärlich, da es in der Gegend keinen
anderen namhaften Ort gab, der sich besser zur Ortsbestimmung eignete.
Dass aber nicht auch irgend welche Stätte links der Elbe in der Meissner
Gegend gemeint sein kann, ist doch unmöglich zu bestreiten; was ent-
schieden für das linke Ufer spricht , ist der Umstand , dass sonst ange-
nommen werden müsste (wie das Seh. thut), dass die Bölimen zweimal
über die Elbe gingen, ein Hin- und Hermarschieren, das zumal bei der
Schwierigkeit von Stromübergängen unwahrscheinlich ist^).
Ernst Eulitz, Schloss Waldheim in der Zeit von 1588 —
1716 eine Besitzung des Churhauses Wettin. Waldheim, C. G.
Seidel. 8°. 46 S. Kloster Waldheim wurde 1404 von Dietrich von Beer-
walde, Herrn von Kriebstein, gestiftet, kam aber in der Eeformationszeit
in Verfall; die letzten 4 protestantisch gewordenen Mönche wurden ver-
sorgt. (Lächerlich ist hier der Ausdruck: »Sie kehrten den Heiligen der
alten Kirche den Rücken und studierten anstatt der Bullen des Papstes
das Evangelium und den Katechismus«). 1549 kam das Kloster wieder
an den Besitzer von Kriebstein," Georg von Carlowitz und blieb den Carlo-
witzen, bis es 10. Juli 1588 der Hauptgläubiger dieses verschuldeten Ge-
schlechts, Kurfürst Christian L, kaufte. Seitdem (S. 7) war es in landes-
herrlicher Verwaltung. Christian wollte es bei seinen Jagden benützen
und Hess deshalb einen grossen Umbau vornehmen, über den, wie über
die Räumlichkeiten und ihre Eini'ichtung E. eingehend handelt. Nicht
') Gegen Flathes absprechende Kritik im Lit. Centralblatt bringt Seh. auch
in einem Beilageblatt zu seiner Abhandlung nichts ausschlaggebendes vor.
Auch Gustav Hey, Die Feste Gvozilec. N. Arch. f. Sachs. Gesch. XI, wendet sich
gegen Seh. und zeigt, auf seine Kenntnis slavischer Sprachen gestützt, dass Gvozdec
der Burgwart Wosize oder Woz ist. Er sucht Gvozdec auf dem Gohlberg bei
Constappel an der Elbe.
Jgg Literatur.
uninteressant ist, was in 2. »Verwaltung und Benützung des Schlosses«
über Befugnisse und Pflichten der Schlosspächter, ihre Streitigkeiten mit
den umliegenden Dörfern über deren Verpflichtung zur Gesindestellung
beigebracht ist. S. 32 f. spricht E. über die Verwendung als Jagdschloss
und Wittwensitz. Lange stand es leer und verfiel, 1712 sollte darin eine
Juchtenmanufaktur entstehen (S. 37), auch einem Tapetenfabrikanten wurden
1713 einige Bäume angewiesen. Die alte Klosterkirche wurde 1.592 in
Gegenwart der Kurfürstin Sophie neu eingeweiht, doch auch sie ward
wenig benützt ; 1716 wurde sie erneuert und erhielt einen eigenen Schloss-
pfarrer, da es seit diesem Jahre eine zahlreiche Schlossgemeinde gab.
1716 hatte August der Starke, weil Landstreicher, Bettler, Arbeitslose,
Kranke in Menge das Land heimsuchten, das Schloss zu einem Zucht-,
Armen- und Waisenhause für das ganze Land bestimmt, und als Haupt-
zuchthaus dient es noch heute dem Königreich Sachsen, während die an-
deren Anstalten verlegt sind. Die Schrift, die auf archivalischem Material
beruht, macht einen sorgfältigen und zuverlässigen Eindruck und giebt
einen dankenswerthen Beitrag zur Geschichte einer oft genannten Oertlich-
keit Sachsens.
Max Dittrich, Kloster Altzella und seine Ruinen, eine
vergessene Fürstengruft. Nossen, E.Hensel. 8". 19 S. DerTitel-
zusatz ist unnöthig; wenn Altzelle auch nicht zu häutig von Vergnügungs-
reisenden besucht werden mag, vergessen ist es keineswegs. Das Schrift-
chen ist ohne Werth; an die kurze historische Einleitung schliesst sich
die Beschreibung des 1787 in seiner jetzigen Gestalt errichteten Mauso-
leums, das die wenigen erhaltenen Grabmäler der in Altzelle bestatteten
Wettiner enthält ; die Namen der andern einst dort nihenden sind auf einer
Tumba im Mausoleum angebracht; schliesslich sind die spärlichen Mauer-
reste im Park besprochen. An die historischen Fähigkeiten des Verfassers
darf man keinen hohen Massstab anlegen; seine lateinischen Kenntnisse
sind etwas unsicher. S. 6 spricht er von dem »wenig zuverlässigen Chro-
nicon des Altzeller Mönches Johannes Kohte« ; Joh. Eothe aber ist der
bekannte thüringische Chronist in Eisenach, die Altzeller Chronik gehört
dem Leipziger Juristen Joh. Tylich an^).
P. Rocke, Die Sächsischen Landesfürsten und die Uni-
versität Leipzig. Leipzig-Reudnitz, M. Hoffmann. s". 27 S. K. giebt
ein dürftiges Excerpt aus verschiedenen Universitätsgeschichten, ohne irgend
>) Auch in einer anderen Festschrift Dittrichs steht es mit dem Latein
nicht ganz sicher: Das Armeefest ziu- Feier des 800 j. Jnb. des Hauses Wottin.
Zwickau, R. Zückler. 8". 59 8., mit Vorbemerkungen üher »die Betheiligung des
kursächsischen Heeres an der Entsetzung von Wien 1683«, welche das Fest dar-
stellte, das dann beschrieben ist. Dittrich hat noch eine dritte Festschrift ver-
öftentHcht: Sachsens Königshaus im Wettiner Jubeljahr 1889, nebst einem An-
hang: Die Fürstengrüfte zu Meissen, Freiberg und Dresden. Dresden, Albanus-Teich.
8^. 123 S. ,Die nachstehenden Blätter bilden keineswegs eine der amtlichen Fest-
schriften* beginnt das Vorwort. Darüber kann man sich nur freuen, denn dies
Stück Fabrikwaare ist kläglich. Die Biographien der jetzigen Glieder des Hauses
sind ganz nichtssagend, von wirklicher Würdigung der Persönlichkeiten findet sich
keine Spur. Auf Einzelheiten einzugehen lohnt nicht, für die Arbeitsweise das
eine Beispiel, dass S. 88 die Kurfürstin Maria Josepha 8 Söhne 6 Töchter, S. 115
richtig 7 Söhne 7 Töchter hat.
I
Literatur. 167
welche selbständige Thiitigkeit. S. 3 — 7 druckt er mangelhaft die oft ge-
druckte Urk. der Herzöge Friedrich und Wilhelm von 14-09 ah. Die
päpstliche Bestätigung erfolgte nach seiner Uebersetzung durch ein Breve
statt durch eine Bulle, der Unterschied beider Urkundengattungen ist ihm
also nicht bekannt.
Eine Gruppe von Festschriften wendet sich nicht einer einzelnen
Oertlichkeit zu, sondern betrachtet die sächsische Vergangenheit unter Be-
rücksichtigung des ganzen Landes von anderen speziellen Gesichtspunkten.
H. F. von Criegeru, Der Leumund der Sachsen. Leipzig,
0. Spamer. 8°. 106 S. Die Idee, in Urtheilen nichtdeutscher oder nicht-
sächsischer Personen jeden Standes aus alter und neuer Zeit ein Bild von
Sachsen zu geben, kann auch historisches Interesse beanspruchen, voraus-
gesetzt, dass der Verfasser über eine grosse Belesenheit verfügt und un-
befangen genug ist, Ungünstiges nicht zu unterdrücken. Abschnitt 1 be-
handelt das Land, das sich eines günstigen Leumundes erfreut, desgl.
2. die Leute; 3. bespricht die Mundart, 4. die Frauen, 5. und 6. Dresden
und Leipzig. Manchem werden die Citate aus Tissots Reise ins Milliarden-
land Erheiterung verschaffen; unseres Erachtens thut C. damit diesem ge-
schmack- und urtheilslosen Buche, das bei vernünftigen Franzosen selbst
nicht als sachverständig gilt, zu viel Ehre an. 7. der Staat ist kurz,
8. das Heer ausführlich bedacht. Die Dalimilstelle (S. 54) geht nicht auf
Kämpfe König Johanns mit den Grossen, sondern auf den Heerzug der
Meissner 1310 zur Unterstützung Heinrichs von Böhmen; Wilem Zajic ist
eines der 1)ekanntesten Mitglieder des Herrenstandes, Wilhelm Zagjc von
Waldek (von Hasenburg). Wariim C. nur den böhmischen Dalimil und
nicht dessen verständlichere deutsche Bearbeitung nennt, ist unklar, und
als älteres Zeugnis war das Chron. aul. reg. (ed. Loserth S. 283, 284)
zu eitleren. Welchen Werth hat eine Stelle der Königinhofer Hs., wo C.
sie als Fälschung Hankas kennt? Ueber die Sellnitzer Schlacht 1438
(S. ,5ß) konnte er besser als bei Theobald sich in Schlesingers Aufsatz
(Mitth. d. Ver. f. Gesch. d. Deutseh. in Böhmen Bd. 20) unterrichten. Der
letzte Abschnitt über das Fürstenhaus befriedigt wenig, da man Unbe-
fangenheit vermisst. Das Meiste, was C. bietet, ist allbekannt; alles was
irgendwie zur Charakteristik beiträgt, anzuführen, hätte ein dickleibiges
Werk mit vielen Wiederholungen ergeben, aber grössere Vollständigkeit
wäre doch zu erstreben gewesen. Um nur etwas anzuführen, sollten für
das vorige Jahrhundert die Schriften Friedrichs d. Gr. ausgebeutet werden ;
das Urtheil eines solchen Mannes, der Sachsen genau kannte, ist doch mehr
werth, als manches andere aufgenommene. Die Histoire de mon temps
z. B. enthält bei der Charakterisierung aller Staaten (Cap. l) einen zum
Theil scharfen, aber zutreffenden Abschnitt über den Kurfürsten, Brühls
Verwaltung, Heer und Land. Auch in der Geschichte des siebenjährigen
Kriegs von Archenholtz, einem preussischen Offizier, wird die sächsische
Armee und zwar gerade bei Gelegenheit des Unfalls von Pirna sehr aner-
kennend beurtheilt.
Arnold Gädeke, Zur Feier des 800iährigen Regierungs-
jubiläums des Hauses Wettin. Dresden, von Zahn und Jänsch.
8". 31 S. Gädekes Festrede im kgl. Polytechnikum zu Dresden entrollt
in grossen Umrissen ein Bild von dem Entwicklungsgange Sachsens. Nicht
1 68 Literatur.
ein unbedingter Panegyrikus ist es — eine Eigenschaft, die anderwärts
oft unangenehm auflfallt, als hätten die betreffenden Verfasser gefürchtet,
sonst ihre Loyalität bezweifelt zu sehen — sondern eine vorurtheilsfreie
Würdigung von Personen und Verhältnissen. Der Stand von Volksbildung,
Wissenschaft und Kunst, die Entfaltung von Handel und Gewerbe, die po-
litische Machtstellung, alles wird in knappen, treffenden Worten besprochen.
Gr. will nicht Belehrung über die Hauptereignisse sächsischer (leschichte
spenden; deren Kenntnis setzt er voraus; ihm kommt es darauf an, vor
allem die kulturellen Errungenschaften und Fortschritte dieser 800 Jahre
darzulegen.
Die Eigenart der Fürstenschulen. Zeugnisse über die Be-
deutung der Fürstenschulen für die Ausbildung und Erziehung der Jugend.
(Herausgegeben vom Verein ehemaliger Fürstenschüler.) Dresden, H. Morchel.
S''. 46 S. Die drei vom Kurfürsten Moritz gestifteten Gelehrtenschulen
Meissen (S. Afra), Grimma und das jetzt preussische Schulplorta, die als
Fürsten- oder Landesschulen bekannt sind, nehmen noch heute eine be-
sondere Stelhang unter den sächsischen und preussischen Gymnasien ein.
Ihr abgeschlossener Charakter als Alumnate, die energische Betonung der
klassischen Sprachen (besonders die eifrige Betreibung der lateinischen
Versification), das System der Beaufsichtigung und Belehrung der untern
Schüler durch die obem, sollen in dieser Schrift als noch lebensfähig er-
wiesen werden, daher ist S. 5 — 16 die Eede des Eektors Wunder von
Grimma über diesen Gegenstand abgedruckt. Im 2. Theil folgt eine lange
Keihe von Zeugnissen über die Bedeutung der Schulen, die meist aus
eigenen Aufzeichnungen beinihmter Fürstenschüler stammen; es seien nui'
Namen, wie Pufendorf, Paul Gerhard, Emesti, Geliert, Eabener, Klopstock,
Lessing, Fichte, Zachariä von Lingenthal, Nitzsch, L. Eanke, Ehrenberg,
Lepsius unter einer grossen Zahl anderer bedeutender Männer hervor-
gehoben.
Die Pflege derWissenschaften und schönen Künste durch
sächsische Fürsten und Fürstinnen, Dresden, H. Hackarath, 8".
26 S. Der ungenannte Verfasser bietet keine neuen Ergebnisse, aber
seine kleine Abhandlung hebt sich unter andern oeuvres de seconde main
günstig ab durch die gewandte Art der Zusammenfassung des weitschich-
tigen Stoffes, Auf Einzelheiten geht er nicht ein, nur in den Haupt-
zügen wird die Entwicklung von Baukunst, Plastik, Malerei, Kunstgewerbe,
Dichtkunst, Theater, Wissenschaft in sächsischen Landen angeführt, mar die
Haupterscheiniongen werden mit wenigen Woa-ten skizziea-t. Der Wiener
Kunsthistoriker, dessen bei dem Dürerschen Altarwerk in der Dresdner
Galerie rühmend gedacht wird S. 1 2, schrieb sich Thausing. Die Sprache
ist leider nicht frei von Mängeln^).
') So S. 8 : „es bemächtigte sich auch den übrigen Künsten (!) eine freiere
Richtung", S. 16 „unter August überwiegten (I) mehr fi-anzösische Interessen",
und die neuerdings so häufige Inversion in koordinierten Sätzen S. 6: „Die Re-
liefs zeugen von lebendiger Erzählungsweise und zeichnen sich die Gestalten
durch reiche Gewandung aus", S. 16 : „Das Gesangbuch war Johann Georg II.
besonders lieb und benutzte er es vielfach zu Geschenken". Das gleiche findet
sich auch bei Holzhaus, so S. 7 : „gegen 4000 Friesen wurden getötet und gelang
es im Kampfe dem Heinrich", femer S. 6, 11, 26.
Literatur. 169
Paul Ar ras, Bilder aus der sächsischen Geschichte.
Leipzig, Veit u. Co. 8". 136 S. A. will zur Erweckung und Belebung
historischen Interesses beitragen und stellt zu diesem Zwecke eine Anzahl
von Quellenstellen und ähnlichem zusammen (nach Art z. B. des brauch-
baren Quellenbuchs für neuere Geschichte von Schilling) , Fremdsprach-
liches in Uebersetzung, älteres Deutsch in moderner Umformung. Ueber
die Ausscheidungen in einzelnen Stücken soll nicht mit A. gerechtet wer-
den: er selbst sagt, er habe absichtlich nicht alles vollständig gegeben.
Doch auch bei den vollständig gebrachten Stücken finden sich Abweichungen,
die nicht durch die Uebersetzung oder Umformung der älteren Sprach-
wendungen veranlasst sind, sondern sich als Ungenauigkeit herausstellen,
wie Nr. 1 4 in dem Schreiben Kurfürst Friedrichs II. betreffs eines hussi-
tischen Spions ; Nr. 1 o Erbhuldigung Leipzigs an Friedrich den Jüngeren
1410 ist unwichtig , hat keine Bedeutung erlangt , da Leipzig bei dem
Stamme Friedrichs des Streitbaren blieb. Das wendische Vateninser (Nr. .52)
wirkt mehr wie eine Kuriosität. Gegen die Auswahl der Stücke für die
Neuzeit Hesse sich manches einwenden, so ist Nr. 66 die Stiftung der
goldenen Amtskette für den Leipziger Rektor nicht von solcher Wichtig-
keit, um in einer Quellenauslese zustehen: sollten ferner Pei-sonalien Auf-
nahme finden, so fragt man sich, warum gerade Robert Schumann, Rietschel,
Richard Hartmann, Ludwig Richter herausgegriffen sind.
E. Pfeilschmidt, Umschau über die Fürstendenkmäler
des Hauses Wettin. Dresden, Albanus. 8*^. 23 S. Die kurze Zu-
sammenstellung ist ohne geschichtlichen und kunstgeschichtlichen Werth:
der Verfasser will auch Gedenksteine und hervorragende Büsten berück-
sichtigen, aber in letzter Hinsicht dürfte Vollständigkeit schwer eiTeichbar
sein; hier ist sie nicht erreicht. Es hat auch keinen höheren Zweck,
jeden Steinblock, der an ein Jagdabenteuer oder eine flüchtige Durchreise
erinnert, zu beschreiben. Eine künstlerische Würdigung wichtiger Denk-
mäler findet nicht statt, nicht einmal auf die bezügliche Literatur ist hin-
gewiesen ^).
J. Bloch witz, Die Wettiner und ihre Länder ( in der Schrift
des Dresdner Festausschusses : Die 8 00 jährige Wettiner-Jubelfeier. Dresden,
Albanus, quer 4", 59 S. 21 Taf.). Bl. betrachtet erst den Entwicklungs-
gang des Fürstengeschlechts mit Bezug auf die Wandlungen des Besitz-
standes und darauf die einzelnen Hen'schaftsgebiete im Anschluss an das
alte kursächsische Wappen ; es sind stets nur einige Bemerkungen geboten,
um zu erklären, wann und auf welche Weise jedes Gebiet an die Wettiner
kam bez. ihnen verloren ging, tmd dabei sind auch die Landansprüche der
Wettiner, soweit sie im Titel und Wappen Ausdruck fanden, mit berück-
sichtigt. Um einige Mängel zu berichtigen, sei zu S. 7 daran erinnert,
dass Rudolf, Adolf, Albrecht und auch Heinrich VII. zu der Zeit, wo von
ihm hier die Rede ist, nicht Kaiser, sondern nur Könige waren. Die Neu-
ordnung der Beziehungen der Wettiner zum Reiche ist S. 8 unklar dar-
') Das Landeskomite für En-ichtung des König-Johann-Denkmals hat heraus-
gegeben : Das Landesdenkmal zu Ehren des Königs Johann von Sachsen errichtet in
Dresden 1889. Dresden, Blochmann und Sohn. 4». 22 S. Erst wird die Ent-
stehung des Denkmals beschrieben, S. 19—22 folgt oine Erklärung des Werkes
von dem Meister Jobannes Schilling selbst.
170 Literatur.
gestellt. Johann von T-uxemhurg war keineswegs schon im wirklichen
Besitz «les Viöhniischen Thrones, sondern um die Erwerbung und Behaup-
tung zu erleichtern, sah er sich als Keichsvikar veranlasst, die Wettiner
durch Zugestehung der Erbansprüche aufMeissen und Thüringen von seinen
Feinden abzuziehen. Ausser Herzog Karl S, :i\ war noch ein wenn auch
unebenbüi-tiger Wettiner Herzog von Kurland: Moritz, der Marschall von
Sachsen. S. 34 — 41 stehen Regentenlisten mit genauen Angaben über
Geburt, Regierung und Tod, über die Uemahlinnen und Kinder. Wenn
aber S. 35 sogar die Kachkommenschaft von Albrechts II. Bastard Apitz
aufgeführt wurde, dui-fte ebenda Friedrich ohne Land, der Sohn Heinrichs,
des legitimen ältesten Sohnes Albrechts, nicht fehlen, der bis 1314 in
Schlesien lebte. Den. Schluss bilden Stammtafeln der Wettiner. Bl.'s Ab-
handlung verarbeitet die Ergebnisse der neueren zuveiiässigen Arbeiten
ül)er sächsische Territorialgeschichte; er hat seine Quellen (meist ohne sie
zu nennen) in geschickter, Sachkenntnis verrathender Weise benutzt '^).
.Von Hilfsdisciplinen der Geschichte ist die Landeskunde mit werth-
vollen Arbeiten vertreten:
P. E. Richter, L i 1 1 e r a t u r der Landes- und Volkskunde
des Königreichs Sachsen (herausg. v. Ver. f. Erdkunde zu Dresden).
Dresden, A. Huhle. 8''. VI u. 308 S. Richters Buch ist eine hochver-
dienstliche Publikation, da seit Weinarts ähnlichen Arbeiten eine fast über-
reiche Literatur auf diesem Gebiete entstanden ist, die ein Repertorium
nöthig machte. Die Anregung ging von der Centralkommission für wissen-
schaftliche Landeskunde von Deutschland aus: eine Anzahl von Dresdner
Gelehrten sammelte den Stoff, dessen Zusammenstellung, Verbesserung und
Ergänzung dem durch bibliographische Arbeiten bekannten Bibliothekar
der kgl. öffentlichen Bibliothek zu Dresden zufiel. Als Plan hatten die
von der Centralkommission gegebeneu Normalbestimmungen zu gelten:
1. Bibliographie der Landeskunde und Litteratur und Geschichte derselben.
2. Landesvermessung, Karten, Pläne und Ansichten (chronologisch geord-
net), 3. Gesammtdarstellungen und Reisewerke über das ganze Gebiet
(chronoL), 4. Landesnatur, 5. Bewohner, 6. Landeskunde einzelner Bezirke
und Ortschaftskunde. Die chronologische Anordnung der Schriften nach
der Zeit ihres Erscheinens würde für das Auffinden beschwerlich sein,
doch ein sehr sorgfältiges Register macht die Benützung bequem. Dass
das Buch trotz der grossen darauf verwandten Mühe noch lückenhaft ist,
ist leicht begreiflich, und der Verfasser selbst wäre wohl der Letzte, der
sich das verhehlte; solche umfängliche Repertorien können nur allmählich
mehr und mehr vervollkonminet werden, und das ist ja auch von diesem
Buche zu erwarten. Dennoch ist mit unumwundenem Lobe anzuerkennen,
dass es schon jetzt sehr werthvoU und für Arbeiten in sächsischer Landes-
kunde ein unentbehrlicher Führer ist. Eine längere Reihe von Ergän-
zungen hier aufzuzählen, verbietet der Raum, nur einige aber herauszu-
greifen, hätte wenig Wei-th. weshalb ich davon absehe. Hoffentlich erfahrt
das trotzdem höchst nützliche Buch bald eine ergänzende Neubearbeitung
ilurch seinen besonders dazu berufenen Verfasser.
') An den Aufsatz schliessen sich S. 43 f. Angaben über das Wettinfest
nebst recht mittelmässigen Skizzen des Festziigs ; in emem Nachtrag „Die Wettin-
foier in Dresden" Ib" S. 6 Taf. beschreibt Blochwitz den Festverlauf.
\
Literatur. 171
Sophus Rüge, Die erste Landesvermessung des Kuv-
staates Sachs en auf Befehl des Kurfürsten Christian L ausgeführt von
Mathias Oeder 1586—1607 (herausg. v. d. Direktion des K. S. Haupt-
staatsarchivs). Dresden, Stengel u. Markert. fol. 4 S. Einleitung, 1 7 Taf.
in Lichtdruck. In der Entstehungszeit dieses Kartenwerks verfolgte man
bei Landesaufnahmen nicht wie heute vorwiegend wissenschaftliche, son-
dern rein praktische Zwecke. Die Karte sollte Verwaltungs- und Wirth-
schaftszwecken dienen ; deshalb verzeichnete man ein möglichst getreues
Bild der Oberfläche des Landes , gab an , wem ein Gebiet gehöre , die
Grenzen der Güter, besondere Baulichkeiten u. s. w. Die Schwierigkeiten
der Aufnahmen waren ganz ausserordentlich, da von Verwendung der
Triangulation noch keine Rede sein konnte; auch Oeder hat nur mit Qua-
drant, Kompass und Kette gearbeitet. Bereits unter Kurfürst August
waren 1560 der Leipziger Professor Humelius und 1562 — 15 70 der Mark-
scheider Georg Oeder mit Aufnahmen betraut; seit 1586 war Mathias Oeder,
Markscheider zu Freiberg, damit beschäftigt. Von seinem Werke liegt das
Original und eine gleichzeitige Copie von Balthasar Zimmermann im Dresdner
Hauptstaatsarchiv. Christian 1. nennt es 1586 »eine Mappe unsers ganzen
Landesumkreiss«, anderwärts heisst es »Lanttaffel oder Mappe«, auch »Ge-
nerallandmappe«. An der Hand von Urkunden verfolgt R. die Angelegen-
heit bis 1607; die schwierige, durch mancherlei aufgehaltene Arbeit war
nicht ganz vollendet, als Oeder starb. Die Nachbildung ist nach der ge-
nauen, gegen das Original um das Vierfache verkleinerten Copie gemacht,
die mehrere Nachträge und auf Besitzwechsel bezügliche Aenderungen auf-
weist. Die Ausführung ist farbig mit Flächenkoloril für die einzelnen
Herrschaftsgebiete. Die Bodengestalt ist spärlich angegeben, die Bewässerung
dagegen sehr sorgfältig, vor allem ist die Genauigkeit des Flussnetzes zu
rühmen. Die verschiedenen Arten von Mühlen nebst Zahl ihrer Gänge,
Weinberge sind bezeichnet, bei Dörfern Besitzer, Gerichtsbarkeit, Zahl der
Bauern oder Häusler angemerkt. Die Karten bieten also kultur- und
lämiliengeschichtlich ein reiches Material. Die Copie ist in einzelne Blätter
zerschnitten: davon sind die Sectionen 1 — 8, Provinz Sachsen und Theile
von Thüringen, hier nicht wiedergegeben, sondern mar die das Königreich
betreffenden Blätter. Was nicht lesbar war (die Copie weist Spuren häutiger
Benützung auf) hat R. nach dem Original oder andern gleichzeitigen Zeich-
nungen des Archivs vervollständigt. Es fehlen Theile des Muldengebiets,
das ganze Gebiet der Zschopau, der Zwickauer Mulde, das Vogtland; das
übi-ige ist auf 1 7 Sectionen vorhanden. Ein vollständiges Namensverzeichnis
aller Lokalitäten wäre eine wohl zu umfängliche Arbeit gewoi'den, doch
ein Verzeichnis wenigstens der Ortschaften oder grösseren Ansiedlungen
wäre dankenswerth gewesen (z. B. zur Ermittlung von später verschwun-
denen Ortschaften) : Randziffern und Buchstaben hätten die Auffindung eines
Namens in dem damit bestimmten Quadrat des betreffenden Blattes sehr
leicht gemacht.
Hugo Friedemann. Das Königreich Sachsen. Vaterlands-
kunde. Dresden, A. Huhle. 8*^. 228 S. F. handelt über die ältesten
Bewohner , Allgemeines , orographische Verhältnisse (Elster-, Erz-, Eib-
sandstein- , Lausitzergebirge , Tiefland) , hydrographische Verhältnisse,
Meteorologisches, Fauna, Flora, Mineralien, Industrie, Handel, Schulbildung,
172 Literatur.
Vei-fassung und als letzten Haupttheil die topographische Beschreibung
der 4 Kreishauptmannschaften. Das Buch ist allzu scharf beurtheilt
worden von Rüge (Dresdner Anzeiger 1. 9. 1889); mit den stattlichen,
amtlich veranstalteten Landeskunden der süddeutschen Staaten ist aber
diese bescheidenere Leistung eines Einzelnen schlechterdings nicht zu
vergleichen. Eine grosse Anzahl Mängel und Fehler sind unleugbar zu
rügen: einige hat Rüge aufgezählt und eine Auslese aus der grossen
Zahl, die mir aufgestossen sind, gebe ich hier. S. 1 3 „Im thüringischen
Kriege 1293(!) — 1315(!) hausten die Schaaren Kaiser (!) Adolfs im
Lande"; S. 145 „1216 wird Dresden Stadt", das Anfangsjahr ist jedoch
unbestimmbar, 1216 erscheint es schon als Stadt: zu S. 145 „12 70
wird Dresden Residenz«, ib. 1452 »erste urkundliche Envähnung der
Kreuzschule« und S. 147 »Pirna 1249 als Heirathsgut an Heinrich den
Erlauchten« vgl. das oben bei Stöhrs Buch darüber Bemerkte: S. 152
»Meissen 922 — 930 vom Kaiser (!) Heinrich L erbaut«, statt »um 928«,
sicher nicht vor diesem Jahre ; »1127 dui'ch Konrad an die Wettiner«(!);
neben der neuen S. Bennokirche sollte die ungleich wichtigere neue
Fürstenschule nicht fehlen. S. 160 Grossenhain wird (von Grvozdec abge-
sehen) zuerst 1197, 1205, 1207 ei-wähnt. S. 161 bei Lauenstein war
das Altai-werk und die Bünau'sche Grabkapelle unbedingt zu nennen, da
sie zu den berähmtesten Werken der Bildhauerkunst ssec. XVI ex. — XVII.
in Sachsen, ja in Deutschland gehören. S. 168 »Freiberg 1175 ge-
gründet«, das Jahr ist gar nicht bestimmbar; Alisiedlungen bestanden
schon vor 1162, von einer »Stadt« kann aber erst zwischen 1185 — 1190
die Rede sein. Es wui'de nicht 1297, sondern 1296 von König Adolf
erobert. S. 169: Saida und Purschenstein (fi-üher übrigens Borsenstein)
war im 13. Jahrh. meissnisch, kam 1300 wieder an Böhmen. Nicht für
möglich hält man die Worte S. 175 »Neustadt am Schi-eckenberge, später
1501 durch Kaiser (!) Maximilian St. Annaberg nach der Kui-fürstin
Anna (ü) genannt«. Bei Colditz S. 210 war als Besitzer das mächtige
Herrengeschlecht zu envähnen und dass die HeiTSchaft unter Karl IV.
böhmisches Lehen wui-de. S, 221: der Bautzner Dekan von St. Peter ist
nicht » Bischof von Sachsen « ; diese Titulatur hat es nie gegeben ; seit
1763 besteht in Sachsen ein apostolisches Vikariat, von dessen Inhabern
die meisten zugleich zu Bischöfen in partibus infidelium ernannt wm-den
(von Argia, Pella, Rama, Corycus. Azotus. Cucusus) und auch das Dekanat
zu St. Peter bekleideten. lieber die kirchliche Eintheilung und Ver-
waltung, überhaupt über die Religionsverhältnisse in Sachsen musste
mehr gesagt werden. — Die zusammenhängenden, darstellenden Abschnitte
sind fi*isch und anschaulich geschrieben, mit sichtlicher Liebe zum Gegen-
stande, die auch den Leser angenehm berührt: besonders sind in dieser
Hinsicht die Schilderungen von Land und Leuten, von Sitte, Lebensweise,
Sprache u. s. w. hervorzuheben, so über das Erzgebirge, das Vogtland,
die Heide u. a. (S. 8, 16, 21, 36, 158).^)
'j Für äusserst bescheidne Ausprüchf berechnet ist die dürftige Landes-
kunde vom Königreich Sachsen von F. U. Metzner. Langensalza, Beyer u. S.
8°. V u. 69 S. 1 Karte, Historische Verstösse mangeln nicht, so geschah nach
S. 20 die Erwerbung des Pleissnerlandes im Jahre 1230.
Literatur. 173
Von andei'en Hilfswissenschaften wird am stattlichsten die Diplomatik
repräsentirt : ^)
Otto Posse, Die Hausgesetze der Wettine r bis zum
Jahre 1480 (Festgabe der Eedaktion des Cod. dipl. Saxoniae regise).
109 Taf. in Lichtdruck. Leipzig, Literarische Gesellschaft (Vorhauers
Nachf.). Fol. Der Begriff Hausgesetze ist hier in der Bestimmung
Zachariäs (Deutsches Staats- und Bundesrecht) gefasst; es sind demgemäss
aufgenommen Familienverträge , Erbverbrüderungen , Theilungsrezesse,
Testamente, Lehnbriefe und Eeichsgesetze, die für die Hausverfassung der
Wettiner und die Greschichte ihrer Länder von Einfluss waren ; von fürst-
lichen Ehepakten sind nur einige wichtigere ausgewählt, da P. die gi'osse
Menge der übrigen in einem Spezialwerke herauszugeben gedenkt. Der
Einleitung und genauen Inhaltsverzeichnissen folgt auf .58 S. ein historischer
Ueberblick, um den Zusammenhang darzulegen, in welchen die einzelnen
Stücke gehören. Den Haupttheil bilden die Tafeln. P. hat sich im Hofe
des Albertinums , des neuen Archivgebäudes in Dresden, eine photo-
graphische Anstalt eingerichtet ; daher sind die Photographien mit höchster
Sorgfalt ausgeführt, sodass die darnach gefertigten Lichtdrucke ausge-
zeichnet gerathen konnten. Es ist denn auch ein palaeographisches Pracht-
werk geschaffen worden. Nachgebildet (meist in Originalgrösse, einige
verkleinert) sind 2 Stücke aus dem Dresdner Thietmar-Codex (fol. 120,
164), 1 aus einem Dresdner Copialbuch saec. XIV. und 94 Urkunden
von dem Diplom Kaiser Heinrichs IV. 14. 2. 1090 (das den ersten
wettinischen Markgrafen von Meissen nennt) bis zum Naumburger Schied
25. 6. 1486. Zahlreich sind deutsche Königs- und Kaisenirkunden ver-
treten und da gerade diese von besonderem Interesse für die Diplomatik
sind, sollen sie hier mit angeführt werden: Taf. 2 Heinrich IV. 14. 2.
1090; Taf. 3 Friedrich I. 1174 Bestätigung der Erbtheilung Markgraf
Konrads; 4 Friedrich II. Sept. 1227 Eventualbelehnung mit Meissen;
5 Friedrich IL 30. 6. 1242 Eventualbelehnung mit Thüringen; 9a Rudolf I.
4. 1. 1278 Erbfähigerklärung Friedrichs von Dresden; 13b Rudolf I.
31. 8. 1290 Belehnung Kursachsens mit Brehna und Wettin; 22a König
Johann von Bölimen als Reichsvikar 19. 12. 1310 Bestätigung der
wettinischen Lande; 23 Ludwig der Bayer 23. 6. 1329 Bestätigung des
Erbvertrags mit Hessen; 25 Karl IV. 6. 2. 1350 Gesammtbelehnung ;
26 Karl IV. 16. 2. 1350 Belehnung mit Eisenberg und Torgau, oberstem
Gericht und Eeichsjägermeisteramt ; 27 dsgl. 17. 2. 1350 Bestätigung
der Rechte und Privilegien; 28 dsgL 17. 2. 1350 Eventualbelehnung mit
den fränkischen Landen; 29 dsgl. IS. 2. 1350 Belehnung mit Pfalz
Lauchstädt; 31a dsgl. 4. 12. 1355 Privilegienbestätigung; 31 b dsgl.
29. 12. 1355 sächsische Successionsordnung ; 33 dsgl. 27. 12. 1356
sächsische goldene Bulle; 37 dsgL 25. 11. 1372 Erbeinigung mit Böhmen ;
39 dsgl. 13. 12. 1373 Bestätigung der Erbverbrüderung mit Hessen;
41 dsgL 10. 6. 1376 sächsische goldene Bulle ; 46 Wenzel 11. 10. 1383
Gesammtbelehnung; [61 Siegmund 19. 7. 1420 Gesammtbelehnung,
Notariatsinstrument vom 19. 4. 1437]; 62 — 64 Siegmund 6. 1. 1423,
') Einzelne Facs. von Ui-k. werden mehrfach geboten, so bei Kümmel, Mennel,
Donadini, Loobe, s. oben u. im folg.
174
Literatur.
1. S. 142;"), 14. S. 142(i Belehnung mit Kur und Herzogthum Sachsen;
CT Siegmund 28- 7. 1434 Bestätigung der Erbverbrüderung mit Hessen ;
88 Friedrich III. 29. 6. 1465 Privilegienbestätigung; 108 Friedrich 111.
24. 2. 1 486 Gesammtbelehnung und Erbtheilungsbestätigung. Auch böhmische
Könige sind vertreten (so 86 Georg von Podebrad 1459, 89 Wladislaw
1482); von sächsischen Schriftstücken seien nur die beiden Theilungs-
vertrüge vom 10. 9. 1445 (Taf. 74 — 79) und vom 26. 8. 1485 (Taf.
93 107) hervorgehoben. Zu dem reichen Stoffe haben die Archive von
Dresden, Weimar, Altenburg, Wien (aus dem k. k. H. H. u. St.-Archiv
die interessanten Concepte des Vertrags zwischen Meissen und Böluuen,
die Eef. im N. Arch. f. Sachs. Gesch. X. veröffentlicht hat, auf Taf. 21,
der Vertrag vom 1. 9. 1307 auf Taf. 19a), München und Pisa beigesteuert.
Das Werk ist für den Historiker (verschiedene Urk. sind noch ungedruckt)
wie besonders für den Diplomatiker und Palaeographen von Werth, leider
wird sein der glänzenden Ausführung durch die Officin von Stengel und Mar-
kert angemessener hoher Preis der Benützung hinderlich sein, da dersell)e
nur grossen Bibliotheken die Anschaffung ermöglicht, so dass man daraus
fast dem Herausgeber einen Vorwurf machen möchte.
Die Genealogie hat ihren Vertreter gefunden in:
Gg. Eberh. Hofmeister, Das Haus Wettin von seinem Ur-
sprünge bis zur neuesten Zeit in allen seinen Haupt- und Neben-
linien nebst einer genealogischen Uebersicht der,. alten Markgrafen von
Meissen, der alten Herzöge von Sachsen bis zum J. 1423, der alten Land-
grafen von Thüringen bis zum J. 1247. Leipzig, 0. Spamer. Fol. XIII
u. 21 S. H. schickt eine kurze Einleitung über die Gelangung der Wet-
tiner zur Herrschaft voraus. Die Stammtafeln geben die alten Sachsen-
herzöge bis zur Verleihung der sächsischen Kur an die Wettiner (Liudol-
tinger, Billunger, Supplinburger, Weifen, Askanier), die Thüringer Landgrafen
bis zum Anfall der Landgrafschaft an Meissen, die Meissner Markgrafen
(Ekkehardiner, Orlamünder, Brunonen, Groitscher) ; dann kommt die eigent-
liche Aufgabe : die Genealogie der Wettiner in grösstmöglicher Genauigkeit
und Vollständigkeit. Die Tafeln verrathen ausserordentlichen Fleiss; ihre
Anordnung ist übersichtlich. H. nimmt sämmtliche Glieder auf, giebt,
soweit es möglich, für jedes genaue Geburts-, Vermählungs- und Todes-
daten, fügt aber — und darin besteht noch ein besonderer Werth dieser
Tafeln — eingehende Angaben über die territorialen Verhältnisse, die
häufigen Gebietszersplitterungen und Besitzverschiebungen hinzu. Wie weit-
verzweigt gerade die Wettiner waren, dafür als Beispiel nur die eine That-
sache, dass es Haupt- und Nebenlinien 1690 nicht weniger als 19 gab.
Den Schluss bilden die Herrscherhäuser von Belgien, Portugal und Gross-
britannien, die auf Sachsen -Coburg zurückgehen. Dass in einem so um-
fassenden Werke mit einer derartigen Menge von Daten und Angaben sich
da und dort kleine Mängel finden, vermag den Werth nicht zu beeinträch-
tigen. Taf. 5 fragt man sich, warum bei Sophie, der Tochter Markgral'
Dietrichs von Landsberg, nicht erwähnt ist — was doch gerade auch von
allgemeinerem Interesse ist — dass sie mit Konradin verlobt und formell
vermählt war (s. Wegele Friedr. d. Freidige S. 9 1, 349, Ficker in dieser
Zeitschrift IV, 4) und dann den Herzog Conrad von Glogau heirathete.
Apitz oder Albrecbt, Landgraf Albrechts 11. Sohn von Kunigunde von
Literatur. 175
Eisenberg, starb nicht »um 1297«, tla er (nach Wegele a. a. 0. 13G f.,
257) noch 1298, 1300, 1301 urkundlich vorkommt, 1306 war er schon
gestorben. Als erfreulich ist auch die würdige Ausstattung in Papier
und Druck zu bezeichnen.
Die Heraldik ist mehrfach nebenbei berücksichtigt worden ; zahl-
reichen Schriften sind wie Stammbäume, so auch Wappenabbildungen bei-
gegeben (bei Kämmel, Blochwitz, Donadini u. a,).
D. Freiherr von Biedermann, Die Wappen der Stamm-
lande und Herrschaften d es Wettiner Fürstenhauses. Leipzig,
M. Euhl. 8". 5 S. u. 1 Taf. fol. Der erläuternde Text enthält trotz seiner
Knappheit mehrere Fehler. Zu Nr. ]: nicht 1244, sondern 1247 kam
Thüringen an die Wettiner; Nr. 9 : »Pfalz-Sachsen erhielten die Kurfürsten
1423 verliehen« erweckt die Ansicht, als handle es sich um eine ganz
neue Ervv^erbung: thatsächlich war aber schon Heinrich der Erlauchte und
seine Nachfolger Pfalzgrafen von Sachsen, bis im 14. Jahrh. Titel und
Land verloren ging, aber theilweise schon 1347, der Rest 1423 zurück-
kam. Nr. 1 4 : Pleissnerland erhielt Albrecht nicht vom Kaiser Friedrich II.
als Mitgift selbst, es wurde ihm nur für die Mitgift verpfändet; erst unter
Ludwig dem Bayern verstummt der Anspruch des Reichs auf diese Ge-
biete, die immer mehr mit Pfandschaften belastet worden vi^aren. Zu
Nr. 1 8 : Altenburg sei nach Johann Friedrichs Aechtung nicht v^irklich in
Besitz der Albertiner gekommen, ist zu bemerken, dass es thatsächlich in
deren Besitz war; erst 15 54 gab es August den Ernestinern zurück. Die
76 kleinen Wappenbilder sind sauber ausgeführt. Nr. 62: Herrschaft
Colditz hat als Helmkleinode einen Vogelflug und ein Hörn (so stellt es
auch ilie Abbildung der Krubsacius'schen Sammlung, Msc. Dresd. J. 54
fol. 7 5 und 237, die Ref. eingesehen hat, dar), auf einem Siegel eines der
berühmtesten Mitglieder dieses Geschlechts, des unter Karl IV. hervor-
tretenden Thimo von Colditz (an einer Urk. Thimos im H. H. u. St.-Archiv
Wien), erscheint . statt des Flügels ein Geweih.
Auch die Kunstgeschichte ist nicht leer ausgegangen :
E. A. Donadini, Das goldene Buch oder accurate Abbil-
dungen der w e i t b e r ü h m t e n f ü r t r e f f 1 i c h e n Sächsischen Für-
sten nach Lukas Cranach . . . etc. Dresden, W. Hoffmann. Schmal-
fol. 22 Taf. Don. giebt auf 20 Tafeln (auch Titel und Schlussblatt sind
künstlerisch ausgestattet) die Nachbildungen der Bilder von Wettinern in
ganzer Figur von Heinrich I. von Eilenburg bis zu Johann Friedrich dem
Mittleren, jedoch nicht alle; es fehlen manche wichtige, während andere
unbedenklich wregbleiben konnten. Porträtwerth haben nur einige der
späteren Bilder und selbst diese nicht unbedingt. Die Bezeichnung »nacli
L. Cranach« ist einerseits sehr unbestimmt (es ist nicht einmal gesagt,
welcher L. Cranach, und dann auch nicht, nach welchen Originalen), anderer-
seits sehr kühn, da selbst für die späteren Bilder Cranachs Urheberschaft niclit
sicher ist. Die Vorlage ist das unter Cranachs des Aelteren Namen gehende
Sächsische Stammbuch, Msc. Dresd. E. 3, das alle geschichtlich bezeugten,
wie sagenhaften sächsischen Fürsten nebst ihrer Familie vorführt. Die
Reproduktion ist in der Hauptsache gelungen ; nicht oder doch nicht ganz
getreu wiedergegeben sind die Gesichter von Koni'ad, Friedrich dem Frei-
digen, Albrecht dem Beherzten, Georgs Sohn Friedrich, Moritz. Auch in
J76 Literatur.
den Reimen, die zu Häupten jeder Person stehen, finden sich Abweichungen:
bisweilen scheint D. aus allzugrosser Aengstlichkeit einige Zeilen unter-
drückt zu haben, da er sie wohl für zu freimüthig für eine Festschrift
hielt, so bei Albrecht dem Stolzen 4 Zeilen über den Krieg gegen den
Vater (im Codex fol. 65), ähnlich bei Friedrich dem Freidigen (Cod.
fol. 73 V.) 1).
Arthur Mennell, Goldene Chronik der Wettiner. Leipzig,
Literarische Gesellschaft. 22 S. u. 138 Taf. Fol. Die Einleitung zu
den Tafeln giebt keinen zusammenhängenden Text, sondern neben vielen
loyalen Redensarten theils einzelne Notizen, theils längere Ausführungen,
die dem Laien zur Erklärung der Bilder wenig oder gar nichts bieten,
und dem Fachmann ebenso wenig nützen, da für denselben manches
überflüssig, anderes Fehlende dringend nöthig war. Wollte der Verfasser
keine umfassende Erklärung der Bilder geben, so empfahl sich eine ein-
fache Inhaltsübersicht mit kui'zer Angabe, was jedes Bild darstelle ohne
weitere Erörterung, aber mit genauer Bezeichnung, woher es stammt.
Der jetzige Text ist fast werthlos. Trefflich sind dagegen die von Stengel
und Markert und Giesecke und Devrient ausgeführten Reproduktionen, in
deren Anordnung und Auswahl aber auch nur allzu sehr historisches
Verständnis vermisst wird. Das Buch ist nur ein interessantes, präch-
tiges Bilderbuch, aber das konnte doch nicht bloss der Zweck eines so
■ umfänglichen und theueren Werkes sein. Unter den Nachbildungen nennen
wir Taf. 3 das schon oben erwähnte Facs. aus Thietmar, Taf. 6 und 7 Siegel
von Markgraf Conrad bis zu König Albert, aber nicht von allen Fürsten, Taf.
6 konnten n. 7 u. S die lieiden minder wichtigen Siegel der Grafen von
Brehna wegbleiben, wofür man lieber einige mit Unrecht weggelassene
Markgrafen- und Kurfürstensiegel aufgenommen wünschte. Taf. 10 giebt
eine Anzahl Münzen wettinischer Fürsten, 12 das Facs. der Seite der
Manesseschen Liederhs. mit Heiniichs des Erlauchten Bild und Minne-
liedern, 13 Facs. von Siegmunds Urkunde 6. 1. 1423. Zahkeich sind
Porträts der Mitglieder des Herrscherhauses, femer alte Kai-ten, Pläne
und Ansichten von Städten, Abbildungen einzelner Gebäude, geschichtlich
werthvoUer Denkmäler, Grabstätten u. a. Schade um Mühe und Kosten der
technischen Herstellung, wofür etwas Brauchbareres geschaffen werden konnte.
Ernst Lobe, Der Staatshaushalt des Königreichs
Sachsen in seinen verfassungsgeschichtlichen Beziehvmgen und finanziellen
Leistungen. Leipzig, Veit u. Co. s". Vni u. 272 S. Der Verfasser,
ein höherer Vei-waltungsbeamter, der mit dem Stoff" vertraut ist, hat hier-
mit ein für die Verfassungsgeschichte seit der Konstitution wichtiges Buch
geliefert, wer-thvoll für den Historiker, den Statistiker und jeden, der be-
rufen ist, praktisch am Staatsleben des Königreiches in Beamtenstellung
oder als Mitglied der gesetzgebenden Köi-perschaften theilzunehmen. Das
Hauptgewicht liegt auf der Darstellung der Entwicklung seit den dreissiger
Jahren und gipfelt in der Betrachtung der gegenwärtigen Sachlage; wo
es nöthig bez. möglich ist, sind knappe Bemerkungen ülier die Zeit vor
der Konstitution vorausgeschickt. Nach einander werden durchgesprochen :
') Nilher kann hier nicht auf das Buch eingegangen werden ; über die Vor-
lage, den Dresdener Bilderkodex, wird Ref. im N. Arch. f. Sachs. Gesch. XII handeln.
Literatur. 1?7
Der Staatshaushalt und das Bewilligungsrecht der Land es Vertretung, Staats-
haushaltsetat, Staatsvermögen u. -schulden, Staatsfiskus, Beziehungen zum
Könige und königlichen Hause , Verwaltung und Controle des Staats-
haushalts, Finanzlage der einzelnen Zweige desselben ; am Schluss stehen
2 Tabellen: Ueberschüsse und Zuschüsse und Entwickelung von Staats-
vermögen und -schulden 1834 — 1885, zuletzt ein sorgfältiges Sachregister.
Die Darstellung beruht auf zuverlässigstem Material (Gesetzen, Landtags-
akten, ständischen Schriften, Rechenschaftsberichten u. a.). Der sprach-
liche Ausdruck bewegt sich trotz aller Kürze in verständlicher Klarheit,
was bei diesem Stoffe doppelt anerkenuenswerth ist.
J. Tr. F. Ulbricht, Geschichte der Königlich Sächsischen
Staatseisenbahnen (herausg. im Auftrage des K. S. Finanzministeriums
von der Generaldirektion der Staatseisenbahnen). Dresden, C. Heinrich. 4^.
147 S. 4 Taf. Der Vorstand des statistischen Bureaus der Staatseisen-
bahnen war die geeignete Persönlichkeit zur Behandlung dieses für moderne
Kulturentwicklung hochwichtigen Gegenstandes. Steht doch Sachsen, was
sein Eisenbahnnetz betrifft, auf dem eui'opäischen Continent mit an erster
Stelle ; war es doch Sachsen, das zuerst in Deutschland eine grössere
Bahnstrecke schuf: 1837 — 39 die Leipzig-Dresdner Eisenbahn. U. giebt
zugleich also eine Jubiläums schriffc für das sächsische Eisenbahnwesen
selbst. Das Buch, das die einzelnen Linien, die Entwicklung des Bahn-
netzes, Betriebsangelegenheiten behandelt , kann hier nicht weiter be-
sprochen werden; Karten, graphische Darstellungen und Tabellen erläutern
und ergänzen den Text. Dem Werth für die neuzeitliche Kultur- und
besonders Handelsgeschichte Sachsens entspricht die schöne Ausstattung^).
Den obigen zahlreichen Arbeiten reihen sich nun noch verschiedene
Schriften an mit dem ausgesprochen populären Zweck, einer Gesammt-
übersicht über die ganze sächsische Geschichte. Die Beste von ihnen, die
deshalb nicht in eine Klasse mit den übrigen zusammengeworfen werden
darf, ist die von
0. Kämmel, Ein Gang durch die Geschichte Sachsens
und seiner Fürsten (künstlerisch ausgestattet von Historienmaler
E. A. Donadini). Dresden, W. Hoffmann. Fol. HO S. Was K.'s
Schrift auszeichnet, ist die Betonung allgemeiner Gesichtspunkte, die Be-
rücksichtigung des Zusammenhangs der wettinischen Füi'stengeschichte
und der meissnisch-sächsischen Ten'itorialgeschichte mit der Reichs- und
Universalgeschichte. Recht gelungen sind die Ueberblicke über innere
Zustände (Rechtspflege, Stellung der Fürsten, der einzelnen Stände, Städte-
wesen, Wissenschaft und Kunst, Handel und Gewerbe) so S. 3, 9, l(j.
31, 53, 69, 75, 81, 97 u. f. Dabei ist die Ausdrucksweise gewählt und
klar, die Anordnung geschickt, so dass dem Leser, soweit dies bei der
gedrängten Schilderung möglich ist, ein gutes, abgerundetes Bild der
betreffenden Zeit vor Augen steht. Ueberall zeigt sich, dass K. ein Dar-
steller ist, der mit echt historischem Blick seinen Gegenstand erfasst und
') Noch eine zweite staatliche Einrichtung feierte im Jubeljahr ein eigenes
Jubiläum : Sachsen war der erste Staat , der die Stenographie Gabelsbergers
offiziell pflegte: vgl. hierüber ,, Festschrift zur öOjährigen Jubelfeier des Kgl. Steno-
graphischen Instituts /AI Dresden'-. Dresden, JVleiuhukl u. S. 8". SU 8. 14 Taf.
Mittheüungen Sil. \2
178 Literatur.
ilin dann in geeigneter Fonn vorzuführen verstellt. Im Einzelnen freilicli
lassen sich zahli'eiche Ausstellungen machen; Iiiihümer, Versehen sind
nicht selten und zeigen, dass dem Verfasser die frühere sächsische Ge-
schichte, besonders des Mittelalters, vor dieser Arbeit doch fern gelegen
hat. Zu S. 5: die Eckardiner starben nicht 1047, sondern 24. Februar
1046 aus. S. ]ß: die Behauptung, dass die Wettiner sich »mit nüch-
terner Ueberleguug der wiederholten Aufforderung der italienischen
Ghibellinen, das Erbe der Hohenstaufen anzutreten, versagt hätten«, ist
unzutreffend ; 1270/71 sind sie in der That darauf eingegangen, und noch
1296 kam Friedrich der Freidige nochmals darauf zurück (vergl. Wegele,
Friedrich der Fi'eidige Anhang 11 und Jahi'buch der deutschen Dante-
gesellschaft Bd. I, Bussen, in den Abhandlungen dem Andenken von
Waitz gewidmet); nicht kluge, bedächtige Erwägung, sondern die Be-
hindeiTing dui'ch innere Verhältnisse hielt sie ab. S. 17: Grossenhain
erscheint schon mehrere Jahrzehnte vor 1234 als Stadt. S. 12 ist Alt-
zelle 1162 gestiftet, S. 17 dagegen 1175. S. 19: ZschiUen wui'de
1278, nicht 12y9, Deutschordenskommende. S. 28: Bei der Sorgfalt, mit
welcher K. die Fäden aufdeckt, die die Geschichte der Wettiner mit all-
gemein deutschen und europäischen Angelegenheiten verknüpfen, vermisst
man einen Hinweis auf die Bemühungen Herzog Wilhelms um die luxemr
burgische Erbfolge 1440 — 1444. Die böhmische Oberlehnsherrlichkeit über
Colditz etc. S. 29 hat mit dem Vertrag Friedrichs von Dresden 1289
auch nicht das mindeste zu thun, sondern geht auf Karl IV. zurück.
S. 29: Durch Pius IL erfolgte nur die Citation Georgs von Podebrad,
der Bann selbst am 8. 12. 1465 durch Paul IL S. 46 : Kurfürst Moritz'
Gemahlin hiess Agnes, nicht Anna. S. 51: Auch unter August haben
Jahrzehnte lang Verhandlungen mit Frankreich (allerdings ergebnisslos)
geschwebt. S. 57: Die Behauptung, dass der Kanzler Krell ein Calvinist
war, hätte K. nicht den orthodox-lutherischen Fanatikern jener und auch
noch unserer Zeit nachschreiben sollen. S. 77: Dresden-Friedrichstadt
wurde nicht von August dem Starken, sondern 16 70 von Johann Georg IL
als Gemeinde Neustadt Ostra gegründet: Friedrichstadt wui'de sie, da
Friedrich August d. St. manches für sie that, seit 1730 von den Be-
wohnern, aber erst seit 1734 auch behördlich genannt. Zahlreiche
Hlustrationen im Texte, einige Vollbilder, 1 Facs. (Urk. Heini'ichs IV.
von 1090) und farbige Wappenabbildungen sind beigegeben. Freilich
sind die Holzschnitte zum Theil recht mangelhaft, so dass das Buch ent-
schieden unter der beträchtlichen Anzahl minderwerthiger Bilder leidet;
manche sind geradezu schlecht, so z. B. S. 43 Johann der Beständige,
44 Georg der Bärtige. Bei der Nachbildung alter Bilder empfahl sich
anzugeben, woher sie genommen sind, keine langen Citate, sondern kurz,
wie z. B. S. 7 »aus Albinus Meissn. Chron. *, S. 8 das Bild Conrads
»nach dem sächsischen Stammbuch« u. s. w. ^)
•) Zwei Schriften geben anstuhrlichere, populärgehalteue Biographien be-
rühmter Wettiner: Paul Reichardt, Drei Fürsten aus dem Hause Wettin
(mit einem kurzen Ueberblick über die Geschichte der Albertinischen Liniol
Chemnitz und Leipzig, E. Pocke, 8". IV und 76 S. R. giebt Lebensbeschreibungen
von Albrecht dem Beherzten, Moritz und .Johann Georg IIL Als Festschrift ist
ferner anonym erschienen die 3. Aufl. von (A. Hopp e-Sey 1 er) Friedrich
Literatur. 179
Was sonst noch von Festschriften vorhanden ist. verdient keine
spezielle Berücksichtigung und deshalb sollen nui- einige Bemerkungen
allgemeinen Charakters Platz finden. Die Verfasser haben sich bestrebt,
die einfachsten Grundbegriffe der geschichtlichen Entwickelung der Mark
Meissen, des Kurstaates und Königreichs Sachsen unter wettinischem
Szepter den weitesten Schichten des Volkes bekannt zu machen. Diese
Absicht wies auf schlichte Darstellung hin, die sich von allem Fach-
wissenschaftlichen geflissentlich fern hält. Eine solche Literaturgattung
hat bekannter- und anerkanntermassen ihre gute Berechtigung; denn die
eigentliche wissenschaftliche Literatur bleibt weitaus in den meisten Fällen
auf einen engbegrenzten Kreis spezieller Forschungsgenossen beschränkt.
Die Eesviltate aber, die die Fachwissenschaft findet, sollen nicht auf sie
beschränkt bleiben, sondern — wenn dies auch nm* allmählich geschehen
kann — der gesammten geschichtlichen Auffassung, zum mindesten der
aller Gebildeten, zu gute kommen. Dies zu vennitteln ist die gute und
edle Aufgabe populärer Geschichtsschreibung ; sie soll auf den Arbeiten der
Fachhistoriker fussen, nicht fachwissenschaftlich, aber auch nicht unwissen-
schaftlich sein. Hiergegen wird ft-eilich meist in der ärgsten Weise gefehlt.
Die Verfasser glauben nur zu oft, dass der blosse gute Wille oder, wie im
vorliegenden Falle, eine löbliche Vaterlandsliebe und loyale Gesinnung
genüge; selbst andere weniger zu billigende Beweggründe mögen da oder
dort mit ins Spiel gekommen sein. Ab und zu enthält auch das Vorwort
als captatio benevolentiae das Eingeständnis der angeblich selbst geftihlten
Mangelhaftigkeit. Doch alles das entbindet den Verfasser nicht, auch
bei seinen bescheidenen Zeilen sich höchste Gewissenhaftigkeit und sorg-
fältige Vorstudien zui- heiligen Pflicht zu machen, umso mehr als er fiir
Leute schreibt, denen meist ein eignes Urtheil über das Gebotene ab-
geht. Popularisieren ist daher nicht nur nicht leicht, sondern sogar recht
schwierig, denn eine populäre Darstellung, die Nutzen bringen soll, vermag
nur der zu schi-eiben, der den betreflenden Stoff" völlig beherrscht, i)
der Weise, Kurfürst von Sachsen. Bremen, M. Heinsius. S". VIIL und
128 S. mit dem Holzschnitt von Peter Vischers Denkmal dieses Fürsten.
') Es sollen hier nur die Titel aufgezählt werden : Regententafel des
Kgl. Hauses Sachsen mit Darstellung der gleichzeitigen Regierungsdauer der
deutschen Könige und Kaiser und der hauptsächlichsten Zeitereignisse. Leipzig,
Giesecke u. Devrient, quer 8" (synchronistisches Schema). Festgabe des Säch-
sischen Pestalozzi Vereins (Verf. 0. Langebacb). Leipzig, Klinckhardt, 8",
48 S. Auch eine wendische Festschrift ist in Bautzen bei Schmaler erschienen.
P. Kunath, Kurze Geschichte unserer vaterländischen Fürsten aus dem Hause
Wettin. Dresden, Huhle , 8", 32 S. (ganz ungenügend). Richard Kupfer,
Wettins Fürsten von Markgraf Konrad d. Gr. bis König Albert. Leipzig, 0. Ruhl,
4", 31 S. (desgl.). Ernst Eckar dt, Sachsens Fürstenzug. Würzen u. Leipzig,
C. Kiesler, 8», VIII u. 100 S. (trotz wiederholter Citate der Fachliteratur ganz
ungenügend). Adolf K oh ut, Goldene Worte der Wettiner. Dresden, Hacka-
rath, 8", VIII u. r,0 S. (Idee nicht übel, Ausführung ungenügend, dabei ebenso
wie in der nächsten Schrift ein gutes Mass von sehr übel angebrachter Selbst-
gefälligkeit in der Einleitung). A. Kohut, Ruhmesblätter des Hauses Wettin.
Dresden-Striesen, P. Heinze, 8^ 63 S. (schlecht). G. W. C. S ch m i d t , Das Fürsten-
haus Wettin. Dresden, Münchmeyer. 8», 48 S. (desgl.). (A. Siebenhaar V) Bilder
aus der Geschichte des Hauses Wettin. Leipzig, Wallmann, S^, HO S. (desgl.).
H. von Suekow, Das Königshaus Wettin. Dresden, P.Schmidt, 8", 32 S. (dsgl.).
Ernst von Bert euch, Der goldene Faden in der Gesch. des Hauses Wettiu
12'
j^gQ Literatur.
Nachtrag.
In Jen letzten Wochen erscheint noch ein Werk, das im engsten Zu-
sammenhang mit dem Wettinlest steht und deshalb noch zu erwähnen ist:
K. Freih. von Mansberg, Der mittelalterliche Turnier-
zug zur 800jährigen Jubelfeier des Hauses Wettin. Darstel-
lung der Theilnehmer in farl)igem Lichtdruck nebst erläuternden histo-
rischen Xachweisen. Dresden, W. HofFmtmn, 1890, gr. l'ol. Im Festzug
befand sich auch ein Eitterzug des 1 4. Jahrh. , Vasallen Landgraf Fried-
richs des Ernsten, dessen Bedeutung ausser der wirklichen historischen
Treue des ganzen Aufzugs darin bestand, dass die Personen selbst Mit-
glieder jener alten, noch jetzt blühenden meissnischen, osterläjidischen,
thüi'ingischen Geschlechter waren. Sie sollen hier sämmtlich dargestellt
werden. Dem Eef. hat bisher nur die I. Lieferung vorgelegen. Ein aus-
führlicher Text über Eitterthum und ritterliche Waffen geht den Tafeln
voraus. Mit Eecht betont M. in der Einleitung die Ebenbürtigkeit des
MA., dessen Blüthezeit mit der des Ritterthums zusammenfalle, mit andern
Perioden, was seine Wichtigkeit für die Entwicklung deutschen Lebens
betreffe. Darin ist ihm nur beizustimmen, überflüssig aber ist der pole-
mische Ton; denn die Zeit, wo man auf das MA. als eine Zeit wüster
Eohheit und Dummheit herabsah, ist doch seit über zwei Menschenaltern
vorbei; man braucht nur an die M. G. und den allgemeinen Aufschwung,
den wesentlich im Anschluss daran die m.-a. Geschichtsforschung genommen
hat, zu erinnern. Auch die Erörterungen über die Berechtigung der Stan-
desehre konnten als unnöthig wegbleiben. M. ist etwas überschwänglich
im Lob des MA. und einseitig eingenommen gegen die Neuzeit. Niemand,
der mit Eifer m.-a. Studien sich hingegeben hat, wird dem Eeiz gerade
des MA. sich entziehen; muss aber, um eins zu erheben, das andre als
erbärmlich hingestellt werden? Giebt M. »gefühlsarmen Gelehrten«, Leuten
vom »Geschlecht moralischer Pygmäen« (S. 3) Schuld, dem MA. nicht ge-
recht zu werden, so verfällt er in das andere Extrem. Manches wird bloss
oder doch voi-wiegend dem Eitterthum zugeschrieben, wobei ganz andere
Faktoren an erster Stelle zu nennen sind ; so wenn besonders dem Eitter-
thum die Blüthe m.-a. Baukunst zugeschrieben wird, wofür ritterliche
Freigebigkeit die Mittel geliefert habe. Eomanischer wie gotischer Bau-
stil erreichten jedoch ihren Höhepunkt im Kirchenbau und hierin sind ge-
rade die erhabensten Werke Ehrenmäler geistlicher oder bürgerlicher Unter-
nehmungslust und Opfer-ivilligkeit. Nach M.'s Ansicht^tritt mit dem bürger-
lichen Element das Handwerksmässige mehr hervor, das Vornehme, Gross-
artige schwindet (S. 4); es genügt, dagegen die Namen des Ulmer und
Strassburger Münsters, des Cölner und Stelansdomes zu nennen, die zwar
in der Blütheperiode des Eitterthums entstanden, doch diesem ihren Bau
nicht zu verdanken haben. M. bespricht dann kurz die Quellen iür die
Kenntnis des ritterlichen Aeusseren im 14. Jahrhundert; er will (S. 7)
nur den Eitter in Kampf- oder Turnierausrüstung behandeln, nicht die
Hof-, Eeise- oder Haustracht. Darauf werden eingehend nach einander die
1089—1889. Wiesbaden, Bechtold u. Co., 8", 12 S., 2 Taf. (desgl.). Auch histo-
rische Erzählungen, Predigten, Dichtungen u. dergl. giebt es zu Dutzenden, doch
-würde selbst deren blosse Nennung nicht hergehören.
Liieratur. jgl
ritterlichen Trutzwaflfen (Schwert, Speer, Dolch, Beil, Kolheu, Hammer)
besprochen, dann das Streitross und das ganze Reitzeug, ferner die ritter-
lichen Schutzwaffen (Eisengewand, Harnisch etc.). Diese Abschnitte sind
mit Sachverständnis und Kenntnis der Literatur geschrieben i) und durch
treffliche Tafeln mit Abbildungen von Waffen und Reitzeug erläutert, die
meist nach Originalen, z. Th. nach m.-a. Miniaturen gegeben sind: Taf. H
enthält auch 4 Wettinersiegel von 1181 — 120ß. Die farbigen Tafeln des
Ritterzugs zeigen je einen Ritter zu Ross nebst Knappen zu Fuss in
porträtgetreuer Darstellung der betr. Personen. Historisch interessant ist
der landschaftliche Hintergrund (jedem Ritter ist ein im Besitz der Fa-
milie befindliches Schloss beigegeben), der nach Bildern von G. Hohneck
vortrefflich ausgeführt ist; ebenso sind auch die figürlichen Darstellungen
Meisterstücke an Sauberkeit und Eleganz des Farbendrucks. Die bisher
erschienene Lieferung enthält die Geschlechter Einsiedel (mit Schloss Ge-
nandstein a. d. Wyra), Schönberg (Purschenstein, Erzgebirge), Rex (Zehista
b. Pirna), Pflug (Strehla a. d. Elbe), Kyaw (Hainewalde, Oberlausitz),
Carlowitz (Hej^da b. Würzen) und zweimal Sahrer von Sahr (Dahlen b.
Oschatz und Ehrenberg a, d. Zschopau) 2).
Dresden. WoldemarLippert.
Anualen der deutschen Geschichte im Mittelalter,
III. Abtheil ung: Annalen des deutschen Keiches im Zeit-
alter der Ottonen und Salier, I, Bd., Von der Begrün düng
des deutschen Eeichs durch Heinrich I, bis zurhöchsten
Machtentfaltung des Kaiserthums unter Heinrich III,, von
G. Richter und H. Kohl, Halle a. S. 1890. 8«, 428 S. und eine
Stammtafel.
M. Manitius, Deutsche Geschichte unter den säch-
sischen und salischen Kaisern (911(!) — 1125), mit einer Karte:
das deutsche Reich beim Tode Ottos d. Grossen. Stuttgart 1889. 8°,
639 S.
Von diesen zwei den gleichen Zeitraum behandelnden Werken ist das erste
ein zusammenfassendes Quellenbuch für das wissenschaftliche Studium der
deutschen Geschichte, das andere ein Compendium, dessen Darstellung sich
auch an weitere Kreise wendet- beide bilden so unwillkürlich eine gegen-
seitige Ergänzung und Controlle.
') Im folg. sollen histor. Angaben über die einzelnen Geschlechter gegeben wer-
den. 2) Gleichfalls nachträglich, aber vor der obigen schönen Publikation ist im
selben Verlag ein anderes Bilderwerk erschienen : Erinnerungen an das Armeefest
zur Feier der 800 j. ,Jub. d. Hauses Wettin 1889, gi-. foL, J Blatt mit Liste sämmt-
licher-Theilriehmer und 9 Bl. farbige Gruppen und Einzelbilder, denen aber die
gerühmten P]igenschaften der andern, Sauberkeit und Eleganz, abgehen; auch
diese Bilder hätten einen gewissen militärgeschichtlichen Werth haben können,
wenn sie die bei der Aufführung getreu nachgeschaffenen Uniformen der kur-
sächsischen u. a Heere zur Zeit iles Kutsatzesvon Wieu auch ihrerseits getreu
und deutlich vurtührten: stattdessen sind sie vielfach unklar und verschwfinunen.
Ueber das Armeefest vgl. oben Anmerk. zu Dittrich,
182 Literatur.
- Es ist nicht zu läuguen, tlass für beide ein gewisses Bedürt'niss vor-
lag. Namentlich die Annalen der deutschen Geschichte haben schon in
den früheren, der fränkischen Zeit gewidmeten Bänden durch die bequeme,
übersichtliche Zusammenstellung der wichtigsten Quellenstellen — ich
möchte sagen als eine Art Kegesten der Eegesta imperii in der neuen
Auflage — und durch ihre solide, tüchtige Arbeit mit Recht vielen An-
klang gefunden, ihre practische Brauchbarkeit erprobt. Aber auch für
eine zusammenhängende Darstellung der genannten Jahrhunderte fehlt es
nicht an Kaum, sei es, dass sie einem wahrhaft inneren Drange entquillt,
um ganz neue Auffassung und Ergebnisse der Quellen zum Gemeingut zu
machen, oder dass sie sich auch das bescheidenere Ziel steckt, die jüngeren
Darstellungen, wie die von Giesebrecht und Nitzsch, verbunden mit den
geistreichen Andeutungen in Eanke's Weltgeschichte einer- und den breiten
Ausführungen in den Jahrbüchern der deutschen Geschichte andrerseits,
einer nochmaligen Ueberprüfung an der Hand der Quellen zu unterziehen.
In letzterm Ealle, der beiläufig dem Standpunkte des Manitius'schen Werkes
entsprechen dürfte, würde der Bearbeiter in einigen Jahren, sobald auch
die Jahrbücher zur Geschichte Otto II. und III., Heinrich IV. und V. vor-
liegen Averden, freilich in viel günstigerer Lage sein.
Anlage und Einrichtung der Annalen der deutschen Geschichte
kann ich von den beiden frühern Bänden her als bekannt voraussetzen.
Auf die kurze annalistische Angabe der wichtigsten politischen Ereignisse
zur d. Geschichte folgen in den Noten, ebenfalls jahrweise, die wichtigeren
Quellenbelege mehr oder minder in vollem Wortlaute, sowie Verweise auf
Literatur und Kritik, gegebenen Falles in noch kleinerem Drucke Anmer-
kungen zu den Anmerkungen. Wenn ein unkundiger Benutzer das Buch
durchfliegt, möchte er den Eindruck empfangen, dass uns sehr wenige
wichtige Thatsachen in sehr vielen Quellen überliefert seien; in Wirklich-
keit kommt das Kaumverhältniss von Text und Noten auch davon her,
dass die Verfasser nicht nur alles Detail, sondern auch alle Ereignisse,
denen sie nicht ganz hervorragende Wichtigkeit zuerkannten, in die An-
merkungen verbannten. Die Uebersichtlichkeit gewinnt durch diese Kürze
und den lapidaren Stil des Textes allerdings, aber ich glaube, dann und wann
doch auf Kosten der Brauchbarkeit; und wenn die Verfasser nach Aussage der
Vorrede bei diesem Bande in der reichern Gestaltung des führenden Textes
weiter gegangen sind als früher, so scheint mir an manchen Punkten da noch
nicht des Guten genug geschehen zu sein. Bei den spärlichen Nachrichten
über Heinrich I. hätte 922 doch das Coblenzer Concil, vielleicht auch 931
der Zug nach Lothringen erwähnt werden sollen (beide Ereignisse ganz
übergangen); ein Plätzchen im Text hätte dann auch 937 die Gründung
von S. Moriz zu Magdeburg (die viel weniger folgenreiche Stiftung Quedlin-
burgs ist aufgenommen) verdient, ebenso die Vertreibung Heinrichs aus
Lothringen 940, der Bruch Ottos mit Hugo von Franzien und der Zug
Berengars nach Italien 945, die auch in den Belegen übergangene Affaire
von Illertissen 954, der Zug gegen die Kedarier 957, die Erzählung der
römischen Vorgänge 963 leidet an der Nichterwähnung der Flucht Jo-
hannes XII. vor Ottos Ankunft; in den Text wäre auch aufzunehmen ge-
wesen der grosse Kölner Tag 965 (eine Erwähnung der letzten Kämpfe
und des Todes Wichmanns scheint nur aus Verseheu p. 105 ausgefallen
Literatur. 183
HU sein, da p. 106*^ die entsprechenden Belege vorkommen), ebenso 977
die Eestitution der Söhne Ragenars, 980 die Aussöhnung Ottos II. mit
seiner Mutter, sowie die Uebertragung der italienischen Statthalterschait
an sie 983, dann 997 die Ernennung Mathildens als Reichsstatthalterin
für Deutschland — was hat es sonst für einen Sinn, deren Tod 999
(p. 162) im Text anzumerken? — Auch die Bestrebungen Ottos IIL, Rom
zur Hauptstadt seines einheitlichen Reiches zu machen, möchte man an
hervorragenderer Stelle, als unter den Belegen S. 169 angeführt sehen.
Uelierrascht war ich, eine Reihe wichtiger Facta auch in den Noten nicht
berücksichtigt zu finden, so die Neubegründung der Ostmark (976), die
römischen Wirren 974 — 980, die Stellung der Theophanu zum Thron-
wechsel in Frankreich 987 ff., das Yerhältniss derselben zu Kaiserin Adel-
heid, die unteritalienischen Pläne Otto's IIL , den sogenannten Ganders-
heimer Streit, den Umschlag in der Stellung des Willigis und in jener
der deutschen Fürsten zu Ende der Regierung Ottos IIL, die Aufliebung
des ßisthums Merseburg und den langwierigen Process, welchen Gregor V.
deshalb gegen Erzb. Giseler anstrengte, etc. Wol ist dann der Ganders-
heimer Streit p. 238^ zum J. 1021 recapitulirt, aber wer sucht hier die
wichtigsten noch unter Otto III. fallenden Phasen? Da? sind aber Aus-
nahmen; auch einzelne Flüchtigkeiten (z. B. dass S. 36 bei Birthen Otto
selbst siegt; S. 54 die Einnahme von Laon gemeldet wird, das richtige in
der Note; nach S. 62 im J. 951 die Römer — richtiger in der Note —
sich weigerten, Otto in ihre Stadt aufzunehmen; S. 65 der König — in
Wirklichkeit H. Heinrich, Widukind III, 16 — die Anklage gegen Erzb. Fried-
rich erhob ; S. 85 Brun im Besitze Lothringens anerkannt worden sei imd
ähnliches) beeinträchtigen den Werth des Buches nicht in empfindlicher
Weise; im grossen und ganzen ist die Auswahl der in den Text aufge-
nommenen Facta nur zu billigen. Auch den Belegen darf das Zeugniss
nicht versagt werden, dass sie fast immer und an richtigem Punkte die
wichtigsten Quellenstellen enthalten: nachzutragen wäre etwa 946 bei der
Designation Liutolfs die Vita Uodalrici epi., 947 beim Tod Bertholds von
Baiern das Chr. un. Suev., 951 für Adelheids Befreiung das Necr. Merse-
burg., für 961 und 962 das Chronicon Benedicti de s. Andrea 968 der
Bericht der Gesta epp. Camerac. über Ottos süditalienischen Kriegszug;
S. 39 ist zu wenig beachtet, dass Widukind 11, 20. 21 ein Einschiebsel
ist, 154** dürfte für die Geschichte der Normanneneinfälle der spätere
Bericht des Adam von Bremen nicht gegen die älteren der Ann. Quedlinb.
und Thietmars bevorzugt werden u. s. w. Dass sich in den Noten auch
einzelne Irrthümer, Lücken und schiefe Deutungen einschlichen, ist bei
einem solchen Werke ebenso begreiflich, als es dabei unmöglich war, in
dem Ausmass der vollständig aufzunehmenden Quellenstellen den Ansichten
und Wünschen Jedermanns gerecht zu werden. Ich übergehe daher, was
hier nach der einen und nach der andern Richtung zu beanständen und
zu bemerken wäre: nur ein^Detail möchte ich berühren. S. 66* wird für
die Gründe des Liutolfischen Aufstandes nebeneinander auf Maurenbrechers
Aufsätze über die Kaiserpolitik Ottos in der »Sybelschen Zeitschrift« und
in den »Forscliungen« und auf das Buch desselben Autors über die
deutschen Königswahlen vei-wiesen, und dazu liemerkt, dass Maurenbrechers
Ansichten eine Stütze in den besten Quellen fänden. Das ist zum min-
184
Literatur.
desten zweuleiitig, <la Maurenbrechers letzte Arbeit eingestandenermassen
eine Revision seiner früher aufgestellten Behauptungen enthält; welche
Ansichten zurückgenommen werden sollen, ist zwar nicht positiv gesagt,
sondern der Beurtheilung des aufmerksam vergleichenden Lesers über-
lassen, aber, da nirgends mehr davon die Eede ist, dass Ottos Kaiser-
politik antinational gewesen sei und Liutolf zum Aufstand getrieben habe,
muss man annehmen, dass Maurenbrecher gerade den so allgemein be-
kämpften Kernpunkt seiner früheren Ausführungen nun aufgegeben habe.
Damit entfällt aber ganz wesentlich der Gegenstand der frühern Polemik,
den schönen Ausführungen der letzten Arbeit Maurenlirechers wird man
allerdings grösstentheils zustimmen können.
In der Vorrede wird die Hofihuug ausgesprochen, dass die Annalen,
trotzdem die »mustergiltigen Jahrbücher der deutschen Geschichte« eine
»wesentliche Grundlage dieses Werkes bilden«, als nicht der wissenschaft-
lichen Selbständigkeit entbehrend erkannt werden mögen. Ich freue mich,
diese Hoflnung als eine im grossen und ganzen gerechtfertigte beziehungs-
weise erfüllte bezeichnen zu dürfen. Nur eine Gattung von Quellen und
Quellenkritik muss ich davon ausnehmen, die der Urkunden. Ich berühre
damit einen wunden Punkt dieses Werkes. In der Ausbeutung besonders
der Kaiserurkunden ist über die Datirung nnd etwa die Intervention selten
und kaum je über die bisherigen Darstellungen hinausgegangen; selbstän-
• dige Untersuchung und Beurtheilung auf diesem Gebiete ist mir kaum
irgendwo begegnet. Umsomehr hätte aber die ganze neuere und neueste
Literatur, wie sie insbesondere an Hand der neuen Diplomata-Ausgabe und
der Kaiserurkunden in Abbildungen sich entwickelt hat, herangezogen
werden müssen. Das ist aber nur ganz ungenügend geschehen. Die Ein-
reihung der Urkunden in der Diplomata-Ausgabe ist allerdings eumeist
acceptirt, auch Sickels Resultate über das Privilegium Ottonianum sind
übernommen; das ist aber auch so ziemlich alles, Fickers epochemachen-
den Beiträge zur Urkundenlehre sind nicht benutzt, auch wo es noch so
am Platze gewesen wäre, wie z. B, bei den Ausstattungsurkunden lür
Bamberg. Sickels Beiträge zur Diplomatik sind ignorirt, seine Erläute-
rungen zu den Diplomen Ottos IL, die vielfach über das rein diplomatische
hinausgehen, wohl S. 138 erwähnt, aber nicht eutsprechend ausgenützt.
Ja es macht fast den Eindruck, als ob mit Vorliebe ältere Urtheile und
Deutungen gegen die neuere Richtung, Avelche als Fortschritt doch nicht
verkannt werden kann, angeführt würden. Gegenüber solchem Conserva-
tivismus möge Dümmlers Neubearbeitung der Geschichte des ostfränkischen
Reiches als leuchtendes Muster aufgestellt werden. Den Standpunkt der
Annalen soll nur ein Beispiel kennzeichnen. Schon Dümmler erkannte,
dass DO. I. 70 nach dem in jener Zeit für die Datirung massgebenden
a. regni zu 945 einzureihen sei, so auch Sickel; indem der Herausgeber
unserer Annalen die von Sickel in der Einleitung zu den DD. und im
8. Beitrag zur Diplomatik niedergelegten Grundsätze für die Beurtheilung
der Datirungsfactoren ganz ignorirt, setzt er die Urkunde p. 48^ zu 944,
weil die Datirungen jener Jahre verwirrt seien und weil die Urkunde per
inverterventum Conrad! ducis ausgestellt ist, dessen Investitur nach der
Bemerkung Flodoai-ds vielleicht 944 auf einem Tag zu Aachen (= Aus-
stellungsort von DO. 70) erfolgte. Ist das Kritik? — Ich schliesse mit
liiteratnr. l!^5
rlev Bemerkung, dass in iliesem nützlichen und verdienstliclien Buche die
sächsische Zeit von Kohl, die salische von Richter bearbeitet ist.
Die Stellung, welche mir die »Deutsche Geschichte unter den sächsi-
schen und salischen Kaisern von Manitius» in der historischen Literatur
einzunehmen scheint, habe ich bereits angedeutet. Manitius ist sichtlich mit
Eifer und Ernst an seine schwierige Aufgabe gegangen. Das Buch, welches
urs]irünglich als Theil der von Prof. Zwiedineck-Südenhorst bei Cotta heraus-
gegebenen Bibliothek deutscher Geschichte in Lieferungen, nunmehr auch
als selbständiger Band erschienen ist, zeigt auf jeder Seite eingehende,
wenn auch nicht immer vollständige Benutzung der Literatur, ohne dass
sich der Verfasser von derselben ins Schlepptau nehmen Hesse. Vielmehr
ist Manitius auf die bedeutenderen der zeitgenössischen erzählenden Quellen
selbst zurückgegangen ; er schliesst sich denselben auch im Wortlaut seiner
Erzählung vielfach an, ähnlich wie Giesebrecht in seiner Geschichte der
deutschen Kaiserzeit. Dadurch wird freilich der Reiz der Unmittelbarkeit
vielfach erhöht, aber es liegt unter Umständen auch die Gefahr nahe, die
richtige Oeconomie in der Mittheilung wichtigerer und minder bedeutsamer
Thatsachen zu verlieren und die einheitliche auf kritischer Durchdringung aller
Quellen beruhende Darstellung durch lose verknüpfte Auszüge aus den ein-
zelnen Quellen zu ersetzen. Leider sind selbst dem Gelehrten, welchem
wir so schöne Arbeiten philologischer Art über die Benutzung alter Klassiker
und Kirchenschriftsteller bei den mittelalterlichen Historikern verdanken,
sinnentstellende Uebersetzungsfehler nicht ganz erspart geblieben, so wenn
S. 67 und 72 das Widukindsche armati und inermes schlechtweg mit »Mann«
(l^= Bewaffnete) und Waffenlose (Krieger in der Schlacht!) wiedergegeben
ist, oder die Gemahlin des Hex'zogs Karl von Lothringen S. 205 als dem
Kriegerstand (statt Ritterstand) angehörig bezeichnet ist. Vollends be-
denklich ist es, die Phrase desselben Autors, dass Heinrich L als Sachsen-
herzog dieses Land zuerst libera regnavit potestate, S. 42 auf Besitz der
vollen Landeshoheit in Sachsen zu deuten.
In der Auffassung der deutschen Geschichte dieser Jahrhunderte steht
Manitius vielfach Giesebrecht nahe, ohne aber im Glanz der Diction
und im einheitlichen wie aus einem Gusse geflossenen Aufbau der Er-
zählung — diesen unbestreitbaren und unverwelklichen Vorzügen nament-
lich des ersten Bandes von Giesebrechts wenn auch einseitigem Werke —
seinen Vorläufer zu erreichen. In vielen Punkten geht Manitius seinen
eignen selbständigen Weg. Neben entsprechenden Verrauthungen fehlt es
auch nicht an vielen Aeusserungen und Aufstellungen, deren Richtigkeit
recht fragwürdig erscheinen dürfte. Aber ich will den Leser nicht noch-
mals mit Einzelheiten quälen, am wenigsten einem Buche gegenüber,
welches nach seiner ganzen Anlage das Hauptgewicht suf den allgemeinen
Gang der Dinge legen soll, einem Werke gegenüber, welches naturgemäss
es sich versagen muss, alle einzelnen Behauptungen kritisch zu belegen.
Innsbruck, Juli 1890. E. v. Ottenthai.
Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten
Handschriften herausgegeben von Max Perlbach. Halle a. S., Max
Niemejer 1890. LIX, 354 S. 4".
Anknüpfend an eine Aeusseruug Dudiks über die Wichtigkeit einer
\^Q Literatur.
genauen Prüfung der Ordensstatuten und ihrer nach und nach gemachten
Zusätze legt der Hrsg. in der Einleitung zunächst dar, was bisher für
Kenntnis der Ordensstatuten geschehen ist, um dann Bericht zu erstatten
über seine eigene Thätigkeit. Für die neue Ausgabe (es gingen deren 4
von Einzeltexten voraus) hat der Hrsg, 31 Handsclmften benutzt: 4 la-
teinische, 1 altfranzüsische, 2 3 mittelhoch- und mittelmitteldeutsche, 4 mittel-
niederländische, 1 mittelniederdeutsche; von zwei weiteren Handschriften
hat er Kenntnis, ohne sie für die Ausgal^e heranziehen zu können. Alle
Handschriften, welche jünger sind als die Reformation Konrads von Erlichs-
hausen (1441 — 49), sind als unwesentlich bei Seite gelassen; der Hrsg.
weist deren 29 nach.
Eingehend untersucht der Hrsg. Entstehung und Quellen der Sta-
tuten, das erste Mal, dass eine derartige Untersuchung systematisch und
erschöpfend durchgeführt wird. Für drei von den vier Theilen der Statuten,
für Prolog, Eegel und Gesetze, ist die lateinische Fassung die ursprüng-
liche, ebenso für drei von den fünf Abschnitten der »Gewohnheiten«. Für
die Eegel bildet die vornehmste Quelle die Regel der Tempelherren, ebenso
für die Gewohnheiten und den grösseren Theil der Gesetze; doch kommen
für die letzteren auch die Statuten des Dominikanerordens in Betracht,
speciell für die Strafgesetze sind sie Quelle. An der Hand einer geschicht-
lichen Darlegung über die Anfänge des Ordens weist Perlbach die all-
• mähliche Entstehung der Statuten nach. Die Ordensregel erfulu' eine feste
Redaction 1244 oder bald nachher und zwar wird die Vermuthung wahr-
scheinlich gemacht, dass Bischof Wilhelm von Modena, Cardinalbischof von
Sabina, sie veranlasste. Die ursprüngliche Regel stimmte mit der Templer-
regel überein. Aelter als die vorliegende Redaction der Ordensregel sind
zumeist die Gewohnheiten, consuetudines. Sie sind wahrscheinlich um 1230
oder noch fi-üher entstanden. Auch hier lehnen sich die frühesten an die
Templerstatuten an, sind vermehrt durch Beschlüsse der Geueralkapitel.
Die Gesetze sind im Allgemeinen nach den Gewohnheiten zu verschiedenen
Zeiten, doch vor dem Jahre 1264 entstanden. Vor diesem Jahre ist wohl
das Ganze (Prolog, Eegel, Gesetze, Gewohnheiten) in der jetzigen Ordnung
zusammengestellt.
Die Ausgabe füllt S. 13 — 118. Doch ist zu bemerken, dass jede
einzelne Seite doppelt zählt, y^ Bogen umfasst, um so auf dem mit einem
Blick übersehbaren Räume (2 neben einander liegenden Seiten) die fünf
verschiedensprachlichen Fassungen dem Leser zugleich vorzuführen. Zweifel-
los ein grosser Voi-theil, der nun aber doch wieder den Nachtheil im Ge-
folge hat, dass die Lesarten (S. 167 — 229) völlig vom Texte getrennt
sind. Ob es sich nicht hätte ermöglichen lassen, auch die Lesarten mit
unterzubringen auf den Seiten des Textes? Allerdings würden die typo-
graphischen Schwierigkeiten wohl erhebliche geworden sein. Dem Texte
geht ein Ordenskalender vorauf, der, wie die Bemerkungen über die Tages-
und Nachtlänge im Juni und December zeigen, kaum südlicher als Livland
zusammengestellt ist. Es folgen dem Text liturgische Aufzeichnungen:
Vigilien, Venien, Aufnahmeritual, Gebete und weiter die Gesetzgebung des
Ordens nach Entstehung der Statuten bis auf den Meister Conrad von
Erlichshausen ; das alles einzeln nur in einer, nirgends in allen fünf Sprachen
erhalten. Die betr. Lesarten stehen S. 229 — 242. Weiter erhalten wir
Literatur. 187
noch neue Ausgaben der Narratio de primordiis ordinis Theutonici und
der Visitationsurkunde der preussischen Ordenshäuser von Eberhard von
Sayn und, au bisher ungedrucktem Material, Visitationsstatuten von 1334,
ein Strafgesetzbuch in lateinischen Hexametern, eine Osterberechnung, eine
Aufzeichnung über dies aegyptiaci (Unheilstage, an denen man nichts unter-
nehmen soll) und eine Wochenlohnberechnung für ländliche Arbeiter in
Preussen. Den Lesarten folgen die Register: ein solches zum Kalender,
ein Namen- und ein Sachregister, und weiter auf 92 Seiten lateinische,
tranzösische, niederländische, hochdeutsche, niederdeutsche Wörterverzeich-
nisse. Eine Coneordanz der verschiedenen Ausgaben schliesst das Ganze.
Einwände gegen die Arbeit wüsste Kef. nur zwei, beide äusserlicher
Art, zu machen. Hätte nicht in den Registern und Wörterverzeichnissen
nach Seiten und Zeilen statt mit Hülfe von Abkürzungen für die ver-
schiedenen Theile der Publication (es sind deren 23!) citiert werden sollen?
Die gewählte Art des Citierens setzt, trotz der Uebersicht auf S. 244,
eine Vertrautheit mit dem Inhalte des Bandes voraus, die man doch erst
nach längerem Gebrauche erwirbt. Dann will dem Ref. die stets ge-
brauchte Bezeichnung »holländisch« für die mittelniederländischen Texte
nicht gefallen: die gebräuchliche Bezeichnung für die Sprache unserer ab-
gesonderten Nachbarn ist doch »niederlän.lisch« oder »niederdeutsch« (vgl.
Jan te Winkel bei Paul, Grundriss der germanischen Philologie 1,6 34 ff.).
War es überhaupt nothwendig, die mittelniederländischen Texte von dem
mittelniederdeutschen zu sondern, während die sämmtlichen 23 mittel-
hoch- und mittelmitteldeutschen als »deutsch« zusammengefasst werden?
Doch das sind Fragen, deren Beantwortung, wie sie auch ausfallen möge,
in keiner Weisenden Werth von Perlbachs Arbeit beeinträchtigen könnte.
Seine Leistung ist, das muss ohne Vorbehalt* ausgesprochen werden, eine
geradezu staunenswerthe. Wir haben es hier zu thun mit einer Muster-
publication ersten^ Ranges, von der jeder, der sie benutzt, scheiden
wird mit aufrichtiger Bewunderung vor dem Fleiss, den Kenntnissen, der
Umsicht, dem Scharfsinn und der Gewissenhaftigkeit ihres Bearbeiters.
Perlbach war |längst bekannt als einer unserer .tüchtigsten- Editoren. Ref.
wüsste sehr wenig, was seiner Arbeit an die Seite, nichts, was über sie
gestellt werden könnte. In die Geschichtschreibung des deutschen Or-
dens ist Perlbachs Namen für alle Zeiten fest eingefügt.
Tübingen. Dietrich Schäfer.
H. Simonsfeld, Beiträge zum piipstlicheu Kauzlei-
wesen im Mittelal ter und zur deutschen Greschichte im
14 Jalirh. (Sitzungsberichte der philosophisch - philologischen und
historischen Classe der k. b. Akad. d. Wissenschaften zu München 18iJÜ
Bd. IL Heft 2. S. 218—284.)
Angeregt durch Bresslaus. Urkundenlehre hat S. den einst von Merkel
beschriebenen Codex 275 des spanischen Collegs in Bologna und den Codex
Cl. IV Nr. 30 der Bibliotheca Marciana in Venedig im Herbste des ver-
gangenen Jahres einer kritischen Nachprüfung unterzogen, über die er in
dem ersten •; Theile seiner Abhandlung eigehend berichtet.^ Noch vor S.
hatte ich selbst für die Vorarbeiten zu der bereits vorbereiteten Edition
■[gX Literatur.
des vollständigen Liber Cancellariae (vgl. Mittheilungen 10, 404) beide Hs.
untersucht. Indem ich mir ein näheres Eingehen auf S.'s Abhandlungen
für die diesbezüglichen Arbeiten voi-behalte, glaube ich doch jetzt schon das
Wesentliche , das sich mir aus einer Vergleichung meiner Aufzeichnungen
mit den Ausführungen S.'s ergab, kurz hervorheben zu sollen.
Gegenüber den dürftigen und unzureichenden Nachrichten bei Merkel
bedeutet S.'s Beschreibung der Bologneser Hs. einen unleugbaren Fort-
schritt : er gibt eine vollständige Inhaltsangabe , eine richtigere Alters-
bestimmung (13. nicht 14. Jahrb.) und sucht die Abfassungszeit desPro-
vinziale genau zu ermitteln. Die Abfassungszeit der Hs. werde ich in einer
demnächst in dieser Zeitschrift erscheinenden Abhandlung über das Tax-
wesen der päpstlichen Kanzlei auf c. 12.S0 zu fixiren suchen und zugleich
eine genaue Schriftvergleichung daranknüpfen. S.'s Versuch, die »Verab-
fassung« des Provinciale »in der Form, wie es in unserer Hs. überliefert«
ist, aus dem Fehlen eines Ki'etensischen Bisthums vor 1225 zu setzen,
ist nicht ganz geglückt — ist doch das viel näher liegende nach diesem Jahre ^)
begründete Bisthum Lavant in der Liste bereits enthalten.
Dass in dem erzbischöflichen Obedienzeid die Namensinitiale des Erz-
bischofs und der DiÖcesantitel eine Handhabe für die Zeitbestimmung
bieten können, hat S. (S. 224) richtig betont. »Aber die Freude zer-
rinnt«, bemerkt er, »wenn man aus Gams Series episcoporum ersieht,
dass es im 13. Jahrh. nicht weniger als 3 Erzbischöfe von Taraeon ge-
geben hat, welche mit B beginnen«. Die Freude kam nur in Gefahr zu
zerinnen, weil S. übersah, dass an der betreffenden Stelle ja auch der
Name des Papstes genannt ist »domino meo pape Cr.«, also Gregor,
woraufhin die Irrfahrt in Gams sich schon merklich eingeschi'änkt haben
würde. Ueberdies aber lautet die ganze Stelle: Ego R. archiepiscopus
Taraconensis . . . fidelis et obediens ero . . . domino meo pape G(rego-
rio). Es ist dies niemand anderer als Kaimund von Pennafort, der be-
i'ühmte Mitarbeiter Gregors IX. an dessen Decretalensammlung. Das er-
öffnet uns aber für die Entstehungszeit des Liber Cancellariae den bisher
unbeachteten Gesichtspunkt, dass an der Curie gleichzeitig mit der Codi-
ficirung des canonischen Eechtes auch die Aufzeichnung des Geschäfts-
ganges, der Gewohnheiten und Formeln der päpstlichen Kanzlei Hand in
Hand gegangen ist.
Dass S. endlich (S. 219) in dem Codex mehrere Stücke über das
Lyoner Concil von »1241« vorkommen lässt, ist wohl nur ein Versehen,
wie sie auch anderweitig unterlaufen sind.
Soviel über die Bologneser Hs., nun zum Codex Cl. IV. Nr. 30 der
Bibliotheca Marciana in Venedig.
Zur Mittheilung eines kleinen Bruchstückes aus diesem Formelbuche
bemerkt S. (S. 255 A. 2), dass »die vorliegende Handschrift vielleicht
nicht einmal das Original« dieser Formelsammlung sei. Es sei mir ge-
stattet, zunächst einige allgemeine Bemerkungen daran zu knüpfen.
Oi-iginal-Aufzeichnungen aus der "päpstlichen Kanzlei sind uns, so-
weit bisher bekannt, nur in der Fortsetzung des von mir gefundenen
Cod. XXXV. 69 der Bibliotheca Barberini in Rom erhalten, der von etwa
') Die seit 1225 vorbereitete (Jründung kam erst 1228 zum Absclduss.
Literatur. j_g9
1420 — 1560 Liber Cancellariae authenticus ist (vgl, Mittheilungen 10, 466 ;
11, 341). Alles andere ist nur in abgeleiteter Form auf uns gekommen,
theils in officiellen Transsumpten, tbeils in privaten Kopien. Dabei handelt
es sich vor allem darum, die officiellen, im Auftrag des Papstes oder Vice-
kanzlers erlassenen und codificirten Verfügungen und Ordnungen der päpst-
lichen Kanzlei und die in die officiellen Kanzleibücher aufgenommenen
Formeln zu scheiden von der grossen Masse der rein privaten Formel-
sammlungen. Zu ersteren gehören die Bologneser Hs. , die beiden Libri
Cancellariae Dietrichs von Nieheim, die ßegulae, das Taxbuch, und nur
sie beanspruchen in erster Linie unser Literesse. Zu den zahlreichen Hss.
der letzteren Art zählen von Berard von Neapel, Eichard de Pofis und
Thomas von Capua an wesentlich auch die von Meinardus (N. Arch. 10,
35 f.) besprochenen Formelbücher; auch in den verschiedenen Fonds der
Bibliotheca Vaticana sowie in den Papierregistern ist mir eine ganze Reihe
ähnlicher Hss. begegnet, wenn ich darauf auch lediglich bei der Suche
nach officiellen Kanzleiaufzeichnungen zu achten hatte.
Eine Art Mittelstellung nimmt eine Gruppe von Hss. ein, als deren
Vertreter ich den Cod. Paris, lat. 4163, Vindob. lat. 2188, ein den Papier-
registern Clemens VL beigebundenes Formelbuch und eben auch den ersten
bis fol. 53 reichenden Theil des in Eede stehenden Cod. der Bibliotheca
Marciana kenne. Der officielle Ursprung ihres Inhalts ist nicht nachweis-
bar: aber sie übermitteln uns wenn nicht gesatzte, so doch reichlich ein
Jahrhundert hindurch in der päpstlichen Kanzlei geübte Gepflogenheiten
betrefi"s der graphischen und sachlichen Ausgestaltung der Bullen. Eine
weitere Eigenthümlichkeit besteht darin, dass sie kurzgefasste Anweisungen
immer durch ein angefügtes Beispiel erläutern, und dass sie sich lediglich
auf eine ganz bestimmte Art päpstlicher Briefe beziehen, nämlich auf bei
der Curie von Seite einer klagbaren Partei anhängig gemachte Rechts-
händel, deren Untersuchung und Austragung nun Schiedsrichtern anheim-
gestellt wird; daher auch die beständig wiederkehrende Arenga »Con-
questus est nobis« oder »Significavit nobis.« Sie sind, wie der Wiener
Codex sich treffend selbst bezeichnet, ein Formelbuch der audientia litte-
rarum contradictarum.
Dabei ist ganz eigenthümlich , dass in den verschiedenen Zeiten an-
gehörenden Hss. der verbindende Text wesentlich derselbe bleibt, die ge-
wählten Beispiele aber wechseln. So nennt der Pariser Codex als Beispiel
für die Schreibweise des Papstnamens Bonifaz VIU. , das Formelbuch im
Register Clemens VL Clemens, die venetianische Hs., wie S. selbst be-
merkt, Bonifaz IX. Dementsprechend wechseln auch die Namen der in
den Briefen genannten Personen. Daraus aber ergibt sich, dass der Codex
der Bibl. Marciana nicht nur nicht das Original, sondern die jüngste und,
wie ich hinzufügen kann, die schlechteste Copie ist und dass ferner
der Versuch S.'s, durch die in den Beispielen genannten Namen zugleich
mit dem Alter der Hs. auch das der Formelsammlung selbst zu bestim-
men, irre gehen musste. In der That hat er auch um ein volles Jahr-
hundert fehl gegriffen.
Dem angedeuteten Quellenverhältnis entsprechend ist denn auch die
fragmentarische Edition (S. 225 f.) mangelhaft gerathen. Dazu kommt,
dass S. das ganz identische Incipit, welches Delisle in seinem »Memoire
j9ö Literatur.
sur les aetes cV Innocent III.« S. 23 aus dem Pariser Codex Nr. 4163
mittlieilt tuid das in Winkelmanns »Sicilisclien und päpstlichen Kanzlei-
ordnungen und Kanzleigebräuchen des 13. Jahrh.« S. 33 wieder abge-
druckt ist, vollständig entgangen zu sein scheint. Eine Vergleichung müsste
darauf aufmerksam gemacht haben, dass der hier ^gebotene Text infolge
der schlechten Handschrift und der hinzutretenden Lesefehler neben dem
üelisle's eine traurige Kelle spielt.
So ist S. 255, 3. Contextzeile v. u. floribus statt flexibus zu lesen;
S. 256 Z. 6 factus est in epistolis statt sieut est in episcopis; Z. 22
litteram nominis domini pape nicht literam domini pape. S. 256 Z. 17 — 12
V. u. lautet bei S. : ubi dicit: Dilecto filio d debet esse talis D|vel'in^eadem
linea vel in duabus. Ita quidem: Dat. Laterani vel Rome apud Sanctum
Petrum, sie scilicet in una linea, vel: dat. Laterani kal. Januarii sie in
una linea. Et: pontificatus nostri anno undecimo sit in alia. Was dies
heisst? Es ist, wie ich fürchte, jedermann unverständlich; denn S. hat den
ohnedies verderbten Text durch das zweimalige Verlesen von sit«zu*sic
sowie durch den Schlusspunkt vor et pontificatus noch vollends entstellt.
Der Sinn ist : Die Datirung soll womöglich in einer Zeile geschrieben oder
derart abgetheilt sein, dass Tag und Ort in der einen und das Pontificats-
jahr in der andern Zeile stehen. Das wird freilich erst klar, wenn man
weiss, dass Z. 1 7 v. u. zwischen »vel« und »in« eine bedeutende Lücke aus-
zufüllen ist: »tale D. seu huius forme et sie de similibus. Item nota,
quod in Omnibus litteris apostolicis data tota debet esse« in eadem linea etc.
Ein Blick in Delisle hätte dies gezeigt. Z. 8 v. u. Petrus, canonicus, epis-
copus statt Petrus Cenet[ensis] episcopus, Z. 7 v. u. dicatur statt dicunt.
Soweit reicht der Text bei Delisle. Aber auch weiter vermag ich ähn-
liche Irrthümer nachzuweisen: S. 256 Z. 2 v. u. Idem statt Idus, es sind
nämlich wieder die gleichen im vorhergehenden Vers durch Immo bezeich-
neten Monate März, Mai, Juli und Oktober gemeint; in demselben Vers
Februus st. Febrius; S. 257 Z. 9 vor scilicet eine grosse Lücke von nicht
weniger als 23 Worten; S. 258 Z. 12 richtig audiende: Z. 13 fehlt nach
auctoritate litterarum; Geradezu kläglich ist stellenweise die Interpunction.
Zu S. 256 Z. 1 wäre aus Delisle zu ersehen gewesen, dass nach scribitur
der Schlusspunkt jedenfalls besser angebracht ist als der Beistrich. Des
sinnstörenden Schlusspunktes vor et pontificatus in Z. 14 v. u. ist bereits
oben gedacht worden. Ebenso unrichtig ist die Interpunction S. 257 Z. 1
Isti versus sunt taliter intelligendi in ista dictione: Asin sunt quatuor
litere statt: intelligendi: in ista dictione »Asin« sunt quattuor littere.
Denifle wäes einst in einer Abhandlung über die Begisterfrage (Arch.
f. Lit. u. Kirch. Gesch. 2, 5l) auf die Höhe hin, welche die Kaiserdiplo-
matik durch Genauigkeit und Sorgfalt der Einzelforschung erklommen,
und schloss mit den Worten: »Auf keinem anderen Wege kann die päpst-
liche Diplomatik dieselbe erreichen«. Mit flüchtig hingeworfenen Bemer-
kungen und dem eiligen Abklatschen einiger Codexblätter ist ihr kaum
ein Dienst geleistet.
Im 2. Theile seiner Abhandlung gibt S. werthvolle Ergänzungen zu
dem im Arch. f. österr. Gesch. 62, 149 f. erschienenen Aufsatz von
F. M. Mayer, »Beiträge zur Geschichte des Erzbisthums Salzburg. II. Ueber
ein Formelbuch aus der Zeit des l^h-zbischofs Friedrich III.« und den dort
Literatur. \Q\
mitgetheilten Urkunden. So bezeichnet S. (ö. 24 1) seine Arbeit ja selbst,
während er zur Zeit, als er den derselben zugrunde liegenden akademi-
schen Vortrag hielt, jene Vorarbeit allerdings nicht kannte. Aus zwei mit
dem Salzburger theilweise identischen Formelbüchern der k. Bibliothek zu
München druckt er als Nr. 1 ' seiner Urkunden das bei Mayer 1. c. als Nr. 3
bereits veröfientlichte Stück wieder ab und gibt in den übrigen Beilagen und
dem vorangehenden Commentar hauptsächlich neue Beiträge zur Stellung des
Bischofs Nikolaus von Regensburg in dem damaligen kirchenpolitischen Kampfe.
Wien. M. Tan^l.
Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel. Im Auftrage
der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Alterthumskunde ge-
sammelt und hrsg. durch Lic. 0. Vogt. Stettin, L. Saunier, 1888.
XX, 636 S.
Das Leben und Wirken Bugenhagens, eines der thätigsten Mitarbeiter
und besten Freunde Luthers, ist schon mehrfach beschrieben worden und man
wird sagen dürfen, dass die historisch-theologische oder besser theologisch-
historische Forschung sowohl die wichtigeren Momente im äusseren Lebens-
gang B.'s als auch seine innere Entwicklung, welche sich übrigens rascher
und einfacher als bei irgend einem andern unter den bekannteren Refor-
matoren vollzog, schon auf Grund des bisher bekannten Quellenmaterials
hinreichend klar gestellt hat. Wird sich dieses so gewonnene Bild durch
die jüngste Publikation wesentlich ändern? Ich glaube nicht. Allein
heutzutage muss man sich überhaupt bei der Mehrzahl von Quellenpubli-
kationen abgewöhnen zu fragen, ob sie uns ganz neue Gesichtspunkte für
die historische Betrachtung der durch sie berührten Ereignisse aufnothigen.
Genug, wenn sie uns neue Einzelheiten liefern, kleine Ungenauigkeiten
berichtigen, vorhandene Lücken füllen oder auch nur die Beweisstücke zu
schon bekannten Thatsachen in übersichtlicher und brauchbarer Form vor-
legen. Diesen Standpunkt wird man daher auch bei der Beurtheilung des
Buches von Vogt einnehmen müssen.
Die vorliegende Briefsammlung umfasst etwas über 300 Kummern.
Es zeugt von der Umsicht des Verfassers, dass es ihm gelungen ist, nahezu
ein Drittel bisher ungenügend publicirte oder ganz unbekannte Stücke
zum Abdruck zu bringen. Durch sie wird unsere Kenntnis von B.'s per-
sönlichen Beziehungen nicht unbeträchtlich erweitert. Ich verweise da
z. B. auf die Briefe, welche sein intimes Verhältnis zu dem Fürsten Joachim
von Anhalt , Herzog Albrecht von Preussen und Landgraf Philipp von
Hessen beleuchten (die ersten und letzten sämmtlich unbekannt), oder auf
die, welche er gemeinsam mit anderen verfasste, z. B. Nr. 53 mit Justus
Jonas an den Kurfürsten von. Sachsen gerichtet, der selbst in der neuen
Sammlung der Bi-iefe des Jonas fehlt. Um so mehr muss man bedauern,
dass drei auf der hiesigen Universitätslnbliothek befindliche an Spalatin
gerichtete Briefe übersehen worden sind. Diese Thatseche ist doppelt be-
fremdend, da in B.'s Schrilten selbst sich deutliche Anhaltspunkte für seine
Beziehungen zu Basel finden (vgl. die Vorrede zu seinen Annotationes in
192 Literatur.
librum psalmorura, die auch wie mehrere andere seiner Schriften in Basel
gedruckt wurden) und da der Herausgeber doch auch die Strassburger
Bibliothek für seine Zwecke ausbeutete. Ich publiciere diese Briefe an
anderer Stelle dieses Heites.
Was dann die Anlage des Buches betrifft, so wird man sich mit den
vom Herausgeber in der Vorrede bemerkten Editionsgrundsätzen einver-
standen erklären können, namentlich damit, dass er die Briefe B.'s ganz,
die an ihn gerichteten meistens nur auszugsweise wiedergegeben hat. Die
erläuternden Anmerkungen sind mit Geschick und, soweit ich sie prüfen
konnte, auch genau gemacht. Ich habe nur ein Versehen zu berichtigen
S. 124 AI. 2, die Angabe über Oekolampads Tod, der nicht auf den
5. üez. , sondern den 23. Nov. fällt und nicht durch die Pest, sondern
durch die in Folge einer Krankheit eingestretene Erschöpfung herbeigeführt
war (vgl. Basler Chroniken 1, 138 Anm. 2).
Der Briefsammlung folgt vor den Eegistevn, denen jedoch etwas grössere
Sorgfalt hätte zugewendet werden können ^), ein chronologisches Verzeichnis
der Briefe, Schriften und bekannten Momente aus B.'s Leben. Diese Zu-
sammenstellung von Eegesten zu seiner Biographie ist sehr zweckmässig,
indem namentlich durch Verweise auf die Briefe der Zusammenhang zwischen
einzelnen Briefen und den jeweiligen äusseren Umständen, unter denen sie
entstanden, rasch ersichtlich wird. Unter den Werken wären noch die
folgenden anzuführen gewesen 1. Ain warhafitigs vrtayl des bochgelerten
Philippi Melanchthonis von D. Martin Luthers leer dem Cardinal und Pabst-
lichen legaten gen Stügarten zugeschickt MDXXIIII. Ain schone Offen-
barung des Endchrists durch Johan bugen. Pomeranum. 2. In IUI priora
capita Evangelii secundum Matthaeum in schola Wittembergensi publice
tractata per Doctorem Johannem Bugenhagium Pomeranum Nunc primum
iussu auctoris excusa Wittembergae anno MDXLIII. Am Schluss Wittem-
bergae per Josephum Klug anno MDLXIII (sie!). 3. Ain christlicher send-
prieff An frow Anna geborne hertzogin von Stetin in pomern etc. Der-
selbe gehört ins Jahr 1524 und sollte nicht fehlen, da er schon in der
von dem Vater des Hrg. besorgten Biographie B.'s S. 90 Anm. 1, ange-
führt ist, was bei den vorhergehenden Nummern nicht der Fall ist. Das-
selbe gilt aber wieder von der Postilatio J. B. P . . . ad preces Georgii
Spalatini sci'ipta 1541 (?) erwähnt in der Biographie S. G2 Anm. 1 und
der hochdeutschen Ausgabe von der Erbarn Stadt Braunschwyg Christen-
liche ordenunge a. d. Jahre 1531, erwähnt ebendort S. 281 Anm. 1, vgL
Briefwechsel S. 586 zum 5. Septbr. 1528. Ferner wären folgende Ver-
sehen zu verbessern, die S. 583 unter Juli 1525 angeführten Annotationes
') Ich kann das hier natürlich nur durch Stichproben beweisen, die Ueber-
schrift lautet: Register im Text erwähnter Personen und üite. Nun linde ich
z. B. auf S. 240 Braunschweig und Bremen, S. 241 Hildesheim, diese fehlen aber
gänzlich im Register. Umgekehrt fehlt S. 240 unter den Zahlen ;s. v. Luther
und Melanchthon. Kbenso findet sich auf S. 240 ein Autor von Svalenberg. Der
steht im Register unter Schwalenberg. Da wäre doch ein Verweis am Platze
gewesen. Aber die gibt es in diesem Register übei'haupt fast gar nicht. Aehn-
lich steht S. 220 ein Gottschalk, Bischof zu Öchleswdg. Den findet man im Re-
gister nur s. V. Ahlefeldt! Das ist doch ganz unzulässig. S. v. Lüneburg steht
bloss S. 92. Aber S. 94 kommt es in noch wichtigerem Zusammenhang vor.
Auf derselben S. 94 steht Riga-, |ehlt ganz im Register u. s. w.
Literatur. X9S
in epistolas Pauli sind schon früher mense Martio in Basel bei Adam Petri
erschienen. Die Schrift vom Ehebruch (S. 596 zum 13. April 1539) fällt
nicht ins Jahr 1540, sondern erst 1541. Unter dem 22. Febr. 1546
(S. 609) hätte der erste Abdruck der Leichenrede (Wittemberg durch
Georgen Khaw anno MDXLVl) wohl Erwähnung verdient.
Diese Mängel thun jedoch dem Werte des Buches keinen Abbruch.
Wer die Schwierigkeiten kennt, die sich der Anlegung einer solchen Samm-
lung entgegenstellen , bei der man sich nicht wie bei einem Urkundeu-
buch auf einen mehr oder weniger concentrierten Bestand von Schrift-
stücken stützen kann, wird die Umsicht, mit welcher der Herausgeber ein
weit zerstreutes Material einer sichern und leichten Benützung zugeführt
hat, gerne anerkennen.
Basel. R. Thommen.
Eikskansleren Axel Oxenstiernas Skrifter och Bref-
vexling. ütgifna af KongL Vitterhets-, Historie- och Antiqvitets-
Akademien II (Seuare Afdelningen), 2. Stockholm, P. A. Norstedt u.
Söners Forlag, 1889. X, 678. 8".
Dieser neue Band der Ausgabe von Axel Oxenstjernas Schriften (vgl.
Mittheilungen XI, 181 ff.) gehört zur zweiten Abtheilung, Briefwechsel.
Er bringt die Briefe des Hugo Grotius aus der ersten Hälfte des Jahr-
zehnts, in dem dieser schwedischer Gesandter in Paris war, 1635 — 39.
Voraufgeschickt sind zwei Briefe, die, der eine vom Febr. 1633, der andere
vom Jan. 1634, noch aus Hamburg an den Kanzler geschrieben sind. Im
ganzen enthält der Band 289 Briefe. Den Rest aus den Jahren 1640 — 45
wird ein zweiter Band (der dritte der ganzen Abtheilung) bringen. 3 4 Briefe
haben Aufnahme gefunden, ohne direkt an Axel Oxenstjerna gerichtet zu
sein. Sie stehen inhaltlich mit den übrigen in so engem Zusammenhang,
dass sie nicht von ihnen zu trennen waren; eine Anzahl sind von Anfang
an mit den an den Kanzler selbst gerichteten in denselben Sammlungen
vereinigt worden. Die Adressaten dieser Briefe sind die Königin Christine,
Johann Oxenstjerna, Johannes Salvius, Schering, Gustav Rosenhann und
Peter Schmalz, der Sekretär des Kanzlers in Deutschland. Die allermeisten
der in diesem Bande mitgetheilten Briefe finden sich schon in der Am-
sterdamer Ausgabe von 1686/87: Hugonis Grotii epistolae quotquot repe-
riri potuerunt. Die vorliegende Veröffentlichung hat aber vor der älteren
den Vorzug, dass sie die Chiffren auflöst. Es geschieht das nach einem
von Hugo Grotius' eigener Hand noch heute bewahrten Schlüssel, der in
der Einleitung in der alphabetischen Ordnung, die ihm schon in der Zeit
des Hugo Grotius gegeben worden ist, mitgetheilt wird. In den Briefen
selbst werden die aufgelösten Stellen durch Sterne kenntlich gemacht;
was in der Vorlage stand, erfährt man nicht. Auch sonst sind die Texte
gegenüber der ersten Ausgabe vielfach verbessert worden. Zu bedauern
ist, dass den einzelnen Briefen Regestenüberschriften , wie sie doch dem
ersten Bxief bände der Publikation, wenn auch kurz, beigegeben waren,
hier vollsständig fehlen, dass der Herausgeber mit erläuternden oder son-
stigen Anmerkungen überhaupt aussei'ordentlich sparsam ist. Wir erhalten
Mittheilungen XII. 13
194 Literatur.
eigentlich. nicMs als den nackten Text. Bearbeiter des Bandes ist J. Fr. Ny-
ström. Ein Register wird dem zweiten Bande von Grotius' Briefen bei-
gegeben werden.
Tübingen. Dietrich Schäfer.
Bericht über die 31. Plenarversammlung der hist. Kom-
mission bei der k gl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
München im Oktober 1890. Die diesjährige Plenarversammlung der
historischen Kommission fand vom 25. bis 27. Sept. unter der Leitung
ihres Vorstandes, des Wirkl. Geh. Qberregierungsrates v. Sybel, statt. Die
EröffiiungsreJe des Vorstands war dem Andenken der beiden hervorragen-
den Mitglieder gewidmet, welche die Kommission seit ihrer letzten Plenar-
versammlung verloren hat. Sie legte den Lebensgang v. Giesebrechts dar
und seine Verdienste um Wissenschaft und Vatei'land, so wie insbesondere
um die Kommission, deren Mitglied er von der Zeit ihrer Begründung
und deren Sekretär er 27 Jahre lang gewesen ist, und erörterte eingehend
und ausführlich den Charakter seines grossen Lebenswerkes, der Geschichte
der deutschen Kaiserzeit. Dann ging der Redner auf v. Döllinger über,
rühmte die Theilnahme, die derselbe den Bestrebungen der Kommission
viele Jahre hindurch bewährt hat, und vergegenwärtigte in lebhafter Schil-
derung die Eindrücke, welche er seit 1856 bei oft wiederholten Begeg-
nungen von seiner Persönlichkeit empfangen habe.
An den Verhandlungen der Plenarversammlung nahmen weiterhin
Theil die ordentlichen Mitglieder: Wirkl. Geh. Rat v. Arneth aus Wien,
Klosterpropst Freiherr v. Liliencron aus Schleswig, die Geh. Regierungs-
räte Dümmler und Wattenbach aus Berlin , die Professoren ßaumgarten
aus Strassburg, v. Hegel aus Erlangen, v. Kluckhohn aus Göttingen,
V. Wegele aus Würzburg, die Professoren von Druffel, Heigel und Stieve,
Oberbibliothekar Riezler und Prof. Cornelius, Verweser des Sekretariats
der Kommission, von hier. Ausserdem wohnten die ausserordentlichen
Mitglieder : Dr. Lossen , Sekretär der Akademie der Wissenschaften, und
Dr. Quidde, von hier, den Sitzungen bei.
Seit der letzten Generalversammlung sind folgende Publikationen
durch die Kommission erfolgt:
1 . Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Bd. XXL Geschichte
der Kriegswissenschaften von Max Jahns. Abtheilung I und IL
2. Jahrbücher der deutschen Geschichte. Jahrbücher des deutschen
Reichs unter Heinrich IV. und Heinrich V., von Gerold Meyer von
Knonau. Bd. L 1056—1069.
3. Allgemeine deutsche Biographie. Bd. XXX Tind Bd. XXXI Heft 1.
Andere Publikationen stehen für die nächste Zeit bevor.
Der Druck der Vatikanischen Akten zur Geschichte Kaiser
Ludwigs des Bayern, herausgegeben von Oberbibliothekar Dr. Riezler,
ist nach Ueberwindung der in den Vorjahren erwähnten Verzögerungen
nunmehr fast vollendet. In den nächsten Monaten, sobald das von Dr. Joch-
ner bearbeitete Register fertig gedruckt ist, wird das Werk erscheinen.
Von der Geschichte der Wissenschaften in Deutschland
Literatur. ;[95
ist die Gesehiclite der Kriegswissenschafien von Max Jahns im Erscheinen
begi'iffeu. Zwei Abtheilungen derselben sind im vergangenen Sommer aus-
gegeben worden. Die Schlussabtheilung ist im Druck und wird demnächst
vollendet sein.
Für die Hanse-Recessse ist Dr. Koppmann, Archivar der Stadt
Rostock, fortwährend thätig. Der Schluss der Sammlung, die Jahre 1419
— 1430, erfordert noch zwei Bände, den 7. und 8. Der Herausgeber, der
das Material bis zum Jahr 1428 bereits durchgearbeitet hat, hofft den
Druck im Sommer 1891 beginnen zu könnsn.
Von den Jahrbüchern des deutschen Reichs ist zunächst
die Umarlieitung des Bonnell'schen Buchs über die Anfänge des Karolin-
gischen Hauses zu erwarten, welche Prof. Oelsner in Frankfurt übernommen
hat, und deren Erscheinen er für 1891 in Aussicht stellen zu dürfen glaubt.
Für die deutschen Städte-Chroniken, herausgegeben durch
Prof. V. Hegel, besteht das Hinderniss fort, welches durch die Abberufung
des Dr. Hansen als Assistent an das k. Preussische historische Institut in
Rom ei-wachsen ist. In Folge dessen können die dem Abschluss nahen
Arbeiten für den 3. Band der niederrheinisch-westfälischen Chroniken noch
nicht wieder aufgenommen werden. Dagegen hat Dr. Friedrich Roth in
München die Bearbeitung der Augsburger Chroniken des 15. Jahrh. so
weit gefördert, dass der Druck des 3. Bandes derselben demnächst be-
ginnen kann und sein Erscheinen während des nächsten Jahres mit Sicher-
heit zu ei-warten ist. Dieser Band wird die Chronik von Hektor Mülich
1448 — 87 nebst Zusätzen von Demer, Manlich, Walther und Rem ent-
halten, ausserdem die Chronik des Clemens Sender. Das archivalische
Material, Rechnungen, Briefbücher, Eatsdekrete u. s. w., wird in den An-
merkungen verwerthet.
Die Herausgabe der älteren Serie der deutschen Reichs-
tagsakten ist seit dem Tode Prof. Weizsäckers von Dr. Quidde über-
nommen worden. Während des abgelaufenen Jahres waren die Arbeiten
im wesentlichen darauf gerichtet, Lücken in der bisherigen Sammlung des
handschriftlichen und gedruckten Materials für die Jahre l432 — 39 aus-
zufüllen und so den nächsten Band, den 1 0. der ganzen Reihe , so bald
als möglich druckfertig zu machen. Dagegen wurden die geplanten Reisen
nach Frankreich, Belgien und England aufgeschoben, als für den nächsten
Zweck nicht unentbehrlich. Neben dem Herausgeber, der im Januar seinen
Wohnsitz nach München verlegt hat, war Dr. Heuer in Frankfurt in der
bezeichneten Richtung thätig, some Dr. Schellhass, welcher, nachdem er
seine im Vorjahre angetretene italienische Reise gegen Weihnachten be-
endet und ihre Ergebnisse in Frankfurt verarbeitet hatte, noch im Früh-
jahr 1890 ebenfalls nach München übersiedelte. Ausserdem Avurden einige
Reste im Dresdner Archiv durch Dr. G. Sommerfeld, als gelegentlichen
Hülfsarl)eiter, erledigt; eine Reise in die Schweiz, die Dr. Schellhass im
August unternahm, brachte namentlich in Basel und Solothurn reiche Aus-
beute ; und Dr. Heuer hat vor kurzem eine Reise in die preussische Rhein-
provinz angetreten. Es wird daran gedacht, den 10. Band in zwei Bände
zu theilen und würde es in diesem Fall vielleicht möglich sein, einen
Band im Laufe des Jahres 1891 druckfertig zu machen.
13*
j9ß Literatur.
Für die jüngere Serie der deutschen Reichstagsakten hat der He-
rausgeber Prof. V. Kluckhohn ausser dem bisherigen ständigen Mitarbeiter
Dr. Wrede noch Dr. 0. Merx und Dr. Saftien herangezogen. Der früliere
Mitarbeiter Prof. Friedensburg sandte Beiträge aus Rom, Mantua und Ve-
nedig. Wie bisher erleichterten zahlreiche Staats- und Stadt - Archive die
Arbeit, indem sie ihre Akten an die Universitsbibliothek zu Göttingen
übersandten. Die grösste Förderung aber erfuhr das Unternehmen fort-
dauernd von Seiten des k. u. k. Hof-, Haus- und Staatsarchivs zu Wien,
aus welchem namentlich Dr. Gustav Winter Beiträge aus dem alten Reichs-
erzkanzler-Archiv lieferte. Anderes Material fand Prof. v. Kluckhohn zu
Arolsen, Salzburg und Innsbruck, Dr. Merx im Marburger Archiv. So liegt
der Stoff für die Jahre 1520 — 24 nunmehr ziemlich vollständig vor, und
kann die Hauptarbeit der nächsten Zeit auf die Redaktion des 1. Bandes
gewandt werden, der mit dem Tag der Wahl Karls V. zum römischen
König beginnen und seine Reise nach Deutschland und Krönung , dann
den Wormser Reichstag umfassen soll. Der Beginn des Drucks wird für
Ostern 1891 in Aussicht genommen.
An die jüngere Serie der deutschen Reichstags - Akten wird sich als
»Supplement« eine Sammlung der Päpstlichen Nuntiaturbe-
richte aus dem 16. Jahrhundert anschliessen , eine Bereicherung
unseres Unternehmens , welche die Kommission dem wohlwollenden Ent-
gegenkommen des k. preussischen Kultusministeriums verdankt, das dem
preussischen historischen Institut zu Rom die Mitarbeit für unsere Zwecke
verstattet hat. Da zusammenhängende Serien von Nuntiaturlierichten erst
seit 1533 vorliegen, so will der Herausgeber Prof. Friedensburg in Rom
mit diesem Zeitpunkt beginnen und in den 1. Supplementband die Be-
richte des Peter Paul Vergerio von seinen beiden Sendungen nach Deutsch-
land 1533 — 34 und 1535, weiter Berichte desselben aus Neapel 153r)
und seines Stellvertreters Otonello Vida aus Deutschland 1536 — 38, so
wie die seiner Nachfolger Aleander und Mignanelli bis zum Herbst 1539,
dazu dann überall die Gegenschreiben der Kurie, soweit solche vorliegen,
aufnehmen. Prof. Friedensburg hat ausser dem Vatikanischen Archiv auch
die Archive zu Venedig, Parma, Florenz und besonders zu Neapel ausge-
beutet, wo sich die umfangreichen und hochbedeuteuden Farnesinischen
Papiere befinden. So sind für den 1. Band über 550 Nummern gesam-
melt, darunter mindestens 500 Inedita, und ungefähr ebenso viel weitere
in Anmerkungen zu verwerthende Aktenstücke. Dem Prof. Friedensburg
hat sich als freiwilliger Mitarbeiter Dr. Heidenheim zur Verfügung gestellt
und sammelt zur Zeit Nuntiaturberichte der Jahre 1545 — 1555.
Für die ältere Pfälzische Abtheilung der Witteisbacher Corre-
spondenzen hat Prof. v. Bezold jetzt die Arbeit wieder aufgenommen
und beabsichtigt zunächst zur Vervollständigung des Materials für den
3. Band der Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir die Staatsarchive zu
München und Marburg zu besuchen. Auch wird eine Nachlese im Dresdner
Archiv eiforderlich sein.
Für die ältere bayrische Abtheilung wird Prof. v. Druffel jetzt, nach
Herstellung seiner Gesundheit, wieder thätig sein und den Druck des
4. Bands seiner Beiträge zur Reichsgeschichte beginnen lassen.
Was die vereinigte jüngere bayrisch-pfälzische Abtheilung betrifft, so
Literatur. 197
ist zwar Prof. Stieve persönlich noch nicht in der Lage gewesen, die Ar-
beiten für den 6. Band der Briefe und Akten zur Geschichte des dreissig-
j ährigen Kriegs energisch wieder aufzunehmen: dagegen hat sein Mitarbeiter,
Dr. Karl MajT, mit grossem Eifer die Sammlung des Materials für die Jahre
1618 — 20 fortgesetzt, sowohl des gedruckten in den gleichzeitigen politi-
schen Flugschriften und Zeitungen, als auch des archivalischen im Reichsarchiv
und Staatsarchiv zu München. Diese Arbeit soll im kommendeii Jahr in
München fortgesetzt und wo möglich nach Wien ausgedehnt werden.
Der Fortgang der allgemeinen deutschen Biographie hat
theils durch die Schuld der Druckerei, theils durch die grosse Saumselig-
keit einzelner Mitarbeiter eine bedauerliche Verzögerung erlitten, so dass
im abgelaufenen Jahr nicht wie gewöhnlich 1 0, sondern nur 6 Lieferungen
ausgegeben werden konnten; doch hoflPt die Eedaktion das Versäumte im
nächsten Jahr theilweise wieder einzuholen. Der im allgemeinen in er-
freulicher Weise sich erweiternde Kreis der Mitarbeiter hat einen empfind-
lichen Verlust ei-fahren durch den unerwarteten Tod des Konsistorialrats
Wagemann in Göttingen, an welchem das Unternehmen von seinem ersten
Beginn an einen vortrefflichrn Berater und Mitarbeiter für das Gebiet der
evangelischen Kirchengeschichte besessen hatte.
I
Bericht über die neuntePlenarsitzung der badischen
historischen Kommission.
Karlsruhe, im November 1890. Die neunte Plenarsitzung der badi-
schen historischen Kommission hat am 7. und 8. Nov. in Karlsruhe statt-
gefunden. Derselben wohnten, unter dem Vorsitze ihres Vorstandes, Geh.
Hofrat Winkelmann aus Heidelberg, die ordentlichen Mitglieder Geh. Rat
Knies, Geh. Hofrat Schröder und Hofrat Erdmannsdörffer aus Heidelberg,
Geh. Rat v. Holst, Geh. Hofrat Kraus und Prof. v. Simson aus Freiburg,
Archivdirektor v. Weech, Archivrat Schulte, Archivassessor Obser und Geh.
Hofrat Wagner aus Karlsruhe, Archivar Baumann aus Donaueschingen und
Archivdirektor Prof. Wiegand aus Strassburg, sowie die ausserordentlichen
Mitglieder Prof. Hartfelder aus Heidelberg, Prof. Roder aus Villingen und
Diaconus Maurer aus Emmendingen und als Vertreter der Grossherzoglichen
Staatsregierung der Präsident des Grossh. Ministeriums der Justiz, des
Kultus und Unterrichts, Wirkl. Geh. Rat Dr. Nokk, Geh. Rat Frey und
Geh. Referendar Dr. Arnsperger bei. Das ordentliche Mitglied Geistl. Rat
Prof. König aus Freiburg hatte sein Ausbleiben durch Unwohlsein ent-
schuldigt.
Nachdem der Vorsitzende die neu ernannten Mitglieder Herrn Wiegand
und Maurer begrüsst und der Sekretär der Kommission, Archivdirektor
V. Weech, seinen Bericht über die Thätigkeit der Kommission während des
verflossenen Jahres im allgemeinen vorgetragen hatte, wurden die Berichte
über die einzelnen von der Kommission veranlassten wissenschaftlichen
Unternehmungen erstattet.
Hofrat Erdmannsdöi-fler theilte mit, dass der Druck des 2. Bandes
der Politischen Korrespondenz Karl Friedrichs von Baden
bis zum 18. Bogen vorgeschritten sei und nunmehr ohne Unterbrechung
j98 Literatur.
bis zum Schlüsse des Bandes werde fortgeführt werden. Bezüglich des
3. Bandes machte der in der voijährigen Plenarsitzung zum Mitherausgeber
ernannte Archivassessor Obser die Mittheilung , dass die Arbeit an dem-
selben soweit gediehen sei, dass der Beginn des Druckes sich unmittelbar
an die Vollendung des 2. Bandes anschliessen könne. Der 2. Band wird
die Zeit bis zum Rastatter Kongress umfassen, der 3., für welchen Dr. Obser
im k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien eingehende, von der
dortigen Verwaltung freundlichst geforderte Studien machte, voraussichtlich
bis zum Jahr 1803 herabreichen.
Von den R e g e s t e n d e r P f a 1 z g r a fe n a. R h., welche unter Winkel-
manns Oberleitung Universitätsbibliothekar Professor Dr. Wille in Heidel-
berg beai'beitet, sind im Laufe des Jahres 1890 die Lieferungen 4 und 5
erschienen. Die 6. (Schluss-) Lieferung, welche Einleitung, Nachträge
und Register enthält, wird im Laufe des Jahres 1891 ausgegeben werden.
Von den Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Kon-
stanz, deren Leitung Archivrat Schulte übernommen hat, ist die von
Dr. Ladewig bearbeitete Lieferung 4 (bis 1293) seit der letzten Plenar-
sitzung im Buchhandel erschienen. Dr. Ladewig arbeitet gegenwärtig noch
an Vollendung der 6. Lieferung, welche Einleitung, Nachträge und Re-
gister enthalten und den 1 . Band zum Abschlüsse bringen soll. Diese,
sowie die von Dr. Müller bearbeitete 1. Lieferung des 2. Bandes werden
im Laufe des Jahres 1891 versandt werden.
Von der durch Prof. Dr. Gothein in Bonn bearbeiteten Wirt-
schaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzen-
den Landschaften ist die 1. Lieferung der 1. Abtheilung, welche die
Städte- und Gewerbegeschichte enthält, im Buchhandel erschienen. Von
dieser Abtheilung, die ca. 48 Bogen umfassen soll, liegen bis jetzt 27 Bogen
im Druck vor. Wie aus einem von Professor Gothein eingesandten und
von Geh. Rat Knies verlesenen Berichte hervorgeht, beabsichtigt der Be-
arbeiter im Laufe des nächsten Jahres die 2. Abtheilung, welche die
Agrargeschichte enthält und im darauf folgenden die 3. — die Verwal-
tungsgeschichte und die statistischen Untersuchungen — zum Abschlüsse
zu bringen.
Der Text der von Direktor Dr. Thorbecke bearbeiteten Heidel-
berger Universitätsstatuten des 16. — IS. Jahrhunderts liegt in
43 Bogen gedruckt vor. Die Arbeiten an der Einleitung vmd dem Re-
gister sind soweit vorgeschritten, dass dem Erscheinen des Werkes in den
ersten Monaten des nächsten Jahres entgegengesehen werden darf.
Das Gleiche ist der Fall mit dem Werke des Archivrats Dr. Schulte:
Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und der Reichskrieg
gegen Frankreich 1683 — 1697, von welchem der Kommission eine
Reihe von Druckbogen vorlag.
An der Bearbeitung des Topographischen Wörterbuchs des
Grossherzogtums Baden hat Dr. Krieger eifrig weitergearbeitet,
doch wird sich der Abschluss dieses Werkes, über dessen Fortgang v. Weech
und Baumann berichteten, infolge der von der Kommission gewünschten
Heranziehung noch weiterer Literatur und archivalischer Forschungen in
fränkischen Archiven, sowie wegen der erst nachträglich in das Programm
Literatur. jf)<)
aufgenommenen ethymologisclien Worterklärungen mehr verzögern, als in
der vorigen Sitzung angenommen werden konnte.
Der Druck der von Geh. Rat Knies bearbeiteten Physiok ratischen
Koi'respondenz Karl Friedrichs von Baden wird im Januar 1891
beginnen und sodann ohne Unterbrechung fortgeführt werden.
Für die Regesten der Markgrafen von Baden war unter
V. Weechs Oberleitung Dr. Fester thätig, der aus der gedruckten Literatur
und den Beständen des Karlsruher General - Landesarchivs die Zahl der
Regesten bis auf 4030 Nummern förderte, während Archivdirektor v. Weech
selbst bei einem Besuche des k. k. Statthaltereiarchivs zu Innsbruck, sowie
des k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchivs zu Wien, wo er die freund-
lichste Förderung seiner Arbeiten fand, 479 Regesten gewann. Für das
Jahr 1891 ist der Besuch einer Reihe von Archiven durch Dr. Fester in
Aussicht genommen.
Von den Quellen und Forschungen zur Geschichte der
Abtei Reichenau ist das 1 . Heft : »Die Reichenauer Urkundenfälschungen,
untersucht von Di\ Brandi« im Druck erschienen. Derselbe junge Ge-
lehrte hat die Bearbeitung der Chronik des Gallus Öheim, welche das
2. Heft enthalten soll, übernommen.
Die Geschichte der Herzoge von Zäh ringen ist von Prof.
Dr. Heyck in Freiburg soweit gefördert worden, dass der Kommission
18 Druckbogen vorgelegt werden konnten. Der durch ein Unwohlsein
des Bearbeiters auf kurze Zeit unterbrochene Druck ist in diesen Tagen
wieder aufgenommen worden und wird fortan ohne Unterbrechung zu Ende
geführt werden.
Die Bearbeitung des ersten der Badischen Neujahrsblätter,
deren Herausgabe die vorjährige Plenarsitzung beschlossen hatte, hat Gym-
nasialdirektor Bissinger in Donaueschingen übernommen. Das Neujahrs-
blatt für 1891 führt den Titel »Bilder aus der Urgeschichte des badischen
Landes« und umfasst 60 Seiten mit 25 in den Text gedruckten Abbil-
dungen. Bei dem Interesse, welches diesem Stoffe in den weitesten Kreisen
entgegengebracht wird, und bei dem billigen Preise (l Mark) hoflPt die
Kommission auf eine recht grosse Verbreitung dieses Blattes, dem fortan
zu jedem Neujahr eine ähnliche Veröffentlichung aus der Geschichte des
Grossherzoglieheu Hauses und des badischen Landes folgen soll. Die ersten
fertig gestellten Exemplare des Neujahrsblattes konnten der Kommission
vorgelegt werden.
Die Neue Folge der Zeitschrift für die Geschichte des Ober-
rheins, deren 5. Band mit Nr, 13 der »Mitteilungen der badischen
historischen Kommission« unter Schulte's Redaktion soeben zum Abschluss
gelangt ist, wird infolge eines Uebereinkommens mit der elsass-lothringi-
schen Regierung, ohne dass eine Erhöhung des Preises eintritt, eine Er-
weiterung ihres Umfanges von 32 auf 40 Bogen erfahren, von denen
12 Bogen für Arbeiten, die sich auf das Elsass beziehen, zur Verfügung
gestellt werden. Die Mittheilungen der badischen historischen
Kommission werden wie bisher im durchschnittlichen Umfang von
8 Bogen jedem Bande der Zeitschrift ohne Preisberechnung beigegeben.
Das ]. Heft des 6. Bandes befindet sich im Druck.
Der Dui-chforschung, Ordnung und Verzeichnung der Archive und
200 Literatur.
Kegist raturen der Gemeinden, Pfarreien, Körperschaften
und Privaten des Grossherzogtums widmeten sich im Jahre 1890
in den 4 durch Baumann, Eoder, v. Weech und Winkelmann vertretenen
Bezirken mit gleich grossem Eifer und Erfolg wie bisher 57 Pfleger. Im
Ganzen liegen jetzt Berichte und Verzeichnisse von 1107 Gemeinden,
459 katholischen, 200 evangel. Pfarreien, 7 katholischen Landkapiteln,
24 Grundherrschaften, 5 Standesherrschaften, 4 weiblichen Lehr- und Er-
ziehungsanstalten, 3 Gymnasien, 1 Alterthumsverein, 3 Hospitälern und
17 Privaten vor. Mit der Veröffentlichung der Pflegerberichte wird auch
im Jahre 1891 fortgefahren werden. An Stelle des Geh. Hofrats Dr. Winkel-
mann, der aus Eücksicht auf seine Gesundheit und andere dringende Ar-
beiten verhindert ist, die Vertretung des 3. Bezirks weiter fortzuführen,
tritt Prof, Hartfelder in Heidelberg.
Auf Antrag des Geh, Hofrats Dr. Winkelmann wurde die Sammlung
der nachweislich in Mailand, wahrscheinlich aber auch in Genua und Avohl
noch an anderen Orten vorhandenen Urkunden und Aktenstücke zur Ge-
schichte de? Bandeis Verkehrs der oberitalienischen Städte
mit den Städten des Oberrheins während des Mittelalters
beschlossen und mit derselben Dr. Schulte beauftragt.
In Folge Allerhöchster Entschliessung vom 1. Jirni 1890 ist das Isti-
tutoAustriaco di studii storici in Eomin ein neues Stadium ge-
treten. Es sind für dasselbe in der Via della Croce 74 geeignete Localitäten
gemiethet worden. Hofrath Th. v. Sickel hat sich Ende September nach
Kom begeben, um das Institut einzurichten und in Person zu leiten. Zu-
nächst sind Dr. Starzer, Privatdocent Dr. Wahrmund und Gjonnasialpro-
fessor Dr. Friedwagner zu ordentlichen Mitgliedern ernannt worden. Als
ausserordentliche Mitglieder haben sich die Landesstipendisten aus Böhmen
Kollmann und Kratochvil angeschlossen. An Stelle von Prof. Friedwagner
wird im Februar Prof. Werunsky aus Prag treten. Ausserdem werden für
die zweite Hälfte des Studienjahres noch zwei Staatsstipendisten ernannt
werden. Letzteren ist auch in diesem Jahre gestattet, von ihnen selbst
gewählte Themata zu Itearbeiten. Zugleich haben sie sich aber an den
gemeinsamen Arbeiten des Instituts zu betheiligen,
Waren für diese gemeinsamen Arbeiten bisher Partien aus der Ge-
schichte Oesterreichs im Mittelalter ins Auge gefasst worden, so hat sich
immer mehr herausgestellt, dass eine erschöpfende Behandlung derselben
unmöglich ist, so lange nicht auch die grossen Schätze der beiden im
Lateran befindlichen Archive, wie in Aussicht gestellt worden ist, zugäng-
lich gemacht sein werden. Aus diesem Grunde war schon zu Beginn des
Jahres 1889 die Anregung gegeben worden zu einem Thema aus der Ge-
schichte Oesterreichs nach 1500 überzugehen, dabei aber auf die schon
von anderer Seite begonnenen Forschungen Eücksicht zu nehmen, Prof,
V. Ottenthai, welcher im letzten Winter den Vorstand des Instituts in Eom
vertrat, hatte sich schon bei einem früheren Aufenthalte daselbst (1887 —
1888) über die Hauptbestände der im vat. Archive befindlichen diploma-
tischen Acten des 1 n. Jahrhunderts orientirt und begann nun die beson-
ders zu berücksichtigenden Nuntiaturberichte aus dem 16. Jahrhundert
Literatur. 201
einer vorläufigen Durchsicht zu unterziehen. Mit dieser Arbeit weiterhin
lietraut legte Dr. Starzer seit dem December 1889 ein Eepertorium der
lietreffenden Nuntiaturberichte an, aus dem sich unter andern ergab, dass
hier noch reiche Ausbeute für die Geschichte Oesterreichs unter Maxi-
milian II, in Aussicht steht. Da nach Mittheilung Prof. v. Ottenthals,
welche in dem der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin
am 23. Januar 1890 erstatteten ofhciellen Bericht über die Arbeiten des
preussischen Instituts in Rom und in den Berichten der Görresgesellschaft
ihre Bestätigung fanden, von diesen beiden Seiten die Jahre 1564 — 1576
nicht in das Arbeitsprogramm einbezogen waren, und da von den einzelnen
Forschern, welche in der jüngsten Zeit das Material des vaticanischen
Archivs für die Jahre 1564 — 1576 benutzt hatten, ein näheres Eingehen
auf die Geschichte Oesterreichs unter Maximilian II. nicht zu erwarten
war, wurde eben dieses Thema für die gemeinsame Arbeit von Sickel in
Vorschlag gebracht und wurde diese Wahl vom h. Ministerium gutgeheissen.
An der Hand der Notizen Ottenthals und der Starzer'schen Excerpte war
schon in Wien der genaue Arbeitsplan entworfen worden, so dass die Sti-
pendisten, nachdem Sickel die Erlaubnis zur Benutzung des betreuenden
Materials erwirkt hatte, sofort nach ihrer Ankunft in Eom, d. h. in den
ersten Tagen des October die ihnen übertragene Arbeit in Angriff nehmen
konnten.
Zu Hefele-Knöpfler's Coiicilieugeschichte V. uud VI
Eine Replik,
In dieser Zeitschrift IX. 356 — 364 habe ich den fünften Band der
neuen Auflage von Hefele's Conciliengeschichte einer Kritik unterzogen.
Wie ich zeigte, hat der Bearbeiter, A. Knöpfler, o, ö. Professor der Kirchen-
geschichte an der Universität München, mehrere der für ihn wichtigen
Werke entweder gar nicht oder in ungenügender Weise benutzt. Die
Summe meiner Nachprüfung fasste ich dahin zusammen, »dass Knöpf-
ler'n keineswegs überall das Lob echt deut'scher Gründ-
lichkeit gebühre.« Wegen dieses Urtheils hat er nun ein Hochgericht
über mich gehalten. Im Vorworte zum sechsten Bande entwirft er ein
Bild von mir und meiner Kritik, das doch noch mehr Abscheu, als Mit-
leid erregen muss. Schonungslos tadelt er mein hämisches Witzeln,
meine nichts weniger als nobele Art, meine niedrigen Nörgeleien, ferner
meine ungeschlachte, alle Regeln des Anstandes und der Klugheit hint-
ansetzende Erregung, meine mehr in persönlichen Beleidigungen, als
in wissenschaftlichen Erörterungen sich ergehende Kritik, meine zimpferliche
Empfindsamkeit und krankhafte Eigenliebe u. s. w. ; ja nach Knöpfler gehöre
ich zu den Thersitesnaturen, deren es auch in der literarischen Welt gebe.
An Urkraft, wäe man sieht, lassen die Scheltworte meines Gegners nichts
zu wünschen übrig. Prüfen wir, ob seine Beweisführung von gleicher
Stärke ist! Doch liegt es mir fern, ihr in alle Einzelheiten zu folgen.
Aus dem einleitenden Theile hebe ich nur zwei Proben hervor, um dann
den »Haupt- und Angelpunkt«, gegen den »all das Gesagte nur Neben-
dinge sin<l,« desto genauer zu untersuchen. Die beiden Beispiele aber
wähle ich so, dass es nur ganz weniger Worte bedarf, um den Lesern zu
202 Literafur.
zeigen, mit welcher Leichtigkeit Knöpfler über meinen Charakter aburtheilt;
zugleich wird sich aber auch dabei wieder ergeben, wie wenig »echt
deutsche Gründlichkeit« die Sache meines Gegners ist.
»Für die Conciliengeschichte«, meint Knöpfler, »kann, es gleichgiltig
sein, ob Nieheim, Nyem oder Kiem geschrieben werden soll, und doch
hielt ich es für nothwendig, diese Frage zu berühren, wie ich es für an-
gezeigt hielt, kurz über die Nepomukfrage zu orientiren, wiewohl dieselbe
zu Concilien in keinerlei Beziehung steht u. s. w. Mag Schefi'er hierüber
hämisch witzeln. Andere werden die Sache wohl anders ansehn.« Wo habe
ich über die Aufnahme unnöthiger Einzelheiten der weiteren Historie, mit
denen die Conciliengeschichte beschwert ist, in hämischer Weise gewitzelt?
wo habe ich darüber auch nur gewitzelt? S. .356 schrieb ich: »wenn in
einer Fussnote gesagt wird, dass nach Einigen nur das Fleisch, nicht auch
die Gebeine Friedrichs in Antiochien beigesetzt seien, so wird freilich eine
Bemerkung Hefele's, wonach die Leiche des Kaisers dort ihre Euhe ge-
funden hätte, die Erörterung veranlasst haben ; aber für die Entwicklung
— wenn ich so sagen darf — des synodalen Lebens ist sie so gleichgiltig,
wie die erst von Knöpfler, nicht schon von Hefele berührte Frage, ob die
That der Weiber von Weinsberg der Geschichte oder der Sage angehöre.«
Wo ist — wiederhole ich — auch nur der Anflug einer hämischen Witzelei?
Wie manche andere, so hat Knöpfler auch eine Arbeit W. Meyer's
angeführt, ohne sie ausgenützt zu haben. Nicht einmal der gereinigte
Text von Papstbriefen, den Meyer's Publikation bietet, ist für ihn vor-
handen. Das Datum eines der von Meyer veröfl'entlichten Schreiben be-
stimmte er nach einem alten und schlechten Di'ucke^), und über die Ab-
sender eines anderen hat er ganz verkehrte Anschauungen geäussert''^). Beide
Irrthümer hält er auch jetzt noch fest, wie ich glaube, weil er auch jetzt
die Abhandlung Meyer's noch nicht studirt hat. Doch kömmt ihm hier zu
Statten, dass die falsche Datirung aus der alten Bearbeitung der Eegesta
pontificum auch in die neue übernommen ist. Dahinter verschanzt er
sich'^). Was dann die Frage nach den Absendern angeht, so wirft er
•) Ludewig Rel. Msc. IL 435. Ihm folgten Mansi, Watterich und Migne.
Seine Quelle aber war derselbe Codex, ans dem W. Mejer schöpfte. Dieser nun
bezeichnet Ludewig"s Datum ausdrücklich als einen IiTthum, und nicht blos er :
schon fi'über hatte Winter ebenso gelesen, wie jetzt Meyer. Vgl. Forschnngeu z.
deutschen Gesch. XIX. 61. 63. 74 und X. 647. ' ^) — „oder ist Scheffer der
Ansicht, die deutschen Bischöfe hätten in corpore zusammen genannten Brief
geschrieben'.?' Allerdings bin ich der Ansicht, ganz in Uebereinstimmung mit
Meyer, durch dessen Ausfiihrungen S. 73 meine frühere Auflassung als unrichtig
beseitigt ist. Wie heute Meyer, sagten aber schon die Zeitgenossen Arnold von
Lübeck und Radulf von Diceto , dieser : Teutonici regni tarn archiepiscopi quam
episcopi, jener: epistola, signata bullis omnium episcoporum. Heisst es in meiner
Rezension S. 362 : ,,es wäre doch ein eigenthümliches Geschäftsverfahren gewesen,
wenn die Bischöfe, statt aus ihrer Mitte die vornehmsten Männer auszuwählen, die
Collegen eines und desselben Sprengeis beauftragt hätten", so setze ich mich
mit Meyer's Ausführungen keineswegs in Widerspruch, ich gehe nur einen Augen-
blick auf Knöpfler's Ansicht ein: selbst für den lall, dass nicht alle Bischöfe
geschrieben hätten, — war mein Gedankengang, — würde man doch eine andere
Auswahl getroffen haben, als säramtliche Collegen eines und desselben Sprengeis.
Wie sehr ich die ganze Auffassung Knüi)tlor's verwerfe, zeigten meine kurz vorauf-
gehenden Worte, dass nach Meyer's Darlegung das Schreiben ,,in Wirklichkeit
von allen deutschen Bischöfen erlassen sei". ^) Aehnlich macht er's noch
Literatur. 2Ctn
mir Nörgelei vor^). Und darauf fährt er fort: »Noch niedriger steht
eine andere Nörgelei«. S. 560 Anm. 1 bemerkte ich, dass Knöpfler für
die Datirung einer Gesandtschaft einen ungenügenden Grund vorgebracht
habe. Es gebe aber ein entscheidendes Moment, — fügte ich hinzu, —
»das Knöpfler ganz unpassender Weise übersah, nämlich die Zeugenschaft
eines der Gesandten, die sich in päpstlicher Urkunde vom 18. März 1158
findet. Pflugk-Harttung Acta I. 225.« Dagegen erhebt sich nun Knöpfler:
»Meine Vorrede, die bekanntlich immer erst nach Vollendung des Text-
druckes geschrieben wird, ist vom 2. Februar 1886 datirt, und nun wirft
mir Schefi'er vor, ich hätte ein Werk nicht benutzt, das auf dem Titel
gleichfalls die Jahreszahl 1886 trägt!« Mit Verlaub, — der erste Band
von Pflugk-Harttung's Acta, den ich anführte, trägt auf dem Titel die
deutlich ausgeprägte Jahreszahl 1881! So sehr fehlt esKnöpfler'n
also an »echt deutscher Gründlichkeit«, dass er nicht ein-
mal ein Beweismoment, aus welchem er »niedrige Nörgelei«
seines Gegners darthun möchte, einer ruhigen Prüfung
unterzieht!
»Doch all das Gesagte sind nur Nebendinge«, »der Haupt- und Angel-
punkt« ist die Kritik, welche Knöpfler an meiner Datirung des Gelnhauser
Eeichstages geübt hat. Ihretwegen soll ich aus Eand und Band gerathen
sein, alles Anstandsgefühl und alle Klugheit verloren und eine krankhafte
Eigenliebe und fast zimpferliche Empfindsamkeit verrathen haben. Ach,
wenn Knöpfler doch gesehen und gehört hätte, wie fröhlich idh mit meinen
Strassburger Seminaristen gelacht habe, als ich an dem von ihm gebotenen
Beispiele zeigte, was im Allgemeinen und im Einzelnen bei einer chrono-
logischen Untersuchung zu vermeiden sei! Wir waren ebenso heiter, wie
ich es am nächsten Freitag mit meinen Berliner Seminaristen sein werde,
wenn ich Knöpfler's neueste Enthüllungen über die Datirung des Reichs-
tages bespreche.
In meiner Eezension bedauerte ich, — eben mit Hinsicht auf unsere
Controverse — dass mein Buch über den letzten Streit Friedrichs I. mit den
Päpsten »an einer Stelle nur eine flüchtige Benutzung erfuhr, und zwar
einmal, aber noch viel ungeschickter. Ich hatte ihm bemerkt, dass eine Corre-
spondenz zwischen Friedrich I. und Hadrian IV., die er ohne jedes Bedenken auf-
genommen hatte, von P. Wagner, Eberhard II. Bischof von Bamberg 120 — 133,
längst als unecht erwie-en sei. Dagegen wendet er mm ein. die Correspondenz
hätte er „stehen lassen", weil er dazu ,, geradeso berechtigt zu sein glaubte, wie
der Herausgeber der zweiten Auflage von -äffe 's Regesten". Man sollte danach
annehmen, Löwenfeld hätte die Beweisführung Wagner's zum Wenigsten nicht
für zwingend erachtet. Wie aber wird man enttäuscht, wenn man Nr. 10575
aufschlägt ! Da ist dem Hegest nicht blos die übliche Warnungstafel vorgesetzt,
nämlich das die Urkunden als Fälschungen bezeichnende Kreuz, .sondern es heisst
auch ausdi'ücklich : ,,Epistolam in schola fictam esse probat Wagner I" Was
mein Gegner noch hinzufügt, ist mir leider ganz unverständlich geblieben: nur
unter der nicht zutreffenden Voraussetzung, dass er wenigstens einen leisen Zweite!
gegen die Echtheit der Correspondenz angedeutet hätte, könnte es meines Enicli-
tens einen Sinn haben.
') Aut die Gefahr, dass Knöpfler mit gleichem Tadel mich nochmals zu
treffen suche , muss ich doch Einsprache dagegen erheben, dass ich nach i^^. VI
gesagt haben soll, die Adresse nenne als Absender nur Wichmann von Magde-
burg. Ich betonte vielmehr den Zusatz cum ■■^uis ftuffrot/ancis; ja , icli benutzte
ihn gegen Knöpflers Darstellung !
204 Literatur.
gerade an einer Stelle, die den gestrengen Censor veranlasst, mich förm-
lich an den Schandpfahl zu stellen«. Diese scherzhafte Wendung hat nun
den ganzen Unwillen Knöpfler's en-egt, und ihr gegenüber meint er auf
seine »durchaus sachlich gehaltene Darlegung« pochen zu sollen. » Z u r e c h t -
richtung der Chronologie, gewaltsame Verschiebung der
Thatsachen, luftiges Gebäude« sind nach Knöpfler also Aus-
drücke einer »durchaus sachlichen Darlegung«^). Die beiden
ersteren Vonvürfe wiederholt er auch in seiner Antikritik, jedoch das
»luftige Gebäude« hat er jetzt bei Seite gelassen. Weshalb? Dieses vor
allem musste die Vermuthung nahelegen. Knöpfler halte mich für einen
nicht eben nüchternen Foi'scher, und da er nun hinzugefügt hatte, bei
mir könne die falsche Datirung weniger auffallen, als bei meinen zahl-
reichen Nachfolgern, so schien er mir doch auch keine besonders günstige
Meinung über mein Fassungsvermögen zu äussei'n. Daher sagte ich,
Knöpfler's Eaisonnement »könnte heissen, ich sei ein beschränkter und 2)
phantastischer Kopf, der eigentliche Tadel treffe meine sonst ernster zu
nehmenden Nachfolger«. Weil ich meiner Sache aber nicht sicher war,
wagte ich noch eine andere Hypothese, und ich schloss dann: »Doch ge-
nug der Vermuthungen«. Daraus macht Knöpfler nun: »Scheffer er-
laubt sich, mii* förmlich Invectiven unterzuschieben: ich hätte ihn für
einen beschränkten oder phantastischen Kopf erklärt. Ich frage , ist
solch ein Benehmen noch eines deutschen Mannes, nicht zu sagen eines
Gelehrten würdig?«
»Nun zur Sache!« lautet die wdrklich verständige Interjektion, die
Knöpfler seiner pomphaften Frage folgen lässt.
Wie Knöpfler Y. 732 versichert, wäre Friedrich erst »anfangs des
Jahres 1187« nach Deutschland zurückgekehrt; im weiteren Verlaufe hätte
er den berühmten Reichstag von Gelnhausen gehalten. Dagegen behauptete
ich, der Kaiser sei schon im August 1186 wieder in Deutschland nachzu-
weisen, und im November hätte er die Fürsten zu Gelnhausen um sich
versammelt. In einem Punkte hat Knöpfler mir nun stillschweigend zu-
gestimmt : früher hatte er gegen meine Chronologie geltend gemacht, dass
Friedrich noch am 11. Februar 1187 zu Pavia geurkundet habe; jetzt hat
er eingesehen, dass er wenigstens an dieser Stelle meinen chronologischen
Untersuchungen, wie auch Stumpfs Regesten nicht mit echt deutscher
Gründlichkeit gefolgt war. Aber meine übrigen Zeitbestimmungen! Ich
hatte gesagt, nicht Aveniger als vier Urkunden habe Friedrich I. schon im
August 1186 zu Mühlhausen ausgestellt. Zwei davon sind uns nur in
späteren Abschriften überliefert. St. 4463. 64. Knöpfler beseitigt sie,
indem er schreibt: »Mühlhausen 26. Augiist ind. 5 = ii87«. Dass beide
das Jahr 1186 tragen, dass Stumpf zu 4464 hinzufügt: »nach Pertz' Mit-
theilung ex cop. saec. 15 mit ind. 4«, kommt für Knöpfler nicht in Be-
tracht, und so werde ich auch umsonst ergänzen, dass mir von 4463 eine
') Ganz anderer Meinung war W. Ribbeck , der in der Hist. Zfsch. N. F.
XXVIII. 136" die Kritik Knöpfior's eine aiimassendt' nannte. Auch mit ihm geht
Knr)pfler nun furchtbar in's Gericht : nicht genug damit, dass er als ,,ein gewisser
Ribbeck" angeführt wird , — auch er ist eine „Thersitesnatur", und auch seine
Rezension ist nur,, eine Enunciation haltloser Angiitt'e und persönlichster Rar.ciine".
■-') S. .361 Anm. 2 steht aus Versehen: ,, oder'" .statt „und".
Literatur. 205
Abschrift saec. 14 gleichfalls mitind. 4 vorliegt. Viel wichtiger sind St. 4465
und 66, weil wir deren Originale noch besitzen. Von der ersteren be-
hauptet Knöpfler: »ohne Jahr, fällt also ausser Berechnung«. Da fehlt
es meinem Gegner wieder an echt deutscher Gründlichkeit.
St. 4465 heisst es: »ohne annus regni et imperii«, und damit ist still-
schweigend erklärt: »annus incarnationis et üidictio« siud vorhanden. Sieht
man nun den Druck ein, nämlich Stumpf Acta imp. 236 N. 172, so liest
man: »Datum Mulihusen ao. dorn. ine. 1186 ind. 4. 7 kal. Septemb.« ^)
Dem gegenüber schreibt Knöpfler: »ohne Jahr, iallt also ausser Berech-
nung«. Ganz dasselbe Verhältniss wiederholt sich bei der zweiten Urkunde.
Knöpfler hätte schon aus dem Regest ersehen können , dass nur anni
regni et imperii fehlen; im Drucke bei Spon Hist. de Genfeve 11. 44 ed.
in 4^ ni. 82 ed. in 8^ würde er gelesen haben: »Datum apud Mulen-
husen ao. dom. itic. 1186 ind. 4. 6 kal. Septemb.«^^) Gleichwohl schreibt
Knöpfler auch hier: »ohne Jahr«. Darf ich bei dieser Lage der
Dinge die Arbeitsweise meines Gegners noch durch das
schonende Wort: »Mangel an echt deutscher Gründlichkeit«
kennzeichnen, bin ich hier nicht zu einem viel schärferen
Urtheil verpflichtet? Doch weiter! St. 4469 trägt die Jahres-,
Orts- und Tagesbezeichnung: »Acta sunt haec ao. dom. ine. 1186 ind. 5
ao. reg. :34 imp. 32, Datum apud Haselach 3 id. Novemb.« Hier be-
hauptet nun Knöpfler, die Jahresdaten widersprächen einander. Zu 1186
soll Indictio 5 nicht passen. Ich kann wieder nur sagen: abermals
ein bedauerlicher Mangel an Gründlichkeit! Denn wenn Knöpfler
sich nur ein wenig in Stumpf 's Eegesten umgesehen hätte, so würde er gefunden
haben, dass sein Satz »indictio 5^^1187« in Bezug auf den damaligen Ge-
brauch der kaiserlichen Kanzlei doch einer, für unseren Fall sehr wichtigen
Modifikation bedarf. Man begann zur Zeit nämlich die Indiktion mit dem
24. September^), mithin hob die fünfte Indiktion vom 24. September 1 186
an, und so ergiebt sich die schönste Uebereinstimmung, wenn »1186«
auf das Ende des Jahres sich bezieht! Annus imperii 32 läuft vom
18. Juni 1186 bis 17- Juni 1187; also auch hier schönste Ueberein-
stimmung mit 1 1 86 und Lidictio 5 , wofern man nur das Ende des
Jahres festhält. Dann war annus regni 34 in Wahrheit am 9. März 1186
abgelaufen, aber nicht für die Kanzlei, die noch am 1 ü. Mai, am 9., am
22., am 27. Juni und wieder am 28. November 1186 das 34. Königsjahr
zählt^). Wo sind also die Widersprüche ? Nirgends ; nur muss man wegen
Indictio 5 die Zeit nach dem 24. September 1186 annehmen. Dazu passt
') ,,Nach dem Original im Staatsarchiv zu Turin." -) „Collata (sc. sententia)
cum origiuali." «) Z. B. am 22. September 1 184 bediente sich der kaiserliche Notar
noch der 2. Indiktion, am 29. schon der 3., dann wieder am 10., 24., 27., 30. Oktober,
am 3., 4., 12., 16., 24. November, am 3. Dezember. St. 4385. 86. 87. 89. 91. 92. 93. 95.
9(j. 98. 99. 4400. Ol. Wenn dagegen in Urkunden vom 19 Oktober und 4. November,
wie es scheint, nochmals die 2. Indiktion auftritt, so wird die Regel durch
solche Ausnahmen keineswegs erschüttert. •») Dass Kaiser- und Königs-
jahre über den Endtermin hinaus noch Monate lang weitergezählt werden, kommt
auch sonst mehrfach vor. Annus regni 13 z. B. war am 9. März 1165 abge-
bauten, die Kanzlei aber blieb dabei, und zwar nicht blos das ganze Jahr 11G5,
sondern noch l)is in die ersten Monate des folgenden Jahres. Da widerspricht
die Berechnung der Wirklichkeit, entspricht aber dem Kanzleigebrauch und da-
mit den übrigen Jaliresanffaben.
206 Literatur.
nun vortrefflich: »Datum apud Haselach 3 itl. Novemb.« ^) Kicht anders
liegt die Sache bei den vor Allen wichtigen Urkunden 4471. 72: »Acta
sunt haec ao. dorn. ine. 1186 ind. 5 ao. reg. 34 imp. 32. Datum apud
Geylinhusin 4 kal. Decemb.« Da sind innerhalb der JahresbestimmuQgen
aber auch gar keine Widersprüche 2), und ganz besonders herrscht zwischen
ihnen und dem Monat die glücklichste Harmonie: November 1186. Aber
nun meint Knöpfler, ■ — wenn ich ihn recht verstehe, — dass selbst unter
der Voraussetzung, alle Jahresangaben gi'ifFen vortrefflich in einander, für
das Jahr der Beurkundung noch Nichts bewiesen sei. Ein Jeder nämlich,
der nur einigermassen aufmerke, erkenne sehr bald die doppelte Datirung,
eine der Handlung: Actum und eine der Beurkundung: Datum. Er will
damit off"enbar sagen, die Jahresangaben, welche unter Actum zusammen-
gefasst seien, hätten für das Datum keine Geltung, und wäre nun die
Handlung auch mit einer Sicherheit, wie ich sie eben gegen Knüptter dar-
gethan habe, dem Jahre 1 186 zuzuweisen, so brauche doch die Beurkundung
darum nicht auch schon 1186 erfolgt zusein. Vielleicht begriffe ich jetzt,
triumphirt Knöpfler, weshalb er gesagt habe: »der Kaiser Urkunde zu Geln-
hausen am 28. November, aber ohne Jahr«. Nein, ob Knöpfler seine
»Exegese« auch eine »schulgemässe« nennt, mir fehlt doch jedes Ver-
ständniss für dieselbe. Und zu meinem Schmerze wird mir die Sache auch
nicht klarer, wenn Knöpfler hinzufügt: »Scheffer scheint gar keine Ahnung
davon zu haben, dass unter den Geschichtsforschern eine Controverse be-
steht betreffs des urkundlichen Itinerars, wozu gerade obige Urkunden
einen so schätzbaren Beitrag liefern. Wollte ich hämisch sein, wie
Scheffer, so müsste ich sagen: aus Ficker's Beiträgen zur Diplomatik hätte
er das Nöthige hierüber lernen können.« Wäre Knöpfler doch hämisch
gewesen, hämisch bis zu dem Grade, dass er mir mit der Zahl des be-
treffenden Paragraphen gedient hätte ! Ich meine : mit einem Paragi'aphen,
aus dessen Lektüre mir einleuchten müsste, dass in den fraglichen Ur-
kunden die Jahresangaben des Actum nicht auch auf das Datum zu be-
ziehen seien. So denke ich immer nur an Paragraph 411 Bd. H S. 352:
bei der feierlichen Datirung, d. h. eben in unseren Fällen^), besteht »fast
ausnahmslose Uebereinstimmung zwischen den Jahresangaben des Actum
und dem Datum«. Thatsächlich kannte Ficker aus der ganzen Regierung
Friedi'ichs L nur ein einziges Beispiel, dass bei feierlicher Datierung die
unter dem Actum angegebenen Jahresbestimmungen nicht auch für das
Datum gegolten hätten. Nun bietet Knöpfler gleich drei »schätzbare
Beiträge«; ich befürchte nur, dass Ficker sie mit vielem Danke ablehnen
wird*).
Doch Knöpfler hat für die Folgerung, welche er aus den Urkunden
zog, noch die schönste Bestätigung gefunden. Der Erzbischof von Mainz
') In der Urkunde selbst heisst es : Nuper idem Otto et Hermannus allo-
dium in manus nostras apud Mulehusen posueiunt etc. *) Was das
Königsjahr angeht , ho meine ich natürlich auch hier : vom Standpunkte des
kaiserlichen Notars, der das 34. über den 8. März hinausgezählt hat. ») Dass
in St. 4471 nicht die volle Form der feierlichen Datierung erscheint, dass da
unter Actum nur das Jahr genannt ist , kann an der Sache Nichts ändern.
*) Knöpfier beschäftigt sich auch noch mit der Datirung von St. 4470, aber diese
Urkunde hal>e ich in meiner Rezension ganz ausser Betracht gelassen.
Literatur. 207
war bei deu Verhandlungen zugegen: das eine Mal ist er Fürbitter, das andere
Mal Zeuge ; bei der Beurkundung sei er nicht zugegen gewesen, denn die
Eecognition lautet: »Ego Johannes imp. aule cancellarius vice Cunradi
archicp. etc.« So Knöptler, der damit einen geradezu epochemachenden
Lehrsatz in die Diplomatik einführt. Und nicht bloss für diese ist das
neue Axiom von umstürzender Bedeutung, — welche Perspektiven er-
öffnen sich nicht auch den politischen Combinationen ! Z. B. , unsere
Herrscher weilten in Mainz, d. h. in der eigenen Stadt des Erzkanzlers:
Oktober 11:33, April 11:38, Dezember 1152, April 116:3, Mai 1184,
Oktober 1195^), und die Urkunden , welche sie da in Mainz ausstellen,
sind sammt und sonders unterfertigt » Ich der Kanzler anstatt des Erz-
kanzlers« ! Der Letztere ist offenbar immer vor dem herannahenden Kaiser
davongelaufen, und da musste denn der Erstere als Stellvertreter seine
Funktionen übernehmen! Die Geschichte der Erzbischöfe von Mainz ist
doch in mancher Hinsicht umzugestalten; — hoffentlich geht Niemand
daran, ohne sich vorher mit dem Urkundenwesen nicht wenigstens etwas
vertrauter gemacht zu haben, als Knöpfler. Er wird dann bestätigt finden,
was bisher allgemein galt, was z. B. jüngst noch der Münchener Privat-
dozent Gr. Seeliger Erzkanzler und Keichskanzeleien .35 so tormulirt hat:
»Zahlreich sind die Fälle langen xiufenthaltes der Erzkanzler am Königs-
hofe ohne Anzeichen ihres Zusammenhanges mit dem Kanzleiwesen« ^).
Nach Knöpfler dagegen sind die Beziehungen des Erzkanzlers zu den
Kanzleigeschäften so innig, dass der Kanzler nur dann für ihn eintritt,
wenn er, der Erzkanzler, selbst abwesend ist!
Knöpfler beendet seine diplomatische Untersuchung mit einer Be-
rufung auf das Urtheil competenter Richter, die darüber entscheiden soll-
ten, »wer von uns beiden die Urkunden genauer angesehen und gewissen-
hafter geprüft habe, wem es um Weiterförderung der Wissenschaft und
wem es nur ums Eechthaben zu thun ist.« Indem ich mir noch einmal
vergegenwärtige, dass Knöpfler gleich von zwei im Original vorliegenden
und längst durch den Druck bekannten Urkunden, die mit Jahr und zu-
gehöriger Lidiktion versehen sind, frischweg zu behaupten wagt: »ohne
Jahr«; indem ich nochmals erwäge, dass er den Anfang der Indiktion,
welcher für die Untersuchung seine Wichtigkeit hat, ebenso leichtfertig
als unrichtig bestimmt; indem ich seine wunderlichen Ansichten über
Actum und Datum der feierlichen Datirung, dann über das Wesen der
Eecognition, — indem ich diese Ansichten, deren Verkehrtheit er ohne
besondere Mühe erkennen konnte, auch hier nicht ausser Acht lasse, meine
ich unbedenklich seinen Appell an die Entscheidung berufener Kritiker
unterschreiben zu können.
Am Schlüsse seiner ganzen Polemik erhebt sich Knöpfler zu der
•) St. 3286. 3375. 76. 3654. 3978. 79. 4374. 4966. In all' diesen Urkunden ist
der Erzkanzler zugleich auch Zeuge. Das ist nach Knöpfler dann natürlich auf eine
frühere Handlung zu beziehen. ^) Gerade der damalige Erzkanzler, Konrad
von Witteisbach, erscheint nur dann sozusagen als Träger der Eecognition, wenn
die Kanzlei erledigt ist, so 1192 Februar 15: Ego Cuuradus Mogunt. sed. archiep.
et Germ, archicanc. reo. vacante cancellaria. St. 4735, cf. 4766. 67. 77.
85. 87. Sobald ein neuer Kanzler ernannt ist, recognoscirt dieser wieder anstatt
des Erzkanzlers. Vgl. auch noch St. 3971.
208 Personalien.
Apostrophe: »Ich fordere Scheffer feierlich auf, mir in den beiden vor-
liegenden Bünden eine emzige Unwahrheit, ahsichtliche Verdrehung oder
Entstellung der Thatsachen nachzuweisen«. Meine Antwort ist, dass ich
dieser Aufforderung trotz all' ihrer Feierlichkeit nicht entsprechen Averde.
Ich lehne es ab, Knöpfler'n das offenbar von ihm verlangte Leumunds-
zeugnis auszustellen, denn in meiner Eezension habe ich seine Moral aber
auch mit keiner Silbe berührt. Was ich ihm zum Vorwurf machte, war
<ler Mangel an echt deutscher Gründlichkeit. Dass ich damit aber ein
Unrecht begangen hätte, will mir heute am allerwenigsten emleuchten:
ich danke meinem Gegner, dass er in seiner Antikritik eine Eeihe neuer,
schlagender Belege für die Richtigkeit meines Tadels erbracht hat.
Berlin. P. Scheffer-Boichorst.
Personalien.
Am 8. Dec. 1890 feierte Prof. i. P. Albert Jäger, der erste Di-
rektor unseres Instituts, seinen 90. Geburtstag.
Hofrat Th. v. Sickel wurde zum Associe etranger de l'Institut de
France und zum wirklichen Mitglied der Accademia dei Lincei in Rom
gewählt.
Ernannt wnrden : K. S c h a 1 k zum Castos, W. E n g e 1 m a n n zum Scriptor
der städtischen Bibliothek in Wien, bei der auch H. Viebig als Volontär
eintrat, J. Dona bäum zum Amanuensis, A. Sehne rieh zum Praktikanten
der Universitätsbibliothek in Wien, 0. v. Falke zum Directorial- Assistenten
am Kunstgewerbe-Museum in Berlin, M. Faber zum Official des Archivs im
k. u. k. gemeins. Finanzministerium in Wien, St. Krzyzanowski zum
Archivar der Stadt Krakau.
Am 16. März 1890 erlag Dr. Emil Wähle einem langwierigen
Lungenleiden, das ihn schon Ende des Jahres 1888 genüthigt hatte, die
Studien am Institut zu unterbrechen, ein tüchtiger junger Mann, an den
sich bedeutende Erwartungen knüpfen durften.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III.
Von
Th. V. Sickel.
Vorbemerkungen.
Zu Ende des vorigen Jahres ist der Druck des zweiten Bandes
der Diplomata regum et imperatorum Germaniae wieder aufgenommen
worden, dessen zweite Hälfte die Urkunden Otto III. und die mehr-
fachen Kegister zu den Urkunden Otto IL und Otto III. enthalten
soll. Bedarf es nun auch für die Diplome Otto III. mancher ausführ-
licher Erläuterungen, für welche in der Edition selbst nicht Kaum
vorhanden ist, so werden ich und mein jetziger Arbeitsgenosse Dr.
W. Erben sowohl in der Auswahl als in der Behandlung einzelner
Themata darauf Rücksicht zu nehmen haben, dass der früher an den
Arbeiten der Abtheiluug betheiligte Dr. Paul Kehr bereits ein um-
fangreiches Buch: Die Urkunden Otto III. (Innsbruck, Wagner, 1890)
hat erscheinen lassen. Eine Reihe von Fragen finden wir von ihm
erschöpfend und richtig beantwortet, brauchen sie also nicht wieder auf-
zugreifen, sondern können uns begnügen in der Diplomata-Ausgabe
auf die betreffenden Stellen seines Buches zu verweisen. Aber es ist
doch nur ein Theil der uns obliegenden Arbeit, welchen Kehr uns
ab- und vorweg genommen hat.
Kehr selbst will sein Buch nicht als abgeschlossene und in sich
abgerundete Specialdiplomatik Otto III. betrachtet sehen. Aber angelegt
ist es jedenfalls als Specialdiplomatik, was von einer Seite bereits dem-
selben als Vorzug nachgerühmt ist und was ich selbst in gewissem
Sinne willkommen geheissen habe ^). Und da Hess sich nun nicht
') Es ist in unsern Kreisen oft von solcher Arbeit als einer sehr wünschens-
werthen die Rede gewesen. Aber sie in Angriff zu nehmen hat es uns stets an
Zeit gefehlt. Alle welche der Abtheilung angehörten, glaubte i-ch anhalten zu
Mittheilungeu XII. ü
210 Sickel.
alles das erledigen, was wir als Commeutar zu einzelnen Urkunden
oder Urkundenreihen für nötliig erachten, so dass wir die von Kehr
veröffentlichten Untersuchungen noch vielfach zu ergänzen haben. An-
dererseits sind wir auch in zahlreichen Fragen zu andern Ergebnissen
gelaugt und somit verpflichtet, Berichtigungen zu bieten. Doch wir
werden in der einen wie in der andern Richtung Mass halten und
uns auf das beschränken, was um der Edition willen zu sagen ist und
in ihr nicht gesagt werden kann i).
Obwohl bereits Kehr im Vorwort Aufschlüsse über die Entstehung
seines Buches gegeben hat, muss ich dieselben vom Standpunkte des
Leiters der Abtheilung vervollständigen, um sowohl Kehr als andern
gerecht zu werden. Ich verbinde damit einen weitern Zweck: dem
Abschlüsse dessen nahe was ich übernommen habe, glaube ich auch
einiges über den Gang der Arbeiten in den letzten Jahren und ins-
besondere über meinen Antheil an denselben berichten zu sollen.
Eine Reihe von Jahren habe ich fast ausschliesslich der Aufgabe
gelebt, welche mir von der Centraldirection der Monumenta Germaniae
übertragen worden war. Mit der Veröffentlichung eines Programmes
für die Vorarbeiten (1876) war doch nur der erste Schritt gethan.
Es bedurfte noch angestrengter Arbeit und reiflicher Ueljerlegung, bis
ich über alle Fragen der Urkundenkritik und der Urkundenedition
schlüssig ward. Zu solchem Behufe habe ich etwa bis zum Juli 1884,
in welchem die Herausgabe der DD. 0. I. vollendet vnirde, mich un-
unterbrochen, in und ausserhalb Wien, an all den mannigfaltigen Ar-
beiten deren es bedurfte persönlich betheiligt ^). Gewisse Fragen zu
müssen, ihre ganze Arbeitskraft auf möglichste Förderung der Edition zu richten.
Die zu Gunsten Kehrs gemachte Ausnahme hat auch thatsächlich den Druck ver-
zögert. Dazu kam für mich ein zweiter Grund, vorläufig von derartiger Arbeit
abzusehen. Ich habe den Wunsch gehegt und hege ihn noch, dass die Köuigs-
urkunden etwa eines Jahrhunderts (auf die Frage der richtigen Abgrenzung der
Periode gehe ich hier nicht ein) systematisch behandelt werden mögen, aber erst
nach Abschluss der Edition für das 10. Jahrhundert. Zu so umfassender Arbeit
hat sich Kehr nicht entschliessen können, so oft er auch betreffs einzelner Merk-
male auf die Urkunden der Vorgänger zurückgegriffen hat, und ich fürchte dass
er andern die Lust zu solcher benommen hat, indem er einen Theil der Aufgabe
bereits gelöst hat.
') loh will hier keine Anzeige und noch weniger eine Kritik des Kehr'schen
Buches schreiben. Ich gehe dabei auch über zahlreiche gegen mich und gegen
die von mir besorgte Diplomata-Ausgabe gerichtete Bemerkungen hinweg, ausser
wenn ich sie mit Rücksicht auf die Diplome Otto III, aufzunehmen Anlass habe.
-) Mein Antheil erstreckte sich bis auf die Redaction der Uebersicht der Urkunden,
und nur die Anfertigung der weiteren drei Register habe ich damals H. Dr. von
lleineinann und den andoni .Mitnvboitera überlassen.
firläuterungeii zu den Diplomen Otto IIT. 21 1
lösen hatte ich mir allein vorbehalten; in allen andern habe ich mir
die letzte Entscheidung gewahrt. Dass ich so viel Zeit und Kraft auf
die eine Arbeit verwenden konnte, verdankte ich vor allem dem Um-
stände, dass sich meine amtliche und meine ausseramtliche Thätigkeit
bis zu einem gewissen Grade deckten: auch als akademischer Lehrer
fühlte ich mich berufen, die Diplom atik durch allseitige Beherrschung
einer Kategorie von Urkunden fortzubilden und meine Schüler durch
gemeinsame Beschäftigung mit eben diesem Stoffe zu Diplomatikern
heranzubilden.
Doch mit der Zeit traten an mich als Lehrer und als Mann
der Wissenschaft neue Aufgaben heran. Auch bedurfte es um die
Edition in gleicher Weise fortzusetzen, nicht mehr so intensiven und
steten Eingreifens von meiner Seite. So habe ich mich in den letzten
Jahren auf das zu beschränken versucht, was dem Leiter einer Monu-
menta- Abtheilung obliegt, darauf die Arbeiten der Gehilfen anzuordnen
und zu überwachen und die letzte Revision des für den Druck be-
stimmten Manuscriptes zu besorgen ^).
Allerdings habe ich dann doch wieder weiter gehen müssen, als
Fanta, auf dessen Fleiss und Tüchtigkeit ich mich zu verlassen allen
Grund hatte, erkrankte und starb. Kehr, der ihm als ständiger Mit-
arbeiter folgte, war, obwohl er bereits seit einiger Zeit als Freiwilliger
Fanta an die Hand gegangen war, noch nicht in alle Arten von Ar-
beiten eingeweiht. Und fand ich auch in Uhlirz, welcher längst aus
der Abtheilung ausgeschieden, aus Liebe zur Sache derselben seine
freien Stunden widmete und welcher im steten Wechsel der Personen
die Traditionen der Abtheilung aufrecht erhielt und vertrat, eine
zuverlässige Stütze, so wurde ich doch mehr als ich vorausgesehen
hatte in Anspruch genommen, als es galt, den schon begonnenen
Druck der DD. 0. IL ohne Unterbrechung zu Ende zu führen. Ich
fand daher keine Zeit mich schon der nächstfolgenden Aufgabe, der
Bearbeitung der DD. 0. III. zuzuwenden.
Wie es sich mit der Sammlung des Materiales für Otto III. ver-
hielt, werde ich später berichten. Zunächst wurde von demselben nur
k
•) In einem Punkte liabe ich selbst auf die Controle der Arbeiten mehr
oder minder verzichten müssen. Ich kann meine Augen nicht mehr wie in
früheren Jahren anstrengen und muss daher schwierigere Schrifteuuntersuchung
und die Entscheidung über diese und jene palaeographische Frage zumeist meinen
jüngeren Genossen überlassen. Ich lasse mir allerdings über alles berichten und
auch das vorhandene Material behufs Nachprüfung vorlegen. Aber ich kann mich
nicht mehr der Sicherheit des Urtheils rühmen, welche auf der steten Beschäfti-
gung mit den Schriftdenkmälern beruht.
14*
212 Sickol.
heschränkter Gebrauch gemacht. Mehrere DD. 0. III. mussten als
Nachurkunden von DD. 0. IL berücksichtigt werden, bevor letztere
edirt werden konnten. Andere DD. 0. III. waren als von bereits unter
Otto IL dienenden Notaren geliefert in die Untersuchungen über das
Kanzleipersonal 0. IL einzubeziehen. Diese und andere Beziehungen
zwischen den Urkunden des Vorgängers und denen des Nachfolgers
ins 'Auge zu fassen uud zu verwerthen, das war eine der Aufgaben,
welche Fanta zugewiesen worden war und um derentwillen er mit der
Sichtung der DD. 0. III. beginnen musste. Und eben zu letzterer Arbeit
hatte er den damals nach Wien gekommenen Kehr herangezogen,
Musste nun Kehr nach seinem förmlichen Eintritt in die Abtheilung
in erster Linie mir behilflich sein die Arbeiten über Otto IL zum
Abschluss zu bringen, so übertrug ich ihm auf seine Bitten nebenbei
das andere auf 0, III. bezügliche Pensum. Indem es ihn reizte einen
Stoff selbständig und ohne alle Beihilfe zu bearbeiten, steckte er sich
auch das am weitesten gehende Ziel. Er wollte nicht allein jedes
einzelne Präcept nach den Kegeln unserer Edition druckfertig her-
stellen, er wollte auch, was ich bisher mir vorbehalten hatte, die
Keihenfolge feststellen, er wollte endlich eine zusammenhängende Dar-
stellung des Kanzleiwesens liefern und sich so als Diplomatiker ein-
führen. Seinem Vorhaben kam anfangs manches zu statten. Indem
ich längere Zeit von Wien abwesend war, ejitfiel selbst die Möglichkeit
meiner Einmischung in seine Arbeit. Später enthielt ich mich der-
selben aus speciellem Grunde. Im Frühjahre 1888 hatte nämhch die
Centraldirection auf meine Fürsprache hin Dr. Kehr gestattet, das der
Abtheilung gehörige Material für eine Habilitationsschrift, welche sich
dann zu einem Buche ei-weitert hat, zu verwerthen: diese Bestimmung
der Arbeit Kehrs legte mir vollends Zurückhaltung auf. Stand es ihm
dagegen frei von allen Arbeiten seiner Vorgänger, über welche ich
mich gleich äussern werde, Gebrauch zu machen, so ist doch was er
aus ihnen gemacht und in seinem Buche geboten hat, sein ausschliess-
liches geistiges Eigenthum. Ihm allein gebührt dieses Verdienst, wäh-
rend die Mängel und Fehler nicht ihm allein zur Last fallen.
Kehr sah sich jedoch in der Folge zur Einschränkung seines ur-
sprünglichen Planes genöthigt. Solange er Mitglied der Abtheilung
war, musste er den grössten Theil seiner Zeit auf die Drucklegung
der DD, 0. IL verwenden , Hatte er sich dann frei gemacht, so zwangen
ihn bald, wie er selbst berichtet, persönliche Verhältnisse Wien zu
verlassen.
An seinem neuen Wohnorte war er auf die Excerpte, welche er
sich gemacht liatto, angewiesen, konnte die in der Abtlieilung bereits
Erliiiitcrungcu zu den Diplumen Otiu IIF. 213
vorhandenen Abschriften und Vorarbeiten nicht von neuem zu Käthe
ziehen und hatte nicht einmal Kenntniss von dem neuen nach und
nach einlaufenden Material. Seine Arbeit hat darunter leiden müssen.
Kehr hat nicht jede Einzeluntersuchunpf zum Abschluss zu bringen
vennocht. Hatte er sich insbesondere vorgenommen die Reihenfolge
der sämratlichen Urkunden festzustellen und hat er thatsächlich grosse
Mühe auf die chronologischen Untersuchungen verwendet, so hat er
dann doch in gerechter Würdigung der Sachlage (s. Vorwort IV.j sich
begnügt an einem gewissen Punkte Halt zu machen. Bedauerlicher
als dies finde ich eine Lücke in Kehrs Buche. In dem Entwürfe zu
demselben, welchen er mir vorlegte, waren die Dictamiua gebührend
berücksichtigt; in der Ausführung aber ist gerade dieses Thema zu
kurz gekommen, oflFenl^ar weil dasselbe zu erschöpfen Auszüge nicht
genügen, sondern immer wieder die vollständigen genauen Abschriften
zu Eathe gezogen werden müssen. Ist also Kehr die Erlaubniss den
Apparat der Abtheilung benutzen zu dürfen, nur eine Zeit lang zu
statten gekommen und hat er, um sein Buch niederzuschreiben, sich
vielfach mit Excei'pten und Listen behelfen müssen, so ist um so mehr,
was er unter solchen Umständen geleistet hat, anzuerkennen.
Sagte ich schon, dass Kehr von den Vorarbeiten früherer Genossen
abhängig war, so will ich hier ausführlicher berichten, wie diese ent-
standen waren, wie es mit ihnen zu Kehrs Zeit bestellt war und was
dann später noch nachgeholt worden ist. Am füglichsten knüpfe ich
auch dabei an die wichtige Scheidung zwischen noch vorhandenen
Originaldiplomeu und zwischen uns abschriftlich erhaltenen Urkunden
an. Schon bei der ersten Durchforschung der Archive und Biblio-
theken gingen wir darauf aus, die Originale im weitern Umfange zu
bearbeiten : mindestens sollten sämmtliche von Konrad I. bis zu Otto III.
copirt und beschrieben Averden, wo möglich sollten aber auch Vor- und
Nachurkunden berücksichtigt werden. Wie nun das ganze Gebiet nörd-
lich der Alpen dem sei. Foltz zugewiesen worden war i), hatte dieser
bereits in den ersten Jahren des Bestandes der Abtheilung auch alle
ihm zu Gesichte gekommenen Originaldiplome Otto III. abgeschrieben
und nach Ingrossisten zu ordnen begonnen. Wenn nun Versuche der
letzteren Art überhaupt erst in dem Grade gelingen als Material in
0 Allerdings hat er zuerst an mehreren Orten mit mir und unter meiner
Leituug gearbeitet und in der Folge hat er sich an andern Orten der Beihilfe
mehrerer Mitglieder des Wiener Instituts erfreut. Aber den weitaus grössern
Theil der Ausbeute aus Deutschland hat er geliefert und er allein hatte damals
üeberblick über den gesammten Vorrath gewonnen, so dass hier auch nur seine
Leistungen zu erwähnen sind,
2t4 Sickol.
grösserm Umfange iu die Schriftvergleicliung einbezogen wird, so war
Foltz Fehlgriffen um so melir ausgesetzt, als ihm das Material für und
aus Italien noch unbekannt war, daher auch die Zusammensetzung der
Kanzlei in den letzten Jahren Otto III. aus deutschen und italieni-
schen Notaren und die immer mehr gesteigerte gegenseitige Beein-
flussung der beiden Elemente ^). Den Urkundenvorrath Italiens haben
') Sagt Kehr 73, dass nach dem Ausscheiden des deutschen Notars Hildi-
bald das Heribert untergeordnete Personal ausschliesslich aus Italienern bestanden
habe, so stimmen wir dem, -wie Dr. Erben ausführen wird, nicht bei. — Es
möge mir gestattet sein, hier auf eine Bemerkung von Bresslau ürkundenlehre
1 , 300 zu erwidern. Bresslau, welcher zu allererst meinem Vorgange die namen-
losen Schreiber behufs Unterscheidung zu bezeichnen gefolgt ist und demselben
auch jetzt das Wort redet, missbilligt, dass ich selbst das einst von mir vor-
geschlagene System in etwas modificirt habe. Mir liegt, often gestanden, da ich
hier doch nur Namen fingire, nichts an consequentem Vorgehen. Ich lasse mich
vielmehr durch praktische Rücksichten bestimmen. So bezeichnete ich um sie
)-echt von ihren deutschen Genossen zu scheiden (vgl. die Erläut. zu den DD.
, 0. IL, 18) die Notare der italienischen Kanzlei mit It. X. Heben sich aber in
den letzten Jahren Otto III., als beide Kanzleien unter Heribert standen, die
deutschen und die wälschen Notare kaum noch voneinander ab, so findet das
meines Ermessens den rechten Ausdruck in der Bezeichnung von Her. A. u. s. w.,
welche übrigens innerhalb der Abtheilung bereits vor Kehrs Zeit in Vorschlag
gebracht worden war. Ich mache es auch ganz von den jeweiligen Umständen ab-
hängig, ob ich einem unter mehreren Kanzlern dienenden Notar denselben Namen
belasse oder ihn umtaufe. Reden wir noch unter Otto III. von einem L(iutolf) J.,
so wollen -wir daran erinnern, dass dieser Mann schon unter Otto I., als Liutolf
Kanzler war, thätig war. Dagegen habe ich LG., weil er unter Willigis eine
hervorragende Rolle spielte, in der Folge WA. bezeichnet. Auch das scheint
mir geringen W'erth zu haben, was z. B. Kehr S. 41 verlangt, dass jeder Notar
nach dem Kanzler benannt werden solle unter dem er zuerst nachweisbar ist.
In Anbetracht der hervorragenden Stellung, welche HA. unter dem Kanzler
Hildibald eingenommen hat, ist es von sehr geringer Bedeutung, dass HA. schon
unter dem vorausgehenden Kanzler Gerbert ein einziges auf ims gekommenes
Diplom geschrieben hat. Ja ich scheue selbst davor zurück, einen voreilig ge-
wählten und bereits in Curs gesetzten Namen durch einen entschieden richtigem
zu ersetzen. Es hat mich selbst bein-t, dass ich ein Individuum zuerst LC. und
dann LB. benannte (vgl. meine Beiträge 8, 155). Und ich möchte auch jetzt
nicht Anlass zu allerlei Verwechslungen geben durch nicht unbedingt nothwen-
diges Rütteln an den von Kehr für die Notare Otto III. gewühlten Bezeichnungen.
Hält dieser seinen Her. C. für einen Italiener, so halten wir denselben schon
ileshalb für einen Deutschen, weil er bereits unter dem Kanzler Hildibald thätig
war. Wir müssten ihn demnach, wenn wir Kehrs Rathe folgen wollten, unter
die Hildibald-Notare einreihen ; aber wir wollen solches Unheil nicht anstiften.
Anders steht es allerdings damit, dass wir Kehrs HH. in zwei Personen zerlegen :
da mnssten wir die Bezeichnungen HH. und HJ. wählon und mu^sten Kehrs
HJ. umtaufen zu HK.
Erliiiitornngen zu den Diplomen Otto IIT. 215
wir aber erst spät genügend kennen gelernt. Hatte ich die Bearbei-
tung desselben einst Laschitzer aufgetragen, so hatte ich schon zur
Zeit, da dieser aus der Abtheilung ausschied, die Erfahrung gemacht,
dass es Zeit und Geld verschwenden heisst, wenn man die Sammlungen
dieses Landes planmüssig ausbeuten lassen will. Grade die für uns
in Betracht kommenden Urkunden vertheilen sich auf zahlreiche
Archive, deren gi'össerer Theil geistlichen Corporationen angehört. Die
Zugäuglichkeit der letztern ist eine vielfach beschränkte ^). So habe
ich später vorgezogen, in gewissen Kirchenarchiven gelegentlich arbeiten
zu lassen. Allerdings blieb alle Mühe vergeblich, das eine und andere
einst von Bethmanu eingesehene Stück wieder aufzufinden. Aber bis
auf diese geringen Ausnahmen sind doch die Originale des 10. Jahr-
hunderts für unsre Zwecke nochmals copirt und geprüft worden. War
das nur nach und nach zu erzielen, so begreift sich, dass wir auch
nur allmählig, was die Schreiber unter Heribert anbetrifft, klar zu
sehen vermocht haben.
Im übrigen hatte Foltz auch sonst nicht immer das richtige ge-
troffen. Das hatten TJhlirz, Fanta und Kehr durchschaut, wenn , sie
einzelne Urkunden nachzuprüfen Anlass fanden. Aber zu einer ein-
gehenden Vergleichung des gesammten Materials war es bis zum Herbst
1889 nicht gekommen 2).
Mit Fug und Recht hat sich Kehr, als er zuerst hier Ordnung
machen wollte, nicht an jeden Ausspruch seiner Vorgänger gehalten.
Aber nicht in der Lage, worüber er selbst sein Bedauern ausspricht,
auf Originale in grösserer Anzahl zurückzugehen, musste er sich in
den meisten Fällen doch an die bisherigen Bestimmungen halten.
Bevor ich mich über die von ihm betreffs der Originale gebotenen
Ergebnisse äussere, berichte ich über den zweiten Theil des Apparats,
Avelcher die nur abschriftlich erhaltenen Urkunden umfasst. Die dies-
bezüglichen den Sendliugen der Abtheiluug ertheilten Weisungen macli-
ten ihnen zur Pflicht, alle Copien zu verzeichnen und zu beschreiben.
I
•) Dass es seit 1876, in welchem Jahre Laschitzer für uns Italien bereiste, um
vieles besser geworden ist, weiss ich aus eigener Erfahrung. Aber auch in jüng-
ster Zeit ist es uns widerfahren, dass wir erst bei einem dritten oder vierten
Versuche Zutritt zu einzelnen Archiven erwirkt haben. -) Als ich damals
gedrängt, wurde, Diplome Otto III. für die Eaiserurkunden in Abbildungen aus-
zuwählen, habe auch ich mich an die bis dahin gewonnenen Ergebnisse gehalten.
Machte ich deshalb (Text. S. 289) einen Vorbehalt, so bin ich doch in diesem
nicht weit genug gegangen. Indem ich jetzt noch drei Praecepte Otto III. in
die 11. Lieferung aufgenommen habe, habe ich zwei der vor .Tahren gethanenu
Aussprüche zu berichtigen Anlass gehabt.
216 Hickcl.
aber nicht alle sofort abzuschreiben. Nur ältere Einzelcopien sollten
ffleich an Ort und Stelle bearbeitet werden. Handelte es sich aber
um Copien in Chartularen, welche wir nach Wien zugesandt erhalten
konnten, so war es bequemer und minder kostspielig, die Chartulare
am Sitze der Abtheilung auszubeuten. Auch wollte ich nicht Zeit und
Mühe auf Copien verschwenden lassen, welche sich möglicherweise als
abgeleitete und minderwerthige herausstellten. Zunächst genügte es,
möglichst vollständigen Ueberblick über die mehrfachen Ueberlieferungs-
formen zu gewinnen, um aus letzteren die relativ bessern auszuwählen,
eine Arbeit, die sich mit Hilfe alter und neuer Reiseberichte und mit
Hilfe der gedruckten Litteratur am besten in Wien verrichten Hess-
Ob nun der ganze Vorrath von Abschriften einer Urkunde bekannt
und verfügbar ist, das lässt sich in manchen Fällen nicht so leicht
sagen und immer erst wenn man der ganzen betreffenden Herkunfts-
gruppe und allen ihren Schicksalen nachgegangen ist. Alles das er-
klärt, dass dieser Theil des Apparates erst mit der Zeit beschaflFt
werden kann, und dass wir nicht allein bis wir zum Drucke schreiten,
sondern selbst noch darüber hinaus, auf Vervollständigung desselben
bedacht sein müssen. Es verhält sich also mit ihm ganz so wie mit
dem ersten Theile. Erst in etwas vorgeschrittenem Stadium der Arbeit
lassen sich manche Fragen beantworten; ja gewisse Fragen tauchen
erst dann auf. Insbesondere wird es erst nach und nach ersichtlich,
ob das Material quantitativ und qualitativ genügt oder ob noch weiteres,
falls es vorhanden ist, herbeigeschaflFt werden muss.
Ist es nun zweifelsohne die Aufgabe des Leiters für Ergänzung
oder Berichtigung des für die Edition benöthigteu Stoffes zu sorgen,
so muss er doch, solange er eine Partie noch nicht selbst in Angriff
nimmt, von seinen Gehilfen erst auf die von ihnen im Laufe der Arbeit
wahrgenommenen Lücken oder Zweifel aufmerksam gemacht werden.
An letzterem hat es Kehr, wie er das auf Otto III. bezügliche Material
zu sichten und zu verwerthen begann, nicht fehlen lassen, und ich
habe dann nicht unterlassen die erforderlichen Schritte zu thun. Und
doch ist, solange Kehr der Abtheilnng angehörte, in dieser Richtung
nicht genug geschehen. Indem er den Stand der Dinge nicht ganz
übersah, hat er auch mich nicht hinläuglich aufgeklärt. Ja es ist
ihm auch die eine und andere Bemerkung in unsern Papieren ent-
gangen. Ich werde später zu zeigen haben, dass Kehr zu seinem
eigenen Schaden die älteste Copie des von ihm S. 262 ausführlich
besprochenen Diploms für Concordia unbeachtet gelassen hat. Ebenso
hat er verabsäumt einem Winke zu folgen, welcher sich auf die Ur-
kunden für Selz bezieht. Letztere waren uns einst partienweise nach
I
Erläuterungen zu den r)i])l()iiien Offo flT. 217
Wien gesandt worden. Da wir so nicht sämmtliche Ausfertigungen
miteinander vergleichen konnten, suchte ich dies vor etwa 10 Jahren
in Karlsruhe nachzuholen. Indem ich jedoch damals die Schreiber
Otto III. noch nicht genügend kannte, sprach ich mich über die Mehr-
zahl der Stücke mit gewissem Vorbehalt aus und bemerkte ausdrück-
lich, dass, sobald die Untersuchunsren über das Kanzleipersonal Otto III.
zum Abschluss gekommen seien, die ganze Selzer Gruppe nochmals zu
prüfen sei. Dass solche Vorsicht geboten war, hat die jüngst statt-
gefundene nochmalige Vergleichung dieser Urkunden bestätigt. Ich
überlasse es Dr. Erben, welcher dieselbe durchgeführt hat, die dies-
bezüglichen früheren und von Kehr wiederholten Angaben zu be-
richtigen.
Dass Kehr sich über den Stand der Vorarbeiten nicht täuschte,
bemerkte ich schon. Dass er in dem einen und dem andern Falle es
unterliess, sich besser zu unterrichten, war die unausbleibliche Folge
davon, dass er Wien zu verlassen und auf die Unterstützung der Ab-
theilung zu verzichten genöthigt war. Seine unerwartete Abreise setzte
übrigens auch mich in Verlegenheit. Wir konnten den von ihm der
Abtheilung hinterlassenen Aufzeichnungen nicht genau entnehmen, wie
weit er in seinen Untersuchungen gekommen war: seine Habilitations-
schrift ging uns erst um Ostern 1889, sein Buch erst im Herbste zu.
So konnten wir mit unserer Arbeit zunächst nur da einsetzen, wo,
wie wir auf den ersten Blick erkannten. Kehr nicht zum Abschluss
gelangt war. Ich wies so eine Eeihe von einzelnen Aufgaben H. Dr.
Erben zu, welcher im November 1888 ständiges Mitglied der Abthei-
lung wurde und die erste Zeit hindurch, da ich von Wien abwesend
war, von H. Archivar Dr. Uhlirz weitere Anleitung erhielt. Stiessen
diese meine Genossen auf viele Lücken und Mängel des Apparates, so
war es nach meiner Heimkehr meine erste Sorge, hier Abhilfe zu
schaffen. Ich erwähne hier nur was geschehen ist, um über die
Originaldiplome, deren Beschreibungen und Bestimmungen am meisten
zu wünschen übrig liessen, besser unterrichtet zu werden. Aus meh-
reren deutschen Archiven hat man uns bereitwilligst die Urkunden
nach Wien gesandt. Standen dem Hindernisse im Wege, so haben
wir uns mit Facsimiles von grösserem Umfange beholfen. Die Vorräthe
in Berlin und Dresden sind nochmals von Dr. Bretholz bearbeitet
worden. Ich selbst revidirte und ergänzte in sieben Archiven Deutsch-
lands die Arbeiten von Foltz, Auch in Italien wurde noch Nachlese
gehalten i). Dank der uns überall gewährten Unterstützung ist es in
') Da der grössere Theü sowohl der Originale als auch der Copien ein
21S Sickel.
Jahresfrist gelungen, alle wahrnehmbaren Lücken auszufüllen ^). Sind
wir also in günstigerer Lage als Kehr, so darf es nicht Wunder neh-
men, dass wir seine Arbeit in manchen Einzelheiten und in mehrfacher
Beziehung zu ergänzen und zu berichtigen haben. Zum Theil soll
das, wie ich schon sagte, in der Edition geschehen. Bedarf es aber
zusammenhängender Darlegung und eingehender Begründung, so ge-
schieht dies füglich in diesen Erläuterungen zu deu Diplomen Otto IIL,
welche jedoch auch mehr als Auseinandersetzungen mit TCehr bieten
sollen.
Die ersten vier Capitel liabe ich niedergeschrieben. Dass ich mich
hier fast ganz auf Erörterungen über Diplome bis zum Jahre 907
beschränkt habe, geschah weil ich mich bisher nur mit diesen ganz
vertraut machen konnte. Da ich Wien wiederum verlasse, übernimmt
H. Archivar Dr. Uhlirz und zwar mit Genehmigung des Localaus-
schusses der Monumenta Germaniae die Leitung der weiteren Arbeiten.
Hat nun Dr. Erben bereits mehrere Excurse vollendet, welche den
meinigen folgen werden, so bleibt es ihm und Dr. ühlirz überlassen,
zu bestimmen, inwieweit noch Erläuterungen zu den Diplomen der
letzten Jahre hinzuzufügen sein werden.
Wien, August 1890. Sickel.
I.
Die italienisclie Kanzlei bis zum Jahre 004.
Indem die Keihe der uns bekannten Diplome Otto HL für Italien
erst mit dem J. 988 beginnt und wir bis dahin nichts von einer
italienischen Kauzlei hören, wirft Kehr 55 die Frage auf, ob sich
nach dem Tode Otto IL etwa der Vorgang wiederholt habe, welcher
mit dem vorausgehenden Thronwechsel verbunden war, dass diese
zweite Kanzleiabtheilung aufgelassen und erst nach Jahren wieder
hergestellt wurde. Mir scheinen jedoch die Dinge in den J. 984 — 988
anders zu liegen als in den Jahren 972 — 977. Indem in den An-
fängen Otto IL auch Italiener dann und wann Praecepte erbeten und
zweites Mal verglichen worden ist, werden in der Edition hänfifrer als bisher zu
den einzelnen Stücken zwei unserer Fnchgenossen als Bürgen namhaft gemacht
werden.
') Hiebei hat auch Dr. Kehr redlich mitgewirkt. Er hat in Marburg die
dort aufbewahrten Originale wiederholt geprüft und uns die Ergebnisse mit-
getheilt. Suchte er ferner auf mein Bitten eines in Hiilberstadt in Privatbesitze
befindlichen Urkundenfragmentes habhaft zu werden, so konnte dasselbe bisher
leider nicht aufgefunden werden.
Erliiiifernngpn zu rlen T)iplnmen OHo ITT. 219
dann von der deutschen Kanzlei ausgefertigte Diplome erhalten haben;
unterliegt es keinem Zweifel, dass eine Zeit lano^ letztere allein be-
standen hat. Ein solches Argument gegen die Existenz einer italienischen
Kanzlei wird sich aus den ersten Jahren Otto ITI. nicht beibringen
lassen. Dass uns erst seit 088 Urkunden für Italiener vorliegen, ist
kaum blosser Zufall. Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, dass die da-
malige vormundschaftliche Eegierung erst nach einiger Zeit den Versuch
hat machen können, wieder in die Angelegenheiten Italiens einzugreifen
und dieselben unter anderm auch durch Praecepte zu regeln i). So
steht der Annahme nichts im Wege, dass es schon in den ersten
Jahren Otto III. an dessen Hofe einen italienischen Kanzler gegeben
habe, freilich ohne Gelegenheit zu finden seines Amtes zu walten, und
dass es einer Wiederherstellung der italienischen Kanzlei im J. 988
nicht bedurft habe. Lässt sich da eine sichere Entscheidung nicht
treffen, so hat sie auch für den Diplomatiker geringen Werth. Ihn
muss es mehr interessiren zu wissen, ob und in welchem Grade in
dem einen wie in dem andern Fall die Continuität der Geschäftsfüh-
rung gewahrt worden ist.
Diese Frage hat auch Kehr mit Kecht ins Auge gefasst. Als für
die Continuität sprechend führt er au, dass als erster Kanzler Otto III.
seit dem J. 988 derselbe Adalbertus erscheint, welcher bereits Otto IL
in gleicher Eigenschaft gedient hatte ~), und dass (nach Kehr zuerst
in D. 69 vom April 991) als einziger ständiger Notar der italienischen
Kanzlei It. L. auftritt, welcher bereits im J. 983 zu Verona der deut-
schen Kanzlei bei Mundirung der DDO. II. 294, 296 behilflich ge-
wesen war 3). Aber wie Kehr die Thätigkeit der italienischen Kanzlei
bis zum J. 994 darstellt, würde es mit dem Zusammenhang sowohl
was die Personen als was die Gebahrung anbetrifft, doch schlecht be-
stellt gewesen sein. Adalbert soll sich nämlich ohne ständigen Notar
') Audi das einzige Actum deperditnm, welclies sich bis zum Mai 988
nachw'eisen lässt fs. Kelir 54 N. 1 und 58 N. 1), l^ann man füglicli zum J. 988
ansetzen. ^) Von ilim recognoscirt sind die DDO. ITI. 50, 53, 54, 56, 65.
Aber auch das erste für Italien ausgestellte D. 46 (Copie ohne Unterschriftzeile)
werden wir hinzurechnen dürfen. — Adalbert recognoscirte überdies, indem er
im Winter von 989 zu 990 die Kaiserin nach Italien begleitete, die beiden uns
erhaltenen Urkunden der Kaiserin (s. Kehr 54), die ich in der Folge als Th. 1
und Th. 2 citiren werde. Der Zeit nach gehören sie zwischen D. 56 und D. 65.
3) Dass in Folge der noch zu Lebzeiten Otto TT. eingetretenen Erledigung des
Postens des Erzkanzlers, unter Otto ITI. in der Person des Bischofs Petrus von
Como ein neuer ErzkanzTer auftritt, kommt hier nicht in Betracht, da der Erz-
kanzler kaum auf die Wahl des Kanzlers und der Notare noch auf deren Ge-
bahreu Einfluss genommen haben wird.
220 Sickel.
beliolfen haben, und nach Adalberts Eücktritt soll der Kanzlerposten
nicht definitiv besetzt worden sein. Auf letzteren Punkt will ich erst
später eingehen. Aber um einen Ueberblick über die hier in Betracht
kommenden Urkunden zu bieten, gebe ich in Kürze an, wie sie unter-
fertigt worden sind. D. 69 vom 18. April 991 und D. 97 vom 20. Juni
992 sind von Johannes Graecus, auf den ich zurückkomme, recosrnos-
cirt worden, dann "DO. 100, 101 von Petrus cancellarius, der vielleicht
identisch ist mit dem gleichnamigen Bischof von Asti. Mit derselben
Datiruug (19. Juli 992) wie die letztern Stücke versehen, ist D. 99
für den eben genannten Bischof von Asti von dem deutschen Kanzler
Hildibaldus unterfertigt worden. Erst aus dem September 994 liegt uns
in D. 149 wieder ein Praecept für Italien vor: in ihm tritt bereits
Heribert auf, welcher bis zum Tode des Kaisers der italienischen und
dann auch der deutschen Kanzlei vorstand.
Ich kehre zu der Kanzlerperiode Adalberts zurück, um darzuthun,
dass schon damals, was Kehr entgangen ist, It. L. einen grossen Theil
der Arbeit besorgt hat, dass dieser, den auch ich als den einzigen
'ständigen Notar bis zum J. 992 oder 994 betrachte, der eigentliche
Träger der Tradition gewesen ist, und dass er noch mehr als der bald
aus der Kanzlei ausgeschiedene Adalbert den Zusammenhang mit dem
Kanzleiwesen unter Otto IL gewahrt hat. Was die Beweisführung
erschwert, hat bereits Kehr angedeutet. Mit einer Arbeitskraft glaubte
man auskommen zu können und kam doch nicht mit ihr aus. Fand
sich unter den Bittstellern aus Italien ein geeigneter Mann, so über-
liess man es ihm gern das Praecept zu dictiren und zu mundiren i).
Oder es halfen auch, wenn It. L. nicht an Ort und Stelle oder ander-
weitig beschäftigt war, deutsche Notare aus '^). Des weitern werden
') Das gilt von dem Originale von D. 53. Jedoch stimme ich Fanta und
Kehr fiO, welche das Stück It. H. beilegten, nicht bei. Der Ingrossator gehört
zweifelsohne nach Cielo d' oro und hat Schulverwandtschaft mit It. H. ; überdies
schreibt er ja nach dem von It. H. mundirten DO. II. J73: daher kommt seine
Schrift der des einstigen Kanzleinotars so nahe. Das Eschatokoll dagegen be-
trachte auch ich als vom Kanzler selbst geschrieben. *) Daher die diesen
geläufigen Wendungen und Formeln in der einen und andern Urkunde. Jedoch
beurtheile ich D. 65 anders als Kehr 61. Im Context ist ja, abgesehen von einem
interpolirten Satze, nur die Arenga neu. Diese aber entspricht weit mehr dem
Stile des It. L. als dem des deutschen Notars HF. — Vom Eschatokoll spreche
ich sogleich. — Ich erledige hier auch DD. 97 und 154 (Kehr 62). Der grössere
Theil des Contextes von D. 97 erinnert an die Dictate des It. J. und wird auf
ein von der Partei eingereichtes Concept zurückgehn. Die Ausfertigung ist aber
zweifelsohne von der deutschen Kanzlei besorgt worden. — Dass diese auch noch
unter Heribert Praecepte für italienische Empfänger licterte, wird diu-ch das
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 221
wir aber aacli in Anschlag bringen müssen, dass It. L. im Verkehre
mit den deutschen Genossen manches von deren Art angenommen
haben mag i), so gut wie der vielbeschäftigte deutsche Notar HP. von
den Italienern beeinflusst worden ist. Ich betone dies namentlich um
des Eschatokolles willen. Dass für dieses unter dem Kanzler Adalbert
eine Norm aufgestellt worden ist, gebe ich Kehr zu. Stossen wir
dann^aber in Copien auf Abweichungen oder auf Formeln der deut-
schen Kanzlei, so möchte ich nicht in jedem Falle auf Mitvdrkung
deutscher Schreiber schliessen. Grade It. L. konnte sich auch später
so gut accommodiren wie er es in DDG. IL 294, 296 gethan hatte.
Ueberdies bezeugt ja das ganz von ihm mundirte Griginal D. 101
(vgl. dazu das abschriftliche D. 99), dass er sich z, B. nicht scheute,
das Epitheton gloriosissimus zu gebrauchen ^). So möchte ich auch
das Eschatokoll von D. 65 It. L. nicht geradezu absprechen.
Jedenfalls werden wir sicherer gehen, wenn wir uns an die Con-
texte halten. Nach Ausscheidung der Nachbildungen ^) sollen uns da
allerdings aus den Jahren, in welchen ich abweichend von Kehr den
It. L. als Kanzleinotar bezeichne, nur DD. 46, 56 und aus den folgen-
den Jahren DD. 69, 70, 99—101 und Th. 2 verbleiben. Wir haben
jedoch allen Grund, noch DO. IL 238 und Th. 1 in die Untersuchung
einzubeziehen. Sind beide Urkunden der Theophanu vom Kanzler
Adalbert unterfertigt und ist Th. 2 auch nach Kehr von It. L. ver-
fasst, so liegt es doch nahe, Th. 1 ebenfalls als von ihm dictirt zu
zu betrachten. Will ich mich ferner auf DO. II. 238 stützen, so habe
ich zunächst zu sagen, dass ich die frühere Bezeichnung: ausserhalb
der Kanzlei verfasst — noch aufrecht erhalte. Erst nachdem wii- bei Be-
arbeitung der DDG. III. den Stil des It. L. kennen gelernt haben,
sehen wir uns veranlasst, ihm jenes Dictat beizulegen. Wir zählen
ihn aber deswegen noch nicht den ständigen Mitgliedern der italieni-
schen Kanzlei Ottos IL bei.
Original D. 154 bezeugt. Der König mag sich damals mit kleinem Gefolge nach
Hohentwiel begeben haben, so dass der deutsche Notar HF. den Context von
D. 154 schreiben musste.
') Dafür lässt sich auch die Form des Chrismon anführen, welche sich in
dem Original von D. 101 und in der Copie von D. 99 findet. It. L. combinirt
nämlich die damals von den deutschen Notaren beliebte Zeichnung mit den
beiden sich kreuzenden Linien, welche in dem bisher von der italienischen Kanzlei
vorgezogenem Labarum (vgl. KU. in Abb. 3, 27) die Initiale Chi bilden. '■') Kehr
138 sagt selbst, dass die deutsche Formel auf It. L. übergegangen sei. ^) Kehr
60 und 62. — Ganz unbrauchbar für die Zwecke der Dictatuntersuchung ist der
gefälschte Wortlaut von ü. 54.
222 Sickel.
Das erste Auftreten dieses Noturs iu DU. II. 238 fällt in die Zeit,
da It. H. und It. 1. den Ton in der italienischen Kanzlei angaben.
Da ist es nicht anders zu erwarten, als dass sich der Neuling mit dem
Stile der damaligen Kanzleinotare vertraut gemacht haben und in ihre
Fusstapfen getreten sein wird. Und so ist es It. L., wie ich schon sagte,
welcher es vermittelt hat, dass sich die ersten Urkunden Otto III. für
Italien im Dictat so eng an die Urkunden aus den letzten Jahren des
Vorgängers anschliessen i).
Zeichnen sich nun diese durch Mannigfaltigkeit der Ausdrücke
aus, so hebt sich von dem allgemeinen Grunde der Stil der Individuen
nicht stark ab, und das gilt auch von It. L. Eigenthümlich ist ihm
doch, dass er gewisse aus dem überlieferten Vorrathe ausgewählte
Worte mit Vorliebe wiederholt: so efflagitare, praeceptalis, ubicumque,
planities u. s. w., und dass er sich sehr oft des Participimn praesentis
bedient. Ueber seine Proliibitivlormel ist zu bemerken dass, wenn
seine Vorgänger hier episcopus einzuschalten begonnen hatten, er noch
archiepiscopus hinzufügt, und zumeist die Reihenfolge dux (etwa auch
.marchio) archiepiscopus episcopus (DD. 69, 70, 99) bietet. Mit dem
jederzeit gebräuchlichen eo videlicet ordine (ea v. ratione) hebt er in
DD. 70, 99. Sätze an. Seine Strafklausel weist mehrere Besonderheiten
auf, z. B. inventus fuerit (Dö. II. 238, D. 69) oder componere cogatur
(D. 72, Th. 2). Desgleichen die Corroborationsformel, wie in posterum
(Du. IL 238, D. 69) oder cunctis statt omnibus (D. 46, cf. cunctis
viribus in D. 56). In den Schlussformeln greift It. L. auch auf frühere
Bestimmungen zm-ück (DD. 69, 101) -).
Sahen wir zuvor, dass pragmaticum schon unter Otto IL in die
lateinische Urkuudensprache eingedrungen war, so fällt der häufige
Gebrauch dieses Wortes in den Urkunden des It. L. auf. Ebenso ver-
hält es sich mit cathedra. Nehmen wir dazu noch in memoria agi
Petri (D. 69), so ist die Beeinflussung durch den Verkehr mit Johannes
') Aus den von Dr. Erben angelegten Wortregistern führe ich einige Belege
für die Verwandtschaft des Dictates des lt. L. mit den Dictaten der früheren
Notare (zu denen auch It. K. gehört) an, jedoch ohne alle Belegstellen aufzu-
zählen: Quocirca in 0. II. 301, 302 und in U. III. 69, 99. Eo quod in 0. II.
299 und in Ü. III. 69, 70, 100. Pro tempore in 0. ü. 231, 286 und in 0. III.
46, 54, 69. I'rout (secundum quod) iuste et legaliter possumus (et valemus) in
U. II. 231, 263 und in 0. III. 46, 50, 69. Pragmaticum in ü. II. 281, 288» und
in 0. III. 56, 65. ( )ftersiones in 0. II. 242, in 0. III. 46. Nominative (nomina-
tim) in O. II. 250, 268 und in U. III. 46, 101. Pravi homines in 0. IL 283, 288
und in 0. III. 97. Praeceptalis in 0. II. 173, 176 und in 0. III. 46, 50. Scriptio
in 0. II. 242, 260 und in Th. 2. '■') Vgl. DO. 250», in dessen Zuweisung an
Otto II. ich wieder irre geworden bin.
firiäuterungen zu den Diplomen Otto III. 223
Graecus nicht zu verkeuneu i). Ich trage uoch als Lieblings weuduug
dieses Notars nach : secundum praecepta (legem, morem) und als wenig-
stens zweimal wiederkehrend dignae memoriae (DD. 46, 69), cernua
prece (DD. 69, 101). Daran reilien sich absonderliche, wenn auch
nur vereinzelte Ausdrücke, wie sortitis et insoi-titis (D. 46), quid plura
und huius caduci honoris persona (D. 56), almus Petrus (D. 101) -).
Ich schliesse diese Aufzählung mit der Bemerkung, dass sich auch
DD. 46, 56 als von It. L. verfasst ergeben.
Habe ich diesen Notar bereits mit dem Griechen Johann, dem
spätem Erzbischof von Piacenza, in Verbindung gebracht, so will ich
diesen Gedanken noch etwas ausführen. It. L. begegnet uns zuerst
im J. 980, als jener Johann der Kanzlei vorstand. Auf der gTOssen
Versammlung zu Verona im J. 983 steht er in Verkekr mit der deut-
schen Kanzlei. Nach Deutschland ist er möglicher Weise schon 984
mit der Kaiserin Theophanu und mit Johannes gezogen. Sobald die
italienische Kanzlei im J. 988 ihre Thätigkeit aufnimmt, erscheint er
als deren ständiger Notar. Er begleitet dann gleich dem Kanzler die
Kaiserin Theophanu nach Italien. Mit beiden heimgekehrt arbeitet
er fort für die Kanzlei, auch nachdem Adalbert ausgeschieden ist,
und liefert die Urkunden, welche Johannes und Petrus unterfertigt
haben.
Ueber den ersten Kanzler Adalbertus habe ich nur zu bemerken,
dass ich die Identität desselben mit dem gleichnamigen Bischof von
Brescia bezweitie ^). Die dortigen Bischof skatologe ^) lassen den Vor-
gänger erst 995 sterben und setzen Adalbert an zu 996 — 1002 ; des-
gleichen wird der Bischof Adalbert in Urkunden zuerst 996 erwähnt.
Also könnte der Rücktritt des Kanzlers Adalbert im J. 991 nicht wie
sonst mit sofortiger Beförderung zum Bischöfe zusammenhängen ^).
Erscheinen die Recognitionen der fünf folgenden Diplome für
1) Brocken griecliisclier Sprache eignen sich allerdings selbst deutsche
Notare an: so nennt z. B. HH. den Gisiihar in D. 132 protopresul. -) Den
beiden Urkunden der Theophanu ist die Bezeichnung Otto II. als senior noster
gemeinsam. ») Kehr 55. — Vorsichtiger Bresslau 1, 344. *) Gradenigo
Brixia sacru praef., dann 151. — Die Jahreszahlen sind allerdings, wie auch
Odorici bemerkt, später eingetragen, haben sich aber bisher als richtig bewährt.
^) In Mitth. 1, 440 hat Zimerman aus einem Copialbuch DO. 220 für das
Kloster Moninella bei Mantua vom 2G. Juli 996 veröffentlicht und hat dort die eine
beschädigte Stelle ergänzend gedruckt missa petitione per Adalbertum cancel-
larium nostrum. Bei nochmaliger Prüfung des Schriftbefundes hat sich Kehrs
Vermuthung, dass hier Heribert zu verbessern sei, bestätigt, indem per Arbertum
(Arber auf Ras'ur) z\x lesen ist.
224 Sickel.
Italien i) absonderlich, ho glaube ich sie nuch am ehesten durch den
Hinweis auf die von Johannes Graecus gespielte Kolle deuten zu
können '^).
Dieser aus Calabrien stammende Mann hatte sich frühzeitig an
Otto II. oder an dessen Gemahlin Theophanu angeschlossen. Im
J. 980 zum Kanzler für Itahen bestellt, begleitete er 982 den Kaiser
in den Krieg, welcher so unglückhch endete. Wahrscheinhch zu Oapua,
wo der Hof im Herbste 982 weilte, erhielt Johannes den Adalbertus
zum Nachfolger in der Kanzlei und wurde mit der reichen Abtei
Nonantula belohnt. In dem noch von ihm unterfertigten DU. II. 283
nennt ihn Otto archimandritam et consecretalem meum^) und erkläxt
») Von D. 70 ist das Eschatokoll nicht überliefert. ^) So gut wie die
Zeitgenossen (der (juedlinbiu-ger und der Hüdesheimer Annalist, ferner Thietmar)
über diesen Mann berichtet haben, haben ihn auch unsere modernen Historiker
(W'ilmans, üiesebrecht, Gregorovius) genügend beachtet, so dass ich neues über
ihn kaum beizubringen habe. Aber ich glaube doch, dass die Nachrichten über
ihn noch besser als bisher geschehen ist, zu sichten und mit andern iS achrichten
zu verknüpfen sind, um diese Persönlichkeit und ihren Einüuss in das richtige
Licht zu stellen. Hier will ich ihn zimächst bis zu seiner Abreise nach Byzanz
verlblgen, um dann im (Japitel 4 auf ihn als Gegenpapst zurückzukommen. —
Bekanntlich finden sich urkundliche Daten zur Geschichte dieses Johannes vor-
züglich in Campi Historia eccles. di Piacenza und in Tiraboschi Ötoria di Nonan-
tola. Einige Ergänzungen zu dem ersteren Werk boten dann Poggiali Memorie
stör, di Piacenza und Boselli Stoiie Piacentine. Aber was Campi und seine Nach-
folger aus einzelnen Urkunden beigebracht haben, genügte mir nicht für meine
Zwecke. Wandte ich mich desshalb nach Piacenza, so hatte ich das Glück, in
dem dortigen Arciprete A. H. Tononi einen ebenso gefälligen als unterrichteten
Herrn zu finden, welcher mir werthvolle Aufschlüsse gab, wofür ich ihm ver-
bindlichsten Dank sage. — Campi hat seiner Zeit vorzüglich das Archivio del
capitolo della cattedrale ausgebeutet, in welchem sich auch die Mehrzahl der
bischöflichen Urkunden des Mittelalters befindet. Dasselbe hat seit Campi keine
Verluste erlitten und ist wohl geordnet. JSur nebenbei hat Campi das nicht
minder reiche, aber vernachlässigte Archivio di S. Antonino benutzt. Erst Boselli,
welcher früher Canonicus an dieser Kirche war und später an die Cathedrale
versetzt wurde, hat fleissig in diesem zweiten Archiv gearbeitet und zwar auch
noch nach der Veröftentlichung der Storie Piacentine. Und er hat dann dem
Cathedral-Archiv unter andern Handschriften eine hinterlassen, welche enthält
spogli e copie di carte antiche esistenti nell' Archivio di S. Antonino. Diese
Sammlung bietet einigen Ersatz dafür, dass das betretfende Archiv verwahrlost
ist, nicht einmal ein Repertorium besitzt, in Folge davon auch minder zugäng-
lich ist. 3) Es ist ein Versehen von Bresslau 1, 333, dass er diese Worte auf
den früheren Kanzler Gerbert bezieht. — Auf diese Urkunde beruft sich, was
Wilmans 96 N. 1 entgangen ist, Lebret. — Mit dem Lobe, welches sich dort
Johannes selbst spendet, verträgt sich sehr wohl die Aeusserung des Petrus
Damiani (Epist. 2 ad Cadaloum): quin etiam cum imperatrice quae tunc erat,
osceni negotii dicebatur habere mysterium.
Erlänteningen zu rlen Diplomen Ot.to HF. 225
ilin nur uugeru a uostro cubili et necessariis consciliis zu entlassen.
So lange Otto IL lebte, scheint Johannes nicht wieder an den Hof
gekommen zu sein. Aber sobald seine Gönnerin Theophanu zur Herr-
schaft kam, vielleicht schon als diese nach Deutschland eilte, begab
sich Johannes wieder an den Hof. Damit, dass er als erster Lehrer
des jungen Königs bis zum J. 988, in welchem Bernward an seine
Stelle trat, bezeichnet wird, stimmt überein, dass er in diesen Jahren
nicht ein Mal in den Urkunden von ISonantula als anwesend erscheint.
Dagegen muss er zu Ende des J. 988, als er nach dem Tode des
Bischofs Sigulf von Piacenza zu dessen Nachfolger berufen wurde, sich
behufs Ordination nach Piacenza begeben haben, denn bereits in einer
am 3. Januar 989 zu Pavia ausgestellten Urkunde führt er den neuen
Titel domnus Johannes archiepiscopus s. Placentinae aecclesiae et abbas
monasterii s. Silvestri siti in Nonantula ^). Dass er sich hier und
ebenso in der Folge Erzbischof nennen durfte, verdankte er der Gunst
des P. Johann XV., welcher den Sprengel von Piacenza aus der Erz-
diöcese von Kavenna ausschied und zum erzbischöflichen erhöhte -).
Derselbe Papst ernannte, wie wir aus D. 69 ersehen, Johannes Graecus
zum primicerius s. E. ecclesiae '^).
Kommt es mir darauf an, das Itinerar des Erzbischofs Johannes
festzustellen, so muss ich von vorhinein die von ihm ausgestellten
Urkunden in zwei Gruppen scheiden. Dass eine Urkunde in Johanns
Namen und Auftrag angefertigt worden ist, besagt noch nicht, dass
er an Ort und Stelle gewesen sei. Dies ergibt sich nur, wenn aus-
drücklich von persönlicher Betheilig-ung an der Beurkundung und von
Unterfertigung die Kede ist*). Wie nothwendig diese Scheidung ist,
beweist folgender Fall. D. 150 aus Solingen vom 30. Sept. 994 nennt
') Der Vorgänger Sigulfus starb laut dem Neerol. s. Sabini Piacentini
(N. Arcliiv 5, 441) am 8. Juli (988). Die Angabe der Ann. Quedlinb., dass Jo-
hannes den damals in Piacenza erwählten Bischof verdrängt habe, steht meines
Wissens vereinzelt da. *) Die betrettende Bulle wird vernichtet worden sein,
als P. Gregor V. dvn-ch JL. 3878 vom 7. Juli 997 die Verfügung seines Vorgängers
mit den Worten widerrief : Phicentinam ecclesiam iniusto tibi a meo antecessore
ablatam ac contra canones sub nomine archiepiscopatus locatam tibi tuisque
successoribus refutantes in perpetuum. ^) Galletti Del primicerio verzeichnet
ihn allerdings nicht als solchen. Aber Galletti's Reihe ist hier wie zu andern
Zeiten unvollständig. Johannes ist einzuschalten zwischen dem von Galletti zu
986 genannten Petrus und dem in D. 278 vom J. 998 erwähnten Gregorius.
^) H. Tonini fand bisher in Piacenza nur ein einziges Original mit eigenhändiger
Subscription des Erzbischofs, das Original der Urkunde vom 30. Sept. 990
(Campi 1, 279); sie ist in Capitalis rustica geschrieben und lautet: t Jobs di gra
arciepus ss.
Mittheilungen XII. 15
22ß Sir.kol.
Johannes als Intervenienten, bezeugt also, dass er um diese Zeit in
Deutschland weilte. Damit verträgt sich kaum ein Aufenthalt zu Pia-
cenza am 10. Okt. 994, an welchem Tage in Piacenza im Namen des
Erzbischofs eine Tauschui-kuude vollzogen wurde i), jedoch ohne alle
Andeutung, dass derselbe gegenwärtig gewesen sei. Aus diesem Grunde
mache ich hier von den gleichartigen Privaturkunden zunächst keinen
Gebrauch, sondern stütze mich nur auf die, welche den Erzbischof als
an t)rt und Stelle weilend erwähnen.
Am 13. März 990 führte Johannes auf Geheiss der Kaiserin
Theophanu den Vorsitz in einem Gerichte zu Ravenua''^). Erscheint
er dann schon am 18. Juni am Hofe zu Frankfurt 2), so hat er sich
offenbar der heimkehrenden Theophanu angeschlossen. In den näch-
sten Jahren wandert er zwischen Deutschland und Itahen hin und
her. Am 30. September 990 und am 20. Jänner 991 hält er als
Königsbote Gericht zu Piacenza. Am 18. April des letzteren Jahres
recognoscirt er zu Merseburg D. 09 und am 20. Juni 992 zu Allstedt
D. 97. Im folgenden Jahre weilte er vneder in seinem Sprengel. 994
erscheint er nochmals am Königshofe: in D. 150 vom 30. September
wird er mit Adelheid, Willigis, Hildibald und Bernward von Würz-
burg als Intervenient genannt. Waren um diese Zeit auch Herzog-
Heinrich von Kärnten und Markgraf Hugo von Tuscien eingetroffen,
so haben wohl wichtige Berathungen stattgefunden und so mögen
damals Johannes und Bern ward mit einer Gesandtschaft nach Byzauz
betraut worden sein.
Weder Wilmans noch Giesebrecht haben den Versuch gemacht,
die äussersten Zeitgrenzen annähernd zu berechnen, innerhalb welcher
diese Reise des Johannes anzusetzen sein wird. Auf den Zeitpunkt
des Aufbruches kommt es allerdings, wie mir scheint, wenig an, wäh-
rend es nicht unwichtig ist zu wissen, ob der Erzbischof von Piacenza
erst kurz vor seiner p]rhebung auf den päpstlichen Stuhl aus dem
Orient heimgekehrt war ^) oder ob er schon seit einiger Zeit in Italien
weilte. Obwohl ich erst später auf die Geschichte des Gegeupapstes
Johann XVI. einzugehen gedenke, erledige ich gleich hier die Frage
der Zeit seiner Rückkehr und zwar im Anschluss an die Annahme
von Boselli Stör. 1, 53, dass Johannes wahrscheinlich nach dem April
995 aufgebrochen und vor dem 30. November 996 wieder in Piacenza
') Campi gibt allerdings das Jahr 993 an. Aber das noch vorhandene
Oi-iginal bietet, und zwar voll ausgeschrieben a. nongentesimo nonagesimo quarto.
2) Fantuzzi 1, 218. 3) D. 65, letztes Präcept des Kanzlers Adalbert. Johann
als Intervenient neben der hier zum ersten Male wieder genannten Kaiserin.
*) iSo (iiesebrecht 1, 701.
I
Eriänterungen zu den Diplomen Otto Ilt. 227
gewesen sei , eine Annahme , welche sich mit allen annalistischen
Nachrichten verträgt, insbesondere auch mit der, dass der Bischof von
Würzburg schon auf der Eeise nach Byzanz am 20. September 995
starb. Stützt sich nun Boseili auf urkundliche Daten, so bin ich dank
der Güte des H. Tononi in der Lage, über die betreffenden Urkunden
weitern Aufschluss zu geben.
Schon Campi erwähnt in Kürze zwei Tauschurkunden des Erz-
bischofs vom Februar und vom Mai 995 ^). Führt dann Boseili, um
den Zeitpunkt der Heimkehr des Erzbischofs zu berechnen, eine Ur-
kunde des Archivs von S. Antonino, am ,30. November 996 zu Piacenza
ausgestellt, an, so konnte die jetzt nicht aufgefunden werden, so dass
wir uns an den Auszug derselben in der zuvor erwähnten Hand-
schrift des Canonicus Boseili halten müssen. Die Datirung lautet hier:
DCCCCXCVI tercius Otto imp. anno I. pridie cal. dec. indictione X.
Die Fassung gleicht ganz der der Permutationes vom Februar und
vom April 995, sowie zahlreicher gleichartiger Urkunden aus den vor-
ausgehenden Jahren, so dass wir folgern müssen, dass das Original
der Urkunde vom J. 996 ebenso wenig als die Originale der andern
Urkunden von Johannes unterfertigt war, dass somit auch jene Urkunde
nicht als Zeugniss für die Anwesenheit des Erzbischofs geltend gemacht
werden kauu. Trotzdem glaube ich sie für das Itinerar desselben ver-
wenden zu können. Des Auftrages des Erzbischofs zur Besichtiguug
und Abschätzung der zum Tausch bestimmten Güter geschieht nämlich
ausdrücklicli Erwähnung. Solcher Auftrag konnte füglich z. B. für
das in Piacenza vollzogene und dort am 10. Oktober 994 beurkundete
Geschäft vou Deutschland aus, wo sich Johann damals aufhielt, ertheilt
werden, aber kaum solange derselbe in fernem und aus dem Verkehr
so gut wie ausgeschlossenem Lande weilte. Darum verdient es Be-
achtung, dass, während aus der Zeit bis zum April 995 zahlreiche, auf
Geheiss des Johannes ausgestellte Urkunden vorliegen, zwischen dem
April 995 und dem 30. November 996 eine Unterbrechung Platz ge-
griffen zu haben scheint. In diesem Sinne stimme ich der Annahme
von Boseili bei und folgere insbesondere aus den Daten der letzt-
genannten Urkunden, dass Johannes bereits im November 996, also
') Auf ihn beruft sich dann Poggiali 3, 212, jedoch ohne wie in andern
Fällen hinzuzufügen, dass er selbst die Urkunden eingesehen habe. Tononi fand
die Originale beider im Capitelarchiv. Die erstere datirt vom 11. Februar, die
zweite dagegen vom 9. April ; der 9. ist allerdings in Folge von Beschädigung
des Pergaments nicht ganz sicher, was wohl auch erklären mag, dass Campi
Mai statt April angegeben hat. Xach Tononi rede ich fortan vom April 995.
15*
228 Sickel.
viele Monate vor seiner Erhebung zum Papste, aus dem Osten heim-
gekehrt war.
Alles, was wir von ihm wissen, zeigt ihn als ehrgeizigen und
eitlen Streber. Als die ihm offenbar sehr geneigte Theophanu das
Kegiment führte, hat er mit ihrer Hilfe emporzusteigen versucht und
hat er sich des Erfolges wohl sicher gefühlt. Dahin deute ich, dass
er D. 69 unterfertigt hat J. dei gratia archiepiscopus et primicerius
s. E. ecclesie, proto a secretis ac proto vestiarius Ottonis regis '), und
zwar ohne daneben den Erzkanzler Petrus zu nennen. Bescheidener
recognosciii er nach dem Tode der Theophanu D. 97 in der herkömm-
lichen Weise Johannes archiepiscopus et cancellarius vice Petri Cumaui
episcopi. — Mit Recht bezweifelt Kehr 5G, dass er wirklicher Kanzler
gewesen sei. Aber ich vermag seiner Erklärung der Thatsachen in
einem Punkte nicht beizupflichten und halte sie in anderer Beziehung
für nicht genügend. Verweist er '-) auf den Brauch in der italienischen
Kanzlei, dass der zum Bischof emporgestiegene Kanzler sein Amt
niedergelegt habe, so bringt er gar nicht in Anschlag, dass schon seit
Jahren von dem seit Heinrich I. auch für die deutsche Kanzlei gelten-
den Brauche abgewichen und Hildebald auch als Bischof Kanzler ge-
blieben war. Und führt er die eigenthümliche Stellung, welche einige
Jahre später Heribert einnahm, nämlich als Vorstand der vereinigten
Kanzleien und zugleich Erzbischof von Köln, auf politische Motive
zurück, so übersieht er, dass persönliche Bestrebungen eines Mannes
wie des Johannes Graecus gegenüber einer Frau auf dem Throne
ebenfalls wohl Erfolg haben konnten und hier wenigstens auf einige
Zeit und bis sich Widerstand erhob, Erfolg hatten. Mich erinnert
dieser Johannes an Liutward von Vercelli unter dem ebenfalls leicht
zu beherrschenden Karl HI. Bekanntlich hat Liutward gleichfalls ein
Diplom allein und ohne den damals noch als Erzkapellan anerkannten
Witgar zu nennen recognoscirt ; er bahnte damit an, dass er zum
Erzkanzler aufstieg. Johannes scheint mir in der Recognition von
D. 69 schon einen Schritt weiter gegangen und sich nicht mit der
Ignorirung des Erzkanzlers begnügt zu haben. Er prahlt nilmlich nicht
allein gegen die Gewohnheit mit allen ihm zukommenden Titeln (dahin
rechne ich auch proto vestiarius), sondern er legt sich auch einen bei,
der ihm wohl noch nicht gebührte. Sollte nicht bis dahin proto a
secretis eine dem Erzkanzler vorbehaltene Bezeiclinunjj fjewesen sein ?
In DO. IL 255 nämlich vom J. i)8l heisst es von dem damaligen
') Leber den letzten Titel s. (Jalletti del veatarario ilella s, R. cbiesa 5.
2) Kehi-H dii'sbezügliche F.einerkimg gilt suwold DD. G9, 97 als auch DD. lüU, IUI.
Erläiiternnoren zn den Diplomen Otto TIT. 229
Erzkanzler Petrus von Pavia archicancellariu« et proto. Es ist ja be-
greiflich, (lass Johannes, nachdem er Ijereits so viel erreicht hatte,
sich nicht mehr wie in den Jaliren 1)80 — '.)82 mit dem Kanzleramte
begnügen mochte und mit Hilfe der Theophanu entvv^eder den bisherigen
Erzkanzler zu verdrängen oder auch die herkömmliche Ordnung zu
durcli brechen suchte. Und wissen wir auch nicht, weshalb damals
Adalbert aus dem Kanzleramte ausgeschieden ist, so können wir uns
wohl vorstellen, dass eine Vacanz dem Griechen Johannes, welcher
ohnedies von früher her mit der Geschäftsführung vertraut war, eine
willkommene Gelegenheit bot, seine persönlichen Pläne zu verfolgen.
Aber er wird auf Widerstand gestossen sein und inzwischen seiner
besten Stütze beraubt, mag er sich, als D. 97 auszufertigen war, augen-
blicklich in die hergebrachte Ordnung gefügt haben. Das Kanzleramt
verschmähte er zwar, aber er verliess deshalb nicht den Hof, an dem
er noch immer seineu Vortheil wahrzunehmen hoffen konnte und an
dem er noch immer in hohem Ansehen stand, Vermuthlich hat er
auch mitgesprochen, als im J. 992 und dann wieder im J. 994 betreffs
der italienischen Kauzlei Verfügiingen getroffen wurden, denn zu bei-
den Malen weilte er am Hofe.
Es liegen nur etwa vier Wochen zwischen dem zweiten von Jo-
hannes unterfertigten Praecepte und zwischen den von andern Männern
recognoscirten DD. 99 — 101. Ich sagte schon, dass diese drei von
It. L. gelieferten Urkunden ganz gleiche Datirung aufweisen, so dass
es um so mehr auffallen muss, dass D, 99 für das Bisthum Asti von
der deutschen Kanzlei subscribirt worden ist, während die beiden an-
dern die später nicht wieder vorkommende Recognition Petrus can-
cellarius advicem Petri episcopi et archicancellarii bieten. Eine sichere
Erklärung des seltsamen Vorganges ist deshalb unmöglich, weil
der eine in Rechnung kommende Factor eine durchaus unbekannte
Grösse ist. Wer ist denn der hier recognoscirende Petrus? Identifieirt
ihn Kehr mit dem Bischof Petrus von Asti, welcher eben in Person
D. 99 erwirkte, so hat diese Annahme, wie ich gleich ausführen werde,
vieles für sich, aber auch einiges gegen sich. Den Satz, dass ein
Bischof nicht zum eigentlichen Vorstand der italienischen Kanzlei habe
bestellt werden können, habe ich bereits bestritten. Ich werde also
nicht daran Anstoss nehmen, was auch Kehr als zulässig betrachtet,
dass ein Bischof cancellario nullo zur Recognition von Urkunden be-
rufen worden sei. Dies vorausgesetzt, muss ich mich doch fragen,
weshalb es der nur interimistisch an des Kanzlers statt fungirende
Bischof unterlässt, sich seinen rechten Titel episcopus beizulegen und
sich blos cancellarius, der er nicht ist, nennt, und zwar zu einer Zeit,
280 8 i ekel.
da sowohl Hiklibald als Johanues Graecus regelmässig ihre kirchlichen
Titel führen. Schwerer wiegt die abweichende Kecognitiou in D. 90.
Was Kehr nm sie begründet erscheinen zu lassen anführt, ist durch-
aus unhaltbar. Er beruft sich nämlich auf ein Herkommen. Präcepte
für einen Kanzler mit der Kecognition des andern Kanzlers versehen
zu lassen. Nun ist jedoch solche Gepflogenheit selbst für das 11. Jahr-
hundert, wie Kehr richtig bemerkt, noch nicht über allen Zweifel
erhaben. Fragen wir aber, ^vie es in erster Linie geboten ist, nach
Praecedeuzfällen, so gibt es deren aus dem Zeitalter der Ottoneu nicht,
vielmehr sind alle zu Gunsten der Kanzler ausgestellte Urkunden von
diesen auch unterfertigt worden. Ich zähle die betrefi'euden Diplome
für Hildibald nicht auf, weil es genügt, auf die den italienischen
Kanzlern Gerbert und Johannes ertheilten DDO. IL 206, 283 zu ver-
weisen. Dieses Vorganges Avird sich Johannes wohl erinnert haben
und noch mehr muss Hildibald gewusst haben, wie er in gleichem
Falle gehandelt hatte: wie sollte man also bei Hofe darauf verfallen
sein, das damalige Gesuch des Bischofs von Asti in anderer Weise zu
erledigen? So muss ich auf andere Erklärung der Kecognition bedacht
sein. Und ich entscheide mich um so mehr für die von Bresslau
vorgeschlagene ^), da sie zutreffend erscheint, mögen wir den Bischof
Petrus und den Kanzler Petrus identificiren oder nicht. Allerdings
müssen wir dann eine andere Annahme mit in den Kauf nehmen, dass
D. 99 nicht in einem Zuge entstanden sei, sondern die Vollendung
sich bis zum Eintreffen des Hofes in Mühlhausen verzögert habe, wo
dann ohne Rücksichtnahme auf die anders recognoscirten DD. 100,
101 zu D. 09 die gleichlautende Datiruugszeile nachgetragen worden
sei. Dem habe ich noch eine Betrachtung hinzuzufügen. Der Aus-
stellung von D. 100 (Bestätigung der Verträge mit Venedig) müssen
längere Verhandlungen vorausgegangen sein. Es ist möglich, dass
gerade sie neuen Anstoss gegeben haben, der Vacanz der italienischen
Kanzlei wo möglich eine Ende zu machen, indem die Urkunden
für Venedig bisher von dieser Kanzlei besorgt und beglaubigt
') Urkundenlehre 1, 344 N. 2. — Wendet sich Kehr 58 N. 1 gegen diesen
Vorschlag, so hat er Bresslaus Worte : schon einige Tage zuvor, übersehen. Nach
Bresslau hat nicht allein die Handlung, sondern auch die in D. Ü9 vorliegende
Beurkundung stattgefunden nach dem 20, Juni (D. 97, noch von Johannes reco-
gnoscirt) und vor dem Tage, an welchem bestimmt wurde, dass in Zukunft die
Präcepte ttir Italien von Petrus cancellariua zu unterfertigen seien, also zu einer
Zeit, da in Folge der Weigerung des Johannes die Obliegenheiten eines Kanzlers
femer auf sich zu nehmen, die italienische Kanzlei keinen Vorstand hatte und an
ihrer statt die deutsche Kanzlei eintreten musste.
F]vln!itovuni,'»'n 7,11 ilcn Diplomen Otto TII. 231
worden waren. Ob nun ein Definitivum oder nur ein Provisorium er-
zielt werden konnte, mochte als interne Angelegenheit betrachtet wer-
den; genug wenn den Gesandten der Eepublick gegenüber der Schein
gewahrt wurde. Und bei solcher Sachlage ist es am ehesten begreiflich,
dass wenn augenblicklich der rechte Mann, d. h. ein Italiener von
Ansehen, nicht an Ort und Stelle war, der zufällig anwesende Bischof
von Asti auserwählt wurde und sich bereit finden Hess, als Kanzler
einzutreten. Nur dass er sich nicht als Bischof bezeichnet, bleibt auf-
fallend, so dass insofern der Gedanke an einen andern Petrus noch
immer seine Berechtigung behält.
In dem einen Punkte, das wiederhole ich, stimme ich Kehr bei,
dass man nach dem Ausscheiden des Adalbertus das Amt nicht definitiv
besetzt, sondern sich, so gut es eben ging, beholfen hat. Wie schwer
es hielt, bei dem geringen Verkehr mit den Angehörigen des italieni-
schen Eeichs unter ihnen denjenigen zu finden, welcher sich zum
Kanzler eignete und vertrauenswürdig erschien, wird auch dadurch
bezeugt, dass man die Entscheidung noch zwei Jahre hinzog und
schliesslich in Heribert einen deutschen Geistlichen zum Kanzler für
Italien bestellte. Ist D. 140 vom 29. September 904 die erste oder
eine der ersten von Heribert recognoscirten Urkunden, so wird seine
Ernennung ebenfalls auf der Versammlung beschlossen worden sein,
auf die ich S. 226 hinwies.
II.
Der letzte Aufenthalt der K. Theopliaim in Italien.
Seit dem Erscheinen des betrefiPenden Theiles der Jahrbücher des
deutschen Eeichs (1840) galt es als ausgemacht, dass die Kaiserin
Theophanu ihre letzte Eeise nach Italien zu Ausgang des J. 988 an-
getreten, das Weihnachtsfest 988 bereits in Eom gefeiert und dann
mindestens bis in den April 990 in Italien geweilt habe. Was die
Zeit des Aufljruchs aus Deutschland anbetrifft, so stützte sich Wilmans
(a. a. 0. 65) anf die Worte, mit denen die Ann. Hildesh. die Nach-
richten für das J. 989 beginnen: Theophanu . . . Eomam perrexit
ibidemque natalem domini celebravit, denn damit sei, wie auch durch
die Eintragungen zu den J. 984, 1001, 1002 bezeugt werde, unser
Weihnachten 988 gemeint; letzteres Jahr passe überdies besser als
989 zu der Epistola Gerberti VI. D. oder nach der Zählung in der
neuesten von Havet besorgten Ausgabe zu der Epist. 160. Die Dauer
des Aufenthalts der Kaiserin in Italien berechnete Wilmans gleich
232 S i c k e 1.
seinen Vorgängern aus den Daten folgender Urknnden: 1) Th. urkundet
am 2. Jänner 090 zu Koni für S. Vincenzo am Volturuo; 2) des-
gleichen am 1. April 990 zu Eavenua für Farfa; 3) iussione d, Theo-
phanu imperatricis sitzt der Erzbischof Johann von Piacenza am
13. März 990 in Kavenna zu Gericht, womit allerdings noch nicht
die Anwesenheit der Kaiserin bezeugt ist, aber doch, dass sie damals
Herrscherrechte in Italien ausgeübt hat ^),
Als ich zuerst Anlass hatte mich mit der Frage zu be^häftigeu,
wann Theophanu Deutschland verlassen habe, erschien mir das von
Wilmans gewonnene Ergebniss recht annehmbar. Hatte doch auch
Havet aus jenem Gerbertbriefe, obwohl er ihn ganz anders deutete
und verwerthete als seine Vorgänger, herausgelesen, dass die Kaiserin
den Winter 988/9 in Italien verlebt habe. Zu solcher Annahme
passten auch einige Nebenumstände. Dass der Hof sich im August
988 nach dem Süden begeben und bis zum 21. Oktober an den Ufern
des Bodensees geweilt hatte, legt den Gedanken nahe, dass sich Theo-
phanu bis hierher von ihrem Sohne habe begleiten lassen. Finden
wir dann um Ostern des folgenden Jahres den Bischof Gebhard von
Konstanz in Eom 2), so konnte mau annehmen, dass er sich dem Ge-
folge der Kaiserin angeschlossen habe. Und auch den Günstling der
letzteren, den Abt Johann von Nonantola, den wir zuvor (S. 225) auf
Schritt und Tritt verfolgt haben, war ich geneigt als ihren Keise-
begleiter zu betrachten. Sahen wir nämlich, dass dieser den im Laufe
des J. 988 erledigten bischöflichen Stuhl von Piacenza erhielt und
dann noch vor Ablauf des Jahres von dem Papste Johann XV. die
ausserordentliche Auszeichnung erwirkte, dass der Sprengel von Pia-
cenza aus der Erzdiöcese von Kavenna ausgeschieden und in einen
erzbischöfiicheu umgewandelt wurde, so Hessen sich diese Erfolge am
ehesten durch persönliche Verwendung der Kaiserin zu Johanns Gun-
sten erklären.
Bedenklich machten mich jedoch die DDO. III. 53, 54 (für
') Muratori SS. V\ 484. — Reg. di Farfa 3, 114 no. 436. — Fantuzzi
1, 218 no. 67. — Mit der 3. Urkinide vergleiche man die von mir S. 226 an-
gcfvihrten vom 30. September 990 und vom 20. Jänner 991, in denen sich Johann
nicht mehr auf Weisung der Kaiserin beruft, sondern raissus d. Uttonis regis
nennt. — Indem Kehr S. 53 die Urkunden der Kaiserin citirt, bezeichnet auch
er es in der Note als irrthümlich, dass Wilmans und nach ihm Giesebrecht den
Antritt der Reise zu 988 setzen. Aber er tritt den Beweis für den andern Ansatz,
dessen es doch noch bedarf, nicht an. -) Er erwirkte dort am 25. April das
Privilegium JL. 3831 fiir das Kloster Petershauseu. — Die Vita Gebehardi in
SS. 10, 587 lässt den Bischof nur orationis causa nach Rom reisen.
EvläntPiun,:,'rn zu den Diplomen Otto III. 233
Cielo rl' oro und für Parniii, beide aus Quedlinburg vom 5. April 080)
und D. 5(-> (für Montecassino aus Ingelheim vom 23. Juli), indem sie
die Intervention der Theophanu erw^ähnen und von dem Kanzler für
Italien Adalbertus recognoscirt worden sind. Beide Angaben beweisen
allerdings an und für sich noch nicht die Anwesenheit der l)etreffen-
den Personen am Ort und zur Zeit der Ausstellung. Aber mit der
Kecognition, um von ihr zuerst zu reden, hat es hier seine eigene
Bewandtuiss. Der Schriftbefund von D. 53 für Cielo d'oro drängt
uns die Annahme auf, dass das ganze Eschatokoll von der Hand des
Adalbertus stamme; er müsste also damals in Quedlinburg und nicht
im Gefolge der Kaiserin, falls diese schon in Italien weilte, gewesen
sein. Das verträgt sich nun kaum mit einer andern Annahme. Die
zwei S. 232 angeführten Theophanu - Urkunden bezeugen, dass die
Kaiserin die Befugniss hatte und ausübte, unter eigenem Namen Prae-
cepte zu ertheilen, welche den im Namen des Königs ausgestellten
gleichAverthig waren. Zu solchem Behufe uiusste sie den Kanzler und
Notare in ihrem Gefolge haben. In der That sind die beiden Diplome
mit der Unterschrift des Adalbertus versehen und erweisen sich auch
als Dictate der italienischen Kauzlei. Ist danach nicht zu bezweifeln,
dass Adalbertus im Winter von 080 zu 000 mit der Kaiserin in Italien
weilte und andererseits nicht, dass er noch im April zuvor in der
deutschen Pfalz in Person seines Amtes waltete, so würde sich ergeben,
dass die Kaiserin zu Beginn des Aufenthalts in Italien den Kanzler
noch nicht bei sich gehabt, sondern ihn erst später habe nachkommen
lassen. Und zu einer analogen Folgerung werden wir genöthigt, wenn
wir näher auf die Intervention der Theophanu in den DD. 53, 54, 56
eingehen. Diese konnte sehr wohl aus der Ferne erfolgen, durch
Briefe, welche die in den drei Urkunden als alleinige Fürbitterin ge-
nannte Theophanu den Petetenten mitgegeben haben mochte. Aber,
wenn die Kaiserin bereits im Süden Aveilte und von Anbeginn ihrer
Keise an zu Urkunden ermächtigt war, warum sollten sich die Mönche
von Cielo d'oro u. s. w. der Mühe unterzogen haben, sich mit ihren
Gesuchen an den Hof in Deutschland zu wenden? So wird es frag-
lich, ob Theophanu in dem ersten Jahre ihres Aufenthalts in Italien
bereits mit der HeiTschergewalt ausgestattet gewesen ist, welche sie
in dem zweiten Jahre zweifelsohne ausgeübt hat, oder es wird sogar
fraglich ob sie in der Zeit vom April bis Juli OSO überhaupt in Italien
gewesen ist. Es sei dazu gleich bemerkt, dass aus dieser Zeit kein
urkundliches Zeugniss für Anwesenheit der Kaiserin und des Kanzlers
in Italien vorliegt.
Ziehen wir noch die Urkunden aus der zweiten Hälfte des J. 080
234 Sir.kpl.
und die aus der ersten Hälfte des uächstfolgenden Jahres zu Eathc,
so finden wir, dass damals vom K. Otto nicht ein Diplom für Italien
ausgestellt worden ist, also auch der Kanzler Adalbertus nicht als
Kecognoscent erscheint. Desgleichen wird Theophanu seit dem Herbst
980 ^) bis Anfang Juni 990 nicht als Fürbitterin genannt. Dagegen
fallen in diese Monate die zuvor angeführten Urkunden der Theophanu
für S. Vinceuzo am Volturno u. s. w. Endlich beginnt mit D. 65
vom 18. Juni 990 eine neue Periode: Otto ertheilt zu Frankfurt auf
Fürbitte seiner Mutter und des Erzbischofs Johann von Piacenza dem
Patriarchen von Aquileja eine von Adalbertus recognoscrrte Urkunde,
d. h. die Kaiserin, der Günstling und der Kanzler sind zu gleicher
Zeit nach Deutschland heimgekehrt, wohin sich fortan auch die Pe-
tenten aus Italien wieder zu wenden haben. Ohne mir zu verhehlen,
dass ich hier lediglich mit der geringen Anzahl von Urkunden operire,
welche uns die allen Zufälligkeiten unterworfene Ueberlieferuug bietet,
glaube ich doch jene ins Auge springenden Erscheinungen daraufhin
prüfen zu sollen, ob zwischen ihnen ein causaler Zusammenhang be-
.steht. Und da scheint mir, dass sie sich auf zweierlei Weise erklären
lassen: durch die Annahme, dass die Kaiserin doch erst im Herbst
989 nach Italien aufgebrochen sei, oder durch die andere, dass sie
zwei Winter nacheinander dort verlebt habe, im Sommer dazwischen
jedoch nach Deutschland heimgekehrt sei.
Auf letzteren Gedanken musste mich die Deutung bringen, welche
J. Havet in seiner Ausgabe der Gerbertbriefe der Epist. 160 gegeben
bat. Gehe ich damit zu dieser Briefsammlung über, so pflichte ich
im vorhinein der Ansicht bei. welche zuerst von Wilmans ausgesprochen,
jetzt durch die von Boubnov und Havet unabhä]igig von einander vor-
genommene Untersuchung der Handschriften volle Bestätigung erhalten
hat, der Ansicht, dass der weitaus grössere Theil dieser Correspondenz
(Epist. 1 — 180) in der Reihenfolge auf uns gekommen ist, in welcher
einst die Briefe geschrieben oder, genauer gesagt, die Concepte für
dieselben von Gerbert selbst in sein Kladdenbuch eingetragen worden
sind ^). Gilt es also für diejenigen E])isteln, welche durch Bezugnahme
') Ueber ihre Intervention in D. 58 vom 1. Oktober rede ich später.
■■') Es ist mir wie wohl vielen deutschen Forschern ergangen, dass ich von dem
1888 erschienenen ersten Theile der Arbeit des Russen N. Boubnov erst durch
Havets Ausgabe Kunde erhielt. Dass des letzteren Mittheilungen nicht genügen,
um die Ansichten Boubnovs in ihrem ganzen Zusammenhange kennen zu lernen,
ersah ich schon aus der Anzeige beider \Aerke in der Zeitschrift Le moyen äge
(August 1889). Es war mir daher sehr willkommen, von H. Prof. Petrov aus
Fetei'sburg, welcher im vergangenen Schuljahre an dem Cursus unseres Instituts
ErläiitcrnnLcen /.u 'l<'n DiplonKMi Otfn ITT. 235
auf historische und uns sonst bekannte Begebenheiten eine Handhabe
dazu darbieten, die Daten möglichst genau zu berechnen und zwischen
die so chronologisch fixirten Stücke die übrigen einzureihen, so ergeben
sich doch noch zahlreiche und grosse Schwierigkeiten, weil wir im
ganzen über die Vorgänge jener Zeit und besonders über die Daten
schlecht unterrichtet sind. Gerade an der Epist. 160 werde ich zeigen
können, wie weit noch, was die Zeitbestimmung betrifft, die Meinungen
der hervorragendsten Forscher, wie unter den neueren Wilmans' und
Havets, auseinandergehen.
Darüber war man allerdings schon lange einig, als Absender der
Epist. 160, welchem Gerbert seine Feder geliehen hat, den Erzbischof
I
iheilnahm, genau über den Inhalt des Boiibnov'sclien Buches unterrichtet zu
werden und von ihm alle mich besonders interessirenden Stellen übersetzt zu
erhalten. Es fehlte mir jedoch die Zeit, allen Fragen, in welchen Boubnov und
Havet zweien, genauer nachzugehen und mich mit der Gesamtheit der Uerbertbriefe
eingehend zu befassen: aus diesem Grunde und weil die Commentare des russi-
schen Gelehrten zu den einzelnen Briefen noch nicht vorliegen, enthalte ich mich
noch in jeder der streitigen Fragen Stellung zu nehmen. Aber die mir augen-
blicklich gestellte Aufgabe glaube ich vollständig gelöst zu haben. Ich habe es
hier nur mit einer kleinen Anzahl von Briefen aus dieser Sammlung zu thun,
mit den in Ottos Namen geschriebenen oder an ihn gerichteten Briefen und mit
einigen andern, welche den Kaiser oder seine Mutter erwähnen, und ich habe
die Ueberlieferung dieser Stücke, wie sie entweder von Boubnov oder von Havet
angenommen wird, nur insoweit in Betracht zu ziehen, als etwa die Stellung
derselben in den Handschriften bei der Datirung zu berücksichtigen sein wird.
Für diesen meinen Zweck ist nun die schon längst und auch von den beiden
jetzigen Herausgebern gemachte Scheidung der Sammlung in zwei Theile, näm-
lich Epist. 1 — 180 und Epist. 181—220, massgebend. Nach Havet soll der erste
Theil nur durch den Leydener Codex (L.) auf uns gekommen sein, nach Boubnov
dagegen auch durch einen zweiten alten Codex S., welcher jedoch die Briefe
in derselben Reihenfolge geboten habe wie L., d. h., wie ich schon oben sagte,
in der ursprünglichen Hat nun, nebenbei gesagt, Boubnov mich ebensowenig
wie Havet von der Existenz dieses zweiten Codex zu überzeugen vermocht, so
bleibt es jedenfalls für den Versuch, die Briefe zu datiren, ganz irrelevant, ob
wir eine einzige Quelle oder zwei gleich geordnete annehmen. Allerdings
könnte sich eine gelegentliche Afusserung des russischen Forschers, dass einzelne
Briefe verschoben seien, eventuell auch auf das eine oder das andere Stück des
ersteren Theiles beziehen. Wir werden das, erst wenn seine neue Ausgabe voll-
ständig vorliegt, erfahren. Bis dahin habe ich mich an die von ihm gebotene
allgemeine Charakteristik des ersten Theiles zu halten und andererseits an die
Havet'sche Edition mit ihren Commentaren. Es sind also des letzteren Datirungen
der betrettenden Briefe, welche ich hier auf ihre Hichtigkeit hin prüfen werde. —
Ich nehme das Thema der Ueberlieferung der Gerbertbriefe wieder auf, wo ich
auf Briefe aus dem zweiten Theile der Collection. mit dem es sich jedenfalls
anders verhält, zu spreelien komme.
236 Sickel.
Armilf von Reims, den Nachfolger des Adalbero, zu hetrachteu. Dieser
berichtet, dass er sich um so mehr auf eine Eorareise gefreut habe,
als ihm die Gesellschaft dessen au den er schreibt, und eine Unter-
redung juit der Theophanu in Aussicht gestanden hätten. Da ein
Verbot seines Königs diesen Plan durchkreuzt habe, so möge der
Freund ihn vertreten, sowohl damit er durch ihn vom Papste das
Pallium erwirke, als damit er auch ferner der Gnade der Kaiserin
theilhaftig bleibe, welche er dem Freunde verdanke. Cuius, so schliesst
das lair/.e Schreiben, in obsequio deo annuente in pascha erimus, nee
(juisquam erit qui nos ab eins ac filii sui fidelitate ac servitio prohibere
possit. — Es ist klar, dass der Adressat, mag er schon in Kom bei
der Kaiserin weilen oder im Begiiff sein sich dorthin zu begeben,
Theophanu nahe stehen und sowohl bei ihr als au der Curie einfluss-
reich sein niuss.
Schon Wilmans glaubte mit Hilfe dieser Epistel, welche bald nach
der Wahl des Erzbischofs Arnulf und zur Zeit des Aufenthalts der
Theophanu in Rom geschrieben worden zu sein scheint, eine Reihe
von Briefen leidlich datiren zu können. Nur musste er, da uns nicht
direct berichtet wird, wann Arnulf die neue Würde erhielt, auf den
Tod des Vorgängers Adalbero zurückgreifen, welcher nach Richer auf
den 23 Jänner fiel. Wilmans (S. 167) gab daher dem einen Abschnitte
seines Excurses über die Gerbertbriefe die Ueberschrift: Von dem Tode
Adalbero's von Reims bis zum Concil von S. Basol, 17. Juni 091.
Aber das Jahr, in welchem Adalbero starb, steht in Frage. Wilmans
entschied sich für 988. Um nun das Intervall zwischen der Erledigung
und der Wiederbesetzung des erzbischöflichen Stuhles zu berechnen,
ging er von der Einnahme von Laou, welche einen Abschnitt in der
Geschichte Arnulfs bildet und für welche das Datum 30. März 991
feststeht, aus, vei-werthete ferner gewisse Zeitangaben der Epist. 217
(ich ziehe es vor, sie erst in anderm Zusammenhange zu wiederholen)
und setzte danach die Ordination Arnulfs in den Juni oder Juli 988,
also die Wahl um einige Wochen früher. Ergab sich daraus für die
Epist. 100, in welcher Arnulf seine Bemühungen um das Pallium er-
wähnt, Herbst oder Wiuter desselben Jahres, so sah Wilmans darin
eine Bestätigung für das was er aus den Ann. Hildesh. herauslas, dass
nämlich Theophanu im Herl)st 988 nach Italien gezogen sei.
Ganz anders verwerthet Havet denselben Briet'. Doch was wich-
tiger ist, er lässt Adalbero erst am 23. Jänner 989 sterben ^). VerHefen
') S. 105 N. 1 . Ich halte diesen Ausatz, für den sich schon Mabillon,
Waitz u. a. ausgesprochen haben, für richtig, sehe aber von nochmaliger Bc-
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 287
nuu nach Epist. 155 ^) seit dem Tode des Vorgängers bis zur Wahl mehr
als dreissig Tage und ist andererseits in Epist. 160 die Eede von
einem Besuche, welchen der (Schreiber, d. h. der eben gewählte Arnulf
der Kaiserin zu Ostern (31. März 98*.*) machen wollte, so folgeiie
Havet aus letzterem einige Zeit vor Ostern geschriebeneu Briefe, dass
die Wahl in den letzten Tagen des Febru;ir oder in den ersten Tagen
des März 989 stattgefunden habe. Und in diesem Zusammenhange
beruft er sich auf den Bericht der Ann. Hildesh., welchen er mit dem
von ihm citirten Wilmans dahin deutet, dass die Kaiserin das Weih-
nachtsfest 988 in Kom gefeiert habe, nimmt aber keine Notiz davon,
dass Wilmans unmittelbar darauf constatii-t, dass Theophanu bis in
den April 990 in Italien verweilte. Havet (S. 140 N. 3) meint viel-
mehr, dass der Empfänger der Epist. 160 auf seiner Reise nach Rom
mit der von dort liereits heiuikelirenden Fürstin zusammentreffen werde
und dass die von Arnulf in Aussicht genommene Begrüssung der
Kaiserin habe stattfinden sollen (Introd. LXXIII) en Alleraagne evi-
demment, puisc^u'il a renonce au voyage d' Italic.
Havet, das gebe ich zu, hatte bei seiner jetzigen Arbeit, nachdem
er das approximative Datum der Wahl Arnulfs richtig berechnet zu
haben glaubte, keinen Aulass auf die Geschichte der Kaiserin im Winter
989 zu 990 einzugehen -). Für mich, der ich sieher weiss dass Theo-
phanu diesen Winter in Italien verlebte, steht die Sache anders. Wollte
ich der von Havet der Epist. 160 gegebenen Deutung und den aus ihr
gezogenen Folgerungen durchaus beipflichten, so würde ich mindestens
zu der Annahme gedrängt werden, dass nach Reims die Kunde ge-
kommen sei, die Kaiserin werde schon im Februar 989 die Heimreise
antreten und werde bis Ostern au den Hof in Deutschland zurück-
tjekehrt sein. Soll dieser Plan wirklich bestanden haben und soll er
etwa auch zur Ausführung gekommen sein?
Gründung desselben ab. Ueberhaupt, da ich um meines Thema's willen schon
weit ausholen muss, begnüge ich mich hie und da mit den von andern ge-
wonnenen Er^buissen, selbst wenn sie noch nicht allgemeine Zustimmung ge-
funden haben. Und so halte ich mich auch nicht bei den Zahlen der von
Wilmans 161 N. 2 und 169 N. 2 citiiien Urkunden, noch bei den Angaben der
Ann. Remenses und der Ann. Mosomagenses (SS. 13, 82 und 3, 101) auf.
') Electio Ar. Remorum archiepiscopi a Gir. edita, d. h. Kundmachung des
Wahldecrets aus Gerberts Feder. -) Ebensowenig hat Wilmans von seinem
Standpunkte aus Anlass gehabt, sich über die Worte Cuius in obsequio d. a.
i. p. erimus zu äussern. Da er Arnulf als im Sommer .'^>88 gewählt betrachtete,
verstand er unter diesem Ostern sicher Ostern des nächstfolgenden Jahres,
konnte aber daraus tür das in Frage stehende Datum der Wahl keine Folgerung
ziehen.
238 Sickel.
Die Behauptungen Havets würden sieh allerdings damit vertragen,
dass in den beiden am 5. April 989 zu Quedlinburg, wo der Hof
wahrscheinlich das Osterfest feierte, ausgestellten DD. 53, 54 Theo-
jihanu als Fürbitteriu erscheint. Aber sie nöthigen uns, die zweite
der zuvor aufgestellten Alternativen näher ins Auge zu fassen. Dass
keine der erzählenden Quellen von einer zweimaligen Reise der Kaiserin
nach Italien berichten, genügt noch nicht solche Annahme einfach zu
verwerfen. Das möchte ich um so weniger thuu, da wir im Grunde
auf die Ann. Hildesh. angewiesen sind, welche über die J. 988 und
989 ziemlich kurz hinweggehen. Doch mit dieser Quelle befasse ich
mich erst später. Ich werde schneller zum Ziele kommen, wenn ich
den Fehler aufdecke, welcher sich, wie ich meine, in die Rechnung
Havets eingeschlichen hat.
Er besteht darin, dass Havet in den Zeitraum vom 23. Jänner
(Todestag des Adalbero) bis zum 31. März (Ostern des Jahres 989)
mehr Vorgänge unterzubringen versucht hat, als sich innerhalb 08
Tagen abspielen konnten. Es ist richtig, dass die Worte der Epist. 155:
elapsa sunt canonica tempora, violatae sunt leges quibus cavetur nullam
sedem amplius xxx dierum spatio vacare licere in ihrer Uu bestimm t-
heit sich mit Havet auch auf eine Sedisvacanz von nur 35 Tagen
(ich suppouire hier als Tag der Wahl den 1. März) deuten lassen.
Mau wird jedoch mit gleichem Rechte an eine grössere Zahl von Tagen
denken können. Schon die Verhandlungen, welche uns Richer (1. IV.
cap. 25 — 28) berichtet, werden geraume Zeit ausgefüllt haben. Dieser
verschweigt jedoch den einen Umstand, welcher die Entscheidung noch
in die Länge ziehen musste, dass Arnulf, um seine Wahl durchzusetzen,
einen andern Bewerber, nämlich Gerbert, aus dem Felde zu schlagen
hatte. Dass dieser in seiner Aufregung i) nur wenige Briefe (Epist.
1 50 _ 154) geschrieben hat, ist begreiflich. Doch noch der dem Wahl-
decret unmittelbar vorausgehende Brief bezeugt, dass es die Freunde
Gerberts nicht an Vorstellungen und Warnungen gegen Arnulf haben
fehlen lassen. Und werden dabei den Gegnern des Königs Hugo
insbesondere auch die von ihnen verschuldeten protractiones zum Vor-
wiu-f gemacht, so erscheint mir das ebenso bedeutsam als die aus-
drückliche Betonung der Verzögerung im Wahldecret. Will mau
trotzdem am 1. März, als annäherndem Datum der Wahl, festhalten,
so ist, meine ich, der Zeitraum zwischen diesem Tage und dem
in Epist. 160 als bevorstehend bezeichneten Osterfeste ebenfalls zu
kurz bemessen.
') Epist. 152: in tiiiita periiubatione et iit ita dicani cuuiusione.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 289
Havet (Introd. XXI) geht etwas leicht darüber hinweg, dass Ger-
bert, in seinen Hoffnungen getäuscht, dem neuen Erzbischofe ebenso
wie dessen Vorgäuger Adalbero zu Diensten war. Ich rechne dahin
nicht, dass er das Decret seines Nebenbuhlers aufsetzte, denn damit
erwies er nicht so sehr Arnulf als den Bischöfen des Reimser Spreugels
einen Dienst. Dagegen gibt er sich in den Epist. 156, 157, 160 als
willfähriges Werkzeug des Erzbischofs zu erkennen. Dass er sieb dazu
unmittelbar nach der für ihn schmerzlichen Erhebung Arnulls ent-
schlossen habe, könnte doch in Frage kommen. Aus auderm Grunde
glaube ich die von Arnulf an den Erzbischof Ecbert von Trier ge-
richtete Epistel 157 nicht gleich auf die Wahl folgen lassen zu dürfen,
obwohl in ihr die novitas nostrae ordiuationis erwähnt wird. Denn
nimmt der Schreiber hier bereits auf irgend eine freundliche Aeusserung
des Adressaten über die Wahl Bezug, so muss eine Reihe von Tagen
verflossen sein, bis zuerst die Meldung vom Ausgange der Wahl dem
bei Hofe weilenden Ecbert zugegangen und bis daun des letztern Glück-
wunsch in Reims eingetroften war i). Die gleiche Bewandtniss hat es
mit den Epist. 158 und 159. Setzt sie auch Havet nach dem Zeit-
punkte an, da Gerberts Hoffnungen auf die erzbischöfliche Würde zu
Schanden geworden waren, so übersieht er doch, dass sie nicht un-
mittelbar nach demselben geschrieben sein können. Plurimum intelligo
vos intelligere motus auimi mei scheint mir nur dann Sinn zu haben,
wenn der Destinatar der Briefe nach Empfang der Nachricht von der
Wahl Arnulfs den unterlegenen Gerbert bereits seiner Theilnahme
versichert hatte, so dass wiederum zwischen dem Tage der Entschei-
dung und dem Tage der Abfassung des Briefes einige Zeit verstrichen
sein muss. Dieselbe Annahme legen die die grösste Ungeduld ver-
rathenden Worte der Epist. 159: quousque ergo id genus amicitiae
exercebo? nahe. In diesem Zusammenhange komme ich nochmals auf
die Epist. 160 zurück und zwar zunächst noch unter der Voraussetzung
Havets, dass der Absender der Briefe Ostern 989 im Auge habe. Ich
habe bereits S. 236 angedeutet, dass wir den Ort nicht kenneu, an
welchem Arnulf den Adressaten vermuthet. Nur das ist klar, dass
dieser, wenn er nicht schon in Rom weilte ^, sich doch dorthin be-
') Citirt hiezu Havet das zu Köln am 28. December 988 ausgestellte
DO. III. 51 für den Erzbischof Ecbert von Trier, so kann doch dessen damaliger
Aufenthalt bei Hofe für die weit später fallende Epist. 157 nicht in Betracht
kommen. ^) Ich habe vester comitatus übersetzt: eure Uesellschaft, welcher
sich Aniulf ebenso gut in Rom als Ziel der Reise als auf der Reise erfreuen
konnte, und bestreite, dass es nothwendiger Weise als Begleitung auf gemein-
schaftlicher Reise aufgefasst werden muss.
940 S i c k e 1.
u-eben wollte. Doch ich will zugeben, dass iu Heims angenommen
wurde, dass sowohl der Adressat der Epist. 160, als die Personen, an
welche Gerbert die vorausgehenden Briefe richtete, noch auf der Keise
beo"riöen o-ewesen seien und irgendwo mit der über Berg heimkehren-
den Kaiserin zusammentreffen würden. Denken wir, um ein concretes
Beispiel zu wählen, etwa an das auf halbem Wege gelegene Chur
als Ort der geplanten Zusammenkunft und andererseits an Toul als
einen von Reims nicht sehr entfernten Aufenthaltsort des Adressaten
der Epist. 160. Wollte Theophanu bereits bis 31. März bei ihrem
Sohne in QuedUnburg eintreffen, so musste sie zweifelsohne vor Mitte
März von Chur abreisen, und so musste, wer von Toni aus ihr ent-
o-eo-enreisen wollte, Toul um 8 — 10 Tage früher verlassen, folglich
musste ein nach Toul gerichteter Brief noch früher von Reims ab-
tj-esandt werden. So haben wir für die Aufeinanderfolge der Epist.
15(j 160 allerlei nicht zu unterschätzende Intervallen kennen gelernt,
welche zusammengenommen einen weit grösseren Abstand zwischen
der Epist. 155 (Wahldecret) und der Epist. 160 ergeben, als die von
Havet ungefähr angenommenen 2ö Tage, einen so grossen Abstand,
dass meines Ermessens in der Epist. 160 nicht von Ostern 989, son-
dern nur von Ostern 990 die Rede sein kann.
Daraus folgt vor allem, dass sich Epist. 160 gar nicht für Be-
rechnung des Datums der Reimser Wahl verwerthen lässt und ebenso-
wenio- für Einreihung der au sie anknüpfenden Ereignisse. Wir sind
einzig und allein auf den 17. Juni 991 (Concil zu S. Basol, auf welchem
Arnulf abgesetzt wurde) angewiesen, um von diesem festen Punkte
zurück mit Hilfe der Angaben in Epist. 217 annähernd zu berechnen,
wann Arnulf den erzbischöflichen Stuhl bestiegen hat. Da dieser Ver-
such schon oft angestellt worden ist, kann ich mich kurz fassen.
Decem et octo continuis mensibus i) ist Arnulf vergebhch gemalmt
worden, dass er sich a scelere proditionis et rebellionis quo impetebatur
regulariter purgaret. Als Verräther galt er seit der Einnahme der
Stadt Reims durch Karl von Lothringen, welche stattgefunden hatte
als necdum a sua ordinatione sextus mensis elapsus erat. Somit müssen
wir um etwas mehr als zwei Jahre von dem Tage jenes Concilbe-
schlusses zurückrecbnen, um zum Zeitpunkt der Ordination oder der
vorausgegangenen Election zu gelangen: ich schlage den Ansatz zum
Mai 989 vor und dementsprechend für den Ueberfall von Reims den
November desselben Jahres.
Setze ich somit auch alle Bi-icfe dieser Zeit im Durchsclmitt um
•) Havel S. 20J.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto IIE. 241
drei Monate später als Huvet an, so glaube ich an den nach der Wahl
verfassten noch darthun zu sollen, dass solche Verschiebung zulässig
ist. Gehört Epist. 157 etwa in den Juli 989, so mag der damalige
Aufenthalt des Königs Otto dem Trierer Erzbischof Anlass geboten
haben, sich bei Hofe vorzustellen. Jedoch bevor ich zu den folgenden
Briefen übergehe, muss ich als Endergebniss meiner ganzen Unter-
suchung vorausschicken, dass Theophanu ihre Keise nach Italien erst
gegen Ende des J. 989 angetreten hat. In den Epist. 158, 159 steht
nun auch kein Wort davon, dass Gerbert sich die Kaiserin schon auf
der Keise begriffen gedacht habe. Und dringt er besonders in dem
zweiten auf eine Entscheidung zu seinen Gunsten, so scheint mir dieses
sein Verlangen vielmehr dazu zu passen, dass Theophanu noch bei
ihrem Sohne und bei Hofe war. Von der Reise wird also zuerst in
Epist. 160 gesprochen, jedoch so, dass dieser nicht einmal mit Sicher-
heit zu entnehmen ist, ob die Kaiserin schon unterwegs war oder
nicht oder ob sie sogar schon in Rom eingetroffen war. Müssen wir
übrigens den Brief vor die Einnahme von Reims (Epist. 162), also
zum September oder Oktober setzen, so konnte schon damals in Reims
die Absicht der Kaiserin, womöglich bis Ostern 990 (20. April) heim-
zukehren, bekannt sein und in diesem Sinne von Arnulf sein Vorhaben,
ihr dann aufzuwarten, angekündigt worden i). Ich versuche noch Epist.
162 zu deuten und zwar anders als Havet, weil ich auch in ihr eine
Stütze für meine Datirung der Gerbertbriefe aus dem J. 989 finde.
Nach Havet soll Gerbert dem Mönche Remigius zuerst erzählen, was
er Schlimmes im J. 988 erlebt hat -), und unmittelbar darauf allen
Schaden und alles Ungemach, welche der Ueberfall von Reims auch
über ihn gebracht hat. Dagegen muss ich mehr als einen Einwand
erheben. Es fällt doch sehr auf, dass Gerbert, welcher demselben
Freunde zu Anfang des J. 989 die Epist. 152 zugefsandt hatte, jetzt
in seiner Erzählung noch einmal auf das vorausgegangene Jahr zurück-
gegriffen haben und dann sofort zu dem jüngsten Erlebniss über-
gegangen sein soll. Beginnt er sein Schreiben mit nescis, nescis quae
1) Auf die Worte Richers (lib. IV cap. 32 — JL. 3830 gehört natürlich in
das J. 989) : nee multo post (ordinationem Amolfus) a papa Romano missum
apostolicae auctoritatis pallium sumpsit — lege ich allerdings geringen Werth und
sehe in ihnen um so weniger Grund Epist. 160 früher einzureihen, da die von
Arnulf ausgesprochene Bitte um Förderung dieser Angelegenheit nicht ausschliesst,
dass dieselbe bereits erledigt war, als der Brief geschrieben wurde. ^) Gra-
vissimis quippe laboribus aestivis et continuis eos contraximus morbos quibus
pestilens autumnus pene vitam extorsit — wozu Havet die Ann. Hildesh. zu
988 citirt : aestatis fervor nimius ac repentinus id. iulii usque id. aug. etc.
Mittheilungeu XU. 16
242 S i c k e 1.
uaufragia pertulerimus, so lässt sicli allenfalls begreifen, dass er des
liärtesten Schlages, der ilm betroffen hatte, des Scheiterns der Hoff-
nung, in Eeims auf den erzbischöflichen Stuhl erhoben zu werden,
mit keinem Worte gedenkt, denn von diesem SchiflFbruch hatte wohl
auch Remigius bereits Kunde. Schwerer ist dieses vollständige Ver-
schweigen zu erklären, wenn Gerbeii von seinen Schicksalen seit mehr
als einem Jahre berichten will. Ich gebe zu, dass auch das J. 988
für Gerbert gi-avissimis laboribus et continuis erfüllt war i), aber diese
Klage war doch mindestens ebenso berechtigt für das J, 989. Und
für jenes Jahr lässt sich der Witterungsbericht der Ann. Hildesh.
durchaus nicht geltend machen. Eechnet dieser die Tage von Mitte
Juli bis Mitte August richtig zum Sommer =^), so wird doch am wenig-
sten Gerbert der Verwechslung von aestas und autumnus zu zeihen
sein. Versuchen wir es aber mit der Deutung auf das J. 989, in
welchem der Brief geschrieben ist, so erscheint alles klipp und klar.
Der Wahl in Reims (Mai) geschieht nicht Ei^wähnung, sondern nur
der Folgen für Gerbert: den Sommer über Arbeit über Arbeit, dann
Krankheit, die im schlimmen Herbst lebensgefährlich wird, dazu die
Eroberung von Reims. Damit wird diese hinausgerückt über den Herbst '
hinaus, etwa bis in den Monat November, welchen wir auch auf an-
derem Wege gewonnen hatten.
Ich glaube hiermit bewiesen zu haben, dass Gerberts Epist. 160
weder der Annahme, dass Theophanu schon zu Ende des J. 988 nach
Italien aufgebrochen sei, noch der Annahme, dass bereits zu Ostern
989 ihre Heimkehr erwartet worden sei, als Stütze dienen kann, dass
sie von dem Leben der Kaiserin im Winter 988/89 gar nicht spricht,
dass sie lediglich auf die Pläne derselben für den nächstfolgenden
Winter Bezug nimmt. Für jene erstere Annahme könnte man sich
also nur noch auf die Ann. Hildesh., wie sie vonWilmans verstanden
wurden, berufen. Nun lautet aber das Urtheil über diese Quelle heut-
zutage ganz anders als zu der Zeit, da sie von Pertz herausgegeben und
von Wilmans benutzt wurde. Es genügt, dass ich auf das Vorwort
von Waitz zu der neuen Schulausgabe oder auf Wattenbachs Geschichts-
quelleu 1, 327 verweise. Allerdings gilt noch jetzt die Handschrift
als autograph und insbesondere werden die ersten bis 994 reichenden
Aufzeichnungen als in der Urschrift erhalten betrachtet, wodurch aus-
geschlo sen ist, was in al^schriftlichen Jahrzeitbüchern so oft begegnet,
') Vgl. Havet lulrod. XX, sowie die hierher gehörigen Briefe. '-') Nach
beila ist der !l. Mai initiuui aestatis mul der 7. Augiisl initiiim autumiii ; iiiuli
hidur 24. Mai und li.i. AnjJiisi.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto l[[. 243
dass Notizen aus Versehen von einem Jalire zum andern verschoben
werden. Aber mit der ft-üher angenommenen Originalität dieser Annaleu
ist es schlecht bestellt. Es ist jetzt erwiesen, dass sie mindestens bis
zum J. 984 aus den Hersfelder Annalen und etwa vom J. 997 an
aus nicht mehr erhaltenen ausführlicheren Annaleu von Hildesheim
abgeleitet sind; könnte daher höchstens noch für die Aufzeichnungen
der dazwischen liegenden Jahre Originalität in Anspruch genommen
werden, so ist auch für sie möglicher Weise eine inhaltsreichere Vor-
lage benutzt worden. Dieser Vermuthung Wattenbachs stimme ich
um so mehr bei, als mir nicht einleuchten will, dass man damals in
Hildesheim und in der nächsten Umgebung des wohl unterrichteten
Bernward nichts mehr und nichts besseres zu berichten gehabt habe,
als in der auf uns gekommeneu Handschrift steht. Die Dürftigkeit
der Nachrichten spricht auch hier dafür, dass der betreffende Schreiber
uns nur Auszüge aus einem grösseren Werke überliefert hat. Damit
ist aber auch die Zuverlässigkeit seiner Mittheilungen in Frage gestellt.
Im vorliegenden Falle handelt es sich insbesondere darum, wie es der
Abbreviator mit der Zeitfolge gehalten hat und ob er den Brauch, das
Jahr mit Weihnachten zu beginnen, genau befolgt hat. War nun
Wilmans von seinem Standpunkte durchaus im Rechte, aus den Ein-
tragungen zu den J. 984, 1001, 1002 den Schluss zu ziehen, dass in
den Ann. Hildesh. stets die Weihnachtsepoche festgehalten worden sei,
so ist derselbe für uns nicht mehr zwingend. Wir haben uns auf die
Betrachtung des zwischen jenen Jahren liegenden Abschnittes zu be-
schränken, wenn wir versuchen wollen, einen Massstab dafür zu ge-
winnen, inwieweit der Abbreviator die von ihm berichteten Begeben-
heiten in die richtige Zeitfolge gebracht hat. Ich gestehe offen, dass
mir dieser Versuch nicht gelungen ist i) und dass ich auf die specielle
den Jahresanfang betreffende Frage keine Antwort finde. Wohl oder
übel muss ich, was zu 989 eingetragen ist, für sich betrachten. Da
scheint nun auf den ersten Blick die bisherige Auslegung, dass unter
dem zuerst erwähnten Weihnachten das das Jahr 989 eröffnende, also
unser Weihnachten 988 zu verstehen sei, dadurch gesichert, dass als
zweite und letzte Begebenheit des J. 989 der Tod des Bischofs Osdag
berichtet wird, welcher am 8. November 989 erfolgte. Aber ein Um-
stand würde dabei, wie es bisher allgemein geschehen ist, unberück-
') Chronologische Anordnung scheint vorzuhen-schen, ist aber im .1. 988
ausser Acht gelassen. Erscheint sie durch das andere IVincip gestört, die Be-
gebenheiteji nach dem (irade des Interesses, welches sie im allgenieinen oder in
<leu Augen des Annalisten erwecken, zu unhien, so ist aucli dieses l'riiicip niclit
durchgeheuda befolgt worden.
16*
244 Sickel.
sichtigt bleiben. Den Worten (Th.) ibi natalem domini celebravit, gebt
ja voraus Romam perrexit. Gerade wenn der Annalist an das auf der
Schwelle des J. 980 stehende Fest dachte, hätte er von der Reise nach
Rom unter dem Vorjahre berichten müssen. Und so lässt die Stelle
auch eine zweite Deutung zu. Der Schreiber fand in seiner Vorlage
die Reise zu Ausgang des J. 989 erwähnt, wiederholte sie zu demselben
Jahre, fügte aber auch gleich die weiteren Notizen über die Kaiserin
(celebravit, subdidit) aus dem J. 990 hinzu, um nach Erledigung der
politischen Begebenheiten nachzuholen, was sich in Hildesheim im
J. 989 zugetragen hatte. Abbreviatoren sind ja oft so vorgegangen.
Dass dieser Bericht zweideutig ist und bleibt, verkenne ich nicht.
Erscheint aber die eine Interpretation ebenso berechtigt als die andere,
so liegt die Entscheidung bei dem, was die Diplome bezeugen. Das
erste ist, dass Theophanu den Winter von 989 zu 990 in Italien ver-
lebte, das zweite, dass sie von Ostern bis in den Herbst des Vorjahres
in Deutschland weilte. Vertrüge sich damit noch, wie wir bereits sahen,
die Annahme eines Aufenthalts in Italien in dem Winter zuvor, so
hat sich die eine Stütze derselben, nämlich Havets Interpretation der
Epist. 160 als hinfällig erwiesen. Erübrigt dann als Indicium nur
noch, was Wilmans u. a. aus dem zweideutigen Berichte der Ann.
Hildesh. herauslesen wollen, so wii'd dessen Beweiskraft in meinen
Augen durch die Erwägung sehr abgeschwächt, dass der Mönch von
Hildesheim sich recht schlecht unterrichtet zeigt, wenn er kein Wort
von der über allen Zweifel erhabenen Reise im zweiten Winter zu be-
richten weiss. Somit weise ich den Gedanken an eine zweimalige Reise
zurück und ebenso den, dass die Kaiserin schon im J. 988 nach Italien
aufgebrochen sei.
In diesem Jahre scheint, während der Hof im Süden weilte, der
Verkehr in Italien wieder etwas lebhafter geworden zu sein. Das mag
den Anstoss zum Entschlüsse der Kaiserin, persönlich in die Angelegen-
heiten Italiens einzugreifen, gegeben haben. Mussten ihr aber ebenso
wie den Königen die Wege bereitet werden, so mag der des Landes
und der Leute kundige Johannes Graecus und mögen andere schon
von Konstanz vorausgesandt worden sein. Die Kunde von dem Reise-
plane wird sich bald verbreitet haben und auch nach Reims gedrungen
sein. Die Kaiserin selbst trat jedoch ihre Reise erst im J. 989 an,
begleitet von dem Kauzler für Italien. In welchem Monate dies ge-
schah, darüber lassen sich nur Vermuthungen aussprechen. Es Hegt
uns allerdings ein Diplom für den Bischof von Freising, am 1. Oktober
989 zu Frankfurt ausgestellt, vor, in welchem als Intervenienten ge-
nannt werden Theophanu und Herzog Heinrich der Jüngere. Aber
I
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 245
Theophanu als anwesend bei der Ausstellung zu betrachten, so dass
sie erst in vorgerückter Jahreszeit den Zug über die Alpen angetreten
haben würde, ist gewagt. Das D. 58 wiederholt nämlich im wesent-
lichen DO. IL 66 vom J. 973 und ist, einen Zusatz ausgenommen,
demselben wörtHch gleich. Urkundet nun Otto IL auf Bitten dilec-
tissimae coniugis nostrae Theophanu nee non cari nepotis nostri Bai-
oariorum ducis Heinrici, so thut es Otto III. auf Bitten dilecte matris
nostre Th. nee non cari nepotis nostri Karentinorum ducis Heinrici.
Es ist nun nicht unmöglich, dass sowohl die Kaiserin als Heinrich der
Jüngere im J. 989 nur deshalb genannt worden sind, weil in der Vor-
urkunde vom J. 973 Theophanu als Gattin Otto IL und der damals auch
über Kärnthen gebietende Heinrich der Zänker als Fürbitter erscheinen.
Handelt es sich aber um nochmalige Intervention, so kann sie geraume
Zeit vor der Ausfertigung des Diploms stattgefunden haben ^). Und
dafür möchte ich geltend machen, dass laut einer Lorscher Urkunde 2)
Otto sich mit stattlichem Gefolge am 28. September in diesem Kloster
befand, dass aber unter den zahlreichen ihn umgebenden Personen
seine Mutter nicht genannt wird. Darf ich es darauf hin als
wahrscheinlich bezeichnen, dass sie ihre Reise nach Italien bereits
angetreten hatte, so ist und bleibt doch die Hauptsache, für welche
ich hier den Beweis liefern wollte, dass der letzte Aufenthalt der
Theophanu in Italien sich auf den Winter von 989 zu 990 be-
schränkt hat.
') In dieser Beziehung ist auch zu beachten, dass H. d. J. bereits am
5. Oktober 989 (s. Forschungen 15, 164) gestorben ist. Sollte er während eines
Aufenthaltes bei Hofe erkrankt und gestorben sein? ^) Cod. Lauresham.
1, 140 no. 83.
Nachtrag zu S. 241. Soeben (März 189l) erfahre ich, dass
Boubnov 2, 608 — 621 die Episteln 155 — 160 ziemlich ebenso wie ich
ansetzt, nämlich zu April bis September 989. Die Wahl Arnulfs lässt er
im April 989 stattfinden und unter dem in Epist. 160 erwähnten Ostern
versteht er das des Jahres 990.
Die sogeuaiinte Brevis uota über das Lyouer
Coucil von 1245.
Von
M. Tan gl.
Am 17. Juli 1245 hatte Papst Innocenz TV. vor dem zu Lyon
versanimelteu Concil die Absetzung wider Kaiser Friedrich IL aus-
gesprochen.
Die unmittelbare Wirkung der Lyoner Sentenz kann kaum als
eine tiefgreifende bezeichnet werden. Sie hat keine neuen Parteien
und Gegensätze geschaffen, die Eeihen der Anhänger des Kaisers zu-
nächst wenig gelichtet; und andererseits war die Erbitterung des
Kampfes bereits früher zu einer Höhe gediehen, die einer Steigerung
kaum mehr fähig war. Und doch verlieh eine Kette von Ereignissen,
die sich im weiteren Verlaufe der Dinge daran knüpften, dem Spruche
des Lyoner Concils allmählig eine Bedeutung, die jene der Absetzung
Heinrichs IV. weit überragte.
In Deutschland begann fast unmittelbar darauf mit dem Tode des
letzten Babeubergers, Herzog Friedrichs des Streitbaren, und Erzbischof
Eberhards von Salzburg die allgemeine Verwirrung, ohne dass der
Kaiser, der sich ganz in das italienische Parteigetriebe geworfen hatte,
ernstlich eingriff. Bald starb er selbst, und ohnmächtige Gegenkönige
rangen fortan fruchtlos um Herrschaft und Anerkennung im Reiche.
In Italien entschieden zwei Schlaclittage verhänornisvoll wider Manfred
und Konradin, die letzten Sprossen aus staufischem Geschlechte ^).
So konnte denn bereits ein Menschenalter später Rudolf von
') Ich bin in Beurtheilunnr des Lyoner Concils wesentlich der Ansicht ge-
folgt, welche Ficker in dei" Vorrede zur Neubearbeitung des betreitenden Alt-
schnitts der Böhmer'schen Regesten vertritt.
Die ^ogemuinio Hrcvis uota üben- dsis l,_yuiH'r ('oucil von 1245. 247
Eahsburg das Lyoner Concil als den entscheidenden Wendepunkt be-
trachten, an den er bei der Neuordnung der Dinge anknüpfte, und
mit Kecht hat ein neuerer Forscher die Darstellung der späteren
deutschen Geschichte mit der Schilderung der Vorgänge in der Cathe-
drale zu Lyon begonnen i).
Dass aber die unmittelbaren Zeitgenossen mit Ausnahme der päpst-
lichen Curie den Verhandlungen des Concils nicht jene weittragende
Bedeutung beimassen, ist wohl mit ein Erklärungsgi-und für den Mangel
an gleichzeitigen Berichten. Von einzelnen verstreuten Bemerkungen
abgesehen, kommen nur zwei Quellen in Betracht: Mathäus v'on Paris ^)
und die bei Mansi'^) abgedruckte Brevis nota eorum quae in concilio
Lugdunensi gesta sunt. Nur letzterer Bericht stammt von einem
Augenzeugen ^).
Am eingehendsten hat sich mit ihm bisher Ivarajan bescliäftigt^).
Der Verfasser war ein auf dem Concil anwesender Geistlicher, und
Karajan ist mit der Art und Weise, wie er seinen Bericht niederschrieb,
wenig zufrieden : Statt einer umständlichen, lebendigen Schilderung der
einzelnen Vorgänge und Verhandlungeu, wie er sie, zweifellos gut
unterrichtet, zu bieten vermochte, eine dürre, trockene Darstellung;
1) Lorenz, Deutsche Geschichte 1, 35. -) Ich henützte die Monunienta-
Ausgabe jener Partie des Mathäus Paris in «8. 28, 74 f. ■■') Collectio s. concil.
arapliss. 23, 610—13. *) Schirrmachers Annahme (Kaiser Friedrich U. 4, 388),
da,ss Mathäus von Paris selbst auf dem Concil zugegen w;i,r, ist von Liebormann,
dem Herausgeber der betreffenden Partie in den Monumenta (SS. 28, 257 A. 4j,
wie ich glaube, mit Recht zurückgewiesen worden. Die Lebhaftigkeit der Sprache
und Ausführlichkeit der Darstellung dart hierin nicht täuschen. Einzelne An-
klänge legen es vielmehr nahe, dass Mathäus die Brevis nota als Quelle benützt
habe. Besonders auffallend ist die Wiederkehr einer ganz bestimmten Redensart
in beiden. In der Brevis nota heisst es von Thadäus de Suessa, als er sich un-
mittelbar vor der Bannungs- und Absetzungssentenz des Papstes erhob, um an
einen künftigen Papst und ein allgemeines Concil zu appelliren, »percipiens, ((uod
iam securis erat posita ad radicem*. Mathäus aber legt diese Worte,
welche die Empfindung des kaiserlichen Vertreters ganz treffend schildern, dem
Papste selbst anlässlich der vorberathenden Sitzung in den Mund : ,Sed el hcc
nunc, constat, sunt promissn, ut securis iam ad radiccm posita illuso
concilio et soluto per dilacioncm avertatur\ Wer das ganze kühl berechnende
N'orgehen Innocenz' IV. in der Frage beachtet, wird eine so arge politische Un-
geschicklichkeit, wie sie in jener Aeusserimg gelegen hätte, dem staatsklugen
l^apste nicht zumuthen. Vonseite des Mathäus scheint hier lediglich ein Fall
inigeschickter und dabei tendenziöser Quellenbenützung vorzuliegen, wie denn
auch die Verquickung der 1. und 2, Concilssitzung zeigt, dass sich seine Dar-
stellung mehr durch rhetorischen Schwung als strenge Gewissenhaftigkeit aus-
zeichnet, s) Zur Geschichte des Concils von Lyon von 1245. Denkschrift d.
Wiener Akad. d. Wiss. phil. bist. Cl. 2, 67 f. S. 83.
248 Tan gl.
dabei eine unerklärliche Bevorzugung des rein Formelleu, Nebensäch-
lichen. Da die Individualität des Verfassers nirgends hervortritt, ergibt
sich auch kein Anhaltspunkt zur Feststellung desselben.
Dem gegenüber dürfte es nicht ganz unerwünscht sein, wenn ich
aus der Art der handschriftlichen üeberlieferung unserer Quelle ganz
bestimmte Anhaltspunkte für den Kreis, dem der Verfasser der Brevis
nota augehörte, zu bieten vermag.
Mansi hatte bei seiner Edition Textvarianten aus dem Codex 275
des spanischen Collegs in Bologna beigebracht.
Es ist dies der nämliche Codex, aus dem Merkel seine päpstlichen
Kanzleiordnungen veröffentlichte ^). Im Zusammenhange grösserer Ar-
beiten über das päpstliche Kanzleiwesen habe ich die Handschrift im
Sommer 1889 neu untersucht, und ich kann mich über das Ergebnis
um so kürzer fassen, als jüngst Simonsfeld, der den Codex unmittelbar
nach mir ebenfalls bearbeitete, darüber eine Abhandlung veröffent-
lichte ^), mit der ich mich an anderer Stelle auseinandergesetzt habe 3).
Hier genügt es, das Hauptergebnis meiner eigenen Untersuchung
kurz mitzutheilen.
Der Codex 275 des spanischen Collegs zu Bologna ist eine c. 1280
in der päpstlichen Kanzlei entstandene, mithin die älteste bisher nach-
weisbare Abschrift des Liber Cancellariae oder Provincialis, wie sein
damaliger Titel lautete. Die Sammlung ist in der heute vorliegenden
Gestalt unvollständig: sie enthält nicht alle damals überhaupt bereits
erflossenen officiellen Verfügungen, aber sie ist andererseits frei von
jeder fremdartigen Beimischung.
Auf den Diöcesaukatalog folgen zunächst Formeln, die sich mit
den bei Erler veröffentlichten im grossen und ganzen decken.
Als letzte derselben steht p. 82 unter der Aufschrift: Mandatur
metropolitanis, quod veniant ad concilium et citent suffraganeos et
eorum capitula ad illud das Einberufungsschreiben an die Erzbischöfe
zum Lyoner Concil ^). Daran reiht sich p. 83 — 85 die Brevis nota &) ;
f. 86 — 88 sind leergelasseu, und mit p. 89 setzen, dann die von
Merkel herausgegebeneu Consuetudines cancellariae ein.
0 Archivio storico Italiano App. 5, 129 f. Merkel wies 8. 131 auch bereits
darauf hin, class der Codex »fragmenta actorum* über das Lyoner Concil ent-
halte. '-') Sitzungsberichte der bair. Akad. d. Wissensch. 1890, 2, 218 f.
'S. 223 erwähnt er auch die Aufnahme der Brevis nota in diesen Codex.
•■') Mitth. 12, 187 f. *) Mansi 23, 608 an den Erzbischof von Sens. Potth. 11493,
Berger, Reg. 1, 207 No. 1354. •'>) Ich behalte diese Bezeichnung, die durch
Mansis Edition noch allgemeine Geltung geniesst, bei; doch scheint sie ganz
willkürlich gewählt; denn die Bologneser und die gleich unten zu erwähnende
Vatikauische Handschrift enthalten unsere (Quelle ohne jede Ueberschrift.
Die sogenannte Brevis nota ül^er das Lyoner Concil von 1245. 249
Daraus ergibt sich der nalieliegende Schluss, dass auch die Brevis
uota in der päpstlichen Kanzlei entstanden sei und dass sie mit allen
übrigen Eintragungen auch den officiellen Charakter gemein habe.
Aus dieser Entstehungsart erklärt sich aber auch das von Karajan
beanstandete Ueberwiegen des rein ceremoniellen Details, dem der
hierin eingelebte Hofbeamte eine unverdieut hohe Bedeutung beilegen
mochte, während es für jeden anderen Concilstheiluehmer gewiss höchst
gleichgiltig war, wo beim Concile die päpstlichen Notare und der Cor-
rector der päpstlichen Bullen sasseu.
Welchen Wert man aber gerade in den Kreisen der päpstlichen
Kauzlei auf die Feststellung der Kangordnung innerhalb der anderen
Curialen legte, ersieht man an besten daraus, dass die in der Brevis
nota erwähnte Thatsache iu den Consuetudines cancellariae bereits
zum Gesetz tjemacht ist:
Merkel 1. c. 135 I, 4 = Erler,
Lib. canc. 135: et debet vicecan-
cellarius et deinde notarii auditor
contradictarum et corrector sedere
post presbiteros cardinales, quando
dominus papa celebrat, quibus-
cunque prelatis post seden-
t i b u s.
Brevis nota:
alii principes laici sederunt ad si-
uistram et diaconi cardinales vice-
cancellarius magister Marinus Nea-
politanus cum notariis auditore
contradictarum correctore capella-
nis subdiaconis et quibusdam aliis.
Inferius vero sie prelati
sederunt:
An Stelle der Oardinaldiakonen sind in den Consuetudines can-
cellariae die Cardinalpriester getreten ; das Wesentliche ist aber beiden
Aufzeichnungen gemeinsam: Vicekanzler und Notare und der mit
letzteren rangsgleiche Auditor contradictarum uud Corrector litterarum
apostolicarum haben bei feierlichen Anlässen vor den Prälaten den
Vortritt.
Der Zweck der Abfassung dieses officiellen Berichtes und seiner
Eintragung ins Kanzleibuch, ist nicht schwer zu ermitteln.
Man war, um mich der eigenen Worte der Brevis nota zu be-
dienen, an der Curie entschlossen, die Axt an die Wurzel zu legen,
und hatte zu dem Entscheidungskampfe ganz umfassende literarische
Eüstungen getroffen. Alle Urkunden, aus denen sich Ansprüche der
Päpste wdder das Kaiserthum ableiten Hessen, waren bereits zu Kom
sorgfältig gesammelt worden; denn dass man erst in Lyon auf den
Gedanken kam und glücklicherweise das ganze päpstliche Archiv zur
Hand hatte, ist wohl nicht anzunehmen. Die Urkunden wurden dann
in Lyon traussumirt, den versammelten Vätern vorgelegt und die
Traussumpte beglaubigt. Hatte dies den Zweck, die Berechtigung der
250 Tan gl.
erliobent'ii Aiisprüche inul des eingeleiteten Verfahrens /u beweisen,
so galt es noch, das Concil selbst als ein allgemeines, das Vorgehen
des Papstes auf demselben als gesetzmässig und unparteiisch zu ver-
fechten.
Auch diese Aufgabe fiel der päpstlichen Kanzlei zu, welche wohl
auch mit der Sammlung und Transsumirung der Urkunden ])etraut
worden war und so an dem Verlaufe des Concils regen Antheil ge-
nommen hatte.
Es ist noch immer eine offene Frage, in welchem Umfange die
Einladungen zum Concil ergiengen. Erhalten sind uns bekanntlich
nur äusserst wenige, und auch Bergers Ausgabe des Kegisters hat uns
hierin nicht weiter gebracht.
Sicher waren viel mehr Einberufungsschreiben erflossen; und die
Eintragung der Einberufung an die Erzbischöfe als Formel ins Kanz-
leibuch würde allerdings den Schluss nahelegen, dass sie an alle ge-
richtet war. Wahrscheinlich hat auch diese Verallgemeineruug des
Briefes zur Formel die weitere Aufzähhmg der Adressaten im Kegister
überflüssig erscheinen lassen i).
Das Concil als allgemeines und rechtmässiges zu erweisen ist auch
der nächste Zweck der Brevis nota: Patriarchen aus dem Osten und
Westen, Erzbischöfe und Bischöfe und Vertreter der christlichen Fürsten
haben sich eingefunden; auch der Vertreter des Kaisers Friedrich fehlt
nicht; in allen Gebeten und Formeln der EröflFnung wird das übliche
Cereraoniell strenge gewahrt.
In der Schilderung der Verhandlungen selbst tritt ein unleugbares
Streben nach Obiectivität hervor. In dürrer, trockener Sprache, die
in vollstem Gegensatze steht zu dem leidenschaftliclien Tone der vStreit-
schriften, in denen sich beide Parteien unmittelbar nach dem Concile
liekäuipften =^). werden die Verhandlungen erzählt, jedes scharfe Wt)rt
wird ängstlich vermieden. Papst lunocenz IV. ersclieint als der echte
Wahrer voller Unparteilichkeit. An letzter Stelle erwähnt er in der
') üeber die geringe Zahl der Einberuiuiigsschreiboii, vgl. Schirrniacher
4, 110 f., 389. Im Register begegnen mit demselben lnci])it ,Dei virtns* nur
iiocli Berger No. l;i55, capitulo Senensi und No. 1356 illustri regi Francie; bei
l'otthast ausserdem noch No. 114.97 abbatibus et prioribus exeiuptis per Angliam
No. 11498 capitulo Salzburgensi und No. 11521 abbatibus et prioribus per An-
gliam constitutis; verschieden davon ist das Incipit der 4 an die Kardinäle er-
haltenen Schreiben, l'otthast No. 11523. Die Citation zum Lyoner Concil ist als
Formel auch eingetragen in die Ann. Piacentini Gibellini SS. 18, 488. Hec est
fonua citationis domini pape que dirigitur ecclesiarum prelatis et principibus
universis pro concilio celebrundo. -) Vgl. Schin-macher 4, Ibl 1".
Die sogenannte Brevis nota über da^i L.voner Cuncil von 1245. 2?)l
Eröft'nungsrede erst die Streitsache mit dem Kaiser, währeud sie ja
doch den eigentlichen Grund zur Berufung des Concils bildet, während
sich die Debatte der zweiten Sitzung ausschliesslich um sie dreht. In
der zweiten Sitzung widersteht er standhaft dem Andrängen eines
spanischen Erzbischofs, sofort gegen den Kaiser vorzugehen, obwohl
ihm jener die volle Unterstützung der auf dem Concil besonders zahl-
reich erschienenen spanischen Nation zusichert ; und zum nicht geringen
Aerger vieler Prälaten gibt er dem Antrag des kaiserlichen Vertreters
Thadäus von Suessa auf Verschiebung des Urtheilsspruches und An-
beraumung einer neuerlichen Sitzung statt. Andererseits vrird des eben
erwähnten kaiserlichen Gesandten in durchaus wohlwollender, achtungs-
voller Weise gedacht. Der günstige Eindruck, den seine Vertheidiguugs-
rede in der ersten Sitzung auf die Versammelten übte, wird ganz
unverholen zugestanden ^).
Und als der Verfasser, den wir wohl im Kreise der päpstlichen
Notare zu suchen haben dürften, seinen Bericht damit beendete, dass
die schliessliche Fällung des Bannfluches und der Absetzung den Con-
cilsvätern eigentlich ziemlich unverhofft und verblüffend kam ''^), fand
es der in die Verhandlungen hinter den Coulissen besser eingeweihte
Vicekanzler, bevor er die Erlaubnis zur Eintragung ins Kanzleibuch
gab und den Bericht dadurch zum officiellen stempelte, für nöthig,
folgende Erklärung anzufügen: Sed est diligenter attendendum, quod
papa in illis diebus consilium petierat singulariter a prelatis, utrum
posset vel deberet procedere per ea que manifesta fuerant contra eum,
et quantum ad depositionem eins omnes concordarunt ; et statim ipsi
sententie que scripta erat sigillum cuiuslibet faciebat apponi, ita quod
in prolatione sententie C et L sigilla ipsi sententie fuerant appensa.
So erklärt es sich, dass sich dieser Zusatz nur im Liber Caucel-
lariae findet, in den übrigen Fassungen aber fehlt. Die Brevis nota
hatte nämlich auch selbstständige Verbreitung erlangt.
So fand ich auf einer einzelnen Pergaraentlage des Cod. Ottob,
lat. 2520, eines bunten Samraelbandes von vielerlei Fragmenten, die
Brevis nota über das zweite und darauf die über das erste Lyoner
Concil in einer Schrift, deren Charakter sich mit dem der Registci'-
schrift des ausgehenden id. Jahrli. völlig deckt, ein Zeichen, das.s man
sie in der päpstlichen Kanzlei auch unabhängig vom Kauzleibuche
abschrieb und verbreitete.
'1 Mansi 1. c. : Mirabiliter excusare videbatnr imperatoreiii : . . . ct. miiltis
eins responsio fuit grata. -) L. c. Ita quorl vix credelnitur ab aliquibus, quod
aliquam deberet ferre sententiam contra enm.
252 Tang].
So kam diese Relation über das Lyoner Concil von Rom auch in
das nahe Cesena und fand hier in den Annalen dieses Städtchens
wörtliche Aufnahme i).
Einen andern vom Cod. Bononiensis und Ottobonianus mehrfach
stark abweichenden Text hat Mansi seiner Ausgabe zugrunde gelegt,
während er die Lesearten der ihm bekannten Bologneser Handschrift
nur ganz ungenügend benützte ^).
Es erübrigt noch, einer mit unserer bisher besprochenen enge
verwandten Quelle, der Brevis nota über das zweite Lyoner Concil,
einige Aufmerksamkeit zu schenken '^). Sie deckt sich mit ihr in der
ganzen Art der Darstellung und der ruhigen, nüchternen Sprache, ist
aber ausführlicher und bringt noch genauere Angaben über das be-
obachtete Ceremoniell. Vicekanzler und Notare sind anlässlich der
Sitzordnung nicht erwähnt, wohl aber S. 64, wo von dem Empfang
der griechischen Gesandten gesprochen wird: Omnes prelati qui erant
in concilio cum familiaribus suis, camerarius cum tota familia papae,
vicecancellarius et omnes notarii ac omnis familia cardinalium
.exiverunt eis obviam.
Lässt schon die bis ins kleinste Detail gehende Aufzählung aller
beobachteten Formen erkennen, dass der Verfasser Augenzeuge war,
so ergibt sich aus der Erwähnung von Vorgängen in den Versamm-
lungen der Prälaten und Nationen und in den Sitzungen des Con-
sistoriums ^) der Schluss, dass er einem Kreise angehörte, der über die
gesammten Verhandlungen wohl unterrichtet war.
In der handschriftlichen üeberlieferung besteht zwischen beiden
Quellen allerdings insoferne ein bedeutender Unterschied, als diese zweite
Brevis nota in der Copie des Kanzleibuches fehlt. Nun ist der Bolo-
gneser Codex nachweislich unvollständig; doch es wäre eine müssige
Streitfrage zu untersuchen, ob die Eintragung auch in der Original-
Handschrift unterblieb, ob sie bei der Abschrift übergangen wurde
') Muratori SS. 14, 1098 f. Die Lesearten bei Muratori decken sich genau
mit jenen des Cod. Ottob. ^) So ist S. 612 das sinnlose antequam ad festum
accederetur beatae Mariae virginis gloriosae ordinavit octavam im Text bei-
behalten, -während Mansi doch die verständige Leseart des Cod. Bonon. kannte:
antequam ad sententie prolationem accederet, nativitati beate virginis gloriose
ordinavit octavam. S. 612 letzte Z. stört das unverständliche appellaret statt
appellabat. Manches ist auf reine Lesefehler zurückzuführen; so stimmt das
Concil zum Schlüsse nicht der dispositio sondern der depositio imperatoris zu.
Den Plan, meinen kurzen Erörterungen selbst eine Ausgabe anzufügen, habe ich
fallen gelassen, da ich der Meinung bin, dass unsere Quelle neben und vielleicht
auch vor anderen Dingen ihren Platz in den Monumenta verdiene. ») Mansi
24, 61—68. ") Mansi 1. c. 66.
Die sogenannte Brevis nota über das Lyoner Concil von 1245. 253
oder ob die betreffende Lage uns nicht erhalten ist. Sicher ist, dass
sich der officielle Charakter dieser Quelle nicht in dem Masse wie von
der Brevis nota über das erste Lyon er Concil erweisen lässt. Dass
aber auch sie aus der päpstlichen Kanzlei hervorgegangen ist, dass
man dort in Nachahmung des Vorganges von 1245 auch über das
zweite Lyoner Concil tagebuchartige Aufzeichnungen führte, die uns
eben in der zweiten Brevis nota vorliegen, möchte ich nicht bezweifeln.
Dafür spricht auch der schon oben hervorgehobene Umstand, dass im
Cod. Ottob. lat. 2520 beide Quellen vereint in päpstlichen Kanzleischrift
des ausgehenden 13. Jahrh. stehen ^).
1) Die neueste von Carini besorgte Ausgabe der Breves notae über die
beiden Concile von Lyon [Spicilegio Vaticano di documenti inediti e rari, 2. Heft:
vgL N. A. 16, 439] war mir nicht zugänglich; ich muss es deshalb auch dahin-
gestellt sein lassen, ob ihr der von mir mehrfach genannte Codex Ottobonianus
oder andere Handschriften der Vaticana zugrunde gelegt sind.
Ueber die Beziehungen
zwisclieii englisclien und böliiiiischen Wiclifiteii
in den
beiden ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts.
Von
J. Loserth.
Während man heute aus den Schriften des Hus, seiner Anhänger
und Gegner den Einfluss genau ermessen kann, den die engHsche
Keformbewegung am Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts
auf Böhmen genommen, ist man über viele Einzelnheiten in Bezug
auf die Ausbreitung des Wiclifismus in Böhmen immer noch im Un-
klaren. So lässt sich beispielshalber aus den bisher verööentlichteu
Quellen über die Persfmlichkeiten, die den literarischen Verkehr zwi-
schen beiden Ländern vermittelt haben, nur weniff Sicheres feststellen.
Mau kennt nicht einmal die Namen jener böhmischen Studenten, die
sich in den Jahren 1382 — 1394, in denen eine Schwester Wenzels
von Böhmen englische Königin war, zweifellos in grösserer Zahl in
Oxford eingefunden haben, da die amtlichen Aufzeichnungen daselbst
nur bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts zurückreichen '). Die folgenden
Blätter haben den Zweck, wenigstens eine der vorhandenen Lücken
auszufüllen; als besonders werthvoll wird man den unten mitgetheilten
Brief des Führers der englischen Wiclifiten Sir John Oldcastle's, Lord
Cobham an seine böhmischen Gesinnungsgenossen anzusehen haben.
Bevor wir jedoch auf diese Punkte näher eingehen, mögen noch einige
Worte über die literarischen Beziehungen Böhmens zu England seit
der Errichtung der Prager Universität angemerkt werden. Dass solche
Beziehungen vorhanden waren, ist im Allgemeinen bekannt: es darf
<) Wie ich .-iiwr MiHli«Mliiii;r ,j,.s lirkaimirn Wi.litlnisrli.Ts F. D. MmUIu-w
enineluiii:.
Ueber die Beziehungen zwischen englischen u. böhmischen Wiclifiten. 255
hier nur au das Statut der Prager Universität erinnert werden, nach
welchem die Schriften der bekannten Pariser und Oxforder Professoren
auch an der Prager Universität frei vorgetragen werden durften. Die
Schriften eines Occam, Kobert Grosseteste, Fitz Ralph u. a. fanden
denn auch in Böhmen fi'ühzeitig Verbreitung, um so leichter, als ein-
zelne der Lehrer au der Prager Universität ihre Studien in Oxford
gemacht und jene Schriften von da in die Heimat mitgebracht haben
dürften i).
Unter den älteren Reformfreunden in Böhmen kann man mit
einiger Sicherheit von dem Magister Adalbertus Ranconis de Ericinio
sagen, dass er in Oxford studiert und vielleicht auch gelehrt hat -).
Jedenfalls blieb er mit einflussreichen Männern Englands in näheren
Beziehungen. Ob er solche auch zu Wiclif gehabt, lässt sich aus den
bisher bekannt orewordenen Materialien nicht ersehen ; wohl aber stand
er im Verkehr mit dem bekannten englischen Theologen Fitz Ralph,
dem späteren Erzbischof von Arraagh und eifrigen Gegner der Bettel-
mönche. Im Besitze des Ranconis befand sich unter anderen Büchern,
über die er in seinem Testamente zu Gunsten des Klosters Bfewnow
verfügt hat, auch eines, welches er, wie ich an einer anderen Stelle
betont habe, wahrscheinlich von Fitz Ralph selbst erhalten hat ^). Auch
von einem anderen Gesichtspunkte aus leiten die Spuren dieses Mannes
nach England hinüber: er machte nämlich, als er 1388 starb, für
Jünglinge, die väterlicher- und mütterlicherseits Böhmen (Tschechen)
sein mussten und sich in Paris oder Oxford dem Studium der
1'heologie oder der freien Künste widmen wollten ^), eine ziemlich
bedeutende Stiftung •^). Es ist darnach nicht unwahrscheinlich, dass jene
') An der Prager Universitätsbibliothek befanden sich in der Zeit der hus.
Bewegung die Dicta Lincolniensis, die Logik Occams, Ti-actatus Anglici Torper,
die Quefitio magistri Richardi Strode, Ardmachani, Contra fratres monachos,
.Scriptum super Apocalypsim cniusdam Anglici, ein (juodlibetum disputatum
Oxonie, endlich die zahlreichen Schriften Wiclif s, Pavnes, Wodefords etc. s. dar-
über unten. -) In einer Streitschrift des Erzbischofs Johann von Jenzenstein
heisst es : Gloriaris te demum, in Oxoniensi pariter et Parisiensi studiis nulluni
tibi errorem impositum ad revocandum aliquem articulum. ') Cod. 1430 der
Wiener HofViibliothek fol. !•> in marg. : Iste est über magistri Ranconis de Eri-
cinio in Boemia. Et fuit reverendi domini Ricardi primutis Vbernie doctoris eximii
sacre tlieologie, quem i^isemet dominus Ricardos composuit contra ft-atres men-
dicantes in curia Romana ad instanciam Clementis pape VI. Vgl. Mitth. des
Vereins für Gesch. der Deutschen in Böhmen 23, 292. •*) Medizin und Jus
waren ausdrücklich ausgeschlossen: studere volentibus I'arisius vel Oxonie in
Auglia, tautum in sacra theologia et in artibus libtralibus, nun autem in
medicinis nee in aliquibus aliis facultatibus. ^) Florenos ducatos ducenios
cum quinquaginta, item florenos Ungaricales trecentos «um viginti tribus, item
256 L 0 s e r t h.
Studierenden, die wir mit Hieronymus von Prag oder Georg von
Kuielinitz und Nicolaus Faulfisch in den nächsten Jahrzehnten als
Studierende in England finden, aus den Mitteln der Kanconisstiftung
ihren Unterhalt daselbst beatritten haben. Die Stiftung des böhmischen
Gelehrten muss als eine sehr zeitgemässe bezeichnet werden, denn der
Verkehr zwischen England und Bcihmen gestaltete sich zu einem be-
sonders lebhaften, seit Wenzels Schwester, Anna von Luxemburg, die
Gattin des englischen Königs Richard II. geworden und mehrfache
Gesandtschaften zwischen den beiden Ländern gewechselt wurden ^).
Diese Heirath, welche am 14. Jänner 1382 abgeschlossen wurde, hat,
wie schon Pauli bemerkt hat -), die Ueberführung der zur Reife ge-
deihenden reformatorischen Ideen nach Böhmen beschleunigt. Unter
den ersten Gesandten, die nach England giengen, befand sich auch
Peter von Wartenberg ^) : es ist vielleicht kein Zufall, dass unter den
Hauptträgern des Wiclifismus in Böhmen zwei Jahrzehnte später wie-
der ein Mitglied des Wartenbergischen Hauses erscheint, eben jener
Zdislaw von Zwierzeticz, an den der unten mitgetheilte Brief des Sir
John Oldcastle gerichtet ist. Die Königin Anna hatte ein stattliches
Gefolge aus Böhmen mitgenommen und behielt dieses bei sich — zum
lebhaften Missvergnügen der Engländer, welche ihm die reichen Ge-
schenke, die ihm gegeben wurden, neideten^). Nachdem diese Böhmen,
sagt Walsingham, die Annehmlichkeiten des englischen Lebens gekostet,
vergassen sie ihres eigenen Heimatlandes und wollten nimmermehr
dahin zurückkehren. Leider sind uns die einzelnen Namen der Mit-
glieder dieses Gefolges nicht überliefert; wir erfahren nur, dass sich
selbst in den Diensten vornehmer Engländer in jenen Jahren einzelne
Böhmen befanden ^). Die bekannte Lancekrona, die Walsingham die
florenos Franconicos quindecim, quos floreiios prenomiuatos statim ibidem paratos
et numeratos in summa predicta dedit — eine für jene Zeit sehr beträchtliche
Summe. S. Mitth. des Vereins für Gesch. der Deutschen in Böhmen 17, 210.
') Siehe hierüber Höfler, Anna von Luxemburg, S. 43. Lindner, Gesch. des
deutschen Reiches unter König Wenzel 1, 118. ^) Gesch. von England 5, 539.
') Haupt der Gesandtschaft war der Herzog Przemysl von Teschen, neben ihm
fungirte ausser Peter von Wartenberg noch Konrad Kragyrz. Der Herzog von
Teschen und seine Begleitung wurde vom englischen König reich beschenkt.
Peter von Wartenberg erhielt einen Jahrgehalt von 250 Mark. Zu den Beschenk-
ten gehörten noch Bofivoy von Swinar, Sifrid Foster, Konrad von Ridburg und
Krag}TS Sohn Leopold. Zu beachten sind wohl auch die einzelnen Namen der
Personen, die sich an dem Abschluss des Vertrags zwischen England und Böh-
men betheiligten ; zu ihnen gehören Zdenko von Waldstein, ein Verwandter des
unten genannten Wok von Waldstein, und Botho von Czastalowicz, der später
ein eifriger Hussite war. ■•) Walsingham Historia Anglicana 2, 97, 119. ^) Höfler
1. c. 83.
Ueber die Beziehungen zwisclien englischen u. böhmischen Wiclifiten. 257
Tochter eines Sattlers uennt, ist wie man neuestens richtiger vermuthet
hat, wohl die Landgräfin von Leuchtenburg, die in Auna's Gefolge
nach England kam, wo sie den Herzog von Irland, Richards Günstling,
geheirathet hat ^).
Die Böhmen, die somit in ziemlicher Anzahl in England erschienen,
fanden dieses in heftiger, religiöser und politisch-socialer Erregung.
Zwar giengen gerade damals mächtige Schläge auf die Wiclif'sche
Partei nieder, ohne dass diese aber hiedurch erheblich geschädigt, ge-
schweige denn vernichtet worden wäre. Vielmehr stand nicht blos
ein Theil des höheren Adels, sondern auch ein grosser Theil des
Volkes auf Seiten Wiclif's und so konnte dieser unangefochten bis an
seinen Tod (1384) in seiner Pfarre Lutterworth wirken. Es ist wohl
kein Zweifel, dass gerade Wiclif's Schriften aus seineu letzten drei
Lebensjahren zu den kampfesmuthigsten gehören, die er {überhaupt
veröffentlicht hat. Ueber seinem letzten Werke, welches auch nicht
zu den massvollsten zählt, dem Opus evangelicum, ist er gestorben.
Seine Partei war durch diesen Schlag keineswegs, wie man so häufig
gemeint hat, vernichtet: das Lollardenthum machte vielmehr zunächst
noch weitere Fortschritte.
Die Beziehungen zwischen England und Böhmen erlitten auch
durch den Tod der Königin Anna (1394) keine Aenderuugen. Wir
erfahren beispielshalber noch zum Jahre 1398, dass sich ein böhmi-
scher Ritter Jacob Polin oder Felin im Dienste des Herzogs von Nur-
folk befindet.
Den zunehmenden literarischen Verkehr Englands mit Böhmen
kann man aus der grossartigen Verbreitung Wiclif 'scher Schriften in
Böhmen seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts erkennen. Zuerst
(wahrscheinlich noch in den Achziger, sicher aber in den Neunziger
Jahren) gelangten die philosophischen Schriften Wiclif s nach Prag.
Der Zeitpunkt, wann die ersten theologischen Schriften Wiclif's in Böh-
men verbreitet wurden, lässt sich nicht vollkommen oenau bestimmen.
Vielleicht sind sie erst durch Hieronymus von Prag dahin gekommen,
der kaum vor 1399 ins Ausland gieng. In England hörte er nach
seinen eigenen Geständnissen auf dem Concil, dass Wiclif ein Mann
von gründlicher Bildung und ausgezeichnetem Geiste gewesen; daher
schrieb er den Trialog und Dialog ab, von denen er Handschriften
erlangen konnte, und brachte sie nach Prag. Dass dies wahrscheinlich
1401 oder 1402 erfolgt ist, wurde au anderer Stelle erwiesen -), Im
') Mon. Evesham. \). 84. Höfler a. a. 0. 101. -) Siehe meinen Hus mul
Wiclif 8. 80.
Jlittheiluugen XU. 17
258 L 0 s e r t h.
Gebrauche der Studierenden an der Präger Universität befanden sich
(vielleicht ^) schon vor dem Jahre 1409) folgende Schriften Wiclif 's :
1. Super deceni precepta, eine Schrift, die heute zu den verlorenen
Schriften Wiclifs zu zählen ist. Ich habe ihre Spur in dem von mir
aufgefundenen ältesten Katalog der Prager Universitätsbibliothek ent-
deckt. 2. De Veritate S. Scripturae. 3. De Corpore Christi. 4. Meta-
physicorum libri, eine Schrift, die gleichfalls verloren ist. 5. De
Universalibus. 6. De Hypotheticis. 7. De Probationibus Propositionum.
8. De Ideis. 9. De Materia et Forma. 10. De Individuacione. 11. De
Composicione Hominis. 12. Insolubilia. 13. Tractatuli WiclejßF logice
(sie). 14. De Simonia. 15. Sermones. 16. Pastorale. 17. Kespon-
siones ad multa. 18. De Solucione Satane. 19. De Fundacione Sec-
tarum. 20. De quatuor Sectis novis, 21. Kesponsioues ad 44 con-
clusiones monachales. 22. De Septem Donis Spiritus Sancti, 23. De
quinque conclusionibus. 24. De Dominio civili. 25. De potestate cleri
(richtiger pape). Damit ist die Reihe der in Böhmen bekannten
Schriften Wiclifs noch lange nicht erschöpft ; denn eine weitaus grössere
Zahl befand sich in Privatbesitz. Unter den (10) am IG. Juni 1410
in Prag verurtheilten Schriften Wiclifs finden sich mehrere, die in
dem Bibliothekscatuloge nicht genannt werden, nämlich 1, De Triplici
vinculo amoris. 2. De Ecclesia. 3. De Absolucione a pena et a culpa.
4. De Christo et suo adversario Antichristo. 5. De Ordinibus ecclesie.
6. Ad Argumenta cuiusdam emuli veritatis. 7. De Fide catholica.
8. De Imaginibus und 9. De Dissensione paparum -).
Auch damit ist die Zahl der in Böhmen im Jahre 1410 ver-
breiteten Schriften Wiclifs noch lange nicht erschöpft. Aus einem in
einer Wiener Handschrift erhaltenen Kataloge von Wiclif scheu Schriften
ersieht man, dass man von solchen um das Jahr 1410 nicht weniger
als neunzig kannte und dabei wird noch ausdrücklich bemerkt, dass
sich in Böhmen noch viele andere Werke Wiclifs finden ^). Es fragt
sich, wann diese Schriften nach Böhmen gelaugt sind. Als Hierony-
mus von Prag in seine Heimath zurückkehrte, brachte er seinem
eigenen Eingeständnisse zufolge nm- den Trialog und Dialog dahin.
Die Mehrzahl der sonstigen Schriften Wiclif 's ist zweifellos von anderen
Böhmen in ihre Heimath gebracht worden und da begegnen uns zu
') Wenigstens einzelne dieser Schriften waren schon vor 1409 daseibat
vorräthig. '^) Vgl. meinen Huss und Wiclif, S. 114. ^] Die Kataloge
Wiclif scher Schriften sind neuestens abgedruckt in Buddensieg's Ausgabe der
lateinischen Streitschriften Wiclifs. Vgl. auch Shirlej', A. Catalogue p. 56—63
und Hus und Wiclif p. 115.
Ueber die Beziehungen zwischen englischen ii. böhmischen Wiclifiten. 259
den Jahren 1406 und 1407 zwei Namen, von denen der eine bisher
ganz unbekannt gewesen ist.
In diesen Jahren weilten die beiden böhmischen Studenten Nico-
laus Faulfisch und Georg von Kniehnicz in England. Eifrig mit dem
Studium Wiclif 'scher Werke beschäftigt, schrieben sie einzelne von diesen
eigenhändig ab. Aus einer Marginalnote zu dem Cod. 1294 der Wiener
Hofbibliothek sieht man, dass sie sich am Vortage des Festes Maria
Keinigung 1407 mit der Correctur des Traktates De Veritate Sacrae Scrip-
turae beschäftigten. Sie nahmen dann die Abschrift von De Ecclesia in
Angriff und zwar schrieben sie dieses Werk zu Kenmerton ab, einer
kleinen Ortschaft bei Tewkesbury in Worcestershire, einer Gegend, die be-
kanntlich zahlreiche Anhänger Sir John Oldcastle's hatte i). Der Traktat
De Dominio Divino wurde von ihnen zu Braybrook in Northampton-
shire geschrieben 2). Faulfisch ist bekanntlich derselbe, der auch das
Zeugniss der Universität Oxford vom 5. October 1406 nach Prag über-
brachte, in welchem die ßechtgläubigkeit Wiclif s bestätigt wurde 3).
Von diesem Zeugnisse erzählte Hus seinen Gläubigen von der Kanzel
herab und brachte auch sonst aus den Erinnerungen dieses Nicolaus
Faulfisch manches zum Vortrag, wie z. ß. die artige Anekdote vom
Erzbischof und dem Koch ■^). Ausser den Wiclif sehen Schriften brachten
die beiden auch ein Stück Stein von dem Grabdenkmale Wiclif s mit
nach Prag, das dort als theure Reliquie verehrt wurde ^). Nicolaus
Faulfisch war 1415, als auf dem Coucil von ihm geredet wurde, schon
todt: er sei, sagte Hus, irgendwo zwischen Spanien und Englaud ge-
storben. Darnach dürfte er wohl noch eine zweite Reise nach England
unternommen haben.
Des zweiten Studenten konnte sich Hus während des Verhöres
in Constanz nicht mehr entsinnen. Wir würden seinen Namen nicht
kennen, wäre nicht die oben erwähnte Marginalnote vorhanden. Im
Jahre 1408 weilte Georg von Kniehnicz wieder in Prag, woselbst er
an der Universität als Lehrer fungirte. In der Geschichte der husiti-
schen Bewegung hat er weiterhin keine Rolle mehr gespielt. Aus
seinem Genossen Nicolaus haben spätere Chronisten in offenbarer
Verwechslung seines Namens mit jenem des Hieronymus von Prag,
einen Hieronymus Faulfisch gemacht und behauptet, dass dieser die
ersten Schriften Wiclif s nach Pra<r überbracht habe.
') Vgl. meine Ausgabe von Wiclifs De Ecclesia p. 47 und Einleitung
p. XVII. '^) Johannis Wyclirte, Tractatus De Civili Dominio p. XI. s) Vgl. hier-
über meinen Hus und Wiclif S. 80 und Lechler, Johann von Wiclif 2, 71.
*) Documenta magistri Job. üus 729 (in lat. Uebersetzung). ") Doc. p. 313.
17*
260 L 0 s e r t h.
Von grossem Interesse ist ein Brief, den ein Engländer im Jahre
1410 von London aus an Hus gerichtet hat und in welchem er die
Verfolgungen, denen die Bekenuer der Wahrheit seitens des Wider-
christes (des Papstes) ausgesetzt seien, lebhaft beklagt und ihnen Trost
zuspricht. Hus, der ihm zwar persönlich, nicht aber in Bezug auf
Glaube und Liebe, die kein Zwischenraum zu trennen vermag, unbe-
kannt sei, möge nur fortfahren in der Grnade, die ihm gegeben sei,
und ohne Furcht vor den Blitzstrahlen des Antichrists gegen diejenigen,
welche die evangelische Wahrheit verkünden. Er freut sich über die
Standhaftigkeit der Böhmen, die für Christi Wort Kerker, Verbannung
und selbst den Tod gern ertragen. Mit einem Gruss an Hus und
dessen Helfer Jacobeil schliesst das Schreiben: Es grüssen Euch alle
Freunde, die von Eurer Standhaftigkeit vernommen haben. Ich
wünschte eine Autwort von Euch zu hören, denn Ihr möget wissen,
dass uns diese nicht wenig zum Tröste gereichen würde.
Der Schreiber dieses Briefes wird in den Handschriften verschie-
den genannt. In einigen wird nur sein Vornahme ßichardus angegeben ;
im Codex bibl. universaUs Prag. III G. 11 lautet die üebersclirift : Gesta
cum EichardoWycz presbytero in Anglia. Der Codex X H. 12 nennt
ilm fälschlich Richardus Wigleph, infimus sacerdotum i). Hus nennt
ihn in seinem Antwortschreiben den Mitarbeiter des Magisters Johannes
•Wiclif in der Verkündigung des Evangeliums (magistri Johannis Wy-
kleff consocius in evangelio). Ist dies der Fall, so muss dieser
Wiclifit schon ein älterer Mann gewesen sein, da ja Wiclif schon seit
26 Jahren todt war; dann hätten wir wahrscheinlich in Richardus
Wycz — Richardus Wyche zu sehen, einen Priester der Diöcese Her-
ford, der in seineu letzten Lebensjahren seines Glaubens wegen viel
erduldet hat. Wir kennen von ihm einen doppelten Widerruf (Shirley,
Fasciculi zizanniorum S. 370, 500) und erfahren daraus, dass er vor-
nehmlich gegen die Bilderverehraug, gegen die Excommunicationen
seitens der Päpste, gegen die Leistungen von Geldern an die Geist-
lichkeit, gegen die geistlichen Orden und für die unbedingte Gleichheit
aller Priester eingetreten ist. Richard Wyche wurde 1431 als rück-
fälliger Ketzer verurtheilt und (wahrscheinlich 1431) verbrannt^).
Der Brief dieses Richardus Wycz ist auch sonst noch interessant,
denn schon aus den einleitenden Worten lässt sich erkennen 3), dass
') Also nicht infirmus sacerdotum, wie Höfler, Geschichtschr. d. hus. Be-
wegung 2, 212, liest. ■) Vgl. Lechler, Johann von Wiclif 2, 351. ^j Gavisus
sum valde venientibus mihi diiectissimis fratribus et testimonium
perhibeutibus veritati vestre, quomodo et vos in veritate ambulatis. Ich füge
hier einige textliche Correcturen des vorletzten Satze« an: l'Uerius dilectissimi
Ueber die Beziehungen zwischen englischen u. böhmischen Wiclifiteu. 2i) 1
der Verkehr zwisclien den Wiclifiteu beider Länder ein reger gewesen.
Dem Wunsch des Engländers nach einer Antwort entsprach Hus sehr
gern. Er erzählt ihm, dass er über dieses Schreiben in einer Predigt
vor 10000 Menschen gesprochen habe. Der Brief hat ihm eine ausser-
ordentliche Stärkung geboten. Und wenn ich, sagte er seiner Gemeinde,
keine andere Schrift hätte als diese : ich würde für Christi Evangelium
gern mein Leben opfern. , So sehr aber erbauten sich die Gläubigen
au diesem Briefe, dass sie mich baten, ich möchte ihn ins böhmische
übersetzen. Die Uebersetzung findet sich auch noch in Handschriften
(Cod. univ. Prag. IIL G. 16) vor. Mit einem Grusse der böhmischen
Kirche an die englische schliesst das Antwortschreiben ^).
Jeue „sehr geliebten Brüder", die dem Lollarden Kichard die
tröstliche Kunde von der Standhaftigkeit des Hus überbrachten —
also wohl böhmische Wiclifiteu, dürften wohl dieselben gewesen sein,
die im Jahre 1410 eine Eeihe von Flugschriften aus England nach
Prag überbrachten: die Nova Scocie, wie ihr Titel lautete. Sie sind
im Cod. univ. Prag. X. E. 24 enthalten und finden sich auch sonst
noch in Handschriften vor: Es ist, heisst es daselbst, ein Eitter, Na-
mens Quintinus Folkhyrde (Volkshirte), der in der Sache Gottes mit
bewafiiieter Hand sich erhebt, durch alle Länder reitet und in der
Sprache des Volkes öffentlich das, was nun folgt, verkündet und die
einzelnen Stücke (in data et divisa per cedulas) auf Zetteln einem
jedem austheilt, der die Hand darnach ausstreckt 2). Der erste
dieser Zettel handelt ganz im Wiclif sehen Sinne (meist in wörtlicher
üebereinstimmung) von der Kirche und ihrer Gliederung. Die dritte
Abtheiluncf in der Kirche bilden die Priester; diese leben nicht arm
wie die Apostel, sondern in Ausschweifungen jeglicher Art und be-
trügen die Armen, denen sie das Evangelium versagen. Diesen Uebel-
ständen will Quintinus Volkshirt ein Ende machen 3) Gegen dieses
nescio quid vobis scribam sed fateor, quod cor raeum effundere cuperem
rogans quod pro me ad Dominum interpellet in uuiversali ecclesia Jesu Christi.
Et Deus pacis, qui eduxit de moi"tuis pastorom ovium . . .
') Salutat ecclesia Christi de Boemia ecclesiam Christi in Anglia, optans
esse particeps .... ^) Diese Flugschriften sollen, wie ich eben erfuhr, nun-
mehr auch gedruckt werden. Ich habe von ihnen schon vor 14 Jahren Abschrift
genommen. Cod. univ. Prag. X. E. 24: fol. 391^' : Hec sunt nova Scocie anno 1410
Pragam portata. Est quidam armiger, nomine Quintinus Folkhyrde, id est, pastor
popuh ; qui insurgit in causa Dei manu forti, equitando per patrias et palam pu-
blicando in matema lingua ista que secuntur in data et divisa per cedulas cui-
cunque manus exteudeuti. ^) Ideo ego Quintinus Folkhyrde, servus Dei
pauperrimus iji defectu . . . temporalium dominorum et pro timore, quem habeo
262
L 0 s e r t h.
Ausschreiben des Quintinus erhebt sich die Geistlichkeit uud regt die
weltlichen Herren, sowie auch die höhere Geistlichkeit gegen ihn auf,
die nun treuloser Weise mit Censuren wider ihn einschreiten i). In
Folo-e dessen richtet Quintinus in seinem zweiten , Zettel" eine Zu-
schrift au den Bischof von Glasgow ^) und den gesammten Clerus von
Schottland mit der Aufforderung, den durch den Mund seines Ab-
gesandten Quintinus an sie gerichteten Geboten Gottes zu gehorchen
und die früher begangenen Irrthümer zu meiden. Sie mögen so leben,
dass alle Laien ihre Besserung sehen. Der dritte , Zettel" ist an die
weltlichen Herreu gerichtet 3); er berichtet von dem zügellosen Leben
des in weltlichen Geschäften versunkenen Clerus und mahnt die Laien,
diesem Unwesen zu steuern. In dem letzten „Zettel" an seinen Curaten,
an alle und jeden einzelnen, mahnt er, alle Eitelkeiten der Welt zu
lassen und sich einzig und allein mit dem göttlichen Gesetz zu be-
schäftigen : „ Du sollst nicht nur das Pater noster und Credo und alle
Gebote Gottes Deine Pfarrkinder in der Muttersprache lehren, son-
dern auch zu passenden Zeiten, d. i. an den Sonntagen, das Evangelium
uud die Episteln predigen" u. s. w.^). Der Curat möge nach dem
Befehl des Apostels mit Kleidung und Nahrung zufrieden sein und
des Lebens Ueberfluss wohl anwenden, namentlich sich „ die Bücher des
hl. Gesetzes" kaufen und den Kest für die Armen verwenden. Wenn
Du aber nicht gehorchst, so gedenken wir einen weit heftigeren Kampf
gegen dich zu beginnen als selbst gegen die Juden oder Saracenen^).
Es wird uns leider nirgends berichtet, ob man in Böhmen an die
Existenz dieses Abgesandten Gottes, der da kommen soll, um die vor-
weltliche Kirche zu bessern, geglaubt hat. Sicher ist, dass man durch
solche Schriften das Volk in die grösste Aufregung versetzte. Auf
den intelligenten Theil der Wiclifiten rausste aber jenes Schriftstück
eterne dampnacionis, que poterit mihi evenire, nisi iaciam ad emendaciouem ho-
rura raalorum palam movere diviuam guerram contra istos dominos ....
1) Cum autem hec ad aures cleri pervenirent, graviter ea ferebant et cum
maxima indignacione. Primo movebant dominos temporales sibi faventes in dicti
Quirini finalem destruccionem et secundo contra ipsum infideliter processerunt
ccusuris suis indiscretis ... *) Es wird wohl statt Glatonensi der Handschrift
Glascuensi lauten müssen. ^) Es heisst daselbst quod sacerdos quilibet in
sacerdotali ordine constitutus, ubicunque fuerit repertus, noscatur a vobis contineri
extra limites legis Dei. Qui (sc. clerus) quoad mundum (cod. mundi) pompalis,
dives in corpore, apparatur indumentis et penulis preciosis, cultellis et cingulis
perornatis ... ■») Quod studeas solum in lege divina, nee non Paternoster et
Credo omniaque Dei mandata in materua lingua tuos vere doceas parrochianos . . .
-) In omnium (scliliesst, der Zettel) iatorum testimonium hiis literis sigillum est
appensum ; et sie est tinis epistolarum Quintini armigeri Scocie fidelis Amen.
üebev die Beziehungen zwischen englischen u. höhmischen Wiclifiten. 2^3
eine grosse Wirkung erzielen, welches kein geringerer als der Wort-
führer der Wiclifiten in England an seine Gesinnungsgenossen in
Böhmen gerichtet hat. Das ist der Brief Sir John Oldcastle's, Lord
Cobham's an Wok von Waldstein beziehungsweise Zdislaw von Zwier-
zeticz, Sir John war unter den vornehmen Gönnern des Lollarden-
thums weitaus der bedeutendste i). Er residierte in Cowling (jetzt
Covling) in Kent, vou wo auch der Brief datirt ist. Trotzdem Hein-
rich IV. ein ausgesprochener Gegner der Lollarden war, stand Sir
John in hoher Gunst bei ihm und wurde gelegentlich zu ehrenvollen
Missionen verwendet. Der Freundschaft des Königs hatte er es zu
danken 2), dass er von der obersten kirchlichen Behörde in England
lange Zeit unbehelligt blieb. Das grösste Aergerniss gab er, wie
Walsiugham (II, 291) erzählt, dadurch, dass er in den Diöcesen Lon-
don, Rochester und Herford Lollarden aussandte, ihren Predigten bei-
wohnte, die Leute, die hiegegen Widerspruch erhoben, zur Ruhe wies
und von den gegen die Lollarden erlassenen Beschlüssen der Provincial-
synode sagte, der Erzbischof von Canterbury und seine Suffragane
hätten nicht das Recht besessen, solche Beschlüsse zu fassen. Ein
echter Wiclifit, theilte er weder in Bezug auf die Sakramente des
Altars und der Busse (d. h. er war ein Gegner der Ohrenbeicht), noch
auch in Betreff der Wallfahrten, Bilderverehrung und der obersten
Schlüsselgewalt den Glauben der römischen Kirche ^). Die Prozesse
gegen ihn begannen 1410, in demselben Jahre also, von welchem das
unten folgende Schreiben Sir John's datirt ist. Es ist an den „edlen
Herrn Woksa" gerichtet. Für den Fall, als dieser abwesend wäre, soll
es an den Herrn Zdislaw von Zwierzeticz überleben Averden.
Wok von Waldstein tritt bei allen bedeutsamen Aktionen der
husitischen Partei in Prag in erster Linie hervor'*). Am meisten
verübelten ihm die Katholiken die Verunehrung der päpstlichen Bullen
— gemeint sind die Ablassbullen, welche 1412 in Prag verkündet
wurden und die Wok an der Spitze eines mächtigen Volkshaufens und
in unwürdigem Aufzuge durch die Strassen von Prag herumschleppte
') Die biographisclien Daten über den Lord Cobham s. in Lechler, Johann
von Wiclif 2, 80 — 94. ^) Regi propter probitatem carus et acceptus sagt
Walsingham II, 291, der von seinem Standpunkte aus hinzufügt: sed tarnen
propter hereticam pravitatem valde suspectus. ^) Idera Johannes fuit et est
principalis receptor et fautor, protector et defensor Lollardorum et quod preser-
tim in diocesibus Londonienis, Roffensi et Herfordensi ipsos LoUardos ab ordi-
nariis sive dioecesanis locorum minime licenciatos contra constitutionem provin-
cialem inde lactam ad predicandum transmisit, eorumque predicacionibus uefariis
jnterfuit . . f. c. ^) Documenta niagistri Joh. Hua 430.
264
L 0 p e r t h.
imd eudlicli auf öft'eutlichem Platze verbrannte ^). Unter den Klagen,
die auf dem Concil gegen den König Wenzel erhoben wurden, spielt die
betreffend den Schutz, den er dem Wok trotz alledem angedeihen
Hess, eine wichtige Rolle-). Selbstverständlich gehörte Wok auch zu
jenen Mitgliedern des böhmischen Adels, die gegen das Vorgehen wider
Hus ihre Stimmen erhoben und sich zur Aufrechthaltung der Freiheit
des evangelischen Wortes verbündeten ^).
Noch bedeutender als Wok tritt Zdislaw von Zwiei-^eticz in den
einzelnen Phasen der husitischen Bewegung hervor. Wie Wok gehörte
auch Zdislaw einem der edelsten Adelsgeschlechter in Böhmen — dem
Hause Wartenberg an. 1410 zum Baccalaureusexamen zugelassen, gab
ihm kein geringerer als Hus selbst die ,Recommendatio' mit auf den
Weg ^) ; 1410 wurde er Magister. Am 18. Juli wurde er, weil er gegen
die Verbrennung der Bücher Wiclif's eine Appellation eingelegt hatte,
excommunicii-t ^), und am 6. August hielt er im Carolinum zu Prag seine
Vertheidigungsrede von Wiclif s Traktat De üniversalibus und stand auch
bei dem obenerwähnten Protest und Bündnisse auf Seiten seiner Partei.
Berücksichtigt man das Datum des Briefes von Sir John Oldcastle,
•so ist es mehr als wahrscheinlich, dass die Nachricht von den Vor-
o-ängen in Prag in den Tagen vom 27. Juli bis zum 6. August durch einige
eifrige Wiclifiten nach Euglaud gebracht wurde und der Brief Sir
John's den Dank der englischen Wiclifiten für das muthige Vorgehen
jener in Prag enthält. In diesem Schreiben findet sich im üebrigen
noch kein Hinweis auf Verfolgungen, denen die Lollarden in England
ausgesetzt sind ; der Gedanke freilich an den Tod, den unter Umstän-
den ein Jeder für das freie Bekenntnis der Wahrheit erdulden müsse,
tritt mehrfach hervor. Es ist demnach der Wortführer der englischen
AViclifiten, den wir in näheren Beziehungen zu den Hauptbanner-
trägern des Wiclifismus in Böhmen finden. Sir John starb sieben
Jahre später als Opfer seiner religiösen Ueberzeugung :
Oldcastle died a martyr
sagt Shakespeare von ihm. Sein Tod war ein Schlag für den eng-
lischen Wiclifismus, den dieser nimmermehr zu verwinden im Stande
war und der gerade in jenen Tagen erfolgte, da der böhmische Wiclifis-
mus zu seiner herrschenden Stellung gelangt war.
Wie sehr man in der Zeit, als Oldcastle's Schreiben nach Böhmen
gelangt war, daselbst England und die Engländer schätzte, sieht man aus
») Ib. 640, *) Et eundem Voxam hodie in curia sua tenet pro dilecto
suo familiari nee de hoc fecit aliqnam vindictam usque hodiernum diem.
s) Ib. 580, 584, 591. Vgl. auch Gewchichichtschr. der hus. Bewegung 2, 256, 259.
*) Ib. 2, 06. *) Docum. 397, 400, 734.
Ueber die Beziehnngen zwischen englischen n. böhmischen Wiciifiten. 265
der feierlichen Aufnahme, die im September 1411 der englische Ge-
sandte Härtung von Clux, der dem Könige Sigismund das Anerbieten
zu einem festen Allianzvertrage überbrachte, gefunden hat. In Har-
tung's Begleitung befand sich John Stokes, Liceutiat der Kechte an
der Universität Cambridge. Als man in Prag erfuhr, dass einige
„ Magister oder Doctoren aus dem Königreiche England " angekommen
seien, sandten die Prager Magister, Baccalaren und Studenten eine
Deputation in ihr Absteigequartier, um sie zu begrüssen und ihnen
ein Gastmahl anzubieten. Es dürfte wohl kaum einem Zweifel unter-
liegen, dass man in diesem Magister Stokes einen Gesinnungsgenossen
Sir John's und seiner Anhänger vermuthete, denn man unterhielt die
Fremden sogleich mit einigen den Wiclifismus betreffenden Fragen.
Die böhmische Deputation war aber damit durchaus an den unrechten
Mann gekommen, denn Stokes Hess sich bekanntermassen zu der
scharfen Aeusserung hinreissen, dass ein Jeder, der in Wiclif 's Schriften
studiere, früher oder später der Ketzerei anheimfallen müsse ^).
Als mit Oldcastle's Tode die schlimmsten Zeiten über den eng-
lischen Wiclifismus hereinbrachen, hätte man erwarten dürfen, dass
nunmehr zahlreiche Wiciifiten aus England eine Zufluchtstätte in
Böhmen suchen würden. Man hört aber doch nur von sehr wenigen,
die sich dahin gewendet haben -). Am bekanntesten unter allen ist
Peter Payne geworden, der Hauptbegründer des Taboritenthums, der
vom ersten Augenblicke seines Eintritts in Böhmen bis zu seinem
Tode im Jahre 1455 eine hervorragende Eolle daselbst gespielt hat.
Er ist Zeit seines Lebens der Überzeugungstreueste Wiclifit geblieben
und hat das Andenken seines Meisters, das in Böhmen heftigen An-
feindungen der gemässigten Partei, namentlich des Magisters Pfibram
ausgesetzt war, lebhaft und thatkräftig vertheidigt.
Doch nicht bloss die Schriften Wiclif's und seiner Schüler fanden
in Böhmen Eingang, auch die seiner englischen Gegner wurden da-
selbst verbreitet. Zu den bedeutenderen Gegnern Wiclif's in England
1) S. hierüber Doc. mag. Joh. Hus 447 und Hus , üpp. tom. l , 108».
2) In der Uebersetzung czechischer Chroniken von J. Jungniann, die Höfler im
III. Bd. der Geschichtschreiber der hus. Bewegung veröffentlicht hat, wird zum
Jahre 1415 ein Magister Nicolaus Englisch genannt, der in Prag am Graben bei
der schwarzen Rose gewohnt hat. Ob man etwa in diesem Engliscli einen Eng-
länder zu sehen hat, der wie Peter Payne (auch diesen pflegte man meistens
Peter Englisch zu nennen) seine Schritte in das gelobte Land des Wiclifismus
gelenkt hat, muss dahin gestellt bleiben. Uebrigens scheint auch die Ueber-
setzung nicht richtig zu sein; vgl. den Urtext in den SS. rer. Boh. III, 472.
Dort werden angeführt: Meister Peter, Meister Nicolnus, Englisch und Nicolans
Lorisses.
Oßß L 0 s e r t h.
gehörte William Wodeford, der seit 1B81 literarisch gegen Wiclif auf-
trat. Vou seinen Arbeiten kannte man in Böhmen die Schrift gegen
die 18 Artikel Wiclif s (Cod. univ. Prag. IV. G. 14), die 1399 er-
schienen ist 1). Höher als Wodeford ist Thomas Netter von Waiden
zu stellen, dessen Hauptwerk Doctrinide antiquitatum fidei ecclesiae
catholicae nach 1417 geschrieben und gleichfalls in Böhmen Verbrei-
tung gefunden haben dürfte. Einer der bekanntesten Gegner des
Husitenthunis , der schon zu Lebzeiten des Hus in Böhmen seilest
eine hervorragende Rolle gespielt hat, Johannes Hoffmann von Schweid-
uitz, seit 1427 Bischof von Meissen, besass die Werke Netters und
vermachte sie dem Marienstifte in Leipzig 2).
') Vgl. die Characteristik dieser Schrift bei Lechler, Johann von Wiclif
2, 49—55. 2) Pfotenhauer, Schlesier als Rectoren der Universität Leipzig, im
17. Bande der Zeitschrift für Geschichte und Alterthum Schlesiens S. 189.
Beilage.
I.
Sir John Oldcastle, Lord Cohham mahnt seine böhmischen Gesinnungsgenossen
Woksa von Wcddstein heztv. Zdislaw von Zivierzeticz zur Festhaltung der erangelischen
Wahrheit.
Schloss Covling 8. September Uli).
(E cod. bibl. univ. Prag. XIII. F. 21 Fol. ]46=ii').
Nobili Wokse, in absencia autem sui, domino Zdyslao de Zwerzeticz,
michi fi-atribus in Christo predilectis, viarum Domini cognicionem ipsarumque
cardinalem dileccionem et salutem. Gracias ago Deo meo qui ut audivi") per
vex'itatis quosdam araatores cor vestrum animavit ad zelandum et certandum pro
iusticia legis Dei, utinam secundum Sapientis sentenciam sit usque ad mortem ;
nara ut ait Salvator: Qui perseveraverit in veritate usque in finem, hie
salvus erit. Eya frater karissime, multum de te congaudeo, et ultra quam
scribere sufficio, condelectatur in te anima mea pro eo quod pompaAnti-
christiorum non te terret, sed quod fiducia verbum Dei et eins veraces
provulgatores proraoves^) iuxta posse. Jam enim ut luculenter cei-nere
possumus, lex Domini fuerat immaculata, nimis diu per antichristivos
presbyteros suffocata et ab ipsis, quibus Christus commiserat gladium ob
defensionem sue legis, nimis vecorditer parvipensa. Ad quod nimis parum
attendunt reges et domini temporales, et ideo, ut dicit Isidorus, reddent
Domino racionem, a quo acceperunt ecclesiam potestative contuendam.
0 quantum timere possumus nos miseri, qui vires nostras et afectus (?)
») Cod. : audivit. ^) Cod. : promovens.
Ueber die Beziehungen zwischen englischen u. böhmischen Wiclifiten. 2(i7
tociens in peccatis carnalibus et causis mundialibus expendimus, sed in
causa Domini nos in quoquam exponere inhumaniter i'esilimus. Recor-
demur idcirco Malachie, Finees, Jude Machabei et aliorum zelum Dei
habencium, qui in scripturis divinis meruerunt a Deo commendari, ut
ipsorum zelus et opei'a relinquuntur postei'is in exempla. Simus ipsorum
imitatores mercedem cum ipsis finaliter recepturi. Quid igitur nos moveret
propter vanum nomen hujus seculi, quod transit velut umbra vel lucrum
temporalium caducorum*), tarn audacter nos ponere sed in causa Christi
post tot accepta beneficia propter statuam fictam territicam nimis stolide
formidare? Gerte nisi quod antichristivus timor, superbia et temporalium
affluencia nos nimium excecarunt. Pensemus igitui', tu et ego et ceteri
nobis consimiles, quod non solum sufficit corde credere ad iusticiam nisi
eciam ore coniiteamur dominum Jesum Christum. Nam meritum et penam
ipsemet in evangelio nobis protert, meritum, ubi dicit: Qui me confessus
tuerit coram hominibus, confitebor et ego eum coram patre meo. Et
econtrario penam, ubi dicit: Qui me negaverit vel erubuerit coram homi-
nibus, hunc ego negabo et erubescam in conspectu patris mei et sanctorum
angelorum.
Diligamus ideo dominum Jesum Christum, ipsum corde et opere hu-
militer confitendo, et quoscunque impedientes cursum liberum sue legis
nullatenus defendamus, quia quicunque impedierit verbum Dei, ne litere
ecclesie sue proliciat, est sicut indubie Antichristus, cum Christus auctor
salutis propter promulgacionem '') sue legis penas crudelissimas subiit at-
que mortem; nee excommunicaciones hominum ficte a bonis operibus nos
terreant, quia per Isaiam prophetam dicit Dominus: Quis tu, ut timeas
ab homine mortali et a filio hominis qui quasi fenum ita arescet et ob-
litus es domini Dei tui? Et ut testatur Crisostomus <>) pro certo: Proditor
veritatis est non solum ille qui transgrediendo veritatem palam pro veri-
tate loquitur mendacium, sed eciam ille qui non libere pronunciat veritatem,
quam libere pronunciare oportet, aut non libere defendit veritatem quam
libere convenit defendere. Nam sicut sacerdos est debitor, ut veritatem,
quam audivit a Deo, libere predicet, et nullo modo neque propter timorem
neque propter amorem obmittere^), cum valde grave sit veritatem, quam
audivit a sacerdotibus probatam in scripturis, defendat*^) fiducialiter. Quod
si non fecerit, prodit veritatem. Ecce karissimi: Hec et hiis similia me
movent; moveant et te et tui consimiles, ut simul omnes stemus viriliter
cum veritate ; et si finaliter perstiterimus, a renunciacione condigna nos
non fi'audabit dominus veritatis ; et quia si dominus dedignabitur nos
adiuvare, ut speramus, non intendamus recedere ab hac veritate usque ad
mortem. Ideo sigillum annorum nostrorum, quod nunquam apponimus
ad litteram que deberet in posterum cessari, decrevi hanc litteram eodem
sigillare.
Datum f) in nostro castello de Culi ng in die Nativitatis sancte
Marie anno Domini 1410 per Johannem Oldecastellis, summi de
Cobham.
*) Cod. : caducarum. ^) Cod. : provulgacionem. c) Cod. : Crisotomus.
d) seil. : debeat. ^) Cod. : defendant. ^ ^'od. : Datje,
9ß!^ L 0 s e V t h.
n.
Ein zweites Schreiben Sir John Oldcastle's — es ist an den König
Wenzel von Böhmen gerichtet und gibt der Freude über dessen Haltung
den , echten Priestern' gegenüber lebhaften Ausdruck — wTirde jüngstens
durch den Herrn Diaconus Joseph Müller in Herrenhut in dem Cod. I. 61.
der dortigen Universitätsbibliothek aufgefunden und mir durch die Ver-
mittlung des Heri-n Prof. J. Goll in Prag freundlichst mitgetheilt. Das
Schreiben bietet ein noch bedeutenderes Interesse dar, als das erste, in-
dem wir hier auch die beiden Häupter des Wiclifismus in England und
Böhmen in brieflichem Verkehre treffen. Es wird in dem Briefe nämlich
ausdrücklich bemerkt, dass es der Magister Hus war, der Cobham auf die
Haltung Wenzels der husitischen Richtung gegenüber aufmerksam gemacht
hat. Sir John Oldcastle dankt dem Könige für diese Haltung und erhofft
für die Zukunft das Beste. Der Brief trägt keine Jahreszahl in der Hand-
schrift; er dürfte, wie J. Müller in einem an mich gerichteten Schreiben
vermuthet, in das Jahr 1413 zu setzen sein. Vor 1411 kann er jeden-
falls nicht geschrieben sein, weil König Wenzel in der Aufschrift Marchio
Moravie genannt wird: seinem ganzen Inhalte nach muss er vor 1415
geschrieben sein. Ist diese Abgrenzung richtig, dann dürfte sich die Notiz
von dem Unkraut, welches König Wenzel von dem Weizen gesondert habe, viel-
leicht auf die Absetzung und Verbannung des Stanislaus von Znaim, Peter
von Znaim, Stephan von Palecz und der anderen Genossen im April 1413
beziehen (s. Palacky, Documenta mag. Johannis Hus 5 1 0). Demnach müsste
Cobham, da der vorliegende Brief am 7. September in London geschrieben ist,
bereits Anfang September von seiner Burg Cowling Castle zurückgekehrt sein.
Cobham's Brief lautet wie folgt:
Seretnssinio ac Illusfrissimo priiicipi ac domino domino Wcnceslao Romanonim
et Boemie rexji, Moravie marchioni et priiicipi Luzhtirgetisi.
Salus ab eo, qui est, et qui de lapidibus filius Abrahe potens est
suscitare Ille, inquam, salutet, corroboret, confortet et custodiat in omni
bono per infinita seculorum secuta. Cum fama placens animum delectat
et cor in gaudium ingens provocat, hinc est, serenissime princeps, quod
fama vestre strenue milicie in evangelio Christi michi per magistrum Hus,
iudicio meo Christi sacerdotem, nee non alios litteratenus intimata animum
meum leticia quamplurimum cibavit et cor in gaudium exiliens ossa nee
non membra medulavit et me quam-\as minus dignum vestre serenitati
sci-ibere adarmavit, cum amor non ociatur. 0 quam suave, quod Wences-
laus Romanorum et Boemie Rex exemplum et speculum primicieque
ceterorum regum zyzaniam, falsos sacerdotes, in oreum congregatam saga-
citer et studiose a tritico segregavit et triticum, veros Christi sacerdotes,
in statu evangelice pauperiatis corrolioravit. 0 quam delectabile tarn
excelsus princeps excelsus miles Christi effectus est. 0 quam mirum et
inaudibile sed nimirum laudabile regem modemis temporibus officium
Status sui practisare, nee dubito, quin sentencia Augustini in epistola ad
Bonifacium docens regale officium vos adarmavit, que insinuat, primo regem
debere servire Deo suas leges legi dei regulando. adversantes Christi legi
destruendo et populum ad observanciam mandatorum Domini compellendo,
cum sitis vicarius divinitatis; et si sie indubie regnum vestrmn, magnifice
lieber die Beziehungen zwischen englischen u. böhmischen Wiclifiten. 269
rex, indivisum stabit, quoniam iktii clividitur, nisi per transgressionem
mandatorum Domini, nee unitur, nisi per ol)servanciani eorundem, et sie
misericordia et virtute si custodiemini et clemencia roborabitur tronus
vester et per consequens dissipator omnis mali efficiemini in destruendo
falsos fratres nee non prelatos et intuitu vestro tamquam rugitu leonis
terrentur. 0 utinam Dens daret perseveranciam graeie, illustrissime prin-
ceps, vestre maiestati nee non toti vestre evangelice communitati, baroni-
bus militibusque doctrina Chi'isti nee non zelo earitatis; ad servicium, sine
preiudicio mei legalis domini, emn omnibus amieis meis nee non michi
in via veritatis evangelice adherentibus me oflfero et sum presto, quoniam
non paucos animosius ad verbum Dei exemplo vestro provocastis. 0 utinam
regibus universis Dominus tale cor daret aut tantum Danielem, qui sie
soUicite pro lege Dei se poneret, in cunctis mundi elimatibus suseitaret
et vos magis ae magis in legis Domini practica stabiliret et post vitam
eternam condonaret, quod patrare dignetur, cuius regnum nunquam de-
struetur.
Scriptum Londonie septimo die Septembris per vestrum humilem
ser%atorem Johannem Öldecastellum militem, dominum de Cobham.
Nachtracr.
Die Vermutbung, dass der obengenannte Eieliardus Vitze (Höfler,
Gesehichtschreiber der husitisehen Bewegung II, S. 212/13) mit dem
Lollarden Eiehard Wyche, der 1431 verbrannt und von den Wiclifiten als
Heiliger verehrt wurde, identisch sei, hat sich aus weiteren Belegstellen,
auf die ich jüngstens gekommen, als richtig erwiesen. In einer Hand-
schrift der Prager Universitätsbibliothek (XIII, F. 2l) heisst es nämlich:
Vester servus cupiens in labore fieri socius Ei"» Wiche, infimus sacer-
dotum. Wicz, das letzte Wort soll die Erklärung bieten, wie Wiche aus-
zusprechen sei. Damit erledigt sieh auch der Versuch, den Lechler II, 352
gemacht hat, den Namen zu erklären. Er sagt : der Lollarde heisse (Docu-
menta mag. Joh. Hus S. 12) Wiehewitze und die beiden letzten Silben
seien tschechische Zuthat, wodurch Patronymica gebildet werden.
Einen anderen Beweis für die Identität beider Namen finde ich im
Cod. univ. Prag. III. G. 11, woselbst sieh (fol. 89'' — d9^) die (lesta cum
Eichardo Wycz presbytero in Anglia verzeichnet finden — ein (undatirter)
Bericht über eine eben überstandene Verfolgung, die Wyehe Seitens der
kirchlichen Behöree erduldet hat — ein Bericht, der, wie man sieht, auch
seinen Weg nach Böhmen gefunden hat. Diese Gesta sind, seitdem ich
die vorhergehenden Zeilen geschrieben, nach einer von mir angefertigten
Abschrift durch Herrn F. D. Matthew in der Zeitschrift The English
Historical Eeview (July 1890 p. 530 — 544) publicirt worden.
Aus dem Berichte eines Franzosen über den Wiener
Hof in den Jaliren 1671 und 1672.
Von
A. F. Pribram.
Einleitung.
Gelegentlich meiner Nachforschungen in den Pariser Archiven
und Bibliotheken für eine Geschichte Leopold L, stiess ich in der
Bihliotheque Nationale auf ein Documeut (Mss. Fr. 8997. Suppl. 4182),
das den Bericht eines Franzosen über den Wiener Hof in den Jahren
1671 und 1672 enthielt. Schon die erste flüchtige Durchsicht liess
mich erkennen, dass dasselbe des Interessanten genug enthalte und
eine wiederholte Prüfung hat mich in dieser Ansicht bestärkt und mir
es zweckmässig erscheinen lassen, dasselbe, wenn auch iu etwas ge-
kürzter Widergabe, den Fachgenossen vorzulegen. Wir sind bekannt-
lich an Schilderungen des Wiener Hofes in jeuen Tagen nicht reich.
An deutscheu Memoiren jener Zeit fehlt es ja ganz und die wenigen
gleichzeitigen Werke, welche uns das Hof leben Leopold L schilderu,
reichen zu einer genügenden Kenntnis durchaus nicht hin. Noch
immer sind wir für die Darstellung dieser Verhältnisse in erster Linie
auf die Berichte der venetianischen Gesandten angewiesen, deren Zu-
verlässigkeit heute nicht mehr so rückhaltslos angeuommen wird als
in früheren Zeiten und was wir sonst an Mittheilungen zusammen-
fassender Art über den Kaiser und seine Uuigebung besitzen, stammt
mit wenigen Ausnahmen, von denen gleich zu reden sein wird, von
uubediugten Verehrern des Kaisers und der österreichischen Institutionen
oder von entschiedeuen Gegnern derselben her. Die Wahrheit über
Kaiser Leopold und seine Umgebung, Avie über die inneren öster-
reichischeu Verhältnisse wird man aber ebensowenig iu Priorato's,
Aus d. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1671 u. 1672. 271
Commazzi's oder Schenckels Büchern finden, als in den Memoiren eines
Herzogs von Grammont.
Freilich zu einer vollen Einsicht in die Kegierungsmaximen des
Kaisers wird in erster Linie eine genauere Kenntnis des Briefwechsels
Kaiser Leopold L nothwendig sein i), wie denn auch eine richtige
Beurtheilung der Motive, welche die einzelnen massgebenden Minister
bei ihren Handlungen bestimmt haben, nur durch eine gründliche
Benützung des umfangreichen handschriftlichen Materiales möglich sein
wird. Bis dahin aber wird jede Schilderung Kaiser Leopold 1. und
seiner Umgebung, welche sich von übertriebener Lobpreisung ebenso
ferne hält als von unbedingter Verwerfung alles dessen, was vom
Kaiser uud von seinen Käthen geschah, als eine wünschenswerthe Be-
reicherung unserer Kenntnisse bezeichnet werden müssen. Und zu
diesen Schilderungen gehört auch die unseres Franzosen, der den Wiener
Hof zur Zeit besuchte, da Esaias Pufendorf sich an demselben aufhielt,
der, wie bekannt, in eineiü umfassenden Berichte seinem Herrscher
Mittheilungen über den Kaiser und über seine Umgebung zukommen liess.
Der Bericht Pufendorfs, unstreitig eine der besten Quellen für unsere
Kenntnis der österreichischen Verhältnisse in jener Zeit, dürfte als
Ganzes genommen grösseren Wertli besitzen als der im Nachfolgenden
mitgetheilte, vornehmlich deshalb, weil der erste Theil des pufendorfi-
schen Berichtes eine überaus gelungene Darstellung der Verhandlungen
Pufendorfs und der Politik des Wiener Cabinettes überhaupt enthält.
Auch hatte Pufendorf Gelegenheit die leitenden Staatsmänner wieder-
holt in politischen Fragen zu sprechen und konnte sich daher über
ihre Fähigkeit wie über ihre politischen Ueberzeugungen leichter ein
richtiges Urtheil bilden, als der Franzose, der, wie er selbst erwähnt,
nur des Vergnügens halber in Wien weilte und mit den leitenden
Kreisen nicht in geschäftlichem Verkehre stand. Die Vorzüge des
französischen Berichtes liegen dagegen in der vollen Unbefangenheit,
mit welcher der Verfasser Personen und Dinge betrachten konnte und
andererseits in dem Interesse, das derselbe für die Privatverhältnisse der
leitenden Persönlichkeiten, für das Hofleben, für die Kriegsereiguisse
und für die Bauten der Stadt, wie für ihre Bewohner besass. Den
') In jüngster Zeit sind Ansätze zur Herausgabe desselben gemaclit worden.
Insbesondere hat Onno Klopp sich durch die Herausgabe des Briefwechsels zwi-
schen Leopold I, und Marco d' Aviano ein grosses Verdienst erworben. Auf den
Werth der Correspondenz Leopold I. mit dem kaiserlichen Gesandten in Madrid,
Grafen Pötting, welche ich hoffentlich bald dem gelehrten Publikum werde über-
geben können, hat neuerdings Heigel Neue Beiträge zur Charakteristik Leopold I.
(Sitzungsber. der bair. Ac. der Wis.s. 1890. Bd. IT. Heft 1) hingewiesen.
272 Pribram.
übrigen Schilderungen aber — und es kommt eigentlich für diese Zeit
nur jene des Graten Chavagnac in Betracht — ist die des Franzosen
unbedingt vorzuziehen. Seinen Namen habe ich leider nicht erforschen
können ; der Bericht selbst gab keinen Anhaltspunkt dafür. Nur soviel
scheint sicher, dass der Verfasser ein Verehrer Gremonville's, des da-
mals am Wiener Hofe wirkenden französischen Gesandten, war und
dessen Mittheiluugen vermutlich viel von dem verdankte, was er . später
niederschrieb. Eine ganz genaue Angabe des Zeitpunktes, wann das
Memoire niedergeschrieben wurde, ist gleichfalls nicht möglich. Doch
muss die Niederschrift spätestens zu Beginn des Jahres 1673 erfolgt
sein, da von Margaretha Theresia's Tode, der am 12. März 1673 er-
folgte, nicht die Rede ist. Für den Beginn des Jahres 1673 spricht
auch die Bemerkung des Verfassers, dass der Brand der Hofburg —
welcher Feb. 1668 stattfand — depuis cinq ans stattgefunden habe,
sowie die Behauptung, dass Lobkowitz jetzt 64 Jahre alt sei — Lob-
kowitz ist Jan. 1609 geboren — .
Was das Urtheil des Verfassers über Kaiser Leopold betrifft, so ist
"dasselbe gewiss ein zu strenges. Einiges von dem, was er mittheilt, wird
entschieden bestritten werden können. Wenn er ferner von einer absoluten
Regierungsgewalt der Minister in ihrem Ressort spricht, so ist dies in
dieser Allgemeinheit jedenfalls unrichtig. Der Franzose, wie übrigens
fast alle Schriftsteller, welche Leopold zu schildern versuchten, hatte
keine Ahnung von der genauen Einsicht, welche sich Leopold von
allen Dingen, mochten sie nun die äussere oder innere Politik be-
rühren, zu verschaffen suchte und von der Zähigkeit, mit welcher
der Monarch daran festhielt, dass alles in seinem Namen und nach seinem
Willen — den er allerdings oft genug demjenigen anderer Leute unter-
ordnete — geschehe. Auch überschätzt der Franzose den Einfluss der
Jesuiten um ein bedeutendes. Dagegen wird man in seiner Schilderung
manchen bezeichnenden Zug richtig hervorgehoben finden und die
Mittheilungen über des Kaisers Leben im Hause und in der Familie
als durchaus richtige bezeichnen können. Sehr erwünscht sind ferner
die Angaben des Verfassers über die äussere Erscheinung des Kaisers,
seiner Familie und der vornehmbten Minister, sowie über die socialen
Verhältnisse der damaligen Zeit.
Bezüglich der Art, in der ich den Bericht widergebe, dürften
wenige Bemerkungen genügen. Ausgefallen oder im Auszuge wider-
gegeben sind jene Partieen des Berichtes, welche nach des Heraus-
gebers Ansicht keinen oder nur untergeordneten Werth besitzen, so
namentlich die ausführliche Schilderung der Thätigkeit Gremonville's,
über die wir ja durcli spätere archivalische Arbeiten auf; das genaueste
Alis d. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1671 u. 1672. 273
orientirt sind. Dagegen schien es dem Herausgeber zweckmässig, die
Darstellung der ungarischen Verschwörung, wie sie der Verfasser gibt,
wörtlich mitzutheilen, da sie ja die Ansicht eines gutunterrichteteu,
unparteiischen Zeugen repräsentirt.
Die Orthogi'apliie des Originales wurde nicht beibehalten, die
Aeuderungen nach den in Frankreich geltenden Grundsätzen vor-
genommen. Den Bericht mit ausführlichen ISoten zu versehen hat der
Herausgeber für überflüssig gehalten, da eine Kritik der einzelnen
Mittheilungen zu weit geführt hätte und vielleicht in nicht allzu-
ferner Zeit in entsprechenderer Form wird geübt werden können.
Vienne, capitale de la Basse-Autriche lieu ordinaire de la residence
des Eiupereurs de cette maison, est une ville d'une graudeur mediocre
sur la rive droite du Danube, qui se partageaut en ciuq bras, forme
en cet endroit plusieurs iles couvertes de bois, qui occupent presque
une lieue de large et contribuent ä la beaute de la Situation melee
d' ailleui's d" une grande diversite de coteaux, de plaines et de prairies.
Elle est lurtifie de onze bastions de grandeur demesuree et de figure
inegale; c' est-ä-dire , que ceux qui sont grands et re'guliers sont
uouveaux; quelques uns anciens sont petits et les courtines si longues,
que la defense en est difficile. L' endroit de la place, qui parait le
plus faible est celui, oü eile touche au Danube, qui ne lui fournit
qu'un petit bras facile ä detourner et presque sec une partie de
r annee. Hors cet endroit, la contrescarpe est egalement belle et bonne
partout. Du cote du levant le palais de l'Empereur s'etend le long
des remparts.
C est un vieux bätiment i), fait ä diverses fois, formant uean-
moins une ligure carree accompagnee aux quatre coins de quatre pe-
tites tours inegales. Ce bätiment dont le dehors et le dedans n'a
point de la demeure d'un Empereur enferme uue tres petite cour et
n' a pour tout accompagnement qu' une autre cour assez grande, plus
longue que large, enviroune'e d'un simple bätiment a deux etages,
donc la moitie, oü ctait 1" appartement de 1' imperatrice ayant ete brüle
depuis cinq ans -), on n' a pas encore pense ä le re'tablir.
[In diesem Schlosse wohnt K. Leopold]. H est d'une taille au-
dessus de la mediocre, le corps contraint, marchant tout d'une piece
et mauquant de force, particulierement aux pieds et aux jambes. II
a les cheveux chätains et plats, les yeux beaux et ä fleur de tete, mais
') Vgl. die Scliilderung in den Memoires de la cour de Vienne 1705; Köln,
doren Verfasser Casimir Preschot ist; 5 f. ^) 13. Febr. 1668.
Mittheiluugeu Xll. 18
274 l'ribram,
la vue courte et faible, le nez bleu fait, la bouche extraordiuairement
grande et la levre de dessous si avaucee, qu'elle fait im effet fort
desagreable, le teint beau et vif, l'air et les mauieres douces, raais
Sans elevation et uue certaiue gravite, qui tient beaucou]) plus de la
contraiute que de la majeste. Son esprit a beaucoup de ressemblance
avec sa personne; e' est-ä-dire, qu'il est faible, n' envisageant que de
petites clioses, evitant les affaires, eraignaut les Labiles gens et s'en
deliant, ayant d' ailleurs de la clemence, de 1' honnetete et de la bonte.
Ce prince, qui n'etait que le 4"'"'" fils de Ferdinand III. ne pa-
raissant pas d'uu genie propre a soutenir la gloire de sa maison par
les armes, fut destiue a la profession ecclesiastique plus proportionnee
a ses dispositions pour 1' elever ensuite au cardinalat et aux prinei-
pautes eeclesiastiques si considerables en Alleniagne. C'est dans cette
vue , que ses gouverneurs, le C^*' de Lamberg ^) , et depuis le C^*^
Fugger -) , eureut ordre d' appliquer son enfance particulieremeut a
r etude des lettres, dans laquelle il reussit et y joignait uue conuais-
sance parfaite des langues latiue, italienne et espagnole et de la
nmsique.
[Später wurde Portia mit dem Amte der Erziehung Leopolds be-
traut], qui (Leopold) se trouva si satisfait de ses mauieres, que du
depuis etant devenu Empereur, il 1' eleva au poste de premier miui-
stre, qu'il occupa jusqu' a sa mort arrivee en Tamiee 1065. C'etait
uu rainistre en reputation de quelque sage.sse, ou plutot, que sa fai-
blesse faisait passer pour prudent. Et soit que le priuee qu'il gou-
vernait eüt naturellement les memes iuclinations, ou qu'il ait pris
le genie de son gouverneur, ou peut dire, que cette bonte faible que
1' on couvre du nom de douceur et de clemeuce aneantit tout ee qui
parait en lui de bonnes qualites. Elle lui ote la force de se faire
craiudre et de rien refuser et lui donue uue teile defiauce de Ivii
meme, qu'il n'ose quelquefois dire son sentiment dans le conseil, de
peur qu'on ne le trouve pas raisounable. Cette faiblesse et apprehensiou,
qu'il a du peril et de l'embarras des affaires le portant a s'eu decbarger
sur ses ministres, ils se trouvent comme absolus chacim dans 1' etendue
de leurs fonctions •'). La devotiou meme 1' expose a uue erainte de
blesser sa conscience et le reud dependant en l)eaucoup de choses de
son eonfesseur et des raoines, qui le peuvent arreter ou le faire agir
seien leurs interets ou ceux des personnes qu' ils veulent servir.
') Joli. Max. (Iraf vou Lamberg, von Leopold später zu (iesandtscliaften
viel verwendet. ") Marquart (Jraf v. Fugger, Ubersthofmeister bis 1C52.
') Vgl. die Einleitung. l
Alis d. Berichte eines Franzosen iil). d. Wiener Hof in d. ,1. IfiTl n. 1672. 275
Les Espagnols tA,clieut de leurs cötes ä se prevaloir de la ten-
dresse, que le prinee a pour l'imperatrice i), älaquelle il ne refuserait
rien, s'il etait le ministre: Mais les ministres le tienuent daus une
depeudanee qui fait que le ])ouvoir de cette princesse et de 1' am-
bassadeur d' Espagne -) u' est pas aussi graud qu' il le devrait ; au
moins les choses ont ete dans cette Situation jusqu' a la fin de 1' annee
1670 ^). On peut comprendre par cette disposition la faiblesse du
gouvernement et le peu d' ordre qu'il y a dans cette cour, oü les
interets du prinee dependent des passions et des cahales de tant de
personues difFerentes.
La vie particuliere de 1' Empereur est fort reglee et fort simple:
la chasse, la musique et les exercices de devotion en occupent la plus
grande partie. II se plait fort ä rexercice de l'oiseau et il entretient
un equipage de fauconnerie, oü 1' on voit plus de 2r)0 pieces d' oiseaux
pour toutes sortes de vols, et passe tous les ans au printemps ä sa
raaison de Laxembourg ä quatre lieues de Vienne pour y prendre ce
divertissement deux fois le jour. 11 chasse les cerfs dans les foilles (sie)
a coup de fusils et les sangliers de meme avec les levriers d'attache
et ne manque point tous les ans sur la fin du carerae d' aller lümer
(sie) des renards dans une ile du Danube pres de Vienne. 11 assiste le
long de l'anuee a plusieurs processions a pied mrnie liors la ville,
se trouve aux fetes de cbaque couvent et y dine d' ordinaire ; assistant
d'ailleurs tres-regulierement au serviee de sa cha])elle et par devotion
et par rineliuation qu'il a pour la musique. II en entretient une
tres-bonne et tres-nombreuse, a laquelle il fait souvent chanter des
mysteres qu'il compose lui-meme. Et on peut dire que les musi-
cieus et les chasseurs sont les uiieux traites des ses ofticiers, soit pour
leurs ap])ointeuients, ou pour leurs reeonipenses, ou pour les libertes
(|u'il leur donue. 11 joue quelquefois l'apres-midi avec ses petits
favoris, mais neanmoius plus raremeut qu'avant sou niariage, depuis
lequel la compagnie et la conversation de l'iniperatrice lui out fait
negliger ce divertissement. C'est une cliose extraordinaire que ce
ju'ince n' ayant ete marie qu' a 1' age de 25 ans ait vecu jusqu' a ce
tenips avec une continence si exacte qu'on u'a pu remarquer qu'il
eAt le moindre attacliement pour une femme. On l'a seulemeut soup-
9onne de quelque commerce de peu de duree avec une lille, qui etait
') Margaretlie 'J'heresia. -) Nov. IG'TO Irat an Stelle des Marques
de Malagon als Nachfolger de los Balbesos. ■') Kine recht bezeichnende Mit-
theilung über das wenig freundschaftliche Verhältnis Kaiser Leopold I. zu den
Spaniern gibt Heigel 1. c. 128 fi".
18*
276 Pribram.
au Service de 1' imperatrice douairiere et qui depuis a ete mariee eu
Boheme ^). Mais on dit que ce fut une affaire de concert peu avant
son mariage pour connaitre, si cette continence si reguliere n'etait
point un effet de froideur ou d' impuissauce ; ou a eu lieu de sortir
de ce doute daus la suite. Et d'abord qu'il a ete marie, il s'est
attache avec 1' imperatrice avec taut d'afFection, de passion, que le.s
medecins lui out quelquef'ois conseille de se moderer pour ne pas
eutieremeut ruiner sa saute.
CoDime il mene une vie fort sedentaire, sa plus grande oceupation
est d' etre aupres de cette princesse, dout la jeunesse et la beaute a des
charmes inevitaljles pour un homme, que son naturel et sa cousciencc
empecheut d' aimer ailleurs. Elle avait (bei ihrer Heirath) 15 ou 16 ans
et etait une personne blanche et blonde avec de beaux cheveux, uue belle
bouche, les yeux doux et le uez bien fait, le visage un peu long, les
joues pendautes comme les ont la plupart des priucesses de cette
maison. Sa taille n'est presque pas augmentee depuis de sorte qu'elle
est demeuree fort petite et les suites malheureuses d' une coiiche lui
ont fait venir une grosseur ä la gorge, que tonte 1' habilite des mede-
cins u'a pu diminuer jusqu'k present. Son esprit naturellement doux
Joint k l'education particuliere et retiree qu'elle a eu en Espagne,
donue moyen aux Espaguols, qui sont aupres d'elle, de la gouverner
absolument, en lui faisaut continuer cette vie soKtaire ; elles 1' obsedent
et ne permettent de 1" approcher qu' a eeux, a qui leurs charges donnent
les entrees et fönt avec l'ambassadeur une cabale domestique separe'e
de tout le reste de la cour -)....
Comme sa cour est fort particuliere et fort renfermee, celle
d' Eleonore deGonzaga, imperatrice douairiere, belle-uiere de l'Empereur,
est assez libre et assez ouverte et sa bouto y donne tout l'acces que
peut permettre le respect que Ton doit a uue si grande princesse.
[Sie gebar Ferdinand III. zwei Töchter, Eleonore, vermählt mit
Michael Wiesnowiecki, König von Polen und Maria AnnaJ •').
La reine de Pologne est une belle princesse de jolie taille, claire
brune, de visage male, le teiut beau et les traits assez reguliers;
r esprit naturellement doux.
L' archiduchesse Marie-Anne sa cadette est presentement en sa
17''"'*^ annee, d'une taille agreable, les cheveux chataius, le teint un
peu temi de la petite veröle et les traits disperses de maiiiere qu'ayant
') Gremonville, der ähnliches berichtet, spricht von einer Baronin Falkeu-
steiu. '^) Vgl. Heibig, Bericht des Esaias Pufcndorf 60 l'. ') Später ver-
miililt mit .lohann Wilhelm, Pfalzgrafen von Nenburg.
Aus d. Berichte omos Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 16'7l u. 1672. 277
assez de pliysionomie generale de la maison d'Autriche aux joues et
ä la bouche, on peut dire qu' eile n' est ni belle iii laide, niais qu' eile
ne manque point d' agrement i).
L' imperatrice douairiere -) , sa mere, est d' une taille mediocre,
naturellement maigi'e, les cheveux d'un clair bruu, fort lustre, de
grands yeux ecartes pleins de feu et de mouvement, le nez droit, la
bouche grande et plate, le menton court assez avance; tout le visage
plat et formant presque une figui'e carree. Je ne sais quel teint eile
avait autrefois, mais celui d' a present fait voir une fraicheur et un eclat,
qui se renouvellent cbaque jour et s' etendent jusque sur sa gorge. Kien
u'est plus propre que sa personne et Ton voit dans la simplicite et
le noir de ses habits de veuve un air de galanterie et d' ajustement
repandu jusqu' aux moindres choses. II n'est pas si facile de faire
le Portrait de son esprit que de son visage, mais on peut dire qu'elle
en a beaucoup, Joint a une si grande vivacite, qu'avec sa voix natu-
rellement aigre mantouan on a quelquefois de la peine ä l'entendre.
Elle aime la gloire et la reputation et V on remarque dans ses manieres
une certaine envie de plaire et d' etre estimee de ceux qui 1' approchent,
curieuse, aimant la science et la conversatiou des savants, liberale et
magnifique comme la plupart des grands, ambitieuse et capable de
beaucoup de choses pour satisfaire cette passion, d'ailleurs inconstante,
pleine de variete, s'engageant facilement et manquant avec la meme
facilite a ses engagements, brusque et prompte naturellement et cepen-
dant patiente et politique, lorsqu' eile n' est pas la maitresse. Au milieu
de ces qualites de son esprit et de son äme on peut dire qu'elle n'a
pas le coeur insensible et que le merite et le bonheur d'un homme
y peut trouver de la correspondance.
Elle a ete la 3*^ femme de Ferdinand III et comme il etait deja
vieux et encore amoureux, lorsqu' il 1' epousa et eile jeune et spirituelle,
eile avait un extreme pouvoir sur lui, dont eile usait avec tant d' honne-
tete, surtout a l'egard de l'archidue, son beau-fils, que depuis, etant
parvenu a l'empire il lui a conserve un respect egal et celui qu'il
avait pour une mere et une consideration, qui lui donne du pouvoir
ä la cour de sorte, que les ministres de l'Empereur gardent des gran-
des mesures avec eile et ceux des princes etrangers qui sont a Vienne
peuvent utilement employer son credit pour le succes de leurs nego-
ciations 3) quoiqu'on puisse dire, qu'elle en a moins depuis le mariage
de l'empereur, a cause du retour des Espagnols, qui ont eu assez de
«) Vgl. Heibig 1. c. 62 f. ^-) Marie Eleonora. ^) Vgl. Heibig
1. c. 61.
pouvoir })Our faire qiie 1' imperatrice ue lui donuat ui la maiii, ui
le pas.
Voilä ä peu pres uu portrait raccourci des Majestes de Vienne
aiiquel je joiudrai seulement celui des personnes corrsiderables qui
coiiiposent ees trois cours, en commen^ant par celle de 1' Empereur,
Oll le priuee Weuceslaw de Lobkowitz tieut la premiere place
]>ar la charge de grand-maitre d'hötel, qui Ini donne la pre'seanee sur
les autres miuistres.
C'est uu homme age de 64 ans i), gTaud, gros et courbe; le visage
assez agi-eable et meine beau pour son age. II est d' ime maisou au-
cienue du royaume de Boheme. Zdenko de Lobkowitz son pere, grand-
chaucelier de ee royaume, fut fait priuee par Ferdinand II et le servit
utilement a la re'duction de la Boheme apres la bataille de Prague . . .
II [Wenzel] a employe une partie de sa jeunesse a voyager. II a
appris avec soin les langues latiue, italienne, f'ran9aise, espaguole. II
a meuie un peu ete a la guerre -), et apres quelques emplois de moiudre
consideration ^) il a exerce la charge de presideut du couseil de guerre ^).
Enfin apres la mort du prince Portia, 1' Empereur 1' a rendu le premier
homme de sa cour, lui donuaut la charge de graud maitre d'hotel,
jointe il la fonction de miuistre. Ou peut dire que depuis lougtemps
r on n' a yu dans le ministere homme d' un caractere semblable au
sien; il a les manieres du monde les plus extraordinaires, ne parlaut'')
le plus souvent que par apologues, par proverbes et par quolibets, ne
repondaut que par comparaisons et capable d' embarrasser par ses
manieres ambigues les plus habiles uegociateurs. Inegal dans son pro-
cede, flatteur, Adiidicatif, empörte, aimant a fourber et s'en faisant
gloire. Cepeudaut il faut avouer qu'avec des qualites si bizaiTes, c'est
uu grand et habile ministre; profond dans ses desseins, patient et
Cache dans les manieres de les faire reussir, conuaissant parfaitement
le genie du Prince et de la cour et profitant de tout, jusqu" aux
moindres choses, pour aller a ses fins. II entretient toujours quelque
commerce avec quelques unes des filles d' houneur de 1' imperatrice.
II a ])aru meme amoureux de la comtesse d'üarrach pour se conserver
l'amitie du grand-cliamhellan son pere sur l'esprit du(|uel eile a
beaucoup de pouvoii* ; au reste il a eu de grands bienfaits de 1' Em-
') Da Lobkowitz Jan. 1600 geboren ist, so würde die Angabe seines Alters
luit 64 Jahren, gleichfalls auf die Abfassung des Berichtes im Jahre 1673 hin-
weisen; vgl. die Einleitung. -) Seit 1631 leistete er Kriegsdienste: vgl.
Adam Wolf, Wenzel Lobkowitz p. 17 ff. ») Wolf 1. c. 25 ff. ■•) Hof-
kriegsrathspräsident wurde er 1652. ^) Die Worte »ne parlant« sind vom
Herausgeber hinzugefügt.
Aus f1. Bel•iph^e eines Franzosen iili. d. Wiener Hof in d. J. 1(571 n. 1672. 270
pereur et eu a tire quelque temps des soimnes conside'rables au dela
de ses appointements. II vit en gi-and-seigneur et tient ordiuairement
une bonne table. II a epouse ime princesse palatine de la brauche de
Sulzbacb 1), dont il a deux enfans. L'äine est äge de 18 ans, et jus-
qu'a pre'sent il l'a laisse avec la princesse sa femme dans une de ses
terres de Baviere sans le faire voyager ni le faire venir ä la cour.
Ce prince est la seconde personne apres l'Empereur dans le conseil
oii n'entrent avec lui que le C*^^ ^q Lamberg, grand-chambellan, le
prince de Scliwarzemberg, president du couseil aulique et le Baron
Hoclier, chancelier de la cour, qui sont proprement ceux qui portent
la qualite de ministres, les seuls qui ont la direction des affaires et
forment ce petit couseil, qu'ils appellent Conference, oü se traite ce
qu'il y a de plus important et de plus secret dans les affaires de
r Etat.^
Maximilian Conite de Lamberg, grand-cliambellan de l'Em-
pereur est d'une ancienne maison de la province de Carniole, et, s'etant
attache ä la cour des sa jeunesse, il fut dans la suite clioisi pour
gouverneur de la personne de V empereur, qui, pour lors n' etait qu'
arcbiduc et ne quitta ce poste que pour aller ambassadeur en Espagne,
ou il demeura plusieurs aunees. C'est uu petit homme, maigre, age
de plus de 60 ans, d'une pliysiouomie ordinaire, doux, sans ambition,
bienfaisant, bonnete et bomme de bien. II n'a amasse que des biens
mediocres, quoiqu'il ait beaucoup de part aux bonnes gräces et ä la
confidence de son maitre, qui estime sa fidelite et sa probite '^). iSa
femme est de Moravie de 1' ancienne maison de Vernes •^), II a plu-
sieurs enfans, dont l'aine a Vordre de S^ Jacques d' Espagne; la com-
tesse d'Harracb et la princesse de Portia, ses filles, ont plus d'esprit
que de beaute. Sans m'arreter davantage a cette famille, je coutinuerai
a suivre 1' ordre des dignite's, et je dirai que le comte de Gundacber
de Dietrichstein, gi'and-ecuyer de 1' empereur, est ne lutherien et de-
puis s'est fait catbolique, et se trouvant pauvre dans sa jeunesse et
avec si peu de bien qu'il ne se pouvait pas soutenir a la cour de
r Empereur, il s'attaclia ä celle de 1' arcbiduc, etant deveuu Empereur
il l'eleva a la charge de grand-ecuyer. Ceux qui ont voulu penetrer
les veritables raisons de cette foi"tune et de 1' agrement qu' il a aupres
de son maitre, ont cru que son peu de merite y avait contribue et
1) Sophie; es war dies die zweite Gemahlin des Fürsten Lobkowitz; die
erste war Johanna Myska v. Zhmic. *) So lautet das allgemeine Urtheil der
Italiener, Franzosen, Pufendorfs u. a. m. ') Judith Kebecca Eleonora Gräfin
von Wrbna.
l'avait pu reudre agre'ahle an Prince, qiii ne saurait aimer les hahiles
gens, parce qu'il les craint et ne donne sa confiance qii'a des per-
sonnes dont il trouve le genie de la ])ortee du sien. II Ta raeme
encore pu aimer par 1' attachement qu'il a eu a jouer avec lui, dont
celui-ci a su tirer avantage en gagnant des sommes considerables a
son maitre. II s'est etabli d'ailleurs par le mariage tres-riehe avec la
soeur d'un comte de Fürstemberg, d'une maison nouvelle.
Le comte Fran^ois Augustin de Waldstein i) quoique
tres-different de genie et de manieres d'avec le grand-ecuyer, a nean-
moins commence sa fortune presque de meme; c'est-a-dire par son
attachement a V Empereur lorsqu' il n' etait qu' archiduc. II est de cette
maison devenue illustre par toute 1' Europe en la personne d' Albert
de Waldsteiu, duc de Friedland, et qui d' eile- meme est des plus an-
ciennes de Boheme avec la qualite de baron la plus haute de ce petit
royaume, oü chaque seigneur est absolu sur ses sujets comme sur ses
esclaves. II y a environ 30 ans -), que les Waldsteins ont titre de
comte. La brauche du duc de Friedland et celle du C*^ dont je parle,
etaient separees depuis longtemps, mais son perc'^) se trouva etroitement
uni avec le duc et par amitie et par alliance, qui etait entre eux,
ayant epouse les deux soeurs de la maison d' Harrach ^). Le credit du
duc lui servit ä la cour, mais son merite particulier Joint a sa bonne
conduite le mit en etat de s'y soutenir de lui-meme et de n'etre
point accable par la chute de ce grand general, apres laquelle il ne
laissa pas de s' avancer jusqu' a la charge de grand-chambellan daus
laquelle il mourut. Son fils aiue avait epouse la riche heritiere de
Rothai et mourut jeune dans une des premieres charges du royaume
de Boheme ^). Le comte Fran9ois Augustin dont nous parlons, etait
le 2®. II s' etait fait chevalier de Malte, et par une inclination parti-
culiere il s'e'tait attache a 1' archiduc, qui pour lors n' etait que cadet.
Le comte Charles ^), son frere, quoique plus jeune, etait entre dans le
Service de Ferdinand IV^, roi des Romains, mais ce prince etant mort,
l'elevation de 1' archiduc, qui depuis parvint ä l'erapire, fut suivie de
Celle du comte Fran9ois Augustin, qui a moute jusqu' a la charge de
premier capitaine des archers de sa garde. Son application particuliere
a la musique, aux comedies et aux plaisirs de 1' Empereur n' a pas peu
contribue ä Jui donuer d'abord les bonnes gi-aces de ce prince et a
>) Ven. Final1)erichte 1. c. J52. -) .Seit 1628; Wurzbiieh 52, 208.
*) Graf Maximilian ^\'aldstein. *) Die Gemahlin Maximilians hiess Katharina ;
die Albrechts Isabella Katharina. •) Ferdinand Ernst t 16b'5; seine Gemahlin
war Eleonore Gräfin von Rothai ; er war Oberst-Landkämmerer gewesen. ''•) Karl
Ferdinand, geb. 1634, t 1702.
Ans fl. Rendite eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1H7I u. 1672. 281
les lui couserver daus la suite. II est age de 40, de mediocre taille,
fort ])rim, le visage agreable, l'air melancolique, les manieres civiles
et houuetes, un esprit de reflexion, dans leqiiel il parait de l'appli-
cation et quelque finesse, au reste grand seigneur par la successiou
substituee par uu parent pour les enfans de son maitre et les avautages
de sa religion, qui l'a honore depuis peu de la grande croix. II vit
assez magnifiqueineiit et ses pretentions sont au cardiualat. J'ai dit
qu'il commandait la premiere compaguie des cent archers de la garde,
Le prince Pio i) commaude la secoude, appelee des Trabans, corapose'e
de pareil nombre de halbardiers, et ces deux corapaguies fönt toute la
garde du premier prince de la chretiente.
[Pio stammt aus einer Ferrareser Familie, ist jung uach Deutsch-
land gekommen und in die Armee eingetreten]. II n'a rien moins
que l'air d'un homme de qualite, beaucoup de vanite, mediocrement
d' esprit et peu de merite, une graude inclination ä la depense, mais
beaucoup augmentee encore par son niariage, dont il n'a rien tire'
jusqu'ä present, ayant enleve la fille de Castel-Kodrigo, qui n'a point
voulu lui pardonner, et s'il meurt sans changer de sentiment, eile
perdra pres d'un million, qu'elle avait a esperer de sa succession.
[Am Hofe gibt es dann noch Kammerherren; ihre Zahl über-
steigt 300].
Apres la maison de 1' Empereur vient le conseil aulique
etabli pour le jugement des affaires de rempire,-avec une
autorite egale a celle de la chambre de Spire et ces deux juridictions
n'ont d'avantage l'une sur l'autre que par preveution.
Jean Adolphe, prince de Schwarzemberg, conseiller in-
time de l'Empereur et president de ce conseil, est fils d'Adam comte
de Schwarzemberg d'une ancienne maison du pays de Cleves, qui
s'attacha a l'Electeur Jean Guillaume de Brandenbourg -), lorsqu'il
recueillit la succession de ce pays, et il sut si bien s'emparer de
r esprit de ce Prince qu'il devint son favori, II a acquis de gi-ands
biens par tous les nioyens dont se peut servir un ministre absolu
jusqu'ä prendre du duc de Neubourg une terre de cent niille e'cus pour
le favoriser dans le partage de la succession de Cleves et de Juliers
coutre les interets de l'Electeur, son maitre, pour lequel il agissait. II
eugagea d'ailleurs un C*® de Schwarzeml^erg son parent eloigne et
tres-riche a le faire son heritier, lui promettant la voix de 1' Electeur de
Brandenbourg pour l'election de l'Empereur, dont ce comte etait
ministre. Cette grande faveur dura jusqu'ä ce que l'I^lecteur Frederic
1) Hubert Fio. -) Soll heiasen Georg Wilhelm.
Guillaiiinc, ä preseut rei^iiaut, ayant succede a soii peiv, iiou seulemeut
disgracia ce favori, mais Tayaut (le'poiiill(i diiraut sa vie peu a peu
s'empara de tont son hien. Sou fils dout iious parlons presenteraent,
qui est ägc* de 60 ans *) avait e'te eleve' des sa jeuiiesse k la cour de
rEmpereur, ou il s'attacha a Tarchiduc Leopold Guillaume, ci-de-
vant son grand-maitre d'hotel et son favori. II a tire de grands
avantages de la liheralite' de ce prince ^), dont la cousideration jointe
ä Celle de TEmpereur lui a fait retirer des sommes considerables de
l'Electeur de Braudeubourg, il a recueilli la succession de ce pareut,
dout j'ai parle et tout eela Joint a heaucoiip d'ecouomie le rend nn
des plus riches hommes de la cour de l'Empereur, ä laquelle etant
revenu apres la mort de l'arcliiduc, il fut, en Tanuee 1G70 eleve ii
la Charge de presideut du conseil aulique et l'annee suivante a la
dignite' de Prince. C'est un niiuistre sage, et quoiqu'il ne mauque
pas d'aiubition, il a toujours fait paraitre beaucoup de mode'ratioii
dans la couduite de sa fortune. On doutait s'il aurait de l'e'tendue
et de r elevation assez pour remplir la place de premier ministre, mais
au moins il est certain qu'avec du bon sens et de Texperience il a
toute l'application qu'ou peut donner aux affaires. II u'a de sa
femme qui est de la maison de Starhemberg qu'un fils et un fille^).
Le fils*) ayant fait un voyage eu Italic s'est engage par des pro-
messes de mariacre avec une demoiselle de la connetable Colonna, dont
il est encore amonreux malgre' tout ce qu' a pu faire son pere, qui 1' a
toujours tenu a la campagne depuis son retour d" Italic, La fille ^) a
epouse le prince d" Eggenberg. Elle est jeune et bien faite, parle
italien et IVancais comme allemand. Elle a un grand rang et de
grands biens mais, le peu de merite de son mari et le peu d'estime
(ju'elle a pour lui la rend malheureuse.
Jean Paul, baron de Hocher, chancelier, c*est-a-dire pro-
prement secretaire de la cour, qui, en cette qualite, entre au conseil de
la Conference avec les trois autres ministres, est originaire de Fribourg
en Brisgau, fils d'uu docteur en droit. II a passe sa jeunesse dans
Tetude de cette science^ qui lui a donne Tentree dans les affaires de
l'Empereur, particulierement a la diete de Eatisbonne, oii il a reside
lougtemps avant que d'arriver au poste du chancelier. II est äge
') (ieboren ltjl.5. -) Vj,'!. auch Helbig 1. c. <j9. ») ^^ hatte von
seiner Ueinablin Marie Justine Ciräfin von ytarhemberg 6 Kinder, doch starben
2 Söhne und 2 Töchter in dtr Kindheit. •») Ferdinand Wilhelm Eusebius.
■') Ernestine.
Alis (1. Benclitc(;iiu'«Friuizusrii n\,. d. Wioiu.M-Hot iii d..). IHTl u. Ib72. 283
(V eiiviron 50 ans i), d' esprit paisilile et regulier, homme de bon sens et
d' applicatiou, entierement dependaut du prince Lobkowitz -).
Parmi taut de personnes illustres par le rang et par la naissauce,
dout la cour de l'Empereur est composee, deux moines trouvent leur
place et fönt une figure assez considerable.
L'un est le pere Muller 3), jesuite, eonfesseur de T Empereur,
aussi hounete et bou homme, qu' on le peut etre :i la cour, il se mele
peu de ce qui regarde TEtat et les grandes affaires, qui pourraient
le commettre et lui douner de l'embarras. Mais il a du pouvoir dans
les affaires particulieres et peut agir utilement aupres du Prince en
faveur de beaucoup de personnes pour leur faire donner des emplois
et obtenir quelques gräces. L'autre est un pere Emerich^), capucin,
qui n'a aucun poste a la cour ui d'autre raison d"y venir que celle
de son inclination intrigante. II a paru aux plus grandes affaires,
Le ])remier ministre et les Espagnols emploient souvent son credit
aupres de TEmpereur pour faire reussir leurs desseins; et les ministres
etrangers cherchent l'appui de son credit dans leurs negociations ^).
11 y a a Vienne un c o n s e i 1 de g u e r r e etabli et fixe,, dans le-
quel s'expedie tout ce qui regarde le detail des troupes.
II est compose de certain nombre de conseillers sous la direction
de Raymond de Montecuccoli, qui en est le president gene'ral
des armees de l'Empereur et gouverneur de Raab en Hongrie.
II est d'une ancienne maison de Modene, et tut attire au Service
de l'Empereur par le comte Ernest de Montecuccoli, son oncle, sous
lequel il fit des actions remarquables des V annee 1029 ''). il a continue
depuis en s'avancant dans le service jusqu' a present qu'il a 70 ans');
grand, de bonne mine et d' assez belle taille autrefois, mais maintenant
courbe, faible et consomme de maladie et des fatiques. Son merite
est assez connu par la conduite qu'il a fait paraitre ä la tete des
armees de l'Empereur. Sage, prevoyant et joignant a la longue ex-
perience tout ce qu'il a pu apprendre par une extreme application ii
la lecture, capable du gouvernenieut politique comme du militaire ^),
civil, honnete, si peu Interesse qu' apres avoir longtemps commande
dans un service oü il suffit d' avoir ete pour avoir le moyen de s'en-
ricliii-, il n'a que des biens mediocres au dela de tous les avantages,
') lieb. IGIG. -) Bekauntlicli ging diese Freundschaft dann in eine
erbitterte Feindschaft über. ^) Philipp Miller; vgl. Von. Ber. 1. c. 5, 51.
••) Sinelli. '^) Vgl. auch Helbig 1. Cj^74 f. ") Sein Eintritt in die kaiser-
lichen Dienste erfolgte schon 1625. ') 1609 geboren; also erst 1679 70 Jahre
alt. ^) Ein überaus günstiges Urtheil über Montecurcoli fällt Chavagnac
1. c, 255.
9^4 P 1" i 1> r ii in.
qu'il tire de TEmpereur. II est eunemi du priiice de Lo])ko\vitz, mais
d'une graiide correspoudauce avec riinperatrice douairiere, faible eour-
tisan, timide dans ses pre'tentions et peu ferme a appuyer Celles de ses
amis, d'ailleurs caehaut beaucoup d'ambition sous des apparences mo-
derees. II a e'pouse la soeur de Ferdinand ]n-mce de Dietrichstein i),
dont il a nn fils fort jeune '-) et des filles 3) bien faites.
Je ue crois pas trouver de lieu plus propre que celui-ci pour
parier de Louis Eatons^), comte de Souches, que ses Servi-
ces ont eleve' a une haute fortuue, et dont Televation est d'autant
plus ä estinier qu'etant etranger et sans naissance, il s'est fait un
chemiu ])ar son propre merite au rang le plus cousiderable oü la
guerre puisse porter un homme pres de l'Empereur. II est fi-an9ais,
originaire de la Eochelle, ne huguenot, d'une famille d'une me'diocre
bourgeoisie; et s'e'tant jete fort avant dans les Services des Suedois,
oü plusieurs jeunes fran9ais allaient pour lors apprendre le metier de
la guerre, il s'avan^a avec le temps jusqu' au poste de lieutenant-
colonel. Mais, s'etant brouille' avec le general Torstenson, sous lequel
il servait, il quitta ce parti poui- entrer dans celui de 1' Empereur, oü
il eüt peu de temps apres occasion de se venger du general Torstenson,
en defendant la ville de Brunn avec tant de vigueur qu'il lui en fit
lever le siege. II a depuis continue a servir avec reputation, s'est
fait catholique, s'est vu plusieurs fois en chef Commander une armee
de r Empereur et a battu les Turcs deux fois. II s' est particulierement
attache' a 1' Infanterie, oii il est estime le premier homme d' Allemagne
pour l'attaque et pour la defense des places; vigilant et brave, homme
d'entreprise et resolu ä la guerre et capable d'un grand coramande-
ment. II est du conseil de guerre; il a ete gouverneur de Comorre^)
en Croatie vacant par la mort du jirince de Bade. On a pretendu
qu'ou ne lui avait donne' ce poste que pour l'eloigner de Vienne, oii
il etait incommode k la cour. Car c'est un homme naturellement
chagrin, haissant tout ce qui est au-dessus de lui, meprisant ses egaux,
maltraitant ses inferieurs, persuade que lui seul a des merites, malfai-
sant, peu sür et peu secret, peu capable de faire des amis et moins
encore de les conserver. Son extreme economic lui a donne moyen
d'amasser de grauds biens auxquels il Joint le titre de couite, dont
r Empereur l'a honore. II est age de 64 ans; d'une physionomie
fort commune, assez cache, vivant d'un grand regime pour conserver
le peu de sante qu'il lui reste ....
') Maria .loseplia. -) Leopold Philipp, mit dessen Tode 1698 das Ge-
Bchlecht erlosch. ^) 3 Töchter. *) Rattuit. «*) Für Warasdiu,
Ans d. Bericlite eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1671 n. 1672. 285
Apres le eouseil de guerre on peut parier de celui des
finances.
George Louis, comte de Sinzeiidorf, qid en est presideut
depuis 10 ou 12 ans ^), exerce cet emploi avec tous les avantages d'uu
komme qui ne rend poiiit de comptes, et qui, d' ailleurs, eonnait la fai-
blesse du Priuce, accoutume a se passer d'argent, quand on l'assure
qu' il n' y en a point. Dans cette pauvrete des finances il n' a pas
laisse d'amasser de grands biens et d'aclieter de tres-belles terres. C'est
un genie, ne pour cette fonction a laquelle il s'est applique, flu
d' ailleurs et d' une profonde dissimulation. II est age de 60 ans =^),
et ayant e'te lougtemps bans enfans, il a depuis peu epouse une
jeune princesse de la maison d' Holstein ^), belle et galante, qui lui a
donne des enfans.
[Keichsvicekauzler ist jetzt Graf Wilhelm Leopuld von Königs-
eggj ^), qui soutieut cette charge avec beaucoup d' habilete et d' agre-
nient ...
[Oberstliofmeister der regierenden Kaiserin ist Prinz Ferdinand
von DietriclisteinJ. On l'a tir«» du gouvernement de Moravie pour
entrer dans ce poste, dans lequel il s'est fait assurer une pension de
14000 ilorins pour preveuir le peu de certitude qu'il y a dans le
payement des appointements des charges. Au reste il est conseiller,
a peu d'esprit et de merite, mais sa complaisance et son application
a louer tout ce que fiiit l'Empereur lui donne assez de consideration
aupres du Prince pour eu esperer de la faveur dans la suite. II n'a
pas plus de 40 ans •'•), et a epouse une dame tres-belle et galaute,
soeur du prince de Simberg ß). C est le seul grand officier dans 1 a
maison de l'imperatrice regnante.
[Die erste Hofdame ist die Gräfin d'ErilJ. Elle est veuve du
comte d'Eril de la maison de Cardonne, et si les ministres lui per-
mettaient, ou que V imperatrice eiit du pouvoir, eile s' en servii-ait avec
avantage. Mais son credit est renferme dans rap])artement de sa mai-
tresse, ou eile a souvent beaucoup de cliagrin pur le peu d'utilite
qu'elle tire de sa cliarge et le peu de moyen qu'a TEmpereur de lui
faire du bien. Comme eile etait pauvre en Espague, eile a amene
toute sa famille en Allemagne, c'est-ä-dire un fils, a qui on a donne
une compagnie de cavalerie, et deux filles, qui sont aupres de l'im-
') Öinzendorf war seit 1657 Hofkammerpväsident. ') Geboren 1616.
3) Dorothea Elisabeth, l'rincessin von Holstein. ••) Vgl. über ihn Heibig
1. c. 71. ^) 1636 geb. "J Seine Gemahlin war Marie Elisabeth Fürstin
von Eggenberg.
2gg t^rilirani.
peratrice, et «emblent y devoir demeurer longfcemps par le peu d'in-
cliuation qu'ont les courtisaiis allemauds ;i epouser les Espagnoles.
La comtesse d'Eril est ime petita femme brune ou plutot noire, fort
maigre, agee de 50 ans. La marquise de Lancerot ä peu pres de meme
age, mais d'ime ligure plus ugivable est maitresse d'liütel, c"est-;i-dire
o-ouvernaute des tilles d'houneur espagnoles qui sont au uombre de 4;
et la vieille Comtesse de Portia gouvernante des filles d' honneur alle-
mandes, qui doivent etre 12.
[Der Obersthotineister der Kaiserin wittwe (qui a sa raaison eutiere-
meut re'paree et jouit d'un grand douaire, qui lui doune moyen de
Tentretenir uiagnificiuemeut) ist Albert Graf von Sinzendorf J i), bon
homnie et qui ne manque pas de bon sens. II a passe' la meilleure
partie de sa vie ä faire bonne chere et a mauger son bien. 11 a
ne'anmoins ete grand-veneur de l'Empereur, et est encore conseiller
intime.
Charles comte de Waldstein, grand-e'cuyer de cette princesse est
un cavalier de 35 ä 40 ans -) ; grand, beau et bien fait, frere de celui
qui est ca]>itaine des gardes de 1' Empereur ...
II.
|Der Verfasser sagt, er möcLte die Ereignisse von 1670 — 1(h2
schildern. Je ne pre'teuds, bemerkt er, parier que comme un komme,
qui s'est arrete' eu cette cour par la seule necessite d'apprendre ce
que les voyageurs peuvent s9avoir sans eutrer daus le secret des
affaires. Er gi-eift bis zum Eegieruugsantritte Leopold 1. zurück; be-
tont, dass Portia nicht mehr so viel Rücksicht auf die Spanier nahm,
da er nicht durch sie emporgekommen w^ar. Dies benutzten die Fran
zosen und sandten Gremonville nach WienJ. 11 y vint dans une con-
joncture agre'able. Le Prince et les ministres ('taient egalement faibles,
les Espaguols ne dominaient plus, l'imperatrice douairiere n'etait pas
Sans quelques inte'rets ii l'egard de la France; d'ailleurs il veuait de
la part d'un maitre grand dans la i)aix et dans la guerre, ('galement
capable de (hmner de l'appui, de la terreur et le puissant gcnie ("tait
l'äme de ses miuistres au dehors du royaume comme au dedaus. 11
se servait de tous les avantages, qui donnaient de grands moyeus :i
un esprit hn et penetrant comuie le sien d'employer la politique
qu'il avait etudiee depuis 20 ans duraut parmi les Venitiens et de
reussir daus une cour allemande, dont la leuteur avait besoiii d'etre
«■veillee pur des manieres aussi pressantes i[ue la sienne.
') Vgl. iihiT ihn muh ll.'H.iy 1. c 7:5. -) CJeb. \(iM.
Ans fl. Beviclite eine« Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 167l u. Ifi72. 287
[Auf Portia folgt iils leitender Minister Lobkowitz, der den Fran-
zosen freundlicli gesinnt ist. Sein Gegner war Auersperg]. Savant et
eclaire daus la politique, de Televation et de la uettett- dans ses desseins,
de l'e'loquence ot de la gravite, bardi homnie d'entreprise et d'expe-
dition, mais süperbe, dur et inflexible, ambitieux jusqu' a 1' aveuglement,
capable de tout sacritier poiir satisfaire fette ])ussiou. II ne pouvait
soufirir de voir le prince de Lobkowitz oecuper im ])Oste, qu'il avait
rempli si lougteuips et s'y maiutenait par des intrigues et des cabales
qu'il .croyait beaucoup au-dessous du merite et de Tliabilite' qu'il
avait fait paraitre. Aussi on voyait une guerre continuelle entre ces
deux ministres etrangers sur le point de faii'e reussir des affaires pre-
judiciables au service du Prince. Mais enfiu son exil termina ces con-
testations. La cause appareute e'tait ses pre'teutions au cardinalat, il
etait devenu libre par la mort de sa femme, et clierchant un nioyen
d'acquerir un rang capable de 1' egaler au grand-niaitre, il crut que
celui du cardinalat lui donnerait tous les aA^antages qu' il pouvait sou-
liaiter pour ce desseiu. La grandeur des obstacles qu'il trouva a
l'executer l'ayant porte, a ce que Ton pre'tend, a tromper la cour et
prendre des liaisous e'trangeres, son euuemi s' en servait avec avautage
et activa de le perdre daus l'esprit de l'Empereur, qui le ha'issait
d' ailleurs a cause de son habilite et de son ambition et par le souvenir
du mepris qu'il lui avait te'moigne', lorsqu'il n' etait encore que
r archiduc . . . [Eine Gefahr für Gremonville lag iu der Heirath Leo-
polds mit der spanischen Prinzessin Margaretha Theresia; doch ver-
feindete sich der spanische Gesandte am Wiener Hofe, Mi^ de Malagou,
mit den Deutschen und konnte nichts gegen Gremonville ausrichten.
Kov. 1()70 wurde Malagou durch Balbesos ersetzt].
Teile etait la cour de Vienne. L'Empereur d'un genie toujours
i'aible, craignant les affaires, n' ayant pour tous heritiers qu' une petite
princesse; le prince de Lobkowitz le gouverna plus par adi-esse et par
cabale que par confiance, ce miuistre d' ailleurs beaucoup plus occupe
aux maneges de la cour et aux intrigues qu'aux affaires exterieures,
qui pourraient donner de la grandeur et de la reputation a son maitre,
et se trouvant dans une confiance generale avec les Espagnols et les
Fran9ais, qu'il veut toujours menager egaleraent. Le C^" Lamberg
toujours bon homme, ne se melant de rien. Le comte de Schwarzem-
berg attache aux Espagnols d' inclinatiou et d' interets, mais assez ren-
ferme dans ses fonctions auliques.
[Das war der Zustand, als die Nachricht von der Eroberung
Lothringens durch die Franzosen in Wien einlangte. Sie erregte grosses
Aufsehen und veranlasste den Lothringer den ^V^iener Hof um eine
^gg P V i b r a. m.
Unterstützung anzugehen. Den berechtigten Grund Ludwig XIV. so
vorzugeheu, glaubt der Verfasser in dem wiederholten Vertragsbruche
des Herzogs von Lothringen suchen zu müssen, wie dies Gravel in liegeus-
burg so überzeugend auseinandergesetzt habe. Der Kaiser entschloss
sich auf die Bitten des Lothringers die Vermittelung zu versuchen und
sandte den Grafen Windischgrätz nach Paris. Die Mediation des Kaisers
wurde von Ludwig XIV. in sehr höflicher aber entschiedener Weise
abgelehnt]. A dire vrai, on fit a Paris un jugement bien diffe'rent de
r opini(m qu' on en avait ä Vienue, oU il etait eu estime de gi-aud
negociateur et plus capable qu' uu autre de faii'e reussir cette aöaire a
laquelle il tut destine nonobstant sa reiigion lutherienne, qui d'ailleiirs
aurait pu empecher 1' Empereur de 1' honorer d' une commission si im-
portaute. Aussi Ton peut dii'e qu'il a de l'esprit et qu'il La Joint
ä une grande conuaissauce des langues, 1' etude des helles lettres et de
ce que peut connaitre la politique; mais on trouva en France que ses
helles qualites etaieut gätees par une vauite et par une grande opiniou
d'un merite qui ne parut en rieu; qu'il etait defiant et inquiet dans
les choses claires et oü l'on etait de bonne foi avec lui, et souvent
simple et peu eclaire dans les affaires dehcates, oh Ton pouvuit le
surprendre, et qu'eufin, si son aff'aire eut pu reussir d'elle-meme, il
eut pu la ruiuer par sa mechante conduite.
[Windischgrätz kam nach Wien zur Zeit, da die ganze grosse
Verschwörung der Ungarn ihr Ende fand, die zu schildern der Ver-
fasser versuchen willj.
Le royaume de Hongrie avec ses dependances etant passe depuis
pres de 150 ans sous la domiuation de la maison d'Autriche par le
mariage de Ferdinand P' avec Anne, soeur de Louis, dernier roi de
Hongrie, cette re'union d' Etats qui semblait devoir lier plus etroitement
les Hougrois et les Allemands sous un meme maitre produisit entre
eux un effet tont contraire. La diffe'rence de langage, des coutumes
et meme des habits, les difticulte's sur les diversites des religions aux-
quelles 1' Empereur ne peut etre favorable, y ont mis la premiere haine ;
depuis on a ote aux Hongrois la garde de leurs places pour y mettre
des garnisons allemandes, on a peu d'egard a la conservation de leurs
Privileges, et par la derniere paix qui semblait les devoir mettre en
repos, ils se sont trouves exposes aux ravages des Turcs, sans se pou-
voir defendre eux-memes, ni esperer des Protections de leurs maitres.
Les Sujets de plaiute ont laisse dans le coeur de cette nation d' ailleurs
bizarre et extravagante un foud de haine incroyable pour le gouver-
nement allemand, et qui leur fait souhaiter sans cesse d' avoir un roi de
cette nation, comme ils pretendeut que leurs privileges leur perinettcnt
Aus d. Berichte eines Franzosen üb. ct. Wiener Hof in d. J. 1671 u. 1672. 289
d'eu elire. On peut dire que c'est ce qui a doniie aux auteurs de la
derniere conspiration la contiance d'en former le dessein, auquel ils
s'engagerent de cette maniere.
Parmi la uoblesse, qni est grande et puissante en ce royaume,
])resque toute malconteiite, la maison de Serin i) teiiait un rang fort
cousiderable ])ar sou antiquite, par son attachement a la religiou
catholique et par nne reputation de valenr etablie de pere en fils dans
cette maison sur une longue suite de belles actions sur les infideles.
Le C^'' Nicolas et le C*^<^ Pierre sou frere restaient seuls de cette grande
famille et avaient herite' de leurs ancetres la haine contre les Turcs et
l'habitude de leur faire la gaerre par des courses continuelles. Le
premier n'ayant pas re'ussi dans l'entreprise de Canise -), qu'il avait
assiegee au commeucement de l'annee lOCjA'^^), et ayant jierdu son fort
lächeineut abandonue par les imperiaux, il se trouva daus une espece
de disgräce, et apre.s, la bataille de Kaab ^), la jiaix e'tant faite avec les
Turcs, on lui ordonna de se retirer dans ses terres. Comme le ])rince
de Portia n'aimait que la paix et sacrifiait tout pour l'avoir, il n'ai-
inait pas le C^** Nicolas de 8erin, comme un liomme qui avait ete' cause
en partie de celle qu'on venait de terminer et qui parlait de cette
]jaix comme d'uue paix honteuse, oii, apres des batailles gagne'es, on
laissait aux intideles tout ce qu'ils avaient ]»ri.s. 11 se retira donc en
Croatie, oü peu a})res il fut tue a la cliasse par un sanglier. C'e'tait
un liommo brave, vigilant, inquiet et ambitieux, capable de grandes
resolutions et on pretend que les chagrios qu' il avait re^us de la eour
lui avaient donne des idees, qui auraient pu causer des revolutions
considerables, si elles n'f^usseut ete etoutfnes pur sa mort, que plusieurs
out attribuee ä un assassinat premedite plutot qu' ä la rencontre d' une
b«"'te. Le C*^" Pierre son frere avait eu part k sou deplaisir, il avait
du courage comme lui et une force du geant, mais peu d'habilite et
de condnite, et neanmoins c'etait le second heros des Hongrois. Les
courses qu'il faisait continuellement sur les Turcs 1' avaient fait sub-
sister toujours avantageusement ])ar le pillage et ]3ar la vente des
prisonniers, et lui donnait moyen d'amasser trois ou quatre mille clie-
vaux hongrois, (pü vivaient de la meme maniere. Mais la paix e'tant
faite et les courses entierement defendues ])ar rEnii)ereur de peur de
donner au Türe des sujets de rupture, meme desagre'able aux yeux de
la cour, ])auvre et dans 1' imjmissance de se maintenir comme il avait
fait jusqu' alors, il demeura quelques annees dans cet etat, mais
enfin son chagriu et son im))etuosite naturelle le portereut ä se ])laindre
'j Zriny. ^) Canischa. "} In codice 1667. ■•) 1. Aug. 1664.
MiULeiluugeu XII. 19
ouvertemeut de la cour et ü lucuaccr de quelquc revolte, croyaut que,
daus la faiblesse oü etait le goiivernement, on chercherait ä l'apaiser.
Le C*'^ FraiKjois Fraugipani, son bean-frere, homme inquiet et vain,
qui avait de l'esprit et du feu mais sans jiigement, entr;i daus ses
sentiments, et tous deiix engagereut im C*'' de Tatteubach, qui u' avait
])our merite que de la qualite et du bieu. Wesseleuy i), Palatin de
Hüugrie et Fraü9ois Nadasdy -) s' etaut aussi jetes dans cette cabale,
ce dernier cousiderable ]iar ces bieus, ses alliances, ses emplois et d'uu
genie fourbe et cache.
Ils donnereut eufiu quelque forme a leur dessein et ayaut resolu
de partager eutre eux la Croatie et la Hougrie, ils offrireut au Grand-
Seigneur de faire revolter les provinces et de les teuir de lui comme
le prince de Trausylvanie, Le Tiirc leur refusa absolumeut, ils voulurent
faire des propositions a la France, qui les rejeta aussi et ils cherche-
reut enfin uu maitre qui les protegeat contre l'Empereur, qu'ils
voulaient abandonner. Pendant les uegociations ils venaient a la cour
parier tacitement, ])reseutaient des placets pur des ]irecautions extra-
vagantes et jusqu' ä 1' antichambre de TEmpereur ils meuacaieut de
se donner au IHirc. Cette iusolence ayaut fait conuaitre leurs iuten-
tions, et un domestique du C**^ de Tattenbach, pique de quelque mauvais
traitemeut de son maitre, en ayaut assez decouvert pour le faire arreter,
le comte de Serin et Fraugipani se trouverent embarrasses et, daus
l'incertitude du parti qu'ils devaient preudre pour gagner du temps,
ils envoyerent a la cour le coufesseur •'^) du C^" de Serin jiour obteuir
la liberte de venii- se justifier; ou assura que l'Empereur leur envoya
des sauf-conduits. Ils partireut sur cette croyance, fiirent arretes eu
chemin et couduits ii Vienue. II est certain qu'ils avaieut parole
positive de leur liberte, mais la raison d'e'tat l'eiuporta daus l'esprit
des miuistres sur les scrupules d'uue ])arole et les fit reteuir pour leur
faire leur proees.
Sur cette nouvelle, le prince Kakciczi, geudre du (.•'" de Seriu ^),
assembla dix ou douze mille liommes de ses sujets et eutra dans la
Haute-Hongrie, oü il a plusieurs places; et, ayaut surpris le 0*" de
Starhemberg^'), gouverueur de Tokay, il se saisit de la ville, mais il u'osa
attaquer le chäteau, et cette demarche fut uue entreprise de jeiiue homme
suivie seulemeut de gens ramas.ses, qui se dissi})ereut ä 1' instant, que
]'Emi»ereur y envoya un corps de 4000 chevaux et quelque iufanteric
') In codice .Vesseliu'. -) In codice .Madart.y*. «) P. FoiHtall ;
vgl. A. VVoir Lubkowitz 268 I'. ■*) Kr heiratliete Helene Zriny, die sich in
zweiter Ehe mii Emevich Tfiküly veiiiiäliK«'. •'•) in codice .Nuieiuberg'.
Ans rl. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1 671 n. 1 072. 99 \
soiis le ge'jieral 8i)orck, qui ue trouva aucuue resistance, s'empara des
places du prince Kuk()czi, y mit garuison et se fit rendre par la veuve
du Palatin Wesselleui sur une simple soraraation le cliateau imprenable
de Muran}^ dans lequel ou trouva tous les memoires originaux, les
lettres, les i)rojets et les traite's des conjure's, qui ont servi depuis de
convictiou dans le proces, et qui, ])our lors, firent connaitre que le C^'^
Nadasdy etait de la coujuration et peut-etre le plus coupable. II
demeurait cependant ä quatre Heues de Vienne dans son chäteau de
Pottendorf, sans s'etonuer de voir les autres conjures prisonniers, et
avee la meme assurance que s'il eüt ete innocent, de sorte qu'on eut
toute la commodite de l'y arreter au mois d'octobre ') de l'annee 1070
et de le conduire k Vienne, oü son proces lui fut f'ait jusqu' au der-
nier jour d'avril 1071, qu'il eut la tete coupee dans la salle de la
maison de ville, apres avoir ete degrade de noblesse. Les eomtes de
Serin et Frangipani furent executes le meme jour et ä la meme heure
dans la place pulilique de Neustadt a huit lieues de Vienne.
Kien n' etait plus CüU])able que leur conjuration, pt cependant
rEin]iereur leur aurait pardonne, s'il n'eut ete soutenu par ses uiinistres,
(pii lui iireut voir de quelle consequence etait leur |)unition '^). Le prince
Käkoczi s'etant retire en Transylvanie en fut quitte i)Our deux ceut
mille ecus et des garnisons dans ses ])laces et le comte de Tattenbacli
r«^servH a perdre la tete se])t ou huit mois apres dans la ville de Graz
en Styrie. Cette grande executiou acheva d'aigrir les Hongrois et de
mettre dans le coeur de cette nation farouche et infidele toute la baine
possible (outre rEm))erenr et le gouvernement et toute la disposition
ii la revolte et cherclier tous les moyens de se venger en se soumettant
a la puissance etrangere.
(Nach der Beendigung dieser Verschwörung trat Euhe am Hofe
des Kaisers ein, die nur unterbrochen wurde durch die von dem Für-
sten von Lobkowitz dem französischen Gesandten Gre'monville angethaue
Beleidigung, für die er, auf das ausdrückliche Verlangen Taidwig XIV.
hin, Genugtlinuug leistete) ■^).
') Er wurde am 3. fcJept. uacli Wien gebracht; vgl. VVoll", Lobkowitz 298.
'-') Vgl. tlie bezeichnenden Aussprüche Leopokls bei Mailath ,Ung. Gesch. IV,
96 f. und Heigel ,Neue Beiträge zur Characteristik Kaiser JiCopold 1.' Sitzungs-
ber. der bair. Akad. der Wif;s. 189(>. Bd. II, Heft V, 140. Jch habe es nitt gern
(getan), allein ne Hungari possent credi, (lernianis oiunia condonari, illos solnni,
. . . und damitt auch die Krblanden ein Exempcl haben, hab ichs mue-ssen ge-
schehen lassen. (Jott aeye seiner Seel gnädig.' •') Da diese Angelegenheit
wiederholt austührlich erörtert worden ist, wiu'de von der IVlittheilung abgesehen.
Vgl. Woll Lobkowitz 378 f., Migaet 1. c. ül, 5()S ff.
292 P r i 1) r ä ni. '
Les ministres etraugers cousiderables qui se sont trouves ä
la cour imperiale pendaut ce temi)s, dont je u'ai pas eu occasion de
parier particiilierement, ont ete Monsignor Pignatelli, iionce de Sa
Saintete, bon homme, aimant la bonne obere, entendant medioerement
les alFaires de son maitre et poiut du tout les sienues propres, et cpü,
apres de longs emplois, oü il avait consomme sa vie et son bieii, n' a
eu pour toute recompense au Heu du Cardinalat qu' uu eveche de tres
petit revenu. Monsignor Nerli qui vint apres lui en qualite d'extra-
ordinaire jusqu' ä ce qne 1' ordiuaire füt arrive, sortait de la noueiature
de Pologne, et attendant des ordres pour passer en France, oü nean-
moins il n'alla point lors par raison de quelque degout entre cette
cour et Celle deRouie, etait arcbeveque de Floreuce, age d"environ40aus;
il avait de la capacite et de l'es])rit, mais Cache sous un air defiant
et embarrasse et des manieres difficultueuses. Monsieur Albizzi, vieux
prelat Calabrais de 64 ans, avait ]dus d'ouverture et ne manquait ])as
de merite.
Marino Giorgi i), ambassadeur de la republique de Venise finit son
emploi au mois d'aoüt 1671. C etait un liorame savant et eloquent,
fort applique ä son emploi, du reste les mauieres et la figure d'un
veritable docteur, et jamais il ne fut de ces liommes plus diiferents,
que lui et le cbevalier Morosini, qui lui sueceda, grand et de bonne
mine, de la capacite dans les affaires, de la galanterie pour le monde,
le coeui' et les manieres d'un vrai bounete horame ; la reputation qu'il
s' etait acquise dans son ambassade de France, les marques d'estime
et d'affection qu'il avait recues du roi, et la recounaissauce qu'il eu
faisait paraitre ne lui furent pas avantageuses en cette cour, oii on le
regarda d'abord comnie un homme tout fran^ais et dont le merite
meme donnait du ehagrin a bien des gens qui se trouvaioit en ce point
beaucoup au-dessus d'eux.
Les nonces et les ambassadeurs qui soiit a la cour de Vienne sont
ol)liges par une bienseance, passee en coutume, d' assister a la chapelle
toutes les f'ois que l'Empereur la tient, ce qui arrive fort souvent; de
la ils accompagneiit Sa Majeste au diner et d'abord qu'il a bu la
premiere fois ils se retirent. Les courtisans ne sont moins ponctuels
a s'en aller, et il arrive d' ordiuaire qu'ä la moitie du repas, il lie
reste aupres du prince que peu de personnes, que leurs cli arges obli-
gent de le servir. C'est l'heure oii tout le monde fait sa cour, que
de gens se trouvent au souper et personue au l<'ver ui coucher, hors
les officiers necessaires.
') hl coilice i Maria Torcy*.
Aus d. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hofin d. J. Ib71 u. 1672. 203
Chez r imperatrice douairiere on va au diuer et au souper, et il
se trouve des daraes qui out passe une partie de 1' apres-diner avec
Sa Majeste. Durant qu'elle mange, on cause avec liberte et eile parle
familierement aux personnes qui sont autour d'elle. II va |ieu de
dame et rarement chez 1' impe'ratrice regnante, qui est presque toujours
enfermee avec les Espagnols.
Les personnes de qualite ä Vienue sont tous comtes ou
barons, sans ce titre ou fait bien peu d'estime d'un gentilhomme.
Mais, quoique les comtes d'Autriche soient beaucoup entetes de leur
noblesse, en laquelle ils fönt presque consister tout le merite, il y a
neanmoins ä Vienne bien des comtes et des barons nouveaux, par la
grande facilite qu' out eue les Empereurs a donner ce titre ä des per-
sonnes qui se sont elevees dans les finances ou dans les chancelleries.
Ceux de cette famille qui sont riches e])ousent souvent des filles des
ancienues maisons, Mais il est assez rare de voir des hommes de la
vieille noblesse se raesallier, de peur de perdre l'avantage de mettre
leurs enfans daus les chapitres oh on prend les electeurs ecclesiastiques
et les eveques princes. Cependant il y a grande difference entre un
comte de 1' Empire et un comte d'Autriche; ces derniers etant sujets
de r Empereur, duquel ils relevent comme archiduc et seigneur de ces
pays hereditaires , au Heu que les autres ne le reconnaissent que
comme chef de 1' Empire, dout ils sout membres souverains dans leurs
comtes et baronnies, et ayant seance et voix aux dietes. Tous les Che-
valiers ont un soin particulier dans leur jeunesse de voyager, de faire
leurs exercices dans les pays etrangers, d' en apprendre les langues, et
.1 est rare d' en trouver un, qui outre la maternelle ne parle encore la
latine, la fran^aise, 1' italienne et quelquefois 1' espagnole, mais apres de si
beaux commencements la plupart ne s'appliquent a rien dans la suite
et menent une vie fort inutile.
Peu d' entre eux sont a la guerre, et si 1' on en voit quelques uns
dans r emploi, ce sont des jeunes gens, qui depuis que la guerre dura
ont pris des compagnies pour subsister. Le reste des officiers de
r armee sont la ])lupart etrangers ou soldats de fortune. La negligence
des AUemands donnc moyen a beaucoup d' Italiens de venir chercher
de r emploi dans les troupes de 1' Empereur; comme ils sont industri-
eux et naturellement ajipliques a leur fortune ils y entrent facilement
par la faveur de 1' imperatrice douairiere, du comte de Montecuccoli et
de r ambassadeur d'Espagne, et on peut dire quo cette nation fait
une partie considerable dans cette cour.
La vie des courtisans de Vienne est fort peu occupee. Ils vont
le matin a l'eglise servir les dames, car c'est le temps dont ils se
20
P c i li 1 ii in.
servent, k midi voir diiier TEmpereur et le soir a la couversatioii on
antreraent la com])agnie. II faut s(;avoir qu'a la coiir de Vienne im
cavalier n'a point la liberte' d' aller voir une dame en particulier, que
hors la visite de ceremonie, l'usage ne permet i)as qu'une femme seule
re^^oive las visites d'im homme seiil. Cette coutume ötant la liberte'
necessaire dans le commerce de la vie et dans celui que T incliuation
peut e'tablir entre les cavaliers et les dames, quelques unes de ces
dernieres ont trouve moyen d'introduire cliez elles tour a tour une
couversatiou depuis 6 ou 7 heures du soir jusqu' ä 0 ou 10. Ceux
(|ui aiment les jeux y trouvent compaguie ])0ur jouer et les galans
rencoutrent leurs maitresses et ont la commodite de les entretenir
avec la liberte que la tendresse peut i)roduire entre deux personnes
qni ne s" embarrassent point trop de la presence des autres. . . .
L' impe'ratrice douairiere passe tout l'ete en sa maison des Favo-
rites dans le Faubourg d'Italie, et comme eile vit fort librement, les
dames et les cavaliers lui vont faire leur cour 1' apres-diner, et trouvent
dans r agrement de la promenade et des allees couvertes de son jardiu
ia commodite' de se voir. L' hiver donue d' autres plaisirs et les „ Wirth-
schaften" sont les plus grands divertissements du carueval. Ce sont
de gi-auds repas suivis d' un bal oii on est prie de venir masqiie, mais
de maniere qu' on se demasque en entrant. La troupe des masques va
d'ordinaire au palais se montrer ä Leurs Majestes avant que d' aller ä
l'assemble'e, oü l'on ne danse ])as plus regulierement qu'aux noces
de village. Quand il a neige, on a le plaisir dos traineaux oii les
dames magnifiquement parees ont le cbevalier derriere, qui tient les
renes du cbeval tout couvei*t de ])lumes et de sonuettes et les conduit
par la ville au gi'and trot a la clarte des flambeaux. ü'ailleurs il
n'y a a Vienne aucun ])laisir public que la comedie allemande, qui se
represente de temps en temi)s et qui est si detestable, au dire meine
des Allemands, que Ton n'y va que \Mmr trouver corapagnie et n'y
point entendre ce qui s'y rejjre'sente. Je ne dirai rieu des maisons
de camimgne de l'Empereur a Kbersdorf, ä une lieue de Vienne et
Laxeuibourg, a 4 Heues, (elles) ne sont guere plus belies que mediocres.
Ce prince u' afi'eete la maguificence des biUiments, ui ä sa table ou dans
le nombre, ou les livrees de ses gardes ou ses domestiques.
II doune meme les audienees soit ou aux ambassadeurs ou aux
l^ersonnes moindres d'une maniere qui a peu de gi-andeur et de
raajeste. Le grand cliambellan, ä qui on s'adresse pour l'obtenir vons
ayant averti de l'heure de l'audience s'y trouve et vous conduit jusqu'a
la porte de la chambre, oü il n" entre point. de sorte que l'on de-
meure seul tete-a-tete avec le prince, duquel on a toutes les audienees
Aus il. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in 1I..T. I(i7l u. 1672. 21^5
tete-a-tete. L' Emjiereiir a une belle ecurie, im tresor plein de raretes
et de clioses precieuses et grand uombre de ]iemtures de prix. Les
reveuus ne i>assent pas 13 ou 14 millions de livres de France, et il
est difficile qu'il les ])uisse augmenter, parce que les ])rovinces qui
en payent la plus grande ])artie ayant toujours maiutenu leurs Privi-
leges, ont droit de regier chaque annee ce qu'ils doiveut donuer ä
Leurs Majestes. Les droits d'entree et de sortie et les impositions sur
les marchandises produisent peu, f'aute de commerce, qui ne peut etre
que tres-mediocre dans un pays eloigne de la mer, dout les hahitans
sont Sans Industries, ue fönt aucuues manufactures pour euvoyer aux
etrangers et ne travaillent qu'autaut qu'ils sont obliges pour avoir
preeisement de quoi vivre. D'ailleurs les revenus de l'Empereur sont
assez mal administres.
Les surintendaus des finances ne rendent jamais de compte,
plusieurs droits sont alienes pour peu de chose, et il ne revient dans
les coffres du prince qu'une petite partie de ce qui se leve; le reste
demeurant entre les mains d'un g-rand uombre d'officiers charges
d'en faire le recouvrement. Le pays en sei est abondant en tout ce
qui est necessaire ä la vie, comme je Tai dejä dit. Le ]>euple n'est
point laborieux et la Situation n'est point favorable pour le com-
merce, de Sorte qu'il faut que tout se consume dans le pays meme.
Quand je parle des pays de rEm]iereur je ne com])rends que
ceux qui sont liereditaires , car dans rEm])ire il ne possede que
l'autorite de clief et rien en propre. II faut qu'il soutienne sa dignite
par les revenus particuliers de sa maison. L'entretien de l'armee est
une des plus gi-audes de])enses; en l'anuee 1671, qu'il etait en paix,
eile etait coui])osee d'environ 30000 liommes, consistant en 12 regi-
ments de cavalerie et d' Infanterie et un de dragons. An commence-
ment de l'anuee 1672 on fit de grandes revues daus 1' Infanterie et
des augmentations dans la cavalerie jusqu' a 40000 hommes. Dans
la siiite de la meme anuee, on leva un regiment d' Infanterie, un de
dragons et iiu de cavalerie, de soi*te que le tout montait ä 45000
hommes. ('es troupes sont re])audues dans les ])ays liereditaires et
ont leurs quartiers dans les provinces, qui sont chargees de leurs
payements, dont les officiers memes sont obliges de faire le recouvre-
ment, sur quoi je ne puis m'em]>echer de faire reflexion sur ce qu'on
dit d'ordinaire en Allemagne que l'Empereur fait subsister ses trou-
pes avec plus de faeilite et moins de depense qu'aucuus autres princes
allemands, s'imaginant qu'il ue donne pas l'argent lui-meme et que
les troupes le prennent sur le pays; au lieu que cette sorte d'eta-
blissement ruine davantage les ])rovinces, en ce qu'il donne lieu aux
2\)C) F r i li r a in.
officiers de faire des concussious et de tirer outre le payeruent leurs
subsistances et leurs equipages, outre que les soldats separes dans
les villages sans faire de fonctions et d' excercices, se perdent dans
r oisivete et redevienuent paysans, ce qui se pourrait eviter, si 1' Ein-
pereur touchaut lui-rneme l'argent des provinces pour eu payer ses
troupes, les renferraait dans des garnisons, oü 11 pourrait leur faire
garder une discipliue exacte. Le service de 1' Empereur est en reputation
non-seulement par la raison de la haute paye, mais aussi par la grande
autorite' qu'ont les colonels; ils sont souverains dans leurs regiments
et disposent absolument de toutes les charges, L' Empereur meme ne
les peut remplir et ne peut employer que sa recommandation aupres
du colonel, qui y defere conime il lui plait. Ce grand pouvoir est
accompagne d'uue grande utilite considerable, car outre la paye qui
est fort haute, la plupart des colonels se fönt donner de l'argent
par leur regimeut en forme de present, le jour d'etrennes, et quand
ils fönt quelques voyages ä la cour, il y en a peu qui regoivent des
capitaines ou des subalternes sans quelque argent.
Les emplois s'y achetent, et cet ancien ordre, qui faisait raouter
les officiers selon leur raug est fort souvent interrompu, ce qui s'est
introduit depuis la paix par l'avance de plusieurs colonels. soldats de
fortune, que l'interet et l'envie de gagner menerent ä la guerre plu-
töt que l'honneur et l'ambition.
Cependant les troupes de 1' Empereur, et, quoique la reforme de
1668 ait ote une partie des vieux soldats, qui n'out depuis ete
remplaces que ]iar de nouvelles levees, les vieux corps sont neau-
moins toujours en bon etat. Deux defauts en peuvent diminuer
la bonte, un que les corps etant trop grands, trop nombreux
ue sont pas remplis d'assez officiers, car dans l'infanterie les com-
pagnies sont de 250 hommes, et Tautre, que le me'rite des officiers
ue repond uullement a la boute des soldats. L' Empereur a des ])ays
assez etendus ])our faire subsister beaucoup de troupes, mais je ue
crois pas qu'il en ])uisse lever seulemeut au delä de ce que j'ai
remarqii<5 qu'il a sur pied, ;i moins t(u'il ne re^oive de 1' argent etran-
ger. Lorsqu'il fait la guerre du cöte du lihiu ou vers le noi'd il a
la commodite de preudre des quartiers d' hiver dans 1' Empire; nuiis
dans la guerre avec les Turcs il n' en peut ])reudre que sur ses propres
Etats, qui sout la frontiere d'AUemagne de ce cöte-la i).
') Herrn Prof. A. Founiipr, der die (Jiite hatte, mir seine vor Jahren angefer-
tigte Abschrift dieses Memoires zur C'oUationiimg zur Verfügung zu stellen,
spreche ich hiemit meinen besten Dank aus.
Kleine Mittlieilungen.
Die splirauistisclie Sammluiijr des A. H. Kaiserhauses. Die
nachfolgenden Zeilen sollen dazu dienen , die Aufmerksamkeit der
Fachkreise auf diese quantitativ wie qualitativ bedeutende Sammlung
hinzulenken, welche eine Abtheilung der MünÄ- und Antiken Sammlung
des kunsthistorischen Hofmuseums bildet und erst jetzt, in ihrer zum
grösseren Theil beendeten Aufstellung, der wissenschaftlichen Benützung
vollkommen zugänglich ist.
Selten dürfte eine her\orragende Collection in zufälligerer Weise,
ohne dass man systematisch für sie gesammelt hätte, zusammen ge-
kommen sein. Ihren Grundstock bildet die Dietz'sche Sammlung,
welche von dem grossherzoglich mecklenburgischen Hofrath Dr. Dietz
in Wetzlar im Jahre 1842 an weil. Kaiser Ferdinand 1. geschenkt
wurde. Diesem , der bekanntlich selbst ein eifriger Liebhaber und
Sammler von Siegeln war, verdankt die Sammlung neben der von ihm
augelegten heraldisch-genealogischen Siegelcollection der österreichi-
schen Kronländer, allem Anschein nach die wertvollen mittelalterlichen
Typare, welche wohl in Italien zusammengebracht wurden. Die Bullen
waren früher in den beiden numismatischen Abtheilungeu zerstreut,
und wurden erst bei der Errichtung der sphragistischen Abtheilung dieser
überwiesen.
Eine Uebersicht des Gesammtbestandes und der derzeit getroffenen
Eintheilung der Sammlung dürfte nicht unwillkommen sein:
J. Abtheilung: Typ ar Sammlung
A. Typare des Mittelalters und der neueren Zeit . . 4H Stück
B. Moderne Typare des XIX. Jahrhunderts . . . 7(t «
118 Stück
208
Kleiiip ]Mif(1if>il\ingrn.
AMheilung : I> u 1 1 e n s am in 1 u n «j:
A, Golflbullen (mit dem Sillterabguss dar Jjulle .Maxi-
milians L) ...... .
15. Venezianische SilLerbullen . . . . .
C. BleiV)ullen
1. Byzantinische
2. Longobai'clische
3. Venezianische
4. Päpstliche
.5. Geistlicher Corporatiuiien
'.i Stück
76
»
5
»
17
»
52
»
3
»
153
Stück
297 Stück
zumeist Lack- und Papier-
5253 Stück
10 Stück
170
III. Abtheilung: Original -Wach s Siegel (grösseren For
mats) ........
IV. Abtheilung: Dietz'sche Sammlung,
Siegel, Abdrücke aus Originaltyparen etc., eingeklel)t in Eahmen-
bänden 21.327 Stück
V. Abtheilung: Siegelsamml ung weiland Kaiser
Ferdinands I.
VI. Abtheilung: Sammlung vun Abgüssen
A. Bronzeabschläge aus der Neumann'schen Samm-
lung etc. ........
B. Galvanoplastische Copien der deutschen Kaisersiegel
(Sammlung Roemer-Bü ebner) .
C. Gipsabgüsse der Siegel aus dem Wiener Stadtarchiv
(Sammlung Franzenshuld) . . . ca. 600 >
ca. 7 so Stück.
Tni rianzeu enthält also die Sammlung 118 Typare alter und
neuer Zeit, 2(i.7()0 Stück Originalsiegel (einschliesslich der Bullen) und
an 800 Abgüsse, darunter ISO Metallabschläge.
Das Hauptstück der Typarsamralung ist ein Siegelstempel
König Kudolfs I., das älteste jetzt bekannte Stück dieser Art —
als solches galt bisher ein in Frankfurt gefundenes l'ypar Sigismunds
— und ein Unicum, nicht nur an und für sich, sondern aucli durch
die seltsame Geschichte seiner Auffindung, suAvie durch eine technische
Besonderheit. Der Stempel ist aus Messing, von ausgezeichneter Er-
haltung, ungefähr {] cm dick und hat eine geöhrte Handhabe; die
Siegelfläche misst im Durchmesser <)"5 cm. Sie zeigt den König mit
Krone, Scepter und Reichsapfel auf dem romanischen Thronsessel
sitzend; die Legende lautet : -j- : R\l)OLFUS : DEI : GRACIA :
ROMANORVM : REX : SEMPER : AVGVSTVS : Die Arbeit
ist eine vorzügliche und völlig zeitgemässe; sie schliesst schon dadurch,
wie durch die genaue Uebereinstimmung mit den erhaltenen AVachs-
siegeln Rudolfs den Gedanken an eine Fälschung aus, abgesehen von
andern Gründen. Sehr merkwürdig ist ein Versehen des Stempel-
schneiders: er hat den linken Arm mit dem Reichsapfel ursprünglich
T»ic splirHrjJKf isclio Sninnilimp <l<'s A. 11. KHisprhniisep. 20V<
/,u tii'f geseukt, dauu die missratliene Stelle mit einem (jetzt wieder
ausgefalleneu) Metallstttck ausgefüllt und verklopft und den Arm höher
hinauf nochmals geschnitten. Das Typar wurde 1815 in einer Mauer
des Palazzo Pindemonti zu Verona gefunden, 1857 Sr. Majestät dem
Kaiser von dem veronesischen Architekten Monga mit einer hand-
schriftlichen „ Esposizione " überreicht, und kam noch im selben Jahre
in das k. k. Münz- und Antikencabinet. Alle weiteren Erörterungen
und Untersuchungen, ferner der Abdruck des Fundberichtes über dies
einzig dastehende Stück, sowie alle ausführlicheren Berichte über die
im Folgenden noch erwähnten seltenen Objecte, müssen der bevor-
stehenden Publication derselben im Jahrbuche der Kunstsammlungen
des A. H. Kaiserhauses vorbehalten bleiben.
ünt^^r den Typaren geistlicher Personen und Corporationen ist
wiederum ein Unicum, ein Bullen- (Namens-) Stempel Clemens ITI.
(1188 — 1191) zu erwähnen. Derselbe ist ein massiver, nach oben
etwas eingeschnürter Cylinder aus stark patinirtera Kupfer. Seine
Höhe beträgt 5'5 cm, der Durchmesser ;V5 cm. Die Stempelfläche
zeigt die Legende :
C L E
MENS
PP. III
Es ist also, wie schon bemerkt nur der Namensstempel; er ist
um so merkwürdiger, als sich kein anderer Namensstempel eines Pap-
stes erhalten hat und es wenigstens in nicht viel späterer Zeit vorge-
schrieljen war, den Namensstempel eines verstorbenen Papstes zu
zerbrechen (Diekamp in Mittheiluugen des Instituts f. öst. G.-F. 4, 531).
Die Echtheit des Stückes, das au sich überhaupt kein Zeichen einer
Fälschung trägt, wird durch die in den Sammlungen des Instituts für
(isterreichische Geschichtsforschung aufbewahrte Originalbulle Cle-
mens III. bestätigt.
Von sehr schöner Arbeit ist ein spit/ovales italienisches Karthäuser-
siegel des 14. Jahrb., die Madonna unter einem Baldachin in reichster
Treceutogothik zeigend (S. beate raarie montis dei ordinis cai'thusien-
siura in gothischer Minuskel). Ferner gehören hieher Siegelstempel
verschiedener italienischer Aebte, Presbyter und Kanoniker aus dem
'[?}. — 15. Jahrh. Dem 17. — 18. Jahrh. entstammen dann die Typare
der Augustinerinnen in der Himmelpfortgasse zu Wien, des'Prämon-
stratenserstiftes Pernegg bei Eggenburg in Niederösterreich (Propst
Nicolaus) und wahrscheinlich das ikonographisch nicht uninteressante
des Klosters Fenek bei Semlin mit glagolitischer Legende und der
300 Kleine Mittheilnngen.
Darstellung des h. Proscovius in byzantinischem Typus, die letzteren
drei iu Silber gearbeitet.
Aus der Eeihe der Typare, welche öffentlichen Curporationen an-
gehören, hebe ich das Stadtsiegel von Forli (rund, 5'5 cm im Durch-
messer, aus dem 14. Jahrh.), den h. Mercurialis mit der Legende:
Protegit hie populum Livienssem Mercurialis und das Typar der philo-
sophischen Facultät der Universität Wien (aus dem 15. Jahrh.) hervor.
Das letztere, ein massiver achtseitig prismatischer Stempelstock aus
Eisen, 11 cm lang, 2*5 cm breit, am obern Ende durch Hammer-
schläge auseinandergequetscht, zeigt im Siegelbild die h. Katharina unter
einem spätgothischen Baldachin, mit der Umschrift: FACVLTAS f PHÄ.
!Nicht uninteressant ist auch der Siegelstempel der cisalpinischen Re-
publik, die Darstellung der Freiheitsgöttin mit phrygischer Mütze
tragend.
Unter den adeligen Siegeln hebe ich, als durch Schönheit der
Arbeit besonders ausgezeichnet, dasjenige des Truchsessen von Oester-
reich, Pilgrim von Puchhaim, aus dem 14. Jahrh. hervor. Das Siegel-
bild weist einen jugendlichen barhäuptigen Reiter iu losem Gewände, in
der Rechten eine Schüssel mit darauf liegendem Fisch, auf sprengendem
Rosse, dessen Schabracke das Geschlechtswappen, einen Bindenschild
trägt ; ferner das gleichzeitige Siegel des Pfalzgrafen Michael von Lomello,
einen völlig gerüsteten Reiter zeigend.
Merkwürdig sind noch drei italienische Bürgersiegel des 15. Jahrh.:
eines Notars (Siegelbild: Rose), eines römischen Arztes (Stier, darunter
ein Fisch) und eines Ludimagisters (der Lehrer mit Ruthe auf dem
Katheder, vor ihm eine kleine knieende Figur). Als Curiosa seien
schliesslich noch erwähnt das silberne Typar des Johann Stefan Kan-
takuzenos, Woiwoden der Ugrowalachei, von 1714 mit schön gra-
viertem Griff (interessant durch die Mischung von byzantinischen mit
Barockfonneu), ferner eine kal »balistische oder alchymistische Siegel-
platte mit der Darstellung der drei Erzengel und astrologischer
Symbole.
Die Sammlung moderner lypare, welche zum grossen Theil erst
vor Kurzem an das Museuni überwiesen worden sind, enthält Siegel-
Stempel (z. Th. in kostbarem Material, Bergkrystall, Rauchtopas etc.
geschnitten) von Mitgliedern des A. H. Kaiserhauses aus der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts. Besonders ausgezeichnet ist darunter das
grosse, 7*5 cm im Durchmesser haltende, silberne Typar Ferdinands L
als österreichischen Kronprinzen.
Unter den byzantinischen Bullen befinden sich viele historisch
und ikonographisch interessante, darunter einige Inedita. Ferner
Die sphragistische Sammlung des A. H. Kaiserhauses ßQJ^
gehört hieher die Goldbulle des letzten bj'zantinischen Kaisers Kon-
stantin XIII. Paläologos, wahrscheinlich aus einem älteren Stück über-
prägt. Sie ist von Kenner im Jahrbuche der Kunsthistorischen
Sammlungen (Bd. 11 [1880], S. 98) publiciert und besprochen worden.
Unter den langobardischen Ballen ist wohl am interessantesten jene
des auch kunstgeschichtlich bekaunten Herzogs Pemmo von Friaul.
Die zweite Goldbulle der Sammlung ist ein vorzüglich erhaltenes
Exemplar einer Bulle Karls IV. Unser Exemplar wiegt 41*.^ gr.
(^^ einem Goldgewicht von 12 Ducaten), also doppelt soviel als jenes,
das Lindner untersuchen Hess (vgl. Bres.slau, Urkundenlehre I, 932).
Vorder- und Eückseite, welche ineinander gepasst sind, lassen sich
auseinandernehmen. Im Innern zeigt sich eine gleichfalls goldene Oese
zur Aufnahme der Schnur. — Eine Goldbulle M a x i m i 1 i a u s I. ist nur
in einem alten, wahrscheinlich aus der Zeit des Heraeus rührenden
Silberaljguss vorhanden (in der Medaillensammlung befindet sich ausser-
dem ein Bronzeabschlag). Sie ist datiert (1518) und von sehr schöner
Arbeit; ihr Verfertiger ist der Stempelschneider und Münzmeister zu
Hall: Ulrich Urseuthaler.
Die päpstlichen Bullen weisen eine im Grossen und Ganzen
eoutinuirliche Reihenfolge vom 12. bis ins 18. Jahrhundert auf. Ausser-
halb dieser Reihe steht das Hauptstück, eine Bulle Stephans V. (885 —
891). Sie misst 3 cm im Durchmesser, ist ziemlich nachlässig geprägt
und trägt auf der Aversseite in einem Perlenrande die Legende:
S T E
P H A
W I
welche sich auf dem Revers fortsetzt:
t
P A
P A E
(vgl. die allerdings nicht genaue Reproductiou in Pflugk-Harttuugs Speci-
mina III, Eig. 2 u. 3). Ferner sind folgende Päpste vertreten : Victor IV.
(Gegenpapst Innocenz IL), Lucius III., Coelestin III., Honorius III.
(2 St.), Innocenz IV. (3), Alexander IV. (2), ürban IV., Honorius IV.,
Nicolaus IV., Benedict XL, Johann XXIL, Bonifaz IX. (2), Benedict XIIL,
Paul II. (3), Sixtiis IV., Innocenz VIII., Alexander VI., Julius IL,
Leo X. (5), Clemens VII. (2), Paul III., Julius III., Pius V., Gregor XIIL,
Sixtus V., Clemens VIIL, Urban VIIL, Innocenz X. (2), Alexander VIL,
Clemens IX., Clemens X., Innocenz XL, Alexander VIIL, Clemens XL,
Innocenz XIIL, Clemens XII., Clemens XIV. (f 1774).
p,()2 Klfiiio MiülieilniiirrMi.
A' ou soustigeu Bleisiegelu geistlicher Corporatioueu seieu die Bulle
des Hospitaliterhauses zu Jerusalem aus dem 14. und die spitzovale
der Canouie vou Foliguo mit reicher Darstellung aus dem 15. Jahrh.
hervorgehoben ; dann der Silberabguss einer Bulle des Baseler (Joncils.
Die lieihe der venezianischen Piombi beginnt mit dem Dogen
Kaniero Zeno (1252—1268) und reicht bis Zoan Pisauro (1658 — 1059).
Eine besondere Seltenheit der Sammlung bilden die venezianischen
Silberbullen, sämmtiche Dogen aus dem letzten Drittel des 16.
und dem Anfange des 17. Jahrh. angehörig, Sie wurden 1848 mit
Münzen der Republik von dem venezianischen Grafen Zonza um den
niedrigen Gesammtpreis von 84 fl. 0. M. erworben. Die einzelnen
Stücke halten durchschnittlich 3 cm im Durchmesser, sind theils
massiv, theils gefüttert und haben auf der Aversseite die Darstellung
des h. Marcus den Dogen segnend, auf der Reversseite dagegen die
Namensbezeichnung des Letzteren. Die Verwendung von SilberbuUeu
im Abendlaude war, soviel ich weiss, bisher nicht bekannt (vgl. Bress-
lau, Urkundenlehre 1, 931); in Byzanz kommen solche oder vielmehr
mit einem dünnen Silberplättchen (das die Zeit meist bis auf Avenige
Reste zerstört hat) bedeckte Bleibullcn ') vor (Sclilumberger, Sigilhi-
graphie de T Empire bj^zantin p. 9), freilich gehören auch sie zu den
al lercrrössten Seltenheiten.
Lluter den Wachssiegeln grösseren Formats hebe ich zunächst
hervor: 1. Das Thronsiegel der Imagina, Gemahlin König Adolfs vou
Nassau, 2. dgl. Ludwigs des Baiern, 3. Reitersiegel des Luxemburgers
Johann, Königs von Böhmen, 4. Reitersiegel des Grafen Engelbert
von der Mark 1354, noch au der Urkunde hängend, 5. Herzog Mag-
nus [. von fJraunschweig, 14. Jahrb., (>. Wenzel I. als deutscher König,
7. Hofgerichtssiegel K. Sigismunds, 8. Nürnberger Bnrggrafeusiegel
von 1470, 9. und 10. Siegel des Lodovico Maria Sforza (1451—1.500)
und des Maximilian Sforza (1512 — 1515) vou Mailand in gravierten
Messingkapseln. Ferner zahlreiche Originalsiegel grössteu Formats vun
Kaisern und regierenden Fürsteu des 16. — IH. Jahrh.
Unter den geistlicheu Siegeln seien erwähnt: Herchtesgadeii (1499),
St. Blasien iui Schwarzwald (13. und 15. Jahrh.), Buchau (1536),
Cambray (14. Jahrh.), Bisthum Chur (1526), Bisthum Dorpat (1550),
Fulda (15. Jahrh.), Gladbach (1564), Bisthum Münster (1524), Erz-
bisthum Mainz (darunter ein Siegel des Erzbischofs Heinrich 1277 — 1296),
St. Maximiu bei Trier (14. Jahrb.), Bisthum Naumburg (15 Jahrb.),
') Eine Ausnahme bildet die schrme, ans zwei Kliittchen gediegenen 8ilbev-
Idt'chs bestehende liidle an einer Irkiindo dt>s Miclcipl DnkuH (I'JHI) fiir Hagns:i
im k. II. k. Hof und ^la;its;iii Imn .
I)i(' s))lira£fisfischo »SaminluiifT des A. Tl. Kaisorhanses. oOo
Oesei (Kapitelsk'gel), rrüiu (14. Jalirh.), JUsthum Ratzeburg (1501),
Erzbisthuiu lliga (IG. .lahrh.\ Recauati (schönes Renaissaneesiegel des
15. Jahrh. dem Cardiualpresbyter Hierouymus angehörig), Bisthum
Speier (155(')), Erzbisthnin Trier (Erzbisrhof Bruno 1105 — 1124, Diet-
rich 1212, Balduiu und Rabau 14. Jahrh., Otto 15. Jahrb.), Wein-
garten (15. Jahrb.), Bisthum Würzburg (1495).
Von Städtesiegeln besitzt die Sammhing Stücke von: Augsburo-,
Cambray, Cassel, Chemnitz (13. Jahrh.), Coblenz (13. Jahrb.), Colmar,
Constanz , Danzig , Esshngen , Friedberg , Gelnhausen , Hildesheim
(14. Jahrb.), Kautbeuern, Kempten, Metz, Rottweil (Hofgerichtssiegel),
Strassburg, Speier, Trier (das gTÖsste, 12'5 cm im Durchmesser
haltende Stück, mit der Darstellung der Stadtheiligen und der Le-
gende der Rückseite: Annis Trecentis Detritum Ref'ormabatur 1537),
Verdun, Wetzlar (13. und 14. Jahrb.), Zürich (sehr alterthümlich),
Zwickau u. a. m.
Endlich seien auch die beiden sehr interessanten Universitäts-
siegel von Heidelberg und Marburg in Hessen (das letztere von 1527),
dann das kaiserliche Gerichtssiegel von Frankfurt a. M. aus dem
15. Jahrb., und das Landgerichtssiegel von Schwaben (von 155(')j,
erwähnt.
Den grössteu Bestand weist die Dietz'sche Sammlung auf,
welche im Jahre 1846 dem Münz- und Antiken cabinet ülierwieseu
wurde. Sie ist alphabetisch geordnet, zur Orientirung dient ein ge-
nauer handschriftlicher Katalog mit drei Nachträgen. Besonders reich
ist diese Abtheilung an Wappensiegeln deutscher Adelsgeschlechter;
kaum minder zahlreich sind aber die Siegel von Städten, geistlichen und
weltlichen Corporationen. Einen besondern Werth haben die grossentheils
vollständigen Siegelserien regierender Fürsten oder ehemals souveräner
Geschlechter. Sehr viele Stücke, namentlich unter den älteren Stadt-
siegeln sind aus den Originaltyparen in Lack abgenommen. Auch
zahlreiche vollständige Urkunden vom hohen Mittelalter bis in die
neuere Zeit befinden sich in der Sammlung. Unter den moderneu
Siegeln ragen durcli die aussergewöhnliche Grösse wie dui'ch feine
Arbeit das gi-osse englische Staatssiegel, ferners dasjenige des Prinzen
von Wales hervor, welclie beide von der Königin Victoria nebst einer
eigenhändigen Erklärung an Dietz geschenkt wurden.
In Beziehung auf das reichliche genealogisch -heraldische Material
der Dietz'schen Sammlung verwandt ist die Siegelsammlung
Kaiser Ferdinands L Sie ist nach den damaligen Provinzen des
Kaiserthums geordnet und enthält fast ausschliesslich die Wappensiegel
der einheimischen Adelsgeschlechter mit Angabe des Stammlaudes etc.
304 Kleine Mittheiiungeri.
Ein alphabetischer und ein Ladenkatalog fördern die Benützung der
Siimmlung.
Als Appendix der sphragistischeu Abtheilung stellt sich die Col-
lectioii galvanoplastischer Copien von deutscheu Kaiser- und Königs-
siegeln (von Karl d. Gr. bis zu Frauz IL, 170 Stück) dar, welche der
l)ekannte Sphragistiker Dr. Roemer-Büchuer in Frankfurt zusammen-
gestellt hat und welche im Jahre 1851 erworben wurde. Der gedruckte
Katalog derselben ist unter dem Titel: Die Siegel der deutschen
Kaiser, Könige und Gegenkönige von Dr. Roemer-ßüchner, im selben
Jahre zu Frankfurt a. M. erschienen. Aus der Neumann'schen Münz-
sammlung rühren die Bronzeabgüsse böhmischer Königssiegel von
Przemysl Ottokar bis Wladislaw IL her. Ein alter ciselierter Silber-
abguss eines grossen, interessanten Thronsiegels im Tj'pus den unga-
rischen Kr)nigssiegelu des 15. Jahi'h. verwandt, jedoch mit der Jahres-
Ijezeichuong 1437 auf Albrecht IL gefälscht, dürfte wohl aus Heraeus'
Zeit stammen, der auf diese Weise eine Bereicherung des Medaillencabinets
erzielen wollte. Erst der Aufstellung- harrt die Sammlung von Gips-
abgüssen von Siegeln des Wiener Stadtarchivs (österreichische Städte,
Wiener Geschlechter etc. ca. 600 Stück), aus Formen, welche der ver-
storbene Custos Dr. Hartmaun von Franzenshuld seinerzeit für die histo-
rische Ausstellung der Stadt Wien im Jahre 1873 hat anfertigen lassen.
Wien. Julius V, Schlosser.
Wo fand der erste Ziisammeustoss zwischen Hunnen und
Westgotheu statt i Der einzige Quellenschriftsteller, welcher in Be-
tracht kommt, ist „der im Feldlager und im Zelt ergraute" römische
Feldherr Ammianus Marcellinus. Derselbe hat um das Jahr 3U0 seine
Histor. libri XXXI geschrieben, und handelt über den ersten Zu-
sammenstoss zwischen Hunnen und Westgothen im XXXI 3 §§ 3 — 8.
Da der Wortlaut seiner Schilderung für unsere Untersuchung durcli-
aus nötig erscheint, mag die Stelle hier abgedruckt werden ').
XXXI 3 § 3 . . . . Alatheus . . et Saphrax .... cautius discen-
dentes ad amnem Danastium pervenerunt, inter Histrum et Borys-
thenem per camporum ampla spatia diftiuentem. § 4. haec ita
praeter spem accidisse doctus Athauaricus Thervingorum judex . , .
stare gradu fixo temptabat § 5. castris denique prope Dana-
sti margines ac Greuthungorum vallem longius oportune metatis,
Munderichum, duceni postea limitis per Arabiam, cum Lagarimano
') Mach der Anagalie von Ejssenhardl »S. 404.
J
Wo fand der erste Zusammenstoss zw. Öümlen u. Westgotlien statt? 305
et optimatibus aliis ad usque vicensimum lapidem misit, hostiuui
speculaturos adventum, ipse aciem nullo turbante interim strueus.
§ 6. verum longe aliter, quam rebatur, eveuit. Hunui enim ....
multitudinem esse loogius aliquam suspicati, praetermissis quos
videraut, iu quideiii tauquam nullo obstante coupositis, rumpente
noctis teuebras luua vado flumiuis penetrato, id quod erat potissi-
mum elegeruut, et veriti ue praecursorius index procul agentes
absterreat, Athanarieum ipsum ictu petivere veloci. § 7. eumque
stupentem ad im])etam primura, amissis quibusdani suorum, coe-
gerunt ad effugia properare moutium praeruptorum. qua rei novi-
tate maioreque venturi pavore constrictus, e superciliis Gerasi
fiumiuis ad usque Dauubium Taifalorum terras praestringeus,
ujuros altius erigebat: hac loriea diligentia celeri consummata, iu
iuto locaudam securitatem suam existimans et salutem. § 8. dum-
que efficax opera suscitatur, Hunui passibus eum citis urgebant
et iam oppresserant adventantes, ui gravati praedarum onere
destitissent.
Fassen wir diese Darstellung Ammians genau ins Auge, so ge-
winnen wir unwillkürlich den Eindruck, dass der erste Theil derselben
auf dem Berichte eines Augenzeugen l^eruht. Vor allem gilt dieses
in Bezug auf die Schilderung des Zusammenstosses, die geradezu an-
schaulich genannt werden muss. Was Ammian hingegen über die
Vertlieidigungsmassregeln Athauarichs nach seiner Flucht in die Berge
zu erzählen weiss, leidet freilich an bedeutender Unklarheit. Ausser
der eingehenden Schilderung des Zusammenstosses veranlasst uns noch
Anderes anzunehmen, dass dem Historiker über denselben der Bericlit
eines Mannes vorlag, welcher an jenen Kriegsereignissen Theil ge-
nommen hatte. Woher sollte sonst Ammian Nachricht über das
Greuthungerthal erhalten haben? Aber noch mehr. Ammian
nennt an unserer Stelle zum ersten Mal überhaupt den D nie st er
( Danast[r]us) mit diesem Namen. In seinen geographischen Schil-
derungen (XXII 8 § 41) kennt er nur den Tyras. Dass die beiden
Namen einem Flusse gelten, weiss er nicht i). Dieses alles deutet
darauf hin, dass der Name ,Danastrus', den die Slawen dem obern
Duiester erst vor verhältnissmässig kurzer Zeit gegeben hatten -), im
Süden noch nicht bekannt war. Ammian konnte ihn also nur aus
dem Munde seines Berichterstatters ffeln'u-t haben. Und wenn nicht
') Dieses beweist der Zusatz »inter — diffluentem« statt der blossen Iden-
tificierung mit dem früher genannten Tyras. -) Vergl. Kaindl, Der Buchen-
wald Nr. 3, Czernowitz I88f» S. II, 12.
Mittlieihmgeii XII. 20
306 Kleine Mittheilungen.
alles trügt, so ist dieser Berichterstatter jeuer Munderich, der nach
Ammians eigener Angabe die Vorposten Athanarichs geführt hatte und
später als römischer Feldherr an der arabischen Grenze wirkte. Dort
im Osten muss Amraian, welcher noch unter Valens im Orient gedient
hatte, Munderich kennen gelernt und von ihm die Nachrichten erhalten
ha])eu, auf welchen seine Schilderung beruht i). Nehmen wir dieses
an, so wird es uns zugleich klar werden, warum die Schilderung des
Zusammenstosses so eingehend und deutlich ist, die weitere Ausführung
aber verworren erscheint. Munderich hatte sich, nachdem der von ihm
geführte Vorposten umgangen worden war, gerettet; wie und wohin,
das wissen wir nicht. So viel scheint aber sicher zu sein, dass er
von Athauarich getrennt bleiben musste, und Ammian daher von ihm
keine Kunde über Athanarichs Thätigkeit nach dem Rückzuge in das
(iebirge erhalten konnte. Sind unsere Ausführungen richtig, so dürfen
wir dem Berichte über den Zusanmienstoss in allen Einzelheiten fol-
gen; nicht dasselbe Vertrauen beansprucht hingegen die Darstellung
über die folgenden Ereignisse. Nachdem wir unsere Quelle kennen
gelernt und gewürdigt haben , gehen wir zu unserem engern
Thema über.
Ueber dieses hat zunächst Pallmann in seinem Werke „Die Ge-
schichte der Völkerwanderung" (I, 10(3, 107) gehandelt. Die Aus-
führungen desselben sind aber durchaus missglückt. Vor allem unter-
lässt es Pallmann, den Ort des Zusammenstosses näher zu bestimmen.
Er sagt ganz unbestimmt: Athauarich „ verschantzte sich an den Grenzen
seines und des ostgothischen Landes hinter (?) dem Greutungenw a 1 1 e (?)
und dem Duiesterflusse ". Wenn Pallmann ferner sagt : „ Athauarich
gab . . . seine feste Stellung .... auf und zog sich südwestlicher in
die Ebenen zurück", so lässt er ganz Ammians Bericht ausser Acht,
denn in demselben ist ausdrücklich gesagt, dass Athauarich seine Zu-
flucht im Gebirge suchte. Zu diesem Verstösse gegen die Quelle sali
sich aber Pallmann durch die Angabe derselben veranlasst, dass Atha-
uarich zum Schutze gegen die nachstürmenden Feinde eine Mauer
gezogen habe. Pallmann sah ein, dasß ein solches Unternehmen Sache
der Unmöglichkeit war; da glaubte er darin einen Ausweg gefunden
zu haben, dass er die Westgothen nach Süden abziehen und hinter
den Trajanswall sich flüchten lässt. Nach dem Berichte Ammians
müsst(! man aber auf eine Mauer von den Hrdien am Gerasus bis
zur Donau schlicssen. während der Trajanswall zwischen dem Prnt
') Darauf weist schon der l'msiiuiil, dass Aniiiiiiin in scjikm- Darsioflung ilos
weituin Stliirksiilos Miiutlciiclis im (tricnio «redonkt.
Wo fand der erste Zusammenstoss zw. Hunnen u. Westgothen statt y 307
und Dniester dahinzog i). Wie kann man es übrigens für möglich
halten, dass Athanarich, der sich in einem an günstiger Stelle ge-
schlagenen, jedenfalls festen Lager gegen die Hunnen nicht hatte
halten können, eine 150 oder 200 Kilometer lange Linie, da die-
selben Feinde ihm auf dem Fuss folgten, zu befestigen und zu ver-
theidigen gedacht hätte? Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass ein
Wall, der etwa zwei Meter hoch war, die Hunnen, wenn auch die-
selben mit Beute beladen sein mochten, vom weitern Vordrino-en
abgehalten hätte.
Weit entsprechender und richtiger als Pallmann fasst Wieters-
heim in seiner „ Geschichte der Völkerwanderung " (II, 33, 34) den Bericht
Ammians auf. Nach diesem Forscher verschanzt sich Athanarich „in
einer am obern -) Ufer des Dniestr (jedenfalls dem rechten) in der
,Thal der Grreuthungen' genannten Gegend". Er sendet die Vorposten
aus und „sah sich", nachdem dieselben umgangen waren, „überrascht
und erschreckt . . . zum liückzug in das Gebirge gezwungen". „Ver-
muthlich hat sodann Athanarich nur die Pässe und sonst zuo-äno--
lieberen Stellen (?) im Gebirge", das zwischen der Bukowina und der
Donau dahinzieht, „und vielleicht auch einzelne Strecken südlich
Siebenbürgens durch Mauern und sonstige Schutzwerke zu sichern
gesucht. "
Au diese Darstellung Wietersheims anknüpfend soll nun im folgen-
den eine genauere Bestimmung des Ortes, an welchem Athanarich mit
den Hunnen zusammentraf, versucht werden.
Zunächst ist es klar, dass nur die Auffassung Wieterheinis betrefts
der Worte „ a superciliis Gerasi — erigebat " richtig sein kann. Nur diese
Auffassung entspricht dem Berichte, dass Athanarich ins Gebirge
zurückgeworfen, die angebliche Mauer aufführte; nur diese Auffassung
trägt den Stempel der Möglichkeit an sich, und nur vor den Felsen-
mauern Siebenbürgens nicht aber vor einem Walle, der nicht einmal
im tüchtigen Zustande sein mochte, konnfen die Hunnen zurück-
schrecken. Fragen wir uns aber, Avie das „a superciliis Gerasi" zu
verstehen sei, so ist es gewiss, dass Athanarich nur an die Ver-
theidigung der Gebiete vom Rodnapasse an, also von den Höhen
am Oberlaufe der Bistritz, gedacht haben konnte. Der Gerasus
bei Ammian ist somit nicht der heutige Seret; es liegt vielmehr
einer der Fälle vor, in denen ein Neljeiifluss als ()])erlauf des
') Ueber den (Jerasns siehe weiter uiden; iilior den 'i'rajanswall vergl. die
Notiz in Petermanns Mittheil. 1S57 «. I'2f», 1.30. '■) Vercjl. dazu die Anmork.
bei Wietersheim a. a. U. 3;».
20*
308 Kleine Mittheilungen.
Hauptflusses aufgefasst wurde ^). Unter dem Gerasus unseres Berichtes
müssen wir also die Bistritz mit dem untern Seret als Fortsetzunsf
verstellen.
Es kommt nun darauf an, die Stelle ,prope Danasti margines ac
Greuthuugorum vallem" zu bestimmen.
Athanarich sehlägt sein Lager beim Tliale der Greuthungen aul
und weicht beim AngTiffe der Hunnen mit geringem Verluste in
das Hochgebirge zurück. Aus dieser Darstellung Ammians wird es
wohl klar, dass die Westgotheu ihre Stellung nahe den Bergzügen der
Karpaten genommen hatten. Wären sie fern von den Bergen in der
Ebene crestandeu, so hätten die flinken Keiter der Hunnen sie auf der
Flucht arg iiergenommen. P]s liegt somit die Annahme nahe, das wir
die „ Uferlaudschaft des Danastus", die Amraian als Schauplatz des
Zusammenstosses l>ezeichnet, am allerwenigsten au den untern und
mittleren Dniester in Bessarabien verlegen dürfen. Es ist im übrigen
auch völlig unglaublich, dass die Westgotheu sich so weit von Sieben-
bürgen, dem Centrum ihrer HeiTschaft, entfernt hätten, um in Bes-
sarabien einen Punkt des Dniesters zu überwachen, während doch
der Feind auf der ganzen Länge des unteni und mittleren Dniester
den Fluss überschreiten konnte.
Wir werden somit auf den i>bern Dniester verwiesen. Nun steht
es aber fest, dass es Athanarich nicht einfallen konnte, am Oberlauf
dieses Flusses in Galizien Stellung zu nehmen. Soweit der Dniester
das heutige Galizien durchfliesst, begrenzte er weder westgothisches
Gebiet, noch waren die aus dem Osten kommenden Hunnen an dem-
selben zu erwarten. Wenn somit dem ,prope Danasti margines- Be-
deutung zukommt, so ist wohl jener Theil des Dniesterlaufes zu ver-
stehen, welcher etwa die Grenze der Bukowina bildet und in dem sich
bei Samosin der sicher uralte Uebergang befindet -). Die „ Danasti
raarsrines" müssten also in der Bukowina oder dein antjrenzenden
Russland zu suchen sein.
Hat Athanarich am Dniester selbst Stellung genommen? Auuuian
sagt „prope Danasti uiargiues". Eine wie weite Bedeutung iudess
dieses „ prope " hat, folg-t schon daraus, dass der Vorposten 20 Stadien
also etwa 4 Meilen vorritt, bis er an den Fluss kam, an welchem er
von den Hunnen umgangen wurde. Da nun der Vorposten siclier
') fcjo ist bei Herudot IV 49 unter der Mapt^ wohl die Maros mit der
uuteni Theiss als Fortsetzung gedacht. Ueber (Jerasus — Seret vergl. Kaindl,
Der Buchenwald Nr. 2, Czemowitz 1888 S. 20, 30, 43. -) Die erste Erwähnung
derselben bringt die Hypatios-< "hronik zum J. 6721 — 1213 (Russ. Jahrbüther
2. B., Petersburg 1845).
I
Wo fand der erste Zusammenstoss zw. Hunnen n. Westgothen statt? 309
uicht über den Duiester hinaus ritt, so würde Athanancli wenigstens
vier Meilen vom Dniester entfernt gestanden sein. Nun geht es aber
aus dem Berichte Ammians deutlich hervor, dass Athanarich vor den
Hunnen sofort ins Hochgebirge floh, dass er vor allem auf seinem
Rückzuge sicher nicht über Flüsse zu setzen hatte. Dieser Umstand
lässt sich in keinem Falle mit dem „prope Dauasti margines' ver-
einigen, wenn wir diese Worte derart auffassen wollten, als ob Atha-
narich am Dniester seilest oder auch nur in der Nähe desselben
Stellung genommen hätte. Zwischen dem Dniester und dem Gebirge
eilen zahlreiche Flüsse und bedeutende Bäche dahin. Wenigstens einige
derselben hätten die Westgothen überschreiten müssen, um das schü-
tzende Gebirge zu erreichen. Sie hätten in diesem Falle durch die
ihnen nachstürmenden Hunnen die grössteu Verluste erlitten. Dem
widerspricht der Bericht Ammians. Nach diesem Berichte sind wir
genöthigt daran festzuhalten, dass das Lager Athanarichs sich am
Fusse des Gebirges befand ; wir müssen also das , prope — margines "
ganz allgemein fassen und dürfen annehmen, dass Athanarich nicht
nur nicht nahe dem Dniester stand, sondern dass auch der Vorposten
nicht an diesem Flusse umgangen wurde. Ausser dem Gerasus, dessen
Bedeutung wir oben bestimmt haben, kennt Ammians Berichterstatter
nur noch den Danastus. So erklärt sich leicht seine Angabe. Alles
Hügelland ausserhalb des Gebirges, in welchem der Gerasus entspringt,
gehört ihm zum üferlande des Danastus.
Aus der Darstellung Ammians ist es ferner ofifenbar, dass Atha-
narich sieh auf die Vertheidigung eines Punktes beschränkte. Er
schlug beim Thale der Greuthungen unter günstigen Bedingungen,
das heisst wohl an einem leicht zu vertheidigenden Orte, sein Lager
auf. Was geht aus diesen Umständen hervor? Wohl nur, dass Atha-
narich einen der Haupt Zugänge nach Siebenbürgen vertheidigen
wollte. Den schrecklichen unbekannten Feinden, die das grosse Ost-
gothenreich im raschen Anprall zertrümmert hatten, deren Stärke und
Wildheit durch die flüchtigen Boten den Westgothen sicher in den
grellsten Farben ausgemalt worden waren, diesen Feinden konnte
Athanarich nur in den Bergen Stand zu halten beabsichtigen. Er
verschanzte sich also in einem der Einganffsthore und als er von
den anstürmenden Horden überrumpelt wurde, war auch die Möglich-
keit geboten, mit geringem Verluste ins Gebirge zu entweichen.
Wo ist nun aber jener Zugang zu suchen, den die Gothen ver-
theidigten, und der als „ Greuthuugen t h a 1 " bezeichnet wird? Bei der
Beantwortung dieser Frage können die eigentlichen Ostkarpaten Sieben-
bürgens nicht in Betracht kommen. In verhältnismässig geringer
310 Kleine Mittheilungen.
Entfernung von denselben fliesst der Gerasus vorbei, und Ammian
hätte sicher nicht gesagt, dass der Zusammenstoss in der Uferland-
schaft des Danastus stattgefunden habe, wenn derselbe bei den Berg-
zügen Avestlich vom Gerasus geschehen wäre. Wir werden mithin
auch in diesem Falle auf das Gebiet der Bukowina vervdesen, auf
Avelches Land wir auch bei der Bestimmung der Worte „ prope Dauasti
margnnes" geleitet wurden. Durch dieses Land fübrt von der uralten
Dniesterfurt bei Samosin der Völkerweg in das Moldawathal, durch
welches man zum Eodnapass und nach Siebenbürgen gelangt. Dieser
Weg, den später die Mongolen unter Kadan zogen und der deshalb
allgemein als der , Tataren weg " bezeichnet wird, musste schon auch
im vierten Jahrhundert und früher bestanden haben. Der Ausgang
des Moldawathales bei Gura Humora kann allein der eine Punkt ge-
wesen sein, dessen Vertheidigung Athanarich geplant haben mochte.
Wie wohl geAvählt und wie wichtig dieser Punkt war, zeigt der Um-
stand, dass derselbe in der jüngsten historischen Zeit mehrmals ver-
schautzt und befestigt wurde i). Hier muss auch Athanarich festen
Fuss gefasst haben. Von hier aus sandte er Muuderich und Lagari-
luan mit ihrer Schar voraus. Diese ritten jedenfalls in der Richtung,
in welcher der Völkerweg zog und also die Hunnen zu erwarten
waren, zwanzig Stadien voraus, und hielten Wache au einem Flusse.
Zwanzig Stadien sind etwa vier Meilen, und in dieser Entfernung
von Gura Humora fliesst die Suczawa im weiten Bogen, dessen Halb-
messer in nordöstlicher Richtung der angegebenen Wegstrecke ent-
spricht. An der Suczawa scheinen also Munderich und Lagariman
gestanden zu sein. In diesem Flusse konnten auch die Hunnen eine
Furt finden, die nicht bewacht war, weil das ganze Flussbett flach
ist; am Duiester wäre dieses nicht möglich gewesen. Nachdem aber
die Hunnen den Vorposten umgangen hatten, konnten sie in der
That die Strecke von vier Meilen rasch durcheilen und Athanaiüch
überraschen, bevor noch Munderich und Lagariman am nächsten
Morgen sahen, was geschehen sei. Athanarich überrascht, konnte sich
auf dem wohlbekannten Bergweg mit geringem Verluste in das Ge-
l)irge zurückziehen, und begann sofort vom Rodnapasse an, oder wie
Ammian sagt „a superciliis Gerasi fluminis*", die wenigen Pässe zu
verrammeln. Vor den Felsenmaucrn wichen die Hunnen zurück.
Munderich muss aber auf anderem Wege entkommen sein. Dieses ist
schon früher an«>*edeutet worden.
') Vgl. WickL-uliiiusor, iMolda (Czoniowil/, 1881 1 I, 23ii.
Wo fand der erste Zusammenstoss zw. Hunnen n, Westgothen statt? ^\{
Es erübrigt nur noch zu erklären, weshalb das Moldawathal
„ Greuthungorum vallis " genannt worden sei. Dies kann einen doppel-
ten Grund gehabt haben. Entweder hielten die Greuthungen oder
Ostgothen einst dieses Thal besetzt, wie Wietersheim (I, 250) anzu-
nehmen scheint; oder das Thal führte nach den Greuthungen den
IS amen, weil man durch dasselbe in deren Gebiet gelangte. Jeden-
falls weist der Umstand, dass das Thal einen Namen hatte, auf
dessen besondere Bedeutung hin. Diese Bedeutung konnte aber ebenso
wie heute auch im vierten Jahrhundert nur das Moldawathal bean-
sprucht haben.
Czernowitz. Raimund F. Kai ndl.
Zur Diitiruiiü; yoii St. KMH. Schcffer-Boichorst hat im XII. Bande
dieser Zeitschrift, S. 205, Anm. 4, auf die unter Friedrich I. mehi*fach
zu beobachteude Thatsache hingewiesen, dass die Kaiser- und Köuigs-
jahre bei der Datirung von Urkunden über ihren Endtermin hinaus
noch Monate lang weitergezählt werden. Er hebt an dieser Stelle
insbesondere hervor, dass das dreizehnte Königsjahr am 9. März 1165
abgelaufen war, die Kauzlei aber dabei blieb, und zwar nicht l)los
das ganze Jahr 1165 hindurch, sondern noch bis in die ersten Monate
des folgenden Jahres hinein; hier widerspreche die Berechnung also
der Wirklichkeit, entspreche aber dem Kanzleigebrauch und damit den
übrigen Jahresangaben.
In die von SchefFer-Boichorst erwähnte Zeit der Fortführung des
cbeizehnten Königsjahrs über seinen Endtermin hinaus fällt das Pri-
vileg, welches Friedrich I. am 8. Januar 1166 bei Gelegenheit der
Kanonisation Karls des Grossen für Aachen ausgestellt hat (St. 4061)
und das ich vor Kurzem im Anhange zu einem Buche von Bauschen
auf seine Echtheit untersucht habe, für dessen Echtheit ich auch viel-
fachen Anfechtungen gegenüber eingetreten bin i). Dieses Privileg
macht nun allerdings in der von Schetfer-Boichorst verfolgten Reihe
und insbesondere unter den von mir selbst zur Vergleichuug heran-
gezogenen Urkunden jeuer Zeit eine Ausnahme, indem es das vier-
zehnte Königsjahr nennt -). Neben den zahlreichen anderen für die
') Die Legende Karls des Grossen im 11. und 12. Jahrhundert herausgegeben
von Gerhard Rauschen. Mit einem Anhang über Urkunden Karls des
Grossen und Friedrichs I. für Aachen von Hugo Loersch, Leipzig 1890.
2) A. a. 0. S. 194 f.
312 Kleine Mitthei hingen.
Echtheit überzeugeud sprechenden Gründen erschien die kleine Ab-
weichung, welche zudem sogar eine den wirklichen Verhältnissen ent-
s]n-echeude, richtige Königszahl ergibt, nicht wesentlich. Ich bin mir
aber doch bewusst, hier die Bedeutyng des konstante a Kanzleige-
brauchs nicht genügend gewüi-digt und nicht genug gethau zu haben,
um das aus der ungewöhnlichen Zahl sich ergebende Bedenken aus
dem Wege zu räumen. Da ich befürchten rauss, dass es doch noch
einmal geltend gemacht werden könnte, so gestatte ich mir, hier mit
weniseu Worten darauf zurückzukommen.
Die Sache liegt nämhch aller Wahrscheinlichkeit nach so, dass die
in jeder andern Beziehung als vollkommen kanzleimässig erwiesene
Urkunde auch von Anfang au die zur Zeit übliche Angabe des drei-
zehnten Königsjahres gehabt hat und dass das ,quartodeciino' nur in
den Text gekommen ist bei Gelegenlieit der Abschrift, welche die
Kanzlei Friedrichs IL von dem Privileg gemacht hat. St. 4061 Hegt
nämlich nicht im Original, sondern nur in dem 1244 zu Pisa her-
gestellten Transsumt vor ^). In den meisten, wenn nicht in allen 1165
und 66 durch die königliche Kauzlei hergestellten Urkuuden sind
alle bei der Datirung vorkommenden Zahlen mit Ziffern wiedergegeben.
Insbesondere hat das in Aachen aufbewahrte, daraufhin nochmals ver-
glichene Original von St. 4062 folgende Datirung:
Dat Aquisgrani. anno dnice incamat. m. c. Ix vi. indictione. xiiij.
V. id ianuarij. Kegnante domno Frederico. Rom impre glosissimo, anno
regni eius xiij. impij ü. xi Act. in xpo feliciter. Amen:
Die gleiche Art der Schreibung findet sich mit geringen Ab-
weichungen, wie ich aus meiner vor Jahren genommenen Abschrift
ersehe, in dem Original von St. 4060 in Berlin. Unzweifelhaft ist
also auch im Original von St. 4061 das Datum ganz in derselben
Weise gestaltet gewesen und hier, wie in St. 4060 und 4062, "war
xnj die Ziffer des Königsjahres. Bei der Transsumirung im August
1244 sind nun, wie mein Abdruck zeigt-), in der Kanzlei Fried-
richs IL alle in der Vorlage mit Ziffern geschriebenen Daten durch
Worte wiedergegeben worden; es hat also bei jeder Ziffer eine Um-
schreibung stattgefunden. Sicherlich ist bei dieser Gelegenheit, natür-
lich nicht weil man eine Korrektur vornehmen wollte, sondern durch
ein Versehen des Schreibers, das dreizehnte Königsjahr in das vier-
zehnte umgewandelt worden, aus xuj ein ,quartodecimo' geworden.
Das war um so eher möglich, -weil xuj sehr leicht für xnij gelesen
>) A. a. 0. ö. 164. ^) A. a. U. Ö. 159, Z. 224 Ö'.
Zur Datirimg von 81. 4061. 3|3
werden kann und weil bei der kurz vorausgehenden Angabe der
Indiktion die Ziffer xrnj schon einmal -wirklich vorgekommen und
umschrieben worden war.
Durch diese Ausführungen dürfte jedes Bedenken, welches noch
aus der Abweichung der Urkunde St. 40til von dem im Januar 1166
in der Kanzlei gebräuchlichen Königsjahr hergeleitet werden könnte,
gehoben sein.
Bonn. Loersch.
I
Literatur.
Oe«terreicliisehe Kunst-Topographie. I. Baud: Herzog-
thum Kiirnteu, Herausgegebeu von der k. k. Central - Commission
für Eriorscliimg und Erhaltung von Kunst- und historischen Denk-
malen. Wien 1889. In Commission bei Kubastu & Voigt. Gr. 8",
X und 490 S.
Schon im Jahre 1874 hat die k. k. Central-Commission lür Erfor-
schung und Erhaltung von Kunst- und historischen Denkmalen den Plan
gefasst, eine österreichische Kunsttopographie in Angriff zu nehmen unri
durchzuführen. Sie hat sich damit eine dankenswerthe und nicht genug
zu schätzende Aufgabe gestellt, die, von bewährten Kräften in richtiger
Weise durchgeführt, Oesterreich nur zur Ehre gereichen könnte. Die Aus-
führung liess lange auf sich warten. Erst nach jahrelangen Vorbereitungen
und Vorarbeiten i), nach wiederholten Berichten über den Fortgang iler
Arbeiten und nach mehrmaligen Ankündigungen des nahe in Aussicht
stehenden Erscheinens des Werkes ist endlich der erste, Kärnten umfassende
Band erschienen und liegt nun in acht Lieferungen, die in verhältniss-
niässig kurzer Zeit (1888 — 1889) ausgegeben wurden, vollendet vor.
Da in gleicher Weise, wie im ersten Bande Kärnten, in den folgen-
den Bänden auch die sämmtlichen anderen Länder und Provinzen Oester-
reichs behandelt werden sollen, so dürfte eine eingehende und sachgemässe
Würdigung dieser ersten Leistung wohl am Platze sein; und ich denke,
die Central-Commission wiixl einer gewissenhaften und vorui'theilsfreien
Besprechung nur Dank wissen, selbst wenn die Bemängelungen überwiegen
sollten, da das Werk für die folgenden Bände nur gewinnen kann, wenn
von einem ausserhall) ihres Kreises Stehenden in dieser Angelegenheit ein
offenes Wort gesprochen wird.
Freilich hat die Central-Commission, vielleicht im Bewusstsein der
mehrfachen Mängel des Werke«, eigentlich gegen jede ablehnende Kritik
') Vgl. Mittheilungen der k. k. Ceutral-Commission N. F. 14, S. 64: »Was
nun Kärnten anbelangt, so hat sich die Central-Commission die Mühe nicht
verdriessen lassen imd auch die Kosten nicht gespart, das reichhaltige Materiale
wiederholt sichten, richtigstellen und ergänzen, überprüfen und neuerlich mit
den thatsächlichen Verhältnissen an Ort und Stelle vergleichen zu lassen, um
damit den richtigen sachlichen Bestand zu erreichen.*
Literatur. 315
im Vorhinein Stellung genommen ; das Erscheinen des Buches wird in ihrem
Organ (Mittheilungen K. F. 14, 64) mit folgenden Worten angekündigt:
»Herzlich sch-vvierig war es, dieses Buch zu Stande zu bringen, das un-
geachtet vieler Sorgfalt gewiss nicht fehlerfrei und auch noch lückenhaft
sein wird. Leicht wird es vielleicht dem Kritiker und Gegner werden,
hie und da Fehler oder Mängel zu finden, möge er es aber versuchen,
ein solches Werk, für welches derzeit kein Vorbild besteht, tadellos zu
schaffen oder besser zu machen.« Dem Einzelnen stehen nicht der grosse
Hillsapparat und die vielen Hilfsmittel zu Gebote, über welche die Central-
Commission verfügt, er ist daher nicht leicht in der Lage, ein solches
Werk in Angriff nehmen zu können; das ist eben die Aufgabe solcher
staatlicher Institute. Um die Wissenschaft aber wäre es schlimm bestellt,
wenn jedes Werk nur nach einem berühmten Muster geschaffen werden
könnte. Und so ganz ohne jede vorhergehende, wenn auch nicht ganz
gleiche, so doch sehr ähnliche Publikation steht das Werk doch nicht da.
Liegt es auch nicht in meiner Absicht, »ein solches Werk tadellos zu
schaffen oder besser zu machen« und mii- erst dadurch die Berechtigung
zu einer Kritik zu erlangen, so glaube ich doch in der Angelegenheit der
Kunsttopographie das Wort ergreifen zu dürfen.
Im Vorhinein sei hervorgehoben, dass die Central-Commission durch
die Inangriffnahme der Kunsttopographie sich ein unvergängliches Verdienst
um die Kunstgeschichte in Oesterreich erworben hat. Insbesonders aber
ist ihr die Lokalforschung in Kärnten dafür zu ausserordentlichem Danke
verpflichtet, dass sie gerade dieses Kronland zur ersten Publikation sich aus-
ersehen hat. Denn wahrlich eine ganz besonders reiche Fülle von Material
zur Kunstgeschichte des Landes erscheint in dem vorliegenden Bande zum
ersten Male vereint, theils ausführlich beschrieben, theils nur genannt und
erwähnt. Damit ist ein Inventar geschaffen, welches nicht nur den grüssten
Theil des gegenwärtigen Besitzstandes an Kunstwerken tixirt, sondern die-
selben vielfach auch eingehend beschreibt und würdigt und dadurch der
vergleichenden und zusammenfassenden Kunstgeschichtschreibung zugänglich
macht. Wenn das Werk in der Durchführung auch Vieles, recht Vieles
zu wünschen übrig lässt, das grosse Verdienst der ersten Zusammenfassung
und in Folge davon der leichteren Zugänglichkeit des zerstreuten und
nicht immer leicht erreichliaren Materials wird ihm immer bleiben.
Um dem Werke in jeder Beziehung gerecht zu werden, muss man
es von drei Gesishtspunkten auri^^der^ Betrachtung unterziehen. Erstens
sind die allgemeinen Grundsätze, auf denen das Werk aufgebaut ist, zu
berücksichtigen. Diese wurden im Schosse der Central-Commission auf
Grund gemeinsamer Berathungen aufgestellt und sie sollen auch lür alle
folgenden Bände massgebend sein. Diese sind also Sache der Central-
Commission selbst. In zweiter Linie ist zu untersuchen, wie und inwie-
ferne die aufgestellten Principien in dem vorliegenden Bande durchgetührt
ersclieinen, ob und inwieweit also die Durchführung mit den angenommenen
allgemeinen Grundsätzen sich deckt. Für diesen Theil wird die Kedaktion
des Buches einzutreten haben. Endlich ist der Inhalt der einzelnen Artikel
selbst in Betracht zu ziehen, sind die einzelnen Angaben in denselben auf
ihre Vollständigkeit, Eichtigkeit und Verlässlichkeit zu prüfen. Die Ver-
antwortung hielür haben die verschiedenen Berichterstatter zu tragen.
3 1 fi Literatur.
Die »(Ti-undzüge zur Verfassung und Publikation der Kunst-Topo-
grapliie* wurden wiederholt der Oeftentliclikeit bekannt gegeben ^). Sie
sind in der Einleitung zu dem vorliegenden Bande nicht wieder abgedruckt,
sondern es wurden hier nur mit Berufung auf den Aufsatz von Preihen-n
V. Helfert die Abweichungen von jenen näher ausgeführt und begründet.
Zunächst seien jene Punkte besonders liezeichnet, welche zu Bedenken
berechtigen.
Im Allgemeinen wird man einwenden dürfen, dass diese (Irundzüge
in manchen Punkten zu unbestimmt lauten und zu wenig ins Detail gehen.
Wären die Mitarbeiter sämmtlich geschulte Archäologen und Kunsthistoriker,
dann könnten sie vielleicht genügen. Da dies aber zum grössten Theile
nicht der Fall ist und die Mitarbeiter meist dilettirende Consei"vatoren
und Correspondenten, ja häufig auch in Sachen der Kunst gänzlich un-
erfahrene Landgeistliche sind, die den einzelnen Kunstobjekten ohne nähere
Anweisung für die Beschreibung rathlos gegenüberstehen, so wäre es an-
gezeigt gewesen, die «Grundzüge» auf lireitere Basis zu stellen. Und da
ein Mitarbeiter nur dann etwas Brauchbares wird liefern können, wenn
ihm die Glesichtspunkte, auf denen das Werk beruhen soll, genau bekannt
sind, so hätten die Normative zuerst ausgearbeitet und mit den Frage-
bogen zugleich ausgeschickt werden sollen, nicht aber wie es hier geschah,
dass zuerst die kurzen, äusserst trockenen Fragebogen ausgesandt und erst
dann, nachdem bereits ein grosser Tlieil derselben beantwortet vorlag, die
GriTindzüge in deii Druck gelegt wurden.
Auf Einzelheiten übergehend, scheint es mir zunächst bezüglich der
prähistorischen und römischen Pundstücke ein Mangel zu sein, dass nicht
ganz präcise und unzweideutige Bestimmungen getroffen wurden, wo die-
selben zu nennen und zu beschreiben sind, ob an ihrem Fundorte oder
an ihrem jetzigen Standorte. Bezüglich der prähistorischen Denkmale be-
stimmt der § 2 b, dass nur «wichtigere Fundstellen, auch wenn die be-
treffenden Objekte nicht mehr an Ort und Stelle vorhanden sind, und dass
nur bedeutende Objekte, welche sich in Sammlungen finden, auch beim
Fundorte zu nennen seien«. Aehnlich lautet der § 3 b bezüglich der
römischen Denkmale: Anzuführen sind die »Fundstellen selbst, auch wenn
die Objekte nicht mehr dort verblieben: bedeutende Objekte der Samm-
lungen sind auch unter den betreffenden Fundorten zu nennen.«
Damit sind die Bestimmungen betreffs der Sammlungen (§ fi a, c, d u. e)
in Zusammenhang zu stellen. Von feststehenden Privatsammlungen soll
nur eine summarische Uebersicht des Bestandes mit Angabe der bedeu-
tendsten darin befindlichen Stücke dem betreffenden Ort als Anhang bei-
gegeben werden, wechselnde Privatsammlungen aber seien überhaupt aus-
geschlossen. Ferner sei von öffentlichen Sammlungen nur ein Auszug aus
den Katalogen als Anhang beizugeben. Und endlich sei bei bedeutenden
•) Oesterreichische Kunst-Topographie. Von Freih. von Helfert. (Mitthei-
lungen der k. k. Central - Commission für Kunst- und historische Denkmale
(N. F. 7, (1881) S. 8-11). Normative der k. k. Central-Commission zur Erfor-
schung und Erhaltung von Kunst- und historischen Denkmalen. Wien 1883,
S. 51—74 und gleichlautend wie in der letzteren Brochure auch in einer Separat-
Ausgabe.
Literatur. 317
Objekten der Sammlunge]i deren Provenienz anzugeben. In Folge dieser
Bestimmungen können bedeutendere Objekte doppelt, minder bedeutende
hingegen gar nicht genannt werden. In der That ist dies in dem vor-
liegenden Bande, besonders in der doppelten Nennung derselben Objekte,
häutig auch der Fall ; viele Denkmale, vi^elche jetzt im Museum des Ge-
schichtsvereins für Kärnten in Klagenfurt sich befinden, werden sowohl
unter ihren Fundorten als auch dann bei der Besprechung des Museums
genannt. Dem wäre vorzubeugen gewesen, wenn man als allgemein gil-
tigen Grundsatz, der für die Anlage der Kunsttopographie wissenschaftlich
sowohl gerechtfertigt als zugleich auch praktisch gewesen wäre, angenommen
hätte: Alle Fundobjekte, deren genauer Fundort sich unzweifelhaft er-
weisen lässt, sind stets bei den Fundorten unter gleichzeitiger Erwähnung
des jetzigen und etwaiger früherer Standorte zu nennen, hingegen sind
alle Fundobjekte, deren Fundorte unbekannt oder zweifelhaft sind, insoweit
sie nach dem Programm des Werkes einer Aufzählung oder Beschreibung
werth erscheinen, unter dem jetzigen Standorte bei gleichzeitiger Anführung
etwaiger früherer Standorte zu beschreiben.
Nach § 4 der Grundzüge hätte bezüglich der Bauwerke der neueren
Zeit beiläufig mit dem Jahre 17.")U ein Abschluss gemacht werden sollen,
in der Einleitung aber heisst es (S. III), dass gewöhnlich das 18. Jahr-
hundert den Abschluss bildet. In der Ausführung ist man dami ein
paarmal selbst darüber hinausgegangen. Ich glaube, bei der geringen
Kunstthätigkeit unseres Jahrhunderts hi Kärnten hätte man leicht auch
die wenigen Bauten der neueren Zeit aufnehmen können.
Bezüglich der Anlage der Kunsttopographie wurde im § y bestimmt,
dass «die m einem Bande zu besprechenden Orte in alphabetischer Reihen-
folge behandelt werden sollen.» Die alphabetische Anordnung hat zwar
den Vortheil der schnellen Auffindbarkeit eines Artikels für sich, allein
dieser hätte sich auch durch ein alphabetisches Register, das hier ziemlich
überflüssiger Weise ausserdem noch beigegeben ist, unschwer erreichen
lassen. Wissenschaftlich gerechtfertigter wäre, wie ich meine, folgendes
Vorgehen: Das ganze Werk hätte zunächst in zwei vollständig selbst-
ständige und gesonderte Theile zerlegt werden sollen: in einen prähistori-
schen und römischen und in einen mittelalterlichen und neuzeitlichen
Theil. Und nur im ersten Theile hätten die Fund- und Standorte alpha-
betisch angeordnet werden können, während im zweiten Theile die An-
ordnung nach bestimmten örtlichen Gruppen zu treffen gewesen wäre.
Letztere hätte iür eine wissenschaftliche Benützung ganz besondere Vortheile
geljoten. Gar manche lokale Eigenthümlichkeiten, z. B. in den Bauten,
würden da sofort in die Augen springen, die ein gewissenhafter kunst-
historischer Bearbeiter so erst mit viel Mühe und Arbeit sich zusammen-
suchen muss. Speciell für den vorliegenden Band, der ja mit Bezug auf
das Mittelalter und die Neuzeit zu neun Zehntheilen eine kirchliche
Kunsttopographie von Kärnten repräsentirt, dürfte sich eine Anordnung
der Orte nach Decanaten und Pfarreien und zwar örtlich vorschreitend
von West nach Ost und von Nord nach Süd ganz besonders empfohlen
haben. Die Filialkirchen hätten dann stets unter ihren Mutterkirchen
besprochen weixlen können.
Wenn aber schon das Princip der alphabetischen Anordnung angenommen
318 Literatur.
wurde, so hätte eine Gliederung der einzelnen Ai'tikel in Absätze, nicht,
wie es in § 9 heisst, »nach Bedarf und zwar nach den prähistorischen,
römischen und mittelalterlichen Gegenständen« vorgeschrieben, sondern die
Scheidung nach den erwähnten drei AI )theilungen unbedingt und aus-
nahmslos durchgeführt werden sollen, so zwar, dass sie schon äusser-
lich hervortreten würde und auf den ersten Blick zu erkennen wäre.
Die im § 1 1 der Grundzüge versprochene archäologische Karte ist
bei dem vorliegenden Bande leider nicht zur Ausführung gelangt.
Von der im § 14 angeordneten Classirung der Denkmäler wurde bei
der Durchführung mit Recht Umgang genommen. Abgesehen davon, dass
eine solche unter den gegebenen Verhältnissen äusserst schwer durchzu-
führen gewesen wäre, würde sie auch vielfach nur einen bedingten Wevth
gehabt haben, da sie auf der individuellen Schätzung und Anschauung
von verschiedenen Berichterstattern hätte aufgebaut werden müssen. Ausser-
dem kann der Zweck einer solchen Classirung leicht auch auf andere
Weise erreicht werden, indem man eben das Wichtige und besonders Be-
deutende ausführlich, genau und eingehend beschreibt und das Minder-
wichtige weniger detaillirt behandelt oder endlich gar nur einfach er-
wähnt. Leider wurde dieser Gesichtspunkt bei der Zusammenstellung des
Werkes nicht immer beachtet.
Betreffs der Illustrationen liestimmt der § 1 5 der Grundzüge :
»Illustrationen sind nur ausnahmsweise und wenn sie dazu dienen eine
weitläufige Beschreibung zu ersetzen und zwar in der Eegel noch nicht
verwendete beizugeben.« Von dieser allenl'alls für ein blosses Inventar
passenden Bestimmung ist man später glücklicherweise abgeko men.
»Nicht bloss im Schosse der Central-Commission selbst, << heisst es in der
Einleitung (S. III), »sondern auch von berufenen Stimmen aus dem Lande
Kärnten wurde indess in Erwägung gezogen, ob es sich nicht in mehr als
einer Hinsicht empfehlen dürfte, den reichen Vorrath an Holzstöcken, der
sich seit einer Reihe von dreieinhalb Decennien im Besitze der Central-
Commission aufgespeichert hat, zur Illustration der einzelnen Artikel zu
verwenden, was nicht bloss einem sonst ziemlich trockenen Werke manchei-lei
Anziehungskraft verleihen, sondern auch zur nutzbaren Anschaulichkeit des
im Texte Auseinandergesetzten sehr dankenswerthe Dienste leisten müsste.«
Die Central-Commission hat sich demnach entschlossen, der Kunsttopographie
ein reiches Illustrationsmaterial beizugeben, doch nicht auch dazu, die
folgerichtigen Consequenzen aus diesem geänderten Vorgehen voll und
ganz zu ziehen. Es wurden nämlich nicht alle der Central-Commission
zugänglichen Illustrationen wieder zur Verwendung gebracht — die ge-
ringen Mehrkosten wären durch die Vortheile für die wissenschaftliche
Benützung reichlich aufgewogen worden — und es wurde von der Bei-
gabe eines l)esonderen Atlanten der Illustrationen abgesehen. Zwar heisst
es auf Seite IV der Einleitung: »Es darf hier nicht unerwähnt bleiben,
dass durch die reichliche Ausstattung mit Illustrationen die ursprüngliche
Beigalie eines Atlanten der Kunstdenkmale Kärntens entiallen konnte.«
Wenn aber dies, so erforderte die wissenschaftliche Seite des Werkes,
dass die Illustrationen dort in den Text eingefügt wurden, wo sie dem
Zusammenhange nach liingehören, so dass stets Wort und Bild beieinander
stehen. Allein anstatt dessen wurden ästhetische Grumisätze massgeliend,
Literatur. 319
die Illustrationen wurden ohne Eücksicht auf den Text schön gleichmässig
auf die Seiten des Buches vertheilt. Wie unbequem dadurch die wissen-
schaftliche Benützung des Buches geworden ist, wird jeder, der sich mit
demselben zu beschäftigen hat, nur zu bald empfinden. Auf diese Art
ist wohl ein schönes Bilderbuch, aber kein wissenschaftlich leicht brauch-
bares Werk entstanden.
Endlich bestimmt § 16 der Grundzüge, dass »Citate nur auf diejenigen
Werke zu beschränken seien, welche den betreifenden Gegenstand ausiühr-
licher besprechen oder in guter Abbildung bringen, Literaturberichte seien
ausgeschlossen.« Etwas allgemeiner spricht sich hierüber die Ceutral-
Commission in der Einleitung (S. III) aus: »Auf die bestehende mass-
gebende Literatur« heisst es da, »wurde durch Berufung möglichst
einsfehend hingewiesen.« Dieser Grundsatz ist viel zu dehnbar: Bei der
individuellen Unterscheidung, was »massgebend« sei und was nicht, wird
der Willkür stets ein zu grosser Spielraum eingeräumt sein. Für ein
Werk, wie das vorliegende, wäre wissenschaftlich einzig und allein der
Grundsatz richtig, dass die gesammte bestehende Literatur möglichst voll-
ständig zu verzeichneii ist. Dafür sprechen so viele Gründe, dass es nicht
einmal nöthig ist, sie anzuführen. Selbst die darauf aufgewandte Mühe
wäre kaum grösser gewesen, als wenn der aui'gestellte Grundsatz der
richtigen Unterscheidung zwischen massgebend und nichtmassgebend in
zutreflender Weise durchgeführt worden wäre.
Soviel über die allgemeinen Grundsätze, Auf einiges Andere zurück-
zukommen, wird sich noch später hie und da die Gelegenheit erge])en.
In welcher Weise wurden nun die in den »Grundsätzen« und in der
»Einleitung« von der Central-Commission selbst aufgestellten allgemeinen
Principien in dem vorliegenden Bande angewandt und durchgeführt? Dafür
wird die Eedaktion des Werkes verantwortlich zu machen sein.
Nach der Einleitung (S. II) hat die »Einzelarbeiten« für den prä-
historischen und römischen Theil »der Grätzer Universitäts-Professor Dr.
Fritz Pichler auf sich genommen«, »die Anordnung und Formulirung des
von so vielen Seiten und verschiedenen Kräften zusammengetragenen
Materiales aber war die mühevolle Arbeit des erkorenen Referenten, des
k. k. Sectionsrathes Dr. Karl Lind«. Diese zweifache Redaktion mag
immerhin für die Einheitlichkeit des Werkes nicht von Nutzen gewesen
sein. Doch ich kann mir l'ci der beliebten Theilung der Arbeit das Ver-
hältniss der beiden Redakteure zu einander nicht anders denken, als dass
Dr. Lind die Gesammtredaktion besorgte, d. h. das von Dr. Pichler be-
arbeitete Material an richtiger Stelle einordnete. Dies Verhältniss scheint
mir auch in den angeführten Worten der Einleitung angedeutet zu sein.
Rein redaktionelle Versehen uml Irrthümer dürften daher nur auf Rech-
nung des Gesammtredakteurs zu setzen sein.
Schon die alphabetische Anordnung ist wiederholt fehlerhaft. So
folgen: Bodenthal nach Brandlhof, Dornach nach Dornbach, Dürnfeld nach
Dürnstein, Gamsenegg nach St. Gandolph, Langsdorl' nach Längsee, Lie.ser-
egg nach Liesing, Loiltach nach Loibl , St. Lorenz nach St. Lorenzen,
St. Lorenzen nach Lorenzenberg, Oetting nach Ottmanach, Reinegg nach
Reisach, Rosendorf nach Rossegg, Sack nach Sala, Steierberg nach St. Ste-
phan und Unzdorf nach St. Urban.
320 Literatur.
Nicht selten kommen Schreibweisen der Namen zur Anwendung, die
von den landesüblichen und allgemein gebräuchlichen abweichen. Manche
dieser Abweichungen mögen auch auf einfachen Druckfehlern beruhen,
manche nur auf verschiedener Schreibung. Aus der Liste — sie zählt 58
iNumuiern — greife ich nur einige Beispiele heraus (der richtige Name
steht an zweiter Stelle) : Aichelburg — Aichlberg, Düchmannsdorf — Tech-
mannsdorf, Dünhof — Dornhof, Ehrenvest — Ead nvöst (^= Oede Veste),
Gaudnitz — Öaudritz, Geräuth — Greuth (Kreuth), Hüchenbergen — Hoheii-
bergen, St. Joseph in der Tratten — St. Joseph an der Tratte, Krain-
schütz — Kremschitz, Mallthein — Malta, Maria im Elend — Maria-
Elend, Maria an der Gail — Maria Gail, Miegers — Mieger, Mösl-Ofeii
— Mosel, Nicolsdorf — Nikelsdorf, Osterwitz, Neu — Niederosterwitz,
Polinik — Polinig, St. Primus liei Tultsching — St. Primus bei Tultsch-
nig, Rautenburg — Kauterburg, Schwertenegg — Schrottenegg , Thui-n
— Thurnhof, und im Nachtrage : Gerl am Moos — Gerlamos.
Auch einige Inconsequenzen, besonders in der Behandlung der zu-
sammengesetzten Ortsbezeichnungen mit Unter und Ober oder Windisch
und Deutsch, Gross und Klein u. s. w. sind zu verzeichnen. Derlei Orts-
bezeichnungen hätten doch alle nach einem bestimmten Principe in gleiciier
Weise alphabetisch eingereiht werden sollen. Desgleichen werden auch
ein und dieselben Namen nicht immer consequent gleich geschrieben: so
linden wir Hainburg und Heunburg nel)en dem richtigen Haimburg,
Kreugerberg neben Kraig, Reifniz neigen Reiihitz, Reineck neben Reiii-
egg u. s. w.
Doch das sind Kleinigkeiten. Um so bedenklicher aber ist es, dass ein-
zelne Orte unter gänzlich falschen Bezeichnungen alphabetisch eingereiht
sind, und da?s ein und dieselben Objekte unter verschiedenen Namen
doppelt, das Wegkreuz bei Launsdorf sogar dreimal, sei es nun mit den-
selben oder mit anderen Worten, beschrieben werden. Dies wäre leicht
zu vermeiden gewesen, da für Kärnten Hilfsmittel genug bestehen, um in
zweifelhaften Fällen das Richtige zu treffen. Besitzen wir doch vier brauch-
bare Ortsrepertorien. Dazu kommt noch die grosse vom militärgeographi-
schen Institute herausgegebene Specialkarte im Masstabe von 1 : 75 000,
abgesehen von einigen anderen älteren kartographischen Arbeiten. Die Be-
nützung auch nur eines von diesen Hilfsmitteln hätte genügt. Soviel sich, und
zwar aus der Art der Fehler ersehen lässt, wunle bei der alphabetischen
Anordnung der Orte nur ein einziges Hilfsmittel benützt, d. i. der
Schematismus der Gurker Diöcese. Allein dieser ist an sich gerade keine
Musterpublikation, zudem ist er nach einem Principe verfasst, das für die
Bestimmung der eigentlichen Ortsnamen von Vorneherein die grüsste Vor-
sicht gebietet. Die Kirchen werden nämlich nicht nach den eigentlichen
Ortsbezeichnungen, sondern nach den Heiligen, denen sie geweiht sind,
angeführt. Ausserdem werden bei öfters wiederkehrenden Heiligennamen
die nach diesen genannten Ortschaften durch Beisätze, welche nahegelegenen
Ortschaften, Bergen, Gegenden etc. entnommen sind, zu unterscheiden
gesucht. Diese Beisätze sind aber sonst im Lande nicht immer gang
und gäbe.
Offenbar durch diesen eigenthümlichen Vorgang im Schematismus
wurde die Reduktion nur zu oft irregeführt nml bat so melireve Orte
Literatur. 321
unter dem Namen des Heiligen, dem die in demselben befindliche Kirche
geweiht ist, eingereiht anstatt unter dem eigentlichen Namen, und um-
gekehrt wurden wieder andere Kirchen unter dem erwähnten unterschei-
denden Beisatze eingetragen anstatt unter dem Namen des Heiligen, nach
welchem die Kirche und zugleich auch die bei derselben befindliche
Ortschaft selbst benannt erscheinen. Auf diese Weise kommt es, dass bei
Ortschaften, wo keine Kirche steht und auch nie eine stand, wie bei
nianegg und Feistritz im Glanthale, Fölling bei Treffen und Siflitz bei
Spital sich Beschreibungen von Kirchen finden. Durch den gleichen Irr-
thum sind auch zwei Artikel Grrafenstein entstanden, obwohl es in Kärnten
nur einen einzigen Ort dieses Namens gibt.
Auch mehrere Doppelbeschreibungen ein und desselben Gegenstandes,
welche unter verschiedenen Schlagworten auftreten, können vielfach auf
die Irreleitung durch den Schematismus zurückgeführt werden. Allein
nicht alle. Manche Kirchen kommen einfach darum doppelt vor, weil sie
das eine Mal unter einem selbstständigen Artikel, das andere Mal abei-
unter dem Schlagworte der Pfarre, denen sie als Filialen zugehören, gleich-
falls beschrieben sind. Man vermisst eben auch hier einen bestimmten
Grundsatz, den entweder die Central-Commission selbst oder doch die
Redaktion sich hätte aufstellen sollen.
Ich gebe im Folgenden eine Liste der doppelt v(»rkommenden Artikel.
Der richtige Name ist durch einen vorgesetzten Stern (*) kenntlich gemacht:
Aichelburg, richtig Aichelberg = Damtschach;
St. Andrea bei Poggersdorf = *Wutscliein;
St. Cantian im Geräuth = Malestig (St. Cantian);
Damtschach =- *Tamtschach;
Drupolach = Tröpelach, richtig Tröppelach;
Dürnstein = * St. Stephan bei Friesach ;
Egg (Kieuegg) = Kienegg, richtig Khünegg;
Feistritz im Glanthale (St. Martin-Kirche) = St. Martin in Feistritz, richtig
Feistritz südlich von Grades;
Ferlach, Unter = Unter-Ferlach ;
Feuersberg ■= *St. Stephan bei Feuersberg;
Finkenstein = *St. Stephan bei Finkenstein;
*Fresslitz = St. Magdalena an der Fresslitz:
*Galizien ^= St. Jakob in Galizien;
St, Georgen am Bayesberg ^^= * Bayerberg, St. Georgen am — - unter den
Nachträgen :
St. Georg vor dem Bleiberge (Flügelaltar) := Kerschdorf (Flügelaltar);
St. Georgen am Gundischberg ^=: * St. Georg(en) unter Stein ;
*St. Georg(en) am Stenberg = Sternberg (auch unter <ler falschen Be-
zeichnung Steinberg steht ein Hinweis) ;
Glanegg (St. Urban-Kirche) = * St. Urban bei Glanegg;
* Grades, St. Wolfgang l)ei ^ St. Wolfgang bei Grades;
Hochostei'witz ^ Osterwitz, Hoch- und =- Osterwitz, Neu-, richtig Nieder-
osterwitz ;
Hornburg, St. Oswald ob -^^ *St. Oswald ob Hornburg;
St. Johann B. am Kienberge ^ Kienberg;
Mittheilmigen XII. 21
322 Literatur.
St. Johann am Streinberg =^ * Streiiiberg ;
* Kirchberg ^= Maria im Moos;
Klein-Kirchbeim (Filiale St. Katharina im Bade) = *St. Katharina;
Klein-St. Veit = St. Veit bei Reineck, richtig Windisch-Klein-St. Veit:
Kremskogel =^ Hochosterwitz (Kremskogel):
St. Kunigunde ^= *Reissl)erg;
St. Lambrecht am Radsberg =^ * Ra^lsberg unter den Nachträgen ;
Launsdorf (St. Sebastians-Filialkirche) = *St. Sebastian;
Laujisdorf (Wegkreuz) = Hochosterwitz (Wegkreuz) — Launsdori' (Weg-
kreuz) des Nachtrages;
Loibach, Unter- -=^ Unter-Loibach ;
St. Margarethen zu Tsclirietes -^ Schrittes (richtig *Tsclirietes) unter den
Nachträgen ;
* Maria am See ^= Prevali ;
St. Martin in Feistritz — - Feistritz im Glanthale, richtig Feistritz südlirh
von Grades ;
*St.. Martin am Silberbei-ge ■=— Silberberg;
St. Michael an der (lurk ■== * Windisch-St. Michael;
Niedertrixen — * St. Stephan bei Heunburg:
Nussberg (1. Artikel) = Nussberg (3. Artikel);
Fölling bei Launsdorf =^ Pölling bei Launsdori' der Nachträge;
•Fölling bei Tretfen =- '^^ Pölling auf der Saualpe der Nachträge;
Reineck ^^ * Reinegg;
Reinegg (Pfarre St. Philippen) -^^ *St. l'hilippcn;
Reisberg = * Reissberg;
Rieding, St. Oswald in der = St. Oswald in der Rieding der Nachträge;
Schwerttenegg = *Schrottenegg;
Tweng (St. Leonhard) ^=^ *St. Leonhard im Drauthale.
Dazu käme ein Verzeichniss der unter falschen Bezeichnungen vor-
kommenden Artikel, nicht weniger als 37 ^). Ich erwähne hier einige:
Chum, richtig St. Christoph am Chum; Dornach, richtig Mitteldorf bei
Sagritz im MöUthale; Gorentschach, richtig St. Nikolai : Hungersbach, rich-
tig Bach; Krainschütz (recte Kremschitz), richtig St. Leonhard; St. Lo-
renzen s. Maria Buch, richtig Grossbuch: Ponfeld, richtig St. Martin;
Reifnitz, richtig St. Margaretben; Roggau, richtig Ober-Schütt. Daran
schliesst sich eine Anzahl von Filialkirchen (20), welche nur unter dem
Schlagworte ihrer Pfarrkirchen, seien diese nun richtig oder unrichtig
Ijezeichnet, erwähnt oder beschrieben werden, wie Freundsam unter Gra-
denegg; St. Katlierina (Filiale von St. Älargarethen) unter Tüllerberg;
St. Kolman (Filiale vom Markt Griffen) unter Ehrenegg.
Zu erwähnen ist noch, dass unter den Schlagworten St. Claus, St.
Georgen am Zammelsberg, Hornburg und Saalfeld Hinweise auf die Ar-
tikel St. Veit, Zammelsberg, St. Paul und Lamprechtskogel, Lambertskogel
') In diese Zahl .sind jene Artikel nicht eingerechnet, von welchen unter
den richtigen Bezeichnungen wenigstens Hmweise auf die unter den falschcu
Schlagworten stehenden Beschreibungen angebracht sind. Es sind dies: Abtei,
Sagradi, Sack, St. I'eter im HdIz, Kornat, St. Stephan uu\ Kr:i]>id'elde. Dreifaltig-
keit, Kadsberg und St. Huprocht bei \'ölkprniarkt.
Literatur. 323
stehen. Allein man sucht diese Artikel im Buche vergebens, nur die
Hornliurg ist unter Klein-St. Paul erwähnt. Bei St. Georg am Lamm ist
auf Lamm verwiesen, doch stellt der betreffende Artikel erst iinter den
Nachträgen.
Endlich sind für mich die Orte Forstheim und Frauenberg unauf-
hndbar. Bei dem letzteren dürfte vielleicht eine Verwechslung mit Freuden-
berg vorliegen.
Die alphabetische Anordnung der Artikel verlaugt, soll das Buch
l)equein brauchbar sein, nähere geographische Angaben, wo man die be-
treffenden Orte zu suchen habe. Er wäre dafür entweder die kirchliche
oder die politische Landeseintheilung zur Grundlage zu nehmen gewesen,
so dass bei jedem einzelnen Orte entweder die Pfarre und das Dekanat
oder die Ortsgemeinde und die Bezirkshauptmannschaft (Bezirksgericht),
zu welchen er gehört, beigesetzt wäre. Selbst rein geographische Bezeich-
nungen nach Flüssen, Bergen und Thälern hätten zur näheren Bestimmung
üiters mit Erfolg herangezogen werden können. Die Redaktion ging jedoch
in dieser Beziehung ganz willkürlich und planlos vor. Am häufigsten
stehen die Ortsnamen an der Spitze der Artikel ohne irgendwelche nähere
Orientirungsangaben, ohne genauere Hinweise, in welchem Theile des Lan-
des der Ort zu suchen sei. Man muss, will man sich über die richtige
Lage des Ortes belehren, immer wieder zu einem Ortsrepertorium greifen.
Wo aber bei einem Orte nähere Bestimmungen stehen, erscheinen sie }iach
keinem bestimmten Plane gewählt un'l reichen manchmal auch nicht aus,
und selbst scheinbar ganz genaue Angaben sind nicht allzeit ganz zu-
treffend. Ich verweise unter anderen nur auf die Angaben bei den Artikeln :
Altendorf, St. Andrea bei Poggersdorf, Deinsdorf, St. Kathrein bei Glo-
basnitz und Kreuschlach. Andere Angaben sind geradezu unrichtig: So
ist St. Anna bei Maria Wörth nicht eine Filiale von Maria Wörth sondern
von Keutrfchach; Hoch-St. Paul nicht eine Filiale von Glanegg, wo gar
keine Kirche steht, sondern von St. Urban ob Glanegg. Ferner liegt Lind
nicht im Glanthale, sondern in einem Bergthale oberhalli Karnburg; Kuh-
weg, richtig Kühweg, ist nicht bei Paternion zu suchen, sondern ist eine
Filiale von Mitschig bei Hermagor im Gailthale.
Ungleichmässig ist auch das Vorgehen in Bezug auf die Art und
Weise, wie und wo diese näheren Bestimmungen angebracht wurden.
Meistens stehen sie wohl gleich im Anschlüsse an den Namen, "aber manch-
mal kommen sie auch erst später vor, so z. B. einigemale erst im mittel-
alterlichen Theil. Mit einem Worte, das Werk lässt in diesem Theil fast
Alles zu wünschen übrig.
Auch in der in den »Grundzügen« aufgestellten Gliederung der ein-
zelnen Artikel nach den prähistorischen, römischen und mittelalterlichen
Gegenständen wurde keineswegs streng consequent verfahren. Nicht immer
sind die genannten (iruppen dui'ch Absätze ges(;hie<1en, nicht immer gehen
die Angaben über prähistorische und römische Fundstücke, besonders über
Kömersteine, der Beschreibung mittelalterlicher und neuerer Baudenkmale
voran, nur zu oft stehen die ersteren mitten in der Beschreibung der
letzteren. Wie schwer ist dadurch einem gewissenhaften wissenschaftlichen
Benutzer, der den römischen Denkmalen in Kärnten nachgehen wollte, die
Arbeit gemacht! Und nun vollends erst im mittelalterlichen und neu-
21"
ß24 liitcratur.
zeitlichen Theil ! Wie kunterbunt sieht es da in den einzelnen Ar-
tikeln aus!
Für die Anlage eines Werkes wie des vorliegenden, muss doch in
erster Linie der Gresichtspunkt leichter Brauchbai'keit für die Benutzer,
d. i. für Kunsthistcjriker, welche das Ganze oder einzelne Gruppen von
Kunsterzeugnissen behandeln wollen, massgebend sein. Demnach muss tlie
Anordnung des Stoffes innerhalb der einzelnen Artikel eine möglichst
gleichmässige und übersichtliche, die Gliederung eine vollkommen durch-
sichtige sein. Durch strenges Festhalten an einem im Vorhinein entworfenen
Schema wäre dies leicht möglich gewesen. Aber anstatt dass schon in
den »Grundzügen« für diesen Theil ein genaues und allgemein giltiges
Programm, ein ins Einzelne gehendes Schema, aufgestellt worden wäre,
wird nur auf den niederösterreichischen Wegweiser von Baron Sacken und
auf ein paar eigens zu diesem Zwecke hergestellte Musterljeschreibungen
verwiesen. Ich bemerke nebenbei, dass von letzteren die Beschreibung
der Burg Hochosterwitz zudem unpassend gewählt wurde, denn sie reprä-
sentirt keinen Typus, sondern ist ein Unicum. Die Musterbeschreibung
von St. Leunhard im Lavantthale wui'de aber nicht einmal vollständig-
wörtlich herübergenommen. Es würde zu weit führen, wollte ich hier
ein Musterschema aufstellen. Nur andeutungsweise sei hervorgehoben,
dass z. B. bei Beschreibungen von Kirchen zunächst das Architektonische
•mit Einschluss des damit organisch verliundenen plastischen Schmuckes
u. zw. in Ijestimmter Keilienfolge: zuerst das Constructive und dann erst
das Ornamentale, zu behandeln wäre; dann kämen die unbeweglich mit
dem Bauwerke verliundenen Wandmalereien im Innern und am Aeussern
und schliesslich erst die beweglichen Einrichtungsstücke gleichfalls wieder
in bestimmter Reihenfolge. Wäre das Werk in solcher Weise emgerichtet,
so könnte jeder, der aul einem beschränkten Gebiete nach einer bestimm-
ten Eichtung Studien machen will, ohne viel Mühe und unnöthigen Zeit-
verlust das zusammengehörige Material sich sammeln, während er so ge-
zwungen ist, fast das ganze Werk von Anfang bis zum Ende durchzusuchen.
Insbesondere ist es zu bedauern, dass selbst das organisch Zusammen-
gehörige, wie die Beschreibungen des Architektonischen von Bauwerken,
manchmal durch Einschieliung von Beschreibungen anderer Gegenstände,
etwa der Glasfenster liei St. Leonhard im Lavantthale, auseiirandergerissen
ist. Ein noch ärgeres Beispiel der Zerrissenheit bietet die Beschreibung
der Kirche von Strassburg. Ausserdem verweise ich, um nicht zu weit-
läufig zu werden, nur noch auf die Artikel Ossiach, Rottendorf, Sieben-
brünn, Wolfsberg u. s. w.
Diese üngleichmässigkeit in der Anordnung und dieses Durcheinander
in den verschiedenen Artikeln ist vielfach darauf zurückzuführen, dass die
Redaktion es sich mit der Behandlung und mit der Benützung iler gegebenen
Quellen und der Literatur nicht zu schwer gemacht hat. Anstatt sie
nändich für ihre Zwecke zu verarbeiten, hat sie dieselben einfach Wort
iür Wort abgeschrieben. Bei der Besprechung der Literaturbeuützung
werde ich auf diesen Punkt ausführlicher zurückzukommen mich bemüssigt
sehen. Hier einige Worte über die Redaktion des prähistorischen und
römischen Theiles.
lieber die Zweckmässigkeit und Richtigkeit des Vorgehens in Beziehung
Literatur. 325
auf alle dabei in Betracht kommenden Gesichtspunkte, sowie über die
Richtigkeit und Genauigkeit aller vorgebrachten Angaben in diesem Theile
wage ich ein endgiltiges und abschliessendes Urtheil nicht zu fällen. Es
fehlte mir auch an Zeit und Gelegenheit, um ganz genaue Nachprüfungen
anzustellen. Allein gewisse Mängel müssen schon bei der oberflächlichen
Durchsicht auffallen, über die ich mir allerdings ein Urtheil abzugeben
erlaube.
Es genügt, darauf hinzuweisen, dass rein geologische und paläonto-
logische üinge doch nicht in eine Kunsttopograghie gehören. Und doch
wie häufig kommen sie vor. Ebenso wäre auch das rein Sagenhafte aus-
zuschliessen gewesen. Auch etymologische Ableitungen, wie z. B. unter
Karnburg für Kärnten, wird in der Kunsttopographie niemand suchen.
Artikel, wie Kanker-Pass, Mösl-Ofen, Obir, Eeifnitzthal, Reineck, Saualpe,
Seeland, Stangalpe, Tun-ach-Sattel, Zauchen, Zmuln und Anderes könnte
man ganz wohl entbehren. Ferner ist in diesem Theile reinen Ver-
muthungen und Hypothesen, für die als Belege nicht die geringsten
Funde angeführt werden können, ein zu grosser Spielraum gewähi-t.
Fabeln und Vermuthungen, die Megiser und Valvasor aufgestellt haben,
wieder aufzufrischen oder auch nur zu verzeichnen wie bei Loi-enzenberg,
St. Veit, Völkermarkt etc. musste füglich unterbleiben. Dann spielen
Worte und Wendungen mit »ob, vielleicht, wohl, mag, scheint, dürfte«
u. s. w. eine allzugrosse Rolle. Auch das Fragezeichen findet in einem
nicht zu rechtfertigenden Ausmasse Anwendung. Denn was soll es heissen,
wenn wie im Artikel Osterwitz Hoch- (S. 255) zu einer — allerdings auf
nichts gestützten — Behauptung mit »jedenfalls« ein ? ! gesetzt wird?
Wäre man von dem Grundsatze ausgegangen, nur vollständig Sicheres
und Wohlbeglaubigtes aufzunehmen, dann hätte man der Wissenschaft
gewiss mehr genützt, als mit den vielen vagen auf nichts gestützten Ver-
muthungen. Dazu kommt noch in diesem Theile eine höchst manirirte
Knappheit der Form, die oft ans Orakelhafte streift, ja auch geradezu
unverständlich wird. Man sehe nur z. B. Waisach. Und trotzdem tritt
doch manchmal recht Ueberflüssiges zu Tage, wie z. B. das schon genannte
rein Geologische und Paläontologische oder die GrössenangaVien der ver-
schiedenen Seen oder die Aufzählung der verschiedenen Besitzer von
Töltschach.
Dass eine strenge Scheidung der prähistorischen und römischen An-
gaben von dem mittelalterlichen und neuzeitlichen Theil nicht immer
stattfand, habe ich bereits bemerkt. Dieselben Römersteino, die zu Anfang
eines Artikels an richtiger Stelle genannt werden, sind öfters im mittel-
alterlichen Theil bei Beschreibung der Bauten, an denen sie haften, noch-
mals erwähnt. Auf eine vollständige Zusammenstellung solcher Wieder-
holungen muss ich verzichten, da sie nur zu oft vorkommen. Nur auf
ein paar besonders auffallende sei namentlich hingewiesen: So wird unter
Gmünd im römischen Theil der Grabstein Sabiniae richtig als in Klagen-
furt befindlich angeführt, während er im mittelalterlichen Theil als noch
an der Aussenseite der Kirche haftend bezeichnet wird. Unter Klagenfurt
(S. 47 o) ist er dann nochmals und zwar nicht ganz übereinstimmend mit
den früheren Angaben — dort 1515, hier 15(l7V) — erwähnt. Oder
32 ß Literatur.
man selie üher das Relief mit den Pferden im Artikel Ton nach. Endlich
sei seines Widerspruches wegen noch folgendes Heispiel hervorgehoben :
Unter St. Urhan hei (itlanegg lieisst es im römischen Theile (S. .ST) 3):
»Die zwei steinernen Köpfe an der Kirclx' scheinen römisch* ixnd im
mittelalterlichen Theile (S. :-5r)4): »Zu beiden »Seiten des Aufganges /um
Süd-Portale ist je ein Steiiil<opf eingemauert, offenbar von dem ({rid)-
steine eines römischen Ehepaares herstammend, dei' zwischen den Köpfen
auseinander gesägt wurde*. Hier will ich noch einlugen, dass im Artikel
Klagenfurt der römische Theil durch Einschiebung der Beschreibungen des
mittelalterlichen und neuzeitlichen Theiles ohne sichtlichen Grund aus-
einandergerissen ist. Nach dem I'rii historischen (S. 4:i5) werden die
römischen Keliefsteine und erst am Ende des Artikels V(n- der Beschreibung
des Museums (S, 457) die römischen Inschriftsteine angeführl.
Der im Allgemeinen durchgefüluten Auseinanderhaltung der lieliei-
steine und figuralen Denkmäler von den blossen Inschriftsteinen kann man
zustimmen. Allerdings wurde gerade auch licliefsteinen, welche in der K u n s t-
Topographie in erster Linie zu lierücksichtigen gewesen wären, niclit die
verdiente Aufmerksamkeit gesclienkt. Selbst der Denkmäler -Vorrath ist
nicht in jener Vollständigkeit verzeichnet, welche man verlangen kann.
So sind unter andern die vier Eeliefsteine, welche an der Kirche in
St. Michael am Zollfelde haften, gar nicht erwähnt und von den lünf
Reliefs in Lendorf werden auch nur drei namentlich angeführt.
Nicht zu billigen ist es ferner, dass diese Denkmiüer ölters unier
dem Schlagworte der ehemaligen und nicht der jetzigen Standorte, wenn
diese nicht zugleich auch zweifellos die Fundorte sind, angeführt werden.
Auf diese Weise muss man Inschrii'tsteine, die jetzt und schon lange in
der Nähe des Fundortes beisammen sind, wie die am Prunner-Kreuz zu
Zollfeld, an verschiedenen Orten suchen. Zu bemängeln ist dann auch
noch eine gewisse Inconsequenz in der Anlührung der Inschriftsteine.
Man vergleiche daraufhin z. B. die Artikel Zollfeld und Töltschach. Im
ersteren fehlen die bei dem letzteren vorkommenden Circadatirungen, so-
wie die Angabe des Ftrndjahres und des jetzigen Standortes. Dem gegen-
über wird im Aiiikel Helenaberg gar nur die Anzahl der gefundenen Jn-
schriftsteine angegeben, ohne einen einzigen namentlich zu bezeichnen.
Nicht minder ist es störend, dass die Angabe des jetzigen Standortes
Klagenfurt mit der Sigle K. öfters mitten unter den Literatur-Citaten
innerhalb der Klammern und nicht wie sonst vor den Literatur-Citaten
und vor den Klammern steht. Für eine sehr praktische Einrichtung
würde ich es halten , wenn sämmtliche genannten und beschi'iebenen
Römersteine eine durchgehende Nummerirung erhalten hätten, und wenn
sie nicht blos an den bekannten Fundorten ausführlich beschrieben, son-
dern auch an den jetzigen Standorten nur unter Anführung der Nummer
nochmals erwähnt worden wären, so dass dadurch sowohl der Fund- wie
auch der jetzige Standort eines jeden Steines in Evidenz stände.
Zu weitgehend scheinen mir die auf bestimmte Jahre gesetzten Circa-
Datirungen der Inschriftsteine, wofür wohl in den seltensten Fällen irgend-
welche begriindete Anhaltspunkte vorliegen dürften. Geradezu ttbei*tlüssig
aber ist es, Avenn die Fundzeit von Römersteinen bis auf das Tagesdatum
genau angegeben wird (siehe Töltschach). oder wenn, in das entgegen-
Literatur. 327
gesetzte Extrem vei fallenrl, unter Millstatt (S. 2 24) es von dem Inschrift-
steine IMP CAES (J VI 1)10 heisst: »ist nach 1151, wo Milstat zuerst
genannt wird* — nebenbei bemerkt, ganz unrichtig »ins Stift gekommen
und 1527 zuerst liekanut geworden«.
Zum Schlüsse erwähne icli uur noch, dass das Incipit mancher In-
schriftsteine mit. einem Sternchen versehen ist, das anderer hingegen
nicht. Nach einer Aufklärung dafür aber sucht man im ganzen Buche
vergebens.
Icli wende mich nun zur Besprechung der Art un<l Weise, wie die
bestehende Literatur für das Werk verwerthet und wie sie angefühi-t.
wurde. Bereits oben habe icli auf die Bedenklichkeit des in Bezug auf
die Nennung der bestehenden Literatur aufgestellten Grundsatzes hin-
gewiesen. Sie tritt nocli schärfer in der Durchführung dieses Grundsatzes
hervor. Zunächst begegnet ein Unterschied zwischen dem prähistorischen
und römischen und dem mittelalterlichen und neuzeitlichen Theil. Während
dort die Literatur in ausgedehntem Masse citirt wird, ist dies hier viel
weniger der Fall. Eine Vollständigkeit ist auch im ersteren Theile nicht
erreicht und trotzdem kommen doch wieder Literatur-Citate vor, die zu
dem behandelten Gegenstande in äusserst loser Beziehung stehen. Die
einfache Nennung des betreffenden (.)i'tes in einem vom Redakteur
Dr. Pichler geschriebenen Artikel genügt schon, um den Artikel selbst
zu citiren. Das heisst doch des Guten zu viel gethan. Im Gegensatze
zu diesem Zuviel ist im mittelalterlichen und neuzeitlichen Theil in der
Nennung der bestehenden Literatur entschieden zu wenig geschehen. Nicht
nur solche Artikel, die bloss ein paar oder mehrere Zeilen Umfang haben,
sondern selbst solche, die mehrere Blätter umfassen und die von Anfang
bis zu Ende aus der bestehenden Literatur einfach Wort für Wort abge-
schrieben sind, erscheinen ohne Literatur-Citate. Nicht ein Aufsatz oder
eine Abhandlung wird für die Zusammensetzung dieser Artikel als »mass-
gebend« angeführt. Ich verweise unter anderen nur auf die grösseren
Artikel Gurk, St. Leonhard im Lavantthale, Miilstatt und Ober-Vellach.
Zur Gharakterisirung dieses Vorgehens sei erwähnt, dass selbst die
Mittheilungeu der k. k. Central-Commission in wenigstens 200 Fällen nicht
citirt erscheinen und auch dann, wenn keine andere Literatur existirt und
der betrelFende Artikel aus den Mittheilungen wörtlich abcreschrieben
wurde. Endlich sei noch eine Thatsache hervorgehoben. Im Jahre 1«S6
hat der Redakteur Dr. Karl Lind im Selbstverlage ein 335 Seiten um-
fassendes Buch, betitelt: »Beiträge zur Denkmalkunde Kärntens* erscheinen
lassen, in welchem die in den Mittheilungen der Central-Commission ge-
druckten Aufsätze dessellien zur Kunsttopographie Kärntens gesammelt
sind. Und dieses Buch finde ich in dem vorliegenden Werke nicht erwähnt
und nirgends citirt, obwohl es zum allergrössten Theile wörtlich in das-
selbe aufgenommen wurde. Man sieht also, wie verschieden die beiden
Redakteure den aufgestellten Grundsatz, die »massgebende« Literatur zu
citiren, aufgefasst haben.
Alter nicht blos, dass die Mittheilungen der Central-Commission selbst
häufig nicht angeführt wei'den, wo sie unbedingt zu nennen waren, kom-
men aber auch noch unrichtige und falsche Citate derselben in einem
Umfange vor, der kaum mehr zu entschuldigen ist. Ich habe mir die
3?8
Literatur.
Mühe genommen, rlie ganzen Mittheilungen durchzusehen und mit den
Citaten zu vergleiclien, und bin dabei auf mindestens hundert unrichtige
Citate gestossen. Bei ungefähr der Hälfte derselben handelt es sich nur
um einen Irrthura von ein oder zwei Seiten, bei der anderen Hälfte aber
sind entweder die Bändezahlen falsch angegeVien oder es handelt sich um
unrichtige Seitenangaben für die Zahlen V, X, L, C u. s. w., so dass der
Benutzer nur mit grosser Mühe und auf grossen Umwegen das Richtige
herausfinden kann.
Aber die Mittheilungen sind iür das Werk nicht einmal vollständig
ausgenützt. Es hätten darnach, abgesehen von einigen unbedeutenderen
Notizen für einige Orte im CTailthale (vgl. M. 9, 107 u. if.) noch folgende
Artikel entweder im Werke selbst oder in den Nachträgen Aufnahme fin-
den können und finden sollen:
Allersdorf bei St. Paul im Lavantthale (M. N. F. U, 1.34),
Drau, Curatie im Oberrosenthal (M. N. F. 10, XXIV),
Eberdorf bei Althofen (M. N. F. 14, 205),
Emmersdoii bei Karnburg (M. N. F. 1 2, LXXX),
Lansach bei Weisenstein (M. N. F. 11, LXXI),
St. Magdalena am Lurnfeld, Filiale von Pusarnitz (M. 11, 55),
MagdalensVjerg bei Lavamünd (M. N. F. 9, XXVII),
Maria Graben, Filiale von Vorderberg im Gailthalc (M. N. F. 9, CXXXIV),
Siegelsdorf, Filiale von Marein bei Wolfsberg (M. N. F. 1 0, LXXXV) i).
Unter -Winklern, Filiale von Kranzeihofen (M. N. F. 10, XXII, dieses
Literatur-Citat ist in unrichtiger Weise bei Winklern im Möllthale
angebracht),
Wölch bei Wolfsberg (M. N. F. 14, 28 1).
Ausserdem seien daraus auch noch folgende Ergänzungen und Be-
richtigungen beispielsweise angeführt. Es sind nicht genannt bei
Feuersberg (St. Stephan) ein Wandgemälde (M. N. F. 8, LXI), in
Fresslitz Verschiedenes (M. N. F. 14, 168 — hätte wenigstens im Nach-
trage gebracht werden können), in
Gajach ein Glasgemälde von 1496 (M. N. F. 8, CI), in
St. Georg am Stemberg der Name des Malers des Fastentuches (M. N. F.
10, XXV), in
St. Georg bei Villach der einfache gothische Kelch (M. N. F. 7, LHl), in
Grades (St, WoKgangskirche) die genaueren Daten über die Bauzeit
(M. 4, 49 — 50), in
Guttenstein ein Votivbild vom Jahre 1667 (M. N. F. 7, LIX) und in
Kühweg ein Deckengemälde (M. 2, 1 1 0).
Bezüglich der Literatur-Citate ist noch ein Punkt zu betonen. Dem
Werke geht eine Erklärung der in demselben angewendeten Abkürzungen
voran, welche auch auf den Umschlägen der Lieferungen enthalten war.
Man sollte meinen, diese Abkürzungen seien im ganzen Werke einheitlich
beibehalten und consequent durchgeführt worden. Doch nichts von dem.
Dieses Abkürzungs-Schema existirte für die Redaktion einfach nicht. Aber
nicht nur dieses existirte nicht, sondern es war, wie es scheint, für die
Redaktion überhaupt keines vorhanden, denn es heiTScht in dieser Be-
') Ist unter Siflitz, wo gar keine Kirche sich befindet, beschrieben.
Literatur. 329
Ziehung volle Willküi- und Tnconsequenz. Ich verweise etwa nur darauf,
in wie verschiedener Weise die am öltesten angezogenen Mittheilungen der
Central-Commiösion citirt werden. Von ilen selten angeführten Berichten
und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien notirte ich mir neben
der im Schema aufgestellten Abkürzung B. A. V. noch folgende Varianten :
M. a. V., M. W. Alt. Ver., Mi. w. Alts. V., Mi. w. AlthV., Mi. w. Althms.
Verein Mitth. Axisser dieser Ungleichmiissigkeit im Citiren finden sich
dann hie und da noch unvollständige Citate vor und zwar von Werken,
die man im genannten Schema vergeblich sucht. Gleich inconsequent wie
das Citiren der Büchertitel ist auch der Vorgang, wie die Bände- und
Seitenzahlen angeführt werden. Ebenso willkürlich und inconsequent ist
auch das Vorgehen bezüglich der Stellung der Literatur -Citate. Bald
stehen sie an der Spitze der Ai-tikel, bald am Ende, bald mitten in den-
selben. Ein bestimmtes Princip ist nicht zu erkennen; Literatur-Citate
werden auch dann mitten in den Artikeln angebracht, wenn nicht blos
das Vorhergehende, sondern auch noch das unmittelbar darauf Folgende
wörtlich aus der citirten Literatur abgeschrieben ist und ebenso stehen
Literatur-Citate auch dann am Ende der Artikel, wenngleich das unmittel-
bar Vorhergehende nicht mehr aus den citirten Werken entnommen ist.
Es fehlt eben durchaus an einer einheitlich redigirenden Hand.
Wie bereits hervorgehoben wurde, ist ein gi'osser Theil der Artikel
— ich werde mich kaum irren, wenn ich sage: fast zwei Drittel des
Buches — einfach Wort für Wort nach früheren Abhandlungen wieder
abgedruckt worden. Insbesonders ist dies bei jenen Artikeln der Fall,
welche in den vom Redakteur Dr. Karl Lind in den Mittheilungen der
k. k. Central-Commission veröffentlichten »Reise-Notizen über Denkmale
in Kärnten* enthalten sind und die dann in den genannten »Beiträgen«
gesammelt wieder herausgegeben wurden. Dass die Redaktion sich selbst
wieder wörtlich nachdruckt, würde ich ihr nicht zum Vorwurf machen,
wenn die Artikel nur sonst in den Plan des Werkes hineinpassen würden.
Allein das ist eben leider nicht der Fall. Die betreffenden Artikel ent-
sprechen wohl dem Titel in den Mittheilungen, sie sind flüchtige, ohne
bestimmten einheitlichen Plan hingeworfene »Reise-Notizen« und mögen
als solche vollständig genügen und ihren Zweck erfüllen. Aber in die
Kunsttopogi'aphie, die ein planmässig angelegtes und consequent durch-
geführtes Werk sein soll, gehören sie in dieser unveränderten Form nicht
hinein, sie hätten unbedingt einer entsprechenden Umarbeitung bedurft.
Dass dies nicht geschehen, ist mit ein Hauptgrund für das in den ver-
schiedenen Artikeln heiTSchende Durcheinander.
Eines darf ich bei dieser Gelegenheit wohl noch zur Sprache bringen.
Viele Artikel erscheinen in diesem Werke zum erstenmal. Da eine andere
Literatur über die darin besprochenen Olyekte nicht vorhanden ist, so
würde es gewiss werthvoll sein zu wissen, von wem die einzelnen Artikel
herrühren. Denn ohne Frage kann es nicht gleichgiltig sein, ob die An-
gaben, auf die man sich eventuell stülzen soll, von einem tüchtigen und
verlässlichen Fachgelehrten oder von einem mehr oder weniger versirten
Dilettanten oder gar nur von einem in der Kunst wenig bewanderten
Laien ausgehen. Derlei orientirende Angaben, sei es über die Verfasser
der zum ei'stenmal gedruckten Ai'tikel oder über die Gewährsmänner für
330 Literatur.
die darin niedergelegten Angalien. vermisst man durchaus. Es ist dies
ein Mangel, den jeder Fachmann liei der Benützung schwer empfindet und
stets schwer emptinden wird.
Für »He Punkte, die ich weiter y.ur Besprechung /u Illingen habe,
fällt die Verantwortung nicht mehr «1er Redaktion allein zu, sondera zum
Theil auch den Vertasscin der hetreffenden Artikel. Alter manche der
von diesen herrührenden Unrichtigkeiten hätten schon durch eine auf-
merksame Kedaktioii verbessert werden kTinnen.
Vor allem ist iu der Beschreibung der Bauten eine gewisse.
Ungleichmässigkeit zu bemerken. Gegenüber den gothischen Bauwerken,
die meist sehr ausführlich Iteschrieben. von denen selbst ganz einfache
und unbedfHitende Landkirchlein einer Notiz gewürdigt werden, erscheinen
die Bauten der späteren Zeit stiefmütterlich bedaclit, insbesonders wird
den Profanliauten geringe Aufmerksamkeit geschenkt. In demsellten Ver-
hältniss haben auch die Malereien der späteren Zeit eine zu geringe Be-
achtung gefunden. Um nur ein Beispiel anzuführen, sei auf das Schloss
zu Zwischenwässern verwiesen, das sowohl als Bau wie auch durch seine
malerische Ausschmückung bemerkensvvertli ist, und docli wird dassellie
nicht einmal erwähnt.
§ 12. c der Grundzüge bestimmt, dass »jeder Artikel in Iktretf des
darin zu behandelnden Ortes auch die wichtigsten Daten zur Geschichte
des Gegenstandes (Gründung, Baugeschichte) zu enthalten habe*.
Anschliessend heisst es im § 13, dass »vor allem die Entstehungszeit
und der Styl des ()l»jektes anzugeben seien«. Dass die ersteren Bestim-
mungen nicht überall eingehalten werden konnten, liegt in dem wenig
vorgeschrittenen Stand der Lokalforschung in Kärnten und es kann für
das öftere Fehlen solcher Daten weder der Redaktion noch den Verfassern
ein Vorwurf gemacht werden. Aber dass dort, wo solche Daten über Grün-
dung und erstes Vorkommen von Ortschaften vorgebracht werden, nirgends
die Quellen angegeben sind, aus denen dieselben genommen wurden, ist
wissenschaftlich nicht gerechtfertigt. Eine genaue Prüfung auf die Richtig-
keit und Vollständigkeit derselben ist dadurch unmöglich gemacht. Sie
sind darum auch völlig werthlos. j\Iit welcher Vorsicht diese Daten auf-
genommen werden müssen, möge die Zusammenstellung der verschiedenen,
den Markt Spital betreffenden Angaben zeigen. Innerhalb einer halben
Spalte findet man daselbst folgende sich widersprechende Daten. Es
heisst 1 . der Markt Spital führe seinen Namen von einem Pilgrim-Spitale,
das 1197 gegründet und aus dem in der Folge ein mit Mauern um-
schlossener, wohlbefestigter Markt geworden sei; 2. der Ort sei seit l]s:i
wieder urkundlich bekannt und 3. der Ort sei ein geschlossener ge-
wiss lang vor 1 1.")0.
(xleich bei dieser Gelegenheit sei benu-rkt, dass die Redaktion des
Werkes mit der kärntischen Geschichte überhaupt auf gespanntem Fuss
zu stehen scheint, denn sonst wären solche Verstösse, wie die folgenden,
nicht unterlaufen. Im Artikel Gurk (S. •».")) wird der Grabstein des Wahl-
bischofs Otto (gest. 1214) dem Wahll)ischof (sie!) Diterich (gest. 127«)
zugeschrieben. Zum UeberHuss \\ird diese Unrichtigkeit im Nachtrage
(S. 47.")) nochmals wiederholt und hier noch eine zweite Unrichtigkeit
hinzugefügt, indem es heisst, dass das Grabmal in der »Stiltskirchc zu
Literatur. 331
Sekkau« sich befinde. In demselben Artikel (S. 9P>) wird ausserdem noch
von »dem seit der Josepliinischen .Slütsaufhebung verödeten (rurk« cre-
sprochen, obwohl die »Josephinische StUtsaufhebung« in (Tixrk keine Ver-
änderungen hervorgerufen hat. Das Nonnenkloster daselbst — ein anderes
bestand dort nie — hatte nämlich schon längst vorher zu l)estehen auf-
gehört. Im Artikel Tanzenlierg (S. 33 1) wird ein »Erzbischof Richard zu
Salzburg 1511 « creirt, einen solchen hat es nie gegeben ; gemein! ist
damit I.eonhart (Lienhart) von Keutschach. Endlich lässt die Redaktion
das Franziskanerkloster zu St. Veit (S. .359) »unter Kaiser Joseph 1775
saecularisirt« werden. Diese Beispiele dürften genügen, um das Miss-
ti-auen, das ich den ohne Angabe der Quellen vorgebracliten historischen
Daten entgegenbringe, gerechtfertigt zu Hnden.
Was aber die zweite Bestimmung anbelangt, welche die Angabe der
Entstehungszeit und des Stiles .des Olijektes verlangt, so ist vorerst das
wiederholt vorkommende Fehlen derselben zu constatiren. Ich verkenne
die Schwierigkeit genauer oder annähernd richtiger Zeitbestimmungen,
besonders bei einfachen Landkirchen und bei unsignirten und undntirten
("lemälden, Flügelaltären etc., durchaus niclit. Aber das wenigstens könnte
bei jedem Bauwerk (event. dem Theil eines solchen) angegeben werden,
welcher Stilperiode es angehöi-t, oder bei Gemälden, Flügelaltären etc.,
aus welchem Jahrhunderte sie stammen. Aber auch das findet man nicht
immer. Selbst die Beschreibung steht mit derlei Angaben oft im Wider-
spruch, so z. B. bei Paternion, wo die Kirche in den Anfang des Ifi. Jahr-
hunderts gesetzt ist, dabei aber die Bemerkung gemacht wird: »ist ein
schöner grosser Raum in zopfiger Architektur«. Dann soll der Thunn
von St. Wolfgang, Filiale von Lieseregg (S. 415), der spätgothi sehen Zeit
angehören und doch hat die Glockenhalle nach der Beschreibung rund-
bogige Doppelfenster mit einer plumpen Theilungssäule, ist also jedenfalls
noch ein Ueberbleibsel der früheren romanischen Kirche. Auch die be-
stimmte Angabe (S. 15l), dass die Kirche in Laas im Jahre 1510 erbaut
wurde, kann in dieser Einschränkung unmöglich richtig sein, denn es
finden sich am Gebäude ausser der Jahrzahl 1510 auch noch die Jahr-
zahlen ]51<i und 151S angeliracht, welche sicher auf die Bauzeit zu be-
ziehen sind. Weiter wird der Hoclialtar zu St. Peter im Rosenthale aus
dem Jahre 1735 als eine gute Renaissancearbeit bezeichnet. Rücksichtlich
der Gemälde verweise ich nur auf das Tafelbild in Abtei (S. 1 fi 1 ), das
mit Bezug auf die den Donator betreifenden Angaben 1488 — 1498 ent-
standen sein muss, und doch soll es im Stile der Cranach'schen Schule
gemalt sein! Dann soll das Deckenfreskogemälde im Landhause zu Klagen-
furt von Fromiller, welches ein Ereigniss vom Jahre 1728 darstellt, bereits
im Jahre 1724 gemalt sein (S. 449)! Ferner sei noch kurz erwähnt,
dass man auch wiederholt auf ganz unbestimmte Angaben stösst, bei
denen man sich nichts Rechtes denken kann, so z. B. wenn unter Hohen-
thurn (S. 123) von einem Bilde mit der Jahrzalil 1588 gesagt wird, es
sei »von besonders zierlicher Form«, oder wenn es von zwei Bildern in
Sorg (S. 314) heisst, sie seien »ältei-en Datums«. Auch ein >dieil. Chri-
stoph-Wandgemälde an der Südseite« der Kirche in Wabelsdorf ist »eine
Arbeit älteren Datums«. Ein »älteres Oelgemälde italienischen Ursprunges«
besitzt die Maria Loretto-Capelle in Tarvis (S. 334). In einer Seiten-
332 Literatur.
Kapelle der Ffairkirehe in Wolfsberg (S. 417) ist auch noch »eine Ma-
donna von alt-italienischer Arbeit« u. s. w.
An der Beschreibung der Bauten, von der es im § 13 der »Grund-
züge« nur heisst, sie sei »möglichst kurz und präcise zu fassen« habe
ich auf den Hauptfehler der Auseinanderreissung, wodurch manchmal selbst
das organisch Zusammengehörige nicht im Zusammenhange beschrieben
wird, bereits hingewiesen. Hier schliesse ich noch an, dass man' sehr
häufig Angaben über die Grössenverhältnisse und über das verwendete
Baumateriale vermisst. Wo aber Grössenangaben gebracht werden, sind
sie bald im alten (Klafter-), bald im neuen (Meter-) Masse angegeben.
Eine einheitliche Umrechnung wäre denn doch nicht gar so schwer her-
zustellen gewesen.
Einige Worte seien noch über die Behandlung der Altäre gestattet.
Eine ausführliche Beschreibung wird meigt nur den erhaltenen Flügel-
altären gewidmet. Dagegen sind die späteren Altäre sehr spärlich bedacht.
Sie werden weder in ihrem architektonischen Aufbau noch in ihrer ikono-
graphischen Ausstattung näher gewürdigt, obwohl gewiss manche von
ihnen, sei es nach der einen oder nach der anderen Seite, einer etwas
ausführlicheren Besprechung werth wären. Die trockene Jahrzahl der
Errichtung ist oft alles. Aber selbst die Flügelaltäre und deren Reste
werden ungleichmässig und nicht immer erschöpfend beschrieben. Ins-
bßsonders fehlen häufig genauei e Angaben über das Alter, den Werth der
Bilder und Sculpturen u. s. w. Auch werden diese nicht immer genau
auseinandergehalten. Ungenügen<l ist manchmal ebenso die Bilderbeschrei-
bung, nicht blos bei Flügelaltären, sondern auch sonst überhaupt. Heilige,
die an ihren gewöhnlichen Attributen sogleich und unzweifelhaft zu er-
kennen sind, werden wiederholt nicht mit ihrem Namen genannt, sondern
als etwas Unbekanntes beschrieben wie z. B. St. Nicolaus unter Greutsch-
ach (S. 82) oder St. Wolfgang unter Irschen (S. 1.34).
In keiner Weise können die Angaben über die Glocken genügen.
Weder in den ^>Grundzttgen« noch in den »Fragebogen« wird angedeutet,
was an den Glocken und wie es zu beschreiben sei. So kommt es, dass
gerade die für die Kunst-Topographie wichtigsten Angaben, d. i. die An-"
gaben über den plastischen Schmuck, gänzlich fehlen. Es wird weder
gesagt, ob Eeliefdarstellungen vorkommen, noch welche Heilige etc., noch
wie sie dargestellt sind. Selbst Inschriften, auf deren Nennung wenig-
stens in den Fragebogen hingewiesen wird, werden nur höchst selten
angeführt. Am häufigsten werden noch etwa vorhandene Jahreszahlen
wiedergegeben. Die Namen der Glockengiesser werden zwar öfters genannt,
allein nicht immer, selbst dann nicht immer, wenn diesell)en bereits aus
der vorhandenen Literatur zu entnehmen gewesen wären. Man vergleiche
z. B. nur die Angaben in den Mittheilungen der Central - Commission
N. F. 13, CXIX mit den betreffenden Artikeln.
Einen der wundesten Punkte der Kunst-Topographie l)ildet die Be-
handlung der Grabdenkmale des Mittelalters und der neueren Zeit
bis circa 1750. Die »Grundzüge« setzen in § 13 3 fest, dass sie »nur
dann aufzunehmen sind, wenn sie künstlerischen Werth besitzen, wobei
in der Regel Angabe des Namens und Charakters des Verstorbenen, des
Datums und die Benennung des Wappens genügt«. Diese Bestimmungen
Literatur. 333
sind einerseits nicht präcise gemig, andererseits aber auch unzulänglich.
Die Entscheidung, oIj ein Denkmal künstlerischen Werth besitzt, wird, von
verschiedenen Beurtheilern gefällt, oft auch verschieden ausfallen, die
individuellen Ansichten können da manchmal sehr auseinandergehen. Meiner
Meinung nach wäre es besser gewesen, eine gewisse zeitliche Grenze,
z. B. 1500, festzusetzen, bis zu welcher Zeit Gi-abdenkmale ausnahmslos,
also auch solche ohne Sculpturen und ohne »künstlerischen Werth« zu
nennen gewesen wären. Von den Grabdenkmälern aber, welche aus der
Zeit zwischen 1500 und 1800 stammen, hätten nur jene aufgenommen
werden können, welche Sculpturen enthalten, gleichviel, ob diese blos Wappen
oder aber sonstige figurale Darstellungen sind. Die Sculpturen wären, wenn
von hervorragend künstlerischem Werthe, auslührlich zu beschreiben,
sonst aber nur zu nennen gewesen, Ueberall aber hätten aus den Inschriften
die Namen mit den Titeln wörtlich und die zeitlichen Daten genau und voll-
ständig ausgeschrieben werden sollen. Wie das Werk jedoch vorliegt, herrscht
sowohl in der Auswahl der aufgenommenen Grabdenkmäler, wie auch in
der BeschreiV)ung derselben die grüsste Willkür und Planlosigkeit, ßück-
sichtlich der Auswahl verweise ich unter anderen nur auf Friesach und
St. Veit. Bei Friesach werden sogar Grabsteine nicht wieder genannt,
welche bereits in den Mittheilungen der k. k. Ceniral-Commission (man
vgl. N, F. 7, 93 u. ff. und 8, 38 u. ff.) ausführlich beschrieben sind.
Unter St. Veit wird gerade der künstlerisch werthvollste Grabstein, der
in geschmackvoller ornamentaler Eenaissance-Umrahmung eine stehende Frau
in Flachrelief zeigt, nicht einmal erwähnt, und doch ist auf ihn von Dr. Hg
in den Mittheilungen der k. k. Central -Commission N. F. 5, XXX VII bereits
hingewiesen worden. Unrichtig ist es dann auch, wenn im Artikel Launsdorl'
(S. 158) ausdrücklich constatirt wird: »Keine Grabsteine«. Denn aussen an
der Südseite der Mauer des Schiffes findet sich das Grabmal des Andreas
Krassolnigg Zechner zu Pruggendorf vom Jahre ]64(; mit einer figuralen
Darstellung in Relief: zwei nackte Engel halten eine Sanduhr.
In Bezug auf die Art und Weise, wie die Grabdenkmäler publicirt
erscheinen, bietet sich aber ein wahres Kaleidoskop dar. Bald werden die
Inschriften vollständig und paläographisch genau mit allen alten Wort-
kürzungen wiedergegeben, bald werden nur einzelne Theile genau co]>irt,
anderswo wird modernisirt, die Wortkürzungen wei'den aufgelöst oder es
werden dem Programme gemäss nur die Namen mit den aufgelösten Daten
wiedergegeben. Dabei wird manchmal die alte Schreibweise des Namens
beibehalten, manchmal wieder die jetzige gesetzt; einmal steht neben dem
Todesjahr auch Monat und Tag des Todes, ein andermal wieder nur ilas
erstere allein — nirgends findet man da ein bestimmtes Princip, nirgends
eine Consequenz. Dazu tritt noch die Ungleichmässigkeit in den Angaben
und Beschreibungen der auf den Grabsteinen vorkommenden Sculpturen.
Sie werden öfters nicht einmal erwähnt, geschweige denn immer hinlänglich
beschrieben. Desgleichen ist auch das Vorhandensein von Wappendarstel-
lungen nicht immer constatirt. Es fehlt demnach auch in dieser Beziehung
ein überall sicher leitender Grundsatz.
Wenn man sich wenigstens auf das Gebotene noch stets verlassen
könnte, wäre der Forschung immerhin mit der Publikation ein gi-osser
Dienst erwiesen. Allein auch das ist leider nicht der Fall, die Namen
33^ Literatur.
und Daten werden aus den Inschriften nur gar zu häufig ungenau und
lelilerhalt wiedergegeben. Auf welche Fehler man in dieser Beziehung
stosst, erscheint oft kaum glauldich. Selbst die beigegebenen Abbildungen
stimmen mit dem Text wiederholt iiicht überein. So wird z. B. in der
Unterschrift zur Abbildung S. 32 das Todesjahr des Gandolf von Kienburg
mit 1491 angegeben, während sowohl der Text wie die Ab1>ildung das
Jahr 1493 bringen. Ferner wird auf S. 49 das Grabmal eines Canon icus
Virgil Brunmeister genannt, und doch hiess der Verstorbene nach der
beigegeljenen Abbildung Colomauus Brunmeister und war Probst des
Collegiat-Capitels von St. Virgil in Friesach. Kach dem Text auf S. 5ß
ist Balthasar Tanhauser am 2 S. Juli 1516 gestorben; die Abbildung ent-
hält dafür aber den XVIIl. Juli. Auf dem Grabsteine des Jörg von
Villanders (Abbildung zu S. lOl) steht das AVort gestorben, im Text
liest man dafür entschlaft en. Auch ist der Name auf der Zeichnung
entschieden verderbt wiedergegeben. Nach der Abbildung des Grabsteines
zu S. 114 ist Dorotea Hengstpacherin im Jahre 1442 gestorben; der Text
bringt dafür jedoch das Jahr 1452. Das Todesjahr der Dorotea Keutsch-
acher ist auf derselben Abbildung nicht ersichtlich, trotzdem steht im
Text das Jahi- 1458. Hingegen ist der Todestag (Allerheiligentag) der
Margret Saeklin (im Text Sacklinj im Text verschwiegen. Die Abbildung
des Grabmales des Georg Siebenhirter in Millstatt S. 234 nennt löus
(uachti-äglich corrigirt aus ursprünglichem 14 OH) ^) als Todesjahr; im
Text S. 2:50 steht ohne weitere Bemerkung 1407- Zudem ist in dieser
Abbildung die Umschrift einerseits nicht ganz correct wiedergegeben und
andererseits auch unrichtig an die Platte angefügt. Man vergleiche damit
die Abbildung in: Die österreichisch-ungarische Monarchit; in Wort und
Bild, Kärnten und Krain S. 207. Auf der Abbildung des Grabmales des
Johann Geuman S. 235 ist das Todesjahr nur durch 15 .. angedeutet;
offenbar war das Grabmal schon zu Lebzeiten Geumans ausgeführt, das
wirkliche Todesjahr aber nach dessen Tod nicht eingemeisselt worden.
Trotzdem liest man im Text S. 230 ohne jede Bemerkung 1512 als Todes-
jahr, während Geuman erst im Jahre 1533 gestorben ist. Das Schlimmste
ist aber, dass schon der zu diesen beiden Denkmälern citirte Aufsatz in
den Mittheilungen der k. k. Central - Commission 13, 172 u. 173 das
vollständig Richtige entliält. Sieht man daselbst S. 173 die Transscription
der Geuman'schen Grabinschrift an, so wird jedem sotbrt klar und erklär-
lich, wie die Jahrzahl 1512 in den Text der Kunsttopogiaphie hineinkam.
Dort ist nämlich zu 15. jar eine Anmerkung 12 gesetzt (also =^ 15-^- jar).
Die kleine Anmerkungsziffer 12 zu 15. hat demnach die Ergänzung
geliefei-t. Weiters stimmen Text uiul Abbildung des Grabdenkmales auf
S. 325 in beiden Jahresangaben nicht überein; auf der Abbildung stehen
die Jahre 1426 und 1470, während der Text dafür 1423 und 1469 ent-
hält. Irrig ist endlich auch die im Texte S. 379 zu Fig. 395 stehende
Jahrzahl 1409, wofür die Abbildung 149 . enthält, also offenbar ein neun-
ziger Jahr des 1 5. Jahrhunderts. Welche Lesungen, muss man sich fragen,
sind da die richtigen? Haben sich da die Transscriptoren dieser Grab-
inschriften geirrt oder die Zeichner? Wem ist mehr zu vertrauen?
') Die Inschritt am (Ivaluiiale hat l.*»08 oliiic jt-ilt' ('«)vve<tur.
Literatur. 835
Desgleichen stimmen autli die Xamen und Zahlen, wie sie in der Kunst-
topographie vovgetuhrt werden, mit den in den früheren Publikationen
der k. k. Central-Commission gebrachten nicht überein. .Man vergleiche
u. a. nur den Artikel Friesach mit den Aulsätzen von Beckh-Widmanstetter
in den Mittheilungen der k. k. Central - Commission IS'. F. 7, 93 ff..
.S, 38 ff. u. 104 ff". Wie verschieden sind da manchmal die Namen ge-
schrieben und welch abweichende Todesdaten werden hie und da gebracht !
Ich hebe nur ein Beispiel hervor: v. Beckh-Widmanstetter liest (X. F.
S, 41) den Xamen eines Frohstes de Baseyo, die Kunsttopographie p. 49
hingegen de Badajo; nach Beckh ist derselbe am 1. Oktober 1594 ge-
storben, nach der Kunsttopographie jedoch am 1(). Oktober 1598. Wer
vermag nun bei solchen Differenzen zu sagen, wo das Eichtige vorliegt?!
Noch ein Beispiel, das ich selbst nachgeprüft habe: Im Artikel Gurnitz
S. 98 wird der Schluss der Inschrift am Grabmale des Frohstes Benedict
Mitterholzer in folgender Weise wiedergegeben: tieri feeit anno 1640
obyt amen. Am Grabsteine liest man jedoch Folgendes: fieri lecit anno
1«;40 ob)-t Avtem Anno IG., (eine unausgefüllte Stelle). Darnach er-
scheint das Todesjahr des Frohstes, der sich sein Grabmal schon bei Leb-
zeiten im Jahre 1640 hatte anfertigen lassen, nicht angegeben, indem
dasselbe in die hiefür ausgesparte leere Stelle nicht eingemeisselt wurde.
Andere Beispiele aus Maria-Saal, die ich selbst controliren konnte, be-
spreche ich weiter unten.
Eines al)er ergibt sich aus diesen Vergleichungen, dass bei Benützung
der auf die Grabdenkmale liezüglichen Angaben in der Kunsttopographie
die gröste Vorsicht geboten erscheint.
Noch eine Bemerkung in formeller Beziehung. Dem Forsther, welcher
den Grabdenkmälern näher nachgehen will, erschwert es die Arbeit über
Gebühr, dass die Redaktion nicht für eine leichte Auftindbarkeit der be-
treffenden Beschreibungen und Angaben gesorgt hat. Wie überall, so
vermisst man auch hierin ein leitendes Princip. Meist werden die Be-
schreibungen der Grabsteine den Beschreibungen jener architektonischen
Bautheile, welchen sie jetzt anhaften, angeschlossen. Doch nicht immer,
sie stehen auch am Schluss der Artikel oder sind sonst irgendwo eiu-
geflochten. Durch dieses Verfahren ist auch die Anordnung der Beschrei-
liungen, wenn mehrere Denkmäler hintereinander genannt werden, bedingt,
denn sie ist meist, der Aufstellung der Denkmäler folgend, eine rein
örtliche. Das Motiv für das Vorgehen, sowohl nach der einen wie nach
der anderen Seite ist also ein rein zufälliges. Und doch hätten wissen-
schaftliche wie praktische Gründe dafür gesprochen, einfach die Beschrei-
bungen und Allgaben über sämmtliche Grabdenkmäler, die in einem
Artikel anzuln-ingen waren, stets an den Schluss dieses Artikels zu stellen
und in chronologischer Reihenfolge anzuordnen oder doch wenigstens an
den Schluss der Beschreibungen jener Kirchen zu verlegen, in und an
welchen sie vorkommen, mit genauen und kurzen Angaben über den
jetzigen Standort.
Ein nur allzu oft und schwer empfindbarer Mangel des Buches be-
steht in dem Fehlen von gut angelegten und sorgsam ausgearbeiteten
Sach- und Namen-Registern. Nicht nur für den Kunsthistoriker, auch für
den Historiker ist das Werk dadurch fast unbrauchbar geworden; wie kann
33ß Literatur.
z. B. ein Genealoge oiler ein Heraldiker, welcher der Geschichte einer
einzelnen Familie nachgeht, sich, um vielleicht nur eine einzige brauch-
bare Notiz über ein Grabdenkmal oder ein Wappen zu finden, der un-
dankbaren Mühe unterziehen, das ganze Buch durchzulesen? Und wie
viele Fehler in den Namen und Daten hätten schon bei der. Ausarbeitung
eines solchen verbessert werden können!
Nur noch ein paar formelle Gebrechen seien zu erwähnen gestattet.
Der Mangel einer einheitlichen und consequenten Durchführung erstreckt
sich sogar auf die Interpunktion. Es herrscht in dieser Hinsicht oft ein
wirres Durcheinander : Einmal wird die Aufzählung der heterogensten Dinge
nur durch Beistriche oder Strichpunkte geschieden, ein andermal sind
Punkte angebracht u. s. w. Dazu kommen noch Drucktehler, und zwar
oit recht sinnstörende, in buntem Gewimmel, die durch eine sorgsamere
CoiTCctur sehr leicht hätten vermindert werden können. Ich hebe nur
ein recht charakteristisches Beispiel hervor: Im Artikel Friesach S. 48
wird die Inschrift über dem Thore des alten Canonicatshauses in folgender
Weise wiedergegeben: et bonis patens ista malis esto occlvsa, also et und
ista anstatt vt und ita, wie die Mittheilungen der Central-Commission
N. F. fi, LXXVI richtig enthalten.
Ich komme endlich zum dritten Theil meiner Besprechung, zu der
Frage, ob die in den einzelnen Artikeln gebrachten Mittheilungen, Angaben
und Daten einerseits vollständig und andererseits auch durchaus richtig
und zuverlässlich sind. Niemand wird von mir eine Nachprüfung des
ganzen Werkes verlangen. Es dürfte genügen, wenn ich an einem grösseren
Artikel beispielsweise zeige, was fehlt und was unrichtig ist. Zu diesem
Behufe habe ich mir Maria "Saal gewählt. Ich bin dem grössten Theil der
Angaben der Kunsttopographie an Ort und Stelle nachgegangen und habe
die Literatur damit verglichen. Vom prähistorischen und römischen Theile
sehe ich dabei ab und bemerke nur, dass mir das über den Namen Ge-
sagte überflüssig erscheint, dass die Aufzählung sowohl der Relief- wie
der Inschriftsteine durch Verschiebung des Satzes auseinandergerissen ist,
dass bei mehreren ßeliefsteinen die genaue Angabe des jetzigen Standortes
mangelt und dass ein paar Literatur-Citate unrichtig sind. Auch liezüglich
der Literatur im mittelalterlichen Theile nehme ich nur auf die Mitthei-
lungen der k. k. Central-Commission Rücksicht.
S. 206 ist das Lit.-Cit. M. 12, 1 von H. Petschnig imrichtig. Es
soll 1 1 anstatt 1 stehen. Dann fehlt zum ganzen Artikel das Lit.-Cit.
M. 1, I2:i.
In die Beschi-eibung des Situationsplanes hätten zur besseren Orien-
tirung die in denselben eingesetzten römischen Zahlen gleichfalls aufge-
nommen werden sollen, dies umsomehr, da der Situationsplan selbst nicht
orientirt, sondern verkehrt eingedruckt ist.
Mit Unrecht wird die Kirche als eine einheitliche Anlage be-
zeichnet, da ja Theile des ehemaligen romanischen Domes, zum mindesten
aber die Thürme, wenn auch theilweise umgestaltet, wieder Verwendung
fanden und da auch ausserdem am Baue verschiedene Bauperioden zu
constatiren sind.
Literatur. 337
Der Hauptchor ist nicht iin halben Achteck, sondern mit fünf
Seiten aus dem Achteck geschlossen.
Der Innenraum hat nicht 20" sondern nur 10" Breite.
Der Orgelchor reicht nicht bis zum zweiten der je fünf Joche
jedes Schiffes, sondern er baut sich zwischen die beiden Thürme ein,
reicht darüber noch um die Breite eines halben Joches hinaus und schliesst
sich an das erste der je vier Joche jedes Schiffes an.
Nur die Brüstung des Orgelchores im rechten Seitenschiffe
allein ist masswerkartig behandelt, im Mittelschifte und im linken Seiten-
schiffe ist sie voll ausgefüllt und im ersteren, dem Stile der Orgel ent-
sprechend, zudem zopfig ausgeschweift.
Bei der Beschreibung des Innern der Kirche wird mehrerer ziemlich
wichtiger Details nicht gedacht: Das Presbyterium ist um vier, das erste
Joch und das Querschiö" um zwei Stufen erhöht. Die beiden Seitenchüre
sind höher als die Seitenschiffe. Im linken Seitenschiff sind Spuren von
der einstmals eingebauten Empore erhalten. In der linken Wand des
linken Seitenchores befindet sich eine einfach profilirte, im Eselsbogen
geschlossene kleine Sakramentsnische. Die Einwölbung des Raumes über
dem Orgelchore erfolgte erst im 16. Jahrhundert. Zu erwähnen wären
auch gewesen die Thüre zur Sakristei und die Konsolen und Kapitale der
Dienste im Querschiffe, die ersteren mit zwei bizarren Fratzenköpfen, die
letzteren mit Blattwerkverzierungen. In den angebauten Seitenkapellen
Konsolen mit Engelsfiguren.
Kaffgesimse (S. 207) umziehen nicht das ganze Gebäude, sondern
nur die Chor e.
Die Wendung: »Li selber Höhe« auf S. 208 ist in dem gebrachten
Zusammenhange unverständlich. Es sollte heissen: In der Höhe des
Kirchendachgesirases. Ueberhaupt sind die Angaben insbesonders über die
Thürme im Vergleiche zu jenen in Petschnigs Aufsatz nicht so klar und
genau. Ferner vermisst man die Erwähnung der am südlichen Seiten-
chorabschluss unter dem Dachgesims al fresco gemalten spitzbogigen Mass-
werkverzierung.
Bezüglich der Bauzeit und Bauführung werden die früher entstandenen
von den erst später vollendeten Theilen nicht namentlich geschieden, ob-
gleich sie schon Petschnig im Grossen und Ganzen richtig bezeichnet hat.
Insbesonders ist hervorzuheben, dass die Chöre mit dem Querschiö" ent-
schieden älter sind als die Schiffe. Würden die Malereien im Presbyterium
ins Jahr 1435 fallen, was höchst wahrscheinlich ist, so müssten diese
Theile bereits im Anfange des 1 5. Jahrhunderts entstanden sein.
Endlich erscheinen von den in Petschnigs Aufsatz enthaltenen Ab-
bildungen von architektonischen Details fünf nicht wieder abgebildet und
zwar 1. zwei Säulchen vom Fenster des südlichen Thurmes, 2. eine Relief-
rosette, 3. Pfeilerdurchschnitt, 4. Gewölbeträger mit Fratzenkopf und
5. Brüstung des Orgelchores.
Zu den Thürverzierungen S. 209 fehlen die Lit.-Cit. M. 10, 21 und
15, 47 Abbildung und p. 49 Text.
In der Inschrift am gothischen Kelche steht nach der Lesung von
Petschnig i. c. anstatt D. C.
Ganz unzulänglich sind die Angaben über die beiden Flügelaltäre
Mittheiluugeu XII. 22
338 Literatur.
besonders aber über den vom Jahre 1526 aus St. Georgen am Sandhof,
welcher auf der Modestus-Tumba aufgestellt ist. Die etwas ausführlicheren
ikonographischen Angaben über den Arndorfen Altar sind nicht nur un-
vollständig, sondern auch mehrfach unrichtig: Anna mit Jesus und Maria
befindet sich nicht auf der Predella, sondern auf dem unteren Theile des
Mittelschreines, üie vier Heiligen sind nicht, w ie man nach der Be-
schreibung meinen möchte, unmittelbar unter der Krönung Marias, sondern
umgeben auf der Predella die nicht erwähnte Pietä -Darstellung. Die
Flügel sind nicht mit Gemälden der 14 Nothhelfer u. s. w. geschmückt,
sondern diese Darstellungen sind bemalte Holzschnitzereien. Der Eückseite
des Altares wird gar nicht gedacht. Dazu fehlt das Lit.-Cit. M. K. F.
1 3, CCXL. (Man vgl. jetzt die ausführliche Beschreibung von Dr. Schnerich
in M. N. F. 16, 35—37).
Auch das, was über die Fresken in der Kirche gesagt wird, ist theils
ungenügend theils unrichtig.
Abgesehen davon, dass eine Beschreibung überhaupt nicht gegeben
wird, wird selbst das ganz besonders Charakteristische, dass nämlich die
heiligen drei Könige als Knaben dargestellt sind, nicht hervorgehoben.
Es wird nicht erwähnt, dass auf dem Dreikönigsbild die beiden Stifter,
Mann und Frau, mit ihren Wappen abgebildet und dass im Hintergi-unde
drei befestigte Schlösser (vielleicht die der Stifter?) dargestellt sind. Be-
merkenswerth ist ferner die Zweitheilung dieses Bildes. Links, dieselbe
Breite (Breite der Joch wand) wie das darüber stehende Urtheil Salamonis
einnehmend, ist der Zug der drei Könige dargestellt. In der Verlängerung
nach rechts wird «lann die Huldigung vorgeführt; allein hier ist nur
ein König u. z. im Maunesalter bärtig <largestellt. Die Inschrift ist in
einer Weise wiedergegeben, als ob Alles zweifellos und die Malereien im
Jahre 1400 entstanden wären. Doch besteht in der That zwischen qua-
dringentesimo und hoc der Inschrift eine Lücke für ein oder zwei Worte,
die nicht mehr sicher gelesen werden konnten. Man vermag darüber nur
soviel zu sagen, dass es dem Räume nach lange Worte nicht gewesen sein
können. Tricesimo quinto, wie man zu ergänzen versucht hat, scheint
auch mir nach den vorhandenen Eesten am ehesten zu passen. Nament-
lich ist quinto oder quarto ziemlich sicher; dadurch wird der Kaum aber
so klein, dass kaum etwas anderes als tricesimo gestanden haben kann;
die restaurirte Inschrift ist jetzt genau in folgender Weise zu lesen: hoc
opus fecit fieiü wilhelmus newswert Anno düi Millesimo quadringente-
simo . . hoc corapletum est.
Zu diesen Fresken fehlen die Lit.-Cit. M. N. F. 10, CCXXIV; 11,
CXXXIX; 13, XLV und CCXXXIX.
Zu den zwei Kirchenstühlen (8. 2 1 0) fehlt die Angabe, dass sie
aus der Kirche am Magdalensberge stammen. (Vgl. Kunsttopographie
S. 113).
Nicht genannt ist der Giesser der grossen Glocke, Math. Landtsman
in Klagenfurt, obwohl er aus M. N. F. 13, CLXXXIV, die übrigens auch
nicht citirt werden, zu entnöhmen gewesen wäre.
Die Inschrift am Grabmal der Möderndorfer, aussen an der Südwand
der Kirche, lautet genau also: hie ist die pegrebnus der edl vnd vest |
von moderndarf den got genadig vnd parmherczig sein welle amen.
Literatur. 339
Verstümmelt und ungenau wiedergegeben ist auch die Inschrift des
Grabmales der Keutschacher S. 210, welches gleichfalls aujsen an der
Südwand der Kirche aufgestellt ist. Schon v. Beckh-Widmanstetter hat
diese beiden Grabinschriften in M. N. F. 10, CX u CXII besser miture-
theilt. Genau lautet sie also: das — 1) hat lassen j machn d' edl vii
vesst I blassy von keytschach | got dem almachtn zu | lob vnd eren
sein liebH | heilign vnd nothelfer Sand lienhart anno dni 1511.
Die bedenklichste Leistung in der Wiedergabe von Grabinschi'iften
ist aber die Lesung der Inschrift am Grabmale des Peter Schweinshaupt
S. 210, welches aussen an der Westwand der Sakristei aufgestellt ist.
Eine Gegenüberstellung der in der Kunsttopographie mitgetheilten und
der wirklichen Lesung genügt.
Kunsttopographie :
Im 158 Jahr ist gestorben der
Edel und vest Peter von Schweins-
haupt der litz seines Nams ....
(von Erde bedeckt). Des Pfingsttags
Exaude um X Abends dem Gott
srenad.
Wirkliche Lesung:
A" 1.5.8. jar ist gestorben, der.
edel j uü. uest. peter. vö. Schweins-
haüpt. der lecz. des. nam. des freitag.
nach I lorenci. un fraw Apolonia.
sein I gemehel. des pfincztag. vor.
Erhardi. im. X. iar. den got genad.
Die Abbildung der grossen Keutschacher Grabplatte mit der Krönung
Marias in M. N. F. 10, CXI ist nicht wiedergegeben, und doch ist dieses
Grabdenkmal eines der hervon-agendsten und bedeutendsten in Kärnten.
Nicht einmal das wird gesagt, dass es den Keutschachern angehört. Dieses
Grabmal haftet aussen an der Südwand der Sakristei und scheint nach
unten verkürzt worden zu sein. Dazu sowie auch zu den übrigen Grab-
denkmälern der Keutschacher und Möderndorfer ist der ausführliche Auf-
satz von Beckh-Widmanstetter in M. N. F. 10, CIX — CXII nicht citirt.
Auf Seite 210 liest man ferner Folgendes: »Grabmal des Hans
Mordax t 1567 und seines Sohnes Franz t 1561, klein, weisser Marmor.
— Zu erwähnen ist auch ein Kelief mit einem Doppelwappen« u. s. w.
Jeder, der dies liest, wird meinen, es handle sich um zwei Denkmäler.
Doch es ist dies keineswegs der Fall, Alles bezieht sich nur auf ein ein-
ziges Grabdenkmal. Ausserdem aber sind noch folgende zwei Angaben
unrichtig: Hans Mordax ist nicht 1567 sondern 1557 gestorben und das
Schildchen in der rechten unteren Ecke enthält nicht einen Hasen, sondern
einen Hahn. Als ein erwähnen swerth es Detail wäre noch anzuführen, dass
auf dem architektonischen Umrahmungsbogen dieses Denkmales in der
Mitte oben ein Täfelchen mit der Jahrzahl 1561, offenbar das Jahr der
Anfertigung desselben, angebracht ist. Dieses Grabdenkmal befindet sich
aussen im Eingang zum Südthurm in der linksseitigen Mauer.
Das Grabmal des Dechants von Maria Saal Joannes Rosegger (S. 21 1)
enthält in Relief nicht »die Begegnung Christi mit seiner Mutter«, son-
dern, wie schon die Inschrift : Vrlavl) vnd schidvns Jesv Christi von
Maria seiner lieben Muetter etc. sagt: den Abschied Jesu von seiner
Mutter. Auch ist es niclit, wie man dem Zusammenhange nach schliessen
muss, aussen aufgestellt, sondern haftet an dem Pfeiler, welcher zwischen
') Eine kleine vertiefte leere Stelle.
22*
340
Literatur.
dem Mittel- und rechten Seitenschiö" und zwischen dem dritten und vierten
Joch sich befindet.
Unzulänglich sind femer die Angaben über die zwei nächstea in der
Kirche befindlichen Grabdenkmäler S. 211. Von dem Einen heisst es
einfach »Grabmal der Pibriach«. Daraus würde man auf ein Familien-
grabmal schliessen, allein ein solches scheint mir nicht vorzuliegen. Zu-
nächst ist zu nennen eine verstümmelte und stark abgetretene Platte,
welche dem 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts angehört und im Fuss-
boden unter dem Südthurme eingelassen ist. Sie enthält eine Wappen-
darstellung mit einem Biber in Relief und eine Umschrift, von der ich
deutlich und sicher nur noch Folgendes lesen konnte: . . . obiit strenu(us)
miles cristoff pibriacher cui[usj anima requi[. . .] Eine zweite grössere
Grabplatte mit derselben Wappendarstellung und im gleichen Stilcharakter,
also ungefähr derselben Zeit angehörig, gleichfalls stark abgetreten,
befindet sich im Fussboden unter dem Orgelchor. Sie zeigt jedoch keine
Inschrift mehr. Das Schernperger Grabdenkmal aber trägt, oben beginnend,
folgende Umschrift : hie. leit. Chönrat. Graft", von. | Schernperg. der. gestorben,
ist. <les. mittichen. vor. dem. liecht. | mess. tag. dem. got. geuadig. sey.
Anno, domini. m". cccc". Inj. jarr. Es ist innerhalb der sogenannten Sachs-
Kapelle an der Wand des linken Seitenschifies aufgestellt.
Ausser den angeführten Grabdenkmälern hätten aber noch mehrere
andere erwähnt werden können. Ich nenne unter anderen:
das Grabmal der Kettel (Anthony und Ewsthachy dessen Sohn) 10 2:^
mit einem Wappen in Relief, Fa^ade rechts,
das Grabmal des Lamprecht Schnätterl gewesner Ratsbürger zu Cla-
genfürt gest. 1565 September 20 mit einem deutschen Bibelspruche,
einem Wappen in Relief und mit <ler Auferstehung Christi in Relief,
Fac^ade rechts,
das Grabmal des Gregorius Zwainziger, apostolischen Protonotars,
früheren Dechants von Maria Saal und dann Pfarrers und Dechants in der
Stadt St. Veit, Canonicus von Maria Saal, gest. 1678, Oktober 8 mit der
Porträt-Halbfigur des Verstorbenen in Relief. Dieses Grabdenkmal, das
sich der Verstorbene noch bei seinen Lebzeiten aufrichten liess, l)efindet
sich im Querschiife an der Wand links gegen dem linken Seitenchor zu,
das Grabmal des Andreas Zollfelder, früheren Pfarrers in Texing und
St. Gotthard und Vicars in Kirnberg in Niederösterreich, gest. 1749 Mai 16
ebenfalls mit der Porträt-Halbfigur der Verstorbenen in Relief; es befindet
sich an derselben Wand im Querschift', wie das vorhergehende, aber gegen
das linke Seitenschift' zu.
An der Aussenseite der Sacristei ist unter der Tünche deutlich ein
grosses St. Christoph-Bild zu erkennen.
Bezüglich des Kamers S. 212 ist Folgendes zu bemerken: Nicht ge-
dacht ist der zwei neben dem Aufgang zum ersten Stocke befindlichen
Konsolen mit der Rübe der Keutschacher auf Wappenschildchen und doch
scheinen sie mir für den Umbau derselben von eminenter Wichtigkeit.
Man wird kaum fehlgehen, wenn man sie auf den Erzbischof Leonhard
von Keutschach bezieht. Dann wäre der Umbau des Karners von diesem
veranlasst worden und würde nicht in das 1 5., sondern in den Anfang des
16. Jahrhunderts fallen.
Literatur. 341
Das Alter des Reliefs mit der Kreuztragung Christi am Karner ist
nicht angegeben. Dasselbe gehört in die gothische Periode (]4. oder
1 5. Jahrhundert).
Mehrfach zu ergänzen sind die Angaben über die Gemälde im Karner.
Sie waren ursprünglich sowohl mit Ueber- als auch mit Unterschriften
versehen. Die ersten drei haben ungefähr dieselbe Grösse, während das
vierte Gemälde, d. i. die Grablegung etAvas kleiner ist. Aus den noch
leserlichen Resten dieser nun theilweise restaurirten Inschriften geht her-
vor, dass die ersten zwei Gemälde, nämlich Christus am Kreuze und
die Kreuzabnahme, andere Stifter haben als die beiden anderen Gemälde,
d. i. die Pietä-Darstellung und die Grablegung. Von der Ueberschrift beim
ersten Gemälde (Christus am Kreuze) kann man noch Folgendes lesen: . .
(lass)en machen der erber und vesst Michel Abriill Anna Rumpfin Sein
hausfraw die zeitt verwallter des ambts zu zoll etc Anno löfSl]. Bei dem
zweiten Gemälde, der Kreuzabnahme, aber ist nichts mehr sicher zu ent-
nehmen ausser den restaurirten Worten Anna Rumpfin, mit welchen die
Unterschrift beginnt. Es gehört daher auch dieses Gemälde denselben
Stiftern zu wie das erste.
Dagegen ist bei dem dritten Gemälde der Pietä-Darstellung, noch
fast die ganze Ueberschrifi mit Ausnahme von nur ein paar Worte zu
entziffern. Sie lautet: hoc opus fieri fecit Osbadus Schnelckos, canonicus
soliensis In honorem amare pafssionis] salvatoris nostri necnon sue sacra-
tissime genetricis virginis Mariae amen . . . vicesima sexta die mensis
Octobris. Die Unterschrift ist wieder unleserlich. Den Schluss derselben
bildet die restaurirte Jahrzahl 1521.
Im Äderten Gemälde endlich, in der Grablegung, ist links der Stifter
dargestellt und hinter ihm dessen Patron, der heilige Oswald. Man ist
daher berechtigt, auch dieses Gemälde als eine Stiftung des Oswald
Schnelcko zu betrachten.
Da die Jahrzahl 1521, wie erwähnt, am Schlüsse der Unterschrift
beim dritten Gemälde vorkommt und auch noch am Ende einer sonst
grossentheils unleserlichen Inschrift, die zwischen dem zweiten und dritten
Gemälde sich befindet, zu erkennen ist, so unterliegt es kaum einem
Zweifel, dass sämmtliche Gemälde aus dem Jahre 1521 stammen.
Noch sind zwei kleine Figuren, Mann und Frau zu erwähnen, welche
rechts vom letzten Gemälde, und die heil. Katharina und Barbara in
kleinen Kniestücken, welche zwischen dem dritten und vierten Gemälde
gemalt erscheinen.
Zu diesen Gemälden fehlen die Lit.-Cit. M. N. F. 11, CXXXIX ;
13, CCXXXIX und U, 50.
Bei der Beschreibung des Lichthäuschens (S. 213) wäre zu erwähnen
gewesen, dass von den drei dargestellten Engeln der gegen Süden ge-
wendete ein Wappenschildchen hält, auf dem man einen Anker, dessen
Stil ein Kreuz bildet, bemerkt. An dem einen Kreuzesarme scheint eine
Schlange zu hängen, auf dem andern drei, in der Mitte mit einem Wulste
versehene Stäl)chen. In dieser Darstellung dürfte uns wohl das Künstler-
zeichen des Steinmetzen, welcher das Lichthäuschen gearbeitet hat, vor-
liegen. In dieser Meinung wird man auch noch durch den Umstand be-
stärkt, dass die beiden andern Engel auf der Nordseite ein Wappenschihhhen
342 Literatur.
halten, in welchem sich ein Kelch befindet, offenbar mit Beziehung auf
den Stifter dieses Lichthäuschens.
Die in den M. 12, 26, Fig. 20 gebrachte Abbildung des Stifters
wurde nicht wieder verwerthet.
In der Beschreibung des Pestkreuzes (S. 2 1 3) sind die eingeschlossenen
Zahlen (iß' l' lo') unverständlich. Nach Petschnig ist der Bau Iß' lang
und lo' breit. Nicht erwähnt werden die zwei grossen Wappen, welche
an der Vorderseite aussen gemalt sind, nämlich das grosse kaiserliche
Wappen mit dem Doppeladler und das Wappen des Cardinais Lang von
Wellenburg, Erzbischofs von Salzburg, welcher demnach als Stifter dieses
Kreuzes oder doch wenigstens seiner malerischen Ausschmückung wird
angesehen werden können. Bei dem hier angebrachten Lit.-Cit. Grazer
Kirchenschmuck fehlt Band- und Seiten-Angabe. Nicht citirt sind die
M. N. F. 11, CXXXIX.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass das in M. N. F. 10, XXXVII
l)eschriebene und abgebildete Propsfei-Siegel nicht aufgenommen wurde,
und dass sowohl am Octogon wie an der Kirche bedeutend mehr Stein-
metzzeichen als die abgebildeten sich vorfinden.
Ob nach dieser kritischen Besprechung, welche sich bewusst ist, nir-
gends die Grenze der Objektivität überschritten zu haben, die Kunsttopo-
graphie von Kärnten noch als ein »reifes und abgeschlossenes Ergebnis«,
wie es in der Einleitung S. I heisst, anzusehen sein wird, und ob »soviel
als nur möglich Sorgfalt aufgewendet wurde, um ein in seinen Nachrichten
verlässliches Buch zu schaffen« (S. V der Einleitung), überlasse ich der
Beurtheilung der Fachgenossen.
Klagenfurt. S. Laschitzer.
The Musical Notation of the Middle Ages exemplified
by Facsimiles of Manuscripts written between the tenth and sexteenth
centuries inclusive, Prepared for the members of ,the plainsong and
raediaeval music society". London, J. Masters & Co., Leipzig, 0. Har-
rassowitz. 1890 gr. Folio. 7 Seiten Text, 21 Tafeln mit Erklärungen.
Mit dieser Publication ist wieder ein wichtiger Beitrag zur histori-
schen Kenntnis der musikalischen Notation gegeben. Das Material ist den
Schätzen zweier englischer Bibliotheken (British Museum und Bodleiana)
entnommen und umfasst deutsche, englische, fi-anzösische, italienische und
spanische Handschriften vom 10. bis 16. Jahrhundert. Die Neumen sind
besonders berücksichtigt, nebenbei sind einige Beispiele der Mensural-
notation aufgenommen. WerthvoU ist es, dass man an zwei Beispielen,
dem »confitemini domino« und einem Officium vom Ostersonntag, den
Fortgang der Notation verfolgen kann, so wie es jetzt in der letzthin in
dieser Zeitschrift besprochenen »Paleographie musicale« der Benedictiner
von Solesmes in gleicher Weise mit »Justus ut palma florebit« geschieht.
Derartige Heraushel)ungen einzelner Stücke in paleographischer Aufeinander-
folge sind sehr lehrreich. Musikalisch am interessantesten ist die Mit-
theilung einer zweistimmigen Composition aus einem englischen (vermuth-
lich in Cornwall geschriebenen) Sanunelcodex des 10. Jahrhunderts auf
Liferahir. 343
Blatt IS: es ist dies das l)ishei' älteste Beispiel eines discantirenden Ge-
sanges »ut tuq propit latus interventu dominus« etc., in welchem die
Stimmen in Gegenliewegung einen i'üv damalige Zeiten gar nicht üblen
Zusammenklang gehen und melodisch klar gegliedert sind. Mit der auf
Blatt 21 gegebenen Uebertragung kann man sich, sowohl was die äussere
Fassung als die innere Erfassung des Stückes betrifft, niclit einverstanden
erklären. Allein die nähere Begründung dieser Behauptung, sowie einzelne
Bedenken gegen Ansichten, die in der historischen Einleitung ausgesprochen
sind, können hier nicht eingehend erörtert werden. Es genüge, auf den
hohen Werth der Publication auch weitere Kreise aufmerksam gemacht
zu haben.
Prag. Guido Adler.
Dr. Georg Wolfram, Die Reiterstatuette Karls des
Grossen aus der Kathedrale zu Metz. Mit zwei Lichtdruck-
tafeln. Strassburg, Trübner 1890. 8", 26 SS.
Die kleine Bronzestatuette eines königlichen Reiters, Avelche nach den
merkwürdigsten Schicksalen und Irrfahrten aus der Metzer Kathedrale in
das Museum Carnavalet zu Paris gelangt ist, hat seit der Zeit, da sie auf
der ersten Pariser Weltausstellung erschien, die gelehrte Welt, namentlich
in Frankreich, viel beschäftigt. Dass sie Karl d. Gr. darstelle, sagte die
Tradition, und in der That war dagegen nicht viel einzuwenden. Eine
ganz ausserordentliche Bedeutung erhielt aber die Frage, als Ei-nst ans'm
Weerth 1884 in einer Abhandlung der Bonner Jahrbücher mit einem
grossen Aufwand gelehrten Rüstzeuges den gleichzeitigen Ursprung der
Statuette nachzuweisen glaubte. So gewann allerdings das Kunstwerkchen
eine ganz überraschende Stellung, nicht nur in der Kunstgeschichte, als
authentisches, gleichzeitiges Porträt des grossen Franken einerseits, son-
dern auch durch die für jene Zeit merkwürdige technische und künstlerische
Vollendung anderseits. Der »Karolingischen Renal ssan(.'e« gegenüber dürfte
man sich dann nicht mehr zweifelnd verhalten.
Aus'm Weerths Ausführungen erhielten den ungetheilten Beifall der
französischen und zum Theil der deutschen Archäologie. Wie es aber auch
vielen anderen ergangen sein mag, so gesteht Ref., dass er sich dieser
Bestimmung gegenüber ablehnend, mindestens zweifelnd verhalten hat. In
jüngster Zeit ist denn noch Giemen in einem Aufsatze der Zeitschrift des
Aachener Geschichtsvereins (ll, 185) für die Karolingische Provenienz der
Statuette eingetreten.
Mit der Widerlegung dieser Ansicht beschäftigt sich nun die obige
klar und tieissig geschriebene Untersuchung Wolframs.
Er geht der Sache zunächst und hauptsächlich mit historischen Grün-
den zu Leibe. So angenehm diese Untersuchungsart gegenüber einer
gewissen Richtung berührt, so auffällig und vielleicht charakteristisch ist
es, zu sehen, welche geringe Rolle die stilkritische Betrachtung in dieser
ganzen Angelegenheit gespielt hat und auch bei W. spielt.
Das von aus'm Weerth und Giemen zuerst ins Treffen geführte Be-
weismittel, die Statuette stimme mit der Schilderung Einharts von Karls
persönlicher Erscheinung üljerein, bedarf einer ernstlichen Widerlegung
344 Literatur.
kaum. Giemen selbst gelangt nur zu dem Schlüsse: Das kann Karl sein.
Dagegen ist die Behauptung, die Tracht stimme mit der in Karolingischer
Zeit tthlichen auffallend üherein, anzuerkennen. Die Reifenkrone und der
durch eine Spange an der rechten Schulter zusammengehaltene Mantel
sind allerdings, wie W. aus den Darstellungen der Künigssiegel und Minia-
turen nachweist, auch noch im 10. — I]. Jahrhundert liräuchlich, wohl
aber sind Wamms, Tunika und besonders die Beinbinden für das 9. Jahr-
hundert charakteristisch.
Dagegen ist wieder der Reichsapfel, ein ursprünglich neurömisches
Herrschersj^nbol, das ja auch die Reiterstatue Justinians auf dem Augustaion
in Konstantinopel trug, iür (bis <). Jahrhundert einzig bei dem V)jzantini-
sierenden Karl IL nachweislich und erst nach der Kaiserkrönung Otto 1.
ein ständiges Attribut des Herrschers. In dem Costume der Statuette
liegt also jedenfalls ein sondei'barer Widerspruch.
Die von Giemen (Anzeige der Broschüre Woli'rams, Rep. f. Kunstw.
13, 481) vorgebrachten Gegengründe sind nicht ausschlaggebend. Es
können doch allein aus den officieUen Darstellungen, keinesfalls aber
aus flüchtigen Federzeichnungen, die so mannigfaltigen Einflüssen unter-
liegen (Utrechter Psalter, God. Harl. 603), Schlüsse gezogen werden. Die
Apokalypse der Commimalbibliothek in Cambrai (Cod. 364) gehört übrigens
nach Durieux (Les min. de la Bibl. de G.) ebenfalls ins 10., nach Janitschek
(Adahdschr. 106, A. l) in die 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts.
Aus'm Weerth hat ferner angenommen, dass die Statuette schon seit
Karolingischer Zeit in der Metzer Kathedrale vorhanden war. Wir wissen
nun, dass sie im 17. Jahrh. an Feiertagen ausgestellt wurde, und zwar
auf einer heute noch erhaltenen Altarmensa. Diese Mensa hat aus'm Weerth
für karolingisch erklärt und gemeint, sie sei, da sie in der Mitte eine
Vertiefung zur Aufnahme eines Gestells zeige, schon im 9. Jahrh. als
Postament benützt worden, was für seine Ansicht zeuge. Nun genügt
aber die Betrachtung der Abbildung dieser Mensa bei W., namentlich des
Kapitals und der Basis der Säulenstützen, um sie als romanisch, und
nicht einmal als besonders früher Zeit angehörig zu erkennen. Ausserdem
wäre eine solche Aufstellung in der Kirche, was W. übersehen hat, nur
bei einem Heiligen, also bei Karl, der erst 1166 canonisiert wurde,
erst nach dieser Zeit denkbar.
Ein Cult Karls d. Gr., wie er hier vorausgesetzt ist, ist also über-
haupt vor dem 1 2. Jahrh. nicht möglich. Dazu kommt, dass das Cere-
moniale des Metzer Doms aus dem 12. Jahrh., welches gerade über den
Kirchenschatz sehr aitsführliche Nachrichten gibt, nicht die leiseste Er-
wähnung eines derartigen Kunstwerkes, wie die Reiterstatuette, aufweist.
Noch mehr: Von einer Verbindung der Metzer Kathedrale mit Karl oder
gar von einem Cult desselben kann, wie sich urkundlich nachweisen lässt,
vor dem 14. — 15. Jahrh. keine Rede sein. Diesem gehört aber die Statuette
sicher nicht an, sie ist also wahrscheinlich ein Werk der Renaissance.
Dieser historische Beweis ist W. vollkommen gelungen, er wird durch
die stilkritische Betrachtung überdies bestätigt. Die Freiheit der Behandlung,
im Faltenwurf sowohl, wie namentlich in der Anatomie des Pferdes, (das
ein Abkömmling der Rosse von S. Marco ist, was am-li wieder für die
Renaissance spricht.) weist deutlich auf diese Zeit.
Literatur. 345
TV. hat aber auch urlfundliche Beweise für seinen Schluss beigebracht.
Aus den Conclusiones des Metzer Kapitelarchivs ergibt sich, dass im Jahre
1507 bei dem Groldschmied Fran^ois (wahrscheinlich einem Einheimischen)
eine Statuette Karls d. Gr. bestellt und eine KommLssion von Domherren
beauftragt wurde, sicli bezüglich der »Facon« mit dem Künstler ausein-
ander zu setzen.
Von der heute noch erhaltenen Bronzestatuette hat aber wahrscheinlich
auch ein Abguss existiert. Sowohl der Metzer Lokalhistoriker Meurisse,
als die gleichzeitigen Inventare des 1 7. Jahrb. erwähnen zwei, wie sich
übrigens ergibt, ganz üliereinstimmende Exemplare von Eeiterstatuetten,
die eine in Bronze, die andere in Silber. Die erstere dürite die Original-
arbeit des Fran(,ois sein, denn dass es die silberne sei, dagegen spricht
der Umstand, dass 1567 der gesammte Kirchenschatz, um Geld für die
Liga zu bekommen, veräussert wurde. So konnte auch diese, welche
wahrscheinlich in den Wirren der französischen Revolution (denn noch
177 5 wird sie erwähnt) zu gründe gieng, weder karolingischer Provenienz
noch etwa das Vorbild für FranQois gewesen sein.
Ein Punkt bleibt allerdings noch räthselhaft, die merkwürdige histo-
rische Treue der Figur, die weder zu den Gewohnheiten des spätem
Mittelalters noch der Renaissance stimmt. Erinnern wir uns aber, dass
eine gelehrte Commission, der ja Einharts Bericht sicher bekannt war, dem
Künstler zur Seite stand: diese mag ihn denn auch, wie W. meint,
auf die karolingi sehen Bilderhandschriften die Vivianusbibel und den Psalter
Karls des Kahlen, welche erst 1674 aus Metz zu Colbert nach Paris
wandei'ten, gewiesen haben.
Zum Schluss nur noch der Hinweis, dass der Bericht der Märchen-
chronik von Novalese über den Besuch Ottos 111. in der Aachener Gruft
jetzt doch nicht mehr als historische Quelle angeführt werden sollte.
J. V. Schlosser.
Aktenstücke zur Geschichte des deutscheu Keiches
unter den Königen Kudolf I. und Albrecht L Gesammelt
von A. Fanta, F. Kaltenbrunner, E. v. Ottenthai. Mitgetheilt
von F. Kaltenbrunner. (Mittheilungen aus dem vaticanischen
Archive, hg. von der k. Akademie der V^issenschaften 1 Bd. Wien
1889; 8«, XVIII, 695 S.)
Wohl jeder, der den stattlichen Band, in welchem F. Kaltenbrunner
die von ihm, Fanta und v. Ottenthai gesammelten Actenstücke aus dem
vaticanischen Archiv mittheilt, durcharbeite!, wird das Gefühl einer gewissen
Enttäuschung theilen, wie es der Herausgeber selbst im Vorwort S. IV ff.
zum Ausdruck bringt. Die für die Veröffentlichung so reichlich aufge-
Avendete Mühe und ehrliche Arbeit steht durchaus nicht im richtigen Ver-
hältniss zu dem Ergebniss, das durch sie gewonnen erscheint. Es steht
nach diesem Ergebniss ausser Zweifel, dass der von der Leitung des
österreichischen Instituts gefasste Entschluss, mit der Forschung im vati-
canischen Archiv wieder einzusetzen in den Zeiten des 13. und 14. Jahr-
hunderts, in denen so manche Gelehrte — ich nenne Steyerer, Palacky,
346 Litpvatnr.
Dudik, Kopp — schon damals gearheitet haben, als im Ganzen das vati-
canische Archiv noch unter cängstlicher Sperre gehalten wurde, zu einem
doch nur recht bescheidenen Erfolg geführt hat. Auch der emsigste Fleiss
vermochte keine neuen Schätze zu erschliessen, sondern blieb auf eine
Nachlese auf den alten Halden beschränkt! Chmel hat Kecht behalten, da
er vor viiden Jahren Forschungen im vaticanischen Ai-chiv für diese alten
Zeiten ein schlechtes Horoskop stellte.
Die Gründe, welche diesen beschränkten Erfolg der österreichischen
Forschung bedingt haben, setzt K. selbst im Vorwort S. IV ff. aufs beste
auseinander. Noch im 13. Jahrhundert hat man an der päpstlichen Curie
nur jene einlaufenden Urkunden auf 1 »ewahrt, denen man bindende Rechts-
kraft beimass, die als berufen betrachtet wurden, die Continuität des Be-
sitzes und Eechtes der römischen Curie und ihrer Ansprüche darzustellen.
Alles, was nicht genau unter diesen Gesichtspunkt fiel, blieb dem Zufall
preisgegeben, und nur dem letzteren ist es zu danken, wenn sich auch
von solchen Stücken vereinzeltes erhalten hat — sie sind in einem Theil
des Archivs untergebracht, der die charakteristische Bezeichnung »Miscella-
nea« trägt. Dass hierin der Grund zu suchen ist, und nicht etwa eine
eingetretene Katastrophe einen Verlust im Grossen veranlasst hat, zeigt
K. aus den Inventaren, die sich vom Archiv aus verschiedenen Zeiten
erhalten haben. Diesellien geben immer nur den Bestand an den oben
gekennzeichneten Aktenstücken, der jetzt den Namen »Engelsburg-Archiv«
trägt. K. begründet Alles dieses duixh die S. V ff. gegebene Zusammen-
stellung der von der deutschen Reichskanzlei und den Bevollmächtigten
der Könige ausgestellten Urkunden mit Angabe ihrer jetzigen Ueberlieferung
und ihrer Erwähnung in den Inventaren des vatikanischen Archivs.
Auch das Suchen nach Urkundencopien in Handschriften ergab, ab-
gesehen von den im Cod. Ottobonianus 2546 aufgefundenen Bruchstücken
eines wol unter Nicolaus III. angelegten liber privilegiorum, über den K.
in den Mittheil, des Instituts f. öst. GF. Ergzbd. I, 376 gehandelt hat —
lediglich dns negative Resultat, dass bis zur Zeit Sixtus IV, da Piatina
seine Urkundensammlung angelegt hat, keinerlei Eintragung des vorhan-
>lenen Urkundenbestandes stattgefunden hat, so wenig als etwa noch vor-
handenes Actonmaterial, von dem sich auch in den angeführten Inventaren
keinerlei Spuren erhalten haben, in Abschriften vervielfältigt wurde.
Zur Ausbeutung stand also wesentlich nur die Masse der von der
Curie ausgegangenen Briefe, wie sie in der bekannten Register-Reihe ent-
halten ist, die K. S. XI für den in Betracht kommenden Zeitraum aufzählt.
Nach den Ergebnissen von K's Studien erfolgte die Hauptmasse der Ein-
tragungen in die Register nach den Concepten, und nur ausnahmsweise
nach den Originalausfertigungen. Zu dieser Ansicht, die von K. in ein-
zelnen Fällen der Beurtheilung des geschichtlichen Werthes von ihm her-
ausgegebener Briefe zu Grunde gelegt wird, ist für die späteren Register
auch Grauert gekommen (Görres- Jahrb. XI, 82 1).
Wusste man früher schon, dass keineswegs alle ausgegangenen Briefe
an der Curie registrirt wurden, so ergeben K. Studien des Weiteren, dass
nicht einmal bei den die Geschäft sgebahrung und die Rechtsverhältnisse
der Curie betreffenden Urkunden Vollständigkeit der Eintragung Regel
gewesen ist, selbst nicht bei dem zweiten Registerband Nicolaus III, dessen
Literatur. 347
Briefe sich mit wenigen Ausnahmen auf dieselben Angelegenheiten be-
ziehen, so dass er ganz füglich »Über de negotio imperii« heissen könnte.
Leider blieben, wie gelegentlich bemerkt sei, K's Nachforschungen nach
ähnlichen eigenartigen Bänden anderer Päpste ohne Erfolg.
Die grosse Briefsammlung des päpstlichen Notars Berardus de Neapoli,
der in hervorragender Weise an den Geschäften der Curie von Urban IV
an bis Honorius IV betheiligt war, die K. auf Grund der von ihm wieder-
aufgefundenen vaticanischen Handschrift, von zwei weiteren römischen und
fünf französischen Handschriften, in so mühevoller und dankenswerther Weise
zum Gegenstand seiner Forschung gemacht hat (Mittheil, des Instituts f.
Ost. GF. Bd. VII), tritt nur in sehr bedingter Weise in die Lücke ein.
Nach K's Darlegungen wird der Werth und die Verwendbarkeit der von
Berardus mitgetheilten Urkunden dadurch eingeschränkt, dass wir von
vornherein nicht wissen können, ob die Briefe auch wirklich erlassen oder
aber bei der Ausfertigung noch geändert, oder aber gar blosse Entwürfe
geblieben und gar nicht ausgefertigt worden sind. In seiner Veröffent-
lichung erläutert K. diese Ausführungen durch mehrere treffende Beispiele
nr. 33, 62.
Die Hauptmasse der K. und seinen Genossen zur Verfügung stehenden
Quellen ist bekanntlich früher von Odoricus Raynaldus für die Fortsetzung
von Baronius Annales ecclesiastici benutzt worden. Dem scharfen Blick
dieses geAvaltigen Arbeiters ist, wie die Ergebnisse der österreichischen
Forschung lehren, und die der bairischen Gelehrten lehren werden —
s. Grauert a. a. 0. S. 120 — nichts wichtiges entgangen, und dadurch
dieser neuen Veröffentlichung der österreichische Gelehrten nur eine Nach-
lese übrig gelassen worden. Wenn nun diese aber, wie gesagt, insofern
enttäuscht, als sie keine Stücke ersten Ranges zu Tage förderte und nach
Lage der Dinge nicht zu Tage fördern konnte, so ist sie doch immer an
und für sich eine recht bedeutende — sie bietet uns im Ganzen 781
theils ganz, theils in Auszügen veröffentlichte Aktenstücke.
Es ist gewiss nur zu billigen, dass K. von der ihm gesteckten Auf-
gabe, zunächst die Regierungszeit Rudolfs und Albrechts zu erforschen,
insofern abwich, dass er das ganze Pontificat Gregors X in dieselbe ein-
bezog, also vor die Wahl Rudolfs zurückgieng. Man wird es ebenso
billigen können, dass K. die sämmtlichen Urkunden, die sich auf die von
Nicolaus III auf Grund von Rudolfs Abtretung ins Werk gesetzte Besitz-
ergi-eifung der Romagna beziehen, aufgenommen hat. Auch dafür wird
der Herausgeber auf dankbare Zustimmung rechnen dürfen, dass er auch
Localgeschichte, und zwar mit besonderer Berücksichtigung der Habsburger
und der österreichischen Länder beachtet hat — man tröstet sich bei
manchem Stück leicht dai-über, dass es nur mit einiger sanfter Gewalt
unter den Titel der Veröffentlichung sich fügt.
K's Thätigkeit als Herausgeber verdient das uneingeschränkteste Lob,
namentlich die Sorgfalt und der Fleiss, mit denen er Alles, auch das
entlegenste heranzieht, um die mitgetheilten Urkunden zu erläutern, oder
ihre zeitliche Eintheilung zu ermöglichen. Wenn hier im Folgenden in
dieser Beziehung hie und da eine Berichtigung geboten wird, so geschieht
das lediglich, um die Benutzung der Publikation zu erleichtern. Die
Seltenheit der Fälle dieser Ai-t, die bei genauester Durcharbeitung des
348 Literatur.
Buches mir aufcrefallen sind, inag dem günstifrpn ürtheil, das ich im
Allgemeinen darüber ausgesprochen, zur besten Begründung dienen. Ich
wende mich zu verschiedenen Einzelheiten, zunächst um einige Sachen
hervorzuheben, die mir besonders vv^ichtig und beachtensv(rei-th erscheinen.
Ich verw^eise da zunächst auf uro. :i(\ mit seiner theilweisen Bestätiofung,
theilweisen Berichtigung der Angaben Villanis. Sehr dank^nswerth ist
die von K. zu nr. ö'i gebotene Zusammenstellung der Theilnehmer am
Concil von Lyon, vortrefflich zu nr. 56 die Ausführung über das Zustande-
kommen der Lyoner Zehentconstitution. Für Würzburger Verhältnisse
sind sehr lieachtenswerth die nr. 5S u. 60. Mehrfaches neues Licht er-
hält die vexata quaestio über die Verhandlungen Gregors mit Alfons X
von Castilien und des letzteren endgültigen Rücktritt vom römischen
Reich durch die nr. 66, 79 ff. besonders nr. 88.
Für die Diplomatik ist zu beachten K's Ausführung über die Unver-
werthbarkeit der Briefe (Iregors X aus der Zeit der Rückreise von Lyon
für die Feststellung seines Itinerars zu nr. 7.5, während dieses Itinerar
durch nr. 95 eine Bereicherung erfährt. Ebenso sind für die Diplomatiker
von grossem Interesse die allgemeinen Ausführungen K's zu nr. 629,
666 über das Register Clemens V und das Itinerar dieses Papstes.
Die nr. 90 und 91 erläutern in envünschter Weise das Verhältniss
König Rudolfs zu Savoyen.
Ausserordentlich dankenswerth sind K's allgemeine Zusammenstel-
lungen über die Zehentsammlung in Deutschland zu nr. 107, und über
den Ei-trag derselben zu nr. 242. Wichtig für die Geschichte der Inqui-
sition sind die auch in die tirolische Geschichte einschlagenden Akten-
stücke in Betreff des Ketzers Konrad de Venosta — s. nr. 11.3 ff., 199,
200. Die tirolische Geschichte macht noch reicheren Gewinn aber aus
der stattlichen Reihe von Urkunden — nr. 327. 362, 387, 393, 415,
431, 445, 448, 451, 457, 458, 460, 461, 462, 464, 467, 474, 503 —
die sich auf die Streitigkeiten Meinhai'ds 11 von Tirol mit dem Bischof
von Trient beziehen und hat auch freudig zu begrüssen die Stücke nr. 465,
469, 470, 473, 474 über Bischof Landulf von Brixen. Manchen neuen
höchst ei-wünschten Einblick ermöglichen die von K. mitgetheilten Urkunden
in die stets fehlschlagenden und doch immer neu wieder in Angriff ge-
nommenen Bemühungen der Curie, in den ihr abgetretenen Reichsgebieten
ihre HeiTSchaft zur Geltung zu bringen und daselbst Ruhe und Ordnung
herzustellen — ich möchte ganz besonders in dieser Beziehung auf die
beiden Memoriales nr. 215 u. 216 für den Cardinal Latinus und für
Berthold Orsini aufmerksam machen.
Auch für die Kritik der steierischen Reimchronik fällt aus unserer
Veröffentlichung einiges ab, vgl. die nr. 370. 433. Für Alb rechts Streit
mit Salzburg ist nr. 47 0 und K's Ausführung zu derselben wichtig. Ich
will durchaus nicht mit dieser Zusammenstellung das Verdienstliche von
K's Publikation erschöpfen — andere Benutzer werden in derselben noch
vieles Andere von ähnlicher Wichtigkeit aufzuzeigen wissen.
Dass die Hoffnung, durch eingehende Forschungen im vaticanischen
Archiv weitere Aufklärung über die Pläne Nicolaus III auf Neugestaltung
des Kaiserreiches zu gewinnen, sidi nicht erfüllt hat, ist bedauerlich,
erscheint aber nach dei' Behandlung, welche die einluufemlen Stücke an
Literatur. 349
der Curie nach K's Darlegung erfahren haben, nicht befremdlich. Ja bei
einer so eigenartigen Politik, wie es die Nicolaus III gewesen, ist vielleicht
nicht bloss die allgemeine Sorglosigkeit dem Einlauf gegenüber in Betracht
zu ziehen, sondern auch an die Möglichkeit zu denken, dass etwa spätere
Päpste die redenden Zeugnisse für die revolutionären Ideen des gewaltigen
Orsini absichtlich haben lieseitigen lassen. Dass die ganzen Pläne auf
Theilung des Kaiserreiches und Errichtung des deutschen Erbkönigthums,
wie ich sie auf Grund eines freilich sehr trümmerhaften Materiales für
die ersten Habsburger nachzuweisen gesucht habe, nicht so vornehm skep-
tisch behandelt werden dürfen, wie es in neuester Zeit von Lindner ge-
schehen ist, dürfte in Bälde allgemein anerkannt werden, wenn der glück-
liche Urkundenfund bekannt wird, den vor nicht langer Zeit Herzberg-
Fränkel in Wien gemacht hat. Von Interesse für diese Frage ist der Um-
stand, dass nach nr. 470 der Bischof Landulf von Brixen, der, ein Italiener
von Geburt, früher, wie ich aus einem in einem Raitbuch der Tiroler
Grafen aus dem Görzer Hause stehenden Briefe desselben weiss, Leibarzt
Rudolfs von Habsburg gewesen ist, ein Schützling der Orsini war.
Zu nr. 5 ist zu l>emerken, dass die Angabe des Paolino di Piero,
Thaddaeus von Montefeltre sei 1272 Vicar in Florenz gewesen, auf die K.
hier Bezug nimmt, unrichtig ist, vgl. Hartwig Quellen der Stadt Florenz
II, 183 u. 207, wo zu ersehen ist, dass Montefeltre vom 1. Januar 1271.
vom 1. Januar 1272 an aber Robeitus de Robertis aus Reggio Vikar
Karls von Anjou war; vgl. auch Guido de Corvaria Mur. Scr. XXIV, 675.
Zu nr. 12 möchte ich bemerken, dass man immer geneigter wird,
über das Wirken des Legaten Gregors X, Vieedominus Erzbischof von Aix,
sich dem harten Urtheil der Annales Florentini: qui domnus legatus, cum
deberet venisse pro componendis paclbus inter civitates Lombardie, venit
tantum ad augendum dominium et segnoriam predicti domini regis Karoli
in Lombardia anzuschliessen, wenn man bedenkt, dass der Legat von Alters
her Karl von Anjou sehr nahe gestanden, und namentlich durch Karls
Connivenz unter Verhinderung der Wahl eines andern das Erzbisthum Aix
erhalten hat — s. Sternfeld, Karl von Anjou, S. 142. Die Wahl eines
Mannes mit solchen Antecedentien für ein solches Amt, wie die Legation
in der Lombardei, lehrt, wie sehr es dem herzensguten Gregor X. an staats-
männischer Einsicht gefehlt hat.
Zu nr. 13 Anm. muss ich mich gegen den Vorwui-f, dass ich Kopp
Buch V S. 145 Anm. 4 falsch citirt habe, verwahren — an der ange-
führten Stelle steht richtig § 43 und nicht § 41. Dagegen habe ich mich
da wirklich geirrt, wo es mir zu nr. 243, VIII vorgeworfen wird, bei
St. Priest steht Böhmer nr. 566, und nicht 567.
Unrichtig sind in K's Publikation einzelne Eigennamen wiedergegeben,
so nr. 63 Anm. Orviedo st. Oviedo, nr. 7 5 und öfter, auch im Register:
Beau^aire statt Beaucaire, nr. 494 Anm. Trouillart st. Trouillat, nr. 374
Anm. Neusse st. Neuss; nr. 522 ist Cantipratum durch Chantimpre st.
Cantimbre zu übersetzen, nr. 623 Anm. ist statt Aerschot zu setzen Aerschot,
nr. 666 Macon st. Ma^on, nr. 544 Anm. Cohn st. Chon, nr. 540 Anm.
Eussernthal st. Eusserthal.
Zu nr. 306 ist die Ortsangabe Munster menevelt statt durch Münster-
feld durch Münstermaifeld wiederzugeben, in nr. 356 hat Kimbeck mit
350 Literatur.
dem gleichnamigen Ort bei Paderborn nichts zu thun, sondern ist verderbt
für Riesenbeck, in nr. 372 ist Belherat nicht Wilhering, sondern das be-
rühmte mährische Weiherad.
Innsbruck. Arnold Busson.
Lindner Theodor, Deutsche Geschichte unter deu
Habsburgern und Luxemburgern (1273— 14?.7). 1. Bd. Von
Rudolf von Habsburg bis zu Ludwig dem Baiern. Stuttgart, 1890.
Cotta's Nachfolger (486 S. Lex.-8).
Unter den Werken, welche die von H. v. Zwiedineck-Südenhorst her-
ausgegebene »Bibliothek deutscher deschichte« bilden, nimmt die von
Lindner bearbeitete Abtheilung eine ehrenvolle Stellung ein. Der Ver-
fasser hat den ursprünglich für die ganze Bibliothek aufgestellten Grund-
satz, jedes gelehrte Beiwerk fernzuhalten, bis zur äussersten Consequenz
verfolgt; im ganzen Werke findet sich nicht eine Note. Aber wer die
über die behandelte Periode vorhandene Literatur kennt, fühlt überall durch.
mit welcher Sorgfalt das vorliegende Bueh gearbeitet ist. Nur selten stösst
man auf eine Aeusserung, welche auf die Nichtbeachtung einer oder der
andern Schrift schliessen lässt. So kann man nach dem von H. v. Lie-
benau mitgetheiltem Material doch nicht mehr behaupten, dass auch
Albrechts L Tochter Agnes an der Blutrache betheiligt gewesen sei (S. IC.oX
Auch gegen die Angabe der Vita Karoli über die deutschen Fürsten,
welche 1345 am Bündnisse Ludwigs des Baiern und der Könige von
Polen und Ungarn gegen die Luxemburger betheiligt gewesen sein sollen
(S. 4()9), sind längst gewichtige Einwendungen erhoben worden. Ebenso
berührt es unangenehm, wenn der Verfasser S. 62 von der Schlacht ^ auf
dem Marchfelde« spricht, obwohl er selbst weiss, dass sie in bedeutender
Entfernung von demselben geschlagen werden ist. Ueber andere Fragen
kann man allerdings verschiedener Ansicht sein, z. B. über die Angabe
eines böhmischen Chronisten, dass Ottokar II. «lie ihm angetragene Würde
des römischen Königs abgelehnt habe.
Die Darstellung ist klar und anschaulich, manchmal auch des höheren
Schwunges nicht entbehrend. Hie und da läuft freilich ein unpassendes
Bild mit unter, wenn es z. B. S. 311 heisst, König Johann von Böhmen
habe sich vom politischen Gründungsschwindel »weidlich herum tummeln
lassen«. Der Verfasser hat es auch verstanden, das Wesentliche aus der
Geschichte der verschiedenen deutschen Territorien und ihrer Fürsten an
passender Stelle einzuschalten, ohne die Gesrhichte des Reiches in eine
Reihe von Landesgeschichten aufzulösen.
Mit besonderer Sorgfalt sind die Charakteristiken der wichtigsten Per-
sönlichkeiten ausgelührt. und man muss dieselben im allgemeinen als sehr
gelungen bezeichnen. Dabei überrascht der Verfasser wohl auch durcli
frappante Parallelen, wenn er z. B. den Papst Johann XXIL, dessen Stand-
punkte er übrigens möglichst Gerechtigkeit widerfahren lässt, mit Philipp IL
voü Spanien vergleicht. > Beide waren leidenschaftlich, aber in entgegen-
gesetzter Richtung. Johann heiss, Philipp kalt, der eine ein durch Fehl-
schlüge sich erregen lassender Mensch . der andere eine unentwegt die-
Literatur. 351
selbe Aufgabe rechnende Maschine« (S. 427). Manches hätte allerdings
mit wenigen Worten sich abthun lassen, wie die Hinweisung auf den Geiz
des genannten Papstes S. ;}18: »Johann liebte das GeLI nicht allein der
Macht wegen, welche es verlieh, sondern auch seiner selbst willen; er
erfreute sich an dem Besitz unermäss lieber Schätze, er war mit einem
Worte geizig«. Auch abgesehen von solchen Dingen, hätte Eeferent man-
ches lieber etwas gekürzt gesehen, wie S. 196 die weitläufige Schilderung
der Festlichkeiten bei der Belehnung und Hochzeit des Sohnes K. Hein-
richs VII., oder den Wortlaut einzelner Aktenstücke. Es wäre dann Raum
gewonnen worden für eine etwas eingehendere Darstellung der innern
Verhältnisse Deutschlands, die kaum lierührt werden, und es hätte sich
der Verfasser dann vielleicht auch nicht veranlasst gesehen, S. 34 über
die Ursachen des Bruches zwischen König Kudolf und Ottokar von
Böhmen im J. 1278 gar nichts mitzutheilen. Es sind dies übrigens Aus-
stellungen, welche den Verfasser nicht hindern, das vorliegende Werk den
hervorragendsten Leistungen der deutschen Historiographie der letzten
Jahre beizuzählen.
S. 155 Z. 14 ist Ladislaus verschrieben für Andreas. S. .•502 Z. 15
ist statt Ebsdorfer zu lesen Ebersdorfer.
Wien. A. Hub er.
Wilhelm Heyd, Beiträge zur Geschichte des deutschen
Handels, Die grosse Raveusburger G esellschaft. Stuttgart.
1890. 86 S. 8''.
Gewiss wird es allseitig mit aufrichtiger und grosser Freude begrüsst
worden sein, dass der Altmeister mittelalterlicher Handelsgeschichte, nach-
dem er für den Levanteverkehr die breite (Grundlage der Kenntniss geschaffen
hat, sich seit einiger Zeit auch den kaufmännischen Beziehungen zwischen
dem romanischen Südeuropa und Deutschland, das hier uaturgemäss dui-ch
den ausserhalb der hansischen Einwirkung belegenen Süden vertreten ist,
zuzuwenden begonnen hat. Lässt doch die Hauptüberschrift des nunmehr
vorliegenden Heftes, dem schon zwei nahe verwandte Zeitschriftenaufsätze vor-
aufgegangen sind, die Hoffnung zu, dass weitere Abhandlungen aus diesem
Gebiete von Heyd selber in Aussicht genommen sind oder vielleicht auch
von ihm gefördert und eingeführt werden sollen. »Diesmal« , heisst es
im Vorwort, »gilt die Unternehmung einer einzelnen Handelsgesellschaft.
Ich halte Monographien oder auch nur Zusammenstellungen von Urkunden
oder Eegesten einzelner Städte, über hervorragende Kaufmannshäuser, über
die grösseren kaufmännischen Gesellschaften für eine unerlässliche Vor-
arbeit zu einer wissenschaftlichen Geschichte des süddeutschen Handels,
(.lerne hätte ich Häusern und Gesellschaften von ausgebreiteterem Ruf,
deren ja in Augsburg und Nürnberg nicht wenige blühten, den Vortritt
gegönnt. Aber von dieser Seite erfolgt keine Publikation.* Trotz aller
Vernichtung ist von den Handelspapieren noch manches vorhanden; »nur
werden sie sorgfältig verwahrt im Familienliesitz , ruhig liegen gelassen
in öffentlichen Archiven, auch wohl im stillen gesammelt, aber der Ver-
öffentlichung nicht entgegengetührt«. Wie schwierig es ist, die Quellen
352 Literatur.
für Beziehungen des kaufmännischen Verkehrs zu sammeln , welches
Suchen an weit auseinanderliegenden Orten es erfordert, das zeigt aller-
dings schon durch sich selbst das kleine neue Heyd'sche Buch ; solche
Erwägungen werden es auch gewesen sein, die neuerdings die Itadische
historisclie Commission veranlasst halben, auf Anregung Winkelmanns die
Stotferschliessung für den italischen Handel der oberrheinischen Städte
selbst in die Hand zu nehmen. Für die von Heyd dargestellte Ravens-
burger Gesellschaft haben u. a. auch die Archive von Luzern, Bern, Mai-
land, Genua und mittelbar auch spanische beigesteuert. Für den hei-
mischen Stoffkreis hat sich der Verfasser in erster Linie mit an das Ar-
chiv der Stadt Konstanz gewandt, und auch mit Erfolg, obwol er nui-
in Konstanz selbst gesucht hat. Unbegreiflicherweise nämlich scheint er
dort nicht erfahren zu haben, dass sich der Hauptteil aller Konstanzer
Archivalien bei den Urkunden und Acten des dortigen Bistums im Karls-
ruher Landesarchiv befinilet. Darunter insbesondere die Hinterlassenschaft
des »Bundes der Städte um den See«, der unter der Leitung von Kon-
stanz auch Ravensburg einschloss; ferner erinnere ich daraus Belegstücke
zur Geschichte der Lombarden in Konstanz u. ä. Demnach ist doch zu
veimuten, dass durch die Nichtberücksichtigung Karlsruhe' s der Heyd'schen
Al)handlung beträchtliche Verluste erwachsen sind : so habe ich mir z. B.
von dort ausdrücklich zu dem Namen »Humpiss« eine Urkunde von 1497,
Aug. 23. (Archivbez. 5 Spec. 143) vermerkt.
Das der Ravensl)urger Gesellschaft auf dem Titel beigefügte Wort
ist keine blosse Kennzeichnung durch den Verfasser, vielmehr hiess schon
bei den Zeitgenossen diese oberschwäbische Handelsgesellschaft die »gi'osse«.
Begi'ündet wurde sie nach einer Mitteilung des Ravensburgers Ladislaus
Suntheim durch die Möttelin (Heyd berichtigt seine frühere Lesung Münli
selbst), dit- seit 1337 das Eavensburger Bürgerrecht besassen. Danach,
spätestens mit dem beginnenden 1 5. Jahrhundert , sind die Möttelin in
die zweite Linie getreten und haben den Humpiss als fortan leitenden
Häuptern der Gesellschalt Platz gemacht. Jos (Jodocus) Humpiss (diese
Schreibung wählt Baumann, der in der oberrheinischen Zs. Bd. XXXII
reichhaltige Quellenmitteilungen zur Geschichte des Geschlechts gegeben
hat, Heyd die unabgeschliffene »Huntpiss« aus den vorkommenden Formen
aus), steht so sehr als Vertreter des Ganzen da, dass sein in Deutschland
neben ihm erwähnter Vetter Eitel den Romanen ganz unbekannt bleibt,
auch andere Namen von diesen nicht berücksichtigt werden und die
Gesellschaft geradezu die Josumpis- (so bei den Italienern) oder Jous-
hompis-Compagnie (so in Spanien) genannt wird. Höchst wahrschein-
lich haben sich zwischen den Jahren 1419 — 75 zwei zeitlich nicht zu
scheidende Jos Humpiss und ebenso neben ihnen zwei Eitel Humpiss in
der Leitung abgelöst; dann sind 1479 — 1497 die bisher sicher erlangten
Daten für die sich anschliessende Vorstandschaft des Onofrius Humpiss,
neben dem noch Clemens Ankenreute i. J. 1492 mehr hervortritt. Mit-
beteiligt an der Gesellschaft waren neben den Humpiss und Möttelin vor-
zugsweise die in verschiedenen obei'schwäbischen Städten niedergelasseneu
Besserer — es scheint Heyd entgangen zu sein, dass diese auch in Pful-
lendorf und zwar hier als geradezu seit Alters regierendes Geschlecht an-
sässig waren — , und die bekannten Muntprat zu Konstanz und Ravens-
Literatur. 353
bürg, dazu denn auch andere Geschlechter der Bodenseestädte; Konstanz
war so stark vertreten , dass man die Joushompiscompagnie in Spanien
geradezu für eine Konstanzer Gesellschaft hielt; ferner verzweigte sie sich
nach^ Zürich, Luzern und Bern und auch an den ausserdeutschen Plätzen
traten ihr gelegentlich deutsche Kaufleute, wenn auch in loserer Verbin-
dung, bei. - Das handelsrechtliche Verhältniss der Leiter zu den Gesell-
schaftern und dieser zu einander gelangt nicht zur Erörterung, wie über-
haupt der Zweck der Abhandlung ja nur der ist, Bausteine herbeizu-
schaffen und die zunächst vorhandenen zu behauen.
Die Humpiss-Gesellschaft liess Venedig abseits liegen und folgte dem
Zuge des schon länger bestehenden Verkehrs Konstanz' mit der Lombardei
und dem Südwesten, der also auch sie nach Mailand, von hier aus nach Genua
und weiter nach Spanien, wo für ein Konstanzer Haus die Jahreszahl 1410,
für die Gesellschaft 142G erreichbar wurde, führte. Nach Genua suchte
ja auch Kaiser Sigismund den deutschen Handelsverkehr zu lenken; hier
also wurde diesen Bemühungen auf naturgemässem und schon herkömm-
lichem Wege Folge gegeben, während ihnen gegenüber der sonstige süd-
deutsche Handel in der Hauptsache widerstrebend blieb. Immerhin brachte
auch für Jene der Verkehr mit der ligurischen Seestadt Schattenseiten
mit sich, die jedoch geringer wurden, als König Ludwig i. J. 14(54 Genua
an Mailand abtrat; 1466 schlössen die mailänder Vertreter der Humpiss-
gesellschaft einen Vertrag — und zwar für alle deutschen Kaufleute —
mit der genuesischen Behörde ab, in welchem diese möglichstes Entgegen-
kommen zeigte. Nach Siena und Eom hatte die Gesellschaft wenigstens
für den Geldverkehr Verbindungen; die scheinbaren Anzeichen einer Han-
delsverbinduug nach Unteritalien dagegen werden durch Heyd auf Grund
sorgfältig herangezogener anderweitiger Nachrichten in einschränkendem
Sinne erklärt. Für Spanien knüpften sich die Beziehungen auch der Ge-
sellschaft hauptsächlich an das seit Alters durch die Deutschen natur-
gemäss bevorzugte blühende Barcelona, l)ald aber entstand eine Zweig-
niederlassung in Valencia und wurden auch nach Alicante, Tortosa und
Saragossa Verbindungen erschlossen. Interessant ist , dass der Vertreter
der Gesellschaft in Valencia einem dort ansässigen Deutschen, der in den
Jahren 1477: — 1478 in Gemeinschaft mit einem Einheimischen eine Bibel-
übersetzung ins Valenciauische herausgab, die Druckkosten spendete; sein
Nachfolger war sogar in der Lage, in der Nähe der Stadt ein Francis-
canerkloster zu giünden, wie man wenigstens dem Nürnberger Reisenden
Hier. Münzer erzählte. Uebrigens war Genua nicht der ausschliessliche
Hafen für den spanischen Verkehr; auch Nizza wurde seitens der Gesell-
schaft für die Persouenfahrt , wie für die Verfrachtung mitbenutzt. —
Kürzer behandelt werden die Beziehungen nach den Niederlantleu, iür die
fi-eilich geringe Spuren und eher noch für den Geld-, als füi- den Waaren-
verkehr erreicht werden konnten; auch die Beziehungen innerhalb Deutsch-
lands ermangeln noch weiterer Aufklärung.
Gegenstand der Ausfuhi- waren die Erzeugnisse des oberschwäbischeu
(}ewerbes, voran Zeuge aus Leinwund und BarunwoUe, auch Garn, dazu
deutsche Metalle ; aus den Originalien der im Auszug von Capmany ge-
druckten Zolb'egister von Barcelona können vielleicht noch nähere Auf-
schlüsse gewonnen werden. Als Rückfracht dienten, soweit erkennbar,
Mittheüungen, XII. 23
g54 Literatur.
spanische Wolle, Südfrüchte, Weine, Safran, Alaun, das man ja in Deutsch-
land erst seit dem 16. Jahrhundert zu gewinnen verstand, und ähnliche
Waaren der Fremde.
Den politischen Schutz der Gresellschaffc konnte weniger das kleine
Ravensburg, als Konstanz und die Hilfe der durch ihi-e Bürger mitbetei-
ligten Eidgenossenschaft leisten ; mehrfach wurde in der Tat diplomatische
Verwendung nötig. Der Verfall der Gesellschaft aber brach von innen
herein; ein bedenkliches Anzeichen davon ist schon der aus ihrer Mitte
i. J. 149 7 gemachte Versuch, bei der Mailänder Zollstätte Sillier als Ziuu
durchzuschmuggeln, worül»er die Ausgleichs verhanrllungen, wie überhaupt
die Mailänder Beziehungen unter dem letzten Visconti und den Sforza's,
etwas reichlicheren Quellenstoö" hinterlassen haben. In den Anfangsjahren
des 1(5. Jahrhunderts schleppt sich die (lesellschaft ersichtlich nur noch
hin, ir)27 besteht sie noch, aber mindestens ohne einen Zins für die
Capitaleinlagen abzuwerfen. Die Auflösung setzt Heyd um lä.iO.
Dreissig Urkunden und Regesten sind, begründend und weiterführend,
der Darstellung beigegeben.
Freiburg i. B. Ed. Heyck.
Archivlehre. Gruudzüge der Geachichte, Aufgaben
und Einrichtung unserer Archive von Franz von Löher.
Paderborn, F. Schöningli 1890. 8^ (XII, 490).
Der Inhalt des Buches, in welchem der Verfasser neben manchem
Neuen das, was an Vorschlägen, Ideen und dienstlichen Thatsachen in
den dreizehn Bänden seiner Archivalischen Zeitschrift zerstreut ist, zu-
sammenfasst, gliedert sich in einen historischen und einen praktischen
Theil. Im ersteren wird eine allgemeine Ue1)ersicht der Entwickelung des
deutschen Archivwesens gegeben, von seinen ersten Anfängen zur Zeit der
Gründung germanischer Staatsgebilde bis herauf zu den einschneidenden
Refonnen, welche im gegenwärtigen Jahrhundert auch auf diesem Gebiete
allenthalben ins Werk gesetzt wurden. Dem Fachmann ist natürlich vieles
von dem, was der Verfasser beibringt, liekannt; doch l)leibt die Sammlung
des weit und breit zerstreuten Materials immerhin dankenswert und na-
mentlich wird der Anfänger, für den das Buch zunächst liestimmt ist,
daraus mannigfache Belehrung schöpfen. Der an Umlang weit grössere
praktische Theil verbreitet sich über alle Punkte, welche für die Ver-
waltung der Archive von Belang sind, wie Eintheilung und Ordnung,
Verwahrung und Schutz der Archivalien, Anlegung von Repertorien und
Handweisern, Archivbenützung, Amtsstellung und Fachbildung der Archiv-
beamten, Geschäftsgang und dgl. mehr, und der Verfasser hat dabei immer
die Doppelstellung, welche die Archive als Hilfsämter der Staatsverwal-
tung einerseits, und als wissenschaftliche Institute anderseits einnehmen,
im Auge, wobei er den Zwecken, denen sie in letzterer Eigenschaft zu
dienen haben, die gebührende Berücksichtigung zu Theil werden lässt.
Hin und wieder freilich schlägt der Archivvorstand zum Schaden des Ge-
lehrten durch und die etwas reservirte und umständliche Art, die Löher
in Beziehung auf die Mittheilnng der Archivalien empfiehlt, oder die angst-
Literatur. 355
liehe Hütuug der Repertorien vor den Blicken der Uneingeweihlen sind
recht dazu angethan, um dem Ingrimm, der den ständigen Besucher von
Archiven und Bibliotheken so häufig Itefällt, neue Nahrung zuzuführen.
Im Ganzen hätte das Werk nur gewonnen, wenn sich der Verfasser etwas
knapper gefasst, strenger an das Thatsächliche gehalten, allzu breite Aus-
führungen mehr oder minder hypothetischer Natur vermieden und vieles
Selbstverständliche getrost der Einsicht derer überlassen hätte, welche sieh
von Berufswegen mit Archivgeschäften zu befassen haben.
Wien. A, Budinszky.
Die li i s t o r i s c li e u Programme der ö s t e r r e i c h i t; c h e u
Mittelschulen für 1890.
Aus der ansehnlichen Zahl von Programmaufsätzen historisch-geo-
graphischen und verwandten Inhalts heben wir zunächst diejenigen her-
vor, welche ein Gebiet der politischen, oder der Culturgeschichte des Mit-
telalters, oder der neuern Zeit auf Grund bisher ungedruckten Materiales
behandeln.
Beiträge zur Geschichte des Krieges Erzherzog Sig-
munds mit Venedig 1487 von F. Wotschitzky (Gymnasium zu
Bielitz in Schlesien). Auf Grund ungedruckten Quellenmateriales aus dem
Statth. -Archive zu Innsbruck werden in diesem Aufsatze einzelne recht
interessante Ergänzungen zur Geschichte des im Frühjahre 14S7 leicht-
sinnig unternommenen Krieges Sigmunds von Tirol gegen die Kepublik
Venedig gelieiert, welcher bisher vorwiegend nach Berichten iler Chro-
nisten dargestellt worden ist. Sigmund führte den Kampf ohne die tiro-
lischen Stände, vorzugsweise mit Hilfe seiner Vasallen und der bairischen
Herzoge, die aus seiner Verlegenheit Nutzen zu ziehen trachteten. Sie
stellten ihm gegen ausgiebige Verschreibungen Truppen und Geld zur
Verfügung, wie aus den Urkunden und dem Raitlmche im genannten
Archive hervorgeht. Unterhandlungen, die, wie es scheint, mit dem Hofe
zu Mailand geführt wurden, hatten kein Ergebniss; einige hieher gehörige
Briefe aus der Laduruer'schen Urkundensammlung hat W. in den Noten
verwertet. Ausführlicher ergeht sich der Verf. in der Darlegung der
KriegsvorV)ereitungen , der Ausrüstung , Verpflegung und Besoldung der
Truppen, wozu er 40 bisher unverwertete Lieferzettel benützte. Der Zuzug
der Contingente gieng langsam vor sich ; unter den bairischen Kriegsleuten
befand sich auch Hans v. Pienzenau. Der Verlauf des Krieges wird als
ziemlich bekannt nur kurz geschildert. Sigmund war noch nicht gei'üstet,
als die Venetianer durch das Lagerthal vorrückten. Dann aber gritf Gau-
denz V. Matsch ßovereto an, nahm es am 30. Mai 1487 ein und siegte
bei Ravazzone über den venetianischen Feldherrn Sanseverino. Ueber den
höchst auffallenden Rückzug des Matschers kann indes auch W. keine Auf-
klärung bringen. Die Venetianer nahmen dann Rovereto wieder. Nach der
Niederlage Sanseverino's durch Friedrich v. Kappel bei Calliano am 1 0. Aug.
trat aber beiderseits Ermattung ein. Papst und Kaiser vermittelten den
Frieden, der, / noch beschleunigt durch die Klagen der tirolischen Stände
gegen Sigmunds Regierung auf dem Landtage zu Hall, am 1.3. Nov. 1487
23*
356 Literatur.
auf Grund des früheren Besitzstandes zu Venedig geschlossen wurde. — Graf
Friedrich II. vonCilli vonA. Gubo (Gymnasium in Cilli). Behandelt
in einem III. Theile die Wirren nach dem Tode Albrechts II. und den
Kampf zwischen den Cilliern und den Corvinen auf Grund des gedruckten
Actenmaterials. Friedrich II. befestigte zu seiner Sicherheit Cilli und gab
<ler Stadt ein grosses Privileg (l45l), welches S. 12 wörtlich im Text
mitgetheilt ist und erst 1889 im Cillier Stadtarchiv mit noch andern
Freiheitsbriefen und Bestätigungsurkunden der Kaiser Friedrich III., Max L,
Ferdinand I. u. a. aufgefunden und dem dortigen Localmuseum einverleil)t
wurde. Friedrich IL starb 1454, zwei Jahre später auch Ulrich 11.
von Cilli, mit welchem das gewaltige Dynastengeschlecht erlosch. —
Kirchliche und religiöse Zustände in Freistadt während
des Reformations-Zeitalters (Schluss) von J. Jäkel (Gym-
nasium zu Freistadt in Oberösterreich). Schildert auf Grund einzelner
Acten und der Rathsprotokolle im dortigen Archive die Zustände in der
Stadt nach dem Jahre 1597 (vgl. Mittheil. 11, 353). Die lutherischen
Prädicanten waren nun auch auf den Schlössern der Herren nicht mehr
sicher; IBOl erHossen mehrfach Hofresolutionen gegen sie, doch der bald
ausbre(diende habsliurgische Bruderzwist rettete vorübergehend den Pro-
testantismus, der sich nun auch in Freistadt häuslich einrichtete. Am
ly. März 1609 war Mathias gezwungen, den lamlesfürstlichen Städten und
Märkten Religionsfreiheit zu gewähren. In Freistadt hielten die Evan-
oelischen in der Frauenkirche vor dem böhmischen Thore (rottesdienst ab
und bestellten zwei Prediger, mit denen sie einen Vertrag al)Schlossen
(theilweise S. 24 fg. abgedruckt). Dieselben hatten fortwährend Ueibungen
mit dem katholischen Decan, bis infolge der politischen Zeitereignisse die
Katholiken wieder obenauf kamen und lfi23 die Prädicanten durch einen
Statthaltereibefehl abgeschatft wurden. Am 26. Mai 1625 wurde das
Frauenkirchlein dem katholischen Kaplan übergeben, einige protestantische
Bürger wanderten aus. — Zur Verwaltungsgeschichte der Stadt
St. Polten von A. Herr mann (Gymnasium zu St. Polten) behandelt
die vorjährige Abhandlung fortsetzend die städt. Finanzgebarung im Ifi.
und 17. Jahrb. auf Grund des Actenmateriales im dortigen Stadtarchiv
und druckt folgende Stücke aus demselben ab: Eine kaiserl. Verordnung
vom 14. April 1545 in Betreff der »Sippzallpuecher« (Bücher über Ver-
wandtschaftsausweise), einen Erlass der n. ö. Kammerstelle über Salzzufuhi-
aus Aussee vom 11. Febr. 1551, einen Bestandbrief l)etreffs des Ungelds
vom Abt zu Melk und Rüdiger v. Starhemberg au die Stadt vom
23. April 1564, einen wegen der Wilheimsburgischen Ungeldpachtung
ausgestellten Revers der Stadt mit dem eingeschalteten Bestandbrief von
Max II. V. 28. Juli 1574 und endlich einen gleichen Bestandbrief über
Karlstetten von Rudolf II. v. 25. Mai 1590 (Fortsetzung folgt). — Einige
Notizen über den Magistrat der königl. Stadt Mährisch-
Neu stadt im 17., besonders im 18. Jahrhundert bis zu seiner
gänzlichen Umgestaltung durch das Hofdekret vom 24. Eebr. 1786 von
K. Klement (Gymnasium zu Mährisch-Neustadt). Gibt auf Grund von
Actenauszügen aus dem dortigen Stadtarchive eine kurze Darstellung über
die Stellung des »Rathes«, der alljährlich durch die sog. Raths-Renova-
tionen erneuert wurde, wobei es hoch hei'gieng und namentlich der inter-
Literatur. 357
venieiende Laiides-Untei-kämmerer festlich truktiii wurde. Dagegen erliess
bereits K. Leopold I. am 11». Aug. 1684 ein Rescript, aber der Unfug
hörte nicht auf. T3ezeichnend ist diesfalls das S. 10 vollständig abge-
druckte Schreiben des Grafen Brenner an den Magistrat v. 31.Dec. 1704.
Es wird ferner über die Organisierung des Stadtmagistrates im 17. und
18. Jahrb., dessen Umgestaltung durch das Eingreifen der Regierung, be-
sonders Maria Theresias und Josefs IL, berichtet. Für die häufig ein-
gerissene Unordnung in der Verwaltung ist die kaiserl. Resolution vom
2.'). Mai 17 27 liemerkenswert. In einem Anhange sind die k. Richter
des 17. und 18. Jahrh. bis 1779, wo diese Würde erlosch, und die
Magistratsräthe des 18. Jahrh. bis 1784 aufgezählt. — Ein Beitrag
zrr Geschichte der Hannover' sehen Mis^sion von K. Lech ner
(d. Gymnasium zu Kremsier). Druckt vier Briefe des Brixener Fürstbischofs
Kaspar Ign. v. Ktinigl an Cardinal Schrattenbach in Sachen der katholischen
Mission des genannten Bischofs in Hannover aus dem f. e. Schlossarchive
zu Kremsier ab: Brixen, 27. Aug. 1718 sammt Antwort Rom 10. Sept.
1718; Hildesheim, 4. Nov. 1718, Hannover, 25. Nov. 1718, mit Antwort
Rom 31. Dez. 1718; Hildesheim, y. März 1718. Im Anhang ist die In-
formatio de novissimo statu Hannoveranae missionis (l 1 — 17) des Bischofs
von Brixen abgedruckt, dessen Mission scheiterte, infolge dessen er 1719
wieder nach Tirol zurückkehrte. — Storia dellaDalmazia dal 1' 1797
al 1814 von T. Erb er (Gymnasium in Zara), V. Tbl. Beginnt einleitend
mit dem Frieden von Tilsit, welcher das Schicksal Ragusa's und der Bocche
di Cattaro besiegelte. Dann werden die Beziehungen des Landes zu Mon-
tenegro während des französischen Regiments ausführlicher behandelt. Die
französischen Generale Gaiithier und Montrichard suchten zwar eine von
hier ausgehende Action zu bannen, doch vergel^lich, Cattaro und die Bocche
fielen in montenegrinische Hände, konnten aber nicht behauptet werden,
da Russland seinen Schutz versagte. Man wandte sich daher an Kaiser
Franz L Indessen erholt sich Ragusa, das von den Engländern blokirt
wurde, und am 3. Jänner 1814 marschierten die Österreicher unter dem
General Milutinovic in Ragusa ein. Am 1 .5. Febr. desselben Jahres wurde
provisorisch der Eid der Treue geleistet und durch Milutinovic eme prov.
Regierung eingesetzt. Der Verf. benützte ausser einigen handschriftlichen
Privatberichten das Statthalterei-Archiv zu Zara, das Staatsarchiv und die
Feldakten des Kriegsarchivs in Wien. — Lo statuto delFisola di
Cherso edOssero von St. Petris (IL Tbl., Gymnasium zu Capodistria).
Im Anhange sind nebst einer Reihe bereits anderwärts gedruckter Ur-
kunden, namentlich des 14. Jahrh, auch Bruchstücke des handschriftlichen
Statuts von Ossero und ein Schreiben des Dogen Christoforo Mauro vom
23. März 1467 raitgetheilt.
Abhandlungen und krit. Beiträge zui- Geschichte und Cultur des Al-
terthums: Der Todtencultus beiden alten Völ kern von M. Stad-
ler V. Wolffersgrün (Gymnasium zu Feldkirch) behandelt die religiösen
Anschauungen über das Fortleben nach dem Tode und die Einbalsamierung
der Leichen bei den alten Ägyptern. — DieBoöXeoai? im attischen
Processe von J. Kohm (Gymnasium zu Olmütz), — Über histo-
rische Treue und Bedeutung der Reden im Geschichtswerke
des Thukydides von R. Würz er (Schluss; Gymnasium zu Radautz). —
358 Literatur.
Philipp II. und die Athener in ihren wechselseitigen Be-
ziehungen zu einander von F. Müller (Fortsetzung; d. Realschule
zu Olmütz). — Die attischen Graliinschri t'ten von H.Gut scher
(II. Thl., Gymnasium zu Leohen). — Zu den griechischen Papyri
des Louvre und der Bibliotheque nationale von K. W e s s e 1 y
(II. Thl., Gymnasium zu Hernals-Wien). — Zur Geschichte des Aga-
thokles von Syrakus von K. P r e i s s 1 e r (d. Landesrealschule in
Brunn). Sichtet zunächst die Quellen und prüft die Überlieferung, daran
schliesst sich die Geschichte des Agathokles bis .317 v. Chr. ; Fortsetzung soll
folgen. — Die Götter in der Aeneide desVirgil von H. Bouvier
(Gymnasium zu Krems). — De fontibus a Plutarcho in vitis
Gracchorum adhibitis et de Tiberii Gracchi vita von E. Ce-
g 1 i ri s k i (ruthenisches akad. Gymnasium zu Lemberg). — Die Frage nach
Entstehung und Tendenz der Taciteischen «Germania» von
J. Weinberger (d. Gymnasium zu Olmütz), eine sehr verdienstliche
Zusammenstellung der bekannten Gesichtspunkte, — Der arianische
Streit bis zur Kischenversamlung zu Nicäa (325) von C, Maly
(Gymnasium zu Weisskirchen) nach den Quellen. Daran mögen sich reihen:
De carmine panegyrico Messalae Pseudo-Tibulliano scripsit
St. Eh rengrub er (Gymnasium zu Kremsmünster) 2. Thl., Fortsetzung
folgt. — Des Gratius Faliscus »Cynegetica» , seine Vorgänger
und seine Nachfolger von M. Fiegl (Gymnasium zu Görz).
Mittelalter und neuere Zeit: Beiträge zur Geschichte des
byzantinischen Kaisers Mauricius (582 — 602) von 0. Adamek
(I. Gymnasium zu Graz). Das Ziel dieser gründlichen Abhandlung ist die
Darstellung der Kämpfe des Eomäer-Kaisers gegen die Avaren und eine
richtigere Deutung der in den Berichten genannten Örtlichkeiten und in-
folge dessen eine Aufliellung des Zusammenhangs der Ereignisse. Zu
diesem Zwecke werden in dem vorliegenden I. Abschnitte die Quellen
(Theophylactus Simocatta, Theophanes, Georg., Leo, Chron. paschale, Cedren
und Zonaras) kritisch geprüft. — Hercynia, Fergunna, Krknose.
Ein Beitrag zur Geschichte der Völkerwanderung von A. Krälicek (d.
Landesrealschule m Kremsier). Die bisherigen Ansichten durchgehend sucht
der Verf zu beweisen, dass der Name Hercynia celtisch und so zu den
Griechen gekommen sei, wie ihn schon Aristoteles anführt. Im Chron.
Moissiao. heisst das Erzgebirge Fergunna (got. fairguni, Berg); die Namen
sind einander ähnlich, aber nicht auseinander abgeleitet, sondei'n beide
stammen aus einer Grundform Perkunü, dem Namen des slav, Donner-
gottes. Krknose ist die slav. Benennung für das Riesengebirge. Das
Wort soll nach älteren Forschern aus krak oder krok (Riese) entstanden
und daher identisch sein mit dem Hausherrn des Riesengebirges, dem
Rübezahl. Der Name hängt aber mit Perkunü zusammen, und so haben
nach des Verfassers Ansicht Gelten, Germanen und Slaven das Erzgebirge
mit dem Namen des Donnergottes bezeichnet, jedoch so, dass die Deutschen
nur das Erzgebirge, die Slaven das Riesengebirge so hiessen als die beiden
Völkern räumlich nächstgelegenen Theile des hercynischen Systems. Ge-
legentlich dieser Erklärungsversuche wird die Besiedlung der umliegenden
Gebiete besprochen, woraus wir wesentlich Neues nicht erfahren, — Mat-
thäus von Trencsin während der ungarischen Thronkämpfe
Literatur. 35.9
von 1300 — 1312 von H. Wertheim (Staatsrealschu)e in Graz). Unter
fleissiger Benützung der gedruckten Quellen und der vorhandenen Lit-
teratur w^ird der Abstammung des Matthäus Czak, seit 1296 von Trencsin
genannt, und seiner Thaten in sehr gefälliger Form gedacht. Mach dem
Tode des K. Andreas III. stellte sich auch dieser Magnat auf die Seite
der nationalen Partei , welche Wenzel III. (Ladislaus V.) erhob , den der
Papst jedoch bannte und durch die Einsetzung Karl Koberts zu verdrängen
strebte (1303). Als Wenzel durch seinen Vater im vollen Ornate weg-
geführt worden, trat er auf die Seite des Anjou, lebte und handelte jedoch
nur in seinem eigensten Interesse. Die Schlacht bei Kaschau (l312) än-
derte daran nichts, auch nicht der grosse Kirchenbann ( 1 3 1 8), erst sein
Tod 1321. — Historia urbis Pilsnae Joannis Tanner manu
scriptae von M. Seh äff er (d. Gymnasium zu Pilsen), Fortsetzung cap.
27, sq., die Jahre 1435 — 1526 umfassend. — Die Piotrkower Con-
stitution vom Jahre 152 5. Ein Beitrag zur Geschichte des pol-
nischen Handels von F. Bostel (IL Gymnasium zu Lemberg). — Zur
Geschichte der österreichischen Seiden Industrie von G. K a r-
schulin (Handels-Academie in Wien): I. die österr. Seidencompagnie.
Benützt wurden u. a. handschriftliche Relationen von J. J. Becher (der
seit 1666 in Wien war und das Collegium commerciorum, die erste Be-
liörde für Handel und Gewerbe in Oesterreich, zustande brachte) in der
k. k. Hoftibliothek.
Kunstgeschichte: Brünner Bauwerke im XVII. u. XVIII. Jahr-
hundert von A.Rille (d. Oberrealschule in Brunn). — Architektur
und Sculptur in Teplitz-Schönau von A. Lewy (Gymnasium zu
Teplitz). — Die illustrierenden Künste und ihre Bedeutung
für die Culturge schieb te. Ein Beitrag zur Kenntnis und Würdi-
gung des Kunstdruckes von J. B. Rosner (Gymnasium zu den Schotten
in Wien).
Biographisches : Johann Pauspertl von Drachenthal von
J. Gärtner (Lehrerbildungsanstalt in Linz). Pauspertl, ein berühmter Pä-
dagoge, wirkte als Geistlicher der Linzer Diöcese in Wels, Linz, Freistadt,
seit 1835 als Director der Normalhauptschule in Linz, machte 1842 einen
Entwurf zur Hebung der Lehrerbildung, der im Aufsatze abgedruckt ist,
und starb 1864 als Pfarrer zu Waldneukirchen. — Ein Blatt der
Erinnerung an die Missionäre aus Tirol in Central-Afrika
(18 Priester und 18 Laien. 1853 — 1882), zugleich ein Beitrag zur Gym-
nasial-Chronik, da 9 dieser Glaubensboten an unserer Anstalt studierten,
von J. Chr. Mitterrutzner (Gymnasium zu Brixen). — Giacomo
Zanella von G. Szombathely (it. Gymnasium zu Triest). — Andrea
Chenier (geb. 1762) von F. Pastrello (Communal-Realschule zu Triest).
— Laura Bridgman, Erziehung einer Taubstumm - Blinden. Mit
Biographie derselben von W. Jerusalem (Gymnasium im 8. Bez. in
Wien). — Anton Schienkirch. Nekrolog von L. Konvalina (Gym-
nasium im 3. Bez. in Wien).
Schulgeschichte und Methodik : Geschichte der k. k. theresia-
nischen Academie von ihrer Gründung bis zum Curatorium Sr. Ex-
cellenz Anton Ritter von Schmerling 1746 — 1865 von J. Schwarz
(Gymnasium Theresianum in Wien) mit Abbildungen. — Chronologisch-
360 Literatur.
statistischer Kückljiick auf die ersten 25 Juhie des Gym-
nasiums von A. Burger stein (Communal-Gymnasium im 2. Bez. in
Wien). — Z u r (t e s c h i c h t e des h ö h e r e n S c h u 1 w e s e n s i n 13 a d e n
aus Anlass der Erinnerung an den 25jälirigen Bestand der Lehranstalt
von E. Hau eis (Landesgymnasium /u Baden hei Wien) behandelt die
Erweiterung der Schule zu einem Real- und Ohergyranasium 1880 — 87:
Schluss folgt. — Rückblick auf die ersten 25 Jahre der Lehr-
anstalt von F. Kesselsdorfer (Gymnasium zu Oberhollabrunn). —
Übersichtliche Geschichte der k. k. Lehrerbildungsanstalt
in Salzburg von Fr. A n t h a 1 1 e r , und : Beiträge zur Statistik
der k. k. Lehrerbildungsanstalt und Prüfungsergebnis seit
1870 von K.Wagner (Lehrerbildungsanstalt zu Salzburg), zugleich Fest-
schrift zur Centennaifeier. — Bemerkungen über den Lehrstoff
und den Unterricht in derVaterlandskunde in der 8. Glas sc
von E. Breyer (Gymnasium zu Mährisch-Trübau), bringt eine Entwick-
lungsgeschichte der Statistik, bespricht die methodische Behandlung der
Vaterlandskunde und die Beziehungen zwischen Geschichte und Statistik
\m Unterricht in recht anschaulicher Weise. — Beiträge zu einer
Reform des geschichtlichen Unterrichtes an der Oberreal-
schule von K. A. Schmidt (Staatsrealschule im 8. Bez. in Wien). Sehr
beachtenswerte Darlegungen über den historischen Stoff im. der Oberreal-
schule, über ein Lehrbuch, das die deutsche und österreichische Geschichte
mit Hereinziehung der wichtigsten Culturelemente der allgemeinen Ge-
schichte behandeln soll. Die Geographie sollte als Gegenstand der Reife-
prüfung ganz entfallen. — - Lehr plan der russischen Gymnasien
von G. V. Hayek (Gymnasium im 3. Bez. in Wien).
Bibliographie: Systematisch geordnetes Verzeichnis der
Programmarbeiten österreichischer Mittelschulen aus den
Jahren 187 4 — 8 9 von J. Bittner (Gymnasium zu Teschen). I. Thl.:
Pädagogik und Schulhygiene, altclassische Philologie (auch als Sonderali-
druck erschienen).
Geographie und mit ihr zusammenhängende Gebiete: Der Karst,
in naturwissenschaftlicher Hinsicht geschildert von L. C. Moser (d. Staats-
gymnasium in Triest). Gibt die geographische Begrenzung des Karstplateaus,
erörtert dessen physische Verhältnisse, Anthropologie und Prähistorie der
Karsthöhlen, ferner Prähistorisch-Archäologisches und Geschichtliches, Klima
und Vegetation, Eine sehr unterrichtende Arbeit mit reichen Literatur-
angaVjen. — Das seen reiche Keutschachthal in Kärnten. Ein
Beitrag zur nälieren Kenntnis der Seethäler des Landes von V. Hart-
mann (Realschule zu Klagenfurt). Das Keutschachthal der Vorzeit, süd-
lich vom Becken des Wörthersees, ist «lurch eine Barre aus diluvialem
Trümmergestein in 2 Theile getrennt, in das obere oder Plaschischenthal,
und in das untere, welches der Verfasser Morothal nennt. Die Seen wer-
den ausführlich behandelt. Im Anhang wird über das »Steinbier« ge-
sprochen. Zur Orientierung ist ein Kärtchen nebst 3 Profilen beigegeben.
— Die A r n s t e i n h ö h l e bei M a >' e r 1 i n g mit Bezug auf ihre Lage
in der Kalkzone des Wiener Waldes , ihre Bildung und die diluvialen
Funde von Wirbelthier Resten von G. A. Koch (Gymnasium im 4. Bez.
in Wien). — Zur Frage nach den Ursachen der Eiszeiten von
Literatur. 361
0. Bi ermann (Gymnasmm in Klagenfurt). — Über C anale. (Eine
Aufzählung) von J. M e i x n e r (Gymnasium zu Kaaden). — Ü b e r K 1 i ni a,
Pflanzen- und Thiergeogr aphie. Ein Beitrag zur Belebung des
geographischen Unterrichts von A. Löfflor (Schluss: Gymnasium zu
Brüx). — Die geographischen und mythologischen Namen
der altgriechischen Welt in ihrer Verw^ertung für antike
Fflanzengeogr aphie. II. von J. Murr (Gymnasium zu Hall in Tirol).
— Zu Brandl's Erklärung topographischer Namen von J.
Wisnar (Gymnasium zu Znaim). Gibt die im «Obzor» erschienenen Auf-
sätze Brandl's in 12 Capiteln und in deutscher Sprache, mit reichlichen
Anmerkungen versehen. • — Nachträge und Berichtigungen zur
«slavischen Namenforschung« (vgl. Mitth. 11, 357), und: Rätoroma-
nisches aus Tirol von A. Unterforcher (Gymnasium zu Eger). —
Sulla formazione delle Bocche di Cattaro von P. Radimiri
(naut. Schule in Cattaro. — Sulla vegetazione dell'isola di Lus-
sin von A. Haracic (naut. Schule zu Lussinpiccolo). — Über Schü-
lerausflüge und Schulreisen. Mit besonderer Berücksich-
tigung der ümgbung von Leipa von R. Wal da (Realschule zu
Böhmisch-Leipa), setzt auch die geographisch-historischen Verhältnisse von
Leipa und Umgebung auseinander. — Einfache Lehrmittel zur
mathematischen Geographie. Mit einer Figurentafel von Fr.
Leitzinger (Realschule zu Bozen). — Das Meteoreisen von
Braunau von J. Dimter (Gymnasium zu Braunau in Böhmen), be-
spi-icht das bekannte am 14. Juli 1847 gefallene Meteoreisen, mit Tafeln.
— Übersichtliche Zusammenstellung der meteorologischen
Verhältnisse von Oberhollabrunn 1889 von A. Pichler (Gym-
nasium zu Oberhollabrunn). — Die meteorologischen Verhält-
nisse von Weidenau i. J. 1889 von Fr. Wrzal (Gymnasium zu Wei-
denau in Schlesien). — Meteorologische Beobachtungen (in Leit-
meritz 1889 — 9o) von J. Maschek (Realschule zu Leitmeritz). — Die
meteorologischen Verhältnisse von Eger von 0. v. Stein -
hau SS 6 n (Gymnasium zu Eger).
Endlich aus slavisch geschriebenen Schulprogrammen: Das Ver-
hältnis Athens zu Sparta in der Zeit von der Schlacht bei
Platää bis zum Beginne des pel op onnesischen Krieges von
B. Kopecky (Pomer Athen ku Sparte, v dobe od bitvy platajske do
vzniku peloponneske välky; b. Gymnasium zu Ungarisch-Hradisch). —
S p a r t i a c a ; Bemerkungen üVier die spartanischen Staatseinrichtungen von
T. Koufil (S., üvaha o spartske üstave; Gymnasium zu Reichenau in
Böhmen), Schluss.^^ — Über die Ankläger in Rom von G. Safafo vic
(0. ^alobnicich v Rime; Gymnasium zu Hohenmauth). — Welchen Ein-
fluss hatte die römische Monarchie auf die einheimische
Beredsamkeit? von J. Kliment (Jaky vliv mela monarchie rimskci
na domäci fectnictvi? Gymnasium zu Trebitsch). — Übersetzung mit
Erklärung der Theilungsver träge des Troppauer Landes
aus dem Jahre 137 7 von V. Prasek (P]:-eklad svlykladem ma dilci
listy zeme Opavske z. r. 1377; b. Gymnasium zu Troppau). Enthält den
Abdruck der beiden Theilungsverträge im deutschen Original und in pa-
ralleler cechischer Übersetzung mit zahlreichen Anmerkungen. — Teich-
262 Literatur.
wirts oh iit'i und Fi s über ei der Herrschaft Pardubitz von
J. Weger (Rjbnikiifstvi a rybafstvi na panstvi Pardubickem ; Realschule
zu Pardubitz). Verwertet handschriftliche Verzeichnisse über die Teich-
schäden der Herrschaft Pardubitz und Kunetickä horä von 1494,
Ui'bare des 16. und 17. Jahrb., ein Verzeichnis der k. Privilegien (l670),
Cervenka's Denkwürdigkeiten der k. Cameralstadt Pardubitz 1400 — 1820
und andere handschriftliche Materialien und druckt ausser einer Ur-
kunde des Abtes und Conventes zu Opatovice v. 1343 aus dem Stadt-
archiv drei Briefe des böhm. Kammerpräsidenten L. A. Zwickher an Paul
C. Slavik, Hauptmann der Herrschaften Pardubitz und Smrkow, über
Teichangelegenheiten von 1698 — lfi99, ferner einzelne Teichvorschriften
von 1(>67 und die sehr interessanten (cechischen) Artikel der Fischer-
innung zu Pardubitz und auszüglich den Protest der Stadt gegen dieselben
(170 h) ab. — DasSequentiar des Meisters Kon r ad ausBensch
bei Troppau von V. Hauer (Sekvencionäx- mistra Konrada z Benesova
u Opavy; b, Gymnasium in Troppau). — Das Verhältnis des sie-
ben bürgischen Fürsten Georg Rakoczy II. zur polnischen
Republik vom Beginne des schwedischen Krieges bis zu
seinem Feldzuge nach Polen im Jahre 1657 von S. Z a r z y c k i
(Stosunek ksi^cia siedmiogrodzkiego Jerzego Rakockego 11. do Rzeczypos-
politej polskiej od pocz^tku wojny szwedzkiej do w3T)rawy tegoz na Polsk^
w r. 1657; Gymnasium zu Koloma in Galizien), Fortsetzung. — Quellen
z'ur polnischen Literatur- und Kulturgeschichte im 16. u.
17. Jahrhundert von J. Heck (Pomniejsze zrödla do dziejöw literatury
i cywilizacyi polskiej w XVJ. i XVII. stuleciu; Gymnasium zu Stryi in
Galizien) enthält als Fortsetzung: Lustracya starostwa Iwowskiego z. r.
1570 (Lustrationen der Lemberger Starostei 1570) und druckt den »Sum-
marius omnium differentiarum inter capitaneum Leopol. generosum Nie.
Herbort et proconsulem civitatis Leopoliensis« etc. im Anhange ab. —
Matthäus Hosius von Hohenmauth (Chronist des 16. Jahrhunderts).
Eine litt. Erinnerung von J. Safränek (Matous Hosius Vysokomytsky.
Literarni zpominka; Gymnasium zu Kolin). — Über die Einleitung
zur böhmischen Chronik des Wenzel Häjek von Libocan
(Schluss) von H. Metelka (0 üvodni stati »Kroniky Öeske« Vaclava Häjka
z Libocan; b. Realschule in Prag). — Geschichte der Realschule
in Jaroslau von Ig. Rychlik (Historya szkoty realnej w Jaroslawiu;
Realgymnasium zu Jaroslau). — Kurzgefasste Geschichte der
darstellenden Geometrie. I. ThL von M. Rembacz (Krötko zebrana
historya geometryi wykreslnej ; Realschule zu Stanislau). — Systema-
tisch geordnetes Verzeichnis des wissenschaftlichen In-
halts der von den galizischen Mittelschulen bis zum Jahre
1889 veröffentlichten Programme von M. Fr^ckiewicz (Spis
przedmiotöw pomieszczonych w sprawozdaniach galicyjskich szkol ^rednich
pö koniec roku 1SS9; Gymnasium zu Wadowice). — Norwegen in
physischer Beziehung von C. Krotoski (Norwegia pod wzgledem
fizycznym; IIL Gymnasium zu Krakau). — Die Geographie in den
höheren Classen der Mittelschulen von F. Werner (Zemepis
ve vyssich tridäch skol stfednich; b. Gymnasium zu Prerau).
Bielitz. S. M. Prem.
Notizen. 363
Notizen. Spiel legi o Vati cano di doeumenti inedili e rari
estratti dagli Archivi e dalla Biblioteca della Sede Apo-
stolica. Volume I. Fascicolo L Roma IHUO. Diese von D. Isidoro
Carini, Prefetto der Biblioteca Vaticana, und D. Gregorio Palmieri, Custode
des Vaticanischen Archivs, begründete neue Zeitschrift verfolgt den an sich
höchst verdienstlichen Zweck, Urkunden und historische Aufzeichnungen
aller Art, wie sie dem Archiv- und Bibliotheksbeamten in einzelnen Blät-
tern oder Lagen häufig aufstossen, der Forschung zu übermitteln. Das
vorliegende erste Heft gibt davon eine Art Musterkarte, der es auch an
Buntheit völlig gleicht; denn zwischen einer Urkunde des Bischofs Ra-
therius von Verona von 964 als ältestem und einem Briefe des russischen
Kaisers Paul I. an Papst Pius VII. als jüngstem Stück enthält das Heft
auf 168 Seiten nicht weniger als 25 verschiedene Materien. Dass mög-
lichste Mannigfaltigkeit von den Herausgebern geradezu beabsichtigt war-,
erhellt daraus, dass sie irgend umfangreichere Publicationen lieber ab-
brachen (vgl. S. 32, 46, 59), um nur für neuen Stoff Raum zu gewinnen.
Ueber den Nutzen dieses Vorgehens kann man ja verschiedener Meinung
sein; sicher aber wäre sorgfältigere Durcharbeitung des Stoffes sowohl in
formeller als sachlicher Hinsicht dem Unternehmen dringend zu wünschen.
Das Vaticanische Archiv ist nicht so arm an wirklich Neuem, dass sich
(S. 13) die Aufnahme eines bereits neunmal gedruckten Briefes Alexan-
ders IV. an den König von Prankreich (Potthast Nr. 16978) rechtfertigte.
Warum man überdies den Brief nicht wenigstens aus dem Register, son-
dern aus einer Copie des 16. Jahrh. abdruckte, ist ebenso unergründlich.
Die Verweise auf die dem Druck zugrunde gelegten Quellen fehlen mehr-
fach ganz und sind wiederholt unzureichend. Palmieri befleissigt sich
hierin grösserer Gleichmässigkeit, doch citirt er die dem Engelsburg-Ar-
chiv entnommenen Stücke bald nach der alten, bald nach der neuen
Signatur. Die kurzen den Drucken vorangehenden Einleitungen sind zu
knapp und zu allgemein gehalten. So würden wir S. 33 in der Avver-
tenza zu den Processen Gregors XI. gegen die Florentiner auf die Er-
wähnung Clemens' V., des Aufenthaltes der Päpste in Avignon und der
Verdienste der h. Katharina von Siena gerne verzichten, wenn uns dafür
etwas über die Stellung der abgedruckten Stücke zu dem reichen über
die Frage bereits bekannten Material gesagt würde. Palmieri aber fertigt
uns mit dem orakelhaften Satz ab: «II processo che ora si pubblica ci
da la chiave di alcuni avvenimenti d' allora, e ci da anche notizia
di fatti in parte finora sconosciuti (welche?). Wie solche Einlei-
tungen in wenigen Worten oft sachlich erschöpfend sein können, dafür
hätte das diesem Unternehmen ja vielfach verwandte Denifle-Ehrle'sche
Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters ein Muster
geboten. T.
Derselbe kritische Schartblick, dieselbe Präcision und Klarheit der
Darstellung zeichnen auch die Fortsetzungen der Questions Merovin-
giennes V, VI von Julien Havet (vgl. Mittheil. 9, 485) aus. Die
eine, Les origines de Saint-Denis (Paris 1890, Extr. de la Bib-
liotheque de F ficole des chartes 61, 5 — 62) stellt aus der von Sage und
Erfindung umrankten ältesten Geschichte von St. Denis, was wirklich ge-
364 Notizen.
schicbtlich i.si, und die Ört.lichkeiten lest; der Anhang bietet Untersu-
chungen üljer die Zeit des Kpiscopats des h. Dionysius, dessen angebliche
Genossen Eusticus vxnd Eleutherius, die Passio s. martyrum Dionisii,
Kustici et Eleutherii, deren Abfassung dem Beginn des 9. Jahrb. -zuge-
wiesen wird, und ihr Verhältnis zu den Gesta Dagoberti, sowie einen
mustergiltigen Abdruck von 6 Urkunden der Merowingerzeit , darunter
4 Königsurkunden (von 625, 626, 654, 724, M. G. DD. Merov. LS, n"
10, 11: 19 n^' 19; 82 n" 9'S) mit Ergänzung der Lücken und chrono-
logischen Berichtigungen. Ei^wähnt wird, dass von den Diplomen von 626
und 654 noch nicht veröffentlichte Facsimiles in Heliogravüre vorliegen,
welche die Verwaltung der Archives nationales anfertigen Hess, und die,
wol auch auf die anderen Originale ausgedehnt, berufen zu sein scheinen
die Eeproduktionen von Letronne zu ersetzen. Auf das Gebiet diploma-
tischer Kritik führt Nr. VI, La donation d'Etrepagny (8"; 29 p.)
mit dem Nachweis, dass die nur in Copie des 13. Jahrb. erhaltene
und auch von K. Pertz (M. G. DD. Merov. 1.39 n» 22) unter die Fäl-
schungen eingereihte Urkunde Dagoberts L von 629 Okt. 1, welche den
genannten Ort an St. Denis vergabt, echt ist. Dieser Nachweis gewinnt
dadurch an Interesse, dass an der Hand der Schreibung in Originalen die
Entstehung von Lesefehlern und Verderbnissen in Copien an einzelnen
Beispielen gezeigt und damit auch der Weg zur Emendation auf graphi-
scher Grundlage gewiesen wird. Zu diesen Beispielen zählen zwei Ur-
kunden für Malmedy und Stablo; jene Clilodwigs III. von (;93 mit Na-
mucho recognovi, das aus dem Ortsnamen und der Apprecation (Namucho
feliciter; Namur) verderbt ist und Anlass gab einen Namucho auch unter
das Kanzleipersonal dieses Königs einzureihen (der Irrtum auch nach
Stumpf bei Bresslau Urkundenlehre ], 270), und jene Karl Martells (Reg.
der Karol. n'' 32), deren ursprüngliche Datiiung ann. VI regnante Chilperico
r. bestimmt wird. Der emendirte Abdruck jener Urkunde Dagoberts, die
in einem andern Diplom desselben Königs (M. G. DD. Merov. 1 (i n^' 1 4, besser
mit den Ergänzungen bei Havet p. 25) ein Seitenstück findet, zeigt das
Ungenttgen der bisherigen Ausgaben ; der unmögliche Ausstellort Sauriciagore
ist in Stirpiniaci> fei. zu bessern ; zu kühn scheint aber die Emendation von
vir illuster in Ursinus optulit.
H. lsenl»art Ueber den Verfasser und die Glaubwürdig-
keit der Continuatio Reginonis (Kieler Diss. Kiel 1889) enthält
nur einen beachtenswerten Gedanken, oV) nicht eine Reihe von Nach-
richten im altern Theil des Continuator Reginonis, welche mit verschie-
denen andern Annalen mehr oder weniger übereinstimmen, auf eine ge-
meinsame Quelle zurückzuführen sei (vgl. auch NA. 1 5. 330), aber gerade
dieser Punkt ist unvollständig und unzulänglich durchgeführt.
Eine Biographie der Kaiserin Adelheid, Gemahlin Ottos I.
des Grossen, vom Studienlehrer F. P. W i m m e r enthält das Programm
zum Jahresber. über das k. neue Gymnasium zu Regensburg (Regensburg
1889). Der Arbeit gebricht es fast ganz an Kritik, auf die gleichzeitigen
Quellen ist nur zum Theil, und noch weniger als die Citate glauben
Notizen. 365
machen, zurückgegangen, wichtige Werke namentlich Jüngern Datums blieben
dem Verfasser theils unbekannt, theils unerreichbar: dem entspricht auch
Werth und Ergebnis des Buches. E. v. 0.
Das Werk von D'Arbois de JubainviUe, Recherches sur
l'origine de la propriete fonciere et des nomsdeslieux lia-
bites en France (periode celtique et periode romaine), Paris
1890. bietet in seinem grösseren zweiten Theil unter Beiziehung des
urkundlichen Materials des früheren Mittelalters eine Erklärung der Ab-
stammung der zahlreichen aus keltischer und römischer Zeit erhaltenen
Ortsnamen und auch in deren örtlichen Bestimmung ein vielfach will-
kommenes topographisches Hilfsmittel.
Auf eine kleine Schrift von Georg Jacob, Ein arabischer Be-
richterstatter aus dem 10. oder 1 1. Jahrhundert üb er Fulda,
Schleswig, Soest, Paderborn und andere deutsche Städte
(Berlin, Meyer & Müller 1S90) mache ich alle Freunde der Culturgeschichte
um so mehr aufmerksam, als der reiche Inhalt der kurzen Schrift nicht völlig
im Titel angedeutet ist. Denn ausser jenen Städten sind noch Utrecht
(Schilderung der Torfljereitung), Mainz (nur ein Theil bewohnt, der Rest,
wol die römischen Reste besät, arabische Münzen und indische Uewürze
dort) und Rouen geschildert. Ausserdem bringt die Schrift Schilderungen
über riottesurtheile, Zweikampf, Feuerprobe, Wasserprobe und über Irlända,
das Land der Normannen (Walfisch- und Delphinjagd). Die Bruchstücke
sind alle dem in das 12. Jahrhundert gehörenden Qazwini entnommen,
welcher ältere Schriftsteller auszog, und zwar ist einer (Tartüsi) wol Mit-
glied einer maurischen (iesandschaft, welche Otto d. Gr. 973 in Merse-
burg empfing. Bei Fulda heisst es: «Die Stadt wird nur von Mönchen
bewohnt, und kein Weib betritt sie, weil ihr Märtyrer es so angeordnet
hat. Der Name ihres Märtyrers ist BAG'LB; er soll Bischof in Franken
gewesen sein.» Unzweifelhaft ist damit der zweite Abt von Fulda Baugulf
(779_j^02) gemeint. Bei Paderborn ist von einer Quelle die Rede, die
anfänglich wie Honig schmeckt, dann aber einen galligen Nachgeschmack
hat. Wer Lippspringer Wasser gekostet, weiss, dass dieses gemeint ist.
Den Berg Sarä, an dem die Quelle liegt, auf den Haarstrang zu deuten
ist unmöglich, weil dieses Gebirge gerade in der Nähe von Paderborn
völlig quellen- und brunnenlos ist. A. Schulte.
In einem Aufsatz über die Anfänge des Klosters Heeslingen
(Zeitschr. des bist. Ver. f. Niedersachsen, Hannover 1H90) bespricht
Th, V. Sickel eine im Staatsarchiv zu Hannover verwahrte Urkunde ohne
Protokoll, welche bishei- von niemandem richtig erklärt, geschweige denn ver-
werthet worden war. Die Untersuchung von Schrift und Dictat im Verein
mit den Nachrichten Thietmars führt zu dem Ergebnis, dass das interessante
Schriftstück gegen das Ende der Regierung Otto I. in den Kreisen des
Erzbischofs Adaldag angefertigt worden ist, um der kaiserlichen Kanzlei
als Entwurf für ein Diplom unterbreitet zu werden; aber Adaldags AV)-
sicht, Heeslingen der erzbischöflichen Kirche unterzuordnen, stiess auf
Widerstan.l und erst i. J. 98« erlangte der Erzbischof eine Heeslingen
366 Notizen.
betreffende Urkunde Otto IlL, in welcher seine Wünsche genehmigt wur-
den; für dieses Diplom hat der einst zurückgewiesene Entwurf, wenn
auch nicht direkt, sondern durch Vermittlung eines eigenen Concepts, als
Vorlage gedient. Indem Sickel alle einschlägigen Fragen der Diplomatik
ausführlich darlegt, gibt sein Aufsatz gerade dem Feruerstehenden ein deut-
liches Bild von dem Nutzen und der Notwendigkeit diplomatischer Unter-
suchungen. — Ebenso wie der genannte Originalentwurf hat auch ein
anderes durch seinen Inhalt beachtenswertes Diplom, DO. III. 234 für
HalberstH<lt , in die 1 1 . Lief, der Kaiserurkunden in Abbildungen Auf-
nahme gefunden. Die unvoll stämlige und fehlerhaite Grenzbeschreibung
dieses Diploms bespricht Sickel in der Zeitschr. des Harzvereius 2:i, 351.
W. E.
In dem Verzeichnisse der K a i s e r u r k u n d e n des germanischen
Museums zu Nürnberg (Mitth. aus dem Museum 1890 S, 36) wird
ein undatirtes und angeblich unedirtes Mandat zu Gunsten des Priorats
in Offenbach nach dem Original abgedi-uckt, indem es dem Kaiser
Friedrich II. zugeschrieben und vermuthungsweise auf 1227 verlegt wird.
Beides ist aV»zuweisen. Der Aussteller »F. dei gracia Koni, rex semper
augustus« (ohne sicilischen Titel) kann nur Friedrich I. sein und als von
ihm aus der Zeit vor seiner Kaiserkrönung herrührend ist dies schon bei
Calmet gedruckte Stück auch richtig von St 4. "130 verzeichnet worden.
Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, dass Nr. 1 desselben Verzeichnisses
Mühlb. 1974 (nicht lyss) ist und dass Nr. 26 und 29 nicht Inedita,
sondern in meinen Acta inip. 2, ir>s, 2 Mi gedruckt sind.
Heidelberg. E. W i n k e 1 m a n n.
Die von M. Tan gl im Archiv f. österr. Geschichte. 70, 261 dem
Stiftungsljuch des Klosters Zwettl gewidmeten Studien lösen in
glücklicher Weise jene Fragen, welche Fräst, der Herausgeber des liber
fundationum, unbeantwortet gelassen hatte. Von der sorgfältigen Beschrei-
l>ung der Handschrift ist insbesondere die Erklärung des bisher unver-
ständlichen Sachregisters sehr verdienstlich ; für die Feststellung der Ent-
stehungszeit des Codex hat T. ausser den aus der Hs. selbst gewonnenen
Momenten noch zwei Einkünfteverzeichnisse des Klosters herangezogen und
ist so zu ganz bestimmten Ansätzen gelangt; die ^l•t wie die Vorrede
des von Abt Ebro angelegten liber redituuni von dem Verfasser tles liber
lund. ausgeschrieben worden ist, wird von T. mit Recht als ein höchst
bezeichnendes Beispiel mittelalterlicher Schriftstellerei hervorgehoben. Unter
den folgenden Capiteln, in denen Tendenz und Anlage der Arbeit, sowie
«lie Benützung annalistischer und urkundlicher Quellen in ansprechender
Weise dargelegt werden, greift das letzte über den liahmen des Stiftungs-
buches hinaus und zieht auch den reichen Vorrath des Stiftsarchivs an
Originalen, deren Veröffentlichung ein dringendes Bedürfnis der Local-
geschichte genannt werden muss, in den Bereich der Untersuchung. Die
Kritik der beiden Diplome Konrads III. (Stumpf Reg. 3403 und 3 5 3. 5),
von welchen das erstgenannte im Anhang aus dem Original abgedruckt
ist, und die Besprechung der Papsturkunden für Zwettl gib! dem Veif.
Notizen. 367
den Anlass, wertvolle Beiträge zur Diplomatik Konrads III. und Innocenz II.
einzuschalten. W. E.
Eine unerwartet reiche Ausbeute bietet noch das wenig bekannte
Communalarchiv von Savona. Mehr als 600 Originalurkunden sind in
2 Bänden der »Raccolta« vereinigt, die wichtigeren derselben sind auch
in den »Registri« copirt. Nur einzelne Stücke sind von Winkelmann,
Ficker und Promis publicirt. Als Vorläufer einer grösseren Arbeit über
die Königsurkunden im Archiv von Savona veröffentlichen Carlo C i p o 1 1 a
und Giovanni Filippi in dem Aufsatz Diplomi inediti di
Enrico VII e di Lodovico il Bavaro (Sep.-abdr, aus dem 2. Bd.
der Atti e Memorie della Societä storica Savonese; Savona 1890; 8", 46 p.)
8 Diplome Heinrichs VII von 1311 und 1312, in deren erstes noch 2
bisher unbekannte Urkunden von Heinrich VI (Tordona 1196 Sept. 2)
und Friedrich II (Speier 1217 Febr. 26) inserirt sind, und 10 Diplome
Ludwigs des Baiern (l327 — 133l), welche für die Geschichte der italie-
nischen Züge der beiden Herrscher manches Interesse bieten.
W. Michael gibt unter dem Titel Die Formen des unmittel-
baren Verkehres zwischen den deutschen Kaisern und den
souveränen Fürsten vornehmlich im X., XI. und XII. Jahrh.
(Haml)urg und Leipzig I88s) eine sehr fleissige, recht verwendbare Zu-
sammenstellung der von 911 — 1250 (ausnahmsweise einen Fall von 1299)
stattgehabten Zusammenkünfte der genannten Fürsten (wozu auch der Papst
gehört) und erörtert das dabei gebrauchte Ceremoniell, namentlich vom
staatsrechtlichen Gesichtspunkt aus. Ein zweiter Theil bespricht das
Briefceremoniell zwischen den gekrönten Häuptern bis 1196 mit besonderer
Rücksicht auf den Etiquettenstreit zwischen Friedrich 1. und Hadrian IV.
1 l.'i9. Der Versuch eines Abrisses von der Brief lehre leitet diesen Abschnitt
ein. — Derartige monographische Behandlung einer Reihe gleichartiger
Thatsachen ist immer dankenswert und anregend, wenn auch manchmal
ein Einzelfall zu sicher gedeutet werden oder unter Berücksichtigung des
ganzen Quelienmateriales und der gesammten politischen Verhältnisse ein
anderes Ansehen bekonuuen mag. Die Erstlingsarbeit iiilirt sich auch
durch einen bescheidenen ruhigen Ton angenehm ein. E. v. 0.
I
Der Aufsatz von A. Nagl, Ueber eine Algorismus- Schrift
des Xn. Jahrhunderts und über die Verbreitung der indisch-
arabisclien Rechenkunst und Zahlzeichen im c hr ist 1. Abend-
land e (Hist. lit. Abtheilung der Zeitschr. für Mathematik und Physik 34,
129 — 146, 161 — 170) erörtert die dem Salzburger Computus von 1143,
welcher in Deutschland zuerst arabische Ziffern verwendet (Facsimile in
Mon. graph. VIII, 16), vorangestellte kurze arithmetische Lehrschrift aus
der Classe der sogenannten Algorismi und ihre praktische Anwendung.
Sie ist die älteste der bisher bekannten und noch viel unbehilflicher als
ein gleicher Traktat aus dem Kloster Salem, der etwa um ein halbes
Jahrhundert später entstanden ist (die Handschrift jetzt in Heidelberg, hg.
von Cantor in derselben Zeitschrift Bd. lo). Während in Deutschland die
S68
Notizen.
neue Eechnungsmethode dem praktischen Leben fremd blieb und lange Zeit
nur theoretische Schulwissenschaft war, fand sie in dem ausgebildeten
Bankwesen und dem grossen Handelsverkehr Ober- und Mittelitaliens prak-
tische Verwertung, allerdings nicht in ihrer reinen Form, sondern in einer
von Leonardo Fibonacci in seinem Liber abaci von 1202 gelehrten Com-
bination mit der in Italien noch üblichen antiken Fingen-echnung. Es war
ein juristischer Grund, der die Glaubwürdigkeit der Handelsbücher vor
Gericht bedang, dass, wie in dem hier veröffentlichten Artikel 101 des
Statuto dell'Ai-te di cambio in Florenz von 1299, der Gebrauch der ara-
])ischen Ziffera für die Verbuchung (in libro vel quaterno = Handelsbuch)
verboten wurde, und dieses Verbot war nach Ausweis der erhaltenen Ge-
schäftsbücher hier wie in Venedig fast bis zum Ende des 15. Jahrh,
massgebend. Dieselbe Eechtsan schauung trat auch für Deutschland in Kraft.,
ein Beschluss des Frankfurter Rats untersagte 1494, sich in den Rech-
nungsbüchern der arabischen Zittern zu bedienen; auch in den Wiener
Ratsbüchern erscheinen erst seit 1470, aber nur vereinzelt im Context
und in seitlichen Anmerkungen arabische Ziffern, während sie anderweitig,
wie auf Siegeln und Bildwerken und namentlich in den Kalendern tles
i:,. Jahrh., schon lange vorher fast allgemeine Verwendung fanden.
Auf Grund einer im Facsimile beigegelienen Rechnung aus Salzburg
von 12S4 (jetzt im Wiener Staatsarchiv) bestimmt J. Lampel in dem
Aufsatz Salzburger Goldwert um 1284 (Mittheil, für Salzburger
Landeskunde :iO. Bd.), die Correctur eines Rechnungsfehlers eingehend
begi-ündend, den damaligen Wert der Salzburger Goldmark mit 22 Pfd. Pf.
= ] I Mark Silber.
Rein hold Röhricht Kleine Studien zur Geschichte der
Kreuzzüge. Progr. des Humboldts-Gj-mnasiums, Berlin 1890. 4. 28 S.
Der auf dem Gebiete der Kreuzzugsgeschichte rühmlich bekannte Forscher
giebt hier einige kleinere Aufsätze, deren erster »Zur Vorgeschichte der
Kreuzzüge« den Zustand darlegt, in dem sich Syrien befand, als der
Ansturm der Christen auf dasselbe hereinbrach. 2. »Die Kreuzzugsbullen
der Päpste« analysiert den homiletischen Theil päpstlicher Schreilien, die
AuÖbrderungen zu Kreuzzügen enthalten, um daran die meist wieder-
kehrenden Motive darzulegen, mit denen die Pilpste ihre Auffordei-ungen
begi-ündeten. 3. » Der Kreuzzug Louis IX. gegen Damiette « und ;i b : , Der
Kreuzzug Louis IX. gegen Tunis« geben keine ausführliche Schilderung,
sondern reihen nur kurz regestenartig alle Thatsachen an einander. Der
Werth dieser Arbeit (die ursprünglich vom Grafen Riant für dessen
Archives de T Orient latin in Aussicht genommen war, dann aber liegen
blieb, weil mit Riauts Tod jene treffliche Zeitschrift einging) beruht in
den mit gresser Sorgfalt gegebenen Quellennachweisen und Literatun'er-
merken, da hier das Material für eine eingehende Darstellung dieser beiden
Unternehmungen im wesentlichen gesammelt uiul gesichtet dargeboten ist.
Dresden. " • ^'-
Erläuterungen zu den Diplomen Otto 111.
Von
Th. V. Sickel.
III.
Die Feststellung- des urkuiidliclieii Itiiierars.
Wie ich schon bemerkte, hat Kehr besondere Mühe darauf ver-
wandt, die Diplome Otto III. in die rechte zeitliche Reihenfolge zu
brinofen. Er hat sich zu solchem Behufe nicht allein mit allen auf
die Datirung bezüglichen Lehren der heutigen Diplomatik vertraut
gemacht, sondern hat es auch versucht, sie durch genauere Formu-
lirung und durch eine Ergänzung fortzubilden. Er hat dann, so oft
ihm die Einreihung eines Diploms schwierig oder fraglich erschien,
von den Lehrsätzen im allgemeinen guten Gebrauch gemacht. So hat
er betreffs zahlreicher Stücke Ergebnisse gewonnen, welche ich als
durchaus richtig und gesichert anerkenne und in der Edition unter
Hinweis auf Kehrs Buch verwerthen werde. Aber vielfach hat er auch
Entscheidungen getroffen, welche ich entschieden verwerfen muss. Zu-
weilen läuft allerdings die Differenz zwischen uns darauf allein hinaus,
dass ich von dem einen und dem andern Präcepte ])essere Kunde habe
als Kehr. In andern Fällen dagegen liegt der Grund viel tiefer, bald
in der verschiedenen Auffassung und Schätzung der hier zusammen-
wirkenden Momente, bald in der verschiedenen Behandlung derselben
in bestimmten Fällen.
Soll ich das an einigen Beispielen ausführen, so beginne ich am
füglichsteu mit der Besprechung- der Tagesangaben, von deren richtiger
Auffassung und Behandlung die Lösung so vieler Fragen abhängt.
Zweifelsohne hat Kehr, wenn er S. 18^ von der Unzuverlässigkeit der
Daten in den Copieu und selbst in den Originalen redet, dabei auch
Mitthuiluiifc'fu XII. --i
370
Si ekel.
die Ht'zeidiuuug der Tage im 8ijine geiuiht. Er lülirt dann aueh ge-
legentlich (S. 202, 2;}8, 2:U) u. a.). Beispiele von unnchtiger Benennung
der Monate und der Monatsabsclmitte, sowie von unrichtiger Zählung
oder Darstellung der Zahlen an. Dass er trotzdem die Tagesdaten
unterschätzt hat, offenbart sich darin, dass er in dem langen den üa-
th-uugen gewidmeten Capitel, obwohl er sonst auf Erschöpfung des
Themas bedacht ist, gleich mit der Berechnung der Jahresmerkmale
beginnt, ohne die Berechnung der Tage zusammenhängend zu be-
sprechen. Und noch handgreiflicher wird die Vernachlässigung dieses
Punktes bei der Erörterung einzelner Fälle, in denen die Datirung
Schwierigkeiten macht, denn abgesehen von diesbezüglichen Bemer-
kungen auf S. 221 wo von Nachtragungen, und auf S. 225 wo von
Correcturen die Eede ist, wird die Möglichkeit, dass in der Tagesangabe
irgend ein Fehler stecke, gar nicht in Betracht gezogen, sondern sofort
diejenige Lösung vorgeschlagen, für welche Kehr entschieden Vorliebe
hat, nämlich Annahme zweitheiliger Datirung.
Dem o-eo-enüber muss ich es nochmals betonen, dass auch auf die
Tagesbezeichnungen aus mehr als einem Grunde kein Verlass ist, und
dass, wo ein bestimmter Tag genannt wird, vom Datator ein anderer,
etwa der vorausgehende oder der nachfolgende gemeint sein kann. Ich
werde deshalb nicht noch einmal alle denkbaren Arten von Fehlern
aufzählen, sondern nur einige mit Hinblick auf die DD Otto IL und 111.
besprechen. Unter letzteren bietet insbesondere D. 197 für Freising
einen guten Beleg dafür, wie bei der Bezeichnung der Tage nach
römischem Kalender unrichtig gezählt worden ist. Dass die Tagesdaten
dieser Urkunde: XL kal. iunii . . . die imperialis cousecrationis eius
tertio nicht mit den Worten der Ann. Quedlinb. : hie (der Papst) . . .
d. Ottonem . . . XIL cal. iunii in ipsa ascensionis Christi festivütate
veneranda ind. IX. imperatorem consecravit augustum i) in Einklang
stehen, ist schon oft bemerkt worden. Seit Böhmer meinte man mit
der Erklärung auszukommen, dass die Krönung schon am Abend des
20. Mai stattgefunden haben werde-'). Aber dabei ist auf die mittel-
alterliche Zeitrechnuug, und dass diese dem einen wie dem andern
Gewährsmanne geläufig gewesen sei, muss man doch voraussetzen,
nicht Rücksicht genommen. Den dies profestus ascensionis hätte der
») Danach Thietmar 4, 27, jedoch mit unrichtiger Kömerzinszahl. Trotz
der Verwechslung von Hiramelfohrt und Pfingsten führe ich noch die Worte der
Ann. Hildesh. an : imperator et patricius oonsecratur. '-') Mon. Boica 28, 266 :
Ditmarus tarnen cum notario actui publico praesente teöteque oculato concilin-
Ijitur, ai dicatur in profesto sive vigilia ascensionis hovis vespertiiiis unctioneni
imperialem peractam fuisse.
Krlilnternngen zu den Diplomen Otto lll. g'^l
Anuulist AVL'tlcT iils i])sa t'cstivitiis U(k1i als Xll. kal. iuu. bezeiclmeu
könüeu. Will mau aber uur au <leu ALeud unseres 20. Mai uud
unseres Mittwoch trotz aller Unwahrscheinlichkeit einer feierlichen
Handlung nach Sonnenuntergang denken, so Avar dieser schon zu XU.
kal. iun. zu rechnen, so dass der Freitag oder XL kal. iun. von einem
mit dem damaligen Computus vertrauten und ihn richtig anwenden-
den Kotare nicht dies consecratiouis tertius genannt werden konnte.
Ich halte letztere Angabe für die richtige. Erklärt sich nämlich der
ungewöhnliche Zusatz am ehesten aus dem Eindrucke, welchen die
Feier auf diesen Augenzeugen gemacht hat, so meine ich auch, dass
er zwei Tage darauf, denn das besagt doch dies tertius, das Intervall
auch genau berechnet hat ^). Aber iu der Kückwärtszähhmg der Tage
nach römischem Kalender wird er gefehlt und XI. statt X. kal. ge-
schrieben haben. Trotz dieser Annahme werde ich, insofern ich jene
Angabe in die uns geläufige Zählung zu übertragen habe, D. 197
nicht zum 23., sondern zum 22. Mai ansetzen, werde aber, sobald ich
dieses Datum mit andern zu vergleichen habe, den 22. je nach Um-
ständen als 2o. oder auch als 21. behandeln -). Und dieser Auffassung
entsprechend nehme ich gar keinen Anstoss daran, wenn iu einem
Urkundenpaare derselbe Tag und danelien zwei eine Tagereise von
einander entfernte Orte eiugetrageu sind.
Und das um so weniger, als ich noch einen andern Factor iu
die Kechnung einzubeziehen Anlass habe. Wer bürgt uns dafür, dass
der Herrscher ^) und die Kanzlei oder besser gesagt der einzelne gerade
mit einer Urkunde betraute Notar auf den vielfachen Wanderungen
immer gleichen Schritt gehalten haben ^) ? Waren die Reisen nicht
') Und zwar um so genauer, da eius tertio auf Rasur steht und Verbesse-
rung des lugrossators selbst ist. Diese Correctur hat Kehr ütl Anni. 4 ganz
falsch beurtheilt. ~) Für ebenso verfehlt als die bisherigen Erklärungen jener
Datirung halte ich die von Kehr 191 versuchte. Er nimmt nämlich mit Berufung
auf Waitz Verf. Gesch. 0', 190 eine Consecration am Tage vor der Krönung, also
iim 20. Mai an. Nun scheidet aber Waitz vielmehr zwischen Einzug und Krönung
luid" erwähnt nur, dass nach Benzo eventuell gelegentlich des ersten Besuches
der Kirche eine vorläußge Einsegnung stattgefunden habe. Mag solcher Brauch
im 11. Jahrh. aufgekommen sein, so liegt aus dem 10. nicht ein Zeugniss vor,
dass conaecratio und coronatio getrennte Handlungen gewesen seien, uud wird
damals der Akt zumeist consecratio genannt, so spricht auch das gegen derartige
Scheidung, sowohl an und für sich als auch weil man, um den Hauptakt zu
bezeichnen, sich doch kaum des Wortes bedient haben wird, welches dem even-
tuellen Vorakte zukam. ^) In den Anfängen Otto lll. gilt das gleiche von
den jeweiligen Regenten. *) \g\, meine 15eitr. z. D. (j, 456 und Kicker
Beitr. 2, 141 u. 427.
24"
372 Sickel.
vorbereitet, so wird es bald iiu Befih'derungsinittebi imd buld an Her-
bergen für grJJsseres Gefolge gefehlt haben, so dass Notare zunächst
zurückbleiben mussten. In anderen Fällen mag auch ein Theil der
Kanzlei vorausgesandt worden sein. Kurz oft genug werden der König
und das Kanzleii)ersonal au verschiedenen Orten geweilt haben, ohne
dass deshall) das Urkundengeschäft geruht hat und ohne dass darauf
bei der Datirung Kücksicht genommen worden ist. Für uns ist doch
das persönliche Eingreifen des Fürsten, ausser wenn es in der Erzäh-
lung ausdrücklich hervorgehoben wird, höchstens wahrnehmbar an der
Vollziehung des Handmals. Diese konnte, wie ja nach Ausweis der
Originale sehr häufig von dem natürlichen und regelmässigen Verlauf
der Beurkundung Umgang genommen wurde, zu jeder Zeit erfolgen
und insbesondere bevor Ort und Tag der Vollendung, etwa nachdem
der König bereits weiter gezogen war, eingetragen wurden. Freilich
wird durch solche Vorstellungen vom thatsächlichen Hergange die
Genauigkeit des Itinerars, bei dem wir in erster Linie an den Herr-
scher denken, in Frage gestellt, aber es werden durch sie auch manche
Schwierigkeiten beseitigt i).
Um das an bestimmten Beispielen auszuführen gTeife ich auf die
Diplome Otto II. zurück, an deren Behandlung Kehr vielfach Kritik
geübt hat. Ich hatte in Erläuterungen 114 gesagt, weshalb ich be-
treffs des DO. IL 28 Dornburg und 2. Juni auseinander halte, habe
dann aber versäumt, in der Edition lür die DD, 0. IL 29 — 32 die
Erklärung zu bieten, welche mir vorgeschwebt hat und mit der dann
auch die von mir den Datirungen der DD. ,')4— 30 gegebene Deutung
zusammenhängt. Ich hole das nach um zu zeigen, dass die an sich
richtige Bemerkung Kehrs, dass Otto IL, wenn er am 5. Juni in
Magdeburg weilte, am 7. nicht schon in Grone sein konnte-), hier
nicht am Platze ist. Ich lese aus DD. 29 — 32 keineswegs heraus, dass
der Kaiser seinen Aufenthalt in Magdeburg bis zum 5. Juni ausgedehnt
habe, sondern betrachte diese Stücke als von den Magdeburger No-
tareu WD. und LH. nach seinem Aufbruche angefertigt und datirt.
WB., welcher damals die Hauptarbeit in der Kanzlei verrichtete, scheint
sieh meist in der Umgebung Otto IL befunden zu haben. Dagegen
') Kehr selbst möchte h?. 233 Aiim. 2, da ihm das Verhilltniss zwischen
DO. 1. 65 und CG bedenklich erscheint, die Datirung des ersteren rriiccpts dahin
deuten, dass die Beurkundnu«? sich um einige Tage verzögert und erst nach dem
Aufbruche des Königs von Allstedt stattgefunden hal)e. Er gibt soweit die
Möglichkeit solchen Vorganges /.u, hat sie dann aber in den Fällen, welche ich
gleich besprechen werde, ganz ausser Aclit gelassen. -) Sie war ja schon von
Ficker 2, 27f; gemacht worden, auf den ich in Kvläuf. 120 verwies.
Erläutern ngon zu dcji Diplomen Utto lü. 373
liabeu jene zwei Notare (Erläut. 87) in der Regel nur für Magdeburg
und nur in dessen Nähe Präcepte geliefert. Mag WD. sich ebenfalls
zu Ende Juni nach Worms begeben haben i), so kann er füglich später
als Otto von Magdeburg aufgebrochen sein. Verliess letzterer aber
bereits am 3. Juni Magdeburg, so steht nichts dem im Wege, dass er
am 7. Juni in Grone (D. 35'"^) war und zuvor in Werla D. 34 anzu-
fertigen befohlen hatte, welches ebenfalls am 7. Juni in Grone vollendet
wurde. Ich habe noch andere Gründe au meiner Deutung der Datiruug
von D. 3.5 a festzuhalten -). Grone lag der Gerberga, welche wohl von
der Eonte des Kaisers Kunde hatte, näher als Werla. Uud begrüsste
sie zuerst dort und am 7. Juni Otto IL als Alleinherrscher, so kann
die Erinnerung daran am ehesten Anlass gegeben haben, beide An-
gaben noch nach Jahren in DD. 35^ und 36 zu wiederholen.
Das sind freilich nur Vermuthuugen und ebenso ist und l)leil)t
es Vermuthung, was ich zuvor über DD. 0. IL 29—32 sagte, dass
Orts- und Zeitangaben nur vom Standpunkte des datirendeu Notars
aus coincidireu, aber nicht insofern es sich um den Aussteller han-
delt ^), und wenn ich noch in andern Fällen die durch das Tagesdatum
gebotene Zeitbestimmung als mehr oder minder dehnbar betrachte^).
Und steht Vermuthung gegen Vermuthung, so hat diejenige die bessere
Aussicht auf Zustimmung, welche am meisten auf alle jeweilig walten-
den Umstände und Verhältnisse Rücksicht nimmt. Hat es nun Kehr
meines Ermessens an solcher Umsicht in einzelnen Fällen iehlen lassen
') In D. 43 aus Worni.s erl)licken wir sein Dictat. Jedoch für dieses mit
Zustimmung des Erzbischofs Adalbert den Mönchen von Weisscnburg ausgestellte
Wahlprivilegium kiinnte WD. das Concept von Magdebiu-g eingesandt haben. —
D. 58 aus Frankfurt kann nicht mit gleicher Sicherheit WD. beigelegt werden. —
Erst in D. 04 aus Allstedt stossen wir wieder auf WD. und LH. Vgl. femer
DD. 91—93, 112, 114, 115 — sämmtlich aus sächsischen Pfalzen. -) Kehr
erklärt die Datirung von D. 34 für einheitlich, dagegen die von 35" für zwei-
theilig und zwar will er die Tagesangabe auf die Handlung, die Ortsangabe aber
auf die Beurkundung beziehen, ein Verfahren, welches er jedoch selbst als ganz
ungewöhnlich bezeichnen muss. Weil ich letzterem beipflichte, gehe ich noch
einmal näher auf den Fall ein. ^) Vermuthungen der Art in dem mit dem
Regest verbundenen Datum am Kopfe der Urkunden Ausdruck zu geben, halte
ich nicht für räthlich; vgl. Erläuterungen 125. *) Ich will ausdrücklich sagen,
dass anch dieser Licenz Schranken gezogen sind. Hat z. B. HB. in D. 114 nach-
getragen non. febr., so werde ich da am 5. Februar nicht rütteln : einmal nicht,
weil das Datum nachgetragen ist und dann nicht, weil bei Bezeichnung eines
Tages blos nach einem der Monatsabschnitte ein Rechenfehler ausgeschlossen
ist. Dagegen haftet anomalen Bezeichnungen wie 1. kal. mart. in DO. I. 56
oder 1. kal. mai. in DO. III. 165 die Zweideutigkeit an, so dass wir freie Wahl
zwischen 28. Februar oder 1. März u. s. w. haben.
374 '^^'^^"^•
und insbesondere an der Veranschlagung der ünxnverlässigkeit der
Tagesdaten, so verkenne ich docli nicht, dass er in andern Fällen die
relativ beste Lösung vorgeschlagen, ja bezüglich einiger Urkunden der
zwei ersten Ottonen mich eines bessern belehrt hat. Und so halte
ich eine weitere Verständigung zwischen uns, insoweit es sich um die
Anwendung von Regeln auf bestinuute Diplome handelt, für nicht
auso-eschlossen. Anders steht es mit einem von Kehr neu aufgestellten
Lehrsatze, Avelchen ich ganz entschieden verwerfe.
Nach Kehr 227—231 soll es häufiger denn früher, wenn auch
nur seitens der von Hildibald geleiteten Kanzlei, beliebt Avorden sein,
die Ortsangabe allein nachzutragen, und dieser Vorgang soll eine an-
dere Bedeutung als zuvor erhalten haben, nämlich die, dass sich die
Zeitangaben auf irgend ein früheres Stadium der Beurkundung, die
Ortsangabe dagegen auf deren letztes Stadium beziehen sollten. Ist er
auf thesen Gedanken offenbar durch D. 7 '^ gebracht worden, welches
von HB. geschrieben, mit actum abbricht, jedoch nicht vollzogen,
sondern durch D. 7'' ersetzt worden ist, so führt er noch zwei ihm
gleich erscheinende Belege für beabsichtigte aber dann unterbliebene
Sachtragung an, ferner einen Beleg für wirklich erfolgte Nachtragimg
und endlich einen Beleg für Abänderimg des Ortsnamens, welche füg-
lich auf gleiche Linie mit den Nachtragungen gesetzt werden kann.
Sind das der Fälle nicht viele, so hat der Umstand, dass zwei der
betreffenden Diplome sich nicht leicht in das Itinerar einfügen lassen.
Kehr in der Annahme bestärkt, dass die Kanzlei eine Zeit lang ein
derartiges Verfahren zuweilen befolgt und so einigen Diplomen ein
besonderes, von uns wohl zu beachtendes Gepräge gegeben habe. Und
so stellt er schliesslich die These auf, dass sich aus der Nachtraguug
der Ortsangabe allein mit Sicherheit nichteinheitliche Datinmg ergebe.
Knüpft Kehr an analog erscheinende Fälle unter Otto IL an i),
so lässt er da nur den Zufall walten. Unter Otto IIL dagegen nimmt
er einen wenn auch nur vorübergehenden Brauch an, der allerdings,
falls er sich erweisen lässt, um so bedeutsamer erscheinen würde, als
er von denselben Notaren Hildibalds, welche durch viele Jahre hin-
durch nicht auf ihn verfallen waren, aufgebracht worden wäre. Als
bewQsste Neuerung müsste er einen Zweck gehabt haben, wie ihn
Kehr auch voraussetzt. Dem gegenüber vermag ich doch die Frage
1) DD. 0. II. 52, 145. 204, 255. Die zwei letzten gehören schon der Kanzlei-
periode Hildibalds an. Dass ich nicht alle vier Fälle in den Erläuterungen 107
angeführt habe, hatte seinen einfachen Grund darin, dass ich dort von den Aus-
fertigungen des WD. sprach.
Erlänternngen zn den Diplomen Otto III. 375
nicbt zu uiiterdrückeii, wem mit solchem Auseüiauderlialteu der Phasen
der Benrkimdnnfj o-edient worden sein soll. Ein Interesse der Kanzlei
kann Jiieines Ermessens nicht im Spiele gewesen sein. Die Kanzlei-
notare des 10. Jahrhunderts haben, soviel wir wissen, auf Fräcision
iji der Datirung sehr geringen Werth gelegt. Unter Umständen ha})en
sie sich allerdings zu solcher bequemt, nämlich auf Wunsch der Em-
pfänger der Urkunden. Ks konnte im Interesse dieser liegen und des-
halb von ihnen erbeten werden, dass, wenn sich die Beurkundung
verz()gert hatte, das mehr oder minder zurückreichende Handlungs-
datum eingetragen, ja selbst eine Zurückdatirung (vgl. Kehr 251) be-
willigt werde. Aber was es ihnen frommen sollte, die einzelnen Akte
der Beurkundung als auseinanderfallend ersichtlich gemacht zu sehen,
ist mir unerfindlich^). Kann ich somit eine Absicht nicht gelten lassen,
so Avürde auch der vermeintliche Brauch zu einer ganz gewöhnlichen
Erscheinung zusammenschrumpfen. Im einzelnen Falle konnte es, wie
wir gleich sehen werden, einen triftigen Grund haben, dass der Kaum
für die Ortsangabe frei gelassen wurde. Und zu jeder Zeit konnte
von ungefähr die sofortige Eintragung des Ortsnamens unterbleiben.
Dass auch solche Vorgänge absichts- und gedankenlos Nachahmung
fanden, sich also einige Male wiederholten, steht erfahrungsmässig fest.
AV^ir thuu gut solche Erscheinungen zu constatiren, müssen aber vor-
sichtig erwägen, ob ihnen Bedeutung zukommt oder nicht.
Bevor ich zur Prüfung des Thatbestandes, auf welche es vor allem
ankommt, übergehe, muss ich noch eine Vorbemerkung einschalten.
Mit gutem Grunde redet Kehr von Nachtragungen der Ortsangabe
allein, zum Unterschiede nämlich der gleichzeitigen Nachtragungen der
Tages- und der Ortsangaben. Doch diese Scheidung genügt noch
nicht 2). Indem in der Regel auf den Ortsnamen die Apprecatiou
folgt, ergeben sich für die ursprüngliche Auslassung und eventuelle
Nachtragung zwei Modalitäten ^) : es kann der ganze mit actum an-
1) So auch Ficker 2, 26b", nachdem er zuvor Nachtragimg des Ortsnamens
als selten bezeichnet hat. — Dazu noch eine weitere Betrachtung. Mit der Orts-
angabe für sich wird doch kein Zeitpunkt bestimmt, also auch kein von dem
Zeitpunkt der Zeitangaben verschiedener. Ob actum und datum coincidiren oder
nicht, vermögen wir wohl festzustellen, wenn wir an der Hand des Itinerai's mit
der Vorstellung vom Orte auch eine Vorstellung von der diesem entsprechenden
Zeit zu verbinden in die Lage kommen. In der Vergangenheit dagegen konnte
zwar der Zuschauer der Beurkundung das etwaige Intervall zwischen den Phasen
wuhrnehmen, seine Wahmchraung etwa in der Erinneriuig festhalten und auch
andern mittheilen, aber es aus einem Diplome herauszulesen war niemand im
Stande. -') Vgl. Ficker Beitr. 2, 2U4. ^) Davon ob auch actum nachgetragen
ist oder nicht, sehe ich ab.
376 Sii-kel.
hebende zweite Tlieil der Datiruug fehlen oder es kann der Ortsname
allein fehlen, die Apprecation aber eingetragen worden sein. Die Fälle
der letzteren Art fallen schwerer ins Gewicht, insofern sie die sonst
nahe liegende Annahme zufälliger Unterbrechung des Schreibgeöchäfts
so gut wie ausschliesseu. Ich führe deshalb von Fall zu Fall auch
diesen Nebeuumstand an.
Die Angaben Kehrs über D. 7 ^ sind erschöpfend und in allen
Punkten genau. Er erklärt auch (S. 37) richtig, was Anlas« gegeben
hat, dieses Stück nicht zu vollziehen und durch D. 7 '' zu ersetzen.
Beide Ausfertigungen handeln von der Schenkung ein und desselben
Gutes an des Königs Tante Mathilde, einer Schenkung, die so gut wie
beschlossen gewesen sein niuss, als HB. D. 7 ^ mundirte und mit be-
stimmtem Datum (28. Jänner 985) versah. Es war lediglich die Moti-
virung der Schenkung in D. 7'\ um derentwillen dieses nicht voll-
zogen und vollendet wurde. Es standen sich nämlich zwei Rechts-
anschauungen und zwei Parteien bei Hofe gegenüber, zwischen denen
diejenigen zu entscheiden hatten, welche anstatt des unmündigen
Königs das Regiment führten und diesem etwa die Reinschrift behufs
eigenhändiger Vollziehung des Handmals zu unterbreiten hatten. Im
Sinne und nach der Weisung der einen Partei hatte HB. die Urkunde
verfasst und bis zum Worte actum geschrieben. Weshalb er der Ge-
uehuiigung noch nicht sicher doch den Tag bereits eingeschrieben
hatte, während er sich noch der Ortsangabe enthielt, lässt sich nur
vermuthen. Es liegt wohl einer der bereits von Ficker 2, 267 ins
Auge gefassten Fälle vor, dass ein Diplom von vornherein zur Ueber-
gabe an einem gewissen Tage bestimmt war, während man noch nicht
wusste, wo sich der Hof dann befinden werde : in diesem Falle mochte
der Gedenktag des grossen Karl zur Uebergabe solcher Schenkung
geeignet erscheinen und deshalb im voraus gewählt worden sein. Sage
ich im voraus, so dehne ich das auch dahin aus, dass die Reinschrift
bereits Tage vor dem 28. Januar angefertigt worden sein mag i).
Doch D. 7 ^ wurde, wie gesagt, verworfen und statt desselben 1). 7 ''
angefertigt und vollzogen, wobei die Absicht vom Karlstage zu datiren
nicht mehr festgehalten, sondern der vorherrschenden Gepflogenheit
gemäss der 5. Februar als Tag und Mühlhausen als Ort der Beurkun-
dung eingetragen wurden. Schon das spricht wider die Annahme, dass
') Ich betone nur deshalb diese Abiglithkeit, weil Kelir am meisttua dahin
neigt den Tag auf die Reinschrift zu beziehen. Sollte dies doch dem wirklichen
Vorgange entsprechen, ao könnte am ehesten die von Kehr zurückgewiesene An-
nahme aufrecht erhalten werden, dass HB. seine Arbeit unterbrochen hätte, weil
er von der Nichtgenehmigung dieses Dictats verständigt wurde.
Erläutenmgeu zu den Diplomen Otto lll. H77
mau soiiderlicheu Wertli auf Scheidung einzeluer Pliaseu gelegt habe.
Aber bleiben wir betreft's dessen, was man sich bei der Behandlung
der Details gedacht hat, auf Vermuthuugen angewiesen, so genügt eine
nahe liegende Hypothese, um darzuthun, dass gerade dieser Fall nicht
für die These Kehrs angeführt werden darf. Denken wir uns, dass
D. 7 ^ nicht beanstandet, sondern auch an dem in Aussicht genomme-
nen Festtage ganz vollzogen worden, also auch der Ortsname nach-
getragen worden wäre, so würde sich einheitliche Datiruug ergeben,
selbst in dem Falle, dass HB. die Keinschrift schon Tags zuvor an-
o-efei-tigt und für den Festtag in Bereitschaft gehalten hätte.
Von den weiter als Belegen angeführten Urkunden will ich
zuerst die nur aus Copieu liekannten DD. 230, 233 besprechen: in
beiden wird uns die Apprecation geboten, es fehlen aber actum und
Ortsangabe. Augenommen, dass bereits die Originale diese Lücken
aufo-ewiesen haben, so würden sie uns nur was wir ohnedies wissen,
bezeugen, dass die Notare nicht immer wissen konnten, an welchem
Orte das Beurkundungsgeschäft zum Abschluss kommen werde, dass
sie später die Nachtragung vergassen und dass die Parteien an solchem
Defect in den Diplomen nicht Anstoss nahmen. Und weil die Datirung
solcher Stücke unvollständig geblieben ist, kann von nichteinheitlicher
Datirung in dem Sinne Kehrs gar nicht die Kede sein. Doch wir
haben es nur mit abschriftlichen Urkunden wie bei DO. IL 255 zu
thun und müssen in der Verwerthung derselben vorsichtig sein. Be-
sonders gilt das von D. 230, zu welchem Foltz seiner Zeit bemerkte:
lückenhaft, wahrscheinlich beschädigtes Original i).
Auch Kehr hat, das muss ich zu seiner Entschuldigung sagen, sich
auf diese nur in Copieu vorliegenden Stücke nur nebenbei berufen und
hat sich vorzüglich auf die Originale von DD. 221) und 253 gestützt
oder vielmehr auf die Beschreibungen dersel})eu von Foltz. Dass ich diese
gerade in dem für Kehr wichtigen Punkte als unrichtig bezeichnen muss,
gibt mir Anlass weiter auszuführen was ich S. 215 bereits angedeutet habe.
In der von mir im J. 1876 veröffentlichten Instruktion für die
Diplomata- Abtheilung '^) habe ich nur wiederholt, was ich meinen
Schülern seit lange eingeschärft hatte, u. a., dass sie auf Schreibfehler,
Rasuren, Correctureu, Nachträge u. s. w. wohl achten sollten. Daran
war also auch Foltz bereits gewöhnt, als er für die Abtheihmg zu
arbeiten begann. Als dann 1877 der I. Band von Fickers Beiträgen
•) tJeuauer würde zu sagen sein : wahrschoinlicli unten beschädigtes Ori-
ginal. Der Schluss des Contextes weist nämlich zwei kleinere Lücken auf.
Darauf kann auch die Auslassung der Recoguition in der Copie von D. 230,
sowie das Fehlen der Corroboration in D. 233 hinauslaufen. -') Neues Archiv 1, 477.
378 Sickel.
ersehipii imd ims helelirte, wie mancherlei FolcfuruDpjen sich aus der
BpscliaH'ciilieit der Originale /,ielien lasHeii, wandte Foltz allen Besouder-
lieiten der Urkunden noch grössere AufmerkvSamkeit au. Nur iu wenigen
Fällen hat wiederholte Priif'nnj; erffehen. dass seinem scharfen und jj^f-
übten Auge etwas entgangen ist. Mau kann aber sagen, dass er zuweilen
in unsicheren Vernmthungen zu weit gegangen ist, was er aber dadurch
wieder gut machte, dass er auch alles was für und wider sprach, zu
Papier brachte. Er selbst, als er sich an der Herstellung der Texte
der Diplome Konrads und Heinrichs betheiligte, machte von seinen
Aufzeichnungen, soweit es sich nur um Vermuthungen handelte, sehr
vorsichtigen Gebrauch und drang wiederholt auf nochmalige Prüfung,
zumal da auch er die Erfahrung machte, dass sich erst bei zusammen-
fassender Arbeit ermessen lässt, was von Bedeutung oder ohne Be-
deutung ist und in welchem Grade eine Erscheinung Beachtung
verdient. Ergibt sich z. B. aus einer Reihe von Diplomen ein natur-
gemässes und durchaus gesichertes Itinerar, so darf man eine unter
allerlei Vorbehalt gemachte Bemerkung, dass eine Zahl vielleicht corri-
girt sein könnte, wohl auf sich beruhen lassen, während sie ver-
■Vverthet werden darf und nach Umständen verwerthet werden mnss,
wenn sich dadurch allein eine Schwierigkeit beheben lässt. In den
letzteren Fällen habe ich es geradezu für meine Pflicht gehalten, wenn
es irgend möglich war, eine Nachprüfung zu veranstalten und habe
zumeist die Genugthuung geliabt, in den betreffenden Fällen zu einem
sichern Ergebnisse zu kommen. Habe ich mich nun nie gescheut,
einen ersten Ausspruch von mir, wenn ich ihn nach neuer Unter-
suchung nicht haltbar fand, ausdrücklich zurückzunehmen, so trete ich
den Verdiensten des seligen Foltz nicht zu nahe, wenn ich auch heute
wieder die eine und andere Angabe von ihm und so auch die über
die hier in Rede stehenden Stücke für unrichtig erkläre, nachdem ich
im vorigen Jahre die Originale nochmals auf das genaueste geprüft habe.
Mit D. 229 und dessen Bearbeitung für die Abtheilung verhält
es sich folgendermassen. Zur ersten der Abtheilung gelieferten Ab-
schrift war gar nichts über den Ortsnamen bemerkt. Als Foltz die-
selbe revidirte, bemerkte er u. a., dass das EschatokoU vor dem Con-
texte und dass die Datirungszeile in einem Zuge geschrieben worden
war. Jedoch, so fügte er hinzu, et in actum und Ingil zum Theil
auf Stellen, wo die Tinte der früheren Schrift verwischt ist; stand
etwa argen(tina) da')V Nach meinem Befunde dagegen ist auch in
diesem Theile der entschieden ohne Absatz geschriebenen Datiruugs-
'J Mau vergleiche damit Kelir 2'2\).
Erlänternngen zu den DiploraPn Otto III. 379
Zeile kein üuterscliied /wischen ursprünglicher und späterer Schrifi zu
machen, sondern es ist lediglich die in einzelnen Buchstaben stärker
anfgetrageue Tinte hei voreiliger Faltung verwischt worden ^). Aller-
dings macht nun das von HF. gleichzeitig eingetragene datum und
actum Schwierigkeiten. Eiuen Vorschlag sii^ zu hehehen mache icli
lieher in anderem Zusammenhange. Hier genügt es zu sagen, dass
Kehr durch Foltz irre geführt worden ist und dass er, eines besseren
belehrt, zweifelsohne darauf verzichten wird, sich zu Gunsten seiner
These auf dieses Diplom zu berufen.
Ich wiederhole nicht was Foltz zu D. 25o bemerkt hat, sondern
biete gleich das Ergebniss meiner Untersuchung. In dem ganzen
Stücke erscheint die Tinte jetzt bald dunkler und bald lichter. So
sticht auch der letzte Buchstabe von actu(m) und stechen die Worte
Türe feliciter amen als dunkler von den vorausgehenden ab, jedoch
nur in Folge davon, dass der Schreiber, da ihm die Tinte ausgegangen
war, mitten im Worte actum die Feder wieder in das Tinteufass ein-
tauchen musste ^). p]rscheint somit D. 25o als in einem Zuge mundirt,
so verräth es für sich betrachtet in keiner Weise nichteinheitliche
Datirung, welche allerdings, sobald wir die Urkunden in Keih und
Glied stellen, angenommen werden muss ^). Den Hergang denke ich
mir folgendermassen : Die betreffende Schenkung wird am 2. September,
als der Kaiser sich von der Elbe an den Rhein begab, erfolgt sein,
und diesen Tag wird sich die Kauzlei, als sie den Beurkundungsbefehl
erhielt, vermerkt haben. In Thorr wird sie einen Rasttag benutzt
haben, die Ausfertigung herzustellen, in welche sie den Tag der Schen-
kung und dazu den augenblicklichen Aufenthaltsort eintrug. So be-
stätigt dieser Fall von neuem, dass es den Notaren weder auf die
Uebereinstimmung der beiden Angaben ankam, noch darauf, die Nicht-
coincidirung ersichtlich zu machen. Weise ich also die Auffassung
von Kehr, dass die Kanzlei mit Ueberlegung und Berechnung vor-
gegangen sei, überhaupt zurück, so habe ich noch mehr zu betonen,
dass er seine These auf unsicherem Fundamente aufgebaut hat. Nicht
einer der von ihm für erfolgte Nachtragung oder Correctur augeführten
Belege hält Stich. Dass noch andere aus der Zeit Otto III., dessen
Diplome Kehr an der Hand unseres Materials so fleissig durchgearbeitet
hat, beigebracht werden könnten, bezweifle ich. Dann wird auch für
') Welchen Sinn hätte denn auch die Corrertiu- an actum y '■') Hat Kehr
unterlassen wegen dieses Stückes in Hannover anzufragen, so ist er in andern
Fällen vorsichtiger gewesen und so auch bei dem nächstfolgenden Diplom, da
er hier die Angaben von Foltz und die von Ficker und Philippi nicht in Ein-
klang fand. •') Vgl. Erläuterungen zu den DD. 0. II. S. 106.
ßSO 8 i ekel.
diese Eegienmgsperiode gelten bleiben wus Ficker über die vSelteuheit
und ße<leutungslosigkeit dieser Art von Naclitragung gesagt hat.
Ich gehe zu Betrachtungen anderer Art über, welche Kehr um
Itinerarfragen zu entscheiden angestellt und wiederholt als den Aus-
schlag gebend verwerthet hat. — Seitdem man Königsurkunden in
Kegesten verzeichnet hat, hat man allerdings auch auf" das Verhältniss
der Zeitintervallen zu den Ortsentfernungen geachtet, hat sich aber in
der Regel begnügt (so z. B. Böhmer), die ärgsten uns in diesen Be-
ziehungen gestellten Zumuthungen zurückzuweisen. Weiter ist Stumpf
gegangen: er hat sich fast in allen Fällen die Frage vorgelegt, ob es
denkbar sei, innerhalb des durch zwei Urkunden bestimmten Zeit-
raumes von dem einen zu dem andern Orte zu gelangen. Wie sehr
dann Ficker die Schnelligkeit der Reisen in Anschlag gebracht hat,
zeigen mehrere seiner Einzeluntersuchungen, vor allem aber zahlreiche
Stellen seiner Beiträge zur ürkundenlehre. Aber auch er hat die Di-
stanzen zumeist nur abgeschätzt und hat von der Aufstellung eines
festen j\Iassstabes abgesehen. Ist inzwischen das Thema, Avie man in
der Vergangenheit gereist ist, von vielen Autoren erörtert worden, so
gehen doch gerade was die Schnelligkeit der Reisen anbetrifft, die Er-
gebnisse noch ziemlich auseinander i), so dass sie l^ei Untersuchungen
über das Itinerar der Könige kaum verwerthet werden können. Um
von mir selbst als Herausgeber der Diplome des 10. Jahrhunderts zu
reden, so habe ich es natürlich für nöthig erachtet, die Entfernungen
ins Auge zu fassen ; aber ich mag sie in Ermangelung eines sichern
Massstabes zuweilen unterschätzt haben und habe sie wohl auch in
dem einen und andern Falle geradezu ausser Acht gelassen -). Sobald
Kehr dies wahrgenommen hatte, stellte er sich unter andern Aufgaben
auch die, von Fall zu Fall die Distanzen zu berechnen, und zwar
') Dass ich, bevor mir Kehrs Itucli zu Gesichte kam, mich mit der Frage
wenigstens gelegentlich beschäftigt habe, beweisen meine Bemerkungen in den
Prolegomena zum Liber diurnus 2, 71. -) So, was Kehr 235 mit Fug und
Recht rügt, bei den DD. 0. H. 37, 38. Ich muss otten bekennen, dass ich, der
ich als Editor auf die verschiedenartigsten Details autmerksam sein soll und
will, mich schon einige Male darüber ertappt habe, dass ich einen Punkt über
die andern übersehen habe. So ist es mir auch bei dem Drucke von DO, IL 37
widerfahren, dass ich den Strich zu setzen unterlassen habe, durch welchen hier
die nichteinheitlichc Datirung anzuzeigen war. Das Missgeschick ist, dass meine
beiden Geno.ssen (unter ihnen Kehr), welchen es oblag, zu dreien Malen und
zwar vor mir die Correctur zu besorgen, in diesem Falle ebenso imautinei-ksam
gewesen sind wie ich. Hat Kehr dann nach Erscheinen des ersten Bandes dieses
und andere Versehen hervorgehoben, so benütze ich die erste sich mir bietende
Gelegenheit, um dieselben durch oti'enes Eingeständniss gut zu macheu.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 381
wollte er dieses Mittel der Coutrole des iirkundliclieu Itinerars nicht
allein Hilf die Diplome Otto III. auweudeu, sondern auch nachträglich
auf die bereits edii'ten Diplome der Vorgänger, um erforderlichenfalls
die von mir gebotenen Datirungen zu berichtigen. So sehr ich sein
Vorhaben gebilligt habe, so habe ich mir doch Nachprüfung der Er-
gebnisse vorbehalten : in diesem Sinne spreche ich mich hier auch über
diesen Theil der Kehr' sehen Arbeit aus.
Mit Kecht hat dieser bei den Eeiseu des Königs gewöhnliche und
aussergewöhnhche Leistungen unterschieden. Aber leider gibt er dann
weder für die einen noch für die andern bestimmte Durchschnitts-
zahlen an. Erklärt er es z. B. S. 250 für eine physische Unmöglich-
keit, dass die Tagesleistung bis zu 70 Kilom. gesteigert worden sei
oder S. 234 für unmöglich, dass 400 Kilom. in 8 Tagen zurückgelegt
worden seien, so lässt sich dem noch nicht entnehmen, wieviel Kehr
dem Könige und seinem Gefolge, im Falle sie durch besondere Ereig-
nisse oder Pläne zu grösster Eile gedrängt wurden, zumuthen zu
können meint. Die normalen Leistungen will er in Anbetracht des
zahlreichen Gefolges niedrig ansetzen. Er bezeichnet ein Mal (S. 233
Anm. 1) 20 — 30 Kilom. als der gewöhnlichen Marschgeschwindigkeit
entsprechend, lässt aber auch (S. 250) eine Steigerung bis 35 Kilom.
zu. Seinen Massstab versucht er vorzüglich den Diplomen Otto L und
Otto IL zu entnehmen. Nebenbei beruft er sich jedoch auch auf Er-
fahrungen der Gegenwart und redet von der Geschwindigkeit, zu wel-
cher es heutzutage einerseits berittene Truppenkörper und andererseits
Distanzreiter bringen i).
So oft nun Kehr der Zeitabstand zwischen zwei urkundlichen
Daten zu gering erscheint im Verhältniss zu der Entfernung zwischen
den beiden genannten Orten, bezeichnet er die Datii'ung des einen
oder des andern Diploms als nichteinheitlich. In mehreren der von
ihm angeführten Fällen (so DD. 25, 29 u. a.) stimme ich ihm un-
bedingt bei. Aber wenn wie betreffs D. 37 vou Kehr seilest (S. 2;)())
') Aller Erfahrungen auf diesem Gebiete bar, habe ich mir bei Kavalleristen
Raths erholt, besonders bei solchen, welchen auch die betrettende Literatur wohl
bekannt ist. Sie stimmten alle darin überein, dass Kehr die jetzigen Leistimgen
zu niedrig ansetzt. — Unter diesen meinen Rathgebern muss ich aus speciellem
(.h-iinde den Ilerni Oberlieuteuant Strobl Edler von Ravelsberg, commandirt beim
k. und k. Generalstabe, Verfasser der jüngst erschienenen G eschichte des k. und
k. 12. Dragonerregiments, nennen. Derselbe nahm nämlich im letzten Schuljahre
an dem Institutscursus und so auch an den von mir geleiteten diplomatischen
Uebungeu theil und xniterstützte mich in dankenswerthester Weise bei meinen
Arbeiten über das Itinerar Otto III. Ich halte mich in dem Ef)lgbndeu an die
Erorebnisse seiner Untersuchungen über die Routen und Entfenumgen.
;.jg2 Sickei.
/,uu-eo-('l)cu wird, (l;iris der Hot' rfclit wulil ni f) Taiini vuii Allstedt
uaeli Corvei gelangeu kouute, sehe ich keinen Anlass, Handlung und
Beurkundung auseinander zu halten. Und in andern Fällen muss icli
solche Deutung der Datirung geradezu aus diesem oder jenem Grunde
verwerfen, am häufigsten deshalb, weil ich nicht von der Richtigkeit
des von Kehr für jene Zeiten angenommenen Massstabes überzeugt
bin. Den richtigen zu finden halte ich nicht allein für ausserordent-
lich mühsam und schwer, sondern ich sage ganz offen, dass ich jetzt
nicht die Zeit gefunden habe, mich mit dieser Frage so eingehend und
gründlich wie es geboten ist zu befassen und mich somit augenblick-
lich auf Einwürfe gegen Kehr beschränken muss. Auf dem von ihm
eingeschlagenen Wege sind meines Ermessens sichere Ergebnisse nicht
zu gewinnen. Von manchen gut verbürgten Nachrichten aus jenen
Zeiten hat er keinen Gebrauch oder doch nicht den rechten Gebrauch
gemacht. Er hat endlich die Distanzberechnung auch da als Mittel,
das Itinerar in Ordnung zu bringen, verwenden wollen, wo wir es
mit unbekannten und dabei unberechenbaren Grössen zu thun haben
Wie schon gesagt, zieht Kehr, um die gewöhnliche Marschge-
•schwindigkeit des Hofes kennen zu lernen, das Itinerar Otto I. und
Otto II. zu Rathe ^). Was ich gegen diesen Versuch einzuwenden habe,
kann ich gleich an d;is erste von ihm angeführte Beispiel anknüpfen.
Vorausgesetzt nämlich, dass die Daten von DD, 0. I. 42 (Dortmund,
941 Nov. 25) und 43 (Grone, 941 Dec. 5) ganz zuverlässig und un-
zweideutig sind, so erfahren wir aus ihnen noch nicht einmal, wieviel
Tage Otto I. damals auf die Reise von Dortmund bis GIrone thatsäch-
lich verbraucht hat, denn er kann ja, abgesehen von allem etwaigen
Aufenthalte unterwegs, erst am 27. Nov. von Dortmund aufjgebrochen
und kann bereits am ?). Dec. in Grone eingetroffen sein. Und da in
der ersten Urkunde nichts davon steht, dass sie vollendet Avorden ist,
als die Pferde schon zum Aufbruche bereit standen, und in der zweiten
nichts davon, dass sie ertheilt wurde, gleich nachdem der König in
Grone aus dem Sattel gestiegen war, können wir aus den Daten noch
weniger herauslesen, dass für diese Reise zur Winterszeit 10 Tage be-
nöthigt wurden. Kurz solange wir allein auf die Angaben dieses
Urkuudenpaares (und das gleiche gilt von den weiter augeführten Bei-
') Hebt er dabei IS. 234 die «clinelliglceit hervor, mit welcher selbst mitten
im Winter die Alpen überstiegen worden sind, so zieht er aus ihr nicht, iivie
man erwarten sollte, die Folgerung, dass die Leistungsttihigkeit sehr gesteigei-t
werden konnte, sondern macht nur, tun die .Schnelligkeit zu erklären, die kaum
zutretlende Bemerkung, dass sich unterwegs keine \'oranla.ssung zu liingorem
Aufenthalte ergeben habe.
Erliinfernngen zu den Diplomen Otto [[1. 38)'>
spielen) HUgewieseJi sind, lässt sicli ;ius ilmeu weder ein Miniiiiuni
uoch ein Maximmn, also audi keine Durchsclmittszalil für die gevvöhu-
liche Tagesleistung ableiten. Sie bedürfen, um in solcher Richtung
verwerthet werden zu können, der Bestätigung oder derCorrectur oder
der Ergänzung durch Angaben in andern Quellen. Das hat Kehr selbst
an andern! Orte (Ö. 249) bemerkt: er will das Itiuerar des J. 1000
deshalb eiu gehender besprechen, weil ihm ausser den urkundlichen
Datirungen zahlreiche annalistische Nachrichten zur Verfügung stehen
und weil die doi)pelt verbürgten Angaben den zuverlässigsten Mass-
stab darbieten zur Beurtheilung der Frage wie schnell der Hof zu
reisen pflegte.
Bevor ich verfolge, welchen Gebrauch Kehr von den für die
letzten Jahre Ottos reicher fliessendeu Nachrichten gemacht hat, wende
ich mich einem andern Gebiete zu. Es liegt doch nahe, auch die No-
tizen über die Reisen der Päpste zu Rathe zu ziehen. Zumeist bejahrt,
werden diese sich nicht über die Ma.ssen angestrengt haben. Ihr Ge-
folge wird ebenfalls gross und vielleicht uoch schwerfälliger als das
der Könige gewesen sein. Für ihr Itinerar stehen uns gleichfalls Nach-
richten zweierlei Art zu Gebote. Allerdings kommen die in den Ur-
kunden verzeichneten aus Gründen, welche hier anzuführen nicht noth-
wendig ist, weniger in Betracht. Das wird jedoch durch die Zuver-
lässigkeit der Reisenotizen in den Vitae pontificum aufgewogen. So
erfahren Avir z. B., dass Zacharias im J. 743 ^) bei Sonnenaufgang des
22. Juni von Ravenna aufbrach, am Nachmittag des 28. der Vigilien-
feier in Cielo d'oro beiwohnte und Abends in Pavia einzog. Er legte
also eine Strecke von etwa 290Kilom. in nicht ganz 7 Tagen zurück:
das ergibt, wenn wir einen Rasttag annehmen, eine tägliche Leistung
von 4H Kilom. oder ohne Rasttag 41 Kilom. Ich stelle dem zur Seite
einen Fall des Uebergangs über die Alpen. Leo IX. nahm im J. 1053
noch an der Purificationsfeier (2. Februar) in Augsburg theil und be-
fand sich spätestens am 21. in Mantua: ohne die von ihm gewählte
Route zu kennen, dürfen wir die Entfernung doch auf 600 Kilom.
veranschlagen, so dass wir, auch wenn wir nur 4 Rasttage annehmen,
auf jeden Reisetag 40 Kilom. erhalten -).
Glaube ich, auf solche Beispiele gestützt, dem jungen Otto III.
') Liber poutificalis ed. DucheBne 1, 43ü. ''') Vgl. iu den Kegesten des-
selben Jahres 13. März Ravenna und 14. März Rimini (60 Kilom.). — Was ein
einzelner bei grösster Beschleunigung leisten konnte , erfahren wir aus den
Vitae pontif. vom J. 1057. Der Bischof von Albano traf mit der Nachricht von
dem am 28. Juli zu Arezzo erfolgten Tode Victor ü. schon am ;JI. in Rom (über
210 Kilom.) ein.
384 Sickel.
grössere Leistungen zutrauen zu dürfen, als Kehr es tliut, so erschei-
nen mir auch die lleiseu des J. 1000 in etwas anderem Lichte. Ich
bestreite nicht, dass wir es bei dem einen und dem andern Präcepte
mit schlecht überlieferten Daten und bei andern mit nichteinheitlicher
Datirung i) zu thun haben. Aher statt mit Kehr an so und so viel
Daten Anstoss zu nehmen, ziehe ich aus deren Gesammtheit die Fol-
gerung, dass man damals trotz schlechter Wege und ungünstiger
Jahreszeit ziemlich schnell gereist ist. Ich will mit Kehr Aufbruch
von Eegensbiu-g am 7. Februar nach Gnesen und Eintreffen in Magde-
burg bis 23. März annehmen, also für diese ganze Eoute 46 Tage,
An durchgehends aussergewöhnliche Leistungen (Distanzritte)
durch viele Wochen hindurch ist doch nicht zu denken, sondern nur
an gesteigerte normale Leistungen, Dabei werden aber mehr Tage als
Kehr meint, abzuziehen sein, um die Zahl der eigentlichen Keisetage
zu gewinnen, mindestens 11 Rasttage und dazu einige der Erledigung
der Geschäfte gewidmete Tage. Nehme ich somit als Divisor der
Kilometerzahl etwa 33 (Kehr 39) an, so erhalte ich auch einen be-
deutend höhern Quotient als er -). So bestärken mich die Nachrichten
aus dem J. 1000 geradezu in der Annahme, dass Kehr den Massstab
iür die Eeisen Otto III. zu niedrig gegriffen hat.
Doch davon abgesehen habe ich auch mancherlei gegen die Art
einzuwenden, wie Kehr mit der Distauzberechnung operirt, um ver-
wickeitere Itinerarfragen zu lösen. Haben wir es bei diesen zumeist
mit mehreren unsicheren oder vieldeutigen Angaben zu thun, so gilt
es, sich die ganze Reihe von mögliclien Combinationen zu vergegen-
wärtigen, jede derselben liis in ihre Consequenzen zu verfolgen und
schliesslich alle gegeneinander abzuwägen, um sich entweder für die-
jenige zu entscheiden, welche an sich die relativ einfachste ist und
sich zugleich am besten mit der Ueberlieferuiig verträgt — oder um
sich auch nach Beschaffenheit des Falls einer l)estimmten Entscheidung
') Gegen die Häufigkeit clerseHien spricht doch was Kehr zum Schlüsse
dieses Capitels bemerkt. ^) Niemand kann sagen, um wieviel Percente die
lOS.'i Kilom. zu erhöhen sind, welche Kehr als die Summe der in der Luftlinie
gemessenen Entfeniungen angibt. Ich setze also, um das Verhältnis« an einem
bestimmten Beispiele zu veranschaulichen, die Zahl 1560 Kilom. an. Bei der
Vertlicilung auf 39 Tage ergibt sich der Quotient 40, dagegen bei der auf nur
33 Reisetjige der Quotient 48 als durchschnittliche Tagesleistung. Das eine wie
das andere Ergebniss ist ganz unabhängig von dem Ansatz des in (inesen für
Vicenza ausgestellten Diplomes und könnte nur dann modificirt werden, wenn
die Verlängerung dos Aufenthaltes in Regensburg Vtis zum (!. Ft'liruar in Frage
gestellt würde.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 385
zu enthalten. Solcher Mühe und solcher Vorsicht hat sich Kehr nicht
in allen Fällen befleissigt. Er hat zuweilen, sobald sich ihm eine Lö-
sung darbot, andere ebenso nahe liegende gar nicht mehr in Betracht
gezogen und so voreilige und einseitige Entscheidungen gefällt. Wenn
ich ihn schon zuvor zu grosser Hinneigung zur Annahme nichtein-
heitlicher Datirung beschuldigte, so hatte ich dabei auch die zahlreichen
Fälle im Sinne, in welchen Kehr das Verhältniss zwischen dem Zeit-
intervall und der Entfernung bedenklich erschien und in welcher er
dann regelmässig Handlung und Beiirkundung auseinanderhalten will
Dass er so in der Anwendung seines neuen Mittels der Distanzberech-
nung oft über das Ziel hinausgeschossen hat, versuche ich an dem
folgenden Beispiel zu zeigen.
Bezeichnet Kehr, indem er die DD. 152 — 159 aus den letzten
Monaten des J. 994 bespricht, das Itinerar, welches aus den Datirungen
dieser meist noch in Originalen vorhaudeuen ürkimden resultiren
würde, als höchst unwahrscheinlich, so bin ich ganz seiner Meinung.
Fährt er aber fort, dass es in dem einen Punkte geradezu unmöglich
sei, denn in zwei Tagen habe der Hof nicht von Baden-Baden nach
dem Hohentwiel gelangen können, so vermag ich dies nicht zu unter-
schreiben. Und sehe ich nicht wie Kehr in diesem Punkte die Haupt-
schwierio-keit, so kann ich mich auch nicht mit der von ihm für
diese Reihe von Diplomen vorgeschlagenen Lösung befreunden und
becrnüo'en.
Er geht von dem offenkundigen Fehler in der Datirung von
D. 154 aus und will X Villi kal. dec. emendiren in X Villi kal. ian.
Die Berechtigung dazu werde ich nicht bestreiten, da so oft zu den
nach den Kaienden bezeichneten Tagen irrthümlich der Name des
laufenden Monats, statt des Namens des folgenden Monats hinzugefügt
worden ist. Aber ebenso häufig ist eine Zahl durch Zusatz eines Einer
erhöht worden, und zumal ist der Tag nach den Iden, dessen richtige
Bezeichnuno- zwischen XVI und XIX schwankte, oft zu hoch beziffert
worden i). So bleibt uns hier die Wahl zwischen 14. November und
14. December. Dass sich Kehr für letzteren Tag entscheidet, geschieht,
um das zu beseitigen, was er die Hauptschwierigkeit nennt, nämlich
Ritt von Baden-Baden (D. 153 vom 11. November) in drei Tagen bis
nach Hohentwiel. Nachdem er diesen Ausweg gefunden, nimmt er
nicht mehr Anstoss daran, dass der König von Ingelheim nach Baden-
>) Mit Recht redet Kehr 155, wo er aus den Originaldiplomen 0. HI. drei
Beispiele anführt, von Flüchtigkeitsfehlern. C'itirt er nun hier auch D. 154, so
betrachtet er dessen XVÜII für verschrieben statt XVIII, sieht aber später von
dieser Deutung ganz ab.
MittLeüuugeu XII. 25
386 Sickel.
Baden, von da zurück nach Bruchsal, dann aber sofort wieder süd-
wärts gezogen sein soll. Nicht allein das so gewonnene Itinerar
(s. Kehr 240) beanstande ich, sondern noch mehr dessen Begründung.
Handelt es sich vorzüglich um das Verhältuiss zwischen D. 153
und D. 154, so will ich zunächst die zwiefache Voraussetzung von
Kehr gelten lassen, dass D. 153 zu Baden-Baden ausgestellt worden
sei und dass Ort und Tag noch in Anwesenheit des Königs eingetragen
worden und somit auf des letzteren Itinerar zu beziehen seien. Wel-
chen Weg Otto eingeschlagen haben mag um nach Hohentwiel zu
gelangen, sagt Kehr nicht ausdrücklich; aber auch er wird au die
directe Koute Forbach, Reichenbach, Oberndorf, Rottweil i) gedacht
haben, auf welcher etwa 150 Kilom. zurückzulegen waren. Hatte Otto
grosse Eile und hatte er nur geringes Gefolge bei sich, so konnte er
doch wohl in 3 Tagen von Baden-Baden nach dem Hohentwiel ge-
langen. Leider sind wir über den Zweck dieser Reise gar nicht unter-
richtet. Zum Besuche von Schwaben wird vermuthlich der wenige
Monate zuvor erfolgte Tod der Herzogin Hedwig Anlass gegeben haben;
er konnte auch füglich Anlass geben, die Reise bis nach dem Hohen-
twiel auszudehnen. D. 154 legt aber auch den Gedanken nahe, dass
es sich um eine Zusammenkunft mit dem Grafen von Treviso oder
mit anderen Anhängern aus Italien gehandelt habe und dass Otto aus
solchem Grunde seine Reise beschleunigt habe.
Jedoch so vage Vermuthungen spreche ich nur aus, weil Kehr
sich so bestimmt für Baden-Baden erklärt, leider ohne alle Begründung
und ohne ausdrücklich zu sagen, weshalb er das von Stumpf vorge-
schlagene Badeuweiler verwirft, welches weit südlicher und daher auch
Hohentwiel weit näher liegt. Letzteres reicht ja so gut wie Baden-
Baden in Römerzeit zurück und wird es auch erst zu Beginn des
12. Jahrhunderts wieder genannt, so lässt sich doch der Fortbestand
dieser Ortschaft durch alle Jahrhunderte hin annehmeu. Es ist daher
nicht ausgeschlossen, dass Abt und Mönche von Schwarzath den König,
als dieser in die Nähe des Klosters gekommen war, aufgesucht und sich
dem wandernden Hofe angeschlossen haben, bis sie in Badenweiler am
11. November das erbetene D. 153 erhielten. Entscheiden wir uns
also für Badenweiler, so entfällt jedes Bedenken gegen die Zeit- und
Ortsangaben in DD. 153, 154. Dagegen bedarf es dann anderer Deu-
tung der Dath-ungeu von DD. 155, 156 (Bruchsal und 23. November),
als Kehr sie gibt. Brach Otto erst nach dem 4. November von Ingel-
<) Nach Oesterley haben diese Orte um das J. 1000 bereits bestanden; sie
werden also wohl auch durch Strassen verbunden gewesen sein.
Erläuterungen zu den Dix^lomen Otto III. 387
heim auf, so -wird er nach zwei oder drei Tagen in Bruchsal gewesen
sein, also etwa am 8. Hatten nun dort die Aebtissin Mathilde von
Quedlinburg und der Erzbischof Willigis von Mainz vom König Zu-
sagen erhalten, so werden sich diese Destinatare wohl geduldet haben,
bis die Kanzlei am 23. November Müsse fand, die betreffenden Ur-
kunden auszufertigen. Mit der Annahme nichteinheitlicher Datirung
für DD. 155, 156, welche Kehr offenbar nicht in Betracht gezogen
hat, sind alle Schwierigkeiten behoben, und wir erhalten, ohne an der
Monatsangabe in dem Original von D. 154 zu rütteln i), folgendes
einfache Itinerar: Ingelheim am 4. November (D. 152), Bruchsal au
einem der folgenden Tage (Handlung von DD. 155, 150), Badenweiler
am 11. November (D. 153), Hohentwiel am 14. Nov. (D. 154), an
unbekanntem Orte werden DD. 155 und 156 am 23. Nov. ausgefertigt,
Sasbach am 22. December (DD. 157, 158), endHch Erstein, wo Otto
Weihnachten feiert (DD. 159—161).
Hat sich Kehr 237 über mehrere Diplome aus dem April und
Mai 992 und über das Itinerar dieser Zeit vorsichtiger ausgesprochen,
so haben wir doch den schliesslich von ihm gemachten Vorschlägen
nicht beizustimmen vermocht. Die von uns angenommene Erklärung
ist in deu kritischen Noten zu D. 13 und D. 92 gerechtfertigt und
wird von Dr. Erben in anderem Zusammenhang ausführlicher dargelegt
werden. Und so kehre ich hier nochmals zu den Yorstelhmgeu zurück,
welche sich Kehr von den Reisen der Könige gemacht hat. Dass diese
in der Regel von zahlreichem Gefolge begleitet waren und sich deshalb
nur langsamer bewegen konnten, ist gewiss richtig. Aber dadurch
wird nicht ausgeschlossen, dass die Könige sich nach Umständen mit
srerineer Beo-leituuo- beo-nücften und so grössere Strecken in kürzerer
Zeit zurückzulegen im Stande waren. Dass Kehr diese Möglichkeit
gar nicht ins Auge gefasst hat, zeigt u. a. die Besprechung (S. 240)
der auf und nach dem Feldzuge des J. 995 ausgestellten DD. 172 — 175
mit folgenden Datirungen: Mecklenburg September 10; Tollensegau
Oktober 3; Havelberg Oktober 6; Quedlinburg Oktober 8. Erklärt
Kehr die Datirungen von DD. 173, 174 für nichteinheitlich, weil ein
gi-össeres Heer den Weg von jenem Gau bis Havelberg nicht in drei
Tagen und den von Havelberg bis Quedlinburg nicht in zwei Tagen
habe zurücklegen können, so ist diese Begründung liier gewiss nicht
am Platze und so liegt auch keine zwingende Nothwendigkeit vor in
den beiden Urkunden die Ortsauo-aben und die Zeitangaben auseinander
>) Nur XVIIII erkläre ich als verschrieben statt XVIII, was mir als geringerer
Fehler erscheint denn dec. statt ian.
25*
388 Sickel.
zu halten. Es ist ja sehr begTeiflicli, class der junge König den Wunsch
hegte, in Person an einem Kriegszuge theilzunehmen, und dass auch
seine Kathgeber solchem Wunsche Eechnung trugen. Aber wir dürfen
uns deshalb Otto nicht als den Heerführer denken. Er braucht keines-
weo-s mit dem Heere zugleich in das feindliche Gebiet eiugei-ückt zu
sein und er braucht noch weniger, nachdem Erfolge errungen waren,
das Heer auf dessen langsamen Rückmärsche begleitet zu haben. Es
ist vielmehr von vorhinein wahrscheinlicher, dass er den Heimweg mit
o-eringem Gefolge angetreten und mit möglichster Beschleunigung seine
Pfalzen zu erreichen gesucht hat. War er nun zweifelsohne mit dem
Heere erst bis Mecklenburg vorgedrungen und dann Ins in den Tollen-
segau, so konnte Otto, wenn wir* einen Aufenthalt im Süden dieser
Landschaft bis zum ?j. Oktober annehmen, ohne besondere Anstrengimg
in drei Tagen in Havelberg eintreffen. Anders steht es allerdings damit
dass in nur zwei Tagen (Okt. G— 8) die etwa 130 Kilom. betragende
Strecke von Havelberg nach Quedlinburg zurückgelegt worden sein
soll. Hier würde es sich um eine ausserordentliche Leistung handeln,
aber noch keineswegs um eine unmögliche. Für die Heimkehr kann
•recht wohl Vorsorge getroffen worden sein, wie dass Pferde zum
Wechseln bereit standen; andrerseits wird der König durch zwei Tage
hindurch einer grösseren Anstrengung fähig gewesen sein. Zsvar bin
ich gleich Kehr der Meinung, dass die Kanzlei sich Zeit genommen
haben wird, die betreffenden Präcepte anzufertigen, dass sie es wahr-
scheinlich erst in Quedlinburg gethan hat. Die Frage ist dann nur,
wie sie hat datiren wollen: hat sie nur den Ort der Handlung und
daneben den Tag der Beurkundung einzutragen beabsichtigt oder hat
sie trotz verzögerter Beurkundung Ort und Tag der Handlung bei-
behalten wollen ? Da die letztere, d. h. die einheitliche Datirung doch
der Kegel entspricht und im vorliegenden Falle, wenn der von mir
für die Reisen angenommene Massstab richtig ist, denkbar ist, so gebe
ich der Annalune dersell^en auch hier den Vorzug.
Ich habe bisher nur von der einen Art zweitheiliger Datirung zu
sprechen Gelegenheit gehabt. Die andre Art (Kehr scheidet beide
S. 218 recht gut), dass zum Ort und Tag der Handlung das spätere
Jahr der Bem'kundung hinzugefügt wird, will Kehr nur in zwei Ur-
kunden Otto III. augetroffen haben. Dass in Wirkhchkeit auch die
Kanzlei Otto III. bei verzögerter oder wiederholter Beurkundung von
dieser Art der Datirung liäutiger Gebrauch gemacht hat, werde ich im
nächsten Capitel zu zeigen Gelegenheit haben, in welchem ich über-
haupt dasselbe Thema weiter, aber in anderer Weise verfolgen werde.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 389
IV.
Das Itiner.ar der Jalirc 996 und 997.
um HU einer zeitlicli zusammenhängenden Reihe von Diplomen
zu zeigen, inwieweit meine Anordnung derselben von der von Kehr
vorgeschlagenen abweicht, greife ich die Diplome heraus, welche vom
Juni 906 an bis zum Ende des J. 997 ausgestellt worden sind. Wie
Kehr richtig l)emerkt, begann damals die Datirung ins Schwanken zu
gerathen. Kommt dazu, dass manches Präcept schlecht überliefert ist,
und dass einige Ausstellungsorte minder bekannt sind, so tauchen
allerlei Fragen auf, deren richtige Beantwortung um so wichtiger ist,
als es sich im Herbst 996 um Feststellung der Zeit handelt, zu wel-
cher Otto aus Italien nach Deutschland heimgekehrt ist, und im Sommer
997 um Feststellung der Zeit der Slavenkriege. üeberdies habe ich
eine Aufgabe zu lösen, welche sich Kehr nicht gestellt hat. Er hat
seine Untersuchungen auf die Diplome im engeren Sinne beschränkt.
Ich dagegen habe nach dem Plane der Edition auch die Placita,
Mandate und Briefe zu berücksichtigen und habe eine nicht geringe
Zahl derselben gerade in die hier gewählten Jahre einzureihen.
Ich setze also mit dem Zeitpunkte ein, da der Kaiser von Rom
(nach D. 209 hat er dort noch am 31. Mai 996 geurkuudet) auflsrach;
wie Johannes diaconus berichtet, hiuc non procul a Rouiana urbe
discedens, ut remissius illius climatis aestum tollerare quivisset, inter
Caraerinae marchiae alpes aliquid commoratus est i). Passt dazu der
durch D. 213 bezeugte Aufenthalt Foligno am 12. Juni, so wird man
mit Kehr 243 auch Pistria, wie der Ausstellungsort im Original von
D. 214 vom 23. Juni heisst, oder Plistia, wie er im Original von
D. 215 vom 26. Juni heisst, in der Gegend zwischen Foligno und
Camerino suchen. Mir genügt aber aus zwei Gründen nicht, dass
Kehr auf ein heutiges ihm nur aus Amati bekanntes Pistia hinweist.
Ersteus nicht, weil die kurze Angabe Amati's: frazione del comune de
Foligno uns darüber im unklaren lässt, ob diese Oertlichkeit auf dem
Wege von Foligno nach der Mark von Camerino liegt oder nicht ^).
') yS. 7, 30. Zum Theil früher, zum Theil in dem Sommer 99G sind auch einige
Bi-icfe Ottos einzureihen. Ich ziehe es aber vor, von diesen erst in anderem Zu-
sammenhange zu sprechen. -) Ich trage nach, was Kehr nicht ausdrücklich sagt,
dass er Pistia in den Karten, die ihm in Wien zur Verfügung standen, nicht ein-
getragen fand. — In der neuen vom italienischen Gencralstabe besorgten Samm-
lung von Karten ist bisher dieser Theil von Umbrieu noch nicht berücksichtigt
worden Ich habe daher auch jetzt in Rom in der Generalstabs-Bibliothek nur
eine Karte erhalten, welche die Ortschaft Pistia aufweist, nämlich das Blatt G. 12
der vom öst. Generalstab entworfenen und von dem Istituto topografico militare
390 Sickel.
Und zweitens nicht, weil Kehr unterlassen hat, sich die Frage zu
stellen, welche nicht umgangen werden darf, wenn es den Ausstellungs-
ort einer alten Urknnde zu bestimmen gilt, die Frage nämlich, ob ein
heute nachweisbarer Ort gleichen oder anklingenden Namens auch
schon in dem betreffenden Jahrhundert bestanden hat. Darüber und
ebenso über die Lage von Plistia hätte er in dem ihm in Wien zu-
gänglichen Werke Colucci Antichitä Picene genügenden Aufschluss
gefunden: hier (Band 11, S, 1 — 112) ist nämlich eine in Foliguo
1781 erschienene Dissertation des Al)tes Giov. Mengozzi De' Plestiui
Umbri, del loro lago e della battaglia appresso di questo seguita tra
i Rouuini e i Cartagiuesi wieder abgedruckt worden ^).
Wie schon der Titel besagt, hat Mengozzi feststellen wollen, wo
die von Plinius (Nat. bist. 3 cap. 14) erwähnten und der sexta regio
Umbriam complexa zugewiesenen Plestini ansässig gewesen sind.
zu Florenz auf Grund einer im J. 1878 vorgenommenen Terrain-Revision neu
herausgegebenen Karten im Massstabo von 1 zu 75,000.
1) Ich sage gleich hier H. Professor Dr. von Ottenthai Dank für die mamiig-
, fache Unterstützung, welche er mir als dem Herausgeber der Diplomata auch in der
jüngsten Zeit hat zu Theil werden lassen. Da er die Böhmer'schen Eegesten für das
10. Jahrhundert neu zu bearbeiten übernommen hat, berührten sich unser beider
Arbeiten in vielen Punkten. So ging er bereitwilligst auf meinen Vorschlag ein,
während seines Aufenthaltes in Rom im Winter 1889/90 allerlei auf das Itinerar der
üttonen in Italien bezüglichen Fragen nachzugehen, sowohl denen, welche ich in
der Edition der DD. 0. I. und der DD. 0. IL offen gelassen hatte, als denen, auf
welche ich jetzt bei der Herausgabe der DD. 0. III. stiess. Stand ihm doch in Rom
und insbesondere in der Bibliotheca Platneriana ein reiches Material für solche
Untersuchungen zu Gebote. Ich überlasse es ihm, auf die zweifelhaften Ausstellungs-
orte in den Diplomen bis zum J. 983 (so auch auf Plistia in DO. I. 376) zurückzu-
kommen, mache aber mit seiner Erlaubniss gleich hier imd in der Ausgabe von
den Aufschlüssen Gebrauch, welche er mir betreffs der DD. 0. III. ertheilt hat. Was
Plistia anbetrifft, so hatte allerdings auch Ottenthai mich nur auf Colucci ver-
wiesen, da er auf den römischen Bibliotheken die Originalausgabe von Mengozzi
nicht auftreiben konnte. Ich verdanke es einem glücklichen Zufalle, dass ich
diese jüngst in Rom gefimden habe und kaufen konnte. Sie hat vor der zweiten
A\isgabe eines voraus, nämlich die Beigabe einer sehr anschaulichen Specialkarti;
des Terrains zu beiden Seiten der von Foligno nach Camerino führenden Gebirgs-
strasse, im SW. bei Casenove beginnend und sich in NO. bis Serravalle di Chienti
erstreckend. Weitere Aufschlüsse über die gegenwärtigen Ortsverhältnissc ver-
danke ich meinem H. Collegen Bormann. Indem ich aus Mittheilungen desselben
in den Notizie dcgli scavi (Atti doi bincei Ottobre 1890 pag. 315) über Inschriften
aus Colfiorito erfuhr, dass er jüngst an Ort und Stelle gewesen war, konnte ich
mich von ihm auch über die seit Mengozzi's Zeit eingetretenen Veränderungen
belehren lassen. Bormann hat dann auch die Güte gehabt, mir den Conectur-
bogon 103 des Corpus Inscr. XI zuzusenden, auf welchem S. 812—814 die antiken
Inschriften von Plistia abgedruckt worden sind.
Erläuterungen zu den DiiDlomen Otto III. 391
und wo die IIXetattVY] XtpT] zu suchen ist, an welcher laut Appian
(Haunibal. cap. 9) im J. 217 v. Clir. der Proprätor C. Ceutenius ge-
schlagen wurde. Stadt und See, antwortet er, lagen auf der Hochebene
des römischen Appennins, über welche von Alters her die Strasse von
Foligno nach Camerino führte und welche sich erstreckt von Colfiorito,
wo die Strasse die Passhöhe erreicht, bis Serravalle, wo die Strasse in
das Thal des Chienti eintritt. Die Gewässer des einstigen Sees sind
nach und nach abgeleitet worden. Südöstlich von demselben war
im Mittelalter u. a. die Kirche S. Maria di Pistia erbaut wor-
den und zwar, wie die in der Kirche und ihrer Umgebung in
grosser Zahl aufgefundenen Inschriften, Münzen und andere Denk-
mäler bezeugen, an der Stelle der Stadt der Plestini. Die Kirche
als solche ist allerdings zu Beginn unseres Jahrhunderts aufge-
hoben worden, steht aber noch gut erhalten und führt nach wie vor
den Namen Pistia ^).
Mengozzi hat, um die Identität der einstigen Stadt der Plestini
und des heutigen Pistia zu erhärten, auch eine Reihe von diesbezüg-
lichen Notizen aus dem Mittelalter zusammengestellt. Die Acta s. Feli-
ciani (A. SS. 24. Jan.) nennen unter den Städten ümbrieus, in welchen
dieser Bischof das Christenthum gepredigt hat, Plesteas; desgleichen
werden in der Missa s. Feliciani die Plestei erwähnt. Dann führt
Mengozzi DO. III. 215 au und bemerkt mit Recht, dass es sich was
Tag und Ort der Ausstellung anbetrifft, gut an D. 213 anschliesst 2).
Häufiger begegnet der Name seit dem 14. Jahrhundert. Ein Zehnt-
verzeichuiss des vaticanischen Archivs aus den J. 1332 und 1334 redet
von dem rettore della pieve di Pistia. Lehrreicher ist ein Schieds-
spruch vom J. 1345, welcher allerlei Streitigkeiten zwischen den Ein-
wohnern des castrum Collisfloreti, districtus Fulginatensis und denen
der villa Diguani, districtus Camerini schlichten sollte und so auch
den Streit um die divisio laci et plani Pistiae: der ersteren Gemeinde
wird hier die ihr zunächst liegende südwestliche Hälfte des offenbar
schon zum grossen Theile trocken gelegten Sees von der Foligno und
Camerino verbindenden strata publica au bis zu einem der Abzugs-
canäle zugesprochen. Wiederholten sich diese Differenzen und gaben
sie zu neuen Entscheidungen Anlass, so glaube ich aus der einen von
Mengozzi ebenfalls veröffentlichten Urkunde vom J. 1471 noch hervor-
«) Pistia ist von Colfiorito 1, 25 Kilom. entfernt und liegt rechts oder öst-
lich von der bei Colfiorito in die Hochebene eintretenden Strasse. Das Kirchen-
gebäude dient jetzt den Zwecken der Militärverwaltung. ^) D. 214 citirt er
erst in anderem Zusammenhange.
392 S i c k e 1.
lieben zu sollen, dass in ihr nur noch vom planus Pistiae die Rede
ist, der See also bereits ganz al)geleitet worden zu sein scheint i).
Dtiss ich hier so viele Notizen zur Geschichte von Plistia aus
Mengozzi wiederhole, hat seinen besonderen Grund. Schon vor ihm
hatten sich die Localforscher vielfach mit der Frage beschäftigt, wann
und durch wen die alte Stadt der Plestini zerstört worden sein mag;
bald war die Schuld den Gothen, bald den Langobarden, bald auch
den Sarazenen zugeschrieben worden. Bemerkt nun Mengozzi mit
Hecht, dass es an allen positiven Nachrichten fehle, so tritt er ins-
besondere der bis dahin vorherrschenden Ansicht, dass die Stadt schon
vor 900 vom Boden verschwunden sei, mit zwei Argumenten entgegen,
welche er als für den Fortbestand der Stadt den Ausschlag gebend be-
trachtete. Unter den dort gefundenen Münzen befinde sich auch eine
in Pavia und unter dem K. Rudolf IL, also nach 022 geprägte ; ferner
sei ein mehrtägiger Aufenthalt Otto IIl. in Pistia durch zwei Urkun-
den bezeugt-). Da dann aber eine Stadt dieses Namens nicht wieder
erwähnt wird, nimmt Mengozzi die schon von Dorio und Jacobilli
ausgesprochene Vermuthung auf, dass Plistia, wenn es aucli in früheren
Jahrhunderten mehrfach gelitten haben möge, gerade im J. 996 und
von Otto IIL vollständig zerstört worden sei. Der Kaiser, meint er,
welcher zu Anfang Juni Rom verlassen und auf dem Heimwege
am 12. Juni Foligno (D. 213) berührt hatte, werde nicht ohne trif-
tigen Grund von der Hauptstrasse nach Tuscien abgewiclien und in
das Gebirge gezogen sei, sondern werde, da Plistia wahrscheinlich die
Partei des Crescentius ergriffen habe, sich hierher gewandt und in der
Gebirgslandschaft nur deshalb verweilt haben, um die Stadt zu be-
zwingen und vom Erdboden zu vertilgen.
Da dies Mengozzi auch von neuern Geschichtschreil)ern Italiens
nacherzählt worden ist, lohnt es sich wohl, diese Annahme als un-
haltl>ar zurückzuweisen. Bisher ist nicht der geringste Beweis dafür
beigebracht worden, dass Plistia in irgend einem Verhältnisse zu dem
damaligen Patricius Crescentius gestanden habe, noch dafür, dass nach
der Unterwerfung des Crescentius im Mai 990 dem Kaiser, solange er
damals in Rom und dessen Umgebung weilte, irgend welcher Wider-
stand geleistet worden sei. Und wir bedürfen, um den Abstecher von
Foligno nach Pistia begreiflich zu finden, des ganz aus der Luft ge-
') V^'l. Mi'ngozzi 70. — Dersclbo vorweist endlich auf Waddiii<i Ann. minores
Bund -i mit Urkunden für das ebenfalls auf jener Hochebene gelegene Kloster
Brogliano aus den J. 1374—1388, in welchen mehrmals Pistia genannt wird.
'^ Hier citirt Mengozzi ausser D. 215 auch D. 214 und emendirt actum in
Pistoria, wie in beiden Ausgaben von Ughelli gedruckt worden war, in Plistia.
Erläuterungeu zu den Diplomen Otto III. 393
griffeueu Vorschlages von Mengozzi niclit, da uns der ihm noch nicht
bekannte Johannes diaconus die durchaus annehmbare Erklärung bietet,
dass Otto der Hitze wegen eine Sommerfrische aufsuchte. Dass er
dazu Camerinae marchiae alpes ausgewählt haben soll, veranlasst mich
nochmals auf die Ortsverhältuisse einzugehen. Die Grenzscheide zwi-
schen den beiden Grafschaften von Foligno und von Camerino scheint
nämlich auf der Höhe des römischen Appennins und insbesondere auf
der Hochebene zwischen Colfiorito und Serravalle dieselbe gewesen zu
sein, wie heutzutage die Grenze zwischen den nach Foligno und
Camerino benannten Gebieten: Serravalle und Dignano gehören näm-
lich zum circondario und zum mandamento di Camerino, Colfiorito und
Pistia dagegen zum c. und zum m. di Foligno. Somit konnte Jo-
hannes diaconus mit vollem Kechte von einem Aufenthalte inter
Camerinae marchiae alpes reden, falls der Kaiser auch nur etwas über
Pistia hinaus zog, und er würde auch nur wenig gefehlt haben, wenn
sich die Wanderung nicht über den Grenzort Pistia hinaus erstreckt
haben sollte. — Ich bemerke noch, dass das actum in P. in den DD. 214,
215 noch keineswegs die von Mengozzi gezogene Folgerung gestattet,
dass Pistia damals noch den Umfang und die Bedeutung einer Stadt
gehabt habe. Schädigungen der einstigen Stadt durch Menschenhand
oder durch Naturereignisse können auch schon in den früheren un-
ruhigen Jahrhunderten stattgefunden haben. Loealforscher vor und
nach Mengozzi 1) haben mit Eecht die Wahrscheinlichkeit betont, dass
die Stadt vornehmlich durch das Wasser zerstiu-t worden sein wird.
Bis zur Anlage eines grossen emissario im J. 1470 ist die ganze Hoch-
ebene wiederholt überschwemmt worden und so auch in der Folge,
als dieser und andere Abzugscauäle einstürzten und ihre Dienste
versagten.
Nachdem ich, worauf es hier in erster Linie ankommt, die Lage
von Pistria oder Plistia genau festgestellt habe, kehre ich zu dem
Itinerar zurück. Nach D. 200 währte der erste Aufenthalt des Kaisers
zu lioui mindestens bis zum 31. Mai. Erhalten wir dann als nächstes
genaues Datum (D. 213) Foligno und 12. Juni, so ist nicht ausge-
schlossen, dass D. 210 mit verstümmelten Zeitangaben in den ersten
Tagen des Juni ausgestellt worden ist, dass also Otto noch über den
Mai hinaus in Kom geweilt hat. Von Foligno unternahm er den Ab-
stecher in das Gebirge, mindestens bis Pistia, verweilte aber dort nicht
lange. Wahrscheinlich kehrte er über Foligno auf die Hauptstrasse
nach Tuscien zm*ück. Am 12. Juli ertheilte er in ecclesia s. Donati,
') So zuletzt noch Conti Camerino e i suoi contorni (Camerino 1872) 41.
394 S i c k e 1.
d, h. in der Nähe von Arezzo ^) D. 217 und acht Tage darauf zu
Marlia (nördlich von Lucca) D. 218.
Fraglich ist dann wieder der Ausstellungsort von 1). 2111: locus
qui Vicus dicitur. Betreffs der Tagesangabe in dieser Urkunde verlasse
ich mich auf Laschitzer und nehme den 2 1 . Juli an. Davon geht auch
Kehr aus, wenn er den Kaiser von Marlia in der Kichtung auf Mo-
dena aufbrechen lässt und dementsprechend Vicus nördlich von Marlia
und zwar in der Entfernung von einer Tagesreise sucht. Er entscheidet
sich für ein heutiges Vico, welches unweit der Strasse im Liniathale,
bald nachdem diese den Serchio verlassen hat, um dem Laufe der Lima
zu folgen, liegen soll. Die mir zur Verfügung stehenden Karten
macheu hier, d. h. in der Nähe der Bagni di Lucca, kein Vico ersicht-
lich, sondern erst höher im Limathale hinauf ein Vico bei S. Marcello
Pistojese, welches ebenfalls von Marlia aus in einem Tage erreicht
werden kann. Gilt es jedoch auch in diesem Falle ein Vicus nach-
zuweisen, welches nicht allein auf der zweifellos im J. [){)() einge-
schlagenen Route liegt, sondern auch zu dieser Zeit bereits existirt
hat, so bieten uns die zahlreichen älteren in den Memorie di Lucca
abgedruckten Urkunden mehrere zur Grafschaft Lucca gehörigie Ort-
schaften, welche als vici mit oder ohne Zusatz Ijezeichnet werden.
Unter ihnen scheint aber ein ganz nahe bei Marlia gelegenes Vicus
(daher oft Vicus in Marlia, aber auch Vicus prope strata oder Vico
Elingo) besondere Bedeutung gehabt zu haben. Und dieses betrachten
die Localforscher als damalige Residenz des Kaisers : so Puccinelli -),
welcher sich sogar beim Abdruck des D. 219 den Zusatz Vicus . . .
in castello Marliae erlaubt hat und Repetti •'), welcher, was ebenso
richtig ist, von Vico poco lungi della cittä di Lucca redet. Dafür, dass
sie das richtige getroffen haben, spricht wohl auch die Bestimmung
der betreffenden Urkunde für das Kloster von S. Sesto liei Marlia.
Allerdings führt der Weg von Marlia im Serchiothale hinauf an dem
Kloster vorbei, so dass die Mönche ihr Gesuch Otto III. auf dessen
Zug nach Modena unterbreiten konnten. Aber näher liegt doch die
Annahme, dass sie den mehrtägigen Aufenthalt desselben in Marlia
und dem b, nachbarten Vicus benutzten, um jenes Präcept zu erwirken
und sich noch vor dem Aufbruch ausfertigen zu lassen. So geneigt
ich also bin Puccinelli beizupflichten, so habe ich mich doch in der
Diplomafa -Ausgabe vorsichtshalber der bestimmten Entscheidung für
Vicus in Marlia enthalten. Aber gegenüber Kehr, der, wie ich aus-
') Vgl. die Bulle Victor II. JL. 4370: in palatio s. Donati inxta civitateni
Arotinam. -) Cronaca dell' abbadia di Fiorenza (Milano 1(584) 21b" u. 29.
3) Dizionario geogi'. fisico ßtorico della Toscana (Firenze 1833 — 1846) 2, 835.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto IH. 395
drücklich anerkeune, die im Juni uud Juli 996 eingeschlagene Eoute
im ganzen und grossen richtig angegeben und anschaulich gemacht
hat und nur in der Deutung dieses Ortsnamens auf halbem Wege
stehen geblieben ist, halte ich meinen obigen Vorschlag aufrecht.
Weit mehr zweien Kehr uud ich in der Beantwortung der schwerer
wiegenden Frage, wann Otto III. Italien verlassen und wieder deutschen
Boden betreten hat i). Er tritt nochmals für die bisher allgemeine, auch
von Stumpf getheilte Annahme ein, dass D. 225 aus Pavia vom 5. August
996 das letzte in Italien ausgestellte Präcept sei, und dass der Kaiser
bereits am 15. September in Ingelheim oder in Strassburg geurkundet
habe. Ich dagegen setze das in Verona ausgestellte D. 226 zum
11. September 996 an und reihe demselben auch noch D. 227 an.
Um für beide Raum zu schaffen, muss ich vorausschicken, wie ich die
von Stumpf .unter Reg. 1093—1098 verzeichneten Urkunden beurtheile.
Ueber Stumpf Eeg. 1093 brauche ich allerdings kein Wort mehr
zu verlieren, kann also gleich zu D. 229 übergehen, welches Kehr
229 ausführlich besprochen und anders als Stumpf gedeutet hat, jedoch
wie ich bereits S. 378 gesagt habe, auf Grund von Angaben, welche
sich nicht bewähren. Der Ausstellungsort lautet Ingelheim und die
Zeitmerkmale ergeben den 15. September 996. Hier ist es nun nicht
gerade die Entfernung zwischen Pavia (5. August) und Ingelheim,
welche Kehr beanstandet, sondern viel mehr das Reisen in die Kreuz
und die Quer in den folgenden Monaten von Ingelheim nach Bruchsal
und Selz und dann wieder nach Mainz, ein Itinerar, welches auch mir
bedenklich erscheint. Doch mir ist noch bedenklicher dass, wie man
bisher gemeint hat, der Kaiser überhaupt schon so früh in Deutsch-
land einsjetroffen sein soll. Uud dies veranlasst mich el)enfalls die
Frage aufzuwerfen, ob die Datirung von D. 229, obAvohl dem Originale
nichts anzusehen ist, vielleicht eine nichteinheitliche ist.
Ich gehe davon aus, dass Otto in dieser Urkunde au ein Kloster,
welches inWürzburj? an die Stelle der Kilianszelle erbaut werden soll,
') Zu den letzten in Italien ertlieilten Diplomen habe ich nichts zu be-
merken. Ich benutze aber die Gelegenheit, hier die Literaturangabe von Stumpf
zu Reg. 1092 (vgl. auch Cipolla Fonti inedite 72 nr. 282) zu ergänzen, da ich
diese Fälschung in der Diplomata-Ausgabe nicht wieder abdrucken werde. Citirt
nämlich Stumpf nur den einen Druck vom J. 177H, so hätte er mindestens hin-
zufügen sollen, dass grade in diesem Werke der Nachweis geliefert worden ist,
dass die Urkunde eine grobe und ungeschickte Fälschung ist. Zuerst veröffent-
licht ist dieses Machwerk vom Canonicus Francesco Memmo, Vita e macchine
di Bart. Feracino colla storia del ponte di Bassano (Venezia 1754) pag. 2 und
zwar zugleich mit einem Heinrich III. beigelegten und ebenso sinnlosen Diplom
vom 7. September 1100 (Stumpf 2947).
396 S i c k e 1.
schenkt quendam nostrae proprietatis locuni Kosla dictum . . . cum
ommbus pertiueutiis suis, hoc est cum rebus a uobis illuc per prae-
ceptum traditis, dass also auf eiu früheres Präcept Bezug geuoramen
wird. ^Yar dasselbe uach Inhalt und Bestimmung gleich ü. 229, so
konnte sowohl die jüngst erfolgte Kaiserkrönung als die Einsetzung
eines neuen Bischofs in Würzburg Anlass zu wiederholter Beurkundung
geben, ja beide Ereignisse konnten hier zusammenwirken. Dafür, dass
die Kanzlei Otto III. nach der Kröuuncf in Kom für krjnisliche Prä-
cepte Neuausfertigungen unter kaiserlichem Protokoll geliefert hat, hat
bereits Kehr 38 und 215 Belege beigebracht; gibt es deren mehrere,
so begnüge ich mich hier als ebenfalls in die Zeit der damaligen
Heimkehr aus Italien fallend D. 231 (Wiederholung von D. 4) anzu-
führen. In unserem Falle kommt, wie gesagt, noch in Betracht, dass
nach dem Tode Bernwards ein Anverwandter i) desselben Heinrich, der
Bruder des Kanzlers Heribert, am 24. Oktober 995 zum Bischof vou
Würzburg bestellt wurde -), und vielleicht noch ein drittes Moment.
Das frühere Präcept hat nämlich möglicher Weise lediglich Vergebung
von llosle an die bischöfliche Kirche betroffen, so dass es einer neuen
Beurkundung bedurfte, als die Errichtung eines Klosters und die Zu-
wendung von Kosla an dasselbe beabsichtigt wurde. Auch in solchem
Falle sind wir berechtigt von Neuausfertigung zu reden.
Dass nun in Neuausfertigungen die Datirung sehr verschieden behan-
delt worden ist, bald ohne alle Kücksicht auf die Datirung des früheren
Präcepts und bald mit Wiederholung der einen oder der andern An-
gabe der Vor Urkunde, ist bekannt. Sind daher in dieser Beziehung
mehrfache Erklärungen zulässig, so wird sich doch am meisten die
empfehlen, für welche sich jeweilige Bräuche der Kanzlei geltend
machen lassen. Und um diese kenneu zu lernen, brauchen wir uns
nicht auf unzweifelhafte Neuausfertigungen zu beschränken, welche oft
schwer erkennbar nur gering an Zahl sind, sondern können auch alle
die Stücke zu Käthe ziehen, in denen sich die Beurkundung lange
ver/()gert hat, so dass eventuell zwischen Handlung und Abschluss
des Urkundengeschäfts mehr als ein Jahr verflossen ist. So entsteht
hier die Frage ob und wie oft die Kanzlei Otto III. von der Art
nichteiuheitlicher Datirung Gebrauch gemacht hat, Tages- und Orts-
augabe der Handlung und daneben das spätere Jahr einzutragen, in
') Vgl. Ucgg Korogi-aphie von ^Vül•zburg ], 257. '^) Vita Heribcrti in
üS. 4, 742. — Wird in D. 229 Heinrich frcquens et devotum sei-vitiiim nach-
gerühmt, so kann sich dies sehr wohl auf Dienste beziehen, welche er schon vor
seiner Wahl zum Bischof geleistet hatte; die Worte können aber auch aus der
einem seiner Vorgänger ausgestellten Vorurkunde stammen.
Erläuterungeu zu den Diplomen Otto III. 397
welchem das Geschäft zu vollem Abschluss oder iu welchem eiue
Neuausfertigimg zu Stande kam. Kehr S. 218 wusste allerdiugs nur
zwei Fälle der Art anzuführen. Aber es gibt deren eine grössere
Zahl, wie es auch zu erwarten ist, sobald wir uns der Gepflogenheiten
der Kanzlei Otto IL erinnern. Schon die zweite Ausfertigung von
DO, IL 185 uiit übereinstimmend 980 ergebenden Jahresbezeichnungen
wiederholt aus der erster Ausfertigung die Angaben Dornburg und
3. März ^). Auf dem unglücklichen Kriegszuge des J. 982 wurden
viele Präeepte zugesagt, aber sie wurden zum Theil erst im folgenden
Jahre fertiggestellt (s. DDO. IL 2(38—271). Hatten sich damals selbst
die italienischen Notare zu solchem Vorgehen bequemt, so wird es
den Hildibald-Notaren ganz geläufig geworden sein, so geläufig, dass sie
es auch unter Otto III. anzuwenden in Versuchung kamen, so oft häufiger
und schneller Wechsel der Aufenthaltsorte die Erledigung der Geschäfte
erschwerte. So halte ich mich für l>erechtigt, die DDO. III. ebenfalls,
wenn die Einreihung auf Schwierigkeiten stösst, darauf hin zu prüfen,
ob bei ihnen die Annahme dieser Art nichteinheitlicher Datiruug am
Platze ist, und das um so mehr, da ich ausser den schon von Kehr au-
geführten l^eispielen bereits andere wie DD. 13, 226 kenneu gelernt habe.
Auch hier lassen sich noch Unterarten scheiden. Aber vorherr-
schend ist doch, soweit ich bisher sehe, dass Tag und Jahr auseinander
fallen, und des weiteren häufiger, dass der Ort zum Tage gehört, als
dass er zum J-ahre gehört. Letzteres wäre ja für D. 229 annehmbar,
denn der Kaiser, der im November 996 Mainz besuchte, kann damals
auch Ingelheim berührt haben. Der 15. September stände dann für
sich da und könnte einem beliebigen Jahre zugewiesen werden, selbst
996, wenn wir annehmen wollen, dass der neue Bischof von Würz-
burg den Kaiser in Italien aufgesucht habe. Wahrscheinlicher ist jedoch,
dass sich auch in unserem Diplom Orts- und Tagesangabe auf den-
selben Zeitpunkt beziehen. Dann aber kann die von uiir vorausgesetzte
erste Ausfertigung gleichen oder doch analogen Inhalts nicht dem
Bischof Heinrich, sondern sie muss einem seiner beiden Vorgänger
Beruward oder Hugo ertheilt Av^orden sein, entweder im J, 994, in
dessen September Otto, wie wir aus D. 147 (Kehr 226) erfahren, in
der Pfalz Ingelheim weilte und laut dem in Solingen ausgestellten
D. 150 Bernwards Besuch empfing, oder im J. 985 als Otto auf der
Reise von Westfalen nach Baiern Ingelheim berührt haben wird 2).
') Weitere Fälle habe icli in den KrUlut. zu den DDO. [[. Mitili. Erg.
2, 162 angeführt. ^) Vgl. DD. 20 und 21 ; hiefür würde die Publicationsformel
sprechen, welche mit jener der DD. 11, 12, IG", 19 und 21 verwandt ist, während
später der Gebrauch von cunctis nicht wiederkehrt.
398 Sickel.
Für die weitere Frage, in welchem Monate des J. 996 die Neu-
ausfertigung D. 229 zu Stande gekommen oder wenigstens in Angriff
genommen worden ist, kommt in Betracht, dass der schliesshch ein-
fifetrao-ene Monatsname Oktober auf Correctur beruht und dass das
noch sichtbare s entweder auf den Zeitraum vom 14. August bis
13. September oder auf die Tage vom 14. — 30. September hinweist.
Letzteres unter der Voraussetzung, dass der Notar, wie das oft ge-
schehen ist, die von den Oktober-Kaienden rückwärts zu zählenden Tage
des Septembers fälschlich kal. sept. benannt hätte, eine Voraussetzung,
welche jedoch ausgeschlossen ist durch meine Annahme, dass Tages-
und Ortsangabe von D. 229 einer Vorurkunde entlehnt seien, denn
beim einfachen Copiren dieser Angaben entfiel jeder Anlass, die Monats-
namen zu verwechseln. So muss ich in Consequenz jener Annahme
die unbestreitbare Correctur anders deuten, nämlich dahin, dass HF.
zuerst das Datum der neuen Beurkundung eintragen wollte, welches
zwischen 14. August und 13. September fallend . . . sept. zu bezeichnen
war, und dass er erst nachträglich sich entschloss, vielleicht auf höhere
Weisung, D. 229 als mit einem früheren Präcepte zusammenhängend
gleich diesem vom 15. September und aus Ingelheim zu datiren. Das
Erffebniss wäre dann folgendes. Dem Gesuche des Bischofs Heinrich
(ob er dasselbe in Person vortrug oder durch Boten oder ihm be-
freundete Hofgeuossen unterbreiten liess, erfahren wir nicht) wurde,
etwa als der Kaiser in Pavia weilte, Folge gegeben und nach den
Iden des August schritt die Kanzlei 7Air Anfertigung der neuen Urkunde i).
Bevor ich von anderen Urkunden handle, welche damals noch
in Italien ausgestellt worden sind, bespreche ich die nach der Heim-
kehr nach Deutschland ertheilten. Aus D. 231 lese ich heraus, dass
die Notare auf der eigentlichen Wanderung sich nicht gern der Mühe
der Kanzleiarbeit unterzogen, sondern letztere wo möglich hinaus-
schoben, bis sie wieder einigermassen zur Kühe gekommen waren.
Der Abt Gregorius von Einsiedeln hatte persönlich, also doch
wohl als Otto durch die Scliweiz zog, gebeten, dass ihm der Kaiser
') In Anbetracht der Unsicherheit dieser Erklärung ist jedoch D. 229 nicht
zum August des Jahres 996, sondern als letztes der in Italien ausgestellten Di-
plome eingereiht worden. — Ich muss hier noch der zwei unausgefüllten Lücken
gedenken, welche das Original aufweist. Die Auslassung des Namens des Heiligen,
welchem das erst zu errichtende Kloster gewiflmet werden soll, hängt gewiss
nicht mit der Neuausfertigung zusammen. Anders steht es mit der Auslassung
des Namens des Gaues in welchem Rosla gelegen war; sie nöthigt zur Annahme,
dass, falls das frühere Präcept der Kanzlei vorlag, bereits dieses die gleiche Lücke
aufwies, oder dass, wenn nur ein Auszug aus dem früheren Präcepte eingereicht
worden war, in diesem die Angabe des Gaues fehlte. ^
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 399
das Präcept (D. 4), welches er ihm im ersten Jahre seiner königlichen
Regierung ertheilt hatte, erneuere. Lautet nun die neue Urkunde
wörtlich wie die frühere (nur in der Aufzählung der Besitzungen geht
jene etwas weiter), so muss sofort bei Vorlage von D. 4 ein Concept
für D. 231 oder wenigstens eine Abschrift der Vorurkuude von der
Kanzlei angefertigt worden sein, an welche sich dann der Ingrossist
Her. A. gehalten hat. Aber auf der Reise nahm mau sich, wie gesagt,
nicht die Zeit, das neue Diplom auszufertigen. Die Mönche, welche
wahrscheinlich beauftragt waren, dasselbe in Empfang zu nehmen,
mussten sich bis zur Ankunft des Hofes in Bruchsal gedulden, wo
ihnen endlich D. 231 vom 31. Oktober ausgefolgt wurde. Daraus lässt
sich aber auch zurückschliessen auf die Zeit des Uebergangs über die
Alpen. Hätte dieser, wie bisher angenommen wurde, bereits im August
stattgehabt, so hätten die Einsiedler Brüder, welche es an Mahnungen
nicht werden haben fehlen lassen, zwei Monate auf die Erledigung
ihrer Angelegenheit warten müssen. Das ist so unwahrscheinlich, dass
ich auch aus diesem Grunde die Annahme längeren Verweil ens des
Kaisers in Italien vorziehe. Vor D. 231 fällt nun das einzige D. 230
vom 21. Oktober, ohne Ortsaugabe. Ich sagte schon S. 377, dass der
betreflfende Name wahrscheinlich nur in der Copie ausgefallen ist;
sollte er jedoch schon im Original gefehlt haben, so könnte das aller-
dinsfs srerade damit zusammenhängen, dass die Notare noch auf un-
unterbrochener Wanderung begriffen, nachlässig arbeiteten oder auch
nicht recht wussten, wie sie es mit den Angaben von Tag und Ort
halten sollten, eine Unsicherheit, welche auch bei der Ausfertigung
von D. 229 gewaltet zu haben scheint ^).
Ich habe die von Stumpf einst als Reg. 1095 verzeichnete Urkunde
übersprungen, weil ich, wie er selbst dann vorschlug-), dieselbe zum
Mai 1000 einreihe. D. 233 belasse ich trotz der von Kehr 199 ge-
machten Bemerkungen bei dem J. 996. So habe ich nur noch von
D. 232 zu reden. Ich bezeichne dasselbe als Diplom zweifelhafter
') Der Gedankt liegt nahe, dass es zumeist auf Wunsch der Empfänger
der Urkunden geschehen ist, dass mehr oder minder zurückgreifende Daten von
der Kanzlei eingetragen worden sind, obgleich die Ausführung dann so mangel-
haft gewesen ist, dass der Partei daraus kein rechter Gewinn erwuchs. War
z. B. in der Neuausfertigung D. 229 der 15. September als Tag der vorausge-
gangenen Beurkundung wiederholt worden, so konnte damit nicht erwiesen wer-
den, dass die Schenkung bereits am 15. September 985 oder 994 erfolgt war;
es hätte dazu des fi-üheren Präcepts oder anderer Documente bedurft. Trotzdem
will ich gerade hier auf das ins Spiel kommende Interesse des Empfängers hin-
weisen, weil noch eine zweite Urkunde Otto lll. für Würzburg vom J. 1000
(s. Kehr 251) analog behandelt worden ist. -) So auch Ficker Beitr. 1, 160 u. 2, 515.
400 Sickel.
Geltung, betrachte aber das ganze Escliatokoll als von HF. geschrieben
und die Datirung als durchaus gesichert, auch abgesehen davon, dass
sie mit der von D. 231 so gut wie übereinstimmt. Bruchsal ist somit
der erste uns genannte Aufenthaltsort des Kaisers nach seiner Kück-
kehr nach Deutschland. Weisen wir ihn aber unter der Voraussetzung,
dass Ingelheim und 15. September in D. 229 nicht wörtlich zu nehmen
sind, in Deutschland nicht früher nach als am 21. Oktober (D. 230)
und erhalten Avir als erste genaue Itinerarsangabe nach dem Ueber-
schreiten der Alpen Bruchsal am 31. Oktober (D. 231), so steht nichts
mehr im Wege,- den Kaiser bis weit in den September hinein in Ober-
italien weilen zu lassen, und so habe ich mir den Weg gebahnt, die Da-
tirung von D. 22ß anders zu deuten als es Kehr gethan hat und aus ihr
herauszulesen, dass Otto III. noch am 11. September 996 zu Verona war.
Aus den Erörterungen Kehrs 262 — 264 über D. 226 hel^e ich
zuerst drei Sätze hervor, welche ich ohne jeden Vorbehalt unterschreibe :
diese Urkunde ist inhaltlich unanfechtbar; die vorliegende Fassung
kann jedoch erst im J. 1001 entstanden sein; weisen aber die Jahres-
bezeichnungen auf frühere Zeit, so muss auch hier nichteinheitliche
Datirung beliebt worden sein. Es gilt zu untersuchen, welche be-
sondere Art solcher Datirung hier Platz gegriffen hat, wie demnach
die Datirung zu deuten und das Präcept einzureihen ist, eine Unter-
suchung, welche durch die mangelhafte und unsichere Ueberlieferung
erschwert ist. Dass ich nun das von Kehr gewonnene Ergebniss : Otto
habe, als er etwa im April 996 zu Verona Hof hielt, dem Bischöfe
von Coucordia die Bestätigung der Besitzungen und Kechte seiner
Kirche zugesagt, habe ihm aber erst am 11. September 1001 während
des damaligen Aufenthaltes in Kavenna D. 226 anfertigen und aus-
folgen lassen^), ablehne, geschieht aus doppeltem Grande: ich bin über
die handschriftliche Ueberlieferung besser als Kehr unterrichtet und ich
erl)licke nicht wie er in D. 229 ein Hinderniss, eine einfachere und
den damaligen Bräuchen mehr entsprechende Lfisung vorzuschlagen.
Kehr hatte allerdings, als er dieses Diplom bearbeiten wollte, die
vier Copieu, über welche unser Apparat bis zum J. 1888 Aufschluss
gab, ungenügend befunden und hatte veranlasst, dass zwei nochmals
verglichen wurden; aber wie sie sich zu einander verhalten, war ihm
doch nicht klar geworden. Schlimmer war, dass er üliersehen hatte,
dass Ottenthai als neueren Druck eingetragen hatte: Degani La diocesi
di Concordia (S. Vito al Tagliamento 1880) 86 und damit auf eine
') Somit soll sich Verona allein anC die Ilancllnng beziehen, alle Zeitangaben
dagegen aollen dem Zeitpunkt der Beurkundung entsprechen.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 4Qj
ältere jedenfalls noch zu benutzende Copie aufmerksam gemacht hatte i).
Einmal auf dieses üebersehen aufmerksam gemacht, stiess ich in De-
gaui auf die Spur einer zweiten älteren Abschrift. Wer nun nur
eiuigermassen die Beschaffenheit der ürkundenabschrifteu kennt, welche
von den Venetianischen Forschern der letzten Jahrhunderte in grosser
Anzahl angefertigt worden sind, wird es nicht versäumen, der Ueber-
lieferung über sie hinaus nachzugehen, um eine sicherere Grundlage
zu gewinnen. Letzteres ist mir auch in diesem Falle gelungen. Die
eine und die andere Variante in der Datirungszeile, auf welche es be-
souders ankommt, ist beseitigt. Erscheineu doch noch einzelne Worte und
Zahlen auch in den älteren Copien verderbt, so liegt deren Emendation
nahe. Die Hauptsache aber ist, dass auch bei D. 22G die anomale Datirimo-
verbürgt ist, so dass die Aufgabe sie zu erklären nach wie vor besteht.
Die älteste bisher aufgefundene Copie (B) ist die von Degaui be-
nutzte im Archivio della mensa capitolare in Portogruaro. Sie ist zu
Ausgang des 13. Jahrh. auf Papier geschrieben. Dieses einst gefaltet
und so auch in der Richtung von obeu nach unten, hat sich mit der
Zeit in zwei Hälften zerlegt, deren Ränder mehr oder minder ver-
modert sind, ein Schaden, welcher nicht mehr gut zu machen war,
als man später die beiden Hälften auf stärkeres Papier aufklebte. Es
finden sich also in der Mitte der Zeilen mehrere Lücken, namentlich
in dem unteren Theile. B weist zwei äusserliche Merkmale auf, welche
offenbar einem Original aus dem J. 1001 nachge])ildet worden sind,
nämlich die Verschränkung des Namens Otto (wie in KU. in Abbild.
9, 12; s. Kehr 101) und das kaiserliche Monogramm. Doch halte
ich B nicht für eine unmittelbar aus der Kanzleiausfertigung geflossene
und authentische Copie, denn solche würde im 13. Jaln-h. wohl auf
Pergament geschrieben und mit einer Beglaubigungsturmel versehen
worden sein. Aber obwohl nur Copie zweiten oder dritten Grades,
erweist sich B als die beste unter allen Ueberlieferungsformen, so dass,
nur weil sie lückenhaft ist, für die Edition andere Abschriften zu Hilfe
zu nelimen siud.
Der Zeit nach folgt D, eine Copie des 14. Jahrh. in Form eines
Transsumtes, welches eingeheftet ist in den Cod. Bibl. Marcianae lat.
cl. IV. nr. 52 -). Aus den Schlussworten erfahren wir, dass auf Ge-
heiss des Bischofs Petrus von Concordia (1348— 13G0) Jacobus Bar-
tholomei de Portunaonis imp. auct. notarius ... de quodam exeuijdo
') Dies Buch befand sich überdies in der lustitutsbibliotliek. '^) Neue
Signatur VIII. 110. — kli ziehe vor, mich hier der iilteren Bezeichnungen zu
bedienen, weil .sie den Vergleich mit den Angaben von Pertz, Bethmann u. a.
erleichtern.
Mittheiluugen XII. 26
402
Sickel.
einen Transsimt anfertigte. U ist aber keineswegs der Origiualtrans-
sumt, sondern nur zweites Exemplar oder Abschrift eines solchen. Das
ero-ibt sich aus dem Verhältuiss zu einer andern Ueberlieferuugsform,
welche uns zugleich erklärt, was zur Transsuminmg unter dem Bischof
Petrus Anlass gab.
Das Museo Concordiese zu Portogruaro besitzt in einem Perga-
mentcodex eine Reihe von Urkundenabschriften, welche gelegentlich
einer Lehensstreitigkeit dem Officio del luogotenente della patria vor-
gelegt wurden und unter diesen die Abschrift eines Diploms Karl IV.
für Concordia (Prag 1.353 August 11) i), in welches das Präcept
Otto III. inserirt ist (C). Lauten nun C und D wesentlich gleich, so
gehen sie offenbar auf denselben kurz vor 1353 angefertigten Trans-
sumt zurück. Fragen wir aber nach der Vorlage dieses uns nicht
erhaltenen T 2), so erhalten wir über deren Beschaffenheit aus C und
D die gleiche Auskunft. Im Diplome Karls wird nämlich nicht mit
einem Worte gesagt, wie das sonst üblich war, dass das Privilegium
Ottonis irgendwie ]3eglaubigt gewesen sei. Dasselbe gilt aber auch
von dem auf Geheiss des Bischofs transsumirten exemplum : wäre das-
selbe mit einer Authenticitätserklärung versehen gewesen, so würde
die auch in dem neuen Transsumte wiederholt worden sein. Schon
das legt den Gedanken nahe, dass unser B Quelle von T und somit
auch von den aus T geflossenen C und D sei. Und das wird vollauf
bestätigt durch eine Prüfung der drei Texte. Der Varianten gibt es
viele. Aber sie sind von geringem Gewichte und reichen nicht weiter
als es bei minder sorgfältigem Copieren im 14. Jahrh. der Fall zu
sein pflegt. Den Ausschlag gibt, dass C und D gewisse Fehler mit B
gemein haben. Was daraus zu folgern ist, habe ich schon zuvor ge-
sagt: wir haben uns an B zu halten und lediglich die Lücken des-
selben nach C oder D auszufüllen.
Ueber drei jüngere Copien ist nur wenig zu sagen. Zwei, E
und F, finden sich in Sammlungen von Fontanini, nämlich E im Cod.
Font. ur. 78 pag. 229 in der Coramuualbibliothek zu S. Daniele, und
F im Cod. Font. IL 647 pag. 429 des k. Staatsarchivs zu Venedig.
•) Von Degani 1. c. nach einer Jüngern Absclii-ift veröffentlicht. — Herr
Canonicns Degani, welcher bereits Dr. Tangl hei seinem Besuche in Portogruaro
sehr freundlich unterstützt hatte, hatte auf mein Ansuchen die Güte in Porto-
gruaro und in Venedig dem Original des Diploms vom J. 1353 oder älteren Co-
pien dieses und des Ottonischen Diploms nachzuspüren. Bisher fand er nur jenes
MS. auf, aus dem er die ganze Urkunde Karls liir uns cojiirte. '-') Vermuth-
lich wurde T der kaiserlichen Kauzlei eingesandt und ist dort nach erfolgter
Insertion verloren gegangen.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 403
Beide sind nach D augefertigt, weisen daher gleicl] D in der Datiruiig
die unrichtige Mouatsangabe april. auf. Kommen sie neben D für
den Editor gar nicht in Betracht, so gilt das in noch höherem Grade
von der Abschrift G (17. — 18. Jh.) im Cod. Bibl. Marc. lat. cl. XIV
nr. 28 pag. 265. Als Bethmann den Druck von Ughelli i) mit G
verglich, hatte er ein einziges Wort und eine einzige Zahl zu ver-
bessern. Man könnte also zunächst daran denken, dass G aus Ughelli
copirfc sei. Kichtiger ist wohl die andere Erklärung, dass G von einem
Manne stammt, welcher Coleti diese Urkunde behufs Ver()ifentlichuug
zusenden wollte, den handschriftlichen Text aber zuvor emendirte -).
Von der Datirung ist nun in B noch zu sehen : anno dorainice
ine . . . nongentesimo . . . anno regis Ottonis tercii VIII, imperii vero
primo ; actum vero et dictum ad s. Zenonem in civi .... III. id. sep. ;
feliciter amen. C stimmt damit überein und füllt die zweite Lücke
aus mit LXXXVI indictione und die dritte mit civitate Verona. Da-
von weicht D nur zum Schluss ab, indem es bietet in civ. Verona
ad s. Z. III. id. apr. ; felicitate amen; wird hier die Flüchtigkeit des
Copisten offenkundig, so kann ich der Lesart apr. keinen Werth bei-
legen. Gemeinsam ist also BCD die Auslassung der Römerzinszahl
und a. r. VIII, und übereinstimmend bieten C D 986, während a. imp. I.
erfordert a. r. XIIT, a. ine. 996. Ich meine, dass gegen die Emendation
durch Einschaltung von X in die Zahl der Incarnatioiisjahre und durch
Aenderung des überlieferten VIII in XIII keine Einwendung gemacht
werden kann. Will man Aveitergeheu, so kann man noch ind. IX oder
auch X ergänzen; doch ich ziehe vor, die vielleicht schon im Original
vorhandene Lücke unausgefüllt zu lassen.
Die Zulässigkeit der Annahme, dass Otto III. im September 996
noch in Verona geweilt habe, habe ich zuvor dargethan. Für die
') Tom. 5, 327 der 2. Ausgabe vom J. 1720. — In der ersten Ausgabe fehlt
nocb das Diplom. ^) So sind die BCD gemeinsamen Fehler favencium (statt
favente), dictum (datum) u. a. verbessert worden. Desgleichen sind in C und D
fehlende Worte (z. B. componat, magna parvaque persona) ergänzt worden. Ein-
mal findet sich ein Emendationsvorschlag durch vel eingeleitet in Klammer. Der
Bearbeiter hat sich besondere Mühe gegeben, nach seinem Wissen die Diitirung
in Ordnung zu bringen : die Jahresangabe 989 (statt dessen in Ughelli 988) stammt
von ihm. Ist nun auch hier die Beglaubiguugserklärung des Notars Jacobus
Bartholomei wiederholt, so könnte mau G als auf D fassend betrachten. Dazu
passt jedoch nicht, dass G die richtige Lesart sept. bietet. Es müssten also
nebenbei B oder C benutzt worden sein. Die Annahme, dass um 1700 noch T
zur Verfügung gestanden habe, erscheint mir unzulässig, denn um diese Zeit hat
man in Venedig bereits alle (Sorgfalt auf Erhaltung des archivalischen Materials
angewandt und würde T nicht in Verlust gerathen lassen haben.
26*
404 S i c k e 1.
weitere Annahme, tlass er damals dem Bischöfe von Concordia eine
Urkunde ertheilt oder wenigstens zugesagt habe, lüsst sich geltend
machen, dass sich der Kaiser angelegentlich mit den Verhältnissen und
Zuständen im Friaul beschäftigt hat. Zu der Kegelung der Beziehungen
zu Venedig kommt die dem Patriarchen von Aquileja am 26. Juni
ausgestellte Bestätigungsm*kunde, welcher am 5. August die dem Bi-
schof von Treviso gewährte Confirmation folgte. Bei der Unterordnung
von Concordia unter Aquileja lag es nahe auch für jenes zu sorgen.
Besonderen Anlass mochte der Streit zwischen Venedig und Belluuo,
über den Johannes diaconus ausfühi'lich berichtet ^), darbieten : han-
delte es sich bei diesem um Besitzungen in der Nähe von Oderzo und
am rechten Ufer der Livenza und war der Kaiser geneigt diese dem
kleinen Nachbarstaate zuzusprechen, so musste dem Bischöfe von Con-
cordia daran gelegen sein, für seinen am andern Ufer der Livenza
gelegenen Besitzungen sich einen neuen Rechtstitel zu verschaffen.
Setze ich nun mit Kehr die Ausfertigung der uns überlieferten
Urkunde in das J. 1001, so sind zwei Möglichkeiten ins Auge zu
fassen : es mag im J. 99G im Augenblick des Aufbruchs nach Deutsch-
-land nicht zu der versprochenen Beurkundung gekommen, sondern
eine Verzögerung von Jahren eingetreten sein — oder es mag aus
irgend einem Grunde nach Jahren eine Neuausfertigung beliebt wor-
den sein. In beiden Fällen moclite der Bischof es seinem Interesse
mehr entsprechend finden, dass in dem Diplom vom J. 1001 der Zeit-
punkt verewigt werde, in dem ihm der Kaiser seinen Besitz bestätigt
hatte, d. h. der 11. September 996. Und das kann die Kanzlei be-
stimmt haljen, der Datirungszeile eine andere Fassung zu geben, vor-
ausgesetzt, dass diese schon von dem Original geboten wurde. Hier
liegt die Sache nicht wie bei den anomalen Datirungen unter Otto I. -),
dass gewisse Notare eine Zeit lang sich nicht an die Hegel und das
Herkommen gebunden haben, sondern actum vero et datum •'') findet
sich in keinem zweiten Diplome Otto III. und lässt daher auf bewusste
und absichtliche Abweichung schliessen.
Auf D. 226 lasse ich dann unmittelbar (also als D. 227) die Ge-
richtsurkunde folgen, welche bisher nur von Stumpf Acta inedita
621 nr. 442 veröffentlicht worden ist, und zwar in einer AVeise emen-
dii-t, welche die sich dem Leser aufdrängenden Bedenken nicht behel)en
konnte, sondern vielmehr steigern musste 4). Zweifel an der Eclitheit
«) Vgl. Kohlschütter Venedicr 03. 2) Mittheilungen 2, 271 nnd Ficker
Beitrüge 2, 393. •'') Denn so wird doch das in B gebotene und von CD
wiederholte dictum zu eracndircn sein. ■•) In Folge einer zweifachen Verwechs-
lung hatte Stumpf auch die Auffindung des zu Grunde liegenden Exemplum
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 405
hat Stumpf offenbar nicht gehegt. Machte ihm aber die Datirung:
996 November 23. insofern SchAvierigkeiteu , als er Heimkehr des
Kaisers nach Deutschland im September annahm, so glaubte er dieselbe
zuversichtlich durch Verbesserung der allerdings emendationsbedürftigen
Namen beheben zu können.
Ich berichte gleich hier über die Entstellung der Namen und
Titel in dem Transsumte. Da sich der obere Theil desselben nicht
erhalten hat, lernen wh- die im Eingänge der Urkunden genannten
Beisitzer nur aus den Unterschriften kennen. Und da folgen auf die
des Eribertus iudex et notarius domini imperatoris, welcher die notitia
aufgesetzt hat, zwölf Unterfertigungen. Die des Kaisers, des Ardingus
comes palatinus, des Tebaldus dux et marchio, des d. Henricus dux
erscheinen als nicht eigenhändig, sondern werden eingeleitet durch
signum f manus etc. Dagegen erscheinen als autograph die Unter-
schriften von fünf Bischöfen, respective Erzbischöfen, vom Grafen
Odelrich (diese schicken ihren Namen ein Kreuz voraus) und von zwei
iudices, die sich ihres Notariatszeichens bedienen. Werden uns so als
Beisitzer genannt Johannes Aquileiensis patriarcha ^), llozo Triv, (zu
verbessern Tarvisieusis) episcopus, Lanbertus Vicentinus episcopus, so
exempli ex auctentico rellevati, d. h. eines Transsumtes vom J. 1283 erschwert.
Er gab nämlich an : im Bischofsarchiv zu Verona durch L. Bethmanu, aus den
Papieren der Mon. Germ, historica. Auf Bethmann mag ihn gebracht haben,
dass dieser im Archiv 12, 663 D. 227 als in Handschriften Bianchinis verzeichnet
aufzählt. Dass sich dort keine Abschrift findet, bezeugt Cipolla Fonti inedite
72 nr. 288, indem er das Placitum als nur aus Stumpf bekannt anführt. Aber
die einzige Abschrift im alten Monumenta- Apparate ist von Wattenbach geliefert
worden, welcher am Kopf bemerkt hat: ex trauss. a. 1283 in arch. caes. So hat
Wattenbach regelmässig das H. H. und Staats-Archiv in Wien bezeichnet. Wahr-
scheinlich las Stumpf ex arch. cath. und machte daraus, weil in dieser Gerichts-
urknnde der Bischof von Verona eine Rolle spielt, das Bischofsarchiv zu Verona.
— Sobald mir die Abschrift Wattenbachs zu Gesichte kam, durchschaute ich
den doppelten [rrthum. Eine Anfrage im Wiener Archiv ergab aber, dass auch
dieses Stück im J. 1868 an die italienische Regierung ausgeliefert worden war.
Wandte ich mich deshalb au die Dircction des k. Staatsarchivs in Venedig, so
erhielt ich von dort freundliche Auskunft und genaue Copie von der Hand des
H. Archivars R. Predelli. — Als Fundort und jetzige Signatur sind angegeben:
Archivio di stato in Venezia; Archivio del convento de' ss. Nazzaro e Celso, per-
gamene, colto I, mazzo I, rotolo 2. — Die beiden mir jetzt zur Verfügung
stehenden Copien weichen kaum von einander ab und stimmen gerade in den
am meisten anstössigen Namen überein, welche somit bereits im Transsumt von
1283 verderbt waren.
') Den Transsumt bezeichne ich mit A, die xVbschrift Wattenbachs mit A',
die Predelli's mit A^. Hier bietet A* Aquiliensia, A- Aquileiensis. Im folgenden
Triviavensis A', Triuianensis A-.
406 S i c k e 1.
sind liier die damaligen Inhaber der betreffenden biscbrtfliclien Stühle
richtig angegeben. Dagegen sind in A entschieden schlecht überliefert
die Namen in den l)eiden gleich nach der Unterschrift des Patriarchen
folgenden Unterfertigungen. In dem Stumpf vorgelegenen A^ lauten
sie: Keginpreth dei gratia Maguthensis archiepiscopus, Rothpert Tre-
verensis archiepiscopus i). Ohne weiteres machte Stumpf aus beiden
archiepiscopi episcopi, ersetzte aber die überlieferten Xamen der Sprengel
durch Pergamensis und durch Spirensis um dieselben in Einklang mit
den Personennamen zu bringen. Ich behalte mir meine Emendations-
vorschliige vor, um gleich zu verfolgen, wie Stumpf den von ihm an-
genommeneu E. Spirensis zu verwertheu versuchte.
Die Betheiligung des Bischofs von Speier, sagt er, macht Ver-
handlung auf Speierer Diöcesangrund wahrscheinlich, wie ja auch
unter Heinrich II. Keg. 1441 ein Placitum in italienischer Angelegen-
heit in Deutschland (nämlich zu Neuburg an der Donau) unter Be-
theiligung deutscher Reichsfürsten abgehalten worden ist. In den
Acta ined. verliert Stumpf kein Wort mehr über die Datirung, da
allerdings der Annahme des ilufenthalts des Kaisers am 23. November
996 im Sprengel von Speier (vgl. Kehr 229) nichts im Wege steht;
nur in den Regesten fügt er hinzu: ob nicht ein Fehler im Tages-
datum? — Dass sich nach Stumpf jemand über diese Einreihuug ge-
äussert, ist mir nicht bekannt. In den Nachträgen hat Ficker 2, 493
von dieser Urkunde Gebrauch gemacht, aber ohne sich über die Da-
tirung oder über die Glaubwürdigkeit auszusprechen.
Für die Richtigkeit der ülDcrlieferten Worte Maguthensis archi
episcopus und Trevereusis archiepiscopus wird wohl niemand eine Lanze
einlegen wollen. Aber Stumpfs Aenderungen fordern zum Theil die
Kritik geradezu heraus. Nm* die Möglichkeit der Vertauschung von
episcopus mit archiepiscopus gebe ich im vorhinein zu. Bei den vor-
ausgehenden Namen wird aber doch zu fragen sein, ob die einge-
schlichenen Fehler sich irgendwie aus Verlesen der als m-sprünglich
supponirten Namen erklären lassen. Und da will mir, selbst wenn
ich Mittelglieder zwischen der Urschrift und dem Transsumt von 1283
annehme, nicht einleuchten, wie aus Pergamensis Maguthensis und
aus Spirensis Treueciensis werden konnte. Und dass auf der kühneu
Emendation Spirensis alles weitere beruhen soll, nöthigt uns zu ge-
nauer Prüfung dessen, was Stmnpf zu Gunsten seines Vorschlages
beibringt.
') So Wattenbach in der bereits für den Druck hergestellten Abschrift,
daneben jedoch am Rand wohl als Lesart von A Treueciensis. — Abweichend
in A*: Maguchensis ; dagegen ebenfalls Treueciensis.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 4QY
Den Hinweis auf Stumpf 1441 als auf einen analogen Fall muss
ich als durcliaus verfehlt bezeichnen. Laut dieser Gerichtsurkunde vom
2. April 1007 kamen, als Heinrich IL zu Neuburg an der Donau Hof
hielt, die Aebte von Monte Amiata und 8. Antonio, um gegen den
Bischof von Chiusi zu klagen, der ebenfalls anwesend und Kede und
Autwort zu stehen bereit war. Als an der Verhandlung theilnehmeud
werden genannt der Bischof von Trieut, vier Aebte aus Italien, wohl
auch Laien dieses Landes; die deutschen Fürsten dienten hier wie in
Italien nur zur Verstärkung der Bank der Beisitzer. Damit vergleiche
mau nun den Vorgang vom J. 096. In erster Linie kommt es doch
auf Kläger und Beklagte an: das sind die homines de Illasi et Coloniole
et Calderii et Porcile ^) und andererseits die homines de Grepeto.
Sollten die ersteren um Keclit zu suchen die Zeit verpasst haben, da
der Kaiser in Oberitalien weilte, sollten sie insgesammt dem Kaiser
bis in die Gegend von Speier nachgezogen, uud sollten dann auch
gleich die Gegner an Ort und Stelle gewesen sein und desgleichen
mehrere Bischöfe und Beamte aus Italien? Ist das von vorhinein
undenkbar und müssen wir die Gerichtsstätte in oder bei Verona
suchen, so ist der Spirensis episcopus nicht am Platze und so ist die
Datiruug bedenklich.
Soweit die Urkunde erhalten ist (mit dem Eingang fehlt auch die
Ortsangabe), macht zunächst der Coutext den günstigsten Eindruck 2).
Desgleichen entspricht das Eschatokoll dem langobardischeu Formulare
in allen Punkten bis auf einen: wir stossen hier nämlich auf die Be-
sonderheit eines kaiserlichen Monogramms Ottos uud zwar eines Mono-
gramms neben der Unterfertigung signiun f manus d. imp. Otonis
qui hoc Signum crucis fecit ^). Dasselbe ist auch angekündigt, indem
die übliche, auf die Anfertigung der notitia pro securitate bezügliche
Schlussformel hier umgewandelt ist in: et hac noticia qualiter acta est,
pro securitate Othbertus sagacissimus episcopus et Ilasienses signum
imperatoris fieri rogaverunt. Ein gleicher Fall ist mir noch nicht be-
kannt, aber docli analoge.
Gerichtlich anerkannte Besitzungen oder Eechte Averden ja zumeist
wie hier dm'ch Königsbann gesichert. Aber die siegreiche Partei be-
gnügt sich damit noch nicht. Sie erwirkt zuweilen noch ein ilir Recht
ausdrücklich Ijestätigendes Präcept ^). Oder sie sucht noch besondere
Bekräftigung der Gerichtsurkunde seitens des Vorsitzenden Könitjs nach.
') Alle diese Ortschaften östlich von Verona. *) Das ist auch Fickers
mir brieflich mitgetheilte Ansicht. 3) Solche Unterfertigung reicht also weiter
zurück als Ficker Forsch. 1, 294 annahm. <) So DO. II. 255, in welches die
Gerichtsurkunde inserirt worden ist.
408 S i c k e 1.
DO. IL 266 z. B., obwohl uur Bericht eines Abtes über eine ge-
richtliche Entscheidung zu seinen Gunsten, ist auf Geheiss des Kaisers
von seinem Kanzler gefertigt worden. Und das Placitum DO. I. 405
endet mit der Corroborationsformel : quod ut vt^rius ab omnibus cre-
datur, nostro sigillo sigillari iussimus. Von diesen Stücken unterscheidet
sich also 1)0. III. 227 nur dadurch, dass eine andere Art der Beglaubi-
gung 1) beliebt worden ist.
Im Hinblicke auf die Datirung will ich gleich hier bemerken,
dass mir Nachtraguug sowohl des Handmals als der auf die Unter-
fertigung des Notars folgenden Zeile siguuni m. d. imj). Otonis u. s. w.
ausgeschlossen scheint. Das Monogramm folgt unmittelbar auf die
Ankündigung desselben, und dann erst heisst es quidem et ego Eri-
bertus iudex et notarius d. imperatoris ex iussione . . . scripsi. Doch
mehr spricht für sofortige Unterfertigung eine andere Erwägung,
Waren etwa Bischöfe zu einer Synode zusammengetreten, so blieben
nicht jedesmal alle so lange beisammen bis ihre Beschlüsse redigirt
und in Eeinschrift gebracht waren; die betreffende Urkunde pflegte
dann in Circulation gesetzt zu werden, um von den Betheiligten unter-
schrieben zu werden. Aber so umständliches Verfahren kann bei
schlichten Gerichtsurkunden nicht angewandt worden sein und am
wenigsten wird man sie aus Italien nach Deutschland gesandt halben
um Handmal und Handzeichen des Kaisers einzuholen. Das letztere
muss, sobald die Urkunde geschrieben war, von dem noch an Ort und
Stelle oder doch in der Nähe weilenden Kaiser erbeten worden sein,
so dass es uns ebenso wie die directe Kede des Kaisers die Anwesen-
heit desselben an der Gerichtsstätte verbürgt. Ich sagte schon, dass
ich diese in oder bei Verona suche. Auch Pavia, wo wir Otto bis
Anfang August weilen sahen, scheint mii' für diese Verhandlung zu
entlegen. Eine Handhabe, darüber zu entscheiden, bieten uns vielleicht
die hier genannten Personen, auf die wir ohnehin um die zum Tlieil
entstellten Namen zu berichtigen näher eingehen müssen.
Als Wortführer der Kläger tritt J3ischof Otbert von Verona auf.
Der Notar, welcher D. 227 aufsetzte, ist wohl identisch mit dem 988
in Bergamo genannten Aribertus iudex sacri palatii und mit dem 1000
in der Grafschaft Lodi auftretenden A. notarius et i. s. p. -). Betreffs
') Vgl. Ficker Beitr. 2, 493 und Seeliger in Mitth. II, 402. Bezeichnet
letzterer ib. 405 es mit Recht als zweifelhaft, dass D( ). 111. 227 ^'^c^handl^ng einer
italienischen Angelegenheit in Deutschland bezeuge, so hat er übersehen, dass
auch im Jahre 1007 lediglich Zufälligkeiten den Ausschlag gegeben haben.
-) Ficker Forschungen 4, 47 nr. 34 und Muratori Ant. 1, 455. — Von diesem zu
unterscheiden ist Ottos Kanzler für Italien: Eribertus cancellarius in Ficker ib. nr. 38.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 409
des Patriarclieii Joliauu von Aquileja und der Bischöfe Rozo von Tre-
viso und Lambert von Viceuza ist nur zu bemerken, dass sie liäuiig
in Verona, Vicenza, Ceneda u. s. w. zu Gerichte sitzen i). Gehe ich zu
den Laien über, so bedarf der Henricus dux -') keiner Erklärung, und so
weiss ich über den Odelrich comes nichts sicheres zu sagen 3). Dagegen
halte ich mit Stumpf den Ardingus comes palatii für gleich mit dem
aus dieser Zeit wohl bekannten Pfalzgrafen Arduin *) und den Tebaldus
dux et marchio für gleich mit dem 980 genannten Thedaldus comes
et marchio^). Endlich erscheinen die beiden zuletzt genannten Pfalz-
richter wieder in einem ludicat aus Verona vom J. 998. Mögen diese
Nachweise nicht alle gleich gesichert sein, so machen sie in ihrer
Gesammtheit doch wahrscheinlich, dass auch D. 227 von Verhandlungen
in oder bei Verona Kunde gibt, wo der Kaiser nach D. 226 noch am
11. September 996 weiUe.
Bleiben noch zwei Namen von mitunterfertigenden Geistlichen
richtig zu stellen, so halten wir fügUch unter den Bischöfen Umschau,
von welchen am ehesten Betheiligung an Verhandlungen zu Verona
vorausgesetzt werden kann; ich rede von Bischöfen, weil ich allerdings
gleich Stumpf mit dem zweimal vorkommenden Titel archiepiscopus
nichts zu machen weiss, und weil ich dem Copisten derartige Aende-
rung wohl zutraue. Statt Treueciensis (s. zuvor S. 406 N. 1) nehme
ich an Tridentinus i') und statt Rothpei-t Keginwardus, Eeiuwardus
oder dergl. '). Wie dagegen das vorausgehende Maguthensis aus dem
Namen irgend eines Bisthums in Italien entstanden sein könnte, ist
mir unerfindlich. Gehe ich deshalb von dem Personennamen Kegin-
preth aus und verfolge ich denselben auch in den Reihen der deutschen
Bischöfe, so scheint mir Magnopolensis ^) am nächsten zu liegen. Nach
1) Für (las Vorkommen dieser drei Tersonen, des später zu erwähnenden
liiscliol" Keinward zu Trient und der Pfalzrichter Manifred und Eiprand führe
ich folgende Gerichtsurkunden an: 1. aus Verona 993 November in Ughelli ed. II,
5, 747; 2. aus der Grafschaft Vicenza 994 Februar 14 in Gloria CD. Padovano
l, 106 nr. 73; 3. aus Verona (ISynodalspruch) 995 November 23 in Muraturi
Ant. 5, 1003; 4.- -6. aus Verona und Ceneda von 996 März 25, von 998 Mai 3
und Juli 18 in Kohlschütter Venedig 84—90. '■') Vgl. Wilmans 202. s) (jo-
meint sein könnte der Markgraf Odelrich, welchem Otto III. am 31. Juli 1001
ein Präcept erthcilte. ••) Ficker Forsch. 1, 314. ^) Muratori Ant. 5, 676.
") Oder eine andere Form desselben Namens. In Thangmari vita Bernwardi
(SS. 4, 767) findet sich vallis Tarenti. Aus Trient liegen ältere Urkunden, die
mau zu Käthe ziehen könnte, nicht vor. Deshalb lässt sich auch für den Personen-
namen kein rechter Vorschlag machen. ^) Vgl. die zuvor citirten Urkunden,
forner SS. 3, 69 und 13, 369. "") Oder auch Magapolensis, Michelinburgensis
und andere im ÜB. für Mecklenburg begegnende Namensformen.
410 Sickel.
Mecklenburg nauute sich der Regiubert, welcher das Bisthuni Olden-
burg erhalten hatte, von dort aber um U"J1 vertrieljen wurde, mit dem
Hofe in Verbindung «tand und so auch 996 iu) Gefolge des Kaisers
gewesen sein mag i). Dies ist und bleibt allerdings nur ein Vorschlag,
mag er auch annehmbarer sein als der A^on Stumpf gemachte. Dagegen
meine ich mit Eeinward statt Rothpert das richtige getroffen zu halien,
da dieser Bischof von Trient ebenso gut nach Verona passt wie seine
in Italien oft als Eichter und Königsboten erscheinenden Nachfolger.
Ich gehe zu der uns überlieferten Datiruug über. An dem J. 096,
auf welches die vier übereinstimmenden Bezeichnungen '^) hinweisen,
darf man nicht rütteln. Den Stein des Anstosses bildet auch lediglich
die Tagesangabe 23. November, indem wie wir sahen, an diesem Tage
des J. 996 der Kaiser bereits in Deutschland war. Erscheint somit
die Datirung unrichtig, so kann doch nicht davon die Rede sein, die
Urkunde um dieses einzigen vermeintlichen oder wirk-lichen Fehlers
willen verwerfen oder beanstanden zu wollen ^). Ich meine, dass gerade
diese Urkunde, in welcher unter dreizehn in ihr genannten Personen
zwölf nicht allein als im J. 996 lebend, sondern auch als demselben
•Kreise augehörend nachgewiesen werden können, über jeden Verdacht
erhaben ist. Wir haben uns mit der Zeit- und Ortsaugabe abzufinden
und haben sie in der einen oder andern annehmbaren Weise zu deuten.
Stumpf hat wohl hier wie sonst au einen Ueberlieferungsfehler gedacht,
und so will auch ich zuerst auf diese Annahme, welche gleich zulässig
ist, ob man die Copie vom J. 1283 als unmittelbar aus der Urschrift
fliessend oder als Copie zweiten und dritten Grades betrachtet, auf ihre
Wahrscheinlichkeit hin jirüfen. Diese Copie erscheint im ganzen recht
gut, Dtr Schreiber ist offenbar mit der Fassung der ludicatc durchaus
vertraut uud mag er auch hier und da die Sprachforraen etwas ge-
ändert haben, so hat er sich doch genauer "Wiedergabe des Textes
befleissigt. Dass er doch gestrauchelt ist, als er zu gewissen Namen
kam, welche in das Original eigenhändig eingetragen nicht so leicht
zu entziffern sein mochten, zumal ihm der eine, welchen ich annehme,
vollständig fremd sein musste, darf uns nicht Wunder nehmen ^). So
leicht wiegt jedoch die Vertauschung von Monatsnamen nicht und am
wenigsten die, welche hier Platz gegrifi'en haben müsste. Die Schreiber
') In SS. 3, 69 zum J. 902 genannt. Vgl. Lappenberg im Archiv 9, 384.
-) Allerdings könnte man als dem November 996 entsprechend die bereits um-
gesetzte indictio X. erwarten. Aber in Vcroneser Urkunden kommt vielfach die
Jndiction mit der Neujahrsepoche vor. ») Vgl. Bresslau Urkundenlehre 1, 861.
■») Vgl. was Ficker Forsch. 4, 44 nr. 49 zu Straburgensis und Transburgensis
bemerkt.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 411
haben allerdings zuweilen diejenigen Monatsbezeichnnngen, welche ein-
ander graphisch nahe standen, verwechselt i), al)er dass uov. entstanden
sein soll aus sept. oder aug., lässt sich selljst unter der Voraussetzung,
dass der Copist vom J. 1283 oder einer seiner Vorgänger momentan
sehr zerstreut gewesen sei, schwer begreifen. Ich brauche das avoIiI
nicht weiter auszuführen und gehe , die Annahme eines Ueber-
lieferungsfehlers verwerfend, sogleich zu der Frage über, ob nicht doch
schon in der Urschrift 23. November gestanden haben kann und wie
sich wohl diese Tagesangabe erklären lassen mag.
Da uns nur der Schluss der Urkunde erhalten ist, erfahren wir
gar nichts über den früheren Verlauf des betreifenden Kechtsstreites.
Auf blosse Vermuthungen angewiesen sind wir zu der Annahme be-
berechtigt, dass der Verlauf der gewöhnliche gewesen sei, d. h. dass
dieser Verhandlung vom J. 996 schon andere Verhandlungen voraus-
gegangen seien. Nach Ausweis der Mehrzahl der Gerichtsurkunden
wurden die Gerichte, bis es zur Fällung eines Endurtheiles kam, wie-
derholt in Anspruch genommen. Oft leisteten die Beklagten den Vor-
ladungen gar nicht Folge. Ebenso oft behielten sich Kläger und
Beklag^te die Beweisführung vor. Des weitern machte selbst ein ge-
richtliches Urtheil nicht jedem Eechtsstreite ein Ende: Beklagte kümmer-
ten sich nicht um einen ihnen ungünstigen Spruch und Kläger, welche
zu mehreren Malen abgewiesen worden waren, missbrauchten das
Klagerecht so sehr, dass ihnen Schläge als Strafe zuerkannt Averden
mussten. Besonders häufig ist im Gericht unter Vorsitz des Königs
von vorausgegangenen Verhandlungen die Kede -) ; mau Avandte sich
gern an dieses Gericht um endlich zu seinem Kechte zu kommen und
man suchte dann, wie wir sahen, um weitere Sicherung dieses Hechtes
nach. Dass die homiues de Illasi, nachdem sie in Gegenwart des
Kaisers ein Endurtheil erwirkt liatten, die darüber ausgestellte Urkunde
durch kaiserliches Haudmal gefestigt zu sehen wünschten, möchte ich
ebenfalls dahin deuten, dass sie endlich in ihrem Besitze unangefochten
sein wollten, was zu erreichen ihnen bislang trotz früherer Verhand-
lungen nicht gelungen war.
Eine Stütze für solche Annahme erblicke ich in der schon zuvor
(S. 409 N. 1) citirten Urkunde aus Verona vom 23. November 995,
laut welcher auf eine Klage des Bischofs Otliert von Verona gegen die
Cleriker von S. Maria antica unter Vorsitz des Patriarchen Johann
0 So iun. und iul. in Dö. I. 296 oder feb. und sept. in den beiden Au«=
Fertigungen von DO. I. 383. ^-) DDO. I. 340, 398, 4 IG. Weitere Belege in
Ficker Forschungen 4 nr. 5, 9 u. s. w.
412 S i c k e 1.
vou Aqiiileja von den Bischöfeu von Aemona, Ceneda, Treviso, Trient
und Vicenza ein Synodalspruch gefällt wurde. Handelte es sich dabei
um eine Frage der kirchliehen Disciplin, so waren natürlich Beisitzer
aus dem Laienstande ausgeschlossen, deren es für Verhandlungen im
weltlichen Gerichte bedurfte. Hat sich somit die Vergleichuno- der
Urkunde von 90.5 mit der von OOG betreös der handelnden Per-
sonen auf die Geistlichen zu beschränken, so finden wii-, dass in
beiden Fällen Bischof Otbert als Kläger auftritt und dass von den
sechs im J. 995 genannten Bischöfen vier auch im J. 996 be-
gegnen,
Dass nun beide Urkunden auch die gleiche Tagesangabe aufweisen,
legt den Gedanken nahe, dass am 23. November 995 zu Verona über
geistliche und über weltliche Streitfälle verhandelt worden ist, dass
schon damals die homines de Hlasi gegen die homines de Grepeto
Klage erhoben haben, dass über diese Verhandlung eine Urkunde mit
dem Datum 23. November 995 versehen aufgesetzt worden ist und
dass aus dieser Urkunde die Tagesangabe in die des J. 996 überge-
gangen ist. Lag dem Notar Eribertus, als der Kaiser zu Gericht sass,
die frühere Urkunde vor, um an der Hand derselben den Streitfall
darzustellen und über dessen bisherige Behandlung zu berichten, so
konnte er etwa aus Versehen auch die Zeitangalje wiederholen. Aber
es konnte dies auch absichtlich geschehen um auf eine frühere Ent-
scheidung zu Gunsten der Kläger zurückzuverweisen und die ßechts-
wirkung schon mit ihr beginnen zu lassen. Kurz der 23. November
kann hier eine andere Bedeutung haben als die, den Tag der Schluss-
verliandlung vor dem Kaiser angeben zu sollen. Dieser letztere Tag
ist vom Notar Eribertus nicht aufgezeichnet worden, so dass wir D. 227
nur annähernd einreihen können und am füglichsten neben D. 226
stellen werden.
Indem ich somit einen Aufenthalt Ottos zu Verona noch im
September 996 annehme, bin ich eines Einwandes gewärtig. Johannes
diaconus (SS. 7, 30) fährt nämlich, nachdem er berichtet hat, dass
Otto zu Pavia ein Edict zu Gunsten der Venetianer erlassen habe,
fort: tunc per Cumanum lacum iter arripuit ultramontanum. So hoch
ich nun die Angabe des Johannes schätze, glaube ich doch nicht, dass
er ein Itinerar, wie wir es wünschen, bieten wollte, dass er auch nicht
alles was geschehen ist, vielleicht nicht einmal alles wovon er Kunde
hatte, hat erzählen wollen. Dann schliesst sein Schweigen auch einen
damaligen Besuch von Verona nicht aus. Ob aber der Kaiser noch-
mals nach Pavia zurückgekelu-t ist, um von dort den Heimweg an-
zutreten, oder ob er gleich von Verona über Brescia, Bergamo,
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 413
Lecco zum Comersee gezogen ist, müssen wir dahingestellt sein
lassen i).
Am füffliclisten schalte ich hier ein, was ich über die sechs einst
in die Sammlung der Briefe Gerberts gerathenen und so auf uns ge-
kommenen Schreiben Ottos zu sagen habe. Dass die Abfassuugszeit
eines jeden dieser Briefe auch nur annähernd zu bestimmen nicht
leicht ist, geht schon aus der Mannigfaltigkeit der bisher vorgeschla-
genen Datii-uugen hervor. Sind diese Episteln thatsächlich arm an
fassbaren Angaben, dagegen reich an vieldeutigen, ja räthselhaften
Aeusserungen, so werden sie uns erst in dem Grade verständlich, in
dem es uns geling-t die Situation kennen zu lernen, aus welcher die
Briefe hervorgegangen sind, und welche sie dann wieder besser zu
beleuchten sreeignet sind. Müssen wir schon deshalb auch unter den
Gerbertbriefen Umschau halten, welche den Schreiben des Kaisers
vorausffeffauo'en oder nachs'efolo't dieselben Themata berühren, so
müssen wir jene noch aus anderem Grunde mit in die Untersuchung
einbeziehen. Es hat sich immer und immer wieder bewährt, dass die
Schwierigkeit gar nicht oder mangelhaft datirte Episteln bestimmten
Zeitpunkten zuzuweisen, noch am ehesten und am sichersten behoben
wird. Wenn die handschriftliche Ueberlieferung zu Käthe gezogen und
die Reihenfolge der Stücke in der ursprünglichen Sammlung derselben
möo'lichst o-enau festo-estellt wird. Ich habe schon S. 234 erwähnt,
dass betreffs der Epist. Gerberti 1 — 180 sehr viel mit dem Nachweise
gewonnen ist, dass sämmtliche Handschriften auf ein Kladde iibuch
zurückgehen, in welches sie der zeitlichen Aufeinanderfolge nach ein-
getragen worden sind, habe aber auch bereits angedeutet, dass es sich
vielleicht mit dem zweiten minder umfangreichen Theile dieser Collec-
tion anders verhält. Da sich in diesen die Schreiben Ottos als Epist.
183, 213 — 216, 218 eingeschaltet finden, muss auch ich auf die
Ueberlieferung eingehen und muss, soweit es mein augenblickliches
') Kehr 235 N. 3 tritt auch in einem andern Falle gegen micli für Johannes
ein. Handelt es sich vor allem um die Auffassung der Datirung von DO. 11. 2flO,
so habe ich mich ja in der Vorbemerkung ganz so wie Kehr geäussert : man mag
sich für die eine oder die andere Deutung entscheiden, so erhält man einen
grösseren Zeitraum für die Eeise von Rom nach Verona. Nur habe ich mich
durch den Bericht des Johannes nicht bestimmen lassen mögen, noch einen Auf-
enthalt in Pavia einzuschalten. Lege ich diesem, wie ich oben bemerke, nicht
die Absicht bei, ein genaues Itinerar angeben zu wollen, so kann ich auch nicht
von Erfindung eines solchen reden. Ich meine nur, dass Johannes betonen wollte,
dass Otto II. auch damals seine Herrscherpflichten oritdlt habe, und dass er um
das zu veranschaulichen, Städte genannt habe, in denen die Kaiser ihres Amtes
zu walten pflegten, und so auch Pavia.
4X4 Sickel.
Thema erheisclit, micli für die eine oder die andere Ansicht entscheiden,
welche darüber in jüngster Zeit aufgestellt worden sind.
Der von Boubuov angenommene alte Codex S. kommt, da er nicht
so weit orereicht haben soll, nicht mehr in Betracht. Auch der Codex
Lo, d. h. nach Boubnov die zweite von Gerbert bald nach der ersten
veranstaltete Edition, bot nur Briefe bis etwa Juli 99G. Dagegen
konnte, als im J. 999 aus Lo. die jetzt Leydener Handschrift L. floss,
auch die Correspondenz Gerberts aus den J. 99G — 999 mit berück-
sichtigt werden : so sind in L. auch die den letzteren Jahren angehörigen
Epist. 181 — 212 aufgenommen worden.
Inzwischen hatte Gerbert zu Anfang des J. 998 noch eine dritte
Ausgabe seiner Briefe (Cod. P.) erscheiuen lassen, welcher er jedoch aus
den zwei letzten Jahren nur seine Correspondenz mit Otto III., d. h. die
Epist. 186, 187, 213— 21G, 218—220 als Anhang beifügte. So weit
hat sich Boubnov mit aller Bestimmtheit ausgesprochen. Aber eine
andere Frage hat er bisher kaum berührt, geschweige denn genügend
beantwortet, die Frage ob und inwieweit innerhalb der uns aus L. be-
kannten Gruppe der Epist. 181—212 oder innerhalb der P. angehängten
Gruppen die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Briefe gewahrt wor-
den ist 1).
Da Havet in der Hauptsache dasselbe Ergebniss gewonnen hat,
kann ich gleich zu den Differenzen zwischen ihm und Boubnov über-
gehen. Die eine betrifft die Epist, 218 — 220, welche uns nur aus der
vonVignier 1587 herausgegebenen Bibliotheque historiale bekannt sind.
Boubnov bezeichnet sie als den Schluss von P. bildend und aus diesem
von Vignier copiii. Havet dagegen legt sie der Handschrift L. bei,
welche wie Boubnov bewiesen hat, Vignier zur Verfügimg gestanden
hat. L. ist jetzt am Schlüsse defect und endet mit der ersten Hälfte
der Epist. 212; ist also ein Blatt anzunehmen, auf welchem der
Schluss dieses Briefes stand, so kann dasselbe füglich noch die Epist.
218 — 220 enthalten haben. Stimmen doch beide darin überein, dass
die drei Briete ganz zu Ende der Handschriften standen, so kommt
das allein für die Datirung derselben in Betracht und so kann ich
ganz davon absehen, ob L. oder P. die handschriftliche Quelle von
Vignier war.
Ich weiss nicht ob eine zweite Differenz zwischen den beiden
Forschern besteht. Havet deutet, wie ich gleich berichten werde, die
Stellung der Epist. 181 — 212 in L. in besonderer Weise. Wäre
') Was Boubnov über Epiat. 181 in den verschiedenen Editionen bemerkt,
kann ich hier übergehen.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto 111. 415
Boubnov zu derselben Ansicht gelaugt, so hätte er das wohl schon
iui ersten Theile seines Buches, wie dieses angelegt ist, sageu müsseu.
Insofern möchte ich ihm eine andere Ansicht zuschreiben. Aber erst
seine Fortsetzung wird uns sichern Aufschluss geben. So habe ich es
für jetzt doch nur mit Havet zu thun und habe dessen Ansichten
über den zweiten Theil der Sammlung hier zu wiederholen. Er geht
von der Annahme aus, dass auch der zweite Theil der Urschrift einst
so wie der erste beschauen gewesen sei und dass Gerbert nach wie
vor, soweit er Concepte in sein Kladdenbuch eintrug, die zeitliche
Reihenfolge beobachtet habe, und er hält diese Annahme dann bei
der Feststellung der Abfassungszeit der einzelnen Briefe als Eichtschnur
fest. Allerdings erscheint auch Havet die ursprüngliche Ordnung der
Briefe in den abgeleiteten Handschriften hie und da gestört. So in
dem uns noch vorliegenden L. in zwei Punkten. Hier findet sich
nämlich die bereits 987 geschriebene Epistel 189 in die CoiTespondenz
aus den späteren Jahren eingereiht; Havet meint, dass sie von Gerbert
oder einem andern wieder aufgefunden und nachträglich gebucht wor-
den sei. Eine zweite Unterbrechung der chronologischen Eeihenfolge
in L. erblickte Havet darin, dass die Epist. 181 — 187 jüngeren Datums
den früher verfassten Epist. 188, 192—212, 218—220 vorausgehen.
Eine ähnliche Verschiebung glaubte Havet auch im Codex P. wahrzu-
nehmen, denn in diesem folgten auf die Epist. 180, 187 die Epist.
213 — 216 von entschieden älterem Datum. So wurde er zu der Fol-
gerung gedrängt, dass doch schon in der Urschrift auf die eine oder
die andere Weise ^) eine Verstellung der Epist. 181 — 187 stattgefunden
haben müsse. Sobald dies Verseheu gut gemacht werde, ergebe
sich wieder die richtige Aufeinanderfolge nach der Abfassungszeit uud
insbesoudere auch für die einzelnen hier vereinten Gruppen von Briefen,
sowohl für die zusammengehörigen Epist. 181 — 187 wie für die eben-
falls untrennbaren Epist. 213 — 216, welche Gerbert einst im Auftrage
des Kaisers verfasst, aber doch in sein auch damals fortgeführtes
Kladdenbuch aufgenommen habe.
Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass es sich mit der ersten
grösseren Hälfte dieser Briefsammlung wirklich so verhält, wie Havet
nach dem Vorgange von Boubnov dargelegt hat, war ich durchaus
geneigt, ihm auch betreffs des zweiten Theiles zu folgen und diesen
als in gleicher Weise entstanden zu betrachten. Ein principieller Ein-
wand wird sich gegen das von Havet aufgestellte System nicht erheben
lassen. Und dass auch die Urschriften einmal von Anbeginn an gegen
•) Näheres Introd. LXXVII N. 8.
41^6 Sickel.
die Orduimg der allmähligen Eintragungen Verstössen oder gelegent-
lich die Keihenfolge der Blätter geändert wird, das ist eine so oft
wiederkehrende Erscheinung, dass man auch die Annahme der Ver-
schiebung der Epist. 181 — 187 wohl gelten lassen darf. Aber sie ist
doch auf ihre Richtigkeit hin und auch darauf hin ob sie in Wirk-
lichkeit alle Schwierigkeiten behebt, zu prüfen. Havet hat dieses
Postulat wohl gekannt und hat ihm nachkommen wollen. Doch dass
es ihm gelungen sei, seine an sich sehr annehmbare Hypothese auch
nach allen Seiten hin durch historische Untersuchung zu erhärten,
vermag ich nicht zuzugeben. Nicht einer der Havet'schen Sätze, welche
für mich und meine Aufgabe die Briefe Ottos möglichst genau zu
datiren, hier in Betracht kommen, weder der, dass die Epist. 186
jünger sein soll als die Epist. 218, noch der, dass innerhalb der bei-
den Gruppen der Epist. 181 — 187 und 213 — 216 die zeitliche Reihen-
folge gewahrt sein soll, besteht in meinen Augen die Probe. Ich finde,
dass Havet doch etwas mit vorgefasster Meinung an die Untersuchung
des Inhalts der einzelnen Briefe herangetreten ist und dass er, was
Ulm noch mehr geschadet hat, sich nicht mit allen Ergebnissen der
neuesten Forschung auf dem Gebiete der deutschen Geschichte vertraut
gemacht und zu sehr auf die Angaben von Wilmans und Stumpf-
Brentano verlassen hat ^). Komme ich mit Anwendung aller mir zu
Gebote stehenden ]\littel zunächst zu anderen Ergebnissen betreffs
des einen und andern Schreibens des Kaisers, so stosse ich damit aller-
dings auch die Annahme um, dass Gerbert noch in den J. 994 — 997
sein Kladdenbuch in regelmässiger Weise fortgeführt habe. Doch
weiter wage ich nicht und beabsichtige ich nicht zu gehen. Werden
die Argumente, welche ich gegen die Havet'sche Hypothese ins Feld
führe, richtig befunden, so erfordert die Frage, wie die Sammluug der
Epist. 181 — 220 zu Stande gekommen sein mag, eine nochmalige Er-
örterung und Beantwortung. Zunächst wird doch abzuwarten sein,
wie sie von Boubnov beantwortet werden wird. Doch davon abgesehen,
verzichte ich von vorhinein auf jeden Versuch der Lösung. In diese
') Er hat u. a. nur den von üiesebrecht bearbeiteten Theil der Jahrbücher
(1840) benutzt, aber nicht dt-ssen Geschichte der deutschen Kaiserzeit, von welcher
doch schon seit 1881 die 5. Auflage vorliegt. — Anders ist es allerdings zu be-
urtheilen, dass er sich in dem einen und andern Punkte auf Stumpfs Regesten
gestützt hat. Auf Prüfung derselben konnte sich Havet nicht einlassen. Und
bin gerade ich in der glücklichen Lage bessere Kunde von den Diplomen zu
haben als Havet, und bin ich verpflichtet, diese hier zur Geltung zu bringen, so
bin ich weit davon entfernt, den geringsten Vorwurf gegen den sehr geehiien
Collegen in I'aris zu erheben.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 417
Uutersuchimgen tiefer hineingeratlieu als ieli voraussah, muss ieli sie
soweit durchführen, als es sich um die Briefe des Kaisers uud um die
mit ihnen zusammenhängenden Briefe Gerberts handelt. Sobald ich
da zu Ergebnissen gelangt war, welche mir sicher genug scheinen,
um sie für die Diplomata- Ausgabe zu verwertheu, habe ich mir Halt
geboten und habe die andern Briefe Gerberts ausser Acht gelassen,
um nicht auf ein mir fremdes Gebiet hinüberzugreifen. Ich habe
mich also dessen enthalten was unerlässlich ist, um ein abschliessendes
Urtheil über den zweiten Theil dieser Sammlung zu fällen. Wenn
ich trotzdem mir erlaube Vermuthungen darüber auszusprechen, auf
welche Weise gerade die Ottonischen Briefe in die Collection und
zwar in dieser oder jener Reihenfolge gerathen sein mögen, so will
ich damit nur Anregungen geben und Beiträge liefern zur endgiltigen
Lösung jener recht verwickelten Frage.
Mit vollem Rechte setzt Havet die im Namen Ottos geschriebenen
Epist. 213 — 216 in die Monate des J. 996, in denen Gerbert mit dem
eben zum Kaiser gekrönten Otto in Italien weilte. Hier gilt es nur
die Frage zu beantworten, ob diese Briefe in ihrer natm-lichen Reihen-
folge auf uns gekommen sind. Gehen wir von der Epist. 213 mit der
Inscription: Reverentissimo papae G. 0. dei g-ratia Imperator augustus
aus 1), so kann sie erst nach dem Aufbruch des Kaisers von Rom
') Masson und Duchesne hatten hier und in Epist. 216 den Namen des
Adressaten ergänzt zu Gerberto. Da Wihuans Jahrb. 174 mir diese Lesart kannte,
musste er schon ays diesem Umstand folgern, dass in dem betreuenden Theile
der Briefsammlung von chronologischer Anordnung nicht mehr die Rede sei. —
Ich muss wegen einer Lesart in diesem Briefe näher auf dessen Ueberlieferuncr
eingehen. Nach Boubnov und Havet war P. die einzige Handschrift, in welche
die Epist. 213 — 216 aufgenommen worden waren. P. selbst ist verloren gegangen.
Desgleichen eine aus ihr geflossene Copie, die schedae Fabri. Aus diesen abge-
leitet ist V, eine für Baronius um 1602 angefertigte und jetzt in der Bibl. Valli-
cellana befindliehe Abschrift. Für die Epist. 213—216 ist V. die einzige hand-
schriftliehe Quelle. Aber auf P. gehen auch mehrere Drucke zurück. Erstens
die 1611 erschienene Ausgal)e von Masson, welcher zweifelsohne noch P. vor sich
hatte. Zweitens die 1636 erschienene Ausgabe von Du Chesno, welcher nach
Boubnov ebenfalls direkt aus P. geschöpft haben soll, dagegen nach Havet aus
den schedae Fabri. Endlich kommt noch eine Arbeit von Baluze (B) in Betracht,
indem dieser zu einem Exemplar der Masson'schen Edition Varianten eingetragen
hat, entweder nach P (so Boubnov) oder nach den schedae Fabri (so Havet).
Waren nun die von Gerbert in seinen Concepten angewandten 8ilbennoten in P.
reproducirt worden, so finden sie sich auch nachgezeichnet in den aus P. ge-
flossenen Copien V. und B. ; aber was nicht Wunder nehmen kann, nicht ganz
getreu, so dass die Noten in V. und die in B. hie und da von einander abweichen
(vgl. die Tabelle in Boubnov 265—268). Zu den stärksten Abweichungen gehört
nun die in der Epist. 216, in welcher der Name des damaligen comes Spoletinis
Mittheilungen XII. 27
418 Sickel.
(Anfang Juni) geschrieben worden sei. Den gleichen terminus a quo
nahm Havet für die Epist.215 an, in welcher Otto seiner Grossmutter
für alles dankt was sie zur Erlangung der Kaiserkrone beigetragen
hat. Ist das nun offenbar der erste Brief des neuen Kaisers an Adel-
heid, so drängt sich uns mehr als eine Frage auf. Soll Otto Wochen
lano- und bis nach der Abreise von Eom gewartet haben, um diesen
seinen Gefühlen Ausdruck zu geben? Wenn dem so war, soll er sein
langes Schweigen nicht mit einem Worte entschuldigt haben und soll
er mehr als einen Monat nach dem freudigen Ereignisse von nichts
anderm Kunde gegeben haben? Wer diese Fragen verneint, muss
Epist. 215 möglichst nah an den 21. Mai als den Krönungstag setzen
und damit vor die Epist. 213 ^). Ich komme auf dieses Yerhältniss
gleich zurück. Epist. 214 bietet keine rechte Handhabe zur Datirung.
Sie könnte allenfalls schon von Rom abgesandt worden sein. Aber
wahrscheinlicher ist doch, da der Abt Rotfrid noch im Juni 996 für
S. Vinceuzo am Volturno geurkundet hat, dass der Kaiser erst während
seines Aufenthaltes in den Marken (Mitte Juni bis Mitte Juli), so in
das Regiment dieses Klosters eingegriffen hat. Und müssen wir uns
bei Epist. 216 ebenfalls mit annähernder Zeitbestimmung behelfen, so
ergibt sich doch aus dem S. 412 berichtigten Itinerar, dass dieser wohl
et Camerinis praefectus oder genauer gesagt der Anfang des Namens als Note
erscheint. Die Note in V. ist zweifelsohne aufzulösen Co . . . Dagegen die in B.
wohl S, welchen Buchstaben auch die Ausgaben von Masson, Duchesne und
Olleris bieten. In Ermangelung anderer Kunde von dem betreffenden Grafen
hängt die Entscheidung, ob wir hier lesen sollen Co . . oder S . . lediglich von
der Werthschätzung der Ueberlieferungen ab. Da die Noten in V. im allgemeinen
einen guten Eindruck machen, ziehe auch ich mit Havet die Variante Co vor. —
So geringfügig nun diese Diöerenz ist, so wird sie doch bei Aufstellung des
Stammbaumes der Handschriften und der Drucke wohl noch zu berücksichtigen
sein. Bot nämlich P. die Note Co, welche sowohl in den schedae Eabri als in
V. richtig nachgezeichnet wurde, so hat hier sicher M. gefehlt, indem er diese
Note durch S ersetzte. Haben nun, wie Boubnov annimmt, Duchesne und Baluze
ebenfalls noch ausP. geschöpft, so muss es doch seltsam erscheinen, dass beide
genau denselben Fehler gemacht haben sollen wie Masson. Die Differenz lässt
sich leichter erklären, wenn man mit Havet B. und D. anders ableitet. Doch ich
begnüge mich hier mit Andeutungen, weil mir der Sachverhalt nicht ganz klar
ist. Nach Boubnov 1. c. stimmen M D B. ganz überein, während Havet für die S
ergebende Note nur MD. anführt und B. gar nicht erwähnt.
•) Ohne behaupten zu wollen, dass der Brief an Adelheid unmittelbar nach
dem 21. Mai und etwa vor D. 197 vom 22. Mai geschrieben sei, werde ich ihn,
da sich für alle Briefe nur ein annähernd richtiges Datum annehmen lässt, als
Kundgebung der Cedanken und Gefühle des jungen Kaisers (D. 196) vor allen
kaiserlichen Präcepten eiiu'eihen.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto IIL 419
kurz vor dem Aufbruch nach Deutschland geschriebene Brief bis in
den September 996 hinausgeschoben werden darf.
Ist es also nur einer unter diesen vier Briefen, welchen ich an-
ders ansetze als es Havet um der überlieferten Reihenfolge willen thut,
so erkläre ich doch schon damit diese als der Zeitfolsre nicht ganz
entsprechend. Das meine ich wird auch Havet um so eher zugeben,
als er selbst (Introd. LXXVIIl) die Vermuthung ausspricht, dass diese
Gruppe von Episteln erst gelegentlich der Entstehung von P. der
Sammlung einverleibt sein wird. Ich lasse den Anlass und den Zeit-
punkt der Nachtragung auf sich beruhen, um diese überhaupt zu er-
klären. Besteht nicht schon darin ein Unterschied zwischen Theil I
und Theil II der Collection, dass in jenem die Zahl der von Gerbert
für andere Personen concipirteu Briefe weit grösser ist als in diesem?
Und wird er nicht um so mehr zu beachten sein als er mit einem
zweiten Unterschiede zusammenfällt, mit dem dass derartige Briefe im
Theil I richtig eingereiht erscheinen, aber nicht im Theile IL Ausser
denEpist. 213 — 216 bietet uns nämlich Theil II von derartigen Briefen
nur noch die Epist. 189, welche ja schon von Hav^t als an unrichtiger
Stelle stehend bezeichnet worden ist ^). Des weiteren ist noch in An-
schlag zu bringen, dass Gerbert die Briefe 213 — 216 für den Kaiser
zu dictiren hatte und dass die Concepte zunächst wohl in dessen
Cabinet oder Kanzlei verblieben sind. Kam aber Gerbert erst nach
einiger Zeit in den Besitz dieses seines geistigen Eigeuthums, sei es
in der Form der Originalconcepte, sei es in der Form von Abschriften,
so ergab sich schon daraus, dass diese Stücke nur gelegentlich und
nachträglich der Sammlung einverleibt werden konnten. Und dabei
wird dann auf die Reihenfolge der vier Briefe geringer Werth gelegt
worden und die der Abfassungszeit nach erste Epist. 215 an die dritte
Stelle gekommen sein -).
Ich gehe zu den beiden Briefen Ottos an Gerbert über, die nur
als Einlauf in die Sammlung gekommen sind. Lege ich diese Epist.
186 und 218 gleich Havet dem J. 997 bei, so weiche ich doch in
') Die Epist. 188 und 209 geboren nicht in die gleiche Kategorie, indem
ja Gerbert in der Mehrzahl der Absender inbegriffen ist. -') Der gleiche Vor-
gang kann in beliebige Zeit gesetzt werden. Deshalb lasse ich es unentschieden
ob die Epist. 213 — 216 bereits der Urhaudschrift einverleibt worden sind (sie
können ja bei Anlage des Codex L. übersprungen worden sein) oder erst der
durch P. repräsentirten Theilsammlung. In ersterem Falle würde es geradezu
zu erwarten sein, dass die Epist. 213 — 216 aus dem J. 996 erst nach den Epist.
210—212 vom J. 997 oder selbst nach den ebenfalls jüngeren Epist. 218—220
gebucht worden seien.
27*
4^0 S i c k e 1.
zwei Punkten von ihm ah. Ich bestreite, dass die Epist. 181 — 187
eine nach der Zeitfolge geordnete Serie bilden, und ich bestreite, dass
sie insgesanimt erst nach den Epist. 218 — 220 geschrieben sind:
daraus folgt, dass ich Epist. 218 nicht vor, sondern nach Epist. 186
ansetze. Aus dieser letzteren lese ich heraus, dass Gerbert, Avelcher
ein Jahr zuvor mehr von ungefähr mit Otto in Italien zusammen-
getroffen vrar, jetzt zuerst aufgefordert w^urde, dauernden Aufenthalt
am Hofe des Kaisers zu nehmen i), so dass wir hinter die Zeit zurück-
gehen müssen, da Gerbert am deutschen Hoflager in Magdeburg er-
schien um ganz in Ottos Dienst zu treten. Danach muss auch Epist,
187 datirt werden, nämlich wie allgemein angenommen wird, die zu-
sagende Antwort auf Epist. 186. Doch es kommt zugleich das Ver-
bal tniss dieser Briefe zu den vorausgehenden in Betracht. In den
Epist. 183, 184 ist zweifelsohne von Ottos Zug gegen die Slaven die
Rede. In welchen Monat dieser gehört, versuche ich später zu be-
rechnen. Zunächst bemerke ich nur, dass Havet um der überlieferten
Reihenfolge willen die Epist. 186, 187 als noch jünger denn 183, 184
betrachtet, während er doch ganz richtig -) das erste Zusammentreffen
Gerberts mit dem Kaiser in diesem Jahre stattfinden lässt, als letzterer
die Vorbereitungen zu jenem Feldzuge traf. Havet hat also den Haupt-
inhalt und die Bestimmung der Epist. 186 verkannt.
Versuchen wir deshalb mit Hilfe anderer Briefe die Bedeutung
der Epist. 186 festzustellen. Dass wir Gerbert noch Ende März 997
an einem Concil zu S. Denis theilnehmen sehen ^j, schhesst die An-
nahme nicht aus, dass Gerbert, als seine Stellung in Frankreich un-
haltbar zu werden drohte, des Verkehrs mit dem jungen Kaiser in
Italien eingedenk, sein Glück in Deutschland zu versuchen gedachte
und in dieser Richtung bereits Schritte gethan hatte. Aber seit jener
Begegnung im J. 996 war der Verkehr ins Stocken gerathen und
Gegner Gerberts hatten den Kaiser gegen ihn einzunehmen gewusst.
Deshalb ging Gerbert vorsichtig und ohne seiue' eignen Wünsche an-
zudeuten zu Werke, versicherte in einem ersten Briefe den Kaiser nur
seiner Theilnahme und Ergebenheit und brachte dann Angelegenheiten
anderer uns nicht bekannter Personen zur Sprache ^). Ich vermuthe,
') Tanti patroni sempiternam nobiscum stabilitatem adoptamus. — So auch
Wilmans 173 und Giesebreclit 1, 692. ») S. 163 N. 1 und 166 N. 1 zu
Epist. 181. 3) introd. XXVIII und Epist. 209. *) Dass ich Epist. 182 so
deute, muss ich Havet gegenüber, welcher schon hier einen Hinweis auf Ottos
Sieg über die Slaven erblickt, rechtfertigen. Ich sehe nämlich in der Erwähnung
der res praeclare a vobis gestae nichts als eine Schmeichelei und meine, dass
wer da klagt, dass er ohne die geringste Kunde ist, gai- nicht auf bestimmte
rühmliche Thaten anspielen kann.
I
Erläuterungen zu den Diplomen Otto KI. 421
dass ihm gar keine direkte Antwort zu tlieil geworden ist, dass ihm
aber in irgend einer Weise zu verstehen gegeben ist, dass man am
kaiserlichen Hofe ihm nicht traue und seinen Dienst nicht begehre.
Nun erst entschliesst sich Gerbert den Kampf mit dem ihm unbe-
kannten Widersacher aufzunehmen, welcher den allvermögenden Kaiser
zu beeinflussen wagt: er ist, ein Sünder vor dem Herrn, sich doch
keiner Schuld gegen den Kaiser bewusst, um derentwillen seine Dienst-
willigkeit plötzlich Missfalleu erregen könne; dem Grossvater, dem
Vater und dem Enkel trotz alles Ungemaches treu, hat er selbst den
Tod nicht gescheut, dem einst in Haft gehaltenen Erben des Reichs
zur Krone zu verhelfen; wie er sich damals des Erfolges gefreut,
wünscht er bis an sein Lebensende gleicher Freude theilhaftig zu
werden und seine Tage mit dem Kaiser in Frieden zu beschliessen
(Epist. 185). Darauf erfolgte die Berufung an den Hof. Galt sie
vornehmlich dem hervorragenden Lehrer, so war Gerbert klug genug,
sich zuuächst mit solcher Stellung zu begnügen, welche ihm doch
weitere Aussichten eröffnete: wir gehorchen, erwiederte er in Epist. 187,
den kaiserlichen Befehlen sowohl in diesem Punkte wie in allem was
Bure Majestät sonst verfügen wird.
Bringt man die Epist. 182, 185—187 in solchen Zusammenhang,
so wird klar, dass in dem Briefe Ottos von Gerberts Berufung an den
Hof die Kede ist. Und das habe ich deshalb handgreiflich machen
wollen, weil die vier Schreiben sonst gar keine Handhabe bieten, um
approximativ die Zeit, in welcher diese Correspondenz geführt worden
ist, festzustellen. Den Versuch Havets, aus der Epist. 182 eine andere
Zeitbestimmung zu gewinnen, habe ich bereits zurückgewiesen. Somit
bleibt für seine abweichenden Ansätze nur noch als einzige Stütze die
Hypothese der chronologischen Anordnung der Epist. 181 — 187. Aber
einer Hypothese zu liebe werden wir doch die nächstliegende und
durchaus ungezwungene Deutung jener vier Briefe nicht verwerfen;
vielmehr werden wir was die Briefe besagen oder auch was sie nicht
besagen zum Prüfstein der betreflFenden Annahme machen. Zu diesem
Behufe will ich unter Hinweis auf Vorgänge, welche ich erst später
(S. 428) eingehend besprechen kann, noch einen Umstand geltend
machen. In Folge der Beschlüsse der vom Papst Gregor V, im Früh-
jahr 997 zu Pavia versammelten Synode und des Erscheinens des
römischen Abtes Leo als päpstlichen Legaten in Frankreich, nahm die
Reimser Angelegenheit für Gerl^ert eine gefährliche Wendung an: von
seiner Besorgniss legen Epist. 183 und alle um die gleiche Zeit ge-
schriebenen Briefe Zeugniss ab. Findet sich aber in den Epist. 185,
187 nicht die geringste Anspielung auf diese für Gerbert so wichtige
422
S i c k e 1.
Frage, so spricht dies Schweigen ebenfalls dagegen, dass diese bei-
den Briefe, wie Havet will, in den letzten Monaten des Jahres ge-
schrieben seien.
Diese Argumente zu verstärken versuche ich so genau als mög-
lich festzustellen, wann Gerbert bei dem Kaiser eingetroffen ist und
wann der Feldzug gegen die Slaven stattgefunden hat und wie sich
überhaupt bei Benutzung sämmtlicher Quellen das Itinerar für das
J. 997 gestaltet, wonach wir dann nicht allein die bisher besprochenen,
sondern auch die übrigen in Betracht kommenden Briefe unterzubringen
haben werden. Die Differenzen zwischen Havet und mir erscheinen
auf den ersten Blick nicht sehr gross i), fallen aber mehr ins Gewicht,
sobald man, wie es die Einreihung der Gerbertbriefe erfordert, genaue
Daten zu gewinnen sucht.
Hier kommt mir nun wesentlich das sich aus den Diplomen er-
gebende Itinerar zu statten 2). Noch am 20. April soll Otto zu Dort-
mund geurkundet haben, am 18. Mai zu Merseburg, vom 5. — 13. Juni
zu Arneburg an der Elbe (nördlich von Magdeburg), am 9. Juli zu
Gandersheim, am 15. und 17. Juli zu Eschwege, am 17. Juli auch zu
■Mühlhausen, am 20. August zu Leitzkau (so. von Magdeburg), bereits
am 2. September zu Thorr (w. von Köln), am 1. Oktober zu Aachen 3);
von hier nach dem 27. Oktober aufgebrochen, soll er am 13. December
in Trient und am 31. December in Pavia Präcepte ausgestellt haben.
Inwiefern einzelne dieser urkundlichen Daten bedenklich sind, werde
ich, soweit es nicht bereits S. 379 geschehen ist, hier erörtern.
Gilt es vor allem den Feldzug gegen die Slaven unterzubringen,
so wird es gut sein, eine Bemerkung über diesen vorauszuschicken.
Was Gerbert in Epist. 183 über denselben sagt, ist doch Uebertreibung
und Schmeichelei der ärgsten Art. Der Einfall in das Land des Fein-
des war weder ein grosses Unternehmen, noch erzielte er anhaltende
Wirkung; sehr bald nach ihm, wie wir gleich sehen werden, drangen
die Slaven ihrerseits in den Bardengau ein. Indem Ottos Feldzug
0 S. 166 N. 1 : Gerbert war bei Utto zu Beginn dos Sommers 997, während
der Kaiser die Expedition gegen die Slaven vorbereitete, welche er dann im Juli
vornahm. ^j wir verfügen heutzutage nicht allein über eine grössere Anzahl
von Urkunden als seinerzeit "Wilmans, sondern auch über zuverlässigere Zeit-
angaben in denselben. In letzterer Beziehung genügt es ein Beispiel anzuführen.
Stumpf Reg. 1100 = DO. III. 235 ist zu Nimwegen am 18. December 996 aus-
gestellt. Indem Wilmans dasselbe mit Schaten zum 18. ]\Iai 997 ansetzte, nahm er
einen längeren Aufenthalt im Westen an und Ankunft in Sachsen erst zu Antang
Juli. — Durchaus richtig hat bereits Giesebrecht 1, 693 ft'. den Verlauf der Dinge
dargestellt, doch ohne eingehende Begründung, welcher es gerade in diesem Falle
bedarf. •'*) Von D. 254 sehe ich hier wegen der Correcturen in der Datirungszeile ab.
Erläuterungen 7ai den Diplomen Otto III. 423
nicht lauge gedauert hat, lässt er sich leicht iu das urkundliche Itinerar
einfügen. Mehr Schwierigkeiten bereitet uns, dass die Annales Quedlinb.
(SS. 3, 73) gerade den zeitlichen und causalen Zusammenhang der
Ereignisse anders darstellen als Thietmar an zwei gesonderten Stellen
seiner Chronik. Wird jenen nachgerühmt u. a. von den sich in der
Nähe abspielenden Kämpfen mit den Slaven zuverlässige Kunde zu
bieten i), so hat sich auch Wilmans möglichst an sie gehalten. Da es
dort heisst: quos (Sclavos) contra commotus Imperator Ztodorianam,
quam vulgo Heveldum vocant, egregiam inter Sclavonicas terram,
magno invasit exercitu, vicit, praedavit, victorque in Magadeburch . . .
subintravit. Interim autem dum Imperator augustus . . . Heveldum
devastando percurrit, congregati Wlotabi Bardangao provinciam im-
provisi rapiuis multis aggressi sunt et incendiis. Quod videntes West-
falai, quos praefatus Imperator in expeditiouem pergens ad custodien-
dam reliquerat provinciam, celeriter Liuticos fortiter excipiunt, ipsique
cum pauci essent, innumeram paganorum multitudinem tanta caede
prosteruunt etc., so setzt auch Wilmans den Einfall der Slaven in die
Gegend um Lüneburg noch vor die Rückkehr des Kaisers nach Magde-
burg, obgleich er auf Thietmar und auf eine Notiz im Necrol. Merseb.
gestützt den Sieg der Westfalen am 6. November erfolgen lässt, wo-
nach die Expedition des Kaisers, welche in der Zeit des Herbstes be-
gonnen haben soll, geraume Zeit in Anspruch genommen haben würde^).
Ich muss den Bericht des Quedhnburger Annalisten, insofern er die
Gleichzeitigkeit des einen und andern Einfalls behauptet, auf Grund
des urkundlichen Itinerars einfach als unrichtig bezeichnen 3) und kann
mich dabei auch auf Thietmar stützen. Doch ich will vorerst nur das
Itinerar und dazu die Angabe Gerberts, dass sich diese Dinge ferven-
tioris anni tempore^) zugetragen haben, zu Eathe ziehen. Von Arne-
burg, so hat zuletzt Kehr vorgeschlagen, wird der Feldzug gegen die
Heveller ausgegangen sein. Bleibt sonst nur Eaum für ihn zwischen
dem 17. Juli (Mühlhausen) und dem 20. August (Leitzkau), so ent-
scheidet für letztere Annahme Thietmars Chronik.
') Wattenbach 1, 321. ^) Wilmans denkt offenbar an den Anfang des
Herbstes nach heutigem Brauche {aequinoctium autumnale). Havet erklärt nicht,
weshalb er trotz der Berufung auf Wilmans den Zug des Kaisers in den Juli
setzt. 3) Von den sieben in Aachen ausgestellten Diplomen liegen noch drei
im Original vor. — Ich bemerke gleich hier, dass, auch wenn wir von der Gleich-
zeitigkeit beider Einfälle absehen, der Feldzug Ottos nicht nach dem Aufenthalt in
Leitzkau (20. Aug.) angesetzt werden kann. War der Kaiser nach D. 255 spätestens
am 1. Oktober zu Aachen eingetroffen, so müssten der Feldzug und die Reise
nach dem Westen in den Zeitraum von 41 Tagen zusammengedrängt werden.
*) Vorrede zum Libellus de rationali etc. bei Havet 236.
424 Sickel.
Es ist für deren Entstellung recht bezeichnend i), dass von den
beiden Nachträgen, welche hier in Betracht kommen, cap. 29 über
Geschehnisse aus der Zeit von Mitte Juli bis Anfang November be-
richtet und cap, 38 von Geschehnissen bis Anfang Juli, dass aber der
Zusammenhang zwischen beiden nicht mit einem AVorte angedeutet
wird. Der Glaubwürdigkeit thut das nicht im geringsten Abbruch.
Die Kunde von dem was Thietmar in cap. 38 erzählt, verdankt er
offenbar seinem hier mitbetheiligteu Oheim Liuthar. Ich hebe aus
dem Berichte nur hervor was combinirt mit den Angaben der Diplome
uns Einblick in die Zeitfolge gewährt. Imperator ob defensionem
patriae Harnaburg ci^ätatem opere muniens necessario: dies geschah
jedenfalls nach dem 18. Mai (D. 244 aus Merseburg) und zu Beginn
des Juni (DD. 245 — 7, Arneburg 5 — 13). Die vier Wochen, auf welche
dem Erzbischof Giseler nach Aiifbruch des Kaisers der Oberbefehl in
Arneburg übertragen war, beginneu somit etwa Mitte Juni. Dazu
passt sehr wohl der 2. Juli als der Tag, an welchem sich Giseler
durch Unbesonnenheit eine Schlappe zuzog. Behauptete er sich doch
noch in Arneburg bis seine Zeit abgelaufen war, so ging die Stadt
doch vor Eintreflfen Liuthars, welcher den Erzbischof abzulösen hatte,
verloren: wir können dafür etwa den 10. Juli annehmen.
Von dieser Erzählung hat Kehr offenbar nicht Notiz genommen:
mit den Vorgängen in und um Arneburg verträgt sich der Feldzug
des Kaisers absolut nicht. Otto glaubte vielmehr allen Gefahren von
Seite der Slaven vorgebeugt zu haben, indem er Arneburg befestigt
und für dessen Vertheidigung gesorgt hatte. Zwischen seinem Auf-
bruche von Arneburg und seinen für den 9. Juli bezeugten Aufenthalt
in Gandersheini kann er, was ich gleich hier bemerken will, in Magde-
burg geweilt haben; desgleichen bevor er von Merseburg (18. Mai)
kommend in den ersten Junitagen in Arneburg eintraf. Die Kunde
von der Ueberrumpelung Giselers am 2. Juli -) kann der Kaiser bereits
in Gandersheim und die von dem Verluste Arneburo^s zu Eschwege an
der Werra, wo er am 15. und 17. Juli urkimdete, erhalten haben.
Er ist zweifelsohne in aller Eile aufgebrochen um in die Gegend von
Magdeburg zurückzukehren und sich selbst an die Spitze der Mann-
schaft zu stellen, welche sich auf die Nachricht des Falles von Arne-
burg bereits gesammelt haben wird. Entschieden war dies der Moment
') Ich halte mich hier ganz an die VoiTede in der neuen von Kurze be-
sorgten Ausgabe (Schulausgabe vom .1. 1889). So wenig wie von ihm auf das
Verhältniss von üb. IV. cap. 29 und 38 näher eingegangen worden ist, ist es
meines Wissens von anderer Seite geschehen. ") Vgl. Necrol. Merseb. und
Necrol. Magdeb.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 425
in welchem, soweit unsere Nachricliten reichen, am meisten Anlass
war, die Slaven zu züchtigen und am meisten Anlass für den Kaiser
in eigener Person zu Felde zu ziehen.
Knüpfen wir nun wieder an Thietmars Chronik an. Für cap. 29
hat er ebenso wie für die vorausgehenden Abschnitte die Ann. Quedlinb,
in seiner freien Weise benutzt. So erzählt er in gedrängter Weise,
aber doch immer einzelne Worte seiner Quelle wiederholend, wie der
Kaiser das Havelland verheert hat und als Sieger nach Magdeburg
heimgekehrt ist. Aber nach eigener Kunde verbessert er das interdum
der Annales in Ob hoc: die Slaven rächen sich für den ihnen durch
den Kaiser zugefügten Schaden durch einen Einfall in den Bardengau,
werden aber zurückgeschlagen. Dass dies erst nach Monaten geschah,
hält Thietmar nicht für nöthig zu bemerken. Aber er bietet uns hier
sonst nicht überlieferte Details: dass sich der Mindener Bischof Kam-
ward durch Tapferkeit hervorthat und dass in diesem Treffen Graf
Gardulfus fiel; indem nun in Merseburg der Todestag Gardulfs ein-
getragen wurde, lernen wir den 6. November als den Tag des Sieges
über die Slaven kennen. Welche Wirkung die Nachricht von dem
neuen Einfalle der Slaven und die von der Niederlage derselben am
kaiserlichen Hofe zu Aachen hervorbrachte, werden wir später verfolgen.
Weder als Otto von Mühlhausen aus eilig in das Feld zog, noch
bei der Rückkehr kann er in Magdeburg länger verweilt haben. Und
auch bei dem ersten Aufenthalt in dieser Stadt im Mai 907 hat der
Kaiser wohl nicht Müsse gehabt, mit Gerbert über wissenschaftliche
Fragen zu verhandeln und Disputationen zu veranstalten; auch kann
Gerbert schwerlich so frühzeitig am Hofe eingetroffen sein. Dagegen
scheint der zweite Aufenthalt in Magdeburg in jeder Beziehung ge-
eignet in ihn die Ankunft Gerberts zu setzen. Die in Arueburg er-
griffenen Massregeln werden den Kaiser mit Zuversicht erfüllt haben,
sich seinen persönlichen Neigungen hinzugeben. So nehme ich für die
Zusammenkunft mit Gerbert in Magdeburg Mitte Juni an und für die
Einladung desselben (Epist. 186) den April. Die vorausgehenden E]üst.
182, 185 werden dem Kaiser während des Aufenthalts in Aachen
(Februar und März 997) zugegangen sein.
Um der Epist. 218 die rechte Stelle anzuweisen kommt es weniger
auf das Itinerar des Kaisers als auf die Schicksale des Adressaten
Gerbert an. Nur als Vermuthung spreche ich es aus, dass dieser sich
verabschieden musste, als Otto Mitte Juli von Eschwege aus nach der
Elbe eilte, ferner dass er um diese Zeit nochmals Keims besucht hat ^).
1) Epist. 181 : Remis nuper me posito.
42G
Sickel.
Dem Hofe hat er sicli sicher, erst kurz bevor die Fahrt über Berg an-
getreten wurde, -wieder angeschlossen. Ich hal)e nun bereits S. 421
auf die Beschlüsse hingewiesen, welche im Frühjahr 997 auf der vom
Papst nach Pavia einberufenen Synode gefasst wurden. Eine Ent-
scheidung in der Reimser Angelegenheit war noch nicht erfolgt. Aber
die Absetzung des Erzbischofs Arnolf, die vor allen Gerbert verschuldet
hatte, und die Gefangenhaltung desselben waren aufs schärfste ver-
urtheilt worden. Die Energie, welche Gregor V. unter anderm auch
gegen Giseler von IMagdeburg bekundet hatte, musste Gerbert, welchen
der Papst schon Jahrs zuvor als Eindringling (JL. 3866) bezeichnet
hatte, mit Angst und Sorge erfüllen, zumal nachdem der in der Reimser
Angelecrenheit schon wiederholt verwendete römische Abt Leo wieder
als päpstlicher Legat in Frankreich erschienen war, um die Freilassung
Arnolfs zu verlangen und um diesen wie Gerbert und alle andern
Betheiligten vor den Richterstuhl des Papstes zu fordern.
In jener Epist. 183, in welcher Gerbert Otto als Sieger feiert,
ist nun auch von dem Legaten Leo die Rede. Ihm war, wie auch in
Epist. 181 erwähnt wird, die Enthaftung des Erzbischofs Arnolf ver-
•sprochen worden, wovon der Abt Leo den Kaiser mündlich oder
schriftlich in Kenntniss gesetzt hatte. Gerbert glaubt allerdings nicht,
dass diese Zusage gemacht worden sei, und noch weniger, dass sie
werde verwirklicht werden. In jedem Falle rechnete er, was auch
gegen ihn geplant sein möge, auf des Kaisers Unterstützung. Uebrigens
war, als noster Leo, d. h. der spätere Bischof von Vercelli i), sich an-
schickte zum Kaiser zu eilen, betreffs Arnolfs noch kein Entschluss
gefasst. Wird nun in diesem Zusammenhange der 8. September als
schon verflossen erwähnt, so ergibt sich als Abfassungszeit der Epist.
183 einer der folgenden Tage. Damals konnte Gerbert, auch wenn
er im Westen des Reiches weilte, Kunde von dem Ausgange des Zuges
o-eo-en die Slaven und von der Reise des Kaisers nach Aachen haben :
dahin wird er wohl sein Schreiben gesandt haben '^).
Sagte ich nun bereits, dass ich Epist. 218 später als Havet ein-
reihe 3), so muss ich hier hinzufügen, dass ich sie als des Kaisers
Antwort auf Epist. 183 betrachte. Otto knüpft ja gleich in den ersten
Worten an die Glückwünsche Gerberts an. Doch seine Erfolge freuen
ihn nur, weil sie auch Gerbert zu statten kommen. Der Theilnahme
seines geliebten Meisters sicher, will er sie ihm vergelten. Und so
') "Vgl. Löwenfeld Leo von Vercelli 4. -) In die gleiche Zeit setze auch
ich die Epist. 184: ») In N. 3 zur Epist. 218 wird diese als Epist. 183 vor-
ausgehend bezeichnet.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 427
theilt er ilrni die wiclitige Nachricht mit, welche er dem Abte Leo
verdankt, dass Arnolf schon auf dem Wege zum Papste ist i), und
zugleich was ihm das Beste dünkt: ut nuntius noster cum ipso Leone
ad papam dirigatur, qui pro vobis fidei intercessor habeatur.
1) Dass Arnolf erst im November aus der Haft entlassen worden sein soll,
wie Havet annimmt, kommt hier uicht in Betracht. Es lag im Interesse des
Legaten, die ihm in Frankreich gemachte Zusage, mochte sie ernstlich gemeint
sein oder nicht und mochte sie Ijereits verwirklicht sein oder nicht, Otto gegen-
über geltend zu machen. Dazu muss ich jedoch noch bemerken, dass mir das
Datum der Freilassung Arnolfs noch nicht sicher festgestellt zu sein scheint.
Havet beruft sich (Introd. XXVIII) auf Richer und auf die betreffenden Unter-
suchungen Pfisters (Etüde sur le regne de Robert le Pieux 54). Handelt es sich
dabei um die kurzen Aufzeichnungen, welche Richer ^seinem Werke anschloss,
so darben die allerdings jeder Zeitangabe, aber sie folgen offenbar so aufeinander
wie die Nachrichten dem Autor zugegangen sind. Daraus folgere ich, dass
Richer die Freilassung Arnolfs erfuhr zur Zeit, da er von der zweiten Reise
Gerberts nach Rom (Aufbruch Ende 997) bereits Kenntniss hatte und wenigstens
vermuthen konnte, dass derselbe schon in Rom weile. Es war vor der Zeit, da
Richer Kunde von der Erhebung Gerberts zum Erzbischof von Ravenna (April
998) erhielt. Trägt Richer noch später ein, dass der Papst Arnolf gestattet habe
bis zu rechtmässiger Erledigung seiner Angelegenheit seines priesterlichen Amtes
zu walten, so zweifle ich nicht, dass diese Entscheidung des Papstes noch in das
J. 997 gehört; aber Richer wird sie erst später bekannt geworden sein. — Was
die gi-ündlichen Untersuchungen Pfisters anbetrifft, so muss ich offen bekennen,
dass ich von der Richtigkeit der Darstellung auf S. 54 noch nicht überzeugt
bin. Aus den zuvor angegebenen Gründen bin ich der Sache selbst nicht nach-
gegangen. Dennoch erlaube ich mir die mir sich sofort aufdrängenden Bedenken
hier auszusprechen. Pfister bei-ichtet über eine einmalige Sendung des Abtes Abbo
an die Curie betreffs der beiden damals schwebenden Angelegenheiten und setzt
dieselbe zu Ausgang des J. 997. Hiefür führt er die jetzt zuerst von ihm (Introd.
LVII nr. 11) veröffentlichte Bulle Gregor V. für das Kloster Fleury-sur-Loire
vom 13. Nov. 997 an. Ich sehe ganz von deren Verhältniss zu JL. Reg. 3872
sowie von ihrem Inhalte ab. Das Protokoll lautet so correct, dass ich an der
Ausfertigung einer Bulle an das Kloster unter dem gegebenen Datum durchaus
nicht zweifle. Aber aus der Bulle folgt noch nicht, dass Abbo damals zum ersten
Male an der Curie gewesen sei. Die Angaben von Pflster machen mir vielmehr
den Eindruck, dass Abbo, wie das bei der Verquickung der beiden sehr heiklen
Angelegenheiten nicht ^\'under nehmen kann, zu Aviederholten Malen als Unter-
händler gedient habe. Das Zusammentreffen des Abtes mit dem Papste in der
Gegend um Spoleto kann nämlich nur im J. 996, als Gregor aus Rom fliehen
musste, stattgefunden haben (so auch Giesebrecht 1, 699). Andererseits gehört
der Brief Abbos in Migne Patrol. lat. 139, 419 jedenfalls erst in das J. 997. —
Noch eine zweite Bemerkung zu Pfister 53 (Ansatz der S3'node von Pavia zum
Juli 997) möge mir gestattet sein hier einzuschalten. Der in der Note 3 geltend
gemachte Grund hindert doch nicht, die Synode mit Löwenfeld u. a. noch früher
anzusetzen, und so hätte Pfister sagen müssen, weshalb er sich für ein späteres
Datum entschieden hat.
428 Sickel.
Dass zwischen der Epist. 183 uucl der Epist. 218 der engste Zu-
sammenhang besteht, ist ja aiich Havets Meinung und nur betreffs der
Priorität des einen oder des andern Briefes zweien wir. Deshalb
hebe ich nochmals hervor, weshalb ich Epist. 218 als Antwort auf
Epist. 183 betrachte i). Die Eingangsworte jener rerum eventus vestro
voto obsecundat, setzen voraus, dass sich Gerbert bereits über des
Kaisers Erfolge freudig geäussert hat; andere Erfolge als die des Feld-
zugs hatte aber Otto nicht aufzuweisen und zu diesen war ihm ja eben
in Epist. 183 Glück gewünscht worden. Es kommt ferner auf die
Phasen der Keimser Angelegenheit, seitdem Gregor in dieser energisch
vorgegangen war, an, und da scheint doch in Epist. 218 von einer
Jüngern Phase als in dem Gerbertbriefe die Eede zu sein. Gerbert
will den Nachrichten ttber das was der päpstliche Legat erwirkt haben
will, noch nicht Glauben schenken. Darauf erwiederte ihm Otto mit
Berufung auf den Abt Leo, dass doch Arnolf schon auf dem Wege
nach Rom sei. Gewichtiger scheint mir folgendes Argument. Auf
Gerberts zuversichtliche Bitte imi wohlwollende Unterstützung 2) ant-
wortet Otto mit dem Vorschlage, mit dem Abte Leo seinen eigenen
'Boten behufs Fürsprache zu Gerberts Gunsten an den Papst zu sen-
den 3). Der Plan des Kaisers war nun so vortheilhaft für Gerbert,
dass er vor allem über ihn sich äussern musste. Indem aber Epist.
183 denselben nicht mit einem Worte berührt, sondern nur die ganz
allgemeine Bitte ihn in seiner Bedrängniss nicht im Stich zu lassen
enthält, kann sie nicht Autwort auf Epist. 218 sein.
Auf Epist. 183 aus der ersten Hälfte des September (s. zuvor
S. 426) kann der Kaiser schon zu Beginn des Oktobers geantwortet
haben. Seinen Brief nicht viel später anzusetzen bestimmt mich gerade
der Schlusspassus. Das Anerbieten in Sachen Gerberts jemand an den
Papst zu senden, schliesst wie mich dünkt aus, dass Otto bereits den
Entschluss zur Roinfahrt gefasst habe, welche im November angetreten
wurde. Auch Gerbert sah im Herbst noch nicht voraus, dass er im
Gefolge des Kaisers nach Italien gehen werde **). Aber die Nachrichten
') Zugleich weil Giesebrecht 1, 680 ähnlich wie Havet Epist. 183 als Ant-
woi-t auf die etwa im Sommer 997 geschriebene Epist. 218 bezeichnet. -) Epist.
183 : novi ingenitam vobis benivolentiam talibus ausis posse et velle obsistere.
8) Aus diesen Worten lese ich heraus, dass als dieser Brief geschrieben wurde,
Leo in Person am Kaiserhofe weilte, was ebenfalls auf ein späteres Stadium
hinweist. '') Indem icli mich hier auch auf die Epist. 181 berufe, muss ich
sagen, weshalb ich auch diese später als Havet (vor dem Feldzuge gegen die
Slaven und am kaiserlichen Hofe geschrieben) ansetze. Es liegt auf der Hand,
dass sich Gcrbert, als er der dringenden Autforderung der Königin Adelaide zur
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 429
aus Italien und insbesondere aus Eom mögen allerdings schon im
Verlaufe des J. 997 den Gedanken an eine neue Komfahi-t nahe ge-
legt haben.
In diesem Zusammenhange nehme ich die Geschichte des Johannes
Graecus wieder auf. Seine Erhebung auf den päpstlichen Stuhl wird
seit Pagi zum Mai 997 angesetzt. Ich finde eine gewisse Bestätigung
dafür in dem Verhältnisse der Bullen Gregor V. für Eavenna JL. 3873
vom 28. Jänner und JL. 3878 vom 7. Juli 997 zu einander. Den
Inhalt der letzteren habe ich schon S. 225 angegeben. Es ist nun
bezeichnend, dass der Papst, welcher im Juli nicht mehr die geringste
Rücksicht auf Johannes nimmt, ihn im Jänner noch mit vorsichtiger
Schonung behandelt. Wir haben S. 227 gesehen, dass Johannes aller
Wahrscheinhchkeit nach bereits im November 996 aus dem Orient
nach Italien heimgekehrt war. Sein Wiedererscheinen mag dazu bei-
getragen haben, dass Gregor V. dem Erzbischof in JL. 3873 seine
Theilnahme bezeigte, dass er es laut beklagie, dass der Kirche von
Eavenna der Sprengel gemindert und ein Theil der Würden entzogen
worden war, und dass er ihr behilflich sein zu wollen erklärte, dass
sie nicht den Namen einer Metropole einbüsse. Wird damit deutlich
genug auf die von seinem Vorgänger zu Gunsten von Piacenza und
zuungunsten von Eavenna getroffene Verfügung hingewiesen, so sieht
sich Gregor doch noch nicht veranlasst und so wagt er doch noch
nicht, diese Verfügung rückgängig zu machen. Somit wird Johannes
Graecus im Jänner noch nicht als Gegenpapst aufgetreten sein. Ge-
schah dies im Mai oder doch bald nach dem Mai, so erklärt sich der
förmliche Widerruf in der Bulle vom 7. Juli. Die Kunde von diesen
Vorgängen muss aber auch dem kaiserlichen Hofe bereits im Sommer
zugegangen sein i). Und es wird auch nicht lange Geheimniss geblieben
Rückkehr nach Reims nicht Folge leisten zu können erklärte, bereits im Dienste
Ottos befand. Aber kein Wort nöthigt uns zur Annahme, dass er diesen Brief
am Hofe des Kaisers geschrieben habe, noch zu der, dass eben Vorbereitungen
zum Kriege gegen die Slaven im Zuge gewesen seien. Dagegen beweist der
Hinweis auf die dem Abte Leo gemachte, jedoch noch nicht verwirklichte Zu-
sage, dass Epist. 181 ziemlich gleichzeitig mit Epist. 183 ist. Dazu passt, dass
Gerbert eine Reise nach Italien um sich ebenso wie sein Rival Amolf auf der
geplanten Synode (Gisiler war zum 25. December vorgeladen worden) zu stellen
ins Auge fasst (wohl nicht im Ernst, aber den Schein sich zu stellen musste er
wahren) und, wenn diese Reise vertagt werden sollte, zu Anfang November am
französischen Hofe zu erscheinen verspricht. Hier hätte Gerbert wohl ebenfalls
der Reise mit dem Kaiser Erwähnung zu thun Anlass gehabt, wenn solche bereits
in Aussicht gestanden hätte.
•) Bezieht sich etwa darauf der Satz der Epist. 183 Sed fert — consiliis ? Dass
Leo von Vercelli erst in Italien und dann in Frankreich gewesen, wäre ja mögHch.
430 Sickel.
sein, dass Crescentius und der neue Papst die kaiserliclien Boten als
Gefangene in Rom zurückhielten. Um so autfallender ist es allerdings,
dass wie ich zuvor bemerkte, bis in die Mitte Oktober hinein in den
Gerbertbriefen von persönlichem Eingreifen des Kaisers in diese Ver-
hältnisse nicht die Rede ist.
Ich kann mir nicht versagen, hier noch auf die zwei letzten Briefe
der Havet'schen Edition einzugehen, obgleich ich nicht bestimmt zu
sagen weiss, von wem die Epist. 220 geschrieben sein mag und ob-
o-leich die Epist. 219 der Räthselhaftigkeit dieser Briefe die Krone
aufsetzt ^). Einiges lässt sich doch auch aus dieser Epist. mit Sicherheit
herauslesen. Gerbert ist Tag und Nacht in Aufregung und Sorge.
Seine Boten kehren nicht heim und neue vom Kaiser treffen nicht
ein. Doch ohne jede Kunde ist er nicht. Dort droht Gefahr von den
Slaven und mehr noch von den Wälschen. Er fürchtet, wenn man sich
um jene nicht kümmert, und fürchtet, wenn man nicht auf diese los-
o-eht. Er ist empört über das was die Boten aus Italien bringen. Sie
schmähen ihn, aber damit doch anch den Kaiser 2) u. s. w. Die Itali,
über welche Gerbert sich mit Verachtung und Entrüstung äussert,
können wohl kaum in Rom gesucht werden. Crescentius und dessen
Papst werden sich um Gerberts Sache nicht gekümmert und ihm nicht
Anlass gegeben haben, Schmähungen gegen ihn zu Schmähungen der
kaiserlichen Majestät aufzubauscheu. Doch dieser Versuch Gerberts ist
bezeichnend für sein Trachten und für die Herrschaft, welche er bereits
über den Kaiser ausübte.
Epist. 220 bestätigt, dass die Frage auf der Tagesordnung stand:
quonam vertere expeditos exercitus debeamus, berichtet aber auch wes-
halb man schwankte. Slavische Völkerschaften hatten ihre Unter-
werfung angeboten und Johannes Graecus hatte versprochen, sich in
allem des Kaisers Willeii zu fügen. Also war doch von Rom aus
versucht, Verliaudluugen anzuknüpfen; dies bestäi'kt mich dariii, in
1) Wilmans kannte diese Briefe nicht. Da Olleris ihnen nicht traute, sind
sie auch nach ihm wenig beachtet worden. Giesebrecht kannte sie und nannte
sie bezeichnend für die Verhältnisse im Herbst 997, hat sie dann jedoch in der
Erzählung nicht verwerthet. Eben deswegen benutze ich sie hier. — üiesebrecht
legt mit Olleris Epist. 220 einem Freunde Gerberts bei. Havet denkt vielmehr
an Gerbert als Autor. Ich neige mehr zu jener Ansicht hin, weil der Stil einfach
und nicht gesucht ist. Dass ein Brief an Gerbert in die Sammlung aufgenommen
worden sei, ist doch nicht verwunderlich. Sieht man in Gerbert den Schreiber,
so würde dieser schon im November nach Aachen an den Hof gekommen sein.
Im übrigen kommt es auf die Autorschaft wenig an, da der "Verfasser jedenfalls
gut unterrichtet ist und die Situation mit wenigen Worten vortrefflich schildert.
2) Ich deute also proprias iniurias wie Havet.
Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 431
den Itali, gegen welche Gerbert eifert, den Papst Gregor V. und die
Italiener seiner Umgebung zu erblicken. Doch Gerbert würde deshalb
nicht dem Gegenpapste das Wort geredet haben. — Die Entscheidung
zwischen dem einen und dem andern Unternehmen, für welche bereits
das Aufgebot erfolgt zu sein scheint, wird durch die Nachricht von
dem am 6- November über die Slaven errungenen Siege erleichtert
und beschleunigt worden sein, so dass der Aufbruch nach Italien bald
nach der Mitte November erfolgen konnte. Danach glaube ich Epist.
220 in die erste Hälfte November und etwas früher den vorausgehen-
den Brief ansetzen zu sollen.
Nach dieser wie ich glaube ungezwungenen Deutung der Briefe
und nach Combination ihres Inhaltes mit allem was wir aus andern
Quellen erfahren, ordne ich die im Namen Ottos gesclmebenen und
die mit ihnen zusammenhängenden Briefe Gerberts folgendermassen ^) :
Epist. 215, 213, 214, 216 aus Mai bis September 996; (182, 185),
186, (187) aus Februar bis Mai 997; (183 aus Mitte September); 218 aus
der ersten Hälfte des Oktober ; (219, 220 aus den nächstfolgenden vier
Wochen). Ich erachte mich also nicht an die Reihenfolge dieser Briefe
in den Handschriften, auch nicht an die welche Havet nach Umstellung
der einen Gruppe als die ursprüngliche betrachtet, gebunden, verzichte
aber darauf dieselbe zu erklären. Indem ich sie als der Zeitfolge nicht
entsprechend bezeichne, rauss ich dem zweiten Theile auch die Eigen-
schaft eines Kladdenbuches absprechen. So stimme ich betreffs dieses
Theiles darin allein mit Havet überein, dass er, von der eingeschobenen
Epist. 189 abgesehen, nur die Correspondenz Gerberts aus den Jahren
994 — 997 bietet, jedoch auch von dieser doch nur Bruchstücke, und
zwar bricht diese Sammlung mit dem Zeitpunkte ab, da sich Gerbert
im Gefolge des Kaisers wieder nach Italien begibt, was es ziemlich
wahrscheinlich macht, dass auch die Zusammenstellung der Correspon-
denz der zweiten Periode bald nach deren Abschluss erfolgt ist-).
') Die letzteren klammere ich ein. '^) Icli trage liier zu S. 379 unten
nach, dass allenfalls noch Stumpf Reg. IIGO, 1217 (vgl. Kehr 252, 258) hätten
erwähnt werden können; doch lassen auch sie sich nicht für die Annahme Kehrs
geltend machen. — Ferner sehe ich mich zu der Erklärung veranlasst, dass ich
mir bisher noch keine Uebersetzung des letzten Bandes von Boubnov verschaften
konnte und dass ich somit auf Berücksichtigung seiner Bemerkungen zu den von
mir besprochenen Gerbertbriefen habe verzichten müssen. Auch auf die Abhand-
lung von K. Schultess über Tapst Silvester IL (Hamburg 1891) habe ich, weil sie
mir zu spät zuging, nicht mehr Bezug nehmen können.
Amalricli L, König von Jenisaleni (1162—1174). ')
Von
Reinhold Röhricht.
Nachdem König Balduiu III. im 33. Jahre seines Lebens (10. Febr.
1162) gestorben war, gelangte sein Bruder Amalrich, der gleich nach
dem Empfange des Ritterschlages Graf von Jaffa und nach 1153^)
auch von Ascalon '■^) geworden war, im 27. Lebensjahre zur Regierung.
1) Ueber seine Regierangszeit finden sich bei den arabischen Schriftstellem,
ferner bei Robert de Monte, Ernoul und Wilhelm v. Tyras (welchen Oliverius
Scholasticus in seiner Hist. T. Sanctae, Jacobus de Vitriaco und Marinus Sanutus
ausgezogen haben) die besten Angaben, wenig werthvolle oder nur zerstreute
Nachrichten bei Sicard (Muratori SS. VII) 599, Dandolo (ibid. XII) 291, in Annal.
Camerac. (Mon. Germ. SS. XVI) 536—8, Cont. Admunt. (ibid. IX) 584, Annal.
S. Rudbei-ti (ibid.) 776, Annal. Waverl. 238 , Rog. de Hovedene I, 263. Die Dar-
stellungen bei Wilken HIB, 75 — 154; Michaud (ed. BrehoUes) 11, 11—26; Pavie,
L'Anjou dans la lutte de la chretiente contre l'islamisme, Angers 1880, I, 45—75;
Kugler, Gesch. d. Kreuzz., Berlin 1891, 166—74 sind nicht erschöpfend. Eine ziemlich
brauchbare Uebersicht seiner Biiefe siehe in Hist. litt, de la France XIK, 489—91 ;
XIV, 55. *) Ernoul 14. Amalrich begegnet uns urkundlich als Graf von Jaffa
1151 (Roziere, Cartul, du St. Sepulcre 91), als Graf von Jaffa und Ascalon 1155
(ibid. 92—3, 101, 117; Archives de l'Orient lat. H, 133—4), 1156 (Paoli, Codice
diplom. I, 34), 1157 (ibid. 36; Ginseppe Müller, Documenti 7—8), 1158 (Roziere
120, 123), 1160 (ibid. 106, 109, 114, 115: Pauli 37; Delaborde, Chartes 81), 1161
(Strehlke Tabulae 3 und Roziere 196: Nov.); über ihn als Grafen von J. u. A.
vgl. auch De Mas Latrie im Archivio Veneto 1879, XVUI, 384—5. ^) Ueber
die Eroberung vgl. Barhebraeus 348; Ibn el-Atir, Kamäl 490—1 u. dessen Hist.
atab. 189; Kenirü ed-din 317; Wilh. v. Tyrus XVII, c. 21-30; Sicard 249; Rieh.
Cluniac. (Mm-atori Antiquit. XII) 140; Annal. Egmund. A. (Mon. Germ. SS. XVI)
458—60 (wonach d. Fall der Stadt in Jerusalem besonders gefeiert ward); Annal.
Leod. (ibid.) 641; Annal. Casin. (ibid. XIX) 311; Cont. Aquic. (ibid. VI) 395;
Cont. Praem. (ibid.) 455 ; Cont. Valc. (ibid.) 460 ; Rob. de Monte (ibid.) 503 ; Chron.
Bald. Ninov. ed. de Smet 708; Chron. regia Colon, ed. Waitz 30; im Allgemeinen
Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174). 433
Die Fürsten waren zwar anfangs niclit ganz mit seiner Wahl ein-
verstanden 1), aber durch die Gunst des Clerus und Volkes getragen,
wurde er dennoch gewählt und von dem Patriarchen Amalrich ^) in
Gegenwart der Erzbischöfe, Bischöfe und Würdenträger des lieiches
feierlich gekrönt^).
siehe aucli Jaküt in ZDMG. XVIII, 464; Wüstenfeld, Gesch. d. Fatimiden 318
u. dessen Al-Calcaschandi 73. Eine auf die Eroberung bezügliche Inschrift in
Barletta siehe hei Schulz, Denkmäler Unteritaliens I, 138 (vielleicht gehört auch
die von Clermont-Ganneau in Archives II A., 463 mitgetheilte Inschrift hier-
her). Pläne der Stadt geben Rey Etüde XIX (vgl. 205—10); Sui-vey III, 237;
ZDPV. II, 164—71 ; Röhricht, Biblioth. s. voce. Die Eroberung d. Stadt erfolgte
am 19. Aug. (Sigeb. Auct. in Mon. Germ. SS. VI, 396, wonach der Templermeister
mit vielen Templern in der Bresche fiel), nach d. Chron. Ninov. ed. de Smet 708
(aus dem Berichte eines Augenzeugen) assumptione s. Mariae, nach Jaküt in
ZDMG. XVIH, 464 am 17 Djum. II 548 d. i. 9. Sept. 1153, nach Beha ed-din im
Rocueil d. bist. d. croisades, aut. Orient. III, 99; Ibn Khallikfin, Biogr. diction.
IV, 518; Derenbourg, Vie d'Oussama 245—6 am 19. September. Eine Anecdote
über d. Eroberung Ascalons, wonach der Temj)lermeister durch die Hinrichtung
von 8 gefangenen Templern zu doppeltem Eifer angespornt wurde, erwähnt Ja-
cobus de Vitriaco in einer seiner Predigten bei Pitra, Anal, novissima 1888,
11, 412.
1) So Wilhelm von Tyrus; Ernoul 17 meldet, die Barone hätten die Auf-
lösung seiner ersten Ehe zur Bedingung der Wahl gemacht. Hingegen berichtet
Amalrich in seinem Briefe (Bongars Epistol. No. 13, auch bei Bouquet XVI,
W—7), er sei gewählt worden ,sine omni impedimento atque in bona om-
nium hominum nostrorum voluntate". Dieser Brief des Königs ist 1164 (am
10. April) geschrieben; denn das darin erwähnte Erdbeben erfolgte am 2. August
1163 (Chron. S. Albini Andegav. [Bouquet XIIJ 482; hingegen giebt das Chron.
universale Metteuse [Mon. Germ. SS. XXIVJ 518 fälschlich 1161 an) und die
ebenda erwähnte Gefangennahme Raynalds von Antiochien war am 20. Nov.
1160 erfolgt (Wilh. v. Tyrus XVIII, c. 28; Rob. de Monte 1160). Dieselben beiden
Ereignisse bilden das Hauptthema des Briefes Amalrichs an Ludwig v. Frankreich
(Bono-ars No. 4; Bouquet XVI, 37—8), der durch d. Erzbischof v. Mamistra nach
Paris gebracht wurde (also Sept.— Oct. 1163) u. des Templermeisters Bertrand de
Biancafort (Bongars No. 10; Bouquet XVI, 27—8), also aus derselben Zeit; hingegen
fällt zwischen den August 1163 u. August 1164 der Brief Bohemunds v. Antiochien
an Ludwig (Bongars No. 25; Bouquet XVI, 27—8) der über die Gefangenschaft
Raynalds u. d. Erdbeben handelt. ^) Ueber ihn u. seine Briefe vgl. Hist. litt,
de la France XIV, 162—4, auch ZDPV. X, 7. «) Nach Wilhelm von Tyrus XIX,
c. 1 am 11. Febr. 1163 (Robert de Monte: im März 1163), während Balduin nach
Wilhelm (XVIII, c. 34) am 10. Februar 1162 gestorben sein soll; ebenso wider-
sprechend ist die Angabe desselben, dass A. am 8. Tage nach dem Tode Balduins
gekrönt worden sei. Zum Glück können wir den Todestag des letzteren (10. Febr.)
auch aus dem Briefe Amalrichs (Bongars No, 13) als richtig beweisen; hingegen
findet sich über das Todesjahr vielfache Unsicherheit. Dass Amalrich 1174, und
nicht schon 1173, gestorben ist (so noch Prutz im N. Archiv 1882, 100 und 115),
geht mit Evidenz heiTor aus der Angabe Wilhelms, dass sein Feind Nf-r ed-din
Mittbeilungeu XII. 28
434 R ö h r i c h t.
Er war eiu Manu von reicher Erfahruug in weltlichen Dingen,
klug und umsichtig, meist schweigsam, also das Gegentheil seines ge-
sprächigen Bruders, und wenn er redete, so fehlte es ihm zwar nicht
au Gedanken, wohl aber an Fluss und Eleganz, Die Assisen des
Königreichs i) kannte er wie kein Zweiter und wusste in schwierigen
Fällen oft überraschend scharfsinnige Entscheidungeu zu geben, und
wenn ihm auch sonst eine eigentlich gelehrte Bildung abging, so
wusste sein reger Geist, unterstützt durch ein glückliches Gedächtniss,
durch eifrige Leetüre von Geschichtswerken, durch Fragen uud
Unterhaltungen mit weit gereisten Mäuneru allmählig umfassende
Kenntnisse zu erringen, und wie hoch er besonders das Studium und
deu Werth der Geschichte achtete, lässt sich wohl am besten daraus
erkennen, dass er den Erzbischof Wilhelm von Tyrus zur Abfassung
seines grossen Geschichtswerkes bewog, das uns allen für die Kennt-
ihm im Tode vorausging (XX, c. 33) ; Michael Syrus 379 (Rec. armenien 379) sagt:
40 Tage vorher. Da nun Nur ed-din sicher 1174 und zwar am 15. Mai starb
(Ibn el-Atir, Kamal 602, Hist. atab. 292), so ist dasselbe Jahr sicher verbürgt
(vgl. schon Weil, Gesch. der Chalifen III, 345); ebenso geben Ibn el-Atir, Kam.
'619; Wilh. Andrens, (Mon. Germ. SS. XXIV) 711; Chron. Uticense (Bouqüet XII)
774 ; Table chronol. (Rec. armen.) 476 ; Robert de Monte und daraus Chron. Triveti
(ed. Heg) 80, das Jahr 1174, 1175 hingegen das Chron. S. Albini Andegav.
(ßouquet XII) 484, und 1176 Sigeb. Cont. Aquicinct. (Mon. German, SS. VI) 415
an. Endlich rechtfertigt sich 1174 als Todesjahr Amalrichs, aus dem wir noch
Briefe u. Urkunden von ihm besitzen, uud 1162 als das Jahr seines Regierungs-
antritts aus der Angabe Wilhelms (XX, c. 33), dass er 12 Jahre und 5 Monate
regiert habe (Ernoul 32 sagt: 13 Jahre). Als König erscheint er in folgenden
Urkunden: 1163 (6. März bei Delaville le Roulx, La bibliotheque etc. . . de
l'ordre de St. Jean de Jerusalem 98 und Paoli 208), 1164 (Roziere 256, 263—7;
Archives II, 140), 1165 (Paoli 241; Delaville le Roulx 101; Müller 11), 1166
(DelaviUe le Roulx 103—4), 1167 (ibid. 108, 110; Paoli 214; Lib. jurium I, 228),
1168 (Roziere 288, 291; Paoli 47—8; Delaborde 83; Müller 14; Strehlke 5—6:
Camera 203), 1169 (Strehlke 6; Archives II, 143; Paoli 49; Müller 15), 1170
(Paoli 51, 229 — 33; Archives II, 144), 1171 (Archives II, 144), 1173
(Strehlke 7; Delaville le Roulx 114, 116), 1174 (Archives II, 145; Paoli
242—4; die letzte Urkunde ist vom 3. Juli 1174 bei Strehlke 8). Erwähnung
unsers A. wird auch in Urkunden gethan 1175 u. 1176 (Paoli 60; Roziere
307—8; Delaborde 85), 1191 (Müller 39), 1193 (ibid. 60; Paoli 215 u. Strehlke 24).
Die bei Strehlke 9 vom König (17. Uctob. 1177) ausgestellte Urkunde ist natür-
lich unecht.
') Um deren Feststellung und stricte Beobachtung er energisch sich bemühte,
wie er unter anderem anordnete, dass alle Vasallen dem Könige Treue, schwören
mussten (Lois ed. Beugnot I, praef. XXII; cf. 215—6, 320, 457, 458, 525—7).
Auf ihn zurück gehen die Anlange einer Seegesetzgebung (Lois ü, praef. XLII,
42—3), (iesetze über die Ehen (Lois H, praef. LIV. 418), ühev die Dauer des
Militilrdieustes (in IJilbais gegeben); vgl. Lois I, praef. XX U, 455.
Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174). 435
uiss der Kreuzzüge, trotz vieler Mängel und Lücken, unentbehrlicli
ist ij. Am meisten freute er sich, in den Unterhaltnugen und bei
richterlichen Fällen recht verwickelte Fragen erörtern und lösen zu
können. Alle seine Beschäftigungen, soweit sie nicht durch sein könig-
liches Amt als Pflichten ihm auferlegt wurden, waren ernsthafter Art;
er liebte weder Würfel noch Schaustücke, dagegen Keiher- und Falken-
jagd, und im Kriege, wo er mit gleicher Ausdauer Hitze wie Kälte
vertrug, zeigte er Vorsicht, List und Tapferkeit ^'). Ausserdem war er
ein treuer Sohn der Kirche; er gab ihr regelmässig den Zehuten und
ging jeden Tag zur Messe ^). Nur musste Wilhelm von Tyrus sich
einst sehr über ihn wundern, als Amalrich in einer leichten Krank-
heit von ihm einen Vernunftbeweis für die Lehre von der Auferstehung
verlangte, doch gab der König sich bald zufrieden, als Wilhelm ihm
die Noth wendigkeit und Wahrheit dieses Dogmas aus der Gerechtigkeit
Gottes heraus bewies. Gleichwohl hielt ihn seine Frömmigkeit nicht ab,
wie man sagte, bis in seine reiferen Jahre hinein fremde Ehen zu
stören und die Kirchen mit starken Steuern und Auflagen zu drücken *),
auch wenn kein Krieg dem Lande drohte, weil nur ein reicher Fürst
niemals sein Volk drücken würde, dagegen im Staude sei, es in Zeiten
des Krieges mit Nachdruck zu schützen, und dass er iu der That, so
oft dieser Fall eintrat, wirklich Geld hatte und reichlich zum Besten
1) Wilh. V. IVrus XX, c. 33; über den Autor und sein Werk vgl. Priitz im
Neuen Archiv 1882, 83—132 und ZDPV. X, 17. '-) Ibn el-Atir, Kamal 553
sagt von ihm: »Seit die Franken das erste Mal in »Syrien sich gezeigt, hatten
sie noch keinen Krieger liesessen, der diesem Könige an Muth, List und Ge-
wandtheit es gleichthat% und p. 619 wiederholt er dies Lob: ,Er war der grösste
ihrer Fürsten durch seine Tapferkeit, der hervorragendste durch seine Klugheit,
seinen listigen und verschlagenen Sinn.* Nicht minder feierte man seine Tapfer-
keit im Abendlande (Carmina Burana 32—3, No. 27). ■'') Schenkungsurkunden
für Kirchen, von Amalrich ausgestellt, sind uns nicht erhalten ; in einer Urkunde
bestätigte er der Kirche des heiligen Grabes die Schenkungen seiner Vorgänger
(Roziere 262—4, No. 144; auch bei Beugnot, Lois II, 524 n. 39). Im Jahre
1170 ward den Cluniacensern durch König Amalrich (Du Gange, Les tamilles
d'outre mer 837 (ed. Key) und Bischof Wilhelm von Accon (Bibl. Gluniacensis
1431 , wo die Urkunde abgedruckt ist) Palmarea bei Ghaifa (über die Lage
vgl. Röhricht in der Zeitschr. d. D. Pal. Vereins X, 1887, 207 — 8) übergeben ;
vgl. auch das da aus God. Paris, lat. 12665 (bei JafFe-Löwenfeld No. 13516) mit-
getheilte Schreiben Alexander III. Ueber eine unter seiner Regierung (1169)
erfolgte Restauration in der Basilika zu Bethlehem siehe die wohl erhaltene
griechische Inschrift bei (iuerin, La Judoe I, 139. •») Fürst Thoros IL von
Armenien soll ihm, bei einem Besuche in Jerusalem, recht deutlich gemacht
haben, wie sehr das junge Königreich einer kräftigen < »rganisation und besonders
eines gesunden Finanzstandes bedürfe (Ernoul 27—30).
28*
^3g Röhricht.
des Landes aufwandte, musste man unbedingt anerkennen. Trotzdem
erklärt sich von selbst, dass die Zahl seiner Gegner nicht gering ge-
wesen sein wird, und dass sie ihm heimlich und öffentlich Schinijif
und Schande anthaten, aber er war in diesem Punkte ebenso nach-
sichtio- wie sonst gegen seine Beamten, von denen er niemals Eechen-
schaft verlangte, gegen die er auch, selbst wenn sie offenbar im Un-
recht waren, niemals Klagen annahm. Die meiste Erbitterung erregte
er dadurch, dass er den leichtsinnigen und hochmüthigen Milo von
Plancy aus der Champagne zu seinem Seneschall erhob und ihm sogar
mit der Hand der Wittwe Honfreds jun. Namens Stephanie die Festung
Montroyal (Schaubek) gab.
Seine äussere Erscheinung imponirte durch eine hohe Gestalt,
durch ein schönes, fürstliches Antlitz, das zwei glänzende Augen, eine
Adlernase und volles Haar am Kopf, Kinn und Wange zierten; nur
störte der Umfang der Brust, die trotz seiner massigen Lebensweise
fast weibliche Fülle zeig-te, und er verlor vollends alle königliche
Würde, wenn er ins Lachen gerieth, da dann sein ganzer Leib in
Erschütterung kam.
Er hatte noch bei Lebzeiten seines Bruders die Tochter des Grafen
Joscelliu n. jun. von Edessa, Agnes von Courtenay, geheirathet i), die
ihm Balduin IV. und eine Tochter gebar, welche nach der Gräfin von
Flandern, seiner und Balduins IIL Schwester, den Namen Sibylla
erhielt. Er musste sich nach dem Tode seines Bruders von dieser
Gemahlin wieder scheiden, die er ohne den Willen des Patriarchen
Fulcher geheirathet hatte, weil sie, wie später in Gegenwart des
Patriarchen Amalrich, des Cardinalpresbyters Johannes und Paulus,
Legaten des päpstlichen Stuhles, festgestellt wurde, im vierten Grade
mit ihm verwandt war, doch sollten die aus dieser Ehe entsprossenen
Kinder als rechtmässige gelten. Die geschiedene Königin heirathete
(c. 11G4) Hugo von Ibelin, einen Sohn Balians sen. und Bruder
Baliaus jun., welcher letztere nach dem Tode des Königs die zweite
Gemahlin desselben, Marie, ehelichte. Als Hugo noch bei Lebzeiten
Amalrichs starb, ward Agnes die Gemahlin Kaynalds von Sidon, eines
Sohnes des Gerhard von Sidon, aber auch die dritte Ehe der Agnes
war nicht von langer Dauer, da sie ebenfalls wegen zu naher Ver-
wandtschaft für illegitim erklärt wurde. König Amalrich hingegen
schickte alsbald nach seiner Scheidung auf den Kath seiner Barone
den Erzbischof Hernesius von Caesarea und seinen Mundschenk Odo
') Wilhelm von Tyrus XIX, c. 4; Enionl 15—7; v«,'!. Du C'ange, Los familles
d'outre mer ('tl. K. Rey 20-1, 363, 433.
Amalrich L, König von Jerusalem (1162—1174). 437
voll St. Amand nach Constaiitiuopel als i3rautwerber, und diese führten
nach zweijähriger Abwesenheit ihm seine zweite Gemahlin Maria Com-
nena, die Tochter des Johannes Comnenus, Enkeltochter des Andronicus
Comnenus Sebastocrator zu; Amalrich zog ihr 1167 nach Tyrus ent-
o-ea-en, wo unter allseitiger Betheiligung des Clerus und der Barone
des Königreichs die Hochzeit mit feierhchem Pompe begangen wurde
(29. Aug.).
Als König Amalrich nun zui- Kegierung gekommen war, wandte
er sein Hauptaugenmerk auf Aegypten, dessen Unterwerfung schon
einsichtige Männer zur Zeit des ersten Kreuzzuges gefordert i) und
König Balduiu I. versucht hatte-'). Die Eroberung Ascalons, welche
Balduin III. gelungen war, ermuthigte zu diesem Plane, noch mehr
aber die Ohnmacht des Chalifen, der vollständig von seinen Gross-
vezieren regiert wurde, die wieder einander durch Gewalt und List
aus ihren Stellungen drängten, so dass das Land niemals eine dauernde
und energische Regierung hatte. Wir müssen bei diesen Verhältnissen
etwas länger verweilen, da die Kriege mit Aegypten die Eegieruugszeit
Amabichs hauptsächlich erfüllen.
Der Chalif Abu'l Kasim Isa el-Faiz, geboren am 3L Mai 1149,
war am 23. Juli 1160 schon gestorben 3). Der Grossvezier Taläi ibn
Ruzzaik wusste nicht, wen er als dessen Nachfolger ausrufen lassen
solle und fragte einen alten Eunuchen, wen er dazu vorschlage ; dieser
nannte mehrere, darunter auch den Namen eines bejahrten Mannes,
den Taläi vortreten Hess, schliesslich aber ablehnte. Endlich war er
mit sich einig. Auf den Wink eines seiner Officiere erwählte er den
noch unerwachsenen Sohn des von Abbas ermordeten Jüsüf ben el-
Dhafir Namens Abu Muhammed 'Abdallah, der am 9. Mai 1151 ge-
boren war, erhob ihn unter dem Namen el-Adhid zum Chalifen und
verheirathete ihn mit seiner Tochter •*). Alsbald jedoch erhol) sich gegen
») Raymund d'Aguiles im Rec. des liist. d. crois. (auteurs occid. II) 292.
-') Balduin starb auf einer Expedition nach Aegypten in der Nähe des später
nach ihm benannten Sabkhat Bardouil d. i. des Sirbonisseee zwischen Ras Straki
und Ras Kasarün (Ibn Khallikän III, 456; Marino Sanuto 261; vgl. die gute
Karte bei Jacotin, planche 33 und Ritter, Asien XVII, 38). wo auch seine Ein-
treweide begraben wurden, während man seinen Leib in der Komäma (Auf-
erstehungskirche; über die von den Arabern beliebte spottende Verdrehung des
Wortes in Kiuma [ünrathl vgl. Golius ad Alft-ag. 138) beisetzte (Wilhelm von
Tyrus XI, c. 31; Alb. Aquensis XII, c. 27; Fulcher. Carnot. II, c. 64; Albericus ad
1117; vgl. Ibn el-Atir, Kamal 118 u. Du Cange, Les familles 9 — 10). ») Ibn
Khallikan II, 427. Ueber die ganze Zeit vgl. Wüsteufeld, Gesch. der Fatimiden
in Aegypten (Götting. acadera. Abhandl. 1881) 325 flF, *) Ibn Khallikan
II, 72-4.
^ßg Röhricht.
deu raüclitigen Ve/ier der durch seiue Habsucht, die er durch Verkauf
von Stellen hu Emire befriedigte, durch seiue liücksichtslosigkeit gegeu
den Chalifen, endlich auch durch seine Strenge, die er zur Aufrecht-
erhaltuug der Ordnung im Palaste, zum besonderen Verdrusse der
Damen, ausübte, sich viele Feinde gemacht hatte, eine Verschwörung,
welche mit Wissen des Chalifen dessen jüngere Tante angezettelt hatte.
Er wurde im Schlosse plötzlich überfallen und schwer verwundet.
Sterbend erklärte er, er bereue keine seiner Thaten, wohl aber, dass
er Schawer zum Präfecten des äussersten Ober-Aegypten gemacht habe
und dass er statt bei Bilbais Halt zu machen, nicht auch gegen die
Christen und vor allem gegen Jerusalem marschiert sei; er befahl
seinem Sohne Ruzzaik el-'Adil, den Schawer niemals sich nahe kommen
zu lassen, da er selbst sonst Herrschaft und Leben werde ver-
lieren müssen. Bald darauf starb er (11. Septemb. 1161), nachdem
er noch die ihm ausgelieferte Urheberin des Attentats mit seiner letzten
Kraft massacrirt hatte; am zweiten Tage darauf ward Abu Schugä
Kuzzaik örossvezier i).
Taläi hatte nämlich den Abu Schugä Schawer ben Mudjir-) zum
Präfecten von Said (in Ober-Aegypten mit der Hauptstadt Kus) ge-
macht. Hier gewann Schawer bald vielen Anhang, so dass Taläi ihn
nicht abzusetzen wagte, wohl aber that dies jetzt Ruzzaik el-'Adil
(Aug. 1162) und gab seine Stelle dem Emir Ibn el-Rifa. Schawer
revoltirte offen, entwich erst in die Oasen der Wüste, ging dann nach
Tarüdja bei Alexandrien und zog im December 1162 in Kairo ein, das
Ruzzaik zwei Tage vor ihm verlassen hatte, um in Atfih bei einem
Freunde Zuflucht zu finden •^). Dieser Nichtswürdige, obwohl einst von
Ruzzaik mit Wohlthaten überhäuft, verrieth dem Sieger seinen Feind.
Schawer liess nun den Ruzzaik herbeiholen und tcklten, aber auch
dem Verräther gab er denselben Lohn. Jetzt war Schawer Herr von
Aegypteu, allein in der Armee erhob sich alsbald ein starker Gegner
in dem Emir Abu'l Aschbai Dhirgäm, der im August 1163 Schawer
aus Kairo vertrieb und zur Flucht nach Syrien zwang, wo er Nur
ed-din um Hilfe bat').
In diese Zeit fällt der erste Feldzug, den König Amalrich gegeu
Aegypten unternahm, weil der Chalif deu seinem Bruder Balduin einst
1) Ibn el-Atir, Kamal 519—22; Ibn Khallikfin I, 659; Vie d'Oussruna 6d.
Derenbourg 250. *) Ibn Khallikfin I, tJ08— 12; Ibn el-Atir, Kaniäl 527—8.
») Ibn Khallikan l, 608. ••) iSchawer kam nach Ibn Khallikan IV, 485 am
23. Oktober 1163, nach ibn el-Atir, Kamal 533 im Februar 1164 zu Nur ed-din
und versprach ihm ein Drittheil aller Einkünfte Aegyptens.
Amalricli 1., König von Jerusalem (1162—1174). 439
versprocheueii Tribut zu zahlen sich geweigert hatte 1). Am 1. September
lirach er auf, schlug den Bruder Dhirgams Nasr el-muslimin bei Bilbais
und berannte diese Stadt mit Erfolg, aber da die Aegypter die Dämme
durchstachen und so das ganze Land überschwemmten, musste Amalrich,
ohne die Stadt erobern zu können, wieder abziehen -).
Noch ehe jedoch dieser Einfall erfolgt Avar, hatte Dhirgam, der
unter dem Namen el-malik el-mansür Grossvezier geworden war, auf
die Einflüsterung hin, dass seine besten Freunde und Kameraden des
von Taläi gegründeten Corps el-Barkija^) mit Schawer ein geheimes
Einverständniss hätten, gegen 70 Emire mit ihrem Gefolge, ohne den
geringsten bestimmten Beweis von Schuld, niederhauen lassen und
dadurch sich viele Feinde gemacht. Als aber nun dem durch Schawer Nur
ed-din Schirküh beigegeben werden sollte, schickte Dhirgam an König
Amalrich um Hilfe und machte ihm eine Menge glänzender Ver-
heissungen; er versprach ihm einen höheren jährlichen Tribut, dauernde
Unterthänigkeit Aegyptens unter die Krone Jerusalem, unauflösliches
Bündniss für alle Zeiten und eine Menge von Geiseln. Amalrich
unterhandelte noch, als der Sturz Dhirgams erfolgte und damit die
glänzende politische Perspective verschwand.
Schirküh ^) war nämlich , während Nur ed-din eine Bewegung
gegen die Grenzen des Königreichs Jerusalem machte, um Amalrich
festzuhalten, ohne Widerstand mit Schawer über die ägyptische Grenze
gegangen 5); schon am 24. April 1164 trieb die vor ihm hergehende
Panik die Bewohner Kairos zur Flucht. Der Bruder Dhirgams Nasr
el-muslimin zog am 26. April dem Schirküh entgegen, ward aber bei
Bilbais geschlagen, hauptsächlich deshalb, weil ein Theil seiner Armee
zu Schawer desertirte. Am 1. Mai lagerte Schawer vor Kairo und
rückte, nachdem er einen Ausfall Dhirgams abgeschlagen hatte, in
•) Nach dem Tode des Faiz hatte der Vezier Al-'Adil ibu Ruzzaik der Krone
Jerusalem einen jährlichen Tribut von 160000 Goldstücken versprochen (Barhe-
braeus, Chron. sj'r. 357). -) Wilhelm von T3'rus XIX, c. 5 ; Amalrich schrieb
über diesen Feldzug an Ilönig Ludwig von Frankreich (Bongars No. 23) gegen
Knde Sept. 1163: ,nisi per interpositionem fluminis paradisi qui (sie) ex improviso
uobis supei^venit — impediremur, sicut speramus, urbs illa vel caperetur vel
redderetur*. ^) So genannt, weil die Soldaten aus Barka stammten (Deren-
bourg, Vie d'üussäma 220). *) Ibn el-Atir, Hist. atab. 213— 15; Ibn Khallikan
1, 627—9; Wilhelm von Tyrus XIX, c. 5—7. Nach dem Briefe des Patriarchen
Amalrich bei Martene Collect. I, 869 (auch bei Bouquet XVI, 61) rief Schawer
den König erst nach dem Einmärsche Schirkilhs um Hilfe an. °) Er brach
nach dem Briefe des Patriarchen Amalricli (der im Sept. 1164 geschrieben ist)
bald nach Ablauf der Fastenzeit auf, was mit Ibn el-Atirs Angaben (Kiimfil
532—3) sich gut vereinigt; vgl. Histor. atab. 216; Boha ed-din 31.
440 R ö h r i c h t.
Fosthät eiu. Bei einem ueueu Ausfalle ward Dhirgäm, der noch durch
Einziehung der Depositengelder von Waisen den allgemeinen Unwillen
erregt hatte, am Thore Zawila plötzlich von einigen Corps verlassen,
während Schäwer mit Schirküh bis nach Saäda und zum Brückenthore
vordrang und, um die Verwirrung zu steigern, Feuer anlegen liess.
Jetzt verliessen bis auf 30 alle Begleiter den Dhirgäm; auf der Flucht
stürzte er vom Pferde und ward am Boden liegend ebenso wie sein
Bruder getödtet (24. Mai 1164), worauf Schäwer seinen Einzug hielt
und am folgenden Tage das Vezierat übernahm; Schirküh blieb draussen
vor der Stadt mit seinen Truppen ^).
Jetzt als Schäwer wieder Herr von Aegypten geworden war,
änderte er seine Haltung; von der Erfüllung der Versprechungen, die
er einst in Damascus dem Nur ed-din und Schirküh gemacht hatte,
war keine Kede mehr; Schirküh wurde bedeutet, dass er heimkehren
könne, da man seiner nicht mehr bedürfe. Nachdem dieser sich ver-
geblich bemüht hatte den Vezier zur Beobachtung des Vertrages zu
bewegen, befahl er seinem Emii', dem künftigen Sultan Saladin, Bilbais
und die Provinz esch-Scharkia zu besetzen und Contributionen zu er-
heben. Bald kam es auch zu blutigen Kämpfen zwischen den Truppen
Schirkühs und Schäwers, wobei ein Theil der Stadt ausserhalb des
Canals vollständig und in der Zawilastrasse viele Häuser in Flammen
aufgingen. In dieser verzweifelten Lage glaubte Schäwer das einst von
Dhirgäm gewählte Mittel ergreifen zu müssen; er schickte an König
Amalrich um Hilfe und überbot die Versprechungen Dhirgäms noch
um vieles ^).
Dem König Amalrich kam dieser neue Hilferuf ganz gelegen.
Nachdem er Bohemund von Antiochien als Stellvertreter und zum
Schutze seines Landes Truppen zurückgelassen hatte, die durch ein-
getroffene Pilgerschaaren nicht unerheblich verstärkt worden waren 3),
brach er von Ascalon auf*) und rückte auf Kairo los. Schirküh ging
ihm entgegen und verschanzte sich in Bilbais. Schäwer liess sofort
') Ibn el-Atir, Kamrü 534 u. Hist. sAah. 216; Ibii Kliallikän I, 611; IV, 486.
'■') Wilhelm von 'I>rus XIX, c. 7. Nach Ibu Abu Tai (Reiuaud, Extr. 116 Note 1)
versprach Schäwer 1000 Goldstücke für jeden Marschtag (ganz ebenso Ernoul 24;
nach der Histor. rogni Hierosol. [die sonst meist aus Wilhelm von Tyrus ihre
Nachrichten über Amalrich geschöpft hat] in den Mon. Germ. SS. XVIII, 51
1000 Goldstücke für jede Lanze), ferner Verpflegung der Saumthiere und Unter-
stützung der Hospitaliter. ^) So die arabischen Autoren wie Ibn el-Atir,
Kami'il 535 ; die Epist. Ganfredi (Bongars No. 24 ; auch bei Bouquet XVI, 62—3)
an König Ludwig (der Brief ist Ende August 1164 geschrieben): »paucissimi
remanserunt*. •*) ,Communi consilio christianitatis* (Epist. Berct-tini bei
Bongars No. 27; im Novemb. 1164 geschrieben).
Amalrich I., König von Jerusalem (1162 — 1174). 441
seine Truppen zu Amalrich stosseu, und beide belagerten ihren geraein-
scliaftlichen Feind vom Ende Juli an ^) drei Monate lang 2), konnten
aber die Stadt trotz der schlechten Befestiguugs werke nicht einnehmen.
Aber während Amalrich noch hier stand, traf ihn die Nachricht, Nur
ed-din habe die Festung Harem erobert und bedrohe Bauias ^) — und
so war es wirklich.
Sobald nämlich Nur ed-din von den Rüstungen Amalrichs unter-
richtet war, hatte er Truppen an die Grenze gesandt, um ihn auf-
zuhalten, allein er fand die Grenze selbst gut besetzt und musste
wieder zurückkehren. Er wandte sich nun nach Norden, um einen
Einfall in das Gebiet von Tripolis zu machen und erschien plötzlich
vor Harem. Inzwischen waren zahlreiche Pilgerschaaren aus dem
Abendlande in Antiochien eingetroffen, unter ihnen Gottfried Martel
aus Aquitanien, ein Bruder des Grafen von Angouleme^), Hugo von
Lusignan senior mit dem Beinamen der Braune. Auf die Nachricht,
dass Nur ed-din in der Nähe des Kurdenschlosses sorglos lagere, brach
Bohemund von Antiochien mit jenen Pilgern unter dem Befehl des
Templerprocurators Gilbert de Lascy ^) und Robert Mansel auf, um ihn
zu überfallen. Eines Tages nun, während Nur ed-din mit den Seinen
gegen Mittag der Ruhe sich hingal^, erschien plötzlich das kleine Heer
der Christen, drängte die Muselmänner zurück und richtete ein un-
geheures Blutbad unter ihnen an; am tapfersten zeigte sich hierbei
Constantin Calaman (Dukas) "). Es gelang den Christen sogar bis zum
Zelte Nur ed-dins vorzudringen, der ohne Obergewand mit genauer
Noth entwischte; zu seinem Glück närulich hieb ein Kurde den Strick,
mit dem sein Pferd am Pflocke festgebunden war, durch, sonst wäre
er gefangen worden. Er sammelte sein zerstreutes Heer am Kadessee
0 Nach der Epist. Gaufredi an König Ludwig (Bongars No. 24); vom
1. August an nacli der Epist. Fulcheri (wie die Epist. Gaufr. Ende August 1164
geschrieben) bei Bongars No. 15. Ueber Bilbais, in dem sich 30 000 Mann be-
funden haben sollen (Epist. Bertrandi bei Bongars No. 14) , vgl. Quatremere,
Mem. sur. l'Egj'pte I, 52 ft". -) So Ihn el-Atir, Kamal 535 und daraus auch
Barhebraeus, Chron. syr. 361 ; hingegen nach Michael Syr. (Recueil des hist. des
croisades [auteurs armen.]) 359: 7 Monate lang. ") Ihn el-Atir, Kamäl
535, Hist. atab. 217—8. *) Wilhelm von Tyrus XIX, c. 8. Vor dem Kampfe
hätte Nur ed-din mehrfach Friedensunterhandlungen mit den Christen gepflogen
(Epist. Amalr. bei Bouquet XVI, 61). •') lieber ihn vgl. Mem. de la Franche
Comte 1867 IV, 330. «) Ibn el-Atir, Kamal 530—1: »Der erbittertste Feind
der Muselmänner war dieser Grieche al-Dukas* ; vgl. Hist. atab. 208 — 11; Kamäl
ed-din 321—3 und Barhebraeus 359 — 60 (die meist aus Ibn el-Atir schöpfen);
(Jimiamus (im Rec. des hist. des croisad. | auteurs grecs I| 290 — 1 und Anuotat.
libid. IIJ 355, 357, 359—60).
442 ^ '• ^^ ^ ^ '- ^"^ ^•
5 Meilen vom Schluelitfelde, schickte Couriere uacli Aleppo imd Da-
inascus, lies« Waffen, Pferde, Lebensmittel und Geld unter die Seinen
vertheilen und sorgte für die Kinder der Gefallenen, so dass er bald
wieder ein schlagfertiges Heer besass.
Die Christen hatten diesen unverhoff'ten Sieg wenig ausgenutzt.
Ohne die Flucht Nur ed-dins zu erschweren, zogen sie ihm langsam
nach in der Richtung auf Hirns, aber da Nur ed-din zwischen der
Stadt und ihnen sich lagerte, wagten sie keinen Angriff' und kehrten,
nachdem sie einen vergeblichen Friedensantrag gemacht und ein
Corps am Kurdenschlosse zurückgelassen hatten, nach Antiochien
zurück.
Nach vier Monaten fand Nur ed-din Gelegenheit, diese Niederlage
zu rächen. Er hatte sein Heer durch Truppen der Fürsten von Mosul,
Djezira, Mardin und Hisn Kaifa, die anfangs einen neuen Kampf
gegen die Christen für eine gefahrliche Kühnheit erklärt, aber schliess-
lich doch seinen Bitten nachgegeben hatten, erheblich verstärkt
und erschien plötzlich unter den Mauern Harems, das er bereits 1162
vergeblich belagert hatte i). Auf diese Nachricht rückten Bohemuud III.
•von Antiochien, Graf ßaymund jun. von Tripolis, Constantin Calaman,
Gouverneur von Cilicien, Fürst Thoros und Mälih mit einem stattlichen
Heere zum Entsätze der Festung heran ^). Sie lagerten anfangs bei
Imm 3), aber da sie nicht glaubten. Nur ed-din erreichen zu können,
weil dieser sich in der Richtung auf Artäh zurückgezogen hatte, gingen
sie nach Harem zurück. Nur ed-din folgte ihnen jetzt und stellte
sein Heer in einem engen, sumpfigen Terrain auf. Der Angriff wurde
trotz der Warnung des Fürsten Thoros von den Christen eröffnet und
zwar mit einem gewaltigen Stosse gegen den rechten Flügel der Feinde,
wo die Truppen von Aleppo und Hisn Kaifa standen. Die christlichen
Ritter jagten sie in die Flucht und verfolgten sie, ohne das nach-
rückende Fussvolk zu erwarten, noch weit, aber dies war nun seiner
') Ibn el-Atir, KamPil 525 ii. Hist. atab. 207; Kamal ed-din 321. ») Nach
dem Nochbet (bei Kremer, Mittelsyrien 58) mit 30 000 Mann, nach Barhebr.,
Chron. syr. 3f)0 mit 13 000 Mann, oder genauer: mit 600 Kittern und 12 000 Mann
Fussvolk, einem Heere von seltener Stärke, sagt die Epistel. Fnlcheri (Bongars
No. 15; bei Bouquet XVI, 60—1) an König Ludwig (1165 am 12. Januar ge-
schricbon); der Aufbruch erfolgte am 10. August (Epist. Amalr. bei Bouquet
XVI, 61). 8) Ibn el-Atir, Kamfil 538—54 u. Hist. atab. 220—22; Kamal ed-din
326 (der hier selbstständig berichtet). Sehr kurze Nachrichten, wohl ausAVilhelm
vonTyrus, giebt Kog. de Wendover, Flores II, 313 und daraus wörtlich entlehnend
Matth. Paris, Chron. maj. I, 337; vgl. Cinnamus 290—1 auch die Epist. Amalrici
(Bouquet XVI) 62, und Rob. de Monte 1164, woraus Chron. 'Mveti 56 geflossen
ist. Imm liegt zwischen Aleppo und Harem (Zeitschr. fiir hist. Theo!. V, 510).
Amalricli I., König von Jerusalem (1162 — 1174). 443
Deckimg heriiu])t uud wurde durch die Truppen des Zeiu ed-diu von
Mosul fiaukirt und zusammengeliaueij. Als nun die siegreiche Cavallerie
zurückkehrte, fand sie kein Fussvolk mehr, und der geschlagene rechte
Flügel sammelte sich plötzlich wieder und griff sie von hinten an,
während Zein ed-din und das Fussvolk von vorn sie fasste. So wurde
der Sieg in eine Niederlage verwandelt; über 10000 sollen gefallen
sein 1), während von den Führern Fürst Bohemund, Graf Kaymund,
Hugo von Lusiguao, Joscellin III. und Constantin Calaman Dukas, in
Gefangenschaft geriethen und nach Aleppo gebracht wurden; nur
Thoros 11.=^) und Mälih ^) retteten sich durch die Flucht (11. August).
Nun wandte sich Nur ed-din gegen Harem, eroberte es, trotzdem
7000 Mann darin lagen ^), am folgenden Tage (12. August) und machte
Ibn ed-Daja zum Gouverneur &). Die Fahnen und Köpfe der er-
schlaofenen Christen Hess er sammeln und durch einen Boten an
Schirküh schicken mit dem Wunsche, sie auf den Festungswällen zum
Entsetzen der Christen aufzustellen ß).
Als man in Antiochien diese Niederlage erfahren hatte, war die
Furcht allgemein. Nur ed-din werde bald vor den Mauern erscheinen,
die seit dem Erdbeben von 1163 noch nicht wieder vollständig reparirt
1) Ibn el-Atir, Kamäl 540; nach der Epist. Gaufr. (Bongars No. 24) fielen
von Ordensbrüdern 60 Mann ausser den Turkopulen, und nur 7 entkamen.
Cinnamus 190 nennt unter den Todten auch Raymund (wohl eine Verwechslung
mit dem gefangenen Bohemund) von Antiochien und Balduin von Marasch. Nach
der Hist. atab. 224—5 des Ibn el-Atir hatte Nur ed-din nach der Flucht des
rechten Flügels der Muselmänner seine Sache bereits aufgegeben und richtete
ein heisses Gebet an Allah ; ohne Zweifel war aber die Flucht ein schlaues
Manöver, dessen sich die Muselmänner so oft und glücklich bedienten, wie Ibn
el-Atir im Kamal 540 selbst bezeugt. -) Gregor, prcsbyter 195 nennt statt
seiner Malih. Nach dem Nochbet (Kremer, Mittelsyrien 58— 9) wurde jeder Ge-
fangene um ein Goldstück verkauft, dann 6000 Christen gegen 2000 Muslimen
ausgewechselt; für 600 000 Goldstücke hätte dann Nur ed-din Frieden gewährt.
3) Kamäl ed-din 327; seine Flucht ward durch einige befreundete Turkomanen
begünstigt (Gregor, presbyt. 195). Die Nachricht von der Gefangennahme des
»signifer Amalrici« (Annal. Camerac. in Mon. Germ. SS. XVI 536) ist wohl auf
die Gefangennahme Bohemunds zu beziehen. ■*) Epist. Amalrici (Bouquet
XVI, 61). Harem war 1158 erobert (Wilh. v. Tyrus XVIII, c. 19) und an Raynald
v. St. Valery gegeben worden (Robert de Torigny seu de Monte ed. Delisle I, 316,
Note 4, wo auch eine Urkunde erwähnt wird, die auf Raynalds Pilgerfahrt sich
bezieht; vgl. Röhricht, Beitr. II, 107). ^) Ibn el-Atir, Kamäl 540 u. Hist.
atab. 226; Rob. de Monte 1164. Wilh. v. Tyrus XIX, c. 9 giebt d. 10. Aug., aber
das falsche Jahr 1165. •■') Ibn Abu Tai bei Reinaud, Extr. 117. Nach
Sigeb. Cont. Aquic. (Mon. Germ. SS. VI) 411 wurden die Gefangenen von
Harem mit Kranken, Weibern uud Kindern durch Nur ed-din nach Antiochien
geleitet.
444 R ö h r i c h t.
wareu, iiud es bedurfte der ganzen Beredsamkeit des Patriarchen,
inn den Mntli der Bevölkerimg nicht ganz sinken zu lassen i).
In der That drängten auch viele Freunde Nur ed-din, gegen
Antiochien zu marschieren, aber er sagte: „Die Stadt ist zwar leicht
zu erol)ern, aber nicht die sehr feste Citadelle ; vielleicht werden sie
die Franken dem Könige der Griechen übergeben, weil der Fürst von
Antiochien sein Neffe mütterlicherseits ist. Ich ziehe aber die Nach-
barschaft Bohemunds der des Herrschers von Konstantinopel vor " -).
Er begnügte sich daher damit, die Umgebung von Antiochien zu
verwüsten und schenkte noch vor Ablauf eines Jahres, weil er eben
den Kaiser Manuel nicht zum Nachbar haben wollte •^), gegen ein
starkes Lösegeld dem Fürsten Bohemund die Freiheit ^), worauf dieser
nach Konstautinopel ging, wo er unter Festlichkeiten aller Art die
Unbequemlichkeiten seiner Gefangenschaft vergass; er kehrte mit
reichen Geschenken heim °).
Nur ed-din entliess hierauf die Truppen von Diarbekr und Mosul
in die Heimath und befahl dann, das Gerücht auszusprengen, dass er
Tiberias belagern wolle. Als nun die Christen Tiberias befestigten,
fiel er plötzlich über ßäniäs her ß), dessen Bischof mit Amalrich in
1) Vgl. die Briefe bei Bongars No. 14, 22, 24, 25 ; der Brief Bertrauds von
Biancafort (ibid. No. 22) ist wolil im Sept. 1164 geschrieben. -) Ibn'el-Atir,
Kamal 540; vgl. dessen Hist. atab. 224. ^) Der in der That in Folge dieser
Niederlage einen Feldzug gegen Nur ed-din unternommen hätte, wenn er nicht
durch andere Ereignisse gehindert worden wäre (Cinnamus 225). •*) Wilh.
V. Tyrus XIX, c. 30. Michael Syrus 360 (und daraus Barhebraeus 361) erzählt, dass
Nur ed-din durch die Verwüstungszüge des Thoros gegen Marasch und Gefangen-
nahme von 400 Muslimen genöthigt worden sei, den jungen Bohemund gegen
Zahlung von 100000 Dinaren fi-eizulassen ; eine Urkunde des eben heimgekehrten
Bohemund, für die Pisaner ausgestellt, siehe bei G. Müller, Documenti 15 — 16,
No. 13. Hingegen erhielt Raymund erst nach 8 Jahren (Wilh. v. Tjrus XIX, c. 30)
gegen Zahlung von 80 000 Dinaren (nach Ibn el-Atir, Kamäl6l9: erst 1175 gegen
Zahlung von 1 50 000 Byzantinern und Loslassung von 1000 gefangenen Muslimen,
nach Michael Syrus 380 : gegen Zahlung von 80 000 Tahegans, während Joscellin
50 000, Raynald von Chatillon 120 000 zahlen musste) die Freiheit. Raymund
stellte im Decemb. 1174 zum Dank für die durch den Hospital iterorden bewirkte
Befreiung diesem eine Urkunde aus, in der er die Schenkungen seines Vaters
bestätigte (Paoli, Codice I, 54, No. 54). ^) Auf seiner Heimkehr brachte er
den griechischen Patriarchen Athanasius mit, vor dem der lateinische Patriarch
gekränkt nach Kosseir sich zurückzog (Barhebraeus 362); über diese Residenz
vgl. Archives de l'ürient latin II, 405—6. ") Bänias war 15. December 1132
von den Muselmännern (Ibn el-Atir, Kanml 397, 492; Kamäl ed-dln 301—2;
vgl. Wilhelm von Tyrus XV, c. 9—10) erobert, dann 1148 an die Christen
abgetreten worden (Ibn ol-Atir, Kamäl 469—70, Hist. atab. 161). Sonst vgl. über
die Belagerungen und wechselnden Besitzer von Bfiniäs Clermont-Ganneau, Recueil
d'archeologie, Paria 1888, I, 255—61.
Amalricli I., K^;^-g von Jerusalem (1162—1174). 445
Aegypten war, und gewann es, wie man allgemein glaubte, durch
Verrate 1) und zwar des von ihm bestochenen Canonicus Eoger und
des Gouverneurs Walter von Quesnet, welcher letztere wegen der Sorg-
losigkeit und Nachlässigkeit in der Befestigung der Stadt eine schwere
Strafe fürchtete und dieser so zu entgehen dachte. Die Uebergabe
erfolgte, noch ehe die Christen herankommen konnten, am 17. Ok-
tober 1164^).
Während diese Unglücksfälle die Christen in Syrien trafen, lag
Amalrich, wie wir wissen, vor Bilbais, ohne es einnehmen zu können.
Er bat Schäwer heimkehren zu dürfen, aber dieser ersuchte ihn noch
einige Zeit zu bleiben; Schäwer begann nun mit Schirküh zu unter-
handeln und soll ihm folgenden Brief geschrieben haben : „ Wisse, dass
ich nichts vernachlässigt habe, um Dir das Leben zu retten, worauf
ich aus zwei Gründen bedacht gewesen bin, nämlich weil es eine
Schande für den Islam gewesen wäre, wenn die Christen triumphirt
hätten, sodann weil diese Bilbais im Falle einer Eroberung be-
halten haben würden unter dem Vorwande, dass sie es mit dem
Schwerte erobert hätten " •*). Zugleich unterhandelte Amalrich mit
Schirküh, indem er erklären Hess, er wolle abziehen, wenn auch er
abzöge und das Land dem Schäwer überliesse. Schirküh ging, da die
Lebensmittel fast zu Ende waren, darauf ein, und so kam denn unter
diesen Bedingungen der Vertrag zu Stande. Schirküh verliess Bilbais ^),
') Wilhelm von Tyrus XIX, c. 10 (der aber wieder ein falsches Jahresdatuni
1167 giebt) ; nach den Annales de la Terre Sainte in Archives II B, 432 er-
folgte die Uebergabe erst am 18. Oktober 1166. Dass Verrath im Spiele gewesen
war, erklären auch die Briefe des Patriarchen Amalrich (Bongars No. 16), des
Templermeisters Bertrand (ibid. No. 14, auch bei Bouquet XVI, 79 — 81 in zwei
Ausfertigungen vorhanden, und 1164 im November geschrieben); der Ueberbringer
des letzteren Briefes war der Templer Walter. In die Zeit bald nach dem Fall
von Bäniäs, also Nov. Dec. 1164 oder Anfang 1165, da die Eroberung jener Stadt
als das letzte unglückliche Ereigniss erwähnt wird, scheint der Brief des Patri-
archen Amalrich zu gehören, in welchem er den nach dem Abendlande gehenden
Guibert d'Assaillj- empfiehlt und dringend um Hilfe bittet (Archives de r(_)rient
latin I, 186—7; vgl. ZDPV. 1883, 209—10). Die Geschichte dieser Niederlagen
meldete Papst Alexander III. am 20. Januar 1165 dem Erzbischof Heinrich von
Rheims (Martene Collect. II, 700) und allen Gläubigen, die er auflorderte, zu einem
Kreuzzuge sich zu rüsten, und ermahnte, Gottes Beistand durch auffallenden
Kleiderprunk nicht zu verscherzen ; ebenso verhiess er ihnen Befreiung von Zins-
zahlung, Schutz und Ablass (am 14. Juli 1165; vgl. Rymer, Foedera I, 21).
-) Nur ed-din schloss jedoch Frieden bald darauf; er theilte mit den Christen
das Gebiet von Tiberias und machte sich die Erhebung eines jährlichen Tributs
in den ihm zugefallenen Theilen aus (Ibn el-Atir, Kamäl 541). ^) Reinaud,
Extr, 117. *) Kamal 536—7.
44(] Röhricht.
trat deu Marscli nach Syrien am 26. Okt. an i), das er am 12. Nov.
glücklicli erreichte -) ; die Christen legten in einem Defile ihm einen
Hinterhalt, aber er änderte seine Route und entging so ihren Nach-
stellungen 3).
Um dieselbe Zeit, wohl Anfang November 1164, kehrte Amalrich
nach Jerusalem zurück, wo inzwischen Graf Dietrich mit vielen Pilgern
aus Flandern und Lothringen ^) eingetroifen war ^) ; er ging mit ihm
über Tripolis nach Antiochien, dessen Einwohner nach eben über-
standener Angst den Grafen dringend baten, länger zu bleiben. Amal-
rich selbst hielt sich bis in den Sommer 1165 hinein in Antiochien
auf und ordnete verschiedene Massregeln zum Schutze der Ein-
wohner an.
Hier erhielt er die Nachricht, dass die Höhlenburg Cavea de
Tyruni ^) durch Verrath in die Hände Nur ed-dins gefallen sei, aber
der Kommandant von den erbitterten Christen seinen Lohn am Galgen
empfangen habe. Bald darauf kam eine neue Hiobspost, dass nämlich
eine andere Höhlenburg jenseits des Jordan '), deren Vertlieidigung
den Templern oblag, von Nur ed-din belagert werde. Sofort brach er
■zum Entsätze auf, aber noch ehe er an dem bedrohten Punkte er-
schien, wurde ihm gemeldet, dass die Festung bereits übergeben sei,
worauf er zwölf der Templer, denen man die Hauptschuld zumass,
aufhängen Hess.
Unterdessen hatte Schirküh durch die Schilderungen von dem
Eeichthum Aegyptens und der Ohnmacht seines Regenten den Nur
ed-din vermocht, ihm die Erlaubniss zu einem neuen Einfall zu geben,
und vom Chalifen zu Bagdad Unterstützungen empfangen, um den
schismatischen Chalifen in Kairo zur Unterwerfung zu zwingen. Mit
2000 Reitern brach Schirküh im Januar 1167 auf^).
Kaum hatte Amalrich davon gehört, als er den Patriarchen, den
Clerus und die Fürsten des Landes nach Nablus berief und sie um
ihren Beistand ersuchte ; man beschloss auch ohne Zaudern, ein Zehntel
') Boha ed-din (ed. Schult ens) 31. ^) Ihn Khallikfin IV, 487. •'') Ibn
Abu Tai (Reiuaud 118). ■•) Chrou. Lobiensc bei Bouquet Xül, 584; vgl. ibid.
XVI, 63—4. ") Wilhelm vou Tyrus XIX, c. 10; Enioul 21—2; über seiue
Pilgerfahrt vgl. Röhricht, ßeitr. 11, 107—8, 313—4. ") Wilhelm von Tyrus
XIX, c. 11; über die Lage von Schakif Tirün vgl. Röhricht in ZDPV. X, 273-4.
') Wilh. V. Tyrus XVIÜ, c. 19. Höchst wahrscheinlich ist die Höhlenfestung el-Kahf
»die Höhle* (bei er-Rakim nördlich von Kerak) gemeint; vgl. Vie d'Oussama
ed. Derenbourg 230. ") Ibu el-Atir, Kamal 546 giebt: Rabi II (25. Jan. —
23. Febr. 1167) als Termin an, hingegen die meisten übrigen arabischen Autoren
(Ibn Khallikan I, 626; IV, 487; Ibn Abu Taf |Reinaud, Extr. 122|; IJoha ed-din 32;
vgl. Wüstenfeld 334) den Rabi I (1166, 26. Dec. — 1167, 25. Jan.).
Amalrich I.. König von Jernsalom (1162 — 1174). 447
aller Eiuküiifte als Kriegssteuer zu gewähren. Als uuu die Nachricht
von dem Aufbruche Schirkühs kam, eilte Amalrich ihm entgegen, um
ihn in Kadesbarne aufzuhalten, allein zu spät, und kehrte deshalb
zurück nach Ascalon, wo sich sein Heer sammelte. Am BO. Januar
1167 zog Amalrich ab und rückte über Gaza und el-Arisch vor Bilbais.
Schäwer hatte anfangs nichts von der Gefahr, die Aegypten drohte,
gewusst und erst durch Amalrich erfahren i), worauf er von neuem
diesen um Hilfe bat und seinem Heere die Schätze und Hilfskräfte
des Chalifen sowie des ojanzen Landes bereitwillig zur Verfüg-uno-
stellte. Dieser ging an Pelusium und Kairo vorüber und schlug am
rechten Ufer des Nil sein Lager auf, zwei Stadien von Kairo entfernt,
um seinen Gegner, noch ehe er den Fluss überschreiten könne, an-
zugi'eifen. Schirküh jedoch, der quer durch die Wüste im gTossen
Bogen um die Grenze des Königreichs Jerusalem herum und durch
den Wadi'l Ghizlän zwischen Suez und Atf ih ^) in Aegypten einge-
drungen war, passirte oberhalb Kairo bei Atfih den Fluss und zog dann
am linken Ufer stromaufwärts, um bei Djizeh, gegenüber von Kairo,
ein Lager zu beziehen, das er über 50 Tage behauptete. Einige
Reiter seines Heeres wurden hier durch Amalrich gefangen und er-
zählten ihm von dem verlustreichen Marsche durch die Wüste und der
augenblicklichen Stärke seines Corps.
Schirküh sandte von hier aus an Schäwer ein Schreiben, worin
er ihn zu einer Alliance gegen den Feind ihres gemeinsamen Glaubens
aufforderte, und versprach ihm zum Lohne abzuziehen und nie zurück-
zukehren, aber Schäwer liess nicht nur den Boten tödten, sondern
übergab den Brief sogar dem König Amalrich, um ihm jeden Zweifel
an seiner Treue zu nehmen. Schirküh war darüber aufs leidenschaft-
lichste empört und sagte: ,Wenn Schäwer mir hätte Glauben schen-
ken wollen, so wäre kein einziger abendländischer Christ übrig ge-
blieben ! " 3)
Schäwer schloss nun sich fester als je an Amalrich durch ein
feierliches, dauerndes Bündniss und das Versprechen eines jährliehen
Tributs von 4Ut)000 Dinaren; von dieser Summe sollte die erste Hälfte
sogleich bezahlt werden, die zweite kurze Zeit darauf, aber unter der
') Ibn Abu Tai (Reinaud, Extr.) 122 ; nach Ibn el-Atir, Kamäl 547 hatte
Schäwer schon vor Schii-kühs Abmarsch an Amahich geschickt ; nach Bohfi ed-din
32 kamen beide Gegner fast zu gleicher Zeit in Aegypten an. -) Wilhehn
von Tyrus XIX, c. 12 (wo Attasi wohl für Atf ih vei-schriebun ist, wie Weil, (Jesch.
der Chalif. Hl, 325 richtig bemerkt hat) ; Ibn el-Atir, Kamrd 547 und Histur.
atab. 23G— 7; Ibn Khallikan I, 626; IV, 488. ») Ibn Abfi Tai (Reinaud,
Extr.) 122.
448 • Röhricht.
Bedingung, dass der König nicht vor Scliirküh Aegypten verlassen
dürfe. Dieser Vertrag ward vom König mit dem Abgesandten des
Chalifen dureli Handschlag bekräftigt, worauf Hugo von Caesarea und
der Templer Gottfried, der Bruder Fulchers, als Bevollmächtigte Amal-
riclis an den Hof des Chalifen sich begaben um das Bündniss definitiv
abzuschliessen.
Nachdem sie durch enge und dunkle Gänge an zwei Wachtposten
vorüber gegangen waren, kamen sie in weite, oben oöene Käume, die
durch prachtvolle Säulengänge eingefasst waren, in der Mitte aber
marmorne Fischteiche und ein buntes Gewirr von allerlei Yogelarten
zeio-ten Von hier aus wurden sie weiter geführt in noch kostbarere
Räume, in denen eine Menge vierfüssiger Thiergestalten ihnen vor das
Auge trat „wie sie sonst der muthwillige Pinsel des Malers oder die
freie Phantasie des Dichters oder die träumende Seele in nächtlichen
Gesichten sich erschafft, und wie solche nur die Länder des Morgens
und Mittags zeigen, das Abendland aber niemals sieht oder nur selten
durch Hörensagen kennt". Endlich nach einer neuen längeren Wan-
derung kamen sie zum Cabinet des Chalifen, das ihnen durch eine
■sfr(")ssere Zahl von Bewaffneten und ihren reicheren Schmuck schon
äusserlich kenntlich gemacht wurde. Als sie eingelassen worden waren,
warf Schäwer sich zweimal zu Boden, legte dann das am Halse hängende
Schwert ab und warf sich zum dritten Male nieder. In diesem Augen-
blicke gingen die mit Gold und Perlen reich gestickten Vorhänge
blitzschnell auseinander, und der Chalif ward sichtbar; er sass auf
einem sfoldenen Throne mit verhülltem Gesicht und war von einer
kleinen Zahl Eunuchen umgeben i). Der Vezier näherte sich ilim,
küsste seine Füsse und erklärte den Grund, warum die Gesandten er-
schienen seien. Der Chalif antwortete herablassend, er sei bereit den
mit König Amalrich geschlossenen Vertrag zu halten, als aber die
christlichen Gesandten baten, er möge sein Versprechen dui-ch Hand-
schlag bekräftigen, zeigte sich die Umgebung entrüstet, bis endlich
nach vielen Berathungen und auf die dringenden Vorstellungen des
Veziers der Chalif mit Widerstreben seine Hand, aber verhüllt, hin-
reichte. Da trat Hugo von Caesarea =^) vor und sagte: „Herr, die
') Wilhelm von Tyrus XIX, c. 16—17; eine ähnliche Beschreibung einer
Audienz bei dem Chalifen siehe bei Al-Calcaschandi ed. Wüstenfeld (Gott. acad.
Abhiindl. 1879) 107—8. l'eber die im Text erwähnte Insel vgl. die Details eben-
da 59—60. -) Hugo erscheint in Urkunden 1159 (Archives de rOrient
latin II, 125), 1160 (ibid. 137; Roziere 107; Paoli 205), 1161 (Roziere 196), 1164
(Archives U, 140), 1165 (Müller, Docuraenti 11; Delaville le Roulx 101—3),
1166 (Roziere 276), 1168 (Müller 14; Paoli 48).
Atnalrich L, König von Jerusalem (1162—1174). 449
Treue kennt keine Winkelzüge; wenn Fürsten ein Bünduiss mit ein-
ander scliliessen, so luuss alles nnverhüllt sein, und die Verträge,
welche man eingeht, müssen klar gestellt und vollständig gehalten
werden. Darum wirst Du uns entweder die blosse Hand geben, oder
wir müssen denken, dass Du etwas Falsches oder nicht ganz Auf-
richtiges im Sinne hast." Auch diesen Wunsch erfüllte der Chalif;
er reichte zögernd und lächelnd, zum Verdruss seiner Umgebung, dem
Hugo von Caesarea seine unverhüllte Kechte und sprach Silbe für
Silbe die Eidesformel nach, die dieser ihm vorsagte, wodurch er sich
ausdrücklich verpflichtete, den Vertrag ehrlich und treu zu halten.
Hierauf wurden die christlichen Gesandten mit ausserordentlich reichen
Geschenken entlassen, und die Audienz war zu Ende.
Am andern Morgen nach dem Abschluss dieses Bündnisses begann
Schirküh sein Lager bei Djizeh zu befestigen. Der König Hess eine
Schiffbrücke bis in die Mitte des Flusses schlagen und befestigen,
wagte aber nicht sie zu vollenden. Während so die beiden Heere
einander einen Monat gegenüber lagen, schickte Schirküh einen Theil
seiner Schaaren ab, um die in der Mitte des Flusses liegende Insel
Rodha zu besetzen, aber Amalrich sandte den Milo de Plancy i) und
Al-Kämil, den Sohn Schäwers, dorthin, überraschte die Feinde, als sie
eben die dortigen Einwohner massacrirten ; sie wurden theils nieder-
gehauen, theils in den Fluss getrieben, so dass gegen 500 Türken zu
Grunde gingen. Um diese Zeit erhielt das christliche Heer Verstär-
kungen, welche Honfred von Toron, Philipp von Nablus -) und andere
Barone ihm zuführten, und nun beschloss Amalrich, in einer Nacht
die ganze Flotte nach jener benachbarten Insel zu führen und das
feindliche Heer zu überfallen. Die Schiffe l)rachten auch das Heer
glücklich nach der Insel, als sie aber von da an das linke Ufer weiter
fahren wollten, erhob sich ein Wirbelsturm und machte die Landung-
unmöglich; man musste sich begnügen, die dem feindlichen Ufer zu-
gewandte Seite der Insel zu befestigen und dort ein Lager aufzu-
schlagen. Inzwischen hatte Schirküh bemerkt, dass die Flotte Amalrichs
ihren Ankerplatz verlassen hatte; er eilte an dem Ufer entlaug und
entdeckte, dass das christliche Heer die Insel besetzt habe. Er schlug
nun im Angesichte derselben, aber etwas landeinwärts, ein neues Lager
') Milo begegnet uns urkundlich 1168 (Paoli 49; Strehlke 7), 1169 als
Seneschall d. Königs (Paoli 50), 1171 (Rozierc 328), 1174 (Archives 146) und
1177 in falscher Urkunde (Strehlke 9). ^) Philipp von Nablus wird in Ur-
kunden erwähnt: 1152 (Ruffi 93; Mery & Guindon 184),. 1155 (Archives 11, 133),
1169 (ibid. 135), 1160 (Roziere 107; vgl. 134), 1161 (ibid. 196; Strehlke 3), 1169
(ibid. 4, 7) u. c. 1170 (Paoli 235).
Mittheilungeu XII. 29
450 Röhricht.
auf, jedocli schon in der folgenden Nacht Hess er es im Stich und
trat den Eückzug au. Anialrich ging nun ungehindert auf das
linke Ufer hinüber und eilte dem Schirküh nach, während Hugo von
Ibelin mit Al-Kamil, welche er vorher zur Vertheidigung der Brücke
des ersten Lagers zurückgelassen hatte, den Befehl empfingen, Kairo
zu besetzen. Die Wälle und Thürme der Hauptstadt wurden christ-
lichen Heerführern übergeben, die auch beim Chalifen ungehinderten
Eintritt hatten, und Gerhard von Pougy ^) giug mit dem zweiten
Sohne Schäwers Mahada auf das rechte Ufer des Nil zurück, um jeden
Versuch eines Ueberganges dort zu verhindern.
Schirküh befand sich jetzt in einer gefahrvollen Lage, in Mitten
eines feindlichen Landes, von mehrfach überlegenen Gegnern stark
bedrängt und ohne genügende Hilfsmittel weit von der Heimath. Er
hatte zwar unmittelbar nach seiner Ankunft in Aegypten die west-
lichen Bezirke sofort iu seine Verwaltung genommen, und die Ein-
wohner Alexandriens, welche an einer Alliance des Chalifen mit den
Christen schweren Anstoss nahmen, hatten den später berühmt ge-
wordenen Geographen Edrisi ausAleppo^^j als Gesandten ihm zugeschickt
mit dem Versprechen, jede mögliche Hilfe gewähren zu wollen, aber
diese Hoffnungen gingen nicht iu Erfüllung. Von Djizeh aus war er
in Eilmärsclien nach Überägypten aufgebrochen, nachts beim Scheine
von Feuerbrändeu ; erst in Daldje nicht weit von Oschmuuam machte
er Halt.
König Amalrich verfolgte die Fliehenden und erreichte sie Sonn-
abend vor Laetare (18. März) bei Babein ^).
Schirküh war durch die Nachricht von der numerischen Ueber-
macht^) seiner Feinde, dessen Haupttheil allerdings nicht die Chri-
') Gerhard von Pougy erscheint urkundlich 1161 (Strehlke 5), 1164
(Archives II, 140), 1168 (Paoli 50), 1171 (Archives II, 145), 1179 (Delaville le
Roulx 141—2 u. Strehlke 11). -) Ibn Abu Tai 123; vgl. dessen werthvolle
Beschreibung Alexandriens (Edrisi ed. Jaubert im Rec. de la societe de geogr.
183G, V, 297—301). Leider erwähnt der Geograph persönliche PMebnisse dort
nicht. 3) Abulfeda 35 schreibt Abuan. Unser Datum giebt Wilhelm von Tyrus,
die Hist. atab. 237: 25 Djumada I d. i. 19. März als Tag der Schlacht an, hin-
gegen Ibn el-Atir, Kamäl 547 und auch Makrizi (Wüstenfeld, Gesch. d. Fatimiden
334) den 25 Djumada II d. i. 1 8. April ; ottenbar ist letztere Angabe ein Schreib-
fehler, da die erstere mit Wilhelm gut übereinstimmt. ■*) Nach Wilhelm
von Tyrus XIX, c. 24 hatte Schirküh 12 000 Türken, darunter 9000 geharnischte,
3000 Bogenschützen, 10—11000 Beduinen, die Christen aber nur 374 (oder wie
er XIX, c. 30 schreibt: 500) Ritter, 4—5000 Fusssoldaten, aber einige Tausend
Turkopulen und Aegypter; Barhebraeus, Chron. syriac. 364 giebt den Christen
10 000 Mann und Schirküh nur 2000 Reiter. Nach der Vita Bernhardi (Hb. Y
c. 3) hatte Schirküh 3(100 Beduinen und 14 000 Türken, Amalrich nur 300 Kitter.
Amalricli L, König von Jerusalem (1162 — 1174). 45 1
steu, sondern die Aegypter ausgemacht halben werden, bestürzt, aber
doch zum Kampfe bereit, nur der Kriegsrath, den er berief, drängte
mit Eücksicht auf das ungünstige Terrain, die Ermüdung der Soldaten
und die feindliche Stimmung des Landes auf schleunigste Eückkehr
und Vermeidung jedes Kampfes , bis Scheref ed - diu Bargasch,
Gouverneur von Schakif, durch seine kräftigen Worte den Muth der
übrigen Emire neu belebte ^) ; Schirküh und Saladin stimmten ihm bei,
und nun wurde beschlossen, die Schlacht zu wagen.
Schirküh stellte seinen rechten und linken Flüo-el auf sandige
Höhen, die Bagage in das Centram, theils um deren Ausplünderung
im Rücken des Heeres zu verhindern, theils — und dies war der
wichtigere und entscheidende Grund — um eine längere Front zu
haben und nicht überflügelt zu werden. Saladin, welcher das Cen-
trum befehligte, erhielt von Schirküh die Anweisung, wenn die Christen,
in der Meinung, er selbst stehe dort ^), augreifen würden, ohne weiteres
zu weichen, aber sobald sie in ihrer Verfolgung inne hielten, sofort
Kehrt zu machen und nun seine Verfolger zu verfolgen. Schirküh
selbst stellte sich mit den zuverlässigsten Emiren auf dem rechten
Flügel auf.
Was er vorausgesehen hatte, traf ein. Die Christen warfen sich
auf das Centrum und drängten es zurück, aber sogleich brach Schir-
küh auf den isolirten linken Flügel der Christen los, schlug sie in die
Flucht und machte viele Gefangene. Als nun die im Centrum sieg-
reichen Ritter von ihrer Verfolgung zurückkamen, fanden sie das
Fussvolk erschlagen oder zerstreut und wandten sich auch ihrerseits
zur Flucht. Hier fielen Hugo von Creona aus Sicilien und Eustachius
Cholet aus Pontigny ■^) ; gefangen wurden Hugo von Caesarea und
Arnulf von Tell-Bäscher, der Bischof Radulf von Bethlehem*) ward
schwer verwundet und verlor sein ganzes Gepäck.
Amalrich, der selbst mit Mühe der Gefangenschaft entronnen
war ^), steckte abends auf einer Anhöhe sein Banner auf uud sammelte
•) Kamäl p. 548 u. Histor. atab. 237—8 (daraus auch Barhebraeus 363—4) ;
Ibn Abu Tai 1 24). '■') Wie in der That, nach der Meldung Wilhelms XIX, c. 24
die Christen meinten. Den deutlichsten Bericht gcl)en Ibn el-Atir, Kamäl 548—9
u. Hist. atab. 238—9; Ibn Abu Tai' 125. s) Vgl. Ponthieu aux croisades in
Revue nobiliaire 1867, 443. *) Ueber ihn vgl. ZDPV. X, 24—5. ^) Die
Vita S. Bernardi (lib. V c. 3), auch in Manrique, Annal. Cisterc. II cap. 6, 547
und Lalore, Le tresor de Clairvaux 126—30 meldet folgende Reliquiengeschichte,
welche an diesen Kampf anknüpft (vgl. Riant, Exuv. II, 193). Dem Könige erschien
in IMonia vor dem Kampfe der heilige Bernhard mid tadelte ihn als unwürdigen
Träger einer Kreuzreliquie. Als aber Amalrich gebeichtet hatte, segnete der
29"
452 R Ö h r i c li t.
noch einige Scliaaren von Versprengten. Auf zwei anderen Hügeln
hatten feindliche Haufen Posto gefasst, um den Christen die zwischen
den Hügeln hindurchführeude ßückzugsliuie zu versperren, aber diese
drängten sich zu einer compacten Schaar zusammen nnd kamen un-
beschädigt durch den gefährlichen Pass hindurch zu den Uebrigen.
In der Nacht zogen die Clrristen noch bis Monia i), wo sie Gerhard
von Pougy und Mehada mit 50 Eeitern und 100 Turkopulen fanden,
welche Schirküh an der Passage über den Nil hindern sollten. Amal-
rich wartete noch drei Tage hier auf das Eintreffen des Fussvolkes,
welches unter Joscellin weit zurück war, am vierteu Tage zog er mit
seinem neu organisirten kleinen Heere nach Kairo, wo er neben der
Brücke sein Lager aufschlug und bei der Musterung einen Verlust
von 100 Mann feststellte, während der der Feinde auf 500 geschätzt
wurde.
Schirküh marschierte von Babein am Eande der libyschen Wüste
entlang nach Alexandrien, wo er seine Gefangenen und Verwundeten
unterbrachte, zog überall die öffentlichen Gelder an sich und machte
. Saladin zum Gouverneur ^). Auf die Nachricht von dem Abmärsche
Schirkühs eilte Amalrich sofort nach und beschloss, Alexandrien die
Zufuhr abzuschneiden. Er lagerte zwischen Tarüdja und Damanhur,
8 Lieues von der Stadt und Hess die Umgegend durch Streifcorps
durchziehen, während die Flotte den Zugang von der Seeseite sperrte.
Einen ganzen Monat war so die Besatzung nach jeder Richtung hin
abgeschlossen, als es Schirküh gelang, 1000 Reiter in die Stadt zu
werfen. Er selbst zog in Nachtmärschen dicht am Lager Amalrichs
vorüber auf seinem früheren Wege wieder nach Oberägypten und be-
lagerte, allerdings ohne Erfolg, die Stadt Küs. Amalrich verfolg-te ihn
bis Kairo, Hess sich aber durch einen ägyptischen Emir^) bereden,
wieder zurückzukehren, da er in Alexandrien, das durch Hungersnoth
schon arg bedrängt sei. Verwandte habe, mit deren Hilfe die Stadt
leicht zu gewinnen sein werde. So blieb Schirküh bis Ende Juni 11G7
Heilige die an des Königs Halse hängende Reliquie, sprach ihm Muth ein und
verhiess Sieg. In dem Kampfe gelobte Amalrich, wenn er gerettet werde, diese
Reliquie nach Olairvaux zu schicken, und da er der Gefangenschaft entging, er-
füllte er sein Gelübde. Die Beschreibung der in Clairvaux aufbewahrten kost-
baren Reliquie siehe bei Manrique 11, 547 § 9 und genauer bei Lalore 60—4.
') Monia Bani Kasib liegt einen Tagemarsch von Oschmunain (Quatremere,
Memoires sur TEgypte I, 245, 440—44 ; vgl. Derenbourg, Vie d'Ouysama 250,) ; dort
lagerte auch Schawer mit seinen Truppi'n (Ibn Abu Tai 125). Sonst vgl. Wilhelm
von Tyrus XIX, c. 24. «) Ibn el-Atir, Kamfil 550 u. Hist. atab. 239. '') Von
Wilhelm von Tyrus XIX, c. 25: Ben Ekarselle genannt.
J
Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 453
ungehindert in Oberägypteu, und Amalrich wandte sich wieder gegen
Alexandrieu.
Das vereinigte ägyptisch -christliche Belagerungsheer hielt im
Ganzen 75 Tage i) die Stadt eng eingeschlossen und wurde, da man
eine ])aldige Uebergahe erwartete, auch durch starke Schaaren Beute-
gieriger vermehrt, welche die Magnaten des Landes, unter anderen
auch der Erzbischof Friedrich von Tyrus, herbeiführten; doch musste
der letztere nach kurzem Aufenthalt wegen Krankheit wieder zurück-
kehren. Die nächste Umgebung der Stadt wurde furchtbar verwüstet;
denn alle Baumpflanzungen und Gärten wurden niedergehauen, wäh-
rend ein mächtiger Belagerungsthurm und viele Wurfmaschinen Tod
und Verwüstung in der Stadt verbreiteten. Amalrich wie Schäwer
Hessen es an Geschenken und ermunternden Worten nicht fehlen, und
allen voran gingen besonders die Pisaner ^) durch Muth und Geschick,
besonders im Bau von Belagerungsgeräth, aber von einer Uebergabe
der Stadt war keine Rede,
«) Ibn el-Atir, Kamäl 550 u. Histor. atab. 240; nach Ibn Abu Tai 126 und
Abulfeda 35: 3 Monate lang. *) Amalrich hatte die Pisaner schon 1165
(15. März: vgl. Dal Borgo, Doc. Pis. 90: Tronci, Memorie 117; Lünig, Cod. diplom.
III, 1473—4; Gius. Müller, Documenti 11, No. 9) durch Privilegien aus-
gezeichnet, 1168 am 19. Mai durch weitere Privilegien für ihre wesentlichen
Dienste (Dal Borgo 91; Müller 14, No. 11) bei der Belagerung von Alexandrien
und schenkte ihnen in Kairo »in platea Belbecanti« mehrere Besitzungen 1169
am 16. September (Lünig III, 1475; Muratori, Antiq. II,. 907; Dal Borgo 92;
Müller 15; No. 12; vgl. des letzteren Erläuterungen zu diesen Urkunden XI— XII
und 385 ff.), ebenso in Rosette und versprach ihnen 1000 Dinare Einkünfte.
Am 21. Januar 1168 landete in Pisa der Gesandte Amalrichs Sinibaldus, welcher
die Einnahme Alexandriens meldete, lieber die Betheiligung der Pisaner handeln
die Annal. Pisani (Mon. Germ. SS. XIX) 257—8 (woraus die Chronica varia
Pisana (Muratori VI) 181 u. Roncioni 360—2 geschöpft haben) und ausser Amari,
I diplomi arabi LH— LIII; G. Müller, Documenti XI— XII, 385—9, endlich
erschöpfend Heyd, Hist. du commerce I, 396—7. Die rege Betheiligung der
Pisaner an den Kriegszügen Amalrichs war ohne Zweifel der Lohn für die Ver-
nichtung der Privilegien, deren sich ihre Rivalen die Genuesen im Königreich
Jerusalem bisher erfreut hatten und seit Zerstörung der ihre Verdienste
verkündigenden goldenen Tafel in der heil. Grabeskirche verlustig gegangen
waren. Leider können wir den Zeitpunkt und den Grund dieses Ereignisses nicht
genau angeben. Alexander III. forderte am 12. u. 13. Oktob. 1167 vom König
und Patriarchen die Restauration derselben (Lib. jurium I, 228—9, No. 254 u. 255 ;
Giornale Ligustico 1883, 164, No. 1), dann 26. April 1179 (ibid. 307— 8, No. 320),
und Urban IIL wiederholte 1186 diese Forderung (ibid. 331—5, No. 345—7), die
Konrad v. Montferrat im April 1192 zu erfüllen versprach (ibid. 401, No. 401),
aber bei diesem Versprechen ist es geblieben. Sonst vgl. de Vogüe, Les eglises de
la Terra Sainte 221 ; Heyd I, 148—9.
454 R ö li r i c h t.
Wohl war die Bürgerschaft wie jede Handelsbevölkerimg dem
Kriege abgeneigt, durch Himger und Seuclieu deciniirt und die Be-
satzung selbst nur schwach, aber Saladin erhielt durch unernüidlichen
Zusprach und die Verheissung baldiger Hilfe den Muth der Seinen
aufreclit und setzte Schirküli von seiner Bedrängniss in Kenntniss.
Dieser gab nun sofort die Belagerung von Küs auf und wandte sich,
überall auf seinem Marsche Geld und Steuern erpressend gegen Kairo,
zu dessen Vertheidigung Hugo von Ibelin zurückgeblieben war. Er
lagerte am Karafaberge bei Birket al-habasch nicht weit von Fosthät,
wagte aber weder eine Belagerung Kairos noch einen Versuch,
Alexandrien zu entsetzen, sondern l)egann Friedensunterhandlungen
mit Amalrich einzuleiten; denn er konnte wohl vermuthen, dass auch
dieser des Krieges in Aegypten überdrüssig war, weil inzwischen Nur
ed-din wieder in das Königreich Jerusalem eingefallen war und mehrere
Burgen erobert hatte i).
Er schickte den gefangenen Hugo von Caesarea und Arnulf von
Tell-Bascher an Amakich und liess ihm Frieden unter der Bedingung
anbieten, dass die Belagerung Alexandriens aufgehoben und die gegen-
.seitigen Gefangenen freigelassen werden sollten, endlich solle der
König versprechen, den Rückzug Schirkühs nicht zu stören. Diese
Bedingungen fanden allgemeinen Beifall; der König gab seine Ein-
willigung, und die Feindseligkeiten wurden sofort eingestellt. Alsbald
entwickelte sich zwischen den Belagerten und Belagerern ein friedlicher
und freundlicher Verkehr, und Amalrich ehrte den tapferen Vertheidiger
dm-ch Verleihung einer Ehrenwache. Die Christen besuchten die Sehens-
würdigkeiten der Stadt, auf deren berühmtem Leuchtthurme jetzt das
Banner des Königreichs Jerusalem flatterte, und wunderten sich nicht
wenig, dass eine Bevölkerung, die 50000 Männer zählte, einem Be-
lagerungsheer von 1500 Eeitern und 4 — 5000 Mann Fussvolk nicht
noch nachdrücklicheren Widerstand entgegengesetzt hätte.
') Moneitira, südöstlich von 'IVipolis am Fuss des Libanon, ward erobert
nach Ibn el-Atir, Karaäl 545—6 n. Hist. atab. 235—6; Abulfeda 35: im Jahre
der Hedschra 561 (1165, 7. Nov. — 1166, 28. Okt.), hin<?egen nach ßoha ed-din
32 {vgl. Ibn Khallikän IV, 487) im April— Mai 1167, ferner die Festung Akaf
in der Wüste und im Juni — Juli Huuain, dessen Besatzung Feuer anlegte und
dann die Festung verliess. Ibn el-Atir, Kamfil 551 erzählt, Nur ed-din sei vom
Kurdenschlosse aus aufgebrochen, habe dann 'Araka angegiüften, Djabalah, el-
Arima (dafür Abulfeda : Oraiba) und Säf itha erobert u. sei kurz vor dem Ramadhan
(21. Juni — 21. Juli 1167) nach Hirns zurückgegangen, von wo aus er gegen
Hünain marschii-te , um auch Beirut zu belagern ; unser Autor fügt jedoch
hinzu: »aber im Heere brach Uneinigkeit aus, welche dessen Auflösung herbei-
mhrte.«
Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174). 455
Saladin hatte von Schäwer ausdrücklich uocli Amnestie für die
Bürger uud Anhänger Schirkühs verlangt, und Amalrich auch die Er-
lullung dieser Bedingung verheisseu, aber Schäwer liess, als ihm die
Stadt übergeben worden war (4. August 1 167) ^), die Betheiligten mit
schweren Strafen belegen. Hingegen bewies König Amalrich mehr Ge-
rechtigkeit und Treue; denn als auf Wunsch Schirkühs die Kranken
und Verwundeten, darunter auch Edrisi, auf Schiffen nach Syrien ge-
schafft worden waren, und der Gouverneur sie als Gefangene in Zucker-
pressen anstellte, befahl er sofort deren Freilassung.
Nachdem Amalrich seine Maschinen verbrannt hatte, ging er nach
Kairo, zog die hier stehenden Abtheilungen an sich und langte am
20. August 1167 in Ascalon an; zu derselben Zeit mag auch die Flotte
heimgekehrt sein. Schirküh empfing 30 000 oder 50 000 Goldstücke ^)
und kam am 5. September nach Damascus ^).
Bald nach der Kückkehr des Königs aus Aegypten waren auch,
wie wir kurz oben erzählt haben, der Erzbischof Ernesius von Caesarea
und Odo von St. Amand aus Konstantinopel mit Palaeologus und
Manuel Sebastocrator in Tyrus eingetroffen, um Amalrich seine neue
Gemahlin, eine Nichte des Kaisers, zuzuführen. Er eilte ihr entgegen
nach Tyrus und wurde am 29. August mit echt byzantinischem Cere-
moniell getraut.
Drei Tage nachher übergab Erzbischof Friedrich von Tyrus auf
Bitten und in Gegenwart des Königs das Archidiaconat dem späteren
Erzbischof Wilhelm, dem Geschichtsschreiber der Kreuzzüge.
Zu dieser Zeit lebte ein Verwandter Manuels Namens Andronicus
in Syrien, wo er während Amalrichs Abwesenheit in Aegypten bereits
eingetroffen war, und hatte von diesem Beirut erhalten. Er lud eines
Tages Theodora, die Wittwe des Königs Balduin, welche Accon als
Morgengabe besass und eine Tochter seines Neffen war, bei dem er
lange Gastfreundschaft genossen hatte, zu sich, um die Stadt sich an-
zusehen, entführte sie aber, wie man sagte und glaubte, von Nur ed-din
unterstützt, nach Damascus und dann weiter nach Persien •^).
') Ibn el-Atir, Kamnl 550; Ibn Abu Tai 126; Wilh. v. Tyrus XIX, c. 28—30.
2) Ibn AbiiTai 126; Ibn el-x\tiv, Kamfil 550 (woraus Barhebraeus 364). ^) Ibn
el-Atir, Kamal 550 und Histor. atab. 240; Abulf. 35. Nach Boha ed-din 32
(vgl. Wüstenfeld, Gesch. d. Fatim. 337) schon am 4. September. •*) Wilhelm
von TjTus XX, c. 2. Eine diesem Andronicus uud dem weiter unten zu nennenden
Mälih an Ruchlosigkeit ähnliche Natur muss auch jener Gerhard von Sidon ge-
wesen sein, der unter König Balduin III. (1161 — 1162) mit Nur ed-dins Hilfe die
Christen angriö', bis er seinen Lohn von ihnen empfing (Ibn el-Atir, Kamäl
522 — 3, woraus Barhebraeus 358 geschöpft hat; Mich. Syr. 354 — 5). Ein
456 Röhricht.
Gegen Ostern des folgenden Jahres (1168) wurden in Syrien zwei
neue Kirchen eingerichtet und mit Bischöfen besetzt, nämUcli Petra
in der Moabitis und Hebron. Die erstere hatte seit dem Beginn der
christHchen Herrschaft in Syrien noch nie einen hiteinischen Bischof
gehabt, die zweite war ziu' Zeit der Byzantiner nur ein Priorat
gewesen; Bischof von Petra und Metropolitan des sogenannten zweiten
Arabien ward Guerrik, regulirter Chorherr der lieiligen Grabeskirche,
Bischof von Hebron aber Kayuald, ein Neffe des verstorbenen Patri-
archen Fulcher i).
In dem folgenden Sommer desselben Jahres kam Stephan, der
Kauzler des Königs von Sicilien und erwählter Erzbischof von Palermo,
ein Bruder des Grafen Rotrou von Perche, der aus Sicilien vertrielieu
worden war, nach Jerusalem, wo er starb und in der heiligen Grabes-
kirche ehrenvoll bestattet wurde 2), In dieser Zeit nämlich grassirte
in Jerusalem eine schwere Pest, der auch noch andere Pilger zum
Opfer fielen 3), wie der kinderlose Graf Wilhelm IV. von Nevers ^).
Während dessen begannen die ägyptischen Angelegenheiten wieder
in den Vordergrund zu treten.
Schäwer hatte ntlmlich die Dienste Amalrichs und seinen Abzug
damit bezahlt, dass er ihm einen jährlichen Tribut von 100000 Di-
naren versprochen hatte ^), zu dessen vollständigen ersten und später
Gerhard von Sidon wird in den Lois ed. Beugnot I, 214 — 5 erwähnt, mit dem
Araalrich sich wegen eines Rechtsstreites entzweite; er erscheint aber 1164 nnd
116*5 in Urkunden Amah-ichs als Zeuge (Roziere 262—4, No. 144; Müller, Docuni.
11, No. 9). Sollte dieser Gerhard identisch mit dem oben erwähnten sein, so
dass die Jahresangabe Dm el-Atir Ijis auf 1165 heruntergerückt werden müsstc,
oder ist er ein Sohn des ersteren ? Gerhard von Sidon begegnet ims urkundlich :
1154 (Paoli 33), 1155 (Roziere 101), 1156 (Paoli 35), 1157 (ibid. 36), 1160 (ibid. 37;
Roziere 107), 1164 (Roziere 267). Sonst vgl. Schlumberger in Archives I, 673—5.
') Wilhelm von Tyrus XX, c. 3 ; vgl. ZDPV, X, 16 u. 26. ") Wilhelm von
Tyrus XX, c. 3; Amari, Storia dei musulmani III. B, 501. ^) Dandolo (Muratori,
Script, rer. Ital. XII) 291. *) Wilhelm XX, c. 3 u. Gestes 5 loben ihn, während
Johannes von Salisbury (Epist. Saresb. bei Bouquet XVI) 601 ihn als einen
T>Tannen schildern; sonst vgl. Marian. Autissiod. (ibid. XXII) 297; Chron. Vizeliac.
(ibid.) 345; Rob. de Monte 1169. Dass er 24. Oktob. 1168 in Accon starb, sagt
d. Obit. Nivern. (Mittheil. d. öst. Instituts XI, 375; Atti Lig. II Ser., XYII, 554,
567—8) ; vgl. Du Cange-Rey, Les familles 786 ; d'Arbois de Jubainville, Hist.
des comtes de Champ. III, 70. Eine Urkunde des Grafen Guido von Nevers,
worin der Tod und eine Schenkung unseres Grafen erwähnt sind, siehe bei Bre-
quigny. Table chronol. III, 428. '') Robert de Monte (und daiaus Chron.
Triveti 59) meldet, dass Schawer 50 000 Dinare von Alexandrien und 57 000 von
Kairo (Ernoul 25 : 20 000) dem Könige versprochen hatte, und Albericus (Mon.
(lerm. SS. XXII [) 850 giebt die Nachricht, die Aegypter hätten nach 1 Jahr den
Christon nur vergoldetes Kupfer als Tiibut geschickt; ähnlichen Betrug sollen
Amalricli L, König von Jerusalem (1162—1174). 257
regelmässigen Erhebung christliche Beamte in einer dem Palais des
Chalifen beuachl:)arten Strasse ihre ßureaux eingerichtet hatten ; ausser-
dem war noch eine kleine christliche Besatzung zurückgeblieben. So
schien die Stellung Amalrichs in Aegypten gesichert und befestigt, aber
bald zeigte es sich, dass sie nicht so sicher war.
Zunächst, so wird berichtet, war der Vertrag, welcher die ange-
gebene Höhe fixirte, nicht vom Chalifen selbst ratificirt; seine Giltig-
keit hing also ganz von dem guten Willen oder der Verlegenheit des
zeitweiligen Veziers ab. Sodann bestand unter den Aegyptern, so sehr
sie als Schiiten dem Vorkämpfer der Sunna Kür ed-din feindselig
waren, doch eine starke Partei, welche die schmähliche Abhängigkeit
von einem Fürsten der „Ungläubigen" bitter empfand und im ge-
heimen mit Nur ed-din sympathisirte, ja auch Verl)induugen unter-
hielt i). Der eigene Sohn Schäwers Al-Kamil sandte sogar an den
Atabek, Hess ihm seine Treue versichern und versprach auch einen
jährlichen Tribut =^). Nur ed-din nahm die Versicherung und die über-
sandte Summe dankbar an, aber Al-Kämil wiederholte seine Sendungen
nicht, ja er verliess plötzlich wieder die Freundschaft Nur ed-dins und
erklärte sogar, es sei doch besser den Christen Tribut zu zahlen als
das Land den Türken zu überlassen. Wir wissen nicht, welches der
eigentliche Grund dieser plötzlich entgegengesetzten Politik gewesen
sein mag, aber dass die wahren Sympathieen den Christen wirklich
mehr gehört haben sollen als Nur ed-din, ist wohl zu bezweifeln.
Wenigstens klagen die morgenländischen Berichte, dass die christlichen
Beamten durch die Rücksichtslosigkeit und auch durch häufige Un-
gerechtigkeiten die Einwohner reizten und dadurch in ihnen das Be-
wiisstsein des rehgiösen Gegensatzes, der drückenden Abhängigkeit
von einem fi-emden Herrscher verschärften. Genug die Christen in
Kairo selbst hielten es entweder für gerathen, dem drohenden Aus-
bruch einer grossen Revolution durch schnelle That zu begegnen oder
für ein Leichtes, den Zweck der früheren Invasionen durch eine volle
und ganze Unterjochung jetzt zu erreichen und forderten Amalrich auf,
nach Aegypten zu kommen, dessen Eroberung leicht gelingen werde. Er
weigerte sich anfangs, weil ein neuer Einfall die Aegypter in die Arme
Nur ed-dins treiben werde und dies für die Christen in Syrien nur
verhängnissvoll sein könne, aber die meisten seiner Rathgeber be-
schwichtigten diese Bedenken, und Amalrich gab nach; während er
die Muslimen häufig gegen Christen geübt haben (Röhricht, Testimon. minora
XVII, not. 3).
') Michael öjrus 303. ") Lbn el-Ativ, Kamfil 550 u. Hist. atab. 241 ;
vgl. Wtistenfeld 337.
^gg Röhricht.
das Gerücht verbreiteu Hess, dass er gegeu Hirns einen Vorstoss
plane, wurde gegen Aegypten eifrig gerüstet.
Dieser Bericht Ihn el-Atirs i) über die Pläne Amalrichs gegen
Aegypten wird ergänzt durch Ihn Abu Tai =^), welcher erzählt, dass
Schirküh schon längst die Wiederholung einer Invasion Seitens des
Königs vorausgesehen und ihm geschrieben habe: „Die Aegypter ver-
langen von Dir das Versprechen, dass Du in ihre Länder weder ein-
fallen, noch sonst ihnen irgend einen Schaden zufügen willst". Darauf
habe Amabich anfangs jede Auskunft verweigert, aber aus Furcht vor
Schirküh und dem Vezier soll er sich eidlich verpflichtet haben, nicht
mehr in Aegypten einzufallen. So unwahrscheinlich letztere Behaup-
tung ist, so wird unser Chronist doch Recht haben, wenn er wieder
erzählt, dass Schirküh fortwährend Eroberungspläne gegen Aegypten
hefte, obo-leich Nur ed-din darauf verzichtete, zumal Schäwer sich um
seine Freundschaft bemühte.
Die christliche Hauptquelle, Wilhelm von Tyrus 3), berichtet, dass
Amalrich diese Aufforderung nicht ungern empfing, da ihm erzählt
worden war, dass Schäwer mit Nur ed-din geheime Gesandtschaften
•gewechselt und erklärt habe, den Vertrag mit den Christen brechen
zu wollen, aber derselbe- Berichterstatter fügt sogleich hinzu, dass
Schäwer nach den Mittheilungen anderer Gewährsmänner seinen Ver-
trag ehrlich gehalten, und Amalrich mit Unrecht an seiner Treue
zweifelnd ihn mit Krieg überzogen habe. Als Haupturheber und Be-
förderer der neuen Eroberungspolitik wird Gerhard Assalit genannt^),
Meister der Hospitaliter, welcher diesen Orden durch verschwenderische
Verwaltuno- in so grosse Schulden gestürzt hatte, dass deren Summe
sich auf 100 000 Dinare belief. Er soll diesen Aufwand desshalb sich
erlaubt haben, weil er hoffte, wenn Aegypten erst unterworfen sei,
Bilbais mit dem benachbarten Gebiete nach einem früher mit dem
Könige abgeschlossenen Vertrage zum dauernden Besitz zu erhalten.
Die Templer jedoch hätten, sei es aus ehrlicher Achtung vor der Ver-
tragstreue Schäwers, sei es aus Neid gegen Assalit dem Könige von
vornherein ihre Betheiligung an diesem Eaubzuge verweigert.
') Kamäl 554. • ») Reinand, Extraits 127. '') Wilhehn XX, c. 5. ■•) Ueber
ihn vgl. Paoli, Codice I, 229— 32, 335 — 6; Herquet, Chronologie der Grossmeister
d. Hospitalordens, Berlin 1880, 8—11 u. im Wochenblatt d. Johanniter-Ordens-
ballf'v Brandenburg 1883, No. 17—22, wo mit einer Biographie unseres Meisters
auch eine kurze Geschichte der Einfilllo Amalrichs gegeben wird (der Verfasser
sucht Assalit gegen W^ilhelm von Tvrus, AngriiVe in Schutz zu nehmen); ibid.
1880, 31—5 handelt Herquet über den auttallenden Rücktritt Gilberts von der
Meisterwürde. Sonst vgl. Röhricht, Zusätze u. Verbesserungen, Berlin 1886, 3—4.
Amalricli 1., König von Jerusalem fl 162—1 174). 459
Offenbar ist er in Bezug auf die Grüude und die Veranlassung,
welche Amalricli zu einem neuen Zuge trieben, schlecht unterrichtet;
aus der Vergleichung mit den angeführten arabischen Quellen wird
sich ergeben, dass Amalrich hauptsächlich durch das Misstrauen gegen
Schirküh und Schawer dazu bewogen wurde, wozu er Grund genug
hatte, besonders aber durch die Hoffnung auf eine kräftige Unter-
stützung des griechischen Kaisers Manuel.
Dieser hatte schon unter dem Vorgänger Amalrichs mit Erfolg
seine Stellung im Orient befestigt und vor allem den Anspruch auf
seine Oberlehnshoheit über Ailtiochien durch einen glücklichen Krieg
gegen den Fürsten Eaymund siegreich durchgesetzt; Kaymund schwor
ihm den Eid als Lehnsmann i). Als nun dessen Sohn Kaynald mit
Thoros von Armenien revoltirte, zog Manuel 1158 nach Asien, zwang
Thoros zur Unterwerfung und auch Kaynald zur Leistung des Lelms-
cides; er musste sich verpflichten, dem Kaiser Truppen zu stellen, und
auf die Besetzung des Patriarchenstuhles verzichten 2). Im folgenden
Jahre erkannte sogar Balduin die Oberlehnshoheit Manuels au, der
zur Befestigung seiner Aussprüche noch Maria von Antiochien (25. Dec.
1161) heirathete, deren Schwester Philippa Audronicus (1166) zur
Gemahlin empfing. Amalrich hatte gleich nach seiner Thronbesteigung
Manuels Kechte auf Antiochien anerkannt 3), dann eine Nichte des
Kaisers sogar zur Gemahlin erhalten, so dass der König durch eine
Allianz mit Manuel im Kücken gedeckt war. Als durch die unglück-
liche Schlacht bei Harem die meisten christlichen Heerführer in Ge-
fangenschaft gerathen waren, und eine Bedrohung Antiochiens zu
befürchten stand, dachte Manuel, ein Heer nach Syrien zu schicken,
welcher Gefahr Nur ed-din, wie wir oben erörtert haben, durch Frei-
lassung Bohemunds zu begegnen suchte, allein der Winter 1164 auf
1165 beschäftigte ihn in Ungarn zum Glück für Nur ed-din und
Amalrich, den ein neuer Einmarsch Manuels in Syrien misstrauisch
gemacht haben würde, da er lieber den König von Frankreich als den
griechischen Kaiser als seinen Oberlehnsherrn gehabt hätte. Dieser
Grund hatte auch 1165 das bereits eingeleitete Bündniss zwischen
Frankreich und dem griechischen Kaiser vereitelt ^), aber Manuel hatte
von den politischen Sympathieen Amalrichs für König Ludwig keine
Keuutuiss und dachte, durch einen Bund mit Amalrich seine Macht-
stellung im Orient noch stärker zu befestigen.
') Von Kap-Herr, Die abentlländ. Politik Kaiser Manuels, Strassb. 1881,
67, 140—6. ") Vgl. oben 444. «) C'innamus 291—2. *) Von
Kap-Herr 75.
460 Röhricht.
Im Sommer 1168 kamen nun Graf Alexauder von Gravina und
Michael von Otranto als Gesandte des Kaisers nach Tyrus und legten
den Plan zu einer Eroberung Aegyptens vor. Nachdem Amalrich
denselben genehmigt und den Vertrag abgeschlossen hatte, gingen die
Gesandten des Königs, darunter auch Wilhelm von Tyrus, mit Schreiljen
versehen zur See nach Constantinopel. Hier trafen sie Manuel nicht,
da er gerade mit einem Kriege gegen die Serben vollauf beschäftigt
war; sie zogen ihm nach, erreichten ihn in ßutella bei Ochrida,
und wurden ausserordentlich freundlich aufgenommen. Manuel be-
stätigte einfach den Vertrag und entliess die Gesandten mit vielen
Geschenken; am 1. Oktober traten sie wieder ihren Rückweg an i).
Wir wissen nicht, ob aus eigener Initiative, um vielleicht seinem
neuen Bundesgenossen zuvor zu kommen, oder in Folge vertrags-
mässiger Bestimmung Amalrich sofort Ende Oktober desselben Jahres
gegen Aegypten aufbrach. Nachdem er durch eine Scheinbewegung
gegen Hims seine Feinde getäuscht, wandte er sich plötzlich direkt
nach Süden. Als er vor Darum angekommen war 2), schickte der
Vezier einen seiner Emire zu ihm, um über den Grund dieses Einfalls
Auskunft zu erhalten. Der König zögerte einige Zeit mit der Antwort,
dann suchte er ihn zu bestechen, indem er ihm 13 Dörfer versprach,
wenn er dem Vezier vorreden würde, dass dieser Krieg kein ernst-
hafter sei. Schäwer zweifelte am Gelingen seiner List und schickte
als Gesandten den Emir Schems el-cheläfe zum König. „ Glück mit
Dir, Schems el-cheläfe ! " rief ihm dieser zu, als er das Zelt betrat.
„Glück dem treulosen Könige!" antwortete der Emir. ,Ja, " fügte er
hinzu, „wenn Eure Absichten die rechten waren, wie konntet Ihr einen
so plötzlichen Einfall machen?" Amalrich entgegnete, dass er die
beabsichtigte Heirath der Schwester Saladins mit dem Sohne des Veziers
für einen Vertragsbruch habe halten müssen. „Dieses Gerücht ist
falsch", erwiderte der Emir, „aber auch wenn es wahr wäre, würde
es nie einen Vertragsbruch bedeuten." „Die Wahrheit ist," fuhr der
König fort, „ dass die abendländischen Christen mich zur Unterwerfung
Aegyptens gedrängt haben. Ich komme hieb er als Mittler zwischen
ihnen und Euch!" „Was wollt Ihr denn?" fragte Schems el-chelafe.
„Zwei Millionen Goldstücke!" antwortete Amalrich. „Gut, davon will
ich den Vezier benachrichtigen; erwartet hier seine Antwort!"
Diesem Bericht steht ein anderer gegenüber, wonach der König
von Darum aus an Schäwer schrieb: „Ich werde die Geldsumme so
') Wilh. v. Tyrus XX, c. 4 ; vgl. Lcbeau, llistoire du bas erapire (od. St. Martin)
XVI, 203. 2) Reinaud, Extr. 128—9.
Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174), 4ßl
lange reclamireu, als ich Deiner bedarf, aber augeublicklicli habe ich
keinen Feind zu fürchten und ich kann Deine Hilfe entbehren." Mau
erzählt, dass der König erwidert habe: „Nichts wird mich von hier
entfernen, bis Ihr mir werdet gegeben haben, was ich fordere. " Jeden-
falls erkannte der Vezier, dass der König mit seiuem Worte spielte
und in Aegypten eindringen wollte. Er sammelte also seine Truppen
und schickte einen Tlieil derselben nach Bilbais.
In zehn Tagen stand Amalrich vor Bilbais ^) und eroberte es drei
Tage später, am 4. November 2). Die Stadt wurde entsetzlich geplündert
und reiche Beute gewonnen; die meisten Einwohner wurden getödtet
oder in die Sklaverei verkauft, Mehada, der Sohn des Veziers, einst
Waffengefährte Amalrichs, und einer seiner Neffen wurden gefangen
gehalten ^). Von hier rückte der König, dessen Heer mehrere Feinde
Schäwers, wie Ibn el-Chajjät und Ibn Fardjalah, Verstärkungen zu-
geführt hatten, langsam gegen das offene Misr. Am 12. November
befahl Schäwer die Schiffe zu verbrennen und Fosthät in Brand zu
') Am 10. Oktober 1168 urkundete Amalrich noch in Accon für die Hospi-
taliter, denen er Bilbais mit 100 000 Dinaren Einkünfte und zehn Städte mit je
5000 Dinaren Einkünfte unter der Bedingung zusicherte, dass sie stets 500 Kitter
und ebensoviel Turkopulen halten sollten, die zu el-Arisch durch den königlichen
Marschall zu mustern seien (Paoli, Codice I, 48, No. 47); diese Schenkung (von
der auch Ibn Abu Tai bei Reinaud 128, Note Kenntniss hat) wurde 1169 am
20. August in Accon durch Amalrich (Paoli I, 49, Nr. 48) und 117G durch Bal-
duin IV. bestätigt (Paoli I, GO— 1, No. 60; vgl. Strehlke No. 5). Am 20. Okt. 1168
stellte Amalrich zu Ascalon eine Urkunde für die Amalfitaner aus (Ughelli, Italia
Sacra VII, 204—5) ; mithin ist der Einmarsch in Aegypten in die letzten Tage
des Oktobers zu setzen. ^) Ibn el-Atir, Kamäl 554 u. Histor. atab. 247;
Abulf. 36. Wilhelm XX, c. 6 nennt den 13. November als Tag der Eroberung.
Ibn Abu Tai 129 erzählt, als Amalrich vor Bilbais stand, hätte er an den Enkel-
sohn des Veziers, welcher in dieser Stadt kommandirte, geschrieben: ,Wo sollen
wir campiren?'' — »Auf der Spitze unserer Lanzen ! * — »Glaubt Ihr denn," fügte
er hinzu, »dass Bilbais ein guter essbarer Käse ist?' — »Ohne Zweifel,* entgegnete
der König, , und Kairo ist die Sahne davon ! " -) Ibn Abu Tai' 1 29 erzählt :
Nach dem Fall von Bilbais Hess Amalrich die Gefangenen vor sich inmitten einer
weiten Ebene zusammentreten und indem er mit der Lanze zu ihnen ging, theilte
er sie in zwei Abtheilungen ; für sich nahm er die rechtsstehende, während er
die andere seinen Soldaten überliess. Alle ihm zugefallenen Muselmänner Hess
er frei mit den Worten : , Ich gebe Euch die Freiheit zum Dank für die Gnade,
die Gott mir erwiesen hat; denn nun scheine ich doch der Herr von Aegypten
zu sein." Der Rest ward in die Sklaverei abgeführt, aus der erst Saladin durch
Loskauf sie befreite. Dass die Stadt in der That aufs acheusslichste geplündert
und die Einwohner gemisshandelt wurden, bezeugt Wilhelm von Tjtus XX, c. 6,
doch wird Michael Sjttus' 363 Angabe, dass 1200 Reiter und 20 000 Fusssoldaten
in Bilbais getödtet wurden, als übertrieben gelten müssen.
462
Röhricht.
stecken; die Feuersbruust, bei der auch die älteste Moschee des Amr
ben el-Asi zu Grunde ging, dauerte 54 Tage. , Die Leute wogten uud
drängten sich", erzählt ein arabischer Autor, „als wenn sie aus ihren
Gräbern nach dem Orte der Auferstehung eilten, der Vater bekümmerte
sich nicht um seine Kinder, ein Bruder beachtete den andern nicht.
Viele retteten nur das nackte Leben; denn die Miethe für ein Pferd
zum Transport von Fosthat nach Kairo kostete über 10, für ein Kamel
bis zu 30 Dinaren. " i) Während dieses Brandes erschien Schems el-
cheläfe wieder vor Amalrich und sagte : „Siehst Du diese Flamme, die
bis zum Himmel steigt?" „Ja," antwortete der König. „Wohlan,"
fuhr der Vezier fort, „das ist Alt-Kairo, welches brennt! Ich habe
20000 Naphtaflaschen vertheilen und 10000 Zünder anstecken lassen.
Ich will, dass alles unwiederbringlich zu Grunde gehe. Jetzt ist keine
Zeit übrig, Du musst Dich zurückziehen." „Du hast Recht," ant-
wortete der König, „aber ich bin nicht frei. Ich muss durchaus Kairo
nehmen; die Männer des Abendlandes in meinem Heere würden mir
einen Rückzug nicht verzeihen!"-)
Am 13. November erschien also Amalrich vor Kairo und wollte
'bei Birket el-habasch sein Lager aufschlagen, konnte es aber wegen
des entgegenkommenden Rauches nicht aushalten und wählte den Platz
vor dem Thore el-Barkije zum Lager, so nahe an der Stadtmauer, dass
die Pfeile bis in sein Zelt flogen, üeberhaupt fand er einen unerwartet
energischen Widerstand, da den Einwohnern das Massacre von Bilbais
im Gedächtnisse war, und es ist wohl zu glauben, wenn ein arabischer
Autor versichert: „wären die Franken dort glimpflicher verfahren, so
würden sie ohne Widerstand in Kairo eingezogen sein." 3)
Inzwischen hatte der Chalif an Nur ed-din Boten und mit ihnen
zugleich die Haare seiner Frauen gesandt, indem er ihm sagen Hess:
„dies sind die Haare der Frauen in meinem Schlosse, welche Dich
anflehen, dass Du sie von den Franken befi-eiest!" Schäwer hin-
o-egen, der gleich nach dem Einmarsch Amalrichs Nur ed-din
um Hilfe gebeten haben soll *) , suchte durch Unterhandlungen
Zeit zu gewinnen. Er erinnerte den König in einem Schreiben
an ihre frühere Freundschaft und ihren gemeinsamen Feind Scliir-
küh ^) ; der Ueberbringer Schems el-cheläfe versicherte ausserdem noch
>) Ibn el-Atir, Kamal 555; Ibu Abu Tai' 130; vgl. Wüstenfeld 338—9.
V. Kreraer, Mittelsyrien und Damaseus 60—1 sagt: »Die Kuinenhügel, die man
noch jetzt vor dem Thore fcitti Zaineb sowie um die MamUikengräber sehen
kann, stammen von jenem Brande.* -) Ihn Abu Tai' 130. ^) Ibn el-Atir,
Kainul 555 u. Histor. atab 247; Ibn Abu Tai" 130-1; vgl. Wüstenfeld 330.
*) Wilhelm XX, c. 6. *) Ibn Abu Tai 131.
Amalrich L, König von Jerusalem (1162—1174). 463
müudlicli, dass Aiualrich die Stadt niemals einnehmen könnte; denn
die Einwohner würden sich bis auf den letzten Mann vertheidigen,
desshalb solle er sich mit einer Zahlung von 200000 Dinaren i) zu-
frieden geben. Der König jedoch, hauptsächlich durch Milo von Plancy
bestimmt, verlangte 1 Million Dinare, das heisst 11—12 Millionen
Francs, von denen ein Theil sogleich, der Eest später gezahlt werden
sollte^). Dieser Vertrag ward genehmigt und durch el-Djälis ben
'Abd el-Kawi und den Scheich el-Muwaffak abgeschlossen. Schäwer
zahlte sofort 100000 Dinare als Lösegeld für seinen Sohn und Neffen,
stellte für den Rest zwei Knaben seiner Verwandtschaft als Geiseln,
machte sich aber aus, dass Amalrich von Kairo abzöge, damit er im
Stande sei, inzwischen den Eest zu sammeln. Der König verlegte sein
Lager nach Matäria, wo er acht Tage blieb, wechselte hier Gesandt-
schaften mit Schäwer, ohne viel zu erreichen, und zog sich daun noch
weiter zurück nach einem Orte, der „der syrische" genannt wird; wegen
der Armuth der durch Feuersbrunst und Flucht ihres Eigenthums be-
raubten Einwohner konnte Schäwer nur noch 50 000 Dinare zusammen-
bringen 2).
Inzwischen war auch Amalrichs Flotte an dem tanitischen Arme
des Nils angekommen, hatte Tanis erobert und geplündert. Als
nun die Aegypter der Flotte den Weg aufwärts durch Versenkungen
und Schiffe zu versperren sich bemühten, wurde Honfred von Toron
mit einer erlesenen Mannschaft abgeschickt, um wenigstens das eine
Ufer zu gewinnen und den Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen,
aber auf die Kunde von dem Anmärsche Schirkühs erhielt die Flotte
Befehl, wieder heimzukehren; sie segelte daher bald ab, verlor aber
unterwegs eine Galee *).
Und in der That war Schirküh im Anmärsche. Der Chalif hatte
nämlich, während Schäwer durch Ermunterungen und Geschenke
den Muth der Seinen aufrecht erhielt, zum zweiten Male an Nur ed-diu
gesandt und grosse Versprechungen gemacht. Dieser empfing das
Schreiben in Haleb und befahl sofort, den Schirküh aus Hims herbei-
zuholen. Der Bote traf jedoch den letzteren schon unter dem Stadt-
thore von Haleb, da er auch ein Hilfsgesuch aus Aegypteu erhalten
hatte und desshalb mit Nur ed-din Rücksprache zu nehmen aufgebrochen
') Ibn el-Atir, Kamal 556; Histor. atab. 248. -) So nach Ibn el-Atlr
und dem aus ihm schöpfenden Barhebraeus 368 auch Abulfeda 36, nach Wilhelm
XX, C.7: 2 Millionen, nach Ibn Abu Tai 131: 400 000, nach Michael Syrus 353:
160 000 Tahegans. s) Wilhelm XX, c. 10. ' ■») Wilhelm von Tyrus XX, c. 8.
Honfred erscheint urkundlich 1150 (Paoli 33), 1156 (ibid. 35), 1157 (ibid. 36),
1168 (Clamera 204), 1171 (Roziere 328).
464 R ö li r i c h t.
war. Bald war Nur ed-din entschlossen. Er gab dem Scliirküli
200000 Dinare, Pferde, Kleider, Waffen, dieser sammelte erst 2000,
dann 6000 Mann und traf am 2. December 1168 mit seinem kleinen
Heere in Damascus ein ^). In Ras al-mä ^) wurde Musterung gehalten.
Nur ed-din gab jedem Reiter ausser seiner Löhuung noch ein Handgeld
von 20 Dinaren und theilte dem Expeditionscorps Männer wie Izz ed-din
Djürdik, Izz ed-din Kilidsch, Scharaf ed-din Bargasch, 'Ain ed-daula
el-Jarüki, Kutb ed-din Jaunal und Saladin zu; der letztere, dem noch
die in Alexandrien ausgestandenen Mühsale deutlich in Erinnerung
waren, fühlte sich durch diesen Auftrag sehr wenig geehrt ■^). Schir-
küh brach am 17. December 1168 von Ras al-mä auf.
Auf die Nachricht von seinem Anmärsche zog Amalrich ab nacli
Bilbais, wo er eine Besatzung zurückliess, dann nach Faküs (24. Dec).
Hier empfing er von Schäwer durch Schems el-cheläfe einen Brief,
worin dieser ihn bat, ihm die Hälfte der noch rückständigen Tribut-
zahlung zu erlassen^). Amalrich bewilligte diese Forderung, zumal
Schirküh auf dem Wege war, und traf Anstalten zur Rückkehr, doch
gelang es ihm nicht, seinen Gegner zu erreichen und zum Gefecht zu
' zwingen ; er entwischte ihm.
Daher ging der König nach Bilbais, zog die dortige Besatzung
an sich und trat am 2. Januar 1169 seinen Heimweg an s).
Am 8. Januar 1169^) erschien Schirküh vor Kairo und wurde
vom Chalifen wie von den geängstigten Bürgern mit Freuden auf-
genommen, aber die schlaue Bitte Schäwers, den fliehenden König
Amalrich zu verfolgen, erfüllte er nicht; sein Heer sei zu sehr er-
schöpft und der König schon zu weit. Schäwer war auch diesmal
treulos genug, da er keine seiner Versprechungen zu erfüllen sich be-
mühte, und dachte schon, seinen gefährlichen Feind bei einem Gast-
male ermorden zu lassen, allein sein eigener Sohn brachte ihn davon
ab; schliesslich kam Schirküh ihm zuvor, indem er durch den Hm weis
auf die Treulosigkeit Schäwers, der bald die Christen, bald die syrischen
') Ibn el-Atir, Kamal 556—7 u. Histor. atab. 249—50; Ibn Abu Tai bei
Reinaud, Extr. 133, Note. ^) An der grossen Heerstrasse von Damascus nach
Gaza zwischen Szanamin und Tafs, nicht weit von Scheich Miskin (Quatermöre,
Hist. des Maml. II B, 92, note). ") Ibn el-Ath-, Kamrd 363 ; Hist. atab. 254 tt'.
*) Reinaud 132. ••) Ibn el-Atir, Kamfil 563. ") Ibn Khallikan IV, 490;
Boha ed-din 33 ; Histor. atab. 251. Nach Ibn el-Atir, Kamfil 558 wäre er erst
am 8. März angekommen, was durch die folgenden chronologischen Angaben
desselben Autors widerlegt wird ; ebenso sind die aus dem Kamal geflossenen
Angaben Kamal ed-dins 330 falsch. Abulfeda 37 liisst ihn gar schon den 8. De-
cember 1168 ankommen.
I
Amalnch I., König von Jerusalem (1162—1174), 465
Muselmäuuer als Freunde gesucht, auf die Gefahr einer christlichen
Eroberung des Landes und seiner unermesslichen Hilfsquellen den
Zorn seiner Emire entfachte und die Beseitigung dieses Elenden? als
eine Nothwendigkeit hinstellte i). So überfielen denn die Verschworenen
unter Führung Djürdiks und Saladins den Vezier auf dem Wege nach
dem Grabe des Schafi am Karafaberge und brachten ihn gefangen in
ein Zelt; da der Chalif um seinen Kopf bat, wurde er hier alsbald
getüdtet (18. Januar 1169) -). Sein Nachfolger ward Schirküh, allein
nur zwei Monate und fünf Tage erfreute sich dieser der neuen Würde ^) ;
er starb in Folge seiner starken Esslust am 23. März 1169, nachdem
er noch den Seinen dringend empfohlen hatte, Aegjpteu nicht mehr
zu räumen *). Die Stelle Schirkühs nahm jetzt Saladin ein, der auf
Betreiben des Isa Dhijä ed-din el-Hakkari und Boha ed-din Karjiküsch
durch den Chalifen zum Mälik an-Näsir erhoben wurde; diese Be-
förderung beging er durch ein glänzendes Freudenfest ^).
Saladin, der bald das Vertrauen des Chalifen wie die Herzen
seiner Umgebung gewonnen hatte, betrachtete sich anfangs nur als
den Statthalter Nur ed-dins, dessen Namen er auch im Freitagsgebet
neben dem des Chalifen nennen Hess. Aber allmählig trat er immer
selbstständiger auf, gab seinen Verwandten die einflussreichsten Stel-
lungen 6) und machte den Chalifen immer mehr von sich abhängig,
so dass Nur ed-din mit steigender Besorgniss das wachsende Glück
Saladins sah. Diesem erwuchs ein neuer Feind in den Anhängern des
Chalifen , dessen Herrschaft , abgesehen davon , dass sie eben das
schiitische Bekenntuiss präsentirte, also deu Gegensatz zu dem sunni-
tischen des Saladin, des glücklichen Eroberers und energischen Macht-
habers, schwach und milde gewesen war. An der Spitze jener Un-
zufriedenen stand ein schwarzer Eunuch Mutämen el-chilafat, der sogar
einen Brief an König Amalrich um Hilfe schickte. Der Bote wurde
jedoch unterwegs abgefangen, der Anschlag entdeckt und als Verfasser
') Reinaud, Extr. 1.34. ^) So Ibn el-Atir, Kamrd 560 ; Histor. atab, 252 ;
Boha ed-din 34; Ibn Kliallikan I, 609, 627; IV, 491; nach Abulfeda 37: am
8. Januar. ^) Die Ernennungsurkunde ist zum Theil erhalten bei Abulfeda
37—8. *} Ibn el-Atir, Kamal 561; Hist. atab. 253; Boha ed-din 34; andere
Daten bei Ibn Khallikän I, 627. ^) Ibn el-Atir, Kamal 564—5; Ibn Abfi Tai"
139. Die Ernennungsurkunde fSaladins befindet sich abschriftlich in der Wetz-
stein'schen arabischen Collection auf der königl. Bibliothek zu Berlin. ") Sein
Vater Nedjm ed-din kam 13. April 1170 nach Aegypteu (Ibn Khallikän I, 245),
schlug aber die Emirswürde aus und wurde Schatzmeister (Boha ed-din) ; er starb
am 9. Aug. 1173, während Saladin Karak belagerte (Ibn Khallikän I, 246; Ibn
el-Atir, Kamfil 574; Kamal ed-din 337.
Mittheilungen XII. 30
466 Röhricht.
des Briefes war ein Jude geständig. In den ersten Tagen des August
1169 ward Mutamen getödtet und bald darauf sein Anhang, über
5000 Negersoldaten, massacrirt ^).
Inzwischen waren die Christen des Königreichs Jerusalem sehr
wohl zur Erkenntniss gekommen, dass die politische Lage desselben
nach dem Verlust Aegyptens sehr ernst geworden sei.
Wilhelm von Tyrus ^), welcher den ruhmlosen Ausgang des ganzen
Feldzuges nur dem Milo von Plancy zuschreibt, bricht in die Worte
aus: ,,In welche verworrene und gefährliche Lage riss uns aus der
schönsten Ruhe die masslose Habsucht heraus! Die Schätze von
Aegypten und alle seine unermesslichen Reichthümer standen uns zu
Diensten, unser Königreich war auf dieser Seite gesichert, und wir
hatten vom Abend her Niemanden zu fürchten. Wenn wir das Meer
befahren wollten, drohte uns keine Gefahr; die Unsern konnten ohne
Furcht unter guten Bedingungen Handelsreisen nach Aegypten macheu,
und die Aegypter führten fremde Reichthümer und ganz unbekannte
Waaren uns zu, und ihr Kommen brachte uns immer Nutzen und
Ehre zugleich. Ueberdies vermehrte der unermessliche Tribut, den sie
jährlich zahlten, sowohl den königlichen Fiskus als das Vermögen der
Einzelnen. Aber jetzt hat sich alles zu unserem Schaden verkehrt,
die Lage hat sich geändert, und unsere Freude ist in Trauer ver-
wandelt. Wohin ich mich wenden mag, von allen Seiten droht uns
Gefahr. Wir .können das Meer nicht mehr mit Sicherheit befahren,
alles benachbai-te Land ringsum gehört dem Feinde, und die angrenzen-
den Reiche rüsten sich zu unserem Verderben!"
Aus dieser Erkenntniss heraus beschloss man durch eine ausser-
ordenthche Gesandtschaft die Hilfe des Abendlandes anzurufen 3). Der
Patriarch Amalrich von Jerusalem, der Erzbischof Hernesius von
Caesarea und der Bischof Wilhelm von Accon wurden mit Briefen an
den Kaiser Friedrich, die Könige Ludwig*), Heinrich und AVilhelm
') Ihn el-Atir, Kamal 567; vgl. Wüstenfeld 344-5 «) Liber XX, c. 11.
3) Eruoul 24—5 ; "Wilhelm XX, c. 13. •*) An ihn sind bei weitem die meisten
Briefe aus dem heil. Lande während unseres Zeitraumes gerichtet; König Amal-
rich bat ihn (1163 und 1164, 10. April) als seinen obersten Patron, den die Krone
Jerusalems gern als Oberlehnshen-n anerkennen wolle, um Hilfe (Bongars No. 9
und 13); der König von Frankreich sei stets der natürliche Protector des heiligen
Grabes gewesen (Bongars No. 4). Ebenso wandte sich der Patriarch Amalrich
oft genug naf'h Frankreich mit der Bitte für die Templer (Bongars No. 21), für
die Leprosen (ibid. No. 5), für die Brüder des heil. Geistes (Bongars No. 19), für
die Kirche von Nazareth (Bouquet XVI, 192—3), ebenso die Templer (Bongars
No. 26) und Hospitaliter (Bongars No. 12; Bouquet XVI, 199-200), die Kirche
des heiligen Grabes (Bouquet XVI, 200) in spe<'ielleu Anliegen, oder um Mit-
Amalricli L, König von Jerusalem (1162—1174). 467
vou Frankreich, England und Sicilien, an die Gmfen Philipp, Heinrich
und Thihaut von Flandern, Troyes und Chartres abgefertigt (11G9) ^),
aber in der auf den Tag der Abreise folgenden Nacht brach ein
furchtbarer Sturm Ruder und Mast des Schiffes, und die Gesandten
mussten nach drei Tagen wieder ans Land zurückkehren. Hierauf
gingen an ihrer Stelle der Erzbischof Friedrich vou Tyrus, der Bischof
Johann von Baniäs, Guibert, Präceptor der Hospitaliter, und Arnulf
von Lundast ab und kamen im Juli 1169 glücklich zu Alexander IIL,
dem sie die Gefahr des heiligen Landes schilderten -), Von da gingen
sie nach Paris, wo sie im September eintrafen ^), ihre Schilderungeu
und Bittrufe wiederholten und dem Könige ausser den Briefen Amal-
richs auch die Schlüssel der Thore Jerusalems überreichten. Der
König las und vernahm zu Thränen gerührt die Erzählung von der
Noth und Gefahr des heiligen Landes, aber erklärte nicht helfen zu
können, da der König von England ein böswilliger Nachbar sei; die
Gesandten möchten daher an ihn zunächst sich wenden. Als sie nun
in England erschienen, hörte sie König Heinrich luit nicht geringerer
Rührung als König Ludwig, aber sie richteten ebensowenig aus wie
dort. Vergeblich baten sie ihn, mit Frankreich Frieden zu machen,
um so eine Unterstützung des Königreiches Jerusalem zu ermöglichen ;
der König hielt sie von Tag zu Tag hin, so dass sie unverriehteter
Sache wieder nach Frankreich zurückkehren mussten. Erst nach zwei
Jahren, nachdem in Paris Bischof Johann von Baniäs gestorben war *),
kam Erzbischof Friedrich von Tyrus in die Heimath von seiner erfolg-
losen Reise zurück.
thoilungen über die Lage des heiligen Landes dem Könige oder dem Erzbischof
Heinrich von Rheims zu übersenden. Ueber Hernesius vgl. ZDPV. X, 12.
') Von diesen Briefen ist bis jetzt uns keiner bekannt geworden. '-) Epist.
Alexand. (29. Juli 1169) bei Bouquet XV, 880. Ein Empfehlungsschreiben für
diese (Gesandten, dem auch eine oberflächliche beschichte des letzten Feldzuges
eingeflochten ist, siehe bei Bouquet XVI, 187-8, ein anderes ibid. 151—2
(auch bei Bongars No. 6) und von Alexander IIL vom 29. Juli 1169 (Marteue,
Collect. LI, 750). Ueber Bischof Friedrich vgl. ZDPV. X, 17. ») Epistol.
Joann. Saresber. (Bouquet XVI) 607; Lamb. Waterl. (ibid. XII) 529; eine
Quelle sind auch die Annal. Camerac. (Mon. Germ. SS. XVI) 550—1, die eine
Geschichte des Feldzuges von 1168 enthalten (547—8), viele eigene, jedoch
werthlose Nachrichten bieten. Ueber die Verhandlungen, welche in jener Zeit
zwischen Fiankreich und England wegen eines Kreuzzuges geführt wurden,
vgl. die erschöpfende Darstellung bei Reuter, Alexander III, vol. II, 481—2,
626; III, 561 — 93, welche kurz resummirt ist in Röhricht, Beitr. II, 119—21.
*) Er ward in der Kirche St. Victor begraben (Bouquet XV, 880) ; vgl.
ZDPV. X, 29.
30"
468 R ö h r i c h t.
Wir haben oben erzählt, dass König Amah'ich und Kaiser Manuel
sieh zu einem gemeinsamen Angriflfe auf Aegjpten verbündeten; die
Ausführung dieses Planes kam 1169 wirklich zu Stande, Am 8. Juli
segelte ein Theil der griechischen Flotte unter Audronicus von Kon-
stantinopel ab, nach Melibotus, wo Androuicus die nöthigen Befehle
empfing, über Koila, wo er Kerntruppen und Söldner an Bord nahm;
auf der Höhe vor Cyperu caperte er zwei feindliche Fahrzeuge und
landete dann glücklich in Cypern. Von hier aus schrieb er an Amal-
rich imd bat um Auskunft, ob er in Cypern ihn erwarten, oder selbst
nach Jerusalem kommen solle, um den Feldzugsplau festzustellen.
Nach langem Warten erhielt er endlich die Antwort, er solle nach
Jerusalem kommen.
Inzwischen war ein anderer Theil der gi-iechischen Flotte unter
Theodor Maurezun, dem sieh wohl auch Graf Alexander von Conversana
aus Apulien angeschlossen hatte, dem Andronicus mit 60 Schiffen
vorausgesegelt; als nun auch Andronicus mit seinem Geschwader Ende
September im Hafen von Tyrus erschien, waren 150 lange Schuabel-
schiffe mit je zwei Ruderbänken, 60 grössere Transportschiffe, 10 — 12
Dromoneu versammelt. Diese ganze Flotte ging von Tyrus nach
Accon 1).
Endlich Anfang Oktober war man im Kriegsrathe einig, Tanis
und Tuni 2) zu belagern, und Amalrich sammelte am 15. Oktober 1169,
nachdem er noch die genügende Truppenmacht zum Schutz des Landes
zurückgelassen hatte, sein Heer bei Ascalon, wo auch die gi'iechischeii
Landtruppen zu ihm stiessen, während die Flotte bereits abgesegelt
war. Am 16. Oktober trat er seinen Marsch an und erreichte auf
Umwegen, da die Küste vom Meere stark überschwemmt war, am
neunten Tage Faramiah, am elften Damiette (27. Oktober) •^); drei Tage
später erschien auch die Flotte vor dieser Stadt, konnte aber, da der
Hafen durch eine Kette versperrt war, nicht einlaufen ^).
*) Nicetas 301 (der auch über 200 Schiffe nennt, von denen zehn aus Epi-
damnus, sechs aus Negroponte kamen, während Ibn el-Atir in der Hist. atab.
2G0: 300, aber im Kamal 568 [auch in Amari, Storia dei musulmaui IH B., 505]
und Makrizi ed. Hamaker 22 übertrieben: 120Ü Schiffe); Wilhehu von Tyrus XX,
c. 14 — 5; Dandolo (Muratori SS. XII) nennt nur 100 Schiffe. »j Nicetas 303
(vgl. annotat. 390 — 2) ; Cinnamus 299. ^) Dessen Commandaut Schems el-
khawass Mankuwirasch war (Ibn el-Ath", Kamäl 568 u. Histor. atab. 258) ; diese
Quellen setzen als Anfang der Belagerung den Beginn des Safar (25. Oktob. —
23. Nov.), ebenso Makrizi (bei Hamaker 23), welcher (22) die von den Griechen
und Lateinern gehoffte Unterstützung der ägyptischen Christen (Nicetas 303 ;
vgl. Cinnamus 299) als wirklich erfolgt bestätigt. ■*) Nach Marino Sanuto 171,
der sonst nur eine starke Verkürzung des Wilhelm von Tyrus lür unsere Zeit
Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 469
Man zögerte mit dem Angriff drei Tage, während von Süden her
die Stadt sich mit Hilfstruppen füllte i), so dass die Belagerten den
Belagerern durch tapfere Gegenwehr viel zu schaffen machen konnten.
Endlich war ein hölzerner Belagerungsthurm von sieben Stockwerken
Höhe fertig und wurde gerade an die festeste Stelle der Mauer
herangerückt, an die eine Marienkirche anstiess 2), so dass diese grossen
Schaden litt 3).
Die Belagerung wurde, wie lateinische und griechische Quellen
einstimmig berichten, von Amalrich sehr lau betrieben, so dass man
im Lager sogar von Verrath zu sprechen wagte. Bald kam auch der
Hunger in das griechische Heer, da Andronicus mm für drei Monate
Proviant mitgenommen hatte; die unglücklichen Griechen mussten sich
von Wurzeln, Palmenmark, weichen Zweigspitzen, Haselnüssen, ge-
trockneten Trauben und Kastanien nähren, während Amalrich ge-
nügende Vorräthe besass, aber sie so sehr schonte, dass er sogar seinen
darlienden Waffengefährten nichts abgab, ja seinen Lagerplatz aus ihrer
Nähe rückte. Dazu kamen öftere wolkenbruchartige Kegengüsse, und
ausserdem noch verbreitete sich die Nachricht, es rücke ein Entsatz-
heer heran. Endlich wurde die Flotte durch feindliche Brander ge-
fährdet und sechs Galeeren sogar wirklich verbrannt. So war bald
im Belagerungsheere Noth und Muthlosigkeit eingerissen, und durch
einen kleinen Sieg die Hoffnung belebt zu sehen, ward den Christen
nicht vergönnt, da die Belagerten nur selten einen Ausfall machten.
bietet, war der Hafen durch zwei Ketten geschlossen ; vgl. Röhricht, Quinti belli
sacri scriptores minores XIX, XLVIIl.
1) Saladin schickte in die S1 adt den Mamluken Takt ed-din Omar, Schihab
ed-din el-Haremi, Boha ed-din Karaküsch und wandte eine halbe Million Dinare
(der Chalif eine ganze Million) auf (Wüstenfeld 347). Seine Lage war trotzdem
höchst bedenklich; denn er schrieb mit Recht an Nur ed-din: »Wenn ich mich
von Damiette entferne, so werden es die Franken einnehmen, und wenn ich da-
hin gehe, so behalte ich die Aegypter im Rücken, die sich meinem Gehorsam
entziehen und mir auf dem Fusse folgen werden; wenn wir diese im Rücken
und die Franken in der Front haben, wird von uns nichts mehr übrig bleiben"'
(Ibn el-Atir, Kamäl 569—70 u. Hist. atab. 259). -) Wo Josef und Maria auf
der Flucht gerastet haben sollen (Nicetas 305) ; vgl. annot. 394. Eine Jacobiten-
kirche el-Mo'alla erwähnt auch unter dem Namen der Jungfrau Makrizi, Gesch.
d. Kopten (ed. Wüstenfeld in Götting. Academ. Abhandl. 1847) 142 ; eine genue-
sische Marienkirche erwähnt Heyd I, 427; II, 433. ^) Nur ed-din war durch
die Belagerung Damiettes in schwere Bestürzung versetzt. 'Imäd ed-din (Reinaud,
Extr. 144—5) erzählt, dass als die Nachricht hiervon eben eintraf, da man einige
lächerliche und scherzhafte Anekdoten und Aussprüche des Propheten vorlas, er
seiner Umgebung Mässigung befahl mit den Worten: »Welche Schande ist es
zu lachen, wenn man weiss, dass die Muselmänner von Damiette in Gefahr sind!*
470 Röhricht.
Endlich beschloss Audronicus mit seineu Griechen alkin, deren
Tapferkeit die Quellen ein rühmliches Zeiigniss geben, einen Sturm
zu wagen. Er rief die Seinen um sich, feuei^te sie durch eine Rede
an und Hess den Sturm beginnen, aber plötzlich erschien ein Herold
des Königs mit der Nachricht, die Bürger hätten mit ihm Unterhand-
lungen wegen der üebergabe eröffnet. Und in der That war es so;
durch die Bemühungen eines Türken „Jevelin" war man bald einig;
die Stadt öffnete sich und der freie Verkehr begann. Die ganze Be-
lagerung hatte 50 Tage gedauert i). Nachdem die Maschinen und das
sonstige Belagerungsgeräfch verbraunt worden waren, brach die Flotte
der Griechen am 4. December auf, die jedoch erst nach schweren
Verlusten durch Stürme wieder Konstantiuopel erreichte. Drei Tage
nachher trat auch der König den Rückweg an. Ihn begleitete Au-
dronicus zu Lande nach Tyrus, wo sie gemeinschaftlich das Weihnachts-
fest begingen, und reiste dann zu Lande über Iconium uach Hause.
So war die ganze Unternehmung wieder gescheitert, wie die Griechen
sagten, durch die Schuld des Königs, weil er sich habe bestechen
lassen, oder weil die ursprünglich verabredete gleiche Theilung Aegyp-
teus ihm nicht nach Wunsch gewesen sei und er für sich die gauze
Beute, für sie aber die ganze Last des Krieges bestimmt hätte; die
lateinischen Christen schoben hingegen die Schuld auf die ungenügende
Ausrüstung und Verproviantirung des griechischen Heeres =^).
Die Niedergeschlagenheit über diesen elenden Ausgang eines mit
so grossem Kraftaufwande unternommenen Feldzuges wurde noch ver-
mehrt durch einen Streifzug Nur ed-dins gegen Karak in der Moa-
bitis. Ln Februar-März 1170, als er auf den Wunsch Saladius ihm
dessen Vater Nedjm ed-din mit einer starken Abtheiluug Bewaffneter
zuschickte ^). liess er zugleich eine Bewegung gegen jene wichtige
1) Nicetas 306—9; Wilhelm XX, c. 17—8. Diese Zahl bei Ihn el-Atir, Kamal
370, Hist. atab. 260 und Nicetas 306 (Bedenken gegen dieselbe siehe in den
annotat. ad Nicet. 395—6), ebenso bei Ibn Chaldnn (Aniari, Bibliot. arabo sicula.
Versione II, 239), während Makrizi (ed. Hamaker 22, 58) die Dauer auf 55 Tage
angiebt (Amari, Storia III, 505), so dass der Beginn der Belagei-ung am 23. Ok-
tober anzusetzen wäre. Die Historia atab. 260 setzt den Aufbruch des Be-
lagerungsheeres den 17. December an, wonach dann am 28. Oktober (bei
50tägiger Belagerung) der Beginn derselben angenommen wird. '■') Cinnamus
300; Nicetas 310 (vgl. Mich. S.>tus 369, 370): Wilhelm von Tyrus XX, c. 18. Die
Nachricht des Nicetas 300, dass die Aegypter trotz dieser Niederlage der
Griechen und I-ateiner Manuel einen jährlichen Tribut versprochen hätten, der
aber von diesem abgewiesen worden sei, vordient ohne Zweifel keinen Glauben.
■*) Vgl. oheu 465, Note 6; Lbn elAtir, Kamal 570— 1 und Histor. atab. 260. Bohfi
ed-din 36 setzt diesen Zug in die Monate April— Mai.
»
Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 471
Festung imteruelimeu, aber vor einem kleinen Eutsatzlieere, das Hou-
fred von Toron heranführte, zogen die MusUmen sich allmählig zurück.
Nur ed-din ging von hier aus mitten durch das Land Amabichs unter
furchtbaren Verwüstungen und lauerte bei Aschtera ^) auf einen Vor-
stoss der Christen, aber sie unternahmen nichts. Vielleicht hätten sie
sich zu einem Angriflfe bereit gefunden, wenn nicht indessen (29. Juni
1 170) ein furchtbares Erdbeben das ganze nördliche Syrien heimgesucht
und ihre Kräfte o-elähmt hätte. Antiochien ward zur Hälfte zerstört,
darunter die berühmte St. Peterskirche; 40000 Menschen und Thiere
sollen hier umgekommen sein 2). Tripolis mit seiner grossen Marien-
kirche, Gribel, Laodicea, Tyrus, Arakä ^), Beiinas, ebenso aber auch
Aleppo, Bagras, Schaisar, Hama, Hims, Harem wurden schwer be-
schädigt; ja selbst in Damascus, in Mosul, Irak, Djezira wurden die
fürchterlichen Erdstösse verspürt^). In Folge dessen wagten Christen
wie Muselmänner keine grössere kriegerische Unternehmung gegen
einander; nur am 4. Juli 1170 kam es bei Al-Labuah in der Nähe
von Baalbek zu einem Gefecht.
Schihäb ed-din Muhammed, Fürst von Elbira, war mit 200 Eeitem
') Wohl identisch mit Busra im Haurän (Wetzstein, Reisebericht 108 — 11;
Nöldeke in Zeitschr. d. Deutsch. Morgen!. Gesellsch. XXIX, 431). -) Barhe-
braeus, Chron. syriac. 370—1; Histor. Dynast. 354, 363; Annal. Pisani (Mon.
Germ. SS. XIX) 259. ^) Die durch Erdbeben zerstörten Festungen Arakä und
Djebel-Akkär schenkte Amalrich 1170 den Hospitalitern (Paoli I, 51, No. 51),
denen er bereits 1165 (7. April) auch einige C;. sahen überwiesen hatte (ibid. I,
241, No. 197), und bestätigte 1174 (19. April) ihnen mehrere Einkünfte (ibid. I, 244,
No. 201), schenkte ihnen auch 1174 (Juni) eine Strasse in Jerusalem (ibid. I,
243—4, No. 200); dem deutschen Orden gab er 1173 (26. März) mehrere Ein-
künfte (Strehlke 7—8, No. 6) ; eine andere Urkunde für denselben Orden von
1177 (17. üktob.) ist sicher unecht (Strehlke 9, No. 8), wo die Indiction nur auf
1166 passt, hingegen ist die vom 3. Juli 1174 für Philipp Rufus (Strehlke 8,
No. 8) mit Unrecht für unecht erklärt worden, da Strehlke aus Wilken noch als
Todesjahr Amalrichs 1173 annahm. ^) Bohä ed-din 36; Ibn Khallikän II,
342, 344; Ibn el-Atir, Kamäl 572 u. Hist. atab. 261; Michael Syrus 370 — 1;
Chron. de la pet. Armenie 624; Table chronolog. 476; Rob. de Monte 1170 (ed.
Delisle II, 20) u. daraus Chron. Triveti 66; Annal. Pisani (Mon Germ. SS. XIX)
259—60; Chron. Danduli (Muratori SS. XII) 191; Annal. Flor. (Mon Germ. XVI)
625; Guillaume de Nang. (Bouquet XX) 738; Chron. Uticense (ibid. 774; Wilh.
V. Tyrus XX, c. 19 (woraus Marinus Sanutus l7l); Chron. T. Sanctae in Giovene,
Kalendaria vetera niss., Napoli 1728, I, 9 (die hier abgedruckte Chronik ist völlig
identisch mit dem Chronicon T. Sanctae, welches Röhricht aus Cod. Paris. 5689°
u. 17555 in Archives II B, 431—2 edirte); vgl. auch Bibl. de l'ecole des chartes
IV Serie, III; 31. Auch Alexander in. erwähnt dieses Erdbebens und eines üeber-
falles, den die Feinde gegen die Einwohner von Nazareth verübt hatten, 8. De-
cember 1170 (Martene, Collect. II, 864; Bouquet XV, 893—4).
472 Röhricht.
auf dem Marsche uach Aschtera zu Nur ed-diu und traf unterwegs
auf 800 christliclie Keiter, die auf einem Plünderungszuge sich be-
fanden. Die Muslimen waren siegreich gegen ihre Erwartung; „denn
sonst würden 1000 Reiter von ihnen der Charge von 300 fränkischen
Kitteru nicht widerstanden haben" i), und Schihäb ed-din schickte die
Gefangenen sowie die Köpfe der Gefallenen an Nur ed-din, der unter
den letztern auch den Kopf des Hospitalitercomthurs vom Kurden-
schlosse zu erkennen glaubte.
Ein neuer Schrecken kam über die Christen, als sie hörten, dass
Saladin mit 40 000 turkomanischen Reitern im Anmärsche sei ''^). Der
König eilte (Dec. 1170) sofort nach Ascalon; aber Saladin hatte schon
die Unterstadt von Darum, die Amalrich als Zollstätte erbaut hatte,
erobert und die durch Anselm von Pass vertheidigte Citadelle eng
eingeschlossen. Der König brachte, da nur wenige seinem Aufgebot
folgten, 250 Ritter und gegen 2000 Mann Fussvolk ausser den Templern
zusammen, ausserdem schlössen sich der Patriarch mit dem heiligen
Kreuz, Bischof Radulf von Bethlehem und der Bischof von Lydda ihm
an; am 18. December marscliirte er von Ascalon nach Gaza ab. Als
er von hier weiter zog, sah er schon von Ferne das weite Lager der
Feinde, und voll Bangen schloss das kleine Corps sich so dicht und
eng zusammen, dass es kaum von der Stelle kam. Einen wüthenden
Angriff der Reiterschaaren wiesen die Christen ab und rückten in
geschlossenen Gliedern bis zu der bedrohten Citadelle, in die sie den
Patriarchen mit dem heiligen Kreuze schickten. Saladin wich einem
weiteren Kampfe am Abend aus und lagerte sich am „Bach
Aegypteus", um am anderen Morgen vor den Mauern Gazas wieder
zu erscheinen.
Die Einwohner dieser Stadt wollten, da ihnen die Stadtmauern
nicht Schutz genug versprachen, nach der Citadelle flüchten, aber Milo
von Plancy hielt sie zurück und stellte 65 junge Männer aus Maho-
meria (Al-Biräh) bei Jerusalem, die dem Könige nachgezogen waren
und in Gaza Herberge gesucht hatten, zur Vertheidigung der Tliore
auf. Bald war aber dies Häuflein überwältigt, und ein grässliclies
Morden begann unter den Einwohnern, denen auch jetzt noch die
Flucht in die Burg verwehrt wurde. Dann zog Saladin wieder auf
Darum los, hieb unterwegs noch eine kleine Schaar von 50 christ-
lichen Soldaten, welche zum Heere des Königs eilten, nieder und
•) Ibn el-Atir, Kami'il 571 u. llistor. atal>. 2b'3. Im Kanial 575 lesen wir
sogar das Zeugniss Nur ed-dins: »Die Franken sind die Tapfersten unter den
Sterblichen*. *) Wilhelm von Tyrns XX, c. 20— 3: Ibn el-Atir, Kamäl 577 er-
wähnt diesen Znif nur tjanz kurz.
Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174). 473
theilte iu Darum sein Heer iu zwei Abtheilungen, von denen die eine,
22 Schaaren stark, au der Küste, die zweite, 20 Schaaren stark, ihr
parallel mitten im Laude marschirte. Die Christen hatten anfangs die
Al)sicht ihren Eückmarsch zu stören, machten auch kleine Augrifte,
aber die Feinde Hessen sich in keinen Kampf ein und zogen ab. Hier-
auf kehrte Amalrich, nachdem er Darum stärker befestigt und eine
Besatzung hineingelegt hatte, nach Ascalon zurück ^).
Saladin war kaum wieder in Kairo eingetroffen, als er sofort sich
zu einem neuen Feldzuge rüstete. Er Hess Schiffe zerlegt auf Karaeelen
nach Ailah transportiren, dort zusammenfügen und Ailah angreifen;
schon gegen Ende December war er Herr der Stadt, wo er viele Chri-
sten gefangen nahm. Hierauf ging er nach Alexandrien und Hess die
Stadt stärker befestigen^).
Diese glückHchen Unternehmungen Saladins verfolgte mit nicht
geringerer Sorge wie Amalrich auch Nur ed-din. Er forderte, um
seines Gehorsams sicher zu sein, von ihm, statt den Schntenchalifen
el-Adhid, den Namen des Chalifen von Bagdad el-Mustandjit im Frei-
tagsgebet nennen zu lassen, aber Saladin zögerte mit der Ausführung,
bis endlich der Tod el-Adhids (13. September 1171) ihn aHer Weite-
rungen überhob, worauf er den Befehl Nur ed-dins erfüllte 3). Er
setzte sich ohne Schwierigkeit in den Besitz des Schlosses und der
hinterlassenen Schätze des Chalifen und kettete durch äusserst frei-
gebige Vertheilung derselben, unter denen 700 SoHtairs und eine
BibHothek von zwei Millionen Bänden hervorzuheben sind, seine
Freunde noch enger an sich*).
Am 23. September trat Saladin eine Expedition gegen Schaubek
an, um diese wichtige Festung, welche mit Karak zusammen die Kara-
wanenstrasse von Syrien nach Aegypten beherrschte, für sich zu er-
obern; Nur ed-din schrieb ihm sofort, er werde mit ihm unter den
Mauern jener Festung zusammentreffen. Saladin jedoch ahnte für sich
nichts Gutes von einer solchen Zusammenkunft und gab daher die
Belagerung auf, trotzdem die Besatzung, arg bedrängt, sich bereit
1) Ernoul 15. ^) Ibn el-Ativ, Kamrd 578. ") i\,n el-Ativ, Kamal 580
u. Histor. atab. 283 ; Boha ed-din 38 (woraus Ibn Khallikan II, 74). Die Christen
schoben Saladin die Schuld seines Todes zu (Histor. patriarch. ed. Renaudot 535.
der sonst den Ibn el-Atir stark atisschreibt ; Sigeb. Contin. Aquicinct. 411; Wil-
helm von Tyi-us XX, c. 12, Albericus [Mon. Germ. SS. XXIII] 853); die
Anklage gegen den Chalifen wegen Heterodoxie hatte Nedjm ed-din Kubuschfini
formulirt (Ibn Khallikfin II, G45). ") Histor. patriarch. 530. Die Sage von
einer wunderbaren Prophezeiung, die Saladins Crosse vorausgesagt haben soll,
aber von ihm durch List erfüllt wurde, siehe bei Ernoul 37, 40 — 1.
474 Röhricht.
erklcärt hatte, nach Ahlauf von zehn Tagen, wenn kein Entsatz er-
scheinen sollte, zu capituliren ; er entschuldigte sich Nur ed-din gegen-
über, seine Stellung in Aegypten sei gegen revolutionäre Bewegungen
der Aliden noch nicht sicher genug, um einen längeren Aufenthalt
ausserhalb des Landes und einen längeren Krieg wagen zu dürfen
(Oktob. 1171) ^). Xür ed-din verstand sehr wohl, dass Saladin ihm
um jeden Preis ausweichen wolle, und beschloss durch den Einmarsch
in Aegypten den gefährlichen und nach der Alleinherrschaft strebenden
Emir zur Unterwürfigkeit zu zwingen, weshalb dieser nun mit seinen
Getreuen berathschlagte, was in diesem Falle zu thun sei. Die einen
riethen der Gewalt die Gewalt entgegenzusetzen, die anderen und zwar
besonders der eigene Vater Saladins Nedjm ed-din Ejjüb empfahl ihm
direkte und unbedingte Unterwerfung; Saladin befolgte diesen letzteren
Kath, versicherte den Atäbek seines Gehorsams und blieb von Nur
ed-din wieder unangefochten '^).
Um dieselbe Zeit (Oktob. 1171) segelten nach der syrischen Küste
zwei muslimische Schilfe und gingen an der Insel bei Laodicea vor
Anker; die Christen aber caperten dieselben und verletzten so den
Waffenstillstand 3).
Eine Remonstration von Seiten Nur ed-dins war fruchtlos, wess-
halb dieser die Umgegend von Antiochien und Tripolis verwüstete.
Er gewann die im Januar 1170 von den Christen eroberte Festung
Akkär wieder ^), ebenso die wohl um dieselbe Zeit verlorene Unterstadt
von 'Araka, auch die Burgen 'Arima uud Säfithä; während letztere von
seinen Unterfeldherrn genommen wurden, ging er selbst von 'Araka
gegen Tripolis vor und liess Antiochien selbst bedrohen. Die Christen
0 Boha ed-din 38—9; Ihn el-Atir, Kamal 581—2 u. Histor. atab. 286—7.
Oft'enbar beziehen sich auf diesen Feldzug die Nachrichten Wilhelms XX, c. 29,
dass Saladin in der Wüste nach einem Orte, den er , canellum Turcorum * nennt,
gekommen sei ; Araahich ging ihm mit dem Patriarchen und dem heiligen Kreuz
entgegen bis Bersaba und schlug hier sein Lager auf, 16 Meilen von Saladin,
zog aber, dem Feinde ausweichend, nach Ascalon und Dfirüm. dann wieder nach
Bfr.saba. Saladin belagerte indess Montroyal. -) Ibn el-Attr, Kamfil 582—3
u. Histor. atab. 287 — 9. ^) Ibn el-Atir, Kamal 584—5 u. Hist. atab. 281—2.
Die hier genannten Festungen wurden schon oben 454 als erobert erwähnt.
Michael Syrus 356 erzählt, Raynald v. Chatillon sei damals mit 120 oder 150
Heitern und 500 Mann Fussvolk in einen Hinterhalt gefallen und gefangen ge-
nommen worden (ofi'enbar eine Verwechslung mit dem oben 471 erwähnten
Ueberfall von Al-Labuah, abgesehen davon, dass Raynald schon längst Gefangener
war). Ebenso werthlos ist die Notiz, dass 1000 Chi'isten in diesem Feldzuge ge-
fangen werden seien und Amalrich sich gegen Haleb, wie Nur ed-din gegeii
Jerusalem gewandt habe, ohne dass beide etwas ausgerichtet hätten. ••) Bohfi
ed-din 36.
I
Amalrich I., König von Jerusalem (1162 — 1174). 475
boten Frieden an und versprachen alle Waaren jener Schiffe, unter
denen auch Waaren des Vaters unseres Gewährsmannes, Ihn el-Atir,
sich befanden, herauszugeben. Nur ed-din nahm diesen Vergleicli an,
und der Friede wurde erneueii;.
Indessen Avar man am Hofe Amalrich s zu der Ueberzeugung ge-
kommen, dass ohne Hilfe des Abendlandes das Königreich Jerusalem
nicht länger würde bestehen können, und man beschloss, obschon der
Erzbischof Friedrich von Tyrus noch nicht zurückgekehrt war, von
neuem an den Papst, den Kaiser, an die Könige von Frankreich,
England, Spanien und Sicilien, sowie an die hervorragendsten Herzöge
und Grafen dieser Länder neue Bittschreiben zu senden. Ausserdem
daubte man vor allen anderen auch Kaiser Manuel gewinnen zu
müssen, und Amalrich beschloss, obgleich seine Freunde und Ver-
trauten ihn durch den Ernst der politischen Situation des Königreichs
zurückzuhalten sucliten, selbst nach Konstantinopel zu gehen. Am
10. März 1171 ^) fuhr er mit zehn Galeeren in Begleitung des Bischofs
Wilhelm von Accon, der Herren Garmund von Tiberias % Johann von
Arsüf3), Eaynald von Nefin*), des Marschalls Gerard de Pougy &) und
des Kastellans Koard von Jerusalem g) ab, während Philipp von Na-
blus ihm voraussegelte, um die Ankunft des Königs zu melden. Er
landete auch glücklich und wurde höchst ehrenvoll aufgenommen; in
Gallipoli erwartete ihn sein Schwiegervater der Protosebastos Johannes
und begleitete ihn bis Heraclea, wo das Geschwader des Königs vor
Anker lag. Er stieg in Konstantinopel an der Kaisertreppe aus und
wurde von einer glänzenden Schaar von Hofbeamten durch mehrere
Prunkzimmer in den Thronsaal geführt, wo er neben dem Kaiser,
1) Wilhelm von Tyrus XX, c. 24—6; vgl. Tafel, Corauenen und Normannen
23—4 ; die sonst die erstere Quelle nur abkürzende Historia regni Hierosol. (Mon.
Germ. SS. XVIII) 51 nennt 7 Galeeren. Ueber die bier genannten Reliquien
Konstantinopels siebe Riant, Exuviae Constant. s. voce ; vgl. Tobler, Golgatba 72.
•'') Garmund erscheint 1137 (Paoli 36), 1154 (ibid. 33), 1159 (Arcbives II, 135),
1160 (Paoli 38; Roziere 107), 1161 (ibid. 196, No. 241; Streblke, Tab. 5), 1165
(Delaville le Roulx 101; Gins. Müller 11; Paoli 241), 1168 (Müller 15; Paoli 48,
49: Camera 204), 1169 (Paoli 50), c 1173 (Paoli 234), 1174 (ibid. 244; Streblke 8).
3) Johannes wird in Urkunden erwähnt: 1163 (Delaville le Roulx 99), 1174 (Paoli
244: Streblke 8) u. 1177 (Rozit-re 308). ■», ^^\iy■^[ urkundlich nicht erwähnt.
5) Vgl. o1)en 450. ") Rohard begegnet uns als Kastellan des David-
thurmes u. Vicomte von Jerusalem: 1163 (Paoli 207), 1165 (ibid. 241), c. 1165
(Roziere 331), 1169 (Paoli 50), 1171 (Roziere 328), c. 1173 (Paoli 234), 1174 (Ar-
cbives It, 146), 1175 (Roziere 257—8, 308; Delaville le Roulx 120), 1176 (Roziere
.309; Paoli 71; Delaborde 86), 1179 (Delaville le Roulx 139). Der unter demselben
Namen und Charakter 1142 u. 1144 begegnende R. (Archives II, 124—5) ist wohl
Vater des unsrigen.
476 ' Röhricht.
jedoch auf einem niedrigeren Throne, Platz nehmen durfte. Wie Amal-
rieh, .so wurden seine Begleiter durch glänzenden Empfang und freund-
liche Anreden des Kaisers geehrt; die letzteren wurden auch zum
Handkuss zugelassen. Dieser officiellen Audienz folgten rauschende
Feste, musikalische, pantomimische Theater- und Ballet- Vorstellungen,
auch Circusspiele, welche die Zuschauer nicht minder in Bewunderung
versetzten, Avie die Betrachtung der kostbaren Reliquien Christi, wie
des Kreuzes, der Nägel, der Lanze, des Schwammes, des Rohres, des
Leichentuches und der Sandalen. Mit grossem Literesse nahm Amal-
rich ausser den Kirchen und Klöstern auch die zahlreichen Triumph-
säulen und Triumphbögen in Augenschein und Hess über deren
historische Bedeutung sich eingehend unterrichten.
Von dem Pal aste der Blachernen aus, wo Manuel seinen Gast
beherbergte, unternahm Amalrich eine Reise an der Küste des Bos-
porus entlang, um die Landschaft und die einzelnen Orte genauer
kennen zu lernen, dann aber widmete er sich mit Eifer den diplo-
matischen Geschäften, die ihn eigentlich in die Kaiserstadt getrieben
hatten. Er setzte dem Kaiser die Nothwendigkeit auseinander, die
Macht des neuen und kühnen Souverains von Aegypten zu brechen,
und fand bei Manuel bereitwilliges Gehör; die Zusicherung der Ober-
lehnshoheit des Kaisers über Antiochien wird wohl a\ich hier von
neuem feierlich erfolgt sein i). Genug, Manuel war bald mit dem
König einverstanden und bestätigte den Bündnissvertrag. Nachdem
Amalrich und seine Begleiter bis zum letzten Knappen mit Schmuck-
sachen und kostbaren Stoffen reich beschenkt worden waren, segelte
das kleine Geschwader ab und erreichte am 14. Juni glücklich Sidon.
Kaum war jedoch Amalrich heimgekehrt, als er (im Juli) vernahm,
Nur ed-din lagere bei Bäniäs. Sofort eilte er ihm entgegen und lagerte
bei Saffüria, aber beide Heere zogen sich, ohne dass es zu einer Waffen-
eutscheidung kam, wieder zurück ^).
In dieser Zeit kehrte Erzbischof Friedrich von Tyrus aus dem
Abendlande heim, nachdem er den Grafen Stephan von Blois und
Chartres vorausgeschickt hatte, dem Amalrich seine Tochter zur Ge-
mahlin anbot. Kaum war dieser jedoch gelandet, als er erklärte, er
sei nicht im Stande, die vom König geforderten Bedingungen anzu-
nehmen, und verliess, nachdem er einige Monate in Syrien lüderlich
gelebt hatte, das heilige Land, fiel aber auf dem Wege durch Cilicien
bei Mamistra in die Hände des Usurpators Mälih, eines Bruders des
') So wird wolil die Notiz des C'innamns zu deuten sein, dass Amalrich
Manuel seiner oouXsia versichert habe. ") "Wilhelm XX, c. 27 ; Mich. Syrus 356 f.
Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 477
Thoros vou Armenieu, der ilm ausraubte und ihm nur eine Mähre zur
Weiterreise nach Konstantinopel überUess i).
In dt-ra Jahre 1172 kam Graf Stephan, Sohn des Grafen Wilhehn
d'Outre Saone 2), auch Herzog Heinrich von Sachsen und Bayerns)
sowie Herzog Hugo III. junior von Burguud ^) nach dem heiligen
Lande, allein sie kehrten, ohne eine einzige Waifenthat verrichtet zu
haben, bald wieder heim. In demselben Jahre fand der Bischof Wil-
helm von Accon ^), den Amah'ich von Konstantinopel aus au die Höfe
einiger abendländischen Grafen geschickt hatte, ein trauriges Ende.
Auf seiner Eückkehr in Adrianopel wurde er nämlich von Eobert,
einem Geistlichen seines Gefolges, am 29. Juni Mittags ermordet. Man
wusste nicht, ob der Mörder in Folge einer Geistesstörung oder in der
Absicht, Rache zu nehmen für gewisse Beleidigungen, welche der
Kämmerer des Bischofs ihm ungestraft hatte anthun dürfen, diese
Freveithat begangen habe, doch zeigte er, als er bald darauf starl),
aufrichtige Reue und Busse. In demselben Jahre, am 23. ISiovember,
ward Joscius, früher Chorherr von Accon, Bischof dieser Stadt.
In dieser Zeit (Ende Oktob. oder Anfang Noverab. 1172) unter-
nahmen die Christen eine Expedition in den Hauräu, während Nur
ed-din bei Keswa lagerte, und drangen bis in das Süäd vor.
Es kam zum Kampfe, in welchem Kür ed-din ihre Nachhut über-
fiel und reiche Beute gewann, dann rückte er sein Lager bis Aschtera
vor und sandte von da eine Abtheilung in das Gebiet von Tiberias.
Auf die Kunde von den hier angerichteten Verwüstuugen eilten
die Christen herbei, aber jene Corps hatten bereits wieder den Jordan
überschritten, und als es schliesslich zu einem mörderischen Kauipfe
kam, ffelanff es den Christen nicht, die Feinde aufzuhalten noch ihnen
ihre Beute abzunehmen ^).
») Wilhelm XX, c. 27. ^) Wilhelm XX, c. 27; vgl. Dunod, Histoire de
Besan9on III, 103. Als dessen Begleiter genannt: Amaury de Joux, der auch
1170 als Pilger urkundet (Droz, Hist. de Pontarlier, preuves 261); vielleicht schloss
sich ihm auch Humbert de Coligny an (Memoires sur la Franche Comte IV, 1867,
330—1). 3) Wilhelm nennt ihn Herzog Heinrich von Burgund (über die
Kreuzfahrt jenes deutschen Herzogs vgl. Röhricht, Beiträge II, 109 -16) ; er hat
die beiden Namen Heinrich von Sachsen und Hugo von Burgund offenbar in
Einen zusammengezogen. *) Er urkundet 1170 u. 1171 als Pilger (Plancher,
Hist. de Bourgogne I, preuves 52 u. 5.3), 1172 erklärt er, dass er auf seiner
Heimkehr im Sturm eine Capelle gelobt habe, und erneuert in Rom dieses Ge-
lübde, das am 8. Novemb. 1172 Alexander III. bestätigt (Bouquet XV, 927); 1173
führte er dies Gelübde aus (Perard 246). ') Wilhelm XX, c. 27. Sonst
vgl. ZDPV. X, 20. •■■) Ibn cl-Atir, Kamfil 586.
4.78 Röhricht.
Um dieselbe Zeit wurde Amakicli iu eineu Krieg gegen den Usur-
pator Mülili verwickelt, dessen wir oben bereits Ei-wähnung gefchan
haben. Dieser hatte nämlich gegen seinen Bruder Thoros ein Attentat
unternommen, ohne seinen Zweck erreichen zu können, und war dann
zu Kür ed-din geflohen, von dem er Cyrrhus (Gouris) als Lehen an-
nahm. Als nun Thoros 1168 gestorben war, wurde dessen unmün-
diger Sohu, für den Thomas, nach Wilhelm von Tyrus ein Vetter
Rnpeus 11., die Vormundschaft führte, nach Hromgla in Sicherheit
o-ebracht, wo er bald darauf starb. Thomas ward durch Mtllili mit
Hilfe Nur ed-dins vertrieben und zwar (1170) nach Antiochien, worauf
Malili ohne Widerstand die Herrschaft iisurpirte und durch Mord und
Gewaltthaten befestigte; die Templer, zu deren Orden einst Mälih selbst
gehört hatte, wurden ihrer Besitzungen beraubt, und gegen IG 000
Menschen erschlagen, während die Gefangenen von ihm an Nur ed-din
verkauft wurden. Der Fürst von Antiochien erklärte ihn für einen
Landes»feind, Amalrich lud ihn 3 — 4 Mal nach Antiochien zur Ver-
antwortnng, aber vergeblich, worauf beide Fürsten in sein Land ein-
fielen und es verwüsteten. Da kam die Nachricht, Nfir ed-din sei vor
■ Karak erschienen, weshalb der König, nachdem er seinen Conuetable
Honfred zurückgelassen, ihm mit Bischof Radulf von Bethlehem ent-
gegeneilte, aber als er im Vormarsche war, kam schon ein anderer
Bote, welcher den Abzug Nur ed-dins meldete i).
Saladin hatte nämlich in der Zeit zwischen dem IG. Mai bis
13. Juni 1173 2) eine neue Expedition gegen Karak unternommen.
Als Amalrich hörte, dass dieser in die Gegend des „Türkenried-' ge-
kommen sei, brach er auf und schlug bei dem wasserreichen Kurmul,
drei Stunden östlich von Hebron 3) sein Lager auf. Trotzdem hätte
Amalrich Saladins Absichten auf Karak schwerlich durchkreuzen können,
wenn nicht zu seinem Glück Nur ed-din zum zweiten Male gegen
Karak aufgebrochen wäre. Auf die Kunde hievon suchte Saladin durch
höfliche Entschuldigungen den Nur ed-din über den eigentlichen Grund
«) Ibn el-Atir, Kamal 588—9; Wilhelm von Tyrus XX, c. 28. Ciniiamurs
312—3; Michael Syrns 362, 380; Chronique de la petite Ann. b'22— 4; Table
chronolog. 475; vgl. Röhricht, Beitr. II, 125, Note 22. Die Behauptung des Barhe-
braeus, Chron. syr. 365, Malih habe sich Amalrich unterworfen und jeder Ver-
bindung mit Nur ed-din abgesagt, ist wohl nicht glaublich, lieber die Münzen,
welche Mälih schlagen liess, auf denen er Nur ed-din als obersten Hen-n be-
zeichnet, siehe Du Cange, annotat. 403. -) Ibn el-Atir, Kamal 593. Mit den
hier gebotenen Nachrichten sind ohne Zweifel die bei Wilh. v. Tjtus (XX, c. 30)
zu combiniren, der den Einmarsch Saladins im Juli und seine Rückkehr im
iSeptember erfolgen lilsst. ^) Vgl. Robinson, Palästina 11, 420.
Amalrich I, König von Jerusalem (1162—1174). 479
seiner plötzlichen Umkehr wieder zu täuschen und zog, nachdem er
die Umgebung jener Festung stark verwüstet hatte, zurück nach
Aegypten, während auch Nur ed-din von er-ßakim i) aus seinen Heim-
weg antrat.
In jene Zeit fällt wohl auch jene Fre veithat des Templers Walter
von Mesnel, welche, wie die Christen des heiligen Landes glaubten,
eine ihrer schönsten Hoffnungen zerstörte. Damals war nämlich ein
Scheich der Assassinen gestorben, von dem man sich erzählte, dass er
ein heimlicher Christ gewesen sei, und die ehrliche Absicht gehabt
habe, auch seine Anhänger zum Abfall von ihrem Irrglauben zu be-
wegen. Er hatte nämlich au Amalrich einen Gesandten geschickt und
erklärt, er sei zur Annahme des Christenthums bereit, wenn die Templer
ihm den jährlichen Tribut von 2000 Dinaren erlassen würden. Amal-
rich nahm dieses Anerbieten an und versprach dem Templerorden aus
eigenen Mitteln die Zahlung jenes Tributs, aber als der Gesandte vom
Hufe des Königs heimkehrte, ward er durch jenen Walter erschlagen,
und als nun Amalrich strenge Ahndung eintreten lassen wollte, er-
klärte ihm der Meister des Tempels Odo, Walter sei bereits von dem
Orden bestraft und angewiesen worden, in Kom bei dem Papste seine
weitere Bestrafung zu empfangen; zugleich verbat er sich jede Gewalt-
that gegen Walter im Namen des Papstes. Der König jedoch liess,
nachdem er mit den Seineu Rath gehalten, den Uebelthäter zu Sidou
im Templerhause verhaften und nach Tyrus in Gewahrsam bringen;
was weiter mit ihm vorgegangen ist, wissen wir nicht ^).
Von neuem richtete Amalrich seinen Blick und seine Hilferufe
nach dem Abendlaude; im Sommer 1173 gingen der Bischof Beruhard
von Lydda und der Unter-Prior des heiligen Grabes ab und trafen im
December am päpstlichen Hofe ein. Der Patriarch Amabich 3) wie
der Könige) schilderten in ihren Briefen die drohende Stellimg Sala-
dins, die Gefahr, welche Nur ed-din durch eine Allianz mit dem Sultan
») Zwischen Karak u. Rabba (Derenbourg, Vie d'Oussilma 230). -) Wilh.
V. Tyrus XX, c. 31—2 (vgl. Walter Mapes, De nugis curialium 35), welcher den
Boten des Scheich Boabdelle nennt (Abu 'Abdallah?). ^) Bouquet XVt,
198-9. Ueber Bernhard, Bischof von Lydda vgl. ZDPV. X, 28. *) Bouquet
XVI, 198—9 (es ist uns nur von diesem und dem vorher genannten Briefe die
Ausfertigung au den Erzbischof Heinrich von Rheims bekannt) ; vgl. das Schreiben
Alexanders vom 23. Dec. 1173 an Erzbischof Heinrich (Martene, CoUectio 11, 994).
Älit den Ueberbringem dieser Schreiben schickte der König auch an Heinrich II.
von England- ein Stück des heil. Kreuzes (1174), das dieser der Abtei .aux bons
hommes* schenkte (Pavie I, 323); am 30. Mai 1174 erfolgte die üebergabe einer
anderen Kreuzesreliquie an den Abt Guilluume von Grammont, die Amalrich voiu
480
Röhricht.
vou Icouiuiu und durch einen neuen Plan gegen Antiochien den Chri-
sten des heiligen Landes bereite, und baten dringend, Friede und Ein-
tracht zwischen den Königen von Frankreich und England herzustellen.
Im kommenden Jahre 1174 am 15. Mai starb der gefürchtete
Gegner der Christen Nur ed-din i), und Amalrich glaubte sofort die
Bestürzung im Lager der Feinde zu einem Handstreich gegen Banias
benutzen zu können. Er berannte die Festung 15 Tage, fand aber
energischen Widerstand und musste aus Furcht vor einem Entsatzheere
die Belagerung aufheben. Schems ed-din Mahmud nämhch, welcher
die Damascener Truppen befehligte, liess ihm erklären, er würde, falls
er nicht abzöge, sofort an Seif ed-din, Fürsten von Mosul, und Saladin
ein Hilfsgesuch richten und sicher von ihnen auch Hilfe erlangen.
Diese List war plump, weil Schems ed-din beide als seine gefährlichsten
Gegner fürchtete, aber sie gelang, und Amalrich zog ab, nachdem der
Frieden gegen Freilassung von 20 gefangenen Kittern erneuert worden
war'^). Auf der Heimkehr wurde Amalrich von der Euhr befallen; er
reiste schnell über Nazareth, Nablus nach Jerusalem zurück, wo er in
Folge ungeschickter Behandlung am 11. Juli 1174, 38 Jahre alt, starb
und neben seinem Bruder feierlich bestattet wurde ^).
Sein Tod befreite Saladin, dem kurz vorher am 6. April die Be-
wältigung eines gefährlichen Aufstandes gelimgen war*), von der
letzten Furcht, und bald sollten die Christen es gewahr werden. Ein
Angriff, den der König von Sicilien als Bundesgenosse des inzwischen
verstorbenen Königs Amalrich am 28. — 30. Juli 1174 auf Alexandrien
machte &), schlug gänzlich fehl, wie alle früheren und späteren Angriffe
der Christen auf die Hafenstädte Aegyptens. Im September desselben
Kaiser Manuel zum Geschenk erhalten hatte (Chroniques de Limoges ed. Duples
Agier 58; Gaufrid. Vossens, bei Bouquet XII, 444; Gallia christiana II, 649—50
u. besonders Du Gange, Glossar., Dissert. XXVI).
') Vgl. oben 433—4. Sein Charakterbild zeiclinet Ibn el-Atir, Kamal
542—3, 604 ff. u. Hi.st. atab. 345 ff. ; über die von ihm herrührenden Stiftungen
in Damascus vgl. ZDMG. XVIII, 353—74 u. Sagen über seine christliche Abkunft
in Beiträge II, 122, Note 1. -') Wilh. v. Tyrus XX, c. 33 (vgl. Ilist. regni llieros.
in Mon. Germ. SS. XVIII, 51, wo d. Festung Bellinax genannt wird); Ibu el-Atir,
Kamül 610 — 11. Auf diesen Feldzug bezieht sich offenbar die Angabe dos Michael
Syrus 378 u. des ihm folgenden Barhebraeus 381, dass die Damascener aus Furcht
vor Saladin dem Könige Frieden u. Tribut angeboten hätten. ^) Wilhelm
XX, c. 33; üandul. 300. Im April 1174 war ihm Bischof Raduli v. Bethlehem
vorausgegangen (Wilhelm von Tyrus XX, c. 32; vgl. ZDl'V. X. 24-5). Michael
Svrus 379 lässt Amalrich talschlich in Accon sterben. *) Ibn el-Atir, Kamäl
599—600; Reinaud. Extr. 171—4. ") Vgl. Quatremi-re, Memoires sur l'Egypte
I, 321—7; Boha ed-din 41; die arabischen Quellen in Amari, Biblioteca arabo
Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 48l
Jahres (1174) gewann Saladin Damascus i), und so ward das Königreich
Jerusalem im Osten und Südwesten zu gleicher Zeit von der Macht
desselben gewaltigen Sultans und Todfeindes eingeschlossen. In un-
aufhörlichem Siegeslaufe, durch kräftige Ordnung im Innern vergrösserte
und befestigte er sein Eeich , bis er durch eine einzige glückliche
Schlacht dem Königreich Jerusalem ein jähes aber nicht unvorher-
gesehenes Ende bereitete. Vielleicht hätte Amalrich, der letzte in der
Keihe der erobernden und erhaltenden Könige, wenn ihm noch fünf-
zehn oder zwanzig Lebensjahre vergönnt gewesen wären, die Kata-
strophe abgewandt oder doch verzögert, aber nach seinem Tode wäre
sie ohne Zweifel doch eingetreten ^).
Sicula (versione) II, 259, 591—4, G79; Renaudot , Histor. patriarch. 540;
Ibn el-Atir, Kamfil 611—4; Annal. Pisan. in Mon. Germ. ÖS. XIX, 206. Am
ausführlichsten handelt darüber Amari, Storia dei musulmani 111 B, 506—14.
') Ibn el-Atir, Kamal 614. ^) Kreuzfahrer aus der Zeit von 1162—1174
stellen zusammen Roger 195 — 222; Pourmont II, 71 — 7; Röhricht, Beitr. II,
321—6 (vgl. auch oben 477); ich gebe hier für jene Zeit noch einige Nachträge.
In Bullen Alexanders III. werden als Kreuzfahrer erwähnt: 1160/61 J. ein Ehe-
brecher (Mansi, Ooucil. XXII, 428), 1163 Lapillus (Marteue, Collect. II, 687), Hein-
rich von St. Remy (ibid. 11, 762), 1167—1169 Aegidins de Cimai (ibid. II, 767),
1168—1169 Hugo serviens (ibid. II, 788), Aprilis de Manso und Ludovicus de
Buren (ibid. II, 813), 1170 P., der Diaconus in Sidon geworden war (ibid. II, 835),
1170—1172 Balduin d'Aigne (Mansi XXI, 955), 1171 — 1172 0. aus Rheims (ibid.
997) und Belericus u. R., Frevler gegen einen Kanonicus (Collect. II, 951).
Sonst werden in Chroniken noch genannt 1162: 108 Kreuzfahrer, die mit Gott-
fried IV. von Mayenue abgezogen waren (Menage, Histoire de Sable 179, auch
im Recueil des bist, de France XII, 556; Fourmont III, 65—87), Olivarius de
Magiechat (Brequigny III, 317), 1164 Ansulf de Senolz (Brequigny III, 351), 1167
Odo fils de Hugues, Orleanais (ibid. III, 390), viele deutsche Herren, wie eine
Urkunde, (1167) zu Jerusalem ausgestellt, beweist (v. Löher, Archival. Zeitschr.
III, 1878, 2.94—5), c. 1168 Guillaume de Dampierre (Bongars No. 2 u. 11, auch
im Recueil des hist. de France XVI, 145), 1168 Comte Bertrand de Forcalquer
(Bouche, Hist. de Provence II, 160), 1169 Guillaume Gouet IV., der auf dem
Kreuzzuge starb (Rob. de Monte 1169), 1170 Guillaume de Courtenay (Histoire
de la maison de Courtenay, preuves 8), 1174 die vier Mörder St. Thomas' von
Canterbury : Wilhelm de Traci, Hugo de Moreville, Richard Brito, Raynald Fitz
Ursi, die auf dem Monte Nero bei Autiochien als Büsser gelebt haben sollen
(nach Reuter, Alexander III., Bd. III, 152—3 ist dies nur bei Wilhelm de Traci
sicher), aber in Jerusalem »ante ostium Tempil* begraben wurden (Romuald in
Mon, Germ. SS. XIX, 439; Rog. de Hovedene II, 17).
Mittheilungon XII. . 31
^32 R ö h r i c li t.
Anhang.
Durch die Güte befreundeter Gelehrten und des Herrn Heraus-
gebers dieser Zeitschrift ist es möghch gewesen, hier einige wichtige
Stücke zu vereinigen, welche zwar nicht im Zusammenhange mit der
vorausgehenden Studie stehen, aber für die Geschichte des Königreichs
Jerusalem von nicht geringer Bedeutung sind. Das erste ist ein Brief
des Fürsten Boheraund III. von Antiochien, welcher aus dem Cod. Pal.
Vindobon. 984, fol. 30 — 30^ stammt und schon anderwärts von mir
nachgewiesen war i) ; es ist dies derselbe, welcher auch das Schreiben
des Markgrafen Konrad von Montferrat an den König Bela von Ungarn
enthält ^). Der Brief, dem noch eine Klage über den Verlust Jerusalems
sich anschliesst =*), ist gleich nach dessen Eroberung, also nach dem
2. Oktober 1187, geschrieben und wurde durch den Erzbischof Albert
von Tarsus, Kanzler des Fürsten, nach dem Abendlaude gebracht^);
leider können wir jedoch genaueres über dessen Ankunft und
Wirksamkeit daselbst nichts beibriugen. Unmittelbar darauf folgt
Erbonis Carmen vel threni captis Hierosolimis (fol. 31 — 31 ^)i
woraus bisher nur Stücke bekannt waren s), weshalb wir glaubten,
hier einen vollständigen Abdruck bieten zu müssen; Herr Professor
Dr. Mühlbacher hatte die Güte, eine Copie Ijeider Stücke mir durch
Herrn Dr. M. Mayr in Wien anfertigen zu lassen. An dritter Stelle
') V. Sybel, Histor. Zeitschrift 1876, XXXIV, 4, Note; Beiträge II, 181,
Note 1; ebenda II, 182—3, Note 4, sind noch andere Briefe erwähnt. *') Voll-
ständig herausgegeben in Th. Ilgen, Markgraf Konrad von Montferrat 1880,
135—7 und in der durch Cipolla besorgten italienischen Uebersetzung desselben
Buchs (Casale 18M1), 128—30. Uebrigens ist dieser Brief auch in einem bisher
unbenutzt gebliebenen Codex Admont. 25 saec. XII, Vorstehlilatt No. 3 uns er-
halten. ") Wie sie sich in prosaischer und poetischer Form \aelfach finden ;
vgl. Beitr. II, 181, Note 1; liaymarus Monachus ed. Paul Riant, Lugduni 1865,
53—61 (der hier 53—7 abgedruckte Planctus ist besser edirt im Anhange
der oben genannten Cipolla'schen Uebersetzung 146—52; vgl. 131—45); Hagen-
meyer in Archives de l'Orient latin, Paris 1881, I, 580—5. Der von Graf Riant
dem Haymarus Monachus zugeschriebene liber tetrastichus de expugnata Accone
(vgl. J. Grimm in d. Abhandl, d. Berliner Akad. 1843, 178), zu dem im Neuen
Archiv 1879, 386 auch eine Oxforder Handschrift nachgewiesen wurde, ist wie
die von Prutz in den Forsch, zur deutsch. Geschichte 1881, XXI, 457—94 (Ver-
besserungen 1882, XXII, 674) veröffentlichten Versus nur historisch. *) 1186—
1199 nachweisbar (Röhricht, Syria sacra, 16); unser Brief bereits bei Denis,
Cat. I, 743—6. ^) Ibid. 746—8; vgl. Wattenbach, Deutsch. Geschichtsq. II, 437,
Note 2. Nach H. Prof. E. Voigt (dessen Güte und Sachkenutniss ich viele Ver-
besserungen verdanke) auch in Cod. Vind. rec. 3087 (3358) s. XV, fol. 97'' (Pertz,
Archiv X, 538).
Amalrich t., König von Jerusalem (1162—1174). 433
steht eine Urkimcle des Fürsten Bohemuncl III. von Antiochien (April
1189) für Genua, an vierter eine Urkunde des Fürsten Bohemund IV.
von Antiochien für Genua (Dec. 1203), von denen letztere zwar viel-
fach citirt 1), aber nirgends vollständig veröffentlicht worden ist; merk-
würdigerweise fehlen beide sogar im Liber jurium reipublieae Genuensis.
Wir verdanken die Mittheilung derselben wieder der so oft bewährten
Liberalität des Herrn Kitters Cornelio Desiraoui, Archivdirektors zu
Genua; unsere Urkunden stammen aus dem dortigen Archive und
tragen die Signatur: Materie politiche, mazzo III; vor der Eingangs-
formel des zweiten steht das fünffache Kreuz des Königreichs Jerusalem.
Unter No. 5 theilen wir einen Brief mit, als dessen Schreiber ein
Erzbischof A. von Nazareth sich nennt -), den wir jedoch aus Chroniken
und Urkunden nicht nachzuweisen vermögen; Letardus, sonst auch
Attardus genannt, ist vor Accon gestorben (c. 1190)^), den Namen
des in einer päpstlichen Bulle vom 5. August 1196 erwähnten Nach-
folgers kennen wir nicht ^), und seit 1210 ist Robert II. nachweisbar.
Wir sind daher auch nicht im Stande, die Augabe des Briefes selbst
zu coutroliren, worin der Schreiber sich als Bevollmächtigter des
Papstes nennt und giebt. Der Inhalt ist eine Klage über den Verlust
des heiligen Landes, besonders der durch die Geschichte des Heilandes
geweihten Stätten von Nazareth, dann folgt eine Aufforderung zum
Kampfe gegen die Saracenen, der Hinweis auf die bei der Eroberung
Konstantinopels (12. April 1204) erprobte Tapferkeit des Grafeu Bal-
duiu von Flandern und die Zusicherung von Indulgeuzeu, welche
bereits der Papst in vielen Schreiben an die Christenheit gegeben
hatte. Wenn der Brief echt sein sollte, was bezweifelt werden
könnte, so wäre seine Absicht wohl gewesen, die Kreuzfahrer in Kon-
.stautiuopel an das eigentliche und höhere Ziel, die Eroberung des
heiligen Landes, zu erinnern, und zur Erreichung desselben den Bei-
stand des Clerus zu gewinnen. Der Brief, welcher, da die Schriftzüge
vielfach schon erblasst sind, in einer sehr schwer lesbaren Gestalt
vorliegt, auch Lücken zeigt, so dass vielfiiche Unsicherheiten in der
Lesung, Härten im Ausdruck, Mängel in der Konstruldion zu Tage
') Zuerst (zum falschen Jahre 12 IG) und kurz ausgezogen bei Seira, La storia
deir antica Liguria, Torino 1834 ft'., 4 Bde. S», IV, 148 (wo auch 149 unsere
zweite Urkunde zum falschen Jahre 1219 erwähnt wird), dann von 01i\devi, Carte
e cronache 1855, 59, Canale, Nuova istoria di Genova II, 304—5; De Mas Latrie
in d. Archives d. missions scientifiques IE, 355 und endlich von W. Heyd in
seiner ausgezeiclineten Histoire du commerce, Leipzig 1885, I, 322. -) Zuerst
erwähnt in den oben 482, Note 1 genannten Schriften. *) Röhricht, Syria
Sacra 14. ••) Jatfe-Löwenfeld No. 17419,
31*
4g4 Röliricht.
treten, ist uns erhalten in dem Brüsseler Codex 10151 ; Herr Dr. Jules
Petit, Gustos der dortigen Bibliothek, hatte die dankenswerthe Ge-
wogenheit, uns eine sehr sorgfältige Copie zu übersenden. In dem
darauf folgenden Protokoll (No. 6) ist eine Urkunde des Hospitaliter-
meisters Garinus (Accon, 8. Oktob. 1231) enthalten, welche aus
dem Staatsarchiv zu Florenz (Tabular. Fiorentino, proven. Olivetani di
Pistoja, pergam. No. 168) stammt und uns durch die Güte des Herrn
Prof. Dr. Crivellucci in Pisa zugänglich geworden ist. Garinus, dessen
Geschlechtsnamen noch immer nicht hat festgestellt werden können,
wird als Meister urkundlich zuerst am 28. Sept. 1231 ei-wähnt; unsere
Urkunde ist die erste, die er selbst ausfertigt ; ein Siegel war von ihm
bisher schon bekannt. Für welche Verhandlungen in Kom er den iu
der Urkunde genannten Marguisius bevollmächtigt, ist nicht zu er-
mitteln gewesen. Zuletzt geben wir noch eine Urkunde, welche der
kaiserliche Marschall Kichard Filangieri in Tyrus (17. Mai 1242, in-
dict. XV) für den kaiserlichen Kastellan Petrus Pennapedis ausstellte.
Derselbe ist weder aus Urkunden noch Chroniken nachweisbar, wohl
aber in derselben Eigenschaft und fast zu derselben Zeit der wahr-
scheinlich mit diesem verwandte Gautier Pennenpie i), welcher bei der
Eroberung Jerusalems durch die Chowaresmier (11. Juli 1244) den
Tod fand. Die Urkunde findet sich, wie Winkelmann bereits fest-
gestellt hat 2), in der Communalbibliothek zu Palermo (2q, J. 11,
pag. 328) ; die Abschrift derselben verdanken wir der gütigen Vermitt-
lung des Herrn Prof. Dr. Ludwig Bresslau in Bari.
I.
Epistola principis Antiocheni ad chrislianos de clade a Saladino accepta.
Omnibus sanete matris ecclesie filiis, primatibus, archiepiscopis, epis-
copis, abbatibus, prepositis, arcliipresbyteris, archidiaconis, capellanis, uui-
versoque populo Dei, ad quos preseus presentari contigerit iustrumentum,
B(ohemundus), prineeps Antiocenus, salutem et salutis incrementum cum
prosperitatis habundantia. Anxius loquor, mestus scribo et vestre universi-
tati longa suspiria, merores, angustias licet presmnens insynuo et scribendo
deficiens replico mesticias et dolores. Quis enim vidit talia? Vie lugent
1) Gastes des Chyprois 123; vgl. Röhricht in Forsch, zur deutsch. Geschichte
1886, XXVI, 86, 90. ^) Neues Archiv 1878, IU, 638; hingegen ist die ebenda
als von Gerold, dem Patriarchen von Jerusalem, ausgestellt erwähnte Urkunde
(1230, December) bereits bei Delaborde, Chartes de Terre Sainte, Paris 1880,
97—9, No. 47 u. Strchlkc, Tab. ordin. Theut. 58-9, No. 74 veröffcntHcht.
Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 485
Syon, eo quod noii sit, qui veniat ad sollempnitatem (Thren. 1, 4).
Christianis siquidem cum Saladino confligentibus vires nostre defecerunt,
ceciderunt templarii, hospitalares corruerunt, rex anxiatur in carcere,
vexillum crucis Dominice, immo crux ipsa Dominica retinetur apud hostes.
Omnes fere defecerunt, remansi tantum ego solus, Dei favente misericordia,
ut que facta sunt vestre nunciarem universitati. Obsessum est Salvatoris
nostri sepulchrum et ejus nativitas est delicta, expugnata est Ascalon, et
in ejus campestribus non invenitur habitator christianus, Nazareth a Turcis
occupatur, in domo Virginis, in ipso Annunciationis loco christianus san-
guis fusus est, et in ecclesia gloriosa equi jacent Turcorum, patrantur
nequicie et in locis gloriosissimis eorum spurcicie, fornicationes et scelera
perpetrantur. Sed et Accon illa ubique terrarum nominatissima in eorum
venit ditionem et usque Tyrum, Jerusalem et Ascalone captis, religioni
Christiane aliqua civitas non remansit. Mortui sunt patres, nichil restat,
nisi ut eorum preteritus (?) moriatur. Omnibus itaque deficientibus remansi
ego solus, ut hec omnia vestre nunciarem universitati. Omnibus itaque
desolatis in refugium remansit Antiocene (!) principatus, ibi sumus, ibi inedias
sustinemus et calores, ibi pugnamus et, nisi nobis per auxilium vestrum
pariter et consilium subventum fuerit, procul dubio moriemur. Ad hoc
venerabilem virum Tharsensem archiepiscopum, Antioceni principatus can-
cellarium, virum utique discretum et honestum in utriusque juris apicibus,
sed et in rebus ecclesiasticis sufficienter eruditum ^) ad vestram mittimus
universitatem rogantes et modis omnibus exorantes, ut eidem predicto
viro aurem benigniorem accommodare dignemini et de statu regni et
nostro ^) credere. Ipse namque erit vobis verax nostre desolationis inter-
pres, utpote qui miseriam nostram vidit, cui luctus nostros intimandos
injunximus et dolores. Ipsum ergo ob Dei reverentiam sueque probitatis
intuitu et nostre petitionis • iuterventu 3) benigne recipiatis et ei vestrum
cum consilio prebeatis auxilium. Valete scieutes procul dubio, quia aut
succumbimus aut raorimur!
IL
Indue cilicium, sedeas in pulvere, mater
Orba replens orbem fletibus ecclesia,
Die ve, die ve, ve, nee enim tibi talis ab Ev^
Est data temporibus materies gemitus,
5- Filia Jerusalem, lamentum sume super te,
Te cecidisse gemas virgo decora Syon!
Plangite i^erculsi rectores ecclesiarum,
Lugubris hoc fame vos meruisse malum!
Clerus, plebs ^), monachi, nupt^, vidu^, moniales,
10- riete gravem Domini nos tetigisse manum!
Ecce locus, templum, domus, atria, terra redemptrix,
Incola turba cadit, gentibus exposita!
Terra salutari cruce, corpore, sede sepulchri,
') Cod. eruditus. -) Hinter nostro ist regni getilgt. ') Ursprünglich
interventum, wovon m radirt. *) Symetrischer : Plebs, clerus (V.).
486 Röhricht.
Montis Oliveti dote heata fuit,
15. Plena sacramentis, signis, fidei documentis,
Gente sub ignota sunt temerata loca!
Humanuni si iudicium, rex Christe, subires,
Causari de te plurima posset homo:
»Miror [. .]t 1), cur dotatam tibi sanguine teiTam
20. Cede profanarit barbara nequicies,
Teque sinente manum validam princeps tenebrarum
Miserit 2) in sanctos, qui tibi lux fuerant
Hos feriendo, dolis alios circumveniendo
Et misero ^) mortis illaqueando metu.
25. Fertur enim fidei prolapsum vulgus ab arce
Te repulisse deura, conciliasse deos.
Extentas vidisse manus in dedicionem
Est dolor, est miserum plasma perire tuum.
Ecce decus ligni nostri, quo viva salutis
30. Hostia pendebas, barbarus hostis habet!
Depopulata iacet structura monasteriorum,
Clerus, ubi monachus, virgo sacrata fuit !
Quid iuga tantorum memorem decursa laborum?
Nocte dieque tuQ vim patiuntur oves !
35. Cladibus bis quem quando dabis, Jesu bone, linem,
Cum pius existas, vel potius pietas?
Tene preces et amara tuQ suspiria spouse
Ad pietatis opem flectere posse negas?
Ipse iubes tibi vota dari, tua dona precari.
40. Totus opem mundus flagitat et refugis;
Nee modo non audis, sed et orbi viscera claudis.
Hinc Stupor, inde dolor, binc pudor, inde timor.
Id solum resonat, Babilon rex cuncta subegit,
Opprimit Jerusalem dextera Salathiel. *
45. His ita respondet ratio, Deus in ratione:
»Haut dubio nosti, corde fidelis honio,
Quanta Deus tulerit gratis pro te redimendo
Seque patri precium morte sua dederit.
Quas super his grates, que laudis munia solves?
50. Munere pro grandi grandia debueras ;
Sed cum preter te nichil exquirat Deus a te,
Est breve mandatum : dilige, salvus eris !
Nee secus in terris agitur, respersa venenis
Nequici^ est mundi lata superficies,
55. Viribus, arte, minis, incestu, cede, rapinis,
Turpia queque gerl sunt benefacta viri,
Laudatur qui non ') fraudes, periuria, furta
Dictat, amat, peragit, pectore, voce, manu.
Die, ubi vis, ubi lex, ubi fas, ubi federa pacis?
') Es stand wohl ,ait*, a ist noch sichtbar. Vielleicht stand aber ein u.
*) Gebessert aus Miserat. ^) Gebessert aus mirero. *) Lies : nunc (V.).
Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 487
60. Esse malum decus est, dedecus esse bonum,
Ordo monasticus, ecclesiasticus, ordinis expers,
Mundo, non Christo militat oi-e, manu,
(fol. 30^) Talibus heu studiis hominum quod vita rotatur,
Nos pater in virga visitat, ut revocet
65. Utens ergo malis in opus pietatis et usum
Cepit ab arce Syon, nee ratione vacat,
Terra etenim nostr^ consummativa salutis,
Morbi communis debuit esse parens,
Ut quibus commune malis instare sit, ipsis
70. Et commune pati compatiendo bonis.
Constantinopolis, Komanave menia capta
Sive cremata parem num parerent gemitum?
Ergo solum natale suum, loca sancta profanis
Tradita predari seque secundo pati
75. Maluit in membris, ut amore Dei redimentis
Viscera cunctorum compatiantur eis.
At pia si vel nuda, vel est obscura voluntas,
Luce vacans operis, luce caret meriti,
Luceat ergo foris interni robur amoris,
80. Splendeat officium, prodeat in medium!
Evigilate viri, consurgite, state virili
Pectore pro Domino quisque ruente domo,
Unde salutis opem mundo fluxisse videmus,
Unde suas vires sumpsit habetque fides!
85. Primus et in primis veniat caput urbis et orbis
Presul apostolicus consiliis, precibus,
Non armis pugnando quidem, sed in arma citando,
Hortatu, monitis elitiendo viros.
Orbis et imperii decus augustum Fridericus,
yO. Lux, via, dux plebis emicat e tenebris
Armis, ingenio, titulo, virtutis honore
Inclitus, excelsus, clarus ubique potens,
Vita placens, cuius nostris servata diebus
Muneris e celo creditur esse genus.
95. Ipse facultatum reditus, fabricasque domorum
Scemate regali contulit imperio,
Maiestatis apex claris diuturna triumpbis
Prelia concludens, lassus hebet senio.
lamque fatiscentis sunt membra fovenda quiete,
95. Militis hec ratio postulat etneriti.
Kes miranda, senex Christi iuvenescit amore
Tam re quam signis ora ferens aquilij,
Non sil>i, non partis quibus natisve paratus
Parcere, sed letum carpere mortis iter.
100. Hie vir, hie hostiles numeroso milite fines
Intrans innocui sanguinis ultor erit.
Quo duce prudenti populum spes tanta sequetur,
Partis ut advers^ colla subacta putet.
AüQ Röhricht.
Signifer ipse Dei, cum stabit in arce trophei,
HO. Luminis etherei porta patebit ei.
Qu^ poterit vox, Christe, tuas recitare cohortes?
Reges, pontifices, cum ducibus comites,
Robusti cordis iuvenes a finibus orbis
Ite, fei'ite reos, nil metuatis eos!
115. Immemores etatis, opum, thalami sobolisque
Ite, subite crucem restituendo crucem!
Spes veiii^, fructus vitt^, diadeina perenne
Reddent tocius suave laboris onus,
Felix niilitia, cui donativa rependet,
120. Verax sermo Dei, laus, honor, ymnus ei!«
Obsecro lectorem, cum legerit liec mea, dicat:
» Carminis auctorem Deus Erbonem ^) benedieat ! «
Eugenii scrib^ pariter, lector, memorare,
Semper ut a Christo mereatur amen benedici!
m.
In nomine sancte et individue trinitatis, patris, filii et spiritus sancti.
Ut Omnibus in posterum clareat et nulla ambiguitatis questio inde emergat,
idcirco per hec presentia scripta notum certumque erit tam modernorum
presentie quam successorum posteritati, quod ego Boamundus, per gratiam
Dei Antioehenus princeps, quondam Raymundi bone memorie principis
filius, assensu et bona voluntate domine principisse Sibille et Raimundi
filii mei dono et in perpetuam hereditatem concedo Omnibus consulilms
et Ganuensibus Ganue in Antiochia curiam et apud Laudociam ac Gaba-
lum curiam et libertatem exceptis tarnen proditione, homicidio et furto,
de quo aliquis attinctus fuerit vel comprobatus, et exceptis meis burgen-
sibus Ganuensibus de Antiochia et Laodocia et Gabalo, quos in eorum
communicione recipi permitto. Preterea si forte acciderit aliquem Ganuen-
sium in terram meam quolibet ligno naufragari, volo, quod sui coi-pus
et omnia sua sint salva et tuta per omne meum posse. Hec itaque omnia
supradicta dono et in perpetuam hereditatem concedo Omnibus consulibus
et Ganuensibus Ganue propter bona eorum servicia et precipue, quia ad
necessitatem Antiochie succui-sum suum et auxilium hylari animo trans-
misere, et ut hec mea concessio rationabilis et inviolabilis in etemum
pennaneat, hanc paginam scribi precepi et sigilli mei plumbei impressione
subscriptis testibus insigniri. Hujus quoque rei et donationis sunt testes :
Gervasius de Jarmavia, Antioehenus senescalcus, Milo de Colovardino, Petrus
de Ravandello, Johannes Paschalis, Saxus de Tripoli. Datum est autem
Privilegium istud per manus Radulfi derlei sub venerabili Alberto, domini
principis Antiocheni cancellario et Tarsensi archiepiscopo. Anno dominice
incarnationis MCLXXXVIIII, indictione VII, meuse Aprili in civitate Tyri.
») Eine spätere Hand, welche auch den Titel sehrieb und die wichtigsten
Stellen im Gedichte unterstrich, schrieb an die Seite: NB. Nomen aulons.
Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 439
IV.
In nomine sancte et individue trinitatis patris et filii et Spiritus
sancti, amen. Notum sit omnibus tarn futuris quam presentibus, quod
ego Boamundus, filius Boamundi principis, per Dei gratiam princeps
Antiochenus et comes Tripolitanus, dono et concedo Lamberto Fornario et
Belmusto Lercario, consulibus Janue, et communi Janue scilicet Januensibus
et Omnibus Januensium filiis libertatem in Tripoli de omni peccunia sua
vendendi, emendi, mittendi et trahendi sine omni consuetudine et jure
peccunie sue exceptis Januensibus et omnibus Januensium filiis, qui erunt
burgenses regni Jerusalem vel comitatus Tripolis vel principatus Antiocliie
sive Cypri. Item dono et concedo curiam communi Janue scilicet Januen-
sibus et omnibus Januensium filiis sine homicidio et sedicione erga domi-
num, sine raptu et sine vi, qua fiat liomini, de persona sua vel de rebus
suis, vel de pecunia sua. Hoc tamen sciendum est, quod supradicti
Januenses et omnes Januensium filii de bomicidio, de prodicione erga
dominum, de raptu, de vi facta liomini de persona sua, vel de rebus suis,
vel de peccunia sua, de omnibus hiis nominatis debent venire facturi
justitiam in curia mea omnibus horis, quibus aliquid liorum contigerit, et
omnibus boris, quibus erunt requisiti. Item dono potestatem Januensibus
emendi quasdam domos in Tripoli et eas lil)ere possidendi ad opus com-
munis, istam enim libertatem et hanc curiam, quam dedi Januensibus et
Januensium filiis non dono nee concedo Januensium filiis, qui burgenses
erunt regni Jerusalem vel comitatus Tripolis vel principatus Antiochie
sive Cypri. Hec dona suprascripta dono et concedo tali convencione,
quod quociescumque Januenses vel Januensium filii venerint in teiTam
meam, cum requisiti fuerint a nie vel ab aliquo homine nomine meo,
jurabunt michi tactis sacrosanctis evangeliis, quod me juvabunt et quod
contra omnem bominem juvabunt servari et defendi Tripolim ad opus
meum, quamdiu in ea sunt, tamen salva sibi peccunia sua, et eodem modo
jurabunt heredibus meis post decessum meum. Si quis vero Januensibus
suprascriptum juramentum requisitus facere noluerit, infra diem tercium
exibit de terra mea ad eam sine mea licencia nullatenus reversurus. Ut
autem i'atum sit et firmum, quod in presenti pagina continetur, istud
presens Privilegium feci sigillo meo plumbeo sigillari. Hujus rei testes
sunt Guido, dominus de Biblio, Bertrandus de Biblio, Kaimundus de
Biblio, Wilielmus de Biblio, Ugo de Biblio, Girardus, constabularius Tri-
polis, Eaimundus de Scandelione, Johannes de Eancberoles, Mansellus,
Bertrandus de Vaisio, Plebanus de Botrone, Saisius, Stephanus Alexander,
Johannes Saxius, Thomas Saxius, Bartholomeus Saxius, Homodei. Nota
magistri Johannis de Corbonio, Domini principis capellani. Actum anno
Dominice Incamacionis M. CG. III, principatus nostri anno tercio, mense
Decembris.
Venerandis in Christo dilectissimis omnibus sancte matris ecclesie
rectoribus, archiepiscopis, episcopis, abbatibus et universis in cruce signa-
tis, ad quos presens pagina pervenerit, A., Dei gratia et apostolica
Nazarenus archiepiscopus, salutem cum lacrimis. Miserator et misericors
490 R ö h r i c h t.
Dominus (Psalm. 110, 4), qui, ut humani generis lapsum sua misericordia
restauraret, de venire virginis carnem sumere et mortis non dubitavit
subire discrimen, volens nos, quos de tenebris et umbra mortis sua morte
redemit, quantorum meritorum exigentia tenente, tradi in manibus inimici,
omnem enim filium, quem recipit miserando, castigat monitis (cf. Hebr.
12, 6), nos aliquando quandoque flagellis corripiens, ut, cum peccatis nostris
talia ei majora exyberi conspicimus, ad meliorera vitam facilius et libentius
inclinemur. Verum cum religionibus nostris iterum excreverit malicia
moderniorum, ut nee sacre scripture monitis, nee infirmitatis nostre cor-
ripiamur flagellis, manum suam super nos Dominus in tantum voluit
aggravare, ut terra nativitatis sue in manibus traderetur paganorum, ubi
cum propbeta deplorantes: Deus venerunt gentes etc. (Psalm. 78, l) auribus
nostris audierimus, quod quibusdam et ad majorem compunctionem datum
est intueri morticina cliristianorum in escas tradita volatilibus celi et
sanguinem eorum impositum bestiis terre, audientes preterea abomina-
tionem desolationis terre in loco sancto, cum ibi factum sit prostibulum
meretricum ab Agarenis, ubi quondam fuerat mensa panum et impositio
saneta, signum eciam salutifere crucis, in quo apostolus cum fide gloria-
batur, cum diceret: Nos autem gloriari oportet in cruce etc. (Gal. 6, 14),
in extremo terre illius peccatis nostris exigentibus in potestatem illorum
deveniri, qui crucifixum cum cruce detestantur. Jherusalem preterea,
quondam pacis visio et terra veteribus pati'ibus olim repromissa, in qua
Christus pati voluit pro nobis et certa deitatis sue argumenta monstrare,
spurcitia illorum inquinatur, quibus fuerat olim tremori et honori et solita
gloriari, et religiosis personis viduata, propriis deserta cultoribus ad se
ipsam conversa deplorat: quomodo sedet sola civitas etc. (Thren. 1, 1)!
Quis igitur cbristicola tante desolationis non immemor lacrimas tenerit
(sie)? Quis bujus immoderati doloris consolationem recipiet, cum non
sit, qui consoletur eam ex omnibus caris ejus (Thren. 1, 2)? Accingimini
ergo fratres ad verbum Domini populis evangelizans et gentibus! Accin-
gantur, quibus licet materialem gladium in persecutores fidei exercere, ut
iniuria crucis vindicta celi ulciscatur! Accingantur, quibus datum est
orationibus et contemplationi vacare, ut Deum possint assidua oratione
placare! Ecce enim expetiit vos Sathanas, ut cribaret sicut triticum in
hac turbatione (Luc. 22, 31)! Ecce nunc, qui cum Christo non fuerit,
juxta evangelice auctoritatis doctrinam (Matth. 12, 30) ipse erit Christi
adversarius, quem animo prorsus non movebit injuria crucifixi, in signo
crucis non confidat ulterius salvari. Nee aliquorum volumus prudentium
admirari, si diversimodi principes, qui ad expugnandam gentem Sarcacenam
hactenus in hasta et gladio sunt profecti, quasi nichil fecerint, quia non
in hasta et gladio salvos facit Dominus de sua misericordia confidentes,
sed in multitudine miserationum suarum salvabit eos. Nee nostra merita
hactenus usque adeo profecerunt, ut iratum Dominum ad misericordiam
provocaverint et medelam. Licet quondam filii Israel ad vindicandam
mortem uxoris levite de monte Effraim contra tril)u(m) Beniamyn ascen-
derint, Domino precipiente armati non tamen prius potuerunt aliquatenus
superare, quam ab illis semel et secundo lügati excessus suos fugavissent
(Judic. 19 — 20). Accedite igitur spe ad cor altum, ut in mirabilibus
suis exaltetur Deus ! Eflfundite coram illo corda vestra, ut adiciat misereri
Amalrich I., König von Jerusalem (1162 — 1174). 491
Deus et servet in ira misericordiam suam et post tempestatem et fletuin
exultationem inducat ! Sumant igitur crucis signaculum, qui hactenus arma
militaria inter populos christianos assumpserunt, ne desperent de paucitate
nee in multitudine glorientur! Si enim ad defensionem sancte terre cum
humilitate debita voluerint festinare, Dominus conterens bella, qui currus
et exercitus Pharaonis projecit in mare (Exod. 15, 4), docebit manus
eorum in prelium et digitos ipsorum ad bellum. Vos ergo karissimi,
quibus cura pastoralis commissa est, populo Dei verbum salutis annun-
tiare studeatis ! Speramus siquidera, iter vos Christi parare debetis, quod
Dominus in verbo predicationis et orationis vestre rete laxabit et tales
ad defensionem orientalis provincie excitabit ad exemplum comitis Flandrie
Balduini et sociorum ejus, quos tanquam aurum in fornace (Sapient. 3, 7)
probavit Dominus et in columnas fidei catholice sursum erexit in bono
principio captionis Constantinopolitane civitatis (?), quod meliore medio et
fine optimo concludet Dominus, quia exsurget Deus et inimici nostri Sar-
raceni dissipabuntur et fugient, qui oderunt Dominum, ante faciem ejus,
cum videlicet Christi milites virtute et gratia induti ex alto terram pro-
missionis viriliter acquirent et opprobrium nostrum non tam armis quam
vite bone merito longe repellent. Eis autem, qui corde contrito et hu-
miliato spiritu itineris laborem assumpserint et in penitentia peccatorum
fide recta decesserint, auctoritate pape, qua fungimur, plenam suorum
criminum indulgentiam et vitam pollicemur eternam. Eos vero, qui pau-
pertate nimia oppressi, aut infirmitate detenti, aut senes etate decrepiti,
aut mulieres, aut parvuli, si hoc sanctum iter arripere nequiverint et
elemosynas suas secundum posse suum transmiserunt, eidem (sie) indul-
gentiae, nisi voto fuerint astricti, participes esse concedimus. Preterea
caritati vestre commendamus (?) nostros latores presentium, (quos) pro
colligendis fidelium elemosinis ad acquirendum crucifixi patrimonium trans-
mittimus (?) mandantes attentius et in retentione peccatorum vobis iniun-
gentes, quatenus, cum ad vos venerint, eos in ecclesiis vestris cum reve-
rentia admittatis, vos ipsi igne sancti Spiritus accensi predicationis officium
assumentes, receptis eorum brevibus, beneficia, que in eis continentur, ore
proprio gregibus vestris fidelibus imponatis. Ad majoris cumulum mer-
cedis et omnibus, qui ad predictum crucifixi patrimonium et ad ecclesiam
beate Marie de Nazareth recuperandam, ad cujus tytulum ipse Jhesus
Nazarenus rex Judeorum appellari voluit et sub hoc tytulo triumphali
mortem expirando vicit, in qua ecclesia beata virgo Maria nata et ab
angelo salutata fuit, ubi verbum caro factum est, ubi sanctus spiritus
cunctavit (?), ubi discipulos elegit, ubi aquam in vinum mutavit, aqua
exordium vestre redemptionis eciam vobis propitians ultra, que beneficia
transmittenda statuimus pia miseratione in Christo Jhesu ecclesiis vobis sub-
ditis . . . . , tricenalia et tria annualia ex omnium bonorum, que de cetera
fient in itineribus, necnon in sacris locis terre promissionis in corporum
vexatione, in sanguinis efiusione, in fame et siti et capitum decoUatione
et Omnibus tormentorum generibus l'raternitatem et participationem con-
cedimus in perpetuum. Valete in Christo, ut valentes vivatis cum omni-
providente, cujus vita vivitur per infinita seculorum secula! Amen.
492 R ö h r i c h t.
VI.
Universis presentes littenis conspecturis Frater Gerinus, Dei gi-atia
sancte domus Hospitalis Jherusulem Magister humilis et pauperum Christi
Gustos, salutem in Domino. Universitati vestre notum facimus, quod nos
de voluntate et assensu fratrum nostrorum constituimus dilectum nostrum
fratrem Marguisium Sindicum actorem et procuratorem in Omnibus causis,
quas habemus et habituri sumus in Romana curia contra quoscunque vel
quascunque quoquo modo ita, quod possit plenarie, generaliter ac specialiter
in omni casu agere, defendere, excepere (sie), transigere, contradicere ac
iudices impetrare pro sue arbitrio voluntatis. Preterea damus eidem fratri
Marguisio m et plenariam potestatem constituendi alium pro-
curatorem ad omnia supradieta vel tantum modo ad impetrandum et con-
tradicendum promitten(tes) insuper, quicquid cum dicto fratre Marguisio actum
fuerit in premissis omnibus, nos ratum et firmum habituros. In cujus rei
testimonium et majorem securitatem presentem paginam fieri fecimus sigilli
nostri munimine roboratum. Actum apud Accon Anno domini M'^ ducen-
tesimo XXXI », viij die mensis octobris. Indictione iiij.
Quas litteras supradicto modo scriptas ego Galganus notarius vidi et
legi signatas sigillo plumbeo pendente, in quo sigillo erat ab una parte
imago cujusdam hominis flexis genibus stantis ante imaginem cujusdam
crucis et circum circa erant littere scriptae t frater : gerinus : custos. Et
alia vero parte ejusdem sigilli erat Signum cujusdem hospitalis et imago
cujusdam hominis ibi iacentis et circum circa erant littere Scripte: t ho-
spitalis : Jherusalem. Item ego supradictus notarius vidi alias litteras
procurationis facte ab ipso fratre Marguisio fratri Simoni cuiudam (sie)
sigillo cere signatas, scriptas sub hac forma: Venerabili in Christo patri
et domino Rainerio, miseratione divina sancte Marie in Cosmidin diacono
cardinali, frater Marehisius, rector Hospitalis sancti Sisimundi universalis
procurator et sindicus hospitalis sancti Johannis Jerosolimitani in curia
Romana, se ipsum cum omni genere famulatus. Vestram paternitatem
harum tenore cupio non latere, me fratrem Simonem, presentium portitorem
meum, coram nobis in causa, quam cum hospitalerio Osnelli Pistoriensis
diocesis procuratorio nomine habeo, procuratorem et sindicum ordinasse ad
terminum postulandum et recipiendum nobis, in quo me coram vobis per-
sonaliter presentabo. Presentem igitur paginam mei sigilli munimine feci
tutius roborare.
Supradictas vero litteras supradicto modo scriptas et signatas, ut
supi'a dictum est, de quibus hoc exemplum sumptum est, ego supradictus
notarius vidi et legi et prout in eis inveni de verbo ad verbum hie
transscripsi et fideiiter exemplavi mandato suprascripti domini Rainerii,
miseratione divina sancte Marie in Cosmidin diaconi cardinalis, infrascripta
in domo abbatie Sancti Petri de Perusio, in qua dictus cardinalis reside-
bat, presentibus testibus Petro de Pena et Salvio, servientibus predicti
cardinalis et aliis. Anno dominice nativitatis Millesimo ducentesimo,
trigesimo quinto. Indictione VIII, quinto Kai. Januarias, eodem vero die
et loco et coram predictis testibus idem dominus Rainerius cardinalis
dixit et mihi scribere mandavit, quod ipse cardinalis assignaverat die
sabati proxime preterito supradicto fratri Simoni recipienti pro supradicto
Amalricli L, König von Jerusalem (1162—1174). 493
fratre Marguisio terminum perentorium in octava ephiphanorum (sie)
proxime Ventura, in quo compareat coram dicto Cardinali consorte sindico
hospitalis Osnelli responsurus. T. S. Ego (lalganus, sacri imperii notarius,
supradicta esemplavi et de mandato predicti domiui Cardinalis scripsi et
in hanc publicam formam redegi.
VII.
In nomine Sancte et Individue Trinitatis, Patris, Filii et Spiritus
Saucti. Amen. Nos Riccardus Filangerius, Imperialis Marescalcus, Sacri
Imperii Legatus in partibus cismarinis et regni Hierusalem Balius, Praesenti
scripto notum facimus universis, quod nos attendentes plurima et grata
servitia, quae vos, Domine Petre Pennapedis, Castellaue Hierusalem, Domino
Nostro Imperatori fideliter et laudabiliter fecistis, de concessa nobis aucto-
ritate et potestate a Domino nostro Imperatore bene et dignis meritis
beneficia largiendi damus et concedimus vobis praefato Domino Petro,
Castellano Hierusalem, et vestris legitimis lieredibus ex uxore legitima
procreatis quadringentos Disantios saiTacenatos percipiendos annuatim super
redditibus Hierusalem intus et extra melius appareutibus per quattuor
anni termiuos, scilicet de tribus in tres menses Bisantios centum. Con-
stituimus etiam voläs restitutionem unius equi et mulae juxta Kegui
consuetudinem et assisiani. Vos vero et Leredes vestri legitimi proinde
Domino Imperatori et Illustri Regi Conrado, ejusdem Regni heredi, servitium
facere tenemini de persona. Ad cujus rei memoriam et perpetuam firmi-
tatem presens scriptum vobis inde fieri lecimus sigilli nostri munimine
roboratum. Hujus autem rei testes sunt: Lutardus Filangerius, Regni
Hierusalem Marescalcus, Petrus, Dominus Scandalionis, Guarnerius Ale-
mannus, Paulus Alemannus et alii quamplures. Actum Tyri Anno Do-
minice Incarnationis Millesimo Ducentesimo quadragesimo secuudo In-
dictione quintadecima Septimo decimo mensis Maji Vobis Domino
Petro, dignissimo Abbati Sancte Mariae de Josaphat in Accone, et ejus
Capitulo notum facio ego Oddo Pisanus civis de domo Orlandorum, quod
vobis recommendo quoddam Privilegium Riccardini et Henrici et Aylentini,
filiorum quondam Domini Petri Pinnapedum, olim Castellani Hierusalem,
de eorum assecuratione, ut in ipso Privilegio continetur, taliter quod
mihi Oddoni vel uni ex dictis filiis quondam dicti Petri seu Domine
Agneti matri dictorum puerorum, aut Domino Vitino de Tyro quondam
Stagii avunculo dictorum puerorum, teneamini reddere atque dare, si
placet, quandocunque ab aliquo inde lueritis requisiti.
Vier Post-Stimdeiipässe aus den Jahren 1496
bis 1500.
Von
Oswald Redlich.
lu dem 1889 erschienenen Buche über Johann Baptista von Taxis
(1530—1610) hat J. Rübsam im ersten Capitel und in einem eigenen
. Anhang die kärglichen bisher bekannten Nachrichten über die Anfänge
regelmässiger Posteinrichtungen, die mit dem Namen Taxis untrennbar
verbunden sind, gesammelt, in etwas gesichtet und durch zwei sehr
werthvoUe Documente aus den Jaliren 1594 ^) und 1510 vermehrt. Auf
S. 5 theilt Rübsam eine von Ulmann K. Maximilian I. 1, 454 ge-
brachte Nachricht über Jan von Taxis und über die Feldpost Maxi-
milians im Jahre 1496 mit und fügt hinzu: „Dieses leider nicht be-
stimmtere und ausführlichere Excerpt stammt aus dem Innsbrucker
Archiv, welches höchst wahrscheinlich noch mehrere andere Dokumente
über die älteste Taxis'sche Post enthält^'. Eine Anfrage an das Statt-
haltereiarchiv in Innsbruck hätte dem H. Verfasser den vollen Wort-
laut der Schriftstücke verschaffen können, deren wesentlichen Inhalt
übrigens schon Ulmanns Auszug wiedergilit. Und allerdings ist auch
ausserdem noch mauches über die ältesten Posten im Statthalterei-
archive zu finden. H. Franz Graf Taxis hier hat dieses Material im
letzten Jahre zu sammeln begonnen-^). Ich selbst aber war schon
') Datiit vom 18. Januar 1504; Rübsam glaubt 8. 235 und Einleitung XV,
dies entspreche dem 18. Januar 1505 unserer Rechnung, da man in Brabant das
Jahr mit dem Charfreitag begann. Aber soweit ich gerade sehe, hat dieser
i.andesbranch auf die lürstliche Kanzlei dieser Zeit keinon Einfluss geübt.
«) Derselbe hatte die Güte, mir eine Reihe von Stundonpässen des 18. Jahrhun-
derts, die im gräfl. Taxis'schen Familienarchiv zu Innsbruck aufbewahrt sind, zu
zeigen. Ka sind Blätter in Folio, an der Spitze steht ein gedrucktes Formular,
I
Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 495
früher auf die vier nachfolgenden Documente gestossen, auf deren
Werth ich aber erst bei späterer, näherer Betrachtung aufmerksam
wurde. Es sind wol Unica ihrer Art aus so früher Zeit und als solche
wurden sie seither an das k. k. Handelsministerium für das neu ge-
gründete Postmuseum in Wien abgetreten, das in ihnen jedenfalls
einen der merkwürdigsten schriftlichen UebeiTeste aus der ältesten
Zeit der Posten besitzen wird.
Diese vier Documente sind Stundenpässe, wie sie die Post noch
heute nennt und in Gebrauch hat, das heisst Bescheinigungen, womit
jeder Postbote Ort und Zeit der Uebernahme und Abgabe einer Post-
sendung bezeugt. Sie bestehen aus einem halben (I und III) oder
einem ganzen Bogen Papier (II und IV). An der Spitze steht der
Vermerk des Beamten oder Postmeisters (in IV), der die Abfertigung
der Sendung zu besorgen hatte. Daran reihen sich die von den Post-
boten so weit als möglich eigenhäudig geschriebenen Angaben über
Annahme, in IV auch vielfach über die Abgabe der „Post". So wan-
derte der Bogen von Postreiter zu Postreiter und machte die ganze
Reise mit. Er wurde natürlich klein zusammengefaltet und konnte
unter den wechselnden und jedenfalls nicht zarten Händen zuletzt
freilich nicht mehr glatt und sauber ausschauen, Nachdem er seinen
Dienst gethan, ward er bei Seite geworfen und es ist ein eigener Zu-
fall, dass sich dennoch einige dieser unscheinbaren Blätter bis auf uns
erhalten haben. Wir wollen sie zuerst einzeln etwas betrachten, um
dann eine eine kurze Würdiguug derselben geben zu können und sie
schliesslich ihrem Wortlaut nach vorzuführen.
I. Diese Postsendung wurde zu Augsburg Dienstag den 12. Juli
1496 abends um 9 Uhr abgefertigt an den königlichen Hof „wo der
yetzo ist", in die Hand des Protonotars Cyprian von Serutein oder in
dessen Abwesenheit an den Secretär Matthäus Lang. König Maxi-
milian war in diesen Tagen durch das Oberinnthal hinaufgezogen,
weilte am 12. Juli in Pfunds, am 14. in Nauders. So nimmt denn
die Post von Augsburg fort den geradesten Weg in nachfolgenden
Stationen, von denen an zweien, wol in der Nähe von Laudsberg und
dass diese »sehr hocheylende« Post, an der der Rom. kaiserl. Majestät etc.
.mercklich und überauss vil gelegen«, bei Tag und Nacht ohne Aufenthalt be-
fördert werden solle, mit Cito Citissime darunter. Dann folgen noch einzelne
vorgedruckte Bemerkungen über Gebühren, Abfertigung u. s. w. und darunter
die Vermerke der Postboten und Posthalter über Empfang und Absend ung der
Post. Im wesentlichen noch dieselbe Form wie um 1500. Diese Stücke scheinen
sich deshalb erhalten zu haben, weil Unzukömmlichkeiten vorgekommen waren,
die eben aus den Stundenpässen nachgewiesen werden konnten.
^gg Redlich.
in Fernstein, der Postreiter zwar die Zeit, nicht aber den Ort an-
gegeben hat ^).
Entfernung Abgangszeit ^) Zeitaufwand
in geog. Ml. (Khn.)
Von Augsburg bis 12. Juli 9 Uhr N.
\ 10 (74) 13. » 1 — 2 N. 4T) Stunden
Bernbeuern sw. Schongau | 8 6' 5
Reutte 4-5 (33) 12 4
Nassereut / * " ^^"^^ 7 N. O'ö
Prutz <) (44-5) 14. Juli 5—0 N. lO'S
Von Augsburg bis Prutz 25 (184'5) 32*5
Von Prutz ritt der ablösende Postbote am 14. Juli zwischen
5 und 6 Uhr Früh fort und wird Vormittags noch den konigUchen
Hof in Nauders erreicht haben. — Die an sich schon nicht miss-
verständliche Bedeutung der hier und bei II am Rande gezeichneten
Galgen wird durch die ausdrückliche Drohung in 11: pei dem galgeu,
ganz unzweifelhaft gemacht.
IL Die Post wurde durch Bartholomäus Käsler königlichen
Kammermeister, Freitag den 26. Mai 1497 — in diesem Jahre war der
Freitag nach Fronleichnam eben der 26. Mai — zwischeu 8 und 9 Uhr
Vormittag in Innsbruck aufgegeben, und war an den königlichen
Secretär Niclas Ziegler bestimmt, der jedenfalls am Hoflager Maxi-
milians weilte, das um diese Zeit in Füssen und Kaufbeuern sich
befand ^). Die ersten beiden Postreiter verzeichnen den Ort der Ueber-
nahme nicht, der dritte gieug am selben Tage abends zwischen 7 und
8 Uhr von der Ehrenberger Klause (bei Eeutte) ab und kam zwischen
8 und 9 Uhr nach Füssen. Von Innsbruck bis Ehrenberg, 10-5 Meilen
(77-8 Kim.), brauchte also diese Post 11 Stunden, von Ehrenberg bis
Füssen, 2 M. (14-8 Kim.) ein bis zwei Stunden.
<) Das Stück bietet auch einen lehrreichen Fall für den verschiedenen Ge-
brauch in der Feier des Margaretentages: im Gebiet der Augsburger Diöcese ist
Margareta am Mittwoch 13. Juli, der Postbote aus der Brixener Diöcese aber
schreibt Mittwoch nach Margareta, weil er das Fest am Dienstag den 12. Juli
feierte. ^] Zur Vereinfachung sind hier und bei IV die Stunden von 6 Uhr
Abends bis 6 Uhr Früh mit N. als Nachtstunden bezeichnet. •'') Vgl. Stalin
in Forschungen 1, 356. Zur Ergänzung von Maximilians Itinerar von Ende Mai
bis in den August 1497 diene Folgendes: Der König war vom 22. bis 26. Mai
in Kaufbeuern, vom 30. Mai bis 5. Juni wieder in Füssen, am 8. Juni in Lieben-
thann nw. Günzburg, am 16. in Stetten, 19. Kaufbeuern, 23. Juni bis 17. Juli
in Füssen, 20. Juli in Ehrenberg, 24. Stams, vom 25. Juli bis 2. August in Imst
und im nahen Sigmundsfreud, 3. und 4. August im Pitzthal, 6. Fragenstein bei
Zirl, 7. August Innsbruck. Innsbruck Statth.-Archiv Copialbuch Geschäft von Hof
1497 fol. 206 ff.
Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 497
III. Auch diese Post gieng von Innsbruck und im gleichen Jahre 1497
aus, aber an Maximilian selbst, der am 19. Juli wol schon von Füssen
nach Ehrenberg gekommen war. An diesem Tage zwischen 2 und
3 Uhr Nachmittag gieng die Post von Innsbruck ab, um 6 Uhr von
Telfs im Oberinnthal, zwischen 9 und 10 Uhr Nachts von Fernstein.
Von Innsbruck bis Telfs, 3"5 Meilen (26 Kim.) brauchte der Postreiter
3-5 Stunden, von Telfs bis Fernstein, 3 M. (22 Kim.), ebenfalls
3'5 Stunden.
IV. Das weitaus interessanteste der vier Stücke. Es rauss ins
Jahr 1500 fallen. Das Zusammentreffen der Wochentage, Mouatsdaten
und Festtage ergibt ein Jahr, wo Ostern am 19. April gefeiert wurde
und dies war 1489, 1495 und 1500 der Fall. Aber 1489 war Maxi-
milian Ende März noch in Mainz und 1495 in Worms. Im Jahre
1500 war er bis 24. Febr. in Innsbruck gewesen, um dann nach
Augsburg zu gehen, wo er vom 14. März bis in den September blieb ^).
Da nun diese Postsendung am 25. März von Mecheln abgieng, musste
sie den König in Augsburg treffen, ein Theil der Post gieng aber,
ohne Augsburg zu berühren, nach Innsbruck. Diese Theilung macht
sich auch im Stundenpasse bemerklich. Am 28 März Nachts zwischen
10 und II Uhr war die Post in Hausen so. Pforzheim angelangt.
Zwei Postboten nahmen sie hier in Empfang: der eine, Michel mit
der Schramme übernimmt den nach Innsbruck weitergehenden Theil,
Jörg, der andere, die Sendung für König Maximilian, indem er dazu
vermerkt: , . hab eyn post hayn abgefurt, das lieisst doch: ich habe
die eine Post, den königlichen Autheil, übernommen um sie heim, an
den königlichen Hof nach Augsburg, abzuführen. Dieser Vermerk,
sowie die vorausgehende an den Boten von Söfiingen bei Ulm adressirte
Anweisung des Boten Wolf zu Hausen sind auf die bis dahin leere
dritte Seite des Bogeus geschrieben worden, konnten also ganz gut
noch in Hausen selbst eingetragen werden, während der noch auf dem
freien Eaum der zweiten Seite eingeschriebene Vermerk des Boten
von Plochingen zeitlich natürlich später fällt. Die von Hausen ab-
zweigende, nach Augsburg gehende Post lässt sich selbstverständlich
auf diesem Stundenpasse nicht weiter verfolgen, sie wird ihren eigenen
gehabt haben. Zu trennen davon ist das „peckle", das zu Hausen für
Anton Welser in Augsburg aufgegeben wurde und mit der Innsbrucker
Post bis Söfiingen gieng, von da aber durch einen eigenen Boten
•) Stalin a. a. 0. 3G0, dazu ergänzend : 24. Febr. Innsbruck, 26. Fragenstein,
27. Sigmundsburg (Fempass), 2. März Augsburg, i). bis 12. Donauwörth, vom
14. an Augsburg. Innsbruck Statth.-Archiv Copialb. Gtsch. von Hof 1500 i'ol. 32 ff.
Mittheilungen XII. 32
498
R e d 1 i c H.
nach Augsburg gebracht werden musste. — Im nachfolgenden Posten-
lauf von Mecheln bis Innsbruck fehlen die Namen von zwei Stationen,
die erste dürfte wol bei Bilsen w. Mastricht, die zweite in Nesselwang
zwischen Kempten und Füssen zu suchen sein. Die Stationen Peudar-
gent und die Vee war mir zu finden nicht m<)glich, doch müssen sie
so ziemlich auf der geraden Linie zwischen Eillaer uud Büllesheim
liegen und zwar Peudargent etwa in der Gegend von Aachen, während
man unter der Vee wol eine Oertlichkeit in den Ausläufern des Hohen
Veun vermuten darf ^).
Entfernung
Abgangszeit
Zeitaufwand
in geog. Ml. (Kim.)
Von Mecheln bis
25. März 4 Uhr
Rillaer ö. Aerschot
4-3 (31)
7 N.
3 Stdn.
—
3 N.
8
Peudargent
• 19 (141)
26. Mz. 9
6
Vee
2
5
Büllesheim sw. Bonn
12 N.
10
Breisig am Rhein 2)
5-2 (38)
27. Mz. 6
6
Hatzenport a. d. Mosel
4-6 (34-2)
12 — 1 (Ankft
11) 6-5 3)
ßheinböUen sw. Bacharach
4-6 (34-2)
6 N.
5*5
Flonheim nw. Alzey
5-2 (38)
28. Mz. 12 N.
6
Heppenheim w. Worms
3-G (27)
5 N. (Ankft.
4) 5 ^)
Speier
4T, (34-2)
9—10
4-5
Hausen so. Pforzheim
9-2 (68-2)
10—11 N.
13
Plochingen
6-4 (47-5)
29. Mz. 4—5 N.
6
Gingen nw. Geislingen
3-8 (28-2)
9—10
5
Söflingen bei Ulm
4-6 (34-2)
2—3
5
Pless n. Memmingen
5-3 (40)
7 — 8 N.
5
- ^
Lermoos ]
> 14-3 (lor,)
30. Mz. 8
3
12-5
7
Barwies w. Telfs
3-8 (28-2)
7 N.
4
Innsbruck
4-ß (34-2)
31. Mz. 3 N.
8
Von Mecheln bis Innsbruck 1()3"1 (764-1)
13 1
Die Post gieng Mittwoch den 25. März um 4 Uhr Nachmittag
von Mecheln fort und langte am Dienstag den 31. März um 3 Uhr
Früh in Innsbruck an, sie bedurfte zu dieser Strecke also 5 Tage und
11 Stunden.
') Für die freundliche Beihilfe bei Feststellnng der Oertlichkeiten habe ich
H. Prof. V. Wieser bestens zu danken. -) Entweder Über- oder Nieder-Breisig ;
noch auf Karten des vorigen Jahrhunderts findet sich Brysich, eine vermittelnde
Form zu dem Bryssche des ötundenpasses. ^) Mit Einrechnung des Auf-
enthalts von 1-5 Stimde in Hatzenport. '•) Mit dem Aufenthalt von 1 Stunde
in Heppenheim.
Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 499
Die Bedeutung dieser vier Documente liegt zunächst in dem
Aufschlus, den sie uns über die ältesten Zeiten regelmässig eingerichteter
Posten in Deutschland und in den Niederlanden geben. Die ersten drei
Stücke kommen zwar hiefür weniger in Betracht: sie betreffen Posten,
die ausschliesslich im Dienste K. Maximilians un(;l unter seiner oder
seiner Eegierung Leitung standen. Dies beweist die Abfertigung der
zweiten und dritten Post durch den Kammermeister in Innsbruck
selbst, beweist die Drohung mit dem Galgen. Es waren dies die noth-
wendigen Verbindungen des Königs mit den Behörden in Innsbruck,
in I wol der Anschluss an eine deutsch-niederländische Hauptlinie.
Eine solche Hauptlinie und zwar schon in Verwaltung der Taxis
könnte in der That bereits 1496 bestanden haben. Jan von Taxis
war schon vor dem 18. August 1496 als Postmeister, wol in Innsbruck,
bestellt gewesen und aus dem Umstände, dass er von da an auch die
von der Kammer bezahlten Posten übernahm, darf geschlossen werden,
dass er bisher und fernerhin auch andere Posten, also doch auf Kech-
nung seines Hauses über sich hatte i). Aber bestimmte Kunde erhalten
wir erst aus dem Jahre 1500, durch unser viertes Stück, das nunmehr
älteste urkundliche Zeugniss über die Taxis'schen Posten
von den Niederlanden nach Deutschland und an den königlichen Hof.
Dieser Stuudenpass bildet eine sehr willkommene Ergänzung zu den
von Rübsam edirten Abmachungen K. Philipps d. Seh. mit Franz von
Taxis von 1504 -). Wenn in diesen letztern erwähnt ist, dass Franz
von Taxis schon am 1. März 1500 zum Hauptpostmeister (capitaine
et maistre de nos postes) bestellt worden Wcir, so sehen -wir nuu, dass
er den bereits vollständig eingerichteten Postenzug von Brüssel (oder
Mecheln) bis nach Innsbruck und bis dahin, wo sich K. Maximilian
Ijefand, zu verwalten hatte. Da Franz von Taxis bis 1504 nur un-
gefähr 360 Livres Gehalt bekam, so müssen die Betriebskosten bis
dahin, wie schon Rübsam 184 vermutete, doch jedenfalls von Pliilipp
d. Seh. selbst getragen worden sein. Das schloss aber nicht aus, dass,
wie gerade unser Stundenpass es direkt beweist, diese Post auch die
Beförderung von Privatsachen übernahm: von Hausen bis Söflingen
geht ein „peckle" mit Briefschaften für Anton Welser in Augsburg
mit. Mit dem Vertrage von 1504 trat diese Posteinrichtimg in ein
ganz neues Stadium. Die französische und spanische Post wurde neu
errichtet und Franz von Taxis übernahm unter Zusicherung von
') Ergibt sich aus den zu Anfang erwähnten Verordnungen K. Maximilians.
2) Rübsara 188 ft'., dazu die Erläuterungen S. 177 tt'. — Charakteristisch für die
sehr bald internationale Stellung der Taxis und ihrer Post ist die aus Italienisch,
Deutsch und Französisch gemischte Sprache des Franz von Taxis.
32*
500 R e d 1 i c k.
12 000 Livres jährlicli den ganzen Betrieb auf eigene Gefahr und
Rechnung.
Wir können nunmehr auch die Strecke Mecheln-Innsbruck von
Station zu Station verfolgen. Es ist so ziemlich der kürzeste Weg,
der überhaupt eingeschlagen werden konnte. Um die geradeste Linie
zu gewinnen, werden selbst unwegsame Strecken, wie über die Eifel
und den Hunsrück nicht vermieden und lieber die Strasse den Rhein
entlang bei Seite gelassen. Die Stationen richten sich nicht nach
grösseren Orten, sondern sind in ziemlich gleich massiger Entfernung
von ungefähr 4 bis 5 Meilen vertheilt und treffen so grösserntheils
auf die unbedeutendsten Oertchen. In jeder Station ist Boten- und
Pferdewechsel. Jeder Postreiter hatte wenigstens die Zeit der Ueber-
nahme des Postpaquets auf dem Stundenpass zu vermerken, die meisten
geben auch den Ort au, einige auch die Zeit der Abgabe. Auch Un-
regelmässigkeiten werden augezeigt, sowie die bewegliche Klage zweier
Postreiter über gänzlichen Mangel an Geld. Ein Bote löst den andern
unmittelbar ab, so dass kein Aufenthalt zu entstehen brauchte; zwei-
mal in unserem Falle trat eine Verzögerung auf der Station selbst
ein, das erste Mal in Hatzenport, wol verursacht durch das Brechen
des Verschlusses am Postbeutel. Die Boten reiten Tag und Nacht, in
ihrer gewöhnlichen Schnelligkeit (im Durchschnitt eine Meile in einer
Stunde) treten aber mehrfach sichtbare Verzögerungen ein, die durch
schlechte Wege, kleine Unfälle und ähnliches entstanden sein werden.
Trotzdem wird die weite Strecke von 103 Meilen (764 Kilom.) in
51/2 Tagen zurückgelegt, in einer Zeit, die dann 1504 als fortan ver-
tragsmässige (im Sommer, im Winter 6 Vg Tage) festgesetzt, 1516 aber
noch auf 5 und 6 Tage verkürzt wurde 1). Diese Gesammtleistung ist
eine sehr bedeutende und anerkennenswerthe, sie beruht aber nicht so
sehr auf der Schnelligkeit der Postreiter, als auf ihrem ununterbrochenen
Ineinandergreifen.
Das führt uns auf die andere werthvolle Seite dieser Docuraente.
Sie bieten uns nämlich ein höchst anschauliches Bild über die Rasch-
heit, mit der in früheren Zeiten überhaupt die Befcu'derung von Nach-
richten von Statten gehen konnte. Sie bieten für eine ganze Reihe
von Strecken in verschiedenartigster Gegend die genauesten Daten über
die Zeit, die zu ihrer Bewältigung durch einen einzelnen Reiter er-
forderlich war. Und da die Verhältnisse, unter denen diese Postreiter
') Kübsam 179 f., 204 f., wo die Beförderungsfristen für die Posten nach
Frankreich, Spanien und Italien zusammengestellt sind. Vgl. auch über die Ver-
breitung der Nachricht vom Tode K. Maximilians I. Voltelini in Mitth. des
Instituts 11, fill Anm. 4.
Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 501
um 1500 ritten, also der im allgemeinen doch recht schlechte Zustand
der Strassen, die Benützung von Seitenstrassen und Landwegen, auch
in den Jahrhunderten vor und vielfach gar lange nach 1500 so ziem-
lieh die gleichen waren, so geben diese Stundenpässe auch einen
Massstab zur Beurtheilung von Fällen, wo es eben auf die Ermittelung
der Schnelligkeit von Botschaften und Keisen, der Verbreitung von
Nachrichten, oder auf die Möglichkeit einer behaupteten Schnelligkeit
ankommt. Freilich darf dabei nicht vergessen werden, dass in unserem
Falle ein regelmässiger Pferde- und Keiterwechsel stattfand, Be-
dingungen, von denen die erste für die schnelle Zurückleguug weiterer
Strecken unumgänglich ist.
Diese kurzen Bemerkungen wollen keineswegs erschöpfen, was
über die ältesten Stundenpässe zu sagen sein dürfte und was besonders
demjenigen überlassen bleiben muss, der — hoffentlich bald — eine
Geschichte der Post zu schreiben bedenkt.
Dise post ist ausganngen zu Augspurg an ertag vor sannd Mar-
greten tag anno etc. Ixxxxvi*^" (1496 Juli 12) umb ix ur nachmittag
unnd sei geantwurt werden herrn Ziprian von Northeim genannt Seren-
tiner ku. prothonotarien, oder in seinem abwesen Matheusen Lanngen ku.
secretarien, an den ku. Hof wo der yetzo ist.
Cito. Cito. Cito. Cito.
L. Man^).
lem^*) Jerg postpot hat die prief angenumen zwisen ain und zwo ur
am mitwochen zu moren (Juli 13).
Itemc) Hainrich postpot zu Berenbeiren hat die prief angenumen
an sant Margreten tag um vui ur.
Item^) ich Hans Geyr postpott zw Reute hab dise post angenomen
am erchtag'l) umb zwölf uren.
Itemc) BabdaflFar*') hat die brielF angenomen uff mittwoch noclimitdag
zwischen sechs und sieben uren.
Item^') ich Kristof Meiclisner postpot auf der Muls hab angenomen
dise post zu Nasare id zu sibne gegen der nacht am mitwoch nach
Margarethe.
Ich^^) Matheus HesseP) postpot in Prutz hab disse post angenomen
am pfintztag zwischen fünffen und sexen vormittag nach sant Margretten
tag (Juli 14).
=*) Am linken Rande sind untereinander zwei Galgen roh, aber doch sehr
verständlich gezeichnet. ^) Orig., verschrieben statt item, Wechsel der Hand,
c) Wechsel der Hand. <') Orig., verschrieben statt mittwoch. '^) Unsichere
Lesung, auch ist das Wort durchstrichen. f) Folgt ein bedeutungsloses h.
502 R c d li c h.
IL
Die post ist aussgeryttenn am freytag nacli Corporis Christi 26. ma}^
(1497) zwischenn vin und viiu uren vormittentag und sol Niclassen
Zyeglen* geantwortt werdenn eylendss und furdei-lichenn, pei dem galgen ^).
Bai-tlme Käsler
scliatzmaister.
Clauss Reynnbardt hat die post angenomen.
Der^) Kesler hat die post angenumen an dem freitag nachmitag in
der zwelliften stund c).
Siman ^) Kuep hat die post angenumen am freitag nachmitag in der
IUI. stund.
Item^) Hans Miller hat die brieif angenomen zu E ruber g an der
K 1 u s e n "l) zwischen vu und viu ur nachmittag.
Dise^) post ist her gen Fuessen kommen an dem obgeschriben
fi'eytag zwischen achten und newnnen nachmittag.
m.
Die post ist zu Innsprugg ausganngen am mitwoch vor Magdalene,
xvim. iuly im Ixxxxvn"^'^ (1497 Juli 19) zwischen zway und drey urn zu
abend unnd sol der ku. m* fürderlichen geantwort werden.
Barthne Käsler
schatzmaister ^).
Basti Treer reytender pot abgevertig^ auf obgemelte zeit gen Telfs.
Ich^) Jacob Rott postpot zu Telfs hab dise brieflfan^) an mittwochen
nauch mittentag umb 6 ur.
Ich Jörg Ster hab dise brieif angenomen zu Ferrenstain an mitt-
wochen in der nacht zwischen 9 und 10 ur.
IV.
Gabriel, dentro la bolzeta la . . . tua . . . .^).
Cesta bolzeta este delivere ala posta de Mal in es le xxv. de mars
(l5()0 März 25) a im or depuy mezodi; este ordene la portar cum dili-
gentia diver le roy de Romens.
Dis bolzet is fei-tig zo Mechel in Baraband in der*) xxv. tag mars
zo Uli hören auf mittag; salen rayten tag e nag pis zo Romis. kh. m*.
Franciscus van Taxis
postmaister.
Je^) poste de Rellar a resu le bosette a vu ers a sor.
Je^) Ambros aie rechus la bouget a in heurs a mantin (März 26)
et la liverens a Peudargent a ix heurs a mantin.
a) Am linken Rande ist ein Galgen gezeichnet, darunter: cito. cito. cito.
^) Wechsel der Hand. <=) Folgt gestrichen: dem Ruepen die post geandwiird
an dem freitag nachmittag umb drey urn. 'ij Folgt durchstrichen umb.
«) Die Unterschrift eigenhändig, der erste und der folgende Absatz von anderer
Kanzleihand. f) Orig. g) Orig., statt angenomen. h) So flüchtig ge-
schrieben, dass mir die Lesung theilweise unmöglich war.
Vier Post-Stimdenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 503
Moy ^) pouste d e r V e e aie rechus la bouget a u heurs apres dines
et laie liveres a Bulle sem a xn heurs a la nut le xxvi. jour de mars.
Moy^) poste de Bulesem aye lyveres la bouget a poste de Bryssche
devantl») medy a vi huers le xxvii. jours de mars (März 27).
Moy poste de Bryssche aye lyveres la bouget a poste de Hatsport
a onze heurs devant medy. — Messer de poste, je vous lesse savoir, que
je le rechu la bouget que la seruere enfremt point de la bouget, de quoy
que je le boute a la fause de bouget.
Item*) hau ich Michel Becher die post entphangen zu Hatzenporten uff
fritag nach Annunciacionis IMarie thuschen xii und eyner uren zu mittagh.
Item^) ich Hans von Hurlag hab die post angenomen zu Rempolen
auf freitag zu nach um vi auren.
Item^) ich Thoma hab disse post hab ich^) angenomen zu Flonem
auf freitag in der nach zu xn auren und hab si uebeiiübert zu im auren
(März 28).
Item a) ich Leinhart Bair hab die post entphangen zu Heppenheim
zu V urn vormittag am xxviii. tag und zu S p e i r erlibert zwissen ^) ix und
X auren. — Item die pulgel^) ist das schols^) nit for gewest.
Item*) ich Michel mit der schräm hab disse bost angenomen am
samstag zu nacht nest noch unsser frowen tag in der fasten zwischen
X unnd xi elfe^).
Item ich Hans von Ulm hab die bost zu Blochingen angenomen
zw im^) suntag am morgen (März 29) zwischen mi und fünffe uren^).
Item») Mertten pott zu Sefflingen! Ist eyn peckle in dyssen sack,
gehortt geyn Augspurg'') Anthonye Velser in syn hantt und du fyndst
eyn bryffle darbay und xu plapart darin, darmytt wellest eyn potten von
stond an an') gayn Augspurg schycken.
Wolff pott zu Haussen i).
Itema') hab ich Jörg die post angenomen die post zu Haussen
zwyschen zehen und aylff uren uff samstag und hab eyn post hayn"^)
abgefurt.
Item''^) ich Yssen Hans hab die brieff angenomen zu Gingen zwi-
schen villi und X am sontag vormittag.
Item ich^) Martin postbot zu Sefflingen hab die brieff angenomen
am sontag nachmitagl) zwischen n und in.
Item-^) ich Cristof bostbot ze Bless hab die brieff angenomen am
suntacr nachmitag zwischen vu und viii uren.
a) Wechsel der Hand. ^) Statt durchstrichenem avyant {?). c) Qrig.
•i) Folgt gestrichen acht urn und. <') Urig., wol statt pulget. f) Orig.,
statt schlos. g) Folgt: item lieber, womit die nachfolgende Bemerkung
begonnen ward, die aber dann längs des Randes der ersten Seite, wahrscheinlich
wol von Hans von Ulm hingeschrieben wurde: Item lieber her bostmaister,
schickent uns gelt, dan wir habeut gar kains mer, kindent nit ain yssen dem
gul anschlagen. Ouch sient wir den wirtten schuldig und sagent, sy wellent uns
bald die ros nemen vir die schuld, das wir by in verzert haben. Hans von Ulm.
Michel mit der schräm. '') Folgt gestrichen : conratt (?) bryeffle Velser eyn.
i) Darunter drei oder vier durchstrichene, nicht mehr lesbare Worte von anderer
Hand: dieser Absatz und alles Folgende ist auf der dritten Seite des Bogens
geschrieben. i*) Nachgetragen. i) am sonntag nachmitag nach-
getragen.
504 Redlich.
Item^) Jörg hab dey post angenomen an matag (März 30) viii ur
vormitag ^').
Item'^) ich pot zu L er mos han die posch enpfangen *^) mnb ni'^)
nach mittentag.
Item der pot zu Lermos ^) hat die posch geantwurt gen P a i r w i s
umb vii nach mittentag.
Item^»^) questa bolzeta a di 31. marzo (März 31) a ori 3 la matina
a Ispruch.
a) "Wechsel der Hand. ^) Dieser Absatz ist doppelt geschrieben, das
erste Mal sind noch mehr Fehler und einige Correcturen, besonders an der Stunden-
zahl darin; diese könnte auch vii(j., also 7V21 gelesen werden. ^j Folgt ge-
strichen : und geantwurt. d) Folgt gestrichen : trei (V). «=) item — Lermos
doppelt geschrieben.
Kleine ilittlieiluugen.
Die Reste des Archivs des Klosters S. Cristiiia bei Olouiia.
Es ist schon oft die Frage aufgeworfen und erörtert worden, wann
das Kloster S. Cristina bei Olonna, welches im Privilegium Ottonis I.
unter den Besitzungen der römischen Kirche genannt wird, an diese
gekommen sein mag. Sind noch jüngst Lamprecht und Simson (dieser
im N. Archiv 15, 574) auf sie näher eingegangen, so hat letzterer die
Vermuthung ausgesprochen, dass etwa das Archiv des Collegium Ger-
manicum zu Kom Aufschluss über die ältere Geschichte des von
Gregor XIII. dem Collegium zugewiesenen Klosters bieten könnte.
Sie trifft nicht zu, wie ich mich überzeugt habe und wie ich mit
folgenden Angaben über den Bestand jenes Archivs erhärten will.
Der P. Steinhuber, welcher jetzt dem Archive vorsteht, stellte mir
den im Jahr 1806 von Nicolo Katti angefertigten Indice dell'Archivio
ven. CoUegii Germanici-Ungarici di Koma (Folioband) zur Verfügung.
Von den hier in 12 Abtheilungen verzeichneten und excerpirten Ur-
kunden reichen nur die in fünf Abtheilungen untergebrachten über
die Zeit der Gründung des Collegs zurück. Die Fonds der drei in den
Besitz des Collegiums gekommenen Kirchen in Kom S. Saba, S. Apolli-
nare und S. Stefano rotundo beginnen mit dem 15. Jahrhundert.
Etwas älteres Material findet sich in den Abtheilungen von S. Cristina
und von S, Croce di Fönte Avellana.
Für die Reichhaltigkeit der letzteren Abtheilung spricht schon, dass
die Inhaltsangaben der Urkunden S. 1 — 152 des Registerbandes füllen.
Die Kaiser- und die Papsturkunden sind hier, wenn auch nur in
mangelhafter Weise, besonders zusammengestellt worden. Das be-
treffende Verzeichniss ist vor kurzem aus dem Indice abgedruckt wor-
dem vom Abte D. Alberto Gibelli in dessen Memoria storiche suU'
antico mouastero di S. Cruce di F. A. (Nuovo Giornale Arcadico serie III.
506 Kleine Mittlieilungen.
und Separatabclruck Milano 1890) S. 58. Gibelli hat, wie ich neben-
bei bemerken will, S. 54 auch den ältesten Bibliothekskatalog der
Abtei veröffentlicht und zwar nach dem Cod. Vatic. 484, welchen
Gottlieb Ueber mittelalterliche Bibliotheken S. 202 No. 570 ver-
zeichnet hat.
Dem Fonds S. Cristina sind im Indice nur die S. 225 — 228 ge-
widmet. Zuerst sind da unter No. 1 — 16 Informationen und Process-
akten jüngeren Datums eingetragen und erst unter No. 17 folgt ein
Verzeichniss von Urkunden. Doch diese gehören fast ausnahmslos
dem 16. Jahrhundert an; von älteren Stücken werden nur erwähnt
ein angebliches Diplom Friedrich IL, auf das ich zurückkomme, und
ein Instrumentum concessionis in emphyteusim factae a D. Anna
Kiccada d'Este comitissa Belgiojoso (ohne Jahresangabe).
Da ich am Schlüsse des Indice vom J. 1806 eine Zusammen-
stellung von Urkunden fand, welche einst dem Archive angehörig ab-
handen gekommen sind, fragte ich nach älteren Eepei-torien und
erhielt ein solches vom J. 1652. Dasselbe ist betitelt Tavola delli
libri che sono in Milano di scritture appartenenti all' Abbadia di
S. Cristina, et altre tavole di bolle e privileggi che si conservano
neir Arehivio del Collegio G. ü. di Roma. Aus dessen zweitem Theile
hebe ich das Verzeichniss der damals in Rom befindlichen und auf
sämmtliche Besitzungen des Collegs bezüglichen instrumenti in carta
pecora hervor; sie kehren fast sämmtlich in dem Indice von 1806
wieder. Der erste Theil aber gilt, wie ja auch der Titel besagt, aus-
schliesslich dem Fonds von S. Cristina, d. h. dem grösseren Theile
desselben, welcher nie nach Rom gekommen, sondern in Mailand ver-
blieben und dort in Napoleonischer Zeit dem Staatsarchive einverleibt
worden ist. Am meisten zu achten wäre wohl auf den einen im
J. 1652 als Libro intitolato Lombardia n. 40, cioe S Cristina ein-
getragenen Band, nicht weil er die Copie eines Privilegiums Friedrich IL
aus Lodi vom 16. Februar 1185 — gemeint ist wohl Stumpf Reg. 4405,
d. h. D. Friedrich I. aus Lodi mit XVI. kal. febr, 1185, dessen Original
sich im Staatsarchiv zu Mailand befindet, sondern wegen etwaiger an-
derer und älterer Schriftstücke.
Doch über die Vergabung des Klosters an die römische Kirche
haben die HeiTn vom Staatsarchiv zu Mailand, an welche ich mich
einmal vor Jalu*en gewandt habe, keinen Aufschluss zu geben gewusst.
Und hat sich noch eine Urkunde oder auch nur eine urkundliche
Notiz erhalten, so wird in andern mailändischen oder lombardischen
Sammlungen nachzuforschen sein, in welche Archivalieu von S. Cristina
übergegangen sind. Zunächst mache ich auf eine, wie es scheint.
Die Keste des Arcliivs des Klosters S. Cristina bei Oloniia. 507
Lamprecht und Simson unbekannt gebliebene kleine Publication von
Alessandro Riccardi aufmerksam: Inventario dei , . . beni possedenti
nel secolü X« dal monastero di S. Cristina (Lodi 1889). Allerdings,
wenn hier Schenkungen von Carlus Magnus, Ludovicus imp., Rodulfus
rex, Berengarius antieus, Ugo atque Lhotarius rex, Lampertus imp.
erwähnt werden, so geschieht dies in so unbestimmter Weise, dass
sich diese Angaben kaum verwerthen lassen. Aber wie aus dem von
mir oben citirten Instrumentum concessionis per emphyteusim, so er-
gibt sich desgleichen aus den Noten des Herausgebers Riccardi, dass
mit den Gütern des Klosters auch Urkunden desselben in das Archivio
Belgiojoso d'Este in Mailand, in das der Conti Somaglia ebenda, in
das Archivio Negroni in Lodi u. s. w, gerathen sind, so dass noch an
allen diesen Orten nachzuforschen sein würde.
Rom, März 1891. Sickel.
Zwei Notizen aus der Trierer Stadtbibliothek. Die beiden
nachstehenden Stücke sind dem grossen zu Anfang des vorigen Jahr-
hunderts augelegten Diplomatarium Treverense entnommen, welches in
einer langen Reihe von Bänden Trierer Urkunden enthält. Das erste
Stück befindet sich im dritten Bande des Diplomatarium Wernheri
(1338—1418), also an einem Orte, wo niemand eine Urkunde Rudolfs
von Habsburg vermuthen und suchen wird; das zweite in einem Bande
des Diplomatarium, welcher Urkunden und Notizen aus der Zeit des
Erzbischofs Baldiiin (1307—1354) enthält, und zwar unmittelbar nach
einer längeren Dedicationsnotiz, laut welcher Daniel Metensis episcopus
de ordine fratrum Carmelitarum, vicarius in pontificalibus des Erz-
bischofs Balduiu am 12. Dezember 1337 eine Kapelle auf der Rhein-
insel (Niederwörth) gegenüber Vallendar unterhalb Coblenz eingeweiht
hat. Am Schlüsse derselben Dedicationsnotiz heisst es, dass ein Kaplan
Balduins mit Namen Konrad Winter, Priester des Prämonstratenser-
Ordens im Kloster Romersdorf die verfallene Kapelle sammt Zubehör
neu erbaut habe, so wie man sie zur Zeit sehen könne. Aus diesen
Angaben ist deutlich zu erkennen, dass das zweite Stück eine dem
gemeldeten Faktum ganz gleichzeitige Aufzeichnung ist, und es ist zu
vermuthen, dass es ebenso wie die Dedicationsnotiz aus einem der drei
älteren „Balduineum" entnommen ist.
5Q8 Kleine Mittheilungen.
1. Urkunde Rudolfs von Habsburg.
Rudolf verspricht dem Nicolaus von Scharfenstein für geleistete
und zu leistende Dienste 60 Mark Silber und verpfändet ihm dafür
zwei Fuder fränkischen Weines, welche Jährlich aus dem königl. Kelter-
hause bei (Ober) Wesel zu erheben sind i). Wien 1278 Mai 15.
Eudolphus dei gracia Eomanorum rex semper augustus uniuersis
imperii Romani fidelibus presentes literas inspecturis gratiam suam et
omne bonum. Ad incrementum glorie regalis pertinere dinoscitur, si
illi, qui in nostris et imperii fideliter se exercitaverunt serviciis, sue
capiant premia servitutis, quo exemplo ceteri de bono in melius ani-
mati ad obsequendum nobis et eidem imperio fervencius acceudantur.
Eine est quod nos grata et placita, que strenuus vir Nicolaus de
Scliarpenstein nobis et imperio gratanter impendit obsequia et adhuc
impendere poterit, graciora benignus (!) intuentes sexaginta marcas
puri et legalis argenti sibi de regia liber[ali]tate promittimus ''^) nos
daturos, daas carrattas vini Franconici de torculari nostro sumendas
apud Wesaliam sibi tamdiu obligantes, quousque prefate sexaginta
marce per nos vel nostros in imperio successores sibi vel suis beredi-
bus fuerint persoluti. In cuius rei testimonium presens scriptum
maiestatis nostre sigillo duximus roborandnm. Datum Wienne ydus
Mail indictione sexta, anno domini millesimo ducentesimo septuagesimo
octavo, regni vero nostri anno quinto.
2. Ueber die Zusammenkunft des Königs Eduard III.
von England mit Kaiser Ludwig IV. zu Coblenz. 1338.
Aug. — Sept. 3).
Nee est oblivioni tradendum, quod anno domini M». CCC".
XXXVIII 0. in die [decollationis] *) beati Johannis baptiste preclarus
ae magnanimus Edwardus rex Auglorum venit ad insulam pre-
dietam^) et liabuit parlamenta et tractatus 6) cum imperatore Roma-
norum et principibus imperii nee nou cum aliis quam pluribus nobili-
bus et dominis Alamauie pro adiutorio 7) sibi prestando per eos contra
Philippum») regem Francorum, qui sacro Romano imperio et sibi in
multis iniuriabatur ; et mansit in iusula predicta usque in diem nati-
vitatis beate Marie virginis proxime subsequentem.
1) Aus: Diplomatarum Wernheri III. Trier. Cod. nr. 2142 (744) (ex cod.
Confluent. fol. 285' transsumptum). ^) permittimus Hs. s) Aus: Diploma-
tarium Treverense. Trierer Stadtbibl. cod. 2141 (742) pag. 4!). *) Ergänzt für
den leeren Raum in der Hs. ^) Niederwörth gegenüber Vallcndar unterhalb
Coblenz. '^) retractatus Hs. ') adiutoria Hs. «) Ph. Vt.
H. V, Sauerland.
Literatur.
Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich.
Herausg. von einer Commission der antiquarischen Gesellschaft in
Zürich, bearbeitet von Dr. J. Escher und Dr. P. Schweizer. 1. Bd.
(741—1234). Zürich, S. Höhr 1888 (1890) XXV und 412 S. 4*^.
Urkundenbuch der Stadt Basel. Herausg. von der histori-
schen und antiquarischen Gesellschaft zu Basel. 1. Bd. (751 — 1267)
bearbeitet durch Rudolf Wackeruagel und Rudolf Thommen.
Basel, C. Detloff 1890. XIV und 434 S. 4«, mit Karte und Abbil-
dungen oberrheinischer Siegel.
Wieder liegen zwei schöne Werke vor uns, die zum guten Theile
durch den Gemeinsinn einsichtiger, auch für geistige Interessen warm
fühlender Bürgerschaften ermöglicht wurden. Dem Beispiele, das letzter
Zeit in löblicher Weise schon mehrere altberühmte Städte deutscher
Zunge gegeben, folgen nun auch Zürich und Basel: sie bieten uns in
ilusserlich und innerlich würdig ausgestatteten Sammlungen die urkimd-
lichen Quellen ihrer reichen Geschichte. Sie l>ilden beide eine werthvolle
Fortsetzung zu den zahlreichen Werken dieser Art, welche die Heimats-
liebe der Schweizer und die rastlose Rührigkeit in der Erforschung ihrer
Geschichte bereits geschaffen hat und über die der ehrwürdige Altmeister
schweizerischer Geschichtsforschung, Georg v. Wyss, in dem Vorwort zum
Urkundenbuche von Zürich eine lehrreiche und erfreuliche Uebersicht gibt.
Der Plan eines Urkundenbuchs der Stadt und Landschaft
Zürich wurde 1884 von einem Kreise Züricher Geschichtsfreunde gefasst.
Das Werk gewann durch die Selbstauflösung der vaterländisch-historischen
Gesellschaft und die Ueberweisung eines bestimmten Fonds derselben eine
erwünschte materielle Grundlage, welche dann durch die bereitwillige
Unterstützung von Seite der Regierung und des Stadtrathes von Zürich
eine vollständig gesicherte wurde. Im Auftrag der zur Herausgabe des
ÜB. von der antiquarischen Gesellschaft bestellten Commission arbeitete
Staatsarchivar Schweizer ein Programm und einen Eedaktiousplan aus, die
in ihrer endgiltigen Gestalt in die Einleitung dieses ersten Bandes auf-
genommen sind ; die darin S. XXII eingeflochtenen Bemerkungen über die
510
Literatui*.
mittelalterlichen Jahresanfänge in der Schweiz mögen hier eigens hervor-
gehoben werden. Für die Bearbeitung selbst übernahm J. Escher die
Herstellung der Urkundentexte, Schweizer die gesammten kritischen und
erklärenden Aufgaben des Herausgebers.
Das Werk soll das gesaramte in Stadt und Kanton Zürich entstandene
und auf dieselben bezügliche urkundliche Material umfassen. Als Schluss-
punkt ist vorläufig mit gutem Bedacht das Jahr 1336 gewählt, ein
Wendepunkt der Stadtgeschichte und die Zeit, wo beinahe die ganze Land-
"schait Zürich unter habsburgischer Herrschaft vereinigt war. Für eine
allfällige Fortsetzung bis 1351 oder 1525 hätte eine neue Gestaltung des
Werkes einzutreten. Mit Eecht werden auch die in neueren Urkunden-
werken, wie z. B. im 3. Band der Schweizerischen Geschichtsquellen, ge-
druckten Stücke vollständig wieder aufgenommen und nur Urkunden, in
denen bloss vereinzelte Züricher Orte vorkommen, in Auszügen gegeben.
So bietet der erste Band die gesichteten urkundlichen Quellen zur
Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich bis 1234. Wie die Natur
der Dinge es mit sich bringt, ist er wesentlich ein Urkundenbuch der
Kirchen und Klöster des Züricher Landes. Gleich n. 1 von 741 bringt
uns Kunde von dem ältesten Kirchlein der Gegend, auf der Lützelau im
Zürichersee gelegen. Im 8. und in der ersten Hälfte des 9. Jahrh. ver-
mitteln uns fast ausschliesslich St. Gallener Urkunden die Kenntniss von
•Personen und Orten auf Züricher Boden. Aber in diese Zeit reicht doch
auch schon der Anfang der ältesten geistlichen Stiftung in Zürich selbst
zurück, das Chorherrenstift zu Grossmünster. Von seinem ältesten Besitz
gibt das erste Stück eines merkwürdigen Eotulus Kunde (n. 37), der auch
in seinem weiteren Inhalt aus dem 9. und 10. Jahrh. nicht bloss für die
Entwickelung des Stiftbesitzes, für die Ortsnamenforschung und Besiede-
lungsgeschichte der Gegend, sondern auch rechtshistorisch von Bedeutung
ist." Ein Facsimile davon bietet Tafel H nach S. 80. Von der Mitte des
9. Jahrh, ab treten dann zwei weitere Klöster in den Vordergrund, das
Frauenmünster in Zürich und Rheinau. Eine ansehnliche Menge von
Kaiserui'kunden, von Seite Rheinaus allerdings mit Fälschungen untermengt,
erschliesst ihre Geschichte, aber fast noch interessanter als diese sind die
zahlreichen Privaturkunden der beiden Klöster, von denen die des Frauen-
münsters noch vielfach in Original erhalten sind i). Tafel I, 11 1 und IV
nach Urkunden von 889, 1036 oder 1037 und 1159 geben in sehr guten
Facsimile eine anschauliche Vorstellung von diesen Züricher Privat Urkunden,
von ihrem Schriftcharakter und der ganzen äusseren Fonn. Dazu kommen
im 11. und 12. Jahrh. die ebenfalls interessanten Urkunden aus Aller-
heiligen bei Schaffhausen und vom Kloster auf dem Zürichberg. Zwar
waren ja fast alle diese Dokumente bereits fiüher da und dort gedruckt,
aber hier sind sie nun sämmtliche in guten Texten vereinigt und so wird
dieser erste Band des Züricher ÜB. neben dem ÜB. von St. Gallen als
die ergiebigste Fundgrube für die Geschichte des südwestdeutschen Privat-
'j Bei einer Reihe von diesen und andern Stücken (n. 141, 153, 188, 194,
203, 208, 231, 324, 325) wird im ÜB. die Originalität bezweifelt, ohne genügende
Gründe; denn dass z. B. die Signa und /.eugennamen nicht eigenhändig ge-
schrieben sind, entspricht ja ganz der Entwicklung des Privaturknndenwesens.
Literatur. 511
urkvmdenwesens einen ganz besonderen Werth erhalten. Von Zürichberg
und den andern im 12. und 13. Jahrh. zuwachsenden Klöstern, so Kappel,
Wettingen, Rüti u. s. w. stammt denn auch das früheste bisher ganz
unbekannte Material, das, abgesehen von einzelnen Kirchweihenotizen, mit
dem Jahre 1127 beginnt. Die Inedita mehren sich natürlich mit dem
1 3. Jahrh. und darunter befinden sich eine Reihe von Papsturkunden von
Innocenz III. bis Gregor IX., von Urkunden päpstlicher Legaten und von
Bischöfen von Konstanz.
Indessen erscheinen auch Stadt und Bürger von Zürich bedeutungs-
voll im Rahmen des ÜB. Nachdem in Ottonischen Diplomen zuerst von
KauÜeuten, Gewerbe, Markt und Marktrecht die Rede (n. 215, 221, 225),
erscheint um die Mitte des 12. Jahrh. bereits ein Neuer Markt als Stadt-
theil (n. 288 u. s. w.) und im Anfang des 13. Jahrh. ist die Stadt bereits
unabhängig von den beiden Gotteshäusern, ist, wie diese, reichsunmittelbar ;
vgl. die wichtigen Bemerkungen zu n. 385, Diplom Friedrichs II. von
1218. Die Bürgerschaft verkehrt direkt mit dem Kaiser, 1225 beurkunden
neun Bürger als Vertreter der Stadt ihre Zustimmung zur Verfügung
Heinrichs (VII.), der dem Kloster Kappel die im castrum und Gebiet von
Zürich gelegenen Besitzungen bestätigte (n. 425, 426; die Bemerkung in
Anm. 9 zu 426: »Diese neun Bürger beschliessen über die Gültigkeit der
königlichen Verfügung«, ist doch nicht ganz entsprechend ausgedrückt).
Hier und in n. 431 erscheint auch zum ersten Mal ein Siegel von Rath
und Bürgern von Zürich.
Dass das IIB. für die besondere Geschichte von Stadt und Landschaft
Zürich nach allen Seiten hin künftig die sicherste und hauptsächlichste
Grundlage bilden wird, ist zu sagen fast überflüssig.
Die Bearbeitung ist mit sehr grosser Sorgfalt durchgeführt. Die
Grundsätze, denen sie folgte, sind im Redaktionsplan eingehend dargelegt.
Die Texte sind, von den controlirbaren Stücken auf die übrigen zu
schliessen, mit gewissenhafter Genauigkeit wiedergegeben; sie bieten auch
gegenüber Drucken der letzten Zeit vielfache Verbesserungen. Die Be-
schreibungen und kritischen Bemerkungen über die Beschaffenheit der
Ueberlieferung, Drucke, Regesten, Siegel (nach Hohenlohe-Grotefends Sy-
stem), Dorsualnotizen sind sorgfältig ausgearbeitet. Ebenso und mit ein-
dringender Kenntniss sind die sachlichen, die Orts- und Personenerklärungen
durchgeführt, zugleich mit Mass und Beschränkung. Wir möchten in dieser
Hinsicht das Züricher ÜB. wirklich als ein Vorbild für ähnliche Werke
liinstellen. Nur für Orte ausserhalb dem Kanton Zürich und der Schweiz
wird die Knappheit der Bestimmung dem Benutzer nicht selten unangenehm
auffallen; denn weim es von irgend einem Oertchen heisst, es liege im
Badischen, in Elsass, in Württemberg, so ist damit doch etwas zu viel an
geographischen Kenntnissen gefordert.
Für die Einzelbearbeitung von solchen Urkunden werken darf man
jetzt die Frage stellen, wie sie sich zu dem Vorgehen verhält, das Sickel
in der Diplomata-Ausgabe der Monumenta Germaniae befolgt hat. Das
ÜB. von Zürich hat sich diesem Vorbild im ganzen wol angeschlossen,
geht aber doch einigermassen seine eigenen Wege. Ich meine da
nicht Aeusserlichkeiten, wie etwa die Anordnung von Regest und Datirung,
Text und Angal)e der Ueberlieferung, obwohl vielleicht auch anderen
512
Literatur.
z. B. der fette Druck und die Mittelstellung des aufgelösten Datums, be-
sonders bei mehreren kürzeren Stücken auf einer Seite, einen unruhigen
Eindruck hervorbringt und der schnellen Uebersicht eher hinderlich er-
scheinen könnte. Mehr zu vermissen ist eine Nachfolge der Diplomata in
Bezug auf die Verbindung, in welche Ueberlieferung und Drucke mit ein-
ander zu setzen sind. Wenn das Original vorhanden ist, hat die Auf-
zählung von Copien doch nur in so weit einen Sinn, als diese etwa zur
Ergänzung von beschädigten Stellen dienen können, oder Drucke aus ihnen
geschöpft wurden, die darnach zu bewerthen sind. Aber eine solche
Filiation der Copien und Drucke haben die Herausgeber nicht durchgefühii
und so ist die Sorgfalt, die auf die möglichst vollständige Angabe von
Copien und Drucken verwendet worden, nur zur Hälfte fruchtbar gemacht.
Noch etwas anderes, an sich eine Kleinigkeit, wirkt schliesslich störend,
nämlich der eigenthümliche Gebrauch der eckigen Klammern. Eckige
Klammern wendet man so ziemlich allgemein zur Kennzeichnung der Text-
ergänzungen an, soweit solche bei Lücken mit Hilfe von Vorurkunden,
Copien u. s. w. oder durch Conjectur möglich sind; zur Ergänzung von
Stellen, die im Original mit Absicht gekürzt sind, also von Siglen für
Eigennamen, von Formeln gebrauchen die Diplomata runde Klammern,
für Interpolationen solche: -( )-. Das Züricher ÜB. nun. kennt nur eckige
Klammern und gebraucht sie nicht bloss zu Ergänzungen von Lücken,
dann von Siglen und Kürzungen, sondern auch für Bezeichnung von Nach-
trägen und Zusätzen, die von gleicher Hand oder von einem gleichzeitigen
Corrector herrühren (vgl. Einleitimg XVI). So bedeutet in n. 64
ha[nc c]uram, dass hier eine kleine Lücke vom Herausgeber ergänzt ist,
und einige Zeilen weiter [advocatiam] und [aurij, dass diese Worte im
Original vom Schreiber über der Zeile nachgetragen sind. Sogar einzelne
derart corrigirte Buchstaben werden so gebrandmarkt, z. B. in n. 319,
322, (dagegen nicht in n. 23 1). In n. 240 sind Zusätze von anderer
Hand, in n. 313 Stellen auf Easur ebenfalls in eckige Klammern gesetzt,
in n.282 und 305 werden gar ganze Worte, die allerdings sinngemäss
sind, in den Text eines Originals eingeschoben und mit eckigen Klammem
versehen, im Widerspruch mit § 42 des eigenen Redaktionsplanes. So
werden also ganz verschiedenartige und verschieden zu bewerthende Dinge
durch ein und dasselbe Zeichen wiedergegeben — gewiss eine Unzukömm-
lichkeit, die leicht zu vermeiden gewesen wäre.
Ein anderer ebenfalls verbesserungsbedürftiger Punkt ist die Be-
handlung der Copien. Hier geht der ßedaktionsplan selbst (§ 4l) von
einer nicht zutreffenden Anschauung aus: ist eine Urkunde nur mehr in
Copien überliefert, so soll die beste davon dem Texte zu Grunde gelegt
werden und die Lesearten der andern Copien, auch wenn sie richtiger
sind, werden in Anmerkung beigefügt. Aber ist es nicht ein allbekannter
und unbestrittener Grundsatz kritischer Methode, dass aus allen Copien
zusammen, natürlich mit Beachtung ihrer Güte, der Text möglichst so
hergestellt werden muss, wie er ursprünglich gelautet haben wird? Ist
es nicht sonst selbstverständlich, die Verderbnisse der abgeleiteten Ueber-
lieferung durch vergleichende Kritik derselben zu emendiren? So wäre
denn in n. 77 und 170 die verl)esserte Datirung in den Text zu setzen
gewesen, so in n. 275 das richtige Eemacli statt ßemadi und in n. 310
Literatur. 513
das riclitige Oudalricus statt des von der Copie ungeschickt verlesenen
Dedalricus, das dann auch noch im Register sein Unwesen treibt; so bleibt
in n. 328 das sinnlose V. vadus Apr. der einen Copie im Texte stehen,
obwohl die andere ganz richtig V. idus hat; ähnliches in n. 411, 412,
43.S, 445 u. s. w. In all diesen Fällen muss also der Benutzer sich die
richtige Lesung aus Text und Noten zusammenstellen, während ihm doch
das ÜB. den schon gereinigten Wortlaut des Stückes bieten sollte. Der
Hinweis auf diesen Mangel dürfte ja sicherlich genügen, um in den
folgenden Bänden den richtigen Weg finden zu lassen.
Von kleinen Versehen und Ungieichmässigkeiten , die bei solchen
Werken ja kaum zu vermeiden sind (z. B. n. 280 Anm. 6 richtig Schuni
statt Sickel; n. 442 wäre nach Fickers Bemerkungen, gegen die nichts
eingewendet wird, zu 1229 zu setzen, n. 478 Anm. 5 ist SS. XVII
statt XIII zu lesen), wäre jedenfalls die Ungleichmässigkeit in den
Citaten, besonders von Druckwerken in Zukunft zu verbessern. Die
Variationen, in denen z. B. die Monum. Germ. Diplomata, die Papst- und
Kaiserregesten, Ladewigs Eeg. der Bischöfe von Konstanz, G. von Wyss
Gesch. der Abtei Zürich citirt werden, sind wahrhaft zahllos, hie und da
auch nicht ganz deutlich. Dies sind ja nur Nebensachen, aber bei einem
sonst sauljer gearbeiteten Werke möchte man auch hierin nichts ver-
missen.
Das Orts- und Personenregister ist nicht ohne Sorgfalt angefertigt,
al)er es hat einzelne Mängel in der Anlage selbst, die seine Brauchbarkeit
sehr beeinträchtigen. Möge mii" hier zunächst eine allgemeine Bemerkung
gestattet sein. Mit den Registern zu Ui-kundenbüchern ging es wie mit
diesen selbst: jeder Herausgeber schlug seine eigenen Wege ein und wir
haben beinahe so viele Arten von Registern, als Urkundenbücher existiren.
Man muss immer ein ganzes Studium über die Sitten und Gebräuche
jedes einzelnen Registerraachers anstellen, bevor man an die Benützung
geht. Hätte man die so eingehenden und erschöpfenden Erörterungen
Fickers über diese Dinge, die nun schon seit zwanzig Jahren in den Acta
imp. selecta Einleitung XXXVI ff. für jedermann vorliegen, mehr beachtet,
so würde man kaum mehr über eine so unerfreuliche und unbequeme
Mannigfaltigkeit zu klagen haben, würde auch das vorliegende Register
vor gewissen Mängeln bewahrt geblieben sein.
Diese liegen hauptsiichlich in dem Auseinanderreissen zusammen-
gehöriger Namen und im Fehlen von Verweisungen. Nach den Vorbe-
merkungen zum Register werden Personen, soweit sie einen Geschlechts-
namen tragen oder eine mit einem bestimmten Ort verbundene Stelle
bekleiden, nur unter dem Geschlechtsnamen, bezw. unter dem betreffenden
Orte angeführt; unter dem Taufaamen nur dann, wenn kein Geschlechts-
name oder Amt u. s. w. angegeben wird. Diese Trennung ist schon an
und für sich in den häufigen Fällen, wo eine Persönlichkeit bald mit,
bald ohne Orts- oder Amtsbezeichnung vorkommt, für die Benützung
höchst unbequem. Es gienge aber noch an, wenn dabei die nothwendigen
Verweisungen vollständig durchgeführt wären. Allein diese fehlen hier
gar vielfach. So ist z. B. Graf . Adal])ert von Mörslturg unter Adall)ert
mit drei Citaten vertreten, unter Mörsburg mit sieben, von denen zwei
die schon unter Adalbert gebrachten sind, ohne dass aber ein Verweis
Mittheiluugen XII. 33
514 Literatut.
auch nur an einem Orte den Benutzer auf die gesammte Eeihe des Vor-
kommens aufmerksam machte. So ist Arnold Graf von Baden-Lenzburg,
Vogt von Zürich, unter die Schlagworte Arnoldus, Arnolfus, Baden und
Zürich ohne Verweise vertheilt, elienso sein Bruder Kuno unter Baden,
Kuno und Zürich. Unter »Deutsche Könige und Kaiser« sind eine Reihe
deutscher Herrscher aufgeführt, aber nicht alle, denn es fehlt Ludwig IV.
(das Kind), der nur unter Ludwig vorkommt, und auch etwa nicht alle
Fälle des Vorkommens, denn eine Reihe derselben findet sich getrennt
unter dem Schlagwort des betreuenden Namens , wo auch wieder ein
grosser Theil der Citate unter »Deutsche Könige und Kaiser« wiederholt
ist. Zu den Uebelständen einer solchen Anlage, die eben viel zu wenig
das Bedürfniss dessen im Auge hat, der im Register sucht, ob dies oder
jenes im ÜB. vorkommt, verschlimmert durch den Mangel an Verweisen,
gesellt sich das Auseinanderreissen auch der verschiedenen Formen ein
und dessellien Namens ohne Verweise. Die Personen des Namens Beringer
vertheilen sich auf die Schlagworte Berngerus, Perenger, Peringerus, ohne
gegenseitige Verweisung; ähnlich Beroldus und Perolt; Burchard, Bur-
chart— Burkhard — Purchart; Cozpert, Cozpertus — Gozbertus; Dietericus —
Theodericus — Theoterich — Thietirich, Thietrihc (nur hier ein »vgl. Tie-
teric«) — Tieteric; so noch manch andere. Es ist unausbleiblich, dass
auf diese Weise dem Suchenden das Vorkommen von Personen entgehen
■wird, es ist sehr schwer gemacht, etwa Verbreitung und Entwicklung von
Personennamen im Züricher Lande za verfolgen.
Die Ausstattung ist durchaus würdig und schön. Dank der Unter-
stützung durch Staat und Stadt konnte dem Bande in Druck und Papier,
sowie durch die so willkommene Beigabe der Urkundenabbildungen ein
stattliches, gediegenes und zugleich gefälliges Ansehen gegeben werden,
ohne den erfreulich massigen Preis des Werkes zu gefährden. Als sehr
erwünschte Ergänzung zu dem ÜB. werden dann auch eigene Lieferungen
von Siegelabbildungen in Lichtdruck ausgegeben. Bei einem der folgenden
Bände wird gewiss auch einmal eine Uebersichtskarte in Aussicht ge-
nommen werden.
Das Urkundenbuch der Stadt Basel füllt eine zweite be-
deutende Lücke der schweizerischen und südwestdeutschen Urkunden-
sammlungen aus. Auch in Basel trug sich die historisch-antiquarische
Gesellschaft schon längst mit einem deiartigen Plane. Verschiedene Um-
stände verzögerten das Zustandekommen dessell>en und es ist dies insofern
nicht zu bedauern, als, wie in der Vorrede mit Recht bemerkt wird,
»nunmehr bei der Herausgabe der Urkunden die Ergebnisse einer neueren
Forschung und eine sichere Methode in Anwendung kommen konnten*^.
Die Herausgabe nahmen Staatsarchivar Wackernagel und Dr. Thommen
auf sich. Nach Trouillats Monuments de Tancien eveche de Bfde (l85;} —
1862) und nach dem Urkundenbuche der Landschaft Basel von H. Boos
(;i<^81 — 1S83) lag es nahe, sich l)loss auf ein ÜB. der Stadt Basel zu
beschränken. Aber natürlich sind in jenen beiden Sammlungen zahlreiche
Stücke enthalten, die auch in das städtische ÜB. gehöi-en und die Heraus-
geber dieses letzteren mussten sicli nun mit ihren Vorgängern auseinander-
setzen. Sie nahmen bei Trouillnt und Boos vollständig gedruckte Stücke
nur ausnahmsweise in ilir Werk auf; in den meisten Fällen wird ein
Literatur. 515
Regest mit den Verweisen auf die andern Drucke und anfällige Text-
Verbesserungen gebraclit. Man wird dies Vorgehen l^ereclitigt finden
können, aber andererseits muss man es mit Wartmann (in der Anzeige
des Basler ÜB. in Götting. Gel. Anz. 1890 S. 980 ff.) bedauern, dass man
nicht doch lieber sich entschlossen hat, gleich einen alles in sich fassen-
den Codex diplomaticus Basileensis zu schaffen, dass man bei einem ver-
hältnissmässig kleinen Gebiete nun auch in Zukunft genöthigt ist, zwei
oder drei Urkundenwerke nebeneinander zu benützen. Im Uebrigen
sollen in das ÜB. alle Urkunden aufgenommen werden, welche von Per-
sonen u. s. w. herrühren, die dem Gebiete des Kantons Basel-Stadt an-
gehörten, und welche sich auf eine solche Person u. s. w. beziehen; auch
blosse urkundliche Erwähnungen von Basler Personen und Oertlichkeiten
werden in Regestenform in das Werk aufgenommen. Das Ganze soll bis
1798 geführt werden. Dass da für spätere Zeiten ein ganz anderes Ver-
fahren eintreten muss, sehen die Herausgeber selbst klar voraus und die
Weiterführung des Werkes wird die Frage beantwoi'ten, ob es bis in so
späte Zeiten auszudehnen überhaupt am Platze ist,
Civitas Basiliensis inter nobiliores Alamanni^ civitates haut minima,
ex quo Christian (^ religionis cepit exordium, morum honestate et rerura
secularium ubertate semper extitit egregia. Mit diesen Worten kenn-
zeichnet der Bericht über die Gründung des St. Albanklosters im Anfang
des 12. Jahrh. gar nicht unzutreffend die Bedeutung Basels. Aber trotz
seines alten Rufes als gewerbe- und handelsreicher Stadt beginnen die
Urkunden, welche städtische Verhältnisse, berühren, erst im 12., in reich-
licherem Masse erst im 13. Jahrhundert. Es hängt dies mit der That-
sache zusammen, welche der genannte Bericht ebenfalls erwähnt, dass
nämlich bis zur Gründung St. Albans kein Kloster in Basel gewesen war.
Jetzt, im 1 2. Jahrhundert treten St. Alban, St. Leonhard, weiterhin dann
St. Peter, die Johanniter, die Bettelorden u. s. w. in diese Lücke ein.
Ueber die Einführung speciell der Dominikaner erhalten wir gerade durch
das ÜB. von 1233 an eine ganze Reihe von grösstentheils noch unbekannten
Urkunden. Auch aus den Archiven anderer Klöster kamen zahlreiche
Inedita zum Vorschein, darunter Papsturkunden von Gregor IX. Ins
Clemens IV. und Urkunden der Bischöfe von Konstanz. Jetzt treten auch
hier Stadt und Bürger bedeutsam hervor. Charakteristisch für die ganze
innere Entwicklung Basels ist das frühe Zusaramenschliessen der Hand-
werkerzünfte zu öffentlichen Zwangsgenossenschaften, das in den interes-
santen Zunfturkunden dieses Bandes (n. 108, 199, 221, 302, 388, 430)
bis 122fi hinaufreicht. Und ebenso bezeichnend für die geschichtliche
Bedeutung des Basler Zunftlebens ist es, dass die meisten dieser Urkunden
heute noch in den Zunftladen erhalten und wohl bewahrt sind. Die
politische Wichtigkeit der reichen Stadt tritt so recht in den Wirren der
letzten Stauferzeit und des Interregnums zu Tage. Die Baseler, zuerst
Anhänger K. Friedrichs IL, zerstörten 1247 die bischöfliche Pfalz, wofür
sie mit Bann und Interdict belegt wurden. Eine Reihe von Schreiben
Innocenz IV. (von n. 19.5 an) zeigt nun dessen eifrige Bemühungen, die
Stadt auf die päpstliche Seite zu ziehen, was zu Ende 1247 oder Anfang
1248 gelang. Der Besitz Basels ist der Schlüssel zu den oberen Landen ;
Murten, Bern und Freiburg im Uechtland wollen sich einem künftigen
33"
516 Literatur.
König dann anschliessen, wenn er in partiluis illis fiat potens tenendo
Basileam (n. 285). Das wichtigste IMaterial und am meisten neues (im
ganzen sind 212 Stücke bisher ungedruckt, das älteste davon n. 71 von
1202) bringt dieser erste Band natürlich für die innere Geschichte der
Stadt, deren Topographie und bauliche Entwicklung, für die Verhältnisse
des Eigenthums und die sich daran knüpfende wirthschaftliche und ver-
fassungsgeschichtliche Entwicklung.
Für die Bearbeitung des ÜB. haben sich die Herausgeber »grund-
sätzlich und entschieden« den von Sickel für die Diplomata aufgestellten
Regeln angeschlossen und Ref. karm aus eigener Erfahrung den Worten
der Vorrede vollkommen beistimmen, dass auch an dem anders gearteten
Stoff von Urkundenbüchern, die ganz üben\äegend Privaturkunden ent-
halten, die Vorzüglichkeit jener Methode sich bei der Arbeit selbst erprobt.
Macht sich dies schon in der äusserlichen Anordnung angenehm bemerk-
lich, so liegt natürlich das Hauptgewicht in der Anwendung der kritischen
Grundsätze gegenüber Text und Ueberlieferung, wie sie Sickel in allseitig
durchdachter und consequenter Weise durchgeführt hat.
Die Texte machen durchaus den Eindruck grösster Genauigkeit. Xur
einige Punkte möchte ich hervorheben, in denen mir etwas zu viel oder
zu wenig gethan erscheint. Das ist einmal die übergrosse Sparsamkeit
im Gebrauch von Unterscheidungszeichen, unter der hie und da die leichte
Benützbarkeit des Textes zu leiden hat. Ein anderer Punkt ist die Bei-
behaltung der Schreibweise des Originals für die Buchstaben u und v bei
den Eigennamen. Allerdings haben sich die Diplomata dafür entschieden,
aber mir hat sich die Ansicht aufgedrängt, dass diese Inconsequenz doch
nicht durch die verhältnissmässig seltenen Fälle gerechtfertigt wird, wo
vielleicht die originale Schreibung von u und v in einem Eigennamen
sprachwissenschaftlich von Werth sein kann. Scheint ein solcher Fall
vorhanden zu sein, so lässt sich ja leicht in Anmerkung das nüthige sagen.
Ich glaube also wie Wartmann, der a. a. 0. 984, 985 ebenfalls diese
Punkte berührt hat, dass man im Interesse der Gleichförmigkeit und
Lesbarkeit unseren heutigen Gebrauch von u und v auch auf die Eigen-
namen ausdehnen kann und soll. — Im Gebrauch der eckigen Klammern
folgt auch das Baseler ÜB. nicht strenge den Diplomata. Eckige Klammem
werden auch hier zur Ergänzung von Siglen und der z. B. in den päpst-
lichen Registerbänden bloss angedeuteten Formeln verwendet, und doch
stehen ja derartige bewusste Kürzungen durchaus nicht auf einer Linie
mit Lücken, die durch Beschädigung u. s. w. entstanden sind.
Sehr sorgfältig ist den Vorurkunden nachgegangen. ]\Ianchmal scheint
mir aber hierin doch etwas zu viel geschehen. Wenn in n. 180 die Texte
von zwei Originalexemplaren einer und derselben Urkunde als Vorurkunde
und Urkunde neben einander vollständig abgedruckt werden, so ist dies
doch nicht der Sachlage entsprechend ; es hätten eben einfach die Ab-
weichungen des einen Exemplars in Anmei-kung gegeben werden sollen.
Aehnlich Hesse sich doch fragen, ob Stücke wie n. 229, Verbot Inno-
cenz IV. die dem Klostor Wettingen gehörige Kirche Riehen zu besteuern
und Mittheilung davon sowie Schutzempfehlung an den Baseler Dom-
propst, als Vorurkunde und Ui-kunde aufgefasst und behandelt werden
sollen. — Nicht zutretfend scheint mir auch , dass Urkunden wie
Literatur. 517
n. 106, 265, 293, 344, 386 unter eine Nummer zustimmenge-
fasst sind.
In der Angabe von Ueberlieferung und Drucken ist mit grosser
Genauigkeit und Umsicht verfahren. Ja wir möchten auch hier, wie beim
Züricher ÜB., sagen, dass in der Anführung von Copien des Guten fast
zu viel gethan wurde. Es drängt sich auch hier die Frage auf, ob denn,
wenn das Original noch vorhanden, die Aufzählung aller Copien, auch
solcher, aus denen kein Druck geschöpft ist, für die Veröffentlichung
Zweck und Werth hat. Was die Regesten zu den einzelnen Stücken be-
trifft, so hat Wartmann 985 f. eine Eeihe von zutreffenden Bemerkungen
gemacht und ich möchte nur noch besonders als verbesserungsbedürftig
bezeichnen, dass in einer grossen Zahl von Fällen der eigentliche Ur-
kundenaussteller gar nicht ersichtlich gemacht ist. Es sind z. B. in
n. 148, 158, 160, 165, 170, 173, 174 u. s. w. der Bischof oder das
Domcapitel, oder das Kloster St. Alban die Aussteller, während in den
Regesten nur die Personen der beurkundeten Handlung erscheinen.
Auf einen Punkt von grösserer, grundsätzlicher Bedeutung müssen
wir noch des näheren eingehen, nämlich auf die von den Herausgebern
al;)sichtlich beliebte Spärlichkeit paläographischer und diplomatischer Be-
merkungen 1) und auf das Weglassen aller sachlichen Erläuterungen. Die
ersteren halten sie für ziemlich unnütz, von den letzteren sind die Orts-
und Personenbestimmungen sämmtliche in das Register verwiesen, andere
sachliche Bemerkungen so gut wie gänzlich unterlassen. Gewiss haben
die Herausgeber Recht, wenn sie bei Dingen, für deren Feststellung das
ÜB. sell)st erst das Material beibringt, die Verwerthung desselben dem
Benutzer überlassen; gewiss ist auch im Register in Bestimmung der
0 ertlichkeiten und Personen alles was man billig verlangen kann, ge-
schehen; endlich findet der Benutzer im Sachregister auch Auskunft ü]jer
weniger bekannte Worte und Dinge. Und doch scheint mir bei einem
lokalen Urkundenbuche ein solches Vorgehen nicht das richtige zu sein.
Was die paläographisch - diplomatische Seite betrifft , so wünschen die
Herausgeber eine abgesonderte Bearbeitung der Baseler Urkunden. Sollten
auch die Herausgeber selbst diese Arbeit, zu der sie die berufensten
wären, zu übernehmen nicht in der Lage sein, warum wollen sie aber
dem künftigen Bearbeiter, dem Benutzer überhaupt alles das vorenthalten,
worauf sie in Bezug auf Schriftvergleichung an den Originalen, Fertigung
von Urkunden durch den Empfänger oder Fertigung durch ein öffentliches.
Amt oder eine Art öffentlicher Urkundsperson u. s. w. bei der Editions-
arbeit gekommen sind oder kommen? Niemand ist besser im Stande, die
immer häufiger sich herausstellenden theilweisen Ausfertigungen von
Königsurkunden durch den Empfänger festzustellen, als der Bearbeiter
solcher lokaler Urkundenwerke, niemand hat das Vergleichsmateriale aus
den verschiedeneu Archiven so bequem beisammen. Was aber die Orts-
und Personenerklärungen anlangt, so ist der Benutzer gezwungen immer
und immer wieder das Register aufzuschlagen oder in der Karte nach-
') Spärlich hie und da auch im Umfang; bei n. 307 z. B. müsste die an-
genommene ünechtheit doch viel eingehender begründet sein, dass man davon über-
zeugt würde, rnhaltlich wenigstens scheint die Urkunde doch unanfechtbar.
518 Literatur.
zusuchen. Durch Bestimmung wenigstens der hauptsächlichsten Orte etwa
in den Regesten, wenn man schon nicht eigene Anmerkungen hieiür
machen will, wäre dem Benutzer eine Menge von Mühe und Zeit erspart.
Hie und da wären auch kurze sachliche Bemei*kungen für das Verständ-
niss geradezu nothwendig gewesen, so etwa bei n. 119 und in anderen
Fällen von blossen Auszügen. Wir glauben also und möchten es wün-
schen, dass die Herausgeber in der Folge sich doch zur Beigabe von
erläuternden Bemerkungen massvollen Umfanges entschliessen sollten.
Die Register verdienen alles Lob der Sorgfalt; im besonderen ist das
von Adolf S 0 c i n gefertigte Sachregister eine willkommene Gabe, wie sie
keinem solchen ÜB. fehlen sollte. Mit der Anlage des Orts- und Personen-
registers kann man ganz einverstanden sein. Freilich fehlt es nicht an
Einzelnheiten, um die beim Züricher ÜB. schon ausgesprochenen Gedanken
nicht auch hier auftauchen zu lassen. Es werden z. B. ä, ö, 6, ö, ü, ü, u in
Bezug auf die alphabetische Einordnung ganz gleich a, o, u genommen,
entgegen der sonst gewohnten Behandlung gleich ae, ce, ou u. s. w. ;
andererseits werden aber doch Oudalricus, Oudelardus erst nach Ottokar,
Rouber, Roudmunt nach rotloube eingereiht, obwohl ja o und ou ganz
gleichwerthig sind. In der Festhaltung von u und v geht das Register
so weit, dass auch Worte mit dem consonantisch geltenden u unter dem
Vocal U eingereiht werden, so sind Uazpindo, Uesunecga (Veseneck),
Uurlon (Furien) unter U gestellt, dagegen Vurlon unter V ! An Ver-
weisungen ist hie und da etwas übersehen worden; so sind unter
»Deutschland« die Könige und Kaiser zusammengestellt und darauf bei
den einzelnen Namen verwiesen; der Verweis fehlt bei Karl und Otto;
die Nebenformen Purchardus zu Burchard, Phlecha zu Fleck sind nicht
verzeichnet, bei Rüdiger fehlt der Verweis auf Manesse. Unnöthig wäre
wohl im Namenregister die Aufnahme von Worten gewesen wie Amtmann,
Bäcker, pistor, campanarius u. s. w., die doch alle im Sachregister wieder-
kehren, wo allein man gewiss suchen wird, wenn man sehen will, ob
z. B. ein pictor, ein physicus und ähnliches vorkommt.
Eine erwünschte Beigabe ist die Karte, eine noch werthvollere die
Abbildungen oben'heinischer Siegel. Mit vollem Rechte haben die Heraus-
gel)er von genauen Siegelbeschreibungen im ÜB, abgesehen und lieber in
diesen Tafeln das anschaulichste Hilfsmittel für Siegelkunde geboten, das
mit den zu gewärtigenden Züricher Siegeln dem ausgezeichneten Werke
von F. V. Weech (Siegel von Urkunden aus dem General-Landesarchiv zu
Karlsruhe) in willkommener Weise ergänzend an die Seite treten wird.
Die Tafeln sind in Lichtdruck von den Gebr. Bessert in Basel in trefflicher
Weise hergestellt i). Die 14fi Siegel sind hauptsächlich baslerischer Her-
kunft, doch ist auch die Nachbarschaft, besonders das Elsass vertreten.
In einem voraufgehenden Verzeichniss sind in kurzer-, aber durchaus ge-
nügender Weise die Siegler, die Legende des Siegels, sowie sein Vor-
kommen mit dem Verweis auf das ÜB. angeführt. Das erste und älteste
Siegel rührt von Bischof Burkard von Basel her, an einer Urkunde von
') Sie sind mitsammt der Beschreibung auch gesondert zu beziehen mn den
Preis von 6" Franken (5 Mark) i;nd zwar direkt vom Staatsarchiv des Kantons
Basel-Stadt.
Literatur. 519
1102 oder 1103 erhalten; die Bischofssiegel reichen dann weiter bis
Heinrich von Isny (Siegel von 1277). Darauf folgen Siegel des üom-
eapitels, der geistlichen Würdenträger und Ofticiale, der Stifter und Klöster,
fremder Bischöfe und einzelner Geistlicher (darunter Cluny, Lützel, St. Bhi-
sien u. a., Bischof Albert v. Kegensburg) ; dann folgen Siegel von Adeligen
(Grafen von Thierstein, Pfirt u. a.), endlich Stadt und Büi-ger von Basel,
die Städte Rufach, Sulz, Neuenburg und Eheintelden. Es sind gar manche
künstlerisch werthvolle und interessante Siegel darunter, so n. 76 eine
antike Gemme, n. 45^ der Name als Rücksiegel, n. 94 vielleicht Poi-trät-
siegel.
Die Ausstattung des ganzen Werkes ist auch hier in jeder Beziehung
schön und gediegen.
Zum Schlüsse rufen wir den Herausgebern und Bearbeitern der beiden
hervorragenden Urkundenwerke ein aufrichtiges Glückauf zu für den
weiten und keineswegs stets angenehmen Pfad, den sie noch zurückzulegen
haben. Es gehört ja eine unermüdliche Ausdauer und nicht selten auch
eine gewisse Selbstverleugnung dazu, solch weitaussehende und nicht
immer durch äussere Erfolge lohnende Arbeiten durchzuführen. Aber die
Liebe zur Sache, der warme Eifer, der heimischen Geschichte eine sichere,
wolgefügte Grundlage zu schaffen, überwindet alle Mühen und wird auch
die Bemerkungen und Wünsche, die wir im vorhergehenden ausgesprochen,
als nur im Interesse eben dieses schönen Werkes gethan zu betrachten
Avissen.
Innsbruck im März 1891. Oswald Redlich.
Eduard Kosenthai, Geschichte des Gerichtswesens
und der Verwaltuugsorganisatiou Baierns. l. Band. Vom
Ende des 12. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. — Würzburg,
A. Stuber, 1889. — VIII und 601 S. 8^
Adolf Stölzels preisgekrönte Schrift über die Entwickelung des-
gelehrten Richterthums in deutschen Territorien hat die Aufmerksamkeit
auf die Geschichte des Beamtenthums in weiteren Kreisen rege gemacht.
Besser als vorher erkannte man jetzt den grossen Antheil, welcher diesem
Stande an der Erstarkung und schliesslichen Ausgestaltung der landes-
fürstlichen Gewalt zukam, und so erschienen denn in rascher Folge
Isaacsohn's Geschichte des preussischen Beamtenthums (1874 — 78), Georgii
von Georgenau's Ausgabe des fürstlich württemliergischen Dienerbuches
(1877), Stölzels Brandenburg-Preussens Rechtsverwaltung und Rqchts-
verfassung (1888), während in Oesterreich die Werke von Adler, Bieder-
mann, D'Elvert, Hock, Massburg, Mages u. s. w. theils der Geschichte der
Centralstellen, theils der Ausgestaltung der Behörden in bestimmten Kron-
ländern gewidmet wurden.
Für Baiern fehlte es bisher an ähnlichen Arbeiten, wenn wir von
den älteren Werken eines Sej-frid, Büchner, Freyberg, Maurer, Steiner
über das altbayerische Gerichtswesen oder von alten Vitzthumsrechnungen,
520 Literatur.
von den Reihenfolgen der (ierichts- und Verwaltungsbeamten Altbayerns
und dergleichen a])sehen , welche seinerzeit durch Oefele , Ernest
Geiss u. A. im oberbayerischen Archiv verüffentlicht wurden. Eine AVen-
dung trat erst 1887 ein, als zwei neue Arbeiter auf diesem Gebiete mit
vorbereitenden Abhandlungen auftraten, welchen zwei Jahre darauf die
Hauptwerke folgten: Max Jos. Neudegger, welcher seinem ersten Beitrag
zur Geschichte der Behörden-Organisation des Eaths- und Beamtenwesens
(München, Ackermann 1887) im J. 1889 im gleichen Verlage die Hof-
und Personalstands-Etats der Witteisbacher in Baiern, vornehmlich im
1 6. Jahrh. folgen liess, und Eduard Rosenthal. Dessen Aufsatz über die
Behördenorganisation K. Ferdinands L, welcher im 69. Bande des Archivs
f. östeiT. Geschichte (S. 51 — 3 Iß) erschien, war, wie der Verfasser im
Vorwort selbst hervorhebt, als Vorstudie zu seiner Geschichte des Ge-
richtenwesens und der Verwaltungsorganisation Baierns entstanden, mit
welcher wir uns des Nähern beschäftigen wollen.
Nach wenigen einleitenden Sätzen, in welchen Rosenthal die zum
Verständniss der Behördenorganisation im Lande unentbehrliche Uebersicht
über die Erbtheilungen im Wittelsbachischen Hause vorausschickt, beginnt
mit S. 6 das erste Buch, welches der Geschichte des Gerichtsw^esens ge-
widmet ist. Das 1. Kapitel von der Gerichtsgewalt des Herzogs bietet in
seinem 1. Paragraphe die Entwickelung der herzoglichen Gerichtsbarkeit,
und in einem nachfolgenden Excurse die Gerichtsbarkeit über den Herzog.
. Die Gerichtsgewalt, als der Mittelpunkt aller ataatlichen Gewalt, bildete
das Fundament aller landesherrlichen Rechte, die ErAverbung der im Her-
zogthum gelegenen Grafschaften war darum das nächste Ziel der Witteis-
bacher, welche durch Erbgang, Heirath und Kauf eine Reihe von Besitzungen
alter Grafengeschlechter erwarben rmd so dem Emporkommen fremder
landesherrlicher Gewalt innerhalb des Herzogthums zuvorkamen. Kraft
der ihm zustehenden Justizhoheit konnte schliesslich der Herzog alle
Richter des Landes nach Belieben ein- und absetzen. Dem Reiche gegen-
über blieb freilich die Unterordnung bestehen, olngleich dem Herzoge die
in Süddeutschland nachweisbare Begünstigung zu Statten kam, dass die
Richter den Gerichtsbann nicht vom Könige einzuholen hatten, sondern
aus den Händen des Landesherrn empfingen. Erst die privilegia de non
evocando und de non appellando beseitigten diese Abhängigkeit. Ersteres
erhielten die Witteisbacher 1362, nur wenige Jahre nach den Herzogen
von Oesterreich, letzteres hingegen eri'angen sie nur stückAveise zAvischen
1480 bis 1620.
§ 2 handelt von der Bedeutung der Vehmgerichte für Baiern, welche
bekanntlich Processe gegen Witteisbacher zu Aviederholten Malen verhandelt
haben. Seit dem J. 1444 begann man im Lande gegen diejenigen auf-
zutreten, »welche gen Westfalen ziehen, olnvohl sie im Lande Recht be-
kämen«. Die Competenz der Vehmgerichte selbst AA'^urde nicht bestritten,
nicht einmal in dem energischen Landgebote der Herzoge Albrecht und
Sigmund vom J. 1468, wohl aber fühlten sich diese dadurch beschAvert,
dass die Vehmgerichte mit Ladungen gegen bayerische Unterthanen ibrt-
fuhren und die von den Herzogen kraft der königlichen Reformation und
der Hausprivilegien verfügte Abforderung des Handels zum Austrag in
ihren Gerichten unbeachtet Hessen. Uebrigens fehlt mit dem letzten
Literatur. 521
Viertel des 15. Jalirh. jede Kunde einer Beziehung bayerischer Unterthanen
zur Vehme. Mit dem Alischnitt über die kirchliche Gerichtsliarkeit (§ 3)
schliesöt das Kapitel über die Gerichtsgewalt des Herzogs und beginnt
jenes über die Gerichtsverfassung (§ 4 — 12). Zunächst kommen die Land-
gerichte zur Besprechung, sie sind als Ueberreste der karolingischeu Graf-
schaftsgerichte aufzufassen, der historische Zusammenhang zeigt sich in
Baieru darin, dass hier die Ausdrücke Graf und Richter, Grafschaft und
Landgericht Ins ins 15. Jahrh. als gleichwerthig behandelt wurden. Auch
in Oesterreich wurden einzelne Landgerichte bis über die Mitte des
14. Jahrh. als Grafschaften bezeichnet (vgl. meine Geschichte des altern
Gerichtswesens in Oesterreich, S. 117); demungeachtet war die Entwickelung
in lieiden Nachbarländern grundverschieden. Während in Oesterreich die
Zersplitterung der Landgerichte fortwährend zunahm und das Recht über
Leben und Tod schliesslich zur Pertinenz des herrschaftlichen Grund und
Bodens wurde (a. a. 0. S. 113 ff.) hat in Baiern schon Ludwig L der
Kehlheimer (t 1231) eine planvolle Organisation des Territoriums unter
Berücksichtigung der historischen Elemente vorgenommen, und begann
hier alsbald die Rückbildung der Gerichtslehen zu wirklichen Aemtern.
Als dies gelungen, war wieder jenes Princip des karolingischeu Ver-
fassungsrechts zur Anerkennung gebracht, welches in dem Richter (Grafen)
lediglich einen Beamten und nicht einen Vasallen erblickte, freilich mit
dem wesentlichen Unterschiede, dass jener nicht mehr königlicher, sondern
landesfürstlicher Vasall war (S. 5l). Diese Eintheilung des Herzogthums
in Landgerichte blieb stets die Grundlage der territorialen Organisation.
Als Vorstand waltete ein landesfürstlicher Pfleger, welchem zur Besorgung
der Gerichtsgeschäfte ein Stellvei-treter als Landrichter beigegeben wurde.
Dieser wurde zumeist vom Pfleger selbst bestellt, sollte jedoch ein In-
land ei- überdies ein »erber geleumbter« Mann und siegelmässig sein. Den
Blutliann empfing er aus den Händen des Herzogs. Ableistung des Richter-
eids und Beibringung der herzoglichen Bestallungsurkunde in die erste
Gerichtssitzung sind Bedingungen rechtswirksamer Ausübung von Richter-
funktionen.
Bedeutungsvoll für die Stellung des Landrichters in Oberbayern war
die Erlassung des Landrechts durch K. Ludwig IV. Der Richter war nun an-
gewiesen, aus dem Gesetze den Inhalt des Urtheils zu gewinnen und nach
des Buches Ausspruch zu tliun. Hinfort bestand ein Gegensatz zwischen
dem Richten nach Urtheil (der Anwesenden) und dem »Richten nach In-
haltung des Buchs«. Ersteres war nicht gänzlich abgeschafft, sondern
nur auf jene Fälle beschänkt, in welchen das Buch keine Bestimmung
darbot, die der Entscheidung zu Grunde gelegt werden konnte. Dies war
im Gesetze zwar nicht ausdrücklich bestimmt, lässt sich jedoch als dauernde
Uebung nachweisen und wurde als solche 1409 von den Herzogen an-
erkannt. In Niederbaiern bliel) es bei dem früheren Herkommen; nach
dem Verschwinden der karolingischeu Schöffen wurde die Gerichtsbank
durch den Vorsitzenden aus den eben Anwesenden von Fall zu Fall zu-
sammengestellt, doch wurde es den Urtheilfindern durch ein Landgebot
Herzog Georgs vom J. 1491 gestattet vor Fällung des Ausspruchs das
Gutachten von Sachverständigen einzuholen.
Bemerkenswerth sin«! auch die Mittheilungen über die Parteien-
522 Literatur.
beistände. Das Institut der Vorsprecher ist in Baiern wohl früher als
anderswo in den Bereich der landesfürstlichen Obsorge gezogen worden :
Damit arm wie reich der Rechtshilfe theilhaft werden könne, behehlt
K. Ludwig IV. 1340 dem Vitzthum in Niederbayern vorzukehren, dass
bei den einzelnen Gerichten Vorsprecher vorhanden seien, die »umli ir
niu und arbeit von den laeuten nemen, daz beschaiden und leidlich ist«.
Für die Anstellung war der Lokalisierungszwang massgebend. Die Landes-
ordnung vom J. 1474 Hess diese Beschränkung fallen, machte aber die
Vereidigung zur Vorbedingung der Berufsausübung, Die Landesordnung
von lölfi kennt bereits von Amtswegen bestellte Armenvertreter (S. S'j).
§ 5 bespricht das kaiserliche Landgericht Hirschberg dessen Ver-
waltung 1305 nach dem Erlöschen des alten Grafengeschlechts an die
Witteisbacher kam und durch einen Landrichter besorgt wurde, wichtiger
ist jedoch § 6 über das Hofgericht. In der deutschen Gerichtsverfassung
herrschte der Grundsatz, dass der höhere Richter stets die Funktionen
des niederen übernehmen, also konkurrirend mit ihm die Gerichtsbarkeit
ausüben düri'e, dadurch sollte namentlich Schutz gegen parteiische Rechts-
sprechung gewährt werden. Die Herzoge von Baiern, auf welche ein
grosser Theil der Gewalt der Königsboten übergegangen war, reisten gleich
diesen im Lande herum und beriefen die Grossen ihres Territoriums zu
Versammlungen, welche im gewissen Sinne als Fortsetzung der missatischen
Landtage erscheinen und nicht blos der Berathung allgemeiner Landes-
angelegenheiten, sondern auch der Aufrechterhaltung des Landfriedens, der
Beilegung von Streitigkeiten u. s. w. gewidmet waren. In diesen altern
Landtagen, welche bis gegen die Mitte des 1 3. Jahrh. vorkommen und
nicht in den Lehensgerichten, noch in dem an den Herzogshof gezogenen
grjiflichen Landgerichte, erblickt Rosenthal den Ausgangspunkt für die
Entwickelung des bayerischen Hofgerichts. Das mag richtig sein, wenn
er jedoch S. 115/llfi weiter geht, und das für Bayern gefundene Er-
gebniss als Regel für den Ursprung der Hofgerichte in den übrigen
Territorien hinstellt, so werden die Ausnahmen vielleicht häufiger sein,
iils die übereinstimmenden Fälle. Schon in Oesterreich lagen die Dinge
anders. Die Landtaidinge, in der Zeit der Babenberger, lassen sich zwar
mit den von Rosenthal sogen, älteren Landtagen in Bayern bestens ver-
gleichen, allein, dass die Gerichtsbarkeit am Hofe des Herzogs von Oester-
reich keine Weiterbildung dieser Landtaidinge sei, sondern geradezu in
bewusstem Gegensatz zu diesen als Hoftaiding entwickelt wurde, glaube
ich in meiner früher genannten Schrift (S. 70 ft.) nachgewiesen zu hal)en.
In Bayern beginnt mit dem Verschwinden der älteren Landtage das Hof-
gei'icht, meist unter dem Vorsitze des stellvertretenden Vitzthums, in
Oesterreich begegnet man Landtaidinge und Hoftaidinge mit konkurriren-
der Gerichtsbarkeit neben einander durch mehr als zwanzig Jahre so zwar,
dass man sich vorsichtsweise bedang, der Verkäufer solle »gewer sin ze
hof und ze taiding nach land esrecht«, wie es in einer Urkunde
von 13ÜG heisst (Urkundenbuch d. L. ob d. Enns, IV, 506).
Die weitere Ausgestaltung des Hofgerichts in Bayern ging mit jener
in Oesterreich vielfach parallel, zum Theil andere Wege. So wird
z. B. S. 127 das bajerische Geding gen Hof behandelt, welches mit der
Appellation nahezu i'lentisch sei land ausgeführt, dass durch dasselbe der
Literatur. 523
Rechtsstreit zwischen den ursprünglichen Parteien voi- dem höhere Richter
(Hütgericht) fortgesetzt werde. Soweit stimmt es mit dem Dingen auch
liei uns. Wenn al>er dann hinzugefügt wird, dass das Hofgeding im
Gegensatz zur Urtheilsschelte sich nicht unmittelbar an die Urtheilsver-
küudigung anreiht, sondern erst innerhalb 14 Tagen an den Hof gebracht
werden musste, so zeigt der Rechtsbrauch in Steiermark doch deutlich
den Zusammenhang mit dem altern Rechtsinstitut darin, dass man das
Hingen anmelden musste, ehe die Mehrzahl der Urtheiler votiert hatte.
Hatten beide Vorsprechen ihre Anträge als Urtheilsvorschlag vorgebracht,
»so mag man woll urtail gedingen, ee man über den dritten khombt«,
verfügt Art. 17 des steiermärkischen Landrechts. Dass dies auch beim
Dingen gen Hof beobachtet werden musste, zeigt die von Bischoff in
seiner Ausgabe des genannten Rechtsbuches S. 84 mitgetheilte Urkunde
K. Friedrichs HL vom 2. Dez. 1447, welche den Fall behandelt, dass ein
Theil aus der Landschraune dingnuss tun soll und mag an uns, . . . doch
daz dieselb di(n)genuss beschech ee dann über den dritten gefragt u. s. w.
Die Frist von 14 Tagen kommt auch im steirischen Landrecht vor, sie
bezieht sich jedoch nicht auf die Anmeldung, sondern auf die Ausführung
der »Dingung«. «Ez suUen all urtail umb welleich sach man dingt, in
S tagen werden furgelegt, in 14 tagen schol mans verantwurten. Dingt
man ir aber aus dem Land, so schol mans in 14 tagen türlegen in
ß Wochen verantwurten« (art. 42).
Ständische Tribunale, wie sich solche in den verschiedenen öster-
reichischen Landen finden, scheint es in Bayern gar nicht gegeben zu
hallen, bei Rosenthal werden keine erwähnt. Darmn verlief auch die Ent-
wickelung der Gerichtsbarkeit am herzoglichen Hofe viel einfacher als in
Oesterreich, wo schliesslich auch die Hottaidinge unter den Einfiuss der
Stände geriethen und Albrecht V. sich nur dadurch zu helfen wusste, dass
er dieselben aufhob und deren Geschäfte unter das landmarschallische —
als ständisches Gericht, und an ein Hofgericht übertrug, das er aus vor-
handenen Anföugen weiter entwickelte. Diesem letzteren entspricht im
Wesen das bayerische Hofgericht im 15. Jahrh. Hier wie dort finden
wir friihzeitig Doktoren unter den Mitgliedern des Hofgerichts, welche als
Räthe des Herzogs in dasselbe gelangten.
§ 7 handelt vom Stadtgericht, dem Stadtrath, den Zünften und der
Sonderstellung, welche Regensburg einnahm, § S von der Fatrimonial-
gerichtsbarkeit, welche Herzog Otto III. im J. 1311 den Ständen auf ihren
Gütern gegen Gewährung einer Steuer theils bestätigt, theils neu ein-
geräumt hatte.
Die Nachbarlande Bayern und Oesterreich, von stammesgleicher Be-
völkerung bewohnt, zeigen demungeachtet bei dem Umfang, in welchem
die Gerichtsbarkeit an die Grundherren gelangte, recht erhel)liche Ver-
schiedenheit. Vor dem sogen. Gerichtskauf im geilachten Jahre 1311
stand nämlich in Baiern dem Herzoge auch die Kiedergerichtsbarkeit all-
gemein zu und konnte dieselbe von geistlichen oder weltlichen Gross-
grundbesitzern nur auf (h-und einer (direkten oder indirekten) Verleihung
als Ausnahme beansprucht werden; seitdem vermehrten sich diese patrl-
monialen Jurisdictionsbezirke so rasch, dass am Ende des 15. Jalnh.
Herzog Allu-echt IV. allein in Niederbayern die Zahl der Hofmarken auf
524 Literatur.
600 schätzte. Anders in OesteiTeich, wo den Landrichtern schon nach
der Aufzeichnung des Landesrechts vom J. 123fi (Art. 46) jedes Betreten
des Grundbesitzes der Grafen, Freien und Dienstmannen im Lande, »oli «i
es in urbar habent, ol) si es verlihen habent, ob si es in vogtei habent*
untersagt war. Folgerichtig gelangte auch der Blutbann, als das wesent-
liche Element der Gerichtsbarkeit nur höchst ausnahmsweise an bayerische
Unterthanen, wogegen der sogen. Seifried Helbling 1298 unter den Vor-
rechten eines östen-eichischen Ministerialen anführt:
und üf sinem eigen fi-i
sol er von dem riche han
stoc, galgen unde ban. (VIII, 40 ff.)
Soweit kam es allerdings auch bei uns nicht, allein die Herzoge be-
gnügten sich mit dem Vorbehalt der Bannleihe und überliessen die Aus-
übung der peinlichen Gerichtsbarkeit so freigeliig an die Grundherren,
dass es schliesslich (um 1817) in Oesterreich unter und ob der Enns
über 300, in Steiermark 136, in Kärnten 63 dergleichen Landgerichte
gab, während die Zahl der Niedergerichte nach Liechtensterns Angaben
damals im Lande unter der Enns und in Steiermark je über 600 (612
und 609), in Kärnten 470, in Oesterreich ob der Enns 329 betrug!
Anhangsweise zum Abschnitt über die Patrimonialgerichtsbarkeit wur-
den von Kosenthai das Dorfgericht (S. 204) und die Ehafttaidinge (S. 206)
behandelt, dann folgen die Lehengerichte, die Bergwerksgerichtsbarkeit,
die akademische Gerichtsbarkeit und endlich die Gerichtsbarkeit des Hof-
marschalls (§§ 9 — 12), mit welcher das erste Buch schliesst. Das zweite
ist der Geschichte der Verwaltungsorganisation gewidmet (§§ 13 — 24) und
bespricht in fünf Kapiteln die Centralregierung, die Mittel- und Unter-
behürden, ferner die Eegalien und die Steuerverwaltung. Bei dem rein
persönlichen Charakter des landesherrlichen Eegiments machte es sich von
selbst, dass die mit dem Dienste bei der Person des Fürsten Betrauten
auch sein besonderes Vertrauen genossen und deshalb vorzugsweise zur
Erledigung staatlicher Geschäfte benützt wurden. Als Organe der Central-
regierung erscheinen darum vor allem die Hofbeamten, unter welchen seit
der Mitte des 13. Jahrhunderts der Hofmeister in die erste Stelle rückt,
»Kabinetchef und Minister xat' I^OX""]^* nennt ihn Rosenthal. Der zweit-
wichtigste Hofbeamte war der Marschall, der dritte der Kammermeister,
endlich der Kanzler, dem die formelle Erlediffunjr der wichtigsten Ke-
' 0 0 0
gierungsgeschäfte zufiel. Daneben gab es stets eine grosse Anzahl von
Personen — Eäthe — die sich am Hofe ohne besondere Funktion auf-
hielten. Schon in der Hofordnung vom J. 1293 sind sowohl das stän-
dische als das Beamtenelement im fürstlichen Rathe vertreten, und dabei
blieb es, bis der gefestigten landesherrlichen Gewalt endlich die völlige
Verdrängung des ersteren gelingt. Von einer kollegialen Gestaltung
dieses Rathes konnte keine Rede sein, es fehlte vor allem die Ständigkeit
der Behörde, allein es gibt auch kein Gebiet der staatlichen Thätigkeit,
welches seinem Wirkungskreise entrückt geblieben wäre. Seit den Tagen
K. LudAvigs IV. werden der Gesammtheit der Räthe die »Heimlichen« als
Männer besonderen Vertrauens entgegengesetzt. Die Zusammensetzung des
Rathes war jeweilig vom Befehl des Herzogs al^hängig und die Zalil der
Eathgeber schwankte zwischen 7 bis 50. Erst durch den Vertrag von 1466
Literatur. 525
erhielt der Rath eine festere Formation. Für Herzog Sigmund und
Allirecht IV. (München) werden ein Hofmeister und G Räthe bestimmt,
was diese »alle oder der mehrere Theil be.schliessen, dem soll nachge-
gangen werden«, 1489 verordnete dann Herzog Georg, um den Beschwer-
den der Lancistände Abhilfe zu schafien, den »geordneten Rath« zur
Besorgung der laufenden Geschäfte ; 1501 wird dann nach österreichischem
Vorbilde ein »Hof rath« eingesetzt. Die Stellung des Kanzlers als Vor-
standes der Kanzlei und seiner Untergebenen, und eine Schilderung des
Archivwesens beschliessen den ersten Abschnitt.
Unter den Mittelbehürden behaupten die Vitzthume (^ 15) den ersten
Rang. Schon 1204 erscheint ein vicedoniinus ducis Bavarie, bald nach
der ersten Theilung (l255) scheint zu Verwaltungszwecken eine förmliche
Eintheilung des Landes in Vitzthumsämter erfolgt zu sein, für welche in
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts der Name Rentmeisterämter
aufkam.
Der Vicedom ist in seinem Sprengel der unmittelbare Vertreter des
Herzogs u. zw. sowohl auf dem Gebiet der Justiz als auch dem Militäri-
schen und der Finanzverwaltung. Im 1 4. Jahrh. übernahmen Landschreiber
die financiellen Geschäfte, im 1 5. Jahrh. folgen ihnen Rentmeister, während
die Landschreiber die Kontrole erhalten. In weiterer Entwickelung rückte
der Rentmeister in den Mittelpunkt der gesammten Verwaltung und winl
zu einem Kontroleorgan aller Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung.
Er war der höchste Kassenbeamte der Provinz und in seiner Kasse
sammelten sich alle rechnungsmässigen Ueberschüsse der äusseren Aemter
des Rentamts, welche vom Vicedom an das Hofzahlamt abgeführt wurden.
Durch die Schaffung dieser Mittelbehörden war die Organisation der
l)ayerischen Verwaltung jener in den Landen der österreichischen Herzoge
weit voraus. Vicedome mit weit beschränkterem Wirkungskreise wurden
erst durch Maximilian I. für alle fünf niederösterreichischen Lande be-
stellt, früher behalf man sich mit dem Hubmeister in Oesterreich, mit
dem Landschreiber in Steiermark, nur Kärnten und Krain hatten schon
unter den Sponheimern im 13. Jahrh. landesfürstliche Vicedome erhalten,
neben welchen es ausserdem solche für die Hochstifte Bamberg, Salzburg,
die Grafen von Ortenburg u. s. w. gab.
Als Unterbehörden werden die Pfleger und Richter und die Kastner
namhaft gemacht (§ 17, 18). Da die Landgerichtsbarkeit in Bayern mit
verschwindenden Ausnahmen dem Herzoge geblieben war, in Oesterreich
aber, wie früher gezeigt wurde, mit dem Gros 5grundbesitze verbunden
war, so gab es bei uns nur dort landesfürstliche Pfleger, wo der Gross-
grundbesitz dem Landesherrn gehörte. Die aus einer Bestallung vom
J. 1538 für Bayern nachgewiesene Verpflichtung der Pfleger, dem Herzoge
mit einer bestimmten Anzahl gerüsteter Pferde und Knechte zu dienen,
scheint aus Oesterreich entlehnt zu sein, sie bildet feinen Theil der von
Maximilian I. zur bessern Ausnützung des Kammergutes getroftenen Mass-
regeln. Die von Rosenthal S. 344 mit Bedauern verzeichnete »pflegweise
Uelterlassung eines Landgerichts« auf eine Anzahl Jahre oder bis nach
l^ezahlung einer geschuldeten Summe, flndet sich bei uns in der Ver-
pfändung von Staatsgütern, in den sogenannten Pfandschaften getreulich
wieder.
526 Literatur.
Im 4. Kapitel von der Kegalienverwaltung werden § 1 9 die Forst-
und Jagdbeamten, § 20 — 22 die Münz-, Bei'g- und Zolllieamten, § 23 die
Ungelter Lehandelt, § 24 ist den Organen der landständischen Steuer-
verwaltung gewidmet. Die Ergebnisse der Verfassers stimmen im grossen
und ganzen mit unsern Verhältnissen ülterein, noch grosser ist die Ueher-
einstimmung in der Organisation der Central- und Mittelhehörden im
1 6. Jahrhundert, weil hier direkte Entlehnungen vorkamen. Rosenthal
hat es selbst ausgesprochen, dass die Einrichtungen K. Ferdinands I. das
Vorbild für die Verwaltungsorganisation in den deutschen Territorien
waren und hat dieselben, wie oben erzählt, als Vorarbeit zu dem be-
sprochenen Werke im Archiv für österr. Geschichte ausführlich geschildert, —
Nach österreichischem Vorbild, jedoch keineswegs in sklavischer Nach-
ahmung wurden so die Kollegialbehörden des Hofraths und der Regie-
rungen (§ 25), der Hofkammer (§ 26) und der Kanzleien (§ 30) mit
Berücksichtigung der liesondern bayerischen Verhältnisse zum Theil schon
von Albrecht IV., namentlich aber von Alln-echt V. organisirt, der Kriegs-
rath (§ 28) und der geheime Rath (§ 29) gewinnen erst unter Herzog
Maximilian ihre ganze Bedeutung, reichen jedoch mit ihren Anfängen bis
in die Regierungszeit Herzog Wilhelms V. zurück (1582/3). Dagegen
scheint der geistliche Rath (§ 27) auf bayerischem Boden erwachsen zu
sein. Der Religionsrath, welchen Albrecht V. im J. 1557 als eine be-
sondere Deputation von Hofräthen zur Besorgung der kirchlichen An-
gelegenheiten einrichtete, dauerte zwar nur zwei Jahre und wurde erst
1570 als »geistlicher Rath« wieder hergestellt, allein man wird kaum
fehlgehen, wenn man ihn als das Muster für den österreichischen »Kloster-
rath« erklärt, welcher in einem an K. Ferdinand IIL erstatteten Bericht
der n. ö. Regierung vom 22. März 1640 auf eine Anordnung K. Maxi-
milians II. zurückgeführt wird. Mit sehr beachtenswerthen Untersuchungen
über das Staatsdienerrecht und den Charakter des Beamtenthums (§ 31, 32)
schliesst der vorliegende erste Band.
Es ist eine in der publicistischen Literatur allgemein verbreitete
Ansicht, dass eine gesetzliche Regelung des Staatsdienerrechts in Deutsch-
land erst durch das preussische Landrecht erfolgt sei, wie auch erst
Friedrich Wilhelm I. als der Schöpfer eines berufsmässigen Beamtenstandes
zu betrachten sei. Diese Ansicht erweist sich eindringlicher Spezial-
forschung gegenüber als unhaltbar. Die Beamtenstellung regelte nur
einige Theile des Beamtenverhältnisses (Dauer desselber, Gehalt, Zahl der
zu stellenden Pferde u. s. w.), während für andere Rechtsverhältnisse die
allgemeinen gesetzlichen Normen, beziehungsweise gewohnheitsrechtliche
Uebung, massgebend war. Schon im 1 4. Jahrh. wird von Seite der Stände
der ( ? das) Indigenat als eine Vorbedingung für die Anstellung durch-
gesetzt, ferner war die Leistung dos Diensteides eine nothwendige Voraus-
setzung rechtsgiltiger Handlungen. Aus dem Dienstvertrage erhalten die
Beamten den Anspruch auf die vereinbarte Besoldung, einzelnen wird
S(;hon im 16. Jahrh, ein Ruhegehalt für die Zeit zugesichert, in welcher
sie ihren Dienst nicht melir verrichten konnten. Dagegen übernimmt der
Beamte die Verpflichtungen: 1, seine ganze Arbeitskraft für seine ämt-
liche Wirksamkeit einzusetzen, 2. Gehorsam gegenülter dem Landesherrn
und den Befehlen seiner Vorgesetzten, und 3, Bewahrung des Dienst-
Literatur. 527
geheimnisses. Verletzungen dieser Pflichten zogen Strafen nach sich, doch
ergibt sich aus der Androhung, dass dem Herzog kein willkürliches Ent-
lassungsrecht der Beamten zustand, sondern nur auf Grund diesbezüglicher
gesetzlicher Bestimmungen. Jeder Beamte haftete für den Schaden, den
er durch Pflichtverletzung, sei es dem Herzog, sei es einem Unterthan,
zufügte, und konnte deshalb vor dem Hofgericht belangt werden. Schon
im K). Jahrh. wird der Unterschied zwischen ausschliesslichen Hof- und
den Staatsbeamten scharf betont. Der niedere Adel erhielt sich dauernd
im Besitz der meisten Hof- und Landesämter, in den Eath der Herzoge
drang aber das bürgerliche Element ein, als man anfing, den Vortheil
wissenschaftlicher Bildung für die Erledigung von Regierungsgeschäften
zu schätzen. Das Eindringen der Juristen in die Gerichte ergab sich
(nach Ansicht des Verfassers) als eine Folge der Thatsache, dass Doktoren
als landesfürstliche Räthe bestellt wurden.
Rosenthals Arbeit liest sich leicht, ist übersichtlich angelegt und so
vollständig, dass sie kaum irgend was Wesentliches vermissen lässt. Ex-
curse am Schlüsse der einzelnen Abschnitte: über die Anfange des diplo-
matischen Dienstes, über Räthe von Haus aus, Archiv und Bibliothek
bewältigen den Stoff, der sich anderswo nicht gut unterbringen liess ; dass
mit einem umfänglichen Notenapparate nicht gespart werden konnte ver-
steht sich bei einem Werke von selbst, das gutentheils ungedruckte
Quellen verwerthen musste. Auf die Korrektheit des Druckes wurde
grosse Sorgfalt verwendet. Die Tafel der Berichtigungen und Ergänzungen
führt anderthalb Dutzend Druckfehler auf ßOO Seiten an; mir ist noch
etwa ein halbes Dutzend aufgefallen, von welchem ich die drei Namen
Suikerus (S. 2ri6), Maurkircher (S. 509) und Khulmer (S. 535/6) aus
Snikerus, Mauekircher und Khulmar berichtige. Kein Druckfehler ist die
Angabe S. 3, Anm. 1, dass Tirol 1369 an Oesterreich kam. Der Verfasser
rechnet als Bayer nach der Abtretung, welche durch den Schärdinger
Frieden eintrat, wogegen wir in Oesterreich den Erwerb auf Rudolf IV.
und das Jahr 1363 beziehen. Zu berichtigen ist hingegen das Datum des
Schladminger Bergbriefs (S. 117) von 1308 auf 1408, wie das mein Kollege
Reg.-Rath Bischoff in einem Aufsatze erwiesen hat, der in den Mittheilungen
des deutschen und österreichischen Alpenvereins, Jahrgang 1891, erschienen
ist. Ein Missverständniss endlich ist dem Verfasser auf S. 376 bei Be-
sprechung der Münzprüfung unterlaufen. Die aus Lori L, 38 angeführte
Stelle bezieht sich nämlich nicht aufs Schrot, sondern aufs Korn der
Münze, betrifft daher nicht das Passiergewicht, sondern das Kemedium.
Doch diese Ausstellungen sind von keiner Bedeutung und nicht geeignet
den Werth der wirklich schönen Leistung des Verfassers zu schmälern.
Graz. Luschin v. Ebengreuth.
Heiligkreuz und Pfalzel, Beitrüge zur Baugescliiclite Triers,
von W. E ff mann. 4", 159 S., 107 Abb. im Text (voraugeschickt dem
Lectionskatalog der Universität Freiburg i. d. Schweiz, W. Sem. 1890—1).
In der Kunsttopographie Deutschlanils nimmt Trier eine ganz be-
sonders wichtige Stellung ein. Erstlich hat diese Stadt, die eine Zeit
lang eine der vier Hauptstädte des römischen Weltreichs gewesen ist.
528
Literatur.
mehr Ueberreste von Kunstdenkmälern aus römischer Zeit aufzuweisen
als irc^end eine andere Landschaft Deutschlands. Aher auch die Mero-
mngerzeit ist hier im baukünstlerischen Schaffen nicht ganz steril gewesen,
und wenn gegen Ende des ersten Jahrtausends die Bedeutung der Stadt
gesunken war, so hob sie sich umsomehr wieder vom 11. Jahrh. ab,
das nicht bloss für den Trierer Dombau, sondern auch für manche andere
bedeutsame Anlage von entscheidender Wichtigkeit gewesen ist. So sehen
wir fast alle Bauperioden von der römischen l)is auf die moderne Zeit in
Trier und dessen nächster Umgebung vertreten, worüber bereits eine reich-
haltige Literatur vorliegt.
Und doch scheint der Boden nach dieser Eichtung noch immer nicht
erschöpft zu sein, wenigstens nach den vorlegenden Ergebnissen der
Untersuchungen Elfmann's zu schliessen, dem es gelungen ist, zwei für
die Geschichte der romanischen Architektur in Deutschland höchstbedeut-
same Denkmäler in ihrer Ursprünglichkeit vmd nach ihrer Entstehungszeit
in völlig überzeugender Weise klarzustellen.
Das eine Denkmal ist die Kapelle von Heiligkreuz innerhalb der
Bannmeile von Trier. Die Verhältnisse liegen in diesem Falle so klar zu
Tage, dass man kaum begreifen kann, wie der Sachverhalt so lange ver-
dunkelt bleiben konnte. Die Schuld daran trug namentlich die Verquickung
dieses Baues mit einem andern, über welchen schriftliche Nachrichten
vorliegen, die man ii-rthümlicherweise auf Heiligkreuz bezogen hat. Efl-
mann weist nun zur Evidenz nach, dass die genannte Kapelle in der
zweiten Hälfte des 1 1 . Jahrh. entstanden sein muss. Die Tragweite dieses
Ei-o-ebnisses wird klar, wenn wir die Beschaffenheit des Baudenkmals kurz
charakterisiren : reine kreuzförmige Anlage mit gleich langen Kreuzarmen,
die Arme tonnengewölbt, über der Vierung ein Thurm mit achtseitigem
Klostergewölbe, — also fürs Erste eine in Deutschland höchst vereinzelte
Anlage," ferner eines der ältesten Beispiele von durchgängiger Anwendung
der Wölbung und eines Vierungsthurmes.
Weit komplicirter liegen die Verhältnisse beim zweiten von Effmann
untersuchten Bau, der eine Stunde ausserhalb Trier gelegenen Stiftskirche
zu Pfalzel. Dieselbe dient seit vielen Jahrzehnten nur mehr profanen
Zwecken, und zwar gehören ihre einzelnen Theile verschiedenen Besitzern,
so dass es dem heutigen Beschauer nicht einmal möglich ist, einen Ge-
sammtüberblick über die Anlage zu gewinnen. Auf Grund einer durch
zahlreiche Illustrationen unterstützten, überaus lichtvollen baugeschicht-
lichen Untersuchung, die vom heutigen Zustande ausgehend sich nach
rückwärts bewegt und deren Lektüre zum wohlthuenden Unterschiede von
den meisten ähnlichen Untersuchungen einen wahrhaften Genuss bereitet,
gelangt der Verf. zu dem überraschenden Ergebnis«, dass wir in der
Stiftskirche zu Pfalzel das nächst dem Trierer Dom älteste kirchliche
Baudenkmal Deutschlands zu erblicken haben. Der Kern der Anlage ist
römisch, zum Gotteshause eingericlitet in merowingischer Zeit, umgebaut
in dem bedeutsamen 1 1 . Jahrh,, gewölbt im 1 3. Jahrh.
Das Ergebniss ist ein für die Kunstgeschichte so hervorragendes,
dass es die von E. darauf verwandte Mühe reichlich lolmt.
Alois Riegl.
Zu S. 431 Sickel, Erläuterungen zu den Diplomen Otto III.
Wie ich den Erläuterungen zu den DDO. IL, um deren Benutzung
zu erleichtern in Mitth. Erg. 2, 191 eine Vergleichungstafel und ein Ver-
zeichniss der erläuterten Diplome beigefügt habe, gedenke ich die hier
S. 209 — 245 und S. 369 — 431 abgedruckten Erläuterungen mit gleicher
Zuthat zu versehen, jedoch erst wenn auch der Schluss der auf die
DDO. III bezüglichen Excurse veröffentlicht sein wird. Bis dahin möge
man mit der folgenden gedrängteren Zusammenstellung voidieb nehmen.
Die den Nummern der neuen Ausgabe in Klammern beigefügten Zahlen
bezeichnen Stumpfs Regesten und bei den an den Schluss gestellten
Briefen der Gerbertschen Sammlung die Nummern der Havet'schen Edition.
S.
4 (874) — S. 399
7 (877, 878)
11 (882), -"^
16 (884),
21 (891)
25 (895),
S. 381.
D. 46 (915),
223.
D. 51 (920)
D.
D.
D.
D
S. 374-
(883), 13
12
19 (889), 20
- S. 397.
900), 37 (908)
-37 7.
(964),
(890),
29
50 (919)
S. 239
S. 219-
D. Dl (920} — S. 239.
D. 53 (923), 54 (924), 56 (926) —
S. 219 — 223, 232, 238.
D. 58 (928) — S. 234, 245.
D. 65 (937), 69 (941), 70 (1282)
— S. 219 — 228.
D. 92 (961) — S. 387.
D. 97 (968),99(97l), 100(970), 101
972 — S. 220 — 223, 226 — 230.
D. 114 (984) — S. 373.
D. 132 (1001)
D. 147 (1019)
D. 149 (1007)
D. 150 (1021)
S. 223.
S. 397.
S. 220, 231.
^. .^w ^iu^iy — S. 225, 226, 397.
D. 152 (102.3), 153 (1024), 154
(1025), 155(1026), 156(1027),
157 (1028), 158 (1029), 159
(1031, 1030), 160 (1033), 161
(1034) — S. 385—387.
(1034) — S.
D. 165 (1038)
385-
S.
■387.
373.
D.
D.
D.
172 (1044),
(1046). 175
197 (1067)
209 (1079),
(1082), 214
— S. 389—
217 (1085),
(1087) — S,
220 (1087^)
225 (1091) -
226 (896)
400 — 404.
227 (1099)
229 (1094)
395—399.
230 (1094^)
231 (1096)
232 (1097)
233 (1098)
235 (1100)
243 (1110),
(1113), 246
248 (1116),
(1118), 251
— S. 422 —
253 (1121) -
254 (1122),
S. 422 — 424
278 (1141) ■
173 (1045), 174
(1047) — S. 387.
— S. 370.
210 (loso), 213
(1083), 215 (1084)
393.
218 (1086), 219
394.
— S. 223.
— S. 395.
— S. 395 , 397,
— S. 404 — 412.
— S. 377—379,
— S. 377, 399.
— S. 396 — 400.
— S. 399.
— S. 37 7, 399.
— S. 422.
244 (Hl 2), 245
(1114), 247(1115),
249 (1117), 250
(1119), 252 (1120)
-424.
— S. 377 — 379.
255 (1127) —
S. 225.
D. 196 (Havet 215), 212 (H. 213),
216 (H. 214), 228 (H. 216) —
S. 413—419, 431.
Briefe:
D.
241 (H. 186), 260 (H. 218) -
S. 413 — 416, 419 — 421, 425 —
431.
Tliierstrafen und TMerprocesse.
Von
Karl V. Amira.
Die rechtsgeschichtliclien Erscheinungen, welche die Ueberschrift
andeutet, sind bis jetzt nicht in allseitig befriedigender Weise erklärt
und daher auch nicht in den Gang der Kechtsentwicklung eingeordnet.
Solange dies nicht gelingt, müssen der letzteren Widersprüche und
Lücken anhaften, die eine sichere und deutliche Formulirung wichtiger
Grundlehren des Strafrechts, des Processrechts und des Privatrechts
nicht nur im Mittelalter, sondern auch in viel weiter zurückliegenden
Zeiten verhindern. Als ein Versuch, diese Hindernisse hinwegzuräumen,
wollen die Studien beurtheilt sein, worüber ich Bericht erstatte.
Die Vorkommnisse, um die es sich handelt, sind folgende: Man
hat Thiere wegen bestimmter von ihnen angerichteter Schäden öffent-
lichen Strafen oder doch einem Verfahren unterworfen, das den An-
schein eines öffentlichen Strafverfahrens gewährt. Die Träger der
Staatsgewalt haben z. B. die Strafe des Hängens, des Lebendigbegrabens,
des Verbrennen s durch das ordentliche Vollzugsorgan, den Nachrichter,
an Thieren vollstrecken lassen und es sind dabei die nämlichen feier-
lichen und umständlichen Formen beobachtet worden, die für den
Vollzug von Todesurth eilen an Menschen bestimmt waren. Die geist-
liche Gewalt hat gegen Thiere den Kirchenbann ausgesprochen. Dieser
aber erging in denselben Formen des Strafurtheils , welche gegen
Kirchenmitglieder einzuhalten waren, wie andererseits der Todesstrafe
ein förmliches Todesurtheil des ordentlichen weltlichen Gerichts gegen
das Thier voranging. Das eine wie das andere Urtheil ferner bildete
selbst wieder nur den Abschluss eines geordneten gerichtlichen Ver-
fahrens. Und zwar sehen wir in diesem oftmals das Thier geradezu
als Partei behandelt, — verklagt, zur Verantwortung vorgeladen, durch
Mittheilungen XII. 34
546 A m i r a.
einen Officialanwalt vertreten, und sorgsam ist das Eecht an der Arbeit,
zwischen dem klagenden Menschen und dem verklagten Thier Sonne
und Wind gleich zu vertheilen. Wo der Process unter Menschen
ein schriftlicher, konnte auch der mit dem Thier Dutzende von Schrift-
sätzen und ebensoviele Termine — die Augenscheinaufnahmen nicht
gerechnet — erfordern und so selbst bei schneller Justiz halbe Jahre
sich hinziehen. Am meisten im Schwang ist diese strafrechtliche Be-
handlung von Thieren, soviel sich wenigstens auf den ersten Blick
erkennen lässt, in der Zeit vom 13. bis ins 17. Jahrhundert. Aber
erst im 18. und 19. Jahrhundert klingt sie aus, ja theilweise ragt sie
sogar noch in die Gegenwart hinein und andererseits liefert schon das
Kechtsleben des Alterthums Analogien. Sehen wir auf das Verbreitungs-
gebiet der im Wesentlichen hier einschlagenden Thatsachen, so zeigen
sich daran betheiligt die Kechte orientalischer und gräko-italischer
Völker, insbesondere aber auch die germanischen und slavischen Kechte
und deren Tochterrechte.
Auf alle diese Dinge ist die Wissenschaft längst aufmerksam ge-
worden, wenn auch bei weitem nicht alle im Gesichtskreis des einzelnen
Forschers lagen, und wenn auch die Zwecke gewechselt haben, welche
die Forschung verfolgte. Als es sich bei den Thierstrafen und Thier-
processen überall noch um anzuwendendes Kecht handelte, war es die
Praxis, der die Theorie zu dienen suchte, und die Werke der in diesem
Dienst arbeitenden Juristen und Theologen werden unter unsern Quellen
zu nennen sein. Als das praktische Interesse verschwunden oder doch
in den Hintergrund getreten war, erwachte das antiquarische und als-
bald auch das cultur- und rechtshistorische. Einige Schriftsteller haben
sich allerdings damit begnügt, die am leichtesten erreichbaren Notizen
über diesen Gegenstand als Zeugnisse der Sonderbarkeit und allenfalls
noch des Aberglaubens einer glücklich überwimdenen Zeit ihren Lesern
vorzuführen. Schon Dom Carpeutier^), dann G. Chr. Lichten-
berg-), Berriat-Saint-Prix ^), Vernet*), Lud. Laianne ^),
F. Nork*'), Em. Agnel') müssen als die bessern Vertreter dieser
1) Zu Du Gange Gloss. s. w. homicicla, excommunicatio. *) Vermischte
Schriften Bd. IV 1802 S. 477—481, wo übrigens nur von der Excommunication
und den Processen gegen Thiere die Rede ist. ^) Des proces intentes aux
animaux in Themis ou biblioth. du Jurisconsulte (Paris) I 1819 p. 194 — 197, dazu
Vni B 1820 p. 61 f., ferner Rapport et recberclies sur les proces et jugements
relatifs aux animaux in Memoires de la soc. roy. des antiquaires de France VIII
(Paris) 1829 p. 403—450. ") Lettre . . . sur les proces faits aux animaux (in
Th6mis VIII ß p. 45— Gl). •') Curiosites des traditions (Paris) 1847 p. 429—
436. «) In Scheible's Kloster Bd. XII 1849 S. 942-949. ^) Curiosites
judiciaires et historiques du moyen-äge, Paris 1858.
Thierstrafen und Thierprocesse. 547
Curiositätensammlerei genannt werden i), und unter ihnen wieder als
der verdienstvollste Berriat-Saint-Prix, der die grösste Menge fran-
zösischer MateriaHen zusammengebracht hat, worüber seine Nachfolger
nur um Weniges hinausgekommen sind 2), Andere Gelehrte haben ver-
sucht, die Thierstrafen und Thierprocesse geschichtlich zu erklären. In
solcher Absicht haben A. Bouthors^), L. Menabrea^), E. Osen-
brüggen^), D'Arbois de Jubainvilleß), AI. SoreH), Ant. Pertile»),
C. Lessona^), Fr. Ortoli^") besondere Aufsätze und Abhandlungen
veröffentlicht, Mittermaier 1^), Ferd. Hepp^^)^ C. Trümmer i^)^
Ch. Louandrei^), K. Seifart i^), W. Mannhardt le), J. Tho-
') Andere verzeichnet Sorel (s. Note 6) p. 44 ff. Dazu kommen: »Criminal-
processe gegen TMere* in Miscellen aus der neuesten ausländ. Literatur Bd. LXV
(Jena 1830) S. 152—155 (Auszug aus Berriat-Saint-Prix) — Steph. Jörgensen
Nogle frugter af mit Otium I (Kcebenhavn 1834) S. 216—223 (beruht fast ganz
auf dem vorigen Artikel), — F. S. : »Bestie scomunicate* in La Rassegna settimanale
Vol. VII (Roma 1881) p. 153—155 (im Wesentlichen Lesefrüchte aus Menabrea,
s. N. 3), — L. Cr et eil a »Gli animali sotto processo* in FanfuUa 1891 No. 65
(in der Hauptsache auf Berriat-Saint-Prix und Menabrea beruhend). 2) Auch
die eigenen Worte von Berriat-Saint-Prix sind öfters (ohne Quellenangabe) aus-
geschrieben worden, zo z. B. von Agnel p. 30 Z. 12—21 (= Berriat-S.-P. Mem.
VIII p. 411 f.), obendrein eine Stelle, die ein geographisches Missverständniss
(vgl. S. 570 Note 1) enthält, ferner p. 30 Z. 1—5 (= Berriat- S.-P. a. a. 0. 423,
wo abermals ein Missverständniss der Quelle, vgl. S. 562 Note 1), auch S. 13
Z. 7 flg. (=• Berriat-S.-P. a. a. 0. p. 434). Ueberhaupt spielt in dieser Literatur
das Plagiat eine bemerkenswerthe Rolle ; s. unten N. 10. «) Coutumes
locales . . . d'Amiens I 1845 p. 354—358. «) De l'origine, de la forme et
de l'esprit des jugements rendus au moyen äge contre les animaux in den Mem.
de la soc. roy. de Savoie t. XII, Chambery 1846 p. 399—523, dazu Documents
p. 524—557. 5) Studien zur deutschen und Schweiz. Rechtsgeschichte 1868
S. 139 — 149. Dem Verf. waren die einschlägigen Arbeiten seiner Vorgänger so
gut wie unbekannt. ß) Les excommunications d'animaux in Revue des que-
stions historiques V Par. 1868 p. 275—280 (bezieht sich nur auf eine Publication
von Urkunden durch D e s n 0 y e r s). ') Proces contre des animaux et insectes
suivis au moyen äge dans la Picardie et le Valois, Compiegne 1877. ^) Gli
animali in giudizio in den Atti del reale istituto Veneto, t. IV ser. VI, Ven.
1885—86 p. 135—153 (kein neues Material). ") Giurispmdenza animalesca in
Gazzetta letteraria, Torino 1887 No. 46, 48 (Auch hier so gut wie kein Zuwachs
an Stoff). '0) Les proces d'animaux au moyen äge in der Zsch. La Tradition,
Par. 1888 p. 77—82. Wiederum nur das von den älteren französ. Arbeiten ge-
botene Material. Sein Referat über De Chassanee p. 78 flg. hat der Verf. fast
wörtlich aus dem von Vernet in Themis VI 11 p. 48 flg. abgeschrieben, ohne seine
Bezugsquelle zu nennen. ") Krit. Zschr. f. Rechtswissenschaft u. Gesetzgebg.
III 1831 S. 480 flg. ^') Die Zurechnung auf dem Gebiete des Civilrechts 1838
S. 103 flg. 'S) Vorträge über Tortur u. s. w. I 1844 S. 392. '*) Revue des deux
mondes 1854 I p. 331—336. »ß) Hingerichtete Thiere und Gespenster in Zschr.
f. deut. Kulturgesch. 1856 S. 424—430. »«) Germanische Mythen 1858 S. 368.
34*
548 Amira.
nissen^), H. DumeriP), A. Lacassagne^), A. H. Post*), 0.
G i e r k e ^), H. B ru n n e r ß) wenigstens beiläufig die Sache gestreift. Ihre
Mutmassungen gehen weit auseinander. Die altern französischen Schrift-
steller haben die weltlichen Thierstrafen aus dem mosaischen Eecht
abgeleitet, die Thierexcommunication und den eigentlichen Thierprocess
dagegen auf die Dämonologie des Mittelalters und die Ansichten der-
selben Zeit von der kirchlichen maledictio zurückgeführt. Am ent-
schiedensten angestellt und am weitläufigsten ausgeführt ist dieser
Erklärungsversuch bei Menabrea. Daneben aber glaubt Menabrea doch
auch noch nach einem rechtspolitischen Motiv suchen zu müssen,
welches die Thierprocesse verständlich machen soll. Er schreibt ihnen
(p. 400) einen erziehlichen Zweck zu: ,,ces procedures ne constituaient
primitivement qu'une espece de symbole destine ä ramener le sentiment
de la justice ..." Dieser Gedanke hat Sorel's Beifall gefunden, wie-
wol er einigermassen dem zu widersprechen scheint, was Menabrea
p. 481 sagt, dass nämlich die formelle Annäherung der Malediction
an die Excommunication den Thierprocess zur Folge gehabt habe.
Einfacher hilft sich in dieser Hinsicht D'Arbois de Jubainville. Nach
ihm konnte ein Verwaltungsakt wie die Malediction nur in den Formen
des gerichtlichen Verfahrens erledigt werden, da er einem Gericht
übertragen war. Von einem ähnlichen Gedanken geht bezüglich der
Thierexcommunication Lessona aus, während er die sonstigen Thier-
strafen hauptsächhch durch die polizeilich-rationalistische Einmischung
des Staats zu erklären sucht. Dagegen betrachtet Thonissen die alt-
testamentlichen und griechischen Thierstrafen unter dem Gesichtspunkt
des erziehlichen „Symbolismus" in der Art Menabrea's. In Deutsch-
land meinte man in den ersten Jahrzehnten, nachdem die Forschungen
von Berriat-Saint-Prix bekannt geworden waren, zu den sämmtlichen
Thierstrafen und Thierprocessen den Grund in dem Charakter des
germanischen und des mittelalterlichen Strafrechts finden zu können,
welches ein blosses Rachesystem gewesen sei ''). Nur anders gewendet
wiederholt sich diese Ansicht noch bei Post, der alle strafgerichtliche
Verfolgung von Thieren auf den Indifferentismus des primitiven Rechts
gegen die Arten des thierischen und menschlichen Verschuldens
') Etudes sur l'hist. du droit crim. II 1869 p. 198 f. Le droit penal de
la republique Athenienne 1875 p. 256, 412 f. ^) Les animaux et les lois,
Par. 1880 p. 6—13. s) Kosmos Zschr. für Entwicklungslehre 1882 S. 2G4— 67.
") Bausteine I 1880 S. 2.30 f. D. Grundlapren des Rechts 1884 S. 359 f. ^) Der
Humor im deut. Recht 2. Aufl. 1886 S. 23-25, 61. «) lieber absichtslose
Missethat im altdeut. Strafrechtc in den Sitzungsber. der Berlin. Akad. XXXV
1890 S. 834—839. ') Mittennaier, Hepp, Trümmer, Seifart a. d. a. 0.
Thierstrafen und Thierprocesse. 549
zurückführt. Später dagegen hat Osenbrüggen die schon von J. Grimm i)
angedeutete Idee von einer deutschrechtlichen Personification des
Thiers zu dem beherrschenden Gesichtspunkt gemacht, worunter die
hier in Eede stehenden Phänomene mit den Fällen scheinbarer Thier-
berechtigung zusammengestellt werden konnten. Denselben Weg, den
Osenbrüggen verfolgte, haben in Frankreich Louandre, Ortoli und
Lacassagne an einem weiter zurückliegenden Punkt betreten, der erstere,
indem er auf die mittelalterhche Auffassung der Thierseele in Dichtung
und Kunst, der zweite, indem er auf die aus altgallischen Zeiten an-
geblich überkommenen Vorstellungen von Naturbeseelung und Seelen-
wanderung, der dritte, indem er auf die angebliche Gleichstellung des
Thieres mit dem Menschen in der primitiven Gesellschaft verwies.
Pertile geht auf Menabrea zurück, sucht aber auch Anschluss an
Osenbrüggen. Doch lässt sich kaum sagen, dass durch diese Methode
die Klarheit gefördert werde. An eine Personification des Thieres
in germanischen Kechten glauben auch Gierke, der jedoch neben ihr
noch das Spiel einer Kechtsparodie annimmt, und H. Brunner, der
das Strafverfahren gegen Thiere mit dem selbstständigen Sklaven-
process, die amtliche Hinrichtung von Thieren mit der von Sklaven
parallelisirt, aber auch, ohne biblisch-kirchlichen Einfluss ganz abzu-
lehnen, für wahrscheinlich hält, dass der Gedanke der Thierstrafe auf
arisch-religiöse Vorstellungen zurückgehe. In ganz anderm Sinn hat
eine mythologische Erklärung der Thierprocesse Mannhardt angedeutet.
Wenn so oftmalige Anläufe nicht einmal zu dem Ziel einer herr-
schenden Ansicht unter den Historikern geführt haben, so scheint mir
die Ursache theils darin zu liegen, dass man gewöhnlich mit einem
allzu geringen Material an Quellen und literarischen Hilfsmitteln ge-
arbeitet hat -), theils aber auch darin, dass man der Combinationslust
die Zügel schiessen liess, ohne dass eine ausreichende Analyse der
verglichenen Thatsachen vorangegangen war.
Ehe irgend ein Erklärungsversuch unternommen wird, sollten die
zu erklärenden Thatsachengruppen genau charakterisirt sein. Bleiben
wir in dieser Hinsicht zunächst bei denen des mittelalterlichen
Kechtslebens stehen. Wenn wir dem letzteren gewisse Thatsachen
') Deut. Reclitsalterthümer S. 670. ^) Vollständig wird allerdings der
so weit zerstreute Stoff kaum jemals zu vereinigen sein, und sicher wäre auch
die Menge des mir unTDskannt gebliebenen viel grösser, als sie noch jetzt ist,
wenn nicht theilnehmende Freunde dieser Untersuchung werthvolle Belegstücke
und literarische Behelfe beigesteuert hätten. Ich habe hier dankbar zu nennen
die Herren H. Brunner, Arn. Capra, E. Grosse, Reinh. Köhler , Friedr. S.
Krauss, V. A. Secher, Ph. Lotmar, Fr. Neu mann, Joh. Steenstrup.
550 A m i r a.
zurechnen, die chronologiscli erst der Neuzeit angehören, so halten
wir uns hiezu insofern für befugt, als in denselben Ueberlieferungen
aus dem Mittelalter zum Ausdruck gelangen. Wir scheiden jedoch
dabei das slavische Material einstweilen noch vollständig aus, weil es
fast durchaus dem Kechtsleben der Gegenwart entnommen werden
muss.
Hier nun muss sofort der scharfe Gegensatz zwischen dem welt-
lichen und demjenigen Verfahren auffallen, das wir vorläufig nach
seiner gewöhnlichen Gestalt das kirchliche nennen können.
Das weltliche Verfahren griff nur gegen Hausthiere Platz. Im
üebrigen machte die Thiergattung einen Unterschied ursprünglich nicht.
Doch findet sich schon im Mittelalter, dass das Justificiren der werth-
volleren Thiergattungen im fiskalischen Interesse abgeschafft wird,
während das der minderwerthigen Hausthiere fortdauert ^).
Fast überall griff das Verfahren nur Platz wegen Tödtung oder
Verletzung von Menschen und zwar in der älteren Zeit nur wegen
Tödtung. In italienischen Rechtsgebieten allerdings erscheint es auch
— vielleicht sogar eher — wegen Sachbeschädigung zulässig. Stets aber
gehört zum Thatbestand, dass das Thier nicht als Werkzeug eines Men-
schen den Schaden angerichtet hat. Ein Rechtsstreit, worin das Thier
als Partei behandelt wurde, scheint nirgends vorzukommen ^), selbst
nicht zu der Zeit, als ein solcher Rechtsstreit zur Vorbereitung der
Malediction oder Excommunication üblich war. Beklagter ist, wofern
es überhaupt zu einem Process kommt, der Eigenthümer des Thieres ^).
1) Coust. et stilles de Bourgoigne § 197 (a. 1270—1360 bei Giraud Essai
sur l'hist. du droit Franc. II p. 302) : L'on dit et tient selon droit et la coustume
de Bourgoigne que se un beuf ou un cheuau fait un ou pluseurs homicides il
nan doiuent poinct morir, ne Ion nen doit faire justice, feur quilz doiuent estre
pris par le seigneur en qui justice ilz ont fait le deHt ou par ses gens, et lui
sont confisquez et doiuent estre vendus et exploictiez au prouffit du dit seigueur ;
mes se autres bestes ou juj'f le fönt, ilz doiuent estre pendus par les piez der-
reniers (in modernerer Fassung als Nr. 275 der anc. cout. du duche de Bourg.
bei Bouhier Cout. l 1742 p. 138). Vgl. auch § 59 {bei Bouhier c. 1. No. 276).
2) Die modernen Histoi-iker pflegen einen solchen Rechtsstreit ohneweiters zu
unterstellen, so z. B. Mittermaier a. a. 0., Agnel p. 7, Pertile Gli ani-
mali p. 147, 0 r t o 1 i a. a. 0. p. 77. ^) Er wird ausdrücklich als der Beklagte
genannt in den Urkunden über die Processe von Savigny 1457, Seves 1499 (Mem.
des antiq. VIII 441 f., 434) und Viroflay 1641 (Carpentier zu Du Gange s. o.
homicida). S. femer den Process von Beauvais um 1600 bei Mornacius
Observat. ad 1. 1. D. si quadrup. paup., den Österreich. Process aus dem 17. Jahrh.
bei Matth. Abele Metamorphosis telae judiciariae, Ausg. v. 1684 I S. 632, den
Pariser Process v. 1793 bei Sorel p. 16. Undeutlich der Process von Moyen-
Moutier 1572 bei Lionnois Hist. ... de Nancy U (1811) p. 374.
Thierstrafen und Thierprocesse. 551
Kläger ist in Frankreich ^) und Flandern 2) der Inhaber der öffentlichen
Gewalt. In Deutschland ist noch in sehr später Zeit die Klage dem
Verletzten überlassen 3). Geht die Klage von der öffentlichen Gewalt
aus, so kann deren Träger oder Vertreter das Thier schon vor Beginn
des Rechtsstreits festnehmen lassen^). Der Eigenthümer des Thiers
aber hat bisweilen die Wahl, dasselbe dem Kläger preiszugeben oder
aber auf die Klage zu antworten. In Burgund wird er dreimal ge-
fragt, ob er das Thier als das seinige anerkennen und sich auf den Streit
einlassen wolle. Indem er die Anerkennung — das „avoher" — ver-
weigert, macht er das Thier zunächst herrenlos und sich selbst von
jeder Haftbarkeit frei^). Es kommt jedoch, und zwar insbesondere in
Frankreich, auch vor, dass der Eigenthümer eine solche Wahl nicht
hat, vielmehr Gefahr läuft, das Thier zu verlieren und obendrein selbst
noch eine Geldstrafe zahlen oder eine Betfahrt machen zu müssen ß).
Die Form des Processes, erst seit dem ausgehenden Mittelalter deutlich
erkennbar, scheint nirgends von den Grundlinien des herrschenden
ordentlichen Verfahrens abzuweichen. Dass man jemals — wie be-
hauptet wird — 7) das Thier einem Gottesurtheil oder gar der Tortur
unterworfen habe, sagt keine Quelle ^) und ist nach den Akten über
die wirklich verhandelten Processe durchaus unwahrscheinlich. Richtig
ist nur, dass eine Beweisaufnahme auch in dem Fall nöthig werden
konnte, wo der Eigenthümer das Thier preisgegeben hatte. Siegte der
») Ausser den in S. 550 N. 3 angeführten Urkk. von 1457, 1499, 1572, 1641 s.
Mem. des antiqu. "VIII 446 (Proc. v. Clermont-les-Moncomet bei Laon 1494),
Sorel p. 5 (Saint-Nicolas-d'Acy 1567). Auch die Fälle von Moisy 1313 (Agnel
p. 14, Sorel p. 4) und von Abbeville 1378 (Carpentier a. a. 0.) gehören wohl
hieher. ^) Ein Fall v. 1578 aus Gent bei Cannaert Bydragen tot de kennis
van het oude strafrecht in Vlanderen 3. Aufl. Gent 1835 S. VII. Dass neben dem
Unterbailly ein Privatkläger aufgetreten sei, wie man nach Damhouder prax.
rer. crim. c. 145 § 6 erwarten sollte, wird nicht erwähnt. ^) Abele a. a. 0.
•«) S. die Processe von Moisy, Abbeville, Savigny, Clermont, Moyen-Moutier,
Viroflay in NN. 3 S. 550, 1 oben und den von Saint-Marcel-les-Jussey 1379 (Sorel
p. 10, 11). 5) Mem. des antiqu. VIII p. 442, 443, 445. Vgl. den Österreich. Fall
bei Abele a. a. 0. «) Fall von Charonne 1497 (Agnel p. 9 flg.), von Seves
1499 (Mem. des antiqu. VIII 435), von Beauvais um 1600 (S. 550 N. 3), von Viro-
flay 1641. ') H. Runge in den Mittheil, der antiqu. Gesellsch. in Zürich
XII (1859) S. 186. A. M angin L'Homme et la Bete 1872 nach einem Citat von
Sorel p. 3 N. 2. «) Runge muss den Malleolus, dessen tract. IE er viel-
leicht nur aus dem Gedächtnisse citirt, missverstanden haben. S. auch Osen-
brüggen Studien S. 147. — Etwas einem Bahrrecht gegen einen Widder Aehn-
liches führt J. Grimm RA. 931 aus der altfranzös. Erzählung Le sacristain an.
Vgl. auch v. F. Hagen Gesammtabenteuer III S. LVIII. Aber, wenn wir auch
davon absehen, dass wir hier ein Erzeugniss der Dichtung vor uns haben, der
ganze Hergang wird überhaupt nicht als ein processualer hingestellt.
552 A m i r a.
Kläger, so erkannte das UrtLeil regelmässig auf Tödtung des Thieres.
Die Todesart und selbst der Ritus ihres Vollzugs pflegte — wenigstens
in den romauisclien Rechtsgebieten — das Urtheil gleichfalls genau
zu bestimmen. Am meisten üblich war es, das Thier durch Hängen
zu tödten oder es zu erdrosseln und nachher aufzuhängen oder doch
zu schleifen i). Aber gegendenweise scheint man das Lebendigbe-
gi-aben^) oder das Steinigen^), das Verbrennen*) oder das Enthaupten^)
vorgezogen zu haben. Seit dem 17. Jahrh. kommt es ab, die Todesart
iin Urtheil zu bestimmen. Das Gericht überlässt ihre Auswahl dem
Gerichtsherrn oder dessen Vollzugsbeamten ß). Soweit die geordnete
Vollzugsform einen Spielraum dafür übrig Hess, bestimmte das Gerichts-
urtheil auch, was mit den üeberbleibseln des Thiers zu geschehen habe,
z. B. dass es auf den Schindanger zu bringen oder dass es zu verscharren
sei '). Eine Zwischenbildung zwischen den Todes artheilen des altern
und denen des Jüngern Stils haben wir in einem Genter Erkenntniss
von 1578 ^) vor uns, wonach eine Kuh zum Schlachten verkauft und
1) S. oben S. 550 N. 1, femer Beaumanoir c. 69 § 6, den in Themis VIII
B p. 57 citirten Ausspruch, von Jean Duret (auch bei S o r e 1 p. 2) und folgende
französische Fälle: 1313 Moisy-le-Teuiple (Agnel p. 14, Sorel p. 3 f.), 1322
unbekannten Ortes (Carpeutier), 1323 und 1378 Abbeville (bei dems.), 1386
Falaise (Sorel p. 7, 8), 1394 Mortaing (Mem des antiqu. VIII 427, 439), 1403
Meulan (ib. 433), 1405 Gisors (ib. 427 f.), 1408 (Vaudreuil (ib. 440), 1414 und
1418 Abbeville (Agnel p. 8), gegen 1456 Burgund (Mem. des antiqu. VIII 422),
1457 Savigny-sur-Etang (ib. 442—44 unter Berufung auf l'usence et coustume du
pais de Bourgoigne), 1473 Beaune (Agnel p. 9), 1479 und 1490 Abbeville
(ib. 13, 9), 1494 aermont-les-Montcornet (Mem. des antiqu. VIII 446), 1499 Beaupre
und Seves (ib. 428 f., 434 f.), 15. Jahrh. Chateaudun (ib. 434) u. Boubers (Bouthors
p. 387), 1540 Dijon (ib. 429, 449), 1567 Saint-Nicolas bei Senlis (Sorel p. 5), 1572
Moyen-Moutier (S. 550 Note 3), 1585 Saint-Omer (Dumeril p. 9), 1641 Viroflay
(C a r p e n t i e r). Auch in Deutschland scheint man den Strang als das nächstliegende
Strafwerkzeug für Thiere betrachtet zu haben, Zschr. f. deut. Kulturgesch. I 156
(Fall von Scbweinfurt 1576). ^) Zu Amiens 1463 und zu S. Quentin 1556
(Sorel p. 9). 3) Corp. jur. Sueogotoruoa ant. XII p. 409). *) 1268 zu
Fontenay-aux-Roses bei Paris (Carpeutier a. a. 0.), 1356 zu Caen (Delisle
Etudes sur la condition de la classe agricole etc. p. 107). S. ferner den Fall aus
Finistere bei Eu. Rolland Faune populaire de la France IV p. 116 flg. und
die Bestimmung in Corp. jur. Sueogotorum ant. XII p. 409). *) Laudum von
Vallesella 1565 bei Pertile Storia del diritto V 643. ") 1576 zu Schwein-
fiirt (Zschr. f. deut. Kulturgesch. I 156), um 1600 zu Beauvais (Mornaciua a.a.O.),
1621 Machern bei Leipzig (Anz. f. Kunde der deut. Vorzeit 1880 Sp. 102). Vgl.
auch den Frankfurter Fall v. 1574 bei Lersner Der Stadt Frankf Chronica I
1706 S. 552, und die französ. Fälle von 1793 und 1845 bei Sorel p. 16 flg.
') 1621 Machern (s. vor. N.), 1641 Viroflay (Carpentier). ») Cannaert
oben N. 2 S. 551. Vgl. damit das theilweise analoge Verfahren in dem Fall von
S. 557 Note 1.
Thierstrafen und Thierprocesse. 553
ihr Kopf auf eineu Pfahl am Galgeiiplatz gesteckt werden sollte, —
eine rationalistische Abbreviatur des alten Enthauptens. Dass die
Justification dem Thier nicht an's Leben, sondern nur an den Leib
gehen soll, ist sehr selten, bis jetzt nur auf Sardinien nachgewiesen,
wo die Carta de Logu von 1395 für gewisse Fälle das Ohrenabschneiden
vorgeschrieben hat ^). Eher findet sich, dass man Talionshalber eine
Verstümmelung der Tödtung vorangehen Hess ^). Ganz vereinzelt und
überhaupt nicht verlässig beglaubigt ist, dass im 17. Jahrh. in Oester-
reich ein Hund zu zeitiger Gefängnisshaft verurtheilt worden sein
soll "^). Von derlei aussergewöhnlichen Akten der Kechtspflege werden
unsere Betrachtungen vorläufig absehen dürfen.
Dass diejenigen Gerichtsurtheile, welche nicht nur auf Tödtung
des Thieres überhaupt erkannten, sondern auch die Todesart bestimmten,
Strafurtheile, und zwar gegen das Thier, sein wollten, kann
nicht bezweifelt werden. Unmittelbar gesagt wird es uns insbesondere
in den französischen Quellen. Schon im 13. Jahrhundert vertreten
diese die Auflassung, dass es sich um ein faire justice des bestes, um
ein mettre ä mort en maniere de justice handle. Und gerade hievon
geht Beaumanoir au«, indem er, das Justificiren der Thiere be-
kämpfend, als entscheidenden Grund dagegen anführt, dass ein Thier
für die Strafe kein Verständniss habe ^). In spätem, aber unabgeleiteten
Texten findet sich die nämliche oder eine gleichwerthige Ausdrucks-
weise 5) , und sie sagen auch , dass das Thier selbst „verurtheilt"
werde ß). Das Thier wurde demnach als Verbrecher angesehen. Es
wurde ihm ein verbrecherischer Wille zugeschrieben. En detestation
et horreur dudit cas (1494) oder pour la cruaute et ferocite' commise
(1567) verurtheilt das Gericht einen solchen Uebelthäter. Und es sind
graduirte oder doch geschulte Juristen, die derartige Erkenntnisse
fällen '). Hatte der beklagie Eigenthümer das Thier preisgegeben, so
1) Ueber die carta de logu Agnel p. 17, Pertile Atti p. 148. '■') Zu
Falaise 1386: dem Schwein, welches das Gesicht und die Arme eines Kindes
zerfleischt hatte, werden der Rüssel und ein Bein abgeschnitten (Mem. des antiqu.
VIII p. 427, Sorel p. 7). Nicht bisher gehört der von Pertile Atti p. 147
citirte Fall von Montpellier 1565 (Mem. des antiqu. VIII 429), wo der Henker
das Thier nur darum verstümmelte , um es widerstandsunfähig zu machen.
3) Ab ele a. a. 0. ■•) Beaumanoir cap, 69 § 6. *) Coustumes de Bourgoigne
oben S. 550 Note 1 (en faire justice). S. Marcel-les-Jussey 1379 : en faisant justice
(Sorel p. 11). Mem des antiqu. VIII p. 433 u. Bouthors p. 387: faire justice
(1403 Meulau u. Boubers 1507), Mem. p. 435 : execute par justice (1499 Seves), p. 442 :
mise ä justice et au dernier supplice (1457 Savigny). *■') »condamne*: Mem.
des antiqu. VIII p. 439 (Mortaing 1394), 440 (Pont-de-Larche 1408), 433 (Seves
1499), Lionnois Hist. de Nancy II p. 375 (Moyen-Moutier 1572). ">) Mem.
des antiqu. VIII 446. Sorel p. 5.
554 A m i r a.
sprach ein ^enau abgefasstes Urtlieil dessen Confiscation aus i). Und
der Gedanke einer wenigsten tlieilweisen Confiscation lebte auch dann
noch fort, als das Urtheil auf Schlachtung und Verkauf lautete. Das
schon angeführte Genter Urtheil von 1578 mll, dass der Erlös zur
einen Hälfte dem Verletzten, zur andern der Stadtkammer — allerdings
zum Vortheil der Armen — zufallen solle.
Dem Inhalt des Strafurtheils entsprach durchaus der Vollzug.
Dieser geschah öffentlich, z. B. in Abbeville 1323 unter dem Geläute
aller Glocken. Stets ist es der Diener der öffentlichen Gewalt, der
Nach- oder Scharfrichter, dem der Vollzug übertragen wird. Man
lässt ihn zu diesem Zwecke nöthigenfalls aus entfernten Orten herbei-
reisen und seine Rechnungen und Quittungen gehören zu unserem
wichtigsten Quellenvorrath über die Thierstrafen. Oftmals hat er das
Thier wie einen missethätigen Menschen zur Richtstatt zu schleifen.
Diese selbst ist der gesetzliche Hinrichtungsort. Hatte das Urtheil
auf Hängen gelautet, so geschieht dies am Baum oder am Galgen.
Ein Wandbild in der Kirche Sainte-Trinite zu Falaise zeigt das Thier
sogar mit Menschenkleidern angethan ■'^). Auch darauf, dass durch den
Strafvollzug nicht der Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit in seinen
Rechten gekränkt werde, hatte man sorgsam zu achten. In dieser
Hinsicht hat das Verfahren mehrmals zu Beschwerden und Streitig-
keiten Anlass gegeben 3). Noch 1572 liefern, um dergleichen zu ver-
meiden, die von Moyen-Moutier ein dort zum Strang verurtheiltes
Schwein an den Probst von Saint-Diez als den vollzugsberechtigten
Herrn unter altherkömmlichen Formen aus, indem sie das Thier bis
zum Steinkreuz le Tembroux führen, wo der Probst, dreimal angerufen,
alle „Verbrecher" (criminelz) in Empfang zu nehmen hat*).
Zu eben dieser Zeit fing aber eine andere Aufiassung der Thier-
strafe an sich geltend zu machen. Jean Duret^) legt 1573 der
Tödtung des schädlichen Thiers den Zweck unter, dass das Gedächt-
niss der üebelthat ausgetilgt werden solle. BoucheH) führt Nütz-
lichkeitsgründe an: die Eigenthümer von Thieren sollen zur Wach-
samkeit angetrieben werden ; auch sollen die Menschen vor Uebelthaten
zurückschrecken, wenn sie dicaelben am Thier geahndet sehen. Es ist
klar, dass wir es hier mit Umdeutungen zu thun haben, die der
Justificirung die Eigenschaft einer Strafe des Thiers nehmen und ihr
') Mem. dez antiqu. VIU 442 mit 445. -) Beschrieben von Liiugevin
bei öorel p. 7. S) 1314 zu MoisjMe-Temple (Agnel p. 14), 1378 zu Abbe-
ville (Carpentier s. v. homicida). ■•) Lionnois a. a. 0. ^) Wörtlich
citirt in Themis VIII B p. 57, bei Menabrea p. 520 und bei Sorel p. 2.
«) Wörtlich in Themis Vill B p. 58.
Thierstrafen und Tliierprocesse. 555
höchstens die einer Strafe für den Eigenthümer lassen. Auf diesem
Wege suchte man den Ausgleich zwischen dem hergebrachten Recht
und seinen wissenschaftlichen Gegnern, deren vornehmste Vertreter im
16. Jahrhundert Julius Clarus und im 17. Antonius Matthaeus waren.
Auch die Praxis lenkte nun in jene Bahnen ein. Schon die Verur-
theilung des Schweines zu Moyen-Moutier (1572) gibt als ihre Absicht
an, die Wachsamkeit der Menschen anzuspornen. Auch das Urtheil
von Virofla}^ 1641 will den Eigenthümer treiffen: er soll der Execution
beiwohnen. Wollen diese Erkenntnisse immerhin noch das Ceremoniell
des Strafvollzugs mindestens theilweise gewahrt wissen, so nehmen
andere auch davon Umgang, denken sich vielmehr die Tödtung über-
haupt nicht als eine öffentlich zu vollziehende Strafe i). Dem Anschein
nach nicht ganz unabhängig von diesem Wandel in der Natur der
Todesurtheile über Thiere war die Verfallung des Eigenthümers in eine
Geldbusse oder seine Verurtheilung zu einer Betfahrt, wie wir sie seit
dem Ausgang des Mittelalters mehrmals beobachten können (oben
S. 551 No. 6). Es ist bemerkenswerth, dass schon in einem der aller-
frühesten, wenn nicht dem frühesten Falle dieser Art auch die Todes-
strafe in der Form ihres vom Gericht angeordneten Vollzugs gänzlich
entstellt ist 2). Wenn später einmal berichtet wird, man habe inspecta
accusati innocentia denselben zu einer Geldbusse verurtheilt ^), so will
damit nicht Fahrlässigkeit in Abrede gestellt, sondern nur gesagt sein,
der Eigenthümer habe sich keiner Arglist schuldig gemacht und sei
daher nicht peinlich bestraft worden. Wir werden also annehmen
dürfen, dass die zuletzt besprochene Praxis nicht mehr das schaden-
stiftende Thier, sondern dessen Herrn als den eigentlichen Schuldigen
ansieht.
Weder genetisch noch constructiv dürfen mit den Thierstrafen die
von jeher polizeilichen Akte der weltlichen Obrigkeit zusammen-
gestellt werden, welche in gewissen Fällen auf die'Beseitigung eines Thiers
abzielten. Zu einer Justification werden derartige Akte selbst dann
nicht, wenn die Obrigkeit auf Grund eines Gerichtsurtheils so vorgeht
0 »citra exemplum ullum publicum*, Mornacius a. a. 0. — Vgl. auch
die Fälle von Schweinfurt 1576, von Machein 1621 (oben S. 552 N. 6). In den
Leipziger Erkenntnissen von 1626 und 1639 bei Carpzov Practica qu. 131
num. 22, 25 erscheint das »Abthun* nur noch als Massregel der Präventiv-
Polizei. Unter den nämlichen Gesichtspunkt gehören vielleicht auch schon die
Frankfurter Fälle bei Lersner Chronica I S. 531, 552 (a. 1552, 1574). '') 1497
Charonne (A g n e 1 p. 9 flg.) : das verurtheilte Schwein soll geschlachtet und zer-
stückt vor die Hunde geworfen werden. ■'') Mornacius a. a. ü. Die Busse
wurde »eleemosynae nomine« auferlegt. Ueber aumosne s. Dict. univ. I 1765 0. v.
556 A m i r a.
und wenn sie dabei ein bestimmtes, vielleicht sogar gesetzliches
Ceremoniell beobachtet, welches der Tödtung das Aussehen einer
öffentlichen Strafe verleihen kann. Manche Schriftsteller i) betrachten
es als eine Hinrichtung, wenn ein Thier, das einem Menschen als
Werkzeug zum Verbrechen der Bestialität gedient hatte, zusammen
mit dem Missethäter oder ohne denselben in ebenso feierlicher als
gesetzlicher Furm zum Tode gebracht wurde. Es war dies ein Brauch,
der sich während des Mittelalters beinahe ül)er alle Hauptländer des
christlichen Europa verbreitet hat und selbst noch von Strafgesetzen
des vorigen Jahrhunderts, wie z. B. der Theresianischen Constitutio
criminalis von 1769 festgehalten wurde. Keinem Zweifel nun unter-
liegt, dass er auf ein Stück Mosaischen Eechts zurückgeht, welches
im Abendland recipirt worden ist ^). Ebensowenig wird man bezweifeln
dürfen, dass die Reception im Sinne der Kirche erfolgt ist, deren Ein-
liuss ^) sie bewirkt hat. Die Kirche aber betrachtete die Tödtung des
missbrauchten Thiers ausschliesslich unter dem sitten- und kultpolizei-
lichen Gesichtspunkt : die Erinnerung an die Missethat sollte gelöscht ^),
das Unreine dem Gebrauch und Genuss der Christen entzogen wer-
den ^). Solche polizeiliche Gesichtspunkte waren denn auch massgebend,
wenn in Frankreich die Aktenstücke des Bestialitäts-Processes mit dem
Thier verbrannt wurden ß), wenn ein norwegisches Kechtsbuch nicht nur
die Tödtung des Thieres gebietet, sondern auch dessen Nutzung ver-
bietet''), wenn endlich dieselbe Quelle und schwedische Gesetze die Tödtung
durch den Thiereigner vornehmen lassen '^). Da das mosaische Recht
gebot, das missbrauchte Thier solle mit dem Missethäter umgebracht
werden, so ergab sich ein öffentliches Verfahren in gesetzlicher Form
von selbst, wofern man das alttestamentliche Princip nur vollständig
durchführte. Dass nachmals in einzelnen Fällen der Grund dieses Ver-
0 Z. ß. Menabrea p. 521, Seifart p. 429, Sorel p. 12, GeiL Lelirb.
d. deut. Strafr. II (1862) S. lf)8. 2) Mehr oder weniger deutlichen Bezug auf
die Quelle (Levit. XX 15, 16) nehmen: J-llfred Einleit. c. 13 (bei Schmid
(iesetze der Angela. S. 63), Westerlauw. Sendr. § 17 (bei Richthofen Fries.
Rechtsqu. S. 409). ^) Ihm entspricht es, dass die skandinav. Rechts- und
Gesetzbücher die einschlägigen Bestimmungen in ihre kirchenrechtlichen Ab-
schnitte stellen: Gulal^b. 30 (= Sven-, kr. 80), Uplands 1. kb. 15 § 8, Westmanna
1. I kb. 10, II 23, Södermanna 1. kb. 15 § 1. -i) Augustinus Quaest. sup.
Lev. in c. 72 (übergegangen in c. 4 ('. XV qu. 1). Darnach das Dictum Gratiani
zu c. 3 C. XV qu. 1. ^) Darum nicht bloss Tödtung, sondern auch Uebergabe
an die Hunde: Waeserschleben Bussordnungen S. 150, 175, 212, 376, 405,
467, 534, 543, 603. ß) Bcrriat-Saint-Prix Mom. des antiqu. VIII p. 425.
Mc'nal)rt"a p. 522. Sorel p. 13. ') Gulal^b. a. a. 0. «) Gulal)b. Uplands I.,
W'estmannal. a. a. 0.
Thierstrafen und Thierprocesse. 557
fahrens verkannt und auch in Abwesenheit des schuldigen Menschen
noch ein öjBFentlicher Eitus der Thiertödtung beobachtet wurde 1),
konnte den missverstandenen Kechtssatz selbst seines polizeilichen
Charakters nicht entkleiden. — - Eine ganz ähnliche Erscheinunsr wie
die soeben abgehandelte, — nur dass sie nicht auf Eeception eines
fremdrechtlichen Satzes beruht, — haben wir vor uns, wenn ger-
manische Kechte und deren Tochterrechte die Tödtung von Thieren
vorschreiben, welche bei einer Notnunft gebraucht worden sind. Aller-
dings ist in einigen Gegenden auch beim Vollzug dieser Bestimmung
ein Kitus aufgekommen, in Ostfalen 2) z. B. das Enthaupten. Mit einer
Strafe 3) hat dies nicht mehr und nicht weniger zu thun als das Ein-
reissen des Gebäues und Umbringen von Allem Lebendigen darin
wegen der dort verübten Notnunft. Vielmehr handelt es sich das eine
wie das andere Mal nur um Analogie desjenigen Theiles des Acht-
verfahrens, welchen man nach niederländischer Terminologie die
„Wüstung" genannt hat ^). In allen diesen Fällen ist der Zweck ein
polizeilicher. Bei der Wüstung wird die Acht dazu benützt, „die Spur
imd das Andenken" des Misse thät er s zu vertilgen^), und darum
wird dessen Gut gewüstet; das Verfahren wegen Notnunft will die
Spur uud das Andenken der Misse that vertilgen, und darum wüstet
es deren Werkzeug, das nicht allemal des Missethäters Gut zu
sein braucht, wie es auch den Schauplatz wüstet. Cultpolizeilich
ist der Zweck, und darum kann wiederum nicht von Strafe gesprochen
werden, wenn kirchliche Rechtsdenkmäler die Tödtung von Bienen
verordnen, deren Stiche den Tod eines Menschen zur Folge gehabt
haben ^). Nicht etwa nach einem gerichtlichen Verfahren, sondern
0 Ein Beispiel bespricht Jul. Clarus Sentent, V qu. 99 § 8. ^) Ssp. III 1
§ 1 mit der altmärk. Glosse. Während Dsp. Landr. 197 den Ssp. verständnisslos
ausschreibt, hat der Swsp. (L.) Landr. 254 das Enthaupten auf die Strafe der
missethätigen Menschen beschränkt. — Vgl. femer das dedecorare nach englischem
Recht, Bracton ed. Twiss Vol. II p. 484. ^) Diesen Gesichtspunkt machen
Osenbrüggen Studien S. 143 flg., Gierke Humor S. 24 und Brunner
a. a. 0. S. 839, 842 geltend. *) Hierüber insbesondere Du Gange Gloss. s. v.
condemnare, Wilda Strafr. S. 293, Brunn er Deut. Rechtsgesch. I S. 169 flg. und
in Zschr. f. RGesch. XI (1890) S. 68 f. ^) Nur ein solcher polizeilicher Zweck der
Wüstung lässt sich nachweisen, nicht dagegen ein Cultzweck. ß) Wasser-
schieben Bussordnungen S. 176, 212, 316, 406, 467, 503, 603. Conc. Worm.
a. 868 (864) bei Hartzheim Conc. Germ. U. p. 318. — Friedberg Aus deut.
Bussbüchern (1868) S. 17 will auch hier wie in den Thierprocessen die Anerken-
nung einer »Thierseele« finden und stellt S. 50 — wie schon Seifart S. 428
gethan — die Vorschrift mit der in Exod. XXI 28, 29 zusammen. Auch von
altem Schriftstellern ist sie missverständlich für eine Strafsatzung gehalten wor-
den, wie z. B. von Bouchel (cit. in Themis VIII B p. 58).
558
A m i r a.
Mi,
unverzüglich soll man die Bienen umbringen, damit sie keinen Honig
melir bereiten und der schon bereitete genossen werden kann. Hieraus
ist ersichtlich, dass die Bienen als unrein nur um des Speisegesetzes
willen getödtet werden. — Ein sicherheitspolizeilicher Grund erklärt
die, zuweilen possenhaft und mit modernen Zuthaten wiedererzählte,
Geschichte von dem Hahn, der 1474 auf dem Kohlenberg zu Basel
verbrannt wurde, weil er ein Ei gelegt haben sollte. Fast alle neueren
Schriftsteller, die davon sprechen, meinen, es liege da ein besonders
drastischer Fall der Thierhinrichtung vor, und sie scheinen nur darüber
uneinio-, ob man das bestrafte Verbrechen als Hexerei oder als Ketzerei
beurtheilt habe ^). Aber die Sache verhielt sich viel einfacher. Nach
dem Volksglauben des Mittelalters, ja sogar noch der Neuzeit wird das
gefürchtete Basiliskenei von einem Hahn gelegt -). Ein so gefährhcher
Hahn muss eben so wie das Ei aus dem Weg geräumt werden. Den
besten Dienst thut natürlich das Feuer. Der Baseler Vorgang steht
übrio-ens nicht vereinzelt. Aber in den andern Fällen scheint man
weniger ceremoniell zu Werk gegangen zu sein 3). Ein Seitenstück
zu diesem Volksglauben bezüglich des Hahnes ist der bezüglich der
Henne: kräht sie wie ein Hahn, so muss man sie unverzüglich
schlachten, widrigenfalls man Unheil befährt ^). Auch das Umbringen,
insbesondere das Verbrennen von Kröten, die als Zaubermittel dienen ^),
und das von behexten Bossen oder Hunden ß) gehört in diesen Zu-
sammenhang. — Eine Massregel der Sicherheitspolizei gegen das schäd-
liche Thier und ein Strafakt gegen seinen Herrn zugleich ist es, wenn
nach dem kymrischen Recht in Wales ein Hund, der zum dritten Mal
einen Menschen gebissen, mit einer Leine von zwei Handbreiten Länge
an die Füsse seines Herrn gebunden umgebracht wird ^). — Eine
•) Berriat-Saint-Prix (immerhin vorsichtiger als die Andern) Mem.
des antiqu. VIII 428, Agnel p. 20 (und nach diesem) Sorel p. 15, Louandre
in Rev. des deux Mondes 1854 I p. 334, Dumeril p. 9, Osenbrüggen S. 147
(doch anders S. 406, wo auch hervorgehoben ist, dass der Hergang mit dem
Kohlenberger Gericht nichts zu schaffen hat), Pertile Atti p. 148. Am meisten
entstellt ist der Bericht in La Tradition 1888 p. 363. -) Rolland Faune
populaire VI p. 85, 89—91, III p. 41 f. Rochholz Alam. Kinderlied S. 232,
Strackerjan Aberglaube und Sagen aus Oldenburg II (1867) S. 97. Kristen-
sen Jyske Folkesagn 1876 No. 113. ^) Rutishauser Vierundzwauzig
"Wochen im Gebirge, Luzern 1880 S. 119 f. (Fall aus dem Prätigau v. 1730).
Roch holz Alemann. Kinderlied S. 232. •») Rolland a. a. 0. VI p. 84— 86.
Gubernatis D. Thiere i. d. Mythol. S. 556. Tödtung des Hahnes wegen unheil-
vollen Krähens, Rolland VI p. 87. ») Rolland V p. 98, UI p. 49, 50.
8) Voltaire Siäcle de Louis XIV eh. 1 g. E. Louandre a. a. 0. 334.
'') Ancient Laws and Institutes of Wales (ed. Owen 1841 fol.) p. 245, 357,
799, 844.
Thierstrafen und Thierprocesse. 559
Massregel der Wirthsehaftspolizei endlich, ist es, wenn Markgenossen
ein Thier, das oft zu Schaden gegangen, aus ihrer Mark ausweisen ^).
Jetzt erst, nachdem wir von den öffentlichen Thierstrafen mittel-
alterlichen Charakters, die zwar äusserlich ihnen gleichenden, innerlich
aber von ihnen verschiedenen Vorkommnisse gesondert haben, wird es
möglich, die Zeit und das Verbreitungsgebiet der ersteren annähernd
zu begrenzen. Zuerst nachweisbar sind sie im 13. Jahrhundert und
zwar in Frankreich (S. 552 N. 1, 4). Gegen das Ende des 14. Jahr-
hunderts treffen wir sie in sehr eigenthümlicher Anwendung auf Sar-
dinien (N. 1 S. 553), wieder ungefähr ein Jahrhundert später zum
ersten Mal in Flandern ^) seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
in den Niederlanden 3), in Deutschland*), Italien (s. Note 5 S. 552),
Schweden (N. 3 S. 552). Wieder zwei Jahrhunderte später stossen
wir auf die erste Spur in England ^). Wie aber die frühesten, so ge-
hören auch weitaus die meisten nachweisbaren Einzelnfälle Frankreich
an. Während z. B. auf Deutschland ausser Holland und Flandern nur
3 — 4, auf Flandern und Holland nur 5, auf England kaum 2 *^) treffen,
ist Frankreich mit ungefähr drei Dutzenden betheiligt. Diese haben
ihre Heimat vornehmlich in den altburgundischen Gebieten, dann im
mittleren und nördlichen Frankreich. Zu Abbeville allein sind 1323 —
1490 mindestens 6 Todesurtheile an Thieren vollzogen worden. Frank-
reich gehört auch zu denjenigen Ländern, wo der Kechtsbrauch am
zähesten an der Verurtheilung und Bestrafung von Thieren festgehalten
hat, obgleich gerade dort und zwar schon 1283 der erste literarische
Gegner jenes Brauches, nämlich Philippe von Beaumanoir auf-
getreten ist (s. N. 4 S. 553). Ausser der Statistik, die ja für sich
') Vgl. dagegen Gierke Humor S. 25 N. 66. ^) Ein Todesurtlieil
V. 1488 erwähnt Jets over het oude Strafregt in Belgie (Brüss.) 1826 S. 89
(daraus Notiz im N. Arch. des Criminalr. 1829 S. 173). Eine Execution von
1486 bei Noordewier Nederduit. Regtsoudheden S. 300. Aeltere Fälle kennt
Noordewier überhaupt nicht. Einen von 1578 s. oben S. 551 in Note 2. ^} Fälle
von. 1571 und 1595 aus Middelburg und Leiden bei Noordewier a. a. 0. Der
erstere genauer bei De Wind Byzonderheden uit de geschiedeniss van het Straf-
regt in de Nederlanden Middelb. 1827 S. 36 (darnach N. Arch. S. 172).
*) Zu Frankfurt 1574 bei Lersner. Der Stadt Frankf. Chronica I 552. "Vgl.
auch den Schweinhirter Fall von 1576 oben S. 552 Note 1 a. E. ^) Angeblich
1771 in der Nähe von Chichester ein Hund verurtheilt. Davon soll handeln die
mir nicht zugängliche, selbst im brittischen Museum vergebens gesuchte Flug-
schrift: A report of the case of farmer Carters dog Porter. ") Der zweite
Fall (s. vor. Note) wäre der von Osenbrüggen nach der Allg. deut. Straf-
rechtszeitg. 1861 Sp. 32 angeführte. Es ist jedoch sehr zweifelhaft, ob er ein
rechtliches Verfahren betrifft.
560 A m i r a.
allein in diesen Dingen nicht viel beAveisen würde, deuten noch andere
Anzeichen darauf, dass ausserhalb Frankreichs diese Art Strafrechts-
pflege sehr viel seltener war. Criminalisten wie der Italiener Julius
Clarus (1525 — 1575) und der Niederländer Antonius Matthaeus
(1644) kennen aus ihrer eigenen Erfahrung keinen Anwendungsfall.
Die ihrer Zeit naheliegende Praxis wissen sie nur aus französischen
Schriftstellern zu belegen ^). Der Flanderer Jodocus Damhouder
(1507 — 1581), der doch zu einer Zeit schrieb, als in seiner Heimat
das Thierstrafrecht noch nicht ganz erloschen war, schweigt von
eigentlichen Thierstrafen gänzlich, wiewohl er das flandrische Parti-
cularrecht fleissig berücksichtigt^). Auch in Spanien, dem wegen
seiner Nachbarschaft zu Fi-ankreich und wegen seiner alsbald zu er-
wähnenden Beziehungen zur Thierexcommunication besondere Wichtig-
keit beizumessen ist, waren weltliche Thierstrafen dem Anschein nach
unerhört. Sein bedeutendster Jurist im 16. Jahrhundert Didacus
Covaruvias ist nur durch ausländische Scliriftsteller über sie unter-
richtet und stellt jede verwandte spanische Praxis in Abrede 3). Zu
einer Schlussfolgerung bezüglich der Herkunft des Thierstrafrechts
reichen diese Umstände allerdings nicht aus. Es Hesse sich denken,
dass in den Ländern ausserhalb Frankreichs die wissenschaftHche
Opposition gegen die Bestrafung von Thieren nur früher den Sieg
errungen habe als in Frankreich. Zu Gunsten einer solchen Annahme
würde sprechen, dass spätestens seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts
jeglicher Nachweis für die Fortdauer jener Praxis ausserhalb Frank-
reichs und Englands fehlt ^), während die beiden letzten französischen
Fälle 1793 und 1845 vorgekommen sind ^).
In allen Stücken von dem bisher geschilderten Verfahren gegen
Thiere verschieden ist dasjenige, welches sich — soweit unmittelbar
ersichtlich — zuerst auf kirchlichem Boden entwickelt hat. Nie-
mals fand es gegen Hausthiere und niemals fand es gegen bestimmte
einzelne Thiere statt ß). Gewöhnlich vielmehr kehrte es sich gegen
') Jul. Clarus Sent. V qu. 99 § 8. Ant. Matthaeus Comment. . de
crim. proleg. c. II § 1. *) Prax. rer. crim. cap. 142 (de damno pecuario).
Nicht hieher gehört nach dem S. 55ß Ausgeführten cap. 96 de peccato contra
naturam §§ 14, 15. ^) Var. Resol. lib. II c. 8 § 1. ••) Der letzte sicher
beglaubigte Fall aus Deutschland ist der von Machern 1621 oben N. 6 S. 552.
Die Akten des Leipziger Spruchcollegs über diesen Fall konnten bis jetzt nicht
wieder aufgefunden werden. — In der Theorie wurde die Todesstrafe gegen Thiere
wegen Menschentödtung noch 1704 von Sam. Stryckius Us. mod. pand. ad
1. IX tit. 1 § 20 vertheidigt. '-) Sorel p. 16 flg. «) Das Verklagen einer
Ziege oder Kuh wegen Feldschadens ist nur ein humoristisches Motiv im französ.
Volksüed, Rolland Faune populaire V p. 208—211.
Thierstrafen und Thierprocesse. 561
Thiergattungen die im täglichen Leben als Ungeziefer angesehen wer-
den, wie Mäuse, Ratten, Maulwürfe, Insekten, Eaupen, Engerlinge,
Sehnecken, Blutegel, Schlangen, Kröten. In Canada wurde es allerdings
auch gegen wilde Tauben, in Südfrankreich schon viel früher gegen
Störche, in Deutschland gegen Sperlinge, am Genfersee gegen Aale
für anwendbar gehalten, welche gemeinschädlich geworden waren.
Stets waren es ungezählte Mengen, die man so verfolgen zu können
meinte. Es war auch nicht sowohl ein von ihnen angerichteter Scha-
den, den man dm-ch die Verfolgung zu vergelten, als ein befürchteter,
den man abzuwenden trachtete. Das Verfahren war also kein vindi-
catives oder repressives, sondern ein prohibitives oder präventives ^).
Nutzungen von Grund und Boden, allenfalls von Gewässern, wollte
man gegen Verwüstungen durch die in grossen Schaaren auftretenden
Thiere sichern, indem man diese zu vertreiben suchte. Nur ausnahms-
weise handelte es sich um Abwehr anderer Belästigungen. Für das
zu solchen Zwecken geeignete Mittel erachtete man die kirchliche
maledictio oder aber die excommunicatio in der Form des Anathems.
Von Excommunication ist schon im 12. Jahrhundert die Rede -) und
später lassen sich bis in die Neuzeit herein auch viele Einzelfälle mit
Sicherheit nachweisen, wo man von ihr den erwähnten Gebrauch ge-
macht hat 3). Andererseits aber ist zu beachten, dass man sich, und
zwar öfter im Mittelalter als in der neuern Zeit, mit einer blossen
Malediction begnügte, welche schriftlich vom Ordinarius der Diöcese
') »citatio . . fit ad finem . . . ut mala futura evitentur*: Chasseneus
Consilia (Lugd. 1592) I, pars I § 1 ; »anathematizatio seu maledictio contra ista
animalia fit ratione delicti consummandi (ut evitetur)* : ibid. pars V § 107.
^) 1120 angebliche Excommunication zu Laon (Mem. des antiqu. VIII p. 427).
1121 Excommunication von Mücken zu Foigny in derselben Diöcese, Vita s. Bern-
hardi I num. 58 (Acta SS. Aug. IV p. 272). ^) 1338 zu Kaltem (Zschr. f.
deut. Kulturgesch. II 1857 S. 544 u. Germania, Zschr. f. deut. Alterth. IV S. 383),
1481 in der Diöcese Mäcon (die Sentenz bei Chasseneus Cons. Fol. 19^ — 20*'),
um 1500 Lyon (Sentenz ebenda Fol. 18»— 19»), um 1509 Androhung der Ex-
communication zu Lausanne (Formular in Memoires et documents publ. par la
soc. de la Suisse Romande t. VII No. 97 p. 675—677), 1500—1586 in Spanien
(Azpilcueta Consilia et resp. Lugd. 1591 pag. 588, willkürliche Verdächtigung
dieser Nachricht bei Theoph. Raynaud Opusc. moral. 1665 p. 582), gegen 1534
Evora (Verbot der Excomm. durch den Erzbischof, Zschr. f. rom. Philol. V 1881
S. 417), gegen 1700 Canada (Mem. des antiqu. VIII p. 431), 1713 Piedade no
Maranhao (Agnel p. 45), 18. Jahrh. Peru (Agnel p. 46). — Die Excommuni-
cation wurde ferner verlangt 1543 zu Grenoble (Themis I p. 197), 1585 zu Valence
(Chorier, mitgetheilt in Themis I p. 196), 1587 zu Saint-Jean-de Maurienne
(Akten bei Menabr^a p. 546, 549 flg.), 1710 zu Autun (Sorel p. 23), 1731
zu Thonon (Menabrea p. 508).
Mittheilungen XII. 35
562^ A m i r a.
verfügt und mündlich, nach bestimmtem Kitual vom Pfarrer vorge-
nommen wurde. Die Praxis einzelner Diöcesen, wie z. B. Lausanne,
kannte bis zum Ausgang des Mittelalters überhaupt nur solche Male-
dictionen ^). Als Mittelglieder zwischen den Excommunications- Sen-
tenzen und den Verfügungen, welche die Malediction anordnen, stellen
sich jene Erlasse von Kirchenbehörden dar, welche gegen die Thiere
die Malediction und das Anathem aussprechen, ohne sich des Ausdrucks
excommunicatio zu bedienen 2). Es muss nämlich bezweifelt werden,
ob unter dem Anathem dieser Erlasse von jeher die Excommunication
verstanden worden ist. Selbst in einer Excommuuicationssentenz be-
deutet Anathem nicht die Excommunication selbst, soudern die damit
verbundene Malediction oder Exsecration, wesswegen Anathem im
weitern Sinne nm* die sog. excommunicatio major heissen kann, so-
ferne nämlich diese eine Malediction oder Exsecration enthält ^).
Ecclesia maledicit anathemizando , sagt Leonardus de Utino*).
Wesentlich nur Exsecration scheint denn auch in jenen Sentenzen
gegen Thiere das Anathem — mindestens anfänglich — gewesen zu
sein — gerade so, wie das über ein Götzenbild ausgesprochene Ana-
them eine Exsecration war ^). Und lediglich weil einmal für die grosse
Excommunication der Name des Anathems üblich geworden war, hat
man unter fehlerhafter Umkehrung des Begrifisverhältnisses das hier
•)Fel. Malleolus (Hemmerli) tract. I de exorcismis (iu Tom. sec.
Malleorum quorundam maleficarum, Francof. 1582 p. 385) tract. II (ibid. p. 417 flg.
409—412, wo das Maledictionsritual). Ein Fall von 1451 ibid. p. 413, ein anderer
von 1478 (nach den Berner Chronisten) bei Hottinger Hist, eccl. IV (1657)
p. 317—321, femer in Biblioth. für die peinl. Rechtswissensch. v. Grolmann I
1798 S. 395 flg. und in Scheible's Kloster XII S. 945. Wegen der spätem Praxis
in Lausanne s. das in N. 3 S. 561 citirte Formular. — "Wunderliche Missverständ-
nisse der Nachrichten des Malleolus finden sich bei A g n e 1 (p. 29 flg.), der hier
allerdings theilweise den Berriat-Saint-Prix ausschreibt. Schon der letztere
hat den Malleolus missverstanden (Mem. des antiqu. VIII 423), indem er
dessen Angaben auf eine Excommunication bezog. Von ihm wohl ist auch S 0 r e 1
beeinflusst, der p. 19 die Adjurationsformel bei Malleolus für eine Excommuni-
cationsformel erklärt. ^) 1488 Autun (vollständig bei Chasseneus a. a. 0.
fol. 19a— 19b), 1516 Troyes (vollständig bei Raynaud Opusc. moral. 1665 p. 480),
1500—1530 zwei Sentenzen aus Autun (vollständ. bei Chasseneus fol. 17*>— 18»),
1554 Langres (nach Desnoyer cit. in Revue des quest. hist. V 1868 p. 278). Nach
der Urkunde bei Raynaud construirt ist das Formular einer solchen Sentenz bei
Gasp. Bailly Trait^ des Monitoires 1668 (vollständ. mitgetheilt von Menabrea
p. 542 flg.). Vgl. auch den Antrag derer von Beauue bei Chasseneus fol. 1*.
ä) Vgl. Du Gange Gloss. s. v. Anathema No. 2 und Hinschius Kircheur. IV
S. 702 J^ote 7 und S. 800 flg. *) Sermo 29 (De peccato blasfemiae) g. E.
«■) Adam. Brem. II 60.
TKierstrafen und Thierprocesse. 563
in Eede stehende Anatliem für eine Excommunication gehalten oder
doch so benannt. Sehr deutlich lässt sich dies an einer Lyoner Sen-
tenz 1) beobachten, welche die von dem Lausanner Bischof Wilhelm
V. Escublens (1221 — 1229) über die Aale im Genfersee verhängte Male-
diction frischweg eine Excommunication nennt. Schon von hier aus
ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Thierexcommunication erst
eine jüngere Entwicklungsstufe der Thiermalediction sei. Zum näm-
lichen Ergebniss führt die Beobachtung, dass das Mittelalter auch eine
„ Excommunication " von Pflanzen und leblosen Sachen kennt ^). Dass
damit ursprünglich nichts anderes gemeint war als mit dem Anathem
über leblose Gegenstände, und dass erst nachträglich die Theologie,
eine Abart der echten Excommunication, eine ,excommunicatio simili-
tudinaria' daraus gemacht hat ^), werden wir ohueweiters annehmen
dürfen. Demnach besteht die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, dass
noch im Frühmittelalter auch die Excommunication von Thieren über-
haupt nur die Bedeutung einer Malediction und Exsecration gehabt
habe. Diese Wahrscheinlichkeit wird durch die Berichte verstärkt,
wonach die Excommunication über Thiere wie über andere Sachen
durchaus formlos und durch Leute verhängt werden konnte, die zm-
echten Excommunication die erforderliche Gerichtsbarkeit nicht be-
sassen^). Derselbe populäre Sprachgebrauch macht auch die Excom-
munication von Thieren verständlich, welche noch im 16. Jahrhundert
das Landvolk einem von ihm erwählten ,adjurator' übertrugt). Hiezu
stimmt es nun vollkommen, dass die förmlichen Excommunications-
sentenzen, wie sie durch die zuständigen Kirchenbehörden erlassen
worden sind, und der klassische Schriftsteller, den das 16. Jahrhundert
über die Frage der Thierexcommunication aufzuweisen hat, Barth.
Chasseneus (1480 — 1542), sich stets mehr mit der Malediction und
dem Anathem als mit der Excommunication befassen. Sie stützen
sich auf Argumente, welche zwar die Malediction und das Anathem,
nicht aber die eigentliche Excommunication rechtfertigen können. Sie
') Bei Chasseneus fol. IS^, hiemach Chasseneus selbst pars V § 121,
dem wieder Raynaud a. a. 0. p. 482 und V e r n e t in Themis VIII p. 52 folgen.
Die Quelle ist der seit 1497 gedruckte Malleolus tract. I (p. 385) und II
(p. 417 flg.), der niur von Malediction weiss. Dasselbe Missverständniss auch bei
Delrio Disquis. magic. III 2 pars 4 sec. 8. 2) Chasseneus pars V § 120
(^ fol. 18^), 122, Raynaud p. 483. Maledictionen weist nach Jac. Gretser
De maledictionibus c. 8, 9. Dazu vgl. auch noch A. Dessaix L'excommuni-
cation des glaciers in Revue des tradit. pop. V 1890. ^) Die ausgebildete
Lehre bei Raynaud p. 481—483. ■») Beispiele bei Raynaud p. 482 flg.
Vgl. ebenda p. 396. ^) Leon. Vairus De fascino (Venet. 1589) p. 159.
35*
564 A m i r a.
ordnen Gebets- und Bussübungen au, welche die Zubehör der Male-
diction, nicht aber der Excommunication bilden. Dass diese Quellen
unter ihrer excomniunicatio die kanon i sehe Kirchen strafe verstehen,
wird sieh nicht leugnen lassen i), ebensowenig aber auch, dass die
kirchliche Praxis verschiedene Entwicklungsstufen beschritten hat,
deren unterste durch die blosse Maledictio gekennzeichnet ist. Im
Bisthum Lausanne kann diese Entwicklung sogar unmittelbar aus den
Quellen nachgewiesen werden (N. 1 S. 562).
Das Verfahren, welches zur Malediction bezw. zur Excommuni-
cation der Thiere führte, wird uns in den meisten einlässlicheren
Berichten, worunter auch officielle Aktenstücke, als ein processuales
geschildert. Seine merkwürdigste Eigenheit besteht darin, dass es die
Thiere als die verklagte Partei behandelt. Kläger sind die Besitzer
der gefährdeten Grundstücke, und zwar ist es gewöhnlich ihre ganze
Gemeinde, welche die Klage erhebt. Der Process pflegt in zwei Haupt-
abschnitte zu zerfallen, die allerdings nicht immer äusserlich scharf
von einander getrennt werden. Der erste Abschnitt oder das erste
Verfahren stellt sich als ein Streit über die Zulässigkeit einer Aus-
weisung der verklagten Partei dar. Wird dem Begehren der Klags-
partei stattgegeben, so kann bei der Ausweisung die Malediction bezw.
die Excommunication angedroht werden. Der zweite Abschnitt oder
das zweite Verfahren ist ein Streit über die Zulässigkeit der Male-
diction bezw. Excommunication wegen Ungehorsams gegen das
ausweisende Erkenntniss. Das urtheilende Gericht ist meist für beide
Processabschnitte das geistliche '^) , die bischöfliche Curie , in deren
Sprengel die Grundstücke der Kläger liegen, oder ihr Delegat 3). Die
Praktiker des 16. und 17. Jahrhunderts stellen dies als das Kegelmässige
dar^). Zuweilen jedoch spielt sich der erste Theil vor dem weltlichen
Gericht ab s), ohne dass gerade eine Justizverweigerung des geistlichen
^) Dies will D'Arbois de Jubainville in der Revue des quest. hist. V
p. 279. Aelmlich auch schon J. Eveillon (1651) (cit. bei Dumeril p. 12J
und Menabrea p. 401. !S. dagegen das besonders deutlich sprechende For-
mular von Lausanne (N. 3 S. 561). =*) So in den S. 561 N. 3, S. 562 N. 2 angeführten
Fällen aus den französischen und burgundischen Diöcesen, ausserdem in denen
von Nimes 1479 (C'arpentier in Du Gange Gl. s. v. excommunicatio), Lutry
1536 (Menabrea p. 505), Saint-Julien-de Maurienne 1545 und 1546 (Menabrea
p. 544, 545, 556). ^) Ein Commissorium v. 1451 bei Malleolus
tract. II p. 413. ■*) Chasseneus Cons. I. Gasp. Bailly Traite des
Monitoires (bei Menabrea p. 524- -543). ^) In den Diöcesen Chur und
Konstanz während des 15. Jahrhunderts (Malleolus tract. I de exorc. p. 386 11
p. 415 flg.), zu Glums 1519 f. (Urkunden in Scheible's Kloster XII S. 946— 948),
zu Bouranton 1733 (ürk. in La Tradition 1888 p. 363 flg.). S. auch den Process
Thierstrafen und Tbierprocesse. 565
Richters den Anlass dazu zu geben braucht i). In Gegenden, wo das
Verfahren nicht mit einer eigentlichen Excommunication, sondern nur
mit einer Malediction abschliesst, findet sich sogar der Brauch, dass
der ganze Process statt vor dem geistlichen Gericht vor einem vom
Volk gewählten Beschwörer verhandelt wird (N. 5 S. 563). Wird der
ganze Process vor dem geistlichen Gericht geführt, so können die
beiden Haupttheile in einander gezogen sein, indem mit dem moni-
torium, welches den Schluss des ersten Abschnittes bilden würde ^),
eine bedingte Malediction s- oder Excommunicationssentenz verbunden
wird 3). Andererseits unterbleibt öfters die Androhung der Malediction
oder Excommunication, wenn das weltliche Gerieht das Ausweisungs-
urtheil fällt, so dass ebenso sehr der vorbereitende wie der kirchliche
Charakter des ersten Verfahrens schwindet. Dieses ist nicht nur im
protestantischen Dänemark das Regelmässige, sondern kommt auch
schon 1520 in Tirol vor. Doch ist es vielleicht nicht bedeutungslos,
dass das dänische Ausweisungsurtheil von Als 1711 mit gebetartigen
Elementen durchsetzt ist. — Die Formen des Verfahrens sind voll-
ständig contradictorische. Eingeleitet wh'd es vor dem geistlichen
Gericht nach dem gewöhnlichen System *) durch eine ,supplicatio' oder
,requesta' der Klagspartei an den Richter, woraufhin dieser gegen die
verklagten Thiere eine Citation erlässt und denselben einen ,procurator
(advocatus)' bestellt. Der letztere hat dann namens der Thiere auf die
Klage, die ebenfalls durch einen Anwalt vertreten wird, zu antworten.
Auf die Termine und Schriftenwechsel bis zur Triplik ist hier um so
weniger einzugehen, als gerade diese Dinge schon in der bisherigen
Literatur zur Genüge besprochen sind. Vor der Urtheilsfallung pflegt
der Richter den bischöflichen Promotor zu hören. In seinen Grund-
linien ist dieses System auch beim Verfahren vor weltlichem Gericht ^)
von Als (Jütland) 1711 in Kr. S. Testrups (1685—1761) Rinds Herreds Krönike
(Samlinger til jydsk Historie og Topografi Bd. II S. 62—64), von Viborg (vor
1726 (erwähnt bei Stepli. Jörgensen oben N. 1 S. 547 und bei Thiele Dan-
marks Folkesagn II 1843 S. 68) und von Lyö im kleinen Belt 1805 oder 1806 (in
Det Kong. Danske Landhusholdnings-Selskabs Skrifter, Ny Saml. II S. 1, 22),
') Wie in dem Process von Pont-du-Chateau 1690 (Menabrea p. 507,
Mem. des antiqu. VIII p. 412). '') Ein Beispiel von 1487 bei Chasseneus
ol. 19». ") So in den Erkenntnissen aus Autun bei Chasseneus fol. 17^,
18», 19'>, aus Macon v. 1481 ebenda fol. 20^, aus Lyon ebenda fol. 19», aus
Troyes 1516 bei Ray n au d p. 480 und in dem Formular bei Bailly (N. 2 S. 562).
*) Geschildert von Chasseneus und Bailly und belegt durch die Akten des
Processes von Saint - Julien - de - Maurienne 1587 (Menabrea p. 544—557).
^) Geschildert als das Verfahren in den Diöcesen Chur und Konstanz bei M al 1 e o-
lus Tract. I de exorc. p. 386, 11 p. 415 f. Von einem kirchlichen Ein-
566 A m i r a.
und bei dem vor dem gewühlten Adjurator i) nachgebildet worden.
Nach einem andern und vielleicht älteren, jedenfalls früher belegbaren
System 2) unterbleibt die Bestellung eines Officialvertreters der ver-
klagten Thiere. Wohl aber werden diese citirt, wo möglich auch in
etlichen Exemplaren vor Gericht gebracht; in Dänemark wird die
Ladung nicht von der Obrigkeit, sondern von der Klagspartei in der
gewöhnlichen landrechtlichen Form angestellt 3), stets aber gestaltet
sich dann das Verfahren zu einem Contumacialverfahren. In der Diöcese
Lausanne ist dieses System erweislich das ältere; es wurde dort um
1450 beobachtet, wogegen man um 1478"*) das andere einschlug.
Auch dieses System hat sowohl im weltlichen ^) wie im geistlichen
Kechtsgang Aufnahme gefunden. Eigenthümlich scheint dem zuletzt
genannten Bisthum die Einführung eines ausserordentlichen Thier-
processes in Gestalt eines bedingten Mandatsprocesses (c. 1500). Der
bischöfliche Official erlässt auf die Supplik der geschädigten Grund-
besitzer den Ausweisungsbefehl an die verklagten Thiere unter Exor-
cismen und Androhung der Malediction sowie unter dem Angebot, den
Verklagten einen curator oder defensor bestellen zu wollen, falls jemand
den Befehl anzufechten gedenke. Damit verbindet er unter Androhung
der Excommunication den Befehl, dass die Thiere während der spätem
Verhandlungen sich jeder weiteren Ausbreitung zu enthalten haben ß).
Es wurde bereits bemerkt, dass das erste Verfahren mit einem
ürtheil abschliesst, welches die verklagten Thiere ausweist. In der
Regel wird dabei eine Frist bestimmt, innerhalb deren die Thiere
ihren Abzug bewerkstelligen sollen. Gelegentlich hat man dies so ins
Einzelne durchgebildet, dass man bis zum Ablauf der Frist den aus-
gewiesenen Thieren freies Geleit zusicherte ^). Ziemlich weit verbreitet
— wenigstens seit dem Spätmittelalter — war auch der Brauch mit
der Ausweisung eine Verweisung zu verbinden, sei es, dass man den
Thieren aufgab, sich an einen nicht näher bezeichneten Ort zurück-
schreiten, wie Rochholtz (Zschr. f. deut. Mythol. IV 1859 S. 119) meint,
spricht Malleolus dort nicht. — S. ferner den Process von Glurns 1519 und 1520
(oben N. 5 S. 564), von Bouranton (N. 5 S. 564). In dem von Lyö (N. 5 S. 564 f.)
war die Bestellung eines Officialanwalts angerathen.
') Leon. Vairus De fascino p. 159. *) Malleolus tract. II de exorc.
p. 409—412 (Verfahren in der Diöcese Lausanne). «) Die Ladung im Process
von Als 1711 steht wörtlich a. a. 0. (N. 5 S. 564 f.). ■•) Process von Bern bei
Hot tinger (oben N. 1 S. 562). ^) Process von Als (N. 5 S. 564 f.) nach dem
Wortlaut des Urtheils, dem gegenüber die abweichende Angabe Testrups, der
einen Officialprocurator nennt, nicht aufkommen kann. Auch in dem Process
von Viborg (N. 5 S. 564 f.) scheint kein Officialprocurator bestellt. ®) S. das
N. 3 ö. 561 citirte Formular. ") Process von Glurns (N. 5 S. 564).
Thierstrafen und Thierprocesse. 567
zuziehen, wo sie uiemanden mehr würden schaden können i), sei es,
dass man zu diesem Behuf einen Ort benannte. Bald verurtheilte man
sie „ins Meer" =^), bald aber verbannte man sie auf eine entlegene
Insel 3) oder man räumte ihnen gar einen freien Bezirk in der Ge-
meinde ein mit der Auflage, die ausserhalb desselben gelegenen Grund-
stücke zu verschonen*). Dies hat mitunter zu einem förmlichen Ver-
gleichsangebot der Klagspartei an den Officialvertreter der verklagten
Thiere geführt, wonach diesen vertragsmässig ein solches Grundstück
überlassen werden sollte. Die mancherlei Vorbehalte und Klauseln,
womit man einen solchen Vergleich ausstattete, zeigen wie ernsthaft
der Vertrag der Menschen mit den Thieren gemeint war^).
Andererseits begegnet im kirchlichen Maledictions -Verfahren der
Brauch, dass man die vor das Gericht gebrachten Thierexemplare beim
Verhängen der Malediction unverzüglich tödtet. So in dem von
Hemmerli beschriebenen Lausanner Verfahren.
Nicht immer jedoch galt der Rechtsweg für unumgänglich, wenn
man sich der Malediction oder Excommunication über Thiere bedienen
wollte. Insbesondere hat man ihn auf wohl unterrichteter kirchlicher
Seite nicht immer für nothwendig erachtet. In dem sprichwörtlichen
und von der spätem Theologie und Jurisprudenz geradezu für typisch
angesehenen Fall „der Mücken von Foigny" (1121) spricht der heilige
Bernhard sein „excommunico eas" aus, ohne dass ein Process oder
processähnliches Verfahren auch nur möglich gewesen wäre. Es ist
dies ein in der Legende nichts weniger als vereinzelntes Beispiel, und
bei der sog. Excommunication von Pflanzen und leblosen Sachen wurde
überhaupt niemals umständlicher verfahren ß). Der protestantische
Prediger, der 1559 zu Dresden während einer Kanzelrede Sperlinge
in den „Bann" that, weil sie die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zer-
streuten, folgte also in der Form seines Einschreitens nur einer Re-
miniscenz aus katholischer Zeit ').
Suchen wir die Anfangsgrenze dieser Zeit zu ermitteln, so werden
wir die Malediction bezw. Excommunication selbst und das dahin
1) So in der Diöcese Lausanne, Malleolus tract. H de exorc. p. 410, 412,
Hottinger a. a. 0. p. 319. S. ferner das Urtheil von Bouranton (N. 5 S. 564).
2) Process von Als (N. 5 S. 564 f.). ^) Ein Beispiel aus Spanien beiAzpilcueta
Consil. Lugd. 1591 p. 588. ^) Urtheile von Pont-du-Chateau 1690 (Menabrea
p. 507) und Piedade-no-Maranhao 1713 (Agnel p. 45, 46). Antrag des Official-
anwalts zu Glums 1520 (s. N. 5 S; 564). Noch ältere Analogien aus den Diöcesen
Chur und Konstanz bei Malleolus (N. 5 S. 565). ^) Saint-Julien-de-Mau-
rienne 1587 (Akten bei Menabrea p. 554—556). Vgl. auch den Fall von
Bouranton 1733 (N. 5 S. 564). «) Raynaud Opusc. moral. p, 482, 483.
') Kurfürstl. Erlass v. 18. H. 1559 in Scheible's Kloster XII S. 949.
568 A m i r a.
führeude processuale Verfahren zu Gegeuständeu getrennter Fragen
machen müssen. Von jenen wird eher erzählt als von diesem.
Die frühesten Maledictionen oder sog. Excommunicationen, wovon
Meldung geschieht, sind legendarisch. Lebensbeschreibungen von
Heiligen erwähnen ihrer zuerst. Natürlich lernen wir aus ihnen nur die
Meinungen ihrer Verfasser und ihres Leserkreises kennen. Wir lernen
aus ihnen, dass man noch im Frühmittelalter bis gegen 1200 hin von
jenen Maledictionen den gewünschten Erfolg nur auf dem ausser-
ordentlichen Weg des Wunders erwartete. Demnach kann nicht an-
genommen werden, dass schon damals in irgend einem grösseren Bezirk
der Kirche die Malediction gegen Thiere üblich gewesen sei. Einer
derartigen Annahme würde auch kaum zustatten kommen, was wir
von altern kirchlichen Gepflogenheiten wissen. Unmittelbar gegen
schädliche Thiere wandte allerdings die griechische Kirche ausser dem
Weihwasser Exorcismen und Adjurationen an. Die lateinische Kii'che
dagegen, die gerade in diesem Zusammenhang zunächst in Frage
kommen würde, beschränkte sich in Italien, Spanien und Burgund
bis ins 9. Jahrhundert auf die Anwendung des Weihwassers in den-
jenigen Fällen, wo man später zur Malediction gegriffen hat, —
höchstens, dass man einmal in die Adjuration des Wassers einen Satz
aufnahm, der gegen Ungeziefer gerichtet war i). Seit 1200 ungefähr
untersuchen die Scholastiker die Frage, in wie ferne Maledictionen
gegen Thiere zulässig seien (Note 1 S. 571). Es scheint demnach, als ob
dergleichen jetzt häufiger vorgekommen wäre. Aber der erste einiger-
massen genauer beschriebene Anwendungsfall gehört doch erst dem
Jahre 1338 an. Die eigentliche Blütezeit dieser partikularkirchen-
rechtlichen Praxis aber ist das 15. Jahrhundert. Mit dem 16. beginnt
die rückläufige Bewegung. 1534 wurde in Portugal das Excommuniciren
und Exorcisiren von Thieren verboten. 1585 gibt der General vikar
von Valence anf den Kat von Juristen und Theologen die alte Praxis
der Thierexcommunication auf und bewilligt nur noch Adjurationeu
und Besprenguugen mit Weihwasser. 1690 verfuhr ebenso der General-
vikar von Clermont, 1710 der von Autun, 1717 der Papst selbst in
einem Breve an den Rath von Aosta^). Um 1750 scheint die Thier-
excommunication überall ausgestorben. Nicht ausgestorben ist die
Malediction, und zwar nicht bloss nicht in denjenigen Gestalten, worin
sie sich mit der gewöhnlichen, von Laien geübten Beschwörung
') Jac. Greiser De benedictionibus II c. 7, 8, 19. M^nabrea p. 449 f.
*) Zschr. f. rom. Philol. V 1881 S. 417. Menabrea p. 507. Sorel p. 22—24.
Rrassegna settimaaale Vol. VII 1881 p. J55.
Thierstrafen und Thierprocesse. 569
berührt i), sondern auch nicht in der rein kirchlichen Form, in der
sie zuerst auftritt ; sie ist als Abwehrmittel gegen Insekten noch jetzt in
Calabrien gebräuchlich, und, was in alter Zeit nicht nachzuweisen,
ihrer Anwendung gegen ein einzelnes gefährliches Thier, einen Wolf,
erinnert sich in unsern Tagen ein Augenzeuge -).
Sehr viel später als von Maledictionen oder Excommunicationen
hören wir von Processen gegen Thiere. Deutlich nachweisbar sind sie
erst seit dem 15. Jahrhundert. Und zwar erscheinen, wenn man das
gesammte Verbreitungsgebiet als einheitliches Ganzes nimmt, die Pro-
cesse vor weltlichen Gerichten gleichzeitig mit denen vor geistlichen.
Ihr Verschwinden ist seit dem 16. Jahrhundert ebenso wie das der
Excommunication und Malediction ein allmähliges. Der letzte Thier-
process in der vollen Form, wie ich ihn früher geschildert habe, hat
sich vor einem weltlichen Gericht 1733 abgespielt (Note 5 S. 564). In
die nämliche Zeit ungefähr fallen auch die letzten Versuche, das geist-
liche Gericht anzurufen. Aber noch ein Jahrhundert lang haben im
Norden die Erinnerungen an die Thierprocesse fortgedauert. Noch um
1805 oder 1806 haben die Bauern auf Lyö in der Herrschaft Holstens-
hus einen solchen Process wenigstens angefangen. Und als Bestand-
theil zauberischen Bannens von Ungeziefer war das „Laden" noch
später in Dänemark bekannt 3). Aber freilich sind diese Erinnerungen
doch nicht sowohl von breiten Volksschichten als von einzelnen
Wissenden fortgepflanzt worden. Man sieht es deutlich an den däni-
schen Thierprocessen, zu denen sich die Kläger allemal erst durch den
Kath eines besonders Kundigen, bald eines „Wunderdoktors", bald eines
alten Weibes bestimmen lassen.
Noch weniger als in Bezug auf das zeitliche Vorkommen lässt
sich in Bezug auf das räumliche ein Parallelismus zwischen den Male-
dictionen und Excommunicationen einerseits und den Processen anderer-
seits aufzeigen, auch wenn wir von den legendarischen Nachrichten
vollständig absehen. Ein zusammenhängendes Gebiet der Maledictionen
und Excommunicationen erstreckt sich während des 15. Jahrhunderts
von Portugal und Spanien aus in nordöstlicher Kichtung durch Frank-
reich bis in die französische Schweiz. Einzelne Spuren finden sich
ausserdem in Tirol, hier schon 1338, später in Kursachsen und in
Italien^). Damit scheint die west-europäische Betheiligung erschöpft.
') Beispiele bei Rolland Faune populaiie III 320. ^) Cretella in
der Fanfulla 1891 a. a. 0. ») Det kong. Danske Landhusholdnings-Selskabs
Skrifter NS. II S. 22. -») S. N. 3 S. 561, N. 7 S. 567. I. J. 1612 weiss noch der
Wittenberger Theologe W. Franz von der ehemaligen Anwendung des Exorcis-
mus gegen Insekten zu berichten (Hist. animalium, Amstel. 1665 p. 669). Auf
570 Amira.
Hingegen treten im 17. Jahrhundert und zu Anfang des 18. Canada,
Brasilien und Peru in den Herrschaftskreis der Thier-Excommunicatioii
(N. 3 S. 561). Thierprocesse kommen in den altburgundischen und den
diesen nächstgelegenen Landschaften Frankreichs, ferner in der fran-
zösischen Schweiz und in der alamannischen Ostschweiz i), in Piemont
und wohl auch anderwärts in Italien, endhch in Tirol und in Däne-
mark vor. Auch in Portugal wusste man von ihnen '^), womit es zu-
sammenhängen mag, dass wir ihnen auch in Brasilien wieder begegnen 3).
Merkwürdig ist, dass der specifisch kirchliche Thierprocess sich nur in
romanischen Ländern findet, hier aber regelmässiger als der weltliche,
den die germanischen Länder zu bevorzugen scheinen. Auffällig ist
auch, wie nahe gewisse Hauptgebiete des kirchlichen und des welt-
lichen Thierprocesses bei einander liegen: in den altburgundischen
Bisthümem sind die meisten kirchlichen, im oberrheinischen Ala-
manien ^) sind zur gleichen Zeit die meisten weltlichen Processe nach-
gewiesen. Möglicherweise liegt dies jedoch nur an der Beschaffenheit
unseres Quellenvorrathes.
Aufgeworfen zu werden verdient die Frage, wie sich zur Praxis
die gleichzeitige Theologie und Kanonistik verhalten habe. Die
Schriftsteller, die sich etwa zwischen 1200 und 1450 mit dem Gegen-
stande beschäftigen, obenan Alexander von Haies und Thomas
von Aquino, kennen eine Excommunication von Thieren nicht ein-
unteritalienische Vorgänge sind wahrscheinlich die Angaben des Leon. Vairo
(N. 5 S. 563) zu beziehen, der zu Benevent (um 1535) geboren war und bis zu
seinem Tode (um 1603) fast immer im Beneventanischen und Neapolitanischen
gelebt hat. Dem Jul. C'larus Sent. V qu. 99 § 8 sind Thierprocesse nur aus
dem Cons. I des Chasseneus bekannt. Dass zu Como einer angestrengt wor-
den sei, behaupten französische Schriftsteller, wie z. B. Ortoli p. 79. Allein
dies scheint zu den mancherlei fragwürdigen Lesefrüchten aus Malleolus zu
gehören (gerade so wie die Jahreszahl 1221, welche Ortoli im Zusammenhang
mit Konstanz und Como nennt). In dem ans burgundische Gebiet der Thier-
excommunication stossenden Aosta scheint man I7l7 etwas Aehnliches geplant
zu haben (s. N. 2 S. 568). In der südlichen Nachbarschaft davon (Strambiuo,
Turin) sollen Maledictionsprocesse c. 1500 — 1633 nachweisbar sein, Lessona in
der Gazetta letteraria 1887 p. 386.
') Des Malleolus ,dioecesis Curiensis provinciae Maguntinae' bat B e r r i a t-
Saint-Prix (Mem. des antiqu. VllI 411, 448 mit ,Kurmaiuz* verwechselt. Bei
seinen Nachschreibem (Laianne Curiosites p. 333, Louandre Rev. d. d. mon-
des 1854 p. 335, Agnel p. 30, Ortoli p. 81) hat sich dann der Ii-rthum fort-
gepflanzt. ^) Fr. Alvarez citii-t in Themis VIII B p. 56 vom »Bibliophile«
(Waree) Curiosites theologiques (Par. 1861) p. 97. ») L J. 1713, Agnel
p. 41 — 46. ••) Die kirchliche Behörde der Diöcese Konstanz kennt 1492
weder Excommunication noch Process gegen Thiere, Zschr. f. deut. Mythol. IV
1859 8. 121.
i
Thierstrafen und Thierprocesse. 571
mal dem Namen nach, ebensowenig einen Process gegen sie. Die
Zulässigkeit des maledicere creaturae irrationali, das ihnen überhaupt
nur als Strafe in Betracht kommen könnte, erörtern sie mit dem
Ergebniss ihres grundsätzlichen Ausschlusses. Nur eine scheinbare
Ausnahme bildet die Malediction, welche zwar an das Thier gerichtet
wird, aber den Menschen treffen soll und zu dessen Strafe vom zu-
ständigen Kichter ausgesprochen wird. Auch eine adjuratio ad ipsam
irrationalem creaturam secundum se ist verwerflich, dagegen gestattet
eine adjuratio per modum compulsionis, quae refertur ad diabolum,
d. i. der exorcismus ^). Um die Mitte des 15. Jahrhunderts kam die
Doctrin ins Schwanken. Der bekannte Züricher Theolog und Kanonist
Felix Hemmerli billigt sowohl den kirchlichen Thierprocess wie
die Malediction der creatura irrationalis, indem er nicht sowohl die
Gründe der früheren Lehre zu entkräften sucht, als sich auf die zu
seiner Zeit und in der Nachbarschaft seiner Heimat und seines Wir-
kungskreises schon entwickelte Praxis und deren vermeintliche Erfolge
stützt. Noch viel gründlicher imd mit dem vollen Aufwand seiner
reichen theologischen und juristischen Belesenheit hat dann in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der burgundische Jurist Barth.
Chasseneus dieselben Ansichten verfochten, wobei er auch für die
Thierexcommunication eintrat. Aber in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts sind dem Hemmerli und dem Chasseneus entschiedene Gegner
entstanden in dem ,Doctor Navarrus' Martinus Azpilcueta'^) und
dem Löwener Jesuiten Mart. Delrio^). Im Wesentlichen gehen
sie auf Thomas v. Aquino zurück, Delrio jedoch nicht ohne
geltend zu machen, dass Hemmerli unter die prohibiti scriptores
primae classis aufgenommen worden sei. Mehr beiläufig, doch mit
schlagender Argumentation hat auch der Beneventaner Leonardo
Vairo, dessen Buch De fascino sowohl in Paris als in Venedig er-
schienen ist, den Thierprocess und die Thierexcommunication als aber-
gläubische Missbräuche und als Hohn auf die kirchliche Censur ge-
tadelt*). Dennoch standen in Frankreich noch im Zeitalter Ludwigs XIV.
') Alexander de Ales Summa, pars II qu. 147. Thomas Aqu. Summa II
2 qu. 76 art. 2, qu. 90 art. 3. Alberic us deRosate Dictionar. s. v. male-
dictio. Leonardus de Utino Sermo 29 (de peccato blasfemiae) g. E. Summa
Angelica s. v. maledictio. ^) Consil. in tit. De sentent. excomm. No. 4 (Lugd.
1591 p. 587—589). ^) Disquisit. magicar. 1. III pars II qu. 4 sec. 8 (Mogunt.
1603 p. 96, 97). *) Irrig machen Agnel p. 37 und Sorel p. 25 den Vairo
zu einem Spanier. Vgl. oben N. 4 S. 569 f. Wohl nur ein Druckfehler ist es,
wenn bei Agnel als das Jahr der Aldinischen Ausgabe des Buches De fascino
,1459' statt 1589 genannt wird.
572 Araira.
die beiden Meinungen einander gegenüber. Der Advokat Gaspard
Bailly zu Chambery veröffentlichte 1668 in seinem Traite des moni-
toires eine Anweisung zum Führen von Thierprocessen vor einem
geistlichen Gericht, welche er befürwortete, während der Canonicus
Jaques Eveillon zu Angers in seinem Traite des excommunications
und der Jesuit Theoph. Eaynaud in seiner Abhandlung De moni-
toriis die Gründe der früheren Gegner wiederholten. In Deutschland
hatte nach 161.5 ein Ordensgenosse Kaynauds, Jac. Gretser zu
Ingolstadt in seinem Buche De benedictionibus einer „präservativen"
Malediction gegen Thiere das Wort geredet i).
Unsere bisherige Umschau hat den westeuropäischen Völkern
und ihrer Vergangenheit gegolten. Wenden wir uuseru Blick der
slavischen Welt zu, so trifft er da in der Gegenwart auf höchst
merkwürdige Ueberlebsel eines Kechtszustandes, der bei aller Eigenart
doch dem geschilderten unmittelbar verwandt ist.
Auf den unerschöpflichen südslavischeu Fundstätten lebendigen
Alterthums hat sich bis zum heutigen Tag ein weltliches Thierstraf-
recht erhalten. Nach den überaus gefälligen Mittheilungen des ersten
Kenners dortiger Sitten und Sagen Friedrich S. Kr aus s scheint in
Montenegro dieses Thierstrafrecht noch ganz allgemein verbreitet. Die
Thiere, worauf es sich bezieht, sind: der Ochs, der Stier, das Koss,
das Schwein; — die Uebelthaten: Tödtung und schwere Verletzungen
von Menschen. Ein Process findet wiederum nicht gegen das misse-
thätige Thier selbst, sondern gegen dessen Herrn statt. Dieser —
gewöhnlich der Vorsteher der Hauscommunion, welcher das Thier ge-
hört — hat sich auf ergangene Ladung sammt dem Urheber der
Uebelthat vor dem Friedensgericht 2) der Dorfaltesten oder Hausvor-
stände im ,, blutigen Keigen" (krono kolo) einzufinden. Hier fordert
die Verwandtschaft des Getödteten oder Verletzten den Tod des Thieres
oder Geldsühne. Will der Verklagte keine Sühne geben, so wälzt er
alle Schuld von sich ab und auf die bösen Geister, die in sein Thier
hineingefahren. Das Urtheil lautet gewöhnlich auf Steinigung des
Thiers. Der Eigenthümer wirft den ersten Stein und darauf alle
übrigen Anwesenden ^). Der Steinhaufe heisst prokleta gomila („ver-
fluchter [Stein-]haufe"). Der Friede zwischen dem Herrn des hin-
gerichteten Thieres und dem Kläger wird durch Eingehung von
•) Libri duo de bened. etc. Ingoist. 1615 p. 247. ^j Ußber dieses
s. Krau SS im »Ausland* 1889 S. 536 und Sitte und Brauch der Südslaven
S. 38, 208, 217, 229, 57 1. •'') Dies entspricht dem Kitus des Steinigens, wie
er früher bei den Südslaven der regelmässige war, K r a u s s Sitte und Brauch
S. 291.
Thierstrafen und Thierprocesse. 573
Gevattersclialteu und AVahlljruderschafteu befestigt. — Aehuliches Avird
vom selben Gewährsmauu aus Slavonien berichtet. Noch 1864 wurde
dort im Dorfe Pleternica von den versammelten Bauern ein Schwein
zum Tode verurtheilt, weil es einem einjährigen Mädchen die Ohren
abgebissen hatte. Das Fleisch des Schweines wurde den Hunden vor-
geworfen. Die Hausgenossenschaft, der das Schwein gehörte, „musste
für das Kind als Schadenersatz eine Heiratsausstattung liefern".
Auch Thierprocesse gibt es bei den Südslaven. Diese Processe
aber sind oder können wenigstens sein rein weltliche. Auch scheinen
sie nicht mit einer kirchlichen Malediction in Verbindung zu stehen.
Das Verfahren ist ein minder streng geregeltes, als es in Westeuropa
war. Bemerken swerther ist aber bei aller sonstigen Verschiedenheit die
schlagende Uebereinstimmung des neuzeitlichen südslavischen Brauches
mit dem Lausanner des 15. Jahrhunderts in dem einen Punkt, dass,
auch wenn sich das Verfahren gegen eine ganze Thiergattung kehi-t,
doch ein Exemplar derselben vor Gericht gebracht, verurtheilt und
getödtet wird, — besonders beachtenswerth ferner, dass man Tödtung
im Wasser vorzieht, auch wenn diese Executionsart unter verschiedenen
möglichen die umständlichere ist. ,,Im Kriegs- und Unglücksjahre
(1866) — so theilt Fr. Krauss mit — gab es viele Heuschrecken
im Pozegaer Thale [Slavonien]. Damals wurde in dem Städtchen
Pozega erzählt, die Bauern im Dörfchen Vidovici hätten eine grosse
Heuschrecke eingefangen und über sie Gericht gehalten und sie zum
Tode verurtheilt, das ganze Dorf soll mit der Heuschrecke hinab zum
Orljava-Fluss gezogen sein und die Heuschrecke unter Verwünschungen
ins Wasser geworfen haben". — Uebrigens scheint jetzt auch bei den
Südslaven der abwehrende Thierprocess im Aussterben begrifi'en. Man
pflegt sich mehr auf kirchliche Exorcismen zu verlassen. Solche Exor-
cismen lassen die drei christlichen Confessionen in feierlicher Weise
bei Umzügen durch die führenden Geistlichen aussprechen. Leicht
entsteht dabei der Schein der Malediction. Wichtig ist auch, dass
nicht bloss Ungeziefer, sondern auch Wölfe und Füchse als „heidnisch"
(pogani) mit dem Exorcismus verfolgt werden.
Bei weitem nicht so sicher beglaubigt wie bei den Südslaven sind
öffentliche Thierstrafen bei andern slavischen Völkern. Bekannt ge-
worden scheint bis jetzt überhaupt nur die Erzählung von einem Falle
aus Eussland 1650 — 1700, wo ein stössiger Bock zur Verbannung
nach Sibirien gerichtlich verurtheilt worden sein soll i).
') C. Meiners Vergleichung des altern und neuem Russlands il 1798
S. 201.
574 Amira.
Zu den Thierstrafen und Thierprocessen nun, die wir innerhalb
des Kreises christlicher Rechte gefunden haben, gibt es Seitenstücke
ausserhalb dieses Kreises. Auf den ersten Blick aber scheint es sich
da allerdings immer nur um ein Vorgehen gegen einzelne Thiere,
ferner auch nur um ein repressives Vorgehen zu handeln.
Am öftesten ist auf Bestimmungen des mosaischen Rechts ^)
verwiesen worden. Der Herr hat dem Noah und seinen Nachkommen
verheissen, er wolle ihr Blut nicht nur an den Menschen, sondern
auch an allen Thieren rächen. Dem entsprach das auf Sinai gegebene
Gesetz, wonach man den Ochsen, der einen Menschen zu Tode stösst,
steinigen muss und sein Fleisch nicht essen darf. Von einer analogen
Anwendung dieses Gesetzes auf einen Hahn erzählt die jüdische Ueber-
lieferung -). Dass es keinen erziehlichen oder lehrhaften Zweck ver-
folgte, sondern ein Kultgesetz war, sollte doch jetzt allseitig zugestanden
werden. Gleichviel, ob es durch den Glauben an jene göttliche Ver-
heissung veranlasst, oder ob die letztere zur nachträglichen Begründung
des Gesetzes unterstellt und dieses selbst vielmehr unmittelbare Folge
der gleichfalls göttlichen Satzung war, dass durch Todtschlag eines
Menschen das Land unrein und nur durch das Blut des Tödters ge-
reinigt werde 3): das Steinigen des Ochsen oder des Hahnes ist als
Kultakt zu nehmen. Dies kann um so weniger befremden, als über
das Thier wie über missethätige Menschen der Tod durch das Synhe-
drion verhängt wurde, überhaupt aber das Steinigen wie jede andere
Todesstrafe nach jüdischem Recht ein Kultakt ^), anderwärts sogar
noch mehr reinigender Kultakt denn Tödtungsart war^). Damit wird
nun freilich die jüdische Thiersteinigung dem Gebiet des Strafrechts
fast entrückt. Ganz ähnlich verhält es sich aber auch mit einer Thier-
strafe, die noch vor Kurzem bei Arabern in Ostafrika vorgekommen
ist. Ein Hund — nach der Auffassung des Islam bekanntlich ein
unreines Thier — wurde öffentlich ausgepeitscht, weil er eine Moschee
betreten hatte«). Auch dies hängt mit Kultvorstellungen zusammen.
Der Kult lässt Unterscheidungen in Schuld und Zurechnungsfähigkeit
nicht leicht wirksam werden. Nicht sich, sondern der Gottheit will
1) Gene». IX 5. Exod. XXI 28—32. '■') Berachot 27, 1 (in Talmud Babli
V. E. M. Pinner I 1842). Vgl. Lightfoot Opera II (Ultraj. 1699) p. 382, Saal-
schütz Mos. Recht 1848 S. 546. =>) Numeri XXV 33. ••) Hamburger
Realencyklopädie I s. vv. Strafe, Todesstrafe und II p. 975. ^) Plato de leg.
IX 1 2 (p. 873 B). Merkwürdige Analogie zu dieser griechischen die Steinigung des
Hauptes einer Leiche in Norwegen : Agrip af Noregs Konunga sogum (her. v.
Dahlerup 1880) Sp. 27 Z. 2—10, Heimskringla (her. v. Unger 1868) S. 169
Z. 20—24. «) Allgem. Zeitg. 1889 S. 452.
Thierstrafen und Thierprocesse. 575
die Gesellschaft Genugthuuiig gewähren. Diese aber muss gewährt
werden an dem Ding, welches die Kränkung der Gottheit verursacht
hat. — Dem Anschein nach anders zu beurtheilen ist das Kreuzigen
von Löwen, welches der Geschichtschreiber Polybios in phöuikischen
Colonieu gesehen hatte. Man schlug dort Löwen ans Kreuz, wenn sie
sich zu nahe an die menschlichen Ausiedlungen heran wagten. Die
Absicht soll gewesen sein, andere Thiere derselben Gattung abzu-
schrecken 1). Mit dieser Erklärung des Kreuzigens mag es seine
Richtigkeit haben. Sie hindert uns aber nicht, die Aufrichtung des
Löwenleibes unter denselben Gesichtspunkt zu bringen, worunter bei
den verschiedensten Völkern und auch wieder bei semitischen das Auf-
richten von Bannthieren ^) fällt. Dass diese gewöhnlich nur nach-
gebildet, dürfte kaum entgegenstehen. Denn wesentlicher als das
Material ist doch wohl die Thiergestalt, welche lebendige Thiere der-
selben Gattung abwehren soll. Hiernach hätten wir in jenem punischeu
Kreuzigen keinen Strafakt, sondern einen Zauber zu erkennen.
Auf eine echte Thierstrafe hingegen, und zwar eine von unsacraler
Art, treffen wir beim Eintritt in den Kreis der arischen Rechte, —
bei den Persern. Im Vendidad ^) befragt Zarathustra den Ahura-
mazda darüber, was mit einem tollen Hund zu geschehen habe, der
einen Menschen oder Vieh beisst. Die Frage war für Zarathustra von
besonderer Wichtigkeit wegen des sacralen Schutzes, worunter der
Hund bei den Persern stand ■^). Nach der von Ahura-mazda ertheilten
Antwort nun soll der Eigenthümer des Hundes, wenn er denselben
nicht gehörig verwahrt hat, büssen, wie für absichtliche Tödtung &) ;
dem Hund aber soll das erste Mal das rechte, das zweite Mal das linke
Ohr abgeschnitten, in den spätem W^iederholungsfällen der Reihe nach
Beine und Schwanz verstümmelt werden. Die Satzung des Ahura-
mazda erinnert auffallend an die sardinische Carta de Logu, von der S. 553
gesprochen wurde. Diese allerdings bezieht sich auf einen zu Schaden
gehenden Esel, der in den beiden ersten Betretungsfällen ein Ohr verlieren,
das dritte Mal confiscirt werden soll. Aber hier wie dort handelt es sich
um ein durch besondern Schutz oder Werth ausgezeichnetes Thier. Euer
wie dort will darum nicht die leichteste, sondern die schwerste Art und
*) Plinius VIII 16. -) Worüber Fei. Liebrecht Des Gervas. v. Tilbury
otia imp. S. 98, 99, 102, 104 und Zur Volkskunde S. 88. Vgl. auch unten N. 3
S. 597. 3) Fargard XIII 80—96 (Avesta übers, v. Spiegel I S. 195 f.).
*) Hierüber Jul. Lippert Kulturgesch. der Menschheit I (1886) S. 496—500.
6) Nach J. Darmsteter in The sacred books of the East IV p. 159, 160
wäre Subjekt nicht der Herr sondern der Hund. Der Zusammenhang gibt
Spiegel Recht.
576 A m i'r a.
nicht das niedrigste, sondern das höchste Mass des ihm zugedachten
Strafübels bestimmt werden. Ob jedoch die Verstümmelungsstrafe im
Vendidad als eine öffentliche gedacht ist, lässt der Text nicht mit
Sicherheit erkennen. Sie könnte eine Privatstrafe, d. h. die gesetzliche
Form der Privatrache sein. Europäisch- arische Parallelen, die wir
später kennen lernen werden, machen dies sogar wahrscheinlich.
Den europäischen Ariern des Mittelalters nähern wir uns, indem
wir unsere Suche nach Analogieen bei den Gräco-Italikern fort-
setzen. Sofort gerathen wir hier wieder auf den Boden des S a er ai-
recht s , wenn wir nach praktischem und auf Volksansichten beruhendem
Recht fragen. Denn die Lehren der Pythagoreer und des Empedokles
von der Thierseele i), die zur strafrechtlichen Personification des Thiers
führen mussten, sind in diesem Punkt Theorieen geblieben. Ihnen
weiter nachzugehen fehlt uns zur Zeit der Anlass. Volksthümlich
dagegen könnte sein, was Plutarch behauptet, dass nämlich die von
Opfern kostenden Rinder und Schweine für des Todes schuldig gegolten
hätten ^). Bestand irgendwo dieser Rechtssatz , so reicht zu seiner
Erklärung abermals die Annahme vollständig aus, dass Genugthuung
an die Gottheit beabsichtigt war. Dem Kerne nach volksthümlich
ferner, wenn auch subjectiv gefärbt, ist, was Piaton über den Fall
vorträgt, wo ein Mensch seinen Tod durch ein Thier gefunden hat.
Es soll zu einem förmlichen Process gegen das Thier kommen: die
Verwandten des Getödteten sollen gegen den „Tödter" klagen. Den
Entscheid und den Vollzug des Urtheils sollen Polizeibeamte haben,
nämlich diejenigen von den Landaufsehern (aYpovöjtoi) , welche die
Klagspartei darum angeht, und zwar soll das schuldig befundene Thier
getödtet und über die Landesgreuze geschafft werden. Vom Thier
unterscheidet unser Rechtsphilosoph das a^vtyov, d. i. alles was nicht
Seele hat. Auch das a'l^uxov, das den Tod eines Menschen verursacht
ohne doch Werkzeug zu sein, soll über die Grenze gebracht werden,
wiederum nach gerichtlichem Urtheil, welches diesmal der Nachbar des
Blutklägers zu fällen hat. Der Blutkläger aber soll für sich und seine
Verwandtschaft ein Reinigungsopfer darbringen •^). Die Grundgedanken
der platonischen Gesetzvorschläge sind zunächst dem attischen Straf- und
Processrecht entnommen, das hier uralten, bis auf Drakon zurückgehenden
üeberlieferungen folgte. Der Ausdruck ^vtyjx war jedoch anders als
bei Piaton technisch für alle diejenigen Dinge ausser dem Menschen,
welche den Tod eines Menschen verursachen. Im Rechtssinne galt
') M. Voigt Die Lehre vom jus naturale etc. I S. 92—95, 242, 245, 246,
259, 2G0. '') De solert. anim. 2. ») De leg. IX 12 (p. 873 E).
Thierstrafen und Thierprocesse. 577
also auch das Tliier als a(j>o)(ov, nämlich als a^f covov ^), da volksthüm-
liches Kennzeichen der Seele die Kede ist. Ueber die afpwva nun
urtheilte zu Athen ein eigener Staatsgerichtshof, die Epheten beim
Prytaneion. Diese hatten auf das D;iepoptCet.v, die Verbringung über
die Grenze, zu erkennen. Den Vorstehern der Phylen, den (poXo^aaildQ
stand der Vollzug zu 2]. Uebersetzen wir dies in die Sprache der
Heroenzeit, so hatte der priesterliche Kleinkönig das tödtliche a'fwvov
aus dem Lande seines Stammes zu schaffen. Der Eechtssatz war nicht
blos attisch. Er galt auch auf Thasos, wo man das tödtliche aipwvov
gleichfalls anklagte, verurtheilte und " ins Meer versenkte 3), Er galt
in Elis, wo man Weihgeschenke aus der Altis entfernen zu müssen
meinte, wenn sie den Tod eines Menschen verursacht hatten. Beliess
man sie dort, so entschloss man sich hiezu nur auf Grund eines
delphischen Orakels, welches einem Keinigungsopfer den Vorzug gab ^),
Auch auf Korkyra schaffte man das ocfpwvov aus, indem man es einer
auswärtigen Gottheit weihte &).
In einer principiellen Gleichgiltigkeit gegen das Willensmoment
können diese Verurtheilungen und Verbannungen von a'|;0)(a ihren
Grund nicht gehabt haben ^). Denn von Anfang an unterschied das
griechische Kecht scharf zwischen willentlichem und un willentlichem
Todtschlag — ^övo? ixouoio? und axouatoi;, indem es diesen zwar als
befleckend aber als sühnbar, jenen als unsühnbar behandelte. Als einen
willentlichen sah es schon im homerischen Zeitalter nicht einmal den
von einem Menschen in der Wuth — ary] — verübten Todtschlag
an '). Aber auch das kann mcht das Wesentliche an jenem Ahndungs-
verfahren gewesen sein, dass es menschliche Schuld verneinte ^). Dies
würde weder mit der vollständig affirmativen "Wortfassung des Urtheils
noch mit dem Klagbegehren im Einklang stehen. Eine erst kürzlich
aufgestellte Hypothese sucht die Erklärung in dem vermeintlichen
Glauben an „fetischartige Beseelung" der a(]jD)(a ^). Sie trägt jedoch
nur einen Widerspruch in den Begriff der letzteren hinein, der selbst
1) Hierauf macht Heffter Atlien. GericMsverfassg. S. 138 (nach Aeschines)
aufmerksam. Demosthenes XXIII (c. Aristocr.) § 76 stellt den u'^^oy^a die [x-rj
[AäTs^^ovTa xoü tppovcöv gleich. -) Demosth. a. a. 0. Aeschines c. L'tesiph. 244.
Pausanias descr. VI c. 11 § 6 mit I c. 28 § 10. Pollux VIII 120 und (nicht ganz
übereinstimmend, aber weniger verlässig) 90. Vgl. Aristot. AÖ'tjv. noXit. (ed. Keny on)
c. 57 (p- 145), wo übrigens auch die Platonische Unterscheidung zwischen ai}/ü)(a
und Co»«. 3) Dio Chrysost. XXXI (ed. Reiske p. 618). Pausan. VI c. 11 §§ 6—8.
Euseb. praep. evang. V 34 §§ 11—14. *) Pausan. V c. 27 §§ 9, 10. ^) Pau-
san. a. a. ü. "j A. M. K. Fr. Hermann Lehrb. der griech. Kechtsalterth.
3. Aufl. (V. Th. Thalheim) 1884 S. 121 N. 3. ') Leist Gräco-ital. Rechts-
gesch. S. 344—396. «) So Leist S. 345. ») E. Rohde Psyche S. 182.
Mittheiluügen, XII. ' 36
578 ^Ami-ra.
der Erklärung bedürfen würde. Verständlich dagegen wird der ganze
beschriebene Hergang, wenn wir erwägen, dass nach griechischem
Glauben jede Menschentödtung, selbst die berechtigte, um so mehr die
widerrechtliche, wenn auch vielleicht unwillentliche, den Verursacher
mit einem |j,'.ac3[j,a belädt, also vom Verkehr ausschliesst, und ihn über-
dies der Verfolgung der gekränkten Seele — spivvo? — des Getödteten
aussetzt. Dieser Glaube forderte, dass der Verursacher des Todes der
Ipivvoc aus dem Weg gehe und unter allen Umständen sowohl seine
als ihre Heimat wenigstens auf längere Frist räume ^). Bei den a'f wva
kann von freiwilligem Eäumen — (fsDY^^v im weitern, stspysaO'at im
ensrern Sinne — keine Eede sein. Sie müssen daher durch die öffent-
liehe Gewalt ausgeschafift werden, sei es, damit das [liaojjia vom Lande
entfernt, sei es, damit die Heimsuchung der spivvu? abgewandt werde.
Ist das aipwvov ein Thier, so muss es zugleich getödtet werden, damit
seine Kückkehr ausgeschlossen sei. In dieser Hinsicht bleibt Piaton
sicherlich beim geltenden Eecht, Bestraft aber werden die a^cova
überall nicht. Wenn gleichwohl das Verfahren gegen sie ein gericht-
liches ist und in den Formen eines Processes sich bewegt, so erklärt
sich das aus der Nothwendigkeit, dass die Schuldfrage entschieden
werde. Denn schuldig am Tod eines Menschen, wenn auch willenlos,
können acpwva sein, sofern sie den Tod verursachen. Dieser Causal-
zusammenhang — die alria — musste festgestellt sein, bevor den
Geboten des Sacralrechts, vielleicht unter Vernichtung von Eigenthum,
genügt werden konnte. Die gerichtliche Aburtheilung des Beiles bei
den Boo'f övta wegen Tödtung des Opferstiers ist nur eine Parallele zur
Aburtheilung der a'f cova wegen Menschentödtung. Es genügt zu wissen,
dass auch Thiere, namentlich geheiligte, ihre ipivvo? haben, und dass
ihr Todtschläger unrein wird 2), — Vorstellungen, die wir auch bei
andern Völkern antreffen und mit der pythagoreischen Lehre von der
Thierseele nicht verwechseln dürfen.
Eine altitalische Analogie zu den Thierstrafen des Mittelalters
hat man in einem, dem Numa Porapilius zugeschriebenen Gesetz ^)
über das Auspflügen von Grenzsteinen gefunden. Das Ochsengespann,
welches bei der termini motio gebraucht war, sollte ebenso wie sein
') S. insbes. Plato de leg. IX 8 (pag. 865), Demosth. XXIII §§ 37—46,
ferner Hermann-Thalheim a. a. 0. S. 43f. — Ueber das |j.iaa(ia Ü. Müller
Aescbylos Eumeniden S. 133 f. und Nägelsbach Nachhomer. Theol. S. 356
bis 359. '■') Aeschyl. Agam. 55—59. Sophocl. Ajas 654—656. S. ferner
Müller a. a. 0. S. 140, 169. ») Ueber dieses M. Voigt Ueb. d. Leges
Regiae I S. 48—55. Vgl. ai;ch Platni'r Qnaestiones de jure crim. 1842
S. 30—32.
Thierstrafen und Thierprocesse. 571)
Führer dem Jupiter terminus „geweiht" sein, d. h. geopfert werden.
Nach ihrem ursprüngUchen Sinne setzte die Bestimmung voraus, dass
der ausgepflügte Grenzstein unter dem Schutz eben dieser Gottheit
stand, — ein ,sacrum saxum' war. Also nicht erst die Ahndung,
sondern schon der geahndete Thatbestand fiel unter das Sacralrecht.
Weil der Gott beleidigt ist, deswegen wird der Beleidiger sammt seinen
Werkzeugen dem Gott übergeben. Denn dass die Zugthiere in unserm
Fall nur als Werkzeuge nicht als Gehilfen anzusehen sind, ergibt der
Wortlaut, worin das Gesetz des Numa überliefert wii'd. Es kennt nur
Einen Thäter, den das Gespann führenden Menschen. Redensarten
wie des Varro „bos socius hominum in rustico opere" oder des Plinius
„bos socius laboris agrique culturae" wären nur schwache Behelfe einer
abweichenden Interpretation. Aber wie dem auch sein mag, jedenfalls
kümmert sich die lex regia nicht um die Beschaffenheit des Willens
beim Thäter. Sie hätte besondern Anlass dazu gehabt, den Fall des
unabsichtlichen Auspflügens in Bedacht zu nehmen, wie eine andere
lex regia den Fall der unabsichtlichen Tödtung in Bedacht genommen
hat. Denn gerade unabsichtlich wird termini motio beim Pflügen viel
öfter geschehen als absichtlich. Wiederum also verhindert der Kult,
dass die sonst geläufigen Unterschiede der betheiligten Willen zur
Geltung gelangen.
Bei Naturvölkern hört man von Thierstrafen auffallend wenig.
Von einem der rotheu centralafrikanischen Stämme, den Njapü, wird
neuerdings berichtet, dass er auch Thiere gerichtlich verurtheilen lässt.
Casatii) erzählt folgenden Fall: Ein Bock hatte, die Angriffe eines
Hundes abwehrend, diesem durch Stösse eine tödtliche Verletzung bei-
gebracht. In Gegenwart seines Opfers wurde der Bock vom Häuptling
zum Tode verurtheilt. Es wurde ihm die Kehle abgeschnitten. Sein
Fleisch verspeisten die Vornehmen, das des Hundes die Niederen.
Leider erfährt man nichts über die Gründe dieses Verfahrens. Man
weiss nur, dass der Hund den Njapü sehr werthvoll gilt, dass im be-
schriebenen Falle sein Herr ein mächtiger Mann war, und dass die
Njapü alles ihnen zugängliche Fleisch, auch das von missethätigen
Menschen verzehren.
Kehren wir nach diesen Ausblicken auf orientalische, sfraeco-
italische und afrikanische Rechte zu unsern mittelalterlichen und neu-
zeitlichen Räthseln zurück, so sehen wir uns deren Lösung nur in so
weit näher gebracht, als sich jetzt bestimmte Gesichtspunkte dar-
bieten, worunter eine lösende Antwort gefunden werden kann.
') Zehn Jahre in Aequatoria I S. 167.
36*
580 A m i f a.
Möglicherweise sind die mittelalterlichen Thierstrafen nebst den
slavischen einerseits und die gräco-italischen, allenfalls auch die per-
sischen, andererseits aus einem gemeinsamen arischen Typus abzuleiten.
Dies würde auch unsere Erkenntniss der gräco-italischen und orien-
talischen Thierstrafen noch vertiefen, könnte jedoch nur mit Hilfe
verschiedener Hypothesen verständlich werden, welche sich auf die
Veränderung des ursprünglichen Strafcharakters in der einen oder an-
dern Eechtsgruppe zu beziehen und so die wesentUchen Verschieden-
heiten unter den historischen Thierstrafen zu erklären hätten. Eine
weitere Eeihe von Hypothesen wäre aufzubieten, wenn in den näm-
lichen Zusammenhang auch noch die mittelalterlichen und die modern-
slavischen Thierprocesse und Thierexcommunicationen gebracht werden
sollen. Denn dass zu diesen der griechische Thierprocess nur eine
ganz äiisserliche Analogie darstellt, bedarf keiner Erörterung mehr.
Die Annahme eines genetischen Zusammenhangs, wie er hier ange-
deutet, würde aber auch noch mit den Bedenken zu rechnen haben,
welche die Chronologie der mittelalterlichen und der moJern-slavischen
Thierstrafen und Thierprocesse aufdrängt. Wir bedürfen eines sehr
triftigen Grundes, wenn wir uns für befugt erachten sollen, die späte
U eberlief erung des Phänomens für zufällig zu erklären und dasselbe
hinter die lange Reihe schweigender Jahrhunderte der geschichtlichen
Zeit zurückzudatireu.
Alle diese Schwierigkeiten kämen in Wegfall bei der Annahme,
dass Thierstrafen und Thierprocesse Auswüchse der selbständigen
Rechtsentwicklung innerhalb der einzelnen Völkergruppen seien. Die
letzteren sind nicht zahlreich genug, um eine solche Annahme von
vorn herein auszuschliessen, während diese durch die tiefgreifenden
Unterschiede der verglichenen Tliierstrafrechte sogar empfohlen scheint.
Es wäre aber zu fragen, ob sich in den Rechten, wovon die mittel-
alterlichen und neuzeitlichen ausgegangen, oder iu den Kulturzuständen,
unter denen sie aufgekommen, hinreichende Ansatzpunkte für die
selbständige Entwicklung eines Thierstraf rechts vorfinden.
Sollte dies nicht der Fall sein, so Hesse sich noch an Anleihen
denken, welche die Rechte der christlichen Völker bei fremden Rechten
aus vielleicht entschwundenen Zeiten gemacht haben. Bezüglich der
weltlichen Thierstrafen wegen Menschentödtuiig würde es, wie sich
gezeigt hat, auch keineswegs an Quellen fehlen, woraus solche An-
leihen geschöpft sein könnten. Xicht das Gleiche kann man aber
von den Thierprocessen und Thierexcommunicationen sagen. Und auch
abgesehen von diesen, müssten Ursachen glaubhaft werden, welche zu
den Anleihen führten, und Wege, worauf diese bezogen wurden.
Thierstrafeu und Thierprocesse. 581
Von den drei als möglich gedachten Lösungen schliesst übrigens
keine die beiden andern völlig ans. Denken Hesse sich z. B. dass
urrechtliche Principien die Unterlage abgegeben hätten, worauf nach der
Völkertrennung selbständige Thierstraf- und Processrechte ausgebildet
wurden, und dass noch später die Ergebnisse dieser Entwicklung da
oder dort durch eine Entlehnung getrübt worden seien.
Unter allen Umständen müssen wir uns aber darüber Klarheit
verschaffen, welche Stellung diejenigen Eechte, von denen
die mittelalterlichen ausgegangen sind, dem Thier ein-
räumten.
Da gebricht es nun zunächst ausserhalb des Strafrechts an jedem
auch nur einigerniassen verlässigen Anhalt für die Unterstellung,
dass in germanischen Kechten Thiere in irgend einem Sinne dem
Menschen gleich gesetzt, ,personificirt' worden seien. Schlechterdings
keine Beziehung zu unserm Thema haben die mittelalterlichen Thier-
processionen und Eselsfeste, woraus man auf das Zugeständniss von
Kechten an das Thier hat schliessen wollen ^). Die Eselsfeste nicht,
weil sie überhaupt erst auf dem Boden des kirchlichen Volksschauspiels
erwachsen sind. Die Thierprocessionen aus denselben Gründen nicht,
aus denen die satirische Personification des Thiers in der Dichtung
keinen Bezug zu unserer rechtsgeschichtlichen Frage hat. Soweit es
sich dagegen um die Volksansicht vom Thier handelt, würde dessen
parodirende und satirische Personification beim Fest, in der bildenden
Kunst und in der Fabel nur beweisen, wie wenig der Mensch in der
Wirklichkeit das Thier sich gleich setzte. Gänzlich unbrauchbar sind
aber auch die hauptsächlich in Frankreich erzählten Geschichten von
processualen Zweikämpfen zwischen Mensch und Thier 2). Man
weiss jetzt, dass Legenden wie die vom kämpfenden Hund des Aubry
V. Montargis oder die vom kämpfenden Affen des Milles lediglich dem
Koman angehören und auf das antike Erzähluugsmotiv von dem treuen
und klugen Hund, der den Mörder seines Herrn entdeckt, zurück-
gehen 3). Nicht besser wie mit der processualen Kampffähigkeit des
Thiers steht es mit seiner vermeintlichen Zeugnissfähigkeit,
worauf man sich zu Gunsten der Personifications-Hypothese mit einer
gewissen Vorliebe berufen hat ^). Wenn nach einem alamanischen
1) Lacassagne im , Kosmos'' 1882 S. 2G6. -) Lacassagne a. a. 0.
S. 267 und Pertile in den ,Atti' p. 151 glauben daran. ^) F. Liebrecht
zu Dunlop's Gesch. der Prosadichtg. S. 478 Anm. 216. Ders. zu Gervasius S. 113,
114. Vgl. auch Lou andre in Revue des deux mondes 1854 I p. 336, Dumeril
Les animaux et les lois p. 10. *) Lou andre a. a. 0., Osenbröggen
Zschr. f. deut. R. XVIII S. 99 und Studien S. 142 f., Gierke Humor § 5 S. 25,
Pertile in den Atti p. 152 f., Lacassagne a. a. 0.
582 Ami r a.
Kecht der nächtlich in seinem Hause Ueberfallene den Angriff eidlich
beweisen kann, indem er drei Strohhalme von seinem Dach und seinen
Hund oder seine Katze oder seinen Hahn anfasst, so ist das Thier
nicht Zeuge, sondern Zeichen. Gerade wie die Strohhalme ist es pars
pro toto. Das Haus, worin der üeberfall geschehen, soll beim Eide
veranschaulicht werden. So soll ja auch beim Anefangseid das ent-
wendete Thier, welches der Schwörende einklagt, veranschaulicht und
deswegen beim Schwur selbst angefasst werden. Keine andere Be-
deutung kommt auch -der Anwesenheit des Thieres zu bei dem An-
griflFseid wegen Bestialität nach Kuprecht von Freising (H 49), wiewohl
dieser das Thier einen , Zeugen' nennt i). In bildlichem und also un-
eigentlichem Sinne Zeuge ist freilich das Thier in allen diesen Fällen,
weil es zum objektiven Thatbestand in Beziehung steht. Mit demselben
Fug wie hier von einer Zeugschaft hätte man von einer Eideshilfe
des Thiers in jenen andern Fällen sprechen können, wo ein Eid
darauf abgelegt wird. Denn es ,hilft' zum Eid insofern, als es dessen
Mittel oder das Werkzeug ist, welches beschworen (d. h. incantirt)
wird. Wer einen gelegentlichen Ausdruck pressen will, kann auch
eine Verraögensfähigkeit von Jagdhunden nach germanischem Recht
beweisen. Denn von dem Antheil an der Beute, welcher nach all-
gemeinem Jagdbrauch dem Hunde gebührt, sagen skandinavische
Eechte, dass er dem Hund „gehöre" 2), womit man vergleichen mag,
dass er im Altfranzösischen die droiture des Hundes heisst^). Etwas
Rechtliches ist auch zweifellos an dieser droiture, aber es zeigt sich
erst, wenn einer mit fremdem Hund jagt *). Wie es nur eine Prägnanz
des Ausdrucks ist, mit humoristischer Färbung, wenn dem Jagdhund
ein Recht auf Beuteantheil eingeräumt wird, so auch, wenn von
„Rechten" anderer Thiere an Liegenschaften die Rede ist und wo mau
in neuerer Zeit nicht nur eigentliche Rechte, sondern sogar auch noch
entsprechende Pflichten hat finden wollen s). Nicht Rechte der Thiere,
sondern Rechte ihrer Herrn natürlich sind gemeint, und das nämliche
gilt von den Pflichten, z, B. zu Abgaben.
Mit besserm Schein von Gründen hat man im germanischen
Strafrecht den Schutz einer Thierpersönlichkeit zu finden ge-
glaubt. Da ist gleich das „Wergeid", welches der Sachsenspiegel für
') Daher von Osenbrüggen Stud. S. 143 verwerthet. ^) Östgöta lagen
Bb. 36 § 3. Gulalnngs bök 95. ') Bangert D. Thiere im altfranz. Epos
1885 S. 143, 154. *) v. Amira Nordgerm. Obligat. Recht I S. 749.
6) Gierke a. a. 0. S. 23 f. Vgl. J. Grimm RA. 594 f., Noordewier Nederd.
Regtsoudheden S. 254, 255.
Thierstrafen und Tliierprocesse. 583
verschiedene Gattungen von Hausthieren gegeben wissen will i).
Gerade davon hat bei uns, soviel ich sehe, die Personificationshypothese
ihren Ausgang genommen ^). Allein dass nur vermöge eines Bedeu-
tungswandels von einem Thier- Wergeid gesprochen werden konnte, ist
von vornherein klar, da Wergeid sowohl seinem ältesten und allgemein
technischen Gebrauch wie seiner Etymologie nach = Menschen-
entgelt ist. Es kommt somit auf die abgeleitete Bedeutung an. Diese
aber ist, wie sich aus dem Sachsenspiegel selbst ergibt, nicht etwa
,Personen-Entgelt' oder ,Quasi- Wergeid', sondern ,fester, unbeweglicher
Entgelt', d. h. gesetzlich benannte Ersatz-Summe. In diesem Sinne
ist nach III 51 § 2 Ritterpferden und Zeltern, aber auch Kleppern
und Mastschweinen kein „Wergeid gesetzt", während den andern Haus-
thieren vom gemeinen Reitpferd und vom Arbeitspferd bis hinunter
zu Ente und Huhn Wergelder gesetzt sind. Damit verliert auch die
alterthümliche Art und Maassbestimmung von sogenannten Thierwer-
geldern, worauf man so grosses Gewicht gelegt hat, nämlich das Be-
schütten des getödteten Thiers mit Körnern, allen Werth für die gegen-
wärtige Frage. Denn gerade ,Wergelder' im Sinne des Sachsenspiegels
sind die so bestimmten Mengen, weil unbenannt, nicht. Sie heissen
auch nirgends so. Was wir da vor uns sehen, ist lediglich eine uralte
und durch keltische, ja sogar arabische Parallelen noch merkwürdigere
Bestimmung des individuellen Thierweiihes. Mehr dahinter zu suchen,
ist durch nichts geboten.
Wird in so weit das Thier nur als Sache behandelt, so greift
eine wesentlich andere Auffassung Platz, wenn die Tödtung oder auch
die Verletzung bestimmter Thiere gleich oder doch ähnlich wie die
von Menschen öffentlich geahndet wird. Bei ungermanischen Völkern
sind Rechtssätze solchen Inhalts keineswegs selten ^), auch wenn wir
von dem strafrechtlichen Schutz derjenigen Thiere absehen, welche
Kultgegenstände sind. Die Gründe liegen bald in dem Wechsel der
menschlichen Lebeusgewohnheiten, bald aber auch in religiösen Vor-
stellungen. Die letzteren sind es, woraus sich die entsprechenden
germanischen Erscheinungen erklären. Die Spuren derselben sind
freilich schwach genug. Im Waadtland soll nach einer Rechtslegende
1) Ssp. II 54 § 5 (ältester Text), III 48 §§ 1, 2 und III 51 § 1 (Zusätze).
2) J. ürimm RA. 670. Osenbrüggen Studien S. 139—142. Gierke a. a. 0.
S. 24. 3) Bezüglicli des Ackerochsen s. M. Voigt Leges regiae S. 84—87,
K. F. Hermann Lehrb. d. gottesdienstl. Alterth. §§ 26 N. 20, 61 N. 16,
Gubernatis D. Thiere i. d. Myth. S. 208. Andere Fälle: Vendidad (v. Spie-
gel), Farg. XIII 1—79, XIV, Gubernatis a. a. 0. S. 33, Bastian Der
Mensch I Ö. 177.
584 Amira.
die Tödtimg von Störchen wie die von Menschen bestraft worden
sein 1). Dies verstehen wir, indem wir uns des nicht nur germanischen,
sondern arischen Volksglaubens erinnern, dass die Störche verwandelte
Menschen seien 2). Geschützt wurde also durch jenes Strafgesetz nicht
das Thier, sondern der Mensch. Ein Gegenstück liefern die Straf-
processe gegen Werwölfe, wodurch nicht der Wolf, sondern der seine
Gestalt annehmende Mensch verfolgt wurde 3). Personificationen von
Thieren liegen demnach auch hier nicht vor.
Fragen wir endlich nach der Art, wie das germanische Recht
Uebelthaten von Thieren behandelte, so geht dieses überall von
der Auffassung aus, dass die Uebelthat des Thiers niemals absichtlich
wie die des Menschen sein kann. Das Thier ist, wie ostnordische
Gesetzbücher sagen, ein „redeloser Wicht" — oquel^ins vitr — , ein
„vernunftloses Ding" — oviti^). Die griechische Parallele der oc'fwva
^= [iTj [xsrsyovxa toö (f^poveiv (N. 1 S. 577) springt in die Augen. Sie
ist keine zufällige. Denn nicht nur jene skandinavischen, sondern
auch deutsche Eechte waren von der Anschauung behen-scht, dass die
Sprachlosigkeit Kennzeichen der tliierischen Vemunftlosigkeit sei. Bei
den Langobarden steht einer That, welche durch ,, hominis studium" an-
gerichtet ist, die des Thiers gegenüber als eine, welche „muta res fecit".
Und Beaumanoir erkennt an der Sprachlosigkeit des Thiers, dass
es weder für den Unterschied von Gut und Böse, noch für die Strafe
Verständniss habe ^). Aber auch in den Folgerungen aus dieser Grund-
ansicht zeigen sich die germanischen Rechte von den frühesten ge-
schichtlichen Zeiten an bis hinein in die Jahrhunderte unserer Thier-
strafen einig. Die Uebelthat eines Thiers ist nach den nordischen Rechten
von Haus aus ein „Erfolg von Ungefähr" — vilz öki, vaj^i — , erträgt
daher für die öffentliche Gewalt kein Friedensgeld ^). Die nämliche
Auffassung liegt den Bestimmungen des anglonormannischen Rechts
zu Grund, welches die vom Thier angerichteten Uebel zu den infortunia
rechnet '). Im deutschen Recht gründete sich auf sie wiederum der
') L. Vulliemin Der Kanton Waadt (1847) I S. 237, wiederholt von
Rochholz Kinderlied S. 88. -) J. Grimm Myth. 638. F. Liebrecht
Gervas. S. 157 f. Rochholz Alam. Kinderlied S. 88. A. Kuhn Sagen . . . aus
Westfalen II S. 69—71. L. Strackerjan Aberglaube . . . aus Oldenb. II. S. 101.
3) Zschr. f. deut. Kulturgesch. 1856 S. 429 f. Mönabroa S. 463 f. Wuttke
Deut. Volksabergl. 1869 § 408. ^) Nordgerm. Obligationenrecht I S. 396.
•"*) Hierauf macht H. Brunner Berlin. Sitzgber. XXXV S. 835 aufmerksam.
") Ausser Nordgerm. Obligat. R. a. a. 0. und demnächst Bd. II § 46 s. Skane lagen
(ed. Schlyter) I 100, II 56, IV 39. Eriks Sfellandske lov (ed. Thorsen 65.
') Leg. Henrici primi c. 90 § 11. Bracton (ed. Twiss) II pag. 388, 386, 400.
Thierst raten und Thicrproces-se. 585
Ausschluss des Friedensgeldes ^). Damit ist gesagt, dass nach ger-
manischem Recht die Uehelthat eines Thieres kein Friedensbruch ist.
Sie ist kein Friedensbruch, weil ein solcher nur mit menschlicher
Absicht begangen werden kann 2). Deswegen ist auch die Fehde gegen
den Eigenthümer ausgeschlossen, selbst wenn dieser haftbar ge-
macht wird 3). Keine Ausnahme von dem Priucip ist es, wenn ein
Mensch nicht blos haftbar gemacht, sondern geradezu als Thäter
behandelt wird, weil er das Thier nicht ordentlich gehütet oder ge-
leitet oder weil er es in Kenutniss seiner Gefährlichkeit gehegt hat.
Andererseits bringt es das Princip mit sich, dass wegen der dem Thier
selbst zugerechneten Uehelthat auch keinerlei öifentliche Verfolgung
desselben einzutreten hat. Das Thier wird weder geächtet noch öffent-
lich abgestraft. Hierauf ist genauer einzugehen.
Neuerdings hat man geglaubt. Beweise dafür zu finden, dass
nach germanischem Recht das Thier einen Friedensbruch begehen und
der Acht verfallen konnte. Man hat sich darauf berufen, dass in
ost- und westgermanischen Quellen die Terminologie der Friedlosigkeit
auf Tliiere angewandt werde^). Das ist richtig. Sehen wir aber auf den
Sinn dieser Terminologie, so zeigt sich, dass sie lediglich Eingriffe in
die menschliche Rechtssphäre für erlaubt erklären will. Am deut-
lichsten erkennt man dies, wo reissende Thiere in Gesetzen für „fried-
los" erklärt werden, ohne Rücksicht darauf, ob sie Schaden schon
gestiftet haben oder blos zu stiften drohen. Wenn z. B. die alt-
norwegische Gulajiingsbök sagt: ,,Bär und Wolf soll überall friedlos
sein" ^), so ist die Meinung, dass man sie auf jedem Grund und Boden
ohne Kränkung des Grundeigenthümers erlegt. Dies ergibt mit Sicher-
heit sowohl der Zusammenhang, worin der angeführte Satz steht,
als seine Paraphrase in einer jungem Quelle: „Bär und Wolf soll auf
Jedermanns Grund zu weiden sein jedem, der da will" ^). Es ist ganz
das Nämliche, was der Sachsenspiegel (II 61 § 2) durch die Wendung
ausdrückt, dass Bären und Wölfen (und Füchsen) selbst im Bannforst
kein ,, Friede gewirkt" sei, oder der Schwabenspiegel (L. 236) durch
die Regel : „Allen Thieren ist (nach Banngesetzen) Friede gesetzt ausser
*) Lex Rib. 46. Kenren v. Waes v. 1241 c. 40, der 4 Aemter v. 1242
c. 41, und von Saffelaere c. 5, 6 (Warnkönig Fland. RG. II 2 üb. S. 183, 193,
III 2 No. 16t)). Fries. 24 Landrechte c. XI {bei v. Rieht holen Unters. I
S. 46 f. = XI, XII in Fries. Rechtsqu. S. 60-63). Brokmerbrief § 182. Emsiger
Pfennigschuldb. §45. Sachsensp. II 40 §3. Bamberg. R. § 127. ^ v. Amira
in H. Paul's Grundriss der germ. Philol. IIb S. I7l, 172. 3) Ed. Roth. 326.
Lex Sax. 57. *) H. Brunner a. a. 0. S. 837 f. ^) Björn ok ulfr skal
hvervetna ütlagr vera Gulalob. 94. ") Nyere Lands Lov VII 58.
58ß A m i r a.
Wölfen und Bären''. Wir besitzen die Quelle dieser Berichte. Es ist
die constitutio de pace tenenda v. 11 50 (§ 14). Hier heisst es ganz
trocken: Nemo . . . instrumenta . . . tendat, nisi ad ursos, apros,
lupos capiendos. Ungefähr ebenso nüchtern sagen die angelsächsischen
Coustitutiones de foresta (§ 27) : Vulpes et lupi nee forestae nee veneris
habentur et proinde eorura interfectio nulli emendationi subjacet. Nichts
anderes ist aber auch gemeint, wenn von einem Thier, welches einen
Schaden angerichtet hat, gesagt wird, dass es fried- oder schutzlos sei.
Auch von unfreien Leuten wird schon in den frühesten norwegischen
Texten gesagt, sie seien friedlos wegen Missethateu oder gar sie seien
friedlos zu machen ^). Und doch wissen wir, dass nach älterm norwegischem
Kecht in juristischem Sinne ,friedlos' unfreie Leute nicht werden konnten,
weil sie nicht des Landrechts theilhaftig waren-). Auch vom norwegischen
Unfreien konnte gelten, was vom gotischen gesagt wurde: „Wäre es
so, dass er friedlos fahren könnte, so würde er gerne den geschworenen
Landfrieden brechen, auf dass er friedlos sein möchte" 3). — Dann die
Finnboga saga hat man zu verwerthen gesucht, welche in c. 11 erzählt,
wie im norwegischen Hälogaland ein Bauer, dessen Viehstand durch
einen Bären schwer geschädigt worden war, ein Thing berief und den
Bären friedlos legte. Indess jene saga gehört zu den Romanen aus
der Yerfallzeit der isländischen Erzählungsliteratur, die durch ihre
UnZuverlässigkeit berüchtigt sind, und so könnte auch der Bär mehr
dem Leser aufgebunden als in Hälogaland geächtet sein. Will man
dessen ungeachtet auf die Geschichte etwas geben, so kann die Fried-
loslegung als eine förmliche Kundmachung dessen verstanden werden,
was — wie wir gesehen haben — in Norwegen schon ohnehin be-
züglich des Bären und des Wolfes Rechtens war. Ein solcher Ver-
ruf lag in dem erzählten Falle um so näher, als auch ein Preis für
die Erlegung des Bären ausgelobt wurde. So verstanden fügt sich die
Begebenheit ungezwungen in die norwegischen Rechtszustände ein,
denen sie widersprechen würde, wenn es sich um die wirkliche Aech-
tuug eines Bären handeln sollte. Nicht beweiskräftiger als die Finn-
boga sasra für's norwecrische Recht ist die Somme rurale für's französische
oder gar altfränkische, wenn sich daraus die Möglichkeit eines Acht-
verfahrens gegen Thiere ergeben soll. Dort spricht Jean Bou teiller
an einer Stelle (I 38), die uns später noch einmal beschäftigen wird,
davon dass ein Thier, welches trotz gehöriger Hut einen Menschen
') Gula]3b. 204, 99, wovon Nordgeiin. Obl R. II § 46 handeln wird. «) Heims-
kringla (ed. Unger) S. 354 (15—20). ») Ostgöta lagen E]ps. 15 § 2 (= West-
götal. II add. 7 § 29).
Thierstrafen und Thierprocesse. 587
getödtet hat, ,doit comme dit estre condamnee en exil'. Das ,comine
dit' bezieht sich auf das von Bouteiller zuvor erwähnte biblische Gebot,
wonach das Thier umgebracht werden soll ( — que la beste soit de-
struite). Folglich kann exil nicht Acht oder Friedlosigkeit, sondern
nur Tod bedeuten, und zwar, da Bouteiller zu einer Zeit und in einem
Lande schrieb, wo die weltlichen Thierstrafen wegen Menschentödtung
üblich waren, — Todesstrafe. Dieses entspricht auch dem Sprach-
gebrauch von exilium und exil zur Zeit des Schriftstellers i).
Wenn oben bemerkt wurde, dass nach altgermanischem Recht
auch keine öffentliche Strafe ein Thier treffen konnte, so braucht zum
Beweise weder auf das gänzliche Schweigen aller altern Quellen noch
auf die principielle Auffassung der absichtslosen Missethat Gewicht
gelegt zu werden, da sich mit hinlänglicher Genauigkeit die positiven
Folgen feststellen lassen, welche das germanische Recht den üebel-
thaten von Thieren gab.
Das System, wovon seine Entwicklung den Ausgang nahm,
beruhte auf dem Grundsatz, dass für einen Schaden, als
dessen Urheber ein Thier gilt, der Geschädigte Genug-
thuuug am Thier erhalten soll. An diesem soll der Geschädigte
Rache nehmen dürfen, — ein Gedanke, der zwar von Hans Sachs
verspottet 2), doch nicht nur Naturvölkern, sondern auch noch volks-
thümlichen Schriftstellern des Mittelalters geläufig 3) und für uns nicht
befremdlich ist, wenn wir bedenken, wie unter den alten Kultur-
verhältnissen der Gegensatz zwischen Mensch und Thier als ein
flüssiger empfunden wurde •*). Obligationenrechtlich ausgedrückt lautet
der Grundsatz: die lebendige Sache haftet für Genugthuung an den
Geschädigten. Der Eigenthümer muss sie darum diesem überlassen.
Nimmt er sie nach angerichtetem Schaden an sich oder lässt er es
auf eine Klage ankommen, so machte er sich selbst, und vielleicht gar
strafrechtlich, haftbar, zwar nicht als Urheber, doch sofern er damit
wider Recht die Genugthuung verzögert oder, wie man zuweilen sagte,
sofern er den Urheber beschirmt. Hat er diesen noch in seiner Ge-
walt, so beugt er der Klage vor durch das förmliche Angebot au den
Geschädigten, das Thier auszuliefern und allenfalls auch noch eine
Begütigungsbusse zu zahlen, und bei Empfangsverzug des Geschädigten
durch öffentliche Dereliction des Thiers. Befindet sich dagegen das
Thier im Machtbereich des Geschädigten, so darf dieser es festhalten.
') Du Cange Gl. s. v. Exilium 1. '^) 36. Fassnachtspiel (her. v. Goetze)
V. 217—236, 295—303. ^) Landmimabök (Islendinga Sögur I 1843) S. 91,
235. — Rache an Thieren bei Naturvölkern: Bastian Der Mensch II S. 25.
*) Trefflich hierüber J. Grimm Keinhart Fuchs S. I— V.
588 A in i r n.
bis zu dessen Auslösimg, in schwereren Fällen aber erschlagen oder
gar zu eigen behalten. Diese letzteren Fälle gehören zu denen, wo
die emphatische Kedeweise mancher Quellen dem Thier den Frieden
abspricht. In den Denkmälern der germanischen Rechte sind nun
freilich die einzelnen Linien dieses Systems mehrfach verwittert. In
etlichen erwecken abgerissene Sätze sogar den Schein, als ob primäre
Haftung nicht der lebendigen Sache, sondern ihres Herrn gegolten
hätte. Man wird sich dadurch nicht beirren lassen, wenn man auf
die zahlreichen und bedeutenden Ueberbleibsel des Systems der Sach-
haftung den Blick gerichtet hält, die in sämmtlichen Hauptgruppen
aller germanischen Rechte, vom gotischen in Spanien und vom lango-
bardischen in Italien bis zu den skandinavischen in Schweden, Nor-
wegen und auf Island dastehen, und wenn man ausserdem auch noch
ein Auge hat für die mancherlei wirthschaftlichen ja sogar religiösen
Ursachen i), welche das System durchbrechen mussten und gar oftmals
auch zwischen den Zeilen der Denkmäler zu lesen sind, — Ursachen,
welche das Zurückweichen der Sachhaftung vor der Herrenhaftung
wesentlich als eine Begünstigung des Herrn erscheinen lassen.
Diese Sachhaftung ist überhaupt nicht erst germanisch, sondern schon
arisch. Auch die gräco-italischen, die keltischen, die slavischen Rechte
kennen sie. Wie griechisches und römisches Recht durch Kultrück-
sichten von der Verfolgung der letzten Consequenzen des Princips
abgelenkt wurden, haben wir gesehen. Soweit die Kultrücksichten es
gestatteten, sind die Consequenzen sowohl in Italien wie in Griechen-
land gezogen worden. Was im römischen Zwölftafelgesetz als noxae
deditio auftritt, geht ebenso auf das Princip der Sachhaftung zurück,
wie die Regel: noxa Caput sequitur, die sogar nur von diesem aus
verständlich wird. Neu sein mag die Wahl des Herrn zwischen deditio
und dem litis aestimationem sufferre. Alt dagegen ist die deditio
selbst, und dass sie noxae d. h. zur Bestrafung des Caput erfolgt. In
den solonischen Gesetzen erscheint jene noch als primäre Schuldigkeit
des Thiereigners gegenüber dem Geschädigten. Und da ist nun die
Uebereinstiramung höchst bemerkenswerth, welche hinsichtlich der
Nebendinge in den überlieferten griechischen 2) und norwegischen ^)
') Wirthsehaftliche : Schonung des Zuchtthiers (vgl. J. Grimm RA. 594 f.,
Osenbrüggen in Wiener Sitzungsber. 1863 S. 211, Gierke Humor S. 23);
Wcrthverhältniss zwischen Thier und Schaden. Religiöse: vgl. J. Grimm RA.
261, 594, Noordewier Regtsoudh. S. 255. *) Plutarch. Solon. 24. Xeno-
phon Hellen. II 4 § 41. A'gl. auch die Sldavenanalogie bei Plato de leg. IX 15
(p. 879 A) und insbesondere 17 (p. 882). ^) Frostul^ings bök V 16 (woraus
Bjarkeyjar rettr 138). Gulal). bök 147. Späteres Recht : Norges gamle Love II
S. 68, IV S. 221.
Thierstrafcn und Thierprocesse. 589
Kechtssätzen besteht. Dem bissigen Hund hat sein Herr ein Halsband
anzulegen, woran er ihn ausliefert. Nach attischem Eecht muss die
Leine oder Kette daran drei Ellen lang, nach norwegischem Kecht
muss das Band so eingerichtet sein, dass der Geschädigte den Hund
daran ergreifen kann. — Das keltische Recht wird in dieser Frage
vertreten durch das irische, kymrische und das schottische. Nach dem
altern irischen Eecht wird der missethätige Hund ausgeliefert; eine
Ersatzpflicht trifft den Herrn erst im Wiederholungsfalle ^). Die spätere
irische Jurisprendeuz, die sich bemüht, Thierübelthaten möglichst dem
Herrn zuzurechnen, lässt doch das missethätige Thier primär selbst für
Schadensersatz und Busse einstehen, bewahrt auch die Thierpfändung 2).
Die Reehtsbücher von Wales zeigen das Princip der Sachhaftung in
vielen Fällen schon verwischt, doch ohne dass es jedesmal durch das
der Herrenhaftuug ersetzt ist. Ueberdies ist es aber in sehr cha-
rakteristischen Einzelanwendungeu bewahrt. Die wichtigste derselben
bezieht sich gerade auf den für unsere Untersuchung belangreichsten
Thatbestand: die Menschentödtung. Hier ist ausdrücklich der Grund-
satz ausgesprochen, dass weder ein Wergeid (galanas) noch eine Busse
(sarhaet) geschuldet werde, hingegen dass der „Todtschläger" an die Ver-
wandtschaft des Getödteten ausgeliefert oder derelinquirt werden muss ^).
Nur wenn Schweine einen Menschen tödten, soll ihr Eigeuthümer die
Wahl haben zwischen Dereliction und Wergeldzahluug *). Für einen
Biss ferner gehört das Thier dem Gebissenen; aber der Eigenthümer
darf es mit der Wundbusse auslösen ^). Auch die auf haudhafter That
geübte Rache am Thier spielt in den kymrischen Rechtsbüchern noch
eine Rolle, wenn auch nicht mehr eine so hervortretende wie nach
germanischen Rechten derselben Zeit, wogegen von der Thierpfändung
viel einlässlicher die Rede ist ß). In den schottischen Rechtsdenkmälern
zeigt sich die Sachhaftung im ganzen noch kräftiger durchgeführt,
namentlich was die Rache auf handhafter That betrifft '). Auf der
andern Seite geben sich schon in den altern Quellen starke englische
Einflüsse zu erkennen, worunter die Durchführung des Princips eine
jener eigenthümlichen Gestalten angenommen hat, die alsbald näher
1) Wasserschieben Bussordnungen S. 143. Ir. Canonensammlung LIII 6.
2) Ancient Laws of Ireland I p. 157, 161, I[ p. 119, 121, III p. 433, IV p. 105,
107, 177, 179, 181. 3) Anc. Laws and Institutes of Wales p, 294 (§ 10), 495
(§ 35), 391 (§ 17). •«) A. a. 0. p. 282 (§ 11), 350 (§ 10). Vgl. p. 806 (§ 16),
835 (§ 9). s) A. a. 0. p. 363 (§ 27). ß) A. a. 0. p. 157—163, 274, 275,
297 (§ 33), 361—363, 435 (§ 143), 692, 693, 807 (§41), 835 (unten), 840 (46 § 3),
844 (§ 14). Wasser schieben Bussordn. S. 128, 130. '') Leg. Burgorum
c. 126. Leg. Forest, c. 4—6, 8.
.Xi
590 Amira. .
zu betrachten sein werden. Später ^) sind diesen englischen Einflüssen
römische und alttestameutliche nachgefolgt. Aber echt keltisch ist die
Art, wie das schottische Kecht bei der Tödtung durch Huf eines
gerittenen ßosses noch den Grundgedanken der Sachhaftung festhält:
wurde der Tod eines Menschen im Vorwärtsreiten verursacht, so zahlt
der Keiter Wergeid (galnes) und Blutbusse (? croo), d. h. er haftet per-
sönlich; entgegengesetzten Falls ist die That nicht die seinige, sondern
die des Pferdehufs, und es ist daher den Verwandten des Getödteten
der Fuss des liosses oder der vierte Theil vom Werth des Thiers zu
übergeben -). — Was endhch die slavischen Kechte betriflPt, so lassen
ihre am wenigsten von fremden Elementen durchsetzten Aufzeich-
nungen die alte Thierhaftung noch deutlich erkennen, nicht nur in
dem Institut der Pfandnahme an zu Schaden gehendem Vieh, sondern
auch in der Auslieferung des stössigen oder bissigen an den Verletzten,
worauf noch nach jüugerm russischem Recht der primäre Anspruch der
Klagspartei geht-^).
Das System der privatrechtlichen Sachhaftuug aus Thierdelicten
ist ursprünglich selbst nur Theil eines sehr viel umfassenderen,
welches principiell zur Anwendung kam, wenn durch Sachen ein
Schaden angerichtet war: einerseits also bei üebelthaten von Sklaven,
andererseits bei Schäden, deren Ursache in leblosen Gegenständen ge-
funden wird. Die letztern ebenso wie die unfreien Menschen und wie
missethätige Thiere werden zur Geuugthuung ausgehefert oder preis-
gegeben^). Es ist dies eine Eechtsanschauung, die viel allgemeiner
verbreitet und zäher eingewurzelt gewesen sein muss, als es nach ihren
verhältnissmässig seltenen Lebenszeichen in Denkmälern den Anschein
hat. Denn noch Calderon setzte bei seinem Theaterpublikum Ver-
ständniss dafür voraus, indem er sie zum Motiv einer Scene benützte:
ein Kavalier, der einen andern im Zweikampf verwundet hat, liefert
diesem nach der Versöhnung den Degen aus, womit er ihm die Wunde
zugefügt , — gleichsam den Degen zum Mitschuldigen machend ^).
Ganz anders dagegen wurden leblose Dinge behandelt, wenn sie nicht
selber als Ursache eines Schadens, sondern als Symbole des misse-
thätigen Menschen galten. Da wurden denn allerdings öfi'entliche
Strafen an ihnen vollzogen, ein Degen z. B. an den Galgen gehängt*^).
») Stat. I Rob. c. 33 §§ 1, 2. ») Regiam Majestatem IV 24. Vgl. Anc.
Laws of Wales p. 692 (§ 1), auch Leg. Burgorum c. 126 § 2. s) Macie-
j 0 wski Slavische Rechtsgeschichte II (1836) S. 126 f., 166 f. IV (1839), S. 333, 337,
II S, 286. *») Hepp Die Zurechnung auf dem Gebiete des Civilrechts S. 164
bis 166. Trümmer Vorträge I S. 365, 377. H, Brunn er a. a. 0. S. 831—833,
840 f. ^) La Dama duende, Jörn. I. ß) Michaelis Mos. Recht § 274.
Thierstrafen und Thierprocesse. 59]^
eine Glocke ausgepeitscht und verbannt 1). Aber die Strafen galten
symbolisch den Menschen, — eine Erscheinung, bei der wir uns hier
nicht aufzuhalten haben.
Der Grundsatz von der privatrechthchen Thierhaftung ist bis in
die Zeit hinein und in den Ländern lebendig geblieben, wo die öffent-
lichen Thierstrafen auftreten 2). Mit dieser Thatsache schHesst sich die
Kette der Gründe, welche jede unmittelbare Ableitung der öfi'entlichen
Thierstrafe des Mittelalters aus germanischen Kechtsgedanken verbieten.
Auch der arischen Hypothese sind die bisherigen Beobachtungen nicht
günstig, da das keltische und slavische Kecht den gleichen Standpunkt
einnahm wie das germanische.
An Wahrscheinlichkeit dagegen würde die Annahme einer Ent-
lehnung der öffentlichen Thierstrafen gewinnen, wenn sich ausser der
Bezugsquelle noch zeigen Hesse, wie die Entlehnung vorbereitet war.
Die Bezugsquelle lag für ein christliches Kecht nahe genuo- im
alten Testament, nämlich der Lex Dei in Exod. XXI 28. Es ist die-
selbe Quelle, woraus Kirchen- und Staatsgesetze ihr Verbot geschöpft
haben, dass von einem Thier gegessen werde, welches den Tod eines
Menschen verursachte-^). Wir können die Eeception der Lex Dei in
den Rechtsschriften des Mittelalters sogar noch genauer verfolo-en. Sie
ist citirt in der irischen Canonensammlung (LIII 3), in der Capitu-
lariensammlung des Benedictus Levita (VI 15), in der Einleitung zu
König .Elfreds Gesetzbuch (c. 21), im Landrecht des Schwabenspiegels
') Villari La Storia di G. Savonarola (Ed. 2) 11 p. 249. Nur äusserlich
verwandt das Verfahren mit einer die Nachtruhe störenden Glocke in Russland
(gegen 1672): Meiners Vergleich. Russlands II 291. Der hier massgebende
Gesichtspunkt ist der von N. 4 S. 590. ^) Hepp Die Zurechnung S. 158 bis
163. Trümmer Vorträge 1 S. 380—387 (wo jedoch S. 382 irrig der Satz des
Hamb. Stadtr., der Eber bessere mit seinem Leben, zu den öttentlichen Thier-
strafen gestellt wird). Graf u. Dietherr Deut. Rechtssprichwörter S. 291 f.
(No. 53—55) 295 f. Stobbe Handb. d. deut. Privatr. III § 202. Behrend
Stendal. Urtheilsbuch S. 77—82. Planck Deut. Gerichtsverfahren im MA. I
S. 408 f. V. Bunge Livländ. Privatr. I § 238. H. Brunner a. a. 0. S. 836,
837. Lauriere beiViollet Etablissem. de S. Louis IV p. 116 f. Abrege
champenois (bei Vi oll et III 45). Pertile Storia dei dir. V p. 642 n. 32.
S. ferner: Freiberg. Stadtr, (her. v. Er misch) 49 §§ 8—16, Iglauer R. bei
Tomaschek Oberhof v. I. S. 369, Brünner Schöffensatzg. 235, Prager Stadtrb.
120, 176, Trienter Stat. (her. v. Tomaschek) S. 153 c, 115, — weiterhin die
Literatur über das Pfändungsrecht, — endlich die siebenbürgische Erzählung
vom Hirsekorn bei Haltrich Deut. Volksmärchen aus dem Sachsenlande in
Siebenb. (1877) S. 37—39. s) Wasserschieben Bussordn. S. 121, 147,
175, 317, 406, 467, 502, 503, 519, 603. Ir. Canonensamml. LIV 12, 14. Grägäs
(her. V. Einsen) I a S. 34 (== II 43 etc.), II 374. Vgl. auch N. 6 S. 557.
592 A m i r a.
(L. 201 mit 204) ^). Damit soll nicht gesagt sein, dass gerade durch
die Vermittlung dieser Quellen die mosaische Bestimmung für die
Praxis des Mittelalters Richtschnur geworden sei. Bei Alfreds Gesetz-
buch wäre dies nicht einmal wahrscheinlich, da sein dispositiver Theil
in cap. 23, 24 das privatrechtliche Princip aufrecht hält. Aber man
sieht doch, wie schon das Frühmittelalter angefangen hat, dem alt-
testamentlichen Kechtssatz Beachtung zu schenken, und im Schwaben-
spiegel und seinen Ausläufern gibt sich überdies die Absicht zu
erkennen, demselben zur Herrschaft in der Praxis zu verhelfen. Unter
solchen Umständen wird man es kaum für eine erst von den spätem
Theoretikern nachgetragene Zurechtlegung der schon eingeführten
öffentlichen Thierstrafe erachten, wenn sie dieselbe auf die Lex Dei
gründen, — um so weniger als die Doctrin schon bei Jean Bou-
t eiller (um 1390) und bei diesem sogar folgerichtiger als bei Späteren
auftritt. Er geht von dem „Willen der Bibel" aus, indem er gemäss
Exod. XXI 28 verlangt, dass für Menschentödtung das Thier zum Tod
verurtheilt werde. Er will aber ausserdem auch gemäss Exod. XXI 32
in dem Fall, wo der Getödtete unfrei war, 30 Silberpfennige an
dessen Herrn gezahlt wissen. Das entspricht durchaus dem ebenso
doctrinären als geschichtsfeindlichen Zug des Mittelalters, der sein
Recht mehr und mehr entnationalisirt hut. Receptionen wie die von
Exod. XXI 28 sind noch öfter vorgekommen. Ein entferntes Seiten-
stück war die S. 556 erwähnte Aufnahme von Levit. XX 15, 16, ein
viel näheres die Einführung der Talion ins Strafrecht gemäss Exod.
XXI 23 — 25 '^), ein unmittelbares die Durchführung oder doch Nach-
bildung von Exod. XXI 35, 36, welche verschiedene Rechtsbücher und
Gesetze unternommen haben •^).
Die Reception ist so vor sich gegangen, wie sie unter den Ver-
hältnissen des Mittelalters allein möglich war. Was im alten Testa-
ment Kultakt gewesen, ist im Mittelalter zur weltlichen Strafe geworden.
Dadurch musste aber auch die Auffassung der Uebelthat beeinfiusst
werden. Das Strafrecht fiel von seinen Principien ab, indem es die
Thierübelthat zum Verbrechen machte. Die Strafe ist zwar in der Regel
') Entsprechend Ruprecht v. Freising Landrb. c. 133, 136. ^) Osen-
brüggen Studien 8.152—160, Alam. Strafrecht S. 84 f. ^) Ausser W a s s e r-
8 ch leb an Bussordn. 131, der Ir. Canonensamml. LIII 7, Bened. Lev. VI 17,
.'Elfr. Einl. 23, Swsp. (L.) 201 vgl. mit Exod. XXI 35 die schwedischen Be-
stimmungen Nordgerm. Obligat. R. I S. 400 N. 2, femer Stat. I Rob. c. 33 § 2,
Anc. Laws of Ireland III p. 235 c. 103 ; — mit Exod. XXI 36 sodann L. Wisigot.
1, VIII tit. 4 c. 7, L. Rib. 46, 2, Pact. Alam. fr. III 15, V 10, Ed. Roth. 328.
Ueber Mos. R. im Rechtsbuch der Armenier zu Lemberg s. Kohler in Zschr.
für vergleich. Rechtsw. VII S. 432.
Thierstrafen und Thierprocesse. 593
auf den Fall beschränkt geblieben, den die Lex Dei im Auge hat,
und sie ist darum auch in der Regel Todesstrafe geblieben. Aber der
Grund der Regel lag doch nur noch im Gesetzestext, nicht mehr im
Wesen der Strafe. Darum konnten, insbesondere in späterer Zeit,
locale Abweichungen von der Regel stattfinden, — Abweichungen, die
zum Theil ebenso durch einheimische Rechtssätze vorbereitet waren,
wie die Einführung der öffentlichen Thierstrafe selbst.
Was diese vorbereitenden Rechtssätze betrifft, so zerfallen sie in
eine ältere und eine jüngere Schicht.
Die ältere Schicht bestimmt die Art, Avie gegen gewisse Thier-
gattungen und wegen gewisser Uebelthaten die Privatrache ausgeübt
werden muss. Wir haben hier nicht den Zweck solche Rechtssätze
zu untersuchen. Es genügt, auf die Aeusserlichkeiten zu verweisen.
Zu diesen gehört der uralte und vielerörterte Brauch, dass der Hund
wegen Meuschentödtung gehängt wurde, ausgeliefert an der Thür des
Klägers, unausgeliefert an der Thür seines Herrn i), — sodann die
vielleicht noch ältere, weil sowohl keltische wie germanische Gruppe
von Bestimmungen, wonach zu Schaden gehendes Federvieh und Ziegen
auf handhafter That in genau umschriebener Form umzubringen oder
zu verstümmeln waren ^). Die Form parodirt schon hier zuweilen die
Hinrichtung eines Menschen. Auch die Terminologie thut es, wenn
sie den Stecken, worin der Gäusehals eingeklemmt wird, einen „Galgen"
nennt ^). Kommt der Vollzug solcher Privathinrichtungen in die Hand
eines Gemeindedieners, in Oesterreich z. B. des Feldhüters, im Lom-
bardischen des Saltners, so kann das private Verfahren noch leichter
den Schein eines öffentlichen annehmen.
Die jüngere Schicht von vorbereitenden Rechtssätzen bezog sich
auf die Confiscation schädlicher Thiere^). Der öffentlichen Gewalt —
dem König, dem Gerichtsherrn — verfallen die Thiere, wenn sie den
Tod eines Menschen verursachen, mitunter auch, wenn sie einen Men-
schen verletzen. Hauptsächlich und wohl auch zuerst hat sich diese
Regel in Frankreich und England ausgebildet. Französischen und
>) J. Grimm RA. 665. Amira Nordgerm. Oblig. R. I S. 908.
2) J. Grimm RA. 137, 595. Chabert Bruchstück einer Staats- und Rechtsgesch.
der deutsch-österr. Länder § 67 N. 7, 0 s e n b r ii g g e n in den Wien. Sitzgsber.
1863 y. 210 und Alamann. Strafr. S. 327, Gierke Humor S. G2. Dazu: Grimm
Weisthümer lU S. 683 (art. 19), 889. Vgl. Ancient Laws of Wales p. 274 f.
(§§ 10—12), 362 (§§ 15—17), 807 (41 §§ 4, 6), 844 (53 § 14), — Leg. Burgorum
c. 126 § 4, Leg. Forest, c. 5. ») Grimm Weisth. III S. 30, 46. Vgl. Anc.
Laws of Wales p. 807, 844. *) Hierüber im Allgemeinen Brunner a. a. 0.
S. 838, 841 f.
MittheUungen XU. 37
594 ^ »11 i '■ «•
englisclieu Schriftwerken des 13. Jahrhunderts ist sie schon ganz ge-
läufig. Bei Heinrich von Bracton erscheint sie auch schon in
der specifisch englischen Fassung, dass die Thiere als Deo danda ein-
zuziehen, und mit der Analogie, dass wie Thiere auch bewegte leblose
Sachen zu behandeln seien i). Von England aus ist der Grundsatz ins
schottische Recht eingedrungen, und hier hat er seine ursprüngliche
Gestalt bewahrt: Das schottische Recht kennt keine Deo danda, son-
dern nur eschetae 2), D, h. die confiscirten Sachen braucht der König
nicht wie in England pro anima regis et omnium fidelium defunctoruni
zu verwenden, sondern er darf sie in seinen Nutzen kehren. Während
in den westeuropäischen Ländern die Confiscation seit Beginn des
Spätmittelalters allgemein verbreitet war, haben es in Deutschland und
Italien nur einzelne Territorial- oder Grundherrn und Gemeinden ver-
standen, sie zur Geltung zu bringen, und auch dann nicht immer ^)
ohne den Nutzen mit der Klagspartei theilen zu müssen. Nach einem
der ältesten hier einschlägigen deutschen Statuten, z. B. dem von Lüne-
burg, empfängt der Geschädigte %, der Vogt und der Rath Ys vom
Werth des eingezogenen Thiers-*). Wahrscheinlich hat Deutschland
den Rechtssatz aus Frankreich bezogen, wo seit dem 14. Jahrhundert
der Satz verbreitet war, dass die Obrigkeit aus dem Werth des ein-
gezogenen Thiers die Klagspartei schadlos zu halten habe ^). Den
Anstoss zur Entwicklung des Confiscationsrechts hat die Dereliction
der schädlichen Sache durch ihren Herrn gegeben, von der S. 587 die
Rede war. Diese Dereliction heisst in Frankreich technisch desadvouer.
Durch das desadvouer bedingt ist nach Jean Bouteiller die Con-
fiscation. Einmal anerkannt konnte aber die Confiscation sich von der
Dereliction befreien und dann auch eintreten, wenn das Thier seinen
eigene^! Herrn getödtet hatte.
Beide Schichten von Rechtssätzen haben ihre Spuren im Thier-
strafrecht des Mittelalters hinterlassen. Wir sehen noch an den genau
gefassten Gerichts urtheilen von Savigny 1457, wie die öffentliche
Strafe durch die Confiscation und diese durch das desadvouer bedingt ist
(S. 551 N. 5 mit S. 554 N. 1). Wir sehen ferner, wie in Burgund bei gesetz-
lichem Ausschluss der Hinrichtung die Confiscation übrig bleibt (N. 1
S. 550) und wie Beaumanoir eine Rechtsübung befürwortet, die zum
') Hierüber D\i Gange Gl. s. v. Deodauda, J. Stephen New commentaries
Bk. IV pt. I cb. 7 § IX. Hauptquelleu : Bracton Vol. II p. 286, 388, Fleta I 25
§ 9, Britton I eh. 2 §§ 12—14, eh. 8. ") Quoniam attachiamenta c. 48
§§9 — 13. ä) Ausser den bei Brunn er citirten Belegen s. Grimm Weisth.
III 31(>. *) Stadtr. v. Lüneburg (her. v. Kraut) No. XCVII. «) Somme
rurale I tit. 37.
Thiertstrai'en mul Thierprocesse. 505
uämliclien Ergebniss führt (N. 4 »S. 553), — weiterhin Avie bei einer
Abbreviatur der Hinrichtung das confiscirte Thier zum gemeinen oder
der Armen Besten verwerthet wird (s. oben S. 554). Das cältere Kecht
über zu Schaden gehendes Vieh wirkt in den italienischen Statuten
nach, welche wegen Feldsehadens Hinrichtung oder Verstümmelungs-
strafen eintreten lassen. Die ältere und die jüngere Rechtsschicht
liegen über einander im Statut von Vallesella v. 1565 (N. 5 S. 552),
welches einerseits dem Gemeindevorsteher gestattet, ein auf wieder-
holtem Feldschaden ergriffenes Stück Vieh ohne weiteres am Dorf-
brunnen zu enthaupten, andererseits vorschreibt, dass der Kopf an den
Eigenthümer ausgeliefert, das Fleisch unter die Bauern vertheilt werde.
Wir haben endlich gesehen, dass während des Mittelalters die weltliche
Thierstrafe wegen Menschentödtung ihren Hauptsitz in Frankreich hat.
Auch dies erklärt sich, wenn ihr die Confiscation vorangegangen ist.
Wie die mittelalterliche Thierstrafe, so geht auch die des süd-
slavischen Brauchs auf die Eeception der Lex Dei zurück. Diese ist
in jenem sogar noch deutlicher zu erkennen, als im westeuropäischen
Thierstrafrecht. Der montenegrinische Strafritus des Steiuigeus ist der-
selbe wie in Exod. XXI 27- Ebenda hat die slavonische Behandlung
des hingerichteten Thiers als eines unreinen ihren gesetzlichen Grund.
Die specifisch kirchliche Mitwirkung bei der Receptiou hat ihre Spur
in dem Füttern der Hunde mit dem Fleisch des hingerichteten Thiers
hinterlasseu. Denn dieses beruht auf einem Rechtssatz, der nachweis-
lich in der Kirche Vertretung gefunden hat i). Wie die südslavische
Thierstrafe durch die nationalen Grundsätze über Sachhaftung vor-
bereitet war, zeigt sich noch in der Form des montenegrinischen Ver-
fahrens: die Klagspartei kann nur den Tod des Thiers fordern, aber
dessen Herr kann durch Geldsühne sein Thier vom Tode erlösen.
Wichtig ist die Form, wie er es desavouirt: weil eine öffentliche Strafe,
darum ein Verbrecher; aber nicht das Thier ist es, sondern der hinein-
gefahrene böse Geist.
Sollte der Nachweis gelungen sein, dass die weltliche Thierstrafe
bei christlichen Völkern wesentlich einer Zeit der Receptionen und der
Rechtsmischuug angehört, so scheint sich das Verständuiss für den
eigentlichen Thierprocess und die Thierexcommunication im nämlichen
Zusammenhang nicht gewinnen zu lassen. Würden diese Institute aus
der gleichen Wurzel erwachsen sein, wie die weltliche Thierjustification,
so wäre sogar das bezüglich der letztern gewonnene Ergebniss wieder
in Frage gestellt. Noch fraglicher jedoch ist es, ob überhaupt irgend
') Wasser sc hieben Bussordnuugen Ö. 603.
37'
596 A m I r a.
ein Zusammenhang zwischen den beiden Erscheinungsgruppeu besteht.
Einen solchen wird man eher für ausgeschlossen erachten, statt ihn
zu vermuthen, wenn man sich des vollständigen Gegensatzes erinnert,
der unter jenen Gruppen nachgewiesen wurde. Die Bedenken, die sich
in dieser Hinsicht aufdrängen, lassen sich auch nicht durch die Unter-
stellung einer arischen oder auch nur germanischen Thierpersonification
beschwichtigen. Denn Alles, was wir ausserhalb des Gebietes der Thier-
processe wahrgenommen haben, spricht gegen diese Hypothese.
Es muss der Versuch unternommen werden, die Thierprocesse
und Thierexcommunicationen ohne jeden Bezug auf die
weltliche Thierstrafe zu erklären.
Die Thierexcommunication ist wesentlich Malediction und ur-
sprünglich nichts als dies. D. h. sie ist von Haus aus Gebet, wenn
auch in den Formen einer Beschwörung i). Eine solche Thiermale-
diction ist in der Kirche vom Standpunkt der Doctrin des Mittelalters
aus erklärlich als Exorcismus (vgl. oben S. 571). In der That deuten
denn auch die mit der Malediction oder Excommunication von Thieren
verbundenen Gebete darauf, dass das Verfahren zuerst als exorcismus
aufgefasst wurde. Das von Hemmerli mitgetheilte Lausann er Kitual
enthält als Bestandtheil des dem Maledictionserkenntniss folgenden
executiven Verfahrens eine Exorcisatious-Formel. Wie man auf kirch-
licher Seite dazu kommen konnte, schädliche Thiere durch Exorcismen
zu vertreiben, hat Menabrea durch seine Erörterungen über mittel-
alterlichen Teufelsglauben gezeigt. Er und seine Nachfolger haben
sich dabei beruhigt und ohne weiteres angenommen, dass die Thier-
malediction dem Teufelsglauben entsprungen und eine specifisch kirch-
liche Erfindung sei.
Dies als mindestens zweifelhaft anzusehen, dazu veranlassen mich
die Schwierigkeiten, welche sich einer befriedigenden Erklärung des
Thierprocesses im Eahmen der Kirchenrechts-Geschichte entgegenstellen.
Nach dem, was früher dargelegt wurde, kann selbst der kirchliche
Thierprocess nicht erst im Gefolge der sog. Thierexcommunication ent-
wickelt sein. Denn er findet sich ausgebildet auch in solchen Rechts-
gebieten, die eine Thierexcommunication nicht kennen, viebnehr bei
der rein exorcistischen Malediction stehen geblieben sind. Dazu kommt,
dass ein rein weltlicher Thierprocess in verschiedenen Ländern be-
gegnet, wo ein kirchlicher nicht nachgewiesen ist. Auskunftsmittel,
um diesen weltlichen von jenem kirchlichen Process abzuleiten, würden
») Vgl. Gretser De benedict. (Ingoist. 1615) p. 90, 246 f.
Thierstrafen und Thierprocesse. 597
sich zwar erdenken lassen. Ueber Muthmassiingen ohne irgend einen
geschichtlichen Anhalt würden sie sich jedoch nicht erheben.
Gerade der weltliche Thierprocess fordert zu der Erwägung auf,
ob das, was wir mit Vorbehalt das kirchliche Verfahren genannt haben,
überhaupt auf kirchlichem Boden entstanden sei. Sollte die Frage
verneint werden, so würden freilich festere Haltpunkte als die Per-
sonifications-Hypothese den Grund abgeben müssen.
Haltpunkte dieser Art scheinen nun aber erreichbar. Einen
Fingerzeig geben die Verweisungsurtheile, womit in den germanischen
Ländern die weltlichen Thierprocesse abschhessen, namentlich die-
jenigen, welche das verklagte Thier ins Meer bannen, — ferner das
Tödten eines Gattungsexemplars unter Verwünschungen oder Male-
dictionen, womit der kirchliche Thierprocess in der Lausanner Diocese
während des Mittelalters und der weltliche in Slavonien noch in der
neuesten Zeit endet. Unverkennbar fallen diese Urtheile unter den
Begriff der Beschwörung oder des Zaubers. Dazu stimmt vollkommen,
dass nach Vairo der weltliche Thierprocess vor einem Beschwörer
verhandelt wird, und dass die Kenntniss solcher Abwehi-mittel sich am
längsten bei Leuten erhalten hat, bei denen leicht die Wissenschaft
des Zaubers vermuthet vnrd. Nun trifft es sich, dass gerade die Thier-
gattungen, gegen die am öftesten Processe angestrengt wurden, auch
sonst überall dem bannenden Zauber unterworfen galten i). Charak-
teristisch genug gibt es auch von diesem ausserprocessualen Zauber
Arten, die in ein Gewässer bannen und sich der processualen Ter-
minologie des Mahnens und Ladens bedienen 2), Arten ferner, zu deren
Ritus das Tödten oder Verstümmeln eines die Gattung vertretenden
Exemplars gehört 3). Der Zauberbann in solcher Anwendung steht in
keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem christlichen Teufelsglauben,
1) Malleolus tract. II de exorc. p. 417 (mit der dortigen Bannformel
vgl. die in Zschr. f. deut. Mythol. IV 1859 S. 121 und Thiele Danm. Folkes. III
No. 311). S. ferner Fr. Panzer Beitrag z. deut. Mj-th. II S. 272, Wuttke Deut.
Yolksaberglaube 1869 §§ 611—616, 647, 648, Rolland Faune pop. III 320, 30, 31,
S e b i 1 1 0 1 in Revue des trad. pop. III (1888) p. 592, Hylten-Cavallius Wärend
och Wirdame I S. 426 f., II S. XLV, Grohmann Apollo Smintheus S. 57—60,
Histor. polit. Blätter 1845 S. 516 f., Rutis hauser Vierundzwanz. Wochen S. 119,
Thiele II 66 f., 288 f., 0. Fuglestvedt Folkesagn I S. 9 f, Kristensen
Jyske Folkesagn No. 118, 119, 302, Eva Wigström Folkdiktning i Skäne
S. 174, 222, Frischbier Hexeuspruch u. Zauberbann S. 89, 137 f. 2) Nork
inScheible's .Kloster' XU S. 505, Thiele II 69, Hylten-Cavallius a. a. 0. I
S. 336, II S. XLV. Grohmann a. a. 0. S. 83—85. Verwandt das Bannen mittelst
der Terminologie des Aufsagens: Eva Wigström a. a. 0. 174. ') Grohmann
S. 66, Wuttke §§ 612, 614, 648. Plinius bist. nat. XXX 53 und oben N. 1 S. 575.
598 ^ '» i '• '^•
wiewohl die gebannten Thiergattimgen zu denen gehören, deren Ge-
stalt der Teufel anzunehmen liebt. Die weite Verbreitung wie die
Natur des Brauches scheint vielmehr auf eine hinter der cliristlichen
zurückliegenden Entstehungszeit zu deuten. Befinden wir uns damit
auf richtiger Fährte, so fordern uns zu ihrer weitern Verfolgung die
heidnischen Ansichten auf, wonach eben jene Thiergattungen sich von
andern durch ihre gespenstigen Eigenschaften unterscheiden. Die Leiber
von Mäusen, Katten, Maulwürfen, Kröten, Schlangen, Schnecken, In-
sekten, insbesondere galten vorzugsweise als Wohnstätten von Seelen i).
Schon bei Lebzeiten eines Menschen kann seine Seele in einen solchen
Leib schlüpfen. Nach seinem Tode kann sie dauernd in dieser Gestalt
umherirren. Und ebenso können in ihr Dämonenseelen hausen, die
ja nicht von Haus aus einen wesentlichen Gegensatz zu den Seelen
abgeschiedener Menschen bilden. In Eiben und Maren tritt die Ver-
wandtschaft unter Dämonen und Seelen von Gestorbenen deutlich zu
Tag. Da ist es nun lehrreich, dass die Heuschrecke — eine der Thier-
gattungen, denen am häufigsten der Process gemacht wird — im Ober-
deutschen selber alp genannt wnrde, und dass auch bei den Schweden
im Eybofylke ein Insekt alpa wie ein anderes mära heisst. Was von
Insekten und anderm Ungeziefer, kann aber, so weit es hier von Be-
lang, auch von den drei ,,Hauptthieren der Fabel", dem Wolf, dem
Fuchs und dem Bären, gelten, von denen die beiden ersten nach süd-
slavischem Glauben „heidnisch" sind und mit Exorcismen verfolgt werden.
Im germanischen Volksglauben sind alle drei gespenstig. In Schwaben
macht man dem Garne valsbären, der hier wie in Böhmen ein Strohbär
ist und wie in Rom getödtet wird, zuvor sogar einen Process. Zu Rom
glaubte man in ihm den Teufel umzubringen ^), Den Wolf ferner, der
in Calabrien maledicirt wird, verfolgt man bei Germauen und Slaven
mit Zaubersprüchen ^). Alle diese Vorstellungen sind Ausfiüsse des
arischen Animismus. Das nämliche Ungeziefer, dessen Gewand nach
1) Mannliardt German. Mythen S. 79, 506, 353—356, 367—375, 439 f.,
723, 729. A. Kuhn Sagen aus Westfalen S. 18—22. Svend Grundtvig
Danske Folkeminder (1861) No. 123—127. Eva Wigström a. a. 0. S. 175.
Grohmann Apollo Smintheus. Hj'l ten - Cavallius a. a. 0. II S. XXXIV f.
Lippert Christenthum, Volksglaube u. Volksbrauch S. 491 — 506 Gubernatis
D. Iliiere S. .391, 629-634, 638, 651 f., 396 f. Knauthe in der Zschr. ,Am
Urquell' II (1801) S. 71, Friedr. Krause ebenda S. 103 f. (wo eine Banuformel
gegen die Mahr). -) J. Grimm Reinhart Fuchs S. LIII— LVI. Li ehr echt
Zur Volkskunde S. 333 f. Gubernatis a.a.O. S. 426- -431, 453. Mann-
bar dt a. a. 0. S. 306. ^) S. insbesondere den Wolfszanber bei Fr. Krauss
Die verein. Königr. Kroatien u. Slavonien S. 109 f. und vgl. Kristensen Jyske
Folkesagn No. 449, 453, Svend Grundtvig Gamle danske Minder (185 Vs)
Thierstrafeu und Thierprocesse. 500
dem Glauben der europäischen Arier Seelen anziehen, besteht nach
dem altindischen und persischen aus Dämonen, denen mit Vertilgung
ihrer Leiber oder mit Beschwörungen der Krieg gemacht werden soll ^).
Die europäischen Arier, weniger dogmatisch beeinflusst als ihre asiati-
schen Vettern, unterscheiden sich von diesen allerdings, indem sie den
Krieg nur im Bedarfsfall führen, zwischen hinein sogar sehr freund-
schaftliche Verhältnisse herstellen.
Diese Beobachtungen führen uns zum Thema zurück. Die Ver-
urtheilung im Thierprocess ist aufzufassen nicht sowohl als Ver-
urtheiluug von Thieren wie als zauberisches Bannen von
Menschen- oder Dämonenseelen und solchergestalt als Parallele
zu dem bei den klassischen und slavischen Völkern, aber auch ander-
wärts nachgewiesenen Seelenaustreiben -).
Eine Zubehör jenes Zaubers aber ist der Process. Der Zauber
stellt Formen des Eechtslebens in seinen Dienst, wie er seine eigenen
Formen (den Eid) in den Dienst des Eechtslebens stellt. Im Thier-
process sind nicht Thiere, sondern Menschen- oder Dämonenseelen die
Verklagten. Der Thierprocess ist Gespensterprocess.
Dafür, dass es einen Process in voller Form Kechteus gegen Ge-
spenster und zum Zweck ihrer Abwehr in heidnischer Zeit gegeben
hat, dafür kann der Beweis aus einem germanischen Gebiet quellen-
mässig erbracht werden. Die Quelle ist eines der berühmtesten und
verlässigsten Werke der isländischen Erzählungsliteratur, die um 1250
verfasste Eyrbyggja saga. Zwar liegen die von ihr geschilderten Be-
gebenheiten um dritthalb Jahrhunderte weiter zurück. Aber die üeber-
lieferung derselben bis zur Zeit des Verfassers war eine verhältniss-
mässig gute, und insonderheit das Ereigniss, dem wir unsere Auf-
merksamkeit zuzuwenden haben, während des Mittelalters auf der
Insel allgemein geglaubt. Es berichtet aber die Saga in iliren capp.
50—55 Folgendes. Im Sommer desselben Jahres, in welchem das
Christenthum gesetzlich auf Island eingeführt wurde, also des J. 1000
kam mit einem Dublinfahrer eine vermögliche Frau von den Hebriden
Namens ^örgunna nach der Halbinsel Snjöfellsnes und nahm Quartier
auf dem Hof Frödä, Dort starb ]iörguuna noch im Herbst des näm-
lichen Jahres an einer ihr angezauberten Krankheit. Sie starb als
Christin, und ihrem Wunsche gemäss liess der Hausherr l^oroddr ihre
No. 212 (Bannung ins Wasser), auch Frischbier a. a. 0. S. 147—153, Krauss
Sagen u. Märchen II No. 54, 116, 117.
') Vendidad Farg. XIV 9 — 17. Sad Dar (transl. by West in The sacred
books Vol. XXIV) 43. G rohmann a. a. 0. S. 37, 67 f. '■') Ueber dieses
s. die Zusammenstellung bei Rohde Psyche S. 219.
600
A tu i r a.
Leiche nach Skalaliolt, dem nachmaligen Bischofssitz schaffen, und bei
der dortigen Kirche beisetzen. Aber zuwider seinem Versprechen, das
er der Sterbenden gegeben, Hess er deren Bettzeug nicht verbrennen.
Die Folge davon ist, dass sie, die schon während des Transports ihrer
Leiche einen ungastlichen Bauern durch ihr gespenstiges Erscheinen
zu freundlicherem Benehmen genöthigt hatte, nach der an Vampyris-
mus streifenden Art richtiger Wiedergänger sechs Dienstleute des
])6roddr der Keihe nach, dann diesen selbst mit noch fünf andern
zusammen während einer Meerfahrt und darnach noch sechs Leute aus
dem Hause in den Tod ruft. Die ersten sechs und Jjoroddr mit seinen
Genossen gehen allabendlich zum Schrecken der üeberlebenden um.
Auch gespenstige Thierge stalten zeigen sich. Endlich weiss der in der
Nähe wohnende mächtige Häuptling Snorre gode Eath. Vor allem
muss, was von ^orgunnens letztem Willen unerfüllt ist, ausgeführt und
gegen die Wiedergänger ein gerichtliches Verfahren eröffnet werden.
Darnach muss ein Geistlicher das Gehöft unter Gebeten mit Weih-
wasser besprengen und die Lebenden beichten hören. Die Kathschläge
des Snorre werden befolgt. Die Wiedergänger, die sich am Abend
ans Feuer setzen, werden der Reihe nach zum „Thürengericht" ge-
laden, wegen unerlaubten Umgehens und wegen der Schädigung von
Menschen an Leib und Leben. Draussen vor der einen Thür der
Stube setzen die Kläger die von ihnen zu ernennenden ürtheiler nie-
der, tragen ihre Sache vor und lassen Nachbargeschworne über den
Thatbestand aussagen, — alles „wie an den Thinggerichten". Zuletzt
wird gegen jeden einzelnen der Wiedergänger das Urtheil abgegeben.
Da steht jeder von diesen, wie die Reihe an ihn kommt, drinnen in
der Stube auf und entfernt sich durch die Hinterthür, — nicht ohne
in einem kurzen Spruch mit trockenem Humor sein Gehen zu moti-
viren. Nachdem noch der Geistliche seinen Dienst gethan, ist der
Spuck zu Ende. Das ist in Umrissen die Geschichte vom „Frddä-
wunder" i), das auf Island ungefähr so sprichwörtlich geworden ist,
wie in Frankreich die „Mücken von Foigny".
Wir sehen hier an den heidnischen Brauch den christlichen Exor-
cismus einstweilen noch ganz äusserlich angestossen. Im kirchlichen
Thierprocess ist die Verbindung eine engere geworden, wobei das
Heidnische christianisirt werden musste. Die Metamorphose des im
Tliier wohnenden Gespenstes oder Dämons ist der Teufel, die Meta-
morphose der Gespenster- oder Dämonenbeschwörung der kirchliche
Thierprocess und der Exorcismus in Form der Thiermalediction oder
») Flateyjarbök III S. 505.
Thierstrafen und Thierprocesse. ßOl
der sog. Excommuuication. Am leichtesten umzugestalteu war die
eigentliche Beschwörung. Sie wurde daher zuerst verkirchlicht. Mittler-
weile starb der Thierprocess in einigen christlichen Ländern von selbst
ab. Wo aber sein Leben ein zäheres war, musste die Kirche doch
auch ihn zuletzt in ihre Kreise ziehen. Seine Christianisirung ist aber
nur in Frankreich und auf der iberischen Halbinsel mit annähernder
Vollständigkeit durchgeführt worden. Einmal verkirchlicht haben sich
von dort Thierprocess und Thierexcommunication sogar noch nach
der neuen Welt verbreitet. Andererseits hat die Kirche zwischen 1500
und 1750 die fremdartigen Elemente, durch deren Aufnahme sie ihren
Erfolg errungen, allmälig wieder abgestossen. Auf rein kirchlichem
Buden fortdauern konnte zuletzt doch nur die Adjuration der ,,spiritus
iramundi animalibus in damnum hominum utentes", wie das Breve von
Clemens XL v. 1717 sagt. Eine Begleiterscheinung dieses Verschrum-
pfens des kirchlichen Thierprocesses ist das Wiederaufleben des welt-
lichen in Frankreich. Dagegen ist dieser, wie wir ihn in Oberdeutsch-
land und Dänemark, dann in Slavonien kennen lernten, im Wesentlichen
die unmittelbare Fortsetzung des heidnischen. Eine Mittelstufe zwischen
letzterem und dem christianisirten stellt sich in dem von L. Vairo
geschilderten dar, worin bis auf den Schluss, die Malediction, das Ver-
fahren ein weltliches ist.
Weltliches Thierstrafrecht und eigentlicher Thierprocess gehören
also ihrem Wesen nach nicht zusammen. Dennoch konnten sie auf
einander einwirken. In Montenegro z. B. könnte das Thierstrafrecht
unter dem Einfluss des Thierprocesses sich fortentwickelt haben, da
hier auch jenes den im Thier wohnenden ,, bösen Geist" verfolgt.
Die Schenkung Yon Kenmade und Fisclibeck an
Corvey i. J. 1147 und die Purpururkunden Corveys
von 1147 und 1152.
Von
v
Th. I Ig en.
Die hervorragende Stellung, welche Corvey unter den kirchlichen
Stiftungen Westfalens einnimmt, spricht sich deutlich auch in dem
Schutzrecht aus, das es zu verschiedenen Zeiten über eine ganze
Keihe von kleineren Klöstern und Kirchen in Westfalen und den
Nachbargegenden ausgeübt hat. Im Jahre 853 wurde dem Abte Warin
von Corvey von Ludwig dem Deutschen der Schutz und die Vertretung
Herfords nach Aussen hin übertragen, nachdem bereits 826 dessen
Vater Ludwig der Fromme die Kirche von Eresburg, die nachherige
Propstei Marsberg, Corvey unterstellt hatte. Später traten hierzu theils
durch kaiserliche theils durch päpstliche Schenkung die Kirchen von
Meppen, Groningen, Kemnade, Fischbeck, Werbe und Andere. Die Ueber-
tragung aber von Kemnade und Fischbeck an Corvey durch König
Conrad IIL im Jahre 1147 hat auf Seiten der dadurch geschädigten
Interessenten einen so lebhaften Widerspruch hervorgerufen, dass es
dem damaligen Abte Wibald von Corvey erst nach Jahre langen
Kämpfen gelang, sich in den ruhigen Besitz von Kemnade zu setzen,
während er auf Fischbeck sehr bald wieder Verzicht hat leisten müssen.
Die Angelegenheit, über welche wir durch die corvey'schen Geschichts-
quellen verhältnissmässig gut unterrichtet sind, ist für Wibalds Thätig-
keit und Stellung ausserordentlich lehrreich; sie verdient aber gleich-
zeitig durch die daran sich anschliessenden diplomatischen Fragen
unsere besondere Beachtung.
Unter letzterem Gesichtspunkt ist sie neuerdings von Kehr i)
behandelt worden. Die Kesultate jedoch, zu denen er gelangt ist,
') P. Kehr, Die Purpururkunde Konrad III. für Corvey im Neuen Archiv XV,
363—381.
Die Schenkung von Keinnade und Fiwchbeek an Corvcy i. .1. 1147. G()3
sclieineu uns in mehrfacher Beziehung anfechtbar, wenngleich Schuru,
der neueste Bearbeiter der Diplome Conrads III. in den Kaiserurkuuden
in Abbildungen i) in den hauptsächlichsten Punkten Kehr zuge-
stimmt hat.
Wir besitzen nämlich über die Schenkung Kemnades und Fisch-
becks resp. Kemnades allein, zwei Urkunden König Conrads III. (St.
3543 und 3544), beide datirt aus Frankfurt unter dem Jahre 1147.
OberflächUch betrachtet unterscheiden sie sich in der Weise, dass durch
St. 3544 Kemnade und Fischbeck an Corvey überwiesen werden,
während in St. 3543 nur von Kemnade die Rede ist. Von letzterer
Urkunde sind uns nicht weniger als drei Ausfertigungen erhalten,
welche Kehr mit ßi, B2 und B 3 2) unterscheidet. B\ welche dem
Druck bei Philippi 3) zu Grunde liegt, beruht im Staatsarchiv zu
Münster; desgleichen B 2, von der jedoch nur der Schluss der Urkunde
erhalten ist. B 3, im geheimen Staatsarchiv zu Berlin, ist auf Purpur-
pergament mit Goldbuchstaben gesclirieben, und neuerdings von Schum
in Facsimile wiedergegeben ^). Kehr meint nun, dass St. 3544 — von
ihm mit A bezeichnet — eine gleichzeitige Ausfertigung vom März
1147 aus Frankfurt sei; hingegen wäre St. 3543 trotz des mit jener
gleichlautenden Datums als eine erst im Jahre 1151 zu Stande ge-
kommene Neuausfertigung von St. 3544 anzusehen ^). Schum hält
St. 3543 ebenfalls für eine Neuausfertigung von St. 3544, will sie
aber zeitlich näher an den Ausstellungstermin, also den März 1147,
heranrücken.
Um uns über das Verhältniss der Urkunden St. 3543 und 3544,
die wegen der inhaltlichen Verschiedenheiten unmöglich an einem Tage
aus der königlichen Kanzlei hervorgegangen sein können, Klarheit zu
verschaffen, ist es nöthig, uns die Geschichte der Schenkung von
Kemnade und Fischbeck ausführlicher und im engeren Auschluss an
unsere gleichzeitigen literarischen Quellen'^), als sie Kehr giebt, vor
Augen zu führen.
Der sittliche Zustand der in der Nähe von Corvey gelegenen
beiden Frauenklöster war schon seit längerer Zeit ein äusserst be-
denklicher gewesen. Die Damen dieser Couvente, in Kemnade unter
der Führung der Aebtissin Jutta, einer Stieftochter Ludwigs von Lare,
führten nämlich ein derart ausschweifendes Leben, indem sie sich über
') Lief! X, Text zu Taf. 5. '') S. 36G und 367 Anm. 3. 3) Die Kaiser-
urkunden der Provinz Westfalen II, Nr. 225. *) Kaiserurkunden in Abb.
liief. X, Taf. 5 und Bemerkungen S. 375 f. ^) S. S. 368 ft". und besonders
378. ") Vgl. Monumenta Corbeiensia ed. Ph. Jaffe in der Bibl. rer. Germ. I.
und zwar Chronographus Corbeiensis S. 55. ff. und Wibaldi Epistolae Nr. 30 ff.
604 Ilsen.
jede klösterliche Zucht hinwegsetzten, dass das Ausehen der geist-
lichen Personen im Sachsenlande aufs erustlichste dadurch gefährdet
wurde. Bereits die früheren Aebte von Corvey waren daher darauf
bedacht gewesen, dieses wüste Treiben abzustellen, aber vergebens ^).
Da gelang es Wibald kurz nach seiner Wahl zum Abt von Corvey
König Conrad III. zu bewegen, Kemuade und Fischbeck seinem Stifte
zu schenken, um daselbst das klösterliche Leben zu reformiren. Ende
Januar 1147, als der König mit zahlreichen Fürsten in Fulda weilte,
hat er Wibald auf dessen anhaltende Bitten hin für Corvey die beiden
Abteien übergeben und die Schenkung durch einen mit einem Edelstein
gezierten King bekräftigt. Dieser wurde dem Schrein des hl. Stephanus
eingefügt, damit er die späteren Klosterangehörigen an die Wohlthaten
des Königs und den Eifer des Abtes erinnere. Der König Conrad
aber, um doch auch das Interesse des Keiches bei dem
Schenkungsacte zu wahren, bestimmte, dass, so oft ihm
von Corvey dem Gesetz und Herkommen gemäss Dienste
geleistet werden müssten, die betreffende Geldsumme nun-
mehr um je 10 Pfund gesteigert, im Falle aber Natural-
lieferungen ausgeschrieben würden, die bisherigen Ka-
tionen um die gleiche Werthsumme d.h. 10 Pfund vermehrt
werden sollten. Obwohl eine Anzahl von Fürsten bei dem Schen-
kungsact zugegen gewesen war und ihre Zustimmung zu demselben
gegeben hatte, sollte doch erst die endgültige Festsetzung und Be-
stätigung desselben auf dem nächsten Tage zu Frankfurt erfolgen 2).
Wibald aber kehrt von Fulda nach Corvey zurück und begibt
sich nach kurzem Aufenthalte von da nach Kemnade — ambiciosius,
ut suis Visum est — sagt der Clironographus ») ; in seiner Begleitung
befindet sich ein Bevollmächtigter des Königs mit einem besiegelten
Patent. Die Besitzergreifung Kemnades wird von Seiten des Abtes
1) Ep. Wib. Nr. 34 und 36. ^) Chron. Corb. S. 55. Die Stelle: Nam
ne minus et rex hinc regno prospiceret, quocienscumque serviri sibi de loco
nostro legis debito et priorum longe dierum instituto contingeret: si argento
anticipanda foret, denae appenderentur librae, sin autem pastibus, aucmenta-
rentur tanti precii pro temporis qualitate ac comparationis commoditate. Pro bis
ergo stabiliendis et confirmandis, licet nonnulli principum bis affu-
erint et consentientes fuerint eciam, Frankeuevurde se sibi occurvere
statuta die indixit . . . bat Kebr bei seinen Ansführnngen gänzlicb unbeachtet
gelassen, was ihn verschiedentlich zu unrichtigen Darlegungen geführt hat. Ver-
gleiche auch den Brief König Conrads an Papst Eugen III. aus dem März 1 147
(Ep. Wib. 34): Erant in propinquo duae abbatiolae feminarum, quae nullum
regno et nobis vel in milicia vel in alio servicio prebebant supplementum.
8) S. 55.
Die Schenkung von Kemnade und f]ischbeck an Corvey i. J. 1147. ß05
von Corvey, wenn gleich nicht ohne Widerspruch, vollzogen. Diesen
Hergang bestätigt uns ein Schreiben Wibalds an König Conrad III
aus dem October 1149 ^). Die Uebernahme von Fischbeck jedoch wurde
durch den energischen Protest der Ministerialen Herzog Heinrichs des
Löwen und der Kitter Adolfs von Schaumburg verhindert. Herzog
Heinrich war zwar inzwischen (Ende Januar 1147) ^) vom König direct
über die Schenkung in Kenntniss gesetzt worden, die erfolgt sei, unter
Wahrung der Vogteirechte des Herzogs. Es wurde ihm anheimgegeben,
sich deswegen mit dem Abte von Corvey ins Einvernehmen zu setzen.
Jedoch auch für den Fall, dass der Herzog nicht geneigt sei, Corvey
die Lehensherrlichkeit der Vogtei über die beiden Klöster zu überlassen,
hielt König Conrad die Schenkung aufrecht.
An einer späteren Stelle schildert uns der Chronographus ^) die
Vorgänge auf dem Frankfurter Tage, als die abermalige Uebergabe der
beiden Klöster an Corvey stattfand. Zunächst wurde hier durch Ab-
stimmung die principielle Frage zur Entscheidung gebracht, ,,si possent
dari legitime cellule regales regali et majori ecclesie, de qua et regnum
sumeret nounulla obsequia, cum et de minoribus preter nominis solam
gloriam nulla provenirent regno profutura" ■*). Danach kann meiner
Ansicht nach darüber gar kein Zweifel aufkommen, dass in Frankfurt
die Eutschädigungsfrage für das Eeich wahrscheinlich um den Wider-
stand der Fürsten gegen die Uebertragung von Kemnade und Fischbeck
zu brechen; als ein sehr wesentliches Moment ins Treffen geführt ist,
mit anderen Worten, dass man sehr nachdrücklich darauf hingewiesen
hat, dass dem Reich durch Ueberweisung der beiden nicht abgabe-
pflichtigen Klöster an das grössere Stift ein praktischer Vortheil er-
wüchse, indem dadurch die Abgabefähigkeit des letzteren erhöht würde ^).
Die Mehrzahl der Fürsten ist denn auch dafür, dass die Vereini-
gung von Kemnade und Fischbeck mit Corvey statthaft sei. Kur Adolf
von Schaumburg erhebt Widerspruch, der indessen keine Beachtung fand.
„Es wiederholten also die Könige, Conrad HI. und sein Sohn Heinrich,
die Uebergabe der Klöster an Corvey durch den King". Wibald reist
darauf von Frankfurt aus direct nach Clugny, um hier Papst Eugen III
im Auftrage Conrads III die Wahl des jungen Heinrich zum römischen
») Ep. Wib. Nr. 201. *) Ep. Wib. Nr. 30. Kehr S. 373 uml ihm folgend
Schum S. 374 setzen diesen Brief in den März 1147, weil darin auf einen Spruch
der Fürsten Bezug genommen werde ; sie haben aber übersehen, dass der Chron.
S. 55 berichtet, dass bereits in Fulda mehrere Fürsten ihre Zustimmung zu der
Schenkung gegeben haben. S. oben S. C04. Anm. 2. ^) S. 58 If. *) Ep.
Wib. Nr. 34. *) Anders Kehr S. 371. Anm. 1 unter Heranziehung von
St. 3544.
606 I U e n.
K('»)iio" anzuzeigen. Er nimmt auch die königlichen Schenkungsbriefe
mit dorthin, um deren Bestätigung vom Papst zu erbitten. Indessen
da Eueren III ein Bericht über Wibalds Wahl zum Abt von Corvey
noch nicht zugegangen war, Hess er sich nicht bewegen, Wibald
resp. dem Stifte Corvey den Besitz von Kemnade und Fischbeck auch
seinerseits urkundlich zuzusichern ^).
Inzwischen kehrte aber der Propst Adalbert von Corvey, der
ebenfalls auf dem Frankfurter Tag anwesend gewesen war, mit den
Keliquien des heil. Yitus, welche bei der Uebertragung der Klöster
eine Kolle gespielt hatten, nach Hause zurück und verkündete den
Brüdern, was man auf dem letzten Keichstage im Interesse der Abtei
durchgesetzt, imd dass der Herzog von Sachsen die Vogtei über Kem-
nade und Fischbeck durch Vermittlung König Conrads dem Abte von
Corvey übertragen und dieselbe dann von diesem wieder als Lehen
empfangen habe. Das hinderte aber Dietrich von Eiclingen nicht, dem
corvey 'sehen Propst in Kemnade das Leben recht sauer zu machen;
und bald darauf überfiel auch die frühere Aebtissin Jutta mit ihrem
Anhang das Kloster. Soweit der Chronographus -). Von Fischbeck ist
bei ihm in den letzten Partieen überhaupt nicht mehr die Eede. Seine
Angaben finden, wie wir zum Theii bereits gesehen haben, ihre Be-
stätigung durch Wibalds Briefsammlung.
Zunächst geht aufs Bestimmteste daraus hervor, dass von Con-
rad III im März 1147 zu Frankfurt in der That die Schenkung der
beiden Klöster Kemnade und Fischbeck wiederholt ist =^). Aber
ebenso unanfechtbar steht fest, dass sich der König, was ja der
Chronographus schon bei der vorläufigen Uebertragung ausdrück-
lich hervorgehoben hatte, für das Reich eine Entschädigung ausbe-
dungeu hat*).
Indessen wurde die Schenkung von einer Seite beanstandet, von
welcher es Wibald wohl am wenigsten erwartet hatte, nämlich vom rö-
mischen Stuhl. Der Abordnung Corveyer Mönche, welche im Mai 1147
mit dem Cardinal Guido nach Kern gereist war, um Wibalds Bestätigung
") Ep. Wib. Nr. 35. Si tec {der Bericht über Wibalds Wahl) expectata non
fuissent, privilegia nostra de Kaminade et Visbike confirmata essent. Vergl. noch
Chron. S. 59. •') S. 59 K ») Vgl. die Briefe Wibalds Nr. 34-37, 46, 47,
68 und besonders noch 181 und 187. ■*) König Conrad schreibt im Juni oder
Juli 1149 nach seiner Rückkehr aus dem heiligen Lande Ep. Wib, Nr. 181.
Quae Corbeiensi aecclesiae pro tua dilectione in abbatiis, Caminata videlicet et
Visebacho contulimus, ad usus ejus Deo annuente conservabimus ; certi, quod
Corbeienses pecuniam, quam juramenti asser tione promise-
rant, indubitanter nobis persolvant.
Die Schenkung von Kemnarlr und FiscliHeck an Corvey i. J. 1147. (i07
zum Abte von Corvey von Eugen III zu erbitten, wurde zwar diese
ertheilt, aber es gelang ihr nicht, sich die päpstliche Eatification der
Privileofien Könisf Conrads über Kemnade und Fischbeck auszuwirken.
Die Gegenpartei war nämlich inzwischen nicht unthätig gewesen.
Man hatte den Papst glauben gemacht, Wibald habe dem König für
die beiden Klöster den ganzen Kii'chenschatz von Corvey abgetreten.
Zwar konnte man die Grundlosigkeit dieser Nachricht darthun, aber
die Bestätigung der Privilegien erfolgte trotzdem nicht. Der Fall sei
strittig, wurde bemerkt, und alle Bemühungen der Corveyer Mönche
den Widerstand des Papstes und der Cardinäle zu brechen, scheiterten.
Man konnte froh sein, dass Eugen III. die Schenkung nicht ohne
Weiteres cassirte i). Wibald musste erst seine weitreichenden Be-
ziehungen in Wirksamkeit treten lassen, um den Papst umzustimmen.
Auf seine direkten Bitten geschah es offenbar, dass sich gegen den
Dezember 1147 der junge König Heinrich in Abwesenheit seines
Vaters wegen der Bestätigung Kemnades und Fischbecks an Eugen III
wandte ~). In gleicher Weise schrieben zu derselben Zeit Graf Her-
mann von Winzenburg und die Aebte von Flechtorf, Northeim und
Grevenkerken nach Kom 3). Herzog Heinrich von Sachsen liess sich
wenigstens bewegen, für die Gutheissung der Schenkung Kemnades an
Corvey beim Papste einzutreten, desgleichen der Bischof von Hildes-
heim und der Abt von Amelunxborn ^), Diese Fürsprachen und das
widerspenstige Verhalten der Aebtissin Jutta hatten dann den Erfolg,
dass Eugen III seinen Widerstand gegen die Einverleibung von Kem-
nade wenigstens mit Corvey aufgab ^). Von Fischbeck hören wir auch
in päpstlichen Correspoudenzen und Bullen nichts mehr. Wibald ver-
suchte dann König Conrad III bei dessen Küekkehr aus dem Orient
aufs neue für seine Schenkung zu interessiren. Jedoch auch diesem
scheint es nicht gelungen zu sein, die Abneigung der weltlichen
Grossen und des Bischofs von Minden gegen den Uebergang von
Fischbeck an Corvey zu beseitigen. Man darf es als einigermassen
sicher ansehen, dass Wibald auf einem Tag zu Aachen Weihnachten
1149 genöthigt worden ist, auf den Besitz dieses Klosters überhaupt
zu verzichten ^).
1) Ep. Wib. No. 46. '') Ebenda No. 68. s) Ebenda No. 71, 72,
73 u. 74. *) Ebenda No. 70, 69 u. 75. ^) Gegen April 1148. S. Ep.
Wib. No. 143 u. Finke Papsturkunden No. 68, 79, 81—83, 86, 92 u. 93. Kelir
S. 374 meint, dass die Anerkennung der Zugehörigkeit von Kemnade zu Corvey
von Seiten des Papstes erst Ende 1151 erfolgt sei. Man beachte aber nur den
Ausdruck in Wibalds angeführtem Brief: »et nos liberati sumus*. ß) Vgl.
Kehr 376 f.
608
1 1 g e n.
Wie verhalten sich nun zu diesen Angaben unsere urkundlichen
Zeugnisse ? Wir erwähnten schon, durch St. 3543 wird nur Kemnade,
durch St. 3544 aber Kemnade und Fisch beck auf Corvey über-
tragen. Aber die Bedingungen, unter welchen die Schenkungen statt-
fanden, werden in beiden Diplomen verschieden angegeben. Der be-
quemeren Uebersicht halber, stellen wir die beiden auf dieselben
bezüglichen Stellen nebeneinander:
St. 354.3. I St. 3544.
Sane de prefato loco (Keminada) neque [ Saue ad prefata duo loca (Kerninate
milicia neque idlum servitium nobis aut | et Vishike) neque tnilicia neque ullum
regno dehebatur, et quoniam Corbeinsi servitium nobis aut regno debebatur,
monasterio tani in milicia, quam in et quoniam Corheiensi monasterio tarn
in milicia, quam in servitio ad hono-
rem reyni et defensionem sancte ecclesie
dignitas collata est,
nos judicio principum ad corone no-
stre augmentum, sicut prescriptum est,
manere decernimus.
servitio ad honorem regni et defen-
sionem sancte ecclesie dignitas collata
est, ex consensu fratrum et ministeria-
lium ipsius ecclesie statuimus, ut pro
augmento prefati monasterii, quod ec-
clesie Corbeiensi in perpetuam pos-
eessionem tradidimus, ad debitum
regis servitium VI marce aut servi-
tium W marcarum regno de abbatia
Corbeieusi persolvantur. Atque hanc
nostre auctoritatis donationem ex ju-
dicio principum regni nostri, sicut
prescriptum est, manere in perpetuum
decernimus.
St. 3543 bedarf wohl kaum der Erläuterung. Trotzdem Kemnade
bisher von Abgaben an das Reich befreit gewesen ist, verpflichtet sich
Corvey, welches den Vorzug geniesst, zur Ehre des Eeiches und der
Vertheidigung der Kirche beitragen zu dürfen, nach üebernahme jenes
Klosters seinen bisher gezahlten Beitrag au den König oder das Keich
um 6 Mark oder eine gleichwerthige Leistung zu erhöhen. Diese
Bestimmung steht durchaus im Einklang mit den Angaben des Chrono-
graphus. Die Differenz hinsichtlich der Höhe der Summe — nach
dem Chron. i) sollten 10 Pfund gezahlt werden — erklärt sich sehr
natürlich daraus, dass dieser Ansatz bich auf Kemnade und Fischbeck
bezog, während der in St. 3543 gegebene (6 Mark) nur für Kemnade
berechnet ist.
Nicht so klar ist der Sinn des betreffenden Passus in St. 3544.
Wir versuchen deshalb, ihn möglichst wortgetreu wiederzugeben. ,,Zwar
wurde hinsichtlich der beiden vorgenannten Orte (Kemnade und Fisch-
beck) weder Kriegsdienst noch irgend eine andere Leistung uns oder
') S. 55.
Die Schenkung von Kemnade und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. 609
dem Keiche geschuldet; weil nun aber dem Kloster Corvey sowohl in
Bezug auf Kriegsdienste als auf Leistungen zur Ehre des Kelches und
zur Vertheidigung der heiligen Kirche eine besondere Stellung über-
tragen ist, so beschliessen wir nach dem ürtheilsspruch der Fürsten
zur Mehrung unserer Krone, dass es so bleibt, wie vorgeschrieben
steht." Wir sehen von der grammatisch nicht ganz unbedenklichen
Construction des Nachsatzes ab, dem Sinn nach erwartet man darin
unbedingt eine s;effensätzliche Bestimmung zum Vordersatz, die eben
fehlt. Der ganze Satz ist nicht selbständig concipirt, sondern aus zwei
Sätzen zusammengeschweisst, derart, dass der vollständig umgekehrte
Sinn der ursprünglichen Vorlage dabei herausgekommen ist. Man halte
nur den Wortlaut der Parallelstelle in St. 3543 daneben. Wie soll es
zur Mehrung der Krone beitragen können, wenn man die bisherige
Abgabefreiheit von Kemnade und Fischbeck auch nach der Verschmel-
zung mit Corvey bestehen lässt? Und die Auslegung, „dass durch die
Schenkung der beiden Eeichsklöster an Corvey das Pflichtverhältniss
desselben zum Eeiche unverändert bleiben und demselben durch die
Vergrösserung keine neuen Lasten entstehen sollten" i), widerspricht
direkt unseren sonstigen in diesem Falle sicher zuverlässigen Nach-
richten über die Angelegenheit, sie steht auch im schroffen Gegensatz
zu der parallelen Festsetzung in St, 3543, durch welche ja schon der
Umfang der Schenkung so wesentlich gekürzt ist. Für Kehr ^) jedoch
ist darin die Entscheidung des Fürstengerichtes klar und deutlich aus-
gedrückt, welche uns der lückenhafte Bericht des Chi'on. nur andeute.
Im Gegentheil die Entscheidung dieses Fürstengerichtes lautete offen-
bar: weil dem Keiche hierdurch ein thatsächlicher Vortheil erwächst,
wird der Uebergang der kleineren Klöster an das grössere für zulässig
erachtet. Kehr hat bei seinen Ausführungen vor allem unbeachtet
gelassen, dass eben nach dem Zeugniss des Chronographus schon bei
der vorläufigen Uebertragung von Kemnade und Fischbeck an Corvey
im Januar 1147 zu Fulda festgesetzt worden war, dass mit derselben
die Abgaben dieses Stiftes an den König oder das Keich um 10 Pfd.
erhöht werden sollten 3). In dem bereits angeführten Schreiben Con-
rads III. an Wibald von 1149 wird die Aufrechterhaltung der Schen-
kung ausdrücklich von der Zahlung der versprocheneu Gelder abhängig
gemacht ^). W^ie soll man damit in Einklang bringen, dass der König
in Frankfurt förmhch auf jede Entschädigung verzichtet hätte, wie
uns St. 3544 glauben machen will? Der Chronographus wird doch
1) Kehr S. 371. «) Ebenda Anm. 1. ») S. oben S. G04 Anm. 2.
♦) S. oben S. 606 Anm. 4.
Mittheilungen XH. 38
610 iip.'u.
jeue Angabe bez. der Keichsheerfahrtssteuer nicht zu Ungunsten seines
Klosters erdichtet haben, und unmöglich kann der König diese Be-
stimmung nachher einfach in ihr Gegentheil verkehrt und dann
wiederum geändert haben. Die Widersprüche, die sich hieraus ergeben,
sind unserer Ansicht nach so schwerwiegend, dass sie allein schon
genügen dürften, um mit Fug behaupten zu können, St. 3544 sei nicht
aus der königlichen Kanzlei hervorgegangen oder von ihr anerkannt.
Doch sehen wir weiter.
Dem Chronographus i) zufolge hätte zu Frankfurt im März 1147
Herzog Heinrich der Löwe die Vogtei über die Klöster Kemnade und
Fischbeck, welche ihm bisher zustand, dem Könige zurückgegeben;
dieser habe sie darauf der Corveyer Kirche geschenkt, von dem Abte
derselben sei sie dann aber wieder dem Herzog zu Lehen aufgetragen
worden. Dass das in Bezug auf Kemnade seine Richtigkeit hat, sehen
wir aus dem Verzichtbrief des Herzogs von 1147^); für Fischbeck
besitzen wir einen solchen nicht. Conrad III. hat freilich im Beginn
des Jahres 1147 den Herzog von Sachsen direkt aufgefordert, die
Vogtei über Fischbeck ebenfalls an Corvey zu geben 3). Dieser hat
sich jedoch dazu offenbar, trotz des anderslautenden Zeugnisses des
Chronographus, nicht verstehen wollen^). Auffällig aber bliebe es
immerhin, dass in der ersten urkundlichen Bestätigung der Schenkung
— als solche sieht ja Kehr St. 3544 an — der vogteilichen Verhält-
nisse der Klöster gar keine Erwähnung geschehen sein sollte. Kehr ^)
findet es nachher im Hinblick auf die darüber gepflogenen Verhand-
lungen naheliegend, dass der Verzicht Herzog Heinrichs auf die Vogtei
über Kemnade in St. 3543 Aufnahme gefunden habe. Aber auch dem
Frankfurter Tag müssen Verhandlungen über diesen Punkt vorauf-
gegangen sein und sie haben eben höchst wahrscheinlich zu dem
bereits angegebenen Resultat geführt.
Was endlich den Zusatz in St. 3543 anlangt, wonach König
Conrad bereits vor dem März 1 147 den Bischof von Minden, in dessen
Diöcese Kemnade lag, zur Reformation dieses Klosters aufgefordert
habe, dessen Bemühungen aber umsonst gewesen seien, so hat Kehr e)
darin Recht, dass wir Näheres darüber nicht wissen, was sich aber
') S. 59. 2) Bei Erhard, Cod dipl. bist. Westf. No. 262. Kehr 373 weist
die Urkunde, weil sie als Datum das 10. Jahr der Regierung Conrads trägt, der
Zeit nach dem Frankfurter Tage zu. Aber auch St. 3542, zu Frankfurt ausgestellt,
hat anno regni X. Immerhin ist es ja sehr gut möglich, dass die Ausfertigung
der Urkunde erst nach dem Reichstag erfolgt ist. ^) S. oben S. 605. ■«) Dafür
spricht doch auch, dass er Papst Eugen III gegenüber nur den Uebergang von
Kemnade auf Corvey befürwortet. Ep. Wib. No. 70. •'■) ö. 379. «) S. 369.
Die Schenkung von Kcnmadc und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. (\\\
aehi* leicht aus dein Umstand erklärt, das« das Archiv des Bisthums
Minden überaus lückenhaft überliefert ist. Dass jedoch eine solche Auf-
forderung des Königs nicht mehr an den Bischof von Minden ergangen
ist, nachdem Kemnade eben zu diesem Zweck an Corvey übertragen
war, liegt auf der Hand. Deshalb treffen auch Kehrs Bemerkungen
nicht zu, dass die angebliche Einschaltung in St. 3543 keine zufällige
sein könne, dass sie sich auf ganz bestimmte Verhältnisse und Ereig-
nisse beziehen müsse, welche erst in der Zeit nach dem Frankfurter
Tage eingetreten seien. Die Erwähnung des Bischofs von Minden war
den Corveyern unbequem, weil dessen Widerstand gegen die Schen-
kung auch nach der feierlichen Bestätigung derselben zu Frankfurt
noch fortdauerte.
Also nicht die Zusätze an sich nöthigen uns, die Entstehung
von St. 3543 nach dem März 1147 anzusetzen. Es kann nur eben
nicht eine zweite Urkunde mit dieser zu derselben Zeit ausgefertigt
worden sein, welche so wesentliche inhaltliche Abweichungen auf-
weist, wie St. 3544. Weil nun aber diese Abweichungen zum Theil
derart sind, dass sie unseren sonstigen Nachrichten, und zwar sehr zu
Gunsten Corveys, direkt widersprechen, da ferner die Auslassungen in
St. 3544 geeignet sind, gewisse neben der Schenkung hergehende
Thatsachen ebenfalls wieder im Interesse des Urkundenempfängers zu
verschleiern, so wird der Verdacht, dass hier eine Verunechtung eines
Originals durch Kürzung einiger Stellen desselben vorliegt i), nahezu
zur Gewissheit erhoben.
Die Frage entsteht nun, ist dieses Original St. 3543 oder ist ein
solches vorhanden gewesen, durch welches gleich wie in St. 3544 die
Schenkung von Kemnade und Fischbeck in eins ausgedrückt war, das
aber nicht die Auslassungen zeigte, wie St. 3544? Die Unbestimmtheit
und der Wechsel in den Ausdrücken in unseren literarischen Quellen
lassen keinen Schluss zu ; bald ist von den Privilegien über Kemnade
und Fischbeck, bald von d e m Privileg die Kede -). Hat ein gemein-
sames Diplom existirt, so l)leibeu die von Kehr und Schum gegen die
') Zu derselben Ansicht war aus den gleichen Gründen bereits Baring,
Chivis dipl. Praef. p. 25 f. gelangt. Er erhebt gegen Schaten, aus dessen Ann.
Paderbr. er St. 3544 nur kannte, den Vorwurf: »videtur illum studio oinisisse
ca, quae fortasse pro praesenti rerum statu minus grata fuerunt'. Aber nicht
dieser ist der Urheber der Fälschung ; die Schuldigen sind offenbar die Corveyer
selbst. Wersebe, Ueber die niederländischen Colonien (vgl. Kehr S. 368), ist mir
nicht zugänglich gewesen. -') Ep, wib. No. 35 heisst es privilegia nostra de
Kaminade et Visbike, No. 46 dagegen super privilegio de Kemiuade et Visbike.
Der C'hrouographus redet in Bezug darauf von litteris signatis, scripta haec etc.
38"
612 Ilgen.
Ausfertigung von St. 3543 eben auf dem Frankfurter Tage erhobenen
Bedenken zum Theil bestehen. Oder aber die Schenkung von Fisch-
beck ist gleich der von Kemnade durch eine besondere Urkunde erfolgt
und beide Diplome sind noch in Frankfurt selbst zur Ausgabe gelangt.
Damit erhalten wir auch die einfachste Erklärung für die Veranlassung
zu der mehrfachen Ausfertigung (B^ u. B^) von St. 3543^). Wibald
reiste vom Keichstag aus direkt zum Papst, wie wir gesehen haben,
und führte die Privilegien über Kemnade und Fischbeck mit sich, um
sie sich von Eugen III. bestätigen zu lassen '^). Es liegt besonders bei
den Anfechtungen, welche die Schenkung bisher erfahren hatte, nahe,
zu vermuthen, dass er sich ein Duplicat geben Hess, damit der nach
Corvey von Frankfurt aus zurückkehrende Propst Adalbert ebenfalls
ein Exemplar in Händen habe. Dann wird aber auch das Diplom
über Fischbeck doppelt ausgefertigt gewesen sein. Diese Exemplare
müssen, als am Schluss des Jahres 1149 Wibald zu Aachen genöthigt
wurde, endgültig auf Fischbeck zu verzichten 3), von Corvey wieder
ausgeliefert, für ungültig erklärt und vernichtet worden sein. An
St. 3544 müsste eigentlich schon allein der Umstand auffallen, dass
dasselbe als angebliches Original, ohne cancellirt zu sein, im Besitz
von Corvey geblieben ist, obgleich der darin ausgedrückte Inhalt
durch spätere Bestimmungen , welche dann wie Kehr will in
St. 3543 eine erneute Beurkundung gefunden hätten, zum Theil um-
gestossen war.
Aber nach den bisher gültigen Ansichten hat St. 3544 die regel-
mässige Form der königlichen Präzepte. Zwar wird zugegeben, dass
die Urkunde nicht von dem Ingrossator von St. 3543 B^ und ^ ge-
schrieben sein kann. Schum ^) jedoch findet die Schrift derselben
ähnlich der von St. 3392, 3455 u. a., welche von Stabloer Schreibern
angefertigt sein sollen. Kehr •'') meiut , dass eine nahe Verwandt-
schaft zwischen St. 3544 und der Purpurausfertigung von St. 3543
bestehe. Indessen die Schrift von St. 3544 zeichnet sich gegen-
über der aller anderen uns bekannt gewordenen Origiualpräzepte
Conrads III. durch eine merkwürdige Steifheit und Gezwungenheit
in der Form der Buchstaben aus, welche auf eine Schreiberhand
schliessen lassen, die in der Urkundensclirift nicht geübt war.
Ihrem Gesammtcharakter nach nähert sie sich der Buchschrift,
nur dass bei einzelnen Buchstaben, in den langen Schäften von „f,
1, s" u. a. eine stärkere Annäherung an die gewöhnliche Buchstaben-
') Vgl. hierüber Schum 375 und Bresslau, Urkundenlehre I, 664 f.
2) S. oben S. 605 f. 3) S. oben S. 607. ■•) S. 349. «) S. 381.
Die Schenkung von Kemnade und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. Q\^
form der königliclieii Präzepte gesucht ist; „r" ist nur selten unter
den Strich gezogen, an einzelnen Stellen, wie es scheint, sogar erst
nachträglich. Die langschäftigen Verbindungen von et, st waren dem
Schreiber nicht recht geläufig. Die Abkürzungen sind seltener als in
St. 3543 ; so wird „ qui " fast stets ausgeschrieben, ferner häufiger „ et "
statt der Abbreviatur angewendet; für Kmi ist carissimi gesetzt. Aber
andererseits ist in der Sclireibung der Eigennamen z.B. der mit burch
am Ende etc., ferner in der Form einzelner Buchstaben — das unten
mehrfach geringelte g kommt in St. 3543 B i ebenso wie in St. 3544
nur in den ersten Zeilen vor — eine auffallende üebereinstimmung
zu bemerken. An der Stelle Zeile 10 des Druckes bei Philippi (S. 303)
findet sich in beiden Diplomen St. 3543 und 3544 allein die Ab-
kürzung dnatione, während sonst stets donatione geschrieben ist. Das
könnte zu der Vermuthung führen, dass der Schreiber von St. 3544,
offenbar ein Corveyer Mönch, nach St. 3543 Bi gearbeitet habe. Es
ist mir jedoch nicht gelungen in Corveyer Manuscripten aus der Mitte
des 12. Jahrhunderts eine ähnliche Hand, wie sie uns in St. 3544
vorliegt, zu entdecken.
Unter diesen Umständen gevsdnnen aber auch einige Besonder-
heiten in St. 3544, die auffällige Umstellung des Actum und Data
in der Datierungszeile, die Verschreib ung pudicie für pudicicie, die
Einfügung von summus vor pontifex, die Auslassung des Adjektivums
invictissimi in der Signumszeile, endlich die Schreibung Frankenewort i)
eine andere Bedeutung ; sie verstärken die äusseren Verdachtsmomente
gegen die Echtheit des Diploms, die wir aus inneren Gründen stark
anzweifeln konnten, in erheblichem Masse. Das Siegel scheint freilich,
soweit die Fragmente desselben eine genauere Vergleichung zulassen,
mit einem echten Stempel hergestellt zu sein. Aber den Abdruck eines
solchen zu erhalten, konnte den Corveyern gerade zu den Zeiten
Wibalds bei dessen nahen Beziehungen zur königlichen Kanzlei nicht
allzu schwer fallen.
Ob nun aber das angebliche Original mit Wissen Wibalds 2), oder
ohne dass er davon Kenntniss erhalten hat, fabrizirt worden ist, vermag
ich nicht zu sagen. Zweck der Fälschung war offenbar die Anrechte
Corveys auf Fischbeck gegebenen Falles damit zu beweisen. Dass sich
') S. Philippi Kaiserurk. II S. 305 f. u. Kehr S. 371 Anm. 3. «) Erwähnen
wollen wir hier, dass E. Sackur Der Rechtsstreit der Klöster Waulsort und
Hastiere, ein Beitrag zur Geschichte mittelalterlicher Fälschungen, in Quidde's
Zeitschrift II S. 341 ff. die Antheilnahme Wibalds an den Fälschungen des
Klosters Waulsort aufs bestimmteste zu erweisen gesucht hat. Schum a. a. 0.
in den Nachträgen S. 459 will daran jedoch nicht recht glauben.
s
dazu nach 1149 Gelegenheit geboten hätte, ist uns nicht überliefert. In
den späteren Corveyer Privilegienbestätiguugeu der deutsehen Kaiser
wird dieser Urkunde niemals gedacht; sie ist aber abgeschrieben in
dem grossen Copiar des Stiftes Corvey aus dem 15. Jahrhundert i).
In Bezug auf die Frage nach dem Antheil, welchen die könig-
liche Kanzlei an der Herstellung der drei Ausfertigungen von vSt. 3543
insbesondere des Prachtexemplars gehabt hat — letzteres ist offenbar
nach B ^ und B ^ abgefasst — vermag ich zu Schums Bemerkungen 2)
zunächst nichts hinzuzufügen; ich komme zum Schluss noch kurz
darauf zurück. Dagegen bin ich in der Lage, einige Nachrichten zu
geben, die Kehrs ^) Bedenken gegen die Besiegeluug der Purpururkunde
mit einer Goldbulle wohl vollständig zu beseitigen im Stande sein
dürften.
Mit St. 3543 wird in späteren namentlich corvey 'sehen Nachrichten
öfter zusammeugenannt St. 3626, die Gesammtbestätigung der Corveyer
Privilegien von 1152, weil sie die einzigen mit Goldbuchstaben ge-
schriebenen und mit Goldbullen besiegelten Kaiserdiplome Corveys
gewesen zu sein scheinen.
Kehr ^) will daran nicht glauben. Er meint die Nachricht, dass die
Purpururkunde von 1147 eine Goldbulle gehabt habe, gehe ausschliess-
lich auf Kleinsorgen's Kirchengeschichte von AVestfalen zurück, und
Kleinsorgeu sei offenbar ein schlechter Gewährsmann, zumal er behaupte,
St. 3626 sei ebenfalls mit einer Goldbulle versehen gewesen, während
doch das erhaltene Original nur ein aufgedrücktes Wachssiegel auf-
weise. Kehr führt auch noch Heineccius ^) als Stütze für seine Be-
denken vor. Aber es ist nicht ganz richtig, wenn er einfach sagt,
dieser zweifele die Nachricht Kleinsorgens an. Heineccius hat doch
auch die Möglichkeit zugegeben, dass jener glücklicher gewesen sei
als er ; er seinerseits habe nur das Loch gesehen, in welchem die Gold-
l)ulle gehangen haben könne; sie sei wahrscheinlich von irgend einem
geldgierigen Menschen abgerissen. Wir besitzen aber weit zuverlässigere
und ältere Zeugnisse dafür, dass die Prunkexemplare von St. 3543 wie
von St. 3626 — letzteres ist uns leider verloren gegangen — mit
Goldbullen besiegelt gewesen sind. Bereits Wigand *•) erwähnt eine
•) Msc I 134 im .Staatsarchiv Münster. *) Zu No. 5 der X. Lieferuui,'.
•■') S. 381 Anm. 2. *) S. 381 Anm. 2. "•) De veter. sigill. S. 34. ") In
seinem Archiv für Gesch. und Alterthnmskunde Westfalens I 1. S. 30 Anm.
Auf Veranlassung des Bischofs Erich von Hildcsheim wurden am 29. November
134G zu Höxter im Chor der Kirche »S. Kyliani in (Jegenwart seiner Commissare
und einer Anzahl dazu bestellter Zeugen die beiden Diplome auszugsweise trans-
Die Schenkung von Kennuide und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. 615
Urkunde aus dem Jahre 1346, welche Auszüge aus den betreffenden
Diplomen Conrads IIL und Friedrichs I. und eine Beschreibung der
an denselben befestigt gewesenen Siegel enthält. Danach waren die
Goldbullen an beiden Exemplaren mit rothen Seidenfäden angeheftet.
Diejenige Conrads III. zeigte auf der einen Seite dessen Bildniss mit
der Umschrift : Conradus dei gratia Komanorum rex secundus, auf der
anderen die Darstellung einer Stadt mit der Umschrift: Koma capud
mundi teuet orbis frena rotundi. Die Bulle Friedrichs I. an der Ur-
kunde von 1152 hatte die gleiche Form. Auf der Bildnisseite lautete
die Umschrift: Fredericus dei gratia Komanorum rex, auf der Stadt-
seite: Roma capud mundi regit orbis frena rotundi. Und diese Ur-
kunde ist nicht die einzige Nachricht aus älterer Zeit, welche uns die
Besiegelung der Diplome Conrads und Friedrichs mit Goldbullen be-
stätigt. In dem grossen Copiar des Stiftes Corvey aus dem 15. Jahrh.i)
hat S. 108 neben die Ueberschrift der Copie von St. 3626: Confirmatio
omniura superiorum Fritherici regis eine Hand des beginnenden 16. Jahr-
hunderts die Notiz geschrieben: aurea bulla; und an der Stelle des
Textes, an welcher Bezug auf das Diplom Conrads III. von 1147
(St. 3543) genommen wird, hat dieselbe Hand an den Rand bemerkt:
ipsa est copia auree bulle; aurea bulla est Conradi regis fol. XL VIII.
(= S. 96). Da steht nun freilich St. 3544 abgeschrieben und neben
die Ueberschrift : Conradi IL regis de Kaminata et Visbike ist von der
mehr erwähnten Hand ebenfalls gesetzt: aurea bulla. Dass aber hier
nur ein Irrthum des betreffenden Schreibers vorliegt, ergiebt sich, ganz
abgesehen davon, dass der Text von St. 3626 klar und deutlich auf
St. 3543 hinweist und von dieser uns das Prunkexemplar erhalten ist,
auch noch aus Folgendem. Von eben diesem Registrator nämlich,
sumirt. (Gleichzeitige Abschrift in den Urk. dos Kh Kemnade No. 1 im Staats-
archiv Münster; — die Abschrift zeigt zahlreiche Schreibfehler). Wir geben die
Beschreibung der Goldbulle Conrads III. — diejenige der Friedrichs lautet ebenso —
im Wortlaut: Bulla vcro prcdicte littore cum filis cericis rubeis appcnsa erat
aurea, habens effigiem regis in una parte et habens in circumferentia has
karacteras: .Conradus dei gratia Romanorum rex secundus«; ab alia vero parte
effigiem urbis cujusdam continebat et in circumferentia: .Roma capud mundi
tenet orbis frena rotundi V — Die Beschreibung der ebenfalls verschwundenen
(loldbulle an der Purpururkunde Lothars III. für Stablo (St. 3353) gibt Quix, Cod.
dipl. Aquensis I No. 102 S. 74 f. wahrscheinlich nach einem neueren Copiar
folgendermassen : Et appendebat sigillum aurcum cum effigie imperatoris ab una
parte circumducta scripsione sequenti : » Lotharius dei gratia II Roman, imperator
Aug.*; altra vero parte aderat effigies capitolii, cui inerat inscriptio aurea:
,Roma Caput mundi regit orbis fraena rotandi* (!).
') Msc I 134 des Staatsarchivs Münster.
616 Ilgen.
welcher das aurea bulla i) zu den Ueberschriften im Copiar angemerlct
hat, ist auf der Rückseite mehrerer Originalurkunden notirt, auf welchem
Blatte die betreffenden Stücke in dem Copiar des 15. Jahrhunderts ab-
geschrieben sind. Auf der Kückseite von St. 3543 B^ heisst es nun:
hoc Privilegium habetur in copionali fol. XL'STJI, wo aber, wie bereits
erwähnt, St. 3544 copirt ist, während jene sich erst auf fol. LXXII
(= S. 143 f.) findet. Endlich sei noch das Zeugniss -Tob. Letzners
aus dem Ende des 16. Jahrhunderts vorgeführt. Im 13. Kapitel seiner
Corbeischen Chronica ^) sagt er : Anlangend die Privilegia der Kaiser etc.,
welche zum Theil mit gülden Buchstaben geschrieben und mit ver-
güldeten Siegeln befestigt, hab ich dergleichen an keinem orth in so
guter und fleissiger Verwahrung gesehen als in diesem Stift. Und im
Kapitel 24. heisst es: Wickboldus der 28. Abt hat von den beiden
Kaisern Conrado III. und Friderico I. die herrlichen und schönen
Privilegia, so noch vorhanden, bekommen.
Diese durchaus zuverlässigen und von einander unabhängigen Auf-
zeichnungen anzuzweifeln, liegt nicht der geringste Grund vor, und
man wird daher doch daran festhalten müssen^ dass auch von St. 3626,
ausser der jetzt noch vorhandenen in der Form der gewöhnlichen
Präzepte gehaltenen Originalausfertigung, ein Prunkexemplar existirt
hat. Dieses, wahrscheinlich ebenfalls auf Purpurgrund mit Goldschrift
geschrieben und mit Goldbulle besiegelt gewesen 3), ist in den Stürmen
des 30jährigen Krieges, welche für Corvey besonders verderbenbringend
waren, ebenso wie die Goldbulle von St. 3543 B^ abhanden gekommen.
Von letzterer behauptet Pauliini*), sie sei 1634 bei der Eroberung
Höxters gestohlen worden. Kehr ^) würde diese Angabe gewiss nicht
in so lebhafte Zweifel gezogen haben, wenn er den zeitgenössischen
Bericht «) über die Schicksale des Corveyer Archivs bei der Erstürmung
') Derselbe Schreiber hat auch die gleiche Bemerkung an den betreffenden
Stellen in der dem Copiar vorgesetzten Tabula gemacht. ^) Ausgabe von
1590. 3) Im Msc I 147 des Staatsarchivs Münster (Handschrift des 17. Jahrh.
2. Hälfte) findet sich folgende Ueberschrift zu der Copie des Diploms : Fridericus
rex Corbeiensium jura et privilegia magnifico aureisque litteris conscripto diplo-
mate instaurat; aureisque litteris ist aber, wie es scheint, mit derselben Tinte
wieder durchstrichen. Vgl. Schatens Beschreibung der Urk. in den Ann. Paderb.
I 790 (resp. 551). Danach erledigen sich auch die Bedenken Bresslaus Urkunden-
lehre I 903 Anm. 2 von selbst. ■») Hist. Visb. S. 57. ») S. 381 Anm. 2.
«) Abgedruckt in Wigands Archiv I 1, S. 27—30. Da derselbe an dieser Stelle
bisher so wenig Beachtung gefunden hat, scheint es mir in Anbetracht der Be-
deutung des Corveyer Archivs angezeigt, den Hauptpassus desselben hier wörtlich
zu wiederholen ^.Weil die heiligen Reliquien S. Viti aliorumque sanctorum
Corpora, Kirchen-Ornate, alle calices, Monstranzen, Casulen etc., alle antiquitates
Die Schenkung von Kemnade und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. 617
Höxters i) durch die Kaiserlichen in der Charwoche (13 — 14 April)
1634 gekannt hätte. Damals sollen viele herrliche Siegel und Briefe
vollständig abhanden gekommen sein, unter denen sich auch die
Privilegien der Kaiser befanden, welche mit Ducatengold geschrieben
und versiegelt waren ; nicht eines hätte sich davon wiedergefunden.
Doch das Pergament des Prachtexemplars von St. 3543 muss später
wieder zum Vorschein gekommen sein, während dasjenige von St. 3626
eben damals vernichtet worden ist. Nur das Kanzleipräzept der letzteren
hat sich erhalten. Vielleicht ist umgekehrt von St. 3353, der Purpur-
urkunde Lothars III. für Stablo aus dem Jahr 1137, die gewöhnliche
Kanzleiausfertigung durch einen bösen Zufall abhanden gekommen?
Liesse sich für dieses Diplom ein derartiger Nachweis 2) erbringen, so
würde die Annahme von der Entstehung der Prachtexemplare ausser-
der kaiserlichen Kanzlei ^) eine nicht unerhebliche Stütze finden.
von Gold, Silbergeschirr, ja das ganze Archivum weggenommen war, so
haben J. Fürst!. Gnaden mein gnädiger Herr zu Corvey für mich Salvum Con-
ductum schriftlich begehrt, auch erhalten (am 14. April); womit ich mich nach
dem Minoriten-Kloster, um Siegel und Briefe wieder aufzusuchen, erheben müssen,
woselbst dann unten und oben alle dahin geflüchtete Bette ausgeschüttet und
darunter voll todter Körper mit Siegel und Briefen vermischt befunden. Es
waren aber unsere Corveysche Siegel und Briefe schändlich
unter den Füssen zertreten, wie der Augenschein noch mit-
bringt, welches dann Ursache ist, dass von den ansehnlichen
Päbstlichen und Kaiserlichen auch ande ren Corvey schenBrie f-
schaften die Siegel abgerissen und ganz zertreten sich befunden,
welches ich der Posteritati zur Nachricht auf Begehren meiner Herren Confratrum,
der Herren Capitularen zu Corvey, mit dieser meiner Hand und Siegel als er-
gangen zu sein, hiemit bekräftige, und ist nicht zu zweifeln, dass auch viele
herrliche Siegel und Briefe gar weggekommen, denn es waren
darunter privilegia Imperatorum, welche mit Ducatengold ge-
schrieben und versiegelt waren, davon auch nicht Eins wieder-
gefunden.* Vgl. ferner die Notiz über das Schicksal der Handschrift der Fasti
Corbeienses bei Jaffe M. C. 28.
*) Hierhin, in das Minoritenkloster in der Stadt Höxter, war das Archiv
des Stiftes geflüchtet worden. ^) Wie mir mein College Dr. Wächter aus
Düsseldorf gütigst mittheilt, ergibt sich freilich aus der späteren Ueberlieferung
des Archivs von Stablo kein Anhalt dafür, dass ehedem in demselben eine ge-
wöhnliche Ausfertigung von St. 3353 aufbewahrt worden sei. s) Vgl. hierzu
Th. V. Sickel Das Privilegium Otto I. für die Römische Kirche v. J. 962. S. 10.
Das Gcriclitsprotokoll der köii. Freistadt Kascliau
in Ober-Ungarn ans den Jaliren 1556—1608.
Von
Dr. F. V. Krön es.
Mein Berut'slebeu führte mich vor vierimddreissig Jahreu an das
Ufer des Hernad-Flusses, in den Hauptort des nordöstUchen Ungarns,
in die Stadt deutscher Gründung, an deren Mauern sechs Jahrhunderte
bewegten Geschichtslebens vorüberzogen.
Ein fünQähriger Aufenthalt in Kaschau bot mir Anlass, Gelegen-
heit und Mittel, den Geschichtsquellen des deutschen Volksthuras auf
dem Boden Oberungarns näher zu treten, und die Vorliebe für diese
Studien mit dem hiefür an Ort und Stelle gesammelten Stoffe be-
gleitete mich über die Leitha zurück, wie dies eine Keihe anspruchs-
loser Studien bezeugt i). Manches von dem dort Gesammelten blieb
noch unverwerthet, da sich die Geleise meiner Arbeit in andere Gebiete
zogen, von andern Aufgaben vorgezeichnet wurden.
Zu diesen , Findlingen " meiner damaligen Besuche des reichhal-
tigen und dem jungen Historiker freundlich erschlossenen Stadtarchivs
zählt denn auch der Stoff dieser Studie, die theilweise Abschrift des
„Protocollum judiciorum et poenarum malefactorum ab
anno 15,56 u. a. a. 1608". Das umfangreiche Buch lässt jene latei-
nischen, selbst griechischen Einbegleitungen nicht vermissen, die uns
') ^Zur ältesten Gescliichte der oberiinprarischen Fi-eistadt Kascliau*. Arch.
f. K. ö. GQ. Wiener K. Akad. d. W. XXXI. 1—56 (1864). — »Deutsche Gescliichts-
und Kechtsquellen aus Oberunsarn« Ebda. XXXIV. 211—252 (1865). — »Zur
Gesch. des deutschen Volksthums im Karpatenlande mit besonderer Rücksicht
aut die Zips und ihr Nachbargebiet«, Graz 1878 Univ. Festschrift. — Hieher
zählen auch: »Die böhmischen Söldner in Oberungam* (Grazer Gymn. Progr.
1862); >Der Thronkampf der Pfemysliden und Anjous in Ungarn* (Oc. Gymn.
Ztschr. 1863 u. 186.5) und »Das angiovin. Königthum u. s. 8ieg über die Oli-
garchie« (Grazer Gymn. Progr. 1865).
Das Gerichtsprotokoll d. kün. Frei.stadt Kascluui a. d. J. 155«— IfJOS. ßlO
auch sonst in den Stadtbücliern begegnen und für die höhere Schulung
der Schreiber Belege bieten i).
Wir kennen die Reihe der regelrecht auf ein Jahr gewählten
Stadtrichter (judices civitatis), deren Amtsführung den Zeitraum
ausfüllt ^), in welchem sich das Gerichtsprotokoll, sein bunter Inhalt,
bewegt. Es sind fast durchaus deutsche Namen und sie beweisen,
dass der Kern des Kaschauer Bürgerthums deutsch geblieben war,
trotz aller schweren Stürme, die es heimsuchten.
Der schlimmste hatte sich zwanzig Jahre vor dem Anfange der
Einzeichnungen unsers Protokolles zugetragen , als K. Johann
(Ztipolya), 1536 Herr der Stadt geworden, einen grossen Theil der
Kaschauer Bürger heimatlos machte und theils nach Grosswardein,
theils nach Szegedin und Debreczin abführen liess. Das kam
dem bereits sesshaften oder nunmehr einwandernden Magyarenthum
zu Statten. Und auch als Kaschau wieder an K. Ferdinand I.
(1551) zurückgefallen, wog das Interesse der Krone, die Stadt dichter
zu lie Völkern, vor, und hielt den Magyaren die Thore offen ^). Ander-
') Aurora, ciii Operis tertia sortitur pars, "lluiq '(■«? spfoto tpltYjv äTrojXE'.pEtai
atjav. — Aurora tibi promovet quidem viam promovetque laboreni.
Si, quoties peccant homines, sua fulmina mittat
Jupiter, exiguo tempore inermis erit
Deuteronom. cap. XIX. Auferes malum de medio tui. Ut audientes cieteri
timorem habeant et nequaque talia audeant facere. Non misereberis eius, scd
animam pro anima, oculum pro oculo, dentem pro dente, manum pro manu,
]iedem pro pede exiges, ^) Wir finden 1556—1586 Laurenz Goltschmid
rtmal; 1557—1563 Emericb Tatschner 2mal; 1559 Job. Fink Imal; 1564
Balth. Thonhauser Imal; 1569—1585 Jakob Grottker 3mal; 1572—1573
Wolfgang W a g n e r (Goldscbmied) Imal; 1577 Leonh. Kromer Imal; 1580 bis
1600, Martin Wenzel 5mal; 1591—1602 Andreas Materna Imal; 1598—1601
Rainer 2mal; 1603— 160i Job. Bocatius (s. w. u.) zu Stadtrichtern gewählt
vor. 3) s. d k. Mandat K. Ferdinands I. v. 7. April 1552 (Kasch. Archiv.
veröfF. in Magyar evkönyv, 1838 III. S. 100 ft". — ,Nos supplicationc ipso-
rum civium nationis hungarice admissa, concessimus, ut omnes hun-
garice nationis cives, quicunque scilicet modo premisso, sub bis disturbiis, in
medium aliorum veterum civium, onera civitatis laturi, emptisqiie
bonis et domibus in eadem ci vi täte nostra Cassoviensi per^ietuo habitaturi sese
contulissent , jamque in numerum reliquorum civium recepti, ed ad raunia,
tunctionesque civiles admissi cssont, in posterum futurisque temporibus, luquali
libertate iisdemque privilegiis dignitatibus tarn in judicatu quam in senatu ora-
nil)usque fonctionibus et offieiis sine ullo personarum vel nationis dis-
(rimine juxta tenorem veterum privilegiorum cum ceteris gcrmanice vel alterius
nationis vetustioribus civibus uti etfruipossint.* A. a. 0. findet sich
auch die in ihrer Sprache geschriebene Beschwerde der magyarischen
Insassen, au den K. Ferdinand gerichtet, worin sie um Gleichstellung bitten,
620 -K r 0 n e 8.
seits schien es geboten, der Erschleichung des Bürgerrechtes
vorzubeugen ^j.
Dennoch kräftigte sich wieder, durch die Zuwanderung aus
deutschen Landen und die Bedeutung Kaschaus als Haupt-
ort des ostungarischen Gebietes , Bollwerk seiner Vertheidigung
und Knotenpunkt seines Verkehres, — das ursprüngliche nationale
Gepräge seines Bürgerthums ; das deutsche Bürgerthum wog wieder
unbestritten vor. Es war dies besonders seit den Tagen K. Maxi-
milians IL der Fall, als sein oberster Feldhauptmann, der wackere
Lazar Freih. v. Schwendi, in Kaschau befehligte und für neue,
wichtige Befestigungen der Stadt Sorge trug (1566). So gewann sie
das Aussehen, welches uns beiläufig in der Abbildung Kaschau's
aus d. J. 1617, von der Hand des Niederländers Egidius van der
Rye, mit dem Kommentar Georg Hufnagels, vorgeführt wird. 2).
Die Schlussjahre unseres Protokolles 1604 — 1608 bescheerten der
Stadt Kaschau neue Prüfunoren. Sie waren länsst einsreleitet von der
wie sich diese bei der Bürgerschaft Ofens, T 3' maus und Klausenburgs
»altersher* vorfinde.
') Kasch. Arch. Mandatum regium. Vienne 12. Nov. ,Qui pro veris habendi
sunt cives*.
. . . Cum autem cives istius civitatis non alii sint nee alii intelligi possint,
quam, qui in civitate non tantum domunculum emptum aut con-
ductuni habent, sed qui corporalem residenciam in eo loco
facere dinoscuntur, ex certissima juris regula scilicet privilegia omnia
per abusum amraitti et de facto pro nullis conferri. Idcirco fideli-
tati vestre mandamus harum serie firmiter et committimus, ut a die, quo pre-
sentes nostre vobis exhibentur computando, desinatis eos incolas subditos vestros,
qui in a 1 i i s civitatibus, oppidis, villisque quibuscunque resident, pro nostris
concivibus, quaUcunque mercede excepta , reputare aut libertates
vestras cum talibuscommunicarein defraudationem vectigalium nostro-
rum regalium. Nam alioquin certos vos esse volumus, quodsi unico casu aut
e X e m p 1 0 nos diversum fecisse comperiemus, idde abrogandis privilegiis
vestris statuemus, quod juri maxime congruum fore videbitur. -) Cassovia
superioris Hungarise civitas primaria, depictam ab Egidio van der
Rye, Belga, comm. Georg. Hufnagelius ao. 1617. Kasch. Stadthaus. Die Aufnahme
erfolgte von der südwestl. Seite. — Die Stadt erscheint von einer doppelten
Mauer umgeben ; die äussere mit kleinen Thürmchen, stark gewinkelt, auf einem
hohen Erdwalle ; zwischen beiden Mauern sind Bäume gepflanzt zu sehen. Die
innere Mauer, viereckig, trägt grössere Thürme. Die rothgedachte Stadt zeigt
1) in der Mitte die grosse Kirche {Elisabethdom) mit dem einen höheren, spitz-
gedachten und mit einem Kreuze versehenen Thurme, während der zweite ab-
gebrochen aussieht, 2) die kleine (ältere) oder St. Michelskirche, 3) das alte
Rathhaus mit einem hohen, viereckigen Thurme, 4) die ehemalige Minoriten-
dann Franziskaner-Kirche, 5) den vielthürmigen Bau des Biirgerspitals z. h. Geiste
und 6) die zerstört und wüst aussehende Dominikanerkirche.
Das GericMsprotokoU d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 621
allgemeinen Unsicherheit der öffentlichen Zustände, dem leidigen Er-
gebnisse dar Regierung K. Eudolfs II. — Seit 1603 trieb Ungarn
dem Glaubens- und Bürgerkriege entgegen, und die Wegnahme der
Hauptkirche, in welcher protestantischer Gottesdienst längst heimisch
geworden — in Folge Regierungsbefehles, — zu Gunsten des Katholizis-
mus durch den Erlauer Sprengelbischof, unter den Augen und mit dem
Beistande des Kommandirenden, Grafen Barbiano de Belgiojoso i), war
(1603) ein Ereignis, das in den Augen der Protestanten und der Be-
wegungspartei Oberungarns eben so aufregend wirkte, als der ver-
hängnisvolle Artikel im Eeichsdekrete von 1604, den der Herrscher
aus eigener Machtvollkommenheit beigefügt. Die Folgen dessen ergaben
sich als Erhebung jener Partei, im Bunde mit dem Aufstande des
siebenbürgischen Magnaten, Stefan Bocskay, und anderseits
zeigen sie sich bedeutsam genug in der verbitterten Stimmung des
protestantischen Kaschau, das dem bei Dioszeg zurückgedrängten
Barbiano (26. Okt. 1604) die Thore verschloss, und sie dem Haj-
duken-Obersten Blasius Lippay vom Anhange Bocskay's (30. Okt.)
öffnete.
Damals war Vormund oder Vorsprech der Gemeinde Melchior
Rainer und Stadtrichter Bokatzius^). Geboren 1560 zu Vetschau
in der Lausitz, an der Wittemberger Hochschule gebildet, kam der
begabte Mann durch Vermittlung seines Lehrers Niklas Giebel nach
Ungarn, versuchte sich zunächst mit der Errichtung einer Schule im
Zipser Sachsenlande, erhielt 1594 vom Rathe der Stadt Eperies in der
Sehäroscher Gespanschaft einen Ruf als Rektor des Collegiums der
Augsburger Confessionsverwandten alldort und fand dann (1599) ^) den
Weg nach Kaschau als Ratschreiber, Später 1603 — 1604 begegnen
wir ihm als Stadtrichter. Die Rolle eines Diplomaten Bocskay s 1604
bis 1606 bescheerte dem gewandten Manne, nebenbei auch „poeta
laureatus", nachmals eine lange Haft zu Prag, aus der ihn der Muth
und die List seiner Frau zu befreien beflissen war.
') Die Weisung an die Stadt erging vom Administrator des Graner Erz-
bistliums aus ; der Befehl an Belgiojoso von Erzh. Mathias. Der Bischof von
Erlau hatte damals, da Erlau längst türkisch geworden, seinen Sitz im Prämonstr,
Kloster Jöszau (Jäszö) — nicht weit von Kaschau. ^) Sein Name findet sich
auch als »Bogäthy* magyarisirt. Eine biographische Skizze über ihn veröffent-
lichte Dulhäzi in der Ztschr. Felsö Magyarorszägi Minerva, 1825, 2. Heft.
3) Er selbst verewigte seinen Eintritt in die Rathsgeschäfte durch die Titelüber-
schrift des Protocollumdeterminationummagistratualiumde anno
1598, 1599, 1600, 1601, 1602 incl. »Receptaculum rerum forensium in curia
Cassoviensi per Sebaldum Artnerum exceptarum, deinde continuatum per
622 Krön c s.
Kascliau war der Sitz Bocskays, des „Fürgteu vou Ungarn" ge-
worden; in seinen Mauern tagte die wichtige Ständeversammlung,
welche au dem Wiener Frieden Kritik übte ; hier starb (25. Dez. 1606)
Bocskay jähen Todes; auf dem Hauptplatze verblutete (13. Jan. 1607)
sein Geheimschreiber Kätay unter den Säbelhieben der erbitteiien
Edelleute, die ihn Verrathes und Giftmordes ziehen ; hier fand (2. Febr.)
die glänzende Leichenfeier des verstorbenen Fürsten statt. Dann über-
nahmen (12. Febr.) Sigmund Forgäcs und Andreas Doczy die Stadt
im Namen des Königs von Ungarn.
Das ist der äussere Kalimen, der Gang der Ereignisse i), innerhalb
dessen das Gerichtsbuch Kaschaus erwuchs, das uns nun beschäftigen
soll. Es spiegelt so recht ab: Die Mischung der }3evölkerung, den
Einfluss der kriegerischen Zeit, des Söldnerwesens in seinen Mauern,
Verrohung und Gewaltthat im Baunkreise der Stadt, die ihre volle
Gerichtsbarkeit auf Grund alter Freibriefe und nach altem Her-
kommen ausübt, als „gehegit Ding" (Judicium necessarium baunitura),
„kleines und gTOSses Gericht", mit den Schöffen als Urtheilsfindern
für Kechtsstreit, Vergehen und Verbrechen -').
Es ist nicht leicht, den begreiflicher Weise vielseitigen, bunten
Inhalt des Gerichtsbuches unter allgemeine Gesichtspunkte zu
bringen und die nothweudige Auswahl unter den zahlreichen Fällen
zu trefien. Immerhin wollen wir es versuchen und mit jenen Auf-
me Joann. Bocatium P. L. C. ad hoc officium legitime vocatum
hoc anno 1599, 15.a Nov. — Dazu als Motto:
J, Sirach X.
Simpliciter rectumque tuum me Christe gubevnot.
Noli condemnare ullum non cognita causa.
Cognosce primum, deinde poenam statue.
Virgil. Aen. 6:
>Discite justitiam moniti et non temneve divos.
quo erit melius.*
») Eine noch immer brauchbare, weil sprachlich weitern Kreisen zugäng-
liche Skizze der Stadtgeschichte bildet das von Jesuitenfeder abgefasste Büchlein
Cassovia vetus ac nova, Cassovia^ 1732, während die deutsch geschriebene
,Kaschaua- Chronik* von Plath (Kaschau 1860) mehr ein Curiosum genannt
werden muss. Entschieden besser ist die fleissige Arbeit vou Tutkö, Sz. K.
Kassa väros törten. evkönyve (Jahrb. d. St. K.) Kaschau 1861, wenn ihr auch
manches an Kritik gebricht. ") So heisst e.s z. J. 1563: Judicium neces-
sarium bannitum celebratum est feria quinta, ipso die S. Silvestri ao. dorn.
1562 per lamatos viros Joannem Lcpiczki vice-advocatum juratum et septem
Bcabinos nomiuibus et cognominibus in magno iudicio expresso. — Hier
finden wir das kleinere und grössere »Recht % »Gericht* oder »Ding* auseinander-
gehalten. Die Einzeichnungen der Gcrichtsfälle wechseln in Bezug der Sprache
ab, sie sind deutsch oder lateinisch; erstores wiegt vor.
Das Gerichtsprotokoll d. kün. FreistatU Kaschau a. d. J. 1556' — i<j08. 623
zeiclmungeu beginnen, die wir unter dem Titel Schädigung frem-
den Eigen th ums zusammenfassen. Den Keigen mögen Schuldner
eröffnen.
155G entwich ein gewisser Franz Zeoch (Szöcs) aus der städtischen
Haft. Er kam dann aus Wien mit seinem Weibe und drei Kindern
nach Kaschau zurück und wies ein kaiserliches Mandat v. 25. Mai d. J.
vor, worin K. Max IL den Genannten innerhalb eines Jahres von
jeder Zahlungsobliegenheit freisprach i), den Pressburger Bürger, Tho-
mas Bornemisza, ausgenommen. Der entwichene und nun heimkehrende
Schuldner bat um Verzeihung. Der Eath erklärte jedoch, dies ohne
Zustimmung der ganzen Gemeinde nicht thun zu können. Nun fand
sich denn Szöcs vor dem Rathe und der Gemeinde ein und erlangte
durch Fürsprache Vieler die Begnadigung.
Ein anderer Fall ereignete sich im J. 1577. Simon Faustweller
war Schuldner des Blasius Karachon (Karäcson). Da er als zahlungs-
unfähig sich erwiesen, wurde er seinem Gläubiger „nach Eechten des
Reiches innerhalb dreier Tage ausgeliefert, letzterer jedoch verhalten,
ihn nach Rechtsbrauch zu behandeln und zu halten".
Besonders reichlich ist die Ausbeute in Hinsicht des Dieb-
stahls.
1562 wurde der achtzehnjährige Sohn des Galle wegen Einbruch-
diebstahls bei dem Goldschmied Lorenz, in der Höhe von 50 Gulden
Werthes, gehängt; Margare the Stanislawin wegen Theilnahme an Dieb-
stahl aus der Stadt verwiesen ; der Diener Janosch als , Einbrecher "
in seines Herrn Küche gestäupt und „auf hundert Jahre" aus der
Stadt verbannt.
Härter lautete begreiflicherweise das ürtheil über Hanns Jörge,
den Sohn Breyers aus Bartfeld, den mau, als Gewohnheitsdieb
vor Jahren bereits stadtverwiesen, zum Tode durch das Schwert (1557)
verdammte. Der R o s s d i e b Stefan Chichko, Grunduntei-than des Niklas
Bachkay, wurde gehängt (1558). Im gleichen Jahre erscheint ein
bei Diebstahl betretenes Weib als stadtvei*wiesen. Beim Eheweibe des
Georg Chapo traf mit Dieberei auch Ehebruch zusammen. Sie wurde
gepeitscht und auf zehn Meilen in der Runde verwiesen.
Elisabeth Katona, Frau des Mihal, sollte als Diebin mit dem
Tode büssen (1560), wurde jedoch aus Erbarmen für die unversorgten
Kinder zur Verbannung aus Kaschau begnadigt. Das ursprüngliche
Urtheil hatte dies mit .Verlust des rechten Ohres und Prauoer" ver-
•) Findet sich angemerkt als »Ferreae litterw Francisci Zeoch exhibitae senatui
Cassoviensi die 25. Maii anno dorn. 15b'G'. "
624 K r 0 n e s.
schärft, was jedoch auf vielseitige Fürbitte ungarischer Edelleute nach-
gesehen wurde. Die Stadtverweisung lautet auf ewig und über zehn
Bannmeilen. Bei zwei Weibern (1561) trat die Strafe der Peitschung
auf dem Pranger und durch die Stadt, ferner Verweisung auf 101 Jahr,
zwölf Meilen in der Runde, ein. — Der Masure Lukatsch Nowostawsky,
Schlosserknecht, büsste (1562) für seinen Einbruchsdiebstahl auf
dem Galgen.
Eine umständlichere Sache kam im gleichen Jahre zur Ver-
handlung.
Jakob Schneider aus Wien, Soldat, hatte 1561 dem Rathe „zu-
geschworen", sich in Kaschau niederzulassen, und der oberste Feld-
hauptmann und Stadtkommandant, Freih. Lazar von Schwendi, gab
hiezu auch die Erlaubuiss. Schneider beging jedoch Diebereien und
entrann heimlich aus der Stadt. Der Kaschauer Rath erfuhr nun, dass
sich der Entwichene in der Zipser Stadt Käsmark geborgen habe , und
zum andern Mal hat wollen heiraten" und erlangte durch das Ein-
schreiten Lazars Schwendi, dass ihn die Käsmarker ausliefern mussten.
„Und ist ihm also auf freyera Platz ein Malefizrecht bestellt und alda
erkant worden nach den kaiserlichen Rechten, das ihn der Henkher
aus der Stadt füren und an einen dürren Ast anknüpfen soll,
denn ehr eynes grünen Baumes nicht werth ist".
Lukas von Kemeucze wurde bei dem Versuche betreten, einem
Weibe auf dem Marktplatze den Geldsack abzuschneiden („Beyttel-
schneyder") 1). Auf sein „Verschwören", dies nimmer zu thun, Hess
man ihn laufen. Aehnlich erging es dem Zabo von Herencs, der „in
der Hoffnung", er werde in sich gelin, ob seines bisher tadellosen Vor-
lebens, begnadigt wurde, mit der Ermahnung, seineu Lebenswandel
fürder zu bessern.
Der Einbruch diebstahl des Hussareu Janosch, des Nachts
an einem Kameraden verübt, zog die Strafe des Galgens nach sich
(1570).
Die Gewohnheitsdiebin Dorko wurde (1572) „in einem
Sacke, den sie selbst hat nähen müssen, ersäuft in der
K u n d e r t " (Hernad) =^).
Die Strafe der Stäupung und des Verlustes des rechten Ohres traf
den Dieb Georg von Zborow (1573).
Besonders streng pflegte man den Diebstahl in Weinbergen
') Esheisst: ,qui in publice foro mulieri loculos absciderat (»Bejttel-
schneyder*)«. — ^) ,Kundert* ist die übliche Bezeichnung der Hemdd, des
nahe vorbeiströmenden Flusses, im damaligen Kaschauer Deutsch.
Das Gerichtsprotokoll d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 625
zu ahnden. Der Pole Andreas, Soldat, in dessen Tornister man ge-
stohlene Weinbeeren fand, musste das rechte Ohr lassen und, den
Tornister um den Hals, das Weite suchen (1572). Johann Philipp aus
Sandecz wurde (1579) eines solchen Frevels wegen gehangen.
Dorothea, die zur Dieberei den Schlüssel entwendete, erlitt die
Strafe der Stäupung; der Dieb Bathko büsste mit Stäupuug und Ver-
lust des einen Ohres. Der Pole Martin, der das verschlossene
Gut seines Dienstherrn erbrach, wurde aufgeknüpft.
Des mit Mord verbundenen Kaubes wollen wir unter dem letzteren
Schlagworte gedenken, und bevor wir jene Fälle anführen, die sich
auf Verletzung fremder Ehre beziehen, einen Fall gewaltsamer
Erpressung zur Sprache bringen.
Die „ ungetrewen Weinhüter " Kykedi und Zekeres (Szekeres), Vor-
städter, hatten dies an der eine einzige Traube pflückenden Frau
Haläszos verübt. Sie wurden zur Stäupung und Stadtverweisuug ver-
urtheilt, diese Strafe jedoch gemildert, und zwar dahin, dass sie „den
Koth von der Krothengass gegen das Stadtmeister-Thürlein yn den
Pärchen ^) auf die Pasteyen tragen und drei Jahre hiefür weder hier
noch anderswo Weinzierl oder Weinhüter " sein durften.
Das Vergehen wider fremde Ehre als Verleumdung zog
harte Strafen nach sich. Marczin, der (1572) den Leumund einer
Frau schädigte, sollte die Zunge verlieren, „ wurde aber vom Püttel '^)
am Ring geführt und beschrieen 3) , wie es Brauch ist". — Das
„lügenhafte Weib" Dorothea, Eheweib des Vogelstellers, musste für
ein Jahr die Stadt meiden, Ursula Orsyk, bereits einmal abgestraft,
die Stäupung und Verweisung über sich ergehen lasser, da sie fal-
scher Beschuldigung überwiesen wurde.
Beschimpfung oder Schmähung kommt nicht besser davon.
Walter von Eperies wurde (1562) auf vier Wochen in Eisen geschlagen
und zum „AufFraymen des Stadtkothes " verurtheilt; der Vorstädter
Korsi (1556) mit 20 Gulden gebüsst; die schmähsüchtige Illona, Ehe-
weib des Soldknechtes Lukas, „schon einmal ob gleichen Vergehens
gegen einige würdige Matronen" eingekerkert, musste der Stadt im
Umkreise von zehn Meilen fern bleiben. Gleiche Strafe wurde dem
Lästermaul Paul Santa wegen Beschimpfung des Kommandanten und
des Rathes — mit „ Hundsfötter " — zu Theil ^).
') Bedeutet so viel wie Zauix oder Planke. ') Büttel, Frohnbot oder
Scherge, Gerichtsdiener. ^) »beschrieen* = vgl. Schmeller bair. Idiot.
2. A. II Gel. 591—592. »Auf den peinlichen Rechtstagen gebührt dem Knecht
des Nachrichters als Ankläger den Uebelthäter zu beschreyen*. ■*) Er
schimpfte magyarisch: Ebe volt, ehe leszen — »Hund bleibt Hund«!
Mittheiluugen XII. 39
626 K r 0 n e s.
Das bösartige Ehepaar Lakatgyärtö hatte eine Geldbusse zu
erlegen (1572).
Nicht selten — wie begreiflich — sind die Straffälle der
Stänkerei und Kauf er ei. Der Lanzknecht Peter Bischofi" wurde
anlässlich solcher Ruhestörungen (1562) zur Strafe der Abbitte vor
den Rath gebracht und musste mit Handschlag Besserung geloben. —
Als sich die ,,alte Molerin", Baiers Frau, im fremden Hause der
„Rauferei", des „Messerzückens" und dergleichen schuldig machte, ward
ihr ursprünglich „auf den Hals erkannt", die Strafe sodann in eine
Geldbusse von 32 Gulden umgewandelt. — Besonders ungeberdig be-
nahm sieh (1559) der ,, Stadtdiener", Peter Czebner, der — allerdings
berauscht — zur Fascliingszeit „gewappnet" einen Bürger in der
Schenke beim Weintrunk zum „Zweikampfe mit der Lanze" — und
zwar „zu Ross" — herausforderte. Da seine dienstliche Stellung den
Klagfall besonders schwer machte, wurde Czebner zum Verlust der
rechten Hand verurtheilt, schliesslich aber zu ewiger Verbannung be-
gnadigt.
Als Stänker verlor der Wagner Lukas Trucz sein Recht in der
„Zeche" zu sitzen, während seine Zunftgenossen Georg Rokus und
Jänos Kerekgyärtö 14 Tage in der „Pütteistuben" zubringen mussten.
Der Raufbold Bärbel (1570) vergriff sich an dem Stadt])üttel, Man
sprach über ihn die Todesstrafe aus und wandelte sie dann in ewige
Verbannung um. Das Gleiche wurde über Andrä Czirkler verhängt,
da er der Hauptanstiftung einer Schlägerei zwischen Bauern imd
Trabanten überwiesen. Dieses Erkenntniss betraf auch drei nächtliche
Ruhestörer und das Eheweib des einen von ihnen (1577) ^).
Gewaltsame Störung des Hausfriedens, wie sie (1572)
Waschko von Marxdorf verübte, wurde mit ewiger Stadtverweisung
gebusst.
Als Fälle körperlicher Misshandlung wollen wir nach-
stehende anführen. Der Schlosser Wilhelm aus Braunschweig und der
Schneider Hans Pawer von Glatte (Klattau) in Böhmen vergriffen sich
an ihrem Herbergsinhaber, Avurden zu einer Geldbusse verurtheilt und
— als unfällig zur weiteren Ausübung ihres Gewerbes — verwiesen.
Die letztere Strafe erlitt auch Kliman, der im städtischen Weinhause
der Vorstadt einen Gast mit dem Messer verwundete.
>) Asztalgyartö, Kopasz, Fi 1 bauch und seine Hausfrau. Letzteres Paar
Jürfte wohl dasselbe sein, das früher (1568) in einen andern bösen Handel ver-
wickelt war, dem wir w. u. unter den die Unzucht betreffenden Fällen begegnen
werden.
Das Gerichtsprotokoll d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 627
Ihnen mögen sich Vorfälle ansehliessen, bei denen Misshandlung
oder Verwundung schwerer, ja tödtlicher Art erfolgte.
Johann Sidwari prügelte seinen Mitgesellen ürban Fekete aus Erlau
derart, dass dieser an den Folgen der Misshaudlung starb. Der Thäter
verfiel einer Busse von 30 Gulden als Abfindung mit der Familie des
Todten, welche Summe dann „auf Fürbitte vieler Ankläger* um die
Hälfte vermindert wurde (1575).
Ungleich schwerer finden wir die That eines Zwilchers, Sieben-
bürgers von Herkunft, geahndet, dessen Misshandlungen sein Eheweib
erlag. Er wurde „mit Beschreien, wie bräuchlich, zu Boss zur Ent-
hauptung an den Kopstock i) hinaus geschleift" (1562). — Der Tod
durch Enthauptung wurde auch dem Kozma aus Buszka zu Theil,
welcher seineu Nachbar „unschuldiger Weis mit einer Axt in den
Kopf geschlagen". Dem Henker wurde geboten, den Verbrecher so
„entzwei zu schlagen, dass der Leib das grösste, der Kopf aber das
kleinste Theill sei.«
Ein absonderlicher Fall ereignete sich 1601. Ein Knabe aus der
Vorstadt hieb einem Mädchen die halbe Hand ab. Zunächst wurde
auf die poena talionis erkannt, wornach dem Thäter das Gleiche
widerfahren sollte. Man trug aber dann dem „Unverstände" des
Knaben Eechnung und erkannte darauf: der Vater desselben solle
40 Gulden als Sühngeld (homagium) entrichten und überdies für die
schlechte Erziehung seines Sohnes gebüsst werden.
Eeichlich bedacht sind Todschlag und Mord. Fassen wir- die
Fälle ersterer Gattung ins Auge.
Ein Fall ganz besonderer Art erscheint i. J. 1565 verzeichnet.
Der zehnjährige „Knabe" Georg von Kis-Ida erschlug eines Apfels
wegen einen Altersgenossen aus der Vorstadt; der Eath verurtheilte
ihn zur Stadtverweisung auf 16 Jahre. — Der Soldat Gregor Asia-
gasy, der im Bausche seinen Kameraden erschlug, fand Begnadigung,
doch musste er schwören, der Stadt Kaschau zeitlebens dienstbar sein
zu wollen. — Dagegen finden wir, dass Niklas Schestak, der im Bausche
— also unter gleichen Umständen — einen Todschlag beging, auf
dem Stadtplatze hingerichtet wurde, da er seinen Widersacher vorher
zum Zweikampfe herausgefordert. Vergeblich hatten sich Einige be-
müht, die Familie des Erschlagenen durch ein Sühngeld zu versöhnen.
Blasius Keöröskewczy (Körösközi), ein „freier Hajduk^)« (1570)
') Henkerblock. -) Die »freien« Hajduken erscheinen als Bewohner
privilegirter 00. im Szabolcser Komitate : Dorog, Nänäs, Hadhäz u. a. a. zufolge
ihrer Verwendung als Milizen.
39*
328 Krön es.
durchbohrte „im Stadthaiise, wo man Wein schenkt" einen Vorstädter
mit der Waffe. Er wurde verurtheilt, Kopf und Hand zu verheren,
weil dies im Stadthause vorfiel. — Mit Enthauptung strafte man (1579)
den Stanislaus „Frigidus" (Latinisirung des Eigennamens), da er im
trunkenen Zustande sein Weib erschlagen. — Dagegen verhielt der
Eath den Kaufmann Kaspar Trill, welcher (1580) durch einen Schuss
in der Nähe des Friedhofes — wohl unabsichtlich — einen gewissen
Borsos getödtet, ,den Leichnam des Getödteten auf der Bahre zu be-
trachten und in Fesseln zur Beisetzung in die Kirche zu begleiten;*
nach dem Abendgebete wurde er jedoch in den Kerker zurückgeführt
— ohne jegliche Leibesstrafe " i).
Unter den Mördern steht, was die Schwere des Verbrechens
und die der Strafe betrifft, Georg Paba oder Pöcz von Szaläncz (1600)
oben an. Er gestand theils „freiwillig", theils auf der Folter, den
Mord an beiläufig 18 Personen und erscheint auch des Ausraubens
mehrerer Kirchen beinzichtigt. Das Urtheil lautete auf viermaliges
Zwicken mit glühenden Zangen an jedem Ende der Stadt und Räde-
rung, mit der Verschärfung, dass ihm die Brust , nicht zerschlagen
werden sollte".
Die Bauern Bertok von Zokolya und Iwanko von Zwinka wurden
wegen des an Stanislaus vom Schlosse Eegecz verübten Mordes ge-
fänglich eingezogen. Bertok läugnete im peinlichen Verhöre, Iwanko
gestand jedoch das Verbrechen ein und zwar den Eaubmord, der fünf
Thaler und neun polnische Groschen eintrug. Das Verdikt besagte:
Schleifung am Pferdeschweife durch die Stadt, Räderung und Aus-
setzung am Rade.
Sehr schwer wurde das Verbrechen des Peter Kigyös geahndet,
der sein Eheweib in. grausamer Weise gemordet. Er sollte ,auf dem
Wege vom Ober- zum Nieder-Thore und in der Vorstadt vor dem
Thore einmal und in der Ludmaungasse vor seinem eigenen Hasen
einmal mit den glühenden, eisernen Zangen gezwickt", — sodann ent-
hauptet werden.
S. Czypser, ein Vorstädter, überfiel und erschlug in der Nacht
den Miteinwohner Tanczmeister. Er wurde „auf dreimalige Rechts-
begehrung" seitens der Mutter und Frau des Ermorderten zum Tode
verurtheilt und , aus gewissen Ursachen « nicht aus der Stadt zum Tode
geführt, sondern vor dem Pranger enthauptet. — Die gleiche Strafe
erlitt der Raubmörder Lazar Balint.
Kindesweglegung finden wir an der Kindsmagd Martha aus
') . . . reductus vero est in carcerom »ilhcsus* heisst es im Protokoll.
Das Gerichtsprotokoll d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 629
Miskolcz, welche dadurch ihrer That überwiesen wurde, dass man ihre
Brüste voll an Milch fand, — auf Fürbitte — mit ewiger Verbannung
gestraft.
Um so härter erscheint der Kinds mord gebüsst. — Ihn beging
das Eheweib des Barthol. Stephit. Sie wurde in der Stadt zuerst mit
glühenden Zangen gezwickt, dann zum Galgen gefahren, hier in eine
Grube verschaart und lebend mit einem Pfahle durchstochen (1575).
Zur Strafe der Pfählung finden wir (1602) eine zweite Kindsmörderin,
Dienstmagd, verurtheilt; man begnadigte sie jedoch zum Tode durch
das Schwert.
Eine grosse Summe nehmen unter den Strafurtheilen die ge-
schlechtlichen Verirrungen: als Unzucht oder unerlaubter Bei-
schlaf und als Prostitution für sich in Anspruch.
Wir wollen eine Reihe von Fällen der , Unzucht" oder verpönten
Beischlafs, unerlaubter fleischlicher Vermischung, anführen, die ge-
linder Ahndung theilhaftig wurden.
1562 gab man die Beinzichtigten , durch den Priester ehrlich
zusammen", aber mit „scharfer Verpönung" solch , hurerisch-heym-
licher Verpuntnuss". In einem andern Falle d. J. kam es auch zur
gerichtlichen Verehlichung; doch wurde das Paar auf sechs Jahre aus
der Stadt verwiesen. — Ein Webergesell, der mit einer Dieustmagd
im Beischlaf ertappt vnirde, büsste mit 20 Gulden; die Magd musste
die Stadt räumen. — Eine Witwe , die mit ihrem Lehrgehilfen
hielt und geschwängert wurde, finden wir alsbald mit ihm in der
„ Pütteistube " getraut und „im Gnadenwege* zu einer Geldbusse
verurtheilt."
Die Strafe der Verweisung aus der Stadt traf (1558) ein andere
Witwe, die sich mit einem Lanzknechtfähndrich abgegeben. — Zwei
Mädchen, Borka und Elisabeth, des unzüchtigen Umgangs mit einem
Ungar aus Szepsi überwiesen, mussteu zur Strafe verhüllten Hauptes
einhergehen. — Ein lediges Frauenzimmer, das eines Kindes genas,
wurde vom Henker zur Stadt hinaus geführt und ausserhalb der
12 Bannmeilen verwiesen.
Der Kürschner Berchtels, der seine Magd geschwängert, musste
vor dem Richter mit Handschlag geloben, sie zu ehelichen und überdies
20 Gulden zahlen. — Ein anderer Bürger, Hanns Gebberich, zog sich
wegen Buhlschaft gleicher Art die Strafe gerichtlicher Verehelichung
zu und wurde überdies verhalten, 20 Ruthen eigenen Grundes zu der
Stadtbefestigung abzutreten.
Der Fleischer Hannes Fielbauch aus. Neusohl und die Fleischers-
witwe Lenart lagen als Verlobte in Einer Kammer, Da ihn jedoch
630 K r 0 n e s.
letztere „ wegen Misshandlung und Schlenkere! * i) als Verlobten ver-
leugnete, so gab ihr der Stadtrath acht Tage Bedenkzeit zur Heirat
— oder — Auswanderung. Sie verglichen sich dann auch und machten
Hochzeit.
Im gleichen Jahre (1568) trug der Rath „aus gewissen Ursachen" 2)
dem alten Meszaros Bälint den Auftrag, sich zu verheiraten; würde er
dies unterlassen, so sollte er schuldig sein „zur Buchs zu geben
10 Gulden umbleslich ".
Schlimmer erging es der Matrone 3) Elisabeth, Witwe des Jakob
Nagy, die dem Jünglinge Johann Literatus ^) „nach vielem Drängen*
den Beischlaf gewährte. Sie entwich schwanger, wurde zurückgebracht
und genas eines Knaben, worauf sie viermal vom Henker gestäupt
wurde. Der Buhle wurde auf Fürbitte des ungarischen Pastors und
einiger Bürger begnadigt, aber ernstlich verwarnt.
Als (1569) der aus der Barbiererzunft gestossenen Andras Bor-
bely von deutschen Soldaten des Nachts bei einem Weibe ertappt
wurde und zu seinem Schutze bei einem Bürger Dienste nahm, verlor
er für immer die Befugnis, sein Gewerbe auszuüben. — Regina Holz-
schucher, „Leutenants Lazari gewesene Fettel und Schleffin" ^), wurde
zum Pranger verurtheilt, jedoch begnadigt und verwiesen, — welche
letztere Strafe (1580) auch die Witwe Sofia wegen Buhlschaft traf
u. zw. auf 10 Jahre.
Ebenbürtig an Zahl und nicht selten mit den Strafi'ällen vor-
genannter Art sich durchkreuzend sind die Thatsachen die dem Be-
reiche der Prostitution angehören. Wir wollen nur Charakteristisches
herausgreifen und zwei ürtheilssprüche vorausschicken.
Janusch Asztalgyartö und sein Eheweib Sophia wurden i. J. 1565
angeklagt, in dem von ihren gemietheten Hause eine Prostituirte
beherbergt zu haben. Als sie einmal vollgetrunken waren, führte
Sophia selbst ihren Gatten dem Beischlafe mit jener Hausgenossin zu,
und sie wurden von Dienstleuten darin betroffen. Man zog das Ehe-
paar gefäij glich ein. Auf Fürbitte vieler ehrbaren Mäuner und Matronen
wurde „mit Linderung der Strenge des Rechtes", Beiden die Todesstrafe
erlassen; man fesselte sie jedoch zusammen und hiess sie an den
Schanzwerken ß) einen Theil des Erdbodens ausgraben.
') Herumvagiren, Nachtschwärmen. Vgl. 0. S. 626. -) Der alte Hage-
stolz muss etwas anrüchig gelebt haben. ^) »Vetula* heisst es im Protokoll;
richtiger also »Vettel*. *) Dürfte die lat. Wiedergabe des häufigen magya-
rischen Zunamens Deäk, Diak sein ^) ^= concubina. Vgl. GeslafF, Schlaff
contubernalis. ") Seit 1566 unter dem Kaschauer Kommando des Freiherrn
v. Schwendi geschah sehr viel für die Befestigung der Stadt. In unserm
Das Gericlitsprotokoll cl. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 631
Die Kupplerin Czuga Mate wurde (1607) in die Hernad
geworfen.
Auf Prostitution finden wir meist Stäupung und Verweisung
als Strafe gesetzt ^). Besonders stark niuss sich jedocli (1605) Kata
Cliorba vergangen haben, da sie zum Tode verurtheilt wurde. „ Weillen
aber von dem Fürsten Botskay " — heisst es weiter — „eine gratia
für sie verlangt wurde, habe mau mit der Strafe nicht fortfahren
können". Sie wurde dann nur einfach aus der Stadt verwiesen 2),
Lang ist die Eeihe der Ehebruchsfälle, die das Strafprotokoll
durchziehen und verschiedensten Sachverhalt an den Tag legen. Greifen
wir einige Typen des Verbrechens und seiner Strafe heraus.
Protokoll findet sich darüber Nachstehendes aufgezeichnet : 1566, 11. begann man
die Grundlegung der Befestigung, das nordwärts gegenüber der Ziegelgasse
(platea tegularum) liegt; eine andere Befestigung erstand in der Nähe gegen
Westen, auf dem Wege zur Froschgasse (platea vulgo ranarum), u. z. s. 17. Mai d. J.
Am 10. Juni begann das dritte Befestigungswerk nach Osten hin, gegen die
»Schreibermühl*. — Ein viertes wurde im Norden, am Ober-Thore 12. Juli an-
gelegt. Dazu hatten in Folge des Auftrages Schwendi's die übrigen Städte des
Oberlandes (reliquae civitates superiores) Kostenbeiträge zu entrichten und zwar
Leutschau (Zips) 300, Bartfeld 287, Eperies 287 und Zeben (die drei
letztgen. i. d. Schäroscher Gespauschaft) 125 ung. Gulden. — 13. Juli Avurde mit
einer 5. Verschanzung im Westen u. z. in der » Faulgas* angefangen. — Z. J.
1567 heisst es »den andern Tag Novembers haben die EdeUeute aus dem
Schäroscher Comitat das Pol werk oder Pastey am Faulthor (Aus-
mündung der Faulgasse) auf der k. May. bevelch zum andern Mal angefangen. —
Z. J. 1568: »den 24. tag Marcii haben die vier erbarn Freystedt: Leutscha,
Bartfa, Epperies und Zeben auf der kö. May. bevelch die postey zwi-
schen dem Niederthor und Faulthor 2u bauen angefangen.*
1) Z. J. 1565 werden in dieser Weise als straffällig sechs Frauenspersonen
verzeichnet, insbesondere die an verschiedenen Orten als H . . . sich herum-
treibende Dorko von Bartfeld. Die mit ihnen haltenden Männer wurden zu Geld-
strafen 35—15 fl. verurtheilt. Von der »Juliana fornicatrix, uxor quondam
Joh. Vito in Villa Arka* heist es: ,maritum intoxicans rem cum officialibus
in villa Vämos Vjfalu siBpe habuit. Postea vero quidam Joanni mercenario
nupsit, sed coniugalem fidem non servaAdt, ibi ut adultera jure mediante, via-gis
c?esa, per maritum abacta est. Tandem apud Franc. Literatum (Deäk) serviebat
et alias. Postea in suspicionem venit, quod rem habuisset cum Georgio civitatis
servitore sed quia in tortura pernegavit, virgis solummodo
caesa et a civitate ablegata est ad X milliaria in perpetuum. Hier durchkreuzten
sich Annahme des Gattenmordes, Ehebruch und Unzucht. — Z. J. 1568 wird:
,niulier fornicatrix, vaga e Bohemia* angeführt — »per Bedellum (Büttel)
educta est*. ^) Die Magd Anna, von dem Lanzknecht Kalb geschwängert,
abortirte und wurde »kranken Leibes* für immer verwiesen. Der Lanzknecht,
der sich zur Heirat nicht bequemte, und mit einer Hebamme, Marina, abgab,
musste vom Fähnlein sich trennen und die Stadt meiden, wozu auch die Hebamme
verhalten wurde.
632
K r 0 n e s.
Das Eheweib des Hegedüs, das mit zwei Männern hielt, wurde
eingesackt und in die Hernad geworfen. — Andr. Sipos als Ehebrecher
ertappt, büsste mit dem Kopfe. — Die Frau des Gregor Nagy wurde im
Ehebruche schwanger. Da sie jedoch angab, seit zwei Jahren von
ihrem Gatten verlassen zu sein, so wurde sie auf zehn Bannmeilen
aus der Stadt verwiesen.
Besonders schwer verging sich Käthe, das Eheweib des Vorstädters
Thoth. Sie hielt es mit mehi-eren und wollte sogar einen ihrer Buhlen
bestechen, auf dass er ihren Gatten erschiesse. „Sie wurde deshalb in
einen Sack gestossen und in die Kundert geworfen". — Der Trabant
Ambrosch des Ehebruches „mit einer Fettel" überwiesen, büsste unter
dem Schwerte des Henkers. — Die Todesstrafe wurde auch (1561)
über die Frau des Kürschners Berchtolt ausgesprochen, da sie es mit
ihrem Gesellen, Michel aus Siebenbürgen, hielt. Letzterer musste sich
mit 50 Gulden lösen und durfte nimmer sein Handwerk ausüben ; die
Ehebrecherin erlang-te auf Fürbitte des Hauptmanns Zay und Alberts
Laszky i) die Begnadigung vom Tode, wurde verbannt und ihres Gutes
zu Gunsten der nächsten Blutsverwandten entäussert.
Ursula Schuster (1570), von ihrem Manne des Ehebruches an-
o-eklagt, aber dessen auch in der Folter niclit geständig, musste für
ein Jahr die Stadt meiden. — Im selben Jahre sollte die Frau des Emerich
Fazekas, des gleichen Verbrechens über^viesen, den Tod im Wasser
finden. Sie erlangte jedoch „kniefällig" dui-ch ihren Gatten die Be-
gnadigung, so lange im Kerker zu bleiben, bis für sie als Lösung
40 fl. erlegt würden.
Das Eheweib Gerusch, erwiesener Maassen mit einem Diener des
Bäuffy im Ehebruche, erlitt am Pranger die Züchtigung mit der Ruthe
und wurde auf ewig verwiesen. — Der Stadttrabant Wali, im Bei-
schlaf mit einer verheiratheten Frau betreten, entging als kaiserlicher
Diener der Verhaftung und entwich Morgens aus der Stadt. — Das
Jahr 157.3 verzeichnet die Verbannung des Georg Eötvös als Ehe-
brechers, andererseits des Mathäus „Aurifaber" als nachlässigen
und sorglosen Ehemannes aus der Stadt.
Lenart Schwarcz aus Breslau wurde im gl. Jahre wegen des
gleichen Verbrechens „gestrichen" — und später verbannt. Der Ver-
1) Albert Laszky war der Solm des 1541 verstorbenen Magnaten Polens und
Ungarns, Hieronymus, aus der Ehe mit Anna Korodzenky, und erbte vom
Vater die Burgherrschaften Dunayecz und Käs mark in der Zips, in erster
Ehe mit der Witwe des Georg Seredy, Kath. Businczki, verbunden, welche 1561
starb ; er ehelichte dann Anna Businczki und nach deren Tode die Sabina Sene.
Er spielte damals als k. Feldhauptmann eine Rolle.
Das Gerichtsprotokoll d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556 — 1608. 633
dacht des Ehebruclies bei Sophie Zabo führte (1G02) zu ihrer Ver-
baununff auf zwei Jahre. — Eiu Ehebrecher, Martin Wasantho, der es
mit zwei Frauen hielt und der Strafe durch Flucht entging, erlangte
durch Erzherzog Ernst (1580) die Begnadigung; kehrte zurück, miss-
handelte jedoch aus Eifersucht sein Weib, so dass es in Folge einer
Fehlgeburt starb. Der Verbrecher büsste mit Enthauptung seine
Frevel.
Von besonderem Interesse sind die Fälle, welche Bigamie be-
treffen.
Der am meisten verwickelte ergab sich 1563 mit Paul Mester
„aus der kleinen Eyde"^). Derselbe war vor Jahrzehnten in Gesellschaft
der Buhle Martha, seiner Frau Barbara entlaufen, als er merkte, der
Strafe zu verfallen, kam nach Boldogkö und fand hier als Grund-
unterthan Aufnahme. Die verlassene Ehefrau Barbara lebte inzwischen
zwei Jahre bei ihrer Schwester in Sacza und wurde von Georg Semsey,
dem Grundherrn, seinem Stubenheizer Gregor Torkos „mit Gewalt
zur Frau gegeben". Ihr erster Gatte, Mester, musste jedoch mit seiner
Buhlen aus Boldogkö nach Szepsi, von hier nach Cscecs und von
letzterem Dorfe wieder weiter wandern. „Und verliess", heisst es im
Protokoll, „doch Martham nicht, sondern lernt etwas ungarisch
und lateinisch lesen und wirt also ein Schulmeister hin
wider au ff den Dorf fern. Und lest ihn die Martha schlechts
nit treiben nach christenlicher Weiss und Ordnung. Sunder lebt mit
ir als mit seinem Schleppsack fast in die 30 Jar" ^).
1562 starb die Martha, und er heiratet d. J. darauf eine Wittfrau
in der Kaschauer Vorstadt. Als dies Janosch Semsey (wahrscheinlich
der Erbfolger des Grundherrn Georg S. von Sacza)'*) erfahrt, macht
er dem Kaschauer Käthe Meldung von der Bigamie, da Barbara, Mesters
erste Gattin, noch lebe. Die Stadtbehörde schenkt dem Mester das
Leben, lässt ihn aber „auss der Stadt peitschen", mit der Drohung,
im Betretungsfalle einer nochmaligen Heirat, bei Barbaras Lebzeiten,
solle ihm „nachgeschrieben" werden, „als einem, der seinen Hals ver-
fallen und zum Tode verurtheilt ist".
») Erzh. Ernst, K. Rudolfs II. ältester Bruder befand sich damals als Ver-
treter der Krone in Ungarn, woselbst A. 1580 zu Pressburg ein Landtag abgehalten
wurde, den er eröffnete. «) Kis-Ida z. Unterschiede v. Nagy-Ida i. d. Abaujv.
Gespanschaft. ^) Die Anfänge seines bewegten Lebens als Ehemann müssen
also um 1530 fallen. *) Sempsey -= Semsey, ein altes Adelsgeschlecht.
Georg II. S. schrieb sich der erste mit dem Prädikate von Sacza im Abaujv. Com.
Er hinterliess keine Nachkommen; Johann (VI) S. war sein Vetter, der Enkel
Johann IV. und S. des Mathias.
Q^^ K r 0 n e s.
Ein zweiter Fall, der zwischen Bigamie und Unzucht schwankt,
gehört dem J. 1560 zu. Ilona von Eperies war zuerst „als zwölf-
jährig" mit einem der „hungarischen und windischen Sprache" mächtigen
Priester Namens Ambrosch verheiratet, der sie verliess. Sodann lebte
sie mit den Trabanten Szabo und, als auch dieser das Weite suchte,
hielt sie mit zwei Lanzknechten. Sie wurde auf dem Pranger vom
Züchtiger mit Euthen gestrichen, auf 16 Meilen in der Ruude aus der
Stadt für 101 Jahre verbraunt, mit der Androhung, im Betretungs-
falle in einen Sack genäht und ersäuft zu werden.
Die Strafe einer zehnjährigen Verweisung traf die Gattin des
Koväcs, eines Kaschauers, die mit einem Liebhaber nach Patak entlief
und später den Jonassi von Altsohl heiratete, der davon ging und
verscholl. — Der Bigamist Dionys Lakatgyärtö aus Rimaszombat musste
die Stadt „noch vor Sonnenuntergang" auf immer meiden.
Von Noth zu cht -Fällen mache einer der schwersten, auch mit
Päderastie verquickt, den Anfang.
Der Schulmann Demeter Thuri wurde beinzichtigt, einem sechs-
jährigen Mädchen Gewalt angethan und ihrer Gesundheit geschadet zu
■ haben. Sodann missbrauchte er einen Knaben und wurde aus der Vor-
stadt gewiesen. Zu Kis-Ida versuchte er das Gleiche, ebenso zu Mun-
käcs, von wo er als Schulrektor verwiesen wurde. Man verurtheilte
ihn zum Tode, er erlangte jedoch durch Fürbitte geistlicher Personen
Begnadigung, und kann mit der Stäupung und Verbannung 101 Jahr,
zehn Meilen in der Runde, davon.
Der Nothzüchter Bäthory wurde eingekerkert, entsprang in Fesseln,
gerieth alsbald wieder ins Gewahrsam und wurde bloss aus der Stadt
verwiesen, da sich die Mutter des Mädchens mit ihm verglich. — Die
gleiche Strafe u. z. auf ein Jahr erlitt Lanius (Länyi), der ein zartes
Mädchen zum Beischlaf verleitete und schwängerte. Zuvor wurde er
mit der Verführten gerichtlich verheiratet.
Von den Straffällen der Schändung heben wir zwei hervor.
Andreas Molnär wurde wegen Unzucht und mehi-erer Schändungen
gestäupt und verwiesen (1602), aus Rücksicht auf seine Jugend. —
Dao-etTen erlitt Anton Zokolay, der mit sechs Helfershelfern einem
' ITT
Tehaner Insassen seine Verlobte raubte und im Felde schändete, die
Strafe der Schleifung zur Richtstätte, allwo er aufs Rad geflochten
wurde ; „welches Verbrechen seit Menschengedenken hier nie vorfiel" i)
— heisst es im Stadtbuche.
•) »Quäle flagitium nuUa nnqiiara horainum memoria recordatur hie
contigisse*.
Das Gericlitsprotokoll d. kön. Freistadt Kascliau a. d. J. 1556 — 1608. 635
Blutschande mit Ehebruch vermischt, welche der Messner
Wellasch an seines Weibes Schwester beging, führte „aus besonderer
Gnade" zur Enthauptung ^).
Brandlegung, begangen durch das Weib des Korporals Nagy
(1558), erscheint damit bestraft, dass der Thajterin das Leben geschenkt,
sie jedoch mit Kuthen gestrichen und verwiesen wurde.
Für Gotteslästerung oder Blasphemie büsste Urban Bärbel
mit Verweisung aus der Stadt, nachdem er gezwungen worden, sein
Haus zu verkaufen.
Entheiligung des Sonntags führte zur Bestrafung der Ehe-
frau des Golopi mit 10 Gulden, die dann durch Schanzarbeit abgedient
wurden.
Bakai wurde (1567) als Kirchenschänder zur Geldbusse (20 fl.)
,, begnadigt", in Folge der Fürbitte des Pastors Frölich und vieler
Adeligen.
Läugnung der Sakramente und halsstarriges Wieder-
täuferthum veranlasste (1570) die Verweisung Hannes Bamhewers
aus der Stadt durch den Büttel.
Der Widersetzlichkeit gegen väterliche Gewalt, gröb-
licher Art, machte sich der Sohn Szabös (1568) schuldig, indem er mit
dem, ihn scheltenden und zum „Friedhalten" ermahnenden Vater hand-
gemein wurde. Im Bingen fallen beide zur Erde, die „nächtigen Zirkler"
(„Runde", Schaarwache) kommen dazu und bringen den unbotmässigen
Sohn in die ,, Pütteistuben", allwo er gräulich schimpft. Er sollte „Hand
und Zunge verlieren", wurde jedoch zu sechsjähriger Verbannung be-
gnadigt.
Die Härte kriegerischer Zeiten spiegelt sich in der Bestrafung des
als türkischen Spions befundenen Mathias von Olcsva. Er wurde
am Schweife eines Pferdes zur Richtstätte ausserhalb der Vorstadt
„wo man die Enthauptungen vorzunehmen pflegte", geschleift und an
den Pfahl gezogen.
Aechtung oder Verbannung von einem andern Orte war auch
für die Kaschauer Stadbehörde ein Grund, gleiches vorzukehren. Die.
von Eperies „ausgestrichene" Kath. Hajdukowa, die „auf 20 Meyl wegs"
verwiesen wurde, musste Kaschau mit Mann und Kind räumen, da
zunächst diese letztere Zufluchtstätte innerhalb der Bannmeilen lag,
und der Rath überdies solchen Ankömmlingen nicht hold sein konnte
(1572).
') Im Straf buche wird das Verbrechen zunächst als Blutschande ge-
kennzeichnet.
636 Krone s.
Kückfall in bereits gestraftes Verbrechen erlebte versebärfte
Strafen. — Agnes Garay, die aus der Verbannung heimkehrend, aber-
mals als Diebin in den Stadtmühlen ertappt wurde — finden wir
neuerdings gestäupt und zum Verlust der Nase verurtheilt (1572).
Ein ganz besonderes Delikt wird i. J. 1567 gemeldet. Einige In-
sassen der Stadt: Veiten Fehler, Zachariä Tischler, Anton Blaser und
Hanns Apteker Hessen nämlich im Stadthause, woselbst eine Schenke
bestand „Wolfsfleisch vorsetzen" und wurden mit Geldbussen in
der Höhe von 20 — 4 Gulden gestraft.
Als 1562 im Hause des Sattlers Jakob (Faulgasse) ein Feuer
auskam und 18 Nachbarn schädigte, wurde er zu Gunsten derAb-
geb rannten mit dem Verlust seiner ganzen Habe bestraft, ausge-
genommen die Kleidung und das Bettgewand seines Weibes und seiner
Kinder.
Mit diesen beiden letztangeführten Thatsaehen sei der Uebergang
aus dem eigentlichen Bereiche der Strafgerichtsbarkeit in das jener
Massregeln gemacht, die für die Gerechtsamen der Stadtgemeinde
einzutreten hatten, und mit einigen solchen Vorkommnissen dieser
■ Aufsatz geschlossen.
Das erste betrifft das Privilegium der Stadt in Hinsicht der Ein-
fuhr des Weines (1562). Unter der Amtsführung des Stadrichters
Emerich Patschner, hatte der Kaschauer Bürger Zacharias Payr zu
Göncz von Jakob dem Thüringer 10 Fass Wein getauft. Als nun die
„Herrn Consuln" (Rathsgenossen) Leonhard Gröschl, Job. Fynk und
Niklas Ryppiczer im Rathe bezeugten, dass es stets „Brauch" gewesen,
keinem Polen oder andern Fremden zu gestatten, ausserhalb der innern
oder eigentlichen Stadt Wein zu kaufen, und andererseits ein Verbot
bestünde, demzufolge es keinem Bürger erlaubt sei, nach St. Jörgen-
Tao- Weine in die Stadt oder Vorstadt zum Verkaufe einzuführen, oder
sie ausserhalb der Stadt in der Vorstadt zu verkaufen, noch auch die
Befugniss gegeben, vor dem St. Jörgen-Tage mehr als 60 Fass Wein
nach Kaschau einzuführen, — so wurde Zacharias Payr, mit Rücksicht
auf den Zeitpunkt und die geringe Höhe des Weinkaufes, nicht um
die ganze Ladung, sondern nur um zwei Fässer gebusst.
Verwandt dem ersten ist der zweite Fall (1569). Josef Lang,
Kaufmann, aus Siebenbürgen stammend, mit einer Eperieserin ver-
heiratet, schloss mit dem Kaschauer Johann Deak ein Weinzufuhr-
geschäft ab. Da er das Bürgerrecht von Kaschau nicht besass, so
musste er sich den Verlust von sechs Fässern Wein gefallen lassen;
der Strafsatz lautete ursprünglich auf 10 Fass. — Das Gleiche betraf
zur selben Zeit Frau Priska Lenusin, deren Mann auch nicht das
Das Gerichtsprotokoll d. kön, Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 637
Bürgerrecht hatte. „Es ist aber ein alte Stattgereehtigkeit" heisst es
im ürtheilsspruche, dass kein Ayn-^'t)ner dieser Stadt, ob er gleich
Hauss hynnein hett, und doch nicht das Purgerrecht erlanget, mag
und sollanndtweyn hereinfuren vor die Stat. Thut er aber darwider,
so hat er dieselbigen Wein verlorn".
Ein Missachten des städtischen We i n t a r i f s konnte den Ve r 1 u s t^
des Schankrechts ^) nach sich ziehen, wie sich dies (1571) Eötvös
zuzog; doch wurde er später begnadigt.
Der Kathsbesehluss von 1564 besagte, dass das volle Bürgerrecht
(ins civile) den Miteinwohuern d^r Vorstadt nicht so wie den
eigentlichen Bürgern eingeräumt werden könne. Den Vorstädten sei
nicht gestattet, mit Wein und Tuch Handel zu treiben
Als 1568 mehrere Handwerker von Patak die gleichen
Innungsrechte für sich in Anspruch nehmen wollten, wie solche
in Kaschan bestünden, und damit begründeten, dass Patak wieder zu
den Besitzungen der ungarischen Krone zähle, verweigerte der Eath
seine Zustimmung und erklärte, dass man nur an dem altherkömm-
lichen Verkehre mit den Meistern und Zechen von Patak festhalten
könne. — Patak war eben keine freie königliche Stadt, also nicht eben-
bürtiger Kechtsstellung.
Wir schliessen hier einen TJrtheilsspruch des Kaschauer Rathes
an, der dem Grundsatze Rechnung tragen sollte, dass Mangel an
Gemeinsinn den Anspruch auf die Rechte eines Gemein-
wesens verwirke.
1569 wollte Kaschau die „Auslösung" d. i. die mit einer Taxen-
zahlung verbundene Bestätigung oder Erneuerung seiner Freiheiten
bei der Krone erlaugen, da man hiezu von der Stadtgemeinde Press-
burg aufgefordert worden war. Der Kaschauer Bürger, Leonhard Gröschl
(ein für diesen Fall sehr zutreffender Name), der zu der bewussten
Zahlung auch sein Scherflein beitragen sollte, — äussert« sich sehr
übellaunig: „Er wold für niemanden zalen. wan die Privilegien ymmer
nicht solten confirmirt werden". — Der Rath fasste nun folgenden
Beschluss :
„Nachdem er, Gröschl, die Privilegia und Freyhait der ganczen
Statt, welche (er) zu erhalten geschworen, vnd welche vnsere Vor-
•) Die Kaschauer Gemeinde war auch bestrebt, ihr Braurecht und Bier-
schankrecht gegen adelige Konkun-enz zu wahren; wie wir dies aus dem Zeug-
nisse der Schtlroscher Gespanschaft v. J. 1568 entnehmen. Die Stadt protestirte
nämlich dagegen, dass adelige Gi-uudhomi in ihrer Nähe, das Bannnieilenrecht
nicht achtend , Bier brauten und Bier ausschenkten (braxatio et educillatio
cerevisioe).
638 Krones.
eitern mit grosser Mühe, Arbayt, vud beständiger Treuheit, ya auch
durch ir Blutvergissen von den'^ alten heiligen hungrischen Khunigen
bekhommen vnd zuwege gebracht vnd auff unss gelassen haben, mit
o-leicher Mühe vnd Treuheit zu erhalten vnd yn keinem Weg zu
uerachten (habe): So soll Lenart Greschel: derselben Privi-
legiis vnd Stadtgerechtigkeit vnd Freyheitt gar beraubt
sein vnd derselben nicht geniesseu, so lang er dem
ersamen Rat vnd der ganczen Gemayn den wyllen nicht
sucht. Welches also zu verczaichnen ist befolenn worden. Actum
den 26. Sept. a. d. 1569".
Endlich verdient noch ein Fall z. J. 1570 Beachtung. Peter
Zabo (Szabü), Schwiegersohn der Witwe des Ladislaus Kassay wurde
des Bürgerrechtes für verlustig erklärt, weil er insgeheim und
ohne Wissen des Rathes sich und seine Schwiegermutter dem Magnaten
Kaspar Drugeth von Homonna für immer als Unterthan der Herr-
schaft ünghvär „aufnehmen'' und „eignen" Hess.
Das ist der wesentliche Inhalt unserer Quelle. Er wirft mitunter
g-relle Streiflichter auf Thatsachen, die unter wechselnden Formen immer
wiederkehren, durch ihr besonderes Gepräge jedoch den Geist der
Zeiten erkennen lassen. Ihm überall nachzuspüren ist die Aufgabe des
Historikers.
Die Eiiifüliriing des gregorianischen Kalenders
in Wien.
Von
Karl Uhlirz.
Am 1. Oktober 1583 wurde das Patent ausgegeben, mit dem
Kaiser Kudolf IL die Anwendung des neuen Kalenders in Ober- und
Niederösterreich anordnete. Dem Widerstreben, das der päpstliche
Ursprung der Reform allerorten hervorrief, trug die Fassung des Pa-
tentes Rechnung, der Name des Papstes wurde gar nicht genannt, nur
nebenher ist von der Einführung des Kalenders in Italien die Rede:
,, nachdem sich bisshero im alten calendario sowol der fest als auch
der jarszeit und anders halben allerlei mengel befunden, derwegen
dann unläugst nit allein mit unsern vorwissen, sondern auch nit
weniger auf etliche unserer als anderer christlicher potentates und
herrschaften fürnemen mathematicorum vleissigs nachdenken und guet-
achten ain neues calendarium verfasset und von inen als derselben
Sachen verständige ainhelliglich für guet, auch die vorberürte mengl
widerumb ab und alles in ain bestendige immerwärende richtigkait zu
zu bringen für notwendig geachtet worden und dann hierauf weiter
erfolgt, dass verschinen 82. jajs solch neu calendarium hin und wider
und nit allain in Italien, sondern andern mehr nit der geringsten
christlichen nation köuigreichen und Ländern publicirt und ins Werk
gericht worden" '). Der Uebergang vom alten zum neuen Kalender
»j Kaltenbrunner in SB. 87, 511. Patent im k. k. H. H. und Staatsarchiv,
nö. Landesarchiv, k. k. Archiv des Ministeriums dea Innern. Für mehrfache
Auskünfte und die Gestattung der Benützung bin ich den Hei-rn Dr. Thomas
Fellner, Direktor, Dr. Michael Tangl, Offizial des Archivs im Ministerium des
Innern, Herrn Alois König, Direktor und Herrn Dr. Anton Majer, Gustos des
Landesarchivs zu Dank verpflichtet. Wertvolle Mitteilungen aus dem üniversitäts-
archiv verdanke ich Herrn Staatsarchivar Dr. Karl Schrauf.
640 U h 1 i r z.
sollte, wie es im Jakre vorher in der Bulle ,Inter gravissimas' verfügt
war, durch Gleichsetzung des 5. mit dem 15. Oktober erfolgen. Zur
Veranschaulichung und leichtern Handhabung wurde dem Patente eine
Anweisung beigegeben, mit deren Abfassung der berühmte Wiener
Mathematiker Dr. Paulus Fabricius betraut worden war. Keiner war
hiezu berufener als der gelehrte Lausitzer, der sich eifi-ig mit astro-
nomischen Studien beschäftigte, seit dem Jahre 1555 Kalender aller
Art herausgab und im Jahre 1578 das Gutachten der Wiener Uni-
versität über den päpstlichen Vorschlag der Kalenderverbesserung
ausgearbeitet hatte i). Er war wohl vorbereitet, sein Wissen auch in
leicht fasslicher Form zu einem volksmässigen Zwecke zu verwerthen
und kam dem kaiserlichen Auftrag während seines Sommeraufenthaltes
zu Oberlaa nach.
Zur selben Zeit traf am kaiserlichen Hofe eine Schrift eines eifrigen
Gegners der Keform, des Tübinger Professors Maestlin ein, die ihm
zur Begutachtung vorgelegt wurde und ihn auch zu neuerlicher wissen-
schaftlicher Beschäftigung mit dem Gegenstande veranlasste 2).
Die Anleitung des Fabricius ist auf einem Papierblatte grossen
Formates (525/390 mm.) gedruckt und mit einer Widmung an seinen
Gönner den Hofkammerrat Hieronymus Beck von Leopoldsdorf, einen
der eifrigsten Förderer wissenschaftlicher Arbeit, versehen. Da das
Blatt zu den Seltenheiten zählt und bisher der Forschung entgangen
ist 3), so wird die Mitteilung seines Wortlautes, der uns einen Bericht
über des Fabricius Thätigkeit in der Kalenderfrage und seines Gönners
Anteilnahme an derselben darbietet, nicht überflüssig erscheinen :
Aulaitung zum brauch des verneuten caleuders welcher auff* der
röm. kai. Mt. etc. unsers allergnädigsten herrn etc. bevelch auff ditz
1583. jar im octobri angestellt wird.
Dem edlen und gestrengen ritter herrn Hieronimo Begken von
Leopolssdorff etc. auf Ebraichsdorlf etc. röm. kais. Mt. etc. hofcammerrat,
meinem gnädigen herrn und patron.
Ich denke offt dran, edler gestrenger ritter, gnädiger herr, das
mich e. g. vor vilen jähren unter andern gesprächen de bonis artibus
sonderlich von mathematicis disciplinis dahin gehalten hat, das ich
') Ueber ihn Kaltenbrunner Die Polemik über die gregor. Kalenderreform
in SB. 87, 491, 530; Aschbach-Horawitz Gesch. der Wiener Universität 3, 193;
Mayer Buchdruckergeschichte Wiens, passim. ") Kaltenbrunner a. a. 0. 491.
8) Ich verdanke die Kenntnis desselben der Nachforschung des Herrn Dr. M. Tangl,
der das im Archiv des k. k. Ministeriums des Innern verwahrte, wohl erhaltene
Exemplar zu Stande brachte. Ein zweites beschnittenes Exemplar befindet sich
im nö. Landesarchiv.
Die Einführung des gregorianischen Kalenders in Wien. (341
etliche modos instauraudi calendarii Komani stellen wolte, auch daneben
erbotten e. g. woltens selber gen Korn schicken, da ich gleichwol
desshalben ingehalten, das ich gewiss erfahren, dass man dieselb
emendation ohnedas von dannen zu gewarten haben werde. Wie dann
alssbald darauff die kais. Mt. etc. unser allergnedigster herr etc. mir
bevelch geben, die ganze sachen vom caleudario zu beratschlagen und
Irer Mt. zuezustellen, welches von mir beschehen und iusto commen-
tario nach allen umbstenden auf etliche form und weiss verrichtet
worden, von welchen hie wol meidung beschehen sollte, aber es wil
sich in kürtze nicht thun lassen. Weil ich aber desselben meines
commentirens e. g. ein exemplar schon vor vier jaren zugestelt, wollen
sie sich drinnen ersehen, vielleicht kompts auch noch in druck. Jetzt
weise ich aufs einfeltigste den leser aus dem gemainbreuchigen calen-
der in den reformierten, hab aber zu erklerung meiner observantz in
öffenthchen druck e. g. zu ehren diss fragmentum aussgehen lassen
wollen, bittend e. g. wöllens pro sua insigni humanitate gegen mir
und löblichen affect gegen gutten studiis vor guet annehmen und in
ihrer herrlichen schönen bibliotheca lassen inter antiquitates ein kleines
stättlin finden, dieweil diss calendarium ad antiquitatis exemplum inno-
viert ist. Thue mich hiemit e. g. commendieren und das man nicht
möcht sagen, ich wöll Irer röm. kai. Mt. etc. propria autoritate für-
ffreiflfen, habe ich Irer Mt. etc. decret an mich hier zudrücken heissen.
Datum Oberlaah den 6. septembris anno 83. da ich morgens frue ein
stund vor aufFgang der sonnen sowoll als etliche tage zuvor den
planeten Mercurium (welcher sich selten sehen last) hell und schön in
ultimis Leonis et primis partibus Yirginis gesehen und notirt habe.
Paulus Fabricius caesaris mathematicus
med. doctor
Eöm. kai. Mt. etc. mathematico Paulo Fabricio der ertznei doctom
zuezustellen.
Aus souderra der röm. kai. Mt. etc. unsers allergnädigsten herrn
bevelch Irer Mt. etc. mathematico Paulo Fabricio der artznei doctorn
anzuzaigen. Nachdem Ihr kais. Mt. etc. sich dahin entschlossen, das
neu calendarium sowol als römischer kaiser im reich teutscher nation
als in ihren künigreichen und landen zu gebrauchen und dasselb auf
den october diss jetzt laufi'enden jars anzustellen, auch derwegen jetzt
im werck seien, churfürsten fürsten und stende des reichs solcher Irer
Mt. etc. resolution zu erinnern und daneben zu besserer nachrichtung
deren jeden oder doch den fürnembsten einen abdruck oder exemplar
des durch ihne Dr. Fabricium gestelten fragmenti der dreier letztern
Mittheilungeu XII. 40
642 Ühlirz.
monat dises jetzt lauffenden jars mitzuschicken, das er demnach solch
fragmentum nit allein aufs fürderlichst sonder auch zu dem jetzt be-
rüerten eflFect desto mehr exemplaria wolle drucken lassen.
Decretum per caesaream suam
Maiest . die ultimo augusti 1583.
V* S. Yieheuser D. P. Obernburger.
Nunmehr folgt in drei Kubriken das Fragment vom 29. September
bis 31. Dezember, üeber der ersten Kubrik steht die Anweisung:
An den freundlichen leser! Dieweil uns im alten calender der
18. Sonntag nach der heiligen trifaltigkeit aufif den 29. tag septemb.
das ist auf s. Michaelis tag feit und die im vemeuten calender den-
selben 18. sontag mit unss (wiewol in irer tagraitung auff den 9. octob.)
halten, hatt mich vor guet angesehen, das jederman von dannen an
die Wochen raite biss auff den 5. tag octobris, da wirb er anstatt fünff:
fünffzehen sprechen und zelen. Das beschicht auff ein sambstag, her-
nach kompt B. sontagsbuchstab der 19. nach trinitatis, von dannen
an zeit man fort nicht allein ditz 83. sondern hernach auff 1584. jar,
darauff dan mein calender schon gericht und gedruckt ist.
des herbstmonats zwen letzte tag.
Christus stopfft den Phar. Matth. 22.
29. F. 18. Mich. Sont. i)
30. g. Montag. Hiero.
October Weinmon.
Hat dissmal 21 Tage.
1. a
erichtag Kemi.
2. b
mittwoch Leode.
3. c
pfinstag Simpl.
4. d.
freit. Francis.
15. e.
sambst. Dioni.
Jesus tradt
in ein schiff Matth.
16. B.
19. Son. Gallus
17. c.
Marta. Callistus
u. s. w.
Gedruckt zu Wienn in Österreich bei Michaeln Apffeln in der
Schuelstrass cum privilegio sac. caes. raaiestatis '^).
») Die verschiedenen Zahlen und Zeichen habe ich im Abdruck -weg-
gelassen. *) Ueber die Druckerei vgl. Mayer Wiens Buchdruckergeschichte
1, 119 ff.
Die Einführung des gregorianischen Kalenders in Wien. 543
Die kaiserliche Verordnung kam keineswegs zu rascher und all-
gemeiner Durchführung. Nur die Universität gieng an dem festgesetzten
Tage zu dem neuen Kalender über 1). Die drei Stände des nö. Land-
tags, Prälaten, Herrn und Ritterschaft richteten am 4. Oktober 1583
au den Erzherzog Ernst eine Eingabe, sowie sie erklären, dass es
ihnen unmöglich sei, das Generalmandat auszuführen und ihn bitten
ihre Entschuldigung dem Kaiser zur Kenntnis zu bringen 2). Es sind
die damals oft gehörten Gründe, die sie für ihr Verhalten vorbringen:
„wann wir dann befinden, weil auf morgen sambstag die zeit des neuen
calenders alberait angeen sole, das unmuglichen demselben alhir, vil
weniger auf dem land alda man umb diese publication noch gar kain
wissen haben wirdet, Vollziehung zu laisten. Seitemal auch wie wir
bericht, weder die hochlöbl. nö. regierung und camer, herr land-
marschalch etc. die herrn verordneten noch andere gericht und Obrig-
keiten dess zu dero nachrichtung zuvor wäre erindert worden. Neben
dem E. fürstl. Durchl. selbst genedigst und hochvernünftig zu erwegen
under allen ständen nit allein in diesem land sondern auch den be-
nachperten künigreichen und landen in welchen diser neu calender
auch nit im gebrauch sein möchte, in allen ämbtern conträcten handln
und reitungssachen für inconvenientia und beschwärungen hin und
wider ervolgen wurden". Bereits am nächsten Tage erhielten sie den
Bescheid, dass der Erzherzog ihre Bedenken gnädigst angehört habe,
aber eine selbständige Entscheidung in Sachen der Kalenderreform
nicht treffen wolle, weshalb er die Eingabe an den Kaiser geleitet habe 3).
Gegen solchen unterthänigen Widerstand war um so weniger aus-
zurichten als die Hofämter selbst in bureaukratischer Schwerfälligkeit
vor dem neuen Kalender zurückschreckten. Mit kaiserlicher Genehmi-
gung nahm die Hofkammer die Umrechnung erst vom 6. zum 17. Januar
1584 vor^) und derselbe Zeitpunkt wurde mittelst Intimation vom
6. Januar 1584 auch den nö. Ständen kundgegeben mit der Verfügung,
dass bei der Auszahlung der Provisionen, Besoldungen, Pensionen u. s.w.
1) Acta fac. theol. vol. II. (1569—1666) f. 48 Eintragung des Petrus Busaeus
S. J. zum J. 1583: quarto octobris hinc discessit P. Petrus Busaeus Romam versus
quo a sviperioribus suis vocabatur. Die sequenti numerabatur dies decimus quintus
octobris propter novi calendarii initium die sancti Colomanni . . . cuius
festum incidebat tunc in 24. octobris propter calendarii coiTCctionem. Diese Um-
rechnung ist natürlich falsch, der Colomannitag wurde nach Fabricius gar nicht
gezählt, wollte ihn aber Busaeus auf den neuen Kalender berechnen, so musste
er ihn zum 23. ansetzen. Acta fac. med. 1583, II, f. 275: 25. octobris secundum
novi calendei'ii mutationem ... *) Concept und Abschiüft im nö. Landesarchiv.
3) Originaldeki-et und Abschrift ebenda. *) Kürschner in Oesterr. Wochen-
schrift 1872 1, 849.
40"
(544 U h 1 i r z.
die ausgelassenen zeliu Tage „in acht genumen und den parteien die
gebür für dieselben abgezogen" ^).
Während uns bei den bisher besprochenen Aemtem und Ver-
tretungen hinreichende Aufkärung aus Akten und Verordnungen zu
Theil wurde, ist uns für die Aemter der Stadt Wien weder ein Rats-
beschluss noch eine aktenmässige Aufzeichnung überliefert und wir
sind auf die Rechnungen als alleinige Quelle angelesen. Ohne Zweifel
war dem Rate sowohl das kaiserliche Mandat als auch des Fabricius
Anleitung zugegangen, letztere nicht allein auf amtlichem Wege, sondern
auch durch den Drucker Michael Apffel, der dem Rate Kalender und
Lasstafeln lieferte, wofür er nach altem Brauche jährlich 12 Thaler
= 14 fi. erhielt 2). Trotzdem ist sicher der neue Kalender bei der
Stadt ebensowenig als bei den Hof- und Landesstellen vom angesetzten
Termin an verwendet werden. Ja es giengen die einzelnen Aemter
nach Belieben vor. In den Rechnungen des städtischen Oberkammer-
amtes vom Jahre 1583, welche auch den Januar des folgenden Jahres
enthalten, finden wir bestimmte Hinweise darauf, dass der Uebergang
zu Anfang des Jahres 1584 vorgenommen wurde. Einen Anhaltspunkt
zur Bestimmung der weggelassenen Tage gewähren uns die Rubriken,
in welchen Einnahmen oder Ausgaben nach Wochen eingetragen sind.
Die Einnahme aus dem Trögleramt (f. 80') springt vom 28. Dezember
1583 auf den 14. Januar 1584, die aus dem Stangengeld (f. 200) vom
31. Dezember auf den 16. Januar über. Noch deutlicher wird das
Verfahren bei jenen Rubriken, in denen die einzelneu Wochen numeriert
sind. Die Einnahmen vom Zapfenmass (f. 196), die vom Ungelt (f. 189)
und die entsprechende Ausgabenrubrik (f. 426) sind nach folgendem
Schema eingestellt:
Die erste Woche schliesst mit dem 27. April.
7.
14.
21.
28.
33.
December die
35.
36.
Woche
Januarii ao. 84 nach dem neuen callender
\ Januar, die ' \ Woche, 3)
') Abschrift mit beigeschlossener Copie des an die Hofkammer erlassenen
kais. Dekretes vom 30. Dezember 1583 im nö. Landesarchiv. ^) Stadtrechnnng
1583 f. 442, 1584 f. 190. ^) Etwas anders stellt sich die Sache in einer zweiten
Ausgabeumbrik auf das Ungelt (f. 420) ; da die erste Woche mit dem 20. April
schliesst, begieng der Schreiber einen Fehler in der Zählung der Wochen, der
Die Einführung des gregorianischen Kalenders in Wien, 645
Wir sehen, dass allweg der Uebergang die Auslassung von zelin
Tagen bewirken soll. Als Grenzen erhalten wir den 31. Dezember
alten und den 14. Januar neuen Stils ; da man nun den Neujahrstag
ungeändert gelassen haben wird, bleiben uns für den Uebergang nur
der 2., 3. und 4. Januar übrig. Wahrscheinlich ist, dass man den
4. Januar als einen Samstag gleich dem 14. setzte , also vom
3. Januar Freitag, auf den 14. Januar Samstag, 15. Januar Sonntag
übergieng.
lieber den Vorgang im Steueramt sind wir nicht unterrichtet, da
die Steuerhandlerrechnung des Jahres 1583 fehlt und die des folgen-
den uns keine Aufklärung bietet. Da am 4. Januar Kalender und
Lasstafeln im Preise von 7 sh. 4 du. zum Gebrauch des Steueramts
und der Buchhalterei erkauft wurden i), wird man sich von da an
nach diesen neuen Kalendern gerichtet haben.
Dagegen können wir aus den Kechnungen des Bürgerspitals er-
sehen, dass man hier nicht zu Anfang des J, 1584, sondern noch im
Jahre 1583 sich der neuen Tageszählung bedient hat. Bereits vor
dem 1. Dezember 1583 waren um 1 fl. 4 sh, 24 dn, Kalender und
Lasstafeln gekauft worden, man war also in Kenntnis des neuen Ka-
lenders ^), Von den einzelnen Kubriken ist nur die der Ausgaben auf
die Küche geeignet, uns Aufschluss zu gewähren, da in ihr von Sonn-
tag zu Sonntag das wöchentliche Erfordernis eingestellt ist. Die Ver-
gleichung mit den beigesetzten Daten ergiebt nun mit voller Sicherheit,
dass im Jahre 1583 noch nach dem alten Kalender gerechnet wurde.
Obwohl nun die Rechnung in einzelnen Eubriken bis zum März des
nächsten Jahres geführt ist, bricht die Küchenrechnung mit Sonntag
dem 15. Dezember 1583 ab und die neue beginnt mit Sonntag dem
1. Januar 1584, also bereits nach neuem Stil. Es sind demnach die 17 Tage
vom 15. Dezember bis zum 1, Januar einer Woche gleichgesetzt. In
diesem Zeiträume eigneten sich die zehn Tage vor Weihnachten am
besten zur Auslassung, man konnte vom 14. Dezember Samstag auf
den Weihnachtstag 25. Dezember, der im neuen Kalender nicht wie
im alten auf einen Mittwoch, sondern auf einen Sonntag fiel, übergehen.
Dass in der Bürgerspitalsrechnung ebenso wie in der des Ober-
kammeramts an einzelnen Stellen auch nach den ausgelassenen Tagen
datiert wird, darf uns nicht befremden. Fehler und Versehen waren
nicht zu vermeiden, da mau von dem ämtlichen Ansätze abwich und
sich auch in die Rechnung des Jahres 1584 fortpflanzte, aber verbessert wurde,
zudem hat man späterhin den 14. Januar für irrig gehalten, ihn durch Rasur in
den 4. verw'andelt, darunter aber den 21. stehen gelassen.
1) Steuerhandlerrechnung 1584 f. 38. ^) Bürgerspitalsrechnung 1583 f. 206'.
646 U h 1 i r z.
eine Anleitung nicht zur Hand hatte. Der Gebrauch des der ämtlichen
Anleitung beigegebenen Kalenderbruchstückes oder des bereits für 1584
richtig gestellten Kalenders musste, da die willkürlich weggelassenen
Tage darin nach neuem Stil doch vorkamen, notwendiger Weise Ver-
wirrung hervorrufen.
Abgesehen von diesen Zählungsfehlern war also der neue Kalender
im Januar 1584 bei den Wiener Aemtem in allgemeinem Gebrauch.
Die Bevölkerung aber konnte sich mit der Neuerung nicht be-
freunden und noch am 20. Januar musste ein neues Patent erlassen
werden, in dem mit dringenden Worten zur allgemeinen Befolgung
des neuen Kalenders aufgefordert wurde ^). In bewusstem Gegensatz
gegen die vom Kaiser gebilligte päpstliche Reform hielten die Prote-
stanten an dem alten Kalender fest und zu Weihnachten 1584 kam
es auch in Wien zu argen Ausschreitungen. Mehrere reiche Prote-
stanten feierten am 4. Januar 1585 n. st. Weihnachten nach dem
alten Kalender und feuerten in der heiligen Nacht ihres Festes nach
altem Brauche Schüsse ab ^). Das Aergemis, das sie durch diese lär-
mende Widersetzlichkeit errecften, mussten sie mit Kerkerstrale büssen.
') Kaltenbrunner a. a. 0. 512 ; auch Archiv des k. k. Ministeriums des
Innern. ^) Bericht des Decans P. Maximus Brixiensis in Acta fac. theol.
vol. IL f. 51.
Kleine Mittlieilmigen.
Zur erl)königliclien Politik der ersten Hal)sl)urger. Zweck
und Verlauf der Verhandlungen zwischen Kudolf von Habsburg und
Papst Honorius IV. sind erst durch Busson unserem vollen Verständ-
nisse nahe gebracht worden. Seine scharfsinnigen Untersuchungen i)
haben es wahrscheinhch gemacht, dass nicht der Römerzug, sondern
die Umgestaltung der deutschen Reichsverfassung zu einer Erbmonarcliie
den Kernpunkt der von Papst und König vereinbarten, an ältere Ver-
suche anknüpfenden Action bildeten. Es sind wohlbegründete und
höchst fruchtbare Vermuthungen, aber immerhin nur Vermuthungen,
denn die Actenstücke der kaiserlichen wie der päpstlichen Kanzlei
übergehen den heiklen Gegenstand mit völligem Stillschweigen und
selbst die Vollmachten für den Cardinallegaten Johann von Tusculum 2)
verrathen nicht die ganze Tragweite des Planes. Nur die Wormser
Annalen erklären rund heraus, es habe sich um Massregeln gegen das
Kurrecht der Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier gehandelt 3), aber
auch sie sagen nicht ausdrücklich, dass die Einführung der Erblichkeit
im Werke gewesen sei. So wird man denn die im Nachfolgenden
veröffentUchte Urkunde •*) willkommen heissen dürfen; denn sie be-
stätigt Bussons Ansicht und erhebt sie zu einem hohen Grade von
Wah rscheinlichkeit.
>) Kopp, Geschichte der eidgenöss. Bünde II, 3, 260 flf. und .Die Idee des
deutschen Erbieichs und die Habsburger*, in den Sitzungsberichten der Wiener
Akademie, pbilos.-hist. Klasse, 88. *) Vgl. Prou, Registres d'Honorius IV,
Bibliotheque des ecoles franvaises d'Athenes et de Rome, II serie ; Col. 550—559.
3) Annales brev. Wormatienses SS. 17, 77; vgl. Busson, Idee des Erbreichs 688.
*) Ich verdanke die Kenntniss dieses Documentes HeiTu Dr. Steinherz, der mir
mittheilte, dass er im Repertorium des Salzburger Domkapitels zum Jahr 1284
einen Protest der Kirche von Köln gegen die unerschwinglichen Geldforderungen
des Legaten verzeichnet gefunden habe.
g48 Kleine Mittheilungen.
Zur Würdigung des Actenstückes genügen wenige Worte. Das
Erscheinen des Legaten, der das päpstliche Recht der Besteuerung mit
harter Eücksichtslosigkeit übte, beunruhigte die deutsche Geisthchkeit ;
und als derselbe von Worms aus — also nicht vor Ende 1286 ^) —
ein Nationalconcil auf Oculi 1287 nach Würzburg ausschrieb, flog das
Gerücht durchs Reich, der Abgesandte des Papstes bedrohe die deutsche
Kirche mit unerhörten Forderungen. Die Erregung wuchs zum Sturme;
man erhob sich zur Abwehr, ehe der Hieb gefallen war. Eine
Versammlung der Kölnischen Kirche beschloss, von den Befehlen des
Legaten Berufung an den apostolischen Stuhl einzulegen; wohl auch,
die übrigen Hochstifter zum Anschlüsse aufzufordern. Ein glücklicher
Zufall hat uns nun eine für die Domherren von Salzburg bestimmte
Abschrift der Appellationsurkunde erhalten ; die formelhafte Weglassung
der Namen in den einleitenden Worten lässt deutlich erkennen, dass
diese Ausfertigung als Vorlage für ein ähnliches Schriftstück dienen sollte.
Folgendes ist in kurzer Zusammenfassung der Inhalt des umfäng-
lichen und schwerfälligen Documentes: Die kölnische und überhaupt
die deutsche Kirche, so klagen die Versammelten, befinde sich schon
seit langer Zeit in misslicher Lage und leide noch fortwährend durch
Fehden, Plünderung und rechtswidrigen Steuerdruck; dazu sei der
hohe Zehent gekommen, welchen Gregor X. zu Zwecken des heiligen
Landes gefordert habe, der aber einer anderen Bestimmung zugeführt
worden sei ; dann habe der Legat selbst Kirchen und Klöster mit un-
gewohnten und masslosen Auflagen besehwert. Damit nicht zufrieden,
entbiete er nun neuerdings die deutschen Kirchenfürsten und je zwei
Vertreter einer jeden Kirche auf Oculi (9. März) nach Würzburg,
ohne Rücksicht auf die Kürze der Frist und die mit der Beschickung
des Concils verbundenen drückenden Ausgaben; überdies bringe die
Wahl des Ortes den Erzbischof von Köln in Gefahr, da er, um Würz-
burg zu erreichen, sich den Anschlägen seiner Todfeinde aussetzen
müsse. Auch heisse es allgemein, der Legat sei gekommen, um das
Königthum durch Einsetzung eines erblichen Königs vom Kaiserthum
zu trennen und so nicht nur die Kaiserwürde, das zweite Licht der
Welt, auszulöschen, sondern auch dem Wahlrecht der Kurfürsten Ab-
bruch zu thun; ferner wolle er von der gesammten deutscheu Geist-
lichkeit einen neuen Zehenten fordern, obgleich sie durch die früher
erwähnten Auflagen völlig erschöpft sei. Deshalb appelliren die Ver-
') Ellenhard (SS. 17, 129) sagt: Et cum aliquo tempore ibidem (Wormatiae)
permansisset, indixit et convocavit concilium. Vorher war der Legat in Speier;
da der König hier bis zum 9. Dec. weilte, wird auch der Legat nicht früher
nach Worms gekommen sein.
Zur erbköniglichen Politik der ersten Habsburger. 649
sammelten gegen die Befehle und Drohungen des Legaten, zumal da
derselbe trotz vielfacher Bitten seine Vollmacht nicht vorgewiesen
habe, an den apostolischen Stuhl und erklären, dass sie die Berufung
bei der nächsten Gelegenheit dem Legaten selbst zur Kenntuiss bringen
würden, indem sie dem kölnischen Cleriker Got(frid) Auftrag und
Vollmacht geben, alle hiezu nöthigen Massregeln zu treffen.
Diese Urkunde bietet manches Neue: Sie stellt fest, dass das
Concil, welches erst am 16. März zusammentrat, schon für den 9. März
einberufen worden war ; sie zeigt, dass die Appellation nicht erst durch
die Ereignisse während der Versammlung veranlasst wurde, sondern be-
schlossen war, ehe die Kirchenfürsten nach Würzburg gingen ; sie lehrt
uns auch die Worte der Wormser Annalen verstehen, die Berufung
sei per interpositas personas angebracht worden : ohne Zweifel ist jenei
Gottfried gemeint, der mit der Vertretung der Berufungswerber betraut
wurde. Jedoch der weitaus wichtigste Abschnitt des Actenstückes sind
jene Sätze über die geplante Einführung des Erbkönigthums, welche,
wie die Worte: „honorem culminis imperialis extinguere et excecare"
andeuten, die Aufhebung der Kaiserwürde im Gefolge haben sollte.
Dass die Absicht wirklich bestand, ist freilich auch durch unsere Ur-
kunde nicht strenge erwiesen, aber so viel steht nun fest, dass man
in den höchsten Kreisen des geistlichen Fürsteuthums an die Wahrheit
der im Keich verbreiteten Gerüchte glaubte.
Wir lassen nun das Apellations-Instrument selbst folgen.
Die Versammlung der Kölnischen Kirche beschliesst nach Anhö-
rung eines Schreibens des päpstlichen Legaten Johann Bischofs von
Tusculum, gegen desselben Befehle und Forderungen an den apostolischen
Stuhl zu appelliren. Ohne Ort, 1287, vor März 9.
Gleichzeitige Copie auf Pertjameiit im k. u. l\ Haus-, Hof- und Staatsarchive
in Wien.
Anno domini M^ CC« LXXXVIIo etc. Lectis et recitatis per sol-
lempnes nnncios de mandato reverendi patris domini nostri N. archi-
episcopi, in capitulo tali coram nobis prelatis, collegiis ecclesiarum . . ad
hoc convocatis litteris venerabilis patris domini Jo(hannis) miseracione divina
Tusculani episcopi, apostolice sedis legati, quarum tenor talis fuit: Johannes
miseracione divina etc.
nos prelibati, capitula et collegia ecclesiarum, abbates, priores et
conventus monasteriorura civitatis et dyocosis, quos huiusmodi negocium
seu vocacio contingit, super hiis litteris et contentis in eisdem provida
deliberacione prehabita attendentes diligenter manifestum esse et noto-
rium per rei evidentiam et facti experientiam, quod ecclesie, raonasteria,
clerici et religiosi civitatis et dyocesis Coloniensis predicte nee non
650 Kleine Mittheilungen.
universalis ^) ecclesia totius regni Alamanie multis temporibus retroactis
in gravi txibulacione et miseria tempora deduxei-unt, nee cessat adhue
inimicorum continuata sevicies ipsos et ipsas incendiis, depredacionibus,
exactionibus illicitis et rapinis intollerabiliter opprimentium incessanter,
ita quod nulla hora, nullum tempus impunitatem repromittit ; hiis itaque
dantibus angustiis supervenit inopinate a sanctissimo patre et domino
nostro quondam domino Gregorio papa decimo in subsidium terre sancte,
(ut prima facie credebatur, licet forte alius eventus sit secutus) dura
decime imposicio, pro cuius exsolucione ecclesie et monasteria civitatis et
dyocesis Coloniensis predicte, que in suis ex causis predictis fuerant
attenuate substantiis, in tantum quod si fas est dicere et quod eciam
miserabile est auditu, ad extreme paupertatis inopiam sunt deducte,
et licet reverendus dominus pater legatus nos et alias ecclesias et
monasteria regni Alemanie in hiis angustiis invenerit miserabiliter desti-
tutos, ad quorundam tamen suggestionem ut creditur circumventus,
gravamen gravamini accumulans, inconsueta et inmoderata^) procuracione
nos et alias ecclesias et monasteria multipliciter aggravavit et de die in
diem per suos nuncios transeuntes et pecunias a nobis pro sue voluntatis
libitu nomine procuracionis exigentes aggravamur;
et biis non contentus idem dominus legatus nunc de novo dominum
nostrum Coloniensem archiepiscopum nee non alios reverendos patres,
archiepiscopos, episcopos ac ceteros prelatos totius regni Alemanie, quibus
derelinquere et deserere ecclesias suas est gravissimum, hiis diebus nee
non singulas ecclesias et coUegia ac conventus secularium ac religiosorum
prefati regni Alemanie ut eorum quelibet per duos de gremio ipsorum
habentes super hoc plenum mandatum convocari fecit, et mandavit ut
apud civitatem Herbipolim ad dominicam Oculi proxime venturam<^) audientes
monita et mandata ipsius domini legati, que duxerit in concilio ibidem
indicto publice promulganda, non sine magno dispendio nostro monasterio-
rum et ecclesiaram predictarum, cum tenninus"^) ad hoc prefinitus'') nimium
sit artatus et ad expensas et sumptus, que et qui ad hoc veniendo, stando
et redeundo et alia que incumberent et requirerentur occasione concilii
expedienda, ecclesiarum et monasterioinim proprie non suppetant facultates,
locus eciam vocacionis predicte propter multa pericula inter media utpote
inimicorum capitalium domini nostri archiepiscopi et ecclesie Coloniensis
in medio circumquaque circumsistencium, timorem manifestum qui merito
cadit in constantes depredaciones, insidias et mala, que cottidie transe-
untibus inferuntur, quos et que est inevitabile posse aliquatenus declinari,
non sit conveniens neque tutus;
insuper attendentes quod licet dominus predictus le-
gatus asserat^) ad hoc ad partes Alemanie a sede apostolica
destinatum ut alter am mundi lucemvidelicet sacriKomani
virtutem imperii, que iamdudum consopita extitit, excitaret,
tamen vox est, verbum et famapublicaperregnum Alemanie
multipliciter divulgata, quod idem dominus legatus regnura
ipsum semperimperio inseparabiliterunitum, intenditcon-
*) universis Cojne. ^) Corr. ans inmoderacione. "=) Es fehlt ein Wort
wie convenirent. <*) terminis preßnitis Cup. «j £5 fehlt se.
Zur erbkönigliclien Politik der ersten Habsburger. 651
stituendo regem hei-editarium, quantum in eo est, ab imperio
separare et sie alteram mundi lucem, videlicet honorem
culminisimperialis, sifasestdicere, extinguereetexcecare
ac iuri principum regni Alemanie ecclesiasticorum et secu-
larium, ad quos spectat eleccio regis eiusdem promovendi
postmodum in imperatorem, enormiter derogare, et quod de
hoc est eciam publica fama et vox ibidem, quod prefatus dominus legatus
non considerans nos et universalem ecclesiam et clerum regni Alemanie
per imposicionem decime in concilio Lugdunensi ad terram sanctam depu-
tate et per immoderatam ipsius domini legati procuracionem, nee non
suorum munciorum continuam infestacionem fore, ut dictum est multi-
pliciter aggravatos, novam decimam ad plures annos nobis et universal!
clero regni predicti nobis imponere intendit, accumulando gravamina ut
prius gravaminibus antedictis:
Igitur, ne compellamur nos et nostra exponere inimicis et maxime
capitalibus domini nostri archiepiscopi et ecclesie Coloniensis et subire
pericula gravissima rebus nostris et personis inevitabiliter imminentia et
ne prefatus dominus noster archiepiscopus, preter quem alium defensorem
non habemus in statu in quo sumus, cum dispendio toeius ecclesie Colo-
niensis tanquam oves aberrantes nos relinquat ad dictum concilium
personaliter veniendo,
a processu dicti domini legati et a mandato suo predicto ac a voca-
cionibus huiusmodi et a cominacionibus que in litteris antedictis videntur
contineri, ex premissis causis gravaminum iam illatarum ^) et qualibet earum
superius expressanim 'i), et que verisimiliter ex causis et coniecturis proba-
bilibus per eundem dominum legatum nobis ecclesiis et monasteriis nostris
inferri timemus,
ac a cominacionibus in dictis litteris contentis, et quia iam dictus
dominus legatus copiam auctoritatis sue si quam habet, nobis non fecit
nee exhibere curavit ipse vel nuncii eiusdem super hoc humiliter in-
stantissime et sepius requisiti, scientes nos ecelesias et monasteria nostra
pregravatos et pregravantes, et ne idem dominus legatus^) suspensionis,
exeommunicacionis in personas nostras et interdicti in ecelesias et mona-
steria nostra sentencias vel ad alias penas contra nos, ecelesias vel mona-
steria terram^) domini nostri et nostram procedat,
contra ipsum dominum legatum ad sedem apostolicam provocamur,
etiam appellamus in hiis scriptis nos et ecelesias nostras cum rebus,
personis proteccioni sedis apostolice supponendo, et protestamur quod
huiusmodi provocacionem et appellacionem in presentia domini legati pre-
dicti parati essemus interponere, si eius copiam haberemus et quam cito
eins copiam habere poterimus, ipsam coram eo intei*ponemus et faciemus
et eandem innovabimus per nos seu procuratores nostros in omni sui
forma, prout superius est expressum, dantes Got(fridü) hoc nomine clerico
Coloniensi exhibitori presencium, quem quo ad hoc omnium nostrum et
singulorum procuratorem nostrum constituimus , facimus et ordinamus.
a) Coj). *>) Nach legatus Lücke, Raum für etwa 6 Buchstaben. «) Die
Worte terram bis provocamur hatte der Schreiber schon auf monasteria nostra
fol(jen lassen, aber dort sofort getilgt.
ß52 Kleine Mittheilungen.
potestatem et plenum mandatum, ut huiusmodi provocacionem et appella-
cionem coram predicto domino legato, si et cum eius copiam habere potuerit,
et coram prelatis et collegiis quibuscunque in omnibus locis ubi expedire
viderit innovet, et pro nobis omnibus et singulis a vocacione seu citacione,
processu et mandato et cominacione predictis sedem apostolicam in scriptis
provocet et appellet, ratum et gratum babituri quidquid idem procurator
pro nobis et nomine nostro fecerit in premissis.
In cuius rei testimonium presens scriptum sigillo ecclesie Coloniensis
ad causas fecimus communiri.
Et nos N. dei gracia Coloniensis archiepiscopus protestantes, quod
dicti prelati et ecclesie huiusmodi appellacionem et provocacionem coram
nobis et in presencia nostra in omni sui forma prout superius est ex-
pressum per se et procuratorem suum predictum interposuerint et inno-
vaverint protestando ut est premissum et alia faciendo que superius
continentur, sigillum nostrum et secundum apponi facimus huic scripto.
Nos etiam prelati, capitula seu collegia ecclesiarum, abbates priores
et conventus monasteriorum predicti sigilla nostra, ecclesiarum et mona-
steriorum nostrorum quorum sigilla comode haberi poteraut, quibus nos
alii, quorum sigilla presentibus non sunt appensa, contenti sumus in hac
parte, in testimonium omnium premissorum duximus presentibus apponenda.
Actum et appellatum etc. S, H e r z b e r g - F r ä n k e 1.
Aus dem Wiener StadtarehiT. 3. Die Besiegeln ng der
Urkunde des Grafen Albrecht von Habsburg vom J. 1281
für Wien. Die Angaben über die Siegel des bekannten Nieder-
lagsprivilegiums Albreclits I. für Wien entbehren der erforderlichen
Deutlichkeit und Zuverlässigkeit. Hormayr in der Geschichte Wiens
5, ÜB. 17 no. 183 gibt zwei Siegel an, die Geschichtsquellen 1,
64 n''. 19 sprechen von neun Siegeln. Diese falschen Zahlen können
allerdings auf Grund des bei Weiss Gesch. Wiens ^ 1, 416 Taf. 17
gebotenen Facsimiles verbessert werden, aber die Entzifferung der
Umschriften ist auch mit Hilfe dieser Abbildung nicht in allen Fällen
möglich. Da nicht alle Siegler im Texte angeführt sind, ist es bei der
verfassungsgeschichtlichen Bedeutung der Urkunde von Belang, auch
die Namen dieser Siegelzeugen kennen zu lernen.
Der Bekräftigungsformel zu Folge ist die Urkunde besiegelt worden
von dem Aussteller, mit unsers rates der landherru (vorher sind in
dieser Eigenschaft folgende 16 Landherrn genannt: Wernhart von
Schaumberg, Graf Perichtolt von Hardegg, der Landrichter in NÖ.
Ott von Haslau, der Kämmerer Ott von Perchtoldsdorf, der Marschall
Stephan von ]\Ieissau, der Schenk Leutold von Chunring und sein
Bruder Heinrich, Erchenger von Landeser, Friedrich der Trüchsess von
Lengbach, Konrad von Pillichsdorf, der Landrichter in OÖ. Ulrich
V. Kapellen, Konrad von Soramerau, Hadmar von Sonnberg, Konrad
V. Pottendorf, Reimprecht und Chalhoch die Brüder v. Ebersdorf), der
Aus dem Wiener Stadtarchiv. 653
besten von Osterrich und mit der stat insigel. Dem entsprechen
aehtzelin Siegel, von denen jedocli eines heute fehlt. Sie sind an zehn
Schnüren aus verschiedenfarbigen gedrehten Seidenfiiden in der Weise
befestigt, dass für das Siegel Albrechts und das der Stadt Wien je
eine Schnur vorbehalten ist, während von den andern Siegeln je zwei
an einer Schnur befestigt sind und zwar so, dass immer das grössere
Siegel den obern Platz einnimmt. Aus der folgenden Aufzählung geht
hervor, dass nicht alle Landherrn die Urkunde besiegelt haben, es
fehlen die Siegel der von Sommerau und Pottendorf, dass aber für
diese zwei andere Adlige eingetreten sind, die Herren von Taufers
und Ulrichskirchen. Ich führe nunmehr die Siegel nach ihrer Folge
von links nach rechts an:
(Schnur) 1. a) Wemhart von Schaumberg.
b) Friedrich der Truchsess von Lengbach.
„ 2. a) Ulrich v. Taufers.
b) Otto V. Perchtoldsdorf.
„ 3. a) Leutold von Kuhnring,
b) Heinrich v. Kuhnring.
, 4, a) Graf Berthold v. Eabenswalde(-Hardegg).
b) Hermann v. Ulrichskirchen.
, 5. Graf Albrecht von Habsburg (rothes Wachs).
, 6. a) fehlt, wahrscheinlich das Reimprechts von Ebersdorf.
b) Chalhoch von Himberg {= Ebersdorf).
„ 7. a) Stephan von Meissau.
b) Hadmar v. Sonnberg.
, 8. a) Erkenger Landser,
b) Ulrich v. Kapellen.
, 9. a) Konrad v. Pillichsdorf.
b) Otto V. Haslau.
, 10. Stadt Wien (rothes Wachs).
4. Die älteste Urkunde für die S. Salvatorkapelle im
alten Rathause zu Wien. 1298. Februar 20. Rom. Universis Christi
fidelibus presentes htteras inspecturis. Nos miseratione divina Philippus
Salernitanus, frater Johannes Turritanus, frater Basilius Jerosolimitanus
Armenorum, archiepiscopi, frater Mathäus Vegliensis, Andreas Vena-
franus, Adam Marturanensis, Stephanus Oppidensis, Hdebrandinus Are-
tinus, frater Lambertus Aquin(as), frater Stephanus Balneoregensis,
Leonardus Aversanus, frater Ciprianus Bouensis, frater Romanus Croensis,
et Lando Suanensis, episcopi salutem in domino sempiternam. Excelsa
super sydera virgo virginum quem genuit, adoravit, imarcessibilem
florem et fructum videlicet primogenitum mortuorum qui sicut pluvia
g54 Kleine Mittheilungen.
in vellus descendit in ea, ut salvum faceret genus humanum. Hec
enim regina celi omnium carismatum prefulva fulgoribus miserie humane
compatiens in conspectu filii sui regis eterni pro nostre reconciliationis
federe non desinit advoeare, ut eins, ne pereamus, nobis propitiam
efficiat gratlam, cuius cuius (!) livore sanati sumus. Ut igitur omnis
lingua consurgat in iubilum ante cborum huius virginis in templo
eius maxime nomine insignito freqeutare dulcia cantica dragmatis
gemmas spiritualis ecclesie impertiri largiflue, renati fönte sacri baptis-
matis delectemur. Quapropter cupientes ut eapella beate Marie -virginis
de Wienna Pataviensis diocesis, que in eiusdem virginis est insignita
vocabulo, frequentia bonoretur et circa eam querentium dominum tanto
ferventius devotio ferveat, quanto habuudantius spirituales thesauros
ibidem reppererit in celesti Jerusalem perheniter profuturos, omnibus
vere penitentibus et confessis qui ad dictam capellam in omnibus et
singulis festivitatibus beate Marie virginis gloriose, in nativitate, re-
surrectione, ascensione domini et pentecosten, in commemoratione
omnium sanctorum, in festivitatibus apostolorum Petri et Pauli et
omnium aliorum apostolorum nee non in beatorum Stepbani, Laurentii,
Nicolai, Martini et patroni ipsius atque beatarum Marie Magdalene,
Margarete, Caterine festivitatibus causa devotionis et orationis accesse-
rint et ibidem missam audierint vel pro pace universalis ecclesie ora-
verint mente pia aut qui ad fabricam eiusdem, capelle ornamenta,
luminaria, vestimenta, libros, campanas vel aliis quibuscumque dicte
capelle necessariis manus porrexerint adiutrices aut qui in bona sui
corporis sanitate seu etiam in extremis laborantibus quicquam facul-
tatum suarum legaverint modo licito capelle ^) supradicte, de omnipotentis
dei misericordia et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius auctoritate
confisi siuguli nostrum singulis de iniunta (!) eis sententia quadraginta
dierum indulgentias misericorditer in domino relaxamus, dummodo
diocesani voluntas ad id accesserit et cousensus. In cuius rei testi-
monium presentibus nostra sigilla iussimus apponi. Dat. Roms die
XX. mensis februarii, pontificatus domni Bonifatii papae VIII. anno quarto.
Darunter (selbstverständlich von anderer Hand):
Et nos Albertus dei et apostolice sedis gratia episcopus Pataviensis
supradictas indulgentias a dictis reverendis in Cluisto patribus proinde
concessas ratas et gratas habentes et quadraginta dies indulgentiarum
adicientes ipsas, quantum iure efficacius possimus, auctoritate ordinaria
coufirmamus sub anno domini millesimo trecentesimo septuagesimo tertio,
die IX. mensis novembris.
') vorher ecc ausgewischt.
Aus dem Wiener Stadtarchiv. 655
Pergament, 67 cm. breit, 39 cm. hoch. Die Siegel aus rothem
Wachs, der 14 italienischen Bischöfe hängen an gelbrothen oder un-
gefärbten gedrehten Seidenfäden, über jedem steht auf der Plica der
Name des betreffenden Bischofs. Das Siegel Alberts von Passau (braunes
Wachs) ist an der Pressel eingehängt.
Vgl. Lind Die S. Salvatorcapelle im Kathause zu Wien. Wien
1860 (Sonderabdruck aus Mittheil, des Wiener Alterthums -Vereins
Bd. 2). Weiss Geschichte der Kathauscapelle. Wien 1861. Derselbe,
Topographie der Stadt Wien. Wien 1876 (S. 61, 108). Derselbe,
Geschichte der Stadt Wien, 2. Aufl. 1, 392. — Die Bestätigungs-
klausel Bischof Alberts von Passau hat es verschuldet, dass Lind die
Urkunde in den seiner Abhandlung beigegebenen Kegesten zum 20. Februar
1373 einreihte (n^ 154) und so weder er noch Weiss sie am rechten
Orte verwendeten, vielmehr beide die Urkunde des Bischofs Peter von
Basel vom 2. Juni 1301 als den ersten „urkundlich sicher gestellten
Nachweis" über die Salvatorkapelle anführten. Diesen Ehrenplatz in
Geschichte Wiens darf nunmehr unsere Urkunde einnehmen, sie ist
nicht nur als erstes geschichtliches Zeugnis über Bestand und Einrichtung
der Salvatorkapelle von Werth, sie belehrt uns auch über die weit-
reichenden Beziehungen der einflussreichen und mächtigen Stifter und
erweist mit Bestimmtheit, dass die Kapelle von Anfang an als eine
öffentliche beabsichtigt war, man sie daher nur in sehr beschränkten
Sinne als eine Haus- oder Privatkapelle der Haimonen bezeichnen darf.
Die geforderte Zustimmung des Sprengelbischofs erfolgte am 18. De-
zember 1301 in einer Urkunde des Bischofs Wernhard von Passau,
in welcher er den Besuchern und Gönnern der capella beata Virginis
Mariae nove structure in civitate Wiennensi einen vierzigtägigen Ablass
ertheilt und erklärt: Katas et gratas habemus oranes indulgentias et
gratias qua reverendi patres archiepiscopi episcopi pro dicte capelle
reverentia et honore concesserunt. Karl Uhlirz.
Zwei Initialen eines Wiener (xrundbuchs aus dem Jahre
1389. Die heutigen zum dritten Wiener Gemeindebezirk gehörenden
ehemaligen Vorstädte Weissgärber und Erdberg befinden sich an Stelle
der mittelalterlichen „Schefstrass und Erdpurkh", einer Ansiedlung,
deren purger und leut . . und was durzu gehört . . mit gerichten und
dinsten . . . jener herzogin von Österreich, die je des eltisten herzogen
von Österreich . . herzogin und gemahel war, gehörten (Tomaschek,
Rechte und Freiheiten von Wien 1, 193). Das landesfürstliche Urbar
aus den Jahren 1437 und 1438 weist die Einkünfte des Amtes der
Schefstrass mit je 24 und 32 Pfund Pfenningen aus (Climel, Beyträge
656
Kleine Mittheilungen.
z. Gesch. Friedr. IV, 86 u. 92 j. Die Bürger und Leute der Schitf-
strasse befanden sich gleich den meisten österreichischen Dörfern im
Besitz alter Verwaltung und Kechtspflege ordnender Kechte, die Herzog
Albrecht am 21. März 1379 bestätigte (Tomaschek. 1. c. 193). Diesen
zufolge sollten die burger und leut ainen ambtman halten, der stetes
gesessen und wonhaft sei in der Schefstrass, der zu richten hab von
der herzogin von Österreich wegen . . . umb all sach, ausgenomen
alain umb den tode. Der Amtmann führte auch das herzogliche
Grundbuch. Ein im Jahre 1389 begonnenes Grundbuch ist uns er-
halten im k. k. Hof kammer- Archiv in Wien, signirt: Satzpuech über
des ambts in der Schefstrass grundpuech No. 4. Auf Folio 2 lesen
wir: „Hie hebt sich an das gruntpuech meiner genädigen frawn der
herzogin, darinne geschriben sind ir gruntdienst und auch das juden-
puech". In der That zerfällt das Grundbuch in zwei Haupttheile. Der
erste ist überschrieben mit : „Hie hebt sich an der Christen puch also :
ob ein Christen einem andern Christen icht pfant setzet für geltschuld,
das vindet man, als es hernach ordenlich geschriben stet . ." Diese
Aufschrift wird eingeleitet durch die sub a abgebildete Initiale, wäh-
rend die sub b beigegebene Initiale an der Spitze der Überschrift des
2. Haupttheils ist : „Hye hebt sich an das judenpuech". Die zuerst ein-
getragenen Schuldposten bei den Kubriken datiren aus dem Jahre 1389.
Was nun die Bedeutung
der beiden Figuren anbe-
langt, halte ich sie für sym-
bolische Warnungen gegen
Eidbruch und Meineid. Der
Fig. a.
Fig. b.
Zwei Initialen eines Wiener Grundbuclis aus dem Jahre 1389. 657
Eid ist im 14. Jahrh. ein Hauptbeweismittel im Civilprocess, also auch
in allen aus grundbücherliclien Transactionen hervorgehenden Klagen.
Die Figur sub a schwört mit „aufgereckten Fingern" (vgl. Grimm
Deutsche Rechtsalterthümer 2, 903 und Suttinger Observationes
practicae 223). Zugleich reckt sie die Zunge heraus zur Warnung,
da nach Artikel 59 des Wiener Stadtrechts von Albrecht II. vom 24. Juli
1340 dem die Zunge ausgezogen wird, der seiner beraitschaft hat ver-
lougent oder der, dem er gelten sol, den dritten phening nicht engeit,
als er gesworn hat (Tomaschek 1. c. 1, 112).
Der sub b abgebildete Maister Lesyer ist durch den Judenhut
charakterisirt. An der Spitze der autonomen Judengerichte standen die
sogenannten Judenbischöfe oder Meister (Luschin Gerichtswesen 240).
Das Beil in Lesyers Hand charakterisirt die gebräuchlichste Strafe des
Eidbruchs und falschen Zeugnisses, das Abhauen der meineidigen Hand
(Grimm 1. c. 2, 905).
Karl Schalk.
Mittbeilungen XII. 41
Literatur.
F. V. Piclil, Kritische Abhandlungen über die älteste
Geschichte Salzburgs. Innsbruck bei Wagner 1889 VIII
und 252 S.
Kein erquickliches Buch. Dem Verf. stehen von vornherein folgende
Thesen fest: 1. Juvavum, jetzt Salzburg, ist eine Colonie des Kaisers
Hadrian gewesen. 2. Der h. Maximus bat hier in Salzburg zur Zeit des
h. Severin den Martyrertod erlitten. 3. Der h. Rupert hat um die Mitte des
sechsten Jahrhunderts als Glaubensprediger der Baiern seine? Amtes gewaltet. —
Zur Aufrechthaltung dieser »alten salzburgischen Traditionen« wird allen
Autoritäten entgegengetreten: Wattenbach, Eettberg nnd den sonst in der
Eupertusfrage abweichenden Gelehrten ; den neuen Ausgaben der Vita
Severini ebenso wie dieser selbst, weil sie allerdings der zweiten These
widerspricht. — In der ersten Abhandlung wird ohne Kenntnis von dem
Heer- und Municipalwesen der römischen Kaiserzeit gegen Mommsen auf-
getreten, werden Inschriften anders intevpretirt, die Benennung Claudium
Juvavum als »unbegründet und unstatthaft erwiesen«, dafür die nach
Mommsen von Pighius interpolii'te Inschrift Corp. Insc. Lat. III 5536,
dann Pighius selbst gegen seine Widersacher vertheidigt, bis das gewünschte
Resultat erzielt ist.
Brauchbar sind die Notizen über einen Besuch in Schlögen bei Hai-
bach, wo seit Gaisberger die römische Station Joviacum angesetzt wird
(S. 69 f.), indem die Schwächen dieser Position eine kritische Beleuchtung
erfahren, allerdings ohne Verständnis für die Bedeutung der daselbst zu
Tage gekommenen Legionsziegel. S. 61 f. ist eine Auseinandersetzung
über die Zusammenarbeitung der vita Severini gegeben, wobei die in Be-
tracht kommenden biblischen Analogien des Näheren dargelegt sind.
Prag. J. Jung.
Cesare Paoli, II libro di Montaperti (An. MCCLX). Doeu-
menti di Storia Italiana pubblicati a cura della r. Deputazione sugli Studi
di Storia Patria per le provincie di Toscana, deirUmbria e delle Marclie.
Torao IX. In Firenze presso G. P. Vieusseux 1889. LXVI und 488 S. 4«.
Nicht nur Bücher haben ihr Schicksal, auch Archivalien, selbst die
wichtigsten und interessantesten verdanken ihre Erhaltung vielfach dem
blinden Zufalle. Als die Sienesen am 4. September 1260 das stolze Heer
Literatur. (359
der guelfischen Florentiner bei Montaperti vernichtet hatten, fiel ihnen
ausser dem Cai'occio mit der Kriegsglocke, der berühmten Martinella, auch
ein Theil der Registratur des besiegten Heeres in die Hände. Ueber das
Schicksal des Kriegswagens ist keine Kunde erhalten, die Martinella wan-
derte zu anderem alten Eisen in die Camera der Comune von Siena, wo
sie noch im 15. Jahrh. lag; was von Aktenstücken erbeutet und erhalten
wurde, verwahrten die Sieger als kostbarste Trophäe in einem eisernen
Schranke ihres Archives, bis Florenz, als es nach mehr als dreihundert-
jährigem Zwiste der alten Gegnerin obsiegte, das Zeugnis seiner Nieder-
lage den nunmehr Gedemüthigten entriss, um dasselbe in seinem Archive
zu bergen, wo es noch jetzt als eines der kostbarsten Stücke des so
reichen Florentiner Staatsarchives den Forschern und Fremden vorgewiesen
wird. In Siena waren diese Archivalien, die mit einander in keinem
andern Zusammenhange stehen, als dass sie sich auf denselben Kriegszug
beziehen, zu einem Samraelcodex vereinigt worden und kamen als solcher
auch nach Florenz. Die wichtigeren Partien des Codex waren theils im
wörtlichen Abdrucke, theils auszugsweise durch frühere Arbeiten des
Herausgebers i), theils namentlich durch den trefflichen Aufsatz von Otto
Hartwig »Eine Mobilmachung in Florenz und die Schlacht von Montaperti
am 4. September 1260«, in dessen Quellen und Forschungen «ur ältesten
Geschichte der Stadt Florenz 2, 297 f. bekannt gemacht worden. Nun
liegt der ganze Codex in sorgfältiger Ausgabe, welche aus Anlass des
4. Congresses der Deputazioni e societä storiche Italiane zu Florenz er-
schienen ist, vor. Der Herausgeber, der schon früher den Codex, dessen
einzelne Bestandtheile durch einander verbunden waren, neu geordnet
hatte, unterscheidet neun verschiedene Bestandtheile desselben.
Der erste und wichtigste enthält das Feldzugsjournal der Florentiner
und scheidet sich wieder in zwei Theile, deren bei weitem grösserer erster
den im Frühjahr 126.0 unternommenen Zug gegen Siena umfasst, welcher
nach einigen weniger bedeutenden Gefechten bei Siena sein Ende fand,
während der zweite viel düritigere den unglücklichen Herbstzug betrifft
und bis Ende August reicht. Hier sind die Ernennungen der Offiziere,
die Beschlüsse des kommandirenden Podestas, seiner Capitani und des ihn
begleitenden Ausschusses der Anziani verzeichnet, freilich* nur in so weit
sie ein rechtliches Interesse besassen. Es sind daher die Mandate des
Podestas an die Gemeinden des Contados, es sind Soldverträge und zahl-
reiche Zahlungsanweisungen eingetragen, es ist jedesmal mit Gewissen-
haftigkeit bemerkt, so oft Offiziere und Beamte ernannt werden, so oft
ein Abwesender sich stellt oder einem Soldaten die Heimkehr 'gestattet
wird, so oft eine feindliche Gemeinde den Florentinern sich unterwirft.
Beschlüsse rein militärischer Art über die Kriegsoperation, Feldzugspläne
aber würde man im Liber di Montaperti vergebens suchen. Ob auch
solche gebucht wurden, darüber fehlt jeder Anhaltspunkt. Nur über die
Ordnung des Heeres findet sich eine interessante Bestimmung. An diesen
ersten Theil reiht sich ein Verzeichnis der Gemeinden des Contado und
der ihnen auferlegten Getreidelieferungen nebst den Bürgen, welche von
») Cesare Paoli. Le Cavallate fiorentine nel secoli XllI e XIV im Archivio
btorico italiano 18ü5 und La battaglia di Montaperti, Siena 1869.
41'
660
Literatur.
den Gemeinden gestellt werden mussten. Es folgt eine Liste der Kauf-
leute, die Proviant ins Lager führen mussten, weiter eine Stellungsliste
von Pferden, dann ein Kegister der Entschuldigungsgrüude, mit denen
Pferdestellungspflichtige das Ausbleiben ihrer Pferde rechtfertigten, darauf
drei Stellungslisten der "Wehrpflichtigen. Den Schluss bilden die Statuten
und Ordnungen des Heeres. Für die Localgeschichte von Florenz ist der
Codex in jeder Beziehung von grosser Wichtigkeit; für Genealogie, Topo-
graphie, Verfassungsgeschichte der Stadt findet sich im Liber di Monta-
perti ergiebige Ausbeute, noch wichtiger ist er als die umfassendste Quelle
über die Zusammensetzung und Organisation der italienischen Stadtmilizen.
Dadurch ist er namentlich für die Kriegsgeschichte von hohem Interesse.
Waren die Heere des Mittelalters zu Reiter- und Vasallenheeren geworden,
so galt in den italienischen Städten die allgemeine Wehrpflicht in um-
fassendster Weise. In Florenz war jeder Waff"enfähige vom 15. bis 70.
Jahre kriegspflichtig. Nicht immer freilich wird das allgemeine Aufgebot
erlassen, nur dann, wenn ein schwerer Krieg zu führen war, wenn man
sich zur Entscheidung rüstete. So war es in Florenz im Jahre 1260;
Befreiung wurde nur jenen gewährt, die wegen eines körperlichen Ge-
brechens oder Betreibung nothwendiger Gewerbe zu Hause bleiben mussten.
Eine kleine Anzahl Krieger blieb als Besatzung in der Stadt zurück. Auch
die Bewohner des Contado wurden aufgeboten und mussten, sofern sie
nicht zur Vertheidigung der Grenzorte verwendet wurden, ins Feld rücken.
Der Deserteur wird — höchst bezeichnend für die Handelsstadt und zu-
gleich wieder völlig dem modernen Charakter dieses Kriegsrechtes ent-
sprechend — nicht mit dem Leben bestraft, sondern nebst Verlust aller
politischen Rechte privatrechtlich getrofi'en. Alle seine Forderungen sind
zur Hälfte erloschen, zur Hälfte gehen sie auf die Gemeinde über. Zudem
hat er eine nach Rang und Truppengattung abgemessene Busse zu ent-
richten. In den städtischen Heeren war von jeher^ das Fussvolk neben
der Reiterei in bedeutender Anzahl vertreten, hier gewann es seine natür-
liche Bedeutung gegen das Ritterheer des Mittelalters zurück; die um
ihren Caroccio geschaarten Mailänder Fusstruppen hatten bereits bei Legnano
die Ritter Friedrichs I. überwältigt. Noch mehr musste die Reiterei in
dem bergigen Toscana zurücktreten. Zwar waren auch die Florentiner
nicht ohne Reiter, die von den vermögendsten Bürgern gestellt wurden,
aber sie bildeten nicht den Kern des Heeres. Dieser schaarte sich um
den Caroccio und bestand ausser einer Reitertruppe aus einer grössern
Anzahl erlesener Fussgänger. Neben ihnen standen die Pavesai, gewiss
eine Erinnerung der antiken Phalanx, Schildträger, deren Schilde zusammen-
gebunden waren und dem Feinde eine undurchdringliche Mauer entgegen-
stellen sollten. Daneben gab es Schützen aller Art, Lanzenträger, Fussgänger
schlechtweg. Die Organisation dieser Miliz, ihr Oftiziercorps, ihre Bewaff-
nung, die Verpflegung, der Train, das alles kann aufs genaueste aus dem
Liber di Montaperti ersehen werden. Interessant sind endlich auch die
Lagerordnungen und Statuten des Heeres, gewissermassen ein Gegenstück
zu den Anordnungen Fi'iedrichs I. von 115S. — Dass die Ausgabe selber
mit aller Sorgfalt gemacht wurde, braucht bei einer Arbeit Cesare Paolis
nicht eben ausdrücklich erwähnt zu werden. Vier Indices vervollständigen
die Brauchbarkeit der Ausgabe. H. v. Voltelini.
Literatur. 66 1
Dr. Camillo Henuer, Beiträge zur Organisation und
Competenz der päpstlichen Ketzergerichte. Leipzig 1890.
Verl. V. Duncker & Humblot. XII u. 383 S. 8».
Das vorliegende Buch beabsichtigt »einige Beiträge zu der bisher
vom juristischen Standpunkte wenig beachteten Lehre von der Organisation
und Competenz der päpstlichen Ketzer- oder Inquisitionsgerichte« inner-
halb der Zeiten von Gregor IX. bis Sixtus V., d. h. von dem Zeitpunkte
an, in welchem die ersten Schritte zur Errichtung ständiger Inquisitions-
gerichte unternommen vmrden, bis zu jenem, in welchem die EiTichtung
eines besonderen Cardinalcollegiums für die Inquisitionsangelegenheiten in
Rom erfolgte, zu liefern. Man wird es bedauern, dass der Verf. auf die
Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Inquisition von vornherein
verzichtet hat. Denn mit der hier vorliegenden Zeichnung eines Profils
wird doch nur wenigen gedient sein. »Da die Abhandlung,« sagt der
Verf., »vorwiegend einen dogmatischen Charakter hat, so richtet sich die
systematische Anordnung des Stoifes nicht nach der historischen Entwick-
lung der einzelnen Institute, sondern nach dem Entwicklungsstadium des
16. Jahrhunderts, wobei aber bei der Schilderung der einzelnen Institute
deren historische Entwicklung berücksichtigt wurde.« Es ist somit im
wesentlichen die Inquisition des 16. Jahrb., welche der Verf. schildert;
aber auch hier macht er dadurch eme sehi- wesentliche Einschränkung,
dass er die spanische Inquisition ausschliesst und auf deren Verhältnisse
nur »nach Bedarf und anmerkungsweise« hinweist. Willkommener wäre
uns eine Darstellung gewesen, die auch die beiden letzten Jahrhunderte
des Mittelalters vollständig einbezieht, etwa in der Weise, wie dies Lea
in der zweiten Hälfte des ersten Bandes seines trefflichen Werkes gethan
hat. Während Lea im zweiten Bande die Inquisition in den einzelnen
Ländern der Christenheit schildert und hiebei selbstverständlich auch auf
die Ketzerverfolgungen zu sprechen kommt, sieht der Verf. »ganz davon
ab, selbst nur ein ganz gedrängtes Bild der allmähligen Entwicklung der
Ketzerverfolgung zu geben, deren Ursachen und Folgen darzulegen, Be-
trachtungen über die Stellung der Inquisition in der allgemeinen Staats-
und Kirchengeschichte anzustellen, darauf hinzuweisen, wie insbesonders
die päpstliche Inquisition entstanden sei und auf welchen historischen
Grundlagen sie basiert«. Es handelte sich dem Verf. vornehmlich darum,
»auf Grundlage der bisherigen Forschungen die Organisation und Com-
petenz der päpstlichen Ketzergerichte zu beleuchten, um auf diese Weise
eine Basis schaÖ'en zu helfen, auf welcher man zur juristischen Darlegung
des Ketzerprozesses selbst schreiten könnte«.
Die ganze Arbeit enthält zwei, sowohl dem Steife als auch dem Um-
fange nach sehr ungleiche Theile, von denen der erste »Von den päpst-
lichen Ketzergerichten erster Instanz« (S. 4 — 363) dreiundfünfzig, der
zweite »Von der zweiten Instanz der Ketzergerichte« (S. 364 — 383) nur
drei Paragraphen umfasst. Der erste Theil handelt in zwei Hauptabthei-
lungen l) »von der Organisation der päpstlichen Ketzergerichte« und
2) »von der Competenz derselben«. Die erste Abtheilung enthiUt vier
Kapitel: 1. Von den bei den päpstlichen Ketzergerichten erster Instanz
thätigen Funktionären, 2. von dem Orte und der Zeit der gerichtlichen
ßß2 Literatur.
Akte, 3. von den Inquisitionsreclitsquellen und 4. von der Bestreitung
der bei den Ketzergerichten nothwendigen Kosten. Was die Funktionäre
betrifft, so werden zunächst die Anforderungen für ein Inquisitionsamt,
dann das Dienstverhältnis der Inquisitions- Funktionäre, ihre Pflichten,
Privilegien und Bezüge, hierauf die einzelnen im Ketzerprozesse auftreten-
den Gerichtspersonen: die Inquisitoren und ihre Vertreter, die Inquisitions-
notare, die Nebenpersonen des Gerichts und die sonstigen executiven und
administrativen Funktionäre besprochen.
In der zweiten Abtheilung handelt der Verf. vom Forum externum
und internum, dem rechtlichen Charakter der Gerichtsbarkeit der Inqui-
sitoren, dem Ursprung, der Dauer und der Erlöschung der Zuständigkeit
der Ketzergerichte, dem Verhältnis der Inquisitoren als Glaubensrichter
zu anderen kirchlichen Eichtern, der sachlichen, persönlichen und örtlichen
Zuständigkeit der Ketzergerichte und endlich von dem allgemeinen Ver-
hältnisse der Inquisition zu den weltlichen Mächten.
Der zweite Haupttheil gibt einen Ueberblick über die Entwicklung
und Verfassung der zweiten Ketzerinstanz (sie), behandelt dann das Ver-
hältnis der zweiten Inquisitiousinstanz zur bischöflichen Ketzergerichts-
barkeit und schliesslich die einzelnen Funktionen der zweiten Instanz.
Man wird nicht sagen können, dass die Gliederung des Stoffes in
allen Theilen eine besonders gute ist: man fragt sich beispielshalber,
warum der Verf. das Kapitel (3) über die Inquisitionsrechtsquellen an
einem so unpassenden Orte zwischen dem Kapitel (2) »Von dem Orte und
der Zeit gerichtlicher Akte« und dem Kapitel (4) »Ueber die Bestreitung
der bei den Ketzergerichten nothwendigen Kosten« untergebracht hat.
Dass die Arbeit nichts vollständiges bieten will, sieht man schon aus dem
Titel ; der Verf. erklärt es übrigens noch mit Nachdruck in der Einleitung.
Wir wollen uns demnach auf seinen Standpunkt stellen; nichtsdesi oweniger
will es uns scheinen, als ob er einigen Fragen aus dem Wege gegangen
wäre, deren Erörterung unzweifelhaft hieher gehört hätte, z. B. der Frage,
ob der Inquisition alle christlichen Länder geöfi"net waren und wenn nicht,
was war der Grund , dass man ihr den Eingang versagte ; war sie
dann für immer ausgeschlossen oder nur auf eine bestimmte Zeit u. s. w.?
Ich will in dieser Beziehung den Verf. nur auf einige Stellen aus Wiclif s
Schriften aufmerksam machen, die ihm wohl nicht zugänglich gewesen
sind. In dem Buch De Eucharistia (p. 139 meiner Ausgabe) freut sich
Wiclif, dass das Königi-eich England mit dieser Inquisition nichts zu
schaffen habe: Scd benedictus dominus, regnum nostrum liberatum est ab
ista inquisicione heretice pravitatis, cum niulti tarn seculares quam religiosi
sint longo subtiliores et sufficienciores ad inquirendum in regno nostro
vel ubilibet hereticam pravitatem. Noch drastischer ist eine Stelle im
vierten Bande der Sermones (p. 519): Papa non potest corrigere hereticos
nisi titulo, quo vendicat esse rex secularis medietatis imperii; cum ergo
papa non dominatur sie super regno Anglie, sicut nee Imperator habens
plenum Imperium unijuam fecit, videtur, quod papa non habet potestatem
hereticos in Anglia tuliier castigandi. Et hecvacio, quare nobiliores
reges Anglie non sinebaut in nomine pape intrare in reg-
num suum vocatos inquisitores heretice pravitatis, quia
idem ibret illud promittere et regnutn suum domino pape subicere. Cum
Literatur. 663
si domiuatur super corpus legii regis nostri, tunc dorainatur cuilibet per-
sone regni et per consequens toti regno. lieber das Inquisitionsverfahren
in England bieten die von mir in einer Prager Handschrift aufgefundenen
und von F. D. Matthew (English Historical Eeview, Juliheft 1890) abge-
druckten Gesta cum Eichardo Wicz (= Wyche) manche wichtige Einzelnheiten.
Sieht man im Hinblicke auf die von dem Verf. selbst betonten Ein-
schränkungen von diesem und ähnlichen Mängeln ab, so wird man mit
den Ausführungen im Grossen und Ganzen einverstanden sein. Auch die
vorhandene Literatur ist, soweit ich zu sehen vermag, recht fleissig aus-
genützt worden. Doch finden sich auch da einzelne Lücken. So scheint
dem Verf. Pregers ausgezeichnete Arbeit »Der Traktat des David von
Augsburg über die Waldesier« (München 1878) unbekannt geblieben zu
sein. David war, wie das Preger sehr wahrscheinlich gemacht hat, selbst
einer der Liquisitoren und so hätte sein Traktat «De inquisitione haereti-
corum« manche brauchbare und belangreiche Belegstelle geboten. Ich
habe hier namentlich die Capp. 44 (quare heretici debeant prius in iudicio
spirituali examinari) und 45 (de iudicibus avaris et infectis) im Sinne.
Unangenehmer sind die formellen Seiten des Buches. Eine Menge
allbekannter und darum überflüssiger Dinge wird in den Noten in einer
oft unerträglichen Breite auseinandergesetzt. Jeder der sich mit den In-
quisitionsverhältnissen beschäftigt hat, kennt den Namen Juan Antonio
Llorente's. Hier wird von dem Verf. erst erzählt, dass das Original in
spanischer Sprache erschienen ist und wie viel Bände es fasst, dann dass
eine autorisierte französische Uebersetzung von Allexis (!) Pellier herrührt,
deren Titel nun genannt wird, wobei noch angefügt wird: traduit de
l'espagnol sur le manuscrit ; endlich wird noch die deutsche Uebersetzung
Hoeck's erwähnt, nach welcher der Verfasser citiren zu wollen erklärt.
Llorente, deutsch von Hoeck, hätte doch völlig genügt. Noch ärger ist die
Sache auf S. 22 (nicht 2) zu Gonsalvius Montanus: Sanctae inquisitionis
hispanicae artes aliquot detectae ac palam traductae. Alles was dort von
der Verbreitung dieses Buches gesagt wird (14 enggedruckte Zeilen) ist
überflüssig. Selbst die weniger umfangreichen Citate sind noch schleppend
genug, wie z. B. S. 30: »Nro. .57 der Cancellaria Arnesti: Alia commen-
dacio iuquisitoris per regem bei Tadra (Ferdinand) Cancellaria Arnesti.
Formelbuch des ersten Prager Erzbischofs Arnest von Pardubitz (l 343 bis
1364). Nach der Handschrift der k. k. Universitätsbibliothek zu Prag
herausgegeben, im Archiv für österr. Geschichte, 61. Band, Wien 1880,
pag. 267 — 586 (cit. Tadra, Cancellaria Arnesti). Hier hätte doch Cancell.
Arnesti, Archiv für öst. Gesch. 61 und Seitenzahl vollkommen genügt.
Solche Fälle finden sich sehr zahlreich s. S. 38, 60, 67, 209 u. s. f.
Von Stilblüthen wurde eine schon oben ei-wähnt; so finden sich noch vor
»der significante Befehl« S. 31, die historische Verantwoiiung statt Ver-
antwortung vor der Geschichte S. 214, undeutsche Ausdrücke, wie dies-
bezüglich, Feber u. s. w. Was die Orthographie in den zahlreichen Beleg-
stellen betrifl't, die der Verf. aus einzelnen Stücken des 1 4. und 1 5. Jahrh.
beibringt, so war selbstverständlich stets die der Originale, beziehungsweise
des betreffenden Jahrhunderts, dem das Stück angehört, anzuwenden und
nicht die für jene Zeiten unpassende des klassischen Alterthums.
Czernowitz. J. Loserth.
1364 Literatur.
Der Bilderkreis zum wälschen Gaste des Thomasiu vou
Zerclaere, nach den vorhandenen Handschriften untersucht und be-
schrieben von Adolf von Oechelhaeuser. Mit 8 Tafeln. Heidel-
berg, Gustav Koester, 1890. 4°, 86 S. — 15 M.
Während die Kunstgeschichtschreibung der Renaissance fast überall
die Künstlerindividualitäten in den Vordergrund stellt, diese . zur Basis
der Darstellung macht, die Tradition und die allgemeinen kulturgeschicht-
lichen Zeitverhältnisse dagegen bloss als beeinflussende Nebenfaktoren be-
handelt, ist die Kunstgeschichtschreibung des Mittelalters vor allem darauf
bedacht, jede ihr zur Beurtheilung vorliegende Erscheinung in Bezug auf
ihren Zusammenhang mit der zeitlich unmittelbar vorangehenden Entwick-
lung zu untersuchen. Und zwar geschieht dies nicht bloss deshalb, weil
uns für das Mittelalter nicht jenes reichhaltige biographische Material
vorliegt, das die Vasari u. s. w. für die Künstlergeschichte der Eenais-
sance darbieten. Die Kunst des Mittelalters war eben nur in sehr ge-
ringem Masse eine persönliche, dasjenige was der Einzelne zum Vorher-
geschaffenen hinzubrachte, ein sehr geringes, und selbst dieses in der
Regel nicht durch die besondere künstlerische Art einer Individualität,
sondern durch äussere Einflüsse, durch die Nothwendigkeit irgend einer
technischen Vervollkommnung, durch die besonderen Bedürfnisse irgend
eines neuentstandenen Mönchsordens oder dgl. hervorgerufen. Im spätei'en
Mittelalter scheint dieses Verhältniss eher zu- als abgenommen zu haben,
trotz des fortschreitenden Eingreifens des Laienelements in das Kunst-
schaffen der Zeit. Wir begreifen auch, dass die gothische Baukunst eine
freie Entfaltung der Künstlerindividualitäten nicht fördern konnte, und
begnügen uns daher die kleinen Abweichungen und Fortschritte an den
einzelnen Domen des 14. und 15. Jahrb. gegenüber ihren Vorgängern zu
notiren, anstatt die Biographien der uns dem Namen nach in der Regel
wohlbekannten Baukünstler zu schreiben.
Ganz analoge Vei-hältnisse heiTSchten auch auf dem Glebiet der spät-
mittelalterlichen Miniaturmalerei , was uns Oechelhaeusers Publikation
schlagend vor Augen führt. Die Zeit eines verhältnissmässig reicheren
persönlichen Schaffens war das 1 2. Jahrhundert, einige Jahrzehnte nach
vor- und rückwärts dazugerechnet. Es war dies die Zeit, da das Problem
der überwölbten Basilika zur Lösung gebracht wurde und eine ganze
Reihe neuer, durch das rege geistige Leben hervorgerufener literarischer
Ei'zeugnisse, insbesondere solcher, die in deutscher Sprache verfasst waren,
entsprechenden bildlichen Schmuck verlangte. Hatte man sich aber ein-
mal einerseits für das gothische Bausystem entschieden, anderseits für die
einzelnen literarischen Neueinrichtungen den entsprechenden Bilderschmuck
geschaffen, so hielt man die künstlerischen Bedürfnisse der Zeit für be-
friedigt und glaubte sich zunächst mehr oder minder auf das blosse
Kopiren beschränken zu dürfen.
Es mag nun sein, dass gerade der von Oechelhaeuser untersuchte
Stoff, das Lehrgediclit des Thomasin von Zerclaere, für eine endlose ko-
pirende Wiederholung der einmal für denselben geschaffenen bildlichen
Beigaben ganz besonders geeignet war. Das Gedicht enthält nämlich fast
gar keine Handlung; nahezu der ganze geistige Inhalt wird durch Ale-
Literatur. (i65
gorien bestritten. Aber nichtsdestoweniger bleibt es höchst bemerkens-
werth, dass von sämmtlichen Handschriften dieses Gedichtes, von denen
wir Kunde haben und die durch Oechelhaeuser vollständig herangezogen
worden sind, keine einzige von den übrigen in Bezug auf die Illustration
so weit abweicht, dass sie einen selbstständigen Illuminator oder auch
nur die Abhängigkeit von einem nur in wenigen wesentlichen Dingen ab-
weichenden Typus verrathen würde. Der Archetypus, auf den also noth-
wendigerweise alle heute noch vorhandenen illustrirten Handschriften des
welschen Gastes zurückgehen müssen, ist anscheinend nicht mehr erhalten,
wenigstens bisher nicht aufgefunden, da die älteste von Oechelhaeuser
benützte und seiner Bearbeitung zu Grunde gelegte Handschrift aus der
2. Hälfte des 13. Jahrh. stammt. Aller Wahrscheinlichkeit nach war der
Archetypus die Urschrift des von dem Aquileier Domherrn in den Jahren
1215 und 1216 angefertigten Gedichtes.
Auch der Umstand ist für das geradezu sklavische Abhängigkeits-
verhältnis bezeichnend, dass die vorhandenen Handschriften untereinander
in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen, nicht zwei darunter in
ein direktes Verhältniss von Vorlage und Abschrift gebracht werden können,
also jede für* sich eine mehr oder minder entfernte Filiation vertritt, aber
dennoch alle untereinander in der Abhängigkeit vom gemeinschaftlichen
Urbilde aufs engste zusammenhängen. Es ist ein zuverlässiger und
bleibender Gewinn, den uns diese Arbeit Oechelhaeusers verschafft hat,
erreicht durch die Anwendung der bewährten Methode der mittelalterlichen
Quellenforschung auf die Kunstgeschichtschreibung. Alois Eiegl.
Neuwirth Josef, Privatdocent der Kunstgeschichte an der deut-
schen Universität in Prag. Peter Parier von Gmünd, Dombau-
meister in Prag und seine Familie. Prag, Calve, 1891. 146 S.
Durch die Herausgabe der »Wochenrechnungen des Prager Domes*
(vgl. Mittheilungen 11, 462 f.) hat sich Neuwirth ein wesentliches Ver-
dienst um die Durchforschung der heimischen Kuustdenkraale erworben,
da dieselben die Gelegenheit bieten, der Entstehung und dem Ausbau
dieser Perle des gothischen Baustiles in Böhmen während einer mehr-
jährigen Periode bis in das kleinste Detail zn folgen, während durch die
vom Verfasser an sie geknüpften Betrachtungen eine Keihe neuer Gesichts-
punkte über die mittelalterliche Einrichtung des Hüttenwesens, dann auch
über die Stellung und Bedeutung des Meisters Peter Parier gewonnen
wurden. Im Anschluss daran reifte in dem Verfasser der Gedanke, dem
genialen Baumeister, der den Entwicklungsgang der Gothik in Böhmen
durch nahezu ein halbes Jahrhundert mit seinem Ideenkreise beherrschte
und von sich abhängig machte, eine eingehende Würdigung zu widmen,
die in dem vorliegenden Buche zum Abschluss gelangte. Der Fleiss in
der Quellenforschung, die zielbe^vusste und klare Darstellung wird selbst
von der Gruppe der Forscher anerkannt werden müssen, welche bei der
Beurtheilung der heimischen Kunstdenkmale einen ganz gesonderten Stand-
punkt einnehmen (S. '.)), denn es ist gerade in der vorliegenden Studie
Neuwirths, der das gedruckte und handschriftliche Quellenmaterial wie
auch die gesammte Literatur über diesen Gegenstand beherrscht, das be-
6(36 Literatur. '
harrliche Streben ersichtlich, sich nur streng an die Ergebnisse »1er
Quellennachrichten zu halten und alle wie immer gearteten Hypothesen
zu meiden, für welche selbst über Peter Parier ein ziemlicher Spielraum
geboten wäre (S. 88). Daher meidet er mit Eecht das Eingehen auf
andere Meister aus Gmünd, zwischen denen und der in Prag thätigen
Familie Peter Parlers bisher auch nicht der geringste Zusammenhang
nachweisbar ist, aus gleichem Grunde meidet er eine nähere Erörterung
der am Münsterbau zu Strassburg bethätigten »Junker aus Prag« oder
die Besprechung der sogenannten Steinmetzzeichen, da sich aus diesen ein
auf sichere Grundlage gebautes Urtheil nicht ableiten lässt.
Wurde aus der genauen Kenntnis der Wochenrechnuugen ein reiches
Material gewonnen, um das künstlerische Schaffen Peter Parlers nament-
lich in Bezug auf die Plastik eingehend zu würdigen, so gelangte N. anderer-
seits nach Durchforschung der Prager Archive in die Kenntnis mehrerer
bisher unbekannter Urkunden, welche sich nur auf Privat- und Familien-
verhältnisse des Künstlers beziehen. Er verfügt daher über eine weit
grössere Fülle an Quellennachrichten als alle anderen Forscher, welche
sich vor ihm mit der Parierfrage beschäftigten. Im Anhange S. 114 bis
142 werden die urkundlichen Nachweise, im ganzen 57 Stücke, voll-
inhaltlich abgedruckt, darunter zum ersten Male Nr. 8, 10, 33 — 35, 38,
41, 47, 49, 51, 52, 57, während nur wenige der Vollständigkeit wegen
aus anderen Urkundenbüchern (Nr. 15, 23, 26 — 28) aufgenommen wur-
den. Sehen wir von den Inschriften (Nr. 1, 2, 32) ab, so hat zwar Tomek
von den übrigen Urkunden aus den betreffenden Handschriften für die
Angaben seiner »Zäklady stareho mistopisn Prazkeho« wichtigere Stellen
ausgewählt und bald mehr, bald minder umfangreich abgedruckt, sie sind
jedoch, sobald es sich um Specialarbeiten handelt, wie in dem vorliegen-
den Falle und wie aus verschiedenen Stellen in der Darstellung N.'s
hervorgeht, ganz unzureichend. Von höchster Bedeutung ist die aus dem
Prager Metropolitankapitel im Texte S. 88 angeführte Urkunde, welche
besagt, dass die bekannte Barbarakirche in Kuttenberg von der Fron-
leichnamsbruderschaft dieser Stadt gestiftet und dass mit dem Bau der-
selben nicht vor dem 27. Juli 1388 begonnen wurde, wodurch die
in-thümlichen Ansichten über den Beginn des Baues, der selbst bis 1350,
also vor die Berufung des Meisters Peter Parier nach Prag, verlegt wird,
sich als unhaltbar erweisen. An der Hand dieser urkundlichen Nachweise
und durch die gewissenhafte Wiedergabe aller Belegstellen, welche sich
auf die von Peter Parier stammenden oder mit überwiegender Wahr-
scheinlichkeit ihm zugeschriebenen Denkmale beziehen, ist der Leser jeder-
zeit in der Lage, die Folgerungen und die Ergebnisse N.'s zu überwachen
und sich von ihrer Stichhältigkeit zu überzeugen.
Der biographische Theil, in dem die Lebens- und Familienverhältnisse
Peter Parlers (S. 5 — 33), dann seiner Verwandten und Nachkommen
(S. 34 — 57) erörtert werden, ist als ebenso gelungen zu bezeichnen
wie die künstlerische Würdigung der von ihm geschaffenen Denkmäler
(S. 58—112).
So sehr häufte sich bei der immer weiter greifenden Vertiefung das
historische Material, dass z. B. die auf S. 1 1 3 entworfene Stammtafel der
Familie Parier weit reicher ist als die in den Wochenrechnungen auf
Literatur. (367
S. 407 gebotene Zusammenstellung oder gar die Angaben, weiche uns
bei den früheren Abhandlungen über Peter Parier begegnen. Eine Eeihe
neuer Mitglieder dieser Familie lernen wir kennen, bei anderen werden
der Verwandtschaftsgrad und andei-e Beziehungen privater Natur genauer
bestimmt. Eine kritische und eingehende Untersuchung erheischte der
Nachweis, dass der Meister Parier geheissen und aus Köln am Ehein
stammt (S, 4 — 1 2), da auf G-rund der mangelhaft überlieferten Inschrift
unter der Büste desselben auf der Triforiumsgalerie des Prager Domes
([pjarleri de [c]olonia) eine Eeihe von Forschern mit Zähigkeit daran
festhält, dass er Arier geheissen und aus Polen ([p]olonia) stamme. Da-
gegen sprechen die zahlreichen Beziehungen des Künstlers zu Köln, seine
Jugend und künstlerische Ausbildung spricht dafüi-, dass in dieser Stadt
seine Wiege gestanden ist, während aus einer übersichtlichen Tabelle,
welche die Erwähnungen des Meisters unter den Stadtvätern des Hrad-
schins 1360 — 1366 enthält (S. 116), unwiderleglich hervorgeht, dass sein
Namen Parier gewesen ist. Von 1353 wirkte Peter Parier in Prag als
zweiter Dombaumeister bis zu seinem Tode 1396 oder 1397. Vier Brüder
und eine Schwester waren ihm nach Prag gefolgt und sind daselbst nach-
weisbar. Zu grösserem Ansehen brachten es noch seine Brüder Michael,
der 1359 in Groldenkron, 1383 in Prag als Steinmetz genannt wird, und
Heim'ich, den Markgraf Jodok nach Mähren berief, wo er seine Kunst in
den Jahren 1381 — 1387 ausübte. Von den fünf Söhnen Meister Peters
ist Johann der angesehenste, der seinem Vater in der Leitung des Dom-
baues folgte (l398 — 1406). Die letzte Nachricht über das Verbleiben
eines Mitgliedes der Familie Parier in Prag reicht in das Jahr 1417.
N. ist bei der Verarbeitung der Quellennachrichten auch in Detail-
fragen sehr vorsichtig und mit Verständnis vorgegangen. An drei Proben
möge dasselbe erhärtet werden. Es ist anziehend, den Erörterungen auf
S. 25 f. nachzugehen, wie aus den Verfügungen Peter Parlers für seine
zweite Frau und deren Kinder im Falle seines Ablebens (Nr. 16, 17) und
andererseits aus der gegenseitigen Einsetzung der Söhne erster Ehe unter
einander als Erben aus gleicher Veranlassung (Nr. 21, 24) nachgewiesen
wird, dass durch die wahrscheinlich 1382 erfolgte zweite Verehelichung
des Vaters eine gewisse Gespanntheit zwischen ihm und den Söhnen erster
Ehe eintrat, die eine Verkürzung ihres Erbtheiles fürchteten, bis vielleicht
erst 1392 eine vollständige Aussöhnung erfolgte (Nr. 30). Eine fein-
fühlige, aber auch richtige Untersuchung findet sich auf S. 73 f. Die
Thätigkeit Peter Parlers an der Ausfühning des Prager Domchores und
des Chores der Allerheiligenkirche ist in der Triforiumsinschrift erwähnt
mit »incepit regere ... et perfecit«, beziehungsweise mit »incepit et
perfecit*. Dadurch, dass der Anfang und die Vollendung bezeichnet wird,
zeigt sich ein gewisser Parallelismus, der aber vermisst wird, wo in der-
selben Inschrift über den Koliner Chorbau die Erwähnung geschieht
»incepit a fundo<S also »perfecit'^^ fehlt, dessen Setzung wohl auch erfolgt
wäre, wenn bis zur Abfassungszeit der Inschrift im Jahre 138 5 der Chor-
bau in Kolin schon vollendet gewesen wäre, Avie gewöhnlich angenommen
wird. Für die Anschauung, dass erst mit der Wende des 1 4. Jahrh. der
Koliner Chorbau beendet wurde, sprechen überdies die zahlreichen Testa-
mentsstiftungen aus den Jahren 1380 — 1401, welche ausdrücklich für den
ßß3 Literatur.
Ausbau der Kirche bestimmt sind (S. 7 5). An dritter Stelle sei darauf
hingewiesen, dass, gestützt auf eine ganz kurze Notiz bei Palacky (Stersj
lezopisowe cesstj odroku 1378 — 1527, S. 84) zum Jahre 1431, dass der
Wasserthurm des Meisters Parier abbrannte, N. nach sorgsam gepflogener
Umschau zu dem Urtheile gelangt, darunter könne nur der Altstädter
Brückenthurm verstanden werden (S. 69 f.). Bisher hat man lediglich
die Karlsbrücke als das Werk Meister Peters anerkannt, obwohl es an der
Hand liegt, dass der Altstädter Brückenthurm als natürlicher Vertheidigungs-
abschluss der Brücke gegen diesen Stadttheil in den Plan der ursprüng-
lichen Anlage mit aufgenommen werden musste, während sich aus dem
Brande leicht erklären lässt, dass das in den oberen Partien des Thurmes
angebrachte decorative Beiwerk, welches erst nach dem Brande ausgeführt
wurde, den Charakter einer früheren Zeit an sich trägt.
Peter Parier entwickelte eine vielseitige Thätigkeit als Baumeister
und Bildhauer. Sein hervorragendes Talent wurde von den Zeitgenossen
gewürdigt und geschätzt. Als Beweis dafür dienen die zahlreichen ehren-
vollen Aufträge, die ihm zu Theil wurden, so dass wir in ihm den
thätigsten und begabtesten Architekten der Glanzperiode Böhmens unter
Karl IV. bewundern, der sich durch seine Bauten in Prag und auf dem
Lande einen unvergänglichen Namen geschaffen hat. N. unternimmt die
künstlerische Würdigung seiner Schöpfungen nur an der Hand ganz ver-
lässlicher Berichte und zwar zuerst solcher Denkmale, die auf Grund der
Inschriften oder anderer Quellennachrichten sicher beglaubigte Arbeiten
sind, dann derjenigen, welche in der Anlage, der künstlerischen Anordnung
und Durchführung oder auf Grund ganz besonderer ihn charakterisirender
Einzelnheiten sich als Verkörperungen seiner Ideen darstellen oder wenig-
stens unter seinem Einflüsse geschaffen wurden. Besonders lohnend war
auch die Zusammenstellung aller Angaben, welche sich auf den Neubau
der Teynkirche in der Altstadt Prags beziehen, aus denen unter anderem
ersichtlich ist, dass Peter Smelczer und Otto Schaufler nur die Leiter,
nicht die Meister des Baues waren (S. 90 — 95). An der inneren Aus-
stattung oder an dem Ausbau der Burg Karlstein scheint sich Peter
Parier nicht betheiligt zu haben (S. Gl). Mit grossem Pleisse wurden
alle Angaben verzeichnet, welche Beziehungen ziwischen Prag und Aachen
zur Zeit Karls IV. vermitteln; aus ihnen erhebt sich bei der besonderen
Vorliebe des Kaisers für die Grabkapelle Karls d. Gr. die frühere Ver-
muthung zur förmlichen Gewissheit, dass in derselben das Vorbild für den
kühnen Kuppelbau der Karlshofer Kirche zu suchen ist (S. 80 — 8C).
Ebenso fachmännisch werden die plastischen Werke Parlers besprochen,
endlich auch die von ihm dem Dome gestiftete Monstranz, welche sein
Werkzeichen, den doppelt gebrochenen Winkelhacken, trägt.
So wui'de denn einem hervorragenden Künstler des 14. Jahr-
hunderts eine seiner Bedeutung entsprechende und sachliche Würdigung
zu Theil. Der bleibende Werth dieses Buches liegt darin, dass bei
dem methodischen Vorgange des Verfassers das den Künstler darstellende
Bild einen festen Umriss gewonnen hat und in kräftigen Zügen aus-
gearbeitet wurde, welche von gleichviel Umsicht und Gründlichkeit des
Wissens zeigen.
Prag. Dr. Ad. Horcicka.
Literatur. ßß[)
Mensi Freiherr von, Die Finanzen Oesterreichs von
1701 bis 1740. Nacli archivalischen Quellen dargestellt. Mit Unter-
stützung der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Wien,
Manz'sche Buchhandlung 1890. XIV, 775 S. 8'>.
Bald nach seinem Erscheinen hat das vorliegende Werk, das die Frucht
nicht jahrelanger, sondern wohl mehr als ein Decennium währender Vor-
studien ist, in nationalökonomischen Zeitschriften die verdiente anerkennende
Würdigung gefunden. Da der Gegenstand neu und aus bisher nicht be-
nutztem Quellenmaterial geschöpft ist, haben die Besprechungen natur-
gemäss den Charakter von Anzeigen mit Inhaltsangabe. — Es wäre über-
flüssig von andern Gesagtes zu wiederholen und glaubt der Eeferent sich
auf Besprechung eines einzigen Kapitels »Münzwesen« (Seite 7 u. 8)
beschränken zu dürfen, dessen Angaben sachlich berichtigt zu werden
verdienen. Die Bezeichnung Gulden Rheinisch, die sich bis tief in die
Theresianische Zeit bei allen Angaben über Geldbeträge findet, bedeutet
keine effectiv ausgeprägte Münze, sondern einen Zählgulden von
60 kr. in Kreuzern oder einer sonst zeitüblichen geringhaltigen
Münzsorte wie Groschen (Dreikreuzer), Sechsern, Fünizehnern etc. aus-
geprägt. Da es keine effectiv ausgeprägten Gulden [die Ausnahmen
werden sofort erwähnt] gab, kann man auch nicht von einem Guldenfuss
in den Jahren 1680, 1684 — 92 und der folgenden Zeit, sondern nur von
einem Kurse des Zählguldens in effectiv ausgeprägten Münzsorten, den
Thalern oder den Dukaten, sprechen. Zweimal versuchte man den Zähl-
gulden effectiv als Kepräsentationsmünze auszuprägen und zwar im J. 1484
in Tirol unter Erzh. Sigmund und zufolge der 1.560 aufgerichteten
»Muntz Ordnung« (gedruckt zu Wien durch Michael Zimmermann). In
beiden Fällen wurde der beabsichtigte Erfolg nicht erreicht. Die be-
zeichnung Thaler für die vollwerthige Münzsorte ist eine erst später auf-
tretende, in den Wiener Kammeramtsrechnungen begegnet sie erst im
J. 1531 (Numisniat. Zeitschr. 13, 281). Die gleichzeitige Bezeichnung
für diese zuerst 1484 in Tirol geprägte Münzsorte ist »Guldengroschen«
(Numismat. Zeitschr. 18, 49). Sie wurde als Aequivalent in Silber für
die seit dem 14. Jahrhundert geprägten Ehein. Goldgulden ausgeprägt, die
im J. 1484 in Österreich-Tirol einen Kurs von einem Pfund Pfenningen,
oder was dasselbe ist, einem Zählgulden in Kreuzern, gleich 60 Kreuzern
bedangen (Numismat. Zeitschr. 11, 275). Damals waren also effectiv ge-
prägte Rhein. Goldgulden, deren Aequivalent die Guldengroschen (Thaler)
und Zählgulden von 60 kr. thatsächlich identisch. Aber schon seit 1527
hatte die effective Münze ein Agio von 4 kr. (der Goldgulden galt 64 kr.,
Numismat. Zeitschr. 13, 26 1), das seit der Zeit fortdauernd stieg; im
J. 1556 galt der Thaler 70 kr. (Numismat. Zeitschr. 16, 93).
Man machte nun abermals den Versuch, eflcctives Geld iind Zähl-
gulden zur Identität zu bringen durch Minderausprägung der schweren
Münzsorte; dies gab Veranlassung zu dem Erlass der schon erwähnten
Münzordnvmg von 1560, die die Ausprägung von »Guldenthalern« zu
60 Kreuzern anordnete (vgl. Newald, Das österr. Münzwesen unter Fer-
dinand I. 62 u. ff'.). Diese Münzsorte eroberte hier aber den Verkehr
nicht, denn die älteren, besser geprägten Thalersorten, die Agio bedangen,
(570 Literatur.
behaupteten sich und man gab die Prägung der Guldenthal er auf. Seither
wurde bis zur Einführung des Conventionsfusses im J. 1754 m. W. kein
Versuch gemacht, die Aequivalentmünze des Zählguldens auszubringen.
Im J. 1()80 hatte der Thaler in Zählgulden oder Rhein. Gulden einen
Werth von 1 fl. 30 kr., im J. 168ß von 1 fl. 45 kr., im J. loyo
von 1 fl. 48 kr. (Becher, Das österr. Münzwesen 1/2, 6), im J. 1693 von
2 fl. Rhein. (Becher 1. c. I/l, 137). Spätere Daten fehlen mir, doch
scheint dieser Kurs für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts constant
geblieben zu sein.
Was den Werth des effectiven Thalers betriöt, der also für die Be-
rechnung des Rhein, oder Zählguldens massgebend ist, besitzen wir eine
werthvoUe Angabe in einem Berichte des Wiener Münzamtes vom
17. März 1707 über zwei in Hamburg beanständete kaiserl. Thaler (Be-
richte und Mitth. des Alterthums -Vereines 20, 91 Beil. Nr. l). Diesem
zufolge gingen 9^^^ Stücke auf die 14 Loth feine, rauhe Mark. Der
Werth des Thalers stellt sich somit auf fl. "-'^ - -> X < A — ^ g_ 2-26 kr.
8 X 39
Ost. Währung; der Rhein, fl. auf 1*13 kr. öst. W.
Das Resulthat stimmt mit dem Mensi's. Bezüglich der Darstellung
der thatsächlichen Münzverhältnisse scheint er mir aber im Irrthum. Zum
Schlüsse möge erwähnt werden, dass Porträts der beiden Ober-Hof-Factoren
Samuel Oppenheimer und Samson Wertheimber, deren Bedeutung für die
Staatsfinanzen im vorliegenden Buche eine eingehende Würdigung erfährt
(insbesondere 132 ff".), sich im historischen Museum der Stadt Wien
IL Abthlg. Nr. 881 u. Nr. 882 befinden.
K. Schalk.
Krones Fr. R. v., Tirol 1812—1816 und Erzherzog
Johann von Oesterreich, zumeist aus seinem Nachlasse dar-
gestellt. Innsbruck, Wagner, 1890, 309 + XIV S. (sammt Register).
Als willkommene Ergänzung seines Werkes »Zur Gesch. Oesterreichs
im Zeitalter der franz. Kriege und der Restauration^' bietet uns der Verf.
hier ein selbständiges Buch über die Beziehungen des Erzherzogs Johann
zu Tirol, vornehmlich in den Jahren 1 8 1 2 — 1 (> auf Grund umlänglicher
Tagebuchaufzeichnungen des Prinzen, sowie verschiedener Briefe und Akten,
von denen 37 Stücke theils auszüglich, theils vollständig im Anhange
mitgetheilt werden. Diese wichtigen Quellen wurden ihm von dem jüngst
verstorbenen Sohne des Erzherzogs, dem Grafen von Meran, eröffiiet, dem
auch das vorliegende Buch gewidmet ist. Dasselbe bringt S. 1 — 21 ein-
leitende Rückblicke auf die tirolischen Verhältnisse von 1703 — 1813,
dann folgt eine Darstellung der Beziehungen Johanns zu Tirol von 1800
bis 1812, wozu bereits zahlreiche Tagebuchstellen herangezogen werden.
Wenn durch dieselben nicht nur auf manche speciell tirolische Angelegen-
heit, sondern auch auf Fragen der europäischen Politik ein neues Streiflicht
fällt, so wird doch unsere bisherige Kenntnis von diesem bereiis viel be-
Literatur. 671
handelten Zeiträume nicht wesentlich erweitert. Erzherzog Johann, seit 1800
in Tirol bekannt und beliebt, hatte 1805 in dem Abschiedsschreiben an
die Tiroler sein Wiedererscheinen verheissen. 1809 erliess er seine be-
kannte Proklamation zur Erhebung des Landes, die in dem Briefe der
Kaiserin an den Prinzen eine Verurtheilung erfahren hat. Der im Anhang
auszüglich mitgetheilte Brief ist für die Auffassung des Hofes bezeichnend
und daher an dieser Stelle erwünscht. Der tirolische Freiheitskampf von
1809 erscheint in seiner letzten, psychologischen Ursache als die elementare
Willensäusserung des durch eine neue Zeit aus seiner gewohnten Be-
haglichkeit aufgeschreckten Bergvolkes. Die schliessliche Niederlage des-
selben wirkte lähmend auf die gi'osse Mehrzahl, und mit der ZeiTeissung
des Landes in drei Theile schien jede Aussicht auf die Wiederkehr der
guten alten Zeit vernichtet. Das Wenige, was da und dort 1813 ver-
einzeint geschah, darf uns dai'über nicht täuschen, so sanguinisch die
Tagebücher des kaiserlichen Prinzen sich auch auslassen mögen. Dem
Erzherzog waren nach dem Frieden von Schönbrunn die Hände gebunden,
er konnte also nur im geheimen für seine Plane arbeiten, die auf eine
Schilderhebung in Tirol und die Gründung eines »Alpenbundes« hinaus-
liefen, um dem Kaiser das Land zu retten. Aus dem »Entwurf« des
Erzherzogs für den genannten Bund, der auch die Schweiz einschliessen
sollte, geht die völlige Selbstlosigkeit des Prinzen hervor, aber staats-
männische A-ufiassung wohnt ihm nicht inne. Die Vertrauten des Planes
wurden aber am 7. März 1813 an die Polizei veirathen und aufgelioben.
Hierüber finden sich bei K. sehr interessante Einzelnheiten, die endlich
in die etwas dunkle Frage Licht bringen. Um Kosohmann ohne Umschweif
als Ven'äther anzunehmen, fehlen indessen noch die Staatsakten, so sehr
sonst alles dafür stimmen mag. Eoschmann kommt in dem Tagebuche
des Erzherzogs und in Hormayr's Briefen sehr schlecht weg; beides sind
aber eigentlich doch nur Privatquellen. Nun war selbstverständlich gegen
den Erzherzog das Misstrauen erwacht, der »König von Rätien« blieb
kaltgestellt und überwacht, während die eisernen Würfel des Schicksals
rollten. Als unverfälschter Optimist glaubte er aber noch fort und fort
an seine Bestimmung für Tirol, schi-ieb Briefe und Berichte an den Kaiser
und Mettei-nich und ergoss sich in seinen Tagebüchern in langen Klagen
über die unerträgliche Unthätigkeit. Erst als Eoschmann mit seinem
»Presschef« Adam Müller als Hofcommissär nach Tirol gieng, ahnte er
den Grund seiner Beschäftigungslosigkeit. Ueber die unklare Lage des
Alpenlandes nach dem Eieder -Vertrage und die Verwaltung Roschmanns
handeln die beiden letzten grösseren Abschnitte; die Frage um die »alte«
Verfassung Tirols hat schon A. Jäger erschöpfend behandelt> hier werden
nui- noch einzelne Bemerkungen des Erzherzogs aus dem Tagebuche und
etliche leidenschaftliche Briefe Hormayr's eingestreut. Das massenhafte
Material hätte bei der gewiss gi-ossen Schwierigkeit des zu behandelnden
Gegenstandes ökonomischer eingetheilt und verwerthet werden können.
Citate sind in verschwendei-ischer Fülle verwendet, vielfache Wiederholungen
selbst im Texte treten auf, dagegen fehlt in der Fussnote S. 58 zur
, Gegenwart« die Angabe des Jahrgangs. S. 210 ist als Deputirter
» Pinisdorfer « angeführt, zu setzen ist: Rainer, Wirth zu Pinersdorf bei
Wörgl. Statt Wirth zu Hochberg S. 125 soll es heissen: Oppacher, Wirth
ß72 Literatur.
in Jocliberg am Pass Thurn, bekannt durch die Vertheidigung des Strub
1805 und 1809. Im alten Peternader hätte sich vielleicht doch noch das
eine andere Brauchbare gefunden. Mit dem Protest Malsiners 1810 hat
es seine Eichtigkeit; sein Tod (24. Dezember 1809, s. Heyl, Gestalten
und Bilder, Innsbruck 1890, S. 104) ist wohl im Diöcesan-Schematismus
irrig angegeben. S. 1 7 lies Achenrain statt Aichenrain.
Das Buch von K. — dem inzwischen eine zweite derartige Publikation
gefolgt ist — hat, abgesehen von dem vielfachen und meist werthvollen
Detail zu einer immerhin noch mangelhaft gekannten Geschichtsepisode
und dem brauchbaren Aktenanhange, vor allem die bisher nur allgemein
geahnte Aufrichtigkeit des Erzherzogs gegenüber Tirol in der Zeit der
Befreiungskriege urkundlich erwiesen und ist also eine »Kettungsschrift«
zu Gunsten des edlen, selbstlosen, kaiser- und volkstreuen Prinzen, den
man seinerzeit wegen seines unbegreiflichen Verhaltens »Lügenhanns* zu
nennen wagte.
Bielitz. S. M. Prem.
Bericht der Centraldirection der Monumenta Ger-
maniae. Berlin, im April 1891.
Die 17. Plenarversammlung der Centraldirection der Monumenta
Germaniae historica wurde in diesem Jahre in den Tagen vom 9. — 11.
April in Berlin abgehalten. Von den 12 Mitgliedern waren 9 erschienen,
entschuldigt hatten sich Hofrath v. Sickel und Prof. Holder-Egger, beide
zur Zeit in Rom, und Eeichsarchivdirector v. Rockinger in München.
Prof. Bresslau in Strassbui-g betheiligte sich diesmal als auswärtiges Mit-
glied und an die Stelle des Prof. Huber war als Vertreter der Wiener
Akademie durch ihre Wahl Prof. Mühlbacher getreten. Als neues Mitglied
wurde Prof. Scheffer-Boichorst in Berlin gewählt.
Vollendet wurden im Laufe des Jahres 1890/91
in der Abtheilung Auetores antiquissimi IX, 1, enthaltend:
1) Chronica minora saecul. IV. V. VI. VII. ed. Mommsen I, l.
in der Abtheilung Scriptores:
2) Deutsche Chroniken V, I, enthaltend Ottokars Oesterreichische
Eeimchronik von Seemüller. 1. Halbband.
3) Libelli de lite imperatorum et pontificum saeculorum XI et XII
tom I.
4) Eeginonis abbatis Prumiensis Chronicon cum continuatione Tre-
verensi recogn. Kurze in 8^.
in der Abtheilung Leges:
5) Legum sectio II. Capitularia regum Francorum ed. Boretius et
Krause II, 1.
Als Ergänzung zu allen bisherigen Bänden:
6) Indices eorum quae tomis hucusque editis continentur scrips.
Holder-Egger et Zeiuner.
7) Von dem neuen Ai'chiv der Gesellschaft Bd. XVI.
Literatur. 673
Unter der Presse befinden sich ein Folioband, 14 Quartbände,
1 Octavband.
Die Abtheilung der Auetores antiquissimi nähert sich ihrem
Abschluss. Von der Ausgabe des Claudianus von Prof. Birt in Marburg
ist der Text vollendet und ein grosser Theil der umfilnglichen Prolego-
mena gedruckt, mit Einschluss der Indices kann das Werk bis zum August
fertig werden. Von Cassiodors Variae ist der Text durch Prof. Mommsen
ebenfalls ausgedruckt, die ausgedehnten Prolegomena befinden sich im Satz,
aber es fehlen noch einige Anhänge und die unter Mitwirkung des
Prof. Schröder zu bearbeitenden Indices. Obgleich von den auf mindestens
2 Bände zu veranschlagenden kleinen Chroniken, welche wir so lange
schmerzlich vermissen mussten, die erste Hälfte des 1. Bandes soeben
ausgegeben worden ist, schreitet der Druck dennoch ununterbrochen foi't
und wird zunächst Prosper, Polemius Silvius, Hydatius umfassen. Einige
Vergleichungen hat für Spanien Dr. Bernays übernommen.
In der Abtheilung Scriptores hat Archivar Krusch in Hannover
seine Vorarbeiten für die Ausgabe der Merowingischen Heiligenleben mit
gleichem Eifer fortgesetzt und 61 auswärtige Handschriften an seinem
Wohnorte benutzt, für deren Beschaffung wir theils dem Auswärtigen Amte
theils den Bibliotheksverwaltungen zu grösstem Danke verpflichtet sind.
Am meisten lieferte Paris und Brüssel, aber auch Havre, Namur, Turin
boten etliche sehr werthvolle Stücke dar. Neben der vorläufigen Be-
arbeitung einzelner Texte können die Vorbereitungen auf diesem Wege
noch längere Zeit fortgesetzt werden, um endlich, ergänzt durch eine
französische Eeise, zum Abschluss der grossen auf 2 Bände berechneten
Sammlung zu führen.
Von den für Kirchengeschichte wie für Kirchenrecht überaus wichtigen
Schriften zum Investiturstreite ist der erste Band, über dessen
Inhalt wir schon im vorigen Jahre berichteten, unter eifriger Mitwirkung
der Herren Holder-Egger und Sackur glücklich an sein Ziel gelangt. Die
bedeutsame Schrift Widos von Ferrara de scismate Hildebrandi musste
darin leider nach dem früheren Drucke wiederholt werden, weil die noch
im Jahre 1855 nachweisbare Handschrift seitdem verschwunden war. Der
Druck des zweiten Bandes, welcher durch die Schriften Bernolds, heraus-
gegeben von Prof. Thaner in Graz, eröffnet werden soll, steht unmittelbar
bevor. Die folgenden Streitschriften, an deren Herausgabe sich ausser
den Mitarbeitern K. Francke und Sackur namentlich auch Prof. Bernheim
in Greifswald und Director Schwenkenbecher in Sprottau betheiligt haben,
sind soweit vorbereitet, dass eine Unterbrechung des Druckes nicht statt-
zufinden braucht.
In dem ersten Bande der deutschen Chroniken sind auch die
Fortsetzungen der von Prof. Schröder bearbeiteten Kaiserchronik gedruckt
worden und es fehlen daher nur noch Kegister und Glossar. Der Druck
der von Prof. Rödiger übernommenen Ausgabe des Annoliedes, welches
sich unmittelbar daran anschliessen soll, kann im Sommer beginnen. Die
für den dritten Band bestimmte, bisher ungedruckte Weltchronik Enikels,
von Prof. Strauch in Tübingen herausgegeben, wird als erste grössere
Hälfte desselben im Herbst erscheinen. An Ottokars Oesterreichischer
Rein chronik von Prof. Seemüller in Innsbruck im fünften Bande wird
MittheiluDgun XII. 42
674 Literatur.
rüstig fortgedruckt: sie soll in einem zweiten Halbbande nebst Einleitung
und Register zum Abschluss gelangen und damit eine der neben Cassiodors
Varien am frühesten ins Auge gefassten und am längsten entbehrten Auf-
gaben unserer Sammlung. Von der durch Prof. Holder-Egger geleiteten
Folioausgabe der SS. ist der seit 1888 dem Drucke übergebene 29. Band
nur langsam vorgerückt, weil die nunmehr vollendeten Isländischen Ex-
cerpte sehr lange aufhielten. Für die darauf folgenden Auszüge aus
polnischen und ungarischen Chroniken sowie aus der Hennegauer Chronik
des Jacques de Guyse und für die Braunschweiger Fürstenchronik ist ein
rascherer Fortschritt des Druckes und vielleicht die Beendigung innerhalb
dieses Rechnungsjahres zu gewärtigen. Vornehmlich für die umfangreichen
italienischen Chroniken des 13. Jahrhunderts, welche den 30. und 31. Band
füllen sollen, hat Prof. Holder-Egger im März eine mehrmonatliche Reise
nach Italien angetreten, auf welcher er gleichzeitig auch unentbehrliche
Vergleichungen für die Leges und Epistolae auszuführen gedenkt. Ab-
handlungen über Johannes Codagnellus und über mehrere sächsische Chro-
niken im neuen Archive dienen diesen Arbeiten zur Ergänzung.
In der Reihe der Handausgaben ist die kritische Bearbeitung der
Chronik Reginos von Prüm und seines Fortsetzers von Dr. Kurze in Stral-
sund erschienen, der neue verbesserte Abdruck der Annales Altahenses
von dem Freiherm E. v. Oefele beinahe vollendet. Ebenfalls druckfertig
ist eine kritische Ausgabe der Annales Fuldenses von Dr. Kurze, welche
schon seit Jahren beabsichtigt war und einen völlig umgestalteten
Text bringt.
In der Abtheilung der Leges hat der Druck der von Prof. v. Salis
in Basel übernommenen Leges Burgundionum seit Kurzem begonnen und
wird noch in diesem Jahre fertig gestellt werden. Von dem zweiten
Capitularienbande ist durch Dr. Krause im Anschluss an Prof. Boretius
das erste Heft ausgegeben worden, welches bis in die ostfränkischen
Capitularien hineinreicht, das zweite und letzte hofit derselbe bis zum
October druckfertig zu machen. Durch Prof Zeumer wurde eine Hand-
ausgabe der leges Eurici und der lex Reckissuinthiana zum Drucke
vorbereitet. Die erste Abtheilung der Regesten der Gerichtsurkunden
Frankreichs und Italiens von Dr. Hübner, die Vorarbeit einer künftigen
Ausgabe, wird als Beilageheft der Zeitschrift der Savignystiftung soeben
gedruckt.
Die Sammlung der Reichsgesetze, für welche noch manche Ver-
gleichungen nachzutragen waren, hofft Prof. Weiland in Göttingen im
Spätsommer der Presse zu übergeben. Dagegen hat der Dx-uck der
Synoden des Merowingischen Zeitalters, unter der Leitung
des Hofrathes Maassen von Dr. Bretholz in Wien bearbeitet, schon seit
mehreren Wochen begonnen und dürfte im Laufe des Jahres sein Ende
erreichen.
In der Abtheilung Diplomata hat Hofrath v. Sickel in Folge seiner
UebersieJelung nach Rom die Leitung nur noch bis zum Schlüsse der
Urkunden Otto's III. beibehalten, die Ausführung der Arbeit selbst aber
grösstentheils in die Hände von Dr. Uhlirz und Erben gelegt, die den
Druck dieses Halbbandes noch vor dem Ablaufe dieses Jahres zu vollenden
hoffen. Das Register wird von Dr. Tangl angefertigt. Für die Urkunden
Literatur. 675
Heinrich's II. hat Prof. Bresslau seine vorbereitenden Arbeiten eifrig fort-
gesetzt und auf die ihm zunächst zugänglichen deutschen Archive, vor
Allem das so überaus reiche Münchener, mit dem günstigsten Erfolge
erstreckt. Neben den noch ferner in Deutschland, der Schweiz und Oester-
reicli vorhandenen, leicht zugänglichen Stücken wird der Rest des Materiales
doch erst durch eine später zu unternehmende italienische Reise erschöpft
werden können. Noch weniger als an diese ist in Folge der Knappheit
unserer Mittel an die schon längst ersehnte Herausgabe der Karolinger-
urkunden durch Prof. Mühlbacher zu denken, welche eine der empfind-
lichsten Lücken unserer Sammlung ausfüllen würde.
In der Abtheilung Epistolae ist der Druck des ersten Bandes,
welcher die ersten 7 Bücher des Registrum Gregorii umfassen soll,
durch Dr. L. Hartmann in Wien wieder aufgenommen worden, nachdem
er Jahre lang geruht hatte, und wir dürfen seinem Erscheinen in Jahres-
frist entgegensehen. In dem drittten Bande befindet sich im Anschluss
an die Merowingischen Briefe der von Dr. Gundlach bearbeitete codex
Carolinus unter der Presse, dessen Wiener Handschrift auch nach Jaffe
noch einmal benutzt werden musste. Da ausserdem nur noch einige
kleinere Anhänge fehlen, dürfte dieser Band bis zum Herbst an's Licht
treten. Von dem stetig fortschreitenden dritten und letzten Bande der
Regesta pontificum des 13. Jahrhunderts ist durch Dr. Roden-
berg etwa gerade die Hälfte gedruckt.
Von den zu den sogen. Antiquität es zählenden Partien nähern
sich die Salzburger Todten buche r (Necrologia Germaniae II), von
Dr. Herzberg-Fränkel herausgegeben, langsam ihrem Abschluss. Von dem
dritten Bande der Karolingischen Dichter, bearbeitet von Dr. Harster
und Traube, sind eine Anzahl Bogen gedruckt, welche die bisher meist
unbekannten Gedichte aus St. Riquier und Agius enthalten, und die Fort-
setzung ist gesichert. Das längst versprochene ausführliche In halt s-
verzeichniss sämmtlicher Bände, das wir Holder -Egger und
Zeumer verdanken, selbst ein stattlicher Band, ist vor etlichen Monaten
ausgegeben worden.
Die Redaction des nunmehr auf 16 Bände angewachsenen Neuen
Archivs verbleibt auch ferner in den bewährten Händen des Prof. Bresslau
in Strassburg.
Einzelne Vergleichungen oder Abschriften wurden im verflossenen
Arbeitsjahre freundlichst besorgt von A. Molinier in Paris und Ch. Molinier
in Toulouse, Kaiinka in Paris, Emile Ouverleaux in Brüssel, E. Maunde
Tompson, Jeayes und Wild in London, Quidde in Rom, Tangl in Wien,
Brambach in Karlsruhe, Simonsfeld in München u. s. w. Handschriften
wurden theils mittelbar, theils unmittelbar aus den Bibliotheken auch
Belgiens, Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Oesterreichs, der Schweiz
in so grosser Zahl zur Benutzung eingesendet, dass ihre Aufzählung hier
zu weit führen würde. Die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel hat
ebenfalls unter angemessenen Yorsichtsmassregeln die Versendung ihrer
handschriftlichen Schätze wieder aufgenommen und die Wiener Hofbibliothek
will unter der neuen Leitung des Hofrathes W. v. Hartel in dankens-
werthester Weise in unmittelbaren Austausch mit auswärtigen Bibliotheken
treten.
42*
676
Literatur.
So sind auch im verflossenen Jahre die Arbeiten in allen von uns
bet^onnenen Kichtungen rüstig fortgesetzt worden, aber das Arbeitsfeld
selbst ist unabsehbar gross und eine Erweiterung oder Beschleunigung
unserer Thätigkeit, für welche es an geeigneten Kräften nicht fehlen dürfte,
würde reichere Mittel als die bisher verfügbaren erfordern.
Bericht über die zweiunddreissigste Plenarversamm-
lung der historischen Kommission bei der kgl. bayer.
Akademie der Wissenschaften.
München im Juni 1891. Die Plenarversammlungen der historischen
Kommission sind durch Allerhöchste Anordnung auf die Pfingstwoche ver-
legt worden, und demgemäss wurde die diesjährige Versammlung vom
21. bis 23. Mai abgehalten. Da der Vorstand der Kommission, der
w. Geh. Ober-Eeglerungsrath v. Sybel, durch eine, erfreulicher Weise rasch
vorübergegangene Erkrankung verhindert war nach München zu reisen, so
hatte in Vertretung desselben, den Statuten gemäss, der Sekretär der
Kommission, Prof. Cornelius, die Leitung der Verhandlungen zu über-
nehmen, an welchen ausser ihm folgende ordentliche Mitglieder Theil
nahmen: der Klosterpropst Freiherr v. Liliencron aus Schleswig, die Geh.
Kegierungsräthe Dümmler und Wattenbach aus Berlin, der Hofrath v. Sickel
aus Eom, der Geh. Kath v. Wegele aus Wüi-zburg, die Professoren Baum-
garten aus Strassburg, v. Hegel aus Erlangen, v. Kluckhohn aus Göttingen,
V. Wjss aus Zürich, der Geh. Hofrath v. Eockinger, die Professoren
V. Druffel, Heigel und Stieve und der Oberbibliothekar Kiezler von hier;
ferner die beiden ausserordentlichen Mitglieder Dr. Lossen, Sekretär der
Akademie zu München, und Prof. Quidde aus Rom.
Seit der letzten Plenai-versammlung (Ende September vor. Js.) sind
folgende Publikationen durch die Kommission erfolgt:
1. Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Bd. XXL Ge-
schichte der Kriegswissenschaften von Max Jahns. Abtheilung ÜL
(Schluss.)
2. Vatikanische Akten zur deutschen Geschichte in der Zeit Kaisers
Ludwigs des Bayern. Herausgegeben von Sigmund Riezler.
3. Allgemeine deutsche Biographie. Bd. XXXI und XXXH.
Von der Augsburger Chronik des Hektor Mülich (1448 — 1487) nebst
Zusätzen von Demer, Walther und Eem, welche für Bd. XXII der Stadt e-
Chroniken, Augsburg, Bd. III. bestimmt ist, sind sechzehn Bogen gesetzt,
beziehungsweise gedruckt, und ist das Erscheinen des Bandes im Laufe
dieses Sommers zu erwarten.
Dagegen ist Dr. Koppmann, Archivar der Stadt Rostock, durch
andere Arbeiten verhindert worden, den Druck des 7. und 8. (Schluss)-
Bandes der Hanse-Recesse schon in diesem Jahr, wie er gehofft hatte,
beginnen zu lassen.
Auch Prof. Oelsner in Frankfurt hat die Umarbeitung des Bonnell'-
schen Buches über die Anfänge des Karolingischen Hauses, welche
er für die Jahrbücher des deutchen Reiches übernommen und
deren Vollendung er für das gegenwärtige Jahr in Aussicht gestellt hatte,
noch nicht zu Ende führen können. Prof. Meyer v. Knonau in Zürich
Literatur, 677
ist mit der Fortsetzung seiner Arbeiten für die deutschen Jalii-bücher
eifrig beschäftigt und gedenkt dem im vorigen Jahr erschienenen ersten
Band der G-eschichte Heinrichs IV. und V. schon 1894 den zweiten, der
womöglich die Jahre 1070 — 1080 umfassen soll, folgen zu lassen.
Von der Geschichte der Wissenschaften in Deutschland steht
zunächst die Geschichte der Medizin zu erwarten. Geheimrath Hirsch in
Berlin, der den grössten Theil des Werkes bereits vor einem Jahre druck-
fertig gestellt hatte, spricht die bestimmte Hoffnung aus, bis zum nächsten
Frühjahr das Werk zum Abschluss zu bringen. Die Geschichte der Physik
in diesem Jahr zu vollenden, ist Prof. Karsten in Kiel dui'ch Krankheit
verhindert worden. Prof. v. Zittel in München glaubt mit Sicherheit
voraussagen zu dürfen, dass er im Jahre 1894 die Geschichte der Geologie
vollenden werde. Die seit Jahren schmerzlich vermisste Fortsetzung von
Stintzing's Geschichte der Rechtswissenschaft hat nun Prof. Landsberg in
Bonn übernommen. Fr hat sich bereit erklärt, die Geschichte der Rechts-
wissenschaft in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert zu schreiben und
gedenkt im Jahre 1897 diese Arbeit zu Ende zu führen.
Die allgemeine deutsche Biographie ist in rüstigem Fort-
gang begriffen und wird, wofern keine unerwartete Störung eintritt, binnen
wenigen Jahren zum Abschluss gelangen.
Die Arbeiten für die ältere Serie der deutschen Reichstags-
akten erlitten durch die Berufung des Prof. Quidde nach Rom eine
empfindliche Störung, doch wurde sein römischer Aufenthalt für das Unter-
nehmen in der Weise nutzbar gemacht, dass nach seinen Anweisungen
Dr. Kaufmann aus Wertheim eine Ergänzung der früheren römischen Ar-
beiten in Angriff nahm. Beim Begimi der Vatikanischen Ferien wird die
Arbeit voraussichtlich bis 1471 abgeschlossen, in einigen Punkten noch
weiter hinausgeführt sein. Die Reisen des Dr. Schellhass in die Schweiz
und des Dr. Heuer in die preussische Rheinprovinz im Oktober 1890 er-
gaben befriedigende Ausbeute, ebenso ein gelegentlicher Abstecher des
Dr. Schellhass nach Wolfenbüttel. Handschriften wurden dann in Frank-
furt durch Dr. Heuer, in München durch Dr. Schellhass, mit gelegentlicher
Unterstützung durch Dr. Sommerfeldt, ausgenützt. In München traten
Anfang Dezember Dr. Herre aus Dessau und Anfang April Dr. Beckmann
aus Osnabrück neu ein, und mit ihrer Hülfe hat Dr. Schellhass dann die
früher lückenhaft gebliebenen allgemeinen literarischen Vorarbeiten für
den ganzen Umfang des Unternehmens abgeschlossen, zugleich auch weiteres
Material für die dreissiger und vierziger Jahre des 15. Jahrhunderts ge-
sammelt. Die Schlussredaktion des 10. Bandes ist von Dr. Schellhass
begonnen worden. Der Abschluss des Manuscriptes wird allerdings vor-
aussichtlich durch seinen für den Herbst bevorstehenden Austritt eine
Verzögerung erleiden. Doch hofft Prof. Quidde im Laufe des Winters die
Bearbeitung des Bandes wieder energischer aufnehmen zu können.
Die Vorarbeiten für die Herausgabe der deutschen Reichstags-
akten der Reformationszeit, an welchen sich unter Prof. Kluck-
hohn's Leitung Dr. Wrede, Dr. Merx, Dr. Saftien betheiligten, vornehmlich
auf Sammlung des Materials für die zwanziger Jahre gerichtet, konnten
in der Hauptsache an dem Wohnoi*t des Leiters, zu Göttingen, stattfinden.
Dank den umfangreichen Akten- und Han9 Schriftensendungen, die unter
678 Literatur.
Vermittlung der Göttinger Bibliotheksverwaltung aus den Archiven und
Bibliotheken von Berlin, Goslar, Arolsen, München, Bamberg, Speier, Stutt-
gart dorthin gelangten, sowie Dank den zahlreichen Abschriften, welche
die Archivvorstände zu Weimar, Karlsruhe, Innsbruck und vorzüglich zu
Wien dem Untei'nehmen zur Verfügung stellten. Ausserdem wurden längere
und kürzere Keisen ausgeführt von Dr. Merx nach Marburg, München und
Weimar, von Dr. Saftien ebenfalls nach Weimar, von Prof. v. Kluckhohn
nach Nordhausen, Merseburg, Zeitz, Naumburg. Da sich im Laufe dieser
Arbeiten das Vorhandensein einer Fülle von ausserordentlich wichtigen
und bisher von der Forschung kaum berührten Akten über die Verhand-
lungen mit den Kurfürsten über die Wahl Karls V. herausstellte, so ver-
langte und erhielt der Herausgeber die Genehmigung der Kommission für
eine Abänderung des ursprünglichen Planes des Unternehmens. Während
nach diesem mit dem Tage der Wahl Karls V. der Anfang hätte gemacht
werden sollen, werden nun die Wahlverhandlungen, beginnend mit dem
Reichstag von Augsburg 1518, vorangestellt, und soll der 1. Band bis zum
Reichstag in Worms 1521 reichen, der 2. Band ausschliesslich diesem Reichs-
tag gewidmet sein. Dadurch wird der Beginn des Druckes hinausgeschoben.
Der Herausgeberhofft: nur um ein halbes Jahr. Die Kommission aber glaubte,
von der Festsetzung eines neuen Termines vorerst absehen zu sollen.
Dagegen ist die Sammlung der Nuntiaturbe richte aus Deutsch-
land, die als » Supplement '■'■ zu den deutschen Reichstagsakten der Refor-
mationszeit erscheinen soll, von Prof. Friedensburg in Rom so weit gefördert
worden, dass der Druck des 1. Bandes am 1. Juni, die Versendung
hoffentlich um Michaelis stattfinden dürfte. Der 2. Band soll unmittelbar
darnach folgen und spätestens Ostern 1892 gedruckt vorliegen.
Für die ältere Pfälzische Abtheilung der Witteisbacher Korre-
spondenzen hat Prof. V. Bezold die Arbeit durch eine in diesem Frühjahr
nach Berlin gerichtete Reise wieder aufgenommen, welcher eine Reise nach
Paris und Brüssel folgen soll, beide der Vervollständigung des Materials für
den 3. Band der Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir gewidmet.
Für die ältere Bayerische Abtheilung ist Prof. v. Druffel wieder
thätig. Er ist mit der Vorbereitung zur Drucklegung des 4. Bandes seiner
Beiträge zur Reichsgeschichte beschäftigt. Zur Ergänzung des
Materials wird er im Herbst die Archive zu Wien und Dresden besuchen.
Ausserdem ist das Anerbieten des Dr. Lossen, die Herausgabe der Korre-
spondenzen Herzog Alb rechts V. und seiner Söhne 1563 bis
1590 vorbereiten zu wollen, dankbar angenommen worden.
Für die vereinigte jüngere Pfälzische und Bayerische
Abtheilung, die unter der Leitung des Prof. Stieve steht, hat sein
Mitarbeiter, Dr. Mayr-Deisinger, die Sammlung des Materials für die Jahre
ir)18 — 1620 mit Eifer und grossem Erfolg fortgesetzt. Prof. Stieve selbst
hat in den Osterferien eine Reise nach Wien unternommen und alle im
dortigen Staatsarchiv befindlichen, die Jahre 1611 — 1(520 betreffenden
Akten durchgesehen und verzeichnet, daneben eine Anzahl wichtiger Akten-
stücke aus den Jahren 1600 — 1610 benutzt. Dann wurde er durch die
unvei-muthete Entdeckung höchst wichtiger Akten des Münchener Staats-
archivs veranlasst, sich nochmals zum Zweck einer ergänzenden Veröffent-
lichung mit den Jaluen ](U)() — 1()02 zu beschäftigen. Von jetzt an wird
Literatur. 679
er seine Kräfte gänzlich der Herausgabe des 6. Bandes der »Briefe
und Akten* widmen. Die geplante Keise des Dr. Mayr-Deisinger ist
auf den Herbst verschoben und wird einer gründlichen Ausbeutung der
Archive Wiens und Dresdens gewidmet sein. Zur raschen Förderung des
grossen und weitschichtigen Unternehmens hat die Kommission beschlossen,
dem Prof. Stieve die Berufung eines zweiten Mitarbeiters zu gestatten.
Ferner hat die Kommission beschlossen, zwei neue Arbeiten in An-
griff zu nehmen: 1. Eine j, Sammlung von Briefen und Akten zur
Geschichte Bayerns in der Zeit der Reformation* wird unter
die Leitung des Prof. v. Druffel gestellt. 2. Für die Herausgabe von
»Korrespondenzen deutscher Humanisten des 1 5. u. l 6. Jahr-
hunderts*, und zwar vor allem und zunächst derjenigen, die den Land-
schaften angehören, die heute den bayerischen Staat bilden, wird Prof.
V. Bezold den Plan entwerfen und die Leitung übernehmen.
Bericht über die wissenschaftlichen Unternehmungen
der Gesellschaft für Kheinisclie Gesell ichtskunde.
Seit der neunten Jahresversammlung gelangte zur Ausgabe: Die
Legende Karls des Grossen im 11. und 12. Jahrhundert von Ger-
hard Rauschen. Mit einem Anhang über Urkunden Karls des Grossen
und Friedrichs L für Aachen von Hugo Loersch. (VU. Publikation.)
Die Vorarbeiten für den Druck des zweiten Bandes der Kölner
Schreinskarten sind im verflossenen Jahre noch nicht völlig zum
Abschluss gelangt. Die Bearbeitung des Schreinskarten-Materials, das im
2. Band zum Abdruck kommen soll, bietet Schwierigkeiten besonderer
Art. Die handschriftliche Ueberlieferung ist eine sehr ungünstige und
das herzustellende Register erfordert die Ermittelung der Identität mehr-
fach erwähnter Personen und Grundstücke, welche den grössten Schwierig-
keiten begegnet. Der Herausgeber ist dessen unerachtet entschlossen, in
den Sommerferien eine letzte Revision vorzunehmen und beabsichtigt das
Manuscript bis zum Beginne des Wintersemesters zum Druck einzuliefern.
Die Drucklegung des 1. Bandes der vom Geh. Justizrat Prof. Dr.
Loersch geleiteten Ausgabe der Rheinischen Weistümer hat auch
im abgelaufenen Jahre nicht stattfinden können, weil der Mitherausgeber,
Dr. Paul Wagner, die von ihm übernommenen historisch-topographischen
Einleitungen zu den einzelnen Aemtern noch nicht zum Abschluss bringen
konnte. Die Versetzung desselben als Staatsarchivar an das Kgl. Staats-
archiv zu Aurich hat zwar eine Unterbrechung in seinen Arbeiten herbei-
geführt, es ist aber zu hoffen, dass das ganze Manuscript des 1. Bandes
doch im Laufe dieses Jahres in den Druck gehen kann. Von der Heran-
ziehung eines ständigen Hilfsarbeiters für diese Unternehmung ist vorläufig
abgesehen worden, da sich eine geeignete Persönlichkeit nicht gefunden hat.
Die neuen Räumlichkeiten des Aachener Stadtarchivs sind erst im
Sommer des vorigen Jahres bezogen worden, eine Förderung der Ausgabe
der Aachener Stadt rechnungen dui'ch Verwertung der Urkunden
und Akten des Archivs kann nunmehr in Aussicht genommen werden.
Die Herausgabe der Rheinischen Urbare ist im Juli 1890 Prof.
Dr. Lamprecht endgültig übertragen worden. Die erste Aufgabe für die
630 Literatur.
Edition musste darin bestehen, zu einer Uebersiclit der ziemlich aus-
gedehnten Ueberlieferung zu gelangen. Für den Süden der Provinz (Reg.-
Bez. Trier und Koblenz, Bereich des Staatsarchivs Koblenz) sind die hiefür
nöthigen Vorarbeiten schon in Lamprechts Deutschem Wirthschaftsleben,
2, 676 — 783, erledigt; es blieb also vor allem eine vorläufige Durch-
arbeitung der Ueberlieferung des Nordens (Reg.-Bez. Köln, Aachen, Düssel-
dorf, Bereich des Staatsarchivs Düsseldorf) nothwendig. Soweit sie zunächst
angezeigt war, hat Prof. Lamprecht sie in den akademischen Herbstferien
erledigt. Diese Aufnahmen sind in dem Marburger Universitätsprogramm
vom Oktober 1890 gedruckt worden. Abgesehen von dieser Vorarbeit
gi'össerer Ai't sind im Laufe des abgeschlossenen Halbjahrs die Studien
nicht sehr gefördert worden. Allerdings sind von kompetenten Kennern engster
lokaler Ueberlieferungen am Niederrhein, in Aachen, in Köln und sonstwo
mehr oder weniger wertvolle Ergänzungen geliefert worden. Aber die
eigentliche Arbeit hat erst mit dem 1. Januar 1891 begonnen, indem
zwei junge Historiker, Dr. Bahrdt aus Göttingen und Dr. Bartel aus
Düsseldorf, die Bearbeitung der eigentlichen Ausgabe übernommen haben.
Mit der nördlichen Hälfte der Provinz ist der Anfang gemacht worden.
Ueber die Zeit, in welcher einzelne Theile der Edition druckreif vorliegen
könnten, lässt sich bis jetzt noch nichts bestimmen.
Die Arbeiten für den Erläuterungsband zu dem Buche Weins-
berg hat Prof. Dr. Höhlbaum in Giessen trotz seiner langen Krankheit
im vorigen Winter im Frühjahr und trotz seines Wegganges von Köln
erheblich gefördert. Die Sammlung von Akten und Briefen zur Geschichte
der auswärtigen und allgemeinen Beziehungen der Stadt Köln um die
Mitte und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrb., die in dem Bande ediert
werden sollen, ist in dieser Zeit um viele hundert Stücke vennehrt wor-
den. Sie vnirden durch viele Auszüge und Notizen ergänzt; weitere
Abschriften sind in Köln in Arbeit. Die Bereisung anderer Archive, die
Herstellung der Edition muss wegen der neuen Verpflichtungen, die
Prof. Höhlbaum mit dem Wiederantritt der akademischen Thätigkeit über-
nommen hat, hinausgeschoben werden; im Jahre 1891 wird die Vollendung
dieser Publikation nicht erfolgen. Prof. Höhlbaum behält sich vor, seinen
Antheil an dem Erläuterungsbande später festzustellen, d. h. einzuschränken,
aus den sehr umfangreichen Sammlungen einen Theil nur für den Band
zusammenzufassen, den andern Theil aber dem Vorstande zu weiterer Ver-
wendung zu übergeben.
Ueber die Ausgabe der Jülich-Bergischen Landtagsakten
berichtet Prof. Dr. Ritter. Der letzte Jahresbericht zeigte Prof. Dr.
V. Below beschäftigt mit dem. 3. Theile seiner Untersuchung über die An-
fange der landständischen Verfassung in Jülich-Berg; er stellte zugleich
in Aussicht, dass bis zum Herbst 1890 ein ansehnlicher Theil des zur
Herausgabe hergerichteten Aktenvorrates druckfertig voi'gelegt werden
könne. — Gegenwärtig ist die ei'wähnte Untersuchung — eine Geschichte
der Jülich-Bergischen Steuern und Steuerverfassung von den Anfängen
bis zur Mitte des 16. Jahrb. — abgeschlossen. Die erste Hälfte derselben
ist gedruckt und an die Vorstandsmitglieder und Patrone versandt worden ;
die zweite Hälfte ist druckfertig und wird bald vorliegen. Solange Prof.
V. Below mit der Ausarbeitung dieser Untersuchung beschäftigt war.
Literatur. 681
konnte er seine Thätigkeit der abschliessenclen Kedaktion der für die
Herausgabe bestimmten Landtagsakten noch nicht zuwenden. Jetzt aber
ist auch diese Arbeit nachdrücklich in Angriif genommen worden, nach-
dem das Material selber im Laufe des Jahres noch vielfach, wo es der
Ergänzung bedurfte, vervollständigt worden ist, so besonders durch Aus-
nutzung des Archivs der Jülicher Unterherrschaften und durch Heranziehung
der Jülicher Eeichstagsakten, soweit sie sich mit den Landtagsverhand-
lungen berühren. — Der Ausgabe der Landtagsakten soll eine Einleitung
vorausgeschickt werden, in welcher die in den bisher veröffentlichten
Untersuchungen v. Belows über die Anfänge und erste Entwicklung der
landständischen Verfassung gewonnenen Ergebnisse übersichtlich zusammen-
CTofasst werden.
«TT 1
Der erste Band der älteren Matrikeln der Universität Köln
ist in der Bearbeitung eben vollendet worden. Der Matrikel-Text ist für
die Edition vollständig festgestellt, sämmtliche Tabellen, Beilagen und
Register liegen druckreif vor, ebenso die Erläuterungen, für welche das
Material z. T. aus weiter Feme mit Hilfe ausländischer Gelehrten herbei-
gebracht worden ist. Der Stoff für die Einleitung ist gesammelt; es
bedarf nur noch der Verarbeitung dieses Materials und der Gruppierung
der Forschungsergebnisse. In wenigen Wochen wird auch diese Arbeit
erledigt sein, sodass an den Druck herangetreten werden kann. Im
Laufe d. J, 1891 wird die Publikation ohne Zweifel hinausgehen können.
Die Regesten der Erzbischöfe von Köln bis z. J. 1500
unterstehen der Leitung von Prof. Dr. Menzel. Das ältere Urkunden- und
Kanzleiwesen der Erzbischöfe von Köln bis zum Jahre 1100 wurde weiter
durchforscht und durch verschiedene Nachträge bereichert. Die Arbeiten
für das 12. Jahrh. erlitten leider eine Unterbrechung, weil der damit be-
auftragte Dr. Knipping seit dem 1. April durch Militärdienst abgehalten
wurde. Sie sollen aber in diesem Jahre fortgesetzt und beendet werden.
Im Regierungsarchiv zu Luxemburg wurden verschiedene Originalien des
13. Jahrh. aufgefunden und bearbeitet.
Für die ältesten Urkunden der Rheinlande wurden von
Prof. Dr. Menzel in Koblenz die Urkunden von St. Castor, St. Florin,
Pfalzel und Prüm, in Trier das Diplom atarium Baldewini des Grafen
Kesselstatt bearbeitet. In Trier wurde mit der Durchsicht der Hand-
schriften fortgefahren, und es sind daraus sehr wertvolle Berichtigungen
und Ergänzungen zu den vorhandenen Di'ucken gewonnen worden. Im
Regierungsarchiv zu Luxemburg wurden die Originale des Klosters Echter-
nach bearbeitet und in der Landesbibliothek daselbst die Abschrift des
Liber aureus verglichen.
Für den geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz sind
auch im J. 1890 Gymnasiallehrer Konstantin Schulteis in Bonn und
Dr. Wilhelm Fabricius in Darmstadt thätig gewesen. Die Arbeiten von
Schulteis waren vor allem auf ein rasches Erscheinen der Karte der
französischen Zeit gerichtet. Bei der weiteren Ausführung der einheit-
lichen Arbeitskarte in 1:80000 für Trier und Köln ist er daher nur
soweit ins Detail gegangen, wie es für die französische Zeit unbedingt
notwendig war. Für die Gemeindegrenzen im Fürstentum Birkenfeld
erfreute er sich der Unterstützung der Grossherz. Oldenburgischen Be-
682 Literatur.
hörden; für den Kreis Meissenheim und diejenigen Theile der Provinz,
welche noch nicht durch die neuen Messtischblätter vertreten sind, halfen
die Herren Landräte bereitwilligst aus. So konnte die Rekonstruktion der
ehemaligen Kantone erfolgen. Dieselbe ist jetzt für die ganze Provinz
fertig: es begann dann die Uebertragung in Blei auf die Urkarte, welche
durch die Keducierung von 1:80000 auf 1: 500000 besondere Schwierig-
keiten verursacht. Diese Reducierung ist für das ganze linke Rheinufer
fertig bis auf die Strassen, Kantons-Grenzen, Kantons-Hauptorte, Mairien,
Kantons- und Succursal-Kirchorte der Katholiken und die Pfarreien der
Lutheraner und Reformirten, ca. 14 — 1500 Namen. Auch auf der rechten
Rheinseite sind die meisten Einzeichnungen vollendet, wobei das erz-
bischöfliche Generalvikariat ein dankenswertes Entgegenkommen gezeigt
hat. Die Einwohnerstatistik ist ebenfalls weiter vorgerückt; sie soll durch
eine entsprechende Auswahl der Situationszeichen verwertet werden. Für
die Ausarbeitung des notwendigen Textes sind zahlreiche Notizen ge-
sammelt. Dr. Fabricius stellte die ehemalige Gestaltung der westlichen
Theile des Regierungsbezirks Trier fest und ging dann zur Bearbeitung des
Bezirks Aachen über, die aber äusserer Schwierigkeiten wegen nicht ganz
beendet werden konnte. Hauptsächlich wurden benutzt das Grossherz.
Regierungsarchiv in Luxemburg und das Düsseldorfer Provinzialarchiv, so-
wie Vorarbeiten des Grafen W. v. Mirbach für das Herzogtum Jülich.
Für einen grossen Theil von Trier und für den Kreis Meissenheim fehlen
die Messtischblätter, sodass die Katasterkarten herangezogen werden müssen.
Die Bearbeitung der Kurkölnischen und Jülichschen Landestheile wird im
Laufe des Winters vollendet sein. Die noch fehlenden Gebiete, haupt-
sächlich nur noch die Herzogtümer Kleve und Berg, bleiben für das
Frühjahr vorbehalten, worauf eine Revision des Ganzen folgen soll.
Die Leitung der Ausgabe der Zunft Urkunden der Stadt Köln
hat Prof. Dr. Höhlbaum auch nach seiner Uebersiedelung nach Giessen
vorläufig beibehalten. Cand. Kaspar Keller hat die Sammlung des Roh-
stofl's im wesentlichen abgeschlossen. Die Ausarbeitung selbst ist mit
grossen Schwierigkeiten verknüpft, von denen nicht die geringste die
räumliche Entfernung zwischen Leiter und Bearbeiter ist. Es imterliegt
daher erheblichem Zweifel, ob das Werk in der bisherigen Einrichtung
wird fortgesetzt werden können.
Für die dem Geh. Archivrat Dr. Harless in Düsseldorf übertragene Be-
ai-beitung der IL Abteilung der Jülich-Bergischen Landtags-
Akten hat im abgelaufenen Jahre wesentliches nicht geschehen können.
Doch lässt die Geschäftslage des Staatsarchivs im Jahre 1891 eine ent-
schiedenere und planmässige Förderung der Arbeiten, vielleicht auch durch
neue Kräfte erhoffen.
Als neues Unternehmen der Gesellschaft hat der Vorstand die Heraus-
gabe der zweiten Auflage der »Nachrichten von dem Leben und
den Werken Kölnischer Künstler* beschlossen, welche aus dem
Nachlasse des Dr. Joh. Jak. Merlo von den Erben freundlichst zur Verfügung
gestellt worden ist. Die Verhandlungen über die Bestellung eines oder
mehrerer Herausgeber für das Werk sind bereits eingeleitet. Ueber die
Zeit des Erscheinens dieser grundlegenden Quellensammlung zur Kölner
Kunstgeschichte lässt sich augenblicklich noch nichts näheres angeben.
Literatur. 683
Bericht der Kommission für die Denkmäler Statistik
der Rheinprovin/ über die Thätigkeit seit dem l. April
18 9 0. Seit dem ]. Oktober 1890 ist der Kunsthistoriker Dr. Paul Giemen
für die Vorbereitung und Abfassung der Beschreibung der Kunstdenkmäler
seitens der Kommission angestellt. Er hat zunächst die umfangreiche
Literatur in den Bibliotheken von Berlin, Bonn und Köln für den ganzen
Bereich der Provinz gesammelt und zusammengestellt, sodass nunmehr für
den Aufbau des ganzen Werkes die unumgänglich nötige wissenschaftliche
Grundlage gewonnen ist. Er hat dann den Kreis Kempen bereist und
die Beschreibung der Denkmäler dieses Kreises im Anschluss an die schon
während des Sommers 1890 unter Leitung des Baumeisters Wiethase her-
gestellten Aufnahmen vollendet. Der Druck dieses ersten Heftes des
Werkes wird sofort beginnen. Die Aufnahmen im Kreise Geldern, sowie
die Bereisung dieses Kreises haben bereits stattgefunden, die Abfassnng
der Beschreibung kann daher ohne Säumen vorgenommen werden, sodass
der Druck und das Erscheinen eines zweiten dem Kreise Geldern ge-
-vvidmeten Heftes für die Mitte dieses Jahres bestimmt in Aussicht ge-
nommen werden können. Während des laufenden Jahres werden jedenfalls
noch die beiden Kreise Kleve und Moers bearbeitet.
Die Historische Kommission der Provinz Sachsen
hielt am 20. und 21. Juni unter dem Vorsitz des Prof. Dr. Lindner
ihre 17. ordentliche vSitzung zu Halle ab.
Von den Geschieht s quellen ist in dem letzten Verwaltungsj ahre
nur ein Band, die Korrespondenz Mutians, hg. von weil. Dr. K. Gillert,
erschienen. Binnen kurzer Zeit wird zur Ausgabe gelangen das Urkunden-
buch der Stadt Wenigerode, von Archivrath Dr. Jacobs bearbeitet. Im
Druck befindlich ist der 1. Band des Urkuudenbuchs der Stadt Magdeburg,
herausgegeben von Oberlehrer Dr. Hertel. Auch der Druck des von Dr.
Hortschansky angefertigten Registers zu den von Weissenborn heraus-
gegebenen Matrikeln der Universität Erfurt ist vorwärts geschritten. Im
Manuskript liegen druckfertig vor der 2. Band des Urkundenbuchs der
Stadt Erfurt, bearbeitet von Stadtarchivar Dr. Beyer bis zum Ende des
14. Jahrhunderts reichend, und der erste Theil des Urkundenbuchs der
Stadt Goslar, in welchem der Staatsanwalt Bode die Urkunden der Stadt
bis zum Jahre 1250 vereinigt hat. Die Arbeiten an den Regesten der
Herzöge von Sachsen-Wittenberg sind durch Dr. Pabst gefördert worden.
Von dem Vorsitzenden ist eine Anweisung über die Herausgabe der Ge-
schichtsquellen abgefasst worden. Sie enthält in knappen Zügen die
Gi'undsätze, nach welchen künftig verfahren werden soll. Dr. Walther
Schnitze hat einen Wegweiser durch die Geschichtsquellen der Provinz
Sachsen ausgearbeitet, welcher eine Uebersiclit über das sämmtliche ge-
druckte Quellenmaterial zur Geschichte der Provinz Sachsen und ihrer
Bestandtheile bis zum Jahre 1555 enthält.
Zur Erinnerung an das verstorbene Mitglied der Kommission D. Hein-
rich Otte soll die letzte Arbeit des Verstorbenen Ueber die Glocken,
welche ursprünglich als Neujahrsblatt für das Jahr 1S91 in Aussicht
ß84 Literatur.
genommen war, besonders herausgegeben werden. Dr. Julius Schmidt
wird eine kurze Biographie Otte's nebst einer Bibliographie der von ihm
verfassten Werke voranschicken. Als Festschrift der Kommission zu der
bevorstehenden Jubelfeier der Universität Halle i. J. 1894 ist eine Samm-
lung der kleinen deutschen Schriften des Thomasius in Aussicht genommen.
Das Neujahrsblatt für 1892, welches Geh. Eeg.-Rath Prof. Dr.
Dümmler übernommen hat, wird auf die Provinz Sachsen und angrenzende
Gebiete bezügliche Auszüge aus dem Tagebuche eines Schweizers Namens
Landolt enthalten, der im Jahre 1782 und den folgenden Jahren Deutsch-
land durchreiste.
Von den Bau- und Kunstdenkmälern der Provinz Sachsen ist
im verflossenen Verwaltungsjahre das 13. Heft, umfassend die Stadt und
den Landkreis Erfurt von Oberregierungsrath Frhr. v. Tettau, erschienen.
Demnächst wird zur Ausgabe gelangen das 14. Heft, die Bau- und Kunst-
denkmäler des Kreises Oschersleben , bearbeitet vom Gymnasialdirektor
Dr. Schmidt, enthaltend. Weiter sind vollendet die Kreise Mansfeld und
Gardelegen, welche zusammen mit den seit längerer Zeit druckfertig vor-
liegenden Kreisen Delitzsch, Bitterfeld und Schweinitz sobald als möglich
dem Drucke übergeben werden sollen.
Von den Vorgeschichtlichen Alterthümern liegt das
Heft 1 1 : Die vorgeschichtlichen Burgen und Wälle der Hainleite von
Dr. P. Zschiesche bearbeitet, vor und wird binnen kurzem erscheinen.
Das Provincial-Museum hat nach dem eingereichten Berichte
nicht nur einen bedeutenden Zuwachs an Gegenständen erfahren, sondern
es ist vor allen mit der systematischen, wissenschaftlichen Ordnung der
Anfang gemacht worden. Das Museum ist namentlich durch Abformungen,
Zeichnungen und Photographien von Gegenständen aus auswärtigen Samm-
lungen, welche ihrem Ursprünge nach der Provinz Sachsen angehören,
ergänzt worden. Der Museumsdirektor wird in dieser Richtung die Neu-
ordnung und Vermehrung des Museums fortsetzen und eine Anzahl von
Ausgrabungen vornehmen. Die vom Direktor zu erstattenden Jahresberichte
sollen künftig gedruckt und in geeigneter Weise vertheilt werden.
Die Arbeiten am Geschichtsatlas und dem Wüstungsver-
zeichnis sind im verflossenen Jahre weiter gefördert worden. Namentlich
ist Archivar Dr. Krühne nach letzterer Richtung thätig gewesen und stellt
einen vorläufigen Abschluss seiner Arbeit schon für das laufende Ver-
waltungsjahr in Aussicht. Prof. Dr. Grössler ist beauftragt, ein Wüstungs-
verzeichnis der beiden Mansfelder Kreise in Angriff zu nehmen.
Der im vorigen Jahre gefasste Beschluss betreffs Sammlung von
Abdrücken der Stadt-, Gemeinde-, Kirchen- und Innungs-
siegel der Provinz Sachsen hat den Erfolg gehabt, dass ein grosser
Theil dieser Siegel der Kommission von den Behörden übersendet worden
ist. Den Eingang noch ausstehender Siegel hofit die Kommission durch
ein erneutes Gesuch zu veranlassen.
Verlag der Wagnerischen Universitäts-Buclihandlang
in Innsbruck.
Nicolai Episcopi Botrontiiiensis
relatio de Henrici VII. Imperatoris itinere
italico.
Als Quelleusclirift uud für akad. Uebuugeu herausgegeben
vou Dr. Eduard Heyck.
1888. Preis M. 3.60
Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels.
Untersuchungen zur Geschichte der Standesverhältnisse in
Deutschland,
Von Dr. Otto t. Zallinger.
1887. Preis M. 6.40
Genua und seine Marine
bis zum Ende der Kreuzzüge.
Beiträge zur Verfassungs- und zur Kriegsgeschichte
von Dr. Eduard Heyck.
1886. Preis M. 5.—
Geschichte Kaiser Karls IV
und seiner Zeit.
Von Dr. Emil Werunsky.
I. und IL Band, 1. und 2. AMhlg. 1882—1886. Preis M. 24.—
Urbare der Stifte Marienberg und Münster
Peters von Liebenberg-Hohenwart und Hansens von Annen-
berg, der Pfarrkirche von Meran und Sarnthein.
Herausgegeben von P. Basilius Schwitzer.
1891. Preis M. 6.10
Die Bezieliimgen Venedigs zuiu Kaiserreich
in der staufischen Zeit.
Von Dr. August Baer. 1888. Preis M. 2.80
Verlag der Wagnerischen Universitäts-Buchhandlung
in Innsbruck.
Vatikanische Akten
zur
deutschen Geschichte in der Zeit
Kaiser Liadw^ig des Bayern.
Auf Veranlassung Sr. Majestät des Königs von Bayern
herausgegeben
durch die historisctie Commission bei der könig-1.
Akademie der AVisseiischaften
(von S. Riezler).
1891. Lex. 8°. XXVI u. 926 S. Mark 30.—
Acta Karoli IV. Imperatoris iiiedita.
Ein Beitrag
ZU den Urkunden Kaiser Karl IV.
Aus italienischen Arcliiven gesammelt und herausgegeben
von Dr. Franz Zimmermann.
1891. gr. 8". IX u. 272 S. Mark 10.—
vStiidien zur Geschichte des fünften Kreuzziiges
von Reinhold Röhricht.
189h 80. VI u. 130 S. Preis M. 3.60
Untersuchungen zur Rechtsgeschichte.
Von Jx:ilitJi-{S I^icjlsrei'.
I. Band:
Untersuchungen zur Erbfolge des ostgermauischeu
Rechtes.
1891. gr. S. XXX u. 540 S. Preis M. 16.—
Die Formularbücher
aus der Canzlei Rudolfs von Habsburg.
Von Jol». Kretzsehmar.
1889. 164 S. Preis M. 4.—
Verlag der Wagnerischen Universitäts-Biichhandlung
in Innsbruck.
Aus der camera apostolica
des 15. Jalirlrnnderts.
Ein Beitrag zur Geschichte des päpstlichen Finanzwesens und des
endenden Mittelalters von Dr. Adolf (xottlob.
1890. Preis M. 6.—
Regulae cancellariae apostolicse.
Die päpstlichen Kanzleiregeln von Johannes XXII. bis
Nicolaus V.
Gesammelt und herausgegeben von Dr. E. v. Otteiitlial.
1888. Preis M. 9.60
i:(i saeciiii ''
edidit, colleg'it, ordinavit I^e-trvisj r»a.l£i.ia..
Vol. I. Clementis VII epistolae per Sadoletum
scriptae, quibns acceduut variorum ad Papam et alios epistolae.
1885. Preis M. 12.—
Beiträge zur Urkuncleiilelire.
Von Julius Ficker.
2 Bände. 1877, 1878. Preis M. 22.—
Der Gerichtsstand des Clerus im fränkischen Reich.
Von Dr. Anton Nissl.
1886. Preis M. 4.80
Salimbene und seine Chronik.
Eine Studie zur Geschiclitsschreibung des 13. Jahrhunderts.
Von Emil Michael S. J.
1889. Preis M. 4.—
Der päpstliche Schutz im Mittelalter.
Von Dr. Alfred Blumenstock.
1891. Preis M. 3.20
Herder'sche Verlagshandlung, Freiburg in Breisgau.
B. Herder, Wien I. Wollzeile 33.
Soeben ist erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen :
Zisterer, Dr. A.,
Gregor X. und Rudolf von Habsburg
in ihren beiderseitigen Beziehungen.
Mit besonderer Berücksiclitigung der Frage'^über die grundsätzliche
Stellung von Sacerdotium und ImperiumMn jener Zeit,
nebst einigen Beiträgen zur Verfassungs- Geschichte des Reiches.
gr. 8°. (VIII u. 170 S.) M. 3.—
Verlag der J. G. Cotta'sclien Buchhandlung Nachfolger
in Stuttgart.;
Soeben erschien vollständig :
Kaiser Maximilian I.
Auf urkundlicher Grundlage dargestellt
von
II>r. IriGiniri cl\ Ul m ^v n n ,
Professor der Geschichte an der Universität zu Greifswald.
Zwei Bände.
Gross Oetav. 1687 Seiten. Preis geheftet M. 28.—
Mit dem soeben erschienenen zweiten Band ist das hochbedeut-
same, auf sehr reichem, noch unbenutztem Material der verschiedensten
Haus-, Hof- und Staatsarchive aufgebaute, urkundliche Werk zum Ab-
schluss gediehen.
Zu beziehen durch die meisten Buchhandlungen.
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DB Vienna. Institut für
1 österreichische
V5 Geschichtsforschung
Bd,12 I4itteilungen
Bd. 12
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