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Full text of "Flora oder Botanische Zeitung ?welche Recensionen, Abhandlungen, Aufsa?tze, Neuigkeiten und Nachrichten, die Botanik betreffend, entha?lt /herausgegeben von der Ko?nigl. Botanischen Gesellschaft in Regensburg."

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FLORA 


ODER 


ALLGEMEINE BOTANISCHE ZEITUNG. 


FRÜHER HERAUSGEGEBEN 


VON DER 


KGL. BAYER. ROTANISCHEN GESELLSCHAFT IN REGENSBURG, 


90. BAND. — JAHRGANG 1902. 


HERAUSGEBER: Dr. K. GOEBEL 


Professor der Botanik in München. 


Mit XV Tafeln und 127 Textfiguren. 


Mo. Bot. Garzen 
1903, 


MARBURG. 
N. &. ELWERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG. 
j 1902, 


Inhaltsverzeichniss. 


I. Abhandlungen. 


BRENNER, Wilhelm, Klima und Blatt bei der Gattung Quercus 

— — Zur Enntwiokelungsgeschichte der Gattung Quercus . . 

ÖELAKOVSKY, L. J., Die Berindung des Stengels durch die Blattbasen 

GOEBEL, K., Morphologische und biologische Bemerkungen. 11. Ueber 
Homologien in der Entwickelung männlicher und weiblicher Geschlechts- 
organe 

— — Die verschiedene Ausbildung der Fruchtkörper von Storeum hirsutum 

GOLENKIN, M,, Die Mycorrhiza-ähnlichen Bildungen der Marchantiaceen . 

HAUPT, Hugo, "Zur Secretionsmechanik der extrafloralen Nektarien 

HOLZNER, Dr., Die äussere Samenhaut der deutschen Drosera-Arten . 

— — Die Caruncula der Samen von Polygala 

JACCARD, Dr. Paul., Gesetze der Pflanzenvertheilung in der alpinen Region 

KARSTEN, G,, Ueber die Entwickelung der weiblichen Blüthen bei einigen 
Juglandaceen . . . . . 

KÜSTER, Ernst, Ceeidiologische Notizen 

LEISERING, B., Die Verschiebung an Helianthusköpfen im | Verlaufe ihrer 
Entwickelung vom Aufblühen bis zur Reife 

LEPESCHEKIN, Wladimir, Die Bedeutung der Wasser absondernden Organe 
für die Pflanzen 

MEIERHOFER, Hans, Beiträge zur "Anatomie und Batwickelungsgoschiche 
der Utricularia-Blasen . . . . 

MOLL, Dr. J. W., Das Hydrosimeter 

NEGER, F. W., Beiträge zur Biologie der Erysipheen e. Mittheilung) 

SCHNEGG, Hans, Beiträge zur Kenntniss der Gattung Gunnera . 

SHIBATA, K., Die Doppelbefruchtung bei Monotropa uniflora 

STOLZ, Friedrich, Zur Biologie der Laubmoose . 

TISCHLER, Dr. G., Ueber die Bildung von „reriüngten? Stämmchen bei 
alternden Weiden . . . . . . .. . 


nd. Abbildungen. 


A. Tafeln, 
Tafel I zu Shibata, Monotropa uniflora. 
Tafel II—X zu Meierhofer, Utricularia-Blasen. 
Tafel XI zu Golenkin, Marchantiaceen. 
Tafel XII zu Karsten, Juglandaceen, 
Tafel XIII—XV zu Leisering, Helianthusköpfe, 


B. Textfiguren. 
5 Fig. zu Küster, Cecidiologische Notizen. 
831 Fig. zu Brenner, Querous. 
28 Fig. zu Schnegg, Gunera. 
27 Fig. zu Neger, Erysipheen. 
4 Fig. zu Tischler, Weiden. 


334 
221 
161 
305 


273 


9 Fig. zu Goebel, Entwickelung männlicher und weiblicher Geschlechisorgane. 


IV 


1 Fig. zu Moll, Hydrosimeter. 

6 Fig. zu Holzner, Drosera. 

3 Fig. zu Holzner, Polygala. 

11 Fig. zu Celakovsky, Berindung des Stengels. 
2 Fig. zu Goebel, Stereum hirsutum. 


IIL Litteratur. 
BREITENBACH, Dr. Wilh., Gemeinverständliche darwinistische Vorträge 


und Abhandlungen . . . 848 
BULLETIN du jardin Imperial botanique de A Petersbourg . 345 
CORRENS, C., Bastarde zwischen Maisrassen mit besonderer Berücksich- 

tigung der Xerien . 345 


DALLLA TORRE, Prof, Dr.K. w. v und SARNTHEIM, Ludwig. Graf von, 
Fiora der gefürsteten Grafschaft Tirol, des Landes Vorarlberg und des 


Fürstenthums Liechtenstein . . . . . 345 
ENGLER, A., Vegetationsbilder aus Deutschostafrika . . . 418 
ERRERA, L., Recueil de l’institut botanique (universite de Bruxelles) . 478 
FISCHER, Dr. E., Flora helvetica 1530 - 1900 . . . . 346 
FISCHER-BENZON, R. v., Die Flechten Schleswig- Holsteins . 345 
HABERLANDT, Dr. G., Sinnesorgane im Pflanzenreich zur Roception me- 

chanischer Reize . . . . . . . . „346 
— — Ueber Erklärung in der Biologie . . . . . . . . 479 
HALÄCSY, Conspeetus Florae Graecae . . . . . 846 
HARTIG, Robert, Holzuntersuchungen, Altes und Neues . 346 
KOCH, Prof. Dr. Alfred, Jahresbericht über die Fortschritte der Lehre von 

den Gährungsorganismen . . . . .. 478 
KÖPPEN, Dr. W., Versuch einer Classification der Klimate . . 347 


KUMMER, P.,, Der Führer in die Lebermoose und Gefässkryptogamen . 347 
MOLISCH, H, Studien über den Milchsaft und Schleimsaft der Pflanzen . 476 
MÜLLER, Dr. "Franz Karl, Geschichte der organischen Naturwissenschaften 


im 19. Jahrhundert . . . 847 
PAULIN, Alfons, Beiträge zur Kenntnis der Vegetationsverhältnisse Krains 347 
PFEFFER, Dr. W., Pfanzenphysiologie . . . . . 477 
STERNECK, Dr. 5. v., Monographie der Gattung Aectorolophus . 480 
THONNER, Franz, Erxeursionsfora von Europa , . 348 
VLADESCO, Michel C., Bulletin de l’herbier de l’institut botanique de Bu- 

carest . . 4719 
WEBBER, Herbert I, Spermatogenesis and feoondation of Zamia . . 49 
WIESNER, J. , Biologie der Pflanzen 848 
WORGITZKY, Georg, Blüthengeheimnisse . . 348 
WULFF, Thorild, Botanische Beobachtungen aus Spitzbergen . . 480 


Heft I (9. 1—208) erschien am 4. Dezember 1901, Heft II (8. 209348) am 
30. Januar 1902, Heft III (8. 348--476) am 80, April 1902, 


Ab Zr 


FLORA 


ALLGEMEINE. BOTANISCHE ZEITUNG. 


FRÜHER HERAUSGEGEBEN 


a 


VON DER 
KGL. BAYER. BOTANISCHEN GESELLSCHAFT IN REGENSBURG. 


90. Bann" — JAHRGANG 1902. 


HERAUSGEBER: Dr. K. GOEBEL 


Professor der. Botanik in Mün N 


Mit 10 Tafeln ünd 64 Texifguren. 


Erschienen am 4. Dezember 1901. 


Inhait: HUGO HAUPT, Zur Seeretionsmechanik der extrafloraien Nektarlen’=. .. -. Seite 141 
WLADIMIR LEPESCHKIN, Die Bedeutung der Wasser nbsonderndep Organe . 
für die Pflanzen . B nee » 42—60 
K. SHIBATA, Die Döppelbefruchtung bei Monotropa unifora . one » 61—65 
ERNST KÜSTER, Cecidiologische Notizen . n 67-83 
HANS MEIERHOFER, Beiträge zur Anatomie und Batmlöstungsgeschiohte 
2 der Utrieularia-Blasen . ee . “on 4-13 
"U WILHELM BRENNER, Klima und Blatt "bei der Gattung Quercus een: H4-180 
"HANS SCHNEGG, Beiträge zur Kenntniss der Gattung Gunera eo. . n 161-208 
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MARBURG. B 


N. G ELWERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG. 
1902. 


Bemerkung. 


Das Honorar beträgt 20 Mk. pro Druckbogen, für die Litteraturbesprechungen 
30 Mk. Die Miterbeiter erhalten 30 Sonderabdrücke kostenfrei. Wird eine 
grössere Anzahl gewünscht, so werden für Druck und Papier berechnet: 
Für 10 Bromplare pro Druckbogen Mk. 1.20; pro einfarb. einfache Tafel Mk. —.30 


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Dissertationen nd Abhandlungen systematischen Inhalts werden nicht hono- 
rirt; für solche, die umfangreicher als 4 Bogen sind, werden nur 4 Bogen honorirt; 
die Kosten für Abbildungen und Tafeln. hat bei Dissertationen der Verfasser zu 
tragen. Da bei diesen vonder. Verlagshandiung nur die Herstellungskosten be- 
rechnet werden, so musg: ‚dieselbe Baarzablung. nach Empfang zur Voraussetzung 
machen. Bei fremäsprachlithen Manuskripten hat der Verfasser die Kosten der 
Uebersetzung zu tragen. Correeturentschädigungen, die von der Druckerei für 
nicht verschuldete' ‚Cortecturen in Anrechnung gebracht werden, fallen dem Ver- 
fasser Du Last. Die Zahlung der Honorare erfolgt nach Abschluss eines Bandeg. 

er Besugspgeis eines Bandss beträgt 20 Mark. Jedes Jahr erscheint ein 


Band im In Umfang. ‚von mindöskehn 80 ‚Druckbogen und zahlreichen Tafeln. Nach‘ 


Bedürfnisse schliessen sich’-ap.; die, "Jahrgänge Ergänzungebände an, welche be- 
sonders berechnet werden. 


Manuskripte und Literatur für die „Flora“ sind an den Herausgeber, 
Herrn Prof. Dr. Goebel in München, Friedrichstrasse 17/y, zu senden, Cor- 
recturen an die Druckerei von Val. Höfling, München, Lämmerstrasse Il. 


Alle geschäftlichen Anfragen etc. sind an die unterzeichnete Verlagshandlung zu 
richten. 


N. G. Elwert’sche Verlagsbuchhandlung 


Marburg (Hessen-Nassau). 


Zur Secretionsmechanik der extrafloralen Nektarien. 


Von 
Hugo Haupt. 


Einleitung. 


Die Secretionsthätigkeit der Nektarien ist wiederholt in den 
letzten Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen 
gewesen. Meine Aufgabe in der vorliegenden, im Leipziger Pflanzen- 
physiologischen Institut auf Veranlassung des Herrn Geheimrath Prof. 
Dr. W. Pfeffer ausgeführten Arbeit war es nun, specieller an extra- 
floralen Nektarien die gesamniten mit der Secretion in Verbindung 
stehenden Vorgänge zu studiren. 

Bevor wir uns den inneren Faetoren und äusseren Einflüssen, die 
bei der Seeretion des Nektars in den extrafloralen Nektarien be- 
t! Sigt sind, zuwenden, sei es gestattet, einen Blick auf die historische 
Entwickelung unserer Kenntnisse von den Nektarien zu werfen. 

In der Litteratur finden sich die bei den Nektarien in Betracht 
k ‚mmenden Fragen von den verschiedensten Standpunkten aus unter- 
sucht. Einige ältere Autoren beschäftigen sich vorwiegend mit dem 
Nutzen, den der Nektar der Pflanze bietet. So betrachten Caspary?) 
und mit ihm Senebier?) und Kieser?°) den Zucker als ein un- 
nützes Excret, nicht als ein Seeret, dem eine bestimmte Aufgabe zu- 
fällt. Die meisten anderen Autoren bis zu den Zeiten v. Mohl’s, 
z. B. Kurr,*) leitete lediglich das Bestreben, durch anatomische 
Untersuchungen über den Bau und die Dicke der das Nektarium 
bedeckenden Cuticula einen Einbliek in das Wesen der Secretion zu 
erlangen. Auch sie fassen fast ausnahmslos den Nektar als ein 
sauerstoffreiches Excret, entstanden bei der Bildung der sauerstoff- 
armen Pollen und Ovariumanlagen, auf. 

Da der verdienstvolle Forscher &. Bonnier) einen ausführlichen 
und kritischen Ueberblick über sämmtliche wichtigeren, vorher veröffent- 

1) Caspary, De Nectariis. 1848. Elberfeld. Dissertat. pag. 44 u. 51. 

2) Senebier, Physiologie v&getable. 1800. II. pag. 390. 

8) Kieser, Aphorismen aus der Pflanzenphysiologie 1808 pag. 80. 

4) Kurr, Untersuchungen über die Bedeutung der Nektarien in den Blumen. 1833. 
5) G. Bonnier, Les Nectaires. Ann. des seiences naturelles 1878. Sixi&me 


serie VIII pag. 12—20, 
Flora 1903, 1 


2 


lichten Arbeiten über Nektarien gibt, unterlasse ich es, mit Hinweis 
auf diesen Autor, näher auf die ältere Litteratur einzugehen. Nur 
auf die neueren Arbeiten von Hansteint) und Reinke?) möchte 
ich hier kurz zurückkommen. Letzterer beschäftigte sich auch mit 
den Secrete ausgebenden Blattzähnen und stellte fest, dass die Nek- 
tarien am petiolus von Prunusarten morphologisch mit den Blattzahn- 
spitzen gleichwerthig sind, worauf ihre histologische Entwickelung sowie 
zahlreiche Uebergangsbildungen hinweisen.®) Behrenst) verfolgte 
alsdann zum ersten Male die Ausbildung des Nektariums von seiner 
Anlage im Meristem aus. Nach seiner Auffassung über den Austritt 
des Secretes dringen die zuckerhaltigen Substanzen durch Diffusion 
von ihrem Entstehungsorte aus in die Schleimpapillen des Nektariums 
ein, um nach Verschleimung derselben in Freiheit gesetzt zu werden; 
die Cutieula hält er für völlig undurchlässig für gelöste Stoffe.) 
Grosse Verdienste um die Erforschung der Nektarien, auch in physio- 
logischer Hinsicht, erwarb sich dann G. Bonnier in seiner schon 
erwähnten grösseren Abhandlung, indem er von den verschiedensten 
Gesichtspunkten aus und durch scharfsinnige Experimente die Lösung 
der auftauchenden Fragen förderte. Er gibt auch zuerst die Be- 
theiligung des Zuckers als osmotisch wirkenden Körpers beim Ver- 
lauf der Nektarabsonderung zu®) und weist auf die Bedeutung der 
Gefässbündel hin, durch welche die Zufuhr des Wassers beschleunigt 
wird, da ihre Enden dicht bis unter das Nektariumgewebe reichen. 
Seine Ausführungen schliesst er mit dem bemerkenswerthen Satze, 
dessen Berechtigung wir noch später untersuchen wollen: „Die 
Nektarien stellen (ob florale oder extraflorale, ob 
wirklich activ ausscheidend oder nicht) ein specielles 
Reservenährmaterial dar, daszudem Leben der Pflanze 
in directer Beziehung steht.“ ?) 

Aber weder Behrens noch selbst Bonnier erkannten klar die - 
volle Bedeutung der osmotischen Wirksamkeit der krystalloiden Sub- 


1) Hanstein, Botan, Ztg. 1868 pag. 700 u. Bot. Abhandlung Bd. II Heft 4, 1875. 

'2) Reinke, Pringsheim’ s Jahrbücher 1876 Bd. X pag. 117; Bot. Jahresbericht 
1875 pag. 1013. 

3) Reinke, Pringsheim’s Jahrbücher 1876 Bd. X pag. 126 u.d. f. 

4) Behrens, Flora 1876, 

6) Behrens, l.c. pag. 81. 


6) Bonnier, 1.c. pag. 181: „Le prösence des sueres dans le tissu favorise 


Evidemment cet appel de l’eau ä cause du pouvoir osmotique de ces substances.* 
7) Bonnier l.c. pag. 20: 


3 


stanzen, wie sie von Pfeffer schon, als für die Nektarien in Betracht 
kommend, vorausgesagt war.!) Dieser wies zuerst auf die Noth- 
wendigkeit eines rein mechanischen Geschehens der Absonderung hin, 
sobald man nur den osmotisch wirksamen Zucker als gegeben an- 
nimmt. Es folgten die Untersuchungen Wilsons am Tübinger 
Institut 1881,?) die diesen Verhältnissen Rechnung trugen und auf 
die ich in der folgenden Arbeit häufiger zurückkommen werde. Er 
zeigte, wie man es durch Entfernung des osmotisch wirksamen Körpers 
in gewissen Fällen in der Hand habe, beliebig die Secretion zu 
sistiren und sie durch Wiederaufbringen desselben von Neuem in 
Gang zu setzen. Eine zusammenfassende Darstellung der Blüthen- 
nektarien gab Stadler,°) der gleichzeitig die früher so häufig be- 
strittene Durchlässigkeit gewisser Cuticulaformen nach experimentellen 
Belegen zugibt. *) 

Mit einigen extrafloralen Nektarien beschäftigte sich Aufrecht,’) 
der seine Aufmerksamkeit dem anatomischen Bau und den Inhalts- 
stoffen ihrer Gewebe zuwandte. Es sei noch die abfällige Kritik, die 
Büsgen®) den Wilson’schen Versuchen zu Theil werden lässt, 
erwähnt, die schon in Pfeffer’s „Studien zur Energetik“ eine Wider- 
legung erfahren hat.?) Letzteres Werk enthält eine Klarlegung der 
für die Secretion in Betracht kommenden Verhältnisse, wobei gleich- 
zeitig die Mechanik der Wasserversorgung im Nektarium von der 
Schaffung und Ausgabe des gelösten Zuckers scharf getrennt ist.®) 
Endlich hat Schniewind-Thies°) die Septalnektarien einer Unter- 
suchung vom vergleichend -entwickelungsgeschichtlichen Standpunkt 
aus unterzogen. j 

Nach diesem Ausblick auf die einschlägige Litteratur wollen wir 
kurz den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse über die bei der 


1) Pfeffer, Osmotische Untersuchungen 1877 pag. 223. 

2) Wilson: „On the Cause of the Excretion of Water on the Surface of 
Neoctaries.“ Dissertat. Leipzig 1881 bei Engelmann. 

8) Stadler, Beiträge zur Kenntniss der Nectarien und Biologie der Blüthen. 
Dissert, Zürich 1886, 

4) Stadler l.c. pag. 73—77. 

5) Aufrecht, Beiträge zur Kenntniss der extrafloralen Nektarien. Zürich 
1891. Dissert. 

6) Büsgen, Der Honigthau 1891 (bei Fischer in Jena) pag. 31—33. 

7) Pfeffer, Studien zur Energetik der Pflanze 1892 pag. 267 Anm. 

8) Pfeffer, 1, c. pag. 265267. 

9) Schniewind-Thies, Beiträge zur Kenntniss der Septalnektarien (Jena 
1897 bei Fischer). 

it 


4 


Nektarabsonderung in Betracht kommenden physiologischen Fragen 
zusammenfassen: 

Was zunächst den Vorgang der Anhäufung des Zuckers im 
Nektariumgewebe betrifft, so wissen wir nur, dass nicht selten in der 
Nähe der floralen !) und extrafloralen Nektarien sich Stärke angehäuft 
vorfindet. Diese wird zu gegebener Zeit zum Theil in Glycose um- 
gewandelt, also als Zucker nach aussen geschafft?) In anderen Fällen 
wird der Zucker entweder durch Zertrimmerung anderer komplexer 
Moleküle gewonnen) oder direct von den reichlich Chlorophyll 
führenden Geweben des Nektariums produeirt und als solcher aus- 
gegeben.*) Manchmal erfolgt diese Ausgabe durch Reissen der 
Cutieula, in den meisten Fällen durch Diosmose durch die Zellwände 
der Epidermis hindurch, also ohne Einreissen. Aeussere Einflüsse, 
besonders Feuchtigkeit, begünstigen die Zuckersecretion. Ist einmal 
Zucker nach aussen geschaft, so setzt sich die Secretion mechanischen 
Gesetzen folgend eine gewisse Zeit lang fort, wobei durch die bis 
dicht unter das Nektariumgewebe reichenden zahlreichen Gefässbündel 
die Zufuhr des Wassers beschleunigt wird.®) Es kommt also vor 
allem auf ungleiche Vertheilung des gelösten Stoffes an, der schon 
bei einem geringen wirksamen Concentrationsunterschied in der extra- 
cellularen Lösung ansehnliche Triebkraft schafft, da in } proc. Lösung 
Glycose einen osmotischen Druck von 1,3, Kalisalpeter einen solchen 
von 3,4 Atmosphären erzeugt. ®) 

Ich richtete nun mein Augenmerk besonders auf die äusseren 
Einflüsse, denen die Absonderung unterliegt, sowie auf den Verbleib 
des Zuckers nach der Beendigung der Sceretion. Für den Beginn 
der Secretion, also für die Ausgabe des Zuckers nach aussen, erwies 
sich allgemein der Feuchtigkeitsgehalt der Luft und die damit ver- 
bundene schwächere Transpiration als hochwichtig. Beschleunigend 


1) Behrens, l.c. pag.51. Stadler Le. pag. 71. 

2) Aufrecht, l.c. pag. 41. 

3) Anm.: Dass, wie Stadler behauptet, auch aus Gerbstoff (Stadler, Le. 
pag. 72, cf. dagegen Pfeffer, Physiol, II. Aufl. 1. Bd. pag. 302) der auszugebende 
Zucker entstehen kann, scheint mir noch ebenso des Beweises zu bedürfen, wie die 
von Aufrecht dem Calcium zugeschriebene Bedeutung als Transporteur der zum 
Secretionsprocess nöthigen Kohlehydrate (Aufrecht, l.e. pag. 48, cf. dagegen 
Pfeffer, l.c. pag. 427). 

4) Pfeffer, Physiologie I. Aufl. pag. 190. 

5) Bonnier, l.c. pag. 181. 

6) Pfeffer, Studien zur Energetik der Pflanze 1892 pag. 266, 


5 


wirkte auch auf den Beginn die Steigerung der Temperatur. Das 
Licht war bis auf wenige ganz bestimmte Fälle für den Anfang wie 
für die Fortsetzung der Secretion bedeutungslos. Befand sich der 
osmotisch wirksame Körper einmal ausserhalb, so setzte sich die 
Wassersecretion rein mechanisch fort, doch wurde auch hier durch 
Feuchtigkeit und Wärme erheblich die Secretion gefördert. In einigen 
Fällen scheint neben der osmotischen Wirkung des Zuckers eine 
Wasserversorgung durch actives Hervorpressen bei hoher Turgescenz 
in Frage zu kommen (Impatiens und Sambucus). Nach einer gewissen 
Zeit kam die Secrction bei jedem Nektarium zum Stillstand und es 
folgte zumeist eine von äusseren Einflüssen ziemlich unabhängige 
Resorption nach Innen. 


Einfluss des Alters auf die Nektarabsonderung. 


Betrachten wir im Freien irgend eine Pflanze mit extrafloralen 
Nektarien, so treffen wir unter günstigen Bedingungen eine Anzahl 
von Nektarien an derselben in Seeretion begriffen, während wir an 
den Nektarien der noch unentfalteten Blätter ebenso vergeblich nach 
einer Absonderung suchen, wie an denen der älteren. Die Vorbildung 
der Nektarien erfolgt sehr früh, so sind z. B. in den Knospen von 
Sambucus racemosa Anfang März die Nektarien schon gross präformirt 
und zeigen in diesem Stadium eine rothe Farbe; activ werden sie 
erst Mitte April. Am stärksten fand ich die Absonderung fast all- 
gemein zur Zeit nach der Laubentfaltung, sowie kurz vor Beginn, und 
bei einigen Pflanzen während der Blüthenperiode. In dieser Zeit,. wo 
das kräftigste Wachsthum in der Pflanze stattfindet, ') zeigt sich die 
innere Disposition zur Nektarabsonderung am stärksten. An jeder 
Pflanze waren dann nicht nur der Zahl nach die meisten Nektarien activ, 
. sondern auch die ausgegebene Nektarmenge pflegte am bedeutendsten 
zu sein. Mit dem Abblühen schwächt sich die Absonderung häufig 
schon beträchtlich ab, ja sie hört in vielen Fällen völlig auf. Als 
naturgemässe innere Ursachen für die Sistirung der Nektarsecretion, 
die selbst unter günstigsten Aussenbedingungen schliesslich eintritt, ist 
ein zu hohes Alter der einzelnen Organe und ihrer Blätter einerseits, 
oder der ganzen Pflanze anderseits — wenn nämlich alle Nektarien 
die Secretion einstellen — anzusehen. Meine zahlreichen Beob- 
achtungen fasse ich dahin zusammen, dass also die Nektarien stets - 


1) Bonnier, 1, c, pag. 194. 


Fi SEHEN 


nur eine gewisse Zeit lang in der Vegetationsperiode activ sind, mit 
höherem Alter übernehmen jüngere, später gebildete, ihre Function, 
während sie selbst degeneriren und vertrocknen. Es kommt der Zeit- 
punkt, wo die ganze Pflanze der Nektarien gleichsam nicht mehr zu 
bedürfen scheint. Vielleicht, d@ss die osmotisch wirksamen Zucker- 
arten anderwärts zur Bildung von Reservematerial in den Samen und 
Früchten oder in den Winterknospen für die nächstjährige Vegetations- 
periode gebraucht werden; kurz im Juni, oder spätestens im Juli, 
stellen bei den heimischen Pflanzen die typischen, extrafloralen Nek- 
tarien ihre Thätigkeit mehr und mehr ein. 

So zeigten Mitte Juni die Pflanzen eines blühenden Vicia-Faba- 
Feldes bei Kösen nur noch die Nektarien an den beiden oberen 
Stipularblättern secretionsthätig; bei allen mehr unterhalb gebildeten 
war diese Zone des Blattes vertrocknet. Als ein anderes Beispiel 
mögen die Beobachtungen an den Blattstielnektarien von Prunusarten 
dienen: Soeben noch in der Entfaltung begriffene Blätter sondern 
noch nicht ab, beginnen dann aber bald die Secretion. Bei der raschen 
Vegetation im Monat Mai sind dieselben Nektarien vierzehn Tage 
später, wo sie schon weit unterhalb des Sprossgipfels an nun älteren 
Blättern sich befinden, bereits weniger activ.!) Nach weiteren vier 
Wochen sondern sie im Freien überhaupt nicht mehr ab, und nach 
abermals vier Wochen sind sie völlig vertrocknet und selbst im 
Dampfraum nicht mehr zur Secretion zu bringen. 

Als ein nicht ausser Acht zu lassender Factor will mir ferner 
erscheinen, dass in den Nektarien, wie ich wiederholt nachweisen 
konnte,?) gegen Ende der Absonderung hin die Menge der aus- 
gegebenen Glycose über die Disacharide überwiegt, ja, dass schliess- 
lich nur Glycose ausgegeben wird.®) Bei der Umsetzung von Rohr- 
zucker in Glycose steigt der osmotische Wert der betreffenden Lösung 
auf das Doppelte.*) Es kann also ein beträchtlicher Theil der 
Spaltungsprodukte bereits von der Pflanze nach innen abgeführt werden, 
während noch immer die Absonderung in gleicher Weise andauert. 

Die wenigen erwähnten Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, 
wie nur in einem ganz bestimmten Lebensalter das Nektarium activ 
thätig sein kann und wie die mit dem Alter wechselnde innere Ver- 
anlagung für die Secretion von grösster Bedeutung ist, 


1) Bonnier, l. c. Analysen pag. 198, 
2) cf. auch Bonnier, |. c. pag. 194—196. 
3) Anm.: Wahrscheinlich wird ein Theil des Rohrzuckers gespalten; Acton 


(Annals of Botany 1888, I], pag. 62) bestreitet dies, doch entbehren die mikro- 
chemischen Reactionen auf Dextrin der Zuverlässigkeit, 


4) Pfoffer, Plaamahaut und Vacuolen 1890 pag. 925, 


Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf die Secretion. 

Obschon sich extraflorale Nektarien an zahlreichen Pflanzen vor- 
gebildet finden, ist die Zahl der Gewächse, wo diese Organe im Freien 
wirklich zur Function gelangen, schon geringer. Besonders aber ist 
die Anzahl der Tage, an denen die äusseren Umstände, die unbedingt 
nothwendig sind, um eine Secretion einzuleiten, alle günstig zusammen- 
treffen, für viele Pflanzen eine nur beschränkte. Bei einem Blick auf 
diese allgemeinen Bedingungen, unter denen die Pflanzen die Nektar- 
abscheidung aus den fertig vorgebildeten Organen beginnen, fiel als- 
bald in die Augen, dass für die meisten Pflanzen ein gewisser 
Feuchtigkeitsgehalt der Luft nothwendig ist, um eine sichtbare Nektar- 
absonderung hervorzubringen. Mit der Bedeutung, die diese Luft- 
feuchtigkeit für die Secretion hat, will ich mich zunächst etwas ein- 
gehender beschäftigen. 

Im Freien konnte ich feststellen, dass| solche Pflanzen, die an sich 
eine starke Tendenz zur Absonderung haben, wie Prunus Padus und 
Prunus avium, bei warmen, trockenem Wetter noch reichlich absondern, 
so lange sie in voller Entwickelung stehen, trotz der starken Tran- 
spiration, während gleichzeitig Prunus virginiana, Sambucus racemosa, 
Vicia Faba und viele andere sofort die Secretion einstellen. Die Art 
wie im Freien, stets unter der Voraussetzung mittlerer Feuchtigkeit, 
bei guter Temperatur und Belichtung die Absonderung erfolgt, stellt 
eine ununterbrochene Reihe mit allen Uebergängen dar, in der sich 
die individuellen Eigenthümlickeiten der betreffenden Pflanzen wieder- 
spiegeln. Viburnum Opulus, Impatiens parviflora, wurden niemals 
secernirend gefunden, Prunus Amygdalus, P, virginiana, Catalpa 
syringaefolia, Populus balsamifera, Sambucus nigra nur in höchst 
seltenen Fällen, Prunus Padus und Sambucus racemosa häufiger, 
Prunus avium fast immer; zwischen ihnen liegt die grosse Zahl der 
übrigen beobachteten Pflanzen mit mehr oder minder grosser Secretions- 
fähigkeit. Dennoch kommt es bei den extrafloralen Nektarien nie zur 
Ausscheidung solcher Mengen von Zucker, wie ich sie bei einzelnen 
Blüthennektarien in der weit beschränkteren Zeit ihrer Thätigkeit 
beobachten konnte; z.B. ist bei Ribes rubrum der Blüthenkelch bei 
feuchtem Wetter bis zum Ueberlaufen voll Nektar, bei Iris Gülden- 
staedtiana sah ich sogar aus dem in den Septen herabgelaufenen 
Nektar Zucker auskrystallisirt. Den verhältnissmässig meisten Nektar 
sondert wohl von allen extrafloralen Nektarien unserer Klimata Prunus 
Padus ab. Trotz aller Unterschiede in der Schnelligkeit der Ab- 
sonderung unter gleichen Bedingungen trat doch im Freien unver- 


8 


kennbar eine Vermehrung der absondernden Nektarien nach voran- 
gegangenem Regen zu Tage, ebenso wie sich die Menge der Absonderung 
an heissen Tagen am frühen Morgen in der relativ feuchteren Luft 
am ergiebigsten zu gestalten pflegte, während sie gegen Mittag meist 
beträchtlich kleiner war. 

Es galt nun, den Einfluss der Feuchtigkeit auf die Absonderung 
der extrafloralen Nektarien, der durch die erwähnten Beobachtungen 
im Freien dargethan wurde, experimentell näher zu untersuchen und 
auch festzustellen, inwieweit der Nektar nach Entfernung vom Nek- 
tarium neu geschaffen wird, 


Ich bediente mich nach dem Vorgange Bonnier’s und Wilson’s 
hierbei bis zur halben Höhe mit feuchtem Fliesspapier ausgelegter, 
grosser, tubulirter Glocken, die unten auf einem Teller standen, so 
dass der untere Rand mit Wasser gesperrt werden konnte, während 
durch den Wattepfropfen im Tubus genügend die Luft sich erneuerte. 
In diese Glocken, in denen die Luft nahezu dampfgesättigt war, wurden 
die abgeschnittenen Pflanzentheile in Wasser stehend, oder die ganzen 
Töpfe gebracht. — In anderen Fällen wurden, um die störenden Ein- 
flüsse des Wundreizes und des veränderten Stoffwechsels in ab- 
geschnittenen Zweigen zu umgehen, im Freien junge Aeste von Sam- 
bucus racemosa, Prunus avium und Viburnum Opulus in oben und 
unten offene Glasröhren gebracht, die am hinteren Ende durch einen 
in zwei Hälften gespaltenen und durchbohrten Kork, vorn durch einen, 
behufs reichlicher Communikation mit der Luft, mit einer Idm langen 
Glasröhre versehenen Kork, geschlossen wurden. 

Zum Nachweis des Zuckers, der theils als Sacharose, theils als 
Glyeose auftritt, wandte ich das folgende Verfahren an: Die Zucker- 
lösung wurde direct vom Nektarium in ein Capillarröhrchen auf- 
gesogen, das in der Mitte etwas aufgeblasen war, Es gelang so ohne 
Verlust selbst der geringsten Nektartröpfehen habhaft zu werden; das 
Aufsaugen erfolgt ohne Hilfsmittel durch die Capillarität des Röhr- 
chens. In erwärmte, frisch bereitete Fehling’sche Lösung ein- 
getaucht, saugten die Röhrchen eine gewünschte Menge von dieser nach, 
wurden beiderseits abgeschmolzen und durch Kochen im Wasserbade die 
Ausfüllung des Zuckers erreicht. In allen Fällen bediente ich mich dieses 
Verfahrens, um die An- oder Abwesenheit von Glycose festzustellen. 


Bei sämmtlichen Pflanzen zeigte sich nun im feuchten Raum 
unter dem Einflusse der gehemmten Transpiration eine vermehrte 
Nektarabscheidung. 

Eine wesentliche Vermehrung der Absonderung, die hier auch 
bei mässiger Luftfeuchtigkeit im Freien beginnt, trat z.B. ein bei 
fast sämmtlichen Prunusarten als: Prunus Padus, P. laurocerasus, 


P. acida, P. avium, bei Passiflora coerulea, Sambueus racemosa, Üa- 
talpa syringaefolia, Paeonia offheinalis u.v.a.. 


) 


Wir wissen bereits aus den Untersuchungen von Bonnier,!) 
dass der grösseren Menge des Nektars in letzteren Fällen durchaus 
nicht immer eine Vermehrung des absoluten Zuckergehaltes im Nektar 
entspricht, was ich nach mehrfachen Versuchen bestätigen kann, 


Es wurden im direeten Sonnenlicht zwei Töpfe mit Vicia auf- 
gestellt, der eine im dampfgesättigten Raume, der andere im Freien. 
Nach zwei Stunden verglich ich die Nektarmengen, die in gleich 
grossen Capillaren aufgefangen waren. Die Tropfen an den Nektarien 
der unter der Glocke befindlichen Pflanzen waren bedeutend grösser. 
Beide Capillaren mit Fehling’scher Lösung im Ueberschuss gekocht, 
zeigten annähernd die gleiche Niederschlagsmenge von Kupferoxydul. 
Von zwei eben die Absonderung beginnenden Zweigen von Prunus 
Padus wurde der eine an der Luft in Wasser gesteckt, der andere 
unter eine Glocke gebracht. Nach 24 Stunden war das Nektarvolum 
des letzteren ungefähr dreimal so gross wie das des ersteren, auch hier 
erwies sich aber der absolute Zuckergehalt als annähernd gleich. 
Analog bei Sambucus racemosa u. a. 


Einerseits wurde die normale Verdampfung des Wassers an der 
Oberfläche der Nektarien durch den dampfgesättigten Raum ver- 
hindert und der Nektar daher verdünnter, also osmotisch weniger 
wirksam, während anderseits eine verstärkte Wasserzufuhr durch die 
Gefässbündel im gleichen Sinne wirkte. Setzte ich solche, mit ver- i 
dünntem Nektar beladene Nektarien wieder gewöhnlicher Luft aus, 
so verdampfte ein Theil des Wassers anfangs schnell und mit zu- 
nehmender Concentration der Lösung immer langsamer, wobei sich 
naturgemäss die osmotische Kraft der aussen befindlichen Zuckerlösung 
steigern muss,?) während entgegenwirkend von innen durch die nun 
stärkere Transpiration der ganzen Pflanze eine saugende Wirkung ein- 
tritt, — Beide Kräfte halten sich schliesslich einmal das Gleichgewicht, ; 
indessen überwiegt die Absonderung, so lange die Zellen des Nek- 
tariums noch reich an osmotisch wirksamer Substanz sind. Wird diese | 
ins Innere der Pflanze abgeführt, so tritt nicht selten sogar, wie ich |; 
später erörtern will, Resorption aufgebrachter Lösungen ein. 

Während also bei herabgeminderter Transpiration die Menge des 
ausgeschiedenen Zuckers ziemlich dieselbe bleibt wie zuvor und nur 
die Wassermenge steigt, ist für die Einleitung der Absonderung, wie 
zahlreiche Fälle zeigen, ein möglichst hoher Wassergehalt in der 
Pflanze von grosser Bedeutung. Wo dieser fehlt, wie an gewelkten 
Zweigen, wo also jede Drucksecretion ausgeschlossen ist, konnte ich 


1) Bonnier, l. c. pag. 187. 
2) Pfeffer, Energetik pag. 266. 


10 


‚ selbst beim nachherigen Einbringen in den Dampfraum nie den Beginn 


der Secretion, wohl aber ihre schwache Fortdauer, wenn sie vorher 
begonnen hatte, constatiren, z. B. an Zweigen von Sambucus racemosa, 


\ Prunus Padus und Prunus avium, — Noch auffälliger war, dass viele 


Pflanzen, die im Freien gar nicht oder nur höchst mangelhaft Zucker 
ausgaben, in den Glocken alsbald zu lebhafter Secretion gebracht 
werden konnten. ‘) 

Es wurden von mir zum Beginn der Absonderung gebracht, ledig- 
lediglich unter dem Einfluss des nahezu dampfgesättigten Raumes: 
Impatiens parviflora, Impatiens Sultani, Prunus Amygdalus, Prunus 
virginiana, Sambueus nigra, Yiburnum Opulus, Populus balsamifera, 
Serratula lycopifolia, Acacia Lophanta. Auch bei fast allen anderen 
überhaupt untersuchten Pflanzen habe ich stets dieselbe lebhaft be- 
schleunigende Wirkung auf den Secretionsbeginn, der in sehr trockener 
Luft überhaupt nicht erfolgt, nachweisen können, nur bei Vicja Faba 
und Euphorbiaceen erfolgte selbst im Dampfraum die Absonderung 
nur im directen Sonnen- oder stark diffusen Licht, 


In vielen Fällen war die Wirksamkeit des Dampfraumes auf 
vorher inactive Nektarien eine überraschend schnelle, so dass z. B. 
Prunus Padus und P. Amygdalus unter der Glocke binnen drei Stunden 
zu lebhafter Absonderung gebracht wurden. Ebenso wie durch den 
Dampfraum eine Auslösung des Secretionsvorganges bei jungen Nek- 
tarien in turgescenten Pflanzen erfolgt, blieben auch ältere Nektarien 
über die gewöhnliche Dauer der Absonderung hinaus in den erwähnten 
Röhren im Freien lebensthätig, ja es liessen sich auch bereits im 
Freien nicht mehr absondernde Nektarien von Prunus Padus durch 
Einbringen in die Glocken alsbald wieder activ machen. Die Nektarien 
unter den Glasröhren zeigten übrigens selbst dann eine Secretion, 
wenn die übrigen Organe derselben Pflanze, wegen zu grosser Trocken- 
heit, im Freien nicht sichtbar absonderten. 

Entfernt man den ausgeschiedenen Nektar von einem Nektarium, 
so erfolgen nach meinen Untersuchungen im Dampfraum so lange neue 
Ausscheidungen desselben, als osmotische Substanz im Nektarium- 
gewebe oder dessen Umgebung noch vorhanden ist, oder sich neu 
bilden kann. So erhielt Wilson bei Prunus laurocerasus acht Tage 
hintereinander beim Entfernen des Nektars stets die gleiche Zucker- 
menge, ?) weil der Zucker nach seiner Meinung dureh Umbildung der 
Zellwände im Nektariumgewebe stets ersetzt wurde. 3) Auch ich 


1) ef, Bonnier pag. 178 für Floralnektarien. 
2) Wilson, 1. e. pag. 9 und pag. 16. 
3) Wilson, 1. c, pag. 9, 


11 


konnte bei Vicia, als im Freien mehrere Tage kräftiger Absonderung 
einander folgten, bei täglicher Wegnahme des Nektars keine Abnahme 
im Zuckergehalt desselben constatiren. Beseitigt man dagegen in 
anderen Fällen die osmotische Substanz, die nicht immer so leicht 
regenerirbar ist, durch Waschen völlig, so bleibt die Absonderung 
aus.!) Ein solcher Fall liegt auch bei Aufrecht?) vor, der für die 
Nektarien von Impatiens glandulifera zwar noch eine mehrfache 
Wiederholung der Wasserausscheidung unter Mitwirkung der Tran- 
spirationshemmung erhielt, aber keinen Zucker mehr nach dem Ent- 
fernen des ersten Nektars in den folgenden Absonderungen nach- 
weisen konnte. Auch bei Impatiens parviflora blieb mein Versuch, 
durch Waschen die Secretion zu sistiren, erfolglos. Wir haben es 
eben bei Impatiens der physiologischen Verrichtung nach mit Ueber- 
gangsformen zwischen typischen Nektarien und Hydathoden zu thun, 
und es erscheint deshalb wohl möglich, dass hier im Dampfraum auch 
nach Entfernung des osmotisch wirksamen Zuckers eine active Wasser- 
auspressung an den Nektarien zu Stande kommt. 

Umgekehrt habe ich an den untersten drei Blattzahnpaaren von 
Impatiens parvifiora in der Wasserausscheidung wiederholt geringe 
Mengen reducirenden Zuckers nachgewiesen, auch äusserlich zeigen 
diese Blattzähne noch eine den Nektarien ähnliche Gestalt, aber es 
ist erfolglos, durch Waschen hier die Secretion sistiren zu wollen. — 
Als Beispiele dienen folgende Versuche: 


1. Prunus laurocerasus. 


1. Tag. Es wurden Zweige von Prunus laurocerasus in den 
feuchten Raum gebracht. Nach sechs Stunden waren zahlreiche Nek- 
tarien activ. Den Nektar entfernte ich mittelst Capillarröhrchen. 
Derselbe enthielt reichliche Mengen Zucker. 

2. Tag. Zahlreiche Nektarien wiederum voll Nektar, der reich- 
lich Zucker enthielt. 

3. Tag. Dieseiben Nektarien, deren Nektar entfernt war, sind 
mit zuckerhaltigem Nektar gefüllt. Das Nektarvolum ist zum Theil 
geringer. 

5. Tag. Dasselbe. 


2. Vicia Faba. 


Zwei Töpfe mit Vieiapflanzen in das helle Sonnenlicht gebracht. 
Nachmittags von sämmtlichen activen Nektarien den Nektar entfernt 
mittelst Capillare. 


1) Wilson, l. e pag. 17, II. 
2) Aufrecht, 1. o. pag. 21. 


12 


2. Tag. Die reichlich gegossenen Töpfe haben im Lichte ebenso 
wie gestern abgesondert. — Nektar stark zuckerhaltig, derselbe wird 
entfernt. 

3. Tag. Dasselbe. Menge des Nektars etwas geringer. 

4. Tag. Dasselbe. Zuckergehalt wie früher. 

8. Sambucus racemosa. 

1. Tag. Secretion lebhaft. Nektar stark zuckerhaltig ; Nektarien 
sorgsam gewaschen, 

2. Tag. Dieselben Nektarien wieder voll Nektar. Zuckergehalt 
desselben schwächer. 

3. Tag. Nektarien mit weniger Nektar gefüllt, Zucker nur in 
Spuren -vorhanden. 

4. Acacia Lophantha. 

1. Tag. Absonderung im Dampfraum; Nektar zuckerhaltig ; 
Waschung. 

2. Tag. Nektarien inactiv. 

5. Viburnum Opulus. 

1. Tag. Beginn der Secretion im Dampfraum. Nektar zucker- 
haltig. Nektarien gewaschen. 

2. Tag. Die gestern gewaschenen Nektarien gänzlich inactiv. 

3. Tag. Ebenso. 

6. Impatiens parviflora, 

1. Tag. Im Dampfraüm reichliche Nektarabscheidung. Zucker- 
haltig. Sorgfältiges Abwaschen der Nektarien. 

2. Tag. Absonderung stark, Zuckergehalt derselben sehr gering. 

3. Tag. Absonderung reichlich an den gestern gewaschenen 
Nektarien; kein Zucker mehr nachweisbar. Entfernen des Nektars 
mittelst Fliesspapiers, 

5. Tag. Secretion vorhanden, keinen Zucker enthaltend. 

Anmerkung: Bei dem Schwinden des osmotisch wirksamen 
Zuckers, nach mehrmaligem Abnehmen des Nektars ohne Waschen 
des Nektariums, ist auch als Fehlerquelle bei den Versuchen zu be- 
achten, dass viele Pflanzen bei längerem Aufenthalte im Dampfraum 
krank werden und deshalb wahrscheinlich den Zucker in Folge der 
veränderten Stoffwechselerscheinungen anderwärts verwerthen, statt 
ihn zu ersetzen und weiterhin auszugeben. So sistiren sehr viele 
Blüthen schon nach 48 Stunden unter der Glocke die Ausscheidung, 
such einige Zweige, besonders Sambucus racemosa, werfen oft am 
dritten oder vierten Tage die Blätter ab. 


Man hat eben bezüglich der Regenerationsfähigkeit des Zuckers 
nach seiner einmaligen Entfernung verschiedene Typen zu constatiren; 
so sondern z. B. Prunus laurocerasus und Cassia neglecta') selbst 
nach häufigen Waschungen noch Zucker ab, besitzen also in hohem 
Grade die Fähigkeit, denselben zu regeneriren. Sambucus racemosa 


1) Sohimper, Botanische Mittheilungen aus den Tropen. Bd. I Heft 1 pag. 72. 


13 


und Vicia Faba erfordern nach meinen Versuchen eine bis drei 
Waschungen, während bei Prunus Padus, Acacia Lophantha und Vi- 
burnum Opulus, sowie bei den meisten Floralnektarien eine Waschung 
und Abtrocknung oft jede weitere Absonderung im Dampfraum sistirt, 
es sei denn, dass man sie künstlich durch Aufbringen einer schwachen 
osmotisch wirksamen Lösung, z. B. von Traubenzucker, zu erneuter 
Seeretion bringt. 

Die Versuche zeigen, dass auf die wiederholte Ausscheidung des 
Zuckers die Feuchtigkeit ohne wesentlichen Einfluss ist, vielmehr 
liegt es bei den extrafloralen Nektarien in der Eigenart der betreffen- 
den Pflanze, ob der entfernte Zucker überhaupt ersetzt wird oder nicht. 

Aus dem Umstand, dass selbst nicht mehr turgescente Pflanzen 
die Absonderung fortsetzten und durch die Möglichkeit mit Hilfe des 
Auswaschens die Seeretion sistiren zu können, ging für viele, von 
mir soeben näher gekennzeichnete Pflanzen mit Sicherheit hervor, 
dass es sich bei der Wasserversorgung ihrer Nektarien, sobald die 
Secretion einmal eingeleitet war, um einen rein osmotischen Vorgang 
handelt. Dennoch versuchte ich auch den etwaigen Einfluss des 
Wurzeldruckes auf die Secretion dieser Pflanzen durch Einpressen 
von Wasser nachzuweisen. Die Resultate waren wie die Wilson’s 
stets gänzlich negativ. — Als Object dienten ' frische Zweige von 
Sambucus racemosa, es trat im Dampfraum, in dem sich ein nicht 
unter Druck befindlicher Zweig zum Vergleich befand, selbst nach 
40 Stunden keine stärkere als normale Absonderung ein! 

Nicht unerwähnt sollen hier die Versuche Büsgen’s!) bleiben, 
der für das eingedickte Exeret der Blattläuse den Mangel der osmo- 
tischen Wirksamkeit desselben nachwies. Meine analogen Experi- 
mente mit Zuckerlösungen an den Blättern verschiedener Landpflanzen 
hatten insofern ein ähnliches Resultat, als es mir nicht gelang, durch 
die Cuticula weder der Blattober- noch der Blattunterseite eine Re- 
sorption verdünnter Zuckerlösungen zu constatiren. Um so lebhafter 
muss ich mich gegen seine Behauptung, die Wilson’schen Versuche 
mit floralen und extrafloralen Nektarien besässen keine Beweiskraft 
und seien bedeutungslos, wenden. Zunächst zeigt gerade das von 
Büsgen für seine Versuche gewählte Object, Prunus laurocerasus, die 
Vorgänge der Secretion besonders verwickelt, weil hier, wie Wilson? 
selbst feststellte, eine dauernde Regeneration des Zuckers die Sistirbarkeit 


1) Büsgen, Der Honigthau. Jena 1891, bei Fischer. 
2) Wilson, lc. pag. 9. 


14 


der Seeretion durch Waschen beeinflusst. Man kann aber bei anderen 
Objecten sehr wohl, wie meine zahlreichen Versuche bestätigen, mittelst 
verdünnter, d. h. 1—5proc. Zuckerlösung, vorher gewaschene Nektarien 
zum Wiederbeginn der Secretion bringen, während in demselben 
Dampfraum gleichfalls gewaschene Controlexemplare trocken bleiben.') 
Für so schwache Salszlösungen kommt aber die hygroskopische An- 
ziehungskraft, durch die Wilson getäuscht worden sein soll, nicht 
in Frage.?) Büsgen hält nicht genügend den Beginn der Secretion °), 
d. h. die Schaffung und Ausgabe der osmotisch wirksamen Substanz 
und ihre spätere mechanische Wirkung aus einander.*) Ausserdem 
sprechen die schon erwähnten vielen Fälle, in denen es mir gelang, 
endgiltig durch Waschen und Abtroeknen die Secretion zum Stillstand 
zu bringen, auch gegen Büsgen, 

Es wurde bisher gezeigt, dass in einem gewissen activen Zustand 
der Pflanze bestimmte Zellgruppen osmotisch wirksame Substanzen 
absondern, resp. sich in solche umwandeln. Nehmen wir diese Stoffe 
zunächst als gegeben hin, so erwies sich je nach dem grösseren 
oder geringeren Feuchtigkeitsgebalt der Luft die Secretionsmenge ver- 
schieden, da bei gehemmter Transpiration der osmotische Widerstand 
derjenigen Zellen, denen Wasser entzogen wird, infolge des dann 
waltenden Wasserreichthums, sinkt und das Nektarvolumen steigt, 
während bei starker Transpiration das Nektarvolum gering ist, aber 
infolge der hohen Zucekerconcentration aussen der Nachstrom von 
Wasser erleichtert ist, trotzdem die inneren Zellen dann höhere 
osmotische Spannung aufweisen. 

. Zur Illustration diene noch folgende Beobachtung: Drei Töpfe 
mit gleichaltrigen Pflanzen von Vieia Faba wurden bei demselben 
starken, diffusen Licht, mit vereinzelten Sonnenblicken, auf die Terrasse 
des Gewächshauses gebracht. Topf a war sehr trocken gehalten und 
zeigte innerhalb drei Stunden keinerlei Nektarabsonderung. Topf b 
wurde schwach begossen — die obersten Nektarien begannen schwach 
zu secerniren. — Topf c endlich befand sich unter einer Dampfglocke, 
— seine sämmtlichen Nektarien waren lebhaft activ. 

In diesem Sinne wirkt auch bei Trockenheit eine Verringerung 
der Transpirationsfläche, soweit dadurch nicht der Ernährungszustand 


1) A dagegen Büsgen pag. 32 und 33 und Gardiner, Proceedings of 
the Cambridge philos. soc, 1885, V, pag. 38. 


2) Pfeffer, Physiol. I, Bd. UL, Auf. pag. 144. 
3) Büsgen, |, c. pag. 32. 
4) Pfeffer, Studien zur Energetik der Pflanze pag. 267. 


rennen men ana 


15 


der Pflanze direct beeinflusst wird, begünstigend auf die Absonderung \| 
des Nektars, 


Als Objeet dienten Töpfe mit gesunden, 14 Tage alten Vicia 
Faba-Pflanzen. Bei einigen Exemplaren waren in früher Jugend die 
Hauptblätter entfernt worden, wodurch die Stipulae eine etwas über 
normale Grösse erreicht hatten. Beide sehr trocken gehaltenen Töpfe 
wurden der Sonne ausgesetzt, ohne Dampfraum. Nach zwei Stunden 
hatten nur die Nektarien an den der Hauptblätter beraubten Exem- 
plaren abgesondert. Ganz analog sonderten bei feuchtem Wetter die 
Nektarien an denjenigen Zweigen von Sambucus racemosa und 8. 
nigra, die man ihrer Blätter beraubt hatte, reichlicher und eher 
Flüssigkeit ab, als die übrigen. 


Fassen wir die Resultate aller Beobachtungen und Versuche über 
den Einfluss der Feuchtigkeit auf die Nektarabsonderung kurz zu- 
sammen, so ergibt sich, dass durch die gesteigerte Luftfeuchtigkeit 
und die mit ihr verbundene Transpirationshemmung die Wasserseeretion 
wesentlich beschleunigt wird, während die ausgegebene Zuckermenge 
nicht erheblich schwankt. Für den Beginn der Nektarsecretion erwies \ 
sich die Luftfeuchtigkeit als unbedingt nöthig; nur in voll turgescenten 
Pflanzen beginnt die Secretion. — Im feuchten Raum kehrt in be- 
stimmten Fällen nach dem Abwaschen des Zuckers die Secretion des 
letzteren wieder, wenn noch genügend davon in den angrenzenden 
Zellen des Nektariumgewebes zur Verfügung steht. — Häufig ist durch 
Abwaschen des osmotisch wirksamen Körpers die Secretion ganz sistir- 
bar; die Wasserversorgung muss also bei diesen typischen Nektarien 
nur auf plasmolytischem Wege erfolgen. In anderen Fällen wird 
der ausgegebene Nektar zuckerärmer, ja es gibt Uebergänge zu echten 
Wasserspalten, die noch eine Wassersecretion nach dem Entfernen des 
osmotisch wirkenden Körpers zeigen (Impatiens), wo also normal neben 
der plasmolytischen Secretion eine Drucksecretion vorhanden sein muss. 


Einfluss des Lichtes auf die Nektarabsonderung. 

Nachdem wir die Bedeutung der Luftfeuchtigkeit als generelle 
Bedingung für die Secretion des Nektars kennen gelernt haben, wollen 
wir die Wirkungen des Lichtes auf diesen Vorgang untersuchen. 

Es kommt hierbei darauf an, zu entscheiden, ob wir es mit einer 
directen Beeinflussung durch das Licht oder mit einer indireeten, durch 
Störungen in der Ernährung infolge Lichtmangels hervorgerufenen, 
zu thun haben. Die Untersuchungen werden zeigen, dass beide 
Factoren, jeder für bestimmte Fälle, in Betracht kommen. 

Bei einer Betrachtung der Nektarien im Freien unter dem Ge- 
sichtspunkte, ob die Unterschiede von Tag und Nacht sich auf die 


16 


Absonderung geltend machen, wird man für die bei weitem meisten 
extrafloralen zu keinem bestimmten Resultate kommen. Allerdings 
hat Bonnier!) für florale Nektarien eine Steigerung des Nektar- 
volumens während der Nacht constatirt und eine beträchtliche Ab- 
nahme während des Tages festgestellt. Dieser im Freien angestellte 
Versuch sagt uns indessen, wegen der Menge der bei der Absonderung 
betheiligten Faetoren, nichts über den directen Einfluss des Lichts, 
sondern man könnte ebensogut annehmen, dass in der Nacht ein Still- 
stand in der Seeretion eintritt, der aber durch die herabgesetzte Tran- 
spiration infolge feuchterer Aussenluft ausgeglichen, ja sogar in das 
Gegentheil verwandelt wird. Es musste also auch hier hauptsächlich 
auf experimentellem Wege versucht werden, Klarheit über diese Ver- 
hältnisse zu erlangen. Was zunächst den Beginn der Secretion be- 
trifft, so konnte ich, analog den Versuchen Wilson’s?), bei den von 
mir untersuchten floralen und den meisten extrafloralen Nektarien 
keinen Unterschied zwischen hellem und dunklem Raum gewahren. 
Sind die Nektarien einmal in dem Stadium, wo sie gewöhnlich infolge 
innerer Disposition ihre Thätigkeit beginnen, so genügt eben der An- 
stoss der Feuchtigkeit unter der Glocke, um sofort den Zucker nach 


aussen gelangen zu lassen, womit die Vorbedingungen für eine dauernde 
Secretion erfüllt sind. 


Zum Verdunkeln dienten mir bei meinen Versuchen lichtdichte, 
grosse Pappeylinder, in die die Pflanzen oder Zweige theils unter 
feuchter Glocke, theils ohne solche eingeführt wurden. Jedesmal 
befand sich ein möglichst ähnliches Controlexemplar am Licht unter 
sonst gleichen Bedingungen wie das verdunkelte — Die Blüthen- 
nektarien von Fritillaria imperialis, Fritillaria Meleagris, Chionodoxa 
Luciliae, Ribes sanguineum, Rosa- Arten, Philadelphus coronarius, 
Helleborus-Arten und die extrafloralen Nektarien von Prunus Padus, 
Prunus laurocerasus, Sambucus racemosa, Paeonia offieinalis, Serra- 
tula Iycopifolia,. Viburnum Opulus ete. beginnen die Absonderung genau 
so im Dunkeln wie im hellen Licht; sogar für Acacia Lophanta konnte 
ich, im Gegensatz zu Wilson, den Beginn der Absonderung unter 
verdunkelter, feuchter Giocke constatiren. — Lebhaft active Nektarien 
von Sambucus racemosa stellten, nach einer Waschung und Abtupfen 
mit Fliesspapier, im dunkeln Dampfraum ebenfalls nach 24 Stunden 
die Absonderung wieder her. — Nur für die Nektarien von Vicia Faba 
und die an den Oyathien der Euphorbiaceen zeigte sich helles Sonnen- 
licht als eine unerlässliche Bedingung für irgendwelche Absonderung, 


hier ist ‚demnach eine direete Beeinflussung derselben durch das Licht 
als auslösender Reiz vorhanden. — 


1) Bonnier, ]. eo. pag. 162. 
2) Wilson, 1. o. pag. 14, 


17 


Es hatte also zunächst den Anschein, als ob das Licht überhaupt 
keinen Einfluss auf die meisten extrafloralen Nektarien habe. Eine 
fortgesetzte Beobachtung zeigte indessen, dass die Folgen der Ver- 
dunkelung sich naturgemäss alsbald für die gesammte Ernährung des 
Pflanzenkörpers bemerkbar machten und somit auch allmählich für die 
Nektarien, Nach vier- bis fünftägigem Aufenthalt im Dunkeln wurde 
fast allgemein die Secretion an den abgeschnittenen Zweigen ein- 
gestellt, wobei allerdings gewöhnlich die ganzen Zweige ein krank- 
haftes Aussehen zeigten und häufig die Blätter abwarfen. — Um nun 
näher festzustellen, ob und inwieweit es sich um eine rein locale Er- 
scheinung bei der Absonderung der Nektarien handelt, die erst mit 
dem Tode der Pflanzen überhaupt aufhört oder ob der Ernährungs- 
zustand der ganzen Pflanze, respective der weiteren Umgebung des 
Nektariums massgebend ist, wurde eine Reihe alsbald näher zu be- 
sprechender Versuche mit Verdunkelungen von einzelnen Sprosstheilen 
unternommen, deren Resultat zeigte, dass allerdings in dem einmal 
vorgebildeten Nektarium local sich der Zucker anhäuft oder bildet 
und zunächst trotz der gehemmten Assimilationsthätigkeit nicht nach 
innen absorbirt werden kann, selbst bei ziemlichem Mangel in der . 
Pflanze. Erst in einem viel späteren Entwickelungsstadium des Pflanzen- 
lebens tritt hierin eine bemerkenswerthe Aenderung fast allgemein ein. 

Wurden die jungen Nektarien allein verdunkelt, so ergab sich, 
dass bei allen Nektarien, die im Dunklen die Absonderung anfangen, 
durchaus unabhängig vom Licht die Anhäufung des Zuckers statt- 
findet und sie die Secretion beginnen, selbst wenn sie von früher 
Jugend an verdunkelt gewesen sind. 


Es wurden ganz junge Nektarien von Prunus Padus und Sam- 
bucus racemosa sorgfältig mit Stanniol und schwarzem Papier darüber 
umhüllt, während ich den übrigen Sprosstheil unbedeckt liess; ich 
konnte, wenn ich nach etwa 14 Tagen die Hülle entfernte, entweder 
sofort eine normale Abscheidung des verdunkelt gewesenen Nektariums 
nachweisen, oder aber sie liess sich am abgeschnittenen Zweig als- 
bald im feuchten Raume hervorrufen. 


Ebensowenig hinderte ein andauerndes Verdunkeln der ge- 
sammten Sprossgipfel oder der Blattorgane, an deren Basis die Nek- 
tarien stehen, den Beginn der Seeretion an den entsprechenden Nek- 
tarien. Wir haben es hier anscheinend mit einer correlativen Wirkung 
zu thun, so dass die jungen noch unausgebildeten Nektarien trotz 
des Dunkelwachsthums und Nahrungsmangels in ihrer nächsten Um- 
gebung zur Entwickelung und zum Secretionsbeginn gelangen, weil 


die übrigen Theile der Pflanze normal assimiliren. — 
Flora 1902. 2 


18 


An Exemplaren von Prunus Padus, Prunus avium, Sambueus 
racemosa, wurden im Freien junge, wachsende Sprossgipfel ganz und 
gar verdunkelt, oder aber es wurden die einzelnen Blatiflächen ver- 
dunkelt und die Nektarien allein dem Licht ausgesetzt. Dies geschah 
durch sorgfältiges Einpacken in doppelte Bogen Stanniolpapier und 
darauf folgendes Umhüllen mit schwarzem Papier. In anderen Fällen 
wurde der Spross sorgsam durch eine kleine Öefinung in ein aus 
zwei dicht übereinander greifenden Hälften bestehendes Pappkästchen 
gebettet, das analog wie die früher beschriebenen Glaseylinder mittelst 
Draht an dem nächsten Hauptast oder einer Stütze befestigt war, und 
dessen untere Oeffnung lichtdicht, mit Watte um den eingeführten 
Spross herum, verschlossen war. Die Sprosse wurden vierzehn Tage 
bis drei Wochen in diese Dunkelkästen hinein wachsen gelassen, daun 
abgeschnitten und unter verdunkelte Glocken gebracht. In allen diesen 
Fällen wurde alsbald an den verdunkelt gewesenen Objecten eine 
Absonderung der Nektarien, die bisweilen etwas schwächer als 
normal war, festgestellt. Dieselbe erwies sich stets als zucker- 
haltig. 

Fine andere Versuchsreihe bestand darin, dass ich an abgeschnit- 
tenen Zweigen von Viburnum Opulus und Prunus Padus die Blatt- 
flächen kurz über den Nektarien entfernte. Die Nektarien blieben, 
unter die Glocke gebracht, zwei Tage lang ebenso activ, wie an nor- 
malen Blättern, alsdann zeigte sich eine Differenz im Nektarvolum zu 
Gunsten der letzteren. Die gleiche Unabhängigkeit der Zuckerseeretion 
von der Thätigkeit der benachbarten Blattorgane zeigt folgender Ver- 
such: Es wurden an einem Sprossgipfel von Sambucus racemosa die 
Blätter abgeschnitten und die jüngeren Blätter in der Nähe des 
Vegetationspunktes sorgfältig herauspräparirt, dazu schliesslich auch 
die dann austreibenden achselständigen Knospen stets entfernt und von 
Zeit zu Zeit die Nektarien untersucht. Meist wurden sämmtliche 
Nektarien activ befunden. — 

Es zeigte sich an diesen Zweigen sogar, ähnlich wie bei den 
früher beschriebenen Stipulis an Vieia Faba, selbst im Freien eine 
leichtere Secretionsfähigkeit, als bei Nektarien auf normalen Zweigen. 
Diese Erscheinung der stärkeren Secretion erklärt sich nur durch die 
Verminderung der Transpirationsfläche. Nicht als eine Wirkung des 
Sonnenlichts, sondern auch nur als indirect mit der Isolation zu- 
sammenhängend aufzufassen ist auch die öfter beobachtete Thatsache, 
dass bei starkem Sonnenschein Sambucus racemosa nur an den unteren 
beschatteten Aesten active Nektarien hat, während es in der Sonne, 


infolge zu starker Verdunstung, nicht zu einer sichtbaren Abscheidung 
ommt. 


Alle diese Versuche sind auch geeignet, die Anschauung von dem 
rein mechanischen Geschehen der Wasserversorgung beim Secretions- 
vorgang, so lange man nur die im Nektarium selbst gebildete geringe 
Zuckermenge als zur Verfügung stehend annimmt, zu unterstützen, 
da sie eine gewisse Unabhängigkeit der Nektarien von den Nahrungs- 


19 


verhältnissen in ihrer nächsten Nähe darthun. Noch schlagender geht‘ 
dies jedoch aus dem Folgenden hervor, wo jede Zufuhr von Zucker 
aus der Ferne ausgeschlossen erscheint und einzig der im Nektarium 
angehäufte Zucker zur Verfügung steht: 


Junge Nektarien von Prunus Padus, Prunus avium und Viburnum 
Opulus wurden der Blattflächen beraubt und mit dem Blattstiel, die 
von Sambucus racemosa, die am Stengel sitzen, mit einem etwa 2cm 
langen Sprossstück, in eine Schale mit feuchtem Sand so eingestellt, 
dass die Nektarien etwa lcm über den Sand hervorragten. Diese 
Schale wurde unter eine feuchte Glocke gestellt. Es zeigte sich all- 
gemein nach einigen Stunden, spätestens nach einem Tage, der Beginn 
der Secretion, die andauernder war, als bei den im Dampfraum leicht 
erkrankenden ganzen Zweigen, denn bei Sambucus konnte nach vier, 
bei Prunus Padus nach sieben Tagen noch zuckerhaltiger Nektar 
nachgewiesen werden. — 

Aus dem Vorhergehenden liess sich in erster Linie eine gewisse 
Indifferenz gegen das Licht bei den meisten extrafloralen Nektarien 
entnehmen, jedenfalls trat eine schädigende Wirkung der Verdunkelung 
nur indirect und verhältnissmässig sehr langsam ein. Ganz anders 
verhält sich das mit den Nektarien einiger Arten, wo zum Erwecken 
der Secretionsthätigkeit des directe Licht als ein ganz bestimmter 
äusserer Reiz in Frage kommt. Darwin wies zuerst darauf hin,!): 
dass die Ausscheidung des Nektars in den Blüthen von Lobelia erinus 
und an den Nektarien von Vieia sativa nur im directen Sonnenlicht 
vor sich geht. Wilson?) zeigte dasselbe für die Blüthen von Eranthis 
hiemalis und die Stipularnektarien von Vicia Faba; nach meinen Be- ; 
obachtungen erwies sich, selbst bei sonst hoher Temperatur, die directe ; 
Besonnung als unbedingt nöthig, um die Absonderung bei Vieia Faba ; 
und Rieinus communis, sowie auf den Cyathien unserer Euphorbien 
einzuleiten. In allen diesen Fällen ist dem Licht ein direceter, nicht 
näher zu bestimmender Einfluss, als auslösender Factor, auf die Secretion 
zuzuschreiben. Es ist ferner gewiss, dass hier gar keine Beziehungen 
zur Assimilation bestehen, wie noch ein später zu erwähnender Ver- 
such zeigen wird. 


Die Versuche mit Vieia Faba nahm ich nicht an abgeschnittenen 
Stengeln, sondern stets an in Töpfen gezogenen ganzen Pflanzen vor. 
Wurden solche Töpfe aus dem hellen Licht ins Dunkle gebracht, so 
fand mit Ausnahme von etwa 1°, der Versuchspflanzen selbst im 
feuchten Raum nie eine Ausscheidung statt. Brachte ich kräftige, 


1) Darwin, Wirkung der Kreuz- und Selbstbefruchtung (1877) pag. 388. 


2) Wilson, l. oc. pag. 14. 
2# 


20 


14 Tage bis 3 Wochen alte Pflanzen in helles, aber diffuses Licht, 
so sonderten etwa 25°), der Nektarien ab, waren die Töpfe vorher 
trocken gehalten und wurden nun gegossen, 80 stieg die Zahl der 
absondernden Nektarien unter dem begünstigenden Einfluss der Feuch- 
tigkeit auf ungefähr 50°,, im direeten Sonnenlicht alsbald auf 


90-100 9),. 

Im gewöhnlichen diffusen Licht, also z. B. an einem Tage ohne 
Sonnenschein, oder wenn Pflanzen in einer Entfernung von vielleicht 
2m oder mehr vom Fenster standen, fand nie eine Absonderung statt, 
ebenso wenig wie im Dunkeln. Wie erwähnt, kam es auch im Freien 
bei diffusem Licht niemals zu einer Absonderung, ebenso wenig konnte 
ich bei Euphorbien unter diesen Umständen den Beginn der Secretion 
constatiren. 

So erwies sich selbst nach vorherigem Regen und bei warmer 
Temperstur auf einem üppig gedeihenden Viciafelde bei Kösen im 
diffusen Licht des bewölkten Himmels die Absonderung als äusserst 
geringfügig. 

Brachte ich dagegen Töpfe mit kräftigen Viciapflanzen, die im 
diffusen Licht erwachsen waren, unter der Glocke in directes Sonnen- 
licht, so sonderten nach einer halben Stunde etwa ein Viertel, nach 
1!/, Stunde etwa die Hälfte, nach drei Stunden fast alle Nektarien 
ab. Diese Absonderung trat nur etwas langsamer stets, auch ohne 
Glocke, im direeten Licht ein, trotz der bei direeter Beleuchtung er- 
heblich gesteigerten Transpiration der Pflanzen. 


Versuch, 


Zwei Töpfe mit je fünf drei Wochen älten Vicia Faba-Pflanzen 
werden von der Hinterwand des Gewächshauses ins helle Sonnenlicht 
gebracht. Topf a unter feuchter Glocke, Topf b im Freien: -- Nach 
15 Minuten etwa sechs Nektariumpaare an Topf a activ, Topf b = 0. 
— Nach 75 Minuten: 10 Nektariumpaare am Topf a, zwei Paare 
an d activ. — Nach drei Stunden: alle Paare bis auf fünf an a und 
14 Paare an Topf b (etwa 609,) activ. — 

Setzt man völlig erwachsene, etiolirte Pflanzen dem Licht aus, 
so dauert es einige Tage, ehe die Nektarien gleichzeitig mit dem 
Ergrünen der Blätter activ werden; häufig gehen dann diese Pflanzen 
zu Grunde. — Eine seltsame Ausnahme, die wahrscheinlich Wilson 
bei seinen Versuchen entgangen- ist, die sich aber bei über 20 von 
mir angestellten Versuchen fast stets wiederfand, stellt die Nektar- 
absonderung an etiolirten Pflanzen von Vieia dar. Ich finde keine 
andere Erklärung für diese, in weit beschränkterem Maasse als unter 
normalen Verhältnissen auftretende Absonderung, als die, dass zeit- 


21 


weilig die innere Disposition zur Secretion in der Pflanze so mächtig 
werden kann, dass sie die Seeretion bewirkt, trotz des Mangels der 
sonst nöthigen äusseren begünstigenden Einflüsse, 

Unteruchte ich 8—14 Tage nach der Aussaat solche etiolirt 
wachsende Pflanzen, so fand sich, auch wenn ich sie unter feuchter 
Glocke hielt, nie eine Secretion. Nach drei Wochen aber, wo die 
etiolirten Pflanzen ihre höchste mögliche Entwickelung erreicht zu 
haben scheinen, also vom 20.—25. Tage nach der Aussaat, sah ich 
fast auf jedem der Stipularnektarien, sicher aber wenigstens auf einem 
Paar der Stipulae bei jeder der ganz vergeilten Pflanzen ein kleines 
Nektartröpfehen. Die Nektarmenge überschritt nicht die Ausdehnung 
der durch einen matten Fleck oder ein rothes Saftmal gekenn- 
zeichneten Nektarien. Bei näherer Untersuchung erwies sich diese 
Absonderung stets als schwach zuckerhaltig. Diese Secretion wird 
wesentlich gefördert, wenn man den Topf um die angegebene Zeit 
feucht hält. — Acht Tage später sind die etiolirten Pflanzen gewöhn- 
lich abgestorben. — 

Wurden einige Nektarien an Vicia-Pflanzen verdunkelt, und die 
übrigen Nektarien dem Licht ausgesetzt, so fand alsbald eine Ab- 
sonderung sämmtlicher Nektarien einschliesslieh der verdunkelten 
statt, wie folgender, stets mit gleichem Resultate wiederholter Ver- 
such zeigte: 

Mehrere Töpfe mit kräftigen Pflanzen von Vieia Faba wurden in 
directes Licht gebracht. In jedem Topf war von einer oder mehreren 
Pflanzen ein Sprossstück, das zwei Blattpaare mit den entsprechenden 
Nebenblätterpaaren trug, sorgfältig in der früher beschriebenen Weise 
in ein Dunkelkästehen geleitet worden. Von den Töpfen wurden 
einige direet im Freien, andere unter feuchten Glocken dem hellen 
Sonnenschein ausgesetzt. In kurzer Zeit waren an allen Pflanzen 
sämmtliche Nektarien in Thätigkeit, auch die auf den verdunkelten 
Stipulis zeigten eine normal reichliche und zuckerhaltige Abson- 
derung. 

Es findet also eine deutliche Correlation zwischen dem durch das 
Licht auf die ganze Pflanze ausgeübten Reiz und den von ihm nicht 
getroffenen Nebenblattpaaren statt. Ueber die ganze Kette der Vor- 
gänge von der Perception des Reizes an bis zur sichtbaren Absonderung 
an den unbelichteten Stipulis wissen wir nichts Näheres. 

Wilson!) hatte festgestellt, dass bei Vicia Faba die Secretion 
der Nektarien im hellen Licht selbst dann erfolgt, wenn der Pflanze 
nicht die zur Assimilation nöthige Kohlensäure geboten wird. Bei 
meinen analogen Versuchen zeigte sich nun jedesmal, dass die Pflanzen 
trotz achttägigem und längerem Aufenthalt in dem kohlensäurefreien 


1) Wilson, lo. pag. 15. 


22 


Raum, d.h, also in einem durch die Sistirung der Assimilation hoch- 
gradigen Hungerzustand — ans Licht gebracht — stets alsbald die 
Secretion begannen. Bei einem Verweilen von drei Wochen und 
länger ohne Kohlensäure zeigten die Pflanzen Krankheitserscheinungen 
und sonderten alsdann nicht mehr am Licht ab.!) Man sieht aus 
diesem Ausschalten des zur Ernährung nöthigsten Factors, dass, ob- 
schon bekanntlich die Zuckerproduktion von der Kohlensäurezersetzung 
abhängig ist,?2) doch zu bestimmten Zeiten in den Viciapflanzen ge- 
wisse Mengen Reservestoffe sich vorfinden, die nicht immer gleich in An- 
griff genommen werden, so dass selbst noch nach einiger Zeit im kohlen- 
säurefreien Raum die Zuckerausscheidung andauert oder sogar beginnt. 


Ich brachte kräftige, 14 Tage alte Pflanzen unter tubulirte Glocken, 
deren tubus mit einem U-förmig gebogenen Rohr verschlossen war. 
Das Rohr wurde mit Bimssteinstücken, die eine starke Kalilauge 
absorbirt hatten, gefüllt, so dass alle durch das Rohr streichende 
Luft ihre Kohlensäure an jene porösen Bimssteinstücke abgeben 
musste. Um auch die bei der Athmung ausgegebene Kohlensäure 
möglichst zu entfernen, wurde der Topf mit den Viciapflanzen auf 
eine Schale gestellt, die ebenfalls eine Kohlensäure absorbirende 
Kalihydratlösung enthielt. Der ganze Apparat wurde acht Tage im 
schwachen Licht an der Hinterwand des Zimmers aufgestellt, am 
neunten Tage ins Sonnenlicht gebracht. Nach sechs Stunden erwiesen 
sich fast sämmtliche Nektarien activ; der Nektar war zuckerhaltig. 


Nachdem so klargestellt war, dass es sich um einen von der 
Assimilation völlig unabhängigen Reiz der Lichtstrahlen bei der Se- 
eretion von Vieia handelt, kam es darauf an, festzustellen, welchem 
Theile des Spectrums die nach dieser Richtung wirkenden Strahlen 
der Hauptsache nach zuzuzählen sind. Die Versuche ergaben, dass 
lediglich die gelben und rothen Strahlen die Auslösung des Secretions- 


vorganges bewirkten, während die blauen und violetten Strahlen, wie 
Dunkelheit, unwirksam sind. 


‚.B wurden wiederholt früh um 10 Uhr Töpfe mit gleichaltrigen 
Viciapflanzen, die noch nie abgesondert hatten, unter doppelwandige 
Glocken, deren Zwischenraum mit Kalibichromatlösung bei der einen, 
mit Kupferoxydammoniaklösung bei der anderen gefüllt war, gebracht 
und nun auf der Terrasse der directen Besonnung ausgesetzt. Unter 
der gelben Glocke, die den Strahlen von grosser Wellenlänge, rotb, 
orange und gelb, fast allein den Durchtritt gewährt, welch letztere 


feiern m „ohimp er konnte dagegen für Cassia neglecta in kohlensäure- 

n ‚nach wenigen Tagen aus Nahrungsmangel die Secretion (of. Schimper, 
echseibeziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen pag 75) sistiren sehen 
2) Pfeffer, Physiol, IL Aufl, Bd.I pag. 300, 


nee pe me 


28 


auch für die Assimilation der Landpflanzen besonders in Betracht 
kommen, war die Absonderung binnen einer Stunde fast an allen 
Nektarien so lebhaft, wie im freien Sonnenlicht. Hingegen zeigte 
sich unter der blauen Glocke, die vornehmlich die weniger brech- 
baren, photochemischen Strahlen des Spectrums passiren liess, fast 
wie im Dunkeln keine Ausscheidung der Nektarien, auch nicht bei 
längerer Dauer des Versuchs. Es wurden nun in einigen Fällen die 
Glocken am anderen Tage vertauscht; alsbald begannen die vorher 
trockenen Nektarien jetzt unter der gelben Glocke die Absonderung, 
während es fast eines ganzen Tages bedurfte, um den Nektar auf 
den jetzt unter der blauen Glocke befindlichen Stipulis zur Resorption 
zu bringen; die Umstimmung einer vorher activ gewesenen Pflanze 
erfolgt demnach verhältnissmässig langsamer. — 

Ganz dieselben Experimente, die ich soeben für Vicia Faba ge- 
schildert habe, stellte ich mit fast ganz den gleichen Resultaten auch 
bei verschiedenen Euphorbiaceen, sämmtlich vom Typus unserer ein- 
heimischen Arten, an. Hierbei zeigte sich eine nicht ganz so grosse 
Empfindlichkeit gegen Lichtwirkungen und die Zahl der nur durch 
individuelle Differenzen erklärlichen Ausnahmen betrug 10°/,, jeden- 
falls war aber auch hier der Beginn der Secretion, der auf den 
Cyathien gelegenen Nektarien stets von directer Beleuchtung ab- 
hängig. Man konnte in der Sonne die winzigen, einzelnen Tröpfchen 
mit der Lupe aus dem Gewebe hervorbrechen und zu einer einzigen, 
das ganze Oyathium bedeckenden Honigschicht zusammenfliessen sehen. 
Für Secretion der extrafloralen Nektarien von Rieinus neige ich mich 


derselben Ansicht von der Nothwendigkeit der Besonnung zu. 


Während der Monate Mai bis Juli gelang es mir, mit Ausnahme 
eines kaum zu bemerkenden Falles an den Nektarien der Cotyledonen 
bei sehr zahlreichen eultivirten Exemplaren dieser Pflanze niemals, 
weder im Freien noch unter feuchter Glocke, eine Absonderung zu 
erzielen. Im Monat September endlich konnte ich zu Rovigno in 
Istrien, vielleicht unter dem Einfluss der stärkeren Besonnung, wieder- 
holt an stark belichteten Ricinusexemplaren winzige Zuckertröpfehen 
auf den Nektarien sehen. Da am frühen Morgen diese Tröpfehen 
nicht sichtbar waren, ebenso wenig an einem trüben Tage, neige ich 
der Ansicht zu, dass sich Ricinus analog wie Euphorbia verhält. 
Von Herrn Geheimrath Pfeffer wurde mir freundlichst mitgetheilt, 
dass auch bei uns Ricinus endlich an schönen Septembertagen im 
Freien die Secretion begonnen hatte. 

Alle diese zuletzt erwähnten Versuche thun wohl zur Genüge 


dar, dass das Licht bei Vieia Faba, bei Euphorbia und Rieinus un- 


bedingt die Zuckerabsonderung veranlasst. 
Fassen wir noch einmal die Resultate der vorliegenden Unter- 


suchungen zusammen, so ergibt sich: 


24 


Bei den meisten extrafloralen Nektarien ist das Licht ohne Be- 
deutung für den Secretionsbeginn. Auch die Störungen in der Assi- 
milation beim Verdunkeln, also indireete Wirkungen des Lichtes, 
zeigen nur sehr langsamen Einfluss auf die Absonderung, denn die 
Secretion in den fertig vorgebildeten Nektarien erwies sich in den 
untersuchten Fällen als unabhängig von Ernährungsstörungen in ihrer 
nächsten Umgebung, der Zucker bleibt zunächst unversehrt, und 
somit setzt sich auch die Wassersecretion noch fort. Bei den Nektarien 
von Vieia Faba und Euphorbiaceen veranlasst das Licht die Secretion ; 
im Dunkeln oder im diffusen Licht findet keine Absonderung statt. 
Werden bei Vicia einzelne Sprosstheile verdunkelt und die übrige Pflanze 
dem direeten Lichte ausgesetzt, so sondern auch die verdunkelten 
Nektarien infolge correlativer Beeinflussung ab. Die Absonderung bei 
Vieia Faba erfolgt im Licht völlig unabhängig von der Assimilation. 
Den rothen und gelben Strahlen des Spectrums kommt allein die aus- 
lösende Wirkung bei der Secretion von Vicia und Euphorbiaceen zu. 


Einfluss der Temperatur. 


Als ein weiterer äusserer Factor für den Beginn der Secretion 
muss eine ausreichend hohe Temperatur angesehen werden. Wilson!) 
hat an Zweigen von Prunus laurocerasus gezeigt, dass bei +4° C. die 
Secretion nur äusserst langsam und unregelmässig eintritt, während 
er im warmen Zimmer sämmtliche Nektarien die Absonderung alsbald 
beginnen sah. Ich konnte im Freien bei zu niedriger Temperatur 
niemals einen Beginn der Secretion beobachten, ebenso wird dann 
selbst an vorher activen Nektarien die Absonderung allgemein erheb- 
lich vermindert, was sich besonders auffällig bei einem Temperatur- 
sturz auf + 2°C. im Monat Mai zeigte. Individuell erwies sich die 


Temperaturgrenze, oberhalb derer die Abscheidung beginnt, natur- 
gemäss als sehr verschieden. 


.. Jo lag das-Minimum für Prunus avium und Paeonia unter +8°0., 
für Prunus Padus bei 10°C. Für Sambucus racemosa etwa bei 
+ 12°C., letztere Pflanze begann im Dampfraum schwach die Se- 
eretion bei +8°C. Für Ricinus bei —+15°C., Prunus laurocerasus 


(Wilson pag. 14) bei + 12°C. — Unterhalb dieser Temperaturen 
konnte ich bei den besagten Pflanzen keinen Beginn der Absonderung 
wahrnehmen. 


1) Wilson, lc. pag. 23. 


25 


Sind im Mai kalte Tage mit bedecktem Himmel, so arbeiten sofort 
Prunus Padus und Prunus virginiana schwächer, ein Beginn der Se- 
cretion an jungen Nektarien findet dann überhaupt nicht statt. Daher 
erscheint mir die Angabe von Wilson,?) der Vieia Faba bei + 3°C. 
die Secretion beginnen sah, einen individuellen Ausnahmefall zu be- 
treffen. Ueberhaupt sind solche Ausnahmen, was auch Bonnier be- 
tont, auf dem Gebiete der Nektarsecretion recht häufig. — Ganz 
anders gestaltet sich das Bild von den Einflüssen der Temperatur, 
wenn wir Zweige oder Stöcke mit bereits activen Nektarien niedererer 
Temperatur aussetzen. In solchen Fällen ist zwar eine Verlang- 
samung der Secretion zu constatiren, aber niemals ein Stillstand; bis 
in die Nähe des Gefrierpunktes konnte ich an Prunus laurocerasus, 
‚Acacia Lophanta und vielen andern die verlangsamte Fortdauer der 
Absonderung feststellen. Es ist hieraus ersichtlich, dass zum Beginn 
der Absonderung, d, h. zur Schaffung der extracellularen Zuckermenge, 
eine gewisse höhere Temperatur erforderlich ist, wie ja überhaupt 
mit niederer Temperatur eine Verlangsamung der Arbeit im ganzen 
Organismus, ganz abgesehen von den chemischen Reactionen, eintritt. 
Ist dagegen der osmotisch wirkende Zucker aussen vorhanden, so 
sorgt derselbe für den ganz mechanischen Fortgang der Secretion, und 

es tritt nur eine Verlangsamung in ihrer Schnelligkeit ein. Dieser 
geringe Einfluss, den die Temperaturschwankung auf die Fortdauer 
der Secretion ausübt, ist leicht erklärlich, da, wie wir aus Pfeffer’s 
osmotischen Untersuchungen wissen, ?) die durch Zueker entstehende 
osmotische Druckhöhe mit der Temperatur nur wenig schwankt, wohl 
aber wird bei niederer Temperatur die Schnelligkeit der osmotischen 
Wirkung verlangsamt. Wir haben also auch in dem Verhalten bei 
Temperaturwechsel einen weiteren stichhaltigen Grund für die An- 
schauung, dass die Wasserversorgung bei der Nektarabsonderung 
schliesslich rein mechanischen Gesetzen unterworfen ist, zu erblicken. — 
In einen Satz gefasst ergeben die Versuche und Beobachtungen 
‚über den Einfluss der Temperatur: Die Secretion beginnt erst ober- ' 
halb einer bestimmten, für die einzelnen Pflanzen naturgemäss ver- ' 
schiedenen Minimaltemperatur; sind die Nektarien einmal in Thätig- ; 
keit, so setzt sich die Absonderung auch unterhalb dieser Grenze, / 
obschon wesentlich verlangsamt, fort. 


1) Wilson, 1. c. pag. 22. 
2) Pfeffer, Osmotische Untersuchungen pag, 87. 


26 


Einfluss chemischer und mechanischer Reize auf die Absonderung. 


Da Chloroform, Alkohol, Aether etc. in manchen Fällen bei ge- 
nügender Verdünnung beschleunigend auf verschiedene Functionen 
des Pflanzenkörpers wirken, so wurde auch der etwaige Einfluss 
dieser chemischen Agentien auf die Absonderungsfähigkeit der Nek- 
tarien geprüft, wobei sich ergab, dass schwache Verdünnungen von 
215°, dieser Anästhetica meist beschleunigend auf die Absonde- 
rung einwirken, während höhere Concentrationen dieser Stoffe alsbald 
tödtlich auf die ganze Pflanze wirken. 


Zweige von Sambucus racemosa, Prunus Padus und Viburnum 
Opulus wurden unter feuchte Glocken gebracht, unter denen sich 
. gleichzeitig in einer Schale etwas Aether oder Chloroform befand. 
Es zeigte sich alsbald, dass die Zweige auf die volle Dampfspannung 
dieser Stoffe mit dem Tode antworteten. — Im Freien und unter der 
Glocke wurden Nektarien mit 20proc. Aether- oder Alkoholwasser 
betupft, wobei ich ebenfalls zumeist eine schädigende Wirkung auf 
die Nektarien feststellte. Es wurden nun noch stärkere Verdünnungen 
der anästhesirenden Körper mit Wasser geboten, indem ich unter die 
Glocken Schalen mit 5proc. Aetherwasser brachte. An den oben- 
genannten Zweigen war nun eine deutliche Beschleunigung und Ver- 
mehrung der Seeretion sichtbar. Fernerhin konnte ich z.B. schwach 
gewelkte Zweige schneller als im gewöhnlichen Dampfraum zur Wieder- 
herstellung des Turgors und zum Beginn der Secretion bringen. In- 
dessen gelang es mir nicht, einmal durch Waschen inactiv gemachte 
Nektarien von Viburnum Opulus zur Wiederaufnahme der Absonde- 
rung zu veranlassen, ebenso wenig wie Viciapflanzen zum Beginn 
derselben im diffusen Licht. 

Ob es sich um eine Beschleunigung der gesammten Lebensthätig- 
keit der Pflanze bei dieser Aetherwirkung handelt, wie sie bei nie- 
deren Gaben von Giften allgemein verbreitet zu sein scheint, oder ob 
es sich um eine specifische Aetherwirkung auf die Nektarien handelt, 
was indessen sehr unwahrscheinlich crscheint, lasse ich unentschieden, 
da die ganze Wirkung auf die Absonderung nur als eine untergeord- 
nete, secundäre erscheint. 


Wieler!) hat ein Sistiren des Blutens bei verschiedenen in 
Wassercultur erwachsenen Pflanzen erhalten, wenn er osmotisch 
wirksame Substanzen, wie Kalisalpeter oder Glycerin, zur Nährlösung 
hinzufügte. Erst mit dem diosmotischen Ausgleich kehrte allmählich 
der normale Zustand in den Pflanzen wieder. Zu Wasserculturen 
von Vieia Faba wurde nun von mir gleichfalls 0,15—1,5proe. KNO® 
gefügt und die Pflanzen der Sonne ausgesetzt. Es zeigte sich ledig“ 


1) Wieler, Beiträge zur Biologie, herausgeg. von Cohn (1898) Bd. 6 pag. 52. 


27 


lich eine gewisse Verlangsamung im Eintritt der Secretion gegenüber 
normalen Pflanzen in Töpfen, die ich indessen zum Theil auch dem 
schlechteren Ernährungszustand der Pflanzen, zum Theil nur der os- 
motischen Wirkung des Kalisalpeters zuschreiben zu müssen glaube. 
Auch hier erwies sich also die Secretion genau wie bei dem vorher 
erwähnten,!) tagelang fortgesetzten Einpressen von Wasser als ziem- 
lich unabhängig von den Druckverhältnissen im Innern der Pflanze, 
„In der That erscheint denn auch unter den normalen Vegetations- 
bedingungen für die meisten Fälle eine Bethätigung der activen 
Drucksecretion ausgeschlossen, und es würden dann die Nektarien 
gerade in der Zeit austrocknen, in der sie ökologisch wichtig sind,?) 
während wiederum in Zeiten der Wasserfülle durch die als gleich- 
zeitig mitwirkend gedachte Druckseeretion nur ein beschleunigtes Ab- 
tropfen und somit Zuckerverlust herbeigeführt werden würde.* 

Fernerhin wurde von mir der Versuch einer Beeinflussung der 
Nektarsecretion durch mechanische Reize unternommen, ohne dass 
sich ein besonderer Erfolg gezeigt hätte. 

Es wurden dicht unter den Nektarien Schnitte, die die zuleiten- 
den obersten Gefässbündel trafen, geführt, oder es wurden in schon 
erwähnter Weise die Pflanzen der Blätter beraubt. Im letzteren Falle 
fand ein ruhiger Fortgang der Seeretion statt, während im ersteren 
Falle entweder das betreffende Nektarium zu Grunde ging oder aber 
unter Vernarbung der Wunde seine Functionen anscheinend ungestört 
fortsetzte. — Im Freien bemerkte ich in Rovigno, wie die grosse 
Sandwespe, Pelopaeus spirifex, wiederholt die oberflächliche Schicht 
der Nektarien von Rieinus angebissen hatte; auch hier trat alsbald 
Vernarbung ein, wobei sich die verletzte Stelle nicht mehr secernirend 
zeigte. Ein besonderer Einfluss des Wundreizes war in keinem Falle 
bemerkbar. — Dass auch sonstige mechanische Reize wenig Wirkung 
auf die Nektarien haben, ergab sich daraus, dass die Secretion durch 
auf die Oberfläche gebrachte Fremdkörper, wie kleine Quarzkörnchen 
oder Erde, in keiner Weise beschleunigt wurde. Im Freien blieben 
solche Körper so lange auf den Nektarien, bis sie der nächste Regen 
abwusch, unter der Glocke dauerte es meist längere Zeit, bis es den 
reichlicheren Nektarmengen gelang, die Fremdkörper zu entfernen, 
bei Prunus avium, wo die Menge des Zuckersaftes meist nur gering ist, 
kam es oft überhaupt nicht so weit. — Ebenso wenig konnte das Streichen 
mit einem feinen Borstenpinsel einen Reiz auf die Nektarien ausüben. — 

Dass die Sporen von Pilzen, besonders Ustilagineen und Uredineen, 
in der Nektarflüssigkeit keimten, konnte ich wiederholt unter der 
Glocke in dem verdünnteren Nektar beobachten, ob es auch in der 

1) Wilson, |, e. pag. 11. 

2) Pfeffer, Physiol. II. Aufl, I, Bd. pag. 263. 


28 


Natur unter gewissen Bedingungen, wie z. B. bei andauernder Feuch- 
tigkeit, zur Gonidienbildung und zum Keimen parasitischer Pilzsporen, 
und somit zu einer Gefahr für die Pflanze kommt, konnte nicht fest- 
gestellt werden, erscheint indessen nicht unwahrscheinlich, da Büsgen!) 
für den Honigthau das Auskeimen von Botrytis-Sporen beschreibt. 
Nach den Arbeiten von Miyoshi?) würde eine solche in Nährlösung 
gekeimte Botrytishyphe sehr wohl zu weiterem Eindringen in die 
Pflanze befähigt sein.) — Im Allgemeinen erwiesen sich also die 
angewandten mechanischen und chemischen Reize als unwichtig für 
die Secretion der Pflanzen, 


Die Resorption. 


Wir haben im Vorhergehenden gesehen, wie, nachdem einmal 
durch die lebendige Thätigkeit der Pflanze Zucker nach aussen ge- 
schafft wurde, der weitere Gang der Nektarausscheidung vielfach die 
Folge der osmotischen Wirkung ist. Wurde der osmotisch wirksame 
Stoff durch Abwaschen entfernt, so war auch die Secretion beendet, 
wenn die Pflanze nicht von Neuem Zucker nach aussen spedirte, und 
ganz ebenso muss eine Resorption des Zuckers nach innen die Se- 
cretion sofort beenden. Es wird die Aufgabe der folgenden Zeilen 
sein, festzustellen, ob die Fähigheit zur Resorption jedem Nektarium 
von früher Jugend auf eigenthümlich war und nur durch das Ueber- 
wiegen des secretorischen Factors zurückgedrängt wurde, oder ob sie 
durch eine völlige Umstimmung in der Pflanze eingeleitet wird. — 
Im letzteren Falle taucht die weitere Frage auf, ob irgend welche 
äusseren Umstände diese Aenderung in der Thätigkeit der Pflanze 
herbeiführen, oder ob, wie es sich in der That erweisen wird, haupt- 
sächlich innere Factoren es bewirken, dass der vorher aplastisch sich ver- 
haltende Zucker nun plötzlich wieder in den Stoffwechsel gerissen wird. 


Abhängigkeit der Resorption vom Licht. 


Wilson?) hat zuerst beobachtet, dass die in der Sonne activ 
gewordenen Nektarien auf den Stipulis von Vieia Faba im diffusen 


1) Büsgen, 1. ce. pag. 70. 
2) Manuba Miyoshi, Ueber Chemotropismus der Pilze. Bot. Ztg. 1894 pag.1. 
3) Anmerkung: Im Gewächshaus war von dem Nektar des Cyathiums aus, 


Botrytis in Euphorbia Wulfeni Hoppe eingedrungen und hatte einen Theil des 
gesammten Blüthenstandes vollständig zerstört, 


4) Wilson, l. co. pag. 15, 


29 


Licht ihren Nektar allmählich, d. h. innerhalb von drei Tagen, unter 
einer feuchten Glocke nach innen aufnehmen. Ich wandte mich dem- 
gemäss zuerst Vicia Faba zu und konnte im Freien beobachten, dass, 
wenn nach vorherigem Sonnenschein trübes Wetter eintrat, in wenigen 
Stunden ungefähr 50°, der Nektarien alsbald troeken wurden, ohne 
eine Spur erkennbaren Rückstand auf der Oberfläche des Nektariuns 
zu zeigen. Beiläufig hatte ich schon erwähnt, dass dagegen am Licht 
Viciapflanzen oft selbst bei Nahrungsmangel ihren Nektar nicht re- 
sorbirten. — Bei den nun mit einer grossen Anzahl von Töpfen mit 
Viciapflanzen unternommenen Versuchen über den Einfluss des Lichtes 
auf die Nektarresorption ergab sich, dass die Nektarien von Vicia 
Faba und Euphorbiaceen unter dem Einfluss der Dunkelheit oder des 
diffusen Lichtes alsbald zur Resorption des nur im hellen Lichte aus- 
gegebenen Nektars schreiten. Es stellte sich ferner heraus, dass nicht 
die Aenderung des Lichtes allein massgebend für die Resorption des 
Nektars sein kann, da ich im Dunkeln nach 6— 12 Stunden ungefähr 20°], 
im dunkeln Dampfraum etwa 40°), der Pflanzen nicht zur Resorption 
bringen konnte. — Vielleieht finden solche individuellen Differenzen 
darin ihre Erklärung, dass es sich bei Pflanzen, die nicht resorbiren 
wollten, meist um Exemplare handelte, die eben erst im Licht zum 
ersten Male abgesondert hatten, denen also ein bedeutender Vorrath 
an Zucker zur Verfügung stand. Ich sah dagegen stets ältere Exem- 
plare, ins diffuse Licht gebracht, leichter zur Resorption neigen als 
die besagten jüngeren, wie sich auch das Alter der einzelnen Nek- 
tarien an ein und derselben Pflanze in der verschiedenen Schnellig- 
keit, mit der die Resorption erfolgte, wiedererkennen liess. Diese 
Unterschiede der einzelnen Pflanzen schwanden indessen bei längerem 
Aufenthalt im dunkeln Raum, nach zwei Tagen war fast allgemein 
ein völliges Verschwinden des Zuckers zu constatiren, wobei aber eine 
allzuhohe Feuchtigkeit der Absorption hinderlich zu sein schien. 

Da die Pflanzen im Dunkeln an denselben Stellen den Zucker 
nach innen aufnahmen, an denen sie ihn im Licht nach aussen ge- 
geben hatten, wurde versucht, ob sie auch künstlich ihnen gebotenen 
Zucker mitresorbiren würden. Es gelang in der That, unter dem 
fortgesetzten Einfluss des Liehtmangels die Viciapflanzen zur Re- 
sorption von 1—2°/, Zuckerlösungen zu bringen. — 


Aus der Fülle der Versuche, aus denen sich die vorstehenden 


Resultate ergaben, führe ich nur einige Beispiele an: 
1. Vieiapfanzen hatten im Freien stark am Vormittag abge- 


sondert. Im diffuseu Licht bei einer eintretenden partiellen Sonnen- 


30 


finsterniss war die Nektarmenge nach fünf Viertelstunden nur noch 
sehr gering. . 

2. Ein Topf mit Viciapflanzen im Alter von 14 Tagen hatte im 
Freien schwach die Secretion begonnen, nach 24 Stunden hatte er im 
dunkeln Dampfraum noch nicht resorbirt, ebensowenig nach 48 Stunden, 
erst nach 72 Stunden war der Nektar verschwunden. 

3, Vieiapfanzen, die soeben zum ersten Male abgesondert hatten, 
verdunkelte ich. Nach 12 Stunden waren 50°, der Nektarien .trocken, 
an den oberen Stipulis noch Nektar. Nach 36 Stunden waren 90°), 
der Nektarien trocken. 

4. Ein Topf mit 14 Tage alten Viciapflanzen wies am Licht 
alle Nektarien activ auf. Im diffusen Licht hatten in 16 Stunden 
sämmtliche Nektarien ihren Nektar resorbirt. Nunmehr auf einige 
Nektarien gegebene Rohrzuekerlösung war in 12 Stunden resorbirt. 

5. Vieiapflanzen haben am Licht im Freien secernirt. — Unter 
feuchter Glocke und verdunkelt, haben nach 60 Stunden 50%, 
resorbirt, nach 72 Stunden 70°],. — Pflanzen erkrankten. 

6. An mehreren stark welken Pflanzen von Vicia, mit syrup- 
diekem Nektar, konnte im diffusen Licht keine Resorption bemerkt 
werden. Nach wiederholtem Aufbringen von kleinen Tropfen Wasser 
auf die Nektarien erfolgte sehr langsam die Resorption. 

7. Vieiapflanzen, drei Wochen alt, haben am Licht reichlich 
abgesondert. Nach zwanzigstündigem Aufenthalt unter dem Dunkel- 
kasten, ohne feuchte Glocke, haben sämmtliche Nektarien absorbirt. 

8. Die Cyathien von Euphorbia Esula wurden bei feuchter Luft 
nach einem Gewitter mit einem Dunkelkasten bedeckt; sie hatten 
nach 20 Stunden nicht den vorher reichlich ausgeschiedenen Nektar 
resorbirt. — Nach vier Tagen endlich Resorption. 


‚. Die ersten Versuche mit syrupdicken Rohrzuckerlösungen ver- 
liefen resultatlos, wie sich auch höhere Concentrationen des Nektars 
als ein starkes Hinderniss für die Resorption zeigten, vermuthlich 
wegen ihres zu hohen osmotischen Werthes, weil dann vielleicht die 
Protoplasten der tiefer gelegenen Zellen durch die hoch concentrirte 
Lösung geschädigt werden würden. — Als ich aber 2—3proe. Zucker- 
lösungen anwandte, zeigte sich eine geringe Resorption, die durch 
abermaliges Aufbringen von kleinen Wassertropfen auf "den syrup- 
artigen Rückstand, der auf der Oberfläche der Nektarien geblieben 
war, zu einer völligen gemacht werden konnte. Bei den nun folgen- 
den Untersuchungen wurden im diffusen Licht erwachsene Vicia- 
pflanzen mittelst kleiner Pipetten mit Tropfen einer 1— 2proc. 
Trauben- oder Rohrzuckerlösung versehen, die genau die Grösse der 
Nektarien hatten. Im diffusen Licht, ohne Dampfraum, erfolgte regel- 
en 1—2 Tagen die völlige Resorption dieser 


konnte von Neuem Zuckerlösun i 
t auf dieselben 
Nektarien bringen, wo sie alsbald ebenso resorbirt wurde wie beim 


31 


ersten Male. Im Dampfraum erfolgte, wie schon erwähnt, die Re- 
sorption langsamer, jedoch hatten unter feuchtem Glase sämmtliche 
Nektarien, auf welche eine 2proc. Rohrzuckerlösung gegeben war, 
diese in drei Tagen resorbirt. 


Bei längerem Verdunkeln und bei Anwendung schwacher Zucker- 
lösungen erwies sich also, selbst im feuchten Raum, bei Vicia Faba 
der Faetor, der die Resorption veranlasst, also der Lichtmangel, stärker 
als die Neigung zur Secretion. Somit hat man es bei dieser Pflanze 
in der Hand, selbst Exemplare, die anfangs keine Resorption zeigen, 
zur Zurücknahme des Zuckers und sogar zur Aufnahme künstlich 
zugeführten Zuckers durch genügend langen Aufenthalt im Dunkeln 
«zu zwingen. Bei Euphorbien erfolgt die Resorption unter dem Ein- 
fluss der Dunkelheit weit unregelmässiger. — Dass es sich hierbei um 
einen durch veränderte Verhältnisse -bervorgerufenen Act osmotischer 
Saugung nach innen handelt, ohne dass für die aufzunehmenden Stoffe 
das Wahlvermögen der Pflanzen in Betracht zu kommen scheint, be- 
weist zur Genüge die Resorption von 0,5—1proc. Kalinitratlösungen, 
die im diffusen Licht innerhalb 24 Stunden ohne Rückstand erfolgte. — 
Auch Nektarien an etiolirten Exemplaren von Vieia resorbirten zu- 
meist eine Iproc. Rohrzuckerlösung. — Unter der bereits beschriebenen 
blauen Glocke trat, wie im Dunkeln, bei Vicia und Euphorbia Re- 
sorption ein, selbst wenn die Glocke im directen Sonnenlicht stand. 


Euphorbia, die vorher reichlich abgesondert hat, 24 Stunden unter 
blauer Glocke gehalten, zeigte 80°, der Nektarien trocken; unter 
der gelben Glocke ist die Abscheidung noch bedeutend vermehrt. — 
Früh 10 Uhr ein Topf mit Viciapflanzen, deren sämmtliche Nektarien 
am Licht soeben abgesondert haben, mit blauer Glocke bedeckt: 
Nachmittag vier Uhr haben 80°), der Nektarien resorbirt. — 


Für die Resorptionserscheinungen bei Vicia kommt demnach in 
erster Linie Lichtmangel, erst in zweiter eine gewisse, vom Alter ab- 
hängige innere Disposition in Frage, die in der Beeinflussung der 
Schnelligkeit, mit der die Resorption erfolgt, hervortritt. 


Abhängigkeit der Resorption von inneren Factoren. 

Einen anderen Typus in Bezug auf die Resorption stellen alle 
diejenigen Nektarien dar, die auch im Dunkeln die Absonderung be- 
ginnen. Wie erwähnt, gehören hierher auch die meisten floralen Nek- 
tarien, und an diesen gelang es mir zuerst, die Erscheinungen der 
Resorption mit grosser Entschiedenheit eintreten zu sehen. 

Philadelphus coronarius zeigt, hei feuchtem Wetter im Freien, 


in den eben geöffneten Blüthen reichlich Nektar auf dem Blüthen- 
boden. Bringt man die Pflanzen unter eine feuchte Glocke, so steigert 


32 


sich die Nektarproduktion noch ganz erheblich. Ich sah nun, dass in 
den Blüthen während des Abblühens der Nektar völlig resorbirt 
wird. — Soeben aufgeblühte Knospen dagegen konnte ich unter keinen 
Umständen, weder im Dunkeln, noch durch Welkenlassen, zur Re- 
sorption bringen. — An der Luft wurden 1—3proc. Zuckerlösungen 
mit Leichtigkeit nach dem Abblühen aufgenommen. Aehnlich ver- 
halten sich Rosa-Arten und verschiedene andere Floralnektarien. — 

Es wurde nun das Verhalten der extranuptialen Nektarien von 
Sambucus racemosa, Prunus Padus und Prunus avium zum Öegen- 
stand der Untersuchung gemacht. Ich konnte in den Monaten Mai 
und Juni bei den Prunus-Arten niemals eine Resorption bemerken, 
trotz zahlreicher Versuche durch Verdunkeln einzelner Zweige. Im 
Monat Juli wurde in mehreren Fällen die Absonderung, nachdem ich 
sie künstlich durch Einbringen in feuchte Glocken hervorgerufen hatte, 
obne Rückstand absorbirt, sobald ich die Zweige ohne Glocke an 
der Luft aufgestellt hatte. Bei-Prunus avium, dessen Nektarien im 
Freien oft stark eingedickten Zuckersaft zeigten, war die Resorption 
häufig durch Hinzufügen eines Wassertröpfehens erreichbar. Im 
Dampfraum dauerte es meist 2—3 Tage, ehe eine auf die Nektarien 
gebrachte 1proc. Rohrzuckerlösung von den älteren Organen — die 
freilich noch nicht zu alt, also bereits geschrumpft sein durften — 
resorbirt wurde; die jüngsten zwei Nektarienpaare konnte ich unter 
der Glocke meist überhaupt nicht resorbiren sehen. Weit besser zeigte 
Nambucus racemosa die Resorptionserscheinungen; Nektarien, die am 
Licht ohne Glocke resorbirten, konnten dreimal hintereinander zum 
Aufsaugen einer Iproc. Zuckerlösung veranlasst werden, während dies 
bei Prunus-Arten, wenn überhaupt, doch nur einmal gelang. 


Aus den Versuchen ging hervor, dass allein mit vorgerückter 
Jahreszeit, also im höheren Alter, wie die Versuche übereinstimmend 
lehrten, die Nektarien zur Resorption disponirt sind, niemals aber, 
so lange dieselben noch activ thätig sind. Ich erinnere nochmals an 
den früheren Versuch, dass in jungen Nektarien selbst bei Nahrungs- 
mangel die Resorption erst sehr spät erfolgte. Es gewinnt den An- 
schein, dass in der Jugend wohl zur Resorption Befähigung bestehen 
mag, aber bei weitem durch die secretorische Thätigkeit übertroffen 
wird. Je wasserhaltiger hierbei die zu resorbirende Lösung ist, also 
je weniger sie osmotisch wirksam ist, um so leichter tritt ihre Re- 
sorption ein; ganz analog, wie ich das für Vieia-Nektarien früher ge- 
zeigt habe, verhielten sich hierin auch die letzterwähnten Nektarien. — 

Die Aufnabme des Zuckers in die inneren Zellen ist vielleicht 
durch Nahrungsmangel oder eine sonstige anderweitige Inanspruchnahme 
des Zuckers, z.B. zur Bildung von Winterknospen, zu erklären. 
Bonnier,!) dessen Meinung ich hier nicht ganz zustimmen möchte, 


1) Bonnier, |, c, pag. 197. 


33 


meint, der Zucker werde zum definitiven Wachsthum des Blattes, an 
dem sich das Nektarium befindet, verbraucht. Wahrscheinlich wird 
zunächst aus den das Nektariumgewebe bildenden Zellen der Zucker 
abgeführt und schliesslich infolge der nun wirkenden osmotischen 
Saugung von innen auch der extracellular befindliche Zucker so weit 
als möglich wieder in den Stoffwechsel gerissen. Diese Abfuhr des 
Zuckers aus den Nektarien erscheint um so verständlicher, als mit 
dem Fortschreiten der Vegetationsperiode ein Vorhandensein der extra- 
floralen Nektarien nicht mehr nöthig zu sein scheint, was uns das 
Absterben dieser Organe deutlich aussprieht. Auch von der Resorption 
kann man mit Pfeffer!) sagen: „Diese Selbstregulation kommt schon 
darin allgemein zum Ausdruck, dass durch die Thätigkeit zugleich für 
die Continuität des Waltens und Schaffens gesorgt wird, dass also 
auch die Aufnahme und die Auswahl eines jeden einzelnen Nähr- 
stoffes durch das Bedürfniss und den Umsatz gelenkt wird.“ — 

Es zeigt sich auch hier, dass die Pflanze mit den veränderten 
äusseren Vegetationsbedingungen und inneren Factoren ihre Thätigkeit 
modifieirt; der Zucker wird an denselben Stellen, wo er früher nach 
aussen gegeben wurde, jetzt nach innen aufgenommen, um ander- 
weitig vielleicht dem Stoffwechsel dienstbar gemacht zu werden; jeden- 
falls schützt sich die Pflanze vor seinem völligen Verluste. 

Aus den Versuchen über die Resorption geht mit Deutlichkeit 
hervor, wie eng die Ausscheidung von Zuckersäften, d.h. nur ihr 
Beginn und ihr Ende, mit dem Betriebsstoffwechsel in der Pflanze 
im Zusammenhang steht; die mit dem Alter der Pflanze in letzterem 
eintretenden Aenderungen regeln die Ausgabe und Resorption des 
Zuckers, da diese Schwankungen sich den osmotischen Druckverhält- 
nissen in der Zelle mittheilen.?) — 

Die Frage, wodurch sich der Zucker in den Drüsenzellen des 
Nektariumgewebes erhält und nicht früher nach innen aufgesaugt wird, 
erfährt eine neue Beleuchtung durch obige Betrachtung. So lange die 
Nektarien jung sind, erhält die Pflanze den Zucker aussen und ist 
fortdauernd secretorisch thätig, die Möglichkeit zur Resorption beginnt 
erst mit dem Alter und ist bedingt durch die Störung des osmotischen 
Gleichgewichts. In der nun grösseren osmotischen Wirksamkeit der 
inneren Zellen und der Sistirung der weiteren activen Zuckerausgabe 
haben wir den Grund für die Resorption zu erblicken, genau wie 


1) Pfeffer, Physiologie II. Aufl. 1. Bd. pag. 517. 
2) Pfeffer, Osmotische Untersuchungen 1877 pag. 185. 
Flora 1902, 


34 


vorher in der Anhäufung osmotisch wirksamer Stoffe im Nektarium- 
gewebe und in ihrer Persistenz der Grund für die Seeretion lag. Ein 
an anderer Stelle zu gebender kurzer Blick auf die hier in Betracht 
kommenden anatomischen Verhältnisse und die plasmolytischen Werthe 
einiger Nektariumzellen wird dies noch deutlicher zeigen. 

Zum Schluss fassen wir noch einmal die thatsächlichen Ergeb- 
nisse aus den Versuchen über die Resorption zusammen: Bei den 
Nektarien, wo das Licht zum Beginn der Secretion nöthig ist (Vicia u. 
Euphorbiaceen), veranlasst sein Mangel die Resorption. Die Schnellig- 
keit, mit der dieselbe erfolgt, ist vom Alter der Nektarien abhängig. — 
In allen anderen Fällen ist es lediglich eine Summe unbekannter 
innerer Factoren, als deren Resultante wir im höheren Alter die Re- 
sorption eintreten sehen. — Ist einmal die Disposition zur Resorption 
vorhanden, so werden auch künstlich gelöste dünne Zuckerlösungen 
resorbiert. — Je verdünnter der Nektar ist, desto leichter erfolgt seine 
Aufnahme nach innen. — Transpirationshemmung beeinflusst die Re- 
sorption ungünstig. 


Allgemeiner Theil. 


Beziehungen der Nektarien zur Insektenwelt. 


Nachdem wir so die Vorgänge bei der Secretion kennen gelernt 
haben, wollen wir noch die ökologische Bedeutung der Nectarien 
kurz betrachten, 

Die Frage nach dem Nutzen, den die Nektarien für die Pflanze 
haben, wurde, wie in der Einleitung kurz erwähnt, dahin von den 
älteren Autoren entschieden, dass sie lediglich Excretionsorgane der- 
selben darstellen sollten. Conrad Sprengel wies zuerst auf ihre 
Bedeutung als Honiglieferanten für die Insektenwelt hin '), wodurch zu- 
gleich der Pflanze die Kreuzbefruchtung ermöglicht würde. Sprengel’s 
Ansichten wurden aber völlig von den späteren Gegnern unterdrückt 
und erst durch das Verdienst von Ch. Darwin, der richtig die Trag- 
weite dieses Insektenbesuches für die Pllanzen erkannte und in seinem 
berühmten Werke „Die Befruchtung der Orchideen (1870) die Wirkung 
der Kreuzbefruchtung feststellte, wurde diese Anschauung von der 
Nützlichkeit_der Nektarien Allgemeingut der modernen Forscher. 
An ernsten Gegnern fehlt es ihr indessen auch jetzt noch nicht, z. B. 
betrachtet Bonnier die Nektarien durchaus nur als Reservestofl- 


1) Conrad Sprengel, „Das entdeckte Geheimniss i i 
fruchtung der Blumen“. 1798, mais In Bau und In der Ber 


35 


behälter.!) Gegen diese Ansicht macht Pfeffer mit Recht geltend), 
wie unpraktisch die Reservenahrung dann in der Pflanze unterge- 
bracht wäre. 


Der Versuch, den ich’ an verschiedenen Pflanzen anstellte, indem 
ich an langen Sprossen sämmtliche Nektarien entfernte und die jungen 
am Sprossgipfel erscheinenden, stets sorgfältig abpräparirte, ohne dass 
am Ende der Vegetationsperiode irgend eine Schädigung oder mangel- 
hafte Ausbildung an einem der Sprosse, Blätter oder Blüthen dieser 
Pflanzen beobachtet werden konnte, beweist gleichfalls, wie gering 
die Bedeutung der extrafloralen Nektarien als Reservestofflehälter 
sein müsste. 


Eine Reihe von verdienstvollen Forschern haben später ihr 
Augenmerk auf die Beziehungen zwischen der Insektenwelt und den 
extrafloralen Nektarien gelenkt. Delpino?°) erblickt in ihnen ledig- 
lich Anpassungen an die Ameisen, die dafür den Schutz der Pflanzen 
gegen andere Feinde, besonders Raupen übernehmen. Schimpert) 
meint: Es bedürfe dazu des thatsächlichen Beweises, dass von Pflanzen, 
die ohne Ameisen aufwachsen, ein grösserer Procentsatz zu Grunde 
gehe oder in ihrer Blüthen- und Sonnenentwickelung geschädigt 
werde, um den Ameisen diese Beschützerrolle zuzuerkennen. Ferner 
müsste bewiesen werden, dass die extranuptialen Nektarien zu keinem 
anderen Zwecke in der Pflanze da sind. Unsere Klimate, wo die 
Myrmekophilie lange nicht so ausgebildet ist, wie in südlicheren Zonen, 
dürften sich wenig für diese Untersuchungen eignen. Umgekehrt er- 
klärt Kerner?) die extrafloralen Nektarien für Schutzvorrichtungen 
der Blüthen, die dadurch, dass den Ameisen hier eine leicht zugäng- 
liche Nahrung geboten wird, von dem für sie keineswegs zuträglichen 
Besuche derselben verschont bleiben. Einen Schutz gegen feindliche In- 
sekten übernehmen die Ameisen nach ihm nur in seltenen Fällen.) Bei 
den Beobachtungen im botanischen Garten wandte ich nun mein 
Augenmerk auch gelegentlich den Thieren zu, die sich an den extra- 
floralen Nektarien zu schaffen machen. Es kamen bei uns von 
Ameisen hauptsächlich die mannigfaltigen Vertreter der Gattung For- 
mica in Betracht. Die Prunusarten wurden zur Zeit der stärksten 


1) Bonnier, 1. c. pag. 199. 

2) Pfeffer, Physiologie II. Aufl. I. Bd. pag. 265. 

3) Delpino: „Sugli apparechi della fecondacione“. Firenze 1867 und spätere 
Schriften. 

4) Schimper: Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen 1888. 

5) Kerner, Pflanzenleben 2. Auflage II, Bd. 1898 pag. 212. 


N . . 223, 
6) Kerner, l. oc. pag, 223 gr 


36 


Nektarabsonderung von grossen Mengen Ameisen besucht, die stets 
mit Sicherheit auf kürzestem Wege von einem Nektarium zum andern 
wanderten. Die von Ameisen besuchten Bäume schienen um diese 
Zeit von anderen Insekten verschont zu bleiben, ja vor der kleinen 
Formica rubra L. sah ich sogar an Prunus triloba eine Wespe fliehen, 
“die sich des Nektars bemächtigen wollte. Ich konnte Ameisen an so 
ziemlich allen unsern einheimischen Pflanzen mit extrafloralen Nek- 
tarien beobachten, die selbst bei nassem Wetter an den reichlich aus- 
scheidenden Kelchnektarien von Paeonia offieinalis, den Anthodial- 
schuppen der Knospen von Serratula lycopifolia in Gesellschaften von 
vier und mehr an den ihnen offenbar wohlbekannten Nektariumstellen 
sassen. Bei gutem Wetter war ihr Besuch zahlreicher; eine Art 
grauer Fliegen, die gern den Nektar von Paeonia offieinalis mit aus- 
benten wollte, wurde fast jedes Mal daran verhindert. Ein Sambu- 
cus nigra, der keine Nektarien trug, wurde auch nicht besucht 
von den Ameisen, um so häufiger ein anderer, der Blattstielnektarien 
besass, sowie Sambucus racemosa. Durch das dauernde Fortschleppen 
der winzigen, mit blossem Auge kaum zu erkennenden Nektartröpf- 
chen wurden zum Theil die Beobachtungen erheblich erschwert. — Dass 
durch die Ameisen ein Reiz zur Anregung der Secretion, sei er 
mechanisch oder sei er ein chemisch wirkendes Secret, auf die noch 
nicht absondernden Nektarien ausgeübt werde, zeigte sich nach meinen 
Untersuchungen als sehr unwahrscheinlich. Sobald die Zeit der stär- 
keren Secretion vorüber war, verliessen die Ameisen zu Gunsten einer 
ergiebigeren Nektarquelle ihren bisherigen Wirkungskreis. In Rovigno 
in Istrien, wo ich endlich auch die Nektarien von Rieinus in lebhafter 
Thätigkeit antraf, wurden die Nektarien ausser von drei sehr ver- 
schieden grossen Ameisen, sämmtlich der Gattung Formica zugehörig, 
besonders von einer grossen Sandwespe, Pelopaeus spirifex L., häufig 
besucht. Diese Wespen sah ich daselbst im Garten der kaiserl. kgl. 
Tabakfabrik, der zahlreiche sehr kräftige Ricinuspflanzen enthielt, 
lediglich die Rieinusnektarien ausbeuten, wobei sie oft durch den 
ganzen Garten von einem Exemplar zum andern flogen. Auch zwei 
andere Wespenarten, Pollistea gallica L. und Vespa germanica L., 
waren hier Gäste der Ricinuspflanzen!). Hier möchte ich noch des 
häufigen Auftretens verschiedener Arten von Aphiden gerade auf den 
Pflanzen mit extrafloralen Nektarien, wie Sambuecus nigra, Serratula 


) Anmerkung: Bemerkenswerth erschien mir in Rovigno der Besuch der 


Floralnectarien von Hedera Helix durch grosse Schaaren von Schwebfliegen (Seyr- 
phiden) besonders des genus Helophilus, 


87 


Iycopifolia, Vicia Faba, Viburnum Opulus, Prunus Padus, gedenken. 
Es erscheint möglich, dass auch sie in Beziehung zu den extrafloralen 
Nektarien stehen, wenn auch kaum in einer für die Pflanzen vortheil- 
haften.!) Die Ameisen liessen diesen Blattläusen in bekannter Weise 
stets Schutz angedeihen. Der Einwand, der daraufhin gemacht 
werden könnte, dass die Ameisen hauptsächlich dieser Blattläuse 
wegen die Pflanzen mit extranuptialen Nektarien besuchen, erscheint 
hinfällig, weil die extrafloralen Nektarien zu einer Zeit von den 
Ameisen am meisten ausgebeutet werden, wo die Blattläuse noch 
„ nicht in grösserer Anzahl vorhanden sind. 

In diesen Beobachtungen erblieke ich eine Stütze der Anschau- 
ung, dass der Vortheil, den Nektarien den Pflanzen bieten, in der 
That in erster Linie in dem Schutze der Blüthen vor den Ameisen 
und gleichzeitig in gewissem Grade in dem Schutze, den diese Thiere 
den Pflanzen vor Raupen ete. bieten, zu suchen ist. Wir haben also 
auch die extrafloralen Nektarien als zweckdienliche Anpassungen, im 
Sinne mechanischer Teleologie, an das grosse Ziel der Fortpflanzung 
und Arterhaltung anzusehen. 


Anatomischer Bau und plasmolytische  Worthe einiger Nectarium- 
zellen. 

Es erübrigt noch, einen kurzen Blick auf den anatomischen Bau 
der extrafloralen Nektarien zu werfen, wobei ich mich neben eignen 
Beobachtungen auf die Arbeiten von Bonnier und Aufrecht 
stützen und daher ganz kurz fassen kann.?) Correns zeigte für 
die Nektarien von Dioscoreaarten °), dass sich entwickelungsgeschicht- 
lich die Nektarien auf eine Epidermiszelle zurückführen lassen. — 
Was das Vorkommen extrafloraler Nektarien anbetrifft, so finden sie 
sich, im Gegensatz zu den hauptsächlich auf die Monocotyledonen 
. angewiesenen Septalnektarien *), ausschliesslich bei dicotylen Pflanzen, 
wobei mir die Familien der Amygdaleen, Oaprifoliaceen und Euphor- 
bien in unserer einheimischen Flora bevorzugt zu sein scheinen. — 


1) ef. Büsgen, 1. c. pag. 64. 
2) Bonnier, l. ce. — Aufrecht, Beitrag zur Kenntniss extrafloraler Nek- 


tarien. Diss. Zürich 1891. 

8) C. E. Correns, Zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte der extra- 
nuptislen Nektarien von Dioscoreaarten. Sitzungsber. der kaiserl, Akad. der 
Wissenschaften zu Wien, 97T. Bd. 1889. . Bun 

4) cf. Schniewind-Thies, „Beiträge zur Kenntniss der Septalnektarien 


1897 pag. 2. 


38 


In der Regel bilden die typischen Nektarien wie die von Rieinus') 
ein lückenloses, aneinanderschliessendes, aus kleinzelligen chlorophyli- 
reichen parenchymatischen Elementen gebildetes Gewebe, dem sich 
nach oben eine aus prismatischen Zellen gebildete Epidermis an- 
schliesst, die eine häufig in der Mitte am stärksten ausgebildete Cuti- 
cula erzeugt. Letztere hebt sich beim Beginn der Secretion blasig 
ab und reisst schliesslich, z. B. bei sämmtlichen Prunusarten, bei 
Rieinus, bei Passiflora. Nicht selten ist diese Cuticula regenerations- 
fähig wie bei Prunus avium?), bei Prunus laurocerasus?), woraus sich 
die erwähnte Erneuerung der Secretion nach abermaligem Reissen 
der Epidermis erklärt. In einigen Fällen mag hierbei die Umwand- 
lung der Cellulosewand direet in Zucker erfolgen), in anderen ver- 
schleimt die Wand nur; jedenfalls dürfte die Bedeutung der Dege- 
neration der Cuticula weniger in der Gewinnung des auch schon vorher 
stets im Nektariumgewebe nachweisbaren Zuckers liegen, als vielmehr 
in der Erleichterung der Secretion, da wo sich die Cuticula als im- 
permeabel erweist. 5) 

Die Gefässbündel weisen in dem Stadium, wo die Nektarien noch 
nicht activ sind, bisweilen Zucker auf, dienen also dann der Zufuhr 
und später der Abfuhr des osmotisch wirksamen Körpers, während 
dieser in anderen Fällen im chlorophylireichen Nektariumgewebe 
selbst durch einen tiefer greifenden Stoffwechsel erzeugt zu werden 
pflegt, z. B. bei Vieia und in vielen Floralnektarien.6) Ferner ent-. 
steht der Zucker in den Nektarien von Ricinus nach Aufrecht?) 
aus fettem Oel, wobei eine erhebliche Menge chemischer wie osmo- 
tischer Energie zur Verfügung stehen würde®), also beim Umsatz ge- 
wonnen wird. 

Statt der gewölbten Nektariumoberfläche der Prunusarten weisen 
eine Einsenkung auf der Oberfläche auf die gleichsam gestielten 
Nektarien von: Sambucus racemosa, Impatiensarten und Viburnum 
Opulus. Während die Cutieula in diesen Fällen meist äusserst 


1) ef. Aufrecht, 1. c, pag. 8, 


2) Reinke, Jahrbücher für wissenschaftl, Botanik 1876 pag. 125. 
3) Wilson, I. oc. pag. 9, 


4) Wilson, pag.9. 
5) Pfeffer, Physiologie IT, 1, pag. 265. 


6) Acton, Annals of Botany 1888Il; „On the formation of sugar in the Bep- 
tel glands of Nareissus* pag. 63, 


7) Aufrecht, 1. o. pag. 41. 
8) Pfeffer, Studien zur Energetik der Pflanze 1892 pag. 197. 


39 


schwach, innerhalb der grubigen Vertiefung der Nektarien ganz be- 
sonders dünn entwickelt ist, unterscheidet sich ihr Bau im Uebrigen 
nicht wesentlich von dem vorerwähnten Typus. Es ist klar, dass die 
Secretion des Zuckers hier durelı die Cuticula hindurch erfolgte.!) 
Einen dritten Typus bilden die Nektarien von Vicia Faba und Vicia 
sepium. Auch hier ist das Parenchym des Nektariumgewebes durch 
bedeutend kleinere Zellen von seiner Umgebung wohl zu unter- 
scheiden; das am meisten Charakteristische sind jedoch hier eine grosse 
Anzahl zwei- bis dreizelliger dünnwandiger Papillen, die die ganze 
Oberfläche des Nektariums bedecken und durch deren dünne Membran 
die Ausgabe wie die Resorption erfolgt. Die oberste ovale Zelle 
dieser Papillen ist etwa vier Mal so gross wie die Epidermiszelle, 
der sie aufsitzt und häufig mit rotem Zellsaft gefüllt. Durch diese, 
wahrscheinlich von Antlıocyan herrührende Farbe erhält das ganze 
Nektarium eine braunrothe Lockfarbe, während die zahlreichen, dicht 
aneinandergereihten Papillen, zwischen denen bisweilen noch dünne, 
trichomartige Gebilde herausragen, ihm vor der Absonderung ein 
mattes, sammetglänzendes Aeusseres verleihen. Die Papillen lassen 
sich äusserlich sehr wohl mit den Köpfchen von Drüsenhaaren ver- 
gleichen und ein gleicher Seeretionsmodus schien hier naheliegend, 
ein Reissen der Epidermis wurde indessen hier niemals von mir be- 
obachtet. Dagegen ist eine grosse Aehnlichkeit mit dem Secretions- 
beginn bei Zucker secernirenden Drüsenhaaren in der Absonderung 
des zuerst erwähnten Typus, z. B. bei Prunus avium, sichtbar. — 
In beiden Fällen erfolgt ein Reissen der Cuticula, das sich in der 
Folge wiederholen kann, um neuen Massen des Secrets den Austritt 
zu ermöglichen.2) Im Allgemeinen kommt den anatomischen Ver- 
hältnissen ja nur beschränkter Einfluss auf den Beginn der Secretion 
zu, da es schliesslich unwesentlich ist, wie der die Secretion ein- 
leitende Zucker nach aussen gelangt, während allerdings im weiteren 
Verlaufe der Abscheidung der Bau der Nektarien wichtig ist für die 
Wasserzufuhr und somit für den mechanischen Fortgang der Secre- 
tion. Immerhin ist die Thatsache, dass wir es mit einem histologisch 
differenzirten, vom angrenzenden Parenchym verschiedenen, beson- 


1) Stadler, 1. c. pag.45. — Aufrecht, 1. c. pag. 22. 

2) cf. auch W.Gardiner and Ito, Annals of Botany 1888, Nr.I: „Veber 
den Bau von Gummi secernirenden Haaren bei Blechnum oceidentale und Osmunda 
regalis“ pag. 50 und 5t und seine Bemerkungen über die Aehnlichkeit der Seore- 
tion in ihrer allgemeinen Gestalt, durch das thierische wie pfanzliche Protoplasma 
Pag. 49. 


40 


deren, fast stets lückenlos aneinander schliessenden Nektariumgewebe 
zu thun haben, beachtenswerth und legt den Gedanken nahe, dass 
besondere Eigenschaften dieses Gewebes und seiner Elemente den 
Grund für die ungleichmässige Vertheilung des osmotisch wirksamen 
Materials im Blattgrunde bieten, indem sich der Zucker, ohne nach 
Innen gleichmässig vertheilt zu werden, im Nektariumgewebe erhält. 
Als Resultante dieser Verhältnisse sehen wir den Zucker aussen per- 
sistiren und nicht nach innen zurückgelangen, während wir in der 
späteren Resorption das Resultat von Veränderungen im Nektarium- 
gewebe erblicken dürfen. 

Verwunderlich bleibt es ferner, dass die Protoplasten des Nek- 
tariumgewebes nicht selbst, bisweilen bei der häufig durch Verdun- 
stung recht hohen Concentration des äusseren Nektars geschädigt 
‚werden. Mir scheint die Thatsache, dass diese Protoplasten selbst 
durch hohe osmotische Spannung ausgezeichnet und so in ganz vor- 
züglicher Weise den Druckverhältnissen im Nektarium angepasst sind, 
hierfür eine theilweise Erklärung zu bieten, während man anderer- 
seits im Auge behalten muss, dass ja auch niemals eine Resorption 
hoch concentrirter Lösungen stattfindet. In 3—4proc. Kalisalpeter- 
lösung gebracht, die einen Druck von 10,2—13,6 Atmosphären ent- 
spricht, beginnen regelmässig die Zellen der Stipulae von Vicia Faba 
innerhalb einer halben Stunde zu plasmolysiren. Auf eine ausser- 
gewöhnlich hohe Druckkraft sind dagegen die Zellen der Papillen 
gestimmt, die die obere Schicht des Nektariums bilden. Ueberträgt 
man diese in Kalisalpeterlösung und sucht zu ermitteln, bei welcher 
Concentration die Plasmolyse eintritt, so findet man bei 10°), KNO® 
den Beginn derselben; langsam und allmählich hebt sich dann die 
Plasmahaut von der Zellwand ab. Ein geringer Wasserzusatz zur 
Lösung ruft alsbald wieder die volle Turgescens der Zellen hervor. 
Der Innendruck in den Papillen von Yicia Faba beziffert sich also 
ungefähr auf 34 Atmosphären. In 15°), Kalisalpeterlösung über- 
tragen, tritt dagegen sofort völlige Plasmolyse der Papillen ein. Man 
sieht bei diesen Vorgängen deutlich ein stark lichtbrechendes Proto- 
plasma sich von der Zellhaut abheben, während die eingeschlossenen, 
grossen Vacuolen mit häufig rot gefärbtem Zellsaft gefüllt sind. 
Diesen Protoplasten kommt also die Eigenschaft zu, so lange der 
Plasmolyse Widerstand zu leisten. Eine Concentration des Nektars 
bie auf nahezu 30 9), ‚Slycose und bedeutend mehr Rohrzucker wird, 
wie diese Versuche zeigen, ohne Plasmolyse zu erzeugen, von der ober- 
sten dünnwandigen Zellschicht des Nektariums von Vicia Faba ertragen. 


41 


Resuitate. 


Zum Schluss sei es gestattet, noch einmal die hauptsächlichsten 
Resultate der vorliegenden Untersuchungen zusammenzufassen : 

Der Beginn der Absonderung in extrafloralen Nektarien ist von 
einem gewissen Alter der Secretionsorgane, sowie von ausreichender 
Feuchtigkeit abhängig. Gesteigerte Luftfeuchtigkeit beschleunigt dann 
wesentlich die Wassersecretion, während die ausgegebene Zucker- 
menge constant bleibt. In vielen Fällen kehrt die Zuckersecretion 
nach dem Entfernen des Zuckers wieder, in anderen, häufigeren 
Fällen hört sie alsdann völlig auf; die Wasserversorgung der Nek- 
tarien erfolgt hier demnach nur durch die osmotische Wirkung. End- 
lich kehrt in bestimmten Fällen nach dem Entfernen des Nektars 
zwar keine Zuckersecretion, wohl aber eine active Wasserauspressung 
wieder, wir haben es also hier mit Uebergängen zu Hydathoden zu 
thun und es kommt für die Wasserversorgung dieser Nektarien eine 
Drucksecretion neben der, durch osmotische Wirksamkeit in Frage. 
— Das Licht gewinnt nur in wenigen, ganz specieilen Fällen directen 
Einfluss auf die Nectarsecretion, nämlich bei Vicia und- Euphorbien, 
wo, ganz unabhängig von der Assimilation, durch die schwächer brech- 
baren Strahlen des Spektrums, die Secretion veranlasst wird. Ver- 
dunkelte Nektarien dieser Pflanzen sondern infolge correlativer Be- 
einflussung ab, wenn die übrige Pflanze heil beleuchtet wird. Für 
den Secretionsbeginn bedarf es ferner einer, für die einzelnen Pflan- 
zen verschiedene Minimaltemperatur. — Schon active Nektarien setzen 
die Secretion auch unterhalb dieser Grenze, obwohl verlangsamt, fort. 
— Die Sistirung der Secretion und die häufig mit ihr verbundene 
Resorption des Zuckers nach Innen wird durch den mit dem Alter 
sich ändernden Stoffwechsel beeinflusst. Sie unterliegt also, genau 
wie die Schaffung und locale Anhäufung des Zuckers im Nektarium- 
gewebe, lediglich der Steuerung durch eine Summe innerer Factoren 
in der Pflanze; nur bei Vicia und Euphorbien bewirkt der äussere 
Einfluss des Lichtmangels die Resorption. Ist die Disposition zur 
Resorption einmal vorhanden, so nimmt die Pflanze durch die Nek- 
tarien auch schwache, ihr künstlich gebotene Zuckerlösung auf. 


Die Bedeutung der Wasser absondernden Organe für die Pflanzen. 


Von 
Wladimir Lepeschkin. 


Einleitung. 


Die Erscheinung der Ausscheidung von Wasser in flüssiger Form 
bei den Pflanzen wurde schon von Muntingh (1672)!) beobachtet, 
aber erst nach den Arbeiten von Schmidt?) (1831), Meyer (1838) ?) 
und Gärtner (1842)*) von den Botanikern allgemein anerkannt und 
seitdem als eine physiologische Verrichtung des pflanzlichen Or- 
ganismus untersucht. Das Interesse der späteren Forscher richtete 
sich hauptsächlich auf den anatomischen Bau der Wasser ausscheiden- 
den Organe und auf die Art und Weise des Vorganges, der sich 
dabei als eine äusserst verbreitete Erscheinung in der Pflanzenwelt 
erwies, 

Obgleich die Thatsache, dass die Wassersecretion auch bei Ab- 
wesenheit der besonders construirten Organe erfolgen kann, von 
mehreren Forschern nachgewiesen wurde,°) wurde die biologische 
Bedeutung derselben für die Pflanzen, bei denen sie zur Ausbildung 
kommen, in allen bisher erschienenen Arbeiten entweder gar nicht in 
Betracht gezogen oder als etwas Offenbares angenommen. 

Zuerst hat meines Wissens Schmidt,®) nachdem er seine ein- 
gehenden Untersuchungen über die Seeretion bei Arum Colocasia be- 
schrieben hatte, eine Vermuthung über den Nutzen, den das Ver- 
mögen, Wasser auszuscheiden, haben könnte, ausgesprochen. Das 
ausgeschiedene Produkt könne nur ein Auswurfstoff sein, und der 
ganze Process zur Bildung dieser Flüssigkeit weise eine grosse Ana- 
logie mit dem Assimilationsprocesse des thierischen Organismus auf. 
Wie hier, würden auch dort alle brauchbaren Stoffe aufgesaugt und 
die Reste durch Oeffnungen an der Blattspitze ausgestossen (pag. 73, 74). 


1) Muntingh, Waare Oeffening der Planten 1672. 

2) Schmidt, Beobacht. üb, d. Ausscheidg. u. s. w. Linnaes 1831 pag. 65. 
3) Meyer, Neues System der Pflanzenphysiologie 1838 pag. 508. 

4) Gärtner, Flora 1842a Bd.1. 

5) De la Rue (Refer. Bot. Zeit. 1866 pag. 322), Langer (Oesterr. bot. Zeit. 


XXIX 1879 pag. 79), Nestler (Nova acta d. Kaiserl. Leop. Carol. Akad. d. 
Naturforsch. 13d LXIV Nr. 3 1894 pag. 145 u.a.) u.A, 
6) Schmidt, l. o, 


43 


Gärtner!) dagegen meinte, das Bedürfniss des Tropfens der Blätter 
von Calla sei nur einem Ueberschuss an wässerigen Nahrungsstoffen 
zuzuschreiben. Es sei unzweifelhaft, dass diese wässerige Absonderung 
der Blätter als ein Mittel anzusehen sei, dessen sich die Natur be- 
dient, um bei verstärktem Wachsthumstrieb und vorhandenem Reich- 
thum an wässerigen Nahrungsstoffen sich des dem Wachstham schäd- 
lichen Ueberflusses durch die Gefässendigungen zu entledigen und bei 
vermindertem Reichthum wieder einzusaugen; es geschieht dies nicht 
durch Zerreissung, sondern durch eine normale Einrichtung, was also 
nicht mit einer Krankheit, sondern mit dem gesunden Zustand der 
Pflanze zu vereinen sei. 

Duchartre,?) der sich mit der Ausscheidung flüssigen Wassers 
bei Colocasia beschäftigte, äussert sich in ähnlichem Sinne: Die Tran- 
spiration und Excretion stehen nach seiner Meinung im umgekehrten 
Verhältniss zu einander und sind nur der verschiedene Ausdruck des- 
selben physiologischen Vorgangs, durch den die Pflanzen von über- 
schüssigem Wasser befreit werden (pag. 257). Dasselbe sprach auch 
Unger?) aus, indem er sich auf eine Bemerkung beschränkte, dass 
die Excretion bei den Pflanzen theilweise die Verdunstung vertreten 
könnte. 

20 Jahre später befasste sich Moilt) mit der Prüfung der Fähig- 
keit von Blättern, das Wasser beim Einpressen in die Blattstiele durch- 
zulassen und, nachdem von ihm die Injection der Intercellularräume 
bei denjenigen Blättern, die Wasser gar nicht oder nur spärlich aus- 
zuscheiden vermochten, constatirt worden war, sprach er die Vermu- 
thung aus, dass die Emmissarien Schutzmittel gegen die Injection 
sein könnten. Er meinte gleichzeitig, dass diese nur dadurch schäd- 
lich sei, dass der Gaswechsel hierbei gehindert würde (pag. 303). Er 
legte aber selbst keinen grossen Werth auf die Resultate seiner Ver- 
suche in dieser Richtung (pag. 314), weshalb die Frage über den 
Nutzen der Emissarien für die Pllanzen von ihm also offen gelassen wurde, 

Bald darauf tauchte bei Gardiner°) die alte Ansicht Schmidt’s 
wieder auf; der Verfasser vergleicht die Wasser ausscheidenden Organe 


1) Gärtner, 1. c. pag. 121. 

2) Duchartre, Annales des Sciences naturelles IV s. 1859 Bd. 12. 

3) Unger, Beiträge zur Physiologie der Pflanzen, Sitz.-Ber. d. Kaiserl. Akad. 
d. Wiss. zu Wien 1858 pag. 131. 

4) Moll, Untersuch. über Tropfenausscheidung und Injection bei Blättern. 1880. 

5) W.Gardiner, On tlie Physiolog. Extr. from the Proceed. of Cambridge 
Philos. Soc. Vol, V Pt. 1. Refer. Botanische Zeitung 1884 pag. 495. 


44 


mit den Harnorganen der Thiere, gibt aber im Uebrigen zu, dass 
solche kalkausscheidende Wasserspalten, wie sie bei Saxifragen vor-" 
kommen, auch die Bestimmung haben könnten, als Schutz- und Ver- 
stärkungsmittel der Epidermis zu dienen, weil sie sich besonders bei jenen 
Arten finden, die darauf angewiesen sind, in Felsenritzen und -spalten 
zu vegetiren, während die Sumpfformen nichts Derartiges aufweisen. 
Betrachtet man aber näher die zarten und spröden Kalkschüppchen, 
die durch Verdunstung der ausgeschiedenen Flüssigkeiten entstehen, 
so überzeugt man sich davon, dass der brüchige Kalkanflug als ein 
Verstärkungsmittel im Leben der Pflanze keine Rolle spielen kann. 
Auf Grund von früheren Arbeiten und eigener Versuche fasst 
Haberlandt!) seine Ansichten über die mögliche Bedeutung der 
Wasser absondernden Organe für die Pflanzen dahin zusammen: „Die 
Hydathoden verhüten bei beträchtlicher Steigerung des Wurzel- und 
überhaupt des Blutungsdruckes die’ drohende Injection der Durch- 
lüftungsräume mit Wasser, welehe zwar nicht direct schädlich zu sein 
scheint, die aber wegen Behinderung des Assimilationsgaswechsels die 
Ernährungsthätigkeit der Blätter herabsetzen würde. Die Hydathoden 
ermöglichen ferner, dass auch bei aufgehobener Transpiration eine 
ausgiebige Wasserströmung durch die Pflanze stattfinden kann, durch 
welche mineralische Nährstoffe mitgerissen werden, die in den Blättern 
zurückbleiben. Alles dies gilt hauptsächlich für noch jüngere Laub- 
blätter, an denen die Hydathoden am reichlichsten secerniren.“ 
Während nun Haberlandt selbst grösseres Gewicht auf die 
Verhinderung der Infiltration der Intercellularräume zu legen scheint 
(. B. bei Besprechung der Bedeutung der Hydathoden von Lathraea) ®), 
sind Stahl) und Goebel*) dagegen mehr geneigt, den Nutzen der 
Wasser secernirenden Organe in dem durch sie erzeugten Wasser- 
strom, der den Transpirationsstrom zu ersetzen vermag, zu suchen. 
Was aber die Richtigkeit all dieser Voraussetzungen anbelangt, 
so könnten sie selbstverständlich nur auf experimentellem Wege er- 
wiesen werden, der beim Entscheiden der Frage nur wenig beschritten 
worden ist, ‚Die Behauptung, dass die Injection der Durchlüf- 
tungsräume in Wirklichkeit so drohend sein könnte, wie es Haber- 


I) Haberlandt, Physiolog. Pflanzenanatomie 1896 pag. 424 

2) Jahrbücher für wissensch. Botanik 1897 Bd. XXX pag 518 

3) Stahl, Ueber Pflanzenschlaf und verwa 
1897 I. Abth. pag. 88, 


4) Goebel, Ueber die biolog. Bede i i 
. ut ö 
Lathraea, Flora 1897 Bd.83 Heft S Par ru Cor Bhatlen bei Tania ul 


ndte Erscheinungen, Bot. Zeitg, 


45 


landt schien und also als unvermeidliche Folge der Abwesenheit 
der Hydathoden oder des Ausbleibens der Wasserausscheidung aus 
den vorhandenen Hydathoden und der verhinderten Transpiration er- 
scheinen müsste, ist nur auf eine sehr spärliche Anzahl der 
Thatsachen begründet. 

Obwohl die Versuche von Moll und später auf analoge Weise 
angestellte Versuche von Spanjer!) die Möglichkeit der Injection 
von Intercellularräumen des Blattmesophylis vieler Baumpflanzen bei 
Abwesenheit oder Spärlichkeit der Wasserabsonderung bewiesen haben 
(wobei das Wasser in die abgeschnittenen Zweige eingepresst wurde), 
so dürften sie die Vorgänge in den unverletzten Pflanzen nicht richtig 
darstellen, weil die Zweige in anormale Bedingungen versetzt wurden; 
der Druck, der bei Versuchen der genannten Verfasser zur Anwen- 
dung kam (meistens gegen 20cm Qu.-Säule) kann kaum den nor- 
malen Druckverhältnissen in den Blättern der Baumpflanzen ent- 
sprechen. Bekanntlich nimmt der Blutungsdruck mit der Baumhöhe 
ab?) und wenn auch keine directen Beobachtungen über den Druck 
in dünnen Zweigen und Blattstielen vorliegen, so könnte man sich 
eine ungefähre Vorstellung davon machen, wenn man bekannte That- 
sachen zusammenstellt. 

Nach Wieler z. B.°) beträgt der Maximaldruck in dicht über den 
Boden abgeschnittenen Stämmen von Acer platanoides, dessen Blätter 
nach Mol! beim Einpressen von Wasser erst unter einem Druck 
von 230mm (l. e. pag. 256) eine gleichmässige Injection erfuhren, 
169 und 313mm und dies nur kurze Zeit lang im Winter. 

Auf einer Höhe von Im über dem Boden kann demgemäss der 
Maximaldruck nur 70 resp. 210mm betragen (im beblätterten Baum 
noch weniger), der bereits geringer, als der in Versuchen von Moll 
angewendete wäre. Die Bedingungen der Maximalblutungsspannung 
können aber selten in Erscheinung treten und nur kurze Zeit dauern. 
Deshalb würde ein so hoher Druck, wenn er vorkäme, in den 
Blättern kaum merklich (der Druck 'pflanzt sich nur sehr langsam 
nach oben fort). In der That habe ich niemals selbst Injection bei 
Blättern, die nach Moll sich sehr leicht injieiren lassen (z. B. Ca- 
melia) an den unverletzten Pflanzen trotz der möglichst behinderten 
Transpiration beobachten können. Moll gibt übrigens selbst zu, dass 


1) Spanjer, Botanische Zeitung 1898 pag. 38, 

2) Pfeffer, Pflanzenphysiologie 1897 pag. 242. 

3) Wieler, Das Bluten der Pflanzen. Beitr. z. Biologie d. Pfl., hreg. von 
Cohn 1898 pag. 122 u. 198. 


46 


die Injection in gewissen Fällen unterbleiben könne, wenn in der 
Pflanze der Blutungsdruck fehle, 

Später wurde die Infiltration der Intercellularräume des Mesophylils 
der Blätter beim Einpressen von Wasser auch von einigen anderen 
Autoren wiederholt beobachtet. So hat Haberlandt!) nach 24stün- 
digem Rinpressen von 3proec. Kupfervitriollösung (18cm Qu.-Dr.) in die 
Blätter von Phaseolus multiflorus eine deutliche Injection des Meso- 
phylis längs der Blattnerven wahrgenommen. Dieselbe erfolgte auch 
beim Bepinseln der Blätter von Phaseolus multiflorus und Anamirta 
Coceulus (Druck 40cm) mit alkoholischer Sublimatlösung und bei der 
Filtration des 5proe. Kupfervitriols (12cm Druck) durch die Blätter von 
Fuchsia?), die indes infolge solcher Behandlung nach 24 Stunden zu 
Grunde gingen. Auch Nestler hat auf demselben Wege die In- 
jeetion der Blätter bei Bryophyllum ealyeinum beobachten können.?) 

Es ist aber selbstverständlich, dass auf solche Weise erzeugte 
Bedingungen die Füllung der Durchlüftungsräume mit Wasser durch 
die Abtödtung und Plasmolyse der Mesophylizellen hervorgerufen haben 
und für gesunde Pflanzen gar nicht gelten können. 

Bei allen beschriebenen Versuchen kam ausschliesslich das Ein- 
pressen von Wasser mit Quecksilbersäule in die abgeschnittenen 
Zweige und Blätter zur Anwendung; die Injeetion des Mesophylls 
wurde aber von Haberlandt in einem Falle auch als durch den 
Blutungsdruck verursacht, beschrieben. Der Verfasser*), welcher die 
Möglichkeit hatte, tropische Pflanzen an Ort und Stelle zu unter- 
suchen, stellte fest, dass die mit O,lproc. alkoholischer Sublimatlösung 
bepinselten Blätter von Conocephalus ovatus, die epidermale Hyda- 
thoden besitzen, eine weitgehende Injection erfuhren, welche im Laufe 
des Vormittags allmählich schwand, in der Nacht aber wieder zum 
Vorschein kam. Die Injection erfolgte aber nicht mehr, sobald das 
Wasser durch die neugebildeten Organe ausgeschieden werden konnte. 
Diese Thatsache scheint hauptsächlich der Meinung Haberlandt’s 
über die Unvermeidlichkeit der Injection beim Ausbleiben der Wasser- 
ausscheidung den Ausschlag gegeben zu haben und doch wegen der 
Verwendung des Giftes nicht ganz einwandsfrei zu sein. Dass das 


1) Haberlandt, Jahrbuch für wissensch. Botanik 1897 pag. 511. 
2) Haberlandt, Anat. phys. Unters. u. s. w. Sitz.-Ber. d. k. Akad. d. 
Wissensch. zu Wien 1897 pag. 86, 
3) Nestler, Sitzungsber. d. k. Ak, d. Wissensch. zu Wien 1896 pag. 524. 


#) Haberlandt, Sitzungsber. d. k. Akad, d. Wissensch. zu Wien 1895 
pag. 63--66. Ber. d. deutsch, bot, Ges. 1894 pag. 367 “ 


u = 


47 


Bepinseln mit alkoholischer Sublimatlösung für die Pflanze nicht so 
harmlos ist, habe ich vielmals beobachten können. Die mit dieser 
Lösung bepinselten Blattstellen von Impatiens, Iris u. a. erleiden stets 
in feuchtem Raum nach Verlauf von einigen Stunden eine partielle 
Injeetion, trotzdem das Wasser aus den Spalten wie gewöhnlich aus- 
geschieden wird, welcher Umstand dafür spricht, dass die Injection 
nicht infolge der Abwesenheit der Secretion entsteht. Die auf solche 
Weise hervorgerufene Injection verschwindet auch wie im Versuche von 
Haberlandt in trockener Luft und kommt in feuchtem Raum wieder. 

Die Infiltration der Lufträume, die Stahl!) bei Trifolium hir- 
sutum und Max von Minden?) bei Iridaceen beobachteten, könnte 
man mit der Abwesenheit der Ausscheidungsorgane nicht deuten, 
weil solche Injection, wie meine Beobachtungen ergaben, nur an den 
durch Pilze oder mechanische Eingriffe verletzten Stellen stattfindet, 
also auch dem Tode der Zellen zuzuschreiben ist. Stahl’s Beob- 
achtung könnte schon deshalb keine Bedeutung beigelegt werden, 
weil die Injection nur an jungen Blättern von ihm gesehen wurde, 
während sie, wie es schon M o1l’s Versuche festgestellt haben, immer- 
hin an älteren Blättern früher, als an den jüngeren, manchmal sogar 
bloss an den ersteren allein zu Stande kommt. 

Es fehlten also directe Beweise für die drohende Gefahr der 
Infiltration der Durchlüftungsräume beim Ausbleiben der Secretion 
und meine Aufgabe war es zuerst, auf irgend eine Weise bei secre- 
tionsfähigen Pflanzen die Möglichkeit, Wasser auszuscheiden zu ver- 
hindern, um das Verhalten derselben nach solcher Behandlung zu 
prüfen und die Gefahr der Injection genauer abzuschätzen. 


Die Versuchsanordnung. 

Zu meinen Versuchen waren alle gut secernirenden Pflanzenarten 
brauchbar, von denen ich Impatiens, Alchemilla, Potentilla, Tropaeolum, 
Saxifraga, Fuchsia, Arum, Colocasia auswählte, weil bei diesen be- 
kanntlich in hohem Maasse Wasser ausgeschieden wird. 

In Verwendung kamen ausschliesslich schon längere Zeit in 
Töpfen cultivirte Exemplare, die sehr kräftig aussahen und im feuchten 
Raum sehr gut Wasser abschieden. 

Als feuchten Raum benutzte ich eine Glasglocke, die von innen 
mit nassem Fliesspapier belegt war und in der die relative Feuchtig- 
keit 94—99°/, betrug. 


1) Stahl, I. c. pag. 88. 
2) Max v. Minden, Biblioth. botanioa 1899 pag. 71. 


48 y 

Nach vielen vergeblichen Versuchen, die Wasserausscheidung bei 
den betreffenden Pflanzen durch die Verklebung der Spalten mit ver- 
schiedenen Stoffen (Wachs, Cacaobutter, Siegel- und Asphaltlack, Pa- 
raffin, Collodium) zu verhindern, wandte ich mich darauf einfach zum 
Ausschneiden der secernirenden Organe und später auch der ge- 
sammten Ränder, was sich als das einzige Mittel zur Erreichung 
meines Zweckes erwies. 

Sofort nach dem Abschneiden tritt das Wasser im feuchten Raum 
immer aus den angeschnittenen Rippen heraus, wobei wahrgenommen 
wurde, dass, wenn man einige Hydathoden an den Blättern beliess, 
die Tropfen nicht aus diesen, sondern ausnahmslos aus den Gefäss- 
bündelöffnungen heraustraten, was als directer Beweis der schon früher 
von einigen Autoren ausgesprochenen Ansicht dient, dass die Wasser 
absondernden Organe dem Blutungsdruck einen gewissen Widerstand 
leisten. Die Pflanzen mit abgeschnittenen Rändern respective Hyda- 
thoden wurden stets einer längeren Cultur, die manchmal 8—10 Tage 
fortgesetzt werden musste, in mässig feuchtem Raum oder im Freien 
unterworfen, bis die Wunden durch die Peridermabildung geschützt 
wurden und die Oeffnungen der Gefässbündel sich mit gummiartiger 
Substanz verstopften, was stets durch das Aufhören der Blutung 
im feuchten Raum controlirt wurde. 

Durch solche Behandlung wurde also den betreffenden Pflanzen 
die Möglichkeit entzogen, Wasser abzuscheiden, welcher Umstand jedoch 
die Pflanzen der Secretionsfähigkeit nicht beraubte, was daraus folgte, 
dass die Blutung wieder anhob, sobald man die Schnittwunden erneuerte. 

Hierauf wurden alle während dieser Zeit neugebildeten Blätter 
und Blüthenstiele abgeschnitten und die Wunden nach vorherigem 
Ansengen mit Gemisch von Wachs und Cacaobutter verklebt. 

Nachdem nun die Pflanzen noch eine Zeit lang in mässig feuchter 
Luft gestanden hatten, wurden sie erst mit Pflanzen, die keiner Be- 
handlung unterzogen waren (Controlpflanzen), gut begossen in den 
feuchten Raum gebracht. 

In der nachstehenden Ausführung sind nur einige Beispiele von 


meinen Versuchen angeführt, die das Verhalten der Pflanzen im 
feuchten Raum zeigen. 


Versuchsreihe 1. 


1. Impatiens parviflora (Juli). 


Zu den Versuchen wurden mindestens 12 Pflanzen angewandt, 
die sich einander sehr ähnlich verhielten, 


49 


a) Temperatur: 25°C. 

Nach 1!/; Tagen war noch keine Injection zu sehen. 

Nach drei Tagen: ebenso, mehrere Blätter sind abgefallen. 

Nach fünf Tagen: bei den meisten Pflanzen sind die älteren Blätter 
abgefallen, an den noch nicht abgefallenen war keine Injection und 
traten aus den Rippen einige Minuten nach der Erneuerung der 
Schnittfläche grosse Tropfen aus. Bei den Controlpflanzen, die all 
die Zeit secernirt hatten, sind die Blätter ganz frisch. 

b) Diesmal wurden an jeder Pflanze nur zwei Blätter belassen. 

Nach fünf Tagen war noch keine Injection, die meisten Blätter sind 

abgefallen. 


2. Impatiens Balsamina. Temperatur 24°C, (Juli.) (Fünf Pflanzen.) 

Nach 10 Stunden erlitten viele ältere Blätter eine partielle Injection, 
die injieirten Stellen betrugen !jıs der gesammten Blattoberfläche. 
An den der Injection entsprechenden Stellen traten Tropfen aus den 
gewöhnlichen Spaltöffnungen aus. 

Nach drei Tagen hatte die Injection nicht mehr zugenommen, die 
Tropfenausscheidung aus den gewöhnlichen Spaltöffnungen wird 
fortgesetzt; bei Controlpflanzen keine Injection. 

Nach vier Tagen: Die Pflanzen wurden aus dem feuchten Raum ent- 
fernt; nach einer Viertelstunde verschwand die Injection vollständig; 
die Blätter blieben ganz frisch und lebenskräftig. 


3. Alchemilla vulgaris. (Juli.) 

Bei den meisten untersuchten Pflanzen habe ich keine Injection 
beobachten können. Nur bei zwei sehr kräftigen Exemplaren, die 
zwei Monate in Töpfen im Freien gezogen waren, fand eine solche statt. 

Temperatur 26°C. 

Nach 12 Stunden: Die älteren Blätter sind gleichmässig siebartig in- 
jieirt (ungefähr !/s des Blattes). 

Nach drei Tagen: Die Injection hatte nicht zugenommen; die Pflanzen 
wurden in Zimmerluft gebracht, nach !/s Stunde verschwand die 
Injection vollständig, die Blätter behielten ihre Frische. 


4. Alchemilla alpina. (Juli.) 
Zwei sehr kräftige Exemplare. 
Temperatur 24°C. 
Nach 15 Stunden waren ältere und vergilbte Blätter gleichmässig 


siebartig injieirt (ungefähr ?/s der Blattunterseite). 


Flora 1902. 4 


Mo. Bot. Garten 
1803. 


50 


Nach drei Tagen hatte die Injeetion nicht mehr zugenommen; die 
Pflanzen wurden in Zimmerluft gebracht; nach !/. Stunde verschwand 
die Injection vollständig, Blätter blieben frisch und lebensfähig. 


5. Alchemilla fissa. (August.) 


Injection nicht wahrzunehmen trotz der Secretionsfähigkeit der 
Pflanzen. 
6. Fuchsia hybrida. (August.) 
a) Nach 18 Stunden: Alle älteren Blätter sind gleichmässig, punkt- 
artig injieirt (ungefähr !/» des Blattes). 
Nach zwei Tagen hatte die Injeetion nicht mehr zugenommen; die 
Pflanzen wurden in Zimmerluft gebracht, 
nach !/s Stunde verschwand die Injection vollständig; die Blätter 
sind frisch und lebenskräftig. 
b) Nach 20 Stunden: Alle unteren Blätter injicirt. 
Nach drei Tagen: Injeetion nicht zugenommen; die Pflanzen wurden 
in Zimmerluft gebracht, Blätter sind frisch und lebenskräftig. 


Bei vier anderen zu Versuchen verwandten Exemplaren konnte 
keine Injection beobachtet werden. 


1. Impatiens Sultani. (November.) 
a) Temperatur 20°. 


Nach 15 Stunden: Geringe Injection längs der Seitennerven wahr- 
nehmbar, nur in zwei Blättern injieirte Stellen !/s der Blattunterseite. 
Nach fünf Tagen: Die Injection hatte nicht zugenommen, sie ver- 
schwindet in !/ı Stunde nach Versetzen der Pflanze in Zimmerluft. 
b) Temperatur 19°. 
Nach 18 Stunden: Nur geringe Injection längs der Blattnerven be- 
merkbar. 


An folgenden Tagen: Die Injection hatte nicht zugenommen, sie VEr- 
schwindet in ca. 10 Minuten in Zimmerluft. 


8. Colocasia, (Januar 1901.) 
a) Temperatur 26°, 


(Nur die Blattspitzen waren vordem ab- 
geschnitten.) 


Nach 18 Stunden: Die Injeetion ist an den Blatträndern wahrnehm- 
bar, vergilbte und von Pilzen befallene Stellen sind vollständig in- 


jieirt, zahlreiche Tropfen sind an den Blatträndern aus gewöhnlichen 
Spaltöffnungen hervorgetreten. 


Nach zwei Tagen: Die Injection hat nicht zugenommen. 


61 


b) Vordem waren Blattspitzen und -ränder abgeschnitten, 
Nach 16 Stunden: Gelbe Flecken am Rande sind vollständig injieirt; 
die Injection verbreitete sich streifenweise auch in den grünen 
Blatitheilen. Die jungen Blätter sind ganz injectionsfrei. 


9. Tropaeolum. (Juli und August.) 


a) Temperatur 23°. 

Nach 16 Stunden: Injection an den Rändern bemerkbar; an den fol- 
genden Tagen nahm dieselbe nicht mehr zu und verschwand in 
Zimmerluft nach ca. 10 Minuten vollständig. 

b) Temperatur 20°. 

Nach 15 Stunden ist geringe Injection an den Blattecken wahrzu- 
nehmen; vergilbte Blätter sind vollständig injieirt, in Zimmerluft 
wie bei a). 

c) Temperatur 25°. 

Nach 15 Stunden: Die älteren Blätter sind vollständig injieirt, in 

Zimmerluft wie bei a) und b). 


10. Saxifraga rotundifolia. (Juli und August.) 


a) Temperatur 25°, 

Nach 14 Stunden: Die Blätter (mit Ausnahme von ganz jungen) waren 
gleichmässig siebartig, weitgehend injieirt. 

Nach drei Tagen hatte die Injection nicht mehr zugenommen; die 
Pflanzen wurden in Zimmerluft gebracht, nach ca. einer Stunde 
verschwand die Injection vollständig, die Blätter blieben ganz frisch. 

b) Temperatur 20°. 

Nach 16 Stunden: Aeltere (nicht alle) und vergilbte Blätter gleich- 
mässig, weitgehend injicirt. 

In folgenden Tagen nahm die Injection nicht zu und verschwand in 
ca. einer Stunde vollständig; die Blätter blieben ganz frisch. 


Saxifraga aizoon. Temperatur 24°, 


Injection wurde nicht erreicht, trotz der Secretionsfähigkeit der 
Pflanzen. 


Aus vorstehenden Versuchen lassen sich folgende Ergebnisse 
entnehmen: 
1. Durch die Verhinderung der Wasserausscheidung bei den se- 


eretionsfähigen Pflanzen kann bei gehemmter Transpiration (und ge- 
48 


52 


nügend hohem Wurzeldruck) die Infiltration der Intercellularräume 
des Mesophylis der Blätter zustande kommen. 

2. Nicht erreichen lässt sich dieses bei Impatiens parviflora, 
welche auf den durch die Sistirung der Seeretion verursachten Ueber- 
schuss von Wasser mit Laubabfall reagirt. 

3. Die Injection fand niemals in den jungen Blättern statt, die 
nur sehr enge Intercellularen besitzen, worauf bereits von Moll') 
hingewiesen wurde. 

Die Meinung Haberlandt’s, dass die Hydathoden die Injection 
hauptsächlich der jüngeren Laubblätter verhüten, erwies sich mithin 
als unbegründet. 

4. Bei Pflanzen, bei denen die Injection beobachtet werden 
konnte, fand sie immer schon während des ersten halben Tages statt, 
nahm an den folgenden Tagen nicht mehr zu und verschwand in 
kurzer Zeit in trockener Luft. 

5. Die Wasserspalten können an injieirten Stellen (Versuche 3 
und 8) durch gewöhnliche Spaltöffnungen vertreten werden. 

Erst nachdem die Möglichkeit der Injeetion der Intercellularen 
von Blättern, die unter günstigen Bedingungen in secretionsfähigen 
Pflanzen bei Abwesenheit der Wasserausscheidenden Organe festge- 
stellt worden war, konnte und durfte die Schädlichkeit dieser Injec- 
tion für die Pflanzen in Betracht gezogen werden. 

In schon erwähnten Versuchen fand Moll, dass das Wasser aus 
den Intercellularen der injieirt gewesenen Blätter bald verdunstet und 
die Blätter selbst dem Aussehen nach unter der Injection gar nicht 
zu leiden scheinen. 

Der Verfasser möchte aber keineswegs behaupten (pag. 314): 
„Dass im Allgemeinen die Injection der Blätter dem Leben der 
Pflanze nicht sehr schädlich sei“, zumal bei jüngeren, noch wachsen- 
den und stark atımenden Pflanzentheilen, und suchte sich die Resul- 
tate seiner Versuche weiter dadurch zu erklären, dass er fast immer 
mit älteren Blättern bei sehr niedriger Temperatur arbeitete, während 
die Dauer der Injection relativ kurz war. Es muss noch hinzugefügt 
werden, dass solches Ausfallen der Versuche auch davon abhängen 
konnte, dass die Mehrzahl der von Moll injieirten Blätter lederartig, 
daher ‚gegen solchen Eingriff widerstandsfähiger war als die zarten 
und leicht verletzlichen Blätter, wie von Impatiens und wie sie vielen 
secernirenden Pflanzen eigen sind; deshalb mussten auch die Ver- 
suche mit solchen Pflanzen besonders angestellt werden. 


)Moll,le pag. 808, 


53 


Wie schon aus meiner ersten Versuchsreihe hervorgeht, behielten 
die theilweise durch den Wurzeldruck injieirten Pflanzen trotz des 
ziemlich langen Aufenthaltes im feuchten Raum (2—3 Tage) ein 
völlig gesundes Aussehen. Um mich aber zum Schlusse über die 
Unschädlichkeit auch der möglichst weitgehenden Injection der Inter- 
cellularräume und der langen Dauer derselben zu vergewissern, 
wurden von mir Versuche mit künstlicher Injection der Blätter der 
betreffenden Pflanzen unternommen. 


Versuchsanordnung. 


Zu den Versuchen dienten ausschliesslich Topfpflanzen. 

Die beblätterten Theile der Pflanzen wurden in Leitungswasser 
getaucht und das Ganze unter die Glocke der Wässerpumpe in luft- 
verdünnten Raum so lange gehalten, bis die Blätter nach Herstellung 
des normalen Luftdruckes sehr weitgehend injieirt wurden, wozu die 
jüngeren Blätter stets ein längeres Pumpen erforderten, während die 
ganz jungen sich überhaupt nicht injiciren liessen. 

Bei einigen Pflanzen, z. B. bei Impatiens, verdunstete das in den 
Intercellularen enthaltene Wasser sogar im feuchten Raum. Deshalb 
war eine wiederholte künstliche Injection erforderlich, um die Pflanzen 
immer mit möglichst gefüllten Durchlüftungsräumen zu erhalten. 

In nachstehender Tafel wurden nur einige Beispiele von den 
Versuchen angeführt. 


Versuchsreihe Il. 


1. Impatiens parviflora. 

a) Die injieirten Pflanzen wurden direct nach der Injection in 
Zimmerluft versetzt; in kurzer Zeit welkten die älteren Blätter ab, 
ohne dass das Wasser aus den Intercellularen ganz verdunstet war. 
Hieraus kann man aber nicht auf die Schädlichkeit der Injection selbst 
schliessen, vielmehr handelte es sich um eine zu plötzliche Steigerung 
der Verdunstung durch die Blattoberhaut, was Haberlandt!) schon 
früher für die in Wasser getaucht gewesenen Blätter vieler Pflanzen 
constatirte. In der That bleiben die Blätter stets frisch und lebens- 
kräftig, wenn man die injieirten Pflanzen ganz allmählich aus dem 
feuchten in einen trockenen Raum überführt, wobei das überschüssige 
Wasser vollständig verschwindet. 


1) Haberlandt, Wiss. prakt. Untersuchung auf dem Gebiete des Pflanzen- 
baues. Hrsg, von Fr. Haberlandt Bd, II (Wien 1877) pag. 130. 


54 


Das Verhalten der Pflanzen im feuchten Raum: 
b) Temperatur 23°, 
Nach 6 Tagen: ®/ der Blätter sind abgefallen, die übrigen frisch ; 
nachdem die Pflanzen in Zimmerluft versetzt waren, verschwand die 
Injection vollständig. 


2. Impatiens Sultani. 
a) Temperatur 22°, 
Nach 5 Tagen: einige Blätter sind abgefallen. 
Nach 14 Tagen waren die übrigen noch ganz frisch und in der 
Zimmerluft verschwand die Injection vollständig. 
b) Temperatur 25° (helles Wetter). 
Nach 3 Tagen verschwand die Injection in älteren Blättern vollstän- 
dig; die Pflanzen wurden nochmals injieirt. 


Nach 13 Tagen Blätter noch frisch; die Injection verschwand in 
Zimmerluft vollständig. 


8. Tropaeolum. 
Temperatur 18—23°., 

Nach 13 Tagen noch kein merkbarer Unterschied zwischen injieirten 
und Controlpflanzen, sowohl bei den einen wie bei den anderen waren 
einige Blätter gelb geworden und von Pilzen befallen (Tropseolum 
ist besonders gegen Feuchtigkeit empfindlich) in Zimmerluft ver- 
schwindet die Injection vollständig. 


4. Saxifraga rotundifolia, 
Die alten lederartigen Blätter der Pflanzen konnten die Injection 
unbestimmt lange aushalten (Versuchszeit 8 Wochen). 


Kein merkbarer Unterschied im Wachsthum bei injieirten und 
Controlpflanzen festzustellen. 


5. Fuchsia hybrida. 
a) Temperatur 18—21°, 
Nach 18 Tagen: Blätter noch unversehrt, einige abgefallen. 
b) Feinblättrige Pflanze (Temperatur dieselbe wie bei a). 


Nach 7 Tagen: viele Blätter sind abgefallen, die stehen gebliebenen 
frisch, in Zimmerluft verschwindet die Injection vollständig. 


6. Polypodium. 


Nach mehreren Tagen: Blätter waren noch gesund; in Zimmerluft 
verschwindet die Injection vollständig. 


ERBE no 


55 


7. Hordeum. 
Temperatur 23°, 


Nach einer Woche waren die Pflanzen ganz gesund, nur kleiner 
Unterschied im Wachsthum bei injieirten und Controlpflanzen be- 
merkbar. In Zimmerluft verschwindet die Injection vollständig. 


Es erhellt also aus den beschriebenen Versuchen, dass selbst eine 
lange Injectionsdauer der Intercellularräume des Mesophylis von 
Blättern im Allgemeinen keinen merklichen Schaden zufügt. Nach 
Versetzen der Pflanzen in mässig feuchte Luft verdunstet das über- 
schüssige Wasser in kurzer Zeit vollständig, und die Blätter bleiben 
immer frisch und unversehrt. ‚ 

Es sei darauf aufmerksam gemacht, dass die Bedingungen für 
so lange dauernde und so vollkommene Injection der Blätter, die bei 
meinen Versuchen stattfand, in unserer Zone kaum dargeboten werden, 
denn die Feuchtigkeit der Luft steigt nur während eines starken und 
andauernden Regens so hoch, wie es in meinem feuchten Raum der 
Fall (meist 98°), rel), wiewohl dabei Wasserverdunstung stattfand. 
Wenn aber bei so langer und vollständiger Injection kein Schaden 
zu bemerken war, so dürfte man von der ephemeren Füllung der 
Intercellularen mit Wasser, wie das bei Fehlen der Secretion statt- 
finden konnte (meine I. Versuchsreihe), um so weniger Nachtheil für 
die Pflanzen erwarten. 

Man könnte die Schädlichkeit der Injection nämlich in durch sie 
verursachter Gaswechselbeeinträchtigung, die für das Gedeihen der 
Pflanzen von wesentlicher Bedeutung sein könnte, suchen, wenn diese 
zwar nicht ununterbrochen lange andauernd, sondern jeweilig kurze 
Zeit wiederholt würde. 

„Wenn an jedem Morgen“, berichtet Haberlandt!), „erst das 
in den Intercellularen des Chlorophyliparenchyms enthaltene Wasser 
verdampfen müsste, bevor der Assimilationswechsel ungehindert von 
statten gehen könnte, so würde täglich ein ansehnlicher Bruchtheil 
der hellen Tagesstunden für die Assimilation so gut wie verloren 
gehen“; hierbei könnte obendrein eine Verhinderung der Athmung 
hinzugedacht werden. 

Der Gaswechsel wird thatsächlich sogar durch die Verstopfung 
der Spaltöffnungen mit Wasser beeinträchtigt?) und deshalb würde 
man selbstverständlich berechtigt vorauszusetzen, dass der (Gasaus- 


1) Haberlandt, Anat.-phys, Untersuchungen üb. d. tropisch. Laubblätter. 
Sitz.-Ber. d. k. Akad. d. Wissensch. zu Wien 1895, pag. 111. 
2) W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie 1897 pag. 161. 


56 


tausch durch die Injection der Intercellularen noch erheblicher herab- 
gesetzt würde, 

Dagegen fand Boehm!), dass die Assimilation von Kohlensäure 
auch durch injieirte Blätter stattfinden könne, indem er die injieirten 
Blätter von Platanus, Juglans und Beta in einer Mischung von Kohlen- 
säure und Wasserstoff isolirte und zum Ende des Versuches 9— 17%, 
Sauerstoff im Gase fand (pag. 190). 

Die injieirten Blätter von Juglans scheinen bei ihm in einigen 
Versuchen sogar stärker als die nicht injieirten assimilirt zu haben 
(seine Tabelle pag. 179). Meine Versuche mit der Jodprobe, der 
theilweise injicirten, insolirt gewesenen Blätter von Impatiens, Fuchsia, 
Saxifraga und Tropaeolum zeigten, dass es keinen auffallenden Unter- 
schied in Stärkebildung in injieirten oder nicht injieirten Stellen gebe. 
Bald war sie in nicht injieirten Stellen erheblicher, z. B. bei Saxifraga, 
bald gar nicht wahrnehmbar wie bei Impatiens. 

Diese Thatsachen könnten, wie es mir scheint, durch die erhöhte 
Permeabilität der nassen Epidermis einigermaassen erklärt werden. 
Trotzdem die Kohlensäure sich in injieirten Intercellularräumen viel 
langsamer als in den mit Luft gefüllten fortpflanzt, würde infolge der 
Durchsättigung der Epidermis mit Wasser die Gaszufuhr durch die 
ganze Blattoberfläche stattfinden und somit den durch Injection der 
Lufträume verursachten Kohlensäuremangel verdecken. Diese Ver- 
muthung stimmte auch mit Angaben Devaux?) überein, die derselbe 
bei seinen Untersuchungen über die Durchlässigkeit der trockenen 
und nassen Membrane machte. 

Also ist es zumindest unvorsichtig zu behaupten, dass durch 
die Injection der Intercellularen ein ansehnlicher Bruchtheil der hellen 
Tagesstunden für die Assimilation so gut wie verloren gehen würde. 

Ueber die Athmung der injieirten Blätter habe ich in der Litte- 
ratur keine Angaben finden können, weshalb ich mich veranlasst fand, 
selbst eine Reihe von Versuchen nach dieser Richtung anzustellen. 

Zu meinen Versuchen bediente ich mich eines Ellipsoidgefässes 
ähnlich dem, wie es Pfeffer°) in seinen Untersuchungen über die 
Assimilation der Blätter verwandte, einzig mit der Modification, dass 
eine mit eingeschliffenem Glaspfropfen zu schliessende Oeffnung an- 


1) Boehm, Sitz.-Ber. d. k. Akad, d. Wissensch. zu Wien Bd. LXVI I. Abth. 
1872 pag. 169, 


2) Devaux, Ann. d. sciences natur. VII ser, 9 1890 pag. 35; auch A.d.s.n. 
1891 pag. 297. 


3) Pfeffer, Arbeiten des bot. Instituts in Würzburg 1871 Bd. I, 


nt 


Ba GE BEE Bil n ZB en 2 


57 


gebracht wurde. Diese Oeffnung war zu dem Zwecke gemacht, um 
ein Schälehen für Kalilauge und die Blätter bequemer hineinführen 
zu können. Nachdem das Gefäss von innen mit einer genau er- 
mittelten Menge Löschpapier, das nachher mit einem bestimmten 
Volumen Wasser gesättigt wurde, ausgekleidet war, wurde das be- 
stimmte Volumen von titrirter Kalilauge mit einer Pipette ins Schälchen 
gegossen, hierauf wurde das Ganze in ein grösseres mit Wasser ge- 
fülltes Gefäss gestellt und bei gleichmässiger Temperatur gehalten. 
Es wurde auf diese Weise das Volumen des absorbierten Sauerstoffs, 
sowie auch in einigen Versuchen die ausgeschiedene Menge von 
Kohlensäure bestimmt. 

Bei Berechnung der Volumina wurden selbstverständlich der 
atmosphärische Druck, die Teınperatur, die Wasserdampfspannung 
und die Wasserhöhe im Bade berücksichtigt. 

Zuerst wurde stets die Athmung frisch abgeschnittener Blätter, 
hierauf die Atlımung derselben nochmal nach vorhergegangener In- 
jeetion mit doppelt destillirtem Wasser festgestellt. Ich erhielt dabei 
die in nachstehender Tabelle angegebenen Zahlen, in denen die 
Volumina des verbrauchten Sauerstoffs auf 760mm Druck zurück- 
geführt, zum Ausdruck kommen. 


Gewicht der ver- Nicht inji- .. " 

wendeten Blätter Pflanze Vers. eirte Blätter Injio. Blätter 
4,64 8 Tropaeolum I | 0,187 cbem | 0,148 cbem 
4,32 g I | 0,1388 „ 0,152 „ 
2,798 Impatiens II | 0,071 „ 0,090 „ 

Sultani 
3,02 g IV | 0064 „ 0,09 „ 
5,26 g Vı 006 „ 0,082 „ 
442g. vI| 005 „ 0,095 „ 
10,51g Camelia VII | 0115 „ 0,062 „ 

5,728 Fuchsia VO | 0,159 „ 0,104 


Diese Versuche zeigen also, dass die Athmung der Blätter durch 
Injection bei Impatiens und Tropaeolum (mit dünnerer Epidermis) 
verstärkt, bei Fuchsia dagegen und noch mehr bei Camelia (mit 
dickerer Epidermis) herabgesetzt wurde. Ohne auf die Erklärung der 
Thatsache näher einzugehen, dass die Athmung sich bei der Injection 
in einigen Fällen vergrössert, was wahrscheinlich auf eine Reiz- 
erscheinung zurückzuführen ist, möchte ich hier darauf aufmerksam 
machen, dass die Herabsetzung, wenn solche stattfindet, auch nicht 
zu gross ist und jedenfalls kaum die Pflanze sehr beeinträchtigt, was 
schon aus meiner zweiten Versuchsreihe hervorgeht. 


58 


Es ergab sich also, dass die Injection der Blätter ziemlich harm- 
los für die Pflanzen sein würde, wenn eine solehe in der Natur statt- 
fände, und dass der Nutzen, den die Wasser ausscheidenden Organe 
der Pflanze bringen, in der Verhütung der Injection von Durchlüf- 
tungsräumen kaum zu suchen ist. 

Dieser Nutzen könnte aber, wie sich Haberlandt äussert, 
darin liegen, dass die Hydathoden eine ausgiebige Wasserströmung 
durch die Pflanze bei aufgehobener Transpiration zu erzielen ver- 
mögen, durch welche mineralische Nährstoffe mitgerissen werden, die 
in den Blättern zurückbleiben. Also müsste die Wasserausscheidung 
die Transpiration ersetzen können. 

Dazu ist zu bemerken, dass die Transpiration sogar in einem 
dunstgesättigten Raum noch stattfinden kann.!) In der Natur aber 
könnte kaum die Bedingung zur absoluten Dampfsättigung der Luft 
vorkommen, im feuchten Klima der Tropen selbst ist nach Pfeffer?) 
die durch die Transpiration erzielte Wasserbewegung ansehnlich ge- 
nug, um einen genügenden Transport von Nährsalzen zu vermitteln. 

Nach Haberlandt?°) secernirte ein 13,02g schweres Blatt von 
Conocephalus ovatus, das als Beispiel stark secernirender Objecte an- 
geführt wird, eine Flüssigkeitsmenge von (max.) —2,76g pro Tag. 
Wenn wir nun annehmen, dass die Ausscheidung nur von 2 Uhr 
Nachmittags bis 7 Uhr Morgens stattfand, wo die relative Luftfeuch- 
tigkeit 97—99 9), betrug ®), erhalten wir die Menge der ausgeschiedenen 
Flüssigkeit pro Gramm des Gewichtes des Blattes und Stunde 0,0148. 
Die Transpiration derselben Pflanze bei derselben Luftfeuchtigkeit 
und Temperatur war aber pro Gramm des Blattes und Stunde 0,027 
(pag. 794), also die Menge des in Dampfform ausgeschiedenen Wassers 
ist zwei Mal grösser als im Flüssigkeitszustande. Wenn wir nun den 
Salzgehalt der Flüssigkeit beachten (nachstehende Tafel), so finden 
wir, dass die durch Osmose während 1 Stunde aus 0,02), Lösung 
aufgenommene Salzmenge mit der doppelten Menge durch Verdun- 


stung derselben Quantität der Lösung zurückbleibenden Salze kaum 
vergleichbar ist, 


1) Burgerstein, Materialien zu einer Monographie der Transpiration. 


Verhandl. d, zool.-bot, Ges. in Wien T. 39 1889 pag. 441. — Pfeffer, Pflanz.- 
Phys. 1897 pag. 227. 


2) Pfeffer, Pflanz.-Phys. 1897 pag. 258, 
3) Haberlandt, Phys. Pfanzenanatomie 1898 pag. 424. 


4) Haberlandt, Das trop. Blatt. Sitz,-Ber. d. k, Ak. d. Wiss, zu Wien 
1892 I, Abt. pag. 792, 


59 


Bei bis dahin untersuchten Secretionen aus Wasserspalten er- 
geben sich meist 0,001—0,06 °), fester Substanz, die in einigen Fällen 
reichlicher an organischen Stoffen als Asche ist. 

So wurde gefunden für das Secret von: 


feste Be- 
standtheile Asche Autor 
Colocasia antiquorum . . 0,0560), 0,0089, Unger 
Brassica eretica . . . . 0,1 9% 0,0420), » 
Zea May ..2.2.%. 0,05 9, 0,0270, ” 
Conoceph. ovatus . . . 0,0450), 0,02 %, |Romburgh 


Also durch die Secretion wird eine Quantität von mineralischen 
Salzen und organischer Nahrung für die Pflanze so gut wie verloren 
gehen, was nicht vorkommen dürfte, wenn die Pflanzen keine wasser- 
ausscheidenden Apparate besässen. 

Es ist aber wohl zuzugeben, dass die bei einigen Pflanzenarten, 
die im trockenen Klima in salzreichem Boden vegetiren und einer 
grössern Transpiration nicht angepasst sind, durch sog. Salzdrüsen er- 
zielte Saftströmung im Gegentheil eine zu reichliche Salzanhäufung 
in der Pflanze verhüten könnte. !) 

Was nun den Nutzen anbelangt, den die Hydathoden den Pflanzen 
dadurch bringen, dass sie die Fähigkeit besitzen, auf der Oberfläche 
des Blattes befindliches Wasser einzusaugen (was aber nur von sehr 
wenigen Thatsachen bewiesen ist) so ist er nur gering zu veran- 
schlagen, weil die Möglichkeit, diese auszunützen, wegen der kleinen 
Oberfläche der Hydathoden und geringeren Anzahl derselben kaum 
oft vorkommen könnte. Die Epidermis der Blätter ist ja doch schon 
zum Einsaugen von Wasser mehr oder minder fähig. ?) 

Es scheint mir jetzt nach allem, was aus dieser Arbeit über die 
Bedeutung der Wasser ausscheidenden Organe der Pflanzen hervor- 
geht, nicht gerechtfertigt zu sein, eine Unentbehrlichkeit der Hyda- 
thoden für die Pflanzen zu behaupten. 

1. Einerseits ist ihre Bedeutung als die Injection verhütende 
Organe nicht wesentlich. Die Pfianzen leiden nicht, wenn die Injec- 
tion der Intercellularen durch Verhinderung der Wasserausscheidung 
‘ (Entfernung der Hydathoden) hervorgerufen wurde. (Dies wurde 


1) Marloth, Zur Bedeutung der Salzabsonderung u. 8. w. Ber. d. deutsch. 
bot, Ges. V. Bd. 1887, — Volkens, Ber. der deutsch, bot, Ges. 1884, II. Bd., 
1887 pag. 27. 

2) Pfeffer, Pflanzenphysiologie 1897 pag. 142, 


60 


noch besonders dadurch erwiesen, dass keine merkliche Beeinträch- 
tigung der Athmung oder Assimilation dabei beobachtet wurde). 

3. Anderseits ist der direete Nutzen, den diese Organe der 
Pflanze dadurch bringen könnten, dass sie in gewissen Fällen einen 
der Versorgung der Pflanze mit Nährsalzen befördernden Wasser- 
strom verursachen, Wasseraufnahme ermöglichen u. s. w., nicht von 
Bedeutung. 

Dementsprechend sehen wir, dass viele Pflanzen besonders con- 
struirte Wasser ausscheidende Organe ganz entbehren und das Wasser 
bei stattfindender Injection der Intercellularen aus den gewöhnlichen 
Spaltöffnungen secernieren. 

Wir könnten also die Hydathoden nur als Organe betrachten, 
deren Vorhandensein zur Zeit weniger durch ihre Nothwendigkeit 
selbst, als vielmehr durch die Erblichkeit bedingt wird. 


Die Versuche zur vorliegenden Arbeit wurden im Laboratorium 
des Herrn Geheimen Hofrat Professor Dr. Pfeffer und unter seiner 
Leitung ausgeführt und spreche ich demselben für die liebenswürdige 
Unterstützung bei dieser Arbeit meinen besten Dank aus. 

Auch dem Assistenten Herrn Dr. Klemm spreche ich für die 
mir gütigst ertheilten Rathschläge meinen Dank aus. 


Die Doppelbefruchtung bei Monotropa uniflora L. 


Von 
K. Shibata. 5: 
Hierzu Tafel 1. 


Die Entdeckung der sog. Doppelbefruchtung bei einigen Liliaceen 
durch Nawaschin und Guignard') hat unter den Biologen ein 
reges Interesse erweckt wegen ihrer grossen Bedeutung für die Auf- 
klärung der Endospermbildung von Angiospermen, sowie für die Lehre 
von der Befruchtung überhaupt. Dank den unermüdlichen Bemühungen 
beider genannter Forscher und einiger anderer wurde der nämliche 
Vorgang noch bei einer Anzahl von Monocotylen und Dicotylen nach- 
gewiesen. Bis jetzt hat man sie bei etwa 22 Pflanzen festgestellt, 
worunter sich acht Liliaceen, sieben Orchideen, zwei Ranunculaceen, 
vier Compositen und eine Monotropee befinden. Dass die Zahl 
der bisher erwiesenen Fälle so beschränkt ist, erklärt sich wohl aus 
den grossen Schwierigkeiten, die mit derartigen Arbeiten verbunden 
sind; aber schon heute hat sich die Ansicht weit verbreitet, dass ‚jene 
Erscheinung unter den Angiospermen eine allgemeine sei. 

Inzwischen gelang es Strasburger?), den Vorgang der Doppel- 
befruchtung bei Monotropa hypopity; am lebenden Material zu 
beobachten. Bei uns vertritt die Stelle dieses klassischen Unter- 
suchungsobjectes eine andere Art, Monotropa uniflora L., die auf 
schattigem Waldboden in der Umgebung Tokyos ziemlich häufig vor- 
kommt. Ich unternahm, auf Veranlassung Herrn Prof. Miyoshi’s®) 
bei Gelegenheit von cytologischen Untersuchungen über verschiedene 
Mycorhiza-Formen, auch das Studium des Befruchtungsvorgangs bei 
dieser Pflanze und es ist mir geglückt, hier ebenfalls die Doppel- 
befruchtung festzustellen. An dieser Stelle will ich einen kurzen 
Bericht über die erhaltenen Resultate erstatten. 


1) Vgl. die interessante Zusammenstellung von Ethel Sargant: Recent 
Work on the Results of Fertilisation in Angiosperms. Annals of Botany, Vol. 
XIV, No, LVI pag. 689 ff, und ferner Land, Botanical Gazette. Vol. XXX, No. 4. 

2) Strasburger, Einige Bemerkungen zur Frage nach der doppelten Be- 
fruchtung bei den Angiospermen. Bot. Zig. 1900, Nr. 19/20, pag. 298. 

3) Die Hauptergebnisse dieser Studien, die Podocarpus-, Alnusarten, Myrica, 
Pyrola, Psilotum, Yucca und Monotropa umfassen, beabsichtige ich demnächst 
a. a, OÖ. mitzutheilen. 


62 


Mein Material stammte aus zwei verschiedenen Quellen. Die 
ersten Objecte waren Mitte April in Hakone auf einer Excursion ge- 
sammelt und die zweiten Mitte Mai in Omiya bei Tokyo. Der mässig 
grosse Stock mit zahlreichen, eben aus der Erde hervortretenden 
Knospen wurde stets sammt den ganzen Mycorhizenmassen vorsichtig 
ausgegraben und im Laboratorium unter Glasglocke weiter eultivirt. 
Die Pflanze lebte monatelang ganz gesund in diesem Zustand fort 
und blühte reichlich. In dieser Weise war es mir möglich, alle 
wichtigen Vorgänge genau zu controliren. Die Knospen der ersten 
Reihe entfalteten sich fast gleichzeitig Ende April, worauf ich am 
3. Mai die künstliche Bestäubung vorgenommen habe. Nachher 
wurden täglich die Samenanlagen aus einigen Fruchtknoten lebend 
untersucht, um den Zustand des Embryosackinneren festzustellen. 
Erst am 13. Mai wurde das erste Zeichen von Befruchtung kenntlich, 
weshalb ich während einiger der folgenden Tage zahlreiche Frucht- 
knoten in die Fixirungsflüssigkeiten einlegte.e Die zweite Reihe 
wurde künstlich bestäubt am 1. Juni und in diesem Falle wurden 
die ersten Zeichen der Befruchtung schon am 7. Juni beobachtet. 

Die Untersuchung des frischen Materials bei dieser Pflanze ist 
nicht allzu leicht, aber man kann nach einiger Uebung den Bau des 
Embryosacks, der im Wesentlichen mit demjenigen der von Stras- 
burger beschriebenen M. hypopitys übereinstimmt!), klar erkennen. 
Die Samenanlagen erhielten sich 2—3 Stunden lang ganz gesund 
in Brunnenwasser. Ich konnte jedoch keine lebhafte Strömung in 
den Plasmasträngen, die den Embryosackkern mit dem Eiapparat, 
Embryosackwand u. s. w. verbinden, wahrnehmen. Die Synergiden 
werden beim Eintritt des Pollenschlauches undurchsichtig und stark 
lichtbrechend. Trotz der Anwendung stärkerer Immersionssysteme 
unter günstigen Beleuchtungsverhältnissen, wurde die Erkennung des 
männlichen Kernes, der mit dem Embryosackkern copulirt, dadurch 
sehr erschwert, dass sich seine optische Beschaffenheit kaum vom um- 
gebenden Cytoplasma unterscheidet und es wollte mir anfangs über- 
haupt nicht gelingen. Aber die Erfahrung bei dem eingehenden 
Studium mit den fixirten Präparaten leitete mich schliesslich dahin, 
den Vorgang der Befruchtung auch am lebenden Material unzwei- 
deutig wahrzunehmen (Fig. 11 u. 12). 

. Die Fixirung geschah theils in der Flemming’schen stärkeren 
Lösung, theils in Sublimatessig. Die in Paraffin eingebetteten Stücke 
der Fruchtknoten wurden meist in 15 dicke Schnitte zerlegt, da die 


1) Vgl, Strasburger, Das botanische Practicum, 8. Aufl. pag. 554, 


68 


dünneren 10—5yu dicken Schnitte in unserem Falle keinen besonderen 
Vortheil ergeben haben. Zur Färbung der Mikrotomschnitte wurde 
vornehmlich ein etwas modificirtes Safranin-Gentiana-Orange-Verfahren 
benutzt; aber bei den mit Sublimat fixirten Objecten leistete das 
Fuchsin-Jodgrün-Gemisch gute Dienste. 

Das Studium der Fruchtknoten von Monotropa in Mikrotom- 
schnitten ist ziemlich mühsam, wie Strasburger schon bemerkte }), 
da die kleinen Samenanlagen sich nur selten in richtiger Lage 
schneiden lassen, aber ich vermochte durch Musterung recht zahl- 
reicher Präparate die beiden Spermakerne in verschiedener Lage 
innerhalb des Embryosacks nachzuweisen. Die eben in den Embryo- 
sack eingedrungenen Spermakerne besitzen einen locker gebauten 
und porös aussehenden Körper, wie es von Nawaschin®), Land?) 
u. A. für einige Dicotylen angegeben ist. Die Spermakerne sind da- 
bei schwach färbbar und verhalten sich eyanophil im Fuchsin-Jod- 
grün-Gemisch. Die Gestalt der Spermakerne beim ersten Moment 
des Eindringens ist meist länglich-wulstförmig, etwa fünf Mal 
länger als breit. Sie sind verschiedentlich, oft sogar hufeisen- 
förmig gekrümmt, aber niemals schraubig (spı, spa Fig. 1, 2, 5, 
6, 7 u. 8). Nach dem Anschmiegen an den weiblichen Kern be- 
kommen sie bald eine rundlichere Gestalt und zwar schneller bei 
demjenigen Spermakerne, der mit dem Embryosackkerne sehr rasch 
verschmolz. Die Färbbarkeit der Spermakerne nimmt gleichzeitig 
zu und erscheinen in ihnen die Nucleoien (Fig. 3a, 5b u. Fig. 4). 
Nach Strasburger‘) besitzen die Spermakerne von Monotropa 
hypopitys eine ellipsoidische Gestalt, wie es sonst bei Endymion 
nutans der Fall ist. In unserem Falle erinnerten jedoch die läng- 
lichen und stark gekrümmten Spermakerne vielmehr an die von 
Guignard für Tulipa gegebenen Bilder.’) Ob diese Verschieden- 
heit, wenn auch gering, auf die Artdifferenz oder auf anderweitige 
Umstände zurückzuführen ist, muss dahingestellt bleiben. Bei Unter- 
suchung des lebenden Materials konnte ich sogar nur die schon mehr 
oder minder abgerundeten Spermakerne, ihrer stärkeren Lichtbrechung 


1) Strasburger, Bot. Ztg. 1900 Nr. 19, 20 pag. 301. 

2) Nawaschin, Ueber die Befruchtungsvorgänge bei einigen Dieotyledonen. 
Ber. d. d. bot. Gesellsch. Bd. 18 pag. 224. 

3) Land, Double Fertilisation in Compositae. Bot. Gaz. Vol. XXX Nr. 4 
pag. 252. 

4) Strasburger, loc. eit. pag. 298. 

5) Guignard, L’Appareil sexuel et la double Fecondation dans les Tulipes. 
Ann. d. Se. nat. Bot. 1900 T. XI pag. 375376, Taf. X Fig. 13—21. 


64 


halber, deutlich wahrnehmen. Der in Wanderung begriffene 
zweite Spermakern liegt, übereinstimmend mit den Angaben 
Strasburger’s ganz in dem dicken Plasmastrang eingebettet), der 
den Eiapparat mit dem Embryosackkern verbindet (spe Fig. 1, 5, 7 
u. 11). Ob die Spermakerne eine selbständige Beweglichkeit besitzen 
oder nicht, bleibt noch eine Sache der Discussion, Meine Beobach- 
tungen an lebenden Objeeten konnten leider keine Entscheidung 
darüber bringen; die gekrümmte Gestalt der Spermakerne kann eben- 
sowohl als ein plastisches Nachgeben, als wie ein Zeichen activer 
Beweglichkeit betrachtet werden. 

Was den Zeitpunkt, in welchem der Spermakern den Embryo- 
sackkern erreicht, anbetrifft, so hat meine Beobachtung eine merk- 
würdige Thatsache ergeben. Bekanntlich eopulirt bei den von 
Nawaschin und Guignard untersuchten Liliaceen-Arten der 
Spermakern mit einem der beiden Polkerne bevor die Ausbildung 
des secundären Embryosackkernes vollendet ist und folglich ist das 
Zusammentreffen von drei Kernen stets wahrzunehmen. Bei den 
meisten anderen Pflanzen dagegen ist die Verschmelzung beider !’ol- 
kerne schon lange vor der Befruchtung vollendet, so dass der zweite 
Spermakern mit dem daraus entstehenden secundären Embryosack- 
kern copulirt.?) So gibt Strasburger auch für Monotropa hypo- 
pitys nur die Verschmelzung des männlichen Kernes mit dem secun- 
dären Embryosackkern an.?) Bei meinen Untersuchungen mit M. 
uniflora zeigte das Material der ersten Reihe, bei welchem ein Zeit- 
intervall von mehr als zehn Tagen von der Bestäubung bis zur Be- 
fruchtung erforderlich war, ausnahmslos die nämlichen Verhältnisse, 
d. h. die Verschmelzung beider Polkerne fand schon 2—3 Tage vor 
der Befruchtung statt und der grosse secundäre Embryosack- 
kern empfing den Spermakern (Fig. 1 u. 2). Aber bei der zweiten 
Reihe, wo die Bestäubung unter sonst gleicher Bedingung bei einer 
höheren Zimmertemperatur vorgenommen wurde, war die Sachlage 
eine ganz andere. Wie schon bemerkt, dauerte in diesem Fall das 
Hineinwachsen der Pollenschläuche durch die Griffel nur 6—7 Tage. 
Die meisten Präparate zeigten nun, dass der schon befruchtete 
Embryosack noch völlig isolirte Polkerne besitzt oder eben mit 
einander verschmelzende. Mitunter copulirt der zweite Spermakern 
mit dem oberen Polkerne, wobei der untere noch ganz isolirt liegt 


1) Strasburger, loc. cit. pag. 298. 


2) Vgl. z.B. Guignard, Ann. d. Sc. nat, Bot. 1900 T. XI pag. 386— 367. 
8) Straaburger, loo, eit. pag.298, 299 u. 301, 


65 


und in anderen Fällen schmiegt der Spermakern sich dem oberen 
der beiden verschmelzenden Polkerne an, die noch durch eine scharfe 
Linie anscheinend getrennt sind (Fig. 5, 6, 8, 10 u. 11), So können 
wir in diesem Falle das Zusammentreffen von drei Kernen 
beobachten !), ganz wie es bei den Liliaceen der Fall war. Das ver- 
schiedene Verhalten unserer beiden Culturen beruht augenscheinlich 
auf äusseren Bedingungen, zumal der Temperatur. Es ist meine 
Ansicht, dass derartige Erscheinungen nicht als eine Eigenthümlich- 
keit dieser oder jener Pflanze oder Pfianzengruppe betrachtet werden 
können und ferner, dass noch mannigfaltigere Erscheinungen sich bei 
einer und derselben Pflanze einstellen werden, wenn man sich einmal 
auf diesem Gebiete experimentell einzuarbeiten bemüht. 

Der befruchtete Embryosackkern theilt sich sofort unter Bildung 
einer schönen karyokinetischen Figur, die sich sowohl in frischem wie 
in fixirtem Material sehr gut studiren liess.?) Ich konnte dabei keinen 
eentrosomenähnlichen Körper auffinden. Der befruchtete Eikern theilt 
sich nicht, bevor vier Endospermkerne schon gebildet waren. Meine 
Aufmerksamkeit wurde auch auf die eigenthümlichen stark färbbaren 
Körper gelenkt, die im entleerten Pollenschlauchende stets in Zwei- 
zahl vorhanden sind. Die Gestalt dieser Körper ist ziemlich unregel- 
mässig, bald rundlich, bald länglich und dann wird man sie leicht 
mit den Spermakernen verwechseln. Sie färben sich jedoch sehr 
intensiv und ganz homogen mit Safranin oder Fuchsin (x Fig. 8 u. 9). 
Land?) beobachtete ganz. ähnliche Körper, die sich mit Cyanin stark 
färbten, auch in Pollenschlauchenden von Silphium und Erigeron und 
äusserte die Vermuthung, dass diese Körper aus der Theilung des 
vegetativen Kernes des Pollenschlauches hervorgegangen seien. Die 
Natur und Herkunft dieser Körper bleiben noch künftigen Unter- 
suchungen vorbehalten, 

Ich will an dieser Stelle nicht auf eine nähere Discussion der 
Bedeutung der sog. Doppelbefruchtung eingehen. Wenn man aber 
mit Strasburgert) annehmen will, dass die Verschmelzung des 
zweiten Spermakernes mit dem Embryosackkern keinen eigentlichen 
Sexualact, sondern nur ein Signal oder einen Reiz für die Wieder- 
aufnahme der zeitweilig sistirten Thätigkeit der Prothalliumbildung 


1) Es ist zu bemerken, dass die beiden copulirenden Polkerne sich oft schon 
in der Prophase befinden. 

2) Strasburger, loc. cit. pag. 300. 

3) Land, Bot. Gaz, Vol. XXX Nr. 4 pag. 255, 256. 


4) Strasburger, loc. eit. pag. 808, 
Flora 1901, 5 


66 


darstellt, so wäre es von Interesse zu untersuchen, ob durch etwaige 
experimentelle Eingriffe thermische, chemische Reize u. s. w. der 
Embryosackkern ohne Befruchtung („parthenogenetisch“) zur Endo- 
spermbildung veranlasst werden kann.') 

Damit könnte eine scharfe Trennung von zwei Phasen der Be- 
fruchtungsvorgänge, nämlich die Uebertragung des Idioplasmas und 
der Wachsthumsreiz ?), wohl erzielt werden. 

Zum Schlusse sage ich Herrn Prof. Miyoshi meinen’ besten Dank 
für das rege Interesse, das er meiner Arbeit zu theil werden liess. 

Botanisches Institut Tokyo, Juni 1901. 


Figurenerklärung. 
Tafell. 
Die sämmtlichen Figuren sind mit Hilfe von Seibert Hom. Imm. 1/,, X Ocul. 
Periscop. II (Vergr. ca. 800) und Abbe’s Zeichenapparat gezeichnet. 
Fig. 1-4, Fixirung m Flemming’s Flüssigkeit und Färbung mit Safranin- 
Gentiana-Orange. 

» 4. Ein Embryosack mit dem zweiten Spermakerne (spg), der eben den secun- 
dären Embryosackkern (se) erreicht und noch zum Theil im Cytoplasma- 
strang (cyt) einliegt. 

» 2. Embryosack im Querschnitt, Der hufeisenförmig gekrümmte Spermakern 
neben dem secundären Embryosackkern sichtbar. sp, Spermakern; se der 
secundäre Embryosackkern. 

„ 38 und b. Verschmelzung des Spermakernes mit dem Eikern. ei Eikern; 
sp, starkgefärbter Spermakern, kp Kernkörperchen. 

„ 4. Verschmelzung des zweiten Spermakernes mit dem secundären Embryosack- 
kern. se der secundäre Embryosackkern ; sp, Spermakern ; kp Kernkörperchen. 

»„ 5—12. Fixirung mit Sublimatessig und Färbung mit Fuchsin-Jodgrün-Gemisch. 

» 5. Ein eben befruchteter Embryosack im Längsschnitt, sp, der erste Sperma- 
kern; sp, der zweite Spermakern; ei Eikern; p,, 25 beide Polkerne; syn 
ein Synergidenkern. 

» 6. Ein Embryosack im Querschnitt. sp, zweiter Spermakern;; p,, pa Polkerne. 

» 7. Ein Embryosack mit dem in Wanderung begriffenen zweiten Sperma- 
kern (sp;). ei Eikern; »0ol Pollenschlauchende. 

» 8. Ein Embryosack im Längsschnitt. ei Eikern; syn ein Synergidenkern; 
sPq. SPa Spermakerne; p,, p5 Polkerne; pol Pollenschlauchende mit zwei 
stark färbbaren Körpern (x). 

„ 9. Das obere Theil eines Embryosacks. sp,, 89, Spermakerne; ei Eikern 
Pı das obere Polkern; pol, x wie oben, 

„ 10. Zusammentreffen dreier Kerne in einem späteren Stadium, 74, 2, Pol- 
kerne; sp, schon abgerundeter Spermakern. 

»„ 11. Ein Embryosack im optischen Längsschnitt. Lebendes Material. 
$Pp 5Pg Spermakerne; p,, p5 Polkerne; cyt Cytoplasmastrang. 

„ 12. Dasselbe Präparat gezeichnet nach etwa zwei Stunden. seeben verschmolzene 
Polkerne; sp; Spermakern mit einem deutlich sichtbaren Kernkörperchen. 


1) Zwar beobachtete Coulter einmal, dass bei Ranunculus multifidus die Endo- 
spermbildung auch im unbefruchteten Embryosack stattfand. (The Life History of Ra- 
nunculus. Bot. Gaz,Vo1, XXV pag. 83). Vgl. ferner Webb er,Xeniau.Juel,Bot.Ctrb, 
Bd. 74 pag.371. Neuerdings gelang es Nathansohn sogar, die Eizelle von Marsilia 
durch höhere Temperatur zur parthenogenetischen Entwickelung zu veranlassen, 

2) E. Zacharias erblickt darin die Einführung von Nuclein mit dem männ- 
lichen Kerne. (Verhandl. d. naturw. Vereins Hamburg 1901.) 


Cecidiologische Notizen. 


Von 
Ernst Küster. 
Mit fünf Textabbildungen. 


Im 86. Band der „Flora“ habe ich einige Daten aus der patho- 
logischen Anatomie der Pflanzen, insbesondere aus der Anatomie der 
Gallen, veröffentlicht.) Auf einige der daselbst berührten Fragen 
möchte ich in den vorliegenden „cecidiologischen Notizen“ etwas aus- 
führlicher zurückkommen und möchte in diesen die früheren durch 
neue anatomische und morphologische Angaben zu ergänzen suchen. 
Einige entwickelungsgeschichtliche Mittheilungen sind der Inhalt der 
vorliegenden Blätter. 


I. Ueber die Betheiligung der Epidermis an anormalen Gewebe- 
wucherungen. 


Die Frage, welchen Geweben der normalen Pflanzenorgane die 
Gallen entstammen, ist schon wiederholt gestellt, aber fast immer von 
demselben Gesichtspunkt aus behandelt worden; immer wieder wird 
betont, dass nur Gewebe, die noch in der Entwickelung begriffen 
sind, zur Gallenbildung befähigt seien.?) Für die spät entstehenden 
Gallen der Cynipidensommergeneration und manche andere würde es 
sich verlohnen, der Frage eine eigene Prüfung zu widmen, ob jene 
Gewebe, welchen die betreffenden Gallen ihre Entstehung verdanken, 
ihr normales Wachsthum schon abgeschlossen haben oder nicht. 
Theoretisch lässt sich gegen die Vermuthung, dass auch solchen 
Geweben, deren Zellen ihre normale Wachsthums- und Theilungs- 
thätigkeit bereits abgeschlossen haben, durch Gallenreize zu ab- 
normem Wachsthum veranlasst werden können, nichts einwenden. 


1) Küster E., I. „Beiträge zur Anatomie der Gallen“. Flora 1900 Bd. 86 
pag. 117. Vgl. dazu IL: ‚Ueber einige wichtige Fragen der pathologischen 
Pflanzenanatomie.* Biol. Centralbl. 1900 Bd. XX pag. 529. 

2) Man vergleiche Thomas Fr., „Eine Bemerkung zu Julius Sachs’ phy- 
siologischen Notizen, den Fundamentalsatz der Cecidiologie betreffend.“ Ber. d. 
d. Bot Ges. 1898 Bd. XVI pag. 72. Daselbst zahlreiche Angaben aus der früheren 
Litteratur. — Ferner Beyerinck, „Beobachtungen über die ersten Entwicke- 
lungsphasen einiger Cynipidengallen.“ Amsterdam 1882 pag. 180. — Appel, 


„Ueber Phyto- und Zoomorphosen.“ Königsberg 1899 pag. 52 ff. 
b* 


68 


Dass nach Verwundung dergleichen eintritt, ist bekannt; dass auch 
mechanischer Zug ähnliches vermag, wird durch die beim passiven 
Wachsthum auftretenden Erscheinungen wahrscheinlich gemacht. 
Warum sollten nieht auch chemische Reize analoge Wirkungen er- 
zielen können? Der sicherste Weg zur Lösung derartiger Fragen 
wird sich freilich erst dann uns erschliessen, wenn wir gelernt haben 
werden, lebende Pflanzengewebe im Experiment zur Bildung gallen- 
ähnlicher Wucherungen zu veranlassen. 

Mit der Frage nach der Herkunft der Gallengewebe lassen sich 
auch andere Probleme in Verbindung bringen: verhalten sich alle 
Gewebearten — Epidermis, Grundgewebe, Leitbündel — bei der 
Gallenbildung gleich oder lassen sich irgend welche Unterschiede con- 
statiren? Ich habe schon früher!) den wichtigsten Unterschied, der 
sich hierbei zu erkennen gibt, berührt und will in den folgenden 
Zeilen noch etwas näher auf diese Frage eingehen. 

Eine ‚vergleichende Untersuchung verschiedener Gallenformen 
zeigt, dass die Gallengewebe vorwiegend dem Leitbündel- und dem 
Grundgewebe entstammen, dass aber die Epidermis, wenn sie sich 
überhaupt an der Bildung anormaler Gewebewucherungen betheiligt, 
an Leistungsfähigkeit hinter jenen zurückbleibt. Auch insofern steht 
die Epidermis den anderen Gewebeformen nach, als die Derivate der 
Epidermiszellen zumeist keiner so weitgehenden Differeneirung fähig 
sind, wie die Abkömmlinge der Grundgewebezellen u. s. w. Auch 
bei Behandlung dieser Frage fühlen wir uns sehr beengt dadurch, 
dass bis jetzt die experimentelle Methode unsere Studien nicht zu 
. fördern vermag. So lange uns die Handhaben zu experimentellem 
Arbeiten nicht gegeben sind, werden wir versuchen müssen, der einen 
oder andern dieser Fragen durch sorgfältige Untersuchung der von 
der Natur gelieferten pathologischen Bildungen näher zu treten. 
Auch bei der normalen Gewebebildung der höheren Pflanzen 
sind im Allgemeinen die Epidermiszellen nicht zu weitgehenden 
Leistungen in Differeneirung oder Bildung secundärer Gewebe be- 
fähigt. Complieirte Haargebilde verdanken allerdings ihren Ursprung 
oft einer einzigen Epidermiszelle; viele Pflanzen lassen durch Bildung 
von Tangentialwänden ihre Epidermis hie und da mehrschichtig wer- 
den?); von denjenigen, die mit mebr oder minder mächtigem „Hypo- 


1) Vgl. II a. a. OÖ. pag. 589. 
2) Solereder: „Systematische Anatomie der Dicotyledonen“ pag. 910, 


69 


derm“ ausgestattet sind, verdanken bekanntlich manche!) dieses Ge- 
webe der Theilungsfähigkeit ihrer Epidermis und bei denjenigen 
Familien und Gattungen, bei welchen in den Epidermiszellen durch 
nachträgliche Theilung die Korkbildung eingeleitet wird, können die 
Abkömmlinge der Epidermiszellen sehr zahlreich werden und lange 
erhalten bleiben. Als Beispiele für den letzten Fall nenne ich neben 
den Salixarten und den Pomaceen mit Haberlandt?) Viburnum, 
Nerium und Staphylea pinnata. 

Die Veränderungen, welche die Zellen der Epidermis nach Ein- 
wirkung äusserer Reize erfahren können, sind sehr verschiedener Art. 
Der einfachste Fall ist offenbar der, in welchem das Wachsthum 
der Epidermis gleichzeitig mit dem der anderen Gewebeformen länger 
anhält als unter normalen Umständen. Das betreffende Organ wird 
durch das Wachsthum seiner Gewebe parallell zur Oberfläche länger 
bezw. breiter werden müssen. Wir nennen diese Abweichung vom 
Normalen die einfachste, weil mit ihr nicht das Auftreten irgend welcher 
neuen Qualitäten notwendiger Weise verbunden ist. Als Beispiel hierfür 
seien die verschieden geformten Blattbeulen auf Salvia genannt, die 
unter der Einwirkung von Phytopten entstehen. Die besagte einfache 
Abweichung von der normalen Wachsthumsbethätigung tritt übrigens 
nur selten auf, ohne sich mit anderen Veränderungen, die den Zellen 
neue histologische Charaktere geben, zu combiniren. 

Eine noch bescheidene Veränderung dieser Art erfahren die Epi- 
dermiszellen dann, wenn es sich lediglich um eine Vergrösserung 
ihrer Zellen handelt. Wenn ausschliesslich oder vorwiegend die Aussen- 
wände oder Theile von diesen in anormalem Flächenwachsthum sich 
bethätigen können, so tritt Haarbildung ein. Gerade in dieser liegt 
bekanntlich eine der wichtigsten Veränderungen, welche die Epidermis- 
zellen bei Gallenbildungen erfahren können. 

Die zweite Möglichkeit einer Veränderung des histologischen Cha- 
rakters wäre in der Theilung der Epidermiszellen zu finden, und 
zwar in der Theilung der Zellen parallel zur Oberfläche. In 
bescheidenstem Maassstab würde sich diese Veränderung dann zur 
Geltung bringen, wenn nur hie und da eine Querwand parallel zur 
Aussenfläche sich ausbildete. Bei lebhafterer Zelltheilung im ange- 


1) Siehe Pfitzer, „Beiträge zur Kenntnis der Hautgewebe der Pflanzen. 
UI, Ueber die mehrschichtige Epidermis und das Hypoderma.“ Pringsheim’s 
Jahrb. f. wiss, Bot. 1872 Bd. VIII*pag. 16. — Vgl. auch Solereder a. a. O. 
pag. 909. 

2) „Physiologische Pfanzenanatomie“ 2. Aufl. pag. 123. 


70 


führten Sinne würde die normaler Weise einschichtige Epidermis zwei- 
schichtig oder vielschichtig werden müssen. 

Erst bei Umwandlungen dieser Art kann die Epidermis zur Bil- 
dung von Gewebewucherungen reichlich beitragen. Vorzugsweise mit 
ihnen werden wir uns im Folgenden beschäftigen. Wird aus der ein- 
schichtigen Epidermis eine vielschichtige, so wird von ihr ein Charakter 
neu erworben, auf den die „systematische Anatomie“ grossen Werth 
legt. Die Frage liegt nahe, ob etwa nur diejenigen Pflanzen, deren 
Epidermiszellen schon normaler Weise zu Tangentialtheilungen — wenig- 
stens bei der Korkbildung — befähigt sind, Gallen mit der besagten 
Betheiligung der Epidermis zu entwickeln im Stande sind, oder ob 
sich vielleicht anderweitige Beziehungen zwischen den normalen und 
den pathologischen Wachsthumserscheinungen erkennen lassen, 

Der Behandlung dieser und anderer allgemeiner Fragen seien 
kurze Mittheilungen über Anatomie und Entwickelung einiger weit 
verbreiteter Gallen vorausgeschickt. 


Ulmus. 


Die grossen, beuligen Auftreibungen, die Schizoneura lanuginoss, 
eine Aphide, an den Blättern von Ulmus campestris hervorruft,!) sind 
Gallen mit mässig dieker Wandung, die durch abnormes Wachsthum 
der inficirten Gewebe parallel zur Oberfläche des Organes zu Stande 
kommen. Auf dem Querschnitt durch die Gallenwandung können wir 
die Zellen der oberen und unteren Epidermis und des Mesophylis 
deutlich von einander unterscheiden. Die Zellen der Epidermis sind 
gross, oft rundlich, Theilungen parallel zur Oberfläche fehlen durchaus. 

Aehnlich liegen die Verhältnisse bei den auf Ulmus effusa er- 
zeugten Blattgallen der Schizoneura compressa. Zu dem Wachsthum 
parallel zur Oberfläche, dem auch hier die bestimmende Rolle zukommt, 
tritt aber hier noch ein beträchtliches Diekenwachsthum der zum Beutel 
sich einstülpenden Blattlamina. Besonders in der Nähe der Anheftungs- 
stelle sind Quertheilungen in den Zellen des Mesophylis zahlreich. 
Die Epidermiszellen theilen sich aber nur mit senkrecht zur Ober- 
fläche orientirten Wänden. Tangentialwände kommen nicht vor. 

Bei den zwei genannten Aphidengallen liess sich in der Wachs- 
thumsintensität der verschiedenen Gewebeschichten, welche die Dicke 


1) Entwickelungsgeschichtliches bei Appel a, a O. pag. 25. Daselbat auch 
Angaben über ältere Litteratur. 


71 


des Blattes ausmachen, kein erheblicher !) Unterschied feststellen. Ab- 
weichenden Verhältnissen begegnen wir bei der weit verbreiteten Galle, 
die Tetraneura Ulmi an verschiedenen Ulmenarten erzeugt. Bei dieser 
Galle können die Zellen der unteren Blatt- (der inneren Gallen-) 
Epidermis in ihrem Wachsthum nicht gleichen Schritt mit dem der 
oberen Zellenschichten halten. Die Zellen der unteren Epidermis 
wachsen eine Zeit lang noch passiv mit den anderen; es entstehen 
lang zugespitzte, spindelförmig ausgezogene Zellen, schliesslich Zellen 
mit haardünn verfeinerten Spitzen, die unter dem Einfluss des Zuges 
ähnliche Formen angenommen haben, wie sie von Glasröhren her be- 
kannt sind, die über der Gasflamme zu Capillaren ausgezogen werden. 
Es entstehen dieselben Zellenfor- 
men, die bei vielen Meeresalgen als 
Zeugen passiven Wachsthums an- 
zutreffen sind.) Bei fortschrei- 
tender Zerrung lösen sich die 
einzelnen Epidermiszellen von ein- 
ander ab. Ebenso wie die Zellen 
der unteren Epidermis, verhalten 
sich die ihr anliegenden Mesophyll- 
zellen. Auch an ihnen bekundet 
sich das Unvermögen, bis zur 
endlichen Ausbildung der Galle 
sich am Wachsthum activ zu be- 
theiligen. Es entstehen dieselben 
Zeilenformen, dieselben Lücken, 
wie wir sie für die Epidermis Fig. 1. Theil des Querschnittes durch 
soeben beschrieben haben. Man die Galle der Tetraneura Ulmi, 
vergleiche hierzu Fig. 1. 

Der Unterschied in der Wachsthumsintensität der verschiedenen 
Gewebeschichten ist übrigens niemals gross genug, um deutlich nach- 
weisbare Gewebespannungen zu veranlassen. An den von mir unter- 
suchten Exemplaren habe ich beim Anschneiden der Gallenwandungen 
niemals Spannungsdifferenzen nachweisen können. 


1 Es lässt sich annehmen, dass bei Beuteigallen die Gewebeschichten an 
der convexen Seite ein wenig lebhafter wachsen als die der concaven Seite. Vgl, 
Küster la. a. O. pag. 124. 

2) Vgl, Küster E.. „Ueber Gewebespannungen’ und passives Wachsthum bei 
Meeresalgen.“ Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. Berlin, mathem.-naturwiss. Olasse, 
1899 pag. 819, 


12 


Weitere Complicationen der Wachsthumsvorgänge lernen wir bei 
einem Dipteroceeidium der Ulme kennen, die Gallen, die ich im Sinne 
habe, werden von einer (meines Wissens bisher noch nicht bestimmten) 
Ceeidomyine erzeugt!) und stellen kleine flaschenförmige Gebilde dar, 
die der Mittelrippe oder den Seitennerven ansitzen. Im ersteren Falle 
ist der Nerv stark geschwollen, der Halstheil der faschenförmigen 
Galle ist kurz und wird auf der Oberseite des Blattes sichtbar 

(vgl. Fig.2B). Im anderen 

—— 0.7 A Fall liegt die ganze Galle 
ausschliesslich auf der Blatt- 
unterseite, ihre Längsachse 
liegt parallel zur Blattfläche, 
der Halstbeil ist ziemlich 
lang (vgl. Fig. 24). 

Die Anatomie der Galle 
interessirt uns nur so weit 
als unsere Frage nach der 
Betheiligung der Epidermis 
ins Spiel kommt. Besonders 
bei den der Mittelrippe auf- 
sitzenden Exemplaren kön- 
nen wir uns auf Querschnitten 
leicht davon überzeugen, dass 
die oberseitigen Epidermis- 
zellen wiederholt sich quer- 
theilen (vgl. Fig. 3) und ein 
vielschichtiges Gewebe lie- 
fern. Unsere Abbildung ist 
Fig.2. Ulmengalle 'einer Cecidomyine. A eine nach dem Präparat einer Galle 
dem Seitennerv, B eine dem Hauptnerv auf- gezeichnet, bei der die Thei- 

sitzende Galle. — N Biattnerv. lungen in den Epidermiszellen 

besonders reichlich erfolgt 

sind. ‘Oft ist das von den Epidermiszellen sich ableitende Gewebe, 

das, wie die Figur zeigt, den Halstheil der Galle bilden hilft, etwa 

nur halb so stark. Dass die verschiedenen Zellenlagen wirklich De- 

rivate der ursprünglich einschichtigen Epidermis darstellen, ist auch 
an ausgebildeten Gallen mit Bestimmtheit zu erkennen. 


. 


1) v. Schlechtendal, „Die Gallbildungen (Zooceeidien) der deutschen 
Gefüsspflauzen“. Nr. 361. 


un 


78 


Die gleiche Theilungsfähigkeit besitzen auch die Zellen der 
unteren Epidermis, wie die Untersuchung der blattunterseits auf den 
Seitennerven (vgl. Fig. 2A) ’ 
angehefteten Gallen zeigt. 
Die Zelltheilungen sind 
hier übrigens minder zahl- 
reich wie bei den ober- 
seits stehenden Mittelnerv- 
gallen, fehlten aber bei 
den von mir untersuchten 
Exemplaren niemals.!) 


Salix, 


Von den zahlreichen 
Gallenformen, die auf den 
verschiedenen Weiden- 
arten anzutreffen sind 
— v. Schlechtendal 


zählt a. a. OÖ. gegen 40 
verschiedene Gallen auf—, Fig.,3. Theil des Querschnitts durch eine Ce- 
cidomyinengalle der’Ulme. Die Epidermiszellen 
haben sich durch Querwände wiederholt getheilt. 


seien nur vier als Bei- 
spiele hier herangezogen. 
Die knorpeligen Blattrandrollungen, die an verschiedenen Weiden- 


1) Anmerkung. Dass die Epidermis in dem parallel zur Oberfläche gerich- 
teten Wachsthum hinter den andern Gewebeschichten zurückbleibt und dadurch 
eine Lösung des Gewebeverbandes veranlasst, wie wir es für die Galle von Tetra- 
neura Ulmi zu constatiren hatten, ist vermuthlich keine allzu seltene Erscheinung, 
ist aber in den makroskopisch nicht erkenübaren Fällen bisher nicht hinreichend 
beachtet worden. Beispielsweise an den auf Spiraea Ulmaris auftretenden Blatt- 
gallen, die von Cecidomyia Ulmariae erzeugt werden, habe ich beobachtet, dass 
die untere Epidermis zuweilen vor Fertigstellung der Galle ihr Wachsthum ein- 
stellt. Da die über ihr liegenden Gewebeschichten noch weiterwachsen, lösen 
sich diese von ihr ab, Zwischen Epidermis und Mesophyll entsteht eine grosse 
Lücke. Anzeichen passiven Wachsthums habe ich nicht finden können. 

Sprengungen peripherischer Gewebe, die schon bei makroskopischer Be- 
trachtung auffallen, sind für die Hieraciumgalle von Aulax hieracii, für die Rubus- 
galle der Lasioptera pieta u. a, wohlbekannt. 

Bei der nachfolgend beschriebenen Galle lässt sich die Sprengung der ober- 
flächlichen Gewebeschichten erst bei mikroskopischer Untersuchung erkennen. 

Die Galle kommt auf den Blüthenstielen von Jacquinia Schiedeana 


74 


arten häufig sind, werden durch Phytopten erzeugt.‘) Die Blattmasse 
ist an den eingerollten Stellen auf etwa das Doppelte der normalen 
Dicke angeschwollen. Die anormale Dickenzunahme erklärt sich 
durch Vergrösserung der Mesopliylizellen, auf die hie und da auch 
Zellentheilung folgt. Die Epidermiszellen vergrössern sich wenig 
oder gar nicht, sind somit an der Gallenbildung so gut wie unbetheiligt. 

Durch Phytopten anderer Art) werden kleine Beutelgallen, die 
auf der Oberfläche der befallenen Weidenblätter sichtbar sind, er- 
zeugt. Sie entwickeln auf der Unterseite einen „Mündungswall“, 
der den ins Galleninnere führenden Porus verengt, und fallen meist 
durch ihre röthliche Färbung auf. Die Gallen kommen durch reich- 
liche Zelltheilungen im Mesophyll zu Stande, die einzelnen Zellen 
verlieren dabei den Formeharakter der Palissadenzellen des normalen 
Weidenblattes. Die Zellen der Galle sind rundlich oder polyedrisch, 
chlorophylifrei oder doch chlorophyllarm. Die Zellen der Epidermis 
theilen sich nur durch senkrecht zur Oberfläche orientirte Wände. 
Viele von ihnen wachsen zu kleinen einzelligen, ziemlich dickwandigen 
Haaren aus. 


Mez!) vor. Die Blüthenstiele schwellen zu rübenartigen, mehrere Centimeter langen, 
etwa lcm breiten, roth gefärbten?) Gallen an, deren anatomische Verhältnisse 
wenig Abweichendes von dem Ueblichen bieten. Interessant ist nur die Ausbildung 
des Hautgewebes. Mit dem intensiven Dickenwachsthum der ursprünglich schlanken 
Blüthenstiele kann die Epidermis der letzteren nicht gleichen Schritt halten. Die 
Epidermiszellen werden verdrückt, in die Länge gezogen, platten sich also stark ab, 
bis schliesslich ihre Aussenwand zerreisst (vgl. Fig. 4). Als dünne Lamellen heben 
sich die zerrissenen Membranen von der Galle ab, während die darunter liegende 
Zellenschicht den Charakter des Hautgewebes übernimmt. Der Process der Wand- 


verdiekung und Cutinisirung greift auf die tiefer liegenden Zellenschichten über 
(bei a in Fig. 4),3) 


1) Die neue Art wird demnächst publieirt werden. 

2) Mir stand nur Material aus dem Kopenhagener Herbarium zur Verfügung. 
Herr Prof. Mez war so freundlich, mich auf die Gallen aufmerksam zu machen. 

3) So weit die geringen Proben von Trockenmaterial, die ich untersuchte, 
ein Urtheil gestatten, scheint an den Achsentheilen von Jaoguinia Schiedeana ein 
analoger Hautgewebeersatz normaler Weise nicht einzutreten, Solereder(a,a,0. 
pag. 577) gibt übrigens für Jacquinia subepidermale Korkbildung an. -—- Die be- 
schriebene Galle zu bestimmen, war Herrn Dr. v. Schlechtendal, der sich um 
das Auffinden erkennbarer Insektenreste freundlichst bemühte, leider nicht möglich, 
Die Gallenwände waren von zahlreichen Fluglöchern durchbohrt, die vielen Larven- 
kammern bereits sämmtlich leer, 

4) v. Schlechtendal.a, a. O, Nr. 335. 

6) v. Schlechtendal a, a. O, Nr, 346, 


75 


Die Nematus-Gallen, die umfänglichsten Gewebewucherungen der 
einheimischen Weidenarten, verdanken ihre Entstehung einer ausser- 
ordentlich lebhaften Theilung der Mesophylizellen. Bei der fleischigen, 
linsenförmigen Galle von Nematus Vallisnerii Hrt. (= N. Capreae L.) 
sind die Abkömmlinge des grünen Mesophyligewebes dadurch inter- 
essant, dass sie, zum Theil wenigstens, mit wohl ausgebildetem Chloro- 
phyll versehen sind und als typische Assimilationszellen gelten können 
— ein bei Gallen ungewöhnliches Vorkommniss.!) Ferner fällt uns 
auf, dass auch die Epidermiszellen an der Bildung der Gewebewuche- 
rung sich betheiligen. Tangentialwände sind in ihnen häufig, die 
Epidermis wird (wenigstens stellenweise) mehrschichtig; zuweilen sind 
die Tangentialwände spärlich, niemals scheinen sie ganz zu fehlen. 


Fig. 4, Theile aus dem Querschnittsbild der Jacquiniagalle. Die oberflächlichen 
Zellen zerreissen, die Wände der tiefer gelegenen werden verdickt. 


Beyerinck bereits constatirte,in den.auf Salix amygdalina erzeugten 
Gallen reichliche Zelltheilungen in der oberseitigen und unterseitigen 
Epidermis. Man vergleiche Beyerinck’s Abbildung a. a. O. Tfl. I 
Fig. 5. 


1) Entwickelungsgeschichtliches über die Galle des Nematus Vallisnerii bei 
Frank, „Die Krankheiten der Pflanzen“ I. Aufl. pag. 781, II. Aufl. Bd. III 1896 
pag. 201. — Beyerinck, „Ueber das Cecidium von Nematus Capreae auf Salix 
amygdalina“. Bot. Ztg. 1888 Bd. 46 pag. 1 TA.I. — Küstenmacher, „Beiträge 
zur Kenntniss der Gallenbildungen etc.“ Pringsheim’s Jahrb, f, wiss. Bot. 
1894 Bd. XXVI pag. 146. 


76 


Dasselbe gilt von der grossen Blasengalle des Nematus vesicator. 
Auch hier treten Tangentialwände in den Epidermiszellen auf. 

Von grossem Interesse ist die Untersuchung der von N. gallarum 
erzeugten Gallen in jugendlichen Stadien, die Anfangs Mai an den 
Blättern verschiedener Weidenarten als längliche, verfärbte Fleckehen 
wahrzunehmen sind und bei oberflächlicher Prüfung kaum schon eine 
merkliche Schwellung des infieirten Gewebes erkennen lassen. Durch 
weiteres Diekenwachsthum der infieirten Stellen entstehen später flach 
linsenförmige Anschwellungen der Blattmasse, deren Querschnittsbild 
Fig. 5 veranschaulicht. Die obere Epidermis ist vielschichtig geworden; 
ihre Zellen haben sich an den verschiedenen Stellen sehr ungleich 
lebhaft getheilt und ein Gewebe von wechselnder Mächtigkeit enstehen 
lassen. Wo eines der spärlichen Haare sitzt (oder gesessen hat), 
unterbleibt diese Gewebebildung (Fig. 5 bei H). 


Fig. 5. Querschnitt durchfleine jugendliche Galle des Nematus gallarum. 
ud Ep Epidermis, H ein Haar, L Larvenkammer, 


Am Schluss ihrer Entwiekelung stellt die Galle einen wohlge- 
rundeten „Gallenapfel“ dar, der seinem Substrat mit dünnem Stielchen. 
angeheftet ist. Nach der Eintheilung von Lacaze-Duthiers müssen 
wir sie wohl zu den galles externes rechnen, sie sind aber von einer 
Epidermis überkleidet, die sich entwickelungsgeschichtlich von der 
normalen Epidermis des gallentragenden Organs ableitet. In späteren 
Stadien ist freilich ihre Herkunft nicht mehr deutlich zu erkennen. 


Quereus, 
Die Lenticularisgalle — auf Eichenblättern von Neuroterus len- 
tieularis erzeugt — entsteht aus dem Phlo&m der Blattnerven.!) Sie 


gehört zu den „freien“ Gallen im Sinne Küstenmacher’s, ihre 
Epidermis lässt sich nicht von der normalen ableiten, stellt vielmehr 
eine Neubildung dar. Die oberseitige undfunterseitige Epidermis des 


1) Eingehende entwickelungsgeschichtliche Angaben in Beyerinok’s „Be- 
obachtungen* pag. 81. 


17 


Blattes sowie das Mesophyll sind am Aufbau der Galle nicht betheiligt, 
sterben vielmehr in der Umgegend des Gallplastems früh ab. 

Die Frühjahrsgeneration derselben Wespe, Spathegaster baccarum, 
erzeugt auf Eichenblättern, an den männlichen Inflorescenzen der 
Eiche u. s. w., blassgrüne, kugelige Geschwülste, deren Herkunft von 
den normalen Geweben der gallentragenden Pflanze sich an den blatt- 
bürtigen Gallen leicht erkennen lässt. Die ober- und unterseitige 
Epidermis sind hier durch Bildung zahlreicher Tangentialwände an der 
Gallenbildung stark betheiligt. Prillieux, der die Baccarum-Galle 
(„galle en groseille*) zuerst entwickelungsgeschichtlich untersuchte, 
sagt von den Epidermiszellen: „Le cloisonnement des cellules se re&- 
pete un grand nombre de fois dans le sens tangentiel. II se forme 
ainsi un nombre d’autant plus grand d’assises que les cellules sont 
plus rapprochees du point oü a &te depose l’oeuf de Tinsecte...... 
J’ai vu la masse cellulaire &manant ainsi de la couche epidermique 
atteindre une &paisseur au moins trente fois plus grande que celle de 
l’epiderme normal. On y pouvait reconnaitre nettement six & huit 
assises de cellules qui se divisaient en outre transversalement un tre&s 
grand nombre de fois“.!) Die Zellen des Palissadengewebes liefern 
je eine Reihe von 4—5 isodiametrischen Zellen, besonders lebhaft 
aber ist die Theilung in dem tiefer liegenden Theil des Mesophylis, 
wo nach Prillieux die Zelltheilung ihr Maximum erreicht. 

Tilia. 

An den von Phytopten auf Blättern von Tilia platyphyllos er- 
zeugten Nervenwinkelgallen ?) sind die Zellen der unteren Epidermis 
stark vergrössert, hie und da zu Haaren umgestaltet. Nicht selten 
trifft man neben diesen andere Epidermiszellen, die sich durch eine, 
zwei oder mehr Tangentialwände gefächert haben. 


Viburnum Lantana. 

Die auffälligen Blasengallen auf den Blättern von Viburnum Lan- 
tana — Produkte einer Ceeidomyine ®) — kommen durch Bethätigung 
des Mesophylis zu Stande, dessen Zellen sich ausserordentlich stark 
vergrössern.‘) Die Zellen der Epidermis bleiben ebenso wie die des 
Mesophyllis ungetheilt. 


1) Prillieux, „Etude sur la formation et le d6veloppement de quelques 
galles.“ Arın, Se. Nat. Bot. 1876 Ser. VI Vol III pag. 120 ff. — Weitere entwicke- 
lungsgeschichtliche Angaben in Beyerinck’s „Beobachtungen* pag. 88, 89. 

2) v. Schlechtendala. a. O, Nr. 516. 

8) v. Schlechtendal a. a. O, Nr. 1150. 

4) Abbildung bei Küster I a, a. O. pag. 123, 


78 


Auch bei den kleinen, meist schmutzigroth gefärbten Beutelgallen, 
die Phytoptus Viburni erzeugt und die durch abnorme Behaarung auf- 
fallen, bleiben die Epidermiszellen insofern unverändert, als niemals 
Tangentialwände in ihnen auftreten. 


Juglans. 


Das von Phytopten erzeugte „Erineum Juglandis“ !) ist weniger 
durch abnorme Haarbildung als durch starke Wucherung mancher 
Stellen im Mesophyli gekennzeichnet. Durch seine Wachsthumsthätig- 
keit entstehen auf der Unterseite des Blattes mannigfach gestaltete 
Gewebezapfen und -leisten. Das Wachsthum der Epidermis beschränkt 
sich vorwiegend auf die Richtung parallel zur Oberfläche; jedoch treten 
als Seltenheiten auch tangentiale Theilungen hie und da auf. 


Urtiea, 


Die Epidermis der von Ceeidomyia Urticae erzeugten Blattgallen 
besteht aus abnorm gestreckten, palissadenförmigen Zellen. Stellen- 
weise wird die Epidermis zweischichtig. 


Der speciellen Erörterung der oben angeführten Gallenformen 
wollen wir einige allgemeine Erwägungen folgen lassen. 

Eine vergleichende Betrachtung der beschriebenen Gallen führt 
uns zunächst zu dem Resultat, dass zwischen der Wachsthums- 
und Theilungsthätigkeit, zu welcher die Epidermis- 
zellen durch verschiedene Gallenreize veranlasst werden, 
und ihrer normalen Theilungsfähigkeit, insbesondere 
ihrer Befähigung zur Korkbildung, sich keine Bezie- 
hungen erkennen lassen. — Bei den Salixarten entsteht be- 
kanntlich der Kork aus der Epidermis. Wenn sich annehmen liesse, 
dass bei ihnen die Epidermiszellen zur Bildung von Querwänden „in- 
clinirten“, so zeigen andererseits mehrere der oben beschriebenen Gallen, 
dass auch bei den Weiden nicht jeder Gallenreiz die Epidermiszellen 
zu Wachsthum und Theilung in dem Sinne anregt, wie sie der Kork- 
bildung vorangehen. Die von Phytopten erzeugten Gewebewuche- 
rungen kommen ohne Betheiligung der Epidermis zu Stande, d. h. 
ohne Quertheilung ihrer Zellen; bei den von Hymenopteren erzeugten 
Geschwulsten sind die Epidermiszellen lebhaft thätig. — Den Salix- 


1) Frank, „Krankheiten der Päanzen“ Bd. III pag. 47.— v.Schlechten- 
dal a. a, O. Nr, 281. 


79 


gallen stellen wir die Gallen der Ulme gegenüber, bei der die Kork- 
bildung durch subepidermale Zelltheilungen eingeleitet wird. Die 
besprochenen Aphidengallen veranlassen keine Quertheilung der Epi- 
dermiszellen; sie theilen sich dagegen reichlich bei Bildung des be- 
schriebenen Dipterocecidiums. Als weitere Beispiele dienen die Quer- 
theilungen, die wir für Juglans, Tilia, Urtica und Quercus constatiren 
konnten. Ihre Epidermis ist normaler Weise einschichtig, die Kork- 
entstehung erfolgt bei Tilia, Juglans und Quercus subepidermal. 
Andererseits verweisen wir des weiteren auf die Gallen von Viburnum 
Lantana, dessen Phellogen von den Epidermiszellen abstammt. Bei 
der Gallenbildung bleiben gleichwohl die Epidermiszellen in tangen- 
tialer Richtung ungetheilt. 

Die vergleichenden Betrachtungen an Weiden- und Ulmengallen 
zeigen am besten, dass das Schicksal der einzelnen Gewebe bei der 
Gallenbildung nicht in Zusammenhang mit ihren schon unter normalen 
Verhältnissen sich bekundenden Fähigkeiten zu bringen ist, dass viel- 
mehr die Art des auf die inficirten Gewebe wirkenden Giftes der be- 
stimmende Factor ist. Vielleicht gibt es überhaupt keine Pflanze oder 
kein Pflanzenorgan, dessen Epidermiszellen zu abnormer Wachsthums- 
und Theilungsthätigkeit schlechterdings unfähig sind, 

Des weiteren ersehen wir aus obigen Beispielen, dass auch 
zwischen dem Verhalten der einzelnenGewebeartenund 
den versehiedenen Gruppen gallenerzeugender Thiere 
sich keine gesetzmässigen Beziehungen erkennen lassen. 
Bei den angeführten Ulmen- und Weidengallen bleibt die Epidermis 
einschichtig, wenn es sich um Infection durch Milben oder Aphiden 
handelt, sie zeigt Quertheilungen nach Infection durch Dipteren und 
Hymenopteren. Dass aber nicht allgemein den Milbengiften die Fähig- 
keit, die Epidermiszellen zu Quertheilungen anzuregen, abzusprechen 
ist, zeigt die von uns erwähnte Juglansgalle und lehren die von 
Molliard gegebenen Beschreibungen der auf Geranien auftretenden 
Phytoptusgallen.!) An den von Phytoptus Geranii infieirten Blättern 
des Geranium sanguineum theilen sich die Zellen der unteren Epi- 
dermis wiederholt nach allen Riehtungen, so dass aus jeder Zelle ein 
„massif de cellules“ entsteht. Aehnliches gibt Verf. für die Gallen 
des Cecidophyes Schlechtendali auf Geranium disseetum an. 

Wie verschieden die beiden Generationen einer Cynipide auf die 
Gewebe eines Eichenblattes wirken, haben wir oben schon besprochen. 


1) Molliard, „Hypertrophie pathologique des cellules vög6tales, Rev. gen. 
de Bot. 1897 Bd. IX pag. 83. — Vgl. pl. V fig. 2. 


80 


Zum Theil werden wir uns diese Unterschiede wohl durch Differenzen 
im Alter der infieirten Blätter begründet denken müssen. Mit der 
ergiebigen Zellentheilung, zu welcher eine Diptere die oberseitigen 
Epidermiszellen der Ulmenblätter anregt, vergleichen wir ferner die 
auffallende Wirkungslosigkeit eines Dipterengiftes auf die gleichen 
Gewebe des Buchenblattes: bei der von Hormomyia piligera erzeugten 
Blattgalle bleibt bekanntlich die obere Epidermis von jeder Bethei- 
ligung ausgeschlossen, während die ihr angrenzenden Mesophylizellen 
lebhaft sich theilen und weitgelende Veränderungen erfahren. ') 
Zweifellos gibt es auch Aphidengallen, bei welchen sich die Epidermis- 
zeilen durch Quertheilungen an der Wucherung betheiligen. 

Aus allem ergibt sich, dass weder die Kenntniss der normalen 
Gewebeverhältnisse einer Pflanze, noch die Bekanntschaft der in Frage 
kommenden Thiergruppe uns vorherzusagen gestattet, ob und wie ein 
Gewebe — insbesondere die Epidermis — auf den Gallenreiz rea- 
giren wird. 

Noch weitere Betrachtungen lassen sich an unsere obigen Bei- 
spiele anknüpfen. Die oben aufgeführten Befunde im Verein mit 
anderen, schon bekannten, entwickelungsgeschichtlichen Thatsachen 
machen es uns wahrscheinlich, dass bestimmte Gallengifte nur be- 
stimmte Gewebearten zum Wachsthum anregen können. Ich erinnere 
von Neuem an die Entwickelung der Piligeragalle, bei welcher die 
obere Epidermis ganz unthätig bleibt. Es spricht nichts für die An- 
nahme, dass der Gallenreiz, der auch in den obersten Mesophylizellen 
noch wirkt, die obere Epidermis nicht mehr erreiche und daher auch 
nicht zum Wachsthum anregen könne. Viel wahrscheinlicher ist mir 
die Annahme, dass die von dem Gallengift ausgehende Wirkung nur 
für bestimmte Gewebe einen Wachsthumsreiz involvirt; die Zellen der 
oberen Epidermis sind für den Reiz unempfänglich oder „empfinden“ 
ihn nicht als Wachsthumsreiz. 

Bei den aus dem Phloöm der Blattnerven entstehenden Eichen- 
gallen wie der Lenticularisgalle wird nur dieses von dem Gallengift 
zum Wachsthum angeregt, obschen auch die anderen Gewebearten 
— Mesophyll, Epidermis — von seiner Wirkung erreicht werden und 
unter seiner Wirkung zu- Grunde gehen. 

Schliesslich gibt es auch Gallengifte, die nur auf die Epidermis 
zu wirken vermögen, wir denken an die bekannten Erineum- 


1) Eingehende entwickelungsgeschichtliche Angaben bei Fockeu, „Re- 
cherches anatomiques sur leg galles*. Lille 1896 pag. 9 ff, 


8 


gallen.!) Unter der Einwirkung der von Phytopten gelieferten Gift- 
stoffe verwandeln sich die relativ kleinen Epidermiszellen in volumi- 
nöse Schläuche. Die unter ihnen liegenden Mesophylizellen bethei- 
ligen sich nicht am Wachsthum, und zwar nach unserer Auffassung 
nicht deswegen, weil sie von dem Gallengifte nicht erreicht werden, 
sondern weil ihre physiologische Konstitution Wachsthum als Reiz- 
wirkung ausschliesst. Dass sie aber von dem Gifte thatsächlich er- 
reicht werden, schliessen wir aus der Verfärbung der Mesophylizellen.?) 

Dass unsere Annahme von der Existenz specifischer Epidermis- 
gifte ete. durch die Beobachtungen der Gallen selbst nur ungenügend 
gestützt wird und der Bestätigung durch das Experiment bedarf, ist 
uns nicht zweifelhaft. 

Zum Schluss kommen wir noch einmal auf diejenigen Gallen 
zurück, bei welchen Epidermis und Grundgewebe sich durch Quer- 
theillung am Zustandekommen der Gewebewucherung betheiligen. 
Tritt überhaupt die Epidermis in Action, so finden wir in allen Fällen 
die Regel bestätigt, dass die Epidermis in ihrer Leistungs- 
fähigkeit hinter dem Grundgewebe zurückbleibt; Meso- 
phyll, Rinde und Mark sind die eigentlich gallenbildenden Gewebe, 
die Epidermis betheiligt sich nur in relativ bescheidenem Maassstab. 
Auch hier müssen wir wieder Unterschiede in der physiologischen 
Constitution der verschiedenen Zellenarten voraussetzen. 

Die hier gegebene Regel, die wir bei allen Gallenbildungen 
durchgeführt finden — Ausnahmen sind mir bis jetzt noch nicht be- 
kannt, vielleicht dürften wir in der ungeheuren Menge unzureichend 
erforschter ausländischer Gallen solche vermuthen —, ist von allge- 
meiner Gültigkeit. Die anormale Anatomie der Pflanzen, aus der wir 
hier ein kurzes Capitel behandeln, kennt neben den Gallen noch 
anders geartete Gewebewucherungen; auch bei ihnen finden wir die 
gleiche Regel bestätigt. 

Zunächst sei der Callusgeschwulsten gedacht, die nach Ver- 
letzung von Pflanzentheilen bald mehr, bald minder üppig an der 


1) Als solche werden verschiedenartige, nur äusserlich sich ähnelnde Gallen- 
formen zusammengefasst. Wir haben es hier nur mit denjenigen zu thun, die 
durch Bildung einzelliger Hadre zu Stande kommen und auf Acer, Tilia, Fagus u. a. 
häufig sind. 

2) Neben der Haarbildung tritt häufig noch eine beulige Auftreibung der 
infieirten Blattstellen ein, die dafür sprechen, dass auch die anderen Schichten 
des Gewebes ein geringes Wachsthum in der Richtung der Blattläche erfahren 
können. 

Flora 1901. 6 


82 


Wundfläche hervorquellen. Wir wollen auf den Begriff des „Callus“ 
hier nicht eingehen und die Entwickelung der Callusgeschwäülste nicht 
näher behandeln, sondern nur die Frage studieren: Welche Gewebe 
können durch Verwundung zu Zelltheilungen angeregt werden? Die 
Antwort auf die Frage ist schon von früheren Autoren gegeben worden ;') 
handelt es sich um ein cambiumführendes Organ, so übernimmt vor 
Allem das Cambium die Produktion des Callus; neben ilım können sich 
alle lebenden Zellen an seiner Bildung betheiligen — ausser der Epi- 
dermis, Stoll hata.a.O. nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die 
Epidermis von der Callusbildung ausgeschlossen bleibt. Als Ausnahme 
von der Regel ist Begonia zu nennen, deren Epidermiszellen durch 
Verwundung zu reichlichen Theilungen angeregt werden, und deren Ab- 
kömmlinge schliesslich die bekannten Blattstecklinge entstehen lassen.?) 
Die Ausnahme kann uns aber nicht hindern, das von Stoll betonte 
Verhalten der Epidermis auch weiterhin als die Regel anzuerkennen. 

Der Unterschied zwischen der Epidermis und den anderen leben- 
den Geweben, der sich aus ihrer Art, auf Wundreiz zu reagiren, aus- 
spricht, stimmt überein mit dem bei Gallenbildungen erkennbaren 
Unterschied, von dem oben ausführlich die Rede war. 

Eine dritte Art von Gewebewucherungen sind die von Sorauer) 
eingehend studirten „Intumescenzen“. Sie kommen durch Zellen- 
wachsthum und Zellentheilung zu Stande und zwar, wie durch 
Experimente festgestellt werden konnte®), bei Pflanzen, die „zur 
Zeit herabgedrückter Assimilationsthätigkeit bei Lichtarmuth eine Rei- 
zung durch erhöhte Wärme bei verhältnissmässig überreicher Wasser- 


1) Crüger H., „Einiges über die Gewebeveränderungen bei der Fortpflanzung 
durch Stecklinge.“ Bot. Ztg. 1860 Bd. XVIII pag. 369. Stoll R., „Ueber die Bil- 
dung des Callus bei Stecklingen * Bot. Ztg. 1874 Bd. XXXII pag. 737. — Vgl. ferner 
Massart J., „La cicatrisation chez les veg&taux,“ M&m, couronn6s et autres möm. 
Acad. veg. Belgique 1898 pag. 56, 57 u. A. 

2) RegelF., „Die Vermehrung der Begoniaceen aus ihren Blättern.“ Jenaische 
Ztschr. f. Naturwiss. 1876 pag. 447.— Hansen A., „Vergleichende Untersuchungen 
über Adventivbildungen bei den Pflanzen.“ Abhandl. Senkenb. Naturh. Ges. Bd. XII. 
S.-A. pag. 34. 

3) „Handbuch der Pflanzenkrankheiten“ 2, Aufl. Bd. I pag. 222. — „Ueber 
Intumescenzen.“ Ber. d. D. bot. Ges, 1899 Bd. XVII pag. 456, — „Intumescenzen 
an Blüthen,“ Ibid, 1901 Bd, XIX pag. 115. 

4) Ausser Sorauer beschäftigte sich mit der Frage Dale Elizabeth, 
„Intumeseences of Hibiscus vitifolius,* Ann. of Bot. 1899 Bd. XIII pag. 622, und 
„Investigations on the abnormal outgrowths or intumescences on Hibiscus viti- 
folius Linn.“ Phil, Transact. Royal Soc. London Ser, B Vol, 194 pag. 163—182, 


83 


zufuhr erlitten haben, und auf diesen Reiz nun durch Zellstreckungen 
auf Kosten des vorhandenen Zellinhaltes antworten“ (Sorauer). Wir 
constatiren, dass auch bei Bildung dieser Gewebewucherungen die 
Betheiligung der Epidermis entweder ganz ausbleibt oder hinter der 
des Grundgewebes weit zurückbleibt. In vielen Fällen wird die un- 
thätige Epidermis von dem lebhaft wachsenden Grundgewebe zerrissen 
und das Grundgewebe wuchert aus der Wunde hervor. — Im An- 
schluss an die Intumescenzen erwähnen wir Haberlandt’s „Ersatz- 
hydathoden“,!) eine weitere Form von Gewebewucherungen. Auch 
hier entsteht die Neubildung endogen. Die Zellen des Grundgewebes 
strecken und theilen sich, die Epidermis wird von ihnen durch- 
brochen. 

Haberlandt’s „Ersatzhydathoden“ könnten uns den Uebergang 
zu weiteren Gewebewucherungen vermitteln, deren Aetiologie noch 
dunkel ist. Auch andere Reize als chemische, als Wundreize oder 
die durch Wasserüberschuss veranlassten, können gleichwerthige 
Hypertrophieen verursachen, die alle die von uns behandelte Regel 
bestätigen. Gewebewucherungen, die hier noch genannt werden 
könnten, sind in der Natur nicht selten anzutreffen, bringen aber für 
unsere Frage keine neuen Beiträge mehr. Ich verzichte daher auf 
ihre Behandlung und behalte mir vor, in anderem Zusammenhange 
auf sie zurückzukommen. 


Halle a. $., Botanisches Iustitut der Universität, August 1901. 


1) Haberlandt, Ueber experimentelle Hervorrufung eines neuen Organs 
an Conocephalus ovatus Tree.“ Festschr. f. Schwendener, 1899, pag. 104. 


6% 


Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte der 


Utricularia-Blasen. 
Von 
Hans Meierhofer. 


Hiezu Tafel I—X. 


Einleitung, 


Im Herbst 1898 nahm ich im botanischen Laboratorium der Uni- 
versität Zürich einige Untersuchungen vor, um mich darüber zu orien- 
tiren, in welchen Zellen sich der rothe Farbstoff bildet, welcher im 
Spätherbst eine so lebhafte Färbung der Blätter hervorruft. Zu gleicher 
Zeit beschäftigte sich Dr. Overton, der damalige Assistent des hie- 
sigen botanischen Laboratoriums, mit der Aufgabe, die Rothfärbung 
auf künstliche Weise zu erzeugen. Zu derartigen Untersuchungen 
eignen sich Wasserpflanzen, darunter auch Utrieulariaceen, am 
besten, wie Dr. Overton in seiner Arbeit!) gezeigt hat. Jene Frage 
der künstlichen Rothfärbung in Utrieularia-Blättern und -Blasen ward 
sodann von Dr. Overton vorläufig gelöst, indem er durch zahlreiche 
Versuche überzeugend nachwies, dass das Auftreten von rothem 
Zellsaft in einer engen Beziehung zum Zuckerreichthum 
des Zellsaftes steht, und dass ferner relativ niedrige 
Temperaturen das Eintreten der Rothfärbung begün- 
stigen. Diese Untersuchungen aber veranlassten eine andere, die 
sich auf die vergleichende Anatomie und auf die Entwickelungsge- 
schichte verschiedener Utrieularia-Blasen erstreckte, Die Resul- 
tate dieser Untersuchungen sollen im Folgenden mitgetheilt werden. 

Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 1899 begonnen und 
im Sommer 1901 vollendet. Die Untersuchungen über die Function 
und Entwickelungsgeschichte der Utrieularienschläuche sind damit 
selbstverständlich noch nicht abgeschlossen. Es tauchen bei der Be- 
handlung dieser Objecte gar viele Fragen auf, deren Lösung wohl 
nur durch zeitraubende und sehr mühsame, peinlich sorgfältige Unter- 
suchungen möglich werden wird, besonders dort, wo es sich um die 
physiologischen Vorgänge handelt, die sich in den verschiedenen Theilen 
der complieirten Blasenapparate vollziehen. Immerhin ist es mir ge- 


1) Beobachtungen und Versuche über dasAuftretenvon rothem 
Zellsaft bei Pflanzen. Jahrb. f, wirs. Botanik Bd, XXXIII Heft 2. 


85 


lungen, die bisherigen Untersuchungen anderer Forscher, welche sich 
mit der Entwickelungsgeschichte und Anatomie der Utrieularia-Blasen 
beschäftigt haben (Cohn, Darwin, Goebel, Hovelaque, Ka- 
mienski, Pringsheim), an einigen Stellen zu vervollständigen 
und unsere Kenntnisse von den fraglichen Organen zu erweitern. 

Die histologische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchung 
wurde an Utricularia vulgarisL. vollständig durchgeführt. Dann 
wurden jeweilen zur Vergleichung Utrieularia Bremii Heer, 
Utricularia minor L. und Utricularia intermedia Hayne 
herbeigezogen. Auch Utrieularia neglecta Lehmann wurde 
untersucht. Soweit aber die vorliegenden Fragen in Betracht kommen, 
stimmt Utriceularia neglecta Lehm. genau mit Utricularia 
vulgaris L. überein. Da diese Art zudem von verschiedenen For- 
schern einfach als Utricularia vulgaris var. neglecta Lehm. 
aufgeführt wird, so habe ich es vorgezogen, auf eine eingehendere 
Darstellung der Verhältnisse bei dieser Art zu verzichten. 

Die Arbeit gliedert sich am natürlichsten in drei verschiedene 
Theile, von denen der erste die Anatomie, der zweite die Ent- 
wickelungsgeschichte und der dritte die morphologische 
Natur der Utricularia-Blasen, sowie die Kritik der verschie- 
denen, weitdivergirenden diesbezüglichen Ansichten behandelt. 


I. Anatomie der Blasen. 


In unserer Gegend gibt es wohl kaum ein Sumpfgebiet, in welchem 
nicht die eine oder andere Art der Gattung Utricularia zu finden 
wäre. Wenn die langen Sprosse einer kräftig entwickelten Pflanze 
mit ihren fein zertheilten Blättern frei im Wasser fluthen, so können 
sie von einem ungeübten Auge leicht mit Myriophyllum verwechselt 
werden. Betrachtet man aber die Pflanze genauer, so schliesst ein 
Merkmal sofort jeden Irrthum aus — es sind die blasenförmigen 
Gebilde, welche an den Blattfiedern sitzen. Dass diese rundlichen 
Gebilde wirklich hohl sind, wird am besten durch „Luftblasen“ de- 
monstrirt, die sich oft in ihrem Innern befinden. Diese Thatsache hat 
früher zu der Annahme geführt, dass den Blasen an den Blatt- 
fiedern ausschliesslich die Function vonSchwimmorga- 
nen zukomme. Üohn!) hat zuerst durch seine Untersuchungen 
an den Blasen von Utrieularia vulgaris L. nachgewiesen, dass 
diese Gebilde Thierfallen darstellen. Drude?) bekennt 


1) Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. III Heft. 1875. 
2) Drude, Die insektenfr, Pdanzen (Schenk, Hndb. d. B. I. Bd. pag. 113—146), 


86 


sich zu einer vermittelnden Ansicht und will die Schläuche gleich- 
zeitig alsSchwimmorgane und Thierfallen aufgefasst wissen. 
Ueber ihre Bedeutung als Schwimmapparate äussert er sich u. a. 
pag. 134: „Sie (die Utrieulariaceen) perenniren am Grunde der stehen- 
den Gewässer, in denen sie leben, und steigen zu Beginn des 
Sommers mit lufterfüllten Blasen empor, um an der Ober- 
fläche des Wassers die weitere Entwickelung zu durchlaufen.“ Und 
pag. 135 fährt er fort: „Als Benjamin!) u. a. Autoren den Bau 
der Blasen von Utricularia erkannt hatten, sahen sie in ihnen das 
Mittel der Pflanze, um die Form des Perennirens, wie sie von ihr 
schon lange bekannt war, normal zu vollziehen. Die lufterfüll- 
ten Utrikeln sollten das Schwimmen erleichtern, bis 
endlich beim Erlöschen der Vegetationskraft das durch 
die Ventile eindringende Wasser das Herabsinken der 
Pflanze auf den Grund des Gewässers ermöglichte.“ 
Benjamin's Hypothese von der Function der Blasen und ins- 
besondere des Blasenventils ist nun wohl ohne Weiteres hinfällig ge- 
worden durch die später angestellten Untersuchungen von Cohn und 
Darwin.®) Immerhin sei bemerkt, dass der Ansicht, es seien die 
Blasen Schwimmorgane, insoferne eine gewisse Berechtigung nicht 
abgesprochen werden kann, als die Jufterfüllten Schläuche ganz 
sicher das specifische Gewicht der Pflanze herabsetzen. Dass die 
Pflanze aber auch ohne Blasen schwimmt, ist experimentell bewiesen 
worden, indem man sämmtliche Blasen eines Sprosses abschneiden 
konnte, ohne dass deswegen die Pflanze in grössere Tiefen sank. Man 
hat auch schon daran gedacht, die Gasblasen einfach als Zersetzungs- 
produkte der in den Schläuchen vorhandenen thierischen Substanzen 
zu erklären. Diese Auffassung steht aber im Widerspruch mit der 
Thatsache, dass sich solche Gasblasen auch in Schläuchen vorfinden, 
die noch keine thierischen Organismen beherbergen. Vielleicht muss 
die Lösung der Frage nach ganz anderen Gesichtspunkten versucht 
werden. Ich möchte nur andeutungsweise auf einen solchen aufmerk- 
sam machen. Durch sorgfältig angestellte Versuche ist für Ciliaten- 
infusorien, speciell Paramaecium caudatum Ehrbg., das 
sich in unseren stagnirenden Gewässern ja massenhaft vorfindet, nach- 
gewiesen worden, dass schwache Säurelösungen, u.a. auch Kohlen- 
dioxyd, positiv-chemotaktisch auf die genannten thierischen Or- 


}) Benjamin, Ueber den Bau und die Physiologie der Utrieularien, Bot. 
Ztg. 1848, 


2) Darwin, Insektenfr. Pflanzen. Deutsch von V, Carus, 1876. 


87 


ganismen einwirken. Ist hier vielleicht ein Zusammenhang zwischen 
der „Luftblase* im Innern des Schlauches und den eindringenden 
Infusorien und Crustaceen vorhanden? 

Zu gleicher Zeit wie Cohn, aber unabhängig von demselben, 
beschäftigte sich Darwin!) mit der Untersuchung der Utrieularia- 
Blasen. Nur kurze Zeit nach dem Erscheinen von Cohn’s Arbeit 
veröffentlichte er die Resultate seiner Forschungen an Utricularia 
neglecta Lehmann. Er bemerkt einleitend?): „Seitdem ich die 
folgende Beschreibung nach meinen eigenen Beobachtungen und nach 
denen meines Sohnes Francis aufgesetzt habe, ist eine wichtige 
Abhandlung von Prof. Cohn über Utriceularia vulgaris erschie- 
nen, und es hat mir keine kleine Genugthuung gewährt, zu finden, 
dass meine Schilderung beinahe voliständig mit der 
jenes ausgezeichneten Beobachters übereinstimmt. Ich 
will meine Beschreibung so veröffentlichen, wie ich sie niedergeschrie- 
ben, ehe ich Prof. Cohn’s Schilderung gelesen hatte.“ 

In neuerer Zeit haben sich Hovelaque?°) mit der Anatomie der 
Blasen von Utrieularia vulgaris L, Goebel?) mit derjenigen 
von tropischen, land- und wasserbewohnenden Utrieularia-Arten ein- 
gehend beschäftigt. 

Zum Verständnis der Entwickelungsgeschichte und 
Morphologie der Blasen muss die Kenntniss ihrer Anatomie 
vorausgesetzt werden. Da zudem verschiedene Irrthümer zu beseitigen 
sind, die sich auf die bisherigen Kenntnisse der anatomischen Ver- 
hältnisse beziehen, so darf ich eine kurze Darstellung des anatomi- 
schen Baues der Utricularia-Blasen nicht umgehen. 


Utrieularia vulgaris L. 


Die Schläuche oder Blasen von Utricularia vulgarisL. 
erreichen eine Länge von 2,5—3mm. Sie sind bilateral-symmetrisch 
und zeigen deutlich einen dorsiventralen Bau (Fig. 1 Taf. I). Die 
Ventralseite ist flach, die Dorsalseite dagegen stark gewölbt. Der 
Schlauch ist seitlich zusammengedrückt und gestielt. Wir wollen zur 
genaueren Orientirung die Region des Stieles als hinten, die ent- 
gegengesetzte Seite als vorn bezeichnen. Am vorderen Ende des 
Schlauches befindet sich rechts und links von der Medianebene je ein 


1) Darwin, Insektenfressende Pflanzen. 

2) op. eit. pag. 358. 

3) Hovelaque,L’appareil vögetatif des Bignoniacdes, .,. Utricularides. 1888. 

4) Goebel, Annales du Jardin botanique de Buitenzorg Vol, IX pay. 41—119. 
Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen III. Bu. Marburg 1891—1893. 


88 


stark verzweigtes Gebilde, das von Oohn?) als „Schnurrbart- 
borsten oder Fühlfaden“ bezeichnet wurde. Darwin?) wählte 
hiefür den Ausdruck „Antennen“, weil ihm die ganze Blase eine 
gewisse Aehnlichkeit mit einem entomostraken Krustenthier zu haben 
schien (a Fig. 1). Die Bezeichnung „Antennen“ ist nach ihm von 
allen anderen Forschern acceptirt worden. Die beiden Antennen bilden 
mit ihren zahlreichen Verzweigungen vor dem Eingang zur Blase eine 
Art Reusensystem, welches ohne Zeifel dazu bestimmt ist, grössere 
Thiere von dem Eindringen in die Blase abzuhalten. Rechts und links 
vom Blaseneingang sind einzelne Zellen der Schlauchwandung zu 
Triehomen mit spitzer Endzelle ausgewachsen (fr in Fig. 1 und den 
übrigen Abbildungen fertiger Blasen). Ihre Zahl schwankt zwischen 
zwei, drei bis acht auf jeder Seite. Eine bestimmte Gesetzmässigkeit 
lässt sich in ihrem Auftreten nicht erkennen, so wenig wie in der 
Ausbildung der Antennen. Die Stärke der letzteren besonders varürt 
sehr, je nachdem die Lebensbedingungen für die betreffende Pflanze 
mehr oder weniger günstig sind. An gesunden, grossen Schläuchen 
sind die Antennen recht kräftig entwickelt und besonders stark ver- 
zweigt, während sie an weniger robusten Blasen oft nur rudimentär 
auftreten. Cohn’s?®) Figur 9 stellt eine Blase mit sehr schlecht ent- 
wiekelten Antennen dar.*) 

Der Eingang zur Blase befindet sich auf der flachen Ventral- 
seite und erscheint von aussen gesehen als eine eliptische oder recht- 
eckige Vertiefung, an deren Basis eine schmale Spalte quer zur 
Medianebene verläuft (Fig.2). Um die Verhältnisse am Eingang und 
im Innern genauer studiren zu können, führen wir einen medianen 
Schnitt durch eine ausgewachsene Blase (Fig. 9 Taf. II). Die Wan- 
dung der Blase ist sonst überall zweischichtig; ist aber der 
Schnitt genau median geführt, so sieht man zwischen 
der inneren und der äusseren Zellschicht wenige schmale 
Zeilreihen, die dorsal- und ventralwärts verlaufen und 
als Fortsetzung des aus dem Blasenstiel tretenden Ge- 
fässbündels erscheinen (lb Fig.9 und Fig.3). Die Zellen sind 
aber so schmal, dass man es fast dem Zufall zu verdanken hat, wenn 


2) op. eit. pag. 85. 

2) op. eit. pag. 360. 

3) op. cit. Taf. 1 

4) Die Antennen der im Wasser lebenden Utrieularia-Arten sind überhanpt 
relativ klein gegenüber denen von Landformen, wo sie häufig in Gestalt eines den 
ganzen Eingang überdachenden Lappens ausgebildet sind. 


89 


sie im Schnitt getroffen werden, und das ist wohl auch der Grund, 
warum bei Medianschnitten durch fertige Blasen diese Zellreihen meist 
nicht eingezeichnet sind. Cohn’s'!) Längsschnitt ist schief geführt, 
daher verschwinden die „Leitbündel* bald nach ihrem Austritt aus 
dem Stiel, während sie in Wirklichkeit dorsal und ventral erst am 
vorderen Rand der Blase endigen. Hovelaque?) bezeichnet diese 
Zellreihen als „fibres primitives“ und hat sie meines Wissens zuerst 
richtig im Querschnitt dargestellt (vgl. auch Fig. 1015 Taf. III), 
während er sie im Längsschnitt nur oberflächlich andeutet. Ein tadel- 
loser Medianschnitt durch die Blase einer tropischen Utricularia ist 
zum ersten Mal von Goebel?) gezeichnet worden. 

Am vorderen Ende setzt sich die dorsale Blasen- 
wandung ins Innere des Schlauches fort und bildet die 
Klappe, welche den Eingang verschliesst.) Die Klappe 
ist an der ausgewachsenen Blase zweischichtig (kl in Fig. 6, 9, 13, 
15, 17 u.a.). Sowohl die Zellen der inneren als auch der äusseren 
Schicht unterscheiden sich wesentlich von denen der eigentlichen 
Schlauchwandung. Die Zellen der äusseren Schicht werden gegen 
den unteren Rand der Klappe hin immer kleiner und schmäler, grup- 
piren sich um einen Mittelpunkt (C in Fig. 11 Taf. III), und es zeigen 
ihre Seitenwände jene eigenthümlichen Querleisten an ihren Mem- 
branen, wie man sie an den Zellen mancher Blumenblätter beobachten 
kann (Fig. 4u.5). An den vielen Klappen, die ich untersuchte, habe 
ich aber nie Zellen mit Ringfaserverdickung finden können, wie sie 
Cohn) gesehen zu haben glaubt. Die Zellmembranen der inneren 
Klappenschicht sind ebenfalls verstärkt und zeigen oft die wunder- 
lichsten Verbiegungen und Verkrümmungen mit Verdiekungsleisten 
in den Ecken oder in der Mitte langer Seitenwände (Fig. 12 Taf. III), 
kurz, man könnte auf die Klappe von Utricularia vulgaris L. 
genau die gleiche Beschreibung anwenden, wie sie Goebel®) für die 
Klappe von Utricularia flexuosa, einer indischen Wasserutri- 
eularia, gibt. Alle diese Verstärkungen und Versteifungen haben wohl 


1) op. eit. Fig. 9 Taf. I. 

2) op. eit. Fig. 550, 564, 565. 

3) Annales vol. IX. 

4) Aus Cohn’s Darstellung ist dieser Zusammenhang der Klappe mit der 


eigentlichen Blasenwand nicht ersichtlich, Seine Zeichnung, die selbst in die 
neuesten Lehrbücher aufgenommen wurde, lässt uns im Unklaren darüber, in 
welcher Weise eigentlich die Klappe mit der Blasenwand verbunden ist. 

5) op. eit. pag. 85. 

6) Annales. 


90 


den Zweck, der Klappe diejenige Festigkeit und Elastieität zu ver- 
leihen, welche nöthig ist, um sie wieder in die alte Lage zurückzu- 
führen, nachdem ein Thier den Weg ins Innere gefunden hat. 

Die Klappe wird jedenfalls ziemlich stark nach unten gepresst. 
Darwin!) u. a. Forscher haben öfters beobachten können, dass 
Thiere, die nur mit einem kleinen Theil ihres Körpers in die Blase 
vorgedrungen waren, trotz aller Anstrengungen nicht wieder loskom- 
men konnten. Die Klappe ist seitlich mit der Blasenwand und im 
hinteren Theil auch rechts und links mit dem gleich zu besprechen- 
den „Widerlager“ verwachsen (siehe % in Fig. 6, 13, 15 und 16). 
Nur in der Mitte hat sie so viel Spielraum, dass sie von einem ein- 
dringenden Thier etwas gehoben werden kann. 

Das „Widerlager“ ist ein fester, widerstandsfähiger Gewebe- 
körper, welcher den Abschluss der ventralen Blasenwand nach vorn 
bildet, und auf dem die Klappe im Ruhezustande aufliegt (1 in Fig. 7, 
9, 15, 16, 17). Darwin?) wählte für dieses Gebilde den Ausdruck 
„Kragen“, Cohn?) die Bezeichnung „Kinnlade“, während Goebel‘) 
dafür „Widerlager“ vorschlägt. Ich werde in der Folge den letzteren 
Ausdruck immer anwenden, weil er mir am zutreffendsten erscheint, 
und weil dabei Missverständnisse in Bezug auf die Function dieses 
Gewebekörpers von vorneherein ausgeschlossen sind. Aus dem gleichen 
Grunde sehe ich auch davon ab, die Bezeichnung „Backen“ weiter- 
zuführen, womit Cohn?) jene Zellschichten benennt, die als Fort- 
setzung der Blasenwand gegen die Antennen hier erscheinen (ba in 
Fig. 13 Taf. II). Schon Darwin hat auf die ausserordentliche 
Wichtigkeit des Widerlagers für die constante Form der Blase hin- 
gewiesen. Ohne diesen massiven Gewebekörper wäre aber auch ein 
richtiges Functioniren der Klappe undenkbar. Das zeigt sich am 
deutlichsten, wenn man mit einem Scalpell das Widerlager entzwei- 
schneidet. Sofort sinkt die Blase von beiden Seiten her zusammen 
unter gleichzeitiger Faltung der Klappe, so dass von einem vollstän- 
digen Verschluss des Blaseneingangs keine Rede mehr sein kann. 

Die äusserste Zeilschicht des Widerlagers besteht am Eingang 
zur Blase aus schmalen Zellen, deren Seitenwände ziemlich stark ver- 
diekt sind und mitunter noch Verdiekungsleisten aufweisen (Fig. 18 


I) op. eit. pag. 361, 363, 366. 
2) op. eit. pag. 361. 
3) op. cit. pag. 83. 
4) Annales vol. IX. 
5) op. eit. pag. 88. 


9 


Taf. IV). Diese 7ellwandverdiekung nimmt gegen das Innere ab, 
dafür werden die Zellen grösser und rundlicher. Auf der Innenseite 
der Blase besteht das epidermale Gewebe des Widerlagers aus den 
papillenartig erhöhten Basalzellen der zweistrahligen Drüsen (zwd in 
Fig. 7, 9, 17, 18). 

Eine ausgewachsene Blase von Utrieularia vulgaris L. 
besitzt vier typische Drüsenformen. Den einfachsten Bau zeigen 
die knopfartigen Drüsen!), welche sich sowohl auf der Aussen- 
seite der Blasen, als auch auf Blatt- und Sprossoberfläche befinden. 
(Fig. 19, Taf. IV.) Auf einer ins Gewebe versenkten Basalzelle 
ruht eine kurze Stielzelle (auch Gelenkzelle genannt), die 
ihrerseits wieder zwei rundliche Endzellen trägt. Meist senken 
sich die epidermalen Zellen der Blasenwand etwas gegen eine solche 
Drüse hin, so dass um dieselbe eine schwache Vertiefung entsteht, 
welche vielleicht als eine Art Sammelbecken für ein von der Drüse 
abzusonderndes Secret dient. 

Von oben gesehen haben die beiden Endzellen die grösste Aehn- 
lichkeit mit den Schliesszellen von Spaltöffnungen. (Fig. 20, Taf. IV.) 
Die Frage, ob man es hier nieht mit metamorphosirten Spaltöffnungen 
zu thun habe, ist schon oft aufgeworfen, aber bis jetzt noch nicht 
entschieden worden. Die Entwickelungsgeschichte der Drüsen gibt 
keine Anhaltspunkte in dieser Richtung. Als eine Bestätigung im 
negativen Sinne müssen auch die Beobachtungen aufgefasst werden, 
die Goebel an einer landbewohnenden Form, Utricularia orbi- 
culata Wall. gemacht hat, wo sich solche Drüsen neben wohl aus- 
gebildeten, typischen Spaltöffnungen befinden. 

Die Klappe ist auf ihrer Aussenseite mit vielen dreitheiligen 
Drüsen besetzt, die wir Köpfehendrüsen nennen wollen (kd in 


1) In den jüngsten Stadien der Blatt- und Schlauchanlagen siud diese mit 
zahlreichen Drüsen besetzt, die sich von den knopfartigen Drüsen nur durch ihre 
Grösse unterscheiden (Fig. 8, Taf. I). Ich sehe daher davon ab, sie als besonderen 
„Typus“ aufzuführen. Diese Drüsen sind protoplasmareich und sondern viel 
Schleim ab. Ihre Zahl nimmt mit der Entfernung von der Vegetationsspitze rasch 
ab, auch werden sie braun und hinfällig und verschwinden schliesslich ganz. 
Ihre Bedeutung ist noch nicht sicher festgestellt. Es liegt nahe, zu vermuthen, 
dass ihnen die Aufgabe des Schutzes dieser jüngsten Pflanzentheile zukomme, sei 
es gegen Austrocknung, sei ea gegen Schneckenfrass; denn nur in den Winter- 
knospen sind diese zarten Theile zudem noch durch die derben, resistenten 
Winterblätter geschützt, deren zahlreiche, dichtgedrängte Borsten vermöge 
ihrer Kalkinkrustation einen wirksamen Schutz gegen äussere, schädigende Ein- 
flüsse bieten. 


92 


Fig. 2, 9, 13, 15, 17). Man kann an ihnen deutlich eine mehr oder 
weniger stark ausgezogene Basalzelle (b Fig. 21, Taf. IV), eine 
kleine Mittel- oder Gelenkzelle (g) und eine End- oder 
Köpfchenzelle (e) unterscheiden.') Die Köpfchenzelle zeigt im 
Leben auffallend grosse Vacuolen, deren Inhalt alkalisch reagirt. 
Legt man Schläuche in sehr verdünnte Metkylenblaulösung, so tritt 
im Zellsaft der Köpfchenzellen nach wenigen Stunden eine prächtig 
blaue Färbung auf, während das feinkörnige Protoplasma des Pri- 
mordialschlauches ungefärbt bleibt. Fig. 21, Taf. IV stellt eine Partie 
der Klappe mit typischen Köpfchendrüsen dar. Cohn’s?) Abbildung 
der Köpfchendrüsen ist stark schematisirt, auch sind die Membranen 
viel zu dick gezeichnet. Es kommt mitunter vor, dass die Endzelle 
in der Längsrichtung nochmals getheilt wird (Fig. 64, Taf. X), analog 
den Drüsen auf Blatt- und Sprossoberfläche. Hie und da zeigt sogar 
die Gelenkzelle Viertheilung (Fig. 22, Taf. V). Die Endzellen der 
Köpfchendrüsen können sehr verschiedene Formen annehmen, auch 
ist ihre Insertion an der Gelenkzelle oft modifieirt, wie dies z. B. 
Fig. 14, Taf. III zeigt. Gegen den unteren Klappenrand hin treten 
die Drüsen weniger zahlreich auf, auch wird die Basalzelle immer 
kürzer. Diese letztere Einrichtung hat wohl den Zweck, Thiere, welele 
die Drüsen absuchen, allmälich gegen den Blaseneingang hinzuleiten. 
Büsgen?) hat ferner nachgewiesen, dass die Endzellen der Köpfchen- 
drüsen eine schleimige Substanz absondern, die auf chemotaktischem 
Wege kleine Wasserthiere anlockt. Dazu kommt noch ein weiterer 
Umstand, dem wohl bis jetzt zu wenig Beachtung geschenkt wurde 
und den ich ganz besonders hervorheben möchte. Die Zellen der 
Klappe sind nämlich glashell, wodurch die Klappe fast vollkommen 
durchsichtig wird. Oft habe ich beobachten können, dass kleine COru- 
staceen mit aller Gewalt gegen die Klappe vordrangen, als ob es für 
sie dort gar kein Hinderniss gäbe. Nachdem die Thierchen das 
Labyrinth der Antennenverzweigungen und Drüsen passirt haben, 
erscheint ihnen wohl der untere Klappenrand als die Oeffnung, durch . 
welche sie entrinnen können. Die vordringenden Crustaceen haben 
mich in ihrem Benehmen lebhaft an Sperlinge erinnert, welche sich 


1) Ganz analog gebaute Drüsen hat Merz (Untersuchungen über Anatomie 
und Samenentwickelung der Utricularien und Pinguicula, Diss. Bern 1897) auf der 
Klappe von Ütricularia purpurea beobachtet. 

2) op. eit. Fig 10, Taf. 1. 

3) Büsgen, Ueber die Art und Bedentung des Thierfanges bei Utrioularia 
vulgarir. Ber. d. D. bot. Gesellschaft 1888, 


98 


etwa in ein Zimmer verirren, und dann gegen die Scheiben prallen, 
weil sie glauben, an solchen durchsichtigen Stellen das Freie gewinnen 
zu können. Bei den Utrieularia-Blasen wird aber durch den Stoss die 
Klappe gehoben, das Thier gleitet ins Innere und ist erst jetzt gefangen. 

Besonders auffällig ist ferner eine eigenthümliche Drüse in der Mitte 
des unteren Klappenrandes. Sie besitzt eine grosse, kugelige Endzelle, 
eine Gelenkzelle und eine verhältnissmässig kurze Basalzelle.!) Rechts 
und links von dieser Drüse befinden sich je zwei starre, borstenartige 
Trichome. Die Drüse ist in Fig. 2 und 23 abgebildet. In Fig. 23, Taf. V, 
sind zugleich die Insertionen zweier Trichome an der Klappe dargestellt, 

Das Widerlager ist auf der Innenseite der Blase dicht mit zwei- 
strahligen Drüsen besetzt. (Fig. 7, 9, 17, 18, 24.) Auf einer uhr- 
glasförmig emporgewölbten Basalzelle stehen zwei lange, haarförmige 
Zeilen, die nirgends eine Querwand zeigen. An der Basis schliessen 
sie auf eine kurze Strecke weit eng aneinander und sind da zu einer 
Art „Stiel“ verschmälert. An den basalen Partien zeigen die Zellen 
Verdickung der Membranen, welche sonst äusserst zart und mit einem 
feinen Primordialschlauch ausgekleidet sind. 

Die ganze innere Blasenwand ist mit Ausnahme des Widerlagers 
mit zahlreichen, vierstrahligen Drüsen bedeckt, welche in ihrem 
Baue grosse Aehnlichkeit mit den vorhin besprochenen, zweistrahligen 
Drüsen zeigen. Ihre linsenförmig emporgewölbten Basalzellen sind, 
verglichen mit den übrigen Zellen der Blasenwandung, äusserst klein. 
Auf der Basalzelle aber stehen hier vier Zellen, die im unteren 
Theil auch zusammenschliessen und stielartig verengt sind. Oberhalb 
des „Stieles* aber biegen die vier Zellen in horizontaler Richtung um, 
so dass wir das Bild bekommen, wie es Fig. 25, Taf. V, im Profil 
und Fig. 26 im Grundriss darstellen. Zwei der haarförmigen Zellen 
sind nach vorn, zwei nach hinten gerichtet. Das eine Zellenpaar 
bleibt auch im völlig entwickelten Zustande kürzer als das andere., 
Immer stehen die nach der gleichen Seite gerichteten Zellen seitlich 
von einander ab. Wenn wir in eine der vier Zellen der vierstrahli- 
gen Drüsen da eintreten, wo sie an der Basalzelle inserirt ist, so 
haben wir eine continuirliche Röhre bis zur äussersten Spitze dieses 
Drüsenarmes. Auch hier sind die basalen Partien zur Erhöhung der 
Festigkeit verdiekt. Die Zellen sind mit einem äusserst feinen Pro- 
toplasmabelag austapezirt und besitzen oberhalb des „Stieles“ einen 
deutlichen Kern. Ihre Membranen sind so straff gespannt, dass es 


stellaris aufder Schlauchklappe eine solche auffällige, schleimabsondernde Drüso. 


94 


einem Thier kaum gelingt, die Zellen seitlich etwas zu verschieben, 
selbst wenn es die verzweifeltsten Anstrengungen macht, um sich zu 
befreien. Da aber die Membranen an den in Betracht kommenden 
Partien äusserst zart sind, so kann diese Starrheit der Fortsätze 
wohl nur durch ihren starken Turgor erklärt werden. 

Bis jetzt habe ich diese Darstellung der zwei- und vierstrahligen 
Drüsen in den Abbildungen der bisherigen Publikationen noch nirgends 
gefunden.!) Meist sind die haarförmigen Zellen so eingezeichnet, als 
wären sie an einer eigentlichen Stielzelle abgesetzt. Ich selber neigte 
anfänglich auch zu dieser irrthümlichen Ansicht, wurde aber durch 
die Entwickelungsgeschichte über den richtigen Bau aufgeklärt. Dass 
bei solchen Untersuchungen gut fixirtes und in Celloidin gebettetes 
Material alle Täuschungen ausschliesst, ist wohl selbstverständlich. 

Die Blasen der übrigen, einheimischen Utrieularien zeigen im 
Allgemeinen alle den gleichen anatomischen Aufbau, wie diejenigen 
von Utricularia vulgaris L. Es lag für mich nahe, nach all- 
fälligen systematischen Unterschieden zu guchen. Solche hoffte ich 
besonders bei Utricularia intermedia Hayne zu finden, welche 
ja als eine Art Uebergangstypus zwischen land- und wasserbewohnenden 
Utrieulariaceen betrachtet werden muss. Ich habe die diesbezüglichen 
Untersuchungen in der sorgfältigsten Weise durchgeführt, aber mit 
negativem Erfolg. Immerhin zeigten sich einige Abweichungen, die 
im Folgenden angeführt werden sollen. 


Utrieularia Bremii Heer und Utriceularia minor L. 


Beide Arten unterscheiden sich in ihrer Anatomie von Utri- 
eularia vulgaris L. nur durch die vierstrahligen Drüsen auf 
der Innenseite der Blasen. Hier sind alle vier Drüsenzellen, auch 
die kürzeren, nach der gleichen Seite gerichtet. (Fig. 27, Taf. V, 
stellt die vierstrahligen Drüsen von Utricularia Bremii Heer, 
Fig. 28 diejenigen von Utricularia minor L. dar.) Die Drüsen 
entwickeln sich anfänglich ganz gleich wie die entsprechenden von 
Utrieularia vulgaris. Im Laufe der weiteren Entwickelung kann man 
aber beobachten, dass die kürzeren Zellen allmählich eine Drehung 
gegen die längeren hin ausführen, 


Utrieularia intermedia Hayne, 

Diese Art unterscheidet sich von Utricularia vul garis L. 
in der Anatomie der Blasen ebenfalls nur durch die vierstrahli gen 
Drüsen. Während nämlich bei Utricularia vulgaris die gleichsinnig 

1) Vgl.indes Goebel, Pflanzenbiol. Schild. I pag. 178, 


95 


gerichteten Zellen seitlich von einander abstehen (Fig. 26), liegen hier 
je zwei Zellen hart neben einander, wenn sie nicht durch die Prä- 
paration verletzt worden sind (Fig. 29). Ich habe oftmals die Con- 
trole bei Blasen ganz verschiedener Exemplare von Utrieularia inter- 
media gemacht und die Zellen immer in der gleichen, charakteristischen 
Lage gefunden. Nach Darwin?) und Hovelaque?) hat übrigens 
auch Utrieularia montana vierstrahlige Drüsen von diesem Typus. 

Ferner habe ich beobachten können, dass bei Utricularia 
intermedia die knopfartigen Drüsen auf der Oberfläche des 
Schlauches hie und da an den Endzellen eine secundäre 
Querwand zeigten, so dass also auf der Gelenkzelle vier kleinere 
Zellen ruhten, statt zwei (Fig. 30) analog den Drüsen auf der Unter- 
seite der Blätter von Pinguicula alpina L.?) 


Il. Entwickelungsgeschichte der Blasen. 


Die Entwickelungsgeschichte der Blasen unserer einheimischen 
Utrieulariaceen ist meines Wissens bis jetzt noch nirgends eingehend 
und zusammenhängend dargestellt worden. Einzelne Entwickelungs- 
phasen finden sich allerdings in den Abbildungen verschiedener Autoren 
(Darwin, Goebel, Hovelaque, Pringsheim), aber die Dar- 
stellung eines ununterbrochenen Entwickelungseyclus fehlt. Was man 
bei den bisherigen Untersuchungen überall vermisst, ist die graphische 
Darstellung der Entwickelungsgeschichte der verschiedenen Drüsen- 
formen. 

„MeinSohn und ich verwandten viel Zeit auf diesen 
Gegenstand, aber mit geringem Erfolg“, so leitet Darwin‘) 
den Abschnitt „Ueber die Entwickelung der Blasen“ ein. 
Fürwahr, nicht besonders ermuthigend für mich, und leider wurde ich 
anfänglich nur zu oft in unangenehmer Weise an diesen Ausspruch 
erinnert. 

Im Sommer 1899 sammelte ich von den verschiedenen Utrieularia- 
Arten Alkoholmaterial, doch wurde im Laufe des Sommers 1900 
lebendes Material zur nachträglichen Controle herbeigezogen. 

Die beiden einzigen Stellen, wo sich die verschiedenen Ent- 
wickelungsstadien der Blasen genau verfolgen lassen, sind die Winter- 
knospen (Hibernakeln, Turionen) und die Vegetationsspitzen. 


1) op. eit. pag. 391, Fig. 28. 
2) op. eit. pag. 711, Fig. 612. 

- 8) Vgl, Goebel, Pflanzenbiolog. Schildergn. Il pag. 126, 
4) op. cit. pag. 382, 


96 


Vom Monat August an — bei anhaltend trockenem Wetter schon 
früher — legen unsere einheimischen Utrieulariaceen Winterknospen 
oder Hibernakeln an. Dass Trockenheit die Bildung von Winter- 
knospen beschleunigt, konnte ich öfters constatiren. Im Frühjahr 1900 
zog ich aus Hibernakeln von 1899 Utrieularia vulgaris L. in 
Cultur. Anfangs Juni vergass ich einmal längere Zeit, den Pflanzen 
wieder Wasser zuzuführen, so dass das Gefäss fast vollständig aus- 
trocknete. Da zeigte sich die auffallende Erscheinung, 
dass alle, auch die kleinsten Sprossenden, schon 
Winterknospen gebildet hatten, die freilich etwas 
zwerghaft aussahen. Am 3. Juli 1899 fand ich Utrieula- 
ria intermedia Hayne an einer sehr trockenen Stelle des alten 
Glattlaufes bei Rümlang. Jeder blatttragende Spross trug 
bereits eine Winterknospe, während Exemplare der gleichen 
Art, die aber am 22. September 1900 gesammelt wurden, noch 
keine Hibernakeln zeigten. Freilich waren diese letzteren Pflanzen 
reichlich mit Wasser versehen. Es ist dies um so auffallender, als 
ja Utrieularia intermedia Hayne nach ihrem Bau und ihrer 
Lebensweise von allen unseren einheimischen Arten als am geeignet- 
sten erscheint, sich dem Leben auf dem Lande anzupassen. Es liegt 
nahe, anzunehmen, dass die einzelne Pflanze durch Bildung von 
Winterknospen in dem Momente für die Erhaltung der Art sorgt, wo 
sie Gefahr läuft, infolge der ungünstigen Lebensbedingungen zu Grunde 
zu gehen.!) Diese Annahme rechtfertigt sich um so eher, als man bei 
uns selten fructificirende Exemplare findet. Ich selber habe nie solche 
beobachten können, trotzdem ich mir die grösste Mühe gab, Samen 
aufzufinden. Utricularia vulgaris L. speciell scheint in gewissen 
Gegenden allerdings eher zu fructifieiren als bei uns; denn es standen 
2. B. Kamienski?) genügend Samen zur Verfügung, um die Kei- 
mung zu verfolgen. Bezüglich der übrigen Arten bemerkt er aber?): 
„Die Keimung konnte ich wegen Mangels an entsprechendem Samen- 
material nicht beobachten.“ 

Löst man an einem Sprossende die äusseren Blätter los, welche 
die Vegetationsspitze umhüllen, so kann man von blossem Auge 
oder mit der Lupe junge Schläuche am Grunde der Blattfiedern 


1) Wie schon Goebel (Pfanzenbiolog. Schilderungen II pag. 360) auf Grund 
von Versuchen an Myriophyllum gezeigt hat. 

2) Kamienski, Vergleichende Untersuchungen über die Entwickelungs- 
geschichte der Utricularien. Bot. Ztg. 1877 Nr. 48, 

3) op. eit. pag. 775. 


97 


wahrnehmen. Sie sind aber in ihrer Entwickelung schon weit vor- 
geschritten. Will man die ersten Schlauchanlagen bekommen, so legt 
man eine mit den jüngsten Blättern herauspräparirte Vegetationsspitze 
unter das Deckglas, setzt etwas concentrirtes Chloralbydrat oder 
Kalilauge hinzu und übt einen leichten Druck auf das Deckglas aus. 
Die einzelnen Theile werden dadurch recht deutlich blossgelegt. Zur 
Herstellung von Dauerpräparaten ist es vortheilhafter, Winterknospen 
oder Vegetationsspitzen in Celloidin einzubetten, dieses in einem Ge- 
mische von 9 Theilen Glycerin und 1 Theil 80proc. Alkohol zu härten, 
und dann Längs- und Querschnitte auszuführen. Man kann zwar 
auch Schnitte herstellen, ohne die Objecte einzubetten, aber dann 
fallen die einzelnen, nur lose zusammenhängenden Partien leicht aus- 
einander. Sämmtliche Schnitte wurden von freier Hand ausgeführt. 
Zum Studium der Entwickelungsgeschichte der Drüsen besonders 
ist die Tinktion der Schnitte mit Hämatoxylin oder Hämalaun un- 
erlässlich. 
Utricularia vulgaris L. 

Die jüngsten Blätter, an denen die Blasenanlagen sichtbar sind, 
lassen nur geringe Fiederung erkennen, und die einzelnen Segmente 
sind noch stumpf, abgerundet (Fig. 31 Taf. VI, An der Basis des 
Blattes bemerkt man bald da, wo das erste Fiederblättchen sich ent- 
wickeln sollte, ein auffallend kurzes, gedrungenes Segment, es ist 
die junge Schlauchanlage (scha in Fig. 32). In einem etwas 
späteren Stadium erscheint diese Anlage als eine Kugel, die auf 
einem sehr dicken Stiele sitzt, und gleichzeitig bildet sich ungefähr 
im Aequator dieser Kugel eine Gewebewucherung, die sich als Quer- 
wulst zu erkennen gibt (gw in Fig. 32 und 33). Diese Partie 
wird später zur ventralen Blasenwand mit dem Wider- 
lager. Infolge ungleichen Flächenwachsthums krümmt sich der dem 
Stiel abgewendete Pol (p in Fig. 32 und 33), und es entsteht ober- 
halb des Widerlagers eine Vertiefung. Im Laufe der weiteren Ent- 
wiekelung krümmt sich die Spitze dieses Poles einwärts gegen den 
Querwulst (Fig. 34). Dadurch entsteht eine Höhlung, die bis auf einen 
schmalen Eingang verschlossen ist, welcher, von aussen gesehen, als 
eine quer zur Medianrichtung verlaufende Spalte erscheint (sp in Fig. 35). 
Die seitliche Blasenwand wird gebildet durch die 
rechts und links sich emporkrümmenden Ränder des 
Blattsegmentes, das zu einem Schlauch umgewandelt wird. Um 
diese jüngsten Entwickelungsphasen möglichst drastisch darzustellen, 
möchte ich den noch unveränderten Blattabschnitt, aus dem der 

Flora 1902, 7 


98 


Seuluuch sich bilden soll, mit der flach ausgebreiteten Hand ver- 
gleichen. Drücken wir diese seitlich etwas zusammen, so entsteht 
auf der inneren Handfläche eine Vertiefung, welche gegen den Unter- 
arm hin durch die Handwurzel, nach vorn durch die Fingerglieder 
begrenzt ist. Krümmen wir nun die Finger allmählich einwärts, so 
führen sie genau die gleiche Bewegung aus wie der obere Pol (p in 
Fig. 32, 33, 84) der jungen Blasenanlage. Der von der geschlossenen 
Hand umgrenzte Raum würde dem Hohlraum des Schlauches entsprechen. 

Indem nun die Zellen auf der dem Eingang abgewendeten Seite 
stärker wachsen als die der übrigen Partien der Blasenwandung, wird 
der Hohlraum immer grösser. Von einer Bildung des Hohlraumes 
„durch Zerreissungen im Zellgewebe“, wie P. Reinsch') 
annahm, kann also keine Rede sein. Aber auch Pringsheim’s?) 
Anschauung über die Entwickelung der Blasen beruht auf einem Irr- 
thum. Er bezeichnet die Anlage der venträlen Blasenwand als „se- 
eundären“, diejenige der dorsalen Partie als „primären Vege- 
tationskegel“ und bemerkt pag. 104: „Diese zu einander geneigten 
Organe, der primäre und der secundäre Vegetationskegel, schliessen 
zusammen den Hohlraum des künftigen Schlauches ein, der sich dann 
nur noch durch das Wachsthum der ihn begrenzenden Organe ver- 
grössert. Eine Complication tritt aber hier im Laufe der späteren 
Entwickelung durch das eigenthümliche, zur Bildung des sog. Ventils 
führende Verwachsen der beiden ursprünglich freien Vegetationskegel, 
des primären und secundären, ein. Es verwachsen diese in den Hohl- 
raum des Schlauches bis dahin nur einfach hineinragenden Vegetations- 
enden nämlich noch einseitig mit einander längs eines Stückes der 
einander berührenden Seite, und das aus dieser Verwachsung ent- 
stehende Verbindungsgewebe entwickelt sich fortwuchernd zu einer 
die beiden ursprünglichen Vegetationsspitzen verbindenden Gewebe- 
platte, mit diesen gemeinschaftlich eine Art an einer Seite offenen 
Trichters bildend, der sich nach innen erweitert und, von der Mün- 
dung in die Höhlung des Schlauches hineinragend, einen kanalartigen 
Zugang in das Schlauchinnere darstellt.“ In Wirklichkeit handelt es 
sich bei der Bildung der Blasen nicht um verschmelzende Vegetations- 
spitzen, sondern um eine Art Ringwall auf einem Blattsegment, Ich 
glaube auch, durch die Darstellung der Anatomie der Blasen klar- 
gelegt zu haben, dass der Eingang des Schlauches nicht durch einen 
„Trichter“ im Sinne Pringsheim’s gebildet wird. 


1) Reinsch, Denkschrift der k. bayer. bot, Ges. zu Regensburg 1859. 
2) Pringsheim, Monatsber, d, k. preuss. Ak. d. Wiss, zu Berlin, 1869, 


99 


Anfänglich besteht der Schlauch überall aus drei Zellschichten, 
er erscheint also als ein Blattlappen mit oberer und unterer Epider- 
mis und einem einschichtigen Mesophyll. Nach und nach aber wird 
das subepidermale Gewebe zerstört und resorbirt, die mittlere Schicht 
verschwindet also und die äussere und innere epidermale Schicht be- 
rühren sich später vollständig. Das primäre subepidermale 
Gewebe bleibt nur noch erhalten im Widerlager und in 
den wenigen schmalen Zellreihen‘, die dorsal- und 
ventralwärts median bis zum vorderen Rand der Blase 
verlaufen (ld Fig. 3, 9, 10). 

Die weitere Entwickelung der Schläuche lässt sich am besten an 
median geführten Schnitten durch junge Blasenanlagen erkennen 
(Fig. 36, Taf. VI). Der obere Rand der Blase krümmt sich nun all- 
mählich einwärts (Fig. 37, 38, 39) und zwar auf der ganzen Aus- 
dehnung des quer zur Längsaxe verlaufenden schlitzförmigen Ein- 
ganges. Die zunächst frei in das Innere vorragende Lamelle verwächst 
später seitlich mit der Blasenwandung und stellenweise auch mit 
dem Widerlager und wird nun Ventil oder Klappe genannt. 
Letztere ist also entstanden durch Fortwucherung der 
dorsalen Blasenwandung in’s Innere des Schlauches. 
Die Klappe ist anfänglich auch dreischichtig (Fig. 40), bei ihr ver- 
schwindet aber am frühesten die subepidermale Schicht (Fig. 41, 42, 
43, 44, Taf. VII) und zwar so vollständig, dass die ausgebildete Klappe 
immer nur aus zwei Zellschichten besteht mit Zellen von dem typi- 
schen Bau, wie er oben geschildert wurde. 

Die äquatoriale Gewebewucherung, welche an der jungen Blasen- 
anlage zuerst auftritt, wird, wie bereits angedeutet wurde, zur ven- 
tralen Blasenwand, Sie hält während der Entwickelung nicht 
Sehritt mit den übrigen Partien des Schlauches und bleibt daher re- 
lativ kurz. An ihrem vorderen Ende bildet sich ein fester, kräftig 
entwickelter Gewebekörper, der wie eine quer zur Längsaxe gestellte 
Sperrleiste die ventrale Blasenwand ausgespannt erhält, es ist das 
Widerlager, dem die Klappe im Ruhezustand aufliegt. 

Wenn die junge Blase in ihren Haupttheilen angelegt ist, sieht man 
die Antennen in Gestalt kleiner Protuberanzen am Stirnrand des 
Schlauches auftreten (Fig. 43 zeigt das im Schnitt, Fig. 41, 44, 45, 46 in 
der Aussenansicht). Bald fallen im Gewebe der Antennenanlagen einzelne 
Zellen auf, die sehr protoplasmareich sind und sich über die anderen Zellen 
emporwölben. Es sind dies die Stellen, wo die Antenne sich zu verzweigen 


Ein etwas späteres Stadium zeigt dies noch deutlicher. Aur 


beginnt. I 


100 


den hervorgewölbten Zellen sind unter gleichzeitiger Grössenzunahme 
durch successive Theilung 2, 3—5 Zellen entstanden, die sich noch 
um ein Bedeutendes strecken (Fig. 47, Taf. VIII). So kommt dann 
schliesslich das Aussehen der Antennen zu stande, wie es die An- 
sichten der verschiedenen ausgebildeten Schläuche darstellen. 

Alle Drüsen der Blasen von Utricularia vulgaris 
haben Trichomnatur, sie gehen hervor aus einer ein- 
zigen, epidermalen Zelle. Das lehrt uns ihre Entwiekelungs- 
geschichte, die im Folgenden geschildert werden soll. 

Ich beginne mit den knopfartigen Drüsen auf Schlauch- 
Blatt- und Sprossoberfläche. An Schnitten durch junge Blasen be- 
merkt man, dass einzelne Zellen der äussern epidermalen Schicht 
der Schlauchwandung sich papillenartig nach aussen wölben (pı Fig. 48). 
Es erfolgt eine Theilung des Kernes und die Bildung einer neuen 
Membran senkrecht zur Längsaxe der Mutterzelle. Dadurch sind 
zwei Zellen entstanden, eine schmale, in die Blasenwand versenkte, 
und eine halbkugelige, welche über die Oberfläche des Schlauches 
emporragt (Fig. 49). Die über die äussere Wand der Blase sich er- 
hebende Zelle nimmt keulenförmige Gestalt an. Nachdem sich ihr 
Kern getheilt hat, erfolgt die Abschnürung einer kurzen Gelenkzelle. 
Der Kern der Endzelle theilt sich nun wieder, es bildet sich eine 
Membran senkrecht zur vorher entstandenen, so dass nun auf der 
Gelenkzelle zwei kleinere, ovoide Zellen ruhen (Fig. 19, Taf. IV). 

Recht interessant ist die Entwickelung der zweistrahligen 
Drüsen auf dem inneren Rande des Widerlagers. Die epidermalen 
Zellen schwellen an und bilden Papillen. Nun erfolgt eine Zweitheilung 
des Kernes und die Bildung einer Membran parallel zur Schlauch- 
wandung (Fig. 50). Die über das Gewebe der Letzteren in den Hohl- 
raum des Schlauches frei vorragende Endzelle schwillt an, und es 
‘findet eine neue Kerntheilung statt. Das keulenförmige Gebilde wird 
durch eine in der Längsrichtung auftretende Membran getheilt (Fig. 51). 
Die beiden neu entstandenen Zellen wachsen nun in die Länge und 
dehnen sich auch seitlich etwas aus, mit Ausnahme jener Partien, 
welche eine Art „Stiel“ bilden (siehe Fig. 17, 18, 24). 

Von sehr hohem Interesse ist auch die Entwickelung der vier- 
strahligen Drüsen im Innern der Blase. Sie treten gleichzeitig 
mit den zweistrahligen Drüsen auf und machen anfänglich die gleichen 
Entwickelungsphasen durch, wie diese (Fig. 52, 50, 53, 58 a). Dann 
aber entsteht in dem keulenartigen Gebilde über der Basalzelle eine 
zweite Membran in der Richtung der Längsaxe, so dass hier vier 


101 


längliche Zellen auf der Basalzelle stehen (Fig. 54 zeigt dieses Sta- 
dium von der Seite, Fig. 55 von oben gesehen). Die unteren, basalen 
Partien dieser vier Zellen bilden den „Stiel“, die oberen wachsen 
parallel zur Schlauchwandung aus (Fig. 56 und 57). Da die Zellen 
im Centrum eng zusammen schliessen, können sie sich in centripetaler 
Richtung nicht ausdehnen. Die weitere Entwickelung bleibt daher 
auf die peripheren Partien der vier Zellen beschränkt. Es wäre zwar 
noch die Möglichkeit vorhanden, dass die Zellen in der Längsrichtung 
auswachsen würden, wie dies bei den zweistrahligen Drüsen geschieht. 
In der That gibt es solche Drüsenformen, die als Uebergänge zwischen 
den zwei- und vierstrahligen Drüsen aufgefasst werden müssen. Ich 
habe mehrmals solche Zwischenformen beobachten können. Sie finden 
sich etwa da, wo die Blasenwand in das Widerlager übergeht. In 
solchen Fällen sind alle vier Zellen gleich lang und parallel zu einander 
(Fig. 58). 

Am frühesten treten die Köpfehendrüsen auf!). Schon 
Darwin bemerkt darüber?): „Die Drüsen auf der Klappe und dem 
Kragen erscheinen in einem so frühen Alter, dass ich ihre Entwicke- 
lung nicht verfolgen konnte, Es war mit ausserordentlichen Schwie- 
rigkeiten verbunden, die allerersten Stadien zu bekommen. Da diese 
Anfangsstadien sehr klein und zart sind, gehen sie beim Fixiren leicht 
zu Grunde, indem sie schrumpfen. 

Die Zellen, welche zu Drüsen auswachsen, fallen auf durch reichen 
Protoplasmagehalt und einen relativ grossen Kern. Die äussere 
Membran wölbt sich uhrglasförmig empor und der Kern theilt sich. 
Zwischen beiden Tochterkernen entsteht eine neue Zellwand. Dadurch 
wird eine ovoide Zelle von der eigentlichen Basalzelle geschieden. 
Letztere streckt sich noch bedeutend, ohne indess durch (Juerwände 
gegliedert zu werden, wie dies Hovelaque°) irrthümlicherweise 
darstellt, Der Kern der ovoiden Zelle theilt sieh nochmals, und wieder 
werden die beiden Tochterkerne durch eine Membran getrennt, die 
parallel zur vorher gebildeten auftritt. Dabei bleibt die eine der 
neu entstandenen Zellen klein und wird zur Gelenkzelle. Die andere 
Tochterzelle nimmt an Volumen bedeutend zu und wird zur End- 
oder Köpfchenzelle (Fig. 59, Taf. IX). 

Aus der vorangegangenen Darstellung der Entwickelungsgeschichte 


1) Ihr frühes Auftreten ist z. B. in Fig. 59, Taf. IX, daraus ersichtlich, dass 
die Drüsen sich schon entwickeln, bevor die subepidermale Schicht in der Klappe 
vollständig verschwunden ist. 

2) op. eit. pag. 386. 

8) op. eit. pag. 663, Fig. 554. 


102 


der Drüsen zeigt sich recht deutlich, dass sich die verschiedenen 
Drüsenformen alle auf einen Typus zurückführen lassen. Jede Drüse 
zeigt im Laufe ihrer Entwickelung einmal das Stadium, wo sie nur 
aus einer Basal- und einer Endzelle besteht. Bevor sich der betref- 
fende Blattabschnitt zur Blase umbildete, waren wohl alle Drüsen 
gleichgestaltet, und zwar ist es naheliegend, anzunehmen, dass sie 
sich in ihrem Bau am meisten den knopfartigen Drüsen näherten, die 
wir auf Blättern und Sprossen finden. Als aber die Stellung der 
Drüsen und wohl auch ihre Functionen verschiedene wurden, diffe- 
renzirten sie sich zu den Formen, die wir heute im Innern der Blasen 
und auf ihrer Oberfläche beobachten können. 

Die Blasen von Utrieularia Bremii Heer, Utrieularia 
minor L. und Utrieularia intermedia Hayne entwickeln sich 
genau in der gleichen Weise, wie diejenigen von Utricularia vul- 
garis L. Da die Schläuche der verschiedenen Arten in ihrem ana- 
tomischen Bau bis auf wenige Einzelheiten vollständig mit einander 
übereinstimmen, war dieses Resultat der entwickelungsgeschichtlichen 
Untersuchung vorauszusehen. 


Ill. Die morphologische Natur der Blasen. 

Zu den schönsten und interessantesten Problemen, deren Lösung 
sich die moderne Morphologie zur Aufgabe gemacht hat, gehören un- 
streitig die Versuche, uns über die allmähliche Metamorphose ver- 
schiedener Pflanzenorgane aufzuklären. Die Frage nach dem mor- 
phologischen Werth eines Pflanzenorganes drängt sich uns in erster 
Linie da auf, wo wir es mit auffälligen, von der gewöhnlichen Norm 
abweichenden Formen zu thun haben. Das ist gewiss in hohem Maasse 
der Fall hei den complicirten Thierfallen der verschiedenen insekti- 
voren Pflanzen. Ihre Fangapparate haben denn auch in der That 
von jeher das Interesse des Forschers erregt und manche Versuche 
zur Deutung ihres morphologischen Werthes gezeitigt, wobei aber die 
Ansichten der verschiedenen Forscher weit aus einander gehen. 

Pringsheim!) fasste die Resultate seiner morphologischen 
Untersuchungen an den Blasen von Utricularia vulgaris L. in 
folgenden Satz zusammen: „Die Entwickelungsgeschichte der Schläuche 
und der Vergleich der Entwickelungserscheinungen ihrer Jugend- 
zustände mit den Vorgängen an den Vegetationskegeln der normalen 
und rankenartigen Sprosse lässt darüber kaum einen Zweifel, 
dass die Schläuche eigenthümlich modificirte Sprosse 


1) Pringsheim, Monatsber. d. Berliner Akad. d. Wissensch. 1869. 


103 


sind, die, den rankenartigen Sprossen am nächsten ver- 
wandt, eine noch grössere Metamorphose als diese er- 
litten haben“. Darwin!) beschäftigte sich ebenfalls mit der Frage 
nach der morpologischen Natur der Utrieularia-Blasen, kam aber zu 
keinem definitiven Resultat. Speciell bei Utrieularia neglecta 
Lehm. beschränkte er sich darauf, die Vermuthung auszusprechen, 
„dass die Antennen zweiAbtheilungen des Blattes ent- 
sprechen, welche vom Ende der Blase ausgehen“. Immer- 
hin lässt sich daraus und aus der Zeichnung einer jungen Blase ®) 
unschwer der Schluss ziehen, dass ihm schon eine ähnliche Lösung 
der Frage vorgeschwebt haben mag, wie sie unserer heutigen Auf- 
fassung entspricht. Diese Annahme wird ferner gerechtfertigt durch 
eine Notiz, die er bei Anlass der Besprechung von Utricularia 
montana beifügt. Er schreibt pag. 389: „Prof. Oliver hat eine 
Pflanze von Utrieularia Jamesoniana abgebildet (Proced. Linn. 
Soc. vol. IV, pag. 169), welche ungetheilte Blätter und Rhizome gleich 
denen unserer Species hat; aber die Ränder der terminalen 
Hälften einiger Blätter sind in Blasen verwandelt. 
Diese Thatsache weist deutlich darauf hin, dass die Blasen auf 
den Rhizomen der gegenwärtigen und folgenden Arten 
modificirte Segmente des Blattes sind; sie werden da- 
durch mit den an die getheilten und schwimmenden 
Blätter der in Wasser lebenden Arten gehefteten 
Blasen in Uebereinstimmung gebracht“. 

Kamienski?) verfolgte eingehend die Keimung des Samens von 
Utricularia vulgaris L. und gelangte zu der Erkenntniss, dass 
die erste Blase, die beim Keimling auftritt, dem Theil eines Blattes 
entspreche. Er schreibt u. a. pag. 770: „So bekommen wir eine junge 
Blattanlage, die aus drei Protuberanzen besteht, einer mittleren, 
der Blattspitze, die sich zu einer Blase umwandelt, und zwei 
seitlichen“.*) Bahnbrechend und wohl für alle Zeiten vorbildlich sind 


1) Darwin, Insektenfressende Pflanzen. 

2) op. cit. pag. 384, Fig. 24. 

8) Kamiönski, Vergl. Uuters. über d. Entwiekelungsgesch. d. Utrieularien, 
Bot, Ztg. 1877. 

4) Nach Goebel ist diese Bemerkung Kamisnski’s allerdings zunächst 
dahin zu berichtigen, dass sich nicht die Blattspitze, „sondern ein durch 
Gabelung entstandener Blattstrahl“ zur Blase umbildet. Ich habe aber 
die Aeusserung Kamienski’s doch eitirt, weil es sich in diesem Abschnitt 
speciell nur darum handelt, den morphologischen Werth dor Blasen (modifieirter 
Biatttheil) festzustellen. 


104 


aber erst die klassischen Untersuchungen geworden, die Goebel?) 
an land- und wasserbewohnenden Utricularien vornahm. Goebel hat 
an Hand eines reichhaltigen, in den verschiedensten Theilen der Erde 
gesammelten Vergleichsmaterials den Beweis geliefert, dass die 
Blasen als Umbildungen von ganzenBlättern oder ein- 
zelnen Blattstrahlen aufzufassen sind. 

Die folgenden Ausführungen werden neues Beweismaterial für 
einige unserer einheimischen Arten erbringen. 


Utrieularia vulgaris L. 

Diese ist die grösste unserer einheimischen Utricularia-Arten und 
fast in jedem Torftümpel zu finden. Ihre Blätter sind zart gefiedert 
und mit zahlreichen Schläuchen besetzt. Keine andere Art weist 
deren so viele auf. Die Zahl der Blasen schwankt, je nach der 
Grösse und Entwickelung des betreffenden Blattes, Die Blätter, 
welche im Frühjahr aus der Winterknospe hervortreten, zeigen nur 
wenige Blasen, während man im Sommer, wenn die Pflanze blüht, 
Blätter mit hundert und mehr Schläuchen beobachten kann. Eine 
Sonderung in schlauch- und blatttragende Sprosse tritt hier nicht ein. 
Die Schläuche sind gestielt und in der Weise orientirt, dass sie ihre 
Oeffnung immer gegen ihre Abstammungsaxe richten, wenn nicht ein 
mechanischer Eingriff in ihre Stellung stattgefunden hat. Sie sitzen 
am Grunde der Blattfiedern und zwar da, wo man ein 
erstes Fiederblättchen erwarten würde. Das ist sehr schön 
zu sehen in Fig. 65, Taf. X. Es zeigt sich auch in der That, dass 
an Stelle der Blase ein Fiederblättchen sich ausbildet, 
wenn die Anlage von Schläuchen aus irgend einem 
Grunde unterdrückt wird. So habe ich in einem Torfgraben 
bei Einsiedeln eine Utricularia vulgaris L. gefunden, gesund, auffallend 
schön grün, aber mit zahlreichen Seitensprossen, deren Blätter keine 
Schläuche besassen. Hier zeigten sich aber deutlich an Stelle der 
Blasen kleine Fiederblättchen. Kami6nski?) hat etwas Aehnliches 
bei Keimpflanzen von Utrieularia vulgaris beobachtet. Er schreibt 
darüber u. a.: „Nur auf eine Art der Abweichungen will ich grösseres 
Gewicht legen, es sind das Rückschläge zu den primären Blättern- 
Manchmal wird nämlich aus der Anlage, aus welcher 
im normalen Falle die primäre Blase entsteht, direct 
ein primäres Blatt gebildet“, 

1) Goebel, Utricularia. Ann. du Jard. bot. d. Buitenzorg, vol. IX. — Goebel, 


In Schenk, Hdb.d. Bot., III. Bd. — Goebel, Organographie der Pflanzen. 
2) op. eit. pag. 773. 


105 


Als Beweis für die Sprossnatur der Schläuche erwähnt Prings- 
heim!) u. a. auch der Thatsache, dass hie und da unmittelbar neben 
einer ersten Schlauchanlage eine zweite auftritt, so dass wir im ersten 
Momente den Eindruck erhalten, als würde der seceundäre Schlauch 
dem Stiele des primären entspringen. Darauf ist zu entgegnen, dass 
sich ja ebenso gut eine zweite Blatifieder in einen Schlauch umwan- 
deln kann, wie die erste. Es liegt dies da besonders klar, wo neben 
den Schläuchen noch die übrigen Blattfiedern erhalten sind, wenn 
auch nur rudimentär. Ein solcher Fall ist in Fig. 60, Taf. IX, dargestellt. 
Wir haben dort die Anlage eines Blattes mit fünf Fiedern. Zwei 
davon sind in Blasen umgewandelt (bi, de), die übrigen drei sind als 
rudimentäre Fiedern erhalten geblieben (fi, fs, /s). Ich werde übrigens 
später auf ähnliche Beispiele zurückkommen. Die Behauptung Prings- 
heim’s, dass sich aus dem Stiel eines, Schlauches nachträglich ein 
Vegetationskegel entwickele, ist wohl dahin zu berichtigen, dass der 
Schlauch am Vegetationskegel und nicht letzterer am Schlauch ent- 
steht. Es ist ja allerdings richtig, dass diese Art von Vegetations- 
spitzen, welche verkümmerten Sprossen angehören, öfters zu beobachten 
sind, und bei oberflächlicher Betrachtung als secundäre Gebilde des 
Schlauchstieles erscheinen. Bei genauerer Untersuchung aber erkennt 
man sofort, dass die Stellung der Blase an diesem ver- 
kümmerten Spross genau der Stellung eines Blattes 
unter normalen Verhältnissen entspricht. Hier ist eben das 
ganze Blatt in der Bildung der Blase aufgeg angen, wie dies z. B. bei 
Utrieularia Hookeri meist der Fall ist.2) Blasen mit Adventiv- 
sprossanlagen hat Goebel?) auch häufig bei Utricularia reti- 
culata 8.M. beobachtet. Bei Utrieularia vulgaris L. speciell 
sind diejenigen Fälle weitaus die häufigsten, wo ein Blattstrahl 
in eine Blase umgewandelt wird. Das ergibt sich schon bei ober- 
flächlicher Betrachtung aus der Stellung der Schläuche. 


Utrieularia Bremii Heer. 

Die Schläuche sitzen hier im Allgemeinen ebenfalls an Blättern, 
und zwar in geringer Zahl, 2, 3—7 pro Blatt. Es treten aber auch 
Sprosse auf, die neben verkümmerten Blättern ausschliesslich Blasen 
tragen. Fig. 61, Taf. IX, zeigt ein Blatt eines solehen Sprosses. Das 
Blatt hat sich zunächst gegabelt, jeder Strahl nochmals, und nun ist 
einer der secundären Blattstrahlen in eine Blase umgewandelt worden - 


u 1) op. eit. 
2) Goebel, Organographie der Pflanzen pag. 446. 
3) Goebel, Annales d, Jard. bot. d, Buitenzorg vol, IX. 


106 


Das stimmt auffallend genau überein mit den Beobachtungen, die 
Goebel an einer tropischen Wasserutricularia gemacht hat. Er be- 
merkt bei der ‚Beschreibung von Utricularia exoleta u. a: 
„Ebenso finden sich Blätter, die zunächst sich gabeln, worauf der 
eine Blattstrahl sich weiter in zwei theilt, von denen einer zur Blase 
entwickelt ist“. Den gleichen Fall zeigt auch Fig. 62, nur ist das 
Entwiekelungsstadium ein viel jüngeres. Vom Spross geht ein junges 
Blatt ab mit drei Blattstrahlen und einem Schlauch. Die Anordnung 
der verschiedenen Theile zeigt recht deutlich, dass ursprünglich rechts 
auch zwei Blattstrahlen angelegt waren, von denen nun der eine in 
eine Schlauchanlage umgewandelt worden ist. Ein drittes derartiges 
Beispiel stellt Fig. 63, Taf. X dar. Ein Blatistrahl hat sich zunächst 
getheilt, und der eine Abschnitt gabelt sich wiederum dichotomisch, ohne 
eine Schlauchanlage zu bilden. Der andere Abschnitt aber entwickelt sich 
in der Weise, dass er sich auch nochmals theilt, aber nun den einen 
secundären Blattstrahl in eine Blase umwandelt. Wie aus der Fig. 63 


deutlich zu ersehen ist, entspricht in diesem Falle die Blase zwei 
Blattstrahlen dritter Ordnung. 


Utriceularia minor L. 


Die Stellungsverhältnisse der Schläuche sind hier die gleichen 
wie bei Utricularia Bremii Heer, nur sind die Blasen wesentlich 
kleiner. Sowohl hier, als auch bei der vorigen Art kann man be- 
obachten, dass die Bildung der metamorphen Sprosse zunimmt mit 
der Abnahme der Wassertiefe. Sie stecken im Schlamm, sind etiolirt 
und zeigen sich besonders im Frühjahr und Herbst. Vielleicht ist dieser 
Umstand damit in Zusammenhang zu bringen, dass im Frühjahr die 
mikroskopische Thierwelt sich eben erst im Torfschlamm zu entwickeln 
beginnt, im Herbst aber sich bereits wieder an den Grund der Gewässer 
zurückgezogen hat, um da in Gestalt der verschiedensten Cystenformen 
zu überwintern. Zu beiden Jahreszeiten würde also die Pflanze mit Hilfe 
der metamorphen Sprosse die Situation möglichst rationell ausnützen. 

Es ist oft schwierig, Utrieularia Bremii Heer und Utri- 
eularia minor L./auseinander zu halten, wenn nicht blühende 
Exemplare zur Verfügung stehen. Die Blätter der metamorphen Sprosse 
sind auch bei Utrieularia minor L. häufig auf wenige, rudimentäre 
Fiedern reduzirt, In anderen Fällen kann man beobachten, dass 
scheinbar aus einem Blasenstiel ein zweiter Schlauch hervorgeht, was 
Pringsheim.zu der irrthümlichen Behauptung Anlass gab, die Blase 
entspreche einem metamorphosirten Spross. Da sind eben beide auf- 


107 


einander folgenden Blattstrahlen in Blasen umgewandelt worden, und 
nicht nur der eine, wie dies bei der vorhergehenden Art dargestellt wor- 
den ist. Einen solchen Fall haben wir in Fig. 66, wo auchnoch Rudimente 
des nicht metamorphosirten Blattrestes wahrgenommen werden können. 


Utricularia intermedia Hayne. 


Nach Goebel müssen die Wasserutricularien als reduzirter 
Typus der Landformen aufgefasst werden. Wie schon oben erwähnt 
wurde, bildet speciell Utricularia intermedia Hayne eine Art 
Uebergangstypus zwischen beiden Extremen. Hier sind im Allgemeinen 
schlauchtragende und blatttragende Sprosse scharf getrennt. Die Er- 
steren sind negativ heliotropisch, stecken im Schlamm, sind etiolirt 
und dienen offenbar wie bei den schon besprochenen Arten als Er- 
nährungsorgane, in zweiter Linie wohl auch zur Verankerung. Es 
gibt indessen Uebergänge zwischen beiden Arten von Sprossen. So 
habe ich beobachten können, dass ein schlauchtragender Spross seit- 
lich einen nur blättertragenden entwickelte, der seinerseits wieder 
metamorphe, schlauchtragende Sprosse entsendete. Zweimal habe ich 
ferner den Fall beobachtet, dass an einer Fieder eines grünen Blattes 
ein kleiner Schlauch entwickelt war, während sonst am ganzen Spross 
nirgends eine Blase sich zeigte. Goebel hat dieselbe Wahrnehmung 
gemacht und bemerkt hierüber: „Die grünen Laubblätter der anderen 
(blatttragenden) Sprosse tragen gewöhnlich keine Blasen, dass sie 
indes hier nur verkümmert sind, mag daraus hervorgehen, dass sie 
gelegentlich auch an diesen Blättern auftreten“. 

Betrachtet man einen metamorphen, schlauchtragenden Spross 
genauer, so kann man daran alle möglichen Uebergangsstadien von 
einem vollständig ausgebildeten schlauchlosen Blatt bis zu einem 
solchen Blatt beobachten, dessen sämmtliche Fiedern in Schläuche 
umgewandelt worden sind. Einzelne kleine, aber vollständig entwickelte 
Blätter zeigen gar keine Schläuche. Dann gibt es Blätter, bei denen 
nur zwei Strahlen zu Blasen geworden, während die übrigen Blatt- 
abschnitte, wenn auch nur rudimentär, als solche erhalten sind. Endlich 
zeigen sich an den metamorphen Sprossen solche Blätter, deren sämmt- 
liche Fiedern in Blasen umgewandelt worden sind, und wo keine Spur 
von Blattstrahlen (auch nicht von rudimentären) mehr zu erkennen ist. 

Aus all diesen Beobachtungen lässt sich unschwer der Schluss 
ziehen, dass die Blasen der besprochenen Utrieularia- 
Arten umgewandelte Blattstrahlen darstellen (in ein- 
zelnen Fällen Umbilduugen ganzer Blätter). Wir werden 


108 


in dieser Annahme ganz besonders bestärkt, wenn wir die Resultate 
der Entwickelungsgeschichte der Blasen zur Vergleichung herbeiziehen. 
Variationen im morphologischen Charakter ergeben auf den ersten 
Blick nur insofern Schwierigkeiten, als entweder sämmtliche 
Fiedern des Blattes in Blasen umgewandelt werden können oder aber 
nur ein Theil derselben, während die übrigen Blattabschnitte voll- 
ständig oder wenigstens rudimentär erhalten bleiben. 

Die Auffassung der Blasen als umgebildete Blattstrahlen oder 
Blätter ist endlich in letzter Linie noch gerechtfertigt durch die Ver- 
hältnisse bei anderen insektivoren Pflanzen, wie Nepenthes, Sar- 
raceniau.s,. w., wo entwickelungsgeschichtlich nachgewiesen worden 


ist, dass die Kannen oder Krüge ebenfalls umgewandelte Blätter 
darstellen, 


Verzeichniss der benützten Litteratur. 

Büsgen, Ueber die Art und Bedeutung des Thierfauges bei Utrioularia vulgaris. 
Bericht d. Deutsch. bot. Gesellschaft 1888. Ref. in Just’s Jahrb. 1888. 

Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. III. Heft, Breslau 1875. 

Darwin, Ch, Insoktenfressende Pflanzen. Deutsch von Victor Carus, Stuttgart 1876. 

Drude, Die insektenfressenden Pflanzen. In Schenk’s Handb. d. Bot., 1. Bd., 
pag. 113—146. . 

Goebel, K., Vergleichende Entwickelungsgeschichte der Pflanzenorgane, In 
Schenk’s Handb. d. Bot., III. Bd., pag. 236 und 237. 

— — Utrieularia, In Annales du Jardin botanique de Buitenzorg, vol. IX. 

— — Organographie der Pflanzen. II. Theil, Jena 1900. 

— — Pflanzenbiolog, Schilderungen. Marburg 1889-91, 

Hovelaque, L’appareil vögstatif des Bignoniacdes, ... Utricularides. Paris 1888. 

Kamiönski, Vergleichende Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte 
der Utricularien. Bot. Ztg. 1877, Nr. 48. 

Lang, Untersuchungen über Polypompholyx. Diss, Flora 1901 pag. 149. 

Merz, M., Untersuchungen über Anatomie und Samenentwickelung der Utricularien 
und Pinguicula. Diss. Bern 1897. 

Overton, E,, Beobachtungen und Versuche über das Auftreten von rothem Zell- 
saft bei Pflanzen. Jahrb. f. wissenschaft. Bot., Bd. XXXII, Heft 2. 

Pringsheim, Ueber die Bildungsvorgänge am Vegetationskegel von Utrieularia 
vulgaris, Monstsber. der kgl. preuss. Akademie der Wissensch. zu Berlin 1869. 

Reinsch, P,, Ueber den Bau und die Entwiekelung der Blätter und der Schläuche 


von Utricularia vulgaris L. Denkschrift der kgl. bayer. bot. Gesellschaft zu 
Regensburg 1859. j 


Figurenerklärung. 
Tafel U. 

Fig. 1. Ausgewachsene Blase von Utricularia vulgaris, Infolge eines mechanischen 
Eingriffes ist die Oeffnung des Schlauches von der Abstammungsaxe weg- 
gedreht. st Stiel, « Antennen mit ihren Verzweigungen, e Eingang zur 
Blase, ir Trichome zu beiden Seiten des Einganges. 60:1. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 9. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


109 


. Eingang zur Blase, von der Ventralseite gesehen, kl Klappe, Ad Köpfchen- 


drüsen, b vier vorragende Borsten vom unteren Klappenreand. 52:1. 


. Ib ein Stück der schmalen Zellreihen, welche in der ausgewachsenen Blase als 


Reste des subepidermalen Gewebes dorsal- und ventralwärts verlaufen. 610: 1. 


. Partie aus der äusseren Zellschicht der Klappe. Die häufig rechtwinklig 


ins Lumen der Zellen vorspringenden Membranen tragen noch Verstärkungs- 
leisten. 8330:1. 


. Einzelne Zelle der äusseren Zellschicht der Klappe aus der Gegend des 


unteren Klappenrandes. Die Membranen tragen hier regelmässig angeord- 
nete Verstärkungsleisten, wie man sie in den Zellen mancher Blumenblätter 
beobachten kann. 720:1. 


. Transversalschnitt durch die vordere Partie einer jungen Blase (Richtung 


4d—bj in Fig.9). kl die Klappe, welche seitlich mit der Blasenwand ver- 
wachsen ist, kd knopfartige Drüsen auf der Oberfläche des Schlauches. 300 : 1. 


. Schnitt durch eine Blase in der Richtung ss, in Fig.1. W Widerlager mit 


daraufsitzenden zweistrahligen Drüsen zwd, vd vierstrahlige Drüsen, die 
innere Blasenwand bedeckend, !b dorsale, median verlaufende Zellreihen 
(„Leitbündel“) im Querschnitt, 60:1, 


. Grosse, schleimabsondernde Drüsen, die Vegetationsspitze und die jüngsten 


Blatt- und Schlauchanlagen bedeckend. Die punktirte Kreislinie deutet die 
durchschimmernde Gelenkzelle an, welche die eigentliche Drüse über das 
umgebende Gewebe emporhebt. 500:1, 

Tafel II. 
Medianschnitt durch eine ausgewachsene Blase von Utricularia vulgaris L. 
Die linke Hälfte mit der linken Antenne ist weggenommen worden. ra rechte 
Antenne, kl Klappe, die Fortsetzung der dorsalen Blasenwand ins Innere 
bildend. Auf der Klappe sitzen die Köpfchendrüsen kd und das rechte 
Borstenpaar 5 des unteren Klappenrandes. «w Widerlager mit den zwei- 
strahligen Drüsen zwd, #r Trichome rechts vom Blaseneingang, vd vier- 
strahlige Drüsen auf der inneren Blasenwand, gb Gefässbündel des Stieles, 
sich in eine dorsale und ventrale Partie !b verzweigend, beide blind en- 
digend im vorderen Theil der Blase. Im Innern der Blase befinden sich 
einige gefangene Thierchen, welche bereits in Zersetzung begriffen sind. 
Der Pfeil zwischen Klappe und Widerlager deutet den Weg an, auf dem 
die Thierchen ins Innere gelangt sind. 50:1. 


‚ Transversalschnitt durch die hintere Partie einer jungen Blase. !b dorsales 


und ventrales „Leitbündel“ im Querschnitt, st Stiel der Blase. Der Um- 
stand, dass die vierstrahligen Drüsen erst in den primärsten Stadien p an- 
gelegt sind, deutet darauf hin, dass wir es mit einer sehr jungen Blase 
zu thun haben. 320:1. 


.Mediane Partie der äusseren Klappenschicht. Membranen der Zellen 


durch Querleisten verstärkt zur Erhöhung der Festigkeit und Elastieität 
der Klappen. (Einzelne Zelle siehe Fig. 5 Taf. II) Die Zellen sind con- 
centrisch um den Mittelpunkt C angeordnet. Drüsen und Borsten der 
Klappe wurden der besseren Uebersicht wegen weggelassen, 320:1. 


‚Zellen der inneren Schicht der Klappe, ebenfalls durch eigenthümliche 


Verstärkungen und Verbiegungen der Membranen ausgezeichnet. 360: 1, 


13, Die oberste Partie einer Blase wurde sammt den Antennen durch einen 


110 


Fig. 14. 


Fig. 15. 


Fig. 16. 


Fig. 17. 


Fig. 18. 


Fig. 19. 


Fig. 20. 


Fig. 21. 


Fig. 22. 


Fig. 23, 


Fig. 24. 


Fig. 25. 


Fig. 26. 


Horizontalschnitt losgelöst und dann umgewendet, um die Insertion der 
Klappe klarzulegen. kl Klappe, seitlich mit der Blasenwand verwachsen, 
vd vierstrahlige Drüsen, Ad Köpfchendrüsen, ba Forsetzung der Blasen- 
wand gegen die Antennen hin (von Cohn als „Backen“ bezeichnet). 50:1. 
Drüsen auf der Klappe in der Nähe des spaltförmigen Einganges. Die 
Endzelle e ist hier auffallender Weise quer zur Gelenkzelle 9 inserirt statt 
in der Längsriehtung. Basalzelle 5 verhälnissmässig kurz. 290: 1. 


Tafel IV. 
Transversalschnitt durch die vordere Partie einer jungen Blase, so geführt, 
dass die Klappe kl und das Widerlager » getroffen wurden. Ib „Leit- 
bündel®, kd Köpfchendrüsen, zwd junge zweistrahlige Drüsen. 240:1, 
Junge Blase, von hinten aufgeschnitten, um zu zeigen, dass das Wider- 
lager w und die Klappe kl im hinteren Theil seitlich miteinander ver- 
wachsen sind. !b „Leitbündel“, 370:1, 
Längsschnitt durch den Blaseneingang. Der Schnitt ist nicht genau median, 
sondern etwas seitlich geführt, daher sind die schmalen Zellreihen des 
„Leitbündels“ nicht sichtbar, w Widerlager mit zweistrahligen Drüsen zırd, 
kl Klappe mit Köpfehendrüsen kd, vd vierstrahlige Drüsen. Im normalen 
Zustand liegt die Klappe dem Widerlager dicht auf. 150:1, 
Partie des Widerlagers («—b in Fig. 17) von oben gesehen. Die Verdickung 
der Membranen nimmt von aussen nach innen ab, dafür werden die Zellen 
grösßer, rundlicher. Im Innern des Schlauches tragen die epidermalen 
Zellen des Widerlagers die zweistrahligen Drüsen zwd. 360:1, 
Senkrechter Schnitt durch die zweischichtige Blasenwand mit typischen, 
knopfartigen Drüsen, die überall auf der Oberfläche des Schlauches vor- 
kommen, b ins Gewebe versenkte Basalzelle, g Gelenkzelle, e End- 
zellen. 280:1. 
Stück der Blasenwand mit knopfartigen Drüsen, von oben gesehen. Die 
Endzelle e zeigt verschiedene Entwickelungsstadien. 290: 1. 
Partie der äusseren Zellschicht der Klappe mit typisch entwickelten Köpfehen- 
drüsen. 5b langausgezogene Basalzelle, 9 Gelenkzelle, e End- oder 
Köpfchenzelle. 290:1. 


Tafel V. 

aajPfchendräse, bei der die Gelenkzelle ausnahmsweise Viertheilung zeigt. 

0:1, 
Medianschnitt durch den unteren Klappenrand. Die Insertion des einen 
Borstenpaares b an der äusseren Klappenschicht ist deutlich sichtbar; 
ebenso die grosse kugelige Drüse d, die sich immer zwischen den beiden 
Borstenpaaren befindet (vgl Fig. 2). 315:1. 
Zweistrahlige Drüsen von der Innenseite des Widerlagers. Auf der Basal- 
zelle b stehen zwei haarförmige Zellen z, die nach oben divergiren, an 
der Basis aber zu einer Art „Stiel“ verschmälert sind. 290 :1. 
Vierstrahlige Drüse auf der inneren Blasenwand von Utrieularia vulgaris. 
Auf der Basalzelle b stehen vier haarförmige Zellen z, an ihrer Basis 
ebenfalls verengt. » verdickte Partien der Membranen zur Erhöhung der 
Festigkeit. 360:1. 
Vierstrahlige Drüsen von Utrieularia vulgaris, von oben gesehen. Die 


Fig. 27. 


Fig. 28. 


Fig. 29. 


Fig. 30. 


Fig. 31, 


Fig. 32. 


Fig. 33. 


Fig. 34. 


Fig. 35. 


Fig. 86. 


Fig. 37. 


Fig. 38, 


Fig. 39. 


Fig. 40. 


111 


gleichsinnig gerichteten Zellen stehen seitlich von einander ab. Das eine 
Zeilenpaar bleibt immer kürzer als das andere, 360: 1, 

Vierstrahlige Drüsen aus den Blasen von Utricularia Bremii Heer, 360: 1. 
Vierstrahlige Drüsen aus den Blasen von Utrieularia minor L, 360:1, 
Vierstrahlige Drüsen aus den Blasen von Utrieularia intermedia Hayne. 
Die gleichsinnig gerichteten Zellen liegen im ungestörten Zustand eng 
an einander. 360:1. 

Knopfartige Drüsen der Schlauchoberfläche von Utrieularia intermedia Hayne. 
Beie, ist die Endzelle durch eine sekundäre Membran in vier kleinere Zellen 
zerlegt worden, während e die normalen Verhältnisse darstellt, 300: 1. 


Tafel VI. 
Junges Blatt von Utricularia vulgaris, aus der Nähe der Vegetationsspitze, 
Die einzelnen Blattabschnitte sind noch stumpf, abgerundet und mit 
zahlreichen, schleimabsondernden Drüsen d besetzt, welche wohl als Schutz 
dienen. 8330: 1. 
Ein etwas älteres Entwickelungsstadium eines jungen Blattes, das immer 
noch durch die grossen Drüsen geschützt ist. Man kann bei scha bereits 
eine junge Schlauchanlage beobachten. scha, ist in der Entwickelung schon 
weiter vorgeschritten, so dass die Anlage der ventralen (qw) und dorsalen 
Blasenwand (») bereits sichtbar sind. Die Borsten der einzelnen Blatt- 
fiedern sind in Gestalt kleiner Calotten angelegt. 
Grössere Partie eines jungen Blattes mit drei deutlich differenzirten 
Schlauchanlagen. gw Querwulst, zur ventralen Blasenwand mit dem Wider- 
lager sich entwickelnd, » der sich einwärts krüämmende Pol, der die dorsale 
Blasenwand und die Klappe bildet. 120:1, 
Junge Blase, von der Seite gesehen, p der obere Pol, hat sich stark ein- 
wärts gegen den Querwulst gekrümmt. 830:1. 
Blattfiedern mit zwei jungen Blasen, von vorn gesehen. Der Eingang zum 
Schlauch erscheint noch als eine schmale quer verlaufende Spalte sp. 250: 1. 
Primäre Schlauchanlage (scha, Fig. 32 entsprechend) median durchschnitten. 
Unter der Epidermis zeigt sich ein einschichtiges Gewebe, das später nur 
noch im „Leitbündel“ der fertigen Blase und im Widerlager erhalten 
bleibt, sonst aber resorbirt wird. gıw Querwulst, » Anlage der dorsalen 
Blasenwand. 500:1. 
Der obere Pol » hat sich stärker vorgewölbt und es ist zur Bildung eines 
kleinen Hohlraumes k gekommen. 580:1. 
Infolge stärkeren Wachsthums der hinteren Wand ist nun der Hohlraum h 
des künftigen Schlauches noch deutlicher und grösser geworden. sg sub- 
epidermales Gewebe. 570:1. 
Der vordere, dorsale Theil der Blasenwand setzt sich ins Innere des 
Schlauches fort und bildet die Klappe kl. Sie ist in diesem Entwickelungs- 
stadium noch dreischichtig, indem das subepidermale Gewebe sg in ihr noch 
längere Zeit erhalten bleibt. 480:1. 
Die Differenzirung der einzelnen Theile der Blase ist nun deutlicher ge- 
worden. kl Klappe, welche dem Widerlager w aufliegt. d die grossen 
schleimsecernirenden Drüsen, welche die jüngsten Blatt- und Schlauch- 
anlagen bedeeken. / rudimentäre Blatifiedern, welche nicht in Schläuche 


umgewandelt wurden, 365:1, 


112 


Fig. 41. 


Fig. 42. 


Fig.43. 


Fig. 44. 


Fig. 45, 


Fig. 46, 


Fig.47. 


Fig. 48, 


Fig.49. 


Fig. 50. 


Fig. 51. 


Fig. 52. 


Tafel VII. 
Medianschniti durch eine junge Blase. Die subepidermale Schicht der 
Klappe wird undeutlich. An Stelle der grossen schleimabsondernden 
Drüsen auf der Oberfläche des Schlauches sind die kleineren, knopfartigen 
Drüsen dr getreten. Die Anlage der linken Antenne /a ist in Gestalt einer 
kleinen Protuberanz am Siirnrand der Blase sichtbar. 480:1. 
In der Klappe und am Stirnrand der Blase ist die subepidermale Schicht 
vollständig verschwunden. Es beginnt die Differenzirung in das eigentliche 
Widerlager w und die ventrale Blasenwand v. 480:1. 
Der Schnitt ist hier nicht median geführt, sondern seitlich, so dass die 
Anlage einer jungen Antenne # in der Längsrichtung getroffen wurde. 
Nicht nur in der Klappe, sondern auch in einer hinteren Partie der Blasen- 
wand ist das subepidermale Gewebe resorbirt worden. 335:1. 
Der Schnitt durch die Blase wurde hier ebenfalls nicht streng median ge 
führt, sondern seitlich, hart an der rechten Antenne ra vorbei. Die sub- 
epidermale Schicht ist auf der Dorsalseite fast vollständig verschwunden. 
Die ersten Entwinkelungsstadien der vierstrahligen Drüsen sind in Gestalt 
kleiner Papillen p sichtbar. Die protoplasmareichen Zellen der Antenne 
ra deuten auf bevorstehende Verzweigung hin. 335 ::1. 
Junge Blase von hinten betrachtet. Die linke Antenne la erscheint als ein 
herabhängendes Zäpfchen. e Eingang zur Blase, 250:1. 
Junge Antenne, stärker vergrössert. An denjenigen Stellen, wo sich ein- 
zelne Zellen stärker hervorwölben, beginnt die Verzweigung v2. 560:1. 
Tafel VII. 
Verzweigte, junge Antenne. Die einzelnen Zellen der Verzweigungen sind 
noch kurz und enthalten reichlich Protoplasma, das in der ausgewachsenen 
Antenne nur noch einen dünnen Wandbelag bildet. 375:1. 
Senkrechter Schnitt durch die Wand einer jungen Blase. p, und », Basal- 
zellen der Drüsen, die sich papillenartig über ihre Umgebung erheben. 
700:1. 
Der Kern der Papille hat sich getheilt, und nun ist eine kugelige Zelle 
abgeschnürt worden von der Basalzelle, die im Gewebe versenkt ist. 
b Basalzelle, z abgeschnürte Zelle. 700:1. 
Die kugelige Zelle z über der Basalzelle 5 hat keulenförmige Gestalt an- 
genommen. 700:1. 
Junge, zweistrahlige Drüsen von der Innenseite des Widerlagers. Das 
keulenförmige Gebilde über der Basalzelle (s. Fig. 50) ist durch eine in 
der Längsrichtung auftretende Membran getheilt worden. 370:1. 
» Papillen, aus denen sich die vierstrahligen Drüsen entwickeln (von der 
Fläche gesehen). 700:1. 


Fig 53 u. 53a, Zweizellenstadium der vierstrahligen Drüsen. Das Gebilde über der 


Fig. 54. 


Basalzelle ist durch eine erste Membran in der Längsrichtung getheilt 
worden. Die Tockterzellen zeigen schen die Tendenz, in horizontaler 
Richtung auszuwachsen. 700:1. 

Vierzellenstadium der vierstrabligen Drüsen (von der Seite gesehen). Zu 
der primären Längswand hat sich eine secundäre gesellt, so dass nun auf 
der Basalzelle vier gleichgestaltete Zellen stehen. Bei « sind je drei der- 
selben sichtbar. 700: 1. 


113 


Fig.55. Vierzellenstadium (von oben gesehen). Die Zellen wachsen nun an ihren 
peripheren Enden in der Richtung der längsten Axe aus, 700:1, 
Fig.56. Junge, vierstrahlige Drüsen, die bereits ihren zukünftigen Habitus erkennen 
lassen. Die Zellen z werden zu den langen, die Zellen 2) zu den kurzen, 
haarförmigen Fortsätzen (von oben gesehen). 485:1. 

Fig.57,. Die vier horizontal auswachsenden Zellen bleiben an ihrer Basis verengt 
und bilden eine Art „Stiel“ (von der Seite gesehen). 485: 1. 

Fig. 58. Vebergangstypus zwischen zwei- und vierstrahligen Drüsen im Innern der 
Blase. Auf der Basalzelle stehen vier haarförmige Zellen, die aber alle 
nach oben gerichtet sind, und keine horizontale Umbiegung zeigen. 500:1, 


Tafel IX. 


Fig. 59, Senkrechter Schnitt durch die Klappe mit verschiedenen Entwickelungs- 
stadien der Köpfchendrüsen. Nach Bildung einer Papille (a) erfolgt die 
Theilung des Kernes (b) und die Bildung einer Membran parallel zur 
Klappenoberfläche (c). 8o ist nun eine stielartig ausgezogene Basal- und 
eine Endzelle entstanden, welch Letztere sich nochmals theilt unter Bildung 
einer kleinen Gelenkzelle (4). Die Drüsen treten so früh auf, bevor die 
subepidermale Schicht sy der Klappe überall resorbirt worden ist. 610:1. 

Fig. 60. Vom Spross geht ein Blatt ab mit ursprünglich fünf Fiedern. Zwei 
davon b, und b, sind in Blasen umgewandelt worden, während die drei 
anderen Fiedern als solche erhalten geblieben sind, wenn auch nur rudi- 
mentär (/,, fg Js). Utrieularia vulgaris L_ 290:1. 

Fig. 61. Theil eines Blattes von Utrieularia Bremii Heer. Der Blattabschnitt hat 
sich gegabelt, jeder Blattstrahl nochmals, und nun ist einer der secundären 
Strablen in eine Blase umgewandelt worden. 50:1. 

Fig. 62, Junges, rudimentär entwickeltes Blatt von Utricularia Bremii Heer mit 
einer Blase. Auch hier ist ein Blattstrahl zu einer Blase umgebildet 
worden, wie dies deutlich aus der Anordnung der verschiedenen Theile 


hervorgeht. 180:1. 
Tafel X. 


Fig. 63. Theil eines Blattes von Utricularia Bremii Heer. Der Abschnitt a hat sich 
in zwei Strahlen a) und «ag gegabelt. a, theilt sich weiter, ohne eine 
Blase zu bilden. a, theilt sich auch nochmals, wandelt nun aber den 
secundären Biattstrahl d, in eine Blase um, die iu diesem speciellen Falle 
zwei Blattstrahlen dritter Ordnung (c, und cg) entspricht, 15:1, 

Fig. 64. Einzelne Köpfchendrüse von der äusseren Schicht der Klappe. Die End- 
zelle e hat sich ausnahmsweise nochmals getheilt. 290:1. 

Fig. 65. Junges Blatt von Utrieularia vulgaris L. Es ist über und über mit grossen, 
schleimabsondernden Drüsen d besetzt Die Borsten an den Blattstrahlen 
sind mit Ausnahme derjenigen an der Spitze erst in Gestalt kleiner Zäpfohen 
entwickelt (bo). Die junge Blase b entspricht morphologisch einem der 
Fiederblätichen fj, fg, fa u. 8. w., die mit einander alterniren. 250:1. 

Fig. 66, Sprossstück mit Blasen von Utricularia minor. Vom Hauptspross hsp geht 
ein Blatt ab mit zwei Blasen und drei rudimentären Fiedern rf. Die 
beiden Schläuche zweigen von einem gemeinschaftlichem Stiele ab und 
müssen aufgefasst werden als zwei aufeinander folgende, metarmophosirte 


Blattfiedern, 60:1. 
Fiora 1902, 


Klima und Blatt bei der Gattung Quercus. 
Von 
Wilh. Brenner, 


Hierzu 31 Textfiguren. 


Immer mehr hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Botanik 
die Ueberzeugung festgesetzt, dass nicht nur den Linn&’schen Arten 
keine feste und unwandelbare Beständigkeit zukomme, dass nicht nur 
die Arten in beständigem Fluss sich befinden, sondern auch neben 
den die Artmerkmale bedingenden Gruppen von Abänderungen ge- 
wisse Organe in ganz besonderer Weise der Variation fähig sind oder, 
besser gesagt, auf gewisse äussere Einflüsse zu reagiren vermögen, 
Ich möchte hier den so viel gebrauchten Ausdruck „Variation“ 
lieber nieht angewandt wissen. Wenn de Vries in seiner neuesten 
Untersuchung!) einen so scharfen Unterschied zwischen Variabilität 
(individueller und partieller) einerseits und Mutabilität (progressiver 
und retrogressiver) anderseits constatiert, so möchte ich noch einen 
Schritt weitergehen und unter Variabilität im eigentlichen Sinne nur 
diejenigen Abänderungen verstanden wissen, deren Grund und Ursache 
uns unbekannt ist. Begreiflicherweise war früher das Gebiet dieser 
Erscheinungen viel grösser als heutzutage, wo wir angefangen haben, 
die kleinen Verschiedenheiten der vegetativen Organe der Pflanzen 
auf natürliche Ursachen zurückzuführen; ja es wird stets, je weiter 
die Forschung dringt, um so weiter eingeschränkt werden müssen. 
Es wäre dann das Wort „Variation“ nichts weiter als ein Hilfsbegriff 
— deren wir übrigens, beiläufig gesagt, in der Naturwissenschaft 
schon eine stattliche Zahl haben —, der eine noch vorhandene Lücke 
vorläufig ausfüllen müsste, wobei es jedem freistünde, mit Hilfe der 
Wahrscheinlichkeitsrechnung die Gesetze auch dieser Erscheinungen 
abzuleiten, so lange ihre wirklichen Ursachen noch nicht gefunden 
sind. Ist dies aber einmal geschehen, so muss man sich bewusst 
werden, dass dann der Boden für diese Art der Berechnung verloren 
ist. Es ist mir daher unbegreiflich, wie de Vries, nach den Unter- 
suchungen Stahl’s über die Abhängigkeit des Blattes von Standorts- 
bedingungen, noch ein mathematisches Gesetz, das Quetelet’sche, 
auf die Blätter eines Baumes anwenden will, wo wir es doch in der 


!) Hugo de Vries, Die Mutationstheorie. Leipzig 1901. 


115 


Hand haben, durch einfache Mittel die Anzahl der kleinen, der grossen 
oder der mittleren Blätter zu erhöhen oder überhaupt Jie Blattgrössen- 
eurve in jeder beliebigen Weise umzugestalten. Allerdings sind wir 
ja auch hier noch nicht so weit, werden auch nie dazu kommen, 
Recepte aufzustellen, nach denen man im Stande wäre, von einer ge- 
wissen Pflanze nach Grösse, Form und Structur ganz genau bestimmte 
Blätter zu ziehen. Es werden auch hier immer noch Einflüsse mit- 
wirken, die wir noch nicht kennen, und die eine neue in noch engeren 
Grenzen vor sich gehende Variabilität bedingen. Es ist Variabilität, 
wohin genau alle Kugeln einer Shrapnel fliegen, weil es unmöglich 
ist, die Wirkung des Sprengstoffes bis in alle Einzelheiten hinein 
vorauszubestimmen oder nachträglich abzuleiten; aber es ist nicht 
Variabilität, ob das Geschoss überhaupt über dem Ziel erepirt oder 
nicht, denn das soll in der Macht des Kanoniers liegen. 

Es ist wichtig, dass vorerst wenigstens in Beziehung auf den 
Blattbau die tieferen Ursachen der formellen und anatomischen Mannig- 
faltigkeit besser erkannt werden; und es ist auch leicht begreiflich, 
warum hier zuerst die Arbeit begonnen wurde. Dasjenige Organ, das 
in erster Linie die Nahrungssorgen übernommen hat, wird auch am 
allermeisten die gegebenen Verhältnisse auszunützen oder ihnen zu 
widerstehen suchen müssen. 

Auf Veranlassung des inzwischen leider so früh verstorbenen Herrn 
Prof. Dr. A. F. W.Schimper in Basel habe ich mir die Aufgabe ge- 
stellt, zu untersuchen, ob auch innerhalb einer grössern Pflanzengruppe 
der Blattbau der verschiedenen Arten den Anforderungen des Klimas ent- 
sprieht. Ich habe hiebei mein Augenmerk nicht nur auf die anatomische 
Structur, sondern vor Alleın auch auf die Blattgestalt gerichtet und die 
Gattung Quercus als eine der am weitesten auf der Erde verbreiteten als 
Untersuchungsfeld gewählt. Allerdings traten im Laufe der Untersuch- 
ung allerlei Hindernisse auf, die einer klaren und präcisen Lösung der 
Frage im Wege waren. Vor Allem ist hier zu erwähnen die Unvoll- 
kommenheit der systematischen Gruppirung der Eichen. Im Grossen 
und Ganzen ist seit Endlicher (mit Ausnahme der Systeme Oer- 
sted’s und Boissier’s) die Eintheilung nach den Fruchtbecher- 
schuppen als Hauptprineip wohl mit Recht festgehalten worden, aber 
im Einzelnen differiren die Systeme A. de Candolle’s, Kotschy’s 
und Wenzig’s wesentlich von einander. Wo es sich darum handelte, 
Beziehungen der Blattform zur systematischen Verwandtschaft zu 
untersuchen, habe ich mich daher stets nur an das System de Can- 


dolle’s unter Berücksichtigung neuerer Angaben Wenzig’s gehalten. 
8* 


116 


Eine zweite Schwierigkeit bei dieser Untersuchung lag darin, 
dass die Standortsangaben der Uerbarien zum Theil äusserst ungenau 
und daher für meine Zwecke fast unbrauchbar waren. Zahlreiche 
Eichenarten haben nämlich je nach ihrem Standort sehr verschiedene 
Blattformen, die oft einen grofsen Theil der Skala des Eichenblattes 
überhaupt durchlaufen. Sogar von Quereus pedunculata hat sich einer 
schon das Vergnügen bereitet, aus einem einzigen Walde bei Driesen 
in Mähren 71 Varietäten mit Namen zu belegen.!) Absolut klare 
Resultate wären nur dann zu erzielen, wenn alles Material eigens 
zu diesem Zwecke gesammelt worden wäre. Mit dem Standort „Ame- 
rika® lässt sich oft auch bei anderen Gelegenheiten nicht viel an- 
fangen, geschweige denn hier. 

Aber freilich auch da, wo es möglich war, selbst die verschie- 
denen Standortsformen kennen zu lernen, besonders bei unseren drei 
einheimischen Eichen, ist die riehtige Deutung der abweichenden For- 
men oft keine leichte. Sonnen- und Schaitenblätter, Blätter am Zweig- 
ende oder deren Basis, an Adventivtrieben oder Stockausschlägen 
differiren bekanntlich oft ausserordentlich, und es dürfte gewiss ver- 
fehlt sein, wenn man Alles aus einer einzigen Ursache ableiten wollte. 
Allerdings kann ich mich auch nicht der Ansicht v. Ettingshau- 
sen’s und Krasan’s anschliessen, die in zahlreichen grösseren und 
kleineren Abhandlungen?) für den Gedanken eingetreten sind, alle 
diese Formen seien nur Atavismen, Wiederholungen früherer Formen, 
wie sie denn auch für jede derselben eine fossile Eiche zur Hand 
haben. Das letztere will natürlich gar nicht viel sagen, da man 
erstens ebenso gut oder noch leichter unter den lebenden Eichen 
identische Formen finden würde, und anderseits die Bestimmung der 
fossilen Blattreste, die nur in den allerseltensten Fällen durch Frucht- 
oder Blüthenfunde erleichtert wird, viel zu unsicher ist, um auf sie 
so weittragende Schlüsse bauen zu dürfen. Hat sich bei den reinen 
Systematikern schon lange die Ansicht festgesetzt, dass aus Blatt- 
unterschieden oder -ähnlichkeiten allein noch keine Verwandtschafts- 
beziehungen abzuleiten seien, wie soll nun hier, wo es sich um ganz 


1) W. Lasch, Die Eichenformen der märkischen Wälder, haupts. der um 
Driesen. Bot. Ztg. 1857 pag. 489 ff. 

2) Franz Krasan, Ueber continuirliche und sprungweise Variation. Engl. 
Jahrb. IX, 88, pag. 380 ff. — Ders,, Ergebnisse der neuesten Untersuchungen über 
die Formenelemente der Pflanzen. Engl. Jahrb. XII, 92, Beibl. pag. 25. — 
C. Freih, v. Ettingshausen, Zur Entwickelungsgeschichte der Vegetation der 
Erde. Sitzber. d. k. Ak. d. W. LXIX B. 74. — Ders, Die Florenelemente in der 
Kreideflora. Sitzber. d. k. Ak. d. W. LXIX B. 74. 


117 


unbekannte Factoren, die vor undenklichen Zeiten wirksam waren, 
handelt, die Blattform so missbraucht werden dürfen! Zudem sträubt 
sich mein Verstand, alle diese Erscheinungen nur kurzweg als Ata- 
vismus zu erklären, da damit eben rein gar nichts wirklich erklärt, 
sondern nur das grosse Räthsel der Erblichkeit, sogar in einer äusserst 
aufdringlichen Form, an Stelle des zu Erklärenden gesetzt wird. 
Krasan zäumt geradezu das Pferd am Schwanze auf und verlegt 
schliesslich alle Formenmannigfaltigkeit in graue Vorzeit, von der nur 
hie und da noch das oder jenes „Formenelement“, durch gewisse 
Factoren ausgelöst, zu Tage treten, ja sogar durch Combination mit 
anderen — auch schon längst dagewesenen — zur neuen Art führen 
kann, leugnet aber rundweg und a priori die Möglichkeit, dass je 
etwas Neues entstehen könnte. Er glaubt so der Schwierigkeit, das 
Neue zu erklären, zu entrinnen, wie so viele aus Angst vor der 
Zweckmässigkeit sich in die Erblichkeit verrennen, ohne zu merken, 
dass sie vom Regen in die Traufe kommen, indem nicht nur der aller- 
einfachste Vererbungsvorgang für uns weit unbegreiflicher ist, als eine 
zweckmässige Neubildung, sondern auch, was vererbt wird, einmal 
eben auch entstanden sein muss. Darum kümmern sich aber aller- 
dings dann die wenigsten und hoffen, dass auch für den geneigten 
lieser sich das Sprichwort erwahre: Aus den Augen, aus dem Sinn. 
Es gibt ja bekanntlich zwei Wege, um etwas aus den Augen zu 
bringen, entweder man macht es thatsächlich so klein, dass man es 
nieht mehr sieht, wie z. B. die ganz minimen Abänderungen, die 
dann durch Häufung durch die Selection zu neuen Arten führen 
sollen, oder man bringt es in möglichst grosse räumliche oder zeit- 
liche Distanz in die graue Vorzeit, die Urschleimära. Auf beide Weise 
soll mit dem Sichtbarsein auch das Bedürfniss nach Frklärung ent- 
fernt werden! Und thatsächlich fallen auch genug scheinbar wissen- 
schaftlich denkende Leute darauf herein. 

Kurz, ich glaube, dass mit dieser atavistischen Theorie niehts 
erreicht wird, und dass wir viel besser auf anderm Wege dazu kommen 
werden, die Formenmannigfaltigkeit der Eichenblätter zu erklären. 
Freilich absolut verwerfen möchte ich den soeben besprochenen Factor 
nicht. In modifieirter Form, wie ihn z. B. Potoni&!) bringt, dürfte ihm 
gewiss nicht einfach die Berechtigung abgesprochen werden: „Durch 
Störung veranlasste pathologische Deformitäten, oder mit andern 
Worten teratologische Erscheinungen, haben die Neigung, Formver- 


atavistischen Momenten. Natw. Wochenschr. XIII, Nr. 35, 98. 


118 


hältnisse der Vorfahrenreihe des betreffenden Lebewesens zu recapitu- 
liren“, Aber gewiss ist dies nicht die einzige Ursache der Mannigfaltigkeit; 
diese beruht nicht nur auf Hemmungs-, sondern auch auf Neubildungen, 

Vor Allem sollte hier das Experiment zu Hilfe kommen. Man 
sage dann nur nicht wieder, das sei nur ein auslösender Factor, denn 
damit kommt man eben einmal nicht weiter. Ich habe mich daher 
bemüht, von verschiedenen Eichenarten durch Cultur in trockenem und 
feuchtem Raum wenigstens Anhaltspunkte für die weitere Erklärung 
der Blattform zu erhalten. Aus den Resultaten dieser Versuche glaube 
ich nicht nur die Stahl’sche Deutung der Standortsunterschiede neu 
stützen zu können, sondern, noch weiter gehend, auch die Unterschiede _ 
der Blattformen in verschiedenen Klimaten als im Wesentlichen auf 
gleichen Ursachen beruhend darlegen zu können. 

Zu den Culturen benutzte ich tbeils selbst gesammelte Samen 
unserer Eichen, theils solche, die mir von Herrn Prof. Ch. Flahault 
in Montpellier waren zugesandt worden. In Beziehung auf Standorts- 
unterschiede war ich grösstentheils auf eigene Beobachtungen oder 
gütige directe Mittheilungen angewiesen. Wichtig waren mir hiebei 
namentlich auch acelimatisirte Eichen, wie ich solche aus dem Berliner 
bot. Garten und von FratelliRovelliinPallanza erhielt, und auch 
selbst in Kew beobachten konnte, Für die Vergleichung der Arten war 
ich auf die Herbarien und einige private Sendungen von auswärts an- 
gewiesen; alles wurde so viel wie möglich auch anatomisch untersucht. 
Die genauere Kenntniss der javanischen Eichen wurde mir durch eine Sen- 
dung aus dem Garten in Buitenzorg, diejenige der japanischen durch eine 
solche von Y. Yabe an der Imp. University in Tokyo und diejenige 
der californischen durch eine sehr werthyolle Sammlung von Typen 
von Quereus agrifolia und dumosa von Prof. W. R. Shaw in Claremont 
erleichtert. Von Herbarien bekam ich diejenigen der Universitäten 
Basel und Zürich, das eidgenössische, das der kgl. Universität München 
und der k.k. Univ. Wien zu Gesichte. Den Vorstehern und Con- 
servatoren der betreffenden Sammlungen, sowie den oben erwähnten 
Sammlern sei auch an dieser Stelle für die freundlichen Zusendungen 
der beste Dank ausgesprochen. Ein kürzerer Aufenthalt in Kew er- 
möglichte mir schliesslich noch eine Ergänzung des Stoffes in dem 
dortigen bekannten reichhaltigen Herbarium, 


Allgemeines über die Gattung Quercus. 


Verbreitung. Von Quereusarten sind über 200 beschrieben 
worden, deren Wohngebiet fast alle nördlichen gemässigten und sub- 


119 


tropischen und einige tropische Gegenden umfasst. Nach der Aufzäh- 
lung Wenzig’s') sind aus Amerika 18 scharf unterschiedene östliche, 
79 tropische, subtropische und californische Arten, 47 europäisch-orien- 
talische und 59 asiatische Arten bekannt, Hiezu gesellen sich eine 
grosse Zahl zweifelhafter Arten und Varietäten, die namentlich bei 
gewissen Formen in besonders grosser Menge’ gehäuft sind, so z.B. 
bei Quercus lusitanica Webb. Nicht alle systematischen Gruppen der 
Eichen sind übrigens in gleicher Weise verbreitet; die Sectionen 
Cyelobalanus, Chlamydobalanus, Pasania und Lithocarpus sind auf das 
tropische und subtropische Asien beschränkt, während die Section 
Lepidobalanus mit Ausnahme des eigentlich tropischen Asiens das 
gesammte Gebiet bewohnt. Die Südgrenze des Verbreitungsbezirkes 
der Eichen liegt auf der westlichen Halbkugel in Venezuela und 
Columbien, die Nordgrenze geht durch den Nootkasund und den 
Winipegsee nach Neu-Schottland; auf der östlichen Halbkugel schneidet 
die Nordgrenze den Süden Norwegens, Schweden, Finnland, den süd- 
lichen Ural und verläuft am Oberlauf der sibirischen Flüsse bis an den 
Amur und die Insel Sachalin. Nach Süden erreicht das Gebiet der 
Gattung hier nur den Nordrand Afrikas, Syrien und Palästina, die 
Hochländer Persiens und Afghanistans, um dann im ostindischen Ar- 
chipel über den Aequator binausgehend hauptsächlich die grossen 
Sundainseln, theilweise Neu-Guinea und die Philippinen zu umfassen. 
Besonders reich an eigenthümlichen Arten ist Mexico, Costarica und 
Guatemala, das östliche Mittelmeergebiet, besonders Cilicien, das 
Gebiet von Ost-Bengalen, Burma und Malakka, sowie Japan. 

Als Grundlage für die folgenden Untersuchungen dürfte es an- 
gezeigt sein, zuerst einen kurzen Ueberblick über die Haupttypen des 
Eichenblattes in Beziehung auf äussere Form und innere Structur zu 
geben. 

Blattformen. Bei zahlreichen Arten der Gattung finden wir 
ein ganzrandiges Blatt, das sich ausnahmsweise der kreisrunden Ge- 
stalt nähert, meist aber elliptisch oder lanzett in der Richtung des 
Hauptnerven verlängert ist. Als abgeleitete Form treffen wir zunächst 
das einfach gezähnte Blatt an, das jedoch selten rein angetroffen wird, 
sondern meist gleichsam als Uebergangsstadium zu den drei folgenden 
Typen, dem stachelspitzigen, dem eigenartigen fadenlappigen und dem 


1) Th. Wenzig, Die Eichen Europas, N.-Afrikas und des Orients. Jahrb. 
des kgl. bot, Gartens und des bot. Museums zu Berlin, Bd. IV, 86. — Ders, Die 
Eichenarten Amerikas, ebendas., Bd. IL, 84. — Ders,, Die Eichen O.- und S.-Asiens 
ebendas. Bd, IV, 86. 


120 


gelappten aufgefasst werden muss. Der erstere ist durch hervorragende 
Secundärnerven, die sich mit den stark sklerenchymatischen Rand- 
gefässbündeln zu Stacheln vereinigen, charakterisirt; der zweite hat 
spitze, meist mehrfach geschlitzte Lappen, an deren Ende eine nur 
wenig starre, auch aus Secundär- und Randnerven gebildete Ver- 
längerung hervortritt; der letzte ist durch mehr oder weniger tief 
gebuchtete, einfache oder zusammengesetzte Lappen gekennzeichnet. 

In Beziehung auf die Consistenz des Gewebes finden wir alle 
Uebergänge von der dünnsten Blattspreite bis zum derbsten lederigen, 
fast pappeartigen Gebilde. 

Anatomisches. Die Anatomie zeigt verhältnissmässig wenig 
auffallende Verschiedenheiten. Eine ziemlich eingehende Bearbeitung 
derselben für die Gruppe Lepidobalanus hat P. C. Schott?) ge- 
schrieben; eine Untersuchung, die jedoch z. Th. nur zu sehr in Details, 
Mikrometermessungen u, dgl. eingeht, ohne die Abänderungsgrösse 
zu berücksichtigen. Die im Titel angekündigten Beziehungen zur 
systematischen Stellung und geographischen Verbreitung beschränken 
sich überdies auf einige sehr dürftige Sätze. Wir unterscheiden bei 
den Eichen drei Haupttypen des anatomischen Baues: 

1. Blätter mit deutlichem Wassergewebe oder wenigstens zerstreuten 

Gruppen von Wasserzellen im Schwammparenchym ; 

2. Blätter ohne Wassergewebe, aber mit vorherrschender Aus- 
bildung des Schwammparenchyms; 
3. Blätter mit vorherrschender Ausbildung der Palissadenzellen. 

Es ist hiebei jedoch nicht zu vergessen, dass diese Eintheilung 
lediglich der Bequemlichkeit wegen eingeführt wird, dass sie nicht 
feststehenden Typen entspricht, sondern in Wirklichkeit vielmehr 
überall Uebergänge zu constatiren sind. 

Da ich die Haarbildungen später noch genauer besprechen 
möchte, sei hier nur erwähnt, dass neben einigen weniger verbreiteten 
andern Epidermisbildungen sehr häufig mehrtheilige stern- oder büschel- 
artige Gebilde, namentlich auf der Blattunterseite, sich finden. 

Die Spaltöffnungen sind äusserst gleichartig gebaut, fast nur 
in der Grösse varriirend, selten etwas eingesenkt oder emporgehoben, 
meist ohne jegliche Nebenapparate. 

Der Gefässbündelverlauf — ein seit langer Zeit für die 
Systematik als äusserst werthvoll anerkanntes Merkmal — findet sich 


4 P.C. Schott, Der anatomische Bau der Blätter der Gattung Quercus 


in Bez, zu ihrer system. Gruppirung und ihrer geogr. Verbreitung. Diss. Heidel- 
berg, Breslau 1900, 


121 


bei den Eichen in allen drei Haupttypen vertreten: der camptodromen, 
der craspedodromen und brochidodromen. Bei der erstern Nervations- 
art verläuft der allmählich an Dicke abnehmende Secundärnerv gegen 
den Rand zu bogenförmig nach dem nächst obern Nerven, sich an 
diesen anlegend, bei der craspedodromen endigt der mehr gerade 
verlaufende secundäre Ast in einem Zahn oder Lappen des Randes, 
bei der brochidodromen spaltet er sich meist bäumchenartig vor Er- 
reichung der Blattperipherie in mehrere Aeste.!) Auch hier finden 
sich zahlreiche Uebergänge. 

Die Gefässbündel tragen oben und unten ein stärkeres oder 
schwächeres parenchymatisches und collenchymatisches Leitgewebe, 
das den meist geschlossenen Sklerenchymring auf zwei Seiten umgibt und 
oben und unten mit der Epidermis wenigstens theilweise in Verbindung 
steht. Die Gefässbündelstämme selbst sind im Mittelnerv ent- 
weder nurin zwei oder in drei Gruppen geordnet. Im letztern Fall kehrt 
der mittelständige den Leptomtheil meist wie der untere nach oben. 

Im Folgenden sollen nun zunächst die angestellen Culturversuche 
besprochen werden, da sie die sichersten Anhaltspunkte dazu geben 
werden, die Standortsunterschiede und endlich auch die Wirkung der 
verschiedenen Klimate richtig zu beurtheilen. 


I. Cuiturversuche. 


Am 5. Dee. 1900 sammelte ich von einem Exemplar von Quercus 
pedunculata Ehrh. Eicheln, um sie im Laboratorium des bot. Instituts 
in Basel unter verschiedenen Bedingungen keimen zu lassen. Da ich 
bei Gelegenheit einer früheren Untersuchung?) zu der Ansicht ge- 
kommen war, dass Lichtentzug im Wesentlichen ganz dieselben Ver- 
änderungen hervorruft wie feuchte Luft und überdies infolge der 
mangelhaften Ernährung leicht krankhafte Organbildungen bedingt, 
beschränkte ich mich auf die Untersuchung der Feuchtigkeitswirkung 
durch Cultur unter Glasglocken. Am 5. Dec. wurden die Samen ge- 
sät, und Ende Januar bis anfangs März erschienen die Keimlinge, die 
bald alle kräftige Blätter erzeugten. Am 3. Jan. 1901 säte ich über- 
dies noch Samen von Quercus sessiliflora Sm. und Quereus Suber L., 
die Herr Professor Flahault bei Hyöres gesammelt und mir gesandt 
hatte. In allen Fällen zeigten sich nun zwischen den unter Glas- 


1) Vergl. z.B. die Abbildungen von Qu. Blancoi, Qu. serrata und pedunculate 
und Qu. costaricensis, 

2) W. Brenner, Untersuchungen an einigen Fettpflanzen. Diss, Basel. 
Flora 1800. 


122 


glocken gewachsenen, täglich begossenen, und den frei gezogenen und 
troeken gehaltenen Exemplaren bedeutende Unterschiede, sowohl was 
die äussere Gestalt als was den inneren Bau anbelangt. 


a) Quercus pedunculata Ehrh. (Fig. 1). 

Das im feuchten Raum gewachsene Blatt ist dunkelgrün gefärbt, 
von etwas derber Consistenz, oberseits schwach glänzend, unten heller 
und matt. Die Nervatur tritt unterseits nur schwach hervor und zeigt 
einfach eraspedodromen Verlauf. Die 5—7 Secundärnerven setzen in 
ziemlich stumpfen Winkeln (50—60°) an den Mittelnery an und sen- 
den nur in grösseren Abständen deutliche tertiäre Zweige aus, die 
gewöhnlich bogenförmig die gegenüber liegenden Aeste höherer Ord- 
nung verbinden, während nur die äussersten unter sich kräftige Ver- 
bindungen eingehen. Der Blattrand bildet vier sanft wellige rund- 

N liche Lappen, auch die Spitze 
a des Blattes ist stumpf und die 
Basis kurz keilig ausgezogen, 

nur am Grunde schwach abge- 

rundet. Der Blattstiel ist Imm 


f lang (Fig. 1b). 
N Das trocken gezogene Blatt 


c ist deutlich hellgrüner, jedoch 


Fig. 1. Quercus pedunoulata Ehrh.vonBasel. kaum derber als das feucht ge- 


& trocken, b feucht (unter Glocke), c bei wachsene, oberseits kaum glän- 
wechselnder Feuchtigkeit warm (Victoria- ’ 


haus), As nat, Gr. zend, unten heller und matt, 
Die derbe Nervatur tritt auf 
der Unterseite sehr deutlich hervor und zeigt die 6—8 Secundär- 
nerven in fast spitzen Winkeln (45—50°) aus dem Mittelnerv hervor- 
treten. Das gesammte Adernetz ist schon makroskopisch, besonders 
aber mikroskopisch, viel dichter und gröber als dasjenige des feucht 
gewachsenen Blattes. Von den zahlreichen Tertiärnerven schliesst 
sich eine grosse Zahl unter einander zu Bögen zusammen. Dies kommt 
daher, weil der Blattrand viel tiefer gebuchtet ist und daher die ein- 
fachen Anastomosen zwischen den Secundärnerven überall bis weit 
ins Blatt hinein unterbrochen werden müssen. Meist sind jederseits 
auch nur ‚vier, selten fünf Blattlappen vorhanden, die jedoch alle 
spitzer enden als beim feucht gezogenen Blatte. Auch die Blattapitze 
ist spitz und die Basis etwas keilig und meist herzförmig gebuchtet. 
Der Blattstiel ist Imm lang (Fig. 1a). 


Obschon das feucht gewachsene Blatt eher etwas kleiner ge- 


128 


blieben ist als das trocken gezogene, ergibt sich aus einem einfachen 
Transpirationsversuch durch \Wägen sorgfältig abgenommener und 
einige Zeit denselben Bedingungen ausgesetzter Blätter, dass durch 
entsprechende anatomische Veränderungen bei ersteren dafür gesorgt 
worden ist, dass es trotz der henmenden Feuchtigkeit noch genügend 
transpiriren und assimiliren kann, 


Tabelle derTranspirationsgrösse eines feucht und eines 
trocken gewachsenen Blattes von Quercus pedunculata 
Ehrh, während 1Std. unter gleiche Bedingungen gebracht. 


Trocken gewachsen Feucht gewachsen 


9 Uhr 30 0,154g 0,096 g 
10 Uhr 30 0,146 0,041 
Verlust 0,008g 0,0558 


Schon nach einer Stunde hat das feucht gewachsene Blatt mehr 
als die Hälfte seines Frischgewichtes verloren, auch äusserlich ist es 
welk geworden, während man dem trocken gewachsenen noch nichts 
ansieht. 


Fig.2, Quercus pedunculate Ehrh. von Basel. Querschnitt. a trocken, b feucht 
(unter Glocke), c bei wechselnder Feuchtigkeit warm (Vietoriahaus). 


Anatomisch unterscheiden sich die Blätter hauptsächlich in folgen- 
den Punkten, entsprechend allen bisherigen derartigen Untersuchungen. 
Beim feucht gewachsenen finden wir tangential gestreckte Epidermis- 
zellen mit schwach verdickter Aussenwand und wenigstens auf der 
Blattunterseite stark gefältelten Radialwänden. Die Stomate sind zwar 
eher weniger zahlreich, aber viel grösser und mit stets weit geöffneter 
Spalte. Die Palissadenzellen schliessen nur lose an einander an und 
zeigen auf Flächenschnitten ebenfalls eine deutliche tangentiale Er- 
weiterung. Das Schwammparenchym ist sehr locker gebaut. Bei 
einem Schnitt durch den Mittelnery fällt gegenüber dem trocken ge- 


124 


wachsenen Blatt hauptsächlich eine Verminderung des parenchyma- 
tischen und collenchymatischen unteren Geleitgewebes auf, während 
die Mächtigkeit des Sklerenchymringes und des Holzgewebes nicht 
stark differirt (Fig. 2b, a). 

Parallelversuche zeigten in Beziehung auf die Anatomie stets 
dasselbe Verhalten, nur die äussere Form war in den einzelnen Fällen 
etwas variabel, jedoch nur in engeren Grenzen. Recht hinderlich ist 
bei diesen Versuchen die bei unseren Eichen häufig auftretende Ten- 
denz zu Deformitäten, namentlich durch sog, Blattschwund, wobei ein- 
zelne Partien am Rand oder mitten in der Spreite absterben, so dass 
das Blatt oft ganz verunstaltet wird. Beim Transpirationsversuch ver- 
halten sich jedoch alle Blätter vollständig wie beim angegebenen Fall. 

Besondere Veränderungen sind nun nur noch bei zwei im Victoria- 
haus des Gartens eultivirten Exemplaren zu erwähnen. Bei wechselnder 
Feuchtigkeit und steter Wärme entwickelten sich hier Blätter, die an 
geringer Ausmodellirung die unter Glocke gewachsenen z. Th. erreichten, 
ja sogar übertrafen (Fig. le). Die anatomischen Verhältnisse dieser 
Organe liessen sich in Beziehung auf die Grösse der Elemente eben- 
falls neben diejenigen der feucht gewachsenen stellen, während ihre 
dichte Anordnung mit Vermeidung grosser Intercellularen mehr der- 
jenigen der trocken gehaltenen entsprach. Namentlich auffallend sind 
die beinahe eubischen Schwammparenchymzellen und die grossen, 
nicht nur tangential, sondern auch radial etwas erweiterten Epider- 
miszellen, die hier ein eigentliches Wassergewebe bilden (Fig. 2c). 
Auch das hier vorwiegend parenchymatische Geleitgewebe des Mittel- 
nerven ist oben und unten besonders stark entwickelt. Die Stomata 
sind unterseits sehr zahlreich, aber sehr klein und meist kaum geöffnet. 
All dem entspricht das Verhalten dieser Blätter beim Transpirations- 
versuch, indem sie noch langsamer Wasser verlieren als die trocken 
gewachsenen, eine Erscheinung, die mich zuerst, da ich den ana- 
tomischen Bau noch nicht untersucht hatte, sehr überraschte. Noch 
ist zu beachten, dass die Nervation sich sowohl vom feuchten als vom 
trockenen Typus dadurch unterscheidet, dass zwar nicht direet die 
Anzahl der Secundärnerven erhöht ist, aber dass kleinere Aeste zwischen 
den Secundärnerven die Mittelrippe oder diese selbt verlassen, die 
theilweise nicht direct in einem Bogen an den nächst unteren seeundären 
Ast anschliessen, sondern die Tendenz zeigen, sich im Gegentheil nach 
oben zu wenden. 

Zur Erklärung dieser Erscheinungen kann man wohl auch hier 
nach dem Vorgange Kohl’s die Turgorverschiedenheiten zu Hilfe 


125 


nehmen, wobei aber, wie ich in meiner oben citirten Arbeit näher 
aus einander setzte, zu beachten ist, dass man dabei nur an einen 
anstossgebenden Factor zu denken hat, und überdies unerklärt bleibt, 
warum im feuchten Raum vorzugsweise der Tangentialdurchmesser der 
Zellen und z. Th. sogar die Intercellularen vergrössert werden und nicht 
der Radialdurchmesser, der die Richtung des kleinsten Widerstandes 
darstellt. Ebenso bleibt nun hier unerklärt, warum im Victoriahaus 
der wenigstens zeitweise stark gesteigerte Turgor sich in einer all- 
seitigen Erweiterung der Zellen ohne Bildung von grösseren Inter- 
cellularen kundgibt. Verständlich ist ein Transpirationsschutz in diesem 
Falle insofern, als jeder Wechsel des Feuchtigkeitsgrades der Luft 
bei der herrschenden Wärme viel rascher die Pflanze gefährden könnte. 
Das ausgebildete Wassergewebe wäre dann wohl einfach als eine Ein- 
richtung aufzufassen, das bei der gesteigerten Wachsthumsenergie 
andringende Wasser, das der Gefährlichkeit wegen eben nicht alles 
durch Transpiration abgegeben werden darf, in bestimmte Gewebe 
bei Seite zu schaffen, wo es überdies bei sehr starker Verdunstung 
der Pflanze wieder nützlich werden könnte. Es setzt also die Ent- 
stehung eines solchen Wassergewebes einen Wechsel der Feuchtigkeit 
voraus, In der That überzeugten mich Messungen mit einem Hygro- 
meter von den beträchtlichen Schwankungen des Wasserdampfgehaltes 
der Atmosphäre im Victoriahaus. An warmen Tagen sank das In- 
strument oft bis auf 53°/,, um nach erneutem Bespritzen der Pflanzen 
und des Bodens sofort auf 100%), zu steigen. 

Was nun die äussere Gestalt des Blattes anbetrifft, so glaube 
ich die Entstehung der tieferen und spitzeren Lappen in trockener 
Umgebung rein mechanisch ableiten zu können. Die Blattspreite 
kann sich nämlich gewiss nur da entwickeln, wo die Wasserzufuhr 
noch genügend gross ist, um einen Üeberschuss über den Tran- 
spirationsverlust zu liefern. Dies wird aber bei unseren Eichen bei 
starker Transpiration nur am Secundärnerv selbst bis zu einer gewissen 
Distanz vom Mittelnerv der Fall sein können, während die Tertiaräste 
um so weniger dazu befähigt sind, je weiter entfernt vom letztern sie 
liegen. Ist nur sehr schwache Transpiration vorhanden, so werden 
alle oder fast alle Tertiärnerven bis an den Rand hinaus eine directe 
Verbindung zwischen den secundären Zweigen bilden können, im 
idealen Falle also ein ganzrandiges Blatt erzeugen, während sie um 
so tiefer ins Blaıt hinein unterbrochen resp. zu einem bogenförmigen 
Anschluss unter sich gezwungen werien, je stärker der Transpirations- 
verlust sich gelteud macht. Indem sich dasselbe zwischen dem ein- 


126 


zelnen Tertiärnerven wiederholt, kann schliesslich sogar eine doppelte 
Buchtung der Spreite entstehen. 

Hiebei ist zu beachten, dass diese secundären Lappen am oberen 
Rand der Bucht darum zahlreicher sein werden, weil die in allen 
Eichenblättern meist schräg von oben nach unten aussen verlaufenden 
Tertiärnerven die primäre Ausbuchtung an ihrem oberen Rande in 
grösserer Zahl senkrecht treffen müssen, als am unteren Rand. Das 
trocken gewachsene Blatt ist also durch tief- und spitz-, das feucht 
gewachsene durch seicht- und stumpf gebuchteten Rand gekennzeichnet. 
Allerdings setzt dieser Erklärungsversuch voraus, dass die Anzahl 
der ausgebildeten Secundärnerven wesentlich unter den verschiedenen 
Bedingungen constant bleibt; ist dies nicht der Fall, so wird auch 
bei stärkerer Transpiration unter Umständen ein weniger tief gebuch- 
tetes Blatt entstehen können. In der That sehen wir dies in gewissem 
Sinne bei unserem Versuch im Vietoriahaus, wo offenbar infolge des 
genügenden Wasserzuflusses und der wachsthumsfördernden hohen 
Temperatur die Nervatur auch in ihrem Verlauf etwas verändert wurde. 
Allerdings ist hier zugleich nicht von stets gesteigerter Transpiration 
zu sprechen und daher der anders gestaltete Blattrand theilweise 
auch auf die umgebende Feuchtigkeit zurückzuführen. 

Nach diesen Auseinandersetzungen komme ich zu dem Ergebniss, 
dass die Anzahl und der Verlauf der Secundärnerven durch die 
Wachsthumsintensität, besonders die dieselbe fördernde Wärme be- 
dingt ist, die Gestalt des Blattrandes abhängig ist einerseits von der 
Anzahl der Seeundärnerven und anderseits von der Stärke der 
Transpiration, der Verlauf der Nervenendigungen, besonders der 
Tertiär- und Quartärnerven endlich von dem Verlauf des Blattrandes. 


b) Quereus sessiliflora Smith. 

Die von Herrn Prof. Ch. Flahault bei Hysres gesammelten 
und mir freundlichst zugestellten Samen keimten unter ähnlichen Be- 
dingungen wie diejenigen von Qu. pedunculata. 

Das feucht gewachsene Blatt ist dunkelgrün, schwach derb und 
etwas glänzend, unten heller und schwach behaart. Die Nervatur ist 
craspedodrom und nur schwach hervortretend; der Blattrand bildet 
jederseits 4—5 ziemlich kurze, aber spitze Lappen und ist gegen 
den Stiel zu keilig (Fig. 3b). 

Das trocken gewachsene Blatt ist kleiner, etwas heller oder mehr 
blaugrün, derb und schwach behaart. Das stark vortretende Adernctz 
zeigt auch craspedodromen Verlauf, aber viel stärkere Tertiärnerven 


127 


als beim feucht gewachsenen Blatt. Der Blattrand ist <—5fach schwach 
gebuchtet, die ebenfalls spitzen Lappen bleiben aber an Grösse hinter 
denen des feucht gezogenen Organs deutlich zurück. Die Blattbasis 
ist gestutzt bis fast herzförmig gebuchtet (Fig. 3a). 

Transpirationsversuche ergaben auch hier für das feucht gewach- 
sene Blatt eine viel raschere Wasserabgabe; auch die anatomischen 
Unterschiede sind ganz die gleichen wie bei Qu. pedunculata. 

Es wurde hier noch ein Versuch mit wechselnder Feuchtigkeit 
angestellt, indem eine junge Pflanze jeden Tag für einige Stunden 
aus der Glocke herausgenommen und der freien Luft ausgesetzt wurde, 
wobei natürlich die vorher ausgebildeten Blätter alle abstarben. Das 
neu gebildete Blatt unterscheidet sich in der Form vom feucht ge- 
wachsenen durch kürzere aber noch spitzere, fast zahnartige Lappen; 


Fig.3. Quercus sessiliflora Sm. von Fig.4. Quercus Suber L. von Hydres 

Hyeres, a trocken, b feucht (unter a trocken, b feucht (unter Glocke) 

Glocke), ec abwechselnd unter Glocke 6 bei wechselnder Feuchtigkeit warm 
und frei. 1/, nat. Gr. (Victoriahaus). %/, nat. Gr. 


seine Nervatur ist kräftiger, die Blattbasis gestuzt, die Consistenz 
schwach derb und die Oberseite glänzend hellgrün (Fig. 3c). Die 
anatomischen Verhältnisse gleichen ebenfalla mehr derjenigen des 
feucht gewachsenen Blattes mit dem einzigen Unterschied, dass das 
Schwammparenchym eubisch kleinzelliger und eher dichter ist. Trotz- 
dem ist die Wasserabgabe beim Versuche eine beinahe ebenso rasche 
wie bei dem ganz unter Glocke gewachsenen Blatte. In dem Versuch 
mit Qu. pedunculata im Vietoriahaus waren die die Transpiration be- 
günstigenden, hier die sie hemmenden Factoren vorherrschend. 


c) Quereus Suber L. 
Die von Hyöres stammenden Eicheln dieser Art lieferten unter 
den verschiedenen Bedingungen äusserlich nur wenig differirende 


Pflanzen. 
Das in feuchter Luft gewachsene Blatt ist dunkelgrün, dünn, 
oberseits glänzend, unterseits heller; die Gestalt ist rundlich oval, der 


128 


Blattrand mit durchschnittlich 4 bis 1,2mm langen, wenig derben 
Stacheln versehen, die meist an kurzen Zühnen sitzen. Aus der 
Mittelrippe entspringen 3—4 schwache Secundärnerven unter ca. 45°, 
die durch nur wenige tertiäre Zweige miteinander verbunden sind. 
Der Blattstiel ist 1,3mm lang (Fig. 4b). 

Das in trockener Luft gewachsene Blatt ist etwas heller, oben 
mattglänzend, etwas bläulich bereift, derber als das oben beschriebene, 
unterseits matt, Der Blattrand ist gleichmässig elliptisch ohne eigent- 
liche Zähne, nur mit kurzen, aber festen, bis 0,8mm langen Stacheln. 
Die 5—6 deutlichen Seitennerven entspringen unter 45° und sind 
durch zahlreiche kräftige Tertiärnerven verbunden. Der Blattstiel ist 
1,5mm lang (Fig. 4a). 

Das im Vietoriahaus gewachsene Blatt ist bedeutend grösser und 
erinnert mehr an das trocken gezogene, mit dem einzigen Unterschied, 
dass die Secundärnerven aussen in kurze Zähne und 1,2mm lange 
Stacheln enden. Der Blattstiel ist hier bis 1,7mm lang (Fig. 4e). 

Transpirationsversuche ergaben wieder für das feucht gewachsene 
Blatt einen sehr raschen, für das trocken gehaltene einen sehr lang- 
samen und für das Blatt aus dem YViectoriahaus einen ebenfalls lang- 
samen Wasserverlust. 


Fig. 5. Quercus Suber L, von Hydres. Querschnitt. a trooken, b feucht (unter 
Glocke), c bei wechseluder Teuchtigkeit warm (Victoriahaus). 


In Beziehung auf die Anatomie gilt dasselbe wie für Qu. pedun- 
eulata. Im normalen Zustand ist Qu. Suber ausgezeichnet durch 
stark verdickte Epidermiszellen und mehrschichtiges, langzelliges Pa- 
lissadenparenchym, das allmählich nach unten in wenig differenziertes 
Schwammparenchym übergeht. Annähernd die normalen Verhältnisse 
treffen wir beim trocken gehaltenen Blatt an (Fig. 5a), während das 
feucht gewachsene nur eine eigentliche Palissadenschicht und sehr 
lockeres Schwammparenchym zeigt neben tangential etwas gestreckien 
Epidermiszellen (Fig. 5b). Das Blatt aus dem Victoriahaus zeigt auch 


129 


hier den dichteren Bau mit cubischem Schwammparenchym und grossen, 
oberseits verdickten Epidermiszellen. Auch hier sind die Palissaden- 
zellen gegenüber dem trocken gewachsenen Blatt tangential und ra- 
dial etwas gedehnt, während die Stomata eher verkleinert erscheinen 
(Fig. 5). 


In Beziehung auf die Blattform hätten wir also hier und bei 
Qu. sessiliflora von Hyeres ein Qu. pedunculata entgegengesetztes 
Verhalten. Während dort in feuchter Umgebung die Lappen verkürzt 
werden, nehmen die entsprechenden Gebilde hier unter gleichen Ver- 
hältnissen grössere Dimensionen an. Wir müssen uns aber hierbei 
daran erinnern, dass wir hier von einem an trockenes Klima gewöhnten 
Blatte ausgegangen sind, das durch lange Anpassung Zeit gewonnen 
hat, durch geeignete Einrichtung seiner Nervation sich gegen zu 
starkes Zerschlitztwerden des Blattrandes zu schützen. Nur wenn wir 
die Nervatur des Korkeichenblattes näher ins Auge fassen, können 
wir begreifen, wieso im trockenen Mediterranklima L 
ein sozusagen ganzrandiges Blatt sich erhalten konnte. A 
Das verhältnissmässig kleine Blatt von Qu. Suber wird > 
nämlich in so ausgiebiger Weise von den nahe bei 
einander liegenden 5—6 Secundärnerven und den diese 5 

» Pr „ ig. 6. Quercus 
verbindenden starken Tertiärnerven mit Wasser ver- guber. Blattrand 
sorgt, dass auch die Peripherie noch genügend Feuch- mit Nervatur. 
tigkeit erhält, um sich entwickeln zu können. Neben 
dem Gedrängtstehen der secundären Aeste ist es namentlich einem 
in der Nähe des Randes entspringenden, nach unten verlaufenden, 
besonders stark entwickelten Tertiärnerven zuzuschreiben, dass hier 
die Ausbuchtung unterbleibt und sogar im Gegentheil der Rand, der 
sich unmittelbar neben dem schroffen Ende des Secundärnerven schon 
nach einwärts gewendet hatte, hier wieder nach aussen gebogen wird, 
wodurch eben jene hübsch geschweifte Peripherie des Korkeichen- 
blattes bedingt wird (vgl. Fig. 6). Die Nervatur nähert sich also hier 
der brochidodromen. Während nun bei grosser Feuchtigkeit die Wachs- 
thumsenergie am Ende des starken secundären und äusseren tertiären 
Nerven hier besonders gesteigert und daher die Hervorragungen ver- 
grössert werden müssen, verursacht dieselbe Erscheinung bei der Pe- 
duneulataform eine Nivellirung des Blattrandes, weil dort, als an einem 
an geringere Transpiration angepassten Blatte, die Enden des secun- 
dären und der äusseren tertiären Nerven nur noch schwach und kaum 
von den feinsten Abzweigungen verschieden gestaltet sind. Ganz ähn- 
lich muss das Verhalten von Qu. sessilifllora aufgefasst werden, wo 
Flora 1902. y 


130 


ebenfalls die durch Anpassung an das Mediterranklima erworbene starke 
secundäre und tertiäre Nervatur zu starke Lappung in trockener Um- 
gebung verhindert, in ungewohnter Feuchtigkeit aber durch Hyper- 
trophie dieser Theile gerade vergrössert. 

Ein ganz anderer Erklärungsversuch für die Ausbildung der 
Lappen bei gewissen Eichen gibt Lubbock.'!) Er bringt sie in Zu- 
sammenhang mit der verschiedenen Knospenlage der Blätter von pe- 
duneulata u. a. gegenüber Suber und Verwandten. Bei ersterer sei 
das Blatt in der Knospe mehr zusammengedrückt und könne sich 
daher an den Stellen, wo es durch die Rippen gehindert werde, nicht 
recht entwickeln, Ich denke, meine Versuche sprechen zur Genüge 
gegen diese sonst schon auf recht schwachen Füssen stehende Hypothese. 

Teleologisch so kleine Formverschiedenheiten deuten zu wollen, 
ist allerdings ein sehr gewagtes Unterfangen; aber trotzdem darf die 
Vermuthung ausgesprochen werden, dass die Ausbildung des kleinen 
Suberblattes mit der nahezu brochidodromen Nervatur wohl nicht 
allein auf die mechanischen Wirkungen der Verdunstung einerseits, 
und der durch die Wärme geförderten Wachsthumsintensität ander- 
seits zurückgeführt, sondern auch als Präservativmittel gegen die Aus- 
buchtung kann aufgefasst werden. Grosse Spreite und starke Aus- 
buchtung würde leichtere Beweglichkeit der Blätter resp. deren Lappen 
und infolge davon zu starke Transpiration hervorrufen. Umgekehrt 
dürfte bei Qu. pedunculata die Lappenbildung darum nicht verdrängt 
worden sein, weil sie, wie dies schon Kerner betonte, ein durch- 
brocheneres Laubmosaik und damit einen intensiveren Lichtgenuss der 
inneren Theile der Krone ermöglicht, ein Vortheil, der in einem ge- 
mässigten Klima ohne Gefahr der Schädigung durch zu grosse Ver- 
dunstung kann geboten werden. 


Il. Sonnen- und Schattenblätter. 

Ein bekannter Standort von Quereus pubescens Willd. findet 
sich unweit Basel auf einem in die Rheinebene vorstossenden Kalk- 
riff, dem sog. Isteiner Klotz. Dieser von der Sonne intensiv getroffene 
Felsen ermöglicht nicht nur den Anbau eines bekannten guten Weines, 
sondern gibt nicht wenigen mediterranen Florenelementen einen ihnen 
vollkommen zusagenden Zufluchtsort. Ueberall auf der Höhe des Felsens, 
sowohl auf der Süd- als der Westseite, stehen die strauch- und baum- 
förmigen Exemplare von Qu. pubescens. Wenn man die Blätter dieser 


1) J. Lubbock, On the shape of the oak-leaf. Meet. Brit. Ass. Adv. Sec, 
New-castle-upon-Tyne 1889, London 1890 p. 626, Ref. Just 89, I, p. 444. 


131 


Bäume näher ansieht, so ist man erstaunt ob der Mannigfaltigkeit 
der Formen, die uns hier entgegentritt: nicht nur jeder Baum, zum 
Theil die einzelnen Zweige weichen in nicht unbedeutendem Maasse 
von einander ab, und es hält schwer, das Regelmässige in diesem 
scheinbaren Durcheinander herauszufinden. Immerhin fiel mir gleich 
eine Blattart, die ich an einer besonders sonnigen Stelle an einem 
südlichen Aste gesammelt hatte, auf durch den mehr breitelliptischen 
Umriss, die langen Lappen mit je 1—4 spitzen Zipfeln und den langen 
Blattstiel (Fig. 7a). Demgegenüber zeichnete sich ein im Schatten 
anderer, früher belaubter Gewächse entsprossenes Blatt durch lang- 
elliptischen Umriss, nicht sehr tiefe Buchtung mit nur 1—2zipfligen 
rundlichen Lappen, keilig vorgezogener Blattbasis und kürzeren Blatt- 
stiel aus (Fig. 7b). Ein grundständiger Adventivtrieb hatte äusserst 


Big 


Fig.7. Quercus pubescens Willd., a b 
Istein,. a Sonnenblatt, b Schatten- Fig. 8. Quercus pedunculata Ehrh, Hard 
blatt, !/, nat, Or. b. Basel. a Sonnenblatt, b Schattenblatt, 
1/g nat, Gr, 


üppige, kurzgestielte Blätter mit spitzen, ziemlich tief eingeschnittenen 
Lappen erzeugt, während an einem einjährigen Exemplar im Schatten 
alter Bäume die Lappen zwar spitz, aber nur sehr kurz und einfach 
waren. Was mir aber beim Vergleiche aller dieser Formen mit meinen 
nach den Herbarien angefertigten Zeichnungen auffiel, war der Um- 
stand, dass die entsprechenden ähnlichsten Formen alle entschieden 
südlichen Typen angehörten. Das Sonnenblatt entsprach ganz dem 
von Qu. pubescens vom St. Loup bei Montpellier, das Schattenblatt 
einer Qu. pinnatifida vom Olymp, das Blatt des Adventivtriebes 


stimmte auffallend mit Qu. Farnetto aus Apulien und das Blatt der 
: g* 


132 


jungen Pflanze mit einer Form von Qu. lanuginosa Lam. aus Dal- 
matien. Der sehr sonnige Standort ist also nicht nur durch eine 
mehr südliche Art, sondern auch durch ganz besonders südliche For- 
men ausgezeichnet. Das eigentliche Sonnenblatt ist hier entsprechend 
unseren Beobachtungen bei den Culturversuchen dem Schattenblatt 
gegenüber durch tiefere Buchtung, spitzere, mehr getheilte Lappen 
und längeren Blattstiel ausgezeichnet, während jenes durch etwas 
dunklere Färbung und stärkeren Glanz der Oberseite auffällt. 

Von Quereus pedunculata Ehrh. sammelte ich am Westrand 
der Hard bei Basel von zahlreichen Bäumen Sonnen- und Schatten- 


a b \ 


Fig. 9. Quercus Cerris L., bot, G. Kew. Fig. 10. Querceus rubra L. 
a Sonnenblatt, b Schattenblatt, ‘1, nat. Gr. bot. @. Basel. Sonnenblatt. 
ij, nat. Gr. ° 
blätter, die alle den Culturversuchen entsprechende Verhältnisse zeig- 
ten: beim ersteren längerer Blattstiel, tiefere , spitzere Lappen, oft 
auch derbere Consistenz und tiefer gebuchtete Basis. Im Grossen 
und Ganzen waren die Verschiedenheiten lange nicht so gross, wie 
bei Qu. pubescens von Istein; alle zeigten typische Pedunculata-Form 
mit groben, rundlichen Lappen (vgl. Fig. 8). 

Bei meinem Besuch in Kew fand ich Gelegenheit, an den zahl- 
reichen dort cultivirten Eichen nach den Unterschieden zwischen 
Sonnen- und Schattenblättern zu suchen, und fand hiebei alle meine 
bisherigen Beobachtungen bestätigt. Deutlich grössere und spitzere 
Lappen, theilweise längeren Blattstiel, stets derbere Consistenz, mehr 


| eennssier 


133 


gebuchtete Basis und hellere, oft mehr bräunliche Färbung zeigten 
die Sonnenblätter von Quercus Cerris L. (Fig. 9) und ihre Varietäten, 
wie Qu. Lucombeana, die in prächtigen Exemplaren die dortigen 
Gärten zieren. Dasselbe beobachtete ich bei den europäischen Qu. 
sessiliflora Sm., Toza Bose., conferta Kit. und den nordameri- 
kanischen Qu. macrocarpa Mehx. und prinoides Willd. (vgl. auch 
Fig. 18). Instructiv war auch der diesen Verhältnissen ganz ent- 
sprechende Unterschied zwischen einem den Seewinden preisgegebenen 
und einem geschützt gewachsenen Blatt von Qu. pedunculata an der 
Südküste Englands, eine Beobachtung, die mich in der Erklärung 
dieser Erscheinungen aus den Transpirationsbedingungen bestärkte. 


& b 
Fig. 11. Quercus rubra L., bot. G. Basel Fig.12. Quercus rubra L., bot. G. 
und Kew. a Sonnenblatt Kew, Kew. Schattenblatt. 
b Schattenblatt Basel, 1/, nat. Gr. ijg nat. Gr. 


Das Verhalten der fadenlappigen Formen ist ein ganz ähnliches. 
Qu. rubra L., die ich schon aus dem botanischen Garten in Basel 
kannte, erzeugt auch in Kew in der Sonne stärkere und namentlich 
spitzere Lappen und längeren Blattstiel als im Schatten. Schon hier 
sei darauf hingewiesen, dass die drei Abbildungen von Qu. rubra, 
die ich beilege, noch die interessante Thatsache zeigen, dass das 
Schattenblatt von Basel fast genau dem Sonnenblatt aus dem nörd- 
licheren Kew entspricht, während das dortige Schattenblatt noch eine 
weitere Stufe der Veränderung erkennen lässt (Fig. 10, 11, 12). 


134 


Auch bei diesen Formen ist das Blatt in der Sonne derber und heller 
grün. Gleiches Verhalten zeigt die in Kew cultivirte Qu. hetero- 
phylla Mchx. 

Im Gegensatz zu diesen gemässigte Klimate bewohnenden Arten 
stehen auch hier zunächst die mediterranen und californischen Formen. 

Schon Qu. lusitanica Webb. zeigt in Kew deutlich stärkere 
spitze Lappung im Schatten als in der Sonne (Fig. 13). Der Unter- 
schied in Beziehung auf Consistenz, Farbe, Blattstiel und Basis bleibt 
derselbe wie bei den bisher besprochenen Eichen. Qu. Ilex L. hat 
bei allen von mir untersuchten Exemplaren in verschiedenen Gegen- 
den Süd-Englands ein ganzrandiges, derbes, unterseits graufilziges, 


& 


& b 
Fig. 13, Quereus lusitanica Webb., bot. G, Fig. 14. Quercus Ilex L., bot.G.Kew 
Kew. a Sonnenblatt, b Schattenblatt. & Sonnenblatt, b Schattenblatt. 
ij, nat. Gr. l/g nat. Gr. 


heller grünes Sonnenblatt und ein mehr oder weniger gezähntes oder 
gar gebuchtetes, dünnes, unten nur schwach behaartes, dunkelgrünes 
Schattenblatt. Blattstiel und Basis zeigten hier keine Differenzen 
(Fig. 14). Qu. Pseudosuber Santi und Qu. Suber L. wiesen nur 
geringe und undeutliche Unterschiede auf, während Qu. coceiferaL. 
im Schatten ebenfalls grössere, länger bespitzte und stärker geschweifte 
Blätter trug. Die californische Qu. agrifolia Nee., von der ich 
durch die Güte von Prof. Shaw in Claremont ausgezeichnetes Ma- 
terial erhielt, schliesst sich ziemlich an Qu. Ilex an. Das grosse, 
dünne Schattenblatt trägt oft an eigentlich lappenartigen Ausbuch- 
tungen des Randes zahlreiche weichere Stacheln und seine Basis ist 
etwas keilig, während das derbe kleine Sonnenblatt im Umriss fast 
ganzrandig und nur mit kurzen, aber derben Stacheln versehen, seine 
Basis abgestutzt und etwas gebuchtet ist (Fig. 15). Wir sehen bei 


135 


diesem Beispiel zugleich, wie die bei Qu. Suber besprochenen starken 
tertiiren Nerven, die eine Annäherung an den brochidodromen Ver- 
lauf bedingen, durch Wasserüberfluss zur Bildung von neuen Emer- 
genzen am Blattrand führen können, ein Uebergang zum fadenlap- 
pigen Blatt Nordamerikas. 

Die japanische Qu. serrata Thbg., die ich in je einem Exemplar 
im bot. Garten in Brüssel und in Kew untersuchte, zeigt ausser kür- 
zerem Blattstiel und schwächerer Consistenz auch im Schatten eher 
grössere Zähne, ähnlich wie Qu. chinensis Bunge und Qu. casta- 
neaefolia C. A, Meyer in Kew. 


ß 


Da 


Fig. 15. Quercus agrifolia Nee., Claremont Fig. 16. Quercus Phellos L.. 
(Calif.), gesammelt von W. R. Shaw. bot.G. Kew. a Sonnenblatt, 
a Sonnenblätter, b Schattenblatt. 1), nat. Gr. b Schattenblatt. 1/g'nat. Gr. 


Auch die amerikanischen ganzrandigen Arten wie Qu. PhellosL. 
scheinen im Schatten eher die Tendenz zu spitzer Lappenbildung zu 
zeigen, wie Fig. 16 lehrt. 

Schliesslich bleiben uns zur Besprechung noch ‚die’“eigentlich 
tropischen Arten übrig. So gering auch hier, abgesehen von der 
stets deutlichen schwächeren Consistenz und dunkleren Färbung im 
Schatten, die Unterschiede sein mögen, so lässt sich doch, wenigstens 
bei den die Randgebiete der Tropen bewohnenden Formen, wie 
Qu. phillyreoides A. Gray (Japan) und Qu. vibrayeana F.S8. 
und bambusaefolia (Japan), auch bei Qu. Junghuhnii Migq. (Java) 
eine Tendenz zur stärkeren Zahnbildung bei abnehmender Beleuchtung 
resp. geringerer Transpiration erkennen (Fig. 17). Dem entspricht 


136 


auch bei den eigentlich tropischen Formen eine Tendenz zur Ver- 
grösserung der sog. Träufelspitze. 

Die anatomischen Verhältnisse stimmen bei allen besprochenen 
Fällen vollständig mit den Culturversuchen überein. Es sei hier daher 
nur das Verhalten von Qu. rubra als einer amerikanischen Art noch 
näher erörtert. Das Sonnenblatt zeigt beinahe cubische, aussen ziem- 
lich verdickte obere Epidermiszellen, zwei Lagen dichten Palissaden- 
parenchyms, vierLagen rundlichen, ziemlich dichten Schwammparenchyms 
und kleinzellige untere Epidermis mit ca. 450 kleinen Spaltöffnungen 


\ 
\ 


a b 
Fig. 17. Querous bambusaefolia, Fig. 18. Quercus Mühlenbergii Engelm. (= Pri- 
bot, G. Kew. a Sonnenblatt, nus L.), Herb. d, Univ. Zürich. a Dry ridges, 
b Schattenblatt. 1/, nat. Gr. Nashville (Tennessee), b Biltmore, N,-Carolina., 

tj, nat. Ar. 
(pro ca. 3mm?). Von Haaren finden sich oben 2—5 ziemlich grosse 
4—6theilige, unten 6—10 2—6theilige Gebilde‘ (pro ca. $mm?). Das 
Schattenblatt hat tangential gestreckte schwach verdickte obere Epi- 
dermiszellen, nur eine deutliche Palissadenschicht neben den vier 
lockeren Schwammparenchymlagen, kleinzellige untere Epidermis mit 
450 ziemlich grossen Stomata. Haare finden sich hier oben nur 
0—2, unten 3—6, 2—6theilige. Die Nerven zeigen schwächere Ver- 
zweigung und geringere Ausbildung des Geleitgewebes. 

Anschliessend hieran sollen noch kurz die drei einzigen, mir zu 
Gesicht gekommenen Fälle ähnlicher Art, die schon durch Sammler 


137 


Berücksichtigung gefunden haben und demgemäss mit genaueren 
Standortsangaben versehen sind, erwähnt werden. Zwei davou stanmen 
aus dem Biltmore-Herbarium und fanden sich in der Sammlung der 
Züricher Universität. 

Der eine Fall betrifft Qu. Mühlenbergii Engelm., wovon das 
eine, mit jederseits 12—14 spitzen Lappen und 18—27 mm langem 
Stiel versehene Exemplar den Standort: Dry ridges, Nashville, Ten- 
nessee trägt, während das andere mit jederseits nur acht seichten 
stumpfen Ausbuchtungen und 12—24mm langem Stiel Biltmore in 
Nord-Carolina als Standort angegeben hat (Fig. 18), Der zweite Fall 
betrifft Qu. Michanxii Nutt. Ein Blatt von Hallow Rock, Caroll 
County in Tennessee, trägt 13 spitze, etwas vorgezogene Lappen und 
25—30mm langen Stiel; das andere mit der Bezeichnung „Swamps, 
Bladen County, Nord-Carolina“ ebensoviel, aber nur ganz seichte 
rundliche Ausbuchtungen und 10—15mm langen Stiel. Endlich finden 
sich in Kew bei Qu. alba L. zwei Blätter, „ex herb. Mchx.*, von 
denen das eine, tief gebuchtete, die Bemerkung „prise sur un grand 
arbre* trägt, während das andere, schwach gebuchtete, als „feuille, 
prise sur un jeune arbre ou sur les branches inferieures d’un grand 
arbre“ (also im Schatten) bezeichnet wird. Also auch hier dieselbe 
Veränderlichkeit. 

Wo sonst in Herbarien zwei oder mehrere Blattformen einer 
Art gesammelt sind, wie z. B. in Kew sieben Formen von Qu. aquatica 
Catesby, da fehlt stets jede Angabe, ob die Blätter auf demselben 
Individuum, oder unter welchen näheren Bedingungen überhaupt sie 
gewachsen sind; oft ist nicht einmal die vorherrschende Form als 
solche bezeichnet. Natürlich müssen alle diese Fälle für unsere 
Untersuchung ausser Betracht fallen, so interessante Aufschlüsse sie 
hätten bieten können, wenn irgend welche Angaben vorhanden gewesen 


wären. 


ill. Standortsunterschiede. 


Ich wende mich nun der Frage zu, inwiefern dieselben Arten 
unter den verschiedenen Klimaten ihres natürlichen oder künstlich 
erweiterten Verbreitungsgebietes von einander abweichen. Natur- 
gemäss wird nun allerdings hier, wo wir sozusagen ganz auf Herbar- 
oder anderweitig gesammeltes Material angewiesen sind, die Lösung 
der Frage in dem Maasse schwieriger, als wir nicht die Garantie 
haben, dass nicht Unterschiede des engeren Standortes die des weiteren 
verkleinern oder ganz verwischen. Nachdem wir den grossen Spiel- 


nn en A 


ie verschiedenen 


ir für d 


Arten auf Grund der Untersuchung zahlreicher Exemplare aus ver- 


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ae ,5 
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" sarn wreds -pera |-Herg P agaıL Lo 
F PIIIM susoseqnd sno1end 


189 


An Quercus pubescens finden wir also nur bei den Exemplaren 
von Berlin, Prag und Lägern bei Zürich, also den nördlichsten Stand- 
orten, stumpfe Lappen. Die Tiefe der Einbuchtung freilich ist etwas 
schwankend, die geringste treffen wir bei Basel (nicht von Istein) 
und der Oöte d’or, die höchste bei Catteiro (Spanien) und Bozen; 
hier und am St. Loup und Monte Generoso auch die mehrtheilige 
Buchtung (Fig. 19). Die Consistenz ist im Ganzen an den südlichen 
Standorten derber, freilich mit merkwürdiger Ausnahme von Catteiro; 
der Blattstiel im Ganzen länger, aber wieder mit der gleichen auf- 
fallenden Ausnahme; in der Anatomie wird das Palissadengewebe 
stärker entwickelt, Behaarung und Spaltöffnungen sind sehr wechselnd. 
Die Nervatur ist stets craspedo- 
drom, zeigt aber an warmen Stand- 
orten zahlreichere Secundärnerven. 
Ich kann mir die auffallenden 
Abweichungen beim Blatte von 
Catteiro nur so erklären, dass 


wir es hier mit einem zufällig N 73 


gerade an besonders feuchter Stelle 


gewachsenen Exemplar zu thun N 
haben. 
Von Quercus sessiflora Sm. a b 


verglich ich Exemplare aus Zürich, Nie 19. Qnterons pubancene WEG, Horb: 
. 2 . Univ. rich, a e.‘ ' 
on Qubreus Barnetio im b Lägern b, Baden (Schweiz). !/gnat. Gr. 
solche aus Kew, Berlin (eult.), Apulien und Bannat; von Quereus 
Toza Bose. solche aus Kew, Berlin (eult.), Bordeaux, Sarthe, Pyren. 
orient., und Teruel (Span.); Quereus Cerris L. untersuchte ich in 
Blättern von Berlin (cult.), Tübingen (eult.), Besangon, Kutjavin (Un- 
garn), Monte Generoso, Rogatica, Fiume und vom Olymp., und Quercus 
Mirbecki Dur. in solchen von Algier und Pallanza (cult.). 

Quereus alba L. verglich ich in Exemplaren von Peoria (Ill.) 
N.-Carolina und St. Louis; Quercus Prinus L. von Berlin (cult.) 
New-York und N.-Carolina. 

Was sich bei diesen gelappten Eichen sowohl der alten als der 
neuen Welt am regelmässigsten constatiren lässt, ist, dass in trockeneren 
Gegenden die Form der Lappen mehr zugespitzt erscheint, an feuchten 
dagegen abgerundet. Auch die Zunahme der Tiefe der Einbuch- 
tungen lässt sich bei den meisten Formen schon am Herbarmaterial 
nachweisen. Ein typisches Beispiel aus dem Kew. herb. ist in Abbildung 


140 


beigefügt: zwei Exemplare von Qu. pedunculata aus den Grenzgebieten 
der Verbreitung dieser Art (Fig. 20, 21). Die breitere Form der Blätter 
und der längere Blattstiel kehrt hier ebenfalls meist wieder, während die 
Consistenz der Blattsubstanz scheinbar stark varürt. Es kommt dies 
jedoch wohl nicht zum wenigsten daher, dass wir eben kein geeignetes 
sicheres Maass für diese Erscheinung haben und sie auch von der Art der 
Conservirung abhängig ist. Mit grosser Regelmässigkeit wieder ist die 
stärkere Ausbildung der Palissadenzellen in den die Transpiration 
begünstigenden Gegenden, bei einigen Arten auch eine Erweiterung 
der oberen Epidermiszellen, zu erkennen. Die Dichtigkeit der Be- 
haarung scheint noch unbekannten Bedingungen mit unterworfen zu 
sein, wenigstens lässt sich nur bei Qu. pubescens eine etwelche Stei- 
gerung derselben nach Süden beobachten. Häufiger tritt die Erschei- 
nung auf, dass die einzelnen Haarsterne aus zahlreicheren Gliedern 


. Fig. 21. Quercus pedunculata Ehrh. 
Fig. 20. Quercus pedunculata Ehrh,, v. petiolaris A. DC., Nimrod Dagh, 
Lithauen (Herb. Kew). 1/, nat. Or. Wansee (Herb. Kew), /, nat. Gr. 


bestehen. Auch hier ist allerdings zu bedenken, dass der verschiedene 
Erhaltungszustand des Herbarmaterials eine genaue Vergleichung in 
dieser Hinsicht eigentlich nicht erlaubt, da die Haare leicht abgestreift 
werden. Dazu kommt noch, dass auch im lebenden Zustand ver- 
schieden alte Blätter in der Behaarung von einander bedeutend ab- 
weichen. Die Anzahl der Stomata wechselt scheinbar ohne Regel 
und wird offenbar nur zum Theil durch geringere Grösse dieser Organe 
bei Blättern wärmerer Gegenden zu Gunsten des Transpirationsschutzes 
compensirt. Die Nervatur bleibt stets craspedodrom, zeigt jedoch mit 


FREUE EEE 


141 


grosser Regelmässigkeit in Gegenden stärkerer Verdunstung ein 
diehteres Netz der feinsten Verzweigungen und meist auch eine er- 
höhte Zahl der Secundäräste. 

Quereus rubra L. verglich ich in Exemplaren von Kew (eult.), 
Berlin (cult.), Basel (cult.) und N.-Carolina, Qu. coccinea Wangenh. 
von Berlin (eult.), Peoria (Il), N.-Carolina und St, Louis, Qu. pa- 
lustris Dur. von Berlin (cult.) und Tennessee und Qu. nigraL. von 
Berlin (eult.) und St. Louis. 

Diese fadenlappigen amerikanischen Arten verhalten sich den 
eigentlich gelappten Formen analog. Mit gesteigerter Transpirations- 
möglichkeit tritt ein breiteres, derberes Blatt auf mit zwar nicht stets 
längeren, aber immer spitzeren Lappen, der Blattstiel wird auffallend 
grösser. Ueber Haare und Spaltöffnungen lässt sich auch hier nichts 


Bestimmtes angeben (Fig. 10, 11, 12). 
Quereus lusitanica Webb. % 

wurde in zahlreichen Exemplaren 

von Coimbra, Valacloche (Span.), 


Montpellier, Dardanellen, Cypern, 
Libanon, Damaskus, Bulgar Dagh, 
Tolos Dagh, Prov. Musch, und Kur- 

distan verglichen. Hiebei zeigen die M ri Quereus SuberL u Porquerollos 
Blätter aus Syrien undOypern die (2.5 Basel), b) Sobreiro (Horb, Basel), 
geringste, diejenigen aus Montpel- , pallanza (Frat. Rovelli). !/, nat. Gr. 
lier, den Dardanellen und der Prov. 

Musch die grösste Lappung des Randes, was den bisherigen, von den 
eigentlich gelappten Formen abweichenden, Beobachtungen entspricht. 
Ebenso deutlich ist in Syrien eine Vermehrung der Secundärnerven 
(12—15 gegenüber 6—8 in feuchteren Gebieten), verbunden mit einer 
Annäherung an brochidodrome Verzweigung. Eigenthümlich ist, dass 
die drei Formen des westlichen Mitteilmeergebietes sich von allen 
östlichen durch eine unterseits ziemlich starke Behaarung auszeichnen, 
obschon ja das Klima der östlichen Gebiete ein excessiveres ist. Es 
zeigt dies wieder, dass Haarbildung offenbar noch ganz anderen Fac- 
toren unterworfen sein muss. 

Quereus Ilex L. wurde in Blättern von Orbe und Ouchy (Schweiz) 
(eult.), Bastia, Karpathos, Olymp, Montpellier und Madeira, Quercus 
Suber L. von Pallanza (cult.), 9.-Istrien, St. Martin b. Montpellier, 
Montagnes des Maures, Porquerolles, Sobreiro und Bastia und Quercus 
coceifera L. und calliprinos Webb. aus Les Angles (Gard.), 
Montpellier, Nizza, Naxos, Libanon und Cilicien untersucht, 


142 


Diese stachelspitzigen Formen zeigen im feuchtgemässigten Klima 
die Tendenz, entweder ihre Stacheln ganz zu unterdrücken und zu 
kurzer Lappenbildung überzugehen (Ilex) oder aber den Blattrand 
wenigstens stärker zu schweifen (Suber) (Fig. 22) und an Stelle der 
starren Spitzen weichere längere Gebilde zu setzen (coccifera). Die 
beigefügten Abbildungen zeigen auch deutlich die stärkere Entwicke- 
lung der tertiären Nerven im eigentlichen Mediterranklima. 

Auch die schwach gezähnten Formen Japans und Chinas, wie 
Quercus serrata Thbg. und chinensis Bunge, zeigen in Nordeuropa 
(bot. Garten von Berlin, Kew und Brüssel) grössere Zähne und kür- 
zeren Blattstiel (Fig. 23), während ein Exemplar von Qu. 
sclerophylla Lindl. in Pallanza dem Herbarmaterial 
aus China gegenüber nurschwache Abänderungen zeigt. 


a b ru b 
Fig. 23, Quercus serrata Thbg. Fig. 24. Quercus lineata Bl, a Java, 
a Kiushiu, Japan (Herb. d, Univ, n. Ettingshausen (Kew herb.), b v. 
Zürich), b Berlin, bot. G. Lobbü, China, Prov. Szechwan 

1/, nat. Gr. (Herb. Kew). !j, nat. Gr. 


Ganzrandige oder vorwiezend ganzrandige amerikanische Eichen 
wie Qu. Phellos L. und Qu. heterophylla Mehx. zeigen in den 
Gärten von Berlin und Kew grössere Tendenz zur Lappenbildung als 
an ihren natürlichen wärmeren Standorten. 


148 


Um Veränderungen an tropischen Formen zu constatiren, lag mir 
zu wenig sicher bestimmtes und mit Angaben versehenes Material vor. 
In den Abbildungen setze ich nur von Qu. lineata Bl. eine normale 
ganzrandige javanische und eine nördliche, durch Zähne ausgezeich- 
nete Varietät aus China zur Vergleichung hin (Fig. 24). 


IV. Vergleichung der Arten. 

Ich will nunmehr versuchen, an Hand statistischer Tabellen, die 
ich aus meinem, mit Ausschluss der Standortsvarietäten, 369 Nummern 
(Arten und Varietäten) zählenden Katalog angefertigt habe, die Be- 
ziehungen zwischen Klima und Blatt für die verschiedenen Arten 
klarzulegen. Von jeder mir zu Handen kommenden Speeics verfertigte 
ich Zeichnungen der typischen Blattform, notirte Angaben über Con- 
sistenz, Blattstiel, Grösse, Behaarung und Nervatur und stellte mir 
von den meisten auch anatomische Schnitte und Zeichnungen her, um 
möglichst objectiv vergleichen zu können. 

Ich werde zunächst die verschiedenen Angaben einzeln betrachten, 
um nachher ein möglichst fassbares Bild von den typischen Merkmalen 
für die Eichen der verschiedenen Gebiete entwerfen zu können. 

Ich habe hauptsächlich nach den von Grisebach!) unterschie- 
denen Florenreichen das ganze Gebiet in 12 Bezirke folgendermaassen 
eingetheilt: 

Ia. Das sibirisch-mongolische Waldgebiet im kalt-gemässigten Gürtel. 
Ib. Das europäische Waldgebiet mit gemässigtem Klima. 
Das nördliche ostamerikanische Gebiet bis N.-Corolina mit ge- 


mässigtem Klima. 
laß. Das südliche ostamerikanische Gebiet mit warmgemässigtem 


Klima. 
IIb. Das westliche, hauptsächlich californische Gebiet mit trookenem 


Iaa. 


Sommer. 
III. Das chinesisch-japanische Gebiet mit mild gemässigtem, ziemlich 


feuchtem Klima. 
IV. Das Gebiet des westlichen Himalaya mit warmem trockenem 


Klima. 
V. Das anatolische Gebiet (Cilieien, Syrien, Persien, Afghanistan 


und Abchasien) mit trockenem Sommer. 

VI. Das mediterrane Gebiet mit heissem Sommer. 

VII. Das centralamerikanische Gebiet mit heissem, theilweise feuchtem 
Klima. 


1) A. Grisebach, Die Vegetation der Erde. Leipzig 1872, 


144 


D 


VII. Das indische Monsungebiet des Festlandes mit feuchtem heissem 


Klima. 
IX, Das ostindische Inselgebiet mit sehr feuchtem heissem Klima. 


1. Blattform. 


3 0 issäsl=le| jesisiesleäle IE IE 2 8 
3 BElstlsz|ı Ins}le IH Asa See 
» 5 0a82| 5 585 58 5 523 Sasälsasage 
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Ib -Ii-1|1-1-1-|1- 1-1 -|1-|1-|1- 8 5 5 1 
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Haß.)—| ı)J-| 4!-|1-|-|1-|5|51|l 6 | ıl5|— | 2 
Ib. _ 11—-|1-|— 2 3 21 — 6 11 — 4 1) — 
Ill —|i- 6 4 1141 —-| — 1 1 1l—1—-1-|- 
Iv -|-|ıl-| ıla|l-| 2l-|-|-|-|-|-|- 
vv, ıl-!-I-|I-14ls317|I1-|-1|1 41|1|68 — 
v..\i-|- -lıla! sie|-|-I|e/le| 2| Aalı 
VL. 1/10 1114 1 5 3 1 3 T 5 6 31 |1— 
VII 1 29 1 2! 1IlI—- | —- 1-1 -1-1- 1-1 -|- 
IX. 1) 1138| — 2 7I-|-1-1-|1-1- 1-11 

- 

Summa 350 


Die Sectio Lepidobalanus Endl., bei uns in kühleren gemässigten 
Gegenden allein durch die gelappte Form vertreten, zeigt sich in allen 
Theilen ihres Wohngebietes mit Ausnahme des ostasiatischen und 
centralamerikanischen auch in dieser Gestalt. Während jedoch bei 
uns und im gemässigten Amerika die tiefer gelappte Gestalt häufiger 
ist, herrschen im Mittelmeergebiet und dem ähnlichen, noch excessiveren 
westasiatischen Klima kurz gelappte neben äusserst lang gelappten 
Formen vor. In Amerika kommen, von 8. nach N. in Ausbildung 
und Anzahl zunehmend, die sog. fadenlappigen Blätter dazu. An- 
deutungen dieser Formen treffen wir in Centralamerika, Californien 
und den übrigen südlichen Staaten häufig, so namentlich bei Qu. 
Phellos L., imbricaria Mchx., virens Ait. und Wislizeni A. DC. (Fig. 25), 
auch bei Qu. erassifolia H.etB. u. a, häufig. Wie wir zum Theil 
gesehen, zeigen diese Formen auch bei Cultur in feuchteren Gegenden 
Tendenz zu solchen Bildungen. Endlich treffen wir im Mittelmeer- 
gebiet und Californien, vereinzelt auch in klimatisch ähnlichen Gegenden 
Asiens (Qu. dilatata Lindl. und semecarpifolia Sm.) stachelspitzige, in 


145 


China und Japan und vereinzelten anderen Gebieten Mittelasiens ge- 
zähnte und in Centralamerika ganzrandige Blätter an. 

Zur Erklärung aller dieser Formen müssten wir offenbar, auch 
wenn wir nichts von fossilen Eichenblättern wüssten, vom ganzrandigen 
Typus ausgehen und nach der aus unseren Beobachtungen gewonnenen 
Erfahrung, dass mit Zunahme der Wärme die Nervatur eine kräftigere 
wird, annehmen, dass zu Ende einer früheren, offenbar gleichmässig 
feuchteren Epoche überall, jedoch nicht unter allen Breiten auf gleiche 

‚ Weise, durch Anpassung an die Transpirationsbedingungen die Ideal- 
form erreicht war. Unter höheren Breiten genügte es, um den Blatt- 
rand ganz zu erhalten, wenn 6—8 Secundärnerven mit schwachen 
tertiären Verbindungen die Spreite jederseits mit Wasser versorgten 
(Vorstufe der eraspedodromen Nervation). Im wärmeren Klima der heu- 
tigen Mittelmeerländer und ähnlicher Gebiete war eine etwas stärkere 
Randnervatur, wie ich sie bei Quereus Suber beschrieb, erforderlich 
(Annäherung an den brochidodromen Typus). In heissen trockenen 


Fig. 25. Quercus Wislizeni A. DC. Fig. 26. Quercus virens Ait. a Sandy soil 
aund b nach v. Ettinghausen, Calif., near the coast, Weightsville, N.-Carol., 
ohne nähere Bez., ce Californien, Men- b Dry pine barreng near Jacksonville, 
docino Co. (Herb. Kew). 1j, nat. Gr. Florida (Herb. d. Univ. Zürich), 1/, nat. Gr. 


Gegenden konnte einzig die vollkommen brochidodrome Nervation 
diesen Zweck erreichen, während in heiss-feuchten Gebieten der-camp- 
todrome Verlauf genügte. Infolge später abnehmender Temperatur 
oder zunehmender Feuchtigkeit erzeugten in den Mittelmeerländern 
die starken Secundärnerven, ihrer grossen Zahl entsprechend, zahl- 
reiche, aber kurze Lappen (die daher heute noch an feuchteren oder 
kühleren Stellen besonders stark auftreten): Lusitanica-Form 
(Fig. 13). Nach erneuter Zunahme der Wärme oder Rückgang der 
Niederschläge erhielten sich diese Formen nur an gewissen Stellen, 
während sie an anderen, excessiveren durch Hemmung in ihrer vollen 
Ausbildung zur stachelspitzigen Ilex-Form wurden (Fig. 14). (An 
Flora 1902. 10 


146 


trocken-kühlen Orten sehen wir daher Qu. Ilex wieder ganzrandig, 
an feucht-kühlen durch Auswachsen der Spitzen lusitauica-artig werden.) 
Im Norden vermochte der ganze Rand bei einem Spärlicherwerden 
der Niederschläge resp. einer Zunahme der Wärme der Steigerung 
der Trockenheit nicht Stand zu halten; durch Hemmungsbildung ent- 
stand daher die Robur-Form (Fig. 7, 8), die, je weiter sich das 
schwachnervirte Stammblatt nach Süden gewagt hatte, nun um so tiefer 
gelappt wurde (Fig. 21). (Nur in feuchten Gegenden vermag sie sich 
heute wieder der Normalform zu nähern.) Während nun in Europa damit 
die Erklärung der Eichenformen erreicht wäre, kommt in Amerika 
als Eigenthümlichkeit noch das fadenlappige und das ganzrandige Blatt 
hinzu. Letzteres, offenbar seit langer Zeit an das trocken-heisse Klima 
angepasst, vermag auch heute noch vermöge seiner brochidodromen 
Nervation die ganzrandige Form aufrecht zu erhalten: Linguaefolia- 
Form (Fig.16, 25—27). Zur Erklärung der Fadenlappen müssen wir 
dagegen auf die centralamerikanischen Eichen zurückgreifen, auf die 
wir schon durch die Art der Verbreitung dieser Form und durch das 
Verhalten mancher ganzrandiger Eichen bei gehemmter Transpiration 
gewiesen werden (vgl. Fig.25 u.26). Gleichsam durch Hypertrophie der 
im trocken-heissen Klima stark entwickelten secundären und tertiären 
Nervenäste entstanden hier bei einer Wanderung nach Norden jene eigen- 
thümlichen spitzen Lappen und fadenartigen Nervenendigungen, wie wir 
sie typisch in der Rubra-Form vor uns sehen (Fig. 10—12). Hier 
darf gewiss angenommen werden, dass diese Wanderung irgendwie 
zusammenhängt mit dem Zurückweichen des Eises nach der Glaeial- 
zeit, wie umgekehrt bei der Ausbreitung der Robur- resp. deren 
Stammform in südlichere Gegenden an ein Vorsichhertreiben vor den 
wachsenden Gletschern gedacht werden kann. Da im Süden Europas 
das Centralamerika entsprechende Florengebiet fehlt, ist es begreiflich, 
dass hier die fadenlappige Form nicht vorhanden ist. Ebenso ist es 
verständlich, dass in Amerika allein in Californien, unter dem Schutze 
der hohen Gebirgskette, sich die eraspedodrom-brochidodrome Form 
erhalten und zur Ilex-Form entwickeln konnte, ähnlich wie in Europa 
und vereinzelt in Asien jenseits des Gebirgswalles, während sie in 
dem flacheren Ostgebiete durch das Eis vernichtet oder verdrängt 
wurde. 

Mehr unabhängig von Klimaschwankungen dürfte sich die in 
China und vereinzelt durch Asien bis zum Kaukasus verbreitete 
Serrata-Form (Fig. 23) mit zahlreichen eraspedodrom-verlaufenden 
Nerven, die in ganzrandiger Gestalt einem feuchtwarmen Klima ent- 


147 


spricht, entwickelt haben, indem einfach durch eine Ausbreitung nach 
Norden infolge Auswachsens der Secundärnerven Zähne entstanden 
(die daher in feuchterer Umgebung stärker hervortreten). Ob die 
Aegilops-Form hier anzuschliessen ist, oder aber nicht besser von 
der Ilex-Form durch Uebergang in feuchtere Gebiete mit Aus- 
wachsen der Nervenspitzen abzuleiten ist, mag vorläufig dahingestellt 
bleiben. 


Fig. 27. Querous costaricensis Liebm. 
Irazu 9000‘, Costarica (Herb. Kew). 
1/, nat. Gr, 


Fig. 28. Querous spinosa A. David. 
Chinas, Prov. Hupeh (Herb. Kew). Fig. 29. Quercus Blanooi A. DC. 
ij, nat. Gr. Luzon (Herb. Kew). 1/, nat. Gr. 


Ich habe mich bisher allein auf die so formenreiche Sectio Le- 
pidobalanus beschränkt, da die nunmehr noch zu besprechenden üb- 
rigen Gruppen der Eichen (Pasania, Cyclobalanus, Chlamydobalanus 
und Lithocarpus) von den complicirten Veränderungen und Wander- 
ungen dieser Abtheilung unberührt blieben und dementsprechend viel 
einfachere Verhältnisse aufwiesen. Ihre camptodrome Nervatur genügt 


unter fast allen Bedingungen der feucht-heissen Tropen vollkommen, 
10* 


148 


um die Idealform des Eichenblattes auch heute noch zu verwirklichen: 
Sundaica-Form (Fig.29). Nur beim Uebergang in kühlere Gegenden 
zeigt der Blattrand die Tendenz, zu Zähnen auszuwachsen: Glauca- 
Form (Fig. 17) (die darum in besonders feuchter oder schattiger 
Umgebung noch deutlicher hervortreten), wie auch die sog. Träufel- 
spitze eine Verlängerung zu erfahren scheint. 

Wir sehen also, nur da, wo keine Wanderungen stattgefunden, 
wo die Arten an Ort und Stelle und allmählich sich an das entweder 
gleich bleibende oder gleichen Veränderungen unterworfene Klima 
angepasst haben, finden wir heute unter gleichen klimatischen Be- 
dingungen gleiche Formen, also vor Allem in den klimatisch ver- 
änderten nördlichen Gebieten die Robur-Form, in den mittleren Gegenden 
die Ilex-Form und in den unverändert gebliebenen Gebieten der Tropen 
und Centralamerikas die ganzrandige Sundaica- und Linguaefolia-Form. 
Erst durch nachträgliche Wanderung ursprünglich an andere Klimate 
angepasster Eichen konnte jenes Nebeneinander von Rubra- und Ro- 
bur-Formen in Amerika, von Ilex- und Robur-Formen im Mittelmeer- 
gebiet und von Serrata- und Ilex- oder Serrata- und Glauca-Formen 
in Asien entstehen. Wo geeignete Standorte vorhanden waren, konnte 
sich, wie im Mediterrangebiet die Lusitanies-Form, auch eine Zwischen- 
stufe der Entwickelung erhalten. 

Wo es sich nun bei diesen Veränderungen der ursprünglichen 
Idealform um Hemmungsbildungen handelt, wo um Auswachsungen, 
können wir recht deutlich schon an der Form der Lappen und Zähne 
sehen. Der Blattrand beschreibt in ersterem Fall stets an Buchten 
und Lappen convergirende Curven, während er in lezterem an den 
Lappen resp. Spitzen von beiden Seiten parabolisch, parallel laufend, 
in einer Spitze endet. Einzig die Lusitanica-Form scheint sich diesem 
Gesetz entziehen zu wollen; doch haben wir es hier jedenfalls mit 
einer schon wieder infolge langer Anpassung in Rückbildung begrif- 
fenen Modellirung zu thun., 

Und nun, was soll aus dieser Formenmannigfaltigkeit werden ? 
Wohl haben wir da und dort Andeutungen, die vermuthen lassen, 


dass durch geeignete Innervation die Normalform wieder erstrebt ° 


wird; aber wird sie thatsächlich wieder erreicht werden? Ich glaube, 
dass dies nur unter dem Einfluss eines äusserst lange constant blei- 
benden Klimas der Fall sein würde. Aber es ist auch nicht unmög- 
lich, dass diese oder jene, durch mechanische Bedingungen erzeugte 
Form aus Nützlichkeitsgründen beibehalten werden könnte, wie ich 
dies schon oben ausführte. 


we 


149 


2. Consistenz, 


Wohngebiet I | u | u IV v vı 
Ia..., 1 | _ | _ — | _ — 
Ib. ... —_ 5 | 5 8 1 — 
Iaa _ | 4 .ı _ 1 —_ 
IIsß _ | a  T:; 7 2 
IIb _ 2.0 a 2 7 
I. _ | 5 | 4 12 9 
IV, _ _ -_- 1 6 
v. 1 1 | 1 | 3 4 
VI. _ 8 | | 7 5 
vi 1 _ 5 | | 12 16 
vu EEE 3 10 29 
IX... - _ | _ | 3 Ä 15 20 

Summa 321 
Erklärung: 

I: sehr dünn; 

U: dünn; 
III: etwas derb; 
IV: derb; 

V: etwas lederig; 
VI: lederig. 


Wir sehen schon daraus, dass der anatomische Bau des Blattes 
sich viel rascher und gleichmässiger mit dem Klima in Ueberein- 
stimmung zu setzen vermag als die Blattform: Ueberall in feuchteren 
Gegenden herrschen dünnblätterige Eichen vor, während zugleich mit 
dem Eintritt in wärmere oder trockenere Gebiete die Derbheit zu- 
nimmt, um in den Tropenländern ihr Maximum zu erreichen. Dem- 
entsprechend ist auch die Anzahl der immergrünen Blätter, wenigstens 
in der alten Welt, nach Süden hin stets grösser, wobei allerdings 
zu berücksichtigen ist, dass wir die Lebensdauer der mexicanischen 
Eichenblätter zum grossen Theil noch nicht kennen, und daher kein 
endgiltiges Urtheil abgeben können. Es ist, wie schon oft betont 
wurde, und wie auch wieder hieraus zu entnehmen ist, vollkommen 
verkehrt, anzunehmen, dass die Tropenpflanzen des Transpirations- 
schutzes entbehren könnten. Insbesondere gilt dies nicht von den 
Bäumen, die, gleich nach den Gewittergüssen wieder den sengenden 
Strahlen der Sonne ausgesetzt, erst recht Gefahr laufen, durch Welk- 
werden ibrer Blätter Schaden zu nehmen, 


150 
8, Blattstiel, 


Wohn- 1-5 6-10 11—15 | 16—20 | 21-25 | 26-30 |31u.mehr 

gebiet mm mm mm mm mm mm mm 
Ia . 1 _ _ _ _ _ —_ 
Ib 5 4 4 1 _ _ —_ 
Isa. 1 1 4 3 8 1 8 
Haß. 14 7 5 2 1 2 2 
Up. 8 5 4 ı _ _ — 
DI 9 8 ) 4 8 2 _ 
IV 8 2 2 _ _ _ i 
V. 8 9 15 5 — _ —_ 
vi 11 23 8 1 _ _ _ 
vI. 81 13 8 4 2 _ 1 
VII. 7 15 17 6 2 1 _ 
IX 11 19 13 1 2 1 

Summa 360 


Obschon wir bei unseren Versuchen und beim Vergleichen der 
Standortsvarietäten meistens zu dem Schlusse kamen, dass trockenere 
resp. wärmere Gebiete durch Blätter mit längeren Stielen ausgezeich- 
net seien, sehen wir hier dieses Gesetz nicht mehr gelten. Es dürfte 
dies wohl daher kommen, dass gewisse Nachtheile eines zu langen 
Blattstieles die Erhaltung eines solehen in wärmeren Gegenden (bes. 
VII und II) unmöglich machen, weshalb fast überall nur ausnahms- 
weise das Maass von 1—15mm überschritten wird. 


4. Blattgrösse (Länge im Mittel). 


Wohngebiet | 1-25 | 26-50 | 51-100 | 101—150 | 151—200 | 201 u,mehr 
mm mm mm mm mm mm 
Ia.... — _ | _ — _ 
Ib. ... _ _ 8 ö 1 _ 
Oae... —_ _ 6 8 2 1 
Uaß _ 7 15 9 4 _ 
Ib 2 10 7 1 _ _ 
II. 1 8 17 13 3 _ 
IV. _ 1 4 2 1 1 
V.. 4 6 22 5 1 _ 
VI. 2 17 20 4 _ _ 
vu 1 16 33 16 3 1 
vIH . _ 16 22 6 4 
BR. . _ 1 19 19 q 2 


Summa 378 


” 


151 


Demnach wäre die Reihenfolge der Gebiete nach der Blattgrösse: 
Ib, VI, V, (la), VII Haß, III, Ib, (IV), IX, IIaa, VIII, also 
deutlich (mit Ausnahme der nur durch sehr wenige Arten respräsen- 
tirten Gegenden) eine Zunahme der Grösse mit der Feuchtigkeit zu 
constatiren. Dass hier die tropischen Arten an der Spitze stehen, 
ist aus der in jenen Gebieten herrschenden Wachsthumsintensität zu 
erklären, die genügende Bildungsstoffe verarbeiten kann, um auch 
einem grossen Blatt durch lederige Consistenz die genügende Wider- 
standsfähigkeit zu geben. Aus demselben Grunde steht das heissere 
und wenigstens theilweise feuchtere Centralamerika über den Mittel- 
meerländern und Californien. 


5. Haare (auf der Blattunterseite). 


Wohn- | , |NurDrü- Kleine [Wenige | Zahlr. 'Wenige| Zahlr. | Zer- 

gebiet isenhaare| 2—4thl. |4—16thl.4—16thl.: grosse | grosse |schlitzte 
ia _ 1 _ _ _ _ _ _ 
Ib 4 1 _ 8 — —_ _ _ 
Ia« 4 1 _ 6 4 _ —_ _ 
Ilaß 11 2 _ 7 6 _ _ _ 
Ib. 5 | 1 _ 4 3 _ _ _ 
um 40 2 4 _ 3 _ 1 2 
IV 2 00 —- 2 1 _ 1 2 _ 
V 8 1 —_ 9 9 | - 1 _ 
VI. 5 4 _ 13 3. — _ _ 
VII. 10 3 1 3 7 _ 4 _ 
Via 10 en 9 2 FE | 1 
IX, 3 1 10 1 1 _ _ 1 

Summa 236 


Wir können bei den Eichenblättern vier Arten von Haaren unter- 
scheiden, von denen jedoch nur eine zahlreich in allen Gruppen und 
in allen Gebieten zu finden ist. Es sind dies mehrtheilig zusammen- 
gesetzte sternförmige Gebilde, die in grösserer oder geringerer Zahl 
hauptsächlich die allein mit Spaltöffnung versehene Unterseite der 
Blätter bedecken (Fig. 30a e, 305 g). Nur selten sind sie auch auf der 
Oberseite in grösserer Zahl vorhanden. Ein mit den klimatischen 
Unterschieden zusammenhängendes Gesetz ist hiebei nicht zu erkennen, 
da z. B. im Mittelmeergebiet an gleichen Standorten die unten mit 
diehtem Haarfilz versehenen Blätter der Korkeiche (Suber) und die 
vollständig haarlosen der Kermeseiche (coceifera) vorkommen. Einzig 
ist bei derselben Art, wie ich schon erwähnte, mit zunehmender 


152 


Transpirationsmöglichkeit oft eine Vermehrung der Gliederzahl zu 
constatiren. Die in der Tabelle als „grosse Haare“ aufgeführten Ge- 
bilde sind im Grunde genommen dieselben wie die eben besprochenen, 
mit dem einzigen Unterschied der Grösse; sie finden sich nur in den 
klimatisch einander nahe stehenden Gebieten VII, VI und IV. Ihre 


e 

Fig. 300. & Quercus grandifrons King, Penang. Wassersecernirende Drüse der 

oberen Epidermis. Vergr. oa. 600. — b Spaltöffnung mit Schutzbaaren (kleine 

2—4theilige bei Qu. sp. von Buitenzorg. Vergr. 600. — c Qu. Sieboldii, Java. 

Zerschlitztes Haar in unausgewachsenem — din ausgewachsenem Zustand, Vergr. 800. 

— e Qu. Suber L,, Gewächshaus Basel. Gewöhnliches Sternhaar von oben, 
Vergr. 50, 


Glieder sind meist knäuelig zusammengebogen und bilden so einen 
dieht wolligen, oft eigenthümlich gelblich bis röthlich gefärbten Filz 
auf der Blattunterseite. (Z. B. Qu. hypoleuca Engelm., lanuginosa 
Don u.a.) Eine andere Art Haare, die ebenfalls überall, meist jedoch 
nur eine untergeordnete Rolle spielt, sind köpfchentragende Drüsen- 
haare. Allein auf die Bewohner des tropischen und subtropischen 


168 


Asiens beschränkt sind mikrorkopisch kleine zwei- bis viertheilige 
Haare, die entweder ebenfalls in dichter Stellung die Blattunterseite 
bekleiden (Fig. 30 5h) oder aber allein auf die Nähe der Spaltöffnungen 
beschränkt sind und hier, meist in der Zahl von 3—5 über jedem 
Stoma zusammenneigend, einen äusserst interessanten und eigenartigen 
Sehutzapparat bilden. Indem die kurzen Theilhaare dieser Gebilde 
gegenseitig in einander greifen, gleichen sie ganz kleinen gefalteten 
Händchen (Fig. 30% b u. 305 f). Besonders schön ist dies bei Quereus 
Henryi Seemen und leucocarpa H. f. et Th. zu beobachten. Eine weitere 
eigenthümliche Art der Haarbildung zeigen einige japanische und auch 


h i 
Fig. 305. f Spaltöffnung mit Schutzhaaren (kleine 2-4theilige) im Querschnitt 
bei Qu. spec. von Buitenzorg. Vergr. 600. — g Qu. Suber L., Gewächshaus Basel. 
Gewöhnliches Sternhaar im Querschnitt. Vergr. 300. — h Qu. glabra Thbg., Buiten- 
zorg. Untere Epidermis mit Haarbildungen (kl. 2—-4theil. H.). Vergr. 600. — 
i Dasselbe. Verlauf der Zellen der zweiten Epidermis auf der Blattoberseite. 
Vergr. 300. 


sundaische Arten. Es sind dies grosse aber äusserst zarte mehrzellige 
stern- oder netzförmige Gebilde, die wegen ihrer diehten Verflechtung 
auf der spaltöffnungbedeckten Blattunterseite sehr schwer zu isoliren 
sind (Fig. 30a e u. d). Oft sind sie makroskopisch an einem feinen 
schillernden Glanz der Blattunterseite zu erkennen. Ich beobachtete 
sie bei Quercus sclerophylla Lindl., cuspidata Thlg., lanceaefolia Roxb., 


154 


und Junghuhnii Miq., ferners bei zwei unbestimmten Blättern aus 
Buitenzorg. Sehr kurze, stiellose Drüsengebilde, die oft einen harz- 
oder wachsartigen Ueberzug der Blattunterseite ausgeschieden hatten, 
fanden sich bei einigen tropisch-asiatischen und centralamerikanischen 
Arten. Daneben kommen aber in allen Gebieten vollständig oder 
beinahe vollständig haarlose Blätter vor, so dass eine Abhängigkeit 
vom Klima in der Haarbildung absolut nicht zu constatiren ist; es 
dürfte diese vielleicht im Gegentheil ein für die Systematik wichtigeres 
Prinzip bieten. 

Von Haberlandt!) sind seinerzeit an tropischen Laubblättern 
sog. Hydathoden beschrieben worden, die, namentlich auf der Ober- 
seite der Blätter sich findend, dazu dienen sollen, überschüssiges Wasser 
auszuscheiden, oder auch Thauwasser aufzusaugen (Fig. 30a a, Fig. 31h). 
An einigen der tropischen Eichen beobachtete ich nun ganz ähnliche 
Gebilde, die in ihrer Struetur vollkommen an die von dem erwähnten 
Forscher beschriebenen Organe erinnern. Da sie überdies nur an 
solchen Blättern vorkommen, die auch durch ein starkes Wassergewebe 
ihren feucht-heissen Standort verrathen, bin ich nicht abgeneigt, mich 
der Deutung Haberlandt’s anzuschliessen, und sie als wasser- 
secernirende Organe aufzufassen. Ich fand sie namentlich bei Quercus 
reflexa King. (Borneo), Eevyckii Korth. (Sumatra), bancana Schefl. 
(Ind. Arch.), umbonata Hauce (Penang), grandifrons King. (Penang), 
eyrtorhyncha Mig. (Perak), conocarpa Oudem. (Perak), encleisocarpa 
Korth. (Perak), Eichleri Wenzig (Perak), Cantleyana King. (Perak), 
placentaria,Bl. (Nepal) und_grosseserrata Bl. (Japan). 


6. Anatomie, 


"Wohn- 
gebiet 


la. 
Ib. 
Haa . 
Haß. 
Ib, 
II. 
IV. 
V. 
VI. 
vjl 
VIN ., 
IX. 


E,\ F, 


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1) 
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u Bu Beer Bu na u u 


Be u u u re u Bu u u 


Tell Iwell 


Ialtlumltı 
\lewneulllwooml 


solid 


- 
rm 


| | | DR TUN OD iu 


Ill lellel 


Insornlea! ııı 


lunlu-llonl| 
“lnloalanolll 
|wooummwmin | 
\Iserlsololll 
\loswwellihl 
Ii\saoolwrurl| 


| 
Summa 240 


1) &. Haberlandt, Anatomisch-physiologische Untersuchungen über das 
tropische Laubblatt, Bitz.-Ber. d. k. Akad.d. Wiss, Wien CI, Abth. I, Okt. 92. 


155 


Erklärung zur Tabelle auf Seite 154: A, Im Schwamm parenchym starkes Wasser- 
gewebe; einfache Epidermis, A, Dasselbe; doppelte Epidermis, B Im 
Schwammparenchym einzelne Gruppen von Wasserzellen. C Mächtiges 
Schwammparenchym aus dichtstehenden cubischen Zellen. D Ziemlich 
mächtiges Schwammparenchym. (1. Grosse Epidermiszellen, 2. Kleine Epi- 
dermiszellen.) E Palissaden- und Schwammparenchym gleich stark ent- 
wickelt. F Palissadengewebe überwiegend. G Sehr atarkes Palissaden- 
gewebe. Bei E, F und @: 1. Grosse Epidermiszellen, 2, kleine löpidermis- 
zellen, 3. kleine Epidermiszellen, oberseits verdickt. 

Die die Blattfunctionen in erster Linie bedingenden anatomischen 
Verhältnisse sehen wir also in deutlicher Abhängigkeit vom Klima 
stehen. Während bei den Bewohnern nördlich gemässigter Gegenden 
Palissaden- und Schwammparenchym gleichmässig entwickelt sind 
(Fig. 2, Fig. 31a), sehen wir bei trockeneren südlichen Gebieten (schon 
Ilaß, noch mehr IIb, V, VI und VII) die Palissaden die Oberhand 
gewinnen, wie dies bei jedem Culturversuch in trockenerem Medium 
der Fall ist (Fig. 31d, ce, b). Entsprechend unserem Versuch mit 
abwechselnd trockener und feuchter Umgebung im Victoriahaus, sehen 
wir auch in den Tropen Asiens die Schwammparenchymzellen cubisch 
werden (F. 81e), in diehteren Verband treten, und schliesslich sogar 
zur Speicherung des zeitweilig zwar überflüssigen, zeitweilig aber 
wieder sehr nothwendigen Wassers schreiten (Fig. 31f, g, h). Doppelte 
oder stark entwickelte einfache Epidermis, wie wir solche namentlich 
auch in wärmeren oder grossen klimatischen Schwankungen unter- 
worfenen Gebieten (trop. Asien, N.-Amerika und Mittelmeerländer) 
finden, dürften ebenfalls der Wasserspeicherung dienen (Fig. 31 a, 
b, e, f, h). Besonders die südlichen nordamerikanischen Arten unter- 
scheiden sich von unseren Eichen durch auffallend grosse Epidermis- 
zellen, was allerdings aus der Tabelle nicht recht ersichtlich ist, da 
auch unsere Formen der Gruppe Ez zugezählt werden mussten. 


7. Nervation. 


hn- Wohn- 
hie ı Ion u 1-1 11H | Ferien) 1 1 u 1m 1m u 
ia. ı -|-! - ı - !-Iv .T aloe 2| ıl - I- 
» .!aı-!\-!I - I - I-Iv Is ılı) ı) - |- 
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m.Iul2jıl a a) Ivm | e/is!ıal ıl ala 
m. Inlaolol al all .Ie,5[e| - u | — 


Summa 368 
Erklärung: Il eraspedodrom, II camptodrom, III brochidodroim. 


156 


Auch die Nervation zeigt deutliche Abhängigkeit vom Klima: in 
nördlich gemässigten Gegenden überall ein eraspedodromer, nach Süden 
ein Uebergang zum eamptodromen Verlauf, der jedoch nur bei zu- 


e f g h 
Fig.31. Anat. Typus. a Quercus nigra L., St. Louis. E).— b Qu. Sartorii Liebm. 
F,. Rio nigro, Mexico. — e Qu. reticulata H. et B., G_,3 Mexico. — d Qu. agri- 
folia N6e., Gy, Californien (Sonnenblatt). — e Qu. oostata Bl., Buitenzorg. C. — 
f Qu. spicata Im., Assam. A,. — g Qu. Lamponga Miq., Perak. B, — h Qu. Cant- 
leyana King. Perak, A, mit Wassersecretionsorganen. — Typus D-Fy vgl. die 
anatomischen Skizzen der Culturversuche von Qu. sessiliflora. —- Vergr. 300. 


nehmender Feuchtigkeit, in den Tropen, rein ausgebildet werden 
kann (VIII und IX), während er in trockeneren heissen Gegenden 
in den brochidodromen übergeht. Freilich sollten wir nach unseren 


157 


obigen Auseinandersetzungen in N.-Amerika theilweise brochidodrome 
Nervation erwarten, wie auch im Mediterrangebiet wenigstens Anklänge 
an dieselbe; doch wird dem gewöhnlichen allerdings äusserlichen 
Sprachgebrauch gemäss die Bezeichnung brochidodrom nur bei ganz- 
randigen Blättern angewandt, während die fadenlappigen und stachel- 
spitzigen den craspedodromen zugezählt werden müssen, obschon sie 
wie gesagt, eine Erinnerung resp. Annäherung an den brochidodromen 
Typus zeigen. Dies ist auch bei Betrachtung obiger Tabelle zu be- 
rücksichtigen. 


8. Anzahl der Secundärnerven, 


n 1 | 
Wohngebiet 1—4 5—8 | 9-12 | 13-16 | 17-20 | 21 u, mehr 

T 
Ia.. .. | _— _ | 1 ! _ | _ _ 
Ib. Io — Hoc _ _ -- 
ilaa . > . 5 ı | 1 - 
Uaß. | _ i 24 7 1 1 _ 
Ib . Er 7 a _ 
IM. | 1 7 BB 0,010 | 1 | 2 
Iv. 0 — 1 2. 4 1 _ 
v. 1 240 | 8 ı 2 _ _ 
VI. | 8 32 8 | _ _ _ 
vn | 1 15 18 | 10 2 _ 
von. | - 5 ı 31 | 09 2 1 

Summa 346 


Mit den Versuchen und bisherigen Schlüssen übereinstimmend, 
zeigt endlich im Gebiet der ganzen Gattung auch die Anzahl der 
Secundärnerven mit Zunahme der Wärme eine Vermehrung. Dass 
die nordamerikanischen Arten etwas den mediterranen in dieser Be- 
ziehung voraus sind, ist lediglich auf Rechnung der wohl aus dem 
Süden eingewanderten, hier nun aber sehr grossblättrig gewordenen 
fadenlappigen Arten zu schreiben. Dass ausnahmsweise einzelne 
Arten der Mittelmeerländer nur sehr wenige Secundärnerven besitzen, 
dürfte aus der ausserordentlichen Kleinheit ihrer Blätter zu erklä- 
ren sein. 

Nachdem ich nun so die einzelnen Data der Blattform und 
-structur unter Vergleichung der einzelnen Gebiete durchgenommen 
habe, dürfte es angezeigt sein, noch eine knappe Uebersicht über 
das Charakteristische jeder einzelnen klimatischen Gruppe zu geben. 


158 


1. Nördliche gemässigte Zone. 

a) N.- und Mittel-Europa und N.-Asien. 

Nur gelappte, selten grob gezähnte Eichenblätter, von schwach 
derber bis derber Consistenz, mit kurzem bis ziemlich kurzem Blatt- 
stiel, mittelgrosser Spreite, unterseits meist mit mehrtheiligen Stern- 
haaren und einfachen Drüsenhaaren, mit gleich stark entwickeltem 
Palissaden- und Schwammparenchym, craspedodromer Nervatur und 
5—8 Secundärnerven. 

b) nördliche Vereinigte Staaten. 

Gelappte und fadenlappige Blätter schwach derber bis etwas 
lederiger Consistenz, mit meist längerem Blattstiel, grosser Spreite, mit 
oder ohne mehrtheilige Sternhaare, Palissadengewebe gleich oder 
weniger entwickelt als das Schwammparenchym, theilweise grosse 
Epidersmiszellen, meist eraspedodrome Nervatur, theilweise mit An- 
klängen an den brochidodromen Verlauf; 5—12 Secundärnerven. 


2. Südliche gemässigte Zone. 

a) China und Japan. 

Gezähnte und wenige ganzrandige Blätter, besonders derber bis 
lederiger Consistenz, mit kurzem oder langem Blattstiel, mittlerer bis 
grösserer Spreite, meist unbehaart, oder dann mit sehr verschieden- 
artigen Haaren versehen, Palissaden theilweise stärker als das Schwamm- 
parenchym entwickelt, theilweise diesem gleich oder durch ein Wasser- 
gewebe im Mesophyll verdrängt (südlichere Formen), ceraspedodrome 
bis camptodrome Nervatur, 5—16 Secundärnerven. 

b) Südöstliche vereinigte Staaten. 

Fadenlappige, sehr schwach gelappte und lanzettliche ganzrandige 
Blätter, derber bis etwas lederiger Consistenz, und kurzem Blattstiel, 
mittelgrosser Spreite, ohne oder mit mehrtheiligen Sternhaaren, oder 
einfachen Drüsenhaaren, Palissaden meist stärker entwickelt als das 
Schwammparenchym, Epidermis oft grosszellig, Nervatur craspedodrom 
camptodrom, theilweise mit Anklängen an den brochidodromen Verlauf, 
5—8 Secundärnerven. 

c) Mittelmeerländer und anatolisches Gebiet. 

Stachelspitzige und entweder sehr kurz oder sehr lang gelappte 
Blätter derber bis lederiger Consistenz, kurzem Blattstiel, kleiner bis 
mittelgrosser Spreite, mit oder ohne mehrtheilige Sternhaare, über- 
wiegender Entwickelung des Palissadenparenchyms, in der Hauptsache 
eraspedodromer Nervatur mit Anklängen an den brochidodromen Ver- 
lauf, 5—8 Secundärnerven. 


159 


d) Californien. 

Besonders fadenlappige und stachelspitzige Blätter derber bis 
lederiger Consistenz, kurzem bis ziemlich langem Blattstiel, mittel- 
grosser Spreite, ohne oder mit mehrtheiligen Sternhaaren, überwiegender 
Entwickelung des Palissadenparenchyms, craspedodromer bis brochi- 
dodromer Nervatur und 5—16 Secundärnerven. 

e) Westhimalaya, 

Gezähnte und stachelspitzige Blätter ziemlich lederiger Consi- 
stenz, mit kurzem Blattstiel, mittelgrosser bis grosser Spreite, ohne oder 
mit verschiedenartigen Haaren, vorwiegender Entwickelung des Palis- 
sadenparenchyms oder Wassergewebe; craspedodrome bis camptodrome, 
theilweise schwach brochidodrome Nervatur, 5—16 Secundärnerven. 


3. Subtropische und tropische Zone. 


- 


a) Centralamerika. 

Ganzrandige lanzettliche Blätter, theilweise mit Tendenz zur Faden- 
lappen-, Lappen- oder Zähnebildung, derber bis lederiger Consistenz, 
kurzem bis langem Blattstiel, kleiner bis grosser Spreite, ohne oder 
mit zahlreichen vieltheiligen Sternhaaren, vorwiegender Entwickelung 
des Palissadenparenchyms, craspedodromer bis vollkommen brochido- 
dromer Nervatur und 5—16 Secundärnerven. 

b) Indien und Südchina, 

Elliptische Blätter mit Träufelspitze oder Zähnen, derber bis sehr 
lederiger Consistenz, kurzem bis langem Blattstiel, meist grosser 
Spreite, ohne oder mit meist kleinen 2—4theiligen Haaren, meist mit 
Wassergewebe, camptodromer oder theilweise craspedodromer Nervatur 
und 9—16 Secundärnerven. 

ce) Indischer Archipel. 

Elliptische Blätter mit Träufelspitze, seltener auch mit Zähnen, 
sehr lederiger Consistenz, kurzem Blattstiel, grosser Spreite, ohne oder 
mit meist kleinen 2—4theiligen Haaren, Wassergewebe, camptodromer 
oder theilweise schwach brochidodromer Nervatur und 9—16 Secun- 
därnerven. 


Vorstehende Arbeit musste aus den Gründen, die ich schon zu 
Anfang aussprach, von vornherein darauf verzichten, nach allen Seiten 
hin befriedigende und klare Resultate zu ergeben; doch hoffe ich, 
aus dem seit mehr als Jahresfrist gesammelten Material, das ich theils 


160 


selbst zusammentragen konnte, theils mir aber durch die Freundlich- 
keit der erwähnten Sammler und Herbariumverwalter zukam, einige 
nicht uninterressante Schlüsse gezogen zu haben, die einer weiteren 
Prüfung werth erachtet werden. Ich glaube, dass die von mir ange- 
wandte Untersuchungsmethode, das Ausgehen von experimentellen 
Versuchen, das Vergleichen mit den in der Natur gebotenen, nach 
ihren Ursachen uns bekannten Veränderungen in der That dazu führen 
wird, uns immer mehr in das Verständniss der Blattform, nicht nur 
nach ihren momentanen Beziehungen zum umgebenden Medium, son- 
dern auch nach ihrer geschichtlichen Entwickelung führen wird. 

Was als wichtigstes Ergebnis aus derartigen Untersuchungen her- 
vorgehen dürfte, ist die so oft noch bezweifelte Thatsache, dass die 
durch äussere Medien hervorgerufenen Veränderungen an den Pflanzen 
thatsächlich erblich werden und im Lauf der Entwiekelung zu eigent- 
lichen Artmerkmalen sich entwickeln können. Durch den Nachweis, 
dass bei den Eichenblättern die Veränderungen beim Versuch und 
bei natürlichen Standortsunterschieden den mit dem Klima wechseln- 
den Speziesverschiedenheiten entsprechen, hoffe ich einen Theil zur 
Kräftigung dieser Anschauung beigetragen zu haben. 


Beiträge zur Kenntniss der Gattung Gunnera. 
Von 
Hans Schnegg. 


Hiezu 28 Textfiguren. 


I. Einleitung und allgemeine Morphologie. 

Die Gattung Gunnera mit ihren, nach Engler-Prantl(l), etwa 
17 Arten, die meist auf die südliche Hemisphäre beschränkt sind, 
wurde wegen ihrer abweichenden morphologischen und anatomischen 
Verhältnisse in den einzelnen Arten schon verschiedentlich zum Gegen- 
stand eingehender Untersuchungen gemacht. Meist waren es aller- 
dings die durch ihre mächtig ausgebildeten vegetativen Organe aus- 
gezeichneten Arten, deren Heimat Südamerika und Java ist, welche 
den Untersuchungen zu Grunde lagen, eine Thatsache, die schon 
deshalb nicht auffallend sein kann, weil namentlich die beiden süd- 
amerikanischen Arten G. chilensis und G. scabra häufig in Cultur ge- 
nommen werden und daher meist leicht zugänglich sind. Nur Reinke 
(2), der als erster eine vergleichende morphologische Uebersicht über 
zahlreiche Arten der Gattung Gunnera gibt, hat seine Untersuchungen 
auch auf die kleineren Arten ausgedehnt, von denen hier G. magel- 
lanica und G. lobata aus Südamerika und die auf Neuseeland vor- 
kommenden Arten G. monoica und prorepens genannt seien, weil sie 
theils wie die beiden ersten auch in den Bereich meiner Untersuch- 
ungen hereingezogen wurden, theils wie die beiden letzteren in sehr 
enger verwandtschaftlicher Beziehung zu meinen neuseeländischen 
Arten stehen. 

Es soll daher Gegenstand vorliegender Arbeit sein, die morpho- 
logischen und anatomischen, und anschliessend daran auch die Blüthen- 
verhältnisse noch für weitere fünf Arten festzustellen, die von Herrn 
Professor Goebel im Jahre 1898 auf Neuseeland gesammelt und mir 
in Form von Alkoholmaterial zur Untersuchung überlassen wurden. 
Nach Kirk (3) wurden sie als G. arenaria, G. dentata, G. densiflora, 
G. mierocarpa und G. Hamiltonü bestimmt. Als Ergänzung gelangten 
ausserdem noch G. magellaniea und G. lobata zur Untersuchung, die 
ich der @üte des Herrn Dr. Neger verdanke, der sie mir als Herbar 
material zur Verfügung stellte. Dieselben wurden von ihm in Süd- 
amerika gesammelt, und zwar G. magellanica in Valdivia auf den 
hohen Anden, G. lobata an der Magellanstrasse. Die beiden letzt- 

Flora 1902, 1 


162 


genannten Arten wurden deshalb der Untersuchung noch angeschlossen, 
weil sie Reinke, wie er selbst angibt, nur in maugelhaftem Herbar- 
material vorlagen. 

Was nun alle diese Arten in besonderer Weise auszeichnet, ist 
ihre geringe Grösse. Alle, G. magellanica allein ausgenommen, 
deren Blätter sich bis ungefähr 10cm über den Boden erheben, stellen 
kleine, kaum die Höhe von 5em erreichende Pflänzchen dar. Sie 
besitzen einen kurzen, schief aufsteigenden Stamm mit dicht gedrängten 
Internodien, der durch seitliche, bei G. magellanica bis 10cm lange, 
bei den übrigen Arten kürzere, höchstens 8cm lang werdende Aus- 
läufer ausgezeichnet ist. Ihre Dicke beträgt 0,3—0,5cm. Nur bei 
G. Hamiltonii, einer Art, die im Allgemeinen ihre eigenen Wege geht, 
sind die Ausläufer bis auf eine Länge von 2—3cm redueirt. Die 
ganzen Pflanzen, mit Ausnahme der nackten oder doch nur mit ganz 
vereinzelten Haaren besetzten Ausläufer, besitzen eine aus kleinen, 
steifen Haaren gebildete Behaarung, die namentlich auf den Blättern 
ihre stärkste Entwiekelung erlangt, so dass dieselben, wie z. B. bei 
G. Hamiltonii, mit einem diehten Haarfilz überdeckt erscheinen. 

Die in dreizähligen Spiralen angeordneten Blätter sind in der 
Jugend sehr stark zusammengefaltet und in der Knospenlage geschützt 
durch die auf den Blattzähnen vorhandenen Drüsen, die auch bei 
anderen Arten der Gattung vorkommen und einen zähen, gerbstoff- 
haltigen Schleim absondern. Als weiterer Schutz dienen ferner zwei, 
an der Stammknospe am Ende des Ausläufers einander gegenüber- 
stehende Niederblätter, die als Knospenschuppen anzusehen sind und 
gleichfalls an ihren Zähnen Drüsenentwickelung zeigen. 

In der Form der Blätter tritt bei den neuseeländischen Arten, 
mit Ausnahme der G. Hamiltonii, keine besondere Mannigfaltigkeit 
auf, Der bei den einzelnen Arten verschieden lange, meist der Länge 
der Blattspreite gleichkommende Blattstiel, der nur bei G. mierocarpa 
mehr als doppelt so lang wie letztere ist, trägt eine 1—-2cm lange 
und gewöhnlich etwas breitere Blattspreite. Dieselbe ist meist nieren- 
herzförmig, ziemlich plötzlich in den Blattstiel verschmälert und meist 
drei- bis fünfmal gelappt. Der Rand ist gesägt oder gezähnt, oder 
gekerbt-gezähnt. In seinem ganzen Aussehen erinnert es, um einen 
Vergleich mit einheimischen Blattformen zu ziehen, am meisten an 
manche rundblättrige Saxifraga-Arten, bei einigen wohl auch an Gle- 
choma oder Alchemilla in Grösse wie in Form. Abweichend davon 
ist nur G. Hamiltonii. Das stark behaarte Blatt ist kurz gestielt und 
besitzt eine in den Blattstiel allmählich verschmälerte, spatelförmige 


ne 


ne 


163 


Blattspreite, die sich als breiter Blattstiellügel weiter nach unten 
fortsetzt. Infolge dieses geflügelten Blattstiels kommt es dann bei 
der Vereinigung des Blattes mit dem Stamme zu einer breiten, am 
Stamm ein Stück weit herablaufenden und ihn umschliessenden 
Scheide, die bei den anderen Arten fehlt. 

Sehr charakteristisch für alle neuseeländischen Arten ist ferner 
die Beschaffenheit der Blattzähne, die in lange Zipfel ausgezogen 
sind, und da sie sich in der Knospe über die jungen Organe her- 
biegen, infolge ihrer drüsigen Ausbildung als wichtige Schutzorgane 
für sie dienen. Später vertrocknen sie und stellen ihre Thätig- 
keit ein. 

Weitere Typen in der Form und Ausbildungsweise der Blätter 
stellen G. magellanica und G. lobata dar. Die Blätter der ersteren 
sind ausgesprochen nierenförmig und haben, wenn wir von dem ge- 
kerbten Blattrande absehen, am meisten Aehnlichkeit mit denen von 
Asarum. Sie sind am Grunde herzförmig, 5—7cm breit und besitzen 
einen ebenso langen, oder etwas längeren Blattstiel. Eine Theilung 
der Blattspreite oder gar eine Lappung derselben wie bei letzterer 
Art ist nicht vorhanden. G. lobata dagegen nähert sich in ihrer Grösse 
ganz bedeutend den neuseeländischen Arten. Ihre Blattspreite jedoch 
besitzt eine annähernd kreisrunde Form und ist mehrmals tief ein- 
geschnitten gelappt, so dass, da bei der Grösse der einzelnen Lappen 
diese sich in der Regel gegenseitig theilweise decken, das Blatt bei- 
nahe das Aussehen gewinnt, als sei der Stiel in seinem Centrum 
angebracht. Der Rand der einzelnen Lappen ist glatt. 

Was diese beide Arten noch besonders vor den neuseeländischen 
auszeichnet, ist das Verhalten ihrer Blattspitzen. Wir haben deren 
Form und Bedeutung bei diesen oben kennen gelernt und gesehen, 
dass sie in lange, fadenfürmige Blattzipfel ausgezogen sind. Hier er- 
füllt zwar die Blattspitze offenbar auch die gleiche Aufgabe, als Schutz- 
organ in der Knospenlage zu dienen, ist aber hier nicht lang aus- 
‚gezogen, sondern vielmehr eingesenkt und endigt mit einem kleinen, 
knopfförmigen Höcker. Schon mit blossem Auge oder unter Lupen- 
vergrösserung kann man an den breiten Kerben des Blattrandes eine 
kleine Einsenkung und in dieser einen röthlichen Punkt, eben jenen 
zur Drüse umgewandelten Blattzahn erkennen. Schon Reinke (2) 
hat die gleichen Gebilde bei G. perpensum beobachtet und beschrieben 
und deren biologische Bedeutung nachgewiesen. 

Jene zapfenförmigen Emergenzen auf Blättern und Blattstielen, 


wie sie für G. scabra, manicata und chilensis beschrieben werden, fehlen 
11* 


164 


den von mir untersuchten Arten vollständig, sind auch durch keinerlei 
homologe Gebilde vertreten. 

Die in lockeren Trauben angeordneten Blütenstände sind, soweit sie 
mir überhaupt zur Verfügung standen, theils monoeeisch, so bei 
G. mierocarpa mit männlichen Blüthen an der Spitze und weiblichen 
an der Basis, und stark verzweigt, theils dioecisch bei den übrigen 
Arten, doch lagen mir von letzteren nur bei G. arenaria männliche 
Blüthenstände vor. Alle übrigen waren weibliche Pflanzen. Bei 
G. magellanica und G. lobata fehlten Blüthenstände vollständig. 

Ausserdem wurden noch die Blüthen von G. chilensis zur Unter- 
suchung der Embryosack- und Embryoverhältnisse herangezogen, die 
bei den Blüthen der neuseeländischen Arten nicht vollständig verfolgt 
werden konnten. Es soll jedoch an dieser Stelle nicht näher auf die 
Blütenverhältnisse eingegangen werden, dieselben sollen vielmehr erst 
in dem Abschnitt über die Embryoentwickelung in vergleichender 
Darstellung abgehandelt werden. 

Ein schon von den früheren Autoren für die Gunnera-Arten fest- 
gestelltes charakteristisches Merkmal, das Auftreten von besonderen 
Stammdrüsen, die der Symbiose mit einer Nostoc-Art dienen, fehlt 
auch diesen Arten nicht. Sie stellen wulstige, in kurzen Zwischen- 
räumen zwischen den Blättern angebrachte, mit mehrfach gelappter 
Aussenseite versehene Polster dar, wie sie Merker (4) für G. macro- 
phylla nachgewiesen hat. Sie dienen in ihrer Jugend der Schleim- 
absonderung, stellen aber im Alter ihre Thätigkeit ein und vertrock- 
nen, den eingewanderten Nostoc zuweilen tief in das Innere des 
Grundgewebes verschiebend. Die hier auftretenden Nostoc-Kolonien 
und deren einzelne Individuen zeigen keinerlei Verschiedenheit 
denen gegenüber, die bei G. chilensis zun Vergleiche beobachtet 
wurden, 

Die in der Achsel der Blätter auftretenden stipulae, die für die 
grossen Arten G. chilensis, manicata und scabra so charakteristisch 
sind, fehlen bei den neuseeländischen Arten vollständig. Dagegen 
erlangen sie namentlich bei G. magellanica einen Grad der Entfaltung, 
der nur von den grossen Arten übertroffen wird. Dieselben wurden 
schon von Reinke (2) erkannt und eingehend untersucht und be- 
schrieben, und ich kann daher auf dessen Abhandlung hinweisen. 
Nahezu eine gleich weitgehende Entwickelung erlangen dieselben 
bei G. lobata; auch hier umschliessen sie als fest geschlossene Scheide 
die junge Knospe und bleiben wie die der vorigen Art noch lange 
Zeit erhalten. 


165 


Il. Gefässbündelverlauf in Stamm, Ausläufer und Blatt. 

Betrachten wir einen Querschnitt durch den Stamm irgend einer 
der Gunnera-Arten, so fällt uns vor Allem die Unregelmässigkeit auf, 
mit welcher die einzelnen Gefässbündelquerschnitte auf ihm vertheilt 
sind, eine Anordnung, die vollständig abweicht von der, die wir sonst 
‘für Dieotylen gewohnt sind. Dieselbe nähert sich vielmehr sehr be- 
deutend der, wie wir sie sonst bei Monocotylen antreffen. Dies 
eigenartige Bild kommt dadurch zu stande, 
dass die das gesammte Gefässbündelsystem 
des Stammes zusammensetzenden Blattspur- 
stränge noch längere Zeit von einander getrennt, 
zuweilen sich aufihrem weiteren Verlaufe wieder 
theilend und gegenseitig verschränkend un- 
regelmässig nach unten verlaufen, bis sie sich 
schliesslich zu einem einheitlichen Bündel 
zusammenschliessen, 

Die Verhältnisse des Bündelverlaufs im 
Stamm wurden an G. dentata, G. densiflora und 
G. Hamiltonii eingehend studirt und an den 
kurzen, mit zahlreichen in Spiralstellung steh- 
enden Blättern besetzten Stämmchen der 
Verlauf der Stränge festzustellen versucht. 
Die Verhältnisse, die sich dabei ergaben, sollen 
nun Gegenstand der folgenden Betrachtung 
werden. 

Dabei zeigt sich nun vor Allem, dass 
gegenüber den Ergebnissen, wie sie von 
Merker (4) für G. macrophylia gefunden 
wurden, schon dadurch eine wesentliche Ver- 
einfachung entstand, dass die einzelnen den 
Stamm durchziehenden Stränge bei weiten 


\ 


einfacher gebaut sind, als bei jener Art, und u 
namentlich zusammengesetzte Stränge, wie sie Fig.1. Gefässbündelverlauf 
im Stamme von G. macrophylia häufig vor- im Stamme von G. Hamil- 


kommen, bei den neuseeländischen Arten ten (Erklärung im Text) 


überhaupt nicht vorhanden sind. Auch fällt, wie noch gezeigt werden 
soll, jene Verschränkung der Bündel, sowie Merker’s (4) „Platten- 
bildung“ weg, 

Wir haben schon im ersten Theil verschiedentlich Gelegenheit 
gehabt, zu beobachten, dass G. Hamiltonii zuweilen nicht unwesent- 


166 


liehe Abweichungen von den übrigen neuseeländischen Arten aufweist. 
Trotz dieser rein morphologischen und weiter unten noch eingehender 
zu betrachtenden anatomischen Verschiedenheiten, zeigt sich nun doch 
im Gefässbündelverlauf bis auf geringfügige Unterschiede, auf welche 
an geeigneter Stelle noch hingewieson werden soll, vollständige Ueber- 
einstimmung mit diesen. j 

Vorausschicken möchte ich noch, dass der Verlauf der Bündel 
an successiven Querschnitten klar gelegt wurde, da sich herausstellte, 
dass durch Maceration oder Freipräpariren, wie es von Merker (4) 
für G. macrophylla durchgeführt wurde, bei der Kleinheit der Stämmchen, 
die nur !/; bis lem Höhe erreichen und daher dicht gedrängte und 
stark verkürzte Internodien zeigen, hier nichts zu erreichen war. 
Ferner seien noch einige Worte der Construction des Bündelverlaufs 
gewidmet, wie ihn Fig. 1 darstellt. Dieselbe erfolgte in der Weise, 
dass die bei 30facher Vergrösserung auf Papier übertragenen Micro- 
tomschnitte, in welche der Stamm zerlegt worden war, so auf Milli- 
meterpapier übergezeichnet wurden, dass je 10 Schnitte von zusammen 
150x Dicke in einer Entfernung von 20 mm eingetragen und die 
Querschnitte der einzelnen Bündel durch Linien mit einander ver- 
bunden wurden. Durch das so gewählte Maass wurde nun allerdings 
das natürliche Verhältniss der Dicke der Stränge zu ihrer Länge ein 
anderes, doch musste wegen der dicht gedrängten Internodien und 
der dadurch in der Zeichnung nothwendigerweise entstandenen Häu- 
fung der Linien zu diesem Hilfsmittel gegriffen und dadurch die 
Bündel bedeutender in die Länge gezogen werden. Da es jedoch 
keineswegs auf die Länge der beobachteten Bündelstrecken, vielmehr 
ausschliesslich auf deren gegenseitige Lage und Verlauf ankommt, 
so kann es weiter nicht von Belang sein, und ich möchte nur, um 
Missverständnissen vorzubeugen, darauf hingewiesen haben. 

Da aber ausserdem bei der gegenseitigen Lage der Bündel theil- 
weise eine sehr unliebsame Verdeekung sowohl in kleineren Theilen, 
wie in grösseren Strecken nothwendigerweise eintreten musste, so 
wurde, um diesem Uebelstande einigermaassen zu begegnen, zugleich 
aber die Uebersichtlichkeit und Verständlichkeit zu fördern, die Zeich- 
nung der Bündel in der Weise vorgenommen, dass das grosse vor- 
derste Bündel A, welches durch seine Lage einen grossen Theil der 
übrigen verdecken würde, durchsichtig gedacht und daher nur in 
seinen Conturen angegeben wurde. Auch stellt das Bild nur den 
mittelsten Theil des Stammes dar, wogegen die Basis, an welcher 
eine vollständige, allerdings bei den verschiedenen Arten abweichende 


nme 


167 


Vereinigung sämmtlicher Bündel zu einem einzigen eintritt, wegge- 
lassen wurde. Ueber diese Verhältnisse soll erst im nächsten Theile 
eingehend berichtet werden. Ausserdem wurden auch die theils in 
dem Achselspross, theils in dem Blüthenstande sich weiter ausbreiten- 
den Bündelenden nicht mehr in den Bereich der Zeichnung herein- 
gezogen.“ 

Gehen wir nach diesen einleitenden Bemerkungen nun über zur 
Erklärung der vorliegenden Verhältnisse. Ohne Weiteres deutlich 
ist der Verlauf der Bündel B, C und E. Dieselben steilen einfache 
Blattspurstränge dar, die sich schief an den Stamm anlegend, längere 
Zeit ziemlich gerade nach abwärts verlaufen, um sich schliesslich 
weiter unten mit den übrigen Bündeln zu vereinigen. Die Verhält- 
nisse, die hier wegen ihrer Einfachheit von G. Hamiltonii gezeichnet 
sind, zeigen bei den anderen Arten insofern eine Verschiedenheit, 
als bei diesen, wie später noch eingehender gezeigt werden soll, drei 
Bündel, ein starkes, mittleres Hauptbündel und zwei schwache, seit- 
liche Nebenbündel den Blattstiel durchziehen, die aber deshalb beim 
weiteren Verlauf des Bündels im Stamm nicht in Betracht kommen, 
weil sie schon vor der Vereinigung des Blattbündels mit dem Stamm 
am Blattgrunde sich mit dem Hauptbündel vereinigen. Es tritt also 
trotzdem auch bei jenen Arten nur ein einziges Bündel in den Stamm 
ein. Dagegen ist, wie schon beiläufig erwähnt, die gegenseitige Ver- 
einigung der Blattspurstränge zu einem einheitlichen Strange, der 
schliesslich im Ausläufer sich fortsetzt, bei den einzelnen Arten sehr 
verschieden, doch soll, da dabei die anatomischen Verhältnisse be- 
rücksichtigt werden müssen, erst bei deren Beschreibung darauf ein- 
gegangen werden. 

Anders schon verhält es sich mit dem hier durchsichtig gedachten 
Bündel A, dessen Verlauf wir von unten nach oben verfolgen wollen. 
Nachdem es als dicker Strang langsam ansteigt, erfährt es zunächst 
bei « eine Theilung in der Weise, dass ein kleines Bündelchen aı 
abgeht,’idas parallel mit dem Bündel B nach oben verläuft und etwas 
oberhalb der Stelle, an welcher das Bündel B in sein Blatt ausmündet, 
sich plötzlich verliert, eine Erscheinung, auf welche erst später ein- 
gegangen werden soll. Etwas oberhalb dieser ersten Theilungsstelle 
findet sich eine zweite bei ß, welche insofern von Interesse ist, als 
ihr einer Zweig a, lange Zeit annähernd mit Bündel D gleichlaufend, 
kurz nach der Stelle, an welcher die Zeichnung abgebrochen ist, als 
Blattspur in ein Blatt ausläuft, während der andere Ast as etwas 
schief nach hinten sich legt, um sich bei y mit dem in einen Achsel- 


168 


spross auslaufenden Bündel F zu vereinigen. Wir sehen also, dass 
hier das Bündel A aus der Vereinigung einer Blattspur mit dem 
Theilsticke eines Achselsprosses hervorgegangen ist. Das oberhalb 
der Vereinigungsstelle y eine kurze Strecke weit mit hufeisenförmigem 
Quersehnitte weiterlaufende Bündel erfährt nun alsbald bei 3 eine 
abermalige Theilung, der kurz oberhalb bei e und Z zwei weitere 
folgen, so dass wir nun nach oben hin vier vollständig von einander 
getrennte Bündel antreffen und somit ein ähnliches Bild, wie es uns 
der Schnitt liefert, auf welchen wir das ganze Gefässbündelskelett 
aufgebaut haben. Verfolgen wir den Verlauf dieser Bündel, die in 
ihrer Gesammtheit das Bündelskelett eines Achselsprosses darstellen, 
so beobachten wir, dass sie das gleiche Schicksal erfahren, wie die 
unserer Betrachtung zu grunde gelegten Stränge und nach ver- 
schiedentlichen Theilungen schliesslich auch als Blattspuren auslaufen, 
Es ergibt sich demnach in ihrem weiteren Verlaufe kein neuer Ge- 
sichtspnnkt und so wurden sie denn, um das Bild nicht noch unnöthiger- 
weise zu complieiren, weggelassen. 

Bemerkt muss ferner noch werden, dass schon bei n eine andere 
Verbindung von Bündel A mit Bündel F eingetreten ist in Form 
einer kurzen, von A schräg rückwärts nach F verlaufenden engen 
Anastomose, wie wir weiter unten noch eine ähnliche zwischen Bün- 
del D und Bündel F’ antreffen werden. 

Aehnlich wie der vorbeschriebene verhält sich der Strang D. 
Auch er erfährt kurz oberhalb der Stelle, die wir zum Grundrisse 
unseres Bündelaufbaues genommen haben, eine Theilung in einen 
sehr dünnen Strang dı, der nach links abgeht und parallel mit B und 
dem Theilstücke aı nach oben verläuft, um wie letzteres gleichfalls 
auf der Höhe der Blattstielbasis blind zu endigen. Der zweite aus 
der Theilung hervorgegangene Strang ds zieht anfangs eine grössere 
Strecke weit parallel mit seinem ersten Theilstücke dı nach oben, 
entsendet aber schon bald oberhalb der Verzweigungsstelle von A 
bei 8 einen kurzen, dünnen Strang seitwärts, der als, Anastomose 
von D mit F erscheint und sehr bald vollständig mit diesem ver- 
schmilzt. Im weiteren Verlaufe treten nun zunächst, wenigstens so- 
weit es noch im Bereiche der Zeichnung liegt, keine Veränderungen 
mehr in dem Theilstücke d, ein. Es verläuft mehrmals, sich leicht 
hin- und herbiegend, im Allgemeinen gerade nach aufwärts, um zur 
Achse eines Blüthenstandes zu werden, in welcher Eigenschaft es 
weiter oben zahlreiche Theilungen erfährt, deren einzelne Aeste zu 
Spursträngen der Blüthenstiele und anderer Theile des Blüthenstandes 


188 


werden. Auch deren weiterer Verlauf wurde auf der Zeichnung nicht 
mehr berücksichtigt. 

Nun noch zum Bündel F. Auch dieses bleibt schliesslich nicht 
mehr ganz unverändert. Wir haben bereits gesehen, dass es schon 
durch einen aus der Anastomose bei 1, hervorgegangenen Theil von 
4A eine Vermehrung erfahren hat, eine kurze Strecke weiter oben 
bei $ durch eine weitere Anastomose von D her bereichert wurde, 
um sich schliesslich oben bei ; mit dem dritten Theilungsstück as 
von A zu vereinigen. Wenn uns die bisherigen Beobachtungen an 
dem Strang F stets nur eine Vermehrung seiner Bündelelemente ge- 
zeigt haben, so beweisen uns weitere Untersuchungen, dass auch 
Theilungen in diesem Bündel eintreten, denn bei : treten an zwei 
einander sehr nahe liegenden Stellen Abzweigungen kleiner dünner 
Bündel ein, wie wir solche schon in den Theilbündelchen a; und dı 
kennen lernten. Dieselben erstrecken sich nach hinten gegen das 
Bündel E zu, diesem einige Zeit parallel laufend und endigen schliess- 
lieh wie ihre beiden analogen Bündel a; und dı blind an der Basis 
des Blattes, dessen Spur das Bündel E darstellt. 

So auffallend nun auch das Auftreten dieser kleinen Theilbündel- 
chen aı und dı bezw. fı und fs erscheinen mag, so wird uns ihre 
Bedeutung doch ohne Weiteres klar, wenn wir bedenken, dass ober- 
halb der Stellen, an welchen ihre Ausm ündung erfolgt, zwischen den 
Blättern an deren Basis die schon erwähnten Stammdrüsen liegen, für 
welche sie als Leitungsbahnen dienen. Merkwürdig erscheint vielmehr 
der Umstand, dass die Versorgung der Drüsen nicht von dem Blatte 
aus geschieht, zu welchem sie gehören, sondern von jedem beliebigen 
Bündelstrang aus erfolgen kann, ja dass die gewöhnlich in Zweizahl 
vorhandenen Bündel nicht einmal aus einem einzigen, sondern sogar 
aus verschiedenen Strängen ihre Entstehung nehmen können. Beide 
Fälle lehren uns einerseits die Bündelchen fı und f, die beide dem 
einen Strang F' ihren Ursprung verdanken, anderseits die Bündelchen 
aı und dı, welche den beiden Strängen A bezw. D entsprungen sind. 

Der hier geschilderte Gefässbündelverlauf zeigt nun allerdings 
nicht jene Complicationen, wie sie von Merker (4) an G. macro- 
phylla festgestellt wurden, lässt jedoch immerhin eine Ueberein- 
stimmung mit den dort geltenden Verhältnissen erkennen, die sich 
vor allem darin kundgibt, dass auch bei den kleinen neuseeländischen 
Arten der gesammte Stammaufbau nur durch Blattspurstränge erfolgt. 
Stammeigene Bündel sind nicht vorhanden. Wenn trotz dieser l’eber- 
einstimmung der Bündelverlauf hier wesentlich einfacher ist. so ist 


170 


das ohne Zweifel auf die Grässenunterschiede in den Arten zurück- 
zuführen, denn es ist ohne Weiteres klar, dass die kleinen nieder- 
liegenden mit kleinen Blättern versehenen Arten ein viel weniger 
starkes und verflochtenes Stranggewebe benöthigen, als die mit ihren 
Riesenblättern versehenen und daher äusseren Angriffen viel mehr 
ausgesetzten grossen Arten G. chilensis und macrophylia. 

Auch der Strangverlauf im Blaitstiel und in der Blattspreite ge- 
staltet sich infolge des verhältnissmässig einfachen Baues, der diese 
Organe zusammensetzenden Bündel wesentlich einfacher. Es soll auch 
hiebei mit der Betrachtung der einfachsten Art G. Hamiltonii begonnen 
werden, die ja, wie bekannt, nur durch das Vorhandensein eines 
einzigen Blattspurstranges ausgezeichnet ist. Das Gefässbündel des 
Blattstieles verläuft, von seiner Basis beginnend, in gerader Linie 
durch diesen und theilt sich in später näher zu beschreibender Weise 
— weil dabei die anatomischen Verhältnisse berücksichtigt werden 
müssen — beim Uebergang in die Blattspreite in drei, zu den Blatt- 
hauptnerven werdende Bündel. Analog sind die Verhältnisse bei 
G. lobata. Auch diese besitzt einen nur von einem einzigen Bündel 
durchzogenen Blattstiel, der sich am Grunde der Blattspreite in die 
Blatthauptnerven theilt, die bei dieser Art gewöhnlich in Fünfzahl 
vorhanden sind. 

Anders liegen nun die Blattstielverhältnisse bei den übrigen 
untersuchten Arten. Verfolgen wir einen Blattspurstrang von seiner 
Ansatzstelle an das Stammbündel nach oben, so läuft er, wie uns das 
Gefässbündelskelett gezeigt hat, längere Zeit in gerader Linie durch 
den Stamm, um nach einiger Zeit in den Blattstiel auszubiegen. 
Unmittelbar oberhalb der Stelle, an welcher er schief nach aussen 
abzweigt, erfährt er jedoch eine Dreitheilung, wobei ein starker mitt- 
lerer Hauptstrang von rundem oder etwas ovalem Querschnitt und 
parallel mit ihm zwei kleine, dünne Nebenstränge resultiren, welche 
ersteren stets begleitend in den Kanten des nach oben etwas ab- 
geflachten Blattstieles verlaufen. Beim Uebergang in die Blattspreite 
theilt sich nun in analoger Weise wie bei den Arten mit einspurigem 
Blattstiel das Hauptbündel in drei, den Blatthauptnerven entsprechende 
Bündel, die kleinen Blattstielnebenstränge jedoch krümmen sich, dem 
herzförmigen Ausschnitt der Blattspreite an ihrer Basis folgend, seit- 
lich und laufen für sich in den untersten Blattzipfel. Zuweilen, jedoch 
selten, kommt es bei allen Arten vor, dass kurz vor dem Abbiegen 
in den Blattzipfel ein kleiner Zweig sich lostrennt, der sich entweder 
wieder mit dem Hauptbündel oder mit einem erst später auftretenden 


171 


kleinen Seitennerven vereinigt. Immer jedoch nimmt seine Haupt- 
masse den Verlauf in den Blattzipfel. 

Im Verlauf der Stränge durch die Blattspreite treten morpho- 
logisch keine neuen Gesichtspunkte auf. Die Verzweigung und 
gegenseitige Anastomosirung erfolgt in normaler Weise. Nur an den 
Blattspitzen kurz unterhalb des eigentlichen Blattzipfels und an der 
Basis der Blattzähne erfährt das Gefässbündel gemäss der biologischen 
Bedeutung der letzteren eine deutliche Verbreiterung (Fig. 2). Diese 
wird einerseits durch die an dieser Stelle auftretende grössere Anzahl 
von Gefässen und Trache- 
iden im mittleren Bündel, 
anderseits durch das Zu- 
sammentreten mehrerer 
Bündel verursacht, indem 
vonrechtsundlinkskleine, 
dem Blattrande parallel 
verlaufende Nerven sich 
mit dem mittleren ver- 
einigen und nun mit ihren 
freien Enden hier gemein- 
sam ausmünden. Sonstige Fig.2. Freie Gefässbündelendigung in einem Blatt- 
freie Gefässbündelendig- zahn von G. dentata.  Wasserspalten. 
ungen in der Blattfläche 
wurden nur bei G. magellanica und G. Hamiltonii in grösserer Menge 
angetroffen. Bei den übrigen Arten kommen sie nicht oder nur sehr 
vereinzelt vor. 

Der Gefässbündelverlauf in der Blüthenstandsaxe geht in ganz 
normaler Weise vor sich, schliesst sich aber im Allgemeinen dem 
des Stammes an. Nur in den anatomischen Verhältnissen treten Dif- 
ferenzen auf, die aber ausschliesslich Gegenstand des nächsten Ab- 
schnittes bilden sollen. Desgleichen soll hier auch auf den Verlauf 
in den einzelnen Blüthen nicht eingegangen werden. 


I. Allgemeiner anatomischer Aufbau und Bau der einzelnen Stränge. 


Das Blatt. 

Das Blatt ist in Anbetracht der schattigen und feuchten Stand- 
orte, an welchen diese Pflanzen wachsen, sehr einfach gebaut, und 
vor Allem eine Differenzirung des Blattgewebes in eine an der Ober- 
seite liegende assimilatorische Palissadenschicht und ein parenchyma- 


172 


tisches Schwammgewebe an der Unterseite nicht entwickelt, vielmehr 
stellt das ganze Mesophyli ein einheitliches, aus stark ausgebuchteten 
und gefalteten Parenchymzellen bestehendes Gewebe dar. Indem die 
einzelnen Zellen mit ihren Aussackungen, die auf der ganzen Ober- 
tläche der annähernd isodiametrischen Form vertheilt sind, in gegen- 
seitiger Berührung stehen, lassen sie ein stark entwickeltes Intercel- 
lularsystem und Durchlüftungsgewebe zwischen sich. Nur G. Hamiltonii 
nimmt auch in dieser Hinsicht wieder ihre Sonderstellung ein, indem 
bei ihr, wenn auch nicht so deutlich, wie es sonst bei Laubblättern 
die Regel ist, eine jedenfalls auffallende Differenzirung des Blatt- 
gewebes eintritt, die sich in der Scheidung eines die Oberseite ein- 
nehmenden Assimilationsgewebes und eines an der Unterseite ver- 
theilten Schwammgewebes kundgibt. Ersteres zeigt zwar noch nicht 
die ausgeprägte Form, wie sie von einem echten Palissadenparenchym 
verlangt wird, doch darf man es jedenfalls mit gutem Rechte als 
solches bezeichnen, da es durch seinen reichen Chlorophyll- und 
Stärkegehalt, ferner durch das Fehlen der Aussackungen an den Zellen 
und damit der Intercellularräume sich deutlich gegen das übrige 
Blattgewebe abhebt. Wahrscheinlich ist es nur als eine Uebergangs- 
form vom Schwamm- zum Palissadenparenchym zu betrachten, die 
ihre Erklärung in den Standortsverschiedenheiten der einzelnen Ver- 
treter finden wird. 

Diese Ausbildung des Blattgewebes, verbunden mit der schon im 
ersten Abschnitte angeführten stärkeren Behaarung den anderen Arten 
gegenüber, lässt wohl darauf schliessen, dass es sich um eine Art 
handelt, die an trockeneren Standorten wächst, als jene. Dass sie 
jedoch trotzdem noch in einer sehr feuchten Atmosphäre lebt, zeigt 
uns das Verhalten der Epidermis und die Vertheilung der Spalt- 
öffnungen auf derselben. Sie zeigt in dieser Beziehung vollständige 
Uebereinstimmung mit allen übrigen Arten, die darin besteht, dass 
sie die Spaltöffnungen auf beiden Seiten des Blattes und dort überall 
gleichmässig vertheilt trägt. In dem Bau der Spaltöffnungen zeigen 
sich keine besonderen Eigenthümlichkeiten, Nebenzellen sind nicht 
vorhanden. Nur bei G. densiflora konnte ich bei einem Theile der 
Spaltöffnungen eine Abweichung von ihrem gewöhnlichen Bau beob- 
achten. Vor Allem fällt diese auf, wenn wir von der Flächenansicht, 
auf der wir beide Arten von Spaltöffnungen neben einander beob- 
achten können, das Blatt untersuchen. Dabei zeigt sich nun zunächst 
in ‚der Vertheilung "derselben» kein Unterschied den anderen Arten 
gegenüber, was uns aber auffällt, sind die Athemhöhlen derselben. 


173 


Gewöhnlich sind dieselben sehr klein und ragen nur wenig über den 
Umriss der beiden Schliesszellen hinaus. Bei der Hälfte der Spalt- 
öffnungen dieser Art beobachten wir riesig grosse Athemhöhlen, die 
ungefähr den dreifachen Durchmesser zeigen, wie die beiden Schliess- 
zellen zusammen. So merkwürdig nun auch diese verschiedenartige 
Ausbildung ist, so wenig bin ich im Stande, dafür eine biologische 
Erklärung zu geben. 

Die normalerweise aus langgestreckten chlorophylifreien Zellen 
gebildete Gefässbündelscheide geht auf der Unterseite der Blätter 
über in ein bei den verschiedenen Arten verschieden stark verdicktes 
Collenchymgewebe, das bei starken Blattnerven zuweilen schon wenige 
Zellreihen unterhalb der Gefässbündel seinen Anfang nimmt und nach 
unten allmählich grössere Ausdehnung erlangt, bei den Arten mit 
collateralem BDlattbündelban meist schon direct im Gefässbündel selbst 
beginnt. 

Als Anhangsgebilde der Epidermis treten die für die meisten 
Gunnera-Arten charakteristischen keulenförmigen Haare mit plötzlich 
abgesetzter Spitze auf (Fig. 3), die nur am Blattrande durch einfache, 
fadenförmige ersetzt sind. Nur bei G. Hamiltonii, welche eine dicht filzige 
Behaarung von den übrigen Arten unterscheidet, besteht diese durch- 
wegs aus mehr fadenförmigen Haaren mit nur an der Basis schwach 
ausgeprägter Verdiekung. Ebenso ist bei G. magellanica und G. lo- 
bata die Keulenform weniger deutlich wie bei den neuseeländischen 
Arten. Die Haare dieser Arten gewinnen vielmehr durch ihre starke, 
gleichmässige Verdieckung und gerade Fornı mehr das Ausschen von 
Borsten. Charakteristisch für dieselben ist ferner das Auftreten von 
4—6 grossen Nebenzellen an ihrer Basis. 

Die Blattzipfel und Blattzähne, sowie die auf der Blattfläche 
selbst direet unterhalb dieser liegenden Blattheile, deren biologische 
Bedeutung schon im ersten Abschnitte gewürdigt wurde, sind auch 
anatomisch von den übrigen Theilen des Blattes sehr verschieden. Es 
zeigt sich bei deren Untersuchung, dass trotz der morphologisch so 
verschiedenen Ausbildung dieser Organe ihr anatomischer Aufbau voll- 
ständige Uebereinstimmung bei den neuseeländischen und südameri- 
kanischen Arten zeigt. Schon ein Flächenschnitt, noch viel mehr aber 
ein Querschnitt durch dieselben gibt uns über ihren Bau den wün- 
schenswerthen Aufschluss. 

Wie bei den von Reinke (2), Merker (4), und Berckholtz (5) 
untersuchten Arten besteht auch dieses Drüsenpolster aus einem 
kleinzelligen, mit zahlreichen Aussackungen versehenen und daher 


174 


viele Intercellularräume zwischen sich lassenden Epithem, das über 
den vorher schon besprochenen Gefässbündelendigungen liegt und mit 
dicht gedrängten Spalten besetzt ist, die schon in ihrem Bau und in 
ihrer Form von den Luftspalten unterschieden sind (Fig. 2»). Die 
beiden, zusammen annähernd kreisförmigen Umriss zeigenden Zellen, 
welche die Spalte begrenzen, sind fest in die Epidermis eingefügt, 
ohne die Beweglichkeit und die dadurch bedingte Verstellbarkeit der 
Spalte bei den Luftspalten zu zeigen. Die Spalte selbst ist kreis- 
rund, und ihre beiden Begrenzungszellen fallen durch das Vorhanden- 
sein grosser, dieselben nahezu vollständig ausfüllender, runder Stärke- 
körner noch besonders auf. Das unter dem Gefässbündel liegende 
Gewebe des Blattzahnes ist gewöhnliches Parenchym, wie das des 
übrigen Mesophylis, Wie die analogen Drüsen bei den anderen Gun- 
nera-Arten, dienen auch diese der Ausschei- 
dung von Wasser, das mit reichlichem Schleim 
vermischt ist, der in den Intercellularen des 
Drüsengewebes leicht nachzuweisen ist. 


N 


Fig. 3. Haar von der Blattfläche Fig.4. Die beiden Blattstielnebenstränge von 
von G. dentata. G. dentata. 9 Gefässe, s Siebtheile. 


Bemerkt sei ferner noch, dass schon an der Spitze der Cotyle- 
donen, die ich bei Keimpflanzen von G. chilensis zu beobachten Ge- 
legenheit hatte, solche Wasserspalten auftreten, die in geringer Anzahl 
auf den rothgefärbten äussersten Enden derselben angeordnet sind 
und deren Thätigkeit bei der Cultur unter einer Glasglocke deutlich 
nachgewiesen werden kann. 

Als eine weitere Eigenthümlichkeit der Gunnera-Arten überhaupt 
erscheint das Vorkommen von Caleiumoxalat in Drusenform sowohl 
in der Blattfläche, wie in den übrigen Organen, in ersterer zuweilen 
in ungeheurer Menge. Die grossen Krystalldrusen sind in eigenen, 
mitten im Mesophyll liegenden Zellen mit geringem Schleimgehalt 
ausgeschieden. 

Nur bei G. Hamiltonii finden wir die Ausscheidung von Caleium- 
oxalat fast ganz unterdrückt. In dem Blatte konnte niemals, in den 


175 


übrigen Theilen nur äusserst selten eine vereinzelte kleine Krystall- 
druse wahrgenommen werden. Dafür findet sich aber eine andere 
Ablagerung, die bei allen übrigen von mir untersuchten Arten fehlt, 
über die auch in der bisherigen Litteratur über Gunnera keine An- 
gaben vorliegen, und die vor Allem in älteren Pflanzentheilen, meist 
den Blattstielen, dem Stamm und den Ausläufern anzutreffen ist, 

Schon bei oberflächlicher makroskopischer Betrachtung eines 
Schnittes gewahren wir meist in der Nähe des Gefässbündels, zuweilen 
auch an beliebigen anderen Stellen des Grundgewebes zahlreiche 
Zellen, welche durch ihren dunkel erscheinenden Inhalt sich scharf 
von den übrigen Zellen abheben. Bei starker Vergrösserung lösen 
sich diese dunklen Massen in eine Menge äusserst feiner, haarförmiger 
Kryställchen auf, welche theils den Zellwänden aufkrystallisirt sind 
und dann büschelförmig in das Innere vorspringen, theils auch lose 
in der Zelle selbst liegen. Auf den ersten Blick macht es daher 
fast den Eindruck, als handle es sich in denselben um Inulinausscheid- 
ung, mit der ihre Kıystallisationsform am meisten Aehnlichkeit hat, 
und die auch, da es sich um Alkoholmaterial handelt, keineswegs 
unmöglich wäre. Gegen diese Annahme spricht jedoch schon der Um- 
stand, dass in den übrigen Grundgewebezellen grosse Mengen von Stärke 
abgelagert sind und ein Vorkommen von Inulin neben Stärke meines 
Wissens bisher nicht beobachtet wurde. Aber auch das Verhalten 
gegen Reagentien lässt uns keinesfalls mehr im Zweifel, dass es sich 
nicht um Inulin handelt. Denn während sich dieses erst beim Er- 
wärmen mit Wasser löst, verschwinden diese Krystallbildungen schon 
beim Liegen des Schnittes in kaltem Wasser oder Glycerin nach 
5—10 Minuten und die Zellen, in denen die Ablagerung erfolgt war, 
erweisen sich vollständig gleichgestaltet und gleichbeschaffen wie die 
übrigen umliegenden Grundgewebezellen. Ebenso zeichnen sie sich 
aus durch ihre Löslichkeit in allen Säuren, selbst concentrirter Schwefel- 
säure, ohne mit letzterer die Bildung von Gypsnadeln zu veranlassen, 
zum sicheren Beweis, dass kein Calciumsalz, also nicht etwa in 
Nadelform ausgeschiedenes Caleiumoxalat oder Caleiumphosphat vor- 
liegt. Weiteres über die Natur der Verbindung konnte nicht ermittelt 
werden. Jedenfalls handelt es sich um irgend eine organische Ver- 
bindung, die, weil für das Leben der Pflanze schädlich, ähnlich wie 
oxalsaurer Kalk aus dem Organismus ausgeschieden wurde. 

Der allgemeine Aufbau des Blattstiels wurde, soweit es den Ver- 
lauf der einzelnen Gefässbündel betraf, bereits im zweiten Theile ein- 
gehend betrachtet. Das Grundgewebe desselben besteht aus ziemlich 


176 


grosszelligen, im Längsschnitt etwas gestreckt erscheinenden paren- 
chymatischen Zellen, die nur nach aussen hin sich allmählich ver- 
dicken und schliesslich in ein den ganzen Blattstiel umgrenzendes 
Collenchym übergehen, das bei den einzelnen Arten verschiedene 
Mächtigkeit erreicht. Sonst bietet sich nichts Nennenswerthes und es 
seien daher unsere weiteren Betrachtungen dem Aufbau der einzelnen 
Stränge gewidmet und dabei mit dem Blattstiel begonnen. 

Dabei zeigt sich nun, dass, abgesehen von der Verschiedenheit 
der einzelnen Arten, soweit sich diese auf die Zahl der den Blattstiel 
durchziehenden Bündel bezieht, ein allgemeiner Grundplan im Baue 
der einzelnen Hauptstränge nicht zu verkennen ist und dass die 
kleineren anatomischen Unterschiede nur mehr oder weniger als 
Variationen desselben zu betrachten sind. 

Der Bau der kleinen Blattstielnebenstränge (Fig. 4), die in den 
Kanten des etwas abgeflachten Blattstieles parallel mit dem Haupt- 
bündel verlaufen, ist ein sehr einfacher und kann als collateral be- 
zeichnet werden, da gewöhnlich nur eine sehr geringe Anzahl von 
Gefässen, meist nur 2—5, in etwas halbkreisförmiger Anordnung vor- 
handen sind, zwischen denen, gegen die Unterseite des Blattstiels 
gerichtet, ein aus kleinzelligem Gewebe bestehender Siebtheil einge- 
schlossen ist. Eine besondere Abgrenzung gegen das umliegende 
Grundgewebe tritt nicht ein, ebenso fehlt ein Festigungsgewebe, das 
bei den Hauptbündeln zuweilen zu starker Entwickelung gelangt. 
Kommt nun, wie es manchmal beim Eintritt in die Blattlamina der 
Fall ist, eine Theilung in diesem kleinen Bündel zu Stande, so geht 
gewöhnlich nur eine einzige Siebröhre mit wenigen Geleitzellen mit 
einem, bei grösseren Theilungsstücken höchstens zwei, Gefässen ab, 
um sich weiter oben mit einem anderen Bündel aufs neue zu ver- 
einigen. 

Nun ist aber nicht bei allen Arten mit drei Blattstielbündeln der 
Bau der Blattstielnebenstränge so einfach, wie er hier für G. dentata 
geschildert wurde, und wie er für alle neuseeländischen Arten mit 
Ausnahme von G. Hamiltonii, wo Blattstielnebenstränge überhaupt 
fehlen, charakteristisch ist. Bei G. magellanica tritt vielmehr schon 
dadurch eine bedeutende Complication ein, dass bei ihr die Blattstiel- 
nebenstränge schon einen concentrischen Bau aufweisen, wie er sonst 
nur bei den Hauptbündeln vorkommt. Das hier auftretende Bündel 
ist eine echte Stele im Sinne Van Tieghem’s (b) und besteht aus 
zahlreichen, im centralen Theile des Gefässbündels regellos zerstreut 
liegenden Gefässen, die von einem Kranze meist deutlich abgegrenzter 


177 


Siebtheile eingeschlossen werden (Fig. 5). Eine deutliche Gruppirung 
der Gefässe gegenüber den Siebtheilen oder gar eine Zusammen- 
gehörigkeit mit letzteren zu einzelnen Bündeln ist nicht zu erkennen. 
Als weitere Eigenthümlichkeit erscheint das Vorhandensein einer, 
wenn auch schwach ausgebildeten Endodermis mit unbedeutend ver- 
diekten und verkorkten Radialwänden, an welche sich nach aussen 
unmittelbar das grosszellige Grundgewebe des Blattstieles anschliesst. 
Ein Marktheil ist nieht vorhanden, so dass dieses Bündel sehr auf- 
fallende Uebereinstimmung mit dem aufweist, welches Van Tieghem 
(6) von G. monoica abbildet. 


9: 
Fig. 5. Blattstielnebenstrang von Fig. 6. Blattstielhauptstrang von G. den- 
G. magellanica. Die Gefässe (g) tata. Gefäss- (9) und Siebtheile (s) 
nehmen den ganzen centralen sind in Kreisen angeordnet. «c äusserer 
Theil des Bündels ein. s Sieb- Collenchymbeleg , vp Vasalprimanen und 


theile, e Epidermis. inneres Collenchym. 


So verschieden demnach das Verhalten der kleinen Blattstiel- 
Nebenstränge ist, so verhältnissmässig einheitlich ist der Bau der 
Blattstielhauptstränge namentlich bei den neuseeländischen Arten, 
für die wieder G. dentata als Typus gelten möge (Fig. 6). Wie bei 
den kleinen Bündelchen, so ist auch hier eine Endodermis nicht vor- 
handen, doch zeigen die dem Gefässbündeleylinder zunächst liegen- 
den Grundgewebezellen die Tendenz, sich als Schutzscheide für das 
Bündel, zugleich aber als Festigungsgewebe für den ganzen Blattstiel 
auszubilden, indem dieselben, die sonst unverdickt und sehr gross- 
lumig sind, kleiner werden und collenchymatische Verdiekung zeigen. 
Diese umschliessen dann als ein- oder zwei-, zuweilen, namentlich 
bei älteren Blattstielen, mehrreihige Kreise das eigentliche Gefäss- 
bündel. Dieses ist eine typische Stele, die einen direet unter dem 


Collenchymbeleg fulgenden Kreis von Siebtheilen aufweist, welcher 
Flora 1902, 12 


178 


seinerseits wieder die zahlreichen, gleichfalls in Kreisform angeord- 
neten, jedoch ohne bestimmte Orientirung zerstreut liegeuden Gefässe 
umschliesst. Wenn daher auch, wie schon im Blattstielnebenstrange 
von G. magellanica, obgleich nicht so deutlich, hier die Zahl der Sieb- 
theile, deren gewöhnlich 10—15 vorhanden sind, im Allgemeinen mit 
ziemlicher Deutlichkeit wahrnehmbar ist, da sie durch wenige Zellen 
grosszelligen Parenchyms von einander getrennt sind, so ist es doch 
in allen Fällen unmöglich, auch bei den Gefässen Gruppen heraus 
zu gliedern, die mit den betreffenden Siebtheilen zu Einzelbündeln 
vereinigt werden könnten. Zudem ist der Kreis der Gefässe fast 
geschlossen und nur hie und da, niemals jedoch an bestimmten Stellen, 
durch eine oder zwei grössere Parenchymzellen unterbrochen. 


Fig. 7. Blattstielhauptstrang von G. lobata, Gefäss- (g) und Siebtheil (s) sind in 
Kreisen angeordnet. Der centrale Theil wird von einem Sklerenchymkern (sc) ein- 
genommen, ac äusserer Collenchymmantel. 


Von besonderem Interesse ist der markständige Theil des Bündels, 
der im Allgemeinen von wenig verdiekten Collenchymzellen gebildet 
wird. Zwischen diesen eingestreut, fallen jedoch einige kleinere, 
stärker verdickte Zellen von unregelmässigem Querschnitt auf, um 
welche sich die Collenchymazellen in sternförmiger Anordnung gruppiren. 
Man könnte sie zunächst ohne Weiteres für Sklerenchymelemente 
halten. Die Entwickelung eines Gefässbündels zeigt jedoch, dass 
es sich in diesen keineswegs um Sklerenchymfasern, sondern viel- 
mehr um zusammengedrückte und ausser Function gesetzte Ge- 


179 


fässe handelt, denn junge Blattstiele zeigen noch den ganzen innerhalb 
des Siebröhrenkreises liegenden Theil des Bündels von zahlreichen, 
im Grundparenchym zerstreut liegenden Gefässen erfüllt, die in den 
älteren Blattstielen mehr und mehr verschwinden und schliesslich von 
dem allmählich immer stärker werdenden Collenehym zusammengedrückt 
werden. Auch ein Längsschnitt lässt uns zu gleicher Anschauung 
konmen, denn derselbe zeigt uns in den verdiekten Markzellen einige 
wenige lange, durch spiralige Wandverdiekung mit lang ausgezogenen 
Spiralen versehene Zellen, eben jene markständigen rudimentären 
Gefässe, die sich von den übrigen, das Gefässbündel zusammensetzenden 
Gefässen auch dadurch noch unterscheiden, dass letztere mit sehr 
engen, dicht aufeinander schliessenden spiraligen Wandverdickungen 
versehen sind. 

Etwas abweichend von der bisher besprochenen Gefässbündel- 
zusammensetzung und den Uebergang bildend zu dem complieirteren 
Bündel bei G. magellanica ist das von G. lobata (Fig. 7). An Stelle 
der bei den neuseeländischen Arten aus nur wenig verdickten Col- 
lenchymzellen bestehenden Schutzscheide, die nach aussen allmählich 
in das Rindenparenchym übergeht, steht bei dieser Art eine plötzlich 
gegen das Grundgewebe sich abgrenzende, aus zwei bis drei Zelllagen 
bestehende Schicht sehr stark verdickter Zellen von collenchymatischem 
Charakter, die einen äusserst zweckmässigen Schutz für das innerhalb 
liegende Gefässbündel abgeben und daher hier umsomehr eine Endo- 
dermis überflüssig machen. Die Vertheilung von Siebtheilen und Ge- 
fässen in zwei concentrischen Ringen tritt auch hier ein, nur mit dem 
Unterschied, dass letzterer nicht so dicht geschlossen, vielmehr durch 
zahlreiche, fast jedes Gefäss isolirt stellende Grundgewebezellen zer- 
sprengt ist, wodurch eine regellose Zerstreuung der Gefässe bei dieser 
Art noch viel mehr in die Erscheinung tritt, als das bei den neusee- 
ländischen Arten der Fall war. Der centrale Theil der Stele zeigt da- 
gegen einen durchaus eigenen Charakter. Das collenchymatische Mark 
mit den Vasalprimanen fehlt hier, ist aber in seiner Gesammtheit 
ersetzt durch einen ausgedehnten Kern stark verdickter Sklerenchym- 
fasern, die für den hier etwas langen Blattstiel ein kräftiges mechani- 
sches Gewebe mit Biegungsföstigkeit darstellen. 

Wenn sich durch diese Verhältnisse &. lobata noch ziemlich eng 
an den Typus der G. dentata anschliesst, so entfernt sich G. magel- 
lanica von demselben schon sehr bedeutend. Wir haben ja auch 
oben bei Betrachtung der Blattstielnebenstränge schon die Beob- 


achtung gemacht, dass diese Art bezüglich deren Bau ihre eigenen 
ı2* 


180 


Wege geht, und finden dieses abweichende Verlialten nun auch im 
anatomischen Bau des Hauptstranges (Fig. 8). Trotzdem auch hier, 
wie bei G. lobata, das ganze Bündel von einer sehr stark ausgeprägten, 
mehrere Zelllagen breiten Collenchymscheide umschlossen ist, kommt 
hier als besondere Abgrenzung gegen das Rindengewebe ausserdem 
noch eine, wenn auch wenig entwickelte, aber ihrem Bau nach als 
Endodermis zu bezeichnende Zelllage zur Ausbildung. Nach innen zu 
wiederholen sich zunächst die bei den vorhergehenden Arten schon 
zur Genüge geschilderten Verhältnisse. Dagegen kommt es im mitt- 
leren Theile des Gefässbündels zu einer vollständig neuen Ausbildung. 


Fig. 8. Blattstielhauptstrang von G. magellanica, Zu dem äusseren Kreise von 

Siebtheilen (as) und Gefässen (ag) tritt noch eine centrale Masse von Siebtheilen 

(is), die von Gefässen (ig) umschlossen ist. se Sklerenchym, e Collenchymring, 
e Endodermis. 


Wenn auch das Auftreten von stark entwickelten Sklerenchymmassen 
: sehr an das centrale Festigungsgewebe bei G. lobata erinnert, so ist 
doch besonders auffallend, dass dieselben nicht den Kern des ganzen 
Bündels einnehmen, sondern als zwei ausgedehnte, halbkreisförmige 
Stützpfeiler nach den beiden Seiten des im Querschnitt etwas ovalen 
Bündels gedrängt sind, so dass also zwischen ihnen noch ein aus- 
gedehnter Gewebecomplex zur Ausbildung gelangen kann. 

Was nun diesen betrifft, so ist weiterhin merkwürdig, dass der- 
selbe nicht etwa durch Markgewebe gebildet wird, was bei der Ana- 


181 


logie mit ähnlichen Bündeln keineswegs auffallend wäre, sondern im 
Gegentheil abermals durch Gefässbündelelemente, deren Anordnung 
jedoch eine umgekehrte ist, wie in den äusseren Theilen, so dass ein 
Gesammtaufbau des Bündels zu stande kommt, wie wir ihm später 
bei den Stolonen noch öfters begegnen werden. Einige, in der Mitte 
durch wenige Grundgewebezellen in zwei grössere Gruppen getrennte 
Siebtheile werden nach aussen von zwei Seiten her umgrenzt von 
zahlreichen Gefässen, deren allgemeine Anordnung jedoch nicht in 
Kreisform vorliegt. Dieselben, durch wenig parenchymatische Zellen 
von einander getrennt, füllen vielmehr den zwischen den beiden 
Sklerenchympfeilern frei bleibenden Zwischenraum aus und trennen 
dadurch deutlich die mittleren Gefässbündel von den äusseren. 


Fig. 9. Theilung des Blattstielhauptstranges von G. dentata in die Blatthaupt- 
nerven. Die Tochterbündel sind innerlich schon vollständig getrennt. Bezeich- 
nung wie vor. Fig. 


Diese Blattstielbündel nun, deren verschiedenartige Ausbildung 
uns bisher beschäftigte, nehmen von ihrem Grunde auf einen voll- 
ständig gleichmässigen, geraden, durch keinerlei Theilungen oder 
Verzweigungen gestörten Verlauf, so dass ein Querschnitt durch den 
Blattstiel auf allen Höhen ein gleiches Bild darbietet. Erst gegen 
die Blattspreite zu tritt allmählich eine auffallende Verbreiterung des 
Hauptbündels ein, die durch zahlreicher auftretende Siebtheil- und 
Gefässelemente und eine zu gleicher Zeit eintretende mächtigere Ent- 
wickelung des markständigen Gewebes bedingt wird und mit der hier 
am Blattspreitengrund vor sich gehenden Theilung des Blattstiel- 
bündels in die drei Bündel der Blatthauptnerven im Zusammenhang 
steht. 

-Die Vorgänge bei der Theilung soll uns Fig. 9 an G. dentata 
veranschaulichen.. An dem Blattstielhauptbündel, das ursprünglich 


182 


einen runden oder doch nur wenig ovalen Querschnitt zeigte, ist an 
dieser Stelle eine bedeutende Ausdehnung in die Breite eingetreten, 
zugleich aber macht sich auch in seiner anatomischen Zusammen- 
setzung eine Veränderung bemerkbar, die sich vor Allem in der Ver- 
theilung von Gefässen und Siebtheilen kundgibt, ganz abgesehen von 
den Verschiebungen, die im Markgewebe eintreten. 

Von aussen nach innen gehend, fällt uns zunächst in der Orien- 
tirung der Gefässe eine Verschiedenheit gegenüber den Verhältnissen 
in den unteren Theilen des Blattstiels auf. Diese zeigen hier, nament- 
lich wenn wir den rechten Theil des hier gezeichneten Bündels ins 
Auge fassen, das Bestreben, sich etwas mehr nach der Mitte zu aus- 
zubreiten und zwar so, dass sie der in dem anfangs rein elliptischen 
Querschnitte des Bündels eingetretenen seichten Einschnürung in der 
Mitte nachgeben. Diese Einsehnürung, die durch Hereindrängen von 
parenchymatischen und collenchymatischen Elementen von der Seite 
her bedingt wird, hat unterdessen auch auf das mediane Mark einen 
Einfluss ausgeübt in der Weise, dass dadurch eine Trennung des- 
selben in zwei Partien, eine rechte und eine linke, bewirkt wurde. 

Das Vordringen der Gefässe nach innen geschieht jedoch durch- 
aus nicht regellos, vielmehr sehen wir auf beiden Seiten stets das 
Bestreben, wieder einen Kreis zu bilden, eine Erscheinung, die nament- 
lich auf der rechten Seite der Figur deutlich hervortritt. Mit der so 
zu stande gekommenen Drehung der Gefässe nach innen geht aber 
gleichzeitig eine solche der Siebtheile Hand in Hand und es ist an 
verschiedenen Stellen deutlich zu beobachten, wie auch die Siebtheile 
die Bewegung der Gefässe nach innen mitmachen. Eine kurze Strecke 
laufen nun die so in ihrer Trennung bereits vorbereiteten Bündel 
neben einander her in gemeinsamer Umgrenzung durch den Collen- 
chymring, bis dieser schliesslich durch das von der Seite her immer 
mehr hereindrängende parenchymatische Grundgewebe gegen die Mitte 
des bandförmigen Bündels vorgeschoben wird und dadurch die Trennung 
bewirkt. Diese wird auch insofern noch bedeutend erleichtert, als 
schon kurz nach der Differenzirung der beiden Tochterbündel in der 
Mitte sich collenchymatisches Gewebe bildet, das sich bei der Trennung 
mit dem seitlich sich vorschiebenden äusseren Collenchymbelege ver- 
einigt und nun einen Theil der Umgrenzungsscheiden der beiden neu 
entstandenen Bündel darstellt. 

Gewöhnlich erfolgt jedoch die Trennung des Blattstielbündels in 
die drei Hauptnerven des Blattes nicht auf gleicher Höhe des Stieles, 
sondern meist geht eines etwas früher ab, als das andere und wir 


183 


begegnen daher der Scheidung der Bündel an dem einen Theilstücke 
noch einmal weiter oben. Dieselbe spielt sich in gleicher Weise ab, 
wie das erstemal. Fig. 10 zeigt das Verhalten des einen aus der 
eben beschriebenen Theilung hervorgegangenen Tochterbündels. Der 
Schnitt ist im Vergleich zum vorigen an einer etwas tieferen Stelle 
geführt und wir sehen daher trotz der schon deutlich wahrnehmbaren 
Einbiegung des Gefässbündels in der Mitte das markständige Collen- 
chym noch eine zusammenhängende Masse bilden. Zugleich zeigen 
aber auch schon Gefässe und Siebtheile das auffallende Bestreben, 
nach der Mitte zu sich in zwei neben einander liegenden Kreisen an- 
zuordnen. 


Fig. 10. Zweite Theilung des Blattstielhaupt- 7 

stranges von G. dentata nach Abgang eines Fig. 11. Concentrisch gebauter 

Blattnerven. Die Tochterbündel sind im Inneren Blatthauptnerv von G. arenaria. 
noch nicht vollständig getrennt. Bezeichnung wie in Fig. 9. 


In der anatomischen Beschaffenheit der so entstandenen Blatt- 
hauptnervenbündel tritt nun zunächst im Allgemeinen keine weitere 
Veränderung mehr ein (Fig. 11). Sie verlaufen gewöhnlich, eine lange 
Strecke ihren concentrischen Charakter beibehaitend, in der Blattfläche 
weiter nach oben, erfahren aber, je weiter sie in das Blatt hinein 
verlaufen und je mehr ihnen zur Bildung kleinerer Seitennerven Bau- 
elemente entzogen werden, eine Veränderung derart, dass sie dadurch 
die concentrische Structur allmählich verlieren und gegen das Ende 
zu mehr und mehr collateralen Bau annehmen. 

Zuweilen kommt es jedoch vor, dass das Blatthauptbündel schon 
zu Anfang einen ausgesprochen collateralen Charakter trägt (Fig. 12). 
Dabei muss jedoch bemerkt werden, dass dieser Fall nicht auf eine 
besondere Art beschränkt ist, sondern dass es allgemein hie und da 
zu dieser Ausbildung kommt. Die Art und Weise der Entstehung 


184 


wollen wir an G. dentata verfolgen, die auch der Fig. 12 zu Grunde 
liegt. Wir sehen schon in Fig. 9, dass bei der Differenzirung der 
einzelnen Bündel vor der Trennung, bei a sich von der Seite her ein 
aus dem collenchymatischen Grundgewebe entstandener Keil von 
Collenchymzellen gegen den Marktheil des Gesammtbündels vorschiebt 
und mit diesem sich vereinigt. Dass es sich in dieser Gewebebildung 
jedoch keineswegs um das die Trennung der beiden neu entstehenden 
Bündel herbeiführende Gewebe handelt, ist aus der Figur ohne Wei- 
teres deutlich ersichtlich. Es ist vielmehr ein Zelleomplex, der nur 
in dem linken Theilstücke eine Sprengung des Gefässbündelringes 
hervorruft. Wie an successiven Querschnitten leicht zu verfolgen ist, 


Fig. 13. Blatthauptnerv von G. 
lobata. Die Gefässe nehmen den 
Fig. 12. Collateraler Blatthauptnerv von G. den- ganzen mittleren Theil des Bün- 
tata, c Collenchym, g Gefässe, s Siebtheile. dels ein. Bezeichnung wie vor. Fig. 


verbreitert sich dieser Collenchymtheil nach oben hin mehr und mehr 
und bewirkt dadurch, dass der ursprünglich normaler Weise als con- 
eentrisches Bündel angelegte Strang einen entschieden collateralen 
Charakter annimmt, den er auch in seinem ganzen Verlaufe durch das 
Blait beibehält. Auch in der Anordnuug des äusseren Oollenchym- 
beleges documentirt sich in unzweideutiger Weise seine Collateralität. 
Ebenso kann bei den zwei anderen seitlichen Blatthauptnerven eine 
ähnliche Anomalie eintreten, doch ist sie bei diesen in der Regel 
nicht so deutlich ausgeprägt. 

Ich habe absichtlich die Bildung der Blattnerven aus dem Blatt- 
stielbündel etwas eingehender behandelt, weil zwar bei den verschie- 
denen Autoren überall die Thatsache angeführt ist, dass die aus dem 
eoncentrischen Blattstielbündel entstehenden drei Hauptnerven gleich- 
falls concentrischen Bau aufweisen, nirgends jedoch über die Art, wie 


185 


diese auffallende Erscheinung zu stande kommt, sich nähere Anga- 
ben finden. 

Eine an den letzterwähnten Ausnahmefall sich anschliessende Art 
des Gefässbündelaufbaues in Blattnerven findet sich übrigens auch 
bei G. lobata, allerdings hier als Regel, jedoch nicht ganz in so ty- 
pischer Form. Auch bei dieser Art ist an der Basis des Bündels 
eine keilförmige Ausbildung collenchymatischen Gewebes wahrzuneh- 
men, doch nimmt sie dort nicht so ausgedehnte Dimensionen an, wie 
im vorhergehenden Falle, schon deshalb, weil ein Markgewebe hier 
nicht vorhanden, sondern der ganze centrale Theil des Bündels von 
den Gefässen erfüllt ist (Fig. 18). In noch höherem Grade als durch 
diesen Collenchymkeil an der Basis gibt sich der collaterale Charakter 
in der im oberen Theile des Bündels vorhandenen starken Collen- 
chymscheide kund, die den ganzen Gefässstrang halbkreisförmig um- 
schliesst, niemals aber sich mit dem basalen Collenchymkeile vereinigt. 
Auch dieses Bündel behält in seinem ganzen Verlaufe seinen collate- 
ralen Charakter bei, der durch die Abzweigungen zahlreicher Seiten- 
nerven nur noch deutlicher zum Ausdrucke kommt. 


Der Stamm. 

Der Stamm zeigt auf seinem Querschnitte in grosszelligem, nach 
aussen collenchymatisch verdicktem Grundgewebe eingebettet zer- 
streut je nach der Höhe, in der der Schnitt geführt wurde, eine ver- 
schieden grosse Anzahl von Bündeln, welche den in ihm zusammen- 
laufenden Blattspursträngen entsprechen, über deren Verlauf und 
gegenseitigen Zusammenhang wir uns im zweiten Abschnitt bereits 
eingehend orientirten. Ihre Form, die, je nachdem es sich um direct 
getroffene Blattspurstränge oder um solche handelt, welche kurz vor- 
her erst aus der Vereinigung mehrerer entstanden sind, eine sehr 
wechselnde ist, hat auf den anatomischen Bau im Allgemeinen kei- 
nerlei Einfluss. Sie alle stellen concentrische Bündel dar vom Bau 
der Blattspurstränge. Nur an der Stelle, an welcher die Vereinigung 
sämmtlicher Bündel zu einem einheitlichen Strange stattfindet, der 
sich weiter nach unten in den Stolonen fortsetzt, gewinnt sein Quer- 
schnitt ein wesentlich anderes Bild. Auch bieten in dieser Region 
die einzelnen Arten mitunter recht erhebliche Differenzen, auf die erst 
bei der Besprechung der Ausläufer näher eingegangen werden soll. 


Die Inflorescenzachse. 
Die gleichen Verhältnisse wie der Stamm zeigt auch die Inflo- 
rescenzachse, und da Anordnung und Vertheilung der Bündel genau 


186 


so befunden wurde, wie sie Van Tieghem (6) für G. magellanica 
angibt, von welcher mir selbst Blüthenstände nicht zur Verfügung 
standen, kann ich auf dessen Abhandlung hinweisen. Querschnitte in 
verschiedenen Höhen der Blüthenstandsachse zeigen uns sehr wech- 
selnde Bilder. An der Basis liegen in dem grosszelligen Grundge- 
webe eingebettet gewöhnlich noch zwei, weiter unten, wenn sich der 
Blüthenschaft bereits mit dem Stamme vereinigt hat, nur mehr ein 
Bündel, während weiter nach oben zu ihre Zahl bedeutend zunimmt, 
-in demselben Verhältniss aber ihre Ausdehnung sich verringert. Es 
kommen der Reihe nach Regionen mit 2—4 grösseren und mehreren 
kleineren Bündeln, deren Verhältniss jedoch, je weiter wir nach oben 
kommen, sich allmählich umkehrt, so dass schliesslich gegen die Spitze 
des Blüthenstandes zu nur mehr ganz vereinzelte kleine erscheinen, 
deren Zahl zum Schlusse bis auf eines, das Gefässbündel der End- 
blüthe, heruntergeht. 

In ihrer anatomischen Beschaffenheit stimmen sie mit den bisher 
kennen gelernten Blattstielbündeln vollständig überein, nur ist eine 
Ausbildung des Festigungsgewebes gewöhnlich unterblieben. Ein 
Mark findet sich nur bei den grösseren. Bei den analog den Blatt- 
stielnebensträngen gebauten kleinen Blüthenstielbündelchen, die nur 
wenige Gefässe und einen Siebtheil enthalten, kommt eine Mark- 
bildung nicht zu stande. 

Erwähnung verdient ferner die Thatsache, dass der Blüthenschaft, 
ebenso wie der Stamm und vor Allem die Stolonen namentlich bei 
einigen Arten, z. B. bei G. Hamiltonii, als Reservestoffbehälter dienen, 
da ihre Zellen dicht mit grossen runden Stärkekörnern ohne deut- 
liche Schichtung vollgepfropft sind. 


Die Stolonen. 


Schon im ersten Theile wurde hervorgehoben, dass alle unter- 
suchten Arten sich durch das Verhandensein von Ausläufern aus- 
zeichnen. Dieselben verdienen wegen ilırer verschiedenartigen Aus- 
bildung bei den einzelnen Arten ganz besondere Beachtung, namentlich 
da sie Bauverhältnisse aufweisen, die uns bisher nur vorübergehend 
und weniger charakterisch bei einer Art vorgekommen sind. Nun 
sind zwar, wenn wir die früher erschienenen Arbeiten durchgehen, 
die Bauverhältnisse der Ausläufer scheinbar bei allen Gunneraarten 
analoge, ihre Entstehungsweise jedoch ist eine sehr abweichende. 
Schon Merker (4) hat bei G. macrophylla das Vorhandensein von 
bieollateralen Strängen im Ausläufer nachgewiesen und auch unsere 


187 


Arten zeigen bei flüchtiger Betrachtung so gebaute Stränge; wenn 
wir jedoch ein Bündel analysieren, so zeigt sich, dass die Bezeich- 
nung bicollateral hier ohne Zweifel unangebracht ist. 

Beim Studium der Structurverhältnisse finden wir nun, dass, mit 
Ausnahme von G. Hamiltonii, die Gefässbündeleylinder in den Stolo- 
nen bei allen neuseeländischen Arten vollständig übereinstimmend 
gebaut sind, weshalb die einzelnen, die Beschreibung erläuternden 
Figuren verschiedenen Arten entnommen wurden. Nur G, lobata 
und magellanica zeigen auch hier wieder Abweichungen. 


IN 
»> 


..: R 


I. 


Fig. 14. Gefässbündel des Ausläufers von G. mierocarpa kurz vor dessen Austritt 
aus dem Stamm. Die Gefässe (g) und Siebtheile (s) liegen zerstreut auf dem 
Querschnitt. sc Sklerenchym, c Collenchym. 


Mit der Betrachtung der neuseeländischen Arten beginnend, 
müssen wir gleich von vornherein unterscheiden, ob wir es mit jungen 
oder alten Ausläufern zu thun haben, anderseits aber auch darauf 
Rücksicht nehmen, an welcher Stelle der Schnitt geführt wurde, ob 
kurz nach dem Verlassen des Stammes oder an sonstiger beliebiger 
Stelle seines Verlaufs, denn wir werden uns überzeugen, dass wir, 
je nachdem uns einer der vier Fälle vorliegt, zuweilen vollständig 
andere Bilder bekommen. 

Zunächst wollen wir uns mit dem Bündel von G. microcarpa be- 
schäftigen kurz vor dem Austritt des Ausläufers aus dem Stamm. 
Dasselbe bietet, wie schon gelegentlich des Stammaufbaues kurz er- 
wähnt wurde, ein ganz eigenartiges Bild, welches an das erinnert, 
was Merker (4) für die „Platten“ bei G. maerophyila schildert, 


188 


denen diese Bildung wohl auch als analog bezeichnet werden kann. 
Von aussen nach innen gehend (Fig. 14) begegnen wir, allmählich 
sich aus dem grosszelligen Grundgewebe herausbildend, einer aus 
mehreren, gewöhnlich 1—3, Zelllagen bestehenden Festigungsscheide 
in Form von collenchymatisch verdickten Zellen, deren Vorhandensein 
auch bei den bisher betrachteten Bündeln ein nie fehlendes Merkmal 
war. In der Beschaffenheit des übrigen Centraleylinders jedoch fällt 
uns ganz besonders die unregelmässige Anordnung ihrer sämmtlichen 
Elemente auf. Zwar ist noch in der Peripherie direet unter dem 
Collenchymmantel eine kreisförmige Gruppirung von Siebtheilen ziem- 
lich deutlich wahrzunehmen, aber schon bei der Betrachtung der Ge- 
fässvertheilung lässt uns die bisher gewohnte Art und Weise, auch 
die Gefässe in einem Kreise angeordnet zu finden, ziemlich im Stich, 
wenn auch gerade nicht zu verkennen ist, dass sich mit einiger Phan- 
tasie auch bei diesen ein Kreis construiren lässt, dessen einzelne 
Theile durch dazwischen tretendes Parenchym von einander getrennt 
worden wären. Wie wir wissen, kommt ja auch bei den in ziemlich 
geschlossenen Kreisen angeordneten Gefässen der bisher betrachteten 
Stelen zuweilen eine Trennung durch wenige Zellen des Grundge- 
webes vor und man könnte hier nicht mit Unrecht eine etwas weiter- 
gehende Ausbildung dieser trennenden Parenchymzellen annehmen. 
Weiter nach innen jedoch hört eine Vergleichung mit analogen Fällen 
auf, denn der ganze centrale Theil des Bündels setzt sich zusammen 
aus einer wirr durcheinanderliegenden Masse theils grösserer Grund- 
gewebezellen, theils aber auch vereinzelter oder zu kleineren Gruppen 
vereinigter Gefässe und Siebtheile, bei denen eine gegenseitige Zu- 
sammengehörigkeit niemals zu erkennen ist. 

Wie von Merker (4) an G. macrophylla nachgewiesen wurde, 
rollen sich beim Zusammentreffen der einzelnen aus den Blättern 
kommenden Gefässbündelstränge diese auf und liefern auf diese Weise, 
je nach ihrer ursprünglichen Beschaffenheit, theils Stränge von con- 
centrischem, theils solche von bicollateralem Baue. Eine Analogie 
mit dieser Erscheinung finden wir allerdings auch bei einer der unter- 
suchten Arten, G. Hamiltonii, die uns jedoch erst später eingehender 
beschäftigen soll. Hier dagegen treten die aus den Blättern kom- 
menden Stränge zunächst eine kurze Strecke weit ganz unregelmässig 
zusammen, ohne sich vor der Vereinigung noch einem besonderen 
Modus aufzuschliessen, weshalb durch die Anhäufung der einzelnen 
Bündelelemente an einer einzigen, nicht sehr ausgedehnten Stelle 
dieser eigenartige Aufbau zu stande kommt. Erst später gruppiren 


189 


sich die einzelnen Theile regelmässig, wie uns ein Schnitt an anderer 
Stelle des Ausläufers zeigt. 

Bevor ich jedoch auf dessen weiteren Bau eingehe, sei noch auf 
das Vorhandensein eines starken Festigungsgewebes im Innern des 
Bündels in Form ziemlich ausgedehnter Sklerenchymmassen hin- 
gewiesen, die gleichfalls in unregelmässiger Anordnung auf dem 
Bündelquerschnitt vertheilt zu sein scheinen. Ein Vergleich mit später 
zu betrachtenden Bündeln jedoch überzeugt uns, dass trotzdem we- 
nigstens zum Theil eine gewisse Orientirung vorhanden ist, die sich 
namentlich in der Stellung der beiden seitlichen Stützpfeiler erkennen 
lässt, 


Fig. 15. Gefässbündelaufban eines jungen Ausläufers von G, dentata. Gefäüsse 
(ag und ;g) und Siebtheile (as und ;s) sind in concentrischen Kreisen angeordnet. 
e Collenchym, sc Sklerenchym. 


Betrachten wir nun daran anschliessend einen Querschnitt durch 
einen jungen Ausläufer von G. dentata (Fig. 15). In ein grosszelliges, 
nach aussen hin mit einem mehrzelligen Collenchymring gefestigtes 
Grundgewebe eingebettet liegt ein in normaler Weise durch den 
Collenchymbeleg eingeschlossenes, einzelnes Bündel von runder oder 
etwas ovaler Form, das wie das vorher betrachtete durch keine be- 
sondere Endodermis gegen das äussere Grundgewebe abgegrenzt ist. 

In seinem Bau zeigt dasselbe eine auffallend regelmässige, an 
die eines bicollateralen Bündels erinnernde Anordnung seiner einzelnen 
Elemente. Auf die niemals fehlende Collenchymschicht folgt zunächst 
meist ein gewöhnlich nur aus einer einzigen oder zwei Zelllagen be- 
stehender Perieykel, welcher die sich hier schon deutlich in Kreis. 
form gruppirten Siebtheile, 10-20 an der Zahl, umschliesst. Ein 


190 


‘ebenso deutlicher, wie bei den Blattstielen durch einzelne parenchy- 
matische Zellen hie und da unterbrochener Ring von Gefässen folgt 
nach innen. Soweit sind uns die Verhältnisse bekannt. Der mittlere 
Theil stimmt nun mit keiner der bisher besprochenen Gefässbündel 
überein, erinnert jedoch einigermassen an die Ausbildung des Bündels, 
das wir im Blattstiel von @. magellanieca angetroffen haben, Durch 
eine aus mehreren Zelllagen sich zusammensetzende Schicht parenchy- 
matischer Zellen gegen das äussere Bündel abgegrenzt, findet sich 


{XI 


Q N. 
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IR DO 
di 


Fig. 16. Stele eines alten Ausläufers von G, densiflora, zusammengesetzt aus zwei 
concentrischen Gefässbündelringen, Bezeichnung wie vor. Fig. m Collenohyma- 
tisches Mark. 


nach innen zu ein zweiter Bündeleylinder, der jedoch die umgekehrte 
Lage seiner Theile, wie der äussere aufweist, Ein ebenso deutlicher 
Kranz von Gefässen umschliesst den centralen Theil des ganzen Bün- 
dels, der aus mehreren nicht deutlich getrennten Siebtheilgruppen 
besteht. In der die beiden Gefässbündeleylinder trennenden Parenchym- 
schichte finden wir auch wieder zu beiden Seiten jene Gruppen von 
Sklerenchymfasern, die ihrer Stellung nach den beiden im vorher 
besprochenen Gefässbündel namhaft gemachten Sklerenchymleisten 
entsprechen und, da weitere fehlen, ihren Ursprung aus der Ver- 
schmelzung der dort vorhandenen vier deutlich erkennen lassen. 


191 


Dieser Aufbau erinnert nun allerdings schr an den eines bieol- 
lateralen Bündels. Dass es sich in demselben jedoch keinesfalls um 
ein solches handelt, erweist schon die 'Thatsache, dass durch das 
parenchymatische Gewebe, das zwischen die Gefässtheile eingeschoben 
ist, eine unzweideutige Trennung in zwei sichtlich von einander ganz 
unabhängige Bündel eingetreten ist. 

Mit dem Alter der Stolonen ändert sich in ihrem anatomischen 
Aufbau nur sehr wenig. Naturgemäss nimmt die Mächtigkeit des 
Festigungsgewebes, so namentlich der Sklerenehymbalken zu, auch 
das die beiden Gefässeylinder trennende Parenchym gewinnt an Aus- 
dehnung und bewirkt daher eine noch viel deutlichere Auseinander- 
haltung zweier, von einander unabhängiger Bündel. Als wesentliche 
Veränderung kann nur das Auftreten eines aus verdickten Zellen 
von collenchymatischem Charakter bestehenden Markes angesehen 
werden (Fig. 16). 


Fig. 17. Stele im Ausläufer von G. Hamiltonii nur aus einem einzigen Ringe von 
Gefässbündeln bestehend. e Endodermis, c Collenchymbeleg, s Phloömring, g Ge- 
fässring, m collenchymatisches Mark. 


Vollständig verschieden davon ist nun der Bau der Stele des 
Ausläufers von G. Hamiltonii, bei welchem auch eine Verschiedenheit 
in der Zusammensetzung an verschiedenen Stellen nicht wahrzunehmen 
ist. Schon im Stamm finden wir die gleiche Anordnung wie später 
im Ausläufer, im jungen die gleichen wie im alten, eine Thatsache, 
die darin ihre Erklärung findet, dass bei dieser Art der Zusammen- 
schluss der einzelnen Blattspurstränge zum einheitlichen Stamm- und 
Ausläuferbündel in gleicher Weise erfolgt, wie es für G. macrophyllia 
von Merker (4) nachgewiesen wurde, indem die einzelnen Blatt- 
spurstränge sich vor ihrer Vereinigung theilweise aufrollen und dadurch 


192 


nach der Vereinigung ein einheitliches, regelmässig angeordnetes 
Bündel darstellen (Fig. 17). 

In den nach der Aussenseite des Ausläufers sich nur wenig ver- 
ändernden Grundgewebezellen, die durch vollständige Füllung mit 
grossen Stärkekörnern deutlich ihre Bestimmung als Reservezellen 
kundgeben, liegt in dem kreisrunden Querschnitte ein breit band- 
förmiges Gefässbündel, das sich von den bisher betrachteten Stolonen- 
strängen schon durch das Vorhandensein einer Endodermis unterscheidet, 
ausserdem aber Verhältnisse darbietet, die ganz und gar mit denen 
übereinstimmen, die wir sonst bei den Stelen der Blattstiele angetroffen 
haben. Collenchym-, Siebtheil- und Gefässring in aufeinanderfolgen- 
den concentrischen Kreisen schliessen ein collenchymatisch verdicktes 
Markgewebe ein. Ein doppelter Kranz von Gefässbündelelementen 
und somit ein innerer Gefässbündelcylinder ist hier nicht vorhanden. 


Fig. 18. Gefässbündel des Ausläufers von G. lobata. Bezeichnung wie vor. Fig. 
sc Sklerenchym., 


Eng an die Gefässbündelausbildung bei G. Hamiltonii schliesst 
sich die von G. lobata, wenigstens in den jüngeren Stolonen, an, die 
sich ja auch in anderen Beziehungen in deutlich ausgeprägter Weise 
an jene anlehnt. Auch ihre Ausläufer sind von einem allerdings 
mehr walzenförmigen Bündelstrang durchzogen, bei dem, wie schon 
im Blattstiele die Ausbildung eines starken sklerenchymatischen 
Festigungsgewebes deutlich in den Vordergrund tritt. Schon wenn 
wir von dem Rande des Ausläufers nach innen gehen, treffen wir auf 
eine sehr stark verdickte Epidermis, unter welcher eine mächtig ent- 
wickelte, aus Collenchym gebildete Festigungsscheide folgt, die all- 


193 


mählich in unbedeutend verdiektes Parenchym übergeht. Der in 
seinem Oentrum liegende Gefässbündeleylinder (Fig. 18) ist wie bei 
der vorigen Art gegen das Rindengewebe abgeschlossen durch eine 
deutliche Endodermis, auf welche in gleicher Aufeinanderfolge wie 
bisher Siebtheile und Gefässe folgen. Den medianen Theil nimmt 
ein allmählich in einen starken Sklerenchymkern übergehendes Collen- 
chym ein. 

Bemerkt sei noch, dass die Bildung dieses Bündels, so gross auch 
die Aehnlichkeit mit G. Hamiltonii ist, nicht auf dieselbe Weise er- 
folgt wie bei dieser, vielmehr so wie bei den übrigen neuseeländischen 
Arten, nur mit dem Unterschiede, dass hier die schliessliche Grup- 
pirung der einzelnen Gefässbündelelemente nur in einem einzigen 
Kreise stattfindet. 


Fig. 19. Gefässbündel eines stärkeren Ausläufers von G, lobata. Das centrale 
Sklerenchym ist getrennt durch einen Kreis von Gefässen mit centralen Siebtheilen. 
Bezeichnung wie Fig. 15 e Endodermis. 


Dass daher thatsächlich, namentlich wenn einige Stränge etwas 
weiter herunterlaufen, auch zuweilen die Ausbildung der Stele nach 
Art der bei den neuseeländischen Formen auftretenden, zu stande 
kommt, zeigt uns Fig. 19 von einem etwas dickeren und älteren 
Ausläufer. In den äusseren Theilen ist allerdings keinerlei Veränder- 
ung eingetreten, um so mehr kommt eine solche jedoch im mittleren 
Theile des Cylinders zum Ausdrucke. Das in dem jüngeren Ausläufer 
hier befindliche Sklerenchym erfährt in seiner Mitte eine Theilung, wo 
durch zwei halbkreisförmige Theilstücke gebildet werden, die uns an 


die bei den neuseeländischen Arten gleichfalls vorhandenen beiden 
Flora 1902, 13 


194 


Stützpfeiler aus Sklerenchym erinnern, die auch dort an den beiden 
Seiten des Bündelquerschnittes angeordnet waren. Mit dieser Theilung 
im Zusammenhange steht dann das Auftreten eines Kranzes von Ge- 
fässen, der mehrere Siebtheilgruppen einschliesst, so dass auch hier 
ein in den ersten eingeschobener zweiter, aber umgekehrter Gefäss- 
eylinder entsteht, der für die neuseeländischen Arten so charakteri- 
stisch ist. 

Den letzten und zwar vollständig isolirt dastehenden Typus finden 
wir bei G. magellanica, bei der, wie auch schon Reinke (2) kurz 
erwähnte, der Querschnitt der Ausläufer mehrere in Zahl und Grösse 
bei ein und demselben Ausläufer wechselnde Gefässbündelstränge auf- 
weist. Schneiden wir einen der langen Stolonen an verschiedenen 
Stellen durch, so zeigt er an den einzelnen Schnittflächen ein sehr 
variirendes Bild; bald sind es nur 3, bald 4—6, ja sogar 7 Stränge, 
die ihn durchziehen, eine Erscheinung, die dadurch bedingt wird, dass 
dieselben theilweise mit einander anastomosiren und nach kurzer Ver- 
einigung sich wieder trennen. Es ist klar, dass dadurch auch ihre 
Form, die bald rund, bald oval, bald halbkreisförmig ist, beeinflusst 
wird. Ihr Bau ist jedoch trotz der Verschiedenheit der Form ein sehr 
einheitlicher, nämlich der des typischen Blattstiels, dem er auch in 
dem Auftreten eines centralen Festigungskernes von Sklerenchym 
nahe kommt, der sich bei dickeren Strängen vorfindet, bei den kleineren 
aber durch collenchymatisches Mark ersetzt ist. 

Das Grundgewebe des Ausläufers ist sehr regelmässig ausgebildet, 
ohne dass seine Zellen nach aussen hin in ein besonderes Collenchym 
übergehen. 

Wenn wir nach Gründen suchen, die eine so weitgehende Aus- 
bildung des Leitbündelsystems bei G. magellanica den anderen Gun- 
neraarten, die zur Untersuchung gelangten, gegenüber, zur Folge 
haben, so liegt meiner Ansicht nach der Hauptgrund nur in der zu- 
nehmenden Grösse, denn die kleinen neuseeländischen Arten und 
ebenso G. lobata haben doch offenbar kein so dringendes Bedürfniss, 
ein besonders stark ausgebildetes Stranggewebe zu entwickeln, wie 
die doch schon bedeutend stattlichere G. magellanica, die in diesem 
Verhalten eine deutliche Mittelstellung zwischen den kleinen Arten 
und den grossen kundgibt. 


Die Wurzel. 


Die Wurzel sämmtlicher‘ untersuchter Arten mit Ausnahme von 
G. lobata, auf die etwas näher eingegangen werden muss, ist sehr 


195 


einfach gebaut. Ein dünnwandiges, im Allgemeinen nicht besonders 
differenzirtes Rindenparenchym umschliesst den gleichfalls sehr ein- 
fachen, jedenfalls normal gebauten Centraleylinder, der durch eine 
Endodermis abgegrenzt ist und triarche bis pentarche Ausbildung auf- 
weist. Ein Mark ist nur in jungen Wurzeln vorhanden. Später tritt 
zuweilen in den Randtheilen des Rindenparenchyms eine unbedeutende 
Verdiekung der Zellwände ein, wie sie auch von Reinke (2) für 
die Wurzeln von G. magellanica angegeben wird, bei der ich aber 
gerade auch bei sehr alten Wurzeln eine solche Veränderung nicht 
beobachten konnte, viel we- 
niger noch in dem Maasse, 
wie es Reinke schildert, 
wonach durch eine starke 
Verdickung der äussersten 
Zellen desRindenparenchyms 
in diesem eine deutliche 
Trennung in zwei Schichten 
eintreten würde. 
Vollständig anders ge- 
baut dagegen ist die Wurzel 
von G. lobata (Fig. 20). Was 
dieselbe besonders auffallend 
macht den anderen Arten 
gegenüber, ist die Ausbildung 
des Rindengewebes. An dem- 


selben sind deutlich vier Fig. 20. Wurzelquerschnitt von G. lobata. 
Theile zu erkennen, die Die Rindenschicht ist durch einen Collen- 


scharf gegen einander ab- chymring (ce) in zwei Theile (r, und »,) ge- 


. d schieden. x Schicht radial verlängerter Zel- 
gegrenzt sind. Unter er len, g das von einer Endodermis umachlossene 
dünnwandigen Epidermis, Gefässbündel, 


die mit langen Wurzel- 

haaren besetzt ist, folgt eine aus gleichfalls dünnwandigem Pa- 
renchym bestehende 2—3 Zellreihen breite Schicht, auf welche 
deutlich abgegrenzt meist vier Reihen stark verdickten Collenehyms, 
dann wieder mehrere Lagen Parenchym mit grösseren Intercellular- 
räumen folgen, während der innerste Theil aus einer einzigen Reihe 
wieder dicht aneinander schliessender, aber in radialer Richtung 
deutlich gestreckter Parenchymzellen besteht. Angrenzend an diese 
Zelllage folgt eine aus kleinen Zellen gebildete, schwach entwickelte 


Endodermis, die unter einem 1—2 Zellreilien breiten Pericykel liegend 
18* 


196 


ein triarch bis pentarch ausgebildetes Gefässbündel umschliesst. Der 
eentrale Theil wird von kleinzelligem Marke eingenommen. 


IV. Blüthenverhältnisse und Embryoentwickelung. 

In seiner Arbeit über die Entwickelungsgeschichte der Blüthe 
von G. chilensis sagt Kellermann (7) gelegentlich der Frage der 
Embryosackbildung, es sei wegen der grossen Mengen Gerbstoff im 
Gewebe der Samen eine Untersuchung der unmittelbaren Folgen der 
Befruchtung und der Entwickelungsstadien des Embryosackes un- 
möglich. Nun hatte ich schon bei der Untersuchung der Blüthen der 
neuseeländischen Arten die Wahrnehmung gemacht, dass, trotzdem 
dieselben in den Geweben der vegetativen Organe auch erhebliche 
Mengen von Gerbstoff aufwiesen, der jedoch der Beobachtung niemals 
hindernd im Wege stand, in den Blüthen und im Gewebe der Frucht- 
knoten nür mässig grosse Gerbstoffmengen vorhanden waren. Ich 
führte dies Anfangs, so lange mir nicht auch Blüthen von @. chilensis 
als Vergleichsmaterial vorlagen, auf den Unterschied in den Arten 
zurück, konnte mich aber, nachdem ich schliesslich doch noch Blüthen 
von G. chilensis zur Vervollständigung der Untersuchungen beiziehen 
musste, davon überzeugen, dass auch bei diesen eine Störung durch 
übergrosse Gerbstoffmengen keineswegs zu bemerken war. Die Unter- 
suchungen hätten vielmehr, wenn dies die einzigen zu überwindenden 
Schwierigkeiten gewesen wären, ohne Weiteres zu einem befriedigenden 
Resultate geführt. Es ergaben sich vielmehr in der anatomischen 
Beschaffenheit der Samen Hindernisse, denen viel weniger leicht, 
meist überhaupt nicht zu begegnen war. 

Die Blüthenstände sind, wie im allgemeinen Theile schon kurz 
bemerkt worden war, verschiedenartig zusammengesetzt. Bei den 
meisten von mir untersuchten Arten sind dieselben dioecisch, jedoch 
standen mir nur bei einer Art G. arenaria männliche Blüthenstände 
zur Verfügung, alle übrigen Pflanzen trugen nur weibliche Blüthen. 
Eine einzige Art, G. microcarpa, besitzt monoeeische Blüthenstände 
wie G. chilensis, doch fehlt bei ihnen die Erscheinung des Ueber- 
gangs von den unten stehenden weiblichen zu den die äusserste Spitze 
einnehmenden männlichen Blüthen durch hermaphrodite, wie es bei 
letzterer die Regel ist; männliche und weibliche Blüthen folgen viel- 
mehr ohne vermittelnde Zwischenglieder direct aufeinander. 

Die Blüthen selbst, die in kurzen, theilweise verzweigten Trauben 
stehen, welche den Abschluss der niederen Stämmchen bilden, sind 
sehr einfach und gewöhnlich in Zweizalıl gebaut. Die männlichen 


197 


Blüthen werden «rbildet von zwei in der Achsel eines kleinen 
schuppenförmigen Tragblattes stehenden Staubblättern, die bei den 
neuseeländischen Arten und bei G. chilensis kleine, jedoch immerhin 
auffallende morphologische Differenzen aufweisen, Bei ersteren be- 
stehen dieseiben aus einem ungefähr 2—-3mm langen Filament, welches 
die ungefähr gleich langen und halb so breiten Antheren trägt; bei 
letzterer ist das Filament sehr kurz, meist kaum Imm lang, während 
die etwas längeren, durch ihr annäherd gleiches Verhältniss von Länge 
und Breite ausgezeichneten Antheren ein etwas gedrungenes Aus- 
sehen bekommen. In ihrem Bau zeigen sie analoge Verhältnisse. 
Sie besitzen anfangs vier Fächer, werden aber später durch Resorption 
der trennenden Scheidewand zweifächerig und springen durch Längs- 
risse auf, die an den Stellen auftreten, an welchen früher die Scheide- 
wand ansetzte. Ihr Gewebe zeigt an dieser Stelle eine besondere 
Differenzirung und besitzt namentlich bei G. arenaria die deutliche 
Anlage einer besonderen Aufrissstelle (Fig. 21), indem die Zellen der 
Epidermis an dieser Stelle kleiner werden und sich nach innen biegen, 


Fig. 21. Querschnitt durch die Antherenwand von G. are- Fig. 22. Pollen von 
naria. f fibröse Schicht, e Epidermis, « Aufrissstelle. G. chilensis. 


so dass hier zur Zeit der Pollenreife eine leichte Trennung eintreten 
kann. Unterstützt wird die Leichtigkeit des Aufspiingens ausserdem 
noch durch Ausbildung einer auch bei zahlreichen anderen Antheren 
sich vorfindenden fibrösen Schicht unterhalb der Epidermis, die mit 
starken Verdiekungsleisten versehen ist, die theilweise unter sich 
Anastomosen bilden. 

Die Pollen (Fig. 22) sind wie die, welehe Merker (4) bei G. 
macrophylla beschrieb, tetraedrisch gebaut und besitzen eine starke, 
mit kleinen Höckern und Warzen versehene Exiue, die an drei 
spaltenförmigen Stellen unterbrochen ist und die nach aussen vorge- 
stülpte Intine erkennen lässt. Sie sind auch in der Grösse bei den 
neuseeländischen Arten und G. chilensis vollständig gleich. 

Sehr merkwürdig ist es, dass es sowohl an dem Alkoholmaterial 
der neuseeländischen Arten, wie bei dem lebenden Material von G. 


198 


chilensis bisher nicht möglich war, keimende Pollenkörner mit Pollen- 
schläuchen zu beobachten, Trotz der mit Pollen meist stark besetzten 
Narben in beiden Fällen konnte nur einmal bei G. Hamiltonii etwas 
wahrgenommen werden, was man event. für einen Pollenschlauch 
hätte halten können. Ein weiterer Verlauf zwischen den Narben- 
papillen war jedoch nicht zu verfolgen. Es ist dies um so auffallen- 
der, als doch sonst Pollen auf eine empfängnissfähige Narbe gebracht, 
sehr rasch keimen, während es bei G. chilensis selbst nach 8 und 
14 Tagen trotz zahlreicher reifer und lebender Pollen auf den Narben 
nicht zur Keimschlauchbildung gekommen war. Auch die Versuche, 
die vorigen Sommer schon und heuer wieder mit Pollen von 6. 
chilensis angestellt worden waren, sie auf Zucker-Nährgelatine zum 
Keimen zu bringen, waren erfolglos. Dieselben blieben trotz der 
günstigen Bedingungen, unter denen andere Pollen längst keimten, 
vollständig unverändert. An und für sich betrachtet, hätte ja diese 
Erscheinung nichts besonders Auffallendes, da ja häufig tropische 
Pflanzen, die bei uns in Cultur genommen werden, ihre Pollen und 
somit ihre Früchte nicht zum Reifen bringen, wenn wir aber bedenken, 
dass von der @. chilensis reife Samen erzeugt wurden, die ausgesät 
nach vier Wochen bereits keimten, so ist das doch etwas merkwürdig 
und steht möglicherweise in irgend einem Zusammenhang mit später 
zu besprechenden anatomischen Eigenthümlichkeiten des Fruchtknotens 
und des Nucellus, 

Eine andere Erscheinung jedoch, die augenscheinlich mit den 
Culturbedingungen im Zusammenhang steht, darf nicht unerwähnt 
bleiben, nämlich die, dass bei G. chilensis ungefähr die Hälfte der 
Pollen taub blieb. Die tauben waren von den gesunden schon da- 
durch leicht zu unterscheiden, dass ihre Exine gewöhnlich weniger 
stark verdickt und meist glatt war, dass ihnen ausserdem die für den 
Austritt der Pollenschläuche bei den gesunden vorhandenen Schlitze 
fehlten. Ausserdem zeigten sie durchschnittlich ein runzliches Aussehen. 

Einen ebenso einfachen Bau, wie die männlichen, zeigen auch 
die weiblichen Blüten, denen ein Perigon, wie es bei G. manicata, 
G. perpensa und G. bracteata vorhanden ist, vollständig fehlt. Die 
in Zweizahl vorhandenen Kelchblätter, welche dem kugeligen, unter- 
ständigen Fruchtknoten oben seitlich ansitzen, sind auch bei den 
neuseeländischen, wie bei G. chilensis und den bisher untersuchten 
übrigen Arten zu mächtigen Drüsenpolstern umgewandelt, die in ihrer 
anatomischen Beschaffenheit mit den Drüsenpolstern, wie sie die La- 
einien auszeichnen, vollständige Uebereinstimmung zeigen. Wie diese 


198 


bestehen sie aus einem kleinzelligen unregelmässig ausgebildeten und 
zahlreiche Intercellularräume zwischen sich lassenden Epithem, das 
reichlich gerbstoffhaltigen Schleim führt und an seiner Aussenfläche 
mit vielen Wasserspalten bedeckt ist. Ob in diesem Organ, wie es 
Kellermann (7) ausspricht, ein Nectarium zu erblicken ist, scheint 
mir ziemlich unwahrscheinlich, namentlich da sicherlich die Bestäubung 
ausschliesslich durch den Wind besorgt wird. Aus dem kurzen Blüthen- 
stiel, dessen Gefässbündel sich an der Basis des Fruchtknotens, beim 
Eintritt in diesen, in vier Stränge spaltet, gelangen Gefässbündel zu 
den Drüsen, die sich in ihnen erweitern, in ähnlicher Weise, wie die 
Gefässbündel, die sich in den Lacinien ausbreiten. Ihre Function ist 
offenbar die gleiche wie dort; auch sie stellen nach kurzer Zeit ihre 
Thätigkeit ein. 

Der, wie schon erwähnt, unterständige, runde Fruchtknoten ist 
normaler Weise einfächerig und trägt eine einzige anatrope, hängende 
Samenanlage, die durch einige morphologische Eigenthümlichkeiten, 
die noch Gegenstand eingehender Betrachtung werden sollen, unser 
Interesse in Anspruch nimmt. Bei G. chilensis konnte ich jedoch 
nicht selten Fruchtknoten beobachten, welche in jungen Entwickelungs- 
stadien zwei Fächer enthielten, deren jedes ein ovulum anlegte. 
Später jedoch bleibt dasselbe in seiner Ausbildung zurück und es 
kommt auch in diesen Fällen nur zur Entwickelung eines einzigen 
Samens. 

Die in Zweizahl vorhandenen Narben zeigen bei G. chilensis 
und den neuseeländischen Arten ähnliche Unterschiede, wie wir sie 
schon für die Antheren festgestellt haben. Sie sind bei ersterer kurz 
und gedrungen kammförmig, bei letzterer lang und fadenfürmig, und 
in beiden Fällen mit walzigen Papillen versehen, die eine namentlich 
gegen die Spitze zu stark quellungsfähige Schleim absondernde Mem- 
bran besitzen. 

Was nun den Bau der Samenanlage betrifft, so möchte ich, da 
meine Beobachtungen mit denen Kellermann’s (7) nicht ganz im 
Einklang stehen, zunächst auf dessen Angaben hinweisen. Er sagt: 
„Das Ovulum ist hängend, anatrop, mit zwei Integumenten versehen, 
wovon nur das Innere die Mikropyle bildet. Das Aeussere erscheint 
nämlich viel später, so dass der grösste Theil des Mikropylarendes 
von demselben nicht erreicht wird“, und an anderer Stelle: „Das 
innere Integument umhüllt ganz das Ovulum, das äussere entsteht 
=sehr spät und bleibt mehr oder weniger rudimentär.“ 

Die Entwickelung der Samenanlage bei den neuseeländischen 


200 


Arten zu verfolgen, war mir wegen der schon sehr weit entwickelten 
Blüthen nicht möglich und ich musste daher die Verhältnisse gleich- 
falls an G. chilensis studiren, der gleichen Art, an welcher auch 
Kellermann seine Untersuchungen anstellte, kann mich jedoch mit 
dessen Angaben durchaus nicht immer einverstanden erklären, weshalb 
ich meine Beobachtungen hier etwas ausführlicher widergeben werde. 
Schon bezüglich der Integumentverhältnisse, die ich an Blüthen 
jeden Alters studiren konnte, kann ich constatiren, dass die Anlage 
des zweiten Integuments schon sehr bald nach der des ersten erfolgt 
(Fig. 23«), denn wenn kaum der Höcker, die Anlage des ersten In- 
teguments, sich deutlich über das Gewebe der Samenanlage hervor- 
| gewölbt hat, entsteht schon unter- 
halb desselben, der des zweiten, 
dessen Wachsthum nun mit dem 
ersten so ziemlich gleichen Schritt 
hält (Fig. 235). 


Fig. 23au.b. Junge Samenanlagen von G, chilensis, a Archesporzelle, ai äusseres, 
ii inneres Integument. 


Ohne nun auf die jetzt auch schon im Nucellus vor sich ge- 
gangenen Veränderungen vorerst näher einzugehen, möchte ich die 
Weiterentwickelung der Integumente und das Verhalten der Frucht- 
knotenwand noch in kurzen Zügen betrachten. Von besonderem Ein- 
flusse auf die weiteren Schicksale der Integumente ist vor Allem das 
Verhältniss der Samenanlage zur Fruchtknotenhöhle, das deutlich an 
jenes erinnert, welches Zinger (8) für Cannabis nachgewiesen hat. 
Hier wie dort fällt uns auf, dass schon in sehr frühen Entwickelungs- 
stadien der Integumente die Fruchtknotenhöhle von der Samenanlage 
nahezu vollständig ausgefüllt wird (Fig. 235) und daher, namentlich 
da der Fruchtknoten sich kaum mehr vergrössert, für die weitere 


201 


Entfaltung der Integumente nur mehr sehr wenig Raum übrig bleibt. 
Es kommt infolge dessen, dass die allmählich heranwachsenden In- 
tegumente alsbald gegen die Fruchtknotenwand stossen, zu einer Ab- 
plattung und durch den wegen der engen Raumverhältnisse von 
Seite der Fruchtknotenwand entgegengesetzten Widerstand zu einer 
gegenseitigen Verschmelzung derselben, weshalb schon in Stadien, in 
denen die Viertheilung der Embryosackmutterzelle eingetreten ist, 
die Samenanlage nach oben hin vollständig geschlossen erscheint, ohne 
eine Mikrophyle frei zu lassen (Fig. 24). 


En Bun Fig. 25. Mikropylenende einer 
RE reifen Samenanlage von G. Ha- 
miltonji. Die Integumente wachsen 


Fig. 24. Samenanlage von G. dentata ohneMikro- mit Papillen (p) gegen einander 
pyle. s Schleim absondernde Zellen, i Zellen und bedingen dadurch den Ver- 
der Fruchtknotenwand, welche zur Samen- schluss des Mikropylenkanals. 
schale werden, e Embryosack, f Funieulus. Bezeichnung wie vor. Fig. 


Wenn auch die hier vorliegende Samenanlage in ihrem fertigen 
Zustande mit der von Cannabis vollständige Uebereinstimmung zeigt, 
so weit es die Verwachsung der Mikropyle betrifft, so ist doch im 
Allgemeinen ihre Entstehungsweise eine verschiedene. Zinger (8) 
hat für Cannabis eine Verwachsung der Mikropyle festgestellt, die 
dadurch zu stande kommt, dass die sich gegenüberstehenden Ränder der 
Integumente durch gegenseitige Papillenbildung in einander übergehen. 


202 


Das ist nun bei G. chilensis nicht der Fall. Hier tritt der Verschluss 
der Mikropyle durch einfache, durch die engen Raumverhältnisse be- 
dingte und begünstigte Verwachsung bezw. Verschmelzung der einander 
an- und gegenüberliegenden Zellen der Integumente ein. 

Nur bei G. Hamiltonii, von der mir sehr gutes Material für die 
Beobachtung der weiblichen Blüthenverhältnisse und vor allem etwas 
weiter vorgerückterer Stadien der Embryosackentwickelung vorlag, 
konnte ich eine Uebereinstimmung im Verhalten der Integumente mit 
denen von Cannabis nachweisen, Der Abschluss des Nucellus erfolgt 
auch bei ihr nieht allein durch Verwachsung infolge der Raumver- 
hältnisse, sondern auch durch gegenseitige Papillenbildung an den 
Rändern der Integumente. (Fig. 25.) Dieselbe tritt jedoch hier 
häufig verhältnissmässig spät ein, denn ich konnte eine grössere An- 
zahl von Samenanlagen beobachten, bei welchen der Embryosack 
schon vollständig ausgebildet, selbst der Eiapparat schon fertig, die 
Verschmelzung der Integumente jedoch noch nicht eingetreten war, 
die deutliche Papillenbildung am oberen Rande aber unzweifelhaft 
auf eine spätere Vereinigung schliessen liess, während andere trotz 
der unvollständigen Ausbildung des Embryosacks schon einen voll- 
ständigen Verschluss am Mikropylenende durch die Integumente auf- 
wiesen. Es scheint mir daher die späte Verwachsung der Integumente 
wohl nur auf eine Hemmungserscheinung zurückzuführen zu sein, 
während auch hier, wie bei G. chilensis und den übrigen neu- 
seeländischen Arten die frühzeitige Verschmelzung die Regel sein dürfte. 

Befremdend erscheint jedoch, dass in dem Falle des späten 
Verschlusses des Mikropylenkanals nur ein einziges, breites Integu- 
ment vorhanden ist. Leider standen mir so junge Blüthen dieser Art 
nicht zur Verfügung, an denen hätte nachgewiesen werden können, 
ob von vornherein nur ein einziges Integument zur Anlage kommt 
oder ob, wie Kellermann (7) für G. chilensis nachgewiesen zu 
haben glaubt, zwar zwei Integumente angelegt werden, von denen aber 
das zweite rudimentär bleibt und sich nur das erste gut entwickelt, 
oder ob schliesslich vor der Verschmelzung der sich gegenüberliegen- 
den Ränder der Integumente am Mikropylenende schon eine Ver- 
schmelzung an ihren Flächen stattgefunden habe, das hier erscheinende 
eine Integument also schon aus der Verschmelzung zweier hervorge- 
gangen wäre, Das Verhalten und die Entwickelung der Integumente 
bei jungen Blüthen von G. chilensis, wie ich es zu beobachten Ge- 
legenheit hatte, spricht entschieden für letztere Ansicht. 

Weitere Beachtung verdient ferner die Aussenseite der Samen- 


203 


anlage. Dieselbe besteht im ausgebildeten Zustande aus einer Reihe 
grosser Epidermiszellen, deren oberste an der Stelle, die mit dem 
Eintritt des Gefässbündels im Funikulus auf gleicher Höhe steht, 
durch ihren feinkörnigen, eigenthümlich lichtbrechenden Inhalt ausge- 
zeichnet sind, zugleich aber eine starke Verquellung ihrer Membran 
zeigen, die der Ausscheidung eines dicken, zähen Schleimes dient 
(Fig. 24 und 255), der an dieser Stelle oft den ganzen Raum zwischen 
der-Samenanlage und der inneren Fruchtknotenwand ausfüllen kann. 
Auch an der Rückseite der Samenanlage, an der Stelle, an welcher 
der Griffelkanal einmündet, findet sich häufig die gleiche Ausbildung 
eines Schleim absondernden Gewebes, das jedenfalls einmal für die 
Leitung des Pollenschlauches von Bedentung gewesen war. 

Von ganz besonderem Interesse, und namentlich für das Ver- 
ständniss verschiedener Eigenthümlichkeiten in der Entwickelung der 
Samenanlage und des Embryosacks von Bedeutung ist die Ausbildung 
des innersten Theiles des Fruchtknotens, den zunächst eine aus grossen 
Zellen bestehende Epidermis gegen die Fruchtknotenhöhle auskleidet, 
namentlich bei G. chilensis und den neusseeländischen Arten, mit 
Ausnahme von G. Hamiltonii. Die unter der Epidermis liegenden 
3—4 Zellreihen zeigen nämlich schon in ziemlich jungen Stadien der 
Samenanlage eine auffallende Differenzirung gegenüber den Zellen der 
übrigen Fruchtknotenwand. Sie erfahren schon sehr frühzeitig eine 
Formveränderung in der Weise, dass ihre Wände sich stark wellen 
(Fig. 24 und 25?) und allmählich verdicken, so dass durch dieses 
Verhalten, das sich mehr und mehr steigert, bewirkt wird, dass die 
ganze Samenanlage zur Zeit der Ausbildung des Eiapparates schon 
von einer festen Masse starker Sklerenchymzellen umgeben ist. Dieser 
Umstand scheint mir mit ein Hauptgrund für die Annahme einer Em- 
bryobildung ohne vorausgegangene Befruchtung zu sein, wie sie in 
jüngster Zeit bei ähnlichen Anomalien in der Bildung des Embryo- 
sacks mehrmals beobachtet wurde, um nur zu verweisen auf die Ar- 
beiten von Murbeck (9) und Juel (10). Ein Pollenschlauch wäre 
daher jetzt nicht mehr im Stande, durch diesen vollständig geschlos- 
senen Mantel von Sklerenchymzellen durchzukommen, man müsste 
denn annehmen, dass hier, wie in anderen Fällen, das Eindringen des 
Pollenschlauches zu einer Zeit erfolgte, in der die Samenanlage mit 
ihrem Eiapparat noch unvollständig entwickelt ist. Dagegen jedoch 
spricht wieder die Thatsache, dass einerseits zu dieser Zeit die Narhen 
wenig eutwickelt, jedenfalls noch nieht empfängnissfähig sind, an- 
derseits das vollständige Fehlen von Pollenschläuchen auf gut aus- 


204 


gebildeten Narben, vor allem aber im Innern des Fruchtknotens, wo 
solche troiz der verschiedenartigsten zur Anwendung gelangten Fär- 
bungsmethoden nicht nachgewiesen werden konnten. 

Aber auch für die Beobachtung der weiteren Entwickelung des 
Embryosacks ist diese Ausbildungsform der Fruchtknotenwand sehr 
binderlich, denn es ist schlechterdings unmöglich, mit dem Messer 
noch durchzukommen. Aber auch ein Herauspräpariren des Nucellus 
ist wegen der Kleinheit der Fruchtknoten, besonders aber wegen des 
innerhalb der harten Umhüllung liegenden weichen Gewebes mit dem 
Embryosack, nicht angängig. Erst im reifen Samen, wenn der Embryo 
fertig ausgebildet und das Endospermgewebe erhärtet ist, gelingt es, 
den Samen von der harten Schale ohne Schädigung zu befreien. 

Glücklicherweise ist bei G. Hamiltonii die Ausbildung der harten 
Fruchtschale nicht so stark ausgeprägt, tritt jedenfalls erst sehr spät 
ein. Es war daher bei dieser Art das weitere Schicksal des Embryo- 
sacks nicht unschwer festzustellen, denn es konnten an ihr selbst bis 
zur Endosperm- und Embryobildung noch leicht alle Schnitte ausge- 
führt werden. Nur fehlten auch bei ihr alle Stadien bis zur Bildung 
des Eiapparats, die aber noch an G. chilensis nachgewiesen werden 
konnten, dann aber merkwürdigerweise die vom fertigen Eiapparat bis zur 
Endospermbildung, so dass also unmöglich dieVorgänge vor derselben und 
das Verhalten der eigenthümlichen Antipoden beobachtet werden konnte. 

Was bisher mit Sicherheit gefunden werden konnte, ist Folgen- 
des: Die Bildung des Embryosacks und die ersten Theilungen des 
Embryosackzellkerns in vier Tochterkerne gehen in normaler Weise 
vor sich, doch möchte ich im Hinweis auf Fig. 23, welche deutlich 
zeigt, dass die Archesporzelle erst in der zweiten unter der Epider- 
mis liegenden Zellschicht auftritt, die Angabe Kellermann’s (7) 
widerlegen, welcher behauptet, dass eine unmittelbar unter der Epi- 
dermis liegende Zelle zur Embryosackmutterzelle wird. 

Von jetzt an jedoch weicht das Verhalten der Theilkerne von 
dem normalen Typus ab. Dieselben wandern nun nicht wie gewöhn- 
lich paarweise nach den beiden Polen des Embryosacks, um sich dort 
weiter zu theilen, sondern ihre Theilungen gehen in der Mitte des 
Embryosacks, an der Stelle, an der ursprünglich der Embryosack- 
mutterkern lag und die ersten Theilungen eingetreten waren, vor sich, 
so dass wir hier sehr bald mindestens acht Kerne dicht aufeinander 
gedrängt wahrnehmen können, Ich betone ausdrücklich mindestens 
acht Kerne, da gewöhnlich ein Theil der Kerne sich mehrmals theilt 
und wir daher zuweilen auch 9-—--10 Theilkerne antreffen (Fig. 26), 


205 


so dass sich in diesem Verhalten eine unverkennbare Aehnlichkeit 
mit den von Campbell (11) und Johnson (12) bei Peperomia be- 
obachteten Theilungsvorgängen im Embryosack kundgibt. Erst jetzt 
tritt eine theilweise Trennung in dieser Zellkernmasse ein, und zwar 
in der Weise, dass zwei Kerne nach den: oberen, zwei nach dem 
unteren Pole des Embryosacks wandern (Fig. 24) und hier nun weitere 
Veränderungen erfahren. Von den beiden nach oben gegangenen 
Kernen schwillt der eine sehr bald bedeutend an und umgibt sich 
mit einer grossen Masse von Protoplasma. Er wird zur Eizelle. Der 
andere jedoch erfährt eine abermalige Theilung, durch die es zur 
Bildung der beiden meist kleinen Synergiden kommt (Fig. 27e, s). 


= I 
ga vZ 


Fig. 26. Junger Em- - ! 
bryosack, die ersten Fig.27. Aelterer Embryo- Fig. 28. Aelterer Embryosack, 


Theilungen des Em- sackmitausgebildetemEi- die Verschmelzung der centra- 
bryosackmutter- apparat. o Eizelle, s Sy- len Kernmasse zum secundären 

kerns in zahlreiche nergiden, a Antipoden, Hmbryosackkern (m) zeigend. 
Kerne zeigend. ce centrale Kernmasse. Bezeichnung wie vor. Fig. 


Weitergehend sind die Veränderungen, die an den beiden nach 
unten abgegebenen Zellen eintreten. Ihr Verhalten erinnert sehr an 
das der Antipoden von Stackhousia, wie es von Billings (18) 
beobachtet wurde, sowie an das der von Campbell (14) untersuchten 
Gattung Sparganium. Es treten nämlich auch hier nochmals unregel- 
mässige Theilungen ein, so dass ihre Zahl auf sechs bis sieben anwächst. 
Mehr als sieben konnte ich niemals finden (Fig. 27a). Gleichzeitig 
mit diesen Vorgängen am Eiapparat und den Antipoden verändert 
sich auch das Bild der in der Mitte des Embryosackes auf einem Haufen 
dicht gedrängt liegenden Kerne, indem sie zu einem einzigen, grossen, 
dem secundären Embryosackzellkern entsprechenden Kerne zusammen- 
schmelzen, denn es konnten mehrmals Stadien beobachtet werden, in denen 
die äusseren Conturen der einzelnen Theilkerne noch deutlich wahrnehm- 
bar waren, in ihren mittleren Theilen jedoch schon deutlich ein Ueber- 
gehen der Masse der einen in die der anderen zu erkennen war (Fig. 28). 


206 


Ueber das Schieksal der Antipoden, sowie das weitere Verhalten 
des secundären Embryosackkerns konnten Beobachtungen nicht an- 
gestellt werden, da bis zur Ausbildung des Embryos und des Endo- 
sperms Zwischenstadien nicht vorlagen. Auffallend jedoch mag es 
erscheinen, dass die Endospermbildung nicht wie gewöhnlich längs 
der Wand des Embryosackes erfolgt, sondern ausschliesslich an seiner 
Basis, so dass es mir nicht unwahrscheinlich ist, dass vielleicht die 
Antipoden in irgend welcher näheren Beziehung dazu stehen. Von 
jetzt an schreitet, ausgehend von der Basis und mit der Ausdehnung 
des Endosperms zunehmend, mehr und mehr auch von den Seiten her, 
das Auflösen der Nucelluszellen und der Integumente fort, bis zur 
vollständigen Aufzehrung derselben auf Kosten des sich stetig ver- 
grössernden Endosperms. Wir finden daher im reifen Samen, der von 
einer harten, aus der oben schon eingehend besprochenen inneren 
Fruchtknotenwand nicht, wie normaler Weise, aus den Integumenten 
hervorgegangenen, Schale umgeben ist, in grosse Massen von Endo- 
sperm eingebettet einen kleinen, herzförmigen Embryo ohne deutlichen 
Embryoträger vor. Das Speichermaterial besteht aus grossen Aleuron- 
körnern, die namentlich durch ihre die ganzen Körner fast vollständig 
ausfüllenden, würfelförmigen Krystalloide besonders auffallen. 

Diese theilweise sehr merkwürdigen Verhältnisse bei der Bildung des 
Embryosackes und des reifen Samens stehen jedenfalls, wie die anatomi- 
schen in innigem Zusammenhang unter einander und mit dem primitiven 
Charakter der Gattung. 


V. Zellgrösse und Grösse der Organe. 

Die riesigen Grössenunterschiede der einzelnen Arten der Gattung 
Gunnera, wie sie z. B. ohne Weiteres klar werden, wenn wir Arten 
wie G. chilensis oder G. manicata mit G. dentata oder G. Hamiltonii, 
oder irgend einer der anderen neuseeländischen Arten mit einander 
vergleichen, und wie sie sonst nur bei wenig anderen Gattungen 
vorkommen, gaben mir Veranlassung, der Frage nahe zu treten, in 
welcher Beziehung die Grössenverhältnisse einzelner Organe zu den 
sie zusammensetzenden Zellen bei den verschiedenen Arten stehen, 
und vor Allem zu entscheiden, ob die Grössenunterschiede nur durch 
die Zahl oder aber durch die Grösse der Zellen hervorgerufen werden. 

Es liegen hierüber Untersuchungen vor von Amelung (15). Dieser 
legt das Hauptgewicht allerdings mehr darauf, die Beziehungen zwischen 
verschieden grossen Organen ein und derselben Pflanze festzustellen 
und führt nur vereinzelte Beispiele verschieden grosser Vertreter der- 


207 


selben Familie, jedoch nicht der gleichen Gattung an. Dabei kam 
er zu dem interessanten Schlusse, dass „verschieden grosse Organe 
gleicher Art desselben Pflanzenindividuums aus Zellen von gleicher 
oder nahezu gleicher Grösse bestehen“. Darnach schien es nieht unwahr- 
scheinlich, dass sich dieser Satz vielleicht auch auf gleichartige Or- 
gane verschieden grosser Arten derselben Gattung ausdehnen lasse. 

In diesem Sinne wurden daher Zellmessungen an gleichartigen 
Organen bei den neuseeländischen Arten angestellt, die dann auf die 
südamerikanischen G. lobata und G. magellanica und als grössten 
Vertreter schliesslich noch auf G. chilensis ausgedehnt wurden. Die- 
selben wurden in ähnlicher Weise vorgenommen, wie es von Ame- 
lung geschehen war, indem auf mehreren, an entsprechenden Stellen 
geführten Querschnitten gleichartiger Organe die auf einer bestimmten 
Fläche getroffenen Zellen gezählt wurden, worauf dann durch Division 
dieser Zahl in die ihrem Inhalt nach genau bekannten Gesammtfläche, 
eine „mittlere Zellgrösse“ erhalten wurde. Die Resultate der Messungen 
soll die folgende Tabelle an G. Hamiltonii und G. dentata, als dem 
kleinsten und grössten Vertreter der neuseeländischen Arten, ferner 
G. magellanica für die südamerikanischen kleinen und G. chilensis 
als grössten Vertreter der Gattung veranschaulichen, da dieselbe mehr 
sagt als viele Worte. Die Zahlen beziehen sich, wenn nichts weiteres 
angegeben, auf den mittleren Durchmesser der betreffenden Zellen. 


Untersuchte Organe je. Hamiltonii| G. dentata @. magellan. ! '@ chilensis 


a) Blatt. 
Blattfläche ca. . 150 qmm 418 qmm 1650 qmm | 350 000 qmm 
Epidermisziln., Obers. 71,431 75,761 75,76 u 73,534 

Unters. 83,33 1 96,15 1 92,59 u 89,29 1. 

Spaltöffnungen . . 1401.1g.,401 br.j401.1g.,804 br. 351 1g.,25u br.|401 1g.,30p br. 
Wasserspalten . 35u1g.,85u br.32111g.,804 br. 251. 1g.,25u br./30p1g.,30u br. 
Zahl d. Spaltöffngn. auf | 
gleicher Fläche, Oberes. 7 8 7 0 
Unterseite . 8 8 7 10 

b) Blattstiel. 
Länge . 10mm 30 mm 60mm 1000 mm 
Durchmesser . 1,0 mm 1,5mm 1,4mm 35mm 
Grundgewebez. . . 108,69 u 138,384 83,34 227,27 4 
Weite der Gefässe 13u 231 9a 5 

c) Wurzel. 
Durchmesser . 0,95 mm 0,9mm 0,85 mm 18mm 
Grundgewebez. . 65,79 u 39,68 4 30,49 u 138,88 mm 
Weite der Gefässe 231 25u 15u 55% 


Daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass im Allgemeinen grosse 
Differenzen nicht bestehen und dass namentlich im Blatte die Ueber- 
einstimmung eine vollständige ist. Wenn auch bei G. chilensis im 
Blattstiel bei einem 35mal grösseren Durchmesser und in der Wurzel 


208 


einen nahezu 20mal so grossen wie bei G. Hamiltonü der Durch- 
messer der Grundgewebezellen ungefähr doppelt so gross ist wie bei 
letzterer und die Gefässe zwei- bis viermal so weit sind, so sind das 
doch Differenzen, die im Vergleich zu den Grössenunterschieden der 
betreffenden Organe nicht in Betracht kommen können. Wir dürfen 
daher mit Recht behaupten, dass die Grösse gleichartiger Organe bei 
den grossen und kleinen Gunneraarten ausschliesslich durch die Zahl 
ihrer Zellen bedingt wird und der von Amelung (15) aufgestellte 
Satz kann infolge dessen dahin erweitert werden, dass er lautet: 
„Verschieden grosse Organe gleicher Art desselben Pflanzenindividu- 
ums, sowie gleichartige Organe verschieden grosser Arten derselben 


Gattung bestehen aus Zellen von gleicher oder nahezu gleicher Grösse“. 
* * 
* 


Zum Schlusse sei es mir noch gestattet, meinem hochverehrten 
Lehrer und Vorstande, Herrn Professor Dr. Goebel, in dessen 
Laboratorium die Arbeit ausgeführt wurde, für die Ueberlassung des 
reichen Materials und die Anleitung bei Anfertigung derselben meinen 
verbindlichsten Dank auszusprechen. Zu Dank verpflichtet bin ich 
auch Herrn Dr. Neger für das mir gütigst zur Verfügung gestellte 
Herbarmaterial der südamerikanischen Arten. 


Litteratur. 
. A.Engleru.K.Prantl,Dienat, Pfanzenfamil.,III, Th. Abt.7,Halorrhagidaceae. 
. J. Reinke, Untersuchungen über die Morphologie der Vegetationsorgane von 
Gunnera. Morphologische Abhandlungen. Leipzig 1873. 

3. Th. Kirk, Flora of New-Zealand. Wellington 1899. 

4. P. Merker, Gunnera macrophylla Bl. Flora 1889. 

5. W. Berekholtz, Beiträge zur Kenntniss der Morphologie und Anatomie von 
Gunnera manicata Linden. Bibliotheca botanica 1891, Heft 24. 

6. Ph. Van Tieghem et H. Douliot, Sur la Polystelie. Ann. d, Sciences. 

nat. Bot. 7. Serie, Tome III. 18886. 
- WA. Kellermann, Die Entwickelungsgeschichte der Blüthe von Gunners 
chilensis Lam. Inaugural-Dissertation, Zürich 1881, 

8. N: Zinger, Beiträge zur Kenntniss der weiblichen Blüthen und Infloreoenzen 
bei Cannabineen. Flora 1898. 

9. Lv. Murbeck, Parthenogenetische Embryobildung in der Gattung Alchemilla. 
Lunds Univ. Arsskrift. Ad. 36, Afd II n. 7. Kongl. Fysiografisca Säl- 
skapets Handlinger, Bd. 11, Nr. 7, 1901. 4. 

10. 0. H. Juel, Vergleichende Untersuchungen über typische und parthenogene- 
tische Fortpflanzung bei der Gattung Antennaria, Kong]. Sven-ke Veten- 
skaps Akademiens Handlinger. Vol. 34, Nr. 5, 1900. 4. 

11. D. H. Campbell, Die Entwickelung des Embryosackes von Peperomia pellu- 
eida Knuth. Ber. d. d, bot. Ges. 17. . 

12.D.8. Jobnson, On the Endosperm and Embryo of Peperomia pellucida. 
Bot. Gazette. 1900. XXX. 

13. F. H. Billings, Beiträge zur Kenntniss der Samenentwiekelung. Flora 1901. 

14. D. H. Campbell, Notes on the structure of the Embryosac in Sparganıum 
and Lysichiton. Bot. Gazette. Vol. XXV. 

15. E. Amelung, Ueber mittlere Zellgrössen. Flora 1898, 


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Flora 90. Band, 1901. 


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Flora 90. Band, 1901. 


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N. 6. Eiwert’sche Verlagsbuchhandlung, Bern & 


In unserem Verlage erschien: 


Pflanzenbiologische Schilderungen 


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Physiologische Notizen. 


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: herausgegeben und, bevorwortet von 
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Druck von Val Höfling, München, Lämmerstr. 1. 


FLORA 


ODER 


ALLGEMEINE BOTANISCHE ZEITUNG. 


FRÜHER HERAUSGEGEBEN 
VON DER 


KGL. BAYER. BOTANISCHEN GESELLSCHAFT IN REGENSBURG. 


Inhalt: 


. 


90. BAND. — JAHRGANG 1902. 


HERAUSGEBER: Dr. K. GOEBEL 


Professor der Botanik in München, 


Heft II mit 2 Tafeln und 45 Textfiguren. 


Erschienen am 30, Januar 1902, 


4 
M. GOLENKIN, Die Mycorrhiza-ähnlichen Bildungen der Marchantiaceen 
F. W. NEGER, Beiträge zur Biologie der Erysipheen (2. Mittheilung) 


Dr. G. TISCHLER, Ueber die Bildung von „verjüngten“ Stämmchen bei altern- 


den Weiden . . . .. . 

K. GOEBEL, Morphologische und biologische Bemerkungen. 11. Ueber Homo- 
logien in der Entwickelung männlicher und weiblicher Geschlechtsorgane 

FRIEDRICH STOLZ, Zur Biologie der Laubmoose 

G. KARSTEN, Ueber die Entwickelung der weiblichen Blüthen bei einigen 
Juglandaceen . . . 20. on . 

Dr. J, W. MOLL, Das Hydrosimeter 

Dr. HOLZNER, Die äussere Samenhaut der deutschen Drossera- Arten 

— — Die Caruncula der Samen von Polygala . . 

LITTERATUR: Dr. With. Breitenbach, Gemeinverständliche darwinistische 
Vorträge und Abhandlungen. — Bulletin du jardin imperial botanique 
de St. Petersbourg. — C. Correns, Bastarde zwischen Maisrassen mit 
besonderer Berücksichtigung der Xenien. — Prof. Dr. K. W. v. Daila 
Torre und Ludwig Graf v. Sarntheim, Flora der gefürsteten Grafschaft 
Tirol, des Landes Vorarlberg und des Fürstenthums Liechtenstein. — R. 
v. Fischer-Benzon, Die Flechten Schleswig-Holsteins. — Dr. E. Fischer, 
Flora helvetica 1530-1900. — Dr. G. Haberlandt, Sinnesorgane im Pflanzen- 
reich zur Reception mechanischer Reize. — E. de Haläcsy, Conspectus 
Florae Graecae. — Robert Hartig, Holzuntersuchungen, Altes und Neues. 


— Dr. W. Köppen, Versuch einer Classification der Klimate. — P. Kummer, 


Der Führer in die Lebermoose und die Gefässkryptogamen. — Dr. Franz 
Karl Müller, Geschichte de: organischen Naturwissenschaften im 19, Jahr- 
hundert. — Alfons Paulin, Beiträge zur Kenntniss der Vegetationsverhältnisse 


Krains. — Franz Thonner,' Excursionsflora von Europa. — J. Wiesner, 
Biologie der Pflanzen. — Georg Worgitzky, Blüthengeheimnisse . . 
MARBURG. 


. Seite 209—220 


„ 221—272 
273-278 
"„ 279-305 
n» 305-315 
„ 316-333 
n„  334—342 
n  342—343 
m 393—344 
„345348 


N. G. ELWERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG. 


1902. 


: Su Hierzu zwei Beilagen der Verlagsbuchhandlungen von Eduard Kummer 
in Leipzig und von Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Auf dieselben sei be- 
sonders hingewiesen. . 


Bemerkung. 
Das Honorar beträgt 20 Mk. pro Druckbogen, für die Litteraturbesprechungen 
30 Mk. Die Mitarbeiter erhalten 30 Sonderabdrücke kostenfrei. Wird eine 
grössere Anzahl gewünscht, so werden für Druck und Papier berechnet: 
Für 10 Exemplare pro Druckbogen Mk. 1.20; pro einfarb. einfache Tafel Mk. —.30 


» 20 ” ” ” ” 2.50 n ” » ” ” —.60 
„ 30 » ” ” ” 3.80 „ n ” ” „0 
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r ” » 

Dissertationen und Abhandlungen systematischen Inhalts werden nicht hono- 
rirt; für solche, die umfangreicher als 4 Bogen sind, werden nur 4 Bogen honorirt; 
die Kosten für Abbildungen und Tafeln hat bei Dissertationen der Verfasser zu 
tragen. Da bei diesen von der Verlagshandiung nur die Herstellungskosten be- 
rechnet werden, so muss dieselbe Baarzahlung nach Empfang zur Voraussetzung 
machen. Bei fremdsprachlichen Manuskripten hat der Verfasser die Kosten der 
Uebersetzung zu tragen. Correeturentschädigungen, die von der Druckerei für 
nicht verschuldete Correcturen in Anrechnung gebracht werden, fallen dem Ver- 
fasser zur Last. Die Zahlung der Honorare erfolgt nach Abschluss eines Bandes. 

Der Bezugspreis eines Bandes beträgt 20 Mark. Jedes Jahr erscheint ein 
Band im Umfang von mindestens 80 Druckbogen und zahlreichen Tafeln. Nach 
Bedürfniss schliessen sich an die Jahrgänge Ergänzungsbände an, welche be- 
sonders berechnet werden. 

Manuskripte und Litteratur für die „Flora* sind an den Herausgeber, 
Herrn Prof. Dr. Goebel in München, Friedrichstrasse 17/1 (vom 15. März an 
Luisenstrasse 27/1), zu senden, Correoturen an die Druckerei von Val. Höfling, 


München, Lämmerstrasse 1. Alle geschäftlichen Anfragen etc. sind an die 
unterzeichnete Verlagshandlung zu richten, 


N. G. Elwert’sche Verlagsbuchhandlung 
Marburg (Hessen-Nassau). 


DE GE 


Die Mycorrhiza-ähnlichen Bildungen der Marchantiaceen. 
Von 
M. Golenkin. 


Hierzu Tafel XI. 


In den Berichten d. d. bot. Ges. (Bd. XVII, 1899, pag. 311) ist 
eine Arbeit von Bohumil Nemec erschienen, in welcher eine 
Mycorrhiza bei den Jungermanniaceen beschrieben wird. Die höchst 
eigenthümliche Ausbildung der Hyphen dieser Mycorrhiza und beson- 
ders die experimentellen Untersuchungen des Verfassers verleiten da- 
zu zu glauben, dass hier wirklich ein Fall eines Zusammenlebens vor 
uns liegt. Der Verfasser fand die Mycorrhiza zuerst bei Calypogeia 
trichomanes, entdeckte sie aber später bei den meisten von ihm unter- 
suchten Jungermanniaceen. Er konnte auch sehr wahrscheinlich 
machen, dass die Mycorrhiza in näherer Beziehung zu einer Pezizee 
(Mollisia Jungermanniae) stehe. Noch vor Nemec hat Goebel (IIH 
eonstante Pilzinfeetion bei Treubia insignis und einer Lepidozia, so- 
dann Janse (I, pag. 57) eine Mycorrhiza bei den javanischen Junger- 
manniaceen (Zoopsis u. a.) gefunden, die aber ganz von der euro-. 
päischen verschieden zu sein scheint. 

Es lag für Nemec sehr nahe, nach einer Mycorrhiza auch bei 
den nahe verwandten Marchantieen zu suchen, jedoch konnte er an 
den von ihm untersuchten einheimischen Marchantieen eine solche nicht 
finden. Leider erwähnt Nemee nicht, welche einheimischen Marchan- 
tiaceen er untersucht hat. 

Dieses verschiedene Verhalten der beiden Lebermoosgruppen zu 
den Mycorrhizen sucht Stahl (I) für seine theoretischen Vorstellungen 
über den Sinn der Mycorrhizenbildung zu verwerthen. Nach Stahl’s 
Auffassung des Nutzens der Mycorrhizenbildung muss das Hauptge- 
wicht auf die Concurrenz um die Nährsalze zwischen den mycotrophen 
und den autotrophen Pflanzen, insbesondere aber den Pilzen, gelegt 
werden, Stahl hat versucht zu zeigen, dass zu den mycotrophen 
Pflanzen solche mit geringer Wasserdurchströmung gehören und dass 
die Pilzsymbiose diesen Pflanzen helfen soll, den Mangel von Nähr- 
salzen durch Ausbeute von nährsalzreichen Hyphen zu ersetzen. Als 
leichtes Merkmal für Pflanzen mit niedriger Wasserökonomie kann, 
mit gewissen Ausnahmen, das Fehlen von Stärke in den Blättern ver- 
wendet werden, im Gegensatz zu den reich mit Wasser und also mit 
Nährsalzen versorgten Pflanzen, die grössere Mengen von Stärke im 


Blattparenchym zu speichern im stande sind. Von diesem Stand- 
Flora 1902, 14 


210 


punkte aus stellen die Befunde von Nemeec für Stahl sehr er- 
wünschte und beweisliche Beispiele, und er sagt auf pag. 567 seiner 
Arbeit!): „Beim Vergleich der Angaben von Nemec über die Ver- 
breitung der Mycorrhizen bei den Bryophyten — Vorhandensein der- 
selben bei foliösen Jungermanniaceen, ihr Fehlen bei den mit diesen 
vergesellschafteten Laubmoosen und den Marchantiaceen — mit 
unseren eigenen Beobachtungen über Vorkommen oder Abwesenheit 
von Stärke in den assimilirenden Zellen dieser Gewächse, ergibt sich 
die überraschende Thatsache, dass die Pilzsymbiose bei den zucker- 
blättrigen Jungermanniaceen sehr verbreitet zu sein scheint, im Gegen- 
satz zu den ‚stärkeblättrigen‘ Marchantiaceen, bei welchen sie Nemee, 
wie auch bei Laubmoosen bisher hat nicht nachweisen können. So 
viel bis jetzt bekannt, sind es also ‚zuckerblättrige‘ Jungermannia- 
ceen mit geringer Wasserdurchströmung, welche in die Pilzsymbiose 
eingehen, während die stärker verdunstenden Marchantiaceen mit 
ihrer hoch entwickelten Wasserökonomie derselben ermangeln*. 

Es ist mir nicht gelungen, aus den Angaben von Stahl zu ersehen, 
ob er selbst nach Mycorrhiza bei den Marchantiaceen gesucht hat. 

Bei meinen experimentellen Untersuchungen über die Abhängig- 
keit der inneren Structur der Lebermoose von den äusseren Einflüssen 
bin ich auf das stetige Vorhandensein von Pilzhyphen bei einigen 
Marchantiaceen gestossen, die überraschende Aehnlichkeit mit der 
endotrophen Mycorrhiza einiger höherer Pflanzen zeigten. Zuerst 
fand ich diese Pilzhyphen bei Preissia commutata, und zwar an Al- 
koholmaterial, welches von meinem Freunde W. Arnoldi bei 
München gesammelt und mir liebenswürdig zur Untersuchung über- 
geben wurde. Ganz dasselbe Verhalten und dieselben Pilzhyphen 
zeigte die im Moskauer bot. Garten schon seit Jahren cultivirte Preissia?) 
und dann zwei Marchantien — M. palmata und paleacea. Die beiden 
letzten Formen werden in Moskau schon seit 3—4 Jahren cultivirt 
und ist M. paleacea, so weit ich mich erinnere, aus München bezogen 
worden. Die äussere Tracht der drei Formen ist sehr verschieden, 
die Ausbildung des interstitienlosen Gewebes dagegen vollkommen 
ähnlich. Dieses Gewebe ist schon von Goebel (I) für Preissia 
näher beschrieben worden, der hier eigenthümliche sklerenchymatische 
Zellen fand, die auch bei beiden Marchantien ebenso entwickelt sind. 
Auch Leitgeb (I, pag. 106) widmete dem interstitienlosen Gewebe 


Die. 


2) Von wo diese Preissia abstammt, ist mir nicht bekannt, jedenfalls ist die 
Pflanze jahrelang in Cultur. 


211 


von Preissia einige Zeilen. Dabei erwähnt Leitgeb, dass schon 
Gottsche und Schleiden in den Zeilen von Preissia Pilzhyphen 
entdeckt haben, die sie für das Gefässsystem dieser Pflanze hielten. 
Die Pilznatur dieser Gebilde wurde von Schacht im Jahre 1854 
und von Gottsche selbst im Jahre 1858 erkannt. An den nicht 
publieirten Abbildungen von Gottsche, die Leitgeb zu sehen 
Gelegenheit hatte, sollen diese Pilzhyphen vollkommen deutlich sein. 
Weder aus der Beschreibung von Goebel, noch aus den Angaben 
von Leitgeb konnte ich einsehen, ob sie die eigenthümlichen Zonen 
mit purpurnen oder rothvioletten Zellen gesehen haben, die in jedem 
Thallus von Preissia vorhanden sind, und ob sie diese nach meinen 
Untersuchungen nie fehlenden Pilzhyphen fanden. Goebel erwähnt 
zwar die auch von Leitgeb citirte Notiz von Gottsche, welcher 
in seinen anatomisch - physiologischen Untersuchungen über Haplo- 
mitrium Hookeri (Nova acta Leopold. Carol. XX, 1843, pag. 291) sagt, 
in der violetten Zellschicht von Preissia (die Wände der Parenchym- 
zellen der Marchantien sind häufig violett gefärbt) finde sich ein ver- 
zweigtes Gefässsystem, das sich mannigfach hin und her schlängele, 
durch die Zellen und deren Wände gehe und mit grösseren Reservoirs 
in Verbindung stehe, welche fast eine Zelle ausfüllen und in einer 
glasartigen Haut eine Menge grösserer und kleinerer Körner ent- 
halten.!) Goebel sagt aber, dass diese Notiz von G ottsche absolut 
nicht in Einklang mit den Thatsachen zu bringen sei und scheint 
nichts von dem, was Gottsche gesehen zu haben vorbringt, bemerkt 
zu haben. Dagegen kann ich diese Angabe von Gottsche und auch 
die über das Verhalten der „Reservoirs“, die eine Zeit lang voll von 
Körnern sind und sich dann entleeren, wie aus meiner Darstellung 
einzusehen sein wird, nur bestätigen. 

Nachdem ich bei den drei genannten Marchantien die Pilzhyphen 
entdeckt hatte, suchte ich sie auch bei anderen Marchantien und fand 
sie sehr verbreitet bei Fegatella conica, sowohl in cultivirten, als auch 
in wilden, bei Moskau wachsenden Lagern, ausserdem, aber nicht so 
charakteristisch entwickelt, bei Targionia hypophylla (aus Innsbruck) 
und bei Plagiochasıma elongatum (aus Java). 

Dagegen erwiesen sich Marchantia polymorpha (wild und eult.), 
Lunularia (eult.), Fimbriaria Stahliana, Blumeana, Lindenbergiana, 
Plagiochasma rupestris, Aitonia, italicum, Reboulia hemisphaerica, Du- 
mortiera sp., Grimaldia dichotoma, Clevea Rousseliana, Corsinia mar- 
chantioides, Oxymitra pyramidata, Rieeia Bischofii, glauca, ciliate, 


1) Goebel, I, pag. 533, 
14* 


212. 


Auitens-terrestris, Riceiocarpus natans-terrestris (alle eultivirt) voll- 
kommen pilzfrei. 

Beachtenswerther Weise ist die Structur der Pilzphyphen, die 
Art und Weise, wie sie in die Zellen des Gewebes der genannten 
Marchantiaceen eindringen und wie sie sich in denselben umändern, 
bei allen Marchantien dieselbe ; nur ist die Vertheilung der pilzführenden 
Zellen bei Fegatella Torgionia und Plagiochasma etwas verschieden 
von der übrigen. Die Pilzzellen sind streng localisirt und beachtens- 
werther Weise haben gerade sie rothviolette Zellenwände; sie bilden 
in den Lagern von Preissia und Marchantia zwei Längsstränge zu 
beiden Seiten der Mittelrinne, bei Fegatella nur einen Strang. Darum 
sieht man auf dem Querschnitte durch die ersten Formen zwei an- 
nähernd ovale Felder von rothvioletten Zellen (Fig. 1, Taf. XD, in 
welchen und ausserhalb welcher die oben erwähnten Sklerenchym- 
fasern liegen; auf dem Querschnitte durch die alten Thallustheile von 
Fegatella sieht man dagegen einen Ring von braunvioletten Zellen 
um die farblosen Zellen der Mittelrinne, zwischen welchen die sehr 
grossen Schleimzellen besonders scharf hervortreten. Bei Plagiochasma 
und Targionia bilden die pilzführenden Zellen eine einzige, der unteren 
Epidermis parallele Zone. 

Ain typischsten und am schönsten sind die Pilzhyphen bei Preissia 
und bei den Marchantieen ausgebildet, weswegen ich zuerst diese Ge- 
bilde bei ihnen beschreiben werde. 

Der Inhalt der rothvioletten Zellen erscheint bei schwacher Ver- 
grösserung gelblich grau, aber schon bei Zeiss D/2 sieht man voll- 
ständig gut. Pilzhyphen, die theils quer durchschnitten sind, theils parallel 
der Schnittfläche sich schlängeln (Fig. 2). An Längsschnitten durch pilz- 
führendes Gewebe sieht man, dass seine Zellen länglich ausgestreckt 
sind und mehr oder weniger verdickte und gefärbte Zeilwände haben, 
an welchen man zahlreiche, verschieden grosse, meist ovale Poren 
erblickt, wie solche für verschiedene Marchantien, z. B. Fegatella, 
schon längst beschrieben sind (vgl. Goebel, I). Die verdickten und 
pilzführenden Zellen sind an wachsenden Thallomen von Preissia, 
Marchantia (und Targionia) ungefähr 3mm von der Thallusspitze ent- 
fernt, bei Fegatella ungefähr 1om und mehr. Nach oben geht diese 
Zellenehicht bis zu den chlorophylihaltigen Zellen, die den Boden 
der Luftkammern bilden, und von welchen die assimilirenden Zell- 
fäden derselben ausgehen. In diese chlorophyllhaltigen Zellen gehen 
die Pilzbyphen niemals hinein, wenigstens konnte ich solches Ein- 
dringen niemals beobachten, auch wenn die Zellen absterben. Von 


218 


unten und von beiden Seiten sind die Pilzzellen von den Zellen des 
interstitienlosen Gewebes umschlossen, welche gewöhnlich voll von 
grossen Stärkekörnern sind und auch Chlorophyllikörner besitzen. Da- 
gegen sind Stärke und Chlorophylikörner in alten pilzführenden Zellen 
niemals zu finden; sie enthalten nur Plasma und Zellkerne, die leicht 
auch an lebenden Zellen mit Hilfe des Weigert’schen Picrocarmin 
zu constatiren sind. Die oben erwähnten charakteristischen Sklerenchym- 
fasern liegen zerstreut theils in der Pilzchicht, theils ausserhalb derselben. 
Sie sind, ebenso wie die $chleim- und Oelkörperzellen, stets pilzfrei- 

Untersucht man stark wachsende, frische Lager auf der Ober- 
fläche parallelen Längsschitten, die bis zu den jüngsten Theilen gehen, 
so kann man leicht die Art und Weise, wie der Pilz in noch nicht 
infieirte Zellen gelangt, finden und Schritt für Schritt die Verände- 
rungen sowohl des Inhaltes der angegriffenen Zellen als auch der 
Hyphen des Pilzes selbst beobachten. Ungefähr 5mm von der Thallus- 
spitze sind bei Preissia und Marchantien die Thalluszellen schon voll- 
kommen ausgebildet und man sieht, dass die innersten Schichten des 
interstitienlosen Gewebes die charakteristischen Verdickungen der 
Wände erhalten haben und sich dadurch von den übrigen Zellen 
dieses Gewebes scharf abgrenzen. Sie sind plasmareich und voll mit 
Stärke gefüll. Nach einigem Suchen kann man in solchen Zellen 
einzelne Pilzhyphenenden finden, die zu eins bis zwei stets durch die 
Poren der Zellen durchdringen. Sehr schöne Bilder bekommt man, 
wenn man frische Schnitte in sehr verdünnte Hämatoxylinlösung legt, 
wobei die Hyphenwände sich schön blau färben und so sehr leicht zu 
beobachten sind. Die Pilzhyphen sind glattwandig, einfach, ohne 
Querwände, plasmareich und gehen von Zelle zu Zelle, ganz ent- 
schieden dem Wachsthum des Thallus folgend. Nicht alle Hyphen- 
enden wachsen aber gerade von Zelle zu Zelle, einige scheinen nicht 
im Stande zu sein, die Zellwand zu durchbohren; sie bleiben in der 
besetzten Zelle und fangen an sich zu schlängeln, wodurch am Ende 
ein mehr oder weniger grosser Pilzknäuel entsteht. An solchen Pilz- 
hyphen ist es mir mehrfach und bei allen Marchantieen gelungen, 
die Querwände und Zellpfropfen zu finden (Fig. 6 u. 7). 

Ganz dieselben Bilder sind auch bei Fegatella und Plagiochasma 
zu finden, nur dass die infieirten Zellen erst lem vor der Thallus- 
spitze vorkommen. 

Betrachtet man die pilzfreien und die vom Pilze besetzten Zellen 
des Thallus, so bemerkt man zugleich, dass der Inhalt dieser Zellen 
sich verändert; Stärke verschwindet gänzlich und vom Plasma be- 


214 


merkt man auch gar nichts; an fixirten und gefärbten (Picrocarmin, 
Hämatoxylin) Präparaten kann man jedoch sehen, dass eine dünne 
und homogene Plasmaschicht an den Wänden der Zelle geblieben ist 
und in ihr ein Zellkern sich findet. Ausser solchen knäuelbildenden 
Pilzhyphen findet man auch andere, aus welchen bald nach ihrem 
Eindringen in die Zellen sehr dünne und dünnwandige Schläuche 
auswachsen. Dieselben besitzen sich verschleimende Wände und 
bilden um die grosse Hyphe auch einen Knäuel, in welchem aber 
zuletzt die einzelnen Hyphen gar nicht zu unterscheiden sind (Fig. 8, 9). 
Auch in solchen Zellen konnte ich mit Hilfe von Weigert's Piero- 
carmin wandständiges Plasma und Zellkern finden (Fig. 10). Die 
Schleimknäuel bleiben nieht unverändert; in den älteren, absterbenden 
Theilen des Thallus werden sie gelber und glänzender und sterben 
ganz bestimmt ab, dagegen bleiben Plasma und Zellkern der Leber- 
mooszelle die ganze Zeit erhalten, bis der Thallus ganz abgestorben ist. 

Zwischen solchen Zellen mit absterbenden Schleimknäueln bemerkt 
man Zellen, in welchen die einzelnen Hyphen stark kugelig anschwellen. 
Der Inhalt der kleineren Anschwellungen ist trübgrau, in den grösseren, 
welche manchmal den ganzen Zellraum ausfüllen und sehr derbwan- 
dig sind, sieht man grosse, gelbe, stark glänzende Kugeln, die sehr 
an Öeltropfen erinnern und in der That mit Osmiumsäure schwarz 
werden und leicht in Xylol sich lösen (Fig. 12). 

An Längs- und Querschnitten aus alten, schon absterbenden 
Theilen des Thallus kann man sehen, dass der Pilz grösstentheils zu 
Grunde gebt: die Pilzhyphen sind entweder leer oder mit Plasma- 
resten erfüllt; von den Schleimknäueln findet man gar nichts und die 
Anschwellungen sind grösstentheils auch leer (Fig. 18—14). Jedoch 
bleiben einige Anschwellungen auch in ganz abgestorbenen und braunen 
Thallustheilen mit Inhalt und müssen also auf die Erde fallen, wenn 
die Zellen des Lagers verwittern; ihr weiteres Schicksal zu verfolgen, 
ist mir nicht gelungen. 

Aus der Figur I sieht man, dass die Zone der pilzhaltigen Zellen 
nicht bis zu der unteren Epidermis geht; aber sowohl an Quer- als 
auch an Längsschnitten kann man sehen, dass einige Pilzhyphen ge- 
rade nach unten gehen und in viele, jedoch nicht in alle, soweit ich 
bestimmen konnte, nur in glatte Rhizeiden eindringen (Fig. 15). Um 
zu bestimmen, ob die Pilzhyphen in den Rhizoiden bleiben oder aus- 
treten, habe ich ganze Lager mit Erde in Wasser gelegt und vor- 
sichtig die Erde mit dem Pinsel entfernt. Legt man solche Thallome 
auf den Objectträger in einen Tropfen Wasser, so findet man ziemlich 


215 


leicht noch unversehrte Rhizoidenenden, aus welchen die Pilzhyphen 
heraustreten (Fig. 16). Interessant ist, dass man gar nicht in den 
Rhizoiden solehe Hyphenknäuel findet, wie sie sowohl von Janse 
(l.e. Fig. 1 Taf. XV) als auch vonNemec abgebildet und beschrieben sind. 

Wie gesagt, dringen die Pilzhyphen niemals in die chlorophyli- 
haltigen Zellen des Bodens der Kammern ein, obgleich sie dicht bis 
zu ihnen gehen. Irgendwelche Haustorien oder Fortsätze der Hyphen 
in diese Zellen habe ich auch nicht bemerken können. Ebenso sah 
ich die Pilzhyphen niemals weder in die Inflorescenzstiele noch in 
die Brutknospenbehälter eindringen. Sporogonien, resp. Sporen, und 
Brutknospen erwiesen sich auch stets pilzfrei. Es ist darum klar, 
dass die Infieirung mit dem Pilze erst nach der Keimung der Sporen 
oder Brutknospen stattfinden kann. 

Bei den übrigen Lebermoosen scheinen die Pilzhyphen die- 
selben Formen auszubilden. Bei Fegatella sind die Verhältnisse 
ganz dieselben, wie bei Preissia und Marchantia, bei Plagiochasma 
und Targionia habe ich die blasenartigen Gebilde nicht finden können. 

Jetzt müssen wir versuchen, die Frage zu beantworten, mit wel- 
chem Pilze wir es zu thun haben: mit einem einfachen Parasiten oder 
nit einem wirklichen Mycorrhizenpilz. Vollkommen gut ausgebildete 
morphologische Merkmale, welche mit Sicherheit auf die symbiotischen 
Verhältnisse zeigen würden, liegen hier gewiss nicht vor. Ander- 
seits kann man sterile Pilzhyphen an alten absterbenden Theilen von 
allen, als pilzfrei genannten Lebermoosen finden. Diese Hyphen 
dringen aber niemals so weit in das lebendige Gewebe der Lebermoose 
ein, oder wenn sie eindringen, so veranlassen sie die Bräunung des 
Zellinhaltes. Dagegen schadet die Anwesenheit der beschriebenen 
Pilzhyphen den oben genannten Lebermoosen gar nicht. Dies zeigt 
schon der Umstand, dass ich an wilden, über und über mit Inflores- 
cenzen besetzten Preissia-Lagern keinen einzigen fand, der nicht mit 
Pilzhyphen infieirt gewesen wäre, und doch waren die Sporangien und 
Sporen ganz vollkommen entwickelt. Ganz ebensolches Verhalten zeigten 
Marchantia palmata, 'Targionia und Fegatella. Pilzfrei waren einige ge- 
rade nicht fructifieirende Exemplare; dagegen waren die mächtigen oft 
bis 10cm langen weiblichen Lager von Fegatella, die an jedem Seiten- 
zweige einen weiblichen Stand trugen, stets pilzhaltig. Marchantia pa- 
leacea fructificirte bei uns bis jetzt zwar nicht, aber die verpilzten 
Lager entwickeltelten viele Antheridienstände und waren über und 
über mit Brutkörhehen bedeckt. Auch das Aussehen der verpilzten 
Lager selbst ist gar nicht so, dass man meinen Könnte, sie leiden 


216 


von einem Parasiten: es waren stets die am stärksten entwickelten 
und am frischesten aussehenden. Gegen den Parasitismus spricht 
auch die grosse Verbreitung der verpilzten und doch fructificirenden 
Lager der genannten Marchantiaceen. Es erwiesen sich alle bei 
Moskau vorkommenden und vom Kaukasus gebrachten Fegatella- 
Lager pilzhaltig, ebenso alle Exemplare von Preissia, Fegatella und 
Targionia aus Gottsche und Rabenhorst „Hepaticae europeae“. 
Dieselben stammen aus verschiedenen Ländern Europas und ist es 
mir darum ganz unverständlich, wie solch ausgezeichnete Beobachter 
wie Leitgeb und Goebel und der neueste Monograph Stephani, 
der so eingehend die anatomischen Verhältnisse der Lebermoose be- 
schreibt, die Anwesenheit der Pilzhyphen übersehen konnten. Vielleicht 
liegt der Grund davon darin, dass diese Beobachter ihre Aufmerksam- 
keit hauptsächlich auf die jüngsten Theile der Lager lenkten, wo nur 
einzelne Hyphen vorkommen. 

Man sieht hieraus, dass der Pilz den befallenen Lebermoosen 
jedenfalls nicht schadet. Schwerer ist zu beantworten, ob und welchen 
Nutzen die Lebermoose aus diesem Zusammenleben bekommen. Ver- 
gleicht man die pilzfreien, wie solche manchmal vorkommen, und die 
infieirten Lager auf Längsschnitten, so bemerkt man sogleich, dass 
erstens die Zonen der rothvioletten und porenhaltigen Zellen auch in 
pilzfreien Lagern entwickelt sind, und zweitens, dass diese Zellen 
bei pilzfreien Lagern voll mit Stärkekörnern ausgefüllt sind. Man 
kann also nicht sagen, dass diese rothvioletten Zeilen specielle „Pilz- 
zellen“ sind, wie solche bei höheren Pflanzen angegeben werden, 
sondern es sind einfache Reservestoffzellen, in welche der Pilz ein- 
dringt und die Reservestoffe vernichtet. Da aber gerade die pilzinfi- 
eirten Lager reich fructificiren, so muss man annehmen, dass diese 
Vernichtung von Stärke durch etwas anderes compensirt wird, viel- 
leicht durch die Stoffe, welche beim Absterben des Pilzes sich bilden. 
Ich bin sehr geneigt, die Knäuel aus Hyphen, sowohl diekwandigen 
wie dünnwandigen, und die blasenartigen Gebilde als solche zu be- 
trachten, die von Lebermoosen ausgenützt werden. Einen directen 
Beweis dafür besitze ich jedenfalls nicht. 

Wie gesagt dringen die Pilzhyphen weder in die Inflorescenzen, 
noch in die Brutknospenbecher; es werden also neue Lager der ge- 
nannten Marchantien, welche in allen Culturkästen neben Lunularia 
lästig auftreten und pilzhaltig sind, durch Pilzhyphen, welche in der 
Erde sich befinden, infieirt. Da für die Culturen jährlich neue Rasen- 
erde und gewöhnlich auch neue Kästen gebraucht werden, so muss 


217 


der Pilz sehr in der Erde, sowohl bei München als auch bei Moskau 
und überhaupt in Europa, verbreitet sein. Da die Sporen und 
Brutknospen der Lebermoose pilzfrei sind, so wurden Versuche ge- 
macht, Lebermoose auf sterilisirtem Boden zu züchten. Es wurden 
daher Sporen und Brutknospen auf mit kochendem Wasser oder Chlo- 
roformdäinpfen sterilisirtem Boden ausgesäet. Preissia gab dabei 
äusserst schmächtige Lager, die sehr bald durch parasitische Pilze 
(die Cultur stand mit anderen Moosen zusammen) vernichtet wurden. 
Fegatella entwickelte sich gar nicht, die beiden Marchantien gaben 
auch schwache, pilzfreie Lager. 

Dieser Versuch spricht meiner Meinung nach gar nicht dafür, 
dass die genannten Pflanzen ohne Mycorrhizenpilz nicht wachsen 
könnten, da ich zwischen anderen Moosen schön entwickelte und doch 
pilzfreie Lager von Marchantia palmata und paleacea fand. Sie trugen 
zwar keine Inflorescenzen, aber bei der Cultur im Glashause fructifi- 
ceiren überhaupt bei weitem nicht alle Lager dieser Lebermoose. Brut- 
knospenbecher trugen die pilzfreien Lager der beiden Marchantien 
fast ebenso viel wie infieirte. Dies spricht jedenfalls dafür, dass die 
genannten Lebermoose beinahe normal sich entwickelt haben. 

Anderseits zeigt das Verhalten der nicht cultivirten Preissia 
und Fegatella, bei welchen garade die stärksten und weibliche 
Inflorescenzen tragenden Thallome verpilzt sind, dass die Anwesenheit 
des Pilzes nicht ganz ohne Belang ist für die Wirthpflanzen. 

Es wurden aueh Versuche gemacht, den Pilz selbst zu bestimmen. 
Versuche, den Pilz zu isoliren, misslangen mir. Ebenso misslangen 
mir Versuche, die einzeln auftretenden pilzfreien Lager der Marchantien 
mit stets auf den Culturen auftretenden drei Pilzen — einem Agari- 
cus, Peziza ciliaris und Nidularium zu inficiren. Die von Nemee er- 
wähnte Mollissia Jungermanniae zeigte sich niemals auf dem Oulturboden 
und es ist mir bis jetzt nicht gelungen, sie bei Moskau lebend zu finden.!) 

Wir können also bis jetzt nicht sagen, ob wir es mit einem und 
demselben Pilze bei allen Marchantien zu thun haben oder ob bier 
verschiedene Species vorliegen. Das ganz ähnliche Verhalten der 
Pilzhyphen zu den Zellen der Wirthspflanze, die Bildung der Blasen 
und der dünnwandigen Hyphen spricht gewiss dafür, dass wir es hier wenn 
nicht mit einem, so doch mit sehr nahe verwandten Pilzen zu thun haben. 


1) Sonderbarerweise fand ich die bei Moskau massenhaft auftretende Caly- 
pogeia Trichomanes bis jetzt nur pilzfrei, ebenso auch viele andere Junger- 
manniaceen. Wenn Pilze sich dort auch fanden, so fehlten die 80 überaus charak- 
teristischen Haustorien, die von Nemec abgebildet sind, 


218 


Der einer Mycorrhiza äbnliche Pilz wurde, wie gesagt, nur bei 
einigen Marchantien gefunden !), obgleich im Moskauer Garten schon 
seit 5—6 Jahren über 25 Marchantiaceen (Riceiaceen incl.) eultivirt 
werden. Gelegenheit infieirt zu werden, bietet sich allen diesen 
Pflanzen stets, da sie erstens alle auf demselben Boden cultivirt 
werden und zweitens auf absolute Reinheit der Culturen nicht sehr 
geachtet wird, so dass man Thallome von M. palmata und besonders 
von M. paleacea, dabei-erwachsene und pilzhaltige, wie gesagt, fast 
auf jeder Cultur finden kann. Die Verschleppung der Marchantien ge- 
schieht durch Brutknospen und folglich werden sie an Ort und Stelle infieirt. 

Wie ist eine solche Neigung des infieirenden Pilzes nur zu den 
genannten Marchantien zu erklären? Anatomische Verhältnisse spielen 
hier bestimmt keine Rolle, da ähnliches Gewebe mit Poren und Stärke 
auch bei anderen Lebermoosen (z. B. Lunularia) sich findet. Leider 
konnte ich aus Mangel an Material meine Untersuchungen nicht auch 
auf andere Arten von Marchantia erweitern, um die Verbreitung dieser 
Mycorrhiza zu studiren.?) 

Was jetzt die Anforderungen aller genannten Marchantien an 
Wasser und vielleicht auch an Nährsalze betrifft, so scheinen dieselben 
ziemlich verschieden zu sein. Zwar können sie alle leicht grosse 
Trockenheit aushalten, wobei die Lager mehr oder weniger welk 
werden, aber in der Natur kommen Preissia und beide Marchantien 
(vgl. Gottsche und Lindenberg, ]) stets an etwas mehr trocke- 
neren, kalkhaltigen Böden (Wänden, Felsabhängen) vor, wogegen 
Fegatella, wenigstens bei Moskau, an Hochmooren oder an humusreichen 
Ufern der Waldbäche oder Quellen massenhaft auftritt. Auf erst- 
genannten Standorten hält Fegatella bei Moskau nicht selten Wochen 
lange Dürre aus ohne abzusterben und man kann dabei grosse Polster 
mit ihr leicht vom Substrat abheben.?) Dabei sieht man, dass alle 
Rhizoiden braun und welk sind. Dagegen hat Fegatella an Ufern von 


3) Ganz ähnlich wie bei Preissia ausgebildete Pilzhypheu fand ich später bei Pel- 
lia epiphylla und calycina. Blasia und Anthoceros erwiesen sich dagegen stets pilzfrei. 

2) Besonders interessant wäre es zu untersuchen, ob nicht Pilzhaltigkeit mit 
der Bildung der.Sklerenchymfasern in Verbindung stche, 

3) Kammerling (I) führt Fegatella als Beispiel für die hygrophilen Mar- 
chantiaceen und das auf Grund des Vorhandenseins der „schnabelförmigen“ Zellen 
(l. e. pag. 49 und pag. 69) an, die er als speciellen Verdunstungsapparat deutet. 
Nach dem oben erwähnten Vermögen, mehr oder weniger auszutroceknen, sollte man 
aber Fegatella eher wenn nicht zu xerophilen, so doch zu Sumpfpflanzen, die ja 
auch sowohl auf feuchtem ala auch auf trockenem Substrat zu wachsen vermögen, 
rechnen. Typisch hygrophil ist z.B. Dumortiera und auch Marchantia polymorpha. 


DEN 


219 


Trockenheit niemals zu leiden und doch sind alle Lager pilzhaltig. 
Es lässt sich darum gar nichts Bestimmtes über die Rolle der Pilz- 
hyphen in den Lagern einiger Marchantien sagen, besonders auch 
darum, weil die Untersuchung sogleich lehrt, dass diese Pflanzen nicht 
minder stärkehaltig sind wie die anderen. Beobachtungen an Ort 
und Stelle müssen vorerst entscheiden, ob auch die Verpilzung wirklich 
so constant ist, wie aus dem mir zugänglichen Untersuchungsmaterial 
hervorgeht. Dann könnte man auch nach den Bedingungen spüren, 
welche diese Verpilzung bestimmen, wobei die Stahl’sche Auffassung 
des Sinnes der Mycorrhizenbildung ganz bestimmt besonders wichtige 
Dienste wird leisten können. Auch sind experimentelle vergleichende 
Untersuchungen mit mehr verschiedenem Material nöthig, um die auf- 
geworfene Frage über den Nutzeu der Verpilzung zu lösen. Leider 
ist die Lebermoosflora in den Umgebungen von Moskau äusserst arm 
(nur Marchantia polymorpha und Fegatella conica nebst einigen 
Riccien), so dass ich auf directe Beobachtung in der Natur verzichten 
muss. Es schienen mir aber die geschilderten Verhältnisse interes- 
sant genug, um publieirt zu werden. 


Nachträgliche Bemerkung. 

Nachdem schon meine Arbeit an den Verleger abgesandt wurde, 
machte ich Bekanntschaft mit den Arbeiten von Werner Magnus (I) 
und William H. Lang (I). Was die erste Arbeit anbetrifft, so finde 
ich grosse Aehnlichkeit der Abbildungen der Mycorrhiza von Neottia 
mit der Mycorrhiza der Lebermoose ; dagegen ist es mir nicht gelungen, 
die Veränderungen der Zellen und der Zelikerne zu constatiren, die 
Magnus an den Zellen von Neottia beobachtet hat. Da die Grösse 
der Zellkerne bei den Lebermoosen ganz gering ist, ebenso wie die 
Struetur viel einfacher als bei den Samenpflanzen, so sind überhaupt 
solche Kernveränderungen bei den Lebermoosen viel schwerer zu be- 
obachten; aber auch nach der erneuerten Untersuchung konnte ich 
weder die Veränderung der Form, noch die Veränderung der Chro- 
matophilie bemerken. Ebenso ist es mir nicht gelungen, Grössenver- 
änderungen an den infieirten und nicht infieirten Zellen zu constatiren, 
wie eine Differenzirung in Pilzwirth- und Pilzverdauungszellen. Auch 
die Abbildungen von Lang zeigen grosse Aehnlichkeit mit meinen. 

Das Studium dieser Arbeiten erweckte in mir die Ueberzeugung, 
dass die Aehnlichkeit der Pilzformen bei so verschiedenen Pflanzen 
nur dadurch erklärt werden kann, dass erstens nur schr wenige und 
nahe verwandte Pilze zu der Mycorrhizabildung befähigt sind, und 


220 


und dass zweitens diese Pilze eine sehr grosse Verbreitung haben, 
wahrscheinlich ubiquist sind. Es war darum interessant, solche tro- 
pische mycotrophe Pflanzen zu untersuchen, die aus Samen hier in 
den Glashäusern erzogen werden. In der That fand ich bei der Unter- 
suchung junger Kaffeepflanzen in vielen Fällen eine schön entwickelte 
Mycorrhiza, wobei die Structur des Pilzes sehr an die der Lebermoose 
erinnerte, die Vertheilung der Pilzbhyphen in der Wurzel aber und 
die Bildung der Knäuel vollkommen mit den Angaben von Janse (I) 
übereinstimmte. 
Moskau, Botan. Garten der Universität. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XI. 
(Alle Abbildungen sind mit Hilfe von Abb6&’s Zeichenapparat gezeichnet.) 
Fig. 1. Querschnitt durch ein Lager (wild) von Preissia commutata. Die Linien 
zeigen die Grenzen der Zonen von pilzhaltigen violetten Zellen, Vergr. 16. 
» 2% Marchantia palmata. Querschnitt durch die pilzhaltigen Zellen; 
man sieht die verschieden gehenden Pilzhyphen und Hyphenknäuel. B/2. 
3. Preissis commutata. Junge Zelle mit Pilzhyphe. n Zellkern, a Stärke, D/2. 
4 n „ Zelle mit sich schlängelnden Pilzhyphen. D/2. 
5. Marchantia paleacea. Eine ebensolche Zelle, D/3. 
6. Preissia commutata. Zelle mit Querwänden. D/8. 
7 » » Zelle mit Zellpfropfen. D/3. 
8 „ » Zelle mit einer Pilzhyphe, die die dünnwandigen 
Schläuche treibt. D/2. 
» 9. Preissia commutata. Zelle mit einem Knäuel aus dünnwandigen Hyphen. 
n Zellkern. D/3. 
„ 10. Marchantia palmata. Zelle mit einem Knäuel aus dünnwandigen Hyphen. D/3. 
„ 411. Marchantia paleacea. Bilduug eines blasenartigen Gebildes auf der 
Hyphe. Dj3. 
„ 12. Preissia commutata. Hyphen mit Blasen. n Zellkern, o Oeltropfen. 
„ 13. Marchantia paleaces. Alte Zelle mit zwei Blasen nach Einwirkung von 


zwy13u% 


Xylel. Djs. 
„» 14. Preissia commutata. Zelle mit leerer Blase aus altem Theile des 
Lagers. D/8. 


» 15. Preissia commutata. Glatie Rhizoiden mit Pilzhyphen. B/2. 
„ 16. Marchantia paimata. Rhizoidenende mit zwei austretenden Pilzhyphen. B/2. 


Litteratur. 
Goebel I, Entwickelungsgeschichte der Pflanzenorgane, 
» II, Zur vergleichenden Anatomie der Marchantien. Arbeiten aus dem 
Bot. Inst. Würzburg. Bd. II. 

» UI, Ueber javanische Lebermoose, Ann. du jardin bot. de Buitenzorg Vol. IX. 
Gottsche, Lindenberg and Nees ab Esenbeck (I), Synopsis hepaticarum. 
Janse,-Les endophytes radicaux de quelques plantes javonaises etc. Ann. du 

. jard. de Buitenzorg. Vol. XIV. 
Kammejrling, !Zur Biologie und Physiologie der Marchantiaceen, Flora 1897. 
Lang, W., The prothallus of Lycopodium clavatum. Ann. of Botany. 1899. 
Leitgeb, Untersuchungen über die Lebermoose. H. VI. 1881. 
Magnus, Werner, Studien an der endotrophen Mycorrhiza von Neottia, Pringsh. 

Jahrb. Bd. 85. 1900, 
B. Nemec, Die Mycorrhiza einiger Lebermoose. Ber. d. deutsch. bot. Ges. 

Bd. XVII. 

Stahl, Der Sinn der Myeorrhizenbildung. Jahrbücher f. wiss. Bot. Bd. XXXIV. 
Stephani, Species hepaticarum. 1900. 


Beiträge zur Biologie der Erysipheen. 
Von 
F. W. Neger. 
2. Mittheilung. [Vergl. Flora Bd. 88 (1901).] 
Mit 27 Textfiguren. 


Il. Die Keimungserscheinungen der Conidien. 


Nachdem Zanardini (43) zuerst auf die gelappten Haftscheiben 
an dem Mycel von Oidium Tuckeri aufmerksam gemacht hat, zeigte 
De Bary (1), dass diese Haftscheiben nicht bei allen Erysipheen 
gleichgestaltet sind. Er unterschied, je nachdem die Haustorien von 
einer kaum sichtbaren Erweiterung des Mycels oder von einer 
deutlichen seitlichen, ganzrandigen Aussackung des Mycelfadens, oder 
endlich von einer gelappten Haftscheibe ihren Ursprung nehmen, 
haustoria exappendiculata, h. appendiculata, h. lobulata, und verwandte 
diese Unterschiede nebst anderen Merkmalen zur systematischen 
Unterscheidung der Arten. De Bary wies auch darauf hin, dass die 
Bildung der gelappten Haustorien schon bei der Cultur auf Glasplatten 
zu beobachten ist; er verwandte zu diesem Zweck Erysiphe Umbelli- 
ferarum und Microsphaera Mougeottii. Eine eingehendere Untersuchung 
der Keimschlauchbildung anderer Arten bei der Cultur in feuchten 
Kammern schien ihm nicht nothwendig; er sagt (l. e. p. 405): „dass 
sie bei allen Formen in gleicher Weise erfolgt, ist nach der bei allen 
übereinstimmenden Structur des fertigen Mycels kaum zweifelhaft.“ 
Darin hat sich aber De Bary getäuscht. Schon im vorigen Sommer 
habe ich gelegentlich einer Prüfung, welche Rolle die Fibrosinkörper, 
deren Anwesenheit, wie ich (29) gezeigt habe. hauptsächlich die Coni- 
dien von Sphaerotheca und Uncinula charakterisirt, bei der Keimung wohl 
spielen, die Beobachtung gemacht, dass die Keimung der Conidien bei 
verschiedenen Erysipheen unter gleichen äusseren Bedingungen in sehr 
ungleicher Weise verläuft. Ich habe deshalb im Laufe dieses Sommers 
mit einer grossen Anzahl von Mehltaupilzen Keimversuche angestellt, 
und bin dabei zu einigen bemerkenswerthen Resultaten gelangt. 

Es hat sich gezeigt, dass gewisse charakteristische Erscheinungen 
stets wiederkehren, auch wenn das Conidienmaterial zu verschiedenen 
Jahreszeiten und an verschiedenen Standorten gesammelt war. Solche 
Eigenthümlichkeiten dürfen daher wohl als feststehende, die Art kenn- 


222 


zeichnende Merkmale aufgefasst werden. Andererseits ergab sich, 
dass Formen, welche nach der bisher allgemein giltigen Annahme 
einer und derselben Art angehören, aber auf verschiedenen Pflanzen 
wachsen, sich auch bei der Keimung der Conidien verschieden ver- 
halten. So weisen die Keimschläuche von E. Umbelliferarum beträcht- 
liche Unterschiede auf, je nachdem die zum Keimversuch verwendeten 
Conidien von Anthriseus silvesiris oder von Heraceum spondylium 
stammen. Noch auffallender ist die Verschiedenheit in den Keimungs- 
erscheinungen derÜonidien von E.communis, je nach den Wirthpflanzen: 
Polygonum avieulare, Ranunculus repens, Galium silvaticum, Trifolium 
incarnatum etc, oder von E. Cichoriacearum je nach den Wirthpflanzen: 
Artenisia vulgaris, Senecio vulgaris, Lactuca muralis, Pulmonaria 
offieinalis ete. j 

Bei der geringen Constanz der morphologischen Charaktere, selbst 
der höchst entwickelten Fruchtform, der Perithecien, welche in jüngster 
Zeit Salmon (34) bei Abfassung seiner Monographie der Erysipheen 
Veranlassung gegeben hat, eine grosse Anzalıl von bisher getrennten 
Arten zusammen zu fassen, ist die T'hatsache, dass die Keimungs- 
vorgänge der Conidien gewisse constante Eigenthümlichkeiten zeigen, 
wohl von einigem Werth für die Entscheidung der Frage, ob jene 
Zusammenfassung berechtigt ist oder nicht. 

Natürlich muss bei Auswahl der zur Unterscheidung zu verwen- 
denden Merkmale mit Vorsicht vorgegangen werden, da, wie sich 
gezeigt hat und nach den mannigfaltigen, bei anderen Pilzen gemachten 
Erfahrungen voraus zu sehen war, die Keimungserscheinungen durch 
äussere Verhältnisse (Luftzutritt, Wärme, Licht ete.), sowie durch innere 
Ursachen wesentlich beeinflusst werden. 

Erste Bedingung ist, dass stets vollkommen frisches, sehr gut 
keimfähiges Conidienmaterial zu den Versuchen verwendet wird. An 
unter Glasglocken auf der betreffenden Wirthpflanze gezüchteten 
Conidienrasen wird man stets solches Material vorfinden, vorausgesetzt, 
dass sich nicht — was allerdings zuweilen vorkommt -— bei zu üppiger 
Entwickelung der Conidienrasen und infolge zu seltenen Lüftens 
fremde Pilze darauf angesiedelt haben; auf mehreren meiner Culturen 
beobachtete ich massenhafte Entwickelung eines Fadenpilzes: Acrosta- 
lagmus cinnabarinus. Die Wirkung dieses Parasiten ist sehr ver- 
hängnissvoll. Derselbe ist im Stande, in 1—2 Tagen ausgedehnte 
Conidienrasen zu vernichten. 

Die Keimkraft der Conidien leidet sehr unter seinen Angriffen. 

Selbstverständlich ist, dass die Keimversuche sämmtlich in der 


223 


gleichen Weise ausgeführt wurden, nämlich in kleinen feuchten 
Kammern im hängenden Tropfen. Da nur die mit der athmosphärischen 
Luft in Berührung kommenden Conidien normale Keimungserschein- 
ungen aufweisen, so empfiehlt es sich, den Tropfen möglichst seicht 
zu mzehen, damit nicht zu viele Conidien ganz untertauchen. 

Es kommt aber selbst bei vollkommen frischem Conidienmaterial 
vor, dass die Keimung aus mir unbekannten Gründen gänzlich aus- 
bleibt oder erst sehr spät eintritt. Aehnliche Erfahrungen wurden 
auch schon bei Ustilagineen- und Uredineensporen gemacht. 

Solche aus inneren Ursachen schlecht keimende Conidien zeigen 
vielfach auch Abweichungen von den normalen Vorgängen und sind 
deshalb für den vorliegenden Zweck unbrauchbar.') 

Nach diesen einleitenden Bemerkungen gebe ich im Nachfolgenden 
eine Uebersicht derjenigen Merkmale, welche bei den verschiedenen 
Mehlthauspitzen beträchtliche Abweichungen zeigen, für die Art aber 
mehr oder weniger constant sind: 

a) Ort der Entstehung des oder der Keimschläuche. 
Bekanntlich entbehren die Erysipheenconidien der Keimsporen, einer Ein- 
richtung, welche in auffallender Weise besonders den Uredosporen zu- 
kommt, bei welch’ letzteren ihre Zahl und Anordnung mit Vortheil zur 
Charakterisirung der Art verwendet wird. Trotzdem, dass also an der reifen 
Erysipheenconidie keine den Austritt der Keimschläuche fixirenden dün- 
neren Stellen vorgebildet sind, kann als Regel gelten, dass die Keim- 
schläuche an den beiden Schmalseiten oder wenigstens in unmittelbarer 
Nähe derselben ihren Ursprung nehmen. Einige Arten aber machen 
eine Ausnahme von der Regel, so besonders Phyllactina corylea, Ery- 
siphe Graminis, Erysiphe auf Galeopsis tetrahit, Calamintha acinos und 
einige andere auf Labiaten schmarotzende Mehlthauspitze. 

Bei diesen entstehen die Keimschläuche sehr häufig auch an den 
Langseiten der Conidie senkrecht zur Längsachse derselben. 

b) Die Länge der Keimschläuche, welche zwar je nach 
dem mehr oder weniger guten Ernährungssustand, in welchem sich 
die Conidien befinden, etwas schwankt, kann trotzdem für einige 
Formen innerhalb gewisser Grenzen als constant angesehen werden. 
Sehr lange Keimschläuche bilden stets die Conidien von E. auf Ar- 
temisia vulgaris, Lappa major, Verbascum thapsiforme, Heracleum 


1) So beobachtete ich bei E. Umbelliferarum von Heracleum spondylium an 
schlecht keimenden Sporen kurze einfache kaum verzweigte Keimschläuche, während 
die letzteren bei freudig keimenden Conidien reich verzweigt und meist ziemlich 
lang werden, 


224 


spondylium (unter Umständen bis 10fache Sporenlänge), sehr kurze 
dagegen E. auf Galeopsis tetrahit, Calamintha acinos, Salvia verticillata, 
Pulmonaria officinalis u. a. (oft kaum mehr als Sporenlänge). Dass 
diese kurzen Keimschläuche wirklich für die betreffenden Pilzformen 
charakteristisch und nicht etwa als eine pathologische Erscheinung 
anzusehen sind (verursacht entweder durch mangelhaften Ernährungs- 
zustand oder ungünstige Culturbedingungen), geht aus folgenden gleich- 
zeitig gemachten Beobachtungen hervor: 

1. Die betreffenden Conidien von Erysiphe auf Galeopsis tetrahit 
erwiesen sich als infectionskräftig, d. h. es gelang leicht mit Hilfe 
derselben gesunde Wirthpflanzen (gleicher Art) zu infieiren. (Vergl. 
Infeetionsversuche.) 

2. Die Keimschläuche von Erysiphe auf Artemisia, Lappa etc. 
werden, wenn die Keimung in einem grossen feuchten Raum, also 
bei reicherem Luftzutritt, als dies in einer kleinen feuchten Kammer 
möglich ist, erfolgt, ausserordentlich lang; sie erreichen zuweilen 12- 
bis Iöfache Sporenlänge. Diejenigen von E. auf Galeopsis tetrahit 
behalten auch unter diesen offenbar günstigeren Keimungsbedingungen 
ihre geringe Länge bei. 

e) Die Verzweigung der Keimschläuche steht, wie ich 
zeigen werde, in naher Beziehung zu der Form der Haftscheiben. 
Bei weitaus den meisten Erysipheen-Conidien ist die Verzweigung 
der Keimschläuche eine geringe; riemlich reich verzweigt sind die- 
selben nur bei Erysiphe auf Heracleum spondylium, Anthriscus sil- 
vestris, Ranunculus repens; mässige Verzweigung, meist nur die Aus- 
bildung eines Seitenastes oder eines oder zwei seitlicher Ausstülpungen 
— und auch dann nur an wenigen Keimschläuchen —, zeigen: 
Erysiphe auf Labiaten, Capsella bursa pastoris, Centaurea jacea, Eupa- 
torium eannabinum, Galium silvaticum, Lappa major, Plantago major, 
Pulmonaria offieinalis, Senecio vulgaris; niemals oder nur äusserst 
selten beobachtete ich Verzweigung der Keimschläuche bei Erysiphe 
auf Artemisia vulgaris, Melilotus officinalis, Trifolium incarnatum, 
Robinia pseudoacacia, Phyllactinia corylea u. a. Lässt man die Co- 
nidien statt im hängenden Tropfen in einem nur mit feuchter Luft 
erfüllten Raum keimen, so wird sehr bald an einem kurzen Keim- 
schlauch ein Appressorium gebildet, d. h. statt des reich verzweigten 
Keimschlauches tritt ein tiefgelapptes Appressorium, statt des mässig 
verzweigten eine nur schwach getheilte oder fast ungetheilte Haft- 
scheibe auf; der unverzweigte Keimschlauch verbreitert sich in dem 
der Glaswand angepressten Theil nur unmerklich. 


225 


d) Die Haftscheiben sind nach dem Vorstehenden offenbar 
nichts anderes als verkürzte Keimschläuche, bezw. Myceltheile. Auf 
ihre Verwerthung zu systematischen Zwecken hat schon De Bary 
(s..oben) hingewiesen. Schon bei der oben erwähnten Cultur im 
feuchten Luftraum zeigte sich, dass die Keimschläuche, indem sie sich 
mehr oder weniger eng der Glasplatte anschmiegen, in sehr verschie- 
dener Weise auf Contaktreiz reagiren, 

Recht anschaulich äussert sich diese verschieden grosse Neigung, 
Haftscheiben zu bilden, auch, wenn in der feuchten Kammer im 
hängenden Tropfen zahlreiche Conidien sehr dicht neben einander 
liegen. 

Keimschläuche, welche sehr leicht auf Contactreiz reagiren, bilden 
Haftscheiben, welche sich einer benachbarten Spore eng anlegen und 
dieselbe oft mehr oder weniger vollständig umkiammern (Erysiphe 
auf Heracleum spondylium, Anthriscus silvestris, Banunculus repens); 
andere reagiren zwar auch noch sehr gut auf Berührung, sind aber 
mit einfacheren, nicht oder nur wenig gelappten Appressorien ver- 
sehen (Erysiphe graminis, Erysiphe auf Galeopsis tetrahit), Bei wieder 
anderen besteht die Haftscheibe nur in einer, der Nachbarspore sich 
anlegenden, wulstartigen Anschwellung des Keimschlauches (Erysiphe 
auf Trifolium, Melilotus offieinalis, Lappa major). Bei zahlreichen 
Arten endlich beobachtete ich nie oder nur sehr selten, dass sich der 
Keimschlauch an eine Nachbarspore anlegt (Erysiphe auf Artemisia 
vulgaris, Uncinula Salicis, Microsphaera Evonymi u. a.). Von einer 
Reactionsfähigkeit auf Contactreiz kann bei den Keimschläuchen dieser 
Arten — wenigstens soweit im Wasser suspendirte Conidien in Be- 
tracht kommen — überhaupt nicht mehr die Rede sein. Ob und 
welche Beziehungen bestehen zwischen diesem verschieden hohen 
Grad von Reactionsfähigkeit auf Berührungsreiz und sonstigen Lebens- 
äusserungen der betreffenden Arten, entzieht sich zunächst der Einsicht. 

e) Verhalten gegen das Licht. Es scheint De Bary voll- 
kommen entgangen zu sein, dass die Conidien vieler Erysipheen in 
auffallender Weise das Bestreben besitzen, bei Ausbildung der Keim- 
schläuche auf das einfallende Licht zu reagiren. 

Die Fälle, in welchen mit Sicherheit nachgewiesen worden ist, 
dass das Lieht fördernd auf das Wachsthum der Pilze einwirkt, sind 
nieht zahlreich. Eine erschöpfende Darstellung dessen, was über 
diesen Gegenstand bis zum Jahre 1890 bekannt geworden ist, gibt 
Elfving in seiner Abhandlung: „Studien über die Einwirkung des 


Lichtes auf die Pilze“. Neuere Untersuchungen ändern nichts an der 
Flora 1902. 15 


226 


Zusammenfassung, welche Elfving auf Grund der von ihm durch- 
gesehenen Litteratur gibt: „Die Anlage der Fruchtkörper 
vieler Pilze ist vom Licht abhängig, einmal angelegte 
Fruchtkörper entwickeln sich im Dunkeln weiter, wenn 
auch häufig in abnormaler Weise; neue werden bei 
Liehtabschluss nicht angelegt; die vegetativen Zu- 
stände der Pilze werden vom Licht nicht beeinflusst.“ 
(Vgl. auch die Untersuchungen Brefeld’s an Coprinus, Sphaerobolus, 
Pilobolus ete. [8 und 5].) Abweichend hievon äussern sich gelegent- 
lich andere Autoren; De Bary glaubt, dass manche Uredo-Sporen, 
z. B. diejenigen von Uromyces appendiculatus, lichtbedürftig seien (2); 
seine Beweisführung ist allerdings nicht überzeugend. Van Tieghem 
findet, dass die Sporen von Penicillium glaucum an der Lichtseite 
besser keimen, als an der Schattenseite (40). 

Andererseits soll die Keimung der Zoosporen von Peronospora 
nach De Bary (2) im Dunkeln besser von Statten gehen als bei 
Lichtzutritt, und Hofmeister (20) erklärt das Anschmiegen der 
Erysiphe-Keimfäden an das Substrat, sowie das Eindringen der Hau- 
storien in die Epidermiszellen der Wirthpflanze als Folge von nega- 
tivem Heliotropismus, freilich ohne einen positiven Beweis dafür zu 
erbringen. 

Nach zahlreichen Versuchen, welche ich im Laufe des vorigen 
und dieses Sommers angestellt habe, kann kein Zweifel bestehen, 
dass die Keimschläuche der Conidien zahlreicher Erysipheen in ganz 
bestimmter Weise auf das Licht reagiren. Ueber das Wesen dieser 
heliotropischen Reactionen geben folgende Versuche Aufschluss: Co- 
nidien von Erysiphe auf Ranunculus repens wurden am 25. September 
Vorm, 10 Uhr frisch von einer üppigen Conidieneultur weg in zwei 
feuchte Kammern gebracht; die Kammer I wurde mit einem innen 
geschwärzten Gehäuse, welches an einer Seite mit Oeffnung versehen 
war, bedeckt. Durch die Oeffnung fiel zerstreutes Tageslicht auf die 
Cultur. 

Die Kammer II wurde daneben gestellt und vollkommen dunkel 
gehalten. Alle übrigen Factoren (Temperatur, verwendetes Sporen- 
material etc.) waren also für beide Keimversuche vollkommen gleich. 

Nach 8 Stunden: 

I. Keimschläuche waren an zahlreichen Conidien (etwa 40 °/,) ent- 
standen; dieselben hatten die Länge von !/s—®/s Conidie und waren 
sämmtlich dem Licht zugewendet. 

IL Nur etwa 15°, der Conidien hatten gekeimt; die Keim- 


227 


schläuche waren noch sehr kurz (meist waren nur Andeutungen davon 
zu sehen) und regellos orientirt. 

Nach weiteren 14 Stunden: 

I. ea. 55 %, der vorhandenen Sporen waren gekeimt, von diesen 
82%), dem Licht zugewendet (zahlreiche, während der Nacht neu ent- 
standene Keimschläuche zeigten keine Abhängigkeit vom Licht, wo- 
durch das —-heliotropische Keimprocent herabgedrückt wurde); 

I. nur etwa 20°), waren gekeimt, die Keimschläuche beträchtlich 
kürzer als bei I. 

Am 30. September zeigte sich in I das absolute Keimprocent noch 
grösser, das +-heliotropische Keimprocent kleiner als am 26. Sept., 
in II war das Keimprocent wie die Länge der Keimschläuche immer 
noch beträchtlich kleiner als in I. 

Ein Versuch mit Conidien von Erysiphe auf Artemisia vulgaris 
unter gleichen Bedingungen angestellt, ergab folgendes Resultat: 

Aussaat der Conidien 25. Sept. 

I. am 26. September Vorm. 8% waren 35°), gekeimt, davon 91%), 
—-heliotropisch ; 

II. am 26. September Vorm. 8? waren 2°|, gekeimt. 

Die Kammer Il wurde jetzt in der oben angegebenen Weise 
einseitiger Beleuchtung exponirt; am 380. Sept. waren die meisten 
Sporen ausgekeimt, davon 80—90 °/, + heliotropisch, 

Die vorstehend beschriebenen Fälle sind aus einer grösseren Reihe 
von Versuchen herausgegriffen, welche sämmtlich ein ziemlich genau 
übereinstimmendes Resultat ergeben haben. 

In manchen Fällen war das + heliotropische Keimprocent in I 
nicht immer gleich hoch, andererseits das absolute Keimprocent in II 
nicht immer gleich niedrig; diese Schwankungen sind jedenfalls auf 
innere Ursachen zurück zu führen, für welche ich keine Erklärung 
finden kann. 

Ich möchte nicht verschweigen, dass meiner Beobachtungsmethode 
ein geringfügiger Fehler anhaftet, welcher sich nicht wohl um- 
gehen liess. 

Im hängenden Tropfen — selbst wenn derselbe sehr seicht ist — 
können die Keimschläuche bei der geringsten Erschütterung eine kleine 
Bewegung erfahren, wodurch das Bild ihrer Richtung verändert wird. 
Andererseits sind feste Nährböden, z. B. Agaragar, für diese Versuche 
nicht wohl geeignet, da auf ihnen die Keimprocesse nicht in normaler 
Weise verlaufen. 

Der durch etwaige Verschiebung der Keimschläuche beim Zählen 

15* 


228 


der Keimproben entstandene Fehler ist aber bei vorsichtiger Hand- 
habung so gering, dass er wohl vernachlässigt werden darf. 

Aus den oben beschriebenen Versuchen gehen zwei Thatsachen 
mit Sicherheit hervor: 

a) Belichtung begünstigt die Entstehung von Keimschläuchen, 
weshalb diese hauptsächlich an der belichteten Seite der Conidien 
ihren Ursprung nehmen. 

b) Dem Licht ausgesetzte Keimschläuche wachsen schneller als 
in Dunkelheit gehaltene. 

Ein Unterschied in der Wirkungsweise zwischen zerstreutem 
Tageslicht und directem Sonnenlicht scheint nicht zu bestehen. 

Wie schon oben erwähnt wurde, ist das + heliotropische Keim- 
procent zu Beginn der Keimung am grössten und nimmt mit zuneh- 
mendem absolutem Keimprocent stetig ab, was einerseits darauf 
zurück zu führen ist, dass an den während der Nacht zur Keimung 
gelangten Conidien die Keimfäden nicht nach dem Licht orientirt 
sind, andererseits vielleicht darauf, dass manche Conidien für den 
Lichtreiz weniger empfänglich zu sein scheinen. Ihre Keimschlauch- 
bildung wird offenbar verhältnissmässig spät durch andere (innere?) 
Factoren ausgelöst. 

Ferner ist zu bemerken, dass die Keimschläuche mit zunehmen- 
dem Alter ihren positiven Heliotropismus mehr oder weniger einbüssen, 
was sehr wohl zu verstehen ist, da sich bald andere für die Ernähr- 
ung des neu gebildeten Mycels wichtigere Erfordernisse geltend 
machen. Und so beobachtet man sehr häufig (s. die nachstehenden 
Figuren), dass die Keimschläuche, nachdem sie eine Strecke weit 
dem Licht entgegen gewachsen sind, im Bogen oder in einem spitzen 
Winkel umkehren und offenbar in ihrer nächsten Umgebung nach 
einem zur Bildung eines Haustoriums geeigneten Substrat suchen, bis 
sie schliesslich an Erschöpfung zu Grunde gehen.!) 

Nicht bei allen von mir untersuchten Erysipheen-Arten ist die 
Orientirung der Keimschläuche nach dem einfallenden Licht gleich 
deutlich und auffallend. Neutral oder nahezu neutral verhalten sich 
die Keimschläuche der Conidien von Erysiphe auf Cerinihe minor, 
Melilotus offieinalis, Robinia pseudoacacia, Heracleum spondylium, Po- 
Iygonum avieulare, Uncinula salieis, U. Aceris, Phyllactinia corylea, 
Erysiphe graminis. 

Undeutlich nach dem Licht orientirt sind dieselben (6070 °/,) 


1) Vergleiche die Beobachtung Büsgen’s (7). 


228 


bei Erysiphe auf Salvia verticillata, Centaurea jacea, Trifolium incar- 
natum, T. medium u.a. 

Deutlicher + Heliotropismus dagegen (70—100 °],) zeigt sich bei: 
E. auf Eupatorium cannabinum, Artemisia vulgaris, Ranunculus 
repens, Anthriscus silvestris, Senecio vulgaris, Plantago major, Lactuca 
muralis, Lappa major, Galium silvaticum, Verbascum thapsiforme, 
Galeopsis tetrahit (100°),), Calamintha Acinos, Symphythum tuberosum, 
Pulmonaria offieinalis, ferner Trichocladia Astragali, Microsphaera 
Evonymi u. a. 

Es erübrigt noch die Frage zu erörtern, welche biologische Be- 
deutung wohl dieses „Reagiren auf Lichtreiz* haben könnte, Bei 
höheren Pflanzen sind bisher nur wenige Fälle von einer fördernden 
Wirkung des Lichtes auf die Keimung der Samen bekannt geworden. 

Sichere Angaben existiren für die folgenden Pflanzen: Viscum 
album (nach Wiesner: 41), Poa-Arten (nach Stebler 37), Agrostis 
stolonifera und Nicotiana macrophylla (nach Cieslar: 8) und endlich 
Veronica peregrina (nach Heinricher: 19). 

Am nächsten liegt uns ein Vergleich mit der parasitischen Mistel, 

Man hat die Abhängigkeit der Keimung vom Licht bei dieser 
Pflanze dahin gedeutet, dass es für die Samen dieses Parasiten vor- 
theilhafter ist, wenn sie an einem dem Licht exponirten Platz — ein 
solcher ist z. B. eine Baumkrone — keimen, als an einem dunkeln 
Ort, z. B. auf dem Erdboden unter Laub, weil im ersteren Fall die 
Möglichkeit, einen günstigen Nährboden zu finden, mehr verbürgt ist, 
als im zweiten Fall. 

Aehnliche Beziehungen mögen auch für die Erysipheen-Conidien 
in Betracht kommen, insofern als an lichten Stellen — z.B. an den 
obersten jugendlichen Theilen der Wirthpflanze, auf welche die Sporen 
aufgefallen sind — die Aussicht mit Hilfe der Haustorien in das 
Substrat einzudringen, grösser ist, als an den älteren, und dem ent- 
sprechend beschatteten Pflanzentheilen. 


Uebersicht über die Keimungserscheinungen der 
Conidien bei den einzelnen Arten. 
Nachstehende Beschreibungen mögen zur Ergänzung des oben 
Gesagten dienen: 


1. Erysiphe auf Anthriscus silvestris. 


Keimversuche: 14. VIII, 8. IX., 11. IX. Keimung erfolgt leicht. 
Keimschläuche ziemlich lang, 5—Öfache Sporenlänge, meist erst nahe 


230 


der Spitze verzweigt; an Glasplatten oder an benachbarte Conidien 
werden gelappte den angelegt. 80-85 °%, dem Licht zu- 


wachsend. (Fig. 1.) 8 


Fig. 1. 


2. Erysiphe auf Heracleum spondylium. 


Keimversuche : 20, VIII, 22. VILL, 23. VIIL, 3. X., 10. IX., 14.IX, 
Keimung erfolgt meist sehr leicht, Keimschläuche reich verzweigt, 
hirschgeweihähnlich, 5—7fache Sporenlänge, nicht nach dem Licht 
orientirt (oder nur undeutlich), Appressorien (an Glasplatten oder be- 
nachbarten Conidien) reich gelappt. (Fig. 2.) 


3. Erysiphe auf Ranunculus repens. 


Keimversuche: 3.IX., 15.IX., 25.IX. Keimung erfolgt meist 
leicht. Keimschläuche gerade oder ver- 


bogen, wenig, und dann oft sehr charakte- 
ristisch wickelartig sympodial verzweigt, 
sehr deutlich nach dem Licht orientirt 
90—100 %, (s. oben im allgemeinen Theil), 


erreichen 2—4fache Sporenlänge. Appres- 

Fig. 3. sorien gelappt. Die Keimschläuche dieser 

Form reagiren sehr auf Contactreiz, indem 

sich dieselben sehr gerne mittelst ihrer Appressorien an benachbarte 

Conidien anlegen. (Fig. 3.) 

Die drei Formen (E. auf Anthriscus, Heracleum und Ranunculus) 

zeigen in der Keimschlauchbildung viele Beziehungen zu einander; 
trotzdem lassen sich constante Unterschiede aufrecht erhalten. 


231 


Wesentlich weichen die folgenden ab, welche gemeinhin als zur 
gleichen Art (E. Polygoni) gehörig betrachtet werden. 


4. Erysiphe auf Galium silvaticum. 

Keimversuche:: 20. VIIL, 3. IX,, 19. IX., 22. IX., 26. IX. Die Keim- 
ung erfolgt häufig schwer und mangelhaft. Keimschläuche wenig 
verzweigt, meist nur mit 1—2 kleinen seitlichen Höckern, erreichen 
2—3fache Sporenlänge und endigen oft in eine stark lichtbrechende 
Blase (Riesenzelle?) 85—95 °, —-heliotropisch; keine gelappten Ap- 
pressorien. (Fig. 4.) 


ER 


Fig. 4. Fig. 5. 


5. Erysiphe auf Capsella bursa pastoris. 

Keimversuch: 22.IX. Die Keimung erfolgt leicht. Gestalt der 
Keimschläuche ähnlich wie bei voriger, ca. 90%, —- heliotropisch ; 
keine gelappten Appressorien. (Fig. 5.) 

Ziemlich übereinstimmende Keimungserscheinungen weisen die 
Conidien der auf Leguminosen wachsenden Mehlthaue auf; z. B.: 


6. Erysiphe auf Trifolium incarnatum (und T. medium). 
Keimversuche: 9. IX., 11.IX., 12. IX, 13. IX., 23. IX., 26. IX. 
Keimung erfolgt meist mässig gut. Länge der Keimschläuche = 4—5fache 
Sporenlänge; meist nicht oder nur undeutlich nach dem Licht orien- 
tirt (höchstens 60-70 %),); keine gelappten Appressorien. (Fig. 6.) 


Br 


7 3 


Fig. 6. Fig. 7. 


7. Erysiphe auf Melilotus offieinalis. 

Keimversuche: 20. VII., 30. VIIL., 26. IX. Keimung erfolgt meist 
mässig gut. Die Keimschläuche lassen keine Orientirung nach dem 
Licht erkennen; keine gelappten Appressorien. 

Bei diesen wie den bei den vorhergehenden Formen (auf Trifolium) 
zeichnen sich die Keimschläuche stets dadurch aus, dass ihr plas- 


232 


matischer Inhalt eine eigenthümliche krümmelige Beschaffenheit er- 
kennen lässt, was bei anderen Arten nur ausnahmsweise vorkommt. 
(Fig. 7.) 

8. Erysiphe auf Robinia pseudoacacia. 

Keimversuche: 16. IX., 22.IX. Keimung erfolgt meist mässig gut. 
Keimschläuche kaum nach dem Licht orientirt (50-—60°/,). Keine 
gelappten Appressorien ; Keimschlauchinhalt sehr oft krümmelig. (Fig. 8.) 

Die Erysipheformen, welche gewöhnlich als zu Erysipke Cicho- 
riacearum gehörig betrachtet werden, zeigen auffallende Unterschiede 
in der Keimschlauchbildung. Als Typen seien vorangestellt E. auf 
Artemisia vulgaris, E. auf Lappa und E. auf Verbascum thapsiforme. 


ag [UR 


Fig. 8. 


Fig. 9. 


9. Erysiphe auf Artemisia vulgaris. 


Keimversuche ca. 30—35. Keimkraft meist vorzüglich. Keim- 
schläuche oft sehr lang (bei reichem Luftzutritt 10—12fache Sporen- 
länge oder noch länger. Am Ende des Keimschlauches entsteht oft 
eine stark lichtbrechende Blase; 70—90 °/, — heliotropisch (s. auch 
oben im allgemeinen Theil). Keine gelappten Appressorien. (Fig. 9.) 


10. Erysiphe auf Lappa major. 
Keimversuche: 20. VIIL, 30. VIIL, 9.IX., 14. IX., 30.IX., 1.X. 
Die Keimung erfolgt 


meist sehr gut, Keim- 
schläuche sehr lang, 
besonders bei reichem 
Luftzutritt (8—10fache 
Sporenlänge) 75--90°|, 
—-heliotropisch; keine 


gelappten Appresso- 


Fig. 10, rien. (Fig. 10). 


288 


11. Erysiphe auf Verbascum thapsiforme. 


Keimversuche: 20. VIIL., 28. VIIL, 9. IX., 14. IX., 23. IX., 24. IX. 
Die Keimung erfolgt meist gut. Keimschläuche sehr lang, wenig 
gebogen, bei reichem Luftzutritt bis 1Ofache Sporenlänge; ca. 90 9), 
—-heliotropisch. Keine gelappten Appressorien. (Fig. 11.) 


om 
oo“ | 


Fig. 11. 
5 Fig. 12, 


12. Erysiphe auf Senecio vulgaris. 


Keimversuche: 26. VIII, 19.IX., 22.IX., 26.IX. Die Keimung 
erfolgt sehr gut, bleibt jedoch zuweilen aus unbekannten Gründen 
vollständig aus. Die Keimschläuche erreichen 2—-3fache Sporenlänge, 
sind selten verzweigt; ca. 75°, -heliotropischh Keine gelappten 
Appressorien. (Fig. 12.) 


13. Erysiphe auf Plantago major. 


Keimversuche: 22. VIIL, 8.IX., 12.IX., 28.IX. Keimkraft sehr 
verschieden, oft sehr gut, zuweilen aber unterbleibt die Keimung 
vollständig. Keimschläuche 2—3fache Sporenlänge erreichend, häufig 
wellig hin und her gebogen, 90—95 °, + heliotropisch ; keine gelappten 


Appressorien. (Fig. 13.) 


Fig. 13. Fig. 14. 


14. Erysiphe auf Eupatorium cannabinum. 


Keimversuche: 9.IX., 11.IX., 16.IX., 22.1IX. Keimung erfolgt 
meist sehr gut. Keimschläuche erreichen 4—5fache Sporenlänge, 
selten verzweigt. 80-90 °, —-heliotropisch; keine gelappten Appres- 
sorien. (Fig. 14.) 


234 


15. Erisyphe auf Üentaurea jacea. 
Keimversuche: 22.IX., 24. IX. Die Keimung erfolgt meist gut. 
Keimschläuche von 2—8facher Sporenlänge, selten schwach verzweigt. 
60-—70°|, + heliotropisch; keine gelappten Appressorien. (Fig. 15.) 


Be 


Fig. 15. Fig. 16. 


16. Erysiphe auf Hieracium murorum. 

Keimversuche: 4. VUL., 9. IX.,16.IX. Die Keimung erfolgt in den 
meisten Fällen sehr mangelhaft und macht nur sehr langsame Fort- 
schritte, selbst bei Anwendung von durchaus frischem Conidienmaterial. 
Keimschläuche kurz, gerade oder wenig gekrümmt, ca. 80°, + helio- 
tropisch; keine gelappten Appressorien. (Fig. 16.) 


17. Erysiphe auf Lacituca muralis. 

Keimversuche: 20. VIIL, 3.IX., 10.IX., 4.X. Keimung oft sehr 
mangelhaft. Keimschläuche kurz, 1--2fache Sporenlänge, gerade 
oder wenig gekrümmt, oft mehrere an einer Spore, 75—80 °, + helio- 
tropisch; keine gelappten Appressorien. (Fig. 17.) 

Von den vorstehend beschriebenen Keimversuchen gaben ziemlich 
übereinstimmende Resultate: 9., 10. und 11., ferner 12., 13., 14. und 15,, 
am meisten weichen ab 16. und 17.; bei letzteren beiden erhält man 
den Eindruck, dass hier Formen vorliegen, welche sich auf dem Wege 
der Degeneration befinden; damit stimmt auch überein die oft nur 
kümmerliche Ausbildung der Conidienrasen, sowie, dass niemals !) 
Perithecien gebildet werden. 


Zn 


Fig. 17. Fig. 18. 


18. Erysiphe auf Pulmonaria officinalis 
(sowie Symphytum tuberosum, Echium vulgare, Cerinthe minor, Litho- 
spermum arvense). 
Keimversuche: 14. VIL, 16. VII., 26. VIIL, 3. IX., 15. IX., 22. IX., 
1.X. Die Keimung erfolgt mässig gut, zuweilen unterbleibt sie ganz. 


1) Nach meinen bisherigen Erfahrungen. 


235 


Alle Erysiphe-Formen auf den oben erwähnten Wirthpflanzen stimmen 
so vollständig überein bezüglich der Keimungsvorgänge, dass es über- 
flüssig ist, die letzteren einzeln zu beschreiben. In allen Fällen ist 
der Keimschlauch durch seine gedrungene Gestalt von demjenigen 
der meisten Formen von Erysiphe Üichoriacearum ausgezeichnet, er 
erreicht kaum doppelte Sporenlänge, ist häufigschraubenartig gewunden; 
nur hinsichtlich der Reactionsfähigkeit auf das Licht bestehen einige 
Unterschiede, z. B. bei Pulmonaria ergaben sich ca. 80°, + helio- 
tropisch, bei Cerinthe minor höchstens 60°),. Appressorien werden 
gebildet, aber sind meist nur eine erweiterte Ausbuchtung des Keim- 
schlauches, (Fig. 18.) 

Nach dem Vorstehenden kann wohl nicht daran gezweifelt werden, 
dass sich die Erysiphe auf Boragineen von Erysiphe Cichoriacearum 
specifisch. unterscheidet (s. unten: Infectionsversuche). 

Auch die auf Labiaten wachsenden Erysiphearten zeigen in den 
Keimungserscheinungen der Conidien Uebereinstimmung, wie die fol- 
genden Versuche zu erkennen geben: 


19. Erysiphe auf Galeopsis tetrahit. 

Keimversuche: 14. VH., 9. IX., 20.IX. Die Keimung erfolgt in 
der Regel gut, die Keimschläuche bleiben meist sehr kurz (auch bei 
_ reichlichem Luftzutritt); sie erreichen selten mehr als Sporenlänge, 
sind selten verzweigt, stark + heliotropisch (oft 100 %),). Die Apres- 
sorien, welche hie und da entstehen, wenn sich ein Keimschlauch an 
eine benachbarte anlegt, sind nicht oder nur schwach gelappt. (Fig. 19.) 


ver Pa 


Fig. 19. Fig. 20. 


20. Erysiphe auf Galeobdolum luteum. 

Keimversuche: 3.IX., 11.IX. Keimung in der Regel gut. Die 
Keimschläuche sind nach Grösse, Gestalt, Wachsthumsrichtung 
(95—100%, + heliotropisch) fast genau gleich denjenigen von 19, 
desgleichen die Appressorien. (Fig. 20.) 


21. Erysiphe auf Calamintha acinos. 
Keimversuch: 14. VII. Keimung gut, 
Keimschläuche annähernd wie oben. 95 bis 


Fig. 21. 100%, +-heliotropisch. (Fig. 21.) 


22. Erysiphe auf Salvia verticillata. 

Keimversuche: 30.IX., 1.X. Keimung mässig gut. Die Keim- 
ungserscheinungen weichen etwas ab von denjenigen in 19-21, wie 
denn auch die Erysiphe auf Salvia verticillata durch ihr jahreszeitlich 
spätes Auftreten auffällt. Die Keimschläuche entstehen nie an den 
Langseiten der Conidien, was bei den anderen Labiaten-Mehlthauen 
häufig vorkommt, und sind kaum nach dem Licht orientirt (60— 65°), ). 
Die Form der Keimschläuche und Appressorien allerdings ist kaum 
verschieden von derjenigen in den Versuchen von 19—21. (Fig. 22.) 


Im Seo 


Fig. 22. Fig. 23. 


Erysiphe graminis auf Dactylis glomerata. 


Keimversuche: 25. VIIL, 30, VIIL, 3. IX., 1.X., 4. X. Die Keimung 
erfolgt oft sehr schwer und langsam oder bleibt hartnäckig ganz aus. 
Keimschläuche sehr kurz, dünn, nicht selten an den Langseiten ent- 
springend, meist nicht verzweigt, nicht nach dem Licht orientirt. 

Beim Anlegen der Keimschläuche an benachbarte Conidien bilden 
sich .häufig kurze Auszweigungen oder breite Haftscheiben. (Fig. 23.) 

Es wurden ausserdem noch einige weitere Keimversuche angestellt, 
welche aber nichts Bemerkenswerthes bieten: Erysiphe auf Polygonum 
aviculare (ähnlich E, auf Ranunculus repens), und E. auf Aposeris 
Joetida (ähnlich E. auf Hieracium murorum), E. auf Hypericum per- 
Joratum und H. montanum (ähnlich E. auf Melilotus). 


Sphaerotheca. 


Zur Untersuchung gelangten Sph. Castagnei auf Spiraea ulmaria, 
Humulus lupulus, Taraxacum officinale, ferner Sph. Epilobü, Sph. 
pannosa. 

In sehr vielen Fällen blieb die Keimung ganz aus, in einigen wurde 
eine kümmerliche Keimschlauchentwickelung beobachtet. Dass Sphae- 
rotheca-Conidien sehr schwer keimen, hat auch Rauch (33) bei seinen 
Versuchen, die Keimungsbedingungen einer auf Verbena hybrida schma- 
rotzenden Sphaerotheca zu ermitteln, erfahren. 

Durch starke Abkühlung wird — wie auch Salmon (85) beob- 
achtet hat — die Keimschlauchbildung befördert, 


237 


Versuch: Am 9.IX. wurden Blätter von Humulus lupulus mit 
frischen Conidienrasen in einer Blechdose eingeschlossen, 24 Stunden 
in Eis gelegt; die am 10.IX. mit diesen Conidien angelegten Keim- 
versuche zeigten am 11. IX. bei etwa 10°, Keimschlauchbildung. 
Die Keimfäden waren kurz, ziemlich diek und nicht nach dem Licht 
orientirt. 

In einem anderen Versuch (16.IX.) zeigte sich, dass ohne vor- 
hergehende Abkühlung nach achttägigem Liegen in der feuchten 
Kammer verhältnissmässig viele Conidien ausgekeimt waren. In 
vielen Fällen aber war selbst nach 20—25tägigem Liegen in der 
feuchten Kammer noch keine Keimung eingetreten. Hopfendecoet 
als Nährlösung verwendet, fördert die Keimthätigkeit nicht. 

Die Keimungserscheinungen der Sphaerotheca-Arten wurden an- 
gesichts dieser negativen Erfolge nicht weiter verfolgt, um so mehr, 
als auch die Infectionsversuche sehr unbefriedigende, zu weiteren 
Schlüssen nicht berechtigende Resultate ergaben. 

Auch mit Conidien von Trichocladia Astrageli (auf Astragalus 
Glycyphyllus), T. tortilis (auf Cornus sanguinea), Microsphaera Evo- 
nymi (auf Evonymus europaeus) wurden Keimversuche angestellt. 
Dieselben boten aber nichts Bemerkenswerthes und mögen deshalb 
hier übergangen werden. 


Uneinula Salicis auf Salix purpurea. 

Keimversuche: 20. VIIL, 26. VIIL, 2.IX. Keimkraft sehr gut. 
Keimschläuche stets wellig hin und her gebogen, nicht oder nur un- 
deutlich nach dem Licht orientirt (höchstens 60 °),), erreichen ca. 6 fache 
Sporenlänge; keine gelappten Appressorien. 


Uncinula Aceris auf Acer pseudoplatanus und A. campestre. 


Ich habe früher (29) schon darauf aufmerksam gemacht, dass die 
Conidien mancher Erysipheen je nach den Culturbedingungen ver- 
schiedene Grösse und Gestalt zeigen, weshalb es unzweekmässig ist, 
den Grössenverhältnissen der Conidien die Bedeutung eines Artmerk- 
mals beizulegen. In sehr auffallender Weise beobachtete ich diese 
Verschiedenheit der Conidiengrösse bei Uncinula Aceris, wo man ge- 
radezu von einem „Dimorphismus der Conidien“ sprechen könnte, 
Erfolgt die Infection an der Unterseite ausgewachsener Blätter von 
Acer pseudoplatanus (die Oberseite ist nur bei jungen Blättern dieser 
Art sowie bei Acer campestre für die Infeetion empfänglich), so bilden 
sich die bekannten bläulich-weissen Flecken, welche aus Mycel- und 


238 


sehr zarten Conidienrasen bestehen. Unter sehr günstigen Beding- 

ungen — saftige Blätter, feuchter Standort — entwickeln sich die 

Conidienrasen in normaler Weise und haben schliesslich das sammet- 

artige Aussehen wie bei anderen Erysipheen. Bei näherem Zusehen 

kann man dann schon mit blossem Auge die Conidienketten erkennen. 

Die einzelnen Conidien solcher üppig entwickelten Rasen zeichnen 

sich durch beträchtliche Grösse (27-381), ziemlich abgerundete Enden 

und gute Keimfähigkeit aus, sowie dadurch, dass nur wenige Conidien 

den Träger krönen, indem dieselben frühzeitig abfallen. Untersucht 

man nun einen Conidienrasen, welcher — meist auf älteren Blättern 

und an trockenen Standorten gebildet — nur als bläulich- weisser 

Flecken erscheint, so zeigt sich, dass die Conidien ausserordentlich 

lange im gegenseitigen Verband bleiben und demnach in langen, 

rankenartigen Ketten (aus 

20—30 Conidien gebildet) 

N) abfallen, an den Enden 

wenig abgerundet und be- 

deutend kleiner sind — in 

der Flächenansicht oft nur 

!}ıo der normalen Conidien 

(Fig. 24). Sehr bemerkens- 

werth ist, dass dieselben 

auf keine Weise zum 

Keimen gebracht werden 

konnten. Dass wir es aber 

2 hier wirklich nur mit ver- 

Fig. 24, a Normale, b Hunger-Conidien. kümmerten Conidienbil- 

dungen zu thun haben, 

und nicht etwa mit einer ganz verschiedenen Sporenform, geht aus 
Folgendem hervor: 

1. Bei Untersuchung zahlreicher mehlthaukranker Ahornblätter 
gelingt es leicht, alle Uebergänge von den winzig kleinen, nahezu 
eylindrischen, bis zu den normalen grossen, abgerundeten Conidien 
zu verfolgen. 

2. Auch den kleinsten von mir beobachteten Conidien (ca. 8%) 
fehlen nicht die gerade bei Uncinula Aceris besonders deutlichen und 
leicht erkennbaren Fibrosinkörper, Gebilde, welche, wie Zopf (44) 
zuerst nachgewiesen hat, charakteristisch sind für die Conidien zahl- 
reicher Erysipheen. 

Allem Anschein nach ist die Bildung jener verkümmerten Conidien 


239 


auf ungünstige Ernährungsbedingungen zurückzuführen — weshalb ich 
sie „Hungerconidien“ nennen möchte —; wenigstens habe ich 
sie nie an jungen, zarten, einen günstigen Nährboden darstellenden 
Pflanzentheilen beobachtet, sondern vielmehr an ausgewachsenen 
Blättern, deren dicke Cuticula offenbar dem Eindringen der Haustorien 
kräftigen Widerstand leistet. Vier Versuche, welche ich ansteilte, 
mittels der Hungerconidien gesunde Ahornpflanzen zu infieiren, blieben 
erfolglos, während in Parallelversuchen bei Anwendung der normalen 
keimfähigen Conidien die Infection nur ein Mal ausblieb. 

Das ausserordentlich häufige Vorkommen dieser redueirten Coni- 
dien lässt indessen auch vermuthen, dass hier die Tendenz zu einer 
Rückbildung der normalen Conidien besteht, welche schliesslich viel- 
leicht mit einem vollkommenen Verschwinden der letzteren ihren Ab- 
schluss findet. Nur ist nicht einzusehen, was dann an ihre Stelle 
tritt und die Function der Verbreitung des Pilzes während des Sommers 
übernimmt, Allerdings gibt es nicht wenige Mehlthaupilze, bei welchen 
die Conidiengeneration stellenweise sehr spärlich auftritt, z. B. PAyl- 
lactinia corylea, Micerosphaera auf Viburnum opulus u. a., welche aber 
auch ohne Conidienerzeugung ganz gut bestehen. Wenn jene redu- 
eirten Conidien von Uneinula Aceris thatsächlich — wie es den An- 
schein hat — die Fähigkeit zu keimen verloren haben, welchen Zweck 
hat es dann, dass trotzdem so ungeheure Massen davon erzeugt 
werden ? 

Möglicherweise sind sie als Analogon zu den bekannten, grössten- 
theils keimunfähigen, in den Spermogonien der Uredineen und anderer 
Pilzgruppen gebildeten Spermatien!) zu betrachten, welche wahr- 
scheinlich ausser Function gesetzte Sporen darstellen. 

Es scheint mir nieht überflüssig, endlich zu erwähnen, dass auch 
bei anderen Erysipheen mangelhafte Keimfähigkeit und ein merkwür- 
diges Festhalten der Sporenketten (so dass dieselben schwer in ein- 
zelne Conidien zerfallen) Hand in Hand gehen; ich beobachtete diese 
Erscheinung bei Erysiphe graminis und bei den meisten Sphaero- 
theca-Arten. 

Sollten auch hierin Andeutungen einer beginnenden mycelialen 
Rückbildung der Conidienkette zu erblicken sein? Erwähnt sei 
noch, dass nach Klebs (24) myceliale Rückbildung von reproduktiven 
Organen in der Regel auf sehr wasserreichem Substrat stattfindet, 
während im vorliegenden Fall (von Unecinula Aceris) gerade die auf 

1) Möller hat bei den Spermatien flechtenbildender Pilze Keimung be- 
obachtet (28). 


240 


saftstrotzendem Nährboden erwachsenen Conidienketten stets normal 
entwickelt sind. Freilich beziehen sich Klebs’ Angaben auf einen 
saprophytisch lebenden Pilz: Eurotium repens, und können deshalb 
kaum zum Vergleich herangezogen werden. Von allgemein morpho- 
logischem Interesse ist die oben beschriebene vegetative Umbildung 
der Conidienträger vielleicht insofern, als sie zeigt, wie gezwungen 
Brefeld’s (4) Auffassung ist, nach welcher „alle“ Pilzconidien als 
redueirte Sporangien zu betrachten seien, oder wenigstens wie unbe- 
rechtigt es ist, aus einigen unzweifellaften Fällen diese Verallgemei- 
nerung zu ziehen. 

Wir haben keine Veranlassung anzunehmen, dass die Conidien- 
ketten der Uncinula Aceris (und demnach auch der übrigen Erysipheen) 
ihrem Ursprung nach etwas anderes sind als das, wozu sie wieder 
herabsinken, wenn sie ihrer Funetion — als Fortpflanzungszellen zu 
dienen — verlustig gehen, nämlich Glieder eines reich septirten Mycels, 
welche einen gewissen Grad von Selbständigkeit besitzen. 

Keimversuche mit normalen Conidien von Uneinula Aceris: 26. 
und 30. VIII. Keimschläuche gerade oder wenig gebogen, etwa vier- 
bis sechsfache Sporenlänge, nicht nach dein Licht orientirt, 


Phyllaetinia corylea auf Corylus avellana. 


Die Conidien dieses Pilzes sind von Tulasne (39) abgebildet 
worden. Seitdem scheinen sie nahezu in Vergessenheit gerathen zu 
sein; wenigstens werden sie, wie auch Palla hervorhebt, in keinem 
neueren Pilzwerk erwähnt, obwohl sie wegen ihrer abweichenden 
Gestalt sehr wohl zur Charakterisirung der Gattung Phyllactinia 
dienen können, 

Es ist mir in diesem Sommer gelungen, die Conidien von Phyl- 
lactinia zu finden, zuerst (Mitte Juli) äusserst spärlich bei München 
und später (im August) in ungeheueren Massen in Schweden (bei Möheda, 
Provinz Smaland). 

Dass die Phyllactinia-Conidien sich der Beobachtung entzogen 
haben, ist nieht wunderbar. Die Rasen sind nämlich ausserordentlich 
schwer und nur dann zu erkennen, wenn man das infieirte Blatt schräg 
von der Seite betrachtet. Durch das von den dichtstehenden äusserst 
zarten Conidienträgern reflectirte Licht erscheinen die betreffenden 
Blattstellen wie mit einem grauen Anflug bedeckt. Entsprechend der 
von Palla (31) beobachteten Thatsache, dass Phyllactinia Ernährungs- 
hyphen bildet, welche durch die Spaltöffnungen in das Mesophyll 
eindringen, finden sich die Conidienrasen nur an der graugrün gefärbten 


241 


Unterseite des Blattes. Auf der viel dunkler gefärbten Oberseite 
wären sie leichter erkennbar und wohl nicht so verborgen geblieben, 

Tulasne stellt auf seiner Tafel I die Conidienträger als nur 
eine terminal entstehende Conidie tragend dar. Dies ist nicht richtig. 
Man wird zwar in der Natur meistens nur eine ausgebildete Spore 
am Träger beobachten. Legt man aber ein Corylusblatt mit wohl 
entwickelten Conidienrasen in einen gegen Erschütterung geschützten 
feuchten Raum, so wird man nach 1—2 Tagen beobachten, dass die 
fertile Hyphe 2—3, zuweilen sogar 4 wohl ausgebildete Conidien 
trägt, welche jetzt allerdings sehr leicht 
abfallen (Fig. 25). Die Conidien ent- 
stehen also auch bei Phyllactinia in 
basipetaler Reihenfolge, d. h. so, dass 
die oberste Conidie die älteste ist. Es 
besteht also in dieser Hinsicht kein 
Unterschied gegenüber der Conidien- 
bildung der übrigen Erysipheen. Die 
Keimung erfolgt leicht; es entstehen 
an beliebigen Stellen der Conidien 
Keimschläuche, welche selten mehr als 
Sporenlänge erreichen (Fig. 26). Die 
von Tulasne dargestellten Keim- 
schläuche sind verhältnissmässig selten. 
In weitaus den meisten Fällen sind 
dieselben vielfach hin und her gewun- 
den und in der Regel am Ende oder 
in der Nähe desselben zu einem Ap- 
pressorium erweitert; wenn dieses ge- 
bildet ist, schliesst der Keimschlauch 
sein Wachsthum ab. Eine Orientirung s—_ 
der Keimschläuche nach dem Licht ist 
nicht zu beobachten. Zahlreiche In- 
fectionsversuche, welche ich mit Coni- 
dien (auch solchen, welche ich zuerst mit Wasser hatte keimen‘lassen) 
anstellte, blieben erfolglos. Wodurch diese Misserfolge bedingt waren, 
ist mir unklar, nachdem die dazu verwendeten Conidien sich stets 
keimkräftig erwiesen hatten. 

Auf die weiteren aus den Keimungserscheinungen sich ergebenden 
Gesichtspunkte bezüglich der Umgrenzung der Arten komme ich in 


den „Schlussfolgerungen“ des nächsten Kapitels zurück. 
Flora 1902. 16 


Fig. 26, 


242 


Dagegen möge noch bemerkt werden, dass es an der Hand der 
Keimungserscheinungen, sowie auf Grund des Vorhandenseins oder 
Fehlens von Fibrosinkörpern unter gleichzeitiger Berücksichtigung des 
Wirthes möglich ist, mit ziemlicher Sicherheit schon an den Conidien 
die systematische Zugehörigkeit (allerdings nur im bisher üblichen Sinn) 
‚eines Mehlthaupilzes zu ermitteln, was von nicht zu unterschätzender 
Bedeutung ist, nachdem ja in vielen Fällen die Bildung der Peri- 
thecien, auf welche die Systematik gegründet ist, unterbleibt. 


Ill. Infectionsversuche mittelst der Conidien. 


Die Frage, ob den Erysipheen wirklich die Eigenschaft zukommt, 
dass eine und dieselbe Art Nährpflanzen aus den verschiedensten 
Gattungen und sogar Familien zu infieiren im Stande ist, wie es den 
Anschein hat, wenn man die morphologische Uebereinstimmung der 
Ascusfrüchte als Kriterium für die Identität mehrerer auf verschie- 
denen Nährpflanzen beobachteten Mehlthaupilze annimmt, ist von 
einigen Autoren schon kurz behandelt worden. 

Magnus(26) berichtet über einen erfolgreichen Infectionsversuch 
mittelst Conidien von Sphaerotheca Castagnei (Wirthpflanze Humulus 
lupulus) auf Taraxacum officinale. 

Palla (31) dagegen neigt auf Grund der Beobachtung, dass er 
seine Phyllactinia Berberidis sowie Ph. corylea stets nur auf Berberis 
vulgaris bezw. Corylus avellana, nie aber vice versa oder auf einem der 
jene Fundorte umstehenden Sträucher oder Bäume, z. B. Frazxinus 
excelsior, Alnus glutinosa ete., für welche gleichfalls das Vorkommen 
von Phyllactinia corylea in der Litteratur angegeben wird, gefunden 
hat, zu der Anschauung, dass bei den Mehlthaupilzen ein ähnliches 
Verhältniss besteht, wie es bei den Rostpilzen hauptsächlich von 
Eriksson (12,13, 14) nachgewiesen und als Speeialisirung des Pa- 
rasitismus bezeichnet worden ist, 

Salmon (34) stellt sich in seiner Monographie der Erysipheen 
auf einen diametral entgegengesetzten Standpunkt; er zieht zusammen, 
was sich nur einigermassen zusammen ziehen lässt. Dass bei dieser 
schematischen Behandlung merkwürdige Resultate zu stande kommen, 
darf nieht Wunder nehmen. 80 schmarotzt nach Salmon (l.c. pag. 31) 
Podosphaera oxyacanthae auf Prunus domestica. Auf der gleichen 
Nährpflanze soll aber auch die Varietät „tridactyla“ vorkommen. 
An einer anderen Stelle seines Werke (pag. 31) bemerkt aber Salmon 
selbst, dass die geringfügigen Abweichungen vom Typus, welche für 
ihn Veranlassung waren zur Aufstellung von Varietäten, wahrscheinlich 


243 


auf die Verschiedenheit der als Nährboden dienenden Wirthpflanzen 
zurückzuführen sind. Welchen Werth hat dann aber die Abgliede- 
rung einer Varietät, wenn sowohl Typus als Varietät auf der gleichen 
Wirthpflanze vorkommen sollen, wie im oben angeführten FallP Es 
ist jedenfalls ganz verfehlt, die Systematik der parasitischen Pilze, 
bei welchen das Nährsubstrat und nicht mehr oder weniger schwan- 
kende morphologische Merkmale ausschlaggebend sind für die Um- 
grenzung der Art, nach dem ohnehin nicht einwandfreien Schema, 
welches bei Aufstellung phanerogamer Arten und Varietäten befolgt 
wird, zu behandeln. 

Schon seit längerer Zeit waren mir infolge zahlreicher Beobach- 
tungen in der Natur Zweifel darüber aufgestiegen, ob den Erysipheen 
wirklich die weitgehende „Pleiophagie“ zukommt, wie sie ihnen in 
den meisten Pilzwerken zugeschrieben wird. 

Es mögen hier nur einige auffallende Beispiele hervorgehoben 
werden: Die auf Boragineen schmarotzenden Mehlthaupilze werden 
allgemein als E. Cichoriacearum zusammengefasst, desgieichen die 
weitverbreitete Erysiphe auf Artemisia vulgaris. Nun beobachtete ich 
mehrfach, dass Artemisia vulgaris von oben bis unten mit Conidien- 
rasen bedeckt war, ein dicht daneben stehendes Echium vulgare, 
dessen Blätter und Blüthenstände die Artemisia zum Theil unmittelbar 
berührten, vollkommen gesund blieb. Am gleichen Standort, nur etwa 
20 m davon entfernt, bot sich die umgekehrte Erscheinung: Echium 
weiss von Conidienrasen, Artemisia vollkommen gesund. Seit zwei 
Jahren beobachte ich einen Haselnussstrauch, welcher jährlich an allen 
Blättern von Phyllactinia über und über infieirt ist. Unmittelbar da- 
neben stehende Hainbuchen und Eichen bleiben stets unbehelligt. 

In einer feuchten Schlucht bei Grosshesselohe (nahe München), 
welche für das Gedeihen der Mehlthaupilze äusserst günstige Be- 
dingungen gewährt, beobachte ich seit Juni 1901 Heracleum spondy- 
lium stark infieirt, und dicht daneben, dazwischen und darunter stehend: 
Anthriscus silvestris, dauernd gesund. 

Ich könnte noch zahlreiche derartige Beispiele anführen, doch 
mögen die wenigen genügen. 

Nach diesen Erfahrungen schien eine experimentelle Untersuchung 
dringend nothwendig, um über das Wesen des Parasitismus der Ery- 
sipheen Klarheit zu gewinnen. Ich habe in diesem Sommer und 
Herbst solche Versuche ausgeführt, nachdem ich für diesen Zweck 
schon im Frühjahr eine grössere Anzahl geeigneter Wirthpflanzen 


herangezogen hatte, um mit einem absolut pilzfreien Material von 
16* 


244 


Versuchspflanzen arbeiten zu können. Durch im vergangenen Jahr 
angestellte Vorversuche gelangte ich zu folgenden bei Infectionsstudien 
mit Mehlthaupilzen geeigneten Methoden, sowie zu einigen anderen 
auf die Eliminirung möglicher Fehlerquellen hinzielenden Vorsichts- 
massregeln. Statt, wie es bei Infectionsversuchen mit Uredineen (vgl. 
die Arbeiten von Eriksson, Fischer, Klebahn, Dietel u.A.) 
vielfach üblich ist, die aus dem Lager herausgenommenen Sporen in 
Wasser angerührt auf die zu impfenden Blätter zu übertragen — diese 
Methode hat allerdings den Vortheil, dass wirklich nur eine Sporen- 
form verwendet wird und nicht etwa zufällig an die sporentragende 
Pflanze angeflogene einer anderen Pilzart —, ziehe ich vor, die zu 
inficirende Pflanze mit einem Zerstäuber zu überbrausen und dann 
die Blätter, welche den zu übertragenden Pilz beherbergen — womöglich 
selbstgezogenes Material —, über den Versuchspflanzen in kleine | 
Stückchen zu zerreissen. Dabei lösen sich infolge der Erschütterung 
des Zerreissens ganze Wolken von Conidien los (ich hatte niemals 
den gleichen Erfolg beim blossen Schütteln der conidientragenden 
Pflanzentheile). Diese Conidienwolken fallen — bei vollkommen un- 
bewegter Luft — auf die Versuchspflanzen, und zwar werden auf 
diese Weise alle Pflanzentheile annähernd gleichmässig bestäubt 
(zum Theil auch die Unterseite der Blätter), was sehr wichtig ist, da 
die günstigen Bedingungen für erfolgreiche Infeetion nicht bei allen 
Mehlthaupilzen die gleichen sind. Manche ziehen die Unterseite der 
Blätter, manche die Blattachseln, wieder andere die zarteren Axen- 
theile u.s. w. vor. Wenig vortheilbaft ist es, grössere Sporenklumpen 
in einen Wassertropfen auf das zu infieirende Blatt zu bringen. Sehr 
bald stellen sich nämlich auf solchen Conidienhaufen Schimmelpilze 
(besonders Botrytis, Acrostalagmus u. dgl.) ein, welehe unter Um- 
ständen eine Infection vollkommen hintanhalten. 

Auch ist ein auf diese Weise gewonnenes negatives Resultat 
insofern nicht einwandfrei, als der Infectionsversuch an einer anderen 
Stelle als der zur Impfung benützten möglicherweise von Erfolg hätte 
begleitet sein können. 

Infeetionsversuche haben natürlich nur dann Anspruch auf Zu- 
verlässigkeit, wenn das verwendete Sporenmaterial durch nebenher- 
gehende Keimproben in der feuchten Kammer auf seine Keimfähigkeit 
geprüft worden ist, sowie wenn gleichzeitige Impfung einer der coni- 
dientragenden Pflanze gleichnamigen Art von Erfolg begleitet war. 

Ergaben die Keimproben Keimunfähigkeit oder blieb die Infection 
der Controlpflanze aus, so wurden die betreffenden Versuche sofort 


245 


ausgeschaltet und sind deshalb in der nachfolgenden Zusammenstel- 
lung nicht erwähnt. 

So sah ich mich veranlasst, alle Infeetionsversuche mit Sphaero- 
theca (auf Humulus, Spiraea, Epilobium, Taraxacum) abzubrechen, 
da sich zeigte, dass die Conidien dieser Arten ausserordentlich schwer, 
oft nur unter Anwendung besonderer Reizmittel (tiefe Temperatur) 
zum Keimen zu bringen sind und selbst die Controlpflanzen der In- 
fection hartnäckig widerstehen. Im Juli 1901 impfte ich wiederholt, 
aber stets erfolglos, frische Conidien von Sphaerotheca (entstanden auf 
Spiraea ulmaria) auf junge, frische Topfpflanzen dieser gleichen Art. 
Ferner machte ich folgende Beobachtungen, für welche eine Erklä- 
rung schwer zu finden sein wird. 

Drei Wochen lang (23. Juli bis 14. August) cultivirte ich eine 
von Sphaerotheca befallene Pflanze von Spiraea ulmaria,; die nach- 
wachsenden jungen Triebe infieirten sich stets spontan. Dicht da- 
neben stellte ich eine vollkommen gesunde Pflanze von Spiraea 
ulmaria, so dass die beiden Pflanzen sich mit den Blättern theilweise 
berührten. Die zweite Pflanze blieb während der drei Wochen voll- 
kommen gesund. Einen gleichen Versuch mit gleichem Erfolg stellte 
ich mittelst Sphaerotheca auf Epilobium montanum an (29. August bis 
Ende September). 

Als nicht unwesentliche Fehlerquelle ist der Umstand zu be- 
trachten, dass manche Pflanzen nur in einem ganz bestimmten Alters- 
stadium der Infeetion durch die Keimschläuche der Conidien zugäng- 
lich sind. So beobachtete ich, dass Galium silvaticum, so lange die 
Sprosse sehr jung und frisch grün waren, dauernd gesund blieb; 
etwas ältere Pflanzen dagegen, welche schon den charakteristischen 
bläulichen Schimmer zeigten, wurden leicht infieirt. Aehnliche Be- 
ziehungen gelten für Heracleum spondylium und Plantago major. 

Im Allgemeinen allerdings erwiesen sich jugendliche Pflanzen- 
theile der Infection stets zugänglicher als ausgewachsene (besonders 
deutlich zeigte sich dies bei Uncinula Aceris). Analoge Beobachtungen 
machte übrigens auch Klebahn (23, IV) mit Uredineen. Er sagt 
(l. e. pag. 265): „Dem Eindringen der Keimschläuche der Aecidium- 
und der Uredosporen scheinen die ausgewachsenen und älteren Blätter 
im Allgemeinen ebenso günstige oder sogar günstigere Bedingungen 
zu bieten.“ 

Die Fehlerquelle, welche diese von dem Entwickelungsstadium 
abhängende Disposition der Versuchspflanze in sich schliesst, kann 
wohl am besten dadurch eliminirt werden, dass, wo dies ausführbar ist, 


246 


die zu infieirende Pflanze zu der conidientragenden, von welcher aus 
übergeimpft werden soll, gepflanzt wird. Im Lauf einiger Wochen 
machen einzelne Blätter unter günstigen Culturbedingungen alle mög- 
lichen Entwickelungsstadien durch. Beide Pflanzen aber, die gesunde 
wie die kranke, stehen während dieser Zeit unter den gleichen äusseren 
Bedingungen, so dass auch der etwaige Einfluss dieser letzteren nahezu 
als eliminirt angesehen werden kann. Wenn sich die kranke Pflanze 
nun fortwährend neu infieirt, die andere dagegen gesund bleibt und 
sich normal weiter entwickelt, so genügen 3—4 Wochen der Beob- 
achtung, um mit Bestimmtheit sagen zu können: „Der Pilz geht von 
der einen Pflanze nicht auf die andere über.“ Ich habe diese Me- 
thode vielfach befolgt, hauptsächlich auch mit dem Nebenzweck, zu 
ermitteln, ob die mehrfach aufgestellte Behauptung richtig sei, dass 
Erysipheenmycel sich häufig von einer Pflanze auf eine andere dicht 
daneben stehende (anderer Art) verbreitet (z. B. 38, pag. 65). 

Ich kann gleich jetzt mittheilen, dass ich ein derartiges Ueber- 
greifen des Mycels niemals beobachtet habe, selbst wenn die infieirte 
und die gesunde Pflanze sich unmittelbar berührten. 

Im Lauf der Untersuchung bin ich mehr und mehr zu der Ueber- 
zeugung gekommen, dass bei Infectionsversuchen mit Erysipheen die 
positiven oder negativen Erfolge vereinzelter Infectionen nur eine ziem- 
lich untergeordnete Beweiskraft besitzen, und habe daher die oben 
beschriebene Methode der fortgesetzten spontanen Infectionsmöglichkeit 
durch Zusammencultiviren einer gesunden mit einer kranken Pflanze 
an Stelle der einfachen — ein- bis mehrmaligen — Infection treten 
lassen. Durch häufiges Lüften der Glocke unter gewissen Vorsichts- 
massregeln oder Luftdurchsaugen gelang es meist, der Ansiedelung 
von Schimmelpilzen vorzubeugen. Dass meine Versuche trotzdem 
theilweise nicht einwandfrei sind, muss ich selbst zugeben. Eine 
Fehlerquelle nämlich, welche sich kaum eliminiren lässt, besteht darin, 
dass es vorkommt, dass gewisse Pflanzenindividuen gegen jede In- 
fectionsgefahr immun zu sein scheinen. So impfte ich eine seit einem 
Jahr in Cultur befindliche Pflanze von Ranunculus repens wochenlang 
fast täglich in der angegebenen Weise durch Ueberstäuben mit vor- 
züglich keimfähigen Conidien, welche auf anderen Pflanzen von Ra- 
nunculus repens entstanden waren. Die Versuchspflanze blieb hart- 
näckig gesund, während die neu entstehenden Blätter der bereits 
kranken Pflanze sich fortwährend spotan infieirten. Auch Wechsel 
des Conidienmaterials, d. h. Verwendung von Conidien verschiedener 
Provenienz, änderte nichts an diesem Resultat. Hieraus wie aus den 


247 


oben beschriebenen Versuchen mit Sphaerotheca-Arten geht hervor, 
dass die individuelle Anlage, möglicherweise auch die Rassendispo- 
sition '), bei Mehlthauerkrankungen eine bedeutende Rolle spielt, und 
dass demnach die nachstehend beschriebenen Versuche trotz aller an- 
gewandten Vorsicht eine Fehlerquelle in sich schliessen, welche für 
manche Fälle die Beweiskraft des negativen Resultates beeinträchtigen 
mögen.?) 

Trotzdem glaube ich, dass aus der grossen Anzahl von Infections- 
versuchen, welche ich angestellt habe, und aus den dabei sich er- 
gebenden Resultaten der Schluss gezogen werden darf, dass den 
Erysipheen nicht in der bisher angenommenen Ausdehnung die Fähig- 
keit zukommt, mittelst der Conidien von einer Wirthpflanze auf die 
‚andere (verschiedener Arten oder Gattungen) überzugehen, und dieses 
Problem zu lösen, war ja die Absicht, welche mich bei der Ausfüh- 
rung der nachstehend verzeichneten Versuche leitete. Dass wir da- 
mit aber noch nicht berechtigt sind, in jedem dieser einen bestimmten 
Wirth befallenden Mehlthaupilze eine besondere Art oder auch nur 
eine forma specialis (im Sinne von Eriksson) zu sehen, werde ich 
am Schluss zeigen. 

Die nachstehenden Tabellen enthalten vier Rubriken: 
I: Zur Infeetion verwendetes Conidienmaterial; 

Il: Versuchspflanze ; 

III: Datum der Impfung; 

IV: Angaben über den Erfolg der Impfung, sowie etwaige 

specielle Bemerkungen und Beobachtungen. 

Die Versuche wurden vom Juli bis October 1901 theils im Zimmer, 
theils (die Mehrzahl) in einigen Gewächs- und Treibhäusern des 
Münchener botanischen Gartens angestellt. Dadurch gelang es (bei 
richtiger Vertheilung der Culturen und Versuchspflanzen) unbeabsich- 
tigte Infectionen vollkommen auszuschliessen. — Herrn Professor 
Goebel spreche ich auch an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank 
aus für die Erlaubniss der Benützung dieser Räumlichkeiten sowie 
für das gütige Interesse, welches er stets diesen Studien entgegen 
brachte. 


1) Eine allen Praktikern bekannte Thatsache ist, dass die amerikanischen 
Sorten von Trifolium pratense der Mehlthauerkrankung in höherem Grade zugäng- 
lich sind als die europäischen. 

2) Zugleich ergibt sich aber hieraus die praktisch wichtige Thatsache, dass 
‚ie künstliche Zucht immuner Rassen von sonst mehlthaugefährdeten Culturpflanzen 
nicht aussichtslos ist. 


248 


I oa DI IV 

Erysiphe auf Artemi- Artemisia vulgaris |19. Juni |21. Juli erscheinen die ersten 
sia vulgaris (nach Conidienrasen, welche sich 
Salmon: E. Ci- schnell vermehren, so dass 
choriacearum) die Pflanze bald wie mit Schnee 

bedeckt erscheint. Auf diese 
Weise wurden noch einige 
weitere Pflanzen infieirt. 
Lithosperm. arvense| 19. „ Kein Erfolg, 
" ” ” 22, n ” » 
Senecio vulgaris 21, „ n ” 
” ” 28, » ” ” 
n n 3. Juli » n 
» „ 19, Aug. | Die Seneciopflanze wurde in den 
gleichen Topf mit einer infi- 
eirten Artemisiapflanze ge- 
setzt; nach drei Wochen: 
Keine Infection. 
Galium silvaticumt‘) | 21. Juni „ » 
Leontod. taraxacum |21. „ » n 
Ranunculus repensl)| 21. „ n » 
Plantago lanceolata |28. „ n n 
Alchemilla vulgarisi)| 28. „ n » 
Lactuca muralis 83. Juli „ „\Diese drei Pflan- 
Artemis. absinthium |11. „ n zen waren vom 
Sonchus oleraceus |11. „ 19.Juli bis20.A ug. 
dauernd der Infectionsgefahr 
von Seite der Artemisia aus- 
gesetzt, blieben aber gesund. 
Hieraceum murorum| 20. Aug. |Keine Infection, 
n » 25. „ 

Die zwei letzteren Pflanzen wur- 
den am 2. Sept. zu Artemisia 
gepflanzt; aufgefallene Coni- 
dien keimten zwar, entwickel- 
ten sich aber nicht weiter. 

Artemisia vulgaris | 4. Oct. |8.Oct. sind zahlreiche Conidien- 
rasen sichtbar. Dieser Ver- 
such wurde angestellt, um zu 
ermitteln, ob die Jahreszeit 
Einfluss hat auf die Infections- 
möglichkeit. ‚Im vorliegenden 
Fall offenbar nicht. 

. Galium rotundifol. | 2. „ Kein Erfolg. 

Erysiphe auf Lactuca Lactuca muralis 3. Sept. |7. Sept. Conidienrasen werden 
muralis each sichtbar und vermehren sich 
Salmon: E. Ci- rasch. 
choriaceum)  ar|Hierac. murorum 3 7 Kein Erfolg. 

Galium silvatieum 8, » » 

Pulmonar.offieinalis 3. „ Pi ” 

Erysiphe auf Hiera-|Hierac. murorum 8. Juli |11. Juli Conidienrasen erschei- 
cium murorum nen, vermehren sich aber nur 
(nach Salmon: E, langsam, 

Cichoriacearum) |Sonchus oleraceus 8, Kein Erfolg. 

Lactuca muralis | 8. 


„ ® 


1) Auf diesen Pflanzen ist E, Cichoriacearum in der Natur noch nicht beob- 
achtet worden (teste Salmon), 


1 


248 


1 ul 


IV 


Erysiphe auf Senecio 
vulgaris (nach Sal- 
mon: E. Cichoria- 
cearum) 


Erysiphe auf Plan- 
tago major (nach 
Salmon: E. Ci- 
choriacearum) 


Galium silvaticum!) | 8 
Hyperic. montanım |9. „ 
Leontod. taraxacum | 9 


Artemisia vulgaris 
Senecio vulgaris 30. Aug. 


Hierac. murorum 30. „ 


” ” 
Symphyt. tuberosum | 30. Aug. 
Pulmonar.officinelis| 30. 


Lactuca muralis 19, Sept, 
„ ” 25. Sept, 
n „ 1. Oct. 

Senecio vulgaris 2. „ 


Lactuca muralis 


Plantago major 


|Artemisia vulgarist) | 28. Sept. 


Kein Erfolg. 


n » 

12. Juli zeigte sich ein kleiner 
Conidienrasen, nur aus weni- 
genConidienträgern bestehend, 
Derselbe war am folgenden 
Tag spurlos verschwunden. 

Kein Erfolg. 

4. Sept. Mycel wohl entwickelt 
em 5. Sept. auch Conidien, 

Kein Erfolg. 

” ” 
» ” 


” ” 

23. Sept. Winziger Infections- 
rasen sichtbar. Trotz reich- 
licher Bestäubung zeigte sich 
nur eine Infectionsstelle. Die 
wenigen Conidienträger, nor- 
mal entwickelt, trugen etwa 
2--3 Sporen; die Haustorien 
ziemlich gross. 

Ohne Erfolg. 

Ohne Erfolg, später noch einige 
Male ohne Erfolg. 

4. Oktober zahlreiche Infeetions- 
stellen, welche sich schnell 
weiter entwickeln, 

Wurde zu obigem stark infieir- 
ten Senecio gepflanzt, jedoch 
ohne Erfolg. 

Kein Erfolg; der Versuch wurde 
noch oft wiederholt, aber stets 
ohne Erfolg. Die Schuld lag 
aber sicher nicht an den Spo- 
ren, sondern daran, dass es 
mir nicht gelang, die Cultur- 
bedingungen von E. auf Plan- 
tago major zu ermitteln. So 
oft ich infieirte Pflanzen in 
Töpfen unter Glasglocken zu 
eultiviren suchte, erstarkten 
die Pflanzen ausserordentlich 
und der Pilz verschwand. 
Feuchtigkeit, Trockenheit, 
directe Besonnung etc. waren 
ohne jeden Einfluss auf den 
Vorgang. Dies hindert nicht, 
dass, falls der Plantagopilz 
auf andere Pflanzen übertrag- 
bar wäre, er auf diesen wenig- 
stens günstige Wachstumsbe- 
dingungen gefunden hätte. 

Ohne Erfolg. 


1) Das ausserordentlich häufige Zusammenvorkommen von Wegerich- und 
Artemisia-Mehlthau liess mir die Identität beider Arten sehr wahrscheinlich er- 


scheinen. 


250 


I u m | Iv 
Artemisia vulgaris | 27. Sept. |Ohne Erfolg. 
Hierae. murorum 18, „ % ” 

Erysiphe auf Lappa|Artemisia vulgaris |14. „ Kein Erfolg. , In beiden Fällen 
major (nach Sal- n » 29, „ n „ wurden keine 
mon: E. Cicho- Controllpflanzen 
riacearum) (Lappa, bezw. 

Verbascum) ge- 
impft, was wohl 
bei der erprobten 

Erysiphe auf Verbas- Artemisia vulgaris |14. Sept. | Kein Erfolg. ‚grossen Empfäng- 
cum thapsiforme n » 23. „ ” » temisia u, Senecio 
(nachSalmon: E. und der beobach- 
Oschoriacearum) | teten ausgezeich- 

neten Keimfähig- 
\ _ keit der verwun- 
deten Sporen 

unterbleiben 

E.auf Lappa major|Senecio vulgaris 28. Sept. |Kein Erfolg ’ durfte. 

E. auf Lithospermum Lithosperm. arvense |19. Juli |Nach vier Wochen (während 
arvense (nach Sal- meiner Abwesenheit in Ur- 
mon kommt auf laub waren die Culturen sich 
dieser Pflanze E. selbst überlassen, aber mit 
Cichoriacearum u. Glasglocken bedeckt geblie- 
E. Polygoni vor) ben) war die ganze Pflanze 

mit Conidien bedeckt und 
grösstentheils schon getödtet. 
Hieraec. murorum |19. Juli |Kein Erfolg. 
Symphytum tuberos.| 24. Aug.| „ n 
Pulmonar.officinalis) 24. „ n ” 

Erysiphe auf Pulmo-|Hierac. murorum 1. Oct. |iKein Erfolg. 
naria officinalis » n 2 nm Ein anderes Individuum der 
(nach Salmon:E. gleichen Art wurde am 2. Ok- 
Cichoriacearum) tober zu der stark infieirten 

Pulmonaria gepflanztund blieb 
l dauernd gesund. 

Erysiphe auf Hera-|Heracl. spondylium |20. Aug. |22. Aug. Mycel sichtbar; am 
cleum spondylium 23. Aug Conidienrasen sichtbar; 
(nach Salmon: nach ca, einer Woche ist die 
E. polygoni) ganze Pflanze bis auf die 

Jüngsten Blätter inficirt. 
Aegopodium podagr.) 2. Sept. Ohne Erfolg. 
” ” T. ” rn ” 
Anthriscus silvestr. | 14. » „ „ 
Hyperic. montanum | 3 » n 


» 


NB. Vom 14, Sept. an wurden acht Tage lang je eine Pflanze von Anthris- 
eus silvestris und Heracleum spondylium, welche seit längerer Zeit unter gleichen 
Culturbedingungen standen und vorzüglich gediehen, täglich mit frischen Conidien 


von E. auf Heracleum spondylium bestäubt, 


Die 


Versuchspflanze Her«cleum war 


nach vier Tagen an allen Theilen infieirt, Anthriseus blieb fortdauernd gesund. 
Leider war es mir nicht möglich, den gleichen Versuch unter Anwendung von 
gut keimenden Conidien, welche auf Anthriscus entstanden waren, vorzunehmen. 
Die an verschiedenen Orten gesammelten Conidien zeigten stets mangelhafıe Keim- 


kraft. 


Am 22. Sept. pflanzte ich ein gesundes wohl entwickeltes Individuum von 


Anthriscus silvestris zu dem stark inficirten Heracleum spondylium. Ersteres blieb 


dauernd gesund. 


281 


I 


II 


IV 


Erysiphe auf Galium 
silvaticum (nach 
Salmon: E. Po- 


lygoni) 


Am 2. September wurden zu mehreren stark 


Gal. silvaticum (sehr 
junge frischgrüne 
Pflanzen). 

Gahum _silvaticum 


» » 
[etwas ältere Pf, 
welche den cha- 
rakter. bläulichen 
Schimmer zeigent)] 

Senecio vulgaris 


Aegopod. podagraria 
Vieia sepium 


Ranunculus repens 


25. Aug, 
13, Sept. 
25. Aug. 
25. 
25. 


r 
n 


Kein Erfolg. 


n 
15. Sept. Conidienrageen an 
Stengel und Blättern, weiche 
sich rasch vermehren. 


Kein Erfolg. 


” 7 
” ” 
» ” 
r 


”» 
infieirten und sich fortwährend 


selbst weiter inficirenden Pflanzen von Galium silvaticum junge gesunde Pflänzchen 


von Ranunculus repens und Trifolium pratense gesetzt. 


Dieselben blieben an- 


dauernd gesund und entwickelten sich ungestört weiter. 


Erysiphe auf Ranun- Ranunculus repens |15. Sept. |Kein Erfolg. (Die Infection 
“ eulus repens (nach wurde unzählige Male auf’s 
Salmon: E. Po- Neue versucht, aber stets ohne 
!ygoni) Erfolg.) 
” » 26. „ 30. Sept, Erscheinen Conidien- 
(anderes Individu- rasen, 
um). 
Galium silvaticum |15. „ !Ohne Erfolg. 
19. ,„  |An der Unterseite eines Blattes 


” » 


erschienen am 21. Sept. ein- 
zeine Conidienträger, dieselben 
waren am 22. Sept, wieder 
spurlos verschwunden. 

(Die gleiche Beobachtung wurde 
einmal im vorigen Jahr ge- 
macht, s. Flora Bd. 88 pag. 339.) 


Um die Infeotion von Galium silvaticum durch Conidien von Erysiphe auf 


Ranunculus repens zu wiederholen, wurden wochenlang in Abständen von 2—3 
Tagen die Galiumpflanzen bestäubt, jedoch ohne Erfolg. Die Bildung der wenigen 
bald wieder verschwindenden Conidienträger im oben erwähnten Fall kann also 
wohl nicht als die Uebertragbarkeit des Ranuneuluspilzes auf Galium silvaticum 
beweisend betrachtet werden, 


Erysiphe auf Trifo-|Hyperic. montanum | 18. Sept. | Ohne Erfolg. 
bium incarnatum|Vicia sepium 18. „ Ohne Erfolg. 
(nach Salmon:Trif. incarnatum 19. „ |22. Sept. Reiches Mycel und 
E. Polygont) einzelne Conidienträger sicht- 
bar, welche sich rasch ver- 
mehren. 

Trif. repens 19. „ |Erfolglos. Später wurde zu reich 
infieirten Pflanzen von T', in- 
carnatum, T. repens gesetzt. 
Nach fünf Wochen war noch 
keine Infection erfolgt. 

Galium silvaticum |2%6. „ Kein Erfolg. 


1) Diese Verschiedenheit in der Empfänglichkeit für die Infection je nach 
dem Entwickelungsstadium der Wirthpflanze zeigte sich später bei der sponianen 
Infection noch fortwährend. 


252 


I 


1 


Erysiphe auf Hype- 
ricum perforatum 
(nach Salmon: 
E. Polygoni) 


Erysiphe auf Galeop- 
sis tetrahit (nach 
Salmon: E. Ga- 
leopsidis) 


Trichocladia Astra- 
gali auf Astragalus 


glycyphyllos 


Umgekehrt gelang es nicht, mit Hilfe der au 
Conidien gesunde Pflanzen von A. glycyphyllos zu 


Uncinula Salicis auf 


Salixz purpurea 

Uneinula Aceris (nor- 
male Sporen) von 
Acer pseudoplata- 
nus 


Galium silvaticum 
Hyperic, perforatum 
Hyperic, montanum 


” ” 


Gal. tetrahit (junge 
Pianzen) 


Gal. tetrahit (ältere 
Pflanzen) 


Glechoma hederacea 
(junge Pflanzen) 
Glechoma hederacea 
(junge Pflanzen) 


Stachys recta 
Calamintha acinos 


Astrag. glycyphyllos 
Cicer” 


” 
sp.) 
” 
Cicer 
” 


” 


Vicia sepium 
Robin. pseudoacacia 


Salix purpurea 
Salix caprea 


» ” 


” ” 


J 
| 


Acer pseudoplatanus| 20. Aug. 


II IV 

2. Oct. |Kein Erfolg, 

2, 6. Okt.treten Conidienrasen auf. 

2. Ohne Erfolg. 

9. „ 13. Okt, einzelne kleine Coni- 
dienrasen werden sichtbar. 

(NB. Das gleiche Individuum 
war schon mit Conidien von 
E, auf Heracleum spondylium 
und von E. auf Ranunculus re- 
pens bestäubt worden, aber 
gesund geblieben.) 

Die Infection erfolgte anfangs 
sehr mangelhaft, nahm aber 
von Generation zu Generation 
an Ausbreitung zu. 

7. Juli |11. Juli erscheinen Conidien- 
rasen, welche sich schnell 
ausbreiten, 

10, Sept. |Kein Erfolg. (Der Versuch 
wurde mehrfach wiederholt,- 
aber stets ohne Erfolg. 

7. Juli [Kein Erfolg. 

U ae ER 

16. „ ” ” 

10. Sept. | „ n 

12. Juli Wurde zu der stark inficirten 
Galeopsis tetrahit gepflanzt, 

. jedoch ohne Erfolg. 

7. Juli | Conidienrasensichtbar.a. 10. Juli 
19. Aug. n „ „22.Aug. 
16. Juli » „19. Juli 
19. Aug. » „ 22.Aug. 
19. „ |Kein Erfolg. 

25.» ” ” 

12. Sept. Am 15. Sept. Conidienträger 
sichtbar, die Pflanze ging aber 
ein, 

15. „ !19. Sept. an der Unterseite der 
Blätter grosse Conidienrasen. 

22. „ |Kein Erfolg. 

1. Oct. » n 

f Astragalus Cicer entstandenen 

infieiren. 

| 3. Sept. ||Am 6. Sept. zeigten sich Coni- 

N dienrasen, 

Kein Erfolg 

25. „ |28.Ang. treten einzelne Conidien- 
rasen auf, 

28. Sept. |31. Aug. zahlreiche Infeetions- 
stellen, 

4 „» |8. Sept. Infection gelungen. 


1) Eine ausländische Art mit schmalen Blättchen, 


253 


I u 1908 IV 


Acer campestre 12. Sept. |16, Sept. einzelne Conidienrasen 
an Blattstielen u. Blättern, wel- 
che sich langsam vermehren. 
Uncinula Aceris Acer pseudoplatanus| 28. Aug. |Kein Erfolg. Der Versuch 


(Hungerconidien) wurde noch drei Mal wieder- 
von Acer »pseudo- holt, aber ohne Erfolg. 
platanus 

Phyllactinia corylea| Phyllactinia corylea 13. Juli |Erfolglos. 
auf Corylus avel- (Unters, d. Bl) 16. „ Ausgekeimte Conidien von Phyl- 
lana laetinia Corylea wurden auf 


die Unterseite der Blätter 
eines gesunden Coryluspflänz- 
chens gebracht. Die Infec- 
tion blieb aus. 


Schlussfolgerungen und theoretische Betrachtungen 
über die Phylogenie von in Specialisirung begriffenen 
Pilzen. 

Das Resultat, welches wir bei unbefangener Betrachtung der 
Sachlage aus den oben angeführten Versuchen ziehen können, ist, 
dass vielen Erysipheen scheinbar eine weitgehende Specialisirung des 
Parasitismus zukommt, ähnlich derjenigen, welche bei gewissen 
Uredineen-Gruppen beobachtet wurde. 

Es wäre in der That nicht einzusehen, warum diese Erscheinung 
auf die Uredineen beschränkt sein sollte, wie denn auch Eriksson 
(14) schon die Vermuthung ausgesprochen hat, „dass die Speeialisirung 
des Parasitismus wahrscheinlich in der ganzen Parasitenlehre mehr 
oder weniger scharf durchgeführt werden könne.“!) 

Theilweise bilden die vorwiegend negativen Resultate meiner zahl- 
reichen Infectionsversuche eine willkommnne Ergänzung zu den auf 
Grund der oben beschriebenen Keimungserscheinungen gewonnenen 
Ansichten über die Abgrenzung der Arten bei einzelnen Mebhltaupilzen. 


1) Unter den parasitischen Erroasceen dürfte in diesem Zusammenhang nach 
Giesenhagen (18) Taphrina «urea zu erwähnen sein. Diese Art kommt (wahr- 
scheinlich in 3 getrennten Rassen) auf Populus pyramidalis, P. nigra und P. 
monilifera vor. In Deutschland aber, wo T. aurea auf P. nigra weit verbreitet 
ist, wurde der Pilz auf der häufig angepflanzten P. monilifera bisher noch nicht 
beobachtet. Ein ähnlicher Fall liegt nach v. Tubeuf (388 p. 135) wahrscheinlich 
für Exoaseus Alni incanue vor, welche Art: in den Alpen nur auf A, incana 
schmarotzt, niemals aber auf A. glutinosa, obwohl letztere hier häufig mit der 
Weisserle zusammen vorkommt. Die Alpenpilze sind nach dieser Seite hin noch 
wenig untersucht, für Protomyces macrosporus hat Popta (32) allerdings nach- 
gewiesen, dass derselbe auf zahlreichen verschiedenen Wirthpflanzen zu schmarotzen 
vermag. 


254 


Aus der verschiedenen Gestalt der Conidienkeimschläuche hat 
sich ergeben, dass Erysiphe auf Heracleum spondylium verschieden 
sein muss von den Erysiphe-Formen auf Ranunculus repens, Galium 
silvaticum, Trifolium incarnatum, Trifolium repens u. s. w. und diese 
wieder theilweise unter sich verschieden sind, dass demnach die 
Salmon’sche Sammelspecies E. Polygoni (s. 34 p. 174) in eine Anzahl 
einzelner, hauptsächlich durch die Anpassung an einen speciellen Wirth 
charakterisirter Specialformen zu zerlegen ist. Diese Auffassung ist 
durch den Erfolg der Infectionen bestätigt worden. In gleicher Weise 
hat sich mittelst der Infectionsversuche mit Sicherheit ergeben, dass 
die auf Compositen und Boragineen schmarotzenden Mehltaupilze nicht 
wie dies bisher immer geschah, in eine Art E. Cichoriacearum zu- 
sammengezogen werden können, was schon die grosse Verschiedenheit 
in der Keimschlauchbildung hat vermuthen lassen. Ueberraschender 
und weniger einleuchtend ist die weiterhin (aber nur aus den Infections- 
versuchen) zu ziehende Consequenz, dass auch die Mehlthaue der 
Compositen, Boragineen, Labiaten, Umbelliferen, Trifolium-Arten etc. 
unter sich verschiedene Arten darstellen sollen. Ich werde auf diesen 
Punkt später zurückkommen. 

In auffallendem Wiederspruch zu einander stehen einige Resul- 
tate meiner Versuche: 

_ Erysiphe von Trifolium incarnatum soll nicht übertragbar sein 
auf T. repens, Erysiphe von Artemisia vulgaris nieht auf A. absinthium. 
(An beiden Thatsachen kann nicht gezweifelt werden.) Dagegen ist 
es leicht, Trichoeladia Astragali von Astragalus glycyphyllos auf A. 
eicer und umgekehrt zu übertragen, desgleichen Uneinula Aceris von 
Acer pseudoplatanus auf Acer campestre, Uneinula Salicis von Salix 
purpurea auf Salix caprea. Schwerer gelingt die Uebertragung der 
Erysiphe von Hypericum perforatum auf H. montanum. 

So sehr überraschend und unwahrscheinlich ist dieses Resultat 
indessen doch nicht, wenn wir uns nach analogen Fällen in anderen 
parasitischen Pilzfamilien umsehen. Es gibt bekanntlich eine Menge 
Rostpilze, welche bisher nur auf einem einzigen Wirth beobachtet 
wurden und auf diesen scheinbar auch beschränkt sind, z. B. Me- 
lampsora pinitorqua (nur auf Populus tremula), Calyptospora Goepper- 
tiana (nur auf Vaccinium vitis Idaea) u. a., anderseits zahlreiche, 
welche nicht nur auf verschiedenen Arten einer Gattung, sondern 
auch auf verschiedenen Gattungen einer Familie zu schmarotzen im 
Stande sind, ja sogar einen, der, wie von Fischer (17) experimentell 
nachgewiesen wurde, auf Vertretern zweier einander fernstehender 


255 


Familien gedeiht, nämlich Oronartium asclepiadeum (Willd) auf Vin. 
cetoxicum ofieinale und Paeonia tenuifolia. Strenge Speecialisirung 
des Parasitismus auf der einen Seite schliesst in der gleichen Pilz- 
gruppe nicht aus einen gewissen Grad von Pleiophagie auf der an- 
deren Seite. 

Und so wäre es immerhin denkbar, dass die Beobachtung von 
Magnus (26): Uebertragung des Hopfenmehlthaus mittels der 
Conidien auf Löwenzahn, den Thatsachen entspricht. 

Nur ein Punkt in dem Bericht, welchen Herrn Professor Magnus 
über seinen Infectionsversuch gibt, scheint mir nicht ganz einwandfrei ; 
er sagt nämlich (l. c. pag. 68): „ich nahm Anfang Juli 1896 Blätter 
von Humulus lupulus, die mit dem Oidium befallen waren, und legte 
sie auf die Blätter eines pilzfreien Tararacum; am 27. Juli zeigten 
sich auf den Blättern des Taraxacum zahlreiche scharf umschriebene 
Rasen des Oidium ete.“ Nun geht aus meinen zahlreichen, von Erfolg 
gekrönten Infeetionsversuchen mit Sicherheit hervor, dass die Zeit, 
welche verstreicht zwischen der Impfung und dem Auftreten der ersten 
deutlichen Conidienrasen, stets zwei bis drei, höchstens vier Tage 
beträgt.!) 

Im Versuch von Magnus dagegen wären zwei bis drei Wochen 
dazu nötig gewesen — vorausgesetzt, dass sich das Datum, 27. Juli, 
wirklich auf das erste Erscheinen der Üonidienrasen bezieht, was 
allerdings nicht ausdrücklich bemerkt ist. 

Ich habe im September 1901 mehrere Male versucht, Hopfen- 
mehlthau auf Löwenzahn zu übertragen (wobei ich mich genau an 
das Magnus’sche Recept hielt), aber stets ohne Erfolg. Die in 
jedem Falle beobachtete schwache Keimfähigkeit der Conidien von 
Sphaerotheca Humuli liessen mir übrigens alle diese Versuche wenig 
sussichtsvoll erscheinen. 

Sehr interessant und daher wohl einer besonderen Besprechung 
werth sind die Fälle, in welchen die Uebertragung des Pilzes von 
einer auf die andere Pflanze zu einer nur minimalen, sofort wieder 
verschwindenden Infection führte. Dies traf zu bei der Uebertragung 
der Conidien von: 

1. Hieracium murorum auf Leontodon tarazacum, 

2. Senecio vulgaris auf Lactuca muralis, 


1) Im Hochsommer erfolgt die Infection oft sehr schnell, zuweilen sind 
schon nach zwei Tagen Conidienrasen sichtbar; im Herbst dagegen bedeutend 
langsamer; es verstreichen in der Regel vier Tage bis Conidien erscheinen. Aehn- 
liche Erfahrungen machte Klebahn (28) bei seinen Rostpilzstudien, 


256 


3. Ranunculus repens auf Galium silvaticum (wurde einmal auch 
im Jahre 1900 beobachtet, conf. 29 pag. 339). 

Die beiden letzten Impfungen wurden unzählige Male wiederholt, 
ohne je wieder einen Erfolg zu erzielen. 

Nachdem sich bei allen anderen erfolgreichen Impfungen gezeigt 
hatte, dass, wenn die Infection einmal geglückt war, die Infections- 
stellen sich rasch vermehrten und vergrösserten, ist nicht einzusehen, 
warum dies nicht auch in den vorliegenden Fällen geschah, wenn der 
betreffende Pilz wirklich die Fähigkeit hätte, von einer auf die andere 
Wirthpflanze überzugehen. 

Offenbar fanden die wenigen am Keimsehlauch gebildeten Hau- 
storien — bei Lactuca gelang es mir, die Anwesenheit von Haustorien 
nachzuweisen — nicht die ihnen zusagende Nahrung, welehe sie be- 
fähigt hätte, reicheres Mycel und wohl entwickelte Conidienträger zu 
bilden. Die in den vorliegenden Fällen entstandenen Conidienträger 
mit nur zwei bis drei Conidien bezogen ihr Bildungsmaterial offenbar 
noch aus der Keimungsconidie. De Bary hat bei der Keimung der 
Conidien von Erysiphe Umbelliferarum auf Anthriscus silvestris beob- 
achtet (1 pag. 405): „Wenn das Haustorium gebildet ist, wächst der 
Keimschlauch weiter und werden auch von anderen Punkten der 
Conidie Keimschläuche und Mycelzweige, manchmal selbst gleich ein 
aufrechter Conidienträger getrieben.“ Es ist also sehr wohl denkbar, 
dass selbst auf einem dem Pilz nicht zusagenden Nährboden die 
Bildung eines oder weniger Conidienträger zu Stande kommt, wenn 
nur das Haustorium für Herbeischaffung des nötigen Zeilsaftes sorgt. 
Sowie aber der Plasmavorraih der Keimungsconidie verbraucht ist, 
macht sich das fremdartige, dem Pilz nicht zusagende Substrat geltend 
und derselbe geht ein. 

Der Fall, dass ein Pilzkeimling in die Zellen einer von ihm sonst 
nicht bewohnten Pflanze eindringt, ohne sich weiter zum Mycel zu 
entwickeln, ist schon mehrfach beobachtet worden. Klebahn (23 V 
pag. 263) erwähnt diese Erscheinung bei seinen Versuchen, mittelst 
der Sporidien von P. Digraphidis (genauer nach Klebahn: P. Con- 
vallariae-Digraphidis) Blätter von Polygonatum zu infieiren. Hier 
wurden gleichfalls Haustorien erzeugt und die davon betroffenen Zellen 
geschädigt. „Aber die ungünstigen Ernährungsbedingungen, welche 
der Pilz vorfand, führten zu einer Hemmung der Entwickelung des 
Parasiten, welche mit völligem Stillstand endete.“ 

Auch bei Ustilagineen ist beobachtet worden, dass die Keim- 
schläuche in die Epidermis von Pflanzen, welche dem Pilz sonst nicht 


257 


zusagen, eindringen, aber nicht bis zur Entwickelung eines Mycels 
gelangen (6). Nach diesen Analogien können wir wohl auch in den 
uns beschäftigenden Fällen zu dem Schluss kommen, dass von einem 
positiven Erfolg der Infection nicht die Rede sein kann. 


Die Systematik der Erysipheen (speciell der Erysiphe-Arten), 
welche bisher, so lange nur morphologische Unterschiede zu Grunde 
gelegt worden waren, so klar, einfach und durchsichtig erschien, ist 
nach den obigen Ausführungen offenbar äusserst verwickelt und er- 
innert — wie schon mehrfach hervorgehoben wurde — in Anbetracht 
der scheinbaren Launenhaftigkeit der verschiedenen Arten — hier 
weitgehende Specialisirung, dort Fähigkeit, mehrere Arten von Wirth- 
pflanzen zu infieiren — an die Familie der Rostpilze. 

Der eigenthümlichsten Einrichtung in der Lebensgeschichte der 
Uredineen, der Heteroecie (welche den Erysipheen fehlt), steht bei 
letzteren eine ähnliche, wenn auch nicht nach so strengen Gesetzen 
geregelte Erscheinung gegenüber, welche wiederum bei den Rost- 
pilzen weniger ausgeprägt ist. 

Auf zahlreichen Pflanzen nämlich, auf welchen gewisse Mehlthau- 
pilze während des Sommers üppig gedeihen, bleibt die Fructification 
auf die Erzeugung der Conidien beschränkt. Perithecien dagegen 
kommen auf vielen Wirthpflanzen nie oder nur sehr selten zur Aus- 
bildung. Bekannte Beispiele für diese Erscheinung sind: Sphaerotheca 
pannosa auf Rosen, Sph. Epilobii auf Epilobium-Arten, Erysiphe-Arten 
auf Senecio vulgaris und anderen Senecio-Species, Galium silvaticum, 
Uneinula necator (Oidium Tuckeri) auf Vitis vinifera. 

Ferner beobachtete ich häufig massenhafte Conidienfructification 
(bis spät in den Herbst hinein) ohne nachfolgende Perithecienbildung 
an: Pulmonaria officinalis, Lithospermum arvense, Capsella bursa 
pastoris, Eupatorium cannabinum, Centaurea jacea, Melilotus ofici- 
nalis u.a. 

Genauere Aufzeichnungen über das Ausbleiben der Perithecien- 
fructification an bestimmten Pflanzen fehlen. Trotzdem kann behauptet 
werden, dass dies eine den Erysipheen eigenthümliche Erschei- 
nung ist. 

Auch bei den Rostpilzen sind solche Fälle, in welchen die Aus- 
bildung der Wintersporen unterbleibt, bekannt geworden. So beob- 
achtete ich auf Adesmia radicifolia (10, p. 16) einen Rostpilz, welcher 


den ganzen (allerdings milden, chilenischen) Winter hindurch Uredo- 
Flora 1902, 17 


258 


Sporen hervorbrachte und nie zur Teleutosporenbildung schritt. 
Jacky (21, p. 132) wies nach, dass der Ohrysanthemum-Rost in euro- 
päischen Gewächshäusern mittelst der Uredo-Generation auf Ch. indicum 
überwintert. 

Die Frage, wie die bei uns einheimischen Erysipheen, welche 
nicht bis zur Bildung von Perithecien gelangen, überwintern, ist 
schon mehrfach (besonders für Sphaerotheca pannosa und Oidium Tuckeri, 
weil hier von praktischer Bedeutung) behandelt worden. Bei aus- 
dauernden Pflanzen ist es höchst wahrscheinlich das Mycel, welches 
die Ueberwinterufig vermittelt. Sicher trifft dies in dem folgenden, 
mir von Herrn Regierungsrath Dr. von Tubeuf gütigst mitgetheilten 
Fall zu. Im Infectionshaus der botanischen Abtheilung des kaiserl, 
Reichsgesundheitsamtes wurde für andere Zwecke ein ausdauernder 
Senecio, wahrscheinlich S. cordatus, eultivirt. An demselben entwickelte 
sich im Jahre 1899 ein nicht näher untersuchter Mehlthaupilz, welcher 
reichlich Conidien, nie aber Perithecien erzeugte; im Herbst starb die 
Pflanze bis auf das überwinternde Rhizem ab. Trotzdem dasselbe 
keiner weiteren Infectionsgefahr ausgesetzt war, entwickelte sich im 
folgenden Jahre auf der neu entstandenen Pflanze der Mehlthaupilz in 
üppigster Weise. Offenbar war derselbe am Rhizom als Mycel über- 
wintert. (Ueber die Unfähigkeit der Conidien, ihre Keimkraft längere 
Zeit zu bewahren, s. unten.) 

Wie ist es aber zu verstehen, dass einjährige Pflanzen, z. B. 
Senecio vulgaris, jedes Jahr aufs Neue von Mehlthaupilzen infieirt 
werden, wenn sie doch niemals Dauersporen bilden? Wie ist es ferner 
zu verstehen, dass auch ausdauernde Pflanzen, 2. B. Calamintha acinos, 
Symphytum tuberösum, Hieracium murorum u. a. jährlich von einem 
Pilz befallen werden, welcher noch lange vor Ende der Vegetations- 
periode, ohne Perithecien zu bilden, spurlos verschwindet, also offenbar 
nicht mittelst des Mycels überwintert. 

Dass die Conidien die kalte Jahreszeit überdauern, ist vollkommen 
ausgeschlossen. Ich habe bei einigen Arten Versuche angestellt, um 
zu ermitteln, wie lange dieselben ihre Keimkraft bewahren. 

Conidien von E. auf Plantago wurden gegen fremde Infection 
geschützt in einer vollkommen geschlossenen Glaskammer aufbewahrt ; 
einige Conidien keimten aus, trotzdem, dass keine andere Feuchtigkeit 
zur Verfügung stand als die von den Conidien abgegebene. Weitaus 
die meisten anderen blieben unverändert. Als die Conidien nach 
sieben Tagen befeuchtet wurden, zeigte sich, dass sie ihre Keimkraft 
sämmtlich verloren hatten. Die Conidien von Erysiphe auf Artemisia 


259 


vulgaris, welche sich stets durch vorzügliches Keimvermögen aus- 
zeichnen, verloren dasselbe nach 12tägigem Aufbewahren in der oben 
angegebenen Weise. 

Die vielfach, z. B. von Eriksson (15.) versuchte Erklärung, dass 
die Conidien vielleicht ein hefeartiges Zwischenleben zu führen im Stande 
seien, ist auf Grund meiner nachfolgend beschriebenen Versuche ent- 
schieden von der Hand zu weisen. 

Schon Büsgen (7.) hat vergebliche Versuche gemacht, Erysipheen 
auf künstlichen Nährböden zu cultiviren. Rauch (83.) erzielte auch 
nur die Bildung von kümmerlichen bald sich erschöpfenden Keim- 
schläuchen. Ich versuchte (wie schon im vorigen Jahr, s. 29.) Coni- 
dien verschiedener Erysipheen in Zuckerlösungen, Pflaumendecoct, 
ferner in Abkochungen den betreffenden Nährpflanzen (mit und ohne 
Pilzmycel) in Mist- und Erddeeoct zu Mycelien heranzuziehen, stets 
mit dem Resultat, dass die bekannten Keimschläuche entstanden, 
welche indessen in nährstoffreichen Lösungen weniger gut entwickelt 
waren als in verdünnten oder reinem Wasser. 

Die Keimschläuche litten offenbar, wenn sie eine gewisse Länge 
erreicht hatten, Hunger, was daran zu erkennen war, dass sie gleichsam 
suchend im Kreis herum wuchsen, um schliesslich zu Grunde zu 
gehen. Nach diesen Beobachtungen kann eine Ueberwinterung mittelst 
einer hefeartigen Sprossforn als ausgeschlossen betrachtet werden. 
Die Erysipheen sind eben gleich den ihnen auch sonst biologisch 
ähnlichen Uredineen echte Parasiten. Die Frage, wie überwintern 
isolirte Oidien, wenn nicht mit Hilfe des Mycels, konnte bisher in 
einfacher Weise dahin beantwortet werden, dass eine Ueberwinterung 
überhaupt nicht nöthig ist, indem die betreffenden Wirthpflanzen mittelst 
der Conidien, welche auf anderen für die Perithecienbildung besser 
geeigneten Wirthen sich gebildet hatten, jedes Jahr neu infieirt 
werden. 

Nun habe ich aber durch zahlreiche und theilweise wenigstens 
vollkommen einwandfreie Versuche nachgewiesen, dass eine Ueber- 
tragung des Pilzes von einer Art auf die andere mittelst der Conidien 
in vielen Fällen nicht möglich ist, selbst wenn es sich um zweifellos 
sehr nahestehende Formen handelt, z. B. Erysiphe auf Trifolium-Arten, 
Erysiphe auf Labiaten, Erysiphe auf Artemisia vulgaris und Lappa 
major u. @., bei welchen alle Merkmale, selbst die Art und Weise 
der Keimschlauchbildung, übereinstimmen. 

In diesen Fällen kann die jährliche Neuinfection nur so erklärt 
werden, dass, wenn auch die Conidien den Pilz nicht von einer Art 

17* 


260 


auf die andere zu übertragen vermögen, diese Fähigkeit doch den 
Ascosporen !) zukommt. 

Diese Erklärung ist meiner Ansicht nach die einzige plausible, 
wenn sie auch mit einer Vorstellung bricht, welche bisher — aber 
wohl unberechtigt — einem Dogma gleich die ganze Parasitenlehre 
beherrscht hat, nämlich mit der physiologischen Gleichwerthig- 
keit verschiedener Sporengenerationen. 

Es ist zwar gewagt, mit einer Hypothese an die Oeffentlichkeit 
zu treten, für welche zunächst nur indirecte Beweise — wie die oben 
gegebene Deduction — erbracht werden können. Wenn ich es trotzdem 
thue, so leitet mich einerseits die Ueberzeugung, dass diese Hypothese 
für das Verständniss der phylogenetischen Beziehungen auch anderer 
in fortschreitender Speecialisirung begriffenen parasitischen Pilze von 
Bedeutung sein kann (für die Uredineen werde ich den Beweis dafür 
weiter unten bringen), andererseits bin ich mir wohl bewusst, dass ein 
directer Beweis für jene Hypothese — wenn überhaupt durchführbar — 
erst viel später, etwa in ein bis zwei Jahren, wird erbracht werden 
können, da es bekanntlich schwierig ist, schimmelsporenfreie keimfähige 
Erysipheen-Ascosporen zu erlangen und besonders schwierig, mit diesen 
Infectionsversuche anzustellen. 

Ziehen wir die Folgerungen in Betracht, welche sich aus der 
oben entwickelten, wahrscheinlichen Verschiedenheit der Infections- 
kraft von Ascosporen und Conidien ergeben. 

Es ist sehr wohl denkbar, dass den wohl ausgestatteten (auf ge- 
schlechtlichem Weg entstandenen) Ascosporen in höherem Grad die 
Fähigkeit zukommt, Vertreter verschiedener Arten, Gattungen, viel- 
leicht sogar Familien zu inficiren, als den dürftig ernährten kurzlebigen 
(ungeschlechtlich gebildeten) Conidien. Wir können uns ferner wohl 
vorstellen, dass die letzteren sich so sehr an die Wirthpflanze, auf 
welcher sie entstanden sind, angepasst haben, dass sie nicht mehr im 
Stande sind, eine Pflanze anderer Art zu infieiren. 

Angenommen z. B., die weit verbreitete Erysiphe Cichoreacearum 
habe auf Artemisia vulgaris im Herbst Perithecien gebildet. Die 
Fruchtkörper, welche erst im Frühling des nächsten Jahres ihre volle 
Reife erlangt haben, platzen und entleeren aus ihren Ascis die Sporen, 
welche vom Wind verbreitet werden. Sie fallen dabei beispielsweise 


1) Auf eine höhere Infeotionskraft der Ascosporen weist die Beobachtung 
Schlichting’s hin, nach welcher die von den Ascosporen des Apfelmehlthaus aus- 
gehenden Primärinfectionen viel geführlicher sind als die später durch Conidien 
verursachten Secundärinfectionen (36). 


261 


auf junge Pflanzen von Artemisia vulgaris, Hieracium murorum, Lac- 
tuca muralis und sSenecio vulgaris und erzeugen auf jeder dieser 
Pflanzen Mycel, welches sehr bald Conidienträger bildet. Entsprechend 
den verschieden günstigen Ernährungsbedingungen, welche diese 
Pflanzen dem Pilz bieten, werden die Conidien in mehr oder weniger 
gut genährtem Zustand abgeschnürt und dementsprechend mit mehr 
(Artemisia) oder weniger (Hieracium etc.) grosser Keimkraft versehen 
sein. Auf diese Weise mögen sich die geringen Unterschiede in der 
Keimschlauchbildung bei einander offenbar nahestehenden Formen 
erklären. 

Die auf den vier (als Beispiel gewählten) Pflanzen gebildeten 
Conidien sind aber den resp. Wirthpflanzen, auf welchen sie entstanden 
sind, bereits so weit angepasst, dass sie keine andere Art zu infieiren 
im Stande sind (s. obige Infectionsversuche'). 

Auf einzelnen der Wirthpflanzen, z, B. Artemisia vulgaris, finden 
sich die zur Perithecienbildung günstigen Bedingungen; die anderen, 
welche aus irgend welchem Grund keinen hiefür geeigneten Nährboden 
darstellen, tragen bis an ihr Lebensende oder wenigstens bis zum 
Schluss der Vegetationsperiode ausschliesslich Conidien, welche zuletzt 
allerdings vollkommen werthlos sind. Damit wäre der mehrfach ver- 
zweigte, aber in einigen Zweigen blind!) endigende Kreislauf des 
Pilzes abgeschlossen. 

Den heftigsten Widersprüchen wird wohl die Annahme begegnen, 
dass die Conidiengeneration schon in so kurzer Zeit auf den Wirth, 
welcher ihr als Substrat gedient hat, specialisirt sein soll, dass sie 
andere Wirthpflanzen zu infieiren nicht mehr im Stande wäre. Und 
doch sind eine Anzahl Fälle bekannt geworden, welche beweisen, 
dass das Rassenbildungsvermögen bei den Pilzen ausserordentlich 
entwickelt ist und schon in kürzester Zeit zu speciellen Formen führt. 
Elfving (11.) hat beobachtet, dass die Conidien von Eurotium her- 
bariorum bei einer gewissen mittleren Intensität der direeten Sonnen- 
beleuchtung Hefeformen liefern, welche sogleich derartig fixirte Rassen 
vorstellten, dass sie sich nicht mehr in das Eurotium zurückführen 


1) Eine interessante Analogie hiezu sehen wir in der Erscheinung, dass ge- 
wisse Gymnosporangium-Sporidien auf einer grossen Anzahl von Rosaceen Infeotion 
hervorrufen ; auf vielen derselben werden Roestelien und Spermogonien erzeugt, 
welch erstere durch Infecetion eines Juniperus die Art erhalten. Blind endigt 
aber der Kreislauf des Pilzes, wenn, was bei gewissen Rosaceen zutrifft, nur 
Spermogonien gebildet werden, welche — wenigstens nach unseren gegenwärtigen 
Kenntnissen — für die Erhaltung der Art bedeutungslos sind. (8. die Tabellen 
in 38, pag. 403.) 


262 


liessen, !) — gewissermaassen also auch blind endigende Zweige im 
Entwiekelungsgang des Pilzes. 

Brefeld (6) hat die Erfahrung gemacht, dass gewisse Usti- 
lagineen, wenn sie einige Zeit in künstlichen Nährlösungen gezüchtet 
worden waren, die Fähigkeit verloren, lebende Pflanzen zu infieiren. 
Kissling (22) endlich kam bei Infectionsversuchen mit Botrytis 
cinerea zu Resultaten, welche an die uns beschäftigenden Fälle sehr 
nahe herankommen; er fand, dass dieser Pilz in verschiedenen Ge- 
nerationen gewisse Substrate sehr verschieden energisch angreift. 
Wurden Sporen derselben z. B. auf eine angeschnittene Frucht (Birne) 
gebracht, so erzeugten sie Mycel und Conidien. Diese Conidien gaben, 
auf das gleiche Substrat gebracht, einem viel kräftigeren Mycel und 
einer üppigeren Conidienbildung Ursprung u. sw. Marshall Ward 
(42.) beobachtete, dass Botrytis cinerea-Sporen, welehe auf künstlichem 
Nährboden gewachsen waren, häufig nicht im Stande waren, gelbe 
Rüben zu infieiren; leicht gelang dies dagegen, wenn die Conidien 
auf gelben Rüben entstanden waren. 

Aehnliche Erfahrungen macht übrigens jeder, der Pilze auf 
lebenden oder todten Substraten züchtet, So beobachtete ich selbst, 
dass die Debertragung des Mehlthaues von Hypericum perforatum 
auf Hypericum montanum sehr schwierig und langsam erfolgte. Manche 
Infeetionsstellen verschwanden sogar wieder. Allmählich aber, als 
erst die spärlichen auf H. montanum gebildeten Conidien keimten 
und eine weitere Infection hervorbrachten, wurden die Rasen üppiger; 
gingen noch 2--3 Generationen darüber hinweg, so war der Pilz 
an sein neues Substrat soweit angepasst, dass er sich bald ausser- 
ordentlich üppig entwickelte, 2) 

Eine schnell fortschreitende Rassenbildung der Conidiengeneration, 
welche zur Folge hat, dass dieselbe speciellen Wirthen mehr oder 
weniger ausschliesslich angepasst ist, widerspricht also nicht unseren 
auf thatsächliche Beobachtungen begründeten Ansichten. 

Es erübrigt also nur noch den exacten Beweis zu erbringen, 
dass im Gegensatz dazu die sexuell entstandenen Ascosporen die 
Fähigkeit besitzen, eine grössere Anzahl von Arten zu infieiren, dass 


1) Klebs (24), welcher die Elfving’schen Versuche nachprüfte, kam nicht 
zu den gleichen Resultaten. Eine weitere Nachuntersuchung der Elfving’schen 
Beobachtungen wäre deshalb sehr wünschenswerth. 

2) In diesem Zusammenhang wäre auch zu erwähnen die von Nobbe und 
Hiltner (30) bewerkstelligte Ueberführung der Knöllchenbacterien der Erbse 
in solche der Bohne im Lauf von zwei Generationen, 


263 


also die Ascosporen gewissermaassen das Bestreben haben, den Kreis 
der Wirthpflanzen weit zu erhalten, während die Specialisirung des 
Parasitismus eine vorzugsweise den Conidien zukommende Tendenz 
zu sein scheint. Diesen Beweis hoffe ich in einiger Zeit liefern zu 
können. 


Ich legte mir, als ich auf Grund meiner Beobachtungen zu dem 
oben dargestellten Resultat gelangte, die Frage vor: Sollte nicht schon 
in anderen Gruppen parasitischer Pilze nachgewiesen worden sein, 
dass verschiedenen Sporengenerationen eine mehr oder weniger 
ungleichgrosse Infectionskraft zukommt? Vor allem war zu erwarten, 
dass Eriksson (12 etc.) bei seinen wichtigen Studien über specia- 
lisirte Getreideroste einem derartigen Fall auf die Spur gekommen sei. 

Nachdem dieser Forscher auf Grund von DUredo-Infectionen 
seine Puceinia graminis (s. s.) in drei spezialisirte Formen: f. sp. Secalis, 
f. sp. Avenae und f. sp. Airae zerlegt hatte, schien es nicht ausge- 
schlossen, dass das Aecidium auf Berberis vulgaris die Brücke für 
diese Spezialformen bildet. Diese Erwartung — welche Eriksson 
selbst hegte — hat sich nicht bestätigt. Durch Culturversuche mit 
fortlaufenden Generationen hat derselbe nachgewiesen, dass es ent- 
sprechend den drei Formae speciales der Uredo-Generation von Puceinia 
graminis auch drei biologisch verschiedene Aecidien auf derselben 
Berberis-Art gibt, also im vorliegenden Fall eine Ueberführung der 
drei Formae speciales in einander durch das Aecidium als Brücke aus- 
geschlossen ist. 

Anders bei Puccinia coronata! Zwei der Formae speciales der- 
jenigen Puccinia, welche ihr Aecidium auf Rhamnus cathartica bildet 
(P. coronifera Kleb.), nämlich f. sp. Avenae auf Avena sativa und f.sp. 
Alopecuri auf Alopecurus pratensis lassen sich mittelst ihrer Uredo- 
Sporen nicht in einander überführen. Dagegen erhielt Eriksson 
als er mittelst der Sporidien von Alopecurus auf Rhamnus cathartica 
Aecidien erzeugte, und mit diesen Aecidiosporen Avena sativa und 
Alopecurus pratensis infieirte, auf beiden Pflanzen Uredo-Häufchen. 
In diesem Fall dürfte also die Aecidium-Generation als Brücke für 
die auf Grund der Uredo-Infection aufgestellten Formae speciales 
dienen. Eriksson allerdings, welcher auf dem Standpunkt steht, 
dass alle Sporengenerationen bezüglich ihrer Infectionsfähigkeit gleich- 
werthig seien, führt, um die Beweiskraft dieses Versuches abzu- 
schwächen, an, dass bei der Ausführung desselben einige Nachlässig- 


264 


keiten untergelaufen sein könnten, welche dieses — seiner Auffassung 
widersprechende — Resultat verschulden dürften. 

Auch unter den Klebahn’schen Versuchen finden sich einige, 
welche — unparteiisch betrachtet — dafür zu sprechen scheinen, 
dass es Aecidien gibt, welche specialisirte Uredo- und Teleuto-Gene- 
rationen als Brücke verbinden. 

Laut Bericht III (23) hat Klebahn mittelst Uredo-Infection 
nachgewiesen, dass Coleosporium Euphratiae (auf Alectorolophus und 
Euphrasia) und Coleosporium Melampyri (auf Melampyrum) zwei ver- 
schiedene Arten sind, welche beide ihr Aecidium (Peridermium) auf 
Pinus silvestris bilden. Ein nicht ganz überzeugendes Resultat ergeben 
die Infeetionsversuche mittelst Aecidio-Sporen. Bei zehn Impfungen 
mittelst Nadelrostes verschiedener Provenienz zeigte sich, dass in 
sechs Fällen Melampyrum pilzfrei blieb, während Alectorolophus infieirt 
wurde. In vier Fällen aber trat auf beiden Pflanzen Infection ein. 

Gewisse vom Verfasser hervorgehobene (s. Original) Nebenum- 
stände lassen allerdings die Deutung zu, dass trotz der vier Fälle beider- 
seitiger erfolgreicher Infeetion die Speeialisirung des Parasitismus auch 
den Aecidien zukomme. Ebenso gut aber kann behauptet werden, die 
verwendeten Aecidio-Sporen infieiren zwar mit Vorliebe Alectorolophus, 
unter günstigen Umständen aber auch Melampyrum, und das Aecidium 
bildet demnach eine Brücke für die specialisirten Uredo-Generationen. 

Aber angenommen selbst, die Auffassung des Autors entspreche 
im vorliegenden Fall den Thatsachen, so kann kein Zweifel darüber 
bestehen, dass die von mir vermutheten Fälle in der Natur existiren 
müssen (welche allerdings noch nicht ermittelt sind, wahrscheinlich 
weil man noch nicht darnach gesucht hat, oder sich vielmehr stets 
a priori auf den Standpunkt der physiologischen Gleichwerthigkeit 
aller Sporengenerationen gestellt hat).') 

Der nachstehend entwickelte Gedankengang, dessen Folgerich- 
tigkeit wohl niemand wird bestreiten können, führt in ungezwungener 
Weise zu diesem Schluss. Alle bisherigen Erfahrungen weisen, wie 
die meisten Uredineen-Biologen zugeben, darauf hin, dass zahlreiche 

1) Herr Professor Klebahn hob in einer brieflichen Mittheilung, in 
welcher er in freundlichster Weise einige Fragen von mir beantwortete, hervor, 
dass „man bisher bei den Rostpilzen gar nicht daran gedacht habe, dass ver- 
schiedene Sporengenerationen sich verschieden verhalten könnten“, weshalb die 
Anzahl der Fälle, in welchen Uredo-Infectionen mit Aecidium-Infectionen verglichen 
wurden, noch mehr beschränkt ist. Nicht unerwähnt möge bleiben, dass Herr 


Professor Magnus schon im Jahr 1894 die Möglichkeit eines verschiedenen Ver- 
haltens von Aecidio- und Uredo-Sporen angedeutet hat (27). 


265 


Rostpilze sich gegenwärtig in einem Stadium fortschreitender Specia- 
lisirung — was den von ihnen bewohnten Wirth anlangt — befinden. 

Die Einwürfe, welche in einzelnen Fällen von verschiedener Seite 
[z. B. Magnus (25)] auf die von Fischer (16) zuerst geäusserte 
Annahme, dass die Rostpilze ursprünglich wahrscheinlich plurivor 
gewesen seien, gemacht wurden, hat Dietel (9) auf Grund seiner 
ausserordentlich reichen Erfahrung auf dem Gebiet der Uredineen- 
Systematik zu widerlegen gewusst. Verloren gegangene Pleiophagie 
aber deckt sich mit fortschreitender Speeialisirung, vorausgesetzt, dass 
nicht überhaupt Stillstand in der Entwickelung eingetreten ist. 

Fassen wir nun einige jener Rostpilze ins Auge, welche die 
eigenthümliche Erscheinung zeigen, dass sie ihre Uredo- und Teleuto- 
Sporengenerationen auf verschiedenen oft einander systematisch sehr 
fernstehenden Wirthpflanzen bilden, während die zugehörigen Aecidien 
— welche aber biologisch verschieden sind, wie in mehreren Fällen 
durch Versuche mit fortlaufenden Generationen nachgewiesen worden 
ist -—— auf einer und derselben Pflanze zur Entwickelung kommen. 

Solche sind z. B.: 

1. Coleosporium-Arten (Uredo- und Teleuto-Generation auf Senecio, 
Tussilago, Sonchus, Inula ete.) für die zugehörigen Aecidium-Genera- 
tionen (Peridermium) ist Pinus silvestris gemeinsamer Wirth; 

2. Melampsora-Arten auf Salix-Arten, gemeinsamer Wirth der 
resp. Aecidien ist Larixz europaea; 

3. die zahlreichen specialisirten Getreideroste, z. B. P. Graminis 
mit drei Formae speciales (Secalis, Avenae und Airae), welche sämmt- 
lich ihr Aecidium auf Berberis vulgaris bilden,!) u. a. 

Aller Wahrscheinlichkeit nach haben sich jene biologisch ver- 
schiedenen Aecidien aus einem einzigen entwickelt, wofür vor allem 
die mehr oder weniger vollkommene morphologische Uebereinstimmung 
der Aecidio-Sporen und Pseudoperidien spricht. Es muss also eine 
Zeit gegeben haben, in welcher die von einem einzigen Aecidium 
stammenden Sporen die Fähigkeit besessen haben, alle jene Wirth- 
pflanzen zu inficiren, auf welchen wir heute specialisirte Uredo-Formen 
beobachteten, z. B. jenes Ur-Aecidium auf Berberis vulgaris muss 
damals sowohl Avena als auch Secale cereale und Aira caespitosa 
infieirt haben. Zu gleicher Zeit wäre es damals wohl auch möglich 
gewesen, mittelst der Uredo-Generation den Pilz von einer auf die 


1) Auch der umgekehrte Fall kommt vor (Uredo-Teleuto-Generation auf einer, 
A4ecidium auf verschiedenen Wirthen), z. B. Pace. Carieis montanae Fisch, und P. 
Aecidii Leucanthemi Fisch., u. a. 


266 


andere der letztgenannten Wirthpflanzen zu übertragen, was heute 
erwiesenermaassen nicht mehr durchführbar ist. 

Fragen wir uns nun: In welcher Generation hat sich wohl die 
Specialisirung des Parasitismus, welche schliesslich zu dem heutigen 
Zustand führte, zuerst geltend gemacht? Offenbar nicht in der Aeei- 
dium-Generation, welche entsprechend der sich stets gleich bleibenden 
Wirthpflanze, weniger Gelegenheit zum Variren hatte, sondern viel- 
mehr in der Uredo-Generation, welche sich mehr und mehr der einen 
oder anderen Wirthpflanze anpasste. 

Wir können uns ferner nicht wohl denken, dass die Specialisirung 
der Aecidien plötzlich eingetreten ist, vielmehr müssen sich auf dem 
Weg der Gewohnheitsrassen (eonf. Magnus 27) Aecidium-Formen 
ausgebildet haben, von welchen die eine vorzugsweise Secale cereale, 
Hordeum vulgare und Triticum repens, dagegen nur mangelhaft Avena 
sativa, Milium efusum etc. zu infieiren im Stand war, während eine 
andere vorzugsweise Avena sativa ete., und nur mangelhaft die übrigen 
Getreidearten infieirte, u. s. w. Dann muss es aber, da die Speciali- 
sirung in der Uredo-Generation offenbar immer einen kleinen Vor- 
sprung hatte, ein Stadium gegeben haben, in welchem der letzteren 
die Fähigkeit bereits verloren gegangen war, von einer Wirthpflanze 
auf die andere (z. B. von Avena auf Secale ete.) überzugehen, während 
die auf Berberis lebende Aecidium-Generation noch die Kraft besass, 
alle Wirthpflanzen der Uredo-Teleuto-Generation zu infieiren, wenn 
auch in ungleicher Weise, d. h. in jenem Stadium bildete das 
Aecidium die Brücke für die specialisirte Uredo- 
Teleutoformen. 

Welche Zeiträume nöthig sind zur mehr oder weniger voll- 
kommenen Specialisirung einer Uredo- oder selbst einer Aecidium- 
Generation,Zentzieht sich unserer Einsicht. 

„Jedenfalls aber ist es verfehlt, bei solchen in fortwährender 
Entwickelung begriffenen Pilzen (wie den sich specialisirenden Rost- 
pilzen) an der vorgefassten Meinung fest zu halten, dass, wenn die 
Uredo-Generation nicht mehr von einer Pflanze auf die andere über- 
geht,Zauch die Aecidium-Generation schon specialisirt sein müsse. 
Es ist sehr leicht{möglich, dass der Experimentator zuweilen gerade 
einen derartigen Fall unter den Händen hat, für welchen die soeben 
theoretisch,entwickelten Verhältnisse zutreffen, welcher also sozusagen 
einen für ihn besonders interessanten „Moment in der Erscheinungen 
Flucht® darstellt. 


Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass dieser für gewöhnlich 


267 


wohl vorübergehende Zustand in der phylogenetischen Entwickelung 
in einzelnen Fällen sich als besonders vortheilhaft erweist und ent- 
sprechend dem Gesetz der natürlichen Zuchtwahl in einen Dauer- 
zustand übergeht. 


‘ 


IV. Der Ernährungsmechanismus von Sphaerotheca Humuli auf 
Humulus Lupulus. 

Nachdem von De Bary (1) die Beobachtung gemacht worden 
war, dass verschiedene Mehlthaupilze sich mit Hilfe von Haustorien, 
welche die Epidermiszellen der Wirthpflanze aussaugen, ernähren, 
war diese Ansicht dahin verallgemeinert worden, dass dieser Ernäh- 
rungsmechanismus als der ganzen Familie zukommend betrachtet wurde. 

Vor zwei Jahren hat Palla (31) nachgewiesen, dass die Gattung 
Phyllactinia insofern von der Regel abweicht, als hier die Hyphen 
nicht die äusseren Epidermiszellwände durchbohren, sondern durch 
die Spaltöffnungen Seitenhyphen in das Mesophyli treiben, welche 
intercellular verlaufen und Haustorien in einzelne Schwammparenchym- 
zellen entsenden. 

Die Haustorien der Erysipheen sind in der neuesten Zeit noch 
einmal Gegenstand einer Untersuchung gewesen, wobei sich gleich- 
falls Resultate ergaben, welche von denjenigen De Bary’s abweichen. 
Grant Smith (45) untersuchte die feinere Structur der. Haustorien 
einiger Erysipheen und machte bei dieser Gelegenheit die Beobachtung, 
dass Uncinula Salicis ausser den gewöhnlichen, die Epidermiszellen 
aussaugenden Haustorien häufig auch noch solche entwickelt, welche 
subepidermale Zellen befallen. — 

Schon seit längerer Zeit fiel mir auf, dass Sphaerotheca Humuli 
auf Humulus lupulus (sowie einige andere Erysipheen) in der Art 
des Auftretens eine eigenthümliche Erscheinung zeigen, welche mit 
der herrschenden Vorstellung von Ernährungsmechanismus der Ery- 
sipheen schwer in Einklang zu bringen ist. Sehr häufig nämlich 
— nicht immer! — beobachtet man an von Mehlthau befallenen Hopfen- 
blättern, dass mit völlig isolirten Infectionsstellen auf der Oberseite 
Conidien- oder Perithecienrasen auf der Unterseite, welche gleichfalls 
vollkommen isolirt sind, zusammenfallen oder umgekehrt. 

Diese Erscheinung legt — besonders in Erinnerung an das ab- 
weichende Verhalten von Phyllactinia und Uncinula — die Vermu- 
thung nahe, dass Ernährungshyphen, statt nur in die Epidermiszellen 
einzudringen, vielleicht das Blatt seiner ganzen Dicke nach durch- 


268 


bohren und so die Infection der gegenüberliegenden Blattseite ver- 
anlassen, 

Ich untersuchte, um die angeregte Frage zu entscheiden, eine 
grosse Anzahl von Schnitten durch solche Blattstücke mit isolirten 
correspondirenden Infectionsstellen oben und unten, ausserdem zum 
Vergleich Blätter von Salix purpurea, welche von Uneinula Salieis 
befallen waren, und kam zu folgendem Resultat: In keinem einzigen 
Fall war es möglich, bei Humulus nachzuweisen, dass die Haustorien 
in anderen als Epidermiszellen angelegt werden. Niemals ferner 
konnte eine myceliale Verbindung correspondirender Infectionsstellen 
der Ober- und Unterseite constatirt werden. Demnach muss das Zu- 
sammentreffen von Infectionsstellen an Ober- und Unterseite doch 
dem Zufall zugeschrieben werden. 

Anderseits konnte ich die Beobachtung Grant Smith’s be- 
stätigen, nach welcher bei Uncinula Salicis häufig Haustorien in einer 
unter der Epidermis gelegenen 
Palissadenzelle gebildet werden. 
Aus dem Vergleich der beiden 
Befunde (an Humulus und Saliz) 
ergibt sich zugleich ungezwungen 
die Erklärung für dieses ungleiche 
Verhalten. Es ist bedingt durch 

. . . die verschiedene Art und Weise 
Fig. 27. % Haustorien, c Cuticula, des Reagirens der Wirtpflanze auf 
dr Oxalatdrusen, cysi Cystolith. girens der Wırtpfianz 

NB, Das Luftmyoel ist in der Zeichnung den Angriff des Parasiten. 
nicht widergegeben. Die beistehende Figur (Fig. 27) 
eines Blattquerschnittes von Hu- 
mulus lupulus zeigt, dass die Epidermiszellen, welche von den Hau- 
storien befallen sind, starke Hypertrophie erlitten haben. Sie erreichen 
oft eine ausserordentliche Grösse und stehen zuweilen an Lumen den 
eystolithenführenden Zellen wenig nach. Dieses vom Parasiten an- 
geregte abnorme Wachsthum der Epidermiszellen lässt es verständlich 
erscheinen, warum der Pilz keine Veranlassung hat, tiefer in das 
Blattgewebe einzudringen. Er findet reichlich Nahrung in den Epi- 
dermiszellen, nach welchen, entsprechend ihrer abnormen Grösse, sich 
zweifellos ein lebhafter Strom von Nahrungsstoffen aus dem benach- 
barten Gewebe ergiesst. Aeusserlich gibt sich die Hypertrophie der 
Epidermiszellen zu erkennen in Form buckelartiger Erhöhungen, 
welche meist an der Oberseite convex gewölbt erscheinen. 
Anders bei Salix. Eine Verunstaltung des Blattes wird durch 


269 


den Pilz nicht bewirkt. Die Epidermiszellen reagiren nicht auf den 
vom Parasiten ausgehenden Reiz, und werden nicht zu abnormalem 
Wachstum angeregt. Bei ihrer Kleinheit bieten sie den Haustorien 
offenbar auch wenig Nahrung. Dem Pilz bleibt also nichts anderes 
übrig als einzelne Haustorien auch in die nächste Zelllage, nämlich 
in die obersten Palissadenzellen zu entsenden, in welchen die Haus- 
torien oft eine ausserordentliche Grösse erlangen, was auf dort 
bestehende günstige Ernährungsbedingungen schliessen lässt. 


Zusammenfassung. 


Ich möchte zum Schluss der Uebersichtlichkeit halber die wich- 
tigsten Resultate der vorstehenden Untersuchungen kurz widergeben: 

l. Die Conidien von Phyllactinia werden nicht, wie 
bisher angenommen worden war, einzeln, sondern in gleicher Weise 
wie bei den anderen Erysipheen in Ketten abgeschnürt. 

2. Unecinula Aceris bildet zweierlei Conidien; nämlich: 
a) normale: 30-—-35, gross, abgerundet, leicht abfallend, gut keimend; 
b) abnormale: rückgebildet (wahrscheinlich infolge ungünstiger Er- 
nährung), sehr klein (ca. 8—12j), eylindrisch, an den Enden nicht 
abgerundet; dieselben fallen ausserdem dadurch auf, dass sie schwer 
einzeln frei werden, vielmehr in langen Ranken abfallen und durchaus 
nicht zum Keimen zu bringen sind; ich nenne sie Hungerconidien. 

3. Die Keimschläuche zahlreicher Erysipheen-Conidien rea- 
giren in sehr charakteristischer Weise auf Lieht- und Berührungs- 
reiz. Der Lichtreiz bewirkt eine Beschleunigung der Keimschlauch- 
bildung, sowie in vielen Fällen ein Wachsthum des Keimschlauches 
gegen die Lichtquelle hin. Mit der Reaction auf Contactreiz steht 
die Art und Weise der Appressorienbildung in naher Beziehung. 

4. Die Vorgänge der Keimschlauchbildung können 
— besonders innerhalb der schwierigen Gattung Erysiphe — als 
Kriterien zur Umgrenzung der Arten Verwendung finden. Besonders 
kommen hier in Betracht: Grösse, Gestalt, Verzweigungsgrad, Aeusser- 
ungen des Heliotropismus und Haptotropismus der Keimschläuche. So 
kann auf Grund der Keimungserscheinungen als sicher angenommen 
werden, dass die auf Boragineen schmarotzende Erysiphe verschieden 
ist von dem auf Compositen lebenden Mehlthaupilz — beide 
bisher als E, Cichoriaceum bezeichnet. Gleiches gilt für Erysiphe auf 
Papilionaceen und auf Umbelliferen — beide bisher als E. Polygoni 
bezeichnet — u. a. 


270 


5. Die Infectionsversuche mittelst Conidien haben 
ergeben, dass die Uebertragung eines Mehlthaupilzes 
von einer Wirthpflanze auf eine andere — nachdenbis- 
herigen Anschauungen dem gleichen Pilz als Nähr- 
boden dienende — in zahlreichen Fällen nicht gelingt. 
Daraus den Schluss zu ziehen, dass ebenso viele biologische Arten 
existiren als Nährpflanzen — auf welche ein Pilz beschränkt zu sein 
scheint —, wäre übereilt, wenn auch, nach den Erfahrungen, welche 
man bei anderen Pilzgruppen (besonders Uredineen) gemacht hat, 
nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Umstand aber, dass auf 
einjährigen Pflanzen, z. B. Senecio vulgaris (bei welchem also Mycel- 
überwinterung ausgeschlossen ist), eine Erysiphe sich in jedem Jahr 
reichlich entwickelt, ohne indessen je zur Perithecienbildung zu ge- 
langen, legt die Vermuthung nahe, dass mittelst der Ascosporen die 
Uebertragung eines Mehlthaupilzes von einer Art auf eine andere 
(Wirthpflanze) wohl möglich it. Demnach wären die Asco- 
sporen dadurch ausgezeichnet, dass sie das Bestreben 
zeigen, den Kreis der Wirthpflanzen eines Pilzes weit 
zu erhalten, während die Conidien sich sehr schnell 
einem bestimmten Substrat anpassen. 

Ob es möglich sein wird, hiefür einen exacten Beweis zu liefern, 
muss bei der Schwerzugänglichkeit reifer Erysipheen-Ascosporen, dahin- 
gestellt bleiben. Hingegen lassen die Resultate der zahlreichen mit 
Uredineen angestellten Infectionsversuche Eriksson’s, Klebahn’s, 
Fischer’s u.A. darauf schliessen, dass es bei dieser Familie analoge 
Fälle gibt, d.h. dass Aecidium-Formen existiren, welche die Fähigkeit 
besitzen, mehrere verschiedene Arten von Wirthpflanzen zu inficiren, 
während die bezüglichen Uredo-Generationen specialisirt sind, d. h. 
nicht die Fähigkeit besitzen, von einer Wirthpflanze auf die andere 
(verschiedener Art) überzugehen. 

Auf die wahrscheinliche physiologische Ungleichheit der verschie- 
denen Sporengenerationen bei specialisirten Pilzen wäre deshalb 
gelegentlich künftiger Untersuchungen das Augenmerk zu richten. 

6. Der Ernährungsmechanismus der Mehlthaupilze ist 
verschieden, je nach dem wie die Wirthpflanze auf den vom Pilz 
ausgehenden Reiz reagirt. 

Die Haustorien beschränken sich auf die Epidermiszellen, wenn 
die das Haustorium beherbergende Zelle hypertrophirt wird und in- 
folge dessen reichlichen Zufluss von Nährstoffen nach der vergrösserten 
Zelle stattfindet (Sphaerotheca Humuli). Die Haustorien dringen 


271 


dagegen häufig in das Mesophyll ein, wenn die Epidermiszellen zu 
einer abnormen Vergrösserung nicht angeregt werden (z. B. Uncinula 


Salieis). 
Litteratur. 
1. de Bary, EBurotium, Erysiphe, Cieinnobolus. (Abh. der Senkenberg'schen 
Naturf. Gesellschaft. Bd. VII, 1871.) 
2. — — Recherches sur le developpement de queiques champignons parasites, 
(Ann. sc. nat, Ser. IV Botanique, t. XX, 1863.) 
8. Brefeld, Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde, (Bot, 


Zeitung Bd. 35, 1877.) 


4. — — Botanische Untersuchungen über Schimmelpilze. (Untersuchungen aus 
dem Gesammtgebiet der Mycologie) Heft IV, 1881. 

5. — — Ebenda. Heft VIII, 1889, (Basidiomycetes,) 

6. — — „ » XI, 1895. (Brandpilze.) 

7. Büsgen, Ueber einige Eigenschaften der Keimlinge parasitischer Pilze. (Bot. 
Ztg. Bd, 51, 1893.) 

8. Cieslar, Untersuchungen über den Einfluss des Lichtes auf die Keimung der 
Samen. (Forschungen auf dem Gebiet der Agriculturphysik. Bd, VI, 1893.) 

9. Dietel, Waren die Rostpilze in früheren Zeiten plurivor? (Bot. Centralbl. 
Bd. 79, 1899.) 

10. — — et Neger, Uredinaceae chilenses III (Engler’s Botanische Jahrbücher 
Bd. 27, 1899.) 

11. Elfving, Studien über die Einwirkung des Lichtes auf die Pilze. Academische 
Abhandlung. Helsingfors 1890, 

12. Eriksson, Ueber die Specialisirung des Parasitismus bei den Getreiderost- 
pilzen. (Ber, d. d. bot. Ges. Bd. XII, 1894,) 

13. — — Der heutige Stand der Getreiderostfrage. (Ber. d. d. bot. Ges. Bd. XV, 
1897.) 

14. — — und Henning, Die Hauptresultate einer neuen Untersuchung über die 

Getreideroste. (Zeitschr. f. Pflanzenkrankheiten. Bd. IV, 1894.) 

15. — — Bidrag till Kännedomen om vära odlade växters sjukdomar I. (Referat 
im Bot. Centralbl. Bd. 26, 1886.) 

16. Fischer, Entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen über Rostpilze. (Bei- 
trag zur Kryptogamenflora der Schweiz. Bd, I, Heft 1, 1898.) 

17. — — Fortsetzung der entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen etc. (Ber. 
d. schweiz. bot. Ges. Heft 11, 1901.) 

18. Giesenhagen, Die Entwiekelungsreihen der parasitischen Exoasceen. (Flora 
1895, Bd, 81 [Ergänzungsband].) 

19. Heinricher, Ein Fall beschleunigender Wirkung des Lichtes auf die Samen- 
keimung. (Ber. d. d. bot. Ges. Bd. 17, 1899.) 

20. Hofmeister, Die Lehre von der Pflanzenzelle. 1867. 

21. Jacky, Der Chrysanthemum-Rost. (Zeitschrift für Pflanzenkrankheiten. 
Bd. X, 1900.) 

22. Kissling, Zur Biologie der Botrytis cinerea. (Dresden 1889.) 

23. Klebahn, Culturversuche mit heteroecischen Rostpilzen. I--VIH. Zeitschr, 


f. Pflanzenkrankheiten, 


212 


24, 


25. 


26. 


27. 


28. 
29, 
80. 


31. 
32. 
33. 
34, 
35. 
36. 
37, 


38. 


39. 


40. 


4. 


42. 


43. 
44. 


45. 


Klebs, Die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. 
Jena 1896. . 

Magnus. Ueber die Beziehungen zweier auf Stachys auftretenden Puccinien 
zu einander. (Ber. d. d. bot. Ges, Bd. XVI, 1898.) 

— — Der Mehlthau auf Syringa vulgaris in Nordamerika. (Ber. d. d. bot. 
Ges. Bd. XVI, 1898. 

— — Die systematischen Unterschiede nächst verwandter parasitischer Pilze 
auf Grund ihres verschiedenen biologischen Verhaltens. (Hedwigia, 
Bd. XXXIII, 1894.) 

Moeller, Ueber die Cultur flechtenbildender Ascomyceten ohne Algen. (Ref. 
in Bot. Zeitung, Bd. XXXXVI, 1888.) 

Neger, Beiträge zur Biologie der Erysipheen I. (Flora. Bd. 88, 1901.) 

Nobbe und Hiltner, Künstliche Veberführung der Knöllchenbacterien von 
Erbsen in solche von Bohnen, (Centralbl. f. Bact. u. Parasitenkunde. 
IH. Abt., 1900.) 

Palla, Ueber die Gattung Phyllactinie. (Ber. d. d. bot. Ges. Bd. 17, 1899.) 

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Rauch, Beitrag zur Keimung von Uredineen- und Erysipheensporen in ver- 
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Stebler, Ueber den Einfluss des Lichtes auf die Keimung. (Bot. Zeitung. 
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Tulasne, Selecta fungorum carpologia. Tom.I. Paris 1861. 

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Bd. XXXXVII, 1889 —1890.) 

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Zopf, Ueber einen neuen Inhaltskörper in pfanzlichen Zeilen. (Ber. d. d. 
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Grant Smith, The haustoria of he Erysiphaceae, (Bot. Gazette, Bd. XXIX, 
1900.) 


Bemerkung zu den Figuren. 


Fig. 24. Vergr. 350. 


” 


2. 228. 
m. 200. 
Alle anderen Fig.: Vergr. 250. 


u 


Ueber die Bildung von „verjüngten‘“ Stämmehen bei alternden 
Weiden. 


Von 
Dr. G. Tischler in Heidelberg. 


Mit 4 Abbildungen im Text. 


Dass gerade die Weiden eine sehr starke Reproductionsfähigkeit 
besitzen, ist ja eine altbekannte Thatsache, dass diese aber in extre- 
men Fällen durch eine Spaltung des Baumes und Bildung von Theil- 
stämmchen bis zu einer Art „Verjüngung‘ führt, ist wenig beachtet 
worden. 

Zuweilen finden wir bei alternden Kopfweiden, wenn das ganze 
Kernholz des Baumes bereits abgestorben und in Zerfall begriffen 
ist, dass auch einige Streifen des Splintholzes in ihrem ganzen Ver- 
laufe von der Wurzel bis zur Krone absterben. Das sind die Theile, 
bei denen die Rinde durch Verletzung des Baumes abgestorben oder 
abgeschält ist. Zwischen solchen Partieen todten Splintholzes bleiben 
solche von lebenden erhalten mit noch vollständig gesunder Rinde. 
Durch die cambiale Thätigkeit wird an solchen Theilen eine lebhafte 
Phlo&m- und Holzbildung, letztere besonders stark, angeregt. 

Das Holz überwächst nun durch Ueberwallung die älteren stehen 
gebliebenen Partien des Splintholzes. Die Jahresringe haben hier eine 
bedeutend grössere Breite, als bei normalem Wachsthum, so in einem 
Falle von 7 und 6cm im Gegensatz zu einer Breite von 2 und 1,1cm 
der letzten Jahre vor der Callusbildung. 

Dadurch dass in jedem Jahre die Ueberwallung des alten Holzes 
durch Callusbildung immer weiter vor sich geht, berühren sich in 
nicht allzu langer Zeit die beiden Callusränder, nachdem das alte 
ursprüngliche Splintholz, das nun für diesen verjüngten Stamm zum 
Mittelpunkt geworden ist, so weit verwittert ist, dass der Zusammen- 
hang mit dem etwa doch dahinterliegenden älteren Holze verloren 
gehen muss. Nun kann der alte Stamm immer mehr verwittern, die 
jungen Stämmchen, die sich gänzlich aus dem Verbande des Haupt- 
stammes loslösen, erweisen sich als vollständig lebenskräftig und 
können dann später normales Dickenwachsthum zeigen. 

Ein Beispiel mag das Gesagte noch verdeutlichen. Eine alte 
Salix alba (Kopfweide), Höhe 2,50m bis zu dem „Kopfe*, Umfang in 
lim Höhe über der Erde 2,06 m, war im Innern vollständig ausgehöhlt, 


auch grössere Theile des Splintholzes mitsammt der Rinde waren schon 
Flora 1902. 18 


274 


abgestorben, so dass eine äussere Oeffnung von 34cm Breite vorhanden 
war. In dem Splintholze, das dieser Lücke zunächst war, begannen 
weitere Theile abzusterben, während einzelne Holzstreifen sich da- 
zwischen lebend erhielten. So hatten sich zwei Stämmehen von dem 
Gesammtverbande des Baumes getrennt, die in Im Höhe über dem 
Boden 26cm und 45cm Umfang hatten. Sie besassen bis zur Wurzel 
getrennte Holzkörper, waren aber durch das abgestorbene oder im 
Absterben begriffene Holz unter einander noch theilweise verbunden. 
Von diesen beiden Stämmchen war das erste ziemlich abgerundet, das 
zweite ziemlich flach und zeigte besonders ausgeprägt nur an einer 
Seite die oben geschilderte lebhafte Ueberwallung. 

Ich liess diese Stämmchen durchsägen und fand auf dem Quer- 
schnitte Folgendes: 

Das erste zeigte zwei deutlich von einander gesonderte Theile. 
Der nach innen zu gelegene war allerdings ebenso wie der äussere 
durch Callusbildung entstanden, doch bereits abgestorben und zeigte 
dunkle Färbung wie Kernholz. Er enthielt sieben Jahresringe von 
verschiedenem Durchmesser (6, 6, 6, 5, 5, 4, 4mm). Die Grösse des 
ganzen betrug 6,5:4cm. Von diesem inneren Theile war die Rinde 
vollständig abgeschält. Der äussere, allein noch lebende Theil zählte 
drei Jahresringe von etwas grösserer Dicke, 7, 10 und 6cem. Seine 
Grösse war nur 5:2,3em. Fig. 1 soll uns denselben in ungefähr 
natürlicher Grösse veranschaulichen. Wir sehen an ihr die Jahres- 
ringe bis 1896, die für 189698 abgestorben, die von 1899-1901 
lebend. Bei diesem äusseren Abschnitte können wir besonders gut 
die zunehmende Wölbung der Jahresringe durch Ueberwallung be- 
obachten. Die Ringe für 1898 und 99 sind noch ganz flach, der für 
1901 zeigt schon eine ziemlich starke Rundung. Die Rinde ist vom 
Jahre 1899 an besonders stark ausgebuchtet, sie reicht bis zu den 
auf unserer Figur mit Kreuzen bezeichneten Stellen. Wäre der Stamm 
länger stehen geblieben, dann wäre das Holz bis 1899 allmählich ab- 
gestorben und die Stelle X— X durch Callusbildung bald verschlossen. 
Von dem von dem Hauptstamme abgetrennten hätte sich somit ein 
weiteres „verjüngtes* Stämmchen losgelöst. 

Das zweite unserer beiden oben erwähnten Stämmehen war sehr 
flach, 15:3,5em breit mit Ausnahme des einen Endes, an dem die 
Jahresringe breiter wurden und schöne Ueberwallung eingetreten war. 
Fig. 2 gibt uns ein Bild davon in !/, nat. Grösse. Die Partien des 
alten Holzes setzen sich noch schärfer als oben von dem neuen ab, 
die Jahresringe sind in ersterem nicht mehr in ihrem ganzen Verlauf 


275 


zu verfolgen, da es schon zu stark verwittert ist. Die zu überwallende 
Lücke ist sehr viel grösser als bei dem ersten Stämmchen. Es ist 
uns ein Beispiel dafür, dass auch an relativ breiten Rindenlappen 
eine Bildung von „verjüngten“ Stämmchen erfolgen kann. 


Fig. 1. Querschnitt durch ein junges Stämmchen von Salix alba, das infolge 
Hohlwerdens des Hauptstammes und Absterbens einiger Partien des Splintholzes 
und der Itinde sich aus dem Gesammtverbande losgelöst hatte. Die Jahresringe 
bis 1898 zeigen todtes, von da an lebendes Holz. Eine Ueberwallung tritt in den 
!etzten Jahren sehr schön ein. — Bis zu X reicht die Rinde. — Nat. Gr. 

Fig. 2. Desgl. durch ein Stämmchen desselben Baumes, das ziemlich flach ist. 
An einer Seite tritt lebhafte Ueberwallung ein. Von 1898 neues Holz. !/, nat. Gr. 

Fig. 3. Querschnitt durch ein Stämmchen, das sich durch Regeneration aus 
einem Rindenlappen eines alten abgeschälten entwickelt hat. Ueberall sind 
breite Jahresringe, ursprüngliches Holz fehlt vollkommen. Von der „Lücke“ aus 
beginnt Vermorschung einzutreten. %/, nat. Gr. 

18" 


276 


Diese selbe lebhafte Holzbildung kann zuweilen auch künstlich 
hervorgerufen werden. Für Weiden liegt meines Wissens keine der- 
artige Beschreibung vor'), für Linden dagegen bei Frank.?) Es heisst 
da: „Bisweilen aber ist, besonders an Linden, beobachtet worden, 
dass, wenn der eine (abgeschälte) Rindenlappen wenigstens oben oder 
unten noch mit der gesunden Rinde im Zusammenhange steht, der- 
selbe auf der Innenseite Holz bildet, welches sich mit einem neuen 
Rindenüberzuge bedeckt. Wenn die abgelöste Rinde oben und unten 
noch in Verbindung mit dem Stamme steht, so bildet sich dureh diesen 
berindeten Holzüberzug ein doppelter Stamm, oder wenn dabei die 
Rinde ringsum gelöst ist, gleichsam ein Futteral um das alte dann 
oft abgestorbene Holz mit einem wirklichen Zwischenraume zwischen 
beiden.“ In unserem Falle geht, wie wir sehen werden, die Trennung 
von dem alten Stamme viel weiter, als dass bloss ein „theilweiser 
Zwischenraum“ vorhanden ist. 

Auf dem Gute meiner Eltern wurden einige Kopfweiden, Saliıx 
alba, die lästig geworden waren und deshalb aus dem betreffenden 
Terrain fortgeschafft werden sollten, wie das gewöhnlich zu geschehen 
pflegt, entrindet, um sie dann im nächsten Jahre bequem roden lassen 
zu können. 

An einer dieser Weiden waren durch Zufall zwei Rindenstreifen 
erhalten geblieben, und zwar in ihrer ganzen Längenausdehnung. 
Diese schützten das darunter befindliche Splintholz vor dem Absterben, 
und während nun der ganze übrige Stamm abstarb und zu verwittern 
begann, trat bei dem einen der beiden Rindenstreifen eine fast voll- 
ständige Loslösung und an seiner Innenseite eine sehr starke Holz- 
bildung auf. Bald kam ein stattliches Stämmchen zu stande, das 
sich nach Absterben der geringen Holzpartien, die es mit dem alten 
Baume oben und unten verbanden, von demselben bald vollständig 
loslöste.e Auf unserer Photographie (Fig. 4) sehen wir das Resultat 
nach einigen Jahren. Der alte Baum zeigte nur noch an dem an- 
deren, nicht abgelösten Rindenstreifen einiges Leben, bei unserem 


1) Herr Professor Hartig hatte noch wenige Wochen vor seinem Tode die 
grosse Liebenswürdigkeit, mir auf eine diesbezügliche Anfrage mitzutheilen, er 
entsinne sich nicht, „dass der betreffende Prozess je abgebildet oder beschrieben 
worden sei“. Auch in Just’s Jahresbericht fand ich keine Angaben hierfür. Es 
beweist dies, dass, wie Herr Professor Hartig gleichfalls betonte, „in der Litte- 
ratur seit einigen Jahrzehnten solchen Erscheinungen fast gar keine Aufmerksam- 
keit geschenkt worden ist“. Dem praktischen Botaniker dürfte der Vorgang 
wohl seit langer Zeit bekannt sein. 

2) Die Krankheiten der Pflanzen. Bd. I, 2. Aufl., pag. 141. Breslau 1595. 


277 


„verjüngten“ hatten sich die Ränder wie vorhin zu einander gekrümmt 
und die Wunde durch Ueberwallung nach Möglichkeit geschlossen. 
Der Umfang des ganzen Stammes in Im über der Erde war 3,10 m, 


Fig. 4. Photographie des Hauptstammes mit dem regenerirten Stämmchen, 
Dasseibe ist vom Boden bis zur Krone von ersterem getrennt. 


seine Höhe bis zum „Kopf“ 3m, der Umfang des Theilstämmehens 
63cm. An der nach innen gekehrte Seite hatte die rindenlose „Lücke*, 
die also noch nicht vollkommen überwallt war, nach Messungen vom 
März 1901 eine Breite, in verschiedenen Höhen wechselnd zwischen 
7, 8, 11, 10, 5, 2:jacm. Im October 1901 liess ich das Stämmchen 


278 


‘ durehsägen und erhielt auf dem Querschnitte das in Fig. 3 darge- 
stellte Bild (!/s nat. Gr.), 

Die Jahresringe waren bis 1894 zurück zu verfolgen, an der 
starken Breite war aber zu schen, dass nirgends wirklich „altes“ 
Holz vorlag, da die Ablösung des Rindenlappens in der Cambialzone 
erfolgt war. Das Holz von 1894—1896 war im Absterben, wohl weil 
es wegen der „Lücke“ nicht genug gegen die Atmosphärilien geschützt 
war; es begann dunkle Färbung wie Kernholz anzunehmen. Jahres- 
ring 1897-—1901 zeigte lebendes, ziemlich gesundes Holz. Mit dem 
Jahre 1897 beginnt die Ueberwallung energischer zu werden; im 
letzten Jahre ist die „Lücke“ fast ganz geschlossen. Die Dicke der 
Jahresringe war überall recht gross, dabei ziemlich ungleich. An der 
breitesten Stelle betrug sie jedes Mai, von aussen begonnen, 12, 12, 
19, 15, 9, 15, 18, 20, 15cm, an der schmälsten ebenso 6, 5, 5, 6, 4, 
7, 15, ?, ?; die innersten Ringe schienen überall von ziemlich gleicher 
Breite zu sein. 

Es ist jetzt nachträglich schwer zu entscheiden, ob hier ein ein- 
facher Reproductionsvorgang oder eine Regeneration vorliegt. Letztere 
hätten wir anzunehmen, wenn die gesammten Cambialzellen bei dem 
Abschälen zerstört worden wären. Ueber Regenerationen bei Bäumen 
finden wir in Frank, Die Krankheiten der Pflanzen, Beispiele und 
Litteratur. Dafür, dass aber auch für krautartige Pflanzen weitgehende 
Regenerationen bekannt sind, mag eine Beobachtung von Beyerinck') 
dienen, nach der an einigen Exemplaren einer Subvarietät der Brassica 
oleracea acephala, die vollständig längsgespalten waren, die fehlenden 
Hälften gänzlich regenerirt wurden. 

Doch wenn auch in unserem Falle Cambialzellen erhalten ge- 
blieben wären, also nur Reproduction vorläge, wäre es uns ein 
schönes Beispiel für die Lebenszähigkeit der Weiden. 


Heidelberg, den 5. November 1901. 


1) eit. Just’s Jahresbericht 1883 I pag. 548. Ueber die Regenerations- 
erscheinungen an gespaltenen Vegetationspunkten von Stengeln und über Becher- 
bildung. Nederlandsch Kruitkundig Archief 4e deel, V stuk 1883, pag. 63— 105. 


Morphologische und biologische Bemerkungen. 
Von 
K. Goebel. 


11. Ueber Homologien in der Entwickelung männlicher und weiblicher 
Geschlechtsorgane. 


Mit 9 Abbildungen im Text. 


Nachdem zuerst Thuret der epochemachende Nachweis ge- 
lungen war, dass Fucus eine sexuelle Fortpflanzug besitzt, folgte rasch 
die Entdeekung weiterer Beispiele dieses Vorgangs bei anderen Thal- 
lophyten. Von besonderer Bedeutung war die Auffindung der Schwärm- 
sporenpaarung durch Pringsheim!), als einfachster Form der ge- 
schlechtlichen Fortpflanzung. Seither ist es einer der elementaren Lehr- 
sätze bei Besprechung der geschlechtlichen Fortpflanzung geworden, dass 
wir bei den „Algen“ in mehreren Gruppen die Sexualzellen in eine 
Reihe anordnen können, welche beginnt mit der Copulation gleich- 
gestalteter Gameten, und zwar von Planogameten, und endigt in 
„oogamer* Befruchtung, wobei die eine Schwärmspore grösser als die 
andere und unbeweglich geworden ist.?) Auf die Zwischenstufen 
zwischen den Endgliedern der Reihe braucht hier nicht hingewiesen 
zu werden, ebensowenig darauf, dass die Archegoniaten sich derselben 
unmittelbar anschliessen. Die Frage, die hier erörtert werden soll, 
ist vielmehr die, wie weit die Organe, in denen die Sexualzellen ge- 
bildet werden, in Entwickelung und innerem Bau unter einander 
übereinstimmen, auch in den Fällen, in welchen die Sexualzellen ver- 
schieden sind. Ein Antheridium einer Characee ist ein von den 
Oogonien äusserlich ausserordentlich verschiedenes Gebilde, Dasselbe 
gilt von den Antheridien und Archegonien der Archegoniaten. Trotz- 
dem ist die Annahme, dass diese Organe, ähnlich etwa wie die Mikro- 
und Makrosporangien der Pteridophyten, sich von einer ursprünglich 


}) Pringsheim, Ueber Paarung von Schwärmsporen, die morphologische 
Grundform der Zeugung im Pflanzenreich. Monatsber. der Berliner Akademie 
1869, Gesammelte Abhandlungen pag. 85 f. 

2) Dass auch die männliche Sexualzelle dem undifferenzirten Ausgangsstadium 
gegenüber Veränderungen erfahren hat, ist bekannt. Vgl. z. B, betr. Volvox die 
Bemerkung in Goebel, Organographie pag, 24. 


280 


gleichen Grundform aus weiter entwickelt haben, eine naheliegende, 
Sie gewinnt eine Stütze namentlich auch dadurch, dass die Homo- 
logie zwischen männlichen und weiblichen Sexualorganen um so 
klarer hervortritt, je tiefer wir in der Stufenleiter des Systems 
hinabsteigen. 

Ich habe diese Frage schon vor einer Reihe von Jahren erörtert.‘) 
„Es lässt sich bezüglich der Entwickelung der Antheridien und Oogo- 
nien der besprochenen Algen eine Homologie der Entwiekelung un- 
schwer constatiren, die aber meist dadurch verdeckt wird, dass in 
den Antheridien Theilungen stattfinden, die in den Oogonien unter- 
bleiben.“ Es wurde dies am Beispiel von Oecdogonium und Cutleria 
ausgeführt und nachgewiesen, dass ganz Analoges auch für Fucus gilt, 
obwohl bier Antheridien und Oogonien sehr beträchtlich von einander 
abweichen. Es zeigte sich nämlich — was auch spätere Autoren 
bestätigt haben —, dass in den Antheridien die Spermatozuen ebenso 
durch eine wiederholte Zweitheilung des Kernes entstehen, wie die 
Eizellen im Oogonium. Es darf wohl als ein Beleg für die Richtig- 
keit der damals vertretenen Anschaungen betrachtet werden, dass ein 
Fall, der nach den seinerzeit vorliegenden Angaben ihnen zu wider- 
sprechen schien, bei genauerer Untersuchung sich vielmehr als Stütze 
derselben erwies. Die Angaben von Pringsheim über den Ur- 
sprung der Antheridien von Coleochaete pulvinata wiesen denselben 
eine andere Entstehung zu, als den Oogonien. Während die letzteren 
aus den Endzellen der den Thallus zusammensetzenden Fäden ent- 
springen, erschienen die Antheridien als seitliche Aussprossungen. 
In der Besprechung dieser Angaben wurde hervorgehoben (a. a. O. 
pag. 417), dass auch bei den Antheridien die Möglichkeit vorliegen 
würde, sie als umgebildete Endzellen von Thallusästen zu betrachten, 
wenn ihre Entstehung eine andere wäre als die von Pringsheim 
angenommene. Die Untersuchungen von Oltmanns?) haben gezeigt, 
dass dem in der That so ist, dass also die damals als möglich hinge- 
stellte Homologie wirklich vorhanden ist. Es ist wohl anzunehmen, 
dass auch bei Coleochaete scutata die Antheridien nicht aus alten 
Thalluszellen entstehen (wie Pringsheim annahm), sondern aus 
Endzellen von Zellreihen, die von anderen umwachsen dann als innere 
Zellen erscheinen. 


1) Vergleichende Entwickelungsgeschichte der Pflanzenorgane 1883. In 
Schenk, Handbuch der Botanik pag. 413 fi. 


2) Oltmanns, Die Entwickelung der Sexualorgane bei Coleochaete pulvinata- 
Flora 83, Bd. (1898) pag. 8. 


281 


Dass übrigens die Stellung der männlichen Organe bei Thallo- 
phyten eine etwas andere ist, als die der weiblichen, ist ein nicht 
seltener Fall. Ein einfaches Beispiel bietet Batrachospermum. Die 
Carpogonien sind hier terminal an den Seitenästen der Pflanze, ebenso 
die „Spermatangien“'), nur schliessen letztere Aeste höherer Ordnung ab. 
Es sieht wegen ihrer zuweilen rasch hinter einander auftretenden 
Bildung auch hier nicht selten so aus, als ob sie an Trägerzellen 
seitlich hervorsprossen würden, indes stellen sie offenbar überall die 
Enden von (oft ganz redueirten) Aesten dar und stimmen also — von 
der Sprossordnung abgesehen —- mit den Carpogonien überein. Ebenso 
ist es bei Fucus, wo die Oogonien terminal, die Antheridien seitlich 
an den aus der Innenseite der Conceptakeln entspringenden Zellfäden 
entstehen, mutatis mutandis auch bei Chara. Mir scheint, dass für 
manche dieser Fälle biologisch derselbe Gesichtspunkt in Betracht 
kommt, den ich für die verschiedene Vertheilung von männlichen 
und weiblichen Blüthen bei manchen diklinen Holzpflanzen geltend 
zu machen gesucht habe. (Örganographie der Pflanzen pag. 654.) 
Es wurde dort hervorgehoben, dass, wo männliche und weibliche 
Blüthen verschiedene Stellung haben (z. B. die weiblichen Blüthen von 
Pinus normal an Stelle der Langtriebe, die männlichen an Stelle der 
Kurztriebe), dies teleologisch dadurch verständlich sei, dass die weib- 
lichen Blüthen in der Sprossregion auftreten, welche auch sonst die 
geförderte, d. h. die besser ernährte ist. Indem ich betreffs anderer 
Holzpflanzen auf die a. a. O. angeführten Beispiele verweise, sei nur 
auf das ganz analoge Verhalten der Antheridien und Archegonien 
an Farnprothallien hingewiesen. Die Antheridien können bei den 
Polypodiaceen z. B. so ziemlich überall auftreten, die Archegonien 
sind auf das Gewebepolster beschränkt, das sich auf der Prothallium- 
unterseite findet. Die Zweckmässigkeit dieser Erscheinung leuchtet 
ohne Weiteres ein, die causale Verknüpfung werden wir zunächst 
nur ganz allgemein darin erblicken können, dass für die Hervor- 
bringung der weiblichen Sexualorgane in diesen Fällen „bessere Er- 
nährung“ nothwendig ist (oder ihrer Anlegung eine längere Reihe 


1) Dieser Ausdruck wird neuerdings für die Bildungsstätten der Spermatien 
gebraucht, die früher theilweise als Antheridien bezeichnet wurden (so z. B. von 
Solms-Laubach, Ueber die Fruchtentwickelung von Batrachospermum, Bot. 
Ztg. 1867 pag. 161 ff); als Antheridien werden dann Gruppen von Spermatangien 
benannt. Ich muss gestehen, dass ich die alte Bezeichnung für die zweckmässigere 
halte und vorziehen würde, von Antheridien und Antheridienständen zu reden. 
Indes ist dies Sache der Algologen, 


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ber die Stellung d Moog im stem Florg 185 


282 


von Umsetzungen vorhergehen muss), als für die der männlichen, 
eine Bezeichnung, der man vorwerfen kann, sie sei eine vage, die 
aber doch nicht ohne Bedeutung ist. Dass teleologisch auch noch 
andere Beziehungen für die verschiedene Stellung der beiden Sexual- 
organe in Betracht kommen können, ist übrigens zweifellos. Bei 
/Qbara und Nitella z. B. finden wir die Oogonien so angebracht, dass 
sie zwischen dem Blatt und der Sprossachse in geschützter Stellung 
ihre Sporen heranreifen können, Im Uebrigen sollen die verschiede- 
nen Stellungsverhältnisse der Sexualorgane im Folgenden nicht oder 
nur beiläufig berührt werden; nur die Uebereinstimmung im Aufbau 
der Organe selbst sei näher untersucht. Der Nachweis einer solchen 
Uebereinstimmung wird, wie schon oben erwähnt, um so schwieriger, 
je höher wir im System hinaufgehen. Dass die Frage, wie weit die 
Homologie geht, aber auch hier keine unfruchtbare ist, möchte ich 
in den folgenden Ausführungen nachweisen. Sie sollen zeigen, dass 
zu dem schon früher hervorgehobenen Vorgang (Unterbleiben von 
Theilungen in den weiblichen Organen, welche in den männlichen 
auftreten) bei manchen Pflanzen noch zwei weitere kommen: Steril- 
werden bestimmter Zellen in den weiblichen Organen, die sich in den 
männlichen weiter entwickeln, und in Verbindung damit eine Ver- 
schiebung der Zellenanordnung, welche die ursprüngliche Ueberein- 
stimmung verdeckt. 


1. Characeen. 


Bei der Beurtheilung der Verwandtschaftsverhältnisse der Chara- 
ceen lassen sich zwei Strömungen unterscheiden: die eine sucht sie 
nach oben — zu den Archegonisten hin — zu ziehen, die andere 
nach unten zu den Algen. Die Litteratur hierüber anzuführen ist 
kaum nothwendig, es genüge, daran zu erinnern, dass Hofmeister‘) 
die Eiknospen der Charen direct als „Archegonien“ bezeichnete; 
betreffs der Antheridien sagt er (a.a. O. pag. 8 Anm. 1): „Eine be- 
merkenswerthe Analogie mit den Charen zeigt das in Bezug auf seine 
Vegetationsorgane niederste Moos (Anthoceros) darin, dass seine An- 
theridien, denen der Charen gleich, durch Auswachsen der Wandzellen 
eines Intercellularraums angelegt werden (die bekannten rothen Kugeln 
der Charen sind selbstverständlich als Antheridienstände zu betrachten. 
Im Mittelpunkt der bis dahin gleichwerthigen, kugeligen Zellmasse 
bildet sich ein Hohlraum, in den hinein die Antheridien sieh ent- 


1) Ueber die Stellung der Moose im System, Flora 1852 pag. 1 if. 


283 


wickeln).“ Die Charen erscheinen nach dieser Auffassung als eine 
Fortsetzung der Bryophytenreihe nach unten hin. 

Die Hofmeister’sche Auffassung hat durch spätere Unter- 
suchungen keine Stütze gefunden. Erst in neuerer Zeit versuchte 
Götz!) durch Verfol- 
gung der Entwicke- 
lungsgeschichte „eine 
auffallende Aehnlich- 
keit in mancher Hin- 
sicht zwischen der Ent- 
wickelung derOogonien 
der Charen und der- 
jenigen der Laubmoos- 
archegonien“ (z.B. An- 
dreaea) nachzuweisen. 
Die bekannten, unten 
näherzu besprechenden 
„ Wendungszellen® im 
Oogonium (Fig.1) fasst 
er auf als die redueirte 
"Wandung eines Arche- 
goniums. Leider hat 
der Autor aber nicht, 
wie man erwarten 
konnte, den Vergleich 
wirklich durchgeführt. 
Soll eine Aehnlichkeit 
vorhanden sein, so darf 
sie sich nicht gründen 
auf einen äusserlich Fig. 1. Nitella subtilissima, Eiknospe und Umgebung 
ähnlichen Eindruck, es im optischen Längsschnitt, 1, 2, 3 die drei sterilen 
fragt sich vielmehr, „Wendungszellen*, O die fertile (zur Eibildung be- 
wie weit die im Arche- nützte) (stark vergr). Die Hällschläuche liegen unten 

. dem Oogon eigentlich dicht an. 
gonium vorhandenen 


gesetzmässigen Theilungsfolgen auch im Characeen - Oogonium sich 
nachweisen lassen. Gehen wir zunächst von dem von Götz gege- 
benen Schema (Fig. 2,I) aus. Die aus der „Knotenzelle* (Kn) der 
Eiknospe entspringenden Hüllschläuche (H) kommen für uns weiter 


1) Götz, Ueber die Entwickelung der Eiknospe bei den Characeen. Bot. 
Ztg. 1899 pag.1. 


284 


nicht in Betracht. Vielmehr handelt es sich um die Theilungen in 
der Endzelle, die zum Oogonium wird. Nach Götz geht ihre Ent- 
wiekelung folgermaassen vor sich. 

„Die erst freie, späterbin jedoch von einer Hülle umschlossene 
centrale Scheitelzelle, A. Braun’s primäre Kernzelle, gliedert zu- 
nächst an ihrer Spitze, wie Fig. 1!) zeigt, eine flache, halblinsen- 
förmige, kleinere Zelle ab (Wı), die jedoch durch das Wachsthum der 
unteren Zelle bald auf die Seite gerückt wird [Fig. 2 u. 3]?). Die 
untere Zelle, von A. Braun secundäre Kernzelle genannt, schneidet 
durch eine zweite, verticale, nach hinten liegende Wand eine zweite 
Zelle ab (W:) und wird zur tertiären Kernzelle. Letztere theilt 
sich dann nochmals durch eine wie im ersten Falle horizontale Wand, 
wodurch an der Basis die 
dritte Zelle (Ws) ent- 
steht. Die so entstandene 
quaternäre Kernzelle wird 
zur eigentlichen Eizelle (e), 
die drei abgeschnittenen 
Zellen sind die Wendungs- 
zelen A. Braun’s“ 
N Weiterhin hebt Götz her- 


Fig.2, (Nach Götz) I. Angebli hes Schema t vor, die erste bei der Thei- 
ig. 2. (Nac ötz.) I. Angebliches Schema für :_ 
die Theilungen im jungen Oogonium. H MHüll- fung der Endzelle der Ei 
schläuche, An Knotenzelle, W,, W3, Wz sterile knospe auftretende Wand 
(„Wendungs“)-Zellen, Kr Krönchen. II. Junges habe eine horizontale, die 


Oogon schief von unten. wi (statt W) erste zweite eine vertikale, die 
Wendungszelle. 


dritte wiederum eine hori- 
zontale Lage. 

Setzen wir zunächst voraus, diese Angaben seien thatsächlich 
richtig, und fragen wir uns, ob die Theilungsfolgen und -Richtungen 
mit den in der Archegoniumanlage der Moose auftretenden überein- 
stimmen, so ergibt sich sofort, dass die von Götz angenommene 
„auffallende Aehnlichkeit“ nicht vorhanden ist. Die Mutterzelle eines 
Moosarchegoniums theilt sich nicht durch eine a) horizontale, b) ver- 
ticale, c) horizontale Theilungswand; es treten vielmehr hinter einander 
drei verticale Theilungswände auf, die eine centrale von drei peri- 
pherischen Zellen trennen; erst in der inneren Zelle bildet sich eine 


1) In unserer Fig. 2, Ii kopirt. 
2) Der Tatel Ta. a. VO. 


285 


horizontale Wand.!) Die Angaben von Götz über die Entstehung 
der Wendungszellen (welche sich übrigens, wie unten gezeigt werdeu 
soll, ganz an die von A. Braun anschliessen) rechtfertigen also den 
von ihm gezogenen Schluss in keiner Weise?), zudem entsprechen 
aber auch seine thatsächlichen Angaben nicht meinen Befunden. 

Vor Allem sei aber darauf hingewiesen, dass der — dem Wunsche 
phylogenetische Anknüpfungspunkte zu finden entsprungenen — Nei- 
gung, die Organbildung von Pflanzen, die verschiedenen Gruppen 
angehören, in Parallele zu setzen, stets mit grosser Vorsicht wird be- 
gegnet werden müssen. Zunächst handelt es sich doch immer darum, 
innerhalb einer Gruppe die Organbildung zu vergleichen. Auch die 
Characeen wurden von diesem Gesichtspunkt aus a. a. O.?) besprochen. 
Nach den damals vorliegenden Angaben schien es, dass die Einzel- 
entwickelung der Antheridien und der Oogonien hier eine durchaus 
verschiedene sei; die Darstellung beschränkte sich deshalb darauf, 
hervorzuheben, dass die Stellungsverhältnisse von Oogonien und An- 
theridien nicht (wie dies geschehen war) dazu berechtigen, ihnen einen 
verschiedenen „morphologischen Werth“ zuzuschreiben. Im 88, Bande 
dieser Zeitschrift hat nun Ernst eine interessante Abhandlung ver- 
öffentlicht, welche darauf hinweist, dass die Homologie zwischen An- 
theridium und Oogonium doch vielleicht weiter geht, als man früher 
annahm. Er fand merkwürdige Mittelbildungen zwischen Antheridien 
und Eiknospen und verfolgte auch die Entwickelung der letzteren. 
Da seine Befunde aber von denen von Götz abweichen und Ernst auf 
diese Abweichungen (welche für die Deutung.der Oogonien von aus- _ 
schlaggebender Bedeutung sind) nicht näher eingeht, so schien es mir 
erwünscht, die Entwiekelung der Oogonien nachzuprüfen und der 
Frage nach der Homologie zwischen Oogonien- und Antheridienent- 
wickelung nach 20jähriger Pause wieder näher zu treten. Als Ma- 
terial wurde eine der kleinsten Nitellen, die in Westaustralien von 
mir gesammelte Nitella subtilissima, benützt. 

Ehe ich indes auf meine eigenen Befunde eingehe, möchte ich 
die Angaben desjenigen Forschers anführen, von welchem der Namen 


1) Vgl. das Schema Fig. 9, IIL 

2) Es gilt vielmehr auch für diesen Versuch das, was de Bary (Bot. Zig. 
1881 pag. 11) früher gesagt hatte: „Was man in dieser Beziehung für ihren An- 
schluss an die Bryophyten vorgebracht hat, ist doch im Grunde Alles bei den 
Haaren herbeigezogen und verfehlt. Die einzige wirkliche Uebereinstimmung mit 
den Moosen liegt in Gestalt und Bau der fertig entwickelten Samenfäden.* 

3) Vgl. Entwickelungsgeschichte pag. 418. 


286 


„Wendungszellen“ stammt, zumal es wohl meist in Vergessenheit ge- 
rathen ist, wie diese sonderbare Bezeichnung entstanden ist. A. Braun 
führt in seiner bekannten Abhandlung „Ueber die Richtungsverhält- 
nisse der Saftströme in den Zellen der Characeen“ ') an, dass C. 
Müller zuerst an der Basis des Oogoniums eine Zelle (die in Fig. 1 
mit 3 bezeichnete) bemerkte, und dass Naegeli 1848 A. Braun 
auf das Vorhandensein zweier weiterer, im Innern der Sporenhülle 
befindlicher Zellen aufmerksam gemacht habe. Die Entstehung dieser 
Zellen schildert er folgendermaassen: „Noch ehe die drei Hüllblätter 
(der Sporenknospe) ihre Gliederung erhalten und über dem Kern des 
Sporenknöspchens sich zusammenschliessen, geht in der urspünglich 
einfachen, fast kugelförmigen Zelle desselben folgender eigenthümliche 
Theilungsprozess vor sich. Die genannte Zelle (ich will sie um die 
Vorgänge bestimmter bezeichnen zu können die primäre Kern- 
zelle nennen) theilt sieh durch eine fast horizontale, sehr bald aber 
durch das ungleiche Wachsthum der beiden Seiten des Kerns schief 
nach hinten geneigte Wand in zwei sehr ungleiche Zellen, von welchen 
die obere ein sehr flaches, halblinsenförmiges Kugelsegment vorstellt, ... 
sie hat kaum ein Wachsthum, weshalb sie später der heranwachsen- 
den Haupizelle des Kerns gegenüber verschwindend klein erscheint. 
Sie ist somit eine Zelle, die nur angelegt zu werden scheint, um das 
Wachsthum nach dieser Seite hin definitiv abzuschliessen und, wie 
die folgende Theilung zeigt, einer anderen Seite zuzuwenden. Ich 
will sie daher die erste Wendungszelle nennen. Die primäre 
Kernzelle wird nach Ablegung dieses ersten Segmentes zur secun- 
dären Kernzelle, welche nun nach einer anderen Seite hin, nämlich 
der hinteren, denselben Process wiederholt, indem sie sich in zwei 
sehr ungleiche Zellen theilt, die tertiäre Kernzelle und die zweite 
Wendungszelle, welche als sehr flaches Kugelsegment von der Hinter- 
seite der grossen Kernzelle gleichsam abgeschnitten wird. Da sie 
nach oben an die ersten Wendezelle, nach unten an die Knotenzelle 
des Hüllquirls stösst, so erscheint sie als eine Halblinse mit nach 
oben und unten abgestutztem Rand... .. Die Bildungsfähigkeit des 
Kerns wendet sich nun, im Kreise fortschreitend, wieder um einen 
Quadranten weiter, indem sich die tertiäre Kernzelle von Neuem theilt 
in eine quaternäre Kernzelle und eine dritte Wendungszelle, welche 
von der Basis der tertiären Kernzelle abgeschnitten wird. Sie stellt 
daher eine wagrechte, dünne, kreisförmige Scheibe dar, welche auf 


1) DI. Theil, Monatsber. der Berliner Akademie 1853 pag. 77. 


287 


der Seite, mit welcher sie an die zweite (senkrechte) Wendezelle 
stösst, abgekürzt ist... .* 

Die „Wendungszellen“ sind später von Sachs zuerst bei Nitella 
richtig abgebildet worden, Götz gibt der Braun ’schen Darstellung 
gegenüber nichts Neues an, er hat den Verlauf der Wände nicht ge- 
nauer verfolgt, glaubt aber Braun’s Angabe. dass zunächst eine 
horizontale Wand entstehe, durch Mikrotonischnitte stützen zu können. 
Seine Fig. I auf Tafel I, welche ich in Fig. 2, Il reproducire, ist aber 
meiner Ansicht nach nicht (wie der Autor offenbar annimmt) ein Längs- 
schnitt durch eine junge Eiknospe. ‘ Wäre dies der Fall, so müsste 
die Zelle, die ich in Götz’ Figur (s. oben Fig. 2, II) mit Kn bezeichnet 
habe, eine „Knotenzelle* sein. Dass sie das nicht ist, geht schon 
aus ihrer bedeutenden Grösse und ihrer starken Wölbung nach unten 
hervor. Sie ist vielmehr nichts als ein schief durchschnittener Hüll- 
schlauch, wie die beiden anderen Zellen. Die „primäre Kernzelle“ 
ist demgemäss gleichfalls nicht längs, sondern schief quer getroffen. 


l. 1. 


Fig.3. Nitella subtilis- Fig. 4. Nitella subtilissima. I. Junge Eiknospe im Längs- 
sima. Junges Oogen im schnitt. O Mutterzelle des Oogons im opt. Längsschnitt, 
optischen Längsschnitt. aus der Knotenzelle K entwickelt sich der erste Hüll- 
W, die erste Wende- schlauch auf der dem Endblättehen zugekehrten Seite A}. 

zelle, ]l. Schema für den Ansatz der ersten Wendungszelle (}). 


Die erste Wand habe ich, im Widerspruch zu den Angaben von A. 
Braun und Götz nie als eine Querwand angetroffen, sondern stets 
als eine Längswand (Fig. 3W’), allerdings als eine schief zur Längs- 
achse der primären Kernzelle verlaufende. Dies hängt damit zusam- 
men, dass wir eine Theilung in sehr ungleiche Hälften vor uns haben. 
Die Antheridiummutterzelle dagegen theilt sich durch eine Längswand 
in zwei gleiche Zellen, die annähernd halbkugelig sind, dieser folgt 
eine zweite, auf ihre rechtwinklige, darauf eine Querwand. Wir wollen 
die erste Längswand die Halbirungs-, die zweite die Quadranten-, die 


288 


dritte die Octantenwand nennen. Im Oogonium haben wir eine un- 
gleiche Theilung. Die Halbirungswand, welche die erste Wendungszelle 
abschneidet, setzt sich meist uhrglasförmig scheinbar an die Aussen- 
seite der primären Kernzelle an (Fig. 3), erreicht also die Basalwand 
derselben scheinbar gewöhnlich nicht; gelegentlich ist es der Fall. 
In Wirklichkeit aber setzt sich die erste Wand der Basalwand der 
Oogoniumzelle fast stets an (vgl. das Schema Fig. 4,1). Dass es 
anders aussieht, rührt daher, dass diese, die ursprünglich flach ist 
(Fig. 4, I), nach Auftreten der zur Bildung der Hüllschläuche führen- 
den Theilungen in der Knotenzelle eine Brechung erfährt (Fig. 4, ID), 


Fig. 5. Nitella subtiliesima. 1. Junge Eiknospe im optischen Längsschnitt. 2. Eine 
andere von oben gesehen. W,, W, sterile Zellen, O fertiles Octant. 


so dass nur noch der mittlere Theil der ursprünglichen Basalwand als 
Querwand erscheint, die Seitentheile scheinen der Längswand anzu- 
gehören. Daher rührt es auch, dass die Hüllschläuche unten mit 
dem Oogonium „congenital“ zusammenhängen, was auf einigen der 
hier reprodueirten Figuren (z.B. Fig. 1, Fig.5,I) absichtlich ausser Acht 
gelassen wurde. Von den Götz’schen Figuren (Tafel I) zeigen dies 
(abgesehen von der sicher irrthümlich gedeuteten Fig. 1) auch alle 
ausser Fig. 2.') Es unterliegt für mich keinem Zweifel, dass die 
erste „Wendungszelle* (Wı Fig.3) einer frühzeitig in der Ent- 
wickelung zurückbleibenden Längshälfte des Anthe- 


i) Ernst (a. a, O. pag. 5) sagt nur: „Zunächst wird an der Spitze der 
Scheitelzelle .. . eine kleine, flache Zelle abgegliedert, deren Wand gegen die 
Sprossseite hin geneigt ist.“ 


289 


ridiums entspricht, welche von vornherein kleiner an- 
gelegt wird als die andere. 

Wie schon Braun fand, entwickelt sich von den beiden ungleichen 
Hälften nur die grössere weiter. Was bedeutet nun die Wand, welche 
die zweite Wendungszelle abschneidet? Ihr Verlauf ist nicht leicht 
zu verfolgen, weil auch sie von vornherein „verschoben“ ist. Sie setzt 
sich einerseits der Wand der ersten Wendungszelle, andererseits der 
Basalwand der primären Kernzelle an. Aber wie? Nach der Ansicht 
von A. Braun und Götz müsste ein Querschnitt durch den unteren 
Theil der Knospenzelle, welcher die beiden Wendezellen trifft, etwa 
die in Fig. 6, II angegebene Form haben: Die Wand a aı, welche 
die Wendungszelle 2 abschneidet, würde unten an zwei Stellen die 
Aussenwand der primären Kernzelle so schneiden, dess ihr Ansatz 
an die Basalwand dem Ansatz der ersten Wendungszelle gleichsinnig 


Fig. 6. 1. Nitella graeilis. Querschnitt durch den basalen Theil einer Eiknospe. 

Aussen die fünf quergetroffenen Hüllschläuche, X X, die Wand, welche die erste 

sterile Zeile ( W,) abschneidet, aa, die zweite Wand, diese ist oben quer abgesohnitten, 

man sieht sie von oben — ihr Ansatz bei a deutlich. II, Schema für den Ausatz 
von aa, wie er nach A. Braun (und Götz) sein müsste. 


gerichtet ist. Nach meinen Wahrnehmungen ist dies aber nicht der 
Fall. Es ist vielleicht am einfachsten, von Fig. 7 auszugehen. Diese 
zeigt in schematischer und etwas übertriebener Weise, dass die Wand 2 
seitlich schief zur Längsachse des Oogons verläuft, nicht in der durch 
Punktirung angedeuteten der Fig. 6, II entsprechenden Lage. Sie schnei- 
det die Wand 1 annähernd rechtwinklig, aber nur auf einer kurzen 
Strecke. Sie hat also nicht die von A. Braun und Götz angenommene 
Form, verläuft auch nicht, wie Ernst annimmt, vertical, sondern setzt 
sich rechtwinklig an einerseits der Innenwand der ersten Wendungszelle, 


andererseits der Basal- und Aussenwand. Es war mir von Werth, die an 
Flora 1903. 19 


290 


durchsichtig gemachten Oogonien gemachten Beobachtungen, welche ohne 
Rollung der Oogonien doch kein ganz sicheres Bild geben, an einem 
Mikrotomguerschnitt durch die Basis eines Oogons controlliren zu 
können. Herr Prof. Giesenhagen hatte die Freundlichkeit, seine 
zahlreichen Mikrotomschnitte von Characeen auf die in Rede stehende 
Frage hin zu durchmustern; es fanden sich in der That Präparate 
von Nitella gracilis, welche meine Annahme bestätigen. In Fig. 6,1 
ist ein soleher Schnitt (nach einer Zeichnung von Giesenhagen) 
abgebildet. Man sieht die Wand a aı von oben. Sie setzt sich an- 
nähernd rechtwinklig der Wand X Xı an, welche die Wendungszelle 1 
abschnitt, und trifft die Aussenwand nur an einer Stelle!) Es fragt 
sich nun, welcher der Theilungswände im jungen Antheridium diese 
zweite Theilung im Oogon gleichgesetzt werden kann. Die meiste 
Uebereinstimmung ergibt sich, wenn man sie als „Quadrantenwand* 
betrachtet, welehe in der Antheridiummutterzelle rechtwinklig auf der 
ersten Längswand die beiden Halbkugeln in 
Quadranten theilt. Hier im Oogonium theilt 
sich nur die eine Hälfte und diese sehr un- 
gleich. Dementsprechend hat auch hier die 
Lage der Theilungswand eine Verschiebung 
erfahren: sie setzt sich der ersten Längswand 
nur auf einem kurzen Stück an und bleibt 
Fig. 7, Schematische Dar- in der Basis des Oogons, statt dessen Scheitel 
stellung der Anordnung der zu erreichen.?) Die dritte Wendungszelle ist 
NitellasGoronfum Diekun. am leichtesten zu deuten. Nehmen wir an, 
schläuchesin dweggelassen, dass die zweite Theilung eine Quadranten- 
das Oogonium ist von unten tMeilung war, so ist die dritte Wand eine 
gesehen gedacht, zweifellose Querwand, die die grössere Qua- 
drantenzelle in zwei (sehr ungleiche) Oktanten 

theilt, also die Oktantenwand. So können wir also jetzt sagen: Die 


1) Da diese Wand schräg geneigt ist, ist sie auf dem Schnitte zweimal ge- 
troffen, daher der kleine Zwickel bei X,. 

2) Zugleich erklärt auch der oben geschilderte Verlauf dieser Wand, warum 
man sie bei gewisser Lage des Oogoniums su sieht, als ob sie an dessen basale 
Wand sich nur in einer Ecke ansetzen würde (vgl. Fig. 8, III und die Sachs’sche 
Figur [Fig. 40D in Goebel, Grundzüge] von Nitella Nexilis). Nach der Braun- 
Götz’schen Auffassung müsste diese Zeichnung unrichtig sein, sie ist es aber 
nicht. Wohl eber ist die in der genannten Abbildung in Fig. B gezeichnete 
Wendungszelle nicht, wie Sachs annahm, die erste, sondern die (bei dieser Lage 
allein sichtbare) dritte. In Fig. C sind nur die zweite und driite, nicht die erste 
pichtbar. 


291 


Wendungszellen entsprechen den Theilungen im Antheridium, nur dass 
dabei stets eine Hälfte verkümmert. Wir haben zunächst zwei Längs- 
theilungen, die rechtwinklig auf einander stehen, dann eine Quer- 
theilung; die Eizelle entspricht einem Oktanten, und zwar dem vor- 
deren oberen, des 


Antheridiums. 
Zugleich geht aus 

dem Gesagten (AN 
hervor, dass nach 
der oben vertrete- N 


nen Auffassung 
weder die von 


A.Braun ange- 
nommene „Wen- 
dung“ des 1. IL 


Wachsthums vorkommt (that- 
sächlich spricht sich schon 
bei der Anlegung der Wände 

die ungleichmässige Wachs- 
thumsvertheilung aus), noch 
eine „im Kreise fortschrei- 
tende* Bildungsthätigkeit, 
Der Namen „Wendungszel- 
len“ ist einer nicht haltbaren 
Vorstellung entsprungen und 
würde besser durch „sterile 
Zellen“ ersetzt. Die Wen- 
dungszellen sind übrigens bei 
Nitella subtilissima auch am N V 
reifen Oogonium noch deut- Fig.8. Nitella subtilissima. Il.Oogon, in welchem 
lich wahrnehmbar, während gie zweite Wendungszelle (durch die Wand a a, 
sie bei N. syncarpa nach abgegrenzt) in abnormer Grösse und Lage ge- 
Ernst durch die Vergrösse- bildet ist. II. Normales Oogon in anderer Lage. 
IV. Basis eines Oogons, die zwei ersten Wen- 


dungszellen von der Fläche gesehen. V. Chara 
australis. Junges Oogon im opt. Längsschnitt. 


rung der Eizelle zusammen- 
gepresst werden und ver- 
schwinden, 

Gegen die soeben gegebene Deutung lassen sich verschiedene 
Einwände erheben. Vor Allem fragt es sich, ob die Wand, welche 
die zweite Wendungszelle abschneidet, stets den angegebenen Verlauf 


hat, Schwankungen kommen zweifellos vor, was ja bei rückgebildeten 
19* 


292 


Organen nicht selten ist. So ist in Fig. 8, II ein Fall abgebildet, 
in welchem die Wand a aı schief-quer zur Öogoniumlängsachse ge- 
riehtet ist. In diesem Falle kann sie nicht als Oktantenwand bezeichnet 
werden, sondern entspricht einer Quadrantenwand. Auch im Anthe- 
ridium würde eine ausgedehntere Beobachtungsreihe wohl zeigen, dass 
die Reihenfolge der ersten drei Wände keine ganz constante ist. Man 
könnte auch bei dem gewöhnlichen Verlauf der Theilung die zweite 
Theilung als eine schief nach unten verschobene Quertheilung 
betrachten. Der Grundgedanke meiner Auffassung würde dadurch 
nicht wesentlich geändert, nur würde die Uebereinstimmung mit den 
Antheridiumwänden eine weniger grosse sein. 

Was die von Ernst beschriebenen Missbildungen anbelangt, so 
würden diese mehr zu der Auffassung der zweiten Wendungszelle als 
einer durch Quertheilung entstandenen passen. Die erste Wand ist 
hier stets deutlich eine Längswand, und zwar eine, die thatsächlich 
meist als Halbirungswand auftritt, wobei auch die normal verküm- 
mernde Antheridienhälfte eine Weiterentwickelung zeigt. Es treten 
aber auch hier Schwankungen auf (vgl. z.B. Ernst’s Figur Taf. II, 19), 
welche zeigen, dass hier wirklich etwas Anderes als das „Normale“ 
eintritt; es ist keine quantitative, sondern eine qualitative Veränderung. 
Ich kann deshalb Ernst’s Deutung‘ bestimmter Zellen als Wendungs- 
zellen nicht überall für sichergestellt halten. 

Eine weitgehende Uebereinstimmung in der Entwickelung von 
Antheridium und Oogonium in der normalen Entwickelung wird man 
schon deshalb nicht erwarten können, weil das Antheridium durch 
seinen complieirten Bau zeigt, dass es dem primitiven Verhalten 
gegenüber ein stark verändertes Gebilde ist. Da wir indes keinerlei 
Formen kennen‘, die wir als primitivere Vorläufer der Charen be- 
trachten könnten, so würden phylogenetische Speculationen auf äusserst 
unsicherer Basis ruhen, aber die Annahme von Ernst (a.a.O. pag. 32), 
„dass die Wendezellen eben die Reste von vier oder acht Zellen sind, 
die in ihrer Entstehung und Anordnung mit den Octanten eines jungen 
Antheridiums übereinstimmen“, scheint mir eine wohl begründete. 
Sie führt zu der weiteren Folgerung, dass ursprünglich im Characeen- 
Oogonium mehr als eine Eizelle erzeugt wurde. Ganz ähnliche Er- 
scheinungen kennen wir ja auch bei anderen Thallophyten. Es sei 
erinnert an das von Oltmanns untersuchte Verhalten der Oogonien 
der Fucaceen. Während bei Fucus selbst der Oogoniuminhalt sich in 
acht Theile theilt, die sämmtlich zu Eizellen werden, sind deren bei 
Ascophyllum nodosum z. B. nur vier vorhanden. Die Entwickelungs- 


298 


geschichte zeigt aber, dass auch hier durch wiederholte Zweitheilung 
acht Kerne entstehen, die Centra von acht „potentiellen“ Eizellen. 
Es gehen aber vier Zellkerne zu Grunde, ohne dass es zur Abgrenzung 
von sterilen Zellen im Oogonium käme. Bei anderen Gattungen geht 
die Reduction noch weiter.!) Uebrigens könnte man bei Nitella die 
von Götz angegebene (aber weiterer Aufklärung bedürftige) „Aus- 
scheidung von Kernsubstanz“ aus dem Kern der fertilen Zelle viel- 
leicht als Andeutung einer weiteren Theilung des Octanten betrachten. 
Da es sich aber um einen nur ganz unvollständig bekannten Vorgang 
handelt, möchte ich darauf weiter kein Gewicht legen. 

Die oben vorgenommene „Deutung“ der sterilen („Wendungs“-) 
Zellen ist zunächst eine formale. Es ist mir aber?) sehr wahrschein- 
lich, dass diesen Zellen, die sich von der fertilen auch durch Chloro- 
phylimangel unterscheiden, eine functionelle Bedeutung zukommt. Es 
ist ja bekannt, welch grosse Mengen von Reservestoffen im Oogonium 
angehäuft werden. Wir dürfen mit grosser Wahrscheinlichkeit an- 
nehmen, dass diese nur zum geringsten Theile das Produkt der eige- 
nen Assimilationsthätigkeit des Oogoniums sein werden. Der grössere 
Theil wird von der übrigen Pflanze herstammen, die ja bei einer An- 
zahl von Characeen nach. der Sporenbildung abstirbt. Die zugeführten 
Baustoffe werden aber (soweit sie nicht etwa durch die Hüllschläuche 
direct zugeleitet werden) die „Wendungszellen“ zu passiren haben, die 
an der Basis des Oogoniums, zwischen diesem und der Knotenzelle 
sich befinden. Vielleicht gelingt es, die Rolle, welche diese Zeilen 
dabei spielen, später festzustellen, sei es nun, dass es sich um Aus- 
scheidung von Enzymen oder andere Vorgänge handelt. Wir würden 
die „Wendungszellen“ dann physiologisch etwa vergleichen können den 
„Deckzellen“, welche die grossen Eizellen der Gymnospermen umgeben 
und sicher bei deren Ernährung betheiligt sind. Und es wäre dann auch 
biologisch verständlich, dass bei Chara nur eine basale „Wendungs- 
zelie“ sich vorfindet (vgl. Fig. 8, V), denn diese ist nach der oben 
ausgesprochenen Vermuthung eben die, welche functionell hauptsäch- 
lich in Betracht kommt. Dass die sie abtrennende Wand eine Quer- 

1) Auch bei Samenpflanzen finden sich analoge Verhältnisse. Bo bei der 
Pollenbildung der Cyperaceen; bei Carex z. B. wird von den vier Kernen, in 
welche sich der Kern der Pollenmutterzelle getheilt hat, nur einer zur Pollenbildung 
verwendet, die drei anderen bleiben in einer Ecke der Pollenmutterzelle liegen 
und gehen zu Grunde. (Vgl. Juel in Jahrb. f. wiss, Botanik XXXV pag. 646 ff.; 


daselbst weitere Litteratur.) 
2) Im Gegensatz zu der von Ernst geäusserten Ansicht, dass die Wende- 


zellen ohne Zweifel nutzlos seien (a. a, O, pag. 29). 


294 


wand ist, hat auch in morphologischer Beziehung nichts Verwunder- 
liches. Chara zeigt betreffs der sterilen Zellen ein weniger primitives 
Verhalten als Nitella, insofern als nur Eine „Wendungszelle* zur Aus- 
bildung gelangt. Dass diese durch eine Querwand abgetrennt wird, 
hängt mit Folgendem zusammen. Die jungen Oogonien zeigen denen 
von Nitella gegenüber schon früher eine Längsstreckung (der eine 
Quertheilung entspricht), ferner ist es verständlich, dass von den Thei- 
lungen nur die eintritt, die zur Bildung einer functionirenden 
Zelle führt, zumal es morphologisch gleichgiltig ist, ob zuerst eine 
Quadranten- oder eine Octantenwand auftritt. Die Ansicht von Götz 
aber: „Die Characeen sind als Phycobrya zu bezeichnen, weil die 
Wendungszellen vermuthlich reducirte Archegonienwandungen sind, 
und weil das auch am besten die Form der Spermatozoiden- und 
der Vorkeimbildung erklärt“, bleibt eine unhaltbare, selbst wenn 
man die oben vertretene Auffassung der Wendungszellen ablehnen 
sollte.!) Mir scheint diese, so lange nicht die obigen Angaben über 
den Verlauf der Theilungswände als irrig erwiesen sind, wohl begründet. 
Ein allgemeineres Interesse dürfte sie beanspruchen, auch abgesehen 
von der Homologiefrage, dadurch dass sich zeigt, wie in Verbindung 
mit den geänderten Verhältnissen in der „Constitution“ der Oogonium- 
mutterzelle auch die Entwickelungsgeschichte — hier speciell die 
Richtungen der Theilungswände und die sonst die Regel bildende 
Volumgleichheit der Tochterzellen — abgeändert werden. Wenn bei der 
Theilung eine Hälfte von vornherein als die weit überwiegende erscheint, 
so ist das ein ähnlicher Vorgang wie der, wenn ein Seitenglied bei 
einer Ausgliederung am Vegetationspunkt, wenn es stark entwickelt ist, 
sich von vornherein terminal stellt.?) Dass die Ungleichheit in der 
Grösse der beiden Tochterzellen, die bei einer Theilung entstehen, 
bedingt ist durch deren verschiedenes physiologisches Verhalten, zeigt 


1) Ebenso wenig ist natürlich Cohn’s Auffassung haltbar. Sie wäre möglich 
nur bei der durch deBary widerlegten Annahme, dass die Befruchtung vor Auf- 
treten der „Wendungszellen“ erfolgt Cohn nahm an, die letzteren seien ver- 
kümmerte Schwesterzellen der Makrospore. (Grundzüge einer neuen natürlichen 
Anordnung der kryptogamischen Pflanzen. Jahresber. der Schles. Ges. 1871 pag 88.) 

2) Wenn man anderseits die Stellung der Wände vergleicht, in der Scheitel- 
zelle einer Alge je nachdem eine Theilung in physiologisch gleichwerthige oder 
ungleichwerthige Tochterzellen eintritt, so erhält man ganz ähnliche Fälle wie bei 
den Charen. Wenn in der Scheitelzelle eine Dichotomie eintritt, d. h. die beiden 
Theilstücke, die zu Aesten auswachsen, physiologisch gleichwerthig sind, tritt eine 
Halbirung ein, ähnlich wie beim Antheridium von Chara. Wenn dagegen der 
Seitenast gegenüber der fortwachsenden Hauptachse andere Eigenschaften zeigt 
(was Stärke und Richtung anbetrifft), so ist auch die erste Theilung, welche zu 


295 


sich ja übrigens — in anderer Weise als bei der Oogonienentwicke- 
lung — auch bei der Keimung der Oosporen der Charen. Die vom 
apikalen Ende abgetrennte „active* (d. h. sich weiter entwickelnde) 
Zelle ist beträchtlich kleiner als die Speicherzelle, die den Rest der 
Oospore einnimmt. Aehnliches trifft auch für die Keimung der Ma- 
krosporen der Pteridophyten, die Embryobildung vieler Gymnosper- 
men u. 8. w. zu; wir können also wohl sagen: Die Regel, dass bei 
der Zelltheilung Halbirung eintritt, gilt, wenn die beiden Tochterzellen 
physiologisch gleichwertig sind, andernfalls tritt meist Theilung in 
ungleich grosse Tochterzelien ein. Dass das erstgenannte Verhalten 
durch Anpassungserscheinungen (wie z. B. bei der Sprossung der Hefe- 
zellen) modifieirt werden kann, braucht kaum hervorgehoben zu werden, 
für das zweite scheint mir die Oogonentwickelung von Nitella, wenn 
wir sie mit der Antheridienentwickelung vergleichen, ein besonders 
lehrreiches Beispiel zu liefern. 


2. Archegoniaten. 


Die für die Characeen gewonnenen Anschauungen gaben Veran- 
lassung, auch die Frage nach der Hoinologie zwischen Antheridien 
und Archegonien der Archegoniaten noch einmal zu prüfen. 


A. Bryophyten. 


Frühere entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen, namentlich 
die des um die Kenntniss der Bryophyten so hochverdienten Forschers 
Leitgeb, hatten zu dem Resultate geführt, dass den Antheridien und 
den Archegonien eine verschiedene „morphologische Dignität“ zukomme, 
weil sie ihrer Stellung nach verschieden seien. Leitgeb sprach z.B. 
den Satz aus: „Die Antheridien von Radula sind also nicht wie etwa 
bei Sphagnum und theilweise auch bei Fontinalis metamorphosirte 
Sprosse, sondern Trichomgebilde.* ') Es ist dieser rein formale Stand- 
punkt — welcher die Homologie von Antheridium und Archegonium 
von vornherein in Abrede stellt, und zwar auf Grund ihres verschie- 


seiner Entstehung führt, eine andere; die Theilungswand erscheint — gegenüber 
der bei einer Dichotomie auftretenden — stark seitlich „verschoben“, ganz ähnlich, 
wie dies bei der ersten Theilungswand im Characeen-Oogon der Fall ist, Man 
vergleiche die öfters erörterten Verzweigungsverhältnisse der Sphacelariaceen, 
z. B. die schematische Figur 30 in Vergl. Entwickelungsgesch. pag. 189. Dass 
übrigens auch ursprünglich „physiologisch gleichwerthige“ Zellen später different 
sich ausbilden können und umgekehrt, braucht nicht weiter betont zu werden. 

1) Leitgeb, Wachsthumsgeschichte von Radula complanata. LXIII. Bd der 
Sitz.-Ber. d. k. Akad. d. Wissensch, in Wien 1. Abthb. Januar 1871. 


296 


denen Ursprungs — jetzt wohl allgemein aufgegeben, Die Gründe, 
welche ich gegen denselben in der „Vergl. Entwickelungsgeschichte* 
und anderwärts anführte, brauchen deshalb nicht wiederholt zu werden. 
Vielmehr fragt es sich hier nur, ob in der Entwickelung der Anthe- 
ridien und Archegonien sich noch eine Uebereinstimmung nachweisen 
lässt oder niebt, Ich kam bei der Discussion dieser Frage in der 
„Organographie“ !) zu einem negativen Resultat. „Bei den Moosen 
sind diese Differenzen (im Zellenaufbau von Antheridien und Arche- 
gonien) von Anfang an vorhanden, was nicht hindert, dass bei Miss- 
bildungen gelegentlich Gebilde, die halb Archegonien, halb Antheridien 
sind, vorkommen.“ Weitere Ueberlegung führte aber zu einem anderen 
Resultat. Zunächst seien die Lebermoose besprochen. 

Hier ist schon die Vergleichung der Antheridienentwickelung 
bei den verschiedenen Formen eine lehrreiche. Erinnern wir uns 
zunächst des Aufbaues der Antberidien. Es lassen sich hier zwei 
Typen unterscheiden:?) „i. Der Aufbau durch Querscheibenbildung, 
welcher charakteristisch ist für die keulenförmigen Antheridien der 
Riceien, Marchantien und diejenigen von Monoclea, und 2. das zur 
Bildung von mehr kugeligen Antheridien führende ‚Allseitswachsthum!‘, 
wie es sich bei den Jungermannieen und Anthoceroteen??) findet.“ 

Die Antheridien der ersten Gruppe zeichnen sich auch durch 
ihre bedeutendere Grösse gegenüber denjenigen der zweiten aus; 
bekannt sind ja die verhältnissmässig riesigen Antheridien der Mar- 
ehantieen. Diese Antheridien wurden a. a. O. als die primitiveren 
bezeichnet, wei) es bei ihnen später als bei dem zweiten Typus zur 
Sonderung zwischen Wandzellen und „Urmutterzellen“ der Sperma- 
tozoen kommt. Diese Sonderung findet nämlich in den einzelnen 
Querscheiben erst statt, nachdem jede derselben zwei Längstheilungen 
erfahren hat, also in vier Quadranten zerlegt ist, innerhalb deren 
dann durch je eine Perikline die Wandschicht abgetrennt wird (vgl. 
Fig. 9,D, 

In den Jungermanniaceen-Antheridien sehen wir zunächst in der 
Mutterzelle diese Quertheilungen unterbleiben; im Vergleich mit den 


1) pag. 243. 

2) Vgl. Organographie pag, 240. Man könnte auch sagen, das Jungerman- 
niaceen-Antheridium- entspreche einem Marchantieen-Antheridium, bei welchem 
nur die terminale Querscheibe (Zelle) fertil ist, während die anderen zur Stiel- 
bildung verwendet werden. 

8) Letztere nehmen ebenso wie die von Sphaerocarpus und Riella eine ge- 
wisse Mittelstellung zwischen beiden Typen ein. 


297 


Marchantieen ist nur eine Querscheibe, die Endzelle, vorhanden. Es 
setzt in dieser sofort eine Längstheilung durch eine Halbirungswand 
ein. Dieser folgt nun aber eine sehr eigenartige Theilung, die mir, 
obwohl von einem so vortrefflichen Beobachter wie Leitggb fest- 
gestellt, doch immer sehr sonderbar erschien. Es treten nämlich in 
jeder Längshälfte des Antheridiums zwei Längswände auf (2, Fig. 9, ID, 
welche sich jeweils der ersten Wand unter einem Winkel von etwa 45° 
und der Aussenwand ansetzen. Dadurch wird je eine kleinere zur Wand 
werdendeZelle(wFig.9,II)und eine grössere abgeschnitten, die sich durch 
eine zweite, weniger weit nach oben reichende Längswand (3 Fig. 9, ID 
theilt in eine innere fertile und eine äussere steril. Nun hat schon 
Leitgeb angedeutet, wie diese Anordnung mit der erstgenannten in 
Beziehung zu bringen sei;!) er nahm nämlich an, dass auch bei den 


Fig. 9. Schematisirte Querschnitte I. durch ein Marchantiaceen-, II. durch ein 
Jungermanniaceen-Antheridium, III. durch ein Lebermoosarchegonium. Alle drei 
in den ersten Entwickelungsstadien. Die Wände sind der Reihenfolge nach be- 
ziffert, die „fertilen* Zellen durch Punktirung hervorgehoben. w in Fig. II die 
sterilen (zur Wandbildung benutzten) Quadranten. Diese Figur gilt auch für die 
Laubmoosantberidien, " 


Jungermannieen eigentlich eine Quadrantentheilung vorliege. Darin 
möchte ich ihm nun vollständig zustimmen. Es tritt eine Quadranten- 
theilung ein, aber einer der Quadranten in jeder Antheri- 
dienhälfte bleibt sterilund ist infolge davon von vornherein 
kleiner als der andere. Mit anderen Worten, jede Antheridien- 
hälfte theilt sich zunächst in zwei physiologisch ungleiche Zellen, und 
damit hängt ebenso wie bei den Wendungszellen im Oogon von Nitella 
auch die „congenitale“ Verschiebung der Wand zusammen. Der sterile 
Quadrant ist von vornherein nur Wandzelle. Darnach kann es dann nicht 
verwundern, dass, wie es Leitgeb schien, bei Scapania zuweilen die 


1) Untersuchungen über die Lebermoose II pag. 44. 


298 . 


„normale“ Quadrantentheilung des ersten Falles eintrat und in Verbin- 
dung damit gleichmässige Weiterentwickelung der beiden Quadranten. 
Man könnte geneigt sein (falls man das Sterilwerden je zweier Quadranten 
im phylogenetischen Sinne fasst) es dazu in Beziehung zu bringen, dass 
— soweit dies ohne Messungen und Zählungen angenommen werden 
darf — in den Antheridien der Jungermannieen bedeutend weniger 
Spermatozoen gebildet werden, als in denen der Marchantieen. Da 
indes bei den Antheridien der Laubmoose ein ganz ähnlicher Vorgang 
sich findet und diese meist sehr zahlreiche Spermatozoen bilden, so muss 
die angedeutete Beziehung eine zweifelhafte bleiben. Auch ohne phylo- 
genetische Hypothesen hat es aber einen Sinn, wenn wir annehmen, 
dass die erstgebildeten Wandzellen des Antheridiums einem „sterilen“ 
Quadranten entsprechen. Nehmen wir an, die Eigenschaften, welche 
eine Wandzelle bezeichnen, seien durch x, die einer Spermatozoid- 
mutterzelle durch y ausgedrückt, so würde jede Quadrantenzelle x 
und y zunächst noch undifferenzirt enthalten. Der „sterile Quadrant“ 
enthielte unserer Auffassung nach von y nur noch sehr wenig (latent), 
in Fällen wie der von Scapania angeführte dagegen mehr. Ob nun 
die Verminderung von y eine phylogenetische ist oder nicht, lässt 
sich derzeit nicht entscheiden und eine Discussion darüber hätte des- 
halb keinen Zweck. Ueberhaupt werden unsere phylogenetischen 
Vorstellungen mehr als bisber mit latenten Merkmalen zu rechnen 
haben oder, was auf dasselbe hinauskommt, mit „Entwickelungsmög- 
lichkeiten“. Wenn eine solche bei einer Pflanze latent bleibt, bei 
einer anderen in die Erscheinung tritt, so ist damit noch nicht be- 
wiesen, dass der erste Fall durch Reduction aus dem zweiten ent- 
standen ist. Wenn ich also sage, der „sterile Quadrant“ entspricht 
im Jungermanniaceen-Antheridium einem Quadranten des Marchantia- 
ceen-Antheridiums, so bedeutet das zunächst Folgendes: 1. Der ersten 
Theilung in beiden Fällen folgt eine zweite (eine „fertile“ Zelle ab- 
grenzende), die aber bei den Marchantiaceen in beiden, bei den 
Jungermanniaceen nur in einer der Tochterzellen eintritt; 2. auch 
die erstgebildete sterile Hälfte hat aber (nach Leitgeb’s Beobach- 
tung) bei Scapania noch latent die Fähigkeit, sich ebenso wie die zweite 
zu entwickeln; 3. mit der Thatsache, dass beim Jungermanniaceen- 
Antheridium in jeder Hälfte eine Theilung in physiologisch ungleiche 
Zellen eintritt, hängt offenbar die eigenthümliche „Verschiebung“ der 
Quadrantenwand zusammen. Es ergibt sich aus dem Gesagten ferner, 
dass die Zahl der Theilungen, die in beiden Fällen zur Abscheidung 
der Spermatozoidmutterzellen erforderlich ist, dieselbe ist, nämlich 


299 


drei (Halbirungswand, Quadrantenwand, Perikline, welche die Wand- 
zelle abtrennt). 

An den zweitgenannten Typus (den der Jungermanniaceen) der 
Antheridienentwickelung knüpft nun die Archegonentwickelung direct 
an. Ich glaube zeigen zu können, dass ein Archegonium eines 
Lebermooses einem halben Antheridium entspricht, 
oder mit anderen Worten einem solehen, bei dem eine 
Längshälfte steril geworden ist. 

Die Entwickelungsgeschichte der Archegonien ist durch Jan- 
cezewski’s') ausgezeichnete Untersuchungen klargelegt worden, welche 
zeigten, dass bei den Lebermoosen im Wesentlichen der Entwickelungs- 
vorgang überall derselbe ist, wie Leitgeb ihn für Radula complanata 
angegeben hatte. Wir wissen, dass im Archegonium drei Längswände 
auftreten, die eine mittlere Zelle von drei äusseren sondern; die mittlere 
zerfällt in eine Deckelzelle und eine Innenzelle, die wir auch hier 
als fertil bezeichnen wollen, obwohl unter ihren Tochterzellen bekannt- 
lich nur eine zur Eizelle wird. 

Vergleichen wir nun die Anordnung der Wände im jungen Arche- 
gon (Fig. 9, LE) mit der im jungen Antheridium, so scheint mir zweifel- 
los, dass die erste Längswand im jungen Archegonium nichts anderes 
ist als die Halbirungswand im Antheridium, die Wand 1 in Fig. 9, II. 
Von den beiden Hälften bleibt aber die eine steril, sie wird zum Auf- 
bau der Archegonienwand verwendet. Nur die zweite Hälfte erfährt eine 
Weiterentwickelung, und zwar eine, die mit geringen Abweichungen 
der der Antheridienhälfte entspricht, d. h. es wird durch zwei Längs- 
wände eine mittlere von zwei Wandzellen abgegrenzt; ganz wie beim 
Antheridium schneidet die mittlere Zelle dann nach oben hin eine 
Deckelzelle ab und liefert dann Halskanalzellen, Eizelle und Bauch- 
kanalzelle. Auch hier sehen wir wieder, dass bei der ersten Theilung 
eine Verschiebung der Wandstellung in Verbindung mit der Thatsache 
eintritt, dass die Theilung in zwei physiologisch ungleiche Hälften 
erfolgt. Wir sehen wieder wie beim Antheridium, dass die kleinere, 
sterile Zelle zum Aufbau der Wand verwendet wird, und können sagen: 
In der Entwickelung des Archegoniums wird ein Vorgang, der bei 
der Antheridienentwickelung schon nachweisbar war, weitergeführt ; ?) 


})Janczewski,E.v., Vergleichende Untersuchungen über die Entwickelungs- 
geschichte des Archegoniums. Bot. Ztg. 1872 pag. 379 ff, 

2) Uebrigens wird meines Erachtens die oben betonte Homologie zwischen 
Antheridium und Oogonium auch bestehen bleiben, wenn man die Deutung der 
sterilen Quadranten im Antheridium ablehnen sollte. 


300 


wie dort in jedem Quadranten eine Zelle „sterilisirt* und zum Wand- 
aufbau verwendet wird, so im Archegonium schon die ganze eine 
(aber eben deshalb kleinere) Hälfte; wir sehen also einen offenbaren 
Zusammenhang vor uns. Vergleichen wir also ein junges Antheridium 
in dem Zustand, welchen Fig. 9, II darstellt, mit einem jungen Arche- 
gonium, so besteht das erstere aus zwei Innenzellen und vier Aussen- 
zellen, von denen zwei sterilen Quadranten entsprechen, das letztere 
aus einer Innenzelle und drei Aussenzellen. Von diesen entspricht 
eine einer sterilen Antheridienhälfte, eine einem sterilen Antheridien- 
quadranten. Besonders klar aber tritt hervor, dass die Innenzellen 
einander homolog sind. Sie bilden, wie erwähnt, im Antheridium wie 
im Archegonium eine Kappenzelle nach oben, die zur Wand gehört, 
und eine Innenzelle, die im Antheridium Spermatozoidmutterzellen, im 
Archegonium Halskanalzellen + Eizelle (mit Bauchkanalzelle) liefert. 
Im Archegonium hat also, wie oben schon erwähnt, noch eine weitere 
Sterilisirung stattgefunden,!) der ganze Innenkompiex entspricht aber 
dem Innencomplex einer Antheridienhälfte. 

Diese Beziehungen sind meiner Ansicht nach so klar, dass ich 
mich nur wundere, dass ich sie nicht schon früher bemerkte; es war 
erst die durch Nitella gegebene Schulung nothwendig. WVebrigens 
kommt es auch bei den Antheridien, wie es scheint, gelegentlich vor, 
dass sie sich ganz nach Art der Archegonien entwickeln, d. h. also 
nur halb. Wenigstens sagt Leitgeb in seiner Abhandlung über 
Radula?) von den Antheridien: „Der eben besprochene Theilungsvor- 
gang ist zweifellos der häufigste. Doch scheint es, dass insoferne 
Abweichungen eintreten können, als die Bildung der ersten Halbirungs- 
wand ganz unterbleibt und gewissermaassen nur eine Hälfte ausgebildet 
wird. Ich schliesse dies daraus, dass man öfters Quer- 
ansichten junger Antheridien erhält, wo die centrale 
Zelle dreieckig erscheint und von keiner Wand durch- 
setzt wird.“ Meiner Ansicht nach tritt aber auch hier die erste 
Halbirungswand auf, nur eben so wie beim Archegonium, d. h. dass 
die eine, kleinere Hälfte nur als Wandzelle ausgebildet wird. Dass 
ein Antheridium, wie Leitgeb es schildert, ganz dem in Fig. 9, III 
von einem jungen Archegonium gegebenen Querschnittsbilde gleicht, ist 
wohl nicht zu bezweifeln, leider hat Leitgeb keine Abbildung gegeben. 


1) Und zwar in zwei Schritten, denn erst theilt sich die Innenzelle in eine 
sterile (Halskanalmutterzelle) und eine fertile Zelle, letztere wieder in eine sterile 
(Bauchkanalzelle) und die definitiv fertile Eizelle, 

2) pag. 31 d. 8.-A. 


301 


Betreffs der Laubmoose kann ich mich kurz fassen. Wir kennen 
hier nur einen Typus der Antheridienentwickelung, den des Aut- 
baues mit „zweischneidiger Scheitelzelle“. Dieser lässt sich als eine 
Modification des Querscheibenaufbaues der Marchantieen betrachten, 
wobei von vornherein eine Zweitheilung der Scheiben erreicht wird, 
Bei Riceia fand D. Campbell!) gelegentlich denselben Vorgang als 
Variante der „normalen“ Entwickelung. Wir können also sagen, ein 
Laubmoosantheridium unterscheidet sich in seinem Zellenaufbau von 
einem Marchantieen - Antheridium dadurch, dass die Halbirungswand 
der Querscheibe gleich von vornherein da ist. Die Theilung der 
Halbscheiben selbst aber (Fig. 9, II) stimmt mit der im Jungermannieen- 
Antheridium überein, ebenso die Archegonentwickelung (abgesehen von 
dem eigenartigen wiederholten Eitagenaufbau) mit der der Lebermoose. 
Es kann also betreffs der Homologie von Antheridien- und Archegon- 
entwickelung auf das bei diesen Gesagte verwiesen werden. Man 
wird, wie oben erwähnt, bei der Antheridienentwickelung der Laub- 
moose von einer Reduction der Spermatozoidenzahl zunächst nicht 
sprechen können. Aber da uns die Vergleichspunkte hier fehlen, so 
kann darauf nicht näher eingegangen werden; es würde aber auch 
nichts Verwunderliches haben, wenn cin nach dem Typus der Junger- 
manniaceen „vereinfachtes‘ Antheridium sich seinerseits körperlich 
stark weiter entwickelte, indem der fertile Quadrant sich um so er- 
giebiger entwickelt.?) 

Bei den Lebermoosen sind Zwitterorgane, die einen Uebergang 
von Archegonien zu Antheridien bilden würden, soweit mir bekannt, 
bis jetzt nicht zur Beobachtung gelangt. Bei einem Laubmoose da- 
gegen glaubt Lindberg?) einen Uebergang zwischen Antheridium 
und Archegonium beobachtet zu haben. Er fand nämlich bei einem 
diöeischen, pleurocarpen Laubmoos Hypnum (Brachytherium) erythror- 
rhizum auf sterilen weiblichen Pflanzen, welche einen von männlichen 
Pflanzen ganz reinen Ballen bildeten, abnorme weibliche „Blüthen*. 
Die Pflanzen produeirten Antheridien, die in ihrem äusseren Aus- 
sehen mehr oder minder an Archegonien erinnerten, namentlich auch 


1) Mosses and ferns (1895) pag. 33. 

2) Etwa wie bei den Cucurbitaceen, wo nur eine Antherenhälfte ausgebildet 
ist, diese bei manchen Formen (z. B, Cueurbita) eine ungemein starke Entwicke- 
lung zeigt. 

8) 8. O. Lindberg, Öfvergang af honorgan till hanorgan hos en blad- 
mossa. (Öfversigt af Kongl. Vetenskaps-Akademieens Förhandlinger 1879 Nr, 5.) 
— Herr Dr Neger hatte die Güte, den schwedischen Text für mich zu über- 
setzen, wofür ich ilım auch hier bestens danken möchte, 


302 


durch halsähnliche Verengerung des oberen Theiles. Leider aber 
sind Lindberg’s Angaben und Abbildungen zu wenig eingehend, 
um entscheiden zu können, ob er (was zunächst am wahrscheinlichsten 
scheint) nur Pflanzen vor sich hatte, die etwas abnorm gestaltete, 
äusserlich Archegonien ähnliche Antheridien trugen, oder ob wirk- 
lich Uebergangsformen vorhanden waren. Diese würden nach den oben 
entwickelten Anschaungen zu stande kommen können dadurch, dass 
sowohl die Centralzelle (Bauchkanalzelle + Eizelle) sich zu Sperma- 
tozoidmutterzellen gestalten, als auch die Halskanalzellen, die ja nach 
der hier entwickelten Anschauung steril gewordenen Eizellen resp. 
Spermatozoidmutterzellen entsprechen; ev. wäre auch ein Fertilwerden 
der steril gewordenen einen Hälfte denkbar. Jedenfalls würde es 
sich lohnen, auf derartige Uebergangsformen zu achten, deren Vor- 
kommen um so weniger unwahrscheinlich ist, als auch in Samen- 
anlagen von Angiospermen das Archespor Mikrosporen statt Makro- 
sporen erzeugen kann. Pollenbildung in Samenanlagen habe ich 
früher ’) für Begonia geschildert; Molliard?) hat später einen ganz 
analogen Fall bei Petunia gefunden. In beiden Fällen handelte es 
sich um gefüllte Blüthen, bei denen, wie wir wissen, tiefgreifende 
Störungen vorkommen. Solche werden auch anzunehmen sein, wenn 
eine eigentlich zur Archegonienbildung bestimmte Moospflanze Anthe- 
ridien erzeugt. In beiden Fällen aber wird sich meiner Ansicht nach 
die Störung in einer Functionsänderung der homologen Zellen aus- 
sprechen. Dies sind bei Pollensäcken und Samenanlagen die Arche- 
sporzellen, bei Moos-Antheridien und Archegonien die oben bezeich- 
neten, 

Eine wirkliche Zwitterbildung hat Jancezewski®) für Atrichum 
(Catharinea) erwähnt. Er fand hier Organe, „welche in der unteren 
Hälfte ein normal ausgebildetes Antheridium vorstellten, aber oben in 


1) Beiträge zur Kenntniss gefüllter Blüthen. Jahrb. f. wissensch. Botanik 
XVII, pag. 246. 

2) Molliard L., Sur la formation du pollen dans los ovules du Petunia 
hybrida. Revue generale de botanique T. VIII pag. 49 (1896) Homologie du mas- 
sif pollinique et de l’ovule ibid. pag. 298. Es lässt sich aus den bisherigen An- 
gaben nicht mit Sicherheit entnehmen, ob die Tapetenzellen in den pollenführen- 
den Samenanlagen etwa die Stelle der Epithelzellen normaler Samenanlagen 
einnehmen. Aus „vergleichenden Gründen“ wäre anzunehmen, dass das nicht der 
Fall ist, aber wie sich die Sache wirklich verhält, bedarf der Aufklärung. 

8) e. a OÖ. pag.412. Leider hatte ich die Angabe Janczwaski’s bei Be- 
arbeitung der „Organographie“ nicht mehr in Erinnerung, weshalb sie dort nicht 
angeführt ist, 


308 


typischen Archegonienhals mit seinem centralen Kanalzellstrang aus- 
gezogen sind“. Eine Abbildung dieses merkwürdigen Falles ‚hat sein 
Entdecker leider nicht gegeben. Er fasst ihn so auf, dass der anthe- 
ridiale Theil des Zwitters hervorgegangen sei aus dem „Fuss“ des 
Archegoniums. Dieser baut sich durch ähnliche Theilungen auf, 
wie sie bei der Entwickelung des Antheridiums auftreten (Abbildung 
für Mnium undulatum s. Organographie pag. 244 Fig.). Die „anthe- 
ridienähnlichen“ Theilungen bei der Entstehung des Archegonienfusses 
finden sich aber nicht bei allen Moosen'!), und es wird sich fragen, 
ob der „Stiel“ (dessen biologische Bedeutung in der „Organographie* 
besprochen ist) nicht vielmehr eine bei manchen Moosen nachträglich 
eingetretene Neubildung ist. Wenn man ihn aber auch als „sterili- 
sirten® unteren Theil des Archegons betrachten will, so möchte ich 
hier doch das Hauptgewicht auf die innere Differenzirung des Arche- 
goniums und deren Uebereinstimmung mit der im Antheridium legen. 
Eine sichere Deutung der „Mittel“ resp. Zwitterbildungen scheint mir 
nur möglich, wenn ein günstiger Zufall erlaubt, mit einiger Sicherheit 
zu sagen, wie sie entstanden sind. 


B. Pteridophyten. 


Hier kann ich im Wesentlichen auf früher Gesagtes verweisen, 
Zunächst wurde hervorgehoben, dass die Entwickelung der Sexual- 
organe bei den Pteridophyten, von der der Bryophyten abweicht, so 
deutlich auch die Homologie im fertigen Zustand hervortritt. Es ist 
dies für die Beurtheilung des Zusammenhanges der beiden Reihen 
von Interesse. Hier handelt es sich aber darum, wie weit innerhalb 
der Pteridophytenreihe Antheridien und Archegonien in ihrer Ent- 
wiekelung übereinstimmen, Diese Frage habe ich früher?) dahin zu 
beantworten gesucht, dass 
1. die scheinbar sehr verschiedenen Fälle der Antheridienentwickelung 

sich in eine zusammenhängende Reihe anordnen lassen, welcher 
vor Allem gemeinsam ist, dass die Spermatozoidmutterzellen aus 
einer Zelle ihren Ursprung nehmen, von welcher nach aussen die 
Wandschicht (im engeren a. a. O. bezeichnetem Sinne) abgetrennt 
wird; 

1) Nach Gayet sollen sie fehlen z. B. bei Andreaea, Sphagnum, Phascaceen, 
Diphyseium (Gayet, Recherches sur le developpement de l’Archögone chez les 
Muscinees. Ann. des science. nat. 8. Serie T. III [1894]). 


2) Vergl Entwickelungsgeschichte der Pflanzenorgane pag. 425 und 426, aus- 
führlicher in „Organographic“ (Jena 1900), pag. 388—400. 


804 


2. dass die Archegonienentwickelung damit übereinstimmt, indem der 
Halskanal und Centralzelle zusammen der Spermatozoidenmutter- 
zelle, die Halszellen der Antherienwand s. str. entsprechen. 

Da ich dem früher Ausgeführten nichts Wesentliches hinzuzufügen 
weiss, so sei hier einfach darauf verwiesen. 

Dasselbe kann geschehen betreffs der sexuell differenzirten Sporan- 
gien, bei welchen die Homologieen in der Entwiekelung von Mikro- 
und Makrosporen jetzt ja klar zu Tage liegen. 

Ich glaube also, dass die oben über die Sexualorgane der Moose 
gegebenen Ausführungen auch bei diesen Zusammenhänge aufweisen, 
wo sie bisher vermisst wurden, wenngleich allen auf Vergleichung be- 
ruhenden Ausführungen stets eine gewisse Unsicherheit anhaftet, weil 
die „persönliche Gleichung‘ dabei stark mitwirkt. Wir haben aber, 
um einen Einblick in die Verkettung der Gestaltungsverhältnisse zu 
gewinnen, nur zwei Methoden: den Vergleich (auch die Entwicke- 
lungsgeschiehte gehört dazu, indem sie die einzelnen Entwickelungs- 
stadien mit einander vergleicht) und das Experiment. Das letztere 
versagt bei unseren heutigen Hilfsmitteln nur allzu häufig und wir 
werden uns einstweilen vielfach damit begnügen müssen, wenn der 
Vergleich uns gestattet, die Einzeithatsachen in zusammenhängende 
Gruppen anzuordnen. Das wurde auch in der vorstehenden Mittheilung 
versucht. 


Ueberblick über die Ergebnisse. 


1. Männliche und weibliche Geschlechtsorgane stimmen in Bau 
und Entwickelung ursprünglich mit einander überein. Die bedeuten- 
den Verschiedenheiten, welche sie bei im System höherstehenden 
Pflanzen zeigen, sind bedingt: 

a) durch Unterbleiben von Zelltheilungen im weiblichen Organe, 
verglichen mit dem männlichen; 

b) durch Sterilwerden von Zellen im weiblichen Organe, welche im 
männlichen noch zur Spermatozoidbildung herangezogen werden; 

c) dadurch, dass bei „physiologisch -ungleichwerthiger“ Theilung 
einer Zelle auch die Grössenverhältnisse der Tochterzellen und 
die Lage der Theilungswand sich ändern. 

2. Die sterilen Zellen im Oogonium der Charen (welche bei 
Nitella in Dreizahl, bei Chara und Tolypella in Einzahl auftreten), 
können nicht mit Götz als rudimentäre Wandschicht eines Arche- 
goniums aufgefasst werden, sie entsprechen vielmehr Theilungen, die 
im jungen Antheridium auftreten; nur eine der Theilzellen entwickelt 


305 


sich zur Eizelle. Eine „Wendung“ des Wachsthums, wie A. Braun 
sie annahm, findet nicht statt; die sterilen Zeilen haben wahrschein- 
lich eine ernährungs-physiologische Bedeutung. 

3. Bei den Lebermoosen lässt sich zwischen den zwei Typen der 
Antheridienentwickelung dadurch eine Verbindung herstellen, dass an- 
genommen wird, bei der Entwickelung des Jungermanniaceen-Anthe- 
ridiums trete in jeder Hälfte ein steriler Quadrant auf. An diesen 
Typus schliesst sich die Archegonienentwiekelung unmittelbar an. Das 
Archegonium entspricht einem halben Antheridium, die Innenzelle des 
Jungen Archegoniums einem halben Spermatozoidmutterzellenkomplex ; 
sie wird ganz entsprechend den im Antheridium stattfindenden Vor- 
gängen angelegt. 

4. Bei den Pteridophyten stimmt die Entwickelung der Arche- 
gonien und der Antheridien in ihren Grundzügen gleichfalls überein, 
wobei auf die vom Verf. in „Organographie der Pflanzen‘ (Jena 1898 
bis 1901) gegebenen Ausführungen verwiesen wird. 


Zur Biologie der Laubmoose. 
Von 
Friedrich Stolz aus Innsbruck. 


(Nach dem Tode des Verfasser veröffentlicht von K. Giesenhagen, München.) 


Im Beginn des Wintersemesters 1898/99 zeichnete sich Friedrich 
Stolz aus Innsbruck als Praktikant in das Album des kgl. pflanzen- 
physiologischen Instituts in München ein. Der junge Mann hatte 
bisher in seiner Vaterstadt Naturwissenschaften studirt, und war nach 
München übergesiedelt um sich nunmehr ausschliesslich botanischen 
Studien zu widmen und unter Goebel’s Leitung seine Ausbildung 
in diesem Fach zu fördern. Er brachte ausser tüchtigen allgemeinen 
Kenntnissen eine gute Vorbildung für sein Specialfach mit und war 
besonders auf dem Gebiete der Mooskunde wohl beschlagen, da er 
seit Jahren als eifriger Sammler die Moosflora seiner Heimath durch- 
forscht hatte. 

Da ich im Winter 1898/99 in Vertretung des auf einer Forschungs- 


reise in Australien und Neuseeland abwesenden Professors Goebel 
Flora 1902, 20 


306 


die Leitung der wissenschaftlichen Arbeiten im pflanzenphysiolo- 
gischen Institut übernommen hatte, so schlug ich dem Herrn Stolz 
Untersuchungen über die Biologie der einheimischen Moosflora als 
Thema für seine Arbeit vor. Aus früheren, gelegentlichen Ver- 
suchen, wusste ich, dass Sprossabschnitte und Blätter von Laubmoosen 
sich monatelang im Wassertropfen unter dem Deckglas am Leben 
erhalten, und dass an ihnen in solchen Präparaten Neubildung von 
Protonema und Adventivsprossen auftreten kann. Es schien mir 
wichtig zu konstatieren, ob an den so entstandenen neuen Pflanzen 
deren Verhalten unter dem Mikroskop ohne Störung jederzeit direct 
beobachtet werden kann, Veränderungen bemerkbar sind, welche als 
eine direete Beeinflussung der Form durch das umgebende Medium 
angesehen werden müssen, ob etwa die Paraphyllien die Blatt- 
lamellen, die Papillen, die Glashaare und andere Baueinrichtungen, 
welche zu dem Wasserbedürfniss der Moospflanzen in Beziehung 
gebracht werden, unter den veränderten äusseren Bedingungen ver- 
änderte Form annehmen. Zugleich hielt ich es für erwünscht, wenn 
die von ÖÜorrens in einigen kurzen Mittheilungen (sein ausführliches 
Werk über die Vermehrung der Laubmoose durch Brutorgane und 
Stecklinge war damals noch nicht erschienen) constatirte Localisation 
der Protonema- und Adventivsprossbildung für eine grössere Anzahl 
von Arten geprüft werde. Als Vorarbeit für die Lösung der Fragen 
waren Untersuchungen über die Morphologie und Entwickelung der 
Moosblätter und ihrer speciellen Baueinrichtungen nöthig, wobei auch 
allerlei cytologische Fragen, besonders über die Beschaffenheit der 
Zeilwände der Moosblätter in ihren verschiedenen Entwickelungs- 
stadien und über die Speicherung von Reservenahrung in den Zellen 
berührt werden mussten. . 

Herr Stolz nahm mit Fleiss und Verständniss die Arbeiten 
während des Winters in Angriff und setzte dieselben auch nach der 
Rückkehr des Herrn Professor Goebel unter dessen Leitung fort. 
Aın Ende des Sommersemesters 1899, als ich bereits zu einer Reise 
nach Java und Sumatra aufgebrochen war, brachte er seine Unter- 
suchungen, da er im nächsten Semester eine andere Universität aufzu- 
suchen gedachte, zum vorläufigen Abschluss. Er konnte, bevor er in 
die Ferien ging, dem Herrn Professor Goebel ein ausgearbeitetes 
Manuskript mit zahlreichen, sorgfältig gezeichneten Abbildungen zur 
Begutachtung vorlegen und erhielt die Druckerlaubniss. Wenige 
Wochen später erreichte den in der Blüthe der Jugend stehen- 
den Mann ein tragisches Geschick; er wurde ein Opfer seiner Liebe 


307 


zu den heimischen Bergen, indem er bei einer Hochtour in den Oetz- 
thaler Bergen durch Absturz den Tod fand. 

Das druckreife Manuskript, dessen nachträgliche Veröffentlichung 
den Angehörigen des Verstorbenen ein Herzenswunsch war und zu- 
gleich als eine Vervollständigung der aus dem pflanzenphysiologischen 
Institut hervorgegangenen Arbeiten auf dem Gebiete der experimentellen 
Morphologie der Institutsleitung wünschenswerth erschien, war trotz 
eifriger Nachforschung in dem Nachlass des Verstorbenen nicht mehr 
aufzufinden. Es fanden sich lediglich eine grosse Anzahl (174) von 
Zeichnungen, die in alphabetischer Ordnung nach dem Namen der 
Moose, von denen sie Darstellungen geben, in zwei Mappen unterge- 
bracht sind, und zwei Hefte mit Notizen über angestellte Versuche. 
Es ist absolut unmöglich, aus diesem Material die Ergebnisss der 
Arbeit, welche den verstorbenen Autor ein ganzes Jahr lang be- 
schäftigte, zu rekonstruiren. Die blosse Deutung der Figuren, bei 
denen, wenn sie anatomische Details bieten, oft nichts weiter als der 
Name der Moosart angegeben ist, würde umfangreiche Nachunter- 
suchungen erfordern. Und unter dem Namen des Verstorbenen eine 
blosse Formulirung der allgemeinen Sätze, zu denen die Arbeit ihren 
Verfasser führte, nach meinem Gedächtnisse zu geben, das erscheint 
mir nicht angängig. Ich habe wohl im Anfang die Untersuchungen 
von Stolz in eine bestimmte Richtung gelenkt und auch die sich 
während der Arbeit eutwickelnde erweiterte Fragestellung mit Interesse 
verfolgt; bevor aber der Autor zum Abschluss kam und zur Ab- 
gleichung der Anschauungen, die er aus so vielen Einzelbeobachtungen 
gewonnen hatte, trat ich bereits meine Tropenreise an, deren neu- 
artige Eindrücke die Erinnerung an die Details der Schlussfolgerungen 
von Stolz zurückdrängten und zum Theil verwischten. 

Nur Einzelheiten, ein geringer Bruchtheil dessen, was das Ge- 
sammtresultat der Arbeit war, lassen sich aus dem vorhandenen 
Material noch mit Sicherheit erkennen. Um das Andenken des fleissigen 
und begabten Mitarbeiters zu ehren, übernehme ich gerne die Mühe, 
unter Benutzung der vorgefundenen Notizen und Zeichnungen wenigstens 
ein kleines Bruchstück aus den Untersuchungen von Friedrich Stolz 
für die Veröffentlichung herzurichten. 

Eine Reihe von Untersuchungen von Stolz bezog sich auf die 
Lamellenbildung an den Blättern gewisser Laubmoose. Als vorzüg- 
liche Beispiele für diese Erscheinung sind von altersher Polytrichum 
commune und seine Artgenossen bekannt. Ueber der stark verbreiterten 


mehrzellschichtigen Mittelrippe der Blätter erheben sich bei diesen 
20* 


808 


Moosen die Lamellen, welche parallel mit einander und einander ge- 
nähert von dem Blattgrunde ab bis gegen die Spitze verlaufen. An 
der Basis des Blattes ist ein verbreiterter scheidenförmiger Theil vor- 
handen, der um die Sprossachse herumgreift. Diese dem Stämmchen 
dicht angeschmiegte Scheide bleibt von den Lamellen frei. Ebenso 
bleibt der einzellschichtige Rand des Blattes zu beiden Seiten der 
Mittelrippe ohne Lamellen. 

Stolz untersuchte zunächst die Entwiekelungsgeschichte des Blattes 
von Polytriehum eommune und seiner Lamellen. Es sind Serien von 
Zeichnungen vorhanden, welche die von Lorentz!) gegebene Dar- 
stellung bestätigen und in den Einzelheiten ergänzen, ohne indessen 
wesentlich neue Gesichtspunkte für die Deutung zu ergeben. 

Ueber die biologische Bedeutung der Lamellenbildung bei Poly- 
triehum sind in der Litteratur mehrfach Angaben gemacht worden. 
Da der von Lamellen frei bleibende Blattsaum in seinen Zellen kein 
Chlorophyli führt, so müssen offenbar die chlorophylihaltigen Zellen 
der Lamellen für die Assimilationsthätigkeit des Polytrichumblattes in 
erster Linie in Betracht kommen. Es liegt also der Schluss nahe, 
dass die Lamellenbildung für die Pflanze eine Vergrösserung der 
assimilirenden Fläche bedeutet. Diese Auffassung ist lange Zeit die 
herrschende gewesen, bis Goebel?) 1893 darauf hinwies, dass der 
Vortheil dieser Baueinrichtung hauptsächlich darin beruhe, dass in 
den schmalen Spalten zwischen den Lamellen Wasser capillar festge- 
halten werde und so für das Assimilationssystem für trockene Tages- 
stunden verfügbar bleibe. Lorch) schloss sich in seinen Beiträgen zur 
Anatomie und Biologie der Laubmoose dieser Auffassung an und 
deutete an, dass vielleicht daneben noch, wie Firtsch bereis 1883 
angenommen hatte, die Blattfaltung und Stellungsänderung der Blätter 
bei beginnendem Eintrocknen eine Sehutzeinrichtung gegen zu weit- 
gehende Verdunstung sei. 

Stolz untersuchte nun diese Verhältnisse eingehender und fand, 
dass das Polytrichumstämmehen mit einer vorzüglichen Wasserleitung 
versehen ist, von der die Blattlamellen einen Theil repräsentiren. 
Wenn das lufttrockene Stämmehen an seiner Basis mit flüssigem 
Wasser in Berührung kommt, so füllen sich alsbald die capillaren 
Hohlräume zwischen dem Stamm und den Blattscheiden mit Feuchtig- 


1) Lorentz, Moosstudien 1864, I, p. 20, 
2) Goebel, Archegonistenstudien 5., Flora 1893 p. 430. 
3) Lorch, Flora 1894 p, 462, 


808 


keit und indem die Flüssigkeit von einer der sich theilweise über- 
deckenden Blattscheiden zur nächstoberen fortschreitet, wird allmählich 
der Spross bis obenhin benetzt. Die Lamellen des einzelnen Blattes 
reichen bis an den Scheidentheil herab. Zwischen ihnen wird aus 
dem Blattwinkel das Wasser bis zur Blattspitze hin über die ganze 
Blattfäche geleitet, welche infolge der Benetzung gewisse Bewegungen 
ausführt, auf welche gleich zurück zu kommen sein wird. Die Spalten 
zwischen den Lamellen funktioniren also ebenso, wie der Spalt in 
einer Schreibfeder. So lange in dem Capillarraum zwischen Stämmchen 
und Scheide noch Wasser vorhanden ist, bleibt auch das Blatt bis 
zur Spitze versorgt. Wenn aber das Wasser in den Blattachseln 
schwindet, so beginnen auch alsbald im Blatt die Bewegungsvorgänge, 
welche das Blatt in die Trockenstellung zurückführen. 

Die inneren Leitungsbahnen des Polytrichumstämmcehens kommen 
für die schnelle Fortleitung des Wassers von der Basis zur Spitze 
nicht wesentlich in Betracht. Unterbricht man nämlich an einem 
troekenen Stämmchen bevor man es mit der Basis in Wasser taucht, 
den Zusammenhang der capillaren äusseren Leitbahnen, indem man 
ringsum einige Blätter mit sammt ihren Scheiden abreisst, so werden 
nur die unteren Blätter mit Wasser versorgt, oberhalb der Unter- 
brechungsstelle bleiben die Blätter in der Trockenstellung. 

Die Bewegungserscheinungen, welche das Feuchtwerden oder das 
Eintrocknen der Blättehen des Polytrichumstämmchens makroskopisch 
anzeigen, verlaufen im Allgemeinen in folgender Weise: Im trockenen 
Zustande sind die Blätter von den beiden Rändern her nach oben 
eingerollt, die farblosen Randstreifen sind ganz über die Lamellen 
hergelegt. Die Blattspreite ist nach oben aufgerichtet, so dass die 
Oberseite der Sprossachse angeschmiegt, das ganze Stämmchen mit 
allen Blättern schopfig zusammengedrängt erscheint. Taucht man ein 
solches Stämmchen, dessen Blätter sich in der Trockenstellung befinden, 
in Wasser ein, so lockern sich fast momentan die an der Sprossachse 
zusammengedrängten Blattflächen und biegen sich an der Uebergangs- 
stelle zwischen Spreite und Scheide im scharfen Winkel nach abwärts, 
bis sie annähernd einen rechten Winkel mit der Sprossachse bilden. 
Gleichzeitig wird die seitliche Einrollung aufgehoben und die Blatt- 
fläche biegt sich mehr oder minder stark convex mit der Spitze nach 
abwärts. Nach kaum einer Minute ist von den meisten Blättern die 
Ruhelage erreicht, die man als Feuchtstellung bezeichnen kann. Lässt 
man dann das Stämmchen eintrocknen, so vollzieht sich in dem Maasse, 
als das festgehaltene Wasser verdunstet, die umgekehrte Bewegung. 


810 


Die Blattflächen krümmen sich nach oben und richten sich mehr und 
mehr auf, indem zugleich die Einrollung der Ränder fortschreitet, bis 
nach einiger Zeit die Ruhelage der Trockenstellung erreicht wird, 
welche oben beschrieben worden ist. 

Diese Bewegungsvorgänge sind bereits früher von anderen For- 
schern studirt worden. 1883 veröffentlichte Firtsch!) eine Abhand- 
lung über einige mechanische Einrichtungen im anatomischen Bau 
von Polytrichum juniperinum, in welcher er dem Einrollungs- und Auf- 
richtungsmechanismus der Blätter ein besonderes Kapitel widmet. 
Firtsch sieht das Wesentliche bei dem Vorgang der Aufrichtung der 
Blätter in einer S-förmigen Aufkrämmung der in der Feuchtstellung 
planen oder nach rückwärts gekrümmten Blätter und führt diesen 
Krümmungsvorgang auf das verschiedene Quellungs- und Schrumpfungs- 
vermögen der beiden Sklerenchymplatten zurück, welche im Mittelnerven 
des Blattes enthalten sind. Er constatirt, dass die Einkrämmung des 
trocknenden Blattes in ganz gleicher Weise verläuft, wenn man durch 
vorsichtiges Schaben mit dem Skalpell das Assimilationsparenchym von 
der Blattoberseite entfernt, und weist durch mikrochemische Reactionen 
nach, dass in der That in der Beschaffenheit der Wandsubstanz zwi- 
schen den Zellen der beiden Sklerenchymplatten ein Unterschied vor- 
handen ist. Ganz einwandfrei erscheint das Experiment, welches 
Firtsch seiner Schlussfolgerung zu Grunde legt, wohl nicht. Wenn 
man nämlich auch die assimilirenden Zellen, d. h. vor allen Dingen 
die Lamellen und die sie tragenden parenchymatischen Epidermiszellen 
üher der Mittelrippe entfernt, so bleiben doch noch die Laminarsäume 
des Blattrandes erhalten, welche, indem sie sich nach oben einrollen, 
den Vorgang der Blatteinkrüämmung beeinflussen können. Und in der 
That verläuft der Krümmungsvorgang bei dem gänzlich freipräparirten 
Blatinerven, die weder von den Lamellen, noch von Laminarsäumen 
begleitet sind, wesentlich anders als im verletzten Blatt. Vor allen 
Dingen werden die Bewegungen viel schneller und intensiver ausge- 
führt. Bei der Wiederbenetzung des gekrümmten Nerven wird zu- 
nächst die Bewegung ziemlich schnell über die gestreckte Lage hinaus 
fortgesetzt bis zu einer starken Ueberkrüämmung im entgegengesetzten 
Sinne, welche dann erst allmählich wieder aufgehoben wird. 

Die isolirten Lamellen führen bei der Wasserentziehung durch 
Glycerin gleichfalls starke Krümmungen in gleichem Sinne wie die 
unverletzte Blattfläche aus. Wären sie nicht im Stande, durch eigene 


1) Ber.“der Deutschen®bot. Gesellschaft. I, Bd. 


311 


Formänderungen dem Zug oder Druck, der durch die Streckung oder 
Krümmung der Sklerenchymplatten bewirkt wird, nachzugeben, so 
müssten Zerreissungen oder Zerknitterungen auftreten, die am leben- 
den Blatt niemals zu bemerken sind. Man kann also sagen, dass die 
Krümmung oder Streckung der Blattfläche, welche bei Veränderung 
des Wassergehaltes bemerkt wird, wohl durch die verschiedene Quell- 
barkeit der Membranen in den Sklerenchymplatten mitbewirkt wird, 
dass aber, besonders was das Tempo der Bewegung und die fixe Lage 
in der Feucht- oder Trockenstellung anbetrifft, auch die parenchyma- 
tischen Elemente des Blattes bei dem Zustandekommen der Krüm- 
mungsbewegung der Blattfläche mit betheiligt sind. 

Noch in anderer Beziehung bedarf die von Firtsch vertretene 
Auffassung der Ergänzung. Die Aufrichtung der Blätter kommt, wie 
oben angedeutet wurde, nicht allein durch die Einkrüämmung der La- 
mina zu stande. Die Blatifläche von Polytrichum ist in der Feucht- 
stellung gegen die der Achse anliegende Scheide im scharfen Winkel 
von etwa 90° geknickt. Diese Kniekung wird bei der Aufrichtung 
aufgehoben, so dass die Blattfläche in der Trockenstellung die an- 
nähernd geradlinige Fortsetzung der Scheide nach oben hin bildet. 
Für das Verständniss dieser gelenkartigen Bewegung reicht die von 
Firtsch gegebene Erklärung nicht aus. Man müsste denn schon 
annehmen, dass die Continuität der chemischen Beschaffenheit der 
Wandpartien in den beiden Sklerenchymplatten an der Gelenkstelle 
vollständig unterbrochen wäre, wofür aber der anatomische Befund 
und die von Firtsch ausgeführten Reactionen nicht den geringsten 
Anhalt bieten. Für die Gelenkbewegung zwischen Scheide und Spreite 
des Polytrichum-Blattes verliert auch das von Firtsch als Ausgangs- 
punkt genommene Experiment seine Geltung. Das Assimilationsgewebe 
reicht nämlich überhaupt nicht bis zu der Gelenkstelle abwärts, es 
kann also auch nicht fortgeschabt werden. Uebrigens geht auch aus 
den Zeichnungen, welche Firtsch seiner Arbeit beigegeben hat, zur 
Genüge herror, dass es ihm hauptsächlich nur um die Erklärung des 
Krümmungsvorganges in der Blattfläche selbst zu thun war. Bei dem 
in Fig. 12b seiner Tafel dargestellten Blatt in der 'Trockenstellung ist 
die Gelenkbewegung überhaupt noch nicht beendet. 

Eine weitere Bearbeitung haben die mit der Bewegung des Poly- 
trichum-Blattes zusammenhängenden Fragen durch Bastit') gefunden, 
welcher die Arbeit von Firtsch und die darin enthaltenen thatsächlichen 


1) Revue göndrale de botanique 1891 pag. 417 ff. 


812 


Angaben vollkommen ignorirt. Mit grosser Umständlichkeit hat dieser 
Autor die Blattbewegung bei Polytrichum juniperinum in fünf oder 
eigentlich in acht verschiedene Bewegungsvorgänge aufgelöst, Er 
unterscheidet transversale und longitudinale Bewegungen. Die ersteren, 
durch welche die Einrollung der Blattflächen von den Rändern her 
zu Stande kommt, vollziehen sich nach seiner Ansicht als Gelenkbe- 
wegungen um sechs Längsachsen, welche zu beiden Seiten der Mittel- 
linie und annähernd parallel mit derselben paarweise geordnet liegen. 
Die longitudinale Bewegung setzt sich aus zwei Momenten zusammen, 
einer gelenkartigen Bewegung an der Uebergangsstelle von der Blatt- 
scheide zur Spreite und einer Einkrümmungsbewegung der Blattfläche, 
welche die Oberseite derselben im feuchten Zustande convex, im 
trockenen Zustande concav werden lässt. Für die ursächliche Erklärung 
der Blattbewegung hat Bastit durch diese minutiöse Unterscheidung 
sehr wenig gewonnen. Er kommt zu dem Schluss, dass alle diese 
verschiedenen Bewegungsvorgänge durch die Turgorschwankungen in 
den Zellen der oberen Epidermis und den weitlumigen Elementen des 
Zellenstranges der Mittelrippe bewirkt werden. Es bezeichnet die 
Cutieula der Blattunterseite und die sklerosirten Hypodermschichten 
als tissus de resistance. Die letzteren sind an der Blattunterseite 
reichlicher als an der'Oberseite. Die durch den Turgor der Zellen 
im feuchten Zustande bewirkte Flächenausdehnung betrifft also haupt- 
sächlich die Oberseite des Blattes und muss zu einer Aufrollung und 
Zurückkrümmung führen. Weshalb diese gleichartige Ursache an der 
Vebergangsstelle zwischen Scheide und Spreite eine scharfe gelenk- 
artige Einknickung der Blattfläche herbeiführt, während sie im übrigen 
nur eine sanfte Veberkrümmung veranlasst, das hat auch Bastit 
nicht näher untersucht, 

Stolz fand, dass die gelenkartige Bewegung auf dem Vorhanden- 
sein eines eigenartigen Schwellgewebes beruht. Der verbreiterte 
scheidenförmige Theil des Polytrichumblattes besteht der Hauptsache 
nach aus einer halbröhrenförmigen Zellplatte, welche nur in der hier 
verhältnissmässig schmalen Mittelrippe mehrschichtig ist. Alle Zellen 
sind in der Längsrichtung des Blattes gestreckt, vielmals länger als 
breit. An der Uebergangsstelle zwischen Scheide und Spreite ändert 
sich die Zusammensetzung des Gewebes, indem sich an die langge- 
streckten Zellen des einschichtigen Spreitentheiles ziemlich regelmässige 
Reihen von Zellen anschliessen, welche von der Fläche gesehen 
quadratisch oder querbreiter sind. Die Schicht dieser abweichend 
geformten Zellen setzt sich in der oberen Epidermis auch über die 


818 


Mittelrippe fort, so dass also ein zusammenhängendes Querband dieser 
Zellen zwischen Spreite und Scheide eingeschaltet ist. Untersucht man 
das Gewebe im trockenen Zustande, so erscheint der Inhalt der meisten 
Zellen schwarz, die Zellen enthalten Luft. Setzt man Wasser zu, so 
streckt sich das ganze Gewebe, indem die Zellwände sich dehnen 
und die Luftblasen werden allmählich resorbirt. Dass diese Flächen- 
vergrösserung nicht eine Folge des Turgors ist, wie Bastit meint, 
sondern durch die Wasseraufnahme der Zellwände erfolgt, geht wohl 
ohne Weiteres aus dem Luftgehalt der Zellen hervor. Die Wirk- 
samkeit dieses Schwellgewebes besteht nun darin, dass die über der 
Mittelrippe liegende Partie durch ihre Dehnung bei Wasseraufnahme 
die Blattspreite an der Gelenkstelle nach aussen überbiegt. Die 
seitlich von der Mittelrippe in dem einschichtigen Theil der Spreite 
liegenden Theile des Schwellgewebes sind bei dem Zustandekommen 
der Beugung nicht activ betheilig. Man kann sich davon leicht über- 
zeugen, wenn man an beiden Seiten des Gelenkes das Schwellgewebe 
bis zur Mittelrippe fortschneidet. Die Gelenkbewegung wird dadurch 
nieht beeinflusst. Ja selbst dünne Längslamellen, welche aus der 
Mittelrippe herausgeschnitten sind, führen bei Wasserzufuhr noch die 
Einknickung an der Gelenkstelle aus. Die Bedeutung des seitlichen 
Schwellgewebes beruht hauptsächlich darin, dass es für die auszu- 
führende Bewegung den nöthigen Spielraum schafft. Ebensowenig als 
ein rinnenförmiges Blechstück oder Kartenblatt quer eingeknickt werden 
kann ohne Deformation oder Zerreissung, ebensowenig würde das 
rinnig gerollte und mit der rinnenförmigen Scheide fest verbundene 
Blatt durch den Druck an der Oberseite der Mittelrippe geknickt 
werden können, wenn nicht das die Verbindung mit der Scheide ver- 
mittelnde Blattgewebe durch selbständige Flächenvergrösserung dem 
Zuge der sich beugenden Mittelrippe nachgäbe. Auch die Gerad- 
streckung beim Eintroeknen kann durch die Verkürzung des Schwell- 
gewebes über der Mittelrippe allein bewirkt werden, wie das Ver- 
halten der Blätter zeigt, welche an der Gelenkstelle beiderseits bis 
zur Mittelrippe eingeschnitten sind; indes ist wohl möglich, dass die 
selbständige Verkürzung der Seitenflächen des Gelenkes durch den 
ausgeübten Zug die Bewegung der Mittelrippe unterstützt und be- 
schleunigt. Es darf hier nicht vergessen werden, dass die Einknickung 
an der Gelenkstelle nicht einfach ein durch das Schwellgewebe ver- 
ursachtes mechanisches Hinüberbiegen ist. Die Gewebeelemente unter- 
halb der epidermalen Schwellschicht sind durch ihre Elastieität sowohl 
als durch die infolge der Benetzung resp. Auswellung eintretende un- 


314 


gleiche Streokung oder Kürzung mit bei dem Zustandekommen der 
Gelenkbewegung betheiligt; Streichungen oder Zerreissungen wären 
sonst unausbleiblich.,” Präparirt man das Schwellgewebe über der Ge- 
lenkstelle fort, so wird der Bewegungsvorgang an der Gelenkstelle 
sehr wesentlich verändert. Im feuchten Zustande zeigt die Profil- 
ansicht eine von dem Schwellgewebe entblösste Blattrippe an der 
Gelenkstelle, statt der rechtwinkligen Kniekung nur eine schwache 
bogenförmige Krümmung. Beim Eintrocknen wird diese Krümmung 
ausgeglichen und in die entgegengesetzte übergeführt, so dass das 
Profil der Mittelrippe im trockenen Zustande die Form einer geschrie- 
benen 6 annimmt, wobei die Concavität der Blattoberseite und der 
Innenseite der Scheide entspricht. Die Stärke der Einkrümmung in 
dieser Lage nimmt von der Blattspitze zu der Basis auch über die 
Gelenkstelle hinweg ganz gleichmässig zu. Die mikrochemische Be- 
schaffenheit der Zellwände, welche die Ungleichheit in der Quellung 
und Schrumpfung der Sklerenchymplatten bedingt, ändert sich dem- 
nach von der Blattspitze gegen die Basis hin ganz gleichmässig, ihre 
Continuität ist auch an der Gelenkstelle nicht unterbrochen. Sie kann 
für sich wohl eine Krümmung, nicht aber eine Gelenkbewegung er- 
klären. Für diese bildet das Vorhandensein eines Schwellgewebes 
die wirkende Ursache. 

Sehr auffällig ist das Verhalten der Blätter von Polytrichum bei 
der Einwirkung wasserentziehender Reagentien. Legt man ein luft- 
trockenes Stämmchen in absoluten Alkohol oder in Glycerin, so er- 
geben sich, wie zu erwarten, in der Stellung und Gestalt der Blätter 
weder sofort noch bei längerem Liegen merkliche Veränderungen. 
Wird dagegen ein Stämmcehen, dessen Blätter sich in der Feuchtstellung 
befinden, in Alkohol übertragen, so wird die Gelenkbeugung sofort 
aufgehoben und bleibt aus, so lange das Reagenz einwirkt. Die 
Zurückkrümmung der Blattfläche dagegen bleibt erhalten und es unter- 
bleibt die Einrollung von den Rändern her. Bringt man das Stämmchen 
aus dem Alkohol in Glycerin, so werden in kurzer Zeit die Blatt- 
gelenke gerade gestreckt und die Ränder eingerollt, so dass dann das 
Stämmchen die Trockenstellung einnimmt. Bei längerem Verweilen 
in dem Glycerin treten aber langsam die Bewegungen wieder ein, 
welche die Blätter in die Feuchtstellung zurückführen, indem sowohl 
die Gelenkbeugung als auch die Zurückkrümmung der Lamins und 
die Ausrollung der Ränder erfolgt. Stämmchen, welche direct aus 
dem Wasser, d. h. in der Feuchtstellung, in Glycerin übertragen werden, 
verhalten sich genau ebenso. Die Blätter rollen, krümmen und heben sich 


815 


anfangs bis zur Trockenstellung, um nach einigen Stunden wiederum 
die Feuchtstellung einzunehmen. Bringt man nun solche in der 
Feuchtstellung befindliche Stämmchen aus dem Glycerinbad in Alkohol 
zurück, so bleibt die Form und Stellung der Blätter in der Flüssigkeit 
dauernd unverändert. Dass dabei die Bewegungsfähigkeit nicht über- 
kaupt aufgehoben ist, ergibt sich sofort, wenn man nachträglich die 
Stämmchen aus dem Alkohol herausnimmt und lufttrocken werden 
lässt, wobei die Einrollung der Blattränder und die Gradstreckung 
und Aufkrümmung der Spreite der Streckung des Gelenkes auffällig 
voraus eilt. 

Dieses Verhalten bestätigt die oben ausgesprochene Ansicht, dass 
bei dem Zustandekommen der Bewegungen im Blatt von Poly- 
trichum verschiedene mikromechanische Factoren betheiligt sind. Wie 
oben bereits aus dem Vorhandensein von Luftblasen in den Zellen 
des Schwellgewebes im Blattgelenk gefolgert wurde, beruht die 
Flächenvergrösserung dieses Gewebes hauptsächlich auf Quellung der 
Zellwände. Indem der Alkohol das imbibirte Wasser schnell auszieht, 
erfolgt die Schrumpfung, welche die Gelenkbeugung aufhebt. Eine 
Schrumpfelung') der Zeilen findet aber im absoluten Alkohol nicht 
statt. Die Zellen der Blattepidermis und der Lamellen behalten ihre 
Dimensionen, folglich bleibt die Blattfläche geöffnet und nach aussen 
gewölbt. Das Glycerin dagegen bewirkt, indem es den Zeilinhalt 
contrahirt, zugleich die Schrumpfelung aller plasmahaltigen Zellen und 
damit die Aufkrümmung und Einrollung der Lamina bis zur 'Trocken- 
stellung. Indem aber nachträglich das Glycerin langsam in das Ge- 
webe eindringt, erfüllt es die vorher vom Wasser eingenommenen 
Räume und macht damit die eingetretenen Bewegungen rückgängig 
bis die Feuchtstellung wieder erreicht ist. In diesem Zustande, in dem 
auch die Wände mit Glycerin imbibirt sind, kann dann der Alkohol 
keine Veränderungen mehr hervorrufen. Dass bei solchem vorübergehend 
mit Alkohol behandelten Präparate beim Lufttrockenwerden zuerst 
die Blattfläche sich krümmt und rollt, während die Gelenkbeugung 
zunächst noch erhalten bleibt, scheint darauf hinzudeuten, dass die 
Ersetzung des Glycerins durch Alkohol in dem Zellinhalt wesentlich 
schneller erfolgt, als in den Membranen selbst. 


1) Vergl. Steinbrinck, „Zur Terminologie der Volumveränderungen pflanz- 
licher Gewebe.“ Ber, d. deutschen Bot. Gesellsch. Bd. XVIII, 1900, p. 217. 


Ueber die Entwickelung der weiblichen Blüthen bei einigen 


Juglandaosen. 
Von 
6. Karsten. 


Hierzu Tafel XI. 


An verschiedenen Stellen der bekannten Arbeiten von Nawa- 
schin?!) finden sich Hinweise auf die Gattung Juglans und mehr 
oder minder vollständige Angaben über einige Eigenthümlichkeiten 
ihrer Entwickelung. Da diese unzusammenhängenden Bemerkungen 
sich theilweise widersprechen, jedenfalls kein vollständiges Bild der 
Verhältnisse bieten, so habe ich versucht, an einigen im botanischen 
Garten ceultivirten Formen der Familie einen Einblick in den Ent- 
wickelungsgang zu erhalten. 


I. Darstellung der Entwickelung. 


Untersucht wurden Juglans regia, Juglans cordiformis, Juglans 
nigra in geringer Zahl, Pterocarya fraxinifolia, Carya amara und 
tomentosa (wenig Material). 

Juglans cordiformis Maxim. Japan zeichnet sich vor den übrigen 
Juglansarten durch überaus reichblüthige gipfelständige weibliche 
Inflorescenzen aus; sie gleicht darin am meisten noch der Gattung 
Pterocarya. 

Die wichtigste ältere Litteratur ist: C. de Candolle, Mem. sur 
la famille des Juglanddes. Ann. d. se. nat. Bot. ser. IV, t. XVII 
1. und A. W. Eichler, Blüthendiagramme Il, 32, wo weitere 
Litteraturangaben vorhanden sind. 

‘Bei Untersuchung junger Infloresceenzen und Einzelblüthen findet 
man folgende Verhältnisse. 

In allen Fällen ist die in der Achsel eines Deckblattes stehende 
junge Blüthenanlage ihrer Hauptmasse nach aus zwei Fruchtblättern 
gebildet, die mehr oder weniger dicht eine aufrechte Samenanlage 
umschliessen. Sehr häufig ist zur Zeit der Bestäubung und sogar 


1) 8. Nawaschin, Ein neues Beispiel der Chalazogamie. Bot. Centralbl. 
1895, 63. Bd. Nr. 12. — Ders., Ueber die Befruchtung bei Juglans. Trav. de la 
soe. imp. des nat. de St. P6tersbourg. XXVIH, 1. — Ders, Resultate einer Revi- 
sion der Befruchtungsvorgänge bei Lilium Martagon und Fritillaria tenella, Bull. 
de l’Acad, imp. de sc, de St. Pötersbourg, 1898, IX. 4. 


317 


noch etwas später die Verwachsung der Carpellränder unterblieben, 
ja vereinzelt fand sich ein völlig offener Zugang, so dass in dieser 
Hinsicht eine scharfe Grenze einer gymnospermen atropen Samenanlage 
gegenüber, z. B. von Gnetum, kaum vorhanden war. Mit den Frucht- 
blättern verwachsen sind die beiden Vorblätter und etwas höher in- 
serirt finden sich die Perigonblätter.') Fig. 1, 2, 5, 9. 

Die Fruchtblätter laufen in zwei federige, reich behaarte Narben 
aus. Diese sind bei Juglans und Pterocarya mit ihren Oberflächen 
gegeneinander eingerollt, so lange sie noch nicht empfängnissfähig 
sind. Bei Carya dagegen sind sie von vornherein auswärts gekehrt, 
und in dieser Lage beharrend, gliedern sich die Narbenflächen nach 
und nach immer reicher aus. Fig. 3, 6, 7, 10—12. 

Sehr eigenartig ist nun die weitere Eniwickelung der Samen- 
anlage.?) Sie umgibt sich zunächst mit einem ziemlich hoch ange- 
legten Ringwall, dem Integumente; sehr bald darauf aber oder fast 
gleichzeitig damit, bemerkt 'man eine zweite ähnliche Ausgestaltung 
etwas tiefer. (Fig. 1—8.) Doch ist diese zweite nicht immer zu sehen. 

Während nun der innere, von allen Autoren als Integument be- 
zeichnete Ringwall sich langsam vergrössert und bei den verschiedenen 
Formen sehr verschiedene Mächtigkeit erreielt — in den meisten von 
mir untersuchten Fällen zur Befruchtungszeit jedoch noch nicht über 
dem Nucellusscheitel zur Mikropylenbildung zusammengeschlossen ist — 
findet man den zweiten Ringwall nur selten erwähnt. Ich sehe ihn 
ausdrücklich hervorgehoben nur bei Nawaschin?) der von zwei 
besonders auffallenden, flügelartigen Wucherungen spricht, die an 
beiden Seiten der Placenta die Ansatzstelle der Samenanlage mit 
ihren oberen Rändern etwas überragen. 

Untersucht man Samenanlagen der vorher genannten Arten in 
verschiedenem Alter, so findet man diese flügelartigen Wucherungen 
rings herumgehend um den frei emporwachsenden Nucellus, nur an 
den Verwachsungsstellen der beiden Carpelle fehlen sie. Je nach 
der Stellung der Carpelle und Narben zu einander wird man also bei 
Juglans und Pterocarya*) die Wucherung als freien Ringwall antreffen: 


1) Zu vergleichen ist dazu Eichler. Blüthendiagramme I, 32 ff. 

2) cf. dazu Eichler, |. c. und 8, Nawaschin, Ein neues Beispiel der 
Chalazogamie. Bot. Centralbl. 68, Nr. 12, 1895. Sep. 1—4, endlich Cas, de Can- 
dolle, M&m. sur la fam, des Juglanddes ann. d, ac. nat. bot,, sör. IV, 18, 1862, 

3) 8, Nawaschin, l. oc. pag. 2, 

4) Eichler, ], oc. pag. 36, gibt eine klare Uebersicht über die verschiedenen 
Stellungen, 


818 


bei jedem Längsschnitt durch die Blüthe mit Ausnahme desjenigen, 
der rechtwinkelig steht zur Ebene, in welcher die beiden federartigen 
Narben sich ausbreiten; bei Carya wäre diese eines zweiten Ring- 
walles entbehrende Stelle um 90° gedreht, doch findet man hier über- 
haupt veränderte Verhältnisse, auf die später näher einzugehen ist. 
Meiner Ansicht nach handelt es sich in diesem zweiten Ringwall um 
ein mit besonderen Functionen betrautes äusseres Integument; ich 
schreibe demnach den Juglandaceen der Anlage nach zwei Inte- 
gumente zu, welche in absteigender Folge zur Entwiekelung gelangen, 
wenn auch oft ein fast gleichzeitiges Auftreten vorzuliegen scheint. 

Die Verwachsungsstelle der beiden Fruchtblätter ist in der ganzen 
Reihe der Juglandaceen der Ort, wo die Hauptscheidewand, welche 
die untere Fruchthälfte durchsetzt, angelegt wird. Und lediglich der 
frühen Anlage dieser Scheidewand ist es zuzuschreiben, dass hier die 
Bildung des zweiten Integumentes unterbrochen erscheint. Die eigent- 
liche Bedeutung dieses zweiten Integumentes tritt erst nach erfolgter 
Befruchtung hervor; es wird dann häufiger zu erwähnen sein. — 

Die Bildung des Embryosackes in dem ziemlich mächtigen Nucel- 
lus geht meist ohne grosse Umwälzungen von statten. Es pflegt der 
die Mittellinie einnehmende Zellstrang die Embryosackmutterzelle zu 
liefern, und diese wird ohne weitere Zelltheilungen und Verdrängungen. 
direet zum Embryosacke, wie sich bei Beginn der Kerntheilungen 
bald erkennen lässt. In anderen Fällen war aber auch eine ein- 
getretene Theilung der Embryosackmutterzelle nachzuweisen, so dass 
drei oder vier Tochterzellen entstanden. Die beiden oberen habe ich 
niemals sich weiterentwickeln sehen, die beiden unteren schienen 
ziemlich gleiche Chancen zu besitzen. 

Endlich ist noch ein anderes Vorkommen für Juglans zu er- 
wähnen. In einer sehr erheblichen Zahl von Fällen fanden sich zwei 
vollkommen fertig ausgebildete Embryosäcke in der Mittellinie des 
Nucellus hinter einander vor. Vielfach lagen sie unmittelbar an- 
einander; sie waren dann offenbar den Abkömmlingen einer Embryo- 
sackmutterzelle entsprossen, also dem letztbesprochenen Falle einzu- 
ordnen. Oft aber waren viele oder doch mehrere Zelllagen zwischen 
beide Embryosäcke eingeschoben. Es kann das wohl nur auf zwei 
weiter aus einander liegende Embryosackmutterzellen zurückgeführt 
werden, deren jede eine Tochterzelle zur völligen Ausbildung brachte, 
oder ohne Theilung ihre volle Entwiekelung erreichen konnte. Hier" 
mag gleich hinzugefügt sein, dass in jedem hinreichend weit ent- 
wickelten Falle die der Chalaza genäherte Eizelle befruchtet gefunden 


319 


wurde, der obere Embryosack also unverrichteter Sache zu Grunde 
gehen musste. Fig. 20. 

Das ganze Verhalten deutet, wie mir scheint, darauf hin, dass der 
Anlage nach ein umfangreiches sporogenes Gewebe vorhanden ist, 
von dem aus unbekannter Ursache nur spärliche Zellen zur vollen 
Ausbildung gelangen. Für diese Auslegung sprieht auch noch ein 
näher zu schilderndes Vorkommen, auf das Fig. 18, 19 Bezug haben. 

In einem derartigen Nucellus von Juglans regia zeigte sich der 
untere Embryosack, dessen drei Antipodenzellen (a) führendes Ende 
in Fig. 18 zu erkennen ist, von umfangreichem, zu spindelförmiger 
Streckung gelangtem Gewebe begleitet. Der in Fig. 19 wieder- 
gegebene Schnitt war der Fig. 18 nächst benachbart; er lässt er- 
kennen, dass auch auf der Unterseite des Embryosackes gleiche 
Zellen sich befanden. Viele dieser Zellen besitzen zwei Zellkerne. 

Die einzigen mir bekannten Vergleiche in der Reihe der Angio- 
spermen für solche Zellformen in sporogenem Gewebe finden sich bei 
Treub!) — die Tafel XVIII seiner Casuarinen-Abhandlung z. B. weist 
in Fig. 1b, 2b, 3b ganz ähnliche Bilder auf — und bei Nawaschin®), 
welcher für Corylus Avellana ein analoges Verhalten schildert. Die 
Entwickelung von zwei oder mehr völlig entwickelten Embryosäcken 
ist sonst noch erwähnt von A. Fischer?) für Triglochin palustre, 
D. M. Mottier*) für Delphinium tricorne, Joenssond) für Wald- 
steinia und Murbeck®) für verschiedene Alchemilla-Arten. In allen 
diesen Fällen, und ebenso bei den bereits genannten Casuarinen, liegen 
aber die Embryosäcke mehr oder weniger nebeneinander; sie sind 
meist direct benachbart, seltener durch eine Zellreihe von einander 
getrennt. Hier bei Juglans sehen wir sie aber ausnahmslos in der 
Mittellinie des Nucellus hinter einander angeordnet und durch 5—10 
Zellreihen vegetativen Gewebes geschieden. Ich glaube daher ein 
der Anlage nach umfangreiches sporogenes Gewebe annehmen zu 
müssen, von dem jedoch in den meisten Fällen nur eine Embryo- 


1) M. Treub, Sur les Casuarindes. Ann. de Buitenzorg X, 1891. 

2) S. Nawaschin, Corylus Avellana. Bull. de l’Acad. imp. d. so. de St. 
Pötersbourg X, Nr. 4. April 1899. 

3) A. Fischer, Zur Kenntniss der Embryosackentwickelung. pag. 9. Jen, 
Zeitschr, f, Naturw. XIV, 1880. 

4) D.M. Mottier,, Oontrib. to the embryologie of the Ranunculaceae. Bot. 
Gaz. XX, 1895, pag. 244. 

5) Citirt nach Sy. Murbeck, Parthenogenetische Embryobildung in der 
Gattung Alchemilla. Lund Univ. Arsskr. 36, 2, Nr. 5, 1901, pag. 26, 

lc, 


320 


sackmutterzelle hervorgebracht wird. Was für Umstände bisweilen 
eine so abweichende Entwickelung bedingen, lässt sich nicht angeben. 

Die Ausrüstung des Embryosackes bietet nun erhebliche Ver- 
schiedenheiten, so dass hier die untersuchten Arten gesondert be- 
sprochen werden sollen. Juglans cordiformis, welche ich zuerst 
untersuchte, lässt nach der ersten Kerntheilung die Kerne an ent- 
gegengesetzte Pole des Embryosackes wandern und hier jeden die 
Theilungen fortsetzen. Die drei Antipodenkerne werden bald von 
Zellhäuten umhüllt und lagern sich in eine kleine Ausbuchtung des 
Embryosackes der Chalaza zugewandt. Nur, wenn etwa zwei Embryo- 
säcke unmittelbar an einander gebildet waren, nehmen sie im oberen 
eine seitliche Stellung ein. Auch die Theilung des oberen Kernes 
war hier stets regelmässig von statten gegangen. Der Eikern unter- 
schied sich durch Grösse und tiefere Lage beträchtlich von den bei- 
den sehr unscheinbaren Synergidenkernen. Ebenso ragte die Eizelle 
weit tiefer in den Embryosack hinein als die sehr flach gebauten 
Synergiden. Die Verschmelzung der beiden Polkerne zum Embryo- 
sackkern erfolgte ganz regelmässig und rechtzeitig. Dabei liess sich 
fast ausnahmslos beobachten, dass der untere Polkern dem oberen 
ein wenig an Grösse nachstand. Es ist also keinerlei Abweichung 
gegenüber dem für angiosperme Pflanzen bekannten Schema der 
Embryossckausrüstung hier zu constatiren. 

Ebenso verhält sich Pterocarya fraxinifolia, nur sind ibre Eikerne 
und Synergidenkerne von grosser Aehnlichkeit. 

Juglans regia und Juglans nigra zeigten dagegen ein abweichen- 
des Verhalten. Die Antipodenkerne waren auch hier regelmässig ge- 
bildet und, obwohl die Zeilbildung etwas auf sich warten liess, möchte 
ich nicht in Zweifel ziehen, dass es stets dazu gekommen sein wird. 
Doch gelang es mir bei Juglans regia niemals, mehr als einen Syner- 
gidenkern zu finden, welcher an Grösse auch hier hinter dem Eikern 
zurückblieb. Die Zellbildung trat um beide Kerne sehr spät ein und 
die beiden Polkerne waren zur Zeit der Befruchtung niemals ver- 
einigt, sondern lagen oft weit aus einander. (Fig. 16.) An Embryo- 
säcken, die unbefruchtet geblieben waren, da ihre Narben gegen Zu- 
tritt des Pollens geschützt lagen, und welche etwa drei Wochen nach 
der Blüthezeit fixirt wurden, liess sich feststellen, dass sich in dem 
beträchtlich vergrösserten Embryosacke die beiden Polkerne jetzt fest 
an einander gelagert hatten, so dass sie an der Berührungsfläche ab- 
geplattet waren; eine wirkliche Verschmelzung war aber in keinem 
Falle eingetreten. 


321 


Ich will nun zwar nicht bezweifeln, dass bei regelrechter Weiter- 
entwickelung die Verschmelzung der Polkerne eintreten dürfte, bevor 
der zweite Kern des Pollenschlauches sich zu ihnen gesellt. Jedoch 
konnte ich in drei einzelnen Fällen sicherstellen, dass die Zahl der 
vorhandenen Endospermkerne drei betrug und nur drei; und alle 
drei waren im Theilungszustande. 

Da sich aber die Endospermkerne eines Embryosackes stets gleich- 
zeitig theilen, so ist die Dreizahl nicht ohne Weiteres zu erklären. 
Nachdem festgestellt war, wie schwer die beiden Polkerne hier zur 
Vereinigung zu bringen sind, scheint mir die einzig mögliche Deutung 
des Befundes darin zu liegen, dass hier der zweite generative Kern 
mit einem Polkerne sich vereinigte. Dieser so gebildete erste Endo- 
spermkern theilte sich und der nicht zu Grunde gegangene zweite 
Polkern nahm von der zweiten Theilung ab an der Endospermbildung 
theil, so dass hier die Vereinigung eines der freigebliebenen Pol- 
kerne mit dem zweiten Pollenschlauchkerne hinreichte, auch den 
anderen Polkern zur Theilung und Endospermzelibildung anzuregen. 
Es wäre also damit ein Beispiel gegeben, welches die vorherige Ver- 
schmelzung der Polkerne nicht als conditio sine qua non für Endo- 
spermbildung verlangt. 

Juglans nigra entspricht in Bezug der Polkerne völlig dem, was 
von Juglans regia ausgesagt worden ist; sie sind zur Befruchtungs- 
zeit frei und meist weit von einander entfernt. Dagegen sind zwei 
Synergidenkerne vorhanden, beide sehr gross und dem Eikern voll- 
kommen gleichend;, Zeilbildung tritt erst mit der Befruchtung ein. 
(Fig. 17.) Diese Gruppe von drei gleichen Kernen am Scheitel des 
Embryosackes scheint mir die sichere Bestimmung des Eikernes vor 
der Befruchtung zu vereiteln. Freilich stand mir, wie oben gesagt, 
nur wenig Material der Art zur Verfügung. 

Dabei ist zu erwähnen, dass auch Nawaschin!) in der ge 
nennten Mittheilung, die sich jedoch nur auf Juglans regia bezieht, 
ein differencirtes Ei zunächst nicht glaubte unterscheiden zu können. 
Später freilich sagt er in einer Anmerkung ?): „Nach besser gelungener 
Fixirung des Embryosackes ist es mir doch gelungen, das Vorhanden- 
sein eines differenzirten Eies festzustellen“; aber diese Bemerkung 
wird sich natürlich auch nur auf Juglans regia beziehen sollen. In 


1) 1 e. Bot. Centralbl. pag. 4 d. Sep. 

2) Nawaschin, Resultate einer Bevision der Befruchtungsrorgänge bei 
Lilium Martagon und Fritilleria tenella.. Bull. de l’Aoad. imp. d. sc. de St. 
Pötersbourg. 1888, Nov., pag. 381. 

Flora 1902. 2 


322 


einer dritten russisch geschriebenen Mittheilung mit Deutschem RE£- 
sum6,!) welche auf die generativen Kerne aufmerksam macht, steht 
über diese Frage nichts weiter bemerkt. 

Dagegen hat Nawaschin?) bei der ausführlichen Besprechung 
der Befruchtungsvorgänge von Corylus ein Verhalten hervorgehoben, 
das vollkommen demjenigen von Juglans nigra gleicht. Er sagt dort: 
„Im reifen Embryosacke lässt sich der Eiapparat als solcher nicht 
entdecken, indem er durch eine Protoplasmaansammlung und darin 
eingelagerte freie Zellkerne vertreten wird.“ — 

Wie Nawaschin bereits für Juglans regia und Juglans nigra 
festgestellt hatte, dringt der Pollenschlauch nach meinen Beobachtungen 
beiallenuntersuchtenJuglansarten, wiebeiPterocarya 
durch die „fügelartige Wucherung“, unser „äusseres Integument“, hin- 
durch in die Nucellusbasis ein. (Fig. 21.) Er hält sich hier meist 
ziemlich in der Mitte, steigt wohl an der Aussenwand des Embryo- 
sackes selbst entlang aufwärts und legt sich breit über das obere 
Embryosackende, oft zu einer blasigen Aufstülpung anschwellend. 
(Fig. 16.) Hier findet man leicht die beiden generativen Kerne des 
Pollensehlauches auf. In allen Fällen, in denen ich sie beobachten 
konnte, waren es ziemlich kleine, rundlich-ovale Kerne; bei Juglans 
cordiformis mit scharf hervortretendem Nucleolus; bei Juglans regia 
und Pterocarya mehr homogen erscheinend. Ich konnte sie auch in 
den Embryosack eingedrungen leicht auffinden, den einen im Begriff 
mit dem Embryosackkern zu verschmelzen, den anderen in unmittel- 
barer Berührung mit der Eizelle. Dabei möchte ich hervorheben, 
dass die „vegetative Befruchtung“ stets vor der Befruchtung des Eies 
erfolgt. Mit dem Moment ihres Uebertrittes in den Embryosack er- 
fährt eine der (oder die eine — Juglans regia) Synergiden eine Trübung. 

Niemals konnte ich aber die von Nawaschin®) gezeichnete 
Spiralwindung der generativen Kerne sehen; auch waren die Dimen- 
sionen erheblich geringer. Dabei muss ich freilich zugeben, dass ich 
bei Juglans nigra, auf welche sich Nawaschin’s Angabe und Zeich- 
nung speciell beziehen, keine hinreichenden Beobachtungen über die 
generativen Kerne anstellen konnte. 

Von einigem Interesse sind nun noch weitere bisher nicht näher 
besprochene Aenderungen innerhalb der Samenanlage, die besonders an 


1) Travaux de la soc. imp. d. nat, de St. Pötersbourg. XXVIIE, 1. Sep- 

2) Zur Entwickelungsgeschichte der Chalazogamen. Corylus Avellana. Bull. 
ete, X, 37591. 1899. 

3) 8. Nawaschin, Travaux de la soc, imp, desnat. de St. Pötersbourg. XX VII. 


323 


das äussere Integument anknüpfen. Wir verliessen den Nucellus als 
einen aus dem ihn ringwallartig umgebenden inneren Integument her- 
vorschauenden Kegel, der unten an zwei einander gegenüberliegen- 
den Stellen mit den Nähten der Carpelle verwachsen ist, am übrigen 
freien Umkreise von einem zweiten Ringwall, dem äusseren 'Inte- 
gumente, umhüllt wird. Das innere Integument schliesst langsam über 
dem Scheitel des Nucellus zusammen. Das äussere Integument zeigt 
eine sehr starke Zellvermehrung und füllt alle Räume der Frucht- 
knotenhöhlung in kurzer Zeit aus. Es erreicht zur Zeit der Be- 
fruchtung oft mehr als die halbe Höhe des inneren Integumentes. 
(Fig. 4, 7, 8, 21.) Dann aber tritt eine wesentliche Veränderung ein, 
welche darin besteht, dass innerhalb der Frucht eine Stielbildung der 
Samenanlage erfolgt. Es ist das sog. „Mittelsäulchen‘ der Autoren, 
welches die Gefässbündel führt und die Samenanlage als Abschluss 
auf dem Gipfel trägt. Durch die Streckung des Mittelsäulchens wird 
der Nucellusscheitel fest gegen die ihn oben umgebenden Gewebe- 
partieen der Carpelle gepresst. So bleibt hier kein freier Raum vor- 
handen. (Fig. 3, 4, 21.) Dagegen wächst das äussere Integument jetzt 
entsprechend der fortdauernden Stielbildung nach unten und füllt 
gleichzeitig nach den Seiten hin die sich mehr und mehr erweitern- 
den Innenräume stets sofort wieder prall aus. Ebenso und in gleichem 
Maasse wächst auch die Scheidewand mit, welche an das Mittelsäulchen 
fest anschliessend das äussere Integument in seine beiden Hälften zerlegt. 

Während langer Zeit bleibt diese Art der Wachsthumsvertheilung 
erhalten und ebenso lange wächst der Embryosack sehr langsam; der 
Embryo ist noch in Fig, 14, 15 auf 2—3 Zellen beschränkt geblieben. 
Ist aber die definitive Grösse der Frucht etwa zu ?/s erreicht, so geht 
die Function des äusseren Integumentes zu Ende. Es hat beiderseits 
der Mittelscheidewand zwei grosse Räume ausgefüllt (Fig. 14), in 
welehe jetzt der plötzlich mächtig heranwachsende Embryosack ein- 
dringt. Vor seinem Anwachsen zerfällt das Gewebe des äusseren 
Integumentes zu einer mulmigen Masse. Die Scheidewand dagegen 
(Fig. 15) und die umgebenden l’artieen der Carpelle werden zu hartem 
Sklerenchymgewebe. Das hier als äusseres Integument bezeichnete 
Gewebe hat also die Function, vorläufig die später vom Embryosacke 
resp. den Cotyledonen des Keimlings auszufüllenden Räume auszu- 
formen und gegen Einwuchern anderen Gewebes zu sichern. So ist 
es innerhalb der Gattungen Juglans und Pterocarya. 

Bei Carya (Fig. 9—13) dagegen verwächst das äussere Inte- 


gument, sobald es gerade als halbhoher Ringwall in Erscheinung ge- 
21° 


324 


treten ist, allseitig mit seinem oberen Rande fest gegen das anliegende 
Gewebe der Carpellinnenwände. Auf diese Weise werden die ausser- 
halb des äusseren Integumentes vorhandenen Hohlräume durch Ge- 
webepartieen von einander abgesondert. Sie bleiben als Hohlräume 
erhalten und nehmen proportional an der Vergrösserung der Frucht 
theil. Es ist eine Vereinfachung des Verfahrens eingetreten, welche 
die Function des äusseren Integumentes sehr einengt und seine Ge- 
genwart auf die allerersten Entwickelungsstufen -beschränkt. 

Die Trennung der beiden Theile der Fruchtschale erfolgt bei 
Juglans in der Linie des Gefässbündelverlaufes. In Fig. 14 uud 15 
sieht man die in den Längsschnitten getroffenen Bündel von den 
unteren Hauptbündeln abzweigen und am Scheitel wieder zusammen- 
treffen. Das ganze innerhalb der Bündel liegende Gewebe lässt die 
einzelnen parenchymatischen Zellen zu wurmförmig sich durcheinander 
windenden Zellsträngen auswachsen. Sie bilden ein dichtes Geflecht, 
in dem die Wandmasse gegenüber dem Zelllumen stets zunimmt. 
Schliesslich wird vermuthlich durch Einlagerung von Holz- und Kork- 
stoff, also chemische Veränderung und gleichzeitige Verdiekung der 
Zellwände, die harte Steinschale von Juglans gebildet, welche sich 
in der oben bezeichneten Linie von der äusseren Fruchtschale, die 
einen mehr fleischigen Charakter bewahrt hat, trennt. Die vertieften 
Längsriefen auf der Nussschale sind demnach als Spuren der ursprüng- 
lichen die Carpelle durchziehenden Hauptgefässbündel aufzufassen. 


Il. Stellung der Juglandaceen im System. 


‚Die gegebene Skizze von dem Entwickelungsgange einiger Ju- 
glandaceen ist unvollständig. Vor Allem hätte ich gewünscht, Carya- 
arten bezüglich ihrer Embryosackentwickelung untersuchen zu können, 
doch gelang es mir nur, ganz junges Material der Gattung zu erhalten. 

Immerhin geht aus den wiedergegebenen Resultaten so viel her- 
vor, dass die Familie der‘ Juglandaceen in ihren einzelnen Gliedern 
auf verschiedener Höhe des angiospermen Typus steht, und das ist 
der Punkt, auf den ich das Interesse leiten wollte. Während sich 
Juglans cordiformis und Pterocarya (wahrscheinlich auch Carya) be- 
züglich ihrer Embryosackausrüstung in keinem wesentlichen Charakter 
von den übrigen Angiospermen unterscheiden, sind Juglans nigra und 
Juglans regia mit einigen wesentlichen Abweichungen behaftet. Diese 
bestehen darin, dass 

1. Eizelle und Synergiden bei Juglans nigra vor der Befruchtung, 


9235 
ebenso wie bei Corylus nach Nawaschin’s Angabe nicht zweifellos 
zu unterscheiden sind, weil die Zellbildung erst im letzten Moment ein- 
tritt, während bis dahin nur drei freie Kerne festgestellt werden konnten; 

2. unterbleibt die Verschmelzung der beiden Polkerne sehr lange; 

3. konnte für einzelne Fälle mit einem sehr hohen Grade von 
Wahrscheinlichkeit angegeben werden, dass diese Vereinigung über- 
haupt ausbleibt. Die regelrechte Endospermbildung wird dann durch 
Verschmelzung des einen generativen Kernes miteinem der beiden 
freien Polkerne angeregt und der zweite dieser Polkerne wird 
dadurch veranlasst, auch seinerseits in Theilung einzutreten; endlich 
ist dann noch hinzuzufügen als 

4., dass bei zwei untersuchten Juglansarten das Vorkommen eines 
umfangreichen sporogenen Gewebes sichergestellt werden konnte, 
welches allerdings nur selten in Erscheinung tritt. Dort aber, wo es 
vorkommt, erinnert es an Corylus, Casuarina und die Gnetaceen in der 
Eigenart der gebildeten Zellformen, wie der Reichhaltigkeit seiner 
Produkte. 

Wie in jedem derartigen Falle entsteht also die Frage, kann 
man in diesen Abweichungen irgendwelche Anzeichen eines noch 
rudimentären Zustandes erblicken, der eine Anknüpfung an niedere 
Formen erlaubt, oder haben wir es mit Rückbildungen, mit Reduc- 
tionserscheinungen zu thun? 

Es kann nicht geleugnet werden, dass sich für die Auffassung 
der Juglandaceen als eines reducirten Typus verschiedene, gewichtige 
Gründe ins Feld führen lassen. Bereits von C. de Candolle') 
wurde auf das Vorkommen von hermaphroditen Blüthen bei Juglans, 
Carya, Engelhardtia hingewiesen; Eichler?) fand solche bei Ptero- 
carya. Wenn Eichler meint, es käme das nur in männlichen In- 
Horescenzen vor, so ist das ein Irrthum. Ich habe für Pterocarya, 
“ Juglans cordiformis, Juglans regia in rein weiblichen Inflorescenzen 
Spuren früherer männlicher Organe sehr deutlich gefunden. Es sind 
häufiger, als es bei oberflächlicher Untersuchung den Anschein hat, 
die Perigonblätter, deren Zahl dann vermehrt zu sein pflegt, mit den 
Anlagen deutlicher Pollenfächer versehen. In verschiedenen Fällen 
traf ich solche Pollenfächer, in denen die Pollenmutterzellen deutlich 
zu erkennen waren; in einzelnen Fällen war ihre Theilung auch be- 
reits erfolgt und das Fach mit Pollenkörnern gefüllt. Freilich dürften 


1) \. oc. pag. 17. 
2) \. o. pag. 32 Anm. n, pag. 86 Anm, 


826 


diese sämmtlich functionsunfähig gewesen sein, da sie meist verdrückt 
und inbaltsarm erschienen. Immerhin ist die Anlage redueirter männ- 
licher Organe in weiblichen Inflorescenzen damit erwiesen. 

Ausserdem kamen häufiger Missbildungen vor, die an eine frühere 
Periode mit zwei Samenanlagen im Fruchtknoten denken lassen; nur 
in einem Falle aber konnten für Juglans cordiformis wirklich zwei 
wohlausgebildete Nucellen mit je einem normal entwickelten Embryo- 
sack nachgewiesen werden. Der Fruchtknoten war dabei einfächerig 
geblieben. 

Es lässt sich demnach kaum von der Hand weisen, dass die 
Juglandaceen morphologisch in Reduction ihrer Blüthen begriffen sind 
oder doch ein solches Zeitalter vor Kurzem durchgemacht haben. 
Das schliesst aber keineswegs aus, dass wir in ihnen trotzdem Ver- 
treter relativ niedriger Angiospermentypen vor uns haben, die viel- 
leicht in diesem oder jenem Punkte noch einen Anschluss nach unten 
ahnen lassen können. 

Für Versuche nach dieser Richtung hin kommen von den vorher 
aufgezählten Abweichungen dem angiospermen Schema gegenüber in 
Betracht nur der erste Punkt: die drei freien Kerneim oberen 
Theil des Embryosackes vor der Befruchtung und der 
dritte Punkt: die anormale Art der Endospermbildung in 
einzelnen Fällen, speciell die durch Befruchtung des 
einen Polkernes auf den anderen gleichen Kern ausge- 
übte Anregung auch seinerseits in Theilung einzutreten 
und sich an der Endospermbildung zu betheiligen. Zur 
Erläuterung dessen, was mir dabei vorschwebt, bedarf es jedoch eines 
etwas weiteren Ausholens. 

Für die Anknüpfung der Angiospermen an die Gymnospermen 
scheint von allen Gnetaceen nur die Gattung Gnetum in Betracht . 
kommen zu können; Ephedra') ist noch vollständig auf dem typisch 
gymnospermen Entwickelungsstadium ihres Embryosackes stehen ge- 
blieben. Welwitschia?) weicht von Allem sonst Bekannten so weit ab, 
dass cs eine völlig isolirte Form darstellt, welche ihren Platz deutlich 
zwischen Ephedra und Gnetum hat, und nur Gnetum besitzt eine ge- 
wisse Hinneigung zu den Angiospermen. Wie s. Zt. gezeigt wurde®), 
ist der Besitz zahlreicher freier Zellkerne im ganzen Embryosack, 


1) E. Strasburger Coniferen und Gnetaceen. 1872 pag. 76. 
2) E. Strasburger, 1. o. pag. 91. 


. 3) G. Karsten, Zur Entwiekelungsgeschichte der Gattung Gnetum. F,Cohn’s 
Beiträge z. Biologie d, Pflanzen. VI, 1893, 


327 


speciell im oberen Theil charakteristisch für Gnetum. Durch Lotsy!) 
wurde unsere Kenntniss erweitert mit der Beobachtung, dass die 
älteste und einzig baumförmige Species, Gnetum Gnemon, einen 
unteren mit festem Prothalliumgewebe erfüllten Theil des Embryo- 
sackes von einem oberen nur mit freien Kernen versehenen unter- 
scheiden lässt. 

Diesen freien Kernen fällt nun eine doppelte Aufgabe zu. Sie 
stellen zunächst Eikerne dar und es sind immer mehrere, welche im 
normalen Verlauf zur Erfüllung dieser Aufgabe auserlesen werden, 
da ja bereits ein einziger Pollenschlauch zwei Eikerne befruchtet. 
Die übrig bleibenden werden zu Endospermkernen und zwar ist mit 
dem Eintreten der Zygotenbildung die Auslösung für den Beginn der 
Endospermbildung gegeben. 

Hier muss ich hinzufügen, dass diese doppelte Bedeutung und 
Aufgabe der freien Kerne offenbar bei Gnetum Gnemon weniger auf- 
fallend ist als bei den übrigen Gnetumarten. Lotsy?) gibt für die 
Endospermzellen im oberen Embryosack an, dass ihre Zahl ver- 
schieden gross ist, ja dass in manchen Fällen nur eine oder zwei, 
wie er sagt „retarded prothallium-cells“, gebildet würden. Um so 
mehr kann ich für die doppelte Rolle der freien Kerne auf die von 
mir untersuchten Arten hinweisen, welche freilich die Prothallium- 
bildung im Chalazaende®) vor der Befruchtung nur selten und nie- 
mals in dem Maasse wie Gnetum Gnemon zeigen, dafür aber die 
freien Kerne ihrer zweiten Aufgabe um so melır gerecht werden 
lassen. *) 

Mit der Gattung Gnetum tritt also als wesentlich neu in die 
Entwickelung ein die Endospermbildung im Anschluss an die 
Befruchtung. Besonders nach den Angaben von Lotsy ist in ganz 
ähnlicher Weise wie bei den gesammten Angiospermen der Vorgang 
der „fractionirten Prothalliumbildung“, wie Strasburger°) es ge- 
nannt hat, auch bei Gnetum Gnemon vorhanden. Es wird im Embryo- 
sacke zunächst eine Anzahl freier Kerne entwickelt und die untere 


1) J. Lotsy, Contributions to the life-history of the genus Gnetum. Ann. 
de Buitenzorg 2. ser. I, 1899, 
"DL. ec. pag. 97. 
3) 1. e. pag. 357, 
4) ]. cc. pag. 372. 
5) E. Strasburger, Einige Bemerkungen zur Frage nach der „doppelten 
Befruchtung“ bei !den Angiospermen. Bot. Ztg. II, 1900, pag. 18. Ueber Pro- 
thallium und Endosperm ibidem pag. 22. 


898 


Ausbauchung füllt sich alsbald mit Prothallium- Zellen aus, während 
die obere Hälfte erst nach vollzogener Befruchtung Endosperm- 
gewebe bilden wird. Ganz so werden bei den Angiospermen zunächst 
die Antipoden angelegt, deren Deutung als Prothallium ich mich 
also jetzt anschliesse, die Endospermbildung dagegen bis nach er- 
folgter Befruchtung verschoben. Dass die Einzahl der Eizelle fest 
begrenzt ist, dass die den Eikernen von Gnetum zufallende zweite 
Rolle auf besondere Kerne, die Polkerne, resp. ihr Vereinigungs- 
produkt, den Embryosackkern, abgewälzt wird, entspricht dem Prineip 
der Arbeitstheilung. 

In der Vereinigung dieser Polkerne ist lediglich ein vegetativer 
Vorgang zu erblicken. Vor Allem ist, wie Murbeck') eingehender 
gezeigt hat, die Endospermbildung nicht etwa von einer Polkernver- 
schmelzung abhängig, andererseits ist aber das Ausbleiben der Ver- 
einigung auch nicht für Parthenogenese ausschliesslich charakteristisch 
wie Juel?) zunächst angenommen hatte. Vielmehr ist es der von 
Strasburger?°) als „vegetative Befruchtung“ bezeichnete Vorgang 
der Vereinigung des Embryosackkernes mit dem zweiten generativen 
Kern des Pollenschlauches, welcher, wie Nawaschin‘) zuerst nach- 
wies, die Endospermbildung anregt, Und das Bedürfniss einer solchen 
Anregung ist als für die Angiospermen allgemein (bis auf Casuarina?) 
vorhanden anzunehmen); es bildet einen wesentlichen Unterschied 
gegenüber Gnetum und ist von Strasburger®) mit hoher Wahr- 
scheinlichkeit auf das Princip der Sparsamkeit zurückgeführt worden. 

Greifen wir jetzt noch einmal auf die beiden vorher angeführten 
Punkte in der Entwickelung unserer Juglandaceen zurück. Bei Jug- 
lans nigra waren statt des normalen Eiapparates nur drei freie Kerne 


1) 8v. Murbeck, Parthenogenestische Embryobildung in der Gattung Alche- 
milla. Lund 1901, pag. 30. 

2) H. O. Juel, Vergleichende Untersuchungen über typische und partheno- 
genetische Fortpflanzung bei der Gattung Antennaria. Kg. Svensk. Ak. Handl, 
33, V, pag. 46—47 und Nachtrag. 

3) 1. e. Bot, Ztg. II, 1900, pag. 12. 

4) 5. Nawaschin, Resultate einer Revision der Befruchtungsvorgänge bei 
Lilium Martagon und Fritillaria tenella. Bull. de l’Acad. imp. de $t, Peötersbourg. 
1898, IX, +. — L. Guignard, Sur les anthörozoides et la double copulation 
sexuelle chez les vegätaux angiospermes. Comptes rendues. Avril 1899. 

5) 8. Nawaschin, Ueber die Befruchtungsvorgänge bei einigen Dikotylen. 
Ber. d.D. bot. Ges. 1900, pag. 224. — L. Guignard, L’appareil sexuel et la double 
f&condation dans les tulipes. Ann. d. sc. nat. 8. ser. XI, 365. 

6) 1. c. Bot. II, Ztg. 1900, pag. 18. 


929 


am Scheitel des Embryosackes vorhanden; dasselbe Verhalten ist für 
Corylus Avellana bereits bekannt. Erst im Momente der Befruchtung 
tritt die Eizelle hervor, während vorher der Eikern nicht zweifels- 
ohne veranschaulicht werden konnte. Was hier in der ontogenetischen 
Entwickelung nachgewiesen wurde, könnte es nicht einen Fingerzeig 
für die Phylogenie geben? 

„Die Archegonien sind bei Gnetum auf nackte Kerne reducirt, 
bei den Angiospermen findet man dagegen noch die Eizelle, daher 
kann Gnetum in dem Stammbaum der Angiospermen keine Stelle 
finden“. Das ist ungefähr der Schluss, den Lotsy'!) macht. Ich meine 
unter Zuhilfenahme der bei Juglans nigra und Corylus vorkommenden 
Verhältnisse braucht man diesen Schluss nicht als zwingend anzu- 
erkennen. Es liesse sich immer noch von den nackten Kernen der 
Weg zur Eizelle zurückfinden. 

Auch Strasburger?) fasst „die Vorgänge, wie sie Gnetum und 
die Angiospermen bieten, als verschieden, als die Endglieder getrennter 
Entwickelungsreihen auf. Der Zustand von Gnetum wurde auf dem 
Wege fortschreitender Reductionen der Archegonien erreicht. Schon 
Welwitschia bietet an Stelle dieser Archegonien nur behüllte Eier 
im oberen Embryosackende. Bei Gnetum bleibt der ganze obere 
Theil des Embryosackes frei von Prothalliumzellen und führt statt 
dessen zahlreiche nackte Eier“, Strasburger geht dann genauer 
auf den von Guignard°) beschriebenen abnormen Fall der Tulpen 
ein und legt das Schwergewicht auf den Nachweis, dass trotz an- 
scheinender Gleichwerthigkeit die Kerne auch bei Tulipa von vorn- 
herein unterscheidbar seien, wenigstens Eikern, Synergiden und unterer 
Polkern nach den Angaben von Guignard, und dass jedem seine 
Rolle genau vorgezeichnet sei. Es soll das hier in keiner Weise 
bestritten werden, vielmehr ist es dankbar anzuerkennen, dass Guig- 
nard’s Beobachtungen die Möglichkeit zu so eingehender Feststellung 
lieferten, Zugleich möchte ich aber eine frühere Aeusserung Stras- 
burger’s®) hier anführen, welche die von anderer Seite her be- 
stehenden ebenso grossen Schwierigkeiten einem früheren Abschnitte 
unserer Erfahrungen entsprechend mehr in den Vordergrund schiebt: 
„Als Kanalzellen können die Gehülfinnen aber auch nicht gedeutet 


1) J. Lotsy, Contributions to the life-history of the genus Gnetum. Ann, 
de Buitenzorg. 2. ar. I, pag. 103. 

2%) E. Strasburger, Bot. Ztg. II, 1900, pag. 17 des Sep. 

3) L. Guignard, Les tulipes, 1. c. 

4) E. Strasburger, Ueber Befruchtung und Zelltheiluug 1878, pag. 73. 


880 


werden; denn abgesehen von der ganz verschiedenen Function sehen 
wir auch, dass dieselben nicht vom Ei abgegeben werden, vielmehr 
einem besonderen Theilungsschritt ihre Entstehung verdanken.“ Das 
ist zu einer Zeit geschrieben, in der man noch keinerlei Kenntniss 
von den Vorgängen im Embryosacke von Gnetum hatte. 

So gewagt es nun auch erscheinen mag, der Autorität Stras- 
burger’s zu widersprechen, dem wir neben Hofmeister am 
meisten Dank für die Klarlegung der verwandtschaftlichen Beziehungen 
der Gymnospermen nach unten und oben schuldig sind, so kann ich 
doch nicht unterlassen, zu sagen, dass meiner Ausicht nach die An- 
knüpfung der Angiospermen an Gnetum, und zwar Gnetum Gnemon, 
möglich ist und mir als einziger Weg erscheint, eine Klarstellung 
nach allen Seiten hin zu erzielen. 

Die den Kernen des oberen Embryosackes hier zufallende doppelte 
Rolle habe ich bereits geschildert. Die Verschiedenheit im Verhalten 
der Arten, die mir s. Zt. zu Gebote standen, gegenüber Gnetum 
Gnemon, wie Lotsy es beschreibt, ist lehrreich, insoferne man daraus 
ersieht, dass Reduction des „‚Prothalliums“ zu einer Vermehrung resp. 
grösseren Sicherstellung der „Endospermbildung“ führt. Wenn wir 
nun an diese Verhältnisse anknüpfend die Zahlenreduction der oftmals 
vielen hundert Kerne bei Gnetum bis auf die acht Kerne bei den 
Angiospermen uns eintreten denken, so ist es ja völlig richtig, dass 
sich strenge Homologieen der einzelnen Kerne nicht durchführen 
lassen. Und es ist ebenso selbstverständlich, dass der Zahlenreduction 
eine striete Arbeitstheilung parallel gehen muss. Durch Beschränkung 
der Aufgabe für den einzelnen Kern leistet der Embryosack dann 
mit wenigen Kernen schliesslich doch dasselbe wie vorher, 

Macht man sich andererseits die von Strasburger früher ge- 
schilderten Schwierigkeiten der Ableitung der Synergiden aus dem 
Archegonium klar, so scheint mir auch hier die Anlehnung an Gnetum 
via Corylus und Juglans nigra leichter zu sein und der Annahme 
einer Neubildung vorzuziehen. Es würden die Synergiden eben secun- 
dären Eikernen von Gnetum entsprechen, denen im Angiospermen- 
schema eine modificirte Rolle zufällt. !) 

Dass endlich der Schwesterkern des angiospermen Eikernes Pol- 
kern werden musste, mag sich aus der Einführung der „vegetativen 


Befruchtung‘ erklären lassen. Es werden jetzt zwei Schwesterkerne 
durch zwei Bruderkerne befruchtet. 


1) „Die Rolle von Vermittlerinnen beim Vorgang der Befruchtung.“ E. 
Btrasburger, Bot. Ztg. II, 1900. 1. 0. pag. 18. 


381 


Hier könnte auch das vorher als dritter Puukt geschilderte Ver- 
halten einiger Individuen bei Juglans regia eine Ueberleitung bilden, 
falls sich nachweisen liesse, dass der eine Polkern, der den zweiten 
generativen Kern aufnahm und damit für den anderen freigebliebenen 
Polkern die Anregung zur weiteren Theilung gab, der Schwesterkern 
des Eikernes, also der obere Polkern war. 

Es wäre nach dieser Auffassung die gesammte Initiative, wenn 
ich so sagen darf, für Weiterentwickelung von Embryo und Endosperm 
in zwei Schwesterkernen localisirt und bei beiden von ihrer Befruch- 
tung abhängig gemacht. Die meist zu beobachtende Verschmelzung 
der beiden Polkerne wäre nur als ein „reinen Tisch machen“ im 
Embryosacke aufzufassen, wie es ja auch allgemein als vegetativer 
Vorgang gedeutet wird. Dass ferner z. B. bei Balanophora!) gerade 
der obere Polkern die ausschlaggebende Rolle spielt, wäre darnach 
sehr wohl verständlich. 

Wenn wir also jetzt für die hier versuchte Ableitung der Angio- 
spermen eine Gleichung aufstellen, so würde sie etwa so lauten müssen: 

Gnetum-Embryosack = angiospermer Embryosack. 
Prothallium im unteren Theil = Antipoden. 
Eikerne = Eizelle + Synergiden. 
Endospermkerne = Polkerne resp. Embryosackkern. 
Auslösung der Embryo- und Endo- Auslösung für Embryoentwicke- 
spermbildung durch die Befruch- lung durch Befruchtung der 
tung mindestens zweier Eikerne Eizelle, —fürEndospermbildung 
durch „vegetative Befruchtung“. 

Der letzte theoretisch unanfechtbare Satz auf der Gnetum-Seite 
wäre für die Praxis freilich erst noch zu erweisen. Immerhin öffnet 
sich, wie mir scheint, hier ein Ausblick, wie man sich das Zustande- 
kommen der plötzlich bei den Angiospermen auftauchenden „vege- 
tativen Befruchtung‘ würde erklären können. 

Liess man bisher die Angiospermen von einer nicht näher 
bestimmten Stelle, sei es der Gnetaceen, oder wie Lotsy der Gymno- 
spermen mit Ausschluss der Gnetaceen abzweigen, 80 wäre jetzt, falls 
die hier dargelegte Anschauung Boden gewinnen sollte, die Ableitung 
von Gnetum Gnemon aus vorzunehmen. In beiden Seitenzweigen 
wird das grosse „Prothallium‘gewebe von Gnetum Gnemon zurück- 
gebildet; an seine Stelle tritt das hier noch wenig entwickelte Endo- 
sperm“. Während aber für die verschiedenen weiteren Gnetum- 
mn 

IM. Treub, I’organe femelle et l’apogamie du Balanophora elongata. Bl, 
Aun. de Buitenzorg. XV, 1898 pag. 1. 


882 


Arten die Befruchtung von zwei Eikernen hinreicht auch die Bildung 
des Endosperms einzuleiten, ist bei den Angiospermen ausser der 
Eizelle, die den Embryo liefert, auch noch der Embryosackkern zu 
befruchten, um dem Embryo in dem zu bildenden Endosperm die 
nöthige Nahrung zu verschaffen. 

Zum Schlusse seien hier die für mich ausschlaggebenden Gründe 
für den hier gemachten Ableitungsversuch noch kurz wiederholt. Sie 
bestehen darin: 

1. dass Gnetum Gnemon mit den Angiospermen fractionirte 
Prothalliumbildung theilt, während die übrigen Gnetum-Arten ihrer 
mehr oder weniger entbehren; 

2. dass Eizelle wie Polkerne ihrer Function nach in den Kernen 
des oberen Embryosackabschnittes der Gnetum-Arten bereits enthalten 
sind, und dass an einzelnen Punkten der unteren Reihen der Angio- 
spermen ebenfalls statt der Eizelle sich ein Eikern vorfindet. 
Die in solchem Falle vorbandenen secundären Eikerne, welche den 
Synergidenzellen der normalen Angiospermen entsprechen, lassen sich, 
wenn auch nicht ihrer Function nach, so doch morphologisch von 
Gnetum aus leicht, sonst gar nicht ableiten; 

8, dass für das Auftreten der vegetativen Befruchtung das ent- 
‚sprechende Vorbild vielleicht darin gefunden werden kann, dass im 
Gnetum-Embryosack theoretisch stets zwei der nackten Eikerne be- 
frachtet werden müssen, 

Zieht man nun das Resultat aus allem, so wäre hervorzuheben, 
dass den Juglandaceen die ihnen von Engler!) eingeräumte Stelle 
unter den niedersten Familien der Angiospermen zweifellos erhalten 
bleiben muss, Ob sie den Piperaceen voranzusetzen wären, ist noch 
kaum zu entscheiden. Sollten sich in der Reihe der letzteren aber 
noch weiter ähnliche Fälle auffinden lassen, wie sie für Peperomia ?) 
bekannt geworden sind, so würde dadurch meiner Ansicht nach auch 
vom entwickelungsgeschichtlichen Standpunkt dargethan sein, dass die 
Piperaceen im Alter den Juglandaceen voranstehen, wie es ebenfalls 
in ihrer Stellung im Engler-Prantl Ausdruck gefunden hat. Ob 
nicht auch Casuarina einer erneuten Untersuchung Anknüpfungspunkte 
bieten könnte, muss einstweilen dahingestellt bleiben. Das Entscheidende 


1) Engler-Prantl, Natürliche Pfanzenfamilien III, 1. 
2) Douglas BE. Campbell, Die Entwickelung des Embryosackes von 
Peperomia pellucide Knath, Ber. d. D. bot. Ges. 1899, pag. 452. — Duncan 8, 


Johnson, On the endosperm and embryo of Peperomia pellucida Bot. Gaz. 
XXX. pag, 1, 1900. 


383 


läge in der Frage, ob auch hier fractionirte Prothalliumbildung nach- 
weisbar sein wird. Dieser Punkt ist zwar von Treub in seiner sorg- 
fältigen Untersuchung vollauf berücksichtigt worden, trotzdem ist er 
der vielleicht am mindesten geklärte der schönen Arbeit geblieben. 
Die Wichtigkeit einer Entscheidung darüber ist aber durch die in- 
zwischen gemachte Entdeckung der „vegetativen Befruchtung“ noch 
erheblich gesteigert worden. 


Bonn, December 1901. 


Figurenerklärung. 


Fig. 1-4. Juglans oordiformis Maxim, 

» 5-8. Pterocarya fraxinifolia, 

» 9-18. Carya amara. 

»„ 1-12. Längsschnitte durch weibliche Blüthenanlagen, median in der Aus- 
breitungsebene ihrer Narben geführt, 

» 18 Nicht median, gibt nur den von den Gefässbündeln abgegrenzten Theil. 
Fig. 1-3 —= 17,511. 

„ 14. Juglans regia, ca. 2:1. Medianer Längsschnitt durch eine junge Frucht, 
rechtwinkelig zur Hauptscheidewand geführt, 

„ 15. Juglans regia, ca. 2:1. Ebenso, aber in der Ebene der Hauptscheide- 
wand geführt. 

„ 16. Juglans regia. 250:1. "Embryosack mit Antipoden, Polkernen und Ei- 
zelle. Ein von der Chalaza herkommender Pollenschlauch p hat einen 
seitlichen Zweig an die Embryosackwandung getrieben, sich dann aber 
über den Embryosackscheitel gelegt und blasenartig erweitert; zwei 
kleine generative Kerne hier sichtbar. 

» 17. Juglans nigra. 500:1. Embryosack kurz vor der Befruchtung durch 
den am Scheitel sichtbaren Pollenschlauch p. Drei freie Kerne am 
Scheitel, zwei freie Polkerne. 

» 18, 19. Juglans regia. Theile von sporogenem Gewebe neben einem aus- 
gebildeten Embryosack, dessen Antipodenzellen (a) in Fig. 18 sichtbar 
sind; aus einem Nucellus mit zwei Embryosäcken. 160:1. 

» 20. Juglans cordiformis. Nucellus mit zwei Embryosäcken, deren unterer 
befruchtet ist. 65:1. 

» 21. Juglans regia. Skizze einer Samenanlage im Längsschnitt mit innerem 
Integument (i ) und äusserem (ai). Der Embryosack ist von zwei Pollen- 
schläuchen (p) erreicht worden. 35:1. 


Das Hydrosimeter, 
ein Apparat, um unter constantem Druck Flüssigkeiten in Pflanzen zu pressen. 
Von 
Dr. 3. W. Moll. 


Mit einer Abbildung im Text. 


Vor längerer Zeit publieirte ich „Untersuchungen über Tropfen- 
ausscheidung und Injection bei Blättern“ °), durch welehe es mir ge- 
lang, die Bedeutung der Wasserausscheidung für das Leben der Pflanze 
klar zu legen. Die zu diesem Resultate führenden Versuche wurden 
grösstentheils mit abgeschnittenen Pflanzentheilen gemacht, in welche 
das Wasser durch Quecksilberdruck gepresst wurde. 

Der zu diesem Zwecke benutzte Apparat war sehr einfach und 
bestand wesentlich nur aus einem U-Rohr mit langem und kurzem 
Schenkel. Auf dem kurzen Schenkel des mit Wasser gefüllten Rohrs 
wurde der Zweig befestigt, und dann in den anderen Schenkel so viel 
Quecksilber gegossen, bis der gewünschte Druck erreicht war. Solche 
Apparate werden in allen Laboratorien bei Versuchen dieser Art be- 
nutzt; sie sind aber sehr primitiv, zumal weil der Druck in ihnen, 
sobald Wasser von der Pflanze aufgenommen wird, fortwährend wech- 
selt und bald, durch das Sinken des Quecksilbers im langen und das 
Steigen im kurzen Schenkel, ganz aufhört. Auch die Messung der 
Quantität Flüssigkeit, welche durch den Versuchszweig aufgenommen 
wird, fällt bei solchen Apparaten nur sehr ungenau aus. 

Obgleich die Einrichtung für den damals beabsichtigten Zweck 
genügte, habe ich mir doch die Frage gestellt, ob es nicht möglich 
sein würde, einen besseren Apparat zu construiren, mit dem die Ein- 
pressung des Wassers unter constantem Druck erfolgen könnte, und 
der zugleich gestatten würde in jedem Augenblick das Volumen des 
eingepressten Wassers genau zu messen. Es schien mir, dass bei 
verschiedenen botanischen Untersuchungen ein solcher Apparat gute 
Dienste leisten könnte, und so ist ein solcher zu stande gekommen, 
den ich jetzt unter dem Namen Hydrosimeter ?) beschreiben will. 

Das Prinzip dieses Apparates ist folgendes. Oben befindet sich 
ein Quecksilberreservoir, wie eine Mariotte’sche Flasche eingerichtet; 
dieses Reservoir kann höher und niedriger gestellt werden. So wird 


1) Versl, en Moeded,. d. Kon. Akad. v, Wetensch. in Amsterdam. Afd. Na- 


tuurk. 2° reeks, DI. XV. 1880. 
2) Aus up —= Wasser und dor == Btoss, 


385 


ein constantes, oberes Niveau erzielt. Aus dem Reservoir führt ein 
Gummischlauch das Quecksilber in ein kleines, aufrecht "gestelltes 
U-Rohr, das innerhalb eines zweiten mit Wasser gefüllten Reservoirs 
ausmündet. Mit diesem Reservoir wird auch der Pflanzentheil ver- 
bunden. Auf diese Weise wird ein constantes unteres Niveau,der 
Quecksilbersäule erzielt. Denn sobald Wasser aus dem unteren Re- 
servoir in die Pflanze gepresst wird, fliesst Quecksilber über den Rand 
des U-Rohrs, und fällt in den unteren Theil des Reservoirs. Man hat 
also in diesem Apparate kein sinkendes und kein aufsteigendes Queck- 
silberniveau; das untere Niveau der Quecksilbersäule, welche den 
Druck verursacht, befindet sich stets in derselben Ebene mit der 
Oeffnung des U-Rohrs. 

Das Volumen des in die Pflanze gepressten Wassers ist dem- 
jenigen der übergeflossenen Quecksilbermenge gleich. Die letztere 
kann man, so oft man will, aus dem Apparate entfernen und messen. 
Das sind die Hauptzüge der Einrichtung. 

Ich gehe jetzt zu einer ausführlicheren Beschreibung des in der 
Figur abgebildeten Apparates über, und werde dabei zuerst die Auf- 
merksamkeit auf die Hauptfigur 4 zu lenken haben. Das obere 
Quecksilberreservoir (1) ist, wie aus der Figur ersichtlich, als Ma- 
riotte’sche Flasche eingerichtet, so dass in dem Niveau «@ stets 
atmosphärischer Druck herrscht. Das Rohr 5 ist im Halse des Re- 
servoirs wie ein eingeschliffener Stopfen befestigt, und der grösseren 
Sicherheit wegen mit einem Quecksilberverschluss versehen. 

Das aus dem Reservoir fliessende Quecksilber geht durch einen 
Kautschukschlauch (2) mit einer Wanddicke von 2,ömm und einem 
Lumen von demselben Diameter, nach dem unteren Wasserreservoir (8), 
an dem auch die Pflanze befestigt wird. Es wird dort das Queck- 
silber hineingeführt durch ein U-Rohr, welches in der Figur sofort in 
die Augen springt, und ausserhalb des Reservoirs einen Glashahn (c) 
besitzt. Wenn die Pflanze Wasser aus dem Reservoir 3 aufnimmt, 
so wird ein gleiches Volumen Quecksilber über den Rand des offenen 
Schenkels der U-Röhre fliessen und sich unten im Reservoir ansammeln. 

An diesem Reservoir befinden sich weiter noch drei andere Röhren: 
I. das Rohr d, das nach der Pflanze führt, und oben am Reservoir 
befestigt ist, so dass dieses so viel wie möglich Quecksilber aufnehmen 
kann und nicht zu oft entleert zu werden braucht. Das Rohr biegt 
sich aber bald nach unten, um in ein offenes, horizontales Stück zu 
enden, an dem bei e Ansatzrohre befestigt werden können. Diese 
können also cine einfache Form haben und doch gestatten, die Schnitt- 


836 


987 


fläche der Pflanze in dasselbe Niveau mit dem offenen Rande des 
U-Rohres zu bringen. Für die Verbindung bei e wird derselbe dick- 
wandige Kautschukschlauch benutzt, der auch das Quecksilber aus 
dem oberen Reservoir abführt. Die Wandung ist so stark, dass, 
auch wenn der Druck eine ganze Atmosphäre beträgt, die Ausdehnung 
nur sehr unbedeutend ist. Die Ansatzrohre können jede beliebige 
Gestalt haben, so dass man Zweige von jeder Dicke, oder selbst 
ganze Pflanzen mit ihren Wurzeln mit dem Apparate verbinden kann, 
oder auch Holzcylinder durch welche man Flüssigkeiten von oben 
nach unten pressen will. Auch macht die Benutzung langer Ansatz- 
rohre es möglich die Pflanze in eine Glasglocke oder in einen anderen 
Apparat zu führen, der nöthigenfalls in ziemlich grosser Entfernung 
aufgestellt werden kann, während doch die Ablesung der Resultate 
am Hydrosimeter selbst möglich bleibt. In der Figur ist der Apparat 
abgebildet wie er benutzt wird zur Injection der Blätter von Calycan- 
thus occidentalis. 

2. Ein unteres Rohr, mit Glasbahn (/), das zur Entfernung des 
übergeflossenen Quecksilbers aus dem Reservoir dient. 

3. Ein oberes Rohr, mit Glashahn (g). Dieses Rohr trägt ein 
mit Wasser gefülltes Reservoir (4). Es dient dieses Wasser dazu, den 
Raum des Quecksilbers anzufüllen, das durch das untere Rohr abfliesst. 

. In Fig. B findet man eine Klemme abgebildet, welche jeder der 
‚drei Glashähne. trägt, wie aus Fig. A ersichtlich ist. Der Apparat ist 
auf eine Atmosphäre als Maximumdruck eingerichtet. Das ist für 
viele botanische Untersuchungen wohl mehr als genügend, während 
der Benutzung eines höheren Druckes nichts im Wege steht, wenn 
auch vielleicht einige weitere Vorsichtsmassregeln nöthig sein sollten. 
Aber schon bei beträchtlich unter einer Atmosphäre bleibendem Drucke 
zeigt es sich dass die Hähne nicht mehr schliessen, und selbst die Hahn- 
stopfen ganz hinausgepresst werden. Das kann jedenfalls nicht Wunder 
nehmen, wenn man bedenkt dass diese Stopfen eine conische Gestalt 
haben und ihre Löcher an den Rändern nie ‘ganz glatt gearbeitet 
sind. Die Klemmen werden nun angebracht um diesen Fehler auf- 
zuheben. Eine solche Klemme ist in Fig. B bei 5, 6 und 7 in drei 
verschiedenen Ansichten dargestellt. Sie besteht aus zwei kupfernen 
hufeisenförmigen Bügeln, die federnd um den Hals des Hahnes be- 
festigt werden können. Der Bügel o umfasst den Hahnstopfen, der 
‚Bügel n hingegen das Rohr des Hahnes, in dem der Stopfen dreht. 
‚Man sieht, dass jeder Bügel zwei längliche Seitenstücke besitzt. Diese 


correspondiren bei den beiden Bügeln mit einander, und sind durch 
Flora 1902. 22 


388 


zwei Schrauben (p) mit einander verbunden, so dass man die Bügel 
leicht in verschiedene Entfernung von einander bringen kann. Wenn 
eine solehe Klemme an einen Hahn angebracht wird, kann man also 
den Hahnstopfen ganz sicher befestigen, während er doch bei guter 
Einfettung ganz leicht drehbar bleibt. 

Für den hier beschriebenen Apparat habe ich ferner ein Stativ 
anfertigen lassen, worüber ich nur wenig zu sagen brauche, da die 
Einrichtung aus der Figur grösstentheils ersichtlich ist. Die Boden- 
platte ist ein aus Eichenholz genau gearbeitetes Tablett von 39 cm 
Länge und 29,5cm Breite; der niedrige Rand ist 4,5em hoch. Es 
ist also eine besondere Quecksilberwanne bei Benutzung dieses Appa- 
rates überflüssig. Auf diesem Tablett erhebt sich eine cylindrische, 
eiserne Stange von 1,5em Durchmesser und 1,12m Höhe. Dieselbe 
ist in der Figur der Raumersparniss wegen zu niedrig gezeichnet. 
Das Quecksilberreservoir (1) kann also an dieser Stange so hoch ge- 
schoben werden dass der Druck mehr als eine Atmosphäre beträgt. 
Die beiden Reservoirs (l und 3) sind beweglich an der Stange be- 
festigt vermittelst leichter, hölzerner Träger, deren Einrichtung aus 
der Figur ohne Weiteres erhellt. Diese Träger sind auf durchlöcherte 
Holzklötze m geschraubt, welche an der Stange auf und nieder be- 
wegt, und durch Schrauben festgesetzt werden können. Es ist ferner 
seitlich auf dem Tablett eine verstellbare Klemme angebracht, um 
die verschieden gestalteten, oft ziemlich langen Ansatzrohre unbeweg- 
lich zu befestigen. In der Figur sieht man übrigens bei % noch eine 
Einrichtung abgebildet, welche ich schon in meiner oben eitirten Ab- 
handlung beschrieb. Sie besteht aus zwei halbkreisförmigen Blech- 
platten, jede mit einer Ausbuchtung mitten im geraden Theile und 
einem hufeisenförmigen Wasserbehälter. Auf einem Dreifuss an ein- 
ander geschoben, wie in der Figur, bieten sie also die Möglichkeit, 
eine Glasglocke über die Pflanze zu stülpen, während das Wasser in 
den Behältern die Luft in der Glocke feucht hält. 

Es bleibt mir jetzt noch übrig, Einiges über den Gebrauch des 
beschriebenen Apparates mitzutheilen. Ich setze dabei voraus, dass 
man, wenn man den Apparat benutzen will, schon bei e ein für den 
geplanten Versuch geeignetes Ansatzrohr befestigt habe. Es muss jetzt 
zuerst das U-Rohr am Reservoir 3 mit Quecksilber gefüllt werden. 
Man schiebt dazu das Quecksilberreservoir (1) so hoch nach oben, 
dass der Gummischlauch (2) ganz gerade gestreckt ist, und es wird 
natürlich der Hahn c geöffnet. Man lässt nun das Quecksilber in 
einem dünnen Strahle hineinfliessen, bis das U-Rohr gefüllt ist. Dann 


339 


wird der Hahn c geschlossen, und der Gummischlauch auf dieselbe 
Weise weiter gefüllt. Ein dünner Quecksilberstrahl ist nothwendig, 
weil sich sonsi in den engen Röhren leicht Luftblasen bilden. Die 
weitere Füllung des Quecksilberreservoirs kann später geschehen, und 
dabei ist ein dünner Strahl natürlich überflüssig. Auch der Queck- 
silberverschluss des Rohres 5 wird am besten erst wenn der Versuch 
anfängt hergestellt. 

Es wird nun auf das freie Ende (k) des Ansatzrohres, das später 
die Pflanze aufnehmen wird, ein Trichter mit Gummischlauch befestigt. 
Der Schlauch muss eine solche Länge haben, dass man den Trichter 
etwas höher als das Wasserreservoir 4 heben kann, Man kann nun 
durch diesen Trichter, wenn die Hähne c und f geschlossen sind 
und g geöffnet, den ganzen Apparat leicht mit Wasser füllen. Man 
lässt dieses vorläufig nicht ins Reservoir 4 aufsteigen, sondern nur 
in dem Rohrstücke über dem Hahn g ein Niveau bilden. Dann wird 
auch dieser Hahn geschlossen und der Trichter entfernt. 

Der Apparat ist nun so weit fertig, dass man die Pflanze in 
demselben befestigen könnte. Aber es ist wünschenswerth, erst eine 
Prüfung der Hähne vorausgehen zu lassen, wenigstens wenn der Ap- 
parat zum ersten Male benutzt wird. Denn bei nicht vollkommen 
schliessenden Hähnen würden selbstverständlich genaue Messungen 
der -eingepressten Flüssigkeitsmengen unmöglich sein. Zu diesem 
Zwecke befestigt man statt der Pflanze in dem Gummischlauch bei 
h einen kleinen Glasstab, wobei man aufmerksam sein muss, dass 
sich daselbst keine Luftblase bildet. Es wird nun das Quecksilber- 
reservoir (l) so hoch gestellt, dass der Druck eine Atmosphäre be- 
trägt, und dann der Hahn c geöffnet. Weiter muss man den Hahn g 
vorsichtig einen Augenblick öffnen, so dass einige Quecksilbertropfen 
aus dem U-Rohr überfliessen, sich in dem Rohre über dem Hahn f 
sammeln, und daselbst ein Niveau darstellen. Dieses Quecksilberniveau 
und auch das Wasserniveau über dem Hahne g werden nun in irgend 
einer Weise an der Aussenseite der Rohre markirt, so dass Aende- 
rungen sofort beobachtet werden können. Schliesslich legt man über 
das Reservoir 4 eine Glasplatte, um die Verdunstung des Wasser- 
Niveaus zu hemmen, und stellt man unter den Hahn / irgend ein 
lecres Gefäss. So überlässt man den Apparat, unter einem Queck- 
silberdrucke von einer Atmosphäre stehend, während 24 Stunden 
sich selbst, wobei es von Bedeutung ist die Temperatur nicht viel 
wechseln zu lassen. 


Wenn nun alles gut schliesst, so bleiben das Wasserniveau und 
15* 


840 


das Quecksilberniveau über den beiden Hähnen constant und das 
unter den Apparat gestellte Gefäss leer. Sollte der Verschluss aber 
nicht vollkommen sein, so ist es ein leichtes, auszufinden, wo die 
fehlerhaften Stellen sich befinden. Ist der Verschluss der Gummi- 
schläuche bei e oder h nicht ganz fest, so sieht man daselbst Wasser- 
tropfen hervortreten, und zugleich das Quecksilberniveau über dem 
Hahne f sich heben. Aber wenn man diese Gummirohre sorgfältig, 
am besten mit dünnem Metalldraht, umwickelt, so braucht das keines- 
wegs vorzukommen, und ist jedenfalls leicht zu verbessern. Was die 
Hähne anbelangt: sollte der Hahn / nicht schliessen, so findet man 
Quecksilber in dem untergestellten Gefässe; schliesst aber der Hahn g 
nicht genau, so findet man eine Hebung des Wasserniveaus über 
diesem Hahne und eine entsprechende des Quecksilberniveaus über 
dem Hahne f. Aber die Erfahrung lehrt dass es mit Hilfe der be- 
schriebenen Klemmen sehr leicht ist derartigen Fehlern vorzubeugen, 
so dass man gewöhnlich nur festzustellen hat dass alles in der besten 
Ordnung ist. Sollte aber der Verschluss nicht vollkommen sein, s0 
verbessert man zuerst den Hahn f, dann event. 9. Nachdem man 
constatirt hat dass beide Fehler gehoben sind, können dann nur noch 
Fehler der Verbindungen bei e und A übrig sein. 

. Wenn man sich überzeugt hat dass der Verschluss vollkommen 
ist, schliesst man den Hahn c, um den Druck aufzuheben, entfernt 
den Glasstab bei A und fügt an dessen Stelle die Pflanze ein. Man 
muss dabei Acht geben dass die Schnittfläche des Zweiges sich in 
demselben Niveau befindet mit dem offenen Ende des U-Rohrs, und 
dass sie ausserdem unter dem Verbindungsschlauche im Glasrohr gut 
sichtbar ist. Nur so ist es möglich, sich davon zu überzeugen dass 
an der Schnittfläche keine Luftblasen haften. Der Verbindungsschlauch 
wird bier meistens aus gewöhnlichem Gummirohr ohne besonders dicke 
Wände hergestellt, und es wird so bei sorgfältiger Umwickelung die Ver- 
bindungsstelle einen Druck bis zu einer Atmosphäre ganz gut vertragen. 

Wenn man nun das Quecksilberreservoir (1), nachdem es gefüllt 
ist, so hoch schiebt dass der gewünschte Druck erzielt ist, den Hahn c 
öffnet und das Reservoir 4 mit Wasser füllt, so kann der Versuch anfangen. 

Es ist aber nöthig, vorher noch eine kleine Vorsichtsmassregel 
zu nehmen. Oeffnet man nämlich den Hahn c, während das U-Rohr: 
im Reservoir 3 bis zum Rande gefüllt ist, so wird man; selbst wenn 
an der Stelle der Pflanze noch ein Glasstab sich befindet, einen :oder 
zwei kleine Quecksilbertropfen über den Rand fliessen sehen. Dieses 
rührt daher dass selbstverständlich beim- Eintreten des Druckes der 


841 
ganze Apparat sich ein wenig ausdehnt. Die Gummiverbindungen 
bei e und A betheiligen sich aber daran nur sehr wenig; denn als ich 
einen Apparat benutzte, bei dem das Ansatzrohr für die Pflanze an- 
geschmolzen war, zeigte dieses Ueberfliessen des Quecksilbers sich 
dennoch. Jedenfalls würde man aber auf diese Weise verfahrend 
einen kleinen Fehler machen, weil das Volumen dieser Tropfen nicht 
mit einem gleichen Volumen in den Zweig hineingepressten Wassers 
übereinstimmt. Der Fehler wird aber sehr leicht gehoben, wenn man 
dafür sorgt dass in dem Augenblicke; wo der Druck wirksam wird, 
der offene Schenkel des U-Rohres nicht ganz mit Quecksilber gefüllt 
ist; ist dies der Fall, so kann es beim Oeffnen des Hahnes ce ein 
wenig steigen, ohne dass etwas überfliesst. - 

Diesen Zweck erreicht man, wenn man das Quecksilberreservoir 
einen Augenblick so weit nach unten schiebt, dass sich das Niveau 
in demselben unter dem oberen Rande des U-Rohres befindet. Die 
Einrichtung des Stativs ist eine solche,’ dass dieses von selbst erreicht 
wird, wenn man den Klotz m so tief senkt dass er den gleichen 
Klotz des unteren Reservoirs berührt. Man öffnet dann den Hahn g, 
so dass das Wasser aus Reservoir 4 frei zufliessen kann, und dann 
den Hahn c. Das Quecksilber zieht sieh nun in dem Rohre ein wenig 
zurück, und Wasser tritt an seine Stelle. Man schliesst nun den Hahn g 
und stellt den gewünschter Druck durch Hebung des Quecksilber- 
reservoirs bei offenem Hahne c her, wobei das Quecksilber im U- 
Rohre etwas steigt. Schliesslich lässt man durch vorsichtiges Oeffnen 
des Hahnes g oder f das Quecksilber bis zum Rande des U-Rohres 
aufsteigen, und der Versuch ist angefangen. Wie gewöhnlich in 
solchen Fällen kostet es viel weniger Zeit, diese Manipulation auszu- 
führen, als die Beschreibung derselben zu lesen. 

Man kann-selbstverständlich während des Versuchs so oft man 
will die Menge der eingepressten Flüssigkeit messen. Zu diesem 
Zwecke wird der Hahn c erst geschlossen, und der Druck also einen 
Augenblick aufgehoben, was in den meisten Fällen wohl nicht scha- 
den wird. Das übergeflossene Quecksilber kann dann ablaufen, wenn 
man die Hähne / und g zugleich kurze Zeit öffnet. Der Versuch 
kann sogleich fortgesetzt werden, wenn maı den Hahn c unter Be- 
nutzung der oben beschriebenen Vorsichtsmassregeln wieder öffnet. Soll 
das Abfliessen des Quecksilbers leicht stattfinden, so darf das untere 
Rohr, indessen Verlauf sich der Hahn f befindet, nicht allzu eng 
sein; das Lumen soll wenigstens 3mm Durchmesser haben. Das 
abgeflossene Quecksilber kann dann und wann wieder in das Queck-- 


342 


silberreservoir gegossen werden, so dass man auch bei längeren Ver- 
suchen mit einer beschränkten Menge auskommt. 

Die Grösse der über den freien Rand des U-Rohres fliessenden 
Tropfen ist von der Weite dieses Rohres abhängig, kann also bei ver- 
schiedenen Apparaten verschieden sein. Bei dem jetzt von mir be- 
nutzten hat das obere Ende des U-Rohres einen äusseren Diameter 
von etwa 2mm. Hier ist das Volumen der Tropfen, das auch bei verschie- 
denem Druck sehr constant bleibt, 0,02cm?. Der Apparat kann also zu 
ziemlich feinen Messungen benutzt werden, zumal wenn man nicht das Vo- 
lumen des übergeflossenen Quecksilbers, sondern die Zahl der Tropfen 
bestimmt. Bei solchen Versuchen hat man auch den Vortheil dass, wäh- 
rend der ganzenDauer derselben, der Druck fortwährend bestehen bleibt. 

Der gläserne Theil des Apparates wurde nach meinen Anwei- 
sungen von der Firma J. C. Th. Marius in Utrecht angefertigt; 
das Stativ und die Klemmen aber von den Gehilfen des botanischen 
Institutes in Groningen, Herren J. Veenhoff und J.R. Weening, 

Groningen, am 14. Sept. 1901. 


Kleine Mittheilungen. 


Die äussere Samenhaut der deutschen Orosera-Arten. -7 
Die Samen von Drosera rotundifolia L. und Drosera longifolia L. 
enthalten in einer verhältnissmässig weiten Umhüllung einen kleinen 
Kern. Diese Umhüllung wurde von vielen Gelehrten als Samenmantel 
(Arillus) bezeichnet. Aber schon Endlicher (Genera plantarum 
1836— 1840 pag. 906) schrieb: „Rarius testa relaxata cellulosa, nu- 
cleum multo minorem includente“. Dass diese Umhüllung thatsächlich 
die äussere Samenhaut ist, lässt sich leicht beobachten. 
5 Die Samenknospen sind gegenläufig 
(Fig. 1). Deren Nabelstrang bis zum Nabel 
ist sehr kurz. Den Knospenkern umgeben 
zwei Hüllen. Der Aussenmund ist ver- 
12312 5:06 hältnissmässig gross. ' Alsbald nach der 
Fig. 1-4. Entwickelung der Befruchtung vergrössert sich die ganze 
Samenknospe von Drosera ro- Samenknospe, im Besonderen das äussere 
tundifolia L. und longifoliae L._ Integument, und zwar letzteres durch die 
— Fig. 5. „Kern“ ohne Samen- Streckung der Zellen (Fig. 2). Auf diese 
haut. — Fig. 6. Same von Weise kommt der „Kern“ in die Mitte 
Drosera intermedia Hayne, ri un R 

der äusseren Umhüllung zu liegen. Der 

Aussenmund ist auch im reifen Samen noch geöffnet (Fig. 4). 


| 


948 


Die innere Samenhaut, welche aus dem inneren Integumente 
entsteht, liegt dem Knospenkerne bis zum Innenmund fest an. Sie ist 
dunkelbraun und ihre Zellen sind in der Richtung des Umfanges des 
Samens länger als in der Längsrichtung. 

Da die sackähnliche äussere Samenhaut ausser dem „Kerne“ Luft 
enthält, so können die Samen, sobald die Kapsel geöffnet ist, vom 
Winde leicht fortgetragen werden. Ausserdem kann eine passive 
Ortsbewegung der Samen dadurch bewirkt werden, dass sie auf dem 
Wasser lange Zeit schwimmen. Laura Naegele beobachtete, dass 
gut ausgebildete Samen bei der Zimmertemperatur sich einen Monat 
auf der Oberfläche hielten und hierauf ganz langsam sich zu Boden 
senkten. 

Ein völlig anderes Aussehen als dasjenige der Samen von Dro- 
sera rotundifolia Linne haben die Samen von Drosera intermedia 
Hayne.!) Die Samenhaut liegt dem Kerne an (Fig. 6). Jede Zelle 
derselben trägt einen kurzen, in der Reife mit Luft erfüllten Schlauch, 
welcher aber nicht von der ganzen äusseren Wandung, sondern von 
einer mittleren runden Stelle gebildet wird. Es ist nicht zu bezwei- 
feln, dass auch diese zahlreichen Schläuche zur passiven Ortsverände- 
rung der Samen, welche auf das Wasser fallen oder sonstwie in 
dieses gelangen, dienen. Dr. Holzner. 


Die Garunoula der Samen von Polygala. : 


Ueber dem räumlich nach oben gerichteten Keimloch des hängen- 
den Samens innerhalb der Frucht der Polygala-Arten befindet sich 
ein Anhängsel, welches drei Lappen über die Samenhaut mehr oder 
minder tief hinabsenkt, und zwar den einen über den Rücken, die 
beiden anderen zwischen der Naht und den mathematischen Seitenlinien 
(Fig. 1). Dieses Anhängsel wurde von den meisten deutschen Ge- 
lehrten für einen Samenmantel (Arillus) erklärt. Französische Autoren 
haben aber die Herkunft dieses Anhängsels schon lange richtig erkannt. 
Sie theilen die accessorischen Samentheile in Arilles, die aus dem 
Nabelstrang gebildet werden, Arillodes qui resultent d’une dilata- 
tion des bords du micropyle, und in strophioles ou caroncules, 
des excroissances qui s’elövent sur divers points du testa, et‘ sont in- 
dependantes du funicule, comme du micropyle. Von dem Ansatz des 


1) Im Trait6 g6nsral de Botanique par Emm. le Maout ei J. Deosisne 
Pag. 404 ist ein Same abgebildet. Als Mutterpflanze ist Drosera anglica angegeben. 


344 


Polygaleen-Samens heisst es bei Maout et Decaisne (Traite general 
de Botanique 1868 pag. 86): „Dans les polygalas, la petite voüte & 
trois piliers, qui coiffe la base de la graine, a la m&me origine que 
le tourteau des Euphorbes; on y voit encore l’ouverture micropylaire 
longtemps aprös la f&condation.* 

Später hat Chodat die Entwiekelung des Strophiolums einer 
amerikanischen Polygala-Art beschrieben (Notice sur les Polygalacdes 
et synopsis de Polygala d’Europe et d’Orient. Geneve 1587). Die ist 
auch bei unseren einheimischen Arten nicht schwer zu beobachten. 


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Fig. i. ai Längssehnitt durch eine Fig.2, EAussen- -Fig.8, Einschnü- 
unreife Frucht von Polygala vulgaris L._ mund, .J Innen-_ rung bei 8. 
b Anhängsel der Frucht von oben gesehen. . . mund. 


Auf der Zwischenwand, durch welche der Fruchtknoten in zwei 
Fächer getheilt wird, befindet sich beiderseits, ein Drittel der Höhe 
vom Scheitel entfernt , die Placenta in Form eines kleinen Hügels 
(Fig. 2). Von der Spitze dieses Hügels nimmt die gegenläufige Samen- 
knospe ihren Ursprung. Der Knospenkern ist mit zwei Hüllen be- 
‚deckt. Das Endostomium der geschlechtsreifen Knospe liegt in gleicher 
Höhe wie die Placenta (Fig. 2J). Die äussere Hülle dagegen ist über 
die Plaeenta hinaus verlängert, und zwar ist der Rücken der Aussen- 
mundlippe weit stärker entwickelt ‘alsder Bauchtheil (Fig. 2E). Aus 
diesem räumlich oberen Theile der äusseren Knospen- 
hülle entsteht der Nabelanhang (strophiolum, caruncula, epi- 
physis, spongiola seminalis) der Polygaleen, indem dessen Zellen. sich 
weit mehr als die übrigen vergrössern.- Hiedurch entsteht anschei- 
nend eine Einschnürung (Fig. 38), und späterhin werden infolge lo- 
ealisirten Spitzenwachsthumes an drei Stellen die oben erwähnten 
Lappen gebildet (Fig. 1). . - Dr. Holzner..: 


Litteratur. 


Vorbemerkung. Um Raum zu sparen, sollen in der Rubrik „Litteratur‘ 
künftig nur Aufnahme finden: 1. Kritische Besprechungen (für raschen Abdruck 
solcher wird Sorge getragen werden). 2. Aufzählung und ev, kurze Inhaltsangabe 
von Werken, welche von Verfassern oder Verlegern der Redaction eingesandt 
werden. Von einer Aufzählung anderer Abhandlungen (wie sie bisher erfolgte) 
kann um so eher abgesehen werden, als zu hoffen steht, dass das reorganisirte 
„Botanische Centralblatt“ die neue Litteratur vollständiger als bisher anführen und 
referiren wird, . 

Gemeinverständliche darwinistische Vorträge und Abhandlungen, 
herausgegeben von Dr. Wilh. Breitenbach, Odenkirchen, Selbstver- 
lag. Heft 1: Die Abstammungslehre von Prof. Dr. L. Plate, Berlin. 
Heft 2: OÖ. Breitenbach, Die Biologie im 19. Jahrhundert. 

Bulletin du jardin imperial botanique de St. Petersbourg. Livraison III 
(dreimal erhalten) und IV. 

€. Correns, Bastarde zwischen Maisrassen mit besonderer Berück- 
sichtigung der Xenien. Mit 2 Tafeln (Bibliotheca botanica, heraus- 
gegeben von Prof. Dr. Chr. Lürssen, Heft 53), Stuttgart, Ver- 
lag von Erwin Nägele. 1901. Preis 24 Mark. 

Der Verf. hat über seine interessanten Untersuchungen früher selbst schon 
kurz berichtet (Ber. d.d, bot. Ges. 19. Bd /1901] pag. 211 ff.). Es sei deshalb auf 
das Erscheinen der ausführlichen Abhandlung nur kurz hingewiesen. ‚Besonders 
erwünscht zur Erläuterung sind die beiden sehr schön ausgeführten farbigen Tafeln, 


Flora der gefürsteten Grafschaft Tirol, des Landes Vorarlberg und 
des Fürstenthums Liechtenstein bearbeitet von Prof. Dr. K.W. v. 
Dalla Torre und Ludwig Grafen von Sarntheim in Innsbruck. 
Il. Bd.: Die Algen von Tirol, Vorarlberg und Liechtenstein. Inns- 
bruck, Verlag der Wagner’schen Universitätsbuchkandlung. Preis 
6 Mark. 

Dem ersten Bande, welcher litterarische Nachweise für die Flora von Tirol 

“ete. enthielt, haben die Verf. rasch den zweiten, die Algen behandelnden, folgen 
lassen. Sie haben das vorhandene Material sehr sorgfältig zusammengestellt und 

damit eine sichere Basis für weitere floristische Studien gewonnen. Ohne Zweifel 

wird diese Flora zur weiteren algologischen Erforschung des Gebietes anregen; 

dass vieles noch hinzukommen wird, ist zweifellos. Ref. vermisst z. B. Oocardium, 

das er sowohl bei Arco als bei Kufstein antraf, an ersterem Orte z. B. auf von 

Wasser betropftem Adiantum capillus veneris schöne Kalküberzüge bildend. 

Die Flechten Schleswig-Holsteins von R. v. Fischer-Benzon. Nebst 
einer Abhandlung über die Naturgeschichte der einheimischen 
Flechten von O. V. Darbishire. Mit 61 Figuren im Text. Kiel 


und Leipzig. Verlag von Lipsius & Tischer. 1901. 


346 


Die Flechtenflora von Schleswig-Holstein war bis jetzt nur sehr mangelhaft 
bekannt. Die Arbeit des Verf. füllt also eine Lücke in sehr erwünschter Weise 
aus. Die Bestimmung wird erleichtert durch eine Anzahl von Abbildungen (welche 
Reinke's Abhandlungen über Flechten entnommen sind). Nicht nur für den An- 
fünger, sondern auch für Botaniker ist die treffliche Einleitung „Ueber die Natur- 
geschichte der einheimischen Flechten“ von Werth, welche Dr. Darbisbire ver- 
fasst ha. Zu bedauern ist, dass der Verleger zum Drucke sehr kleine Typen 
gewählt hat, umsomehr, als sonst die Abhandlung recht gut ausgestattet ist. 


Fiora heivetica 1530-1900. Zusammengestellt von Dr. E. Fischer, 
Professor der Botanik an der Universität Bern. Bern, Verlag von 
von K. dJ. Wyss. 1901. 

Die von Fischer bearbeitete Bibliographie der Schweizer Flora ist ein Tlieil 
der „Bibliographie der Schweizerischen Landeskunde“ (Fascikel IV, 5). Sie ist 
offenbar mit grosser Sorgfalt bearbeitet und gibt — innerhalb der Grenzen des 
Möglichen — die Litteratur, welche über die Schweizer Flora vorliegt, wohl voll- 
ständig an. 


Sinnesorgane im Pflanzenreich zur Reception mechanischer Reize. 
Von Or. &. Haberlandt, o. ö. Professor an der Universität Graz. 
Mit 6 lithographischen Doppeltafeln und einer Figur im Text. 
Leipzig, Verlag von Wilh. Engelmann. 1901. Preis 9 Mark. 

Der Verf, stellt sich die Aufgabe zu zeigen, dass auch im Pflanzenreich, 
speciell bei den höher entwickelten Pflanzen, Sinnesorgane und überhaupt beson- 
dere Einrichtungen, die der Perception von Reizen dienen (und zwar in den unter- 
suchten Fällen ausschliesslich von mechanischen, Stoss, Reibungs- und Be- 
rührungsreizen), weiter verbreitet sind, als man bisher annahm. Als solche 
Perceptionsorgane waren namentlich die „Fühlborsten“ von Dionaea und die von 
Pfeffer entdeckten, von Mac Dougal weiter untersuchten „Fühltüpfel“ an 
Ranken bekannt, Haberlandt hat in seiner interessanten Abhandlung nicht 
nur diese Fälle eingehend untersucht, sondern auch neue aufgefunden und sie 
durch eine Anzahl schöner Abbildungen erläutert. Die Arbeit ist deshalb eine 
wesentliche Bereicherung auf dem Gebiete der physiologischen Pflanzenanatomie. 


Haläcsy, E. De, Conspectus Florae Graecae. Vol.I. Leipzig, Wilh. 
Engelmann. 1901. 


Von diesem wichtigen Florenwerke, dessen erste Lieferungen im Bd. 88 
pag. 248 besprochen wurden, ist mittlerweile das 3. Heft erschienen, welches den 
ersten Band des ganzen Werkes zum Abschluss bringt und in derselben Weise 


dem De Candolle’schen System folgend, die Phanerogamen bis zum Schluss 
der Dipsaceen behandelt. H. Ross. 


Holzuntersuchungen, Altes und Neues. Von Robert Hartig. Berlin, 
Verlag von Julius Springer. 1901. Mit 52 Textabbildungen. 


Das vorliegende kleine Buch ist leider die letzte Arbeit des um die Kennt- 
niss der Holzgewächse hochverdienten Forschers. Es zerfällt in zwei Abschnitte: 
im ersten stellt der Verf. die wichtigeren Ergebnisse seiner älteren Holzuntersuchungen 
zusammen (was um so willkommener ist, als diese Untersuchungen vielfach in 
forstlichen Zeitschriften zerstreut und deshalb Botanikern weniger leicht zugäng- 


347 


lich waren), im zweiten werden sehr interessante Unter$uchungen mitgetheilt über 
den Einfluss von Schwerkraft, Druck und Zug auf den Bau des Fichtenholzes und 
die Gestalt der Fichte. " 


Versuch einer Classification der Klimate, vorzugsweise nach ihren 
Beziehungen zur Pflanzenwelt. Von Dr. W. Köppen. Mit zwei 
Karten. 8.-A. aus der „Geogr. Zeitschrift“ VI. Jahrg. Leipzig, 
Verlag von B. G. Teubner. 1901. Preis Mk. 1.60. 


Der Führer in die Lebermoose und die Gefässkryptogamen. Von 
P. Kummer. Mit 83 Figuren auf 7 lithographirien Tafelu. Zweite 
umgearbeitete Auflage. Berlin, Verlag von Julius Springer. Preis 
Mk. 3,—. 

Neben den eigentlich wissenschaftlichen Floren haben gewiss auch solche 
eine Daseinsberechtigung, welche Liebhabern und Sammlern die erste Anleitung 
geben wollen. So hat auch das Büchlein mit dem fehlerhaften Titel Anklang 
gefunden (was würde man wohl von einem Buche sagen, das als „Führer in die 
Pferde und die Ochsen“ bezeichnet wäre?). Leider hat der Verf. unrichtige Angaben 
der ersten Auflage nicht mit hinreichender Sorgfalt verbessert, sonst könnte er 
2. B. nicht angeben, die „Blüthendecke“ der Jungermanniaceen sei anfangs ge- 
schlossen und werde von der „Frucht“ durehbohrt, oder für Pellia nur eine Art 
(mit drei angeblichen „Varietäten“) anführen, behaupten, dass sich die Elateren 
von Equisetum durch Aufnahme von Feuchtigkeit aufrollen, und anderes melr 
{die Lycopodiumsporen z. B. hält er noch für Mikrosporen). Es ist doch heutzutage 
wahrlich leicht, wenigstens richtig abzuschreiben; derartige grobe Fehler, 
wie der „Führer in die Lebermoose eteo.“ sie auftischt, sind also nieht mehr ent- 
schuldbar. 


Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten 
Jahrhundert. Von Dr. Franz Carl Müller. Berlin, Georg Bredi. 
1902. Preis brosch. 10 Mk., geb. 12 Mk. 50 Pfg. 


Der Titel dieses Buches ist irreleitend. Es handelt sich nicht um eine Ge- 
schichte von Botanik und Zoologie, sondern (wie auf dem Titelblatt mit kleinerer 
Schrift bemerkt ist) um „Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und 
Botanik“. Den letzteren sind 91, der ersteren 600 Seiten gewidmet. Dass dabei 
—- von allem Anderen abgesehen — keine den Fachmann befriedigende Darstellung 
gegeben werden kann, ist klar. Der Verf. hätte besser gethan, die letzten 91 Seiten 
ganz wegzulassen und sein Buch als Geschichte der Medizin im 19, Jahr- 
hundert zu bezeichnen. 


Alfons Paulin, Beiträge zur Kenntniss der Vegetationsverhältnisse 
Krains (Schedae ad floram exsiecatam carniolicam). Laibach, Otto 
Fischer. 1901. 

Der Verf. beabsichtigt eine Neubearbeitung der Flora Krains. Er hat zu 
diesem Zwecke ein Herbarium carniolicum angelegt und gibt auch Exsiceaten 
heraus, Die vorliegende Publikation ist das 1. Heft der zur Erläuterung der 
Exsiecaten bestimmten „Schedae“, 


348 


Excursionsflora ven Europa. Anleitung zum Bestimmen der Gat- 
tungen von europäischen Blüthenpflanzen. Von Franz Thonner. 
Berlin, Verlag von R. Friedländer u. Sohn. 1901. Preis 4 Mk. 

Der Verf., welcher früher schon (1891 in demselben Verlag) eine „Anleitung 
zum Bestimmen der Familien der Phanerogamen“ veröffentlicht hat, welche sich 
als recht nützlich erwies, hat in dem vorliegenden Buche einen Schlüssel bearbeitet, 
„welcher die Gattungen sümmtlicher europäischen Blüthenpflenzen möglichst rasch, 
leicht und sicher zu bestimmen gestattet“. Er hat dabei in einer Zeit, die „unter 

dem Zeichen des Verkehrs“ steht, gewiss ein Vielen willkommenes Hilfsmittel 

geboten. Vielleicht hätte der Schlüssel zum Bestimmen der Familien wegbleiben 
können, da ein solches Buch doch wohl nur von solchen benützt wird, welche die 

Familien wenigstens der Hauptsache nach kennen; es wäre dann noch für die 

Pteridophyten Raum geblieben. 

Biolugie der Pflanzen. Mit einem Anhange: Die historische Ent- 
wickelung der Botanik. Von J. Wiesner. (Elemente der wissen- 
schaftl. Botanik IIL) Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. 
Mit 38 Textillustrationen und einer botanischen Erdkarte. Wien 
1902. Verlag von Alfred Hölder. 

Seit dem Jahre 1889, in welchem die erste Auflage dieses Buches erschien, 
hat die Biologie der Pflanzen eine sehr erhebliche Förderung erfahren, Diese 
hat ihren Ausdruck auch in dem vorliegenden Buch dadurch erhalten, dass es, 
wie der Titel mit Recht sagt, in der zweiten Auflage in vermehrter und ver- 
besserter Form erscheint, Es zerfällt in vier Abschnitte: Die Biologie der vege- 
tativen Processe, die biologischen Verhältnisse der Fortpflanzung, die Verbreitung 
der Pflanzen und die Entwickelung der Pflanzenwelt; in einem Anhange wird die 
historische Entwickelung der Botanik kurz geschildert. Bei dem verhältnissmässig 
kleinen Umfang des Buches (340 Seiten) musste natürlich eine Auswahl getroffen 
werden und konnte auch die Behandlung allgemeiner Fragen nur eine knappe sein 
(in einigen Fällen dürfte sie für Anfänger vielleicht zu knapp sein, so z. B. bei An- 
führung der ohne Anführang von Beispielen wohl nicht ganz leicht verständlichen 
„Mendel’schen Regel“). Die Darstellung ist eine sehr klare und anregende, 
namentlich auch dadurch, dass stets auf die allgemeineren Fragen hingewiesen 
wird. Dass der Verf. sich bei vielen der behandelten Gegenstände auf eigene 
Untersuchungen stützen kann, ist ein besonderer Vortheil des Buches, welches 
auch bei denen Anklang finden wird, die der Ansicht sind, dass die „Biologie 
sich von Morphologie und Physiologie nicht wohl trennen lasse. 

Georg Worgitzky, Blüthengeheimnisse. Eine Blüthenbiologie in Ein- 


zelbildern mit 25 Abbildungen im Text. Druck und Verlag von 
B. G. Teubner in Leipzig. 


Flora, 90.Bad. 1901. 


LIT komas,Luth Ist, Berüns® 


Flora 90. Band, 1902. 


ln Fer a. 
AV IV 


Prospectus. 


Neuer Verlay von Ed. Kummer in Leipzig. 


Genera Muscorum Frondosorum, 


Classes 
Schistocarporum, 
Cleistocarporum, Stegocarporum 
complectentia, 
exceptis Orthotrichaceis et Pleurocarpis. 


Gattungen und Gruppen der Laubmoose 


ın 


historischer und systematischer Beziehung, sowie nach ihrer geographischen 
Verbreitung unter Berücksichtigung der Arten. 


Handschriftlicher Nachlass 


von 
Professor Dr. Carl Müller Hal. 
Mit einem Vorwort von Dr. Karl Schliephacke. 
Preis Mk. 12.—. 482 Seiten. 


Stimmen der Presse: 


Das vorliegende Werk ist aus dem Nachlass des bekannten verdienten Bryologen heraus- 
gegeben; eine kurze Lebensskizze und ein Schriftenverzeichniss des Verf. sind beigefügt. 
Müller hatte während eines langen Lebens ein ausserordentlich reiches Material an Moosen zur 
Verfügung. Seine Mittheilungen über die „Gattungen und Gruppen der Laubmonse“ in 
historischer und systematischer Beziehung, sowie nach ihrer geographischen Verbreituug unter 
Berücksichtigung der Arten bieten schon aus diesem Grunde für die Moossystematik ein werth- 
volles Material, das auch für biologische Fragen manche Anhaltspunkte bietet. 

Flora oder Allgem. Bot. Zeitung. 


Als die Kunde kam, dass Carl Müller-Hal, der Altmeister der Bryologie, seine Augen 
für immer geschlossen habe, hat wohl mancher Bıyolog bedaueıt, dass seine reichen Kenntnisse 
und Erfahrungen in keiner grösseren zusammenfassenden Arbeit über das Gesammtgebiet ver- 
werthet wurden. Um so freudiger ist es zu begrüssen, dass sich in seinen Nachlasse das vor- 
liegende Werk fand, leider nur ein Torso Ein Theil der Acrocarpen und die Pleurocarpen fehlen, 
das Vorhandene jedoch wird jedem Botaniker, der sich mit Laubmoosen genauer beschäftigt, ein 
schr werthvoller Behelf sein. Der Autor hat damit gewissermassen das Facit seines langen 
Studiums der Laubmoose veröffentlicht, und wenn auch mancher Biyologe mit dem Zusammen- 
ziehen voneGattungen zu Sectionen nicht ganz einverstanden sein mag, sind doch die Menge der 
mitgetheilten Einzelbeobachtungen, sowie seine systematischen und morphologischen Ansichten 
von grossem Werthe, Verhandlungen d. k. k. zool. botan. Gesellschaft in Wien 1901. Ba. 51. 


Ich muss es mir versagen, einzelne Stellen als Beispiele der anziehenden Darstellungsweise 
des Verfassers anzuführen. Sicher wird kein Bryologe das Buch olıne reiche Belehrung und 
Anregung aus der Hand legen. Entsprechend einer engeren oder weiteren Fassung des Arthegrifts 
ergeben sich natürlich für andere Forscher abweichende Zahlen, wie z. B. den obigen 130 Arten 
der Sphagnaceen 228 Arten in Cardot’s Repertoire sphagnologique gegenüberstehen. Trotz ihres 
relativen Werthes werden aber die oben mitgetheilten Zahlen schon deshalb von Interesse sein, 
weil sie die Auffassung eines Forschers von dem Rufe Carl Müller’s spiegeln 

Das am Schlusse des Werkes mitgetheilte Verzeichniss der bryologischen Werke und Ab- 
handlungen Müller’s wird Vielen erwünscht sein. Hediwigia 1901. Heft 2. 


Neuer Verlag von Ed. Kummer in Leipzig. 


Es ist ein posthumes Werk des Nestors der deutschen Bryologen, welches von der Firma 
Kummer in dankenswerther Weise in Verlag genommen wurde. Die Herausgabe leitete Herr 
K. Schliephacke mit Unterstützung seines Freundes A. Geheeb. Es ist geradezu unmöglich, 
in der Besprechung einigermassen auf die Fülle des hier Gebotenen einzugehen. Auch der 
Botaniker, welcher sich nicht speciell mit Bryologie beschäftigt, wird das Werk mit Interesse 
lesen. Besonders aber wird der Pflanzengeograph von dem Buche angesprochen werden, nicht 
nur inhaltlich, sondern auch durch die schöne Darstellung des Gebotenen. Der Bryologe aber 
wird einer Fülle von eigenartigen und geistvollen Reflexionen begegnen, und wenn er auch tieferes 
Eingehen auf anatomische Merkmale vermisst, wird er doch durch historische und kritische Rück- 
blicke wieder manches Interessante finden und vor Allem 3 neue Genera begrüssen, die bier zum 
ersten Male beschrieben werden, nämlich die merkwürdigen Gattungen Brothera, Monocranum 
und Spruceella. Aligem. Bot. Zeitschrift 1901. No. 4. 

Nur dem Verfasser, dem Nestor unter den Bryologen, der seit mehr denn 60 Jahren dem 
Studium der Laubmoose sich widmete, dessen ganzes Dasein fast in diesem Stadium aufgıng, 
dem aber auch eine solche reiche Fülle von Anschauungsmaterial zu Gebote stand, wie es selten 
einem Moosforscher geboten war, nur diesem war es möglich, einen solchen Ueberblick über die 
Laubmoose zu geben, wie es in dem von ihm uns überlassenen Werke vorliegt. Leider war es 
ihm nicht gestattet, das in so geistreicher Weise von ihm angelegte Werk zur Vollendung zu 
bringen, da der Tod plötzlich seinem rastlosen Schaffen und Arbeiten ein Ende setzte. Wie ihn 
bei allen seinen Arbeiten auf dem Gebiete der Bryologie der Gedanke leitete, nicht das letzte 
Ziel in der Erkenntniss der Arten zu suchen, sondern durch die Erkenntniss derselben ihre 
Gliederung in Gruppen, Familien und Gattungen zu erfassen und den Gedanken zu finden, welchen 
die Natur hier bei der Verbreitung der Laubmoose im Auge hatte, so hat er auch in dem vor- 
liegenden Werke noch einmal, soweit es ihm gestattet war, von hoher Warte herab uns die Moos- 
welt in ihren Gruppen, Familien und Gattungen in physiologischer und pflanzengeographischer 
Hinsicht vorgeführt. Es ist dieses letzte Werk des Verewigten in Folge der Fülle seiner an- 
regenden Gedanken ein Originalwerk, das wohl in der Bibliothek des Bryologen nicht fehlen dürfte. 

Literar. Centralblatt 1901. No. 21. 


Flora Carpatorum Centralium 


phanerogamarum et cryptogamarum vascularium praecipue 
in 


Tatrae Magnae 
montibus regionibusque adjacentibus sponte crescentium enumerationem 
et descriptionem continens 
auctoribus 


Ernst Sagorski et Gustav Schneider. 
Cum tabulis II. 


Flora der Centralkarpathen 


mit specieller Berücksichtigung der 
in der 


Hohen Tatra 


vorkommenden Phanerogamen und Gefäss-Cryptogamen 
nach eigenen und fremden Beobachtungen 
zusammengestellt und beschrieben 
von 
Ernst Sagorski und Gustav Schneider 


Professor in Schulpforta. Bergverwalter a. D. in Cunnersdorf 
bei Hirschberg i. Schl. 


Mit 2 Lichtdrucktafeln. 


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Characearum europaearum. 


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mit Berücksichtigung der übrigen Welttheile. 
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a. 0. Professor an der technischen Hochschule zu Karlsruhe in Baden. 


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mit Berücksichtigung der benachbarten Länder. 


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Bearbeitet von 


Dr. L. Rabenhorst. 


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Luther Uebersetzung. Revidirte Ausgabe 1892. 
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Denkwürdigkeiten _ 
aus seinen Briefen, Reden und letzten Kundgebungen . 


sowie nach persönlichen Erinnerungen zusammengefasst und erläutert 
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Dr. Paul Liman. 
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II. Auflage. Mit zahlreichen Abbildungen. 


Als I. Band erschien: i . 
Die Pilze 


Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz. 
Davon sind erschienen in geschlossenen Abtheilungen : 

1. Abtheilung: Sehizomyceten, Saecharomyceeten und Basidiomyeeten. Von Dr. Georg 
Winter. Lieferung 1—13 und Registerheft. Preis M. 33.60 (ä& Lieferung M. 2.40, 
ebenso Registerheft.) Ausser vielen Abbildungen eine Farbentafel, 

2. Abtheilung: Asecomyceten: Gymnoasceen und Pyrenomyeeten. Von Dr. Georg 
Winter. Lieferung 14--27 und Registerheft. Preis M. 36. 

3. Abtheilung: Ascomyceeten: Hysteriaceen und Discomyeeten. Yon Medieinalrath 


Dr. H. Rehm, königl. Landgerichtsarzt in Regensburg. Lieferung 28—44 und 58—56 
inel. Registerheft. Preis M. 50.40. 

4. Abtheilung: Phycomyceten. Von Dr. Alfred Fischer, a. o. Professor an der Universität 

Leipzig. Lieferung 45—-52 incl. Registerheft. Preis M. 19.20, 

5. Abtheilung: Aseomyeeten: Tuberaceen und Hemiasceen. Von Dr. Eduard Fischer, 
Privatdocent an der Universität Bern. Lieferung 57 u. 58 incl. Registerheft. Preis M. 4.80. 


6. Abtheilung: Fungi imperfecti. Von Andreas Alleseher in München. Lieferung 59— 74. 
Preis M. 38.40. 


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7. Abtheilung: Fungi imperfecti (Fortsetzung). Von Andreas Allescher in München. 
Lieferung 75—80, ä Lieferung M. 2.40, 


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Die Meeresalgen 


Deutschlands und Oesterreichs. 
Bearbeitet von 
Dr. Ferdinand Hauck. 
Mit 583 Abbildungen und 5 Lichtdrucktafeln. Complet. Preis M. 28. 


Als III. Band: 
Die Farnpflanzen 


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Gefässbündelkryptogamen (Pterydophyta) 


von Dr. Chr. Euerssen 
Yrofessor der Botanik an der Universität Königsberg i. Pr. 


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Die Laubmoose 


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Professor Professer und Custos' 
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Anfang 1902, 


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Pflanzenbiologische Schilderungen, 


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2 Theile. Mit 31 Tafeln und zahlreichen Holzschnitten. 
Im Preise von Mk. 38.— auf Mk. 15.— ermässigt. 


Physiologische Notizen. 


Von 
Julius Sachs. 
Als Sonderabdruck aus der Zeitschrift „Flora® 1892 —1896 


herausgegeben und bevorwortet von 
K. Goebel. 


Mit Bild von Julius Sachs. 
Preis Mk. 4.50. 


Druck von Val. Höfling, München, Lämmerstr. 1. 


FLORA 


ODER 


ALLGEMEINE BOTANISCHE ZEITUNG. 


FRÜHER HERAUSGEGEBEN 
VON DER 


KGL. BAYER. BOTANISCHEN GESELLSCHAFT IN REGENSBURG. 


90. BAND. — JAHRGANG 1902. 


HERAUSGEBER: Dr. K. GOEBEL 


Professor der Botanik in München, 


ER | 
Heft III (Schluss des” Bandes) mit 3 Tafeln und 11 Textfiguren. 


Erschienen am 30. April 1902, 


Inhalt: Dr. PAUL JACCARD, Gesetze der Pflanzenvertheilung in der alpinen Region Seite 349—377 
B. LEISERING, Die Verschiebungen an Helianthusköpfen im Verlaufe ihrer 


Entwickelung vom Aufblühen bis zur Reife . . B . . n  378—432 
L. J. CELAKOVSKY, Die Berindung des Stengels durch die Blattbasen 2433465 
WILH. BRENNER, Zur Entwickelungsgeschichte der Gattung Suraus nn 466-470 
K. GOEBEL, Morphologische und biologische Bemerkungen. 12. Die ver- 

schiedene Ausbildung der Fruchtkörper am Stereum hireutum . „471-476 


LITTERATUR: Molisch, H., Studien über den Milchsaft und Schleimsaft der 
Pflanzen. — W, Pfeffer, Pllanzenphysiologie. — Prof. Dr. Alfred Koch, 
Jahresbericht über die Fortschritte der Lehre von den Gährungs- 
organismen. — L. Errera, Recueil de l’institut hotanique (universite de 
Bruxelles). — A. Engler, Vegetationsbilder aus Deutschostafrika. — G. L 
Haberlandt, Ueber Erklärung in der Biologie. — Herbert J. Webber, 
Spermatogenesis and fecondation of Zamia. — Michel C. Vladesco, Bul- 
letin de !’herbier de linstitut botanique de Bucarest. — Thorild Wulf, 
Botanische Beobachtungen auf Spitzbergen. — Dr. J. v. Sterneck, Mono- 


graphie der Gattung Alectorolophs. . » „476480 
N 
MARBURG. 
N. & ELWERT'SCHE VERLAGSB UCHHANDLUNG.. 
1902. 


WEB Hierzu eine Beilage der Verlagsbuchhandlung von Wilhelm Engelmann 
in Leipzig. Auf dieselbe sei besonders hingewiesen. 


Bemerkung. 
Das Honorar beträgt 20 Mk. pro Druckbogen, für die Litteraturbesprechungen 
90 Mk. Die Mitarbeiter erhalten 30 Sonderabdrücke kostenfrei. Wird eine 
grössere Anzahl gewünscht, so werden für Druck und Papier berechnet: . 
Für 10 Exemplare pro Druckbogen Mk. 1.20; pro einfarb. einfache Tafel Mk. —.30 


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Dissertationen und Abhandlungen systematischen Inhalts werden nicht hono- 
rirt; für solche, die umfangreicher als 4 Bogen sind, werden nur 4 Bogen honorirt; 
die Kosten für Abbildungen und Tafeln hat bei Dissertationen der Verfasser zu 
tragen. Da bei diesen von der Verlagshandlung nur die Herstellungskosten be- 
rechnet werden, so muss dieselbe Baarzahlung nach Empfang zur Voraussetzung 
machen. Bei fremdsprachlichen Manuskripten hat der Verfasser die Kosten der 
Uebersetzung zu tragen. Correeturentschädigungen, die von der Druckerei für 
nicht verschuldete Correeturen in Anrechnung gebracht werden, fallen dem Ver- 
fasser zur Last. Die Zahlung der Honorare erfolgt nach Abschluss eines Bandes. 

Der Bezugspreis eines Bandes beträgt 20 Mark. Jedes Jahr erscheint ein 
Band im Umfang von mindestens 30 Druckbogen und zahlreichen Tafeln. Nach 
Bedürfnies schliessen sich an die Jahrgänge Ergänzungsbände an, welche be- 
sonders berechnet werden. 

Manuskripte und Litteratur für die „Flora“ sind an den Herausgeber, 
Herrn Prof. Dr. Goebel in München, Luisenstrasse 27/u, zu senden, Correc- 
turen an die Druckerei von Val. Höfling, München, Lämmerstrassel. Alle 
geschäftlichen Anfragen etc. sind an die unterzeichnete Verlagshandlung zu richten. 


N. G. Elwert’sche Verlagsbuchhandlung 


Marburg (Hessen-Nassau). 


An die Abonnenten! 


Da es auch in diesem Jahre unmöglich gewesen ist, die Fülle 
der eingegangenen Arbeiten in dem laufenden Band der Flora zum 
Abdruck zu bringen, so ist ein 


Ergänzungsband 


zum Band 90 


nötbig geworden. Derselbe wird im Laufe des Herbstes 1902 er- 


scheinen. Der Preis wird ca. Mk. 16.— betragen. Genau lässt er 
sich nicht vorher angeben. 


Wir bitten Ihre Bestellungen auf den Ergänzungsband (der Reihe 
nach Band gr) alsbald Ihrer Buchhandlung zukommen zu lassen. 


Marburg i. H,, im April 1902. 
Die Verlagsbuchhandlung. 


Gesetze der Pflanzenveriheilung in der alpinen Region.') 
Auf Grund statistisch-floristischer Untersuchungen. 


Von 
Dr. Paul laccard. 


i. Vorbemerkungen. 


Seit einer Reihe von Jahren beschäftigen sich die Pflanzen- 
geographen hauptsächlich damit, die verschiedenen Pflanzengesell- 
schaften und deren Anpassungserscheinungen zu untersuchen und zu 
beschreiben. Sie scheinen die Ursachen, welche die Verschiedenheit 
der floristischen Zusammensetzung der Pflanzendecke an verschiedenen 
Loealitäten innerhalb ein und derselben Formation bedingen, zu ver- 
nachlässigen, indem sie nur jene Ursachen berücksichtigen, welche 
den Gesammtcharakter bestimmen. Nun könnte aber gerade die 
Kenntniss dieser viel exactere Anhaltspunkte geben, betreffend die 
ökologischen Ansprüche der verschiedenen Arten. Sie böte uns auch 
andrerseits zugleich ein Mittel, um umgekehrt den ökologischen Cha- 
rakter der Standorte selbst zu präcisiren; denn die bisherigen Ver- 
suche, denselben direct zu bestimmen, haben keine befriedigenden 
Resultate gegeben. Wärmecapaeität und -leitfähigkeit, die hygroskopi- 
schen Eigenschaften eines Bodens können sich wesentlich ändern 
von einer Stelle zur andern, da sie ebenso leicht beeinflusst werden 
durch die Natur des Obergrunds wie der Unterlage; sie können nur 
sehr approximativ bestimmt werden, und man wird in allen Fällen 
nur Mittelwerthe erhalten. Es scheint mir schwierig, nach dieser 
Methode allein die Erklärung für die Vertheilung der Arten zu finden, 
ümsomehr als wir bei der Taxirung der ökologischen Anforderungen 
der Species nicht den Werth jedes einzelnen Factors für sich zu be- 


fücksichtigen haben, sondern die Resultate aller. 
mu 

1) Ditse Arbeit enthält eine Zusammenfassung der Resultate mehrerer Einzel- 
Publicationen. Ich lege sie hier den Pflanzengeographen vor mit Weglassung er- 
müdender Pfanzenlisten, Ich verweise dafür auf folgende Publicationen: 1. Etude 
geobotanique de la flore du haut bassin de la Sallanche. (Revue 
generale de botanique, Tome X pag. 32—72.) 2. Contribution au probl&me 
de immigration postglaciaire de la flore alpine. (Bull. de la soc. 
Yaudoise des sciences nat. XXX VI pag. 81-180 mit 1 Karte.) 3. Distribution 
delaflorealpine dans le bassin des Dranses, (ibid. XXX VIlpag. 24172.) 
‚+ Etude comparative de la distribution florale duns une portion 


des Alpes et du Jura, Gbidem XXXVII pag. 547-579.) 
Flora 1902. 23 


350 


Ich fragte mich, ob man nicht durch methodisches Studium der 
Artenvertheilung innerhalb ein und desselben Formationstypus an ver- 
schiedenen Punkten eines abgegrenzten Gebietes dazu gelangen könnte, 
zwischen der Veränderung in der Zusammensetzung der Pflanzen- 
decke und der Veränderung eines Complexes ökologischer Factoren 
leicht zu präcisirende Beziehungen zu finden, denen der Üharakter 
von Gesetzen zukommt. Mit andern Worten, ob man nicht den 
Einfluss ökologischer Bedingungen, von denen die Pflanzenvertheilung 
abhängt, sicherer bestimmen könne nach vergleichend-differentieller 
Methode, welche gestattet, die ökologischen Factoren nach ihrer 
eigenen und den dadurch bedingten Veränderungen in der Pflanzen- 
decke zu werthen, als nach der bisherigen direeten, schwierigen und 
zudem ungenauen Methode. — Kurz gesagt, ich möchte das Problem 
umkehren. 


Definitionen. 


Bevor ich zum Thema übergehe, seien einige öfters wieder- 
kehrende Ausdrücke definirt. 

Die Bezeichnung Formation!) reservire ich für eine Pflanzen- 
gesellschaft, welcher einzelne, vorherrschende ökologische Factoren 
ein bestimmtes physiognomisches Gepräge verleihen. Die 
Formation ist einheitlich auf grössere Strecken und bildet einen 
Factor im Landschaftsbild (Wiese, Wald, Moor ete.). 

Bestand (Association) bezeichnet eine floristisch bestimmte 
Pflanzengesellschaft innerhalb einer Formation, bedingt durch secun- 
däre Factoren. Dadurch können die Verschiedenheiten innerhalb ein 
und derselben Formation charakterisirt werden, nach einer oder 
mehreren dominirenden Arten und Begleitpflanzen. Im 
Allgemeinen ist der Bestand bestimmt durch die dominirende Art oder 
Arten. Eine Formation kann also verschiedene Bestände enthalten. 

Zur genauen Charakterisirung eines Bestandes und zur 
Präeisirung des Unterschieds zweier Bestände dienen folgende Punkte: 

1. Der Artenreichthum (richesse florale): Darunter verstehe 
ich die absolute Zahl der Arten, ohne Rücksicht auf Namen 
und systematische Stellung. 


1) Mit Vergnügen eonstatire ich, dass diese von mir unabhängig aufgestellten 
Abstufungen und Definitionen sich vollstindig decken mit den von Schröter ge- 
gebenen in dem soeben erschienenen zweiten Theil der Ve getation des Boden- 


sees, pag. 73. (Schröter & Kirchner, Die Vegetation den Bodensees. II. Theil, 
Lindau 1902.) 


851 


2. Die Artenliste (composition florale): Diese gibt die 
systematische Zusammensetzung der Flora eines Bestandes 
oder Gebietes. 

3. Der generische Üoöfficient (coöffieient generique): Dieser 
bezeichnet das Verhältniss zwischen der Zahl der vertretenen Gattungen 
und der Zahl der Arten einer Flora. 

Ausser diesen drei wichtigsten Factoren können jeweils noch 
folgende herbeigezogen werden: 

4. Die individuelle Frequenz (Frequence individuelle): 
d. h. die relative Häufigkeit der verschiedenen Arten innerhalb eines 
Bestandes. 

5. Artenreichthum und individuelle Frequenz ergeben die Dichte 
eines Bestandes (densit& florale). Sie bedingt bei einer Wiese z. B. 
mehr oder weniger die Ueppigkeit, obschon diese auch abhängig ist 
von der Grösse und dem Habitus der einzelnen Individuen. 

In der vorliegenden Arbeit sollen hauptsächlich die drei ersten 
Punkte berücksichtigt werden. 

Für zwei durch ihre Artenliste bestimmte Bestände können wir 
einen Gemeinschaftscoöfficienten (coeff. de communaute 
florale) aufstellen. Dieser wird folgendermaassen bestimmt: 

1. Man ermittelt die Zahl der den beiden Beständen gemein- 
samen Arten. 

2. Man addirt die Gesammtzahl der Arten des ersten Be- 
standes zu der Gesammtzahl der Arten des zweiten. 

3. Man subtrahirt von der nach 2. erhaltenen Summe die Zahl 
der gemeinsamen Arten und erhält so die Gesammtzahl der 
Arten beider Bestände. 

4. Nun bleibt noch das procentuelle Verhältniss zu be- 
stimmten zwischen der Zahl der gemeinsamen Arten und der Gesammt- 
zahl der Arten beider Bestände. 

Zahlenbeispiel: Von zwei Wiesen A und B besitze A 100, 
B 120 Arten. 60 Arten finden sich auf A und B (gemeinsame 
Arten). A und B besitzen also zusammen eine Gesammtzahl von 
100 4120 — 60 — 160 Arten. Der Gemeinschaftscoöfficient ist dem- 
nach Dam 7 

160 » | 

Damit eine Vergleichung zweier Bestände überhaupt möglich ist, 
muss man unterscheiden zwischen Standort, als ökologischem 
Begriff, bestimmt durch eine Anzahl ökologischer Factoren, und 


Localität, als geographischem Begriff, welcher also nichts 
23° 


352 


Anderes bedeutet als ein Stück Boden, das einen bestimmten 
Bestand trägt. 

Es wird sich in dieser Arbeit zeigen, dass die physiogno- 
mische Gleichförmigkeit einer Formation bedeutende 
Unterschiede in der Artenliste der diese bildenden Bestände 
nicht ausschliesst. Um aber die Beziehungen verfolgen zu können 
zwischen den verschiedenen Beständen ein und derselben Formation 
und den secundären') Unterschieden im Standort, müssen wir im 
Stande sein, einen Standort ebenso in verschiedene Localitäten zu 
zerlegen, wie wir innerhalb der Formation verschiedene Bestände 
unterscheiden. 

Kurz, die vergleiehend-statistische Methode, die zur An- 
wendung kommen soll, fusst auf folgenden zwei Prineipien: 

1. Auf einem Terrain von einiger Ausdehnung sind 
eine Anzahl natürlicher Unterabtheilungen auszu- 
wählen, die neben zahlreichen Analogien ihrer ökolo- 
gischenBedingungen eine kleineZahlcharakteristischer 
Differenzen aufweisen. 

2. Durch Vergleichung ist der Einfluss dieser Ana- 
logien und Differenzen, als Vertheilungsfactoren, auf 
die systematische Zusammensetzung (Artenliste) der 
Pflanzendecke der verschiedenen Unterabtheilungen 
zu bestimmen. Diese allgemeine Vergleichung ist zu 
vervollständigen,indem man die Bestände verschiedener 
Locealitäten innerhalb einer Formation vergleicht. 

Diese Methode kann nicht als eigentlich experimentelle Ver- 
wendung finden; denn es dürfte kaum möglich sein, künstlich den 
natürlichen vergleichbare Standorte herzustellen. Aber sie nähert 
sich den experimentellen Methoden, weil man durch sorgfältige Wahl 
der zu untersuchenden Localitäten dazu gelangen kann, aus einem 
Gemeng vieler Factoren einen einzelnen annähernd zu isoliren und 
seinen Einfluss zu bestimmen. 

In der vorliegenden Arbeit habe ich ausschliesslich die Vegetation 
der alpinen Region und auch hier im Wesentlichen wieder nur 
die alpine Weide berücksichtigt. Es handelte sich darum, durch 
Vergleichung die Veränderungen ihrer Bestände von einer Localität 
zur andern zu bestimmen. 


1) Primäre Unterschiede dagegen nennen wir diejenigen, welche die ver- 
schiedenen Standorte resp, Formationen selbst bedingen. 


358 


Ich betone ausdrücklich, dass die Gesetze, zu denen ich 
gelangte, sich zunächst auf die von mir speciell unter- 
suchten Gebiete beziehen. Sie besitzen wahrscheinlich eine 
sehr allgemeine Tragweite, aber um diese sicher zu stellen, bedarf 
es noch weiterer Untersuchungen. 

Um Missverständnisse zu vermeiden, soll noch ein weiterer, in 
der Pflanzengeographie viel gebrauchter Ausdruck präcisirt werden: 
die Einwanderung. 

Mit Rücksicht auf die „Entwieklungsgeschiehte der Florengebiete* 
steht fest, dass, ausgenommen eine kleine Zahl nivaler Arten, die ge- 
sammte Flora der alpinen Region postglacial eingewandert ist. 
Sie war also in ihrer Zusammensetzung direct bestimmt durch die Flora 
der Nachbargebiete. Immerhin ist die Zahl der Arten, welche an 
eine bestimmte Stelle der Alpenkette hätte einwandern können, viel 
bedeutender als die, welche man jetzt thatsächlich dort findet. Nur 
jene Arten haben Fuss gefasst und durch ihre Ausbreitung weitere 
Coneurrenten am Einwandern verhindert, welche den Verhältnissen 
besonders gut angepasst waren. 

Ausser dieser weit zurückliegenden Besiedelung findet eine 
continuirliche weitere Einwanderung statt, bedingt durch Transport- 
mittel und -Wege. Für jeden begrenzten Bezirk der Alpen- 
kette ist also die Zusammensetzung der Flora und die Vertheilung 
der Arten bestimmt durch folgende drei Gruppen von Faetoren: 

1. Die Quellen der Einwanderung, repräsentirt durch die 
Zusammensetzung der Flora der Nachbargebiete. 

2. Die Agentien der Einwanderung. Diese umfassen 
alle jene äusseren Bedingungen, welche den Transport ermöglichen 
oder erleichtern, unabhängig von der Pflanze selbst. Hierher gehören 
einerseits als activ wirkende Agentien: der Wind,!) das Wasser, die 
Thiere (Vögel, Vieh ete.) und der Mensch, anderseits als passiv die 
Einwanderung erleichternd die topographischen Verhältnisse. 

8. Die ökologischen Bedingungen: d.h. die Gesammtheit 
aller geologischen, meteorologischen und topographischen Verhältnisse, 
welche den Standort ausmachen. 


i) Der Einfluss des Windes auf die Zusammensetzung der Alpenflora ist 
Jüngst einlässlich nachgewiesen worden durch P. Vogler in seiner Dissertation: 
Teber die Verbreitungsmittel der schweizerischen Alpenpflanzen 
(„Flora“, Ergänzungsband 1901), wo gezeigt wird, dass in der alpinen Region die 
anemochoren Arten vorherrschen. — Ausser für den Transport hat der Wind 
auch eine grosse klimatische Bedeutung; er gehört also auch in die folgende 
Factorengruppe. 


354 


Um jedes Missverständniss zu vermeiden, betone ich nochmals 
den Unterschied zwischen Artenreichthum (absolute Zahl der 
verschiedenen Arten) und Artenliste (systematische Zusammen- 
setzung) der Flora eines gegebenen Gebietes. Während die zweite 
bedingt ist durch die Quellen und Agentien der Einwanderung (Factor: 
Einwanderung), hängt der erstere fast ausschliesslich ab von den 
ökologischen Bedingungen des Gebietes (Factor: Standort), Nur 
das soll durch unser erstes Gesetz ausgedrückt werden: Der Arten- 
reichthum eines Gebietes ist direct proportional der 
Mannigfaltigkeit der ökologischen Bedingungen inner- 
halb desselben. Alle anderen Gesetze, zu denen wir gelangen 
werden, unterstützen indirect diesen Fundamentalsatz. 

Ob es sich im Folgenden um Artenreichthum, Gemeinschafts- 
coöfficienten, generischen Coöffieienten handelt, wir berücksichtigen 
in erster Linie immer die Anzahl der Arten, nicht ihre systematische 
Stellung. So gelangen wir zur Bestimmung des Einflusses, welchen 
die Verschiedenheit der ökologischen Bedingungen ausübt auf Zahl 
und Vertheilung der einer gegebenen Region angehörenden Arten. 

Die ökologischen Unterschiede sind bedingt einerseits durch 
primäre Faetoren, welche den Übarakter des Standortes und 
damit die Formation selbst ändern können (Exposition, Neigung, 
Substrat ete.), anderseits durch seeundäre Factoren, deren 
Aenderungen nur einfache Modificationen in Artenreichthum und 
Artenliste innerhalb einer und derselben Formation nach sich ziehen, 
ohne ihren physiognomischen Charakter wesentlich zu beeinflussen. 


li. Die Beziehungen zwischen dem Artenreichthum und der Mannig- 
faltigkeit der ökologischen Verhältnisse. 


Es klingt fast wie ein Gemeinplatz, wenn ich vorausschicke,. 
dass die Flora eines Gebietes mit stark wechselndem Substrat reicher 
sei, als die eines einförmigen. Doch liess sich a priori nicht an- 
nehmen, dass zwischen dem Artenreichthum und der Mannigfaltigkeit 
der ökologischen Verhältnisse einer Gegend eine so enge, fast mathe- 
matische Beziehung besteht, wie die statistisch-floristische Untersuchung 
einiger Distriete in den Alpen thatsächlich ergeben hat. 

Ursprünglich hatte ich ein anderes Ziel im Auge. Ich wollte 
feststellen, wie weit die Nachbarschaft und topographische 
Verbindungen mit anstossenden Gebieten die Zusammensetzung 


355 


der Flora eines bestimmten Territoriums beeinflusse. Für die Unter- 
suchung ging ich von folgenden drei Distrieten!) aus: 

1. Das obere Becken der Sallanche und des Trient, 
zwischen der Dent du Midi und dem Buet (im Folgenden bezeichnet 
mit Trient oder T). 

2. Das Wildhornmassiv, zwischen Sanetsch und Rawyl 
(Wildhorn oder W). 

3. Das obere Becken der Dranses. Die Thäler von 
Bagnes, Entremont und Ferret, zwischen dem Col de Fenötre und 
dem Col de Ferret (Dranses oder D). 

(Bezeichnung für alle drei Distriete zusammen: T—- W—D) 

Die drei Distriete bilden annähernd die Ecken eines gleich- 
seitigen Dreiecks mit circa 5U km Seitenlänge. Trotz ihrer relativen 
Nähe liegen sie aber doch in drei oder gar vier pflanzen-geographischen 
Bezirken: Trient in den lemanischen Alpen und dem Mont-blanc- 
Massiv; Dranses in den centralen Hochalpen (penninisches Massiv); 
Wildhorn in den nördlichen Hochalpen (Berner Alpen). Anderseits 
gehören alle drei (ausgenommen der Nordabhang des Wildhorns) zum 
Rhonebecken, grenzen aber auch an die Flussgebiete des Po resp. 
des Rheins. 

Im Ferneren wechselt die Natur des Substrats sehr stark: das 
Wildhornmassiv besteht fast vollständig aus Kalk, das Becken des 
Trient theils aus Kalk, theils aus Gneiss; in dem der Dranses finden 
wir Protogin, krystallinische Schiefer, Carbonschichten, Kalk, Dolomit, 
Serpentin etc. 

Es dürfte schwer halten, anderswo eine ähnliche Combination 
von Analogien und Differenzen in einem so engen Bezirk vereinigt 
zu finden. 

Jeder der drei Distriete besitzt zwei oder drei parallele Thäler, 
die natürliche Abschnitte ergeben. Für das Wildhornmassiv be- 
rücksichtige ich nur die beiden Hauptthäler von Iffigen und Küh- 
Dungel. Im Becken der Sallanche und des Trient sind zu unter- 
scheiden die Thäler von Salanfe, Emaney und Barberine, im Becken 
der Dranses endlich diejenjgen von Bagnes, Ferret und Entremont, 

Um die Vergleichung durchführen zu können, ermittelte ich 
möglichst vollständig für jeden Distriet und Abschnitt die Liste aller 
in der alpinen Region, d. h. über 1850 m, beobachteten Arten, 
Aus einer darauf gegründeten Tabelle konnte leicht die Zahl der 


1) Der Ausdruck Distriet, wie im ferneren (Districts-) Abschnitt Territorium, 
Gebiet, ist hier rein topographisch zu verstehen. 


356 


Arten jedes Districts und Abschnittes abgelesen werden. Zugleich 
ergab sich daraus die Zahl der zwei oder mehreren gemeinsamen 
Arten. Das Resultat dieser Zählungen ist in folgender Uebersicht 
enthalten: 


1. Gesammtgebiet Wildhorn—Trient—Dranses . . circa 650 Arten!) 
2. Gebiet von Wildhorn—Trient—Bagnes . . . „ 615 „ 
3. Becken der Dranses (Bagnes, Entremont, Ferret) „ 600 „ 
4. Becken des Trient (Emaney, Barberine, Salanfe) „ 470 „ 
5. Oberer Theil des Entremont (exclusive Hybride, 
Varietäten und Arten tieferer Lagen). . „ 45 „ 
5b. Oberer Theil des Entremont (inelusive Hybride, 
Varietäten und Arten tieferer Lagen). . „ 600 „ 


6. Bagnes (oberhalb Mauvoisin). en 415 
7. Becken des Trient (nur das Kalkgebit) . . „ 390 „ 
8. Ferret (gegen den Col de Fenötre und den Col 

de Ferret) . © 2 2 2 2 nenn 860 , 
9. Wildhorn (von Sanetsch bis Rawyl inclusive) . „ 350 
10. Becken des Trient (nur Gneisspartie) 310 „ 
11, Thäler von Barberine und Vieux Emossons „ 30 „ 
12. Wildhorn (exelusive Sanetsch und Rawyl) . . „ 800 „ 

Die Terrains sind geordnet nach der Mannigfaltigkeit ihrer 
ökologischen Verhältnisse, nicht, wie ein Blick auf die Karte zeigt, 
nach ihrer Oberfläche. So erklärt sich, dass das kleine Thal von 
Barberine eine grössere Zahl von Arten besitzt, als das Wildhorn; 
denn hier tritt neben verschiedenen Kalkgesteinen auch Gneiss zu Tage. 

Anderseits bedingt selbstverständlich nicht nur die geologische 
Natur des Subtrats den Wechsel im Artenreichthum. So ist denn 
auch die Kalkpartie des Trientbeckens reicher, als das ebenfalls aus 
Kalk bestehende Wildhornmassiv; denn jenes ist tiefer durchfurcht, 
besitzt sehr wechselnde topographische Gestaltung und fast keine 
nackten Schutthalden, während der Nordabhang des Wildhorns von 
grossen, sehr steilen Schutthalden bedeckt ist, auf deren groben 
Trümmern die Vegetation nicht Fuss fassen kann. 

In obiger Uebersicht wird ferner auffallen, dass das Entremont 
eine fast so grosse Zahl von Arten besitzt, wie das viel weiter aus- 
gedehnte und in der geologischen Unterlage viel variablere Becken 
des Trient. Auf den ersten Blick scheint diese Thatsache meinem 


1) In diesen Zahlen sind (ausgenommen 5b) nur die „guten Arten“ ent- 
halten, nicht auch Hybride und Varietäten. 


357 


Gesetz zu widersprechen; denn das Entremontthal erscheint geologisch 
ausserordentlich einheitlich, da es ganz im Casannaschiefer des Combin- 
massivs liegt; man könnte also sehr einheitliche ökologische Beding- 
ungen vermuthen. Eine kritische Untersuchung der floristischen 
Elemente, welche aus diesem Thal von Tissiere und Henri Jaccard!) 
erwähnt werden, führt mich aber zu Folgendem: 

1. Eine grosse Zahl der Arten, Varietäten und Hybriden, welche 
bisher aus dem Hintergrund des Entremont und von dem sehr genau 
erforschten Aufstieg zum Grossen St. Bernhard angegeben sind, 
kommen wahrscheinlich auch in den weniger durehsuchten benach- 
barten Thälern vor, sind aber bis jetzt noch nieht beobachtet. Unter 
140 Arten, Hybriden und Varietäten des Grossen St. Bernhard, welche 
den benachbarten Thälern zu fehlen scheinen, findet man 75 Unter- 
arten, Varietäten und Hybriden, sowie mehr als 50 in der subalpinen 
Region verbreitete Arten, die nur selten und zufällig in die alpine 
Region hinaufsteigen. Die Gattung Hieracium allein ist in den an- 
geführten Florenwerken mit 40 Arten, Varietäten und Hybriden ver- 
treten. Das alles beweist die sehr genaue Erforschung dieses Gebietes. 

2. Die einzigen wirklich dem Hintergrund des Entremont eigenen 
Arten sind entweder endemische Formen, wie Chaerophyllum elegans 
und einige Hieracien, oder auch sonst sehr sporadische Arten, wie 
Valeriana celtica. Es findet sich keine einzige darunter, deren An- 
wesenheit auf besonders günstige Einwanderungsbedingungen, die den 
Nachbargebieten fehlten, zurückgeführt werden muss. 

3. Endlich ist die geologische Formation, die unter-dem einheit- 
li'hen Namen Casannaschiefer zusammengefasst wird, absolut 
nichts Homogenes und Einheitliches. Es gibt vielleicht kaum ein 
Gestein, das so wechselnd ist in seinen physikalischen und chemischen 
Verhältnissen, wie der Casannaschiefer des Combinmassivs. Man findet 
alle Uebergänge von den härtesten Schichten mit dem Aussehen eines 
compacten Gneisses bis zu den lockersten Schiefern. Und nicht 
weniger veränderlich ist auch der Kalkgehalt. 

Ferner ist hinzuzufügen, dass der obere Theil des Entremont 
viel ausgedehnter ist als der von Bagnes und Ferret und ausserdem 
eine sehr wechselnde topographische Gestaltung besitzt mit Schluchten, 
Plateaux und kleinen Thälchen, wodurch die Mannigfaltigkeit seiner 


1) Tissidre, Guide du botaniste sur le Grand St. Bernard. (Bull. de la 
Soei6t6 Murithienne du Valais. Aigle 1868.) — Jaccard, Henri, Catalogue 
de la flore valaisanne, (Nouveaux memoires de la Sociöt6 helvetique des sciences 
nat. Vol. XXXIV. Zürich 1895.) 


358 


Standorte noch vermehrt wird. Aus diesen verschiedenen Erwägungen 
ergibt sich die Erklärung für den Artenreichthum des Entremont, 
und es ist der scheinbare Widerspruch zwischen demselben und der 
ökologischen Mannigfaltigkeit gelöst. 


Ill. Die Mannigfaltigkeit der ökologischen Verhältnisse. 


Selbst unter gleichen klimatischen Bedingungen sind, wie eben 
gezeigt, die ökologischen Verhältnisse äusserst mannigfaltig. Diese 
Mannigfaltigkeit wird hervorgebracht durch die Combination der drei 
Factoren: Exposition, Neigung, Substrat. 

Es dürfte schwer halten, in der alpinen Region irgend ein 
Gebiet von einer gewissen Ausdehnung zu finden mit absolut homo- 
genem Substrat, gleichmässiger Neigung und Exposition, kurz. mit 
vollständig einheitlichen ökologischen Bedingungen. Die unendliche 
Mannigfaltigkeit des Milieus herrscht als Regel. Und doch, 
welcher Botaniker wird nicht überrascht durch den einheitlichen 
physiognomischen Charakter der Flora in der alpinen Region ? 
Meist verlässt er diese Gebiete mit dem Eindruck, dass die grosse 
Mehrzahl der Arten aufWiesen und Weiden sich stets wiederhole. 

Aber dieser Widerspruch zwischen der Eintönigkeit der Pflanzen- 
decke und der Mannigfaltigkeit der ökologischen Verhältnisse ist nur 
scheinbar. Sieht man ab von dem einheitlichen physiognomischen 
Gepräge, das die Höhenlage und die speciell damit zusammen- 
hängenden Verhältnisse der Alpenflora verleihen, so kann man sich 
leicht durch eine floristisch-statistische Untersuchung überzeugen, dass 
die Artenliste selbst innerhalb der am besten charakterisirten 
Formation sehr variabel ist, auch wenn man nur ein beschränktes 
Gebiet in Betracht zieht. 

Die trotzdem relativ kleine Zahl von Formationen hat ihren 
Grund darin, dass nicht jeder Wechsel im Milieu auch den sicht- 
baren Gesammtcharakter merklich ändert. Unsere Formationen ent- 
sprechen einer ebenso geringen Zahl von Standortstypen. 
Standorte wie: Wiese, Grashalde, Felsen, Geröll, Moor, Heide, Schnee- 
thälchen, Grat, Läger, Alluvion sind das Resultat einer kleinen Anzahl, 
bisweilen eines einzigen, besonders wirksamer Factoren erster 
Ordnung; in ihren secundären Charakteren können sie mannigfach 
differiren, ohne dass diese Differenz im physiognomischen Gesammt- 
bild zum Ausdruck kommt. Nur die statistische Floristik erlaubt uns 
den Nachweis, wie grosse Differenzen in der Zusammen- 


859 


setzung einer Flora verbunden sein können mit einer 
verblüffenden physiognomischen Einheitlichkeit. 

Betrachtet man die 615 Arten der Distriete: Trient—Bagnes— 
Wildhorn (T—B—W), so erkennt man sofort, dass die grosse Mehr- 
zahl derselben über den ganzen westlichen Theil der Alpen verbreitet 
ist, oder dass sie wenigstens in der näheren Umgebung aller drei 
Distriete nirgends fehlen. Nur 28 Arten sind den penninischen Alpen 
eigen (d.h. sind bis jetzt in den beiden andern Distrieten oder deren 
nähern Umgebung noch nicht constatirt), fünf dem oberen Becken 
des Trient resp. dem Mont-Blane-Massiv, fünf endlich der Wildhorn- 
kette resp. den Berner Alpen. Ausser diesen 38 Arten, zu denen 
man noch ungefähr 80 mit überhaupt mehr oder weniger sporadischer 
Vertheilung in unserer Gegend hinzufügen könnte, sind alle andern 
s0 allgemein verbreitet, dass man sie auf dem einen wie dem andern 
der drei Distriete T, B und W erwartet. Trotzdem habe ich ge- 
funden, dass von diesen 615 Arten kaum mehr als 200, 
also ungefähr !l; der Gesammtzahl zugleich in allen 
drei Distrieten T, Bund W vorkommen. 

Anderseits fehlen 52 Arten von Bagnes (B) auf T und W, oder 
sind wenigstens bis jetzt daselbst noch nicht nachgewiesen '); 69 kennen 
‚wir nur aus dem oberen Becken des Trient (T), 27 nur aus dem 
Wildhornmassiv (W). Von diesen 148 Arten sind fast die Hälfte 
subalpin und in der tieferen Region bis 1800m verbreitet, steigen 
aber nur ausnahmsweise höher, 88 besitzen wie gezeigt überhaupt 
eine beschränkte Verbreitung, und nur ungefähr 30 sind mehr oder 
weniger sporadisch vertheilt über unser Gebiet. 

Endlich hat sich ergeben, dass: 

21 in W und B verbreitete Arten T fehlen, 
59,W,T » »B , 
0,B „T » » WW, 

Diese Zahlen zeigen, dass die drei Distriete T, B und W trotz 
ihrer gegenseitigen Nähe und der Aehnlichkeit ihrer allgemeinen 
klimatischen Verhältnisse eine sehr verschieden zusammengesetzte 
Flora besitzen. 

Dieser Schluss wird noch weiter unterstützt durch die Gemein- 


—__ 


1) Es ist immer sehr gewagt, zu behaupten, dass eine bestimmte Art einem 
gewissen Gebiet vollständig fehle, Deshalb wähle ich diesen weniger absoluten 
Ausdruck, Allerdings sind die Gebiete, um die es sich hier handelt, so voll- 
Ständig und seit so langer Zeit durehforscht, dass wohl nur eine recht kleine Zahl 
von Arten den Augen der Botaniker entgangen sein dürfte, 


860 


schaftscoöffieienten von je zwei und zwei der Distriete T, W und D°). 
Es ergeben sich folgende Zahlen: 
Trient und Dranses: 390 gemeinsame Arten auf 645 =60°), circa. 
"r  Wildhorn: 295 525569), 
Dranses „ n 327 n » „ 647=50°|, 
Für die einzelnen Abschnitte des Distriets D erhielt ich: 
Bagnes und Entremont: 370 gem. Arten auf 645—=57 %,. 


n r” » ” 


» 


Ferret „ n 800 „ n „ 555549. 
n n„ Bagnes: 25 „ n „ 55=50%. 
Ferner: 


Trient-Kalk (mit 390 Arten) und Trient-Gneiss (mit 310 Arten): 
225 gem. Arten auf 47048 %,. 

Trient-Kalk (mit 390 Arten) und Wildhorn-Kalk (mit 350 Arten): 
265 gem. Arten auf 475—56°|,. 

Der Gemeinschaftseo6ffieient von je zwei unserer Distriete, resp. 
Abschnitte, schwankt also zwischen 50 und 60°%%,. Je grösser die 
ökologische Analogie zweier Distriete, um so grösser der Gem.-Coöffie. 
Nichts destoweniger scheint es mir, in Anbetracht der geringen Ab- 
weichung der extremen Werthe, gewagt, die Gem.-Coöfl. als den 
exacten Ausdruck der ökologischen Analogie oder Differenz zu be- 
trachten, welche zurückführbar wäre auf die Wirkung absolut identi- 
scher Factoren. SieentsprechenzwargewissenDifferenzen 
in den ökologischen Bedingungen der verglichenen 
Territorien, aber es besteht zwischen dem absoluten 
Werth dieser Differenzen und dem der Gemeinschafts- 
coöfficienten keine mathematische Proportionalität. 

Aus den obigen Zahlen ergibt sich nämlich, dass der Gem.-Ooöff. 
zwischen Trient-Kalk und Trient-Gneiss nur 8°/, niedriger ist als der 
zwischen Trient-Kalk und Wildhorn-Kalk. 

Trotzdem die Arten des Gebietes T— W—D in allen benachbarten 
Alpen verbreitet sind, liess sich also constatiren, dass ein grosser 
Theil derselben in That und Wahrheit auf grosse Strecken fehlen, 
während dem Anscheine nach ihre Existenzbedingungen überall vor- 
handen sind, 

Das ruft die Frage: Besitzen innerhalb ihres Areals 
auch die gemeinsten Arten, ähnlich wie die seltenen, 
eine discontinuirliche und sporadische Vertheilung? 


1) Die folgenden Zahlen beziehen sich auf die Distriete: Trient-Wildhorn- 
Dranses (T-W--D), während die vorhergehenden nur gelten für Trient-Bagnes- 
Wildhorn (T—B—W). Bagnes ist‘ eines der drei Thäler des Dransesbeckens, 


861 


IV. Die Variabilität der floristischen Zusammensetzung der alpinen 
Weide der Alpen. 


Um eine Antwort zu finden auf die am Schluss des vorigen 
Capitels gestellte Frage, setzte ich mir die Aufgabe, statistische Ver- 
gleichungen durchzuführen für die Arten eines einzigen Stand- 
ortstypus. Als solcher schien mir die alpine Weide zwischen 
1900—2400 m am geeignetsten. Ich wählte eine Anzahl Localitäten, 
möglichst vergleichbar in Bezug auf Feuchtigkeit und Neigung, sowie 
das Stadium der Flora. Unter Mithilfe befreundeter Botaniker nahm 
ich die genaue Artenliste auf, je für einen Streifen von ca. 100m 
Breite zwischen den angeführten Höhenquoten, Da diese Aufnahmen 
für alle Localitäten nach gleicher Methode und unter gleichen Ver- 
hältnissen gemacht wurden, sind die Resultate vergleichbar. Ich gebe 
zunächst eine Uebersicht über die 10 untersuchten Localitäten, die 
im Folgenden nach ihrer Ordnungszahl eitirt werden sollen: 


1. Plan la Chaud (Val Ferret) auf kalkreichem Triasschiefer. 
1900—2400m. Exposition: West. 101 Arten. 

2. La Peulaz (Val Ferret) auf gleicher Unterlage wie vorige. 
1900—2300m. Exposition: Ost. 107 Arten. 

3. Col Ferret (Südabhang) auf unterm Jurakalk mit Quarzit- 
bänken. 1900-—2400m, Exposition: SW. 106 Arten. 

4. AlpvonTsessetta z(Entremont) auf Dolomit. 2000-2300 m. 
Exposition: Ost. 99 Arten. 

5. Alp von Vingt-Huit (Bagnes) auf kalkreichem Trias- 
schiefer und Casannaschiefer. 2000-—-2500m. Exposition: West. 
140 Arten. 

6. Barberine (Trient) auf unterm Jurakalk. 1900-2300 m. 
Exposition: SW. 114 Arten. 

7. Luisin (Emaney) auf Gneiss. 1900—2400m. Exposition: 
West. 173 Arten. 

8. Gagnerie (Salanfe) auf oberem Jurakalk. 1900— 2450 m. 
Exposition: West. 165 Arten. 

9. Iffigen (Wildhorn) auf Kreide- und Nunmulitenkalk. 
2000— 2500 m. Exposition: SO. 147 Arten. 

10. Küh-Dungel (Wildhorn) auf Kreide- und Nummulitenkalk. 
1850—2300m. Exposition: NO. 150 Arten. 

Durch Vergleichung jeder dieser Localitäten je mit den neun 
andern, ergeben sich 45 Verhältnisse, deren Gemeinschaftscoöfficienten 


362 


analog folgendem Beispiel bestimmt werden: Plan la Chaud (Nr. 1): 
101 Arten und la Peulaz (Nr. 2): 107 Arten, besitzen insgesammt 
155 differente Arten; 53 sind beiden gemeinsam (101-+ 107 — 53 — 155). 
Ihr Gem.-Coöff. ist also— 53: 155 oder gleich 35 %,; in der folgenden 
Tabelle ist dieses Verhältniss ausgedrückt durch 1:2—=35. 
Gemeinschaftscoöfficienten zwischen den Weiden1—10. 


1: 2=35 2: 9=23 5: 6=39 
1: 3=40 2:10=32 5: 7=30 
1: 4—=40 8: 4-=39 5: 8— 38 
1: 5=37 3: 5=39 5: 9= 36 
1: 6=21 93: 6=27 5:10 — 22 
1: 7=21 3: 7= 80 6: 7=30 
1: 8=28 3: 8—28 6: 8—29 
1: 9=35 3: 9=26 6: 9—= 30 
1:10= 31 3:10 = 28 6:10 — 33 
2: 3—=36 4: 5—= 37 1:8=-2%6 
2: 4—=26 4: 6=27 7: 9—=27 
2: 5==38 4: 7=24 7:10= 34 
2:6=30 4: 8=30 8: 9=31 
2: 7=29 4: 9=39 8:10= 38 
2: 8—=28 4:10 —=34 9:10= 42. 


Die vorstehende Tabelle zeigt, dass die Gem.-Coöff. zwischen 
den Grenzen 20 und 40 liegen, bei einem Mittel von 32°, oder 
rund ’/s. Im Allgemeinen besitzen die Localitäten mit physikalisch- 
chemisch ähnlichem Substrat die grössten, diejenigen mit verschiedenem 
die kleinsten Gem.-Coöfl. 

Die Coöffieienten zwischen 37 und 40 ergab die Vergleichung 

von: Plan la Chaud mit Ferret, 
n »n n » Tsessettaz, 
„ » n » Vingt-Huit, 
„  Tsessettaz „ Vingt-Huit, 
n n „ Ferret, 
„ La Peulaz „ Vingt-Huit. 

Diese Localitäten liegen alle grösstentheils auf Kalkschiefer, 
reich an Silicaten, deren Farbe und Consistenz ebenfalls grosse 
Analogien aufweisen. Zwischen Tsessettaz (Dolomit) und Iffigen 
(magnesiumreicher Kalk) beträgt der Gem.-Coöff. 39 %,; zwischen 
Iffigen und Küh-Dungel (beide auf dem gleichen magnesiumreichen 
Kalk) steigt er sogar auf 42%),. In beiden Fällen ist die physikalisch- 
chemische Aehnlichkeit des Substrats klar, 


363 


Bei Vingt-Huit mit Barberne . . .....8389% 

» nr »» Gagnerie . . 2 2 2202.88, 
„ Küh-Dungel „ n rn 38 „ 
haben wir es mit üppigen, artenreichen Wiesen zu thun, wodurch 
der Gem.-Coöff. klarerweise noch erhöht wird, zumal auch das Substrat 
nicht stark verschieden ist. 

Sobald aber hierin ein Unterschied vorhanden ist, sinkt der 
Gem.-Coöff. rasch. So besitzen die Wiesen von Luisin (173 Arten) 
auf Gneiss und Gagnerie (165 Arten) auf Kalk trotz ihrer Ueppigkeit 
und ihres Artenreichthums nur einen solehen von 26°),. Zwischen 
Plan la Chaud und Luisin, resp. Vingt-Huit und Küh-Dungel, die 
noch mehr differiren, fällt er sogar auf 21 resp. 22°]. 


V. Die Variabilität der floristischen Zusammensetzung der alpinen 
Weide des Jura. 


Wie eben gezeigt, entsprechen die Aenderungen im Werth der 
beobachteten Gemeinschaftscoöfficienten einigermaassen der grösseren 
oder geringeren Uebereinstimmung der verglichenen Localitäten. Es 
muss dabei aber sofort auffallen, dass in den Fällen anscheinend 
weitgehender Uebereinstimmung im Substrat der Gem.-Co@fl. keinen 
höheren Werth erreicht. (Maximum in vorigem Capitel 42%, 
Mittel 32 %,.) 

Ich glaubte, diese relativ geringen Werthe für ähnliche und 
nicht weit aus einander liegende Loecalitäten auf die grosse Ver- 
schiedenheit der übrigen ökologischen Verhältnisse in den Alpen- 
thälern zurückführen zu müssen. Die Nähe von Schneefeldern, 
Gletschern oder kleinen Seen, die topographische Gestaltung der 
Umgebung, die allgemeine Orientirung der Thäler, ihre bald weitere, 
bald engere Verbindung mit der tieferen, warmen Zone oder im 
Gegensatz dazu ihre Abgeschlossenheit, all das sind äussere, in- 
directe Ursachen, welche selbst solchen Localitäten, deren eigent- 
liche, innere Charaktere sehr grosse Analogie besitzen, wieder Ver- 
schiedenheiten aufprägen. 

Es war aber zu erwarten, dass man in einem topographisch und 
geologisch einförmigeren Gebiete auch eine ähnliche Einförmigkeit in 
den Artenlisten verschiedener Localitäten finden werde. Diese Er- 
wartung hoffte ich bestätigen zu können durch eine Untersuchung 
der Zusammensetzung der Flora in der alpinen Region eines Theils 
des südlichen Jura, 


364 


Diese Region ist im südlichen Jura äusserst einförmig von 
oberem Jurakalk getragen: Kimmerien und Sequanien, mit gelegent- 
lich zu Tage tretendem Argovien. Die untersuchten Gipfel liegen 
zwischen dem Suchet und dem Reeulet; in der Höhe schwanken sie 
zwischen 1671 und 1723m, sind also bis auf ca. 50m gleich hoch. 
Sie stehen alle am Südrand des Jura und heben sich vollständig 
analog aus der topographischen Gestaltung der Umgebung heraus. 
Ebenso eintönig bieten sie sich auch sonst dem Forscher dar: überall 
die gleichen, grasbewachsenen Kuppen, die gleichen weissen Kalk- 
wände, die gleiche Trockenheit unter dem Einfluss der gleichen 
herrschenden Winde. 

Die ganze Kette des südlichen Jura ist also ökologisch 
und floristisch unbestritten einförmig; aber diese Ein- 
förmigkeit wird geringer, sobald man eng umschriebene Localitäten 
mit einander vergleicht. 

Die folgenden floristischen Angaben beziehen sich auf die Weide 
oberhalb der Höhenquote von ea. 1500m. Es wurden sechs Abhänge 
und sechs Gipfel untersucht. 


Abhänge: 
1. Am Grand Colombier zwischen 1480 und 1560m ca. Expos. O. 
2. „ Reculet (vald’Ardran) „ 1480 „ 1560, „ „SW. 
3, , „ 1500 „ 1600, 5» 0.80. 
4 5 n n 1500 „ 1600, „ n 107 
5. ,„ Montoisey » 1530 „ 1600, „ „No. 
6. An der Döle „ 1480 „ 1580, „ „©. 

Gipfel: 

7. Erster Gipfel des Grand Colombier von 1650—1690 m. 
8. Zweiter „, 5 5 „ „ 16501680 „ 
9. Gipfel des Reculet „ 1650-1720 


” 


10. „ „ Montoisey „ 1650 -1670 „ 
11. Die beiden Gipfel des Mont Tendre „ 1600-1680 „ 
12, Gipfel der Döle „  1600--1680 „ 


Auf allen 12 Localitäten zusammen constatirte ich 237 Arten. 
Die einzelnen Localitäten besitzen im Mittel 90 Arten, während sich 
für die 10 alpinen des Gebietes T—-W-—D im Mittel 180 ergaben. 
Die kleinere Zahl im Jura entspricht deutlich der grösseren Ein- 
förmigkeit desselben, 

In den folgenden Zusammenstellungen vertheile ich die Arten” 
nach ihrer Häufigkeit in folgende Kategorien: 


365 


1. sehr häufige Arten auf 11—12 Localitäten vorkommend, 

2. häufige Arten „6-10 „ n 

3. nieht häufige Arten „ 2—4 „ n 

4. seltene Arten „ aur 1 Localität » 

Zahl der Arten der Localitäten 1—12: 
Häufige Arten 
Localität inclusive Nicht häufig Selten Total 
sehr häufige 

1 59 80 17 = 106 
2 55 28 10 = 98 
8 54 23 1 — 78 
4 50 15 0 —= 65 
5 50 5 1 — 56 
6 57 28 8 = 88 
7 70 39 1 —=110 
8 57 23 1 — 8 
9 64 24 2 = % 
10 45 11 0 — 56 
11 65 39 11 = 115 
12 72 37 21 = 150 


Die Vergleichung von je zwei der Abhänge 1—6 ergibt für die 
verschiedenen Kategorien folgende Zahlen gemeinsamer Arten: 


Verglichene | Häufige Arten . = 1 Gemeinschafts- 
Localitäten!) |inel. sehr häufige Nicht häufige Tota Coöfficienten 
1:2 47 1i 58 —=41%, 

2:8 38 11 49 | =4,„ 

3:4 87 4 41 ==4, 

4:5 33 1 34 ==40 „ 

1:6 43 10 53 = 39— 400], 

8:6 41 5 46 = 400), 


Mittlerer Gemeinschaftscoöfficient = 40%|, 


Für die Gipfel 7—12 erhalten wir: 


71:8 56 17 | 13 82% 
71:9 586 10 66 =50, 
7:11 58 15 713 — 49—500), 
8:10 35 5 | 40 = 41-42 „ 
9:11 48 9 | 57 —=40%, . 
11:12 60 29 | 89 —=50 „ 


Mittlerer Gemeinschaftscoöfficient = 50%), 


Die vorstehenden Ziffern zeigen, dass trotz der grossen Ein- 
förmigkeit der alpinen Region des Jura die Gemeinschaftscoöfficienten 
lange nicht so hoch steigen, als man erwartet. Im Mittel liegen sie 
Tun. 

1) Für diese Vergleichungen wurden absichtlich solche Localitäten ausgewählt, 


welche auch dem äusseren Anschein nach am meisten Aehnlichkeit besassen. 
„Flora 1902. 24 


366 


nur um 13°), über dem für die 10 alpinen Loealitäten gefundenen 
Mittel, 

Den kleinsten Gem.-Coöff. mit 391], %), besitzen die beiden ent- 
fernten Localitäten: Colombier und Döle, die sich auch in ihrer 
Neigung ziemlich stark unterscheiden. Am grössten, 62°), ist er 
zwischen den beiden Gipfeln des Colombier, die kaum Ikm von 
einander entfernt sind und auch sonst einander sehr ähnlich 
sind. Man fragt sich hier geradezu: Warum ist dieser Gem.-Coöfl. 
nicht noch höher? 

Wie nach den früheren Resultaten zu erwarten war, sind die 
Gem,-Coöff. zwischen je zwei Gipfeln grösser, als zwischen je zwei 
Abhängen. Auf den letzteren sind ja namentlich Neigung und Ex- 
position viel mannigfaitiger, als auf den runden Kuppen der Gipfel. 

Eine Vergleichung der Juraweide No. 1 (Colombier mit 106 Arten) 
mit den alpinen Weiden von Küh-Dungel (K mit 112 Arten), Barberine 
(B mit 114 Arten), Tsessettaz ('l mit 99 Arten) und La Peulaz (P mit 
107 Arten) gibt folgende Zahlen: 


Verglichene Häufige Weniger Seltene Total der Gemeinsch.- 
Localitäten Arten häufige Arten Arten Coöffieienten 
1undK 4 6 3 50 300), 
Te 86 3 2 4 24 5 
1,8 30 9 1 40 22 „ 
ı1,T 22 8 2 27 15 „ 


Von den vier alpinen Weiden, welche wir mit der Juraweide No. 1 
verglichen haben, besitzt die von Küh-Dungel sicherlich das dem Jura 
ähbnlichste Substrat (Kreidekalk), und wie zu erwarten, ist auch ihr 
Gem.-Coöff. am höchsten (30°|,), umgekehrt verhält sich die von 
Tsessettaz auf Dolomit mit nur 15°), Gem.-Coöft. 


Resume der Gapitel II—V. 


Die in den vorstehenden Capiteln zusammengestellten Thatsachen 
führen zu folgenden Schlüssen, welche wenigstens für die unter- 
suchten Gebiete den Charakter von Gesetzen besitzen: 

1. Die Artenzahl eines Gebietes ist direct proportional der Mannig- 
Jaltigkeit seiner ökologischen Verhältnisse. 

2. Die Aehnlichkeit der ökologischen Verhältnisse zweier benach- 
barter Territorien innerhalb der gleichen natürlichen Region findet 
ihren Ausdruck im Gemeinschaftscoöfficienten der beiden Floren. 

3. Ausser den allgemeinen ökologischen Factoren existiren für 

Jede Localität eines bestimmten Standoristypus locale Varia tionsursachen, 


367 


welche im Einzelnen wieder eine ökologische Mannigfaltigkeit bedingen, 
die ausgedrückt wird durch die Verschiedenheit der Pflanzenlisten. 

Als primäre Factoren sollen diejenigen bezeichnet werden, 
welehe die verschiedenen Standortstypen (Wiese, Moor, Schutt, 
Felsen etc.) bedingen, als secundäre Factoren diejenigen, welche 
bloss eine Variation verursachen innerhalb eines Standortes, ohne dessen 
eigentlichen Charakter zu verändern. Dann ergibt sich für unser 
Gebiet, dass die Veränderungen in den secundären Factoren genügen, 
um die Artenliste der alpinen Weide so umzugestalten, dass für je 
zwei Localitäten mindestens zwei Drittel der Arten verschieden sind. 

Im Wesentlichen ist die Verteilung der Arten bestimmt durch 
die Resultante aller Faetoren, welehe das ökologische Milieu aus- 
machen. Es ist nun klar, dass selbst geringe Aenderungen dieser 
Resultante genügen, um eine bestimmte Artengruppirung in der Con- 
eurrenz zu begünstigen und so andere auszuschliessen. 

4. Obschon die Artenliste innerhalb einer Formation stark wechselt 
von einer Localität zur andern, scheint der Gemeinschaftscoöfficient von 
je zwei Localitäten doch um einen Mittelwerth zu schwanken, der sich 
einer Constanten nähert, sobald man eine gross genuge Zahl von Loca- 
litäten berücksichtigt. 

5. Je grösser die ökologische Mannig/altigkeit innerhalb jedes der ver- 
glichenen Gebiete ist, um so grösser ist auch der Gem.-Coöff. ihrer Floren. 

Wenn man zwei Distriete von einer gewissen Ausdehnung ver- 
gleicht, so ist die Wahrscheinlichkeit, viele gemeinsame Arten zu 
finden, um so grösser, je mannigfaltiger die zugehörigen Standorte 
sind. So steigt der Gem.-Co&ff. zwischen Trient und Dranses auf 
60 %,, zwischen Ferret und Bagnes auf 50 9, (jedesmal das gesammte 
Gebiet betrachtet, nicht nur die Flora eines Standortes), während 
er für die alpinen Weiden im Mittel nur 32°, erreicht. 


VI. Die Elemente der Gemeinschaftscoöfficienten. 


Aus der relativen Constanz der Gem.-Coäfl. könnte man zu 
schliessen versucht sein, dass eine kleine Gruppe von Ubiquisten, die 
sich auf jeder Localität finden, überhaupt dieselben bilden. Dieser 
Schluss ist aber unrichtig, wie folgende Zahlen zeigen: Von den 370 
verschiedenen Arten, aus denen die Flora der 10 alpinen Weiden im 
Gebiet T-W—D sich zusammensetzt, sind 108, also beinahe ein 
Drittel, nur an einer einzigen Localität constatirt worden. Die übrigen 


262 Arten zeigen folgende Verhältnisse: 
24* 


368 


zugleich auf 2 Localitäten kommen vor: 73 Arten. 


„ „3 „ n „:43 n 
„ „4 n n „:33 „ 
” „5 » » „32 n 
n „6 n n „:20 „ 
„ Pa | n n 2 „ 
„ „8 n n „:19 „ 
» 9 » „ „:1T, 
n „10 » Pe Su 


Nur drei Arten kommen also auf allen 10 Localitäten zugleich 
vor: Gentiana excisa, Homogyne alpina und Nigritella angustifolia. — 
Nur 81 (also ung. 22°%),) finden sich auf mehr als der Hälfte der 
10 Localitäten. Die Artenlisten der alpinen Weiden differiren so stark, 
dass der mittlere Gem.-Coöff. für je vier Loealitäten von T—-W-—-D 
auf10%,, für je sechs auf 8!/2%, und für je acht auf1,6°%, (also un- 
gefähr drei Arten auf 200) fällt. 

Zu gleichen Resultaten kommen wir bei der Prüfung der Arten- 
vertheilung der 12 Localitäten aus dem Jura: Nur neun von den 
237 Arten wurden auf allen 12 Localitäten constatirt; 64 je nur auf 
einer einzigen. 


Nach ihrem Häufigkeitsgrad (vide oben) vertheilen sich diese 
237 Arten folgendermaassen: 
sehr häufig: 16 Arten aus 16 Gattungen, 
häufig: 64 „ „50 » 


nicht häufig: 983 70 


” ” „ 


selten: 64 „ „58 


” 
Total: 237 Arten aus 141 "141 Gattungen. 
Auf dieselben Kategorien!) vertheilen sich die 370 Arten der 
alpinen Localitäten von T—-W—-D folgendermaassen: 
sehr häufig: 20 Arten 
häufig: 93 
nicht häufig: 149 
selten: 108 


7 
» 


R] 


Total: 370 Arten aus 210 Gattungen. 


1) Im Gebiet T—W-—-D betrachte ich als: 
sehr häufig: Arten zugleich auf 9—10 Localitäten vorkommend, 


häufig: „ ” „ 58 » E) 
nicht häufig: „ " „ 2—4 n » 
selten: „ nur » 1 


369 


Das Resultat dieser Vergleichung ist überraschend. Trotz der Ver- 
schiedenheit in Artenreichthum und Artenliste der Weidefloren der Alpen 
und des Juras ist die procentuelleVertheilungunterdie vier 
Häufigkeitsgrade für beide Floren beinahe die gleiche, 


nämlich: Alpweide: Juraweide: 
sehr häufig . . . 6-79, 5—6 9, 
häufig. . . . .. 27 „ 25 „ 
nicht häufig . . . 40 „ 40, 
selten . . . 27, 29 „ 


Dieses Resultat überrascht noch mehr, wenn man bedenkt, dass eine 
im Jura häufige Art in den Alpen selten sein kann und umgekehrt. 

Von den Arten des Jura besitzen den gleichen Häufig- 
keitsgrad in den Alpen, nach den einzelnen Kategorien: 


Von 16 im Jura sehr häufigen . . . 7 
„64, ,„ häufigen .....%0 
» 98 ,„  „ nicht häufigen . . . 39 
„64, ,„ seltenen ... 0.0. 24 


Von insgesammt 237 Arten des Jura. . . .. .110 

Anderseits: Von den 80 im Jura sehr häufigen und häufigen 
Arten sind auf T-W-—D 15 „nicht häufig“, 9 selten, 7 fehlen ganz. 

Von den 93 im Jura „nicht häufigen“ Arten sind auf 
T—W--D 15 häufig, 14 selten, 25 fehlen. 

Von den 64 im Jura seltenen Arten sind auf T-W—D 
10 häufig, 17 „nicht häufig“, 13 fehlen. 

Nicht einmal die Hälfte der 237 Arten des Jura besitzt also 
im alpinen Gebiet T-W--D den gleichen Häufigkeitsgrad. Bei den 
übrigen ist er verschieden, oder sie fehlen sogar ganz. Zu diesen 
letzteren gehören ausser einem Dutzend Arten, welche den Central- 
alpen überhaupt fehlen, hauptsächlich Arten der Waldregion, welche 
nur vereinzelt und zufällig in die Alpenregion hinaufsteigen. 

Trotzdem also verschiedene Arten Jura- und Alpenweide be- 
völkern, sind die procentuellen Verhältnisse zwischen der Anzahl der 
Arten der vier Häufigkeitsgrade fast gleich. Diese Thatsache legt 
die Frage nahe, ob nicht für die Vertheilung der Arten nach Häufig- 
keitsgraden ein analoges Gesetz gelte, wie für die Variation der 
Organe ein und derselben Species (Galton’sche Curve). Ich gedenke 
in dieser Richtung meine Untersuchungen weiter zu verfolgen und 
möchte auch andere Pflanzengeographen dazu anregen. \ 

Wie ich schon oben, bei der Besprechung der Gem.-Co£fl. über- 
haupt, ausgeführt, müssen wir in secundären Factoren die 


370 


Ursachen der thatsächtlichen Vertheilung der Arten innerhalb einer 
Formation suchen. Und zwar wirken sie hauptsächlich in der Weise, 
dass sie Arten, welche einzeln das ganze betrachtete Gebiet erobern 
könnten, im Concurrenzkampf begünstigen oder benachtheiligen. Die 
Thatsache, dass die procentuelle Vertheilung auf die verschiedenen 
Häufigkeitsgrade constant ist, erlaubt darum den Schluss, dass auch 
die Vertheilung dieser secundären Factoren einem Gesetz entspreche, 
dessen Ausdruck gegeben ist durch die angeführte Vertheilung der 
Arten. Nachdem in neuerer Zeit Gesetze nachgewiesen worden sind für 
die Variation in der organisirten Welt, wäre ein solcher Nachweis von 
paralleler Variation der anorganischen Umgebung von grösstem Interesse. 


Vi. Der generische Coöfficient. 


In jeder Pflanzengesellschaft, speciell auch auf der alpinen 
Weide, müssen wir, wie oben erwähnt, unterscheiden zwischen 
Artenreichthum(reinnummerisch)undArtenliste (systema- 
tisch). Grosse Dichte eines Bestandes hat zwar häufig eine Ver- 
armung der Flora im Gefolge; nichtsdestoweniger können aber 
bisweilen grosser Artenreichthum und grosse Dichte ver- 
bunden sein, z.B. die Alpenweiden No. 6 und 7. 

Artenreichthum, Artenliste und Dichte variiren also innerhalb 
eines Bestandes bis zu einem gewissen Grad unabhängig von einander. 
Immerhin ist es möglich, eine Beziehung aufzustellen zwischen 
Artenreichthum und Artenliste, die gegeben ist durch das 
Verhältniss der Zahl der vertretenen Genera zur Zahl 
der vorkommenden Arten; ich habe dieses Verhältniss als 
generischen Coöfficienten bezeichnet.!) 


1) Die Beziehung zwischen Zahl der Genera und Zahl der Arten kann auf 
zweierlei Weise ausgedrückt werden: 1. durch die Zahl der Genera, repräsentirt 
durch 100 Arten; 2. durch die mittlere Zahl der Arten jedes Genus. So enthält 
z. B. die Flora der Juraweide No. 1 106 Arten und 90 Genera; jedes Genus 
besitzt im Mittel 1,18 Arten. Diese Ausdrucksweise der Beziehung zwischen 
Art und Genus ergibt fast immer gebrochene Quotienten, die meist zwischen 
engen Grenzen, 1—5 oder 6 im Mittel, schwanken; dadurch wird die Vergleichung 
schwieriger und weniger auf den ersten Blick deutlich. Im Ferneren lassen sich 
Quotienten wie 1,18; 2,27; 4,66 nur schwer auf ganze Zahlen abrunden, ohne das 
Resultat stark zu verändern. — Aus diesen Gründen habe ich die erste Ausdrucks- 
weise vorgezogen, indem ich, wie beim Gemeinschaftscoöfficienten, Alles auf 
100 Arten umrechne. So bedeutet also: 106 Arten auf 90 Genera — 100 Arten 
auf 85 Genera; generischer Coöffieient =850j,: 85 Genera sind repräsentirt 
durch 100 Arten. Je reicher an Arten eine Flora ist im Verhältniss zu den 
vertretenen Genera, um so kleiner ist also der generische Coöfficient. 


971 


Ich konnte in der That auch eine constante Beziehung 
finden zwischen dem dem Anscheine nach so unregelmässigen Ver- 
hältniss zwischen Zahl der Genera und Zahl der Arten einerseits und 
der Mannigfaltigkeit der ökologischen Verhältnisse des Gebietes ander- 
seits, wie aus folgender Tabelle hervorgeht: 

Juraweide No. 1 am Grand Colombier . 85 Genera auf 100 Arten, 
Juraweiden 1—12 zusammen . . . .„ 60 


” n ” r» 
Alpenweiden von T—W-—-D zusammen. 57 » von » 
Gesammte alpine Region des südl. Jura 54 » on n 


Gesammtes Wildhornmassiv (W) . . . 50 n 


” ” rn 

Gesammtes Gebiet von Trient (TJ) . . 45 n Pe n 
n n »„ Dranses (D). . 40 n on n 

n » „ I-W-D .. 33 » nn „ 
Gesammte Schweizerflora. . . . 26 n n n 


.. „ 

Diese Tabelle zeigt, dass der generische Coöfficient 
(d.h. das procentuelle Verhältniss von Genera zu Arten) umgekehrt 
proportional istder Mannigfaltigkeit der ökologischen 
Verhältnisse. Während dieser von 85 auf 26°, fällt, werden in 
der That die betrachteten Gebiete ökologisch immer complexer. 

Umgekehrt erhalten wir folgende Reihe: 

1. Das Gesammtgebiet der Schweiz, umfassend: Jura, 
Mittelland und Alpen mit Seen, Gletschern, Torfmooren etc. etc. 
ökologische Mannigfaltigkeit gleich einem Maximum. Generischer 
Coöfficient = 26 9),. 

2. Die alpineundnivale Region der Gebiete Trient- 
Wildhorn-Dranses. Die ganze Reihe der Sedimente ist vertreten 
vom Gneiss bis zum Flysch. Sie umfassen Theile der drei grossen 
Alpenmassive: Centralalpen, Mont-Blane-Massiv, Berneralpen. Gener. 
Coefl, — 33 — 34 9),. 

3. Das obere Becken der Dranses, bestehend aus den 
Thälern Bagnes, Entremont und Ferret mit Protogin, krystallinischen 
Schiefern, Carbonschichten, Kalk, Dolomit, Serpentin etc. Gener, 
Coöfl. = 40 9),. 

4. Das obere Becken des Trient, weniger ausgedehnt als 
das vorige Gebiet mit etwas weniger variabelm geologischen Aufbau 
(Gneiss, Trias, Jura, Kreide). Gener. Coöff. = 45 ,. 

5. Das Wildhornmassiv: nur Kalkgestein, aber verschiedener 
Art und zwar: oberer J ura, Flysch, Nummulitenkalk und -Breceie, 
magnesiumreiche Felsen, sowie stellenweise eine Bedeckung mit kiesel- 
reichem Moränenmaterial. Gener. Co&fl. =50 %). 


372 


6. Die alpine Region des südlichen Jura vom Reculet 
bie zum Mont Tendre zwischen 1500 und 1700 m, vollständig gebildet 
von oberem Jura. Gener. Coöff. = 54"). 

7. Die 10 Weiden des Gebietes T—_W-—D: alle zum 
gleichen Standortstypus gehörend, aber verschieden nach Substrat, 
Exposition und bis zu einem gewissen Grad auch nach Höhe und Neigung. 
Die ökologische Mannigfaltigkeit ist sicher viel geringer als in einem 
Gebiet mit verschiedenen Standortstypen. Gener. Coöfl, =57%,. 

8. Die 12 Localitäten des südlichen Jura: unter ein- 
ander fast nur verschieden in Exposition und Neigung. Ihr Substrat 
(geologisch genommen) bietet nur geringe Differenzen. Gener. Coöff. 
=60 %,. 

9. Betrachtet man nur eineLocalität,z.B.denAbhangNo.1 
am Grand Colombier, wö die ökologische Mannigfaltigkeit sehr 
tief sinkt, so steigt der gener. Coöff. auf 85 9,. 

10. Endlich steigt der generische Coäffieient auf 100%, auf schr 
einheitlichen Standorten mit nur geringer Artenzahl. Solche Beding- 
ungen erfüllen z. B. die Schneethälchen, deren Flora ebenso 
viele Genera als Arten umfasst: Plantago alpina, Alchimilla penta- 
phyllea, Chrysanthemum alpinum, Cerastium trigynum, Gnaphalium 
supinum, Veronica aphylla, Cardamine alpina, Salix herbacea etc. 
Ferner die Callunaheide, für die ich z.B. im Vallon d’Emaney') 
auf 30 Arten 29 Genera fand. 

Allgemein ausgedrückt: Alle jene Standorte, welche bedingt 
sind durch das starke Hervortreten eines Factors (besonders phy- 
sikalisch-chemischer Natur), wie Heide, Salzsteppe, Seestrand ete., 
besitzen innerhalb eines beschränkten Gebietes einen 
maximalen generischen Coöffieienten, 

Das Ergebniss wird zuverlässiger, wenn man Localitäten mit 
gleichgrosser Oberfläche in verschiedenen Regionen vergleicht. Dabei 
erhielt ich folgende Zahlen: 


Zahl der Zahlder Gener. 
Arten: Genera: Coöffieient: 


- Kalkabhang von Gagnerie . . . .„ 16 111 67%, 

„ vonKüh-Dungel, 1850-—2200m 150 104 69—70%, 
. Gneissabhang von Luisin . . . . 13 122 ro—11 

. Abhang von La Peulaz aufKalkschiefer 107 18 73%), " 
. Kalkabhang von Küh-Dungel zwischen 

1850 und 200m. ..... ı1 85 79, 


Localität: 


wm 


[> ı Bu" © 


Dv.FloreduhautbassindelaSallanche und du Trientl,c. pag.43. 


373 


Zahl der Zahl der Gener. 


Localität: Arten: Genera: Coöfficient: 
6. Westabhbang des Reculet. . . . . 92 73 80%, 
7. Gipfel des Grand Colombier . . .„ 110 84 80 „ 
8. Kalkabhang von Barberine . . . . 114 93 8I, 
9. Abhang auf Glanzschiefer am Ufer der 
Viege ob Stalden a  \2;) 70 8, 
10. Ostabhang des Grand Colombier . . 106 90 85 „ 


Obschon eine Schätzung immer schwierig und subjectiv ist, 
glaube ich doch die vorstehenden Localitäten von der ökologisch 
complexesten zur einheitlichsten geordnet zu haben. 

Das Resultat dieser zweiten Tabelle deckt sich also vollständig 
mit dem früher erhaltenen. In grossen Zügen zeigen die beiden 
Tabellen klar: der generische Coöffieient ist höher im Jura als in den 
Alpen, höher wenn nur eine Formation berücksichtigt wird statt 
mehrerer, noch höher für eine Weide der alpinen Region des Jura, 
als eine der Alpen bei gleicher Oberfläche. 

Es bestelt also in der That eine eonstante Beziehung, die den 
Charakter eines Gesetzes hat, zwischen der ökologischen Mannigfaltig- 
keit und dem generischen Üoöffieienten. Dieses Gesetz ist zu 
formuliren: Der generische ÜCoöfficient st umgekehrt 
proportional der Mannigfaltigkeit der ökologischen 
Verhältnisse. 

Das scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu stehen mit 
unserm ersten Gesetz, nach dem der Artenreichthum proportional ist 
der ökologischen Mannigfaltigkeit. Aber, wie man leicht constatiren 
kann, ist eben der generische Coöfficient innerhalb weiter 
Grenzen unabhängig vom Artenreichthum. So besitzen z.B. 
der Abhang von Gagnerie auf Kalk und der von Luisin auf Gneiss 
(sonst gleich nach Exposition, Neigung und Höhe) beinahe gleichviel 
Arten; aber trotzdem ist für den ersteren der generische Coöfficient 
um 4°, kleiner als für letzteren. Anderseits sind die gener. Co£ff. von 
La Peulaz (No. 4) und Luisin (No. 8) fast identisch, trotzdem ihre Arten- 
zahl sehr verschieden ist, 107 resp. 173. Uebrigens ist die Zahl der 
Arten innerhalb der alpinen Genera so verschieden, dass schon a priori 
eine weitgehende Proportionalität zwischen Zahl der Genera und Zahl 
der Arten ausgeschlossen erscheint. 

Man ist sehr erstaunt über das verschiedene Verhalten der Arten 
gewisser Genera an verschiedenen Localitäten. 80 fand ich z. B. am 
Westabhang von Gagnerie (Dents du Midi) ungefähr ein Dutzend 
Gentianen und ungefähr 10 Weiden; auf dem Gneiss des gegen- 


374 


überliegenden Abhanges dagegen keine einzige Weide. Anderseits 
beobachtete ich auf der Moräne des Feegletschers und ebenso im 
Hintergrund des Vallon de Nant unterbalb der Dent de Morcles wieder 
ungefähr 10 Weiden. Der Hintergrund des Binnthales besitzt un- 
gefähr 30 Arten, Hybriden und Varietäten aus der Gattung Hieracium. 

Dieses Fehlen gewisser Genera auf Localitäten, wo man sie 
doch erwarten könnte, einerseits, die ungewöhnliche Zahl der Arten 
anderseits ist in den Alpen gar nicht selten. 

Gleichwohl scheinen die Anforderungen der verschiedenen alpinen 
Arten cines und desselben Genus an ökologische Bedingungen 
(wenigstens soweit wir diese präcisiren können) in gleichen Maasse 
zu differiren, wie die der Arten verschiedener Genera. ‚Jedenfalls 
kann man leicht constatiren, dass die alpinen Arten aus den Gattungen 
Primula, Potentilla, Saxifraga, Gentiana je ebenso verschiedene An- 
forderungen stellen wie die Arten aller fünf Gattungen zusammen. 
In gleichem Sinne spricht die Thatsache, dass im Verhältniss zur 
grossen Zahl der alpinen Arten die Zahl der exclusiv alpinen Gattungen 
kaum in Betracht fällt. 

Es erhebt sich nun die schon oben bei der Besprechung der 
Häufigkeitsverhältnisse gestreifte Frage, ob sich in der Natur quan- 
titativ und qualitativ verschiedene Variationsursachen finden 
lassen, von denen die eine specifische'), die andere die gene- 
rische!) Mannigfaltigkeit bestimmt, 

Eine Thatsache drängt sich in jedem Fall auf. Im Coneurrenz- 
kampf, der zwischen den zahlreichen Arten, welche einem bestimmten 
Standort, z. B. der alpinen Weide, sich anpassen könnten, entsteht, 
werden die verschiedenen Arten ein und desselben Genus grössten- 
theils verdrängt durch Arten verschiedener Genera. In einer so dichten 
Formation, wie alpine Weide, wirkt die Concurrenz in der Richtung 
der Elimination des Aehnlichen und der Bevorzugung der Contraste. 

Der Schluss, zu dem wir durch das Studium der Pflanzenver- 
theilung gelangen, ist also im Wesentlichen nichts Anderes als eine 
allerdings unerwartete Consequenz des grossen Gesetzes der natfür- 
lichen Selection. Die Resultante einer Anzahl äusserer Fac- 
toren wirkt als Seleetionsursache, nicht auf die einzelnen Species, 
sondern auf die Gruppirung der Arten, auf den Bestand. 

Es ist auch hier, wie bei der Selection überhaupt, zu unter- 
scheiden zwischen in den Organismen selbst liegenden 


1) Art und Genus mehr auf physiologische als auf taxinomische Merk- 
male begründet. 


375 


inneren Ursachen und der Wirkung äusserer Factoren, gegen 
die sich die Organismen rein passiv verhalten. 

Nun ist aber für die Vertheilung der Arten auf der alpinen 
Weide, die Wirkung der in den Pflanzen selbst liegenden 
Ursachen auf ein Minimum reducirt. Wenigstens können wir nicht 
nachweisen, dass die eine oder andere Art dem betrachteten Forma- 
tionstypus besser oder weniger gut angepasst sei; denn für sich allein 
scheint jede auf der Weide gleich gut gedeihen zu können. Die un- 
endliche Mannigfaltigkeit in der Gruppirung der Arten an verschiedenen 
Localitäten muss also vor Allem zurückgeführt werden auf äussere 
Faetoren, d. h. auf secundäre Unterschiede in den ökologischen 
Factoren oder ihrer Gruppirung. Selbstverständlich müssen minime 
Differenzen in den Ansprüchen der Arten ebenfalls vorhanden sein. 
Aber die secundären Factoren schliessen keine der concurrirenden 
Arten absolut aus; da sie aber bestimmte Arten begünstigen, wird 
durch sie an jedem Punkt der alpinen Weide aus der Zahl der con- 
eurrirenden möglichen Arten eine bestimmte Gruppe ausgewählt. 

Wenn meine Ueberlegungen richtig sind, so ergibt sich der 
definitive Schluss: In der Hauptsache ist die Vertheilung 
und Gruppirung secundärer ökologischer Factoren die 
Ursache der Vertheilung der Arten, und die auffallenden 
localen Veränderungen in der Zusammensetzung der alpinen Weide 
sind das Resultat der Gruppenauslese durch äussere Ursachen. 

Wie wir nachgewiesen haben, besteht also in der Vertheilung der 
Arten eine unerwartete Gesetzmässigkeit, die ihren Ausdruck findet 
in zahlenmässigen Beziehungen, wie: das Verhältniss zwischen dem 
generischen Coöffieienten und der Mannigfaltigkeit der ökologischen 
Bedingungen; die relative Constanz des Gemeinschaftscoöfficienten; 
das constante Verhältniss zwischen dem Artenreichthum eines Gebietes 
und seiner ökologischen Mannigfaltigkeit. Weitere Beziehungen, wie: 
das Verhältniss zwischen Zahl der Arten und individueller Frequenz, 
die Beziehungen der generischen Coöfficienten der Choripetalen, 
Gamopetalen und Apetalen etc. gegenüber dem allgemeinen gene- 
tischen Coöfficient, gedenke ich in einer spätern Arbeit zu behandeln. 

Im Einzelnen sind diese gesetzmässigen Beziehungen nicht 
bedingt durch wesentliche innere Eigenschaften der Arten, man muss 
vielmehr annehmen, dass ihre Ursachen in der Vertheilung der 
äussern Factoren selbst liegen. Die beobachteten phytostatischen 
Variationen sind also in der Hauptsache zurückzuführen auf ausser- 
halb der Organismen liegende Ursachen. 


376 


Resums der Kapitel VI und VII. 


6. Zwischen den verschiedenen verglichenen Localitäten der Alpen 
und des Jura nähert sich der Gemeinschaftscoöfficient der Floren einem 
Mittel, das für die betreffende Region charakteristisch ist. 

7. Die verschiedenen Gemeinschaftscoöficienten mehrerer Locali- 
täten innerhalb eines Gebietes sind nicht durch Ubiquisten, sondern 
durch wechselnde Artengruppen bedingt. 

8. Die relative Anzahl der Ubiquisten innerhalb eines gegebenen 
Gebietes (d. h. derjenigen Arten, die auf allen oder fast allen Locali- 
täten desselben gefunden werden) ist äusserst gering. 

9. Der generische Coöfficient ist umgekehrt proportional der Mannig- 
faltigkeit der ökologischen Verhältnisse des betrachteten Gebietes. 


VI. Schluss. 


Die Vertheilung der Arten in der alpinen Region ist im Wesent- 
lichen bestimmt durch die gegenwärtigen ökologischen Bedingungen. 

In dem betrachteten Gebiet ist die Anzahl der streng locali- 
sirten Arten nicht bedeutend. Unter diesen alpinen Arten mit be- 
schränktem Areal kann man zwei Gruppen unterscheiden: 

1. Tertiäre Arten, Diese sind sehr constant, variiren kaum 
mehr und breiten sich nicht weiter aus. Sie beschränken sich auf 
die Erhaltung ihres jetzigen Areals, in dem sie schon sehr lange 
existiren. 

2. Junge Varietäten. Diese bilden sozusagen locale 
Endemismen, welche noch nicht genügend als Arten fixirt 
sind, um neue Gebiete zu erobern. 

Im Allgemeinen bewohnen die Arten der ersten Kategorie 
Standorte, an denen specielle Verhältnisse vorherrschen, wo also nur 
ein beschränkter Concurrenzkampf stattfindet. Diese Arten sind fast 
die einzigen, deren jetzige Verbreitung auf alte, historische Be- 
dingungen zurückzuführen ist. 

Die locale Vertheilung der grossen Mehrzahl der alpinen 
Arten ist das Resultat eines Concurrenzkampfes zwischen denselben, 
bei dem die jetzigen ökologischen Verhältnisse den Ausschlag geben. 
Jede Localität besitzt in That und Wahrheit nur eine kleine Zahl 
derjenigen Arten, welche sie „beherbergen“ könnte, 

Selbst die gemeinsten Arten haben eine mehr oder weniger spora- 


dische Verbreitung, und nur eine sehr kleine Zahl sind wirkliche 
Ubiquisten. 


377 


Für jeden Punkt der alpinen Region bestehen zwischen der Ver- 
theilung der Arten und den ökologischen Verhältnissen bestimmte 
constante Beziehungen, die den Charakter von Gesetzen haben. 
Diese Beziehungen sind zweierlei Art. Die einen sind rein nume- 
risch, nämlich: . 

1. Zwischen der Mannigfaltigkeit der ökologischen Verhältniss 
und der Anzahl der Arten eines bestimmten Gebietes (Gesetz des 
Artenreichthums). 

2. Zwischen der Analogie der ökologischen Verhältnisse zweier 
Loeslitäten und der Zah] der beiden gemeinsamen Arten (Gesetz der 
Gemeinschaftscoöffieienten). 

Die andern sind zugleich numerisch und speeifisch. Hierher 
gehört besonders die Abhängigkeit des Verhältnisses zwischen der Zahl 
der Genera und der Zahl der Arten von der Mannigfaltigkeit der 
ökologischen Bedingungen (Gesetz des generischen Coefficienten). 
Dieses Gesetz zeigt uns, dass die verschiedenen Arten ein und desselben 
Genus im Concurrenzkampf sich gegenseitig schärfer anschliessen, als 
die Arten verschiedener Genera. 

In dem Maasse, wie ein Standort einförmiger wird, lässt 
sich eine viel raschere Abnahme der Zahl der Arten als die Zahl 
der Genera beobachten. Und wenn schliesslich die ökologische Ein- 
förmigkeit ein Maximum erreicht, gehören die bleibenden Arten des 
Bestandes ebenso vielen verschiedenen Genera an. 

Diese Thatsache, welche ein Analogon findet in der Flora der 
Inseln, wo die monotypen Genera vorherrschen, gestattet uns, das 
Genus nicht nur als eine mehr oder weniger willkürliche systema- 
tische, auf taxinomische Merkmale gegründete Einheit zu betrachten, 
sondern auch als eine reelle ökologischeEinheit mit bestimmten 
innern Werth. 


Lausanne (Schweiz), März 1902. 


Die Verschiebungen an Helianthusköpfen im Verlaufe ihrer 


Entwiekelung vom Aufblühen bis zur Reife. 
Von 
B. Leisering. 
Hierzu Tafel XIII—XV. 


Einleitung. 

Der wichtigste Theil des Schwendener’schen Werkes (II) 
über „Die mechanische Theorie der Blattstellungen* beschäftigt sich 
mit den Verschiebungen, die in einem System von einander berührenden 
Organen eintreten müssen, wenn das Mutterorgan, an dem dieselben 
befestigt sind, ein in einem Sinne vorwiegendes Wachsthum zeigt, 
also stärker in die Breite, als in die Länge wächst, oder umgekehrt. 
Schwendener wies mit Hilfe des Dachstuhlprineipes nach, dass 
bei solchem einseitig geförderten Wachsthum ein Wechsel in den 
Contaetlinien eintreten muss, und dass damit stets eine Aenderung in 
der Divergenz, d. h. dem Winkelabstand je zweier auf der Grund- 
spirale der Bezifferung nach auf einander folgender Organe nothwendig 
verknüpft ist. Es gelang ihm, auf diesem Wege die hohe Annäherung 
der Divergenzen an den Grenzwerth des goldenen Schnittes, wie sie 
bei manchen Compositenköpfehen vorkommt, zu erklären. Den 
gleichen Effect, wie die Dachstuhlverschiebungen, hat in Betreff der 
Divergenzänderungen das Kleinerwerden der Organe, das ebenfalls 
ausführlich von Schwendener behandelt und auf die Prineipien 
der Dachstuhlverschiebungen zurückgeführt wird. Auf eine nähere 
Auseinandersetzung der Beweise Schwendener’s verziehte ich; die 
Kenntniss der mechanischen Theorie der Blattstellungen in ihren 
Grundzügen muss vorausgesetzt werden. Solche Botaniker, die mit 
ihr weniger bekannt sind, finden eine klare und kurze Darstellung 
der Hauptsätze derselben aus der Hand Weisse’s in Göbel’s (D) 
„Organographie*. 

Die Lehre Schwendener’s von den Verschiebungen ist nicht 
unangefochten geblieben. Die Einwände, die gegen sie erhoben 
wurden, richteten sich einerseits gegen die theoretischen Deductionen 
ihres Autors. Zunächst trat C. de Candolle (I) auf mit der Be- 
hauptung, seitliche Verschiebungen, wie Schwendener sie annehme, 


1) Die römischen Ziffern hinter den Autorennamen beziehen sich auf das 
Litteraturverzeichnise am Schluss der Arbeit, 


379 


seien nicht nothwendig, die Organe könnten ebenso gut bei vor- 
wiegendem Längen- oder Breitenwachsthum der Achse sich in senk- 
rechten Linien heben oder senken, ohne ihre seitlichen Divergenzen 
nur im Geringsten zu ändern. 

Der zweite, der sich in einer längeren Kritik der Beweisführung 
Schwendener’s erging, war Schumann (Il), der als Ergebniss 
seiner theoretischen Betrachtungen bezeichnet, „dass das Dachstuhl- 
gesetz Schwendener’s, auf Grund dessen bei verschiedenen 
Maassen von Längen- und Dickenwachsthum in einem Organsysteme 
Verschiebungen eintreten müssten, nicht richtig sein kann. . . .* 

Auf diese theoretischen Einwände hat Schwendener (II, VD 
zwei Mal ausführlich erwidert; ich verzichte daher darauf, hier des 
Näheren auf dieselben einzugehen. 

Doch nicht nur die theoretische Beweisführung Schwendener’s 
wurde angegriffen, sondern auch die praktische; d. h. es wurden die 
Beobachtungen, die er in seiner Arbeit als Belege für das thatsäch- 
liche Vorkommen der Verschiebungen in der Natur vorgeführt hatte, 
als irrthümlich hingestellt. Diese Zweifel an der Richtigkeit resp. 
Stichhaltigkeit der von Schwendener vorgebrachten Beobachtungs- 
thatsachen wurden ungefähr gleichzeitig von Schumann (ll, in 
Beireff der Pandanaceen bereits in I) in der oben bereits erwähnten 
Arbeit und von Jost (I) in der Bot. Zeitung ausgesprochen. 

Schwendener hatte als Beispiele für die Divergenzänderungen 
an Systemen mit vorwiegendem Längenwachsthum die Pandanaceen !) und 
die Laubtriebe der Coniferen angeführt, für solche mit vorherrschendem 
Breitenwachsthum die Köpfchen von Compositen, speciell Helianthus 
annuus. Bei allen diesen Objeeten suchten Jost und Schumann durch 
Beobachtungen die Ergebnisse Schwendener’s als völlig hinfällig 
nachzuweisen. Schumann fasst seine Resultate in die vernichtenden 
Worten zusammen (1. e. pag. 268): „Aus meinen Beobachtungen an den 
Compositenköpfchen, sowie aus meinen Messungen und Versuchen an 
wachsenden Nadelholzzweigen geht mithin unbedingt hervor, dass die 
von Schwendener berechneten, durch Prüfung der in der 
Natur vorliegenden Verhältnisse aber nicht genügend bestätigten Ver- 
schiebungen der Berührungszeilen nicht stattfinden.“ 
Und Jost kommt, vor Allem in Betreff der Coniferen, zu genau dem- 
selben Urtheil. 

Was nun zunächst die Frage bei den Pandanaceen und den 
Coniferen anbetrifft, so verzichte ich auf eine nähere Besprechung oder 


1) Ges, bot, Mitth, I. 8. 169. 


380 


Kritik, da ich mich mit der Blattstellung dieser Pflanzengruppen nicht 
beschäftigt habe, also auch kein Urtheil darüber aussprechen möchte. 
Schwendener hat in seinen Erwiderungen gegen Schumann die 
Pandanaceenblattstellung mehrfach ausführlich besprochen und auch 
für die Coniferen neues Beobachtungsmaterial vorgebracht. 

Dagegen möchte ich näher eingehen auf die Compositen, da die 
nachfolgenden Untersuchungen sich mit den Blüthenköpfen von Heli- 
anthus beschäftigen werden. 

Schwendener (I) hatte in der vorläufigen Mittheilung, die er 
seiner „Mechanischen Theorie . .. .* vorangehen liess, über die Ver- 
schiebungen bei Helianthus Folgendes gesagt: „In einer Blüthenknospe 
von Helianthus annuus, deren Scheibe ca. 34mm Durchmesser hatte, 
kreuzten sich die 2ler und 34er Zeilen nahezu rechtwinklig und die 
Blüthenanlagen hatten eine stumpfkantig-quadratische Form. Organ O 
war also einerseits in Contact mit Organ 21, anderseits mit 34; in 
der mittleren Richtung berührten sich kaum die Kanten von O und 55. 
In der ausgewachsenen Sonnenblume dagegen ist zunächst dem Rande 
der Contact zwischen O und 21 ausnahmslos ganz, derjenige zwischen O 
und 34 wenigstens zum Theil und bei grösseren Exemplaren ebenfalls 
ganz aufgehoben, indem die Hauptcontactlinien jetzt den 55er und 
89er Zeilen entsprechen.... Voraussichtlich würde die Vergleichung 
der früheren Jugendzustände noch grössere Unterschiede ergeben.“ 
In seinem Hauptwerk kommt Schwendener auf diese Ver- 
schiebungen bei Helianthus nicht wieder zurück. 

Gegen die Stichhaltigkeit der angeführten Beobachtungen wenden 
sich nun sowohl Schumann wie Jost mit der Bemerkung, dass 
diese Messungen gar nicht vergleichbar wären. Schumann (I) 
führt des Näheren aus, dass bei beliebig herausgegriffenen Sonnen- 
blumen zur Zeit, wenn sie noch ganz junge Köpfe von wenigen Millimetern 
Durchmesser besitzen, oft bereits die 55er und 89er Zeilen vorhanden 
seien, also dasjenige Stellungsverhältniss, welches Schwendener 
bei seinem reifen Exemplare vorgefunden habe, und dass umgekehrt bei 
ausgewachsenen Köpfen nicht selten 2ler und 34er, ja sogar manchmal 
niedrigere Ziffern als Contactzeilen vorkämen. Aus diesem Grunde sei 
ein Vergleich je eines jungen und alten Exemplares nicht statthaft. 

Er selbst führt dann eine Reihe von Zählungen an jungen und 
alten Köpfen vor, aus denen seiner Meinung nach hervorgehen soll, 
dass eine Verschiebung in Schwendener’s Sinne „im höchsten 
Maasse unwahrscheinlich ist“. Er findet im Jugend- und Endstadium 
dieselben Parastichenzahlen. 


881 


Diese Erwägungen in Betreff der Vergleichbarkeit der Schwen- 
dener’schen Daten erhalten einen Schein der Berechtigung durch den 
Umstand, dass aus den oben eitirten Worten Schwendener’s hervor- 
zugehen schien, dieser habe wirklich nur je ein oder wenige Exemplare 
der verschiedenen Altersstufen mit einander verglichen. Dass dies 
nicht der Fall war, sondern dass er eine sorgfältige Methode bei der 
Anstellung der Vergleichung angewandt hatte, geht erst aus der 
nachträglichen Mittheilung Sehwendener’s hervor, die er über 
diesen Punkt in seiner Erwiderung auf Schumann’s Kritik gab 
(1899). Dort beschreibt er die Methode der Vergleichung folgender- 
maassen (pag. 900): 

„Nachdem ich eine Reihe von Aufnahmen junger Helianthus- 
Köpfe, sowohl endständiger wie seitenständiger, gemacht und mich 
endlich überzeugt hatte, dass die untersuchten Jugendstadien in Bezug 
auf die Zahl der Contactlinien nicht übereinstimmen, liess ich im 
' folgenden Jahre ein kleines, gut vorbereitetes Stück Land mit Sonnen- 
rosen bepflanzen und prüfte dann die Terminalköpfe, sobald sie an- 
gelegt waren, auf ihre Vergleichbarkeit. Hierbei ergab sich, dass 
von fünf Köpfen mindestens vier für die Contactlinien randständiger 
Blüthen dieselben Zahlenverhältnisse darbieten, und ebenso erwiesen 
sich die späteren Stadien mit ungefähr gleichem Procentsatz als ver- 
gleichbar.“ Schumann’s Messungen hält Schwendener seiner- 
seits für durchaus nicht vergleichbar. Dasselbe meint er auch von 
Jost’s Befunden an Chrysanthemum Leucanthemum, die dieser auf 
ungefähr dieselbe Methode wie Schumann erhalten hatte. 

Um die Frage jedoch definitiv auf diesem Wege zu entscheiden, 
veranstaltete Schwendener im vorigen Jahre eine Wiederholung 
des schon einmal von ihm angewandten soeben mitgetheilten Ver- 
fahrens. Die Resultate sind in einer besonderen kleinen Abhandlung 
veröffentlicht; sie fielen nicht übermässig günstig aus deshalb, weil 
die Exemplare trotz möglichst gleichmässiger Behandlung eine recht 
grosse Variabilität zeigten, die der Vergleichbarkeit natürlich ziemlich 
hindernd in den Weg trat. Immerhin geht aus den Tabellen mit 
einiger Sicherheit hervor, dass Contactwechsel im Laufe der Ent- 
wickelung eintritt: „Terminalköpfe, bei denen im Jugendstadium bei 
einem Scheibendurchmesser von 2,5—3,5 mm die 34er und 55er Zeilen 
häufig als Contactlinien fungiren, zeigen z. B. später nur noch Ööer 
und 89er; die 34er sind durchgehends zurückgetreten“ (VI. pag. 1057). 

Wenn nun auch auf diesem indireeten Wege ein völlig stich- 


haltiger Nachweis der Verschiebungen bei Helianthusköpfen erbracht 
Flora 1902. 25 


382 


ist, so kann doch ein Verlangen nach einem direeten Beweise nicht 
unterdrückt werden. Die Gegner jeder Verschiebungslehre werden 
solchen Vergleichen von Durchschnittszahlen stets ein ungläubiges 
Misstrauen entgegenbringen und an allerhand mögliche Täuschungen 
und Irrthümer denken, zumal, wenn die Vergleichszahlen so geringe 
Unterschiede ergeben, wie bei der Helianthusuntersuchung, von der 
soeben berichtet wurde. 

Derartige Versuche, Verschiebungen durch directe Beobachtungen 
an einem umd demselben Kopf nachzuweisen, sind nun in der That 
bereits vorgenommen worden, und zwar wiederum von Schumann. 
Er verfuhr dabei im Wesentlichen folgendermaassen: 

Bei solchen Köpfen, welche bereits soweit entwickelt waren, 
dass sie einen Zutritt durch den Hüllkelch zu ihrer inneren Ober- 
fläche zuliessen, die also schon einen Durchmesser von 38,5—4 cm be- 
sassen, brachte er mit Tusche „einen dünnen Strich der Richtung 
der Spreuschuppen folgend über die ebene Fläche von aussen nach 
innen“ an, indem er die Blätter des Hüllkelches so weit zurückbog, 
dass er bequem zu der Oberfläche gelangen konnte. Dann control- 
lirte er den Strich öfter bis zu dem Zeitpunkt, wo die Köpfchen etwa 
den doppelten Durchmesser, 6—8cm, erreicht hatien. Er fand dabei 
nun, dass „eine Verbiegung der geraden Linien in keinem Fall con- 
statirt werden“ konnte (II. pag. 208). Da solche Verbiegungen aber 
seiner Ansicht nach eine nothwendige Consequenz der Schwen- 
dener’schen Theorie sein sollen, so fällt mit seinem negativen 
Befund auch der ganze Theil der Theorie, welcher sich auf diese 
Veränderungen bezieht, von selbst in Niehts zusammen. Auf die Be- 
schreibung seiner ganz ähnlichen Versuche bei Rudbeckia kann ich 
verzichten, da diese Pflanze nicht in den Bereich meiner Untersu- 
chungen gezogen wurde. 

Da hätten wir ja nun einen scheinbar völlig logischen und un- 
widerleglichen Beweis, dass sich wirklich an den Helianthusköpfen 
nichts verschiebt! Wird doch die ganze Schumann’sche Kritik 
einschliesslich der soeben beschriebenen Versuche und Schlussfolge- 
rungen von anderer Seite für „völlig einwandfrei“ erklärt! Doch sehen 
wir zu, ob dieser Beweis in der That so vernichtend ist, wie er einem 
unkundigen Leser auf den ersten Blick erscheint. 

Zunächst fragt es sich, ob wirklich, wie Schumann meint, 
nach der Schwendener’schen Theorie bei seinem Versuch Ver- 
schiebungen hätten zu Tage treten müssen. Und da erkennen wir 
obne grosse Schwierigkeit, dass sich in die theoretischen Erwägungen, 


383 


die Schumann der Darstellung seines Versuches voranschickt und 
auf denen diese fusst, ein sehr schwer wiegender directer Fehler ein- 
geschlichen hat, der den Verfasser zu einer völligen Verkennung des 
Problems geführt hat. Dieser Fehler steckt nämlich darin, dass 
Sehumann den Begriff des Längenwachsthums der Achse bei den 
Blüthenscheiben falsch aufgefasst hat. Er überlegt nämlich etwa 
folgendermaassen:: Bei Coniferenzweigen besteht nach Schwendener 
ein vorwiegendes Längenwachsthum, dasselbe besteht darin, dass der 
Stengel allmählich ein Vielfaches seiner ursprünglichen Länge er- 
reicht, während der Durchmesser des Zweiges wenig zunimmt, jeden- 
falls viel weniger, als seine Länge. Das Gegentheil hiervon haben 
wir nun offenbar bei den Sonnenblumen, oder allgemein bei scheiben- 
förmig sich entwickelnder Achse, denn dann ist deren Zunahme in 
der Längsrichtung, d.h. das Wachsthum der Höhe der Scheibe, ver- 
schwindend gegenüber ihrem Breitenwachsthum. Doch hören wir 
Schumann selbst (pag. 266): „Die Zunahme der Höhe in einem 
Köpfchen ist im Verhältniss zur Wachsthumszunahme in der horizontalen 
Richtung so ausserordentlich gering, dass wir die erstere gleich 0 
setzen können.“ Noch deutlicher geht seine Auffassung über Längen- 
und Breitenwachsthum an den Helianthusköpfen aus einer anderen 
Stelle hervor (pag. 265): „Ich habe gezeigt, dass ein plumper Vege- 
tationskegel, dessen Durchmesser und Höhe gleich sind, die Form 
eines Uhrglases annimmt, dass später ein umwallter Krater entsteht, 
der sich allmählich wieder in einen uhrglasförmigen und endlich flachen 
Körper umbildet. Der innere Abfall des Walles ist mit Blüthen 
bedeckt; der Körper erfährt eine dauernde Zunahme in die Breite. 
Unter der Voraussetzung, dass das Schwendener’sche Caleül 
richtig ist, müssen nothgedrungen in dem Rahmen dieser Gestalts- 
veränderungen auch schon Verschiebungen einsetzen, denn die beiden 
oben genannten Voraussetzungen (se. lückenloser Contact in den 
Organen und bevorzugtes Wachsthum in transversaler Richtung) sind 
erfüllt.“ 

Für Schumann liegt die Sache also mit anderen Worten so: 
Bei der Entwickelung der Helianthusköpfe ist das Längenwachs- 
thum gleich 0, oder höchstens gleich der Zunahme der Scheiben- 
dicke (-Höhe) vom Ansatz des Stieles gerechnet bis zur Oberfläche, 
das Breitenwachsthum .besteht in der Zunahme des Durch- 
messers der Scheibe. Damit ist natürlich für ihn bewiesen, dass 
während der ganzen Entwickelung des Kopfes ein sehr vor- 


wiegendes Breitenwachsthum stattfindet; und für ein solches 
25* 


384 


behauptet Schwendener Dachstuhlverschiebungen mit Auf- 
treten höherer Contactzeilen. 

Die Sache liegt jedoch ganz anders. Das Wachsthum in der 
Längsrichtung wird bei scheibenförmiger Achse für die auf derselben 
inserirten Organe repräsentirt durch die Vergrösserung des Ra dius 
der Scheibe, das Breitenwachsthum durch Zunahme der Peripherie. 
Die Peripherie wächst nun aber bekanntlich in genau demselben Ver- 
hältniss wie der Radius, bei doppeltem Halbmesser haben wir auch 
einen doppelten Umfang. Von einem vorwiegenden Breiten- 
wachsthum kann also keine Rede sein, solange die Organe in 
demselben Maasse an Durchmesser zunehmen, wie die Peripherie der 
Scheibe an Umfang. Ist dies während des ganzen Verlaufes der 
Entwickelung der Fall, so finden keine Verschiebungen statt, sondern 
die Scheibe wächst dann in derselben Weise, als ob sie mit der Lupe 
oder dem Mikroskop vergrössert würde. Wachsen dagegen die Organe 
langsamer im Durchmesser als die Peripherie, so haben wir ein vor 
dem Wachsthum der Blüthen vorwiegendes Breiten- 
wachsthum der Achse, d. h. der Scheibe, und dann und nur 
dann treten Verschiebungen ein. Das Wesentliche dabei ist also die 
Aenderung des Verhältnisses zwischen Organdurchmesser 
und Umfang der Scheibe, 

Aus diesen theoretischen Betrachtungen, die auch zum Ver- 
ständniss unserer eigenen ‘nachfolgenden Untersuchungen nicht ohne 
Werth sein werden, geht nun ohne Weiteres hervor, dass der negative 
Befund Schumann’s mittelst seiner Tuschestriche aueh nicht die 
geringste Beweiskraft besitzt, zumal da die Zeit, während der er die 
Beobachtungen anstellte, nur einen verhältnissmässig kurzen Abschnitt 
in der Entwickelung des Blüthenkopfes umfasste, nämlich nur die 
Zeit während der Zunahme des Durchmessers der Köpfe um 4 cm. 
In dieser Epoche kann das Wachsthum der Organe gerade zufällig 
ungefähr mit dem des Umfanges gleichen Schritt gehalten haben, 
was vielleicht früher oder später nicht der Fall war. 

Aber auch diese Annahme ist gar nicht nöthig; es ist durchaus 
nicht ausgeschlossen, dass doch Verschiebungen während der Be- 
obachtungsdauer eintraten, die nur in Folge der unvollkommenen 
Methode nicht bemerkt wurden. Wenige Worte werden dies erläutern: 
Eine „Verbiegung der geraden Tuschlinien“ bei seitlicher Ver- 
schiebung ist überhaupt gar nicht zu erwarten. Die Linie bleibt 
gerade und wird nur in ihrer Richtung abgelenkt. Auf eine solche 
Ablenkung in der Richtung hat aber Schumann, wie es scheint, 


385 


gar nicht geachtet, Auch wäre ihm wohl eine Constatirung einer 
solchen Verschiebung nicht ganz leicht geworden, da er die ursprüng- 
liche Richtung seiner Linien sich kaum so genau merken konnte, wie 
dies zur Constatirung kleiner Ablenkungen nöthig ist, und da somit ein 
präciser Vergleich nicht möglich war. Wir werden auf diesen Punkt 
der seitlichen Verschiebung seiner Tuschelinien noch nach Darstellung 
unserer Untersuchungen kurz zurückkommen. Vorläufig begnügen 
wir uns, erkannt zu haben, dass der Versuch Schumann’s direct 
Veränderungen an Helianthusköpfen nachzuweisen, aus mehreren 
Gründen als unvollkommen und nicht stichhaltig angesehen werden muss. 

Der Einzige, der einen derartigen Versuch wenigstens andeutungs- 
weise wiederholt hat, ist Schwendener. Dieser theilte in seiner 
Arbeit über „die Divergenzänderungen an Helianthusköpfen“ (1900) 
anhangsweise das Resultat einiger Messungen mit, die an denselben 
Köpfen zwei Mal nach einander mit einem Zwischenraum von etwa 
14 Tagen vorgenommen wurden. Die Köpfe waren schon bei der 
ersten Messung fast ausgewachsen, ihr Durchmesser war aber doch 
in der Zwischenzeit noch um etwa 28mm (im Durchschnitt) gewachsen. 
Aus den Zahlenangaben geht nun hervor, dass der Dachstuhlwinkel 
sich in der Zeit vom ersten zum zweiten Termin weiter geöffnet hatte, 
im Durchschnitt um ca. 7°. Diese Zahlen machen allerdings, wie 
Schwendener selbst zugibt, „keinen Anspruch auf Genauigkeit, 
da bei solchen Messungen kleinere Beobachtungsfehler kaum zu ver- 
meiden sind“. Wir werden nachher sehen, dass diese Beobachtungs- 
fehler doch nicht so klein sind, wie man zuerst anzunehmen geneigt 
ist, und wie auch der Verfasser damals annahm, als er als Assistent 
Schwendener’s die erwähnten Messungen ausführte. 

Doch ergab das Resultat dieser zweimaligen Messung für mich 
die Anregung, in diesem Jahre eine genauere und umfangreichere 
Wiederholung dieses Theiles der Untersuchung vorzunehmen und die 
Frage womöglich definitiv zu lösen, ob noch nach dem Er- 
blühen der Köpfe von Helianthus annuus sich Ver- 
schiebungen der Blüthen resp. Früchte an einem und 
demselben Exemplar im Verlaufe der weiteren Ent- 
wiekelung mit Sicherheit nachweisen lassen. 


Beohachtungsmethoden. 
Aus unserer obigen Kritik der Schumann ’schen Versuchs- 
anstellung ergibt sich mit Nothwendigkeit, dass es für die Durch- 
führung der Untersuchung von grösstem Vortheil wäre, wenn man 


386 


Anfangs- und Endstadien neben einander hätte, so dass man beide in 
Ruhe und mit aller wünschenswerthen Genauigkeit mit einander ver- 
gleichen könnte. Das einfachste und beste Mittel aber, sich von dem 
Anfangszustand ein völlig naturgetreues Bild zu bewahren, ist die 
Photographie. Daher beschloss ich, von mehreren Sonnenblumen 
zu verschiedenen Zeiten der Entwickelung Aufnahmen zu machen, 
wozu mir ein vorzüglicher, dem Berliner botanischen Institut gehöriger 
photographischer Apparat zur Verfügung stand. Für die freundliche 
Ueberlassung desselben zu unumschränkter Benutzung und für die 
freigebige Bereitstellung der Mittel des Institutes bin ich Herrn Geh. 
Rath Prof. Dr. Schwendener zu aufrichtigem Danke verpflichtet. 
Eine langjährige Uebung im Photographieren kam mir bei der Aus- 
führung der Aufnahmen recht zu statten. 

Ich liess nun in meinem Wohnsitz Pankow in der Gärtnerei von 
O. Puttlitz Ende April ein kleines Stückchen Land mit Sonnenblumen- 
samen beschicken. Von den aufgehenden Pflänzchen liess ich etwa 20 der 
kräftigsten stehen. Ihren Wuchs beförderte ich dadurch möglichst, 
dass ich ihnen im Laufe des Sommers noch einige Dunggüsse verab- 
folgen liess. Auch entfernte ich alle auftretenden Seitentriebe, damit 
die endständige Blume zu um so ansehnlicherer Grösse heranwüchse. 
So entwickelten sich denn auch unter dieser Fürsorge die Exemplare 
prächtig, so dass die grössten Scheiben den ganz beträchtlichen Durch- 
messer von etwa 80cm erreichten. Gegen das Ausfressen der Samen von 
Seiten der Vögel wurden die Köpfe nach dem Verblühen mittels 
Gaze zugebunden. 

Ausser den Pankower Pflanzen benutzte ich noch drei Sonnen- 
blumen im Universitätsgarten für die Untersuchung, die unten als 
Exemplar 19—21 aufgeführt sind. 

Was nun den Zeitpunkt der ersten Aufnahmen anbetrifft, so sind 
in dieser Hinsicht gewisse Grenzen gezogen, die nicht leicht über- 
schritten werden dürften. Darauf hat auch Schumann bereits hin- 
gewiesen (pag. 264). 

Bis zu dem Zeitpunkt des Aufblühens neigen nämlich die Hüll- 
blätter ganz dicht über der Scheibe zusammen und bilden einen sehr 
wirksamen Schutz für dieselbe. Sie verhindern natürlich einen Zu- 
tritt zur Oberfläche der Scheibe und müssen vor Herstellung einer 
photographischen Aufnahme beseitigt werden. Dies habe ich auch 
bei einigen Köpfen versucht. Ich schnitt sämmtliche Hüllblätter mit 
einem scharfen Messer an der Basis ab; die zu dieser Zeit noch sehr 
kurzen Zungenblüthen liess ich unversehrt. Der jüngste Kopf, den 


“ 387 


ich in dieser Weise behandelte, besass bei Ausführung der Operation 
einen Durchmesser von etwa 1,8cm. Waren die der schützenden 
Hülle beraubten Köpfe in ihrer Entwickelung schon etwas vorge- 
schritten, so ertrugen sie den doch recht schweren Eingriff wider 
Erwarten gut. Waren sie dagegen noch sehr jung, geringer im Durch- 
messer als etwa 4cm, so stellte sich sehr bald heraus, dass sie in 
ihrem Wachsthum zuerst ganz bedeutend beeinträchtigt wurden. Sie 
wuchsen nach der Operation zunächst überhaupt gar nicht weiter, 
sondern schrumpften merklich zusammen, wobei sich die Ränder der 
Scheibe unregelmässig verbogen. Später, nach Verlauf einiger Wochen, 
erholten sie sieh allerdings dann wieder soweit, dass sie ihr scheinbar 
sistirtes Wachsthum wieder aufnahmen, zur Blüthe gelangten und 
Samen ansetzten, wenn auch die Köpfe merklich kleiner blieben als 
die der übrigen weniger stark verletzten Exemplare. 

Wenn so einerseits eine zu frühe Entfernung der Hüllblätter mit 
"ernsten Gefahren für die weitere Entwickelung der Pflanze verknüpft 
war, so stellte es sich andererseits heraus, dass eine photographische 
Fixirung der Verhältnisse in diesem Stadium nur unvollkommen ge- 
lang. Zunächst nämlich erscheinen die einzelnen Blüthen und Para- 
stichen auf der Platte selbst bei einer Aufnahme in natürlicher Grösse 
so klein, dass von einer genauen Winkelmessung kaum mehr die 
Rede sein kann; auch sind in der Regel die Partieen am Rande der 
Scheibe, auf die es hauptsächlich ankommt, vor Allem nicht scharf 
und deutlich genug präcisirt. Dazu kommt, dass die Aufnahmen im 
Freien, am lebenden Kopf vorgenommen werden müssen. Es ist aber 
selten so windstill, dass die Pflanzen sich nicht, selbst wenn man sie 
festbindet, im Winde ein wenig hin- und herbewegen. Und da eine 
Momentaufnahme in natürlicher Grösse infolge des grossen Bildab- 
standes vom Übjeetiv selbst bei Anwendung sehr lichtempfindlicher 
Platten ausgeschlossen erscheint, so ist es nicht leicht und eine Sache 
des Zufalls, genügend scharfe Bilder von solchen ganz frühen Anfangs- 
stadien zu erhalten. 

Dazu kommt dann noch ferner, dass in diesem Alter die Spreu- 
blättchen die Blüthen verdecken. Diese Spreublättchen stehen zwar 
natürlich in denselben Parastichen wie die Blüthen, und die Winkel, 
in denen ihre Parastichen zusammenstossen, sind ohne Frage dieselben, 
wie bei jenen, aber auf der Photographie ist die Verfolgung der Zeilen bei 
den Spreublättchen oft sehr erschwert und manchmal beinahe unmöglich. 

Aus diesen Gründen fertigte ich bei den meisten Exemplaren 
die erste Photographie erst zu dem Zeitpunkt an, wo sich die Hüll- 


388 " 


blätter gerade öffneten oder ganz kurz vorher. Innere Hüllblätter 
und die jetzt sehr langen Zungenblüthen wurden vor der Aufnahme, 
wenn sie sich über die Scheibe herüberbeugten, am Grunde ab- 
geschnitten, was jetzt ohne Gefahr für die weitere Entwickelung des 
Kopfes geschehen konnte. 

Während der Blüthezeit werden die Schrägzeilen infolge des 
Wirrwarrs der dicht gedrängt stehenden Kronzipfel, Staubbeutel und 
Narben sehr undeutlich., Erst wenn die Blumenkronen sich mit 
Leichtigkeit von den unreifen Früchten abstreifen lassen, lohnt sich 
eine neue Aufnahme, da die Früchte die Parastichen natürlich ebenso 
deutlich zeigen, wie die Blüthen. Es wurden daher in diesem Stadium 
wenigstens von einigen Köpfen Aufnahmen gemacht und dann schliesslich 
nochmals je eine von den reifen abgeschnittenen Köpfen. Obgleich 
an diesen selbst die Winkel zwischen den Parastichen gemessen wurden, 
zeigte sich doch die Nothwendigkeit, Aufnahmen auch von diesem 
Endstadium zu besitzen, da die Köpfe bald beim Vertrocknen sich 
verkrümmen und für eine einwandfreie Vergleichung nicht mehr zu 
brauchen sind. 

Der Apparat wurde natürlich immer so aufgestellt, dass die 
Platte möglichst parallel der Stelle des Kopfes stand, auf die es 
ankam, da sonst die Winkel auf dem photographischen Bilde unrichtig 
wiedergegeben worden wären. Bei einer nach aussen convexen Gestalt, 
wie sie bei älteren Köpfen mehrfach vorkam, musste die Aufnahme 
demgemäss schräg von aussen erfolgen, und auf solchen Photographieen 
sind nur die Winkel in einer engbegrenzten Partie richtig auf der 
Photographie wiedergegeben. Und dies genügt ja auch für einen 
Vergleich, wenn es nur gelingt, dieselbe, wenn auch engbegrenzte 
Stelle auf den Photographieen der verschiedenen Entwickelungsstufen 
immer wieder zu finden, 

Und damit kommen wir zu der äusserst wichtigen Frage der 
Identifieirung derselben Stellen des Kopfes in den ver- 
schiedenen Entwickelungsstadien. Zunächst handelt es 
sich darum, ob und wie weit denn überhaupt eine derartige genaue 
Identificirung nöthig ist. Auf den ersten Blick sollte man meinen, 
dass, wenn man in der Peripherie, der Randgegend einer Scheibe, 
die Winkel zwischen den Parastichen misst, dann am ganzen Um- 
fang ungefähr, mit allerdings vielleicht kleinen Abweichungen, die 
gleichen Werthe erhalten werden müssten. Sobald man aber irgend 
einen beliebigen, scheinbar beim ersten Ansehen noch so regelmässigen 
Kopf daraufhin genauer betrachtet, erkennt man sofort, dass die Unter- 


889 


schiede in den Winkeln viel grösser sind, als man erwarten sollte. 
Bevor ich jedoch zur Mittheilung des Ergebnisses derartiger Betrach- 
tungen übergehe, halte ich es für angebracht, einige Bemerkungen 
über die Art der Winkelmessung zu machen. 

Der Winkel zwischen den Parastichen, der immer gemessen 
wurde, ist derjenige, welcher an den: Schnittpunkt der Parastichen 
nach der Peripherie des Kopfes zu sich öffnet, oder mit anderen 
Worten, der Winkel an der Spitze des Dreiecks, dessen Basis von 
der Peripherie des Kopfes, und dessen beide anderen Seiten von 
den Dachstuhlsparren, d. h. den Schrägzeilen, gebildet werden. Der 
Mittelpunkt einer Blüthe, resp. einer Frucht, wurde als Scheitel ge- 
nommen und die Richtung der oft ungleichmässig gebogenen Para- 
stichen in zweifelhaften Fällen dadurch bestimmt, dass die Verbindung 
zwischen den Mittelpunkten der beiden dem Scheitelorgan benach- 
barten Organe, d. h. etwa die Tangente an die gekrümmte Parastiche 
ausgezogen wurde. Auf den Photographien wurden diese Linien 
weiter verlängert und der eingeschlossene Winkel mit dem Trans- 
porteur gemessen. Einige der Photographien, die von Jugendstadien 
stammten und die Blüthen in besonders kleinen Dimensionen zeigten, 
wurden zwecks sicherer Winkelmessung vergrössert. Herrn Ober- 
lehrer G. Günzel zu Berlin, der mir die Vergrösserungen in liebens- 
würdigster Weise anfertigte, möchte ich auch hier meinen Dank da- 
für aussprechen. 

An den Köpfen wurde entweder in die Vertiefung zwischen 
zwei Samenreihen eine Stopfnadel in der Richtung der betreffenden 
Parastiche eingesteckt oder aber eine solche Nadel in der Richtung 
der oben beschriebenen Tangente über das betreffende Scheitelorgan 
gehalten, der Transporteur an die andere Parastiche angelegt und 
so an der Richtung der Stopfnadel der Winkel direkt abgelesen. 
Es ist zuzugeben, dass diese Methoden der Winkelmessung etwas 
unvollkommen sind und nicht absolut genaue Werthe liefern. Diese 
Ungenauigkeit, die in der Regel kaum den Betrag von etwa 1—2 
Graden überschreiten dürfte, fällt aber wenig in’s Gewicht gegenüber 
dem Umstand, dass oft die Richtung der Parastiche oder der Tangente 
an dieselbe in dem betreffenden Punkte sich nur angenähert be- 
Stimmen lässt. Meine Methode ist auf jeden Fall für unseren Zweck 
völlig ausreichend. Dass die Winkelmessung stets mit möglichster 
Objektivität ausgeführt wurde, braucht wohl kaum erst hervorgehoben 
zu werden, 

Führt man nun in der beschriebenen Weise rings an der Peri- 


390 


pherie eines Kopfes sehr viele Messungen aus, so kommt man, wie 
schon oben bemerkt, zu dem Ergebniss, dass die erhaltenen Werthe 
sehr stark von einander differiren. Zum Beispiel vergleiche man die 
Werthe mit einander, die unten von Exemplar No. 1, dem reifen 
Kopf, aufgeführt sind. Man sieht, dass die Werthe schwanken 
zwischen 61° und 101° und dass dazwischen alle nur möglichen 
Werthe vertreten sind; der Unterschied zwischen höchstem und 
niedrigstem Betrage ist hier = 40°. Bei anderen Köpfen ist dieser 
Unterschied etwas geringer, z. B. bei Exemplar 7, wo er 29° und 
Exemplar 15 (unter 3), wo er 24° beträgt, doch wird er selbst bei 
sehr regelmässigen Köpfen den Betrag von 20° stets erreichen. Die 
Schwankungen in der Grösse des Winkels vertheilen sich natürlich 
in der Weise auf den Umfang, dass in gewissen Regionen niedrige 
Werthe erhalten werden, die nach den Seiten hin zunehmen, und 
umgekehrt. Nichtsdestoweniger kommen, wie die unten mitgetheilten 
Beobachtungsreihen auf Schritt und Tritt beweisen, bäufig beträcht- 
liche Sprünge in den Winkelwerthen bei benachbarten Parastichen 
vor. Dies liegt dann an Störungen und unregelmässigen Ver- 
biegungen der Reihen, wie sie am Rande der Scheibe oft genug 
zu bemerken sind. 

Aus diesem Sachverhalt geht nun ohne Weiteres hervor, dass 
wir, wenn wir einen Vergleich zwischen den Winkelmessungen am 
Jungen und alten Kopf anstellen wollen, entweder auf Durchschnitts- 
messungen angewiesen sind oder aber ganz bestimmte Gegenden am 
Kopfe uns merken müssen. 

Doch noch ein Umstand ist zu berücksichtigen, dessen Ver- 
nachlässigung ebenfalls leicht zu einer Fehlerquelle werden kann, die 
Thatsache nämlich, dass bei derselben Parastiche die Winkel sehr 
verschieden gross sind, je nachdem man ganz aussen an der Peripherie 
oder etwas mehr nach innen misst. Ein Blick auf unsere schematische 
Pig. ı Taf. XIIIXTV, die die Verhältnisse in übertriebener Weise zur 
Darstellung bringt, wird die Sache deutlicher machen als alle weiteren 
Ausführungen. Man sieht ohne Zuhilfenahme eines Winkelmaasses 
mit blussem Auge, dass der Winkel bei a spitz, der bei b an der- 
selben Parastiche dagegen stumpf ist. Daraus ergibt sich die Noth- 
wendigkeit, die Messungen in genau gleicher Entfernung vom Rande 
der Scheibe vorzunehmen. Diese Forderung wurde erfüllt dadurch, 
dass immer z. B. das dritte Glied — in anderen Fällen das zweite 
oder vierte — der nach der einen Richtung gehenden Parastichen, 
sagen wir z. B. der 89er Zeilen, bei den Messungen ringsum am 


891 


Kopf sowohl an der Photographie als am reifen Exemplar als Centrum 
der Winkelmessung gewählt wurde. Dann sind wir sicher, auch in 
dieser Beziehung vergleichbare Werthe zu erhalten. 

Doch — so wird hier vielleicht Mancher einwenden — wozu 
alle diese Betrachtungen und Erwägungen? Wenn man die Pho- 
tographieen aufmerksam vergleicht, so wird es sicherlich ein 
Leichtes sein, dieselbe Gegend am Kopf herauszufinden, ja sogar 
jedes Organ genau zu bezeichnen! Auch ich hielt diese Aufgabe zu- 
nächst für nicht zu schwer. Ich dachte, mittelst der Stellung und Form 
der Hüllblätter würde es nicht schwierig sein, immer dieselben 
Gegenden herauszufinden. Bald jedoch sah ich, dass dem nicht so 
war. Im Verlaufe des Wachsthums verändern die Hüllblätter ihr 
Aussehen manchmal völlig, so dass eine Orientierung nach ihnen 
nicht mehr möglich ist. Und die Blüthen resp. Früchte auf der 
Scheibe sahen einander meist so ähnlich, wie ein Ei dein anderen. 

Ich suchte mir nun auf verschiedene Weise zu helfen, zunächst 
dadurch, dass ich bei der Entfernung der Hüllblätter behufs Sichtbar- 
machung der Scheibe einen Theil derselben stehen liess, so, wie dies auf 
den in Figg.2 und 4 Taf. XIIL/XIV wiedergegebenen Photographieen von 
Exemplar 6 und 15 zu sehen ist. Die unversehrt gebliebenen Hüll- 
blätter gaben mir natürlich am reifen Kopf ziemlich genau die Stelle 
au, wo die zu vergleichenden Messungen auszuführen waren. Dann 
versuchte ich noch genauere Bezeichnungen bestimmter Stellen her- 
beizuführen durch Einstecken selbstverfertigter feinspitziger Glasnadeln. 
Dies gelang mir jedoch nicht, da die Nadeln in das doch ziemlich 
resistente Gewebe der Köpfe nicht ordentlich eindrangen, sondern in 
der Regel abbrachen, auch sehr wenig sichtbar und auf der Photo- 
graphie kaum wieder zu entdecken waren. Was mir mit den Glas- 
nadeln nicht glücken wollte, gelang um so besser mit lackirten In- 
sektennadeln, die ich an der Peripherie der Köpfe einsteckte. Durch 
die Lackierung war ein Rosten ausgeschlossen, der Kopf wurde durch 
den Stich kaum beeinträchtigt, und die Nadeln markirten sich auf 
den Platten sehr deutlich. 

Das beste Mittel schliesslich, ganz bestimmte Stellen wieder zu 
erkennen, bot sich in den günstigsten Fällen in Unregelmässigkeiten 
in der Ausbildung der Blüthen, vor Allem in dem Aufhören be- 
stimmter Reihen, wie das ja fast an jedem Kopf an mindestens einer 
Stelle vorkommt, oder in der Verwachsung zweier Organe mit 
einander, Darauf werden wir in der Besprechung der einzelnen 
Köpfe noch näher zurückkommen. 


392 


Aus alledem ergibt sich, dass bei den nuu folgenden Messungen 
bei mangelnder genauer Identifieirung Durchschnittszahlen mit einander 
verglichen werden mussten, dass aber in den günstigeren Fällen eine 
genauere Festlegung ganz bestimmter Organe erreicht werden konnte. 


Bericht über die vergleichenden Messungen des Dachstuhlwinkels. 


Die Sonnenblumen, die ich in den Bereich meiner Untersuehungen 
zog, d. h. photographirte, bezeichnete ich in der Reihenfolge, wie 
dies geschah, nit Nummern. Ich halte es daher für angebracht, die 
Exemplare in dieser Reihenfolge auch zu besprechen. Bei jedem 
Exemplar wird zuerst eine kurze Beschreibung der mit ihm vor- 
genommenen Manipulationen und der charakteristischen Eigenthümlich- 
keiten des betreffenden Kopfes gegeben, dann die Daten der Messungen 
aufgezählt und schliesslich das Facit aus diesen Messungen gezogen 

Ueber die Art der Winkelmessung ist schon oben berichtet, 
worden; der Durchmesser der mit Blüthen besetzten Scheibe wurde 
durch Anlegung eines Maassstabes bestimmt. Die Parastichenzahlen 
wurden durch Abzählen am reifen Kopfe erhalten; hat man so ein 
Mal erkannt, welcher Reihe diese Zahlen angehören, so ist es natür- 
lich leicht, auch dann die Bezifferung der Zeilen an den Photographieen 
riehtig vorzunehmen, wenn, wie z. B. auf Fig. 2 Taf. XIII/XIV 
nur ein Theil der Scheibe sichtbar, der übrige durch Hüllblätter 
verdeckt ist. 

Exemplar 1. 

Beschreibung: Am 11.7. wurden sämmtliche Hüllblätter ab- 
geschnitten, die noch ziemlich kleinen Randblüthen fast überall stehen 
gelassen. Sichtbar waren vor Allem die gelblichen Spreublätter, die 
Blüthen schimmerten aber durch. Die Deckblätter wurden an einer 
Stelle schwarz angetuscht, damit die Reihen deutlicher hervorträten, 
und um ev. eine spätere Identifieirung zu ermöglichen. Das Letztere 
wurde jedoch vereitelt dadurch, dass die Farbe sehr bald vom Regen 
heruntergespült wurde. Der Durchmesser der Scheibe, gemessen 
zwischen je zwei einander gegenüberliegenden äussersten Scheiben- 
oder Zungenblüthen, betrug 4,3 cm. 

Am 19. 7. betrug der Durchmesser 6,5cm. Der Kopf war in- 
zwischen, wohl infolge des frühzeitigen Abschneidens der Hüll- 
blätter, etwas concav, nach innen hohl geworden. Es wurde eine 
Aufnahme von der Stelle gemacht, wo die Parastichen am deutlichsten 
hervortraten, diese Stelle war eine andere, als diejenige, auf der am 
11. 7. die Tuschepunkte aufgetragen worden waren. An der photo- 


393 


graphierten Gegend wurden die jetzt sehr langen Zungenblüthen ab- 
geschnitten und am 1. 8. an den Grenzen dieses Bereiches zwei Nadeln 
eingesteckt. 

Am 31. 8. wurde der Kopf abgeschnitten, sein Durchmesser 
betrug ca. 21—22cm. Die photographirten Gegenden liessen sich 
ganz gut identifieiren. 

Messungen: Es liegen die Doppelwerthe der Hauptreihe vor, 
nämlich 110 Zeilen nach der einen und 68 nach der anderen Richtung. 
Die Reihenfolge der Messungen ist, wie auch bei den übrigen Köpfen 
mit mehreren Messungsreihen, immer dieselbe, bei unserem Exemplar 
am Kopf von rechts nach links fortschreitend. 

1. Photographie vom 11. 7. Gemessen wurden an der Stelle 
mit den Tuschepunkten die Winkel, die sämmtliche auf einander 
folgende 68er Zeilen mit den 110er Zeilen bildeten, soweit dies die 
Schärfe der Photographie zuliess, im Bereich von etwa 20-21 
110er Zeilen, 

63, 65, 59, 62, 68, 66, 71, —, 73, 72, 74, 79. 

Durchschnitt der 11 Messungen: 68,4°. 

2. Photographie vom 19. 7. 

Gemessen sind sämmtliche auf einander folgende 110er Zeilen, 

82, 81, 84, 89, 86, 83, 86, 86, 92, 98, 99, 99, 100, 95, 95, 97, 
89, 88, 89, 85. 

Durchschnitt der 20 Messungen: 90,1°. 

3. Reifer Kopf, abgeschnitten den 31. 8., gemessen sämmtliche 
110er Zeilen. 

a) An der Stelle, die Photographie 1. entspricht: 

69, 65, 65, 62, 61, 63, 62, 64, 68, 71, 70, 72, 70, 71, 69, 67, 
69, 69, 69, 69, 67, 66, 67, 69. 

Durchschnitt der 24 Messungen 67,3°. 

b) An der Stelle, die Photograpbie 2. entspricht: 

76, 76, 74, 78, 81, 89, 86, 85, 89, 92, 94, 94, 95, 94, 94, 98, 
98, 96, 94, 101, 101, 97, 95, 92, 88. 

Durchschnitt der 25 Messungen: 90,3°. 

Ergebniss: Der Winkel, welchen die 68er und 110er Zeilen 
mit einander einschliessen, hat sich in der Zeit vom 11. 7. bis zur 
Reife nicht verändert, er hat weder zu-, noch abgenommen. 


Exemplar 2. 
Beschreibung: Am 13.7. wurde die erste Aufnahme gemacht. 
Der Durchmesser der Scheibe betrug 6,lem. Der Kopf war nicht 


394 


mehr sehr weit vom Aufblühen entfernt. Alle Hüllblätter wurden 
abgeschnitten und an drei mehr oder minder umfangreichen Stellen 
auch die Randblüthen. Von den Blüthen selbst war nichts zu sehen, 
da sie unter den schwärzlichen Deckschuppen verborgen waren. Die 
Scheibe war ziemlich eben. 

Am 28. 7. betrug der Durchmesser 23cm. Der Kopf hatte also 
durch die Entfernung der Hüllblätter keinen Schaden genommen, was 
der intensive Zuwachs von 17cm binnen 15 Tagen beweist. In der 
Mitte befand sich noch eine etwa dem im Durchmesser fassende Stelle, 
deren Blüthen sich noch nicht geöffnet hatten, am Rande der Scheibe 
waren dieselben bereits verblüht und liessen sich leicht abstreifen. 
Der Kopf hatte sich stark convex nach aussen gekrümmt, daher wurde 
parallel zu einer Stelle, an der die Blüthen abgestreift wurden, von 
schräg aussen eine Aufnahme gemacht. An dieser Stelle wurden 
nach der Aufnahme zwei Nadeln eingesteckt. 

Am 1. 10. wurde der Kopf abgeschnitten. Sein Durchmesser 
betrug ca. 30 cm. Er war wieder fast völlig eben geworden. 

Messungen: Die Messungen von allen drei Stadien beziehen 
sich sicher auf dieselbe Gegend des Kopfes. Es liegt die Haupt- 
reihe vor und zwar mit den 89er und 144er Zeilen. 

1. Photographie vom 13. 7. 

Nur an einigen Stellen ist eine sichere Messung möglich. An 
einer derselben, dort wo auch die Zungenblüthen abgeschnitten sind, 
ergab die Messung, immer etwa am 4. bis 5. Glied von 10 auf 
einander folgenden 144er Zeilen ausgeführt: 

14, 74, 79, 78, 76, 80, 78, 82, 82, 81. 

Der Durchschnitt dieser 10 Messungen beträgt: 78,4 °. 

Auch an anderen Gegenden des Kopfes scheint derselbe Winkel 
vorzuherrschen, man erhält Zahlen wie: 

81, 75, 74, 73, 80. 

2. Photographie vom 28. 7. 

Die Stelle liegt in derselben Gegend des Kopfes, wie die auf 
Photographie 1. gemessene. Eine genauere Identifieirung ist nicht 
möglich. Die Messung wurde ausgeführt an sämmtlichen auf einander 
folgenden 144er Parastichen der von Blüthen entblössten Stelle, immer 
am zweiten Samen vom Rande aus. 

57, 60, 64, 68, 68, 67, 66, 83, 74. 

Durchschnitt dieser neun Messungen: 67,4°, 

3. Reifer Kopf, abgeschnitten den 1. 10, 

a) Auch an diesem gelingt eine genaue Wiedererkennung der 


395 


Stelle der Messung 1 nicht völlig. Es wurden daher zum Vergleich 
mit dieser Photographie Nr. 1 die Winkel in der ganzen betreffenden 
Gegend des Kopfes, immer vom fünften Gliede der 144er Zeilen vom 
Rande aus gerechnet, gemessen. Die Messung ergab folgende Werthe: 

96, 90, 92, 85, 85, 85, 89, 82, 82, 85, 79, 77, 77, 79, 78, 80, 
81, 80, 80, 81, 79, 79, 73, 75, 78, 79, 82, 80, 80, 79, 78, 75, 74, 
75, 78, 75, 80, 81. 

Der Durchschnitt der 38 Messungen beträgt: 80,5 °. 

b) Viel besser gelingt die Identificirung der Photographie vom 
28. 7., und zwar vor Allem mit Hilfe einer kleinen Verbiegung 
einiger Parastichen, der Art des Aufhörens der Zeilen an der Peri- 
pherie und der Stellung der Strahlblüthen. Mit allerhöchster Wahr- 
scheinlichkeit sind die folgenden Messungen an genau denselben 
Stellen ausgeführt wie auf der Photographie. Die Winkel haben 
natürlich als Scheitel immer das zweite Glied der 144er Zeilen. 

71, 76, 81, 86, 82, 79, 78, 94, 85. 

Durchschnitt der neun Messungen: 81,3°. 

Man achte auf den deutlichen Parallelismus im Steigen und 
Fallen der Zahlen in beiden Reihen. 

Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel zwischen 89er und 144er 
Zeilen hat vom 18. 7. bis zum 28. 7. bei einer Zunahme des Kopf- 
durchmessers um 17cm abgenommen von etwa 78° bis auf 67°, 
d.h. um ungefähr 11%, Dann aber erfolgte bis zum 1. 10., 
während eines weiteren Wachsthums des Durchmessers um Tem, 
eine Zunahme des Winkels bis etwa 81°, d.h. um unge- 
fähr 14% Die beiden Endstadien zeigen fast genau den- 
selben Werth. Der Unterschied zwischen beiden besteht in einer 
Zunahme von etwa 2—3°, 


Exemplar 3, 


Beschreibung: Am 13. 7. wurde die erste Aufnahme ge- 
macht. Der Durchmesser der Scheibe betrug erst 1,8—1,9cm. Sämmt- 
liche Hüllblätter wurden am Grunde abgeschnitten. Die Photographie 
war für eine nur einigermaassen exakte Winkelmessung nicht scharf 
genug. 

Zunächst schrumpfte der Kopf ziemlich stark und zog sich drei- 
eckig zusammen, so dass die Mitte vertieft war. Am 12. 8. hatte sich 
die Schrumpfung wieder ziemlich ausgeglichen. Der Kopf war aller- 
dings etwas klein und unregelmässig geblieben, auch sah man auf- 
fallende Unregelmässigkeiten in den Reihen. An einigen wenigen 


396 


Stellen waren einzelne Früchte durch Vögel ausgefressen. Es wurde 
eine Aufnahme von einer Partie des Kopfes gemacht und zur Iden- 
tifieirung zwei Nadeln eingesteckt. 

Am 3. 10. wurde der Kopf abgeschnitten, er hatte doch noch 
einen Durchmesser von 18,5cm erreicht; er war wieder schön eben 
geworden, 

Messung: Es liegen vor die 89er und 144er Zeilen. Vermöge 
der erwähnten starken Unregelmässigkeiten in der Ausbildung der 
Samen und Reihen liessen sich die einzelnen Organe des reifen 
Kopfes an der Photographie vom 12. 8. mit absoluter Sicherheit 
wieder erkennen, Da jedoch die Winkel auf der Photographie infolge 
der damals immer noch ziemlich starken Krümmung nur an einer 
ziemlich kleinen Stelle ganz zuverlässig richtig wiedergegeben sind, 
so konnten nur folgende wenige Messungen vorgenommen werden: 

1. An der Photographie vom 12. 8.: 

73, 75, 76, 85, 57. 

2. Am reifen Kopf, vom 3. 10. Genau dieselben Winkel in der 
gleichen Reihenfolge: 

85, 90, 98, 105, 69. 

Ergebniss: Die Winkel sind in der Zeit vom 12, 8. bis 
zum 3. 10. bei einer Zunahme des Kopfdurchmessers um 3!/,cm 
gewachsen um 12° bis 22°, 


Exemplar 4. 


Beschreibung: Am 15.7., dem Tage der ersten Aufnahme, 
betrug der Durchmesser der Scheibe ca. 8,5cm, Der Kopf stand 
ganz kurz vor dem Aufblühen, daber wurden keine Hüllblätter, da 
diese bereits senkrecht zur Ebene der Scheibe standen, sondern nur 
an etwa einem Viertel des Umfanges die gelben Zungenblüthen ab- 
geschnitten. Noch keine einzige Blüthe hatte sich geöffnet. Der 
Winkel zwischen den Parastichen war überaus deutlich, da die 
Blüthen nicht mehr durch die Spreublättchen verdeckt wurden, 
sondern selbst sichtbar waren. Später wurden an den Grenzen der 
der Zungenblüthen beraubten Stelle zwei Nadeln eingesteckt. 

Am 19.8. betrug der Durchmesser des reifen Kopfes 25—26 em. 
Derselbe war nach aussen convex gekrümmt. 

Messungen: Es liegt die Hauptreihe vor mit 55 und 89 Zeilen 

1. Photographie vom 15. 7. 

An der Stelle, wo die Zungenblüthen abgeschnitten sind, wurden 
sämmtliche 89er Zeilen vorgenommen und der Winkel, den jede mit 


397 


den 55ern bildete, etwa am zweiten bis dritten Organ, vom Rande 
aus gerechnet, gemessen. Die Messung ergab folgende Werthe: 

111, 112, 108, 112, 112, 108, 111, 114, 116, 111, 109, 107, 
99, 102, 99, 96. 

Durchsehnitt der 16 Messungen: 108°, 

2. Reifer Kopf, am 19. 8.: 

Die Messungen sind ganz analog den vorigen ausgeführt und 
zwar sicher an derselben Stelle des Umfanges. Genaue Identificirung 
der einzelnen Blüthen, resp. Samen war nicht möglich. 

94, 90, 94, 93, 103, 105, 109, 112, 112, 113, 111, 105, 105, 
102, 98, 99. 

Durchschnitt der 16 Messungen: 103°. 

Am 25. 9., als der Kopf abgeschnitten wurde, war er bereits 
etwas geschrumpft, namentlich am Rande, so dass die nochmalige 
Messung der Winkel falsche Werthe gegeben hätte, 

Ergebniss: Der Winkel zwischen den Ö5öder und 89er 
Zeilen hat in der Zeit vom 15. 7. bis zum 19. 8., während welcher 
der Durchmesser des Kopfes um etwa 17em wuchs, um 5° ab- 
genommen. 
Exemplar 5. 


Die erste Aufnahme gelang nicht recht, und da versäumt wurde, 
dieselbe rechtzeitig zu wiederholen, so wurde dieses Exemplar nicht 
weiter berücksichtigt. 

Exemplar 6. 


Beschreibung: Am 17. 7. wurde die erste Aufnahme ge- 
macht. Der Kopf stand kurz vor dem Aufblühen. Sein Durchmesser 
betrug ca. 6!j.—7cm. Es wurden zur Sichtbarmachung der Scheibe 
die meisten Hüllblätter, vor allem ringsum alle inneren, und an einem 
Viertel des Umfanges auch die Randblüthen abgeschnitten. Die 
Scheibe war sehr eben. Am Rande waren die Blüthen selbst sichtbar, 
mehr nach dem Centrum zu waren sie verdeckt durch die Spreu- 
schuppen. Die Winkel treten auf der Photographie recht deutlich 
hervor. Diese ist auf Taf. XIIL/XIV Fig. 2 reprodueirt. 

Am 28, 7. war der Durchmesser bereits auf 18-20 cm ange- 
wachsen. Der Kopf war ziemlich stark convex nach aussen gewölbt, 
s0 dass die Aufnahme schräg von aussen in einer Tangentialebene 
zu der Randgegend bewerkstelligt werden musste. Aufgenommen 
wurde dieselbe Stelle, die bei der ersten Aufnahme der Randblüthen 
beraubt worden war. Die Kronen waren in den peripherischen Theilen 


Flora 1902, 26 


398 


bereits verblüht und wurden an der zu photographirenden Stelle ab- 
gestreift. Einen Ausschnitt aus dieser Photographie stellt unsere 
Fig. 3 Taf, XIV dar. 

Abgeschnitten wurde der Kopf am 21. 8. Er besass an diesem 
Tage einen Durchmesser von 22—23cm. Er war wie am 28, 7. noch 
immer stark convex gewölbt. 

Messungen: Es liegt vor die Hauptreihe mit den 89er und 
144er Zeilen. 

1. Photographie vom 17.7. (Fig. 2) Es wurden an der von 
Zungenblüthen entblössten Stelle die Winkel an 20 auf einander 
folgenden 89er Zeilen gemessen, und zwar wurde diese Messung, 
da die Photographie etwas sehr kleine Dimensionen aufwies, an 
einer zu diesem Zweck hergestellten Vergrösserung ausgeführt. Als 
Scheitel wurde immer das dritte bis vierte Organ der 89er Zeilen 
gewählt. Die erhaltenen Zahlen waren folgende: 

78, 78, 75, 75, 67, 68, 71, 76, 64, 12, 67, 73, 82, 82, 92, 95, 
90, 92, 87, 84. 

Durchschnitt: 78,1°. 

2. Photographie vom 28. 7. (Fig. 3.) 

Infolge der eonvexen Krümmung des Kopfes war nur die Messung 
weniger Parastichen möglich, wenn einwandsfreie Zahlen erhalten 
werden sollten. Gemessen wurden acht auf einander folgende 89er 
Zeilen immer am dritten Organ als Scheitel. Die Messung ergab: 

42, 43, 39, 44, 48, 46, 46, 45, 

Durehsehnitt: 44,1°. 

3. Reifer Kopf, abgeschnitten den 21. 8. 

Gemessen wurde so, dass immer das zweite bis vierte Glied der 
89er Zeilen den Scheitel bildete. 

Die Messung ergab folgende Werthe: 

58, 61, 61, 51, 56, 58, 59, 52, 58, 58, 54, 51, 51, 51, 51, 56, 
54, 58, 62, 60. 

Durchschnitt der 20 Messungen: 55,5. 

Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel hat zuerst vom 
17. T. bis zum 28. 7. bei einem Wachsthum des Scheibendurch- 
messers von etwa 7 auf etwa 19cm abgenommen um 34°; 
während des weiteren Wachsthums des Scheibendurch- 
messers um etwa 3lscm bis zur Reife nahm der Winkel 
wieder um über 11° zu. Zwischen Anfangs- und End- 


stadium ergibt sich als Unterschied eine Abnahme 
von 221°, 


399 


Exemplar 7. 

Beschreibung: Die erste Aufnahme von diesem Exemplar 
wurde am 18. 7. vorgenommen. Der Durchmesser der Scheibe be- 
trug T—T'jscm. Der Kopf war gerade im Aufblühen bogriffen, 
eine bis zwei Reihen von Scheibenblüthen rings an der Peripherie 
hatten sich schon erschlossen. Daher brauchten auch nur wenige 
überneigende Zungenblüthen behufs besserer Sichtbarmachung der 
Scheibe abgeschnitten zu werden. 

Am 23. 7. erfolgte die zweite Aufnahme. Der Durchmesser 
betrug 14—14,5em. Am Rande wurden die Blüthen an der Stelle, 
wo am 18, 7. einige Zungenblüthen abgeschnitten waren, abgestreift 
und parallel zu dieser Stelle des nach aussen convex gewölbten 
Kopfes eine Aufnahme gemacht. In der Nähe der Mitte standen noch 
blühende Blüthen, im Centrum noch nicht erschlossene Knospen. 

Abgeschnitten wurde der Kopf am 31. 8. Er hatte einen Durch- 
messer von 20 cm. Die Samen waren ihm zwar, da er nicht recht- 
zeitig mit Gaze zugebunden wurde, von den Vögeln fast sämmtlich 
ausgefressen worden, aber er war trotzdem nicht vertrocknet und 
auch nicht geschrumpft, so dass noch eine richtige Winkelmessung 
möglich war. 

Messungen: Es liegen Parastichenzahlen aus der Nebenreihe 
1,3,4,7 ... vor, und zwar 76er und 123er Zeilen. Die Identi- 


fieirung gelang nur sehr unvollkommen. 


1. Photographie vom 18. T. 
Die Winkel wurden so weit aussen wie möglich, in der Regel 


wohl etwa am vierten Organ der 123er Zeilen gemessen. Genau 
liess sich dies nicht präcisiren, weil die aufgegangenen Blüthen eine 
Abzählung von der Peripherie aus erschwerten. Die ersten 22 Mes- 
sungen stammen aus der Gegend, wo die Zungenblütben abgeschnitten 
sind, die übrigen von verschiedenen Stellen des Kopfes, wo gerade 
eine Messung möglich war. 

56, 67, 70, 58, 61, 65, 64, 56, 60, 69, 73, 73, 70, 77, 66, 66, 
62, 61, 59, 65, 69, 71; 61, 57, 60, 61, 68, 74, 66, 63. 

Durchschnitt dieser 80 Messungen: 64,9°. 

2. Photographie vom 23. T. . 

Die Messung wurde ausgeführt immer am etwa vierten Glied 
sämmtlicher auf einander folgender 123er Zeilen. Die Messung 
stammt, wie schon aus der Beschreibung der Aufnahme ersichtlich, 


von der der Zungenblüthen entkleideten Stelle: 


55, 58, 61, 51, 56, 57, 52, 58, 50, 45, 52, 48, " 


400 - 


Durchschnitt der 12 Messungen: 53,2°. 

3. Am reifen Kopf vom 31. 8. wurden die Winkel an sämmt- 
lichen 76er Zeilen gemessen, als Scheitel wurde, zur Vergleichung 
mit der Photographie vom 18. 7., immer das fünfte Glied der 123er 
Zeilen genommen. Die nachfolgenden Messungen fangen wiederum 
an mit den Winkeln aus der Gegend ohne Zungenblüthen: 

12, 73, 80, 78, 82, 83, 78, 75, 77, 85, 79, 82, 86, 91, 68, 68, 
719, 80, 87, 88, 85, 85, 92, 86, 83, 81, 71, 75, 76, 73, 67, 63, 64, 
64, 65, 67, 67, 66, 66, 71, 70, 72, 73, 70, 71, 75, 77, 77, 72, 73, 
77, 79, 78, 81, 74, 75, 69, 72, 71, 71, 71, 71, 70, 68, 76, 73, 70, 
15, 77, 73, 69, 72, 73, 71, 74, 70. 

Durchschnitt der 76 Messungen: 74,9 °. 

Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel zwischen den 76er 
und 123er Zeilen hat in der Zeit vom 18. 7. bis zum 23. 7. bei 
einer Zunahme des Kopfdurchmessers um Tem zunächst abge- 
nommen und zwar um den Betrag von fast 12°, beim 
weiteren Wachsthum des Durchmessers um etwa den gleichen 
Betrag von fast Tem hat dagegen der Winkel in der Zeit bis 
zur Reife eine Veränderung in umgekehrtem Sinne, nämlich eine 
Zunahme um 21'/,° erfahren. Da diese Zunahme fast doppelt so 
gross ist, wie die vorangegangene Abnahme, so bleibt zwischen 
Anfangs- und Endstadium immer noch als Unterschied eine 
Zunahme von 10°. Die erhaltenen Werthe sind zwar nur Durch- 
schnittszahlen, können aber Anspruch auf ziemlich grosse Zuverlässig- 
keit machen. 

Exemplar ®&. 

Beschreibung: Der Kopf war noch sehr jung, er fasste erst 
ca. 3,8cm im Durchmesser, als er zum ersten Male am 19. 7. photo- 
graphirt wurde. Es mussten daher alle Hüllblätter weggeschnitten 
werden. Nur an einer kleinen Stelle des Umfanges wurde ein Theil 
derselben zur späteren Identifieirung stehen gelassen. Von den Blüthen 
selbst war nichts zu sehen, nur die Deckblättchen waren sichtbar, die 
an der Basis hell und oben bräunlich bespitzt waren. Obgleich die 
einzelnen Blättchen auf der Photographie nur sehr klein herauskamen, 
war dieselbe doch so scharf, dass wenigstens an einigen Stellen der 
Winkel zwischen den Zeilen deutlich genug zur Messung hervortrat. 

Der Kopf entwickelte sich trotz des sehr schweren Eingriffes 
sehr bald normal weiter, so dass er am 14. 8., dem Tage der zweiten 
Aufnahme, einen Durchmesser von 21—23,5cm aufwies, nur war er, 
wie schon diese Zahlen beweisen, etwas verkrümmt und unregelmässig 


401 


geblieben. Eine Stelle der Peripherie wurde durch ein Stück Papier 
markirt und dann die Aufnahme vorgenommen. Nach derselben 
wurden an dieser Stelle zwei Nadeln eingesteckt. 

Am 3. 10 wurde der Kopf abgeschnitten. Er besass einen 
Durchmesser von 24—27 cm. 

Messungen: Es liegen die 89er und 144er vor. 

1. Was zunächst den Vergleich zwischen der Photographie vom 
19. 7. und dem reifen Kopfe anbetrifft, so liess sich dieser dank 
den stehen gelassenen Hüllblättern und einem auffallenden Knick 
einiger Parastichen, der auch am reifen Kopf scharf hervortrat, we- 
nigstens einigermaassen durchführen. Drei Messungen an verschie- 
denen Stellen der Photographie ergaben: 

68, 80, 72°. 

Am Kopf waren die Winkel an ungefähr denselben Stellen: 

65, 78, 70°, 

Der Dachstuhlwinkel hatte also zur Zeit der ersten Photographie 
und bei der Reife offenbar annähernd denselben Werth, er hatte 
höchstens um wenige Grade abgenommen. 

2. Ganz genau liess sich der Vergleich zwischen der zweiten 
Photographie vom 14. 8. und dem reifen Kopf durchführen, wenn 
auch zunächst mit einigen Schwierigkeiten, da einige Samen in- 
zwischen von Vögeln ausgefressen oder angepickt und so zusammen- 
gedrückt waren, dass sie erst bei sorgfältiger Untersuchung zwischen 
den intacten Früchten in ihren Resten wiedergefunden wurden. Die 
Identifieirung gelang absolut sicher zunächst vermittels der Nadeln, 
dann durch den Vergleich der Stellung der Zungenblüthen und des 
Aufhörens der Reihen am Rande, schliesslich auch durch Wieder- 
erkennen eines Knickes in den Reihen. Daher sind die folgenden 
Zahlen recht zuverlässig: 

a) An der Photographie ergab die Messung: 

65, 70, 70, 75, 76, 72, 68, 73. 

Der Durchschnitt der acht Messungen beträgt: 71,1°. 

b) Am Kopfe an denselben Stellen in gleicher Reihenfolge: 

79, 84, 86, 88, 90, 87, 76, 87. 

Der Durchschnitt beträgt 84,6°, der Unterschied zwischen beiden 
Messungen also 13,5°. . 

Ergebniss: Der Winkel zwischen den 89er und 144er Zeilen 
hat in der Zeit vom 19. 7. bis zum 14. 8. bei einer Vergrösserung 
des Scheibendurchmessers um etwa 17cm zunächstabgenommen, 
dann aber hat er bei einem weiteren Wachsthum des Durch- 


402 


messers um ungefähr nur Scm wieder um 18,5° zugenommen, 
so dass er den zuerst gemessenen Werth wieder fast 
genau erreichte. 

Exemplar 9. 

Beschreibung: Am 21. 7. betrug der Durchmesser der 
ziemlich ebenen Scheibe fast Sem. Der Kopf war im Aufblühen 
begriffen, da aber die Zungenblüthen stark über der Scheibe zu- 
sammenneigten, wurden sie auf etwa 'js des Umfanges zur besseren 
Sichtbarmachung der Scheibe abgeschnitten. 1—2 Reihen von 
Scheibenblüthen hatten sich bereits geöffnet. 

Am 31. 7. wurden von dem nunmehr 18—20,5 cm breiten convex 
gekrümmten Kopf an der oben bezeichneten Stelle die Blüthen ab- 
gestreift und eine zu dieser Gegend parallele Aufnahme hergestellt. 

Am 29. 8. wurde der reife Kopf abgeschnitten, er maass etwa 
1911, —22 em. 

Messungen: Es wurden 55 und 89 Zeilen constatirt. 

1. Photographie vom 21. 7. 

Die Stelle, an der die Zungenblüthen abgeschnitten waren, liess 
sich nicht scharf, sondern nur ungefähr umgrenzen. Daher wurden 
sämmtliche sichtbaren 89er Zeilen an etwa ihrem vierten Glied von 
der Peripherie aus gerechnet gemessen. Eine genaue Abzählung ist 
infolge der Unklarheit der aufgegangenen Blüthen nicht möglich. Die 
Photographie ist etwas undeutlich und die Messung daher erschwert. 

Nie ergab: 81, 81, 38, 87, 91, 90, 99, 96, 101, 104, 99, 91, 92, 
94, 100, 98, 103, 105, 105, 106, 103, 99, 97, 95, 95, 90, 92, 86, 
93, 92, 96, 99, 97. 

Durchschnitt der 33 Messungen: 95,3°. 

2. Photographie vom 831. 7. 

Infolge der stark convexen Krümmung des Kopfes sind die 
Winkel auf der Photographie richtig nur in der Mitte der Lücke, Es 
konnten daher nur 14 Messungen vorgenommen werden: 

93, 84, 81, 81, 80, 80, 82, 82, 77, 83, 84, 86, 85, 82, 

Der Durchschnitt beträgt 82,9°. 

3. Reifer Kopf am 29. 8, 

Die Messungen sind an derselben Gegend vorgenommen, wie 
auf Photographie 1; eine genauere Identifieirung war nicht möglich. 
Die erhaltenen Zahlen sind: 

106, 105, 110, 117, 115, 114, 111, 109, 107, 105, 104, 105, 
103, 94, 94, 92, 91, 90, 91, 90, 89, 90, 92, 92, 94, 94, 91, 94, 96, 
98, 99, 97, 101, 


408 


Der Durchschnitt der 33 Messungen ist: 99,4°. 

Inbetreff des Vergleiches dieser drei Beobachtungsreihen mag 
Folgendes noch bemerkt werden. Die Reihen 1 und 3 stimmen, was 
Auf- und Absteigen der Werthe anbetrifft, sehr schlecht überein, was 
jedenfalls in der Unschärfe der ersten Photographie seinen Grund hat. 
Daher sind auch die Durchschnittswerthe nicht zuverlässig. Die Zahlen 
der zweiten Reihe entsprechen mit hoher Wahrscheinlichkeit den 
Messungen 13—-26 der dritten Beobachtungsreihe, was sich aus der 
Vergleichung der Photographie mit dem Kopf ergibt. Hier steigen 
und fallen die Zahlen auch ziemlich übereinstimmend. Der Durch- 
schnitt dieser 14 Messungen am reifen Kopf beträgt 92,6°%, die Zu- 
nahme des Dachstuhlwinkels in der Zeit zwischen der zweiten und 
dritten Messung beträgt demnach 9,7°. 

Ergebniss: Zuerst scheint der Dachstuhlwinkel in der Zeit 
vom 21. 7. bis zum 81.7. bei einem Wachsthum des Scheibendurch- 
messers um etwa llcm um mehrere Grade abgenommen zu 
haben, dann hat er bis zur Reife, während der Kopf noch um 1!/scm 
wuchs, um etwa 9!/;° zugenommen. 


Exemplar 10. 


Beschreibung: Bei der ersten Aufnahme am 21.7. betrug 
der Durchmesser der Scheibe 9em. Der Kopf war eben aufgeblüht, 
es hatten sich auch bereits am Umfang ein bis zwei Reihen Scheiben- 
blüthen erschlossen. Es wurden nur an einer Stelle wenige Zungen- 
blüthen abgeschnitten. Dort wurden später zwei Nadeln eingesteckt. 

Am 28. 7. war der Durchmesser der stark convex gewölbten 
Scheibe auf 18cm angewachsen, Es wurde von der Gegend, die am 
21. 7. durch Abschneiden der Zungenblüthen bezeichnet war, eine 
Aufnahme gefertigt. 

Der reife, ca. 23,5em breite Kopf wurde abgeschnitten am 3.9. 

Messungen: Es liegt die Hauptreihe mit den 89er und 144er 
Zeilen vor. . 

Zu den folgenden Messungen werde vorausgeschickt, dass infolge 
nicht unbedeutender Unschärfe der Photographie und nicht sicheren 
Wiedererkennens der gezeichneten Stelle die Vergleichung der ersten 
Aufnahme mit dem reifen Kopfe nur unvollkommen gelang. Daher 
lässt sich auch im Steigen der Zahlen kein Parallelismus in beiden 
Reihen herausfinden, und die Durchschnittswertbe verdienen nicht 
völlig unbedingtes Vertrauen. 

1. Photographie vom 21. 7. 


404 


Gemessen sind 32 auf einander folgende 89er Zeilen und fünf 
solche aus verschiedenen von einander entfernten Gegenden des 
Kopfes, immer etwa das vierte Glied von der Peripherie aus, wie 
auch bei den unter 2. und 3, aufgeführten Messungen. 

64, 68, 68, 54, 68, 75, 79, 73, 63, 67, 61, 58, 58, 66, 58, 63, 
61, 77, 78, 74, 70, 69, 67, 58, 57, 57, 60, 63, 67, 63, 65, 66; 61, 
70, 68, 65, 62. 

Durchschnitt: 65,3°. 

2. Photographie vom 28. 7. 

Nur wenige Messungen sind infolge der Convexität des Kopfes 
möglich: 

58, 58, 55, 50, 48, 44, 42, 40, 40. 

Durchschnitt der neun Messungen: 48,3, 

3. Reifer Kopf vom 3. 9. 

Gemessen wurden 40 auf einander folgende 89er Zeilen, an- 
fangend etwa bei derselben Stelle, wie die Messungen unter 1. Die 
erhaltenen Werthe sind: 

77, 76, 70, 71, 67, 59, 61, 59, 58, 57, 57, 58, 68, 62, 60, 60, 
62, 62, 63, 65, 65, 65, 67, 67, 66, 61, 61, 70, 71, 72, 74, 70, 69, 
72, 76, 77, 75, 69, 64, 68. 

Durchschnitt: 66,0 °. 

Die ersten neun Messungen entsprechen in der gleichen Reihen- 
folge denjenigen von der zweiten Photographie, was mit Hilfe der 
eingesteckten Nadeln sich ziemlich genau bestimmen lässt. Die Zahlen 
lassen eine sehr gute Uebereinstimmung in Bezug auf ihren Verlauf 
erkennen. 

Der Durchschnitt dieser neun Messungen am Kopf beträgt: 66,4". 

Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel hat bei einem Wachs- 
thum des Scheibendurchmessers von 9 auf 18cm vom 21.7. bis zum 
28. 7. eine Abnahme von etwa 17—18° erfahren. Es er- 
folgte dann aber bis zum Eintritt der Reife während einer wei- 
teren Zunahme des Durchmessers um 5!j;cm eine ganz gleich 
grosse Zunahme des Winkels, so dass das beobachtete An- 
fangs- und Endstadium denselben Werth zeigte. 


Exemplar 11. 


Beschreibung: Am 23. 7. wurde der 8cm im Durchmesser 
fassende Kopf zum ersten Mal photographirt. Derselbe war sehr 
schön regelmässig ausgebildet und eben, und gerade im Aufblühen 
begriffen. Eine Reihe von Scheibenblüthen an der Peripherie war 


405 


schon geöffnet. Die Zungenblüthen wurden auf einem Viertel des 
Umfanges abgeschnitten, an dieser Stelle später zwei Nadeln ein- 
‚gesteckt. 

Am 31.7. erfolgte die zweite Aufnahme. Der Durchmesser 
betrug 20cm. Der Kopf hatte sich convex gekrümmt, daher erfolgte 
die Aufnahme schräg von der Seite, 

Am 23. 8. wurde der reife Kopf, dessen Durchmesser 241js 
bis 25cm betrug, abgeschnitten. 

Messungen: Es liegt die Nebenreihe 1, 8, 4, 7... vor mit 
den Zahlen 76 und 123. 

1, Da die erste Aufnahme infolge von Unterexponirung und 
starker Beschattung gerade die äusserste Randgegend der Scheibe 
höchst undeutlich zeigte, war die Abzählung der Glieder auf den ein- 
zelnen Reihen vom Rande aus grösstentheils ein Ding der Unmöglich- 
keit. Es wurde soweit aussen, wie möglich, gemessen, allem Anschein 
nach immer etwa am 3,—7. Glied der 123er Zeilen, und zwar wurden 
123 Messungen an sämmtlichen so benannten Parastichen ausgeführt. 
Das gleiche Verfahren wurde am Kopf eingeschlagen, hier immer der 
Winkel am 4.—5. Glied der 123er Zeilen gemessen. Da sich jedoch 
in den erhaltenen Zahlenreihen kein deutlicher Parallelismus heraus- 
finden lässt, so seien nur die Mittelwerthe der je 123 Messungen an- 
geführt: 

a) AnderPhotographie vom 23.7, erhielt ich im Durchschnitt 86,5 °. 

b) Am reifen Kopf: 97°. 

2. Auf der Photographie vom 31. 7. lassen sich im Gegensatz 
zu der eben besprochenen die einzelnen Stellen sehr schön mit dem 
reifen Kopfe vergleichen. Vermöge der Stellung der Nadeln und der 
Vertheilung der Strahlblüthen lässt sich Organ für Organ wiederfinden. 
Infolge der Krümmung der Scheibe konnten nur wenige Messungen 
an der Photographie vorgenommen werden. Dieselben ergaben: 

91, 86, 85, 76, 66, 61, 58. 

Am Kopf ergibt die Messung an denselben Stellen in der 
gleichen Reihenfolge: 

110, 109, 106, 100, 94, 86, 85. 

Der Abfall der Werthe erfolgt, wie auf den ersten Blick auf- 
fällt, in beiden Messungen gleich steil und in gleichem Sinne. Der 
Unterschied zwischen je zwei einander entsprechenden Messungen 
schwankt zwischen 19° und 28° und beträgt im Mittel: 23,99, 

Ergebniss: Der Winkel zwischen den 76er und 
123er Zeilen hat zuerst während eines Wachsthums des Kopf- 


406 


durchmessers von Sem auf 20cm in der Zeit vom 23. 7. bis zum 
31.7, eine Abnahme erfahren von ungefähr 12—13°, dann 
aber bis zur Reife bei einer weiteren Vergrösserung des Durch- 
messers um etwa 5em eine Zunahme von ungefähr 23—24°, 
Zwischen Anfangs- und Endbeobachtung bleibt die Zu- 
nahme mit etwa 10° im Ueberschuss. 


Exemplar 12, 

Beschreibung: Am 24.7. erfolgte die erste Aufnahme. Der 
Durchmesser der Scheibe betrug ca. 85cm. Der Kopf war im Auf- 
blühen begriffen, etwa eine Reihe von Scheibenblüthen hatte sich 
schon geöffnet. Nur einige wenige Zungenblüthen wurden abge- 
schnitten; diese Stelle konnte aber an der Photographie nicht aufge- 
funden werden. 

Am 1. 8. betrug der Durchmesser 18,5cm. An der Stelle, wo 
die Zungenblüthen fehlten, wurden zwei Nadeln- eingesteckt, und von 
dieser Stelle des convex gekrümmten Kopfes eine Aufnahme gemacht. 

Am 29. 8. wurde der reife Kopf, dessen Durchmesser bis auf 
23cm angewachsen war, abgeschnitten. 

Messungen: Es liegt die Hauptreihe mit 55er und 89er 
Zeilen vor. 

1. Auf der Photographie vom 24. 7. konnten die Winkel auf 
der einen Seite der Scheibe sehr schön gemessen werden. Die 
Messung wurde an 46 auf einander folgenden 89er Zeilen, immer 
etwa am dritten Glied derselben, ausgeführt, die andere Seite der 
Scheibe war beschattet, einer Messung daher unzugänglich. Da selbst 
die betreffende Seite sich am reifen Kopfe auch nicht annähernd 
wieder finden liess, so wurden an diesem sämmtliche 89 Zeilen am 
dritten Organ gemessen. Da eine Anführung der erhaltenen Zahlen 
infolge des erwähnten Mangels einer Identifieirung ohne Werth ist, 
gebe ich nur die Durchsehnittszahlen an: 

a) An der Photographie: 114,0 °. 

b) Am reifen Kopf: 108,1°. 

2. Die Photographie vom 31. 7. liess wiederum mit Hilfe der 
Nadeln eine ziemlich genaue Vergleichung mit dem reifen Kopfe zu. 
Folgende je 12 Messungen sind mit grösster Wahrscheinlichkeit an 
denselben Stellen in gleicher Reihenfolge aufgenommen, es ist ein 
Irrthum höchstens um 1—2 Parastichen möglich. 

a) Die Photographie ergab folgende Werthe: 89, 83, 83, 90, 
89, 93, 95, 100, 100, 95, 92, 93. 


407 


Durebsehnitt: 91,8°. 

b) Der reife Kopf ergab: 

97, 94, 92, 95, 97, 100, 103, 106, 108, 105, 101, 106. 

Durchschnitt: 100,3 °, 

. Der Parallelismus in den beiden Reihen ist sehr augenfällig. 

Ergebniss: Der Winkel zwischen den ö5er und 89er Zeilen 
hat sich zuerst vom 24. 7. bis zum 81. 7. verringert um eirca 
141/5%, während der Kopf in derselben Zeit eine Zunahme von 
8,5 cm auf 18,5cm erfuhr. Bei der weiteren Zunahme des Kopf- 
durchmessers um 4';cm nahm der Dachstuhlwinkel wieder 
um 8'/° zu, blieb also hinter seiner ursprünglichen, 
zuerst gemessenen Grösse um 6° zurück. 


Exemplar 13. 

Beschreibung: Der Kopf war am Tage der ersten Auf- 
nahme, dem 25. 7., in genau demselben Entwiekelungsstadium, wie 
sein Vorgänger, Exemplar 12. Sein Durchmesser betrug 8,5 cm. Die 
Photographie misslang jedoch, daher wurde am folgenden Tage, den 
26. 7., eine neue Aufnahme angestellt. Inzwischen hatte sich der 
Durchmesser auf 9,5em vergrössert. Leider waren inzwischen mehrere 
Reihen von Scheibenblüthen an der Peripherie aufgeblüht, so dass 
hier die Parastichen nicht mehr zu verfolgen waren. Eine Stelle 
wurde durch Abschneiden einiger Strahlblüthen bezeichnet. 

Am 14. 9. wurde der reife Kopf, dessen Durchmesser 26 bis 
29cm betrug, abgeschnitten. Er wurde photographirt. 

Messungen: Es liegen die 89er und 144er Zeilen vor. Die 
Identifieirung gelang völlig dadurch, dass zwei Zeilen, die etwa auf 
der Mitte des Radius aufhörten, sich am Kopf und auf der Photo- 
graphie genau wiedererkennen liessen. Die folgenden Messungen 
stammen daher sicher von denselben Stellen; sie wurden ausgeführt 
an 16 hinter einander folgenden 89er Zeilen, immer am 10. bis 12. 
Organ vom Rande aus gerechnet. 

1. An der Photographie vom 25. 7. ergab die Messung: 

60, 721%, 75, 80, 65, 59, 56, 57, 58, 58, 571/., 58, 58, 62, 
61, 61'172. 

Im Durchschnitt: 62,4 °. 

2. An der Photographie des Kopfes ergab sich: 

551/,, 64, 66°), 74, 5845, 58, 55", 58, 55, 57, 6lt/., 56's, 
53, 55, 50, 54. 

Im Durchschnitt: 57,6°. 


408 


Ergebniss: Diese Messungen, die mit der grössten Sorgfalt 
ausgeführt wurden, scheinen zu ergeben, dass am selben Kopf 
verschiedene Stellen sich noch ziemlich verschieden 
verhalten können, denn während in den ersten sechs Messungen 
der Unterschied zwischen beiden Zahlenreihen um 6° herum wenig 
schwankt, wird er bei den folgenden geringer und schlägt bei 
Messung 11 im entgegengesetzten Sinne aus, um darauf wieder in 
umgekehrter Richtung zuzunehmen. 

Im Durchschnitt isteineAbnahme um fast 6°erfolgt. 


Exemplar 14, 

Beschreibung: Am 28. 7. wurde die erste Aufnahme 
gemacht. Der Kopf hatte einen Durchmesser von Tem. 1—2 Reihen 
von Scheibenblüthen waren bereits geöffne. Die Zungenblüthen 
wurden auf einer kleinen Stelle des Umfanges abgeschnitten. Die 
Blüthen waren, soweit sie sich noch im Knospenzustand befanden, von 
den Spreublättchen bedeckt. 

Das Exemplar blieb ziemlich klein im ganzen Wuchs und er- 
reichte nur einen Durchmesser von nahezu 18cm. Es wurde ab- 
geschnitten am 5. 9. 

Messungen: Es liegen Ö5er und 89er Zeilen vor. 

An 53 auf einander folgenden 89er Zeilen wurden die Winkel 
soweit aussen, wie möglich, bestimmt; da jedoch nicht genau fest- 
gestellt werden konnte, an welchem Gliede der Zeilen von aussen 
gezählt die Messung vorgenommen wurde, da ferner die Ausführung 
der Winkelmessung an einigen Stellen etwas unsicher war und die 
Reihe mit den Messungen vom Kopf wenig übereinstimmend verläuft, 
so seien nur die Durchschnittszahlen angeführt. 

1. An der Photographie vom 28. 7. ergaben 53 Messungen im 
Durchschnitt: 85,8°. 

2. Am reifen Kopf ergaben 60 Messungen im Durchschnitt: 90,1°. 

Ergebniss: In der Zeit vom 28. 7. bis zum 5. 9. hat der 
Dachstuhlwinkel eine Vergrösserung um etwas mehr 
als 4° erfahren während eines Wachsthums des Scheibendurchmessers 
von 7 auf 18cm. 

Exemplar 15. 

Beschreibung: Am 30. 7., dem Tage der ersten Aufnahme, 
besass die Blüthenscheibe einen Durchmesser von dem. Sämmtliche 
Hüllblätter und die Zungenblüthen auf 2/3 des Umfanges wurden weg- 
geschnitten und an einer Stelle eine Nadel an der Peripherie des 


u 


409 


Kopfes befestigt. Es waren nur die Deckblätter sichtbar, jedoch 
schimmerten die Blüthen durch. Der Kopf war bei der Ausführung 
der Operation noch einige Zeit vom Aufblühen entfernt. Die Scheibe 
war etwas nach innen concav. 

Die Pflanze war sehr hoch und kräftig, daher entwickelte sie 
einen grossen und regelmässigen Kopf. Am 13. 8, besass derselbe 
einen Durchmesser von 16cm. Er war ziemlich eben, nur wenig 
nach aussen gewölbt. Es wurde an diesem Tage eine zweite Auf- 
nahme vorgenommen. 

Die dritte Aufnahme erfolgte am 10. 9., einen Tag, nachdem 
der 293—30cm breite Kopf abgeschnitten war. Der Kopf war völlig 
eben, so dass die Aufnahme überall richtige Winkel zeigt. 

Diese drei Aufnahmen sind auf den Taf. XII und XIV in 
Figg. 4—6 wiedergegeben. Von der zweiten Aufnahme wurde nur 
ein kleiner Ausschnitt reproducirt, wie ersichtlich, die Stelle, an der 
die Nadel eingesteckt ist (siehe Figurenerklärung). 

Messungen: Es liegt die Hauptreihe vor, rechtsschief ver- 
laufen die 89er und linksschief die steileren 144er Zeilen. 

1. Die Photographie vom 30. 7. (Fig. 4) ist leider ziemlich un- 
scharf, so dass die Messung der Dachstuhlwinkel an einigen Stellen 
rechts von der Nadel auf Schwierigkeiten stösst, da die Richtung 
der Zeilen nicht scharf genug hervortritt. Dennoch ist an einer 
ganzen Anzahl Parastichen, namentlich sämmtlichen links’) von 
der Nadel, die Messung hinreichend zuverlässig. Es wurde überall, 
s0 gut es ging, das dritte Organ der 89er Zeilen als Mittelpunkt des 
Winkels gewählt. Folgende Messungen wurden ausgeführt: 

a) Von der Nadel aus nach links, also in der Richtung des Pfeiles: 

68, 65, 64, 60, 59, 60, 59, 61, 63, 61, 59, 60, 60, 55 [49, 50, 
59, 58], 55, 56. 

b) Von der Nadel aus nach rechts: 

[76, 80, 80, 83, 79, 78, 77, 74, 72, 72, 66, 59, 60, 59, —, —, 

7, 55, 60, 13, —, 65, 68, 77, 73, 63, 69, 60, 67, 64], 


’ ’ 


er, 64, 64 [62, 60, 64, 66, 65, 69, 67, 67, 66, 68, 70, 70], 65, 68, 
64, 66, 
Die eingeklammerten Messungen sind mehr oder weniger unsicher. 
Der Durchschnitt der 65 Werthe beträgt: 65,2°. 
2. Photographie vom 13. 8 (Fig. 5). 
Immer am dritten Glied der 144er Zeilen wurden folgende 
Winkel gemessen: 
rum TU 


1) „inks“ und „rechts“ immer vom Centrum des Kopfes aus gesehen. 


410 


a) Von der Nadel aus nach links: 

60, 60, 56, —, 50. Eine weitere Messung ist nicht möglich. 

b) Von der Nadel aus nach rechts: 

57, 58, 54, 57, 60, 59, 58, 57, 58, 59. 

Die dann folgenden Winkel erscheinen infolge der Krümmung 
des Kopfes nicht einwandfrei, so dass auf eine weitere Messung ver- 
zichtet wurde. 

Durchschnitt der 14 Messungen: 57,1°. 

3. An der Photographie des reifen Kopfes (Fig. 6) wurden 
wiederum immer am dritten Organ der 144er Zeilen folgende Werthe 
erhalten: 

a) Links von der Nadel aus: 

82, 83, 77, 74, 72, 74, 69, 72, 76, 72, 79, 75, 75, 71, 73, 68, 
63, 63, 69, 69. 

b) Rechts von der Nadel aus: 

83, 85, 81, 82, 76, 78, 74, 76, 87, 88, 77, 74, 70, 67, 67, 
64, 61, 61, 65, 64, 66, 83, 80, 78, 80, 82, 81, 82, 79, 78, 78, 73, 
71, 65, 65, 64, 61, 67, 66, 69, 65, 62, 69, 66, 69, 71, 70, 70, 69, 
68, 71, 71. 

Der Bereich dieser 72 Messungen liegt, wie leicht ersichtlich, 
innerhalb derselben Grenzen wie unter 1. 

Der Durchschnitt beträgt: 72,5 °. 

Der Durchschnitt der 14 Messungen, die denen unter 2. ent- 
sprechen, beträgt: 79,9°. 

In Betreff des Vergleiches der Messungen von der ersten und 
dritten Photographie muss Folgendes berücksichtigt werden: Die 
ersten 20 Messungen unter a) halten einen beträchtlich grösseren 
Abstand von einander, als die Durchschnittszahlen 65,2 und 72,5, 
etwa im Mittel 13 bis 14°. Im Gegensatz dazu zeigen die Messungen 
unter b) zum Theil, so z.B. von 3 bis 8 und von 34 bis zum Schluss, 
viel geringere Unterschiede, die zum Theil sogar in das Negative, d.h. 
in’s Gegentheil, umschlagen. Der Grund für dieses verschiedene Ver- 
halten dürfte einerseits vielleicht darin gesucht werden können, dass 
sich verschiedene Stellen desselben Kopfes etwas abweichend von 
einander verhalten können — ein Analogon hierfür haben wir be- 
reits in Exemplar 13 gefunden —, anderseits aber kann die Con- 
cavität der Scheibe im Anfangsstadium, die bereits oben in der 
Beschreibung erwähnt wurde, zu einer kleinen Verzerrung der 
Winkel gerade in der Randpartie Veranlassung gegeben haben. 
Mir scheint in der That bei Betrachtung der Fig. 4 wahrschein- 


411 


lich, dass rechts von der Nadel der Rand mehr hohl nach oben ge- 
bogen ist, als auf der anderen Seite der Nadel. Und dass eine der- 
artige Ooncavität auf der Photographie die Winkel grösser erscheinen 
lässt, als sie in der Wirklichkeit sind, bedarf wohl keines Beweises. 
Diese Betrachtung findet eine wesentliche Stütze in dem Vergleich 
der ersten Zahlenreihe mit der unter 2. gegebenen. Während die 
Winkelwerthe unter ]. rechts von der Nadel sofort erheblich steigen, 
bleiben sie unter 2. auf gleichem Niveau. Es scheint wir dies zu 
beweisen, dass die dort erhaltenen höheren Zahlen als Folge einer 
Verzerrung anzusehen sind, d. h. dass die Unterschiede in den 
Winkeln im Anfangs- und Endstadium viel beträchtlichere sind, als 
es nach den Durchschnittswerthen den Anschein hat. 

Ein noch genauerer Vergleich der Figuren erfolgt später unter 
einem anderen Gesichtspunkt. 


Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel hat in der Zeit vom 
30. 7. bis zum 13. 8., während der Scheibendurchmesser von 5cm 
bis auf. 16 cm heranwuchs, eine Abnahme von mehreren 
Graden erfahren, dann aber bis zur Reife bei einem weiteren 
Wachsthum des Durchmessers um 13 bis 14cm eine Zunahme 
von ungefähr 22!/,° Es bleibt mithin zwischen An- 
fangs- und Endstadium die Zunahme mit mehr als 10° 
im Ueberschuss. 


Exemplar 16. 


Beschreibung: Am 30. 7., dem Tage der ersten Aufnahme, 
war der Durchmesser der Scheibe gleich fast Tem. Der Kopf war 
noch nicht im Aufblühen begriffen. Es wurden auf ungefähr einem 
Drittel des Umfanges Hüllblätter und Zungenblüthen abgeschnitten 
und in der Mitte der so entstandenen Lücke eine Nadel eingeheftet. 
Nur die Deckblätter waren sichtbar, die Blüthen schimmerten 
nieht durch. 

Am 13. 8. betrug der Durchmesser 19cm. Der Kopf hatte sich, 
wenn auch nicht sehr stark, convex gekrümmt. An der Stelle, an 
der die Nadel eingesteckt war, wurden die Blüthen abgestreift und 
von ihr eine Aufnahme gemacht. 

Am 1. 10. wurde der Kopf abgeschnitten. Er hatte einen Durch- 
messer von 23—23"/scm. Er war ziemlich uneben entwickelt. Daher 
sind auf der von ihm angefertigten Photographie nur eine beschränkte 
Anzahl von Zeilen in der Nähe der Nadel richtig wiedergegeben. 
Diese und der entsprechende Ausschnitt aus der Photographie vom 


412 


13. 8. sind auf der Taf. XV in den Figg. 8 und 9 reprodueirt. Auch 
die erste Aufnahme ist in Fig. 7 Taf. XV in einem Ausschnitt wieder- 
gegeben. 

Messungen: Es liegt die Hauptkette vor, und zwar zeigt die 
erste Photographie vom 30. 7. (Fig. 7) 144er linksschief und 233er 
rechtsschief als deutlichste Zeilen. Die 233er bilden aber jedenfalls 
nur einen sinnfälligen „Ueberschichtungscontact“ (s. Schumann) 
der Spreuhlätter, die Blüthen stehen sicherlich auf den 89er und 
144er Zeilen in Berührung. Dennoch wurde auf der Photographie 
und zum Vergleich auch am reifen Kopf der Winkel zwischen den 
i44ern und 233ern gemessen, obgleich die letzteren am reifen Kopf 
gar nicht hervortraten. . 

1. Vergleich der Photographie vom 830. 7. mit dem reifen Kopf. 

Die Messung an der Photographie ergab: 

a) Von der Nadel aus nach links: 

63, 51, —, —,.—, —, 51, 49, 47. 

b) Von der Nadel aus nach rechts: 

65, 51, 51, 58, —, —, 48, 53, 51, 53, 51, 58, 66, 57, 59. 

Durchschnitt der 18 Messungen: 54,6°. 

Die Messung am Kopf ergab: 

a) Von der Nadel aus nach links: 

60, 52, 48, 42, 42, 39, 44, 47, 583. 

b) Von der Nadel aus nach rechts: 

49, 51, 50, 57, 47, 47, 42, 44, 49, 46, 44, 42, 39, 47, 38. 

Durchschnitt der 24 Messungen: 46,6°. 

Der Verlauf der Messungen stimmt im Allgemeinen leidlich 
überein. Soweit dies nicht der Fall ist, sind die Gründe dafür jeden- 
falls dieselben wie bei Exemplar 15. Auch bei unserem Kopf war 
bei der ersten Aufnahme die Scheibe ein wenig concav nach innen 
eingebogen. 

2. Vergleich der Photographie vom 13. 8. (Fig. 8) mit der- 
jenigen des reifen Kopfes (Fig. 9). Gemessen wurde diesmal der 
Winkel zwischen 89er und 144er Zeilen. Es wurde beide Mal 
angefangen bei derselben, auf beiden Figuren durch einen Pfeil be- 
zeichneten 144er Zeile, und von dort aus wurden alle folgenden 
144er Linien nach rechts zu immer am zweiten Organ gemessen. So 
wurden folgende Zahlen erhalten: 

a) An der Photographie vom 18. 8.: 

57, 57, 55, 57, 63, 73, 96, 84, 77. 

Im Durchschnitt: 68,8°, 


413 


b) An der Photographie des reifen Kopfes: 

80, 77, 73, 83, 85, 91, 112, 108, 104. 

Im Durchschnitt: 90,8°. 

Die auffallende Zunahme der Zahlen in beiden Reihen von der 
5.—7. Messung erklärt sich durch den beträchtlichen Knick in den 
89er Zeilen an der Messungsstelle. 

Ergebniss: Der Winkel zwischen 144er und 233er Zeilen 
hat zunächst vom 380. 7. bis zum 13. 8. bei einem Wachsthum 
des Scheibendurchmessers von 7 auf 19cm abgenommen um 
etwa 8°. Dann hat der Winkel, dies Mal gemessen an den 
89er und 144er Zeilen, bis zur Reife wieder zugenommen um 
21!j,° bei einer ferneren Vergrösserung des Scheibendurchmessers um 
4—4!lscm. 

Exemplar 1%. 

Beschreibung: Dieses Exemplar wurde zum ersten Mal am 
12. 8. photographiert, als sein Kopf bereits verblüht war und schon 
den anschnlichen Durchmesser von 25cm erreicht hatte. . Es wurde 
nur ein kleiner Theil des ganzen Kopfes auf die Platte gebracht. 
An einer Stelle, dort nämlich, wo zwei Samen zweier benachbarter 
Reihen zu einer sehr auffallenden Zwillingsbildung verwachsen waren, 
wurde eine Nadel eingesteckt. 

Am 26. 9. wurde der reife Kopf, dessen Durchmesser sich noch 
bis auf 30cm vergrössert hatte, abgeschnitten und von der schon ein 
Mal photographierten Stelle eine neue Aufnahme gemacht. 

Die beiden Photographien sind dargestellt in den Figg. 10 und 11 
auf Taf. XV. 

Messungen: Rechtsschief verlaufen die 89er, linksschief die 144er- 

Die Orientirung gelingt hier überaus bequem mit Hilfe der 
schon erwähnten Zwillingsfrucht. 

Die folgenden Messungen sind ausgeführt immer am zweiten 
Organ der 144er Zeilen und fangen an bei der mit einem Pfeil be- 
zeichneten 144er Zeile, von dort nach links fortschreitend. 

1. Die Messung an der Photographie vom 12. 8. (Taf. XV 
Fig. 10) ergab: 

54, 54, 56, 58, 57, 57, 57, 56, 54, 58, 53*, 53*, 50, 53, 57. 

Im Durchschnitt: 54,8°. 

2. Die Messung an der Photographie des reifen Kopfes (Taf. XV’ 
Fig. 11) ergab: 

72, 70, 71, 70, 66, 68, 71, 68, 67, 66, 62*, 65*, 64, 65, 71. 

Im Durchschnitt: 67, 7°. R 


Flora 1902, 27 


414 


Die mit den Sternchen bezeichneten Parastichen enthalten das 
verwachsene Organ. 

Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel hat in der Zeit vom 
12. 8. bis zur Reife bei einem Wachsthum des Scheibendurchmessers 
von 25 auf 30cm um fast 13° zugenommen. 


Exemplar 18. 


Beschreibung: Dieser Kopf wurde, wie der vorige, erst in 
einem späten Entwickelungsstadium, am 14. 8., aufgenommen, als 
sein Durchmesser schon 23,5ecm betrug und er schon völlig verblüht 
war. Auch hier wurde eine Stelle durch Anheften eines Stückes 
Papier und nachheriges Einstecken zweier Nadeln genau fixirt. Der 
Kopf war, wie der von Exemplar 17, äusserst regelmässig entwickelt. 

Am 25. 9. wurde er abgeschnitten. Er besass einen Durch- 
messer von 23cm. Er wurde wiederum photographirt. 

Ausschnitte aus beiden Aufnahmen sind in den Figg. 12 und 13 
auf Taf. XII und XIV reprodueirt. 

Messungen: Linksschief verlaufen die 89er, rechtsschief die 
144er Zeilen. 

Immer das zweite Glied (vom Rand aus gerechnet) der 144er 
Zeilen wurde als Scheitel des zu messenden Winkels genommen, und 
zwar angefangen bei der Parastiche, die durch einen Pfeil bezeichnet ist, 
von dort nach rechts. Die Identifieirung gelang auch hier vollständig. 

Die Messungen ergaben folgende Werthe: 

1. An der Photographie vom 14. 8. (Fig. 12): 

49, 49, 51, 54, 55, 55, 58, 57, 52, 52, 52, 55, 55, 59, 61, 66, 
59, 58, 66, 68, 67, 67, 60, 64. 

Der Durchschnitt der 24 Messungen beträgt 57,9°. 

2. An der Photographie des abgeschnittenen Kopfes (Fig. 13): 

67, 64, 68, 74, 76, 78, 75, 80, 73, 68, 61, 67, 72, 77, 80, 85, 
87, 76, 77, 78, 76, 80, 73, 72. 

Der Durchschnitt beträgt 74,1°. 

Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel hat in der Zeit vom 
14. 8. bis zur völligen Reife am 25. 9. bei einer Vergrösserung des 


Scheibendurchmessers von 23!) auf 29cm zugenommen um 
etwa 16°. 


Exemplar 19, 


Beschreibung: Der Kopf war am 14. 8., dem Tage der 
ersten Aufnahme, eben im Aufblühen begriffen und besass einen 


415 


Durchmesser von ca. 5em. Rings am Umfang hatte sich fast überall 
bereits eine Reihe von Blüthen geöffnet. 

Am 13. 9. wurde der reife Kopf abgeschnitten. Er hatte einen 
Durchmesser von nur 101/,—11cm erreicht. 

Messungen: Es lag die Hauptreihe vor und zwar, der 
Schwächlichkeit der ganzen Pflanze entsprechend, mit den 34er und 
ööder Zeilen. 

Es wurden die Winkel an sämmtlichen 55er Zeilen immer an 
deren zweit- bis drittäusserstem Organ gemessen. Da die Kopf- 
gegenden sich nicht mit Sicherheit identifieiren liessen, führe ich 
nur die Durchschnittszahlen der je 55 Messungen an. Dieselben sind: 

1. An der Photographie vom 14. 8.: 83,4°. 

2. Am reifen Kopf: 82,1°. 

Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel hat zwischen An- 
fangs- und Endstadium der Beobachtung bei einer Zu- 
nahme des Durchmessers von 5 auf ea. Ilcem keine erhebliche 
Veränderung erfahren. 


Exemplar 20. 

Beschreibung: Am 14. 8. wurde die erste Aufnahme des 
ganz kurz vor dem Aufblühen stehenden 5cm breiten Kopfes ge- 
macht. Da die Zungenblüthen noch über der Scheibe zusammen- 
neigten, wurden sie auf etwa dem halben Umfang beseitigt. 

Am 26. 9. wurde der Kopf abgeschnitten. Er hatte sich etwas 
unregelmässig entwickelt. Sein Durchmesser betrug 10'/;—12'jz em. 
Er ist in Fig. 14 Taf. XV dargestellt. 

Messungen: Es liegt die Hauptreihe mit den 5er und 89er 
Zeilen vor. 

An der Photographie und am Kopf wurden an ungefähr der- 
selben Gegend des Umfanges — eine genauere Identifieirung gelang 
nicht — je 35 Messungen gemacht immer aın zweiten Glied der 
89er Zeilen. 

1. An der Photographie wurden folgende Werthe gefunden: 

64, 67, 74, 75, 90, 83, 87, 67, 61, 77, 76, 70, 72, 70, 71, 70, 
70, 85, 72, 69, 70, 76, 86, 80, 78, 85, 81, 80, 83, 81, 78, 84, 75, 65, 64. 

Durehschnitt der 35 Messungen: 75,3°. 

2. Am reifen Kopf wurden folgende Werthe gefunden: 

64, 62, 49, 56, 59, 60, 58, 49, 55, 47, 47, 51, 47, 50, 51, 51, 
59, 55, 57, 56, 49, 59, 64, 66, 59, 48, 59, 58, 55, 58, 67, 62, 62, 61, 12. 

Durchschnitt: 56,6°. 27% 


416 


Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel hat bei einem Wachs- 
thum des Scheibendurchmessers von 5 auf etwa 11!/gcm vom 14. 8. 
bis zur Reife am 26. 9. abgenommen um fast 19°. 


Exemplar 21. 


Beschreibung: Der Kopf stand ganz kurz vor dem Auf- 
blühen, als er am 28. 8. photographirt wurde. Sein Durchmesser 
betrug 6,2cm. Es wurden sämmtliche Zungenblüthen und ein Theil 
der inneren Hüllblätter abgeschnitten und an zwei Stellen Nadeln 
eingesteckt. Der Kopf war etwas concav nach innen vertieft. 

Am 2, 10. wurde der Kopf abgeschnitten. Sein Durchmesser 
betrug 25cm, Er war sehr eben geworden. 

Messungen: Es liegen 89er und 144er Zeilen vor. Bei der 
Messung wurden nur die Parastichen zwischen den beiden Nadeln 
berücksichtigt und als Scheitel immer das dritte Glied der 144er 
Zeilen benutzt. 

Die Messung ergab: 

1. An der Photographie vom 23. 8.: 

62, 56, 54, 55, 53, 57, 68, 75, 71, 68, 68, 68, 70, 67, 70, 66, 
58, 58, 60, 66, 68, 68, 66, 62, 

Der Durchschnitt der 24 Messungen beträgt: 63,9°. 

2. Am reifen Kopf: 

51, 51, 49, 54, 56, 57, 57, 60, 59, 61, 63, 60, 60, 53, 58, 51, 
52, 50, 54, 55, 56, 56, 56, 54. 

Durchschnitt: 55,5 °. 

Ergebniss: Der Dachstuhlwinkel hat in der Zeit vom 
23. 8. bis zur Reife, den 2. 10., abgenommen um etwa 8° bei 
einem Wachsthum des Scheibendurchmessers von etwa 6 auf 25 cm. 


® 


Zusammenfassung und Discussion der Ergebnisse. 


Als erstes und hauptsächliches Ergebniss unserer mitgetheilten 
Untersuchungen kann der Satz bezeichnet werden, dass sich noch 
nach dem Aufblüben der Helianthusköpfe der Winkel 
zwischen den Parastichen, d.h. der Dachstuhlwinkel, 
verändert. 

Was den Sinn dieser Veränderung anbetrifft, so ist der- 
selbe nicht, wie zunächst zu erwarten war, und wie auch von 
Schwendener stets angenommen worden ist, immer auf eine 
Zunahme des Winkels gerichtet, es kommt im Gegentheil auch 
zeitweilig eine Abnahme vor. 


417 


Bei sämmtlichen Exemplaren, bei denen nicht nur beim Auf- 
blühen und bei der Reife, sondern auch in einem Mittelstadium Auf- 
nahmen gemacht wurden, nämlich den Köpfen No. 2, 6, 7, 8, 9, 10, 
11, 12, 15 und 16, stellte es sich heraus, dass zuerst eine Ab- 
nahme des Winkels eingetreten war, dass aber am Ende 
der Entwickelung bis zur Reife stets der Dachstuhl- 
winkel wieder eine Vergrösserung erfahren hatte. Es 
ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Gang der Winkeländerung bei 
den Sonnenblumen immer derselbe ist. 

Verschieden verhalten sich dagegen die Exemplare in Betreff 
des Verhältnisses dieser anfänglichen Abnahme zu der nachfolgenden 
Zunahme. Bei den einen, so bei Exemplar No. 6, 12, 20 und 21, 
ergibt der Vergleich des Winkels beim Aufblühen des Kopfes oder 
kurz vor dem Aufblühen mit dem Winkel am reifen Kopf als 
schliessliches Resultat eine Abnahme, im Maximum unter 
den beobachteten Fällen von 22!)5° (Exemplar 6). Bei anderen 
im selben Anfangs- und Endstadium gemessenen Köpfen, so bei No. 7, 
11,13, 15 und 16, ergibt sich als Unterschied zwischen beiden Grenz- 
beobachtungen eine definitive Zunahme, im Maximum von 
etwa 13—14° (Exemplar 15). Und bei den übrigen Fixemplaren 
besteht zwischen den Winkeln zur Zeit des Aufblühens und denen 
bei der Reife gar kein Unterschied; bei diesen ist die zuerst 
erfolgende Abnahme des Dachstuhlwinkels durch die nachfolgende 
Zunahme mehr oder minder genau wieder ausgeglichen. 

Die höchsten Winkeländerungen in einem Sinne, die 
überhaupt beobachtet wurden, kamen vor bei Exemplar 6, 11 und 15 
und betrugen beim ersten 31° Abnahme und bei den beiden anderen 
zwischen 22 und 24° Zunahme. 

An die Constatirung dieser Winkeländerungen knüpft sich nun 
sofort die Frage, wie solche denn überhaupt auf einer 
ebenen kreisförmigen Fläche möglich und räumlich 
vorzustellen seien. Es ist klar, dass z. B. bei abnehmendem 
Dachstuhlwinkel in dem von der Peripherie des Kopfes und von den 
beiden Dachstuhlsparren gebildeten Dreieck die Basis, d. h. das Stück 
des Umfanges zwischen den Fusspunkten der Dachstublsparren immer 
von demselben Bogenstück der Peripherie eingenommen wird, und 
dass infolge dessen, wenn der Winkel an der Spitze abnimmt, diese 
Spitze sich dem Centrum des Kreises nähern muss. Nun ist aber in 
dem beobachteten Anfangsstadium unserer sämmtlichen Köpfe die 
ganze Fläche bis in das Centrum hinein mit Blüthen voll besetzt. 


418 


Wie ist es daher denkbar, dass die Organe noch nach dem Centrum 
zu vorgeschoben werden, wie dies bei einer Abnahme des Dachstuhl- 
winkels nothwendig der Fall sein muss? — Bei zunehmendem 
Winkel an der Spitze tritt natürlich der entgegengesetzte Fall ein, 
nämlich eine Entfernung der Glieder vom Centrum. Auch diese 
scheint auf den ersten Blick undenkbar. 

Zunächst wollen wir sehen, ob eine solche Annäherung oder 
Entfernung der Organe vom Centrum sich bei unseren Köpfen wirklich 
constatiren lässt. 

Als Beispiel für abnehmenden Dachstuhlwinkel wähle ich 
Exemplar 6, Zählt man auf der scharfen Photographie des An- 
fangsstadiums (Taf. XII/XIV Fig. 2) vom 17. 7, als der Kopf 
7 cm im Durchmesser hatte und der Dachstuhlwinkel zwischen 89er 
und 144er Zeilen in der Gegend der Peripherie 78,3°. betrug, auf 
einer beliebigen 89er Zeile vom Rande der Scheibe anfangend bis 
zum 20. Gliede, was namentlich auf der Vergrösserung der Photo- 
graphie leicht und sicher möglich war, so gelangt man zu einem Punkte, 
welcher auf der Vergrösserung vom Mittelpunkt der Scheibe, der sich 
ziemlich gut bestimmen lässt, ungefähr 55mm und von der Peripherie 
in der Richtung des Radius 46 mm entfernt ist, also letzterer etwas 
näher steht, als dem Mittelpunkt. Am reifen Kopf dagegen, wo der 
Dachstuhlwinkel um 21'/,° kleiner ist, als auf der Photographie, 
steht das 20. Organ einer 89er Zeile aus derselben Gegend des Um- 
fanges von dem Mittelpunkt in einer Entfernung von 4cm, während 
sein Abstand von der Peripherie 7!) cm beträgt; seine Entfernung 
von der letzteren ist also fast doppelt so gross geworden, wie die 
vom Centrum. 

Für den entgegengesetzten Fall des zunehmenden Dachstuhl- 
winkels bietet sich ein gutes Beispiel in Exemplar 15, wo die Ge- 
sammtzunahme des Dachstuhlwinkels zwischen Anfangs- und End- 
stadium, Figg. 4 und 6 auf Taf. XIII/XIV, etwa 13—14° beträgt. 
Zählt man auf Fig. 4 auf der fünften 144er Zeile links von der Nadel 
vom Rande aus bis zum 10. Glied, welches in der Figur mit einem 
kleinen Kreuz versehen ist, so liegt die obere Grenze desselben 
genau auf der Mitte des Radius oder auf einem Viertel des Durch- 
messers, was sehr leicht zu bestimmen ist. Bestimmt man das 
analoge Organ auf der Fig. 6 — auch hier ist es an seiner 
oberen Grenze mit einem Kreuz versehen —, so finden wir als 
seine Entfernung vom Mittelpunkt 31 mm (ungefähr), von der Peri- 
pherie dagegen nur 23mm. Man kann sich auch leicht durch Ab- 


419 


stecken mit dem Zirkel davon überzeugen, dass die Entfernung des be- 
treffenden Organs vom Rande im Durchmesser fast fünf Mal aufgeht. Es 
hat also in der That ein Abrücken des Organs vom Centrum stattgefunden. 

Was nun die räumliche Möglichkeit zunächst der Ver- 
schiebung der Organe nach dem Centrum zu bei ab- 
nehmendem Dachstuhlwinkel anbetrifft, so erfordert diese, wie 
wir sahen, eine Zunahme des Radius bei gleichem Bogen. Eine solche 
Zunahme ist in der Ebene nicht möglich. Das einzige Mittel aber, 
bei einer kreisförmigen Scheibe die Entfernung der Punkte der 
Peripherie vom Centrum zu vergrössern, ist die Herausverlegung, die 
Erhebung des Centrums aus der Ebene der Peripherie, d. h. die 
Ausstülpung, die Hervorwölbung nach einer Seite hin, 
Dieses Mittel zur Vergrösserung des Radius ist nun in der That bei 
unseren Sonnenblumen realisirt. So erklärt sich die nach 
aussen convexe Gestalt, welche die Blüthenscheiben 
stets zur Zeit des Aufblühens annehmen, während sie im 
Knospenstadium, wenn die Hüllblätter noch über der Scheibe zu- 
sammenneigen, mehr oder weniger völlig eben oder höchstens ein 
wenig nach innen concav eingebogen sind. Der Kopf des Exemplars 6, 
dessen definitive Abnahme des Dachstuhlwinkels 21!/.° betrug, war 
auch in der Reife sehr stark nach aussen convex gekrümmt. 

Ein zweites Mittel, um das Vorrücken der Organe nach dem 
Centrum zu ermöglichen, bestände darin, dass dieOrgane inder 
Gegend desCentrums im Wachsthum zurückbleiben und 
so einen relativ kleineren Raum beanspruchen, als im Anfangsstadium. 
Und auch dieses Mittel wird zur Raumbeschaffung bei den Sonnen- 
blumen verwandt. Beim Exemplar 6 findet sich in der Mitte ein 
Raum von mehreren Centimetern Durchmesser, dessen Samen völlig 
verkünmert geblieben sind. Einen noch beträchtlicheren Umfang 
erreicht diese centrale Gegend mit verkümmerten Samen, wie unsere 
Fig. 14 Taf. XV zeigt, bei dem Exemplar 20, bei dem die Abnahme 
des Dachstuhlwinkels 19° beträgt. Hier nimmt der Durchmesser 
dieser Gegend beinahe zwei Fünftel des Gesammtdurchmessers ein. 
Allerdings fällt dafür die Convexität fort, der Kopf ist fast eben. Ob 
die verkümmerten Organe überhaupt nicht befruchtet worden sind 
und deshalb sich nicht weiter entwickelten, oder ob sie durch den 
Druck der äusseren, nach innen sich vorschiebenden Individuen an 
der Weiterentwickelung verhindert wurden, wage ich nicht zu ent- 
scheiden, doch bin ich geneigt, die letztere Auffassung als die wahr- 


scheinlichere zu bezeichnen. 


420 


Die Bedingungen für eine Annäherung der Organe an die Peri- 
pherie bei Zunahme des Dachstuhlwinkels sind nach dem Gesagten 
leicht zu finden, sie bestehen einfach im Gegentheil des soeben Dar- 
gestellten. Daher finden wir fast immer, dass die Convexität des 
Kopfes am Ende der Entwickelung, wo der Dachstuhlwinkel wieder 
zunimmt, allmählich geringer wird, um manchmal ganz zu verschwinden. 
Das beste Beispiel hierfür bietet Exeinplar 2, dessen Scheibe zuerst, 
wie aus der Beschreibung hervorgeht, eben war, dann sich während 
der Blüthezeit ziemlich stark convex nach aussen krümmte, um 
schliesslich am reifen Kopf wieder völlig eben zu werden. Als Muster 
einer ganz ebenen Scheibe werde auch das abgebildete Exemplar 15 
(Taf. XUIN/XIV Fig. 6) angeführt, wenngleich dieses sich vorher 
nicht so stark convex gekrümmt hatte. Bei ihm sehen wir aber 
dafür ausserdem auch den anderen Punkt, der oben zur Erklärung 
herangezogen wurde, und der dort in der Verkümmerung der Organe 
im Centrum bestand, in seinem direkten Gegentheil verwirklicht, da hier ° 
die Samen bis in die Mitte hinein gross und normal ausgebildet sind. 


Mit der Aenderung im Dachstuhlwinkel parallel gehende Erscheinungen. 
l. Die Aenderung der Divergenz. 


Dass sich der Dachstuhlwinkel im Verlaufe der Entwick- 
lung der Sonnenblumen verändert, dürfte jetzt kaum mehr zu be- 
zweifeln sein. Die Gegner der mechanischen Theorie der Blatt- 
stellungen werden sich mit diesem Beweise aber nicht zufrieden 
geben. Sie werden behaupten, dass mit dem Nachweis der Winkel- 
änderung zwischen den Dachstuhlsparren noch gar nichts 
in Betreff einer Veränderung der Divergenz bewiesen sei, die 
beobachtete Winkeländerung könne durch einfaches Auseinander- 
ziehen resp. Stauchen des gegebenen Systems zu Stande kommen, 
so wie man ein Fernrohr auseinanderziehe oder ineinanderschiebe, 
ohne dass auch nur die geringste seitliche Verschiebung damit 
verbunden zu sein brauche, 

Solche Betrachtungen sind von C. de Candolle, Schumann 
und Jost angestellt worden, und die ersten beiden haben sogar 
Apparate construirt, die dies Auseinanderrücken der Organe in 
parallelen senkrechten Linien demonstriren. 

Demgegenüber kann zunächst Folgendes eingewandt werden: 
Nimmt man mit ©. de Candolle und Schumann an, dass 
ein System von Organen in der von ihnen gewollten Weise sich 


421 


verändere, indem die einzelnen Organe sich nur in senkrechten Linien 
verschieben, so muss entweder, falls die Organe ihre Gestalt bewahren, 
der Contact unter denselben sofort gelöst werden, oder, falls der Con- 
tact gewahrt werden soll, so müssen die Organe ihre Gestalt ändern, 
sie müssen bei einem Auseinanderrücken in der Längsrichtung sich 
ebenfalls vorwiegend in longitudinaler Richtung verlängern, bei einem 
Stauchen sich verkürzen. 

Dass nun ein lückenloser Contact bei den von uns beobachteten 
Köpfen vom Anfang bis zum Ende der Beobachtung bestand, 
dürfte nicht erst zu beweisen sein, es ist dies für ältere Stadien von 
Helianthus nie bestritten worden, und ein Blick auf unsere Photo- 
graphien dürfte jeden Zweifel in dieser Beziehung beseitigen. Es 
müsste also nothwendiger Weise bei einer beobachteten Verminderung 
des Daelıstuhlwinkels, d.h. einer Verlängerung des gegebenen Systems, 
auch eine dementsprechende radiale Verlängerung der Organe und bei 
einer Vergrösserung des Dachstuhlwinkels, d. h. einer Stauchung des 
Systems, eine Verbreiterung der Organe zu Stande kommen. Eine 
Betrachtung unserer Photographien zeigt indes, dass die schliessliche 
Gestalt der Samen immer annähernd dieselbe ist. Mag eine Winkel- 
abnahme stattgefunden haben, wie in Fig. 3 Taf. XIII/XIV, oder 
eine Zunahme, wie in Fig. 6 Taf. XIIL|XIV und Fig. 9 Taf. XV, die 
Samen besitzen immer mehr oder minder die Form eines eiförmigen 
oder ovalen rhombischen Gebildes, dessen grössere Achse dem Centrum 
zugekehrt ist, 

Ergibt sich aus diesen Ueberlegungen schon ohne Schwierigkeit, 
dass ein einfaches Auseinanderrücken oder Zusammenschieben der 
Organe in senkrechten, hier radislen Linien nicht möglich ist, 
sondern dass die von Schwendener berechneten seitlichen Ver- 
schiebungen hinzutreten müssen, so ist doch auch eine praktische 
Bestätigung der Divergenzänderungen wohl nicht unerwünscht und 
überflüssig. . 

Der Ausführung der Divergenzbestimmung steht in den meisten 
Fällen ein Hinderniss entgegen insofern, als die genaue Be- 
stimmung des Mittelpunktes oft auf Schwierigkeiten stösst, namentlich 
bei den Photographien, die bei convexen Köpfen schräg ‚von aussen 
gemacht werden mussten. Die genaue Bestimmung des Mittelpunktes 
ist aber zur Ermittelung des senkrecht über 0 stehenden Organs noth- 
wendig. Es genügt ja aber auch, nur wenige Beispiele anzuführen ; 
was für sie bewiesen wird, gilt natürlich in vollem Umfang auch für 


die übrigen Exemplare, 


422 


Divergenzbestimmungen. 
1. Exemplar 6. 
Auf der Photographie vom 17. 7. steht Organ 377 über 0. Die 


144 
Divergenz ist mithin Fr 137° 30° 24”, 
7 


Auf der Photographie vom 28. 7. lässt sich der Mittelpunkt 
nicht bestimmen. 

Am reifen Kopf ist die Bestimmung wegen der stark convexen 
Krümmung schwer und unsicher; an vielen Stellen scheint Organ 521 unge- 


fähr über 0 zu stehen. Die Divergenz beträgt also = — 1379 30° 18%. 


An anderen Stellen steht Organ 144 über 0, die Divergenz ist dort: 


55 
Pr 30° 0”. Die mittlere Divergenz liegt wohl zwischen 


beiden Werthen, es hat also eine Entfernung vom Grenzwerth 137°, 
30‘, 28° stattgefunden, eine Abnahme der Divergenz um etwa 18“, 
entsprechend der Abnahme des Dachstuhlwinkels. 


2. Exemplar 15. 


Auf der Photographie vom 13. 8. steht, wenn wir das äusserste 
Organ der ersten 144er Zeile rechts von der Nadel!) als 0 bezeichnen, 
Organ 665 über 0, wie die Richtung des auf unserer Fig. 5 


Taf. X111JXIV eingezeichneten Radius beweist. Die Divergenz ist also: 
54 
74 _ 1379, 30°, 14”, 
665 
Auf der Photographie des reifen Kopfes steht über demselben 
Organ 0, der Richtung des wiederum auf unserer Figur (6) ein- 


getragenen Radius entsprechend, ziemlich genau Organ 377. Folglich 
ist die Divergenz — = =137°, 30°, 24”. 
3 


Es hat also, verbunden mit der Zunahme des Dachstuhlwinkels, eine 
Annäherung der Divergenz an den Grenzwerth um 10° stattgefunden. 

Die Verbindungslinie zwischen 0 und 665, die auf der Photo- 
graphie vom 13. 8. radial gerichtet ist, wurde, um die Verschiebung 
deutlicher hervortreten zu lassen, ebenfalls auf der Fig. 6 vom reifen 
Kopf eingetragen. Dass sie in der Figur bedeutend nach links vom 
Centrum abweicht, fällt sofort in die Augen. 


1) Vgl. Figurenerklärung, Durch ein Versehen wurde bei der Herstellung 
der Tafeln Fig. 5 leider um 180% gedreht, was sich dann nicht mehr rückgängig 
machen liess; dadurch ist der Vergleich mit Fig. 6 etwas erschwert. 


423 


3. Exemplar 18, 

Auf der Photographie vom 14. 8. lässt sich der Mittelpunkt bei 
der grossen Regelmässigkeit des Kopfes dureh Errichtung von Loten 
auf an mehreren Stellen angelegten Tangenten einigermaassen be- 
stimmen. Auf unserer Fig. 12 Taf. XIIL/XIV ist an einer Stelle 
ein Radius eingezeichnet. Dort steht Organ 521 über 0, die Divergenz 


beträgt also 199 _ 137°, 30°, 18. 
521 


Am reifen Kopf liess sich mit absuluter Sicherheit bestimmen, 
dass über demselben Organ am genauesten senkrecht darüber Organ 610 
stand. Auf unserer Fig. 18 Taf. XIIL[XIV ist die radiale Ver- 
bindungslinie 0—610 gezogen. Das Organ 610 ist auch auf der 
Fig. 12 mit einem Kreuz bezeichnet, um die seitliche Verschiebung 
der gauzen Organe zu zeigen. Die Divergenz betrug also am reifen 
Kopf: 23 — 1879, 30°, 29". 

610 

Es hat also eine Vergrösserung der Divergenz um etwa 11“ 
stattgefunden, entsprechend der Zunahme des Dachstuhlwinkels. 


4. Exemplar 20. 

An der Photographie vom 14. 8, ist die Divergenzbestimmung 
infolge der Unregelmässigkeit der Reihen nicht ganz leicht. Immer- 
hin lässt sich mit genügender Sicherheit bestimmen, dass bei etwa 
der siebenten 89er Zeile rechts von der Grenze der Lücke in den 
Zungenblüthen Organ 322 über O steht. Die Divergenz beträgt hier 
also 137°, 30°, 58°. Ungefähr an derselben Stelle steht am reifen 
Kopf die 89er Zeile genau radial, also 89 über 0, die Divergenz ist 


hier mithin — . — 137°, 31%, 41". 
8 


An einer anderen Stelle der Photographie, etwa acht Zeilen 
weiter nach rechts, steht Organ 377 über 0, die Divergenz ist an 
dieser Stelle also: - — 137°, 30°, 23,8. 


Am Kopf steht an ungefähr der gleichen Stelle Organ 233 
R 89 
über 0. Die Divergenz ist also: Ferm 137°, 30°, 40”. 


Es hat also entsprechend der Abnahme des Dachstuhlwinkels 
eine Entfernung der Divergenz vom Grenzwerth stattgefunden, und 
zwar hat die Divergenz zugenommen um einen Betrag, der zwischen 
17” und 42” liegt. 


424 


Die aufgeführten Beispiele, namentlich unzweifelhaft das von 
Exemplar 15, zeigen, dass ganz sicher eine, wenn auch 
nur geringe Divergenzänderung mit -der Zu- oder Ab- 
nahme des Dachstuhlwinkels verknüpft ist. Dass die- 
selbe nur 10° oder nur wenig melır beträgt, ändert nichts an ihrem 
realen Bestand, und ist selbstverständlich, da die Annäherung an den 
Grenzwerth bei unseren Helianthusköpfen schon vor Eintritt dieser 
Verschiebungen eine sehr beträchtliche ist. 

Aus diesem geringen Betrage der Divergenzänderungen erklärt 
sich auch theilweise der negative Befund Schumann’s bei seinen 
in unserer Einleitung beschriebenen Versuchen mit den Tuschelinien. 
Die auf unserer Fig. 5 radiale Linie erscheint auf Fig. 6 nach links, 
nach dem Kreuz zu, verschoben. Ein derartiger, auf den Photo- 
graphien ja sehr deutlicher Ausschlag konnte von Schumann, der 
nicht beide Stadien zugleich vor sich hatte, leicht übersehen werden. 

Aus den angeführten Divergenzbestimmungen scheint mir ferner 
hervorzugelien, dass die Organe sich nicht einfach asymptotisch mit nur 
geringer Undulation dem Grenzwerth nähern, sondern dass sie, wenn 
auch vielleicht infolge des Vorhandenseins von drei Sparren nur 
wenig, um diesen Grenzwerth ziekzackförmig schwanken, so wie 
bei zweisparrigem Dachstuhl. Ich schliesse dies daraus, dass bei 
Exemplar 6 bei der Entfernung der Divergenz vom Grenzwerth 


diese abnimmt, während sie bei Exemplar 20 in einem ganz analog 
liegenden Falle wächst. 


2. Aenderung des Verhältnisses von Organ- 
durchmesser: Umfang. 

Wenn, wie wir soeben nachgewiesen haben, eine Aenderung 
der Divergenz überhaupt eintritt, so kann dies nach Schwendener’s 
Auffassung, wie wir bereits in der Einleitung ausführlicher darlegten, 
nur eine Folge davon sein, dass die Unterlage, die Achse rascher 
resp. langsamer in die Breite wächst, als die Organe, die von ihr 
getragen werden, dass mit anderen Worten sich das Verhältniss von 
Organdurehmesser zu Umfang ändert. Divergenzänderungen müssen 
immer mit Aenderungen in diesem Verhältniss parallel gehen. Wir 
können also die Bestimmung dieses Verhältnisses gewissermaassen als 
Prüfstein für die Richtigkeit unserer Dachstuhlwinkel- und Divergenz- 
bestimmungen benutzen. In den Fällen, wo wir sahen, dass der Dach- 
stuhlwinkel sich verkleinerte und die Divergenz vom Grenzwerth sich 
entfernte, müssen die Organe stärker gewachsen sein, als der Umfang 


425 


der Scheibe, das Verhältniss Organdurchmesser: Umfang muss 
also zugenommen haben; bei wachsendem Dachstuhlwinkel muss das 
Gegentheil zutreffen. Sehen wir zu, ob dem in der That so ist. 


1. Exemplar 6, 

Der Organdurchmesser wurde, wie auch bei den sämmtlichen 
folgenden Messungen, immer dadurch bestimmt, dass mit dem Zirkel 
die Entfernung des Mittelpunktes einer Blüthe resp. eines Samens 
von dem Mittelpunkt des dritten Organes gemessen wurde, welches 
mit ihm in derselben deutlichsten Contaetzeile stand. Natürlich wurde 
stets ganz an der Peripherie gemessen. Das Mittel aus mehreren 
Beobachtungen, durch 3 dividirt, ergab den Durchmesser eines 
Örganes. Es dürften so einigermaassen sichere Verhältnisszahlen 
erhalten worden sein, die höchstens um wenige Procent sich von der 
Wirklichkeit entfernen werden. 

a) Photographie vom 17. 7.: 

Organdurchmesser — 0,83 mm,!) 

Umfang = 144,6 mm. 

Organdurchmesser : Umfang = 1: 174,2. 

b) Reifer Kopf: 

Organdurchmesser — 5,6 mn, 

Umfang = 707 mm. 

Organdurchmesser : Umfang = 1: 126,2. 

Das Verhältniss hat sich also entsprechend der Abnahme des 
Dachstuhlwinkels vergrössert. 


2. Exemplar 15. 

a) Photographie vom 80. 7.: 
Organdurchmesser — 1,6 mm, 

Umfang = 236 mm. 

Organdurchmesser : Umfang = 1:147,5. 
b) Photographie vom 13. 8.: 
Organdurchmesser — 2,8 mm, 

Umfang = 377 mm. 

Organdurchmesser : Umfang = 1:134,6. 
c) Reifer. Kopf, Photographie desselben: 
Organdurchmesser — 2,0 mm, 

Umfang — 330 mm. 

Organdurchmesser : Umfang = 1:156,5. 


e Originalphotographieen, nicht 


1) Die Zahlenangaben beziehen sich auf di 
auf die etwas verkleinerten Reproductionen. 


426 


Das Verhältniss von Organ zu Umfang hat sich folglich ent- 
sprechend der Abnahme des Dachstuhlwinkels zuerst vermehrt, um 
bei der dann erfolgenden Zunahme des Winkels zu sinken. Da der 
Winkel am reifen Kopf grösser ist, als auf der ersten Photographie, 
so ist dementsprechend auch das Verhältniss von Organdurchmesser 
zu Umfang der Scheibe am reifen Kopf kleiner, als am Anfangs- 
stadium der Beobachtung. Also vollkommener Parallelismus! 


3. Exempiar 18. 

a) Photographie vom 14, 8.: 

Örgandurchmesser = 4,6 mm, 

Umfang = 580 mm. 

Organdurehmesser : Umfang = 1:126,1. 

b) Reifer Kopf: 

Organdurchmesser = 6,2 mm, 

Umfang — 911,4 mm. 

Organdurchmesser : Umfang = 1: 147,0. 

Die Abnahme des Verhältnisses stimmt überein mit der Zunahme 
des Dachstuhlwinkels. 


4. Exemplar 20, 

a) Photographie vom 14. 8,: 
Organdurchmesser — 1,33 mm, 
Umfang = 157 mm. 

Organdurchmesser : Umfang —1:118, 
b) Reifer Kopf: 

Örgandurchmesser — 4,5 mm, 

Umfang — 361 mm. 

Organdurchmesser : Umfang = 1:80,2. 


Wir haben bei diesem Exemplar also eine Zunahme des Ver- 
hältnisses zwischen Organ und Umfang, die wiederum parallel geht 
mit der Abnahme des Dachstuhlwinkels und der Entfernung der 
Divergenz vom Grenzwerth. 

Die angeführten Messungen zeigen auf’s Deutlichste, dass mit 
der Aenderung des Dachstuhlwinkels und der Diver- 
genz stets eine Zu- oder Abnahme des Verhältnisses 
zwischen Organdurchmesser und Kopfumfang Hand in 
Hand geht. Unsere Winkel- und Divergenzbestimmungen erfahren 
dadurch volle Bestätigung. 


427 


3. Contactwechsel. 

Nachdem wir gesehen haben, wie mit den ausführlich untersuchten 
und dargestellten Aenderungen im Dachstuhlwinkel auch solche in 
der Divergenz und im Verhältniss des Organdurchmessers zum Umfang 
aufs innigste zusammenhängen, wollen wir nun zum Schluss noch auf 
einen Punkt zu sprechen kommen, der vielleicht schon bei der Dar- 
stellung der Dachstuhlwinkeländerungen hätte berücksichtigt werden 
können, dessen Besprechung ich aber bis jetzt aufgespart habe, weil 
die von mir bewiesenen Verschiebungen in ihm am schönsten und 
augenfälligsten zur Erscheinung kommen. Wir wollen nämlich zu- 
sehen, ob wir die Verschiebungen nicht direet auf den Photographieen 
constatiren können daran, dass die einzelnen Organe ihre Lage zu 
einander merklich verändert haben, indem die einen sich einander 
näherten, andere auseinander gedrängt wurden, ja ob sich nicht in 
besonders günstigen Fällen Contaetwechsel feststellen lässt. 

Es ist von vornherein klar, dass derartige augenfällige Verände- 
rungen nur in den Fällen erwartet werden dürfen, in denen wir eine 
‚besonders grosse Veränderung des Dachstuhlwinkels constatiren konnten. 

Am bedeutendsten war dieselbe bei dem Exemplar Nr. 6, der 
Dachstuhlwinkel zwischen den 89er und 144er Zeilen hatte zwischen 
der ersten und zweiten Aufnahme, wie wir sahen, von 78,1° auf 44,1° 
abgenommen. Schon aus diesen Zahlen geht hervor, dass wahrschein- 
lich ein Contactwechsel eingetreten sein wird, denn die deutlichen 
Contactzeilen stossen stets in Winkeln von mindestens etwa 60° zu- 
zammen. Ein Blick auf unsere beiden Figg. 2 und 3 Tafel XIII/XIV 
zeigt uns denn auch, dass ein solcher Contactwechsel in der That 
sehr augenfällig vor sich gegangen ist. Auf der Fig. 2, die den 
Kopf im Jugendstadium darstellt, treten an der Peripherie die 
rechtsschiefen 89er und die linksschiefen 144er sicherlich am deut- 
lichsten hervor, während die 55er Zeilen zwar auch noch bemerkt 
werden, aber nicht mehr den eigentlichen äusseren Sparren bilden. 
Auf der anderen Photographie dagegen, die unsere Fig. 3 wiedergibt, 
sind zwar die deutlichsten Schrägzeilen wiederum die rechtsschiefen 
89er, aber in linksschiefer Richtung treten ohne Frage am deutlichsten 
die ziemlich schrägen 55er Zeilen hervor, auf ihnen herrscht zwischen 
den Gliedern ein sehr breiter Contact, während auf den steilen 144er 
Zeilen sich die Organe nur noch mit ganz kleinen Flächen, an man- 
chen Stellen sogar überhaupt gar nieht mehr berühren. Es hat also 
in der That bei dem Exemplar 6 ein Contactwechsel 
zwischen I44er und der Zeilen stattgefunden. 


428 


Noch auffallender treten die Verschiebungen der einzelnen Or- 
gane gegen einander zu Tage dort, wo es gelingt, Glied für Glied in 
den verschiedenen Stadien genau zu identifieiren. Als Beispiel ziehen 
wir die Photographieen von Exemplar 15 heran. In der Zeit zwischen 
der zweiten Aufnahme vom 13.8. (Fig.5) und der des reifen Kopfes 
(Fig. 6) hat der Dachstuhlwinkel zwischen linksschiefen 144ern und 
rechtsschiefen 89ern zugenommen um 22!|2°. Der Deutlichkeit halber 
ist die nächste Umgebung der Nadel in den Umrissen in genau 
gleicher Grösse in zwei besonderen kleinen Zeichnungen wiedergegeben. 
Fig. 15 Taf. XV entspricht der Photographie Fig. 5 Taf. XIII/XIV, 
Fig. 16 Taf. XV der Photographie Fig. 6 Taf. XIIL/XIV. Die mit den 
Kreuzen versehenen Organe sind auf beiden Figuren (15 und 16) 
identisch. Man sieht, dass diese beiden Organe, die auf Fig. 15 weit 
von einander abstehen, die beiden zwischen ihnen stehenden Früchte, 
die auf den sehr schrägen 55er Zeilen mit einander in deutlichster 
Berührung stehen, aus einander gedrängt haben und sich nun auf 
Fig. 16, wenn auch mit nicht sehr breiter Fläche berühren. Das 
Gleiche gilt natürlich nicht bloss von diesen, sondern auch von sämmt-, 
lichen übrigen Organen der beiden Photographieen. 

Der leichteren Identifieirung halber seien auch die Photographieen 
des Exemplars 17 noch kurz besprochen. Hier gibt das schon oben 
erwähnte verwachsene Organ einen sicheren Anhaltspunkt für die 
Orientirung. Mit seiner Hilfe gelingt es jedem leicht, sich davon zu 
überzeugen, dass die mit den Kreuzen markirten Samen auf beiden 
Photographieen dieselben sind. Auch hier ist ein Aneinanderrücken 
dieser Organe recht evident. Auf Fig. 10 Taf. XV stehen sie noch 
relativ weit von einander ab, auf Fig. 11 Taf. XV berühren sie sich 
dagegen bereits beinahe mit den Spitzen. 

Aehnliche augenfällige Verschiebungen der Organe gegen ein- 
ander habe ich noch in mehreren anderen Fällen constatiren können, 
solche lassen sich auch auf einigen unserer übrigen Figuren leicht 
finden; doch genügen die angeführten Beispiele dazu, zu zeigen, 
dass sehr merkliche Verschiebungen der Organe gegen 
einander, ja sogar in besonders günstigen Fällen 
Contaetwechsel auf den Blüthenscheiben von Helian- 
thusnoch nach dem Zeitpunkt des Aufblühens vorkommt. 


Schluss. 


Die wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchungen lassen sich 
kurz in folgenden Sätzen zusammenfassen: 


429 


Die von ©. de Candolle, Schumann und Jost geleugneten 
Dachstuhlverschiebungen bestehen bei den Blüthenscheiben von Helian- 
thus annuus zu Recht. 

Die von Schumann versuchte Beweisführung ist einerseits auf 
Grund schwerwiegender theoretischer Fehler überhaupt nicht beweis- 
kräftig, andererseits entbehren seine Methoden der nöthigen Genauigkeit. 

Mit Hilfe der Photographie konnten wir an einem und dem- 
selben Exemplar feststellen, dass zwischen der Zeit des Aufblühens 
oder kurz vorher und der Reife Aenderungen in dem Dachstuhl- 
winkel eintreten, die bis 34° betragen können. Der Winkel nimmt 
zuerst ab, indem die Organe nach innen, dem Centrum zu vor- 
geschoben werden, was den Kopf zu einer convexen Krümmung im 
Beginne der Blüthezeit zwingt, oder zu einer Verkümmerung der 
mittleren Samen führt; dann wächst der Winkel wieder, wobei der 
Kopf allmählich seine flache Gestalt meist wiedergewinnt. 

Diese Schwankungen des Dachstuhlwinkels sind begleitet von 
deutlichen, wenn auch nicht sehr beträchtlichen Divergenzänderungen, 
die bei zunehmendem Winkel in einer Annäherung an den bekannten 
Grenzwerth ihren Ausdruck finden, und bedingt durch Schwankungen 
des Verhältnisses von Organdurchmesser zu Umfang der Blüthen- 
scheibe. Das Wachsthum der Organe hält also mit dem des Kopfes 
nicht beständig gleichen Schritt. Während des Aufblühens überwiegt das 
Wachsthum der Blüthen, beim Reifen der Samen das des Blüthenbodens. 

Die Aenderungen im Dachstuhlwinkel können eine so beträcht- 
liche Grösse erreichen, dass Contactwechsel eintritt. 

Diese Resultate dürften einen kaum widerlegbaren Beweis für 
die Richtigkeit der Schwendener’schen Theorie der Verschiebungen 
darstellen, kaum widerlegbar deshalb, weil es zum ersten Mal geglückt 
ist, an einer und derselben Pflanze die von Schwendener be- 
haupteten Verschiebungen mittels der völlig objeetiven Methode der 
Photographie nachzuweisen. Es steht daher zu hoffen, dass der 
Widerstand gegen diesen Theil der mechanischen Theorie der Blatt- 
stellungen endgültig aufhört, und dass die Behauptung, nachträgliche 
Verschiebungen in einem gegebenen Organsystem nach dem Schwe u- 
dener’schen Dachstuhlprineip kämen überhaupt nirgends in der 
Natur vor, in der botanischen Litteratur nicht wiederkehrt. 


Botanisches Institut in Berlin. 
Im December 1901. 


Flora 1902, 28 


430 


Nachtrag. 


Nachdem die vorliegende Arbeit im Manuskript fertig gestellt 
und bereits in Druck gegeben war, erschien im Februarheft der Bot. 
Zeitung eine Arbeit von L. Jost: „Die Theorie der Verschiebung 
seitlicher Organe durch ihren gegenseitigen Druck. Zweite Abhaud- 
lung.“ Der Verf. hat in dieser Mittheilung auch die Verschiebungen 
an Compositenköpfchen einer erneuten eingehenden Prüfung unter- 
zogen. Zu den Resultaten dieser Untersuchung an Helianthus möchte 
ich hier wenigstens noch kurz Stellung nehmen. 

Die Methode, welche Jost zu seinen Untersuchungen angewendet 
hat, ist im Prineip dieselbe, deren sich Schwendener bei seinen 
Helianthus-Untersuchungen im Jahre 1900 bediente, d. h. er hat eine 
grössere Menge von möglichst vergleichbaren Köpfen theils zur Zeit 
der ersten Anlage der Blüthen, theils nach dem Aufblühen oder zur 
Zeit der Reife untersucht und die Durchschnittszahlen mit einander 
verglichen. Er findet nun dabei, dass der Parastichenwinkel während 
der Entwickelung der Sonnenblumen eine geringe Erweiterung erfährt, 
betont aber, dass ein Contactwechsel nie zu beobachten wäre. Auch 
durch die Schwendener’schen Messungen, die er einer eingehen- 
den Kritik und Umdeutung unterwirft, soll der Beweis eines Contact- 
wechsels durchaus nicht einwandfrei erbracht sein. Die von ihm be- 
obachtete Vergrösserung des Dachstuhlwinkels kann aber nach seiner 
Meinung auch ohne seitliche Dachstuhlverschiebung vor sich gegangen 
sein: „Eine geringe Verbreiterung des Blüthenbodens, der die ihm 
angewachsenen Blüthen unter leichter Veränderung ihres Umrisses 
folgen, genügt vollkommen zur Erklärung der Thatsachen.* In- 
folge dessen leugnet er auch consequenterweise, dass das Verhältniss 
von Örgandurchmesser : Scheibenumfang sich ändere, und sein Re- 
sultat lautet: „Es gibt auch heute noch keine Thatsachen aus dem 
Gebiete der Botanik, die zur Annahme einer nachträglichen Verschie- 
bung angelegter Organe im Sinne Schwendener’s nöthigten.* 

Dem gegenüber möchte ich hier nun nochmals kurz hervorheben, 
dass durch meine Photographieen nicht nur eine Vergrösserung des 
Dachstuhlwinkels, sondern auch, wenigstens für einige Fälle, ein 
Contaetwechsel, verbunden mit entsprechender Aenderung 
des Verhältnisses von Organdurchmesser:Systemum- 
fang und mit seitlicher Verschiebung nach meinem Dafür- 
halten unwiderleglich bewiesen ist, 


431 


Wenn nun aber fernerhin Jost verlangt, es solle von den Ver- 
tretern der mechanischen Theorie nun auch der Process, wie die Ver- 
schiebung entwickelungsgeschichtlich vor sich gehe, erklärt werden, 
da eine solche Verschiebung sich durch Torsion der Axe allein nicht 
erklären lasse, so geht diese Frage über den Rahmen meiner Unter- 
suchungen hinaus; denn auch für mich handelte es sich, ebenso wie 
für Jost, zunächst einzig und allein um die Entscheidung der Frage: 
Kommen Verschiebungen in der That bei Helianthus vor oder nicht ? 
Erst nach Entscheidung dieses Hauptproblems tritt die Frage nach 
den Vorgängen beim Verschiebungsprocess in den Vordergrund, und 
die vollständige Lösung dieses neuen Problems wird nur durch eine 
besondere eingehende und sorgfältige Untersuchung der Entwickelungs- 
geschichte zu erzielen sein. 


Berlin, Anfang März 1902. 
B. Leisering. 


Litteraturverzeichniss. 


C. de Candolle I. Considerations sur l’&tude de la phyllotaxie in Archives. 
des Sciences phys. et nat. 1881 oder als Buch bei H, Georg, Genf, Basel, 
Lyon 1881. 

K. Goebel I, Organographie der Pflanzen I. Jena 1898. 

L. Jost I, Die Theorie der Verschiebungen seitlicher Organe durch ihren gegen- 
seitigen Druck. Bot. Zeitung 1899 pag. 193. 

K. Schumann I. Morphologische Studien, Heft I. Leipzig 1892. 

— — I. Morphologische Studien, Heft II. Leipzig 1899. 

8. Schwendener I. Ueber die Verschiebungen seitlicher Organe durch ihren 
gegenseitigen Druck. Verhandl. d. naturforsch. Gesellschaft in Basel. VI. 2. 

— — II Mechanische Theorie der Blattstellungen. Leipzig 1878. 

— — II. Zur Theorie der Blattstellungen. Sitzungsber. d. Berliner Akad. der 
Wissensch. 1883 pag. 741; abgedruckt in: Gesammelte botanische Mittheil. I 
pag. 105. 

— — IV. Zur Kenntniss der Blattstellungen in gewundenen Zeilen. Sitzungsber. 
d. Akad. 1894 pag. 968, Ges. bot. Mitth. I. pag. 163. . 

—— V, Jüngste Entwickelungsstadien seitlicher Organe. Sitzungsber. der 
Akad. 1895 pag. 645. Ges. bot. Mitth. pag. 184, 

— —- YL Die Schumann’schen Einwände gegen meine Theorie der Blatt- 
stellungen. Sitzungsber. 1899 pag. 895. 

— — VI Die Divergenzänderungen an den Blüthenköpfen der Sonnenblumen im 
Verlaufe ihrer Entwickelung. Sitzungsber. der Akad. 1900 pag. 1042. 

— — VII Gesammelte botanische Mittheilungen. Band I. 1898. Berlin. Gebr. 
Bornträger., 


2°* 


432 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Figurenerklärung. 


In Betreff der näheren Erläuterungen zu den Figuren muss auf die Ab- 
handlung verwiesen werden; im Folgenden sind zu jeder Figur die Stellen des 
Textes eitirt, welehe für sie namentlich in Betracht kommen. 

„Rechts“ und „links“ vom Centrum des Kopfes aus gesehen, 

Die Reproduktionen sind grösstentheils Verkleinerungen der Originalauf- 
nahmen; bei einigen wurde die Angabe dieser Verkleinerung versehentlich auf 
der Tafel vermerkt. 


1: 
2: 
3:, 
4: 


je} 


12: 
13: 


14: 
15: 
16: 


Schematische Figur. Vgl. Text pag. 390. 

Exemplar Ne. 6, Aufnahme vom 17. 7. Vgl. pag. 397, 427. 

Exemplar No. 6, Aufn. vom 28. 7. Vgl. pag. 397, 427. 

Exemplar No. 15, Aufn. vom 30. 7. In der rechten oberen Ecke ist eine 
eingesteckte Nadel etwas undeutlich sichtbar. Vgl. pag. 408 ff. In Betreff 
der Bedeutung des Pfeiles vgl. pag. 409, in Betreff des kleinen Kreuzes 
pag. 418. 

Exemplar No. 15, ein Ausschnitt aus der Aufnahme vom 13. 8. Er zeigt 
die nächste Umgebung der Nadel und das Centrum des Kopfes. Ein 
Radius ist eingezeichnet. Unten das weisse Viereck stellt ein angeheftetes 
Stück Papier dar, etwa in der Mitte desselben ist die Nadel als schwacher 
Strich sichtbar. Die Nadel, sowie der Mittelpunkt des Kopfes sind auf 
der Originalplatte bedeutend deutlicher. Vgl. pag. 408ff., 422, 428, 
Exemplar No. 15, Aufn. vom 10. 9, Vgl. pag. 408 ff., 428; die Bedeutung 
der beiden Linien erklärt pag. 422, die des kleinen Kreuzes pag. 418. 
Exemplar No. 16, Aufn. vom 80. 7. Vgl. pag. 411 fl. 

Exemplar No. 16, Aufn. vom 13. 8. Vgl. pag. 411 ff, 

Exemplar No. 16, Aufn, vom 1. 10, Vgl. pag. 411ff. Die in Fig.7 gut 
hervortretende Nadel ist in Fig. 8 und 9 undeutlicher, sie befindet sich 
an der siebenten Parastiche rechts von derjenigen, auf welche der Pfeil 
hinzeigt. 

Exemplar No. 17, Aufn. vom 12. 8. Vgl. pag. 418, 428, 

Exemplar No. 17, Aufn. vom 26. 9. Vgl. pag. 413, 428. Die beiden mit 
Kreuzen bezeichneten Organe sind in Fig. 10 und 11 identisch. 
Exemplar No. 18, Aufn. vom 14. 8. Vgl. pag. 414, 423, 

Exemplar No. 18, Aufn. vom 25. 9. Vgl. pag. 414, 428. Das Organ 0 
ist in Fig. 12 und 13 identisch, der von ihm ausgehende Radius ist in 
beiden Figuren eingezeichnet. Das Organ mit dem Kreuz in Fig. 13 
ist identisch mit demjenigen in Fig. 12, welches genau über 0 steht 
und durch einen Querstrich bezeichnet ist. 

Exemplar No. 20, Aufn. vom 26. 9. Vgl, pag. 415, 419, 

Ausschnitt aus Fig. 5, die nächste Umgebung der Nadel. Vgl. pag. 428. 
Ausschnitt aus Fig. 6, die nächste Umgebung der Nadel. Vgl. pag. 428. 
Die beiden durch Kreuze bezeichneten Organe sind in Fig. 15 und 16 
identisch, 


Die Berindung des Stengels durch die Blattbasen. 
Von 
L. 3. Celakovsky. 
(Mit 11 Textfiguren,) 


I 


Hofmeister war der erste, der bei der entwickelungsgesehicht- 
lichen Untersuchung der Axenscheitel einiger Gefässkryptogamen die 
bedeutsame Thatsache entdeckte, dass die Basen der Blattanlagen, mit 
dem sich streckenden inneren Stengelgewebe nach abwärts vereint 
wachsend, die äussere Rinde des Stengels!) bilden (wie Hofmeister 
mit leicht misszuverstehendem Ausdruck sagte, dem Stengel Rinden- 
schichten auflagern oder ihn berinden), dass also die anfänglichen 
Blatthöcker nicht ausschliesslich zu Blättern auswachsen, sondern einen 
Theil des basalen Zellgewebes an die sich zwischen ihnen strecken- 
den Stengelglieder abgeben. Beweisende Darstellungen gab Hof- 
meisterinden Vergleichenden Untersuchungen (1851) auf Tafel XVIIL 
und XIX Fig. 1 für Equisetum und auf Tafel XX_V für Selaginella. Später 
hat derselbe Forscher in „Flora“ 1863 (in dem Referat über eine 
Arbeit von Stenzel) und in seiner Allgemeinen Morphologie 1868 
erklärt, dass „die Entwickelungsgeschichte für die unendliche Mehr- 
zahl der bisher untersuchten beblätterten Pfanzen von den Charen 
aufwärts den gleichen Berindungsvorgang wie für die Equiseten und 
Selaginellen ausser Zweifel setzt“, dass „sämmtliche peripherische Ge- 
webeschichten der Stämme der meisten Phanerogamen den gleichen 
Ursprung haben, wie dies jeder gelungene Längsschnitt durch eine 
reichblättrige, in der Entwickelung begriffene Stengelknospe sehen 
lässt“, Jedenfalls hat er also verschiedene Knospen untersucht, wenn 
er auch keine weiteren Abbildungen und Beschreibungen derselben 
Publieirt und in der Vergl. Morphologie ausser Eqguisetum nur noch 
Pinus und Casuarina beispielsweise genannt hat. 

Fälschlich behauptet daher der jüngste Kritiker der Berindungs- 
theorie, Tobler?), es seien für Phanerogamen bei Hofmeister 


t) Ich gebrauche hier „Stengel“ im erweiterten Sinne, statt Kaulom, lieber 
als den Ausdruck „Stamm“, weil auch die Glieder des Kauloms Stengelglieder 
und nicht Stammglieder genannt werden. 

2) Der Ursprung des peripherischen Stammgewebes. Jahrb. f. wies. Bot, 
Bd. XXXVII Heft ı (1901). 


434 


„offenbar keine Grundlagen der Theorie und überhaupt keine eigenen 
Untersuchungen vorhanden, die eine solche Verallgemeinerung ge- 
statten“, die Equiseten seien das einzige Object gewesen, welches 
von ihm in dieser Hinsicht studirt worden is. Einem Hofmeister 
gegenüber gewiss eine — kühne, dazu grundlose Unterlegung. 

Im selben Jahre 1868 gelangte auch Leitgeb durch die Unter- 
suchung des Stengels von Fontinalis für die Laubmoose zur Ansicht 
von der Berindung des Stengels durch die Blätter. 

Goebel erläutert in Vergl. Entwickelungsgesch. der Phanerog. 
1883 den Berindungsprozess bei Moosen und Equiseten, und bemerkt 
weiter: Ein ganz ähnlicher Vorgang, wie der für Equisetum geschil- 
derte, liesse sich noch für eine ganze Anzahl von Pflanzen anführen, 
er trete z. B. schr auffallend bei Pinusarten hervor. Einen dies be- 
weisenden Längsschnitt von Thujopsis dolabrata gibt er auch in Bot. 
Ztg. 1886 Taf. V Fig. 14 mit der Bemerkung, dass die ganze Stamm- 
oberfläche mit Blattbasen berindet ist. Ebendort verweist er auch 
auf einen analogen Vorgang bei der Bildung des unterständigen 
Fruchtknotens.) Auch in seiner neuesten, an neuen Beobachtungen 
so reichen „Organographie“ II 2 (1900) pag. 504 hebt Goebel aber- 
mals hervor, dass „nicht selten“ zwischen gedrängten Blattanlagen 
keine freie Oberfläche des Vegetationspunktes mehr übrig bleibt, dass 
in solchen Fällen der untere Theil der Blattanlage mit der Spross- 
oberfläche „häufig“ vereinigt bleibt und „nicht selten“ als Blattpolster 
hervortritt, Tobler erscheint daher wiederum nicht gut berathen, 
wenn er es bemerkenswerth findet, dass sich Goebel „der Annahme 
einer allgemeinen Gültigkeit der Berindungstheorie, von den Equiseten 
ausgehend, enthält“. 

In seiner Polemik gegen Schwendener’s mechanische Theorie: 
„Theorie der Verschiebung seitlicher Organe durch ihren gegensei- 
tigen Druck“ (Bot. Ztg. 1899) nimmt auch Jost als erwiesen an, 
dass die Blattpolster der Coniferen aus der Basis der Blattanlagen 
hervorgehen. Er bespricht speciell Picea excelsa, Pinus larieio und 
Abies pinsapo, bemerkt aber, dass es unter den ihm bekannten Co- 
niferen keine gibt, denen solche durch Berindung aus den Blattbasen 
entstandene Blattpolsterbildungen fehlen würden. Dasselbe sei be- 


2) Ich kann mit Vergnügen Goebel’s 1. ce. ausgesprochene Vermuthung, 
dass sich meine Abhandlung „Ueber den Cupularfruchtknoten“, Oesterr. bot. Ztschr. 
(1874), was die Auffassung der Verhältnisse der Carpelle zur Cupula des unter- 


ständigen Fruchtknotens betrifft, mit der seinigen vollkommen deckt, nachträglich 
bestätigen, 


435 


stimmt der Fall bei den Cycadeen, den Farnen und manchen fossilen 
Gruppen, die zwischen den Farnen und Gymnospermen stehen. Jost 
weist aber noch auf die Möglichkeit hin, dass die Erscheinung eine 
ungleich grössere Verbreitung besitzt, als man wohl auf den ersten 
Blick glauben möchte. Es werde die Aufgabe weiterer Forschungen 
sein müssen, hier Klarheit zu schaffen. 

Endlich gehöre auch ich zu jenen, welche von der Richtigkeit 
der Hofmeister’schen Lehre in ihrer vollsten Ausdehnung, was die 
Charen, Pteridophyten, Gymnospermen und Angiospermen betrifft, sich 
seit langer Zeit für überzeugt halten. Ausgesprochen habe ich es 
z.B. schon in meiner Abhandlung über die Cupula und die Cupular- 
fruchtknoten, Oesterr. bot. Ztschr. 1874,. und in meiner „Kritik der 
Ansichten von der Fruchtschuppe der Abietineen“ (1882) habe ich 
die Blattpolster der Fichte als herablaufende und aufsteigende 
Blattspuren ') im Sinne der Berindungstheorie bezeichnet. Ein Artikel 
von Kolkwitz in Ber. der deutschen bot. Ges. 1895: „Ueber die 
Verschiebung der Axillartriebe bei Symphytum offieinale“ gab mir 
die Veranlassung, in denselben Berichten 1900 in einer Mittheilung 
über dasselbe Thema die Berindungstheorie einmal ausführlicher zu 
besprechen, wobei ich auf die Analogie des Vereintwachsthums eines 
Achselsprosses mit der Mutteraxe z. B. bei Symphytum, Sparganium 
simplex u. dgl. hinwies. In meiner letzten Arbeit „Die Gliederung 
der Kaulome*“, Bot. Ztg. 1901, habe ich in der Berindung der Stengel- 
glieder (im Sinne der dort begründeten Auffassung) durch die Blatt- 
basen ein unterstützendes, wenn auch nicht das entscheidendste Mo- 
ment für die Lehre von der morphologischen Einheit des Blattes und 
seines Stengelgliedes (des Sprossgliedes) angeführt. Tobler referirt 
auch hierüber und meint, meine „im Uebrigen theoretische Unter- 
suchung (sollte heissen: das Resultat der Untersuchung) stehe ganz 
auf Hofmeister’s Anschauung, stehe und falle mit dieser“. . Das 
ist aber wieder ein leichtfertiges, auch nicht zur Sache gehöriges 
Urtheil, denn wenn auch die Berindungstheorie fiele, so würde doch 
die Unterscheidung der holo- und merieyklischen Stengelglieder und 
die Existenz und morphologische Einheitlichkeit des Sprossgliedes, 

1) Wenn ich nicht irre, so ist das Wort auch ursprünglich in diesem Sinne 
gebraucht worden, Später nannte man die stamm- und blattgemeinsamen Ge- 
fässbündel im Stengel „innere Blattspuren“ zum Unterschiede von den „äusser FA 
und jetzt pflegt man nur die Gefässbündel schlechtweg Blattspuren zu nennon. Me 
möchte aber die ursprüngliche Bedeutung, für welche der Terminus so bezeic 
nend ist, wieder hergestellt wissen, 


en“, 


436 


die durch ganz andere Thatsachen in Cap. 2 und 3 meiner Abhand- 
lung bewiesen werden, nicht fallen — und von etwas Anderem ist 
dort überhaupt nicht die Rede. 

Allein Hofmeister’s Theorie steht noch, trotzdem dass in neuerer 
Zeit an ihren Grundfesten gerüttelt worden ist. Schon Sachs hat, 
ohne indes auf die Frage näher einzugehen, im Lehrbuch (IV. Aufl. 
pag. 159) in einer Fussnote erklärt, er betrachte bei Chara, wie bei 
den Moosen und überall, die Rinde als ursprünglich zum Stamm 
und nicht zum Blatt gehörend, obwohl sich diese Ansicht mit den 
von ihm selbst gegebenen schönen Bildern der Axenscheitel von Chara 
und Equisetum nur gewaltsam vereinigen lässt. In gleichem Sinne 
bemerkt Kolkwitz in der oben eitirten, aus dem botanischen In- 
stitut der Universität Berlin hervorgegangenen Mittheilung über Achsel- 
sprosse von Symphytum (1895): „Die jungen Anlagen der Blätter 
entwickeln sich (bei Symphytum wie bei den übrigen Pflanzen) ihrem 
ganzen Umfange nach zu Blättern, so wie die jungen Anlagen der 
Seitensprosse in toto zu Axillarzweigen.“ Der Stengel wird also nach 
dieser Erklärung von den Blattbasen nicht berindet. 

Während aber Kolkwitz nur nebenbei das genetische Verhält- 
niss der Blätter zum Stengel berührt, ist die neueste, bereits oben 
eitirte Arbeit Tobler’s aus derselben Quelle, des Berliner botan. 
. Instituts (1901), der direeten Widerlegung der Berindungstheorie 
(„Berindungshypothese* nach dem Verf.) gewidmet. Verf. bekennt 
dasselbe Credo wie Kolkwitz. Es heisst dort gleich in der Ein- 
leitung: es liege nahe, gleich beim ersten Auftreten der Blattanlage 
am Stammscheitel bereits die Trennung von „Stamm“ und „Blatt“ 
anzunehmen. Weiter müsse man Alles, was aus dem ersten, nicht 
selten uhrglasförmigen Blatthöcker entsteht, als zum Blatt gehörig 
bezeichnen. In den Lücken zwischen Blattanlagen, die nicht oder 
nicht mehr im Contact stehen, komme der „Stamm“ wieder zum Vor- 
schein, was sich nach der Entwickelungsgeschichte damit erklärt, dass 
die Blattanlagen durch die Streckung des Stammes, an dem sie ‘sich, 
ihn anfangs mehr oder weniger bedeckend, befinden, auseinander ge- 
schoben worden sind. Die durch die Internodien sodann getrennten 
Ansatzstellen der Blätter bilden die Grenze zwischen Stamm und 
Blatt, dementsprechend werde man auch die in den Internodien 
auftretenden Gewebe als genetisch zum Stamm gehörig ansehen. 

Alle diese Sätze sollen im Verlaufe dieser Abhandlung gehörig 
beleuchtet werden. 


Verf. sucht nun seine allgemeine Anschauung entwickelungsge- 


437 


schichtlich an den Axenscheiteln von Elodea, Hippuris, Zea mais, 
von Taxus und Juniperus als Beispielen der vielbesprochener Coni- 
feren, dann von einigen Laubmoosen nachzuweisen und mit Abbil- 
dungen von Längsschnitten zu belegen. Zuletzt theilt Verf, mit, dass 
die Flügel am Stengel „herablaufender Blätter“ nicht etwa von am 
Internodium herabwachsenden Blattbasen herrühren, sondern aus dem 
Internodium selbst herauswachsen, was übrigens schon von Kolk- 
witz behauptet worden war. 

Das Resultat der Untersuchung Tobler’s lautet also dahin, es 
sei für die Berindungstheorie kein genügender Beweis vorhanden; für 
die entgegengesetzte Behauptung, dass das Rindengewebe ein ur- 
sprüngliches Stammgewebe ist, sei dagegen bei verschiedenen Objecten 
(Blodea, Zea, einigen Coniferen) der Beweis mit Sicherheit erbracht. 

Die in der Frage nach der Stengelberindung entscheidenden 
Thatsachen liegen auf entwickelungsgeschichtlichem Gebiete, auf 
welches wir uns daher, zuerst im Allgemeinen, begeben müssen, um 
die Argumente auf beiden Seiten prüfen zu können. Zuerst mögen 
die Thatsachen, welche für die Berindung durch die Blattbasen sprechen, 
erwogen, dann die Ansichten und Argumente auf der Gegenseite er- 
ledigt werden, wobei ich mich in thunlichster Kürze an Tobler’s 
Abhandlung halten muss, nieht weil ich ihr eine besondere Bedeutung 
beilegen möchte, sondern weil sie die einzige ist, die sich eingehend 
vom gegnerischen Standpunkte aus mit dem Gegenstande beschäftigt, 
obwohl sie, nach den Umständen ihrer Entstehung zu schliessen, mit 
ihren Ansichten und Argumenten nicht vereinzelt und ungebilligt dasteht. 

Was die Entwickelungsgeschichte betrifft, so ist es nun von ent- 
scheidender Bedeutung, vor Allem darauf zu achten, ob in einem 
frühzeitigen Entwickelungsmomente die Blattanlagen in vollkommenem 
Contacte stehen oder nicht. Wenn die übereinander im Contacte an- 
gelegten Blätter eine umfassende Basis besitzen (zu holocyklischen 
Stengelgliedern gehören), so berühren sie sich dort auch im ganzen Um- 
fange; wenn sie aber nur einen Theil der Stengelperipherie umspannen 
(daher ihre Stengelglieder merieyklisch sind), so kann der Contact an- 
fangs entweder zwischenBlättern der Orthostiche (medianer Contact), oder 
häufiger nur in den Parastichen und dann nur mit den Seiten stattfinden. 

In beiden Fällen werden, wenn nunmehr der Stengel sich zu 
strecken anfängt, zwischen den bisher im engen Contact befindlichen 
Blattanlagen Internodien gebildet und der Contact wird aufgehoben. 
Wie dies geschieht, geschehen kann, das bildet den Kern der ganzen 
Frage. Würden, wie die Gegner der Berindungstheorie annehmen, 


438 


die ganzen Blattanlagen, die im Contact stehen, zu Blättern sich ent- 
wickeln, so könnten keine Internodien zwischen ihnen entstehen, so 
könnten sie nicht aus einander rücken. Denn dort, wo vollkommener 
Contact zwischen zwei über einander stehenden Blattanlagen, sei es 
in den Orthostichen oder Parastichen, stattfindet, sind die beiden An- 
lagen nur durch einen scharf einspringenden Winkel (im Längsschnitt), 
dessen Scheitelpunkt an der Axe liegt, getrennt. Zwischen beiden 
tritt dort kein freier Axentheil zu Tage, denn eine mathematische 
Linie bildet dort die Grenze beider Blattbasen. Kolkwitz nahm an 
— und nach Allem ist das auch die Meinung Tobler’s, obwohl 
dieser über diesen wichtigen Punkt mit Stillschweigen hinweggeht —, 
dass diese trennende Linie in eine messbare axile Zone sich verbrei- 
tert, wodurch zwischen beide Anlagen (oder auch zwischen zwei Quirle 
derselben) ein freies Stengelstück (resp. Internodium) eingeschaltet 
wird. Dasselbe stellte sich Kolkwitz auch vor, um die Empor- 
hebung eines Achselsprosses von Symphytum u.a. über sein Tragblatt 
zu erklären. Ich habe dies (in Ber. d. d. bot. Ges. 1900) als un- 
möglich und faktisch nicht statifindend nachgewiesen und gezeigt, 
dass eine congenitale Verwachsung oder ein Vereintwachsthum zwi- 
schen Achselspross und Mutterachse stattfindet. Die Basis des Achsel- 
sprosses, mit welcher derselbe dem Mutterspross sich inserirt, streckt 
sich congenital mit dem sich streckenden Hauptspross, wodurch der 
freie Endtheil des Tochtersprosses an der Mutteraxe emporgehoben 
wird, 

Aehnliches geschieht auch, wenn eine Blattanlage über dem 
darunter stehenden Blatt, mit dem sie bisher im Contacte war, mit 
der sich streckenden Axe emporgehoben wird. Denn auch aus der 
Grenzlinie zweier im Contact befindlichen Blattanlagen kann keine 
messbare Flächenzone entstehen, und selbst wenn der Winkel abge- 
stumpft wäre und etwa für eine Zellhöhe Raum böte, so ist es doch 
sicher, dass das interealare Längenwachsthum des Stengels nicht bloss 
in einzelnen queren Zellschichten vor sich geht. Ueberdies müssten 
die interealaren Wachsthumszonen des Stengels, wenn ihre Entstehung 
aus den Grenzlinien möglich wäre, gleich diesen wellig gebogen sein, 
wie dies Kolkwitz richtig gefolgert hat; nur ist es durchaus nicht 
erwiesen, vielmehr rein hypothetisch und sehr unwahrscheinlich, dass 
„die Bildung geschlängelter intercalarer Zonen eine ziemlich verbreitete 
Erscheinung“ sei. Es ist das eben nur eine zwar nothwendige, aber 
falsche Folgerung aus der falschen Voraussetzung, dass die ersten 
Blattanlagen in toto zu Blättern sich entwickeln. 


439 


Das Internodium zwischen zwei im vollkommenen Contact be- 
findlichen Blättern kann also nur unter gleichzeitiger Streckung der 
Insertionsbasis des oberen Blattes, zu dem es gehört, zur Entwicke- 
lung gelangen, und die entwickelungsgeschichtliche Beobachtung steht 
mit diesem theoretischen Postulat in vollster Uebereinstimmung, wie 
das beifolgende, verschiedenen noch näher zu besprechenden Objeeten 
entnommene Schema (Fig. 1a) es zeigt. 

Weil nun der Contact jugendlicher Blattorgane ausserordentlich 
verbreitet ist (Schwendener’s mechanische Theorie basirt ja mit 
auf demselben), so konnte Hofmeister ganz wohl die Berindung 
des Stengels durch die Blattbasen „der unendlichen Mehrzahl der bis- 
her untersuchten beblätterten Pflanzen“, „der grossen Masse“ der- 
selben zuschreiben. 

Doch ist mehrfach auch darauf hin- 
gewiesen worden, und ich habe es in 
meiner oben ceitirten Abhandlung in 
Ber. d. d. bot. Ges. 1900 auch erwähnt, 
„dass es auch Fälle gibt, wo die Blatt- 
primordien von Anfang an durch deut- 
liche Zwischenräume der Centralaxe ge- 
trennt angelegt werden, wo also eine 
Bildung von Blattspuren bei der Streck- Fig. 1. a Schematischer Längs- 
ungder Stengelgliedernicht gerade nöthig „ehnitt eines Axenscheitels mit 
wäre, dann aber müsste die Streekung in Contact befindlichen Blättern, 
gerade nur in diesen Zonen stattfinden, deren untere bereits Blattspuren 


was aber doch nicht oder nur selten ?u bilden anfangen; b, c, d, « Ent- 
wiekelungsstadien eines jüngsten, 


vorzukommen scheint.“ sein Entwickelungsfeld verbrau- 
Hierzu habe ich aber noch eine chenden Blattes, 

wesentliche Bemerkung zu machen. Es 

ist nämlich, was die Anlage der Blätter am Axenacheitel betrifft, 
noch Folgendes zu beachten. Vielfach nimmt jedes Blatt bei seiner 
Anlage eine kleinere Area auf dem Axenscheitel ein als ihm später 
zukommt; es wächst dann,“wie schon von Hofmeister angegeben, 
an seiner Basis rascher in die Breite als der Axenumfang in tangen- 
tialer Richtung und verdickt sich rascher als die Axe in radialer 
Richtung wächst. Das stärkere Breitenwachsthum erkennt man daran, 
dass die Blattbasis einen immer grösseren Theil des Axenumfangs 
einnimmt, was besonders bei scheidigen Blättern sehr auffällig ist, und 
das raschere Diekenwachsthum daran, dass, wenn die erste Anlage 
durch eine Lücke am Axenscheitel von einer darunter stehenden 


440 


Blattanlage entfernt war, sie an dieselbe heranrückt und so nachträg- 
lich in Contact tritt. Jene Lücke gehört zu dem „Entwickelungsfelde“ 
der Schwendener’schen Theorie, welches die Anlage allmählich 
vollkommen ausfüllt. Fig. 15 stellt ein jüngstes Blatt mit seinem 
basalen, in der Fortsetzung der Contur des Axenscheitels gelegenen 
Entwickelungsfelde dar, c, d, esind Stadien des ins Blatt sich strecken- 
den, in seiner Basis zuletzt verschwindenden Zeilgewebes des Ent- 
wickelungsfeldes. Erst in der Folge bildet sich da zwischen beiden 
Blättern ein Internodium, wobei die Basis des oberen Blattes sich 
mitstreckt, das Internodium berindend. Man muss sich also hüten, bei 
der Betrachtung mikroskopischer Bilder des Axenscheitels die erwähnte 
Lücke sofort für das spätere Internodium zu halten und daraus auf 
eine Bildung des Internodiums ohne Betheiligung der Blattbasis zu 
schliessen, was einigen Figuren nach, wie ich zeigen werde, in Tobler’s 
Abhandlung z. B. geschehen ist. 

Die anfänglich raschere Verdiekung der Basis der Blattanlage und 
deren nachmalige Streckung sind wohl aus einander zu halten, da sie 
auf einem verschiedenen Processe beruhen. Selbst Hofmeister hat 
dies (in Allgem. Morphol. pag. 520) nicht gethan, da er dem anfäng- 
lichen Diekenwachsthum der Blattbasis, welches „zunächst rascher als 
das Wachsthum des zugehörigen Axentheils“ erfolgt, die Auflagerung 
neuer Gewebeschichten auf den Axenumfang zuschreibt.!) Das kommt 
daher, dass er nur ganz abstrakt von der im Vergleich mit dem 
Wachsthum der Axe rascheren Verbreiterung und Verdickung der 
Blattbasis spricht, ohne zu erörtern, wie das in concreto geschehen 
kann. Die Sache ist aber die, dass das ganz junge Blatt in der 
Axe (meist im „Periblem“ derselben) einen Zellbildungsherd besitzt 
(was Hofmeister |. c. pag. 528 ausdrücklich geleugnet hat), der 
sowohl in tangentialer wie in radialer Richtung sich ausbreitet und so 
der Blattbasis neue Theile des sich erhebenden Zeilgewebes der Axe 
zuführt. Damit ändert sich die Grenze zwischen Blatt und Axe, die 
Insertionsebene des ersteren, fortwährend; es ist also die Ansicht, dass 
das Blatt aus der ersten Höckeranlage von der Axe ein für alle Mal 
geschieden wäre, ganz irrig. Der umgekehrte Vorgang findet bei 
der Berindung des Stengels durch die Blattbasen statt, denn damit 

!) Tobler verdreht diese Angabe (l. c. pag. 5 Sep) sogar in der Weise, 
dass nach Hofmeister durch die raschere Zunahme in die Breite und Aus- 
breitung des Blattes über einen grösseren Theil der Peripherie der Axe die 


Berindung des Axenumfangs durch Schichten des Blattgewebes zu Stande kom- 
men soll! 


441 


werden die in die äussere Blattbasis aus der Axe aufgenommenen 
Gewebstheile, mit der Streckung der Internodien gleichsinnig wachsend, 
dem Stengel wieder zurückgegeben, wodurch die Grenze zwischen 
Blatt und Axe, die wir durch die Insertionsebene gelegt denken, 
abermals eine Aenderung erfährt. Denn die Berindungsschichten, ob- 
zwar blattbürtig, gehören nicht mehr dem Blatte, sondern der Axe, 
genauer dem Stengelgliede des Blattes, zu. Ts darf darum die Frage 
nach dem Ursprung des Rindengewebes der Axe nicht verwechselt 
werden mit der Frage nach der Grenze zwischen Blatt und Axe, die 
„Stammbürtigkeit“ mit der „Stammeigenheit“. Das Rindengewebe ist 
zwar stammeigen, aber blattbürtig. Diese Reeiproeität im Wachs- 
thum des Blattes und des Stengelgliedes bezeugt eben die morpho- 
logische Einheit und Zusammengehörigkeit beider im Sprossgliede, 
die meiner Sprossgliedlehre zu Grunde liegt. 

Welcher Art sind nun die Gegengründe, die von Tobler gegen 
die Berindungstheorie vorgebracht werden ? 

Einen Hauptbeweisgrund bildet bei ihm die „Scheitelcurve“, welche 
nach abwärts dureh die Blattinsertionen fortgesetzt, in die Oberfläche 
der Stengelglieder verlaufen soll, woraus geschlossen wird, dass die 
Rindenschichten der Stengelglieder nicht von den Blattbasen ausgehen 
können, weil dann diese Schichten über der Stammeurve liegen müssten, 
Dieser Curve kann aber in der vorliegenden Frage aus mehreren 
Gründen kein grosses Gewicht beigelegt werden. Einmal ist dies eine 
subjective nach abwärts verlängerte Linie von keiner streng fixirten 
Lage, sodann sind die vermeintlichen „Internodien“ der jüngsten Blätter 
oftmals nichts anderes als „Entwicekelungsfelder“, die freilich nicht 
berindet sind, aber auch nichts gegen die Berindung der wahren 
Internodien beweisen; endlich geht auch eine möglichst correct ge- 
zogene Forsetzung der Scheiteleurve keineswegs immer in die Aussen- 
eontour der wahren Internodien über. Sie ist z. B. am Stammscheitel 
der Winterknospe von Fraxinus excelsior (in der folgenden Fig. 8) 
ganz unmöglich. Ebenso wenig würde sie sich für manche Längs- 
schnitte der Scheitelregion bei Sachs, z. B. von Ooriaria myrtifolia 
(Lehrb. IV. Aufl. Fig. 144) bewähren. 

Ein anderer Einwand gegen die Berindungstheorie beruht gar 
auf einem blossen Missverständniss. Es müssten nämlich nach Tob- 
ler’s Meinung klare mikroskopische Längsschnitte in hinreichend 
jungen Stadien „nothwendig eine Differenzirung des berindenden und des 
ursprünglichen Gewebes erkennen lassen“, was aber nicht zu sehen ist, 
Der Verf. spricht von einem „Ueberwachsen des Blattgewebes über 


442 


das Axengewebe*; er stellt sich da die „Berindung“ wörtlich so vor, 
dass die Blattbasis auf das bereits angelegte rein axile Internodium 
herunterwächst und ihm später Rindenschichten auflagert. Das Wort 
„Berindung“ ist allerdings nicht zum glücklichsten gewählt und wird 
nur der Kürze halber in Ermangelung eines besseren beibehalten; 
aber derjenige, der die Berindungstheorie kritisirt und widerlegen 
will, sollte doch wissen, wie das Wort gemeint ist, sollte nicht gegen 
selbst ersonnene „Möglichkeiten“ (wie Gleiten eines Gewebes auf dem 
anderen und nachträgliches Herabwachsen auf das nächste Interno- 
dium) ankämpfen. Der Verf. hat zwar als eine weitere Möglichkeit 
den richtigen Vorgang der Berindung berührt mit den Worten, „dass 
das später zur Auflösung des Contactes führende Längenwachsthum 
des Stammes ein gleichmässig mitlaufendes Wachsthum des Berindungs- 
gewebes nach sich ziehen muss“. Allein der auch dagegen erhobene 
Einwurf, dass damit nur das Berinden der Partieen in den Ortho- 
stichen, nicht auch in den seitlichen Lücken, in den Parastichen, er- 
klärt wäre, ist unverständlich und nichtig. Denn wenn die jungen 
Blätter in der Knospe ganz dicht stehen, so müssen dann ihre be- 
rindenden Blattspuren den ganzen Stengel bedecken, etwaige unbe- 
deckte, doch jedenfalls mikroskopische Lücken müssen makroskopisch 
gegen die auffälligen Blattspuren verschwinden oder (bei Abietineen) 
mit den Blattspuren sich combiniren. 

Dies wird zur Widerlegung der gegen die Berindungstheorie sich 
auflehnenden Ansichten im Allgemeinen genügen. 


1. 
Es sollen nun die typischen Beispiele für die Berindung des 
Stengels durch die Blätter aus der Litteratur und zum Theil nach 
eigener Beobachtung einer weiteren Prüfung unterworfen werden. 


I. Phycophyten. 

Schon unter den Thallophyten (besser Phycophyten) zeigt die 
Gattung Chara sehr klar die Berindung, welche hier zuerst Al. Braun 
erkannt hat. Die Knotenzellen sind durch econcave Wände von den 
Internodialzellen getrennt und stossen mit den Rändern an einander, 
die Internodialzellen sind von Anfang an zwischen ihnen eingeschlossen. 
Da aus den von der Knotenzelle abgeschnittenen Randzellen durch 
Hervorwölbung ihrer ganzen Aussenwand die Blattanlagen eines Quirls 
hervorgehen , so stehen die Quirle in vollkommenem Contacte über 
einander. Jedes Internodium kann sich weiterhin nur so strecken, 


443 


dass auch die Basis der Blatthöcker sich, nach abwärts und nach 
aufwärts mitwachsend, zu den „Rindenlappen“ oder Blattspuren ent- 
wickelt, was die Längsschnitte bei Sachs (Lehrb. IV. Aufl. Fig. 192) 
aufs deutlichste erkennen lassen. Tobler lässt hier die Berindung 
gelten, sagt aber, dass bei Chara aus den Basalzellen der Blätter am 
Knoten Zellfäden hervorsprossen, die sich an die Internodialzelle fest 
anschliessen. Das gilt für Batrachospermum, wo die vorgebildeten 
nackten Internodien erst nachträglich von herabwachsenden, seitlich 
erst später aneinander sich schliessenden Rindenzellfäden mehr oder 
weniger vollkommen berindet werden, aber nicht von Chara, wo 
die Vereinigung der „Rindenlappen“, die wohl den Zellfäden ent- 
sprechen, unter sich und mit der Internodialzelle congenital ist. 

Unbegreiflich aber ist es, wie Sachs bei Chara die Rinde als 
urspünglich dem Stamm und nicht dem Blatt gehörend betrachten 
und (l.c. pag. 159) angeben konnte, dass deren Internodien schon der 
ersten Anlage nach zwischen den in merklichen Höhenabständen über 
einander auftretenden Blattquirlen vorhanden sind, da doch seine eigenen 
Bilder das Gegentheil zeigen. Man könnte zwar annehmen, dass das 
Blattprimordium in seiner Basis ein Stück Axe mitnimmt (etwa wie das 
Staubblattprimordium von Iris die Anlage zum äusseren Perigonblatt), 
welches dem Längenwachsthum des inneren Stengelgewebes (bei Chara 
der Internodialzelle) als äusseres Rindengewebe folgend vom Blatt sich 
wieder loslöst. Allein das wäre nur ein anderer mehr geschraubter 
Ausdruck für denselben Vorgang. Es ist zwar richtig, dass das Be- 
rindungsgewebe in zweiter Instanz aus der Axe stammt, da auch das 
Blatt diesen Ursprung hat, allein nicht darum handelt es sich, sondern 
um den direeten Ursprung, und der ist aus dem Blatthöcker. Es ist 
doch natürlich, den Blatthöcker (bei Chara die Hervorwölbung der 
Randzelle), soweit er über die Insertionsebene sich erhoben hat, als 
reine Blattanlage anzusehen, da er, wenn das Stengelglied unentwickelt 
bleibt, oder wenn, wie bei Chara coronata und stelligera und den 
Nitellen, von Anfang an und für immer die Quirle der Blätter durch 
Internodien getrennt sindund eineBerindung unmöglich erscheint, gänzlich 
zum Blatte auswächst. Eher könnte man sagen, dass das Blatt mit 
seiner berindenden Basis mit dem sich streckenden Internodium (Inter- 
nodialzelle bei Chara) congenital verwächst, in derselben Weise wie 
ein Achselspross von Symphytum ete. mit seiner Mutterachse. Für 
Chara wäre das zutreffend, da an den nacktfüssigen Zweigen dersel- 
ben die „Rindenlappen“ augh frei von der Internodialzelle als beson- 
dere Zellfäden ausgebildet werden. Für die Metaphyten passt aber 


444 


diese Vorstellung weniger, da dort Blatt und Stengelglied eine mor- 
phologische Einheit bilden. 


2. Bryophyten. 

Derselbe vollkommene Contact der jüngsten Blattanlagen wie bei 
Chara herrscht auch bei den Laubmoosen. Aus jedem Segment der 
Scheitelzelle des Stengels geht dort bekanntlich eine Blattanlage her- 
vor, welche die ganze Aussenwand des Segments verbraucht. Die 
Blattanlage entsteht terminal zum Segment (lateral nur zum ganzen 
Stengel), denn die Aussenwand bildet den Gipfel des Segmentes (des 
Sprossgliedes). „Der Vegetationspunkt“, sagt Goebel (Vergl. Entw. 
pag. 210), „ist also ganz bedeckt mit Blattanlagen, zwischen denen 
eine freie Stengeloberfläche nicht zu sehen ist.“ Die untere Basis 
jeder Blattanlage wächst dann, wie besonders Leitgeb’s bekannter 
Durehschnitt der Sprossspitze von Fontinalis zeigt, nach abwärts mit 
dem sich streckenden, durch das Stengelsegment repräsentirten Stengel- 
gliede. Tobler weiss aus dem Umstand, den er selbst auch hervor- 
hebt, dass „die Blätter am Stammscheitel noch völligen Üontact 
besitzen, obwohl sie schon beträchtliche Grösse aufweisen“, keine 
Folgerung für den Ursprung des peripherischen Stammgewebes abzu- 
leiten, er vermengt vielmehr diese Frage mit der ganz verschiedenen 
Frage, wo die Grenze zwischen Stamm und Blatt gelegen ist, indem 
er die Begriffe „stammbürtig“* und „stammeigen“ verwechselt. Was 
er über die Grenze vorbringt, hat darum mit dem Ursprung der 

' Stengelrinde gar nichts zu schaffen und mag daher auf sich beruhen. 


3. Pteridophyten. 


Sehr deutlich erkennt man auch den Antheil der Blattbasen an 
der Internodienbildung der Equiseten, wobei auf die vorzüglichen 
Bilder von Längsschnitten durch die oberen Sprosstheile bei Hof- 
meister und Sachs zu verweisen ist. Die Blätter stehen wie bei 
Chara in Quirlen, sind jedoch von Apfang an (congenital) zu gleich 
hohen Scheiden vereinigt.!) 

Die jüngste Scheide wird am Axenscheitel ringförmig angelegt, 
aufwärts und abwärts sanft sich abdachend, unmittelbar über der 

1) Manche hielten die Scheiden der Equiseten für einzelne, am oberen Rande 
gezähnte Blätter. Es sind aber ganz bestimmt Blattquirle. Das bezeugen schon 
die Quirle der achildförmigen, denen von Taxus analogen Sporophylie, die gleich 
den Scheidenzähnen (den freien Endtheilen der vegetativen Blätter) aus ringförmigen, 
uur viel niedrigeren Wällen entspringen. 


445 


voraufgehenden, schon etwas mehr nach aufwärts mit der Scheitel- 
kante sich erhoben habenden Scheidenanlage; höchstens liegt unter 
dem Winkel zwischen beiden und so auch zwischen den folgenden 
(Bachs I. ec. Fig. 279 und 280 bei Equis. telmateja) eine oder zwei 
Lagen längererer, meist noch ungetheilter Zellen (die unteren Zell- 
schichten des Stengelsegments), die Sachs mit ö als „an der Blatt- 
bildung sich nicht betheiligend“, also internodial bezeichnet. Daran 
bat sich nun Tobler gehalten und hat in diesen Zellschichten das 
beginnende stammbürtige Internodium erblickt, dagegen die von Sachs 
richtig als „Rindengewebe der entsprechenden Internodien“ rr bezeich- 
nete gestreckte primäre Scheidenbasis!) „nach ihrer äusseren Abglie- 
derung und ihrer Richtung im Verhältniss zu der des Stammes“ für 
eine so dicke Basis der definitiven Scheide gehalten. Auf dem Längs- 
schnitt von Equis. variegatum Taf. XVII Fig. 1 bei Hofmeister 
sind keine gestreckten „Internodialzellen“ ?) wie bei Equis. telmateja 
und auch bei E. limosum (Hofm. Taf. XIX Fig. 1) zu sehen, weil die 
so gestreckten, doch kürzeren, tafelförmigen Oberflächenzellen des 
schlankeren Vegetationskegels dieser Art alsbald in kurze, isodia- 
metrische Zellen zerfallen. Da meint denn Tobler, dass dieser 
Scheitel überhaupt noch keine Internodien besitzt, weil die Blattschei- 
den „noch“ dicht über einander im Contacte stehen; da könne über 
die Herkunft des peripherischen Stengelgewebes „wohl noch gar kein 
Urtheil gefällt werden“. Wirklich nicht? Woher sollen da die Inter- 
nodien kommen? Es gehört nur eine nicht ganz flüchtige Beob- 
achtung jener Längsschnitte dazu, um zu sehen, dass die Zellschichten 
ü, die sich nicht weiter vermehren, nur zum geringsten Theile zur 
Bildung der Internodien beitragen, welche vielmehr äusserlich von 
den immer mehr gestreckten Blattbasen gebildet werden, was beson- 
ders unwidersprechlich in der Fig. 281 von Sachs der Gefässbündel- 
verlauf aus der definitiven Blattscheide zu den sich bildenden Fibro- 
vasalsträngen des Stengels zeigt. Zwischen der Blattscheide und dem 
Internodium ist daselbst auch schon eine seichte Bucht sichtbar, welche 
zeigt, wie die „Abgrenzung und Richtung“ der primären Scheiden- 
basis sich ändert, weshalb auf solche Momente gar nichts zu geben ist. 

Dieselbe Betheiligung der jungen Blattbasis an der Internodien- 
bildung zeigt auch der Längsschnitt durch den Stengel mit zwei Reihen 
der Ober- und Unterblätter von Selaginella Galeottii auf Hofmeister’s 
Taf. XXV. Die jüngsten Blätter stehen hier wieder in Contact, die 


1) Mit dieser Bezeichnung hat Sachs, entgegen seiner theoretischen An- 


Sicht, die Berindung thatsächlich zugestanden. 
Flora 1902, 29 


446 


Basis der unteren älteren streckt sich wieder mehr und mehr, mit 
leicht geschwungener Conturlinie nach dem älteren Blatte darunter 
sich senkend und mit ihrem äussersten Grunde weiterhin der Axe 
parallel umbjegend. Auch hier beweist ferner der Verlauf der Ge- 
fässbündel im unteren Theile des Längsschnitts, dass die herabgezogene 
Blattbasis bereits dem Internodium zugehört. Eine aufmerksame Be- 
trachtung der Hofmeister’schen Tafel würde alles Gerede über 
Spring’s Monographie der Lycopodiaceen in Tobler’s Arbeit über- 
flüssig gemacht und sein Endresultat rectificirt haben. 


4. Gymnospermen. 


Ich komme nunmehr zu den Coniferen. Bei diesen ist nun die 
Betheiligung der Blattbasen an der Berindung der Axe mittels sog. 
Blattkissen oder Blattpolster so evident, dass auch Sachs dieselbe 
anerkennen und damit eine Ausnahme von seiner sonstigen Ansicht 
statuiren musste. (Lehrbuch, IV. Aufl. pag. 499). Tobler dagegen 
bleibt sich auch hier consequent und sucht entwickelungsgeschichtlich 
den Nachweis zu führen, dass die Blattkissen ') stammbürtig, blosse 
Wucherungen der ursprünglichen Axenrinde sind, welche anfänglich 
von der Blattbasis durch einen einspringenden Winkel getrennt sind. 
Dieser Winkel werde aber durch das weitere Dickenwachsthum dieser 
Stammpartieen ausgeglichen, und das Blattkissen gehe dann in die 
Blattbasis über. Sein Hauptbeweis ist der bereits im Allgemeinen 
besprochene, dass bereits unter dem jüngsten Blatte oder mehreren 
jüngsten Blättern mehrfach (bei Taxus, Juniperus) ein unberindetes 
Internodium zu sehen ist, dessen Contur mit der Verlängerung der 
Stammcurve zusammenfällt. Darauf werde ich später zurückkommen. 

Zunächst sei bemerkt, dass schon der blosse Augenschein des 
fertigen Zustands Blattkissen und Nadel als zu einem Ganzen zu- 
sammengehörig zeigt, dass bisweilen (so bei der Fichte) der Grund- 
theil der Nadel als Stiel allmählich ins Kissen übergeht, mit seinen 


I) Bei Tobler herrscht hier eine Verwirrung, dadurch verursacht, dass er 
nicht weiss, was unter Blattkissen oder Blattpolster allgemein verstanden wird. 
Er sagt: „Die Blattkissen seien nicht zu verwechseln mit den Stammpartieen, 
denen sie aufsitzen und die infolge der zwischen ihnen auftretenden Vertiefungen 
den Eindruck herunterlaufender Blattbasen erwecken‘, d. h. also, mit den Rinden- 
partieen der Axe, die man eben Blattkissen nennt. Der Verf. hält nämlich die 
Nadelbasen, welche bei Abies pinsapo zufällig die Form gerundeter Haftscheiben 
oder Kissen haben, für die Blattkissen und wundert sich dann, wie Jost die 
„haftscheibenartigen Blattkissen“ von A. pinsapo mit der Berindung in 
Zusammenhang bringen will, 


447 


Rändern in die Ränder des Kissens herabläuft und gleich ihm aussen 
verkorkt und stehen bleibt, während die grüne Lamina abfällt. Das 
alles macht schon den genetischen Zusammenhang zwischen Kissen 
und Blattspreite höchst wahrscheinlich. Man beachte ferner einmal 
die Nadelblätter, welche unter der terminalen Winterknospe der Fichte 
diehter gedrängt stehen. Dieselben verbreitern sich unterhalb der 
Nadel in eine breit-ovale schuppenförmige Basis, mit deren Rändern 
sie sich auch der spiraligen Anordnung gemäss decken. Allein diese 
schuppenförmigen, aussen verkorkten Blattbasen sind nur oberwärts 
und nächst den Rändern frei, sonst der Axe „angewachsen“, wie 
Fig. 2c eine solche abgeschnittene Blattbasis von innen zeigt. Die 


Fig. 2, Picea excelsa. a Kranz der am Grunde schuppenförmig verbreiterten 
Nadelblätter unter der Terminalknospe im Längsschnitt, D Tangentialschnitt der- 
selben, c Basis eines solchen abgeschnittenen Nadelblattes von innen, d Zweig 
mit Blattkissen. — Cryptomeria japoniea. e Blatt, f desgl. über der Basis durch- 
schnitten, 9% Querschnitte durch jüngere Blätter, ; jüngste Blätter über zwei er- 
wachsenen, k Längsschnitt durch den Zweiggipfel mit jungen Blättern, I Achsel- 
knospe mit kleiner aufsteigender Blattepur des Tragblattes. — Cr. elegans. m Blatt, 
n vergrösserter Querschnitt desselben. 


„angewachsene“ Partie der Schuppe ist nichts anderes als die ab- 
steigende Blattspur (Blattkissen), die hier ganz auffällig von der längs 
der Axe gestreckten Blattbasis gebildet wird. Fig. 2a, ein Längs- 
Schnitt durch den besagten Nadelkranz unter der Endknospe, von der 
ein unteres Schuppenblatt (Niederblatt) in s mit durchschnitten ist, 
zeigt die verdickten, aussen verkorkten, längs der Axe herabgezogenen, 


am Grunde durch einen emporgezogenen Winkel von der Axe abge- 


448 


setzten Blattbasen als Blattkissen. Man bemerkt sodann, wie das 
Blattkissen der tiefer an der mehr gestrecekten, dünneren Axe stehen- 
den Blätter sich ebenfalls nach abwärts verlängert und zwischen den 
benachbarten Blattkissen verschmälert sich hinabzieht. 

Fig. 25 ist ein Radialschnitt durch die Blattbasen des be- 
sagten Nadelkranzes. Diese sind rhombenförmig und die oberen 
noch dicht an einander grenzend, so wie die Durchschnitte der Blätter 
in der Knospe (in der nachfolgenden Fig. 6B von Abies pinsapo), 
die Streckung der Blattbasen ist hier eben noch unbedeutend. Noch 
zeigt Fig. 2d ein Zweigstück der Fichte mit den verlängerten Blatt- 
spuren, von deren Ursprung noch weiterhin (pag. 455) die Rede sein wird 

Die aufsteigende kurze Blattspur, schon an der oberen Basis 
der zwei unteren Nadelblätter der Fig. 2@ sichtbar, am obersten noch 
kaum entwickelt, ist natürlich gleichen Ursprungs wie die absteigende 
Blattspur, ebenfalls blattbürtig, nämlich während der Axenstreckung 
vom emporgezogenen inneren Blattgrund gebildet. 

Wir haben hier dieselben Verhältnisse der Berindung wie bei 
einer Chara, auf- und absteigende Blattspuren oder Blattkissen, wie 
bei Chara auf- und absteigende Rindenlappen, nur dass die ersteren 
bei der Fichte sehr kurz, bei vielen Coniferen schwach oder gar nicht 
markirt sind. Die Achselknospe entsteht ebenso wie bei Chara auf 
der aufsteigenden Blattspur, die bei letzterer, wenn fertil, verkürzt, 
bei der Fichte verlängert ist, so dass sie bei beiden etwa gleich ent- 
wickelt erscheint. 

In noch anderer Weise kann man sich, ohne mikroskopische 
Untersuchung, von der blattbürtigen Natur der Blattkissen der Coni- 
feren überzeugen. Man kann nämlich bei denselben zwei Hauptfor- 
men von Blattkissen unterscheiden, entsprechend der verschiedenen 
Form der Nadelblätter (Blattspreiten) selber. 

1. Am häufigsten sind die Blattspreiten transversal mehr oder 
weniger abgeflacht und verbreitert (dorsiventral), dann sind auch die 
Blattkissen mässig gewölbt und, worauf es besonders ankommt, der 
Axe parallel überall gleich hoch erhaben, von der Basis des defini- 
tiven Blattes, resp. vom Blatistiel deutlich abgesetzt. Solche Blätter 
und Blattkissen findet man bei Abietineen, Taxus u. a. 

2 Eine andere Form der Blattkissen besteht dort, wo die Blatt- 
spreiten von den Seiten zusammengedrückt, also median oder radial 
(nicht transversal) verbreitert und abgeflacht erscheinen. Diese Form 
ist seltener, bei Cryptomeria japoniea und Araucarien (A. excelsa, 
A. Bidwilli) zu finden. Die untere scharfe Kante der seitlich stark 


449 


zusammengedrückten Blattspreite geht (z. B. bei Cryptomeria japonica 
Fig. 2ef) allmählich in flachem Bogen in die ebenso scharfe, sich gegen 
das nächst untere Blatt allmählich senkende mittlere Längskante des 
Blattkissens über, so dass man nicht sagen kann, wo die Blattspreite 
aufhört und das Blattkissen anfängt. Es ist ohne Weiteres klar, dass 
hier die Blattbasen die ganze Axe bedecken, wie bei Blättern auf 
einer Axe aus gestauchten Stengelgliedern, obzwar sich die Stengel- 
glieder auch hier beträchtlich gestreckt haben. 

Aus dem Befunde der obersten jüngsten Blätter lässt sich ferner 
schliessen, welche Veränderungen mit den Blättern während ihrer 
Entwickelung vor sich gegangen sind. Diese jungen Blätter sind noch 
deutlich dorsiventral, auf der Innenseite, wie die Querschnitte Fig. 29h 
zeigen, abgeflacht, selbst etwas rinnig, auf der Unterseite mit stumpferer 
Mittelkante. Diese Blätter sind zwar aussen zur Basis gewölbt (Fig. 29) 
sitzen mit zwar breiter, doch noch nicht vorgezogener Basis der Axe 
ohne merkliches Internodium auf. An tieferstehenden Blättern hat 
sich die Oberseite mehr vorgewölbt, die Rückenkante ist schärfer 
geworden (Fig. 2%h), die äussere Basis ist schon etwas herabgezogen. 
Bilateral wird das Blatt schliesslich dadurch, dass die Rückenkante 
scharf und vorspringend sich gestaltet, wobei die ebenfalls bilaterale 
Basis zu einer längeren Blattspur vorgezogen wird. Zugleich hat sich 
auch die Innenseite zu einer stumpferen Kante vorgewölbt und musste 
sich natürlich auch die obere Basis mit der Axe entsprechend strecken 
(Fig. 2/). Die ursprünglichen Blattränder verlaufen dann rippenartig 
auf beiden Seiten des bilateralen Blattes in die Ränder des Blatt- 
kissens (ef). Ueber der eigentlichen oberen Blattbasis ist dann auch 
noch eine, zwar sehr kurze und schwach markirte, spitz geendigte 
obere Blattspur zwischen den absteigenden Blattkissen zweier höher- 
stehenden Blätter bemerkbar. Dieselbe dreieckige zugespitzte Blatt- 
spur sieht man wie bei der Fichte auch über dem Achselspross (?), 
woraus folgt, dass dieser hier ebenfalls auf der vergrösserten auf- 
steigenden Blattspur entspringt. 

In den botanischen Gärten wird auch eine Cryptomeria elegans 
eultivirt, welche man dem Ansehen nach für eine eigene Art halten 
möchte, welche aber nach dem Zeugniss der Dendrologen nur eine 
stabil gewordene Jugendform der C. japonica vorstellt, wie solehe auch 
bei anderen Coniferen (z. B. als Retinispora) vorkommen. Dieselbe 
besitzt viel feinere Zweige und flache, dorsiventrale, schmale, fast 
fadenförmige Blätter, deren Mediane, wie der Durchschnitt Fig. In 
zeigt, auf der Oberseite von einer feinen Rinne, auf der Unterseite 


450 


von einer feinen rippenartigen Kante durchzogen sind. Die Blatt- 
kissen verlaufen von unten bis zur Blattbasis parallel der Axe, er- 
scheinen daher fast unter einem rechten Winkel von der Blattspreite 
abgesetzt (Fig. 2m). Es sind also die Blätter und Blattspuren dieser 
interessanten Form nach dem vorigen Typus, wie bei einer Abietinee 
oder bei Taxus gebildet. Dass diese Blattkissen wie die der Normal- 
form von den gestreckten Blattbasen herrühren, beweist ohne Wei- 
teres der genetische Zusammenhang beider Formen, sowie auch das 
gleiche Verhalten der jüngsten Blätter unter dem Vegetationspunkt. 

Bei Thujopsis dolabrata und anderen Cupressineen findet man die 
beiden Blattformen auf demselben Zweige beisammen. Die Zweige 
von Thujopsis sind fachgedrückt, deren Blätter dimorph, nämlich auf 

den breiten Flächen zwei Reihen Blätter 
vom ersten Typus, dorsiventral, auf den 
schmalen Kanten zwei vom zweiten Typus, 
von den Seiten zusammengedrückt, bilateral, 
mit sehr schmaler Oberseite. Die Blatt- 
spur dieser Blätter wird hier noch deut- 
licher als bei Cryptomeria vom unteren 
Theile des Blattes gebildet, so dass es 
aussieht, als seien diese Blätter mit ihren 
Fig. 3. Thujopsis dolabrata, oberen Schmalseiten über ihre halbe Höhe 
Längsschnitt des Axenschei- hinauf der Axe angewachsen. Die kurze 
tele und der Flachblätter. Spreite der Flachblätter geht mit einem 
sanft geschweiften Bug in die der Axe 
parallele Blattspur über. Hier möchte die Ansicht Delpino’s (resp. 
Gaudichaud’s), auf die Tobler nach der Schultradition sehr von 
oben herabsieht, dass die verwachsenen Blätter die Axe bilden, wirk- 
lich annehmbar erscheinen. 

Goebel hat bereits in Bot. Ztg. 1886 Taf. V Fig. 14 einen Längs- 
schnitt durch einen Zweig und seinen Vegetationspunkt gegeben und 
damit das Vereintwachsthum der Blattbasen mit der Axe erläutert. 
Hier möge noch ein Längsschnitt (den ich vom Assistenten Docenten 
Dr. B. Nemeec anfertigen liess), ') durch die Endknospe im Winter, 
und zwar durch die Paare der Flachblätter, Platz finden, welcher den 
vollkommenen Contact dieser jungen Blätter zeigt (Fig. 3). Nur das 
oberste Blatt links unter dem ziemlich flachen Axenscheitel erscheint 
durch ein kurzes Axenintervall von dem darunter stehenden Blatte 


1) Ich selbst bin leider durch die Unzulänglichkeit meiner am Staar operirten 
Augen zur Anfertigung mikroskopischer Schnitte unfähig geworden, 


451 


getrennt, ganz ähnlich wie das oberste Blatt (und dann noch die zwei 
tiefer folgenden Quirlblätter) von Juniperus communis in Tobler’s 
Fig.8. Tobler hält das Intervall für ein Internodium und will da- 
mit den axilen Ursprung des Rindengewebes der Internodien beweisen. 
Es ist das aber nur ein von dem Blatte noch unverbrauchter Theil 
des Axenscheitels, ein „Entwickelungsfeld“ dieses Blattes. Das diesem 
opponirte Blatt unserer Fig. 4 hat bereits das ganze Entwickelungs- 
feld verbraucht und steht darum im Contact mit dem darunter be- 
findlichen Blatt. Auch in Tobler’s Fig. 8 besteht bereits Contact 
zwischen den unteren entwickelten Blättern, der weiterhin nur durch 
congenitale Streckung der Blattbasen mit der Axe gelöst werden kann. 
Damit wird Tobler’s gegen die Berindungstheorie ins Feld geführter 
Hauptbeweis hinfällig. 

Die ungleiche Entwickelung der beiden Blätter des obersten Quirles 
deutet darauf hin, dass dieselben nicht gleichzeitig angelegt worden, 
und dies würde zur Bestätigung der von mir mehrfach ausgesprochenen 
Ansicht dienen, dass die quirlige Blattstellung bei den Metaphyten 
aus der spiraligen hervorgegangen ist. Die Cupressineen sind darum 
in dieser Hinsicht für fortgeschrittener zu halten als die Taxodieen 
und die Abietineen. 

Von der Mittheilung des Längsschnittes durch die bilateralen 
Blätter der Knospe von Thujopsis kann ich Abstand nehmen, weil 
derselbe ganz ähnlich dem der Fig. 3 ist, da in der Knospe der 
Unterschied der dimorphen Blätter noch nicht so gross ist, wie auf 
dem entwickelten Zweige. Nur erscheint dort der Axenscheitel höher, 
weil der oberste Blattquirl dort zwischen die beiden obersten Quirle 
der Flachblätter in Fig. 3 fällt. 

Ich bin übrigens in der Lage, noch weitere mikroskopische Längs- 
schnittsbiller nach Präparaten von Dr. Nemec, mit dem Zeichen- 
apparate gezeichnet und von mir verkleinert, von Taxus baccata, Picea 
excelsa und Abies pinsapo vorzuführen. 

Fig. 44 stellt den Längsschnitt durch den oberen Theil einer 
Winterknospe (im Februar) von Taxus baccata dar. Das jüngste 
Blatt bı, unter dem flachen Axenscheitel nur wenig vorgewölbt, ist in 
der That, wie Tobler es fand, durch einen deutlichen Axentheil von 
dem darunter durchschnittenen Blatte ds getrennt, dagegen hat sich 
die gleiche Axenpartie unter dem Blatte bz bereits mehr in die Basis 
dieses Blattes erhoben, die nach abwärts folgenden viel grösseren 
Blätter sitzen bereits alle mit breiter (resp. hoher) Basis im vollen 
Contact, durch scharfe Winkel von einander getrennt, der Axe auf. 


452 


Das scheinbare Internodium des jüngsten Blattes ist also abermals 
kein wahres Internodium, sondern nur ein „Entwickelungsfeld“, welches 
dazu bestimmt ist, im Blatte aufzugehen. Die Internodien entstehen 
erst unterhalb der tieferstehenden grösseren Blätter, deren Basen 
wieder mitgestreckt werden. Am entwickelten Zweige sind die Blatt- 
polster wohl entwickelt, der Axe parallel laufend, mit scharfen Rän- 
dern, welche in die Ränder des Blattstiels sich fortsetzen. 

Ein Längsschnitt durch den Axenscheitel einer anderen Knospe 
(Fig. 4B) zeigt den Scheitel höher gewölbt und die zwei jüngsten 
Blätter des Schnittes nach abwärts ausgeschweift verlaufend. Das 
allerjüngste Blatt ist in diesem Schnitt wahrscheinlich nicht getroffen 
worden. Es ist wohl wahr, dass die jüngsten Blätter, welche ihr 
Entwickelungsfeld unlängst in sich aufgenommen haben, jenen älteren 
Blättern, deren Basis am Internodium sich hinabzieht, ganz ähnlich 
sehen, aber die zwischenliegenden im Contact befindlichen Blätter 


belehren uns über den verschiedenen Hergang bei der Bildung dieser 
zweierlei Blätter. 


NOS 
DON 
EIN 


A N 


Fig.4. Taxus bacoata. A.B Längsschnitte darch zwei Winterknospen, b, bybz Reihen- 
folge der durchschnittenen Blätter von oben nach unten, 


Sodann stellt Fig. 5 (Reichert Obj. 4 Oc. 2) einen Längs- 
schnitt: (Mikrotomschnitt) durch eine Winterknospe der Fichte dar, 
welche im Frühjahr (April) bereits die Knospenschuppen durchbrochen 
und im unteren Axentheil sich schon merklich gestreckt hat. Die 
obersten Blattanlagen, deren jüngste bı fast noch meniskenförmig, 
stehen vollkommen im Contact, zur Zeit keine Spur einer freien 
Axenoberfläche zwischen sich lassend; die Basen der tieferstehenden 
Blätter haben sich aber mit der Axe nach abwärts mehr oder weniger 
gestreckt und damit hat die Bildung der hinabsteigenden Blattspuren 
(Blattkissen) begonnen, von denen die des Blattes bs (des von oben 
fünften der durchschnittenen Blätter) deutlich der Axe parallel ver- 
läuft und durch einen geschweiften Bug vom eigentlichen Blatte sich 


453 


abhebt. Der Längsschnitt besitzt eine frappante Aehnlichkeit mit dem 
von Selaginella des Hofmeister’schen Werkes, auch mit denen 
von Equisetum, von der verschiedenen Blattstellung natürlich abgesehen. 

‚Hiernach unterliegt es keinem Zweifel, dass sich die Blattbasen, 
während die Axe sich streckt, an der Bildung der Blattkissen be- 
theiligen. Aber in welchem Maasse? Es erscheint g@boten, bei den 
Abietineen, deren Winterknospen sehr reichblätterig sind, jüngere 
Entwickelungszustände zu untersuchen, um über die Bildung der 
Blattkissen völlig ins Reine zu kommen. Jost hat einen Längsschnitt 
durch eine Knospe mit. eben (Anfang Juli) angelegten Blättern von 
der Fichte in Fig. 12 und 
von einer etwas älteren 
Winterknospe, vom No’ 

2), / 
% 

etwa wie in unserer Fig. / 
led, in dessen Basis über- . 
gehen, theilweise aber, Fig. 5. Picea exoelsa. Längsschnitt eines die 
bei A. pinsapo, von dem Winterknospe durchbrechenden sich streckenden 
untersucht. Fig. 6 stellt in A einen halben Längsschnitt, in B an 
Tangentialschnitt von A. pinsapo dar. Auf dem Längsschnitt sieht 
man immer je zwei Blattdurchsehnitte über einander im vollkommen- 
sten Contact, zwischen je zwei Paaren aber die axilen Lücken mit 


vember, von Abies pinsapo 
Frühlingstriebes. b, by b; 5, b; Reihenfolge der 
schwach (schwächer als in Jost’s Fig. 17) vorgewölbten Erhöhungen. 


L 


Boiss. in Fig. 17 seiner £ 
Tafel mitgetheill. Man ” 
sieht überall zwischen den 
Blattanlagen Intervalleder 
Axe, aus welchen mehr 
darüberstehenden Blatte durchschnittenen Blätter. 
auf dem Axenscheitel, so- 
gar durch einen scharf einspringenden Winkel völlig getrennt, nur 
mit dessen Basis sich berührend, angetroffen werden. 
Ich habe nach Durchsehnitten von Dr. Nömec geschlossene 


65 
oder weniger vorgewölbte, 
doch ziemlich lacheHöcker 
sich erheben, welche gegen 
das über ihnen stehende 
Winterknospen von Ab. pinsapo und von der einheimischen Weiss- 


Blatt meist ansteigend, 
tanne im Januar und Februar des heurigen überaus milden Winters 


454 . 


Die Regelmässigkeit im Abwechseln der Blattpaare und Lücken lässt 
schon darauf schliessen, dass nur ein Theil der Lücken durch den 
Schnitt getroffen wurde. Der Tangentialschnitt Fig. 6B lässt dies 
anschaulichst erkennen. Man sieht dort die 3., 5., 8., 13., 21. Reihen, 
der Längsschnitt in A ging durch eine 21. Reihe (Linie «a), anschei- 
nend ÖOrthostich; er schneidet die Blätter 0, 8, die Lücke zwischen 
Bl. 13 und 16, dann 21, 29, die Lücke zwischen 34 und 37 u. =. f. 
Die Bezifferung ist auch in Fig. 64 eingetragen: es stehen im Längs- 
schnitt über einander Blatt 0, 8 — 21, 29 — 42, 50 — 63, 71. Es sind 
also die ungefähr rhombischen Querschnitte an der Insertionsbasis der 
Blätter!) nach Fig. 64 mit ihren vier Seiten oder doch wenigstens in 
den 8. Zeilen unter einander im 
vollkommenen Contact, in den 
13. Zeilen aber, z. B. in Linie bb, 
liegen zwischen den Blättern die 
mit ihnen gleich hohen Axen- 
intervalle. 

Was sind nun diese Inter- 
valle? Sind es Entwickelungs- 
felder der Blätter, denen sie 
ganz ähnlich sehen (man vergl. 
Fig.3 u. 4), oder sind es Inter- 
nodien und die Vorwölbungen 
Anfänge von Blattkissen? Ent- 
wickelungsfelder im gewöhn- 
lichen Sinne können es nicht 

AR. PO sein, denn ihre Vorwölbungen 

Fig. 6. Abies pinsapo, A halber Längs- können von den Blättern nicht 

schnitt, 3 Tangentialschnitt der Winter- aufgebraucht werden. Wenn es 

knospe. aber Blattkissen sind, so weichen 

sie von anderen Blattkissen da- 

durch bedeutend ab, dass sie frühzeitig, lange vor der Streckung der 

Knospenaxe, und nicht aus den Blattbasen, sondern aus den axilen 
Zwischenräumen entstehen. 

Diesmal hat also Tobler recht, wenn er sagt, die Fig. 17 von 
Jost erwecke entschieden den Eindruck, als ob man es hier mit 
hervorgewölbten Axenpartien („Internodien“) zu thun habe, und Jost 
selbst gibt zu (l. e. pag. 217), dass es sich da wirklich „um eine Vor- 


» In Fig. 6B ist natürlich dieser Contact wicht sichtbar, weil die Quer- 
schnitte der Blätter mehr oder weniger über der Insertionsbasis liegen. 


455 


wölbung aus dem Stamm heraus handelt“, wie das die (dort auspunk- 
tirte) Stammeurve, welche sämmtliche obere Blattansätze mit einander 
verbindet, deutlich zeigt. Anderseits aber weist Jost darauf hin, 
dass das Polster unter der Blattbasis, wenn die Knospenaxe sich 
streckt, wie bei der Fichte langgestreckt erscheint, und dass also auch 
bei A. pinsapo eine Gliederung des Blattes in Blattkissen und Blatt- 
lamina eintritt. 

Darin scheint ein Widerspruch zu liegen, denn wie kann das 
Blattkissen einmal aus der Blattbasis und dann wieder aus der axilen 
Lücke entstehen? Jost bat zwar in der eben erschienenen zweiten 
Abhandlung über die Theorie der Verschiebung, Bot. Ztg. 1902, H. 2, 
in die Stelle „Vorwölbung aus dem Stamm“ einen anderen Sinn ge- 
legt, doch aber ist sie auch nach dem strengen Wortlaute ebenso 
richtig wie der Ursprung aus der Blattbasis, Der scheinbare Wider- 
spruch klärt sich aber in folgender Weise auf. 

Man muss das Knospenstadium der Fig. 6B mit dem fertigen 
Zustand des daraus erwachsenen Zweiges vergleichen. Ich wähle 
dazu einen Zweig der Fichte (Fig. 2d), weil bei sonst gleichen Ver- 
hältnissen die Blattkissen dieser Art scharf getrennt erscheinen, wäh- 
rend sie bei Abies pinsapo, wie bei den Tannen überhaupt, in der 
Jugend schwach, im erwachsenen Zustand infolge ausgleichenden 
Dickenwachsthums der Axe gar nicht mehr hervortreten. 

Man sieht sogleich, dass die Lücke zwischen den Blättern 5 
und 8, durch welche Blatt 13 von Bl. 0 in Fig. 6B getrennt 
wird, dem (oft stark) verschmälerten unteren Theil der Blattspur des 
Blattes 13 in Fig. 2d, welche zwischen den Blattkissen von Blatt 
5 und 8: liegt, genau entspricht. Aber gleichzeitig nimmt man wahr, 
dass der obere breite Theil des Blattkissens einen anderen Ur- 
sprung haben muss, nämlich aus der gestreckten Basis des Blattes 13 
selbst. Denn diese Blattbasis, wie die eines jeden Knospenblattes, 
steht im Ruhezustand der Knospe, wie Fig. 6 A zeigt, mit ihrer Unter- 
seite am Grunde im genauen Contacte mit den oberen Seiten der 
Blätter 5 und 8, von denen das Blatt 13 durch Streckung der Axe 
nicht anders entfernt werden kann, als durch gleichzeitige Streckung 
seiner unterseitigen Blattbasis. 

Nunmehr wird der Ursprung und die Entstehung der Blattkissen 
bei Piecea, Abies und wohl allen Abietineen vollkommen klar. Die 
Blattkissen haben hier einen gemischten Ursprung, im unteren Theile 
aus der Axe, im oberen breiten Theile aus der Blattbasis. Der 
untere Theil wird schon frühzeitig in der jugendlichen Knospe im 


456 


Sommer angelegt und verharrt fast unverändert bis zum nächsten 
Frühjahr, der obere bildet sich erst beim Auswachsen der Knospe 
und bei der Streckung der Axe, wie anderwärts die Blattspuren sich 
bilden. Der schärfere Winkel, der zwischen dem axenbürtigen Blatt- 
kissen und der Blattbasis in der Knospe anfänglich besteht, wird beim 
weiteren Längenwachsthum des Zweiges ausgeglichen. 

Der genetische Unterschied beider Theile des Blattkissens scheint 
hiernach sehr gross zu sein, verringert sich aber durch folgende Er- 
wägung. Das primäre Kissen in der Knospe hängt, obzwar aus dem 
axilen Intervall hervorgegangen, bald mehr oder weniger hoch, deut- 
lich mit der Rückseite des supraponirten Blattes zusammen, wie es 
unsere Fig. 6A und z. Th. auch Jost’s Fig. 12 und 17 zeigen. Es 
erscheint also wie eine fersenartige Verlängerung der Blattbasis nach 
abwärts, wie ein Zuwachs derselben aus der Axe in deren radialer 
Richtung, hierdurch von dem die Verdickung des Blattes sonst ver- 
ursachenden Zuwachs sich unterscheidend.. Wenn dann, sobald die 
Axe sich zu strecken beginnt, aus dieser Blattferse der untere Theil 
des definitiven Blattkissens entsteht, so steht doch auch dieser in 
einer genetischen Beziehung zur Blattbasis und es stellt sich das 
ganze Blattkissen als ein einheitliches Gebilde dar. Dieser Auffassung 
entspricht auch die sonst etwas räthselhafte, halbschematische Fig. 8 
von Picea excelsa bei Jost. 

Zuletzt sei noch auf den Radialschnitt durch den Nadelkranz 

unter der Endknospe der Fichte (Fig. 2b) hingewiesen, welcher aus 
denselben Rhomben wie in Fig. 6B besteht, Durchschnitten von 
Blättern, deren Basen, besonders die der oberen, sich nur wenig als 
Blattkissen gestreckt haben. 
Längsschnitte durch die Winterknospe von Abies pectinata zeigten 
mir dasselbe wie die von A. pinsapo, nämlich dieselben Lücken und 
primären Blattkissen zwischen den Blättern, weshalb ich eine weitere 
Besprechung derselben sparen kann. 

Auch die mikroskopische Untersuchung guter Mikrotomschnitte 
der Scheitelregion der Coniferen hat ergeben, dass die Blattkissen 
ganz oder doch zum grösseren oberen Theile (Abietineen) aus der 
sich streckenden Blattbasis hervorgehen, nur bei den Abietineen , 80- 
viel mir bisher bekannt, im unteren Theile auch aus der interfoliaren 
Axe ihren Ursprung nehmen. 


5. Angiospermen. 
Bei den Angiospermen findet man dieselbe Bildung der Blatt- 
spuren wie bei den Pteridophyten und Coniferen wieder, wenn die- 


457 


selben auch meistens nicht als Blattkissen vorspringen wie bei den 
letztgenannten. Die nachstehenden Mikrotomschnitte, ebenfalls von 
Dr. N&mec angefertigt und mit der Camera gezeichnet, mögen es 
beweisen. 

Zuvor will ich aber noch bemerken, dass ein Längsschnitt durch 
die obere Sprosspartie von Casuarina, den ich gesehen habe und den 
schon Hofmeister als Beleg zu seiner Berindungstheorie aufführt, 
im Wesentlichen (natürlich mit Ausnahme der segmentirenden Ter- 
minalzelle) mit dem von Equisetum übereinstimmt, weshalb ich von 
einer Zeichnung desselben absehe. 


AR 
ß, | 
N 


. Fig. 8. Fraxinus excelsior. A Längsschnitt durch 

Fig. 7. Salix purpurea, Längs- die Winterknospe, b, b,b, b, decussirte Blattpaare 

schnitt durch den Axenscheitel. in absteigender Reihenfolge. B € zwei Blattquer- 

b, db; b, b, aufeinander folgende schnitte mit Anlage der Blättchen aus dem Quer- 
Blätter des Durchschnitts. schnitt einer solchen Knospe. 


Fig. 7 ist ein Längsschnitt durch die Scheitelregion von Salix 
purpurea. Der Vegetationspunkt ist hier sehr flach, unter dem Jüng- 
sten Blatt 5b, befindet sich ein scharf abgesetztes offenbar freies Stück 
des Axenscheitels, welches wieder sehr an das der Fig. 4 und der 
Tobler’schen Fig. 5 von Taxus erinnert und welches ohne weitere 
Orientirung auch wieder für ein ursprünglich axiles Internodium ge- 
halten werden könnte. Es ist das aber zweifellos ein vom Blatt bı 
noch unverbrauchter Theil des Axenscheitels, welcher demnächst von 
diesem Blatt zu seinem Diekenwachsthum verwendet worden wäre. 
Denn schon das nächst tiefere Blatt bs grenzt ohne Spur einer freien 


458 


Axe mit ganz spitzem Winkel an das darunter stekende Blatt an, 
dessen Basis wie die der übrigen Blätter sich bereits als Blattspur 
beträchtlich gestreckt hat und damit der Axe wieder anheim fiel, 
In st ist die Stipula nebst Blattspur eines durch den Schnitt sonst 
entfernten Blattes. 

Eigenthümlich ist der Längsschnitt durch eine noch geschlossene 
Winterknospe von Fraxinus excelsior (Fig. 84). Die decussirten Laub- 
blätter sind innerhalb der nicht mehr mitgezeichneten Schuppenblätter 
in fünf Paaren vorhanden, davon das oberste Paar bı, das dritte und 
fünfte von oben ds Ds median durchschnitten, von den Paaren bs ba 
las vordere Blatt durch den Schnitt entfernt, das hintere Blatt bs 
kappenförmig erscheinend. Die drei obersten Paare stehen im lücken- 
losen Contact, in einer breiten horizontalen Ebene inserirt, der Vege- 
tationspunkt ist verhältnissmässig klein, kurz conisch. Die Blätter bs 
bilden bereits eine wulstig vorspringende Blattspur, die Axe ist unter 
ihnen und unter den in der Figur nicht sichtbaren Blättern b, stark 
eontrahirt. Sollen später die oberen Blattpaare durch Streckung der 
Axe von einander entfernt werden, so müssen auf den Internodien 
Blattspuren wie von den Blättern b; gebildet werden. Also auch hier 
ist die Berindung der Stengelglieder durch die Blattspuren unzweifelhaft. 

Die in Fig. 8 beigegebenen Querschnitte B C der Blätter bs be, 
einem ganzen Querschnitt einer zweiten Knospe entnommen, zeigen 
die Bildung der Seitenblättchen. 

Man vergleiche mit dem Längsschnitt von Fraxinus die sehr ähn- 
liche Fig. 118 im Lehrb. von Sachs, 4. Aufl., zu Helianthus annuus, 
sowie Fig. 128 zu Clematis, beide mit ebenfalls decussirten Blättern, 
und man wird nunmehr auch in diesen Bildern die Berindung des 
Stengels durch die Blattbasen erkennen. Die Fig. 144 ebendort, zu 
Coriaria myrtifolia gehörig, macht auch denselben Eindruck. 

Von den Pflanzen mit umfassenden, scheidigen Blättern ist bisher 
nur von Zea mais die Scheitelregion untersucht worden, Schon Sachs 
führte (neben Chara), den Mais als Beispiel dafür an, dass „die Inter- 
nodien schon der ersten Anlage nach vorhanden sind, indem die con- 
seeutiven Blätter oder Blattquirle in merklichen Höhenabständen über 
einander auftreten“. Auch Tobler fand die jüngste, noch uhrglas- 
förmige Blattanlage von dem darunter stehenden, bereits scheidigen 
Blatte durch ein „Internodium® schon ursprünglich getrennt. In Er- 
mangelung eines eigenen Beobachtungsmaterials werde ich mich an 
die Bilder der genannten Autoren halten. Dem Längsschnitt Tob- 
ler’s (Fig. 4) fehlt gerade das Wichtigste, der Anschluss an ältere 


459 


Blätter. Viel besser und lehrreicher sind die Bilder von Sachs (l. ec. 
Fig. 117 A und B). Das jüngste Blatt in A mit seinem (vermeint- 
lichen) Internodium erinnert stark an das jüngste Blatt mit seinem 
„Entwiekelungsfelde“ von Taxus baccata und Salix purpurea unserer 
Fig. 4 und 7. In B (von Sachs) ist das „Internodium“ bereits ver- 
schwunden, denn die jüngste Blattanlage reicht bereits hinab bis zur 
Achselknospe des dritten Blattes 5“, welche (nach der punktirten 
Contur der Blattscheide des zweiten Blattes 5’) nicht etwa aus dem 
„Internodium“, sondern unter ihm entsprungen ist. Ferner steht das 
dritte Blatt unmittelbar ohne ein zwischenliegendes Internodium über 
einem vierten Blatt 5‘. Wirkliche Internodien können zwischen allen 
diesen Blättern nur durch eine Streckung der Blattbasen (die bereits 
am untersten Blatte anfängt) zugleich mit der Streckung der Axe und 
Berindung der letzteren durch die Blattbasen sich einschieben. Das 
scheinbare Internodium unter dem jeweils jüsgsten Blatte ist also 
noch gar kein Internodium, sondern nur ein zur Zeit noch unver- 
brauchter Rest des Axenscheitels, womit die auf dieses Internodium 
gestützte Ansicht von Sachs und von Tobler fällt. 

Ganz besonders sicher glaubt Tobler den Beweis der Behaup- 
tung, dass das Rindengewebe ein ursprüngliches Stammgewebe sei, 
bei Elodea und anderen Wasserpflanzen (wie Hippuris) geführt zu 
haben. Er gibt in Fig. 1 eine Scheitelansicht von Elodea canadensis. 
Schönere und deutlichere Bilder findet man auf der Wandtafel XXX 
von Kny. Man ersieht aus denselben, wie die ersten, mit einer sich 
vorwölbenden Zelle beginnenden Blatthöcker sich alsbald tangential 
verbreitern, quergestreckte Protuberanzen bildend. Die regelmässig 
alternirenden Quirle sind bekanntlich dreiblätterig, an Zweiganfängen 
auch nur zweiblätterig; die Blattanlagen an den oberen Quirlen am 
Axenscheitel sind noch durch Lücken des Axenscheitels getrennt. 
Zwischen den übereinander (in Orthostichen) stehenden Blättern zweier 
supraponirten Quirle liegt immer ein freies Intervall des Axenscheitels, 
dessen Höhe etwa der Dicke der Blätter gleichkommt. Diese Lücke 
hält wieder Tobler für ein nacktes Internodium, dessen Contur mit 
der sog. Stammeurve natürlich zusammenfällt. Allein in diese Lücken 
reichen von beiden Seiten die Seitentheile je zweier Blätter eines 
alternirenden Quirles hinein, so dass nur unter der Mediane jedes 
Blattes eine Axenlücke übrig bleibt. Zwischen den Blättern der auf- 
einanderfolgenden Quirle, in den Parastichen, herrscht seitlicher Contact. 

Allein in den tieferstehenden, älteren Quirlen, die ich an der 
lebenden Pflanze allein untersucht habe, berühren sich die drei Blätter 


460 


nieht nur, sondern sie greifen sogar mit den Rändern etwas über- 
einander. Diese Berührung und dieses Uebergreifen kann nur auf 
Kosten der erwähnten Stammlücken vor sich gehen, d. h. die Blatt- 
basen verbreitern sich noch derart, dass die freie Stammoberfläche in 
ihren Rändern aufgeht. Jene Lücken sind also wiederum keine Inter- 
nodien, sondern Entwickelungsfelder, die von den Blättern aufgebraucht 
und ausgefüllt werden. 

Ich habe aber auch noch eine andere Art der Gattung, die Elo- 
dea densa näher untersucht und Herr Dr. Nemee hat auf meine 
Veranlassung auch Mikrotomschnitte gemacht und gezeichnet, welche 
die fraglichen Verhältnisse vollständig aufklären. Die Art ist viel 
stattlicher, ihre Quirle sind vier- und fünfblätterig und die Blätter 
decken sich im selben Quirle an der Basis mit 
noch breiteren Randtheilen, die Quirle sind also 
wie bei der vorigen Art nicht ganz vollkommen. 
Eine mächtige, ungemein reichquirlige und reich- 
. ; blätterige Laubknospe aus dicht gedrängten Quirlen 


bildet den Abschluss des Stengels. 
Der ungemein lange, mit zahlreichen Quirlen 
junger kleiner Blätter besetzte Axenscheitel ist in 
y Fig. 9 dargestellt. Die obersten supraponirten 
Blattquirle lassen wie bei E. canadensis zwischen 
Z, den annähernd median durchschnittenen, Ortho- 
% _stiche bildenden Blättern grössere Axenintervalle 
erblicken, tiefer unten erscheinen aber zwischen 
Fig. ” den den- den Blättern der Orthostiche statt der Lücken je 
aurch a anken 12 kleinere Blattquerschnitte eingeschaltet. Das 
Axenacheitel. rührt davon her, dass die Blätter der betreffenden 
Quirle sich mittlerweile verbreitert haben und mit 
den Rändern zusammentreffen oder übergreifen, was Fig. 10.A, ein 
Tangentialschnitt über den Blattbasen klar zeigt. Ein Schnitt in der 
Linie aa wird die Blätter des Orthostiches und, je nachdem, den 
Randtheil einer oder beider zwischenliegenden Blätter treffen. Die 
Blätter verschiedener Quirle stehen dann in vollkommenem oder fast 
vollkommenem Contact. Diesen Contact zeigt auch der Längsschnitt 
durch noch tieferstehende, grösser entwickelte Blätter in Fig. 10.2. 
Man sieht dort in den früheren Lücken zwischen den median durch- 
schnittenen Blättern bb des Orthostichs, in welche Gefässbündel ein- 
treten, die eingeschobenen, einander deckenden Blattränder der alter- 
nirenden Quirle. In Fig. 10C ist schliesslich ein Längsschnitt des 


461 


Stengels nach der Linie bb in Fig. 104, geführt durch die supra- 
ponirten Seitentheile der Blätter alternirender Quirle und durch die 
bekannten Squamulae (oder Stipulae) intravaginales st, und zwar aus 
einer noch tieferen Region, wo bereits der Stengel sich zu strecken 


Fig. 10. Elodesa densa. A Tangentialschnitt durch Blätter von fünf Quirlen am 
Axenscheitel, s squamulae intravaginales; B Längsschnitt einer tieferen Partie 
des Axenscheitels, nach der Linie aa. in A, bb Blätter eines Orthostichs, dazwischen 
über einander greifende Blattränder aus alternirenden Quirlen; C Längsschnitt 
einer noch tieferen Partie nach der Linie bb in A, mit beginnender Abwärts- 
streckung der Blätter längs der Axe, st squamulae intravaginales. 


und die Quirle aus einander zu rücken anfangen. Man sieht deut- 
lich, wie die unteren Basen der Blätter auf den sich einschiebenden 
Stengelgliedern, deren Wachsthum folgend, herabgezogen werden. 
Auch das „beste Object“ zum Nachweise der Stammbürtigkeit 
der Stengelrinde, Elodea, liefert diesen Nachweis nicht, weil die ver- 


meintlichen nackten Internodien der jüngsten Blätter als blosse, später 
Flora 1902, 30 


462 


verschwindende Entwickelungsfelder zwischenliegender Blätter sich 
erweisen, die wahren Internodien aber erst viel tiefer und viel später, 
nur unter nothwendiger Theilnahme der Blattbasen, auftreten. 

Im Wesentlichen gleich wie Elodea verhält sich Hippuris, obzwar 
als dicotyle Pflanze von ersterer verwandtschaftlich weit entfernt. Der 
Längsschnitt Fig. 11 4 stimmt im Ganzen mit dem der Tobler’schen 
Fig. 3 überein, die Bewerthung desselben Objectes ist meinerseits 
wieder eine andere. Im oberen Theile des Axenscheitels ist rechts 
ein Orthostich mit den zwischenliegenden Lücken, links sind unter- 
halb einer solchen Lücke die Randtheile aller alternirenden Quirle 


Fig. 11. Hippuris vulgaris. A Längsschnitt durch den Axenscheitel. BC Jüngeres 
und älteres Internodium zwischen zwei Quirlen. 


durch den Schnitt getroffen. Die weiter erwachsenen Blätter der 
unteren Quirle stehen bereits im vollkommensten Contact über einan- 
der, der in tieferer Stengelregion nur durch Verlängerung der Blatt- 
basen nach abwärts gelöst werden kann. Die von den Blattbasen 
sich herabziehenden, rippenförmigen Blattspuren zwischen noch wenig 
durch kurze Internodien von einander getrennten Quirlen sieht man 
ähnlich den Blattkissen der Coniferen durch Furchen getrennt. (Fig. 
11 B.) Indem aber auf älteren längeren Internodien die verbreiterten 
Blattspuren selbst wieder längs berippt werden, erscheinen diese (zu- 
sammengesetzten) Internodien zuletzt gleichmässig vielrippig. (Fig. 11C.) 


468 


Alle hier vorgeführten Pflanzen aus den verschiedensten Familien 
und Hauptabtheilungen des Pflanzenreiches beweisen die Richtigkeit 
der Hofmeister’schen Berindungslehre und haben z. Th. die bis- 
her wenig beachtete Thatsache ans Licht gebracht, dass die Blatt- 
anlagen, wenn sie auch anfangs in merklichen Höhenabständen über 
vorausgehenden Blättern hervorsprossen, später durch Ausnützung des 
ihnen gebotenen Entwickelungsfeldes in Contact gerathen und nicht 
anders als durch Abgabe ihrer Basen an die Axe durch entwickelte 
Stengelglieder aus einander rücken können. Per inductionem kann 
man bis auf weiteres auf die grosse Verbreitung, ja Allgemeinheit 
der Berindung des Stengels durch die Blätter schliessen. Doch wird 
es noch weiterer Untersuchungen bedürfen, um festzustellen, ob nicht 
doch auch Fälle vorkommen, in denen kein Contact der jungen Blätter 
und auch keine Berindung der von Anfang an vorhandenen Stengel- 
glieder stattfindet. Denn wenn bei einer Chara und allen Nitellen 
die Internodien unberindet bleiben können, so ist die gleiche Mög- 
lichkeit bei den Metaphyten (Gefässpflanzen) auch nicht ausge- 
schlossen, nur muss sie anders als in Tobler’s Abhandlung faetisch 
nachgewiesen werden. Es sind in dieser Hinsicht besonders Pflanzen 
mit rudimentärer Blattbildung, wie z. B. Cacteen, zu untersuchen. 


Schliesslich kann ich auch das Phänomen der mit Blattflügeln am 
Stengel „herablaufenden Blätter“, dem Tobler noch besondere Auf- 
merksamkeit gewidmet und das er auch entwickelungsgeschichtlich 
untersucht hat, nicht mit Stillsehweigen übergehen. Er bestreitet die 
Betheiligung der Blätter bei der Bildung solcher Flügel, namentlich 
ein wirkliches Herabwachsen der Blattränder auf die Internodien. Er 
fand bei Cirsium palustre die erste Anlage eines Flügels an Inter- 
nodien zwischen bereits beträchtlich grossen Blättern. Sie entsteht 
als senkrechter Auswuchs des Stengels in der Weise einer Emergenz 
und ihre Bildung schreitet nach oben und unten am Internodium fort. 
Die Flügel treten somit erst später mit den Rändern der Bluttbasis 
in Berührung und Verbindung. 

Ich kann mich nur an diese Angaben halten, die ich als richtig 
voraussetze. Aber folgt aus ihnen wirklich die völlige Unabhängig- 
keit der Stengelflügel von den Blättern? Tobler gibt selbst an, 
dass zwischen den Blattanlagen am jungen Scheitel von Cirsium Con- 
tact „in einem reichen Maasse* vorhanden ist, dass das vierte und 
fünfte Blatt im Profil meist noch im Contact steht. Hieraus folgt, 


wie nicht anders zu erwarten war, dass die ursprünglichen Blattbasen 
30* 


464 


als Blattspuren die jungen Internodien bekleiden. Die Flügel ent- 
stehen also, wenn auch anfangs von den Rändern des eigentlichen 
(definitiven) Blattes getrennt und verspätet, doch aus den Rändern 
der Blattspuren und stammen in letzter Instanz doch von den Blatt- 
anlagen ab. Dass sie, da die Blattspuren auf den Internodien be- 
reits dem Stengel angehören, erst auf diesem entstehen, soll damit 
nicht in Abrede gestellt werden. 

Uebrigens bedarf es noch weiterer ontogenetischer Untersuch- 
ungen, ob nicht anderswo, z. B. bei den Boragineen, die Flügel gleich 
beim ersten Herabwachsen der Blattbasen im Anschlusse an die Blatt- 
ränder sich zu bilden anfangen. 

Die beschreibende Botanik wird aber den Ausdruck folia decur- 
rentia, der ja nicht auf die Art und Weise der Entwiekelung, sondern 
auf das Aussehen im fertigen Zustand sich bezieht, auch für Cirsium 
und ähnliche ruhig beibehalten. 


Aus der ganzen Darstellung dieser Arbeit wird der aufmerksame 
Leser bereits es inne geworden sein, welche irrige Vorstellungen und 
Beurtheilungsfehler es veranlasst haben, dass eine so wohl begründete 
Lehre, wie die von Hofmeister in die botanische Morphologie ein- 
geführte Berindungstheorie, wieder nicht bloss in Frage gestellt, son- 
dern sogar als durch wiederholte Beobachtungen widerlegt hingestellt 
werden konnte. Zwei Vorurtheile sind es hauptsächlich: erstlich, dass 
die jüngsten Entwickelungsstadien, die ersten Anlagen, das morpho- 
logische Verständniss allein oder doch in erster Reihe ermöglichen, 
und zweitens die Vorstellung, dass „mit dem ersten Auftreten der 
Blattanlage am Axenscheitel bereits die Trennung von Blatt und 
Stamm“ stattgefunden hat, so dass von da an beide Organe für sich 
wachsen. . 

Es werden darum häufig über dem Aufsuchen der ersten Stadien 
die fortgeschritteneren Phasen und der fertige Zustand vernachlässigt, 
ohne zu bedenken, dass die ersten Anlagen oft erst durch die Ver- 
folgung der ganzen Entwickelung verständlich werden, wenn auch 
wiederum vielfach der fertige Zustand ohne Einsichtnahme in die 
jüngeren Stadien zweifelhaft bleibt. So werden denn ohne Weiteres 
die Lücken am Scheitel unterhalb jüngster Blattanlagen für Inter- 
nodien erklärt, ohne zu fragen, wo denn bei eingetretenem Contact 
der älteren Blätter die vermeintlichen Iuternodien hingekommen sind, 


465 


Ebenso irrig ist die ganz willkürliche Annahme, dass die Axe 
(als einheitliches Gebilde vorgestellt) und ihre eben angelegten Blätter 
für immer von einander abgesondert wachsen müssen. Daraus wird 
gefolgert, die im Contact befindlichen jungen Blätter müssten dadurch 
von einander entfernt werden, dass die Axe zwischen ihnen sich 
streckt. Wie dies möglich ist, bleibt entweder dahingestellt oder es 
muss die unfassbare Annahme aushelfen, dass eine blosse Linie, welche 
an der Axe die in Contact befindlichen Blattbasen trennt, in eine 
messbare, wachsende Zone übergehen könne. 

Wer die Absurdität einer solehen Annahme einsieht, wer von 
den beiden angezeigten Vorurtheilen frei bleibt oder sich befreit, und 
wer die leicht zu beobachtende Streckung der Blattbasen im Contact 
befindlicher Blätter nicht (wie bei den Equiseten) sophistisch wegzu- 
disputiren strebt, der wird keinen Augenblick zweifeln, dass die In- 
ternodien (wenigstens der bisher darauf untersuchten Fälle) von ur- 
sprünglichen Blattbasen berindet werden, d. h. dass Stengelglied und 
Blatt, im Sinne meiner Sprossgliedtheorie eine morphologische Einheit 
bildend, auch eine Zeit lang vereint wachsen. 


Zur Entwickelungsgeschichte der Gattung Quercus. 
Von 
Wiih. Brenner. 


Nachdem ich vor Kurzem in einer Arbeit!) die Beziehungen 
zwischen Klima und Blattform an Hand der Gattung Quercus unter- 
sucht habe, drängt es mich, die für die Entwickelungsgeschichte 
wichtigen Thatsachen, die sich daraus ergeben, kurz zusammenzufassen. 

Es dürfte vielleicht auffallend erscheinen, dass ich mich überhaupt 
an eine solche Frage heranwage, ohne in der betreffenden Arbeit die 
fossilen Bichen erwähnt oder berücksichtigt zu haben. Dies hat aber 
seine bestimmten Gründe. Erstlich ist die Bestimmung der fossilen 
Blattreste, die ja nur in den allerseltensten Fällen durch Frucht- oder 
Blüthenfunde gestützt wird, oft eine so zweifelhafte, dass vorerst eine 
Sichtung der absolut sichern von den ungewissen Formen durchge- 
führt werden müsste. Worauf aber würde sich auch diese Sichtung 
stützen müssen? Offenbar auf die Merkmale unserer jetzt lebenden 
Eichen, also auf die Gestalt des Blattrandes, die relative Derbheit 
der Blattsubstanz und den Verlauf der Nervatur. Da ich nun aber 
gezeigt habe, -wie unter dem Einfluss des Klimawechsels zunächst die 
Blattsubstanz, dann die Form und in letzter Linie auch die Neryatur 
verändert werden kann, so liegt es auf der Hand, warum ich an 
einer sicheren Bestimmung weit entlegener Vorfahren absolut zweifle. 
Ein und dieselbe Form kann durch Uebergehen in verschiedene Kli- 
mate zu ganz Verschiedenem werden, und bevor wir die äussersten 
Grenzen dieser Veränderlichkeit genau fixirt haben, wird jede Bestim- 
mung fossiler Reste, sogar in Beziehung auf das Genus, etwas Pro- 
blematisches behalten, 

Suchen wir uns einmal die möglichen Veränderungen eines Eichen- 
blattes bei einer Wanderung klar zu machen. Wir gehen von einem 
seicht gelappten Blatt mit craspedodromer Nervatur und weit auseinander 
stehenden Secundärnerven aus, also dem Typus eines nördlich -ge- 
inässigten Klimas mit geringer Transpirationsgrösse. Bei einem Ueber- 
gang in wärmere Gegenden, wo also bei gleicher Niederschlagsmenge 
die Transpiration gesteigert werden muss, wird die Blattsubstanz 
zwischen den Secundärnerven weiter hinein eine Unterbrechung er- 


1) Flora 1902 H. 1 XC. Bd. pag. 114—160. 


467 


fahren müssen, weil die schwache Nervatur an diesen Stellen keinen 
Ueberschuss der Saftzufuhr über den Verdunstungsverlust zu liefern 
vermag. Es entsteht zunächst also ein tiefer gelapptes Blatt (vgl. 
Culturversuche und Sonnen- und Schattenblätter desselben Baumes). 
Gleichzeitig, jedoch langsamer, offenbar als Reaktion des Organismus 
gegen die Hemmungsbildung und Wirkung der gesteigerten Wärme, 
verändert sich nun aber die Nervatur, und zwar in der Weise, dass 
die vorher nur schwachen kleinen Secundäräste, welche zu den Buch- 
ten führten, erstarken und die Rolle selbständiger Aeste übernehmen 
(vgl. die Standortsunterschiede und Speciesverschiedenheiten unter ver- 
schiedenem Klima). Dadurch wird die tiefe Lappung rückgängig 
gemacht und wir erhalten wieder ein schwach gelapptes Blatt, jedoch 
mit zahlreicheren secundären Nerven. Gelangt das Blatt von hier aus 
in feuchte, noch wärmere Gebiete, so werden die Buchten vollständig 
verschwinden können, so dass ein ganzrandiges Blatt mit camptodro- 
mer Nervatur resultirt, ein Zustand, der vermöge der durch ihn ge- 
gebenen grösstmöglichen Ausnutzung des Raumes bei Aufwand einer 
bestimmten Stoffmenge offenbar einem stabilen Gleichgewicht entspricht, 
der also keine Reaction des Organismus hervorruft (trop.-asiat. Eichen). 

Nun wandere dieses Blatt wieder rückwärts in kältere feuchte 
Gegenden, so wird zunächst die geringere Transpiration infolge der 
noch vorhandenen starken Nervatur, hauptsächlich an den Enden der 
Secundäräste, ein Auswachsen des Blattrandes durch Hypertrophie 
hervorrufen (gezähnte Formen der feuchten Mittelgebiete), die jedoch 
durch die infolge der geringeren Wärme allmählich schwächer werdende 
Aderung wieder rückgängig gemacht werden kann. 

Die zweite Entwickelungsreihe ist folgende. Das schwach ge- 
lappte craspedodromnervige Blatt gelangt in südliche trockene Gebiete. 
Dadurch wird eine Lappung nicht nur zwischen den secundären, sondern 
auch zwischen den tertiären Nerven entstehen, wie wir dies z.B. an 
Quereus pubescens Willd. und lobata N6e. sehen. Dementsprechend 
reagirt der Organismus nicht allein durch stärkere Ausbildung der 
bisher dünnen secundären Aeste, sondern auch der schwachen tertiären 
Verzweigungen, um dadurch nach genügend langer Anpassung zu dem 
ganzrandigen Blatt mit brochidodromer Nervatur zu führen (mexica- 
nische Eichen). Gelangt das Blatt von hier aus in feuchtere Gegen- 
den, so werden infolge Hypertrophie die tertiären und secundären Aeste 
auswachsen und entweder nur das stachelspitzige oder bei genügender 
Herabsetzung der Transpiration durch gleichzeitige Abnahme der Wärme 
das fadenlappige Blatt erzeugen, dessen Rand ja eben nicht nur in 


468 


der Richtung der secundären, sondern auch der tertiären Aeste zu 
spitzen Lappen ausgezogen ist (vgl. Culturversuche von Qu. suber, 
Sonnen- und Schattenblätter der trockenen Mittelgebiete und Auftreten 
und Verbreitung der fadenlappigen Form in Amerika). 

Die letztere Form wird sich jedoch nur kurze Zeit erhalten und 
durch allmähliche Reduction der Nervatur durch die geringere Wärme 
wieder seine Modellierung verlieren. 

Wir könnten die Factoren der Veränderungen noch weitere Com- 
binationen eingehen lassen, steis werden wir, vom selben Blatt aus- 
gehend, je nach der Reihenfolge derselben zu ganz verschiedenen 
Resultaten gelangen können. Der Hauptgrund dieser Erscheinung ist 
offenbar der Umstand, dass der Verlauf des Blattrandes ein sehr rasch 
sich änderndes, bei gleich bleibender Nervation lediglich von den 
Transpirationsbedingungen abhängiges Merkmal ist, während die Aen- 
derung der Nervatur nicht gleichzeitig, sondern erst allmählich und 
unter Einfluss der nieht vollkommen mit der Transpirationsänderung 
parallel gehenden Temperaturverschiebung stattfindet, dafür aber auch 
viel länger sich erhält. Statt einer thatsächlichen Wanderung der 
Pflanzen in nördlicher oder südlicher Richtung können wir auch an 
Ort und Stelle das Klima sich ändern lassen und werden auch so 
dieselben Erscheinungen beobachten. 

Aus diesen Ueberlegungen ergibt sich nun, um eine auffallende 
Thatsache herauszugreifen, dass die tiefgelappten und tief fadenlap- 
pigen Formen unbeständig sind und daher erst vor relativ kurzer Zeit 
entstanden sein können. Hier haben wir nun offenbar das Recht, uns 
in den fossilen Ueberlieferungen darnach umzusehen, und was finden 
wir? Beide Formen sind, soviel ich in der Litteratur beobachten konnte, 
in ‚älteren Schichten vollständig unbekannt. Alle fossilen Eichen, vom 
Pliocaen an abwärts, zeichnen sich aus durch ganzrandige oder schwach 
gezähnte Formen, nur im hohen Norden werden seicht gelappte Blätter 
häufiger. Von Blättern wie Qu. pubescens Willd., conferta Kit., rubra 
L., coceinea Wangh. keine Spur; denn auch die Qu. Sagoriana Bit. 
aus Sagor‘) (Mioc.) und Qu. gigantum Ett. aus Tokay?) (etwas älter), 
sofern sie überhaupt zu Quercus gehören, gleichen keiner dieser For- 
men, einzig Qu. pseudocastanea®) aus Alaska erinnert in einigen 


1)C.v. Eitingahausen, Die fossile Flora von Sagor in Krain. Sitzber. 
d. Ak. d, W. 13. Apr. 1871. ° 


2) 0. v. Ettingshausen, Beitr. z. Kenntniss der fossilen Flora v. Tokay- 
Sitzber. d. Ak, d. W. IX. B, 1853. 


3) O. Heer, Flora arctica, III, Bd, Zürich 1868, 


469 


Formen etwas an Qu. Toza Bosc., während sie gewöhnlich auch nur 
die schwache Lappung von Lusitanica Webb. oder Michauxii Nutt. 
zeigt. Da zudem die meist tiefer und spitzer gelappte Qu. sessili- 
flora Sm. erst im Diluvium erscheint, dürfen wir annehmen, dass diese 
tief gelappten Formen erst infolge der Zurückdrängung nach Süden 
durch das Eis entstanden und nach Zurückweichen desselben die 
wärmeren (Gegenden der nördlichen Gebiete eingenommen haben, 
während die kälteren oder feuchteren durch einen Nachschub der un- 
verändert gebliebenen Stammart wohl aus dem Osten wieder be- 
völkert wurden. Als die am weitesten nach Süden gedrängten 
und daher am meisten veränderten Formen wären die durch 
west-östliche Spaltung etwas von einander verschieden gewordenen 
Qu. Toza Bose. und conferta Kit. anzuführen, als zweite Umänderung 
der Stammform erschiene Qu. pubescens Willd. und als dritte Qu. 
sessiliflora Sm., die daher auch, wo sie zusammen in einer Gegend 
vorkommen, die erste sehr warme, die zweite warme Standorte be- 
vorzugen und die feuchten Niederungen Qu. pedunculata Ehrh. über- 
lassen. 

In Amerika entspräche diesen Arten hauptsächlich Qu. lobata 
Nee. in Californien. Da das Land im neuen Erdtheil jedoch nach 8. 
hin offen ist, konnte sich die nach Süden getriebene Urform in Con- 
eurrenz mit den bisherigen Bewohnern hier nicht erhalten (sondern 
nur unter dem Schutze des Gebirgswalles im Westen), und die Ein- 
wanderung nach Zurückweichen des Eises erfolgte daher auch rasch 
von dieser Seite, so dass die brochidodromnervigen mexicanischen 
Formen so zu den nordamerikanischen fadenlappigen Rubra - Formen 
wurden. 

Eine andere Bestätigung meiner Theorie liefern die mexicani- 
schen Eichen. Soweit dieselben bis jetzt bekannt sind, zeigen sie uns 
ein ausserordentlich mannigfaltiges Bild der Blattformen, vom ganz- 
randigen Typus aus bis zum stachelspitzigen, gezähnten, fadenlappigen 
und sogar schwach gelappten Blatt, stets aber verbunden mit deutlich 
brochidodromer Nervatur. Es wäre entschieden verfehlt, wenn man 
darum die entsprechenden Stammformen in den ähnlichsten Blättern 
anderer Gegenden, z. B. für Castanea Nee. in gewissen Formen von 
Cerris L., für excelsa Liebm. etwa in pontica C. Koch, für segoviensis 
Liebm. in erispula Bl. suchen wollte. Das verbietet schon die Be- 
trachtung ihrer Früchte, die absolut keine näheren Bezeichnungen zu 
diesen Eichen haben. Wir sehen hier vielmehr, wie offenbar von 
einer einzigen Stammgruppe aus nur infolge des Klimas die Blattform 


470 


alle möglichen Gestaltungen annehmen kann. Suchen wir uns näm- 
lich das Klima von Centralamerika zu vergegenwärtigen, so finden 
wir, dass nicht nur die pacifische und atlantische Seite in Bezug auf 
Regenmenge an verschiedenen Punkten ausserordentlich differiren, 
sondern dieser Unterschied der Landestheile noch bedeutend gesteigert 
wird durch die eigenartige Gebirgsformation, die auf jeder ihrer 
Hochflächen ein eigenes Klima erzeugt. Wir haben es hier also 
offenbar mit localen Abzweigungen eines Stammes zu thun, die gerade 
durch das isolirte und scharf umgrenzte Vorkommen klimatischer 
Gegensätze Gelegenheit hatten, sich auszuprägen und neben einander 
zur Ausbildung zu gelangen. Eine wegen der mangelhaften und oft 
schwer zu controlirenden Standortsangaben allerdings nur unvollständige 
Vergleichung der Formen und ihrer Wohngebiete zeigte mir denn 
auch, dass die ganzrandigen Formen hauptsächlich die trockenen 
Hochflächen, die schwach fadenlappigen Arten dagegen den pacifischen 
und namentlich den atlantischen Gebirgsabhang bewohnen, 

Ist diese Theorie richtig, so ergibt sich für die Phytopalaeonto- 
logie die vollständig umgestaltende Auffassung, dass die formenähn- 
lichsten Blätter der Vorzeit nicht von vornherein als Stammformen 
jetzt lebender Arten anzusehen sind, um so weniger, je älter sie sind; 
dass das haltloseste Argument die Form des Blattrandes, ein etwas 
zuverlässigeres die Art der Nervatur und das sicherste die Art des 
Ansatzes der Secundärnerven am primären Ast liefert. In Beziehung 
auf die Vererbungsfrage ergäbe sich, dass nicht der direet hemmende 
oder fördernde Einfluss des Klimas es ist, der auch nach Verschwin- 
den der klimatischen Aenderung erblich bliebe (eine Auffassung, 
gegen die man in der That mit Weismann das Widersinnige einer 
Vererbung der abgeschnittenen Schwänze von Ratten anführen könnte), 
sondern die selbstthätige Reaction des Organismus gegen diese Ver- 
änderung, die Stärkung resp. Schwächung der Nervatur, die erst all- 
mählich zur Wirkung gelangt, sich viel fester setzt und daher auch 
nachträglich erhält. 


EEE 


Morphologische und biologische Bemerkungen. 
Von 
K. Goebel. 


12. Die verschiedene Ausbildung der Fruchtkörper von Stereum 
hirsutum. 


Mit 2 Textfiguren. 


In seiner Besprechung der allgemeinen Gestaltung der Pflanzen 
führt Herbert Spencer!) auch die Fruchtkörper einiger Pilze als 
Beispiele für den Satz an, dass die radiäre Ausbildung Hand in Hand 
gehe damit, dass die äusseren Bedingungen ringsum dieselben seien, 
dorsiventrale Ausbildung aber mit einer ungleichen Beeinflussung der 
verschiedenen Seiten in Beziehung stehe. Erläutert wird dies durch 
folgende Beispiele. Wenn die „Hüte“ von Agaricus noli tangere in 
Gruppen wachsen, seien nur die central gelegenen radiär, die äusseren 
theilweise dorsiventral („bilateral-symmetrisch“) ausgebildet. Aus der 
Abbildung (Fig. 195 a. a. O.) geht nicht recht hervor, ob der Verf. 
bei den aussen stehenden Fruchtkörpern nur die Krümmung des 
Stieles im Auge hat, oder ob er eine ungleichseitige Ausbildung 
des Hutes annimmt. Eine solche wird geschildert von Lentiscus 
flabelliformis. An den aus Baumstämmen hervorwachsenden, kurzge- 
stielten Fruchtkörpern ist der Hut durch die Krümmung des Stieles 
horizontal gestellt, die dem Stamm zugekehrte Seite des Hutes aber 
ist viel schwächer entwickelt als die dem Baumstamm abgekehrte. 
Der Hut ist also dem Stiele excentrisch eingefügt. Spencer führt 
dies Beispiel als eines von denen an, bei denen die Dorsiventralität 
nicht eine jeweils durch äussere Umstände veranlasste, sondern eine 
„Rassen“eigenthümlichkeit, d. h. also erbliche sei. 

Ein besonders lehrreiches Beispiel für die Abhängigkeit der Frucht- 
körperform von der Lage derselben bietet nun Stereum hirsutum. Ohne 
Zweifel sind die verschiedenen Formen derselben früher schon be- 
schrieben worden; dass die Verschiedenheit indes auch in den Hand- 
büchern der Mykologie nicht näher besprochen wird, zeigt z. B. die 
Bemerkung de Barys, welcher bei Besprechung der Entwickelung 
der Fruchtkörper nur sagt?): „Die Fruchtträger von Stereum hirsu- 


1) Principles of biology Vol. II (revised and enlarged edition) pag. 138. 
2) Vergleichende Morphologie der Pilze eto., 1884, pag. 59. 


472 


tum, welche als halbirte, stiellose, seitlich angewachsene Hüte be- 
zeichnet werden, stellen in der Regel unregelmässig rundliche, flache 
Scheiben dar, deren grösserer Theil von dem Substrate rechtwinkelig 
absteht, während der andere oft sehr kleine Theil letzterem fest an- 
gewachsen ist.* .. . 

Die von de Bary erwähnte Gestaltung des Fruchtkörpers ist 
allerdings die häufigste, indes nicht die primitivste. 

Ein vermodernder Stamm von Alnus glutinosa, der horizontal auf 
dem feuchten Waldboden bei Ambach lag, war mit zahlreichen Stereum- 
Fruchtkörpern bedeckt. Die auf der oberen!) und unteren Seite des 
Stammes (letzterer lag dem Boden nicht fest auf) wachsenden Frucht- 
körper nun waren auffallend von einander verschieden, so sehr, dass 
man sie, wenn nicht Uebergangsformen vorhanden wären, sicher für 
nicht zusammengehörig halten würde. Die auf der Ober- und Unter- 
seite wachsenden Fruchtkörper sind nämlich radiär, sie sind dem 
Baumstamm angedrückt und kehren das Hymenium entweder nach 

- oben oder nach unten; die auf den Seitentheilen des Baumstammes 
entspringenden stehen horizontal von dem Substrat ab, kehren das 
Hymenium stets nach unten und sind ausgesprochen dorsiventral, 
indem die dem Baumstamm zugekehrte Seite der Fruchtkörper mehr 
oder minder im Wachsthum zurückbleibt. 

In Fig. 11 ist ein radiärer Fruchtkörper dargestellt.?) Der radiäre 
Bau tritt hier deshalb besonders deutlich hervor, weil. der Frucht- 
körper concentrisch angeordnete Zonen aufweist, deren Mittelpunkt 
annähernd mit dem Mittelpunkt der Scheibe zusammenfällt. Bei den 
seitlich entspringenden Fruchtkörpern (Fig. 3 IH) ist zwar auch noch 
ein concentrischer Bau angedeutet, aber es liegt der Zonenmittelpunkt 
nahe an der Anheftungsstelle, der dem Baumstamm zugewendete 
Theil der Scheibe ist im Wachsthum sehr frühe zurückgeblieben und 
so sehr viel kleiner als die anderen. Der Fruchtkörper bietet ein 
ähnliches Bild dar, wie ein optischer Durchschnitt durch ein excentrisch 
geschichtetes Stärkekorn. In Fig. 1III sind übrigens drei Frueht- 


1) An einem anderen Stammstück -waren Fruchtkörper nur auf der Unter- 
seite entwickelt, die ja auch die feuchtere ist. Man könnte, nach einer Angabe 
Schulzers von Müggenburg (erwähnt in Organograpbie’ pag. 282) über Poly- 
poreen vermuthen, dass der ersterwähnte Stamm eine Drehung um 180° erfahren 
habe, indes spricht dagegen das Verhalten der auf seinen Flanken inserirten 
Fruchtkörper. 

2) Bei den dem Substrat anliegenden Fruchtkörpern dienen die Hyphen, 


die bei den abstehenden die „Behaarung“ der Oberfläche bilden, zur Anheftung 
(und Ernährung). 


473 


körper mit einander verwachsen, sie haben nach aussen hin Zonen, 
die über alle drei gemeinsam verlaufen, ähnlich wie dies bei 
„halb zusammengesetzten“ Stärkekörnern der Fall ist. Bei manchen 
ist auch der dem Baumstamm benachbarte Theil des Fruchtkörpers 
schmäler, als der weiter aussen liegende, und so eine Art Stiel- 
bildung angedeutet, wie sie bei anderen Stereum-Arten in ausge- 
sprochener Weise vorkommt. 


Fig.1. Fruchtkörper von Stereum hirsutum. I auf der Unterseite eines todten Erlen- 

stammes gewachsen, radiär ausgebildet; (Oberansicht) II (von unten gesehen) nahe 

der Flanke des Stammes, der obere Theil des Fruchtkörpers hat sich vom Substrat 

abgehoben und wächst stärker, der Fruchtkörper ist deshalb schon excentrisch; 

II drei mit einander verwachsene Fruchtkörper von der Flanke des Erlenstammes, 
schief von unten gesehen; sie sind ganz dorsiventral. 


Eine Uebergangsform zwischen radiärer und dorsiventraler Aus- 
bildung zeigt Fig. III. Hier steht der obere Tlıeil des Fruchtkörpers 


vom Substrat ab; er wächst stärker als der untere. . 
Als gemeinsamen Ausgangspunkt der verschiedenen Fruchtkörper- 


formen können wir also offenbar eine concentrische Scheibe mit einem 


474 


dem Substrat abgewendeten Hymenium betrachten (vgl. Fig.2). Ist diese so 
orientirt, dass sie sich plagiotrop orientiren kann, so dreht sich die Unter- 
seite, so dass sie nach oben gerichtet ist. Ob dabei (wie dies wahr- 
scheinlich ist) der Transversalgeotropismus vornehmlich in Betracht 
kommt, oder auch das Licht, muss ich ebenso wie Sachs!) dahin- 
gestellt sein lassen. Dieser Forscher erwähnt Telephoren, welche 
auf einer Holzwalze gewachsen waren. Die auf der Oberseite liegen- 
den hatten aber kein Hymenium entwickelt, ein solches trat nur auf 
der freien Unterseite der horizontal abstehenden Hüte auf. Die Beein- 
flussung der Gestalt des Fruchtkörpers durch die Lage trat hier also 
viel weniger auffallend hervor, als bei dem oben beschriebenen Stereum. 

Es wäre nun von besonderem Interesse zu ermitteln, welche Fac- 
toren es sind, welche für die einseitige Ausbildung in Betracht kommen. 
Man kann an Verschiedenes denken. Wenn die Fruchtkörper trans- 
versal-geotropisch sind, könnte bei seitlicher Lage der innere Rand 
eine mechanische Wachsthumshemmung erfahren. Ferner könnte die 
Feuchtigkeit des Substrats in Betracht kommen; der weniger constant 
befeuchtete Theil, d.h. also der abstehende, wäre dann im Wachsthum 
der geförderte, oder es handelt sich um eine Lichtwirkung. Schliesslich 
könnte man auch an eine besondere Form von Reizbarkeit denken, 
die sich darin ausspricht, dass die dem Substrat abgekehrte Seite die 
stärker wachsende wird. 

Eine Entscheidung darüber kann natürlich nur das Experiment 
geben. Dieses aber bietet bei so langsam wachsenden Gebilden, wie 
derartige Fruchtkörper es sind, nicht gerade sehr viel Aussicht auf 
Gelingen. Es sei deshalb gestattet, zunächst wenigstens eine Ver- 
muthung zu äussern. 

Dass es sich um eine mechanische Wachsthumshemmung nicht 
handeln kaun, scheint mir durch Beobachtung der an verschiedenen 
Stellen des Baunistamms wachsenden Fruchtkörper nachgewiesen zu 
sein. Man findet nämlich die freie Seite gefördert auch da, wo die 
nicht freie sich ungestört ausbreiten könnte. Am wahrscheinlichsten 
scheint mir zunächst — da man an eine „Morphästhesie* dem Substrat 
gegenüber ohne zwingende Gründe wohl nicht wird denken wollen —, dass 
es sich um eine Förderung des Fruchtkörperwachsthums durch das Licht 
handelt; wir wissen ja, dass das Wachsthum mancher Hymenomyceten- 
fruchtkörper durch das Licht tiefgreifend beeinflusst wird, und dass 
bei manchen Agaracinen der Hut nur dann angelegt wird, wenn Licht 


1) Ueber orthotrope und plagiotrope Pflanzentheile, Arbeiten aus dem bot. 
Institut in Würzburg, 2. Bd. pag, 252, 


- 


475 


in bestimmter Intensität vorhanden ist. Es stimmt diese Annahme 
auch zu dem Verhalten der oben aus Spencer angeführten Agarieinen, 
und wenn sie richtig ist, würde ein ähnlicher Fall vorliegen, wie ich 
ihn für Moose erwähnt habe. Bei zweizeilig verzweigten, auf Baum- 
stämmen wachsenden Moosen unterbleibt, wenn ausnahmsweise eine 
der bei der zur Astbildung bestimmten Seite dem Substrat dicht 
anliegt, auf dieser die Astbildung, bei zweireihig beblätterten Leber- 
moosen die normale Ausbildung der einen Blattreihe (vgl. Organo- 
graphie pag. 302). Bei diesen Moosen wurde die „Einseitigkeit“ der Vege- 
tationsorgane deshalb a. a. O. auf Lichtmangel zurückgeführt, weil bei 
Hypnum splendens die im Finstern austreibenden Innovationssprosse 
ihre Seitenäste nicht entwickeln (a. a. O. pag. 218), also bei einsei- 
tigem Lichtmangel auch einseitige Astausbildung zu erwarten ist, und 
weil die Blätter etiolirter Jungermannieen gleichfalls rudimentär bleiben 
(a. a. O0. Fig. 120), so dass bei einem mit der einen blattbildenden 
Flanke dem Substrat dieht ange- 
drückten Stämmchen gleichfalls das 
Rudimentärbleiben der Blätter auf 
dieser Seite dem Lichtmangel zu- 
geschrieben werden darf. 

Bei Stereum scheint mir für 
die Annahme, dass die stärker be- 
leuchtete Seite die geförderte ist, Fir? Schema fir die Ausbildung der 
auch die Thatsache zu sprechen, Fruchtkörper von Stereum hireutum auf 
dass bei den auf der Oberseite be- der Oberseite, Unterseite und den Flan- 
findlichen Fruchtkörpern auf einem ken eines Baumstamms. Das Centrum 
Baumstamm, der an einem Wald- der Fruchtkörper ist durch einen Strich 
weg lag, die dem Weg zugekehrte, angedeutet, das Hymenium liegt bei den 


. : flankenständigen und dem auf der Unter- 
a iel- 5 
also besser beleuchtete Beite v seite befindlichen Fruchtkörper nach 


fach stärker gewachsen war als unten, bei dem auf der Oberseite be- 
die im Schatten der Bäume befind- findlichen nach oben. 

liche; auch bei dicht über einander 

wachsenden Fruchtkörpern schien die von anderen Fruchtkörpern be- 
schattete Seite in einigen Fällen im Wachsthum zurückzubleiben. Und 
wenn die auf den Flanken stehenden Fruchtkörper sich transversal 
stellen, ist selbstverständlich die dem Baumstamm anliegende Seite 
die beschattete. Analoge Erscheinungen lassen sich bei Polyporeen 
beobachten, z. B. bei Polyporus versicolor. Wir sehen also bei der- 
artigen Fruchtkörpern einerseits, wie sie — teleologisch gesprochen — 
das „Bestreben“ haben, über das Substrat herauszukommen, was na- 


476 


türlich die Sporenaussaat begünstigt, andererseits eine ungemein deut- 
liche Beeinflussung der Gestalt der Fruchtkörper durch ihre Lage, 
während bei anderen einseitigen Pilzfruchtkörpern eine directe Be- 
eindussung nicht mehr wahrnehmbar ist. Das ist ein Verhalten, das 
sich, wie früher ausgeführt,') auch sonst vielfach vorfindet. Das Inter- 
esse, welches derartige Fälle für die allgemeine Auffassung der Ab- 
hängigkeit der Gestaltung von äusseren Factoren bieten, mag die 
Veröffentlichung dieser Notiz entschuldigen, obwohl dieselbe an dem 
Mangel einer experimentellen Entscheidung der angeregten Frage 
leidet. Vielleicht lässt sich die Lücke später ausfüllen. 


Ambach, Ostern 1902. 


Litteratur. 


Molisch, H., Studien über den Milchsaft und Schleimsaft der Pflanzen. 
Mit 33 Holzschnitten im Text. Jena, G. Fischer. 1901. 

Molisch hat sich durch die monographische Bearbeitung der Milch- und 
Schleimsäfte der Pflanzen uustreitbar ein grosses Verdienst erworben, Die bisher 
über diesen Gegenstand verbreiteten Anschauungen werden von ihm in mannig- 
feltiger Beziehung berichtigt, ergänzt und erweitert. Besonders war es eine glück- 
liche Idee, den Milchsaft nicht allein, wie bisher meistens geschehen, in seiner Zu- 
eammensetzung aus chemisch differenten Substanzen zu studiren, sondern den 
Inhalt der Milchsaftbehälter gewissermassen als einen lebenden Bestandtheil des 
Pilanzenleibes eingehender Untersuchung zu unterwerfen und damit die Schaffung 
einer sicheren Grundlage anzubahnen für die Erklärung der physiologischen Be- 
deutung, welche den Milchsäften im Leben der Pflanzen zukommt. Die Milchsaft- 
behälter sind Zeilgebilde mit einem wandständigen Protoplasma, in welchem zahl- 
reiche Zellkerne von bisweilen seltsamer Ausbildung eingebettet sind, in weichem 
ausserdem andere geformte Elemente des lebenden Zellleibes, Leukoplasten und 
keukoplastenartige Bildner von Fett und Eiweisskörpern, Eläoplasten und Vaouolen 
mit ihren Einschlüssen in grosser Zahl angetroffen werden. Der eigentliche Milch- 
saft, der bei Verletzungen aus der Wunde strömt, ist nichts anderes als der dem 
Zeilsaft homologe Vacuoleninhalt des vielkernigen Zellgebildes, nicht aber, wie 
Berthold annahm, ein eigenthümlich metamorphosirter, leichtflüssiger Plasma- 
körper. Selbstverständlich nehmen die Mittheilungen über die chemische Zusam- 
mensetzung und die physikalischen Eigenschaften dieses Milchsaftes in Molisch’s 
Werk einen breiten Raum ein. Der Verf. stützt sich bei diesen Mittheilungen auf 
eingehende Untersuchungen, für die ihm zum Theil seine Tropenreise das Mate- 
rial lieferte. Er findet dabei Gelegenheit, auch die ältere Litteratur kritischer 
Beleuchtung zu unterziehen. So weist er z. B. De Bary’s Ansicht ab, dass die 
gerbstoffreichen Milchsaftschläuche der Aroideen und Musaceen in ihrer physio- 
logischen Bedeutung den Gerbstoffschläuchen an die Seite zu stellen seien, während 
die gerbstoffarmen oder gerbstofffreien zu den Siebröhren in nächster Beziehung 
stehen. Auch Raciborski’s Hypothese über die Bedeutung des Leptomins als 


1) Organographie und anderwärts, 


417 


Vehikel des Sauerstoffes bei der Athmung erklärt cr auf Grund seiner Beobach- 
tungen für zu weit gehend und nicht genügend gestützt. Bezüglich der physika- 
lischen Beschaffenheit des Milchsaftes betont Molisch, dass vielleicht die oft 
ausserordentlich feine Vertheilung und die daraus resultirende ungeheure Ober- 
fläche der Milchsaftkügelchen bei der physiologischen Leistung des Milchaaftes 
eine wichtige Rolle spielen könne; er meint, dass dadurch die Absorption von 
Gasen, chemische Reactionen und andere Stoffwechselvorgänge begünstig werden 
können, ähnlich wie die colloidalen Lösungen gewisser Metalle durch blosse Con- 
taetwirkung sich wie Fermente verhalten Die weitere Ausführung dieses Gedan- 
kens wie überhaupt die Discussion der physiologischen Bedeutung des Milchsaftes 
bleibt einer weiteren Arbeit vorbehalten. 

Der zweite weniger umfangreiche Theil des Werkes beschäftigt sich mit dem 
Schleimsaft in den von Hanstein bei Monokotylen nachgewiesenen Schleimröhren‘ 
Auch hier werden zunächst die lebenden Inhaltsbestandtheile, Plasma und Zellkern 
der Betrachtung unterzogen, wobei auch die aus einer früheren Arbeit des Verf. 
bekannten eigenthümlichen Fadenknäuelkerne von Lykoris radiata besprochen und 
abgebildet werden. In den Mittheilungen über die Chemie des. Schleimsaftes be- 
richtet Molisch u.a. über einen aus dem ansfliessenden Schleimsaft in Sphäriten 
oder Aggregaten von Nadeln auskrystallisirenden Körper, der mit verdünnter Kali- 
lauge behandelt unter dem Deckglase in verworrenen, pilzmycelartigen, gelben 
Fäden ausgeschieden wird. Er wies diesen Körper, den er als Luteofilin bezeichnet, 
durch die „Filzreaction“ bei einer Reihe von Amaryllideen, Lilisceen, Commeli- 
naceen, Gramineen, Lobeliaceen in wechselnder Menge nach. Den neuen Körper 
in grösserer Menge rein darzustellen und seine chemische Natur zu bestimmen, 
gelang bisher nicht. Molisch ist der Ansicht, dass der Schleimsaft der Schlaueh- 
gefässe eine vielseitige Rolle im Leben der Pflanzen spielt, dass die Schläuche als 
Leitbahnen für organische Substanzen, als Wasserspeicher, als Reservestoffbehälter, 
als Schutzeinrichtungen gegen Thierfrass in Betracht kommen können. Die ex- 
perimentelle Begründung dieser Annahme darf wohl wie der Nachweis der phy- 


siologischen Bedeutung des Milchsaftes von einer späteren Arbeit des Verf. er- 


wartet werden. Giesenhagen. 


Pflanzenphysiologie. Ein Handbuch der Lehre vom Stoffwechsel und 
Kraftwechsel in der Pflanze. Von Dr. W. Pfeffer, o.ö. Professor an 
der Universität Leipzig. Zweite völlig umgearbeitete Auflage. 
Zweiter Band. Kraftwechsel. 1. Hälfte (Bg. 1—22). Mit 31 Ab- 
bildungen in Holzschnitt. . Leipzig, Verlag von Wilh. Engelmann. 
Preis 11 Mk. . 

Von dem zweiten Bande des Pfeffer’schen „standard-work* erschien zu- 
nächst die erste Hälfte. Sie enthält in 10 Kapiteln „die Wachsthumsbewegung, 
Mechanik des Wachsens, Wachsthum und Zellvermehrung, Elastieitäts- und Co- 
häsionsrerhältnisse des Pflanzenkörpers, Gewebespannung,, die Beeinflussung der 
Wachthumsthätigkeit durch die Aussenbedingungen, die inneren Ursachen der 
speeifischen Gestaltung, Variation und Erblichkeit, die Rhytmik der Vegetations- 


processe, Widerstandsfähigkeit gegen extreme Einflüsse“. Aus dem een 
Material, das hier verarbeitet ist, Einzelnes hervorzuheben oder einzelnen Auffas- 


enüber einen abweichenden Standpunkt zu vertheidigen, müsste bei 
Es wird wohl kaum 


8 


sungen” geg .y . 
der Gesammtbedeutung des Werkes kleinlich erscheinen, 
Flora 1902. 


. 


478 


einen anderen Zweig der Naturwissenschaften geben, der ein Werk besitzt, in 
welchem, wie in der Pfeffer’schen Physiologie, ein so grosses Material in so 
allseitig und_tief durchdachter Weise verarbeitet ist. Nicht nur die Botaniker, 
sondern alle Biologen müssen dem Verfasser für diese Leistung ersten Ranges 
dankbar sein, K.6 


Jahresbericht über die Fortschritte der Lehre von den Gährungs- 
organismen. Herausgeg. von Prof. Dr. Alfred Koch. Zehnter Jahr- 


gang 1899. Leipzig, Verlag von 8. Hirzel. 1901. Preis 12 Mk. 
Mit Befriedigung kann der Herausgeber des „Jahresberichtes" in dem Vor- 
wort zum jetzt vorliegenden zehnten Bande auf das erste Decennium seines Unter- 
nehmens zurückblicken. Der Erfolg hat gezeigt, dass dieser Jahresbericht einum 
Bedürfniss entsprach; haben doch die „Gährungsorganismen* eine wichtige Bedeu- 
tung uicht nur_für die allgemeine Physiologie, sondern auch für Landwirthschaft 
und Technik. Die Referate des Koch’schen Jahresberiehts zeichnen sich dadurch 
aus, dass sie von Sachverständigen bearbeitet sind, welche das Wesentliche der 
referirten Abhandlungen kurz und klar wiedergeben — was man nicht von allen 
anderen Jahresberichten sagen kann. 


Recueil de l’institut botanique (universit& de Bruxelles) publie par 
L. Errera. Tome V. Avec huit figures dans le texte et neuf 
planches. Bruxelles, Henri Lamertin, &diteur-libraire. 

Der Gründer und Leiter des botanischen Instituts der Universität Brüssel 
hat sich entschlossen, die in diesem Institut (theilweise auch anderwärts) entstan- 
denen Arbeiten, die in verschiedenen Zeitschriften zerstreut waren, zu sammeln. 

Der vorliegende stattliche Band (dem I—IV später folgen sollen) enthält folgende 

Arbeiten: Clautriau, Nature et signification des alealoides v6geiaux; derselbe, 

La digestion dans les urnes de Nepenthes; E. Vanderlinden, Recherches nıicro- 

chimiques sur la prösence des alcaloides et des glycosides dans la famille des Re- 

nonculacdes; J. Massart, Recherches sur les organismes inferieurs (IV); L.Errera, 

La myriotonie comme unit6 dans les mesures osmotiques; Fr. Van Ryssel- 

berghe, Infiuesce de la temperature sur la perm6abilitE du protoplasme vivant 
pour l’eau et les substances dissoutes; J. Massart, Recherches sur les organismes 
inferieurs, V. Sur le protoplasme des Schizophytes; J. Starke, De la pretendue 
existence de solanine dans les graines de Tabac; J. Massart, Essai de classifi- 
cation des röflexes non nerreux; L. Errera, sur une bact6rie de grandes dimen- 
sions: Spirillum” colossus. — Die vorliegende Sammlung ist um so erwünschter, 


als manche der Arbeiten ;in nicht ganz leicht zugänglichen Zeitschriften (Aka- 
demwieberichten u. 8. w.) erschienen waren. 


Vegetationsbilder aus Deutschostafrika. Nach 64 photographischen 
Aufnahmen von WaltherfGötze zusammengestellt und besprochen 
von A. Engler. Leipzig, Verlag von Wilh. Engelmann. Preis 25 Mk. 


Die”von Engler herausgegebenen schönen und instructiven Photographieen 
rühren von W. Götze her, der, zu naturwissenschaftlichen, speciell botanischen 
Studien in das im Norden des Nyassasees gelegene Gebirgsland entsandt, leider 
dem afrikanischen Klima zum Opfer fiel, Es ist erfreulich, dass es gelang, auf 
Grand der Resultate seiner Sammlungen in der vorliegenden Veröffentlichung 


479 


einem grösseren Kreise in Wort und Bild die pflanzengeographischen Verhältnisse 
eines Theiles von Ostafrika zu schildern. 


Ueber Erklärung in der Biologie. Rede von &. Haberlandt. 2, Aufl. 
Haag, Leuschner u, Lubensky 1901. (Preis 0,60 Mk.) 

Der Inhalt einer Rede, die naturgemäss eine Reihe von wichtigen Problemen 
mehr streifen als eingehend erörtern kann, lässt sich nicht kurz skizziren. Es sei 
deshalb nur erwähnt, dass Haberlandt in bekannter klarer und schöner Dar- 
stellung darauf hinweist, dass „Erklären“ in der Biologie das Bestreben sei, Zu- 
sammenhänge aufzudecken. Er erwähnt, wie die idealistische Morphologie, die 
Eintwickelungsgeschichte, der Darwinismus u. a, diese Zusammenhänge darzulegen 
gesucht haben und wendet sich scharf gegen den Neovitalismus, speciell die „Ent- 
wickelungsintelligenz“ und die Annahme „intelligenter Kräfte“. Darin werden ihm 
vieic beistimmen. Wenn der Verf. Schwendener’s „Mechanische Theorie der 
Blattstellungen“ als ein mit zwingender Consequenz durchgearbeitetes Vorbild für 
die Richtung causaler Forschung, welche als Entwickelungsmechanik in letzter 
Instanz nach deu physikalisch-chemischen Ursachen der organischen Formen frage, 
bezeichnet, 30 geht aus dem Zusammenhang nicht recht hervor, ob er dabei 
das Hauptgewicht auf das Fragen legte; ist das der Fall, so wird man ihm 
wohl auch hierin beistimmen. Die Antwort auf die Frage wird aber auch hier 
lauten, dass „auf dem Gebiete der mechanischen Erklärung der Lebeuserscheinungen 
bisher nur spärliele und isolirte Ergebnisse zu erzielen wuren* (a. a, O. pag. 13), 
Spermatogenesis and fecondation of Zamia by Herbert J. Webber 

(U. S. departinent of agrieulture, Bureau of plant industry) Bulletin 
Nr. 2, WashingtonZ1y0l. 

Die vorliegende Arbeit gibt in ausführlicher, auf wiederholte Untersuchungen 
gegründeter Darstellunz die Resultate, die der Verf. früher schon in einer be- 
kannten Abhandlung kurz mitgetheilt hatte. Es sei hier nur Weniges daraus er- 
wähnt. Die Zamia-Art, um die es sich dabei handelt, ist nicht (wie früher ange- 
nommen) die westindische Z. integrifolia, vielmehr wachsen in Florida zwei Arten, 
2. Noridana DC. und.Z. pumila L. Die Bestäubung erfolgt durch den Wind, indes 
wird auch hier (wie dies von manchen Coniferen bekannt ist) ein schleimiger 
Tropfen von der Mikropyle ausgesondert, der den Transport der Makrosporen 
zum Nucellus besorgt. Bei der Mikrosporenkeimung treten eigenthümliche Ver- 
schiebungen der Protlialliumzellen auf, im Uebrigen stimmt die Keimung mit der 
für Coniferen durch Belajeff und Strasburger bekannt gewordenen überein. 
Die ganze Spermatozoidmutterzelle wird zum Spermatozoid umgebildet; Verf. meint, 
dies sei eine Abweichung von dem sonst für die Bildung pflanzlicher Spermatozoen, 
bekannten Vorgang, wobei eine Differenzirung des Spermatozoids innerhalb 
einer Mutterzelle stattfinde. Indes hat Bruchmann für Lycopodium gleichfalls 
dasselbe angegeben. Die Spermatozoiden von Zamis sind sehr gross; sie Aonnen 
(ebenso wie die Eizellen) mit blossem Auge gesehen werden. Eingehend schildert 
Verf. die Entstehung des Blepharoblasts, er findet, dass die Blepharoblasten von 
den Centrosomen verschieden sind. Zahlreiche instructive Abbildungen erläutern 


die interessante Abhandlung. ik ct 
Bulletin de l’herbier de l’institut botanique de Bucarest, publie 


dirigd par Mr. Michel C. Viadesco. Nr. 1. September-December 
1901. Bukarest 1901. ge 


480 


Botanische Beobachtungen aus Spitzbergen. Von Thorild Wulff. Lund 
1902. E. Malmströms Buchdruckerei. 

In dem mit vier Tafeln versehenen kleinen Buche theilt der Verf. in vier Ab- 
schnitten Beobachtungen mit, die er als Botaniker der schwedisch-russischen Grad- 
messungscommission nach Spitzbergen zu machen Gelegenheit hatte. Der erste 
Abschnitt handelt über die Transpiration der arktischen Gewächse (erwähnt sei, 
dass Verf. eine ziemlich beschränkte Regulationsfähigkeit fand, die arktischen 
Gewächse sind auf die kälteren Mitteltemperaturen „abgestimmt“) Betreffs der 
Bedeutung der Mykorrhizenbildung schliesst sich Verf. an Stahl an. Der zweite 
Abschnitt behandelt das Vorkommen von. Anthocyan bei arktischen Gewächsen. 
Die An+hocyanbildung ist hier eine kräftige und weit verbreitete und ist (über- 
einstimmend mit Overton’s Untersuchungen) verbunden mit reichlicher Zucker- 
produktion; an reichlich gedüngten Exemplaren unterbleibt die Anthocyanbildung. 
Es wäre (nach des Ref. Ansicht) eine dankenswerthe Aufgabe, zu untersuchen, 
ob dies darauf zurückzuführen ist, dass bei reichlicher Darbietung von N und 
Aschenbestandtheilen der Zucker rascher verarbeitet wird. Abschnitt III (der 
Polygonboden) und IV (floristische Notizen) haben hauptsüchlich pflanzengeo- 
graphisches Interesse, 

Monographie der Gattung Alectorolophus. Von Dr. J. v. Sterneck. 
Mit 3 Karten und einem Stammbaume. Wien, Alfred Hölder. 
Preis 5 Mk. 60 Pf. 


Der Inhalt dieser sorgfältigen Monographie gliedert sich in neun Abschnitte: 
Einleitung, Litteratur ete.; Allgemeine Bemerkungen über die Gattung A; Parallele 
Formenreihen innerhalb der Gattung; Beschreibung der einzelnen Sippen (dies ist 
der umfangreichste Theil); Schlüssel zum Bestimmen; Entwickelungsgeschichte 
der Gattung; Systematik der Gattung auf Grund der Phylogenie; Verzeichniss der 
angeführten Pflanzennamen. Die Methode, welche der Verf. bei seinen plıyloge- 
netischen Darlegungen angewandt hat, schliesst sich an die von Wettstein ver- 
tretenen Grundsätze an, wornach die Geschichte einer Pflanze vornehmlich aus deren 
geographischen Verbreitung im Verein mit der morphologischen Eigenart zu er- 
schliessen ist, sofern es sich um relativ jüngere Bildungen handelt. Dadurch ge- 
winnt die Abhandlung auch ein allgemeineres Interesse. Der Verf. hebt hervor, 
duss der Zweck derselben auch dahin gehe, anderen Forschern Material zu descen- 
denztheoretischen Untersuchungen zu liefern, er schliesst sich demgemäss den aus 
der Wettstein’schen Schule hervorgegangenen Monographieen von Gentiana und 


Euphrasia an. Wie dankenswerth derartige Untersuchungen gerade gegenwärtig 
sind, braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden. K.@. 


Tafel XIIXIV. 


Flora 90.Band. 1902. Figd Fig Rio. 6 
I GI. 6772 , 


N r 
un EP 
‘ 


Fig 13 (94) Fig. 2 Me ) 


Flora 90.Band.l902. 724.70 


I 139) 


PP S> 


Fig. 16 


Dbeiserixg phot.et dei. 


N. G. Eiwert’sche Verlagsbuchhandiung, Marburg. 


: Soeben erschien in unserem Verlag: 


Untersuchungen 
über die Characeen. 


Von 
Dr. K. Giesenhagen, 


a. 0. Professor der Botanik in München, 


Erstes Heft. . 
gr. 8%, 144 8. Mit 4 Tafeln und 60 Textfiguren. 


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K. Goebel. 


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Physiologische Notizen. 


Julius Sachs. 


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Giesenhagen, Dr. K., Die Farngattung Niphobolus. 
Eine Monographie. Mit 20 Abbildungen. Preis: 5 Mk. 50 Pfg. 


Goebel, Dr. K., Prof. a. d. Univ. München, Organographie 
der Pflanzen, insbesondere der Archegoniaten und 
Samenpflanzen. Zweiter Theil. Speeielle Organographie. 


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des Ganzen). Mit 107 Abbildungen im Text. Preis: 5 Mk. 


Strasburger, Dr. Eduard, o. ö. Professor der Botanik an der 
Universität Bonn, Das kleine botanische Practicum 
für Anfänger. Anleitung zum Selbststudium der mikroskopischen 
Botanik und Einführung in die mikroskopische Techn'" V’rte 


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aus dem Gesammtgebiete der Mykologie. 
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‚Oscar Brefeld. 

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Heft IV. 

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Heft V. 

Mit 13 Tafeln. In gr. 4. VIII, 220 Seiten. 1883. Brosch. Preis: 25 Mk. 

Heft Vi. 

Mit 5 Tafeln. Ingr. 4. VI, 78 Seiten. 1884. Brosch. Preis: 10 Mk. 
Heft VII. 

Mit 11 Tafeln. In gr. 4. XII, 178 Seiten. 1888. Brosch. Preis: 28 Mk. 
Heft Vin. 


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Druck von Val. Höfling, München, Lämmerstr. 1.